Begnadigung und Delegation: Die Delegation der Entscheidungszuständigkeit des Begnadigungsrechts und ihre Grenzen [1 ed.] 9783428538164, 9783428138166

Begnadigungsentscheidungen werden in den seltensten Fällen von den Amtsinhabern selbst entschieden. Durch eine stetig au

130 15 3MB

German Pages 216 Year 2012

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Begnadigung und Delegation: Die Delegation der Entscheidungszuständigkeit des Begnadigungsrechts und ihre Grenzen [1 ed.]
 9783428538164, 9783428138166

Citation preview

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1218

Begnadigung und Delegation Die Delegation der Entscheidungszuständigkeit des Begnadigungsrechts und ihre Grenzen Von Cornelius Böllhoff

Duncker & Humblot · Berlin

CORNELIUS BÖLLHOFF

Begnadigung und Delegation

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1218

Begnadigung und Delegation Die Delegation der Entscheidungszuständigkeit des Begnadigungsrechts und ihre Grenzen

Von Cornelius Böllhoff

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Halle-Wittenberg hat diese Arbeit im Jahre 2011 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13816-6 (Print) ISBN 978-3-428-53816-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-83816-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinem Großvater Dr. iur. Felix Große Wentrup (1912 – 2006)

Vorwort Die vorliegende Arbeit hat die Juristische Fakultät der Universität Halle-Wittenberg im Wintersemester 2010/2011 als Dissertation angenommen. Obwohl die Arbeit in enger Anbindung an den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Staatskirchenrecht und Kirchenrecht an der Universität Halle-Wittenberg entstand, habe ich sie weit überwiegend in der Staatsbibliothek zu Berlin am Potsdamer Platz geschrieben. Trotz dieser räumlichen Distanz erfuhr ich in der gesamten Zeit besondere Unterstützung und wertvolle Anregungen durch meinen Doktorvater Prof. Dr. Michael Germann. Seine fachlichen Anstöße und seine ermutigende Motivation waren entscheidende Impulse für die Arbeit. Ich danke ihm sehr herzlich. Das Interesse am wissenschaftlichen Arbeiten wuchs bereits in der Zeit, in der ich Wissenschaftliche Hilfskraft von Prof. Dr. Hans Lilie an seinem Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung und Medizinrecht in Halle war. Ihm danke ich nicht nur für das Zweitgutachten, sondern auch für die persönliche und herzliche Begleitung während der Zeit an seinem Lehrstuhl und auch darüber hinaus. Die studentische und wissenschaftliche Atmosphäre habe ich an der gesamten Juristischen Fakultät Halle-Wittenberg als eine große Bereicherung empfunden. Zum Abschluss der vorliegenden Arbeit haben viele Gespräche mit den Stellen auf Bundes- und Landesebene beigetragen, die in der Praxis über Gnadengesuche entscheiden. Mein Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesjustizministerien für die mir gewährten Auskünfte. Schon in der Anfangsphase der Beschäftigung mit dem Begnadigungsrecht begleitete Prof. Dr. Stefan-Ulrich Pieper, Referatsleiter Verfassung und Recht im Bundespräsidialamt, den Fortgang dieser Arbeit. Für die regelmäßigen Gespräche in seinem Hause danke ich ihm. Dankbar bin ich auch dafür, dass die Arbeit durch ein Stipendium der Graduiertenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung finanziell und ideell unterstützt wurde. Für die Drucklegung der Arbeit gewährte zudem das Bundesministerium des Innern einen großzügigen Druckkostenzuschuss. Für anregende Diskussionen zum Thema sowie Ermutigung in schwierigen Arbeitsphasen danke ich Konrad Asemissen, Harald Auerbach, Johannes Bullermann, Jonas und Friederike Finke, Gottfried Ludewig, Friedrich von Plettenberg, Pater Dr. Dominik Terstriep SJ, Marius Thye und ganz besonders meinen Geschwistern Julia Böllhoff und Dr. Dominik Böllhoff. Meinen Eltern danke ich herzlichst für vielfältige Unterstützung während und nach der Arbeitsphase, insbesondere für die Korrektur des Erstentwurfs. Widmen

8

Vorwort

möchte ich die Arbeit meinem Großvater Dr. Felix Große Wentrup, der an meiner juristischen Ausbildung von Beginn an großen Anteil nahm und sich über den Abschluss dieser Arbeit gefreut hätte. Berlin, im Januar 2012

Cornelius Böllhoff

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Theologische und historische Aspekte der Gnade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 I. Theologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 II. Zentraler historischer Aspekt: Bindung an die Person des Monarchen . . . . . . . . . . 22 1. Gnadenauftrag des Monarchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Entscheidungsfreiheit des Monarchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3. Trennung der rechtsprechenden und begnadigenden Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . 24 4. Exkurs: Senecas „De Clementia“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 III. Vorläufer der grundgesetzlichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Begnadigungen im NS-Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3. Verfassungsberatungen des Parlamentarischen Rates 1948/1949 . . . . . . . . . . . . 29 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 V. Relevanz einer historischen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 C. Die Begnadigung im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 I. Das Begnadigungsrecht auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 II. Das Begnadigungsrecht auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 III. Anwendungsbereich des Begnadigungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

10

Inhaltsverzeichnis

IV. Einzelfallbezogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Begnadigung und Amnestie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Historischer Überblick zur Amnestiegesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3. Unzulässigkeit von Abolitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 V. Begnadigung und Gnade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Sprachliche Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Integration in den Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Begriff der Gnade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 4. Das Begnadigungsrecht als Chiffre für die Begrenztheit des Rechts . . . . . . . . . 46 VI. Persönliche Entscheidungsfreiheit des Begnadigenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Bundespräsident . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Landesorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 VII. Amtscharismatische Prägung der Begnadigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Abhängigkeit von Amt und Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Funktionalität und Rationalität staatlicher Willensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3. Der Begriff Charisma bei Max Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 4. Amtscharisma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 5. Amtscharismatische Prägung der Begnadigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 VIII. Normative Eingrenzung des Begnadigungsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Vorrang von gesetzten Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Strafaussetzung zur Bewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Öffentlichkeitswirksame Fälle der RAF-Terroristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Verrechtlichung der Begnadigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

Inhaltsverzeichnis

11

3. Justitiabilität von ablehnenden Begnadigungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 b) Überlagerung des Art. 19 Abs. 4 GG durch Art. 60 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . 65 c) Aufrechterhaltung des personalen Bezuges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 d) Keine „Gnadengleichheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 e) Gefahr einer Superrevisionsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 4. Justitiabilität von Widerrufsbescheiden im Begnadigungsverfahren . . . . . . . . . 69 5. Unterscheidung zwischen Maßstabsnorm (Verhaltensnorm) und Kontrollnorm (Beurteilungsnorm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 IX. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 I. Delegationsermächtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Bundesebene – Art. 60 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2. Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 a) Ausdrückliche Delegationsermächtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 b) Gewohnheitsrechtliche Delegationsermächtigungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 aa) Befürworter einer gewohnheitsrechtlichen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 cc) Konkludente Delegationsermächtigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 dd) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Persönliche Ausübung durch den Bundespräsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 aa) Gegenzeichnung der Gnadenentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (1) Sinn und Zweck der Gegenzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (2) Anwendung auf das Begnadigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 bb) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

12

Inhaltsverzeichnis b) Verfahren bei der Ausübung durch die Delegatare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 aa) Weisungsrecht gegenüber nachgeordneten Behörden? . . . . . . . . . . . . . . 90 bb) Weisungsrecht aus der Gegenzeichnung der Delegationsanordnung . . . 91 (1) Notwendigkeit der Gegenzeichnung der Delegationsanordnung . . . . 91 (2) Übertragung des Weisungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Delegationsanordnungen auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 aa) Begriff der „Gnadenbehörde“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 bb) Persönliche Zuständigkeit des landesrechtlichen Gnadenträgers . . . . . . 94 cc) Persönliche Zuständigkeit des Justizministers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (1) Praxis der persönlichen Befassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (2) Interne Subdelegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 dd) Persönliche Zuständigkeit der Generalstaatsanwälte und Leitenden Oberstaatsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (1) Praxis der persönlichen Befassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (2) Entscheidungen auf unterer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 ee) Zuständigkeit des Ministeriums oder der Staatsanwaltschaft als Behörde 101 ff) Zuständigkeit von Jugendrichtern und Gerichtspräsidenten . . . . . . . . . . 103 gg) Gnadenbeauftragte im Land Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 hh) Zuständigkeit der Hamburger Senatskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 ii) Zuständigkeit des Berliner Gnadenausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Gnadenordnungen und Ministeriumserlasse auf Landesebene . . . . . . . . . . . . 106 aa) Gnadenordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 (1) Verfahrensvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (2) Materielle Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (3) Konkrete Ausgestaltung einer Begnadigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 bb) Interne Ministeriumserlasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (1) Sammelgnadenerweise zum Weihnachtsfest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (2) Entlastung überbelegter Vollzugsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

Inhaltsverzeichnis

13

III. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Einordnung der Delegation des Begnadigungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Begriff der Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Voraussetzungen für eine Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 c) Unterschiedliche Formen der Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 d) Unterscheidung zwischen Delegation und Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 e) Delegation des Begnadigungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 bb) Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (1) Verlust der Kompetenz des Gnadenträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (2) Entscheidungsvorbehalt nur in Ausnahmefällen . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (3) Auftragszeichnung durch Delegatare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2. Die Delegation als Ausnahme von der Regel – insbesondere beim Begnadigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Unterscheidung von Wahrnehmungs- und Sachkompetenz . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Ausnahmefunktion der Delegation beim Begnadigungsrecht . . . . . . . . . . . . 119 c) Keine Modifizierung des Begnadigungsrechts durch die Delegationsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3. Notwendigkeit ausdrücklicher (Sub-)Delegationsermächtigungen . . . . . . . . . . . 121 a) Voraussetzung für eine Subdelegation des Begnadigungsrechts . . . . . . . . . . 122 b) Gelten die Delegationsermächtigungen auch als Subdelegationsermächtigungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Argumentum e contrario aus Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG . . . . . . . . . . . . . 123 bb) Subdelegationsermächtigung durch Art. 60 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . 124 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (1) „Erst-recht-Schluss“ aus Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG . . . . . . . . . . . . . . 124 (2) Bindung der organisationsrechtlichen Delegationskompetenz an den Gnadenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4. Entscheidungsebene der Begnadigungsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Bestehende Praxis des Gnadenverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 aa) Gefahr einer normalen Verwaltungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

14

Inhaltsverzeichnis bb) Notwendige Verfahrensgarantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 cc) Unzulässige Verzögerung der Gnadenverfahren auf Bundesebene . . . . . 131 dd) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 ee) Bewertung der Ministeriumserlasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (1) Sammelgnadenerweise zum Weihnachtsfest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (2) Entlastung überbelegter Vollzugsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (3) Erprobung kriminalpolitischer Konzepte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Notwendigkeit der Entscheidungsfindung auf höchster Ebene . . . . . . . . . . . 139 aa) Originärer Gnadenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Justizminister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 cc) Staatssekretäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 dd) Mitarbeiter in den Justizministerien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 ee) Staatsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (1) Rolle der Staatsanwaltschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (2) Unzureichende Distanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 ff) Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 gg) Gnadenbeauftragte in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (1) Amtsverständnis eines Gnadenbeauftragten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (2) Befangenheit durch frühere Befassung mit dem Fall . . . . . . . . . . . . 147 c) Unerheblichkeit einer positiven oder negativen Bewertung des Gnadengesuchs für die Entscheidungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 d) Unerheblichkeit einer Beschwerdemöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

E. Reformüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 I. Notwendigkeit einer persönlichen Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 II. Notwendigkeit einer Transparenz und Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 III. Notwendigkeit einer qualitativen Dignität nach außen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

Inhaltsverzeichnis

15

IV. Begnadigungskommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Härtefallkommissionen im Asylrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Verfassungsrechtliche Garantie des Art. 16a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Historische Bedeutung des Asylrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 c) Länderzuständigkeit bei Härtefallkommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 d) Verfahren und Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 e) Inhaltliche Erwägungen der Härtefallkommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 f) Härtefallkommissionsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 g) Zusammenlegung mit dem Petitionsausschuss? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 h) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Härtefallkommissionen . . . . . . . 163 i) Injustitiabilität der Kommissionsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 j) Härtefallentscheidung und Begnadigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Integration beratender Kommissionen in das Gnadenverfahren . . . . . . . . . . . . . 167 a) Zentrales Verfahren beim Gnadenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Besetzung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 c) Verfahren der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 d) Zuständigkeit der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 e) Einsetzung durch das Parlament? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 f) Gesetzliche Regelung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 g) Bereits bestehende Begnadigungskommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 aa) Der Gnadenausschuss in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (1) Historische Entwicklung des Berliner Gnadenausschusses nach 1945 173 (2) Einschränkungen der Zuständigkeit des Gnadenausschusses . . . . . . 174 bb) Bisher formulierte Ansätze von Gnadenkommissionen . . . . . . . . . . . . . . 175 cc) Exkurs: Russische Begnadigungskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 h) Vorteile von Begnadigungskommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 aa) Vorbereitung staatlicher Entscheidung durch Kollegialgremien . . . . . . . 178 bb) Erleichterte Verantwortungsübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 cc) Kontrollfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 i) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

16

Inhaltsverzeichnis 3. Zusammenlegung von Begnadigungskommissionen und Petitionsausschüssen? 182 a) Petitionsausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 aa) Das Petitionsrecht des Art. 17 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 bb) Historische Aspekte des Petitionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 cc) Zur Funktion einer Petition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 dd) Parallelität zwischen Petitionsrecht und Begnadigungsrecht . . . . . . . . . 186 ee) Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 ff) Das Petitionsverfahren und der Petitionsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (1) Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (2) Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (3) Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 gg) Das Petitionsüberweisungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Berücksichtigungsbeschlüsse in Gnadensachen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 aa) Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . 192 bb) Petitionen gegen Maßnahmen des Bundespräsidenten . . . . . . . . . . . . . . 192 cc) Praxis der Petitionsausschüsse auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 dd) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (1) Keine rechtliche Relevanz der Petitionsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . 196 (2) Bewertung der bestehenden Praxis in den Bundesländern . . . . . . . . 196 c) Trennung von Petitionsausschüssen und Begnadigungskommissionen . . . . . 197

F. Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

A. Einleitung „Sinn der Gnade ist […], das Spannungsverhältnis der streitenden Elemente der Rechtsidee anders und nach der Meinung des Gnadensubjekts besser zu entspannen, als es im Urteil entspannt wurde. Die Gnade kann die Aufgabe haben, gegenüber dem positiven Recht die Gerechtigkeit, gegenüber der schematisierenden Gleichheit der Gerechtigkeit die individualisierende Zweckmäßigkeit zur Geltung zu bringen.“ Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie (1932), S. 163.

Die Diskussion um das Begnadigungsrecht verursacht seit jeher Spannungen, vielfach Skepsis und Widerspruch. Das ist zunächst verständlich: Wenn in einem Rechtsstaat die Rationalität staatlichen Handelns in seiner normbezogenen, logisch systematisierten Art durch Einzelfallentscheidungen des Begnadigungsrechts durchbrochen wird, dann muss ein Mangel an Kontrolle und Transparenz vorliegen, dann fehlen systematische Kategorien und eine Normbezogenheit der Entscheidungen. Doch mit der Integration des Begnadigungsrechts in das Grundgesetz und die Landesverfassungen hat der Rechtsstaat das Handlungsprinzip der Gnade in seine Systematik integriert. Gnade existiert nicht in einer dem Recht übergeordneten Sphäre, sondern ist dessen Bestandteil. Das Begnadigungsrecht ist dadurch kein historisches Relikt, keine in die Zeit des Absolutismus weisende Willkür, sondern positives Verfassungsrecht. Der Bundespräsident auf Bundesebene und die Ministerpräsidenten und Landesregierungen auf Landesebene üben das Begnadigungsrecht aus. Dem Begnadigungsrecht liegt die Erkenntnis zugrunde, dass das positive Recht nicht sämtlichen Lebenssachverhalten angemessen begegnen kann. Es mag Einzelfälle staatlicher Strafanwendung geben, in denen die „individualisierende Zweckmäßigkeit“1 nur durch eine Begnadigungsentscheidung erreicht werden kann. Wenn Umstände eintreten, die dem in einem Strafurteil erkennenden Gericht nicht bekannt sein konnten, wenn also die Rechtskraft der strafrechtlichen Entscheidung einer nachträglichen mildernden Änderung entgegensteht (und darüber hinaus auch ein Wiederaufnahmeverfahren nicht in Betracht kommt), soll das Begnadigungsrecht eine flexible Möglichkeit sein, auf ausweglos scheinende Einzelfälle zu reagieren. Die dadurch entstehende Spannung wird mit dem Vertrauen auf das ausübende Amt ausgeglichen. Das Begnadigungsrecht bewahrt damit im auf funktionale Verfahren ausgerichteten Sanktionensystem Momente einer personal geprägten Autorität.2 Auf eine Abstraktion und Verrechtlichung soll verzichtet werden.3 1 2

Vgl. das obige Zitat Gustav Radbruchs. Vgl. Hindrichs, JZ 2008, 242 (244).

18

A. Einleitung

Bei der eigentlichen Entscheidungsfindung, wann also begnadigt wird und wann nicht, ist mit Bezug auf die eingangs zitierte Aussage Gustav Radbruchs die „Meinung des Gnadensubjekts“ maßgeblich. Den Maßstäben desjenigen Amtsträgers, dem das Begnadigungsrecht übertragen ist, vertraut die Verfassung. Zentral für das Begnadigungsrecht und seine Ausübung ist es also, wer über ein Gnadengesuch zuständigkeitshalber entscheidet. Das Gnadensubjekt ist in den seltensten Fällen derjenige, den die Verfassung vorgesehen hat. Deshalb gilt im Folgenden der vielfach erfolgten Weiterübertragung der Begnadigungszuständigkeit besondere Aufmerksamkeit. Obwohl die Delegation für den eigentlichen Gnadenträger schon aus Praktikabilitätserwägungen notwendig ist, sind der weitergehenden Subdelegation auf Ministeriumsmitarbeiter, Staatsanwälte und Richter anscheinend keine Grenzen gesetzt. Dadurch entsteht eine Umkehrung des Regel-/Ausnahmeverhältnisses zwischen originärer und delegierter Begnadigungszuständigkeit. Ob das dem Sinn und Zweck einer verfassungsrechtlichen Delegationsermächtigung entspricht, wird zu untersuchen sein. Bei einer konsequenten Bewahrung des originären Anwendungsbereichs einer Begnadigung kann nämlich kein durch die Delegation entstehender bürokratischer Apparat von Einzelentscheidern existieren, die in den Ministerien oder Staatsanwaltschaften als „Gnadenbehörden“ über die Gnadengesuche entscheiden, noch dazu ohne Begründungszwang und im Rahmen justizfreier Hoheitsakte. Auch wenn in manchen Bundesländern eine Beschwerdemöglichkeit besteht, die zu einer erneuten Überprüfung des Gnadengesuchs führt, findet der keinen Kategorien verpflichtete, persönliche Blick auf den Einzelfall oftmals nicht statt, weil für die mit den Gnadenverfahren befassten Juristen eine zu große Sachnähe zum Einzelfall besteht. Konsequenter Maßstab kann bei sämtlichen Überlegungen nur die verfassungsrechtliche Entscheidung sein, mit dem Begnadigungsrecht einem herausgehobenen Amt eine von üblichen normativen Zwängen befreite Handlungsalternative anzuvertrauen. Allein die Integration des Begriffs der „Gnade“ und der „Begnadigung“ ist dabei Anhaltspunkt einer Kontinuität zu den frühen Wurzeln der Gnade. Um für die Weiterübertragung des Begnadigungsrechts Grenzen aufzuzeigen, soll in einem ersten Schritt der verfassungsrechtliche Standort des Begnadigungsrechts definiert werden (Kap. C.), um danach die Delegation und ihre Grenzen näher zu untersuchen (Kap. D.). Maßgeblicher Ansatzpunkt ist dabei die Überlegung, dass jede Entscheidungsfindung über ein Gnadengesuch bei aller staatlichen Funktionalität einen letzten Rest amtscharismatischer Hoheitstätigkeit beinhalten muss 3

Die Praxis sieht vielfach anders aus. Nach wie vor aktuell und zutreffend ist deshalb die Mahnung Richard von Weizsäckers in seiner Antrittsrede zum Amt des Bundespräsidenten am 1. Juli 1984: „Für das Gnadenwesen frage ich, wie wir verhindern können, dass es immer weiter verrechtlicht und abstrahiert wird. Seine Handhabung sollte daran erinnern, wo es herkommt. Das Recht ist ein wichtiger Maßstab für Gnade. Aber es darf nicht der einzige sein. Recht ist auf Gnade angewiesen: Gnade vor Recht.“ Die weithin verbreitete Wendung „Gnade vor Recht“ ist allerdings ungenau, wie in Kap. C. VIII. 1. (Vorrang der gesetzmäßigen Entscheidung) zu zeigen sein wird.

A. Einleitung

19

(Kap. C. VII.), wenn man die Verbindung der Entscheidungsfindung mit der persönlichen Auffassung des Amtsträgers konsequent aufrechterhält. Abschließend wird im Rahmen einer Reformüberlegung die Einsetzung von Begnadigungskommissionen diskutiert (Kap. E.), deren Relevanz sich durch die Parallele zu Härtefallkommissionen im Asylrecht zeigen lässt. Eingangs gilt ein kurzer Blick den historischen und theologischen Hintergründen der Gnade (Kap. B.).

B. Theologische und historische Aspekte der Gnade Auch wenn das Begnadigungsrecht durch die Integration in den grundgesetzlichen Rechtsstaat anderen Voraussetzungen unterliegt als in früheren Zeiten, trägt es ein historisches Erbe mit sich, nämlich die personal gebundene Milde als eine Handlungsalternative für ein herausgehobenes Amt oder eine besondere Person. In der Entwicklung des Begnadigungsrechts und seiner unterschiedlichen Prägung spiegeln sich die Verfassungsverhältnisse der letzten Jahrhunderte wider1: Je autoritärer die Stellung des Staatsoberhauptes war, desto mehr hatte das Gnadenrecht als personale Einzelentscheidung eines charismatischen Führers ihr Gewicht als Machtinstrument. Widmete man sich dieser historischen Entwicklung bis zu den theologischen Wurzeln des Begnadigungsrechts mit dem Anspruch der Vollständigkeit, überforderte dies den Rahmen der Untersuchung. Daher soll im Folgenden nur auf wenige wesentliche Aspekte eingegangen werden.

I. Theologische Aspekte Der Begriff der Gnade entspringt einem theologischen Kontext. Gnade und Begnadigung sind nur schwer aus ihrer sakralen Einbindung und ihrem begrifflichen Bezug zu Gott oder einer transzendenten Instanz zu lösen2. Deshalb ist der Erkenntnisgewinn einer theologischen Gnadendiskussion auch innerhalb einer rechtswissenschaftlichen Untersuchung gegeben. Das erscheint zunächst problematisch. Denn der weltliche, konsequent säkulare Rechtsbegriff fordert konsequent die Lösung von einem theologischen Rechtsbegriff und baut auf der strikten Trennung von der Theologie auf. Vor dem Selbstverständnis der Rechtswissenschaft haben theologische Aspekte ihren grundsätzlichen Bezug im Glauben an eine göttliche, nicht fassbare Macht, für die das weltliche Recht zwar Freiheitsrechte und Interpretationsräume offenhält,3 die aber nicht Bezugspunkt der Methodik einer säkularen Rechtswissenschaft sein können. 1

Förster, JR 1950, 609 (610). Huba, Der Staat 90 (1990), 117 (119). 3 Man denke neben Art. 4 Abs. 1 GG an den Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes, der als eine grundsätzliche Verantwortungs- und Demutsformel zu verstehen ist, ohne sich inhaltlich theologisch auf ein bestimmtes Gottesbild festzulegen. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. C. V. 4. 2

I. Theologische Aspekte

21

Ein Blick auf die frühen Wurzeln des Begnadigungsrechts zeigt, dass die Abhängigkeit vom Glauben an Gott den Begriff der Gnade fundamental geprägt hat. Besonders in den Psalmen ist die gnädige und zuverlässige Menschenfreundlichkeit Gottes ein Hauptthema, beispielsweise bei der Rettung des Volkes Israel (Ps 136) und der Befreiung der Menschen aus Bedrängnissen (Ps 107). Ein Leitmotiv des Christentums ist das versöhnende Handeln Gottes am Menschen. Gottes Gnade entspringt seiner Liebe zu den Menschen (Tit 3, 4 – 7; Eph 2, 4 – 9), die er retten und heilen will, und sie entfaltet sich damit in einer konkreten personalen Zuwendung.4 Jegliche Gnade erfuhr nach altem Rechtsdenken diesen Zusammenhang vom Glauben an Gott und der durch die Begnadigung wiederhergestellten gottgewollten Ordnung,5 ein Zustand, der den Menschen als ein Wesen voraussetzt, das der Gnade bedarf, da es sich allein nicht retten und nicht zu dem werden kann, das es nach Gottes Willen sein soll.6 Diesen Gedanken der „Rettung“ aus einer ausweglos scheinenden Situation mag man auch in den heutigen Anwendungsbereich des Begnadigungsrechts übertragen. Gnade ist also ein Geschenk Gottes, das unverdienbar ist, eine nicht geschuldete Gabe an die Menschen. Das durch die Sünden der Menschen ins Ungleichgewicht gebrachte Verhältnis zu Gott und den anderen Menschen wird durch die Gnade Gottes geheilt. Im Römerbrief des Apostels Paulus heißt es insoweit: „Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus“ (Röm 3, 23 – 24). Daraus ergibt sich das theologisch fundierte Merkmal der „Gratuität“.7 Trotz der strikten Trennung von weltlicher und göttlicher Gnade besteht eine Parallelität: Zwischen weltlicher und göttlicher Gnade liegt sie in den wesentlich gleichen Definitionselementen, die im Zusammenhang mit der Erklärung von Gnade sowohl theologisch als auch juristisch verbreitet sind.8 Denn auf dem Charakter des Unverdienten beruht die bis heute geltende Begriffsprägung der Gnade als ein Über-/ Unterordnungsverhältnis. Dieses Beziehungsgefälle zwischen Gnadenspender und Gnadenempfänger ist zentral. Der theologische Gnadenbegriff ist durch ein „personales, nicht sachlich-inhaltlich bedingtes, inconditionales Verhältnis zwischen dem Geber und dem Empfänger der Gnade“9 bestimmt, Merkmale, die später noch ausführlich behandelt werden.10

4

Vgl. Dombois, Das Recht der Gnade, Band I, S. 199. Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 2007, 742. 6 Vgl. Strasser, Dunkle Gnade, S. 12. 7 Kanzleiter, Die Begnadigung unter besonderer Berücksichtigung des Steuerstrafrechts, S. 23 ff. 8 Vgl. ausführlich Mickisch, Die Gnade im Rechtsstaat, S. 46 ff. 9 Dombois, Das Recht der Gnade, Band I, S. 191. 10 Vgl. nur zum fehlenden Rechtsanspruch auf eine Begnadigung, der für die Frage der Justitiabilität einer Gnadenentscheidung zentral ist, Kap. C. VIII. 4. 5

22

B. Theologische und historische Aspekte der Gnade

Die theologischen Bezüge lassen sich auf das Begnadigungsrecht im Grundgesetz und den Landesverfassungen nur insoweit übertragen, als sie den historischen Blick darauf erhellen können, wo die Wurzeln einer heutigen Gnadenentscheidung – unabhängig vom Rechtsstaat – liegen. Dabei muss man sich an der Erkenntnis orientieren, dass die Einordnung der Begnadigung von der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung abhängig ist und der Verfassungsgeber insoweit verstärkt davon ausging, Gnade rechtsstaatlich und ohne theologische Vorzeichen zu begreifen.11 Die theologische Diskussion um den Gnadenbegriff wurde von einer weltlich orientierten Bestimmung und der Frage nach einer Rechtseinordnung der Begnadigung überlagert.

II. Zentraler historischer Aspekt: Bindung an die Person des Monarchen Historisch zentral ist die Verortung des Begnadigungsrechts in einer monarchischen Staatsform. Die Wurzeln eines solchen Begnadigungsrechts reichen bis zur Antike, in der die Gnade grundsätzlich als eine persönliche Tugend des Herrschers aufgefasst wurde12. Die Entwicklung erfuhr im Laufe der Zeit eine deutliche Entmystifizierung und eine immer weltlichere Prägung13. Eine Zuständigkeit des Monarchen sah man Anfang des 19. Jahrhunderts in seinem besonderen staatstragenden Herrschaftsauftrag begründet: „Der Staat soll nicht blos eine Rechtsordnung, sondern außer dieser noch weit mehreres seyn. Schon die Gerechtigkeit steht ursprünglich mit andern Ideen in Verbindung, und so wie sich diese untereinander zur Darstellung des absolut Wahren ergänzen, so auch kann nicht einseitig mit Unterdrückung der übrigen, eine Idee vom Staate emporgehoben werden. Der Richter hat blos das Recht zu handhaben, und da es in dem ganzen Systeme des Rechts, es gesondert von allen andern Beziehungen betrachtet, nie eine Gnade giebt, so kann auch diese nicht von einem Richterstuhle ausgehen. […] Der Richter hat bey Beurtheilung der Verbrecher blos den Menschen in rechtlicher Beziehung vor sich; der Regent nimmt und muß den ganzen Menschen nach seinem gesammten Wirken und Seyn vor sich nehmen. Was der Richter nie darf, das soll und kann der Regent, das ist, er soll auch gütig seyn.“14 Nur der Monarch konnte Milde und Güte berücksichtigen. Die Gnadenentscheidung stand demnach im Gegensatz zur Rechtsentscheidung – es sollte ein Richten nach Recht und ein Richten nach Gnade geben.15 Ursprung und über lange Zeiten selbstverständliches Subjekt des Begnadigungsrechts war der Monarch. Zentral für die hiesige Untersuchung ist insoweit der Aspekt der Bindung an seine Person. Hierin liegt der grundlegende rechtshistorische 11 12 13 14 15

Mickisch, Die Gnade im Rechtsstaat, S. 68. Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 8. Pieper, Festschrift für Roman Herzog, 355 (362). Bayl, Beyträge zum Criminalrecht, S. 142. Merten, Rechtsstaatlichkeit und Gnade, S. 33.

II. Bindung an die Person des Monarchen

23

Ausgangspunkt der Begnadigung. Materieller Maßstab für eine Begnadigungsentscheidung war immer die persönliche Auffassung eines Herrschers; seiner Auffassung oblag das Abwägen zwischen strikter (Straf-)Rechtsanwendung und milder Dispensation. Das Fundament dafür wurde in einer von Gott verliehenen Macht an einen gebietenden Einzelnen gesehen, durch die der König in einer sakralen Sphäre regierte, in der seine besondere Stellung durch den göttlichen Willen gestiftet und legitimiert wurde.16 Er herrschte wegen dieses Stiftungsaktes „von Gottes Gnaden“, wodurch eine Anknüpfung an die religiöse Dimension der Begnadigung bestand.17

1. Gnadenauftrag des Monarchen In gottbegründeten Herrschaftsformen war das Gnadenhandeln eine Nachahmung des gnädigen Gottes, den der Herrscher neben dem gerechten Gott repräsentieren sollte. Der göttliche Herrschaftsauftrag des Monarchen war mit einem Gnadenauftrag verbunden, denn wer selbst Gnade erfuhr, sollte auch bei anderen Gnade walten lassen.18 Der Monarch wirkte bewusst darauf hin, sich selbst durch mildtätige Gnadentätigkeit die Gnade Gottes zu verdienen.19 Gleichwohl ging man in der Staatslehre des 19. Jahrhunderts davon aus, dass bei aller Freiheit des Monarchen der gnadenbedürftige Untertan auch gnadenwürdig sein musste: Das wesensmäßig Erhabene und Gütige der Gnade sollte sich darin zeigen, dass es sich immer um eine geschenkte Gnade handelte. „Der Regent möge daher vor allen den Reuigen seine Gnade schenken.“20 Eine solche eher restriktive Interpretation hatte ihren frühen Ursprung bereits im Nürnberger Reichsabschied von 1187, in dessen § 3 das königliche Begnadigungsrecht noch dahin eingeschränkt wurde, dass eine Begnadigung nur nach einem vorherigen Vergleich zwischen Beschuldigtem und Geschädigtem zulässig war und der erkennende Richter seine Zustimmung gab.21 Eine solche Einschränkung der Gnadentätigkeit konnte sich indes nicht durchsetzen. Der Gnadenträger blieb hinsichtlich der Abwägung und Bewertung der Gnadenwürdigkeit und Gnadenbedürftigkeit frei und brauchte auf eine etwaige Reue oder Entschuldigung des Täters beim Opfer nicht zwingend einzugehen.

16 17 18 19 20 21

Flor, Evangelische Kommentare 1989, 31. Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 4. Flor, ebenda. Merten, Rechtsstaatlichkeit und Gnade, S. 32. Bayl, Beyträge zum Criminalrecht, S. 143. von Bar, Gesetz und Schuld Band III, S. 462.

24

B. Theologische und historische Aspekte der Gnade

2. Entscheidungsfreiheit des Monarchen Die Freiheit der Entscheidung und die Unmöglichkeit einer Systematisierung von Gnadengründen und notwendigen, normierbaren Voraussetzungen für eine Begnadigung setzt diejenige Verfassung, die den Gnadenträger neben der Judikativen einsetzt, voraus. Dem Gnadenträger wird zugetraut am besten zu wissen, was im Gnadenverfahren „rechtens“ sei.22 Eine Begnadigung beruht darauf, dass ein Voraussehen und Benennen gnadenrelevanter Sachverhalte unmöglich ist.23 Unabhängig davon umfasste das Begnadigungsrecht des Monarchen nicht nur die Korrektur von einzelnen Strafurteilen, sondern auch Amnestien als kollektive Begnadigungen und die Niederschlagung anhängiger Strafverfahren (Abolitionen).24 Hielt man die Kompetenz zur Begnadigung aus weltlicher Sicht nun ausschließlich beim Monarchen verortet, gab es auch Stimmen, die eine weltliche Begnadigungsinstanz ganz ablehnten: In einer theologisch aufgeladenen Abhandlung zur rechtlichen Begründung des Begnadigungsrechts aus der Mitte des 19. Jahrhunderts will Plochmann nur dem „göttlichen Begnadiger“ das Begnadigungsrecht zugestehen, unter anderem mit dem Argument, dass aus Gleichheitsgesichtspunkten sonst jeder Delinquent die Möglichkeit haben müsse, ein Gnadenverfahren vom Regenten persönlich entschieden zu bekommen.25 Sonst könnte bei ähnlich gelagerten Fällen keine Beurteilung mit vergleichbaren Maßstäben erfolgen. Es sei unmöglich, dass sich der über das Gnadengesuch entscheidende Regent ein umfassendes Bild von der Persönlichkeit des Verurteilten machen könne; er werde schließlich nur durch den Aktenvortrag eines Referenten informiert.26 Auch wenn sich eine solche theologische Sicht nicht durchsetzen konnte, wird bereits an dieser Stelle das grundsätzliche Problem der Übertragbarkeit des Begnadigungsrechts deutlich, auf das an späterer Stelle noch ausführlich eingegangen wird (Kap. D.). Die Abhängigkeit zwischen personaler Macht des Monarchen und seiner Kompetenz zu begnadigen müsste danach konsequent zur Folge haben, dass untergeordneten Stellen im Staate das Begnadigungsrecht nicht zustehen kann.27

3. Trennung der rechtsprechenden und begnadigenden Gewalt Waren bis ins 16. Jahrhundert Rechtsprechung und Gnadentätigkeit noch in einer Person des Monarchen vereinigt, verselbstständigte sich die Rechtsprechung und das 22 23 24 25 26 27

Plochmann, Das Begnadigungsrecht, S. 67. Plochmann, Das Begnadigungsrecht, S. 69. Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 5. Plochmann, Das Begnadigungsrecht, S. 51 f. Plochmann, Das Begnadigungsrecht, S. 52. Vgl. insoweit Plochmann, Das Begnadigungsrecht, S. 37.

II. Bindung an die Person des Monarchen

25

Begnadigungsrecht blieb weiterhin als Souveränitätsmerkmal beim Monarchen.28 Dieses distanzierte Verhältnis sollte in den monarchischen Systemen unterstrichen werden, in denen die Gnade ein zentrales Herrschaftssymbol und ein Instrument zur Herrschaftslegitimierung war, mit dem eine pflichtbewusste und den Untertanen zugewandte Staatsführung demonstriert werden sollte.29 Historisch war die Frage des Staatswohles ohnehin ein zentraler Faktor, hielt man es noch für notwendig, jede Begnadigung an der Frage der Vereinbarkeit mit Staatsinteressen zu messen.30 Das beschränkte den Monarchen aber nicht in seiner Machtfülle, durch die er in seinem Begnadigungsrecht nicht an gesetzliche Bestimmungen gebunden war und seinen persönlichen Erwägungen Raum lassen konnte. Es galt lediglich die Devise, „das Ansehen der Gesetze durch zu häufige Ausübung dieses seines Vorrechts nicht zu schwächen oder durch Begnadigungen grober und boshafter Verbrecher seine Untertanen und den Staat neuen Gefahren auszusetzen.“31 Zentral war die staatsleitende Funktion des Begnadigungsrechts.

4. Exkurs: Senecas „De Clementia“ Im Begnadigungsrecht ist das Prinzip der Gnade also institutionalisiert. Für die staatsphilosophische Begründung dieses Prinzips war und ist Senecas Schrift De Clementia bemerkenswert, die bereits 55/56 n. Chr. entstand. Sie konzentriert sich auf die enge Verbindung einer milden Gesinnung mit der Person des Herrschers. Der Philosoph schrieb sie für Kaiser Nero als eine Bildungs- und Orientierungsschrift. Clementia32 wird hier weniger als Rechtsprinzip, denn mehr als eine menschliche Tugend verstanden, von der sich der Princeps als über dem Gesetz stehende Person leiten lassen sollte.33 Wegen dieser handlungsdispositiven Ausrichtung bedeutet 28

Huba, Der Staat 90 (1990), 117 (119); Rüping, Festschrift für Friedrich Schaffstein, 31. Rehse, Die Supplikations- und Gnadenpraxis in Brandenburg-Preußen, S. 601. 30 Der Konflikt zwischen Staatswohl und persönlichen Interessen bei einer Begnadigung ist ein vielfach behandeltes Thema in Oper, Theater und Literatur, beispielsweise in Donizettis Oper „Roberto Devereux“ (1837), in deren Handlung die Königin Elisabeth bei der Begnadigung ihres Liebhabers Roberto Devereux zwischen persönlicher Liebe und Leidenschaft einerseits und Staatsinteressen andererseits abzuwägen hat. Zu dem in der Literatur behandelten Thema von Recht und Gnade vgl. Kaufmann, NJW 1984, 1062 ff. 31 So Carl Gottlieb Suarez in seinen Vorträgen vor dem preußischen Kronprinzen (1791/ 1792), in: Vorträge über Recht und Staat, hrsg. von Conrad/Kleinheyer, S. 428; in ähnlicher Weise auch ebenda S. 36. 32 Seneca definiert die Clementia in Teil II, 3 (1) [in Büchner, S. 76 f.]: „Clementia est temperantia animi in potestate ulciscendi vel lenitas superioris adversus inferiorem in constituendis poenis.“ [„Güte ist Mäßigung der Leidenschaft in der Macht, sich zu rächen, oder die Sanftheit des Überlegenen gegen den Niederen in der Bestimmung der Buße.“]. 33 Seneca, De Clementia, hrsg. v. Büchner, S. 12 f., Teil I 2 (3): „Nullum tamen clementia ex omnibus magis quam regem aut principem decet.“ [„Niemandem von allen steht aber die Güte besser an als dem König oder dem führenden Mann.“]. Ähnlich S. 52 f. [19(1)]: „Excogitare nemo quicquam poterit, quod magis decorum regenti sit quam clementia, quocumque modo is et 29

26

B. Theologische und historische Aspekte der Gnade

Clementia also eher Güte bei der Findung eines Urteils, weniger eine erst nach dem Urteil relevante Gnade.34 Sie soll als eine kluge Tugend die Regentschaft des Princeps programmatisch prägen und ist dabei an seine Person untrennbar gebunden. Diese Erhabenheit über das Volk und das strikte Recht ist für seine besondere Stellung grundlegend.35 Das Bild der Clementia gilt bis heute: Sind der Justitia um der Objektivität willen die Augen verbunden, ist die Clementia in der Wägung der für oder gegen einen Gnadenerweis sprechenden Motive freier gestellt.36 Es zeigt sich der Unterschied von Handlungsprinzip und Rechtsinstitut bzw. der eigentlichen Rechtshandlung. Darüber hinaus wird erneut die Bindung an eine Person deutlich, deren „Klugheit“ Maßstab einer Gnadenentscheidung ist. Bis heute soll durch das Begnadigungsrecht gegenüber einer formalen Rechtsanwendung so eine Form von Staatsklugheit zur Geltung gebracht werden.37

5. Zwischenergebnis Kontinuierliches Element der Gnade war immer die Bindung an ein persönlich auszuübendes Amt und eine fehlende Einengung in rechtliche Kategorien. Man ging quocumque iure praepositus ceteris erit. Eo scilicet formosius id esse magnificentiusque fatebimur, quo in maiore praestabitur potestate, quam non oportet noxiam esse, si ad naturae legem componitur.“ [„Niemand kann sich etwas denken, das einem leitenden Mann mehr ansteht als Güte, auf welche Weise er auch und mit welcher Rechtsbefugnis er den übrigen vorgesetzt ist. Natürlich wird man bekennen, dass dies umso schöner und großartiger ist, in je höherer Machtstellung sie geleistet wird, einer Machtstellung, die nicht schädlich sein darf, wenn sie nach dem Gesetz der Natur aufgebaut wird.“]. 34 Seneca spricht von der venia (Gnade) als dem Erlass der eigentlich verdienten Strafe, wobei er beim klugen Herrscher nun gerade im Vorfeld die milde Gesinnung fordert, damit es zu einer nachträglichen Korrektur des Urteils gar nicht erst kommen muss, so in Teil II, 7 (1 f.) [in Büchner, S. 84 f.]: „Venia est poenae meritae remissio. […] idem faciet, quod si ignosceret, nec ingnoscet, quoniam, qui ignoscit, fatetur aliquid se, quod fieri debuit, omisisse.“ [„Gnade ist Erlass verdienter Strafe. […] Er tut dasselbe, was er tun würde, wenn er verziehe, und verzeiht doch nicht, da, wer verzeiht, gesteht, dass er etwas unterlassen hat, was er hätte tun müssen.“]. 35 Senecas Gedanke entspringt einem Vergleich mit der Natur [Teil I, 19 (3), in Büchner, S. 54 f.]: „Hoc tamen maxime distinguitur: iracundissimae ac pro corporis captu pugnacissimae sunt apes et aculeos in volnere relinquunt, rex ipse sine aculeo est; noluit illum natura nec saevum esse nec ultionem magno constaturam petere telumque detraxit et iram eius inermem reliquit. Exemplar hoc magnis regibus ingens; est enim illi mos exercere se in parvis et ingentium rerum documenta minima arcessere.“ [„Durch Folgendes aber hebt er sich am meisten ab: Die Bienen sind überaus jähzornig und im Verhältnis zu ihrer Körpergröße sehr kampflustig, und ihre Stachel lassen sie in der Wunde zurück: der König selbst ist ohne Stachel. Die Natur wollte nämlich nicht, dass er wild sei und nach Rache strebe, die teuer bezahlt werden müsste. So hat sie ihm die Waffe entzogen und seinen Zorn waffenlos gelassen. Das ist für große Könige ein gewaltiges Vorbild. Dieser hat nämlich die Gewohnheit, sich im Geringen zu üben und das Winzigste als Belehrung für ungeheuer große Dinge heranzuziehen.“]. 36 Merten, Rechtsstaatlichkeit und Gnade, S. 69. 37 Vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 163.

III. Vorläufer der grundgesetzlichen Regelung

27

davon aus, dass die Begnadigung im Recht nicht zu normierende „menschliche“ Prinzipien beinhalten konnte. Als ein staatstheoretischer Fortschritt ist die Trennung von rechtsprechender und begnadigender Gewalt zu sehen, die bis heute Grundlage des Begnadigungsrechts ist.38

III. Vorläufer der grundgesetzlichen Regelung In den Verfassungen der deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts war das Begnadigungsrecht als Prärogative des Monarchen anerkannt.39 Dies bezieht sich vor allem auf die landständischen Verfassungen der einzelnen Bundesstaaten. Auf Bundesebene findet sich das Begnadigungsrecht lediglich in Abschnitt III Artikel III § 81 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849, die zwar beschlossen, aber von den Regierungen der einzelnen Staaten abgelehnt wurde.40 Ebenso findet sich in der Paulskirchenverfassung eine Vorschrift zum Begnadigungsrecht.41 Diese Verfassung diente, auch wenn sie immer ein Entwurf blieb, sowohl der späteren Bismarckschen Reichsverfassung von 1871 (hier findet sich keine Vorschrift zum Begnadigungsrecht), als auch der Weimarer Reichsverfassung von 1919 und dem Grundgesetz von 1949 als Orientierung.42

1. Weimarer Reichsverfassung In der ersten republikanischen Verfassung für einen deutschen Staat, der Weimarer Reichsverfassung (WRV), ähnelte die Stellung des Reichspräsidenten der eines konstitutionellen Monarchen.43 Der Reichspräsident hatte mit dem Begnadi-

38 Zu der daraus resultierenden Kritik an der Subdelegation des Begnadigungsrechts an Richter vgl. Kap. D. 39 BVerfGE 25, 352 (359). 40 Vgl. ausführlich Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 345 ff. 41 § 81 der Paulskirchenverfassung lautet: „In Strafsachen, welche zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehören, hat der Kaiser das Recht der Begnadigung und Strafmilderung. Das Verbot der Einleitung oder Fortsetzung von Untersuchungen kann der Kaiser nur mit Zustimmung des Reichstags erlassen. Zu Gunsten eines wegen seiner Amtshandlungen verurteilten Reichsministers kann der Kaiser das Recht der Begnadigung und Strafmilderung nur dann ausüben, wenn dasjenige Haus, von welchem die Anklage ausgegangen ist, darauf anträgt. Zu Gunsten von Landesministern steht ihm ein solches Recht nicht zu.“ Ausführlich hierzu Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 335 ff. 42 Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 335. 43 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 54 Rn. 8.

28

B. Theologische und historische Aspekte der Gnade

gungsrecht (Art. 49 WRV)44 ein vergleichsweise bescheidenes Vorrecht inne, berücksichtigt man das Auflösungsrecht hinsichtlich des Parlamentes (Art. 25 WRV), die Oberbefehlsgewalt über die Streitkräfte (Art. 47 WRV) und das Notverordnungsrecht (Art. 48 Abs. 2 WRV). Die Prägung als ein Vorrecht wurde insoweit unverändert aus monarchischen Zeiten übernommen, als das Begnadigungsrecht dem Reichspräsidenten in seiner Funktion als Staatsoberhaupt zuerkannt und damit stillschweigend an den Rechtszustand im Kaiserreich angeknüpft wurde.45 Dadurch wurde es zu einem bemerkenswerten Kontinuum der Verfassungsgeschichte. Die Niederschlagung anhängiger Strafverfahren (Abolition) und generelle Amnestien bedurften zu damaliger Zeit eines Reichsgesetzes, standen also nicht in der Kompetenz des Reichspräsidenten.46 Der Reichspräsident war nur für diejenigen Strafurteile zuständig, in der ein reichseigenes Gericht erstinstanzlich geurteilt hatte – in allen anderen Fällen waren die Länder zuständig. Bereits zu damaliger Zeit bestand eine dezentrale Kompetenzaufteilung in Gnadenfragen. Jedoch weitete sich die Zuständigkeit des Reichspräsidenten für Begnadigungen durch die Einsetzung des Staatsgerichtshofes zum Schutze der Republik und durch die Einsetzung außerordentlicher Gerichte als Gerichte des Reichs deutlich aus.47 Dies führte zu Widerständen bei den Ländern, die insbesondere durch die Einsetzung außerordentlicher Reichsgerichte in ihren justitiellen Kompetenzen beeinträchtigt wurden.48 Die Begnadigung hatte während der Weimarer Republik ihren Anwendungsbereich u. a. bei Todesstrafen, die in der Regel aufgrund einer positiven Gnadenentscheidung nicht vollstreckt wurden.49 Unabhängig von diesen Zuständigkeitsfragen hatte die WRV das Gnadenrecht bereits als Korrelat des Strafrechts und als Sicherheitsventil50 für die Fälle konzipiert, in denen eine strikte Rechtsanwendung zu unbefriedigenden Ergebnissen führen würde. An der Konzeption dieses Gnadenverständnisses orientierte sich später auch der Verfassungsgesetzgeber des Grundgesetzes (dazu sogleich unter Abschn. 3.).

44

Art. 49 WRV lautet: „Der Reichspräsident übt für das Reich das Begnadigungsrecht aus. Reichsamnestien bedürfen eines Reichsgesetzes.“ Eine ausdrückliche Delegationsermächtigung bestand nicht. 45 Vgl. Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Band I, S. 500. 46 Anschütz/Thoma, ebenda. 47 Poetzsch, JahrbÖffR 1925, 1 (158). 48 Poetzsch, ebenda. 49 Poetzsch, JahrbÖffR 1925, 1 (159). 50 Dieser im Zusammenhang mit der Begnadigung immer wieder auftauchende Begriff stammt von v. Ihering, Der Zweck im Recht, Band 1, S. 333.

III. Vorläufer der grundgesetzlichen Regelung

29

2. Begnadigungen im NS-Staat Im Dritten Reich verstand man das Begnadigungsrecht als den Bestandteil „einer allen anderen übergeordneten Gesamtgewalt, in der die Fülle und die Einheit der Staatsgewalt in Erscheinung tritt“51. Der nationalsozialistische Führerstaat legte das Recht der Begnadigung und das Recht zur Abolition (Niederschlagung anhängiger Strafverfahren) in die Hand Hitlers als dem Führer und Staatsoberhaupt.52 Amnestien bedurften zwar weiterhin eines Reichsgesetzes,53 aber die Möglichkeit von Spezialabolitionen durch Verwaltungsakt, also der Niederschlagung eines Strafverfahrens bereits in der Wurzel durch entsprechende Verfügung, prägten das Begnadigungsrecht streng autoritär.54 Die Abkehr des NS-Staates von föderativen Strukturen zeigt sich in der Zentralisierung des Begnadigungsrechts auf Reichsebene in der Person des Führers. Das Begnadigungsrecht sollte die Führungsfigur Hitler mit einem charismatisch aufgeladenen Recht betrauen, das sich bewusst gegen den Gesetzespositivismus der Weimarer Zeit wandte.55 Die Ausrichtung allen staatlichen und gesellschaftlichen Wirkens auf die Einzelperson des Führers ließ das Begnadigungsrecht in seiner Entwicklung weit vor die Weimarer Zeit zurückfallen und wies hin auf ein Vorrecht, dessen Ausübung in erster Linie mit der Person des Inhabers und nicht mit dem Amt verbunden sein sollte. In der überaus starken Politisierung der Gnadenverfahren unter der nationalsozialistischen Herrschaft zeigt sich ein hoher Missbrauchsfaktor des Begnadigungsrechts in autokratischen Herrschaftsformen. Die Entscheidung über eine Gnadengewährung wurde vor allem von der politischen Gesinnung des um Gnade Ersuchenden abhängig gemacht, die bei einer regimekritischen Einstellung keine Aussicht auf Erfolg hatte. Andererseits benutzte Hitler das Begnadigungsrecht, um wegen grausamer Verbrechen verurteilte SA-Leute straffrei ausgehen zu lassen.56

3. Verfassungsberatungen des Parlamentarischen Rates 1948/1949 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Beginn einer Verfassungsentwicklung der Bundesrepublik Deutschland sah der Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee für die Regelung des Begnadigungsrechts vor: „Der Bundespräsi-

51

Grewe, Gnade und Recht, S. 136. Vgl. § 8 des Reichsstatthaltergesetzes v. 30. 1. 1935, RGBl. I, S. 65. 53 Schütte, UBWV 2007, 161 (164). 54 Förster, JR 1950, 609 (610), zur Unzulässigkeit von Spezialabolitionen im Rechtsstaat S. 611 f. 55 Schütte, UBWV 2007, 161 (165). 56 Merten, Rechtsstaatlichkeit und Gnade, S. 74. 52

30

B. Theologische und historische Aspekte der Gnade

dent [Das Bundespräsidium] übt für den Bund das Begnadigungsrecht aus. Er [Es] kann dieses Recht durch Erlaß übertragen.“57 Man war sich in den Verfassungsberatungen zunächst nicht einig, ob die Aufgaben des Bundespräsidenten von einer Einzelperson oder einem Dreierkollegium bestehend aus Bundesratspräsidenten, Bundestagspräsidenten und Bundeskanzler ausgeübt werden sollten.58 Ein Teil der Mitglieder des Verfassungskonventes hielt eine grundsätzlich kollegiale Ausübung der Befugnisse des Bundespräsidenten in einem solchen Bundespräsidium für zweckmäßiger. Die Kompetenz bei einer Einzelperson setzte sich letztlich durch, obwohl eine Kollegialentscheidung in einer parlamentarischen Demokratie konsequenter zu integrieren gewesen wäre (vgl. dazu Kap. E.). Ungeachtet dessen wurde über die nähere Einordnung des Begnadigungsrechts in den Rechtsstaat nicht diskutiert. Es wurde als eine „typische Funktion des Staatsoberhauptes“59 angesehen und galt als selbstverständliches Rechtsinstitut in einer Staatsverfassung. Hierbei sah man den Zweck eines Begnadigungsrechts einerseits in einem notwendigen Korrektiv für harte Strafen und andererseits als wichtigen Bestandteil eines Rechtsstaates, der das nationalsozialistische Unrecht überwinden wollte. Man hatte bei der Aufnahme des Begnadigungsrechts in den Verfassungstext aber auch die lebenslange Freiheitsstrafe im Blick, deren Aussetzung zur Bewährung bis zu einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts60 lange Zeit der quantitativ bedeutsamste Anwendungsbereich des Begnadigungsrechts war. Lediglich die zur Weimarer Zeit problematische Frage, ob der Inhaber des Begnadigungsrechts auch Sammelbegnadigungen vornehmen dürfte, wurde dahingehend geklärt, dass eine Begnadigung immer nur „im Einzelfall“ zulässig sein sollte.61 Man entschied sich für eine klare Abgrenzung von der gesetzlich zu regelnden Amnestie. Bedenken wurden indes hinsichtlich der Delegationsbefugnis formuliert, sei die Entscheidung über ein Gnadengesuch doch vielfach ein Politikum, das vom Bun-

57 Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, S. 73; Füsslein, in: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR 1951, 416 f. 58 Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, S. 41. Es wurde auch darüber nachgedacht, das Amt des Bundestagspräsidenten mit den Befugnissen des Bundespräsidenten zu einem Amte zu vereinen, vgl. die Beratungen der Neunten Sitzung des Kombinierten Ausschusses am 1. Oktober 1948, in: Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949 Bd. 13/1, S. 305 ff., obwohl dies wohl eher eine politisch motivierte Notlösung sein sollte: Deutschland war zu diesem Zeitpunkt von einer Wiedererlangung seiner Souveränität noch weit entfernt. 59 Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, S. 41. 60 BVerfGE 45, 187. 61 Füsslein, in: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR 1951, 418.

IV. Zwischenergebnis

31

despräsidenten persönlich verantwortet werden müsse.62 Die WRV kannte in Art. 49 eine ausdrückliche Delegationsbefugnis nicht. Letztlich blieb man aber bei einer Delegationsbefugnis, vor allem aus praktischen Gründen einer sonst übermäßigen Arbeitsbelastung.63 Auch diesbezüglich wurde in den Verfassungsberatungen nicht weiter diskutiert. Eine weitere Frage erhielt deutlich mehr Aufmerksamkeit: Man regelte die Zuständigkeit zur Amnestiegesetzgebung und ihre Einordnung in das föderale Gefüge nicht ausdrücklich im Grundgesetz, sondern nahm lediglich die Bestimmung auf, dass Amnestien der Gesetzesform bedürfen. Am Ende blieb das Thema normativ unentschieden. Man war sich aber dennoch darüber einig, dass die Länder lediglich in Landesdisziplinarsachen amnestieren dürften.64 Letztlich ist die sprachliche Integration des Wortes „Begnadigungsrecht“ in die Verfassung bemerkenswert: Diese sprachliche Verwendung des Gnadenbegriffs reicht allein als Indiz für den Willen des Verfassungsgebers aus, aufgrund des theologischen Ursprungs und der geschichtlichen Bedeutung ein Vorrecht zu schaffen, welches nicht den sonstigen strengen Voraussetzungen einer Rechtsfindung unterliegt.

IV. Zwischenergebnis Der historische Abriss des Begnadigungsrechts hat vor allem das stetige Bedürfnis nach einer überrechtlichen Gnadeninstanz gezeigt, das in einer langen Rechts- und Gnadentradition besteht.65 Alle Verfassungsgeber waren sich über die Notwendigkeit eines Begnadigungsrechts einig, teilweise aus selbstverständlicher Verortung beim Monarchen oder Staatsoberhaupt, teilweise ohne nähere Diskussion in der parlamentarischen Demokratie. Das Begnadigungsrecht hat alle diese Entwicklungen – insbesondere die Entstehung der gerichtlichen Unabhängigkeit und die Demokratisierung des Staatsoberhauptes – überstanden und zeigt damals wie heute eine ungebrochene Stellung als eines der wichtigsten Vorrechte und Ehrenrechte des Staatsoberhauptes im Verfassungssystem auf.66 Es ist damit ein von besonderem Vertrauen in die Verantwortung eines repräsentativen Staatsamtes getragenes Kontinuum. 62

Abg. Löwenthal (SPD) während der Verfassungsberatungen, in: Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949 Bd. 13/2, S. 776. 63 Vgl. die Erwiderungen der Abg. Fecht und Katz in: Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949 Bd. 13/2, S. 776. 64 Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 7; vgl. auch Füsslein, in: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR 1951, 418 f. Die Diskussion wurde insbesondere in den Anfangsjahren des Grundgesetzes geführt: SchmidtLeichner, NJW 1950, 41 (41 f.); Nüse, MDR 1951, 71 (72). 65 Wussow, DÖD 1989, 105 (111). 66 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 25.

32

B. Theologische und historische Aspekte der Gnade

Gleichwohl ist der Gnadenbegriff im Laufe der Zeit immer enger geworden: Früher wurden auch Ehedispense, Baudispense und Steuererlasse unter den Begriff der Begnadigung gefasst.67 In heutigen Rechtssystemen ist ein Großteil von Anwendungsbereichen der Gnadentätigkeit gesetzespositiv geregelt,68 was die Anwendung des Begnadigungsrechts auf einige wenige Fälle beschränkt.

V. Relevanz einer historischen Untersuchung Die Relevanz einer historischen Untersuchung der Gnade wird von Dimoulis bestritten.69 Historische Erörterungen zum Begnadigungsrecht hätten reinen Informationscharakter und bestrebten eine Instrumentalisierung der Geschichte, „um daraus eine ,nützliche‘ Schlussfolgerung zu ziehen“70. Eine solche Auffassung verkennt die methodische Notwendigkeit der historischen Auslegung eines Verfassungsinstituts insbesondere im Falle des Begnadigungsrechts. Das Begnadigungsrecht zeigt in seinem Anwendungsbereich, in seinen Auswirkungen, in seinen fehlenden normativen Voraussetzungen und in seiner Zuständigkeitsverortung beim Staatsoberhaupt eine historische Kontinuität. Dimoulis’ Hinweis, man könne ebenso wenig das heutige Strafrechtssystem mit historischen Wurzeln vergleichen, seien diese doch teilweise auch irrational,71 übersieht, dass das heutige Strafrechtssystem im Rahmen einer rechtsstaatlichen, normativ gesetzespositivistischen Weise von völlig anderen Voraussetzungen ausgeht, als frühere irrational bestimmte Systeme. Hier fehlt eine Kontinuität. Das ist aber der entscheidende Unterschied zur Begnadigung, die wenigstens begrifflich und anwendungssystematisch kontinuierliche Elemente aufweist. Es ist nun Aufgabe jeder rechtswissenschaftlichen Untersuchung, diese Kontinuität im Rahmen einer Auslegung des heutigen Begnadigungsrechts entweder fortzuführen, oder aber durch eine verrechtlichte, determinierte Sichtweise des Begnadigungsrechts zu durchbrechen.72 Dafür muss aber erst der historische Rahmen aufgezeigt werden. Historische Erwägungen wollen die Begnadigung nicht als eine naturalistische Begebenheit begreifen.73 Sie dürfen sich auch nicht mit dem Hinweis begnügen, beim 67

Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 10. Müller-Dietz, DRiZ 1987, 474 (477 f.). 69 Dimoulis, Die Begnadigung in vergleichender Perspektive, S. 28 ff. 70 Dimoulis, Die Begnadigung in vergleichender Perspektive, S. 32. 71 Vgl. Dimoulis, ebenda. 72 So etwa Geerds, Gnade, Recht und Kriminalpolitik, S. 23, der die „echte“, historisch angewendete Gnade als ein „aussterbendes – wenn nicht bereits totes – Institut“ ansieht und für ein neues, rationales Gnadenverständnis wirbt. Dann darf man aber den Begriff der Gnade oder Begnadigung nicht mehr erwähnen. Vgl. auch Schenke, JA 1981, 588 (590), der die historische Kontinuität ausdrücklich verneint und ohnehin an der Aussagekraft historischer Auslegungsargumente zweifelt (589 f.). 73 So aber Dimoulis, Die Begnadigung in vergleichender Perspektive, S. 32. 68

V. Relevanz einer historischen Untersuchung

33

Begnadigungsrecht handle es sich um ein historisch gewachsenes und übernommenes Institut.74 Sie müssen vielmehr versuchen, anhand einer der Verfassung maßstabgetreuen Auslegung eine Standortbestimmung zu leisten, die nur unter wenigstens ansatzweiser Berücksichtigung der historischen Tatsachen verständlich ist.75

74

Rüping, Festschrift für Friedrich Schaffstein, 31 (35). Vgl. Geerds, Gnade, Recht und Kriminalpolitik, S. 6. Den großen Stellenwert einer historischen Auslegung bei sämtlichen Kompetenzen des Bundespräsidenten betont Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 54 Rn. 13. Prägnant auch Radbruch, Rechtsphilosophie, hrsg. von Dreier/Paulson, S. 165: „Man darf in solchen Einrichtungen der Vergangenheit nicht […] ,bloße Kuriosa der sozialen Geschichte‘, bloße ,Abirrungen‘ erblicken, kann vielmehr gerade ihnen wesentliche Aufschlüsse über den Sinn der Gnade entnehmen.“ 75

C. Die Begnadigung im Recht Nach diesem kurzen Überblick über historische und theologische Wurzeln der Gnade gelten die folgenden Untersuchungen dem heutigen Begnadigungsrecht im Grundgesetz (Abschn. I.) und in den Landesverfassungen (Abschn. II.). Anschließend wird der Anwendungsbereich des Begnadigungsrechts aufgezeigt (Abschn. III.), der sich grundsätzlich auf Einzelfälle bezieht (Abschn. IV.). Der Frage nach der Einordnung in den heutigen Rechtsstaat und einer Definition des Begriffs des Begnadigungsrechts widmet sich Abschnitt V. Zentral für die Begnadigungsausübung ist der Aspekt einer freien, inneren Willensbildung desjenigen, der über ein Gnadenverfahren entscheidet (Abschn. VI.). Diese ungewöhnliche Ausübung eines Hoheitsrechts muss sich fragen lassen, inwieweit die enge Bindung von Amt und Person im Begnadigungsrecht eine (amts-) charismatische Herrschaftsausübung aktiviert (Abschn. VII.) und inwiefern diese auch verfassungsrechtlich gewollt ist. Aus diesen Überlegungen ergeben sich die Grenzen für die Weiterübertragung der Begnadigungsbefugnis, die in dem darauffolgenden Kapitel D. aufgezeigt werden. Davor stellt sich die grundlegende Frage, ob eine normative Eingrenzung des Begnadigungsrechts möglich ist, die eine Justitiabilität von Gnadenentscheidungen nach sich zöge (Abschn. VIII.).

I. Das Begnadigungsrecht auf Bundesebene Der in seinem Aufbau etwas inhomogene1 Art. 60 GG, der einerseits die Befugnisse des Bundespräsidenten näher konkretisiert und andererseits mit der Immunität des Bundespräsidenten (Art. 60 Abs. 4 GG) eine Statusregelung normiert,2 enthält im zweiten Absatz die Regelung zum Begnadigungsrecht: Im Einzelfall übt der Bundespräsident das Begnadigungsrecht des Bundes aus. Die bedeutsame Möglichkeit, ein rechtlich wirksames Urteil auf dem Gnadenweg aufzuheben, zu mildern oder zu ändern, erhält in diesem Artikel die einzige Erwähnung im Grundgesetz. Das Begnadigungsrecht stattet den Bundespräsidenten insoweit mit einem wichtigen Vorrecht und mit einem Ehrenrecht aus.3 In seiner überwiegend von parteipolitischen Zwängen entrückten Stellung als Repräsentant des Staates ist ihm die verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, im Einzelfall den Verzicht auf die 1 2 3

Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 1. Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 1. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 25.

I. Das Begnadigungsrecht auf Bundesebene

35

Durchsetzung des Rechts anzuordnen, um Erwägungen der „Gerechtigkeit“ Raum zu geben.4 Der konkret fassbare normative Gehalt der Vorschrift des Art. 60 Abs. 2 GG ist gering: Das Begnadigungsrecht wird nicht näher umschrieben. In der Verfassungspraxis durchgesetzt hat sich die Auffassung, das Begnadigungsrecht beziehe sich auf sämtliche Rechtsfolgen von Gerichtsentscheidungen mit strafrechtlichem oder strafrechtsähnlichem Gehalt, nicht aber auf die Folgen einer verwaltungsrechtlichen oder zivilgerichtlichen Entscheidung.5 Der quantitativ erheblichste Anwendungsbereich besteht jedoch in Entscheidungen in beamtenrechtlichen Disziplinarsachen auf Bundesebene. Eine geringere Anzahl der Gnadenverfahren in strafgerichtlichen Verfahren resultiert aus der Einschränkung des Art. 60 Abs. 2 GG, der dem Bundespräsidenten das Begnadigungsrecht für den Bund zuweist. Danach unterliegen diejenigen strafrechtsrelevanten Gerichtsentscheidungen, die in Ausübung der Gerichtsbarkeit des Bundes ergangen sind, seiner Gnadenbefugnis. Der Bundespräsident hat demnach nur in solchen Fällen das Begnadigungsrecht inne, in denen ein Strafverfahren in allen Instanzen von Bundesgerichten entschieden wurde6. Sämtliche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, die im Revisionsverfahren entschieden wurden und erstinstanzlich vor Landesgerichten abgeurteilt wurden, fallen nicht in die Gnadenkompetenz des Bundespräsidenten. Demgegenüber kann u. a. in Staatsschutzdelikten auf Anklage des Generalbundesanwalts (§ 142a GVG)7 ein Oberlandesgericht in einer Art Auftragsgerichtsbarkeit (Art. 96 Abs. 5 GG)8 für den Bund tätig werden, dessen Entscheidung im Gnadenverfahren vom Bundespräsident aufgehoben oder gemildert werden könnte. Mit anderen Worten: „Die Staatsgewalt, die begnadigt, muss mit der identisch sein, die geahndet hat.“9 Diese Einschränkung führt dazu, dass sich die Begnadigungstätigkeit des Bundespräsidenten in originären Strafsachen quantitativ in Grenzen hält.10 Die wenigen Fälle der Strafgnadenverfahren beim Bundespräsidenten sind politisch umso brisanter, da die oftmals staatsfeindlichen Straftaten 4

Nettesheim, Handbuch des Staatsrechts Band III, § 62 Rn. 51. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 26. 6 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 33. Das war schon im Kaiserreich so, verfügte doch der Kaiser namens des Reichs über die Gnadenkompetenz nur in den Fällen, die in erster und letzter Instanz vor das Reichsgericht gehörten, vgl. von Bar, Gesetz und Schuld Band III, S. 487 f. 7 Appl, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 452 Rn. 2. 8 Herzog, ebenda. 9 Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 36. 10 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 34; Holste, Jura 2003, 738 (739). Pieper, Festschrift für Roman Herzog, 355 (356) weist darauf hin, dass die Anzahl der Verfahren in Zukunft zunehmen könnten, „wenn namentlich Verurteilungen wegen der Bildung terroristischer Vereinigungen oder nach dem Völkerstrafgesetzbuch zunehmen.“ 5

36

C. Die Begnadigung im Recht

breite öffentliche Aufmerksamkeit erregen.11 Der quantitativ bedeutsamere Teil der Gnadenverfahren, in denen das Bundespräsidialamt tätig wird, bezieht sich auf Disziplinarentscheidungen der Bundesdisziplinargerichte.12 Das könnte sich allerdings in Zukunft mit Blick auf die neu eingeführten Tatbestände im Staatsschutzstrafrecht (§§ 89a, 89b, 91 StGB) ändern.

II. Das Begnadigungsrecht auf Landesebene Originär beruht das landesrechtliche Begnadigungsrecht auf entsprechenden Verankerungen in den Landesverfassungen. Dabei steht es nicht in Konkurrenz zum Begnadigungsrecht des Bundespräsidenten, sondern beruht auf der Staatshoheit des Bundeslandes und ist insoweit „Emanation“ der landesrechtlichen Staatsgewalt.13 Gemäß § 452 StPO hat dasjenige Bundesland das Begnadigungsrecht für einen bestimmten Fall inne, dessen Gerichte im ersten Rechtszug über die Sache entschieden haben.14 Unerheblich für diese Zuständigkeitsregelung ist eine etwaige letztinstanzliche Revisionsentscheidung vor dem Bundesgerichtshof.15 Auswirkungen auf die eigentliche Ausübung des Begnadigungsrechts hat die unterschiedliche Ausprägung des Vorsitzes der Landesregierungen in den Bundesländern. In den Flächenstaaten hat der Ministerpräsident eine beherrschende Stellung, die in seiner umfassenden Richtlinienkompetenz ausgeprägt ist.16 Er beruft und entlässt die Minister, wobei die Volksvertretung dabei unterschiedlich starke Möglichkeiten der Mitwirkung hat.17 Folgerichtig ist dem Amt des Ministerpräsidenten in diesen Bundesländern die Kompetenz zur Begnadigung übertragen.18 11

Vgl. Pieper, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 15.1. Herzog, ebenda. 13 Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 24 (2.3.1). 14 Appl, in: Karlsruher Kommentar zur StPO § 452 Rn. 3. 15 Bei einer Gesamtstrafenbildung hinsichtlich Einzelstrafen vor verschiedenen Landesgerichten ist das Bundesland für die Ausübung des Begnadigungsrechts zuständig, in dessen Landesgerichtsbarkeit die Gesamtstrafe gebildet wurde, ausführlich dazu Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 26 ff.; Birkhoff/Müller-Jacobsen, in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, Rn. 52 ff.; Appl, in: Karlsruher Kommentar zur StPO § 452 Rn. 4. 16 Art. 49 Abs. 1 Bad-WürttVerf; Art. 47 Abs. 2 BayVerf; Art. 102 S. 1 HessVerf; Art. 28 Abs. 1 S. 1 NdsVerf; Art. 55 VerfNRW; Art. 104 S. 1 Rh-PfVerf; Art. 91 Abs. 1 S. 1 SaarVerf; Art. 24 Abs. 1 S. 1 Verf S-H. 17 Vgl. Herdegen, Handbuch des Staatsrechts Band IV(2. Aufl.), § 97 Rn. 25 ff. 18 Art. 52 Abs. 1 Bad-WürttVerf; Art. 47 Abs. 4 BayVerf; Art. 92 VerfBB; Art. 109 HessVerf; Art. 49 VerfM-V; Art. 36 NdsVerf; Art. 59 VerfNRW; Art. 112 Rh-PfVerf; Art. 67 SachsVerf; Art. 85 Verf LSA; Art. 32 VerfS-H; Art. 78 Abs. 2 Verf Thüringen. Im Saarland, in dem die Begnadigungskompetenz aufgrund einer verfassungsrechtlichen Ermächtigung (Art. 93 SaarVerf) einfachgesetzlich geregelt ist, entscheidet die Landesregierung als Gremium, § 3 SaarlGnG. 12

III. Anwendungsbereich des Begnadigungsrechts

37

Eine stärker kollegial geprägte Entscheidungsstruktur findet sich demgegenüber in den Stadtstaaten (Berlin, Bremen und Hamburg).19 Eine besondere Direktivenregelung für die Regierungspolitik in Form von verbindlichen Richtlinien ist den Verfassungen der Stadtstaaten fremd. In Hamburg entscheidet das Senatskollegium über die Richtlinien der Landespolitik.20 In Bremen gilt eine stärkere Einbindung des Parlamentes, welches die Richtlinien für die Verwaltung aufstellt.21 In Berlin legt der Regierende Bürgermeister die Richtlinien im Einvernehmen mit den Senatskollegen und mit Billigung des Abgeordnetenhauses fest.22 An diesen Unterschieden wird deutlich, dass das Kollegialprinzip innerhalb der Regierung der Stadtstaaten auch auf die Machtstruktur des Landesoberhauptes Einfluss hat. Konsequent ist insoweit die Konstruktion eines Begnadigungsrechts nicht ausschließlich für das Landesoberhaupt, sondern für das Senatskollegium.23 Das Begnadigungsrecht ist in alle Landesverfassungen integriert. Mehr als eine Kompetenzregelung findet sich sowohl im Grundgesetz als auch auf landesverfassungsrechtlicher Ebene nicht. Auch hier ist der normative Gehalt gering. Durch die föderale Zuständigkeitsregelung wird somit nur ein normiertes formelles Gnadenrecht, jedoch kein normiertes materielles Gnadenrecht geschaffen.24 Die Definition und Begrenzung des Begriffes der Begnadigung und der Delegation muss sich deshalb vor allem auf teleologische Überlegungen konzentrieren (vgl. dazu ausführlich in den folgenden Abschnitten). Gegenstand späterer Erörterungen werden die als interne Verwaltungsvorschriften geltenden Gnadenordnungen und vor allem das Recht der Weiterübertragung der Begnadigungskompetenz sein, die sich an diesem Maßstab auszurichten haben (vgl. Kap. D.).

III. Anwendungsbereich des Begnadigungsrechts Zunächst stellt sich die Frage nach dem Anwendungsbereich des Begnadigungsrechts. Er bezieht sich im Strafrecht auf die Aufhebung, Milderung oder 19

Herdegen, Handbuch des Staatsrechts Band IV (2. Aufl.), § 97 Rn. 32. Art. 33 Abs. 1 S. 2 HambVerf. 21 Art. 118 Abs. 1 S. 1 BremVerf. 22 Art. 43 Abs. 2 BerlinVerf. 23 Art. 68 BerlinVerf; Art. 121 BremVerf; Art. 44 Abs. 1 HambVerf. 24 Uppenkamp, Die Begnadigung und ihre Bedeutung bei der lebenslangen Freiheitsstrafe, S. 128. Was die Zuständigkeitsregelung betrifft, kommt es in der Praxis häufig vor, dass Verurteilte ihr Gnadengesuch parallel an den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler, den Ministerpräsidenten, den Justizminister und auch an die jeweilige Volksvertretung richten, die sich dann überwiegend für unzuständig erklären müssen und das Gnadengesuch weiterleiten, so die Auskunft des Hessischen Ministeriums der Justiz und des Justizministeriums des Landes Sachsen-Anhalt an den Verfasser. 20

38

C. Die Begnadigung im Recht

Änderung der Folgen des Strafausspruchs, nicht jedoch auf den Verzicht des Strafurteils selbst.25 Dieses wird nicht angetastet – der durch das Urteil entstehende Makel bleibt bestehen. Die Gnadenentscheidung wirkt nur für die Zukunft und beeinträchtigt nicht die in der Vergangenheit liegende gesetzliche Entscheidung hinsichtlich der begangenen Straftat.26 Aus strafprozessualer Sicht ist die Begnadigung ein Verfahrens- und Vollstreckungshindernis.27 Auch das Gesetz wird als solches nicht angetastet, gelangt aber in dem Einzelfall der Begnadigung nicht in Vollzug.28 Damit bleibt der Rechtsgedanke unangetastet, hält sich aber offen für den Zutritt der Milde im Einzelfall.29 Jeder sinnvolle Grund für eine Begnadigung, der von der Person des zur Begnadigung Berufenen zu erwägen ist, „liegt beschlossen in der Idee der individualisierenden Gerechtigkeit, die die Normenstrenge auflockert, aber nicht die Rechtsidee preisgibt, vielmehr ein Bestandteil dieser ist und bleibt“.30 Begnadigungsfähige Sanktionen gibt es aber auch außerhalb des Strafrechts. So stehen beamtenrechtliche Disziplinarentscheidungen und teilweise auch ehrengerichtliche Entscheidung innerhalb der Rechtsanwaltschaft einer Begnadigung offen.31 Das Begnadigungsrecht ist demgegenüber nicht zur Behebung gesetzgeberischer Mängel da.32 Noch bis in die 70er Jahre war dies ein Hauptanwendungsbereich. Heute sind viele der damaligen Begnadigungsgründe einfachgesetzlich geregelt und fallen nicht mehr in die Kompetenz des Gnadenträgers. Ebenso wenig ist die Begnadigung die richtige Maßnahme, um nach einer erfolgten Gesetzesänderung diejenigen Strafen aufzuheben, die noch aufgrund der alten, inzwischen überholten Gesetzesfassung in einem Urteil festgesetzt wurden.33 Diejenigen, die hier einen Anwendungsbereich der Begnadigung sehen, verkennen den Unterschied zwischen Begnadigung im Einzelfall und Amnestie in einer Vielzahl von nach allgemeinen Merkmalen bestimmbaren Fällen. Wird durch eine Gesetzesänderung eine Änderung der Strafen von bereits verurteilten Straftätern für notwendig erachtet, muss der Gesetzgeber im Rahmen einer Amnestie handeln (zur Amnestie ausführlich im folgenden Abschnitt). 25 Geerds, Gnade, Recht und Kriminalpolitik, S. 9. Das Bundesverfassungsgericht hält in BVerfGE 30, 108 (110) fest: „Durch den Gnadenerweis wird die Wirkung des Urteils umgestaltet.“ 26 Wussow, DÖD 1989, 105 (110). Die zugrunde liegende Entscheidung und der Schuldspruch werden aufrechterhalten, so Hömig, DVBl. 2007, 1328 (1329). 27 Geerds, Gnade, Recht und Kriminalpolitik, S. 9 f.; Appl, in: Karlsruher Kommentar zur StPO § 452 Rn. 5, § 449 Rn. 22. 28 Vgl. bereits v. Ihering, Der Zweck im Recht, Band 1, S. 333. 29 Engisch, in: Freudenfeld, Schuld und Sühne, S. 107 (117). 30 Engisch, in: Freudenfeld, Schuld und Sühne, S. 107 (118). 31 Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 52 ff. 32 Geerds, Gnade, Recht und Kriminalpolitik, S. 20. 33 So aber Geerds, Gnade, Recht und Kriminalpolitik, S. 38.

IV. Einzelfallbezogenheit

39

In erster Linie will das Begnadigungsrecht also die Berücksichtigung von Änderungen im persönlichen Umfeld des Verurteilten leisten, die vom erkennenden Gericht bei den Urteilserwägungen nicht berücksichtigt werden konnten und auf die im gesetzlichen Wege nicht angemessen reagiert werden kann.

IV. Einzelfallbezogenheit Im Grundgesetz (Art. 60 Abs. 2 GG) heißt es für den Bundespräsidenten ausdrücklich, dass er das Begnadigungsrecht „im Einzelfalle“ ausübt.34 Diese Einschränkung gilt auch auf Landesebene, selbst wenn das nicht in allen Landesverfassungen ausdrücklich geregelt ist.35 Jede Gnadenentscheidung kann sich demnach nur auf einen Einzelfall beziehen und widerstrebt jeder Regelmäßigkeit. Regelhaft soll gerade die Rechtsentscheidung eines Sachverhaltes sein; jede nachträgliche Aufhebung, Änderung oder Milderung kann nur die einzelfallbezogene Ausnahme bilden. Eine über die Entscheidung von Einzelfällen hinausgehende Gnadenpraxis, die eine feste und regelmäßige Handhabung vergleichbarer Fälle vorsehen würde, missachtete den Verfassungsauftrag der Gnade und missbrauchte das Begnadigungsrecht.36 Gnade soll nämlich nicht dazu dienen, Rechtsirrtümer richtig zu stellen oder Härten auszugleichen, die durch bestimmte Gesetze entstanden sind.37 Solche Härten treffen jeden dem Gesetz Unterworfenen und sind keine atypische Erscheinung. Hier Abhilfe zu schaffen, ist Aufgabe des Gesetzgebers.

1. Begnadigung und Amnestie Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Abgrenzung des Begnadigungsrechts von der oftmals im Gleichklang erwähnten Amnestie: Obwohl beide Begriffe denselben Ursprung haben und staatliche Strafgewalt zurücknehmen, ist Regelungsobjekt der Amnestie eine unbestimmte Vielzahl von Fällen, während der Bundespräsident und die landesrechtlichen Gnadenträger das Begnadigungsrecht „im Einzelfall“ ausüben. Amnestie wird grundsätzlich in Gesetzesform gewährt und orientiert sich an den für eine Vielzahl von Personen geltenden Merkmalen. Sie ist kein Individualrechtssatz, sondern ein allgemeiner, auf eine Vielzahl von Sachver-

34

Die Einschränkung auf Einzelfälle findet sich ebenso ausdrücklich in einigen Landesverfassungen: Art. 47 Abs. 4 BayVerf; Art. 92 VerfBB; Art. 49 Abs. 1 VerfM-V; Art. 36 Abs. 1 NdsVerf; ebenso im saarländischen Gnadengesetz, § 1 Abs. 1 SaarlGnG. 35 Vgl. nur Art. 109 Abs. 1 HessVerf; Art. 59 Abs. 1 VerfNRW. 36 Röhl, Über die lebenslange Freiheitsstrafe, S. 196. 37 So aber Menger, DVBl. 1957, 683.

40

C. Die Begnadigung im Recht

halten anwendbarer Rechtssatz.38 Damit steht für die Amnestie die Tat, für die Begnadigung der Täter im Vordergrund.39 Die Gesetzesform der Amnestie gilt stets generell-abstrakt; sie muss sich nicht auf bereits abgeurteilte Fälle beschränken, sondern kann auch die Niederschlagung laufender Fälle anordnen.40 Daraus ergibt sich eine Gnaden-Gewaltenteilung41, die das Recht der Individualbegnadigung dem Bundespräsidenten nach Art. 60 Abs. 2 GG und den Exekutivspitzen der Länder in den jeweiligen Landesverfassungen anvertraut, während die Kompetenz zum Erlass einer Amnestieregelung den Parlamenten vorbehalten ist.42 Art. 60 Abs. 2 GG ist für die Amnestie folglich eine Kompetenzsperre43 (in Form einer Kompetenzausübungsschranke), weil sich daraus das Verbot jeglicher Individualamnestie ergibt. Man wollte dem Bundespräsidenten das Recht der Amnestiegewährung unter dem Gesichtspunkt entziehen, dass sich durch eine Amnestie die politische Brisanz von besonderem Ausmaß auswirke und insoweit das Parlament sich die Entscheidung vorbehalten müsste.44 Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass ein Straffreiheitsgesetz seinen Charakter als allgemeines, auf eine unbestimmte Vielzahl von Fällen ausgerichtetes Gesetz nicht deshalb verliert, „weil dem Gesetzgeber bei seiner Beschlussfassung der Komplex bekannt war, der wahrscheinlich den größten Teil der erfassten strafbaren Handlungen ausmacht“45. Als Grenze mag man indes Konstellationen ansehen, in denen offensichtlich eine bestimmte Person (oder Personengruppe) Begünstigter des Straffreiheitsgesetzes sein soll und die Gesetzgebung sich weniger an der Rechtsidee und mehr an der Zweckmäßigkeit orientiert.46

38 Vgl. BVerfGE 10, 234 (239), wobei der dort verwendete Begriff des „Verwaltungsaktes in Gesetzesform“ im Gegensatz zum allgemeinen Rechtssatz missverständlich ist. Dieser wäre nur dann von Relevanz, wenn der Gesetzgeber einen an das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebundenen Vollzugsakt erlässt, so zutreffend Zeidler, JZ 1960, 391 (392). 39 Merten, Rechtsstaatlichkeit und Gnade, S. 13. 40 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 35; Marxen, Rechtliche Grenzen der Amnestie, S. 8, mit Hinweis auf die Amnestiepläne in der Parteispendenaffäre (dazu sogleich). 41 Vgl. Merten, Rechtsstaatlichkeit und Gnade, S. 15. 42 Süß, Studien zur Amnestiegesetzgebung, S. 82. 43 Süß, Studien zur Amnestiegesetzgebung, S. 125. 44 Bonner Kommentar GG, Art. 60, S. 16. 45 BVerfGE 10, 234 (242). 46 Vgl. Zeidler, JZ 1960, 391 (392). Der sog. „Platow-Komplex“, der Gegenstand des bundesverfassungsgerichtlichen Verfahrens war, bewegt sich an dieser Grenze zum (getarnten) Individualgesetz. Problematisch einzugrenzen ist nämlich die Frage, „bis zu welchem Grad der Gesetzgeber differenzieren darf, das heißt, wie klein der Gesetzgeber den Kreis der vom Gesetz erfassten Straftaten halten darf“ (Zeidler, JZ 1960, 391 (393)), um nicht den Rahmen des allgemeinen Gesetzes zu verlassen. Anderenfalls wird das verfassungsrechtlich gesicherte Monopol der Rechtsprechung verletzt (Art. 19 Abs.4, Art. 92 GG).

IV. Einzelfallbezogenheit

41

Im Grundgesetz findet sich keine ausdrückliche Erwähnung der Amnestie oder der Zuständigkeit für Straffreiheitsgesetze.47 Die Länderverfassungen regeln die Amnestiekompetenz teilweise explizit.48 Hier kann man die föderale Zuständigkeit für Amnestiegesetze so aufteilen, dass der Bundestag Amnestien in allen Strafsachen erlassen kann, während die Ländervertretungen nur in Strafsachen, in denen von ihnen gesetztes Landesstrafrecht angewendet wurde, Amnestiegesetze verabschieden dürfen.49 Die Anwendung der Amnestiegesetze50 kommt den Gerichten und Staatsanwälten zu, die die einzelnen Fälle unter die Merkmale des Gesetzes subsumieren. Die Amnestie wird damit zur Rechtsanwendung, da sie in Form eines Strafrechtsgesetzes Instrument der Kriminalpolitik und somit Steuerungsinstrument des Gesetzgebers ist,52 und weist damit einen weiteren deutlichen Unterschied zur Gnade auf. 51

2. Historischer Überblick zur Amnestiegesetzgebung Aus historischer Sicht richtet sich die wissenschaftliche Aufmerksamkeit bei Amnestien vor allem auf politische Unruhen.53 Ungeachtet der in monarchischen Zeiten bedeutsamen „Jubelamnestien“, die bestimmte Feiertage, Geburtstage oder Krönungen zum Anlass hatten, wollen Amnestien sogenannte Ausnahmezustände abschließen und einen Neubeginn dokumentieren.54 Besondere Tage des Gemeinschaftslebens als Anlässe vermochten die Schuld des Einzelnen durch das Erhöhte, 47 Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 208. Die Zuständigkeit für eine auf Bundesebene beschlossene Amnestieregelung erstreckt sich auch auf Personen, die erstinstanzlich vor Ländergerichten verurteilt wurden, vgl. BVerfGE 2, 213 (218 ff.). 48 Süß, Studien zur Amnestiegesetzgebung, S. 81 m.w.N. 49 Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 211: „Die Kompetenz Strafrecht zu setzen, schließt die Kompetenz ein, es zurückzunehmen.“ Vgl. auch Engisch, in: Freudenfeld, Schuld und Sühne, S. 107 (112). 50 Zum unterschiedlichen Sprachgebrauch von Amnestie und Straffreiheit und somit auch von Amnestie- und Straffreiheitsgesetzen vgl. Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 208. 51 Rechtlich kann eine Amnestie eine Strafmilderung oder einen Straferlass bewirken. Prozessual bedeutet die Amnestie eine Einstellung laufender und die Nichteinleitung neuer Verfahren. Der Eingriff des Amnestiegesetzes in das geltende Strafrecht und in den Gang des Strafverfahrens oder der Strafrechtspflege hat jedoch immer nur vorübergehende Bedeutung, vgl. Schätzler, in: Loccumer Protokolle 62/1988, Amnestie, Gnade, Politik, S. 29. Der Ansatz an der Wurzel des Problems, die Reform eines bestimmten Straftatbestands o. ä., kann nur über ein begleitendes Gesetzesvorhaben erfolgen. 52 Schätzler, in: Loccumer Protokolle 62/1988, Amnestie, Gnade, Politik, S. 30. 53 Marxen, Rechtliche Grenzen der Amnestie, S. 3 f.; vgl. zur historischen Entwicklung „von der Jubelamnestie zur Zweckamnestie“, S. 11 ff. 54 Merten, Rechtsstaatlichkeit und Gnade, S. 16 f.; vgl. zu den Begriffen „Schlussstrich“-, „Befriedungs“- und „Rechtskorrekturamnestie“ Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 213 f.

42

C. Die Begnadigung im Recht

Erfüllte, Überschüssige des Festtages auszugleichen.55 Darüber hinaus sollten bestimmte Festtage und Jubelanlässe die besondere Beziehung zwischen Herrscher und Untertanen herausstellen. Die Amnestien waren im Zusammenhang mit solchen Anlässen eine Form der Kommunikation zwischen Volk und Gnadenträger,56 um nicht zuletzt auch die Erhabenheit der Gnade über alle Rechtsgründe zu symbolisieren.57 Diese „Jubelamnestien“ hatten besondere Bedeutung bei Straftaten, deren Schuld in der Missachtung der königlichen Autorität und Würde lag.58 Forderungen nach einer umfassenden Amnestiegesetzgebung gab es insbesondere in den 1960er Jahren. Im Zuge des kalten Krieges wurden eine Vielzahl von Arbeitern und Gewerkschaftern, die Kontakte zu Politikern der DDR unterhielten, Strafverfahren ausgesetzt, die ihnen Landesverrat und andere politische Straftaten vorwarfen.59 In den Verfahren bekam der Begriff der politischen Strafjustiz besondere Bedeutung, da die drakonischen Strafen und überlangen Haftdauern ihren offensichtlichen Ursprung in der verdeckten Forderung nach politischer Opportunität hatten. Die Verfahren wiesen deutliche Parallelen auf: Die Täter waren aus Gewissensgründen gegen die damalige Ostpolitik der Wiederaufrüstung und atomaren Bewaffnung vorgegangen und fielen unter die Vorschriften der §§ 100 ff. StGB aF (u. a. landesverräterischer Nachrichtendienst). Einer Forderung nach Amnestiegesetzen60 kam der Bundestag durch das Straffreiheitsgesetz von 1968 nach, als das Staatsschutz-Strafrecht novelliert und wesentlich gemildert wurde. Die vor dem Stichtag begangenen Straftaten der geänderten Vorschriften wurden bei nicht mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe straffrei gestellt.61 Darin lag die erste bundesdeutsche Rechtskorrekturamnestie. Mitte der 1980er Jahre kam die Diskussion im Zusammenhang mit der Parteispendenaffäre neu auf: Abgeordnete der damaligen Bundestagsfraktionen erarbeiteten einen Gesetzesentwurf, der durch die Modifizierung des steuerrechtlichen Instituts der Selbstanzeige (§ 371 AO) Straffreiheit für mit Parteispenden zusammenhängenden Steuerhinterziehungen gewähren sollte.62 Damit sollte eine angeblich über viele Jahre bestandene Rechtsunsicherheit bezüglich der steuerrechtlichen 55

Dombois, Das Recht der Gnade, Band I, S. 173. Vgl. Rehse, Die Supplikations- und Gnadenpraxis in Brandenburg-Preußen, S. 193 ff.; ähnlich Geerds, Gnade, Recht und Kriminalpolitik, S. 7: „[…] persönliches Band zwischen dem Fürsten und seinem Untertan […]“. 57 Grewe, Gnade und Recht, S. 20. 58 von Bar, Gesetz und Schuld Band III, S. 466 Fußn. 245c. 59 Vgl. die umfassende Darstellung in der Resolution an den Deutschen Bundestag der Demokratischen Juristen Deutschlands, S. 4 ff. 60 Resolution an den Deutschen Bundestag der Demokratischen Juristen Deutschlands, S. 22 f. 61 Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 246. 62 Umfassend Werthmüller, Parteienfinanzierung, S. 37 ff.; Marxen, Rechtliche Grenzen der Amnestie, S. 1 f., zu weiteren Beispielen vgl. S. 42 ff. und Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 250 ff. 56

IV. Einzelfallbezogenheit

43

Bewertung von Parteispenden beendet werden.63 Konfliktreich war in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass zahlreiche Bundestagsabgeordnete in die Affäre verwickelt waren. Dass der Gesetzgeber sich nicht selbst amnestieren darf und im Rahmen der Amnestiegesetzgebung das Verbot der Selbstbegünstigung zu gelten hat, erscheint im Lichte einer gemeinwohlbezogenen Gesetzgebung als Selbstverständlichkeit.64 Das Gesetzesvorhaben scheiterte in dieser Konsequenz nicht zuletzt aufgrund des massiven Widerstands der Öffentlichkeit.65

3. Unzulässigkeit von Abolitionen Nur am Rande sei der Begriff der Abolition bemerkt, der die Niederschlagung anhängiger Strafverfahren meint. Abolitionen spielen eher historisch eine Rolle. Die heutige Zulässigkeit von Abolitionen in Einzelfällen ist grundsätzlich zu verneinen, würde doch damit die Autorität der Rechtspflege und das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat empfindlich gestört. Durch einen Begnadigungsakt kann ein anhängiges Strafverfahren vor rechtskräftigem Urteil nicht beendet werden.66 Einziger Weg wäre ein legislatives Verfahren.67 Das Rechtsinstitut der Begnadigung kann nicht in Fällen in Betracht kommen, in denen die strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht abschließend geklärt ist, würde doch möglicherweise der Verzicht auf einen Strafanspruch erklärt, der eigentlich gar nicht besteht.68

4. Zwischenergebnis In der Reihe der drei Institute Abolition, Amnestie und Begnadigung hat das letztere als entscheidendes Merkmal die Einzelfallbezogenheit. Sobald eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle auftreten, kann eine Anwendung des Begnadigungsrechts nicht in Betracht kommen. Einerseits umfasst das Begnadigungsrecht nicht die

63

Vgl. Werthmüller, Parteienfinanzierung, S. 39 f. Vgl. Marxen, Rechtliche Grenzen der Amnestie, S. 38 f. 65 Ausführlich Werthmüller, Parteienfinanzierung, S. 42 ff. 66 Die gesetzlichen Einstellungsbefugnisse von Strafgerichten und Staatsanwaltschaften wird man wohl nicht unter den Begriff der Abolition fassen, vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 31. Ein eigenes gesetzliches Verbot von Abolitionen fordert Geerds, Gnade, Recht und Kriminalpolitik, S. 10 f. 67 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 32. 68 Engisch, in: Freudenfeld, Schuld und Sühne, S. 107 (108), der bei Amnestiegesetzen auf die Möglichkeit hinweist, dass ein Angeklagter, auch wenn er unter die Geltung eines Amnestiegesetzes fällt, auf die Durchführung seines Verfahrens bestehen kann, in dessen Verlauf dann ggf. seine Unschuld erwiesen wird. 64

44

C. Die Begnadigung im Recht

Befugnis zur Amnestierung, andererseits darf das Begnadigungsrecht eine Vielzahl von Fällen nicht „am Parlament vorbei“ lösen.

V. Begnadigung und Gnade Die Verfassungstexte erschöpfen sich in der schlichten Erwähnung des Wortes „Begnadigung“ oder „Gnadenrecht“. Deshalb ist die Beantwortung der folgenden Fragen vor allem aus einer teleologischen Sicht zu beantworten. Was bedeutet das Prinzip der Gnade? Welchen Standort hat das Rechtsinstitut der Begnadigung im demokratischen Rechtsstaat?

1. Sprachliche Differenzierungen In den deutschsprachigen Verfassungstexten erscheint der Begriff „Begnadigung“ als ein auf den gestaltenden Akt der Begnadigungsinstanz hinweisender Begriff, was die sprachliche Unterscheidung von „Gnade“ und „Begnadigung“ deutlich macht.69 Die Begnadigung ist die Handlungsnorm, die Gnade das Handlungsprinzip. Durch die Vorsilbe „Be-“ wird ein Einwirken oder Geben ausgedrückt.70 Ungeachtet dessen werden in der Rechtswissenschaft beide Begriffe oft synonym genannt, insbesondere auch die Begriffe „Gnadenrecht“ und „Begnadigungsrecht“. So ist es ferner üblich, vom Gnadenverfahren, von der Gnadenkompetenz, vom Gnadenträger und von der Gnadeninstanz zu sprechen. Konsequenter ist es, die Begnadigung als den verfahrensmäßigen Akt und die Gnade als das zugrundeliegende Prinzip zu unterscheiden und deshalb vom Begnadigungsverfahren, von der Begnadigungskompetenz und der Begnadigungspraxis zu sprechen.

2. Integration in den Rechtsstaat Der Begriff des Begnadigungsrechts zeigt die Integration in den Rechtsstaat als eigenständiges Rechtsinstitut. Dennoch scheuen Juristen aus guten Gründen davor zurück, sich dem Begriffsteil der „Begnadigung“ mit den methodischen Instrumenten der Rechtswissenschaft zu nähern. Denn Gnade ist aufgrund seines theologischen Ursprungs und seiner historischen Entwicklung kein genuiner Rechtsbegriff71 und lässt sich in keine schematischen Kategorien zwängen: „Die Gnade scheint sich gegen die Mittel der Rechtswissenschaft zu sperren […].“72 Wie wir 69 70 71 72

Hess-Odoni, SchwJZ 2001, 413 (416). Vgl. für den Bereich des Kirchenrechts Dombois, Das Recht der Gnade, Band I, S. 163. Strasser, Dunkle Gnade, S. 16. Schätzler, NJW 1975, 1249 f.

V. Begnadigung und Gnade

45

gesehen haben, existierte sie insbesondere historisch neben dem Recht, als ein vorrechtliches und in seiner Entwicklung unserer Rechtsordnung weit vorgeschaltetes Prinzip. Gleichwohl muss die Einordnung in das heutige Recht definiert werden, handelt es sich bei der Gnade doch nicht um ein isoliertes, sondern um ein in vielen Bereichen des Rechts wiederzufindendes Phänomen. In der Erwähnung der Begnadigung im Grundgesetz liegt ein Integrationsauftrag, das Prinzip „Gnade“ innerhalb der Rechtsordnung zu verorten.

3. Begriff der Gnade Dazu bedarf es zunächst eines Blickes auf die Bedeutung des Wortes Gnade: Gnade als Prinzip wird mit den Begriffen Milde und Güte, Wohlwollen, Huld und Barmherzigkeit beschrieben.73 Gnade ist eine das Gesetz durchbrechende Ausnahmeerscheinung, die in ihrer konsequent ausnahmebezogenen Anwendung die Staatsgewalten umso mehr auf die strikte Legalität verpflichtet.74 Gnade ist als „Selbstkorrektur der Gerechtigkeit“75 ein Gegengewicht zum ius strictum. Der Akt der Begnadigung passt deshalb in kein funktionales, bürokratisches oder hierarchisches System. Seine Anwendung soll gerade nicht nach formalisierten Kriterien oder vorgegebenen Normen erfolgen. Die Begnadigung enthält ein zentral emotionales Element, welches nicht nur der staatstheoretischen Herrschaftsbegründung, sondern dem Recht generell fremd ist.76 Ein Strukturmerkmal ist die Distanzierungsfunktion77: Erst durch eine Distanz des Entscheidenden zur vorangegangenen rechtlichen Sanktion kann im Begnadigungsverfahren zu einer Entscheidung gefunden werden. 73

Aufzählung bei Maurer, Das Begnadigungsrecht im modernen Verfassungs- und Kriminalrecht, S. 16 f.; Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 4. 74 Merten, Rechtsstaatlichkeit und Gnade, S. 62. 75 v. Ihering, Der Zweck im Recht, Band 1, S. 333. 76 Pieper, in: Festschrift für Roman Herzog, 355 (376). 77 Diese Distanzierungsfunktion kennt das Verwaltungsrecht unabhängig vom Begnadigungsrecht auch, dann nämlich, wenn innerhalb von Verwaltungseinheiten eine bewusste Auslagerung aus dem administrativ-hierarchischen Entscheidungssystem erfolgt: „Staatliche Verantwortung für einen Sachbereich wird gerade dadurch erfüllt, dass der Staat die entsprechende Aufgabe nicht in seine Gesamthierarchie zu integrieren sucht, sondern gleichsam in Distanz zu sich selbst geht. […] Erst eine gewisse ,Staatsferne‘ sichert die optimale Aufgabenerfüllung“, so Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S. 280 f. Entscheidender Unterschied zu dieser verwaltungsrechtlichen Überlegung, die sich auf Prüfungsämter, Asylbehörden oder Bundesprüfstellen bezieht (vgl. dazu Schauer, Staatsorganisationsrecht und politische Willensbildung, S. 109 f.), ist, dass es sich bei der Begnadigung um eine Einzelfallentscheidung handelt, die nicht kategorisierbar ist. Die im Verwaltungsrecht aufgezeigten Beispiele, bei denen eine Distanzierungsfunktion notwendig ist, können ihrerseits wieder in bestimmte Normen kategorisch und funktional gerahmt werden. Das Kriterium der Staatsferne und die Distanzierungsfunktion sind aber entscheidende Merkmale, die bei der Begnadigung in gleicher Weise sichtbar werden.

46

C. Die Begnadigung im Recht

Dabei lassen sich die Begriffe Geneigtheit78 oder Gunstbezeugung79 auch etymologisch begründen, und zwar aus dem Bezug zum althochdeutschen „ginâda“ und dem mittelhochdeutschen „genâde“, Begriffe, die die Bedeutung von „sich niederlassen“ bzw. „sich niederbeugen“ haben.80 Das Beziehungsgefälle in einem Über-/ Unterordnungsverhältnis war bereits unter historischen und theologischen Aspekten zentrales Merkmal. Diese Bedeutung ist bis heute gültig, wenn man auch Schwierigkeiten damit haben mag, „Barmherzigkeit“ und „Wohlwollen“ in ein juristisches Begriffsverständnis zu bringen.81 Schätzler nennt dem entgegnend den Begriff der Milde als die zutreffende Umschreibung dessen, was das innere Kriterium einer Gnadenentscheidung ausmacht.82 Diese Milde ist aber ein ähnlich schwer in juristische Kategorien zu fassender Begriff wie Barmherzigkeit und Wohlwollen. Treffender mag der Begriff der Zuwendung die Gnade beschreiben. Für das Disziplinargnadenrecht – das insbesondere auf Bundesebene in der Anzahl weitaus bedeutendere Wirkungsfeld der Begnadigung – konkretisiert Schätzler den Begriff der Milde mit der beamtenrechtlichen Fürsorge, die sich in einer gnadenweisen Aufhebung einer Disziplinarentscheidung entfalte83.

4. Das Begnadigungsrecht als Chiffre für die Begrenztheit des Rechts Der Integration des Begnadigungsrechts in das Grundgesetz liegt eine institutionelle Entscheidung zugrunde: Muss die Verurteilung eines Straftäters oder die Verhängung einer Sanktion grundsätzlich nach normativen Maßstäben im Rahmen einer rechtlich gebundenen Entscheidung erfolgen, sind dem Träger des Begnadigungsrechts die Einzelfälle anvertraut, in denen die rechtlichen Kategorien versagen. Mit der Berücksichtigung dieser Notwendigkeit, also einer angemessenen Reaktion auf das Versagen gesetzlicher Kategorien wegen einer atypischen Besonderheit, erkennt die Verfassung die Endlichkeit des Rechts an. Funktionssystematisch ist deshalb eine Parallele zur Präambel des Grundgesetzes zu ziehen: Ähnlich wie in der Präambel durch den Gottesbezug eine Chiffre für die Unvollkommenheit des Rechts existiert,84 will auch die Gnade in der institutiona78

Dombois, Das Recht der Gnade, Band I, S. 173. Warnecke, Die Probleme der Begnadigung „Lebenslänglicher“, S. 20. 80 Rehse, Die Supplikations- und Gnadenpraxis in Brandenburg-Preußen, S. 73; Grewe, Gnade und Recht, S. 12. 81 Vgl. Schätzler, NJW 1975, 1249 (1250): Barmherzigkeit sei Sache Gottes und der Kirche. 82 Schätzler, ebenda. 83 Schätzler, ebenda. 84 Vgl. dazu Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Präambel Rn. 17: „Die Verantwortung vor Gott und den Menschen leugnet nicht und beeinträchtigt nicht die verfassungsgebende Gewalt des Volkes, sondern gibt Grenzen ihrer Entscheidungsfunktion an, die ihr immanent 79

VI. Persönliche Entscheidungsfreiheit des Begnadigenden

47

lisierten Form des Begnadigungsrechts die Endlichkeit des Rechts aufzeigen. Als Korrektiv will sie denjenigen strafrechtlich relevanten Fällen begegnen, die mit den Mitteln des Rechts nicht zu einer befriedigenden Lösung geführt werden können. Darin liegt die Parallele zur Präambel: Die als Demutsformel85 interpretierte Nennung der „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ enthält die Erkenntnis, dass der Rechtsstaat eine diesseitige, niemals perfekte Ordnung ist.86 Auch eine demokratische Verfassungsordnung ist endlich und fehlbar.87 Ähnliche Überlegungen gelten für das Sanktionenrecht: Auch hier kann die Ordnung nicht perfekt sein. Es bedarf für die Fälle, in denen gesetzliche Kategorien zu keiner angemessenen Lösung gelangen, eines Begnadigungsrechts im Einzelfall. Die bewusste Integration des Begnadigungsrechts in das Grundgesetz kann deshalb als die „unverhohlene Anerkennung der Fragwürdigkeit allen Rechts“88 angesehen werden. Dadurch wird der Rechtsstaat in seiner konkurrenzlosen Existenz nicht angetastet, sondern vielmehr ergänzt durch die Erhebung des Prinzips der Gnade auf Verfassungsrang.

VI. Persönliche Entscheidungsfreiheit des Begnadigenden Innerhalb des institutionellen Begnadigungsrechts hat die ausgeführte Bedeutung des Prinzips „Gnade“ ihren ausgeprägtesten Standort in der rechtsstaatlichen Verfassung. Was dabei die meisten Kontroversen hervorruft, ist die Subjektivität der Gnadenmotive und die fehlende rechtliche Normierbarkeit. Nach der verfassungsrechtlichen Konzeption des Begnadigungsrechts soll der Inhaber der Gnadenkompetenz frei sein in seinen Erwägungen. Das Dilemma zeigt sich einerseits in der Bewahrung der Freiheit des über die Gnade Entscheidenden, um das Begnadigungsrecht in seiner besonderen Funktion nicht zu entwerten, und andererseits in dem rechtsstaatlichen Bemühen, das Begnadigungsrecht in eine normativ konkretisierte Form zu fassen, um der Missbrauchsgefahr zu begegnen.

sind.“ Die Nennung Gottes ist anders als in anderen Verfassungssystemen keine invocatio dei sondern eine nominatio dei, vgl. Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Präambel Rn. 18; Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Präambel, Rn. 25 f. 85 Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Präambel, Rn. 28. 86 Dreier, ebenda. 87 Dreier, ebenda. 88 Radbruch, Rechtsphilosophie, hrsg. von Dreier/Paulson, S. 164: „Die Gnade erschöpft sich aber nicht darin, Rechtseinrichtung zu sein. […] Die Gnade hat sich nie darauf beschränkt, Spannungen innerhalb des Rechts auszugleichen, sie bedeutet vielmehr die Anerkennung der Tatsache, dass diese Welt nicht allein eine Welt des Rechts ist nach dem Worte ,Fiat iustitia, pereat mundus‘, dass es neben dem Recht noch andere Werte gibt und dass es nötig werden kann, diesen Werten gegen das Recht zur Geltung zu verhelfen.“

48

C. Die Begnadigung im Recht

1. Bundespräsident Dieses Dilemma muss gleichwohl mit dem Amt des Bundespräsidenten vereinbar sein. Eine Abhängigkeit von personalen Erwägungen mag für die Kompetenz eines Verfassungsorgans zunächst ungewöhnlich sein. Funktionalität der Staatsgewalt und Personenbindung des Begnadigungsaktes scheinen nicht zusammenzupassen. Man muss darin aber weniger einen Widerspruch und mehr ein Spannungsverhältnis annehmen, welches vom Verfassungsgesetzgeber gewollt ist. Auf den Bundespräsidenten bezogen kann man dieses Spannungsverhältnis mit dem Verweis auf sein auf Autorität beruhendes Amtsverständnis auflösen:89 Er hat in erster Linie repräsentative Aufgaben zu erfüllen, bei denen er im Rahmen rationaler Verfahren Momente der personalen Herrschaft bewahren soll.90 Insoweit hat die Bindung an seine Person in seinem Amt ohnehin einen zentralen Platz. Er soll mit seiner Autorität ein Gegengewicht zur funktionalen Staatsgewalt bilden; das gelingt ihm durch eine unmittelbar mit seiner Persönlichkeit verbundenen Profilierung, die ihm eine integrierende Kraft verleiht.91 Alle seine Amtshandlungen sind eng verbunden mit der öffentlichen Akzeptanz seiner Person. Hier ist die verfassungsrechtliche Kompetenzzuweisung, eine auf höchstpersönlichen Erwägungen beruhende Gnadenentscheidung zu treffen, dem Amt angemessen.

2. Landesorgane Bei den Ministerpräsidenten auf Landesebene ist das problematischer. Sie sind in erster Linie für die Regierungstätigkeit politisch und rechtlich verantwortlich, haben sich in ihren Amtshandlungen deutlicher an juristischen und funktionalen Maßstäben zu orientieren. Sie verfügen über mehr Entscheidungs- und Gestaltungsmacht als der Bundespräsident. Entscheidend kommt es jedoch auf die mit dem Amt des Ministerpräsidenten verbundene Doppelrolle an: Einerseits geht es um die Aufgaben des verantwortlichen Regierungschefs, andererseits um die Wahrnehmung repräsentativer Aufgaben eines Staatsoberhauptes. Sind dies nämlich auf Bundesebene zur Vermeidung von Konflikten grundsätzlich getrennte Tätigkeitssphären,92 ist der Ministerpräsident für beides verantwortlich. Ein Staatsoberhaupt existiert von Verfassungs wegen nur auf Bundesebene und ist in den Ländern zumindest ausdrücklich nicht vorgesehen. Teilweise ist das Amt im Hinblick auf die Kompetenzen aber ein ähnliches, insbesondere dann, wenn der Ministerpräsident das Land nach außen vertritt und eine im Vergleich zu den anderen Ministern herausgehobene Stellung 89

Hindrichs, JZ 2008, 242 (244). Hindrichs, ebenda, der seine Argumente allerdings auf das Begnadigungsrecht des Bundespräsidenten beschränkt und das quantitativ bedeutsamere Gnadenrecht auf Landesebene außer Acht lässt. 91 Vgl. Obermayer, BayVBl. 1984, 641 (644). 92 Katz, Politische Verwaltungsführung in den Bundesländern, S. 94 f. 90

VI. Persönliche Entscheidungsfreiheit des Begnadigenden

49

innehat.93 Die Außenvertretung ist ein rechtliches Kriterium; für die Funktion eines Staatsoberhauptes entscheidender ist die protokollarische Rangordnung, nach der dem Ministerpräsidenten in seiner Person die Gesamtrepräsentation des Landes obliegt.94 Verbunden mit dem länderübergreifend bestehenden Vorsitz innerhalb der Landesregierungen und der Aufgabe, die Geschäfte der Landesregierung zu leiten,95 hat der Ministerpräsident eine Leitungsfunktion inne, die zu einer Konzentration auf seine Person führt, insbesondere in der Außenwahrnehmung des Landes. Eben in dieser Position und Funktion liegt die Kompetenz der Begnadigung und knüpft an den für den Bundespräsidenten getroffenen Feststellungen an, dass nämlich auch auf Landesebene jede Gnadenentscheidung abhängig ist von den persönlichen Erwägungen desjenigen, der über den Einzelfall entscheidet.96 Das Begnadigungsrecht wird in der Repräsentationsrolle des jeweiligen Bundeslandes und weniger in der konkreten gesetzlich gebundenen Regierungsverantwortung ausgeübt. Durch das Handeln bei Gnadenentscheidungen im Rahmen eines repräsentativen Vorrechts wird die Person des Ministerpräsidenten deutlich in den Vordergrund gestellt; die funktionale Herrschaft wird durch ein personales Element überlagert. Überlagert wird dadurch auch das Kollegialprinzip bei Kabinettsentscheidungen durch die personale Einzelentscheidung des Ministerpräsidenten. Unzutreffend ist insoweit die Feststellung, bei der Gnadenentscheidung sei „mindestens eine Beratung dieser Angelegenheit im Kabinett erforderlich“97. Hier darf man nicht das Begnadigungsrecht durch das Kollegialprinzip einschränken – es gilt das Umgekehrte: Dem Kollegialprinzip ist durch die verfassungsrechtlichte Entscheidung der Übertragung des Begnadigungsrechts auf ein persönlich auszuübendes Amt eine Grenze gezogen. Es ist Sache des landesrechtlichen Verfassungsgesetzgebers, sich für eine persönliche oder kollegiale Ausübung des Begnadigungsrechts zu entscheiden. Diese Entscheidung kann nicht durch eine „politische Übung“ der kollegialen Beratung übergangen werden.98 Etwas anders ist die Lage in den Ländern, in denen eine solche Vorrangstellung des Ministerpräsidenten nicht besteht und die einem repräsentativen Oberhaupt 93 Vgl. Art 47 der Bayerischen Verfassung; vertiefend Meder, Bayerische Verfassung, Art. 47 Rn. 1 ff. Ähnlich Art. 65 Abs. 1 der Sächsischen Verfassung, vgl. insoweit Degenhart/ Meissner, HdbSächsVerf, § 11 Rn. 48, die wegen der Parallelität der Befugnisse des Bundespräsidenten auf Bundesebene zu denen des Ministerpräsidenten auf Landesebene auch hier von der Stellung eines Staatsoberhauptes sprechen. 94 Vgl. nur Linck/Jutzi/Hopfe, Verfassung Thüringen, Art. 77 Rn. 2. 95 Eine Ausnahme bilden Hamburg und Bremen, vgl. Dauster, Die Stellung des Ministers, S. 149. 96 Vgl. Tettinger, in: Löwer/Tettinger, Verfassung NRW, Art. 59 Rn. 6.; Linck/Jutzi/Hopfe, Verfassung Thüringen, Art. 78 Rn. 9. 97 Katz, Politische Verwaltungsführung in den Bundesländern, S. 97. 98 Vgl. insoweit aber Katz, Politische Verwaltungsführung in den Bundesländern, S. 96 f. Fußn. 7. Vgl. zu den landesrechtlichen Gnadenträgern ausführlich Kap. D. II. 2.

50

C. Die Begnadigung im Recht

gängigerweise übertragenen Aufgaben der Landesregierung als Kollegium zukommen.99 In den Stadtstaaten hat in der Regierungsführung das Kollegialprinzip entscheidende Bedeutung.100 So ist es konsequent, dem Senat als Kollegium die Ausübung des Begnadigungsrechts anzuvertrauen, ungeachtet der durchaus bestehenden herausgehobenen Stellung des Ersten Bürgermeisters,101 Senatspräsidenten oder Regierenden Bürgermeisters. Auswirkungen auf die personale Prägung der Entscheidungsfindung beim Begnadigungsrecht hat das nicht: Hier wird lediglich die Macht des Einzelnen beschränkt und die Entscheidung zum Ergebnis einer Mehrheitserwägung gemacht. An der personalen und ungebundenen Ausprägung der Erwägungen, die Einfluss auf diese Mehrheitsentscheidung haben, ändert sich nichts.

VII. Amtscharismatische Prägung der Begnadigung „Ämter, soziologisch betrachtet also Rollenbeschreibungen, sind […] weder gütig, wohlwollend oder huldvoll noch barmherzig. Dies alles sind rein personale Leistungen.“102 Das Begnadigungsrecht ist aber einem Amt übertragen. Konsequent müsste im Rechtsstaat die Rationalisierung und Systematisierung des Begnadigungsrechts unter einen abstrakten Wertmaßstab erfolgen. Das Problem der freien Willensbildung im Rahmen einer persönlichen Abwägung des Amtsträgers kann man aber auch in einer einzelfallbezogenen, besonderen Bindung von Person und Amt sehen. Sie hat einen einzigen verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt: Dieser liegt in der Entscheidung des Verfassungsgebers, das Begnadigungsrecht als ein Vorrecht für herausgehobene Ämter zu konstituieren und damit in der Systematik des Grundgesetzes und der Landesverfassungen auf eine weitergehende Normierung zu verzichten. Die Integration des Begriffs „Begnadigungsrecht“, „Gnadenrecht“ 99

Das sind vornehmlich die Stadtstaaten, vgl. Art. 81 BerlVerf; Art. 121 Abs. 1 BremVerf; Art. 44 Abs. 1 HambVerf, aber auch NRW: Tettinger, in: Löwer/Tettinger, Verfassung NRW, Art. 51 – 64 Rn. 5, vgl. insoweit Art. 57 Verf NRW, der die Vertretungsbefugnis des Landes nach außen der Landesregierung als Kollegium überträgt. Diese nordrhein-westfälische Sonderregelung ist vor dem Hintergrund der sonstigen Sonderstellung des Ministerpräsidenten merkwürdig, so zutreffend Schümer, Die Stellung des Ministerpräsidenten, S. 78. Vgl. zu den Unterschieden einer kollegialen oder nur vom Ministerpräsidenten auszuübenden Regierungsorganisation und Regierungsverantwortung Schümer, Die Stellung des Ministerpräsidenten, S. 11 ff., 22. 100 Ausführlich Dauster, Die Stellung des Ministers, S. 297 ff. So ist die Außenvertretung in Hamburg und Bremen dem Senat als Kollegium übertragen (Art. 43 S. 1 HambVerf, Art. 118 Abs. 1 Satz 2 BremVerf), in Berlin allerdings – den Flächenstaaten gleich – dem Regierenden Bürgermeister (Art. 58 Abs. 1 Satz 1 BerlVerf). 101 David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Art. 44 Rn. 8; in Hamburg resultiert diese herausgehobene Position aus Art. 34 Abs.1,2 und Art. 42 Abs. 1, 2 HambVerf. 102 Huba, Der Staat 90 (1990), 117 (119).

VII. Amtscharismatische Prägung der Begnadigung

51

und „Gnade“ muss, wenn wir uns die (begriffs-)historische Dimension vor Augen führen, konsequent diese besondere Bindung bedeuten.

1. Abhängigkeit von Amt und Person Die Kompetenz zur Begnadigung ist einem Amt übertragen, kann in ihrer Ausübung aber nicht isoliert von der jeweilig entscheidenden Person gesehen werden und fällt damit aus dem Rahmen des sonst unabhängigen Verhältnisses von Amt und Person heraus. Bildlich gesprochen ist der „Humus“ für die Ausübung von Gnade in einem strafrechtlichen Fall die Moral-, Sitten- und umfassende Werteauffassung des jeweilig (Mit-)Entscheidenden. Die auf diesem „Humus“ wachsenden Entscheidungen hängen in ihrer Anzahl und Tragweite von der Beschaffenheit des „Humus“ ab. Eine entscheidende Rolle spielt der politische Hintergrund, die persönlichen Auffassungen zur Härte des Strafrechts, zur Sinnhaftigkeit und praktischen Ausgestaltung des Strafvollzugs und andere relevante Faktoren. Diese Einflussfaktoren führen zu unterschiedlichen Ausübungsmöglichkeiten des Gnadenrechts. Die einheitliche Beschaffenheit des „Humus“ könnte man nur mit einer Zentralisierung des Gnadenrechts etwa auf Bundesebene erreichen. Aus Gleichheitserwägungen wäre dies zwar begrüßenswert; die föderale Ausgestaltung des Strafvollzugs und die Praktikabilität lassen eine solche Regelung jedoch nicht zu. Ob der Inhaber des Begnadigungsrechts im Einzelfall ein Fahrverbot aufhebt, um den Arbeitsplatzverlust des Verurteilten abzuwenden, oder ob er der mehrfachen Mutter die Freiheitsstrafe erlässt, weil kurz vor Haftantritt – und somit vom erkennenden Gericht nicht berücksichtigt – der für die Kinderbetreuung zuständige Ehemann tödlich verunglückt, all das hängt von den persönlichen Erwägungen desjenigen ab, der über das Begnadigungsrecht zu entscheiden hat. Die Entscheidung über das Gnadengesuch fällt deshalb oft sehr unterschiedlich aus. Die personale Prägung zeigt sich auch in dem unterschiedlichen Eindruck von dem jeweiligen Einzelfall: Ein persönliches Gespräch zwischen Gnadenträger und Verurteiltem kann den nötigen persönlichen Eindruck vervollständigen. Der individuelle Charakter der Begnadigung kann aber gewiss nicht so weit gehen, dass aufgrund einer konsequenten „Menschlichkeit“ der Gnadenentscheidung ein persönliches Gespräch zwischen Gnadensuchendem und Gnadenbevollmächtigtem oder Vollstreckungsrichter stattfinden muss.103 Das wäre weder praktikabel, noch ist aus dem verfassungsrechtlichen Gnadenkonzept ein Zwang zu einem solchen Gespräch abzuleiten. Dem Gnadenträger steht es frei, den persönlichen Kontakt zu dem Verurteilten zu suchen104 – obligatorisch kann das für die Begnadigung nicht sein.

103

Das fordert aber Bartning, ZfStrVo 1961, 33 (47 f.). Vgl. zu dem höchstpersönlichen Eindruck des Bundespräsidenten durch ein Gespräch mit dem Gesuchssteller Pieper, Festschrift für Roman Herzog, 355 (359, Fußn. 33). 104

52

C. Die Begnadigung im Recht

2. Funktionalität und Rationalität staatlicher Willensbildung Üblich ist so eine Bindung von Amt und Person nicht. Die freie Willensbildung innerhalb eines staatlichen Amtes und die rechtlich nicht normierte, personale Abhängigkeit scheinen auf den ersten Blick mit grundsätzlichen rechtsstaatlichen Prinzipien zu kollidieren. Es ist gerade das Ergebnis der rechtshistorischen Entwicklung, dass in Überwindung eines eher irrationalen Verständnisses immer mehr die Rationalität des Denkens, des Handelns und der gesellschaftlichen Institutionen wächst.105 Dabei tritt die staatstheoretische Prämisse in den Vordergrund, dass sich sämtliche hoheitliche Entscheidungen funktionsadäquat an allgemein geltenden Rechtssätzen zu orientieren haben, die unabhängig von der konkreten Ausübung der Entscheidungsperson wirken. Verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für diesen Maßstab ist Art. 20 GG, der ohne eine wörtliche Nennung das Prinzip „Rechtsstaatlichkeit“ enthält.106 Er garantiert die Verlässlichkeit gesetzten Rechts, welches durch das Bestimmtheitsgebot107 inhaltlich klar gefasst und sich in gebundenen Entscheidungen entfaltet, die – und darauf kommt es in unserem Zusammenhang an – unabhängig von der entscheidenden Person gelten. Das ist beim Begnadigungsrecht aufgrund der besonderen Abhängigkeit von Person und Amt und dem besonderen Prozess der Willensbildung und Entscheidungsfindung nicht der Fall. Deshalb stellen sich die grundsätzlichen Fragen, ob es sich beim Begnadigungsrecht um irrationales Recht handelt und ob im Begnadigungsrecht ein letzter Rest charismatischer Herrschaft erhalten geblieben ist. Für beide Fragen ist ein Blick auf Max Webers Lehre geboten.108 Danach ist die Rationalität des Rechts auf Generalisierung der Rechtssätze, Kasuistik in der Rechtsprechung, Bildung von Rechtsinstituten und deren Systematisierung, auf einen Komplex bewusster Entscheidungsmaximen und formal vor allem auf die Rechtssetzung in festgelegten Verfahren ausgerichtet.109 Materiell rational kommt es auf eine Willensbildung mit abstrakt-generellen ethischen und politischen Maximen oder wirtschaftlichen Interessen an.110

105

Raiser, JZ 2008, 853. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 VII Rn. 1, 49; Hofmann, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 57. 107 Ausführlich Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 132 ff.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 VII Rn. 58 ff. 108 Vgl. insbesondere zur Frage der Rationalität des Rechts Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Band II, S. 395 ff., sowie die erhellende Auseinandersetzung mit Webers Thesen bei Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band I, S. 225 ff. 109 Weber, ebenda. Zur Kasuistik und Rationalität des Strafrechts vgl. Weber, ebenda., S. 483. 110 Vgl. Raiser, JZ 2008, 853 (854). 106

VII. Amtscharismatische Prägung der Begnadigung

53

Irrational ist eine materielle Rechtsfindung dann, wenn „ganz konkrete Wertungen des Einzelfalls, seien sie ethische oder gefühlsmäßige oder politische, für die Entscheidung maßgebend sind, nicht aber generelle Normen.“111 Ist nun das Begnadigungsrecht rationales Recht? Besteht ein Rest irrationaler Gnadentätigkeit? Die Gnade als ein weder definierbares, noch in weltliche Formen fassbares „Wunder“112 zu bezeichnen, legt nach teilweise vertretener Auffassung nahe, jegliche Begnadigung als irrational zu bezeichnen: „Gnade ist, was sich nicht definieren lässt. Sie ist ein irrationales, vielleicht überhaupt das irrationale Element in der Rechtspflege.“113 Das Bundesverfassungsgericht hat demgegenüber eindeutig Stellung genommen: „Dadurch, dass die Weimarer Reichsverfassung das Gnadeninstitut übernommen und das Begnadigungsrecht ohne nähere Umschreibung und Normierung auf das demokratische Staatsoberhaupt übertragen hat, musste allerdings das irrationale Element entfallen, das in einer modernen demokratischen Gesellschaft keinen Platz haben kann.“114 In der Tat: Die gesetzespositive Integration des Begnadigungsrechts in die Verfassung ist ein völlig rationaler, zu Verfassungsrecht erhobener Vorgang. „Wenn das normative Einverständnis die Form einer rechtlich sanktionierten Vereinbarung annimmt, begründet allein die Prozedur seines Zustandekommens die Vermutung, dass es rational motiviert ist.“115 Diese Rationalität beruht also auf der Legitimität des Parlamentes und einem rechtlich geordneten Rechtsbildungsverfahren116, welches eine bestimmte Aufgabe mit der institutionellen Ausgestaltung einer hoheitlichen Stelle verknüpft. Die Kompetenz zur Begnadigung ist durch einen Rechtssetzungsakt zustande gekommen und damit Begnadigungsrecht. Seine verfassungsrechtliche Integration kann jederzeit durch einen Rechtssetzungsakt geändert oder wieder abgeschafft werden. Dennoch ist die Unterscheidung zwischen rationalen und irrationalen Elementen nicht so einfach. Eine Vielzahl von juristischen Entscheidungen entstehen nicht frei von emotionalen Elementen – ein durchaus positiver Beitrag zur Rechtsfindung.117 111

Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Band II, S. 396. Weber fasst hier seine an anderer Stelle (Wirtschaft und Gesellschaft, Band I, S. 12 f.) ausgeführte Unterscheidung in Zweck- und Wertrationalität zusammen, vgl. die Analyse von Raiser, JZ 2008, 853 (854). 112 Hattenhauer, ZStW 1966, 184 (196): „Das Wunder ist der Weg, auf dem die Begnadigung in das weltliche Recht einzieht.“; ferner Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 2007, 742 ff. 113 Bartning, ZfStrVo 1961, 33. 114 BVerfGE 25, 352 (359 f.). 115 Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band I, S. 347, wobei er später (S. 358 ff.) diese „Legitimität durch Verfahren“ kritisiert und festhält: „[…] die auf positiver Satzung allein beruhende Legalität kann eine zugrunde liegende Legitimität anzeigen, aber nicht ersetzen.“ (S. 361, Hervorhebungen im Original). Diese Grundsatzdiskussion kann an dieser Stelle nicht ausführlich dargestellt werden. 116 Raiser, JZ 2008, 853 (857) mit Bezug auf Niklas Luhmann. 117 Raiser, JZ 2008, 853 (858).

54

C. Die Begnadigung im Recht

Die Irrationalität ist im Rechtsstaat problematisch, während sie in vielen anderen Bereichen des Verfassungsstaates, insbesondere in der vom Bundesverfassungsgericht genannten „demokratischen Gesellschaft“, ein Charakteristikum ist.118 Entscheidungen und Erwägungen dürfen auch im modernen Verfassungsstaat aus emotionalen und irrationalen Motiven heraus entstehen.119 In unserem Zusammenhang lautet die Frage aber, ob die Aufhebung oder Änderung einer Rechtsentscheidung im Gnadenwege aus irrationalen Gründen geschehen darf. Das Begnadigungsrecht an sich ist rationales Recht – die dahinter stehenden Erwägungen entziehen sich jedoch einer rechtsstaatlichen Einordnung, weil dem Gnadenträger keine rechtlich subsumierbaren, abstrakten Grundsätze zur Verfügung stehen und eine kasuistische, gleichheitsrelevante Begründung nicht stattfindet. Der Begnadigungsakt zerfällt also in den eigentlichen Rechtsakt nach außen und den Willensbildungsprozess nach innen. Die nicht überprüfbare, an persönliche Einschätzungen gebundene Willensbildung ruft die meiste Kritik hervor, macht das Begnadigungsrecht aber noch nicht irrational: Die Erwägungen für eine Gnadenentscheidung sind zwar von den personalen Erwägungen des Entscheidungsträgers abhängig. Solange diese Erwägungen aber nachvollziehbar (intern) begründet werden können, genügen die aus ihnen abgeleiteten Begnadigungsentscheidungen dem gebotenen Anspruch an Rationalität. Das folgende Beispiel mag das verdeutlichen: Einen Straftäter nach 10 Jahren Haft wegen einer schweren Erkrankung und seiner Reue hinsichtlich der begangenen Straftaten zu begnadigen oder ihn im Hinblick auf die noch verbleibende Haftzeit von weiteren 5 Jahren nicht zu begnadigen, weil die medizinische Versorgungslage in der Haftanstalt eine Behandlung zulässt und man die begangenen Straftaten für so schwerwiegend hält, dass man keine Gründe für eine gnadenweise Strafrestaussetzung erkennen kann, erfüllt in beiden Fällen einen rationalen Anspruch. Die Nachvollziehbarkeit einer jeden Gnadenentscheidung bleibt wegen der fehlenden (externen) Begründung zwar unkonkret; aber in die eine oder andere Richtung ist sie doch möglich.

3. Der Begriff Charisma bei Max Weber Wenn man für die Untersuchung der Willensbildung und einem daraus resultierenden Amtsverständnis des Begnadigenden nun Max Webers Kategorien erneut bemüht, drängt sich die Frage nach einem letzten Rest charismatischer Herrschaft, zumindest einem gewichtigen charismatischen Element auf. Der Begriff Charisma, der etymologisch aus dem Griechischen stammt und „Gnadengabe“, „aus Wohl118

Merten, Rechtsstaatlichkeit und Gnade, S. 67 f. In sämtlicher hoheitlicher Tätigkeit können irrationale Erwägungen Einfluss auf die Willensbildung haben, so zutreffend Kanzleiter, Die Begnadigung unter besonderer Berücksichtigung des Steuerstrafrechts, S. 56. Merten, ebenda, bezieht sich darüber hinaus auf die Wahlentscheidungen des Volkes: „[Hier] wird die gefühlsmäßige Willensbildung nicht nur in Kauf genommen, sondern bewusst gefördert.“ 119

VII. Amtscharismatische Prägung der Begnadigung

55

wollen gespendete Gnade“ bedeutet, ist ein Begriff für die außergewöhnliche individuelle Ausstrahlungskraft erfolgreicher Führungspersönlichkeiten.120 Die religionshistorisch zentrale Bedeutung des Begriffs der Gnadengabe entwickelte Weber zu seiner säkularisierenden und generalisierenden Charismadefinition.121 Als charismatische Herrschaft wird diejenige Führung bezeichnet, bei der keine abstrakten Rechtssätze und keine daran orientierte rationale Rechtsfindung, sondern aktuelle Rechtsschöpfungen oder Entscheidungen von Fall zu Fall die Grundlage bilden, nach Weber spezifisch irrational im Sinne einer Regelfremdheit.122 Mit dem biblisch anmutenden Satz „es steht geschrieben, ich aber sage euch“123 wird die Abgehobenheit und Unabhängigkeit von kategorisierten, rationalen Rechtssätzen deutlich. Bei einer solchen Herrschaft kommt es auf die Qualität einer bestimmten Persönlichkeit an, „um derentwillen sie [gemeint ist die Persönlichkeit] als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem andern zugänglichen Kräften oder Eigenschaften (begabt) oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als ,Führer‘ gewertet wird“124. Das Charisma wird als eine Gegenkraft zur Ordnung verstanden, als eine durch die Macht des Außeralltäglichen kommende Antistruktur.125 Charismatische Fähigkeiten sind auch bei einer weithin bestehenden Bürokratisierung und Funktionalisierung des Rechts und der Herrschaft höchst wichtige Elemente der sozialen Struktur,126 im demokratischen Rechtsstaat vor allem als Elemente der Kommunikation.

4. Amtscharisma Nun bleibt es aber dabei, dass im heutigen Verfassungsrecht nicht eine Person aufgrund der oben genannten Fähigkeiten die Kompetenz zur Begnadigung hat, sondern eine enge Bindung an das Amt besteht. Die charismatische Prägung liegt also in der Begnadigungsausübung als Staatsakt – wobei das eigentlich Charismatische in der Willensbildung und Entscheidungsfindung desjenigen liegt, der über die Begnadigung entscheidet. Insoweit ist die Aussage zutreffend, Art. 60 Abs. 2 GG 120 Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, S. 122. Zur Unterscheidung des Wissenschaftsbegriffs „Charisma“ und seiner alltäglichen Verwendung Hatscher, Charisma und Res Publica, S. 19 ff. 121 Wehler, in: Anter/Breuer, Max Webers Herrschaftssoziologie, S. 175 (176). 122 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Band I, S. 141. 123 Weber, ebenda. sowie Band II, S. 657. 124 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Band I, S. 141. Der Begriff „Führer“ wurde ein Jahrzehnt nach Webers Ausführungen zum problematischen Begriff; zur Übertragung des Charismakonzeptes auf den nationalsozialistischen Führerstaat Adolf Hitlers vgl. Wehler, in: Anter/Breuer, Max Webers Herrschaftssoziologie, S. 175 (177 ff., 181 ff.); zur daraus resultierenden Sorge im wissenschaftlichen Umgang mit Max Webers Charismabegriff andeutend Bienfait, in: Stachura/Bienfait/Albert/Sigmund, Der Sinn der Institutionen, S. 287 (289 f.). 125 Breuer, Bürokratie und Charisma, S. 189. 126 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Band II, S. 679.

56

C. Die Begnadigung im Recht

und die entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Regelungen schaffen keine Kompetenz, durch die „eine mit einem bestimmten Charisma begabte Persönlichkeit nach Gutdünken einen justizfreien Hoheitsakt setzen [kann].“127 Es geht nicht um die Kompetenz des Gnadenträgers als eine mit einem besonderen Charisma begabte Person,128 sondern die dem Amt übertragene Kompetenz zu begnadigen ist in ihrer Entscheidungsfindung und schließlichen Ausübung charismatisch. Um im Begriffsverständnis Max Webers zu bleiben, kann man von einer Versachlichung des Charisma sprechen, wenn es nicht mehr an eine konkrete Person, „sondern an den Inhaber eines Amts oder an ein institutionelles Gebilde ohne Ansehen der Person geknüpft ist“129. Legalisiert, rationalisiert und intellektualisiert130 wird das Charisma, weil es statt einer Qualifikation kraft Abstammung auf eine Qualifikation kraft Eigenleistung ankommt.131 Damit wird das Charisma in ein rechtsstaatliches Korsett gezwängt, ohne die begrifflichen Grundsätze zu entwerten. Mit der Personalisierung der politischen Institution wird dem Charisma „eine versachlichte oder rational gebändigte Form“132 gegeben. Es liegt nicht in einer bestimmten Person, sondern in der Bindung dieser Person an ein institutionelles Ethos133 und einer daraus erwachsenden Verantwortungsübernahme. Darin kann eine Chance zur Verstärkung der Legitimität des Amtes liegen. Der Amtsträger ist nicht gänzlich frei, sondern an die entsprechende institutionelle Rolle gebunden: „Im charismatischen Amt wird das personale Charisma des Amtsinhabers durch die mit dem Amt verbundenen rechtlichen und institutionellen Vorgaben, durch den komplementären ,Amtsethos‘, beschränkt und begrenzt.“134 Ein solches Konzept gelingt also nur mit einer normativen Perspektive: Es bedarf einer sanktionsbewehrten Bindung. Ohne eine Sanktion und Kontrollnorm kann diese Begrenzung nicht sichergestellt werden.135

127 Hömig, DVBl. 2007, 1328 (1329) mit Bezug auf die vier dissentierenden Richter in BVerfGE 25, 352 (359). 128 Dagegen wendet sich BVerfGE 25, 352 (363). 129 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Band II, S. 671. Vgl. auch Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Band I, S. 142 ff. sowie Band II, S. 674: „Denn hier liegt der Übergang zu jener eigentümlichen institutionellen Wendung des Charisma: seine Anhaftung an ein soziales Gebilde als solches, als Folge der an die Stelle des charismatischen persönlichen Offenbarungsund Heldenglaubens tretenden Herrschaft der Dauergebilde und Traditionen.“ 130 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Band I, S. 142 f. 131 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Band I, S. 147. 132 Bienfait, in: Stachura/Bienfait/Albert/Sigmund, Der Sinn der Institutionen, S. 287 (288). 133 Bienfait, ebenda. 134 Bienfait, in: Stachura/Bienfait/Albert/Sigmund, Der Sinn der Institutionen, S. 287 (289 f.). 135 Ausführlicher Bienfait, in: Stachura/Bienfait/Albert/Sigmund, Der Sinn der Institutionen, S. 287 (301).

VII. Amtscharismatische Prägung der Begnadigung

57

5. Amtscharismatische Prägung der Begnadigung Genau in dieses amtscharismatische Verständnis ist das Begnadigungsrecht einzuordnen. Zur Sicherung seines legitimatorischen Standortes im Rechtsstaat (mit all den aufgezeigten Merkmalen) muss die Begnadigung immer mit einer personal geprägten Amtsausübung verbunden bleiben. In der Übertragung des Begnadigungsrechts an ein Amt liegt eine stabile institutionelle Verankerung der Notwendigkeit eines mildernden Korrektivs gegenüber dem strikten Recht, das sich juristisch fassbaren Kategorien entzieht und auf eine personale Ausübung angewiesen ist. Das Begnadigungsrecht ist formal rechtsrationalisiert – materiell ist es durch charismatische Erwägungen gespeist. Dabei ist die Kompetenzzuweisung zum jeweiligen Staatsoberhaupt der Beleg für die Bindung von Person und Amt. Das Begnadigungsrecht soll auf dieser höchsten Ebene staatsleitende Funktion haben und als ein Vor- und Ehrenrecht verstanden werden. Staatspolitisch tragende Ämter haben in ihrer Besetzung somit wesensmäßig eine amtscharismatische Komponente. Das Begnadigungsrecht wird funktionsadäquat einem Amt anvertraut, dessen Ausübung in einer Gnadensache personal geprägt ist und eine staatsleitende Aufgabe übernimmt. Das darin liegende Wagnis des Verfassungsgesetzgebers, von striktem Recht im Einzelfall durch Milde zu dispensieren, wird abgesichert durch das Vertrauen in die politische Verantwortlichkeit der Verfassungsorgane, denen man das Begnadigungsrecht überantwortete.136 Diese politische Verantwortlichkeit ist gemeinsam mit der grundsätzlichen Bindung an die Verfassung, insbesondere die Grundrechte im Begriffsverständnis Webers die sanktionsbewehrte Bindung des Amtscharismas. Die persönliche Prägung steht bei anderen erheblichen Entscheidungen hinter den gesetzlichen Bestimmungen zurück. Die Amtsentscheidungen eines Bundespräsidenten oder eines Ministerpräsidenten haben sich im Rahmen des Rechts zu bewegen. Umso mehr wird der korrelative Bezug zur Begnadigung deutlich, zu deren Entscheidung sich der Amtsträger zwar nicht außerhalb dieses Rahmens bewegen kann, der Rahmen aber insoweit sehr viel weiter gefasst ist als bei anderen Amtshandlungen, als er den persönlichen Auffassungen und Wertvorstellungen des Amtsträgers Raum lässt. Die Gnadenentschließung hat dadurch eine weitaus größere persönliche Prägung. Sie ist eine Gestaltungsmacht besonderer Art, die nicht den üblichen Beschränkungen unterliegt. Bei der noch zu behandelnden Delegation der Begnadigungskompetenz ist zu fragen, durch welche Vorkehrungen und Grenzen diese amtscharismatische Prägung erhalten bleiben kann (ausführlich in Kap. D.).

136

Vgl. zur politischen Verantwortlichkeit BVerfGE 25, 352 (363).

58

C. Die Begnadigung im Recht

VIII. Normative Eingrenzung des Begnadigungsrechts? Vielfach aufgeworfen wurde die Frage, ob eine normative Eingrenzung des Begnadigungsrechts notwendig und sinnvoll sein könnte. Wie bereits aufgezeigt wurde, ist die Entscheidungsfreiheit aber wesentliches Strukturmerkmal des Begnadigungsrechts. Um im Folgenden das Verhältnis zum gesetzten Recht zu verdeutlichen, wird zunächst auf den Grundsatz des Vorrangs jeder gesetzmäßigen Entscheidung eingegangen (Abschn. 1), anschließend auf die Möglichkeiten einer Verrechtlichung der Begnadigung an sich (Abschn. 2) und schließlich auf die Frage der Justitiabilität von ablehnenden Begnadigungsentscheidungen (Abschn. 3). Letzterer Aspekt ist bei einem späteren Widerruf von positiven Begnadigungsentscheidungen differenzierter zu beantworten (Abschn. 4). Die fehlende rechtliche Determinierung des Begnadigungsrechts und die daraus resultierenden Auswirkungen lassen sich durch eine Unterscheidung von Maßstabsnorm und Kontrollnorm besonders deutlich machen (Abschn. 5).

1. Vorrang von gesetzten Normen Untersucht man das Begnadigungsrecht für Straftäter, ist ein Blick auf die gesetzlich normierten Instrumente notwendig, in denen unabhängig von einem Gnadenverfahren bereits durch die judikative Gewalt die der Gnade immanenten Erwägungen berücksichtigt werden können. Bereits die historische Untersuchung der Gnade hat gezeigt, dass die Abweichungen vom normativen Regelfall nicht erst in einer gnadenweisen Strafmilderung, sondern bereits in entsprechenden Milderungsvorschriften und Härtefallklauseln gesetzlich vertypt sind.137 Es lässt sich seit Bestehen des Grundgesetzes eine kontinuierlich gewachsene „gesetzliche Positivierung ehemaliger Gnadenkompetenzen“ feststellen.138 Die Funktionen, die in früheren Zeiten das Begnadigungsrecht allein erfüllte, werden nunmehr durch Normen des Straf(prozess)- und Sanktionenrechts erfüllt. Wenn das Ziel einer Begnadigung auch auf gesetzlichem Wege erreicht werden kann, gilt letzterem immer der Vorrang. Das ergibt sich schon aus der Anwendung der Begnadigung als rein atypisches Korrektiv. Das Atypische führt dazu, dass zunächst die typischen, normorientierten Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen und erst dann, sollten besondere Gründe im Einzelfall vorliegen, das Handlungsfeld der Begnadigung eröffnet ist. Die Begnadigung erfolgt diesbezüglich immer im Recht – der gemeinhin bekannte Satz „Gnade vor Recht“139 muss also in diesem Zusammenhang richtigerweise „Gnade im Recht“ heißen. Die Begnadigung ist dem Recht 137 138 139

ckers.

Vgl. Rüping, Festschrift für Friedrich Schaffstein, 31 (32 f.). Maurer, Das Begnadigungsrecht im modernen Verfassungs- und Kriminalrecht, S. 97. Vgl. den in der Einleitung zitierten Auszug aus der Antrittsrede Richard von Weizsä-

VIII. Normative Eingrenzung des Begnadigungsrechts?

59

nicht in einer übergeordneten Sphäre vorgeschaltet, sondern ist als Institut Bestandteil im Rechtssystem. Hinsichtlich des Vorrangs der gesetzlichen Entscheidung hilft ein Blick auf die Vorschriften, die bereits gesetzlich Vergünstigungen vorsehen. Sie finden sich in zahlreichen sanktionsrechtlichen Normen. Erst wenn diese rechtlichen Möglichkeiten erschöpft sind oder versagen, kommt der Gnadenweg in Betracht.140 a) Strafaussetzung zur Bewährung Dabei kommt es vor allem auf die vollstreckungsrechtliche Strafaussetzung zur Bewährung (§§ 56 ff. StGB) an. Die Entstehungsgeschichte dieser Normen hat ihren Ursprung im Begnadigungsrecht: Bis zur materiellrechtlichen Regelung der Strafaussetzung im 3. StRÄndG war dafür der Gnadenweg das einzige Mittel.141 Bei Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren soll die Aussetzung zur Bewährung ein Sanktionsmittel eigener Art sein, keine materiellrechtliche Begnadigung, sondern die Möglichkeit für das erkennende Gericht, bei der Strafzumessung dem Resozialisierungsgedanken besondere Bedeutung zu geben.142 Die §§ 57 ff. StGB nehmen den Begnadigungsgedanken noch stärker in das materielle Recht mit auf: Hier geht es um die gesetzliche Möglichkeit, bei einer bereits vollstreckten Freiheitsstrafe den Rest der Strafe zu Bewährung auszusetzen. Dabei ist zwischen der Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger (§ 57 StGB) und bei lebenslanger (§ 57a StGB) Freiheitsstrafe zu unterscheiden. In beiden Normen sind dafür feste, subsumierbare Voraussetzungen geschaffen worden, die von der erkennenden Strafvollstreckungskammer geprüft werden.143 Anders als im Begnadigungsverfahren hat der Verurteilte hier im Rahmen eines gerichtlichen, überprüfbaren, normierten Verfahrens die Möglichkeit, auf Bewährung in Freiheit zu gelangen. Insbesondere die Regelung des § 57a StGB, die sich auf die lebenslange Freiheitsstrafe bezieht, war nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur lebenslangen Freiheitsstrafe nötig geworden: Danach ist es ein Gebot der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG, dass jeder zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte die Perspektive haben muss, wieder in Freiheit zu gelangen.144 Dafür bedürfe es eines gesetzlichen Verfahrens; das Begnadigungsrecht reiche nicht aus.145 140

Ausführlich Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 36 ff. Hubrach, in: Leipziger Kommentar zum StGB, Vor § 56 Rn. 2 ff.; vgl. auch Warnecke, Die Probleme der Begnadigung „Lebenslänglicher“ und des § 57a StGB sowie deren Ursachen, S. 38 ff. 142 Hubrach, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 56 Rn. 1. 143 Ausführlich Hubrach, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 57 Rn. 6 ff., § 57a Rn. 6 ff. Eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis des § 57a StGB und der Begnadigung findet sich bei Warnecke, Die Probleme der Begnadigung „Lebenslänglicher“ und des § 57a StGB sowie deren Ursachen, S. 117 ff. 144 BVerfGE 45, 187 (245). 145 BVerfGE 45, 187 (246). 141

60

C. Die Begnadigung im Recht

§ 57a StGB eröffnet dem zur lebenslangen Freiheitsstrafe Verurteilten die konkrete und grundsätzlich realisierbare Chance, seine Freiheit zu einem späteren Zeitpunkt wiederzuerlangen, wenn die in § 57a Abs. 1 StGB aufgeführten Voraussetzungen vorliegen.146 b) Öffentlichkeitswirksame Fälle der RAF-Terroristen Sind die Strafgnadenfälle auf Bundesebene auch quantitativ unbedeutend, so sind sie wegen ihrer politischen Bedeutsamkeit „gewichtig und publizitätsträchtig“147. Das hat in der Öffentlichkeit bei den Fällen der RAF148-Terroristen zu lebhaften Diskussionen geführt, an denen das Nebeneinander der normativen und der gnadenweisen Erlangung von Freiheit deutlich wird. Während für einige Verurteilte im Wege der Reststrafenaussetzung in einem Verfahren nach § 57a StGB entschieden wurde, dass eine Aussetzung des Strafrestes unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden könne (§ 57a I Nr. 3 iVm § 57 I Nr. 2 StGB) und die Verurteilten unter strengen, für teilweise fünf Jahre geltenden Bewährungsauflagen aus der Haft entlassen wurden, stellte im Fall des Christian Klar das OLG Stuttgart bereits im Februar 1998 fest, dass die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe bis zur Verbüßung von 26 Jahren geboten sei.149 Es folgte ein im Jahre 2003 dem damaligen Bundespräsidenten Rau vorgelegtes Gnadengesuch, das erst im Mai 2007 von Bundespräsident Köhler nach umfangreichen Ermittlungen150 abgelehnt wurde.151 Zum Zeitpunkt des ersten Gnadengesuchs im Jahre 2003 wäre ein Verfahren nach § 57a StGB zur vorzeitigen Strafrestaussetzung nicht möglich gewesen, da die erwähnte OLG-Entscheidung entgegenstand. Erst Anfang des Jahres 2009 kam im Fall Klar eine Strafrestaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe in Betracht, die nach Prüfung der in § 57a StGB festgelegten Voraus146 Hubrach, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 57a Rn. 1. Vgl. zu den gesetzlichen Möglichkeiten in der Urteilsfindung, bereits bei der Strafzumessung die lebenslange Freiheitsstrafe zu verkürzen, Warnecke, Die Probleme der Begnadigung „Lebenslänglicher“ und des § 57a StGB sowie deren Ursachen, S. 146 ff. 147 Schlaich, Handbuch des Staatsrechts Band II (2. Aufl.), § 49 Rn. 10. 148 RAF – Rote Armee Fraktion. Zur Namensgebung vgl. Aust, Der Baader-MeinhofKomplex, S. 160 f. 149 Schall, Festschrift für Rolf-Dietrich Herzberg, 899 (904). 150 Vgl. Pieper, Festschrift für Roman Herzog, 355 (367, Fußn. 80). 151 Dabei soll Köhlers Eindruck bei einem persönlichen Gespräch mit dem Verurteilten eine entscheidende Rolle gespielt haben. Da über das bereits 2003 freilich unsubstantiiert vorliegende Gnadengesuch Christian Klars erst nach so langer Zeit entschieden wurde, ist aus rechtsstaatlicher Sicht ein einigermaßen faires Verfahren zweifelhaft, vgl. zur Verfahrensdauer im Gnadenverfahren nur Hömig, DVBl. 2007, 1328 (1334 f.) und die Ausführungen in Kap. D. III. 4. a) bb); Warnecke, Die Probleme der Begnadigung „Lebenslänglicher“, S. 31 ff. Vielleicht wollte Bundespräsident Johannes Rau auch aus taktischen, politischen Gründen nicht mehr entscheiden, hatte er doch 2002 Adelheid Schulz (nach 16 Jahren Haft und 4 Jahren Haftverschonung wegen Krankheit) und 2003 Rolf Clemens Wagner (nach 24 Jahren Haft) begnadigt. Diese Fälle erregten keine sonderliche öffentliche Aufmerksamkeit, weil hier schwere Krankheiten oder glaubhafte Reuebekundungen vorlagen.

VIII. Normative Eingrenzung des Begnadigungsrechts?

61

setzungen als verantwortbar erachtet wurde und den Verurteilten in einer judikativen Prognoseentscheidung mit Bewährungsauflagen in die Freiheit entließ. Darin lag eine an gesetzlichen Tatbeständen orientierte Entscheidung. Mit einer Begnadigung hatte dies entgegen der teilweise heftigen medialen Reaktionen nichts zu tun.152 c) Zwischenergebnis In dem Zeitraum von der Entscheidung bezüglich der Dauer der Restfreiheitsstrafe bis zum Ablauf der festgestellten Frist kommt für den Verurteilten nur ein Gnadenverfahren in Frage, um eine vorzeitige Haftentlassung zu erreichen. Selbst wenn erst nach der Entscheidung über die Reststrafe neue, für das Gericht im Verfahren nicht erkennbare Umstände auftreten, ist der Verurteilte einzig auf ein Gnadenverfahren angewiesen. Ebenso hat der Verurteilte zu einem früheren Zeitpunkt – bei zeitigen Freiheitsstrafen also vor zwei Dritteln der verhängten Strafe (§ 57 Abs. 1 Nr. 1 StGB), bei der lebenslangen Freiheitsstrafe vor 15 Jahren Verbüßung der Strafe (§ 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB) – nur die Möglichkeit einer Begnadigung. Durch die vorgestellten Rechtsnormen der Strafaussetzung ist das Prinzip der Gnade und der Milde in die Rechtsordnung auch einfachgesetzlich integriert worden. Wenn diese gesetzlichen Möglichkeiten versagen, kommt erst nachrangig die Begnadigung in Betracht. Je mehr der Gesetzgeber Möglichkeiten schafft, die Überprüfung von Strafurteilen aus Gründen der Milde im Rahmen von Gerichtsentscheidungen zu leisten – insbesondere in Vollzugssachen ist das immer verstärkter der Fall –, desto kleiner wird der Anwendungsbereich des Begnadigungsrechts. Gleichzeitig besteht die Gefahr einer Entwicklung des Begnadigungsrechts zu einem außerordentlichen Rechtsbehelf gegen ablehnende Entscheidungen der Strafvollzugsgerichte.153 Eine solche Praxis wäre durch den weiten Anwendungsbereich des Begnadigungsrechts zulässig; es stellt sich mehr die verfassungspolitische Frage, ob bei einer weitgehenden Verrechtlichung noch ein sinnvolles Anwendungsgebiet des Begnadigungsrechts verbliebe.154

152 Letztlich mag man für die Bewertung des Einzelfalles (nur die besondere öffentliche Aufmerksamkeit dieses Einzelfalles veranlasst zu einer Stellungnahme) berücksichtigen, dass sich der Verurteilte Klar bereits während eines Interviews im Jahre 2001 in einem Zustand deutlichen Persönlichkeitsverfalls befand, der sich, wenn er auf die lange Haftzeit zurückzuführen wäre, an der Grenze der zulässigen staatlichen Übelszufügung bewegen dürfte. Vgl. hierzu auch Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 2007, 742. Ferner ist bei allen terroristischen Straftaten der RAF zu berücksichtigen, dass bei einer Begnadigung die Täter von der besonderen Institution eines Rechtsstaates profitieren, dessen Bekämpfung das Hauptziel ihrer Verbrechen war. Hier liegt im Gegensatz zu den unpolitischen Verbrechen die besondere Brisanz. 153 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 36. 154 Herzog, ebenda.

62

C. Die Begnadigung im Recht

2. Verrechtlichung der Begnadigung? Hinsichtlich einer Verrechtlichung der Begnadigung muss man zwei Aspekte unterscheiden: Zum einen geht es um die vermehrte Berücksichtigung von täterbezogenen und anderen Merkmalen im Rahmen gesetzlicher Vorschriften, die eine angemessene Reaktion des erkennenden Gerichts auf den Einzelfall zulassen und frühere der Gnadeninstanz zugedachte Fälle auf gesetzlichem Wege regeln.155 Das immer mehr auf eine Resozialisierung ausgerichtete Strafprozess-, Sanktionen- und Strafvollzugsrecht lässt in verschiedenen Normen die Motive der Gnade erkennen: Schuldangemessene Bestrafung, Täter-Opfer-Ausgleich, Berücksichtigung eines Geständnisses und Berücksichtigung von Reue innerhalb der Strafzumessung zeigen in gesetzlicher Form eine Art von Milde und eine Flexibilität bei den Rechtsfolgen mit Rücksicht auf Einzelfälle. Darin ist das Bestreben des Gesetzgebers zu erkennen, durch umfassendere Gesetze und einer vermehrten Eigenständigkeit der Gerichte eine Rechtspositivierung von einstmals nur dem Begnadigungsrecht zugewiesenen Fällen zu erreichen.156 Dem Gesetzgeber war klar, dass der Bereich der Bewährungsstrafen und Vollstreckungsmilderungen nicht allein durch das Begnadigungsrecht geregelt werden konnte.157 Andererseits geht es um die Verrechtlichung der Begnadigung an sich, also die Frage, inwieweit man das Begnadigungsrecht als Institut in Rechtsformen fassen und somit die Instanz der Gnade abschaffen oder zumindest rechtlich kategorisieren könnte. So wird eine strikte Rationalisierung des Begnadigungsrechts gefordert: Es könne nicht Wille des Verfassungsgesetzgebers sein, Ausnahmen von den in Art. 20 GG festgelegten Grundsätzen zuzulassen.158 Zudem sei ein rational nicht begründbarer Gnadenakt eine gegen Art. 3 GG verstoßende Willkür. All diese Argumente haben rein rechtspolitischen Charakter. De constitutione lata ist zu akzeptieren, dass das Konzept des Rechtsstaats, dessen Minimalanforderung die gleiche Behandlung gleicher Sachverhalte gebietet, durch die Möglichkeit der Begnadigung im Einzelfall vielleicht nicht gesprengt,159 eher modifiziert wird. Die durch die fehlende Kontrolle verursachte Spannung ist vom Verfassungsgesetzgeber gewollt und konsequent zu beachten. Es steht ihm jederzeit frei, durch eine Verfassungsänderung des Art. 60 Abs. 2 GG und durch dem folgenden landesrechtlichen Verfassungsänderungen diese Rechtslage zu ändern, wofür es aber immer nur dann gewichtige Stimmen gibt, wenn eine unpopuläre Gnadenentscheidung medial instrumentalisiert wird.160 Dabei fällt auf, dass in der rechtswissenschaftlichen Aus155 Vgl. für einen Überblick Maurer, Das Begnadigungsrecht im modernen Verfassungsund Kriminalrecht, S. 97 ff. 156 s. bereits oben zum Vorrang der gesetzmäßigen Entscheidung Abschn. VIII.1. 157 Maurer, Das Begnadigungsrecht im modernen Verfassungs- und Kriminalrecht, S. 178 f. 158 Geerds, Gnade, Recht und Kriminalpolitik, S. 34. 159 Strasser, Dunkle Gnade, S. 20. 160 Vgl. zutreffend Pieper, Festschrift für Roman Herzog, 355 (371), der eine solche gesetzgeberische Änderung im Gegensatz zu allen Diskussionen „verfassungsehrlicher“ nennt.

VIII. Normative Eingrenzung des Begnadigungsrechts?

63

einandersetzung zu häufig verfassungspolitische und verfassungsrechtliche Argumente vermischt werden.161 Würde man die Begnadigung streng verrechtlichen, sie in normative Strukturen zwängen und eine Justitiabilität folgerichtig bejahen, wäre die Rechtsordnung um eine Dimension ärmer.162 Man würde sich von dem Institut der Begnadigung verabschieden. Befürworter eines solchen Schrittes scheinen mit einer solchen Forderung vor allem Missbrauchsbedenken Rechnung tragen zu wollen. Doch die Gefahr des Missbrauchs ist in vielen anderen Zusammenhängen des Rechtsstaates ebenfalls gegeben und trägt nicht als Argument für eine gesetzliche Reglementierung der Begnadigung. Die Begnadigung in feste Strukturen zu zwängen, sie einer bestimmten, systematischen Funktion zuzuordnen, überfordert die Rechtswissenschaft. Deren grundsätzlicher Auftrag zur Systematisierung bleibt zwar unbestritten,163 allerdings nicht zulasten der Annahme einer verfassungsrechtlichen Institution in ihrer besonderen Eigenart.

3. Justitiabilität von ablehnenden Begnadigungsentscheidungen Dem Problem der Justitiabilität von Gnadenakten – eine der meistbehandelten Themen auf dem Gebiet des Begnadigungsrechts164 – liegt ein staatspolitischer Konflikt zugrunde: Es stehen sich einerseits die Furcht vor einer willkürlichen, selbstherrlichen, keiner justitiellen Kontrolle unterworfenen Staatsmacht und andererseits die Sorge, ein übermäßiger Rechtsschutz beeinträchtige die Staatsautorität, gegenüber.165 Dabei geht es um die Frage, ob abgelehnte Gnadengesuche von einem Gericht noch einmal überprüft werden können. Für die Beantwortung ist die Einordnung in das Recht das zentrale Thema. Die Debatte leidet oftmals unter der nicht näher

Für eine Abschaffung des Instituts der Begnadigung plädieren Waldhoff/Grefrath, in: Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 60 Rn. 21 ff. 161 Vgl. zutreffend Hömig, DVBl. 2007, 1328. Waldhoff/Grefrath, ebenda. nennen ihre Forderung zutreffend eine „rechtspolitische“ und halten die Kategorie der Gnade im Rechtsstaat für entbehrlich, weil sie in zahlreichen Instrumentarien der (Straf-)Rechtsordnung enthalten sei und kein Anwendungsbereich mehr bestehe. Eine Lösung für die Sachverhaltskonstellationen, in denen diese Instrumentarien eben nicht mehr greifen (siehe oben), bieten die Autoren nicht. 162 Vgl. Flor, Evangelische Kommentare, 31 (32). 163 Vgl. Stettner, in: Bonner Kommentar, Art. 17 Rn. 39. 164 Die Justitiabilität von Gnadenentscheidungen war und ist das meistbeachtete Thema der Rechtswissenschaft im Zusammenhang mit dem Begnadigungsrecht. Vgl. nur Hömig, DVBl. 2007, 1328 (1329 ff.). Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Rn. 80 nennt das Problem „rechtsdogmatisch ausgeschrieben“. 165 Vgl. Obermayer, Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt, S. 89.

64

C. Die Begnadigung im Recht

begründeten petitio principii, eine gerichtliche Nachprüfbarkeit sei dem „Wesen“ der Gnade fremd.166 So einfach ist die Sache allerdings nicht.167 a) Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts Grundlegend für die Klärung dieses Problems ist ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. April 1969, bei dem es um die verwaltungsgerichtliche Verpflichtungsklage eines Verurteilten ging, der einen Gnadenerweis begehrte und diesen für einen Verwaltungsakt im Sinne des § 40 VwGO hielt.168 Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht lehnten die Klage als unzulässig ab, da sie in der Gnadenentschließung keinen nachprüfbaren Justizverwaltungsakt sahen und einen Rechtsanspruch verneinten.169 Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts wies die Verfassungsbeschwerde bei Stimmengleichheit ab.170 Die die Entscheidung tragende Begründung bejaht eine historische Kontinuität des traditionellen Gnadeninstitutes sowohl im Grundgesetz als auch auf der Ebene der Landesverfassungen, hält aber gleichwohl das irrationale Element für entfallen.171 Das Begnadigungsrecht sei zum „Korrelat der Strafe“ geworden, das nicht an normative Aspekte gebunden sei und außer bestimmten Verfahrensvorschriften keine materiellrechtlichen Bestimmungen kenne.172 In einem Gerichtsverfahren zu prüfende Maßstäbe seien aufgrund der komplexen Motivationslagen nicht zu greifen.173 Die vier dissentierenden Richter hielten die Motivation von Gnadenentscheidungen in gleicher Weise einer normativen Erfassung entzogen,174 allerdings mit einer anderen Auffassung von der Einordnung der Begnadigung in den Rechtsstaat: Fundamental für die rechtsstaatlichen Gewährleistungen sei ein lückenloser 166 Röhl, Über die lebenslange Freiheitsstrafe, S. 194; ähnlich Mickisch, Die Gnade im Rechtsstaat, S. 185 f. 167 Röhl, ebenda. fordert in diesem Zusammenhang völlig zutreffend: „Wenn man aus dem Wesen der Gnade rechtliche Folgerungen ableiten will […], so kann man dieses Wesen nicht von innen her, nicht aus sich selbst, bestimmen, sondern muss es von außen, von der Rechtsordnung her, einzugrenzen versuchen.“ Ziel kann es nicht sein, das Wesen der Gnade isoliert – also rein begrifflich oder historisch –, sondern als ein von der Rechtsordnung integriertes und akzeptiertes Instrument zu beschreiben, in welchem ein bestimmtes Verfassungsprinzip zum Ausdruck kommt. 168 BVerfGE 25, 352 (352 f.). Dieses Grundsatzurteil bestätigt BVerfGE 30, 108 (110). 169 BVerfGE 25, 352 (354). 170 Ergibt sich bei einer Senatsentscheidung Stimmengleichheit hinsichtlich der unterschiedlichen Auffassungen zum Streitgegenstand, wird die Verfassungsbeschwerde gemäß § 15 Abs. 4 Satz 3 BVerfGG abgelehnt. 171 BVerfGE 25, 352 (360). 172 BVerfGE 25, 352 (360 f.). 173 BVerfGE 25, 352 (363). 174 BVerfGE 25, 352 (365).

VIII. Normative Eingrenzung des Begnadigungsrechts?

65

Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG, weshalb jede Gnadenentscheidung gerichtlich überprüfbar sein müsse. Unklar bleibt, nach welchem Maßstab diese Überprüfung geleistet werden soll. Die abweichende Auffassung nennt die vom „Grundgesetz abgesicherten Mindestanforderungen der Gerechtigkeit“175 mit dem Ziel, den willkürlichen Missbrauch des Begnadigungsrechts zu verhindern. Unbeantwortet bleibt die Frage, wie man diesen Maßstab bei der Überprüfung der einzelnen Gnadenentscheidung definieren soll, führt doch der Begriff der „Gerechtigkeit“ nicht zu einer sonderlichen Klärung, selbst wenn man ihn in Artt. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG konkretisiert sieht.176 Das Sondervotum bezieht sich auch auf die ausufernde Delegation der Begnadigungskompetenz: „In der Rechtswirklichkeit werden die Gnadensachen in der Regel von nachgeordneten Behörden administrativ bearbeitet und entschieden. Art. 19 Abs. 4 GG hat deshalb auch gegen Gnadenentscheidungen den Rechtsweg eröffnet.“177 Diese Aussage würde die Annahme rechtfertigen, nur die delegierten Gnadenentscheidungen seien für eine gerichtliche Überprüfung eröffnet. Das beantwortet nicht die grundsätzliche Frage und würde dazu führen, Verurteilte mit niedrigerem Strafmaß hätten wegen delegierter Gnadenausübung auf unterer Ebene mehr Rechtsschutzmöglichkeiten als diejenigen, bei denen der verfassungsrechtliche Gnadenträger persönlich entschieden hat. b) Überlagerung des Art. 19 Abs. 4 GG durch Art. 60 Abs. 2 GG Die Justitiabilität von Gnadenentscheidungen wurde von Teilen der Rechtsprechung178 und Literatur179 aus der umfassenden Geltung des Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet. Das Grundrecht auf rechtliches Gehör habe durch das Grundgesetz eine 175 BVerfGE 25, 352 (366); vgl. auch S. 364: „Jede positive und jede negative Gnadenentscheidung muss von Motiven getragen sein, die sich an der Gerechtigkeitsidee orientieren, wie sie vom Grundgesetz im einzelnen konkretisiert worden ist.“ 176 So aber BVerfGE 25, 352 (364). Die dissentierenden Richter erkennen schließlich selbst die Unmöglichkeit einer normativen Erfassung von Gnadenmotivationen und das weite freie Ermessen des Gnadenträgers. Es ist im Übrigen völlig selbstverständlich, dass der über die Begnadigung Entscheidende an Grundrechte gebunden ist. Das heißt aber noch nicht, dass diese Bindung auch gerichtlich überprüfbar sein muss, so zutreffend Pieper, Festschrift für Roman Herzog, 355 (370); anders dagegen Hömig, DVBl. 2007, 1328 (1331). Nicht nachprüfbare Entscheidungsprärogativen sind auf verfassungsrechtlicher Ebene anerkannt und gelten auch im Falle der Begnadigung (Pieper, ebenda. mit Verweis auf BVerfGE 50, 290 (332 ff.); 61, 291 (313 f.); 79, 311 (343 f.)). 177 BVerfGE 25, 352 (366). Ähnlich Menger, DVBl. 1957, 683. 178 BayVerfGH NJW 1966, 443 ff.; HessStGH DÖV 1974, 128 ff. (vgl. zur Analyse dieser abweichenden Landesverfassungsrechtsprechung Wiontzek, Handhabung und Wirkungen des Gnadenrechts, S. 74 f.); BGHZ 57, 33 (46) mit Bezug auf zivilgerichtliche Schadensersatzansprüche aus Amtspflichtverletzung. 179 Hömig, DVBl. 2007, 1328 (1329 ff.); Schenke, JA 1981, 588 (589 ff.); Bettermann, AöR 96 (1971), 528 (538).

66

C. Die Begnadigung im Recht

solche Aufwertung erfahren, dass es auch das Begnadigungsrecht umfassen müsse.180 Die Begnadigung sei weder ein rechtsfreier Akt noch ein gerichtsfreier Regierungsakt.181 Durch eine mit bemerkenswerter Einseitigkeit betriebene streng grammatikalische Auslegung wird der Begriff der „öffentlichen Gewalt“ in Art. 19 Abs. 4 GG so stark gewertet, dass jeder Gnadenakt unter diesen Begriff fällt und somit justitiabel sein muss.182 Dabei wird übersehen, dass eine Rechtsschutzgewährung akzessorisch sein muss und eine gerichtliche Kontrolle nur von solchen Normen möglich ist, von denen ein nachprüfbarer Handlungsbefehl ausgeht.183 Dass es auch andere Akte öffentlicher Gewalt gibt, die keiner gerichtlichen Kontrolle unterliegen (beispielsweise Petitionsbescheide, Ordensverleihungen, Ministerernennungen184) wird nicht näher problematisiert. Hier fehlt es nämlich an dem nachprüfbaren Recht: Ein Verurteilter wird durch einen ablehnenden Begnadigungsentscheid nicht „in seinen Rechten“ verletzt.185 Merten stellt hinsichtlich dieser Überbewertung zutreffend fest: „Art. 19 Abs. 4 GG gebietet nicht, die Gnade mit teutonischer Gründlichkeit zu verrechtlichen.“186 Eine Begnadigungsentscheidung ist somit – um bei den Tatbeständen des Art. 19 Abs. 4 GG zu bleiben – öffentliche Gewalt, jedoch ohne die funktionalen Voraussetzungen eines Rechtswegs, weil ein durchsetzbares Recht fehlt, dessen Verletzung überprüft werden könnte. Die fehlende rechtliche Determinierung des Begnadigungsrechts legt die Anwendung und Ausübung in die Verantwortung des Gnadenträgers, dessen Maßstab ein persönliches Vorrecht seines Amtes bleibt und nicht in einen umfassenden Rechtsschutz integriert sein kann. Hier besteht also die bereits erwähnte Differenz zwischen Handlungs- und Kontrollnorm, da der Gnadenträger an Grundrechte gebunden ist und dem Willkürverbot unterliegt – eine weitere Deter-

180

Schenke, JA 1981, 588 (590). Schenke, JA 1981, 588 (591 f.). 182 Schenke, JA 1981, 588 (589), der sich streng an Art. 19 Abs. 4 GG orientiert und nicht zu einer überzeugenden und an Art. 60 Abs. 2 GG orientierten Definition des Begriffs „Begnadigung“, zu seiner teleologischen und historischen Auslegung sowie zur inhaltlichen Frage der Justitiabilität (Was wird im Verfahren Gegenstand der Überprüfung sein?) kommt. Bei der Frage der Justitiabilität von Gnadenakten kann man Art. 60 Abs. 2 GG nicht in solcher Weise als reine Kompetenznorm ent- und Art. 19 Abs. 4 GG überwerten. 183 Vgl. Merten, Rechtsstaatlichkeit und Gnade, S. 75. 184 Vgl. zu letzterem Beispiel Merten, Rechtsstaatlichkeit und Gnade, S. 82: „Wählt der Bundeskanzler nach Art. 64 Abs. 1 GG einen Bundesminister allein wegen dessen politischer Anschauungen aus, so kann ein übergangener und deswegen beschwerter ministrabler Bewerber die Entscheidung (im Verfassungsrechtsweg) nicht anfechten. Kompetenzvorschriften als verfassungsrechtliche Spezialregelungen können die Bindung der Exekutive an den Gleichheitssatz modifizieren oder ausschließen und damit die gerichtliche Kontrolle restringieren.“ 185 OLG Oldenburg MDR 1965, 221. 186 Merten, Rechtsstaatlichkeit und Gnade, S. 83. 181

VIII. Normative Eingrenzung des Begnadigungsrechts?

67

minierung seines Handelns besteht nicht. Hinter der Einhaltung dieser Handlungsnormen bleibt die fehlende Kontrollnorm zurück. Die Institutionalisierung der Gnade im Begnadigungsrecht des Art. 60 Abs. 2 GG überlagert die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Wenn Hömig Art. 19 Abs. 4 GG gemeinsam mit Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG die verfahrensmäßige Krönung des Rechtsstaates nennt187 und deshalb für eine Justitiabilität eintritt, kann man demgegenüber gerade in der Integration des Begnadigungsrechts die eigentliche Krönung dieser Ordnung sehen. Denn erst die Erkenntnis, dass ein Rechtssystem auch das Prinzip der Gnade institutionalisieren muss, und zwar um den Preis einer rechtlichen Normierung und gerichtlichen Überprüfung, mag krönenden Charakter haben. Man sollte die Bedeutung des Art. 60 Abs. 2 GG dabei nicht unterschätzen: Unzutreffend ist es, Art. 60 Abs. 2 GG als eine reine Kompetenzvorschrift zu bezeichnen, die nichts über den Umfang und die Voraussetzungen des Begnadigungsrechts aussage.188 Die Integration des Begnadigungsrechts in die rechtsstaatliche Verfassung ist vielmehr die institutionelle Festschreibung eines Prinzips, welches mehr als eine Kompetenznorm ist. Es handelt sich um einen eigenen Verfassungswert, der die Begrenztheit des Rechts aufzeigt. Das ergibt sich bereits aus der historischen und etymologischen Untersuchung des Begriffs „Begnadigung“ und aus dem teleologischen Gehalt des Begnadigungsrechts. Wenn der Verfassungsgesetzgeber dieses Institut ohne weitere Diskussion übernommen hat, wurde darin eine historische Selbstverständlichkeit gesehen, eine gerichtliche Überprüfbarkeit widerspreche der personalen Bindung des Instituts. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, die Ausstrahlungskraft des durch das Grundgesetz besonders aufgewerteten Art. 19 Abs. 4 GG sei so groß, dass es die aus Art. 60 Abs. 2 GG abzuleitende Begrenzung der Überprüfbarkeit eines Gnadenaktes überlagere.189 Der Begriff der öffentlichen Gewalt muss durchaus bei jedem hoheitlichen Akt differenziert betrachtet werden, erst recht dann, wenn es auch andere justizfreie Hoheitsakte gibt. Beide Prinzipien, sowohl Art. 19 Abs. 4 GG als auch Art. 60 Abs. 2 GG, widersprechen nicht, sondern ergänzen einander.190 c) Aufrechterhaltung des personalen Bezuges Bei den Begnadigungsmotiven ist der personale Bezug zum Amtsträger so zentral, dass sie nicht durch normative Mittel überprüft werden können.191 Würde man 187

Hömig, DVBl. 2007, 1328 (1330). Bettermann, AöR 96 (1971), 528 (538); Schenke, JA 1981, 588 (589 f.); dem zustimmend Hömig, DVBl. 2007, 1328 (1329). 189 Vgl. Schenke, JA 1981, 588 (590). 190 Anders Schenke, JA 1981, 588 (591), der die Injustitiabilität aufgrund der das Grundgesetz „wesentlich prägenden richterstaatlichen Elemente“ für systemwidrig hält, wobei vielmehr gilt, dass die justitiellen Elemente durchaus eingeschränkt werden können, ohne gleich das ganze System in Frage zu stellen. 191 Merten, Rechtsstaatlichkeit und Gnade, S. 81. 188

68

C. Die Begnadigung im Recht

einen solchen Rechtsanspruch konstruieren, hätte das die Konsequenz, dass der Gnadenträger durch das Gerichtsurteil zu einer bestimmten Gnadenausübung gezwungen würde.192 Das widerstrebt der verfassungsmäßig garantierten Entscheidungsfreiheit zum Eingriff in die Rechtssicherheit. Die Entscheidungsprärogative ist in ihrem Inhalt an die persönliche Einschätzung des Bundes- oder der Ministerpräsidenten gebunden. Sobald die Begnadigung unter den Geltungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG gefasst würde, könnte dieser personale Bezug nicht aufrechterhalten werden. Die unbedingte Übertragung der Begnadigungskompetenz auf den Bundespräsidenten oder die landesrechtlichen Organe wäre gestört. Durch die Möglichkeit der Aufhebung oder Abänderung der Gnadenentscheidung durch das erkennende Gericht würde die Entscheidungsfindung nicht mehr frei sein, sondern an den zu erwartenden gerichtlichen Einschätzungen orientiert. Die Richter müssten ihre eigenen, persönlichen Maßstäbe anwenden und „usurpieren [damit] die Macht, die allein dem Träger der Gnade zusteht.“193 d) Keine „Gnadengleichheit“ Den Vertretern einer Verrechtlichung mag es auch um Erwartungen von Verurteilten in vergleichbarer Lage gehen, denen gegenüber man eine Ungleichbehandlung schwer begründen kann.194 Eine justitiable Verrechtlichung könnte also einem an Art. 3 GG angepassten Anspruchsdenken von denjenigen Verurteilten begegnen, die meinen, sie würden sich in der gleichen Situation wie ein anderer Verurteilter befinden. Der Ruf nach „Gnadengleichheit“ wurde bereits von manchen Vertretern laut, für die Gnadenerweise immer gleichmäßig zu gewähren sein sollen.195 Doch hier wird von anderen Voraussetzungen im Gnadenverständnis ausgegangen: Wie ausgeführt wurde, hat die Begnadigung einen derart eigenständigen Funktionsbereich in der Verfassung, dass man die Gefahr einer Ungleichbehandlung hinnehmen muss. Der Gleichheitssatz erfordert eine Rechtssetzungs- und Rechtsanwendungsgleichheit, die man nicht einfach auf die Begnadigung übertragen kann.196 Es lassen sich im übrigen schwerlich Gnadenfälle vorstellen, die vollkommen gleich gelagert sind, insbesondere bei den in Gnadenverfahren maßgeblichen persönlichen Verhältnissen des Verurteilten.197 Gleichgelagerten Fällen muss mit einer Amnestie begegnet werden. 192

Zutreffend Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts S. 129. Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 2007, 742 (745); anders Schenke, JA 1981, 588 (592). 194 Vgl. Huba, Der Staat 90 (1990), 117 (121). 195 Mickisch, Die Gnade im Rechtsstaat, S. 71; Geerds, Gnade, Recht und Kriminalpolitik, S. 34. 196 Merten, Rechtsstaatlichkeit und Gnade, S. 81: „[…] keine Gnadengleichheit.“ 197 Bachhof, JZ 1983, 471; ebenso Wussow, DÖD 1989, 110; Flor, Evangelische Kommentare, 31 (32). 193

VIII. Normative Eingrenzung des Begnadigungsrechts?

69

e) Gefahr einer Superrevisionsinstanz Darüber hinaus wären bei einer inhaltlichen Kontrolle der Gnadenausübung zwangsläufig die Erwägungen des grundlegenden Strafurteils, die Schuldfrage und die Strafzumessung in ihre Erwägungen mit einzubeziehen; die Überprüfung der Gnadenentscheidung würde zu einer Superrevisionsinstanz für den gesamten Fall.198 Vor dem Hintergrund des staatsanwaltlichen, gerichtlichen und strafvollzugsrechtlichen Interesses an einer Ablehnung des Gnadenerweises, das sich evtl. in entsprechenden ablehnenden Stellungnahmen geäußert hat, stellt sich bei einer Justitiabilität die Frage, ob dieses Interesse in einem gerichtlichen Verfahren auch vertreten werden müsste. Ist also bei einer positiven Begnadigung, bei der gleichwohl die ablehnende Stellungnahme einer angehörten Stelle vorliegt, ein entsprechendes gerichtliches Verfahren in die andere Richtung denkbar? Könnte also die Staatsanwaltschaft bei einer Begnadigung, gegen die sie aus bestimmten Gründen Bedenken vorträgt, diese bei einer gerichtlichen Überprüfung mit einbringen? Die Entscheidung über das Für und Wider der Begnadigung würde dann in der Tat beim entscheidenden Gericht liegen. Das würde eine entwertende Umkehr des Begnadigungsrechts bedeuten. Dann könnte man eine weitere, gerichtliche Superrevisionsinstanz einrichten, die die Aufgabe des Gnadenträgers übernimmt.

4. Justitiabilität von Widerrufsbescheiden im Begnadigungsverfahren Anders als bei der Grundsatzentscheidung zur Justitiabilität von Gnadenerweisen hat das Bundesverfassungsgericht zu einem späteren Zeitpunkt die gerichtliche Überprüfbarkeit des Widerrufs einer Gnadenentscheidung bejaht.199 Danach muss der Widerruf anders bewertet werden als die erstmalige Ablehnung eines Gnadenerweises. Durch eine positive Gnadenentscheidung würden dem Verurteilten Freiheitsrechte eingeräumt, auf deren Wahrung er sich bei Erfüllung seiner Pflichten verlassen und über die die Exekutive als Gnadenorgan nicht mehr frei verfügen könne.200 Jeder Widerruf, der die vorher verbesserte Stellung des Verurteilten wieder verschlechtere, sei eine rechtlich gebundene Entscheidung und somit der gerichtlichen Kontrolle nach Art. 19 Abs. 4 GG unterworfen. An anderer Stelle wird die einheitliche Behandlung der Thematik gefordert: Konsequent müssten alle mit dem Begnadigungsrecht zusammenhängenden Entscheidungen dem Wirkungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG unterfallen oder eben 198

Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts S. 128, 131. BVerfGE 30, 108 (110 ff.). Zur Frage des richtigen Rechtswegs Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 133; vgl. zur Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Rinio, NStZ 2006, 438 ff. 200 BVerfGE 30, 108 (110 f.). 199

70

C. Die Begnadigung im Recht

nicht.201 Eine Differenzierung zwischen Ablehnung und Widerruf sei unlogisch und inkonsequent. Die Frage nach der Justitiabilität des Widerrufs einer Gnadenentscheidung muss folgendermaßen beantwortet werden: Nur dann, wenn der Widerruf einer Gnadenentscheidung – anders als die Gnadenentscheidung selbst – Ergebnis einer Subsumtion unter die in der Gnadenentscheidung genannten Voraussetzungen ist, kommt eine gerichtliche Überprüfung in Betracht. Es handelt sich dabei um die Überprüfung der im Gnadenerweis festgelegten Voraussetzungen, auf die der Begnadigte vertrauen kann. Maßstab ist also der Vertrauensschutz des Begnadigten hinsichtlich der Voraussetzungen, die in der Gnadenentscheidung festgelegt sind.202 Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, der als Element einer verlässlichen Rechtsstaatlichkeit seine Grundlage in Art. 20 GG hat,203 kommt hier zum Tragen, weil durch die positive Begnadigung ein nach außen wirkender Zustand geschaffen wurde, dessen Bestand der Begnadigte erwarten kann. Durch die positive Begnadigung bindet sich der verantwortliche Gnadenträger an das, was Inhalt des Gnadenaktes ist. Wird der Gnadenakt nun widerrufen, setzt die vollstreckende Behörde nach außen einen Rechtszustand, der den Begnadigten in seinen Rechten, nämlich dem Vertrauen auf den positiven Gnadenentscheid, verletzen könnte und somit im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG überprüfbar sein muss. Wird demgegenüber ein erschlichener oder durch Täuschung erlangter Gnadenerweis widerrufen, müsste sich eine gerichtliche Überprüfung wiederum mit den internen Erwägungen auseinandersetzen und damit in die autarke Begnadigungsausübung eingreifen. In solchen Fällen muss auch der Widerruf von Gnadenentscheidungen injustitiabel bleiben.204 Nur dann, wenn durch den Gnadenerweis konkretes Vertrauen erweckt wurde, welches dann durch einen Widerruf verletzt wird, muss eine gerichtliche Überprüfung möglich sein. Dabei trifft das Gericht keine eigene Sachentscheidung, sondern überprüft lediglich, ob die Gnadenbehörde bei Erlass des Widerrufsbescheides ermessensfehlerfrei gehandelt hat.205 In der Rechtsprechung haben sich seitdem einige verfahrensmäßige Garantien herausgebildet.206 201

Bettermann, AöR 96 (1971), 528 (537 f.). Vgl. hierzu OLG Stuttgart, NStZ 1987, 480: Der Verurteilte war mit der Auflage begnadigt worden, einen hohen Geldbetrag an eine soziale Einrichtung zu zahlen. Die Gnadenentscheidung enthielt einen entsprechenden Hinweis, dass bei Nichtzahlung des Betrages die Begnadigung widerrufen werden könnte. Der Begnadigte kam der Auflage fristgemäß nach. Jedoch wurden zu einem späteren Zeitpunkt weitere Straftaten bekannt, von denen das Justizministerium als ausführender Gnadenbehörde zum Zeitpunkt der Gnadenentscheidung keine Kenntnis hatte. Aufgrund dieser neuen Informationen (und nicht wegen eines Verstoßes gegen die Auflagen) wurde die Begnadigung widerrufen. Das Gericht hob diese Entscheidung mit dem Hinweis auf, der Verurteilte hätte auf den Bestand der Begnadigung vertrauen können, da ihm der Widerrufsgrund von nachträglich bekannt werdenden Straftaten nicht mitgeteilt wurde. 203 Ausführlich Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 VII Rn. 69 ff. 204 Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 133. 205 Rinio, NStZ 2006, 438 (439). 202

VIII. Normative Eingrenzung des Begnadigungsrechts?

71

In der Konsequenz wird durch das Urteil die vollziehende Behörde angewiesen, den Widerruf zurückzunehmen. Überzeugend und konsequent ist es deshalb, die Ablehnung einer Begnadigung aus der Geltung des Art. 19 Abs. 4 GG herauszuhalten, demgegenüber aber den Widerruf einer Gnadenentscheidung zumindest dann als justitiabel gelten zu lassen, wenn dem Begnadigten konkrete Voraussetzungen (etwa zu erfüllende Auflagen) in einer Gnadenentscheidung genannt werden, auf deren Bestand er vertrauen kann und unter die die Vollzugsbehörde lediglich subsumiert.

5. Unterscheidung zwischen Maßstabsnorm (Verhaltensnorm) und Kontrollnorm (Beurteilungsnorm) Der Debatte um die Forderung nach einer Rechtsbindung, nach einer Verrechtlichung und nach einer Justitiabilität der Begnadigung wäre schon sehr geholfen, wenn man zwischen einer Untersuchung der Maßstabsnorm (Welche Verhaltensnormen sind dem Gnadenträger an die Hand gegeben, die sein Handeln anhand der Unterscheidung zwischen rechtmäßigem und rechtswidrigem Handeln determinieren?) und einer Kontrollnorm (Nach welchem Maßstab und durch wen sind die Begnadigungsentscheidungen im Nachhinein zu kontrollieren?) unterscheiden würde. Dem Begnadigungsrecht fehlt beides. Etwaige Kontrollnormen, welche durch die Bejahung einer Justitiabilität geschaffen werden müssten, würden die Überprüfung des Handelns der einzelnen Gnadenträger im Hinblick auf Fehlerfolgen determinieren. Eine solche Determinierung widerspräche der besonderen Entscheidungsfreiheit. Wenn im Verwaltungsrecht ein funktioneller Unterschied zwischen der Verwaltung als dem Erstentscheider und der Verwaltungsgerichtsbarkeit als dem ex post kontrollierenden Zweitinterpreten besteht,207 bleibt dieser Unterschied im Begnadigungsrecht irrelevant, weil für eine Zweitinterpretation weder eine Maßstabs-, noch eine Kontrollnorm existieren kann. Sind im Verwaltungsrecht durch die Schaffung von Ermessenstatbeständen die Grenzen rechtlicher Determinierung beschrieben, geht das Begnadigungsrecht noch einen Schritt weiter: Hier fehlt es nicht nur an einer rechtlichen Determinierung, sondern hier wird auch auf eine persönliche Ausübung durch einen Amtsträger Wert gelegt, dessen Amt eine besondere Entscheidungsfreiheit und eine distanzierte Beurteilung des Einzelfalls möglich macht. Deshalb kann eine rechtliche Determinierung den Inhalt einer Begnadigungsentscheidung gar nicht erreichen und deshalb muss die Kontrollnorm –

206 Sie beziehen sich auf ausreichendes rechtliches Gehör im Widerrufsverfahren und auf ausreichende Sachverhaltsermittlung, ausführlich Rinio, NStZ 2006, 438 (439 ff.). 207 Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (779).

72

C. Die Begnadigung im Recht

jedenfalls was den Inhalt der Entscheidung betrifft, beim Verfahren gilt etwas anderes208 – deaktiviert bleiben. Ohnehin ist das verwaltungsrechtliche Ermessen, wie § 40 VwVfG zeigt, immer entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben: Der jeweilige Zweck bewirkt die finale Steuerung der Entscheidung.209 Beim Begnadigungsrecht geht es hingegen gerade nicht um eine Zweckmäßigkeit, sondern um das personengebundene Motiv der Gnade, welches von der jeweiligen Amtsausübung abhängt.

IX. Zwischenergebnis Die fehlende Beherrschbarkeit und Letztkontrolle des Begnadigungsrechts ruft immer wieder die Stimmen für eine Verrechtlichung und eine damit einhergehende Justitiabilität hervor. Die Strapazierung des Rechtsstaates durch das Begnadigungsrecht ist aber ein Wagnis, auf das sich der Verfassungsgesetzgeber im Vertrauen auf die Verantwortlichkeit des Gnadenträgers bewusst eingelassen hat. Welche alternativen Möglichkeiten es im Rahmen der Gnadenentscheidungen geben könnte, um den Bedenken der Befürworter einer Verrechtlichung zu begegnen, ist Gegenstand späterer Ausführungen (Kap. E.). Der Charakter der Begnadigung entzieht sie einem Anspruchsdenken.210 Deshalb ist bei ihr kein Platz für einen normativ fassbaren Anforderungskatalog, unter den die Entscheidung für oder gegen einen Gnadenakt subsumiert werden könnte. Würde es einen solchen geben, wäre die Begnadigung ein konditionales Rechtsinstitut, das dem um Gnade Suchenden Möglichkeiten aufzeigen würde, durch bestimmte Verhaltensweisen oder Voraussetzungen zu einer normativen Gnadenwürdigkeit zu gelangen. Die Begnadigung bleibt aber unberechenbar. Der Gnade Suchende ergibt sich den Motiven und dem Ermessen des Gnadenträgers in einem nicht konditional determinierten Gnadenverfahren. Das Dilemma dieses Status der Begnadigung zeigt sich einmal mehr in den Erwartungen, die durch das Volk auf der Gnade lasten. In der öffentlichen Meinung wird die Gnadenentscheidung als eine persönliche Entscheidung wahrgenommen, die quasi heldenhaft211 dem Recht zur Geltung verhelfen soll. Diese Erwartung

208

dd). 209

Vgl. zur Justitiabilität von Verfahrensgarantien im Begnadigungsrecht Kap. D. III. 4. a)

Kopp/Ramsauer, VwVfG-Kommentar, § 40 Rn. 23. Vgl. Huba, Der Staat 90 (1990), 117 (120), der völlig zutreffend ausführt: „[…] Daraus resultiert die dritte Grundschwierigkeit, die Gnade dem Rechtsstaat aufbürdet. Er kann ihre Ansprache nicht verstehen, weil er sie nicht in seine Sprache übersetzen kann. Seine Sprache ist nämlich der Anspruch.“ 211 Vgl. Strasser, Dunkle Gnade, S. 21. 210

IX. Zwischenergebnis

73

vermischt indessen die Erscheinung des Gnadenträgers als Person und die Erscheinung des Gnadenträgers als Amtsinhaber.212 Die Begnadigung wurde zum „Korrelat der Strafe“213: Diese wechselseitige Bedingung von Gnade und Recht darf man wohl als die zentrale Antwort auf die Frage sehen, in welcher Weise die Begnadigung im Rechtsstaat eingeordnet wurde. Der Anwendungsbereich erstreckt sich demnach auf Sanktionen, die durch eine strikte und rechtskräftige Rechtsanwendung entschieden wurden und aufgrund von neuen, atypischen Umständen des Einzelfalls als unangemessen erscheinen. Die Reaktion darauf, nämlich eine den übernormativen Erwägungen der Güte, des Verzeihens, der Nachsicht und der Milde verschriebene Entscheidung, muss sich in der internen Willensbildung zwangsläufig außerhalb rechtlich fassbarer Kategorien bewegen, will man sich nicht der Freiheit begeben, auf jegliche vorstellbare Sachverhaltskonstellation angemessen zu reagieren. Durch die Öffnung des Rechts auch für eine subsumtiv nicht zu erfassende Kategorie erkennt die Rechtsordnung, dass sie nicht um ihrer selbst willen existiert. „Sie ist ein Symbol, daß es in der Welt Werte gibt, die aus tieferen Quellen gespeist werden und zu höheren Höhen aufgipfeln, als das Recht“214. „Sie tritt da zurück, wo sie die Freiheit übermäßig beeinträchtigen würde und dadurch zugleich dem Gehalt des Rechts abträglich wäre.“215 Dadurch wird das Recht weder durchbrochen noch beeinträchtigt, sondern zeigt durch die Gnade als „dienendes Element“ eine Offenheit und Flexibilität.216 Im modernen, auf berechenbarem Recht und spezialisierten Fachbeamtentum beruhenden rationalen Staat ist das Begnadigungsrecht kein Fremdkörper217, nichts Systemfremdes oder ein das Gesamtgefüge des Rechts gefährdendes Institut. Das Störende218 ist als eine bewusste Spannung einzuordnen, als eine produktive Störung219, weniger als eine Gefährdung. Das Begnadigungsrecht kann durch seine korrigierende Kraft in Einzelfällen erst zur Vervollkommnung des Rechtsstaates beitragen.

212

Vgl. Strasser, Dunkle Gnade, S. 21 f. BVerfGE 25, 352 (360). 214 Radbruch, Rechtsphilosophie, hrsg. von Dreier/Paulson, S. 165. 215 Wussow, DÖD 1989, 105. 216 Wussow, DÖD 1989, 105 (107). 217 So aber Grewe, Gnade und Recht, S. 17, wobei man dieses 1936 erschienene Buch mit der gebotenen Vorsicht interpretieren muss, ist doch an manchen Stellen eine offensichtliche Begeisterung für den neuen Führerstaat zu erkennen (vgl. S. 38, 120), so auch der Hinweis bei Schütte, UBWV 2007, 161 (164). 218 Vgl. Huba, Der Staat 90 (1990), 117 (119): „Beide Grundelemente, das sakrale wie das personale, lassen die Gnade im demokratischen Rechtsstaat nicht nur als Anachronismus erscheinen. Sie stört.“ (Hervorh. v. Verf.). 219 Vgl. Huba, Der Staat 90 (1990), 117 (123), dennoch mit dem Ergebnis, das Begnadigungsrecht könne ersatzlos gestrichen werden (124). 213

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis Nach der Einordnung der verfassungsrechtlichen Zusammenhänge der Begnadigung soll nun die eigentliche Begnadigungspraxis näher untersucht werden. Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit die verfassungsrechtliche Institution des Begnadigungsrechts in der unterverfassungsrechtlichen Rechtsetzung und Rechtsanwendung verwirklicht ist. Dabei spielt die Weiterübertragung der Begnadigungskompetenz eine zentrale Rolle. Die Mehrzahl der Entscheidungen wird auf unterer Ebene getroffen. Insbesondere dadurch ergibt sich die Notwendigkeit von sogenannten „Gnadenordnungen“, die das Verfahren auf Länderebene regeln und teilweise sogar Voraussetzungen formulieren, unter welchen Umständen eine Begnadigung in Betracht kommt. Es stellt sich die Frage, ob diese Praxis mit dem teleologischen Gehalt des Begnadigungsrechts – insbesondere mit der amtscharismatischen Prägung einer Entscheidungsfindung – noch zu vereinbaren ist. Um darauf Antworten zu finden, werden zunächst die verfassungsrechtlichen Delegationsermächtigungen untersucht (Abschnitt I.), um anschließend auf die davon ausgehenden Delegationsanordnungen (Abschnitt II.) und eine entsprechende Bewertung (Abschnitt III.) einzugehen.

I. Delegationsermächtigungen 1. Bundesebene – Art. 60 Abs. 3 GG Auf Bundesebene enthält Art. 60 Abs. 3 GG eine Delegationsermächtigung. Von seiner persönlichen Zuständigkeit kann sich der Bundespräsident danach durch eine Weiterübertragung seiner Kompetenz entlasten, indem er die Ausübung des Begnadigungsrechts auf andere Behörden überträgt. Es liegt in der Entscheidung des Bundespräsidenten, in welchen Fällen er selbst begnadigt und in welchen Fällen er die Kompetenz übertragen will. Dieses Delegationsrecht gilt für alle in Art. 60 GG genannten Kompetenzen des Bundespräsidenten, wodurch er aufgrund einer eigenen Ermessensentscheidung seine eigene Zuständigkeit suspendiert und die Zuständigkeit anderer Behörden begründet.1 Mit Blick auf den föderalen Staatsaufbau können die nachgeordneten Behörden nur Bundesbehörden sein.2

1

Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 22.

I. Delegationsermächtigungen

75

Unklar bleibt, in welcher Form die Delegation der Befugnisse gemäß Art. 60 Abs. 3 GG erfolgen soll. Einerseits gilt die Annahme, dies könne nur im Rahmen einer Rechtsverordnung im Sinne des Art. 80 GG erfolgen,3 andererseits wird behauptet, der Bundespräsident sei keine zuständige Stelle nach Art. 80 Abs. 1 GG und es handle sich deshalb um Rechtsverordnungen eigener Art, die nicht unter Art. 80 GG fallen.4 Letztlich ist dies eine rein formale Frage. Man wird auch bei den Delegationsanordnungen des Bundespräsidenten, konstituieren sie doch eine außenwirksame Kompetenz, eine Publizitätspflicht annehmen müssen,5 sodass die Unabhängigkeit von der Wirkung des Art. 80 GG keine relevante Differenz zu üblichen Rechtsverordnungen aufweist.6

2. Landesebene Auch auf Landesebene existiert die Möglichkeit, das originär dem Ministerpräsidenten bzw. den Landesregierungen überantwortete Begnadigungsrecht zu delegieren. Teilweise gelten diese Delegationsermächtigungen mit Einschränkungen, teilweise erscheinen sie dem Wortlaut nach grenzenlos. In zwei Bundesländern existieren keine ausdrücklichen Delegationsermächtigungen (dazu ausführlich im Abschnitt b). a) Ausdrückliche Delegationsermächtigungen Ähnlich der grundgesetzlichen Regelung (Art. 60 Abs. 3 GG) ermächtigen die meisten Landesverfassungen den Träger des Begnadigungsrechts ausdrücklich, das Begnadigungsrecht weiter zu übertragen. Die Ermächtigungen sind aber unterschiedlich ausgestaltet: Teilweise wird zur Übertragung des Rechts7, teilweise zur Übertragung der Befugnis8 ermächtigt, was die wortlautgetreue Annahme rechtfertigen könnte, es handle sich einerseits um die Übertragung der Sachkompetenz an sich und andererseits lediglich um die organisationsrechtliche Wahrnehmungs2 Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 30. Zum Problem des fehlenden Weisungsrechts des Bundespräsidenten gegenüber diesen Behörden vgl. nachfolgend Abschn. II. 1. b). 3 Nierhaus, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 16; ders., Entscheidung, Präsidialakt und Gegenzeichnung, S. 113. 4 Reinhardt, Delegation und Mandat im Öffentlichen Recht, S. 106; Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (125, 138). 5 Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (138). 6 Im Ergebnis ebenso Reinhardt, ebenda. 7 Art. 52 Abs. 1 VerfB-W; Art. 49 Abs. 1 Satz 2 VerfM-V; Art. 103 Abs. 1 Satz 2 VerfRhPf; Art. 67 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf; Art. 85 Abs. 1 Satz 2 VerfLSA. 8 Art. 81 Satz 3 BerlVerf; Art. 121 Abs. 1 Satz 2 BremVerf; Art. 92 Satz 2 VerfBB; Art. 109 Abs. 1 Satz 2 HessVerf; Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VerfNds; Art. 59 Abs. 1 Satz 2 VerfNRW; Art. 32 Abs. 1 Satz 2 VerfS-H; Art. 78 Abs. 3 VerfThür.

76

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

kompetenz9. Man wird aber davon ausgehen müssen, dass es sich in beiden Varianten um die Übertragung sowohl der Wahrnehmungs- als auch der Sachkompetenz des Begnadigungsrechts handelt und insoweit kein Unterschied gegeben ist. Eine deutlichere Differenzierung ist hinsichtlich der Stellen geboten, auf die delegiert werden kann: Während darüber in einigen Landesverfassungen gar keine Aussage gemacht wird,10 werden teilweise andere „Stellen“11 und einschränkender auch nur „Behörden“12 als mögliche Delegatare genannt. Die Delegationsermächtigungen enthalten in manchen Ländern darüber hinaus noch weitergehende Einschränkungen. In der Verfassung Baden-Württembergs heißt es in Art. 52 Abs. 1 Satz 2 VerfB-W für das Begnadigungsrecht des Ministerpräsidenten: „Er kann dieses Recht, soweit es sich nicht um schwere Fälle handelt, mit Zustimmung der Regierung auf anderen Behörden übertragen.“ Eine ähnliche Formulierung findet sich auch in Art. 67 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf. Hier muss die Landesregierung der Delegation also zustimmen. „Schwere Fälle“ sind zwingend vom Ministerpräsidenten zu entscheiden, wobei nicht klar ist, ab welcher Verurteilung ein Fall als „schwer“ zu bezeichnen ist und ob das Strafmaß der einzige Orientierungspunkt ist, um die „Schwere“ eines Falles festzustellen. In Rheinland-Pfalz ist die Übertragung des Begnadigungsrechts grundsätzlich per Gesetz zu regeln, entzieht sich also vollständig der Verfügungsgewalt des Ministerpräsidenten und kann auch nicht auf jede Stelle oder Behörde, sondern bei Strafurteilen nur auf den Minister der Justiz übertragen werden.13 Hier besteht eine deutliche Beschränkung der Delegation auf den Minister der Justiz. In Berlin besteht ebenfalls eine Beschränkung, heißt es doch in Art. 81 Satz 3 BerlVerf, der Senat könne das Begnadigungsrecht „auf das jeweils zuständige Mitglied des Senats übertragen.“ Das trifft bei Strafgnadensachen auf den Justizsenator zu. Im Saarland ist die Regelung des Begnadigungsrechts vollständig in die Hände des Landesgesetzgebers gelegt worden.14 Hier können also nicht nur die Zuständigkeitsfrage, sondern auch materielle Fragen durch Gesetz konkretisiert werden. 9 Zur Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Sachkompetenz vgl. Abschnitt III. 2. a). 10 Art. 92 Satz 2 VerfBB; Art. 49 Abs. 1 Satz 2 VerfM-V; Art. 85 Abs. 1 Satz 2 VerfLSA; Art. 32 Abs. 1 Satz 2 VerfS-H; Art. 78 Abs. 3 VerfThür. 11 Art. 121 Abs. 1 Satz 2 BremVerf; Art. 109 Abs. 1 Satz 2 HessVerf; Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VerfNds; Art. 59 Abs. 1 Satz 2 VerfNRW; Art. 67 Abs. 1 SächsVerf. 12 Art. 52 Abs. 1 VerfB-W. 13 Art. 103 Abs. 1 VerfRh-Pf. lautet: „Der Ministerpräsident hat das Recht, im Wege der Gnade rechtskräftig erkannte Strafen zu erlassen oder zu mildern. Durch Gesetz kann dieses Recht bei Verurteilung durch die ordentlichen Gerichte dem Minister der Justiz, in den übrigen Fällen jedem Minister für seinen Geschäftsbereich übertragen werden.“ 14 Art. 93 SaarlVerf lautet: „Die Ausübung des Begnadigungsrechts wird durch Gesetz geregelt. […]“.

I. Delegationsermächtigungen

77

Letztlich unterscheidet sich das saarländische GnG aber nicht von den üblichen Gnadenordnungen. Die Landesregierung ist in schweren Fällen und ansonsten das Ministerium der Justiz zuständig.15 b) Gewohnheitsrechtliche Delegationsermächtigungen? In Bayern und Hamburg delegiert der Gnadenträger seine Kompetenz auf untergeordnete Stellen, obwohl weder auf verfassungs- noch auf einfachgesetzlicher Basis eine ausdrückliche Ermächtigung dafür besteht. Die Delegation erfolgt in diesen Fällen auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage oder wird als konkludent geregelt angesehen. So übt der bayerische Ministerpräsident das Begnadigungsrecht nach Art. 47 Abs. 4 BayVerf aus und hat seine Befugnis in weiten Teilen auch delegiert; eine ausdrückliche Delegationsermächtigung besteht aber nicht. In Hamburg hat der gemäß Art. 44 Abs. 1 VerfHH zuständige Senat die Justizbehörde zur Ausübung des Begnadigungsrechts ermächtigt, die nur in ganz seltenen Fällen eine Gnadensache der „Senatskommission für das Gnadenwesen“16 vorlegt. Auch hier besteht keine ausdrückliche Delegationsermächtigung.17 Es stellt sich bei dieser Praxis die grundsätzliche Frage, ob Gewohnheitsrecht eine ausreichende Legitimationsgrundlage für die Weiterübertragung eines verfassungsrechtlich verankerten Begnadigungsrechts ist. aa) Befürworter einer gewohnheitsrechtlichen Lösung Teilweise wird die Zulässigkeit einer Delegationsermächtigung aus Gewohnheitsrecht ohne nähere Begründung bejaht.18 Danach wäre es aufgrund lang an15 §§ 3 f. SaarlGnG. Zur wichtigen Unterscheidung, ob das Begnadigungsrecht auf das Ministerium oder den Minister übertragen wurde, vgl. ausführlich Abschn. II. 2. a). ee). 16 Die Senatskommission für das Gnadenwesen ist derzeit (Stand 2010) mit den Senatoren der Justizbehörde, der Behörde für Inneres, der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz und der Behörde für Schule und Berufsbildung sowie der Staatsrätin der Justizbehörde besetzt. Ausführlich in Kap. D. II. 2. a) hh). 17 In den Verfassungsentwürfen Hamburgs war zunächst eine Delegationsermächtigung enthalten, die später ohne erkennbaren Grund fallen gelassen wurde, vgl. David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Art. 44 Rn. 11: „Die Beratungen geben keinen Aufschluss über den Willen des Verfassungsgebers.“ 18 Triepel, Delegation und Mandat im Öffentlichen Recht, S. 120; Reinhardt, Delegation und Mandat im Öffentlichen Recht, S. 95 f.; Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (124) „[…] obschon sie nur selten vorkommen dürfte […]“; Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 162; David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Art. 44 Rn. 12 ff., der zwar eine konkludente Befugnis zur Delegation ausschließt, die Übertragung des Begnadigungsrechts durch den Hamburger Senat aber für ein Mandat hält und dieses im Organisationsrecht des Senats (Art. 57 VerfHH) begründet sieht. Diese Auffassung ist abzulehnen, da sie die praktische Ausgestaltung der Delegation des Begnadigungsrechts unzutreffend bewertet: Für ein Mandat müsste das Begnadigungsrecht nicht nur „im Namen des Senats“ ausgeübt werden, sondern auch in einer dem Senat entsprechenden Art und Weise. Da eine Kategorisierung von Gna-

78

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

dauernder Übung der Staatsorgane in den Bundesländern, in denen keine ausdrückliche Ermächtigung normiert wurde, zu einer Delegationsermächtigung aus Gewohnheitsrecht gekommen. Eine solche wäre die Grundlage für die Delegationsanordnungen der jeweiligen Gnadenträger. bb) Kritik Für eine Auseinandersetzung mit dieser These müssen zunächst die allgemeinen Voraussetzungen für Gewohnheitsrecht untersucht werden. Gewohnheitsrecht entsteht durch eine langdauernde allgemeine Übung (objektives Element), die durch die Überzeugung der Beteiligten von der Rechtmäßigkeit der Übung getragen wird (subjektives Element) und als Rechtssatz formulierbar ist (formales Element).19 Das Gewohnheitsrecht ist mangels eigener Rechtserzeugungsbedingungen keine eigenständige Rechtsquelle;20 es wird von den im Gesetzgebungsverfahren entstandenen Rechtssätzen überlagert. Es ist für die Wahrung der Rechtssicherheit eine Kategorie, die den Kanon der Rechtsquellen lediglich ergänzen kann.21 Hier würde also die langdauernde allgemeine Übung in der Weiterübertragung des Begnadigungsrechts durch die Verfassungsorgane liegen. Das ungeschriebene Recht ist in der Verfassung als Teilrechtsordnung eine besonders begründungsbedürftige Rechtsquelle.22 Etwas kurz ist deshalb die Auffassung, Delegationsermächtigungen durch Gewohnheitsrecht seien zulässig, weil „kein Grund ersichtlich [sei], weshalb durch Gewohnheitsrecht keine Ermächtigung zur Delegation begründet werden können soll […]“23. Dementgegen muss insbesondere im Verfassungsrecht für die Organisationsgewalt zur Bedingung gemacht werden, dass die Übertragbarkeit verfassungsrechtlicher Kompetenzen ausdrücklich festgelegt wird.24 Auch wenn durch eine langandauernde Praxis eine faktische dengründen indes nicht möglich ist, hat der Senat seine Befugnis zur Begnadigung in die Hände der Senatsverwaltung gegeben, die über Einzelfälle selbstständig und nicht im Namen des Senats entscheidet. Hier liegt eine faktische Zuständigkeitsverschiebung und somit eine Delegation vor, zu der Art. 44 VerfHH nicht ermächtigt (ausführliche Begründung auch mit Blick auf die bayerische Rechtslage sogleich). Zur Unterscheidung von Delegation und Mandat vgl. Kap. D. III. 1. c). 19 Ossenbühl, HdbStR V § 100 Rn. 57; vgl. auch Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht unter dem Grundgesetz, S. 428. 20 Ossenbühl, ebenda. 21 Vgl. Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, S. 142. 22 Vgl. Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht unter dem Grundgesetz, S. 8. 23 Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 96, der zwar zugibt, dass die Voraussetzungen für Gewohnheitsrecht bei öffentlich-rechtlichen Delegationen „so gut wie nie erfüllt sein werden“, aber gerade im Verfassungsrecht mit Hinweis auf die Befugnisse des Bundespräsidenten eine so wenig ausdifferenzierte Kompetenzregelung existiere, dass eine gewohnheitsrechtliche Delegationsermächtigung möglich sei. 24 Das erkennt auch Schenke, ebenda, obwohl er im Ergebnis zu der Zulässigkeit von Delegationsermächtigungen durch Verfassungsgewohnheitsrecht kommt.

I. Delegationsermächtigungen

79

Vorprägung der Verfassungsauslegung besteht, immunisiert das nicht gegen den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit.25 Zwar besteht der Vorteil eines rechtssichernden Befriedungseffektes, eine lange Übung zu Gewohnheitsrecht zu erklären.26 Aber auf verfassungsrechtlicher Ebene ist die Anwendung von Gewohnheitsrecht zweifelhaft. Das Verfassungsrecht bedarf der weiterführenden Auslegung und Interpretation, weil es nicht über die gleiche Präzision wie strafgesetzliche Tatbestände verfügt; es hat aber gerade in der organisationsrechtlichen Zuständigkeitsfrage – und nur darum geht es – höchst detaillierte Einzelregelungen aufzuweisen.27 Besonders problematisch ist das Element einer lang andauernden Übung, bei dem sich fragt, wer das für die Übung relevante Organ, also quasi Übungsberechtigter28 ist. Beim Begnadigungsrecht sind die Akteure der für das Gewohnheitsrecht notwendigen Übung die obersten Staatsorgane, nämlich der Gnadenträger und die entsprechenden Delegatare. Damit ist der Kreis der mit der Gewohnheit verbundenen Organe sehr eng.29 Es fehlt insoweit der auf verfassungsrechtlicher Ebene notwendige Bezug zum Volk, welches an dem Vorgang der langandauernden allgemeinen Übung keinen Anteil hat, allein schon wegen einer mangelnden Tatsachenkenntnis über die Einzelheiten.30 Selbst den Rechtskundigen ist in den meisten Fällen nicht bekannt, dass über Gnadengesuche höchst selten das eigentlich zuständige Verfassungsorgan, sondern vielmehr delegierte Stellen auf unterer Ebene entscheiden. Die „Gewohnheit“ entsteht also in einem so kleinen Kreis, dass eine Beteiligung relevanter Organe an der Übung nicht stattfindet. Es fehlt hier an einer Rechtsüberzeugung der Rechtsgemeinschaft, die auf Verfassungsebene mit Blick auf das Demokratieprinzip zentral ist. cc) Konkludente Delegationsermächtigung? Der Bayerische Verfassungsgerichtshof wies am 8. 7. 2008 eine entsprechende Verfassungsbeschwerde ab, die die Delegation des Begnadigungsrechts durch den bayerischen Ministerpräsidenten zum Gegenstand hatte.31 Der Antragssteller be25

Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, S. 142. Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, S. 151, wobei eine Rückabwicklung von Verfassungshandlungen, die auf Gewohnheitsrecht beruhen, nicht in Frage kommt (S. 134 f.). 27 Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, S. 70. 28 Vgl. Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht unter dem Grundgesetz, S. 444. 29 Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, S. 134. 30 Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, S. 133 f. Im Ergebnis ebenso auf die fehlende Beteiligung des Volkes als „pouvoir constituant“ hinweisend Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 100 f. Demgegenüber Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht unter dem Grundgesetz, S. 446 ff., der eher auf das Volk als „pouvoir constitué“ abstellt, gleichwohl aber auf die „so hervorgerufenen Spannungen zu Art. 20 Abs. 2 Satz 2 HS 1 GG“ hinweist, der die Befugnisse des Volkes (Wahlen und Abstimmungen, aber keine Gewohnheitsrechtsbildung) abschließend aufzähle (S. 447). 31 BayVerfGH AZ Vf. 6-VII-07 v. 8. 7. 2008. 26

80

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

gehrte aus Gründen der Gleichbehandlung eine persönliche Entscheidung des bayerischen Ministerpräsidenten und wandte sich gegen dessen Bekanntmachung, sich die Entscheidung nur in wenigen bedeutenden Fällen vorzubehalten und sein Begnadigungsrecht ansonsten weitgehend zu delegieren.32 Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass die Bekanntmachung des Bayerischen Ministerpräsidenten über die Ausübung des Begnadigungsrechts eine Rechtsnorm im Sinne des Art. 55 Abs. 1 Satz 1 BayVfGHG sei, die Gegenstand einer Popularklage sein könne, obwohl die Bezeichnung als „Bekanntmachung“ und das Fehlen einer angegebenen Rechtsgrundlage eher den Charakter einer innerdienstlichen Direktive ohne Außenwirkung nahe legen. Dem entgegnende Stellungnahmen der Landesregierung33 konnten nicht überzeugen. Der Inhalt der Bekanntmachung gestalte die Zuständigkeit des Ministerpräsidenten nach Art. 47 Abs. 4 BayVerf näher aus und lege im Verhältnis zu den Betroffenen – also mit Außenwirkung – verbindlich fest, wer über ihr Gnadengesuch zu entscheiden habe.34 Grundlage dieser Bekanntmachung sei eine konkludent anzunehmende Delegationsermächtigung, die sich durch die Auslegung des Begnadigungsrechts nach Art. 47 Abs. 4 begründen lasse. Der Gerichtshof stellt hierfür auf die Historie des Art. 47 Abs. 4 BayVerf ab, bei dessen Entstehung die Möglichkeit einer Delegation in keiner Weise erörtert wurde, weshalb der Gerichtshof meint, die Ermächtigung sei „als selbstverständlich vorausgesetzt“35. dd) Kritik Die Ausführungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes können nicht überzeugen. Die Delegationsermächtigung kann nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden, wenn es keinerlei Anhaltspunkte für einen entsprechenden verfassungsgesetzgeberischen Willen gibt. Auf die fehlende Diskussion in den Verfassungsberatungen abzustellen und somit historische Argumente besonders stark zu gewichten, kann bei einer Nichterörterung, also einem Schweigen der Materialien über eine Willensbildung, keine Relevanz haben. Gerade weil laut den Materialien in der Bayerischen Verfassungsgebenden Versammlung nicht über die Frage des Begnadigungsrechts diskutiert wurde, muss dem Wortlaut eine viel stärkere Bedeutung beigemessen werden.36 32 §§ 2 ff. der Bekanntmachung des Bayerischen Ministerpräsidenten über die Ausübung des Begnadigungsrechts. 33 BayVerfGH AZ Vf. 6-VII-07 v. 8. 7. 2008, juris Rn. 8 ff. 34 BayVerfGH AZ Vf. 6-VII-07 v. 8. 7. 2008, juris Rn. 21. 35 BayVerfGH AZ Vf. 6-VII-07 v. 8. 7. 2008, juris Rn. 33. 36 Das gilt auch für die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg. Die Verfassungsentwürfe enthielten in Hamburg sogar zunächst eine Delegationsermächtigung, die später ohne erkennbaren Grund fallen gelassen wurde, vgl. David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Art. 44 Rn. 11.

I. Delegationsermächtigungen

81

Ferner reichen ein reiner Rückgriff auf das „historisch überkommene“37 Begnadigungsrecht und eine entsprechende Staatspraxis für die konkludente Annahme einer Ermächtigung nicht aus. Noch weniger trägt der Hinweis auf die Rechtslage in den anderen Ländern,38 die ja schließlich entsprechende Ermächtigungen gesetzgeberisch festgelegt haben. Wenn man die Übertragbarkeit als selbstverständlich ansehen würde, wären die in den sonstigen Verfassungen und dem Grundgesetz normierten Delegationsermächtigungen überflüssig. Gerade die Festlegung von ausdrücklichen Delegationsermächtigungen ist verbreitet, sodass der Hinweis auf den Ausgangspunkt der staatsrechtlichen Entwicklung des Begnadigungsrechts, nämlich Titel 13 § 9 des Zweiten Teils des Preußischen Allgemeinen Landrechts,39 genau das Gegenteil beweist. Hier liegt eine ausdrückliche Delegationsermächtigung vor. Existierte eine solche in der WRV zwar nicht (Art. 49 WRV enthielt keine Delegationsermächtigung, delegiert wurde trotzdem), streitet gegen die Kontinuität zur Weimarer Regelung zweierlei: Zum einen hätte die Fortgeltung dieses ungeregelten Zustands begründet werden müssen. Denn die „[…] teilweise Fortgeltung alten Verfassungsrechts, zumindest des formellen Verfassungsrechts im engeren Sinne, bei Inkrafttreten einer neuen Verfassung ist grundsätzlich begründungsbedürftig.“40 Zum anderen gilt ein weiteres systematisches Argument: Die Ratio des Art. 77 BayVerf fordert für jede Zuständigkeitsregelung der Staatsverwaltung eine gesetzliche Grundlage. Der Gerichtshof hält diese Norm mit dem Hinweis für nicht einschlägig, es handle sich bei dem Begnadigungsrecht um ein „Vorrecht des Ministerpräsidenten“, welches nicht der Staatsverwaltung und somit auch nicht Art. 77 Abs. 1 Satz 1 BayVerf zuzurechnen sei.41 Der Gegenschluss ist zutreffend: Wenn es schon bei der Übertragung der allgemeinen Staatsverwaltung einer gesetzlichen Grundlage bedarf, muss erst recht für die Übertragung eines Vorrechts eine gesetzliche Erlaubnis vorliegen. Wäre das Begnadigungsrecht ohne diesen formalen Rahmen so einfach übertragbar, wäre die Besonderheit als Vorrecht nicht zu begründen.

37 BayVerfGH AZ Vf. 6-VII-07 v. 8. 7. 2008, juris Rn. 32 (unter Hinweis auf BVerfGE 25, 352 (358)). 38 BayVerfGH AZ Vf. 6-VII-07 v. 8. 7. 2008, juris Rn. 34 (Es sei kein Grund ersichtlich, warum die bayerische Rechtslage sich von den anderen Landesverfassungen abheben wollte). 39 Vgl. BayVerfGH AZ Vf. 6-VII-07 v. 8. 7. 2008, juris Rn. 12. Titel 13 § 9 PrALR lautet: „Das Recht, aus erheblichen Gründen Verbrechen zu verzeihen; Untersuchungen niederzuschlagen; Verbrecher ganz oder zum Theil zu begnadigen; Zuchthaus-, Festungs- oder andere härtere Leibesstrafen in gelindere zu verwandeln, kann nur von dem Oberhaupte des Staats unmittelbar ausgeübt werden; soweit er nicht dasselbe, für gewisse Arten von Verbrechen oder Strafen, einer ihm untergeordneten Behörde ausdrücklich übertragen hat.“ 40 Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht unter dem Grundgesetz, S. 430 (für das Verhältnis WRV und GG). 41 BayVerfGH AZ Vf. 6-VII-07 v. 8. 7. 2008, juris Rn. 22.

82

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

Ohnehin ist es problematisch, einerseits von der „besonderen Stellung des Begnadigungsrechts im Gefüge der Rechtsordnung“42 zu sprechen, die die Zuständigkeit des Ministerpräsidenten für die Organisationsfrage unabhängig von Art. 77 BayVerf begründe, und andererseits eine höchstpersönliche Ausübung des Begnadigungsrechts abzulehnen,43 ohne konkrete Grenzen für die Weiterübertragung zu nennen. Selbst wenn man das Erfordernis einer ausdrücklichen Ermächtigung verneinen will, hätte man zumindest Ausführungen zu dieser Frage machen müssen, ob sich aus dem Charakter des Vorrechts Grenzen für die Delegation ergeben, die dann ebenso konkludent angenommen werden müssten. c) Zwischenergebnis Festzuhalten bleibt: Man darf insbesondere auf Verfassungsebene nicht zulassen, dass die Klärung des Rechtsproblems durch den bequemen Rückgriff auf das gewohnheitsrechtliche Argument entlastet wird.44 Im Falle einer gerichtlichen Überprüfung der Gnadenpraxis in einem Land mit einer fehlenden ausdrücklichen Delegationsermächtigung kommt man nicht umhin, die grundsätzliche Frage einer Übertragbarkeit und ihrer Grenzen zu beantworten. Bei einer fehlenden Delegationsermächtigung mangelt es an der notwendigen Klarheit und Eindeutigkeit, wodurch die Zuständigkeitsordnung nicht mehr rechtlich, sondern vielmehr tatsächlich geschützt ist, je nachdem welche langdauernde Übung man hinsichtlich der Zuständigkeitsverlagerung nachweisen könnte.45 Einer fehlenden Wortlautsicherheit folgt eine fehlende Geltungssicherheit.46 Mit der Zulassung einer Weiterübertragung wird das ausschließlich an den Ministerpräsidenten (Bayern) oder den Senat (Hamburg) geknüpfte Begnadigungsrecht in der Weise modifiziert, dass diese amtsmäßige Verknüpfung gelockert wird.47 Da die Anbindung an ein personal geprägtes Amt aber Wesensmerkmal einer Gnadenentscheidung ist, kann auf die formale Notwendigkeit einer ausdrücklichen verfassungsgesetzlichen Ermächtigung nicht verzichtet werden. Das Begnadigungsrecht integriert in den Rechtsstaat eine ungewöhnliche, besondere Kompetenz, deren Übertragung nicht dem unsicheren gewohnheitsrechtlichen Feld überlassen werden kann. Das Gewohnheitsrecht kann für die Übertragung der Begnadigungskompetenz somit keine brauchbare Kategorie sein.

42

BayVerfGH AZ Vf. 6-VII-07 v. 8. 7. 2008, juris Rn. 36. BayVerfGH AZ Vf. 6-VII-07 v. 8. 7. 2008, juris Rn. 34. 44 Vgl. Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, S. 140. 45 Vgl. Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 98. 46 Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht unter dem Grundgesetz, S. 334. 47 Die Lockerung dieser Verknüpfung hat gleichwohl Grenzen, wie in Kap. D. III. 2. zu zeigen sein wird. 43

II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis

83

II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis 1. Bundesebene Von der bundesrechtlichen Delegationsermächtigung hat der Bundespräsident durch eine entsprechende organisationsrechtliche Anordnung48 Gebrauch gemacht und das Strafgnadenrecht dem Bundesminister für Justiz übertragen (Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 AnO), soweit er sich die Entschließung nicht vorbehalten hat, was bei Fällen von außerordentlicher Bedeutung relevant ist (Art. 2 Abs. 3 AnO). Der Delegatar (in diesem Fall der Bundesminister der Justiz) kann die Ausübung des Begnadigungsrechts auch weiterübertragen, sofern er dazu ermächtigt ist.49 Die Vorbereitung einer Gnadenentscheidung durch das Bundespräsidialamt stellt keine Delegation dar, weil es die wesensmäßige Aufgabe dieser Behörde ist, die Vorbereitung sämtlicher Amtshandlungen des Bundespräsidenten zu leisten.50 Zu unterscheiden sind die Fälle, in denen der Bundespräsident persönlich entscheidet (Abschnitt a)), oder die Ausübung auf andere (Bundes-)Stellen übertragen hat (Abschnitt b)). a) Persönliche Ausübung durch den Bundespräsidenten Art. 60 Abs. 2 GG beschreibt die Regel, wonach die Kompetenz zur Begnadigung in die persönliche Zuständigkeit des Bundespräsidenten fällt.51 Das Verfahren in Gnadensachen auf bundespräsidialer Ebene ist entgegen der Gnadenpraxis auf Länderebene52 nicht durch eine Gnadenordnung geregelt, sondern richtet sich nach gewohnheitsrechtlicher Staatspraxis. Am Beginn des Verfahrens steht das Gnadengesuch des Verurteilten, das sich formlos an das Bundespräsidialamt zu richten hat. Gnadengesuche von Dritten oder von Amts wegen werden nur dann bearbeitet, wenn eine Einwilligung und Mitwirkung des Betroffenen vorliegt.53 Nach der Prüfung der Zuständigkeit des Bundespräsidenten wird in Strafgnadensachen das 48 Anordnung des Bundespräsidenten über die Ausübung des Begnadigungsrechts des Bundes, BGBl. I 1965, 1573. 49 Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 162. 50 Vgl. Nierhaus, Entscheidung, Präsidialakt und Gegenzeichnung, S. 112. 51 Diese Kompetenzzuweisung erfolgt verfassungssystematisch an etwas ungewöhnlicher Stelle, da sie nicht im sachlichen Zusammenhang mit den entsprechenden Rechtsprechungsartikeln erfolgt, auf deren Bereich sich das Begnadigungsrecht bezieht, so zutreffend Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 6. 52 Hinsichtlich der Gnadenverfahren muss sowohl zwischen Bund und Ländern als auch zwischen den einzelnen Ländern unterschieden werden, insoweit ungenau Warnecke, Die Probleme der Begnadigung „Lebenslänglicher“ und des § 57a StGB sowie deren Ursachen, S. 22 ff. 53 Pieper, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 18.1.

84

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

Bundesministerium der Justiz über den Eingang des Gnadengesuchs informiert und am Verfahren insoweit beteiligt, als es die für die Bearbeitung des Falles notwendigen Unterlagen und Stellungnahmen (Bundesanwaltschaft und Strafvollzugsbehörden) einholt.54 Aus welchem Expertenkreis weitere Gutachten und Stellungnahmen eingeholt werden, liegt im Ermessen des Bundesministeriums der Justiz und des Bundespräsidialamts – anders als in den Gnadenordnungen auf Länderebene sind die einzuholenden Stellungnahmen nicht geregelt. Der lediglich an gewohnheitsrechtlicher Staatspraxis orientierte Verfahrensgang führt dazu, dass es je nach Amtsführung des Bundespräsidenten und seiner zuständigen Mitarbeiter auch zu eigenen, selbstständigen Ermittlungen kommen kann, sofern dies für notwendig und für die Entscheidungsfindung des Bundespräsidenten erheblich erachtet wird.55 Sind die Ermittlungen des Bundesministeriums der Justiz abgeschlossen, legt die Behördenleitung dem Bundespräsidialamt die entsprechenden Unterlagen und ein Votum vor, auf dessen Grundlage von den Mitarbeitern des Bundespräsidialamtes dem Bundespräsidenten ein Bild von der Sachlage und allen relevanten Informationen gemacht wird.56 Dabei erfolgt keine schematische Prüfung oder eine einem bestimmten Anforderungskatalog angepasste Subsumtion, sondern eine umfassende Prüfung der Gnadenbedürftigkeit und Gnadenwürdigkeit.57 Geprüft wird unter anderem, ob die Strafe bereits Wirkung entfaltet hat und der Gesuchsteller die Auseinandersetzung mit der Tat glaubhaft macht.58 Für die letztliche Entscheidung kommt es dann auf die Überzeugung des Bundespräsidenten im Rahmen einer höchstpersönlichen Erwägung an.59 Ein Votum erfolgt nicht.

54

Pieper, ebenda. Für die Art und Weise vgl. die Vorschläge von Hömig, DVBl. 2007, 1328 (1333 f.). Der Bundespräsident kann „alle Informationsmittel nutzen, die ihm geboten scheinen“ (Pieper, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 18.3). So führten in abgeschlossenen Gnadenverfahren die Bundespräsidenten in den meisten Fällen persönliche Gespräche mit den Gesuchstellern (vgl. Pieper, Festschrift für Roman Herzog, 355 (359), Fußn. 33), teilweise auch mit den Angehörigen der Opfer. Diese uneinheitliche Praxis führte zu Verstimmungen bei den Opferfamilien und zu Widerstand in Politik und Öffentlichkeit, vgl. FAZ v. 7. 5. 2007, S. 1 sowie den Kommentar von Roellecke, in FAZ v. 19. 5. 2007, S. 36. Desweiteren können die Mitarbeiter des Bundespräsidialamtes auch eigene Ermittlungen aufnehmen oder auf die Ermittlungen des Bundesministeriums der Justiz Einfluss zu nehmen versuchen, sofern dadurch eine Verfahrensbeschleunigung zu erwarten ist. 56 Vgl. Pieper, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 18.2. 57 Pieper, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 18.3. 58 Vgl. Pieper, ebenda. 59 Pieper, ebenda. Zu den Entscheidungen der bisherigen Bundespräsidenten, ihrer Anzahl und ihrer Aufteilung in Disziplinargnadenentscheidungen und Strafgnadenentscheidungen vgl. Pieper, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 20.1. 55

II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis

85

Die Vollstreckung und Überprüfung der Gnadenentscheidung des Bundespräsidenten obliegt der Bundesanwaltschaft, da sie bereits für die Vollstreckung des Urteils zuständig war.60 aa) Gegenzeichnung der Gnadenentscheidungen Die persönlichen Gnadenentscheidungen des Bundespräsidenten werden von einem Mitglied der Bundesregierung – in der Regel vom Bundesminister der Justiz – gegengezeichnet. Ob diese Praxis mit der personalen Bindung des Begnadigungsrechts an das Amt des Bundespräsidenten zu vereinbaren ist, erscheint zweifelhaft. (1) Sinn und Zweck der Gegenzeichnung „Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den zuständigen Bundesminister“ (Art. 58 Satz 1 GG). Die in Art. 58 GG normierte Gegenzeichnung der Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten soll zum einen die Einheit der Staatsleitung sicherstellen und zum anderen indirekt eine parlamentarische Kontrolle der Akte des Bundespräsidenten gewährleisten, für die die Bundesregierung61 durch die Gegenzeichnung die rechtliche62 und politische Verantwortung übernimmt.63 Diese Übernahme hat ihren Ursprung in der Tatsache, dass der Bundespräsident politisch-parlamentarisch nicht unmittelbar verantwortlich ist.64 Die Entstehungsgeschichte des Art. 58 GG macht die Motivation der Verfassungsväter deutlich, noch unter dem Eindruck der negativen Erfahrungen mit der übermäßigen Machtfülle präsidialer Befugnisse in der WRV ein Instrument der Machtbegrenzung und Kontrolle zu schaffen.65 Nicht zu übersehen ist die Kritik an dieser Gegenzeichnungspflicht, die den Bundespräsidenten in seiner alle parteipolitischen Grenzen überwindenden integrativen und repräsentativen Staatsaufgaben erheblich behindert.66 Ungeachtet einer solchen Diskussion bedarf de lege lata die weitaus überwiegende Anzahl präsidialer Akte einer Kontrasignatur durch ein Mitglied der Bundesregierung. In engen Ausnahmefällen gilt etwas anderes, dann nämlich, wenn das 60

Birkhoff/Müller-Jacobsen, in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, Rn. 40. Zu beachten ist, dass Art. 58 GG die Gegenzeichnung nicht nach dem Kollegialprinzip vorsieht, sondern die Verantwortung durch den Bundeskanzler oder ein Mitglied der Bundesregierung (s. den Wortlaut des Art. 58 Satz 1 GG) übernommen wird, eingehend dazu Fink, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 77 ff. 62 Kritisch gegenüber einer rechtlichen Verantwortung Fink, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 13 f. 63 Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 6. 64 Maurer, in: Festschrift für Carl Carstens Band II, S. 701 (704). 65 Nierhaus, Entscheidung, Präsidialakt und Gegenzeichung, S. 39. 66 Herzog, in: FS für Gebhard Müller, S. 117 (136 f.). 61

86

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

Grundgesetz eine Gegenzeichnung ausdrücklich für entbehrlich hält (Art. 58 Satz 2 GG) oder sich darüber hinaus aus der inneren Struktur und Logik des einzelnen Präsidialrechts eine Gegenzeichnung als untunlich erweisen würde.67 Die in Art. 58 Satz 2 GG genannten Ausnahmen gelten somit nicht abschließend-enumerativ.68 Eine Gegenzeichnung soll ferner in den Fällen entbehrlich sein, „in denen eine zwanglose und am Sinn orientierte Auslegung der fraglichen Verfassungsbestimmungen erweist, dass der Bundespräsident seine Entscheidung nach dem Willen des Verfassungsgebers völlig allein treffen soll.“69 (2) Anwendung auf das Begnadigungsrecht Der Ausnahmenkatalog des Art. 58 Satz 2 GG nimmt die Begnadigung nicht ausdrücklich von der Signaturpflicht aus. Dennoch ist fraglich, ob eine Begnadigungsentscheidung, egal ob sie positiv oder negativ ausfällt, überhaupt gegenzeichnungsfähig ist. Denn es ist zweifelhaft, was der Maßstab für die im Vorfeld der Gegenzeichnung stattfindenden Überprüfung der Gnadenentscheidung sein soll. Ungeachtet des weiten Gestaltungsspielraums des Bundespräsidenten und der Prämisse, dass es sich um eine höchstpersönliche Gewissensentschließung handelt, wird in weiten Teilen der Literatur eine Gegenzeichnungspflicht des Gnadenaktes gefordert.70 Sinn und Zweck der Gegenzeichnung durch die Bundesregierung sei die Wahrung der Interessen der amtierenden Bundesregierung und die Übernahme parlamentarischer Verantwortung für die Handlungen des Bundespräsidenten.71 Ferner werde – als formale Wirksamkeitsvoraussetzung – erst durch die Gegenzeichnung die bis zu diesem Zeitpunkt bestehende schwebende Unwirksamkeit beseitigt.72 Auch wenn dem Bundespräsidenten ein freies politisches Ermessen zustehe, sei seine Entscheidung an die Gegenzeichnung gebunden.73

67

Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 5. Nierhaus, Jura 1987, 553 (554); Fink, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 57; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 20; Hemmrich, in: von Münch/ Kunig, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 16; a. A. Holste, Jura 2003, 738 (739) ohne nähere Begründung. 69 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 31 (Hervorhebungen im Original). 70 Fink, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 33; Herzog, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 40; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 27; Nierhaus, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 15; Maurer, Festschrift für Carl Carstens Band II, 701 (712). 71 Fink, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 40. 72 Fink, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 11. Zum Verfahrensablauf der Gegenzeichnung bei Gnadenakten vgl. Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 43. 73 Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 27. 68

II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis

87

Demgegenüber wird die Pflicht zur Gegenzeichnung mit dem Hinweis abgelehnt, die Begnadigung sei eine materiell rechtsfreie Entscheidung74 und als traditionell ureigenes Vorrecht des Staatsoberhauptes75 einer wie auch immer gearteten Mitwirkung durch die Bundesregierung entzogen. (3) Stellungnahme Wie bereits bemerkt, enthält Art. 58 Satz 2 GG nicht alle Ausnahmen von der Gegenzeichnungspflicht. So hat sich in Literatur und Praxis die unbestrittene Auffassung herausgebildet, dass es weiterer, nicht ausdrücklich in Art. 58 Satz 2 GG legitimierter Ausnahmen bedarf.76 Sie beziehen sich unter anderem auf das Verlangen nach Einberufung des Bundestages (Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG), die Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes, die Erklärung des Gesetzgebungsnotstandes (Art. 81 GG) und den Amtsverzicht.77 All diesen zusätzlichen Ausnahmen ist gemein, dass es sich um selbstständige Befugnisse des Bundespräsidenten handelt. Sie unter den Vorbehalt einer Gegenzeichnungspflicht zu stellen, würde den Bundespräsidenten an der Ausübung seiner ihm gewährten Rechte hindern.78 Die Ausübung des Begnadigungsrechts ist ebenfalls eine selbstständige Befugnis. Die Selbstständigkeit ist eines der zentralen Merkmale einer Begnadigungsentscheidung: Der Bundespräsident entscheidet frei, ohne eine durch andere Stellen nachvollziehbare Begründungspflicht, in eigenem Ermessen und in der eigenen Abwägung der Interessen – eben selbstständig. Umso weniger passen Gegenzeichnung und Begnadigung zusammen. Die Ausübung des Gnadenrechts verbindet sich wesensmäßig mit den „zwei Augen des Staatsoberhauptes“79, sodass den weiteren Augen des Gegenzeichnenden die Gründe, die zu der Gnadenentscheidung geführt haben, sowohl formell – eine Begründung der Gnadenentscheidung findet nicht statt –, als auch materiell – die Erwägungen zum Gnadenentscheid sind rein persönlich – verschlossen bleiben. Gerade beim Begnadigungsrecht tritt die an anderer Stelle durchaus übliche Divergenz zwischen materieller Bestimmung und formaler außenwirksamer Entscheidung nicht auf.80 Der Bundespräsident entscheidet autark, nicht zuletzt auch wegen der herausragenden Stellung als Staatsrepräsentant.81 In der Staatspraxis denkbar (aber verfassungsrechtlich unzulässig) ist deshalb die Auffassung, durch die Gegenzeichnung liege das Begnadigungsrecht 74

Vgl. Stern, Staatsrecht II, S. 264 f. Hemmrich, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 21. Vgl. für die Rechtslage in Liechtenstein Winkler, Begnadigung und Gegenzeichnung, S. 73 ff. 76 Nierhaus, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 13 ff. 77 Schlaich, Handbuch des Staatsrechts Band II (2. Aufl.) § 49 Rn. 77; Nierhaus, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 14. 78 Hemmrich, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 16. 79 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 36. 80 Nettesheim, Handbuch des Staatsrechts Band III, § 62 Rn. 51. 81 Nettesheim, ebenda. 75

88

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

„praktisch in den Händen des Bundeskanzlers bzw. des zuständigen Fachministers“82. Ferner ist die Doppelfunktion der Gegenzeichnung gerade in den Fällen von Gnadenentscheidungen ohne Belang: Die Funktion der politischen Bindung an die Regierung einerseits findet bei Begnadigungen keinen Raum, weil die Gnadenentscheidung von selbstständigen, autonomen Motiven der Person des Bundespräsidenten abhängt. Durch eine selbstständige Politik die Einheitlichkeit der Staatsleitung zu stören,83 kann weder Intention noch Ergebnis einer Gnadenentscheidung im Einzelfall sein. Andererseits ist die Funktion der parlamentarischen Verantwortung der Bundesregierung in Gnadenentscheidungen nicht relevant: Denn die Begnadigung ist im System der Gewaltenteilung zwar ein Eingriff in die Legislativ- und Judikativrechte;84 wegen der verfassungsrechtlichen Verankerung in Art. 60 GG ist dieser vermeintliche Widerspruch aber eine systemimmanente Konzeption, in der die Mitwirkung oder Legitimation durch das Parlament nicht notwendig und faktisch auch nicht möglich ist. Die politisch-parlamentarische Verantwortlichkeit kann für die „materielle Richtigkeit“ der Gnadenentscheidung von dem Gegenzeichnenden nur pro forma übernommen werden.85 Was bei einem vollständig vertraulichen, ohne eine Begründung versehenen Gnadenentschluss Gegenstand einer parlamentarischen Überprüfung sein soll, noch dazu mit einem lediglich Gegenzeichnenden in der Rolle des Verantwortlichen, bleibt unbeantwortet. Um eine der Staatspraxis angemessene Regelung zu finden, wird weithin angenommen, das Ermessen des Gegenzeichnenden sei auf Null reduziert und der Bundespräsident habe einen Anspruch auf Gegenzeichnung eines jeden Gnadenaktes.86 Es gehe lediglich um die Willkürfreiheit der präsidentiellen Entscheidung; inhaltlich bestehe nahezu ausnahmslos eine Pflicht zur Gegenzeichnung.87 Das degradiert indes die Gegenzeichnung zu einer reinen Formalie, die die gegenzeichnenden Regierungsmitglieder in sämtlichen Gnadenfällen in eine „notarähnliche“ Rolle zwängt – eine Funktion, die weder der verfassungsmäßigen Rolle der Bundesregierung noch dem Instrument der Gegenzeichnung gerecht wird. Eine

82

So ohne weitere Begründung Alscher, BayVBl. 1972, 574. Vgl. Schlaich, Handbuch des Staatsrechts Band II (2. Aufl.), § 49 Rn. 64. 84 Pieper, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 9. 85 Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 46, der in Rn. 42 ff. eine Vielzahl von treffenden Gegenargumenten zur Kontrasignaturpflicht anführt, dann aber doch – obwohl er eine Reduzierung der Gegenzeichnung zu einer reinen Formalie sieht (Rn. 45) – resümiert: „Das geschilderte Verfahren wird man […] als mit Art. 58 Abs. 1 GG vereinbar ansehen können“ (Rn. 44). 86 Pieper, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 11. 87 Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 68, 43 aE. 83

II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis

89

Pflicht zur Gegenzeichnung widerspricht dem konstitutiven Wesensmerkmal der Entschließungsfreiheit des Gegenzeichnenden.88 Es stellt sich desweiteren das Problem, wie ein Anspruch des Bundespräsidenten auf Gegenzeichnung im Konfliktfall durchgesetzt werden müsste. In Betracht käme ein Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, dessen Streitgegenstand dann die Durchsetzung der jeweiligen Gnadenentscheidung des Bundespräsidenten wäre. Der Verfassungsgesetzgeber ist bei aller Machtbegrenzung des präsidentiellen Verfassungsorgans nicht davon ausgegangen, ein umfänglich verantwortungsloses Amt zu schaffen. Dass das Begnadigungsrecht dem Bundespräsidenten vielmehr ein machtvolles Instrument in die Hand gibt, zeigt auch die Tatsache, dass Art. 60 Abs. 2 GG im Gegensatz zu Art. 60 Abs. 1 GG nicht unter Gesetzesvorbehalt steht. Die Legislative kann somit bei der Kompetenzverteilung in Gnadensachen nicht die Zuständigkeit des Bundespräsidenten einschränken.89 bb) Zwischenergebnis Die Gegenzeichnung wird als eine ehrwürdige Überflüssigkeit90 bezeichnet, da es ein dem Konstitutionalismus entlehntes Verständnis zugrunde lege91 und für den in der Verfassungswirklichkeit eigentlich handelnden und entscheidenden Bundespräsidenten eine lediglich formale Zustimmung leiste. Die Gegenzeichnung verkommt dadurch zu einem formalisierten Ausdruck eines übergeordneten Prinzips, das als Pflicht der Verfassungsorgane zur Zusammenarbeit und Kooperation bezeichnet wird92. Die höchstpersönliche Gewissensentschließung des Bundespräsidenten in einem Gnadenverfahren ist keine zur „Zusammenarbeit“ und „Kooperation“ geeignete Amtshandlung. Die Motive, die zu einer Gnadenentscheidung führen, die Erwägungen, die den Vollzug des Strafrechts angezeigt erscheinen lassen oder eine gnadenweise Aussetzung vertretbar machen, sollen nach dem Willen des Grundgesetzes gerade demjenigen Verfassungsorgan zustehen, das im Verfassungsgefüge am unabhängigsten erscheint. Umso mehr entfällt die Notwendigkeit einer einheitlichen Staatsführung der Verfassungsorgane – eine der Funktionen der Gegenzeichnung.

88 Vgl. Nierhaus, Entscheidung, Präsidialakt und Gegenzeichnung, S. 172 f. für die Gegenzeichnungspflicht bei Delegationsanordnungen des Bundespräsidenten, dazu ausführlich sogleich unter bb). 89 Nettesheim, Handbuch des Staatsrechts Band III, § 62 Rn. 51. 90 Schlaich, Handbuch des Staatsrechts Band II (2. Aufl.), § 49 Rn. 67. 91 Vgl. Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 7. 92 Schenke, in Bonner Kommentar GG, Art. 58 Rn. 16; Jerkewitz, in: Alternativkommentar Grundgesetz, Art. 58 Rn. 4.

90

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

Das Grundgesetz ordnet in Art. 60 Abs. 2 GG das Begnadigungsrecht als eine personale Einzelentscheidung des Bundespräsidenten an. Um diese Freiheit und Unabhängigkeit der Einzelentscheidung zu wahren, muss die Begnadigung zu den gegenzeichnungsfreien Präsidialakten zählen. Eine Gegenzeichnung verletzt diesen Grundsatz und ist insoweit mit Art. 60 Abs. 2 GG nicht vereinbar. b) Verfahren bei der Ausübung durch die Delegatare Die bisherigen Ausführungen zur Gnadenpraxis auf Bundesebene berücksichtigten die persönliche Ausübung des Begnadigungsrechts durch den Bundespräsidenten. Die Weiterübertragung seiner Kompetenz hat allerdings die Konsequenz, dass in den Strafgnadensachen, deren Ausübung der Bundespräsident sich nicht vorbehalten hat, das Bundesministerium der Justiz entscheidet (Art. 2 Abs. 2 AnO), oder aber, was durch Art. 3 AnO möglich ist, eine Stelle entscheidet, auf die das Bundesministerium der Justiz die Kompetenz im Wege der Subdelegation übertragen hat. Art. 3 AnO ermächtigt den Bundesminister für Justiz, das Strafgnadenrecht seinerseits weiterzuübertragen. In Fällen „von außerordentlicher Bedeutung“ behält sich der Bundespräsident die persönliche Ausübung des Begnadigungsrechts vor (Art. 2 Abs. 3 AnO), wobei weder klar ist, bei welchen Fällen eine solche außerordentliche Bedeutung vorliegt, noch in welcher Weise das Bundespräsidialamt davon Kenntnis erlangt. Man mag in Art. 2 Abs. 3 AnO eine konkludente Vorlagepflicht geregelt sehen, nach der sich die jeweils zuständige Stelle in Zweifelsfällen einer Entscheidung enthält. In der Praxis sind die Strafgnadenfälle allerdings so selten,93 dass sie bereits aus diesem Grunde als außerordentlich anzusehen sind und sämtlich vom Bundespräsidenten persönlich entschieden werden. Ein weitaus größerer Anwendungsbereich der Delegation des Begnadigungsrechts auf Bundesebene ist der beamtenrechtliche Disziplinarbereich, da der Disziplinarhoheit des Bundespräsidenten eine Vielzahl von Personen unterstehen. Bedeutsam ist hierbei die Übertragung der Begnadigungskompetenz auf die jeweiligen Fachminister für Ihren Geschäftsbereich (Art. 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 AnO) mit der Möglichkeit einer Subdelegation (Art. 3 AnO). Sie sind in diesen Fällen „disziplinarrechtliche Gnadenbehörden“. Vom Bundespräsidenten persönlich entschieden werden die Fälle, in denen es um die Entfernung aus dem Dienstverhältnis oder die Aberkennung des kompletten Ruhegehaltes geht (Art. 1 Nr. 3 AnO). aa) Weisungsrecht gegenüber nachgeordneten Behörden? Problematisch erscheint die Delegation des Begnadigungsrechts auf Bundesebene vor allem aus dem Blickwinkel der fehlenden Weisungsbefugnis des Bun93 Vgl. für die Anzahl in den unterschiedlichen Amtsperioden der Bundespräsidenten Pieper, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 20.1.

II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis

91

despräsidenten gegenüber den Delegataren. Aus der Dogmatik des Delegationsrechts ist das aber eine notwendige Voraussetzung. Jede Delegation ist als ein innerdienstlicher Befehl an eine nachgeordnete Behörde zu verstehen.94 Mit Ausnahme der Kompetenzübertragung innerhalb des Bundespräsidialamtes bedeutet eine weitergehende Delegation auf Bundesministerien oder weitere Bundesbehörden einen Übergriff in die Organisationshoheit der Bundesregierung. Dadurch werden unter Umgehung der eigentlichen Behördenhierarchie Zuständigkeiten geschaffen, etwaige Verfahrensschritte durch die Möglichkeit einer Gnadenordnung gesteuert und ein Selbsteintrittsrecht bei Fällen außerordentlicher Bedeutung vorbehalten. Der Bundespräsident überträgt seine bedeutende Kompetenz auf Rechtssubjekte, denen gegenüber er in der Behördenhierarchie eigentlich keine Weisungsrechte innehat. Wenig wahrscheinlich, aber durchaus denkbar wäre eine Weigerung der Delegatare zur Ausübung der Gnadenkompetenz, indem sie nämlich auf die fehlende Weisungsbefugnis des Bundespräsidenten hinweisen könnten. Die derzeitige Praxis scheint auf dem Verständnis zu beruhen, in der Übertragung des Begnadigungsrechts zeige sich die besondere Ehre eines Vorrechts, dessen Zurückweisung die Würde des präsidialen Amtes verletzen würde. bb) Weisungsrecht aus der Gegenzeichnung der Delegationsanordnung Man könnte ein Weisungsrecht und die Möglichkeit des Bundespräsidenten, gegenüber den Gnadenbehörden durch den Erlass einer Bundesgnadenordnung „sein“ Begnadigungsrecht zu konkretisieren, direkt aus der Delegationsermächtigung des Art. 60 Abs. 3 GG entnehmen. Die Delegationsermächtigung des Art. 60 Abs. 3 GG normiert aber eher die grundsätzliche Möglichkeit einer Übertragbarkeit der Begnadigungskompetenz, ohne für die Delegation bereits eine Weisungsbefugnis gegenüber den Bundesbehörden und einzelnen Amtsträgern zu schaffen. Überzeugender ist die Weisungsbefugnis aus der Gegenzeichnung der Delegationsanordnung durch die Bundesregierung zu konstruieren. (1) Notwendigkeit der Gegenzeichnung der Delegationsanordnung Anders als die eigentliche Gnadenentscheidung des Bundespräsidenten, die aus den dargestellten Gründen zu den gegenzeichnungsfreien Präsidialakten zählt, muss seine Delegationsanordnung durch die Bundesregierung gegengezeichnet werden. Hier handelt es sich um keine den Besonderheiten der Begnadigung unterliegende Entscheidung, sondern um eine der Entlastung seiner Tätigkeit dienende bürokra94

Obermayer, JZ 1956, 625 (626).

92

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

tische Regelung.95 Die Delegation entspringt nicht höchstpersönlichen Erwägungen für eine Einzelentscheidung, sondern ist eine generelle Anordnung, die die Verantwortlichkeit einer brisanten Kompetenz verlagert. Hier ist eine Kontrolle durch die gegenzeichnende Bundesregierung geboten, um zu gewährleisten, dass das verfassungsrechtliche Postulat einer personalen Entscheidung des Bundespräsidenten nicht durch eine übertriebene Delegation unterlaufen wird. Dem widerspricht Nierhaus, der die Verfügungsfreiheit des Bundespräsidenten innerhalb dessen begrenzter Zuständigkeitsordnung gesichert wissen will.96 Über seine eigenen Machtbefugnisse müsse der Bundespräsident ohne die Abhängigkeit von der politischen Zustimmung verfügen können; die Delegationsberechtigung sei Teil dieser Macht.97 Delegationsanordnungen des Bundespräsidenten seien insoweit von der Gegenzeichnungspflicht ausgeschlossen.98 Das übersieht den schlichten Anordnungs- und Verfügungscharakter der Delegationsanordnung, der hinter den für eine Begnadigungsentscheidung ausgeführten Besonderheiten zurückbleibt. Erst recht die Weiterübertragung des sensiblen Begnadigungsrechts macht eine Gegenzeichnung notwendig, um die Konsequenzen, die mit der Zuständigkeitsänderung für Gnadensachen auftreten, zu kontrollieren. Gegenzeichnungsfrei bleibt demgegenüber der Widerruf einer Delegationsermächtigung. Der Bundespräsident kann sich die ihm von der Verfassung grundsätzlich anvertrauten Rechte jederzeit wieder „zurückholen“.99 (2) Übertragung des Weisungsrechts Die gegenüber nachgeordneten Behörden weisungsbefugte Bundesregierung überträgt diese Befugnisse durch die Gegenzeichnung auf den Bundespräsidenten. Erst die Gegenzeichnung durch die Bundesregierung schafft die notwendige Orga95 Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 47. Im Ergebnis ebenso Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, 10.3, S. 161; Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 39; ders. noch unklar in Festschrift für Gebhard Müller, S. 117 (132): „[…] mehr als zweifelhaft, ob ein solcher Widerruf von der Bundesregierung durch die Verweigerung der Gegenzeichnung verhindert werden könnte.“ A.A. Nierhaus, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 14, (ohne nähere Begründung); Schlaich, Handbuch des Staatsrechts Band II (2. Aufl.), § 49 Rn. 78 (es handle sich um eine Frage der Amtsführung und keine Sachentscheidung). 96 Nierhaus, Entscheidung, Präsidialakt und Gegenzeichnung, S. 171 ff. 97 Nierhaus, Entscheidung, Präsidialakt und Gegenzeichnung, S. 172. 98 Für die Gegenzeichnungsfreiheit des Widerrufs der Delegation im Ergebnis wohl auch Herzog, in: Festschrift für Gebhard Müller, S. 117 (132). 99 Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 58 Rn. 21, der eine Gegenzeichnung für entbehrlich hält, weil durch den Widerruf der verfassungsmäßig „normale“ Zustand wieder hergestellt werde. „[…]; das zu hindern, kann die Bundesregierung kein legitimes Interesse haben.“ Nicht überzeugend deshalb Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 23: „Allerdings braucht er natürlich auch zur Erklärung des Widerrufs die Gegenzeichnung der Bundesregierung, so dass er mit der Delegation nicht jedes Risiko vermeidet.“

II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis

93

nisationshoheit gegenüber den Amtsträgern, auf die der Bundespräsident sein Begnadigungsrecht überträgt. Gleiches gilt für den Erlass von Verfahrensvorschriften sowie für die Konservierung bestimmter Fälle, die der Bundespräsident persönlich entscheiden will. c) Zwischenergebnis Die Ausübung des Begnadigungsrechts des Bundespräsidenten gehört zu den gegenzeichnungsfreien Präsidialakten. Ein in der Praxis konstruierter „Anspruch auf Gegenzeichnung“ ist mit der Entschließungsfreiheit des Gegenzeichnenden nicht zu vereinbaren. Die Gegenzeichnungspflicht gilt deshalb nur für die organisationsrechtliche Delegationsermächtigung, in der der Bundespräsident sein Begnadigungsrecht auf andere Stellen überträgt.

2. Landesebene In allen Ländern ist das Begnadigungsrecht des Ministerpräsidenten oder der Landesregierungen weiterübertragen worden. Die Delegationsanordnungen weisen einige Unterschiede auf, die sich auf die einzelnen Zuständigkeiten und Begrenzungen beziehen, die für die Gnadenpraxis gelten. Die für das eigentliche Verfahren relevanten Gnadenordnungen stehen mit diesen Zuständigkeitsfragen in engem Zusammenhang und werden in einem zweiten Schritt (Abschn. b)) behandelt. a) Delegationsanordnungen auf Landesebene Die Delegation wird im Rahmen von Erlassen100, Bekanntmachungen101 oder Anordnungen102 geregelt, die sich – soweit vorhanden – auf die verfassungsrechtliche

100 Erlass des Ministerpräsidenten über die Ausübung des Begnadigungsrechts Brandenburg, ABl. BB 1995, S. 442; Erlass des Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Amtsbl. M-V 1991, S. 79; Runderlass der Niedersächsischen Staatskanzlei, Nds. MBl. 2000, S. 177, bezugnehmend auf Nds. MBl. 1971, S. 494; Erlass des Ministerpräsidenten über die Ausübung des Rechts der Begnadigung NRW, GV NRW 2001, S. 674; Erlass des Ministerpräsidenten zur Ausübung des Gnadenrechts Sachsen-Anhalt, MBl. LSA 1994, S. 1475; Erlass des Ministerpräsidenten zur Ausübung des Begnadigungsrechts Schleswig-Holstein, AmtsBl. S-H 2006, S. 86. 101 Bekanntmachung des Bayerischen Ministerpräsidenten über die Ausübung des Begnadigungsrechts, BayRS IV 1983, S. 545. 102 Anordnung des Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg über die Ausübung des Gnadenrechts, GBl. B-W 2001, S. 567; Anordnung über die Ausübung des Begnadigungsrechts, Berliner Senatsbeschluss Nr. 1051/97; Anordnung des Senats über die Ausübung des Begnadigungsrechts Bremen, BremGBl. 2009, S. 517; Anordnung des Ministerpräsidenten über die Ausübung des Gnadenrechts Hessen vom 26. 11. 1974; Anordnung des Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen über die Ausübung des Begnadigungsrechts, SächsABl. 2002,

94

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

Delegationsermächtigung beziehen. Hierbei handelt es sich um eine Erstdelegation durch den eigentlichen Gnadenträger, die durch meist vom jeweiligen Justizminister erlassene Gnadenordnungen ergänzt wird, in denen die Zuständigkeit durch weiterführende Subdelegationen im Einzelnen geregelt wird. Unabhängig von diesen unterschiedlichen Bezeichnungen ist allgemein davon auszugehen, dass die Delegationsanordnungen Rechtsverordnungscharakter haben: Die Kompetenzen werden innerhalb der Zuständigkeitsordnung abstrakt-generell verschoben.103 Die unterschiedliche Form und Bezeichnung macht in der Sache keinen Unterschied.104 Teilweise bedarf es für diese Delegationsanordnungen einer Zustimmung der Landesregierung, vergleichbar mit der Gegenzeichnungspflicht der Delegationsanordnung des Bundespräsidenten. aa) Begriff der „Gnadenbehörde“ Vielfach werden die Delegatare als „Gnadenbehörde“ bezeichnet.105 Dieser Begriff ist irreführend.106 Er suggeriert eine eigens mit dem Begnadigungsrecht befasste „Behörde“ und verdeckt begrifflich die Notwendigkeit, dass eine Gnadenentscheidung in ihrer Entscheidungsfindung und Wirkung vom üblichen Behördengang und Behördenbegriff unabhängig sein muss. Es soll ja gerade nicht der festgelegte Verfahrensgang einer verwaltungsmäßigen und rechtlich gebundenen Behörde entscheidungsleitend sein, sondern die besondere Bewertung eines Einzelfalls aus deutlich freieren Gesichtspunkten. bb) Persönliche Zuständigkeit des landesrechtlichen Gnadenträgers In allen Delegationsanordnungen behält sich das Organ, welches von der Verfassung ursprünglich mit dem Begnadigungsrecht betraut wurde, in äußerst begrenzten Fällen eine Zuständigkeit vor. Nur bei lebenslangen Haftstrafen,107 teilS. 1276; Anordnung des Ministerpräsidenten über die Ausübung des Gnadenrechts Thüringen, GVBl. Thüringen 1994, S. 405. 103 Nierhaus, Entscheidung, Präsidialakt und Gegenzeichnung, S. 113; ders., in: Sachs, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 16; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 30. 104 Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 161. 105 Vgl. § 5 GnO B-W; § 25 Abs. 2 aE BayGnO; § 4 GnO BB; § 1 BremGnO; § 3 HessGnO; § 3a GnO M-V; § 3 GnO NW; Abschn. II Ziff. 5 SächsGnO; § 4 GnO LSA; § 3 ThürGnO. In Schleswig-Holstein bezeichnet sich der Justizminister selbst als Gnadenbehörde, vgl. § 3 GnO S-H: „Soweit sich der Ministerpräsident nicht die Entscheidung über die Ausübung des Begnadigungsrechts vorbehalten hat […], entscheide ich als Gnadenbehörde.“ 106 Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts S. 167. 107 § 2 Nr. 1 DelegAnO Bayern; § 1 Nr. 1 DelegAnO Berlin (zusätzlich noch Freiheitsstrafen, die das Berliner Kammergericht im ersten Rechtszug verhängt hat, wobei dort, sollte

II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis

95

weise auch bei Haftstrafen, bei denen noch mehr als vier Jahre zu verbüßen sind,108 teilweise auch bei Straftaten mit politischem Einschlag,109 besteht eine Zuständigkeit des Ministerpräsidenten oder der Landesregierungen. Gleichwohl verfügen die meisten Delegationsanordnungen über die Möglichkeit, die Kompetenz zurückzuholen, sollte es sich um einen bedeutenden Fall handeln. Unklar bleibt, wann ein solcher Fall unter die unbestimmte Kategorie der Bedeutsamkeit fällt. In seltenen Fällen110 befasst sich also der verfassungsmäßige Träger des Begnadigungsrechts – der Ministerpräsident bzw. die Landesregierung – ausdrücklich persönlich mit einem Begnadigungsverfahren. Dabei lässt die Orientierung des in den Landesverfassungen normierten Begnadigungsrechts an Art. 60 Abs. 2 GG den Schluss zu, dass der Ministerpräsident in Gnadensachen als Staatsoberhaupt und nicht als Regierungschef tätig wird.111 In den Bundesländern werden die Aufgaben des repräsentierenden Staatsoberhaupts und des politisch verantwortlich handelnden Regierungschefs im Amt des Ministerpräsidenten vereinigt.112 Der Ministerpräsident als Gnadenträger hat damit staatsoberhauptliche Funktion.113 Diese autoritative und das Kammergericht in einer bundesgerichtlichen Sache tätig werden, die Begnadigungshoheit des Bundespräsidenten zu beachten ist); Art. 1 Nr. 1 DelegAnO Brandenburg (wobei auch hier eine Zuständigkeit bei Freiheitsstrafen gegeben ist, die vom Brandenburgischen OLG im ersten Rechtszug verhängt sind, soweit nicht das Begnadigungsrecht dem Bund zusteht); Ziff. I a DelegErlass Niedersachsen, ähnlich zu den Verfahren vor dem OLG im ersten Rechtszug; Art. 1 Nr. 1 DelegErlass NRW, Nr. 2 zu Verfahren vor dem OLG im ersten Rechtszug; § 1 Abs. 1 Nr. 1 GnG Rheinland-Pfalz; § 3 Abs. 1 Nr. 1 GnG Saarland; Ziff. I Abs. 1 a DelegAnO SachsenAnhalt, ähnlich zu den Verfahren vor dem OLG im ersten Rechtszug; Ziff. I Nr. 1 DelegErlass Schleswig-Holstein, Nr. 2 zu Verfahren vor dem OLG im ersten Rechtszug; § 2 Nr. 1 b DelegAnO Thüringen. 108 § 1 Abs. 1 Nr. 4 DelegAnO Baden-Württemberg; Ziff. 1 b. DelegAnO Sachsen. 109 § 1 Nr. 1 DelegAnO Bremen; in Hessen gilt die Zuständigkeit des Ministerpräsidenten gemäß Ziff. I Nr. 1 b. seiner Anordnung „bei Strafen wegen einer unmittelbar gegen den Bestand oder die Sicherheit des Staates, gegen das Oberhaupt oder ein Mitglied der Regierung des Staates als solches oder gegen eine verfassungsmäßige Körperschaft gerichteten Straftat“, wobei es problematisch wäre, wenn der Ministerpräsident bei einem Strafverfahren für die Begnadigung zuständig wäre, in dem es beispielsweise um eine Beleidigung gegen seine Person ginge, da hier ein offensichtlicher Befangenheitsgrund vorläge. Die gleiche Formulierung enthält § 2 Nr. 1 a DelegAnO Thüringen. 110 Alleine für Niedersachsen ergab eine Anfrage des Landtags an die Landesregierung, dass der Ministerpräsident persönlich in den Jahren 1999 und 2001 jeweils in fünf Fällen persönlich entschieden hat, 1998 und 2003 jeweils in drei Fällen, 2007 in zwei Fällen und 2002, 2005, 2006 und 2007 jeweils in einem Fall. 2000 und 2004 gab es keine Verfahren beim Ministerpräsidenten. Eine positive Gnadenentscheidung wurde lediglich 1999 und 2001 gewährt, im Zeitraum von 1998 bis 2008 also zwei Begnadigungen, vgl. die Kleine Anfrage mit Antwort („Umsetzung der Gnadenordnung in Niedersachsen“), Niedersächsischer Landtag – 16. Wahlperiode, Drucksache 16/1529. 111 Alscher, BayVBl. 1972, 574. 112 Gehrlein, DÖV 2007, 280 (283). 113 Braun, Verfassung Baden-Württemberg, Art. 52 Rn. 6.

96

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

integrative Funktion haben die Landesregierungen, denen das Begnadigungsrecht als Kollegialorgan anvertraut wurde, in gleicher Weise. Unzutreffend ist deshalb die Auffassung, eine Regierung könne nicht als Kollegialorgan über eine Begnadigung entscheiden, weil die Übertragung auf den Ministerpräsidenten eine Entscheidung „aus der freien Güte des Herzens“ erfordere, die nur persönlich getroffen werden könne.114 In einem Gnadenverfahren wird eine Gemeinschaftsentscheidung dann, um in der Wortwahl zu bleiben, eben aus der „freien Güte mehrerer Herzen“ getroffen.115 cc) Persönliche Zuständigkeit des Justizministers In den verbleibenden Fällen sehen die Delegationsanordnungen meist die Weiterübertragung auf den Justizminister vor, allerdings mit dem Recht, dass der Justizminister das Begnadigungsrecht seinerseits weiterübertragen kann. Darin liegt eine ausdrückliche Subdelegationsermächtigung,116 von denen die Justizminister in Form von Gnadenordnungen Gebrauch gemacht haben, in denen nicht nur die Zuständigkeitsfrage, sondern auch das eigentliche Verfahren geregelt ist. Meist wird hier die Zuständigkeit in begrenzten Fällen auf untere Stellen übertragen und „im Übrigen“ eine Zuständigkeit des Justizministers bestimmt. Diese bezieht sich – teilweise ausschließlich – auf Beschwerden gegen Entscheidungen der unteren Delegatare,117 teilweise ab einer bestimmten Grenze der Höhe einer Strafe,118 in einigen Ländern auch auf Gnadenverfahren bei Straftaten nach § 74a GVG oder grundsätzlich Straftaten mit politischem Einschlag.119 In anderen Bundesländern ist 114

Braun, ebenda. Vgl. dazu bereits die Ausführungen in Kap. C. VI. 2. 116 Ob solche Subdelegationsermächtigungen zulässig sind, wird später zu erörtern sein (Kap. D. III. 3. b)). 117 § 41 Abs. 1 GnO B-W; § 27 Abs. 3 GnO BB; §§ 11 f. BremGnO; § 30 Abs. 1 HessGnO; § 16b Abs. 1 GnO M-V; § 39 Abs. 1 NdsGnO; § 21 Abs. 1 c GnO NW (in ganz seltenen Fällen; im Übrigen entscheiden über Einwendungen der Präsident des OLG sowie der Generalstaatsanwalt); § 4 SaarlGnRZustVO; Abschn. VI Ziff. 35 a SächsGnO (wobei über Einwendungen gegen eine Gnadenentscheidung der Staatsminister und bei Einwendungen gegen das Verfahren das Staatsministerium entscheidet); § 40 Abs. 1 GnO LSA; § 32 Abs. 1 Satz 2 ThürGnO. 118 In Brandenburg ist gemäß § 3 Abs. 1 iVm §§ 5 ff. GnO BB bei Überschreitung der Strafmaßgrenzen, unter denen die Gnadenbehörden zuständig sind, die Zuständigkeit des Ministers der Justiz gegeben. Insoweit ähnliche Regelungen mit dem Bezug auf die Zuständigkeit „des Ministers“ finden sich in § 1 Abs. 1 iVm Abs. 2 BremGnO; § 17 HessGnO; § 3 Abs. 1 iVm §§ 3b GnO M-V; § 3 Abs. 2 iVm §§ 4 ff. NdsGnO; § 1 VO zur Übertragung der Ausübung des Gnadenrechts im Geschäftsbereich des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz iVm § 1 Abs. 2 GnG Rh-Pf; § 4 Abs. 1 Nr. 1 SaarlGnG iVm § 2 SaarlGnRZustVO; Ziff. II Nr. 4 iVm Nr. 6 ff. SächsGnO; § 5 iVm §§ 6 ff. GnO LSA. In Bayern entscheidet „das Staatsministerium der Justiz“ – also dem Wortlaut nach nicht zwingend der Staatsminister persönlich – gemäß § 16 Abs. 1 iVm Abs. 2 BayGnO bei mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe. 119 § 9 GnO B-W; ebenso § 9 GnO LSA; ähnlich § 16 Abs. 2 aE BayGnO; § 6 Abs. 2 NdsGnO; § 1 Abs. 1 Nr. 1a LVO GnR Rh-Pf. 115

II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis

97

demgegenüber eine zentrale Befassung aller Gnadengesuche – mit Ausnahme der dem Gnadenträger Vorbehaltenen – beim Justizminister bzw. -senator vorgesehen.120 (1) Praxis der persönlichen Befassung In den Fällen, in denen sich der Justizminister die Entscheidung vorbehalten hat, müsste er auch eigentlich persönlich entscheiden. In Sachsen-Anhalt besteht die folgende, auch in anderen Bundesländern übliche Praxis:121 Dort entscheidet der Minister der Justiz lediglich über Einwendungen gegen Entscheidungen der Gnadenbehörden, sowie in ganz seltenen Fällen auch originär über ein Gnadengesuch. Das führt dazu, dass die persönliche Befassung des Justizministers die Ausnahme bildet, durch eine Einwendung des Verurteilten aber immer möglich ist. Im Jahr 2009 wurden von 138 Gnadenverfahren lediglich 16 Verfahren – weit überwiegend Einwendungen – vom Justizminister entschieden.122 Die restlichen Fälle wurden von den Delegataren auf unterer Ebene bearbeitet. In diesen dem Minister der Justiz vorbehaltenen Entscheidungen wird im zuständigen Referat ein Entscheidungsvorschlag vorbereitet, der dem Minister zur Zeichnung vorgelegt wird. Darin wird der Fall, der Gang des Verfahrens und die Höhe der Strafe beschrieben, etwaige Stellungnahmen zusammengefasst, das Ziel des Gnadengesuchs benannt und ein Entscheidungsvorschlag unterbreitet. Diese Vorlage wird in der ministeriumsüblichen Zeichnungsleiste von den verschiedenen Ebenen des Ministeriums gezeichnet und schließlich vom Minister persönlich gebilligt. Nach außen zeichnet der Abteilungsleiter „im Auftrag“ des Ministers. (2) Interne Subdelegation In anderen Bundesländern nimmt der Justizminister das Begnadigungsrecht auch in den ihm vorbehaltenen Fällen nicht persönlich wahr. In Baden-Württemberg erhält der Minister so gut wie nie Kenntnis über einzelne Gnadenvorgänge.123 Durch eine interne Hausverfügung hat er das Begnadigungsrecht zunächst auf die Abteilungsleiterebene delegiert, die wiederum auf die Arbeitsebene weiterübertragen. Diese entscheidet selbstständig und frei über ein 120 § 2 Nr. 1 AnOAusübBegnR Berlin iVm § 1 BerlGnO; Ziff I Nr. 2a AV der Hamburger Justizbehörde Nr. 15/2002; Ziff II Nr. 1 BegnRAusübErl S-H iVm § 3 GnO S-H. 121 Auskunft des Ministeriums der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt an den Verfasser. Eine ähnliche Praxis besteht in Brandenburg und im Saarland. 122 Auskunft des Ministeriums der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt an den Verfasser. Davon konnte im Jahr 2009 lediglich ein einziges Gesuch positiv entschieden werden. Hierbei handelte es sich um eine schwere Erkrankung der Verurteilten, deren Taten zum Zeitpunkt des Vollstreckungsbeginns lange zurücklagen und deren Strafe im Wege der Begnadigung zur Bewährung ausgesetzt wurde. 123 Auskunft des Justizministeriums des Landes Baden-Württemberg an den Verfasser.

98

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

Gnadengesuch. Nur wenn von dem Votum der anzuhörenden Gnadenbehörde abgewichen werden soll, entscheidet der Abteilungsleiter persönlich. In Bayern entscheidet der Staatsminister nur dann über Gnadengesuche persönlich, wenn gleichzeitig der Petitionsausschuss des Landtages mit dem Fall befasst wurde.124 Hier hängt die persönliche Befassung demnach von der faktischen politischen Brisanz eines Einzelfalles ab. In Berlin wird die Justizsenatorin nur mit den Fällen befasst, in denen gemäß § 2 GnAusschG der Berliner Gnadenausschuss angehört werden muss. In allen anderen Fällen gilt die Berliner Gnadenordnung für den „Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz“. Die Mitarbeiter eines entsprechenden Referates entscheiden selbstständig über einzelne Gnadengesuche, sofern die Verfahren nicht in die Zuständigkeit des Gnadenausschusses fallen. In Hessen entscheidet nach § 18 Abs. 2 Satz 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Hessischen Ministerien der Staatssekretär und zeichnet jedes Gnadengesuch ab, und zwar „in Vertretung für den Minister der Justiz“. Auch hier bekommt der Minister selbst keine Kenntnis vom Einzelfall.125 In Niedersachsen wird trotz der eindeutigen Übertragung auf den Justizminister auf Referentenebene entschieden, wobei namentlich mit Auftragszusatz gezeichnet wird.126 Hier wird der Justizminister mit keinem Gnadengesuch persönlich befasst. dd) Persönliche Zuständigkeit der Generalstaatsanwälte und Leitenden Oberstaatsanwälte Ähnliche praktische Unterschiede bestehen auch bei der Begnadigungspraxis auf staatsanwaltschaftlicher Ebene. In den landesrechtlichen Gnadenordnungen kommt den Leitern der Vollstreckungsbehörden eine bedeutsame Stellung zu. In begrenzten Fällen können die Generalstaatsanwälte, die Leitenden Oberstaatsanwälte und in Jugendsachen der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter begnadigen, vor allem aber in demgegenüber erweitertem Umfang Gnadengesuche ablehnen. Zu dieser Zuständigkeit kommt es aufgrund der den Justizministern eingeräumten Subdelegationsermächtigung durch die Ministerpräsidenten. Die Justizminister haben in ihren Gnadenordnungen detaillierte Regelungen über die Befugnisse der Staatsanwälte und das entsprechende Gnadenverfahren erlassen. Die Ministerpräsidenten sind an diesen Regelungen originär nicht beteiligt, obgleich sich zu ihnen die Legitimationskette durch die verschiedenen Delegationsermächtigungen schließen lässt.

124 125 126

Auskunft des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz an den Verfasser. Auskunft des Hessischen Justizministeriums an den Verfasser. Auskunft des Niedersächsischen Justizministeriums an den Verfasser.

II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis

99

So sind die Leiter der Staatsanwaltschaften – teilweise auch nur die Generalstaatsanwälte127 – befugt, Strafen bis zu einer bestimmten Höhe zu erlassen,128 bei Freiheitsstrafen oder Geldstrafen bis zu einer bestimmten Höhe die Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen,129 in begrenzten Fällen Strafausstand zu bewilligen130 oder Sperrfristen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis zu verkürzen.131 In dem dazu notwendigen Verfahren müssen Stellungnahmen von unterschiedlichen Stellen

127 § 16 Abs. 2 BayGnO (die Leitenden Oberstaatsanwälte dürfen lediglich die Leistung gemeinnütziger Arbeit auf uneinbringliche Geldstrafen anrechnen, bemerkenswerterweise mit dem Recht der Weiterübertragung dieser Gnadenbefugnis auf Staatsanwälte und Rechtspfleger (!), § 31 BayGnO). Im Saarland entscheidet gemäß § 1 SaarlGnRZustVO der Generalstaatsanwalt in Saarbrücken, es sei denn, es handelt sich um vorläufige Maßnahmen vor einer endgültigen Gnadenentscheidung, über die der Leitende Oberstaatsanwalt entscheiden kann (§ 3 SaarlGnRZustVO). 128 § 6 Abs. 1 Nr. 1 GnO B-W (Erlass von Restfreiheitsstrafen bis zu 14 Tagen oder Geldstrafen bis zu 14 Tagessätzen, sofern der Gesamtbetrag 600 E nicht übersteigt); § 16 Abs. 2 Nr. 2 BayGnO (Erlass von Geldstrafen bis zu 180 Tagessätzen, sofern der Betrag 6.000 E nicht übersteigt; ebenso Geldbußen und Ordnungsgelder bis 600 E, § 16 Abs. 2 Nr. 3 BayGnO. Alle Befugnisse gelten jedoch nur für den Generalstaatsanwalt.); § 5 Nr. 3 GnO BB (Erlass von Geldbußen bis 1.000 E, Geldstrafen bis 360 Tagessätzen, sofern der Betrag 5.000 E nicht übersteigt; ebenso darauf bezogene Ersatzfreiheitsstrafen, § 5 Nr. 7 GnO BB); § 5 Abs. 2 Nr. 2c BremGnO (Erlass von Geldstrafen bis 1.500 E); § 3b Abs. 1 Nr. 1 GnO M-V (Erlass von Geldstrafen bis 90 Tagessätze); Abschn. II Nr. 6a aa ff. SächsGnO (Erlass des Restes von Freiheitsstrafen bis zu 14 Tagen; Erlass von Geldstrafen bis zu 14 Tagessätzen, maximal bis 500 E; Erlass von Fahrverboten bis zu einem Monat). 129 § 6 Abs. 1 Nr. 2 GnO B-W (Freiheitsstrafen von nicht mehr als sechs Monaten, Geldstrafen von nicht mehr als 180 Tagessätzen); § 16 Abs. 2 Nr. 1 BayGnO (Freiheitsstrafen von nicht mehr als einem Jahr, allerdings nur Befugnis des Generalstaatsanwalts); § 5 Nr. 1 GnO BB (Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr); § 5 Abs. 2 Nr. 2a BremGnO (Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr; nach Ablauf der Bewährungszeit Erlass möglich; dem Generalstaatsanwalt obliegen gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 BremGnO alle Verfahren oberhalb der für den Leitenden Oberstaatsanwalt geltenden Grenzen, § 5 Abs. 2 Nr. 2 BremGnO); § 17 Abs. 1 HessGnO (Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren; Geldstrafen unbegrenzt); § 4 Abs. 1 Nr. 2 NdsGnO (Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren; Geldstrafen bis zu 720 Tagessätzen); § 2 iVm § 1 SaarlGnRZustVO (Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren; allerdings nur Befugnis des Generalstaatsanwalts); Abschn. II Nr. 6a ee SächsGnO (Geldstrafen bis zu 180 Tagessätzen, maximal bis 5.000 E); § 7 Abs. 1 Nr. 1 GnO LSA (Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren; bei Geldstrafen, Jugendarresten, gerichtlich festgesetzten Geldbußen und Ordnungsmitteln unbegrenzt); § 19 Abs. 1 Nr. 1 ff. ThürGnO (Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren; Jugendstrafen bis zu zwei Jahren; Geldstrafen bis 360 Tagessätze). 130 In Baden-Württemberg ist hierbei gemäß § 37 Abs. 4 GnO B-W zu beachten, dass bei einem weitergehenden Gnadenerweis über den Strafausstand hinaus „unverzüglich die Zustimmung des Justizministers“ einzuholen ist. Zum Strafausstand in begrenzten Fällen vgl. § 5 Nr. 2 GnO BB; § 28 f. HessGnO; § 16 GnO M-V; § 4 Abs. 1 Nr. 5 NdsGnO (ohne Begrenzung); § 7 Abs. 1 Nr. 5 GnO LSA; §§ 29 ff. ThürGnO (über die Bewilligung von Strafausstand über ein Jahr entscheidet der Generalstaatsanwalt, § 30 Abs. 1 Satz 2 ThürGnO). 131 § 6 Abs. 1 Nr. 8 GnO B-W; ähnlich § 16 Abs. 2 Nr. 4 BayGnO; § 5 Nr. 5 f. GnO BB; § 3b Abs. 1 Nr. 5 GnO M-V; § 4 Abs. 1 Nr. 4 NdsGnO; § 7 Abs. 1 Nr. 3 f. GnO LSA; §§ 27 f. ThürGnO.

100

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

eingeholt werden.132 Teilweise ist geregelt, dass keine Begnadigung möglich ist, wenn nur eine der zur Stellungnahme befugten Stellen einer Begnadigung widerspricht.133 Fallen diese Stellungnahmen allesamt negativ aus, kann in einigen Ländern der Leiter der Staatsanwaltschaft auch solche Gnadengesuche ablehnen, deren zugrundeliegendes Strafmaß höher als das seine Zuständigkeit eigentlich begründende ist.134 Die Zuständigkeit für die Ablehnung von Gnadengesuchen ist also deutlich größer, als die für eine positive Begnadigung. Das Verfahren ist dadurch im Gegensatz zu befürwortenden Begnadigungen vereinfacht.135 Da die Ablehnung von Gnadengesuchen ohnehin die Regel ist, ist die Zuständigkeit der Staatsanwälte für die originäre Erstentscheidung die bedeutsamste. (1) Praxis der persönlichen Befassung Unabhängig von der Vorbereitung der Gnadenverfahren auf staatsanwaltlicher Ebene, die weit überwiegend von der bereits im Ausgangsverfahren zuständigen Staatsanwaltschaft geleistet wird, erfolgt die eigentliche Entscheidung durch den Leitenden Oberstaatsanwalt als Behördenleiter nur in einigen Ländern.136 Hier entscheidet der Behördenleiter persönlich über die Ausübung des Begnadigungsrechts.

132

Dies sind gemäß § 17 GnO B-W Stellungnahmen durch das Gericht des ersten Rechtszuges, das Berufungsgericht bei einem etwaigen Berufungsverfahren, der Leiter der Staatsanwaltschaft, die das Ermittlungsverfahren in der eigentlichen Strafsache geleitet hat, der Leiter der Strafvollzugsanstalt, sofern eine Freiheitsstrafe vorliegt und auch andere Stellen (§ 18 GnO B-W), soweit dies im Einzelfall bedeutsam sein könnte. Ähnlich §§ 13 f. BayGnO; §§ 14 f. GnO BB; § 9 BremGnO; §§ 10 f. HessGnO; §§ 9 f. GnO M-V; §§ 16 f. NdsGnO; Abschn. III Ziff. 16 SächsGnO; §§ 15 f. GnO LSA; § 9 GnO S-H (lediglich Einholung der Stellungnahmen durch die Staatsanwälte, keine Entscheidungsbefugnisse im Gnadenverfahren). § 13 Abs. 1 GnO NW sieht zusätzlich die Stellungnahme eines von der Rechtsanwaltschaft zur ehrenamtlichen Mitwirkung in Gnadensachen benannten Rechtsanwalts vor. 133 § 6 Abs. 3 GnO B-W; § 17 Abs. 2 Nr. 2 HessGnO; § 3b Abs. 3 GnO M-V; § 4 Abs. 1 Nr. 2 NdsGnO; Abschn. II Ziff. 6c SächsGnO; § 19 Abs. 2 Nr. 2 ThürGnO. 134 § 6 Abs. 4 GnO B-W; ähnlich § 16 Abs. 3 BayGnO (Ermächtigung des Generalstaatsanwalts); § 5 Abs. 1 BremGnO (unabhängig von dem Votum der Stellungnahmen); § 15 Abs. 1 HessGnO (unabhängig von dem Votum der Stellungnahmen, bei allen Fällen, in denen sich nicht der Ministerpräsident oder der Justizminister die Entscheidung vorbehalten hat); § 3b Abs. 4 GnO M-V (wenn keine Stellungnahme positiv ausfiel); § 4 Abs. 2 NdsGnO (wenn keine Stellungnahme positiv ausfiel); Abschn. II Ziff. 6d SächsGnO; § 7 Abs. 2 GnO LSA (unabhängig von dem Votum der Stellungnahmen). 135 Wiontzek, Handhabung und Wirkungen des Gnadenrechts, S. 26. 136 So in Brandenburg (Auskunft des Ministeriums der Justiz des Landes Brandenburg an den Verfasser), Hessen (Auskunft des Hessischen Ministeriums der Justiz an den Verfasser, teilweise entscheidet aber auch der Stellvertreter), Saarland (Auskunft des Saarländischen Ministeriums der Justiz an den Verfasser, persönliche Entscheidungen des Generalstaatsanwalts), Sachsen-Anhalt (Auskunft des Justizministeriums Sachsen-Anhalt an den Verfasser).

II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis

101

(2) Entscheidungen auf unterer Ebene Demgegenüber findet in anderen Ländern nicht immer eine Befassung der Leitungsperson mit den Gnadenverfahren statt. In Baden-Württemberg sind Gnadenbehörden gemäß § 5 Abs. 1 GnO B-W die Leiter der Staatsanwaltschaften. Diese zeichnen nach außen die Gnadenentscheidungen. Allerdings besteht die Praxis, dass derjenige Dezernent in einer Staatsanwaltschaft Gnadensachen bearbeitet, der für die Vollstreckung der eigentlichen Strafsache zuständig ist.137 Somit wird das Begnadigungsrecht vom Leitenden Oberstaatsanwalt auch auf die einzelnen Dezernenten delegiert. In Bayern berichtet die bereits im Ausgangsverfahren zuständige Staatsanwaltschaft dem Generalstaatsanwalt, der nicht zwingend in Person entscheidet; teilweise entscheidet auch sein Stellvertreter.138 Gezeichnet wird jede Gnadenentscheidung von demjenigen Staatsanwalt, der über das Gnadengesuch entschieden hat, grundsätzlich „im Auftrag des Staatsministeriums der Justiz“. In Niedersachsen ist die Praxis noch deutlicher von einer persönlichen Zuständigkeit entfernt: Trotz der in der Niedersächsischen Gnadenordnung geregelten Zuständigkeit des Leitenden Oberstaatsanwalts und des Generalstaatsanwalts (§§ 4 f. NdsGnO) entscheiden diese grundsätzlich nicht in Person. Zuständig sind die Dezernentinnen und Dezernenten, die ebenfalls wegen des Vertretungsverhältnisses im Auftrag handeln und zeichnen.139 In Nordrhein-Westfalen haben die drei Generalstaatsanwälte die Entscheidungsbefugnis über Gnadensachen gänzlich im Wege der Geschäftsverteilung delegiert und entscheiden in keinem Fall persönlich.140 ee) Zuständigkeit des Ministeriums oder der Staatsanwaltschaft als Behörde In einigen Bundesländern besteht für manche Gnadenverfahren die Zuständigkeit der Ministerien und Staatsanwaltschaften als Behörden. Hier macht es also allein sprachlich einen Unterschied, wenn die Delegationsanordnungen „dem Ministerium der Justiz“ das Gnadenrecht übertragen, wohingegen in anderen Ländern eine Übertragung auf „den Minister“ erfolgt. Einerseits liegt die Begnadigungsbefugnis bei der Behörde, andererseits bei dem konkreten personengebundenen Amt des Ministers. Unabhängig vom Wortlaut kann man das Begnadigungsrecht aber auch von seinem Sinn und Zweck her „aus der Natur der Sache“ der Hausspitze persönlich 137 138 139 140

Auskunft des Justizministeriums Baden-Württemberg an den Verfasser. Auskunft des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz an den Verfasser. Auskunft des Niedersächsischen Justizministeriums an den Verfasser. Auskunft des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen an den Verfasser.

102

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

zugeordnet sehen. So entscheidet im Saarland, obwohl eine Delegation auf „das Ministerium der Justiz“ erfolgte und somit dem Wortlaut nach die Behörde an sich zuständig ist, der Minister oder der Staatssekretär nach Vorlage durch das zuständige Referat persönlich. In Berlin werden Gnadengesuche zentral in der Senatsverwaltung für Justiz bearbeitet. Innerhalb der Senatsverwaltung besteht ein eigenes Referat, in dem neben dem Referatsleiter abgeordnete Richter und Staatsanwälte über die Gnadensachen entscheiden, die unterhalb des Strafrahmens liegen, in denen der Berliner Gnadenausschuss angehört werden muss.141 Die Mitarbeiter des Referats entscheiden autark. Es besteht keine Zeichnungsleiste innerhalb der Senatsverwaltung; die Hausspitze erlangt von den Verfahren unterhalb der Zuständigkeitsgrenze für den Berliner Gnadenausschuss in der Regel keine Kenntnis.142 Beachtlich ist vor allem, dass auch innerhalb des Referats keine Zeichnungsleiste vorhanden ist, sodass die Mitarbeiter im „Gnadenreferat“ ohne Kenntnis des Referatsleiters eigenständig über einzelne Gnadengesuche entscheiden. In Schleswig-Holstein ist das Gnadenwesen im Ministerium der Justiz zentralisiert. Da keine Weiterübertragung des Begnadigungsrechts auf die Staatsanwaltschaften vorgesehen ist,143 werden sämtliche Gnadenverfahren im Ministerium bearbeitet und – wenn sie nicht dem Ministerpräsidenten vorbehalten sind – auch dort entschieden.144

141 Ab drei Jahren Freiheitsstrafe wird der Berliner Gnadenausschuss angehört, vgl. § 2 BerlGnAusschG. Ausführlich zum Berliner Gnadenausschuss in Kap. E. III. 7. a). 142 Auskunft der Senatsverwaltung für Justiz des Landes Berlin an den Verfasser. 143 Die Staatsanwaltschaften bereiten die Entscheidungen lediglich vor, § 7 Abs. 1 GnO SH (Einholung von Stellungnahmen etc.). Eine Ausnahme machen nur die vorläufigen Entscheidungen im Vorfeld der eigentlichen Gnadenentscheidung, die gemäß § 8 Abs. 2 GnO S-H von der Staatsanwaltschaft getroffen werden können. 144 Diese Erkenntnis ergibt sich aus der nicht erfolgten Weiterübertragung des Begnadigungsrechts in der Gnadenordnung Schleswig-Holsteins. Dort wird in § 3 GnO S-H bestimmt: „Soweit sich der Ministerpräsident nicht die Entscheidung über die Ausübung des Begnadigungsrechts vorbehalten hat […], entscheide ich als Gnadenbehörde.“ Eine Subdelegation der Zuständigkeit ist trotz der in Ziff. II des Erlasses des Ministerpräsidenten zur Ausübung des Begnadigungsrechts Schleswig-Holstein normierten Ermächtigung nicht vorgesehen. Ob die Entscheidungen sämtlich vom Justizminister persönlich oder in dem zuständigen Referat getroffen werden, etwa auf Grundlage ministeriumsinterner Verfügungen, konnte nicht ermittelt werden. Das Justizministerium Schleswig-Holstein gibt zu den Entscheidungsbefugnissen und -abläufen im Gnadenverfahren mit dem Hinweis keine Auskunft, § 19 GnO S-H gebiete die Vertraulichkeit des Gnadenverfahrens (Mitteilung des Justizministeriums Schleswig-Holstein an den Verfasser). Dem liegt eine missverständliche Auslegung des Vertraulichkeitsgebotes zugrunde: Die Vertraulichkeit bezieht sich auf die internen Überlegungen zur Behandlung eines einzelnen Gnadenverfahrens und kann schwerlich für die Frage bemüht werden, wer für die Entscheidung zuständig ist und wer schlussendlich über eine Begnadigung entscheidet. Hierbei ist eine Transparenz geradezu geboten (vgl. die Ausführungen in Kap. E. II.).

II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis

103

ff) Zuständigkeit von Jugendrichtern und Gerichtspräsidenten Eine persönliche Zuständigkeit existiert in manchen Ländern für den Jugendrichter, der in Jugendstrafsachen als Vollstreckungsleiter tätig ist. Er kann in begrenzten Fällen Strafausstand gewähren und Zahlungserleichterungen bewilligen, in größerem Umfange Gnadengesuche aber auch ablehnen.145 Im Bereich der Ordnungsmittel ist in einigen Ländern eine Zuständigkeit der Gerichtspräsidenten für die Begnadigung vorgesehen: So kann der Präsident des erkennenden Gerichts in begrenzten Fällen Ordnungsgelder erlassen bzw. in weitem Umfang entsprechende Gesuche abzulehnen.146 Selbst die Präsidenten der Gerichte werden dann ausdrücklich „Gnadenbehörden“ genannt.147 gg) Gnadenbeauftragte im Land Nordrhein-Westfalen Im Land Nordrhein-Westfalen gilt die Besonderheit sogenannter Gnadenbeauftragter: Der Justizminister ernennt Gnadenstellen bei den Landgerichten, die mit Gnadenbeauftragten besetzt sind. Dabei handelt es sich um Richter oder Staatsanwälte, die neben ihrer hauptsächlichen beruflichen Aufgabe dieses Amt ausüben.148 Die Gnadenbeauftragten werden als weisungsgebundene Organe der Justizverwaltung tätig, auch wenn sie Richter sind.149 Ihre Entscheidungen treffen sie in eigenem Namen mit Dienstbezeichnung und dem Zusatz „als Gnadenbeauftragter“150. Die Richter oder Staatsanwälte sollen sich nach einer entsprechenden Verfügung des Justizministers „[…] durch besondere Lebenserfahrung, Verständnis für die sozialen Belange des Verurteilten und Kenntnis der kriminalpolitischen Notwendigkeiten auszeichnen“151. Diese Gnadenbeauftragten entscheiden über Gnadengesuche, denen ein Urteil eines Amtsgerichts oder Landgerichts im ersten Rechtszug zugrunde

145

§ 7 GnO B-W; § 4 Nr. 2 iVm § 6 GnO BB; § 5 Abs. 2 Nr. 1 BremGnO; § 3a Nr. 3 iVm § 3c GnO M-V; Abschn. II Ziff. 7 SächsGnO. 146 § 8 GnO B-W (Ordnungsgeld bis 300 E); § 7 GnO BB (Ordnungsgeld bis 250 E); § 3 Abs. 2 HessGnO (Ordnungsmittel unbegrenzt); § 3d GnO M-V (Ordnungsgelder unbegrenzt); Abschn. II Ziff. 8a SächsGnO (Ordnungsgeld bis 500 E); § 3 Abs. 2 ThürGnO (Ordnungsmittel unbegrenzt); wohl auch § 14 Abs. 2 Satz 3 BremGnO (für Gerichtskosten); zu den Besonderheiten in NRW vgl. im folgenden Abschnitt. 147 § 5 Abs. 3 GnO B-W; § 4 Nr. 3 GnO BB; § 3 Abs. 2 HessGnO; § 3a Nr. 4 GnO M-V; Abschn. II Ziff. 5c SächsGnO; § 3 Abs. 2 ThürGnO. 148 Nach Auskunft des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen an den Verfasser wird die hauptamtliche Tätigkeit der Gnadenbeauftragten bei der Berechnung ihres übrigen Arbeitspensums entsprechend berücksichtigt. 149 Vgl. die entsprechende Regelung in der AV d. JM v. 29. Februar 1968, JMBl. NRW 1968, S. 49, Abschn. I Ziff. 7: „Die Gnadenbeauftragten werden bei der Bearbeitung von Gnadensachen als Organe der Justizverwaltung tätig.“ 150 Vgl. AV d. JM v. 29. Februar 1968, JMBl. NRW 1968, S. 49, Abschn. I Ziff. 8. 151 AV d. JM v. 29. Februar 1968, JMBl. NRW 1968, S. 49, Abschn. I Ziff. 3.

104

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

liegt, wenn nicht Strafausstand Gegenstand des Gnadenverfahrens ist.152 Örtlich zuständig sind die Gnadenbeauftragten an den Landgerichten, in deren Bezirk das Urteil erging.153 Gemäß § 17 Abs. 1 GnO NW gilt für die Gnadenbeauftragten eine Ablehnungsermächtigung für sämtliche Gnadengesuche, es sei denn, es besteht eine Berichtspflicht an den Ministerpräsidenten oder Justizminister, was nur bei lebenslangen Freiheitsstrafen der Fall ist.154 Die Ermächtigung zu begnadigen ist demgegenüber deutlich begrenzter. Bei Einwendungen gegen Entscheidungen der Gnadenbeauftragten sieht die Gnadenordnung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Versagung von Strafausstand die Zuständigkeit des Generalstaatsanwalts und in den übrigen Fällen des Justizministers vor (§ 21 Abs. 1 Buchst. b und c GnO NW). Gleichwohl wird diese Entscheidung sowohl von den Generalstaatsanwälten als auch von dem Justizminister nicht persönlich entschieden.155 hh) Zuständigkeit der Hamburger Senatskommission Hamburg gehört zu den Stadtstaaten, die das Begnadigungsrecht dem Senat als Gremium zuordnen. Obwohl sich in der Hamburgischen Verfassung keine Regelung zur Übertragbarkeit findet, ist innerhalb des Senats eine eigene Senatskommission für die Gnadenentscheidungen zuständig, die sich aus den Senatoren der Justizbehörde, der Behörde für Inneres, der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz und der Behörde für Schule und Berufsbildung sowie der Staatsrat156 der Justizbehörde zusammensetzt. Die von dieser Senatskommission gefassten Entscheidungen gelten im Sinne der Geschäftsordnung des Senats als Senatsbeschlüsse.157 Der gesamte Senat wird also in keinem Fall mit einer Gnadensache befasst. Man wollte die Begnadigungszuständigkeit in einem verkleinerten „senatsinternen“ Gremium konzentrieren.

152 § 3 Buchst. a GnO NW. Geht es um die Bewilligung von Strafausstand (Strafaufschub, wenn die Aussetzung vor dem Vollzug der Strafe bewilligt wird; Strafunterbrechung, wenn der Vollzug bereits begonnen hat, vgl. § 40 Abs. 1 GnO NW), entscheidet die Vollstreckungsbehörde (§ 3 Buchst. b GnO NW). Wenn das OLG im ersten Rechtszug in einer Landessache entschieden hat, ist der Generalstaatsanwalt begnadigungsbefugt (§ 3 Buchst. c GnO NW). 153 § 5 Abs. 1 a GnO NW. 154 Die darüber hinausgehende Befugnis zu begnadigen richtet sich nach den engen Vorschriften der §§ 25 ff. GnO NW. So sind die „Gnadenstellen“ bei Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr zu einer bedingten Strafaussetzung ermächtigt, es sei denn, Staatsanwaltschaft oder Gericht widersprechen in ihren Stellungnahmen. 155 Auskunft des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen an den Verfasser. 156 In Hamburg und Bremen tragen die mit einem Staatssekretär zu vergleichenden Ämter die Amtsbezeichnung Staatsrat. 157 Näheres bei David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Art. 44 Rn. 10.

II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis

105

Zu einer Befassung dieser Senatskommission kommt es gleichwohl nur in ganz seltenen Fällen, dann nämlich, wenn es um Sicherungsverwahrte geht,158 oder aber mehr als zwei Jahre zu verbüßen sind und der Verurteilte im Beschwerdeweg die Anrufung der Senatskommission eigens beantragt. Dies kommt in der Praxis so selten vor, dass beispielsweise im Jahr 2009 kein einziger Fall von dieser Senatskommission entschieden wurde.159 Ebenfalls nur nach einer ausdrücklichen Beantragung durch den Verurteilten wird die Staatsrätin der Justizbehörde in Gnadenverfahren tätig (Ziff. I. Nr. 3 c), was auch sehr selten vorkommt – im Jahr 2009 wurde kein einziger Fall von ihr persönlich entschieden.160 Die Zuständigkeit herausgehobener Stellen kommt demnach erst durch einen ausdrücklichen Antrag des Verurteilten zustande. ii) Zuständigkeit des Berliner Gnadenausschusses In Berlin ist gemäß Art. 81 der Berliner Verfassung der Senat Träger des Begnadigungsrechts, muss aber in „gesetzlich vorzusehenden Fällen den vom Abgeordnetenhaus zu wählenden Ausschuss für Gnadensachen […] hören (Art. 81 Satz 2 BerlVerf)“. Seine Zuständigkeit hat der Senat wiederum auf die Senatorin für Justiz übertragen und sich lediglich bei lebenslangen Freiheitsstrafen und Sicherungsverwahrung sowie bei Freiheitsstrafen, die vom Berliner Kammergericht im ersten Rechtszug verhängt wurden, die Gnadenentscheidung vorbehalten.161 Unabhängig vom letztlichen Entscheidungsträger ist der Gnadenausschuss gemäß § 2 GnAusschG162 in festgelegten Fällen zu hören. Besteht bei Gnadenentscheidungen der 158 Widersprüchlich ist insoweit Ziff. I. Nr. 3 b der AV der Justizbehörde, wonach Gnadenerweise für Sicherungsverwahrte „grundsätzlich nicht in Betracht“ kommen. Hier wird in Ziff. I. Nr. 2 b eine formale Zuständigkeit der Senatskommission für Fälle geregelt, in denen materiell gar nicht begnadigt werden darf. Die Senatskommission wäre danach für die Begnadigungspraxis in Hamburg faktisch bedeutungslos. 159 Auskunft der Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg an den Verfasser. 160 Auskunft der Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg an den Verfasser. 161 § 1 Nr. 1 Anordnung über die Ausübung des Begnadigungsrechts in Berlin v. 16. 09. 1997 – Senatsbeschluss Nr. 1051/97. 162 § 2 GnAusschG lautet: „(1) Der Gnadenausschuss ist zu hören bei Gnadengesuchen, a) die lebenslange Freiheitsstrafe, Sicherungsverwahrung, eine Freiheitsstrafe, die das Kammergericht im ersten Rechtszug verhängt hat, oder eine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren betreffen oder b) die die Leitung der Justizvollzugsanstalt befürwortet hat, wenn das Gnadengesuch abgelehnt werden soll, oder c) die Entscheidungen über den Aufschub oder die Unterbrechung der Vollstreckung (Strafausstand) mit Therapieauflage in den Fällen von Buchstabe a betreffen. (2) Der Gnadenausschuss ist ferner zu hören

106

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

Senatorin für Justiz ein Dissens mit der Stellungnahme des Gnadenausschusses, ist die Entscheidung des gesamten Senats einzuholen, § 4 GnAusschG. Eine kollegiale Befassung mit dem Gnadengesuch bleibt also gewahrt.163 b) Gnadenordnungen und Ministeriumserlasse auf Landesebene Für die Zuständigkeitsfrage hat auch die jeweilige Entscheidungspraxis große Bedeutung. In den bereits erwähnten Gnadenordnungen, die als eine Art selbstbindende allgemeine Verwaltungsvorschriften in nahezu allen Bundesländern existieren, werden das Verfahren und die Möglichkeiten geregelt, einen Verurteilten zu begnadigen oder ein Gnadengesuch abzulehnen. Die Gnadenordnungen zeigen eine Tendenz der Gnadenträger auf Landesebene, im Bereich des verfassungsmäßig freien Begnadigungsrechts Selbstbindungen einzugehen und durch Festlegung allgemeiner Richtlinien die Gruppe der Verurteilten einzugrenzen, bei denen ein Gnadenerweis in Betracht gezogen werden kann.164 Diese Tendenz ist der ausufernden Delegation geschuldet, die – wenn sie in ihrer konkreten Ausführung vom eigentlichen Gnadenträger schon nicht im Einzelfall kontrolliert wird – wenigstens in ihrer Ausführung in bestimmten Grenzen erfolgen soll. aa) Gnadenordnungen Hier ist nicht der Ort, die einzelnen Regelungen der Gnadenordnungen ausführlich und vergleichend zu behandeln.165 Es soll aber im Folgenden auf die wesentlichen Inhalte der Gnadenordnungen eingegangen werden, die für das Gnadenverfahren gelten. Für die bisher in Kapitel C. erfolgte Auslegung des verfassungsrechtlichen Begnadigungsbegriffs können die Gnadenordnungen keine maßstabsrelevante Bedeutung haben. Sie zeigen normenhierarchisch die Abbildung des Begnadigungsrechts in den Selbstbindungen der Gnadenträger und das Verständnis der Gnade „von unten“. Denkbar wäre eine Eingrenzung des Begriffs durch entsprechende Gesetze, die aber – mit Ausnahme des Saarlandes und Rheinland-Pfalz166– nicht veraba) auf seinen Antrag, b) in Fällen besonderer Bedeutung, c) vor dem Widerruf eines Gnadenerweises, wenn er vor der Gnadenentschließung gehört worden ist. […]“. 163 Ausführlich zu den Vorteilen kollegialer Entscheidungsfindung im Gnadenverfahren und den Vorteilen des Berliner Gnadenausschusses vgl. Kap. E. III. 164 Müller-Dietz, DRiZ 1987, 474 (475). 165 Vgl. Birkhoff/Müller-Jacobsen, in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, Rn. 26 ff.; Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 273 ff. 166 In den Ländern, in denen auf Gnadengesetzen beruhende Verordnungen erlassen wurden (Landesverordnung zur Übertragung der Ausübung des Gnadenrechts im Geschäftsbereich des

II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis

107

schiedet wurden. Würde man das Begnadigungsrecht gesetzlich konkretisieren, wäre das – vergleichbar mit dem verfassungsrechtlichen Begriff des Eigentums in Art. 14 GG und seiner einfachgesetzlichen Begrenzung167 – für die Bestimmung des Begriffs der Begnadigung relevant. Bei den als interne Verwaltungsvorschriften erlassenen Gnadenordnungen kann das nicht der Fall sein. Zu beachten ist insoweit, dass diese internen Verwaltungsvorschriften jederzeit geändert oder aufgehoben werden können, ohne dass eine Mitwirkung der Legislative möglich wäre.168 Ebenso fehlt es an einer konkreten Kontrollinstanz hinsichtlich der Einhaltung der Vorschriften. Es handelt sich deshalb eher um Handlungsnormen, denen der Kontroll- und Sanktionsmechanismus fehlt. Die Gnadenordnungen169 haben in den einzelnen Ländern – ähnlich wie bereits für die Zuständigkeitsfrage festgestellt – keine einheitlichen Inhalte, weisen aber dennoch Parallelen auf: So wird meist am Anfang der Anwendungsbereich des Begnadigungsrechts näher umschrieben, namentlich die Rechtsfolgen aus strafrechtlichen, ordnungswidrigkeitsrechtlichen, disziplinarrechtlichen und auch ehrengerichtlichen Sanktionsentscheidungen.170 Sie können je nach ihrer Eigenart beseitigt, erlassen, ermäßigt, umgewandelt, unterbrochen oder aufgeschoben werden. Darüber hinaus gilt durchweg der Grundsatz des Vorrangs der gesetzmäßigen Entscheidung: Gnadenerweise kommen nur in Betracht, wenn Rechtsmittel oder andere förmliche Rechtsbehelfe in der Sache keine Abhilfe verschaffen können.171 (1) Verfahrensvorschriften Zum eigentlichen Verfahren legen die Gnadenordnungen fest, dass grundsätzlich der Verurteilte oder ein von ihm bevollmächtigter Vertreter ein Gnadengesuch stellen kann. Teilweise gilt dieses Recht auch für Dritte – die Gnadenordnungen sprechen von „Jedermann“ –, wobei in diesen Fällen das Gnadengesuch nur dann bearbeitet

Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz, GVBl. Rh-Pf 1998, S. 162 in Verbindung mit § 1 GnRAusübG Rh-Pf, GVBl 1998, S. 29; Verordnung zur Übertragung der Zuständigkeit zur Ausübung des Begnadigungsrechts Saarland, Saarländisches Amtsblatt 1994, S. 872 in Verbindung mit §§ 1 ff. SaarlGnG), besteht auf Verfassungsebene ein Auftrag zur Gesetzgebung in Fragen der Delegation (Art. 103 Abs. 1 Satz 2 VerfRh-Pf) oder des Begnadigungsrechts an sich (Art. 93 SaarlVerf). 167 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 14 Rn. 4. 168 Diese Tatsache übersieht der HessStGH, NJW 1974, 791 (792), wenn er den Gnadenordnungen „infolge ihrer ständigen Anwendung i. V. m. dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz in ihrer Außenwirkung eine quasigesetzliche Wirkung [zuschreibt].“ 169 Auch wenn es sich im Saarland um ein vom Landtag beschlossenes Gnadengesetz (Saarländisches Gnadengesetz v. 16. März 1994) handelt, wird im Folgenden der Begriff der Gnadenordnung durchgängig gebraucht. 170 Vgl. nur § 1 GnO B-W; § 2 BremGnO; § 1 HessGnO; § 1 SaarlGnG; § 1 GnO LSA. 171 So § 14 GnO B-W; § 6 HessGnO; § 1 Abs. 2, § 5 Abs. 3 SaarlGnG; § 12 GnO LSA.

108

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

wird, wenn der Verurteilte dem Gnadengesuch beitritt.172 Andernfalls ist es als erledigt anzusehen. Hintergrund ist die Tatsache, dass es eine Begnadigung gegen den Willen des Verurteilten nicht geben kann. Jede Begnadigung impliziert das Über-/ Unterordnungsverhältnis zwischen demjenigen, der ohne Anspruch um die Begnadigung „bittet“, und dem Gnadenträger, der aufgrund seiner persönlichen Erwägungen über das Gesuch entscheidet. Genau dieses Verhältnis mögen aber diejenigen Verurteilten ablehnen, die sich als unschuldig ansehen.173 Selbst in den Ländern, in denen diese Regelung nicht ausdrücklich besteht, ist von diesem Grundsatz auszugehen.174 In den Gnadenordnungen ist ferner bestimmt, dass durch ein Gnadengesuch keine Vollstreckungshemmung der jeweiligen Rechtsfolgen eintritt.175 Damit will man der Gefahr begegnen, dass Gnadengesuche ohne erhebliche Gnadengründe lediglich aus Verzögerungsgründen vorgebracht werden und bei einem aus Verurteiltensicht rein taktischen Gnadenverfahren die Rechtskraft des Urteils ausgehöhlt würde. (2) Materielle Vorschriften Obwohl die materielle Seite einer Begnadigung bereits begrifflich keine kategorisierenden Festlegungen kennen dürfte, sehen einige Gnadenordnungen konkrete Anhaltspunkte für die Prüfung eines Gnadengesuchs vor. Die delegierenden Justizminister wollen so den auf unterer Ebene zu findenden Gnadenentscheidungen einen Maßstab geben. Um die Erwägungen für das Für und Wider eines Gnadenerweises zu entwickeln, werden Richtlinien für bestimmte Gnadenerweise aufgestellt176 oder es wird sogar ein grundsätzlicher Prüfungskatalog für jede Begnadigung 172

So § 13 GnO B-W; § 5 Abs. 2 SaarlGnG; § 11 Abs. 1 GnO LSA. Birkhoff/Müller-Jacobsen, in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, Rn. 32. Prominenter Fall war der letzte Staatsratsvorsitzende der DDR Egon Krenz, der bis 2003 in Haft saß und zahlreichen Gnadengesuchen von Gesinnungsgenossen bewusst nicht beitrat, da er mit der aus seiner Sicht feindlichen Bundesrepublik nicht „paktieren“ wollte. 174 Vgl. nur § 8 GnO NW, der dazu keinerlei Regelung enthält. In NRW scheint demgegenüber die Praxis zu bestehen, Gnadenverfahren auch ohne die Kenntnis des Verurteilten einzuleiten, so Freuding, StraFo 2009, 491 (493). Dadurch wird nicht nur die persönliche Prägung des Gnadenverfahrens, sondern auch der Grundsatz missachtet, dass eine Begnadigung grundsätzlich zugunsten des Verurteilten erfolgen muss und nicht im Ergebnis gegen den Willen eines Straftäters, der – aus welchen Gründen auch immer – eine Begnadigung ablehnt. 175 § 13 Abs. 3 GnO B-W; § 7 Abs. 1 BremGnO; § 8 Abs. 1 HessGnO; § 6 Abs. 1 SaarlGnG; § 13 Abs. 1 GnO LSA. Teilweise besteht in den Ländern auch die Möglichkeit, diese Vollstreckungshemmung doch anzuordnen, wenn kumulativ schwerwiegende Nachteile drohen, erhebliche Gnadengründe vorgebracht werden und das öffentliche Interesse nicht entgegensteht, vgl. § 6 Abs. 2 SaarlGnG. 176 Vgl. für Grundsätze bei der Aussetzung der Strafe oder Gewährung von Strafausstand/aufschub § 28 BayGnO; §§ 26, 37 GnO B-W; § 18 HessGnO; § 16 GnO M-V; §§ 23, 34 f., 37 NdsGnO; Abschn. IV Ziff. 23, Abschn. V Ziff. 32 SächsGnO; §§ 25 Abs. 1, 36 GnO LSA; §§ 20, 28, 31 ThürGnO. Für besondere Strafausstandsrichtlinien für den Jugendarrest vgl. § 29 BayGnO; Abschn. V Ziff. 32c SächsGnO; § 38 Abs. 3 GnO LSA. In § 27 HessGnO heißt es für 173

II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis

109

genannt.177 Hierbei sollen die Entscheidungsträger ein auf die ausgeführten Merkmale ausgerichtetes Prüfprogramm untersuchen, dessen inhaltlicher Anknüpfungspunkt die eingeholten Stellungnahmen von mit dem Fall befassten Stellen sind. In anderen Ländern existieren solche Grundsätze hingegen nicht.178 Hier sind die Delegatare in der Beurteilung freier gestellt, zumindest was die ausdrücklichen Regelungen in der Gnadenordnung betrifft. In der Praxis bestehen aber oftmals auch in diesen Ländern behördeninterne Grundsätze. Teilweise enthalten die Gnadenordnungen den klarstellenden Hinweis, ein Recht auf einen Gnadenerweis bestehe nicht179 oder sie erwähnen den Ausnahmecharakter eines Gnadenerweises,180 um das Erfordernis einer atypischen Besonderheit des Einzelfalles zu betonen. (3) Konkrete Ausgestaltung einer Begnadigung Um die Gestaltungsfreiheit bei positiven Gnadenentscheidungen näher zu regeln, enthalten die Gnadenordnungen Vorschriften zur Bewährungszeit und zu Auflagen und Weisungen, die mit einem Gnadenerweis verbunden werden können. So werden positive Gnadenentscheidungen fast ausnahmslos mit einer Bewährungszeit verbunden oder sehen die verpflichtende Ableistung von Sozialstunden vor. Ebenso kann eine regelmäßige Meldepflicht verfügt werden, so etwa, wenn ein Begnadigter sich für eine bestimmte Zeit nur in einem bestimmten Ort aufhalten darf. Manche

die Erteilung von Gnadenerweisen bei Entziehung der Fahrerlaubnis und Fahrverbot: „Die gnadenweise Aufhebung oder Verkürzung einer Sperrfrist zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis oder eines Fahrverbots darf von der Gnadenbehörde nur dann gewährt werden, wenn die weitere Vollstreckung zu erheblichen und außergewöhnlichen Nachteilen führen würde. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob diese Nachteile bereits bei der Bemessung der Sperrfrist beachtet worden sind. Als erhebliche Nachteile sind in der Regel die Beeinträchtigung der beruflichen Fortentwicklung, der Sicherheit des Arbeitsplatzes oder der familiären Stellung der verurteilten Person anzusehen.“ (Hervorh. v. Verf.), ähnlich § 36 iVm § 25 Abs. 3 GnO LSA; § 28 ThürGnO. 177 § 14 NdsGnO: „Ein Gnadenerweis kann in Betracht kommen, wenn a) Gründe des Rechts eine Änderung oder Milderung der Entscheidungsfolgen gebieten oder b) erhebliche Gnadengründe vorliegen, denen gegenüber die Schuld des Täters sowie die Verteidigung der Rechtsordnung, die Wiederherstellung des Rechtsfriedens, die Wirkung der Bestrafung auf Dritte und andere Strafzwecke im Einzelfall zurücktreten; solche Gründe können sich insbesondere ergeben aus der Eigenart und den besonderen Anlagen des Verurteilten, seinem Vorleben, den Umständen der Tat, seinem Verhalten vor und nach der Tat sowie im Strafvollzug und während anderer unmittelbar vorausgegangener Freiheitsentziehungen, seinen Lebensverhältnissen und schließlich aus den von dem Gnadenerweis zu erwartenden Wirkungen auf den Verurteilten.“ Vgl. auch § 3 GnO LSA. 178 Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Saarland, SchleswigHolstein. 179 § 2 Abs. 2 SaarlGnG. 180 § 3 Abs. 1 GnO B-W; § 2 Abs. 2 GnO M-V; Abschn. I Ziff. 3 SächsGnO.

110

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

Gnadenordnungen setzen der Gestaltung solcher Auflagen keine Grenzen,181 andere sehen eine Orientierung an den gesetzlichen Vorschriften der §§ 56b ff. StGB bzw. §§ 10, 15 Abs. 1, 23 f. JGG vor.182 Die Gnadenordnungen regeln darüber hinaus den Widerruf von Gnadenerweisen,183 wenn beispielsweise gegen Auflagen und Weisungen verstoßen wurde, die Rücknahme von Gnadenerweisen,184 wenn nachträgliche gnadenunwürdige Umstände bekannt werden, sowie verfahrensrelevante Aspekte der Überwachung des Begnadigten,185 die Schlussentscheidung nach Ablauf der Bewährungszeit,186 das Beschwerdeverfahren187 und Fragen zur Register- und Aktenführung.188 (4) Zwischenergebnis Die Gnadenordnungen sind demnach verwaltungsinterne Weisungen, die das Begnadigungsrecht näher normieren und damit rechtssystematisch den Willen des Gnadenträgers konkretisieren, wie er sein Begnadigungsrecht nach einer Delegation auf andere ausgeübt wissen will. Neben den Verfahrensvorschriften existieren in einigen Ländern ausführliche Anforderungskataloge, die die grundsätzliche Frage, wann nach einer strafrechtlichen Verurteilung Raum für das Begnadigungsrecht bleiben muss, zu beantworten versuchen. Ein Nebeneffekt ist hierbei, dass die Verfahrensvertreter der Verurteilten, sofern solche in der Praxis tätig werden,189 die Gnadenordnungen als „Arbeitshilfe“ ansehen, um im Gnadenverfahren für die Mandanten möglichst erfolgreich zu argumentieren.190

181 § 7 Abs. 3 SaarlGnG: „[…] können einem Gnadenerweis Nebenbestimmungen beigefügt werden, insbesondere solche, die ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorschreiben (Auflagen).“ Detaillierter § 24 NdsGnO. 182 Vgl. § 28 GnO B-W; § 19 HessGnO; § 26 GnO LSA. 183 Vgl. nur § 33 GnO B-W; § 13 BremGnO; § 23 HessGnO; § 8 SaarlGnG; § 32 GnO LSA. 184 Vgl. nur § 31 GnO B-W; § 22 HessGnO; § 9 SaarlGnG; § 31 GnO LSA. 185 Vgl. nur § 32 GnO B-W; § 24 HessGnO; § 30 NdsGnO; § 10 SaarlGnG; § 30 GnO LSA. 186 Vgl. nur §§ 34 f. GnO B-W; § 25 HessGnO; §§ 32 f. NdsGnO; §§ 33 ff. GnO LSA. 187 Vgl. nur § 41 GnO B-W; §§ 11 f. BremGnO; § 30 HessGnO; § 39 NdsGnO; §§ 40 f. GnO LSA. 188 Vgl. nur §§ 42 ff. GnO B-W; §§ 14 f. BremGnO; §§ 31 ff. HessGnO; §§ 21 f. NdsGnO; § 13 SaarlGnG; §§ 22 f. GnO LSA. 189 In Berlin gibt es in Gnadenverfahren besonders versierte Rechtsanwälte, was die Anzahl der jährlichen Verfahren etwas plausibler erscheinen lässt (über 3.000 Verfahren im Jahre 2008). In Sachsen-Anhalt (123 Fälle in 2008, 138 Fälle in 2009) werden die Verurteilten in Gnadenverfahren höchst selten anwaltlich vertreten, jeweils Auskunft der Senatsverwaltung für Justiz des Landes Berlin und des Justizministeriums Sachsen-Anhalt an den Verfasser. 190 Vgl. die umfangreichen Anmerkungen von Birkhoff/Müller-Jacobsen, in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, Rn. 26 ff., zum Thema „gut verwendbare Arbeitshilfe“ Rn. 61.

II. Delegationsanordnungen und Delegationspraxis

111

bb) Interne Ministeriumserlasse Regelungen zur Vereinheitlichung des Gnadenverfahrens erschöpfen sich indes nicht in den dargestellten Gnadenordnungen: Ein für die Entscheidungspraxis wesentliches Instrument zur Begnadigung von Personengruppen sind ministeriumsinterne Erlasse. In diesen Erlassen werden Merkmale festgelegt, nach denen eine Vielzahl von Verurteilungen im Gnadenwege überprüft wird. Ausgangspunkt ist entweder ein bestimmtes Ereignis oder eine bestimmte akute Handlungsnotwendigkeit im Strafvollzug, für die sich die Begnadigung als ein flexibles, unbürokratisches und vor allem von einem legislatorischen Verfahren unabhängiges Instrument anzubieten scheint. (1) Sammelgnadenerweise zum Weihnachtsfest Dafür sind die bundesweit üblichen jährlichen Sammelbegnadigungen zum Weihnachtsfest beispielhaft, die oftmals „Weihnachtsamnestien“ genannt werden, eine wegen der fehlenden legislatorischen Beteiligung fälschliche Bezeichnung. Diese Erlasse verfolgen das Ziel, denjenigen Verurteilten, deren Strafende rund um die Weihnachtsfeiertage liegt, bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Wege der Gnade die Reststrafe zu erlassen oder zur Bewährung auszusetzen.191 Das auf den ersten Blick humanitäre Ziel, den Verurteilten ein Weihnachtsfest außerhalb der Vollzugsanstalt zu ermöglichen, hat in der Praxis einen vollzugsorientierten Hintergrund: Die Koordinierung der Dienstpläne des in den Vollzugsanstalten beschäftigten Personals wird deutlich erleichtert, wenn ein erheblicher Teil der Gefangenen bereits vor den Feiertagen die Vollzugsanstalt verlässt.192 (2) Entlastung überbelegter Vollzugsanstalten Desweiteren erlassen die Justizministerien Anordnungen, die in erster Linie vollstreckungspolitischen Anforderungen entsprechen sollen: „Zur Reduzierung des Belegungsdrucks in den Justizvollzugsanstalten“193 soll insbesondere bei Ersatzfreiheitsstrafen die Möglichkeit eines Aufschubs oder einer Unterbrechung aus Gründen der Vollzugsorganisation (§ 455a StPO) großzügig gehandhabt werden. Ein dementsprechendes Verfahren nach § 455a StPO würde im Sinne eines „Aufschubs“ oder einer „Unterbrechung“ der Haftstrafe noch zulässig sein, wenn die entsprechenden Anordnungen nicht vorsehen würden, dass der Verurteilte „mit dem spä191 Vgl. zu Beispielen aus der Praxis (Niedersachsen und Sachsen-Anhalt) Wiontzek, Handhabung und Wirkungen des Gnadenrechts, S. 94 ff. 192 Vgl. Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 48. 193 AV d. Justizministeriums des Landes Baden-Württemberg vom 3. März 1998, in: Die Justiz 1998, 144; vgl. auch einen ähnlichen Erlass des Hessischen Ministeriums der Justiz aus dem Jahr 1979, besprochen in DRiZ 1980, 232 ff., sowie die Praxisbeispiele bei Wiontzek, Handhabung und Wirkungen des Gnadenrechts, S. 98 ff.

112

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

teren gnadenweisen Erlass der Reststrafe rechnen kann, wenn er sich während der Strafunterbrechung straffrei führt und auch keine Straftaten bekannt werden, die bereits vor der Strafunterbrechung begangen worden sind.“194 In diesen Fällen ist also ein von Amts wegen einzuleitendes Gnadenverfahren195 vorgesehen, im Unterschied zu dem gesetzlichen Verfahren nach § 455a StPO, welches lediglich einen vorübergehenden Strafausstand aus Gründen vorsieht, die nicht in der Person des Verurteilten, sondern in tatsächlichen Vollzugsproblemen liegen.196 Die Gnadenbehörden stellen den Verurteilten nach der Hälfte der verbüßten Strafe im Rahmen des Verfahrens nach § 455a StPO eine Begnadigung in Aussicht (!), wenn sie sich straffrei führen. Die gesetzlichen Möglichkeiten der Strafrestaussetzung gemäß §§ 57 ff. StGB gelten demgegenüber grundsätzlich erst nach Verbüßung von zwei Dritteln der angeordneten Haft.

III. Bewertung Die dargestellte Praxis der Delegation und Entscheidungsfindung auf untere Ebene muss sich messen lassen an den verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes und der Landesverfassungen. Obwohl dort keine ausdrückliche Eingrenzung des Begriffes der Begnadigung besteht, wurde zu Beginn dieser Untersuchung (Kap. C.) der relevante Maßstab deutlich gemacht. Danach kommt es bei der Bewertung der Delegation des Begnadigungsrechts auf folgende Fragen an: Welche Erwartungen ergeben sich aus dem verfassungsrechtlichen Konzept der Begnadigung an die Delegation? Welche Vorkehrungen müssen getroffen werden, um den Charakter der besonderen Entscheidung in einem atypischen Einzelfall zu erhalten? Wird das Begnadigungsrecht durch die Delegationsermächtigungen modifiziert? Auf welcher Entscheidungsebene muss die Abwägung eines Gnadengesuchs stattfinden? Für die Beantwortung dieser Fragen gilt die Prämisse, dass es sich bei der Delegation um eine rein organisatorische Gestaltungsmöglichkeit zur Dekonzentration und Dezentralisierung hoheitlicher Befugnisse handelt.197 Dabei suspendiert jede Weiterübertragung die eigentliche Zuständigkeitsordnung und schafft eine neue, außerordentliche Zuständigkeit.198 194 AV d. Justizministeriums des Landes Baden-Württemberg vom 3. März 1998, in: Die Justiz 1998, 144 (145). 195 Dabei soll teilweise auf die sonst in den GnO vorgesehenen Verfahrensvorschriften verzichtet werden, vgl. nur AV d. Justizministeriums des Landes Baden-Württemberg vom 3. März 1998, in: Die Justiz 1998, 144 (145), wo ausdrücklich die Anhörung anderer Stellen (§§ 43 f. GnO B-W) für entbehrlich gehalten wird. 196 Vgl. Appl, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 455a Rn. 1. 197 Schenke, VerwArch 68 (1977), 118. 198 Ähnlich Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 67 ff.; demgegenüber Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 24, der den Begriff „außerordentliche Zuständigkeit“ ablehnt, ohne sich aber mit der notwendigen Unterscheidung zwischen einer or-

III. Bewertung

113

Im Folgenden geht es in einem ersten Schritt um die Einordnung der Delegation des Begnadigungsrechts, die einer ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Ermächtigung bedarf, um in einem zweiten Schritt die konkreten Grenzen für die Entscheidungspraxis aufzuzeigen.

1. Einordnung der Delegation des Begnadigungsrechts Die Weiterübertragung des Begnadigungsrechts hat eine solch umfassende praktische Relevanz, dass sich die Frage nach der konkreten Einordnung in die Dogmatik des Delegationsrechts im Öffentlichen Recht stellt. Hierbei kommt der Trennung zwischen Delegation und Mandat besondere Bedeutung zu. a) Begriff der Delegation Die Delegation ist eine Zuständigkeitsverlagerung im Verwaltungsorganisationsrecht. „Darunter versteht man die Übertragung einer Zuständigkeit (Kompetenz) auf ein anderes Subjekt (dabei kann es sich um einen anderen Rechtsträger, ein anderes Organ oder ein Unterorgan handeln) durch die zuständige Stelle.“199 Durch einen Rechtsakt gibt der Delegat (oder auch Delegant) seine Kompetenz an den Delegatar weiter, der die ihm übertragene Aufgabe in der Regel im eigenen Namen wahrnimmt.200 b) Voraussetzungen für eine Delegation Die Delegation ist zunächst ein Rechtsakt, durch den der Zuständigkeitsinhaber seine eigenen Kompetenzen auf die delegierte Behörde überträgt.201 Für diese Übertragung muss eine Delegationsermächtigung bestehen, die es dem Hoheitsorgan erlaubt, die bestehende Zuständigkeitsordnung zu durchbrechen.202 Eine solche Rechtsgrundlage muss „mindestens den Rang jener Rechtsquelle [haben], auf der die Begründung der Kompetenz beruht, die delegiert werden soll.“203

dentlichen und davon abweichenden (und dadurch außerordentlichen) Zuständigkeit auseinanderzusetzen. 199 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht III, § 84 Rn. 67. 200 Kluth, ebenda. 201 Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 20. 202 Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 52. 203 Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (123).

114

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

c) Unterschiedliche Formen der Delegation Dabei ist die unterschiedliche Ausgestaltung der Delegation zu berücksichtigen: Von einer echten (devolvierenden) Delegation spricht man, wenn der Delegat auf ein eigenes Entscheidungsrecht verzichtet und die Kompetenz vollständig beim Delegatar liegt.204 Bleibt die Möglichkeit einer Letztentscheidung beim delegierenden Organ bestehen, handelt es sich um eine unechte oder bewahrende (konservierende) Delegation.205 Delegiert der Delegatar die Kompetenz seinerseits weiter, liegt eine Subdelegation vor,206 auf die an späterer Stelle noch gesondert eingegangen wird (Abschnitt 3). d) Unterscheidung zwischen Delegation und Mandat Eine Delegation bedeutet die formelle und materielle Übertragung eines Rechts auf eine andere Behörde, durch die die neu zuständige Behörde das Recht im eigenen Namen ausübt. Die Ausübung der ihr neu übertragenen Kompetenzen, die in ihrem eigenen Interesse geschehen kann, wird der Behörde direkt zugerechnet.207 Ein Mandat liegt demgegenüber vor, wenn zwar die materielle, nicht aber die formelle Zuständigkeit durch Übertragung geändert wird, der ursprüngliche Inhaber eines Rechts also ein anderes Subjekt beauftragt, seine Kompetenz in fremdem Namen auszuüben.208 Es gibt keine formelle Änderung der Kompetenzzuweisung. Die Handlungen werden nicht dem Beauftragten zugerechnet, sondern bleiben in der Verantwortung des Mandanten.209 e) Delegation des Begnadigungsrechts Vielfach wird in der Übertragungspraxis des Begnadigungsrechts eine unechte, konservierende Delegation gesehen, wodurch die Verantwortung beim verfassungsrechtlichen Gnadenorgan verbleibe und sich an den grundsätzlichen Zuständigkeitsproblemen nichts ändere.210 Das zeige auch der Vorbehalt, wonach der 204

Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht III, § 84 Rn. 70. Kluth, ebenda. 206 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht III, § 84 Rn. 73; für weitere Untergruppen und spezifische Delegationsformen vgl. Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 26 ff. 207 Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 31 f., 49; vgl. zur Abgrenzung von der Amtshilfe, bei der immer ein Handeln im fremden Interesse vorliegt, Reinhardt, ebenda. S. 30 ff. 208 Vgl. Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 20 ff., 36 ff. 209 Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (121). 210 Nierhaus, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 16; ders., Entscheidung, Präsidialakt und Gegenzeichnung, S. 113; Dimoulis, Die Begnadigung in vergleichender Perspektive, S. 498. 205

III. Bewertung

115

Delegat das Begnadigungsrecht in bedeutenden Fällen selbst ausüben wolle.211 Er verliere zwar das Ausübungsmonopol, nicht aber das Recht, im Einzelfall die Sachund Wahrnehmungskompetenz wieder an sich zu ziehen, weshalb keine echte Delegation vorliege. Mit dem Hinweis auf die eindeutige Wortwahl des Verfassungsgesetzgebers („übertragen“) wird andererseits eine echte Delegation angenommen, sodass die durch die Delegation zuständige Behörde aus eigenem Recht begnadige und das Gnadenrecht nicht etwa im Namen des Bundespräsidenten oder der landesrechtlichen Gnadenträger, sondern im eigenen Namen und in eigener Kompetenz ausübe.212 Zu unterscheiden sind bei der Bewertung der Delegation des Begnadigungsrechts zunächst die Fälle, in denen der verfassungsrechtliche Träger der Kompetenz sich seiner Befugnis ganz entledigt – das Begnadigungsrecht also komplett auf andere Stellen überträgt – und die Fälle, in denen eine Restkompetenz beim eigentlichen Träger verbleibt. Im ersten Fall wird man ohne Zweifel von einer echten Delegation ausgehen müssen, da durch den Übertragungsakt ein vollständiger Verlust an Zuständigkeit eintritt. Im anderen Fall kommt es darauf an, ob sich der Gnadenträger die Entscheidung über bestimmte Gnadengesuche vorbehält und ob die Gnadenausübung der Delegatare im eigenen Namen oder im Namen des Gnadenträgers erfolgt. aa) Bundesebene Der Bundespräsident überträgt das Begnadigungsrecht auf andere Behörden, behält es sich aber in bestimmten Fällen vor. In der Delegationsanordnung des Bundespräsidenten heißt es zum Strafgnadenrecht in Art. 2 Abs. 2 Nr. 1a: „Die Ausübung des Begnadigungsrechts des Bundes übertrage ich ferner dem Bundesminister der Justiz in rechtskräftig abgeschlossenen Strafsachen, in denen erkannt hat der Bundesgerichtshof […], soweit ich mir die Entschließung nicht vorbehalten habe, […].“213 Der Wortlaut legt die Auffassung nahe, dass der Bundesminister für Justiz in seinen Erwägungen bezüglich des einzelnen Gnadenverfahrens vollkommen frei nach eigenem Ermessen entscheiden soll. Das gilt auch für die anderen Stellen, auf die der Bundespräsident die beamtenrechtliche Disziplinargnadenhoheit delegiert hat. Eine Vorlagepflicht beim Bundespräsidenten ist ebenso wenig vorgesehen wie eine spätere Beschwerdemöglichkeit des Gesuchstellers, der bei einer ablehnenden Gnadenentscheidung das Verfahren auf die Ebene des Bundespräsidenten heben könnte. 211

Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 165. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 23; Waldhoff/Grefrath, in: Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 60 Rn. 13. 213 In der Praxis hat diese Delegation keine Bedeutung, da die Strafgnadenfälle sämtlich vom Bundespräsidenten persönlich entschieden werden. Beim Disziplinargnadenrecht ist die Delegation hingegen äußerst relevant. 212

116

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

Unabhängig von dieser Entscheidungsfreiheit der Delegatare hat sich der Bundespräsident die Ausübung des Begnadigungsrechts in Fällen besonderer Bedeutung vorbehalten. Er verzichtet somit durch die Delegation zwar auf sein Ausübungsmonopol, verliert jedoch nicht die Zuständigkeit als solche, da er sich eine Letztentscheidung in bedeutsamen Fällen vorbehält.214 Darin zeigt sich einerseits das aus praktischen Gründen nachvollziehbare Interesse des Bundespräsidenten, sich von den Gnadenverfahren zu entlasten und andererseits das Erfordernis, in bedeutsamen, im Vorhinein nicht exakt beschreibbaren Fällen sein Begnadigungsrecht beizubehalten.215 Das spricht für eine konservierende Delegation. bb) Landesebene Wie bereits ein Blick auf die Delegationsanordnungen und die unterschiedlichen Zuständigkeiten auf Landesebene gezeigt hat, ist die Einordnung der Delegation hier differenzierter zu behandeln. Zunächst spielt es auf der landesrechtlichen Verfassungsebene eine bedeutende Rolle, wenn ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass eine Weiterübertragung nur in Betracht komme, „sofern es sich nicht um schwere Fälle handelt“216. Hier ist bereits vom Verfassungsrecht eine beim Gnadenträger zu verbleibende Restkompetenz vorgeschrieben, die der Delegation Grenzen setzt. (1) Verlust der Kompetenz des Gnadenträgers Wenn in einem Bundesland der originäre Gnadenträger in keinem einzigen Fall mit Gnadenentscheidungen befasst ist, sondern die Verantwortung vollständig auf den Justizminister übertragen hat, liegt eine echte Delegation vor. Eine beim Gnadenträger verbleibende Restkompetenz wird gerade nicht „konserviert“. (2) Entscheidungsvorbehalt nur in Ausnahmefällen Behält sich der Ministerpräsident oder die Landesregierung das Begnadigungsrecht in seltenen Ausnahmefällen vor, etwa bei lebenslangen Freiheitsstrafen, wird die Kompetenz konserviert. Entscheidet in diesen Fällen der Ministerpräsident wirklich noch persönlich, tritt kein vollständiger Zuständigkeitsverlust ein. Hier liegt eine konservierende Delegation vor.

214

Nierhaus, Entscheidung, Präsidialakt und Gegenzeichnung, S. 113. Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (143 f.), der diese Tatsache einem besonderen politischen Interesse des Bundespräsidenten zuschreibt. 216 Art. 52 Abs. 1 Verfassung Baden-Württemberg; Art. 67 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf. In diesen Ländern bedarf es für die Delegation darüber hinaus einer Zustimmung der Landesregierung. 215

III. Bewertung

117

(3) Auftragszeichnung durch Delegatare Der Delegation der originären Gnadenträger auf die Justizminister folgt deren Subdelegation auf Mitarbeiter oder nachgeordnete Behörden, wie etwa die Staatsanwaltschaften. Durch die Staatsanwaltschaften und auf der Arbeitsebene der Landesministerien werden Gnadenentscheidungen oft „im Auftrag“ unterzeichnet. Dabei bezieht sich das Auftragsverhältnis nicht auf den originären Gnadenträger, sondern auf den Justizminister, auf dessen Ermächtigung regelmäßig hingewiesen wird. Hier könnte man also im Verhältnis zwischen Justizminister und Delegataren eher ein innerbehördliches Mandat als eine konservierende Delegation annehmen. Ein solches ist bei den meisten ministeriellen Verfügungen durch eine Zeichnungsberechtigung der Ministeriumsmitarbeiter üblich.217 Auch wenn nach außen der eigentliche Amtsträger konkret ersichtlich ist und „aufgrund der Ermächtigung des Ministers der Justiz“ auch persönlich entscheidet, liegt dem rechtlich gesehen ein innerbehördliches Mandat zugrunde. Demzufolge liegt im Verhältnis zwischen Gnadenträger und Justizminister, ebenso zwischen Justizminister und Generalstaatsanwalt eine konservierende Delegation vor. Alle anderen Fälle basieren auf innerbehördlichen Mandaten. Die Verantwortung bleibt bei der Behördenleitung.

2. Die Delegation als Ausnahme von der Regel – insbesondere beim Begnadigungsrecht Die dargestellte Praxis und die Einordnung der Delegation bewegen sich in den Fällen, in denen eine echte Delegation vorliegt, außerhalb der verfassungsrechtlichen Delegationsermächtigungen, und zwar selbst dann, wenn die Delegationsermächtigungen keine Einschränkungen formulieren. Ferner ist die weitreichende Delegation auf untere Stellen als unzulässige Überschreitung des Delegationsrechts zu bewerten. Hier werden die von der Verfassung vorgegebenen Funktionsbedingungen der Begnadigungsentscheidung in erheblichem Maße beeinträchtigt. Das ergibt sich aus der Ausnahmefunktion der Delegation beim Begnadigungsrecht (Abschnitt b)), wobei die verfassungsrechtlichen Delegationsermächtigungen die eigentliche Materie – die Entscheidungsfindung in einer Gnadensache – nicht zu modifizieren vermögen (Abschnitt c)). Begrifflich hat schon das Bundesverfassungsgericht mit Bezug auf die Bundesauftragsverwaltung die Begriffe Wahrnehmungskompetenz und Sachkompetenz unterschieden (nachfolgend Abschnitt a)).

217 Vgl. dazu generell Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (151); für das Gnadenrecht insbesondere Alscher, BayVBl. 1972, 574.

118

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

a) Unterscheidung von Wahrnehmungsund Sachkompetenz In der Bundesauftragsverwaltung des Art. 85 GG und den damit zusammenhängenden Zuständigkeitsproblemen ist die Unterscheidung von Wahrnehmungsund Sachkompetenz zentral:218 Das Bundesverfassungsgericht hält die Wahrnehmungskompetenz der Länder für unentziehbar, womit jedes gesetzesvollziehende rechtsverbindliche Entscheiden nach außen gemeint ist,219 wohingegen Sachbeurteilung und Sachentscheidung Gegenstände der Sachkompetenz sind. Letztere liegt zunächst ebenfalls beim Land, kann vom Bund aber wieder an sich gezogen werden, wodurch in der Folge das Land auf die Wahrnehmungskompetenz beschränkt wird.220 Hierin liegt dann eine Aktualisierung der vom Bundesverfassungsgericht als „Reservezuständigkeit“ beschriebenen Sachkompetenz.221 Für unsere Untersuchung zeigt sich in diesem Zusammenhang eine sinnvolle begriffliche Unterscheidung organisationsrechtlicher und materieller Fragen.222 Bei der Ausübung des Begnadigungsrechts hat die Ausgestaltung von Wahrnehmungsund Sachkompetenz in ihrer Konkretheit Auswirkungen auf die funktionalen Bedingungen der Begnadigung. Die Sachgerechtigkeit der Zuweisung der Sachkompetenz als materieller Entscheidungsgewalt hängt davon ab, inwieweit die amtscharismatische Prägung auch beim Delegatar konservierbar (und damit später in der Terminologie des Bundesverfassungsgerichts „aktualisierbar“) bleiben kann. Es geht also unabhängig von der Frage, wer nach außen die Entscheidung kommuniziert, um die materielle Frage einer sachgerechten Ausgestaltung der internen Entscheidungsfindung. In concreto gibt der originäre Träger des Begnadigungsrechts auch seine materiellrechtliche Sachkompetenz aus der Hand. Obwohl die rechtliche und politische Verantwortlichkeit bei ihm verbleibt, hat er im konkreten Einzelfall seine inhaltliche Entscheidungsfreiheit weiterübertragen, die selbst dann besteht, wenn für eine Mehrzahl von Fällen Kategorien aufgestellt und Begnadigungsgründe entworfen wurden. Der Delegatar kann dennoch ohne Angaben von Gründen über ein Gnadengesuch in die eine oder andere Richtung entscheiden. Ihm ist die Erwägung der Gnadengründe direkt zugewiesen. Wenn nun die Weiterübertragung der Wahrnehmungskompetenz einen derartigen Einfluss auf die eigentliche Sachkompetenz hat – die Sachkompetenz durch die Weiterübertragung geändert wird –, müssen für die Funktionsbedingungen einer 218

BVerfGE 81, 310 (332); 104, 249 (264 f.). BVerfG ebenda. 220 BVerfGE 104, 249 (266). 221 BVerfGE 104, 249 (265). 222 Vgl. Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 21, insbes. Fußn. 10; Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 70 unterscheidet zwischen objektiven Normen und subjektiven Berechtigungen. 219

III. Bewertung

119

Ausübung der Sachkompetenz Grenzen bestehen. Konkret bedeutet das: Es bedarf aufgrund der Abhängigkeit von Amt und Person konkreter Grenzen bezüglich der Entscheidungsebene (sogleich unter Abschn. 4), damit das Begnadigungsrecht nicht umso stärker modifiziert wird, je weiter es delegiert wird und je weniger eine amtscharismatische Prägung besteht. b) Ausnahmefunktion der Delegation beim Begnadigungsrecht Im Falle des Begnadigungsrechts ist der Orientierungspunkt für das Außerordentliche der Delegation die Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers, dem Bundespräsidenten und den landesrechtlichen Gnadenträgern die Zuständigkeit für das Begnadigungsrecht anzuvertrauen und die Kompetenz des Begnadigungsrechts an deren Ämter zu binden, freilich mit der Möglichkeit, diese Zuständigkeit entlastungshalber zu übertragen, aber doch mit der grundsätzlichen „ordentlichen“ Entscheidung, sie seien Träger des Begnadigungsrechts. Jede davon im Wege der Delegation abweichende Zuständigkeitsordnung hebt diese Entscheidung nur hinsichtlich der organisationsrechtlichen Ausübungsfrage auf, ohne eine neue Sachkompetenz zu konstituieren. Es bleibt bei dem Begnadigungsrecht des Bundespräsidenten und der Landesorgane, für das sich lediglich das Organisationsrecht neu bildet. Die notwendige Begrenzung der Delegation wird deutlich, wenn man die Ausnahmefunktion der Weiterübertragung des Begnadigungsrechts berücksichtigt. Die Ausnahmefunktion ist der Weiterübertragung einer hoheitlichen Befugnis immanent: Das Außerordentliche einer delegierten Zuständigkeit liegt in der Abweichung von der regelmäßigen Zuständigkeitsordnung, ohne dass die Gültigkeit der Kompetenzausübung beeinträchtigt wäre.223 Es muss dem Träger des Begnadigungsrechts deshalb verwehrt sein, die eigentlich kompetenzbegründende Norm (Art. 60 Abs. 2 GG und die entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Regelungen) außer Kraft zu setzen, in dem er beispielsweise das Begnadigungsrecht in Gänze übertragen und seine Zuständigkeit komplett verlieren würde. Das wäre mit der verfassungsgesetzlich festgeschriebenen Kompetenzordnung nicht zu vereinbaren. Das Gleiche gilt bei einer Umkehrung des Regel-/Ausnahmeverhältnisses, wenn der Gnadenträger nur noch in seltenen Einzelfällen entscheidet. Unterstützt wird diese These von der Niederrangigkeit der Delegationsanordnung: Die Anordnung zur Weiterübertragung der Begnadigungsbefugnis ist in der Lage, eine ranghöchste Zuständigkeitsvorschrift des Grundgesetzes in ihrer Wirkung abzuändern.224 Die dafür erforderliche Delegationsermächtigung eröffnet lediglich die Möglichkeit, eine von der regelmäßigen Ordnung abweichende Zuständigkeit zu begründen, nicht jedoch die ranghöhere Norm durch eine ausufernde Delegation oder 223 224

Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 70. Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 73.

120

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

gar Änderung der Kompetenz zu unterlaufen. Das wäre Aufgabe des verfassungsändernden Gesetzgebers.225 Dies gilt umso mehr, wenn die Kompetenz an sich bereits außerordentlich ist: Das Begnadigungsrecht will von der normalen Entscheidungsfindung bei Hoheitsakten abweichen und ist somit schon in der Materie außerordentlich. Die Autorität dieses Sonderrechts ist so grundlegend, dass dessen Prägung durch eine Delegation nicht verwässert werden darf. Die Ermächtigung zur Weiterübertragung in Art. 60 Abs. 3 GG und den entsprechenden landesrechtlichen Regelungen kann nicht den Sinn haben, eine verwaltungsmäßig gewöhnliche, kategorisierbare und vom eigentlich zuständigen Gnadenträger weit entfernte Gnadenpraxis zu schaffen. Es wird vor dem Hintergrund des ausgeführten Begnadigungskonzeptes auf Verfassungsebene jedenfalls deutlich, dass die Verfassung keine Weiterübertragung ermöglichen wollte, die aus der Begnadigung etwas anderes macht, als es dem verfassungsrechtlichen Bild einer Gnadenentscheidung entspricht. Das ist bei der ausufernden Delegation aber der Fall. Die Entscheidungsfindung in durch Gnadenordnungen festgelegten Verfahren und internen Kategorien führt zu einer normalen Verwaltungstätigkeit und entzieht dem Begnadigungsrecht seine dieser Tätigkeit enthobenen Stellung. Dadurch entsteht eine entwertende Umbildung des Begnadigungsrechts. c) Keine Modifizierung des Begnadigungsrechts durch die Delegationsermächtigung Nun könnte man der Auffassung sein, dass diese begrenzende Sicht auf das Begnadigungsrecht durch das Bestehen der Delegationsermächtigungen modifiziert sei, die Sachkompetenz des Begnadigungsrechts also aufgrund der erweiterten Wahrnehmungszuständigkeiten nicht mehr den ursprünglichen Charakter eines amtscharismatischen Vorrechts habe. Dann wäre jedoch die Auslegung des Begnadigungsrechts als ein an ein personal geprägtes Amt gebundenes Vorrecht nicht haltbar. Überzeugender ist es hingegen, jede Delegation an dem Charakter der ursprünglichen Sachkompetenz zu messen. Beim Begnadigungsrecht ist also sicherzustellen, dass bei der delegierten Stelle dieselbe enge Bindung an das Amt und eine ebenfalls herausgehobene Stellung desjenigen besteht, der über Gnadengesuche zu entscheiden hat. Anderenfalls kann sich die Distanzierungsfunktion des Begnadigungsrechts nicht entfalten. Die Entscheidungsfreiheit des Trägers des Begnadigungsrechts hat ihre Grenze bei der Delegation der Kompetenz: Sie kann in dieser Zuständigkeitsfrage nicht so weit gefasst sein wie in der eigentlichen Ausübung des Begnadigungsrechts, weil sie die angemessene Ausübung dieses außerordentlichen Rechts sicherstellen muss. Jede Delegationsanordnung muss als rein bürokratische, rechtliche Entscheidung die eigentliche Materie im Blick behalten. 225

Barbey, ebenda.

III. Bewertung

121

Unzutreffend ist es deshalb, die regelhafte Kompetenzzuweisung des Art. 60 Abs. 2 GG als „fakultativ“ zu begreifen, da der Bundespräsident „sie nicht in vollem Umfang selbst auszuüben braucht, sondern nach Art. 60 Abs. 3 GG […] delegieren kann.“226 Darin liegt eine problematische Umkehr von Ausnahme und Regel: Würde man die eigentliche Kompetenzzuweisung als fakultativ ansehen, wären delegierte Gnadenentscheidungen die regelhafte Ausübung des Begnadigungsrechts. Dem widerspricht bereits der Wortlaut der Delegationsermächtigung des Art. 60 Abs. 3 GG, der als Ausnahmeregel zu bewerten ist:227 Der Bundespräsident kann die Befugnisse übertragen. Die Delegation ist also das Fakultative und nicht die ordentliche Kompetenzzuweisung des Art. 60 Abs. 2 GG. Würde man die gesetzgeberische Entscheidung, den Bundespräsidenten mit dem Begnadigungsrecht zu betrauen, als fakultativ ansehen und jegliche Weiterübertragung an „beliebige andere Stellen“228 ansehen, könnte weder die Bindung der Ausübung an das Amt noch der Charakter eines Vor- und Ehrenrechts229 Bestand haben. Das Originäre der Kompetenz zeigt bereits die Subsidiarität einer jeden Delegation. Unterstützt wird diese These von dem Willen des Verfassungsgebers, die Delegationsmöglichkeit lediglich zur Entschärfung des Problems einer Arbeitsbelastung des Staatsoberhauptes zu schaffen – gleichwohl mit einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber der Weiterübertragung eines auf das herausgehobene Amt beschränkten Vorrechts.230

3. Notwendigkeit ausdrücklicher (Sub-)Delegationsermächtigungen Aufgrund der weitreichenden Delegation des Begnadigungsrechts in der Praxis stellt sich das Problem der Delegation nicht nur auf der Ebene des verfassungsrechtlich zuständigen Organs, sondern auch auf unterer Ebene: Das vom Gnadenträger an untere Stellen delegierte Begnadigungsrecht wird nämlich von diesen Stellen in eigener Verantwortung wiederum delegiert. Sind die Delegatare auf zulässige Weise ermächtigt, das Begnadigungsrecht ihrerseits weiter zu übertragen oder muss die Zuständigkeitsfrage allein vom eigentlichen Gnadenträger entschieden werden? Kann sich der Gnadenträger dadurch neben seiner eigentlichen Begnadigungskompetenz auch seiner Delegationskompetenz entledigen? In der Weiterübertragung bereits delegierter Befugnisse durch den Delegaten liegt eine Subdelegation. Der Subdelegant ist Delegatar der vorhergegangenen Delega226

Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 6. Nierhaus, Entscheidung, Präsidialakt und Gegenzeichnung, S. 115. 228 Herzog, ebenda. 229 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 60 Rn. 25 nennt es selbst „eines der wichtigsten Vorrechte (und Ehrenrechte) […], die in den wesentlichen Verfassungssystemen dem Staatsoberhaupt zustehen.“ 230 s. bereits oben unter Kap. B. III. 3. 227

122

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

tion.231 Bei der Subdelegation muss in gleichem Maße unterschieden werden wie bei der Delegation: Auch bei der Weiterübertragung von Delegationen gelten die ausgeführten Unterscheidungen sowie die Voraussetzungen für eine „normale“ Delegation.232 Die Eigenart der Subdelegation liegt darin, dass Subdelegant und Delegatar identisch sind,233 also eine bereits delegierte Kompetenz weiterübertragen wird. Subdelegationen entspringen dem Bedürfnis einer Dezentralisierung staatlicher Macht. Es ist eine ganze Kette von Subdelegationen möglich, die zu einer fortschreitenden Entfernung des entscheidenden Organs zum ursprünglich zuständigen Organ führen. Nun gibt es aber hoheitliche Kompetenzen, bei denen eher eine Konzentration der Zuständigkeiten geboten ist. Eine Dekonzentration birgt immer die Gefahr einer zu großen Entfernung der Entscheidung vom originär zuständigen Organ. In der Folge bedeutet das die Notwendigkeit einer Begrenzung der Kette von Subdelegationen. Wenn schon die Hauptdelegation ein wesentlicher Eingriff in die gegebene Kompetenzregelung ist, so kann sich eine Subdelegation ohne ausdrückliche gesetzliche Erlaubnis nicht von selbst verstehen.234 a) Voraussetzung für eine Subdelegation des Begnadigungsrechts Im Falle des Begnadigungsrechts geht es bei der Subdelegation darum, inwiefern die dem ursprünglichen Träger des Begnadigungsrechts anvertraute Anordnungskompetenz zur Übertragung seiner Zuständigkeit weiterübertragen werden kann. Mit jeder Zulassung der Subdelegation gibt der verfassungsrechtlich beauftragte Gnadenträger seine Delegationsanordnungskompetenz in andere Hände. Unproblematisch sind die Fälle, in denen diese Ermächtigung von derselben Stelle ausgesprochen wird, die auch die Ermächtigung zur Delegation erlassen hat – hier gelten für die Organisationsgewalt die gleichen Voraussetzungen wie für die Hauptdelegation.235 Für die Delegation des Begnadigungsrechts müsste also durch dasjenige Organ, das die Organisationsgewalt für die Zuständigkeit in Begnadigungsverfahren innehat – das Parlament – , neben der Delegationsermächtigung in Art. 60 Abs. 3 GG und den jeweiligen Landesverfassungen auch eine Subdelegationsermächtigung normiert werden. Die Ermächtigung zur Subdelegation erfolgt aber beim Begnadigungsrecht nicht vom Inhaber der Organisationsgewalt der ursprünglichen Kompetenz, sondern vom Deleganten: Der Inhaber des Begnadi-

231

Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (123). Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 121 f.; Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 127 ff.; Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 154. 233 Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 128. 234 Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 126. 235 Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 155. 232

III. Bewertung

123

gungsrechts selbst ermächtigt neben der Übertragung seiner Kompetenzen den Delegatar, das Begnadigungsrecht seinerseits weiter zu übertragen.236 b) Gelten die Delegationsermächtigungen auch als Subdelegationsermächtigungen? Es stellt sich nun die Frage, ob die „reinen“ Delegationsermächtigungen auf Verfassungsebene auch gleichzeitig eine Ermächtigung zur Subdelegation enthalten. aa) Argumentum e contrario aus Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG Mangels einer auf dem gleichen Range der Regelnorm bestehenden ausdrücklichen Subdelegationsermächtigung wird das teilweise verneint.237 In den vom Verfassungsgesetzgeber in Art. 60 Abs. 3 GG und den jeweiligen Landesverfassungen normierten Ermächtigungen fehlt demnach eine Ermächtigung zur Delegation der Delegationszuständigkeit des Subdeleganten. Verstärkt wird dieses Argument mit dem Hinweis auf die Regelung des Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG.238 In Art. 80 GG regelt das Grundgesetz die Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen (Rechtsverordnungen) auf die Exekutive und verlangt in Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG, dass es für die Weiterübertragung der Ermächtigung eines ausdrücklichen Gesetzes bedarf und dass die Subdelegation im Rahmen einer Rechtsverordnung ausgesprochen werden muss.239 Schlussfolgernd müssten aufgrund des Fehlens einer entsprechenden Ermächtigung in Art. 60 Abs. 3 GG die Anordnungen des Bundespräsidenten und der Landesgnadenträger, die eine Subdelegation durch die jeweiligen Delegatare zulassen, als von der Delegationsermächtigung nicht umfasst bewertet werden.

236

Vgl. statt Vieler Art. 2 Satz 1 BegnMinPrErl NRW – Erlass vom 12. 11. 1951 des Ministerpräsidenten von NRW; Punkt II. der hessischen GnRAnO 26. 11. 1974. Eine Ausnahme bildet diesbezüglich das Saarland: Durch ein Landesgesetz wird Art. 93 der Verfassung des Saarlandes (Art. 93 SaarlVerf: „Die Ausübung des Begnadigungsrechts wird durch Gesetz geregelt. Amnestie bedarf eines Gesetzes“) näher konkretisiert. In § 4 Abs. 2 des saarländischen Gnadengesetzes wird eine Subdelegation ausdrücklich zugelassen. Hier hat der landesparlamentarische Träger der Organisationsgewalt die Probleme der Kompetenzregelung des Begnadigungsrechts konsequent legislatorisch gelöst. Eine Subdelegationsermächtigung liegt auf einfachgesetzlicher Ebene vor. 237 Grundsätzlich Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 129 Fußn. 7. 238 Dem tritt Reinhardt, Delegation und Mandat im Öffentlichen Recht, S. 160, insbes. Fußn. 389 entgegen, wobei er die Bezugnahme auf Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG „ausdrücklich“ Barbey zuschreibt, obwohl dieser lediglich mit dem Fehlen einer Subdelegationsermächtigung auf gleichem Range wie die Regelnorm argumentiert und an der von Reinhardt zitierten Stelle (Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 129 Fußn. 7) auf Art. 80 GG gar nicht eingeht. 239 Lücke/Mann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 80 Rn. 31.

124

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

bb) Subdelegationsermächtigung durch Art. 60 Abs. 3 GG Die entgegengesetzte Auffassung sieht Subdelegationen des Begnadigungsrechts von Art. 60 Abs. 3 GG gedeckt. Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG könne nicht als Gegenargument dienen, da im Gegensatz zu Art. 60 Abs. 3 GG in Art. 80 Abs. 1 GG die Gruppe derjenigen, auf die delegiert werden kann, abschließend festgelegt worden sei und es ohne die Klarstellung des Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG den in Abs. 1 Satz 1 genannten Stellen verboten sei, eine Subdelegation zuzulassen.240 Die Vertreter dieser Auffassung halten also den Vergleich mit Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG für abwegig und eine ausdrückliche Subdelegationsermächtigung für überflüssig. Insbesondere Reinhardt verweist mit Hilfe einer Auslegung der Delegationsermächtigung des Art. 60 Abs. 3 GG zusätzlich darauf, dass es sich bei den subdelegierten Kompetenzen um „unbedeutende und unwichtige Sachverhalte“ handle, da der Bundespräsident sich die Entscheidung in bedeutenden Fällen vorbehalten habe.241 Ferner sei der Bundespräsident nicht in der Lage, die Kompetenzen der nachgeordneten Bundesbehörden richtig einzuschätzen und müsse deshalb die Auswahl der Delegatare anderen überlassen, um dem Entlastungsinteresse der obersten Bundesbehörden sachgerecht zu begegnen.242 Ihm sei also die Auswahl derjenigen, an die die entsprechende Kompetenz subdelegiert werden solle, nicht zuzumuten. cc) Stellungnahme Der Wortlaut der Ermächtigung lässt darauf schließen, dass ausschließlich der Bundespräsident selbst über die Übertragung seiner Rechte entscheiden soll und somit ausschließlich ihm die Rechtssetzungskompetenz in Zuständigkeitsfragen zukommt. Darüber hinaus spricht aber auch der Sinn und Zweck der Vorschrift und der Vergleich mit Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG dafür, Subdelegationen für unzulässig zu erachten. (1) „Erst-recht-Schluss“ aus Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG Was die Parallelität mit Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG betrifft, kann der Verweis auf den eingeschränkten Adressatenkreis in Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG nicht als Argument überzeugen, in Art. 60 Abs. 3 GG und gleichartigen Landesnormen wegen der fehlenden Konkretisierung eines Kreises an Delegataren eine entsprechende uferlose Delegationsfreiheit anzunehmen und in der Delegationsermächtigung auch eine Subdelegationsermächtigung zu sehen. Man kann nämlich aus der Erwähnung von Subdelegationen und der Voraussetzung eines entsprechenden Gesetzes in Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG auch eine andere Schlussfolgerung ziehen: Die in Art. 80 GG geregelte Übertragung von rechtsetzender Gewalt auf die Exekutive ist mit Blick auf 240 241 242

Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (144). Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 161. Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 162.

III. Bewertung

125

die Gewaltenteilung eine problematische Materie; es bedarf besonderer Sicherungen, damit das parlamentarische System nicht unterlaufen wird.243 Die Ermächtigung zur Subdelegation soll zwar auch den engen Kreis der Verordnungsgeber des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG erweitern;244 dafür allein wäre aber noch nicht eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung notwendig. Was in unserem Zusammenhang interessiert, ist der darin liegende Rechtsgedanke einer Kontrolle und Transparenz, der in Folge eines „erst-recht-Schlusses“ ebenfalls beim Begnadigungsrecht gelten muss: Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG zeigt die Skepsis des Verfassungsgesetzgebers gegenüber der Subdelegation.245 Es ist schwer zu verstehen, warum ein Delegant seine Kompetenz aus Entlastungsinteressen an eine Stelle delegiert, die er mit Blick auf die Regelung weiterer Subdelegationen anscheinend genauso überlastet hält wie sich selbst.246 Zwar anerkennt Art. 80 GG die einem Entlastungs- und Flexibilitätsinteresse dienende Notwendigkeit einer Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen, begrenzt allerdings dasselbe Recht durch ausdrückliche Vorkehrungen.247 Durch eine Art Delegationsfilter248 sollen zum einen Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung im ermächtigenden Gesetz bestimmt werden (Bestimmtheitsgebot, Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG), zum anderen muss der Verordnungsgeber die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage so kenntlich machen, dass der Bezug zum eigentlichen Rechtsverordnungsgeber erkennbar ist (Zitiergebot, Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG). Darüber hinaus wird eine aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Begründungspflicht verlangt, die eine nach außen wirkende, transparente Rechtfertigung der Delegation leisten soll.249 Diese Vorkehrungen sollen zu einer verwaltungsinternen Disziplinierung und zu einer verwaltungsexternen Transparenz und Kontrolle führen.250 Bei Nichteinhaltung dieser Vorschriften folgt eine Nichtigkeit der Rechtsverordnung ohne Heilungsmöglichkeit.251 Das einer Kontrollfunktion und Rechtsschutzfunktion dienende Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG gilt bei Subdelegationen in besondere Weise, da hier sowohl die Ausgangsermächtigung als auch die Subdelegationsermächtigung genannt werden müssen, um die vollständige Rechtsgrundlage zu kennzeichnen.252 Notwendig ist die Rückverfolgung bis auf die Grundermächtigung.253 243

Frowein, DÖV 1969, 621 (622). Vgl. zu dem historischen Hintergrund dieser Skepsis des Verfassungsgebers Nierhaus, in: Bonner Kommentar GG, Art. 80 Rn. 9. 244 Darauf verweisen Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 160 f. und Schenke, ebenda. 245 Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 80 Rn. 43. 246 Darauf verweist bereits Triepel, Delegation und Mandat im Öffentlichen Recht, S. 126. 247 Bauer, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 80 Rn. 11. 248 Lücke/Mann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 80 Rn. 3. 249 Lücke/Mann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 80 Rn. 30; Brenner, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 80 Rn. 45, 64 ff. 250 Bauer, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 80 Rn. 43. 251 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 80 Rn. 137 ff. 252 Bauer, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 80 Rn. 44.

126

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

Von den zwei Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG – der gesetzlichen Ermächtigung und der Regelung der Subdelegation durch Rechtsverordnung – interessiert zunächst die erste. Zwar regelt Art. 80 GG eine vom Begnadigungsrecht grundlegend zu unterscheidende Materie; aber es geht um den Gedanken der Übertragung einer eigentlich einem anderen Organ wesensmäßig anvertrauten Kompetenz. Wenn schon bei der Übertragung von Rechtsetzungskompetenzen Sicherungen gelten, um das ursprünglich zuständige Parlament weiterhin an das Demokratieprinzip und an die Gewaltenteilung zu binden,254 muss das erst recht bei einer Weiterübertragung eines injustitiablen Vorrechts gelten, welches eng mit dem jeweilig ausübenden Amt verbunden ist. Dazu ist eine entsprechende Ermächtigung des zuständigen Organisationsgewaltenträgers nötig. Wenn das für die Subdelegationsermächtigungen geltende Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG als Rechtsschutzfunktion dient,255 muss erst recht eine Ermächtigung für die Subdelegation einer Kompetenz bestehen, deren Ausübung keinen Rechtsschutz kennt. Das wird ferner deutlich, wenn man sich die Qualität der Delegation als Rechtsetzungsakt vor Augen führt: Durch die Änderung der durch das objektive Recht festgesetzten Zuständigkeitsordnung ist jede (Sub-)Delegation ein Akt der Rechtsetzung.256 Überträgt der Träger des Begnadigungsrechts seine Befugnisse im Wege der Delegation, wird er rechtsetzend tätig. Ermächtigt er dann noch den Delegatar zu einer Weiterübertragung, gibt er ihm zusätzlich zu der delegierten Kompetenz noch die Befugnis, selbst rechtsetzend tätig zu werden.257 Die Ermächtigung zur rechtsetzenden Delegation beim Begnadigungsrecht kann der Träger des Begnadigungsrechts nicht so einfach aus der Hand geben. Durch die Einräumung des Rechts auf Weiterübertragung tut er das aber. Es besteht auf seiner Ebene keinerlei Kontrollmöglichkeit, wie weit die Entscheidungsebene „nach unten“ wandert. Gerade weil es sich beim Begnadigungsrecht um eine politisch bedeutsame Kompetenz handelt, hat der Verfassungsgesetzgeber eine besondere Bindung an das Amt anerkannt, deren Lockerung er durch eine ausdrückliche Ermächtigung zur Subdelegation – ähnlich der in Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG normierten – hätte festlegen können. Die außergewöhnliche Freiheit des Gnadenträgers darf aber nicht als eine grenzenlose Freiheit zur beliebigen Delegation und Weiterübertragung des Rechts zur Delegation missverstanden werden. Unbeachtlich dafür sind Erwägungen hinsichtlich der Kompetenz des Bundespräsidenten zur Auswahl der Delegatare und zur Frage der Bedeutung der zu delegierenden Kompetenz.258 Sie beantworten nicht die Frage nach der Subdelegationsermächtigung. 253

Nierhaus, in: Bonner Kommentar GG, Art. 80 Rn. 329. Lücke/Mann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 80 Rn. 3. 255 Bauer, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 80 Rn. 43. 256 Triepel, Delegation und Mandat im Öffentlichen Recht, S. 29; Obermayer, JZ 1956, 625 (626); dem zustimmend Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 155 f. 257 Vgl. Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 156. 258 Diesbezüglich sei nur als Randbemerkung darauf hingewiesen, dass man trefflich darüber streiten kann, ob die Gnadensachen, die nach den Anordnungen des Bundespräsidenten 254

III. Bewertung

127

Die zweite Voraussetzung des Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG, Subdelegationen müssten in Form einer Rechtsverordnung erfolgen, ist in unserem Zusammenhang irrelevant. Auf die Form der Subdelegation abzustellen und Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG lediglich für die Fälle als relevant anzusehen, in denen die Subdelegation als förmliche Rechtsverordnung ergeht,259 kann nicht überzeugen. Der Rechtsgedanke einer Vorkehrung bei der rechtsetzenden Änderung der Zuständigkeitsordnung bleibt der gleiche. Im übrigen ist die Problematik der fehlenden Transparenz bei einer internen Anordnung viel relevanter als bei einer Rechtsverordnung. (2) Bindung der organisationsrechtlichen Delegationskompetenz an den Gnadenträger Unabhängig von Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG spricht die enge Bindung des Begnadigungsrechts an das Amt des Gnadenträgers dafür, dass nur der Gnadenträger selbst die organisationsrechtliche Kompetenz und damit das Recht der Weiterübertragung innehat. Die Subdelegation ist nämlich ein noch weitergehender Eingriff in die objektive Kompetenzordnung, als das bei der Erstdelegation der Fall ist.260 Sie entfernt die Kompetenzordnung immer weiter von der verfassungsrechtlichen Festlegung, welches Organ das Begnadigungsrecht ausüben soll. Dass es sich beim Begnadigungsrecht nicht um eine beliebige hoheitliche Kompetenz handelt, auf die die Ausführungen zu den Rechtsbegriffen der Delegation und Subdelegation problemlos übertragen werden können, wurde bereits deutlich. Die Verfassungen in Bund und Ländern übertragen das Begnadigungsrecht als besonders sensible Materie mit besonderer Vorsicht einem in der Hierarchie exponierten Organ. Dieser Verfassungsauftrag ist der Maßstab für jede Übertragung und Weiterübertragung. Je weiter sich die Gnadentätigkeit von dem verfassungsrechtlich bestimmten Organ entfernt, umso mehr besteht die Gefahr einer Entwertung des Gnadenaktes.261 Unabhängig von der grundsätzlichen Zulässigkeit enthält der Verfassungsauftrag somit die Definition für die Grenzen der Delegation. Delegiert der Inhaber einer bereits außerordentlichen Kompetenz das Begnadigungsrecht seinerseits weiter, muss er sich auf eine Er-

und der Landesgnadenträger nicht so „bedeutend“ sind, nicht doch eine gewisse Wichtigkeit aufweisen. Man denke nur an die Fälle des Widerrufs von Bewährungsaussetzungen bei Freiheitsstrafen: Die Entscheidung der Freiheit oder Unfreiheit eines Straftäters ist in diesen Fällen von bedeutender Tragweite. Tritt er einmal den Strafvollzug an, ändert sich sein Leben in einschneidender Weise. Von „unbedeutenden“ und „unwichtigen“ Sachverhalten, wie sie Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 161 nennt, kann keine Rede sein. 259 Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 159. 260 Göttelmann, Delegation hoheitlicher Befugnisse internationaler Organisationen, S. 48. 261 Vgl. Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 163.

128

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

mächtigungsgrundlage stützen können, die auf derselben Regelungsebene verortet ist wie die Ermächtigungsgrundlage zur Hauptdelegation.262 Das Argument, die engen Voraussetzungen des Art. 80 GG könnten beim Begnadigungsrecht nicht gelten, da es sich um ein vorrechtliches Institut handle, welches den Träger des Begnadigungsrechts mit einer besonders freien Entscheidungskompetenz ausstatte, übersieht die notwendige Unterscheidung zwischen dem Begnadigungsrecht als Kompetenz und der Zuständigkeit zur Ausübung dieser Kompetenz. Die Regelung der letzteren Materie kann nicht mit derselben Entscheidungsfreiheit verbunden sein wie die eigentliche Begnadigungsgewalt. Die Frage der Entscheidungszuständigkeit ist eine rein organisationsrechtliche, die von der dem Begnadigungsrecht eigenen Entscheidungsfreiheit getrennt werden muss. Die Anordnungskompetenz für diese Festlegung der Zuständigkeit liegt der Delegationsermächtigung gemäß ausschließlich beim ursprünglichen Gnadenträger und kann nicht weiterübertragen werden. c) Zwischenergebnis Eine Weiterübertragung des Begnadigungsrechts ist nur dann zulässig, wenn auf derselben Ebene, auf der das Begnadigungsrecht selbst verortet ist, eine ausdrückliche Ermächtigung zur Delegation besteht. Das gilt auch für die Subdelegation. Da die Hauptdelegation als Eingriff in die Zuständigkeitsregeln einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf, muss dies erst recht für die Subdelegation gelten.263 Kompetenzen sollten mittels einer Delegation ohnehin nicht auf Stellen übertragen werden, die man von vornherein für ebenso überlastet hält wie sich selbst – wenn eine Subdelegation nicht ausdrücklich gestattet ist, muss die Kette der Weiterübertragung mit der Hauptdelegation enden.264 Zuständig für die Übertragung des Begnadigungsrechts darf nur der originäre Gnadenträger sein. Er muss persönlich die Entscheidung fällen, welchen Stellen er sein Begnadigungsrecht überträgt. Diese Überlegungen gelten sämtlich auch auf Landesebene, wo dem Art. 80 GG ähnliche Vorschriften bestehen.265 Um insoweit eine wirksame Subdelegationser262

Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 128, bemerkt zutreffend: „Die Subdelegation soll die durch die delegierende Norm geschaffene Zuständigkeitsordnung verändern, d. h. die durch die delegierende Norm gesetzte Abweichung von der Regelnorm ersetzen. Die subdelegierende Norm ist deshalb im Hinblick auf ihren Widerspruch zur delegierenden Norm und zur Regelnorm nur gültig, sofern sie durch eine Norm mindestens vom Range der Regelnorm gedeckt ist.“ Ein ähnlicher Gedanke ist auch angedeutet bei Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (123). 263 Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 126. 264 Triepel, ebenda. 265 Vgl. Art. 61 VerfB-W; Art. 55 Nr. 2 BayVerf; Art. 80 VerfBB; Art. 124 BremVerf; Art. 53 VerfHH; Artt. 107, 118 HessVerf; Art. 57 VerfM-V; Art. 43 VerfNds; Art. 70 VerfNRW;

III. Bewertung

129

mächtigung zu schaffen, wäre die folgende Formulierung denkbar: „Er [der Träger des Begnadigungsrechts] kann diese Befugnis übertragen und kann auch zur Weiterübertragung ermächtigen, [sofern der Delegation Grenzen gesetzt sind].“

4. Entscheidungsebene der Begnadigungsausübung Würde man den Gnadenträger zu einer weitreichenden Delegation ermächtigt sehen, wären der Legitimationskette, die von Art. 60 GG und den landesverfassungsrechtlichen Regelungen ausgeht, zunächst keine Grenzen gesetzt. Zu überprüfen ist die Reichweite des Begnadigungsrechts hingegen immer an dem Verfassungsauftrag, der im Grundgesetz und den Landesverfassungen verankert ist:266 Er richtet sich ausdrücklich an den Bundespräsidenten und die Ministerpräsidenten bzw. Landesregierungen. Diesen steht ein Delegationsrecht zwar durch die Delegationsermächtigungen grundsätzlich zu – es darf aber nicht zulasten der verfassungsrechtlichen Konzeption, die die personale Entscheidung in Gnadenfragen dem Gnadenorgan überträgt, durch eine von der höchsten Ebene allzu entfernten Delegation missachtet werden. In der Ministerialbürokratie entsteht ansonsten eine Professionalisierung des Gnadenverfahrens, die durch einen Apparat von Einzelentscheidern keine verfassungsmäßig kurze Legitimationskette zum eigentlichen Träger des Begnadigungsrechts gewährleisten kann. a) Bestehende Praxis des Gnadenverfahrens Diese Praxis besteht aber auf Landesebene in vielfacher Weise. Die Gnadenordnungen unternehmen in einer bemerkenswerten Untauglichkeit den Versuch, „Gnade“ in ihrer verfassungsrechtlichen Form in unteren Ebenen – so beispielsweise in Ministerien und in Staatsanwaltschaften – zu implementieren, ohne die Funktion der Ämter zu berücksichtigen, auf die delegiert wird. Das daraus entstehende Gnadenverfahren auf unteren Ebenen hat zur Folge, dass der übernormative Charakter des Gnadenaktes durch die bürokratische Professionalisierung des Gnadenverfahrens in den Hintergrund tritt. Darin liegt die besondere Gefahr der Delegation. Die Entscheidung über die Gnadensache geschieht nach innerhalb der Verwaltungseinheit festgelegten Schritten, die subsumtiv geprüft werden. Dabei geht es um die Dauer der bereits vollzogenen Sanktion mit der Frage, ob sich die Strafe bereits entfaltet hat, es werden Stellungnahmen verschiedener beteiligter Institutionen eingeholt, und es gilt eine bundes- wie landesüblich unterschiedliche Staatspraxis, die sich vergleichbare interne Kategorien schafft.

Art. 110 VerfRh-Pf; Art. 104 SaarlVerf; Art. 75 SächsVerf; Art. 79 VerfLSA; Art. 38 VerfS-H; Art. 84 ThürVerf. 266 Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 165.

130

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

aa) Gefahr einer normalen Verwaltungstätigkeit Dadurch besteht die Gefahr, dass die Gnadenakte in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr existieren, sondern in ihrer Entstehung und behördlichen Willensbildung Verwaltungsakten ähnlich sind.267 Verwaltungsakte dienen jedoch dem Vollzug der Rechtsordnung und können schwerlich innerhalb eines Bereiches auftreten, der einem juristisch nicht messbaren Gemeinschaftswert zugeordnet ist.268 Es geht um keine dem Rechtswert unterstellte Tätigkeit.269 Zwar sind auch im originären Verwaltungshandeln Billigkeitsentscheidungen verortet; sie entstehen aber auf Grundlage eines dazu bestimmten Rechtssatzes.270 Solche Rechtssätze darf es in Gnadenverfahren konsequenterweise nicht geben. Gewährleistet werden kann das nur, wenn die Begnadigung auf einer Ebene und in einer Weise geschieht, in der eine Orientierung an übernormativen Maßstäben stattfindet. Die Entscheidung darf nicht an erkennbare Tatbestandsmerkmale geknüpft sein. Das ist sie jedoch in einer Vielzahl von Verfahren in der Praxis. Gerade weil im Bereich des Begnadigungsrechts die normative Ausgestaltung so zurückhaltend ist, kommt der Beurteilung der Gnadenpraxis eine umso bedeutendere Rolle zu. Es ist mit Blick auf die Gnadenpraxis der Länder unverkennbar, dass die Quantität der Gnadenakte in den Gnadenabteilungen das Amtscharismatisch-Exzeptionelle zurückdrängt und sich die Qualität des Gnadenaktes notwendigerweise verändert.271 Dadurch bekommt die von Dürig vor langer Zeit in die Diskussion eingebrachte Bemerkung, der Gnadenakt verkomme ebenso zu „kleiner Münze“, wie es der normale Verwaltungsakt sei,272 neue Gültigkeit. Die Professionalisierung und Bürokratisierung des Gnadenverfahrens führt zu einer Normalisierung der Gnadentätigkeit, die das Gnadenverfahren dem normalen Verwaltungsverfahren deutlich annähert.273 bb) Notwendige Verfahrensgarantien Obgleich also eine solche Regelhaftigkeit auf unterer Ebene besteht, fällt die mangelnde Transparenz und das Fehlen verbindlicher, überprüfbarer Verfahrensgarantien auf. Im Rahmen des Begnadigungsverfahrens ist für den Verurteilten die Beantwortung der folgenden Fragen von Belang: Wer? Wie? Wann? Warum?

267 Angedeutet bei Jesch, Die Bindung des Zivilrichters an Verwaltungsakte, S. 20 Fußn. 16; dem zustimmend Menger, DVBl. 1957, 683, der deshalb den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz eröffnet sieht. 268 Obermayer, Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt, S. 91. 269 Obermayer, ebenda. 270 Obermayer, Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt, S. 92. 271 Vgl. bereits Dürig, JZ 1961, 166. 272 Dürig, ebenda. 273 Dürig, ebenda.

III. Bewertung

131

Lediglich die letzte Frage ist aufgrund der Besonderheit des Begnadigungsrechts nicht zu beantworten. Eine Begründungspflicht besteht nicht.274 Die anderen Fragen jedoch sind im Sinne rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien dem Verurteilten gegenüber transparent zu machen, nämlich wer für eine Entscheidung zuständig ist, in welcher Weise und in welchen Verfahrensschritten es zu der Entscheidung kam und in welcher angemessenen Frist das Gnadengesuch geprüft wird. Konkret ist die Entscheidungsperson kenntlich zu machen, und zwar auch in der Bekanntmachung der Entscheidung dem Verurteilten gegenüber. Auch die Art und Weise des Verfahrens muss transparent sein, so die Anzahl und Benennung der Stellungnahmen, die zu der Begnadigungsentscheidung geführt haben. Vor allem aber muss der Zeitpunkt der Entscheidung in einem erträglichen Abstand zum Zeitpunkt des Gnadengesuchs stehen. Die insbesondere auf Bundesebene zu beobachtende Übung, Gnadengesuche über Jahre hinweg unentschieden zu lassen, legt die Vermutung politischer Opportunitätserwägungen nahe (siehe die Ausführungen im folgenden Abschnitt). Ähnlich wie das Petitionsrecht des Art. 17 GG dem Petenten ein Recht garantiert, dass die Eingabe entgegengenommen, sachlich geprüft und beschieden wird,275 muss auch das Begnadigungsrecht dem Verurteilten ein Mindestmaß an verfahrensmäßigen Grundlagen gewährleisten. Deshalb ist den von Hömig276 geforderten, sich unmittelbar aus dem Verfassungsrecht ergebenden verfahrensrechtlichen Vorgaben für das Gnadenverfahren zuzustimmen: Neben dem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und der Pflicht zur sorgfältigen und umfassenden Sachaufklärung fordert er eine Entscheidung binnen angemessener Frist.277 cc) Unzulässige Verzögerung der Gnadenverfahren auf Bundesebene Letzteres Verfahrensmerkmal ist insbesondere auf Bundesebene ein Problem. Während einige Gnadenordnungen auf Landesebene Gnadensachen als Eilsachen deklarieren und Verzögerungen zu vermeiden sind, ist auf Bundesebene – unabhängig vom Fehlen einer entsprechenden Verfahrensordnung – die Übung zu beobachten, Gnadengesuche teilweise bis zu sechs Jahre unentschieden zu lassen. Hier besteht nicht nur die Gefahr, dass das Gnadengesuch wegen eines zwischenzeitlichen 274 In Nordrhein-Westfalen ist gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 GnO NW die Begründung von Gnadenentscheidungen auch nach außen möglich und zwar „in geeigneten Fällen“. Nach Auskunft des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen an den Verfasser wird davon regelmäßig Gebrauch gemacht, ohne dass angegeben werden konnte, welche Fälle „geeignet“ sind. 275 BVerfGE 2, 225 (230). Für das Begnadigungsrecht entsprechend BVerfGE 25, 352 (365), abw. Meinung. 276 Hömig, DVBl. 2007, 1328 (1332 ff.). 277 Hömig, DVBl. 2007, 1328 (1333 ff.). Etwas zu kurz kommt bei Hömigs Überlegungen das Problem der Delegation, wenn er in seinem Beitrag durchgängig den „Träger des Begnadigungsrechts“ in den Mittelpunkt stellt. Dieser entscheidet insbesondere auf Landesebene so selten, dass man die quantitativ bedeutsameren Fälle auf unterer Ebene fokussieren muss, bei denen diese Verfahrensgarantien genauso gelten.

132

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

Ablaufs der Mindesthaftzeit und der Möglichkeit eines Verfahrens nach § 57a StGB obsolet wird.278 Vor allem wird durch die Missachtung des Vertrauens des Verurteilten auf eine angemessen zeitnahe Befassung des Bundespräsidenten das Begnadigungsrecht unzulässig politisiert. Man mag gewisse „[…] politische Rücksichten wie die Einschätzung des ,richtigen‘ Zeitpunkts für die vom Inhaber des Begnadigungsrechts zu fällende Entscheidung im Hinblick auf deren voraussichtliche Akzeptanz durch die Allgemeinheit […]“279 als zulässige Erwägungen ansehen. Aber sie dürfen nicht zur maßgeblichen Richtschnur für die Entscheidung über ein Gnadengesuch werden, was bei einer Verfahrensdauer von mehreren Jahren offensichtlich der Fall ist. Politische Erwägungen können auch in einem angemessenen Zeitrahmen Berücksichtigung für die Entscheidung finden. Nach diesen Maßstäben unzulässig war jüngst das Gnadenverfahren für die RAF-Terroristin Birgit Hogefeld. Ihr aus dem Jahre 2004 stammendes Gnadengesuch wurde erst im Jahre 2010 endgültig entschieden. Der Bundespräsident (wegen des zwischenzeitlichen Amtswechsels genauer: Das Bundespräsidialamt) ließ sich sechs Jahre Zeit, um über das Gnadengesuch zu befinden. Im Jahre 2007 wurde – parallel zur Ablehnung des Gnadengesuchs von Christian Klar – das Gesuch Birgit Hogefelds mit dem Hinweis abgelehnt, der Bundespräsident werde über ihr Gesuch „zu gegebener Zeit erneut und von Amts wegen […] befinden.“280 Im Jahre 2010 wurde das Verfahren von Amts wegen wieder aufgenommen und das Gesuch endgültig abgelehnt.281 Das Bundespräsidialamt vertritt diesbezüglich die Auffassung, das Gnadenverfahren habe seit 2007 lediglich „geruht“ und sei dann 2010 wieder aufgenommen worden, wobei es sich nach wie vor um die Entscheidung über das ursprüngliche Gnadengesuch aus dem Jahre 2004 handle, über das im Jahre 2007 wegen der Zurückstellung der Entscheidung nicht entschieden worden sei.282 Würde diese Auffassung zutreffen, hätte es einer erneuten Aufnahme des Verfahrens im Jahre 2010 und einer Erwähnung des Gnadengesuchs von Frau Hogefeld im Jahre 2007 nicht bedurft. Demgegenüber lag bereits in der Mitteilung des Jahres 2007 eine Entscheidung, nämlich eine Ablehnung des Gnadengesuchs von Frau Hogefeld, wie aus der Pressemitteilung des Jahres 2007 deutlich wird, die den Titel „Bundespräsident Horst Köhler hat über die Gnadengesuche von Herrn Christian Klar und Frau Birgit Hogefeld entschieden“283 trägt. Zum Fall Hogefeld heißt es konkret: „Der Bundespräsident sieht sich nicht in der Lage, dem Gnadengesuch von Frau Birgit Hogefeld […] derzeit – im vierzehnten Haftjahr – zu entsprechen. Der Bundespräsident wird jedoch zu gegebener Zeit erneut und von Amts wegen über das 278

Hömig, DVBl. 2007, 1328 (1332, 1335). Hömig, DVBl. 2007, 1328 (1335). 280 Pressemitteilung des Bundespräsidialamtes vom 07. 05. 2007. 281 Pressemitteilung des Bundespräsidialamtes vom 17. 05. 2010. 282 Auskunft des Bundespräsidialamtes an den Verfasser. 283 Pressemitteilung des Bundespräsidialamtes vom 07. 05. 2007 (Hervorhebung durch den Verfasser). 279

III. Bewertung

133

Gesuch befinden.“ Wenn der Bundespräsident im Jahre 2007 also „derzeit“ dem Gesuch nicht entsprechen will, liegt darin eine Ablehnung des Gesuchs, mithin eine negative Gnadenentscheidung, allerdings mit dem deutlichen Unterschied zum Fall Klar, dass eine „erneute“ Befassung mit dem Gnadengesuch von Amts wegen in Aussicht gestellt wird. 2010 wurde das Verfahren also nochmals aufgenommen und zwar ohne ein Tätigwerden der Verurteilten selbst, die ihr aus dem Jahre 2004 stammendes Gnadengesuch nicht erneuerte. Dass im Jahre 2007 für das Gesuch der Verurteilten Hogefeld keine Stellungnahmen und Gutachten eingeholt wurden und somit das für die Staatspraxis auf Bundesebene übliche Verfahren erst 2010 eingeleitet wurde, ist dafür unerheblich. In der ersten Entscheidung aus dem Jahre 2007 lag einerseits eine Ablehnung des Gnadengesuchs – für die sich der Bundespräsident immerhin drei Jahre Zeit ließ – und andererseits die Ankündigung, zu einem unbestimmt späteren Zeitpunkt ein weiteres Gnadenverfahren von Amts wegen einzuleiten. Eines erneuten Gnadengesuchs der Verurteilten bedurfte es nicht. Mit der Ankündigung, zu einem späteren Zeitpunkt ein Verfahren von Amts wegen einzuleiten, wurde eine bemerkenswerte Hoffnung bei der Verurteilten geweckt, der Bundespräsident werde sie zu einem späteren Zeitpunkt doch noch begnadigen. Dass es letztlich nicht zu einer Begnadigung kam, liegt im internen Ermessen des Bundespräsidenten und ist nicht zu bewerten.284 Zu kritisieren ist jedoch die sinnwidrige Einleitung eines Gnadenverfahrens von Amts wegen. Ein solches ist nämlich ohne ein Zutun des Verurteilten selbst nur dann statthaft, wenn der Gnadenträger so eklatante Gnadengründe vorliegen sieht, dass für ihn selbst eine Begnadigung nahe liegt. Ein Gnadenverfahren von Amts wegen, also nicht auf Initiative des Verurteilten, ist quasi ein Gnadenakt ohne kommunikatives Element: Die Willenserklärung der „Bitte“, die das besondere Über-/Unterordnungsverhältnis deutlich macht, fehlt. Ein früheres Gnadengesuch ist dafür irrelevant: Im Fall Hogefeld war dieses Gesuch durch die Entscheidung aus dem Jahre 2007 erledigt. Man hätte gar nicht entscheiden müssen. Dass es nun doch zu einem erneuten Verfahren von Amts wegen kam, ist wohl dem Handlungsdruck geschuldet, der aus der etwas missglückten Formulierung aus dem Jahre 2007 entstand, wonach die Einleitung eines Gnadenverfahrens von Amts wegen angekündigt wurde. Rechtsstaatswidrig ist somit nach den dargelegten Verfahrensgrundsätzen einerseits die Verfahrensdauer in Gänze – Stellungnahmen, Gutachten etc. wurden erst

284 Bei Birgit Hogefeld war die Gnadenentscheidung umso mehr verwunderlich, als die Verurteilte hinsichtlich der Abkehr vom Terrorismus, des Beitrags zur Auflösung der RAF, der eigenen Resozialisierungsleistung und der Tatsache, dass sie als sogenannte „Freigängerin“ ohnehin im Jahre 2011 mit einer Freilassung rechnete, eine positivere Entwicklung aufwies als andere RAF-Terroristen in früheren Jahren. Gleichwohl wird an diesem Fall die rein interne Willensbildung des Bundespräsidenten deutlich, dessen Erwägungen und Entscheidungsgründe rein persönlich und nicht nachvollziehbar bleiben.

134

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

nach sechs Jahren eingeholt – und andererseits die sinnwidrige Einleitung eines Gnadenverfahrens von Amts wegen. dd) Rechtsschutz Die ausgeführten Verfahrensgarantien müssen – anders als die materielle Entscheidung über das Gnadengesuch an sich – unter dem Rechtsschutz des Art. 19 Abs. 4 GG stehen. Nicht die Frage über die konkreten Erwägungen hinsichtlich der Ablehnung einer Begnadigung und auch nicht die Reichweite des Begnadigungsermessens können aus bereits dargelegten Gründen (ausführlich in Kap. C. VIII. 4.) Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein, wohl aber die Frage der Annahme, sachlichen Prüfung, verfahrensmäßigen Ausgestaltung und Bescheidung in einem angemessenen zeitlichen Abstand zum Gnadengesuch. Wird dagegen verstoßen, ist gerichtlicher Schutz im Rahmen einer verwaltungsgerichtlichen Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO analog statthaft. Auf Bundesebene wird aufgrund der besonderen allgemeinen Bedeutung, die insbesondere die Fälle der RAF-Terroristen in einer breit geführten öffentlichen Diskussion deutlich gemacht haben, eine Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG vor Erschöpfung des verwaltungsrechtlichen Rechtswegs zulässig sein.285 Subjektivrechtlicher Maßstab für die Entscheidung eines Gnadengesuchs in angemessener Zeit wäre hier das Recht auf ein faires Verfahren, dessen Anknüpfungspunkt Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ist. Überzeugender ist die Ableitung dieser Verfahrensgarantien ohne den „Umweg“ des Art. 20 Abs. 3 GG direkt aus Art. 60 Abs. 3 GG und den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Regelungen: Für einen subjektivrechtlichen Anknüpfungspunkt bedarf es grundsätzlich einer Norm, deren Inhalt den Interessen eines Einzelnen zu dienen bestimmt ist.286 Beim Begnadigungsrecht liegt dieser Bezugspunkt freilich nicht in einem subjektiven Recht auf einen Gnadenerweis; die Eröffnung eines Verfahrens bringt den Einzelnen wegen seiner Hoffnung auf eine Begnadigung aber in eine Schwebelage, aus der sich zu lösen er ein Interesse hat. Dieses Interesse, das sich rein verfahrensorientiert auf das „Ob“ einer Entscheidung in einem angemessenen Zeitrahmen bezieht (nicht etwa auf den konkreten Inhalt der Entscheidung), ist als schützenswert anzusehen und insoweit mit direktem Bezug zur ratio des Art. 60 Abs. 3 GG einer gerichtlichen Überprüfung unterworfen.

285 Hömig, DVBl. 2007, 1328 (1332). Im Fall Hogefeld wäre der Erfolg einer Verfassungsbeschwerde, was die Dauer des Verfahrens betrifft, nicht unwahrscheinlich gewesen. 286 Vgl. für die Frage der Rechtswegeröffnung im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG und die Voraussetzung einer im Interesse des Einzelnen gewährten Rechtsposition nur BVerfGE 13, 132 (151); 27, 297 (305).

III. Bewertung

135

ee) Bewertung der Ministeriumserlasse Einen deutlichen Anteil an der regelhaften Umdeutung des Begnadigungsrechts haben die verwaltungsinternen Ministeriumserlasse. Hier werden bestimmte Kategorien für eine Einleitung von Begnadigungsverfahren von Amts wegen aufgestellt. (1) Sammelgnadenerweise zum Weihnachtsfest So verlassen die Sammelgnadenerweise zum Weihnachtsfest den gesetzlichen Rahmen des § 16 StVollzG, demzufolge eine gesetzliche Ermächtigung des Anstaltsleiters besteht, das Strafende auf einen früheren Zeitpunkt zu verlegen, sollte es in die Zeit vom 22. Dezember bis zum 2. Januar fallen (§ 16 Abs. 2 StVollzG).287 Damit besteht eine eindeutige gesetzliche Möglichkeit für eine Sonderregelung aufgrund des Weihnachtsfestes. Die Flexibilisierung des Strafendes ist deshalb keine gesetzliche Lücke, die durch eine humanitären Gesichtspunkten verpflichtete Gnadenpraxis zu schließen wäre.288 Der Gesetzgeber hat sogar konkrete Datumsangaben in den Gesetzestext mit einbezogen, die durch davon abweichende Bestimmungen in Gnadenerlassen zum Weihnachtsfest unterlaufen werden. Wenn sich bei der Anwendung dieser Norm praktische Probleme ergeben oder Vollzugsinteressen eine Neuerung erfordern, sind die Korrekturen am normativen Entscheidungsprogramm vom Gesetzgeber vorzunehmen, und nicht im Rahmen eines Ministeriumserlasses.289 Eine generalisierende Gnadenpraxis verlässt den verfassungsrechtlich gesetzten Rahmen. Das Begnadigungsrecht muss seine Grenze in den Fällen finden, in denen es als Mittel der Kriminalpolitik dient und das Anwendungsfeld einzelfallbezogener Ausnahmeregelungen verlässt. Für jeden Vollstreckungsverzicht in einer Mehrzahl von Fällen, die einem bestimmten Schema zugeordnet werden können, bedarf es einer gesetzlichen Ermächtigung, etwa im Rahmen eines Amnestiegesetzes. Diese Erkenntnis ergab sich bereits aus der Abgrenzung zwischen Begnadigungsrecht und Amnestie (Abschnitt C. IV.). (2) Entlastung überbelegter Vollzugsanstalten Das Gleiche gilt für die Anwendung des Begnadigungsrechts zur Entlastung überbelegter Vollzugsanstalten. Vollzugsproblemen kann nur mit dem Mittel des

287 Die Länder bestimmen den zeitlichen Rahmen bis auf die weite Spanne vom 23. Oktober bis zum 18. Januar, vgl. dazu die Angaben bei Wiontzek, Handhabung und Wirkungen des Gnadenrechts, S. 87 f. 288 Ebenso wenig können diese Erlasse als norminterpretierende Verwaltungsvorschriften angesehen werden, da sie den eindeutigen Rahmen des § 16 StVollzG überschreiten, so zutreffend Süß, Studien zur Amnestiegesetzgebung, S. 99 Fußn. 158. 289 Müller-Dietz, DRiZ 1987, 474 (481).

136

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

§ 455a StPO begegnet werden, der eher als eine Abhilfe im Notstandsfall290 anzusehen ist und keine Strafaussetzung, sondern lediglich einen Strafaufschub oder eine Strafunterbrechung vorsieht. Das Institut des Begnadigungsrechts hingegen ist rein einzelfallbezogen und einer unbestimmten Zahl generell zu bestimmender Fälle nach Maßgabe genereller Kriterien entzogen. Die Frage einer angemessenen Begnadigung darf sich nicht an Missständen im Vollzug, sondern ausschließlich an atypischen Besonderheiten eines Einzelfalls orientieren. Rechtspolitische Reaktionen auf eine unzureichende Vollzugsorganisation haben keinen Platz im Begnadigungsrecht, sondern sind Aufgabe des Gesetzgebers. Für regelmäßige Dispense von eigentlich gesetzlich geregelten Sachverhalten wäre ein vom Gesetzgeber zu beschließendes Amnestiegesetz der einzig gangbare Weg. Das Begnadigungsrecht kann nur in concreto, nicht in abstracto zu einer Lösung führen, erst recht dann, wenn es sich um eine offensichtliche Umgehung gesetzlich eindeutiger Vorschriften handelt.291 Die dargestellte Praxis hat im übrigen zur Folge, dass das erkennende Gericht in Kenntnis etwaiger Ministeriumserlasse die Strafe entsprechend hoch ansetzt, da nach der Hälfte der Verbüßung eine Begnadigung zu erwarten ist. Zwar sind die Strafzumessungsgründe in §§ 46 ff. StGB abschließend geregelt, wodurch eine an entsprechenden Ministeriumserlassen orientierte Strafzumessung unzulässig wäre. Aber die daraus entstehende faktische Vorwirkung auf die richterliche Strafzumessung beeinträchtigt deren Konsistenz mit den gesetzlichen Strafzumessungsregeln. Selbst wenn im Rahmen dieser Erlasse in jedem Einzelfall eine individuelle Entscheidung getroffen wird,292 die Erlasse also „nur“ ein Auswahlverfahren im Rahmen einer unverbindlichen Vorauswahl vorsehen,293 wird dadurch nicht das Problem der Umwidmung des Begnadigungsrechts zu einem an typischen Merkmalen orientierten Mittel zum Zweck gelöst. Eine Anwendung des Begnadigungsrechts auf die dargestellten Fälle ist mit den jeweiligen Bestimmungen der Landesverfassungen zum Begnadigungsrecht nicht zu vereinbaren und somit verfassungswidrig.294

290 So die Bezeichnung in einer Stellungnahme des Hessischen Richterbundes zu einem entsprechenden Gnadenerlass des Hessischen Justizministeriums, DRiZ 1980, 232. 291 Vgl. Merten, Rechtsstaatlichkeit und Gnade, S. 77. 292 Was nicht durchgängig der Fall ist, vgl. AV d. Justizministeriums des Landes BadenWürttemberg vom 3. März 1998, in: Die Justiz 1998, 144 (145), wo ausdrücklich die Anhörung anderer Stellen (§§ 43 f. GnO B-W) für entbehrlich gehalten wird. 293 Süß, Studien zur Amnestiegesetzgebung, S. 97; vgl. auch Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts S. 49. 294 Vgl. in ähnlicher Weise die Stellungnahme des Hessischen Richterbundes zu einem entsprechenden Gnadenerlass des Hessischen Justizministeriums, DRiZ 1980, 232 ff.; dem im Ergebnis zustimmend Süß, Studien zur Amnestiegesetzgebung, S. 97 f.

III. Bewertung

137

(3) Erprobung kriminalpolitischer Konzepte? Nachgedacht wurde in einem ähnlichen Zusammenhang über die Möglichkeit, durch zeitlich und regional begrenzte Gnadentätigkeit kriminalpolitische Konzepte durch Vollstreckungserleichterungen im Gnadenwege „praktisch zu erproben“295. Das würde eine an bestimmte Voraussetzungen gebundene Begnadigungspraxis in vorher festgelegten Fällen bedeuten, die ein politisch geplantes strafrechtliches Novum im Vorfeld der gesetzlichen Regelung durch nötigenfalls zu widerrufende Gnadenakte erproben könnte. Der Einsatz des Instituts der Begnadigung für politische Aufgaben, die eigentlich in die Kompetenz des Gesetzgebers fallen, ist grundsätzlich als rechtswidrig anzusehen. Selbst eine in solchen „Projekten“ weitgehende Kontrolle, „wissenschaftliche Begleitung“296 und zeitliche Begrenzung der Gnadenpraxis können nicht über den Missbrauch hinwegtäuschen. Diese Bedenken hält Müller-Dietz297 dennoch für vertretbar, da die somit erweiterte Ausübung des Begnadigungsrechts seiner Einschätzung nach die „einzige Möglichkeit praktischer Erprobung neuer Maßnahmen“ darstellt. Die eher rechtspolitischen Ziele können nicht zur Rechtfertigung einer Erprobungspraxis im Gnadenwege dienen, erst recht nicht um den Preis der Entwertung des Begnadigungsrechts. Experimente auf dem Gebiet des Strafrechts mögen von empirischem und politischem Nutzen sein – sie können aber nicht in Einklang gebracht werden mit dem Gesetzlichkeitsprinzip des Grundgesetzes, Art. 103 Abs. 2 GG.298 Richtigerweise ist für kollektive Strafaufhebungen, die einer selbstgeschaffenen Regel folgen,299 die gesetzlich zu regelnde Amnestie das zulässige Instrument: Jeder quantitativ bedeutsame Eingriff in die Rechtspflege bedarf der Gesetzesform.300 Dies ergibt sich aus der Erkenntnis, dass staatliches Handeln auf dem Gebiet des Strafverzichts grundsätzlich formgebunden sein muss,301 will man die Orientierungsfunktion des gesetzten Rechts nicht gefährden. 295 Müller-Dietz, DRiZ 1987, 474 (477, 479). Hierbei kann es zum Beispiel um „Möglichkeiten und Chancen der sozialen Eingliederung, Resozialisierung oder Rehabilitation“ gehen, so Müller-Dietz, DRiZ 1987, 474 (477); vgl. auch Wiontzek, Handhabung und Wirkungen des Gnadenrechts, S. 103 f., für die „die Instrumentalisierung der Gnade zu kriminalpolitischen Zwecken […] eine hilfreiche Möglichkeit zur Erprobung neuer kriminalpolitischer Reaktionsformen“ ist. 296 Müller-Dietz, DRiZ 1987, 474 (477). 297 Müller-Dietz, DRiZ 1987, 474 (480); ihm zustimmend Mickisch, Die Gnade im Rechtsstaat, S. 126. 298 Marxen, GA 1985, 533 (544 ff.): „Mit dem Gesetzesexperiment handelt der Strafgesetzgeber dem Verbot zuwider, den Bürger zum bloßen Objekt seiner Regelungsmacht zu machen.“ (S. 548). 299 Vgl. Müller-Dietz, DRiZ 1987, 474 (478). 300 Dimoulis, Die Begnadigung in vergleichender Perspektive, S. 236. 301 Müller-Dietz, DRiZ 1987, 474 (478) unter Hinweis auf die Möglichkeit gesetzlicher Regelungen (Amnestie und Änderung des Vollstreckungsrechts) oder der Begnadigung als

138

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, bei einer regelhaften Gnadenanwendung mehr auf den Gehalt und weniger auf die Form zu achten, also die Umkehrung der Ausnahme zur Regel für zulässig zu erachten, wenn die Rechtsentscheidungen nicht zu „befriedigenden“ Ergebnissen führten.302 Man dürfe nicht einen Gnadenerweis mit dem Hinweis ablehnen, durch eine Gewährung würde der gesetzliche Rahmen zu häufig durchbrochen. Erneut stellt sich hier die Frage, wer über den Grad an Befriedigung durch gesetzlich geregelte Normen zu befinden hat. Die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung hat den Inhaber des Gnadenrechts für solche typisch auftretenden Sachverhaltskonstellationen gewiss nicht als „Qualitätsprüfung“ vorgesehen. Wenn der Gesetzgeber die Anwendung eines Rechtssatzes als eine typische Auswirkung für eine Vielzahl von Rechtsgenossen vorgesehen hat und sich im Nachhinein eine Gerechtigkeitsaspekten nicht genügende Rechtsanwendung herausstellt, mag ein Anwendungsbereich für einen kollektiven Straferlass eröffnet sein, der dann wie bereits erwähnt nur als gesetzliche Amnestie in Frage kommen kann. Für eine Vielzahl von Straferlassen in gleich gelagerten Fällen ist die für atypische Einzelfälle konzipierte Begnadigung nicht das passende Mittel. Nicht überzeugen kann in diesem Zusammenhang die Auffassung Schätzlers303, der die Begnadigung von nach allgemeinen Merkmalen näher bezeichneten Personengruppen als „verfassungsrechtlich unbedenklich“ und „zweifelsfrei zulässig“ bezeichnet, ohne dies zu problematisieren oder eine nähere Begründung zu leisten. Ein „Bündel von Einzelbegnadigungen“, das in seinen Voraussetzungen allgemeine Merkmale festlegt, ohne Namen zu nennen, kann weder eine individuelle Auseinandersetzung mit jedem Einzelfall, noch eine sorgfältige Prüfung der Gnadenwürdigkeit leisten. (4) Zwischenergebnis Wird das Regel-/Ausnahmeverhältnis durch eine übermäßige Anzahl von Gnadenerweisen in bestimmten Sachverhaltskonstellationen umgekehrt, zeigt das offensichtliche Zweifel an der Qualität der zugrundeliegenden Regelungen.304 Für eine „Qualitätsprüfung“ von gesetzlichen Regelungen kann nicht der individuelle und nicht nachprüfbare Maßstab des einzelnen Gnadenträgers dienen. Dabei gelten nach wie vor die zutreffenden Ausführungen Gustav Radbruchs: „Aber sobald Richtlinien übergesetzlicher Regelung. Weitere Instrumente müssen dem Staat versagt bleiben, so bereits BVerfGE 45, 214 (223). 302 Wussow, DÖD 1989, 105 (108). 303 Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 44 f.; ebenso Dimoulis, Die Begnadigung in vergleichender Perspektive, S. 237, der zunächst verneint, dass ein Gnadenakt individuell sein müsse, um danach inkonsequent festzustellen: „Die Begnadigten müssen allerdings individuell bestimmt sein […]“ (Dimoulis, ebenda., Hervorhebungen vom Verf.). Bei beiden Autoren scheint eher das Ergebnis, nämlich die Begründung der weithin praktizierten Sammelgnadenerweise zum Weihnachtsfest (dazu oben unter III. 4. a) ee)) die Argumentation zu bestimmen. 304 Wussow, DÖD 1989, 105 (108).

III. Bewertung

139

der Gnade die Form gesetzgebungsreifer Normen angenommen haben, hört, streng genommen, die Kompetenz der Gnade auf. Solche Normen richtigen Rechts soll die Gesetzgebung, nicht auf Kosten des Gesetzes die Gnade zur Geltung bringen, ähnlich wie die Billigkeit, sobald sie von den Einzelfällen aus zur Aufstellung genereller Rechtssätze gelangt ist, aufhört, Billigkeit zu sein, und selbst Gerechtigkeit wird. Gnade hat, freilich mit dem Willen zur Allgemeingültigkeit, das Recht des Einzelfalles, nicht neue Rechtsnormen zur Geltung zu bringen.“305 Die hier ausgeführten Bedenken führen in der Konsequenz zu dem Ergebnis, dass verallgemeinernde Sammelbegnadigungen mit Art. 60 Abs. 2 GG und mit den entsprechenden Normen der Landesverfassungen nicht vereinbar und somit verfassungswidrig sind. b) Notwendigkeit der Entscheidungsfindung auf höchster Ebene Die Verbindung von Amt und Person im Sinne einer amtscharismatischen Prägung kann nur auf einer bestimmten Entscheidungsebene gewährleistet sein. Wird die strikt funktionale Staatsgewalt durch die Ausübung des Begnadigungsrechts überlagert, indem dem Entscheidenden die Erweiterung seines Handlungs- und Entscheidungsspielraums ermöglicht wird, kann das nur von einem repräsentativen Leitungsamt, also einem Amt, das im Sinne einer amtscharismatischen Prägung mit der Person verbunden ist, ausgeübt werden. Dabei kommt es maßgeblich auf die originäre Entscheidungsfindung in jedem Einzelfall an. Kommt es in bestimmten Fällen zu einer Übertragung dieses Vorrechts auf andere Ämter in unteren Ebenen, müssen Vorkehrungen getroffen werden, damit diese Merkmale erhalten bleiben.306 Anderenfalls kann weder von einem Begnadigungsrecht im engeren Sinne die Rede sein, noch ist die fehlende sanktionsbewehrte Bindung der Ausübung dieses Vorrechts zu rechtfertigen. aa) Originärer Gnadenträger Eine Entscheidung über ein Gnadengesuch durch den Bundespräsidenten, durch einen Ministerpräsidenten oder durch eine Landesregierung berücksichtigt diesen Maßstab unproblematisch. Hier fand keine Delegation statt, die die Merkmale des Begnadigungsrechts einschränken könnte. bb) Justizminister Der Gnadenträger delegiert auf Bundesebene und in den meisten Ländern das Begnadigungsrecht mit dem Recht der Weiterübertragung auf den zuständigen Justizminister. Wie bereits deutlich wurde, ist die Praxis der Subdelegationser305 306

Radbruch, Rechtsphilosophie, hrsg. von Dreier/Paulson, S. 164. Vgl. hierzu den Reformvorschlag (de constitutione ferenda) in Kap. E.

140

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

mächtigung auf Anordnungsebene von der verfassungsrechtlichen Delegationsermächtigung nicht gedeckt. Die Entscheidung über die Ausübung des Begnadigungsrechts muss vom Gnadenträger persönlich getroffen werden. Zunächst stellt sich aber die Frage, inwieweit die Delegation auf den Justizminister zulässig ist. Sie hat vor allem sachliche Gründe: Der Justizminister verantwortet ohnehin strafrechtlich relevante Gebiete wie den Strafvollzug. Unabhängig von seinem fachlichen Aufgabengebiet hat er als Mitglied der Landesregierung und politisch und parlamentarisch verantwortlicher Minister eine herausgehobene Stellung inne. Er leitet sein Ressort selbstständig und eigenverantwortlich. Dadurch wird bei einer Erwägung der Gnadenentscheidung durch den Minister persönlich der besondere Charakter der Begnadigung gewahrt. Der Minister prägt seine Amtsausübung persönlich. Er kann den Maßstab für eine Begnadigungsentscheidung frei von den üblichen Zwängen einer Rechtsentscheidung bestimmen, da er wie der Gnadenträger ein repräsentatives Leitungsamt innehat. cc) Staatssekretäre Innerhalb der Ministerialverwaltung kommen als Delegatare auch die Staatssekretäre in Betracht, deren Bezeichnung in Bremen und Hamburg „Staatsrat“ lautet.307 Sie sind als ranghöchste Beamte Vertreter des Ministers und oberste Dienstvorgesetzte der Ministeriumsmitarbeiter.308 Ihre Tätigkeit basiert auf einem engen Vertrauensverhältnis zum Minister. Gemäß § 30 Abs. 1 BeamtStG üben sie ein politisches Amt aus, für das eine fortdauernde Übereinstimmung mit den grundsätzlichen Ansichten und Zielen der Regierung notwendig ist. Politische Beamte können gemäß § 54 BBG309 jederzeit mit sofortiger Wirkung in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Sie sind wichtiges Bindeglied zwischen ministerialer Fachebene und entscheidungsberechtigter politischer Ebene und üben hier eine Art Transformationsfunktion aus.310 In seiner Vertretungsfunktion für das Amt des Ministers hat der Staatssekretär eine besondere Zeichnungsbefugnis und gehört zur Spitze der Staatsverwaltung. Durch die enge Bindung zum Ministeramt ist zum einen eine Harmonisierung mit der Gnadenauffassung des Ministers zu erwarten; zum anderen sind Staatssekretäre nicht 307

Hierbei ist auf Bundesebene zwischen parlamentarischen und beamteten Staatssekretären zu unterscheiden. Erstere haben durch ihr Bundestagsmandat einen deutlicheren politischen Einschlag, sind aber – was die amtscharismatische Ausübung ihrer Tätigkeit anbelangt – nicht von den beamteten Staatssekretären zu unterscheiden. Auf Landesebene gibt es demgegenüber lediglich beamtete Staatssekretäre. Vgl. zu den parlamentarischen Staatssekretären Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 232 ff. 308 Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 211. 309 Auf Landesebene bestehen entsprechende Parallelvorschriften, vgl. dazu Battis, BBGKommentar, § 54. 310 BVerwGE 52, 33 (35). Außer in Bayern gibt es in allen Bundesländern sog. „Politische Beamte“, vgl. Battis, BBG-Kommentar, § 54 Rn. 3.

III. Bewertung

141

rein funktional arbeitende Beamte, sondern in ihrer Tätigkeit von bestimmten politischen Faktoren abhängig. Dadurch sind sie auf Bundes- und Landesebene in der Lage, eine gnadenrelevante Entscheidungsfindung zu leisten, die dem üblichen funktionsadäquaten Rationalitätsgebot einer Ministerialverwaltung nicht unterliegt. Anders als die ihnen unterstehende Arbeitsebene üben sie ein vom Minister abhängiges Leitungsamt aus, kraft dessen sie Gnadenentscheidungen in ihrer staatsleitenden Funktion treffen können. Die amtscharismatische Ausübung des Begnadigungsrechts ist auf dieser Ebene in seiner ursprünglichen Form gewahrt. dd) Mitarbeiter in den Justizministerien Die Behandlung eines Gnadengesuchs kann demgegenüber nicht in der Arbeitsebene eines Ministeriums entschieden werden. Die enge Bindung von Amt und Person besteht hier nicht. Vielmehr soll gerade die Behördenhierarchie dafür sorgen, dass die Hoheitsakte des Ministeriums unabhängig von der Persönlichkeit desjenigen ergehen, der über sie entscheidet. Wird von diesem Grundsatz mit einer Weiterübertragung des Begnadigungsrechts auf die Ministeriumsmitarbeiter oder auf die Arbeitsebene an sich abgewichen, kann es sich nicht mehr um eine dem Begnadigungsrecht gemäße Entscheidungsfindung handeln. Es wird zwangsläufig zu ministeriumsinternen Richtlinien und Kategorien kommen, um eine halbwegs gleichmäßige Gnadenpraxis zu gewährleisten. Die Gnadensachen werden somit von in den Behördenapparat eingegliederten Stellen wahrgenommen, die rechtsunterworfene Akte zu erlassen gewohnt sind und nicht plötzlich übernormative Gnadenerwägungen anstellen können, die keiner Gerichtskontrolle unterliegen.311 Die persönlichen Auffassungen der Ministeriumsmitarbeiter können kein Anknüpfungspunkt für die Subjektivität der Gnadenmotive sein, weil ihre Ämter nicht ansatzweise einer besonderen Verantwortung verpflichtet sind und keine für die Erwägung von Gnadengründen notwendige Distanz zur Verurteilung des Gnadesuchenden aufbauen können. Je weiter die Delegation fortschreitet und sich vom verfassungsrechtlich zuständigen Gnadenorgan entfernt, desto mehr verlässt die Gnadenentscheidung das Amtscharismatisch-Exzeptionelle und desto mehr besteht die Gefahr eines qualitativen Umschlags vom Gnadenakt zum Rechtsakt.312 Die in den Gnadenreferaten tätigen Ministerialbeamten werden nicht in einem rechtsfreien Raum tätig, in dem sie ohne Rücksicht auf die ministerialbürokratischen Hierarchien in einem ungebundenen Ermessen über ein Gnadengesuch entscheiden dürfen. In der Praxis erfolgt dies aber in einigen Bundesländern in genau dieser Weise. Das zeigt sich beispielsweise in der Festsetzung der Bewährungszeiten für eine positive Begnadigungsentscheidung: Sie gehen teilweise über die in gesetzlichen 311

S. 95. 312

Kanzleiter, Die Begnadigung unter besonderer Berücksichtigung des Steuerstrafrechts, Dürig, JZ 1961, 166.

142

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

Vorschriften festgelegte Höchstdauer einer Bewährungszeit hinaus. Einige Gnadenordnungen enthalten hinsichtlich der Dauer der Bewährungszeit nämlich nur sog. „Soll-Vorschriften“: Die Bewährungszeit soll fünf Jahre nicht über- und zwei Jahre nicht unterschreiten.313 Andere Gnadenordnungen enthalten keine zeitlichen Vorgaben für die Bewährungszeit.314 Bedenklich ist die Gnadenpraxis, in der über das gesetzlich geregelte Maß einer Bewährungszeit hinausgegangen wird, wenn man den Gnadenerweis etwa mit einer Bewährungszeit von acht Jahren erlässt. Ebenso problematisch ist die Praxis, Auflagen oder Weisungen vor einem Gnadenerweis zu verfügen, mit der Maßgabe, der Verurteilte solle sich dadurch seine Gnadenwürdigkeit erst verdienen.315 Dadurch ist das zulässige Maß an Freiheit über die Ausgestaltung des Gnadenverfahrens überschritten. Die Gnadenordnungen sehen Auflagen und Weisungen eindeutig im Zusammenhang mit einer Gnadenentscheidung vor und nicht als Instrumente, um Erwägungen für die eigentliche Entscheidung erst zu finden. Selbst wenn die Gnadenordnungen eine entsprechende Möglichkeit enthalten, kann man eine solche Vorentscheidung, bei der sich die eigentliche Begnadigung erst durch einen Bedingungseintritt entfaltet, nicht unter eine Gnadenentscheidung fassen. Deutlich wird dies mit einem Blick auf eine Regelung der Gnadenordnung des Landes Nordrhein-Westfalen: Dort wird ausdrücklich die Möglichkeit einer „Bewilligung von Gnadenerweisen unter einer Bedingung“316 normiert, wobei unklar bleibt, ob es sich erst nach dem Eintritt dieser Bedingung um eine Begnadigungsentscheidung handelt, oder ob eine mögliche Strafaussetzung bereits bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung Begnadigungscharakter hat. Das erscheint aus den ausgeführten Gründen eher zweifelhaft. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Delegationsanordnungen, in denen das Begnadigungsrecht auf „das Ministerium“ übertragen wird oder durch den Minister eine interne Subdelegation auf untere Arbeitsebenen des Ministeriums stattfindet, mit dem verfassungsmäßigen Sinn und Zweck des Begnadigungsrechts nicht zu vereinbaren sind.

313 § 7 Abs. 1 SaarlGnG; ähnlich § 27 Abs. 3 GnOB-W; § 20 Abs. 1 HessGnO; § 26 NdsGnO; einen schlichten Verweis auf die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften sieht § 26 Abs. 1 GnO LSA vor. 314 So die BayGnO und die BerlGnO. 315 Im Land Berlin kommt eine solche Praxis vor. Hier hat die Untersuchung von Gnadenakten ergeben, dass der Verurteilte in bestimmten Fällen zur Mitwirkung im Gnadenverfahren aufgefordert wurde, indem eine Strafaussetzung im Gnadenwege unter den Vorbehalt der Ableistung gemeinnütziger Arbeitsstunden gestellt wurde. 316 § 20 GnO NW lautet: „Ein Gnadenerweis kann unter einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung gewährt werden. In einem solchen Fall überwacht die Gnadenbehörde den Eintritt der Bedingung. Tritt die Bedingung ein, so stellt die Gnadenbehörde dies in einem Vermerk zu den Gnadenvorgängen fest und trifft die weiteren erforderlichen Maßnahmen. […].“

III. Bewertung

143

ee) Staatsanwälte Besonders problematisch erscheint die Weiterübertragung des Begnadigungsrechts auf Staatsanwälte. Ihre Befassung mit Begnadigungsverfahren ist eines der quantitativ bedeutsamsten Anwendungsfelder des Begnadigungsrechts. Das Amt des Staatsanwaltes ist jedoch – und zwar unabhängig von der Frage, ob es sich um einen Staatsanwalt in Leitungsfunktion handelt oder nicht – für die Beurteilung eines Begnadigungsgesuchs ungeeignet. (1) Rolle der Staatsanwaltschaften Selbst wenn man die Staatsanwaltschaften als Teil der Exekutive ansieht, was bereits vielfach und neuerdings im Rahmen der Diskussion über die Selbstverwaltung der Staatsanwaltschaften bezweifelt wird,317 ändert das nichts an der Ausrichtung ihrer Tätigkeit innerhalb des Anklagemonopols und Legalitätsgrundsatzes. Die im eigentlichen Strafverfahren für die Strafverfolgung zuständigen Staatsanwaltschaften dürfen in Subdelegation der in der Verfassung dem Ministerpräsidenten eingeräumten Befugnisse über die Begnadigung eines Straftäters entscheiden, der von denselben Strafgerichten, vor denen die Staatsanwaltschaft originär die Rolle des Anklägers spielt, rechtskräftig verurteilt wurde. Hierin liegt nicht nur eine Missdeutung der Rolle des Gnadenverfahrens; das Aufgabenspektrum der Staatsanwaltschaften beschränkt sich auf Strafverfolgung, Anklage und Vollstreckung und ist damit einem Bereich zugeordnet, dem eine gebundene und strikte Rechtsanwendung (und zwar in einer weisungsabhängigen Amtsausübung, §§ 146 f. GVG) immanent ist. Hier ist kein Raum für Gnadenerwägungen, die diesen Bindungen gerade nicht unterliegen. Durch die Gnadentätigkeit verschiebt sich die Stellung des Staatsanwalts in einen Bereich, dessen Unabhängigkeit und Ferne vom Legalitätsprinzip nicht zu dem eng begrenzten Spielraum innerhalb der Gesetzesgebundenheit der Staatsanwaltschaften passt.318

317

Lilie, Festschrift für Volkmar Mehle, 359 (365 f.), der zwischen der dritten Gewalt im engeren und weiteren Sinn unterscheidet; ähnlich Mayer, Festschrift für Walter Odersky, 233 (240 f.). 318 Vgl. Mayer, Festschrift für Walter Odersky, 233 (242), der darin auch einen deutlichen Unterschied zur Tätigkeit einer Verwaltungsbehörde sieht, die sich der Erfüllung einer ihr gestellten Aufgabe und nicht –wie die Staatsanwaltschaften– der Wahrung des Rechts verpflichtet sieht. Zur Frage der Abhängigkeit der Staatsanwälte im Gegensatz zur Unabhängigkeit der Richter vgl. Lilie, Festschrift für Volkmar Mehle, 359 (364), der zutreffend ausführt: „So eng wie der Staatsanwalt mit dem Gericht zusammenarbeitet, so nah wie seine Vorbereitung der gerichtlichen Entscheidungen die prägende Tätigkeit am Arbeitsplatz ist, so fern ist er doch von Aspekten, die die Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt prägen.“

144

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

(2) Unzureichende Distanz Darüber hinaus sehen die Geschäftsverteilungspläne in den Staatsanwaltschaften teilweise bewusst vor, dass diejenigen Staatsanwälte mit den Gnadenverfahren befasst sind, die im eigentlichen Strafverfahren bereits Vertreter der Anklage waren, und zwar mit dem Argument, sie hätten sich ja bereits in die Fälle eingearbeitet.319 Einzig diese praktische Erwägung, vermeidliche Mehrarbeit zu verhindern,320 spräche für die Staatsanwaltschaften als „Gnadenbehörden“. Es ist offensichtlich, welche Schwierigkeiten ein solcher Rollenwechsel innerhalb der Staatsanwaltschaft bedeutet. Erst eine Distanzierung von Anklagebehörde und Gnadeninstanz führt zu einer Distanzierung innerhalb der Prüfung einer Begnadigung. Die Gnadeninstanz kann im Verhältnis Staat – Verurteilter dann nicht mehr als objektiv angesehen werden, wenn die an der Gnadenentscheidung Mitwirkenden bereits Akteure im Strafverfahren waren oder ein sonstiges Interesse am Ausgang der Sache haben.321 Selbst wenn man durch Geschäftsverteilungspläne auf eine Trennung von Anklagesachen und Gnadensachen innerhalb der Staatsanwaltschaften hinwirken würde, wäre das keine Entschärfung des Problems: Den Aufgaben und der professionellen Einstellung der Staatsanwälte ist die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs immanent. Auch wenn § 160 Abs. 2 StPO ihnen den Auftrag erteilt, Entlastungsmomente zu ermitteln und sie somit als Organ der Rechtspflege zur Objektivität verpflichtet,322 ist in den Verfahren, in denen Anklage erhoben wurde und eine Verurteilung erfolgte, diese Objektivität nicht mehr gegeben. Die mit Gnadenverfahren befassten Staatsanwälte geraten zwangsläufig in einen Konflikt, ihre Kollegen, die die Anklage vertreten haben, durch positive Gnadenentscheidungen zu desavouieren.323 (3) Zwischenergebnis Die Staatsanwälte sind als weisungsgebundene Organe der Strafverfolgung nicht in der Lage, das Begnadigungsrecht in seinem eigentlichen Sinn zu verwirklichen.324 Cüppers resümiert zutreffend: „Jede Begnadigung, darüber muß man sich klar sein, ist ein Eingriff in die Rechtspflege und diesen Eingriff kann eben nur der mit allen Kautelen ausgestattete vollkommen unabhängige Beurteiler vollziehen, nicht aber ein Mann, der zu den Komponenten der Rechtsprechung gehört und bei der Bildung des Rechtsspruchs eine maßgebliche Rolle spielt.“325 319 Diese Übung gab es bereits 1949, vgl. die Ausführungen von Cüppers, NJW 1949, 921 (923). Deutlich befürwortend Nüse, MDR 1951, 71 (73 f.), um eine mühevolle Einarbeitung zu verhindern. 320 Nüse, MDR 1951, 71 (73). 321 Förster, JR 1950, 609 (613). 322 Pfeiffer/Hannich, in: Karlsruher Kommentar StPO, Einleitung Rn. 63. 323 Förster, ebenda; Cüppers, NJW 1949, 921 (922). 324 Cüppers, NJW 1949, 921 (923). 325 Cüppers, ebenda.

III. Bewertung

145

Unerheblich ist es aufgrund dieser Erwägungen, ob über eine Gnadensache ein Staatsanwalt in leitender Funktion (also Leitender Oberstaatsanwalt oder Generalstaatsanwalt) oder ein Staatsanwalt auf unterer Arbeitsebene entscheidet. Für die Behördenleitung gelten die gleichen Bedenken. ff) Gerichte Besonders problematisch erscheint die Übertragung des Begnadigungsrechts auf die Präsidenten der Gerichte und in Jugendsachen auf die Jugendrichter als Vollstreckungsleiter. Im ersten Fall geht es um den Erlass von Ordnungsgeldern bis zu einer bestimmten Höhe. Sie werden als Disziplinarmaßnahme unabhängig von der eigentlichen Strafe vom Gericht festgesetzt. Der Präsident als Dienstherr der erkennenden Richter hat für entsprechende Gnadengesuche die Kompetenz. Im zweiten Fall sollen die Besonderheiten des Jugendstrafrechts Berücksichtigung finden, deren Kenntnisse man beim Jugendrichter konzentriert sieht. In beiden Fällen liegt eine grundsätzliche Missachtung der notwendigen exekutiven Begnadigungsausübung. Es kann keine richterliche Stelle Gnadenbehörde sein,326 egal wie niedrig der Strafrahmen ist. Bei den Gerichtspräsidenten mag ein distanzierter Blick auf das Verfahren noch gewahrt sein; die Jugendrichter hingegen wurden bereits im Erkenntnisverfahren urteilend tätig. Sie sind schwerlich in der Lage, den Fall – auch wenn sich neue Gesichtspunkte erst nach dem Urteil ergeben – unter anderen als den bisherigen Erwägungen zu sehen. Schwerer wiegt aber das grundsätzliche Argument, dass die Landesverfassungen das Begnadigungsrecht als unabhängiges Korrektiv einsetzten, welches nicht von einem Organ ausgeübt werden kann, dessen Entscheidungen das eigentliche Objekt einer etwaigen Korrektur sein sollen. Eine Begnadigungsausübung durch Organe der Judikative verbietet sich deshalb schon begrifflich. Die dargestellten Regelungen entspringen im Übrigen der unzutreffenden Annahme, in weniger schweren Fällen seien die Erwägungen herausgehobener Organe nicht notwendig. Durch eine solche Praxis entfernt man sich vom eigentlichen Verfassungsauftrag – dafür ist die Höhe des Strafmaßes unerheblich. gg) Gnadenbeauftragte in Nordrhein-Westfalen Der Gnadenpraxis in Nordrhein-Westfalen stehen dieselben Argumente entgegen. Die „Gnadenbeauftragten“ sind in der Regel Richter, denen neben ihrer eigentlichen Tätigkeit auch Gnadensachen im jeweiligen Landgerichtsbezirk anvertraut sind. Hier erfolgt die Beurteilung desselben Sachverhaltes durch dieselben Entscheidungspersonen, aber einerseits unter gesetzlich festgeschriebenen und andererseits unter gnadenrelevanten Gesichtspunkten. Immerhin erkennt die Verfügung des Justizmi326

So bereits Nüse, MDR 1951, 71 (73).

146

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

nisters, dass für die Auswahl der Gnadenbeauftragten keine funktionalen, sondern persönliche, eher „weiche“ Faktoren ausschlaggebend sein müssen.327 Das entschärft indes nicht das Problem eines unzulässigen Nebeneinanders von wesensmäßig streng zu unterscheidenden Bewertungsmaßstäben. Der unbestrittene Vorrang einer gesetzesmäßigen Entscheidung führt in Nordrhein-Westfalen zu der Situation, dass es für das Nebeneinander im Falle einer Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft in § 10 Abs. 6 GnO NW heißt: „Hat die Gnadenbehörde zunächst als Vollstreckungsbehörde zu entscheiden, so kann sie ihre Entscheidung mit der Prüfung der Gnadenfrage verbinden.“ Die Erweiterung des Handlungs- und Entscheidungsrahmens beim Begnadigungsrecht kann aber doch nicht in die eigentliche Rechtsentscheidung einer Vollstreckungsbehörde mit einbezogen werden. Das Distanzierungsgebot fordert eine deutliche Trennung. (1) Amtsverständnis eines Gnadenbeauftragten Welches Amtsverständnis dieser Tätigkeit zugrunde liegt, wurde jüngst in einer Abhandlung eines als Gnadenbeauftragten tätigen Richter des Landgerichts Bonn deutlich.328 Dort werden neben Hinweisen auf den Gang des Gnadenverfahrens Ausführungen zum Gegenstand und Inhalt des Begnadigungsrechts – insbesondere zu nicht gnadenfähigen Sanktionen329 – und zu den Gnadengründen gemacht, wobei letztere in allgemeine Grundsätze330 und typische Gnadengründe331 aufgeteilt werden. Dabei nennt der Autor unter anderem die tätige Reue und eine vom Opfer akzeptierte Entschuldigung als gewichtige Gnadengründe und versäumt es eingedenk des Ortes seiner Veröffentlichung332 nicht, „jedem Verteidiger nachdrücklich [zu empfehlen], vor Stellung eines Gnadengesuchs den Verurteilten zu veranlassen,

327 Abschn. I Ziff. 3 der AV d. JM v. 9. Februar 1968, JMBl. NRW 1968, S. 49: „Der Gnadenbeauftragte muss die Befähigung zum Richteramt haben und soll Inhaber einer Planstelle im Bereich der Justizverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen sein. Er soll sich durch besondere Lebenserfahrung, Verständnis für die sozialen Belange des Verurteilten und Kenntnis der kriminalpolitischen Notwendigkeiten auszeichnen.“ 328 Freuding, StraFo 2009, 491 ff. 329 Freuding, StraFo 2009, 491 (492 f.); nach seiner Meinung sind u. a. der Fahrerlaubnisentzug, Auflagen und Weisungen in einem Bewährungsbeschluss und Zwangsmittel nicht gnadenfähig, wobei die Begründung offenbleibt. 330 Freuding, StraFo 2009, 491 (496 f.) bedient sich hier der Vorschriften der badenwürttembergischen und niedersächsischen Gnadenordnung, wobei offen bleibt, wie man die Geltung dieser materiellen Grundsätze für das nordrhein-westfälische Gnadenverfahren konstruieren will. Freuding nennt sie „instruktiv“. 331 Freuding, StraFo 2009, 491 (497); im Rahmen der typischen Gnadengründe werden sehr restriktiv lediglich schwere, nachträglich eingetretene Erkrankungen als einigermaßen erfolgsversprechend bezeichnet, wobei auch hier „dem Verurteilten grundsätzlich die Behandlung in einem Vollzugskrankenhaus zugemutet werden [kann].“ 332 StraFo – Strafverteidiger Forum.

III. Bewertung

147

Schadensersatz oder Schmerzensgeld zu zahlen, gerade wenn noch kein entsprechender Zahlungstitel besteht.“ Es lässt sich festhalten: Ein rechtsprechendes Organ gibt in einer Fachzeitschrift für Strafverteidiger Hinweise, welche Handlungen einem Verurteilten zu raten sind, um zu einer gnadenwürdigen Einschätzung des Einzelfalls zu gelangen, die dann von ihm als weisungsgebundenem Teil der Justizverwaltung333 geprüft wird. Damit wird das Begnadigungsverfahren zu einem konditionalen Rechtsverfahren, bei dem die Frage besteht, wie eine diese Grundsätze missachtende Entscheidung überprüft werden könnte. Das Begnadigungsrecht kann nicht in subsumtiv zu erfassenden Kategorien ausgeübt werden – was hier aber offensichtlich geschieht –, weil dann ein Anspruch auf eine entsprechende Gnadenpraxis bestünde. Damit würde der Begriff der „Gnade“ seines hauptsächlichen Handlungsfeldes enthoben. Es ist nicht zu rechtfertigen, warum die Einhaltung dieser selbst geschaffenen „Gnadenkategorien“ lediglich durch ein „Remonstrationsrecht“334 gewährleistet werden soll. Das hebt das Verfahren nämlich – anders als der Wortlaut vermuten mag – nicht auf die Ebene des Justizministers: Er entscheidet „grundsätzlich nicht persönlich“335. Die bereits ausgeführte Einschränkung des Art. 19 Abs. 4 GG im Sinne einer Injustitiabilität von Gnadenentscheidungen ist bei dieser Praxis ebenfalls nicht zu begründen. Die Grundlage der weitreichenden Befugnis zur Ablehnung von Gnadengesuchen scheint die Amtsauffassung von Richtern zu sein, wobei der dogmatische Bezugspunkt für diese Maßstäbe und der Bezug zur Amtsauffassung desjenigen Amtes offen bleibt, welches das Begnadigungsrecht originär auszuüben hat. Die Delegation eines verfassungsmäßigen Vorrechts, welches einem persönlich auszuübenden Regierungsamt eine privilegierte Entscheidungsfreiheit einräumt, wird so ad absurdum geführt. (2) Befangenheit durch frühere Befassung mit dem Fall Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein Beschluss des OLG Düsseldorf:336 Die Strafvollstreckungskammer eines Landgerichts war in einem Strafaussetzungsverfahren mit einer Richterin besetzt, die gegenüber der Verurteilten ein Gnadengesuch bereits einige Monate zuvor abgelehnt hatte. Sie war also in derselben Sache zunächst als Gnadenbeauftragte und dann später als Richterin tätig. Das OLG wies einen Befangenheitsantrag mit der Begründung ab, Ausschließungsgründe seien in §§ 22 ff. StPO abschließend geregelt.337 Die Gnadenbeauftragte handle im 333 334 335 336 337

Freuding, StraFo 2009, 491 (492). Freuding, StraFo 2009, 491 (498). Auskunft des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen an den Verfasser. OLG Düsseldorf NStZ 1987, 571. OLG Düsseldorf ebenda.

148

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

Rahmen einer exekutiven Justizverwaltungsbefugnis; dies sei für eine spätere judikative Tätigkeit als Richterin unerheblich. Ein solches Amtsverständnis ist weder mit der Gewaltenteilung noch mit der ratio des Begnadigungsrechts zu vereinbaren. Nicht nur die Sachnähe der Entscheidungsperson, sondern das verfassungsrechtliche Gebot, dass über eine Begnadigung eben nicht das Gericht, sondern ein distanziertes Amt der Exekutive zu entscheiden hat, verbietet eine Befassung derselben Person in derselben Sache. Dass die Richterin zunächst als Gnadenbeauftragte tätig wurde, ist zwar eine andere Amtsbezeichnung. Es ist aber nicht von einer veränderten Willensbildung und einer neuen – nämlich nicht subsumierbaren Maßstäben verpflichteten – Sicht auf den Einzelfall auszugehen. Darüber hinaus ist es mit Blick auf die in Art. 97 GG garantierte Unabhängigkeit des Richters unzulässig, ihn durch die Delegation des Begnadigungsrechts zu einem weisungsgebundenen Organ der Justizverwaltung „umzupolen“.338 Demnach ist die Konstruktion eines Gnadenbeauftragten am Gericht im Falle der Besetzung durch einen Richter eine systemwidrige Missachtung der notwendigen Gewaltentrennung zwischen Judikative und Begnadigungskompetenz. c) Unerheblichkeit einer positiven oder negativen Bewertung des Gnadengesuchs für die Entscheidungsebene Was die Ebene der Entscheidungsfindung betrifft, ist in einigen Gnadenordnungen die Ablehnungskompetenz deutlich weiter delegiert als die Kompetenz zu einer positiven Begnadigungsentscheidung. Für die Entscheidungsfindung und die Zuständigkeitsfrage ist es jedoch unerheblich, ob die Gnadenentscheidung positiv ausfällt – und damit eine „Begnadigung“ vorliegt –, oder ob das Gnadengesuch abgelehnt wird und darin eine negative Gnadenentscheidung zu sehen ist. In beiden Fällen erfolgt die Entscheidung von Kategorien befreit. Sowohl eine positive als auch eine negative Gnadenentscheidung hat „Gnadencharakter“, weil sie aus einer besonderen Entscheidungsfindung entsteht. Erheblich ist deshalb, wer darüber entscheidet und wessen Abwägung zu der Entscheidung führt.

338

Die Entscheidung übersieht im Übrigen Abschn. I Ziff. 10 der Allgemeinen Verfügung des Justizministers vom 2. Februar 1968, die eine eindeutige Befangenheitsregelung für Gnadenbeauftragte enthält. Abschn. I Ziff. 10 der AV d. JM v. 2. Februar 1968, JMBl. NRW 1968, S. 49 f. lautet: „Gnadenbeauftragte, die an der Bearbeitung des Strafverfahrens beteiligt waren, sollen sich einer Tätigkeit in der Gnadensache enthalten und die Bearbeitung einem Vertreter überlassen.“ Damit ist auch der Umkehrschluss gemeint, dass ein vormals als Gnadenbeauftragter tätiger Richter nicht später in einer Strafvollstreckungssache tätig werden kann.

III. Bewertung

149

d) Unerheblichkeit einer Beschwerdemöglichkeit Weiterhin ist für die Frage der Wahrnehmungskompetenz auch die Möglichkeit einer Beschwerde unerheblich, die ohnehin nicht in allen Bundesländern (und auch nicht auf Bundesebene) möglich ist. So könnte man annehmen, dass die Delegation auf untere Ebenen deshalb zulässig ist, weil es dem Gesuchssteller frei stehe, das Verfahren durch eine Beschwerde auf die Ebene des Justizministers zu heben. Das BVerfG war in seiner Grundsatzentscheidung zur Justitiabilität von Gnadenakten noch von einer solchen Möglichkeit ausgegangen: Die Delegation erfolge nur bis zum Justizminister und eine Weiterübertragung auf untere Instanzen – mit Ausnahme der Strafaussetzung zur Bewährung – finde nicht statt.339 Sollten in den verbleibenden Verfahren die Staatsanwaltschaften entscheiden, sei in jedem Falle die Anrufung des Justizministers möglich, der sodann über das Gnadengesuch erneut entscheide.340 Die heutige Praxis steht nicht durchgängig unter dieser Voraussetzung. Selbst wenn eine Beschwerdemöglichkeit zum Justizminister besteht, entscheidet dieser darüber nicht immer persönlich. Eine Beschwerdemöglichkeit zum originären Gnadenträger besteht überhaupt nicht. Würde man nur auf den Fall eines Beschwerdeverfahrens abstellen, welches ein weiteres Handeln des Verurteilten voraussetzte, entfaltete sich das Begnadigungsrecht in seinem eigentlichen Sinn immer nur dann, wenn das Verfahren auf die Ebene des Justizministeriums gehoben würde. In allen anderen Fällen, in denen sich der Verurteilte mit der Gnadenentscheidung zufrieden gibt, kommt es zu dieser Entfaltung gerade nicht. Dann hinge der Charakter der Entscheidung vom Verhalten des Verurteilten ab. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass durch die Möglichkeit der Beschwerdeverfahren die Situation entsteht, dass dem zu geringerer Strafe Verurteilten durch die Beschwerde eine zusätzliche materielle Überprüfungsmöglichkeit zuteil wird, die dem zu höherer Strafe Verurteilten verwehrt bleibt. Es befassen sich mit den im Beschwerdeverfahren zu entscheidenden Fällen mindestens zwei Augen mehr – in dem höchst subjektiven Erwägungen unterliegenden Gnadenverfahren ein nicht zu unterschätzender Vorteil. e) Zwischenergebnis Die Ebene der Gnadenausübung muss möglichst hoch und unabhängig sein, um eine maximale Freiheit und Distanz in der Entscheidung zu ermöglichen. Je niedriger die Stufe ist, innerhalb derer über ein Gnadengesuch entschieden wird, umso weniger besteht für den Entscheidenden die Möglichkeit, über die normative Bewertung des

339 340

BVerfGE 25, 352 (362). BVerfGE ebenda.

150

D. Die Delegation in der Begnadigungspraxis

Falles hinaus neue, der Besonderheit des Einzelfalles angemessene Gnadenerwägungen anzustellen. Als Gegenargument kann nicht die Möglichkeit einer Beschwerde des Verurteilten gelten, die das Verfahren dann auf eine höhere Ebene – oftmals zum Justizminister – bringt. Das beantwortet nur die Frage bei ablehnenden Entscheidungen, deren Rechtscharakter dann im Übrigen vom Verhalten des Verurteilten abhängig wäre. Würde er keine Beschwerde einlegen, bei der man eine wirkliche Entscheidungsfreiheit des Justizministers aufgrund der ersten Entscheidung bezweifeln dürfte, wären die ausgeführten Probleme nicht gelöst. Bei einer positiven Begnadigung würde das Gleiche gelten. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen innerhalb eines Gnadenverfahrens hängen – wie mehrfach ausgeführt wurde – von der persönlichen Überzeugung des Entscheidungsträgers ab, zumindest dann, wenn sie sich im Rahmen einer wirklichen Gnadenentscheidung bewegen. Würde man hier auf die Persönlichkeit eines Staatsanwaltes abstellen und zwar in der Weise, dass man für die bearbeitenden Staatsanwälte fordert, „Stärke und Güte, gepaart mit sozialem Verständnis, sollten dem Bearbeiter von Gnadensachen Richtschnur seines Handelns sein“341, wird der Sinn und Zweck des Begnadigungsrechts ad absurdum geführt. Eine amtscharismatische Begnadigungsausübung, wie sie aufgezeigt wurde (Kap. C. VII.), darf auf der Ebene der Staatsanwälte keine Bedeutung haben. Sie hat stets einem staatsleitenden Auftrag zu folgen, berücksichtigt man ihren verfassungsrechtlichen Standort konsequent. Eine Begnadigungsausübung durch Staatsanwälte überfordert deren Amt und ist mit der verfassungsrechtlichen Konzeption des Begnadigungsrechts unvereinbar. Das Gleiche gilt für die in den Ministerien arbeitenden Beamten.

341

Nüse, MDR 1951, 71 (74).

E. Reformüberlegungen Die Bewertung der bestehenden Begnadigungspraxis insbesondere auf Landesebene hat gezeigt, dass ein deutlicher Reformbedarf besteht. Im Folgenden wird zunächst die Notwendigkeit einer persönlichen Entscheidungsfindung des Begnadigenden ausgeführt (Abschn. I.), die mit dem erweiterten Handlungsspielraum korreliert. Anschließend wird auf die Transparenz und Information im Begnadigungsverfahren Wert gelegt (Abschn. II.). Um die Akzeptanz einer Begnadigungsentscheidung und der besonderen Entscheidungsfindung zu erhöhen, sollte in Zukunft auf eine nach außen wirkende „Dignität“ einer jeden Gnadenentscheidung geachtet werden (Abschn. III.). Die ausgeführten Überlegungen zum Begnadigungsrecht lassen schließlich (Abschn. IV.) die Einsetzung von kollegial beratenden Begnadigungskommissionen sinnvoll erscheinen.

I. Notwendigkeit einer persönlichen Entscheidungsfindung Die persönliche Entscheidungsfreiheit desjenigen, der auf höchster Ebene über ein Gnadengesuch entscheidet, kann nur dann in einem erweiterten Handlungsrahmen erfolgen, wenn die Entscheidungsperson auch wirklich persönlich entscheidet. Die durch Stellungnahmen, Voten, Gutachten und dem eigentlichen Gnadengesuch entstehende interne Willensbildung ist dem Amtsträger selbst anvertraut. Kritisch ist deshalb – unabhängig von der Delegation – die Praxis innerhalb der Justizministerien zu bewerten, dem Träger des Begnadigungsrechts in den vorbereitenden Unterlagen selbst dann einen Entscheidungsvorschlag zu machen, wenn er sich die Entscheidung über den Fall persönlich vorbehalten hat. Mit einem solchen Entscheidungsvorschlag wird die Willensbildung bereits beeinflusst. Die Würdigung und Bewertung des Urteils, des Verfahrensgangs und der Strafhöhe sowie der Stellungnahmen muss ausschließlich von demjenigen Amtsträger erfolgen, der letztlich die Entscheidung verantwortet. Anders als bei anderen ministeriellen Vorgängen, bei denen solche Entscheidungsvorschläge üblich sind, kann bei einer Gnadensache die Richtung der Entscheidung nicht bereits vom Ministeriumsmitarbeiter bewertet werden. Sie ist in ihrer Abwägung und in ihrem Entstehen an die persönlich geprägte Amtsausübung des Amtsträgers gebunden, dessen subjektive

152

E. Reformüberlegungen

Gnadenmotive nicht an funktionale Kriterien gebunden sind. Eben deshalb muss die Entscheidungsfindung persönlich erfolgen. Die ausgeführte Praxis einiger Bundesländer, selbst in den Fällen keine persönliche Befassung des Justizministers vorzusehen, in denen er sich eine Sache zur Entscheidung vorbehalten hat, verstößt gegen dieses Prinzip, welches sich aus der Besonderheit des Begnadigungsrechts ergibt.

II. Notwendigkeit einer Transparenz und Information Diejenige Person, die für die Entscheidungsfindung hinsichtlich eines Gnadengesuchs zuständig ist, sollte für den Gesuchsteller ersichtlich sein. Das ist nicht in allen Bundesländern der Fall. Es muss transparent gemacht werden, wer über das Gnadengesuch entschieden hat. Das ergab sich bereits aus den notwendigen Verfahrensgarantien (ausführlich in Kap. D. III. 4. a) bb)). Dies gilt insbesondere für die Legitimationskette zum originären Gnadenträger. In den Gnadenordnungen der meisten Bundesländer existiert eine entsprechende Vorschrift, wonach die Behörden deutlich machen sollen, dass ihre Entscheidungen aufgrund einer Ermächtigung des Justizministers ergehen.1 Unberücksichtigt bleibt jedoch, dass der Justizminister auch seinerseits aufgrund einer Ermächtigung des Ministerpräsidenten handelt. Dem Gesuchsteller wird dadurch suggeriert, es handle sich originär um ein Begnadigungsrecht des Justizministers. Die Transparenz muss auch in Bezug auf die Offenlegung der Legitimationskette zum eigentlichen Gnadenorgan bestehen. Die Gnadenentscheidungen enthalten auf Landesebene – soweit ersichtlich2 – keinen entsprechenden Hinweis. Umgekehrt muss es eine Berichtspflicht nicht nur im Verhältnis der Delegatare zum Justizminister geben,3 sondern auch im Verhältnis vom Justizminister zum Ministerpräsidenten, damit der Gnadenträger überschauen kann, in welcher Weise

1 Vgl. etwa § 19 Abs. 1 GnO B-W; § 16 Abs. 5 HessGnO; § 18 Abs. 6 GnO NW; § 20 Abs. 1 GnO LSA. 2 Die Anfragen bei den Justizministerien ergaben, dass in den Gnadenentscheidungen nicht deutlich gemacht wird, dass sie aufgrund einer Ermächtigung des Ministerpräsidenten oder der Landesregierungen ergehen. 3 Die meisten Gnadenordnungen sehen eine Berichtspflicht der Delegatare an das Justizministerium vor. Mit Blick auf die entsprechende Geltung des § 45 GnO B-W ist die Praxis in Baden-Württemberg erstaunlich, wo § 45 GnO – obwohl formal noch geltend – seit 2006 nicht mehr angewendet wird, da eine der Entlastung der Staatsanwaltschaften dienende Politik festgelegt hat, dass der Nutzen dieser Berichtspflichten nicht den Aufwand rechtfertige, so die Auskunft des Justizministeriums Baden-Württemberg an den Verfasser. Hier wird die fehlende Bindungswirkung der Gnadenordnungen deutlich, wenn eine Vorschrift ohne formale Aufhebung einfach missachtet werden kann.

III. Notwendigkeit einer qualitativen Dignität nach außen

153

das Begnadigungsrecht ausgeübt wird.4 Schließlich bleibt der Ministerpräsident5 (und auf Bundesebene der Bundespräsident) das für das Begnadigungsrecht verantwortliche Staatsorgan.6

III. Notwendigkeit einer qualitativen Dignität nach außen Das daraus entstehende Transparenzdefizit der Gnadenpraxis wird verstärkt durch die auf Landesebene verbreitete Praxis, die Bedeutung der Begnadigung nicht in angemessenem Maße nach außen zu zeigen: Aus den wie „normale“ juristische Hoheitsentscheidungen erscheinenden Schreiben wird nicht die Würde und besondere Einmaligkeit der Begnadigungsentscheidung deutlich7 – und zwar unabhängig davon, ob sie positiv oder negativ ausfällt. Es fehlt den Gnadenakten deshalb an einer

4 Zwischen den Justizministerien und den Staatskanzleien besteht allenfalls ein informeller Austausch über die Ausübung des Begnadigungsrechts. Berichtspflichten gegenüber dem Ministerpräsidenten oder den Landesregierungen konnten durch die Anfragen des Verfassers bei den Landesjustizministerien nicht festgestellt werden. Thema ist dies – etwa in Bayern – nur dann, wenn die Zuteilung notwendiger Stellen einen haushaltsrechtlichen Bezug hat. 5 Gleiches gilt für die Landesregierungen, sofern sie für das Begnadigungsrecht als Gremium zuständig sind. 6 Die mangelnde Transparenz und Information führt dazu, dass das für die Einordnung der Delegation erwähnte „konservierende Element“ nicht besteht. So überprüft das Bundespräsidialamt auf Bundesebene die Gnadentätigkeit der Delegatare in keiner Weise. Weder findet ein Informationsaustausch mit dem Bundesministerium der Justiz noch mit den begnadigenden Fachministerien etwa bei beamtenrechtlichen Disziplinarentscheidungen statt (Auskunft des Bundespräsidialamtes an den Verfasser). Weder am Beginn des Gnadenverfahrens (Handelt es sich vielleicht um einen bedeutsamen Fall im Sinne des Art. 2 Abs. 3 der Anordnung des Bundespräsidenten über die Ausübung des Begnadigungsrechts?) noch am Ende des Gnadenverfahrens (In welcher Weise und in welcher Anzahl fanden Begnadigungen in Delegation der Befugnisse des Art. 60 Abs. 2 GG statt?) wird das Bundespräsidialamt mit der Sache befasst, es sei denn, die Delegatare legen von sich aus eine Gnadensache dem Bundespräsidenten mit dem Hinweis einer „Bedeutsamkeit“ vor. Auch auf Landesebene erfolgt eine Information der Staatskanzlei in den seltensten Fällen. Zuständig für das Gnadenverfahren sind die Justizministerien, obwohl es sich auf dieser Ebene um eine delegierte und keine originäre Kompetenz handelt. Dies ist mit dem Sinn und Zweck einer konservierenden Delegation nicht zu vereinbaren. Das entscheidende Rechtssubjekt muss den ursprünglichen Inhaber der Kompetenz über die Ausübung des Begnadigungsrechts informieren, weil die Sachkompetenz sehr eng an sein Amt gebunden ist. Gibt er es demgegenüber völlig aus der Hand und zentralisiert das Begnadigungsrecht im Justizministerium und besteht ferner in der Praxis keine Vorlagepflicht bei Fällen „außerordentliche Bedeutung“, spricht mehr dafür, eine echte Delegation anzunehmen. 7 Vgl. demgegenüber etwa die Praxis in Baden-Württemberg, wo die Bekanntgabe der gnadenweisen Aussetzung grundsätzlich mündlich zu erfolgen hat (§ 30 GnOB-W); ebenso Niedersachsen § 29 Abs. 1 NdsGnO, zumindest dann, wenn sich der Verurteilte in Haft befindet.

154

E. Reformüberlegungen

qualitativen Dignität8 nach außen. Die äußere, formale Gestaltung der Entscheidung ist der Dignität des Inhalts nicht angemessen. Die Symbolkraft von Formen staatlichen Handelns darf aber nicht unterschätzt werden9. Letztlich ist nämlich der Begnadigungsakt bei aller Sachlichkeit ein durchaus feierlicher und würdiger Akt, der umso weniger feierlich und würdig erscheint, je tiefer die Entscheidungsebene verortet ist und je weniger ein Unterschied zu anderen hoheitlichen (Verwaltungs-) Entscheidungen sichtbar wird. Es ist vor diesem Hintergrund nicht begründbar, dass in vielen Ländern die persönlichen Entscheidungen des Gnadenträgers oder des Justizministers dennoch von unteren Gnadenbehörden bekanntgegeben werden.10 Der Akt der Bekanntgabe sollte vielmehr auch durch die Behörde erfolgen, die originär entschieden hat. Selbstverständlich geht es dabei nicht um eine überzogene Ehrfurcht vor der Begnadigung als einem rechtlich schwer fassbaren Verfassungsinstitut. Die symbolische Verstärkung der Begnadigung als Wiederherstellung des Rechtsfriedens kann aber zu einer realistischen Einschätzung der Chancen für einen Gnadenakt führen und der vielfach verbreiteten Annahme entgegenwirken, bei der Begnadigung handle es sich um eine nochmalige Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Strafurteils nach juristischen Maßstäben. Darüber hinaus würde dem Empfänger eines Gnadenerweises aus kriminologischer Sicht durch die besondere Bedeutung seine Verantwortung verstärkt vor Augen geführt, das in ihn gesetzte Vertrauen nicht zu enttäuschen. Die Entscheidung sollte von ihrem Sinn und Zweck her schließlich auf einer anderen Ebene als beispielsweise die justitielle Aussetzung einer Strafe zur Bewährung entstehen, bei der es ähnlich um das Vertrauen in eine straffreie Lebensführung geht. Allein die lediglich in Art. 32 Abs. 1 VerfS-H und Art. 109 Abs. 1 HessVerf aufgenommene Formulierung, dass das Begnadigungsrecht „im Namen des Volkes“ ausgeübt wird, wäre bei jeder Gnadenentscheidung ein bedeutender Hinweis. In beiden genannten Bundesländern wird darauf in sämtlichen Gnadenentscheidungen kein Bezug genommen.11

8

Vgl. zu diesem Begriff Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. II, S. 397. Vgl. Bartning, ZfStrVo 1961, 33 (38). 10 Vgl. nur § 24 Abs. 2 GnO B-W; § 18 Abs. 5 GnO NW. Gleichwohl ist dem HessStGH zuzustimmen, der die Auffassung zurückgewiesen hat, dass die durch die Staatsanwaltschaft erfolgte Bekanntmachung einer ablehnenden Gnadenentscheidung des Ministerpräsidenten eine grausame Behandlung des Verurteilten darstelle und deshalb gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstoße, vgl. HessStGH, NJW 1974, 791 (793). Auf Bundesebene erfolgt die Mitteilung der Gnadenentscheidungen üblicherweise durch das Bundespräsidialamt und nicht durch das Bundesministerium der Justiz oder die Bundesanwaltschaft, so die Auskunft des Bundespräsidialamtes an den Verfasser. 11 Auskünfte des Justizministeriums Schleswig-Holstein und des Ministeriums der Justiz Hessen an den Verfasser. 9

IV. Begnadigungskommissionen

155

IV. Begnadigungskommissionen Im Folgenden soll mit Blick auf das dem Begnadigungsrecht verwandte Härtefallverfahren im Asylrecht gezeigt werden, wie hier eine „gnadenähnliche“ Entscheidung in besonderen Einzelfällen unter Beteiligung von kollegial besetzten Kommissionen getroffen werden kann. Im Asylrecht werden Härtefälle von Härtefallkommissionen erwogen. Dies könnte ein Modell für das Begnadigungsrecht sein. Dabei steht die folgende Überlegung im Vordergrund: Der originäre Gnadenträger kann nicht über alle Gnadengesuche persönlich entscheiden. Er muss aus Praktikabilitätserwägungen einen Teil seiner Sachkompetenz weiter übertragen. Es kommt nun darauf an, inwieweit der Verlust an amtscharismatischer Prägung der Gnadenausübung, der umso stärker ist, je niedriger die Entscheidungsebene verortet und je weiter dadurch die Entscheidung vom originären Gnadenträger entfernt ist, kompensiert werden könnte. Hierfür wäre die Einsetzung einer Begnadigungskommission denkbar.

1. Härtefallkommissionen im Asylrecht Für diese These bedarf es zunächst eines Blickes auf die Härtefallkommissionen im Asylrecht: Sie befassen sich mit Einzelfällen, denen eine besondere Härte zugrunde liegt. Als ultima ratio kann die Befassung einer Härtefallkommission eine Aufenthaltsgewährung erwirken, wenn die gesetzlich geregelten Ausnahmetatbestände nicht zu einer humanitären Lösung führen konnten. Die Parallelität von Härtefall und einem begnadigungsrelevanten Einzelfall sind bemerkenswert. a) Verfassungsrechtliche Garantie des Art. 16a GG Die verfassungsrechtliche Grundlage des Asylrechts liegt in Art. 16a GG, wonach politisch Verfolgte im Bundesgebiet ein Recht auf Asyl genießen. Als Individualgrundrecht garantiert Art. 16a GG denjenigen Personen Schutz, die in ihrem Herkunftsland ausgegrenzt und benachteiligt werden, und zwar in einer solch bedrohenden Weise, dass sie aus dem in ihrer Heimat allgemein geltenden Rahmen herausfallen.12 Die verfassungsrechtliche Integration des Asylrechts in den Grundrechtskatalog zeigt die staatliche Verpflichtung, sich an dem Leitbild der Humanität orientierend auch um die Personen zu sorgen, die außerhalb des Bundesgebiets in außerordentliche Notlagen geraten sind. Die Intention ist hierbei anders als bei anderen

12 BVerfGE 54, 341 (357); Masing, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 16a Rn. 28. Es geht also nicht um den Schutz vor den allgemeinen Unglücksfolgen von Krieg, Hunger oder sonstigen Unglücksursachen in einem bestimmten Land, vgl. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf, Grundgesetz, Art. 16a Rn. 15.

156

E. Reformüberlegungen

Grundrechten eine rein altruistische.13 Sie ist stark von Art. 1 Abs. 1 GG beeinflusst, da die Unverletzlichkeit der Menschenwürde eine Integration des Asylanspruchs in den Grundrechtskatalog nahelegt.14 b) Historische Bedeutung des Asylrechts Das Asylrecht wandelte sich erst nach 1945 zu einem individuellen Recht des Einzelnen, obwohl es von seiner Bedeutung her eher ein Recht des Schutzgebenden Staates war:15 Der Staat reagierte auf die Einzelfälle mit einer „Exemtion aus dem rechtlichen Kontext im Einzelfall unter örtlichen und zeitlichen Ausnahmebedingungen“16. Die Wurzeln des Asylrechts liegen – dem Begnadigungsrecht ähnlich – in einem vorstaatlichen, theologischen Kontext, den zu betrachten für unsere Untersuchung besonders sinnvoll erscheint: Entgegen dem heutigen Verständnis von einem staatlichen Asyl existierte bis in die frühe Neuzeit ausschließlich kirchliches Asyl.17 Der Personenkreis der Asylsuchenden wurde von all denjenigen gebildet, die schutzbedürftig gegenüber der Obrigkeit waren und für die die Kirche ein caritatives Motiv hatte. Sie verstand sich also als Institution, die für die Korrektur strikter und unnachgiebiger Urteile zuständig war und zwar nicht als eine mit der Macht einer materiellen Korrektur der Urteile ausgestattete Kraft, sondern als Schutzraum vor dem Zugriff des Staates. Wirkungsbereich des Asyls waren sämtliche gegen eine Person gerichteten Sanktionen, seien es die vom Staat ausgehenden Strafen oder im Bereich der Blutrache auch die private Vollstreckung.18 Das christliche Motiv beruht bis heute19 auf den

13 Zimmermann/Tams, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 16a Rn. 36. 14 BVerfGE 54, 341 (357). 15 Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 16a Rn. 2. 16 Masing, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 16a Rn. 1. 17 Bammann, Bergenden Schutz geben, S. 4. Dieses kirchliche Asylrecht stand neben dem kirchlichen Gnadenrecht, welches auch gegenüber der weltlichen Gerichtsbarkeit beansprucht wurde, so Pieper, Festschrift für Roman Herzog, 355 (361). 18 Vgl. Masing, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 16a Rn. 2 f.: Das asylrechtliche Schutzprinzip galt demnach sowohl Fremden als auch Einheimischen, wobei die verhältnismäßig seltene Inanspruchnahme durch Einheimische (sog. internes Asyl) als Indiz für eine gut entwickelte Staatlichkeit und Rechtskultur galt. 19 Man denke an die Fälle der Kirchenasylgewährung, in deren Form sich die Kirche auch in heutiger Zeit als ein solcher Schutzraum versteht. Hier wird in Kirchen oder angegliederten Gebäuden den Asylsuchenden Schutz vor staatlichem Zugriff ermöglicht – vor allem durch den Respekt der staatlichen Stellen vor dem religiös geschützten Raum. Für die Handelnden geschehen diese Handlungen immer in dem Spannungsverhältnis zwischen Rechtstreue und humanitärer Christengesinnung und zwischen staatsbürgerlichem und christlichem Ethos. Vgl. ausführlich zu diesem Themenkomplex Bammann, Bergenden Schutz geben, S. 52 ff.

IV. Begnadigungskommissionen

157

Gedanken der caritas (Nächstenliebe, Wohltätigkeit) und misericordia (Barmherzigkeit).20 Das sakrale Asyl war zu damaliger Zeit ein besonderes Zeugnis der Wechselbeziehung zwischen Staat und Kirche. In einem unvollkommenen Strafensystem konnte das kirchliche Asylrecht Defizite korrigieren, und zwar auch zugunsten eines Erkenntnisgewinns für den Staat. Hier zeigt sich der Interventionsgedanke einer Asylgewährung, bei der sich die christliche humanitas ganz bewusst über weltlichrechtliche Entscheidungen hinwegsetzte, um Zuflucht zu bieten.21 Ähnlich der Entwicklung der Gnade musste der Asylgedanke im Laufe der Zeit einer rationalen Anerkennung durch hoheitlich gewährtes Recht weichen.22 Das normative System der asyl- und ausländerrechtlichen Regelungen ist durch Gesetzgebung und umfassende Rechtsprechung immer mehr spezialisiert worden. Dennoch mag es auch Fälle geben, deren humanitäre Lösung durch die bestehenden Regelungen nicht möglich erscheint. c) Länderzuständigkeit bei Härtefallkommissionen Hierfür existieren auf Landesebene Härtefallkommissionen. Um auch vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern (§ 58 Abs. 2 AufenthG) die letzte Chance einer humanitären Prüfung ihrer Lage in einem Härtefallverfahren zu ermöglichen, sieht § 23a AufenthG23 die Einrichtung solcher Kommissionen vor. Sie haben zwar keine 20

Bammann, Bergenden Schutz geben, S. 11. Traulsen, Das sakrale Asyl in der Alten Welt, S. 306 f. 22 Vgl. Masing, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 16a Rn. 3. 23 § 23 a AufenthG beruht auf einer Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses und wird deshalb häufig eher als politischer Parteienkompromiss und weniger als saubere gesetzgeberische Leistung kritisiert, vgl. Gerster, in: Fritz/Gerster/Karber/Lambeck, Im Geiste der Demokratie und des sozialen Verständnisses, S. 393 (397). Der Wortlaut des § 23a AufenthG: – Aufenthaltsgewährung in Härtefällen – (1) Die oberste Landesbehörde darf anordnen, dass einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von den in diesem Gesetz festgelegten Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, wenn eine von der Landesregierung durch Rechtsverordnung eingerichtete Härtefallkommission darum ersucht (Härtefallersuchen). Die Anordnung kann im Einzelfall unter Berücksichtigung des Umstandes erfolgen, ob der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist oder eine Verpflichtungserklärung nach § 68 abgegeben wird. Die Annahme eines Härtefalls ist in der Regel ausgeschlossen, wenn der Ausländer Straftaten von erheblichem Gewicht begangen hat. Die Befugnis zur Aufenthaltsgewährung steht ausschließlich im öffentlichen Interesse und begründet keine eigenen Rechte des Ausländers. (2) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung eine Härtefallkommission nach Absatz 1 einzurichten, das Verfahren, Ausschlussgründe und qualifizierte Anforderungen an eine Verpflichtungserklärung nach Absatz 1 Satz 2 einschließlich vom Verpflichtungsgeber zu erfüllender Voraussetzungen zu bestimmen sowie die Anordnungsbefugnis nach Absatz 1 Satz 1 auf andere Stellen zu übertragen. Die Härtefallkommissionen werden ausschließlich im Wege der Selbstbefassung tätig. Dritte können nicht verlangen, dass 21

158

E. Reformüberlegungen

Möglichkeit, einen wirksamen Aufenthaltstitel zu verfügen, können aber die Oberste Landesbehörde um die Erteilung eines Aufenthaltstitels ersuchen. Wenn alle aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen ausgeschöpft sind, soll die Befassung der Härtefallkommission ein letzter humanitärer Anker sein. Von der gesetzgeberischen Intention her wird eine Art übergesetzlicher Gnadentatbestand geschaffen.24 Die Nennung dieses Begriffs wird mit der gesetzlichen Formulierung begründet, dass die oberste Landesbehörde einen Aufenthaltstitel erteilen „darf“, statt – wie an anderer Stelle üblich – erteilen „kann“.25 Damit werde deutlich, dass es sich um keine rechtlich gebundene Ermessensentscheidung, sondern um eine außerordentliche Befugnis der Obersten Landesbehörde handle. Die Ausgestaltung der Härtefallkommissionen ist Ländersache: § 23a Abs. 2 AufenthG hält für die Länder die Möglichkeit bereit, Härtefallkommissionen einzurichten, das Verfahren im Einzelnen zu bestimmen und die Besetzung der Kommission zu regeln. Hierbei handelt es sich um eine Ermächtigung, keinesfalls um eine Verpflichtung der Länder zur Einrichtung entsprechender Kommissionen.26 Von dieser Ermächtigung haben sämtliche Bundesländer27 Gebrauch gemacht und Vertreter von Kirchen, humanitären Organisationen und den Behörden in die Kommission berufen. Die Mitglieder müssen also kein wie immer geartetes staatliches Amt bekleiden,28 sondern sollen in erster Linie einen besonderen Sachverstand in der Ausländerpolitik und in der Realität der Asylantenproblematik haben. Damit wird für das staatliche Verfahren eine besondere Sachkenntnis der Bürger aktiviert. eine Härtefallkommission sich mit einem bestimmten Einzelfall befasst oder eine bestimmte Entscheidung trifft. Die Entscheidung für ein Härtefallersuchen setzt voraus, dass nach den Feststellungen der Härtefallkommission dringende humanitäre oder persönliche Gründe die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet rechtfertigen. (3) […]. 24 Hailbronner, Ausländerrecht, § 23a AufenthG Rn. 4. Allerdings, so in Rn. 8: „Die Anwendung gesetzlicher Vorschriften geht […] der gnadenweisen Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 23 a Abs. 1 vor.“ Gegen den Begriff eines Gnadentatbestands: Weber, ZAR 2005, 203. 25 Hailbronner, ebenda. 26 Renner, AuslR, § 23a AufenthG Rn. 3; Maaßen, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, § 4 Rn. 495, 27 Vgl. die komplette Übersicht zu allen geltenden Verordnungen bzgl. Härtefallkommissionen mit aktuellen Statistiken und Übersichten bei Schwantner, , sowie bei Maaßen, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, § 4 Rn. 495 Fußn. 431. Sowohl für die möglicherweise unterschiedliche Handhabung der Ermächtigung zur Einrichtung von Härtefallkommissionen als auch für die unterschiedliche Entscheidungspraxis der Kommissionen ist § 23a Abs. 3 AufenthG bedeutsam: Danach trägt im Falle eines Umzuges des Ausländers in ein anderes Bundesland weiterhin diejenige Behörde die damit verbundenen Kosten, die die Härtefallentscheidung verantwortet hat. Dadurch sollen an der unterschiedlichen Entscheidungspraxis orientierte innerdeutsche Migrationsbewegungen verhindert werden, so Hailbronner, Ausländerrecht, § 23a AufenthG Rn. 16. 28 Renner, AuslR, § 23a AufenthG Rn. 6.

IV. Begnadigungskommissionen

159

Letztlich ist der Landesgesetzgeber bei der Besetzung der Kommission aber frei: Er kann auch ausschließlich staatliche Repräsentanten in die Kommission entsenden. Manche Länder hatten bereits vor der Einführung des § 23a AufenthG Härtefallkommissionen eingerichtet, die erst durch die Neuregelung institutionalisiert wurden.29 d) Verfahren und Entscheidung Ungeachtet der Freiheit der landesrechtlichen Verordnungsgeber sind in § 23a Abs. 2 AufenthG einige Eckpunkte des Verfahrensverlaufs vorgeschrieben: So gibt es für die Härtefälle kein formalisiertes Antragsverfahren, sondern ein ausschließlich im Wege der Selbstbefassung ablaufendes Verfahren.30 Um zu dieser Selbstbefassung zu kommen, können freilich Hinweise an die Kommission herangetragen werden, damit diese auf einen Härtefall aufmerksam wird. Einzig Schleswig-Holstein hat sich an diese Vorgabe nicht gehalten und eine Verordnung erlassen, die – obwohl als Verordnung im Sinne des § 23a AufenthG deklariert – von den bundesgesetzlichen Vorgaben abweicht: Hier ist gemäß § 13 Abs. 1 AuslAufnVO S-H eine Anrufung der Härtefallkommission durch einen Ausländer möglich, die sogar zu einer Anhörung des einzelnen Antragsstellers führen kann (§ 15 Abs. 3 AuslAufnVO S-H). Hat die Härtefallkommission einen Fall behandelt und spricht sich für eine Aufenthaltsgewährung aus, muss in einem zweiten Schritt die Oberste Landesbehörde entscheiden, ob sie dem Härtefallersuchen der Kommission entsprechen will. Jedes Härtefallersuchen der Kommission ist also lediglich eine Empfehlung wertender Art, die ein nachfolgendes Handeln der Behörde erforderlich macht. Zwar steht die Behörde dabei unter einem faktisch bestehenden politischen Druck; in der Entscheidung über das Ersuchen der Härtefallkommission ist sie in ihrem Ermessen aber frei und hat das Recht auf eine eigene, den behördeninternen Einschätzungen des Einzelfalls folgende Entscheidung.31 Fällt diese positiv aus, wird die Oberste Landesbehörde eine fachaufsichtliche Weisung an die zuständige Ausländerbehörde erteilen.32

29

Weber, ZAR 2005, 203 f.; zu deren Befugnissen vor der Einführung des § 23a AufenthG vgl. Lüke, ZAR 2004, 397 (402). 30 Hailbronner, Ausländerrecht, § 23a AufenthG Rn. 13; Renner, AuslR, § 23a AufenthG Rn. 7. 31 Vgl. Renner, AuslR, § 23a AufenthG Rn. 12. 32 In NRW ist gemäß § 7 Abs. 1 HFKVO NRW bestimmt, dass die zuständigen Ausländerbehörden direkt entscheiden. Insoweit wurde von der in § 23a Abs. 2 Satz 1 aE AufenthG Ermächtigung Gebrauch gemacht, das Entscheidungsrecht auch auf andere Landesbehörden zu übertragen.

160

E. Reformüberlegungen

Bei dieser letzten Entscheidung der Landesbehörde handelt es sich aufgrund der Befassung der Härtefallkommission um einen justizfreien Hoheitsakt, gegen den es keinerlei Rechtsmittel gibt.33 e) Inhaltliche Erwägungen der Härtefallkommissionen Für die inhaltlichen Erwägungen der Härtefallkommission nennt § 23a Abs. 2 Satz 4 AufenthG lediglich, dass dringende humanitäre oder persönliche Gründe die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet rechtfertigen müssen. Das können nach einer vollziehbaren Ausreiseverpflichtung des einzelnen Ausländers nur solche Gründe sein, die eher an außerrechtlichen humanitären Maßstäben zu messen sind, da die im Rahmen gesetzlicher Bestimmungen mögliche Berücksichtigung humanitärer Belange spätestens bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausreiseanordnung erfolgt ist.34 Maßgeblich sind hierbei die Besonderheiten des Einzelfalls, die im AufenthG nicht näher bestimmt sind. Es geht jedenfalls nicht um Besonderheiten von ganzen Personengruppen oder typisch auftretenden Härten.35 Für das eigentliche Vorliegen eines Härtefalls können die Länder in ihren entsprechenden Verordnungen eigene Voraussetzungen aufstellen. Bemerkenswert sind die von der Härtefallkommission Nordrhein-Westfalen aufgestellten Entscheidungsgrundsätze, die in ihrem materiellen Teil ausschließlich atypische Sachverhalte, die sich von der Vielzahl möglicher vergleichbarer Fälle abheben, als Härtefälle im Sinne des § 23a AufenthG eingrenzen.36 Es müsse sich um so extreme Sondersituationen handeln, dass das öffentliche Interesse an einer strikten Anwendung des Ausländerrechts hinter humanitären Gesichtspunkten zurückzustehen habe. Die Grundsätze weisen unter Punkt 7 auf das praxisrelevante Problem hin, dass die Integrationsleistungen junger Ausländer, die in den 90er Jahren nach Deutschland eingereist seien, im Rahmen der aufenthaltsrechtlichen Vorschriften nicht berücksichtigt werden könnten und die Bewertung dieser Leistungen (insbesondere auf schulischem, beruflichem oder gesellschaftspolitischem Gebiet) Aufgabe der Härtefallkommission sei.37 33 Mit Hinweis auf Art. 3 Abs. 1 GG nennt Hailbronner, Ausländerrecht, § 23a AufenthG Rn. 15 diese Injustitiabilität bedenklich. 34 Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 23a AufenthG Rn. 14. 35 Renner, AuslR, § 23a AufenthG Rn. 9. 36 Die Entscheidungsgrundsätze der nordrhein-westfälischen Härtefallkommission sind abrufbar unter . Kritisch demgegenüber allgemein Groß, ZAR 2005, 61 (65), der in § 23a Abs. 2 AufenthG nur die Regelung von Ausschlussgründen, nicht aber die Ermächtigung zur Regelung von materiellen Entscheidungsgründen sehen will. Man kann aber bei den in Nordrhein-Westfalen getroffenen Grundsätzen noch nicht von materiellen Entscheidungsgründen, sondern wohl eher von selbstbeschränkenden Leitlinien sprechen, die so offen sind, dass man von ihnen im Einzelfall auch wieder abweichen könnte. 37 Vgl. ausführlich zu möglichen Fallkonstellationen mit Bezug auf die Tätigkeitsberichte der Härtefallkommissionen Göbel-Zimmermann, ZAR 2008, 47 (52 f.).

IV. Begnadigungskommissionen

161

Die durch die Härtefallkommissionen beratenen Fälle haben in der Regel eine niedrige Erfolgsquote: Eher werden kurzfristige Bleiberechtsregelungen erwogen, um dem Beantragenden den Abschluss einer Ausbildung oder einer medizinischen Therapie zu ermöglichen, um danach erst auszureisen.38 f) Härtefallkommissionsverordnungen Die im Rahmen dieser Rechtslage auf Landesebene erlassenen Verordnungen39 weisen keine nennenswerten Unterschiede auf: Die Mitglieder der Kommission werden für die Benennung durch das Ministerium meist von denselben Organisationen vorgeschlagen,40 wobei in Baden-Württemberg zusätzlich noch zwei „Persönlichkeiten des Landes“ berufen werden.41 In einigen Verordnungen wird explizit darauf hingewiesen, dass jedes Mitglied über besondere Kenntnisse im Aufenthaltsund Asylrecht oder in der Flüchtlings- und Migrationsberatung verfügen soll.42 Neben der paritätischen Besetzung mit Frauen und Männern43 will Schleswig-Holstein darauf hinwirken, dass insbesondere Personen mit Migrationshintergrund in der Kommission mitarbeiten.44 Teilweise haben die Kommissionen die Möglichkeit, Sachverständige mit beratender Stimme hinzuzuziehen, welche die Einzelheiten des Falles unter besonderer Berücksichtigung begutachten.45 Die Beschlussfassung erfolgt teilweise mit einfacher, überwiegend jedoch mit einer Zweidrittel-Mehrheit; im Saarland ist gar eine Dreiviertel-Mehrheit erforderlich.46 Im Vorfeld gibt es in einigen Ländern ein Vorprüfungsverfahren durch die Geschäftsstelle bzw. den Vorsitzenden der Kommission, um die Arbeit der Kommission auf die wesentlichen Fälle zu konzentrieren, bei denen ein Härtefallersuchen möglich erscheint. Teilweise liegt die Befugnis zur Vorprüfung und Aussonderung der offensichtlich aussichtslosen Fälle in der Person des Vorsitzenden der Kommission,47 teilweise wurde ein eigener Vorprüfungsausschuss eingerichtet.48 38

Weber, ZAR 2005, 203. In Hessen und Hamburg wurden entsprechende Gesetze verabschiedet. 40 Dies sind die Katholische und Evangelische Kirche in dem jeweiligen Bundesland, die Freien Wohlfahrtsverbände, landespolitisch besonders aktive Organisationen (wie Pro Asyl und andere Vereine) und Behördenvertreter aus unterschiedlichen Ressorts sowie Vertreter der kommunalen Spitzenverbände. 41 Vgl. § 2 Abs. 2 Satz 2 HFKomVO B-W. In Rheinland-Pfalz ist die Abberufung eines Mitglieds „aus wichtigem Grund“ jederzeit möglich, vgl. § 2 Abs. 3 Satz 3 HFKomV R-Pf. 42 § 2 Abs. 2 HFKV BB; § 2 Satz 2 HFKVO NRW; § 2 Abs. 2 HFKomV R-Pf; § 1 Abs. 2 SächsHFKVO; § 2 Abs. 1 HFK-VO S-A. 43 § 11 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 AuslAufnVO; ebenso § 2 Abs. 2 HFK-VO S-A; § 2 Abs. 3 HFKVO NRW. 44 § 11 Abs. 1 Satz 5 AuslAufnVO S-H. 45 § 2 Abs. 3 HFKLVO M-V; § 2 Abs. 4 HFKV BB. 46 § 6 Abs. 2 Satz 1 SaarlHKV. 47 § 4 Abs. 2 HFKomVO B-W; § 5 NdsHärteKVO. 39

162

E. Reformüberlegungen

g) Zusammenlegung mit dem Petitionsausschuss? In Hessen und Hamburg hatte man zunächst die Befugnisse der Härtefallkommissionen dem Petitionsausschuss übertragen und auf eine Einbindung von den ausländerpolitisch relevanten Gruppen verzichtet. Dadurch sollten beide Verfahren miteinander verbunden werden, zumal in Hessen ohnehin die Hälfte aller Petitionen direkten ausländerrechtlichen Bezug hat.49 Durch das Gesetz zur Einrichtung einer Härtefallkommission vom 30. September 2008 hat man sich aber nun auch in Hessen von dieser Konstruktion verabschiedet und ein behördenunabhängiges Gremium eingerichtet, in dem verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen vertreten sind.50 In Hamburg existiert die Praxis fort. Gemäß § 1 Abs. 2 HambHFKG werden für die Dauer einer Legislaturperiode Mitglieder derjenigen Fraktionen in die Härtefallkommission entsandt, die auch im Petitionsausschuss sitzen. In der Praxis ist es allerdings ein und dasselbe Gremium. Der Petitionsausschuss hat in seiner Tätigkeit als Härtefallkommission mit § 23a AufenthG ein weitergehendes Gestaltungsrecht als bei anderen Eingaben, da das Ersuchen für einen Aufenthaltstitel der Obersten Landesbehörde notwendige Voraussetzung ist. Die Parallelität zum Petitionsverfahren entsteht vor allem durch § 2 Abs. 1 Satz 2 HambHFKG, wonach Vorschläge von Mitgliedern nur zulässig sind, wenn gleichzeitig ein Eingabe-, also Petitionsverfahren eingeleitet wurde. In allen anderen Bundesländern legt man teilweise explizit in den jeweiligen Verordnungen51 auf die Trennung beider Verfahren Wert. Dies scheint vom Sinn und Zweck der Regelung des § 23a AufenthG auch der passendere Weg zu sein: Es soll gerade ein eigenständiges und spezialisiertes Gremium geschaffen werden, das sich viel vertiefter mit den ausländerrechtlichen Besonderheiten beschäftigen kann als ein Petitionsausschuss.52 Bei einer Befassung des Petitionsausschusses mit den Härtefällen findet keine durch § 23a AufenthG intendierte Aktivierung der zivilen Akteure statt.53 48 § 3 Abs. 2 HessHFKG; § 3 Abs. 3 HFKVO NRW. Neben dem Vorsitzenden oder einem Mitarbeiter der Geschäftsstelle gehören dem Vorprüfungsausschuss zwei weitere von der Kommission benannten Mitglieder an. 49 Kritisch zu dieser Aufgabenüberschneidung Gerster, in: Fritz/Gerster/Karber/Lambeck, Im Geiste der Demokratie und des sozialen Verständnisses, S. 393 (395, 399) 50 Gemäß § 2 Abs. 1 HessHFKG sind dies neben der katholischen und evangelischen Kirche die freie Wohlfahrtspflege, der Hessische Flüchtlingsrat, Amnesty International, weitere Beratungseinrichtungen, die Landesärztekammer sowie Behördenvertreter aus dem Innen- und Sozialressort. 51 Vgl. nur § 3 Abs. 2 BayHFKomV; § 4 Abs. 2 Nr. 7 HFKomVO B-W; § 3 Abs. 2 Nr. 3 SächsHFKVO. 52 Groß, ZAR 2005, 61 (65). 53 Groß, ebenda; ebenso Göbel-Zimmermann, ZAR 2008, 47 (50). A.A. Maaßen, in: Kluth/ Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, § 4 Rn. 495.

IV. Begnadigungskommissionen

163

h) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Härtefallkommissionen Die Einsetzung und Arbeit der Härtefallkommissionen wird teilweise sehr kritisch bewertet: Die außerhalb des Gesetzes liegenden materiellen Voraussetzungen des § 23a AufenthG und die fehlende verwaltungsgerichtliche Kontrolle seien mit rechtsstaatlichen Erwägungen, insbesondere mit Art. 20 Abs. 3 GG, unvereinbar.54 Im Einzelnen stößt es auf besondere Skepsis, dass neben dem differenzierten Normenprogramm des Ausländerrechts „eine weitgehend unbeschränkte Befugnis zum Ausbrechen aus diesem Normenprogramm bereitgestellt wird.“55 In der Tat sind in den Vorschriften des Abschnitts 5 des AufenthG den handelnden Behörden und überprüfenden Gerichten gesetzliche Möglichkeiten eingeräumt, Härtefälle für die Aufenthaltsgewährung in besonderer Weise zu berücksichtigen.56 Die vor der Einfügung des § 23a AufenthG bestehenden Härtefallkommissionen konnten eine Erwägung der Härtefälle nur inter legem, also innerhalb der Tatbestände des geltenden Rechts leisten, wohingegen die Neuregelung ja gerade eine praeter-legem-Bewertung, also eine Möglichkeit der Aufenthaltsgewährung unabhängig von den gesetzlichen Tatbeständen schaffen soll.57 Diese Konstruktion sei mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot unvereinbar.58 Ferner entstehe ein Verantwortungsproblem, da die zuständigen Behörden ihre Verantwortung auf ein gesellschaftliches „staatsfernes“ Gremium abschieben würden.59 Dafür bestehe keinerlei verfassungsrechtliche Legitimation, wie das beim Begnadigungsrecht oder beim Petitionsrecht der Fall sei.60 Die Kritik geht vereinzelt sogar soweit, einen durch gesetzgeberischen „Unernst“ drohenden Rückfall in die Zeit des Absolutismus zu besorgen,61 den Deutschen Bundestag als ein durch die Schaffung des § 23a AufenthG sich selbst desavouierendes Gremium zu bezeichnen62 sowie ohne nähere Begründung „§ 23a AufenthG

54 Schönenbroicher, ZAR 2004, 351 (356); Gerster, in: Fritz/Gerster/Karber/Lambeck, Im Geiste der Demokratie und des sozialen Verständnisses, S. 393 (398, 403). 55 Hailbronner, Ausländerrecht, § 23a AufenthG Rn. 17; ebenso Schönenbroicher, ZAR 2004, 351 (356); Gerster, in: Fritz/Gerster/Karber/Lambeck, Im Geiste der Demokratie und des sozialen Verständnisses, S. 393 (403). 56 Eine Überblick über dieses Normenprogramm gibt Lüke, ZAR 2004, 397 ff. 57 Vgl. Lüke, ZAR 2004, 397 (402). 58 Ausführlich zum „Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz“ Schönenbroicher, ZAR 2004, 351 (355). 59 Hailbronner, Ausländerrecht, § 23a AufenthG Rn. 18; Schönenbroicher, ZAR 2004, 351 (354). 60 Hailbronner, Ausländerrecht, § 23a AufenthG Rn. 17, der einen direkten Vergleich mit dem Begnadigungsrecht anstrengt, allerdings mit der verkürzten Feststellung, das Gnadenrecht des Bundespräsidenten beruhe auf „postmonarchischen rechtsgeschichtlichen Grundlagen“. 61 Schönenbroicher, ZAR 2004, 351 (356). 62 Schönenbroicher, ZAR 2004, 351 (357).

164

E. Reformüberlegungen

als unfreiwillige Ermunterung für die zunehmende Gefälligkeitskorruption in Deutschland zu werten“63. Solche „Polemik“64 trifft nicht die Sache. Die Kritik an der Härtefallregelung des § 23a AufentG verkennt die besondere Stellung der Härtefallkommissionen im Gefüge der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen. § 23a AufenthG ist nicht ein Fremdkörper, sondern vielmehr ein notwendiger Bestandteil des ausländerrechtlichen Gesamtkonzepts. Das gesetzgeberische Ziel entstand aus der Erkenntnis, dass Einzelfälle denkbar sind, bei denen die strikte Anwendung ausländerrechtlicher Normen zu keinem befriedigenden Ergebnis führen würde. Der Maßstab soll ein außerrechtlich-humanitärer sein, der sich an den vom Gesetzgeber nicht vorhersehbaren Besonderheiten des Einzelfalles orientiert und somit einen absoluten Ausnahmecharakter hat.65 Härtefallkommissionen sind deshalb nicht systemwidrig, sondern im Sinne der Bedeutung des Asylrechts systemnotwendig. Darüber hinaus ist es verfehlt, die Verantwortungsübernahme und die Entscheidungsbefugnisse der Härtefallkommission anzugreifen: Die verantwortliche Entscheidung verbleibt bei der Obersten Landesbehörde;66 die Härtefallkommission ist lediglich ein beratendes Gremium mit dem Instrument eines „Ersuchens“, was noch weit entfernt von einer (dann erst problematischen) Entscheidungsbefugnis ist. Erst wenn eine solche wirkliche Entscheidungsbefugnis bestünde, müsste man über die verfassungsrechtliche Legitimation nachdenken. Die Einsetzung von Härtefallkommissionen liegt hingegen im Ermessen des Gesetz- bzw. landesrechtlichen Verordnungsgebers. Die Aufgabe der Härtefallkommissionen ist der andere, übernormative und dennoch fachlich fundierte Blick auf den Einzelfall, der insoweit notwendig ist, als dass jedes noch so ausdifferenzierte Normensystem Lücken aufweist, erst recht wenn es um die Frage einer humanitären asylrelevanten Aufenthaltsgewährung geht. Diese Notwendigkeit zeigt sich insbesondere daran, dass eine Diskrepanz zwischen der individuellen Schutzzusage des Asylgrundrechts nach Art. 16a GG und weitgehend entindividualisierten Entscheidungen im Ausländerrecht besteht.67 Hier kann die Härtefallregelung einen wichtigen Beitrag zum Ausgleich leisten. Berücksichtigt man diese Sonderstellung der Härtefallkommissionen konsequent, kann schwerlich von einer Verfassungswidrigkeit gesprochen werden. Was die Bindung der Härtefallkommissionen an die ausländerrechtlichen Bestimmungen betrifft, so kann man diese entgegen der Kritik durchaus bestimmen: Die Kommission wird in ihrer Stellung innerhalb des Gefüges der ausländerrechtlichen Normen nicht von sämtlichen gesetzlichen Tatbeständen freigestellt.68 Das 63

Schönenbroicher, ZAR 2004, 351 (358). So nennt Göbel-Zimmermann, ZAR 2008, 47 (48) die Ausführungen Schönenbroichers. 65 Maaßen, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, § 4 Rn. 498 f. 66 Vgl. zur Verfahrenspraxis, insbesondere, wenn die Landesbehörde dem Ersuchen nicht entspricht, Weber, ZAR 2005, 203 (204). 67 Vgl. Masing, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 16a Rn. 1. 68 Renner, AuslR, § 23a AufenthG Rn. 9. 64

IV. Begnadigungskommissionen

165

zeigt sich alleine daran, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels ausgeschlossen ist, wenn der Lebensunterhalt des Ausländers nicht gesichert ist oder keine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG vorliegt (§ 23a Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Ferner bestimmt § 23a Abs. 1 Satz 3 AufenthG, dass eine Aufenthaltsgewährung in der Regel ausgeschlossen ist, „wenn der Ausländer Straftaten von erheblichem Gewicht begangen hat.“ Es war nicht die Intention des Gesetzgebers, eine Generalklausel für die Ausnahme von allen im Gesetz bestimmten Rechtsfolgen zu schaffen.69 Es geht um die Fälle, in denen die Ausländerbehörde unabhängig von den anderen Vorschriften des fünften Abschnitts im AufenthG rechtlich gehindert ist, ein Bleiberecht aus humanitären Gründen zu erteilen, beispielsweise aufgrund der §§ 8, 10 f. AufenthG.70 Die Kritiker eint ein fehlendes Vertrauen in den angemessenen Umgang mit dem Instrument des Härtefallersuchens durch die Kommission. Es scheint die Besorgnis zu bestehen, dass ausländerrechtliche Normen ausgehöhlt und in ihrer Rechtskraft geschwächt werden und dass in Härtefallkommissionen die dort vertretenen „Unterstützergruppen“ die gesetzlichen Bestimmungen unterlaufen. Das Gegenteil ist der Fall: Erst die bewusste Erkenntnis des Gesetzgebers, dass es als letzten Ausweg die Möglichkeit einer übernormativen Einzelfallbewertung durch eine Kommission geben muss, macht das ausländerrechtliche Normenprogramm komplett. Dass Härtefälle auf diesem Gebiet eine andere Bedeutung haben als in anderen Rechtsfeldern, bedarf keiner erweiterten Erörterung.71 i) Injustitiabilität der Kommissionsentscheidungen Schließlich gilt es der Kritik an der Injustitiabilität einer jeden Härtefallregelung entgegenzutreten: Man kann die Kritik jedenfalls nicht mit dem schlichten Argument begründen, wenn bei Gnadenakten eine Justitiabilität umstritten sei, so sei die Injustitiabilität einer Härtefallregelung erst recht problematisch.72 Hierbei ist zu bedenken, dass Gnadenakte im Gegensatz zu den Entscheidungen der Härtefallkommission Außenwirkung haben – selbst wenn man also die Justitiabilität von Gnadenentscheidungen bejahen würde, wäre das dennoch kein Argument für das vorliegende Problem.73 69

Weber, ZAR 2005, 203 (204). Göbel-Zimmermann, ZAR 2008, 47 (51). 71 Abwegig ist es in diesem Zusammenhang, die Notwendigkeit von asylrechtlichen Härtefallregelungen im Sinne eines humanitären Sonderweges mit der Notwendigkeit von Härtefallregelungen im Baurecht oder Steuerrecht zu vergleichen, so aber Schönenbroicher, ZAR 2004, 351 (356). 72 In diese Richtung vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 23a AufenthG Rn. 19; ebenso Schönenbroicher, ZAR 2004, 351 (357). 73 VG Schleswig-Holstein, AZ 2 B 68/05 v. 21. 6. 2005 Rn. 11 – juris. Im Übrigen würde sich hier (dem Problem der Justitiabilität von Gnadenentscheidung ähnlich) die Frage stellen, was denn Maßstab einer gerichtlichen Überprüfung sein sollte. Die Erwägungen der einzelnen 70

166

E. Reformüberlegungen

In erster Linie ist zu beachten, dass § 23a AufenthG ein von gesetzten Kategorien unabhängiges Verfahren normativ möglich macht und dadurch hoheitliche Entscheidungsfindungen jenseits der sonstigen Strukturen entstehen, die justitiable, subjektive Rechte des Einzelnen gerade nicht schaffen.74 Diese Entscheidung, die in § 23a Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausdrücklich festgelegt wurde, ist eine hinzunehmende Entscheidung des Gesetzgebers, die sich durch den Ausschluss subjektiver Rechte der Wirkung des Art. 19 Abs. 4 GG entzieht.75 j) Härtefallentscheidung und Begnadigung Das auf diese Weise zum Tragen kommende Prinzip, auf einen Härtefall humanitär zu reagieren, zeigt deutliche Parallelen zum Sinn und Zweck des Begnadigungsrechts. Sowohl die asylrechtliche Härtefallregelung als auch das Begnadigungsrecht verpflichten sich, besonderen Umständen eines Einzelfalls mit einer Ausnahmeregelung zu begegnen. Entsprechende Einzelfälle sind jeweils durch eine Anwendung der geltenden gesetzlichen Regelung – ob ausländer- oder strafrechtliche Normen – nicht sachgerecht zu lösen.76 Handelt es sich bei der Härtefallregelung um einen Ausnahmetatbestand für großzügiges politisch-humanitäres Ermessen,77 ist auch eine Gnadenfrage entscheidend davon abhängig, ob die atypische Besonderheit des Einzelfalls die übergesetzliche, ebenso „großzügige“ Erweiterung des Handlungsrahmens rechtfertigt. Härtefallkommissionen wurden deshalb in einer Parallelität von Asyl, Begnadigung und Petition als „eine Melange aus ,säkularisiertem‘ Kirchenasyl, einer besonderen Form subsidiären Schutzes, Gnadenrecht und einfachgesetzlichem Petitionsrecht“78 bezeichnet. Die Parallelität zu einer gnadenweisen Überprüfung abMitglieder der Härtefallkommission, die nicht-öffentlich und unter Verschwiegenheitspflicht berät, sind durch ihren außerrechtlichen Charakter keiner gerichtlichen Überprüfung zugänglich. Im Ergebnis ebenso Göbel-Zimmermann, ZAR 2008, 47 (54). Selbst wenn man diese Verschwiegenheitspflicht aufheben würde, müsste eine gerichtliche Entscheidung die Erwägungen der Kommissionsmitglieder usurpieren. 74 Sennekamp, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, § 9 Rn. 10; ebenso Maaßen, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, § 4 Rn. 494. Das Ersuchen der Härtefallkommission wäre als Verwaltungsinternum als solches ohnehin nicht gerichtlich überprüfbar, vgl. hierzu VG Schleswig-Holstein, NVwZ-RR 2007, 202 (neben der Sache deutet dieser Beschluss die Justitiabilität einer Gnadenentscheidung an, die anders als ein Verwaltungsinternum unmittelbare Außenwirkung habe und deshalb gleichheitssatzrelevant sei). Gleiches gilt auch bei ablehnender Entscheidung der Landesbehörde trotz Härtefallersuchen der Kommission, vgl. OVG Münster, AZ 18 B 1476/05 v. 26. 9. 2005; OVG Schleswig, AZ 4 MB 72/05 v. 27. 7. 2005. 75 Sennekamp, ebenda, der sich u. a. auf Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 116 bezieht. Ebenso Göbel-Zimmermann, ZAR 2008, 47 (54). 76 Vgl. zum Asylrecht Renner, AuslR, § 23a AufenthG Rn. 10. 77 Maaßen, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, § 4 Rn. 498. 78 Göbel-Zimmermann, ZAR 2008, 47. Zum Petitionsrecht vgl. die Ausführungen in Abschn. III.

IV. Begnadigungskommissionen

167

geschlossener Strafverfahren zeigt sich darin, dass das Härtefallverfahren ein nicht justitiables, rein humanitäres und gegenüber sämtlichen ausländer- und asylrechtlichen Vorschriften außergewöhnliches Entscheidungsverfahren ist.79 Bei beiden Instituten gilt diese Injustitiabilität der Entscheidung, da weder dem Asylsuchenden80 noch dem strafrechtlich Verurteilten ein eigenes Recht auf eine Härtefallregelung oder Begnadigung zusteht. Der Gesetzgeber hat mit der Einrichtung von Härtefallkommissionen die Unzulänglichkeit des rechtlich geordneten Systems erkannt und mit dem Ausweg der außerrechtlich zu bestimmenden Härtefälle eine Abhilfe geschaffen.81 Die Kommissionen erwägen den Einzelfall, in dem sich eine solche unglückliche Konstellation ergeben muss, die nicht unter bestehende Vorschriften subsumiert werden könnte und von den dortigen Sachverhalten abweicht.82 Die gleiche Funktion hat die Begnadigung bei strafrechtlichen Entscheidungen. Auch das Begnadigungsrecht versteht sich als eine Chiffre für die Endlichkeit des Rechts, wenn ein durch eine bestimmte Strafe auftretender Konflikt nur durch einen außerrechtlichen Sonderweg zu lösen ist. Sowohl die Härtefallregelungen als auch das Begnadigungsrecht zeigen die Notwendigkeit eines Korrektivs, wenn eine normative Erfassung eines Sachverhaltes nicht mehr möglich ist und nur ein auf den Einzelfall bezogener Dispens von eigentlich greifenden Normen geboten erscheint.

2. Integration beratender Kommissionen in das Gnadenverfahren Der entscheidende Unterschied zwischen Härtefallentscheidungen einer entsprechend eingesetzten Kommission und einer Gnadenentscheidung liegt in dem Anteil an der Entscheidungsfindung, den im Härtefallverfahren das Votum einer kollegial besetzten Kommission hat: Wenn dieses Votum „eine Empfehlung wertender Art durch ein weisungsfreies Gremium nach außergesetzlichen Maßstäben“ darstellt,83 dann hat sich die Dogmatik des Zuwanderungsrechts bewusst dazu entschieden, die Erwägung härtefallrelevanter Gesichtspunkte nicht im Rahmen einer normalen Behördenentscheidung, sondern unter Beteiligung einer kollegial be-

79

Maaßen, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, § 4 Rn. 494; Hailbronner, Ausländerrecht, § 23a AufenthG Rn. 2. 80 Die Aufenthaltsgewährung nach § 23a AufenthG steht ausschließlich im öffentlichen Interesse und begründet keine durchsetzbaren Rechte des Ausländers (§ 23a Abs. 1 Satz 4 AufenthG), stellt also keine rechtliche, sondern eine faktische Begünstigung dar, so zutreffend Maaßen, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, § 4 Rn. 494, 510. 81 Vgl. Renner, AuslR, § 23a AufenthG Rn. 8. 82 Renner, AuslR, § 23a AufenthG Rn. 10. 83 Maaßen, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, § 4 Rn. 503 mit Bezug auf die Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum AufenthG.

168

E. Reformüberlegungen

setzten Kommission zu treffen, bei der die widerstreitenden Interessen unter unterschiedlichen Gesichtspunkten Berücksichtigung finden können. Umso mehr stellt sich die Frage, ob die Übertragung des Gedankens der Härtefallkommissionen nicht auch auf das Begnadigungsrecht denkbar ist. Als Lösung für die praktischen Probleme der Delegation der Begnadigung, die sich in ihrer ausufernden Gestalt längst außerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens bewegt, könnte die Beteiligung eines kollegial zu besetzenden Gremiums an der Entscheidungsfindung eine nicht nur sinnvolle, sondern mit Blick auf die Einordnung der Begnadigung in den demokratischen Rechtsstaat notwendige Neuausrichtung sein. a) Zentrales Verfahren beim Gnadenträger Wie wir gesehen haben, ist das Begnadigungsrecht eng an eine amtscharismatische Ausübung und somit an das Amt des Bundespräsidenten, der Ministerpräsidenten und der Landesregierungen gebunden. Die Delegationsermächtigungen ermöglichen nur dann eine Weiterübertragung, wenn die Besonderheit der Entscheidungsfindung durch ein herausgehobenes Amt erhalten bleibt. Die Anzahl derjenigen Ämter, in denen dieser enge Bezug besteht, ist allerdings so gering, dass für ein Entlastungsinteresse eine Alternative gefunden werden muss. Grundsätzlich sollten alle Gnadenverfahren zentralisiert in der für die Arbeit der Ministerpräsidenten zuständigen Staatskanzlei ablaufen. Entweder der Ministerpräsident entscheidet persönlich über ein Gnadengesuch oder es wird in einem für Gnadengesuche zuständigen Referat bearbeitet, allerdings in einem solchen Fall unter Anhörung einer unabhängigen Begnadigungskommission, die nach Einholung der Stellungnahmen ein Votum abgibt. Sie kompensiert das mangelnde Amtscharisma durch eine kollegiale Entscheidung des Einzelfalls. Will die Staatskanzlei (das bearbeitende Referat) von dem Votum der Begnadigungskommission abweichen, muss die persönliche Entscheidung des Gnadenträgers eingeholt werden. b) Besetzung der Kommission Die Kommission wird vom Gnadenträger eingesetzt und ihre Mitglieder vom Gnadenträger benannt. Mitglied kann nur werden, wer auch zur Volksvertretung des Landes wählbar ist, wobei ein gewisses Mindestalter sinnvoll erscheint. In Betracht kommen Personen, die mit den Abläufen der Justiz und dem Strafvollzug besonders vertraut sind. Dabei soll eine Sachkenntnis aktiviert werden, die unabhängiger als die im Verfahren einzuholenden Stellungnahmen ist. Darüber hinaus könnten durch entsprechende Vertreter auch theologische, philosophische, ethische, soziale und rechtliche Belange Stimmgewicht haben, der Zusammensetzung von Ethikräten ähnlich. Die Mitglieder üben mit der Tätigkeit in der Gnadenkommission ein Eh-

IV. Begnadigungskommissionen

169

renamt aus. Sie können ähnlich dem Berliner Gnadenausschuss84 eine Sitzungsgeldern entsprechende Aufwandsentschädigung erhalten. c) Verfahren der Kommission Um die Eigenverantwortlichkeit des über das Gnadengesuch Entscheidenden nicht zu beeinträchtigen, wird die Begnadigungskommission grundsätzlich nur beratend tätig.85 Jedes an den Gnadenträger gerichtete Gnadengesuch wird der Begnadigungskommission vorgelegt. Eine für die Kommissionsarbeit notwendige Geschäftsstelle wird in der Staatskanzlei eingerichtet. In dieser Geschäftsstelle wird das Vorprüfungsverfahren vorbereitet. Die Vorprüfung muss nicht von der Kommission in Gänze geleistet werden. Ähnlich wie in der Geschäftsordnung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages (§ 6 GO PetAusschBT) vorgesehen, könnten die Befugnisse im Einzelfall auf einzelne Mitglieder übertragen werden. Ein Vorprüfungsausschuss könnte etwa aus drei Mitgliedern der Kommission bestehen. Sie können offensichtlich unbegründete Gnadengesuche ablehnend votieren. Eine offensichtliche Unbegründetheit ist dann gegeben, wenn keine atypischen Härten vorliegen, das Gnadengesuch etwa auf allgemein gegebene Vollzugsdefizite hinweist oder es bereits ablehnende Gnadenentscheidungen gab und keine neuen Entwicklungen vorliegen. Ergibt eine solche Vorprüfung ein negatives Votum, werden die Unterlagen gemeinsam mit dem Votum an die Staatskanzlei weitergeleitet, die abschließend entscheidet. Die Möglichkeit, offensichtlich unbegründete Gnadengesuche abzulehnen, weil ihnen die atypische besondere Härte fehlt, korrespondiert bezüglich Petitionen mit der Übung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages: Dort werden unzulässige oder ungeeignete Eingaben ohne Befassung des Plenums und auch ohne Beratung des gesamten Petitionsausschusses vom Ausschusssekretariat abgelehnt, wenn der Vorsitzende des Petitionsausschusses zugestimmt hat.86 Ergeben sich bei der Vorprüfung hingegen zu diskutierende Gnadengründe, ist eine Kommissionsentscheidung notwendig, die von einem Berichterstatter vorbereitet wird. Hier kommt es im Verfahren auf eine umfassende Information der Mitglieder durch den Berichterstatter an, über dessen Bericht mit Mehrheit entschieden wird. Die Staatskanzlei ist nicht an das Votum der Begnadigungskommission gebunden, muss aber, wenn sie vom Votum abweichen will, die persönliche Entscheidung des 84

Vgl. § 1 Abs. 4 GnAusschG. Ausführlich zum Berliner Gnadenausschuss sogleich. Vgl. demgegenüber die interessante (historische!) Rechtslage in Griechenland, wo ein Gnadenausschuss vor dem 2. Weltkrieg in allen Verfahren zustimmen musste, außer bei politischen oder sozialen Delikten sowie bei der Todesstrafe: Dort wurde er nicht angehört, um gerade in diesen bedeutsamen Fällen die Ermessensfreiheit des Souveräns zu schützen, vgl. Dimoulis, Die Begnadigung in vergleichender Perspektive, S. 321. 86 Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 45c Rn. 15. 85

170

E. Reformüberlegungen

Gnadenträgers einholen. Das gilt sowohl für bereits im Vorprüfungsverfahren behandelte Gnadengesuche als auch für Kommissionsvoten im Hauptverfahren. Das beratende Votum bleibt somit zwar unverbindlich, entfaltet aber dennoch verhaltenssteuernde Wirkung: Die Vorlagepflicht auf die Ebene des Gnadenträgers bei einer Abweichung vom Votum der Begnadigungskommission ist eine deutliche verfahrensrechtliche Folge.87 d) Zuständigkeit der Kommission Die Kommission ist in jedem Fall zuständig, in dem die Geschäftsstelle im Rahmen einer Vorprüfung einen gnadenrelevanten Sachverhalt für gegeben hält oder aber der Verurteilte nach Ablehnung durch die Geschäftsstelle im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens die Anhörung der Kommission verlangt. Lehnt auch die Kommission in einem Anhörungsverfahren eine Begnadigung ab, ist eine Harmonisierung mit dem Willen des Gnadenträgers zu vermuten. Denn entscheidend ist nach dem dargestellten Begnadigungskonzept die Frage, ob der Gnadenträger selbst so entschieden hätte wie die Kommission. Die Vermutung einer entsprechenden Harmonie wird in einer kollegial getroffenen Gremienentscheidung eher zu vermuten sein als in einer Einzelentscheidung auf unterer Ebene. e) Einsetzung durch das Parlament? Die Prägung eines Gremiums hängt maßgeblich davon ab, welche Verfassungsorgane bei einer Einsetzung und Besetzung beteiligt werden, ob etwa eine Beteiligung des Parlamentes vorgesehen ist. Die Beteiligung der Volksvertretung an der Berufung und Besetzung ist nicht zwingend nötig, weil es sich um ein Vorrecht des Gnadenträgers handelt. Eine Beteiligung der Legislative bedürfte – wie in Berlin88 – einer ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Festlegung. Darüber hinaus würde durch eine Einsetzung der Kommission durch das Parlament ein entscheidender Effekt nicht erreicht: Die Berücksichtigung der Meinungen der Kommissionsmitglieder, die vom Gnadenträger selbst ernannt wurden, lassen eine Harmonisierung mit dem Willen des Gnadenträgers selbst vermuten. Will man bei der verfassungsrechtlichen Entscheidung für ein personal geprägtes Begnadigungsrecht bleiben, muss die Besetzung der Kommission durch denjenigen erfolgen, der die Begnadigungshoheit ausübt.

87

Vgl. Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, S. 108. Art. 81 BerlVerf: „Das Recht der Begnadigung übt der Senat aus. Er hat in den gesetzlich vorzusehenden Fällen den vom Abgeordnetenhaus zu wählenden Ausschuss für Gnadensachen zu hören. […].“ (Hervorh. vom Verf.). 88

IV. Begnadigungskommissionen

171

Im Übrigen müssen die Befugnisse von reinen Beratungsgremien nicht zwingend auf das Volk zurückgeführt werden.89 Da eine Entscheidungskompetenz der Begnadigungskommissionen nicht besteht, muss auch keine demokratische Legitimation vorliegen. f) Gesetzliche Regelung? Mit Blick auf die Verfassungsregelungen auf Bundesebene und in den Ländern, in denen der Bundespräsident oder Ministerpräsident als Einzelperson Begnadigungskompetenz hat, ist es begründungsbedürftig, ein Gremium mit einer beratenden Mehrheitsentscheidung zu implementieren. Würde man der Kommission wirklich Entscheidungsgewalt zugestehen, wäre das wesensmäßige Merkmal einer persönlichen Einzelentscheidung der Begnadigung eingeschränkt. Hier geht es aber nicht um die Entscheidungsgewalt, sondern die beratende Mitwirkung an der Gnadenentscheidung, wodurch die bisherige Form des Begnadigungsrechts im Sinne einer Rationalisierung eher „temperiert“ als abgeschwächt wird.90 Ähnlich der Freiheit des Gnadenträgers, Gnadenordnungen zu erlassen, zu modifizieren oder zurückzunehmen, wäre die Einsetzung von Begnadigungskommissionen durch entsprechende Erlasse ohne Bedenken möglich. Das erfolgte dann im Rahmen einer freiwilligen Berufung. Um eine wirkliche verlässliche Integration der Gnadenkommissionen zu erreichen, wäre eine gesetzliche Regelung zu empfehlen, die für den Gnadenträger keine Abkehr vom Kollegialprinzip der Begnadigungskommissionen zuließe. Sowohl die Kompetenz der Länderparlamente als auch des Bundestages zur gesetzlichen Regelung solcher Kommissionen müsste verfassungsrechtlich festgeschrieben werden. So wäre folgende Formulierung denkbar: „Der Ministerpräsident übt das Begnadigungsrecht aus. Er kann sein Begnadigungsrecht weiterübertragen, wobei jeder Entscheidung eines Delegatars die Anhörung einer Begnadigungskommission vorausgehen muss. Will der Delegatar von dem Votum der Begnadigungskommission abweichen, bedarf es einer persönlichen Zustimmung des Ministerpräsidenten. Die Zusammensetzung und das Verfahren der Begnadigungskommission werden durch Gesetz geregelt.“ Für den Bundespräsidenten wäre eine ähnliche Regelung denkbar. 89 BVerfGE 83, 60 (74): „Aus dem Bereich des demokratisch zu legitimierenden Handelns scheiden bloß vorbereitende und rein konsultative Tätigkeiten grundsätzlich aus (vgl. BVerfGE 47, 253, 273). Die Tätigkeit von Beiräten oder sonstigen Expertengremien, die mit beratenden Aufgaben befasst sind, ohne Mitbestimmungsbefugnisse zu haben, muss daher insoweit nicht auf das Volk zurückgeführt werden. In diesem Bereich können Vertreter gesellschaftlicher Interessen an der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben teilnehmen. Verdichtet sich indes die unverbindliche, bloß beratende Teilhabe an der Verwaltung zur Mitentscheidung […], so wird staatliche Herrschaft ausgeübt, die stets demokratisch, d. h. vom Staatsvolk, legitimiert sein muss.“ 90 In diesem Sinne allgemein Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Band I, S. 159.

172

E. Reformüberlegungen

g) Bereits bestehende Begnadigungskommissionen Eine dem hier vorgestellten Konzept ähnliche Regelung findet sich lediglich in Berlin (Abschnitt aa)) und wurde bereits von anderer Stelle, freilich in anderer Art und Weise, formuliert (Abschnitt bb)). Auch andere Rechtssysteme kennen Begnadigungskommissionen (Abschnitt cc)). aa) Der Gnadenausschuss in Berlin Ein in bestimmten Fällen anzuhörender Gnadenausschuss besteht in Berlin. Gemäß Art. 81 VerfBerlin übt eigentlich der Senat als Gremium das Recht der Begnadigung aus, hat allerdings „in den gesetzlich vorzusehenden Fällen den vom Abgeordnetenhaus zu wählenden Ausschuss für Gnadensachen zu hören“ (Art. 81 Satz 2 VerfBerlin). Ein eigenes Gesetz über den Ausschuss für Gnadensachen91 sieht vor, dass der Gnadenausschuss bei allen Freiheitsstrafen von mehr als drei Jahren zu hören ist (§ 2 Abs. 1 Nr. a GnAusschG). Er besteht aus fünf ordentlichen und fünf stellvertretenden Mitgliedern, die vom Abgeordnetenhaus gewählt werden (§ 1 Abs. 1 und 2 GnAusschG). Das Verfahren des Gnadenausschusses sieht vor, dass über das jeweilige Gnadengesuch mit einfacher Stimmenmehrheit beschlossen wird (§ 3 Abs. 1 Satz 1 GnAusschG). Der Gnadenausschuss hat nur anhörende Funktion; ein (Mit-) Entscheidungsrecht sieht das Berliner Gnadenrecht nicht vor. Jedoch ist bei jeder relevanten Beteiligung eine kollegiale Entscheidungsfindung gewahrt: Sollte das Begnadigungsrecht nicht dem Senat als Gremium, sondern einem Mitglied einzeln übertragen sein – wie es § 2 der Anordnung über die Ausübung des Begnadigungsrechts für jeden Geschäftsbereich des einzelnen Senators vorsieht – so muss dieses Mitglied, sollte es vom Votum des Gnadenausschusses abweichen, gemäß § 4 GnAusschG die Mehrheitsentscheidung des gesamten Senats einholen. In jedem Fall ist dadurch die Gnadenentschließung durch eine kollegiale Entscheidungsfindung getragen92. In der Berliner Senatsverwaltung für Justiz bereitet ein eigenes Referat die Gnadenentscheidungen des Senates, der Senatorin für Justiz und die Sitzungen des Gnadenausschusses vor. Der Gnadenausschuss berät ca. zehnmal im Jahr,93 fasst seine Beschlüsse mit einfacher Mehrheit und ist ein sehr kontinuierlich besetztes 91

GnAusschG vom 19. Dezember 1968 (GVBl. S. 1767), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. März 2004 (GVBl. S. 137). 92 Man mag in der Praxis aus politischen Erwägungen nicht immer davon ausgehen, dass der Senat durch eine abweichende Mehrheitsentscheidung die Haltung des einzelnen Senatsmitglieds desavouiert. Es kommt aber darauf an, dass die Gnadenentscheidung von mehreren Personen erwogen und verantwortet wird. Zur Diskussion von Gnadengesuchen im Berliner Senat, dem von 1981 bis 1984 Richard von Weizsäcker als Regierender Bürgermeister vorstand, vgl. die Anmerkungen von Rupert Scholz aus seiner Zeit als Berliner Justizsenator, in: Begegnungen mit Richard von Weizsäcker, S. 339 ff. 93 Vgl. Bung, MschrKrim 2002, 282 (283).

IV. Begnadigungskommissionen

173

Gremium: Das Abgeordnetenhaus entsendet manche Mitglieder bereits seit mehreren Legislaturperioden konstant in den Gnadenausschuss. Dadurch soll in dem Ausschuss ein hoher Sachverstand für die Beurteilung der einzelnen Gnadenverfahren entstehen. Problematisch ist die Tatsache, dass einige Ausschussmitglieder als Strafverteidiger auch in manchen Hauptverfahren tätig waren und deshalb für das Gnadenverfahren wegen Befangenheit kein Stimmrecht haben.94 (1) Historische Entwicklung des Berliner Gnadenausschusses nach 1945 Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches wurde das Hoheitsrecht der Begnadigung für Berlin zunächst kraft Besatzungsrechts von der Alliierten Kommandatur ausgeübt. Durch eine Anordnung95 wurde dann bereits im August 1946 eine Begnadigungskommission eingerichtet, deren Mitglieder der Generalstaatsanwalt, der Präsident des Kammergerichts, der Präsident des Landgerichts, der Präsident der Anwaltskammer und der Abteilungsleiter Rechtswesen des Magistrats waren. Alle Freiheitsstrafen unter fünf Jahren unterfielen der Kompetenz dieser Begnadigungskommission; die restlichen Fälle mit einer höheren Freiheitsstrafe mussten der Alliierten Kommandatur vorgelegt werden.96 Die von der Kommandatur eingerichtete Kommission tagte alle zwei bis drei Wochen.97 In der von der Stadtverordnetenversammlung beschlossenen Berliner Verfassung vom 22. 4. 1948 heißt es in Art. 68: „Das Recht der Begnadigung übt der Senat nach Anhörung eines von dem Abgeordnetenhaus gewählten Ausschusses für Gnadensachen aus.“ Diese Bestimmung war das Kompromissergebnis einer Diskussion in den Verfassungsberatungen von Berlin: Es galt als umstritten, ob das Begnadigungsrecht von der Exekutive oder der Legislative ausgeübt werden sollte. So wurde zunächst vorgeschlagen, das Begnadigungsrecht dem Abgeordnetenhaus als legislativem Organ zu übertragen.98 Dadurch sei eine direkte Legitimation der Volksvertretung gegeben, die als oberster Souverän insbesondere das Begnadigungsrecht innehaben müsse. Demgegenüber hielten andere das Begnadigungsrecht für einen Ausfluss der Justizhoheit.99 Da die Justizpflege dem Senat übertragen sei, müsse auch bei ihm das Begnadigungsrecht liegen.

94

Vgl. § 3 Abs. 2 GnAusschG. AZ BK/O (46)346 vom 28. August 1946. 96 Vgl. die Generalakte der Senatsverwaltung für Justiz Berlin zur Neuordnung des Gnadenwesens in Berlin, AZ 4253-IV A 6, Band I, S. 11. 97 Vgl. die Bemerkungen des Stadtrates Kielinger (CDU) während der 26. Sitzung des Verfassungsausschusses am 5. November 1947, in: Reichhardt, Entstehung der Verfassung von Berlin, Band I, S. 970. 98 Reichhardt, Entstehung der Verfassung von Berlin, Band I, S. 969. 99 Vgl. den Diskussionsbeitrag von Külz (LDP), in: Reichhardt, Entstehung der Verfassung von Berlin, Band I, S. 970. 95

174

E. Reformüberlegungen

Einigkeit war rasch darüber zu erzielen, dass der immense Arbeitsaufwand und das Aktenstudium der Gnadenfälle das Plenum des Abgeordnetenhauses auch bei besonders herausragenden Fällen überfordern würde. Über diese arbeitstechnischen Erwägungen hinaus bestehe die Gefahr einer sich nur an parteipolitischen Gesichtspunkten orientierenden Gnadenpraxis.100 Da die Begnadigung ferner ein Staatsakt sei, der wegen seines hoheitlichen Charakters bei der Regierung liegen müsse,101 wurde dem Senat das Begnadigungsrecht grundsätzlich zugesprochen.102 Der Konflikt mit den Parteien, die das Begnadigungsrecht dem Träger der legislativen Gewalt zugesprochen wissen wollten, wurde durch den Kompromiss der Errichtung eines vom Abgeordnetenhaus gewählten Ausschusses gelöst.103 Der Vorstoß der SED, das Anhörungsrecht zu einem Mitentscheidungsrecht des Ausschusses zu erweitern, fand keine Mehrheit.104 Ebenso blieb die Forderung der CDU nach einer Übertragung des Begnadigungsrechts auf den Regierenden Bürgermeister erfolglos.105 Nahezu allen an der Verfassungsberatung Beteiligten kam es darauf an, die Volksmeinung in die Gnadenentscheidungen wirksam mit einfließen zu lassen, um der besonderen Bedeutung der Volkssouveränität Rechnung zu tragen.106 Der erste Gnadenausschuss wurde von der Stadtverordnetenversammlung am 29. September 1949 gewählt; ihm gehörten drei von der SPD entsandte und je ein Mitglied der CDU und der FDP an.107 (2) Einschränkungen der Zuständigkeit des Gnadenausschusses Seit den 1950er Jahren wurde verwaltungsintern immer wieder über eine Abschaffung des Gnadenausschusses nachgedacht, um eine Angleichung an die Rechtslage der anderen Bundesländer zu erreichen.108 Entsprechende Versuche scheiterten aber an der politischen Durchsetzbarkeit. Zuletzt schränkte man in Berlin im Jahre 2002 im Zuge der Entbürokratisierung der verwaltungsinternen Verfahrensabläufe die Zuständigkeit des Gnadenausschusses weiter ein. Ursprünglich plante man, den Ausschuss nur noch bei Verfahren anzuhören, die eine Freiheits100

Pamperrien (SPD), in: Reichhardt, ebenda. von Broich-Oppert (CDU), in: Reichhardt, ebenda. 102 Art. 67 VerfBerlin vom 1. Oktober 1950, in: Reichhardt, Entstehung der Verfassung von Berlin, Band II, S. 1499. 103 Reichhardt, Entstehung der Verfassung von Berlin, Band I, S. 1009. 104 Vgl. Reichhardt, Entstehung der Verfassung von Berlin, Band II, S. 1383 f. 105 Vgl. Reichhardt, Entstehung der Verfassung von Berlin, Band I, S. 1024. 106 Vgl. sowohl die Bemerkungen des Abg. Pamperrien (CDU), in: Reichhardt, Entstehung der Verfassung von Berlin, Band I, S. 970 als auch des Abg. Landsberg (CDU), in Reichhardt, ebenda., S. 972. 107 Bung, MschrKrim 2002, 282 (284). 108 Auskunft der Berliner Senatsverwaltung für Justiz an den Verfasser. 101

IV. Begnadigungskommissionen

175

strafe von fünf Jahren und mehr betreffen. Wegen Bedenken hinsichtlich der Durchsetzbarkeit dieses Vorhabens hielt man die Grenze bei drei Jahren für angebracht. Für diese Überlegungen war die Erfahrung maßgeblich, dass in äußerst seltenen Fällen keine Übereinstimmung zwischen dem Votum des Gnadenausschusses und der Senatorin für Justiz bzw. dem Senat erreicht werden konnte. Das eigentliche Ziel der Ausschussbeteiligung, neue und ggf. kontroverse Aspekte in das Verfahren mit einzubringen, werde damit nicht erreicht.109 Nun sind dies keine materiellrechtlichen Gründe für eine Zuständigkeitsbeschränkung des Gnadenausschusses. Es handelt sich um politisch motivierte Entbürokratisierungsmaßnahmen, wobei es zu einer wirklichen Entlastung der „Verwaltungstätigkeit“ (sic!) überhaupt nicht kommt: Die zeitintensive Aufbereitung der Gnadenverfahren mit Freiheitsstrafen bleibt gleich. Es entfallen lediglich die Ausschusssitzungen und die dortige Notwendigkeit eines Vortrags durch ein Mitglied des Gnadenreferates. Das Argument des seltenen Dissenses zwischen Gnadenausschuss und entscheidendem Senator kann ebenso wenig überzeugen. Der Gnadenausschuss ist keine Einrichtung, durch die Konflikte gefördert werden sollen. Es geht um seine Funktion als bürgerbeteiligende Kontrollinstanz, die, selbst wenn es zu Dissensen nur selten kommen sollte, auch durch Konsenserreichung ihre Aufgabe erfüllt. Die Aufbereitung der Einzelfälle erfolgt durch die Senatsverwaltung schließlich in dem Wissen, dass nicht nur der Senator als Einzelperson die Akten studieren und entscheiden, sondern ein mehrköpfiges Gremium über die Gnadenwürdigkeit diskutieren wird. Das allein wird Einfluss auf die Sorgfältigkeit der Aufbereitung des Gnadenverfahrens haben. bb) Bisher formulierte Ansätze von Gnadenkommissionen Die Idee einer kollegialen Erwägung im Gnadenverfahren ist nicht neu. Dazu wurde in früherer Zeit die Idee eines „Gerechtigkeitsgerichtshofs“ formuliert, der über dem Gesetz stehen und sowohl für die im Gnadenwege zu bestimmende Strafmilderung als auch für eine Strafschärfung zuständig sein solle.110 Er könne sämtliche „ungewöhnlichen Fälle“ behandeln, die der Gesetzgeber nicht bedacht habe.111 So spannend dieser Vorschlag auch klingen mag, so sehr muss man ihn doch in die rechtshistorischen Versuche einordnen, die nicht mit den Grundsätzen des Grundgesetzes vereinbar wären: Art. 20 Abs. 3 GG käme mit einem solchen „Gerechtigkeitsgerichtshof“ in Konflikt. Die Bezeichnung würde ohnehin den seltsamen Rückschluss zulassen, die anderen Gerichte würden sich nicht im gleichen Maße der „Gerechtigkeit“ – wie auch immer man diese im Rechtsstaat definieren mag – verpflichtet fühlen. 109 110 111

Auskunft der Berliner Senatsverwaltung für Justiz an den Verfasser. v. Ihering, Der Zweck im Recht, Band 1, S. 334 ff. v. Ihering, Der Zweck im Recht, Band 1, S. 335.

176

E. Reformüberlegungen

Desweiteren wurde von Uppenkamp112 der Vorschlag für eine Gnadenkommission aufgeworfen: Er schlägt eine „Gnadenkommission für lebenslange Freiheitsstrafen“ vor, die bei allen lebenslänglichen Straftaten entscheidend tätig wird und sich aus Mitgliedern zusammensetzt, „die besonders darin geschult sind, andere Menschen zu beurteilen, so etwa Pädagogen, Mediziner, insbesondere beamtete Mediziner, Angehörige der Sozialfürsorge und ähnlicher Berufsgruppen“113. Hierdurch könnten die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen einen repräsentativen Anteil an der Gnadenentscheidung haben. Ferner sollten mit dem Anstaltsleiter, dem Anstaltsarzt und dem konfessionell entsprechenden Anstaltsgeistlichen auch die Vollzugspersonen stimmberechtigte Mitglieder der Gnadenkommission sein.114 Um eine Kontinuität zu gewährleisten, sollten diese Mitglieder für 8 bis 10 Jahre gewählt werden. Ihnen müsse der Verurteilte nach Möglichkeit für einen besseren Eindruck auch persönlich vorgeführt werden.115 Der Vorschlag stammt aus einer Zeit, in der lebenslange Freiheitsstrafen nicht zur Bewährung ausgesetzt werden konnten und das Gnadenverfahren der einzige Weg in die Freiheit war. Die damalige Bedeutung hat das Begnadigungsrecht durch die Einführung des § 57a StGB nicht mehr. Gleichwohl ist der Vorschlag diskussionswürdig, wenn auch die Begründung nicht überzeugen kann. Denn Uppenkamp verknüpft seinen Vorschlag nicht mit einem wie auch immer definierten Gnadenkonzept, sondern nennt als Begründung in erster Linie eine „Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit“ in der Gnadenpraxis.116 Er übersieht, dass es um Rechtsgleichheit beim Begnadigungsrecht nicht gehen kann; die Gleichheit vor dem Gesetz ist durch die Rechtsentscheidung im Urteil verwirklicht worden, kann aber keine Geltung bei einer Gnadenentscheidung beanspruchen.117 Einer Gnadenkommission kann darüber hinaus nicht eine Verfahrensordnung gegeben werden, in der materielle Voraussetzungen für eine positive Gnadenentscheidung festgelegt werden. Nach Uppenkamp ist es nicht denkbar, „dass jedes Kommissionsmitglied sein eigenes, beliebiges Ermessen zur Grundlage der Entscheidung machen kann, ohne dieses Ermessen nach gewissen Sachkriterien aus112 Uppenkamp, Die Begnadigung und ihre Bedeutung bei der lebenslangen Freiheitsstrafe, S. 139 ff. Vgl. für einen ähnlichen Vorschlag auch Kraschutzki, ZRP 1970, 226 (227), der die Forderung nach einer allein entscheidenden und stimmberechtigten Gnadenkommission formuliert, in der diejenigen Personen Mitglieder sein sollen, die den Verurteilten persönlich und nicht nur aus den Akten kennen. Vgl. andeutungsweise auch Rüping, Festschrift für Friedrich Schaffstein, 31 (41). 113 Uppenkamp, Die Begnadigung und ihre Bedeutung bei der lebenslangen Freiheitsstrafe, S. 140. 114 Uppenkamp, Die Begnadigung und ihre Bedeutung bei der lebenslangen Freiheitsstrafe, S. 141. 115 Uppenkamp, ebenda. 116 Vgl. Uppenkamp, Die Begnadigung und ihre Bedeutung bei der lebenslangen Freiheitsstrafe, S. 135. 117 Schätzler, NJW 1975, 1249 (1253), der zutreffend darauf hinweist, dass die Gnadenträger u. a. nicht an die Gnadenpraxis ihrer Amtsvorgänger gebunden sind.

IV. Begnadigungskommissionen

177

richten zu müssen“118. Dann ist der Sinn und Zweck einer Erwägung unterschiedlicher Hinsichten auf das Gnadengesuch aber nicht mehr gegeben. Gerade die Freiheit der Kommissionsmitglieder in ihren Erwägungen soll ja der Mehrwert sein. Es stellt sich die Frage, wer „ein gewisses Sachkriterium“ verbindlich und umfassend festlegen sollte. Ohnehin würde man sich mit einer verrechtlichten Kommissionspraxis von einer wirklichen Gnadenentscheidung verabschieden. Eine solche setzt nämlich in der Entscheidungsfindung den Freiraum voraus, über rechtliche Kategorien und „Sachkriterien“ hinaus zu einer angemessenen Lösung zu finden. In eine ähnliche Richtung weist der Vorschlag Drehers, der ebenfalls von der Prämisse ausgeht, durch eine Kommission eine Einheitlichkeit und Kontinuität der Gnadenpraxis auf Ländereben zu erreichen. Dreher hat in einer auf die Beibehaltung der lebenslangen Freiheitsstrafe gerichteten Abhandlung119 eine bundesweite Gnadenkommission für sinnvoll erachtet, in der neben einem Vertreter des Bundes von jedem Bundesland ein abgesandter Vertreter sitzt, um für jeden einzelnen Fall eine Stellungnahme abzugeben.120 Die Frage danach, um was für Vertreter es sich konkret handeln soll und wie das Verfahren in allen bundesweit anfallenden Fällen ablaufen könnte, beantwortet er nicht. Jedenfalls wäre eine einzige, sowohl für bundes- als auch für landesrechtliche Fälle zuständige, beratende Kommission aufgrund der Vielzahl von Fällen keine realistische Vorstellung. Die getrennte Befassung mit Gnadengesuchen auf Bundes- und Landesebene ist eine konsequente föderalistische Gegebenheit: So kann man im Justizbereich grundsätzlich nicht von einer immer gleich angepassten und einheitlichen Rechtsprechung ausgehen. Jedes Land hat seine eigene Justiz- und seine eigene Gnadenhoheit. Eine Bündelung des Gnadenwesens auf Bundesebene – auch innerhalb einer beratenden Kommission – würde die Bindung des landesrechtlichen Gnadenaktes an den jeweiligen Repräsentanten des Bundeslandes übersehen.121 118 Uppenkamp, Die Begnadigung und ihre Bedeutung bei der lebenslangen Freiheitsstrafe, S. 142 f. 119 Dreher, Festschrift für Richard Lange, 323 ff. Der Beitrag entstand zu einer Zeit, in der man die richterliche Aussetzung des Strafrestes bei der lebenslangen Freiheitsstrafe kontrovers diskutierte. Dreher hält die Gnadenlösung für die „elastischere Lösung“ (S. 342) und lehnt die richterliche Aussetzung u. a. mit dem Hinweis ab, in den Ländern mit einer ausschließlich im Gnadenwege möglichen Freilassung sei die Frist zur Wiedererlangung der Freiheit deutlich kürzer als in den Ländern, in denen dies nur auf richterlichem Wege möglich sei (S. 327, ähnlich S. 342). Seine Überlegungen beruhen teilweise auf einem etwas merkwürdigen und inzwischen nach breiter Ansicht überholten Verständnis der Persönlichkeitsentwicklung von über Jahrzehnten einsitzenden Gefangenen (vgl. S. 332 ff.; so hält er die haftinternen Strukturen für „eine Gesellschaft im kleinen“, in der man ein soziales Leben führen und als Person reifen könne, S. 333 f.). 120 Dreher, Festschrift für Richard Lange, 323 (344). 121 Zur Zentralisierung der Gnadenkompetenz auf Bundesebene Bachof, JZ 1983, 469 (473). Das Problem der uneinheitlichen Gnadenpraxis und verschiedener Lösungsansätze ist alt, vgl. Dreher, Festschrift für Richard Lange, 323 (324) sowie Triffterer, in: Jescheck/Triffterer, Ist die lebenslange Freiheitsstrafe verfassungswidrig?, S. 193 (194 f.).

178

E. Reformüberlegungen

cc) Exkurs: Russische Begnadigungskommission In Russland werden rechtskräftige Todesurteile und langjährige Freiheitsstrafen einer Begnadigungskommission [gumannaja komissija (Humankommission)] vorgelegt, die zwar keine Entscheidung treffen kann, aber dem russischen Präsidenten eine Empfehlung abgibt.122 Der Kommission gehören 13 Personen an.123 Nicht immer kommt es zu einer dem Votum der Kommission entsprechenden Gnadenentscheidung des russischen Präsidenten. Dennoch wird seine Entscheidungsfindung durch das Votum, welches mit absoluter Mehrheit in offener Abstimmung gefasst wird,124 beeinflusst. h) Vorteile von Begnadigungskommissionen Jede Begnadigungsentscheidung – ob positiv oder negativ – leidet wegen der internen Erwägungen desjenigen, der über sie entscheidet, unter einem strukturellen Kontrolldefizit. Dieses Defizit kann durch die Beteiligung eines Kollegialgremiums ausgeglichen und die Akzeptanz der Entscheidung deutlich erhöht werden. Die Vorteile von Begnadigungskommissionen werden deutlich, wenn man sich die Situationen vor Augen führt, in denen sich der Staat bei hoheitlichen Entscheidung kollegialer Gremien bedient (nachfolgend Abschnitt aa)). Kollegiale Entscheidungsfindung bei Gnadengesuchen erleichtert die Verantwortungsübernahme für eine Gnadenentscheidung (Abschnitt bb)) und kann dadurch eine demokratiefördernde Kontrollfunktion ausüben (Abschnitt cc)). aa) Vorbereitung staatlicher Entscheidung durch Kollegialgremien In die inhaltliche Gestaltung hoheitlicher Entscheidungen werden immer dann externe, unabhängige Kommissionen einbezogen, wenn den Rechtsanwendern in Verwaltung und Behörden aufgrund ihrer Bindung an festgelegte Normen keine angemessene Lösung für aus dem Rahmen fallende Einzelfälle möglich ist. Dafür mag ein distanzierter Blick von außen geboten erscheinen. Ethikräte und Ethikkommissionen auf Bundes- und Landesebene, im Medizinrecht die Aktivierung von Sachverstand in Kommissionen der Ärztekammer125 sowie insbesondere die Här122

Pristawkin, Osteuropa-Archiv 1995, S. A 577. Eine Begnadigungskommission existiert auch in Indien: Dort sind Anstaltsleiter, Präsident des Strafvollzugsamts, der Bezirksvertreter, in den der Verurteilte entlassen werden soll, und drei, für die Dauer von zehn Jahren gewählte Beisitzer aus der Bevölkerung Kommissionsmitglieder, so Kraschutzki, ZRP 1970, 226 (227). Begnadigungskommissionen kennen u. a. auch das Schweizerische (dort als Kommission des Parlamentes) und das US-amerikanische Recht (so z. B. im Bundesstaat Texas). 123 Laut Pristawkin, Osteuropa-Archiv 1995, S. A 577 sind dies „Personen des öffentlichen Lebens, ein weltbekannter Psychologe, ein Jurist, ein Journalist, ein Geistlicher u. ä.“. 124 Pristawkin, ebenda. 125 Vgl. § 16 TPG, der für die Ständige Kommission Organtransplantation in ihrer Richtlinienbefugnis sogar ein Recht zur verbindlichen Normsetzung vorsieht.

IV. Begnadigungskommissionen

179

tefallkommissionen im Asylrecht sind hierfür praktisch erprobte und anerkannte Beispiele. Die Unabhängigkeit dieser Kommissionen soll eine Flexibilität und Offenheit in der Bewertung von Sachverhalten ermöglichen und zu einer Akzeptanzerhöhung staatlichen Handelns führen. Durch die Aktivierung des Wissens von Kommissionsmitgliedern werden gesellschaftliche Interessen in die administrative Entscheidungsfindung integriert.126 Insbesondere eine gelockerte gesetzliche Steuerung in einem Rechtsgebiet öffnet das Erfordernis einer kollegialen Beschlussfassung.127 Deshalb kann auch im Begnadigungsrecht der außergewöhnlich weite Entscheidungsrahmen für die Beurteilung eines bereits erschöpfend behandelten Einzelfalles bei einer beratend tätigen Begnadigungskommission gut ausgefüllt werden. Es geht schließlich um den außergewöhnlichen Dispens von hoheitlichen Sanktionen. Dafür finden einzelne Amtsträger in Staatsanwaltschaften und Ministerien schwerlich adäquate Lösungen, will man auf Kategorien verzichten. In ihrem funktionalen Amtsverständnis ist kein Raum für subjektive Gnadenmotive, die sich einer engagierten Anteilnahme am menschlichen Schicksal128 verpflichtet sehen. Die Verwaltungswissenschaft hält bei hoheitlichen Entscheidungen den Einsatz von Kollegialgremien ohnehin für vorteilhaft, wenn in einem Aufgabenfeld ein erhöhter Bewertungsbedarf im Einzelfall besteht, für den keine hinreichend genauen normativen Vorgaben bestehen.129 Eine vage normative Programmierung kann durch die Bildung kollegial besetzter Gremien kompensiert werden.130 Dabei wird durch eine Meinungsbildung, Diskussion und wechselseitige Überzeugung tendenziell ausgewogener und sachgerechter entschieden als durch Einzelpersonen.131 Gerade die individuelle Überzeugungskraft der Gremienmitglieder schafft eine wechselseitige Kontrolle.132 bb) Erleichterte Verantwortungsübernahme Die Vorteile von Gnadenentscheidungen mit einer Mitwirkung kollegial besetzter Kommissionen kann man vor allem in der erleichterten Verantwortungsübernahme sehen: Aufgrund des hohen politischen und öffentlichen Drucks, welcher auf jeder Begnadigungsentscheidung lastet, ist bei einer Begnadigungskommission eine geringere Hemmung zur Verantwortungsübernahme für unpopuläre Entscheidungen zu erwarten.133 Jede Entscheidung eines Gremiums ist leichter zu vermitteln als eine 126

Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, S. 109. Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, S. 108. 128 Vgl. Scholz, in: Begegnungen mit Richard von Weizsäcker, S. 339. 129 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, S. 207. 130 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, S. 208 f. 131 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, S. 204 f. 132 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, S. 206. 133 Triffterer, in: Jescheck/Triffterer, Ist die lebenslange Freiheitsstrafe verfassungswidrig?, S. 196 f. 127

180

E. Reformüberlegungen

Einzelentscheidung, die, wenn sie auf politischer Ebene erfolgt, ohnehin der Gefahr sachfremder Erwägungen ausgesetzt ist.134 Dieser Gefahr kann man mit einem unabhängigen Gremium begegnen. Es mag deshalb vorteilhaft sein, wenn die in einer parlamentarisch-repräsentativen Demokratie schon immer135 bestehende Skepsis gegenüber der personalen Ausübung des Begnadigungsrechts durch eine mit Mehrheitsentscheidung beratende Kommission kompensiert wird. Wenn für eine Begnadigung die persönliche Einschätzung des Entscheidenden, sein persönliches Gerechtigkeitsempfinden, sicherlich auch seine rechtspolitische Einschätzung der Frage ausschlaggebend ist, wann eine Rechtsentscheidung hinter überwiegenden Gnadenerwägungen zurücktreten kann, dann ist die Verantwortungsübernahme des Entscheidenden durch einen Rekurs auf ein in gleicher Weise votierendes unabhängiges Gremium erleichtert. cc) Kontrollfunktion Kollegiale Mehrheitsentscheidungen haben eine erleichterte, weil geteilte Verantwortlichkeit, zeichnen sich durch eine größere, weil durch die Erwägung mehrerer Personen getragene Gründlichkeit aus.136 Die Konfrontation mit divergierenden Meinungen, die Abwägung der widerstreitenden Interessen, die größere Wahrscheinlichkeit des Aufeinandertreffens unterschiedlicher Ansichten und die sich daraus ergebende Gewährleistung einer Abgewogenheit lassen das Kollegialprinzip als eine Art verfahrensrechtlicher Schutzmechanismus erscheinen.137 Darin liegt eine entscheidende horizontale Kontrolle durch die Mitglieder des Kollegialorgans.138 Es ergibt sich ein zumindest intern bestehender Begründungszwang jeder Entscheidung. Eine Kollegialentscheidung entspricht eher dem Demokratieprinzip der Verfassung:139 Soll danach jegliche hoheitliche Entscheidung vom Volke ausgehen, sind damit schon per se sämtliche Entscheidungen als Mehrheitsentscheidungen impliziert. Maßgeblich sollte deshalb für die Begnadigungsentscheidung nicht nur der Wille eines Einzelnen sein.140 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Bundesländer mit der längsten demokratischen Tradition, die Stadtstaaten Hamburg

134

Triffterer, ebenda. Vgl. nur die Diskussionen im Parlamentarischen Rat 1948/1949: Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, S. 73; Füsslein, in: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR 1951, 416 f. 136 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Band I, S. 163. 137 Vgl. Stelkens, DVBl. 1995, 1105 (1112) zu kollegial entscheidenden Richterkammern. 138 Vgl. Stelkens, ebenda. 139 Förster, JR 1950, 609 (612); Hüser, Begnadigung und Amnestie als kriminalpolitisches Instrument, S. 137. 140 Förster, ebenda. 135

IV. Begnadigungskommissionen

181

und Bremen, in Bezug auf diese Tradition das Begnadigungsrecht dem Senat als Kollegialorgan übertragen haben.141 Nach hier vertretener Ansicht muss man sich von dem Dogma lösen, die Kontrolle der von der Exekutiven ausgeübten Begnadigungsgewalt könne nur über die Judikative erfolgen.142 Zwar würden Begnadigungskommissionen in einem Anhörungsverfahren keine Möglichkeit haben, auf die eigentliche Entscheidung einzuwirken – eine Justitiabilität wäre hier das schärfere Schwert. Doch der politische Effekt und Druck, der von einer vom Votum der Kommission abweichenden Begnadigungsentscheidung ausgehen würde, wäre ebenso geeignet, die Missbrauchsgefahr des Begnadigungsrechts einzudämmen. Die Erwägung der Gnadengründe führt durch die Diskussion in einer Kommission zu einer verstärkten Abwägung und leistet damit Kontrolle. Es ist bereits zutreffend darauf hingewiesen worden, dass die bisherige Zurückhaltung der Parlamente, Begnadigungskommissionen einzurichten oder mit Berücksichtigungsbeschlüssen in Petitionsverfahren auf Gnadenentscheidungen einzuwirken, von dem Respekt herrührt, den die Legislative gegenüber der Handlungs- und Gewissensfreiheit der Gnadenträger aufrechterhält.143 Dieser Respekt würde aber unter der Einrichtung einer Begnadigungskommission nicht leiden. Im Gegenteil: Eine zusammenarbeitende gemeinsame Entwicklung der Begnadigungsentscheidung in einem Verfahren, in dem die Einschätzung der Gnadenwürdigkeit und Gnadenbedürftigkeit in einem paritätisch besetzten Gremium in einem Anhörungsverfahren erfolgen würde, würde eine neue Autorität schaffen, die das Begnadigungsrecht überzeugender ausfüllen könnte als eine Einzelperson. i) Zwischenergebnis All diese Argumente für eine Beteiligung von Kollegialorganen bei der Entscheidungsfindung können nicht mit Kosten- und Personalaspekten entkräftet werden.144 Ebenso scheidet die angebliche Verzögerung der Entscheidung145 als tragendes Gegenargument aus. Dies sind rein praktische Aspekte, die den grundsätzlichen Vorteilen einer Gremienentscheidung nicht überzeugend entgegnet werden können. Kritiker nennen die Beteiligung von Gnadenausschüssen eine zweckentfremdende Umfunktionierung der Gnade, die das Problem der Injustitiabilität wieder 141

Hüser, Begnadigung und Amnestie als kriminalpolitisches Instrument, S. 138. Einen entsprechenden Ansatz formuliert Schätzler, NJW 1975, 1249 (1254). 143 Schätzler, ebenda. 144 So aber Wiontzek, Handhabung und Wirkungen des Gnadenrechts, S. 117. 145 So ohne nähere Ausführungen Wiontzek, ebenda, die einer schnellen Bearbeitung von Gnadengesuchen einen so großen Stellenwert beimisst, dass sie damit sogar die Gnadenkompetenz der Staatsanwaltschaften begründet, ebenda. S. 118. 142

182

E. Reformüberlegungen

aktualisieren würde.146 Worin die Zweckentfremdung liegen soll, wird daraus nicht klar. Das Gegenteil ist der Fall: Zweckentfremdet wird die Gnade vielmehr durch die ausufernde Delegation und die Einzelentscheidung auf unterer Ebene. Dem Sinn und Zweck der Gnade, eine erneute milde gesinnte Überprüfung des Einzelfalls zu erreichen, kann die Aktivierung einer kollegial beratenden Kommission zum Vorteil dienen. Sowohl aus politischer als auch aus sachlicher Sicht spricht somit Einiges für Begnadigungskommissionen: Politisch erreicht man eine Reduktion politischer Brisanz, die Verlagerung von Verantwortung und eine erhöhte Akzeptanz der Entscheidung; sachlich ist die Fachkompetenz und Meinungsvielfalt sowie die Beteiligung Betroffener vorteilhaft.147 Die notwendige Verknüpfung von Amt und Person bei einer Gnadenentscheidung ist auf unterer Verwaltungsebene nicht möglich. Eine unabhängige Kommission kann dieses Problem entschärfen: Sie arbeitet funktionsunabhängig, ist von den Bindungen üblicher Verwaltungstätigkeit losgelöst und kann die Erwägungen für oder gegen eine Gnadenentscheidung leichter treffen. Das in Kapitel D. zur ausufernden Delegation auf nicht begnadigungsfähige Stellen ausgeführte strukturelle Defizit könnte dadurch ausgeglichen werden, da die Kommission einem Zwang zur Mehrheitsentscheidung und zur Berücksichtigung divergierender Meinungen unterliegt.

3. Zusammenlegung von Begnadigungskommissionen und Petitionsausschüssen? Bei der Einsetzung von Begnadigungskommissionen liegt die Überlegung nahe, den Petitionsausschuss in das Gnadenverfahren mit einzubeziehen und die Befugnisse einer Begnadigungskommission dem Petitionsausschuss zu übertragen. Das Begnadigungsrecht und das Petitionsrecht zeigen nämlich strukturelle Parallelen auf. Bereits in der heutigen Gnadenpraxis ist die Beteiligung von Petitionsausschüssen in manchen Bundesländern gängige Übung, sofern der Verurteilte parallel zum Gnadengesuch oder im Anschluss an eine negative Gnadenentscheidung den Petitionsausschuss anruft. Die konsequente Trennung beider Verfassungsinstitute lässt allerdings auch eine Unabhängigkeit der Verfahren geboten erscheinen.

146

Triffterer/Bietz, ZRP 1974, 141 (145). Unkelbach, Vorbereitung und Übernahme staatlicher Entscheidungen durch plural zusammengesetzte Gremien, S. 4. 147

IV. Begnadigungskommissionen

183

a) Petitionsausschüsse Die Petitionsausschüsse der Landtage und des Bundestages behandeln die von den Bürgern und Institutionen an die Volksvertretung gerichteten Petitionen. Aufgrund der Parallelität eines Gnadengesuchs und einer Petition als einer Art von Bitte, für die kein Anspruch besteht, stellt sich einerseits die Frage, wie mit parallel eingelegten Petitionen und Gnadengesuchen umzugehen ist und andererseits, ob der Petitionsausschuss nicht die Beteiligung eines kollegial beratenden Gremiums übernehmen und man somit die Aufgaben einer Begnadigungskommission dem Petitionsausschuss übertragen könnte. aa) Das Petitionsrecht des Art. 17 GG Das in Art. 17 GG normierte Petitionsrecht sieht ein außerhalb formaler und insbesondere gerichtlicher Verfahren liegendes Sonderrecht des Rechtsschutzes vor,148 durch das sich jedermann nicht nur an die jeweilige Volksvertretung, sondern auch an jede andere staatliche Stelle mit Bitten und Beschwerden jeglicher Art wenden kann. Was die Zuständigkeit für eine Petition betrifft, können die staatlichen Stellen nur in den in ihrer Behandlungskompetenz liegenden Sachverhalten eine Petition annehmen und bescheiden, während bei den Parlamentspetitionen alle in den jeweiligen Zuständigkeitsbereich des Parlaments fallenden Angelegenheiten geprüft werden.149 Sinn und Zweck des Petitionsrechts ist eine umfassende Gewährleistung rechtlichen und tatsächlichen Gehörs, und zwar außerhalb der Vorgaben des Gesetzgebers innerhalb des Rechtsschutzsystems des Art. 19 Abs. 4 GG.150 Dabei stehen sich Rechtsschutzverfahren und Petitionsrecht komplementär gegenüber.151 Insoweit ist es nicht zutreffend, das Petitionsrecht als eine Einschränkung des staatlichen Monopols zu sehen, den Rechtsschutz im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG zu regeln.152 Das Petitionsrecht ist vielmehr ein auf Verfassungsebene verankertes Institut der freiheitlichen Grundordnung, das nicht einen für die Rechtsweggarantie einschränkenden Charakter hat. Adressaten für die Petition sind nach dem Wortlaut des Art. 17 GG die Volksvertretung sowie sämtliche andere staatlichen Stellen, auf Bundesebene mithin der

148

Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz (4. Aufl.), Art. 17 Rn. 14. Bauer, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 36; ausführlich Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 105 ff. 150 Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz (5. Aufl.), Art. 17 Rn. 13. 151 Stettner, in: Bonner Kommentar, Art. 17 Rn. 11. 152 So aber Rauball, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 1; Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz (4. Aufl.), Art. 17 Rn. 15; wie hier Stettner, ebenda. 149

184

E. Reformüberlegungen

Bundestag und die dem Bund zugeordneten staatlichen Stellen.153 Auf Landesebene gibt es keine einheitliche Verankerung des Petitionsrechts. Teilweise existieren neben den Petitionsausschüssen vom Parlament gewählte Bürgerbeauftragte, die für die Petitionen zuständig sind.154 Das zeigt eine Entwicklung hin zu einer Einzelperson als Adressat der Bürgeranliegen, die auch auf europäischer Ebene zu beobachten ist.155 bb) Historische Aspekte des Petitionsrechts Die historischen Wurzeln des Petitionsrechts weisen eine lange Tradition auf, die das Bitt- und Beschwerderecht bis ins 18. Jahrhundert als supplicatio, supplicium bezeichneten.156 Bereits das Supplikenwesen des römischen Reiches hatte monarchischen, teilweise sakralen Charakter.157 In der Neuzeit fortgeführt, kann man das Supplikationswesen in drei relevante Bereiche fassen, in denen um Abhilfe gebeten wurde: Zum einen existierten Gnadensupplikationen in persönlichen Angelegenheiten, des weiteren Rechtssupplikationen als außerordentliche Rechtsmittel in Beschwerdesachen und zuletzt die politischen Supplikationen in allgemeinen Angelegenheiten des Staates.158 Bei all diesen Anliegen bestand zwischen dem Bittsteller (Petenten) und dem Monarchen immer ein Über-/Unterordnungsverhältnis, welches anschaulich wird, wenn man die Übersetzung des lateinischen Verbs supplicare („bitten“, „flehen“, „sich demütigen“, „vor jemandem in die Knie fallen“)159 beachtet. Der später gebräuchliche Begriff der Petition bedeutete ein ebenfalls vornehmlich im Wege der Bitte vorgetragenes Verlangen.160 Die Motive, mit denen der Regent die Supplikationen erwog, waren denen der Gnade ähnlich – hier ging es ebenso um Wohlwollen, 153 Mit staatlichen Stellen sind sämtliche Institutionen der unmittelbaren und mittelbaren Staatsorganisation, die nicht Volksvertretungen sind, gemeint, vgl. Bauer, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 30; Stettner, in: Bonner Kommentar, Art. 17 Rn. 67 ff. 154 Vgl. Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz (4. Aufl.), Art. 17 Rn. 3, so in Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen. In Niedersachsen wurde auf die Einsetzung eines Petitionsausschusses verzichtet; die Petitionen werden den jeweiligen Fachausschüssen weitergeleitet, vgl. die Darstellung bei Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 11. 155 Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz (4. Aufl.), Art. 17 Rn. 11, zum europäischen Ombudsmann nach Art. 195 EGV, der vom Europäischen Parlament gewählt wird und für Missstände bei der Tätigkeit der Europäischen Organe zuständig ist. Zur Einführung von Ombudsleuten in der Bundesrepublik Deutschland vgl. Seidel, Das Petitionsrecht, S. 55 ff., rechtsvergleichende Hinweise ebenda. S. 46 ff. 156 Pagenkopf, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 1. Eine ausführliche Darstellung der historischen Hintergründe des Petitionsrechts leisten Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 4 ff. und Stettner, in: Bonner Kommentar, Art. 17 Rn. 28 ff. 157 Bauer, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 1. 158 Kumpf, Petitionsrecht und öffentliche Meinung, S. 41 ff. 159 Neuhaus, Reichstag und Supplikationsausschuss, S. 74. 160 Kumpf, Petitionsrecht und öffentliche Meinung, S. 27.

IV. Begnadigungskommissionen

185

Güte und Milde, auf die es keinen normativ fassbaren Anspruch gab, sondern um die „gebeten“ wurde. Sowohl das Petitionsrecht als auch das Begnadigungsrecht entspringen dem Bild „des kniefällig um eine Gunst flehenden oder seinem Fürsten eine Bittschrift überreichenden Untertanen“161. Selbst wenn beide Institute heute durch ein stetig entwickeltes und perfektioniertes Rechtsschutzsystem stark zurückgedrängt wurden, ist ihnen diese Wurzel ebenso gemein wie die Ventilfunktion im Rechtsstaat, Unbilligkeiten im Einzelfall entgegenzuwirken. Aus dem historischen Blickwinkel fällt also der direkte Bezug zum monarchisch regierenden Herrscher auf: Das heutige Petitionsrecht ist die Modifizierung der zu früheren Zeiten existierenden Untertanbitte.162 Dieser Blickwinkel zeigt hinsichtlich des Verhältnisses zum Monarchen und einer gewissen „Untertänigkeit des Bittenden“ eine deutliche Parallele zum Begnadigungsrecht. Auch die Bitte um Gnade war und ist eine Art der Staatskommunikation zwischen Herrschenden und Volk auf informellem Wege. Beide Institute schaffen eine Art Öffentlichkeitsbeteiligung jenseits der gesetzlich geregelten Möglichkeiten: So war die Einrichtung des Petitionsrechts bereits im 18. und 19. Jahrhundert für die Beteiligung der Öffentlichkeit am Staatshandeln ein Kontinuum kritischer Reflexion.163 Aufgrund dieser historischen Parallelen hätte man nach dem Wegfall des monarchischen Systems und nach der Überwindung des nationalsozialistischen Führerstaates über eine Vereinigung beider Institute nachdenken können. Zumindest wäre eine Integration der Gnadenbefugnisse in den Kompetenzbereich des Petitionsrechts denkbar gewesen. Die Trennung und Unabhängigkeit beider Institute gebietet nun nach der Verfassung eine Spezialisierung von Gnadengesuchen in abgeschlossenen und rechtskräftigen Strafsachen und Petitionen in einer umfassenderen Form. Inwieweit deshalb auch eine verfahrensmäßige Trennung geboten ist, wird später zu erörtern sein (Abschn. c)). cc) Zur Funktion einer Petition Neben einer Kontrollfunktion, die die parlamentarische Kontrolle gegenüber der Exekutive verstärken soll,164 wird die integrierende Funktion des Petitionsrechts genannt, die den Bürger unabhängig vom formalen Rechtsschutz dem Staat annähern 161

Stettner, in: Bonner Kommentar, Art. 17 Rn. 28. Sierck, DRiZ 1998, 442. 163 Hornig, Die Petitionsfreiheit als Element der Staatskommunikation, S. 53. Historisch interessant ist die Tatsache, dass das Petitionsrecht noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts kein subjektives öffentliches Recht des Staatsbürgers war, sondern ein Parlamentsrecht gegenüber dem Monarchen. Dies war dem Umstand geschuldet, dass es noch kein Gesetzesinitiativrecht des Parlamentes gab. Das Petitionsrecht für den Staatsbürger wurde erst ab 1848 in den Verfassungen der Einzelstaaten normiert, so ausführlich Vonderbeck, ZParl 1975, 178 (179). 164 Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz (5. Aufl.), Art. 17 Rn. 18. 162

186

E. Reformüberlegungen

soll und somit eine Bindegliedfunktion hat.165 Allerdings ist durch die stetige Weiterentwicklung des Rechtsschutzsystems die Relevanz des historisch bedeutsamen Petitionsrechts gesunken. Konstant ist vielmehr die Interessenschutz-, Artikulations- und – für die hiesige Untersuchung besonders interessant – Gnadenfunktion166 des Petitionsrechts, die man auch als „Purgationsfunktion des ,Herzausschüttenkönnens‘“167 bezeichnen mag. Ein staatspsychologischer Effekt des Petitionsrechts besteht indes unzweifelhaft:168 Petitionen befriedigen das Bedürfnis der Bürger auf einen informellen Zugang zu den staatlichen Organen.169 Die offene Formulierung des Art. 17 GG und das Fehlen von Verfahrens- und Kostenregelungen haben eine einladende Wirkung. Der Petition auch eine gnadenähnliche Funktion zuzuschreiben, bedarf näherer Erörterung, die für die letztlich praxisorientierte Frage relevant wird, inwieweit der um Gnade suchende Verurteilte ein Petitionsverfahren anstrengen kann, zu welchem Zeitpunkt ein solches Verfahren statthaft ist und welche Wirkung ein etwaiger Petitionsbescheid auf das Gnadenverfahren hat (dazu unter Abschn. b)). dd) Parallelität zwischen Petitionsrecht und Begnadigungsrecht Die strukturellen Parallelen zwischen einer Petition und einem Gnadengesuch liegen oft im „Rettungsanker in der Not“170. Das Petitionsrecht soll außerhalb des formalen Rahmens des Rechtsschutzsystems dem Bürger ein Instrument an die Hand geben, sein Anliegen in besonderer Weise den staatlichen Organen vorzutragen. Wie beim Begnadigungsrecht gilt das Petitionsrecht als letztes Mittel, wenn die „normalen“, in dem jeweiligen Anliegen zur Verfügung stehenden Mittel des Rechtsschutzes nicht ausreichen, um dem Anliegen des Petenten abzuhelfen und ein außerhalb des formalen Rechtsschutzverfahrens liegendes Petitionsziel zu erreichen. Nicht nur aus sprachlicher Sicht ist es bemerkenswert, dass in den Akten einiger Landesministerien und Gnadenstellen der Gnadensuchende als „Petent“ bezeichnet wird.171 Auch die rechtliche Ungebundenheit der Erwägungen des Parlamentes zum eigentlichen Anliegen der Petition finden ihre Parallelen im Gnadenverfahren: Der 165

Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 2; Stettner, in: Bonner Kommentar, Art. 17 Rn. 24. 166 Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz (5. Aufl.), Art. 17 Rn. 4; Bauer, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 7. 167 Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 1. 168 Krings, JuS 2004, 474. 169 Stettner, in: Bonner Kommentar, Art. 17 Rn. 19. 170 Stettner, in: Bonner Kommentar, Art. 17 Rn. 22. 171 Für eine Verwendung des Begriffs „Gnadenpetent“ in der Rechtsprechung vgl. nur HessStGH, NJW 1974, 791 (792).

IV. Begnadigungskommissionen

187

Verurteilte hat einen Anspruch auf die Befassung der Gnadenbehörde mit dem Gesuch an sich,172 ohne ein Recht auf einen positiven Gnadenerweis durchsetzen zu können. Bei der Begnadigung unterliegen die Erwägungen ebenfalls keinen rechtlich gebundenen Grundsätzen, an denen sich der über das Gnadengesuch Entscheidende orientieren könnte. Das Petitionsverfahren hat – einem Gnadenerweis ähnlich – weiterhin die Funktion, im Einzelfall zu einer Rechtsbefriedung zu kommen.173 In einem aussichtslos scheinenden Konfliktfall, in dem die normalen gesetzlichen Instrumente des Rechtsschutzes versagen, kann eine Petition den Rechtsfrieden wiederherstellen. Gleiches gilt für eine Begnadigung. Können die gesetzlichen Regelungen nicht zu einer Lösung führen, kann eine Begnadigung die atypischen Härten für den Verurteilten im Einzelfall befrieden. Beide Rechtsinstitute befinden sich demnach jenseits formaler Verwaltungs-, Gerichts- und Rechtsbehelfsverfahren. ee) Unterschiede Der große Unterschied liegt jedoch in der rechtlichen Ausgestaltung des Petitionsverfahrens: Neben den Petitionsausschüssen auf Bundes- (Art. 45c GG) und Landesebene existieren eigene Petitionsgesetze, die den Ablauf des Verfahrens und die Voraussetzungen für die Verbescheidung von Petitionen normativ festlegen. Das Petitionsrecht bewegt sich dadurch in festen rechtlichen Strukturen und hat nicht nur eine außerrechtliche Qualität.174 Zwar bewegt sich das Begnadigungsrecht ebenfalls nicht in einem außerrechtlichen Bereich; das Verfahren ist jedoch – wie allein die nicht gesetzlich gefassten und jederzeit modifizierbaren Gnadenordnungen zeigen – weitaus freier gestaltet und von Einzelpersonen abhängig. Wird über eine Petition kollegial entschieden, zunächst im Ausschuss, später ggf. im Plenum, hat demgegenüber die Gnadenentscheidung prinzipiell persönlichen Charakter. Während dem Begnadigenden die Möglichkeit eröffnet ist, im Einzelfall die Wirkung eines Strafurteils zu modifizieren, kann ein Votum des Petitionsausschusses lediglich konkrete Missstände aufzeigen und versuchen, einen kontrollierenden Druck auszuüben. Für den Verurteilten gilt die Möglichkeit eines Gnadengesuchs für die Besonderheit seines Einzelfalls; eine Petition kommt eher für generell auftretende Fragen, etwa Strafvollzugsdefizite175 oder Gesetzesänderungen in Betracht. 172 Vgl. zu diesen durchsetzbaren Garantien im Gnadenverfahren bereits oben, Kap. D. III. 4. a) dd). 173 Vgl. Vonderbeck, ZParl 1975, 178. 174 Stettner, in: Bonner Kommentar, Art. 17 Rn. 37. 175 Das Petitionsrecht gilt auch in Sonderstatusverhältnissen, sodass Strafgefangenen Einzel- oder Sammelpetitionen generell erlaubt sind, vgl. Pagenkopf, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 16, vgl. § 29 Abs. 2 StrVollzG. In Thüringen hat der Petitionsausschuss gemäß § 13 ThürPetG eine Strafvollzugskommission als ständigen Unterausschuss eingerichtet, was die besondere Bedeutung dieses Anwendungsbereichs des landesrechtlichen Petitionsrechts deutlich macht. Vgl. jedoch Art. 2 Abs. 3 Satz 1 BayPetG, wonach gemeinsame Petitionen von

188

E. Reformüberlegungen

ff) Das Petitionsverfahren und der Petitionsausschuss Zur Annahme und Bescheidung von Petitionen an die Volksvertretung sind auf Bundesebene beim Bundestag und in den Ländern bei den Landtagen Petitions- oder Eingabenausschüsse eingerichtet. (1) Bundesebene Durch die im Jahre 1975 erfolgte Einfügung des Art. 45c in das Grundgesetz existiert im Bundestag ein Petitionsausschuss, der mit der Bearbeitung der an den Bundestag gerichteten Petitionen betraut ist. Ihm ist innerhalb der Bundestagsverwaltung ein Ausschussdienst zugeordnet, der eine Vorprüfung der Petitionen leistet und dem Petitionsausschuss Vorschläge zur abschließenden Erledigung unterbreitet.176 Die verfassungsrechtliche Verankerung dieses Pflichtausschusses, dessen Einrichtung nicht im Ermessen des Parlamentes steht, zeigt die Bedeutung für die demokratische Willensbildung.177 Durch die verfassungsrechtliche Ermächtigung des Ausschusses wollte man Auskunftsrechte gegenüber Dritten auf Verfassungsebene legitimieren178 und so die Funktionsfähigkeit des Petitionsausschusses zugunsten einer umfassenden Entfaltung des Grundrechts aus Art. 17 GG stärken. Das auf dieser Ermächtigung basierende Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages (GGArt45cG) enthält diese Ausschussrechte, die im Verhältnis zu anderen Ausschüssen des Bundestages beispiellos sind, katalogisiert.179 Nach der Bearbeitung einer Petition durch Abgeordnete als jeweilige Berichterstatter180 bestehen die Möglichkeiten von Berücksichtigungs- und Erwägungsbeschlüssen: Die im Plenum zu verabschiedenden Berücksichtigungsbeschlüsse beinhalten ein Ersuchen an die Bundesregierung, dem Anliegen der Petition zu entsprechen, während Erwägungsbeschlüsse lediglich auf eine erneute Überprüfung des

Strafgefangenen untersagt werden können, „[…] wenn dies zur Verhinderung der Kontaktaufnahme mit Mitgefangenen oder der Außenwelt erforderlich ist“, ähnlich § 3 Abs. 2 ThürPetG. 176 Sierck, DRiZ 1998, 442 (446). 177 Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 45c Rn. 3. 178 Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 8. 179 Es handelt sich hierbei um Aktenvorlage, Auskunftserteilung und Zutritt zu den entsprechenden Einrichtungen (§ 1 GGArt45cG). Einschränkungen sind nur bei zwingenden Geheimhaltungsgründen zulässig (§ 3 GGArt.45cG). Ausführlich zu diesen Befugnissen vgl. Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 45c Rn. 54 ff. 180 Die Delegation bestimmter Ausschusskompetenzen auf bestimmte Abgeordnete als Ausschussmitglieder war zur Verfahrensstraffung eingeführt worden, vgl. Vonderbeck, ZParl 1975, 178 (187).

IV. Begnadigungskommissionen

189

jeweiligen Sachverhalts und auf die Suche nach Abhilfemöglichkeiten gerichtet sind.181 (2) Landesebene Die landesrechtlichen Verfassungen garantieren das Petitionsrecht in ähnlicher Weise,182 wobei die Garantie des Art. 17 GG auf die Landesverfassungen ausstrahlt und vorausgesetzt wird.183 Schließlich spricht Art. 17 GG nicht vom Bundestag, sondern von der „Volksvertretung“, was eine föderale Offenheit nahelegt. Teilweise wird sogar über die Einbeziehung der Gemeinde- und Kreisparlamente in den Schutzbereich des Art. 17 GG diskutiert.184 In den jeweiligen Volksvertretungen sind deshalb Petitions- oder Eingabenausschüsse eingerichtet. Die landesrechtlichen Regelungen gehen teilweise weiter als die grundgesetzliche Regelung, wenn allein Art. 14 der Verfassung des Freistaats Thüringen einen Anspruch auf begründeten Bescheid in angemessener Frist bestimmt und mündliche Petitionen für zulässig erachtet.185 Bemerkenswert ist auch die Regelung des Art. 65 Abs. 1 ThürVerf, wonach der Petitionsausschuss des Landtags ohne Befassung des Plenums über die an den Landtag gerichteten Petitionen entscheidet. Er ist dadurch als Hilfsorgan des Landtags nicht auf reine Beschlussempfehlungen beschränkt.186 Die besonderen Befugnisse der Petitionsausschüsse187 können auf einzelne Ausschussmitglieder delegiert werden,188 sodass es im Prinzip zwar bei der Mehr181

Sierck, ebenda. Die formal notwendige Zustimmung des gesamten Parlamentes ergibt sich aus § 112 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GO-BT, vgl. Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf, Grundgesetz, Art. 45c Rn. 4. Demgegenüber wird erwogen, die Entscheidungskompetenz auf den Petitionsausschuss zu übertragen, da eine echte Petitionsbehandlung durch das Plenum nicht geleistet werde und es sich deshalb um eine reine Formalie handle, so Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 45c Rn. 29 ff. 182 Zum Petitionsrecht allgemein Art. 115 BayVerf; Art. 34 BerlVerf; Art. 24 Verf BB; Art. 16 HessVerf; Art. 10 VerfMV; Art. 26 NdsVerf; Art. 11 Verf Rh-Pf; Art. 35 SächsVerf; Art. 19 Verf LSA; Art. 19 Verf SH; Art. 14 ThürVerf. Zu den landesrechtlichen Petitionsausschüssen Art. 35a Verf BW; Art. 46 BerlVerf; Art. 71 Verf BB; Art. 105 Abs. 5 BremVerf; Art. 28 VerfHH; Art. 94 HessVerf; Art. 35 VerfMV; Art. 26 NdsVerf; Art. 41a Verf NRW; Art. 90 f. Verf Rh-Pf; Art. 78 SaarlVerf; Art. 53 SächsVerf; Art. 61 Verf LSA; Art. 19 Verf SH; Art. 65 ThürVerf. 183 Vgl. nur in Hamburg Art. 28 VerfHH, der das Petitionsrecht des Art. 17 GG voraussetzt und nicht noch einmal eigens erwähnt. Ausführlich dazu David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Art. 28 Rn. 1 f. 184 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 30, insbes. Fußn. 98; Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz (5. Aufl.), Art. 17 Rn. 51. 185 Vgl. ausführlich Linck/Jutzi/Hopfe, Verfassung Thüringen, Art. 14 Rn. 10 ff. 186 Linck/Jutzi/Hopfe, Verfassung Thüringen, Art. 65 Rn. 6. Es handelt sich dabei letztlich um eine konservierende Delegation, da der Landtag die Beschlüsse des Petitionsausschusses gemäß Art. 65 Abs. 1 Satz 2 ThürVerf wieder aufheben kann. 187 Vgl. zu den besonderen Befugnissen ausführlich nur David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Art. 28 Rn. 25 ff.; Menzel, in: Löwer/Tettinger, Verfassung NRW, Art. 41a Rn. 34 ff.; Linck/Jutzi/Hopfe, Verfassung Thüringen, Art. 65 Rn. 12.

190

E. Reformüberlegungen

heitsentscheidung eines Kollegialorgans bleibt, zu Praktikabilitätszwecken aber eine Verfahrenskonzentration bei einzelnen Berichterstattern besteht. (3) Rechtsschutzmöglichkeiten Es handelt sich beim Petitionsverfahren um eine umfassende Behandlungskompetenz der Parlamente, die in der Regel nicht von einer eigenen Abhilfekompetenz flankiert ist, sondern den Charakter einer politischen Einflussnahme und Anregung hat.189 Konsequent ist es deshalb, die auf einem Parlamentsbeschluss beruhenden Petitionsbescheide an den Petenten mangels einer Regelungsnatur nicht als Verwaltungsakte und deshalb als nicht materiell anfechtbar einzuordnen.190 Obwohl das Petitionsrecht demnach eher eine informelle Ausrichtung hat, besteht ein materiell durchsetzbares Element: Der Grundrechtscharakter des Art. 17 GG bezieht sich hinsichtlich eines durchsetzbaren Anspruchs ausschließlich auf Kenntnisnahme, sachliche Prüfung und Verbescheidung der Petition;191 das Begehren auf Tätigwerden des Petitionsausschusses ist ein einklagbares Recht im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG.192 Verpflichtete Stellen im Sinne des Art. 17 GG sind sämtliche Organe der öffentlichen Gewalt.193 Die eigentliche Begründetheit der Petition hängt hingegen von der rechtlich ungebundenen Einschätzung des Parlaments und auch vom „rechtlich zulässigen politischen Druck“ in der Sache ab.194 Ein durchsetzbares Recht auf die Petition in der Sache besteht nicht.195 Rechtsschutz besteht demnach für die ordnungsgemäße Behandlung einer Petition. Der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 VwGO ist eröffnet, um eine Entgegennahme, sachliche Bearbeitung und Bescheidung der Petition zu erlangen, nicht aber ein anderes Beratungsergebnis.196

188

Vgl. nur § 5 PetAusschG BW; Art. 41a Verf NRW; § 49 GO LT LSA. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 2. 190 Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 45c Rn. 22; demgegenüber kritisch Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 45c Rn. 41. 191 BVerfGE 2, 225 (230); 13, 54 (90); Stettner, in: Bonner Kommentar, Art. 17 Rn. 12. Vgl. weitergehend Graf Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, S. 31 ff. 192 BVerwG DÖV 1976, 315; BayVGH BayVBl 1981, 211. 193 Krings, JuS 2004, 474 (476). 194 Graf Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, S. 64. 195 Vgl. BVerfGE 13, 54 (90). 196 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 45c Rn. 42 ff.; richtige Klageart wäre eine Leistungsklage, vgl. BVerwG NJW 1976, 637 (638); BayVGH BayVBl. 1981, 212. Zur Frage, ob tatsächlich eine Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt vgl. Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 45c Rn. 24; Achterberg/Schulte, ebenda, Fußn. 67. Zur Frage der Justitiabilität von Verfahrensgarantien im Gnadenverfahren vgl. oben Kap. D. III. 4. a) dd). 189

IV. Begnadigungskommissionen

191

gg) Das Petitionsüberweisungsrecht Das für die Petition zentrale Instrument ist das Petitionsüberweisungsrecht. Es beinhaltet das Recht des Parlamentes, die Petition mit einer Stellungnahme und einem Befassungsvorschlag an die Regierung zu überweisen.197 Dadurch eignet sich das Parlament das Petitionsanliegen in einer verstärkenden Weise als eigene Sache an.198 Wie intensiv diese Verstärkung sein soll, entscheidet in der Regel die Bezeichnung des Überweisungsbeschlusses in die Kategorien „zur Kenntnisnahme“, „als Material“, „zur Erwägung“ oder „zur Berücksichtigung“, wobei lediglich die letzten beiden Kategorien eine offene Beeinflussung des Regierungshandelns beinhalten, ohne dabei eine Verbindlichkeit zu beanspruchen.199 Die Unverbindlichkeit zeigt sich in der fehlenden verfassungsrechtlichen Ermächtigung zu einer Weisung gegenüber der Exekutiven. Dennoch wird eine Modifizierung der Gewaltenteilung deutlich, befasst sich das Parlament doch mit Sachverhalten, deren Behandlungskompetenz in erster Linie bei der Exekutiven liegt.200 Die fehlende Verbindlichkeit zeigt auf, dass es sich bei der Petitionsbefassung in erster Linie um eine politische Einflussnahme handelt. Sie ist mit Blick auf die Abhängigkeit der Regierung vom Parlament nicht zu unterschätzen. So wird die Missachtung eines Überweisungsbeschlusses durch die Regierung zwar noch kein Misstrauensvotum hervorrufen201 – aber eine Regierung, die dem Anliegen einer Petition bewusst nicht nachkommt, missachtet neben dem Willen der Volksvertretung vor allem das direkte Anliegen der hinter der Petition stehenden Bürger. Genau darin zeigt sich das entscheidende Gewicht des Petitionsüberweisungsrechts. Das Parlament wird damit weniger als Beschlussorgan denn als ein Repräsentativ- und Integrationsorgan in seiner Funktion als Volksvertretung tätig.202 b) Berücksichtigungsbeschlüsse in Gnadensachen? Es stellt sich die Frage, inwiefern die Repräsentations- und Integrationsfunktion des Petitionsrechts auch im Gnadenverfahren von Belang ist. Relevant wird dieses Problem, wenn dem Petitionsausschuss ein Gnadengesuch vorliegt – sei es parallel zu einem an den Gnadenträger gerichteten Gnadenantrag oder nach einer Entscheidung des Gnadenträgers. Den Verurteilten kommt es hierbei darauf an, zu einer 197

Stettner, in: Bonner Kommentar, Art. 17 Rn. 90. Graf Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, S. 63 f.: Das Parlament stellt seine Autorität „in den Dienst der Beschwerde.“ 199 Graf Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, S. 64; Stettner, in: Bonner Kommentar, Art. 17 Rn. 91. Zu den verschiedenen Formen der Beschlussempfehlung auf Bundesebene vgl. Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 45c Rn. 26. 200 Graf Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, S. 69. 201 Auf die Abhängigkeit einer Landesregierung vom Vertrauen des Landtages, welches durch die Missachtung eines Petitionsbeschlusses gestört sein könnte, weist Alscher, BayVBl. 1972, 540 (541 f.) hin. 202 Graf Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, S. 65 ff.: „Forum der Nation“. 198

192

E. Reformüberlegungen

kollegialen Überprüfung des Einzelfalls zu gelangen und mit der Befassung der jeweiligen Volksvertretung ein weiteres Instrument zur Aussetzung ihrer Strafe zu bemühen. aa) Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages Bisher wurde an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages kein Begnadigungsgesuch gestellt.203 Sollte dies vorkommen, würde der Petitionsausschuss die Sache an das Bundespräsidialamt weiterleiten oder aber, wenn es sich um einen dem landesrechtlichen Gnadenträger zustehenden Fall handelte, an den Petitionsausschuss des jeweiligen Landtags abgeben.204 bb) Petitionen gegen Maßnahmen des Bundespräsidenten Würde eine Petition in einem bundesrechtlichen Begnadigungsfall dennoch auftreten, wäre zu überlegen, wie sich diese auf das Handeln des Bundespräsidenten auswirkte. Aufgrund der Kontrollfunktion des Petitionsrechts sind gegen die Bundesregierung gerichtete Überweisungsbeschlüsse des Parlaments unproblematisch: Der Bundestag ist das Kontrollorgan der Bundesregierung. Diese parlamentarische Verantwortlichkeit besteht beim Bundespräsidenten hingegen nicht. Der Bundestag kann den Bundespräsidenten weder abwählen, noch auf seine Amtshandlungen Einfluss nehmen.205 Kontrollfunktion hat lediglich die Präsidentenanklage des Art. 61 GG. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass der Bundespräsident für sämtliche Handlungen staatsrechtlich verantwortlich bleibt, auch wenn ihm durch eine etwaige Gegenzeichnung die politisch-parlamentarische Verantwortung abgenommen wurde.206 Die mittelbare parlamentarische Kontrolle wird durch die Gegenzeichnung der Bundesregierung konstruiert. Hält man diese in Gnadenverfahren für materiell notwendig, könnte sich durch eine gegen die Bundesregierung gerichtete Parlamentspetition deren Gegenzeichnung aktualisieren.207 Petitionen gegen negative Gnadenentscheidungen des Bundespräsidenten wären also, wenn sie gegengezeichnet wurden, als Berücksichtigungsbeschlüsse an die Bundesregierung zulässig.208

203

Auskunft des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages an den Verfasser. Auskunft des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages an den Verfasser. 205 Graf Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, S. 91. 206 Nierhaus, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 61 Rn. 7. 207 Graf Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, S. 92. 208 Seidel, Das Petitionsrecht, S. 21 f. mit dem Hinweis auf entsprechende Petitionen (S. 21 Fußn. 35). Die Untersuchung Seidels stammt allerdings aus den 1970er Jahren. Die heutige Praxis sieht anders aus: Aus einem Schreiben des Petitionsausschusses des Deutschen Bun204

IV. Begnadigungskommissionen

193

Hält man wie hier (Kap. D. II. 1. a)) die Begnadigung für keinen gegenzeichnungsbedürftigen Präsidialakt, kann sich eine Petition nur dann gegen die Bundesregierung richten, wenn ein Mitglied der Bundesregierung oder ihr nachgeordneter Behörden in delegierter Kompetenz über das Gnadengesuch entschieden hat.209 Ist das wegen einer persönlichen Entscheidung des Bundespräsidenten nicht der Fall und hält man diese Gnadenakte auch nicht für gegenzeichnungsbedürftig, ist eine Überweisung der Petition durch den Bundestag an den Bundespräsidenten „zur Berücksichtigung“ oder „zur Erwägung“ unzulässig. Die Gnadentätigkeit ist einer Kontrollfunktion durch das Parlament nicht zugänglich, da das vermittelnde Element der gegenzeichnenden Bundesregierung fehlt. Das politische Gewicht und die durchaus relevante Einflussnahme des Parlamentes zeigt sich jedoch in einer Petitionsüberweisung „als Material“ oder „zur Kenntnis“, die auch bei gegenzeichnungsfreien Präsidialakten möglich ist.210 Hier ist also der politische Einfluss die relevante Kategorie. Ein positiver Effekt kann für den Bundespräsidenten nur darin liegen, dass eine Befassung des Petitionsausschuss zur Stärkung der mit der Gnadenentscheidung übernommenen Verantwortung führt, wenn das Votum des Petitionsausschusses mit der Gnadenentscheidung des Bundespräsidenten harmonisiert. cc) Praxis der Petitionsausschüsse auf Landesebene Auf Landesebene ist die Praxis der Petitionsausschüsse sehr uneinheitlich. Zu unterscheiden sind folgende Handlungsmöglichkeiten: Entweder der Petitionsausschuss behandelt eine zusätzlich an ihn gerichtetes Gnadengesuch vor Entscheidung des Gnadenträgers, damit das Votum in dessen Abwägung noch mit einfließt, oder er wartet die Entscheidung des Gnadenträgers ab und erledigt erst anschließend die Petition. Dann könnte nur ein erneutes Gnadengesuch Abhilfe schaffen. Die dritte Möglichkeit, die am konsequentesten und deshalb vorzugswürdig erscheint, ist eine Unzuständigkeitserklärung des Petitionsausschusses mit dem Hinweis, es handle sich eindeutig um eine Gnadensache, für die nach der Verfassung ein anderes Verfassungsorgan zuständig sei. Zur Praxis sei auf die Einzelheiten in einigen Bundesländern hingewiesen: In Bayern treten vereinzelt Petitionen parallel zu den Gnadengesuchen auf, wobei in der Regel dem Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags berichtet und dann

destages vom 5. 5. 2009 an den Verf. geht hervor, dass Begnadigungsgesuche an den Bundestag bisher nicht gestellt wurden. 209 Im Ergebnis ebenso Troßmann/Roll, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestags, § 108 Rn. 10: „Für die Behandlung von Petitionen in Gnadensachen ist der Bundestag zuständig, soweit der Bundesregierung die Gnadenbefugnis übertragen ist.“ (Hervorh. v. Verf.). 210 Graf Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, S. 93 f.

194

E. Reformüberlegungen

dessen Behandlung abgewartet wird.211 Erst wenn der Landtag die Petition gemäß § 80 Nr. 4 GOBayLT für erledigt erklärt hat, wird über das Gnadengesuch entschieden. Grundsätzlich entscheidet bei einer Befassung des Petitionsausschusses der Staatsminister der Justiz persönlich über den Fall;212 seine persönliche Wahrnehmungskompetenz hängt also von einem Petitionsverfahren ab. In Baden-Württemberg ist das Petitionsrecht in Art. 2 Abs. 1 VerfBW iVm Art. 17 GG geregelt und zeigt durch den Bezug zur grundgesetzlichen Regelung keine nennenswerten Unterschiede zur Bundesregelung auf. Beachtlich ist demgegenüber die Staatspraxis in Baden-Württemberg, wenn in Gnadenverfahren der Verurteilte zusätzlich eine Petition an den Landtag richtet. Der Petitionsausschuss gibt das Verfahren nicht an das in Strafgnadensachen eigentlich zuständige Justizministerium ab, sondern zieht das Ministerium vielmehr im Rahmen seines Informationsrechts zu dem Petitionsverfahren hinzu und lässt die entsprechenden Mitarbeiter in der Sitzung des Petitionsausschusses vortragen.213 Sollte die Auffassung des Ministeriums mit der Auffassung des Petitionsausschusses nicht übereinstimmen, wird zunächst auf informeller Ebene zwischen dem Justizminister und dem Ausschussvorsitz eine Lösung gesucht. Ist dies nicht möglich, erlässt das Plenum des baden-württembergischen Landtages nach vorheriger Anhörung einen Berücksichtigungsbeschluss, der zwar für die Entscheidung des Ministers rechtlich keine verbindlichen Auswirkungen hat, tatsächlich aber eine nicht zu unterschätzende politische Wirkung auf seinen Entschluss haben wird. In Brandenburg wird bei jedem Gesuch unterschieden, ob es ein Gnadengesuch oder eine Petition ist. Bei ersterem erfolgt keine Sachbefassung des Petitionsausschusses des Brandenburgischen Landtags.214 In Hamburg kommt es äußerst selten vor, dass der Eingabeausschuss der Bürgerschaft in einer Gnadensache angerufen wird. Es wird in solchen Fällen auf die Zuständigkeit des Senats verwiesen.215 In Hessen hält man seitens des Ministeriums der Justiz den Petitionsausschuss ebenfalls aufgrund der eindeutigen Zuständigkeitsbestimmung des Art. 109 Abs. 1 HessVerf für unzuständig.216 Gleichwohl hat der Petitonsausschuss des Hessischen Landtags in entsprechenden Verfahren die Stellungnahme des Ministeriums der Justiz eingeholt, aus der die zu erwartende Entscheidung über das Gnadengesuch deutlich wurde. Das Ministerium der Justiz wartet das Votum also nicht ab. 211 Auskunft des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz an den Verfasser. Getrennt zu behandeln sind die Petition nach Art. 115 BayVerf und das Gnadengesuch nach Art. 47 Abs. 4 BayVerf, was Meder, Bayerische Verfassung, Art. 115 Rn. 2 offensichtlich übersieht, gewährt nach ihm Art. 115 BayVerf auch das Recht auf eine „Gnadenbitte“. 212 Auskunft des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz an den Verfasser. 213 Auskunft des Justizministeriums des Landes Baden-Württemberg an den Verfasser. 214 Auskunft des Ministeriums der Justiz des Landes Brandenburg an den Verfasser. 215 Auskunft der Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg an den Verfasser. 216 Auskunft des Hessischen Ministeriums der Justiz an den Verfasser.

IV. Begnadigungskommissionen

195

Auch in Niedersachsen hält man die strikte Trennung zwischen Petitionen und Gnadengesuchen für notwendig: Bei Eingaben, die sich auf ein Gnadengesuch beziehen, weist der Landtag gegenüber dem Petenten darauf hin, „dass er mit Rücksicht auf Art. 36 Abs. 1 NdsVerf keine Möglichkeit sieht, dessen Anliegen Rechnung zu tragen.“217 In Nordrhein-Westfalen kommt es häufig vor, dass Gnadenanträge mit einer an den Landtag gerichteten Petition verbunden werden.218 Der Petitionsausschuss des Landtags hat dazu Folgendes erklärt: „Alle Gnadenpetitionen werden nach der in Nordrhein-Westfalen geltenden Gnadenordnung behandelt. Die Praxis des Petitionsausschusses ist die, dass er entweder von der Einleitung eines Gnadenverfahrens oder von dem Ergebnis eines durchgeführten Gnadenverfahrens Kenntnis nimmt. Empfehlungen an Gnadenbeauftragte, in einem bestimmten Fall eine bestimmte Entscheidung zu treffen, gibt der Petitionsausschuss nicht. Das hat seinen Grund im besonderen Verfassungsrang des Gnadenrechts.“219 Im Saarland besteht die Auffassung, dass ein Tätigwerden des Petitionsausschusses nur nach einem abgeschlossenen Gnadenverfahren möglich ist.220 Auch hier gilt eine strikte Trennung von Petitions- und Gnadenverfahren. In der Praxis des Landes Sachsen-Anhalt wird bei parallelen Petitionen vom Petitionsausschuss des Landtags eine Stellungnahme des Ministeriums der Justiz erbeten. Anschließend wird die Entscheidung des Petitionsausschusses abgewartet und erst danach über das Gnadengesuch entschieden.221 Ein solches Votum des Petitionsausschusses wird in Schleswig-Holstein nicht abgewartet: Die erbetene Stellungnahme wird vom Ministerium für Justiz gleich mit dem erfolgten (!) Gnadenbescheid an den Petitionsausschuss weitergeleitet.222 Gleichwohl hat der dortige Petitionsausschuss einen Grundsatzbeschluss gefasst, wonach als Gnadengesuch aufzufassende Eingaben sofort an den Justizminister abgegeben werden, da die Gnadenbefugnis bei ihm liege.223

217

Auskunft des Niedersächsischen Justizministeriums an den Verfasser. Auskunft des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen an den Verfasser. 219 Fünf-Jahres-Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses des Landtags NRW in der 13. Wahlperiode, S. 55, abzurufen unter . 220 Auskunft des Saarländischen Ministeriums der Justiz an den Verfasser. 221 Auskunft des Ministeriums der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt an den Verfasser. 222 Auskunft des Ministeriums für Justiz des Landes Schleswig-Holstein an den Verfasser. 223 Der Petitionsausschuss des schleswig-holsteinischen Landtags hat sich eine eigene Prüfung dennoch vorbehalten, so die Auskunft des Ministeriums für Justiz des Landes Schleswig-Holstein an den Verfasser. 218

196

E. Reformüberlegungen

dd) Bewertung (1) Keine rechtliche Relevanz der Petitionsbeschlüsse Zunächst ist zur Wirkung von Parlamentsbeschlüssen in Petitionssachen festzuhalten, dass sie keinerlei rechtsrelevante Wirkung auf die Gnadentätigkeit des Ministerpräsidenten oder des Justizministers haben. Würde man sie als ein für den Verurteilten vollständig wirkungs- und sinnvolles Instrument ansehen, müsste eine erfolgreiche Petition den Gnadenträger entsprechend dem Petitionsziel verpflichten, den Verurteilten zu begnadigen. Der Berücksichtigungsbeschluss hätte also dann die Wirkung einer direkten Weisung an den Gnadenträger, eine positive Gnadenentscheidung zu verfügen und die ursprünglich negative Gnadenentscheidung aufzuheben. Das würde die Bedeutung der Exekutive als einer unabhängigen Staatsgewalt beeinträchtigen, die im Falle einer Petition – anders als bei Gesetzesbeschlüssen – nicht ein Vollzugsorgan der Beschlüsse des Parlamentes sein kann.224 Insbesondere in Gnadensachen wäre ein weisungsrelevanter Berücksichtigungsbeschluss eine unzulässige Einschränkung der Autorität des Gnadenträgers und würde in der Praxis dazu führen, dass die Erwägungen von einem zu erwartenden Votum des Parlamentes beeinflusst würden. (2) Bewertung der bestehenden Praxis in den Bundesländern Konsequent und deshalb vorzugswürdig ist eine strikte Trennung zwischen Petitionsrecht und Begnadigungsrecht. Den Petitionsausschüssen obliegt eine Weiterleitungspflicht von Gnadengesuchen an den zuständigen Gnadenträger. Unabhängig von den ausgeführten strukturellen Parallelen ist eine verfahrensmäßige Trennung entscheidend. Auch wenn durch eine Petition ein weiterer Personenkreis mit dem Einzelfall befasst und es zu einer weiteren Beurteilung der Gnadenwürdigkeit und Gnadenbedürftigkeit kommen kann, überschreitet dieser Zuwachs an Erwägungen die Kompetenzgrenzen des Petitionsrechts: Die mit der Petition befasste Volksvertretung kann nur diejenigen Petitionen behandeln und entscheiden, in denen sie im Hinblick auf den konkreten Petitionsinhalt eine Entscheidungsbefugnis besitzt.225 Bei einer Petition in einer Strafgnadensache ist zu bedenken, dass damit die Änderung oder Aufhebung einer richterlichen Entscheidung begehrt wird. Eine Befassung würde den Grundsatz des unabhängigen Richters beeinträchtigen.226 Für eine solche Beeinträchtigung ist das dem originären Gnadenträger überantwortete Begnadigungsrecht das einzige Mittel, zu einer Einzelfallprüfung besonderer Gnadengründe zu kommen. 224

Alscher, BayVBl. 1972, 540 (542). Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 50. 226 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 13; Sierck, DRiZ 1998, 442 (443). 225

IV. Begnadigungskommissionen

197

Die bei sonstigen Petitionssachen übliche Kontrollfunktion im Interesse des Bürgers, seine Angelegenheit einer Prüfung des Landtags zuzuführen, ist in einer Gnadensache nicht gegeben: Der Ministerpräsident wird nicht in der Funktion eines Regierungsorgans, sondern als landesrechtliches Repräsentationsorgan (oder landesrechtliches Staatsoberhaupt) tätig, dessen Entscheidung in seiner Person unabhängig von der Volksvertretung sein darf. Die Möglichkeit eines darauffolgenden Misstrauensvotums des Landtags aufgrund einer problematischen Gnadenentscheidung besteht selbstverständlich unabhängig vom Petitionsrecht. Das Petitionsrecht ist insoweit auch kein Ersatz für den fehlenden gerichtlichen Schutz bei Gnadenentscheidungen.227 Das würde das Petitionsrecht überfordern und ihm vor allem eine Bedeutung beimessen, die es nicht hat. Schließlich kann eine erfolgreiche Petition vor der jeweiligen Volksvertretung des Landes keine Begnadigung erwirken. Entscheidend ist der politische Druck, den eine Petition auf den Entscheidungsträger ausüben kann. Zweifellos verstärkt jedes Petitionsverfahren die in manchen Fällen deutlich bestehende politische Komponente eines Gnadenverfahrens:228 Befasst sich der Petitionsausschuss des Bundestages oder eines Landtages mit einem Gnadengesuch, sind die (partei-)politischen Erwägungen das entscheidende Merkmal. Eine Befassung des Petitionsausschusses mit einem Gnadengesuch ist nur im Anschluss an eine bereits erfolgte Gnadenentscheidung statthaft. Petitionsziel wäre die erneute Prüfung eines Gnadengesuchs in einem neuen Verfahren. Bis zur Entscheidung des Gnadenträgers hat sich der Petitionsausschuss – wie ausdrücklich etwa in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein geschehen – für unzuständig zu erklären und auf die verfassungsrechtliche Trennung der Institute des Petitionsrechts und Begnadigungsrechts hinzuweisen. c) Trennung von Petitionsausschüssen und Begnadigungskommissionen Bei aller Parallelität der Petitionsausschüsse mit der Arbeitsweise einer Begnadigungskommission sollte man es bei der Unabhängigkeit beider Gremien belassen. Die aufgrund der Ähnlichkeit des vorgeschlagenen Verfahrens naheliegende Überlegung, beide Verfahren zusammenzulegen und dem Petitionsausschuss auch die Aufgaben einer Begnadigungskommission zu übertragen, würde zu einer Verwässerung der Unterschiede zweier Verfassungsinstitutionen führen. Die Begnadigung ist deutlich konkreter und spezieller als die Petition und erfordert insoweit eine konkretere und speziellere Befassung mit der Materie des Strafrechts und Straf227

Das deutet die Entscheidung BVerwGE 14, 73 (76 f.) an. Vgl. zur Politisierung des Gnadenverfahrens durch ein Petitionsverfahren bereits Cüppers, NJW 1949, 921 (926). Beachtlich ist diesbezüglich die Praxis in Bayern, wo die persönliche Befassung des Staatsministers für Justiz in eigentlich delegierten Fällen davon abhängt, ob parallel eine Petition eingelegt wurde. 228

198

E. Reformüberlegungen

vollzuges. Mitglieder des Gnadenausschusses sollten mit dieser Materie detailliert vertraut sein. Weiterhin hat die Begnadigung in ihrer Rechtsfolge einen weiteren Handlungsspielraum als die höchstens auf Berücksichtigungsbeschlüsse zielenden Petitionen. Vor allem aber handelt es sich beim Petitionsausschuss um ein parlamentarisches Organ, welches eine viel stärkere verfassungsrechtliche Legitimation aufweist, als eine beratende, vom Gnadenträger eingesetzte Begnadigungskommission. Die in der Gnadenpraxis noch auszubauende Transparenz der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Begnadigung würde durch die Integration einer Begnadigungskommission in ein Petitionsorgan ebenfalls beeinträchtigt. Petitions- und Gnadenverfahren müssen solange getrennt voneinander bleiben, wie die verfassungsrechtlichen Institute getrennt voneinander bestehen.

F. Zusammenfassung und Ergebnis Jenseits formaler Verwaltungs-, Gerichts- und Rechtsbehelfsverfahren will das Verfassungsrecht mit Art. 60 Abs. 2 GG und den entsprechenden landesrechtlichen Regelungen ein Gegengewicht zur strikten Rechtsanwendung schaffen. Im Einzelfall kann das Begnadigungsrecht die Rechtskraft eines Urteils nach Maßgabe des Gnadenträgers modifizieren: Aus der verfassungsrechtlichen Integration folgt die Lockerung von der Normenstrenge und die Freiheit der Entscheidung, ohne die es keine Begnadigungsentscheidung wäre. Die Milde und der Dispens von rechtskräftigen Urteilen sind auf die Freiheit in der Entscheidung angewiesen. Gleichwohl erscheint das Begnadigungsrecht im Lichte des Rechtsstaates: Erst wenn dessen normative Instrumente ausgeschöpft sind, hält er als ultima ratio das Begnadigungsrecht bereit. Es existiert institutionell im Recht, wenngleich es dessen strikten Rahmen durch den freien Entscheidungsprozess überlagert. Dadurch erscheint es historisch kontinuierlich, auch mit dem theologischen Fundament des Begriffs „Gnade“, ist aber erst durch die Integration in den Rechtsstaat des Grundgesetzes und der Landesverfassungen Begnadigungsrecht. Die Begnadigung ist keine Aufhebung des Urteils und kein Freispruch durch ein politisches Amt. Sie dispensiert in Einzelfällen von den Folgen eines Urteils, wenn erhebliche Gründe vorliegen, denen nicht durch gesetzliche Mittel begegnet werden kann. Sie schafft für ein herausgehobenes Amt die institutionelle Festschreibung einer Handlungsfreiheit, die aufgrund der Endlichkeit aller normativen Kategorien notwendig ist. Das Begnadigungsrecht ist dadurch eine Chiffre für die Endlichkeit des Rechts. Anders als bei anderen Hoheitsakten spielt nicht die von einer Person unabhängige Funktionalität der Staatsgewalt eine Rolle, sondern die an persönlichen Maßstäben gemessene Amtsführung des Gnadenträgers. Dabei sind originäre Gnadenträger neben dem Bundespräsidenten die Repräsentationsorgane auf Landesebene, die als Ministerpräsidenten oder Landesregierungen mehr in der Repräsentationsrolle für ihr Bundesland und weniger in der konkret gesetzlich gebundenen Regierungsverantwortung in einem Begnadigungsverfahren tätig werden. Diese ungeregelte Freiheit des Begnadigungsrechts ist durch die entsprechenden Artikel in Grundgesetz und Landesverfassungen Verfassungsrealität. Auch wenn ihr konkret fassbarer normativer Gehalt gering ist, naturgemäß keine umfangreiche Rechtsprechung existiert und ausführliche Verfassungsbegründungen und konkretisierende Gesetze fehlen, sind Art. 60 Abs. 2 GG und die landesverfassungsrechtlichen Regelungen mehr als reine Kompetenznormen. Ihr Gehalt wird fassbar, wenn man den Begriff der Begnadigung, die historischen Hintergründe und den syste-

200

F. Zusammenfassung und Ergebnis

matischen Standort konsequent auslegt. Beim Begnadigungsrecht ist der Maßstab einer Entscheidung auf die jeweilige Person angewiesen, die über das Begnadigungsgesuch entscheidet. Der Begriff der Gnade und der Begnadigung ist nicht anders zu deuten. Ebenso konsequent ergibt sich daraus eine amtscharismatische Hoheitstätigkeit: Auch wenn das Begnadigungsrecht formal rechtsrationalisiert ist, erfolgt die materielle Entscheidung eines Amtsträgers in charismatischer Weise, eben amtscharismatisch. Wegen dieser Prämisse galt die besondere Aufmerksamkeit der Delegation des Begnadigungsrechts. Mit einer Weiterübertragung geht die Handlungsfreiheit auf den Delegatar über, zumindest dann, wenn er „im Wege der Gnade“ über ein Gnadengesuch entscheidet. Hier ist also auch auf unterer Ebene „Gnade“ der relevante Handlungsspielraum. Das gilt unabhängig vom Ergebnis der gnadenrelevanten Abwägung: Egal ob die Begnadigungsentscheidung positiv oder negativ ausfällt, muss die Entscheidungsfindung in der dargelegten Weise amtscharismatisch erfolgen. Das ist mit einem Amt auf unterer ministerialer Ebene oder mit dem Amt eines Staatsanwalts unvereinbar. In der Judikative (Richter als Gnadenbeauftragte, Entscheidungen von Gerichtspräsidenten „im Gnadenwege“) ist das Begnadigungsrecht ohnehin fehl am Platz, weil es durch die verfassungsmäßige Konzeption exekutiv verortet ist. Die Delegation des Begnadigungsrechts muss deshalb Grenzen erfahren. Die Frage lautete nun, welche Bedeutung die Delegationsermächtigung auf Verfassungsebene für die Begnadigungspraxis hat. Verneint wurde die Auffassung, die Delegation des Begnadigungsrechts könne genauso frei erfolgen wie die materielle Begnadigungsentscheidung selbst. Die Delegationsermächtigung kann nicht mehr sein als eine rein organisationsrechtliche Entlastungsmöglichkeit. Der originäre Gnadenträger kann sich von seiner Wahrnehmungskompetenz für bestimmte Fälle befreien, ist aber gleichzeitig angehalten, den besonderen Charakter der übertragenen Sachkompetenz zu erhalten. Es würde die Bedeutung einer Delegationsermächtigung in weitem Maße überschätzen, wenn man darin die Ermächtigung zur Umdeutung des Begnadigungsrechts in eine reine Verwaltungstätigkeit mit behördeninternen Kategorien sähe. Ferner bedeutet die Delegationsermächtigung eine Rechtsetzungskompetenz für den Gnadenträger, derer er sich nicht durch Subdelegationsermächtigungen an Justizminister oder andere Stellen entledigen kann. Er hat die organisationsrechtliche Frage der Wahrnehmungskompetenz selbst zu regeln und muss sie kontrollieren. Die Untersuchung der Delegationsanordnungen, der Gnadenordnungen und nicht zuletzt der Blick in die Praxis der Landesjustizverwaltungen hat allerdings genau diese Umdeutung gezeigt. Begnadigungsentscheidungen auf unterer Ebene, insbesondere in den Dezernaten der Staatsanwaltschaften, sind die Regel. Mit Bezugnahme auf die materiellen Grundsätze in manchen Gnadenordnungen argumentieren Rechtsanwälte für ihre Mandanten mit Gleichheitssatz-relevanten Vorträgen und Strafrichter, die als Gnadenbeauftragte einen Teil ihrer Arbeitszeit „weisungsge-

F. Zusammenfassung und Ergebnis

201

bundener Teil der Justizverwaltung“ sind, veröffentlichen Grundsätze, nach denen Begnadigungen zu erwarten sind. Warum eine Nichteinhaltung dieser Grundsätze injustitiabel bleiben soll, erschließt sich nicht. Eine Befassung mit Gnadengesuchen auf oberer Leitungsebene findet nur in der Ausnahme statt. An einer Kontrolle und Information der originären Gnadenträger mangelt es in vielen Ländern und im disziplinarrechtlichen Bereich auch auf Bundesebene. Darin liegt ein problematisches Transparenzdefizit der Begnadigungspraxis. Wenn wir von der Prämisse ausgehen, dass sich das Begnadigungsrecht durch die Delegation nicht wandeln darf, sondern bleibt, was es ist, muss in der Entscheidungsfindung eine enge Bindung zwischen Amt und Person bestehen. Die organisationsrechtliche Zuständigkeitsverlagerung wandelt das Begnadigungsrecht aber grundlegend, wenn es auf untere Ebene kategorisiert und von Personen ausgeübt wird, deren Ämter nicht in einer distanzierten Art den Einzelfall „im Gnadenwege“ prüfen können. Dem Verfassungsgesetzgeber ist es unbenommen, das Begnadigungsrecht gesetzlich festzulegen, es zu kategorisieren und zu einer üblichem Verwaltungshandeln genäherten Staatstätigkeit umzufunktionieren. Dann allerdings wäre die Deklaration als Begnadigungsrecht obsolet. „Verfassungsehrlicher“1 ist es, die bestehende Rechtslage konsequent anzuwenden. Solange in der bundes- und landesrechtlichen Praxis an „Gnade“ und „Begnadigung“ festgehalten wird, müssen verfahrensmäßige und vor allem zuständigkeitsrelevante Vorkehrungen getroffen werden, damit die Entscheidungsfindung in einer wirklich distanzierten und über den normativen Festlegungen stehenden Weise geschieht. Nur dann wird der verfassungsrechtliche Anspruch erfüllt, im Rechtsstaat eine amtscharismatische Hoheitstätigkeit zu gewährleisten. Die Entscheidungsebene muss demnach hoch und unabhängig sein, indem nur Amtsträger über ein Begnadigungsgesuch entscheiden, deren Amtsausübung aus dem üblichen Muster funktionaler Hoheitstätigkeit herausfallen und verstärkt von ihren persönlichen Auffassungen geprägt werden kann. Hier kommen neben dem Bundespräsidenten und den Ministerpräsidenten nur Minister und Staatssekretäre in Betracht. Wendet man diesen Grundsatz in der Praxis konsequent an, muss ein Verfahren gefunden werden, das die Anzahl von Begnadigungsgesuchen sinnvoll bearbeitet und im Sinne der aufgeführten Verfahrensgarantien zu einer Begnadigungsentscheidung kommt. Zu einer praktischen Um- und Neugestaltung des Gnadenwesens könnten deshalb Begnadigungskommissionen führen. Die Idee einer kollegialen Beratung ist nicht neu, insbesondere bei einem erhöhten Beratungsbedarf, wenn normative Vorgaben fehlen. So besteht im Asylrecht die Möglichkeit der Befassung von Härtefallkommissionen mit einem Einzelfall. Auch die Behandlung von Petitionen an ein Parlament erfolgt im Petitionsausschuss kollegial. Allen Instituten, dem 1

Vgl. Pieper, Festschrift für Roman Herzog, 355 (371).

202

F. Zusammenfassung und Ergebnis

Asylrecht, dem Petitionsrecht und dem Begnadigungsrecht ist ein ähnlicher Rechtsgedanke gemein: Innerhalb des Rechtsstaats sind Institute notwendig, deren Behandlung und Entscheidungsfindung jenseits der üblichen Rechtsfindung erfolgt. Sie sind Ausnahmeinstitute für Einzelfälle, wobei dem Petitionsrecht noch ein bedeutender staatskommunikativer Effekt zwischen Parlament und Volk zukommt. Allerdings müssen alle Institute getrennt voneinander bestehen: Die Befassung eines landesparlamentarischen Petitionsausschusses mit einem Begnadigungsgesuch missachtet diese Trennung. Besonders deutlich wurden die Parallelen zu den Härtefallentscheidungen im Asylrecht: Sie haben ebenfalls eine Art Begnadigungsfunktion inne und begegnen den besonderen Umständen eines Einzelfalles durch eine Ausnahmeregelung. Die Untersuchung hat gezeigt, dass der integrative Gedanke des Asylrechts mit den Härtefallkommissionen eine externe, distanzierte Sicht auf den Einzelfall aktiviert. Gleiches läge dem Sinn und Zweck des Begnadigungsrechts nahe und würde den Verlust an amtscharismatischer Prägung der Entscheidungsfindung auf delegierter Ebene kompensieren. Die Aktivierung einer besonderen Sachkenntnis in einem Kollegialgremium könnte funktionsunabhängig und distanziert ablaufen und die Verantwortungsübernahme sowie die Akzeptanz einer Begnadigungsentscheidung erleichtern. Der personale, amtscharismatische Charakter wird in der letztlichen Entscheidung durch einen Amtsträger nicht gestört, zwar in der Entscheidungsfindung modifiziert, aber auf einer dem Amtscharisma verwandten Art: Einzigen Einfluss auf die Kommissionsvoten haben die unabhängigen, distanzierten Auffassungen der Kommissionsmitglieder. Sie führen zu einer Temperierung2 des Amtscharismas, da die Unabhängigkeit der Kommission etwaigen Missbrauchsbedenken entgegenwirkt und die Distanzierungsfunktion des Begnadigungsrechts verstärkt. Nach alledem kommt dem Begnadigungsrecht eine Art Anpassungsfunktion zu,3 deren Notwendigkeit von einem unabhängigen, möglichst staatsleitenden Amt beurteilt und eingeschätzt werden kann, idealerweise verstärkt durch eine beratende Begnadigungskommission. Die Einschätzungen können ihren Platz nicht bei Staatsanwälten, ministerialen Referenten oder Richtern haben. Werden so die Grenzen der Delegation nicht eingehalten, wird das Begnadigungsrecht abstrahiert und zu einem anfechtbaren, üblichen Bindungen unterliegenden Rechtsakt modifiziert. Der Sinn der Begnadigung im Ausnahmefall muss es aber sein, „[…] das Spannungsverhältnis der streitenden Elemente der Rechtsidee anders und nach der Meinung des Gnadensubjekts besser zu entspannen, als es im Urteil entspannt wurde“4.

2

Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Band I, S. 159. Krumm, Vorgänge – Zeitschrift für Gesellschaftspolitik 1977, 94 (95). 4 Radbruch, Rechtsphilosophie, hrsg. von Dreier/Paulson, S. 163; vgl. bereits in der Einleitung (Kap. A.). 3

Literaturverzeichnis Alscher, Franz: Kann der Landtag in Gnadensachen Berücksichtigungsbeschlüsse erlassen?, in: BayVBl. 1972, Seite 540 ff. (Teil 1), 574 ff. (Teil 2). Anschütz, Gerhard/Thoma, Richard (Hrsg.): Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Erster Band, Tübingen 1930. Anter, Andreas/Breuer, Stefan (Hrsg.): Max Webers Staatssoziologie, Positionen und Perspektiven, Baden-Baden 2007. Aust, Stefan: Der Baader-Meinhof-Komplex, 1. Aufl. der Neuausgabe, Hamburg 2008. Bachof, Otto: Über Fragwürdigkeiten der Gnadenpraxis und Gnadenkompetenz, in: JZ 1983, Seite 469 ff. Bammann, Kai: Bergenden Schutz geben, Kirchenasyl zwischen christlichem Anspruch und strafrechtlicher Wirklichkeit, Münster 1998. von Bar, Ludwig: Gesetz und Schuld im Strafrecht, Band III: Die Befreiung von Schuld und Strafe durch das Strafgesetz, Berlin 1909. Barbey, Günther: Rechtsübertragung und Delegation, Eine Auseinandersetzung mit der Delegationslehre Heinrich Triepels, Münster 1962. Bartning, Gerhard: Zur Beurteilung der Gnadenwürdigkeit des Strafgefangenen, in: ZfStrVo 1961, Seite 33 ff. Battis, Ulrich: Bundesbeamtengesetz, Kommentar, 4. Aufl., München 2009. Bayl, Georg: Beyträge zum Criminalrecht, 1. Teil, 2. Aufl., Bamberg 1824. Bettermann, Karl August: Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR Band 96 (1971), Seite 528 ff. Bienfait, Agathe: Amtscharisma und Amtsethos. Das Zusammenspiel von Personalisierung und Versachlichung, in: Der Sinn der Institutionen, hrsg. von Mateusz Stachura, Agathe Bienfait, Gerd Albert, Steffen Sigmund, Wiesbaden 2009, Seite 287 ff. Birkhoff, Hansgeorg/Müller-Jacobsen, Anke: Gnadenverfahren, in: Münchner Anwaltshandbuch Strafverteidigung, hrsg. von Gunter Widmaier, München 2006, § 23, Seite 929 ff. Böckenförde, Ernst Wolfgang: Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 2. Aufl., Berlin 1998. Börner, Bodo/Jahrreiß, Hermann/Stern, Klaus (Hrsg.): Einigkeit und Recht und Freiheit, Festschrift für Karl Carstens zum 70. Geburtstag am 14. Dezember 1984, Band 2, Staatsrecht, Köln / Berlin / Bonn / München 1984. Böttcher, Reinhard/Hueck, Götz/Jähnke, Burkhard (Hrsg.): Festschrift für Walter Odersky zum 65. Geburtstag am 17. Juli 1996, Berlin / New York 1996.

204

Literaturverzeichnis

Braun, Klaus: Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart / München / Hannover 1984. Breuer, Stefan: Bürokratie und Charisma, Zur politischen Soziologie Max Webers, Darmstadt 1994. Bung, Kurt: Das Gnadenwesen im Land Berlin, in: MschrKrim 2002, 85. Jahrgang, Heft 4, Seite 282 ff. Conrad, Hermann/Kleinheyer, Gerd (Hrsg.): Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Suarez (1746 – 1798), Köln / Opladen 1960. Cüppers, Josef: Die Neuregelung des Gnadenwesens, eine vordringliche Aufgabe der Bundesregierung, in: NJW 1949, Seite 921 ff. Dauster, Manfred: Die Stellung des Ministers zwischen Regierungschef, Parlament und Regierung nach dem Verfassungsrecht der Länder, Köln / Berlin / Bonn / München 1984. David, Klaus: Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 2. Aufl., Stuttgart / München / Hannover, Berlin / Weimar / Dresden 2004. Degenhart, Christoph/Meissner, Claus: Handbuch der Verfassung des Freistaates Sachsen, Stuttgart / München / Hannover / Berlin / Weimar, Dresden 1997. Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.): Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, Akten und Protokolle, Band 13: Ausschuss für Organisation des Bundes/Ausschuss für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege, München 2002. Dimoulis, Dimitri: Die Begnadigung in vergleichender Perspektive, Berlin 1996. Dolzer, Rudolf/Vogel, Klaus/Graßhof, Karin (Hrsg.): Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Band 11, Art. 80 – 88, Loseblattsammlung, Stand: April 2010, Heidelberg 2010. Dombois, Hans: Das Recht der Gnade, Ökumenisches Kirchenrecht, Band I, 2. Aufl., Witten 1969. Dreher, Eduard: Richterliche Aussetzung des Strafrestes auch bei lebenslanger Freiheitsstrafe?, in: Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag, hrsg. von Günter Warda, Heribert Waider, Reinhard v. Hippel und Dieter Meurer, Berlin / New York 1976, Seite 323 ff. Dreier, Horst: Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, Tübingen 1991. – (Hrsg.): Grundgesetz, Kommentar, Band I: Präambel, Artikel 1 – 19, 2. Aufl., Tübingen 2004. – (Hrsg.): Grundgesetz, Kommentar, Band II: Artikel 20 – 82, 2. Aufl., Tübingen 2006. Dürig, Günter: Anmerkung [zum Urteil des OVG Hamburg v. 23. 9. 1960 Bf. I 203/59], in: JZ 1961, Seite 166 f. Engisch, Karl: Recht und Gnade, in: Schuld und Sühne, Dreizehn Vorträge über den deutschen Strafprozess, hrsg. von Burghard Freudenfeld, München 1960, Seite 107 ff. Epping, Volker/Hillgruber, Christian (Hrsg.): Grundgesetz, Kommentar, München 2009. Filmer, Werner/Schwan, Heribert (Hrsg.): Begegnungen mit Richard von Weizsäcker, München 1993. Flor, Georg: Gnade vor Recht, in: Evangelische Kommentare, Monatsschrift zum Zeitgeschehen in Kirche und Gesellschaft 1989, Seite 31 ff.

Literaturverzeichnis

205

Förster, Hans: Zur Neuordnung des Gnadenwesens, in: JR 1950, Seite 609 ff. Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik, Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1996. Freudenfeld, Burghard (Hrsg.): Schuld und Sühne, Dreizehn Vorträge über den deutschen Strafprozess, München 1960. Freuding, Stefan: Das Gnadenrecht – Ein Überblick des Gnadenverfahrens am Beispiel der Gnadenordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GnO NW), in: StraFo 2009, Seite 491 ff. Friauf, Karl Heinrich/Höfling, Wolfram (Hrsg.): Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Band 2: Art. 16 – 37, Band 3: Art. 38 – 82, Berlin 2000 ff., Loseblattsammlung (Stand: 2009). Fritz, Roland/Gerster, Rainald/Karber, Bernd/Lambeck, Rainer (Hrsg.): Im Geiste der Demokratie und des sozialen Verständnisses, Festschrift 20 Jahre Verwaltungsgericht Gießen, Köln 2007. Frotscher, Werner/Pieroth, Bodo: Verfassungsgeschichte, 8. Aufl., München 2009. Frowein, Jochen Abr.: Die Angabe der Rechtsgrundlage in einer auf Grund einer Subdelegation erlassenen Rechtsverordnung, in: DÖV 1969, Seite 621 ff. Füsslein, Rudolf Werner: Abschnitt V – Der Bundespräsident, in: Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, Band 1, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, hrsg. von Gerhard Leibholz und Hermann von Mangoldt, Tübingen 1951, Seite 397 ff. Geerds, Friedrich: Gnade, Recht und Kriminalpolitik, Tübingen 1960. Gehrlein, Markus: Braucht Deutschland einen Bundespräsidenten?, in: DÖV 2007, Seite 280 ff. Gerster, Rainald: Die Korrektur der Härte. Zu Bleiberechtsregelungen bei vollziehbarer Ausreisepflicht, in: Im Geiste der Demokratie und des sozialen Verständnisses, Festschrift 20 Jahre Verwaltungsgericht Gießen, hrsg. von Fritz Roland, Rainald Gerster, Bernd Karber und Rainer Lambeck, Köln 2007, Seite 393 ff. Göbel-Zimmermann, Ralph: Härtefallkommissionen als letzter Ausweg aus einem prekären Aufenthalt?, in: ZAR 2008, Seite 47 ff. Göttelmann, Wolfgang: Die Delegation hoheitlicher Befugnisse internationaler Organisationen und ihrer Organe, Saarbrücken 1968. Greive, Wolfgang (Hrsg.): Amnestie, Gnade, Politik, Loccumer Protokolle 62/1988, RehburgLoccum 1990. Grewe, Wilhelm: Gnade und Recht, Hamburg 1936. Groß, Thomas: Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, Tübingen 1999 Grünwald, Gerald (Hrsg.): Festschrift für Friedrich Schaffstein zum 70. Geburtstag am 28. Juli 1975, Göttingen 1975. – Zuwanderung aus humanitären Gründen, in: ZAR 2005, Seite 61 ff. Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, Band I – Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1985. Hailbronner, Kay: Ausländerrecht – Kommentar, Loseblattausgabe, Heidelberg 1993 ff., Stand: April 2009.

206

Literaturverzeichnis

Hannich, Rolf (Hrsg.): Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 6. Aufl., München 2008. Hatscher, Christoph R.: Charisma und Res Publica, Stuttgart 2000. Hattenhauer, Hans: Die Begnadigung im Spiegel der Legende, in: ZStW 1966, Seite 184 ff. Herdegen, Matthias: Strukturen und Institute des Verfassungsrechts der Länder, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, Finanzverfassung und Bundesstaatliche Ordnung, hrsg. von Josef Isensee und Paul Kirchhof, 2. Aufl., Heidelberg 1999, § 97, Seite 479 ff. Herdegen, Matthias/Klein, Hans Hugo/Papier, Hans-Jürgen/Scholz, Rupert (Hrsg.): Staatsrecht und Politik, Festschrift für Roman Herzog zum 75. Geburtstag, München 2009. Herzog, Roman: Entscheidung und Gegenzeichnung, in: Festschrift für Gebhard Müller, hrsg. von Theo Ritterspach und Willi Geiger, Tübingen 1970, Seite 117 ff. Hess-Odoni, Urs: Die Begnadigung – ein notwendiges Instrument der Strafjustiz, in: SchwJZ 2001, Seite 413 ff. Hesse, Konrad: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Neudruck der 20. Aufl., Heidelberg 1999. Hiebl, Stefan/Kassebohm, Nils/Lilie, Hans (Hrsg.): Festschrift für Volkmar Mehle zum 65. Geburtstag am 11. 11. 2009, Baden-Baden 2009. Hillmann, Karl-Heinz: Wörterbuch der Soziologie, 5. Aufl., Stuttgart 2007. Hindrichs, Gunnar: Autorität und Milde – Zum Begnadigungsrecht des Bundespräsidenten, in: JZ 2008, Seite 242 ff. Hömig, Dieter: Gnade und Verfassung, in: DVBl. 2007, Seite 1328 ff. Holste, Heiko: Die Begnadigung – Krönung oder Störung des Rechtsstaates?, in: Jura 2003, Seite 738 ff. Hornig, Michael: Die Petitionsfreiheit als Element der Staatskommunikation, Baden-Baden 2001. Huba, Hermann: Gnade im Rechtsstaat?, in: Der Staat 90 (1990), Seite 117 ff. Hüser, Klaus: Begnadigung und Amnestie als kriminalpolitisches Instrument mit Untersuchungen aus dem Hamburger Bereich, Hamburg 1973. von Ihering, Rudolph: Der Zweck im Recht, Band 1, 4. Aufl., Leipzig 1904. Isensee, Josef/Kirchhof, Paul (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band II, Demokratische Willensbildung, Die Staatsorgane des Bundes, 2. Aufl., Heidelberg 1998. – (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Band III, Demokratie – Bundesorgane, 3. Aufl., Heidelberg 2005. – (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, Finanzverfassung – Bundesstaatliche Ordnung, 2. Aufl., Heidelberg 1999. – (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, Rechtsquellen, Organisation, Finanzen, 3. Aufl., Heidelberg 2007.

Literaturverzeichnis

207

Jellinek, Georg: Gesetz und Verordnung, Tübingen 1887. Jesch, Dietrich: Die Bindung des Zivilrichters an Verwaltungsakte, Erlangen 1956. Jescheck, Hans-Heinrich/Triffterer, Otto (Hrsg.): Ist die lebenslange Freiheitsstrafe verfassungswidrig?, Dokumentation über die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht am 22. und 23. März 1977, Baden-Baden 1978. Kanzleiter, Rainer: Die Begnadigung unter besonderer Berücksichtigung des Steuerstrafrechts, Würzburg 1965. Katz, Alfred: Politische Verwaltungsführung in den Bundesländern, Berlin 1975. Kaufmann, Arthur: Recht und Gnade in der Literatur, in: NJW 1984, Seite 1062 ff. Kluth, Winfried/Hund, Michael/Maaßen, Hans-Georg (Hrsg.): Zuwanderungsrecht, BadenBaden 2008. Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich: Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 11. Aufl., München 2011. Kraschutzki, Heinz: Begnadigung, in: ZRP 1970, Seite 226 ff. – Das Begnadigungswesen, in: Die neue Gesellschaft 1971, Seite 715 ff. Krings, Günter: Die Petitionsfreiheit nach Art. 17 GG, in: JuS 2004, Seite 474 ff. Krumm, Karl-Heinz: Gnade, Gnadenrecht, Gnadenpraxis, in: Vorgänge – Zeitschrift für Gesellschaftspolitik 1977, Seite 94 ff. Kumpf, Johann Heinrich: Petitionsrecht und öffentliche Meinung im Entstehungsprozess der Paulskirchenverfassung 1848/49, Frankfurt / Bern / New York 1983. Laufhütte, Heinrich Wilhelm/Rissing-van Saan, Ruth/Tiedemann, Klaus (Hrsg.): Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, Dritter Band, §§ 56 bis 79b, 12. Aufl., Berlin 2008. Leibholz, Gerhard/von Mangoldt, Hermann (Hrsg.): Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, Band 1, Tübingen 1951. Lilie, Hans: Staatsanwaltschaft als Verwaltungsbehörde, als Organ der Rechtspflege, als Teil der Justiz – Zuordnung zur dritten Gewalt?, in: Festschrift für Volkmar Mehle zum 65. Geburtstag am 11. 11. 2009, hrsg. von Stefan Hiebl, Nils Kassebohm und Hans Lilie, Baden-Baden 2009, Seite 359 ff. Linck, Joachim/Jutzi, Siegfried/Hopfe, Jörg: Die Verfassung des Freistaats Thüringen, Kommentar, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden 1994. Löwer, Wolfgang/Tettinger, Peter J.: Kommentar zur Verfassung des Landes NordrheinWestfalen, Stuttgart, Berlin 2002. Lüke, Monika: Humanitäre Bleiberechte außerhalb des Flüchtlingsschutzes im Rahmen des Aufenthaltsgesetzes, in: ZAR 2004, Seite 397 ff. von Mangoldt, Hermann (Begr.)/Klein, Friedrich (Begr.)/Starck, Christian (Hrsg.): Kommentar zum Grundgesetz, Band 1: Präambel, Artikel 1 bis 19, Band 2: Artikel 20 bis 82, 4. Aufl., München 2001, 5. Aufl., München 2005. Marxen, Klaus: Rechtliche Grenzen der Amnestie, Heidelberg 1984.

208

Literaturverzeichnis

– Strafgesetzgebung als Experiment?, Gesetzesexperimente in strafrechtlicher Sicht, in: GA 1985, Seite 533 ff. Maunz, Theodor (Begr.)/Dürig, Günter (Begr.)/Herzog, Roman/Scholz, Rupert/Herdegen, Matthias/Klein, Hans (Hrsg.): Grundgesetz, Kommentar, Band II: Art. 6 – 16a, Band III: Art. 17 – 27, Band IV: Art. 28 – 69, Band V: Art. 70 – 99, Loseblattsammlung, 59. Aufl. 2010, München 2010. Maurer, Hartmut: Die Gegenzeichnung nach dem Grundgesetz, in: Einigkeit und Recht und Freiheit, Festschrift für Karl Carstens zum 70. Geburtstag am 14. Dezember 1984, hrsg. von Bodo Börner, Hermann Jahrreiß und Klaus Stern, Band 2, Staatsrecht, Köln / Berlin / Bonn / München 1984, Seite 701 ff. Mayer, Elmar: Überlegungen zur verfassungsrechtlichen Stellung der Staatsanwaltschaften, in: Festschrift für Walter Odersky zum 65. Geburtstag am 17. Juli 1996, hrsg. von Reinhard Böttcher, Götz Hueck, Burkhard Jähnke, Berlin / New York 1996, Seite 233 ff. Meder, Theodor: Die Verfassung des Freistaates Bayern, Handkommentar, 4. Aufl., Stuttgart / München / Hannover / Berlin 1992. Meier, Horst: Gesetzloses Wunder – Vom Sinn der Gnade, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2007, Seite 742 ff. Menger, Christian-Friedrich: Anmerkung zum Urteil BVerwG I C 165.55 v. 27. 2.1957, in: DVBl. 1957, Seite 683 f. Merten, Detlef: Rechtsstaatlichkeit und Gnade, Berlin 1978. Mickisch, Christian: Die Gnade im Rechtsstaat, Frankfurt am Main 1996. Müller-Dietz, Heinz: Recht und Gnade, in: DRiZ 1987, Seite 474 ff. von Münch, Ingo (Begr.)/Kunig, Philip (Hrsg.): Grundgesetz-Kommentar, Band 2 (Art. 20 bis Art. 69), 4./5. Aufl., München 2001. Nettesheim, Martin: Die Aufgaben des Bundespräsidenten, in: Handbuch des Staatsrechts, Band III, Demokratie und Bundesorgane, hrsg. von Josef Isensee und Paul Kirchhof, 3. Aufl., Heidelberg 2005, § 62, Seite 1073 ff. Neuhaus, Helmut: Reichstag und Supplikationsausschuss, Berlin 1977. Nierhaus, Michael: Entscheidung, Präsidialakt und Gegenzeichnung, München 1973. – Begnadigung eines Spions, in: Jura 1987, Seite 553 ff. Nüse, Karl-Heinz: Zur Frage der Reform des Gnadenrechts, in: MDR 1951, Seite 71 ff. Obermayer, Klaus: Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt, Stuttgart / München / Hannover 1956. – Die Übertragung von Hoheitsbefugnissen im Bereich der Verwaltungsbehörden, in: JZ 1956, Seite 625 ff. – Führungselite im demokratischen Rechtsstaat, in: BayVBl. 1984, Seite 641 ff. Ossenbühl, Fritz: Gesetz und Recht – Die Rechtsquellen im demokratischen Rechtsstaat, in: Handbuch des Staatsrechts, Band V, Rechtsquellen, Organisation, Finanzen, 3. Aufl., Heidelberg 2007, § 100, Seite 135 ff.

Literaturverzeichnis

209

Pieper, Stefan Ulrich: Das Gnadenrecht des Bundespräsidenten – eine Bestandsaufnahme, in: Staatsrecht und Politik, Festschrift für Roman Herzog zum 75. Geburtstag, hrsg. von Matthias Herdegen, Hans-Hugo Klein und Hans-Jürgen Papier, München 2009, Seite 355 ff. Plochmann, Julius: Das Begnadigungsrecht, Erlangen 1845. Poetzsch, Fritz: Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, in: JahrbÖffR 1925 (Band XIII), Seite 1 ff. Pristawkin, Anatolij: Für und wider die Todesstrafe – Gespräch mit dem Vorsitzenden der russischen Begnadigungskommission, in: Osteuropa-Archiv 1995, Seite A 577 ff. Putzke, Holm/Hardtung, Bernhard/Hörnle, Tatjana/Merkle, Reinhard/Scheinfeld, Jörg/Schlehofer, Horst/Seier, Jürgen (Hrsg.): Strafrecht zwischen System und Telos, Festschrift für Rolf-Dietrich Herzberg zum siebzigsten Geburtstag am 14. Februar 2008, Tübingen 2008. Radbruch, Gustav: Rechtsphilosophie, Studienausgabe von 1932, hrsg. von Ralf Dreier und Stanley L. Paulson, Heidelberg 1999. Raiser, Thomas: Max Weber und die Rationalität des Rechts, in: JZ 2008, Seite 853 ff. Rehse, Birgit: Die Supplikations- und Gnadenpraxis in Brandenburg-Preußen – Eine Untersuchung am Beispiel der Kurmark unter Friedrich Wilhelm II. (1786 – 1797), Berlin 2008. Reichhardt, Hans J. (Hrsg.): Die Entstehung der Verfassung von Berlin, Eine Dokumentation im Auftrag des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin, Band I und II, Berlin / New York 1990. Reinhardt, Thorsten: Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, Berlin 2006. Renner, Günter: Ausländerrecht, Kommentar, 8. Aufl., München 2005. Rinio, Carsten: Rechtsprechungsübersicht zum Widerruf von Gnadenerweisen, in: NStZ 2006, Seite 438 ff. Ritterspach, Theo/Geiger, Willi (Hrsg.): Festschrift für Gebhard Müller, Zum 70. Geburtstag des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Tübingen 1970. Röhl, Klaus Friedrich: Über die lebenslange Freiheitsstrafe, Berlin 1969. Rüping, Hinrich: Die Gnade im Rechtsstaat, in: Festschrift für Friedrich Schaffstein zum 70. Geburtstag am 28. Juli 1975, hrsg. von Gerald Grünwald, Olaf Miehe, Hans-Joachim Rudolphi und Hans-Ludwig Schreiber, Göttingen 1975, Seite 31 ff. Sachs, Michael (Hrsg.): Grundgesetz, Kommentar, 5. Aufl. München 2009. Schätzler, Johann-Georg: Gnade vor Recht, in: NJW 1975, Seit 1249 ff. – Handbuch des Gnadenrechts, Gnade – Amnestie – Bewährung, 2. Aufl., München 1992 Schall, Hero: Gnade vor Recht oder Recht vor Gnade, in: Strafrecht zwischen System und Telos, Festschrift für Rolf-Dietrich Herzberg zum siebzigsten Geburtstag am 14. Februar 2008, hrsg. von Holm Putzke, Bernhard Hardtung, Tatjana Hörnle, Reinhard Merkle, Jörg Scheinfeld, Horst Schlehofer und Jürgen Seier, Tübingen 2008, Seite 899 ff. Schauer, Philipp: Staatsorganisationsrecht und politische Willensbildung, Frankfurt am Main / Bern / New York / Paris 1990. Schenke, Wolf-Rüdiger: Delegation und Mandat im Öffentlichen Recht, in: VerwArch Bd. 68 (1977), Seite 118 ff.

210

Literaturverzeichnis

– Rechtsschutz gegen Gnadenakte, in: JA 1981, Seite 588 ff. Schlaich, Klaus: Die Funktionen des Bundespräsidenten im Verfassungsgefüge, in: Handbuch des Staatsrechts Band II, Demokratische Willensbildung – Die Staatsorgane des Bundes, hrsg. von Josef Isensee und Paul Kirchhof, 2. Aufl., Heidelberg 1998, § 49, Seite 541 ff. Schmidt-Bleibtreu, Bruno (Begr.)/Hofmann, Hans/Hopfauf, Axel (Hrsg.): Kommentar zum Grundgesetz, 11. Aufl., Köln / München 2008. Schmidt-Leichner, Erich: Die Bundesamnestie, in: NJW 1950, Seite 41 ff. Schönenbroicher, Klaus: Rechtsstaat auf Abwegen? – Die neue „Härtefallklausel“ des Ausländerrechts, in: ZAR 2004, Seite 351 ff. Schümer, Anne-Louise: Die Stellung des Ministerpräsidenten in den Bundesländern im Vergleich, Frankfurt am Main 2006. Schütte, Matthias: Gnade vor Recht? Eine Betrachtung zur Entwicklung des Gnadenrechts, in: Unterrichtsblätter – Zeitschrift für Ausbildung, Fortbildung und Verwaltungspraxis für die Bundeswehrverwaltung UBWV 2007, Seite 161 ff. Schulze-Fielitz, Helmuth: Neue Kriterien für die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, in: JZ 1993, Seite 772 ff. Seidel, Harald: Das Petitionsrecht, Frankfurt 1972. Seneca, Lucius Annaeus: De Clementia – Über die Güte, hrsg. von Karl Büchner, Stuttgart 1986. Sierck, Gabriela: Von der Untertanbitte zum Petitionsrecht, in: DRiZ 1998, Seite 442 ff. Sobota, Katharina: Das Prinzip Rechtsstaat, Tübingen 1997. Stachura, Mateusz/Bienfait, Agathe/Albert, Gerd/Sigmund, Steffen (Hrsg.): Der Sinn der Institutionen, Wiesbaden 2009. Stelkens, Paul: Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Krise, in: DVBl. 1995, Seite 1105 ff. Stern, Klaus: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, München 1980. Strasser, Peter: Dunkle Gnade – Willkür und Wohlwollen, München 2007. Süß, Frank: Studien zur Amnestiegesetzgebung, Berlin 2001. Tomuschat, Christian: Verfassungsgewohnheitsrecht?, Heidelberg 1972. Traulsen, Christian: Das sakrale Asyl in der Alten Welt, Tübingen 2004. Triepel, Heinrich: Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, Stuttgart / Berlin 1942. Triffterer, Otto/Bietz, Hermann: Strafaussetzung für „Lebenslängliche“?, in: ZRP 1974, Seite 141 ff. Troßmann, Hans/Roll, Hans-Achim: Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, München 1981. Unkelbach, Alexandra: Vorbereitung und Übernahme staatlicher Entscheidungen durch plural zusammengesetzte Gremien, Speyer 2001. Uppenkamp, Thomas: Die Begnadigung und ihre Bedeutung bei der lebenslangen Freiheitsstrafe Münster 1972.

Literaturverzeichnis

211

Vereinigung demokratischer Juristen Deutschlands (Hrsg.): Referate und die erneute Resolution an den Bundestag der 7. Arbeitstagung des erweiterten Initiativ-Ausschusses für eine Amnestie in politischen Strafsachen in Westdeutschland, Frankfurt am Main 1961. Verfassungsausschuss der Ministerpräsidenten-Konferenz der westlichen Besatzungszonen (Hrsg.): Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, München 1948. Graf Vitzthum, Wolfgang: Petitionsrecht und Volksvertretung – Zu Inhalt und Schranken des parlamentarischen Petitionsbehandlungsrechts, Rheinbreitbach 1985. Vonderbeck, Hans-Josef: Zur Entwicklung des parlamentarischen Petitionsrechts von den Anfängen bis zur jüngsten Neuregelung für den Deutschen Bundestag, in: ZParl 1975, Seite 178 ff. Warda, Günter/Waider, Heribert/v. Hippel, Reinhard/Meurer, Dieter (Hrsg.): Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag, Berlin / New York 1976. Warnecke, Almuth: Die Probleme der Begnadigung „Lebenslänglicher“ und des § 57a StGB sowie deren Ursachen, Köln 2001. Wassermann, Rudolf (Hrsg.): Reihe Alternativkommentare, Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Band 2, Art. 38 – 146, Neuwied 1989. Weber, Christof: Arbeit der Härtefallkommission beim Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, in: ZAR 2005, Seite 203 ff. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, Teilband 4: Herrschaft, Herausgegeben von Edith Hanke, Tübingen 2005. – Wirtschaft und Gesellschaft, 5., rev. Aufl., Tübingen 1985. Wehler, Hans Ulrich: Das analytische Potential des Charisma-Konzepts: Hitlers charismatische Herrschaft, in: Max Webers Staatssoziologie, Positionen und Perspektiven, hrsg. von Andreas Anter und Stefan Breuer, Baden-Baden 2007, Seite 175 ff. Werthmüller, Doris: Parteienfinanzierung und Spendenpraxis, Dargestellt am Beispiel des gescheiterten Gesetzesvorhabens zur Amnestie von Straftaten im Zusammenhang mit Spenden an politische Parteien, München 1990. Widmaier, Gunter (Hrsg.): Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, München 2006. Winkler, Günther: Begnadigung und Gegenzeichnung, Eine praxisorientierte verfassungsrechtliche und staatstheoretische Studie über Staatsakte des Fürsten von Liechtenstein, Wien / New York 2005. Wiontzek, Sandra: Handhabung und Wirkungen des Gnadenrechts, Hamburg 2008. Wolff, Hans J. (Begr.)/Bachof, Otto (Begr.)/Stober, Rolf (Hrsg.): Verwaltungsrecht Band 3, 5. Aufl., München 2004. Wolff, Hans J. (Begr.)/Bachof, Otto (Begr.)/Stober, Rolf/Kluth, Winfried (Hrsg.): Verwaltungsrecht Band 1, 12. Aufl., München 2007. Wolff, Heinrich Amadeus: Ungeschriebenes Verfassungsrecht unter dem Grundgesetz, Tübingen 2000. Wussow, Ulrich: Zur Problematik von Gnadenentscheidungen, in: DÖD 1989, Seite 105 ff.

212

Literaturverzeichnis

Zeidler, Karl: Bundesverfassungsgericht und „Maßnahmegesetz“, Bemerkungen zum Beschluss BVerfGE 10, 234, in: JZ 1960, Seite 391 ff.

Sachwortverzeichnis Abolition 28, 29, 43 Amnestie 31, 39 ff. Amtscharisma 50 ff., 55 ff. Amtsethos 56 Asylrecht 155 ff., 166 f.

Einzelfallbezogenheit 39 ff. Entscheidungsebene 129 ff., 139 ff. Entscheidungsfreiheit 47 ff., 118 Ermessen 71 f., 130 Ethikräte 178 f.

Baden-Württemberg 76, 97 f., 101, 161, 194 Bayern 77 ff., 98, 101, 193 f. Beamtenrechtliches Disziplinargnadenrecht 35 f., 38, 46, 90 Befangenheit 147 f. Begnadigung 44 ff. Begnadigungskommissionen 155 ff., 167 ff., 182 ff., 197 f. Begrenztheit des Rechts 46 f. Berlin 37, 76, 98, 102, 105, 172 ff. Beschwerde 149 Bestimmtheitsgebot 125 Brandenburg 96, 194 Bremen 37, 181 Bundesministerium der Justiz 84, 90 Bundespräsident 34 ff., 48, 68, 83 ff., 115 f., 124, 131 ff., 139, 171, 192 f. Bundespräsidialamt 131 ff., 153 Bundestag 188, 192

Frist 131 ff. Funktionalität 52 ff.

Charisma 54 ff. Chiffre 46 f., 167 Clementia 25 f. Delegation 74 ff., 113 ff. Delegation als Ausnahme 117, 119 f. Delegationsanordnung Bundesebene 83 ff. Delegationsanordnungen Landesebene 93 ff. Delegationsermächtigung Bundesebene 74 f. Delegationsermächtigungen Landesebene 75 ff. Dezentralisierung 122 ff. Dignität 153 f. Distanzierungsfunktion 45, 144

Gegenzeichnung 85 ff. Gegenzeichnungspflicht 86 ff. Geneigtheit 46 Gerichtspräsidenten 103, 145 Gewaltenteilung 145, 148 Gewohnheitsrecht 77 ff. Gleichheitssatz 68 Gnade 44 ff. Gnade vor Recht 58 f. Gnadenausschuss 105 f., 172 ff. Gnadenbeauftragte 103 f., 145 ff. Gnadenbegriff 44 ff. Gnadenbehörde 94, 103 Gnadengleichheit 68 Gnadengründe 146 ff. Gnadenordnungen 106 ff. Gratuität 21 Härtefall 157 ff, 166 f. Härtefallkommissionen 157 ff. Härtefallkommissionsverordnungen 161 Hamburg 37, 77 ff., 104 f., 162, 180 f., 194 Handlungsnorm/-prinzip 44 Hessen 75, 98, 154, 162, 194 Hogefeld, Birgit 132 ff. Injustitiabilität 165 f. Irrationalität 32, 53 f. Jubelamnestien 41 f. Jugendrichter 103, 145 Justitiabilität 63 ff., 147

214

Sachwortverzeichnis

Justizminister 96 ff., 139 f., 152, 196 f. Justizvollzugsanstalten 111 f. Kirchenasyl 156 f. Klar, Christian 60 f. Kollegialentscheidung 30, 167 ff., 172 ff., 178 ff. Kollegialprinzip 49, 178 ff. Kompetenzbegriff 118 f. Kontrollfunktion 180 f., 185 f., 192 f. Kontrollnorm 71 f. Kriminalpolitik 137 f. Landesparlamente 189 f., 193 ff. Landesregierungen 36 f., 48 ff., 94 ff., 116 f., 139 Mandat 114 Maßstabsnorm 71 f. Milde 46 Ministerialbürokratie 129, 141 ff. Ministeriumserlasse 111 f., 135 ff. Ministeriumsmitarbeiter 141 ff. Ministerpräsidenten 36 f., 48 ff., 68, 94 ff., 116 f., 139, 152, 171, 196 f. Monarchie 22 ff. Niedersachsen 95, 98, 101, 195 Nordrhein-Westfalen 101, 103 f., 142, 145 ff., 160, 195, 197 Nürnberger Reichsabschied 23 Organisationsgewalt 122 Organisationsrecht 127 f. Parlamentarischer Rat 29 ff. Parteispendenaffäre 42 f. Persönliches Gespräch 51 Personenbindung 22 f., 51, 67 f., 151 f. Petitionsausschuss 162, 169 f., 182 ff., 197 f. Petitionsgesetze 187 ff. Petitionsrecht 131, 166 f., 183 ff., 186 ff. Petitionsüberweisungsrecht 191 Politisierung 29, 40 ff., 197 Präambel des Grundgesetzes 46 f. Präsidentenanklage 192

Radbruch, Gustav 17 f.. 138 f. RAF-Terroristen 60 f., 132 ff. Rationalität 52 ff. Rechtsbefriedung 187 Rechtsschutz 134, 190 Rechtsschutzgarantie 65 ff. Rheinland-Pfalz 76, 106 Russland 178 Saarland 76, 102, 106, 161, 195 Sachsen 76 Sachsen-Anhalt 97, 195 Schleswig-Holstein 102, 154, 159, 161, 195, 197 Seneca, Lucius Annaeus 25 f. Staatsanwälte 98 ff., 143 ff. Staatsferne 45 Staatsklugheit 26 Staatsleitende Funktion 25 Staatsschutzdelikte 35 f., 60 f. Staatssekretäre 140 f. Stadtstaaten 37 Strafaussetzung auf Bewährung 59 f. Strafurteil 37 ff. Subdelegation 97 f., 117, 121 ff. Subjektivität 47 Symbolkraft 154 Theologische Aspekte 20 ff. Thüringen 189 Transparenz 152 f. Tugend 25 f. Über-/Unterordnungsverhältnis 21, 46, 108, 133 Verantwortungsübernahme 179 f. Verfahrensgarantien 130 f. Verrechtlichung 62 f. Vertraulichkeitsgebot 102 Verwaltungsrecht 45, 71 f. Verwaltungstätigkeit 130, 175 Verwaltungsvorschriften 106 ff. Vollzugsrecht 135 ff. Vorprüfungsverfahren 161, 169 f.

Sachwortverzeichnis Weber, Max 52 f., 54 ff., Weihnachtsamnestien 111, 135 Weimarer Reichsverfassung 27 f. Weisungsrecht des Bundespräsidenten 90 ff.

Weiterleitungspflicht 196 Widerruf 69 ff., 110 Zitiergebot 125 Zuwendung 46

215