Bedarf der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg einer in der Verfassung verankerten Richtlinienkompetenz? [1 ed.] 9783428486540, 9783428086542

147 35 17MB

German Pages 167 Year 1996

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Bedarf der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg einer in der Verfassung verankerten Richtlinienkompetenz? [1 ed.]
 9783428486540, 9783428086542

Citation preview

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 691

Bedarf der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg einer in der Verfassung verankerten Richtlinienkompetenz?

Von Thomas Wieske

Duncker & Humblot · Berlin

THOMAS WIESKE Bedarf der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg einer in der Verfassung verankerten Richtlinienkompetenz?

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 691

Bedarf der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg einer in der Verfassung verankerten Richtlinienkompetenz?

Von

Thomas Wieske

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Wieske, Thomas: Bedarf der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg einer in der Verfassung verankerten Richtlinienkompetenz? / von Thomas Wieske. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 691) Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08654-6 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-08654-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Vorwort

Das Thema „Richtlinienkompetenz für den Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg" und darüber hinaus die Frage nach seiner verfassungsrechtlichen Stellung taucht in fast regelmäßigen Abständen in der politischen Diskussion in Hamburg auf 1 . In den letzten Jahren wurde die Diskussion vor allem durch die Anregungen des damaligen Ersten Bürgermeisters Klaus v.Dohnanyi und durch die Empfehlungen der „Stadtstaaten-Kommission" im März 1988 wieder neu entfacht. Durch den Rücktritt Klaus v.Dohnanyis am 1.6.1988 trat sie aber dann scheinbar wieder in den Hintergrund. Jedoch kam es zu einer Wiederbelebung der Diskussion durch ein von der Hamburger SPD beschlossenes Paket zur Reform der hamburgischen Verfassungs- und Verwaltungsstruktur 2. Die Anregung zum Thema dieser Dissertation gab mir Herr Professor Dr. Hans Hermann Hartwich. Für die Erörterung dieses Themas und vielfältige Hinweise bei der Erstellung der Arbeit bin ich Herrn Professor Dr. Winfried Steffani und Herrn Professor Dr. Karl Albrecht Schachtschneider sehr dankbar. Ferner danke ich Herrn Professor Dr. Hans Werner Thieme für Hinweise, Kritik und Anregungen. Meiner Familie danke ich, daß sie mir die Möglichkeit gegeben hat, die Arbeit neben meiner Berufstätigkeit zu schreiben.

Thomas Wieske

1 1976 Initiative zur Einführung des Ministerpräsidentensystems in Hamburg durch den SPD-Fraktionschef U. Hartmann, siehe Die Welt Nr. 252 vom 28.10.1976: „Hartmanns New Look für Hamburgs Verfassung"; 1985 v.Dohnanyi·. „Das geistige Gesicht Hamburgs, Mitteilungen des Übersee-Clubs, November II, 1985; 1986 Einsetzung der sog. Stadtstaatenkommission. 2 Pumm, ZParl 1988, S. 453; H ABl. vom 2.4.1990: „SPD-Parteitag - Hamburg auf neuen Wegen".

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

13

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz

17

I.

Der Begriff der Richtlinienkompetenz in der staatsrechtlichen und politologischen Literatur 17 1. Wortlautinterpretation 17 a) Die Wortbedeutung 17 b) Der Begriff der Politik 18 2. Die begriffsjuristische Auslegung bei Theodor Maunz 20 3. Der politikwissenschaftliche Ansatz bei Theodor Eschenburg 21 4. Die politikwissenschaftliche Erklärung bei Wilhelm Hennis 24 5. Die teleologische Interpretation des Begriffs der Richtlinienkompetenz 25

II.

Richtlinienkompetenz und sonstige Rechte des Regierungschefs 30 1. Richtlinienkompetenz und Kabinettsbildungsrecht 31 2. Die direkte parlamentarische Legitimation des Regierungschefs 35 3. Richtlinienkompetenz und sonstige Hilfs- und Ergänzungsbefugnisse des Regierungschefs am Beispiel des Bundeskanzlers 39 a) Das Organisationsrecht 40 b) Informationsanspruch des Bundeskanzlers 41 c) Die Geschäftsleitung 42 d) Die Stichentscheidungsstimme 42 e) Die Richtlinienorientierung der Bundesminister 43

III. Zusammenfassung und Bestimmung des Begriffs der Richtlinienkompetenz

44

B. Die Regelung der Richtlinienkompetenz in der Hamburgischen Verfassung

47

I.

Die kollegiale Richtlinienkompetenz des Senats

II.

Elemente der Richtlinienkompetenz - das Recht, die Senatoren zu bestellen, und das Abberufungsrecht 50 1. Die Senatorenbestellung 51 2. Die Senatorenabberufung 54 a) Rücktrittsvarianten 55 b) Vertrauensentzugsvarianten 56

47

8

nsverzeichnis III. Das Organisationsrecht des Senats 58 1. Die jährliche Geschäftsverteilung 58 2. Die Begrenzung der Ressortzuständigkeit der Senatoren durch das Evokationsrecht des Senats 60 IV. Die Verantwortlichkeit der Senatsmitglieder gegenüber Senat und Bürgerschaft

V.

62

1. Die Verantwortung gegenüber dem Senat 2. Die Verantwortung der Senatsmitglieder gegenüber der Bürgerschaft

62 62

Zusammenfassung - Wer hat die Richtlinienkompetenz in Hamburg inne?

63

C. Die verfassungsrechtliche Stellung des Präsidenten des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg 65 I.

Die Stellung des Präsidenten des Senats nach der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg 65 1. Die Rechte des Präsidenten des Senats nach Art. 41 Abs. 2 H V 65 a) Der Wortlaut von Art. 41 Abs. 2 H V 65 b) Die Leitung der Senatsgeschäfte 66 c) Die Überwachung des Staatswesens 67 d) Die persönliche Übernahme wichtiger Staatsangelegenheiten 68 e) Die Förderung grundlegender Arbeiten 68 f) Die Eilzuständigkeit 69 2. Das Verhältnis der Präsidialrechte zu dem Kollegialprinzip 69 3. Die Rechte des Präsidenten des Senats nach dem Senatsgesetz und der Geschäftsordnung des Senats 70 a) Die Regelungen im Senatsgesetz 70 b) Die Bestimmungen der Geschäftsordnung des Senats 70 c) Die Sonderstellung des Präsidenten des Senats 74

II.

Die institutionellen und personellen Hilfsmittel des Präsidenten des Senats

75

1. Das „Syndikat" als Machtinstrument des Ersten Bürgermeisters 75 a) Die Entwicklung der Senatssyndici zu Mitarbeitern des Präsidenten des Senats ... 75 b) Die Senatssyndici/Staatsräte nach 1952 77 2. Die Senatskanzlei mit Planungsstab 79 a) Die Senatskanzlei 80 b) Der Planungsstab 81 c) Die Staatliche Pressestelle 83 III. Zusammenfassung

D. Die historische Entwicklung der verfassungsrechtlichen Stellung des Ersten Bürgermeisters in Hamburg I.

II.

84

87

Die Stellung des Ersten Bürgermeisters nach älterem Verfassungsrecht (bis 1918)

87

1. Bis zur Verfassung von 1860 2. Die Situation ab 1860 bis 1918

87 88

Die Verfassungsberatungen von 1919 und 1920 und die Verfassung von 1921

91

1. Das Gesetz über die vorläufige Staatsgewalt 2. Die Beratungen der Verfassung von 1921 a) Vorfragen der Beratung b) Der Senatsentwurf c) Die Stellung des Präsidentendes Senats im Verfassungsentwurf des Senats

91 92 92 92 93

nsverzeichnis d) Die Beratungen im Verfassungsausschuß der Bürgerschaft e) Die Diskussion im Plenum der Bürgerschaft 3. Die Stellung des Präsidenten des Senats in der Kommentierung zur Verfassung von 1921 und die Verfassungswirklichkeit a) Die Kommentierung von Art. 41 und die gesetzliche Ausgestaltung des Amtes des Präsidenten des Senats b) Die politische Praxis

9 96 102 104 104 106

III. Die Entstehung der Verfassung von 1952 1. Die „Vorläufige Verfassung" vom 15.5.1946 - die kurze Geltung des „Ministerpräsidentenprinzips" in Hamburg 2. Die Beratungen der Verfassung von 1952 a) Der Senatsentwurf b) Die Beratungen des Senatsentwurfs im Verfassungsausschuß und im Plenum der Bürgerschaft

113

IV. Zusammenfassung

117

E. Mängelanalyse

107 107 110 110

119

I.

Einführung und Problemstellung

119

II.

Die Stärkung der Richtlinienkompetenz des Senats mit dem Recht, die Senatoren auszuwählen und zu entlassen 120

III. Die Folgen einer Stärkung der verfassungsrechtlichen Position des Ersten Bürgermeisters . 123 1. Die Notwendigkeit der Personalisierung der Regierungsführung - die Richtlinienkompetenz für den Ersten Bürgermeister 123 2. Die Notwendigkeit der Verbindung von Richtlinienkompetenz mit dem Recht, die Senatsmitglieder zu berufen und abzuberufen 132 3. Die Schaffung der notwendigen Kongruenz zwischen der politischen und der verfassungsrechtlichen Verantwortlichkeit des Ersten Bürgermeisters in Hamburg 140 4. Die Erhöhung der Geschlossenheit im Senat 146 5. Zurückdrängen des Einflusses der Parteien 151

F. Zusammenfassung und Empfehlungen für Änderungen der Hamburger Verfassung... 160

Literaturverzeichnis

162

Abkürzungsverzeichnis

Abs. Alt. Anm. Art. Artt. Aufl. BayVBl. Bd. BV ders. d.h. DÖV DVB1. d.Verf. FAZ FG Fn. FS gem. GG ggf· GOBü GOBReg GOSen GVB1. H ABl. Hrsg. HV i.d.R. i.V.m. JfP JR LV MDH m.w.N. NBD Nr. NRW NVwZ PVZ

Absatz Alternative Anmerkung (der) Artikel (die) Artikel Auflage Bayrisches Verwaltungsblatt Band Verfassung von Berlin vom 1.9.1950 in der Fassung vom 26.2.1981 derselbe das heißt Die öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt der Verfasser Frankfurter Allgemeine Zeitung Festgabe Fußnote Festschrift gemäß Grundgesetz gegebenenfalls Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft vom 11.12.1985 Geschäftsordnung der Bundesregierung vom 11.5.1951 in der Fassung vom 17.7.1987 Geschäftsordnung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13.11.1979 in der Fassung vom 27.11.1984 Gesetz- und Verordnungsblatt Hamburger Abendblatt Herausgeber Hamburgische Verfassung vom 6.6.1954 in der Fassung vom 19.5.1982 in der Regel in Verbindung mit Jahrbuch für Politik Juristische Rundschau Landesverfassung Maunz/Dürig/Herzog mit weiteren Nachweisen Neue Bonner Depesche Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Politische Vierteljahreszeitschrift

Abkürzungsverzeichnis Rn. S. SenG sog. SZ taz WRV Ziff. ZfP ZParl z.T.

Randnummer Satz; Seite Senatsgesetz vom 18.2.1971 sogenannte Süddeutsche Zeitung Die tageszeitung Weimarer Reichs Verfassung vom 11.8.1919 Ziffer Zeitschrift für Politik Zeitschrift für Parlamentsfragen zum Teil

11

Einleitung

Die Fagestellung dieser Arbeit geht vom Begriff der Richtlinienkompetenz aus. Im ersten Teil wird zu klären sein, was unter dem Begriff der Richtlinienkompetenz zu verstehen ist. Dabei wird „Vorbild" der im Grundgesetz verwendete Begriff der Richtlinienkompetenz sein. Dieser war und ist mehr als die in den Länderverfassungen verankerten Begriffe der Richtlinienkompetenz Gegenstand umfangreicher Erörterungen und Untersuchungen in der Literatur 1. Am Ende des ersten Teiles soll der hier verwendete Begriff der Richtlinienkompetenz definiert werden. Im zweiten Teil wird zu untersuchen sein, wer in Hamburg Träger der Richtlinienkompetenz ist, ausgehend von der im ersten Teil gewonnenen Definition. Im dritten Teil wird dann die verfassungsrechtliche Position des Ersten Bürgermeisters zu erörtern sein. Denn Gegenstand dieser Arbeit ist nicht die allgemeinere Frage, wer in Hamburg die Richtlinienkompetenz innehat, sondern die Problemstellung lautet, ob der Erste Bürgermeister der Richtlinienkompetenz bedarf. Also ist die Frage nach der verfassungsrechtlichen Stellung des Ersten Bürgermeisters unter der gegenwärtigen Verfassung zu erörtern. In diesem Zusammenhang, als vierter Teil, wird auch der historische Hintergrund betrachtet werden müssen, auf dem diese Verfassung und dort die verfassungsrechtliche Stellung des Ersten Bürgermeisters basiert, einschließlich der Materialien und Unterlagen zur Entstehung dieser verfassungsrechtlichen Regelung. Im fünften Teil wird sodann die Frage zu stellen sein, ob der Erste Bürgermeister der formellen Feststellung und Zuweisung der Richtlinienkompetenz bedarf. Hierbei wird an Beispielen zu untersuchen sein, ob in der hamburgischen Politik deshalb Defizite und Konflikte entstanden sind oder schwerer zu lösen waren als in anderen Bundesländern, weil der Erste Bürgermeister keine verfassungsrechtlich verankerte Richtlinienkompetenz hatte. In diesem Zusammenhang wird auch zu fragen sein, ob und welche Auswirkungen die derzeitige verfassungsrechtliche Situation auf die Gewaltenteilung/Gewaltenbalancierung im Stadtstaat Hamburg hat. Ebenso muß untersucht werden, ob sich aus dem Bund-Länder-

1

Scholz.

Siehe hierzu die Literaturhinweise zu Art. 65 GG im Kommentar von Maunz/Dürig/Herzog/

14

Einleitung

Verhältnis bzw. Länder-Länder-Verhältnis eine Notwendigkeit zur verfassungsrechtlichen Stärkung des Ersten Bürgermeisters ergibt. Am Ende der Arbeit sollte neben einer Zusammenfassung auch eine begründbare Empfehlung stehen. Bei der Analyse des Begriffs „Richtlinienkompetenz" ist auszugehen vom Verfassungstext, und dieser ist interpretatorisch zu erschließen. Hierbei ist zu ermitteln, was unter dem Begriff der Richtlinienkompetenz zu verstehen ist. Zwar gibt es eine Vielzahl von Literatur, vor allem aus den 50er und 60er Jahren, aber in der Mehrzahl versuchen die Autoren, diesen Begriff rein juristisch zu erschließen. Ziel meiner Interpretation ist es, dem Begriff der Richtlinienkompetenz eine politische Dimension zu geben. Im zweiten und dritten Teil bildet die Interpretation der verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Hamburger Verfassung den Ausgangspunkt. Im vierten Teil soll anhand der Dokumente der Hamburger Verfassungsberatungen von 1921 und 1952 bezüglich der Stellung des Ersten Bürgermeisters untersucht werden, welche Intentionen die historischen Verfassunggeber hatten, wieso sich die Hamburger Verfassung doch erheblich von den Verfassungen der meisten Bundesländer und vom Grundgesetz unterscheidet. Die so gewonnenen Erkenntnisse über das verfassungsrechtlich Gewollte werden dann mit den Gegebenheiten des politischen Seins zu vergleichen sein. Daran anschließen soll sich eine Mängelanalyse, basierend auf dem Vergleich zwischen den tagespolitischen Forderungen, die an das Amt des Ersten Bürgermeisters gestellt werden und den verfassungsrechtlichen Möglichkeiten des Amtes des Ersten Bügermeisters. Als Quelle hierfür dienen vor allem Veröffentlichungen aus der Presse. Die Arbeit hat die hierzu veröffentlichten Unterlagen bis Dezember 1992 erfaßt. Der Autor hat zu diesem Thema Gespräche mit verschiedenen hamburgischen Politikern geführt, die im wesentlichen 1987 erfolgt sind; in den Fußnoten wird hierauf Bezug genommen. Das Thema dieser Arbeit beinhaltet die Gefahr, daß seine Erörterung mehr zu einem politischen Bekenntnis wird als zu einer Auseinandersetzung über die „richtige" verfassungsrechtliche Regelung. Der Vergleich von Verfassung und Verfassungswirklichkeit kann jedoch nicht deshalb unterbleiben, weil das gleiche Thema auch in der politischen Auseinandersetzung diskutiert wird, sondern sie ist dann sogar um so dringlicher gefordert. Wilhelm Hennis hat, anknüpfend an Helmut Ridder, zu Recht die Polarität von Verfassung und Verfassungswirklichkeit als das zentrale Thema der deutschen Staatsrechtswissenschaft bezeichnet2,

2

Hennis, Verfassung und Verfassungswirklichkeit.

Einleitung

und für die Hamburgische Verfassung wurde dieses Thema am Beispiel des Hamburger Oppositionsprinzips und die daraus folgende grundlegende Veränderung der Hamburgischen Verfassung untersucht 3. Anders jedoch als in der vorgenannten Erörterung ist hier nicht Gegenstand der Untersuchung, inwieweit ein Sollenssatz geeignet ist, die Verfassungswirklichkeit und das gesamte hamburgische Verfassungsgefüge zu bestimmen4, sondern die Frage, ob die geschriebene Verfassung einer Änderung bedarf, ob also der verfassungsrechtliche Soll-Zustand den Anforderungen des Seins-/Ist-Zustandes angepaßt werden muß. Diese Untersuchung hat die Verfassungswirklichkeit zum Gegenstand und basiert damit auf den Gegebenheitem des Parteienstaates, wie er sich in der Bundesrepublik Deutschland und im Stadtstaat Hamburg entwickelt hat 5 . Primäres Ziel dieser Arbeit ist es nicht, eine grundlegende und fundierte Kritik am Parteienstaat im allgemeinen und in seinen Auswüchsen in Hamburg im besonderen zu leisten - eine solche ist von anderen Autoren geleistet worden6. Aber diese Erörterung wird zeigen, daß das historisch gewachsene republikanische Verfassungsprinzip der kollektiven Machtausübung von Bürgerschaft und Senat7 in seiner parteienstaatlich geprägten Verfassungswirklichkeit nunmehr eine übermäßige Einflußsteigerung der Parteien in Hamburg zur Folge hat, mehr als in anderen Bundesländern unter dem Ministerpräsidentensystem8. Denn der Senat und vor allem der Erste Bürgermeister sind schon von der Verfassung in weit stärkerem Maße als anderswo verpflichtet, sich gegenüber der Bürgerschaft und damit den Parteien abzusichern. Zur Lösung dieses Widerspruchs zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit werden am Ende der Untersuchung Änderungsvorschläge bezüglich der Hamburger Verfassung unterbreitet. Die ebenso denklogische Möglichkeit der Anpassung der Verfassungswirklichkeit an das Verfassungsrecht wäre dagegen sehr viel radikaler, da sie eine grundlegende Änderung

3

Schachtschneider, in: Der Staat 1989, S. 173 ff.: Das Hamburger Oppositionsprinzip.

4

Schachtschneider, in: Der Staat 1989, S. 198.

5 v.Arnim, in: FAZ vom 13.7.1993: „Wenn der Staat versagt"; Hennis , in: SZ Nr. 285 vom 11.12.1982: „Abkoppelung vom V o l k " ; Schachtschneider, in: Der Staat 1989, S. 198; Schreckenberger, in: F A Z N r . 104 vom 5.5.1992: „Sind wir auf dem Weg zu einem Parteienstaat?". 6 Siehe bereits vorige Fußnote; aber vor allem v.Arnim, in: FAZ vom 11.12.1991 : „Wie man Privilegien erwirbt und Vertrauen verspielt"; Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1045 ff.; Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren. 7 8

Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 304 f.

Stoldt, in: Die Zeit vom 10.6.1988: „Die Hamburger Filzokratie"; v.Arnim, in: F A Z vom 13.7.1993; Schachtschneider in: Der Staat 1989, S. 198; v.Arnim, in: FAZ vom 11.12.1991; Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1045 ff.; Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 123, als Antithese zu These 4.

16

Einleitung

des Parteienstaates voraussetzen würde 9 . Wie bereits zu Beginn ausgeführt, soll jedoch nicht der Umbau des parteienstaatlichen Systems in Hamburg Gegenstand dieser Arbeit sein, sondern die Frage nach dem Änderungsbedarf der gegenwärtigen Verfassung, gemessen an der Verfassungswirklichkeit. Die Arbeit will damit in der hamburgischen Tradition stehen, der Bewahrung des historisch Gewachsenen durch notwendige Reformen, wie sie Bürgermeister Heinrich Kellinghusen in der letzten Sitzung der „Erbgesessenen Bürgerschaft" im Jahre 1859 bei der Selbstauflösung dieser mehrhundertjährigen Institution formulierte: „Alle menschlichen Einrichtungen, wie trefflich sie in einer gegebenen Periode erscheinen mochten, veralten im Laufe der Zeiten und erweisen sich als unhaltbar, wenn die Ansichten der Menschen und die Verhältnisse der Staaten eine nachhaltige Veränderung erleiden." 1 0

Dieses Zitat soll auch Motto dieser Untersuchung sein.

9 So Schachtschneider, in: Res publica res populi, insbesondere Teil 10, S. 1045 ff.; so auch Hennis, in: SZ 11/12.12.1982: „Abkoppelung vom Volk". 10 Bolland, Senat und Bürgerschaft, S. 50.

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz

I. Der Begriff der Richtlinienkompetenz in der staatsrechtlichen und politologischen Literatur Eine der zentralen Fragen im Bereich der Kompetenzen innerhalb der Regierung und gegenüber dem Parlament ist die Frage nach der Klärung und Abgrenzung des Begriffs der Richtlinienkompetenz. Durch die dem Bundeskanzler in Art. 65 S. 1 GG eingeräumte Richtlinienkompetenz ist dieser aus dem Kreis der übrigen Regierungsmitglieder herausgehoben und mit besonderen Leitungs- und Entscheidungsrechten ausgestattet1. Unbestritten ist, daß der Bundeskanzler durch die ihm verliehene Richtlinienkompetenz mehr als ein „Primus inter pares" im Kabinett ist 2 . Umstritten sind jedoch Inhalt und Grenzen der Richtlinienkompetenz. Weder im Grundgesetz noch in der Geschäftsordnung der Bundesregierung wurde definiert, was es heißt, die Richtlinien der Politik zu bestimmem (Art. 65 S. 1 GG und § 1 Abs. 1 S. 1 GOBReg). In der Diskussion um den Inhalt dieses Begriffs mangelt es nicht an definitorischen Versuchen. Trotzdem hat sich bisher keine nähere definitorische Festlegung durchgesetzt3. 7. Wortlautinterpretation a) Die Wortbedeutung Nach der allgemeinen Wortbedeutung beschreibt das Wort „Richtlinie" die Vorgabe einer allgemeinen Richtung. Es kann synonym verwendet werden für Worte wie „Richtschnur", „Leitlinie", „Leitfaden". Hieraus kann abgeleitet werden, daß eine solche Richtlinie zum einen die Ziele der Politik umfaßt und zum anderen, daß damit auch die Richtung auf diese Ziele und der Weg zu diesen Zielen festgelegt wird, so daß „Richtlinien der Politik" definiert wer-

1 2 3

Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 3. Grottian, in: Sontheimer (Hrsg.), Stichwort: Richtlinien der Politik/Richtlinienkompetenz. Wie vorige Fn.

2 Wieske

18

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz

den können als Ziel und Weg der Politik 4. Notwendig ist damit die Definition des Begriffs der Politik. b) Der Begriff der Politik Der Begriff der Politik stammt aus dem Griechischen und wird abgeleitet von dem Begriff der „polis", dem griechischen Stadtstaat, und wurde im Conversationslexikon aus dem Jahre 1831 als die Wissenschaft und Kunst verstanden, den Zweck des Staates so vollkommen als möglich zu erreichen 5. Danach wäre Aufgabe des Bundeskanzlers die Richtung zur Vervollkommnung des Staatswesens zu bestimmen. Der Große Brockhaus aus dem Jahre 1956 bezeichnet hingegen Politik als die Kunst der Staatsverwaltung, ohne einen Begriff wie den der Staatsvollkommenheit noch in die Definition miteinzubeziehen6. Hiernach würde also der Träger der Richtlinienkompetenz die Richtlinien der Staatsverwaltung zu bestimmen haben. Somit stellt sich die Frage, ob der Begriff der Politik wertneutral ist oder auf einer ethisch normativen Grundlage beruht. Die Antwort hierauf ist umstritten 7. Von einem Teil der Literatur wird der Begriff der Politik als eine Art Zustandsbeschreibung verstanden, ohne diesen in normative Beziehung zu anderen Begriffen, wiez.B. den des Gemeinwohls, zusetzen8. Soweit sich jedoch der Begriff der Politik in der Frage nach der Macht erschöpft und das Recht zum bloßen Befehl wird 9 , wie dies von einzelnen Autoren vertreten wird, so würde der Unterschied zwischen dem Staat und einer Räuberbande nicht erkennbar, denn durch beide Gruppierungen wird Macht ausgeübt10. Aber auch die Anhänger eines nicht normativen Politikbegriffs verstehen den Staat11 als den Bezugsrahmen der Politik und des politischen Handelns. Hieraus folgt, daß der Begriff der Politik von der Definition des Staatsbegriffs abhängig ist. Hierin dürfte auch weitgehende Übereinstimmung zwischen den ansonsten konträren Anschauungen bestehen12. Also sollte die Frage nach den normativen Grundlagen des Begriffs der Politik in Abhängigkeit zum jeweils zu untersuchenden Staatswesen gestellt

4

v.Mangoldt/Klein, Art. 65 Anm. III 2 a, S. 1255. Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie, Bd. 8: „Politik". 6 Der Grosse Brockhaus, Bd. 9: „Politik". 7 Zur Diskussion: Hättich, S. 13-25; Sternberger, Der Begriff des Politischen; Hennis , Politik und praktische Philosophie, S. 5 ff. 8 Hättich, S. 19 f., 21 f.; C. Schmitt, Der Begriff des Politischen. 9 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 122 (124) bei den verwendeten Herrschaftstypen. 10 Heller, S. 3, 8. 11 Hättich, S. 17. 12 Hättich, S. 17; Sternberger, S. 15 f.; Hennis , Politik und praktische Philosophie, S. 52. 5

I. Der Begriff in der Literatur

19

werden 13 . D.h., der Begriff der Politik in einem diktatorischen Staatswesen wie der DDR ist ein anderer als der im Staatswesen der Bundesrepublik 14. Soweit also hier der Begriff der Politik im Rahmen der Auslegung von Art. 65 GG zu erschließen ist, muß dieser auf der Basis des Grundgesetzes erschlossen werden. Die Politik, deren Richtlinien der Bundeskanzler zu bestimmen befugt ist, muß sich also nach den normativen Grundaussagen des Grundgesetzes definieren. Hieraus folgt, daß dem Bundeskanzler untersagt ist, solche Richtlinien der Politik aufzustellen, die den normativen Grundaussagen/dem Staatszweck des Grundgesetzes widersprechen. Die Bundesrepublik Deutschland versteht sich ihren normativen Grundaussagen als ein demokratisches, soziales, föderales und republikanisches Staatswesen gem. Artt. 20 Abs. 1 i.V.m. 79 Abs. 3 GG. Die grundgesetzliche Form des Politischen ist daher die verfaßte, föderale, demokratische und soziale Republik 15 . D.h., der Bundeskanzler als Richtliniengeber ist nur befugt, solche politischen Vorgaben zu Richtlinien der Politik zu machen, die dem Prinzip der demokratischen, sozialen und föderalen Republik des Grundgesetzes entsprechen. Eine hiergegen gerichtete Politik des Bundeskanzlers würde, soweit sie nicht auf dem Rechtsweg verhindert werden könnte, das Widerstandsrecht gem. Art. 20 Abs. 4 GG zur Anwendung kommen lassen16. Eine Definition des Begriffs der Richtlinienkompetenz unter Berücksichtigung der normativen Grundaussagen des Grundgesetzes würde diese als Befugnis verstehen, die allgemeine Richtung der Staatsverwaltung zu weisen, soweit dies der Förderung der demokratisch verfaßten, föderalen und sozialen Republik dient. Hierbei taucht dann jedoch die Frage auf: Was gehört zum Weisungsrecht bezüglich der allgemeinen Richtung der Staatsverwaltung? Daran zeigt sich, daß eine nähere Definition erforderlich ist, um den Begriff der Richtlinienkompetenz zu erschließen.

13 Hennis , Politik und praktische Philosophie, S. 52, bezeichnet die Staatszwecklehre als das Herzstück der älteren Staatslehre. 14 Siehe dazu z.B. Art. 1 S. 2 Verfassung der DDR von 1974: „Sie [die DDR - d.Verf.] ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land, die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirklichen". 15 Schachtschneider, Res publica res populi, 1. Teil, 1. Kap., S. 2. 16 Hennis , Politik und praktische Philosophie, S. 59.

20

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz

2. Die begriffsjuristische

Auslegung bei Theodor Maunz

Die Diskussion innerhalb der Rechtswissenschaft versuchte mittels der begriffsjuristischen Methode eine definitorische Klärung des Begriffs der Richt1 inienkompetenz17. Die so gewonnene Definition bei Theodor Maunz kann wie folgt zusammengefaßt werden: „Richtlinien sind aus dem politischen Raum heraus entstandene, innerdienstliche Rechtssätze, die das Verhalten der Exekutive, d.h. des Ministerkollegiums, betreffen." 18

Maunz bezeichnet die Richtlinien als generelle Festlegungen, die verpflichtend wirken und deshalb hinreichend bestimmt sein müssen19. Deshalb charakterisiert er Richtlinien auch als Rechtssätze, die die Minister in einer Vielzahl von unbestimmten Einzelfällen binden 20 . Die Richtlinien des Bundeskanzlers seien daher vergleichbar dem Rahmen, den ein Rahmengesetz zieht 21 . Wegen des Rechtssatzcharakters der Richtlinien kommt Maunz zu dem Ergebnis, daß Einzelfallentscheidungen, weil sie keine generelle Festlegung enthalten, nicht der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers unterfallen können 22 . Auch sollen die Richtlinien des Bundeskanzlers nur die innerdienstlichen Verhältnisse im Ministerkollegium betreffen, ohne unmittelbare Außenwirkung auf das Verhältnis von Regierung zum Parlament zu haben. Diese von Maunz formulierte Definition war bis in die Mitte der 60er Jahre vorherrschend in der deutschen Staatsrechtslehre 23. Die Vertreter der von Maunz begründeten Definition unterscheiden deshalb zwischen Richtlinien und Einzelweisungen bzw. Einzelfallentscheidungen und verwehren dem Bundeskanzler das Recht, aufgrund der Richtlinienkompetenz den Bundesministern in Einzelfallentscheidungen verbindliche Weisungen erteilen zu können - wegen des dagegenstehenden Ressortprinzips 24.

17 18 19 20 21 22 23 24

Knöpfle, DVB1. 1965, S. 857, 858, 860, insbesondere dort Fn. 42. Maunz, BayVBl. 1956, S. 260, 262. Maunz, BayVBl. 1956, S. 261. Maunz, BayVBl. 1956, S. 261. Maunz, BayVBl. 1956, S. 261. Maunz, BayVBl. 1956, S. 261. Knöpfle, DVB1. 1965, S. 859, dort Fn. 26; v.Mangoldt/Klein, Art. 65 Anm. I I I 2 b. v.Mangoldt/Klein, Art. 65 Anm. III 2 b.

I. Der Begriff in der Literatur

3. Der politikwissenschaftliche

21

Ansatz bei Theodor Eschenburg

Unter einem mehr politikwissenschaftlichen Gesichtspunkt untersucht Theodor Eschenburg das Instrument der Richtlinienkompetenz in seinem Aufsatz „Die Richlinien der Politik im Verfassungsrecht und in der Verfassungswirklichkeit" 25 . Eschenburg stellt dabei nicht die Interpretation des Begriffs in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, sondern die Frage nach dem von dem Verfassunggeber bestimmten Zweck der Richtlinienkompetenz und vergleicht damit die VerfassungsWirklichkeit. Den Begriff bezeichnet Eschenburg als „sprachlich vieldeutig, mit unscharfen Konturen", der eine Erklärung, die ausschließlich am Wortlaut orientiert ist, unmöglich macht 26 . Eschenburg beginnt seine Untersuchung mit der Feststellung, daß die Weimarer Reichsverfassung (Art. 56 S. 1) und das Bonner Grundgesetz (Art. 65 S. 1) mit wortgleichen Formulierungen die Kompetenz, die Richtlinien der Politik zu bestimmen, in die Hand des Reichs- bzw. Bundeskanzlers gelegt haben27. Trotz dieser Übereinstimmung im Wortlaut unterscheiden sich die Positionen von Reichskanzler und Bundeskanzler in wesentlichen Punkten28. Der Reichskanzler hatte zwar die verfassungsrechtliche Richtlinienkompetenz, aber die Verfassung räumte ihm keine entsprechende Durchsetzungsmacht ein 29 . Denn der Reichspräsident konnte die Vorschläge des Reichskanzlers, Reichsminister zu ernennen oder zu entlassen, nicht nur ablehnen (Art. 53 WRV), sondern die Aufstellung seiner eigenen Vorschläge vom Reichskanzler erzwingen, mit der Drohung, den Reichskanzler selbst zu entlassen (Art. 53 WRV) 3 0 .

25 Eschenburg, DÖV 1954, S. 193 ff., später überarbeitet veröffentlicht in „Strukturwandel der modernen Regierung" (1967) S. 361 ff. 26 Eschenburg, DÖV 1954, S. 193 ff. 27 Eschenburg, DÖV 1954, S. 193 ff., Art. 56 WRV: „Der Reichskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür gegenüber dem Reichstag die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Reichsminister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Reichstag." Art. 65 GG: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung." 28 Während die Weimarer Republik als Präsidialdemokratie bezeichnet wird, wird die Bundesrepublik als Kanzlerdemokratie bezeichnet, siehe hierzu Bracher, Die Kanzlerdemokratie, in: Löwenthal (Hrsg.) und Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz; Karehnke, S. 101, Fn. 6, S. 103, Fn. 14. 29 Bracher, S. 181; Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 41; Junker, S. 43; Karehnke, S. 101, Fn. 6. 30 Eschenburg, DÖV 1954, S. 196; Junker, S. 28.

22

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz

Gleichzeitig war jedoch der Reichskanzler nicht minder abhängig vom Reichstag, denn der Kanzler bedurfte für seine Politik und für sein Weiterregieren ebenso „des Vertrauens des Reichstags" (Art. 54 WRV) 3 1 . Der Reichskanzler -wie auch ein jeder Reichsminister- hatten zurückzutreten, „wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß das Vertrauen entzieht" (Art. 54 S. 2 WRV). Um einen solchen Beschluß herbeizuführen, die Regierung abzusetzen oder einzelne Minister „herauszuschießen", reichte bereits die einfache Parlamentsmehrheit 32. Eine solche Mehrheit konnte auch aus Parteien bestehen, die sich ansonsten auf's Schärfste bekämpften und an den politisch äußeren Flügeln angesiedelt waren, die nur die Destruktion gegen die Regierung momentan einte 33 . Der Reichskanzler war nach seiner verfassungsrechtlichen Stellung einerseits auf die Unterstützung durch den Reichspräsidenten angewiesen, vor allem im personalpolitischen Bereich, und er war andererseits abhängig von der Mehrheit im Reichstag34. Der Reichskanzler war deshalb schon vom Verfassungsrecht her nicht Lenker des Staates, sondern Diener „zweier Herren": des Reichspräsidenten und des Reichstages35. Diese verfassungsrechtliche Konstellation hatte zur Folge, daß der Reichskanzler nicht in der Lage war, sich seine Mitarbeiter auszusuchen, sondern die Vorgaben der Regierungsfraktionen wie auch des Reichspräsidenten zu beachten hatte und damit „naturgemäß nicht die Möglichkeit hatte, sich in Konfliktfällen gegenüber seinen Ministerkollegen durchzusetzen." 36 Dies führte zu einer gewaltigen Steigerung der Macht der Parteien und Regierungsfraktionen auf Kosten der Regierung 37. Diese fand ihren Ausdruck in der Tatsache, daß im Koalitionsvertrag von 1927 die Richtlinienkompetenz dem Reichskanzler entzogen wurde und ausdrücklich zum Gegenstand der Parteienvereinbarung gemacht wurde 38 . Der Reichskanzler mußte deshalb nicht unbedingt Führungsqualitäten besitzen, sondern ein Mann des Ausgleichs sein, um in dieser „doppelten Abhängigkeit" regieren zu können39.

31

Eschenburg, DÖV 1954, S. 196. Eschenburg, DÖV 1954, S. 196. 33 Eschenburg, DÖV 1954, S. 196. 34 Bracher, S. 181. 35 Eschenburg, DÖV 1954, S. 196; BracherS. 181. 36 Glum, S. 35. 37 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 348; Glum, S. 35; Eschenburg, DÖV 1954, S. 196. 38 Bieberstein, in: Handbuch des Deutschen Staaatsrechts zum Stichwort: Richtlinienkompetenz; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 348. 39 Eschenburg, DÖV 1954, S. 196. 32

I. Der Begriff in der Literatur

23

Eschenburg weist darauf hin, daß im Grundgesetz die Stellung des Kanzlers anders konstruiert worden ist 40 . Der Bundeskanzler sei nun im politischen System zur zentralen Figur gemacht worden. Denn die Auswahl und Abberufung der Minister liege in der Hand des Bundeskanzlers. Außerdem sei der Bundeskanzler das einzige Kabinettsmitglied, das direkt vom Parlament gewählt werde und das ihm auch wieder direkt politisch verantwortlich sei 41 . Diese Position, die durch eindeutige verfassungsrechtliche Normen geschützt ist, gibt dem Bundeskanzler erst die Macht, die Richtlinien der Politik zu bestimmen. Der Bundeskanzler hat einen durchsetzbaren Anspruch auf Durchführung und Verwirklichung seiner Richtlinien der Politik, auch dann, wenn der zuständige Fachminister anderer Meinung sein sollte 42 . Der Minister hat in einer solchen Situation nur noch die Wahl, die Richtlinie zu befolgen oder aber „seinen Hut zu nehmen". Diese dem Bundeskanzler vom Grundgesetz eingeräumten Kompetenzen wurden von dem ersten Bundeskanzler, Konrad Adenauer, extensiv interpretiert. Damit wurden die Grenzen des Begriffs der Richtlinienkompetenz durch die politische Wirklichkeit noch ausgeweitet43. Konsequenterweise bejaht Eschenburg die Befugnis des Bundeskanzlers, den Bundesministern in politisch bedeutsamen Einzelfragen auch Weisungen zu erteilen. Einschränkend hebt er jedoch hervor, daß der Kanzler wegen des Ressortprinzips verpflichtet sein solle, die Behandlung eines konkreten Einzelfalls den Bundesministern begründen zu müssen. Eschenburg verweist darauf, daß der Bundeskanzler seine Richtlinien nur in Form von Grundsätzen bestimmen dürfe 44 . Insofern ist hier der Einfluß der juristischen Denkweise noch spürbar. Dieser von Eschenburg begründete Interpretationsansatz der Richtlinienkompetenz soll als interessengerichtete oder teleologische Interpretation bezeichnet werden.

40

Eschenburg, DÖV 1954, S. 199. Eschenburg, DÖV 1954, S. 199. 42 Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 389. 43 Eschenburg, Staat und Gesellschaft S. 389, 392 mit dem Hinweis auf den Rücktritt des Bundesinnenministers Heinemann, dem Adenauer vorgeworfen hatte, in der Frage des Aufbaues einer Bundespolizei seine Richtlinien nicht zu beachten. 44 Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 733. 41

24

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz

4. Die politikwissenschaftliche

Erklärung

bei Wilhelm Hennis

Wilhelm Hennis folgt in seinem Aufsatz „Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik" (1964) dem von Eschenburg vorgezeichneten Ansatz bei der Interpretation des Begriffs der Richtlinienkompetenz45. Hennis untersucht vor allem Mittel und Methoden der Richtlinienkompetenz. Er stellt dabei an den Anfang seiner Untersuchung die Fragen: • Wozu dient die Richtlinienkompetenz in der Hand des Bundeskanzlers? • Wie hat sich dieses Instrument in der Verfassungswirklichkeit bewährt? Hennis kommt dabei zu dem Ergebnis, daß der Bundeskanzler durch die Richtlinienkompetenz im Sinne des Grundgesetzes zum Führer der Regierung und darüber hinaus auch zum Führer der die Regierung tragenden Parlamentsmehrheit gemacht werden soll 46 . Letzteres ergebe sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut von Art. 65 S. 1 GG, jedoch aus der herausgehobenen Stellung des Bundeskanzlers im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes, insbesondere aus der direkten Wahl des Bundeskanzlers durch den Bundestag47. Für Hennis bedeutet Richtlinienkompetenz die Entscheidung der Verfassung, dem Kanzler die politische Führung zu geben, ihn zur zentralen Figur im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes zu machen und ihm alle dazu notwendigen Machtmittel in die Hand zu legen48. Hennis lehnt deshalb eine begriffsjuristische Auslegung der Kompetenzen des Bundeskanzlers ab; denn es handele sich hierbei um eine politische Leitentscheidung, die jedoch keine klar umrissene „Zivilprozeßordnung" sei 49 . Unter diesem Blickwinkel weist Hennis auf den unabdingbaren Zusammenhang zwischen Richtlinienkompetenz und Kabinettsbildungsrecht hin: Die Richtlinienkompetenz sei zu nichts nütze, ohne das Recht des Bundeskanzlers, diejenigen Personen auszuwählen, die die Richtlinien des Regierungschefs in den Ressorts umsetzen sollen 50 .

45

Hennis , Richtlinienkompetenz, S. 161 ff. Hennis , Richtlinienkompetenz, S. 166. 47 Hennis , Richtlinienkompetenz, S. 166; Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 27, 47; Jennings /Ritter, betonen den fast plebiszitären Charakter der Wahl des Regierungschefs und die damit bestehende Abhängigkeit des einzelnen Abgeordneten (Hinterbänkler) vom politischen Ansehen des Regierungschefs, S. 14/16. 48 Hennis, Richtlinienkompetenz, S. 166. 49 Hennis, Richtlinienkompetenz, S. 164. 50 Hennis, Richtlinienkompetenz, S. 167. 46

I. Der Begriff in der Literatur

25

Daneben analysiert Hennis die organisatorischen Instrumentarien, die dem Bundeskanzler zur Verfügung stehen, um die Richtlinienkompetenz auszuüben: Bundeskanzleramt, Bundespresseamt und Bundesnachrichtendienst 51. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist die Feststellung, daß der Bundeskanzler von seiner verfassungsrechtlichen Stellung und den ihm an die Hand gegebenen Mitteln in die Lage versetzt ist, die Führung der Regierung effektiv wahrzunehmen 52. Natürlich garantieren diese Normen nicht quasi automatisch eine starke Führerschaft durch den Kanzler. Zwar bedarf politische Führerschaft in der Demokratie einer verfassungsrechtlichen Legitimation und organisatorischer Hilfsmittel, aber ob ein Regierungschef die Qualität zum politischen Führer besitzt und wie er diese Führerschaft ausübt, sind Fragen, deren Anwort nicht zuletzt von der Persönlichkeit und den Führungsqualitäten des Regierungschefs abhängen53. Diese Betrachtungsweise des Begriffs der Richtlinienkompetenz soll hier als politologische Interpretation bezeichnet werden; denn im Mittelpunkt steht die Frage, welche politische Macht gibt die Verfassung dem Bundeskanzler als dem Inhaber der Richtlinienkompetenz. Im Sinne der von Hennis verwendeten Erklärung der Politikwissenschaft als teleologischer Wissenschaft 54, die die Frage nach dem politischen Sinn und Zweck von Institutionen und Normen stellt, kann der von ihm entwickelte Definitionsansatz für den Begriff der Richtlinienkompetenz als teleologisch bezeichnet werden 55 . 5. Die teleologische Interpretation

des Begriffs

der Richtlinienkompetenz

In der Folgezeit nahm auch in der juristisch geprägten Staatsrechtslehre die Kritik an der begriffsjuristischen Definition des Begriffs der Richtlinienkompetenz zu. Die teleologische Betrachtungsweise gewann auch hier an Gewicht 56 . In seiner Kritik an der begriffsjuristischen Definition der Richtlinienkompetenz betont Knöpfle, daß dieser Begriff nur durch die Berücksichtigung der politisch geprägten Spezifik der Aufgabe des Regierens erfaßt werden könne 57 .

51

Hennis , Richtlinienkompetenz, S. 170. Hennis , Richtlinienkompetenz, S. 188. 53 Hennis , Richtlinienkompetenz, S. 186, so auch die Kritik von Wilhelm Hennis am damaligen Kanzler Ludwig Erhardt, bei dem er diese Eigenschaften vermißte. 54 Hennis , Die teleologische Orientierung, S. 57, 75: „Das, was den Staat zum Staat macht, ist mehr als bloß die Staatsgewalt: es sind nicht zuletzt die Aufgaben, die nur er erfüllen kann, das Telos, unter dessen Gebot er steht." 55 Hennis , Die teleologische Orientierung, 52 ff. 56 Knöpfle, DVB1. 1965, S. 861, Fn. 42 m.w.N. 57 Knöpfle, DVB1. 1965, S. 861, Fn. 42 m.w.N. 52

26

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz

Ebenso wie Knöpfle bezeichnet Junker die Wortinterpretation von Art. 65 S. 1 GG als ungeeignet, um den Inhalt des Begriffs der Richtlinienkompetenz zu bestimmen. Der Inhalt der Richtlinienkompetenz könne nur aus der „Natur der Sache", aus dem Bereich des Regierens, erfaßt werden 58 . Richtlinien der Politik sind nach der von Junker entwickelten Definition Entscheidungen, die die Richtung der Regierungstätigkeit bestimmen. Aus der Gesamtheit der vielfältigen Regierungsentscheidungen kommt jedoch nur den Entscheidungen Richtliniencharakter zu, die eine besondere Bedeutung haben und die sich auf das Staatsganze beziehen59. Der Form nach kann es sich dabei um programmatische Zielvorgaben handeln, aber auch um reagierende Einzelfallentscheidungen, wenn sie in ihrer Bedeutung Bezug für das Staatsganze haben60. Richtlinienentscheidungen müssen deshalb keine juristischen Normen sein, sondern sind politische Entscheidungen, die in jedweder Form - als Gesetz, Einzelfallentscheidung, Grundsatzrede, Anweisung - gefällt werden können 61 . Dieser weite Begriff der Richtlinien der Politik begründet eine politische Allzuständigkeit des Regierungschefs. Es taucht damit das Problem auf, die Kompetenzen des Bundeskanzlers von den Ressortkompetenzen der Minister abzugrenzen, denen ein eigener Bereich der politischen Gestaltung zusteht (Art 65 S. 2 GG). Maunz differenziert bei der Abgrenzung zwischen Kanzlerkompetenzen und Ministerkompetenzen nach dem Merkmal der Allgemeingültigkeit (Einzelfallentscheidungen = Sache des Ministers; allgemeine Rahmenvorgabe = Sache des Bundeskanzlers) 62. Die von Junker entwickelte Definition vermag zwar keine so klare Abgrenzung zwischen Richtlinienkompetenz und Ressortkompetenz zu liefern. Sie steht aber unter der Prämisse, daß der Bundeskanzler nicht alle Regierungsentscheidungen an sich ziehen kann, denn dies würde dem Ressortprinzip widersprechen. Deshalb ist auch für Junker der Bereich, den der Bundeskanzler kraft Richtlinienkompetenz entscheiden darf, kleiner als der Bereich aller Regierungsentscheidungen63 . Junker versteht dabei den Begriff der Regierung im Sinne der Definition von Otto Mayer als Teil der Staatsfunktionen, der nicht Gesetzgebung und

58

Junker, S. 46. Junker, S. 50. 60 Junker, S. 49 ff.; so auch Böckenförde, in der Einzelfallentscheidung" 61 Junker, S. 52. 62 Maunz, BayVBl. 1956, S. 261. 63 Junker, S. 53. 59

S. 207: oft habe „das Grundsätzliche seinen Sitz

I. Der Begriff in der Literatur

27

Justiz ist, der in den Bereich der Politik fällt und deshalb auch nicht bloße Verwaltung ist 64 . Deshalb dürfen die Minister, trotz Richtlinienkompetenz des Kanzlers - man könnte sogar sagen, wegen der Richtlinienkompetenz, denn ansonsten hätte der Kanzler nicht bloß eine „Richtlinien"kompetenz, sondern ein allgemeines Weisungsrecht an alle bundesstaatlichen Behörden 65 - nicht mit bloßen Verwaltungsaufgaben „abgespeist" werden, sondern sie haben das Recht und die verfassungsmäßige Pflicht, an der Gestaltung der Politik mitzuwirken 66 . Deshalb wird der Bereich der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs begrenzt durch den Bereich der politischen Ausgestaltung der Minister in den Ressorts und im Kabinett 67 . Wo jedoch die exakten Grenzen zwischen diesen Bereichen liegen, bleibt eine Frage des Einzelfalls und ist sicher nicht unabhängig vom politischen Gewicht der Akteure. Aus diesem Grunde differenziert Junker zwischen „Richtung der Politik" als den Grundzügen der Politik, die von allen politischen Akteuren gestaltet wird, und den Richtlinienentscheidungen des Bundeskanzlers. Letztere bezeichnet er als die „grundlegenden, staatsrichtungsbestimmenden Gestaltungsentscheidungen im Bereich der Regierung" 68 . Somit bedeutet für Junker Richtlinienkompetenz das Recht des Regierungschefs, „die grundlegenden staatsrichtungsbestimmenden Gestaltungsentscheidungen im Bereich der Regierung" zu treffen 69 . Die Politik der Regierung entsteht aus den Richtlinienentscheidungen des Bundeskanzlers und den Regierungsentscheidungen des Bundeskabinetts sowie den Entscheidungen der Bundesminister, die sich dabei an den Richtlinienentscheidungen zu orientieren haben. Somit gestalten die Minister und der Bundeskanzler gemeinsam die Politik. Aber ausschließlich der Bundeskanzler hat das Recht, „die grundlegenden, staatsrichtungsbestimmenden Gestaltungsentscheidungen im Bereich der Regierung" zu treffen 70 . Die Bundesminister haben den Bundeskanzler bei dieser Aufgabe zu unterstützen. Außerdem haben sie das Recht, wenn sie eine Änderung der Richtli-

64

Junker, S. 46/47. Hesse, Rn. 642; anders in Hamburg, wo Art. 33 HV dem Senat ein Zugriffsrecht bis in die letzte Amtsstube einräumt, Thieme, DÖV 1969, S. 832, 833. 66 Dies unterscheidet auch die (Ressort-)Minister des Grundgesetzes von den (Ressort-)Staatssekretären der Bismarckschen Reichsverfassung, die bloße Gehilfen des Kanzlers waren und in jeder Weise weisungsgebunden waren. 67 Junker, S. 53. 68 Junker, S. 55. 69 Junker, S. 55. 70 Junker, S. 55. 65

28

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz

nien der Politik für erforderlich halten, diese dem Bundeskanzler mitzuteilen und ihn um „seine Entscheidung" zu bitten 71 . In dem Kommentar zum Grundgesetz von Maunz/Dürig/Herzog wendet Herzog zur Erklärung des Begriffs der Richtlinienkompetenz die teleologische Methode an. Das Ziel der Richtlinienkompetenz sei es, den Bundeskanzler zum verantwortlichen Leiter der Regierungspolitik zu machen72. Wie wenig durch eine reine Begriffsauslegung gewonnen sei, verdeutlicht Herzog mit dem Hinweis, daß zwar Art. 56 S. 1 der Weimarer Reichsverfassung und Art. 65 S. 1 des Grundgesetzes identische Formulierungen bezüglich der Bestimmung der Richtlinien der Politik durch Reichskanzler bzw. Bundeskanzler aufweisen, daß sich aber trotzdem beide Ämter in ihrer Machtfülle wesentlich voneinander unterscheiden 73. Der Grund für die wesentlich stärkere Stellung des Bundeskanzlers, verglichen mit der des Reichskanzlers, sei darin zu sehen, daß das Grundgesetz dem Kanzler neben der Richtlinienkompetenz weitere Rechte einräumt, durch die die Stellung des Kanzlers erheblich gestärkt werde, die Voraussetzung seien, um die Richtlinienkompetenz auch wirklich ausüben zu können74. Orientiert an dieser teleologischen Auslegung, kommt Herzog zu dem Ergebnis, daß die Richtlinienkompetenz dem Bundeskanzler auch das Recht gebe, Einzelfallentscheidungen zu treffen, wenn eine solche von großer und richtungweisender Bedeutung für die Regierungspolitik sei 75 . Herzog begründet dieses Recht des Bundeskanzlers mit dessen politischer Verantwortlichkeit für die Politik gegenüber dem Bundestag gem. Art. 67 Abs. 1 GG. Wegen dieser letztlich persönlichen politischen Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers gegenüber dem Bundestag (Mißtrauensvotum) müsse dieser auch das Recht haben, eine Einzelfallentscheidung unter Berufung auf seine Richtlinienkompetenz dann an sich zu ziehen, „wenn er ohne diesen Selbsteintritt schwerwiegende politische Konsequenzen riskieren würde" 76 . Konsequenterweise bejaht Herzog das Recht des Bundeskanzlers, darüber zu entscheiden, welche Angelegenheiten seiner Richtlinienkompetenz unterfallen sollen 77 . Denn bereits die Entscheidung, was „hochpolitisch" sei, sei selbst

71 72 73 74 75 76 77

Siehe auch § 4 GOBreg. Herzog, in: M D H , Art. 65 Herzog, in: M D H , Art. 65 Herzog, in: M D H , Art. 64 Herzog, in: M D H , Art. 65 Herzog, in: M D H , Art. 65 Herzog, in: M D H , Art. 65

Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.

3. 4; ebenso Eschenburg, DÖV 1954, S. 193 ff. 19, Art. 65 Rn. 4. 7. 8. 8.

I. Der Begriff in der Literatur

29

eine „hochpolitische" Entscheidung und müsse somit der Richtlinienkompetenz des Kanzlers unterfallen 78. Einer allumfassenden Ausweitung der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs können die Minister in der Praxis nur auf dem politischen Wege des eigenen Rücktritts entgegentreten, um ein politisches Zeichen zu setzen und damit politischen Druck auf den Bundeskanzler auszuüben79. Thomas Ellwein bezeichnet in diesem Sinne Richtlinienkompetenz lapidar als die Führungsbefugnis des Bundeskanzlers 80. Wie die angeführten Autoren zeigen, kann die teleologische Betrachtungsweise zur Erklärung der Richtlinienkompetenz als vorherrschend bezeichnet werden. Es bleibt dabei festzuhalten, daß der Begriff der Richtlinienkompetenz unbestimmt und umstritten ist. Die Mehrzahl der Autoren seit Mitte der 60er Jahre interpretieren den Begriff der Richtlinienkompetenz teleologisch, d.h. ausgerichtet an dessen Zielsetzung: Richtlinienkompetenz soll den Regierungschef in den Stand setzen, die Politik im Regierungsbereich in Grundsatzfragen zu bestimmen und zu leiten 81 . Damit formuliert der Begriff der Richtlinienkompetenz eine Zielprojektion 82 , denn er ist als Norm derart allgemein, daß sich seine Konkretisierung und Individualisierung durch Subsumtion verbietet und sein normativer Gehalt auf eine offene Zielsetzung gerichtet ist, wie im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes verfahren werden soll. Er bestimmt, daß an der Spitze der Regierung der Bundeskanzler steht, der Führungsbefugnis haben soll. Als politisch geprägter Begriff ist Richtlinienkompetenz damit nicht justitiabel 83 . Der Art. 65 S. 1 GG macht nur eine Aussage, wie der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik gegenüber den Ministern festlegen kann, nämlich durch „Bestimmen". Art. 65 S. 1 GG gibt jedoch dem Bundeskanzler keine Druckmittel, wie er seine Richtlinienkompetenz auch gegen widerstrebende Minister im Kabinett durchsetzen kann. Herzog bezweifelt deshalb auch, daß die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers der Grund für dessen starke verfassungsrechtliche Stellung ist. Er

78

Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 8. vom Beyme, Ministerverantwortlichkeit S. 130; so auch Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 735/736. 80 Ellwein/Hesse, S. 312. 79

81

Dauster, S. 122.

82

Zum Begriff der Zielprojektion: Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 38.

83

Herzog, in: M D H , Art. 64 Rn. 20 und Art. 65 Rn. 11, 12, 16 mit Hinweis auf Adenauer, der gesagt haben soll, wenn der Bundeskanzler einen Bundesminister schriftlich auf die Einhaltung seiner Richtlinienkompetenz hinweisen müsse, dann habe der Kanzler bereits diesem Minister gegenüber seine Richtlinienkompetenz politisch verloren.

30

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz

sieht statt dessen den Grund für die Macht des Bundeskanzlers in dessen alleinigem Recht zur Kabinettsbildung nach Art. 64 GG 84 . Meine ähnliche Richtung gehen auch die Überlegungen von Manfred Dauster. Dieser weist darauf hin, daß der Bundeskanzler - wie die Ministerpräsidenten in den Flächenländern - gleichermaßen über die verfassungsrechtlich eingeräumte Richtlinienkompetenz verfügen, daß ansonsten jedoch die Regierungschefs der Länder mit unterschiedlichen Rechte gemäß ihren Landesverfassungen ausgestattet sind 85 . Dauster unterscheidet deshalb zwischen Ministerpräsidenten mit „uneingeschränkter Richtlinienkompetenz" (Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hessen, Niedersachen) und Ministerpräsidenten mit „eingeschränkter Richtlinienkompetenz" (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland). Unterscheidungskriterien dafür sind die Stellung des Ministerpräsidenten gegenüber „seinen" Ministern und gegenüber dem Landesparlament: ob der Ministerpräsident das Recht hat, die Minister zu berufen und abzuberufen, ohne Zustimmung des Parlaments, oder ob er dazu der parlamentarischen Zustimmung bedarf, wie die Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und im Saarland 86. Diese Überlegungen lassen den Gedanken aufkommen, zwischen Richtlinienkompetenz „besserer und schlechterer Qualität" zu unterscheiden. Eine bloße Interpretation des Begriffs der Richtlinienkompetenz sagt jedoch nichts über dessen Inhalt. Deshalb muß die systematische Stellung der Richtlinienkompetenz unter dem Blickwinkel untersucht werden, wie die Richtlinienkompetenz durch die „sonstigen" Rechte des Regierungschefs betroffen wird, d.h. ob und wie sie hierdurch unterstrichen oder abgeschwächt wird.

II. Richtlinienkompetenz und sonstige Rechte des Regierungschefs Im folgenden sollen die Mittel untersucht werden, die den Regierungschef zur Durchsetzung der Richtlinienkompetenz befähigen und die nach dem oben Gesagten auch den Charakter der Richtlinienkompetenz wesentlich bestimmen.

84

Herzog, in: M D H , Art. 64 Rn. 19. Dauster, S. 125, 142 f. 86 Dauster, S. 118 ff und 142 ff.; ähnlich bereits Eschenburg, DÖV 1954, S. 198, der davon sprach, daß durch das Grundgesetz die Kanzlerfigur „neu konstruiert" wurde, obwohl Reichskanzler der Weimarer Reichsverfassung und Bundeskanzler gleichermaßen Träger der Richtlinienkompetenz waren bzw. sind. 85

. Richtlinienkompetenz und sonstige Rechte des Regierungschefs

31

Weitgehende Einigkeit besteht in der Literatur über den engen Zusammenhang zwischen Richtlinienkompetenz und Kabinettsbildungsrecht bzw. Minister aus wähl- und Entlassungsrecht 87. In engem Zusammenhang mit dem Kabinettsbildungsrecht ist auch die Frage zu stellen, ob ein Zusammenhang zwischen der herausgehobenen parlamentarischen Legitimation des Regierungschefs und der Richtlinienkompetenz besteht. Neben diesen Rechten, die sich unmittelbar aus der Verfassung ergeben, sollen in diesem Zusammenhang auch die Rechte des Regierungschefs nach der Geschäftsordnung der Regierung untersucht werden. 1. Richtlinienkompetenz

und Kabinettsbildungsrecht

Als das wichtigste Mittel zur Durchsetzung der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers gelten dessen Handlungsmöglichkeiten aus Art. 64 Abs. 1 GG, die dem Bundeskanzler das Recht geben, Minister „seines Vertrauens" auszuwählen und ebenso auch deren Entlassung herbeiführen zu können88. Während die Richtlinienkompetenz mehr auf die Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit in einer amtierenden Regierung gerichtet ist, kann der Bundeskanzler durch die Wahl von „Männern seines Vertrauens" von Anfang an dem Kabinett ein bestimmtes Profil geben („die Regierung Schmidt") und auch den einzelnen Ressorts bestimmte Personen zuordnen, die für eine bestimmte Politik stehen. Eine so aus „Vertrauten" des Regierungschefs gebildete Regierung wird weit weniger auf die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs hingewiesen werden müssen als eine Regierung, in der jedes Kabinettsmitglied sein eigenes politisches und parteitaktisches Credo vertritt 89 . Neben dem Aus Wahlrecht gibt Art. 64 Abs. 1 GG dem Bundeskanzler das „Schwert" des Entlassungsrechts in die Hand, um sich von den Ministern trennen zu können, die sich der vom Bundeskanzler vertretenen Politik widersetzen 90. Unter dem Blickwinkel dieser Verfassungsnormen könnte sich der Bundeskanzler auf jeden Fall gegen revoltierende Minister durchsetzen, wenn es um die Grundzüge der Regierungspolitik geht. In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat jedoch bisher kein Bundeskanzler einen Bundesmini-

87 Herzog, in: M D H , Art. 64 Rn. 19; Stern, Bd. 1, S. 795; v. Münch-Liese gang, Art. 65 Rn. 12; Herzog sieht in Art. 64 Abs. 1 GG den eigentlichen Grund für die starke verfassungsrechtliche Stellung des Bundeskanzlers, während Stern in der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers dessen „genuines Führungsinstrument" sieht, dem die anderen Kompetenzen nur dienen. 88 S. vorhergehende Fn. 89 Herzog, in: M D H , Art. 64 Rn. 19; vom Beyme, Ministerverantwortlichkeit, S. 132, betont den „persönlichen Faktor" auch in der Regierungspolitik; Friauf, S. 52. 90 Friauf, S. 52.

32

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz

ster gegen dessen erklärten Willen entlassen, da bisher die Bundesminister im Konfliktfall selber zurückgetreten sind, um damit den Makel der „Entlassung" zu vermeiden 91 . Diese verfassungsrechtlichen Kompetenzen sind jedoch nur soweit durchsetzbar, als der Bundeskanzler auch die dazu notwendige parteipolitische Macht hat. Die Entlassung eines Ministers ist daher in erster Linie eine Frage der machtpolitischen Gewichtverteilung innerhalb der Regierung 92. Diese kann die Entlassung eines Ministers unmöglich machen, der durch Koalitionsvertrag abgesichert ist oder der einen Flügel in der Partei des Regierungschefs repräsentiert. Für den Bundeskanzler brächte die Entlassung eines solchen Ministers die Gefahr des Verlustes der parlamentarischen Mehrheit 93 . Es wäre jedoch umgekehrt auch falsch, die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten des Bundeskanzlers politisch zu unterschätzen 94. Zum einen ist der Bundeskanzler durch Art. 67 Abs. 1 GG geschützt, bis seine Gegner ihm das konstruktive Mißtrauen durch die Wahl eines Nachfolgers aussprechen. In einer solchen Situation kann er aber darüber hinaus aktiv gegenüber dem Parlament tätig werden, im Wege des Art. 68 Abs. 1 GG, der dem Bundeskanzler die Möglichkeit eröffnet - bei Ablehnung eines von ihm gestellten Vertrauensantrages -, den Weg zur Auflösung des Bundestages zu beschreiten und sich damit direkt an das Volk zu wenden, um in einem faktischen Plebiszit über seine Politik abstimmen zu lassen95. Gerade in solchen Situationen weist die Verfassung dem Bundeskanzler die Rolle des aktiven Politikers zu und gibt ihm dazu auch verfassungsrechtlich die Mittel an die Hand, um auf die vorgenannten politischen Entwicklungen Einfluß nehmen zu können 96 . Durch diese verfassungspolitische Konstruktion hat der Bundeskanzler im Konfliktfall gegenüber allen anderen Akteuren die größten Möglichkeiten; das Grundgesetz zieht nur dort die Grenze, wo eine parlamentarische Mehrheit in der Lage ist, im Wege des Art. 67 GG einen neuen Bundeskanzler zu wählen, um der machtpolitisch gewandelten Situation Rechnung tragen zu können. Insbesondere das Kabinettsbildungsrecht des Bundeskanzlers unterscheidet dessen verfassungsrechtliche Position von der Position des Reichskanzlers der

91 Siehe Beispiele bei vom Beyme, Die parlamentarischen Regierungssysteme, S. 130 ff. und in jüngerer Zeit: der Rücktritt der F.D.P.-Minister aus der Regierung Schmidt 1982. 92 vom Beyme, Die parlamentarischen Regierungssysteme, S. 130. 93

vom Beyme, Die parlamentarischen Regierungssysteme, S. 130.

94

Hennis, Richtlinienkompetenz, S. 167. So geschehen unter der Regierung Brandt-Scheel bei der Bundestagswahl 1972, dazu Baring,

95

S. 504. 96

Herzog nennt Art. 68 GG auch (Gegen-)Angriffsarsenal des Bundeskanzlers (Art. 68 Rn. 8).

. Richtlinienkompetenz und sonstige Rechte des Regierungschefs

33

Weimarer Reichs Verfassung, der nicht die ausschlaggebende Macht hatte, die Minister seines Kabinetts ernennen zu lassen und deren Entlassung herbeizuführen. Vielmehr war er dabei auf die Zustimmung des Reichspräsidenten und des Reichstages angewiesen (Artt. 53, 54 WRV) 9 7 . Dem Reichskanzler fehlte deshalb zur Durchsetzung seiner Richtlinienkompetenz schon die verfassungsrechtliche Macht gegenüber den Adressaten der Richtlinienkompetenz, den Regierungsmitgliedern, da diese nur in begrenztem Maße vom Reichskanzler abhängig waren. Sie waren hingegen in viel stärkerem Maße vom Reichstag abhängig, der jeden Reichsminister durch Vertrauensentzug zum Rücktritt zwingen konnte (Art. 54 S. 2 WRV), und vom Reichspräsidenten, der das Entlassungsrecht hatte und der damit die Ministerentlassung verhindern konnte (Art. 53 WRV). Friedrich Glum erklärte deshalb die schwache Position des Reichskanzlers damit, daß „ein Reichskanzler, der sich seine Mitarbeiter nicht selbst ausgesucht hat, ... naturgemäß nicht die Möglichkeit hat, sich in Konfliktfällen gegenüber seinen Ministerkollegen durchzusetzen" 98. Die Folge war, daß trotz der in Art. 56 WRV verankerten Richtlinienkompetenz des Reichskanzlers alle bedeutenderen politischen Entscheidungen und damit die Richtlinien der Politik nicht vom Reichskanzler, sondern vom Kabinett oder von den Fraktionsführungen getroffen wurden 99 . In der Verfassungswirklichkeit war nicht der Reichskanzler zum bestimmenden politischen Faktor geworden, sondern der Reichspräsident, das Reichskabinett und die Fraktionsführungen. Die Hauptaufgabe des Kanzlers war nicht so sehr die politische Führung, sondern das Moderieren zwischen den Ressortministern, zwischen dem Kabinett und den Regierungsfraktionen sowie dem Reichspräsidenten 100. Die Idee des Reichskanzlers als des politischen Führers und Gestalters, die der Einführung der Richtlinienkompetenz zugrundegelegen hat, war damit gescheitert 101 . Die Gründe dafür lagen zum einen in der parteipolitischen Situation der Weimarer Republik 102 . Sie waren zum anderen aber auch in der verfassungs-

97

Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 64 Rn. 2. Glum, S. 35. 99 Glum, S. 35; ebenso C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 348. 100 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 347 f.; Bieberstein, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 527. 101 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 348; auch Eschenburg, DÖV 1954, S. 193 ff. 102 Bieberstein, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 527. 98

3 Wieske

34

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz

rechtlichen Ausgestaltung der Ämter des Reichspräsidenten wie auch des Reichskanzlers zu suchen103. Eingedenk dieser Erfahrungen aus der Weimarer Republik, daß Richtlinienkompetenz unbedingter Kompetenz hinsichtlich der personellen Zusammensetzung der Regierungsmannschaft bedarf, entschieden sich die Verfasser des Grundgesetzes dazu, dem Bundeskanzler neben der Richtlinienkompetenz auch die sonstigen Kompetenzen, insbesondere das ausschließliche Kabinettsbildungsrecht, einzuräumen, um ihn zum Premier (zum „Schlächter" - so Thomas Dehler) über die Mitglieder des Kabinetts zu machen 104 . Bereits im Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee wurde auf den systematischen Zusammenhang zwischen der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers und dem Kabinettsbildungsrecht hingewiesen, wenn dort gesagt wurde, der Bundeskanzler müsse die Möglichkeit haben, einen Minister zu entlassen, der sich nicht an die vom Bundeskanzler festgelegten Richtlinien der Politik halte oder mit dem auf anderer Weise Meinungsverscheidenheiten entstanden seien, die innerhalb des Kabinetts nicht beigelegt werden können 105 . Die in diesem Entwurf noch vorgesehene Zustimmung des Bundestages zur Entlassung eines Ministers (Art. 83 Abs. 3) wurde in der 83. Sitzung des Hauptausschusses fallengelassen, um so die Arbeitsfähigkeit von Minderheitsregierungen unter der Führung des Bundeskanzlers zu gewährleisten 106. Die Erfahrungen von Weimar zeigen, daß Richtlinienkompetenz ohne das ausschließliche Recht des Regierungschefs, „sein Kabinett" zu bilden, die Durchsetzung der Richtlinienkompetenz erschwert bzw. unmöglich macht, da dem Regierungschef die Sanktionsmöglichkeiten gegenüber „widerstrebenden" Kabinettsmitgliedern fehlen. Deshalb hat die Mehrzahl der staatsrechtlichen und politikwissenschaftlichen Autoren bereits unter der Weimarer Reichsverfassung gefordert, daß dem Regierungschef auch das ausschließliche Kabinettsbildungsrecht zustehen muß, um die Richtlinien seiner Politik im Kabinett auch durchsetzen zu können 107 . Dieser Ansicht ist der Parlamentarische Rat hinsichtlich der Ausgestaltung der Position des Bundeskanzlers gefolgt. Das Kabinettsbildungsrecht kann jedoch von dem Regierungschef nur insoweit ausgeübt werden, als er auch die dazu notwendige Unterstützung durch

103

So bereits Eschenburg, DÖV 1954, S. 193 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 346. Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 64 Rn. 18, 30. 105 „Herrenchiemseentwurf" des Grundgesetzes, S. 45. 106 Dokumente der Beratungen des Parlamentarischen Rats im Hauptausschuß, 33. Sitzung vom 8.1.1949 107 Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 64 Rn. 17 m.w.N. 104

. Richtlinienkompetenz und sonstige Rechte des Regierungschefs

35

die parlamentarische Mehrheit besitzt. Insofern käme es mehr auf diese Faktoren an als auf die verfassungsrechtlichen Normen 108 . Dem muß insofern zugestimmt werden, als Verfassungsartikel reine „Sollenssätze" sind und politische Führung eine höchst reale „Seinssache" ist. So wenig wie Sollenssätze Seinstatsachen quasi aus dem Nichts erschaffen können, so wenig können Richtlinienkompetenz und Kabinettsbildungsrecht bewirken, daß „politische Führer" entstehen. Aber Sollenssätze können Seinstatsachen ermöglichen und unterstützen, fördern und legalisieren; einen Prozeß initiieren, den Georg Jellinek als die „faktische Kraft des Normativen" bezeichnet109. Insofern können Richtlinienkompetenz und Kabinettbildungsrecht des Regierungschefs den Führungsanspruch des Regierungschefs unterstützen, legalisieren und verfestigen. Es kann also nur um die Amtsausstattung gehen, unabhängig von der Frage, ob ein charismatischer Führer ohne diese Amtsausstattung regieren könnte. Daß jedoch diese Amtsausstattung das Regieren erleichtern oder erschweren kann, zeigen die Klagen und Stoßseufzer von Politikerpersönlichkeiten wie Otto v.Bismarck, der als preußischer Ministerpräsident die Richtlinienkompetenz und das Kabinettsbildungsrecht vermißte, aber auch von Willy Brandt, der als Kanzler gegenüber Parteitagsbeschlüssen auf seine Richtlinienkompetenz hingewiesen hat 110 . 2. Die direkte parlamentarische Legitimation des Regierungschefs Im vorangegangenen Kapitel wurde die Abhängigkeit des Kabinettsbildungsrechts und damit auch der Richtlinienkompetenz von der Fähigkeit des Bundeskanzlers, der Führer der parlamentarischen Mehrheit zu sein, aufgezeigt. Er verfügt als einziges Mitglied der Bundesregierung über eine unmittelbare parlamentarische Legitimaton, da er direkt vom Parlament gewählt wird (Art. 63 GG), während die Bundesminister „auf Vorschlag des Bundeskanzlers" ernannt werden. Umgekehrt kann der Bundeskanzler als einziges Regierungsmitglied im Wege des „konstruktiven Mißtrauens" (Art. 67 GG) direkt vom Parlament politisch zur Verantwortung gezogen werden. Er kann vom Parlament, und nur vom Parlament, gestürzt werden. Deshalb wird in der Literatur auf den engen systematischen und teleologischen Zusammenhang zwischen der Richtlinienkompetenz und den Artikeln über die

108

vom Beyme, Ministerverantwortlichkeit, S. 130. Jellinek, S. 285. 110 So Baring über Willy Brandt in „Machtwechsel", S. 548, aber auch vorher Preuß über Bismarck, S. 191. 109

36

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz

Wahl und Abwahl des Bundeskanzlers, die die legitimatorische Basis für dessen herausgehobene Stellung begründen, Art. 63 und Art. 67 GG, hingewiesen111. Der Bundeskanzler ist nach dem Grundgesetz das einzige Regierungsmitglied, das seine Legitimation unmittelbar vom Parlament ableiten kann. Diese unmittelbare parlamentarische Legitimation des Bundeskanzlers hat nicht nur Wirkung im Verhältnis zwischen Parlament und Regierungschef, sondern gibt dem Amt des Regierungschefs eine erhöhte Autorität gegenüber den übrigen Regierungsmitgliedern 112. Der Bundeskanzler verfügt, ebenso wie alle Ministerpräsidenten in den Flächenländern des Bundes, über einen Legitimationsvorsprung gegenüber den Ministern aufgrund seiner Wahl, durch den Repräsentanten des Staatsvolkes, das Parlament 113. Diese Regelung unterscheidet die Stellung des Bundeskanzlers nach dem Grundgesetz von der Stellung des Reichskanzlers nach der Weimarer Reichsverfassung, wonach sich Reichskanzler und Reichsminister auf die gleiche parlamentarische Legitimation, auf das gleiche parlamentarische Vertrauen berufen konnten. Art. 54 S. 2 WRV formulierte: „Jeder von ihnen (d.h. Reichskanzler und Reichsminister) muß zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß sein Vertrauen entzieht." Dies bedeutete, daß nach dem Text der Verfassung der Reichstag auch ausschließlich dem Kanzler das Vertrauen entziehen konnte, dieser hätte dann zurücktreten müssen, während die übrigen Mitglieder der Reichsregierung im Amt bleiben konnten 114 . Anders die diesbezügliche Regelung im Grundgesetz. Art. 69 Abs. 2, 2. HS. für die Bundesminister:

Hier

normiert

„Das Amt des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers endigt in jedem Fall mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages, das Amt eines Bundesministers auch mit jeder anderen Erledigung des Amtes des Bundeskanzlers."

Durch diese Regelung ist das politische Schicksal einer jeden Bundesregierung und damit das Amt eines jeden Bundesministers an die Person des Bundeskanzlers gebunden115. Auf der anderen Seite ist die Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers, qua Richtlinienkompetenz für die Richtung der Regierungsführung, direkt bezogen auf das Parlament, jedoch mittelbar gerichtet an die Wahlbevölkerung 116 . Angesichts des hohen Grades der Personalisierung der Wahlkämpfe zum Bundestag wird hierbei in plebiszitärer Weise über die Per-

111

Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 64 Rn. 15, 18; Grottian, Richtlinien der Politik. Dauster, S. 57. 113 Dauster, S. 54; Leisner, Der Führer, S. 215/216. U 4 Anschütz, Art. 54 Anm. 3, 6. 115 Herzog, in: M D H , Art. 69 Rn. 44. 116 Schreiber, DVB1. 1986, S. 974, 976.

112

II. Richtlinienkompetenz und sonstige Rechte des Regierungschefs

37

son des Bundeskanzlers und damit über die Richtung der Politik durch die Bevölkerung abgestimmt117. Wie oben gezeigt wurde, hat dies auch Auswirkungen auf die Auslegung der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers. Da der Bundeskanzler durch Art. 69 Abs. 3 GG als Legitimationsglied zwischen Bundestag und den Bundesministern steht, ist nach dem Grundgesetz kein formeller Sturz eines einzelnen Ministers mehr möglich, sondern dies kann nur zum Preis des Sturzes des gesamten Kabinetts geschehen. Der Kabinettssturz setzt jedoch immer den Sturz des Bundeskanzlers voraus, der damit letztlich auch die politische Verantwortung für ein Fehlverhalten der Ressortminister trägt 118 . Unter dem Gesichtspunkt der politischen Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers für die Minister und der Tatsache, daß der Bundeskanzler verfassungsrechtlich nur vermittels der Richtlinienkompetenz Einfluß auf die ansonsten „selbständig und unter eigenen Verantwortung" (Art. 65 S. 2 GG) handelnden Minister nehmen kann, folgt, daß der Bundeskanzler gegenüber den Ministern nicht nur allgemein gefaßte Richtlinien erlassen kann, sondern daß er in solchen Einzelfällen, die den Bestand der Regierung und deren Ansehen betreffen, Einzelfallentscheidungen treffen kann, die dann für die betroffenen Minister verbindlich sind 119 . Der Entscheidung für die ausschließliche parlamentarische Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers gingen im Parlamentarischen Rat umfangreiche Diskussionen voraus, in denen sich das Meinungsbild zu dieser Frage grundsätzlich wandelte 120 . Am Ende der Diskussionen im Parlamentarischen Rat verdeutlicht der Bericht des Hauptausschusses an das Plenum des Parlamentarischen Rates die systematischen Zusammenhänge zwischen parlamentarischer Alleinverantwortlichkeit des Bundeskanzlers und der Richtlinienkompetenz: „Allerdings bedingt die parlamentarische Alleinverantwortlichkeit des Bundeskanzlers sein Übergewicht in noch höherem Maße, als es in der Weimarer Verfassung der Fall war. Wenn auch die einzelnen Minister dem Bundestag gegenüber Rede und Antwort stehen müssen, so trägt doch der Bundeskanzler allein dem Parlament gegenüber die Verantwortung. Daraus ergibt sich auch im Verhältnis von Bundeskanzler und Bundesministern, daß bei Meinungsverschiedenheiten die Meinung des Bundeskanzlers den Ausschlag geben muß. Die Selbständigkeit jedes einzelnen Ministers besteht nur innerhalb der Richtlinien der Politik. Was unter die Richtlinien der Politik fällt, hat, wie in der zweiten Lesung des Hauptausschusses als Ergebnis der Diskussion vom Abgeordneten Dr. Laforet festgestellt werden konnte, der Bundeskanzler al-

117

So Heidenheimer bereits 1961, PVZ, S. 241, 253/255; Baring , S. 504.

118

So wurde z.B. der Fall „Wörner/Kiessling" im Lauf des Geschehens zunehmend zur „Kanzlersache", siehe Der Spiegel 1982, Heft Nr. 2/4 „Der Fall Wörner/Kiessling", aber Heft Nr. 5/6 „Der Skandal", „Helmut, das ist deine Sache". 119

Herzog, in: M D H , Art. 69 Rn. 45.

120

Dazu Junker, S. 70 ff.

38

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz lein das Recht zu interpretieren. Die eigene Verantwortung bezieht sich bei den Bundesministern nach alledem auch nicht auf die Verantwortung gegenüber dem Bundestag, sondern gegenüber dem Bundeskanzler. Das gilt insbesondere auch für die Gegenzeichnung." 121

In engem Zusammenhang mit der parlamentarischen Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers gegenüber dem Parlament steht dessen Recht, die Vertrauensfrage zu stellen. Während durch das konstruktive Mißtrauensvotum (Art. 67 GG) dem Parlament die politische Initiative in die Hand gegeben wird, behält der Bundeskanzler in der Situation der Vertrauensfrage die politische Initiative in der Hand 122 . Denn durch Art. 68 GG wird der Weg eröffnet, den Bundestag aufzulösen oder den Gesetzgebungsnotstand zu erklären 123 . Art. 68 GG stellt gegenüber der Weimarer Reichsverfassung eine nicht unwesentliche Stärkung des Kanzlers dar, insbesondere gegenüber den Artt. 25 und 54 WRV. Während nach Art. 54 WRV Reichskanzler und Reichsminister zur Regierung des fortdauernden parlamentarischen Vertrauens bedurften, bedarf im System des Grundgesetzes der Bundeskanzler nur zu seiner Wahl des parlamentarischen Vertrauens. Zwar bedarf die Regierung zur Verabschiedung von Gesetzen und des Haushalts der parlamentarischen Zustimmung, aber ansonsten ist die Position des Bundeskanzlers im Grundgesetz so ausgestattet, daß damit auch die Regierungsfähigkeit einer parlamentarischen Minderheitsregierung gesichert ist. Erst dann, wenn das Parlament die Kraft findet, sich zur konstruktiven (absoluten) Mehrheit gegen den Bundeskanzler zusammenzuschließen, ist ein Sturz des Bundeskanzlers möglich. Anders auch die Regelung der Parlamentsauflösung. Nach Art. 25 WRV hatte der Reichspräsident das Recht zur Parlamentsauflösung und der Reichskanzler das Recht zur Gegenzeichnung124. Dieses Recht war jedoch faktisch schon dadurch beschränkt, daß der Reichskanzler ein „Geschöpf" des Reichspräsidenten war und bei Verweigerung der geforderten Gegenzeichnung vom Reichspräsidenten entlassen werden konnte (Art. 53 WRV) 1 2 5 . Damit lag die politische Initiative zur Parlamentsauflösung beim Reichspräsidenten und nicht beim Reichskanzler.

121

Dokumente des Parlamentarischen Rates, Bericht des Hauptausschusses, S. 30. Herzog, in: M D H , Art. 68 Rn. 8 bezeichnet deshalb auch die Vertrauensfrage als (Gegen)-Angriffsmittel des Bundeskanzlers zur Abwehr einer parlamentarischen Erosion. 123 Der Weg des Art. 81 GG (Gesetzgebungsnotstand) wurde bisher nicht in der Praxis beschritten. Die Vertrauensfrage wurde bisher dreimal gestellt: zweimal, um zu einer Auflösung des Bundestages zu gelangen (1972 unter Brandt; 1982 unter Kohl), und im Februar 1982 stellte Kanzler Schmidt die Vertrauensfrage, um die auseinanderbrechende Koalition zusammenzuhalten. 124 Herzog, in: M D H , Art. 68 Rn. 5. 125 Anschiitz, Art. 25 Anm. 8. 122

. Richtlinienkompetenz und sonstige Rechte des Regierungschefs

39

Das Grundgesetz gibt allein dem Bundeskanzler die politische Initiative, durch Stellen der Vertrauensfrage den Weg frei zu machen, um den Bundestag aufzulösen (Art. 68 Abs. 1 GG), wenngleich auch das Auflösungsrecht dem Bundespräsidenten zusteht. Dieser hat ein Prüfungsrecht, aber die politische Initiative für die Auflösung hat ausschließlich der Kanzler 126 . Damit kann der Bundeskanzler Druck auf die eigene Regierungspartei bzw. Koalition ausüben und innerparteiliche bzw. koalitionsinterne Disziplin einfordern 127 . In engem Zusammenhang zur parlamentarischen Legitimation des Bundeskanzlers und zu dessen Recht auf Vertrauensantrag gem. Art. 68 GG steht auch das konstruktive Mißtrauensvotum, dessen unmittelbarer Adressat ausschließlich der Bundeskanzler ist, von dem jedoch mittelbar die gesamte Regierung betroffen wird (Art. 69 Abs. 2 GG). Zum einen unterstreicht Art. 67 GG die besondere verfassungsrechtliche Legitimation des Bundeskanzlers und zeigt zugleich auch die Legitimationskette zwischen dem Bundeskanzler und dem Bundestag. Zum anderen enthält Art. 67 GG die Feststellung, daß nur der Bundeskanzler vom Parlament gestürzt werden kann, daß es jedoch unmöglich ist - wie nach Art. 54 WRV -, einzelne Minister aus dem Kabinett „herauszuschießen" 128. Dadurch, daß das parlamentarische Mißtrauen auf die Person des Bundeskanzlers beschränkt ist, wird deutlich, daß sich dieses Mißtrauen sachlich gegen die vom Bundeskanzler vertretene Politik richtet bzw. gegen dessen Ministerauswahl, die dieser zu verantworten hat. Der Antrag nach Art. 67 GG richtet sich hierdurch gegen die von dem Bundeskanzler formulierten und vertretenen Richtlinien der Politik 129 . Damit schließt sich der Kreis von den Richtlinien des Bundeskanzlers und dessen davon abgeleiteter politischer Verantwortlichkeit gegenüber dem Bundestag. 3. Richtlinienkompetenz und sonstige Hilfs- und Ergänzungsbefugnisse des Regierungschefs am Beispiel des Bundeskanzlers Neben den Rechten des Bundeskanzlers, die sich aus dem Text des Grundgesetzes ergeben, stehen dem Bundeskanzler Rechte aus der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GOBReg) zu oder können aus den Normen des Grundgesetze gefolgert werden.

126

BVerfGE 62a, S. 1 ff., S. 42. Herzog, in: M D H , Art. 68 Rn. 13; ähnlich das vom englischen Premier geübte Mittel zur Disziplinierung, durch Androhung des eigenen Rücktritts die Auflösung der Regierung und des Parlaments herbeizuführen, so vom Beyme, Ministerverantwortlichkeit, S. 130. 128 Anschütz, Art. 54 Anm. 7. 129 Junker, S. 86. 127

40

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz

a) Das Organisationsrecht Dem Bundeskanzler steht das Recht zu, die Geschäftsbereiche der einzelnen Bundesminister festzulegen. Diese sog. Organisationsgewalt ergibt sich aus § 9 S. 1 GOBReg. Unabhängig von ihrer Fixierung in der Geschäftsordnung der Bundesregierung ist die Organisationsgewalt originärer Bestandteil der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers in Verbindung mit dessen Kabinettsbildungsrecht 130. Die Organisationsgewalt ist aus zweierlei Gründen zur Durchsetzung der Richtlinienkompetenz unerläßlich: Zum einen verdeutlicht der Bundeskanzler schon bei der Kabinettsbildung, durch die Bildung von Ministerien und durch die Zuordnung von Kompetenzen, die Richtung, die er damit „seiner" Politik zu geben gedenkt 131 . Diese Maßnahmen sind somit Teil der Richtlinienbestimmung und gleichzeitig ein unerläßliches Mittel zu ihrer Durchsetzung. Zum anderen dient die Organisationsgewalt dem Bundeskanzler als Druckmittel, um Minister zu disziplinieren, die nicht die vom Bundeskanzler vertretenen Richtlinien der Politik umsetzen, durch die Drohung der Auflösung von Ministerien oder der Verlagerung von Kompetenzen auf andere Ministerien. Dieses Druckmittel gibt dem Bundeskanzler die Möglichkeit, die Kompetenzen eines „undisziplinierten Bundesministers" einzuschränken, ohne die ultima ratio, die Entlassung des Ministers, herbeiführen zu müssen132. Auch aus politischen Gründen ist die Organisationsgewalt von nicht zu unterschätzender Bedeutung, denn der betroffene Minister steht vor einem Dilemma: Entweder er akzeptiert eine Kompetenzeinschränkung durch den Kanzler, dann ist er politisch geschwächt, oder er verläßt das Kabinett, dann haftet ihm das Odium des Rücktritts an 133 . Durch das Organisationsrecht hat der Regierungschef die Möglichkeit, auf die Überlappung von sachlichpolitischen mit personalpolitischen und koalitions- sowie parteipolitischen Gesichtspunkten bei der Regierungsbildung und Regierungsveränderung zu reagieren 134.

130

Stern, Bd. 1, S. 795; Böckenförde, S. 141. Übersicht bei Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 64, V Anhang über die bisher geschaffenen Bundesministerien. Diese zeigt schon in der Schaffung und Benennung von Spezialministerien eine Richtung der Politik auf, z.B. in den 50er Jahren durch Schaffung des Bundesministeriums für Atomfragen; durch Auflösung der Bundesminsterien für Angelegenheiten der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsbeschädigten zu Beginn der Regierung Brandt/Scheel oder durch die Schaffung des Umweltministeriumsim Bund. 132 Böckenförde, S. 140; Hennis, Richtlinienkompetenz, S. 167; Stern, Bd. 1, S. 795. 133 So z.B. die Verkleinerung des bayerischen Kultusministerums 1987, die zum Rücktritt des Kultusministers Hans Maier führte oder der Entzug von Kompetenzen bzgl. der atomrechtlichen Fragen von Bundesinnenminister Zimmermann durch Bundeskanzler Kohl 1986. 134 Böckenförde, S. 141. 131

. Richtlinienkompetenz und sonstige Rechte des Regierungschefs

41

b) Informationsanspruch des Bundeskanzlers Die Richtlinienkompetenz wird außerdem unterstrichen durch den Informationsanspruch des Bundeskanzlers gem. § 3 GOBReg: „Der Bundeskanzler ist aus dem Geschäftsbereich der einzelnen Bundesminister über Maßnahmen und Vorhaben zu unterrichten, die für die Bestimmung der Richtlinienkompetenz der Politik und die Leitung der Geschäfte der Bundesregierung von Bedeutung ist."

Hennis will aus dieser „in ihrer Tragweite kaum zu überschätzender Hilfsbefugnis" praktisch einen umfassenden Evokationsanspruch des Bundeskanzlers ableiten 135 . Dies würde bedeuten, daß der Bundeskanzler nicht nur die „Dinge" der „großen Politik" an sich ziehen kann, sondern daß er in die Fachministerien hineinregieren darf, d.h. den Beamten am Minister vorbei dort bindende Weisungen erteilen kann 136 . Juristisch gesehen, gibt jedoch weder § 3 GOBReg noch eine andere Vorschrift dem Bundeskanzler ein Evokationsrecht, das es ihm erlauben würde, in die Fachministerien hineinzuregieren, und zwar wegen der durch Art. 65 S.2 GG garantierten Verantwortlichkeit der Fachminister 137 : „Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung." Eine andere Frage sind jedoch die politischen Möglichkeiten des Bundeskanzlers, durch personelle oder parteipolitische Entscheidungen bzw. kraft Sachkompetenz Einfluß auf einzelne Ministerien zu nehmen. Soweit der Anspruch aus § 3 GOBReg dem Bundeskanzler das Recht gibt, „Dinge an sich zu ziehen", ergibt sich eine solche Kompetenz bereits aus der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, wenn man der von Herzog gegebenen Definition folgt, daß all die „Dinge" unter die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers fallen, bei denen der Bundeskanzler Gefahr liefe, schwerwiegende politische Konsequenzen zu riskieren 138 .

135

Hennis , Richtlinienkompetenz, S. 168. So die Kompetenzen des Hamburgischen Senats, der Evokationsrechts hat, Drexelius/Weber, Art. 55 H V . 137 Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 60; Böckenförde, S. 241. 138 Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 8; so auch Junker, der darauf hinweist, daß Richtlinienentscheidungen auch Einzelfallentscheidungen sein können, soweit diese für die gesamte Regierungsarbeit von besonderer Bedeutung sind, S. 50/51; ebenso Knöpfte, DVB1. 1965, S. 926; Karehnke, DVB1. 1974, S. 102; Hennis, Richtlinienkompetenz, S. 168, der § 3 GOBReg als einen „umfassenden Evokationsanspruch" des Bundeskanzlers verstanden wissen will. 136

42

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz

Somit folgt der Informationsanspruch des Bundeskanzlers direkt aus der Richtlinienkompetenz unabhängig von einer entsprechenden Normierung in der Geschäftsordnung der Bundesregierung . c) Die Geschäftsleitung Als Hilfsbefugnis zur Ausübung der Richtlinienkompetenz wird das Recht des Bundeskanzlers „zur Leitung der Geschäfte der Bundesregierung" angesehen, das durch Art. 65 S. 6 GG und § 22 GOBReg geregelt worden ist 139 . Zum Teil wurde problematisiert, ob die Leitung des Kollegialorgans Kabinett eine Teilfunktion der Richtlinienkompetenz ist, oder ob es sich dabei um eine eigenständige Kompetenz des Bundeskanzlers handelt, die neben der Richtlinienkompetenz besteht und unabhängig von ihr ist 140 . Die Leitung der Geschäfte der Bundesregierung ist sicher möglich ohne gleichzeitige Richtlinienkompetenz, soweit sich diese Leitung auf eine Art Sitzungsleitung beschränkt 141. Soweit die Geschäftsleitung inhaltliche Vorgaben zu geben hat - im Sinne von Anleitung und Führung-, sind diese und die Richtlinienkompetenz miteinander verbunden. Da die letztere Funktion weiter ist und der verfassungsrechtlich verankerten Richtlinienkompetenz entspricht, muß Geschäftsleitung i.S.v. §22 GOBReg als Teilfunktion der Richtlinienkompetenz verstanden werden 142 . d) Die Stichentscheidungsstimme Als Konkretisierung der Geschäftsleitungsbefugnis des Bundeskanzlers wird das Recht des Bundeskanzlers angesehen, bei Stichentscheiden die entscheidende Stimme zu haben (§ 24 Abs. 2 GOBeg) 143 . Ob jedoch dieses Instrument in der Regierungspraxis Bedeutung hat, erscheint zweifelhaft, denn ihm liegt die Vorstellung von einer Regierung zugrunde, der es nicht gelungen ist, einen einheitlichen Willen zu bilden. In solchen Situationen mag der Stichentscheid von Bedeutung sein. Aber in aller Regel wird dann der Bundeskanzler kraft seiner Kabinettsbildungskompetenz

139

Junker, S. 78. Karehnke, S. 105, problematisiert diese Frage; Kölble, DÖV 1973, S. 1 , 9 , der die Grenzen der Befugnisse des Bundeskanzlers auch im Rahmen der Geschäftsleitung unter dem Gesichtspunkt der Richtlinienkompetenz auslegt. 141 Kölble, DÖV 1973, S. 1, 9; Lechner/Hülshoff, Anm. zu § 6 GOBReg, S. 340; siehe aber in Kapitel C. I. 1. b) „Die Leitung der Senatsgeschäfte" die andersgelagerte Hamburger Situation. 142 Hennis, Richtlinienkompetenz, S. 179 (180), der die Regierungstechnik, also die Durchsetzung der Richtlinien im Rahmen der Geschäftsleitung des Bundeskabinetts, als die zentrale Aufgabe des Bundeskanzlers bezeichnet; Junker, S. 78; Karehnke, S. 113, der die Geschäftsleitungsbefugnis als Ausfluß der Richtlinienkompetenz bezeichnet. 143 Junker, S. 79. 140

. Richtlinienkompetenz und sonstige Rechte des Regierungschefs

43

die Regierung umbilden, um so wieder durch „Männer seines Vertrauens" die Einheitlichkeit des Kabinetts herzustellen. In der Politik von größerer Bedeutung dürfte dagegen das Recht des Bundeskanzlers sein, im Falle eines Vetos des Bundesministers für Finanzen gegen Beschlüsse der Bundesregierung von finanzieller Bedeutung, dieses zu bekräftigen oder das Veto des Finanzministers mit der Mehrheit sämtlicher Bundesminister zu überstimmen (§ 26 Abs. 1 GOBReg). Als Abkehr vom Kabinettsprinzip und Ausdruck der Richtlinienkompetenz kann hierbei verstanden werden, daß selbst die Mehrheit der Minister verfassungsrechtlich nicht in der Lage ist, das Veto des Bundesministers der Finanzen durch Mehrheitsbeschluß „zu kippen" (damit Begrenzung des Kabinettsprinzip), sondern daß dies erst durch die Entscheidung des Bundeskanzlers (Richtlinienkompetenz) möglich wird 1 4 4 . e) Die Richtlinienorientierung der Bundesminister Daneben sind noch zwei Regeln in der Geschäftsordnung der Bundesregierung zu erwähnen, die darauf zielen, die Einheitlichkeit der Bundesregierung bezüglich der Richtlinien der Politik zu garantieren: § 1 Abs. 2und§ 12 GOBReg. § 1 Abs. 2 GOBReg gebietet „das Recht und die Pflicht, auf die Durchführung der Richtlinien zu achten". Dies ist eine politische Selbstverständlichkeit unter der Geltung von Art. 65 S. 1 GG, die jedoch immerhin für so bedeutend angesehen wurde, daß sie in die Geschäftsordnung der Bundesregierung Aufnahme gefunden hat 145 . Eschenburg weist in diesem Zusammenhang aber darauf hin, daß die wesentlich „straffere" Formulierung in § 1 Abs. 2 GOBReg gegenüber der Geschäftsordnung der Reichsregierung (der Reichskanzler hat auf die Einheitlichkeit der Politik „hinzuweisen") noch einmal den Führungsanspruch des Bundeskanzlers unterstreicht 146. § 12 GOBReg richtet sich an die Bundesminister. Diese werden verpflichtet, darauf zu achten, daß sie sich bei Äußerungen außerhalb der Bundesregierung stets im Einklang mit den Richtlinien der Politik des Bundeskanzlers befinden. Durch diese Regelung wird die Pflicht zur Geschlossenheit der Regierung unterstrichen 147, jedoch nicht zu einer Geschlossenheit, die orientiert ist an der Mehrheitsmeinung im Kabinett, sondern die sich an den Richtlinien der

144 Zur zentralen Bedeutung der Haushaltspolitik für die Regierungspolitik siehe Helmut Schmidt, S. 316, 320; Steßan, S. 232 f. 145 Junker, S. 78; Kölble, S. 9. 146 Eschenburg, DÖV 1954, S. 200. 147 Anschütz, Art. 56 Rn. 4; Schmidt-Jortzig, S. 56.

44

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz

Politik des Bundeskanzlers orientiert 148 . Auch hierdurch wird der Primat der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers unterstrichen.

I I I . Zusammenfassung und Bestimmung des Begriffs der Richtlinienkompetenz Mit der Wortlautinterpretation kann der Begriff der Richtlinienkompetenz nicht definitorisch erschlossen werden. Lediglich Kernelemente können bestimmt werden, die der Begriff enthält. Richtlinienkompetenz soll dem Träger das Recht geben, die Richtung der Regierungspolitik zu bestimmen. Näheren Aufschluß hingegen geben die historische, systematische und teleologische Auslegung des Begriffs der Richtlinienkompetenz. Die historische Auslegung zeigt, daß die Richtlinienkompetenz, wie sie die Weimarer Reichsverfassung dem Reichskanzler verfassungsrechtlich eingeräumt hatte, nicht geeignet war, um die „Richtlinien der Politik" der Regierung wirksam zu bestimmen. Dieser Erfahrung haben die „Väter des Grundgesetzes" Rechnung getragen, die dem Kanzler nicht nur die Richtlinienkompetenz gaben, sondern weitere Rechte, insbesondere das Kabinettsbildungsrecht, einschließlich des Ministerentlassungsrechts, um dem Kanzler damit die notwendigen verfassungsrechtlichen Mittel zur Verfugung zu stellen, um die Richtlinienkompetenz wirksam ausüben zu können149. Die systematische Stellung der Richtlinienkompetenz im Grundgesetz in Verbindung mit dem verbindlichen Vorschlagsrecht des Bundeskanzlers für Ernennungen und Entlassungen der Bundesminister (Art. 64) und seiner direkten Wahl durch den Bundestag (Art. 63) unterstreicht nicht nur die herausgehobene Stellung des Bundeskanzlers gegenüber den Bundesministern, sondern gibt ihm eine verfassungsrechtlich gestützte dominierende Position 150 . Hierbei wird in Art. 65 S. 1 GG im ersten Halbsatz dem Bundeskanzler die Richtlinienkompetenz eingeräumt, ohne jedoch gleichzeitig zu verabsäumen, im zweiten Halbsatz darauf hinzuweisen, daß der Bundeskanzler „dafür" die Verantwortung trägt. Als Konkretisierung dieser Verantwortung wird dem Bundestag in Art. 67 GG das Recht gegeben, den Bundeskanzler im Wege des parlamentarischen Mißtrauensvotums zu stürzen. Als Angriffsmittel hiergegen hat der Bundeskanzler - und nur er - das Recht, dem Bundestag die Vertrauensfrage zu

148

Knöpfle, S. 930; Junker, S. 43; Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 40. Hennis, Richtlinienkompetenz, S. 178; Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 4; Eschenburg, DÖV 1954, S. 198/199; Junker, S. 72, 77. 150 Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 3/4, bezweifelt jedoch die Bedeutung der Richtlinienkompetenz gegenüber dem Kabinettsbildungsrecht, Art. 64 Rn. 19/20. m

ΠΙ. Zusammenfassung

45

stellen, um damit den Weg zur Auflösung des Bundestages zu eröffnen 151 . Die Richtlinienkompetenz, wie sie das Grundgesetz definiert, ist so in einen engen, unlösbaren Zusammenhang mit der parlamentarischen Verantwortung des Trägers der Richtlinienkompetenz zu stellen und nur so zu verstehen 152. Adressat der Richtlinienkompetenz sind daher nicht nur die Mitglieder der Regierung 1 5 3 , sondern ist das Parlament 154. Denn dort wird über die Richtung der Regierungspolitik diskutiert, abgestimmt, und der Bundeskanzler ist diesem und mittels Parlament darüber hinaus der Wahlbevölkerung für die Richtung der Politik verantwortlich 155 . Richtlinienkompetenz unter den Bedingungen des parlamentarischen Regierungssystems setzt immer parlamentarische Verantwortlichkeit des Trägers der Richtlinienkompetenz voraus 156 . Im Rahmen der vorgenannten Auslegungsmethoden stellt sich nun die Fage nach dem Telos/Sinn und Zweck der Richtlinienkompetenz im System des Grundgesetzes. Hierbei war festgestellt worden, daß der Bundeskanzler die Richtung bzw. die große politische Linie der Regierungspolitik, die „Richtlinien der Politik", weisen soll 157 . Er hat dafür auch die Verantwortung zu tragen, wobei sich diese nicht explizit nur auf die Verantwortung des Bundeskanzlers gegenüber dem Bundestag beschränkt (anders insofern die Richtlinienkompetenz des Reichskanzlers, dessen Verantwortung ausdrücklich „gegenüber dem Reichstag" bestand, Art. 56 WRV), sondern als Folge des faktisch plebiszitären Charakters der Bundestagswahlen als Kanzlerwahlen, ist der Bundeskanzler auch dem Staatsvolk verantwortlich 158 . Der Bundeskanzler trägt damit die Verantwortung gegenüber dem Staatsvolk für die Richtung der Politik. Gradmesser seiner Verantwortlichkeit ist

151 Zum Problem des „getürkten" Mißtrauensvotums: Herzog, in: M D H , Art. 68 Rn. 68 ff., insbesondere Rn. 81 ; Schlichting, JZ 1984, S. 120 ff. : Zur Auslegung von Art. 68 GG durch das BVerfG; Hennis, in: BZ vom! Λ2Λ982: „Ein Versprechen unter dem Makel der Verfassungsmanipulation". 152 Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 64 Rn. 18. 153 Siehe hierzu das Zitat Adenauers, daß die Einforderung der Richtlinienkompetenz im Kabinett schon Indiz für den faktischen Verlust der Richtlinienkompetenz sei, bei Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 16, 48; Art. 64 Rn. 20. 154 Dadurch wird das Parlament, der Deutsche Bundestag zum eigentlichen Adressaten der Richtlinienkompetenz des Kanzlers, so ausdrücklich Schreiber, DVB1. 1986, S. 974, 976; Stern, Bd. 2, S. 318; zum plebiszitären Charakter der Wahlen des Bundeskanzlers: Jennings /Ritter, S. 14, 16; vom Beyme, Die parlamentarischen Regierungssysteme, S. 47 Anm. 3. 155 Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 46-51, das seinen Ausdruck in dem Umstand findet, daß die Bundestagswahl faktisch Kanzlerwahl geworden ist. 156 Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 8, 93; vom Beyme, Die parlamentarischen Regierungssysteme, S. 44 Anm. 9. 157 Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 3, 31; Junker, S. 50; Eschenburg, DÖV 1954, S. 201, der von den „einsamen Entschlüssen" des Kanzlers spricht. 158 Junker, S. 69; ν .Münch-Liesegang, Art. 64 Rn. 6; Jennings /Ritter, S. 14, 16.

46

Α. Der Begriff der Richtlinienkompetenz

hierbei die verfassungsrechtlich vorgegebene Ordnung des Grundgesetzes. Hieran wird inhaltlich auch die Richtung der Politik des Bundeskanzlers gemessen werden 159 . Somit ist auch der Bundeskanzler bei der Bestimmung seiner Richtlinien der Politik an die Vorgaben des Grundgesetzes gebunden, ihm steht lediglich das Recht zu, und er hat die Pflicht, den besten Weg zu ihrer Verwirklichung zu weisen 160 . Wenn unter der Weimarer Reichsverfassung der Sinn der Richtlinienkompetenz darin bestand, den Kanzler zur politisch richtungweisenden Figur zu machen 161 , so wurde im System des Grundgesetzes die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers von weiteren Rechten umkränzt, die der „schwammigen" und schwer faßbaren Richtlinienkompetenz eine Art „Stützkorsett" gegeben haben, um so den Bundeskanzler über all die Jahre der bundesdeutschen Geschichte und bei verschiedenen, vom Naturell äußerst unterschiedlichen Amtsträgern als die zentrale politische Gestalt haben bestehen lassen. Eine exakte Definition der Richtlinienkompetenz soll deshalb hier auch hier nicht weiter versucht werden zu geben. Richtlinienkompetenz soll hier verstanden werden als die Kompetenz des Regierungschefs, die Richtung der Politik des Staates im Sinne seiner Verfassungsordnung zu bestimmen, hierfür parlamentarisch verantwortlich zu sein und zur Durchsetzung dieser Politik das alleinige Recht zur Auswahl und Abwahl der Mitglieder der Regierung zu besitzen. Wenn im folgenden über die Richtlinienkompetenz in der Freien und Hansestadt Hamburg gesprochen wird, dann geht es um das Recht, die Richtung der Politik des Senats zu bestimmen, das zu seiner Durchsetzung der Kompetenz bedarf, die Mitglieder des Senats zu bestellen und zu entlassen, den Umfang der Ressorts zu bestimmen und ggf. auch zu ändern und um die parlamentarische Verantwortlichkeit des Trägers der wie vorstehend definierten Richtlinienkompetenz.

159 Friauf S. 47; so bereits Maunz zur Justitiablität von Richtlinienentscheidungen, in: DVB1. 1956, S. 260, 262. 160 Friauf, S. 47, betont zu Recht, daß der Bundeskanzler sich im Amtseid verpflichtet, die Interessen des gesamten Volkes zu wahren und nicht nur einer Partei oder der Mehrheit, S. 63. 161 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 341, 346 zur Intention der Väter der Weimarer Reichsverfassung bei Einführung der Richtlinienkompetenz.

Β. Die Regelung der Richtlinienkompetenz in der Hamburgischen Verfassung

I. Die kollegiale Richtlinienkompetenz des Senats Die Hamburgische Verfassung vom 6. Juni 1952, in der Fassung vom 19.5.1982, hat als einzige deutsche Verfassung normiert, daß die Regierung als Kollegialorgan, in Hamburg der Senat, die Richtlinien der Politik bestimmen soll (Art. 33 Abs. 1 S. 2, 1. Halbsatz HV) 1 . Die Bestimmung der Richtlinien der Politik durch den Senat als Kollegium wird als der sichtbarste Ausdruck des Kollegialprinzips verstanden, wonach alle Senatsmitglieder gleichberechtigt an der Bestimmung der Richtlinien der Politik teilnehmen2. Das Kollegium ist den einzelnen Senatoren vorgesetzt, einschließlich des Ersten Bürgermeisters 3. Der Senat hat ebenso die Kompetenz-Kompetenz, d.h., er allein entscheidet, welche Aufgaben seiner Richtlinienkompetenz unterfallen 4. Umgekehrt fällt die politische Verantwortlichkeit für die Gesamtpolitik dem Senat als Kollegium zu, soweit Dinge zum Gegenstand der Richtlinienkompetenz geworden sind5.

Die Verfassungen der Flächenländer und das Grundgesetz haben die Richtlinienkompetenz ausschließlich dem Regierungschef vorbehalten. Die Verfassung von Berlin (in der Fassung vom 26.2.1981) hat die Richtlinienkompetenz zwar dem Regierenden Bürgermeister übertragen. Er darf diese jedoch nur im Einvernehmen mit dem Senat ausüben, und die Richtlinien bedürfen der Billigung durch das Abgeordnetenhaus (Art. 43 Abs. 2). Die Landesverfassung von Bremen (in der Fassung vom 13.3.1973) macht hingegen keine Aussagen über die Richtlinienkompetenz. Jedoch wird von einigen Autoren aus der kollegialen Struktur der Landesregierung gefolgert, daß die Richtlinienkompetenz im Bundesland Bremen dem Kollegium in seiner Gesamtheit zusteht, so Tögel, S. 198 ff. Anders zur Frage der Bremer Justizsenator Volker Kröning, der lapidar feststellt, daß die Bremener Verfassung die Frage der Richtlinienkompetenz gänzlich ungeregelt habe (Kröning, S. 3/4). 2 Drexelius/Weber, Art. 32 Anm. 2. 3 Drexelius/Weber, Art. 32 Anm. 2; Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 298. 4 Ipsen, Hamburgs Verfassung, S, 299. 5 Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 299.

48

Β. Regelung in der Hamburgischen Verfassung

Eine Legaldefinition des Begriffs der Richtlinienkompetenz gibt jedoch auch die Hamburger Verfassung nicht. Lediglich bezüglich der Aufgaben des Ersten Bürgermeisters werden in Art. 41 Abs. 2 HV dessen Kompetenzen in einer Weise formuliert, die in ihrer Komplexität und Generalität stark an Begriffe erinnern, die sich bei der Erklärung des Begriffs der Richtlinienkompetenz förmlich aufdrängen („Gedeihen des Staatswesens zu überwachen", „für wichtige Staatsangelegenheiten persönlich einzutreten", „grundlegende Arbeiten ... zu fördern"). Die Richtlinienkompetenz des Senats bezieht sich zwar inhaltlich auch auf die Aufgaben in Art. 41 Abs. 2 HV, für die der Erste Bürgermeister verantwortlich ist. Aber inhaltlich wird hierdurch nicht die Richtlinienkompetenz des Senats eingeschränkt, sondern die Richtlinienentscheidungen des Senats gehen den Bürgermeisterentscheidungen voraus, und der Senat kann letztere wieder aufheben 6. Diese Betrachtungsweise ist auch nur konsequent, sie folgt schon aus dem Wortlaut von Art. 33 Abs. 1 HV, aber ergibt sich ebenso aus der systematischen Stellung von Art. 33 HV und Art. 41 HV und war, wie noch zu zeigen sein wird, auch vom historischen Verfassunggeber so gewollt. Richtlinienentscheidungen des Senats können gem. § 13 Abs. 1 S. 1 der Geschäftsordnung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg durch einfache Stimmenmehrheit im Senat getroffen werden. Die Geschäftsordnung des Senats sieht für sie keine besonderen Mehrheitserfordernisse vor, anders als bei „Angelegenheiten von finanzieller Bedeutung" bei denen der Finanzsenator ein Widerspruchsrecht hat. Gem. § 14 GOSen kann dieses (§ 14 Abs. 2 GOSen) nur mit der „Mehrheit des gesamten Senats" überwunden werden (§ 14 Abs. 3 GOSen). Deshalb bleibt festzuhalten, daß das strikte Kollegialprinzip durch senatsinterne Rechtsetzung eine gewisse Durchbrechung erfahren hat, als der Finanzsenator hier mit weniger als der absoluten Mehrheit der Senatsmitglieder nicht überstimmt werden kann. Die Wichtigkeit dieser Kompetenz wird noch dadurch verdeutlicht, daß nach der Geschäftsordnung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg für Richtlinienentscheidungen lediglich die einfache Stimmenmehrheit, in Finanzfragen aber eine qualifitierte Mehrheit im Senat notwendig ist. Da Finanzfragen auch eine nicht unerhebliche politikgestaltende Wirkung haben, muß festgehalten werden, daß insofern der Finanzsenator eine zumindest herausgehobene Stellung im Senat einnimmt. Er kann zwar das Kollegium nicht überstimmen, er ist aber das einzige Senatsmitglied, dessen Veto nur mit absoluter Mehrheit im Senat überwunden werden kann7.

6

Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 299. Vgl. hierzu § 26 Abs. 1 GOBReg, hier bedarf das Veto des Bundesfinanzministers des Hinzutritts des Bundeskanzlers, um Beschlüsse der Bundesregierung zu kippen. 7

I. Die kollegiale Richtlinienkompetenz des Senats

49

Trotz dieser Sonderkompetenz des Finanzsenators bleibt festzuhalten, daß die Richtlinienkompetenz i.S.v. Art. 33 HV nur kollektiv durch den Senat ausgeübt werden soll. Fälle einer förmlichen Ausübung der Richtlinienkompetenz durch den Senat sind unter der Verfassung von 1952 nicht bekannt. Es sind auch keine Fälle bekannt, in denen der Senat vor die Bürgerschaft getreten wäre, um unter Bezug auf seine Richtlinienkompetenz eine Entscheidung zu verkünden. Nun muß dies jedoch nicht gegen die praktische Wahrnehmung der Richtlinienkompetenz des Senats sprechen, denn auch hier könnte wie im Falle der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers darauf verwiesen werden, daß die förmliche Geltendmachung der Richtlinienkompetenz bereits Hinweis dafür ist, daß der Kompetenzträger die Richtlinienkompetenz verloren hat8. Demgegenüber fällt aber auf, daß in der Geschäftsordnung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg (in der Fassung vom 13.11.1979) die Richtlinienkompetenz des Senats überhaupt gar keine Erwähnung findet, insbesondere unter den Aufgaben des Senats (§ 10 GOSen). Dort wird lediglich davon gesprochen, daß der Senat über „Angelegenheiten, die für die gesamte Verwaltung oder aus anderen Gründen von grundsätzlicher oder allgemeiner Bedeutung sind" berät und beschließt. Hier wird zwar von der grundsätzlichen Bedeutung gesprochen, jedoch mit ausdrücklichem Bezug auf die Verwaltung. Demgegenüber wird in § 5 Abs. 3 GOSen der Wortlaut von Art. 41 Abs. 2 HV wiedergegeben, also die besonderen Aufgaben des Ersten Bügermeisters werden sogar wiederholt, und in § 5 Abs. 4 GOSen wird dem Ersten Bürgermeister darüber hinaus das Recht eingeräumt, „in Angelegenheiten, die für die allgemeine Staatspolitik von Bedeutung sind", die Bearbeitung selbst zu übernehmen. Hier fällt auf, daß - bezogen auf die Zuständigkeit des Senats - lediglich von Angelegenheiten gesprochen wird, die (nur) für die Verwaltung oder „anderen Gründen" von Bedeutung sind, jedoch - bezogen auf die Zuständigkeiten des Ersten Bürgermeisters - werden Angelegenheiten aufgezählt, die für die „allgemeine Staatspolitik" von Bedeutung sind also bezogen sind auf die „großen Fragen der Politik". Ohne Kenntnis der Verfassung und nur nach dem Wortlaut dieser wesentlich jüngeren Bestimmungen der Geschäftsordnung des Senats müßte eine Richtlinienkompetenz des Ersten Bürgermeisters in Hamburg bejaht werden. Der vielfach vorgetragene Wunsch nach einer entsprechenden Verfassungsänderung 9 macht jedoch deutlich, daß hier nicht qua politischem Gewohnheitsrecht der Erste Bürgermeister aber contra legem zum Träger der Richtlinienkompetenz geworden ist 10 .

8

Siehe Übersicht bei Dauster, S. 66-70. Siehe Vorwort Fn. 1. 10 So aber Peter Schulz in seiner Abschiedsrede als Präsident der Bürgerschaft auf dem Parlamentarischen Abend am 10.2.1986. Ipsen, FS für Zeidler, S. 1184, weist in anderem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen politischer Tagespraxis und Verfassungssystem hin. 9

4 Wieske

50

Β. Regelung in der Hamburgischen Verfassung

Um auf den Umstand zurückzukommen, daß förmliche Richtlinienentscheidungen des Senats bisher unbekannt geblieben sind, so gebieten die Regelungen in der Geschäftsordnung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg eher Anlaß für die Annahme, daß auch solche in der praktischen Arbeit des Senats nicht getroffen werden. Zumindest hat der Senat es nicht für notwendig erachtet, ihre Beschlußfassung in seiner Geschäftsordnung zu erwähnen oder zu regeln, während er andere Kompetenzen, z.B. das Vetorecht des Finanzsenators oder die Aufgabenzuweisung für den Ersten Bürgermeister, sehr wohl erwähnt hat, wie auch eine Vielzahl von Aufgaben des Senats (der diese normierende § 10 GOSen nennt immerhin neun verschiedene Aufgabengebiete des Senats). Auch das Argument, daß die Nichtausübung der Richtlinienkompetenz ein Zeichen ist, daß die Richtlinien um so effektiver befolgt werden, erscheint zwar zutreffend zu sein, soweit eine Person wie der Bundeskanzler Träger der Richtlinienkompetenz ist 11 , aber kaum anwendbar auf den Fall, daß ein Kollegium Träger der Richtlinienkompetenz ist. Denn dieses müßte in einem bestimmten Verfahren konstitutiv diese Richtlinien bestimmt haben. Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, daß nach der Hamburgischen Verfassung zwar der Senat Träger der Richtlinienkompetenz ist, daß aber die Verfassung keine Aussagen macht, wie der Senat seine Richtlinienkompetenz wahrnimmt und Fälle der Ausübung der Richtlinienkompetenz durch den Senat nicht herangezogen werden können. Die Geschäftsordnung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg macht über die Ausübung der Richtlinienkompetenz überhaupt keine Aussagen, so daß hieraus geschlossen werden darf, daß der Senat von seiner Richtlinienkompetenz im Wege von förmlichen Beschlüssen keinen Gebrauch macht. Im folgenden soll untersucht werden, wer nach der Hamburgischen Verfassung Träger der Kompetenzen ist, die die Ausübung der Richtlinienkompetenz erst ermöglichen, wie im ersten Teil am Beispiel des Grundgesetzes dargestellt.

I I . Elemente der Richtlinienkompetenz - das Recht, die Senatoren zu bestellen, und das Abberufungsrecht Wie am Ende des ersten Abschnitts gesagt, soll Richtlinienkompetenz hier in einem umfassenden Sinn verstanden werden, nämlich nicht nur in dem Recht, die Richtung der Politik zu weisen, wie immer dies auch erfolgen soll, sondern sie muß auch das Recht beinhalten, daß der Träger der Richtlinienkompetenz sich die Männer und Frauen seines Vertrauens aussuchen kann.

11

Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 11, 12, 16.

II. Elemente der Richtlinienkompetenz

51

Ansonsten wäre die Richtlinienkompetenz ein „papiernes Recht" ohne Chance zu seiner Durchsetzung 12. Für den Stadtstaat Hamburg ist damit zu erörtern, wer nach der Verfassung das Recht hat, die Senatoren zu bestellen und abzuberufen, die dann ihrerseits als Kollegium die Kompetenz haben, die Richtlinien der Politik zu bestimmen. 1. Die Senatorenbestellung Die Bestellung der Senatsmitglieder erfolgt im Wege der Wahl durch die Bürgerschaft (Art. 34 Abs. 1 HV). Zur Wahl in den Senat bedarf es der absoluten Mehrheit der Mitglieder der Bürgerschaft 13. Hierbei ist zu beachten, daß die Wahl auf unbestimmte Zeit erfolgt, d.h., der oder die Gewählten sind in der Dauer ihrer Amtszeit nicht an die Dauer der Legislaturperiode der Bürgerschaft gebunden. Die einmal gewählten Mitglieder des Senats können solange im Amt verbleiben, bis sie zurücktreten oder im Wege des Art. 35 HV von der Bürgerschaft abgewählt werden 14 . Die Wahl der Senatoren bzw. Senatorinnen erfolgt gem. §§2 bis 4 SenG i.V.m. §28 GOBü ohne vorherige Beratung durch die Bürgerschaft mittels Stimmzettel in geheimer Wahl. Das Senatsgesetz sieht hierbei die Möglichkeit der Wahl eines jeden Senatsmitgliedes im Wege des gesonderten Wahlakts vor (§ 3 SenG) oder die Wahl aller neu in den Senat eintretenden Senatsmitglieder in einem Wahlgang und auf einem Stimmzettel, jedoch dann als kombinierte Einzelwahl, in der die Mitglieder der Bürgerschaft auf dem einheitlichen Wahlzettel gesondert über jedes Senatsmitglied abzustimmen haben (§ 4 SenG)15. Das Vorschlagsrecht in der Bürgerschaft für die Wahl der Senatsmitglieder haben gem. § 28 Abs. 4 GOBü die Fraktionen bzw. der Ältestenrat, wobei in der politischen Praxis die Wahlvorschläge ausschließlich von der zukünftigen Regierungsfraktion bzw. den Regierungsfraktionen im Falle einer Koalition eingebracht werden. Ein Vorschlagsrecht in der Bürgerschaft des Ersten Bürgermeisters oder des Senats für die Wahl seiner neuen Mitglieder gibt es nicht. Mit dem Vorschlagsrecht der Fraktionen und vor allem mit der Bestellung der neuen Senatsmitglieder durch Einzelwahl durch die Bürgerschaft wird deutlich, wer zumindest verfassungsrechtlich das Recht hat, die Zusam-

12

Sieh tHerzog, in: M D H , Art. 64 Rn. 19 als Grund für die starke Stellung des Bundeskanzlers. Drexelius/Weber, Art. 34 Anm. 1. 14 So die h.M.: in der Literatur und die politische Praxis - siehe Drexelius/Weber, Art. 34 Anm. 4; aber auch HAB1. vom 27.6.1991: „Bürgerschaft bestätigt Voscheraus sieben neue Senatoren" - eine beachtliche Mindermeinung erachtet jedoch die „Ewigkeit des Senats" als in Widerspruch zum Grundsatz der parlamentarischen Demokratie stehend, so Bernzen/Sohnke, Art. 34 Rn. 1, mit Hinweis auf BVerfGE 27, 44 ff., 55 ff. 15 Tögel, S. 106 f. 13

52

Β. Regelung in der Hamburgischen Verfassung

mensetzung des Senats zu bestimmen, nämlich die Mehrheit der Bürgerschaft, mit einem ausschließlichen Vorschlagsrecht aus den Reihen der Bürgerschaft. Dieser Unterschied zwischen der verfassungsmäßigen Situation in Hamburg und dem Grundgesetz, den Verfassungen der Flächenländer, sowie der Berliner Verfassung 16 wird zwar insofern relativiert, als dort zwar der jeweilige Regierungschef das Vorschlags- und Ernennungsrecht hat 17 , aber auch dort ist er natürlich bei der Auswahl seiner Regierungsmannschaft nicht frei, sondern an Koalitions- oder Parteivorgaben zumindest rein faktisch gebunden, um überhaupt eine Mehrheit im Parlament sicherstellen zu können. Aber der Regierungschef hat trotz dieser Einschränkungen seinerseits ein verfassungsrechtliches Druckmittel, das er, sicher auch abhängig vom partei- und koalitionspolitischem „standing", als politisches „Pfund" gegenüber Partei und Koalitionspartner einsetzen kann, denn niemand kann dort Minister werden, ohne vorher von dem im Vorfeld gewählten Regierungschef vorgeschlagen zu werden. Neben der Frage, wer das verfassungsmäßige Recht zur Auswahl der Regierungsmitglieder hat, stellt sich die Frage, wie der Nominierungsprozeß in der politischen Praxis tatsächlich erfolgt 18 . Hierbei soll nur auf die SPD-Fraktion eingegangen werden, denn sie war in Hamburg bis auf die Legislaturperiode von 1953 bis 1957 immer Regierungsfraktion, so daß sie das Vorschlagsrecht zur Benennung der Senatsmitglieder fast während der gesamten Nachkriegsgeschichte innehatte, auch wenn sie dieses Recht zeitweise mit der FDP-Fraktion teilen mußte. Ohne hierbei in die Details der Geschichte der innerparteilichen Nominierung der Senatsmitglieder bei der SPD eingehen zu wollen, lassen sich für den Ablauf des innerparteilichen Nominierungsprozesses bei der SPD drei Phasen erkennen 19. Bis zum Beschluß des außerordentlichen Landesparteitages am4.6.1971 wurden die Senatsmitglieder vom SPD-Landesvorstand, entsprechend einer Empfehlung einer „Findungskommission", der Bürgerschaftsfraktion zur Wahl empfohlen 20. Der vorgenannte Parteitag beschloß jedoch dann 1971, daß der Landesparteitag nach geheimer Abstimmung über jeden neuen Senatskandidaten, aber zu Beginn einer Legislaturperiode auch über die verbleibenden Senatsmitglieder, was im Gegensatz zur „Ewigkeit" der Senatsmitgliedschaft stand, der Fraktion eine Empfehlung zur Wahl in der Bürgerschaft geben sollte. Dieses Verfahren stärkte vor allem

16 Dort hat gem. Art. 41 Abs. 2 zumindest der Regierende Bürgermeister das Vorschlagsrecht für die Wahl der Senatoren, die wie in Hamburg auch in geheimer Einzelwahl gewählt werden. 17 In manchen Landesverfassungen bedarf die Ernennung jedoch der offenen parlamentarischen Zustimmung, siehe hierzu Dauster, S. 70 ff. 18 Hierzu siehe Pumm, ZParl 1988, S. 453 ff., mit der Behauptung von der „Verfassungspolitik durch innerparteiliche Satzung" und Bezug auf die Satzungsänderung bei der SPD nimmt. 19 Pumm, ZParl 1988, S. 453 ff., S. 462. 20 Pumm, Kandidatenaufstellung, S. 323.

II. Elemente der Richtlinienkompetenz

53

die Macht der Parteikreise 21, da die Senatsmitglieder nun nach innerparteilichem Flügelproporz nominiert und gewählt werden mußten. Die Senatsmitglieder fühlten sich damit ihrem Parteikreis bzw. ihrem Flügel in weit stärkerem Maße verpflichtet als dem Senat als Kollegium oder dessen Ersten Bürgermeister 22. Dieses vielfach kritisierte Verfahren, das die Macht der Parteiflügel in Hamburg über alle Maße steigerte, wurde durch Parteitagsbeschluß vom 3.6.1988 geändert, als nun lediglich die Person des Spitzen- und Bürgermeisterkandidaten der SPD-Landesorganisation vom Landesparteitag in geheimer Abstimmung gewählt wird. Die Entscheidung über die Personalbesetzung des Senats liegt dann in der Hand des so gewählten Spitzenkandidaten, dessen Gesamtvorschlag dann in offener Abstimmung dem Parteitag vorgelegt wird, ohne daß dieser noch ein personalpolitisches Änderungsrecht im einzelnen hätte. Soweit einzelne Senatsmitglieder nachzuwählen sind, reicht eine entsprechende Nominierung durch den Landesvorstand aus23. Diese Regelung gibt innerparteilich dem Ersten Bürgermeister zum ersten Mal das Recht, sich seine Regierungsmannschaft auszusuchen, wenngleich er dabei - wie jeder Regierungschef - auch zukünftig Rücksichten auf Parteiflügel zu nehmen hat und in einer Koalition dieses Recht nur die „parteieigenen" Senatsmitglieder betreffen würde. Aber der Spitzenkandidat erhält damit für die Regierungsbildung das innerparteiliche Initiativrecht in die Hand gelegt, das bisher von Kommissionen, Parteikreisen und vom Landes vor stand innegehabt wurde. Zwar hat die Entscheidung des Landesparteitages eine politisch große Bedeutung für die Bürgerschaftsfraktion, sie kann diese jedoch nicht binden, zumal die Fraktionsmitglieder die Senatoren einzeln und in geheimer Abstimmung in der Bürgerschaft wählen 24 . Der ehemalige Erste Bürgermeister, Klaus von Dohnanyi, begrüßte in einem Interview zwar den Beschluß des Landesparteitages, aber in Hinblick auf die fortbestehende individuelle Wahl der Senatsmitglieder durch die Bürgerschaft bezeichnete er ihn „nicht mal als die halbe Miete, denn der Parteitag ist hier nicht wirklich wichtig" 2 5 . Wirklich wichtig sei hingegen die Bürgerschaft, denn von dort könne maßgeblicher Druck auf die Senatorenbestellung ausge-

21 22

Bilstein, S. 15; F A Z vom 4.6.1988. Pumm, ZParl 1988, S. 453 ff., 464.

23

Pumm, ZParl 1988, S. 463. HAB1. vom27.6.1991: „Bürgerschaft bestätigt Voscheraus sieben neue Senatoren" -trotz der absoluten Mehrheit der SPD in der Bürgerschaft und trotz einmütiger Bestätigung der Senatorenliste von Bürgermeister Voscherau bestand eine erhebliche Sorge vor „U-Boot-Fahrern" in der eigenen Fraktion, daß die vorgeschlagenen Senatoren nicht gewählt würden. Insgesamt zum Problem der „U-Boot-Fahrer" bei der Wahl von Regierungsmitgliedern, aber in Berlin, Härth, JR 1986, S. 221, „Zur verfassungsrechtlichen Stellung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin". 24

25

v. Dohnanyi, in: Der Spiegel Nr. 24, S. 96, vom 13.6.1988: „Eine Katastrophe".

54

Β. Regelung in der Hamburgischen Verfassung

übt werden, und von dort aus können nach wie vor Gruppeninteressen durchgesetzt werden. Diese Einschätzung der politischen Kräfteverteilung durch einen langjährigen „Insider" deckt sich mit der Verfassungslage, die das Senatorenbestellungsrecht ausschließlich der Bürgerschaft gibt. Diese Befürchtungen von Dohnanyi decken sich auch mit der Situation unter der Berliner Verfassung, die zwar die direkte Wahl des Regierenden Bürgermeisters durch das Abgeordnetenhaus kennt und nur ihm das Vorschlagsrecht für die Wahl der Senatsmitglieder gibt, aber die Senatoren dann in geheimer Wahl und einzelner Abstimmung durch das Abgeordnetenhaus wählen läßt und damit die Homogenität bei der Regierungsbildung in einem weit stärkerem Maße beeinträchtigt als unter den Landesverfassungen, die eine Berufung der Regierungsmitglieder durch den Regierungschef kennen, mit oder ohne Bestätigung der Regierungsmannschaft jedoch en bloc durch das Landesparlament 26. 2. Die Senatorenabberufung Wie oben bereits dargestellt, werden die Senatsmitglieder in Hamburg nicht nur für die jeweilige parlamentarische Legislaturperiode gewählt, sondern sie bleiben „ewig" im Amt, d.h. bis zu ihrem freiwilligen Rücktritt bzw. bis zu ihrer Abberufung. Deshalb kommt der Regelung des Abberufungsrechts der Senatoren eine noch größere Bedeutung zu als in Verfassungen, die zwingend die Beendigung der Amtsperiode eines Regierungsmitglieds mit dem Ende der Legislaturperiode bzw. mit dem Rücktritt des Regierungschefs vorsehen 27. Damit stellt sich in Hamburg in einem viel größerem Maße als in den Verfassungen der Flächenländer die Frage nach dem Abberufungsrecht der Regierungsmitglieder. Diese Situation hat nicht nur dazu geführt, daß auch nach dem Verlust der Regierungsmehrheit in der Wahl 1986 der Senat im Amt blieb, ohne in seinen Rechten beschränkt zu sein, wie dies bei einer geschäftsführenden Regierung der Fall wäre, sondern auch dazu, daß bei Rücktritt des Ersten Bürgermeisters die anderen Regierungsmitglieder im Amt geblieben sind, so daß der Rücktritt des Ersten Bürgermeisters mehr das Attribut des persönlichen Scheiterns des Amtsinhabers in sich trägt als des Scheiterns einer bestimmten Regierungspolitik oder einer Senatsmannschaft 28.

26

Sendler, DÖV 1987, S. 366, 374/375; Stadtstaatenkommission, S. 8/9, 17/18, 153 ff. Vgl. Art. 69 Abs. 2 GG und so auch die meisten Verfassungen der Flächenländer. 28 Dieser Umstand wird vor allem und immer wieder von der Opposition kritisiert, mit dem Hinweis darauf, daß der Rücktritt des Ersten Bürgermeisters die Abhaltung von Neuwahlen notwendig machen würde, so z.B. bei v.Dohnany is Rücktritt siehe HAB1. vom 11.5.1988: „Die CDU fordert Neuwahlen". 27

II. Elemente der Richtlinienkompetenz

55

Hinzu kommt, daß der Nachfolger im Amt des Ersten Bürgermeisters personell dem gleichen Senat Vorsitzen muß wie sein Vorgänger, ohne daß in einer solchen Situation verfassungsrechtlich die Chance einer Regierungsumbildung bestehen würde. Sogar ganz im Gegenteil, bei Rücktritt des Ersten Bürgermeisters, der i.d.R. das Ergebnis einer krisenhaften Situation innerhalb der Regierung ist, sind Regierungsfraktion und Senat gezwungen, ihre Stimmen in der Bürgerschaft „zusammenzuhalten" und müssen deshalb die Gefahr zu vermeiden suchen, durch zusätzliches Auswechseln einzelner Senatsmitglieder das austarierte System von Gruppeninteressen durcheinanderzubringen und damit die Unterstützung durch die Bürgerschaftsfraktion. Hinzu kommt noch, daß i.d.R. die Senatsmitglieder ein sog. ruhendes Abgeordnetenmandat haben, daß im Falle ihrer Abwahl bzw. Rücktritt wiederauflebt, so daß ein abberufenes Senatsmitglied nun als Abgeordneter in einer Situation knapper Mehrheiten die Regierung stürzen könnte 29 . Die Hamburger Verfassung kennt vier Formen der Amtserledigung des Senatorenamts: zum einen den Rücktritt des einzelnen Senators und zum anderen den Rücktritt des Senatskollegiums (Art. 35 Abs. 1 S. 1 HV), darüber hinaus die Amtserledigung durch parlamentarisches, kostruktives Mißtrauensvotum (Art. 35 Abs. 1 S. 2 HV) und die Amtserledigung im Wege der Herabsetzung der Zahl der Senatoren (Art. 35 Abs. 3 HV). a) Rücktrittsvarianten Abgesehen von der Möglichkeit des individuellen Rücktritts der Senatsmitglieder - die bisher häufigste Form der Amtserledigung in der Nachkriegszeit -, soll hier auf die verfassungsrechtlich vorgesehene Möglichkeit des kollektiven Rücktritts des Senats (Art. 35 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. HV) eingegangen werden. Diese Möglichkeit ist bezüglich ihrer Voraussetzungen umstritten. Streitig ist hierbei die Frage, ob der Gesamtsenat nur durch einstimmigen Beschluß den Rücktritt für alle Senatoren verbindlich erklären kann 30 oder ob hierfür schon die einfache Stimmenmehrheit im Senat ausreichend ist 31 . Für diese Ansicht wird zum einen der Wortlaut von § 13 Abs. 1 GOSen angeführt, der für alle Beschlüsse des Senats einfache Stimmenmehrheit vorsieht, und zum anderen auf die Differenzierung in der Verfassung zwischen kollektivem Rücktritt und individuellem Rücktritt hingewiesen32. Hierfür könnte auch eine gewisse Parallelität zum Regierungsrücktritt im Bund sprechen, wo

29 Vgl .Rosenau, ZParl 1988, S. 35 ff. zum Problem des „ruhenden Mandats" und zur Frage seiner verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit. 30 Drexelius/Weber, Art. 35 Anm. 4. 31 Bernzen/Sohnke, Art. 35 Rn. 1; Tögel, S. 120. 32 Bernzen/Sohnke, Art. 35 Rn. 1; Tögel, S. 120.

56

Β. Regelung in der Hamburgischen Verfassung

die Amtserledigung der Ministerämter bei Rücktritt des Bundeskanzlers, des Trägers der Richtlinienkompetenz, zwingend vorgeschrieben ist (Art. 69 Abs. 2, 2. Alt. GG). Da in Hamburg jedoch der Senat Träger der Richtlinienkompetenz ist, könnte daraus gefolgert werden, daß bei einem entsprechenden Beschluß des Senats auch der Rücktritt des gesamten Senats zu erfolgen habe. Diese Argumentation übersieht jedoch, daß der Senat von der Art seiner Kreation überhaupt kein einheitliches Gremium ist, denn die Mitglieder des Senats werden nicht als Kollegium als Gesamtheit gewählt, sondern, da der Senat ewig existiert, werden nur neue Senatsmitglieder hinzugewählt. Die Hamburger Verfassung kennt jedoch nicht den Moment, in dem der Senat als Kollegium mit einer bestimmten personalen Zusammensetzung bestimmt wurde, sondern die Senatoren rücken, bei Ewigkeit ihrer Amtsperiode, sukzessive in den Senat ein, und erst im Kollegium wird dann (jährlich) über die Geschäftsverteilung entschieden (§ 5 Abs. 1 GOSen). Auch historisch betrachtet, ist gerade diese „Ewigkeit" des Senats durch Hinzutritt neuer Mitglieder eine typische Besonderheit des hamburgischen Regierungssystems 33. Erst in der Verfassung von 1921 wurde in Art. 37 die Pflicht aufgenommen, bei kollektivem Rücktritt des Senats dessen Geschäfte weiterzuführen, da die vorhergehende Verfassung den kollektiven Rücktritt des Senats überhaupt nicht kannte. Erst durch die parlamentarische Abhängigkeit des Senats war auch notwendig geworden, dem Senat das Recht einzuräumen, seinerseits als Kollegium zurückzutreten 34. Jedoch kann diese Möglichkeit, die der Verfassunggeber dem Senat zwar konzidiert hatte, nicht die originäre individuelle, parlamentarische Legitimation eines jeden Senatsmitglieds verdrängen, so daß es dabei bleibt, daß der kollektive Rücktritt des Senats nur nach einstimmigem Beschluß des Senats erfolgen kann 35 . b) Vertrauensentzugsvarianten Das Entlassungsrecht der Senatsmitglieder hat ausschließlich die Bürgerschaft. Sie kann einzelne Senatoren ebenso wie den gesamten Senat im Wege des konstruktiven Mißtrauensvotums abwählen, indem sie mit der absoluten Mehrheit ein neues Senatsmitglied wählt oder den gesamten Senat durch einen

33

Tögel, S. 132. Bericht des Bürgerschaftsausschusses vom August 1920, Β 31, zu § 37. 35 Drexelius/Weber, Art. 35 Anm. 4; Wulff, Art. 36 zur Verfassung von 1921 Anm. 4. Der Rücktritt des Senats am 19.3.1987 erfolgte, trotz sich abzeichnender abweichender Meinungen im Vorfeld im Senat, einstimmig, FAZ vom 25.3.1987: „Der Hamburger Senat zurückgetreten"; so auch Η ABl. vom20.3.1987, S. 3: „Warum der Senat doch zurücktrat", in diesem Artikel wurden einige Senatsmitglieder zitiert, die noch am Vorabend für sich einen Rücktritt ausgeschlossen hatten. 34

II. Elemente der Richtlinienkompetenz

57

neuen ersetzt (Art. 35 Abs. 2 HV) 3 6 . Damit kann die Bürgerschaft auch einzelne Senatsmitglieder aus dem bestehenden Senat „herausschießen" und durch andere ersetzen. Hierdurch wird deutlich gemacht, daß verfassungsrechtlich die Bürgerschaft „Herr des Senats" ist. Daneben gibt Art. 35 Abs. 3 HV noch die Möglichkeit, Senatsmitglieder zu entlassen, indem die Bürgerschaft durch einfache Mehrheit das Senatsgesetz ändert und somit die Anzahl der Senatsmitglieder in einem bestehenden Senat reduziert wird. Zur Zeit sieht das Senatsgesetz eine Anzahl von zehn bis 15 Senatoren vor (§ 1 Abs. 1 SenG). Wenn also die Bürgerschaft die Anzahl der Senatsmitglieder im Senatsgesetz zu verringern wünscht, so bedürfte es hierzu nur der einfachen Mehrheit. Nach einer solchen Änderung räumt Art. 35 Abs. 3 HV der Bürgerschaft mit gleicher Mehrheit das Recht ein, darüber zu entscheiden, welche Senatsmitglieder entlassen werden sollen 37 . Diese Regelung war deshalb in die Verfassung aufgenommen worden, um zu ermöglichen, daß bei einer Herabsetzung der Senatsmitglieder im Senatsgesetz auch die entsprechende Zahl von Senatoren zurücktritt, da ansonsten die Durchsetzung eines solchen Gesetzes an der „Ewigkeit" der Senatorenwahl scheitern würde 38 . Somit ist Art. 35 Abs. 3 HV nur aufgenommen worden, um die Durchsetzung der von der Bürgerschaft getroffenen Entscheidungen auch auf jeden Fall gegenüber dem Senat sicherzustellen. Diese Regelung trägt jedoch in sich die Gefahr, daß hierdurch eine Senatsumbildung ohne konstruktives Mißtrauensvotum stattfinden kann, bzw. daß die Bürgerschaft damit sogar die Arbeitsfähigkeit des Senats durch Reduzierung der Senatorenämter auf ein nicht mehr vertretbares Maß untergraben kann. Auch hier wurde, um des Erhalts einer verfassungsrechtlichen Hamburgensie, vom Verfassunggeber bewußt die Gefahr der Nichtregierungsfähigkeit in Kauf genommen 39 . Diese Regelung verdeutlicht den Willen des Verfassunggebers, in jedem Fall die Bürgerschaft zum Herren des Senats zu machen, selbst auf die Gefahr hin, damit die Arbeitsfähigkeit der Regierung zu gefährden. Zusammenfassend ist zu sagen, daß verfassungsrechtlich ausschließlich die Bürgerschaft Kreationsorgan des Senats ist. Sie allein entscheidet über die Wahl und Abwahl der Senatsmitglieder. Die Senatoren haben sich von der Verfassung vorgegeben, in Richtung der Bürgerschaft zu orientieren. Die Senatoren sind demgegenüber verfassungsrechtlich vom Senat, von einzelnen

36 Drexelius/Weber, Art. 35 Anm. 5. Erst einmal war der Senat mit einem konstruktiven Mißtrauensvotum ersetzt worden, nach dem Wahlerfolg des Hamburg-Blocks am 2.12.1953. 37 Drexelius/Weber, Art. 35 Anm. 3. 38 Drexelius/Weber, Art. 35 Anm. 3. 39 Drexelius/Weber, Art. 35 Anm. 3.

58

Β. Regelung in der Hamburgischen Verfassung

Senatsmitgliedern oder vom Ersten Bürgermeister in der Frage der Wahl und Abwahl vollkommen unabhängig40.

I I I . Das Organisationsrecht des Senats Der Senat beruht auf dem strikten Kollegialprinzip, denn der Senat als Kollegium ist allen Senatoren vor- und übergeordnet. Alle Senatsmitglieder sind Mitglieder im Senat zu gleichen Rechten41. 1. Die jährliche Geschäfts verteilung Gem. § 5 der Geschäftsordnung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg unter Hinweis auf Art. 42 HV beschließt der Senat zu Beginn eines jeden Kalenderjahres über die Verteilung der Geschäfte auf die Senatoren und Staatsräte. Aus dieser Regelung folgt das Geschäfts verteilungsrecht des Senats, der die Ressortzuständigkeit kollegial bestimmt, im Gegensatz zur Bundesregierung, wo der Bundeskanzler allein die Kompetenz hat, die Ressortzuständigkeit zu bestimmen (§ GOBReg). Wie oben dargestellt, gehört die Ressortverteilung zu den wesentlichen Hilfsbefugnissen der Richtlinienkompetenz. Durch die Übertragung dieser Kompetenz auf den Gesamtsenat wird die Richtlinienkompetenz des Senats unterstrichen. Hierbei ist der Senat insofern an die Vorgaben der Bürgerschaft gebunden, als er bei der Ressortverteilung die Gliederung der hamburgischen Verwaltung in Fachbehörden gem. § 4 Abs. 2 S. 1 des Hamburgischen Gesetz über Verwaltungsbehörden (in der Fassung vom 30.7.1952) zu beachten hat 42 . Der Senat ist jedoch frei, neue Fachbehörden zu kreieren und Behördenverantwortlichkeiten zwischen den Senatsmitgliedern aufzuteilen oder einem Senatsmitglied mehrere Fachbehörden zu übertragen, bzw. auch mehrere Senatoren einer Fachbehörde zuzuordnen 43. Die Senatsbeschlüsse zur Verteilung der Ressortzuständigkeit werden gem. § 5 Abs. 1 S. 3 GOSen durch eine Senatskommission vorbereitet, der die beiden Bürgermeister, drei Senatoren und ein Staatsrat angehören. Also auch zur Vorbereitung der Senatsbeschlüsse gilt die kollegiale Zuständigkeit, wenn auch das Gremium zum Ziel der schnelleren Konsensbildung kleiner als der Senat ist.

40 41 42 43

Tögel, S. 116, 136. Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 288. Tögel, S. 215. Drexelius/Weber, Art. 55 Anm. 2.

III. Das Organisationsrecht des Senats

59

Zwar räumt § 5 Abs. 2 GOSen dem Ersten Bürgermeister das Recht ein, „einzelne Amtsgeschäfte ohne vorherigen Senatsbeschluß den Senatoren und Staatsräten zu übertragen", aber hierbei handelt es sich nicht um Ressortzuweisungen, sondern nur um „einzelne Amtsgeschäfte", also vor allem um solche in Eilfällen. Im übrigen ist dem Senat ausdrücklich das Recht eingeräumt, diese Übertragungen rückgängig zu machen (§ 5 Abs. 2 S. 3 GOSen). Auch der Erste und der Zweite Bürgermeister bedürfen zur Ausübung ihrer Ämter der vorherigen Amtszuweisung durch den Gesamtsenat wie ein jeder sonstige Senator zur Ressortübertragung. Diese geschieht bei den Bürgermeistern durch jährliche Wahl im Senat. Im Unterschied zur Ressortverteilung erfolgt jedoch die Wahl der Bürgermeister nicht zu Beginn eines Jahres (§ 5 Abs. 1 GOSen), sondern im Dezember des vorhergehenden Jahres (§ 4 Abs. 4 GOSen)44. Hierdurch soll gewährleistet werden, daß zumindest zwei Senatsmitglieder, nämlich die Bürgermeister, oder die Mehrzahl der Senatsmitglieder ihre Ämter eingenommen haben, um zu verhindern, daß für den Fall, daß der Senat nicht in der Lage sein sollte, eine Mehrheit bezüglich der Amts Verteilung zu finden, zumindest die Bürgermeister oder die Mehrheit der Senatoren sicher im Amt sind. Die praktische Bedeutung dieser Regelung ist jedoch unter den Bedingungen des parlamentarischen Regierungssystems nicht mehr erkennbar. Sie macht jedoch deutlich, daß selbst die gegenüber der Verfassung wesentlichjüngere Geschäftsordnung darauf beruht, daß der Senat nicht ein homogenes Gremium ist und daß in ihm Situationen durchaus vorstellbar sind, in denen eine Beschlußfassung über diese zentralen Fragen (mit Richtlinienbezug) nicht möglich sind, so daß beide Wahlen in der Geschäftsordnung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg auseinandergelegt wurden. Die Wahl der Bürgermeister erfolgt hierbei in den nicht-öffentlichen Sitzungen des Senats (§ 7 Abs. 3 GOSen) in geheimer Abstimmung (§ 3 Abs. 1 GOSen). Ob hierbei in der jüngeren Vergangenheit durch senatsinterne UBoote gegen die jeweiligen Amtsinhaber im Wege der geheimen Wahl Kritik geübt wurde, darf bezweifelt werden, da die Amtsinhaberschaft für die Bürgermeisterämter in den Parteigremien bzw. Koalitionsrunden vorbesprochen wird, der Öffentlichkeit auch von diesen im Vorfeld mitgeteilt wird, ein senatsinternes Abrücken den Senat und die ihn tragende Fraktion und Partei als entscheidungsunfähig erscheinen ließen. Da im übrigen die senatsinteren Abstimmungsergebnisse nicht der Öffentlichkeit mitgeteilt werden, wäre der Protest einzelner Senatsmitglieder gegen die Besetzung der Bürgermeisterämter im Wege der geheimen Wahl wenig effektiv, und daher darf die Relevanz dieser Regelung bezweifelt werden.

44 § 3 Abs. 4 GOSen, es sei denn eine vorherige Wahl ist durch Rücktritt oder Abwahl der Bürgermeister notwenig, siehe § 3 Abs. 3 GOSen.

60

Β. Regelung in der Hamburgischen Verfassung

Sofern die Wahl der Bürgermeisters als eine „politisch wichtige Entscheidung" bezeichnet wird, so würde hier sogar die Notwendigkeit bestehen, daß eine solche in der Öffentlichkeit zu erfolgen habe45. Ob es sich hierbei jedoch um eine „politisch wichtige Entscheidung" handelt, dürfte - unstreitig bei der Wahl der Ministerpräsidenten in den Flächenländern - für den Ersten Bürgermeister jedoch umstritten sein, da zweifelhaft ist, ob er mehr nur Senatsmitglied zu gleichen Rechten ist oder Richtliniengeber wie die Ministerpräsidenten in den Flächenländern. Die Beantwortung dieser Frage dürfte von der Stellung des Ersten Bürgermeisters abhängig sein, die im folgenden Kapitel zu untersuchen sein wird. Die vom Senat getroffene Ressortzuweisung gilt maximal für ein Kalenderjahr. Der Senat ist jedoch ungehindert, jederzeit seinerseits die Ressortzuständigkeit zu ändern 46, da weder Art. 42 Abs. 1 S. 1 HV noch § 5 Abs. 1 S. 1 GOSen eine bestimmte Mindestdauer für die Ressortzuteilung vorschreiben, anders als Art. 41 Abs. 1 S. 1 HV, der die Bürgermeisterwahl für ein Jahr festschreibt 47. Die Geschäftsverteilung kann jedoch der Senat jederzeit durch einfachen Beschluß aufheben und die Verteilung der Senatsgeschäfte ändern, abgesehen von den Ämtern der Bürgermeister 48. Somit hat der Senat als Kollegium nicht nur das „Kabinettsbildungsrecht", sondern auch das Recht zur „Kabinettsumbildung" . Diese Rechte stehen im Bund und in den Flächenländern dem Regierungschef zu und zählen dort zu den Kompetenzen zur Führung der Regierung und zur Ausübung und Durchsetzung der Richtlinienkompetenz49. 2. Die Begrenzung der Ressortzuständigkeit der Senatoren durch das Evokationsrecht des Senats Artt. 42 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 55 HV bilden die Grundlage für die Anwendung des Ressortprinzips im hamburgischen Regierungssystem 50. Hierbei unterscheidet sich die Ressortzuständigkeit der hamburgischen Senatoren erheblich von der Ressortzuständigkeit der Ressortminister in den Flächenländern und im Bund. Denn die Ressortleitung des Ministers im Bund, die auf dem Grundsatz der Ressortselbstständigkeit basiert, gibt diesem die oberste Entscheidungsbefugnis in allen Ressortangelegenheiten, die weder vom Kollegium noch vom Regierungschef direkt aufgehoben werden kann 51 .

45 46 47 48 49 50 51

Steffani, in: Jahrbuch der Politik 1991, S. 25, 35. Bernzen/Sohnke, Art. 42 Rn. 1. Tögel, S. 215. DrexeliusfWeber, Art. 42 Anm. 1. Hennis, Richtlinienkompetenz, S. 167. David, Art. 55 Rn. 1. Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 60.

III. Das Organisationsrecht des Senats

61

Anders in Hamburg, dort liegt die oberste Verwaltungszuständigkeit beim Senat, Art. 33 Abs. 1 HV und § 1 Abs. 1 VerwBehG. Der Senat kann alle Anglegenheiten an sich ziehen, auch soweit sie einer Fachbehörde übertragen sind, § 1 Abs. 4 VerwBehG. Mit diesem sog. Evokationsrecht des Senats kann dieser das Ressortprinzip aufheben, da er in jedes Ressort hineinregieren kann. Vom Wortlaut der Verfassung in seiner Ausprägung durch das Verwaltungsbehördengesetz kann in Hamburg nicht von einem echten Ressortprinzip gesprochen werden, denn die Fachbehörden haben zwar die Stellung von Ministerien als Teil der Staatsverwaltung, aber gleichzeitig die Aufgabe von kommunalen Dezernaten 52. In der politischen Praxis des Senats scheint die faktische Akzeptanz von „Ressortgrenzen" durch den Senat abhängig vom politischen Gewicht des jeweiligen Senatsmitglieds zu sein. Zumindest bei politisch schwachen Senatsmitgliedern werden sie eher aufgehoben, indem der Senat als Kollegium die Ressortpolitik einzelner Senatsmitglieder durch seine Kollegialentscheidungen außer Kraft setzt und ändert, was im Ergebnis auch die behördeninterne Stellung des so betroffenen Senatsmitgliedes unterminiert 53 . Neben der instanziellen Überordnung des Senats über die von den Senatoren geleiteten Fachbehörden54 sind die Senatoren ausdrücklich verpflichtet, alle wichtigeren Angelegenheiten dem Senat zur Beschlußfassung vorzulegen, Art. 42 Abs. 1 S. 2 HV. Hierzu gehören alle an die Bürgerschaft zu richtenden Anträge und alle Angelegenheiten, die mit Organen des Bundes oder anderer Länder verhandelt werden, Art. 42 Abs. 1 S. 2, Ziff. 1 und 2 HV wird, spezifiziert in § 10 Ziff. 1 bis 9 GOSen. Dies hat zur Folge, daß gegenüber der Bürgerschaft, wie auch gegenüber dem Bund und den Ländern, nur der Senat als Ganzes auftreten kann. Soweit einzelne Senatsmitglieder hierbei tätig werden, so handeln sie immer nur als Vertreter des Kollegialorgans Senat55. Auf die verfassungsrechtliche Stellung des Ersten Bürgermeisters wird im dritten Teil einzugehen sein, aber insgesamt zeigen die Begrenzungen der Rechte der Senatsmitglieder, daß die Rechte der einzelnen Senatoren ihre verfassungsrechtliche Grenze an den Kollegialentscheidungen finden, so daß insgesamt das Kollegialprinzip im hamburgischen Regierungssystem das Ressortprinzip überwölbt und „im Entscheidenden" verfassungsrechtlich verdrängt 56.

52 Thieme, DÖV 1969, S. 832, 833; ders., DÖV 1971, S. 145 ff. (146): „Senatsbeschlüsse im Verfügungswege"; Glatz/Haas, S. 237. 53 So der ehemalige Senator R. Lange in einem Gespräch über die Stellung der ehemaligen, parteilosen Kultursenatorin Schuchardt im Senat bei Klaus v.Dohnanyi. 54 Tögel, S. 237. 55 Bernzen/Sohnke, Art. 42 Rn. 4. 56 Thieme, DÖV 1971, S. 145, 146.

62

Β. Regelung in der Hamburgischen Verfassung

I V . Die Verantwortlichkeit der Senatsmitglieder gegenüber Senat und Bürgerschaft

1. Die Verantwortung

gegenüber dem Senat

In Hamburg findet sich keine ausdrückliche Regelung, die die Senatoren auf die Einhaltung der Richtlinien der Politik verpflichtet, anders als im Bund, wo die Mitglieder der Bundesregierung durch § 1 Abs. 1 GOBReg ausdrücklich verpflichtet sind, die Richtlinien der Politik des Bundeskanzlers einzuhalten. Jedes Senatsmitglied ist jedoch, soweit es auch Leiter einer Fachbehörde ist, dem Senat gegenüber für die Leitung „seiner" Fachbehörde verantwortlich 57 . Hierbei kann der Senat sein Kontrollrecht durch das Evokationsrecht ausüben und einzelne Maßnahmen einer jeden Fachbehörde aufheben und dieser Einzelfallweisungen erteilen 58 . Damit kann der Senat auch in jedes „Ressort" eines Senators hineinregieren und ggf. dessen Politik im „eigenen Haus" torpedieren. Die Zuweisung der Leitung einer Fachbehörde und das Evokationsrecht des Senats sind die einzigen Disziplinierungsmittel des Senats gegenüber den einzelnen Senatsmitgliedern, um diese auf die Senatspolitik (Richtlinien und Einzelentscheidungen) zu verpflichten. Ein Entlassungsrecht gegenüber dem einzelnen Regierungsmitglied, wie es das Grundgesetz dem Bundeskanzler gibt, hat der Senat als Träger der Richtlinienkompetenz nicht. Der Senat hat auch nicht, wie der Bremer Senat, das Recht, zu beantragen, daß die Bürgerschaft einzelnen Senatoren durch Beschluß die Mitgliedschaft im Senat entziehen kann 59 . Das Recht, Senatoren abzusetzen und zu wählen, und damit das Recht, ohne das „die Richtlinienkompetenz zu nichts nütze" sei 60 , hat ausschließlich die Hamburgische Bürgerschaft. 2. Die Verantwortung

der Senatsmitglieder

gegenüber der Bürgerschaft

Das Recht, die Mitglieder des Senats einzeln oder kollektiv zu wählen oder abzusetzen, das der Senat nicht besitzt, hat die Bürgerschaft, wie oben bereits dargestellt. Hieraus folgt zwangsläufig die besondere Verantwortlichkeit und Orientierung der Senatsmitglieder auf die Bürgerschaft. Hierbei soll außer Betracht bleiben, daß in allen parlamentarischen Demokratien die Regierungs-

57

Drexelius/Weber,

Art. 42 Anm. 2.

58

Drexelius/Weber,

Art. 42 Anm. 3.

59

Landesverfassung von Bremen, Art. 110 Abs. 4.

60

Hennis , Richtlinienkompetenz, S. 167, Fn. 9.

V. Wer hat die Richtlinienkompetenz inne?

63

mitglieder bei der Durchsetzung ihrer Politik, insbesondere ihrer Ressortpolitik, auf die Zusammenarbeit mit dem Parlament angewiesen sind. Der wesentliche Unterschied in der parlamentarischen Abhängigkeit der Regierung in Hamburg liegt jedoch darin, daß die Mitglieder der Regierung nur und ausschließlich vom Parlament der Bürgerschaft bestellt und abberufen werden können. Über das entscheidende Druckmittel, um die Richtlinienkompetenz überhaupt durchsetzen zu können 61 , verfügt in Hamburg nicht der Träger der Richtlinienkompetenz, der Senat, sondern die Bürgerschaft, also das Parlament. Dies bedeutet zwangsläufig, daß jedes Senatsmitglied in erster Linie von der Mehrheit in der Bürgerschaft, d.h. von der Regierungsfraktion, abhängig ist und von der dort herrschenden Kräfteverteilung, mehr als vom Senat und dessen Richtlinienkompetenz62. Wegen dieser Abhängigkeit hat jedes Mitglied des Senats schon aus verfassungsrechtlichen Gründen die Richtlinien der Politik der Regierungsfraktion der Bürgerschaft in weit stärkerem Maße zu beachten als die Richtlinien der Politik des Senats63, denn Konsequenzen für deren Nichtbeachtung können verfassungsrechtlich nur von der Bürgerschaft drohen.

V. Zusammenfassung Wer hat die Richtlinienkompetenz in Hamburg inne? Wie am Ende des ersten Teiles gesagt, soll der Begriff der Richtlinienkompetenz nicht in einem engen Sinne verstanden werden - als Formulierung der politischen Leitentscheidungen - , sondern in einem umfassenderen Sinne - als Führung und Leitung der Regierung einschließlich des Kabinettsbildungsrechts. Hierzu ist jedoch notwendig, daß die Richtlinienkompetenz verbunden wird mit weiteren Rechten, die die Durchsetzung der Richtlinienkompetenz erst ermöglichen 64. In diesem umfassenderen Sinne räumt das Grundgesetz dem Bundeskanzler die Richtlinienkompetenz ein, wie oben bereits dargestellt. Ahnlich abgesichert, wenn auch nicht immer mit so weitgehenden Rechten ausgestattet, ist die Richtlinienkompetenz der Regierungschefs in den Flächenländern 65. Anders stellt sich die verfassungsrechtliche Situation in Hamburg dar. Hier ist die Richtlinienkompetenz kollektiv dem Senat übertragen.

61

Herzog, in: M D H , Art. 64 Rn. 19. v.Dohnanyi, im: HAB1. vom 2.1.1992. 63 Konsequenter die Verfassung von Berlin, die verlangt, daß die Richtliniender Politik des Senats der Billigung des Abgeordnetenhauses bedürfen (Art. 43 Abs. 2BV), da das Abgeordnetenhaus in Berlin die Senatoren wählt (Art. 41 BV), zur Kritik an dieser Regelung: Härth JR 1986, S. 221 ff. 64 Herzog, in: M D H , Art. 64 Rn. 19. 65 Dauster, S. 66 ff. 62

64

Β. Regelung in der Hamburgischen Verfassung

Jedoch verfügt der Senat nicht über die wichtigsten Rechte zur Absicherung seiner Richtlinienkompetenz, dem Senatsbildungsrecht und dem Senatorenentlassungsrecht. Diese Rechte liegen ausschließlich bei der Hamburgischen Bürgerschaft. Nach dieser hier verwendeten Definition der Richtlinienkompetenz in einem umfassenderen Sinne steht diese in Hamburg Senat und Bürgerschaft gemeinschaftlich zu. Diese hamburgische Besonderheit erinnert an die jahrhundertealte Tradition der Herrschaftsausübung im sog. Kyrion, welche bis zur Verfassung von 1921 noch Verfassungsgrundsatz war, wonach galt: „Die höchste Staatsgewalt steht dem Senat und der Bürgerschaft gemeinschaftlich zu" 6 6 .

66

Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 303; Mittelstein, S. 6/7.

C. Die verfassungsrechtliche Stellung des Präsidenten des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg

I. Die Stellung des Präsidenten des Senats nach der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg

1. Die Rechte des Präsidenten des Senats nach Art. 41 Abs. 2 HV

a) Der Wortlaut von Art. 41 Abs. 2 HV Die entscheidende Norm bezüglich der verfassungsrechtlichen Stellung und der Aufgaben des Präsidenten des Senats ist Art. 41 Abs. 2 HV, der die Aufgaben des Präsidenten des Senats wie folgt bestimmt: „Der Präsident des Senats hat die Aufgabe, die Senatsgeschäfte zu leiten, das innere und äußere Gedeihen des Staatswesens zu überwachen, für wichtige Staatsgeschäfte persönlich einzutreten und grundsätzliche Arbeiten auf dem Gebiet der Gesetzgebung und der Verwaltung zu fördern."

Diese Bestimmung begründet die herausgehobene Stellung des Präsidenten im Senat1. Er ist das einzige Senatsmitglied, dessen Aufgaben durch die Verfassung definiert sind. Jedoch betont Abs. 1 von Art. 41 HV auch noch einmal das Kollegialprinzip bei der Wahl des Präsidenten des Senats: „Der Senat wählt aus seiner Mitte in geheimer Abstimmung seinen Präsidenten (Ersten Bürgermeister) und seinen Stellvertreter (Zweiten Bürgermeister) auf die Dauer eines Kalenderjahres. Ihre Wiederwahl ist zulässig."

Der Wortlaut des Art. 41 Abs. 2 HV scheint dem Präsidenten des Senats inhaltlich eine Art Richtlinienkompetenz einzuräumen, denn was unterscheidet die allgemeinere Festlegung, wie sie das Grundgesetz gebraucht, „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik", von den spezielleren Aufgabenzuweisungen der Hamburger Verfassung für den Präsidenten des Senats:

1

So Drexelius/Weber,

5 Wieske

Art. 41 Anm. 3.

66

C. Stellung des Präsidenten des Senats

„... die Senatsgeschäfte zu leiten, ... das Gedeihen des Staatswesens zu überwachen, ... für wichtige Staatsangelegenheiten persönlich einzutreten, ... grundlegende Arbeiten ... zu fördern" 2 . Es sei in diesem Zusammenhang an die vielfältigen Definitionsversuche des Begriffs der Richtlinienkompetenz erinnert, so daß die hier definierten Aufgaben des Ersten Bürgermeisters wie eine konkretere Beschreibung der Richtlinienkompetenz erscheint. Im folgenden sollen deshalb die Aufgabenzuweisungen in Art. 41 Abs. 2 HV im einzelnen untersucht werden. b) Die Leitung der Senatsgeschäfte Hinsichtlich der einzelnen Kompetenzen gibt Art. 41 Abs. 2 HV dem Präsidenten die Aufgabe, die „Senatsgeschäfte zu leiten". Dies bedeutet, daß der Präsident des Senats zum einen Sitzungsleiter der Zusammenkünfte des Senats ist und daß er zur Erledigung aller damit zusammenhängenden Fragen befugt ist. Darüber hinaus spricht schon der Wortlaut nicht nur von der Leitung der Senatssitzungen, sondern von der Leitung der Senatsgeschäfte, also auch aller sonstigen Geschäfte, für die der Senat zuständig ist. Der Erste Bürgermeister hat deshalb die organisatorischen und personellen Voraussetzungen für eine geordnete Senatsarbeit sicherzustellen 3. Er ist „geborener" Leiter der Senatskanzlei, die ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen hat 4 . Hier stellt sich die Frage, ob die Leitung der Senatgeschäfte dem Ersten Bürgermeister über den Vorsitz im Senat hinaus auch eine Art Richtlinienkompetenz gibt. Gegen eine solche Auslegung von Art. 41 Abs. 2 HV, die zumindest ansatzweise vertreten wird 5 , spricht der eindeutige Wortlaut von Art. 33 Abs. 1 S. 2 HV - Richtlinienkompetenz des Senats. Unterhalb der Bestimmung der Richtlinien der Politik kann sich jedoch die Leitung der Senatsgeschäfte durch den Ersten Bürgermeister auf die gesamte Breite der Zuständigkeiten des Senats beziehen. Hierzu wird im Rahmen der Untersuchung der Geschäftsordnung des Senats einzugehen sein. Aber diese Kompetenzen können ebenso wie die Geschäftsordnung des Senats durch einfachen Beschluß des Kollegialorgans „Senats" geändert werden (§ 25 Abs. 3 GOSen), ohne daß eine verfassungsrechtliche „Restkompetenz" des Ersten Bürgermeisters verbliebe, zumindest keine solche, die über die Kompetenzen des Senats hinausginge und diesen quasi vorgelagert wäre.

2 Thieme, DÖV 1969, S. 833, bezeichnet deshalb Art. 41 Abs. 2 H V in seiner Aussage als „vieldeutig". 3 Bernzen/Sohnke, Art. 41 Rn. 4. 4 Bernzen/Sohnke, Art. 41 Rn. 4. 5 So der frühere Erste Bürgermeister und Bürgerschaftspräsident Peter Schulz in seiner „Abschiedsrede" zum Parlamentarischen Abend 1986, Manuskript, S. 18.

I. Nach der Verfassung

67

c) Die Überwachung des Staatswesens Der Erste Bürgermeister hat außerdem die Pflicht, „das innere und äußere Gedeihen des Staatswesens zu überwachen". Diese Pflicht gibt ihm nach der Kommentierung bei Bernzen/Sohnke die Kompetenz, „unabhängig von der eigenen Verantwortlichkeit jedes Senators dafür Sorge zu tragen, daß sich Maßnahmen des Senats oder eines Senators nicht gegen das innere und äußere Gedeihen der Freien und Hansestadt Hamburg richten" 6 . Dieser Auslegung kann jedoch wegen Art. 33 Abs. 1 S. 2 HV nur bedingt zugestimmt werden. Wegen der Kollegialverantwortung kann der Erste Bürgermeister nur eine Aufsichtspflicht gegenüber den Maßnahmen der einzelnen Senatoren haben. Wenn jedoch der Erste Bürgermeister eine Aufsichtspflicht mit einem solch weiten Beurteilungsspielraum auch gegenüber den Entscheidungen des Senats hätte, so hätte er ein quasi Richtlinienrecht gegenüber dem Kollegialorgan Senat. Eine solche Richtlinienkompetenz widerspräche jedoch dem eindeutigen Wortlaut in Art. 33 Abs. 1 S. 2 HV und dem Sinn des kollegialen Hamburgischen Regierungssystem7. Der Präsident des Senats kann also de jure nicht befugt sein, den Senat als Kollegium zu überwachen 8. Die Aufsicht des Ersten Bürgermeisters bezieht sich demzufolge nur auf die Maßnahmen eines Senators, die dieser als Präses seiner Fachbehörde trifft. Gegenüber Entscheidungen des Senats hat der Erste Bürgermeister nur die gleichen Einspruchsrechte wie jeder andere Senator auch9. Im Rahmen dieser Aufsicht kann der Präsident nicht seinen persönlichen politischen Maßstab anlegen, da dies ebenfalls dem Richtlinienrecht des Senats widersprechen würde. Der Maßstab dafür, ob eine Maßnahme dem äußeren und inneren Wohl der Hansestadt Hamburg entspricht, können nur die vom Senat beschlossenen Richtlinien der Politik sein. Der Erste Bürgermeister hat aber das Recht, und die Verfassung erwartet dies auch von ihm, den Senat auf Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen und ihm Handlungsvorschläge zu unterbreiten 10.

6

Bernzen/Sohnke, Art. 41 Rn. 5. Drexelius/Weber, Art. 33 Anm.2; Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 288/289; Thieme, DÖV 1969, S. 832. 8 Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 289. 9 Siehe dazu GOSen, insbesondere § 13. Jedoch hat der Präsident weniger Rechte als der Präses der Finanzbehörde, dessen Widerspruch erst einmal einen Suspensiveffekt zur Folge hat, § 14 Abs. 2 GOSen. 10 Senatsentwurf für die Verfassung, in: „Mitteilungen des Senats an die Bürgerschaft" Nr. 6, vom 13.1.1948, S. 18. 7

68

C. Stellung des Präsidenten des Senats

d) Die persönliche Übernahme wichtiger Staatsangelegenheiten Des weiteren hat der Präsident des Senats die Pflicht, „für wichtige Staatsangelegenheiten persönlich einzutreten". Der Erste Bürgermeister kann deshalb wichtige Angelegenheiten den Fachbehörden, d.h. auch den Fachsenatoren, entziehen und die Bearbeitung selbst übernehmen 11. Das Wortpaar „persönlich einzutreten" legt den Schluß nahe, daß der Präsident des Senats nicht nur die Bearbeitung einer Angelegenheit zu übernehmen hat, sondern daß er auch persönlich das Ergebnis zu vertreten hat. Diese Bestimmung erinnert insoweit an die persönliche Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers im Rahmen von Art. 67 GG gegenüber dem Bundestag. Wenn auch die einzelnen Bundesminister gegenüber dem Bundestag zur Auskunft verpflichtet sind, so trägt doch wegen Art. 67 GG der Bundeskanzler allein gegenüber dem Parlament die Verantwortung für die Politik 12 . Anders die Verfassungslage in Hamburg: Die Senatoren, also auch der „primus inter pares", der Erste Bürgermeister, sind dem Senat als Kollegium verantwortlich. Gegenüber der Hamburgischen Bürgerschaft tritt jedoch nur der Senat als Ganzes auf und die einzelnen Senatoren nur als seine Vertreter (s. dazu § 10 Ziff. 1 bis 4 GOSen, die bestimmen, daß der Verkehr zwischen Senat und Bürgerschaft ausschließlich durch den Senat als Kollegium wahrgenommen wird). Unter Berücksichtigung dieser kollegialen Gesamtverantwortung des Senats für die Politik kann dies nur heißen, daß der Erste Bürgermeister dem Senat für die Erledigung wichtiger Staatsangelegenheiten verantwortlich ist. Mittelbar ist er, wie jeder Senator, natürlich auch der Bürgerschaft verantwortlich, die ihm, ebenso wie jedem Senator, gem. Art. 35 Abs. 2 HV individuell das Vertrauen entziehen kann. e) Die Förderung grundlegender Arbeiten Der Präsident hat außerdem „grundlegende Arbeiten auf dem Gebiet der Verwaltung und der Gesetzgebung zu fördern". Insbesondere soll er koordinierend tätig werden im Rahmen der Planungen des Senats13. Der Förderungsauftrag bezieht sich auf Vorhaben der Landesgesetzgebung, aber auch auf solche der Bundesgesetzgebung. Dem Ersten Bürgermeister er-

11 Bernzen/Sohnke, Art. 41 Rn. 6; so geschehen im Fall der „Hafenstraße", die der Bürgermeister v.Dohnanyi zur „Chefsache" gemacht und sie damit persönlich übernommen hatte. 12 Herzog, in: M D H , Art. 67 Rn. 45. 13 Bernzen/Sohnke, Art. 41 Rn. 7.

69

I. Nach der Verfassung

wächst daraus das Recht, den hamburgischen Einfluß im Bundesrat auszuüben bzw. dessen Einfluß sicherzustellen 14. f) Die Eilzuständigkeit Die vorgenannten Kompetenzen des Ersten Bürgermeisters, die ihm eine gewisse und zeitlich begrenzte Aufsicht über das Handeln der einzelnen Senatsmitglieder geben, nämlich bis der Senat hierüber entscheidet, begründen insgesamt auch eine Art „Eilzuständigkeit" für den Ersten Bürgermeister. In Eilfällen ist er berechtigt, namens und in Vertretung des Senats zu handeln. Jedoch steht auch dieses Handeln immer unter dem Vorbehalt der späteren Zustimmung des Senats15. 2. Das Verhältnis der Präsidialrechte

zu dem Kollegialprinzip

Der sehr weite Kompetenzkatalog für den Ersten Bürgermeister in Art. 41 Abs. 2 HV findet jedoch auch bei sehr weiter Auslegung seine Grenzen an den Rechten des Kollegialorgans Senat16. Zwar ist der Erste Bürgermeister befugt, das Handeln der Senatoren „zu überwachen" und einzelne „wichtige Staatsgeschäfte" an sich zu ziehen. Durch diese Kompetenzen ist er den Senatoren übergeordnet, und insofern ist er „mehr als nur ein primus inter pares" 17 . Aber gegenüber den Entscheidungen des Kollegialorgans Senat ist er untergeordnet. Umgekehrt muß hier de jure auch die Verantwortlichkeit des Ersten Bürgermeisters aufhören. Der Erste Bürgermeister hat als Mitglied des Kollegialorgans Senat in gleichem Maße parlamentarische Verantwortung für die Entscheidungen des Senats wie jedes andere Senatsmitglied auch, de iure. Dem stehen auch nicht die besonderen Aufgaben und Kompetenzen des Ersten Bürgermeisters in Art. 41 Abs. 2 HV entgegen, denn sie sind, wie oben festgestellt, den Kompetenzen des Kollegiums unter- bzw. nachgeordnet 18. Damit geht der Hinweis fehl, daß die Rechte des Ersten Bürgermeisters durch extensive Auslegung und Anwendung von Art. 41 Abs. 2 HV erweitert werden könnten19. Denn der Wortlaut, die Systematik und der Telos der Hamburgischen Verfassung gebieten, wie Ipsen feststellt, daß sich die heraus-

14 15 16 17 18 19

Bernzen/Sohnke, Art. 41 Rn. 7. Drexelius/Weber, Art. 41 Anm. 3. Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 289. Drexelius/Weber, Art. 41 Anm. 3. So die ganz h.M., Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 289; Thieme, DÖV 1969, S. 832. Peter Schulz, „Abschiedsrede" zum Parlamentarischen Abend 1986, Manuskript, S. 18.

70

C. Stellung des Präsidenten des Senats

gehobene Stellung des Präsidenten des Senats „im Entscheidenden" stets am Kollegialprinzip bricht 20 . Der Erste Bürgermeister ist in dieser Kompetenzbegrenzung den übrigen Senatoren rechtlich gleichgestellt. 3. Die Rechte des Präsidenten des Senats nach dem Senatsgesetz und der Geschäftsordnung des Senats Neben der Verfassung normieren das Senatsgesetz vom 18.2.1971 und die Geschäftsordnung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg (in der Fassung vom 13.11.1979) die Rechte des Ersten Bürgermeisters. a) Die Regelungen im Senatsgesetz Das Senatsgesetz bestimmt in § 6 das Verfahren der Bürgermeisterwahl für den Fall, daß der Erste oder der Zweite Bürgermeister vorzeitig, also während des laufenden Kalenderjahres, aus dem Amt scheidet. In § 12 Abs. 2 wird dem Ersten Bürgermeister, der ansonsten die gleichen Amtsbezüge erhält wie jeder andere Senator, eine monatliche Aufwandsentschädigung in Höhe von D M 1.800,-- zugesprochen. Diese ist damit um D M 900,-- höher als die Aufwandsentschädigung der Senatoren 21. Abgesehen von diesen Einzelbestimmungen, enthält das Senatsgesetz keine weitere herausgehobene Erwähnung des Ersten Bürgermeisters. b) Die Bestimmungen der Geschäftsordnung des Senats Die Geschäftsordnung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg beruht auf § 5 SenG. Sie konkretisiert die Rechte des Präsidenten des Senats in weit größerem Maße als das Senatsgesetz. Anknüpfend an das Recht des Ersten Bürgermeisters gem. Art. 41 Abs. 2 HV, die Senatsgeschäfte zu leiten, bestimmt § 2 Abs. 1 GOSen, daß der Präsident des Senats die Amtsgeschäfte des Senats leitet. Zu diesem Zweck ist er kraft Amtes Vorsitzender der Senatskommission für die Geschäftsverteilung und Geschäftsordnung, die die jährliche Geschäftsverteilung im Senat vorbereitet (§ 5 Abs. 1 GOSen).

20

Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 281. Man vergleiche dazu die wesentlich bessere Stellung des Präsidenten des Senats im Senatsgesetz von 1925: Dessen Aufwandsentschädigung war erheblich höher und entsprach 2/3 eines damaligen Senatorengehalts. 21

I. Nach der Verfassung

71

Der Präsident des Senats hat außerdem das Recht, „einzelne Amtsgeschäfte ohne vorherigen Senatsbeschluß den Senatoren oder Staatsräten zu übertragen" (§5 Abs. 2 S. IGOSen). Aber auch diese sehr weitreichende Organisationsbefugnis steht unter dem Vorbehalt einer späteren Entscheidung des Senats (§5 Abs. 2 S. 2, 3 GOSen). Sicher hat jedoch die Geschäftszuweisung durch den Ersten Bürgermeister eine die Senatsentscheidung präjudizierende Wirkung. In den Bereich der Senatsleitung fällt zudem die Bestimmung, daß Eingänge an den Senat „von besonderer Bedeutung" zunächst dem Präsidenten des Senats vorgelegt werden müssen (§ 6 Abs. 2 GOSen). Darin konkretisiert sich die Pflicht des Präsidenten, „für wichtige Staatsangelegenheiten persönlich einzutreten" (Art. 41 Abs. 2, 3. Alt. HV). Diese Verfassungsnorm wird ebenfalls auch durch § 5 Abs. 4 GOSen konkretisiert. Hiernach kann der Präsident des Senats in Angelegenheiten, die für die allgemeine Staatspolitik von Bedeutung sind, die Bearbeitung selbst übernehmen. Die Befugnis des Präsidenten, außerordentliche Sitzungen des Senats einzuberufen, ist dem Bereich der Sitzungsleitung zuzuordnen (§ 7 Abs. 2 GOSen). Diese Befugnis gibt dem Präsidenten nicht nur ein formales Recht, sie hat ebenso eine nicht zu unterschätzende inhaltliche Seite. Denn der Erste Bürgermeister wird nur dann eine außerordentliche Sitzung des Senats für erforderlich erachten, wenn er glaubt, daß eine Frage von großer politischer Wichtigkeit entschieden werden müsse. Dieser Entscheidung muß der Präsident des Senats eine eigene persönliche politische Entscheidung zugrundelegen. Beachtenswert erscheint in diesem Zusammenhang, daß der Präsident in der Ausübung dieses Rechtes dem Kollegialorgan Senat gleichgestellt ist. Denn gem. § 7 Abs. 2 GOSen können „der Senat oder der Präsident des Senats außerordentliche Sitzungen anberaumen". Der Präsident des Senats bestimmt gem. § 9 Abs. 1 GOSen die Tagesordnung der Senatssitzungen. Jedoch auch dieses Recht steht unter dem Vorbehalt eines abändernden Senatsbeschlusses (§ 9 Abs. I S . 1,2. HS. GOSen). In Angelegenheiten, die mehrere Behörden betreffen, kann der Präsident entscheiden, welcher Behördenpräses in dieser Sache dem Senat Bericht zu erstatten hat (§ 12 Abs. 3 GOSen). Damit kann der Präsident lenkend auf die Willensbildung im Senat Einfluß nehmen. Auch dieses Recht hat politikgestaltende Wirkung, man denke hierbei nur an die Bedeutung des Berichterstatters in einem Richterkollegium. Bei Stimmengleichheit im Senat steht dem Ersten Bürgermeister die entscheidende Doppelstimme zu (§ 13 Abs. 2 S. 2 GOSen). Für diesen in der praktischen Senatsarbeit eher unwahrscheinlichen Fall 22 gibt die Geschäftsord22

So übereinstimmend die interviewten ehemaligen Senatsmitglieder.

72

C. Stellung des Präsidenten des Senats

nung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg dem Präsidenten weitere Rechte, die darauf abzielen, Konsens herzustellen und eine Mehrheit im Senat zustandezubringen (§ 13 Abs. 2 GOSen): Der Präsident kann dazu die Sitzung unterbrechen und seine Stimmabgabe auf die nächste Sitzung vertagen. Außerdem ist er dann erneut frei in seiner Stimmabgabe und nicht gebunden an sein erstes Votum 23 . Diese Rechte stärken vor allem die Stellung des Ersten Bürgermeisters in seiner Funktion als Sitzungsleiter der Senatssitzungen. Politikgestaltende Wirkung haben diese Rechte jedoch höchstens mittelbar. Demgegenüber gibt die Geschäftsordnung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg dem Präses der Finanzbehörde ein Vetorecht gegen alle Beschlüsse des Senats in „Angelegenheiten von finanzieller Bedeutung" (§ 14 Abs. 2 GOSen). Dieses Veto hat einen unmittelbaren Suspensiveffekt, denn über diese Angelegenheit muß in einer späteren Senatssitzung erneut abgestimmt werden. Außerdem „kann bei dieser Abstimmung gegen die Stimme des Präses der Finanzbehörde" ein Beschluß „nur Zustandekommen, wenn die Mehrheit des gesamten Senats sich gegen den Präses der Finanzbehörde entscheidet" (§ 14 Abs. 3 S. 1 GOSen). Erst bei Stimmengleichheit „entscheidet die Stimme des Vorsitzenden", d.h. i.d.R. des Ersten Bürgermeisters (§ 14 Abs. 3 S. 2 GOSen). Die Position des Präses der Finanzbehörde ist damit formaljuristisch bei Sachentscheidungen von finanzieller Bedeutung stärker als die des Ersten Bürgermeisters. Denn in Sachfragen geben die Verfassung und die Geschäftsordnung des Senat dem Präsidenten des Senats kein Vetorecht. Anders die Situation in der Bundesregierung: Dort kann das Veto des Finanzministers nur dann überwunden werden, wenn die Mehrheit sämtlicher Bundesminister gegen den Bundesfinanzminister stimmt und wenn „der Bundeskanzler mit der Mehrheit gestimmt hat" (GOBReg § 26 Abs. 1, letzter Satz). Diese die Senatssitzungen koordinierenden und lenkenden Befugnisse des Hamburger Ersten Bürgermeisters verlieren jedoch dann vollends an Wert, wenn er die Mehrheit im Senat verloren hat. Denn bereits mit einfacher Mehrheit der anwesenden Senatoren kann der Senat „seinen" Präsidenten entmachten (§13 Abs. 1 GOSen), d.h. ihn in allen Fragen überstimmen. Die Verfassung und die Geschäftsordnung des Senats geben ihm keine Mittel an die Hand, um sich dagegen wirksam zu wehren.

23 Der Behandlung dieser für eine Regierung eher ungewöhnlichen Situation widmet die Geschäftsordnung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg immerhin drei Sätze, während die GOBreg nur das Doppelstimmrecht des Bundeskanzlers kennt, § 24 Abs. 2 S. 2, der aber ansonsten Richtlinienkompetenz hat.

I. Nach der Verfassung

73

Außerdem kann jeder Senator eine schriftliche und geheime Abstimmung beantragen (§ 13 Abs. 3 S. 2 GOSen). Bei einer solchen verlieren die lenkenden und koordinierenden Möglichkeiten des Ersten Bürgermeisters vollends an Bedeutung. In geheimer Abstimmung erfolgen auch die jährlichen Wahlen des Ersten und des Zweiten Bürgermeisters. Bei diesen handelt es sich jedoch in erster Linie um eine Tradition, die keine besondere politikgestaltende Wirkung mehr hat 24 . Die Form der geheimen Abstimmungen in Personal- und Sachfragen erinnert jedoch stark an parlamentarische Gebräuche und an den Ursprung des Senats als „erste Kammer" 25 . Daneben hat der Erste Bürgermeister noch ein Reihe weiterer Befugnisse, die jedoch mehr technischer Natur sind, um die Arbeitsfähigkeit des Senats sicherzustellen, wie beispielsweise § 8 GOSen: Anwesenheitspflicht, Abmeldung beim Präsidenten und Entschuldigungen. Außerdem hat der Präsident des Senats das Recht, die Auslegung der Geschäftsordnung des Senats vorzunehmen. Aber auch dies nur, „soweit es sich nicht um grundsätzliche Fragen handelt" (§ 26 Abs. 2 GOSen). Denn dann hat wiederum das Kollegium Senat das Auslegungsmonopol. Unter das Stichwort „Eilzuständigkeit" des Ersten Bürgermeisters ist dessen Zuständigkeit für „Senatsbeschlüsse im Verfügungswege" über wichtige Angelegenheiten zu subsumieren (§ 16 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Ziff. a GOSen)26. Aus der umfassenden Zuständigkeit des Senats folgt zugleich die Befugnis seines Präsidenten, jederzeit Auskünfte aus allen Behörden direkt einholen zu können (§5 Abs. 5 GOSen). Dieses Recht ist nur in einem Regierungssystem mit überwiegend kollegialem Charakter möglich, das nicht auf Ressortabschottung beruht 27 . Im Unterschied zum Präsidenten des Senats ist der Bundeskanzler, zumindest de iure, nicht berechtigt, direkt Auskünfte aus den Ressorts einzuholen, ohne Einschaltung des Ressortministers 28. Faktisch ist jedoch dieses Recht auch in Hamburg weitgehend aufgehoben, weil sich hier in den Fachbehörden ebenfalls das Ressortsystem durchgesetzt hat, mit dem zuständigen Senator an der Spitze, der nun der alleinige Ansprechpartner des Ersten Bürgermeisters ist 29 . In der Praxis würde sich ein Senator heute ein „Hineinregieren" des Ersten Bürgermeisters in sein Ressort verbitten.

24 25 26 27 28 29

Dies wurde auch von allen Gesprächspartnern bestätigt. Siegloch, S. 12; Weichmann/David, S. 4/5. Thieme, DÖV 1971, S. 145, 146. Thieme, DÖV 1971, S. 145, 147. Stern, Bd. 2, S. 309; Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 59. So Haas-Bericht, S. 3, 56.

74

C. Stellung des Präsidenten des Senats

c) Die Sonderstellung des Präsidenten des Senats Die Geschäftsordnung des Senats konkretisiert die Rechte des Präsidenten des Senats. Die Geschäftsordnung gibt ihm wichtige Rechte zur technischorganisatorischen Leitung des Senats. Diese Rechte enthalten zumindest mittelbar die Möglichkeit, daß der Erste Bürgermeister auch inhaltlichen Einfluß auf die Arbeit des Senats nehmen kann. In welchem Maße das geschieht, ist jedoch in erster Linie von der politischen Statur des jeweiligen Amtsinhabers abhängig30. Uneingeschränkt sind jedoch die Rechte des Ersten Bürgermeisters in keinem Fall, denn immer gehen die Rechte des Kollegiums vor. Die Verfassung und mit ihr die Geschäftsordnung zwingen den Präsidenten des Senats, dem Erfordernis einer dauernden Mehrheit im Senat Rechnung zu tragen. Andererseits räumen die Verfassung und die Geschäftsordnung dem Ersten Bürgermeister auch solche Rechte ein, die dem Bundeskanzler nicht zustehen. Denn der Präsident des Senats hat, soweit er namens des Senats handelt, die Abschottung der Fachbehörden nicht zu beachten. Er ist insoweit de jure allzuständig wie das Kollegialorgan Senat31. Daraus lassen sich die Rechte des Ersten Bürgermeisters auf Auskunftserteilung und das Selbsteintrittsrecht für wichtige Angelegenheiten ableiten. Der Bundeskanzler hingegen ist stets gezwungen, bei der Umsetzung seiner politischen Richtlinienentscheidungen in den Ministerien seine Weisungen an die Minister zu richten, die sie dann in ihre Ministerien weitergeben sollten, aber nicht müssen32. Das es sich hierbei nicht nur um eine Spitzfindigkeit handelt, verdeutlicht die Einführung von Art. 115 b in das Grundgesetz. Diese Norm läßt eine Ausnahme vom Ressortprinzip zu, indem sie anordnet, daß im Verteidigungsfall die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte, die ansonsten ausschließlich dem Bundesminister der Verteidigung zusteht (Art. 65 a GG), auf den Bundeskanzler übergeht, der erst dann das Recht hat, der Bundeswehr unmittelbar Befehle zu erteilen. 33 Insofern ist die Position des Ersten Bürgermeisters besonders stark bei den Rechten, die er in Vertretung des Kollegialorgans Senat für dieses wahrnimmt, ohne daß jedoch der Erste Bürgermeister eigene, darüber hinausgehende Rechte hat. Die Wahrnehmung dieser Rechte zwingt den Präsidenten des Senats zu einer enormen Arbeitsleistung, denn ansonsten fallen diese Rechte in der Praxis den Senatoren zu, denen dafür die umfangreichen Instrumentarien der Fach30 31 32 33

Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 289. Drexelius/Weber, Art. 42 Anm. 2, 3; Thieme, DÖV 1971, S. 145, 146. Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 59. Dürig, in: M D H , Art. 65 a Rn. 13.

II. Hilfsmittel des Präsidenten

75

behörden zur Verfügung stehen. Deshalb wirft die politische Praxis andere Fragen auf, insbesondere ob der Präsident faktisch noch in der Lage ist, diese Rechte auszuüben. Die Geschäftsordnung gibt jedoch ebenso wie die Verfassung dem Präsidenten des Senats keine besonderen Rechte oder Disziplinierungsmittel, um die Einheitlichkeit des Senats herzustellen. So hat der Präsident des Senats keine verfassungsrechtliche Druckmittel aus eigenen Rechten, um eigene Rechte oder Rechte des Kollegiums gegenüber den einzelnen Senatoren durchzusetzen, um dadurch z.B. den Anspruch auf Geschlossenheit des Senats nach außen gem. § 13 Abs. 10 GOSen sicherzustellen 34.

I I . Die institutionellen und personellen Hilfsmittel des Präsidenten des Senats Zur Erfüllung seiner verfassungsmäßigen Aufgaben bedarf der Erste Bürgermeister eines Mitarbeiterstabes und eines institutionellen Unterbaues. Zwei hamburgische Institutionen verdienen es, in diesem Zusammenhang besonders betrachtet zu werden: die Senatssyndici/Staatsräte und die Senatskanzlei mit seinem Planungsstab. Denn die Senatssyndici galten als die wichtigsten Mitarbeiter der Ersten Bürgermeister in der Vergangenheit, und die Senatskanzlei gilt heute als wichtigstes Hilfsmittel des Ersten Bürgermeisters 35. 1. Das „ Syndikat " als Machtinstrument des Ersten Bürgermeisters a) Die Entwicklung der Senatssyndici zu Mitarbeitern des Präsidenten des Senats Als Senatssyndici werden seit alters her die Berater des Kollegialorgans Senat bezeichnet36. Die Syndici waren ursprünglich die rechtskundigen Berater des Senats. Da die Syndici im 19. Jahrhundert noch, im Gegensatz zu den meisten Senatoren, ihr Amt hauptberuflich ausübten, erledigten sie im wesentlichen die Verwaltungsgeschäfte des Senats37. Vor 1860 rangierten die Syndici deshalb direkt

34

Auf diesen Umstand wiesen fast alle Gesprächspartner hin. R. Weber, S. 28; Weichmann, Vorarbeit für den Staatschef, , S. 33. 36 Ewald, S. 1. 37 Art. 13 der Verfassung von 1860 erlaubte die Ausübung eines Berufs neben dem Senatorenamt. Auch die Verfassung von 1879 ließ eine Berufsausübung neben dem Senatorenamt zu, wenn „dieselbe der Erfüllung ihrer Amtspflichten keinen Abbruch tut". 35

76

C. Stellung des Präsidenten des Senats

hinter den Bürgermeistern und trugen wie diese den Titel „Magnifizenz" 38 . Durch die gemeinsame Erledigung der Verwaltungsgeschäfte waren die Bürgermeister und die Syndici miteinander verbunden. Die Gemeinschaft dieser Syndici wurde als „Syndikat" bezeichnet. Die Verfassung von 1921 sprach nicht mehr von den „Syndici", sondern bezeichnete diese als „Staatsräte" 39. Die Staatsräte waren statusrechtlich Beamte. Sie waren jedoch ebenso wie die Syndici nicht Mitarbeiter eines Senators, sondern fungierten als Berater und Mitarbeiter des Gesamtsenats40. Dienstvorgesetzter der Staatsräte war jedoch nicht mehr der Gesamtsenat, wie vor 1921, sondern der Präsident des Senats41. Der § 20 des Senatsgesetzes von 1925 bestimmte: „Die dem Senat beigegebenen Staatsräte und Vortragenden Räte, deren Zahl im Staatshaushalt bestimmt wird, sind nichtrichterliche Beamte und unterliegen mangels anderer gesetzlicher Bestimmungen den für diese geltenden Bestimmungen. Ihr Vorgesetzter ist der Präsident des Senats, gegen dessen Anordnungen es ihnen freisteht, die Entscheidung des Senats anzurufen ..."

In den Beratungen zur Vorbereitung der Verfassung von 1921 war zwar noch umstritten, ob die Staatsräte den Fachbehörden zuzuordnen seien, oder ob sie wie bisher Berater des Senatskollegiums bleiben sollten. Aber die Ausschußmehrheit im Verfassungsausschuß verwies auf die Verknüpfung zwischen dem Kollegialprinzip im Senat und der kollegialen Zuordnung der Staatsräte, die primär Berater des Kollegiums seien und deshalb nicht auf Dauer einem Ressort zugeordnet werden dürften 42 . Senator Dr. v.Melle formulierte diesen Zusammenhang wie folgt: „Die Staatsräte sind Beamte des Senats und nicht des einzelnen Ressorts. Sie hängen daher nur von dem Präsidenten des Senats und nicht von den einzelnen Ressort-Chefs ab." 4 3 Auch bei der Regelung der Anstellung wurde die Position des Präsidenten des Senats spürbar herausgehoben, denn nur noch auf Antrag seines Präsidenten ernannte hinfort der Senat die Staatsräte44. Noch ein Weiteres verband die Staatsräte mit dem Präsidenten des Senats: Die Staatsräte sollten sich ebenso wie der Präsident des Senats nicht so sehr durch ihr politisches Gewicht auszeichnen, sondern durch ihr fachliches Können.

38

v.Melle, S. 107. Mittelstein, Art. 50, S. 76 Anm. 1. 40 Ewald, S. 54. 41 Ewald, S. 54. 42 Protokolle der Beratungen des bürgerschaftlichen Verfassungsausschusses, 24. Sitzung, 27.11.1920, S. 3. Redebeitrag des Staatsrates Dr. Struve. 43 Protokolle der Beratungen des bürgerschaftlichen Verfassungsausschusses, 24. Sitzung, 27.11.1920, S. 3. Redebeitrag des Senators Dr. v.Melle. 44 Ewald, S. 57. 39

II. Hilfsmittel des Präsidenten

77

Der Verfassungsausschuß hatte es deshalb abgelehnt, die Staatsräte als politische Beamte zu charakterisieren 45. Mit einer ähnlichen Begründung hatte er zuvor die direkte Wahl des Präsidenten des Senats durch die Bürgerschaft abgelehnt, weil die Ausschußmehrheit eine Politisierung des Präsidentenamts befürchtete und zu vermeiden trachtete 46. Durch all diese Regelungen wurden unter der Verfassung von 1921 die Staatsräte zu Mitarbeitern und Gefolgsleuten der Ersten Bürgermeister. Dieser konnte sich durch die wöchentlichen Zusammenkünfte mit den Staatsräten einen bedeutenden Wissensvorsprung gegenüber den Senatoren verschaffen, der seine Position nicht unerheblich stärkte 47. Während der Zeit des Natonalsozialismus wurde in Hamburg das Amt des Staatsratesim bisherigen Sinne, d.h. als unabhängiger Berater des Senats, aufgehoben 48. b)Die Senatssyndici/Staatsräte nach 1952 Die Verfassung von 1952 führte durch Art. 47 HV die alte Bezeichnung des „Senatssyndikus" wieder ein. Wie die Staatsräte von 1921 sollten die Syndici in erster Linie als Berater des Gesamtsenats fungieren (Art. 47 Abs. 1 S. 1 HV). Die Verfassunggeber von 1952 betonten deshalb ausdrücklich den engen Zusammenhang zwischen der kollegialen Struktur des Senats und der kollegialen Zuordnung der Syndici 49 . In der Senatsbegründung zum Verfassungsentwurf, die unverändert so vom bürgerschaftlichen Verfassungsausschuß übernommen wurde, heißt es deshalb auch: „Die betonte Stellung des Senats als Kollegium und die Tatsache, daß viele und gerade die wesentlichsten Angelegenheiten nicht von einem Fachsenator oder vom Präsidenten des Senats allein, sondern vom Kollegium, d.h. vom Gesamtsenat, entschieden werden, führt andererseits dazu, daß der Senat als Ganzes besonderer Mitarbeiter bedarf, während in anderen Länderverfassungen nur entweder der Ministerpräsident oder die einzelnen Minister besondere Mitarbeiter kennen. ... Sie fallen insofern aus dem Rahmen der übrigen hamburgischen Beamten heraus, als sie nicht einem Senator zur Wahrung seiner Fachaufgaben beigegebene Mitarbeiter sind, sondern dem Gesamtsenat zur Erledigung seiner Aufgaben dienen sollen, und sie unterscheiden sich von den Staatssekretären anderer Länder, denen sie im übrigen weitgehend gleichen, aus demselben Grunde." 5 0

45

Protokolle der Beratungen des bürgerschaftlichen Verfassungsausschusses, 25. Sitzung, 11.12.1920, S. 6/7. 46 Protokolle der Beratungen des bürgerschaftlichen Verfassungsausschusses, 13. Sitzung, S. 9, Redebeitrag von Dr. Mitteistein: „DerPräsident des Senats soll gerade nicht Parteivertreter sein." 47 Ewald, S. 70; R. Weber, S. 28. 48 Ewald, S. 60. 49 Ewald, S. 65. 50 Protokolle des bürgerschaftlichen Verfassungsausschusses, Entwurf eines Berichts des Verfassungsausschusses vom 31.10.1951, S. 29/30.

78

C. Stellung des Präsidenten des Senats

Entsprechend der betont kollegialen Zuordnung der Syndici war deren Dienstvorgesetzter nicht mehr der Präsident des Senats, sondern der Gesamtsenat51. Soweit der Senat einzelne Syndici den Fachbehörden zugeordnet hat, unterliegen die Syndici nur innerhalb der Fachbehörden dem Weisungsrecht des Behördenpräses 52. Im Senat hingegen sind die Syndici berechtigt, ja geradezu verpflichtet, auch dann ihre Meinung zu sagen, wenn diese von der „ihres" Behördenpräses abweicht 53 . Statusrechtlich waren die Syndici bis 1978 Lebenszeitbeamte. Seitdem sind sie politische Beamte, die nun auch immer mehr als Staatsräte bezeichnet wurden 54 . In der politischen Praxis war bis in die 60er Jahre der Ansprechpartner der Syndici der Präsident des Senats55. Bürgermeister wie Max Brauer, Kurt Sieveking und Prof. Herbert Weichmann gründeten ihre Macht zu einem nicht unwesentlichen Teil auf die Loyalität des Syndikats56. Dies wird illustriert durch die Aussage Max Brauers über die montäglichen Zusammenkünfte des Ersten Bürgermeisters mit den Syndici: „ A m Montag tagt die Regierung und am Dienstag der Senat." 57 Diese Treffen zwischen den Syndici und dem Erstem Bürgermeister verschafften diesem einen Wissensvorsprung gegenüber den Senatoren, der nicht unwesentlich dazu beitrug, die schwache verfassungsrechtliche Stellung des Ersten Bürgermeisters faktisch zu stärken 58. Darum galten die Präsidenten des Senats im Kreise der Ministerpräsidenten der Länder meist als besser unterrichtet als ihre Kollegen, die Länderministerpräsidenten mit Richtlinienkompetenz jedoch bei striktem Ressortprinzip 59. Bis zum Beginn der 70er Jahre galt diese Zusammenarbeit als eines der wichtigsten Herrschaftsinstrumente des Präsidenten des Senats60. Doch bereits in den 60er Jahren wurden die Syndici immer stärker in die Arbeit der Fachbehörden integriert. Sie verloren dadurch faktisch ihre Stellung als Berater des Gesamtsenats und seines Präsidenten und wurden so zu fachlich unersetzbaren Mitarbeitern der Fachsenatoren61. Die Syndici verloren damit den Un-

51

Ewald, S. 64. Ewald, S. 65. 53 Ewald, S. 68; Drexelius/Weber, Art. 47 Anm. 2. 54 Ewald, S. 70; H ABl. vom24./25.6.1978, S. 4: „Die Wandlung des künftigen Senatssprechers". 55 So Peter Schulz und Dr. Diether Haas auf entsprechende Fragen im Interview. 56 R. Weber, S. 28. 57 R. Weber, S. 28. 58 Daraufhaben besonders Peter Schulz und Dr. Diether Haas in den Gesprächen hingewiesen. 59 So Peter-Heinz Müller-Link im Interview. 60 Dies bestätigten in den Interviews Peter Schulz und Dr. Diether Haas. 61 Becker, S. 229, der dies bereits 1969 feststellte, aber damals die Hoffnung äußerte, daß die kollegiale Seite der Tätigkeit der Syndici wieder aufleben werde. 52

II. Hilfsmittel des Präsidenten

79

terschied zu ihren Kollegen in den anderen Bundesländern. Sie wurden faktisch zu Staatssekretären. Mit diesem Prozeß ging einher, daß die Fachsenatoren ein größeres Gewicht bei der Auswahl „ihrer" Staatsräte erhielten 62. Dadurch nahm zwangsläufig die Abhängigkeit der Staatsräte von den Senatoren zu. Die montägliche Staatsratsrunde, die weiterhin besteht, hat deshalb ihren Charakter als Beratungsinstrument und Informationsquelle für den Ersten Bürgermeister verloren, da die Staatsräte sich nun ihrem Ressort stärker verpflichtet fühlen als dem Senat als Kollegium oder dem Ersten Bürgermeister 63. Seit 1978 sind die Staatsräte politische Beamte64. Die Staatsräte können demnach jetzt jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden, insbesondere bei Meinungsverschiedenheiten mit ihrem Behördenpräses 65. Das Instrument Syndikat, ursprünglich Beratungsgremium des Gesamtsenats und später in stärkerem Maße Herrschaftsinstrument des Ersten Bürgermeisters, hatte damit einen Großteil seiner politischen Bedeutung verloren. Es ist heute nicht mehr dieses spezifisch hamburgische Regierungsinstrument, als das es geschaffen wurde, sondern es ist nun vergleichbar den Staatssekretärsbesprechungen, wie sie im Bund und in den anderen Bundesländern üblich sind. Dem Ersten Bürgermeister ist i.d.R., entsprechend der Ressortverteilung der Staatsräte, seitdem nur noch der Staatsrat in der Senatskanzlei unterstellt. 2. Die Senatskanzlei mit Planungsstab Der Präsident des Senats leitet in eigener Verantwortung die Senatskanzlei und das Staatsarchiv 66. Bei beiden Behörden handelt es sich um Senatsämter. Die Aufgabe der Senatsämter ist es, allgemeine Verwaltungsaufgaben zentral für den Senat wahrzunehmen (§ 1 Abs. 1 S. 2 Verwaltungsbehördengesetz). In erster Linie soll hier jedoch die Senatskanzlei interessieren, insbesondere die Frage, ob es sich hierbei um eine Art „Schreibstube" des Senats handelt oder um eine Art „Bundeskanzleramt" des Ersten Bürgermeisters bzw. „brain trust" für den Präsidenten des Senats.

62 63 64 65 66

So der Senator a.D. Dr. Rolf Lange in dem Interview. So der frühere Senior des Syndikats Dr. Diether Haas in dem Interview. H ABl. vom 24./25.6.1978, S. 4: „Die Wandlung des künftigen Senatssprechers". So der Senator a.D. Dr. Rolf Lange in dem Interview. Drexelius/Weber, Art. 42 Anm.2.

80

C. Stellung des Präsidenten des Senats

a) Die Senatskanzlei Die originäre Aufgabe der Senatskanzlei ist die Vorbereitung der Senatssitzungen und die Erledigung der administrativen Angelegenheiten für den Senat (so §§6,9 GOSen). Im Laufe der Zeit hat sich jedoch die Senatskanzlei in eine Reihe von Ämtern mit z.T. voneinander unabhängigen Aufgaben aufgegliedert 67. Die allgemeine Verwaltung und das Staatsamt bereiten die Sitzungen des Senats in administrativer Weise vor und erledigen administrative Aufgaben für den Senat. Sie erfüllen damit primär Verwaltungsaufgaben für den Senat. Das Planungsamt übernimmt dagegen konzeptionelle Aufgaben. Auf dieses wird noch gesondert einzugehen sein, ebenso wie auf die Staatliche Pressestelle, die die Presse- und Informationspolitik betreibt. Bemerkenswert erscheint, daß daneben jede Fachbehörde, also auch jeder Senator, über eine eigene Planungsabteilung verfügt, wie auch über eine eigene Presseabteilung bzw. Pressereferenten 68. Die Hauptaufgabe des Staatsamtes ist es, zur Vorbereitung der Senatssitzungen koordinierend tätig zu sein sowie den Verkehr zwischen dem Senat und der Bürgerschaft zu kanalisieren, da Ansprechpartner der Bürgerschaft nicht die Fachbehörden sind oder die einzelnen Senatoren, sondern nur das Kollegialorgan Senat69. Außerdem hat das Staatsamt administrative und repräsentative Angelegenheiten des Senats zu erledigen (z.B. die Pflege der auswärtigen Beziehungen, Bund-Länder-Angelegenheiten u.s.w.) 70 . Wenn auch die Grenzen zwischen Koordination und Lenkung fließend sind, so fehlt doch dem Staatsamt - gemessen an der personellen Ausstattung und den Aufgaben - die Möglichkeit, konzeptionell für den Ersten Bürgermeister tätig zu sein. Die traditionell gewachsene Organisationsstruktur der Senatskanzlei ist eher dazu bestimmt, als „Sammelbecken" von Ressortmeinungen zu fungieren, denn als „brain trust" für den Senat oder den Ersten Bürgermeister 71. Diese Aufgabe blieb dem Senat vorbehalten bzw. den Fachbehörden, die über die nötigen Kapazitäten verfügten.

67 68 69 70 71

Vgl. dazu das Organisationsschema der Senatskanzlei. Speyer II, S. 227; Lüth, S. 70. Speyer II, S. 272. Speyer II, S. 270. H. Schulz, in: Speyer II, S. 101.

II. Hilfsmittel des Präsidenten

81

b) Der Planungsstab Die letztgenannten Überlegungen führten zur Gründung des Planungsstabes in der Senatskanzlei unter Bürgermeister Prof. Dr. Weichmann im Jahre 1965. Der Planungsstab wurde kreiert nach den Bedürfnissen eines modernen „Regierungschefs", der gleichermaßen die Funktionen eines „Chefplaners" und „obersten Managers" seiner Regierung wahrzunehmen hat 72 . Aufgabe des Planungsstabes sollte es sein, nach den Vorgaben des Regierungschefs ein politisches Gesamtkonzept für den Regierungschef aufzustellen oder, um es mit den Worten von Bürgermeister Prof. Dr. Weichmann zu sagen: „Vorarbeit für den Staatschef" zu leisten73. Der Planungsstab war also schon von seiner Konzeption her als ein Mittel gedacht, um konzeptionelle Aufgaben für den Regierungschef zu erledigen. Die Einführung des Planungsstabes stieß auf anfängliche Skepsis in den Fachbehörden, die hierin ein zu großes Machtinstrument des Ersten Bürgermeisters erblickten. Gerade Bürgermeister Prof. Dr. Weichmann betonte jedoch die besondere Verantwortung des „Staatschefs" für die Konzeption und die Koordinierung der Regierungspolitik. Er forderte deshalb: „Eine Gesamtkonzeption ist unerläßlich, weil auch bei sonst im einzelnen ausgezeichneten Ministern die in eben diesen Ministerien anfallenden Führungsaufgaben nur dann im richtigen Zeitpunkt und sachlich entsprechend orientiert begonnen werden können, wenn sie als Teil eines Ganzen, aber nicht als eine Art unabdingbare Ressortreligion betrachtet werden." 7 4

Weichmanns Worte von der Tendenz zum Ressortperfektionismus bestätigte der spätere Leiter der Senatskanzlei, Staatsrat Dr. Harald Schulz, der auf einer Tagung der Verwaltungshochschule Speyer die Situation in parlamentarischen Regierungen mit folgenden Worten charakterisierte: „Die Minister konkurrieren um die Ressourcen. Jeder Minister trachtet danach, möglichst viel aus den zur Verfügung stehenden Ressourcen auf sich vereinigen zu können." 7 5

Beide Redner sprachen zwar nicht ausdrücklich vom Hamburger Regierungssystem, sondern von einer allgemeinen Tendenz. Diese hatte jedoch auch das Regierungssystem Hamburgs erfaßt, denn ansonsten wäre die profunde Kenntnis über den Ressortegoismus durch die beiden Redner schwerlich zu erklären. Als Gegenreaktion auf das Erstarken der Ressorts war eine instrumentelle Stärkung des Ersten Bürgermeisters auch in Hamburg notwendig geworden.

72

Weichmann, Vorarbeit für den Staatschef, S. 33. So der Titel eines Referats, das Prof. Dr. Weichmann 1966 vor der Verwaltungshochschule gehalten hat (Speyer I), H. Schulz, in: Speyer II, S. 101. 74 Weichmann, Vorarbeit für den Staatschef, S. 33. 75 H. Schulz, in: Speyer II, S. 102. 73

6 Wieske

82

C. Stellung des Präsidenten des Senats

Der so begründete Planungsstab hat vor allem folgende Aufgaben: Dem Präsidenten des Senats als eine Art „brain-trust" zu assistieren und die Politik der Fachbehörden in ein politisches Gesamtkonzept einmünden zu lassen bzw. einzubinden76. Neben diesen konzeptionellen Aufgaben sollte der Planungsstab auch als eine Art „Frühwarnsystem" für den Regierungschef fungieren, um ihn möglichst frühzeitig auf „abweichende" Planungen in den Fachbehörden aufmerksam machen zu können77. Die dritte Funktion des Planungsstabes steht mit den ersten beiden in engem Zusammenhang, nämlich die Koordination im Planungsbereich. Dies geschieht insbesondere durch Koordination und Begutachtung der Investitionsplanungen in den Fachbehörden (§ 14 Abs. 5 GOSen)78. Hierdurch werden die Fachbehörden verpflichtet, alle Investitionsvorhaben, die höher sind als 1 Million D M , bevor sie im Senat beraten werden, dem Planungsstab zur Begutachtung vorzulegen. Die dahinterstehende Idee ist, daß die Ressorts, die an Investitionsmitteln interessiert sind, frühzeitig den Planungsstab mit den Ressortplanungen vertraut machen, damit dieser einen umfassenden Überblick über die Ressortplanungen erhält, die in aller Regel von Finanzmitteln abhängig sind 79 . Durch diese Koppelung der Interessen werden die Ressorts zur Zusammenarbeit mit dem Planungsstab gezwungen. Gleichzeitig wird die Position des Ersten Bürgermeisters, als die des „Herrn" des Planungsstabes, gestärkt. Der Erste Bürgermeister kann somit lang- und mittelfristig besser steuern und gewinnt mittels des Planungsstabes auch Einfluß auf die Planungen in den Ressorts 80. Außerdem ist es so für den Präsidenten möglich, frühzeitig Zielkonflikte zwischen den Fachbehörden zu erkennen und zu entschärfen. Hier setzt eine der wesentlichsten Aufgaben des Regierungschefs an, Zielkonflikte zu entschärfen und, wenn nötig, auch zu entscheiden81. Durch den Planungsstab in der Senatskanzlei verfügt der Erste Bürgermeister über ein Instrument, das vergleichbar ähnlichen Institutionen der Ministerpräsidenten in den Flächenländern ist. In den Diskussionen der Verwaltungshochschule in Speyer zur Thematik der Aufgaben und Funktionen der Staatskanzleien in den Ländern wurde weder 1966 noch 1975 unterschieden zwischen den Staatskanzleien der Ministerpräsidenten

76 77 78 79 80 81

Weichmann, in: Speyer I, S. 34. H. Schulz, in: Speyer II, S. 106. H. Schulz, in: Speyer II, S. 104. Becker, in: Speyer I, S. 320. Speyer II, S. 279. H. Schulz, in: Speyer II, S. 107.

II. Hilfsmittel des Präsidenten

83

der Länder (mit Richtlinienkompetenz) und der Senatskanzlei mit Planungsstab des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg 82 . Von den Aufgaben und dem institutionellen Aufbau ist die Senatskanzlei mit Planungsstab vergleichbar den Staatskanzleien in den Flächenländern und in Ansätzen dem Bundeskanzleramt. Der Präsident des Senats verfügt damit verwaltungsorganisatorisch über das gleiche Instrumentarium zur Vorarbeit, zur Formulierung der Richtlinien der Politik wie die Ministerpräsidenten in den Flächenländern und, in verkleinerter Form, wie der Bundeskanzler mit dem Bundeskanzleramt 83. c) Die Staatliche Pressestelle Ein weiterer Bestandteil der Senatskanzlei ist die Staatliche Pressestelle. Auf die Bedeutung des Presseamts der Bundesregierung als dem „Transmissionsriemen" zwischen der Regierung und der Öffentlichkeit in der Hand des Bundeskanzlers hat bereits Wilhelm Hennis hingewiesen84. Die gleichen Aufgaben kommen, bezogen auf die Landespolitik, der Staatlichen Pressestelle zu. Sie ist das Sprachrohr des Senats gegenüber der Öffentlichkeit. Sie hat in der von Medien geprägten Gesellschaft ein nicht zu überschätzendes politisches Gewicht. Vom ursprünglichen Selbstverständnis her war die Pressestelle das Sprachrohr des Senats85. Formal betrachtet, ist sie dies auch heute noch. Jedoch schon Ende der 50er Jahre begannen die Fachsenatoren, eine eigene Pressepolitik zu betreiben, indem sie sich mit fachspezifischen Fragen in Pressekonferenzen direkt an die Öffentlichkeit wandten86. Die Fachbehörden und die Senatoren schufen sich dazu eigene Presseabteilungen bzw. Pressereferenten. Diese dienen nicht nur der Unterrichtung der Öffentlichkeit und der Profilierung des jeweiligen Senators, sondern können auch bei frühzeitiger und publikumswirksamer Veröffentlichung dazu genutzt werden, den Gesamtsenat zur Solidarität zu zwingen und so ein im Senat umstrittenes Projekt mittels der veröffentlichten Meinung durchzusetzen 87.

82 83 84 85 86 87

Speyer I und Speyer II. Hennis, Richtlinienkompetenz, S. 170 ff. Hennis, Richtlinienkompetenz, S. 176 ff. PaulO. Vogel, in: „Welt am Sonntag" vom 23.12.1979, S. 60: „Meine vier Bürgermeister". Lüth, S. 70/71. H. Schulz, in: Speyer II, S. 102.

84

C. Stellung des Präsidenten des Senats

Nicht ohne Grund versuchte deshalb Bürgermeister Brauer, die Information der Öffentlichkeit bei der Staatlichen Pressestelle zu monopolisieren. Diese Bemühungen des Bürgermeisters blieben jedoch erfolglos 88 . Seitdem ist die Staatliche Pressestelle vor allem koordinierend für die Fachbehörden tätig. Aber gleichzeitig wurde sie zu einem Instrument der Ersten Bürgermeister, die die Staatliche Pressestelle nutzen, um ihren Standpunkt in der Öffentlichkeit darzustellen 89. Die Öffentlichkeitsarbeit wird damit zum einen von den Ressorts betrieben und zum anderen von der Staatlichen Pressestelle. Zur Vereinheitlichung der Pressearbeit ergingen die „Richtlinien für den Verkehr mit der Presse". Diese unterstreichen den Koordinierungsanspruch der Staatlichen Pressestelle bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit 90 . Die Staatliche Pressestelle, so könnte man sagen, hat damit eine Art Richtlinienkompetenz gegenüber den Fachbehörden auf dem Gebiet der Unterrichtung der Öffentlichkeit.

I I I . Zusammenfassung Die Kompetenzen des Ersten Bürgermeisters aus Art. 41 Abs. 2 HV, die sich lesen wie eine nähere Definition des Begriffs der Richtlinienkompetenz, geben dem Ersten Bürgermeister keine Richtlinienkompetenz. Denn die Richtlinienkompetenz steht ausdrücklich gem. Art. 33 HV nur dem Senat zu und soll von diesem kollektiv ausgeübt werden. Der Erste Bürgermeister kann bei der Ausübung seiner Rechte aus Art. 41 Abs. 2 HV jederzeit vom Senat überstimmt werden. Die Ausübung der Rechte aus Art. 41 Abs. 2 HV durch den Ersten Bürgermeister steht damit immer unter dem Vorbehalt der späteren Änderung durch den Senat mit dessen einfacher Mehrheit. Bei diesen Entscheidungen hat die Stimme des Ersten Bürgermeisters das gleiche Gewicht wie die eines jeden anderen Senators. Die Geschäftsordnung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg gibt dem Präses der Finanzbehörde in finanziellen Fragen eine gegenüber dem Ersten Bürgermeister herausgehobene Position, eine Art „negative (weil suspendierende) Richtlinienkompetenz", die der Senat nur mit absoluter Mehrheit überwinden kann. Hierbei handelt es sich um eine Durchbrechung des strikten Kollegialprinzips.

88 89 90

Lüth, S. 70/71. Paul O. Vogel, in: „Welt am Sonntag", 23.12.1979, S. 60. Speyer II, S. 298.

III. Zusammenfassung

85

Stärker als im Bereich der politisch-inhaltlichen Entscheidungen ist die verfassungsrechtliche Stellung des Ersten Bürgermeisters in seinen Rechten, die ihm als Leiter der Zusammenkünfte des Senats in der Geschäftsordnung des Senats gegeben sind. Er hat das Recht, außerordentliche Sitzungen des Senats einzuberufen, die Tagesordnung aufzustellen, einzelne Tagesordnungspunkte den Fachbehörden zuzuweisen und ein Doppelstimmrecht bei Stimmengleichheit im Senat. Diese Rechte stärken in erster Linie die Position des Ersten Bürgermeisters als Sitzungsleiter des Senats und Moderator zwischen den Fachbehörden. Die Kompetenzen unter der gegenwärtigen Verfassung geben dem Ersten Bürgermeister nicht das Recht, die Richtlinien der Politik des Senats verbindlich zu bestimmen. Der Erste Bürgermeister ist darüber hinaus schon von der Verfassung in eine zweifache Abhängigkeit gestellt worden. Als Mitglied des Senats ist er von der Bürgerschaft gewählt worden und kann von dieser auch jederzeit wieder aus dem Senat durch „Einzelabwahl" herausgeschossen werden, ohne daß dies verfassungsrechtliche Folgen für den Fortbestand des Senats hätte91. Der Erste Bürgermeister besitzt gegenüber seinen Senatskollegen keinen von der Verfassung eingeräumten Legitimitätsvorspung. Darüber hinaus bedarf der Erste Bürgermeister des Vertrauens der Mehrheit im Senat, um von dieser jährlich zum Präsidenten des Senats gewählt zu werden. D.h., auch gegenüber seinen Senatskollegen ist der Erste Bürgermeister aufgrund seiner zweifachen verfassungsrechtlichen Abhängigkeit eher zum Moderator bestimmt als zum politisch verantwortlichen Lenker oder Führer des Senats. Als wichtig hierbei ist festzuhalten, daß weder der Erste Bürgermeister noch der Senat über die Kompetenzen verfügen, die für eine effektive Ausübung und Durchsetzung der Richtlinienkompetenz notwendig wären, nämlich dem Recht, Senatoren zu berufen und auch abzuberufen. Dieses Recht liegt bei der Bürgerschaft - und dies hat eine wesentliche Verschiebung der verfassungsrechtlich zugeordneten politischen Macht zur Folge - und gibt der Bürgerschaft, von der verfassungsrechtlichen Konstruktion her, ein Mitbestimmungsrecht bei der Bestimmung der Richtlinien der Politik des Senats. Wesentliche, mehr faktische Machtinstrumente, wie der Zugriff auf das Syndikat, welcher noch bis in die 60er Jahre hinein, ein nicht zu unterschätzendes Regierungsinstrument der Ersten Bürgermeister war, ist dem Ressortprinzip, das auch in Hamburg faktisch Einzug gehalten hat, zum Opfer gefallen. Die Schwächung dieser kollegialen Strukturen hatte damit auch eine Schwächung der Position des Ersten Bürgermeisters zur Folge, dessen verfassungsrechtliche Stellung aus dem strikten Kollegialprinzip gewachsen ist und die an ihm orientiert ist. Mit der zunehmenden faktischen Durchbrechung des

91

David, Art. 33 Rn. 16; Wieske, ZParl 1988, S. 447.

86

C. Stellung des Präsidenten des Senats

Kollegialprinzips wurde auch die verfassungsrechtliche Position des Ersten Bürgermeisters immer mehr geschwächt. Umgekehrt bedurfte auch das Hamburger Regierungssystem, zumindest seit Mitte der 60er Jahre, als Gegengewicht zur zunehmenden Ressortspezialisierung in den Fachbehörden und bei den Senatoren, einer Art Leitungsinstanz, die für die Leitung der politischen Gesamtkonzeption verantwortlich ist. Zumindest im Bereich des Planungsstabes hatte Bürgermeister Weichmann sich ein solches Hilfsmittel für den Ersten Bürgermeister geschaffen, mit dem Anspruch, daß dieses „Vorarbeit für den Staatschef" 92 zu leisten habe, ähnlich wie das Bundeskanzleramt und die Staatskanzleien der Ministerpräsidenten in den Flächenländern.

92

Weichmann, Vorarbeit für den Staatschef, , S. 33.

D. Die historische Entwicklung der verfassungsrechtlichen Stellung des Ersten Bürgermeisters in Hamburg

In den vorangegangenen Kapiteln war die verfassungsrechtliche Situation des Senats und des Ersten Bürgermeisters in Hamburg dargestellt worden, es soll nun gezeigt werden, wie es zu dieser gekommen ist und welche Intentionen der historische Verfassunggeber hatte.

I. Die Stellung des Ersten Bürgermeisters nach älterem Verfassungsrecht (bis 1918)

1. Bis zur Verfassung

von 1860

Der Hamburger Historiker Jürgen Bolland bezeichnet die Freie und Hansestadt Hamburg als einen Sonderfall in der deutschen Geschichte1. Als Sonderfall darf gelten, daß Hamburg auf eine mehr als 700 Jahre alte republikanische Geschichte zurückblicken kann2. Seit dem Mittelalter stand an der Spitze der Stadt der 18- bis 24-köpfige Rat. Dieser wurde erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts als „Senat" bezeichnet3. Im 12. und 13. Jahrhundert wurde er aus Vertretern der Kaufmannsgilden gebildet4, während die Bürgerschaft ihre historischen Wurzeln in den Kirchensprengeln hat. Die Selbstergänzung der Ratsmitglieder und das lebenslängliche Ratsherrenamt galten bereits gegen Ende des Mittelalters in Hamburg als „altüberlieferte geheiligte Rechtsgrundsätze" 5. Als Grundsatz galt auch, daß die Ämter unter den Ratsherren jährlich gewechselt wurden. Außerdem waren viele der Ämter doppelt besetzt, um so eine Machtzusammenballung in der

1 2 3 4 5

Bolland, Ein Sonderfall, S. 11 ff. Bolland, Ein Sonderfall, S. 11 ff. Mittelstein, S. 5. v.Melle, S. 81. Bolland, Ein Sonderfall, S. 12/13; Loose, S. 119.

88

D. Die historische Entwicklung

Hand einzelner Ratsherrn zu vermeiden 6. Diese Grundsätze galten in Hamburg wie in vielen anderen deutschen Städten7. Bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts galt der Rat als ein rein kollegiales Gremium. Seit ca. 1350 wurden vier Bürgermeister in Hamburg bestellt8. Sie wurden aus den Reihen der Ratsherren gewählt und amtierten im Wechsel paarweise. Durch diese Regelung sollte eine Machtanhäufung in den Händen eines einzelnen Bürgermeisters verhindert werden 9. Die folgenden Jahrhunderte in der hamburgischen Verfassungsgeschichte waren im wesentlichen gekennzeichnet durch ein ständiges Ringen zwischen dem Rat und den Bürgern, die bestrebt waren, die Aufsicht über den Rat zu institutionalisieren. Im 16. Jahrhundert bildete sich das Kollegium der „Oberalten", das über die Amtsführung des Rates zu wachen hatte 10 . Als Fixpunkte in diesem zum größten Teil unblutigen Kampf um die Macht in Hamburg gelten eine Reihe von Rezessen, eine Form früherer Verfassungen, von denen als wichtigste hier erwähnt werden sollen der Rezeß von 1410, der sog. „lange Rezeß" vom 12.2.1529 und der Hauptrezeß aus dem Jahre 171211. Im Hauptrezeß wurde das „Kyrion", d.h. das höchste Recht und die höchste Gewalt, dem Rat und der „Erbgessenen Bürgerschaft" „inseparabili nexu conjunctim und zusammen", also zur gesamten Hand, übertragen 12. 2. Die Situation ab 1860 bis 1918 Die Verfassung von 1860, wie auch die Verfassung von 1879, basierten noch auf der Idee des „Kyrions", d.h. der gemeinschaftlichen Herrschaftsausübung durch den Rat, der nun als „Senat" bezeichnet wurde, und der Bürgerschaft (vgl. Art. 6 der Verfassung von 1879)13. Jedoch erst ab 1860 wurden von den 192 Mitgliedern der Bürgerschaft 84 Abgeordnete gewählt 14 . Wahlberechtigt waren nur die männlichen hamburgischen

6

Bolland, Ein Sonderfall, S. 12/13. Gönnenwein, S. 307. 8 v.Melle, S. 81; Loose, S. 119. 9 Vgl. hierzu die ähnlichen Herrschaftskonzepte in den oberitalienischen Stadtrepubliken des Mittelalters, die auch gekennzeichnet waren, durch eine gegenseitige Machtkontrolle der Ratsmitglieder, um Alleinherrschaft zu verhindern. Siehe dazu Zöllner, S. 36, 74. 10 Bolland, Ein Sonderfall, S. 14. 11 Mittelstein, S. 7. 12 Mittelstein, S. 6/7. 13 Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 303. 14 Loose, S. 484. 7

I. Nach älterem Verfassungsrecht (bis 1918)

89

Staatsbürger, die das 25. Lebensjahr vollendet und den Staatsbürgereid abgelegt hatten. Die restlichen 108 Sitze in der Bürgerschaft wurden mit 60 „Notablen" und mit 48 Vertretern aus den Reihen der Grundeigentümer besetzt15. Dieses Wahlsystem wurde 1906 noch verschärft durch die Einführung eines „Klassenwahlrechts", um ein Erstarken der SPD in der Bürgerschaft zu vermeiden 16 . Dieses „Klassenwahlrecht" blieb bis 1917 in Kraft 17 . Bis zur Verfassung von 1921 war in Hamburg das „aristokratische" Element in der Verfassung vorherrschend 18. Bezüglich der Bestimmungen über den Senat waren die Verfassungen von 1860 und 1879 weitgehend identisch. Unterschiede wiesen lediglich Art. 9 (stärkere Beteiligung der Bürgerschaft bei der Wahl der Senatoren), Art. 13 (Berufsausübung der Senatoren) sowie Art. 22 (bewaffnete Macht und auswärtige Beziehungen waren nun dem Reich vorbehalten) auf. Der Senat bestand nach der Verfassung von 1879 aus 18 Mitgliedern, von denen neun Mitglieder „Rechts- oder Cameralwissenschaften studiert haben" mußten (Art. 7). Die Wahl der Senatoren erfolgte in einem komplizierten Verfahren, bei dem sich Bürgerschaft und Senat ergänzen mußten (Art. 9: Die Bürgerschaft konnte die Senatoren nur aus einem „Wahlaufsatz" auswählen, der von Vertrauensmännern gebildet wurde, die aus je vier Mitgliedern des Senat und der Bürgerschaft bestanden). Art. 10 hielt an der alten Tradition fest, daß die Senatoren ihr Amt lebenslänglich zu bekleiden hatten. Jeder Senator verlor mit seiner Wahl in den Senat den Sitz in der Bürgerschaft. Bis 1918 verließen nach ihrer Wahl die Senatoren die politischen Parteien und Vereine, um so ihre Überparteilichkeit zu dokumentieren 19. Hinsichtlich der Bürgermeister bestimmte Art. 17 der Verfassung von 1879 (ebenso der Wortlaut der Verfassung von 1860): „Der Senat wählt, in geheimer Abstimmung, aus seiner Mitte einen ersten und einen zweiten Bürgermeister für die Dauer eines Jahres zu Vorsitzenden. Kein Bürgermeister darf länger als zwei Jahre nacheinander fungiren."

15 16 17 18 19

Mittelstein, S. 8. Bolland, Ein Sonderfall, S. 70. Bolland, Ein Sonderfall, S. 73. Weichmann/David, S. 4. Bolland, Ein Sonderfall, S. 56.

90

D. Die historische Entwicklung

Der „erste Bürgermeister" hatte nach der Verfassung lediglich die Aufgabe, den Vorsitz bei den Senatssitzungen zu führen und gelegentlich den Senat zu repräsentieren 20. In der Geschäftsordnung des Senats aus dem Jahre 1891 heißt es jedoch schon über die Rechte des ersten Bürgermeisters: „Der präsidierende Bürgermeister hat das Recht und die Pflicht von allem, was die Aufrechterhaltung der Verfassung und die öffentlichen Interessen des hamburgischen Staates betrifft, Kenntnis zu nehmen und das danach Erforderliche innerhalb der Grenzen der Verfassung zu veranlassen." 21

Der Erste Bürgermeister hatte also schon damals die Befugnis, solche Aufgaben, die nicht durch die alljährliche Geschäftsverteilung im Senat verteilt waren, auf einzelne Senatoren oder Staatsräte zu übertragen. Jedoch durfte er dieses Recht in „erheblichen Fällen" nur in Gemeinschaft mit dem Zweiten Bürgermeister unter dem Vorbehalt einer späteren Bestätigung durch den Senat22 ausüben. Eine große Rolle bei der Erledigung der Verwaltungsaufgaben und bei der Beratung des ersten Bürgermeisters spielten die vier Syndici 23 . Die Regierungsrechte standen zwar verfassungsrechtlich nur dem Senat als Kollegium zu, aber bereits vor der Verfassung von 1921 hatten der „erste Bürgermeister" eine so herausgehobene Stellung im Senat, daß er auch als „Regierender Bürgermeister" bezeichnet wurde 24 . Im Juni 1871 schlug deshalb eine Bürgerschaftskommission vor, die Amtszeit des „ersten Bürgermeisters" auf fünf Jahre zu verlängern, um ihn damit verfassungsrechtlich unabhängiger zu machen 25 . Denn trotz einer Reihe herausragender Bürgermeister, die dem Amt kraft ihrer Persönlichkeit ein großes Gewicht gaben, blieb die verfassungsrechtliche Stellung des „ersten Bürgermeisters" schwach. Denn „im Entscheidenden" brach sich die herausgehobene Position des „ersten Bürgermeisters" an den Rechten des Kollegiums. Dort zählte die Stimme des „ersten Bürgermeisters" ebensoviel, bzw. ebensowenig, wie die eines jeden Senators, auch die eines nebenberuflichen Senators. So sollen die beiden Bürgermeister Johann Heinrich Burchard und Johann Georg Mönckeberg bei der Abstimmung im Senat über die Einführung des Klassenwahlrechts im Jahre 1906 unterlegen haben. Die beiden Bürgermeister hatten zusammen mit fünf weiteren Senatoren gegen die Einführung des Klassenwahlrechts votiert, sie wurden jedoch von der Mehrheit im Senat überstimmt 26 . Auch schon damals zeigte es sich, daß die verfassungsmäßige Macht des „ersten

20 21 22 23 24 25 26

v.Melle, S. 82. v.Melle, S. 83, dort Fn. 2. Wolffsson, S. 13, § 4. v.Melle, S. 107. v.Melle, S. 82. v.Melle, S. 82, dort Fn. 2. Bolland, Senat und Bürgerschaft, S. 70, Fn 95.

91

II. Die Verfassung von 1921

Bürgermeisters", sogar gemeinsam mit dem „zweiten Bürgermeister", auch wenn es sich hierbei um so hervorragende Persönlichkeiten wie Heinrich Burchard und Johann Georg Mönckeberg handelte, sich „im Entscheidenden" an dem stärkeren Recht des Kollegialorgans Senat brach.

I I . Die Verfassungsberatungen von 1919 und 1920 und die Verfassung von 1921 1. Das Gesetz über die vorläufige

Staatsgewalt

Nach der Novemberrevolution im Jahr 1918 erließ die am 16.3.1919 gewählte Bürgerschaft in ihrer zweiten Sitzung am 26.3.1919 auf Antrag der SPD-Fraktion das „Gesetz über die vorläufige Staatsgewalt". Dieses war notwendig geworden, nachdem durch Beschluß des Hamburgischen Arbeiter- und Soldatenrates die Verfassung von 1879 außer Kraft gesetzt worden war 27 . Ziel dieser vorläufigen Regelung war die Abschaffung des alten Zweikammersystems und die Einführung des parlamentarischen Regierungssystems in Hamburg 28 . Als Folge dessen wurde der Senat, ebenso wie der Arbeiter- und Soldatenrat, aus dem Gesetzgebungsverfahren ausgeschlossen. Zum ersten Mal in der hamburgischen Geschichte wurde damit die Gesetzgebung ausschließlich in die Hand der Bürgerschaft gelegt29. Bezüglich des Senats bestimmte §4 des „Gesetzes über die vorläufige Staatsgewalt", daß die Senatoren abhängig sein müssen vom Vertrauen der Bürgerschaft. Die Bestimmungen der Verfassung von 1879 bezüglich des Amtes des „ersten Bürgermeisters", also Art. 17 der alten Verfassung, blieben jedoch unverändert bestehen30. Bezüglich des Amtes des „ersten Bürgermeisters" war lediglich im Dezember 1918, durch das „Gesetz betreffend die Bürgermeisterwahl für das Jahr 1919" der Art. 17 Abs. 2 der Verfassung von 1879 suspendiert worden, um so eine Verlängerung der Amtszeit des „ersten Bürgermeisters" zu erreichen, was angesichts der Revolution von 1918 als notwendig angesehen worden war 31 .

27

Stenographischer Bericht, 1919, S. 12. Stenographischer Bericht, 1919, S. 33, 34, Redebeitrag von Dr. Matthaei (DDP). Hierbei soll das Fortbestehen von Art. 50 HV außer Betracht bleiben, der noch heute dem Senat ein Suspensivrecht im Gesetzgebungsverfahren einräumt; David, Art. 50 Rn. 2. 30 Hamburgische Gesetzessammlung, 1919, I. Abtlg., I., S. 98, 101. 31 Hamburgische Gesetzessammlung, 1918, I. Abtlg., I., S. 304. 28

29

92

D. Die historische Entwicklung

2. Die Beratungen der Verfassung

von 1921

a) Vorfragen der Beratung Auf ihrer dritten Sitzung setzte die neu gewählten Bürgerschaft am 28.3.1919 einen Ausschuß zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung ein 32 . Der Verfassungsausschuß bestand aus 23 Mitgliedern. Von diesen gehörten elf der SPD-Fraktion an, fünf der Fraktion der DDP, zwei der Fraktion der Deutschen Volkspartei, zwei der Hamburgischen Wirtschaftlichen Fraktion, zwei der Fraktion der USPD, und ein Mitglied gehörte zur Fraktion der Deutschnationalen Volkspartei. Den Ausschußvorsitz hatte der Abgeordnete Blume (SPD), und als Schriftführer fungierte der Abgeordnete Dr. Matthaei (DDP) 33 . In den ersten Sitzungen des Verfassungsausschusses am 24.4.1919 und am 3.5.1919 standen zwei Fragen im Mittelpunkt der Erörterungen, quasi als Vorfragen 34 : Soll die neue Verfassung ein Nebeneinander von Bürgerschaft und Arbeiterrat zulassen? Wer soll den zu beratenden Verfassungsentwurf erstellen, der Senat oder der Verfassungsausschuß der Bürgerschaft? Die Mehrheit der Ausschußmitglieder votierte gegen ein Nebeneinander von Bürgerschaft und Arbeiterrat und entschied sich dafür, daß die alleinige Souveränität der Bürgerschaft zustehen sollte. Der Ausschuß beauftragte den Senat, einen Entwurf für eine zukünftige Verfassung auszuarbeiten. Der Senatsentwurf lag dem Verfassungsausschuß im Oktober 1919 vor. b) Der Senatsentwurf Der Verfassungsentwurf des Senats bekannte sich zur Einführung des parlamentarischen Regierungssystems in Hamburg 35 . Jedoch war er auch von dem Bemühen gekennzeichnet, „gewachsene organische Zusammenhänge" zu bewahren und so die historische Kontinuität der hamburgischen Tradition fortzusetzen 36.

32 Bericht des von der Bürgerschaft am 28.3.1919 niedergesetzten Ausschusses zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung, August 1920, V. 1. 33 Bericht des von der Bürgerschaft am 28.3.1919 niedergesetzten Ausschusses zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung, August 1920, V. 1. 34 Stenographischer Bericht der ersten Sitzung des Verfassungsausschusses vom 24.4.1919. 35 Verfassungsentwurf des Senats vom Oktober 1919, S. 2, 5. 36 Verfassungsentwurf des Senats, S. 2, 5.

II. Die Verfassung von 1921

93

Bezüglich der Stellung des Senats basierte der Senatsentwurf auf der Idee der Gewaltenteilung, indem er dem Senat die bis dahin bestehenden umfangreichen Rechte bei der Gesetzgebung entzog37. Der neue Senat sollte nur in Abhängigkeit von der Bürgerschaft regieren. Diese sollte die Senatoren wählen und auch jederzeit durch Vertrauensentzug wieder entlassen können38. Andererseits sah der Entwurf vor, daß, quasi als Korrektiv, die Senatoren wie bisher auf unbestimmte Zeit gewählt werden sollten, um ihnen eine gewisse Unabhängigkeit zu sichern 39. Die „Ewigkeit" des Senats wurde damit begründet, daß der Senat auch in Zukunft nicht nur Landesregierung sei, sondern ebenso oberste Verwaltungsbehörde und Kommunalbehörde 40. Der Senatsentwurf hielt im Gegensatz zu der früheren Verfassung eine Inkompatibilität von Senatorenamt und Bürgerschaftsmandat für nicht notwendig. In dem Entwurf wurde auf die zunehmende Bedeutung des Ressortprinzips für die hamburgische Verwaltung hingewiesen: „ I n Dingen reiner Verwaltung wird künftig wie in allen übrigen Ländern die Selbständigkeit der Fachbehörden der leitende Grundsatz sein . . . " 4 1 .

Gleichzeitig hielt der Senatsentwurf an dem strikten Kollegialprinzip im Senat und an der Gleichstellung aller Senatsmitglieder fest 42. c) Die Stellung des Präsidenten des Senats im Verfassungsentwurf des Senats Der Senatsentwurf wies dem Präsidenten des Senats als einzigem Senatsmitglied einen eigenen, besonderen, verfassungsrechtlich abgesicherten Aufgabenkreis zu. Im Unterschied zu der früheren Verfassung wurde das Nebeneinander von „erstem" und „zweitem" Bürgermeister zugunsten einer wesentlichen Heraushebung des Ersten Bürgermeisters entschieden43. Der Entwurf sprach auch nicht mehr vom „Ersten Bürgermeister", wie die frühere Verfassung, sondern vom „Präsidenten des Senats". Nicht allein der Wortlaut von Art. 40 Abs. 2 des Senatsentwurfs geben Aufschluß über die herausgehobene Stellung des Präsidenten des Senats, sondern mehr noch die Begründung zum Senatsentwurf.

37 38 39 40 41 42 43

Verfassungsentwurf Verfassungsentwurf Verfassungsentwurf Verfassungsentwurf Verfassungsentwurf Verfassungsentwurf Verfassungsentwurf

des des des des des des des

Senats, Senats, Senats, Senats, Senats, Senats, Senats,

S. S. S. S. S. S. S.

6. 6/7. 9. 8. 14. 12/13. 13.

94

D. Die historische Entwicklung

Die Autoren des Senatsentwurfs rückten dabei den Präsidenten des Senats sogar in die Nähe eines Staatspräsidenten44. Der Senatsentwurf sprach ausdrücklich davon, daß der Präsident des Senats „in gewissem Sinne den Staatspräsidenten ersetzt" 45 . Im Gegensatz zum Reichspräsidenten sollte der Präsident des Senats jedoch nicht außerhalb der politischen Regierung stehen, sondern er sollte die zentrale Person in der hamburgischen Landesregierung werden. Er habe sich deshalb „der Staatsleitung im höchsten Sinne" zu widmen 46 . Insofern sollte der Präsident des Senats eher die Aufgaben eines Regierungschefs erhalten, ähnlich dem Reichskanzler. Im Zusammenhang mit den Aufgaben des Präsidenten des Senats wird im Senatsentwurf von „politischer Regierung", „wichtigen Staatsaufgaben", „Staatsleitung im höchsten Sinne", „Staatsamt" und den „allgemeinen Aufgaben der Staatsleitung" gesprochen 47. Darüber hinaus betonte der Senatsentwurf, daß der Präsident des Senats sich in der Regel nicht, oder nur in geringem Umfang, an den eigentlichen Verwaltungsgeschäften des Senats zu beteiligen habe48. Der Senatsentwurf hob damit die Aufgaben des Senatspräsidenten aus der Ebene der „üblichen" Senatsgeschäfte im Bereich der Verwaltung heraus und ordnete dessen Aufgaben der politischen Ebene des Regierens zu. Das Grundprinzip, daß der Senat über seine Geschäfts Verteilung autonom zu entscheiden habe, wurde durch den Entwurf des Senats hinsichtlich der Aufgaben des Präsidenten durchbrochen. Durch Art. 40 Abs. 2 des Senatsentwurfs wurde die Entscheidung, welche Aufgaben der Präsident des Senats zu erfüllen hat, der Disposition des Senat entzogen. Gleichzeitig sollten dadurch künftige Senate gebunden werden. Im Unterschied zu den anderen Senatoren, die gleichzeitig Regierungsmitglieder und Leiter der ihnen zugewiesenen Fachbehörde sein sollten, wurde dem Präsidenten des Senats ausschließlich die Aufgabe der Senatsleitung zugewiesen49.

44 45 46 47 48 49

Verfassungsentwurf Verfassungsentwurf Verfassungsentwurf Verfassungsentwurf Verfassungsentwurf Verfassungsentwurf

des des des des des des

Senats, Senats, Senats, Senats, Senats, Senats,

S. S. S. S. S. S.

13. 13. 13. 11/12. 11. 10/11.

II. Die Verfassung von 1921

95

Der Präsident des Senats war nach diesem Entwurf das einzige Senatsmitglied, das keine Fachbehörde zu leiten hat und in dessen Zuständigkeit ausschließlich „Regierungsaufgaben" fallen sollten 50 . Trotz dieser Heraushebung des Präsidenten des Senats wurde im Senatsentwurf davon abgesehen, den Präsidenten des Senats direkt durch die Bürgerschaft wählen zu lassen und ihm damit eine besondere legitimatorische Grundlage - auch gegenüber den Senatoren - zu geben. Hinsichtlich seiner parlamentarischen Legitimation blieb der Präsident des Senats, ebenso wie die früheren „ersten Bürgermeister", ein „Geschöpf" des Senats, das durch die Senatoren gewählt werden muß. Begründet wurde die Beibehaltung des alten Wahlmodus ' des Präsidenten des Senats mit Zweckmäßigkeitserwägungen: „Die Wahl des Präsidenten war zweckmäßig wie bisher dem Senate selbst zu überlassen, der unter seinen Mitgliedern am besten die geeignetste Persönlichkeit feststellen kann." 5 1

Beachtung verdient jedoch, daß der Senatsentwurf für den Präsidenten des Senats eine dreijährige Amtsperiode vorsah, um ihm so, im Gegensatz zur früheren Verfassungslage, die Möglichkeit zu geben, längerfristig und relativ unabhängig, ohne dem Druck der jährlichen Wiederwahl ausgesetzt sein zu müssen, während dieser Zeit die Staatsgeschäfte zu leiten 52 . Außerdem erlaubte der Senatsentwurf eine unbegrenzte Wiederwählbarkeit des Präsidenten des Senats53. Auch dies bedeutete einen erheblichen Unterschied zur Verfassung von 1879. Interesse verdient vor allem auch die Begründung für die Heraushebung der Position des Präsidenten des Senats, die im Senatsentwurf gegeben wird: „Es entspricht der allgemeinen Überzeugung, daß unter den heutigen Verhältnissen an der Spitze des Senats ein Mann erforderlich ist, der sich ausschließlich der Staatsleitung im höchsten Sinne widmen kann, dessen Aufgabe es ist, unausgesetzt den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Erscheinungen nachzugehen, persönlich sich mit allen wichtigen Staatsaufgaben fortlaufend in Fühlung zu erhalten, und der auch außerhalb des Senats in Hamburg und im Reich persönlich und aktiv in die Erscheinung tritt und insofern in gewissem Sinne den Staatspräsidenten ersetzt. " 5 4

Die Formulierung „es entspricht der allgemeinen Überzeugung" wirft die Frage auf, um wessen allgemeine Überzeugung es sich dabei gehandelt hat. Die vorliegenden Dokumente geben darüber keine Auskunft.

50 51 52 53 54

Verfassungsentwurf des Senats, S. 11, 13. Verfassungsentwurf des Senats, S. 13. Verfassungsentwurf des Senats, S. 13. Vgl. den Unterschied zur zweijährigen Amtszeit in Art. 17 Abs. 2 der Verfassung von 1879. Verfassungsentwurf des Senats, S. 13.

96

D. Die historische Entwicklung

Bemerkenswert ist aber, daß nach dem Ersten Weltkrieg die deutsche Staatsrechtslehre der Meinung zuneigte, daß die Regierung einer parlamentarischen Republik eines „Führers" bzw. eines „politischen Leiters" bedürfe, egal wie man diese Person auch nenne55. Diese Idee war ursächlich für die starke Stellung des Reichspräsidenten unter der Weimarer Verfassung 56 und sie scheint wohl auch den Senatsenwurf der Hamburger Verfassung zumindest mitgeprägt haben. Der Senatsentwurf enthält damit einen zusätzlichen Hinweis darauf, daß seine Verfasser beabsichtigten, den Präsidenten des Senats zum Regierungschef zu machen und zum politischen Leiter, der den Blick für das „Ganze" frei behält 57 . Wenn diese Intention an anderen Stellen im Verfassungsentwurf des Senats manchmal verstellt wird, so kann dies mit der dem Senatsentwurf zugrundeliegenden Prämisse erklärt werden, nämlich möglichst viel historisch Gewachsenes und möglichst viele Hamburgensien zu übernehmen (Wahl der Senatoren, striktes Kollegialprinzip) 58 . d) Die Beratungen im Verfassungsausschuß der Bürgerschaft Am 20.3.1920, in der zwölften Sitzung, begann der Verfassungsausschuß, den Abschnitt über den Senat zu erörtern. Am Anfang der Beratungen stand die Frage, ob in der Verfassung geregelt werden sollte, wieviel Mitglieder der Senat zu zählen habe. In diesem Zusammenhang wurde das grundsätzliche Problem diskutiert, welchen Charakter der Senat haben solle: Ob dieser zukünftig ausschließlich Landesregierung sei oder ob, wie bisher, der Senat zugleich auch oberste Verwaltungsbehörde bleiben soll 59 . Für den ersteren Fall hätte ein kleines Regierungskollegium ausgereicht. Für den letzteren Fall wurde jedoch ein größeres Gremium als erforderlich angesehen60. Die Mehrheit im Ausschuß hielt schließlich an der historisch gewachsenen Doppelfunktion des Senats als Landesregierung und oberste Verwaltungsbehörde fest, mit dem Hinweis, daß eine exakte Trennung von Regierungsauf-

55

Weber, Parlament und Regierung; Preuß, Staatspolitik und Parteiprobleme in der Vorkriegszeit. Gall, in: FAZ vom 30.7.1988: „Doppelter Thronwechsel und Sprung in die Moderne"; Büttner, S. 71. 57 Verfassungsentwurf des Senats, S. 10, 11, 13. 58 Verfassungsentwurf des Senats, S. 1. 59 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 12. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 20.3.1920, S. 2 ff. 60 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 12. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 20.3.1920, S. 2, Redebeitrag von Senator Dr. v.Melle. 56

II. Die Verfassung von 1921

97

gaben und Verwaltungsaufgaben im Stadtstaat Hamburg nicht vorgenommen werden könne 61 . Über die Anzahl der dazu notwendigen Senatoren konnte man sich jedoch trotzdem im Ausschuß nicht einigen. Die genaue Anzahl der Senatoren wurde deshalb einem späteren Senatsgesetz vorbehalten 62. Von entscheidender Bedeutung für den zukünftigen Charakter des Senats und deshalb auch stark umstritten war das Wahlverfahren der Senatsmitglieder: Der Abgeordenete Hirsch von der Hamburgischen Wirtschaftlichen Fraktion (HWF) schlug eine Wahl nach den Grundsätzen des Verhältnis Wahlrechts vor, wonach jede Fraktion ihre Vertreter in den Senat hätte entsenden können63. Der Abgeordnete Dr. Pardo (SPD) plädierte wiederum für ein maximales Mitspracherecht der Bürgerschaftsmehrheit bei der Ressortverteilung im Senat. Die Bürgerschaft sollte deshalb bei der Wahl der Senatoren bestimmen, welches Amt der jeweilige Senator auszuüben hat. Beide Anträge wurden von der Mehrheit im Ausschuß abgelehnt mit der Begründung, daß der Senat „nach der Revolution" ein politisches Gremium geworden sei, für das die Verhältniswahl ungeeignet wäre. Andererseits müsse der Senat für seine Geschäftsverteilung allein zuständig bleiben, da sonst die Bürgerschaft für die Geschäftsverteilung die Verantwortung übernehmen würde, was der Gewaltentrennung zuwiderliefe 64 . Der Ausschuß entschied sich deshalb für die Senats vorläge, wonach die Senatoren mit der Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder der Bürgerschaft gewählt werden sollen aber die Geschäftsverteilung senatsintern erfolgen solle 65 . Nachdem diese Grundfragen bezüglich des Charakters des Senats geklärt waren, wurden im Verfassungsausschuß, erstmals in dessen 13. Sitzung, am 27.3.1920 die Wahl und die Aufgaben des Präsidenten des Senats beraten. Übereinstimmung bestand im Ausschuß, daß der Präsident des Senats bzw. der Erste Bürgermeister (die genaue Bezeichnung galt dabei als untergeordnete Frage 66) eine aus dem Senat herausgehobene Stellung einnehmen sollte 67 .

61

Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 12. Sitzungdes Verfassungsausschusses vom20.3.1920, S. 3. Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 12. Sitzungdes Verfassungsausschusses vom20.3.1920, S. 3. 63 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 12. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 20.3.1920, S. 6, Redebeitrag Hirsch. 64 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 12. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 20.3.1920, S.6/7. 65 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 12. Sitzungdes Verfassungsausschusses vom20.3.1920, S. 7. 66 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 13. Sitzung des Verfassungsausschusses vom27.3.1920, S. 8. 67 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 13. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 27.3.1920, S.8/10. 62

7 Wieske

98

D. Die historische Entwicklung

Unbestritten blieb die von Dr. Nöldeke (DDP) gebrauchte Charakterisierung des Amtes des Präsidenten des Senats als Ministerpräsidentenamt, als dieser, bezogen auf das Amt des Präsidenten des Senats, sagte: „Wir wollen neben dem Ministerpräsidenten keinen Staatspräsidenten haben." 68 Deshalb wurde Art. 40 Abs. 2 des Senatsentwurfs, der die Führungsaufgaben des Präsidenten des Senats bezeichnete, vom Ausschuß inhaltlich unverändert aber sprachlich leicht verändert übernommen. Im Senatsentwurf für Art. 40 Abs. 2 hatte es geheißen: „Die Aufgaben des Präsidenten des Senats bestehen neben der Leitung der Staatsgeschäfte in der Überwachung des inneren und äußeren Gedeihens des Staatswesens, in dem persönlichen Eintreten für wichtige Staatsinteressen und in der Förderung grundlegender Arbeiten auf dem Gebiet der Gesetzgebung und der Verwaltung."

Die sprachliche Neufassung des Verfassungsausschuß zu Art. 41 Abs. 2 lautete demgegenüber: „Der Präsident des Senats hat die Aufgabe, die Senatsgeschäfte zu leiten, das innere und äußere Gedeihen des Staatswesens zu überwachen, für wichtige Staatsangelegenheiten persönlich einzutreten und grundlegende Arbeiten auf dem Gebiet der Gesetzgebung und der Verwaltung zu fördern." 6 9

Umstritten waren dann im Ausschuß zum einen die Frage, ob der Präsident des Senats unmittelbar von der Bürgerschaft gewählt werden sollte 70 , sowie zum anderen der Antrag von Dr. Mittelstein (DVP), daß der Senat seinen Präsidenten für die gesamte Dauer der Wahlperiode der Bürgerschaft wählen sollte, um so dessen Position zu stärken 71. Einer Wahl des Präsidenten des Senats durch die Bürgerschaft widersprach der Senats Vertreter, Senator Dr. v.Melle, mit dem traditionalistischen Argument, daß „der Senat ... am besten beurteilen" könne, „welches seiner Mitglieder am besten für diesen Posten geeignet" sei. Daher sei es „richtig, die Wahl durch den Senat vornehmen zu lassen" 72 . Der Abgeordnete Dr. Mittelstein (DVP) lehnte gleichermaßen die direkte Wahl des Präsidenten des Senats durch die Bürgerschaft ab mit der Begründung: „Wenn das Parlament in die Lage kommt, den Präsidenten des Senats zu wählen, wird diejenige Fraktion, die die stärkste ist, den Herren aus ihrer Mitte zu stellen haben. Das ist nicht richtig. Der Präsident des Senats soll gerade nicht Parteivertreter sein. Daher bin ich der

68

Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 13. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 27.3.1920, S. 9. Vgl. den Senatsentwurf mit den Beschlüssen des Verfassungsausschusses. 70 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 13. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 27.3.1920, S. 8, Antrag von Paeplow (SPD). 71 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 13. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 27.3.1920, S. 8, Antrag von Dr. Mittelstein (DVP). 72 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 13. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 27.3.1920, S. 9, Redebeitrag des Senators Dr. v.Melle. 69

II. Die Verfassung von 1921

99

Meinung, die Wahl des Präsidenten dem Senat selbst zu überlassen, das wird seine Stellung selbständiger machen. " 7 3

In ähnlicher Weise hatte sich bereits der Abgeordnete Dr. Dücker (DVP) in der zwölften Sitzung des Verfassungsausschusses geäußert: „Der Senat soll nicht Spiegelbild der politischen Parteien sein, ... Der Senat soll nach Tüchtigkeit und nicht nach politischen Gesichtspunkten gewählt werden. Der richtige Mann soll an die richtige Stelle gestellt werden." 7 4

Dieser Meinung Schloß sich im Ergebnis auch der Präsident der Bürgerschaft Grosse (SPD) an, der betonte, daß es dem Senat selbst vorbehalten bleiben müsse, seinen Präsidenten zu wählen 75 . Daraufhin ließ der Abgeordnete Paeplow (SPD) seine Überlegungen zur direkten Wahl des Präsidenten des Senats durch die Bürgerschaft fallen und stellte keinen diesbezüglichen Antrag. Dagegen wurde der Antrag von Dr. Mittelstein (DVP) von der Mehrheit im Ausschuß in der 13. Sitzung angenommen: „Der Senat wählt aus seiner Mitte in geheimer Abstimmung einen Bürgermeister und einen stellvertretenden Bürgermeister auf die Dauer der Wahlperiode der Bürgerschaft." 76

Dr. Mittelstein hatte seinen Antrag damit begründet, daß der Präsident des Senats eine besondere und herausragende Stellung einnehmen müßte, und „daher sollte er auch der Bürgerschaft gegenüber aus den anderen Senatsmitgliedern herausgehoben werden". Es sei daher zweckmäßig, den Präsidenten des Senats auf die Dauer einer Legislaturperiode der Bürgerschaft zu wählen 77 . Diese Argumentation fand Unterstützung bei dem Schriftführer des Verfassungsausschusses, dem Abgeordeneten Dr. Matthaei (DDP) und dem Senatssyndikus Dr. Struve. Die Verknüpfung der hervorgehobenen Stellung des Präsidenten des Senats und der Dauer seiner Amtsperiode hob besonders Senatssyndikus Dr. Struve hervor: „Es ist aus Gründen geschäftlicher Art wünschenswert, daß der Bürgermeister länger als ein Jahr in seinem Amt bleibt. Der Senatspräsident soll künftig auch nicht nur formeller Verhandlungsleiter im Senat sein, sondern den Stempel seines Geistes dem ganzen Staatswesen aufprägen." 7 8

Dieser Begründung widersprach jedoch der Abgeordnete Ross (SPD), der darauf entgegnete:

73 74 75 76

Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 13. Sitzungdes Verfassungsausschusses vom27.3.1920, S. 9. Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 12. Sitzungdes Verfassungsausschusses vom20.3.1920, S. 6. Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 13. Sitzungdes Verfassungsausschusses vom27.3.1920, S. 9. Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 13. SitzungdesVerfassungsausschussesvom27.3.1920, S. 8,

10. 77 78

Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 13. Sitzungdes Verfassungsausschusses vom27.3.1920, S. 8. Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 13. Sitzungdes Verfassungsausschusses vom27.3.1920, S. 9.

100

D. Die historische Entwicklung

„Es soll nicht der Stempel eines Mannes dem Staatswesen aufgeprägt werden, sondern der Senat soll als kollegiale Behörde in jedem einzelnen Mitgliede die Verantwortung für das Wohl des Staates haben." 7 9

Außerdem wies Ross darauf hin, daß durch eine solche Regelung zum einen die Freiheit der Senatoren erheblich eingeschränkt würde und zum anderen, daß der Senat für Veränderungen in der Besetzung seiner Ämter offen bleiben müsse. Trotz dieser Bedenken fand der Antrag von Dr. Mittelstein in der 13. Sitzung eine Mehrheit im Verfassungsausschuß 80. In der 17. Sitzung, am 12.6.1920, behandelte der Verfassungsausschuß das Senatsgesetz (§§4 ff.). In diesem Zusammenhang erörterte er erneut die den Senat betreffenden Verfassungsartikel (Artt. 32 ff.). Dieser Beratung lag ein Antrag der SPD zugrunde, der das Ziel hatte, Art. 41 Abs. 1 des Verfassungsentwurfs wiederum zu ändern und den Präsidenten des Senats statt für die Dauer einer Legislaturperiode der Bürgerschaft nur für die Dauer eines Kalenderjahres wählen zu lassen81. Vor allem Senatsyndikus Dr. Struve äußerte hiergegen Bedenken, weil dadurch die herausgehobene Stellung des Präsidenten des Senats untergraben würde: „Die Einführung einer längeren als einjährigen Wahlperiode ist erforderlich, weil der Präsident des Senats, im Gegensatz zu früher, die ganzen Staatsgeschäfte führen soll. Vielfach erstreckt sich die Führung großer staatlicher Angelegenheiten über längere Z e i t . " 8 2

Dieser Ansicht widersprach jedoch ein anderer Senatsvertreter, Senator Hense, der der SPD angehörte und der damit von dem Text des Senatsentwurfs - Wahl des Präsidenten für drei Jahre - abrückte. Senator Hense wies auf den Machtverlust für den Senat hin und auf die Stärkung seines Präsidenten, denn: „... wenn die Bürgermeister auf drei Jahre gewählt werden, wird für diese Zeit dem Senat das Recht entzogen, sich die Bürgermeister zu wählen" 83 . Der Antrag des Abgeordneten Lampi (SPD), die Wahlperiode des Präsidenten des Senats auf ein Kalenderjahr zu begrenzen, fand schließlich die Mehrheit im Verfassungsausschuß.

79

Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 13. Sitzung desVerfassungsausschussesvom27.3.1920, S. 10. Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 13. Sitzung desVerfassungsausschussesvom27.3.1920, S. 10. 81 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 17. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 12.6.1920, S. 6, Antrag Lampi. 82 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 17. Sitzungdes Verfassungsausschusses vom 12.6.1920, S. 6, Redebeitrag Senatsyndikus Dr. Struve. 83 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 17. Sitzungdes Verfassungsausschusses vom 12.6.1920, S. 6, Redebeitrag Senator Hense. 80

II. Die Verfassung von 1921

101

Hierbei muß man wissen, daß 1919 erstmals ein SPD-Mitglied in den Senat gewählt worden war. Traditionsgemäß waren jedoch bis 1928 nur die bürgerlichen Senatoren für das Amt des Präsidenten des Senats gewählt worden, obgleich seit 1924 die SPD die meisten Senatoren stellte. Der Senator Stolten (SPD) erklärte diese Situation wie folgt: „Durch die jährliche Wahl des Präsidenten konnten die SPD Senatoren ihren Einfluß vergrößern, auch wenn sie noch nicht das Amt des Präsidenten des Senats besetzen konnten." 8 4

Abgesehen von der nunmehr jährlichen Wahl des Präsidenten des Senats und einigen sprachlichen Veränderungen in Absatz 2 entsprachen die Beschlüsse des Verfassungsausschusses zu Art. 41 dem Senatsentwurf (dort Art. 40) 85 . In dem Abschlußbericht des Verfassungsausschusses vom August 1920 stellte dieser zusammenfassend fest, daß die Stellung des Präsidenten des Senats gegenüber den anderen Senatsmitgliedern herausgehoben sein sollte, allerdings nur im Rahmen des Abs. 2 von Art. 41. Der Ausschuß bekräftigte das Prinzip, daß der Senat am besten beurteilen könne, wer sein Präsident werden solle. Deshab sollte diese Wahl weiterhin dem Senat obliegen, denn: „wenn die Bürgerschaft den Präsidenten des Senats zu wählen hätte, würde die Wahl nach politischen Gesichtspunkten erfolgen, das könnte dazu führen, daß der Präsident des Senats ein Parteivertreter wäre, während bei seiner Wahl lediglich die Geeignetheit für diese Stellung im Staate ausschlaggebend sein s o l l . " 8 6

Bedenken gegen die nur einjährige Wahlperiode des Präsidenten des Senats wurden in dem Ausschußbericht mit dem Hinweis zerstreut, daß eine mehrfache Wiederwahl nun zulässig sei, so daß eine längere Amtsperiode des Präsidenten möglich werde, ohne daß jedoch die Freiheit des Senats „erheblich beschränkt" würde 87 . Trotz der Sympathien, die im Verfassungsausschuß für die Idee einer entschiedenen verfassungsrechtlichen Stärkung des Ersten Bürgermeisters bestanden, bis hin zur Einführung des Ministerpräsidentensystems, vor allem bei einigen Vertretern der bürgerlich liberalen Partei, entschied sich die Ausschußmehrheit doch für das historisch gewachsene und besser parteipolitisch beeinflußbare Kollegialsystem. In den nachfolgenden Sitzungen des Verfassungsausschusses zur Erarbeitung eines Senatsgesetzes - 21. und 22. Sitzung, am 30.10. und 6.11.1920 - kam es zu keiner erneuten Diskussion über die Stellung des Präsidenten des Senats.

84

Witt, S. 27. Vgl. TextdesVerfassungsentwurfsdes Senats, S.32, §40mitArt. 41 der Verfassung von 1921. 86 Bericht des von der Bürgerschaft am 28.3.1919 niedergesetzten Ausschusses zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung, August 1920, V. 33. 87 Bericht des von der Bürgerschaft am 28.3.1919 niedergesetzten Ausschusses zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung, August 1920, V. 33/34. 85

102

D. Die historische Entwicklung

Erwähnenswert erscheint in diesem Zusammenhang noch die Diskussion über die Frage, ob der Senat mehr Landesregierung sein solle oder mehr städtische Verwaltung. Ein Teil der Ausschußmitglieder war bestrebt, den Senat zu verkleinern, um ihn so zu einem politischen Ministerium zu machen88. Die Ausschußmehrheit neigte jedoch dazu, den kommunalen Charakter des Senats zu betonen89. Für die Mehrheit sprechend, sagte der Abgeordnete Schult (SPD): „... wir haben hier in erster Linie nicht ein Land, sondern eine große Kommune zu verwalten" 90 . Die Ausschußmehrheit entschied sich deshalb für einen „großen Senat", bestehend aus 16 Senatoren, der zugleich Landesregierung, Kommunalverwaltung und oberste Verwaltungsbehörde ist 91 . e) Die Diskussion im Plenum der Bürgerschaft Die Diskussion über die Stellung und Organisation des Senats setzte sich im Plenum der Bürgerschaft fort bei der Beratung der Verfassung und des Senatsgesetzes. Die Redebeiträge in den Plenardebatten betrafen nicht unmittelbar das Amt des Präsidenten des Senats. Der Art. 41 der Verfassung wurde vielmehr in der 54. Sitzung, am 12.11.1920, ohne Wortmeldungen und Anträge, wie vom Verfassungsausschuß vorgeschlagen, angenommen92. In der Plenardebatte über die Stellung des Senats und die Anzahl der Senatoren sagte lediglich der SPD-Politiker Grosse bezüglich der Stellung des Präsidenten des Senats, dieser solle nach der Verfassungsvorlage aus dem Senat „herausgehoben werden als Chef des gesamten Senats"93.

88 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 21. Sitzung des 30.10.1920, S. 1,4, Redebeiträge durch Dr. Brinckmann (DDP). 89 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 21. Sitzung des 30.10.1920, S. 3/6, Redebeiträge von Schönfelder (SPD), Leuteritz 90 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 21. Sitzung des 30.10.1920, S. 6. 91 Niederschrift (maschinenschriftlich) zur 21. Sitzung des 30.10.1920, S. 8. 92 Plenarprotokolle der Bürgerschaft, 1920, S. 1584 (erste 22.12.1920, S. 1821. 93 44. Sitzung der Bürgerschaft am 6.10.1920, Plenarprotokolle

Verfassungsausschusses

vom

Verfassungsausschusses (SPD), Hirsch (HWF). Verfassungsausschusses

vom vom

Verfassungsausschusses

vom

Lesung); zweite Lesung am 1920, S. 1312.

II. Die Verfassung von 1921

103

In den späteren Debattenbeiträgen über den Senat ging es vielmehr um die Frage, ob der Senat überwiegend Spitze der Kommunalverwaltung sein solle oder politische Landesregierung 94. Diese Frage betraf jedoch mittelbar auch die zukünftige Stellung des Amtes des Präsidenten des Senats. Denn wenn der Senat in erster Linie die Regierung des Landes Hamburg sei, so werde damit in stärkerem Maße die Frage aufgeworfen, ob diese Regierung einer Person bedürfe, die die Einheitlichkeit der Regierung garantiere und die dem Staatswesen ihren Stempel aufdrückt, wie in den anderen deutschen Ländern, weit eher als im Falle, daß der Senat eine bloße Kommunal Verwaltung sei 95 . Wenn der Senat jedoch vorwiegend als oberste Kommunalbehörde angesehen werde, vergleichbar einem Stadtrat, so sei es die primäre Aufgabe des Ersten Bürgermeisters, zwischen den Verwaltungszweigen die Koordination und Abstimmung sicherzustellen, nicht aber so sehr auf die politische Gestaltung einzuwirken. Das Ergebnis dieser Debatte mündete letztlich in einen Kompromiß: Der Senat wurde zwar in seinem Charakter als Landesregierung akzeptiert. Die Bürgerschaft lehnte jedoch mit Mehrheit einen Antrag der DDP auf Einführung eines Art. 36 a ab, der da lauten sollte: „Der Senat bestimmt die Richtlinien der Politik ... " 9 6 Ziel dieses Antrages war, eine klare Zuordnung der politischen Verantwortlichkeit des Senats zu treffen. Der Abgeordnete Dr. Brinckmann formulierte im Plenum der Bürgerschaft: „Was wir verlangen ist, daß der Senat Farbe bekennt und die Ideen, die in der Bürgerschaft leben, in einem einheitlichen Programm klarlegt." 97 Die Bürgerschaftsmehrheit wollte jedoch den Primat der Bürgerschaft gegenüber dem Senat sicherstellen. Der Abgeordnete Lampi (SPD) faßte diese Meinung mit den Worten zusammen: „Nicht der Senat bestimmt die Richtlinien der Politik, sondern das Volk und für dieses als Vertreterin die Bürgerschaft." 98 Während die DDP die Meinung vertrat, daß in Zukunft die politischen Fragen eher zunehmen würden (Schulwesen, Polizeibehörde, Wohlfahrtspfle-

94

53. Sitzung der Bürgerschaft am 2.2.1921, Plenarprotokolle, S. 1570/1571, Redebeiträge von Lampi (SPD) - Betonung des kommunalen Charakters des Senats- und von Dr. Brinckmann (DDP), der den politischen Charakter des Senats hervorhebt. 95 So der Ansatz des Senatssyndikus Dr. Struve in der 13. Sitzung des Verfassungsausschusses, siehe Protokoll S. 9/10. 96 53. Sitzung der Bürgerschaft am 2.2.1921, Plenarprotokolle, S. 1566, Antrag Blinckmann und Gen. 97 53. Sitzung der Bürgerschaft am 2.2.1921, Plenarprotokolle, S. 1571. 98 53. Sitzung der Bürgerschaft am 2.2.1921, Plenarprotokolle, S. 1570.

104

D. Die historische Entwicklung

ge und Einfluß auf die Reichspolitik), meinte die Mehrheit in der Bürgerschaft, daß zukünftig das Schwergewicht der Senatstätigkeit im Bereich der Verwaltung liegen würde". Die Hamburger Verfassung von 1921 kann bezüglich der Stellung des Senats und der Position seines Präsidenten als ein Kompromiß zwischen der gewünschten Einführung des parlamentarischen Regierungssystems mit verantwortlicher Regierung und dem Festhalten an den traditionellen Elementen des alten hamburgischen Verfassungsrechts angesehen werden. Dieser Kompromißcharakter wurde noch dadurch verstärkt, daß die Mehrheit in der Bürgerschaft bemüht war, einen möglichst großen Einfluß der Fraktionen und der Parteien auch auf die personelle Zusammensetzung des Senats zu sichern. 3. Die Stellung des Präsidenten des Senats in der Kommentierung zur Verfassung von 1921 und die Verfassungswirklichkeit a) Die Kommentierung von Art. 41 und die gesetzliche Ausgestaltung des Amtes des Präsidenten des Senats Die Stellung des Präsidenten des Senats gemäß den Beratungen und der Verabschiedung der Verfassung durch die Bürgerschaft war in Art. 41 der Verfassung vom 7.1.1921 fixiert. Abgesehen von dieser Bestimmung, hatte der Präsident des Senats die gleichen Rechte wie jeder Senator. Der Senat war Kollegialorgan und vereinigte als solches gleichzeitig die Funktionen des Staatsoberhauptes, der Landesregierung und des Magistrats. Der Präsident des Senats war lediglich „primus inter pares" dieses Gremiums. Nur durch den 2. Absatz des Art. 41 der Verfassung von 1921 wurde die Stellung des Präsidenten des Senats „umschrieben und hervorgehoben" aus der Zahl der übrigen Senatoren: „Der Präsident hat die Aufgabe, die Senatsgeschäfte zu leiten, das innere und äußere Gedeihen des Staatswesens zu überwachen, für wichtige Staatsangelegenheiten persönlich einzutreten und grundlegende Arbeiten auf dem Gebiete der Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern." 1 0 0

Dr. Max Mittelstein zitiert in seiner Kommentierung zu Art. 41 HV die Senatsbegründung: „Zwar ist er [d.h. der Präsident des Senats, d.Verf.] kein Staatspräsident, aber ihm ist die Staatsleitung im höchsten Sinne übertragen." 101

99 So bereits der Abgeordnete Grosse (SPD) in der 44. Sitzung der Bürgerschaft am 6.10.1920, Plenarprotokolle, S. 1301. 100 Mittelstein, Art. 41 Anm. 2.

II. Die Verfasssung von 1921

105

Diese Aufgaben des Präsidenten des Senats wurden durch § 2 des Gesetzes über den Aufbau der Verwaltung vom 19.11.1926, (GVB1. S. 751; 1927 S. 448; 1929 S. 301) konkretisiert, der bestimmte: „Der erste Bürgermeister, in seiner Stellvertretung der zweite Bürgermeister, hat als Präsident des Senats die Aufgabe, die Senatsgeschäfte zu leiten, das innere und äußere Gedeihen des Staatswesens zu überwachen, für wichtige Staatsangelegenheiten persönlich einzutreten und grundlegende Arbeiten auf dem Gebiete der Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern. Die Präsides der Behörden haben den Präsidenten des Senats bei dieser Aufgabe zu unterstützen, ihm über wichtige Vorkommnisse innerhalb der Behörden Mitteilung zu machen und eine nach § 1 Abs. 2 erforderliche Senatsentscheidung zu beantragen."

Die Präsides der Behörden waren hiernach nur zur Unterstützung des Präsidenten des Senats bei der Staatsleitung berechtigt und verpflichtet. Eigene Teilhaberechte an der Staatsleitung räumte diese Bestimmung den Senatoren nur im begrenzten Umfang von § 1 Abs. 2 des „Gesetzes über den Aufbau der Verwaltung" ein, der da lautet: „Er [d.h. der Senat, d.Verf.] beschließt über Angelegenheiten, welche für die gesamte Staatsverwaltung von Bedeutung sind, und entscheidet Meinungsverschiedenheiten über Fragen, welche den Geschäftsbereich mehrerer Behörden berühren."

Der Wortlaut dieser Bestimmung gibt den Senatoren nur bei Angelegenheiten der Verwaltung ein Entscheidungsrecht, während die Staatsleitung als Domäne dem Präsidenten des Senats vorbehalten zu sein scheint. Zur Ausübung seiner Befugnisse war der Präsident des Senats gleichzeitig Vorsitzender der Geschäfts Verteilungskommission im Senat. Außerdem war er befugt, einzelnen Senatoren spezielle Amtsgeschäfte zu übertragen (§ 6 des Senatsgesetzes vom 18.2.1921 in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.11.1925; GVB1. S. 533; 1927 S. 447; 1928 S. 151) 102 . Der Stärkung des Ersten Bürgermeisters diente zudem die Möglichkeit, daß er unbegrenzt wiedergewählt werden konnte. Ihm wurde dadurch die Chance gegeben, auch mittel- und langfristig „seine" Politik in Hamburg zu gestalten103. Die Kommentierung zu Art. 41 der HV von 1921 wies daraufhin, daß der Präsident des Senats in dringenden Fällen zwar namens des Senats Entscheidungen treffen könne, jedoch vorbehaltlich der endgültigen Zustimmung durch den Senat104. Angesichts der nicht zu überschätzenden Bedeutung der Staatsräte verdient auch § 22 des Senatsgesetzes Beachtung, dessen Wortlaut bestimmte: „Die dem Senate beigegebenen Staatsräte und Senatsräte, deren Zahl im Staatshaushalt bestimmt wird, sind nicht-richterliche Beamte und unterliegen mangels anderer gesetzlicher Bestimmung

101 102 103 104

Mittelstein, Art. 41 Anm. 2. Wulff; Art. 41, Fn. 2. Wulff, Art. 41, Fn. 3. Wulff; Art. 41, Fn. 3.

106

D. Die historische Entwicklung

den für diese geltenden Vorschriften. Ihr Vorgesetzter ist der Präsident des Senats, gegen dessen Anordnungen es ihnen freisteht, die Entscheidung des Senats anzurufen. ..."

Der Präsident des Senats hatte damit direkten Zugang zu allen Staatsräten und war Vorgesetzter des „brain-trusts" der hamburgischen Verwaltung. Dadurch konnte er Informationen aus allen Bereichen der Verwaltung erhalten und hatte gegenüber seinen Senatskollegen einen nicht zu überschätzenden Wissensvorsprung. Wulff betonte deshalb in seiner Kommentierung der Hamburger Gesetze und Verordnungen, daß der Präsident des Senats eine Stellung erhalten habe, die faktisch der Stellung eines Staatspräsidenten ähnlich sei, und daß sich in diesem Punkt die Verfassung von 1921 ganz wesentlich von der früheren Verfassung unterscheide 105. Auf Unterschiede ganz anderer Art zur früheren Verfassung wies Fritz Morstein hin. Er kritisierte die nunmehr bestehende parlamentarische Abhängigkeit des Senats von der Bürgerschaft. Morstein kam zu dem Ergebnis, daß der Senat nunmehr „nichts weiter als ein in engster Abhängigkeit lebender Ausschuß der Bürgerschaft" sei 106 . b) Die politische Praxis In der politischen Praxis wurde der hamburgische Senat während der Zeit der Weimarer Republik vornehmlich von einer Koalition aus SPD und DDP bzw. Staatspartei getragen 107. Diese Koalition beruhte auf einem historisch gewachsenen Bündnis zwischen der Arbeiterschaft und dem liberalem Bürgertum, das in Hamburg schon vor dem I. Weltkrieg entstanden war 1 0 8 . Bis 1924 setzte sich der Senat aus Politikern der SPD, der DDP und aus Mitgliedern des Vorkriegssenats zusammen. Ab 1924 stützte eine Koalition aus SPD, DDP/Staatspartei und DVP den Senat109. Das Amt des Ersten Bürgermeisters blieb bis 1924 in den Händen von parteipolitisch nicht gebundenen Repräsentanten des „alten Hamburg". Von 1921 bis 1924 war Arnold Diestel Erster Bürgermeister. Bis zum Jahre 1930 war dann Carl Petersen (DDP/Staatspartei) Präsident des Senats. Erst 1930 wurde

105

Wulff; Art. 41, Fn. 3. Morstein, S. 10. 107 Jochmann, S. 160. 108 Auf diese „hamburgische Besonderheit", die auch in der Tagespolitik von großer Bedeutung war, wies Peter-Heinz Müller-Link in dem mit ihm geführten Interview hin. 109 Jochmann, S. 162. 106

III. Die Entstehung der Verfassung von 1952

107

mit Rudolf Roß ein Sozialdemokrat Erster Bürgermeister Hamburgs. Dieser wurde dann im Jahre 1931 wieder von Carl Petersen in der Präsidentschaft des Senats abgelöst, der bis zum 4.3.1933 im Amt blieb 110 . Damit kam es zu Senaten mit wechselnder Präsidentschaft, der Senat Petersen/Roß, was bereits älterer hamburgischer Tradition entsprach 111. Der so gebildete Senat verlor Anfang der 30er Jahre durch das Erstarken der radikalen Parteien die Mehrheit in der Bürgerschaft. Am 3.10.1931 trat der Senat deshalb zurück. Er blieb jedoch bis 1933 geschäftsführend im Amt 1 1 2 . Da der Bürgermeisterwahl ein senatsinterner Akt zugrundeliegt, konnte selbst dieser geschäftsführende Senat noch Wechsel in der Präsidentschaft vornehmen, ohne auf die Zustimmung der Bürgerschaft angewiesen zu sein. Der geschäftsführende Senat blieb insgesamt bis zum Erlaß des nationalsozialistischen Gleichschaltungsgesetzes vom März 1933 im Amt 1 1 3 .

I I I . Die Entstehung der Verfassung von 1952 1. Die „ Vorläufige Verfassung " vom 15.5.1946 - die kurze Geltung des „Ministerpräsidentenprinzips " in Hamburg Am 3.5.1945 erfolgte die Kapitulation Hamburgs. Das seit dem „GroßHamburg Gesetz" von 1936 erheblich erweiterte Territorium Hamburgs wurde der britischen Militärverwaltung unterstellt. Diese ernannte am 15.5.1945 Rudolf Petersen, den Bruder des früheren Ersten Bürgermeisters Carl Petersen, zum Ersten Bürgermeister. Rudolf Pertersen stellte aus Parteipolitikern der Weimarer Republik und „nicht kompromittierten Persönlichkeiten" einen Senat zusammen. Nach der Lösung der ersten dringenden Probleme in der zerstörten Stadt unterbreitete der Senat am 4.3.1946 der von der britischen Militärverwaltung ernannten Bürgerschaft den Entwurf einer vorläufigen Verfassung. Zentrale Aussage in der „Vorläufigen Verfassung", so der fur die Verfassung vorgeschlagene Name, war Art. 1, der die Stadtstaatlichkeit Hamburgs bekräftigte, die zeitweise von der britischen Militärregierung in Frage gestellt worden war 1 1 4 .

110

Jochmann, S. 160.

111

Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 289; Bolland, Senat und Bürgerschaft, S. 112, 114. Jochmann, S. 258.

112 113

Jochmann, S. 160.

114

Johe, S. 398.

108

D. Die historische Entwicklung

Das hamburgische Regierungssystem war in der „Vorläufigen Verfassung" nach dem Vorbild des britischen Parlamentarismus ausgestaltet. Im Mittelpunkt stand das Parlament, das die Regierung kontrolliert und den Bürgermeister wählt („ernennt", so Art. 11 Abs. 1). Nach der „Vorläufigen Verfassung" sollte der Regierungschef das einzige Regierungsmitglied sein, das vom Parlament gewählt werden muß. Der Bürgermeister, als Regierungschef des Stadtstaats Hamburg, bekam das Recht, „seine" Senatoren aus den Reihen der Bürgerschaft auszuwählen und aus eigenem Recht zu ernennen (Art. 12 Abs. I S . 1, 2. Halbsatz der „Vorläufigen Verfassung"). Durch die „Vorläufigen Verfassung" wurde damit das Ministerpräsidentensystem in Hamburg eingeführt, das sich am britischen Premierministersystem orientierte. An dieser Frage, die im Gegensatz zur traditionellen Wahl aller Senatoren durch die Bürgerschaft stand (vgl. Art. 34 der Verfassung von 1921), entzündete sich auch die Debatte in der Bürgerschaft über die Annahme der „Vorläufigen Verfassung". Mehrheitlich forderte die Bürgerschaft die Rückkehr zur alten hamburgischen Tradition, wonach die Bürgerschaft sämtliche Mitglieder des Senats zu wählen habe, und nicht, daß der Bürgermeister die Senatoren ernennt 115 . Ein Antrag des Abgeordneten Rademacher (FDP), daß der Senatsentwurf der „Vorläufigen Verfassung" zu ändern sei, wurde jedoch von der Mehrheit der Bürgerschaft mit der Begründung abgelehnt, eine solche Änderung müßte durch die britische Militärverwaltung genehmigt werden und dies würde eine Verlängerung des verfassungslosen Zustandes in Hamburg bedeuten, den man jedoch so schnell wie möglich beenden wollte 116 . Deshalb nahm auch die Bürgerschaft die „Vorläufige Verfassung" in toto an. Gleichzeitig beauftragte sie jedoch den Verfassungsausschuß mit der Ausarbeitung des Entwurfs für eine endgültige Verfassung, in der „nicht nur die Bürgermeister, sondern auch die Senatoren... von der Bürgerschaft gewählt und abberufen" werden 117 . Dem Verfassungsausschuß wurde aufgegeben, der Bürgerschaft schon vor der Erarbeitung einer endgültigen Verfassung Einzelaufträge über besonders wichtige Änderungen der „Vorläufigen Verfassung" vorzulegen, um diese sobald als möglich in die „Vorläufige Verfassung" einzufügen. Dies bezog sich

115 Stenographischer Bericht von der 3. Sitzung der Bürgerschaft am 30.3.1946, S. 29, der Oppositionspolitiker Dr. Nevermann (SPD) bezeichnete den damaligen Zustand als „Diktatur des Bürgermeisters Petersen", siehe auch die 5. Sitzung am 26.4.1946, S. 68. 116 Stenographischer Bericht von der 5. Sitzung der Bürgerschaft am 26.4.1946, S. 70, 72. 117 Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft 1946: „Mitteilungen der Bürgerschaft an den Senat aus ihrer 5. Sitzung am 26.4.1946".

III. Die Entstehung der Verfassung von 1952

109

vor allem auf die Wiedereinführung der Wahl der Senatoren durch die Bürgerschaft und die Wiederherstellung des Kollegialsystems im Senat118. Von April 1946 bis Oktober 1946 galt jedoch in Hamburg das Ministerpräsidentensystem der „Vorläufigen Verfassung". Jedoch schon am 8.10.1946 änderte die Bürgerschaft Artt. 11 bis 13 der „Vorläufigen Verfassung" und kehrte zum früheren Zustand zurück, wonach die Senatoren von der Bürgerschaft zu wählen seien (Art. 11 Abs. 2). In Art. 13 Abs. 1 der „Vorläufigen Verfassung" war nun bestimmt worden, daß der Präsident des Senats nicht mehr von der Bürgerschaft gewählt werde, sondern vom Senat „aus seiner Mitte in geheimer Abstimmung" für die Dauer eines Jahres 119. Damit war im Stadtstaat Hamburg, nach knapp einem halben Jahr Ministerpräsidentensystem, das althergebrachte kollegiale Regierungssystem wieder eingeführt. 2. Die Beratungen der Verfassung

von 1952

a) Der Senatsentwurf Den Beratungen des Verfassungsausschusses der ersten gewählten Bürgerschaft nach dem II. Weltkrieg (Oktober 1946) lag seit dem 13.1.1948 ein Senatsentwurf für eine Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg zugrunde 120. Der Entwurf knüpfte bewußt an die früheren Verfassungen an, insbesondere an die von 1921 121 . Er enthielt ein Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie und verzichtete auf die Wiedereinführung von plebiszitären Entscheidungsformen wie den Volksentscheid122. Bezüglich des hamburgischen Regierungssystems basierte der Entwurf auf der Prämisse, daß der Senat gleichzeitig Landesregierung und Kommunalbehörde sei 123 . Der Senatsentwurf entschied sich in Fortführung der Verfassung

118 Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft 1946: „Mitteilungen der Bürgerschaft an den Senat aus ihrer 5. Sitzung am 26.4.1946". 119 Hamburger Gesetz- und Verordnungsblatt, Nr. 38 (1946), 8.10.1946, „Gesetz zur Änderung der vorläufigen Verfassung der Hansestadt Hamburg". 120 Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft, 1948: Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Nr. 6, S. 1. 121 Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft, 1948: Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Nr. 6, S. 8. 122 Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft, 1948: Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Nr. 6, S. 10. 123 Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft, 1948: Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Nr. 6, S. 13.

110

D. Die historische Entwicklung

von 1921 für die Beibehaltung des Einkammersystems und bekräftigte die parlamentarische Abhängigkeit des Senats von der Bürgerschaft 124. In einem Vergleich mit den früheren hamburgischen Verfassungen stellte der Senatsentwurf fest, daß die Verfassung von 1879 in erster Linie den Charakter einer Kommunal Verfassung besessen hätte. Sie habe den Prinzipien der Magistratsverfassungen entsprochen. Die Verfassung von 1921 sei dagegen eine echte Staatsverfassung gewesen. Diese unterschied sich von den Verfassungen der anderen Länder im wesentlichen dadurch: „daß der Senat eine echte Kollegialregierung darstellte, in der alle Mitglieder gleichberechtigt waren, während sowohl das Reich als auch die anderen Länder (mit Ausnahme der Hansestädte) einen Ministerpräsidenten einführten, der die Richtlinien der Politik bestimmte und die übrigen Minister ernannte" 1 2 5 .

Der Senatsentwurf verstand sich in erster Linie als Entwurf für eine Landesverfassung, nicht als solcher für eine Kommunal Verfassung, ohne jedoch den kommunalen Charakter des Landes Hamburg dabei zu verleugnen. Deshalb wurde die Frage der Wiedereinführung des Zweikammersystems nur an Beispielen anderer Staatsverfassungen erörtert, ohne diese Frage unter einem kommunalverfassungsrechtlichem Aspekt zu erörtern 126 . Die Betonung der Staatlichkeit der Freien und Hansestadt Hamburg war eines der Hauptanliegen der Verfassungsväter, da diese in der Zeit nach dem Kriege von mehreren Seiten in Frage gestellt worden war 1 2 7 . Deshalb war es auch nur konsequent, daß der Senatsentwurf die Frage aufgeworfen hat, ob dem Präsidenten des Senats unter der neuen Verfassung die gleichen Rechte wie in den anderen Bundesländern den Ministerpräsidenten eingeräumt werde sollten 128 . Der Senatsentwurf stellte dazu zunächst fest: „Die Überordnung des Ministerpräsidenten und die Tatsache, daß er die Richtlinien der Politik bestimmt, innerhalb derendie übrigen Minister ihre Fachaufgaben zu lösen haben, gewährleistet zweifellos in vielen Fällen die größere Einheitlichkeit der von der Regierung verfolgten Politik." 1 2 9

124 Verhandlungen zwischen gerschaft, Nr. 6, S. 12/13. 125 Verhandlungen zwischen gerschaft, Nr. 6, S. 13. 126 Verhandlungen zwischen gerschaft, Nr. 6, S. 13. 127 Wieske, S. 452. 128 Verhandlungen zwischen gerschaft, Nr. 6, S. 17. 129 Verhandlungen zwischen gerschaft, Nr. 6, S. 17.

Senat und Bürgerschaft, 1948: Mitteilung des Senats an die BürSenat und Bürgerschaft, 1948: Mitteilung des Senats an die BürSenat und Bürgerschaft, 1948: Mitteilung des Senats an die Bür-

Senat und Bürgerschaft, 1948: Mitteilung des Senats an die BürSenat und Bürgerschaft, 1948: Mitteilung des Senats an die Bür-

III. Die Entstehung der Verfassung von 1952

111

Dann rekurrierte der Senatsentwurf jedoch auf die hansestädtische Tradition, die „durch Jahrhunderte an der kollegialen Regierung festgehalten" habe, ohne daß sich daraus in der Vergangenheit Schwierigkeiten ergeben hätten. Aus Gründen dieser Tradition sollte auch in Zukunft an der Stellung des Ersten Bürgermeisters als „primus inter pares" festgehalten werden 130 . Um jedoch in diesem Zusammenhang die letzten Zweifel an der Zeitgemäßheit des kollegialen Regierungssystems zu entkräften, wurde in dem Senatsentwurf bezüglich der Stellung des Präsidenten des Senats ausdrücklich darauf hingewiesen: „Seine Stellung unterscheidet sich im Endergebnis nicht so wesentlich von der Stellung eines Ministerpräsidenten in anderen Ländern, wie es nach der gesetzlichen Formulierung den Anschein haben könnte. Eine kraftvolle Persönlichkeit, wie sie für den Präsidenten des Senats erwünscht ist, wird sich bei der hamburgischen Regelung genau so durchsetzen wie ein Ministerpräsident nach den Verfassungen anderer Länder. Sollte ausnahmsweise die Persönlichkeit nicht so stark ausgeprägt sein, wie es wünschenswert ist, dann wird sich die Kollegial-Verantwortung als eine Stütze für eine solche Persönlichkeit erweisen." 1 3 1

Wegen der betont kollegialen Verantwortung des Senats wurde im Senatsentwurf dann festgestellt, daß der Senat deshalb auch besonderer Mitarbeiter bedürfe, die den Senat in seiner Gesamtheit als Kollegium beraten, „während in anderen Länderverfassungen nur entweder der Ministerpräsident oder die einzelnen Minister besondere Mitarbeiter kennen". Diese Funktion nähmen in Hamburg die Senatssyndici wahr, die nicht Ressortbeamte seien, sondern Mitarbeiter des Kollegialorgans Senat132. Die hamburgische Tradition war im Senatsentwurf das Hauptargument für die Beibehaltung des Kollegialsystems. Insofern wurde der Tradition Vorrang gegenüber Zweckmäßigkeitserwägungen, wie einer gesteigerten Einheitlichkeit der Regierung - die durch das Ministerpräsidentenprinzip einfacher zu gewährleisten wäre -, eingeräumt 133 . Die so getroffene Entscheidung zugunsten der hamburgischen Tradition wurde jedoch in ihrer Erheblichkeit abgeschwächt, indem bereits im Se-

130 Verhandlungen zwischen gerschaft, Nr. 6, S. 17. 131 Verhandlungen zwischen gerschaft, Nr. 6, S. 18. 132 Verhandlungen zwischen gerschaft, Nr. 6, S. 18. 133 Verhandlungen zwischen gerschaft, Nr. 6, S. 17.

Senat und Bürgerschaft, 1948: Mitteilung des Senats an die BürSenat und Bürgerschaft, 1948: Mitteilung des Senats an die BürSenat und Bürgerschaft, 1948: Mitteilung des Senats an die BürSenat und Bürgerschaft, 1948: Mitteilung des Senats an die Bür-

112

D. Die historische Entwicklung

natsentwurf darauf hingewiesen wurde, daß auch der Präsident des Senats de facto die Stellung eines Ministerpräsidenten haben solle 134 . Angesichts dieser Argumentation im Senatsentwurf kann festgestellt werden, daß nicht Zweckmäßigkeitserwägungen oder verfassungssystematische Gründe ausschlaggebend für die Beibehaltung des Kollegialsystems im Senat und die Stellung des Präsidenten des Senats als „nur" primus inter pares waren, sondern diese Regelungen allein aus Gründen der Tradition beibehalten wurden. Außerdem legt die Geschichte der „Vorläufigen Verfassung" den Schluß nahe, daß die Verfasser des Senatsentwurfs die Abneigung der Bürgerschaft kannten, den Präsidenten des Senats verfassungsrechtlich zu stärken. Es sei nur an die einhellige Ablehnung des Ministerpräsidentenprinzips durch die Bürgerschaft bei der parlamentarischen Behandlung der „Vorläufigen Verfassung" im Jahre 1946 erinnert. Aber auch daran, daß es der Bürgerschaft schon damals gelungen war, nach weniger als einem halben Jahr zum traditionellen Kollegialsystem zurückzukehren und damit die verfassungsrechtliche Stellung des Ersten Bürgermeisters zu schwächen. Es scheint, daß solche politischen Erwägungen insbesondere zur Absicherung der Macht von Bürgerschaft, Fraktionen und Parteien zumindest mitursächlich waren für die Beibehaltung der traditionell schwachen Stellung des Präsidenten des Senats im Senatsentwurf einer Verfassung für die Freie und Hansestadt Hamburg. b) Die Beratungen des Senatsentwurfs im Verfassungsausschuß und im Plenum der Bürgerschaft Der von der am 13.10.1946 gewählten Bürgerschaft eingesetzte Verfassungsausschuß legte im Oktober 1949, kurz vor dem Ende der Legislaturperiode, seinen ersten Bericht über den Verfassungsentwurf des Senats vor. Bezüglich Art. 33 des Senatsentwurfs beschloß der Ausschuß, die im Senatsentwurf vorgesehene kollegiale Richtlinienkompetenz des Senats beizubehalten: „weil sie alle Senatoren und nicht nur den Bürgermeister an die von der Kollegialregierung erlassenen Richtlinien der Politik bindet" 135 . Zu Art. 40 des Senatsentwurfs, der die Stellung des Präsidenten des Senats definiert, empfahl der Ausschuß, die Worte „nach den vom Senat aufgestellten Richtlinien" zu streichen, „weil sie nur eine Wiederholung der Bestim-

134

Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft, 1948: Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Nr. 6, S. 18. 135 1. Bericht des bürgerschaftlichen Verfassungsausschusses über den Senatsantrag Nr. 170, Oktober 1949, S. 5.

III. Die Entstehung der Verfassung von 1952

113

mung des Art. 33 enthalten und an dieser Stelle als eine Schwächung der Stellung des Präsidenten des Senats aufgefaßt werden könnten" 136 . Ansonsten wurde der Senatsentwurf bezüglich der Artt. 33 und 40 vom Verfassungsausschuß gebilligt. Nach der Neuwahl der Bürgerschaft am 26.10.1949 kam es am 15.3.1950 im Plenum zu einer ersten Debatte über den Verfassungsentwurf. Für die SPD bekannte sich der Abgeordnete Dr. Kröger zum System der repräsentativen Demokratie und, unter Hinweis auf die alte hamburgische Tradition, zum Kollegialsystem im Senat137. Im Unterschied dazu erklärte der frühere Senator und damalige Abgeordnete Dr. de Chapeaurouge (CDU): „daß auch in einem demokratisch geleiteten Senat es erforderlich ist, die Stellung des Präsidenten des Senats etwas hervorzuheben, so wie es seit Jahrzehnten in Hamburg der Fall gewesen ist".

Er erklärte außerdem: „Ich halte es für politisch falsch, ihn (d.h. den Ersten Bürgermeister) vollkommen in die Reihe der anderen Senatoren einzuordnen...". Er forderte deshalb, „daß man dem Bürgermeister eine gewisse gehobene Stellung beläßt, weil dadurch die Arbeiten des Senats als solche gefördert werden" 138 . Der Vorschlag von Dr. de Chapeaurouge zielte darauf, den damals schon populären Bürgermeister Brauer unabhängiger von seiner Fraktion, die der SPD, zu machen. Dazu forderte er gleichzeitig den Bürgermeister und die Senatoren auf, ihre Bürgerschaftsmandate niederzulegen, um so ihre parteipolitische Unabhängigkeit zu demonstrieren, wie dies der frühere Bürgermeister Carl Petersen getan hätte 139 . Die Abgeordneten Dr. Biermann-Ratjen (F.D.P) und Jacobi (DP) konstatierten, daß die verfassungsrechtliche Stellung des Senats eine Kombination aus traditionellem hamburgischen Verfassungsrecht und modernem Verfassungsrecht (konstruktives Mißtrauensvotum und Mehrheitswahlrecht) sei. Diese Kombination würde jedoch der Regierungspartei eine Art Sicherheitsgürtel verschaffen, indem sie den Senat zwar relativ unabhängig mache vom Parlament, ihn jedoch gleichzeitig abhängig mache von der Regierungsfraktion, denn diese entscheide faktisch über die Besetzung der Senatorenposten 140.

136 1 . Bericht des bürgerschaftlichen Verfassungsausschusses über den Senatsantrag Nr. 170, Oktober 1949, S. 7. 137 Stenographischer Bericht der Plenardebatte der Hamburgischen Bürgerschaft 1950, S. 235. 138 Stenographischer Bericht der Plenardebatte der Hamburgischen Bürgerschaft 1950, S. 240. 139 Stenographischer Bericht der Plenardebatte der Hamburgischen Bürgerschaft 1950, S. 240. 140 Stenographischer Bericht der Plenardebatte der Hamburgischen Bürgerschaft 1950, S. 247, 251.

8 Wieske

114

D. Die historische Entwicklung

Beide plädierten deshalb für eine in sich konsequente Regelung bezüglich der Stellung des Senats in der Verfassung: Entweder sollte man deshalb zurückkehren zu dem alten Vorbild und den Senat wieder als einer Art „Oberhaus" ausgestalten, der jedoch dann überparteilichen Charakter haben müßte, oder der Senat müsse eine „echte parlamentarische Regierung" werden, die dann allerdings „von dem jeweiligen Vertrauen der Mehrheit" abhängig sein müßte und dann kein Recht hätte, „ewig" zu amtieren 141 . Politisch waren diese konsequenten Ansichten angesichts der absoluten SPD-Mehrheit in der Bürgerschaft nicht durchsetzbar. Der den Beratungen zugrundeliegende Senatsentwurf für die Verfassung wurde an den Verfassungsausschuß überwiesen 142. Der Verfassungsausschuß der im Oktober 1949 gewählten Bürgerschaft wies im wesentlichen eine personelle Kontinuität auf. In dem „3. Bericht des Verfassungsausschusses" an die Bürgerschaft vom April 1950 betonte dieser, daß der Senat nur in seiner Eigenschaft als Landesregierung die Richtlinien der Politik bestimmen könne, nicht jedoch in seiner Eigenschaft als Kommunalorgan, denn ein solches betreibe keine Politik 143 . Der „4. Bericht des Verfassungsausschusses", ebenfalls vom April 1950, berichtete über die Beratungen der Artt. 37 bis 53 des Senatsentwurfs. Darin findet Art. 42 des Senatsentwurfs über die Rechtsstellung des Ersten Bürgermeisters überhaupt keine Erwähnung mehr 144 . Ein Vergleich zwischen dem Senatsentwurf und den Beratungen des Verfassungsausschusses zeigt, daß der Verfassungsausschuß den Senatsentwurf bezüglich des Art. 42 gebilligt hatte. Eine Änderung erfuhr der Senatsentwurf nur in Art. 53. Durch diese Bestimmung sollte dem Präsidenten des Senats das Recht gegeben werden, die Ausfertigung der von der Bürgerschaft verabschiedeten Gesetze vorzunehmen. Der Senat verwies dazu auf die ähnlichen Befugnisse des Bundespräsidenten und sprach von einer sog. „Präsidialbefugnis". Mit dem Hinweis auf den kollegialen Charakter des Senats, der auch kollegial das Amt des Staatsoberhauptes ausübe, setzte der Verfassungsausschuß an die Stelle des Präsidenten des Senats jedoch den Gesamtsenat145.

141

Stenographischer Bericht der Plenardebatte der Hamburgischen Bürgerschaft 1950, S. 247, 251. Stenographischer Bericht der Plenardebatte der Hamburgischen Bürgerschaft 1950, S. 262. 143 3. Bericht des bürgerschaftlichen Verfassungsausschusses über den Senatsantrag Nr. 16, April 1950, S. 5 (maschinenschriftlich). 144 4. Bericht des bürgerschaftlichen Verfassungsausschusses über den Senatsantrag Nr. 16, April 1950 (maschinenschriftlich). 145 4. Bericht des bürgerschaftlichen Verfassungsausschusses über den Senatsantrag Nr. 16, April 1950 (maschinenschriftlich), S. 8/9. 142

III. Die Entstehung der Verfassung von 1952

115

In dem Abschlußbericht des Verfassungsausschusses an die Bürgerschaft vom Dezember 1951 begründete dieser sein Festhalten am Kollegialprinzip mit den Worten: „Die kollegiale Gestaltung des Senats entspricht bewährter Tradition der Hansestädte, an der festzuhalten auch der Verfassungsausschuß für angezeigt hielt." 1 4 6 Der Verfassungsausschuß erklärte dann auch, was er unter dem Kollegialprinzip verstand: 1. Grundsätzlich gleichberechtigte Stellung aller Mitglieder des Senats, ohne staatsrechtliche Vorrangstellung eines Regierungsmitglieds. 2. Der Senat wird in wichtigeren Staatsgeschäften grundsätzlich als Ganzes, als Kollegium, tätig 147 . Dem Kollegialprinzip entsprechend finden auch die Artt. 35 bis 38 HV Anwendung auf jedes Kollegialmitglied oder auf das Kollegium als Ganzes (Wahl, konstruktives Mißtrauen und Vertrauensfrage). In der Begründung zu Art. 42 rekurrierte der Verfassungsausschuß auf Art. 41 der Verfassung von 1921, der hinsichtlich des Absatzes 1 entsprechend und bezüglich Absatz 2 sogar wortwörtlich übernommen wurde 148 . Hinsichtlich der jährlichen Bürgermeisterwahl verwies der Verfassungsausschuß auf die gleichlautende Bestimmung in Art. 17 der Verfassung von 1879. Interessanterweise übernahm der Verfassungsausschuß bei der Begründung für Art. 42 Abs. 2 HV, später Art. 41 Abs. 2 HV, die Senatsbegründung zum Entwurf der Verfassung von 1921, in der es hieß: „... dem Präsidenten des Senats solle damit die 'Staatsleitung im höchsten Sinne' übertragen werden" 149 . Wie die „Staatsleitung im höchsten Sinne" zur Kollegialverantwortung des Senats abzugrenzen sei, erklärte der Verfassungsausschuß jedoch nicht. An späterer Stelle wird sogar gesagt, „daß viele und gerade die wesentlichsten Angelegenheiten nicht von einem Fachsenator oder vom Präsidenten des Senats allein, sondern vom Kollegium, d.h. vom Gesamtsenat, entschieden werden" 150 .

146 Bericht des Dezember 1951, zu 147 Bericht des Dezember 1951, zu 148 Bericht des Dezember 1951, zu 149 Bericht des Dezember 1951, zu 150 Bericht des Dezember 1951, zu

Bürgerschaftlichen Art. 34, S. 6. Bürgerschaftlichen Art. 34, S. 6. Bürgerschaftlichen Art. 34, S. 7. Bürgerschaftlichen Art. 34, S. 7. Bürgerschaftlichen Art. 34, S. 7.

Verfassungsausschusses für das Plenum der Bürgerschaft, Verfassungsausschusses für das Plenum der Bürgerschaft, Verfassungsausschusses für das Plenum der Bürgerschaft, Verfassungsausschusses für das Plenum der Bürgerschaft, Verfassungsausschusses für das Plenum der Bürgerschaft,

116

D. Die historische Entwicklung

Unklar bleiben also die Kompetenzabgrenzungen zwischen dem Kollegium Senat und seinem Präsidenten. Dieser soll zwar die „Staatsleitung im höchsten Sinne" innehaben, er darf aber nicht die „wesentlichsten Angelegenheiten" entscheiden. Hat der Verfassungsausschuß hier bewußt eine „Lücke" gelassen zwischen dem Anspruch (Staatsleitung) und den rechtlichen Möglichkeiten des Ersten Bürgermeisters, um auch eine sehr starke Bürgermeisterpersönlichkeit (wie beispielsweise Max Brauer) notfalls in die Schranken weisen zu können151? Angesichts dieser „Unklarheiten" muß der Feststellung des Abgeordneten Dr. Biermann-Ratjen zugestimmt werden, der in der parlamentarischen Schlußdebatte vom 28.5.1952 sagte: „Wenn nun auch der Senat zu einer parlamentarischen Regierung umgewandelt wurde, so erinnern doch auch heute noch gewisse Bestimmungen der jetzt vorliegenden Verfassung an die alte Form des Senats und unterscheiden den Senat in vielen kaum bemerkten Einzelheiten von einer reinen parlamentarischen Regierung." 1 5 2

Zwar bewegten dabei Biermann-Ratjen nicht die Probleme der Stellung des Ersten Bürgermeisters, sondern Mehrheitswahlrecht und Ewigkeit des Senats. Die Feststellung aber, daß die Hamburgische Verfassung in weit größerem Maße, als auf den ersten Blick erkennbar, von einer pragmatischen und sehr zweckgerichteten Übernahme der Tradition gekennzeichnet ist, die zu Lasten der Regelungsklarheit ging, muß hier eindeutig geteilt werden. Dies gilt nicht zuletzt auch für die verfassungsrechtliche Stellung des Ersten Bürgermeisters und die Regelung der Richtlinienkompetenz.

IV. Zusammenfassung Das hamburgische Verfassungsrecht war von den Anfängen der Stadtrepublik dadurch gekennzeichnet, daß die politische Macht geteilt wurde. Diese Teilung der Macht fand ihren sichtbarsten Ausdruck im sog. „Kyrion", wie er im Hauptrezeß von 1712 formuliert wurde, nämlich daß die höchste Staatsgewalt in Hamburg durch Rat und Bürgerschaft gemeinsam ausgeübt werden soll 153 .

151 Dies geschah dann auch 1960, als die SPD-Fraktion den sich sträubenden Brauer zum Rücktritt zwang, siehe hierzu z.B. Paul O. Vogel, im: HAB1. vom 15.9.1992: „(K)ein Herz und (k)eine Seele ..". 152 Stenographischer Bericht der Plenardebatte der Hamburgischen Bürgerschaft 1952, 28.5.1952, S. 711. 153 Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 303.

I . Zusammenfassung

117

Der Gedanke des Kyrion war das tragende Verfassungsprinzip bis zur Verfassung von 1921 154 . Die Macht war jedoch nicht nur zwischen Rat und Bürgerschaft, sondern durch die verfassungsrechtlichen Vorgaben auch innerhalb des Rates geteilt, um zu verhindern, daß sich ein Bürgermeister zum feudalen Landesherren aufschwingt (wie in den norditalienischen Stadtrepubliken z.B. die Medici in Florenz oder die Sforzas in Mailand). Daneben war die Amtsausübung der Bürgermeister in den hamburgischen Verfassungen bis 1921 zeitlich immer befristet, i.d.R. erfolgte ein jährlicher Wechsel in der Amtsausübung155. Damit knüpfte Hamburg an die Traditionen der antiken Stadtrepubliken Athen und Rom an, in denen die zeitlich relativ kurze Befristung der Ausübung öffentlicher Ämter verfassungsrechtlich institutionalisiert war 1 5 6 . Erst durch die Verfassung von 1921 wurde in Hamburg die parlamentarische Demokratie eingeführt 157 . Ihr ging eine grundlegende Reform der hamburgischen Verfassung voraus. Hierbei wurde jedoch versucht, soviel wie möglich verfassungsrechtliche Hamburgensien in die neue Verfassung hinüberzuretten. Bei der Frage nach der zukünftigen verfassungsrechtlichen Stellung des Ersten Bürgermeisters sprach für eine Stärkung dieses Amtes, daß schon vor dem Ersten Weltkrieg die Ersten Bürgermeister rein faktisch eine herausgehobene Stellung im Senat innehatten („Regierender Bürgermeister") 158 und daß das verfassungsrechtliche Denken dieser Zeit auf der gemeinsamen Überzeugung basierte, daß es „der großen, Maßstäbe setzenden und verkörpernden Persönlichkeit an der Spitze des Staates bedürfe" 159 . Andererseits stand hiergegen, neben dem Bedürfnis, möglichst viele Hamburgensien zu retten, die Überlegung, daß der Erste Bürgermeister zwar verfassungsrechtlich gestärkt werden solle, aber daß dieser möglichst nicht in direkter Abhängigkeit des Parlaments stehen soll, um so zu gewährleisten, daß der „beste Fachmann" und „ein Mann, der den alten hamburgischen Familien nahesteht," zum Ersten Bürgermeister gewählt wird 1 6 0 .

154

Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 303. v.Melle, S. 81; ab 1860 muß der Wechsel nach zwei aufeinanderfolgenden Jahren erfogen, Art. 17. 156 Schachtschneider, Res publica res populi, 10. Teil, Kap. 8, I., Fn. 200; dieser Bezug zu den alten Stadtrepubliken Athen, Rom, Venedig, Amsterdam wird im Turmsaal des Hamburger Rathauses durch bildhafte Darstellungen dieser Republiken deutlich kundgetan, siehe Die Welt vom 31.8.1993, H 4. 157 Weichmann/David, S. 4; Schachtschneider, Res publica res populi, 1 .Teil, Kap. 1, Fn. 6, der auf die notwendige bürgerschaftliche Verfaßtheit einer Republik hinweist, die jedoch begrifflich keine Demokratie, d.h. Herrschaft des Volkes, sein muß. 158 v.Melle, S. 82. 155

159 Gall , in: FAZ vom 30.7.1988: „Doppelter Thronwechsel und Sprung in die Moderne"; Preuß, S. 195; Weber, Parlament und Regierung, S. 540. 160 So der SPD-Vorsitzende Otto Stolten nach Witt, S. 27.

118

D. Die historische Entwicklung

Im Ergebnis erfuhr die verfassungsrechtliche Ausgestaltung des Amtes des Ersten Bürgermeisters eine Stärkung, ohne jedoch diesem auch einen Legitimationsvorsprung gegenüber den anderen Senatsmitgliedern einzuräumen. Bezüglich der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung des Amtes des Ersten Bürgermeisters knüpfte die Verfassung von 1952 an die von 1921 an, nach der unter der „Vorläufigen Verfassung" weniger als ein Jahr in Hamburg das Ministerpräsidentensystem bestanden hatte. Dieses wurde nicht zuletzt deshalb abgeschafft, um den Einfluß der Parteien und deren Fraktionen in der Bürgerschaft auf den Senat nicht zu verringern und den Senat verfassungsrechtlich in direkter Abhängigkeit von der Bürgerschaft und dort von der Regierungsfraktion zu halten. Zwar übernahm die Verfassung von 1952 den Wortlaut der Verfassung von 1921 bezüglich des Amtes des Ersten Bürgermeisters, aber die Zuweisung der Richtlinienkompetenz für den Senat, die erst die Verfassung von 1952 ausdrücklich dem Senat übertragen hat, war im Ergebnis dazu geeignet, die verfassungsrechtliche Position des Ersten Bürgermeisters zu schwächen. Daneben haben rein faktisch die Durchsetzung des strikten Ressortprinzips in Hamburg und die Abschaffung von ressortunabhängigen Staatsräten das Amt des Ersten Bürgermeisters erheblich geschwächt. Im nächsten Teil wird zu untersuchen sein, ob das Fehlen der Richtlinienkompetenz für den Ersten Bürgermeister, verbunden mit den notwendigen Rechten zu ihrer Durchsetzung, ursächlich oder zumindest mitursächlich für Krisen oder Mängel in der Hamburger Politik und Verwaltung war.

E. Mängelanalyse

I. Einführung und Problemstellung Die Hamburger Verwaltung gilt als wenig effizient und deshalb als reformbedürftig 1. Die Stadtstaatenkommission hatte hierzu festgestellt, daß in Hamburg wie in den anderen Stadtstaaten bei der Realisierung von großen Vorhaben für die Infrastruktur größere Zeitverzögerungen auftreten als in vergleichbaren Großkommunen 2. Aus den Reihen der Wirtschaft, der Wissenschaft und aus der Politik wurde deshalb in den letzten Jahren immer wieder der Ruf nach einer Verwaltungs- und Verfassungsreform erhoben 3. Im folgenden Kapitel sollen Mängel im Bereich der Regierung untersucht werden, und zwar danach, ob diese ihre Ursache haben in der kollegialen Richtlinienkompetenz des Senats und der schwachen verfassungsrechtlichen Stellung des Ersten Bürgermeisters. Hierbei wird sich die Frage stellen, ob unter der gegenwärtigen Hamburger Verfassung eine Verbindung von Richtlinienkompetenz mit den sonstigen Rechten, die zur Regierungsführung notwendig sind, insbesondere dem Senatorenauswahl- und Entlassungsrecht, überhaupt denkbar wäre. Ferner gilt es zu erörtern, ob die kollektive Ausübung der Richtlinienkompetenz effektiv möglich ist, oder ob die Richtlinienkompetenz nur wirksam individuell ausgeübt werden kann4.

„Hamburger Wirtschaft" (Handelskammermitteilungen) 8/1991, S. 16, 18; Schachtschneider, Res publica res populi, 10. Teil, S. 1175; Hartwich, S. 101; so Thieme bereits 1971, DÖV 1971, S. 145, „Senatsbeschlüsse im Verfügungswege". 2 Stadtstaatenkommission, S. 137. 3 „Hamburger Wirtschaft" (Handelskammermitteilungen) 8/1991, S. 16, 18; Schachtschneider, Res publica res populi, 10. Teil, S. 1175; Hartwich, S. 101; Thieme, DÖV 1971, S. 145; Ipsen, Hamburger Verfassungsfragen, S. 1178; Reformbemühungen unter den Bürgermeistern, Klose siehe H ABl. vom 23.10.1976: „Mehr Macht für Klose?", v.Dohnanyi siehe HAB1. vom 11.8.1986: „Dohnanyi will die Verfassung ändern" und CDU-Verfassungskommission Juli 1990; Enquete-Kommission „Parlamentsreform", Oktober 1992. 4 Ellwein/Hesse, S. 315.

120

E. Mängelanalyse

Daran anschließend soll untersucht werden, welche Auswirkungen eine verfassungsrechtliche Stärkung des Ersten Bürgermeisters hätte, wenn dieser zum Träger der Richtlinienkompetenz würde und dieses Recht verbunden wäre mit dem Senatorenauswahl- und Entlassungsrecht. Diese Überlegungen müßten erörtert werden im Hinblick auf die politische Entscheidungsfindung des Senats, auf die Binnenstruktur des Senats, auf das Verhältnis zwischen Senat und Bürgerschaft und nicht zuletzt auch mit Bezug auf die überaus große Macht der Parteien in der Hamburger Politik 5 . Am Ende dieses Kapitels soll eine auf dieser Untersuchung basierende Empfehlung für die verfassungsrechtliche Regelung der Richtlinienkompetenz und die Ausgestaltung des Amtes des Ersten Bürgermeisters stehen.

I I . Die Stärkung der Richtlinienkompetenz des Senats mit dem Recht, die Senatoren auszuwählen und zu entlassen Im ersten Teil war festgestellt worden, daß zur effektiven Ausübung der Richtlinienkompetenz notwendig ist, daß der Träger der Richtlinienkompetenz auch das Recht besitzen muß, die Mitglieder der Regierung auswählen und vor allem auch entlassen zu können. Ohne dieses Recht ist die Richtlinienkompetenz ein „Papiertiger" 6 . Am Ende des zweiten Teils mußte konstatiert werden, daß in Hamburg der Senat zwar Träger der Richtlinienkompetenz ist, daß jedoch das Recht zur Auswahl und zur Entlassung der Senatoren ausschließlich bei der Bürgerschaft liegt. De facto ist damit in Hamburg die Richtlinienkompetenz geteilt zwischen Senat und Bürgerschaft 7, wobei der Senat das Recht hat, die Richtlinien der Politik zu bestimmen, während der Bürgerschaft die wichtigsten Mittel zu ihrer Durchsetzung in die Hand gegeben sind. Darüber hinaus wird in der Literatur in Zweifel gezogen, ob ein Kollegium überhaupt in der Lage ist, die Richtlinienkompetenz wirksam auszuüben8. Denn Adressat dieser Richtlinien der Politik sind in erster Linie nicht Personen außerhalb dieses Kollegiums, sondern die Mitglieder des gleichen Kollegiums selbst9. Richtlinienkompetenz wäre mithin eine Art Selbstbindung der Mitglieder des Kollegiums Senat.

5 Schachtschneider, Res publica res populi, 10. Teil, S. 1175; v.Arnim, 11.12.1991 : „Wie man Privilegien erwirbt und Vertrauen verspielt". 6 Hennis, Richtlinienkompetenz, S. 167. 7 Ipsen, FS für Zeidler, S. 1184. 8 Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 654; Ellwein/Hesse, S. 315. 9 Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 17.

in:

FAZ

II. Die Stärkung der Richtlinienkompetenz des Senats

121

Parallelen drängen sich mit der Geschäftsordnung des Senats auf, die sich dieser, gleichzustellen mit einer autonomen Satzung, selbst gibt 10 . Adressat der Geschäftsordnung des Senat sind, ebenso wie bei der Richtlinienkompetenz des Senats, die Mitglieder des Senats11. Insofern könnte hierin auch eine Ähnlichkeit zwischen kollegialer Richtlinienkompetenz und Geschäftsordnungsrecht des Senats gesehen werden. Inhaltlich ist jedoch die Richtlinienkompetenz auf die materiellen Inhalte der Politik, auf die große Richtung der Politik und damit zusammenhängend auf die Ressourcenverteilung gerichtet, während die Geschäftsordnung, ähnlich einer Verfahrensordnung, lediglich die formelle Zusammenarbeit innerhalb des Senats regelt 12 . Dadurch sind Konflikte im Rahmen der Richtlinienbestimmung weit eher möglich als bei der Anwendung der Geschäftsordnung. Gegen eine kollegiale Richtlinienbestimmung spricht ferner, daß ein Regierungskollegium ein zentrifugales Gebilde ist, deren Mitglieder unterschiedliche Interessen vertreten, wie Ressort-, Partei-, Fraktionsinteressen u.s.w. 1 3 . Außerdem hat im Hamburger Senat die Ressortausrichtung erheblich zugenommen, so daß in der Praxis auch in Hamburg von einem echten Ressortsystem gesprochen werden kann 14 . Ein entwickeltes Ressortsystem, mit seinen partikularen Ressortinteressen, steht jedoch einer kollegialen Bestimmung der großen Linien der Politik entgegen15. Hinzu kommt, daß politische Entscheidungen oft unter Zeitdruck zu treffen sind, dabei die verschiedensten Interessen hiervon betroffen werden und diese im Lichte der Öffentlichkeit fallen 16 . Hierbei ist zusätzlich zu bedenken, daß dem Senat als Kollegium das Recht fehlt, Senatsmitglieder, die sich nicht an die Richtlinien der Politik des Senats halten, aus dem Senat zu entlassen und durch neue Senatsmitglieder zu ersetzen. Wenn jedoch dem Senat diese Rechte eingeräumt würden, so liefe dies auf ein Wiederaufleben des Selbstergänzungsrechts des Senats hinaus, wie er

10 11

Gem. § 5 SenG; Thieme, DÖV 1971, S. 145, 149. Thieme, DÖV 1971, S. 145, 149; Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 17 für die Richtlinien im

Bund. 12

Karehnke,DVB\.

13

Junker, S. 43; Weichmann, Vorarbeit für den Staatschef, S. 34.

1974,101, 109.

14 Siehe hierzu bereits B. III. b); Haas-Bericht, S. 3, 135, 56: „Die kollegiale Verantwortung im Senat ist den Ressortinteressen der Senatoren gewichen". 15 So ausdrücklich Weichmann, Vorarbeit für den Staatschef, Fn. 12, der gern als „Kronzeuge" gegen eine verfassungsrechtliche Stärkung des Ersten Bürgermeisters zitiert wird, so Wiegand, in: NBD 7-8/1988, S. 85: Verfassung bleibt - Voscherau kommt; aber auch Ellwein/Hesse, S. 315; Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 654; Junker, S. 43. 16

Dieser Unterschied besteht vor allem zu Managemententscheidungen in großen Unternehmen, hierzu im Interview Herbert Dau, der sowohl langjähriger Präsident der Hamburgischen Bürgerschaftwar, wie auch Vorstands Vorsitzender der Hamburg-Mannheimer Versicherungsgruppe; so auch Knöpfle, DVB1. 1965, S. 857, 861, der feststellt, daß „Regierungsarbeit überwiegend heteronomsei,d.h.der Gang der Ereignisse diktiere," welche Fragen Richtlinienbedeutung haben.

122

E. Mängelanalyse

es bis zur Verfassung von 1860 besaß17. Ob eine solche Regelung jedoch mit Art. 28 Abs. 1 GG noch vereinbar wäre, muß bezweifelt werden; denn die aus Art. 28 Abs. 1 GG folgende parlamentarische Verantwortung der Regierung wäre durch ein reines Selbstergänzungsrecht des Senats aufgehoben 18. Denkbar wäre nur dann ein Selbstergänzungsrecht des Senats, wenn dieser als ganzes Kollegium parlamentarisch gewählt würde, die Wahlperiode an die Legislaturperiode der Bürgerschaft geknüpft wäre (damit Verzicht auf die „Ewigkeit" des Senats), und er müßte dann auch als Kollegium parlamentarisch gesamtheitlich für seine Richtlinienkompetenz, einschließlich seiner Personalentscheidungen, verantwortlich sein. Ob daneben noch ein „Herausschießen" einzelner Senatsmitglieder durch parlamentarisches Mißtrauen möglich sein dürfte, muß bezweifelt werden, denn damit würde die politisch parlamentarische Verantwortung des Gesamtkollegiums für seine Richtlinienentscheidungen wieder aufgehoben 19. Eine solche wie die vorgenannte Änderung der Verfassung ist in der verfassungsrechtlichen Diskussion über eine Änderung der Hamburger Verfassung niemals erörtert worden. Denn ein Selbstergänzungsrecht des Senats würde ebenso wie ein solch striktes Kollegialsystem im Ergebnis an ein vorparlamentarisches Demokratieverständnis anknüpfen 20 und auch den Gegebenheiten der politischen Wirklichkeit widersprechen, die durch eine Personalisierung von politischen Entscheidungen gekennzeichnet ist 21 . Wenn daher in Hamburg ein System strikt kollegialer Richtlinienkompetenz, das verbunden ist mit dem Senatorenauswahlrecht, nicht praktikabel erscheint, so soll im folgenden untersucht werden, welche Folgen die Stärkung der verfassungsrechtlichen Position des Ersten Bürgermeisters hätte, wenn diesem Richtlinienkompetenz und das Senatorenauswahlrecht einschließlich des Rechts, diese auch entlassen zu können, eingeräumt würde.

17

Bolland, Ein Sonderfall, S. 12/13. BVerfGE9, 268, 281. 19 Drexelius/Weber, Art. 35 Anm. 3 zur Disparität zwischen dem konstruktiven Mißtrauensvotum und dem destruktiven Mißtrauensvotums durch Reduzierung der Anzahl der Senatsmitglieder im Senatsgesetz durch einfachen Mehrheitsbeschluß der Bürgerschaft. 18

20 Weichmann/David zum Selbstergänzungsrecht des Senats, in: Das Parlament Nr. 4 vom 24.1.1981, S. 4; Weber, Parlament und Regierung, S. 473, 492, 539-549, zur Kritik an der kollegialen Regierung; Preuß, S. 195. 21 Leisner, Der Führer, S. 46; Schachtschneider, Res publica res populi, lO.Teil, 8. Kap., S. 1153; Siegloch, S. 13.

II. Die Stärkung der Richtlinienkompetenz des Senats

123

I I I . Die Folgen einer Stärkung der verfassungsrechtlichen Position des Ersten Bürgermeisters 1. Die Notwendigkeit der Personalisierung der Regierungsführung die Richtlinienkompetenz für den Ersten Bürgermeister

-

Am Ende des vierten Teils war festgehalten worden, daß die strikt kollegiale Regierung im Mittelalter in Hamburg entstanden war zu einer Zeit, als Hamburg eine aristokratische Stadtrepublik war 22 . Das kollegiale Regierungssystem, insbesondere die Teilung der Aufgaben des Ersten Bürgermeisters auf vier Bürgermeister und die nur begrenzte Wiederwählbarkeit, haben verhindert, daß ein Bürgermeister oder eine Familie die Herrschaft auf Dauer in der Stadtrepublik Hamburg an sich reißen konnte und, ähnlich wie in vielen norditalienischen Stadtrepubliken, eine Feudalherrschaft errichtet wurde 23 . Daneben trug die kollegiale Regierungsform auch schon einige Elemente eines Rechtsstaats in sich, gegenüber der absoluten Regierungsform in den Feudalstaaten24. Die Gründe für das strikt kollegiale Regierungssystem, die im Mittelalter von Relevanz waren, sind jedoch für die Zeit der parlamentarischen Parteiendemokratie 25 nicht mehr als Begründungsmuster heranzuziehen. Heute sind hingegen die Antworten auf Fragen wie die nach der Einheitlichkeit der Regierung 26, der politischen Verantwortung der Regierenden, der Schaffung von politischem Vertrauen bei den Wählern 27 , der demokratischen Willensbildung, der Durchsetzung des allgemeinen Wohles gegenüber Partikularinteressen (insbesondere der Parteien) 28 und der Bewältigung von krisenhaften Sitationen29 mehr als Gradmesser für die Richtigkeit eines Regierungssystems geeignet. Die Bedenken gegen eine kollegial ausgeübte Richtlinienkompetenz sind oben bereits angerissen worden 30 , ohne sie jedoch zu vertiefen und darzulegen, wieso die Ausübung der Richtlinienkompetenz durch den Regierungschef erfolgen sollte und nicht durch ein Kollegium.

22

Weichmann/David,

S. 4; Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 303.

23

Siehe Zöllner, S. 36, 74. Hierbei seien nur Florenz und Mailand erwähnt, wo die Familien der Medici und der Sforzas in Stadtrepubliken die Feudalherrschaft errichten; Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1157. 24 Preuß, S. 195. 25

Schachtschneider, Res publica res populi, S. 772 und S. 1045 ff.

26

Leisner, Der Führer, S. 44.

27

v.Arnim, in: FAZ vom 13.7.1993: „Wenn der Staat versagt".

28

Schachtschneider, Res publica res populi, S. 801.

29 Hier sei als Beispiel nur auf die Krise um die Häuser in der Hafenstraße im November 1987 hingewiesen. 30

Siehe Β. V. und Teil E. II.

124

E. Mängelanalyse

Thomas Ellwein bezeichnet eine strikt kollegiale Regierung (im parlamentarischen System) als ungeeignet, da ihr die einheitliche Führung fehlen würde, die jedoch notwendig sei 31 . Die Notwendigkeit einer einheitlichen und personifizierten Führung betonte auch der frühere Hambuger Bürgermeister Weichmann, der diese Aufgabe für den Regierungschef im modernen Staat um so vordringlicher sieht, da dort die einzelnen Minister zunehmend Ressortvertreter sind, denen ein starker Regierungschef als Vertreter des Gesamtkonzeptes mit einem Richtlinienrecht gegenübergestellt sein muß, das dieser verkörpert und auch für dessen Einhaltung er einzustehen hat 32 . Eschenburg plädiert für die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs mit dem Hinweis auf das soziologische Faktum, daß keine Gemeinschaft ohne eine Führung existieren könne 33 . Die Führung müsse hierbei in der Hand eines einzelnen, wobei auch in einem kleinen Kreis, wie z.B. „dem inneren Kabinett", sich die Führung dieser Gruppe wiederum auf eine Person konzentriert 34 . Dieser Umstand, Konzentration der Führung der Regierung auf eine kleinere Gruppe, die wiederum einen Führer hatte, war bestimmend für die Arbeit des britischen Kriegskabinetts unter Churchill während des Zweiten Weltkriegs und wurde dann auch typisch für die britische Regierungsführung in der Nachkriegszeit bis in die jüngste Vergangenheit 35. Die Führung einer jeden Gemeinschaft hat vor allem zu gewährleisten, daß zwischen den Gliedern der Gemeinschaft eine klare und effiziente Arbeitsteilung erfolgt. Sie hat die Gemeinschaft bei der Erfüllung der Aufgaben zu steuern; sie hat für die Einheitlichkeit der Gemeinschaft nach außen zu sorgen und sie hat in Krisensituationen Entscheidungen zu treffen 36 . Diese Aufgaben der Führung sind charakteristisch für jede Form von Gemeinschaft, egal ob es sich um eine Partei, einen Kegelklub oder eine Bergwandergruppe oder die Regierung eines Staates handelt37. Der Unterschied in der Führung zwischen diesen verschiedenen Formen der Gemeinschaft besteht lediglich im Grad der Notwendigkeit, die Führung auszuüben. In einem Kegelklub wird diese Notwendigkeit weitaus geringer sein als in einer Bergwandergruppe im Hochgebirge oder in der Staatsführung. Aber jede der aufgezählten Gemeinschaftsformen trägt gleichermaßen in sich die Gefahr der Auflösung, wenn diese über keine einheitliche und effektive Führung verfügt 38 .

31 32 33 34 35 36 37 38

Ellwein/Hesse, S. 315. Weichmann, Vorarbeit für den Staatschef, , S. 33. Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 654. Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 654. Chester , S. 96. Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 655. Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 655. Weber, Staat und Gesellschaft, S. 541.

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

125

Darüber hinaus besteht die Gefahr, abhängig von der Bedeutung der Gemeinschaft für deren Glieder, daß sich diese ohne Führung in existentielle Gefahr begeben, z.B. bei einer Berwandergruppe, die sich beim Aufstieg auflöst und „atomisiert". Von ganz besonderer Wichtigkeit ist jedoch die Führung der Regierung, denn nur durch sie kann die Einheitlichkeit des Regierungshandelns sichergestellt werden 39 . Diese Einheitlichkeit ist jedoch für die Regierungsarbeit von größter Bedeutung, da die Regierung die Verwaltung zu führen hat und von den obersten Staatsorganen das einzige ist, welches exekutiv handelt und damit konstitutiv ist für jedes Staatswesen40. Nur mittels der Regierungsdisziplin kann die Regierung überhaupt erst die Führung der Staatsgeschäfte ausüben und die Leitung und Koordinierung der Verwaltung durchführen 41. Politische Macht bedarf jedoch der Konzentration, um die Gefahr ihrer Atomisierung und einer daraus folgenden Latenz zur Anarchie des Gemeinwesens zu bannen42. Sie wird immer von ihren Trägern ausgeübt, und dies kann eine Einzelperson sein oder eine Mehrzahl von Personen wie im Kollegialsystem. Bei der Ausübung von politischer Macht durch eine Mehrzahl von Personen besteht jedoch die Gefahr, daß sich diese Personen in ihrer Entscheidungsfindung behindern und blokieren 43 . Politische Macht bedarf deshalb der Konzentration, zumindest soweit sie exekutiv ausgeübt werden soll. Eine solche Konzentration ist jedoch am besten durch die Zusammenfassung dieser Macht in den Händen eines einzelnen zu erreichen. Soweit einer solchen Konzentration exekutiver Macht eine demokratische und starke Kontrolle gegenübersteht, so wäre dies eine Mischung aus Elementen der Demokratie und der Oligarchie und könnte damit am ehesten geeignet sein, den aristotelischen Ansatz in der Staatslehre von der Mischform als der besten Form des Staatswesens zu erfüllen 44 . Regierungsbildung und Regierungsfähigkeit bedürfen somit des Einzelnen, der Träger der politischen Initiative ist 45 . Dieser Umstand verliert auch nicht an Gewicht unter den Bedingungen der modernen Massendemokratie, wenn auch dort die Führerauslese unter anderen Gesichtspunkten erfolgt als in der antiken Polis oder im mittelalterlichen Ständestaat46.

39 Aus der Sicht des Praktikers: Weichmann, Vorarbeit für den Staatschef, , S. 33; aus der Sicht der Wissenschaft: Eschenburg, Staat und Gesellschaft, Fn. 15; Weber, Staat und Gesellschaft, S. 541; Hennis , Richtlinienkompetenz, S. 166. 40 Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 668. 41 Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 729. 42 Leisner, Der Führer, S. 44. 43 Leisner, Der Führer, S. 48. 44 Leisner, Der Führer, S. 22; man denke hierbei nur an die amerikanische Verfassung, die einem starken Präsidenten einen starken Kongreß gegenüberstellt. 45 Jaspers, S. 50. 46 Jaspers, S. 50; Hennis, ZfP 1982, S. 241, 280.

126

E. Mängelanalyse

Der Führer unter den Bedingungen der modernen Massendemokratie ist zwar Exponent der Masse, aber wirkliche Führung setzt voraus, daß die Persönlichkeit als Individuum entscheidet, das „aus eigenem Ursprung das Steuer ergreifen kann auch gegen die Masse47. Ein Führer, der in Krisenzeiten oder, wie es Jaspers bezeichnete, an den „Wendepunkten der Daseinsordnung", lediglich ein Reflex der Menge ist oder ein bloßes Abbild innerparteilicher Klüngeleien, der wird schwerlich zur wirklichen Führung im Sinne verantwortlicher Entscheidung fähig sein48. Letztendlich stellt sich in solchen Situationen die Frage nach dem Selbstverständnis, dem „Amtsgewissen", und der Verantwortung des Führers 49. Fühlt er sich bloß der eigenen Gefolgschaft/Klientel verantwortlich und nur den von ihm repräsentierten Partikularinteressen 50; oder fühlt er sich dem Gemeinwohl gegenüber verantwortlich und in der Pflicht 51? Erst individuelles Handeln ermöglicht Verantwortlichkeit, die jedoch in den modernen Massenorganisationen wie auch in Kollegialorganen nicht mehr individuell zuordbar ist 52 . Kollektive Entscheidungen verbreiten hingegen eine „gespenstische Unsicherheit" 53, und solcherart atomisierte Entscheidungen begünstigen ein „Sich-nichtverantwortlich-Fühlen". Mit zunehmender Heterogenität in der Führung, als Folge vonHeterogenitätinder Gruppe der Geführten 54, nimmt der Grad der individuellen Zurechenbarkeit von Führungsentscheidungen ab 55 . In einem Staatswesen der modernen Massendemokratie ist der Grad der Homogenität in der Gruppe der Geführten wesentlich geringer als in Unternehmen, Fakultäten oder ländlich geprägten Gebietskörperschaften, wie bei einer Vielzahl der Schweizer Kantone56.

47

Jaspers, S. 51. Zum Problem der innerparteilichen Karrieren als Ergebnis von Fraktionierung und Negativauslese: Scheuch, S. 116 f.; Schachtschneider, Res publica res populi, S. 683. 49 Hennis , Amtsgedanke und Demokratiebegriff, S. 15. 50 v.Arnim bezeichnet in „Wenn der Staat versagt" die Verhinderung einer parteipolitischen Feudalisierung als eine der Grundfragen des heutigen Staatsrechts; so auch Schachtschneider, Res publica res populi, S. 772. 51 Jonas, S. 215. 52 Jaspers, S. 52; Schreckenberger im Hinblick auf die Entscheidungen von Koalitionsrunden und deren politikgestaltende Wirkung. 53 Jaspers, S. 52. 54 Schachtschneider, Res publica res populi, S. 680 f. zum Thema des Verlustes der Homogenität in den modernen Gemeinwesen. 55 Daher ist eine kollektive Führung in eher homogenen Organen, wie z.B. einer Fakultät oder einem Vorstand, eher denkbar als in modernen Staatswesen. Aber schon Vorstände großer Unternehmen neigen dazu, dem Vorstandsvorsitzenden eine herausgehobene Stellung zu geben und dieses Amt einzeln zu besetzen, so z.B. die Deutsche Bank AG, die von der traditionellen Doppelbesetzung der Vorstandssprecher abgerückt ist. 56 Hennis, Richtlinienkompetenz, Anmerkungen, S. 270: Eine rein kollegialische Führung der Regierungspolitik stößt selbst in einem Kleinstaat wie der Schweiz an ihre Grenzen; Leisner, Staatseinung, S. 103, weist auf die Besonderheiten bei der Schweizer Staatseinung unter Bezug auf deren Kleinheit hin. Siehe auch Steiner, S. 143, der die Kollegialstruktur der Schweizer Regierung verantwortlich macht, für verzögerte Entscheidungsprozesse, Entscheidungsblockaden, S. 145, und für die Verwischung von Verantwortlichkeiten, S. 146. 48

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

127

Individuelles Handeln ist jedoch Voraussetzung für persönliche Zurechenbarkeit. In einer Gruppe läßt sich Verantwortlichkeit schnell leugnen und fällt die Zurechenbarkeit schwer 57. In diesem Sinne, bezogen auf das einzelne Individuum 58 , ist auch erst ein Handeln orientiert am kategorischen Imperativ 59 des Immanuel Kant möglich. In seinem Plädoyer für das Mehrheitswahlrecht hat Karl Albrecht Schachtschneider sehr eindringlich darauf hingewiesen, daß „in einem Wahlkreis nur einem Kandidaten die Vertretung des ganzen Volkes überantwortet werden kann" und nicht einer Gruppe, wie z.B. einer Partei 60 . Denn der Abgeordnete ist Vertreter des ganzen Volkes und nicht nur einer Partei 61 . Was aber für den Abgeordneten gilt, muß aber um so mehr für die Mitglieder der Regierung gelten, ihre Verantwortung muß auf das Wohl des gesamten Volkes bezogen sein und nicht auf das von Partikularinteressen 62. Aber auch Schachtschneider weist bei diesem Typus des Abgeordneten auf dessen soziologische Bezogenheit hin, er ist einerseits Vertreter des gesamten Volkes, aber andererseits repräsentiert er dieses, bezogen auf seinen Wahlkreis (und nicht bezogen auf die Interessen des Nachbarwahlkreises). Ebenso wie der Abgeordnete, auf seinen Wahlkreis bezogen, die Interessen des gesamten Volkes vertritt, so vertritt der Minister die Interessen des gesamten Volkes, bezogen auf sein Ressort, das er immer versuchen wird gegenüber den Interessen der anderen Ressorts durchzusetzen 63. Um das Faktum des Ressortegoismus zu kompensieren, bedarf es des verantworlichen Regierungschefs. Dieser muß kraft seines Amtes die Interessen des Gesamtwohls im Auge haben64. Der Amtseid des Bundeskanzlers verpflichtet diesen deshalb, auch für das Wohl des gesamten Volkes einzutreten und nicht nur für das Wohl seiner Partei oder der Mehrheit 65 .

57

Bolland, Senat und Bürgerschaft, S. 70, der auf die schweren Unruhen in Hamburg durch die Einführung des Klassenwahlrechts 1906 hinweist, der aber betont, daß die Einführung im Senat höchst umstritten war und gegen den Willen der damaligen Bürgermeister erfolgt sei (Heinrich Burchard und Georg Mönckeberg), die jedoch dann diese Fehlentscheidung vor demonstrierenden Bürgern vertreten mußten. 58 Kant, § 8, Lehrsatz I V , S. 44. 59 Kant, § 7 , S. 41. 60 Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1086. 61 Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1086, 1150, 1157; so der Wortlaut von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG. 62 So ausdrücklich die Eidesformel für die Mitglieder der Bundesregierung gem. Artt. 64 Abs. 2 i.V.m. 56 GG; für den Hamburger Senat siehe Art. 38 HV. 63 Stadtstaatenkommission, S. 140 f.; Weichmann, Vorarbeit für den Staatschef, , S. 33/34; auf die faktische Entwicklung des Ressortprinzips mit Ressortegoismus wurde auch in den Interviews hingewiesen; Hennis, Richtlinienkompetenz, S. 166. 64 Weichmann, Vorarbeit für den Staatschef, , S. 33. 65 Artt. 64 Abs. 2 GG i.V.m. 56 GG; Friauf, in: FG für Heinrich Herrfahrt, S. 61.

128

E. Mängelanalyse

Das Prinzip der Personalisierung der Regierungsführung entspricht dem Amtsgedanken in der parlamentarischen Demokratie, der das Amt als „responsible government" verstanden wissen will 6 6 . Basis des so dargelegten Amtsgedankens sind klare Berufungs- und VerantwortungsVerhältnisse, nicht solche von Kollektiven, sondern von verantwortlichen Amtsträgern 67. Die verfassungsrechtliche Richtlinienkompetenz, wie sie hier verstanden werden soll, würde den Ersten Bürgermeister zum verfassungsrechtlich verantwortlichen Amtsträger machen. Daneben sprechen aber auch rein praktische Gründe, nämlich der Erhalt der Handlungsfähigkeit der Regierung für die Personalisierung der Senatsführung. Der Erhalt der Handlungsfähigkeit der Regierung ist, wie ein Blick in das Grundgesetz und die Landesverfassungen zeigt, eine der zentralen Aufgaben - wenn nicht sogar die wichtigste - der Staatsfunktionen 68. Anders als bei der Legislative, wo ein Bedürfnis nach Meinungspluralität im parlamentarischen System geradezu notwendig ist, um die verschiedenen Meinungen und Strömungen in der Bevölkerung widerzuspiegeln und wo am Ende der Beratungen ein Entscheidung stehen sollte, die mit Mehrheit getroffen worden ist, kommt es innerhalb der Regierung nicht so sehr darauf an, eine pluralistische Meinungsvielfalt wiederzugeben, sondern auf deren Einheitlichkeit 69 . Denn ein jedes Regierungsmitglied repräsentiert nicht zuletzt auch ein Ressort der Verwaltung und diese müssen zusammenwirken und nicht gegeneinanderwirken, um effizient zu sein. Sofern die Einheitlichkeit der Regierung strukturell nicht gewährleistet ist, wird auch die Einheitlichkeit der Verwaltung nicht oder nur unzureichend gegeben sein. Der Mangel der Einheitlichkeit der Verwaltung in Hamburg, unklare Entscheidungsprozesse und die daraus folgenden Effizienzdefizite sind zumindest seit den 70er Jahren in Hamburg immer wieder beklagt worden 70 . Auf der anderen Seite stehen die Beispiele für die offensichtliche Uneinheitlichkeit kollektiver Regierungen, insbesondere des Hamburger Senats. So zeigten sich die Durchsetzungsprobleme des Ersten Bürgermeisters in Hamburg im Frühjahr 1992 anläßlich dessen vorheriger Ankündigung, das Senats-

66 Hennis , Amtsgedanke und Demokratiebegriff, S. 15; Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1150. 67 Hennis , Amtsgedanke und Demokratiebegriff, S. 15; Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1150. 68 Schachtschneider bezeichnet deshalb die Regierungsbildung als Pflicht aller Abgeordneten und aller Fraktionen, derer sich das Parlament nicht durch Selbstauflösung entziehen darf, siehe: „Das Hamburger Oppositionsprinzip", S. 184. 69 Schmidt-Jortzig, S. 10. 70 Hartwich, S. 101; Handelskammer Hamburg, Informationen, 18.1.1989: Verwaltungsreform - eine standortpolitische Notwendigkeit.

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

129

gesetz aus dem Jahre 1987 über die Pensionen der Senatoren aufzuheben. Hierbei ist zu beachten, daß dieses Gesetz Anlaß für die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses war (Stichwort: Hamburger Diätenskandal)71. Das Bild der Uneinheitlichkeit des Senats in der Öffentlichkeit und im Parlament in dieser für Hamburgs politische Kultur so wichtigen Frage war evident 72 . Schon 1988 konstatierte der ehemalige Erste Bürgermeister Hans Ulrich Klose, bezogen auf die mangelnde Richtlinienkompetenz, daß die verfassungsrechtlich schwache Position des Ersten Bürgermeisters „zu vorzeitigem Verschleiß" des Ersten Bürgermeisters führe, weil die einzige Macht in dessen Überzeugungskraft bestehe73. Auffälig ist, daß in der hamburgischen Nachkriegsgeschichte die Ersten Bürgermeister, abgesehen von der Wahl des Hamburger Blocks und dessen späterer Abwahl, niemals in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Bürgerschafts- oder Senatswahl zurückgetreten sind, sondern immer aus Gründen dieses „Verschleißes", d.h. wegen mangelnder Durchsetzung im Senat, der Regierungsfraktion und der Regierungspartei zurücktreten mußten. Selbst die immer wieder als beispielhaft zitierten Bürgermeister Brauer und Weichmann, die der Richtlinienkompetenz nicht bedurft haben sollen 74 , erklärten ihren Rücktritt, weil sie nicht mehr in der Bürgerschaft die notwendige Durchsetzungskraft hatten75. Im Gegensatz dazu sind - bis auf Konrad Adenauer, der im wesentlichen aus Altersgründen zurücktrat, und Willy Brandt die Bundeskanzler nicht derart von der eigenen Regierung, Fraktion oder Partei demontiert worden, daß sie zurücktreten mußten. Daß hierbei auch Bundeskanzler dem politischen Verschleiß unterliegen und die Unzufriedenheit in den eigenen Reihen die Position des Kanzlers schwächen können, ist unbestritten. Aber die Verfassungsordnung des Grundgesetzes gibt dem Rücktritt des Bundeskanzlers eine so zentrale Bedeutung, daß jede Partei weiß, daß der selbst herbeigeführte Rücktritt des Kanzlers i.d.R. mit dem Verlust der Regierungsfähigkeit bezahlt werden muß 76 . Für die Minister bedeutet darüber hinaus der Rücktritt des Kanzlers erst einmal den Rücktritt der gesamten Regierung und damit den Verlust des eigenen Amtes.

71

Hierzu v.Arnim, in: FAZ vom 11.12.1991: „Wie man Privilegien erwirbt und Vertrauen verspielt." 72 HAB1. vom 14.2.1992: „Der Senat kommt nicht auf einen Nenner". 73 HAB1. vom 8.10.1988: „Hamburg braucht eine starke Regierung". 74 Wiegand, NBD 7-8/1988, S. 85. 75 Paul O. Vogel, im: HAB1 vom 15.9.1992 und 16.9.1992: „(K)ein Herz und (k)eine Seele"; das „Muskelspiel der Mehrheits-Fraktion", wonach ursächlich für den Rücktritt Weichmanns die Verabschiedung des Hochschul- und des Personalvertretungsgesetzes waren. 76 Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 46. 9 Wieske

130

E. Mängelanalyse

Schon Max Weber hat herausgearbeitet, daß im parlamentarischen System kein Platz für eine kollektive Regierung mehr sei 77 . Denn das parlamentarische System arbeitet nach „dem Prinzip der kleinen Zahl", d.h. Entscheidungen werden von Einzelnen getroffen 78. Je größer ein Gremium ist, um so schwerer können dort auch wichtige Entscheidungen getroffen werden 79 . Weber bezeichnete dies als eine für die Massendemokratie typische und notwendige Kombination zwischen parlamentarischem Prinzip und „cäsaristischen Momenten" 80 . Notwendige Folge dieser Entscheidungsdominanz des Premiers ist dann jedoch auch dessen alleinige parlamentarisch-politische Verantwortlichkeit, die nicht von diffusen und anonymen kollegialen Zuständigkeiten verdrängt werden darf 81 . Die politische Auseinandersetzung über die Ausübung dieser Macht findet dann im Parlament statt. Hierbei folgen die Abgeordneten ihrem „Spitzenmann", solange dieser sich als erfolgreich darstellen kann und somit für den einzelnen Abgeordneten die Chance seiner Wiederwählbarkeit gegeben ist, solange der Premier in der Öffentlichkeit als erfolgreich gilt 8 2 . Bereits Hugo Preuß hatte schon vor der Jahrhundertwende auf den Zusammenhang zwischen parlamentarischer Regierungsform und Führung der Regierung durch einen Kanzler bzw. Premier hingewiesen, wobei er sich ausdrücklich am britischen Regierungssystem orientierte 83 . Der Premier sei dabei verantwortlich für die allgemeine Richtung der Politik, deren leitende Grundsätze er allein zu bestimmen habe84. Leitgedanke für die Personalisierung der Richtlinienkompetenz ist also zum einen der Umstand, daß Entscheidungen von einzelnen Personen getroffen werden und nicht von Gruppen. Dieses Prinzip gewinnt um so größere Bedeutung, je schneller eine Entscheidung getroffen werden muß, wie z.B. in Krisensituationen. Ferner steigt die Bedeutung dieses Prinzips, je größer und differenzierter die betroffenen Gruppeninteressen sind. Dies dürfte gerade für moderne Regierungen gelten, deren Mitglieder in erster Linie die Interessen ihrer Ressorts vertreten (Ressortegoismus) 85 und die ihrer „Parteiseilschaft" bzw. Klientelgruppe, die sie in das Amt gebracht hat. Wenn diese Umstände für eine starke verfassungsrechtliche Position des Regierungschefs sprechen,

77

Weber, Parlament und Regierung, S. 586; Eschenburg, DÖV 1954, S. 193, 199; Preuß, S. 195; Ellwein/Hesse, S. 315; Hennis , Richtlinienkompetenz, S. 166. 78

Weber, Parlament und Regierung, S. 540.

79

Weber, Parlament und Regierung, S. 549. Weber, Parlament und Regierung, S. 540.

80 81 82 83 84 85

Weber, Parlament und Regierung, S. 473; Preuß, S. 197. Weber, Parlament und Regierung, S. 483. Preuß, S. 194. Preuß, S. 195. Weichmann, Vorarbeit für den Staatschef, , S. 33.

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

131

so haben jedoch andererseits der Ressortegoismus und die Bedingungen des modernen Parteienstaates eine faktische Machtbegrenzung auch des verfassungsrechtlich optimal ausgestatteten Regierungschefs, wie z.B. des Bundeskanzlers, zur Folge 86 . In einer strikten Kollegialregierung wird deshalb die Entscheidungfindung langsamer verlaufen als in einer Regierung, in der ein Regierungschef über die Richtlinienkompetenz verfügt 87 . Die Entscheidungen in der Kollegialregierung werden jedoch nicht besser oder richtiger sein als die in einer Regierung, in der ein Regierungschef über die Richtlinienkompetenz verfügt, denn Entscheidungen eines Kollegialorgans tendieren in die Richtung des geringsten Widerstandes und des am wenigsten störenden Kompromisses 88. Darüber hinaus ist die persönliche Verantwortung eines jeden Regierungsmitglieds für die Gruppenentscheidung geringer als die des Regierungschefs für die von ihm getroffene Einzelentscheidung (mag auch diese das Ergebnis von Vorabstimmungen sein). Deshalb werden die Gruppenmitglieder, also die Senatoren, größere Aufmerksamkeit den Entscheidungen widmen, die ihr Ressort betreffen, fur das sie die politische Verantwortung tragen, als den allgemeinen Richtlinienentscheidungen, für die dann „nur" das inhomogene Gremium in seiner Gesamtheit verantwortlich ist. Beispiele für die vorgenannten Aussagen lassen sich aufzeigen, bei Entscheidungsfindungen in den strikt kollegial organisierten Senaten von Hamburg wie von Bremen. So stellte in Hamburg der Parlamentarische Untersuchungsausschuß Hafenstraße (PUA) in seinem Abschlußbericht einhellig fest, daß in Sachen „Hafenstraße" ein entscheidungsunfähiger und zerstrittener Senat eine frühzeitige Lösung des Problems verhindert habe, das seit 1982 den Senat beschäftigt habe89. Dem Senat wurde im Bericht des PUA vorgeworfen, daß bei der Lösung des Problems „Hafenstraße" klare Entscheidungen des Senats unterblieben oder wiederholt vertagt wurden, daß Fachbehörden teilweise gegeneinander gearbeitet hätten und die persönlichen und politischen Überzeugungen einzelner Senatoren die Entscheidungem des Senats blockiert haben90. Die Kollegialität des Senats habe die Konzeptionslosigkeit des Senats zur Folge gehabt und „zeitweise zu einer Blockade von Entscheidungen" geführt, so der SPD-Abgeordnete und Ausschußvorsitzende Jens Klarmann 91 .

86 Schreckenberger, in: FAZ Nr. 104 vom 5.5.1992, S. 12: „Sind wir auf dem Wege zu einem Parteienstaat?" 87 Steiner, S. 143, 145 und 146 mit Kritik am Kollegialsystem in der Schweiz. 88 Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 745. 89 HAB1. vom 9.12.1988: „PUA Hafenstraße rügt den Senat"; FAZ vom 12.1.1989: „Voscherau: Das war kein Ruhmesblatt". 90 HAB1. vom 9.12.1988: „PUA Hafenstraße rügt den Senat". 91 F A Z vom 12.1.1989: „Voscherau: Das war kein Ruhmesblatt".

132

E. Mängelanalyse

Erst durch den Alleingang des damaligen Ersten Bürgermeisters konnte das Problem „Hafenstraße", kurz vor dem Eintritt von bürgerkriegsähnlichen Unruhen deeskaliert werden 92 . Dieser Alleingang des Ersten Bürgermeisters, dessen verfassungsrechtliche Zulässigkeit senatsintern wie öffentlich in Zweifel gezogen wurde, konnte nur mit der Drohung des Rücktritts durch den Ersten Bürgermeisters von diesem überhaupt durchgesetzt werden 9 3 . Nach seinem Rücktritt beklagte der damalige Erste Bürgermeister Klaus v.Dohnanyi diesen Mangel an verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten für den Ersten Bürgermeister. Denn ohne diesen hätte „vieles schneller, energischer und anders" von ihm gemacht werden können94. Auch hier wieder wird die mangelnde Richtlinienkompetenz als Grund für Entscheidungsdefizite im Senat angegeben. Selbst wenn man bei der einen oder anderen Aussage unterstellen wollte, daß hiermit Regierungspolitiker auch Fehl verhalten zu entschuldigen suchen, so zieht sich die Entscheidungsschwäche des Senats wie ein roter Faden durch die Entwicklung des Problems „Hafenstraße", trotz der personellen Wechsel im Senat. Ähnliche Entscheidungsdefizite lassen sich auch in Bremen erkennen, wo der Senat von der Verfassung ebenfalls strikt kollegial organisiert ist und der Präsident des Senats nicht über die Richtlinienkompetenz verfügt 95 . Insgesamt hat die Notwendigkeit der Koordinierung der Ressortinteressen, der Formulierung und Entscheidung der Gesamtpolitik im Interesse des Staatswohls und damit ggf. auch in gewisser Distanz zum Parteienwohl in den modernen Staaten eher zu- als abgenommen. Damit hat auch die Notwendigkeit zugenommen, dem Regierungschef hierfür verfassungsrechtlich die Richtlinienkompetenz einzuräumen. 2. Die Notwendigkeit der Verbindung von Richtlinienkompetenz mit dem Recht, die Senatsmitglieder zu berufen und abzuberufen Wie im ersten Teil festgestellt wurde, soll Richtlinienkompetenz nicht nur als das Recht, die Richtung der Regierungspolitik zu bestimmen, verstanden werden, sondern auch das Recht des Regierungschefs beinhalten, die Mitglieder „seiner" Regierung auszuwählen, nötigenfalls zu entlassen, und die Verpflichtung der Regierungsmitglieder, im Falle der Ablösung des Regierungschefs das eigene Regierungsamt aufgeben zu müssen.

92 93 94 95

taz vom 17.11.1987: „Lösungsmöglichkeiten für den Hafenstraßen-Konflikt". H ABl. vom 16.9.1988: „Hafenstraße: Dohnanyi drohte mit Rücktritt". H ABl. vom 7.10.1988: Klaus v.Dohnanyi sprach „Klartext". Der Spiegel Nr. 49 (1988) vom 5.12.1988: „Bremen/An den Kragen".

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

133

In der öffentlichen Diskussion um die Einführung der Richtlinienkompetenz für den Ersten Bürgermeister wird diese in der Regel auch als Synonym für das Senatorenauswahl- und Senatorenentlassungsrecht verstanden 96. Auch in der verfassungsrechtlichen Literatur wird das Recht des Bundeskanzlers, die Richtlinien der Politik zu bestimmen, in einen unlösbaren Zusammenhang mit dem Ministerauswahl- und dem Ministerentlassungsrecht gestellt97. Mit diesem Recht wird dem Regierungschef erst ermöglicht, die von ihm vorgegebene Richtung der Politik wirksam zu bestimmen und über deren Einhaltung zu wachen. Denn dort, wo der Regierungschef gezwungen sein sollte, einen Minister schriftlich auf die Befolgung der Richtlinien der Politik hinzuweisen, da sei, bezogen auf diesen Minister, die Richtlinienkompetenz des Regierungschef bereits gescheitert - so Konrad Adenauer 98. Dieser Hinweis verdeutlicht, daß die Richtlinienkompetenz dort am besten garantiert werden kann, wo der Träger der Richtlinienkompetenz das Recht hat, die Regierungsmitglieder auszuwählen, um mit diesen gemeinsam „seine Richtlinien der Politik" zu verwirklichen, ohne auf diese in förmlicher Weise hinweisen zu müssen. Orientiert an den Typen der Herrschaft nach Max Weber, ist die Ausübung der Richtlinienkompetenz ohne das Ministerauswahlrecht im System der legalen Herrschaft überhaupt nicht möglich, da die gesetzte und sanktionsbewährte Regelung Voraussetzung des Gehorchens unter der legalen Herrschaft ist 99 . Im Unterschied dazu kommen die daneben denkbaren Herrschaftstypen, traditionelle Herrschaft und charismatische Herrschaft, innerhalb moderner Regierungen nicht oder nur kaum zur Geltung, und diese unterliegen dann einem sehr starken Verschleiß, wie das Charisma eines Ersten Bürgermeisters in Hamburg nach einer gewonnenen Wahl, so jedenfalls der frühere Hamburger Bürgermeister Klose 100 . In der politischen Praxis in Hamburg, wie auch in den anderen Stadtstaaten, hat zwar der erfolgreiche Spitzenkandidat ein faktisches Senatsbildungsrecht (das insoweit über den Text der Verfassungen in Hamburg und Bremen hinausgeht), aber da der designierte Regierungschef auf die parlamentarische

96 F A Z vom 28.10.1976: „Mehr Macht für Hamburgs Bürgermeister"; Welt am Sonntag vom 31.10.1976: „Kompetenzen sieht die F.D.P. ganz nostalgisch"; NDR 1, Mittagsausgabe vom 9.8.1986, Mitschrift der Staatlichen Pressestelle, Frage von Bernd Schröder, S. 1. 97 98 99

Hennis, Richtlinienkompetenz, S. \61, Herzog, in: M D H , Art. 64Rn. 19, Art. 65 Rn. 4. Herzog, in: M D H , Art. 65 Rn. 16. Weber, Legitime Herrschaft.

100 H ABl. vom 25.4.1988: „Spaltung der SPD nur mühsam verdeckt", Reaktionen auf die Nominierung des neuen Bürgermeister-Kandidaten. So auch der ehemalige Bürgermeister Klose in einem Gespräch mit dem Verfasser: „Nach einer gut gewonnenen Wahl ist der Erste Bürgermeister etwa acht Wochen sehr stark; dann ist er wieder schwach."

134

E. Mängelanalyse

Zustimmung zu seiner Regierungsmannschaft in einzelner und geheimer Wahl angewiesen ist, muß er, um das Scheitern der Regierungsmannschaft zu verhindern, schon bei deren Aufstellung „faule Kompromisse" eingehen101. Daß es sich bei der Gefahr von „U-Booten", d.h. von Abgeordneten der Regierungsfraktion, die entgegen vorheriger Ankündigung die Wahl einzelner Regierungsmitglieder unterlaufen, nicht nur um eine theoretische Gefahr handelt, beweist der von diesen veranlaßte Sturz des Senats Stobbe in Berlin sowie die unterschiedlich hohe Zahl an Stimmen bei der Wahl der Senatoren in Hamburg 102 . Zwar sind auch die Ministerpräsidenten der Flächenländer bei der Bildung der Regierung nicht politisch frei. Denn auch sie müssen Koalitionsvereinbarungen, Parteiflügelproporz und sonstige erkennbare politische Faktoren bei der Bildung „ihrer" Regierung beachten103. Aber zum einen sind diese besser erkennbar und vorhersehbar als das Stimmverhalten von parlamentarischen „U-Booten". Politisch wichtige und zentrale Entscheidungen für das Staatswesen, wie die personelle Besetzung der Regierung, sind jedoch damit unkalkulierbar, in gewissem Sinne sogar zufällig und können somit abhängig von der Tagesform einzelner Abgeordneter sein 104 . Zum anderen müssen in den Flächenländern und im Bund die politischen Akteure beachten, daß kein Amtsaspirant für ein Ministeramt ohne den Vorschlag des Regierungschefs in das Kabinett aufgenommen wird und daß darüber hinaus der Regierungschef bei dem Zuschnitt der Ressorts die Macht eines jeden Ministers einschränken oder ausweiten kann 105 . Der Druck von Gruppen auf die Regierung ist zwar typisch für das parlamentarische Regierungssystem, aber die Verfassungen im Bund und in den Flächenländern geben dem Regierungschef mit dem Auswahl- und Entlassungsrecht der Minister ein verfassungsrechtliches Gegengewicht, um ein

101

Stadtstaatenkommission, S. 130. Dazu Härth, JR 1986, S. 221 ff.: „Zur verfassungsrechtlichen Stellung des Regierenden Bürgermeisters in Berlin"; HAB1. vom 27.6.1991: „Bürgerschaft bestätigt Voscheraus sieben neue Senatoren". 103 Schreckenberger, in: FAZ Nr. 104 vom 5.5.1992: „Sind wir auf dem Weg zu einem Parteienstaat?" 104 Stadtstaatenkommission, S. 131; zur Problematik der geheimen Wahl des Regierungschefs unter dem Aspekt der öffentlichen Rechenschaftspflicht der Parlamentarier, siehe Steffani, JfP 1992, S. 25, 35. 105 So hatte Bundeskanzler Kohl dem CSU-Innenminister Zimmermann 1986 den Bereich der Reaktorsicherheit entzogen und ihn damit geschwächt, bevor dieser in das Verkehrsministerium „abgeschoben" wurde; trotz eindeutiger Koalitionsvereinbarung konnte deshalb Bundeskanzler Kohl gegenüber der F.D.P. sein Mißfallen äußern über die Wortwahl des Kandidaten für das Wirtschaftsministerium Rexrodt, daß der Bundeskanzler dessen Nominierung zur Kenntnis zu nehmen habe. Zum Kanzlerprärogativ bei der Regierungsbildung, in: FAZ vom 18.1.1991: Der eigentliche Akt der Regierungsbildung. 102

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

135

Mindestmaß an Einheitlichkeit der Regierung sicherzustellen, dessen es in den Stadtstaaten und insbesondere in Hamburg ermangelt 106 . Daß der Regierungschef mit dieser Kompetenz durchaus wuchern kann, zeigen die Ministerberufungen des Bundeskanzlers in den Jahren 1987/88, die den parteipolitischen Erwartungen der CDU nicht entsprochen hatten und beweisen, daß der Regierungschef bei der Wahrnehmung seiner Ministerauswahlrechte durchaus frei agieren kann 107 . Diese Freiheit des Regierungschefs hat eine weitaus stärkere republikanische Legitimation, „die dem Grundgesetz entspricht", als die Vergabe der Ministerämter nur nach parteipolitischen Erwägungen 108 . Die Senatorenauswahl durch die Bürgerschaft hat im Verhältnis zwischen Regierung und Parlament bereits eine strukturell angelegte Machtverschiebung zugunsten des Parlaments zur Folge 109 . Zwangsläufig ist eine derart stark abhängige Regierung, in der jedes einzelne Regierungsmitglied von der Mehrheitsfraktion auch persönlich abhängig ist, wesentlich anfälliger gegenüber dem Druck von Minderheiten als eine Regierung, die vom Regierungschef gebildet wird und nur diesem gegenüber abhängig ist. Der ehemalige Hamburger Bürgermeister Klaus v.Dohnanyi bezeichnete deshalb das Recht der Bürgerschaft, die Senatoren zu wählen, als die „wahre Crux" in Hamburg 110 . Durch dieses Recht werde das Gewicht und die Entscheidungsfreiheit des Senats beschnitten zugunsten von innerparteilichen Seilschaften und innerfraktionellen Kleingruppen 111 . Die Wahl durch die Bürgerschaft und der Umstand, daß das Entlassungsrecht ausschließlich der Bürgerschaft und dieser in geheimer Wahl zusteht, hat eine auch nicht zu unterschätzende Auswirkung auf das senatsinterne Verhalten der Senatsmitglieder. Die einzelnen Senatsmitglieder werden sich deshalb in ihrem Verhalten mehr an ihrer Partei- oder Fraktionsklientel orientieren als an einer weitgehend sanktionslosen Teamsolidarität oder an den „Richtlinien der Politik" des Gesamtkollegiums. Es ist deshalb kein Zufall, wenn Senatsmitglieder ihre senatsinternen Minderheitsvoten in die Öffentlichkeit tragen oder in „offenen Briefen" Senatskollegen angreifen 112 . Aufgrund dieser verfassungsrechtlich heterogen angelegten Struktur des Hamburger Senats, die deutlich wird durch die individuelle Legitimation, die ein jedes Senatsmitglied mit seiner Wahl durch die Bürgerschaft erhält, wird der Senat anfällig für die

106

Stadtstaatenkommission, S. 132.

107

Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1123. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1123/1124.

108 109

So für Berlin Hürth, JR 1986, S. 221, 222.

110

v.Dohnanyi, im: HAB1. Nr. 1 vom 2.1.1992: „Alles wagen für Hamburg". v.Dohnanyi, im: HAB1. Nr. 1 vom 2.1.1992: „Alles wagen für Hamburg". Die Welt Nr. 135 vom 13.6.1986: „Konflikt im Hamburger Senat".

111 112

136

E. Mängelanalyse

Forderungen von Minderheiten, die über die einzelnen Senatsmitglieder in diesen hineingetragen werden und wird sich bei seiner Entscheidungsfindung nicht in erster Linie an deren Richtigkeit ausrichten, sondern eher zu sachfremden Kompromissen neigen als zu einer an dem Regierungschef und dessen Richtlinien orientierten Politik 113 . Diese schon strukturell angelegte heterogene Binnenstruktur des Senats führt nicht nur zu einer Stärkung von Minderheiten innerhalb der Regierungsfraktion, sondern wird auch von der Opposition als „Hebel" betrachtet, um die Uneinheitlichkeit im Senat sichtbar werden zu lassen. Bei einer Initiative im Jahre 1986 zur Einführung der Senatorenernennung durch den Ersten Bürgermeister hat die hieran notwendigerweise zu beteiligende CDU-Opposition durch ihren damaligen Fraktionsvorsitzenden Perschau diesen Punkt als „nicht verhandelbar" bezeichnet114. Aber hierzu ist, angesichts des strukturellen Handlungsdefizits des Senats, in den Folgejahren ein Umdenkungsprozeß bei der größten Oppositionspartei festzustellen, so daß eine vom Vorsitzenden der CDU-Bürgerschaftsfraktion Kruse berufene Kommission zur Reform der Hamburger Verfassung Mitte 1990 empfahl, daß zukünftig der Erste Bürgermeister allein die Senatoren ernennen und entlassen solle 115 . Infolge des Rücktritts der Senatoren Eva Leithäuser und Rolf Lange im August 1986 wurde in der Öffentlichkeit und in den Medien von einer „Senatskrise" gesprochen 116. Ausdruck dieser Senatskrise war zum einen der Rücktritt der für die innere Sicherheit zuständigen Senatsmitgliedern, zum anderen jedoch die Nichtbesetzung dieser zentralen Ressorts, die dann durch senatsinterne Neuverteilung der Zuständigkeiten aufgefangen werden sollte. Diese Situation war sichtbarster Ausdruck der Handlungsunfähigkeit des Senats und der Senatskrise. Die im August 1986 vorgesehene Übergangslösung, die nur bis zur damals bevorstehenden Neuwahl im November bestehen bleiben sollte, blieb jedoch mehr als ein Jahr in Kraft, angesichts der durch die Wahl entstandenen „Hamburger Verhältnisse", die die Bildung eines neuen Senats verhinderten. Weil der Erste Bürgermeister in diesem Fall nicht das Recht hatte, Senatoren zu bestimmen und einzusetzen und dies ihm nur über den Weg der Wahl durch die Bürgerschaft möglich gewesen wäre (drei Monate vor der Wahl), war eine effektive Senatsumbildung faktisch nicht möglich, und das Wort von der (verfassungsrechtlich verursachten) „Senatskrise" hatte damit seine Bestä-

113 Stadtstaatenkommission, S. 132; v.Dohnanyi, im: H ABl. vom 2.1.1992: „Alles wagen für Hamburg". 114 H ABl. vom 18.8.1986: „Ohne CDU läuft nichts". 115 CDU-Verfassungskommission, S. 20. 116 NDR 1, Mittagsausgabe vom 9.8.1986, Mitschrift der Staatlichen Pressestelle S. 1.

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

137

tigung gefunden, da der Erste Bürgermeister im allgemeinen und in solchen Krisensituationen im besonderen mit sehr viel weniger Rechten ausgestattet ist als die Regierungschefs in den Flächenländern oder der Bundeskanzler 117. Auf der anderen Seite hat, trotz der verfassungsrechtlichen Situation in Hamburg, die CDU-Opposition, angesichts des Rücktritts der Senatoren Leithäuser und Lange, gleichfalls den Rücktritt des Ersten Bürgermeisters gefordert, obgleich nicht er das Recht zur Senatorenbestellung hat, sondern die Bürgerschaft 118 . Mit dieser Forderung hatte sich die Opposition am klassischen Verständnis von parlamentarischer Verantwortung orientiert, nämlich daß der Regierungschef die Verantwortung für die Richtlinien der Politik trägt einschließlich der Besetzung der Regierungsämter sowie für das Handeln der Ressortchefs. Sie entsprach jedoch nicht der Hamburger Verfassungslage. Das Senatorenwahl- und -abberufungsrecht durch den Träger der Richtlinienkompetenz ist jedoch nicht nur notwendig, um neue Senatoren zu bestellen, es ist gleichsam erforderlich, um die Disziplin innerhalb des Senats sicherzustellen. Auch hierfür bieten die Ereignisse aus der jüngeren hamburgischen Geschichte Beweis. So faßte der Senat nach dem sog. „Hamburger Kessel" einen Beschluß, der das Handeln der Polizei, d.h. die Einkesselung der Demonstranten billigte. Gegen diesen Senatsbeschluß und in bewußter Kritik am Präses der Innenbehörde haben sich dann die Senatoren Jan Ehlers und Jörg Kuhbier in offenen Briefen gewandt 119 . Die Mitteilung über die Meinungsäußerungen im Senat in Form von öffentlichen Briefen verletzte zum einen die Pflicht zur Vertraulichkeit über den Inhalt der Senatssitzungen aus § 15 Abs. 3 GOSen, zum anderen wurde hierdurch die politische Uneinheitlichkeit des Senats sichtbar, die in der Öffentlichkeit wiederum als „Senatskrise" bezeichnet wurde 120 . Da sich die Senatoren Ehlers und Kuhbier jedoch beinahe auf ein Drittel der Abgeordneten in der Regierungsfraktion stützen konnten, und nur die Mehrheit der Bürgerschaft diese Senatoren hätte absetzen können, war eine Entlassung dieser Senatoren für den Ersten Bürgermeister nicht möglich, obgleich hier die Uneinheitlichkeit des Senats und ein höchst unsolidarisches Verhalten offensichtlich geworden war 1 2 1 . Als Antwort auf diese Senatskrise teilte der Sprecher des Hamburger Senats der Öffentlichkeit lediglich mit, daß der Erste Bürgermeister seine Mißbilligung über die Veröffentlichung der Briefe ausge-

117

Thieme, in: „Hamburger Journal" vom 13.1,1988, Mitschrift der Staatlichen Pressestelle vom 14.1.1988. 118 HAB1. vom 1.8.1986: „Warum ist Dohnanyi jetzt nicht vor Ort?". 119

taz vom 12.6.1986, Dokumentation. Die Welt vom 13.6.1986: „Die Krise im Senat schwelt weiter"; taz vom 12.6.1986: „Senatskrise wegen Polizeieinsatz". 121 taz vom 12.6.1986: „Regierungskrise fünf Monate vor der Bürgerschaftswahl". 120

138

E. Mängelanalyse

sprachen habe und der Senat den Ausspruch der Mißbilligung „zustimmend zur Kenntnis genommen" habe 122 . Man kann darüber spekulieren, ob ein Erster Bürgermeister, der das Recht zur Senatorenentlassung gehabt hätte, angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Bürgerschaft tatsächlich die Senatoren entlassen hätte, wie dies vom damaligen Bürgermeister v.Dohnanyi gefordert worden war 1 2 3 . Der Erste Bürgermeister hätte jedoch diese Option gehabt, die zumindest einen „abschreckenden" Charakter gegenüber undisziplinierten Senatsmitgliedern hätte. Ebenso wie die Frage berechtigt zu sein scheint, ob der Erste Bürgermeister angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Regierungsfraktion die Entlassung hätte vornehmen können, so wäre zu fragen, ob die Regierungsfraktion - fünf Monate vor der Wahl - im Falle einer solchen Entlassung von zwei Senatoren durch den Ersten Bürgermeister, ihrerseits den Ersten Bürgermeister und Spitzenkandidaten gestürzt hätte und damit ihre eigenen Wahlchancen minimiert hätte. Festzustellen bleibt, daß durch diese Vorgänge eine öffentlich sichtbare Demontage des Ersten Bürgermeisters und Spitzenkandidaten erfolgt war, die für die Regierungspartei ihren Niederschlag im Wahlergebnis und den sich daran anknüpfenden „Hamburger Verhältnissen" fand 124 . Diese Ereignisse machen deutlich, daß politische Richtlinienbestimmung mit dem Recht verbunden sein muß, die Regierungsmitglieder auszuwählen und entlassen zu können, und daß der Erste Bürgermeister in Hamburg dieses Rechtes zur Vermeidung der vorstehend geschilderten Senatskrisen und zur effektiven Führung der Regierung bedurft hätte. Gegen diesen Schluß wurde vereinzelt der Einwand erhoben, daß es sich bei den oben geschilderten Senatskrisen um ein singuläres Problem des damaligen Bürgermeisters Klaus v.Dohnanyi gehandelt habe, das keine Verfassungsänderung notwendig machen würde 125 . Doch den Wunsch nach einer Verfassungsänderung äußerte bereits der Amtsvorgänger Dohnanyis, Bürgermeister Klose, während seiner Amtszeit und auch später 126 . Vor allem beklagte Klose das Fehlen von verfassungsrechtlichen Machtmitteln für den Ersten Bürgermeister, dessen einziges

122

Staatliche Pressestelle Mitteilung vom 12.6.1986. taz vom 12.6.1986: „Wer veröffentlicht wann, wie und wo zuerst?". 124 Saretzki, ZParl 1987, S. 16, 18, Die Wahl zur Hamburger Bürgerschaft vom 9.11.1986. 125 So der ehemalige F.D.P.-Fraktionsvorsitzede Wiegand, im: H ABl. vom 11.8.1986: Dohnanyi will die Verfassung ändern. 126 H A B 1 . vom 3.11.76: „Klose zur Verfassungsänderung"; H ABl. vom 8.10.1988: „Hamburg braucht eine starke Regierung". 123

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

139

Machtmittel „sein Mundwerk" sei 127 . Aber auch schon frühere Bürgermeister, wie Herbert Weichmann, verstanden sich nicht „nur" als primus inter pares, sondern als derjenige, der die politische Richtung bestimmt 128 . Auch in dem anderen hanseatischen Stadtstaat Bremen wurde das Fehlen der Richtlinienkompetenz, verbunden mit dem Senatorenauswahl- und Entlassungsrecht, für den Präsidenten des Senats als Defizit bei der Krisenbewältigung angesehen129. Ähnliches gilt auch für Berlin, wo zwar der Regierende Bürgermeister das Recht hat, die Mitglieder seines Senats dem Abgeordnetenhaus vorzuschlagen, aber die Senatoren von dem Abgeordnetenhaus in einzelner und geheimer Wahl gewählt werden müssen (Art. 41 Abs. 2 Berliner Verfassung). Diese Verfassungsregelung hat mehrfach zu unvorhersehbaren Situationen und Senatskrisen aufgrund des Abstimmungsverhaltens einzelner Abgeordneter geführt, die bei der Wahl der Senatskandidaten ein anderes Abstimmungsverhalten praktiziert hatten, als vorher angekündigt, und als sog. „U-Boote" in der Berliner Nachkriegsgeschichte zum Sturz der Regierung Stobbe beigetragen haben 130 . Auch für v.Dohnanyis Nachfolger im Amt des Ersten Bürgermeisters, Henning Voscherau, wurde bereits bei Amtsbeginn deutlich, welche Auswirkungen die Senatorenwahl durch die Bürgerschaft haben kann, als der von ihm für das Amt des Innensenators vorgeschlagene v.Schoeler von dem Koalitionspartner F.D.P. als nicht wählbar bezeichnet wurde, obgleich nach der Koalitionsvereinbarung die Besetzung des Amtes des Innensenators der SPD vorbehalten war 1 3 1 . In dieser Situation zeigte sich, daß durch die Wahl der Senatoren durch die Bürgerschaft ein zusätzliches Druckmittel gegen den Regierungschef besteht, das hier politisch dazu benutzt werden konnte, um das Vorschlagsrecht des anderen (größeren) Koalitionspartners für die Besetzung der Senatorenämter zu unterminieren. Hierbei war auch nicht im Ansatz an der fachlichen Eignung v.Schoelers Kritik geübt worden, sondern er war von der F.D.P. lediglich mit dem Hinweis auf seine frühere Parteizugehörigkeit abgelehnt worden 132 . Bei einer verfassungsrechtlichen Situation wie im Bund hätte der Regierungschef die Ernennung des von ihm vorgeschlagenen Ministers vornehmen können (Art. 64 Abs. 1 GG), und der damit unzufriedene

127 128

HABl. vom 8.10.1988: „Hamburg braucht eine starke Regierung".

Weichmann, Vorarbeit für den Staatschef, , S. 33; FAZ vom 11.10.1983, S. 4: „Herbert Weichmann - ein preußischer Hanseat". 129 Vorwärts Nr. 47 vom 19.11.1988: „Bremen/Viel Ärger an der Weser". 130 Stadtstaatenkommission, S. 45; Drucks. 10/916 des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 5.9.1986. 131 Morgenpost vom 31.5.1988: „Koalitions-Krach: F.D.P. will ihren Ex-Mann nicht"; FAZ vom 2.6.1988 : „ Schoelers Verzicht auf das Innenressort beendet den Hamburger Koalitionsstreit". 132 F A Z vom 3.6.1988: „Hamburger Regierungsparteien wollen die Koalition nicht gefährden".

140

E. Mängelanalyse

Koalitionspartner hätte zu überlegen gehabt, ob er deshalb seine Minister aus der Koalition zurückzieht. Unter der Hamburger Verfassung hätte hingegen der Erste Bürgermeister nur durch die Drohung mit dem eigenen Rücktritt versuchen können, seinen bzw. den Besetzungs vor schlag seiner Partei durchzusetzen. Aber auch diese Drohung hätte wahrgemacht nur bedeutet, daß ein neuer Bürgermeisterkandidat zu suchen wäre, da die anderen Senatsmitglieder „ewig im Amte" sind 133 . Die Koalition wurde fortgesetzt und der Besetzungs Vorschlag v.Schoeler zurückgezogen, aber der Erste Bürgermeister war desavouiert, und das Klima im Senat und in der Koalition blieb bis zum Ende der Koalition 1991 erheblich belastet. Die Gefahr von „U-Booten" bei personellen Änderungen im Senat ist aber auch nach der Erledigung der sozialliberalen Koalition in Hamburg nicht gebannt, denn nun bei alleiniger SPD-Mehrheit in der Bürgerschaft wurde anläßlich eines möglicherweise bevorstehenden Wechsels des Zweiten Bürgermeisters und Wirtschaftssenators Krupp zur Landeszentralbank darüber spekuliert, ob der Nachfolger im Senat aus den Reihen der vorhandenen Senatsmitglieder rekrutiert werden müsse, um so eine Neuwahl eines neuen Senatsmitglieds durch die Bürgerschaft zu umgehen 134 . Die Einräumung des Rechts für den Ersten Bürgermeister, die Senatoren zu berufen und auch zu entlassen, erscheint somit zentral und regelungsbedürftig, nicht nur, um die Position des Ersten Bürgermeisters zu stärken, sondern vor allem um die „Handlungsfähigkeit der Regierung der Stadt" 135 zu gewährleisten und um die Richtlinien der Politik effektiv durchsetzen zu können. 3. Die Schaffung der notwendigen Kongruenz zwischen der politischen und der verfassungsrechtlichen Verantwortlichkeit des Ersten Bürgermeisters in Hamburg Die Anhörungen des Untersuchungsausschusses „Senats-Gesetz", der die politische Verantwortlichkeit für das 1987 verabschiedete Senatsgesetz aufklären sollte, das gekennzeichnet war durch eine sehr üppige Diätenregelung, konnten nicht aufklären, wer Initiator dieses Gesetzes war. In der Befragung durch den Untersuchungsausschuß verneinte der 1987 amtierende Erste Bürgermeister v.Dohnanyi seine Urheberschaft 136. Den Hinweis auf die verkürzte Lesung dieses Gesetzes durch die Bürgerschaft, der er als Vertreter des Senats zugestimmt

133 134 135 136

David, Art. 33 Rn. 16. H ABl. vom 14.11.1992: „Voscheraus Alternativen". v.Dohnanyi, HAB1. vom 2.1.1992: „Alles wagen für Hamburg". H ABl. vom 26.2.1992: „Ich habe das Gesetz nicht gemacht".

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

141

hatte, konterte v.Dohnanyi mit dem Hinweis auf die verfassungsrechtlichen Verantwortlichkeiten: „Der Souverän - die Bürgerschaft - hat einstimmig beschlossen. Was wollen Sie als Bürgermeister dann noch machen?" 137 . Die Auseinandersetzungen über die Initiatorenschaft dieses Senatsgesetzes, das erheblich das Vertrauen der Bürger in die politische Klasse in Hamburg belastet hatte 138 , zeigte bei dem Versuch seiner Aufklärung, wie unklar die verfassungsrechtlichen Verantwortlichkeiten in Hamburg sind, und wie verschlungen und wechselseitig wiederum die Verflechtungen - auch parteiübergreifend - sind; denn immerhin wurde dieses Gesetz 1987 von allen Parteien der Bürgerschaft verabschiedet 139. Die hieraus abgeleitete Forderung nach persönlichen Konsequenzen, die der Kritiker v.Arnim erhob, mag zwar politisch verständlich sein, aber sie entspricht nicht der verfassungsrechtlichen Lage in Hamburg, die nur das Handeln von Kollegialorganen kennt. Auf der anderen Seite machte eine Umfrage des Dortmunder FORSA-Institutes deutlich, daß die Hamburger Bevölkerung, veranlaßt durch diese Diätenregelung, erheblich an Vertrauen in die politischen Parteien verloren hatte und interessanterweise politisch den Ersten Bürgermeister für die Diätenregelung verantwortlich machte, obgleich er als gleichberechtigtes Mitglied des Senats das Senatsgesetz wie auch das spätere Diätengesetz verfassungsrechtlich nicht hätte stoppen können 140 . Politische verantwortlich wird der Erste Bürgermeister aber auch in der Bürgerschaft gemacht, so z.B. für behauptete Fehlleistungen einzelner Senatsmitglieder, z.B. der Stadtentwicklungssenatorin, oder für das Kompetenzgerangel zwischen einzelnen Senatsmitgliedern 141. Auch hier wird in Hamburg, wie in allen Bundesländern, der „Regierungschef" für Fehlentwicklungen parlamentarisch zur Rechenschaft gezogen, obgleich Richtliniengeber das Kollegialorgan Senat und Kreativorgan dieses Senats die Bürgerschaft ist, der Erste Bürgermeister verfassungsrechtlich lediglich ein Geschöpf des Kollegialorgans Senat ist. Eine politische Umkehrung dieser verfassungsrechtlichen Situation war daher auch die Forderung der CDU-Opposition nach Neuwahl, anläßlich des Rücktritts des Ersten Bürgermeisters Klaus v.Dohnanyi im Mai 1988 142 . Politisch begründete die CDU ihre Forderung nach Neuwahl der Bürgerschaft mit dem Umstand, daß die Hamburger SPD vier Bürgerschaftswahlkämpfe als Persönlichkeitswahlen mit dem Spitzenkandidaten Dohnanyi geführt habe und daß es daher ein Gebot

137 138 139

H ABl. vom 26.2.1992: „Ich habe das Gesetz nicht gemacht". Morgenpost vom 16.12.1991: „Der Bürgermeister büßt Vertrauen ein". v.Arnim, in: FAZ vom 11.12.1991: „Wie man Privilegien erwirbt und Vertrauen verspielt".

140

FORSA-Umfrage, in: Morgenpost vom 16.12.1992.

141

H ABl. vom 31.10.1991: „Voscherau ohne Orientierung". FAZ 20.5.1988: „Meinungsstreit über Dohnanyis Rücktritt".

142

142

E. Mängelanalyse

der Glaubwürdigkeit sei, bei Rücktritt der „Wahllokomotive" Dohnanyi Neuwahlen auszurufen 143. Unbestritten ist hierbei die Tendenz, daß die Wahlkämpfe auch in den Bundesländern geprägt sind vom jeweiligen Spitzenkandidaten für das Amt des Regierungschefs, seiner Ausstrahlung, seiner Wirkung und seinem Charisma 1 4 4 . Diese Fixierung auf den Spitzenkandidaten ist ebenfalls in Hamburg feststellbar 145 . Der Wählerschaft sind nicht die Namen der Senatsmannschaft bekannt, sondern in der Regel nur die Namen der Bürgermeisterkandidaten der großen Parteien. Diese sind im Wahlkampf die beherrschenden Figuren, und auch in Hamburg stellt, wie im Bund, die Demoskopie die Frage nach der Wählerpräferenz bezüglich der möglichen Bürgermeisterkandidaten. Dies hat zur Folge, daß Wahlverluste dann auch in erster Linie dem Spitzenkandidaten zugerechnet werden, wie z.B. die Wahlverluste der SPD 1986 dem damaligen Bürgermeister v.Dohnanyi angelastet wurden 146 . Auf der anderen Seite ist eine gewonnene Wahl die stärkste (politische) Legitimation des Ersten Bürgermeisters 147. Bei der direkten Zurechnung der Wahlergebnisse fallen politische Wirklichkeit und verfassungsrechtlich vorgeschriebene Kollegialität auseinander. Im Wahlkampf steht der Spitzenkandidat im Mittelpunkt. Er wird den Wählern als Repräsentant einer bestimmten Politik „verkauft", bzw. der Wähler gibt ihm und nicht einem ihm weithin unbekannten Team das Vertrauen. Der Wahlkampf in Hamburg wird, ebenso wie im Bund und in den anderen Bundesländern, durch die Parteien und durch die Spitzenkandidaten geführt, nicht jedoch so sehr durch die Senatsmannschaften, die aber verfassungsrechtlich Träger der Richtlinienkompetenz sein sollen 148 . Dieser Umstand kann aber dazu führen, daß der Spitzenkandidat dann später als Erster Bürgermeister zurücktritt, daß jedoch der Senat, der mit ihm als Wahllokomotive gebildet wurde, unverändert fortbesteht 149. Angesichts der politischen Wirklichkeit und der zentralen Stellung des Spitzenkandidaten bei der politischen Legitimation im Wahlkampf erscheint die Forderung der CDU anläßlich des Rücktritts von Klaus v.Dohnanyi politisch durchaus gerechtfertigt, wenngleich sie der bestehenden Verfassung zu-

143

H ABl. vom 11.5.1988: „Die CDU fordert Neuwahlen". F A Z vom 14.3.1990: „Albrechts Zukunftspläne". 145 Saretzki, ZParl 1987, S. 16, S. 19. 146 FAZ vom 12.11.1986: „Das Schlimmste trifft doch manchmal ein"; H ABl. vom 12.11.1986: „Die Begegnung mit dem Unmöglichen". 147 So der ehemalige Erste Bürgermeister Hans-Ulrich Klose in einem Interview mit dem Verfasser, daß er als Spitzenkandidat nach der gewonnenen Wahl von 1978 ca. acht Wochen Handlungsfreiheit gehabt habe. So auch Voscherau im HAB1. vom 13.10.1990: Abendblattgespräch. 148 Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1153, der auf den Umstand hinweist, daß sich im heutigen Parteienstaat die Parteien in ihren Führern repräsentieren; ebenso HoffmannRiem, Bericht der Enquete-Kommission, S. 100. 149 David, Art. 33 Rn. 16. 144

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

143

widerläuft 150 . Die in der politischen Praxis herausgehobene Stellung des Ersten Bürgermeisters hat ihre wohl stärkste politische Legitimation aus der Position des Ersten Bürgermeisters als Spitzenkandidat im Wahlkampf. An diesem Umstand beweist sich auch die These von Max Weber, wonach Wahlentscheidungen in der modernen parlamentarischen Massendemokratie nachhaltig von der Ausstrahlung und dem politischen Credo des Spitzenkandidaten bestimmt werden 151 . Diesen Umstand bezeichnet Weber als das „cäsaristische Element" in der modernen Massendemokratie 152. Als Pendant dieser cäsaristischen Heraushebung des Spitzenkandidaten folgt dessen alleinige politische Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament und gegenüber der Wahlbevölkerung. Ein kollegiales System der Regierung scheitert deshalb schon an den Bedingungen des Wahlkampfes in der Massendemokratie. Ein System wie das hamburgische Kollegialsystem kann das Faktum des modernen Wahlkampfes in der Massendemokratie nicht außer Kraft setzen, ist aber nicht in der Lage, der herausgehobenen Stellung des Spitzenkandidaten eine auch besonders ausgestaltete verfassungsrechtliche Verantwortlichkeit gegenüberzustellen bzw. folgen zu lassen. Nach dem Wortlaut der Verfassung könnte sich der Spitzenkandidat bezüglich seiner Verantwortung immer hinter die kollegiale Struktur des Senats zurückziehen. Diesen Widerspruch zwischen Verfassung und politischer Wirklichkeit versuchte die von der CDU-Bürgerschaftsfraktion berufene Verfassungskommission mit ihren Empfehlungen zu beseitigen, indem sie vorgeschlagen hatte, die Bildung des Senats in die Hand des Ersten Bürgermeisters zu legen und ihm die Richtlinienkompetenz „im Einvernehmen mit dem Senat" einzuräumen 153. Zur Begründung dieser Empfehlungen hatte die Kommission nicht in erster Linie auf die damit verbundene Stärkung der Position des Ersten Bürgermeisters hingewiesen, da dieser politisch schon jetzt eine dominierende Position habe, die aber verfassungsrechtlich nicht geregelt und damit auch nicht einer besonderen verfassungsrechtlichen Verantwortlichkeit und Kontrolle unterworfen sei, sondern vor allem betonte die Verfassungskommission die damit verbundene größere verfassungsrechtliche Verantwortlichkeit des Ersten Bürgermeisters für das Regierungshandeln im Parlament und in der Öffentlichkeit 1 5 4 . Auf diese krasse Disparität zwischen der politischen Stellung des Ersten Bürgermeisters und seinen geringen verfassungsrechtlichen Möglichkeiten wurde von verschiedenen Autoren hingewiesen155. Dieser Mangel an Ent-

150

H ABl. vom 11.5.1988: „Die CDU fordert Neuwahl". Weber, Parlament und Regierung, S. 539. 152 Weber, Parlament und Regierung, S. 539. 153 CDU-Verfassungskommission, S. 20, 23. 154 CDU-Verfassungskommission, S. 19. 155 Stadtstaatenkommission S. 143; Ipsen, in: FS für Zeidler, S. 1182, der von einer .disparaten Verfassungslage" spricht. 151

144

E. Mängelanalyse

scheidungsmacht, der verhindert, daß sich der Erste Bürgermeisterkandidat ein Team seines Vertrauens suchen kann, erschwert die Arbeit des Ersten Bürgermeisters, der aufgrund der vorhandenen verfassungsrechtlichen Lage in besonderem Maße politisch erpreßbar ist. Schon die Drohung mit dem Rücktritt eines Senators setzt den Ersten Bürgermeister unter einen besonderen Druck, weil er in der Öffentlichkeit die Verantwortung trägt für den Bestand des Senats, ohne jedoch über die hierfür notwendigen verfassungsrechtlichen Gestaltungsmittel zu verfügen 156 . Dies gilt vor allem in Zeiten unsicherer oder knapper parlamentarischer Mehrheiten. Denn verfassungsrechtlich hat er nicht die Möglichkeit, für den rücktrittswilligen Senator ein anderes Senatsmitglied in den Senat zu berufen. Politisch wird aber der Erste Bürgermeister mit den Ministerpräsidenten der Flächenländer gleichgesetzt, und in der Öffentlichkeit wird die Lösung dieses Problems vom Ersten Bürgermeister erwartet. Auch hierin zeigt sich wieder die von Ipsen bezeichnete „disparate Verfassungslage" bezüglich der Stellung des Ersten Bürgermeisters 157. Dieser Umstand macht den Ersten Bürgermeister politisch erpreßbar 158. Die so beschriebene Verfassungslage macht es dem Ersten Bürgermeister, der noch als Spitzenkandidat seiner Partei im Wahlkampf „sein" politisches Programm den Wählern 159 propagiert hat, fast unmöglich, dieses auch im Amt durchzusetzen. Hierbei kann der Umstand unberücksichtigt bleiben, daß auch ein Regierungschef mit Richtlinienkompetenz „seine" Politik gegenüber der Legislative, der eigenen Partei/oder Koalition und der Verwaltung durchsetzen muß. Diese quasi demokratieimmanenten Durchsetzungsprobleme sind aber zusätzlich auch in Hamburg für den Ersten Bürgermeister zu berücksichtigen. Der Erste Bürgermeister als Spitzenkandidat im Wahlkampf in Hamburg wird damit in weit geringerem Maße in die Lage versetzt, die von ihm propagierte Politik auch im Amt durchzusetzen - für die er aber politisch die Verantwortung als „Spitzenmann" zu tragen hat 160 - als die Spitzenkandidaten in den Flächenländern. Hierdurch entsteht zwangsläufig ein Glaubwürdigkeitsdefizit beim Ersten Bürgermeister. Dieses wird insbesondere dann augenfällig, wenn die vom Spitzenkandidaten in der Öffentlichkeit propagierte Politik von dessen eigener Fraktion gekippt wird 1 6 1 . Hierbei war in der Nachkriegsgeschichte das Verhältnis zwischen den Ersten Bürgermeistern und der Fraktion in der Regel von Spannungen gekennzeichnet und von der verfas-

156

v.Dohnanyi, im: HAB1. vom 2.1.1992: „Alles wagen für Hamburg". Ipsen, in: FS für Zeidler, S. 1182. 158 v.Dohnanyi, im: HAB1. vom 2.1.1992: „Alles wagen für Hamburg". 159 FAZ vom 14.3.1990: „Albrechts Zukunftspläne". 160 Stadtstaatenkommission, S. 132. 161 v.Dohnanyi, im: HAB1. vom 2.1.1992: „Alles wagen für Hamburg" zur Kindergartenpolitik und zur Hafenstraße. 157

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

145

sungsrechtlich dominierenden Macht der Bürgerschaft geprägt 162 . Ein historischer Rückblick macht auch deutlich, daß diese besondere Spannung nicht erst seit Bürgermeister Peter Schulz bestanden hat, daß auch schon der CDU-Bürgermeister Kurt Sieveking keine Stütze durch seine Fraktion hatte 163 . Bemerkenswert ist, daß selbst die als „stark" geltenden Bürgermeister Weichmann und Brauer, von denen gern behauptet wird, daß sie keine Probleme mit der Hamburger Verfassung gehabt hätten 164 , letztlich auch wegen der abweichenden Politik der Bürgerschaft zurückgetreten sind. Bei Bürgermeister Weichmann waren der Auslöser das Hochschulgesetz und das Personalvertretungsgesetz, die beide gegen den Willen des Ersten Bürgermeisters von der Bürgerschaft durchgesetzt wurden 165 . Auch der „nicht ganz freiwillige Rücktritt" von Brauer war von der eigenen Fraktion betrieben worden, um den Weg frei zu machen für den Fraktionsvorsitzenden Nevermann 166 . Die verfassungsrechtlich große Macht der Bürgerschaft und damit der Regierungsfraktion schafft in Hamburg ein Netz von Abhängigkeiten, Rücksichtnahmen und Seilschaften, das „über das normale Maß" hinausgeht und politische Führung nicht zuläßt, denn politische Hauptaufgabe unter der gegenwärtigen Verfassungslage in Hamburg ist nicht die politische Führung, sondern das dauernde Bemühen, in diesem „Geflecht der Rücksichtnahmen" Mehrheitsentscheidungen zustandezubringen 167. Da in Hamburg nicht nur über die parteipolitischen Gremien Einfluß auf die politischen Entscheidungen genommen werden kann, sondern auch schon von Verfassungs wegen die Bürgerschaft direkt mitregiert (Senatsbildung, Senatorenabberufung), bleiben in Hamburg die politischen Verantwortlichkeiten unklar. Da die hierbei entscheidenden Gremien in ihrer Binnenstruktur strikt kollegial organisiert sind (Senat und Bürgerschaft), ist eine persönliche und individualisierbare Verantwortlichkeit der handelnden Politiker verfassungsrechtlich ausgeschlossen168. Entgegen der politischen Wirklichkeit, in der der Exekutive als dem zum staatlichen Handeln verpflichteten Organ der Vorrang eingeräumt ist, räumt die Hamburger Verfassung diesen Vorrang der Legislative ein und nimmt damit eine Gewichtsverlagerung zugunsten des Parlaments vor 1 6 9 . Diese Ge-

162

Paul O. Vogel, im: H ABl. vom 15.9.1992-18.9.1992: „(K)ein Herz und (k)eine Seele". Paul O. Vogel, im: HAB1. vom 15.9.1992-18.9.1992: „(K)ein Herz und (k)eine Seele". 164 Wiegand, in: NBD 7-8/1988, S. 85: „Verfassung bleibt - Voscherau kommt". 165 Paul O. Vogel, im: H ABl. vom 16.9.1992: „Das Muskelspiel der Mehrheitsfraktion". 166 Paul O. Vogel, im: H ABl. vom 15.9.1992: „(K)ein Herz und a(k)eine Seele". 167 Klose, im: HAB1. vom 8.10.1988: „Hamburg braucht eine starke Regierung". 168 v.Arnim beklagt diesen Umstand bei der Bewertung des Diätenskandals, siehe FAZ vom 11.12.1991 : „Wie man Privilegien erwirbt und Vertrauen verspielt". 169 Ipsen, in: FS für Zeidler, S. 1184/85. 163

10 Wieske

146

E. Mängelanalyse

wichtsVerlagerung, die historisch der Idee der geteilten Macht zwischen Rat und Bürgerschaft dem Rezeß von 1712 entstammt, führt jedoch zu einem Auseinanderfallen zwischen politischer und verfassungsrechtlicher Verantwortlichkeit in Hamburg. 4. Die Erhöhung der Geschlossenheit im Senat Die Stadtstaatenkommission stellt in ihrem Bericht fest, daß die bestehende verfassungsrechtliche Führungsstruktur, d.h. das strikte Kollegialitätsprinzip, die Geschlossenheit bzw. das Zusammenwirken der Senatsmitglieder mehr schwächt, als daß sie diese stärkt 170 . Dieser Umstand mag auf den ersten Blick verwundern, denn durch das strikte Kollegialprinzip sollte gesichert werden, daß die Senatsmitglieder gemeinsam die hamburgische Politik, d.h. die Richtlinien der Politik, bestimmen und darüber hinaus Einzelfragen und Ressortfragen durch den Senat entschieden werden, ohne daß die Senatsmitglieder „nur Mitarbeiter" des Regierungschefs sind. Diese Formulierung wird auf die Minister im Bundeskabinett nur insofern Anwendung finden können, soweit diese nach dem Kabinetts- und Ressortprinzip tätig werden, aber hinsichtlich der Richtlinien der Politik haben die Bundesminister kein verfassungsrechtliches Mitspracherecht, sondern sind verpflichtet, diese einzuhalten (§ 1 GOBReg). Die Schwächung der Geschlossenheit im Senat unter dem Kollegialprinzip der Hamburger Verfassung könnte seine Begründung in der Abhängigkeit der Senatsmitglieder von der Bürgerschaft 171 und im zunehmenden Gewicht des Ressortprinzips 172 finden. Die verfassungsrechtlich verankerte Abhängigkeit der Senatsmitglieder vom Parlament verpflichtet diese in weit stärkerem Maße gegenüber ihrem Partei- und Fraktionsklientel als gegenüber dem Ersten Bürgermeister, dem Gesamtsenat oder der Fraktion als ganzer 173 . Dieser Umstand untergräbt die für jede effektive Regierungsarbeit notwendige Geschlossenheit der Regierung 174 .

170

Stadtstaatenkommission, S. 137/138. v.Dohnanyi·. Die geheime Wahl der Senatsmitglieder als die „wahre Crux" in den Stadtstaaten, im: H ABl. vom 2.1.1992. 171

172 173

Weichmann, Vorarbeit für den Staatschef, S. 34.

Stadtstaatenkommission, S. 138. 174 Hennis , Richtlinienkompetenz, S. 181: „Hat ein Regierungsmitglied einmal die Überzeugung gewonnen, daß es nicht der Bundeskanzler ist, der sein politisches Geschick entscheidend in der Hand hat, sondern Parteivorsitzende, Fraktionschefs, ..., so wird die Einflußchance [des Kanzlers, d.Verf.] schwinden".

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

147

Dieser Zustand wird noch zusätzlich erschwert durch die Tatsache, daß die Senate in den Stadtstaaten mehr Ressorts umfassen als die Regierungen in den Flächenländern, da in den Stadtstaaten die kommunalen und die staatlichen Belange in den Senaten abgedeckt sind 175 . Folglich ist die Konsensbildung, schon bedingt durch die größere Zahl der Senatsmitglieder, schwieriger als in den Regierungen der Flächenländer. Diese Konsensbildung wird jedoch noch dadurch zusätzlich erschwert, daß Senatoren, um politisch überleben zu können, sich darum bemühen müssen, sich eine eigene Hausmacht in der Fraktion zu schaffen, die möglichst ausreichend sein sollte, die Regierungsmehrheit in der Bürgerschaft zu kippen, um mit dieser Hausmacht „Zünglein" an der Waage zu sein. Angesichts der vielfältigeren Rechte der Bürgerschaft, insbesondere bei der Regierungsbildung und Umbildung, kann ein solcherart parlamentarisch abgesichertes Senatsmitglied in weit stärkerem Maße als unter dem Ministerpräsidentenprinzip Druck auf den Ersten Bürgermeister, die Mehrheit im Senat oder auf die Fraktionsmehrheit ausüben, als ein Minister im Bund oder in einem Flächenstaat. Schon die Ankündigung eines solchen Senatsmitglieds, zurücktreten zu wollen, kann die Regierungsmehrheit vor Probleme stellen, weil diese ohne die Gefolgsleute des rücktrittswilligen Senatsmitglieds nicht ausreicht, um ein neues Senatsmitglied berufen zu können 176 . Zur politischen Absicherung empfiehlt es sich deshalb für ein jedes Senatsmitglied, sich eine entsprechende Hausmacht in der Fraktion und Partei zu schaffen, um damit gegenüber dem Gesamtsenat, der Fraktion und dem Ersten Bürgermeister „unersetzlich" zu sein. Aufgrund dieser politischen Situation, die bedingt ist durch die verfassungsrechtliche Situation, wird Loyalität gegenüber dem Gesamtsenat wie auch gegenüber dem Ersten Bürgermeister verfassungsrechtlich nicht belohnt. Anders formuliert: Illoyalität gegenüber dem Gesamtsenat wie auch gegenüber dem Ersten Bürgermeister bleibt verfassungsrechtlich unsanktioniert. Dies hat dann zwangsläufig zur Folge, daß die Teamsolidarität innerhalb des Senats einen geringeren Raum einnimmt als in Regierungen, die sich am Regierungschef orientieren. Hinzu kommt, daß schon bei der Senatsbildung, wie unter Ziffer 2 festgestellt werden konnte, die verschiedenen Strömungen und Kreis verbände der Regierungspartei zu berücksichtigen sind, so daß der Senat schon von Anfang an ein hohes Maß an Heterogenität aufweist 177 .

175 176 177

Stadtstaatenkommission, S. 142. v.Dohnanyi, im: H ABl. vom 2.1.1992. Pumm, ZParl 1988, S. 453, 464.

148

E. Mängelanalyse

Die Stadtstaatenkommission hat deshalb die Stärkung des Regierungschefs in den Stadtstaaten damit begründet, daß dadurch auch die Solidarität unter den Regierungsmitgliedern und die Geschlossenheit der Regierungen gesteigert werden könne 178 . Zum Beweis dieser mangelnden Geschlossenheit des Hamburger Senats lassen sich eine Vielzahl von Beispielen aus der jüngeren Vergangenheit heranziehen: Als sich 1986 nach dem sog. „Hamburger Kessel" der Senat in einer Erklärung hinter die Vorgehens weise der Polizei stellte, veröffentlichten die Senatoren Kuhbier und Ehlers in der Presse Briefe, in denen sie sich von der Erklärung des Senats und insbesondere vom Handeln ihres Senatskollegen und Innensenators Rolf Lange distanzierten 179. Fraktion und Senat reagierten offiziell überhaupt nicht. Der Erste Bürgermeister konnte lediglich mitteilen lassen, daß der Senat eine Mißbilligung des Ersten Bürgermeisters gegenüber diesen Senatsmitgliedern „zur Kenntnis genommen" habe 180 . Weitere Sanktionen für dieses Verhalten der beiden Senatoren, das in der Nachkriegsgeschichte Hamburgs bis dahin ohne Beispiel war 1 8 1 , erfolgten nicht (diese Senatoren hielten es aber auch nicht für angezeigt, den Senat zu verlassen, was angesichts der kollektiven Verantwortlichkeit des Senats nur konsequent gewesen wäre). Sanktionen konnten aber auch nicht erfolgen; denn die Senatoren Kuhbier und Ehlers waren als Exponenten des linken Flügels mit einer ausreichenden Hausmacht in der Fraktion geschützt vor einer Entlassung, die nur durch die Bürgerschaft herbeizuführen gewesen wäre, ebenso wie die Wahl ihrer Nachfolger. Dieser z.T. offen ausgetragene Streit zwischen Senatoren, die als Exponenten unterschiedlicher Parteiflügel gelten, wird auch unter Dohnanyis Nachfolger, Bürgermeister Voscherau, deutlich. Bei der Bildung des Senats versuchte Bürgermeister Voscherau, ein Wahlversprechen, das er als Spitzenkandidat abgegeben hatte, mit der Bildung der Behörde für Stadtentwicklung zu verwirklichen. Bei der Kompetenzzuweisung für diese Behörde konnte die Zuständigkeitszuweisung für die Bearbeitung von Großprojekten im Senat erst mit dem Doppelstimmrecht des Ersten Bürgermeisters im Oktober 1991 durchgesetzt werden 182 . Doch schwelte der Streit in der Öffentlichkeit weiter bis April 1992. Erst dann sah sich der Senat in der Lage, die Kompetenzen den betroffenen Senatoren zuzuweisen183. Hierbei ging der Hauptgegner der neuen Behörde, der Bausenator und Exponent des Mitte-Rechts-Lagers sowie

178

F A Z vom 17.3.1988, S. 4: „Stärkung der Regierungschefs in Stadtstaaten".

179

taz vom 12.6.1986, Dokumentation. Staatliche Pressestelle, Mitteilung vom 12.6.1986.

180 181 182 183

Pumm,ZParl 1988,S.453,464;Die Weltvom 13.6.1986: „TieferRiß in Dohnanyis SPD". H ABl. vom 17.3.1992: „Müller gegen Wagner: Streit ohne Ende?". H ABl. vom 15.4.1992: „Der Senatorenstreit ist abgehakt".

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

149

des Parteikreises Mitte, Eugen Wagner, als Sieger hervor. Das Vorhandensein einer Hausmacht in Fraktion und Partei hatte es also wieder möglich gemacht, einen vorher getroffenen Senatsbeschluß zu kippen 184 . In diesen Auseinandersetzungen, die mit hoher Intensität auch und gerade über die Medien geführt werden, wird auch nicht davor zurückgeschreckt, das Abstimmungsverhalten im Kollegialorgan Senat vor der Öffenlichkeit auszubreiten und damit den Grundsatz der Geschlossenheit des Senats in der Öffentlichkeit zu durchbrechen 185. Daß es sich bei diesen Auseinandersetzungen im Senat nicht nur um parteipolitisch bedingte Kontroversen handelt, wird deutlich an dem Umstand, daß solcherart öffentlicher Streit auch während der sozialliberalen Koalition erfolgte, wo z.B. Ressortinitiativen des Kultursenators im Senat nicht die notwendige Billigung fanden und versucht wurde, dessen Politik kaputt zu machen 186 . In diesem Fall verfügte der Kultursenator und Zweite Bürgermeister über keine Hausmacht im Parlament und in seiner Partei der F.D.P. 1 8 7 , so daß auch hier, ohne Ressortgrenzen beachten zu müssen, durch die Senatskollegen in seine Politik hineinregiert werden konnte 188 . Die gegenwärtige Struktur eines allzuständigen Senats, der keine Ressortgrenzen zu beachten hat, mit kollegialer Entscheidungsfindung macht ein Hineinregieren in einzelne Ressorts wesentlich einfacher möglich und verwässert damit auch die Ressortverantwortung des jeweiligen Präses der Fachbehörde. Ob das Kollegialorgan Senat hiervon tatsächlich Gebrauch macht und in die jeweiligen Fachbehörden hineinregiert, ist abhängig vom politischen „standing" des jeweiligen Behördenpräses 189. Die Verfassung, die im Bund mit dem Ressortprinzip ein solches Hineinregieren in andere Ressorts ausschließen will, ermöglicht in Hamburg ein solches Hineinregieren, ja regt dieses geradezu an.

184 H A B 1 . vom 21.3.1992: „Wohnungsbau: Wagners Sieg?"; HAB1. vom 15.4.1992: „Der Senatorenstreit ist abgehakt". 185 Siehe hierzu: Offene Briefe über das Abstimmungsverhalten im Senat zum „Hamburger Kessel", in: taz vom 12.6.1986; Veröffentlichungen über die Abstimung bei der Kompetenzzuweisung für die Behörde für Stadtentwicklung, im: HAB1. vom 17.3.1992: „Müller gegen Wagner" . 186 H ABl. vom 19.4.1989: „Was soll ich noch im Senat?". 187 H ABl. vom 13.5.1989: „Er paßt nicht mehr ins Parteikonzept". 188 Dieser Umstand findet seine verfassungsrechtliche Sicherung dadurch, daß der Senat als Kollegialorgan Landesregierung und oberste Landesverwaltungsbehörde ist, mit allumfassenden Zuständigkeiten, die rechtlich nicht an den Ressortzuständigkeiten ihre Grenzen finden, so Bernzen/Sohnke, Art. 33 Rn. 3/4. 189 So auch in einem Gespräch der frühere Innensenator Rolf Lange über das „Kaputtmachen" der Politik der parteilosen Kultursenatorin Schuchardt.

150

E. Mängelanalyse

Dieser Umstand jedoch zwingt die Senatoren geradezu, um ein solches Hineinregieren in ihre Behörde zu verhindern, sich eine Hausmacht in der Bürgerschaft zu schaffen, was dann wieder die Gefahr einer klientelbezogenen Politik in sich bergen muß. Die in Hamburg daher besonders bestehende Notwendigkeit, sich als Senatsmitglied eine Hausmacht zu schaffen, läuft jedoch dem Gebot der Geschlossenheit der Regierung und der Orientierung auf die Richtlinien der Politik zuwider. Die mangelnde Geschlossenheit der Regierung, die für Hamburg konzediert werden mußte, läßt sich auch in den beiden anderen Bundesländern mit stadtstaatlicher Verfassung feststellen. Im Stadtstaat Bremen wird ebenfalls beklagt, daß dort die einzelnen Unterbezirke der SPD bestrebt seien, durch eigene „Repräsentanten" im Senat vertreten zu sein 190 . Die Abhängigkeit von kleineren Gruppierungen und die damit verbundene Erpreßbarkeit des Senats wird auch unter der gegenwärtigen Berliner Verfassung konstatiert und als Umstand gewertet, der den Gesamtzusammenhang und die Geschlossenheit innerhalb der Regierung untergräbt 191 . Unabhängig vom Vorhergesagten ist jedoch auch in Hamburg wie im Bund die Tendenz nicht zu leugnen, daß sich auch hier das Ressortprinzip faktisch durchgesetzt hat. Im Sprachgebrauch der Öffentlichkeit wird deshalb auch nicht z.B. vom Senator und Präses der Innenbehörde gesprochen, sondern in Anlehnung an die Bezeichnung in den übrigen Bundesländern, schlicht vom Innensenator. Schon am Ende der 60er Jahre hat deshalb der frühere Erste Bürgermeister Herbert Weichmann auf die Notwendigkeit einer Institution innerhalb der Regierung hingewiesen, die für die Gesamtpolitik zuständig ist, da auch die besten Regierungsmitglieder immer danach bestrebt sein werden, für ihre Ressorts oder ihre Behörden ein Maximum an Mitteln und Zuständigkeiten zu sichern und erst in zweiter Linie den Gesamterfolg der Regierung im Auge haben werden 192 . Dieser Trend zum Ressortprinzip untergräbt zwangsläufig die Teamsolidarität und damit das Kollegialprinzip im Hamburger Senat. Die zunehmende Bedeutung des Ressortprinzips gegenüber dem Kollegialprinzip wird zusätzlich durch die vielfältigen Gremien der Bund-Länder- und Länder-LänderZusammenarbeit forciert, die in aller Regel auf der Ebene der Ressortverantwortlichen zusammentreten, wie z.B. die Kultusministerkonferenz oder die Innenministerkonferenz usw. In diesen kommt es darauf an, daß Hamburg

190

FAZ vom 23.11.1988: „Koschnick ermahnt die Bremer SPD". Abgeordnetenhaus von Berlin vom 5.9.1986, Drucks. 10/916 (Antrag der SPD-Opposition); Debatte hierzu in der 34. Sitzung vom 11.9.1986, S. 1910 ff., Redebeiträge Pätzold (SPD) und Finkelnburg (CDU), S. 1912; H ABl. vom 15.1.1992: Auch in Berlin neue Verfassung? 192 Weichmann, Vorarbeit für den Staatschef, , S. 34. 191

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

151

nicht nur kompetent in der Sache vertreten wird (der Senator und Präses der Behörde als Vertreter des Senats), sondern daß der Hamburger Vertreter auch befugt ist, politisch und rechtlich bindende Erklärungen für das Ressort abzugeben, wie die Ressortchefs in den Flächenländern. De facto mag dies gegeben sein, de jure jedoch sind die Fachbehörden in Hamburg nicht selbständig, und nur der Senat als Kollegium ist befugt, bindende Erklärungen gegenüber den Organen des Bundes oder der anderen Länder abzugeben193. Die Notwendigkeit der Bund-Länder- und Länder-Länder-Zusammenarbeit insbesondere auf der Ebene der Fachbehörden fördert damit auch in Hamburg das Ressortprinzip und läuft dem strikten Kollegialprinzip zuwider. Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die Kombination des strikten Kollegialprinzips mit der primären Abhängigkeit der Senatsmitglieder vom Parlament dem Zusammenhalt des Senats und dem Gebot der Geschlossenheit des Senats wenig dienlich sind und diesen eher zuwiderlaufen. Da die kollegiale Richtlinienkompetenz des Senats in ihrer praktischen Ausübung Probleme aufwirft und der Senat als Kollegium nicht über die notwendigen Durchsetzungsmittel verfügt, fehlen in der Hamburger Verfassung die Gegengewichte des Senats gegen den Ressortegoismus, die die Senatsmitglieder zu einer Orientierung auf den Gesamtsenat und seine Richtlinien verpflichten. 5. Zurückdrängen

des Einflusses der Parteien

Wie oben bereits dargestellt, ist die gegenwärtige hamburgische Verfassungslage gekennzeichnet durch eine Vielzahl von Mitwirkungrechten, insbesondere auch von solchen der Legislative bei Entscheidungen der Exekutive, bis hin zur Auswahl der einzelnen Senatsmitglieder. Diese ermöglichen der Bürgerschaft, direkten Einfluß auf die personelle Zusammensetzung, auf die interne Geschäftsverteilung des Senats und auf seine Entscheidungen in der Sache zu nehmen. Der Senat ist kann damit in besonders hohem Maße unter Druck gesetzt werden, nicht so sehr von der parlamentarischen Mehrheit, sondern mehr von Gruppierungen und Seilschaften, soweit diese Teil der parlamentarischen Mehrheitsfraktion sind. Dabei geht in Hamburg die Rücksichtnahme auf parlamentarische Gruppierungen über das „normale Maß" der Rückversicherung der eigenen Gefolgschaft hinaus, da diese Gruppierungen in der Lage sind, bei der geheimen Wahl neuer Senatsmitglieder ihre Sperrminorität wirksam ausüben können 194 .

193

Siehe auch Art. 42 Ziff. 2 H V . Stadtstaatenkommission, S. 130/131; Hoffmann-Riem, Bericht der Enquete-Kommission, S. 102, 107. 194

152

E. Mängelanalyse

Eine solche Gruppierung mit parlamentarischer Sperrminorität im Zusammenwirken mit einem Senatsmitglied ist nur im Zusammenwirken mit der parlamentarischen Opposition auszuschalten195 oder zum Preis der Selbstentmachtung. Ein beträchtlicher Teil des sog. Parteienfilzes speist sich daher aus dieser wechselseitigen Abhängigkeit, in der jede Entscheidung zugunsten eines Parteiflügels zu ihrer Durchsetzung eines Gegengeschäfts mit dem anderen Flügel bedarf 196 . Das so geschilderte Szenario 197 , das in den obengenannten Kapiteln dargestellt wurde, wird durch den Umstand des sich auch in Hamburg entwickelten Parteienstaates nicht abgeschwächt, sondern potenziert, da die großen Volksparteien keine homogene Gruppierung bilden, sondern sich aus vielen, z.T. unterschiedlichsten Gruppen zusammensetzen (Parteiflügel, Arbeitsgemeinschaften, Ausschüsse, Vereinigungen) 198 . Folglich ist die parlamentarische Mehrheit ebenso wie der Senat als Kollegium und insbesondere der Erste Bürgermeister gezwungen, sich mit diesen Gruppierungen zu arrangieren, d.h. („sachfremde") Kompromisse in Personal- und Sachfragen einzugehen 199 . Dieser Ausdruck des Parteienstaates, in Hamburg gekoppelt mit der verfassungsrechtlich schwachen Stellung der Exekutive, insbesondere des Ersten Bürgermeisters, machen den Senat als Kollegium und den Ersten Bürgermeister als den Sprecher und Repräsentanten dieses Kollegiums in besonders hohem Maße abhängig von den Parteien und ihren Seilschaften, weit mehr als die Landesregierungen in den Flächenländern und die Ministerpräsidenten mit Richtlinienkompetenz und Ministerauswahlrecht 200. Dies hat zur Folge, daß in Hamburg (wie auch in den Stadtstaaten Bremen und Berlin) „mit Seilschaften und vielfach allzu sachfremden Kompromissen" regiert werden muß 201 . Hierbei sei daran erinnert, daß in den Beratungen zur Verfassung von 1921 die direkte Wahl des Ersten Bürgermeisters mit dem Argument abgelehnt worden war, daß hierdurch der Einfluß der Parteien und

195 Schachtschneider stellt hierzu die Frage, ob nach Art. 23 a HV die Zusammenarbeit der Regierungsmehrheit mit der größten Oppositionsfraktion nach der Hamburger Verfassung überhaupt zulässig ist, in: Der Staat 1989, S. 173, 185. 196 Der Spiegel Nr. 24/1988, S. 95: Interview mit dem Hamburger Ex-Bürgermeister Dohnanyi. 197 Der Spiegel Nr. 24/1988, S. 95: Interview mit dem Hamburger Ex-Bürgermeister Dohnanyi. 198 Hennis , in: SZ Nr. 285 vom 11.12.1982. 199 v.Dohnanyi, im: HAB1. vom 2.1.1992: „Hamburg braucht eine starke Hand". 200

Stadtstaatenkommission, S. 133; Der Spiegel Nr. 24/1988, S. 95: Interview mit Dohnanyi; Dauster, S. 78; so auch Sendler für Berlin, DÖV 1987, S. 366, 374. 201

v.Dohnanyi, im: HAB1. vom 2.1.1992: „Hamburg braucht eine starke Hand"; Stadtstaatenkommission, S. 130/131.

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

153

Fraktionen auf die Wahl des Ersten Bürgermeisters zu groß werden würde 202 . Die „Väter der Verfassung von 1921" hatten noch ein Bild des Senats vor Augen, daß dieser eine in sich weitgehend homogene Gruppe sei, aus deren Mitte dann der Beste zum Ersten Bürgermeister gewählt wird 2 0 3 . Der Umstand der Heterogenität der großen Volksparteien, aus deren Reihen sich die Senatsmitglieder rekrutieren, spiegelt sich nun in der Zusammensetzung und Entscheidungsfindung des Senats wider. Hierbei unterstützt der kommunale Bezug, der das Wirken von Legislative und Exekutive in den Stadtstaaten nicht unmaßgeblich mitbestimmt 204 , den Einfluß der Parteien und insbesondere der einzelnen Parteiflügel und Gruppierungen auf die Gesamtpolitik des Senats, da alle Gruppierungen auf engstem Raum leben und zusammenarbeiten müssen, so daß noch vielfältigere Abhängigkeiten und Konfliktpunkte entstehen als in einem Flächenland, wo die unterschiedlichen Parteiflügel sich in der Fläche eines Landesverbandes besser „aus dem Wege gehen" können. Die Folgen dieser großen Nähe für die Senatspolitik werden bildhaft deutlich durch die Feststellung, in Hamburg würde eine politische Intrige nur 23 Pfennige kosten, also der Preis eines Ortsgesprächs 205. In diesem Zusammenhang darf auch nicht unterschätzt werden, daß ein wesentlicher Bestandteil der politischen Arbeit in Hamburg rein kommunale Aufgaben bilden und die Bürgerschaft eine Vielzahl von typischen Verwaltungsaufgaben einer Kommunal Vertretung zu erfüllen hat 206 . Auf den im Parteienstaat wirkenden Umstand, der besonderen Anfälligkeit der Kommunen als „Beute parteilicher Seilschaften", ist bereits in der Literatur mehrfach hingewiesen worden 207 . Hierbei erweist sich als typisch für die norddeutschen Gemeindeordnungen das Miteinander von kommunaler Exekutive (Verwaltung) und kommunaler Legislative (Gemeindeversammlung). Diese von Hause aus kooperative Gemeindeverfassung, ohne exakte Abgrenzung zwischen kommunaler Exekutive und kommunaler Legislative, die auf dem Gedanken der übergreifenden Zusammenarbeit in den Kommunen beruht 208 , schafft im besonderen Maße ein System von gegenseitigen Abhängigkeiten und unklaren Verantwortlichkeiten. Dieses wiederum fördert die Entwicklung

202

Verfassungsentwurf Oktober 1919, Allgemeine Begründung, S. 13. So der SPD-Vorsitzende Stolten 1919, der trotz SPD-Mehrheit in Bürgerschaft und Senat darauf bestanden hatte, daß der Erste Bürgermeister aus einer alten Familie aus dem bürgerlichen Lager gewählt werden solle; Witt, S. 27. 203

204

v.Dohnanyi, Das geistige Gesicht Hamburgs, S. 27/28.

205

Stoldt, in: Die Zeit Nr. 24 vom 10.6.1988, S. 16: „Die Hamburger Filzokratie".

206

Kowalewski, S. 387.

207

So die Untersuchung von Erwin K. und Ute Scheuch: Cliquen, Klüngel und Karrieren; F A Z vom 14.11.1988: „Zuviel Macht den Räten?". 208 F A Z vom 6.6.1992: „ A u f bemessene Zeit gesichert". I I Wieske

154

E. Mängelanalyse

von parteiinternen Seilschaften, die im Schatten der unklaren Verantwortlichkeiten und in ständigem Kontakt und Kompromiß mit anderen Seilschaften und Flügeln, auch der anderen Parteien, ein Geflecht von gegenseitigen Abhängigkeiten und „Erbhöfen" aufbauen 209. Als Ausdruck dieses Geflechts von Abhängigkeiten zwischen Bürgerschaft und Senat, wie auch zwischen der Regierungspartei und der Opposition in Hamburg, darf das Zusammenwirken dieser Beteiligten bei dem Versuch der Diätenerhöhung 1991 und davor bei der Erhöhung der Senatspensionen 1987 verstanden werden 210 . Die Reformüberlegungen der norddeutschen Gemeinderatsverfassung, wie sie z.B. in Nordrhein-Westfalen anläßlich der Kommunalreform diskutiert wurden, orientieren sich an der süddeutschen Bürgermeisterverfassung, mit der Direktwahl des Bürgermeisters durch die Bürger und den daraus resultierenden klareren Verantwortlichkeiten 211 . Das Ehepaar Scheuch fordert in seinen „Thesen für eine strukturelle Erneuerung der politischen Führung", daß zukünftig die Oberbürgermeister durch die Bevölkerung unmittelbar zu wählen seien, um dadurch den Einfluß der Parteien und ihrer „Kungelkreise" zu reduzieren 212 . In die gleiche Richtung zielen die Reformüberlegungen des Hamburger Ersten Bürgermeisters, der als Gegenmittel gegen die nach dem sog. „Diätenskandal " in Hamburg zu konstatierende Parteienverdrossenheit vorgeschlagen hatte, klare Verantwortlichkeiten bei den Staatsämtern zu schaffen und den Ersten Bürgermeister im Wege der Direktwahl durch die Bürger wählen zu lassen, um damit den parteilichen „Seilschaften und Kungelkreisen" ein Stück Macht zu entziehen213. Hierbei kann an den von Scheuner formulierte Satz angeknüpft werden, daß Verantwortlichkeit immer voraussetzt, daß derjenige, der zur Verantwortung gezogen werden soll, vorher auch selbständig entscheiden konnte 214 . Scheuner folgert daraus, daß in der parlamentarischen Demokratie das Kabinett nicht ein Ausschuß des Parlaments sein darf, sondern aus eigener Verantwortung eigenständig handeln muß, denn anderenfalls könnten die Regierungsmitglieder nicht zur Verantwortung gezogen werden, und damit wäre

209

Siehe Scheuch, S. 116 ff.; FAZ vom 14.11.1988: „Zuviel Macht den Räten?". Siehe v.Arnim, in: FAZ vom 11.12.1991: „Wie man Privilegien erwirbt"; siehe auch H ABl. vom 15.11.1991: „Diäten: Senat gerät ins Schußfeld". 211 FAZ vom 14.11.1988: „Zuviel Macht den Räten?". 212 Siehe Scheuch, S. 123, These 4. 213 HAB1. vom 25.4.1992: „Schluß mit dem Parteien-Gekungel!". 214 Scheuner, FS für Gebhard Müller, S. 391. 210

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

155

wirksame politische und parlamentarische Kontrolle nicht möglich 215 . Wenn man die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung als das Grundprinzip des parlamentarischen Regierungssystems 216 ansieht, so weist dessen Ausprägung im verfassungsrechtlich angelegten Verhältnis zwischen Senat und Bürgerschaft in Hamburg strukturelle Defizite auf 217 . Einzelne Autoren haben deshalb den Senat in seiner verfassungsrechtlichen Abhängigkeit von der Bürgerschaft in die Nähe eines „bloßen Vollzugsausschusses" des Parlaments und damit der Parteien gerückt 218 . Der hohe Grad der Abhängigkeit des Senats von der Bürgerschaft führt zu der für Hamburg typischen Vermischung von Verantwortlichkeiten zwischen den Verfassungsorganen einerseits und andererseits auch zu den vielfältig geteilten Verantwortlichkeiten innerhalb des kollegial organisierten Verfassungsorgans Senat. Dies wiederum hat ein schon verfassungsrechtlich angelegtes System der Abstimmungen und Rückversicherungen zur Folge, das im Parteienstaat die Bildung von Seilschaften und Kungelkreisen in hohem Maße fördert 219 . Daß es sich hierbei nicht um ein erdachtes Szenario handelt, wird bestätigt durch die Ausführungen des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Vogel, der in einer Rede 1988 auf dem Hamburger SPD-Parteitag warnte vor der Vermischung von Parteimandat, parlamentarischem Mandat und Verwaltung gerade in den Kommunen, insbesondere in bezug auf die Stadtstaaten Hamburg und Berlin 220 . Auch in dem zweiten hansestädtischen Stadtstaat, in Bremen, wird die „Ausuferung des Mitwirkens der Partei" und deren Seilschaften und Kreisverbände als geradezu typisch beschrieben, selbst von Funktionsträgern der SPD 221 . Das republikanisch gewachsene System der stadtstaatlichen hansestädtischen Verfassungen, beruhend auf dem Prinzip vielfach geteilter Macht und mit seinen immanenten Abstimmungen, wird damit unter den Bedingungen des Parteienstaates höchst fragwürdig 222 . Denn im Parteienstaat dominieren

215 Siehe schon Scheuner, AöR 1927, S. 209, 224; Dauster, S. 44; Schreiber, DVB1. 1986, S. 974, 975 zur notwendigen Entscheidungsgewalt der Bundesregierung. 216 Hennis, „Die Rolle des Parlaments und die Parteiendemoktatie" in: Die mißverstandene Demokratie, S. 96; Schreiber, DVB1. 1986, S. 974, 975. 217 So bereits Morstein, S. 10; ebenso Scheuner für die Lübecker Verfassung, in: AöR 1927, S. 209, 228; Dauster, S. 44. 218 Siehe Morstein, S. 10; ebenso Scheuner für die Lübecker Verfassung, in: AöR 1927, S. 209, 228; Dauster, S. 44. 219 Hierbei soll nicht verkannt werden, daß das Ringen um Mehrheiten immer politische Aufgabe ist. Die Hamburger Verfassung sieht aber bei der Erfüllung der exekutiven Aufgaben bereits die Abstimmung mit der Legislative vor (Senatorenwahl, Führung der Verwaltung durch die Deputationen, siehe Thieme, DÖV, 1969, S. 832, 834), aber auch der Senat hat legislative Rechte (Art. 50 H V : aufschiebender Einspruch des Senats gegen von der Bürgerschaft beschlossene Gesetze). 220 FAZ vom 20.6.1988: „Brandt und Wehner in einem". 221 FAZ vom 9.2.1989: „Von der Bremer SPD Umdenken verlangt". 222 Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 303; Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1164.

156

E. Mängelanalyse

und monopolisieren die Parteien die politische Willensbildung 2 2 3 und dort, wo früher die Bürger in hansestädtischer Tradition ihre Mitwirkungsrechte ausgeübt haben und stadtstaatliche Herrschaft auf dem Prinzip der mehrfach geteilten Macht begründet war 2 2 4 , bieten sich im Parteienstaat Ansatzpunkte, um dort „Parteisoldaten" zu postieren, dadurch Entscheidungen im Parteiinteresse zu gewährleisten und einer parteienstaatlichen Herrschaft besonderen Vorschub zu leisten 225 . Grundsätzlich ist das Faktum des Parteienstaates sowohl im Bund, den Flächenländern wie auch in den Stadtstaaten anzutreffen 226. Aber je schwächer der Parteienmacht die verfassungsrechtlichen Institutionen gegenüberstehen 227 und je stärker diese von den Parteien abhängig sind, wie in den verschränkten politischen Systemen der Kommunen 228 , um so größer ist der Zugriff der parteienstaatlichen Strukturen auf das Staatswesen. Die Klage gerade über die Macht der Parteien in den Stadtstaaten im allgemeinen und in Hamburg im besonderen dürfte mittlerweile Legion sein 229 . Als Gegenbild zum Parteienstaat gilt der Ämterstaat, als der verfaßten Form der Staatsgewalt in der Republik 230 . Dieser wird bestimmt durch das öffentliche Amt, das wie alle verfassungsmäßige Kompetenz in ihm „Trust, Treuhand, anvertraute Aufgabe, Amtsgewalt" ist, die gegeben wird zum Zweck der Realisierung der Ziele des Gemeinwesens231. Das Amt ist hierbei „das Korrelat zu jenem fundamentalen abendländischen Verständnis aller Herrschaft als einer der Gerechtigkeit und dem Gemeinwohl verpflichteten Aufgabe" 232 . D.h., der Ämterstaat ist orientiert am Telos der Politik des Strebens nach der guten Ordnung 233 .

223

Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1050.

224

Bolland, S. 37; Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 303.

225 v.Arnim, in: FAZ vom 13.7.1993: „Wenn der Staat versagt"; Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1116. 226 Schachtschneider, Der Staat 1989, S. 173, 188: Die Einführung des Oppositionsprinzips in die H V „ist die Vollendung des Parteienstaates". 227 So W. Brandt, der als Bundeskanzler 1973 auf dem SPD-Parteitag darauf hinwies, daß er als Bundeskanzler nicht Befehlsempfänger der Partei sei, Baring, S. 553. 228 v.Arnim, in: F A Z vom 11.12.1991: „Wie man Privilegien erwirbt und Vertrauen verspielt (Der Fall Hamburg)"; Hoffmann-Riem, Bericht der Enquete-Kommission, S. 28, 33; Sendler, DÖV 1987, S. 366, 374 zur Situation in Berlin, der konstatiert: „Der Einfluß der Parteien würde gleichfalls gemindert, sollte man die Stellung des Regierenden Bürgermeisters stärken". 229 Siehe hierzu die vorige Fn. 230

Schachtschneider, Res publica res populi, S. 659.

231

Hennis, Amtsgedanke und Demokratiebegriff, S. 11.

232

Hennis, Amtsgedanke und Demokratiebegriff, S. 12.

233

Schachtschneider, Res publica res populi, S. 659. Hennis, Die teleologische Orientierung, S. 59; Aristoteles, Politik, S. 114 ff., 202.

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

157

Die Amtsausübung basiert auf dem Vertrauen gegenüber der Person des Amtsträgers 234 durch diejenigen, die den Amtsträger in sein Amt berufen, und auf dem Amtsgewissen desjenigen, der das Amt als der Form der Staatsgewalt in der Republik ausübt235. Das gegebene Amtsvertrauen ist jedoch nicht unkontrolliert gegeben, sondern steht unter ständiger (parlamentarischer) Kontrolle. Unter Bezug auf sein individuelles Gewissen leistet der Amtsträger den Amtseid, mit der Fixierung des Amtes auf das Gemeinwohl und nicht auf Parteieninteressen. Der Amtsträger ist somit idealtypisch nicht dem Parteiinteresse verpflichtet, sondern dem Gemeinwohl. Voraussetzung der am Gemeinwohl orientierten Amtsausübung ist jedoch die Unabhängigkeit des Amtsträgers 236 . Klassisches Beispiel für diese Unabhängigkeit im Amt ist das Richteramt (Art. 97 Abs.l GG). Diese äußerst grobe Skizzierung des Ämterstaates soll zeigen, daß die Stärkung der amtsstaatlichen Komponente nicht nur geeignet, sondern auch erforderlich ist, um die Macht des parteienstaatlichen Systems zu begrenzen. Die von der Hamburger Verfassung angelegte Stellung des Amtes des Ersten Bürgermeisters ist jedoch nicht geeignet, diesem die notwendige Amtsausstattung237 zu geben, um dem Amt des Ersten Bürgermeisters das notwendige verfassungsrechtliche (Gegen-)Gewicht zu geben, um sich wirksam auch gegenüber parteiinternen Vorgaben durchsetzen zu können 238 . D.h., die Stärkung der amtsstaatlichen Komponente in der Hamburger Verfassung durch eine verfassungsrechtliche Stärkung des Amtes des Ersten Bürgermeisters wäre geeignet, parteienstaatliche Macht in Hamburg auf ein „bundesübliches Maß" zu begrenzen 239. Die von der Hamburger Verfassung angelegte Stellung des Amtes des Ersten Bürgermeisters ist jedoch gerade

234 Hennis, Die teleologische Orientierung, S. 13: „Vertrauen ist die seelische Grundlage der repräsentativen Demokratie". 235 Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1051. 236 Scheuner, in: FS für Gebhard Müller, S. 391; Schreiber, DVB1. 1986, S. 974, 975. 237 Siehe die Zusammenfassung am Ende von III. hinsichtlich der Amtsausstattung des Ersten Bürgermeisters und hierzu im Gegensatz die Amtsausstattung des Bundeskanzlers, so Hennis, Richtlinienkompetenz, S. 166. 238 Man denke hierbei auch an das Spannungsverhältnis zwischen dem Amtsträger und die ihn tragende Partei auch und gerade bzgl. des Amtes des Bundeskanzlers, so bei Helmut Schmidt, Willy Brandt so Baring, S. 567 ff. 239 Deshalb auch die Forderung des parteiunabhängigen Bundespräsidentenkandidaten Jens Reich nach Trennung von Parteiämtern und Parlamentsmandaten, FAZ vom 21.1.1994: „Reich will Ostdeutschland repräsentieren." Aber auch v.Arnim, der die Wahl der Ministerpräsidenten direkt durch das Volk vorschlägt, H ABl. vom 3.1.1994; ebenso Sendler, DÖV 1987, S. 366, 374 für Berlin.

158

E. Mängelanalyse

nicht dazu geeignet, diesem die notwendige Amtsausstattung zu geben, um gegenüber parteienstaatlichem Druck ein Gegengewicht bilden zu können 240 . Gegenwärtig führt die von der Verfassung angelegte Schwäche des Senats 241 zu einem Erstarken der Kräfte, die quasi als Transmissionsriemen für die dauernde Abstimmung und Rückversicherung der Verfassungsorgane notwendig geworden sind. Transmissionsriemen zwischen den Verfassungsorganen sind die Parteien, die in Hamburg aufgrund der Schwäche des Senats eine über das „normale Maß" in der Bundesrepublik hinausgehende Bedeutung und Macht erhalten haben 242 . Diese verstehen sich nun nicht mehr als „nur"-Transmissionsriemen, sondern als eigenständige Verfassungsorgane, die sich jedoch, weil sie nicht durch die Normen der Verfassung reglementiert werden, der Kontrolle weitgehend entziehen243. Das republikanisch gewachsene System der stadtstaatlichen hansestädtischen Verfassungen mit seinen immanenten Abstimmungen und dem Prinzip der gemeinsamen Regierungsausübung und der in sich mehrfach geteilten und verschränkten Macht 244 , wird so unter den Bedingungen des Parteienstaates mehr als fragwürdig, denn es steigert die Macht der Parteien über das „normale Maß" des parteienstaatlichen Einflusses in den anderen Bundesländern weit hinausgehend. Mit Recht wird deshalb in den Stadtstaaten ein politisches Gegengewicht zur Macht der Parteien vermißt, das in einem gestärkten Regierungschef bestehen könnte, wenn dieser über die Richtlinienkompetenz einschließlich des Senatorenauswahl- und Entlassungsrechts verfügt 245 . Zwar ist im Parteienstaat auch der Regierungschef ein Geschöpf der Parteien, aber er kann wesentlich unabhängiger die Politik seiner Regierung ge-

240 Anders die Stellung des Bundeskanzlers, der verfassungsrechtlich über eine hinreichende Amtsausstattung verfügt, um dem Druck der Parteien wirksam entgegentreten zu können, Hennis, Richtlinienkompetenz, S. 166. Deshalb auch der Versuch Voscheraus zur Verfassungspolitik „durch Änderung der Parteisatzung" siehe Pumm, ZParl 1988, S. 453. 241 Aber auch das Verfassungsorgan Bürgerschaft kann wiederum vom Verfassungsorgan Senat durch den aufschiebenden Einspruch in seinen Beschlüssen bei Gesetzgebungen behindert werden (Art. 50 HV). Hierbei handelt es sich um ein Relikt aus der Zeit, als der Senat noch als Erste Kammer fungierte, zur Kritik hieran schon Weichmann/David, in: Das Parlament Nr. 4 vom 24.1.1981, S. 4, Parlamentsreform - Bürgernähe - Kollegialität. 242 v.Arnim, F A Z v. 11.12.1991: „Wie man Privilegien erwirbt"; Schachtschneider, in: Der Staat 1989, S. 198; Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 160. 243 Zum Problem des Parteienstaates und seiner Überdehnung siehe z.B. Hennis, in: SZ Nr. 285 vom 11.12.1982: „Abkoppelung vom V o l k " ; Schreckenberger, in: FAZ Nr. 104 vom 5.5.1992: „Sind wir auf dem Weg zu einem Parteienstaat?". 244

Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1164; Ipsen, Hamburgs Verfassung, S. 303.

245

Sendler, DÖV 1987, S. 366, 374; FAZ vom 4.6.1988: „Parteitagsdemokratie".

III. Die Stärkung der Position des Bürgermeisters

159

genüber der Regierungspartei und ihren Flügeln vertreten, wenn er ihr mit eigenen Rechten entgegentreten kann 246 . Nicht unterschätzt werden sollte aber ferner, daß die am staatlichen Wohl orientierten Interessen der Regierung und die Interessen der Regierungspartei mehr oder minder stark differieren 247 , so daß erst eine gewisse politische Eigenständigkeit es der Regierung erlaubt, die staatlichen Interessen gegenüber der Regierungspartei wirksam durchsetzen zu können. Eine solche Eigenständigkeit kann der Regierung aber nur dann erwachsen, wenn sie mit eigenen Rechten ausgestattet ist, um die ihr von der Verfassung zugewiesenen Aufgaben - unabhängig von anderen Staatsorganen - möglichst effektiv erfüllen zu können. Dieses notwendige Maß an Unabhängigkeit gegenüber der oder den Regierungsparteien würde der Senat durch die Richtlinienkompetenz des Ersten Bürgernmeisters, verbunden mit dem Senatorenauswahl- und Entlassungsrecht, erhalten 248 .

246 So allgemein für die Regierungspolitik Schreiber, DVB1. 1986, S. 974, 975; so ausdrücklich Brandt auf dem Bundesparteitag der SPD 1973 in Hannover, Baring, S. 553. 247 Hierzu v.Dohnanyi, im: HAB1. vom 6.1.1989: Hamburg macht viele Fehler; F A Z Nr. 119 vom 24.5.1988: Voscherau will mehr Partei - Unabhängigkeit. Auf die Distanz zwischen Regierungshandeln zu den Vorgaben der Parteien im politischen Tagesgeschäft weist Schreckenberger hin, siehe Fn. 49. 248 So ausdrücklich für Berlin Sendler, DÖV 1987, S. 366, 374; so auch v.Arnim, der vorgeschlagen hat, die Macht der Parteien durch die direkte Wahl der Ministerpräsidenten einzugrenzen, im: HAB1. vom 3.1.1994: „Mehr Bürgerrechte - neue Initiative von Verfassungsrechtler Arnim".

F. Zusammenfassung und Empfehlungen für Änderungen der Hamburger Verfassung

Zurückkommend auf das Thema und die Eingangsfrage „Bedarf der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg einer in der Verfassung verankerten Richtlinienkompetenz?", so muß diese Frage bejaht werden. Wie im ersten Teil definiert, muß Richtlinienkompetenz, um effektiv wirksam zu sein, mit dem Recht verbunden werden, die Adressaten der Richtlinienkompetenz, die Minister, zu berufen und zu entlassen. Zur Begründung dieser Fülle an Rechten ist wiederum notwendig, daß der Träger der Richtlinienkompetenz selbst in direkter Abhängigkeit zum Parlament steht, um so diesem unmittelbar und persönlich verantwortlich für die Ausübung seiner Richtlinienkompetenz zu sein. Im zweiten und dritten Teil war festgestellt worden, daß die Richtlinienkompetenz im vorgenannten Sinne in Hamburg von Verfassungs wegen zwischen Senat und Bürgerschaft aufgeteilt ist. Diese Aufteilung der Richtlinienkompetenz zwischen verschiedenen Verfassungsorganen macht es in Hamburg unmöglich, politische Verantwortlichkeit einem einzelnen Verfassungsorgan zuzurechnen, geschweige denn einzelne Personen verantwortlich zu halten. Das von der Hamburger Verfassung damit geschaffene System der dauernden Abstimmung und permanenten Rückabsicherung hat zahllose Durchbrechungen der Gewaltenteilung zur Folge bis hin zur Auflösung jeglicher Verantwortlichkeiten für das Handeln im Bereich der Regierung. Dieses System ist in Hamburg historisch aus einer aristokratischen Stadtverfassung gewachsen. Jedoch lassen sich seit dem Ende des 19. Jahrhundert immer wieder Bemühungen nachweisen, das strikt kollegiale und am Gedanken des Kyrion orientierte System durch ein modernes parlamentarisches System mit klar zuortbaren Verantwortlichkeiten zu ersetzen und das Amt des Ersten Bürgermeisters verfassungsrechtlich zu stärken, wie im vierten Teil festgestellt werden konnte. Aber diese Versuche, soweit sie einer Stärkung der Regierung und hier besonders des Ersten Bürgermeisters dienen sollten, sind bisher am Einspruch der Parteien und der Fraktionen zum Erliegen gekommen, die eine Reduzierung ihrer vielfachen Mitwirkungsrechte und Beteiligungsrechte, die sie nach der gegenwärtigen Verfassung im Bereich der Regierung haben, nicht hinnehmen wollen.

F. Empfehlungen für Änderungen der Hamburger Verfassung

161

Im fünften Teil waren die Auswirkungen einer Änderung der bestehenden Verfassung erörtert worden. Hierbei mußte festgestellt werden, daß eine Verbindung der bestehenden kollektiven Richtlinienkompetenz des Senats mit dem Recht, die Senatoren zu berufen und zu entlassen, im Ergebnis zu einem Selbstergänzungsrecht des Senats führen würde und damit an vorkonstitutionelle Traditionen anknüpfen würde. Ferner war festgestellt worden, daß Richtlinienkompetenz wie auch Regierungsführung auf eine Person bezogen sein muß, um wirksam zu sein. Deshalb waren die Auswirkungen einer verfassungsrechtlichen Verbindung der Richtlinienkompetenz mit dem Amt des Ersten Bürgermeisters unter den Bedingungen des Parteienstaates untersucht worden. Im Ergebnis kann festgehalten werden, daß hierdurch die notwendige Kongruenz zwischen politischem Auftrag, den der Spitzenkandidat durch die Wahl erhält, und den verfassungsrechtlichen Befugnissen des dann gewählten Ersten Bürgermeisters, hergestellt würde. Hierdurch würden die Geschlossenheit und Teamsolidarität innerhalb des Senats zunehmen, dies würde ferner einem effektiveren und schnelleren politischen Krisenmanagement dienen, und die Verantwortlichkeiten in der hamburgischen Politik würden hiernach klarer erkennbar. Damit könnte die Gewaltenteilung in Hamburg in ein ausbalancierteres System zwischen Bürgerschaft und Senat gebracht werden, wodurch nicht zuletzt auch der Einfluß der Parteien auf die hamburgische Politik wegen der Stärkung des staatlichen Amtes des Ersten Bürgermeisters zurückgedrängt würde. All diese Gründe gebieten, daß in Hamburg das Amt des Ersten Bürgermeisters verfassungsrechtlich aufgewertet werden sollte zum echten Regierungschef und daß nur dieser - und er ausschließlich - das Recht erhält, die Richtlinien der Politik zu bestimmen, die Senatsmitglieder zu berufen und zu entlassen, ferner daß er unmittelbar von der Bürgerschaft gewählt wird und daß er der Bürgerschaft auch persönlich verantwortlich ist, für die Richtlinien der Politik seiner Regierung.

Literaturverzeichnis

Anschütz, Gerhard: Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 19. August 1919, Nachdruck der 14. Aufl. von 1933, Darmstadt 1960 Anschütz, Gerhard / Thoma, Richard (Hrsg.): Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 1, Tübingen 1930 (zitiert: Bearbeiter, in: Anschütz/Thoma) Aristoteles: Politik, ed. Gigon, 6. Aufl., Stuttgart 1984 v.Arnim, Hans: Wie man Privilegien erwirbt und Vertrauen verspielt. Der Hamburger Diätenskandal, ein Lehrstück in politischer Unkultur, in: F A Z vom 11.12.1991 Baring, Arnulf: Machtwechsel. Die Ära Brandt-Scheel, Stuttgart 1984 Becker, Ulrich: Das strukturelle Instrumentarium der Regierung und Verwaltungsführung der Freien und Hansestadt Hamburg, in: „Die Verwaltung" 1969, Heft 2/3 Bericht der Kommission zur Überprüfung von Verbesserungsmöglichkeiten in der Hamburgischen Verwaltung, Hamburg 1981 (zitiert: Haas-Bericht) Bermbach, Udo: „Kanzlerdemokratie", in: Handbuch des Deutschen Parlamentarismus, hrsg. von Röhring/Sontheimer, München 1970 Bernzen, Uwe/Sohnke, Michael: Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg: Kommentar mit Entscheidungsregister, Hamburg 1977 vom Beyme, Klaus: Die parlamentarischen Regierungssysteme in Europa, München 1970 (zitiert: vom Beyme, Die parlamentarischen Regierungssysteme) — Ministerverantwortlichkeit und Regierungsstabilität, in: Parlamentarismus ohne Transparenz (Hrsg. Winfied Steffani), 2. Aufl., Opladen 1973 (zitiert: vom Beyme, Ministerverantwortlichkeit) Bilstein, Helmut / Kramer, Wolfgang / Lange, Rolf / Troitzsch, Klaus G. : Wahlen in Hamburg 1978, Hamburg 1978 (zitiert: Bilstein) Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, Berlin 1964 Bolland, Jürgen: Ein Sonderfall in der Geschichte, in: Hamburg die Stadtrepublik und ihre Bürgerverwaltung (Hrsg. Paul O. Vogel), 2. Aufl., Hamburg 1976 (zitiert: Bolland, Ein Sonderfall) —

Senat und Bürgerschaft über das Verhältnis zwischen Bürger und Stadtregierung im alten Hamburg, Hamburg 1977 (zitiert: Bolland, Senat und Bürgerschaft)

Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Hrsg.: Rudolf Dolzer und Klaus Vogel), 41. Lieferung, März 1980 (zitiert: Schenke, in: Bonner Kommentar) Bracher, Karl Dietrich: Die Kanzlerdemokratie, in: Die zweite Republik (Hrsg. Richard Löwenthal), Stuttgart 1974 Bucher, Peter: Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Bd. 2, Boppard, Bearbeitung 1981 CDU-Verfassungskommission: Bericht zur Reform der Hamburger Verfassung, Maschinenschrift, Juli 1990 Chester, D.N.: Neue Entwicklungen in der britischen Kabinettsregierung, in: Strukturwandel der modernen Regierung (Hrsg. von Theo Stammen), Darmstadt 1967

Literaturverzeichnis

163

Conversations-Lexikon der Allgemeinen deutschen Real-Encyklopädie, 7. Aufl., 2. durchgesehener Abdruck, Reutlingen 1831, Bd. 8 zum Stichwort „Politik" (zitiert: Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie) Dauster, Manfred: Die Stellung des Ministers zwischen Regierungschef, Parlament und Regierung nach dem Verfassungsrecht der Länder, Köln 1984 David, Klaus: Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Kommentar, Stuttgart 1994. v.Dohnanyi, Klaus: Das geistige Gesicht Hamburgs, Mitteilungen des Übersee-Club, November II, 1985 (zitiert: Dohnanyi, Das geistige Gesicht Hamburgs) —

„Hamburg Stadtstaat und Verfassung: Eine Existenzfrage", Rede von Bürgermeister Dr. Klaus v.Dohnanyi vor dem Überseeclub am 11. Februar 1988, in: Berichte und Dokumente der Staatlichen Pressestelle Nr. 855 vom 15.2.1988.



Alles wagen für Hamburg, in HAB1. Nr. 1 vom 2.1.1992

Drexelius, Wilhelm / Weber, Renatus: Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 6.6.1952, Kommentar, 2. Aufl., Berlin 1972 Ellwein, Thomas / Hesse, Joachim, J.: Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 6. Aufl., Opladen 1987 Eschenburg, Theodor: Die Richtlinien der Politik im Verfassungsrecht und in der Verfassungswirklichkeit, in: DÖV 1954, S. 193 ff. —

Staat und Gesellschaft in Deutschland, München 1963 (zitiert: Eschenburg, Staat und Gesellschaft)

Ewald, Martin: Der hamburgische Senatssyndikus, Diss, jur., Hamburg 1954 Friauf, Karl Heinrich: Grenzen der politischen Entschließungsfreiheit des Bundeskanzlers und der Bundesminister, in: FG für Heinrich Herrfahrdt, Marburg 1961 Fromme, Friedrich K.: Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz, Tübingen 1960 Glatz, Carl Heinrich / Haas, Diether: Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 6.6.1952, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts 1957, S. 223 ff. Glum, Friedrich: Die staatsrechtliche Stellung der Reichsregierung sowie des Reichskanzlers und des Reichsfinanzministers in der Reichsregierung, Leipzig 1925 Gönnenwein, Otto: Gemeinderecht, Tübingen 1963 Grosser, Alfred: Geschichte Deutschlands seit 1945 - eine Bilanz, 5. Aufl., Stuttgart 1977 Grottian, Peter: Richtlinien der Politik, in: Handbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg. Kurt Sontheimer), München 1977 Härth,

Wolfgang: Zur verfassungsrechtlichen Stellung des Regierenden Bürgermeisters von

Berlin, JR 1986, S. 221 ff. Hättich, Manfred: Grundbegriffe der Politikwissenschaft, Darmstadt 1969 Handelskammer Hamburg: Informationen für Presse, Funk, Fernsehen vom 18.1.1989: Verwaltungsreform - eine standortpolitische Notwendigkeit Hartwich,

Hans-Hermann: Freie und Hansestadt Hamburg, Die Zukunft des Stadtstaates,

1. Aufl., Hamburg 1987 Heidenheimer,

Arnold: Der starke Regierungschef und das Parteiensystem: „Der Kanzler-

Effekt" in der Bundesrepublik, PVZ 1961, S. 241 ff. Heller, Hermann: Die Krisis der Staatslehre (1926), Gesammelte Schriften Bd. 2, Leiden 1971 Hennis, Wilhelm: Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik, in: ders. (Hrsg.), Politik als praktische Wissenschaft, München 1968 (zitiert: Hennis, Richtlinienkompetenz) — —

Zur Fragestellung Max Webers, in: ZfP 1982, S. 241 f. „Ein Versprechen unter dem Makel der Verfassungsmanipulation" in: Badische Zeitung vom 7.12.1982

164

Literaturverzeichnis

Hennis, Wilhelm: Verfassung und Verfassungswirklichkeit - ein deutsches Problem, in: Recht und Staat, Bd. 373/374, S. 5 ff., Tübingen 1968 (zitiert: Hennis, Verfassung und Verfassungswirklichkeit) —

Die teleologische Orientierung der politischen Wissenschaft, in: ders. (Hrsg.), Politik als praktische Wissenschaft, München 1968 (zitiert: Hennis, Die teleologische Orientierung)



Amtsgedanke und Demokratiebegriff, in: ders. (Hrsg.), Die mißverstandene Demokratie, Freiburg i.Br. 1973 (zitiert: Hennis, Amtsgedanke und Demokratiebegriff)



„Abkoppelung vom V o l k " , in: SZ Nr. 285 vom 11.12.1982

Hesse, Konrad: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 16. Aufl., Heidelberg 1988 Hoffmann-Riem, Wolfgang (Hrsg.): Bericht der Enquete-Kommission „Parlamentsreform", 1. Aufl., Baden-Baden 1993 Ipsen, Hans Peter: Hamburgs Verfassung und Verwaltung, Hamburg 1956 (zitiert: Ipsen, Hamburgs Verfassung). —

Hamburger Verfassungsfragen, in: FS für Wolfgang Zeidler, 1987

Jaspers, Karl: Die geistige Situation der Zeit (1931), Berlin 1960 Jellinek, Georg: Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., 6. Neudruck, Darmstadt 1914/1959 Jochmann, Werner / Loose, Hans Dieter (Hrsg.): Hamburg, Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner, Bd. I, Hamburg 1982; Bd. II, Hamburg 1986 (zitiert: Jochmann) Johe, Werner: Bürgermeister Rudolf Petersen, in: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte Tel Aviv, 3. Bd., Tel Aviv 1974 Jonas, Karl: Das Prinzip Verantwortung, Frankfurt a.M. 1984 Junker, Ernst Ulrich: Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, Tübingen 1965 Kant, Immanuel: Kritik der praktischen Vernunft, Leipzig 1978 Karehnke, Helmut: Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, Ressortprinzip und Kabinettsgrundsatz - entspricht Art. 65 des Grundgesetzes noch heutigen Erfordernissen, in: DVB1. 1974, S. 101 ff. Knöpf le, Franz: Inhalt und Grenzen der „Richtlinien der Politik" des Regierungschefs, in: DVB1. 1965, S. 857 ff. und S. 925 ff. Kölble, Josef: Ist Art. 65 GG (Ressortprinzip im Rahmen von Kanzlerrichtlinien und Kabinettentscheidungen) überholt?, in: DÖV 1973, S. 1 ff. Kowalewski, Eckhard: Die Parlamente in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg (19661971), Frankfurt a.M. 1984 Kröning, Volker: Kanzlermodell: Bedürfen die Stadtstaaten einer Stärkung der Stellung des Bürgermeisters?, in: Recht und Politik 1988, S. 1 ff. Lechner, Hans / Hülshoff, Klaus: Parlament und Regierung. Textsammlung des Verfassungs-, Verfahrens- und Geschäftsordnungsrechts der obersten Bundesorgane, mit Erläuterungen, 3. Aufl., München 1971 Leisner, Walter: Der Führer. Persönliche Gewalt - Staatsrettung oder Staatsdämmerung?, Berlin 1983 —

Staatseinung, Ordnungskraft föderaler Zusammenschlüsse, Berlin 1991

Lüth, Erich: Ein Hamburger schwimmt gegen den Strom - Lebenserinnerungen, Hamburg 1981 v.Mangoldt,Hermann/

Klein, Friedrich: Grundgesetzkommentar, Bd. II, 2. Aufl., Berlin, 1966

Maunz, Theodor: Die Richtlinien der Politik im Verfassungsrecht, in: BayVBl. 1956, S. 260 ff. Maunz, Theodor / Dürig,

Günther / Herzog, Roman / Scholz, Rupert (Hrsg.): Grundgesetz-

Kommentar, Bd. I-III, München, seit 1958 (zitiert: Bearbeiter, in: M D H ) Melle, Werner von: Das Hamburgische Staatsrecht, Hamburg 1891

165

Literaturverzeichnis

Mittelstein, Max: Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 7.1.1921, Hamburg 1921 Morstein-Marx,

Fritz: Hansestädtisches Verfassungsrecht in Gegenwart und Zukunft, Hamburg 1926

v.Münch, Ingo: Grundgesetzkommentar,Bd. II,2. Aufl., München 1983(zitiert: v.Münch-Bearbeiter) Oldiges, Martin: Die Einheit der Verwaltung, in: N V w Z 1987, S. 737 ff. (Der) Parlamentarische Rat 1948-49, Akten und Protokolle, Kurzprotokolle der Sitzungen des Hauptausschuß 1.-58. Sitzung (Hrsg. Kurt Georg Wernicke), Boppard Pfister,

Walter E.: Regierungsprogramm und Richtlinien der Politik, Bern 1974

Pumm, Günter: Kandidatenaufstellung und innerparteiliche Demokratie

in der Hamburger

SPD, Hamburg 1977 (zitiert: Pumm, Kandidatenaufstellung) —

Verfassungspolitik durch innerparteiliche Satzungsänderung, in: ZParl 1988, S. 453 ff.

Preuss, Hugo: Staatspolitik und Parteiprobleme in der Vorkriegszeit, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926 Rosenau, Kersten: Das „ruhende Mandat" - die Hansestädte und das Grundgesetz, in: ZParl 1988, S. 35 ff. Saretzki, Wolfgang: Die Wahl zur Hamburger Bürgerschaft vom 9.11.1986: Ende des Traumes von der eigenen Mehrheit oder: Die SPD vor der Bündnisfrage, in: ZParl 1987, S. 16 ff. Schachtschneider, Karl Α.: Das Sozialprinzip zu seiner Stellung im Verfassungssystem des GG, Bielefeld 1974 (zitiert: Schachtschneider, Das Sozialprinzip) —

Die Entscheidung des Grundgesetzes für die Demokratie, in: JA 1979, S. 512 und 568 ff.



Das Hamburger Oppositionsprinzip. Zum Widerspruch des entwickelten Parteienstaates zur republikanischen Repräsentation, in: Der Staat 1989, S. 173 ff.



Res publica res populi: Grundlegung einer allgemeinen Republiklehre; ein Beitrag zur Freiheits-, Rechts-und Staatslehre, Berlin 1994 (zitiert: Schachtschneider, Res publica res populi)

Scheuch, Erwin K. und Ute: / Cliquen, Klüngel und Karrieren. Über den Verfall der politischen Parteien - eine Studie, Reinbek 1992 Scheuner, Ulrich: Verantwortung und Kontrolle in der demokratischen Verfassungsordnung, in: Festschrift für Gebhard Müller, Tübingen 1970 Schmidt, Helmut: Menschen und Mächte, Berlin 1987 Schmidt-Jortzig,

Edzard:

Die

Pflicht

zur

Geschlossenheit

der

kollegialen

Regierung

(Regierungszwang), Stuttgart 1973 Schmitt, Carl: Verfassungslehre, 1928, Neudruck Berlin 1954(zitiert: C. Schmitt, Verfassungslehre) —

Der Begriff des Politischen, München 1932 (zitiert: C. Schmitt, Der Begriff des Politischen)

Schreckenberger, Waldemar: Sind wir auf dem Weg zu einem Parteienstaat?, in: FAZ Nr. 104 vom 5.5.1992 Schreiber, Wolfgang: Inkongruenz von parlamentarischer Kanzler- und parlamentarischer Ministerverantwortlichkeit im Bereich der Nachrichtendienste? in: DVB1. 1986, S. 974 ff. Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 34: Die Staatskanzlei: Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise auf vergleichender Grundlage, Speyer 1966 (zitiert: Speyer I) Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 60: Koordination und integrierte Planung in den Staatskanzleien, Speyer 1975 (zitiert: Speyer II) Schulz, Harald: Mitwirkung von Staatskanzleien an Ressort- und ressortübergreifenden Planungen unter besonderer Berücksichtigung der Ressourcenplanungen aus der Sicht eines Stadtstaates, in: Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 60, S. 99 ff. , Speyer 1976 (zitiert: H. Schulz, Speyer II) Schulz, Peter: Rede von Bürgerschaftspräsident Schulz anläßlich des Parlamentarischen Abends am 10.2.1986, Maschinenschrift Schwabe, Jürgen: Verfassungsrecht, in: Hamburgisches Staats- und Verwaltungsrecht (Hrsg.: Wolfgang Hoffmann-Riem, Hans Joachim Koch), S. 32 ff., Frankfurt a.M. 1988

166

Literaturverzeichnis

Sendler, Horst: Neue Zeiten - alte Probleme, in: DÖV 1987, S. 366 ff. Siegloch, Klaus Peter: Die Parlamentsreform 1971 in Hamburg und ihre Auswirkungen auf die Opposition, 1971, Maschinenschrift Sontheimer, Kurt (Hrsg.): Handbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, München 1977 Staatstaaten-Kommission: Bericht der Kommission zur Überprüfung der Regierungsstrukturen in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg, Maschinenschrift, März 1988 (zitiert: Stadtstaatenkommission) Steffani, Winfried: Demokratische Offenheit bei der Wahl des Regierungschefs?, in: JfP 1991, S. 25 ff. Steftian, Klaus: Gelernte Demokraten, Helmut Schmidt und Franz Josef Strauss, 1. Aufl., Reinbek 1988 Steiner, Jürg: Proporzdemokratie und Opposition. Die schweizerische Referendumsdemokratie, in: „Parlamentarische Opposition", hrsg. von Heinrich Oberreuter, Hamburg 1976 Stern, Klaus: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, München 1977 —

Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, München 1980

Sternberger, Dolf: Der Begriff des Politischen, Frankfurt a.M. 1961 Stoldt, Hans Ulrich: „ Die Hamburger Filzokratie", in: DieZeitNr. 24, S. 13 ff. vom 10.6.1988 Thieme, Werner: Hamburg als Gemeinde, in: DÖV 1969, S. 832 ff. —

Senatsbeschlüsse im Verfugungswege, in: DÖV 1971, S. 145 ff.



„Hamburger 14.1.1988

Journal"

vom

13.1.1988,

Mitschrift

der

Staatlichen Pressestelle

vom

Tögel, Guido Wolfgang: Die Senate der Hansestädte Hamburg und Bremen. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung zum parlamentarischen Regierungssystem in den Hansestädten, Frankfurt a.M. 1988 Weber, Max: Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, S. 151 ff., S. 152, in: Soziologie, universalgeschichtliche Analysen, Politik, hrsg. und eri. von Johannes Winckelmann, 5. Aufl., Stuttgart 1973 (zitiert: Weber, Legitime Herrschaft) —

Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriß der verstehenden Soziologie, 5. Aufl., besorgt von Johannes Winckelmann, Tübingen 1980 (zitiert: Weber, Wirtschaft und Gesellschaft)



Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1918), in: ders., Gesamtausgabe, Bd. 15, Tübingen 1984 (zitiert: Weber, Parlament und Regierung)

Weber, Renatus: Bürgermeister a. D. Dr. Kurt Sieveking zum 70. Geburtstag, Hamburg 1967 (zitiert: R. Weber) Weichmann, Herbert: Vorarbeit für den Staatschef, in: Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 34: Die Staatskanzlei, S. 33 ff., Speyer 1967 Weichmann, Herbert / David, Klaus: Parlamentsreform - Bürgernähe - Kollegialität. Zur Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, in: Das Parlament 1981, Nr. 4, S. 4 ff. Wiegand,Frank-Michael:

„Verfassungbleibt- Voscherau kommt", in: NBD Nr. 7-8/1988, S. 85

Wieske, Thomas: Hamburg zwischen Tradition und Erneuerung. Zu den Vorschlägen der Stadtstaaten - Kommission für eine Verfassungsreform, in: ZParl 1988, S. 447 Witt, Friedrich-Wilhelm: Die Hamburger Sozialdemokratie in der Weimarer Republik, Hannover 1971 Wolff son, I(saac): Das Staatsrecht der freien und Hansestädte Hamburg, Lübeck und Bremen, in: Handbuch des Öffentlichen Rechts, 3. Bd., 2. Halbband, Freiburg i.Br. und Tübingen 1884 Wulff,

Albert: Hamburgische Gesetze und Verordnungen, Bd. I, 3. Aufl., Hamburg 1930

Zöllner, Walter: Italien, Kulturgeschichte im Prisma, Leipzig 1972