Barcelona: Urbane Architektur und Gemeinschaft seit 2010 9783955536060, 9783955536053

Urbane Architektur seit 2010 Barcelona ist eine pulsierende Werkstatt für zukunftsweisende Architektur und Stadtplanun

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Barcelona: Urbane Architektur und Gemeinschaft seit 2010
 9783955536060, 9783955536053

Table of contents :
Inhalt
Antoni Gaudís Erbe
Treffpunkte im Alltag
1. Flohmarkt Encants
2. Kulturquartier La Comunal
3. Sportkomplex Turó de la Peira
4. Krebshilfe Kálida Sant Pau
5. Nachbarschaftshaus Lleialtat Santsenca
6. Bürgerzentrum Cristalleries Planell
7. Rambla in Sants
8. Sportkomplex Camp del Ferro
9. Gemeindezentrum Porta Trinitat
10. Blumenmarkt
11. Theater Sala Beckett
12. Museum Oliva Artés
13. Bibliothek Montbau-Albert Pérez Baró
14. Schule für audiovisuelle Medien
15. Bibliothek Montserrat Abelló
16. Französischer Kindergarten
17. Schule
18. Kinderkrippe Bressol Xiroi
19. Institut der Autonomen Universität Barcelona
20. Schule La Mar Bella
Zu Hause in der Stadt
21. APROP-Wohnen für Bedürftige
22. Apartments Fabra i Coats
23. Genossenschaftsbau La Borda
24. Genossenschaftsbau La Balma Lacol, La Boqueria
25. Geschosswohnungsbau Caracol
26. Wohnhaus
27. Sozialwohnungen Alí Bei
28. 85 geförderte Wohnungen
29. 57 Apartments für Studierende
30. Seniorenwohnungen Torre Juliá
Appendix
Architektinnen & Architekten
Impressum, Bildnachweis

Citation preview

Barcelona Urbane Architektur und Gemeinschaft seit 2010 Heide Wessely, Sandra Hofmeister (Hgg.)

Barcelona Urbane Architektur und Gemeinschaft seit 2010

Inhalt

Antoni Gaudís Erbe

Treffpunkte im Alltag ○ ○

 1 Flohmarkt Encants b720 Fermín Vázquez Arquitectos  2 Kulturquartier La Comunal Lacol Essay  Vom Superblock zur Grünachse Lorenzo Kárász  3 Sportkomplex Turó de la Peira Anna Noguera, Javier Fernandez  4 Krebshilfe Kálida Sant Pau Benedetta Tagliabue – EMBT Architects  5 Nachbarschaftshaus Lleialtat Santsenca Harquitectes Interview Harquitectes: Geschichte ist Teil der Gegenwart  6 Bürgerzentrum Cristalleries Planell Harquitectes  7 Rambla in Sants Sergi Godia, Ana Molino  Camp del Ferro AIA Activitats Arquitectòniques, ­ 8 Sportkomplex  Barceló Balanzó Arquitectes, Gustau Gili Galfetti Essay  Die post-olympische Trans­formation Rafael Goméz-Moriana  9 Gemeindezentrum Porta Trinitat haz arquitectura  10 Blumenmarkt WMA – Willy Müller Architects

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024 032 040 046 054 060 068 074 084 094

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Kultur und Bildung für alle ○ ○ ○

 11 Theater Sala Beckett Flores & Prats Arquitectes  12 Museum Oliva Artés BAAS Arquitectura  13 Bibliothek Montbau-Albert Pérez Baró Oliveras Boix Arquitectes Essay Das industrielle Erbe als Chance Heide Wessely  14 Schule für audiovisuelle Medien JAAS  Montserrat Abelló Ricard Mercadé / Aurora Fernández 15 Bibliothek  arquitectes  16 Französischer Kindergarten b720 Fermín Vázquez Arquitectos  17 Schule 906 Harquitectes Interview Anna Ramos: Europäische Perspektiven  18 Kinderkrippe Bressol Xiroi Espinet / Ubach  19 Institut der Autonomen Universität Barcelona Harquitectes, dataAE  20 Schule La Mar Bella SUMO Arquitectes

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Zu Hause in der Stadt

132 140 148 156 166 174 182 188 196 202 208 216



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 für Bedürftige Straddle3, Eulia Arkitektura, 21 APROP-Wohnen  ­Yaiza Terré  22 Apartments Fabra i Coats Roldán + Berengué 23 Genossenschaftsbau La Borda Lacol Interview Lacol: Die Stadt mitgestalten  24 Genossenschaftsbau La Balma Lacol, La Boqueria  25 Geschosswohnungsbau Caracol Estudio Herreros, MIM-A  26 Wohnhaus Lola Domènech, Lussi Studio  Alí Bei Arquitectura Produccions, Pau Vidal, 27 Sozialwohnungen  Vivas Arquitectos Essay  Wohnungsbau und Politik Jelena Prokopljević  28 85 geförderte Wohnungen Peris+Toral Arquitectes  29 57  Apartments für Studierende dataAE, Harquitectes  Torre Juliá Pau Vidal, Sergi Pons, 30 Seniorenwohnungen  ­Ricard ­Galiana

Appendix

Architektinnen & Architekten Impressum, Bildnachweis BARCELONA Urbane Architektur und Gemeinschaft seit 2010

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Images © TerraMetrics, map data © 2023 GeoBasis-DE/BKG (© 2009), Google

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Projekte ○

 1 Flohmarkt Encants b720 Fermín  ­Vázquez Arquitectos  2 Kreativzentrum La Comunal Lacol  3 Sportkomplex Turó de la Peira Anna  Noguera, ­Javier Fernandez  4 Krebshilfe Kálida Sant Pau Benedetta  Tagliabue – EMBT Architects  5 Nachbarschaftshaus Lleialtat Santsenca  Harquitectes  6 Bürgerzentrum Cristalleries Planell ­ ­Harquitectes  7 Rambla in Sants Sergi Godia,  Ana ­Molino  8 Sportkomplex Camp del Ferro AIA  Activitats Arquitectòniques, ­ Barceló Balanzó Arquitectes, Gustau Gili Galfetti  9 Gemeindezentrum Porta Trinitat  haz arquitectura  10 Blumenmarkt WMA – Willy Müller  Architects  11 Theater Sala Beckett Flores & Prats  Arquitectes  12 Museum Oliva Artés  BAAS ­Arquitectura  13 Bibliothek Montbau-Albert Pérez Baró  Oliveras Boix Arquitectes  14 Schule für audiovisuelle Medien  JAAS  15 Bibliothek Montserrat Abelló  ­Ricard Mercadé / Aurora Fernández ­arquitectes

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 16 Französischer Kindergarten b720 ­Fermín Vázquez ­Arquitectos  17 Schule 906 Harquitectes  18 Kinderkrippe Bressol Xiroi Espinet /  Ubach  19 Institut der Autonomen Universität ­ Barcelona ­Harquitectes, dataAE 20 Schule La Mar Bella SUMO Arquitectes  21 APROP – Wohnen für Bedürftige  Straddle3, Eulia Arkitektura, Yaiza Terré  22 Apartments Fabra i Coats Roldán +  Berengué La Borda Lacol, 23 Genossenschaftsbau  La Boqueria La Balma Lacol 24 Genossenschaftsbau   25 G  eschosswohnungsbau Caracol Estudio Herreros, MIM-A 26 Wohnhaus Lola Domènech,  Lussi Studio  27 Sozialwohnungen Alí Bei Arquitectura  Produccions, Pau Vidal, Vivas Arquitectos 28 85  geförderte Wohnungen Peris+Toral ­Arquitectes 29 57  Apartments für Studierende dataAE, Harquitectes 30 Seniorenwohnungen Torre Juliá Pau  Vidal, Sergi Pons, Ricard Galiana

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Antoni ­Gaudís Erbe

008 BARCELONA Urbane Architektur und Gemeinschaft seit 2010

Barcelona ist eine Stadt, die ihren Charakter immer wieder verändert und sich von Zeit zu Zeit ein neues Gesicht gibt. Ihre Verwandlungen sind auf dem Stadtplan klar ablesbar: die dichte mittelalterliche Altstadt, die erste Stadterweiterung nach dem Fall der Stadtmauer und die quadratischen Stadtblöcke von ­Ildefons Cerdà, die Barcelona ihre Einzigartigkeit verleihen. Auch die Olympischen Spiele 1992 haben zu groß angelegten städtebaulichen Umbauten geführt. Heute ist die stolze katalanische Hauptstadt erfinderisch und kreativ, wenn es darum geht, durch urbane Entwicklungen und Architektur Antworten auf gleich ­mehrere Themen zu finden, die unsere Zeit bestimmen: die ­Klimakrise, bezahlbarer Wohnraum und das Bauen für die Gemeinschaft. Der bekannteste Name der Architektur Barcelonas ist bis heute Antoni Gaudí. Seine exotischen Bauten sind Tourismus­ magneten und bezaubern Architekten und Nicht-Architektinnen gleichermaßen – generationenübergreifend und egal welcher Nationalität. Gaudí ist für seinen Modernisme bekannt, den katalanischen Jugendstil, der bis in die 1920er-Jahre auf sich aufmerksam ­machte. In Eixample (katalanisch Erweiterung), dem Stadtviertel, das der katalanische Stadt­planer Ildefons Cerdà 1860 im Schachbrettmuster anlegte, ist die Konzentration modernistischer ­Bauten am höchsten. Hier sind auch die bekanntesten Gebäude von Antoni Gaudí angesiedelt, wie die Sagrada Família, die Casa Batlló und die Casa Milà. Dieses Gebäude hatte zu seiner Ent­stehungszeit nicht nur Befürworter, und das einfallsreiche ­barcelonische Stadt­volk verpasste ihm wegen seiner massiven Natursteinfas­sade schon bald den Spitznamen „La Pedrera“, der Steinbruch. Kurz nach der Fertigstellung im Jahr 1912 erklärte die Stadt die Casa Milà zu einem Kunstwerk, und als erstes Gebäude des 20. Jahrhunderts kam das Wohnhaus auf die Liste des Welterbes der Unesco. Das Gebäude war in vielerlei Hinsicht wegweisend. Es ist ein gemauerter Skelettbau, bereits bei der Planung Antoni Gaudís Erbe Heide Wessely, Sandra Hofmeister

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hatte Gaudí die spätere Umgestaltung der Grundrisse im Blick. Der Geschossbau sollte als Wohnhaus, als Bürobau oder für Läden nutzbar sein – ein Ansatz, der auch für die Architektur von heute große Bedeutung hat. So versucht das Architekturkollektiv Lacol, das 2022 den Mies van der Rohe Award für Emerging Architects gewann, mit adaptierbaren Grundrissen auf Bedürfnisse zu reagieren, die sich im Lauf der Jahre verändern. Charakteristisch für Gaudís Wohngebäude war außerdem die raffinierte Belüftung. Zu- und Abluftsysteme, Querlüftung, bepflanzte kühlende Innenhöfe und die Bauteilaktivierung im erweiterten Sinn sind Maßnahmen, die auch heute noch in der Architektur eine wichtige Rolle spielen und beispielsweise von Peris + Toral für den sozialen Wohnungsbau in Cornellà (S. 302) ange­ wendet werden oder von Haz Arquitectes (S. 110) in ihrem Gemeindezentrum. Auch Harquitectes versuchen, mit ebenso intelligenten wie einfachen Verschattungs- und Belüftungsmechanismen energiefressende Klimaanlagen zu ersetzen. Sie greifen eine weitere Methode auf, die schon Gaudí anwandte: das Materialrecycling. So bestehen die schmiedeeisernen Geländer der Casa Milà aus Altmetall, und in der Casa Batlló, einem umgebauten Wohnhaus, sind in den Fassaden wiederverwendete Keramik­ fliesen zu fan­tasievollen Mosaiken gefügt. Techniken, mit denen Gaudí seiner Zeit voraus war, geraten heute auf der Suche nach Lösungen für nachhaltiges und klimagerechtes Bauen wieder in den Fokus – ein wichtiges Thema, denn in Barcelona wird es zunehmend heiß. Die besondere Lage der Stadt ist Zauber und Fluch zugleich. Eingeklemmt zwischen Bergen und Meer hat sie keine Möglichkeit, sich auszudehnen und ist deshalb dichter als die meisten Metropolen in Europa. 16 600 Einwohner leben hier pro Quadratkilometer – nur in Paris sind es noch mehr. Diese Dichte bietet Vor- und Nachteile, denn einerseits sind die Dinge des täglichen Lebens fußläufig erreichbar, andererseits bedeutet diese Dichte auch Lärm, Schmutz und sehr wenig Grün. Die sozialistische Stadtverwaltung hat deshalb 010 BARCELONA Urbane Architektur und Gemeinschaft seit 2010

Die Kamine von Antoni Gaudís Casa ­Milà, die auch La Pedrera genannt wird, erinnern an Science-Fiction-Figuren.

Antoni Gaudís Erbe Heide Wessely, Sandra Hofmeister

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Die Stadterweiterung von Ildefons Cerdà hat sie sich inzwischen viel weiter ausgeaus dem Jahr 1860 bestimmt auch heute dehnt und auch die einst umliegenden noch die Struktur der Stadt. Allerdings Dörfer geschluckt.

012 BARCELONA Urbane Architektur und Gemeinschaft seit 2010

alles in Bewegung gesetzt, um die Stadt vom Autoverkehr zu entlasten. In Eixample werden neue Alleen und Fußgängerzonen gebaut. Grüne Achsen und weitere verkehrsberuhigte Plätze an den Kreuzungen des Blockrasters sollen entstehen, die sogenannten Superblocks. Mehr Grün hat die Stadt bitter nötig. Nach eng aufeinanderfolgenden Hitzewellen hat die Politik ein Programm zur Bewältigung der Klimakrise aufgelegt, das auf der Website der Stadt unter „Barcelona for Climate“ nachzulesen ist. Dort sind auch sogenannte Klimarefugien aufgelistet, Orte, an denen besonders vulnerable Gruppen Zuflucht suchen können, wenn sie die Hitze in ihren Wohnungen nicht mehr ertragen. An diesen Schutzorten soll die Temperatur nicht über 27 °C steigen, auch Wasser und Stühle zum Ausruhen gibt es. Schulen oder überdachte ­Plätze werden dafür schon genutzt. Neu kommen nun weitere Schattendächer und kleine städtebauliche Maßnahmen wie ­Innenhöfe hinzu. Ziel ist es, ein dichtes Netzwerk aufzubauen, das es den Menschen ermöglicht, in weniger als fünf Minuten einen solchen Zufluchtsort zu erreichen. Mittlerweile sind die Refugien in geschlossenen Räumen auch im Winter offen und bieten Raumtemperaturen von mindestens 19 °C, denn viele der noch aus der Franco-Zeit stammenden Billigbauten haben keine Heizung. Sozial schlechter gestellten Menschen stärker unter die Arme zu greifen, ist nicht nur das Bestreben der noch amtierenden sozialistischen Regierung, sondern auch mehrerer Wohnbaugenossenschaften. Zwar helfen diese Projekte nicht, die große Wohnungsnot zu lindern, doch sind sie beispielhaft für eine positive Neuorientierung. In der Programmatik vereinen fast alle diese Wohnungsbauten verschiedene Nutzungen unter einem Dach: von Gemeinschaftseinrichtungen für die Bewohner über Kitas, Kinos und Läden bis hin zu Co-Working-Spaces. Die Mischnutzung fällt auch in Cerdàs Eixample auf. Im strengen Raster sind heterogene Gebäude aus unterschiedlichen Epochen vereint, Antoni Gaudís Erbe Heide Wessely, Sandra Hofmeister

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deren Traufhöhen um mehrere Stockwerke variieren. Ebenso unterschiedlich sind die Nutzungen: Bürogebäude wechseln sich mit Wohnhäusern ab, in den Erdgeschossen liegt das Sanitärfachgeschäft direkt neben der Bäckerei und der Supermarkt neben der Motorradwerkstatt. Eine Stadt der kurzen Wege, ganz automatisch hat sie sich dazu entwickelt, obwohl sie nie als solche geplant wurde. Denn Cerdàs ursprüngliche Idee war eher die einer Gartenstadt. Nur ein Drittel der Blocks sollte bebaut sein – der Rest für Grün- und Gemeinschaftsflächen frei bleiben. Bodenspekulation durchkreuzte diese Pläne jedoch von Anfang an, und die Plaza de les Glòries Catalanes, die eigentlich das neue Stadt­zentrum bilden sollte, wurde stattdessen zum Verkehrsknotenpunkt. Im Rahmen des groß angelegten Stadtentwicklungs­ programms 22@ wird er in einen Park umgestaltet, außerdem soll der gesamte Stadtteil mit seiner industriellen Vergangenheit in einen zukunftsgerichteten Innovations- und Digitaldistrikt verwandelt werden. Smart ist Barcelona bereits heute. Zum Beispiel können per App Parkplätze in Tiefgaragen gebucht werden. Sensoren im Boden geben Auskunft über freie Parkplätze und smarte Haltestellen verraten, wo der Bus gerade fährt. Intelligente Straßenlaternen leuchten nur, wenn es nötig ist, und Sensoren in den Müllcontainern melden, wann sie geleert werden müssen. Ganz wichtig im digitalen Portfolio der Stadt ist aber auch die internetbasierte Anwendung Decidim, über die Bürger zum Beispiel ­darüber abstimmen können, welche Projekte umgesetzt und wie viel Geld dafür ausgegeben werden soll. Partizipation ist der Stadtverwaltung wichtig. Ob dies jedoch auch für ein sehr brisantes Thema gilt, ist der Autorin nicht bekannt. Denn Gaudí hinterlässt ein folgenreiches städtebauliches Erbe: 2026 soll die Sagrada Família nach 144 Jahren Bauzeit vollendet sein. Seit Beginn der Arbeiten rückte die Stadt jedoch immer näher an die Kirche heran, und sie ist nun auf zwei Seiten von den qua­dratischen Stadtblocks flankiert. Dummerweise liegt 014 BARCELONA Urbane Architektur und Gemeinschaft seit 2010

an genau einer dieser Seiten das Hauptportal der Basilika, zu dem nach Gaudís Plan eine ausladende Treppe führen soll. Ihr sind die Wohnbauten im Weg, weshalb die Stadtverwaltung laut darüber nachdenkt, zwei Blocks komplett leerzuräumen und rund 3000 Menschen umzuquartieren – Zündstoff, der auf keine einfache Lösung hoffen lässt. Doch was der Anwohner Leid, ist der Touristinnen Freud: 3,5 Millionen kommen jedes Jahr in die Sagrada Família und lassen sich von dem fantasievollen Innenraum, der an einen Zauberwald erinnert, begeistern. Vielleicht ist das der Grund, warum Gaudís Werke auch heute noch so faszinieren. Ihr Besuch bedeutet eine kurze Flucht aus der ernsten Realität der Gegenwart in eine heile, bunte, fantastische Welt. Dieses Buch ist ein Stadtporträt, das die Gegenwart von Architektur und Stadtplanung aufzeichnet und ihre Tendenzen in 30 Beispielen festhält. Dabei sind klare Richtungen zu erkennen, so das Bauen für die Gemeinschaft, das in Barcelona bedeutungsvoller ist als in vielen anderen Metropolen Europas. Es gibt 38 Markthallen, aber auch Plätze und Gemeinschaftszentren, die lebendige Treffpunkte im Alltag sind. Den hohen Stellenwert von Bildung und Kultur für alle beweisen zahlreiche Museen und herausragende Schulbauten. Und nicht zuletzt wird bezahlbarerer Wohnraum durch beispielhaften sozialen Wohnungs- und zunehmend auch Genossenschaftsbau geschaffen, was dazu führt, dass sich die Menschen in der Stadt zu Hause fühlen. Einen Blick hinter die Kulissen liefern Essays zu Wohnbaupolitik, Stadtentwicklung und industriellem Erbe, und in Interviews geben ausgewählte Protagonisten Einblicke in ihre persönliche Sicht auf die Stadt. Heide Wessely, Sandra Hofmeister

Antoni Gaudís Erbe Heide Wessely, Sandra Hofmeister

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Images © TerraMetrics, map data © 2023 GeoBasis-DE/BKG (© 2009), Google

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Treffpunkte im Alltag

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 1 Flohmarkt Encants b720 Fermín Vázquez Arquitectos  2 Kreativzentrum La Comunal Lacol Essay  Vom Superblock zur Grünachse Lorenzo Kárász  3 Sportkomplex Turó de la Peira Anna Noguera, Javier Fernandez  4 Krebshilfe Kálida Sant Pau Benedetta Tagliabue – EMBT Architects  5 Nachbarschaftshaus Lleialtat Santsenca Harquitectes Interview Harquitectes: Geschichte ist Teil der Gegenwart  6 Bürgerzentrum Cristalleries Planell Harquitectes  7 Rambla in Sants Sergi Godia, Ana Molino  Camp del Ferro AIA Activitats Arquitectòniques, ­ 8 Sportkomplex  Barceló Balanzó Arquitectes, Gustau Gili Galfetti Essay  Die post-olympische Trans­formation Rafael Goméz-Moriana  9 Gemeindezentrum Porta Trinitat haz arquitectura  10 Blumenmarkt WMA – Willy Müller Architects

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024 032 040 046 054 060 068 074 084 094

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102 110 116

○ ○ ○

018 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Die Avinguda Diagonal durchschneidet das Stadtviertel Eixample bis zum Meer. In den quadratischen Blöcken mit seinen

abgeschrägten Ecken leben rund 265 000 Menschen – Eixample zählt zu den am dichtesten besiedelten Orten Europas.

Stadterweiterung Eixample Ildefons Cerdà

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020 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Der Mercat de Santa Caterina wurde 1884 eröffnet und war der erste überdachte Markt der Stadt. Seit 2001 trägt

er ein neues Dach mit geschwungenen Formen und bunten Farben, die ihn zu einem Symbol des Stadtviertels machen.

Markthalle Santa Caterina Benedetta Tagliabue – EMBT Architects

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022 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Statt Autoverkehr nun Ort zum Spielen. Die Stadtverwaltung hat den Platz im dicht besiedelten Stadtteil Gracia zu

­einem bunten Treffpunkt umgestaltet. Hier mischen sich nun Alt und Jung zum Spielen, Schauen und Verweilen.

Platz Gal la Placídia Stadtverwaltung Barcelona

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Bauherr: Barcelona d’Infraestructures Municipals, Ajuntament de Barcelona Tragwerksplanung: Boma Fertigstellung: 2013 Fläche: 35 440 m2 Nutzung: Flohmarkt

1

Carrer de los Castillejos 158, Eixample 🌐 encantsbarcelona.com @encantsbarcelona

b720 Fermín Vázquez Arquitectos

Futuristisch-historisch Flohmarkt Encants

Ein Flohmarkt? Nach Flohmarkt sieht das auffällig geknickte, glitzernde Dach nicht aus, eher nach einem Raumschiff aus einem ScienceFiction-Film. Es ist eine Landmarke, sichtbar schon von Weitem, wenn man auf der Nord-Süd-Magistrale auf die Plaça de les Glòries Catalanes, kurz Glòries, zufährt. Dort fand der Flohmarkt auch früher schon statt. 2013 erhielt er schließlich eine Überdachung, allerdings auf einer kleineren Fläche mit nur 8000 Quadratmetern. Weil die Architekten keine Mehrgeschossigkeit wollten, die zu sehr an eine Shopping-Mall erinnert hätte, entwickelten sie Verkaufsstraßen auf leicht geneigten Ebenen, die ineinander übergehen und eine Endlosschleife bilden. Auf diese Weise ließen sich auch die unterschiedlichen Straßenniveaus

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anbinden sowie die mehrgeschossige Tiefgarage, in der Verkäuferinnen und Besucher ihre Fahrzeuge abstellen können. Auf 35 440 Quadratmetern wird an fest installierten Ständen und auf Flächen für Tische und Decken gehandelt und gefeilscht – im Schatten des markanten Riesendachs. Es schwebt 25 Meter über dem Boden, lässt den Wind hindurchstreichen und vermittelt auch weiterhin den Eindruck eines Markts im Freien. Die annähernd dreieckige Dachfläche ist in Felder unterschiedlicher Größe und Neigungen aufgeteilt. Auf ihrer goldschimmernden Unterseite spiegelt sich das Treiben auf dem Markt mit kaleidoskopischen Effekten und macht den Blick nach oben mindestens genauso spannend wie den auf den Trödel. Durch Oberlichter, die aufgrund der unterschiedlich geknickten Dachflächen entstehen, fällt natürliches Licht. Schon im 14. Jahrhundert soll der Mercat dels Encants existiert haben. Vor den Toren der Stadt wurden auch damals gebrauchte, auf dem Boden ausgelegte Waren verkauft. Der Standort wechselte über die Jahrhunderte mehrmals. Jetzt hat er an der Plaça de les Glòries Catalanes seine Bleibe unter dem futuristischen Dach gefunden. hw

1 Flohmarkt Encants 2  Plaça de les Glòries Catalanes

Lageplan Maßstab 1:8000

3 2 1 3 2 1

026 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

3 Torre Glòries (vorher Torre Agbar) Architektur: Jean Nouvel

Schon bald wird der Flohmarkt von dem kreisrunden grünen Platz profitieren, der derzeit auf der Plaça de les Glòries

Catalanes entsteht. Ildefons Cerdà hatte den öffentlichen Raum bereits 1860 als neues Stadtzentrum geplant.

○1 Flohmarkt Encants b720 Fermín Vázquez Arquitectos

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028 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

aa

Schnitt, Grundriss Maßstab 1:1000

1 fest installierte Stände

2 Rampe 3 Verkaufstische

4 Luftraum 5 Gastronomie

a

1

2

3

4

5

a

oberste Ebene

○1 Flohmarkt Encants b720 Fermín Vázquez Arquitectos

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030 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

○1 Flohmarkt Encants b720 Fermín Vázquez Arquitectos

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Bauherr: La Comunal Tragwerksplanung: Lacol Fertigstellung: 2020 Fläche: 1445 m2 Nutzung: Büros, Buchladen, Kultur­ zentrum mit Restaurant und Konzertbühne, Klimarefugium

2

Riera d’Escuder 38, Sants 🌐 lacomunal.coop @lacomunalsants

Lacol

Genossenschaftlich,­ ­gemeinsam, sozial Kulturquartier La ­Comunal Auf einem Streifzug durch den Stadtteil Sants entdeckte ein Mitglied des Architekturkollektivs Lacol die verlassene Lagerhalle für Schiffssegel. Nach rund 15 Jahren Leerstand schien das denkmalgeschützte Gebäude aus dem Jahr 1926 auf eine neue Bestimmung zu warten, und Lacol war schon länger auf der Suche nach neuen Büroräumen. Mit dem privaten Eigentümer handelten sie schließlich einen Pachtvertrag über 25 Jahre aus – und den Auftrag, die gesamte Lagerhalle zu sanieren. Deren gestaffelte Frontfassade, die zur Straße kleine dreieckige Plätze fasst, war früher die Rückseite des Gebäudes und von einer hohen Mauer umgeben. Der Wechsel im Bodenbelag erinnert noch heute an deren Verlauf. Fahrradständer, ein Baum und Pflanztröge machen die Restflächen nun zu wertvollen öffentlichen Bereichen, die zudem den Zugang zu einem Innenhof bilden.

033

In der umgewidmeten Lagerhalle, die genossenschaftlich organisiert ist, arbeiten zehn Mieter unter einem Dach: ein Buchladen und ein Kulturzen­ trum mit Restaurant und Musikbühne gehören ebenso dazu wie eine Menschenrechtsorganisation und die Büroräume von Lacol. Den Bestand mit seinen dünnen Wänden und der fehlenden Dämmung in Arbeitsräume umzuwandeln, die hohe energetische Anforderungen erfüllen, und die Lärmemission der Live-Musik zu minimieren, war eine Herausforderung. Dazu kamen strenge Vorgaben des Denkmalschutzes. Zähes Ringen und intensives Verhandeln mit Behörden und der Nachbarschaft führten schließlich zum Erfolg des Projekts. So liegt beispielsweise ein Zugang zum Kulturzentrum im Innenhof, um den Lärm abzuschirmen, wenn dort Konzerte stattfinden. Außerdem ist die Nachbarschaft eingeladen, den Hof als Klima­refugium zu nutzen. Die Stadt hat ein Netzwerk solcher kleinmaßstäblichen städtebaulichen Maßnahmen initiiert, um durch Vegetation,

Wasser und die Verbesserung der baulichen Infrastruktur kühle Inseln im Quartier zu schaffen, die Bürgerinnen und Bürgern helfen, die Sommerhitze besser zu ertragen. Um den Vorgaben des Denkmalschutzes gerecht zu werden, ließ L ­ acol die rückwärtige Straßenfassade annähernd unberührt, obwohl die Räume auf dieser Seite mehr natürliches Licht vertragen hätten. Viel Überzeugungsarbeit mussten sie für das Glasoberlicht leisten, das für Be- und Entlüftung sorgt und das Gebäude kühlt. Eine Klimaanlage gibt es nicht. Gebäudetechnik und Erschließungsflächen sind auf ein Minimum reduziert, und auch in der Materialbeschaffung war Lacol sparsam. So verwendeten sie die schmalen Balken einer alten Geschossdecke als Schalungsbretter für das Dach wieder und ließen sich von einem Fabrikanten für Sandwichpaneele überproduzierte, aussortierte Dämmplatten liefern, die nun unter der Bodenplatte liegen. In einer unterirdischen Zisterne wird Regenwasser gesammelt, und die Fassaden sind denkmalschutzgerecht mit Kalkputz, dem Kork beigemischt ist, gedämmt. Mit diesen Maßnahmen haben Lacol ein genossenschaftlich organisiertes Gebäude geschaffen, das kostengünstig, energieeffizient und nachhaltig ist und außerdem der Nachbarschaft zugutekommt. hw 034

Lageplan Maßstab 1:2500

Früher war die jetzige Rückseite von La Comunal die Schauseite. Hier lieferten Pferdefuhrwerke die Waren für die ehemalige Lagerhalle an.

2 Kreativzentrum La Comunal Lacol ○

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036 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

aa

bb

Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:750

1 Büroeinheit 2 Buchladen 3 Restaurant mit Bühne

4 Gemeinschafts- 6 Besprechungsraum raum (zu mie­ten) 5 Architekturbüro Lacol

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1

3

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1. Obergeschoss

b

1 1

2

a

3

b

a

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Erdgeschoss

2 Kreativzentrum La Comunal Lacol ○

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038 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

2 Kreativzentrum La Comunal Lacol ○

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040 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Weniger Autos im Alltag: Mit Superblocks und grünen Achsen soll die Stadt gesünder und fußgängerfreundlicher gemacht werden.

Vom Superblock zur Grünachse Lorenzo Kárász

BARCELONA Urbane Architektur und Gemeinschaft seit 2010

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Sonntags spaziere ich gerne mit meinen Kindern zum Mercat de Sant Antoni unmittelbar in unserer Nachbarschaft. Dort tauschen wir inmitten von Gleichgesinnten PokemonSammelkarten und schmökern auf dem traditionellen Büchermarkt rund um die sanierte Markthalle. Autoverkehr gibt es keinen und deshalb auch keine Gefahr für die Kinder. Wir haben nämlich das Glück, an einem der verkehrsberuhigten, durchgrünten Superblocks Barcelonas zu wohnen und entgehen so dem sonst omnipräsenten Straßenverkehr. Tatsächlich ist Barcelona heute eine der am dichtesten besiedelten Städte Europas, jedem Bewohner stehen im kompakten Quartier Eixample lediglich 1,9 Quadratmeter Grünraum zur Verfügung. Das ist weit unter dem von der Europäischen Union angestrebten Standard, der bei 20 Quadratmetern liegt. Dafür haben wir die meisten Taxis und Motorräder pro Einwohner, was sicherlich seinen Beitrag dazu leistet, dass Barcelona auch als besonders laute Stadt gilt. Hinzu kommen eine hohe Luftverschmutzung und ein genereller Mangel an öffentlichen Räumen, und das, obwohl seit den 1980er-Jahren durch Abriss und systematisches Entdichten zahlreiche Freiflächen im kompakten Stadtgefüge geschaffen werden konnten. Idealstadt Eixample Doch eigentlich hätte es ganz anders kommen sollen. Um 1850 platzt Barcelona aus allen Nähten. Als letztendlich die Stadtmauern fallen, erhält der katalanische Ingenieur Ildefons Cerdà den Direktauftrag für die Stadterweiterung. Hierfür gründet er eine eigene Wissenschaft und studiert die Lebensumstände der Bevölkerung sowie alle relevanten bis dato realisierten Städtebaupläne, mit dem Ziel, die Konditionen der Bewohnerinnen und Bewohner grundlegend und nachhaltig zu verbessern. Sein Idealstadtentwurf sieht eine regelmäßige Blockstruktur von 133 x 133 Metern vor, die über gleich viel Grünanteil wie bebaute Fläche verfügt und als Antithese zur unhygienischen, dichten Altstadt wirken soll. Allerdings wird das Projekt von Beginn an boykottiert und der neue Stadtteil sukzessive verdichtet. So ist Eixample (katalanisch Erweiterung) heute fünfmal so dicht wie ursprünglich geplant. Nichtsdestotrotz verdanken wir Cerdàs Weitblick unter anderem 20 Meter breite Straßen mit regelmäßiger Baumbepflanzung, eine durchgehende Blockrandbebauung sowie deren charakteristisch abgeschrägte Ecken, an denen sich der Straßenraum platzartig öffnet. All das führt zu einer faszinierenden, sich zwischen Regel und Ausnahme bewegenden Urbanität. Das Stadtraster hat sich über die letzten 160 Jahre als besonders anpassungsfähig erwiesen und dient noch immer als Grundlage für städtebauliche Entwicklungen. Verkehrswende und Mobilitätskonzept Angesichts der Klimakrise und der Notwendigkeit einer Verkehrswende 042 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

entstand auf Initiative des Stadtökologen Salvador Rueda 2015 das städtische Mobilitätskonzept der Superblocks als Neuinterpretation des Cerdà-Plans. Die regelmäßige Struktur des Eixample-Rasters spielt hierbei eine Schlüsselrolle und eröffnet die Möglichkeit, durch Zusammenfassen mehrerer Stadtblöcke systematisch verkehrsberuhigte Superblocks einzuführen. Innerhalb dieser Zonen haben Fußgänger Priorität, die Zufahrt wird auf ein Minimum reduziert, wodurch ein Großteil des öffentlichen Raums an die Bewohner übergeht. Ziel ist es, die Luftverschmutzung und Lärmbelastung zu verringern sowie bitter nötige Grünflächen zu schaffen. Die Einführung von horizontal und vertikal verlaufenden Buslinien, angepasst an die Superblocks, sowie exklusive Busspuren fördern das Vorankommen mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Der Ausbau des städtischen Fahrradverleihs und des Radwegenetzes begünstigt die ökologisch nachhaltige Fortbewegung der Stadtbewohner. Superblocks Poblenou und Sant Antoni Als Pilotprojekt entsteht der Superblock Poblenou 2016 als einfacher, reversibler und kostengünstiger Eingriff, der in kurzer Zeit einen maximalen Effekt zu erwirken versucht. Binnen einer Woche verwandeln Studierende gemeinsam mit Nachbarschaftsorganisationen ehemalige Straßen in öffentliche Räume mit hoher Aufenthaltsqualität. Sie schaffen dies auf spielerische Art und Weise und mit einfachen Mitteln wie Signalfarben, Pflanztrögen und unprätentiösem Stadtmobiliar. Diese Strategie wird auch als „taktischer Urbanismus“ bezeichnet, wobei von Beginn an die Absicht besteht, das Temporäre bei Bedarf anzupassen und nach erfolgreichem Probelauf durch eine dauerhafte Stadtraumgestaltung zu ersetzen. Aufgrund der raschen Umsetzung und mangelnder Kommunikation vonseiten der Stadt stößt das Projekt bei den Bürgerinnen und Bürgern auf erheblichen Widerstand und löst eine bis heute anhaltende Grundsatzdebatte aus. Sie dreht sich vor allem um die Frage, ob die Stadt als bürgernaher Lebensraum oder als vom Privatverkehr dominiertes Dienstleistungszentrum verstanden wird. Als Konsequenz liegt dem Superblock im Quartier Sant Antoni 2019 ein tiefgreifender partizipativer Prozess zugrunde. Hier geht man einen Schritt weiter: Die baulichen Maßnahmen werden von vornherein nicht mehr nur mit reversiblen Mitteln des taktischen Urbanismus, sondern auch in Form von permanenter Außenraumgestaltung mit zusätzlichen Grünflächen ausgeführt. Das Projekt entsteht im Zuge der Sanierung des gleichnamigen Quartiersmarkts und wird von der lokalen Bevölkerung von Beginn an positiv angenommen und intensiv genutzt. Ein Kritikpunkt am bisher realisierten Superblock-Konzept ist, dass punktuell beruhigte Gebiete mit geringer Durchlässigkeit entstehen. Vom Superblock zur Grünachse Lorenzo Kárász

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044 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Superblocks mit fixen und mobilen Stadtmöbeln in Poblenou (oben) und Sant ­Antoni (unten), geplant von Leku Studio.

Dass etwa ein Superblock eine Art Insel der Seligen schafft, in der die Anwohner an einem aufgewerteten Ort mit geringer Verkehrsbelastung leben, während der Verkehr in den Straßen rundherum zunimmt. Einige Kritiker sehen darin auch eine Unterbrechung der urbanen Kontinuität des Eixample, was dessen demokratische Grundidee aufs Spiel setzt. Grünachsen Als Reaktion und Evolution entsteht die Strategie, einzelne Superblocks durch sogenannte Grünachsen zu verbinden. Aktuell werden als Ergebnis eines internationalen Wettbewerbs von 2021 die Straße Consell de Cent sowie vier orthogonal zu ihr verlaufende Straßen zu Grünachsen umgestaltet. An ihren Kreuzungspunkten werden außerdem vier neue Plätze gewonnen. Bei diesem Projekt, an dem mehrere Planungsbüros beteiligt sind, kommen Schwammstadtkonzepte zum Einsatz, und wo einst die Autos fuhren, entstehen zahlreiche Grünflächen mit großzügigen Versickerungsflächen sowie zusätzliche Baumreihen. Perspektiven für die Zukunft Zukünftig werden zusammenhängende Superblocks von jeweils zwei mal zwei Stadtblöcken geschaffen, die den Inselcharakter der Pilotprojekte aufbrechen und als generelle neue urbane Strategie im Umgang mit dem Eixample verstanden werden können. Denn tatsächlich besteht die Absicht der Stadtplanerinnen und -planer darin, in den folgenden Jahren insgesamt 21 Grünachsen und 21 Plätze zu schaffen. Die damit einhergehende Umwandlung von 33 ehemaligen Straßenkilometern bedeutet einen Zuwachs von über 330 000 Quadratmetern an öffentlichem Raum mit 3,9 Hektar für Spiel, Sport und Erholung und 6,6 Hektar mit städtischem Grün – eine tiefgreifende Umgestaltung der Stadt, ohne dass ein einziges Gebäude abgerissen wird. Heute reisen Delegationen aus aller Welt nach Barcelona, um sich von den Superblocks und Grünachsen inspirieren zu lassen. Ähnliche Projekte sprießen in vielen Städten wie Pilze aus dem Boden. Interessanterweise wird auf lokaler Ebene das Vorhaben mit sehr kritischen Augen beobachtet und dessen weitere Ausführung infrage gestellt, während die internationale Wahrnehmung durchweg positiv ist. Tatsächlich müssen wir uns allerorts den Herausforderungen des Klimawandels stellen und Strategien zur Schaffung von Grünräumen und zur Reduzierung von Emissionen entwickeln. Barcelona nimmt hierbei einmal mehr eine Vorreiterrolle ein und beweist aufgrund der Resilienz und Flexibilität seiner urbanen Struktur, wie man kompakte Städte nachhaltig lebenswerter machen kann. Ich hoffe, dass meine Kinder in Zukunft diese Stadt ebenso wie ich genießen werden, im Idealfall sogar noch mehr. Vom Superblock zur Grünachse Lorenzo Kárász

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Bauherr: Barcelona d’Infraestructures Municipals, Institut Barcelona Esports, Ajuntament de Barcelona Tragwerksplanung: Manel Fernández, Ton Coll Landschaftsarchitektur: Anna Zahenero, Pepa Morán, Víctor Adorno Fertigstellung: 2018 Fläche: 4430 m2 Park: 3952 m2 Nutzung: Schwimmbad, Sporthalle

3

Carrer de Sant Iscle 50–54, Nou Barris

Anna Noguera, Javier Fernandez

Oben dribbeln – ­unten kraulen Sportkomplex Turó de la Peira

In diesem städtischen Sportzentrum stapeln sich Hallensport und Schwimmen übereinander: Im unteren Teil des Gebäudes ist ein öffentlicher Pool untergebracht, im Geschoss darüber eine Sporthalle, in der Kinder und Jugendliche turnen, tanzen und spielen. Sie sind entweder Mitglieder eines Sportvereins oder besuchen eine der angrenzenden Schulen. In Turó de la Peira, dem Stadtviertel auf einem der sieben Hügel von Barcelona, leben die einkommensschwächsten Bewohner der Stadt. Grünflächen sind rar, öffentliche Plätze ebenso. Durch das Stapeln der Nutzungen blieb ausreichend Platz für einen öffentlichen Park, der in Terrassen angelegt ist und so die acht Meter Höhenversprung des Grundstücks überwindet. Hier treffen sich nun alle Altersklassen der Nachbarschaft im Grünen.

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Grün ist auch die Fassade des Sportzentrums, die dem Park zugewandt ist. Ein Stahlgeflecht, an dem Kletterpflanzen emporwachsen, lässt die dahinterliegende Außenrampe durchschimmern. Diese führt von der Straße direkt in die Sporthalle im Obergeschoss. Die Schwimmhalle darunter ist halb eingegraben und hat ihren eigenen Eingang auf dem unteren Gartenniveau. Barrierefreie Wege durch den terrassierten Park verbinden sie mit der Straßenebene, wo auch der Haupteingang liegt. Ein Sockelgeschoss aus robustem Sichtbeton prägt die Ansicht auf Straßenniveau, darüber besteht die Fassade aus kostengünstigen Polycarbonatplatten. Der Bau fügt sich so zurückhaltend in die Häuserzeile ein, dass er zwischen seinen Nachbarn kaum auffällt. Seitenfenster und Oberlichter erlauben die fast vollständige natürliche Belichtung und Belüftung im Inneren. Sensoren überwachen Temperatur, Feuchtigkeit und CO2-Gehalt der Luft und steuern die Öffnungen. Dadurch kommt die Sporthalle ganzjährig ohne Klimaund Lüftungsanlage aus. So nachhaltig der Gebäudebetrieb, so nachhaltig ist auch das Baumaterial der mit Leed Platin zertifizierten Anlage. Stützen, Träger, Decken und Wände bestehen aus baskischem Holz und wurden in nur acht Wochen montiert. Die Anwohner schätzen ihr neues Sportzentrum sehr, Tag für Tag herrscht reger Betrieb. Für das Gelingen des Projekts hatte der Stadtrat drei Präsentationen des Entwurfs organisiert und auch später engagierte sich die Nachbarschaft für das Bauvorhaben. So war für den Hallenboden ursprünglich ein kostengünstiger Belag vorgesehen, den die Anwohnerschaft aber nicht wollte. Sie versammelte sich vor dem Rathaus, um dagegen zu protestieren. Am Ende bekam sie für ihr Holzgebäude auch einen hochwertigen Hallenboden aus Holz. Darauf spielen die Jugendlichen nun Handball oder Basketball, während andere im öffentlichen Schwimmbad darunter kraulend ihre Bahnen ziehen. hw

048 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Lageplan Maßstab 1:10 000

Eine terrassierte Grünanlage, die öffent- Das Grün setzt sich in der vertikalen lich zugänglich ist, überwindet die acht ­Vegetation der vorgehängten Fassade Meter Höhenversprung des Grundstücks. des Sportzentrums fort.

3 Sportkomplex Turó de la Peira Anna Noguera, Javier Fernandez ○

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2. Obergeschoss 15

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1. Obergeschoss

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Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:750

1 Eingang Schwimmbad 2 Empfang 3 Schwimmbad 4 Büro

10 Eingang Sportb halle 11 Zugang Sport­ halle, ­intern 12 Zugang Tribüne

5 Technik 6 Lager 7 Sanitätsraum 8 Umkleide  9 Luftraum 1

2

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4b

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13 Zugang Sport­ halle, öffentlich 14 Sporthalle 11 15 Verbindungstreppe zur 5 6 Schule

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Erdgeschoss

3 Sportkomplex Turó de la Peira Anna Noguera, Javier Fernandez ○

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052 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

3 Sportkomplex Turó de la Peira Anna Noguera, Javier Fernandez ○

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Bauherr: Fundació Kālida Tragwerksplanung: Bernúz-Fernández Arquitectes Innenarchitektur: Patricia Urquiola Fertigstellung: 2019 Fläche: 400 m2 Garten: 950 m2 Nutzung: Krebszentrum

4

Carrer de Sant Antoni Maria Claret 167, Horta-Guinardó 🌐 fundaciokalida.org #fundació Kālida @fundaciokalida

Benedetta Tagliabue – EMBT Architects

Gebaute Blüten Krebshilfe Kālida Sant Pau

Die Verbindung zwischen Architektur und Natur ist bei dem Krebszentrum nicht zu übersehen. Eingebettet in eine Blumenwiese, umrankt von blühenden Kletterpflanzen und verschattet von unterschiedlichen Baumarten, steht das kleine Gebäude im Rücken der Krankenhausmaschine von Sant Pau. Das historische Hospital Sant Pau, eine denkmalgeschützte Jugendstilanlage von Architekt Domènech i Montaner, bildet den anderen Nachbarn. Es umfasst neben acht Bettenpavillons in einem Park mit Heilpflanzen auch das kathedralartige Hauptgebäude, das mittlerweile in ein Museum umgewandelt wurde.

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EMBT Architects greifen mit dem Neubau für das Krebszentrum die heilende Wirkung von Pflanzen auf den Menschen auf, nicht nur in Form eines Gartens, sondern auch als florale Gebäudeelemente – die Referenz an die Modernisme-Bauten mit ihrem Reichtum an Materialien, Oberflächen und Farben ist offensichtlich. So sind die roten Backsteinfassaden des Krebszentrums mit weiß glasierten Steinen durchsetzt, die abstrakte Blüten darstellen. Ein Teil der geschwungenen Wände ist aus dreieckigen Hohlsteinen gemauert, die ein Gitterwerk bilden, durch das die Luft zirkuliert und das Schatten spendet. Der Blick auf das Gebäude weckt mit seinem bunt gekachelten Dach Assoziationen an drei sich auffaltende Blütenblätter. Selbst die Stahlkonstruktion der Pergolen erinnert an Blattrippen. Das Zentrum ist Teil des Netzwerks von Maggie’s Centres, einer britischen Stiftung, die Krebserkrankten, ihren Familienmitgliedern und Betreuern niederschwellig Unterstützung anbietet. Die Architektin Benedetta Tagliabue, die ihren Partner Enric Miralles auch an diese Krankheit verloren hat, konzipierte den Bau wie einen Gartenpavillon. Grenzen zwischen innen und außen verschwimmen, Gebautes und Gepflanztes verbinden sich. Das Erdgeschoss, das sich zu Terrassen und Wegen öffnet, ist abgesenkt und duckt sich vom Straßenraum weg. Es ist ein Ort des Rückzugs und der Ruhe, geschützt von Mauern, Pergolen und der Vegetation. Zentraler Raum im Erdgeschoss ist der zweigeschossige Speisebereich, um den sich eine Küche, eine kleine Bibliothek, mehrere Sitzecken und Multifunktionsräume gruppieren. Fast alle Flächen fließen ineinander, auch im Obergeschoss. Nur die medizinischen und therapeutischen Beratungen finden dort hinter verschlossener Tür statt. Zur Südseite, die sich den Jugendstilbauten zuwendet, sind die Fassaden großflächig verglast, wobei feststehende Holzlamellen das Licht filtern und vor Einblicken schützen. Ein warmer roter Boden und hölzerne Einbauten schaffen eine angenehme Atmosphäre, ebenso die für Barcelona so typischen Kappendecken. Hier sind sie allerdings nicht aus kleinformatigen Ziegeln gemauert, sondern aus größeren vorgefertigten Bogenelementen. In der angenehm ruhigen Umgebung können sich Betroffene praktische, emotionale und soziale Hilfe holen. Viele kommen direkt von der Onkologie, die nur einen Steinwurf vom Kālida-Krebszentrum entfernt liegt. So ist im Notfall auch schnell ärztliche Hilfe zur Stelle. hw

056 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Backstein, geschwungene Formen, glasierte Kacheln und florale Muster sind eine eindeutige Referenz an die Bauten

des Modernisme. Das historische Hospital Sant Pau im Hintergrund stammt aus dieser Epoche.

Lageplan Maßstab 1:5000

4 Krebshilfe Kālida Sant Pau EMBT Architects ○

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058 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

aa

Schnitt, Grundrisse Maßstab 1:400

1 Eingang 2 Küche 3 Speisesaal

4 Leseecke 5 Mehrzweckraum

6 Sitzecke 7 Beratungs­ zimmer

8 Büro/Besprechung

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1. Obergeschoss

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Erdgeschoss

4 Krebshilfe Kālida Sant Pau EMBT Architects ○

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Bauherr: Barcelona d‘Infraestructures Municipals Tragwerksplaner: DSM arquitectes Fertigstellung: 2017 Fläche: 2500 m2 Nutzung: Bürgerzentrum

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Carrer d’Olzinelles 31, Sants-Montjuïc 🌐 lleialtat.cat #La Lleialtat Santsenca

Harquitectes

Ziegel, Fliesen, Gipskarton Nachbarschaftshaus ­Lleialtat Santsenca

Das Gemeindezentrum Lleialtat Santsenca wurde 1928 als Hauptsitz einer Arbeitergenossenschaft gebaut und später als Fabrik und Diskothek genutzt. 2006 ging das Gebäude in städtisches Eigentum über. Dann stand es sechs Jahre lang leer. Auf Initiative der Nachbarschaft, die die Wiederbelebung des mittlerweile heruntergekommenen Gebäudes forderte, schrieb die Stadt 2012 den Wettbewerb für ein Bürgerzentrum aus. Die Gewinner, Harquitectes, sahen sich mit drei Hauptaufgaben konfrontiert: den historischen Wert des Gebäudes herauszuarbeiten, möglichst viel davon zu bewahren und die Bedürfnisse der Nachbarschaftskooperative zu berücksichtigen.

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Rund 1750 Quadratmeter Nutzfläche verteilen sich nun auf zwei Gebäudeteile: das zweigeschossige Hauptgebäude mit Eingang, Café und einem großen Mehrzwecksaal sowie den zwei- bis viergeschossigen rückwärtigen Teil mit unterschiedlichsten Räumen. Verbunden sind die beiden Bauten durch ein bis unter das Dach offenes Atrium, das die angrenzenden Räume mit natürlichem Licht versorgt. Filigrane Stege aus Stahl und Holz erschließen den hohen Raum und stellen zugleich Begegnungsorte dar. Charakteristisch sind die Wandoberflächen, die so belassen blieben, wie sie vorgefunden wurden. Dadurch wirkt das Gebäude, als dürfe es sich weiterhin wandeln, als seien die Spuren der Zeit nicht konserviert, sondern Zeichen fortschreitender Veränderung: Ziegelwände aus verschiedenen Phasen des Hauses wechseln sich mit Putzschichten ab, Wandbemalungen, Fliesen und Reste grüner Gipskarton-Feuchtraumplatten zeugen von unterschiedlichen Nutzungen über die Jahrzehnte. Als Relikte der Vergangenheit wurden sie gereinigt und wo nötig durch rohen Ziegel ersetzt oder ergänzt. Auf diese Weise ergibt sich ein Gewebe unterschiedlichster Oberflächen. Die neuen Elemente der Sanierung sind pragmatisch, kostengünstig und nachhaltig. So wurde für die Innenräume nur unbehandeltes Kiefernholz verwendet, die Dächer bestehen größtenteils aus Polycarbonatplatten. Solarkollektoren auf dem Dach bereiten warmes Wasser und die Toiletten werden mit Regenwasser gespült. Das Haus ist zur Anlaufstelle für die Nachbarschaft geworden, es bietet Raum für Eigeninitiativen: Hier finden Feste und Versammlungen, aber auch Konzerte und Großveranstaltungen statt. Für 5,45 Euro die Stunde können Musikgruppen in einem 30 Quadratmeter großen Studio üben. Im IT-Raum werden Menschen mit wenig Computererfahrung mit der digitalen Welt vertraut gemacht. Alle Altersgruppen nutzen das Gemeindezentrum zum Spielen, Diskutieren und Lernen oder auch nur, um sich zu vergnügen. Die Räume sind belebt und mit jedem Besuch festigt sich die Gemeinschaft unter den Nachbarn. Sie identifizieren sich mit dem Lleialtat Santsenca, schließlich haben sie es selbst mitgestaltet. hw

062 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Lageplan Maßstab 1:2500

5 Nachbarschaftshaus Lleialtat Santsenca Harquitectes ○

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Charakteristisch sind die Wandoberflächen, die so belassen blieben, wie sie vorgefunden wurden. Dadurch wirkt das

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Gebäude, als dürfe es sich weiterhin wandeln, als seien die Spuren der Zeit nicht konserviert.

aa 7 8

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1. Obergeschoss

Schnitte Grundrisse Maßstab 1:500

1 Eingang 2 Mehrzwecksaal 3 Küche

4 Atrium 5 Multifunktionsraum 6 Verwaltung

7 Aula mit Bühne 8 Spielegalerie 9 Bewegungsraum

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Sockelgeschoss

5 Nachbarschaftshaus Lleialtat Santsenca Harquitectes ○

Erdgeschoss

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5 Nachbarschaftshaus Lleialtat Santsenca Harquitectes ○

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Josep Ricart Ulldemolins von Harquitectes im Gespräch mit Heide Wessely

Geschichte ist Teil der Gegenwart BARCELONA Urbane Architektur und Gemeinschaft seit 2010

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Mit sinnlichen Kombinationen aus vorgefundenen und naturbelassenen Baumaterialien haben sich die katalanischen Architekten Harquitectes einen Namen gemacht –  weit über Barcelona hinaus. Seit 2000 entwickeln sie in ihrem Studio in Sabadell, rund 20 Kilometer nordöstlich von Barcelona, überraschend experimentelle und effi­ ziente Konzepte für Wohn- und Gemeinschaftsprojekte. Oft greifen sie dabei auf regionaltypische Konstruktionsmethoden zurück, die sie mit technisch innovativen Detaillösungen kombinieren. Josep Ricart Ulldemolins (zweiter von links), der das Büro gemeinsam mit David Lorente Ibáñez (rechts), Xavier Ros Majó (links) und Roger Tudó Galí gründete, erklärt im Gespräch, worauf es dabei ankommt und wie die historischen industriellen Bestandsbauten Barcelonas neu genutzt werden können.

Gibt es ein Gebäude in Barcelona, das Sie besonders gerne mögen? Das Dipòsit de les Aigües, das ist die Hauptbibliothek der Universität Pompeu Fabra. Josep Fontserè entwarf das Gebäude 1874 für die erste Weltausstellung, es war ursprünglich ein Wasserturm für den künstlichen Wasserfall im Parc de la Ciutadella. Fontserè war eher Ingenieur als Architekt. Er hat das drei Meter hohe Becken auf Bögen aus Backstein gesetzt, die 14 Meter hoch sind und ein Tonnengewölbe tragen – eigentlich eine klassisch römische Konstruktionstypologie. Das Reservoir war nicht lange in Betrieb, weil es schon bald von Wasserpumpen abgelöst wurde. Beeindruckend daran ist jedoch, dass es nie seinen Sinn verloren hat: Erst war es Wasserspeicher, dann Lagerfläche, auch die Feuerwehr war eine Weile darin untergebracht, und man konnte mal mit kleinen Booten im Wasser fahren. Das Gebäude hat immer funktioniert – heute tut es 070 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

das als Bibliothek. Geplant haben diese außergewöhnliche Bibliothek übrigens Lluís Clotet und Ignacio Paricio. Eignen sich Infrastrukturprojekte besser für neue Nutzungen? Sie lassen sich besser adaptieren und sind multifunktioneller – ähnlich wie Fabriken. Außerdem sind sie schon immer umgebaut, erweitert und umgenutzt worden. Alte Industriegebäude haben größere Spannweiten und deshalb auch ein großes Potenzial für neue Nutzungen, die Grundrisse eines Wohnbaus sind starrer. Leider machen die Denkmalschutzbehörden keinen Unterschied zwischen diesen beiden Arten des Bestands. Sie behandeln alle schützenswerten Gebäude gleich. Wieso wurden dann so viele alte Industriedenkmäler abgerissen? Viele standen dort, wo das Land billig war, in Sumpfgebieten, und die Bausubstanz war deshalb schlecht. Ich bin kein Nostalgiker, wenn es um den Erhalt alter Gebäude geht. Beim

Beim Gemeindezentrum Lleialtat Santsenca sind die verschiedenen Epochen des Gebäudes noch deutlich sichtbar. Was steckt dahinter? Wir schauen immer zuerst, ob sich das Programm in die vorhandene Struktur einbetten lässt. Danach suchen wir nach Merkmalen und Eigenschaften, die die Geschichte eines Gebäudes widerspiegeln. Das hat mit kultureller Identität zu tun, aber auch dem Erinnern. Denn viele Menschen aus der Nachbarschaft kennen das Gebäude „Das Schöne an Barcelona ist, noch von früher. Gebaut wurde es als Arbeitergenossenschaft. Danach war dass Geschichte an vielen es eine Fabrik, die Turrón hergestellt Orten nicht konserviert, hat, eine spanische Spezialität, die zu Weihnachten gegessen wird. Im sondern ein Teil des heutigen zweiten Obergeschoss waren eine Lebens ist. “ Disko und ein Veranstaltungssaal, wo die Leute sich vergnügten. Diese unterschiedlichen Nutzungen haben 60 Bauanträge für Umbauten oder das Haus geprägt, und wir möchten Umnutzungen gab. Die Fassade als diese Geschichte auch anderen, jüngerepräsentatives Element der Fabrik hat ren Besuchern erzählen. es nie gegeben, sie war nie fertig. Diese Geschichte wollten wir den Passanten Es ist immer viel los im Lleialtat und Besucherinnen des Gemeindezen- Santsenca. Was braucht ein trums erzählen. Die Denkmalschutz- Gebäude, damit es zu einem so behörde hat das nicht akzeptiert, weil lebendigen Treffpunkt für die sie davon ausging, dass die Fassade Gemeinschaft wird? nach historischem Vorbild wiederher- Die Architekturkooperative Lacol hat hier eine entscheidende Rolle gestellt und verputzt werden sollte. Wie aber sollte das gehen? Schon gespielt. Sie waren damals, vor zehn, zwölf Jahren, noch junge Aktivisten. das historische Vorbild hatten drei Auch heute noch setzen sie sich für verschiedene Architekten gestaltet. die Rechte der Nachbarschaft ein und Nach langen Diskussionen fanden sind sehr eng mit ihr verbunden. Lacol wir Kompromisse, wir mussten die Fassade nur bereichsweise verputzen war an der Wettbewerbsausschreibung und durften den Rest in seiner Unvoll- beteiligt, sie haben bei den Nachbarschaftsverbänden und -vereinen, also kommenheit zeigen. Bürgerzentrum Cristalleries Planell mussten wir die Bestandsfassade erhalten. Wir haben versucht, ihre Geschichte nachzuvollziehen, sie war ein Patchwork von Texturen mit vielen schönen Elementen, aber auch mit Brüchen, Verletzungen und Ausbesserungen. Wir haben uns gefragt: Woher kommen sie? Als wir in den Archiven nachgeforscht haben, stellte sich heraus, dass es in 50 Jahren

Josep Ricart Ulldemolins von Harquitectes im Gespräch mit Heide Wessely

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den späteren Nutzern, nachgefragt, welche Aktivitäten sie anbieten und was sie konkret mit den Räumen vorhaben. Entsprechend haben wir Grundrisse entworfen, die viel Spielraum zulassen.

der Wettbewerbsausschreibung hätte das Gebäude entkernt werden dürfen, denn nur die Fassade steht unter Denkmalschutz. Wir zählten zu den Wenigen, die einen Großteil des Bestands bewahren wollten.

Das Gemeindezentrum liegt in einer Häuserzeile in Sants. Es ist nicht exponiert. Hatte diese städtebauliche Lage Auswirkungen auf den Entwurf? Wir haben versucht, die Straße in das Gebäude hineinzuführen und sie mit einem transparenten Dach gedeckt, um Sonnenlicht in die tiefen, dunklen Bereiche zu holen. Sie wird zum zen­ tralen Atrium, das luftig, hell und licht ist und das man von außen auch sehen kann. Dafür haben wir ein Minimum an Wänden und Stützen entfernt, um das Maximum an Freiheit für das Raumprogramm, die Belichtung und Belüftung zu erreichen. Laut

In Barcelona scheinen die Bürgerinnen und Bürger mehr mitzubestimmen als in anderen Städten. Warum? Die jetzige Regierung, die auch die Online-Abstimmungsplattform decidim.barcelona eingeführt hat, erweckt diesen Anschein. Ich glaube aber nicht, dass das wirklich so ist. Ich hatte diesen Eindruck, als ich Mitte der 1990er-Jahre nach Berlin reiste. Dort wurden aus Friseurläden Bibliotheken – alles war möglich. Hier in Barcelona sind die größten Veränderungen durch Großereignisse in Gang gekommen: Olympische Spiele, Weltausstellungen, Forum der Kulturen. Jetzt suggeriert

072 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Modelle spielen für die Arbeitsweise von Harquitectes eine zentrale Rolle. Hier beraten die vier Partner über ein Projekt,

für das sie den Wettbewerb gewonnen haben: ein Multifunktionsgebäude mit Bibliothek in Barcelona.

die Stadtverwaltung der Bevölkerung auch große Stadtumbauten. Ein neu gestalteter Platz fällt jedem ins Auge. Das ist die einfachste Möglichkeit, um zu demonstrieren, dass etwas geschieht in der Stadt. Dabei ist es viel günstiger, einen Platz neu zu gestalten als zum Beispiel Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen zu bauen. Trotzdem sind viele dieser neuen Orte gut gemacht, keine Frage. Nicht umsonst ist Barcelonas Stadtbaudesign auf der ganzen Welt bekannt. Was braucht Barcelona am dringendsten? Es fehlen bezahlbare Wohnungen. Das ist das größte Problem, das Barcelona hat. Zwar wird viel über sozialen oder auch genossenschaftlichen Wohnungsbau berichtet, aber das sind kleine Maßnahmen. Ein kleines Grundstück genossenschaftlich zu bebauen, mit kultivierten, gebildeten Bauherren ist eine schöne Sache – aber es löst das Problem nicht. Nur ein Bruchteil des Wohnraums gehört der Stadt, der Großteil privaten Eigentümern. Das lässt Preise und Mieten in die Höhe schnellen. Außerdem kommen zu viele Touristen hierher, ihre Konzentration im gotischen Viertel und in El Raval ist zu hoch. Zusammen mit Christ & Gantenbein haben wir dort den Wettbewerb für die Erweiterung des Macba (Museu d’Art Contemporani de Barcelona) gewonnen. Stadtverwaltung und Nachbarschaft verhandeln nun, wer Anspruch auf den Platz vor dem Museum hat und wie er genutzt werden soll.

Was gefällt Ihnen an Barcelona besonders gut? Das Schöne an Barcelona ist, dass Geschichte an vielen Orten nicht konserviert ist, sondern ein Teil des heutigen Lebens. Zum Beispiel kann man immer noch den Verlauf der römischen oder der mittelalterlichen Stadtmauer nachvollziehen. Wir bauen gerade ein Theater und sind während der Bauarbeiten auf ein Stück davon gestoßen. Wann immer man in der Stadt zu graben anfängt, kommen historische Spuren zum Vorschein. Das ist ein Problem, aber es ist auch schön. Mit der Erinnerung an die Zeit von vor 2000, 200 oder 20 Jahren leben wir noch heute. Es ist wie ein Konzept der Synchronisation. Pompei ist der genaue Gegensatz dazu. Die antiken Gebäude dort wirken so modern, als könnte man heute noch darin wohnen – man kann es aber nicht, weil ihre Geschichte abgeschlossen ist. Hier leben Menschen in Häusern, in denen Säulen eines alten römischen Tempels stehen. Die Stadt verknüpft die Geschichte mit der Gegenwart, sie hat das immer getan, und das macht Barcelona so spannend und lebendig.

Josep Ricart Ulldemolins von Harquitectes im Gespräch mit Heide Wessely

○ Planell 6 Cristalleries ○  ↪

S. 074 906 17 Schule  S. 188 der UAB 19 Institut  S. 208 29 57 Apartments S. 310

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Bauherr: Infraestructures Metropolitanes, Àrea Metropolitana de Barcelona Tragwerksplaner: DSM arquitectes Fertigstellung: 2016 Fläche: 1694 m2 Nutzung: Bürgerzentrum, Erwachsenenbildung

6

Carrer del Dr. Ibáñez 38, Les Corts

Harquitectes

Fassaden im Vintage-Look Bürgerzentrum ­Cristalleries Planell

Schon von Weitem deuten die vier kaminartigen Dachaufbauten auf ein technisch raffiniertes, energieeffizientes Bauwerk hin. Sie sind zum Wahrzeichen des Bürgerzentrums geworden und eine Referenz an die ehemalige industrielle Nutzung des Gebäudes aus dem Jahr 1913, in dem früher Glas produziert wurde. Hinter den prominenten Kaminen verbirgt sich eine ausgeklügelte Technik. Durch sie gelangt aufgeheizte Innenluft nach außen, wodurch das Gebäude ohne Klimaanlage auskommt. Das funktioniert so: Innerhalb der denkmalgeschützten Fassaden, deren Entwurf von Architekt Josep Graner i Prat stammt, fügten Harquitectes einen Neubau aus naturbelassenen Ziegeln ein. An der Südostseite ist dieser zwei Meter von der Bestandsfassade abgerückt, an der gegenüberliegenden

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Seite bildet er ein Atrium mit dreieckiger Grundfläche. Durch ein unterirdisches Kanalsystem kommt Frischluft ins Gebäude, die dann nach oben zieht, durch die gekippten Fenster in die Räume strömt und schließlich als Abluft durch die Sonnenkamine ins Freie entweicht. Beide Atrien sind mit Glasdächern geschlossen. Ursprünglich sollte das Bürgerzentrum nur drei Geschosse hoch sein und die Kubatur der alten Fabrik weitgehend beibehalten. Erst später kam ein viertes Stockwerk hinzu, das sich durch helleren Ziegel vom Bestand abhebt. Um ausreichend Licht in die weiß gestrichenen Innenräume zu bekommen, haben die Architekten die alten Fassaden zum Teil mit Glasbausteinen aufmauern lassen – ein deutlicher optischer Bruch zum Backsteinbestand und eine Referenz an die frühere Glasmanufaktur. In

den hellen, luftigen Räumen lernen Erwachsene Englisch, Spanisch oder Katalanisch oder bekommen Computerkenntnisse vermittelt. Harquitectes haben es geschafft, ein bedeutendes Zeitzeugnis der industriellen Geschichte des Viertels zu bewahren. Vergangenheit und Gegenwart kommen hier zusammen. Die historische Fassade aus Naturstein und Ziegeln ist als Ruine konserviert und mit unterschiedlich gestalteten Ziegelfassaden ergänzt. Das mit Leed Gold zertifizierte Bürgerzentrum bewahrt die Erinnerung an das Industriezeitalter und steht gleichzeitig im Hier und Jetzt. hw

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Die markanten Solarkamine leiten im Sommer heiße Luft nach außen. Sie sind das Wahrzeichen des Bürgerzentrums.

Lageplan Maßstab 1:5000

6 Bürgerzentrum Cristalleries Planell Harquitectes ○

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6 Bürgerzentrum Cristalleries Planell Harquitectes ○

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Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:500

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1 Haupteingang 2 Notausgang 3 Atrium

4 Foyer 5 Klassenzimmer Erwachsenenbildung

6 Büro 7 Luftraum 8 Glasveranda

9 Windtürme zur Raumkühlung 10 transparentes Foliendach

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6 Bürgerzentrum Cristalleries Planell Harquitectes ○

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082 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Die Eingangsfassade zeigt die Spuren der Geschichte am deutlichsten. Wie bei einem Patchwork treffen Ziegel aus unterschiedlichen Epochen zusammen.

6 Bürgerzentrum Cristalleries Planell Harquitectes ○

083

Bauherr: Barcelona d’Infraestructures Municipal, Administrador de Infraestructuras Ferroviarias, Infraestructures de la Generalitat de Catalunya Tragwerksplanung: Esteyco Landschaftsplanung: Joan Pinyol Fertigstellung: 2016 Fläche: 48 400 m2 Nutzung: Infrastruktur, Park

7

Plaça de Sants, Carrer de la Riera ­Blanca, Sants-Montjuïc

Sergi Godia, Ana Molino

Schwebende Gärten Rambla in Sants

Die erhöhten Gärten von Sants sind ein Musterbeispiel dafür, was Stadtbewohnerinnen und -bewohner erreichen können. Über Jahrzehnte haben die Bahngleise das dicht besiedelte Stadtviertel Sants in zwei Teile geschnitten. Auf acht parallelen Schienen ratterten die Züge dicht an den Wohnhäusern vorbei, verursachten Lärm und schlechte Luft. In der Folge verfiel das gesamte Umfeld – baulich und auch sozial. Im Jahr 2000 formierte sich eine Nachbarschaftsbewegung, die diesen Zustand nicht länger hinnehmen wollte. Nach Protesten, Demonstrationen und Gesprächen mit den Betreibern der Bahnnetze stimmte die Stadtverwaltung nach zwei Jahren schließlich zu, eine große Infra­ strukturmaßnahme anzustoßen. Ziel der Initiative war zunächst, die

085

Bahnstrecke komplett einzugraben. Doch diese Lösung erwies sich als technisch und wirtschaftlich nicht machbar. Als Alternative wurde nur eine Zugtrasse unter die Erde verbannt, zwei weitere hingegen eingehaust. Auf ihrem Dach entstand ein Boulevard mit Grünanlagen über eine Länge von 800 Metern, mit der Option, die Einhausung bis an den Stadtrand fortzusetzen und damit einen fünf Kilometer langen grünen Korridor zu schaffen. Riesige, mit Glas ausgefachte Fachwerkträger aus vorgefertigten Betonteilen tragen das begrünte Dach. Durch das Glas sind die Züge zwar zu sehen, aber zu hören sind sie nicht mehr. An drei Stellen ersetzen bunt bepflanzte Böschungen die Beton-Glas-Konstruktion. Sie gehen direkt in den Dachgarten über und nehmen Rampen auf, die den Höhenunterschied zwischen dem Straßenniveau und dem grünen Boulevard überwinden. Oben können die Anwohnerinnen und Anwohner flanieren, sich an Sportgeräten fit halten, auf Bänken lesen oder ihren Kindern beim Spielen zuschauen. Bereiche mit weichen Gummiböden, die den Boulevard durchziehen, wechseln sich mit hellgrün eingefärbten Flächen ab. Schattendächer sorgen bei Hitze für angenehme Kühle, vorpatinierte, skulpturenartige Straßenlaternen abends für Sicherheit. Das Rückgrat in der Mitte des Boulevards bildet die Bepflanzung mit Bäumen, Sträuchern und Bodendeckern, die in Rasenflächen übergehen. Lüftungsbauwerke ragen empor, die mit Fotos aus der Zeit bekleidet sind, als die Züge noch oberirdisch fuhren. Die Gärten sind vier bis zwölf Meter über das Straßenniveau in die Höhe gehoben – eine Aussichtsplattform mit Stadtpanorama. Das Ende des Boulevards bildet eine kleine Sitztribüne mit Blick auf Züge und Bahngleise. Über elf Jahre hinweg begleitete ein Nachbarschaftsausschuss die urbane Intervention. Die lange Dauer lag an der hohen Komplexität der Baumaßnahme, denn der Bahnbetrieb musste ungehindert weiterlaufen, aber auch an den vielen Beteiligten. Für die Umsetzung des Infrastrukturprojekts waren drei Verwaltungsorgane zuständig: der spanische Staat, die Region Katalonien und die Stadt Barcelona. Obwohl die Nachbarschaft sehr von den neuen Grünflächen profitiert, gibt es immer noch Probleme mit Vandalismus, die von der früheren Situation des städtischen Verfalls und der damit einhergehenden sozialen Marginalisierung herrühren. Es bleibt zu hoffen, dass die Stadterneuerung nun auch schnell zur Rehabilitierung des Viertels führt. hw

086 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

7 Rambla in Sants Sergi Godia, Ana Molino ○

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Lageplan Maßstab 1:4000

088 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Wo früher Schnell- und Regionalzüge durch das Stadtviertel Sants ratterten, ist jetzt ein 800 m langer, begrünter Boulevard zum Flanieren.

Er liegt auf dem Dach der Einhausung, die den Schienenverkehr nun optisch, akustisch und olfaktorisch von der Nachbarschaft abschirmt.

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7 Rambla in Sants Sergi Godia, Ana Molino ○

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Schnitte Maßstab 1:750

090 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

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1 Hochgeschwindigkeitszug

2 Nationalzug 3 U-Bahn

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Die Photovoltaikzellen auf dem Dach produzieren Strom und spenden außerdem viel Schatten.

7 Rambla in Sants Sergi Godia, Ana Molino ○

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092 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

7 Rambla in Sants Sergi Godia, Ana Molino ○

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Bauherr: Ajuntament de Barcelona Tragwerksplanung: BAC Engineering Consultancy Group Fertigstellung: 2020 Fläche: 7237 m2 Nutzung: Sporthalle

8

Plaça d’Albert Badia i Mur, Sant Andreu 🌐 ajuntament.barcelona.cat/ campdelferro

AIA Activitats Arquitectòniques, Barceló Balanzó Arquitectes, Gustau Gili Galfetti

Netzhemd aus Ziegel Sportkomplex Camp del Ferro

Das Sportzentrum Camp del Ferro liegt im nördlichen Stadtteil Sant Andreu und ist von neuen Wohngebäuden umgeben, die an der Stelle von alten Fabriken und Lagerhäusern entstanden sind. In unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich die Kunst- und Designschule Llotja, die vor Kurzem in einem der wenigen erhaltenen Fabrikgebäude eingerichtet wurde, sowie ein älteres Sportzentrum aus der Zeit der Olympischen Spiele, das die neue Anlage zum Teil ersetzt. Spätestens seit den Olympischen Spielen 1992 ist Sport ein wichtiger Bestandteil des Alltags in Barcelona. Ähnlich wie das Netz an Stadtteilbibliotheken sind die städtischen Sportzentren über die ganze Stadt verteilt, und jedes ist auf bestimmte Sportarten spezialisiert.

095

In einer dicht besiedelten Stadt wie Barcelona ist der öffentliche Raum kostbar. Daher werden große öffentliche Gebäude oft teilweise eingegraben, um ihr sichtbares Volumen zu mindern. Das Camp del Ferro besteht im Wesentlichen aus drei großen Sporthallen für Basketball, Rollhockey, Gymnastik und Turnen. In dem halb unter der Erde liegenden Sockel befinden sich zwei der Hallen, eine dritte, kleinere steht darauf. So entsteht ein L-förmiger Gebäudequerschnitt. Diese Gestaltungsstrategie schafft einen großzügigen öffentlichen Platz auf dem Dach des Sockelgeschosses, auf dem sich die Nachbarschaft trifft. Von hier aus betritt man auch das Gebäude. Die Eingangsebene ist über die gesamte Länge des Platzes verglast und macht so die Verbindung zwischen Sockel und Gebäude deutlich. Zudem sind dadurch die Aktivitäten im Inneren des Gebäudes für die Öffentlichkeit sichtbar. Büros, Umkleideräumen und Tribünen gehören ebenfalls zum Raumprogramm. Auch die aufwendige Gestaltung der Fassade lässt die verbleibende Gebäudemasse weniger mächtig wirken. Ein geschwungenes Sheddach krönt die Sporthalle. Es besteht aus vier umgekehrten Gewölben, die in der Ansicht durch wellenförmige Gesimse zum Ausdruck kommen. Verschiedene Arten und Farben von Ziegeln, die je nach Ausrichtung zur Sonne in unterschiedlichen Mustern und Dichten angeordnet sind, schaffen eine dynamische Fassade. Ziegellamellen im Süden schützen die Innenräume vor direkter Sonneneinstrahlung und Blendung, während Gitter aus Ziegel einen Teil der Fenster sowie die Eingänge mit doppelter Höhe an den auskragenden Gebäudeecken verschatten. Mit seinen verspielten Backsteinfassaden und dem Sheddach ist das Sportzentrum zweifellos eine Hommage an die industrielle Vergangenheit Barcelonas im 19. Jahrhundert sowie an die ausdrucksstarke modernistische Architektur, die diese Zeit hervorgebracht hat. rgm

096 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Lageplan Maßstab 1:8000

8 Sportkomplex Camp del Ferro AIA Activitats Arquitectòniques, Barceló Balanzó Arquitectes, Gustau Gili Galfetti ○

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Schnitt, Grundrisse Maßstab 1:750

1 Skaten, Hockey, 2 Umkleiden Ballsport für 491 3 Skate-Sport­ arten für 123 Zuschauer Zuschauer

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098 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

4 Vor-/Spielplatz 7 Dreifachturn 5 Eingang halle 6 Gastronomiebe- 8 Technik 9 Aktivraum reich 10 Luftraum

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Obergeschoss

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Erdgeschoss

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Sockelgeschoss

8 Sportkomplex Camp del Ferro AIA Activitats Arquitectòniques, Barceló Balanzó Arquitectes, Gustau Gili Galfetti ○

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100 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Die differenzierte Gestaltung der Fassade lässt das große Gebäudevolumen weniger mächtig wirken. Auch die ge-

schwungene Dachform dient diesem Zweck. Dass Oberlichter der natürlichen Belüftung dienen, sieht man hier nicht.

8 Sportkomplex Camp del Ferro AIA Activitats Arquitectòniques, Barceló Balanzó Arquitectes, Gustau Gili Galfetti ○

101

102 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Die postolympische Trans­ formation Rafael Gómez-Moriana

BARCELONA Urbane Architektur und Gemeinschaft seit 2010

103

Barcelona hat viele Großereignisse ausgerichtet. Die Weltausstellungen 1888 und 1929, die Olympischen Spiele 1992 und das Forum der Kulturen 2004 haben die Stadt international bekannt gemacht. Außerdem waren sie jeweils der Anlass zu Interventionen in das urbane Gefüge. Das ehrgeizigste Projekt von allen war die Olympiade: Für die Spiele wurden vier Stadtgebiete neu gestaltet.

Als sich Barcelona Anfang der 1980er-Jahre für die Olympischen Sommerspiele bewarb, war Spanien noch dabei, sich von der Franco-Diktatur zu erholen. Die Austragung der Olympiade, dem größten aller internationalen Events, sollte den Anstoß für die dringend notwendige Modernisierung der Stadt geben. Der Architekt Oriol Bohigas erarbeitete ein Programm zur Verbesserung des öffentlichen Raums. Ziel war es, das Zentrum zu sanieren, den Zugang zum Meer zurückzugewinnen und die Peripherie aufzuwerten. Das Programm umfasste kleinmaßstäbliche städtebauliche Eingriffe, die die vielfältigen typo- und morphologischen Gegebenheiten der Stadt respektieren sollten. Im Fokus stand die Sanierung des historischen Kerns, außerdem sollten die tristen Wohnsiedlungen aus den 1970er-Jahren verbessert und heruntergekommene städtische Plätze aufgewertet werden. Mit auf der Agenda standen auch Kunst im öffentlichen Raum und neue öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Bibliotheken. Mit der Vergabe der Olympischen Spiele an Barcelona 1986 wurden die Stadtentwicklungs- und Sanierungskonzepte umfangreicher und dringlicher. 1987 entstand ein Plan, der über ganz Barcelona verteilt zwölf neue Zentralbereiche festgelegte. Sie sollten die Altstadt entlasten und das urbane Gebiet besser vernetzen. Vier der neuen Zentren sollten als Austragungsorte für die Olympiade dienen und durch eine neue abgesenkte Umgehungsstraße, die Ronda, miteinander verbunden werden. Das Olympische Dorf und der Hafen, die größte der vier Olympiastätten, waren auf einem ehemaligen Industriegelände am Wasser vorgesehen. Fabriken, Gleisanlagen und Barackensiedlungen hatten die Strände der Stadt unzugänglich gemacht. Deren Revitalisierung war einer der Hauptgründe, warum die Bürgerinnen und Bürger Barcelonas die Olympiabewerbung von Anfang an mit überwältigender Mehrheit unterstützten und sich viele als freiwillige Helferinnen und Helfer meldeten. Forum 2004: die Erfindung eines globalen Events Der durchschlagende Erfolg von Barcelona ’92 änderte alles. Nach einem kurzen wirtschaftlichen Abschwung wurden neue Bauprojekte 104 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

ausgearbeitet, die auch die Interessen von großen privaten Investoren einbezogen. Der Logistikdistrikt Zona Franca zwischen Hafen und Flughafen entstand, ebenso der Plan 22@ zur Umwandlung eines verlassenen Industriegebiets in Sant Martí in ein innovatives Viertel zum Arbeiten und Wohnen. Zudem „erfand“ die Stadtverwaltung Barcelonas ein weiteres internationales Ereignis, das 2004 auf dem letzten verbliebenen Industriegelände am Wasser eröffnete: Das Fòrum Universal de les Cultures 2004 sollte unter dem Motto „Frieden, Nachhaltigkeit und kulturelle Vielfalt“ den Erfolg der Olympischen Spiele wiederholen.

Der künstlich angelegte Sandstrand ist über vier Kilometer lang und eine der Hauptattraktionen der Stadt. Vor der

Umgestaltung für die Olympischen Spiele 1992 war er mit Fabriken und Gleisanlagen sowie schäbigen Hütten zugebaut.

105

Sein Austragungsort lag am Ende der Avinguda Diagonal, einer der Hauptachsen Barcelonas. Im Rahmen eines weitaus größeren Umbaus wurde die Straße bis zum Meer verlängert. Herzog & de Meuron errichteten ein großes Ausstellungs- und Auditoriumsgebäude auf einem neuen großen Platz am Wasser. In der Nachbarschaft entstanden ein Kongresszentrum von Josep Lluís Mateo, ein Yachthafen, ein Hotel von Óscar Tusquets und ein Park von Foreign Office Architects. Außerdem baute das texanische Unternehmen Hines den Komplex Diagonal Mar im amerikanischen Stil mit einem überdachten Einkaufszentrum von

106 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Während des Forums der Kulturen 2004 füllte sich der Platz vor dem markanten Gebäude, das Herzog & de Meuron ei-

gens für die Veranstaltung geplant hatten. Heute ist es dort meist menschenleer.

Robert A.M. Stern. Enric Miralles und Benedetta Tagliabue – EMBT ­Architects entwarfen einen öffentlichen Park, der von luxuriösen Wohntürmen umgeben ist. Trotz der noblen Absichten, oder vielleicht gerade deswegen, wurde das Forum 2004 von Kritikern als eine verschleierte Maßnahme zum Anlocken internationaler Immobilieninvestoren und Touristen wahrgenommen. Mit seinen frei stehenden Gebäuden in einer weitläufigen Landschaft stellt das Forumsgelände städtebaulich eine direkte Umkehrung des historischen mediterranen Stadtbilds dar. Der Architekturkritiker Josep María Montaner beschrieb es als „neoliberalen Urbanismus, der aus großen unabhängigen Objekten besteht, die keinen Bezug zum städtischen Gefüge haben“. Zu den weiteren Großprojekten der Forum-Ära gehören die skulpturale Unternehmenszentrale für Gas Natural von EMBT Architects mit einem 30 Meter auskragenden Flügel, der ikonische abgerundete Büroturm Torre Glòries für Grupo Agbar von Jean Nouvel und ein Messekomplex von Toyo Ito, der sich durch ein Paar eigenwilliger Zwillingstürme auszeichnet. Wirtschaftskrise 2008: das Ende der Party Die Tendenz, immer größere öffentlich-private Projekte in Form von frei stehenden Gebäudeskulpturen zu bauen, erreichte Mitte der 2000er-Jahre ihren Höhepunkt – mit dem Vorschlag für einen 80 000 Quadratmeter großen Hochhauskomplex von Frank Gehry, für den kein Wettbewerb durchgeführt wurde. Gehrys Projekt, das für einen Standort in der Nähe des künftigen Hochgeschwindigkeitsbahnhofs Sagrera vorgesehen war, wurde ein frühes Opfer der Wirtschaftskrise, die Spanien im Jahr 2008 mit voller Wucht traf. Mit der Rezession fiel die teure Stararchitektur von einem Tag auf den anderen in Ungnade. Derweilen wurde eine neue Generation von Architektinnen und Architekten, die von der zunehmenden Privatisierung sowie der Gentri- und Touristifizierung Barcelonas nach der Olympiade enttäuscht waren, zu Aktivisten für bezahlbaren Wohnraum und das Recht der Bewohner auf ihre Stadt. Auf dem Gipfel der Wirtschaftskrise wurde 2011 mit Xavier Trias der erste konservative Bürgermeister Barcelonas gewählt. Sein Stellvertreter Antoni Vives, zuständig für Stadtentwicklung, verordnete der Stadt eine Smart-City-Agenda. Zudem trieb er eines der größten postolympischen Projekte dieser Zeit voran: die Verwandlung der großen Verkehrskreuzung Plaça de les Glòries Catalanes in einen urbanen Park mit einem Tunnel für den Verkehr. Nach seiner Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe wegen Korruption ist Vives nun Leiter der Abteilung Stadtentwicklung des umstrittenen Projekts „The Line“ in Saudi-Arabien. Die post-olympische Trans­formation Rafael Gómez-Moriana

107

Anti-Globalismus: die Wende im Wohnungsbau Nur vier Jahre später nahm die Stadtpolitik erneut eine Wende: Nach der Wahl der Wohnbauaktivistin Ada Colau zur Bürgermeisterin 2015 rückten alternative, bezahlbare Wohnmodelle, Bestandsnutzung, Verkehrsberuhigung und neue Grünräume in den Vordergrund. Zu den Projekten, die in dieser Zeit initiiert wurden, gehört die Wohnungsbaugenossenschaft La Borda (S. 244), ein von der Architekturgenossenschaft Lacol im Rahmen eines 75-jährigen Erbbaurechtsvertrags errichteter Wohnbau. Er ist zu einem Aushängeschild für Bottom-up-Ansätze zum Kampf gegen die Wohnungsnot geworden. In der Peripherie

Die Olympischen Spiele 1992 waren der Höhepunkt des Stadtumbaus in Barcelona. Nachfolgende internationale Veranstaltungen haben versucht, diesen Erfolg zu wiederholen. bauten Peris+Toral einen Wohnblock mit 85 Sozialwohnungen (S. 302) mit flexiblen Grundrissen, die auf einem rigiden, modularen Raster beruhen. Und im historischen Zentrum Barcelonas errichteten S ­ traddle3, Eulia Arkitektura und Yaiza Terré den Aprop-Prototypen (S. 230), eine Notunterkunft für Obdachlose und Vertriebene aus gebrauchten Schiffscontainern. Außerdem wird seit 2016 eine langfristige Planung des Stadtökologen Salvador Rueda umgesetzt, die vorsieht, Ildefons Cerdàs Eixample-Blocks von 1859 in neue sogenannte Superblocks umzuwandeln (S. 40). Die Superblocks sollen die Luftverschmutzung verringern, indem bis zu 120 der charakteristischen abgeschrägten Kreuzungen des Rasters in öffentliche Plätze und Gärten umgewandelt werden. Sie sind eine der ehrgeizigsten urbanen Umgestaltungen, die die Stadt je erlebt hat. Die Olympischen Spiele 1992 waren der Höhepunkt des Stadtumbaus in Barcelona. Nachfolgende internationale Veranstaltungen wie das Forum der Kulturen 2004 haben versucht, diesen Erfolg zu wiederholen. Doch zu dem Zeitpunkt zweifelten viele Bewohner Barcelonas bereits daran, dass Tourismus und internationale Immobilieninvestoren, die die Wohnkosten in die Höhe trieben, eine Lösung boten. Der Vorstoß katalanischer Politiker, die Olympischen Winterspiele in die Pyrenäen zu holen – ein perfekter Vorwand für den Ausbau des Flughafens von Barcelona – stieß auf wenig Begeisterung in der Bevölkerung. 108 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Nach langem politischen Gezänk wurde die Bewerbung nicht einmal eingereicht. Globale Ereignisse sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Das olympische „Barcelona-Modell“ scheint sich nach den Spielen verändert zu haben. Statt kleinteiliger, behutsamer Projekte zur Aufwertung von Stadtquartieren, gab es eine Tendenz hin zum asiatischen Modell mit immer kostspieligeren Prestige-Projekten. Erst nach der Wirtschaftskrise ab 2008 richtete sich die Aufmerksamkeit endlich auf den dringend benötigten Wohnungsbau. Er war lange in den Hintergrund gerückt, weil die Stadt auf globale Großereignisse und Tourismus fokussiert war. Angesichts der Klimakrise ist nun auch nachhaltiges Bauen ein wichtiges Thema. Die aktuellen städtebaulichen Eingriffe zeigen eine eindeutige Rückkehr zu einer Stadtgestaltung, die sich wieder mehr auf die gewachsenen Nachbarschaften besinnt – so wie es in der vor-olympischen Zeit der Fall war. Der post-olympische Stadtumbau Barcelonas scheint abgeschlossen.

Das Olympische Dorf und der Olympische Hafen bilden das Zentrum eines von vier Stadtvierteln, die für die Olympischen

Spiele 1992 neu gestaltet wurden. Die ­beiden Türme planten Iñigo Ortiz y Enrique de León und SOM mit Bruce Graham.

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Bauherr: Barcelona d’Infraestructures Municipals Tragwerksplanung: BAC Engineering Fertigstellung: 2021 Fläche: 2300 m2 Nutzung: Gemeindezentrum, Beratungsstellen, Musikübungsraum

9

Via Favència 399, Sant Andreu

haz arquitectura

Ein Ding aus Holz Gemeindezentrum Porta Trinitat

Spitznamen hatte das Gemeindezentrum schon, da war es noch gar nicht eröffnet: „Die Sauna“ oder „das hölzerne Ding“ nennen die Menschen aus dem Umkreis das komplett in Lärchenholz gekleidete Gebäude. Holzfassaden gibt es in Spanien kaum, Angst vor Feuer und der sengenden Hitze im Sommer, die zu schnellem Verschleiß führt, bescheren Holz keinen hohen Rang auf der Materialskala. Das ändert sich langsam. Die Diskussion um ressourcenschonendes, nachhaltiges Bauen verändert das Stadtbild. Und so trug die Stadtverwaltung das Wagnis mit, das Gemeindezentrum am nördlichen Rand von Barcelona

111

fast komplett aus Holz zu errichten. Nur die tragenden Bauteile sind zum Teil in Stahl ausgeführt, bedingt durch die großen Spannweiten einiger Räume, wie beispielsweise des Eingangsfoyers. Dort werden auch Feste gefeiert und Ausstellungen gezeigt, und eine Cafébar lädt zum Essen und Trinken ein. Um 90 Grad gekippt gemauerte, kostengünstige Betonhohlsteine filtern im Erdgeschoss das Licht. Im Sommer bieten sie Sonnenschutz, und im Winter, wenn die Sonne tief steht, zaubern sie unzählige Lichtpunkte in die Innenräume. Das ist aber nicht das einzige Spektakel, das im Gebäude stattfindet – im angrenzenden Auditorium inszenieren Kreative aus der Nachbarschaft Theaterstücke oder Tanzaufführungen. Der Raum ist flexibel nutzbar, die Bühne abbaubar. Vorhänge können den Raum verkleinern und vergrößern sowie als Bühnenbild oder Theatervorhang dienen. Bei Bedarf verdunkeln Rollos vor den Fenstern den Saal. Ein angrenzender Hof, gerahmt von einer mächtigen Stützmauer, die auch als Leinwand für Kinovorführungen genutzt wird, erweitert den Saal ins Freie. In den oberen Geschossen sind soziale Einrichtungen untergebracht, etwa eine Hilfestelle für Frauen mit streng reglementierten Zugängen und opaken Glasscheiben zum Schutz vor gewaltbereiten Männern. Der Rest des Hauses ist dagegen offen und transparent. Es gibt Beratungsstellen für Finanzfragen, Co-Working-Spaces und Besprechungsräume, die jeder kostengünstig oder sogar umsonst mieten kann. Gleiches gilt für zwei Musikübungsräume und die Mehrzweckräume im dritten Obergeschoss. Sie gruppieren sich um zwei Patios, die nicht nur Licht in das Gebäude bringen, sondern auch frische Luft. Durch unterirdisch verlegte Rohrleitungen strömt vortemperierte Frischluft in die überdachten Lichthöfe, die als große Luftkanäle dienen. Über kiemenartige Öffnungen an den Geschossdecken gelangt die 17 bis 18 °C kühle Luft in die Räume. Nur an besonders heißen Tagen, wenn die Sonne trotz der hölzernen Schattenlamellen vor den Fenstern das Gebäude aufheizt, muss die Klimaanlage zugeschaltet werden – sie ist in Spanien für öffentliche Gebäude Pflicht. Für einen niedrigen Energieverbrauch sorgen außerdem Photovoltaik-Paneele auf dem Dach, die jährlich 77 700 kWh Strom liefern. Eine Überproduktion wird ins Stromnetz eingespeist und vergütet. Die Mitarbeitenden sind daher dazu angehalten, stromsparend zu arbeiten. Zudem ist das Aufladen privater Geräte nicht erlaubt. hw

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TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Lageplan Maßstab 1:5000

9 Gemeindezentrum Porta Trinitat haz arquitectura ○

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Wenn die Sonne im Sommer hoch steht, spenden die Hohlblocksteine der äußeren Fassade Schatten. Im Winter zau-

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bern sie unzählige Lichtpunkte auf den Boden des Foyers, das auch für Veranstaltungen genutzt wird. 10

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Erdgeschoss

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TREFFPUNKTE IM ALLTAG

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Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:400

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11 Beratungs­stelle für Frauen 12 Beratungsstelle 13 Musikübungs­ raum

14 Technik 15 Werkstatt 16 Konferenzraum

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 6 Garderobe  7 Lichthof/Zuluft  8 Theatersaal  9 Regie 10 Wartebereich

1 Eingang 2 Foyer mit Bar 3 Information 4 Lager 5 Verwaltung

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3. Obergeschoss

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1. Obergeschoss b

9 Gemeindezentrum Porta Trinitat haz arquitectura ○ 6

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Bauherr: Mercabarna Tragwerksplanung: Area 5 Fertigstellung: 2009 Fläche: 15 000 m2 Nutzung: Blumenmarkt

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Carretera antigua de Valencia 1, Sant Boi de Llobregat 🌐 mercabarnaflor.com

WMA – Willy Müller Architects

Bunte Farben auf dem Blechdach Blumenmarkt

Der Pflanzen- und Blumengroßmarkt Mercabarna Flor liegt an der Autobahn zum Flughafen von Barcelona und macht durch ein gefaltetes, sehr skulpturales Dach und seine farbige Gestaltung auf sich aufmerksam. Er ersetzt ein früheres Gebäude, das 2001 durch einen Brand zerstört wurde. Jetzt beherbergt die große Lagerhalle drei verschiedene klimatische Zonen unter einem Dach: einen kühlen Bereich für die Ausstellung und den Verkauf von Schnittblumen, ein Gewächshaus für Topfpflanzen am gegenüberliegenden Ende und einen dazwischenliegenden Bereich für Trockenblumen und Floristenzubehör. Die Halle umfasst außerdem 240 Meter an Lkw-Laderampen, die an die

117

Schnittblumenzone angrenzen, um die schnell welkende Ware rasch verladen zu können. Im Obergeschoss über der Kühlzone liegen die Büros sowie eine Cafeteria mit Blick auf das Marktinnere. Der Balkon auf der Rückseite des Gebäudes orientiert sich in Richtung der umliegenden Felder. Das Dach des Blumengroßmarkts ist als robuste Schale konzipiert, die den empfindlichen Inhalt darunter schützt, ähnlich wie der Panzer einer Schildkröte. Wo der Dachrand horizontal verläuft, liegen die Öffnungen im Gebäude, wie Ein- und Ausgänge für Fahrzeuge und Fußgänger. An einigen Stellen ist das Dach nach unten bis zur Asphaltfläche des Parkplatzes gefaltet und abgewinkelt, es wird so zur geneigten Wand. Die Stehfalzdeckung aus Zinkblech in verschiedenen Grautönen bildet lebendige Muster, die an die landwirtschaftliche Nutzung des umliegenden Llobregat-Deltas erinnern. Der Dachrand hingegen ist mit vertikalen Metalllamellen in 22 verschiedenen Farben gestaltet. Sie bilden das Markenzeichen des Gebäudes und verweisen auf subtile Weise auf die angebotenen Waren. Das bogenförmige Profil der Lamellen maximiert deren Sichtbarkeit und Farbintensität, wenn man auf der Autobahn an der Markthalle vorbeifährt. Ein bunter Gruß aus einem ansonsten grauen Gewerbegebiet. Auf dem nicht sichtbaren, etwa 12 000 Quadratmeter großen flachen Teil des Dachs wird Regenwasser für die Bewässerung der Pflanzen gesammelt. Stahl- und Betonfertigteilstützen tragen die Dachkonstruktion aus Stahlträgern mit großer Spannweite. Da der Topfpflanzenbereich Temperaturen zwischen 15 und 26 °C erfordert, während die Schnittblumenstände auf Temperaturen von 2 bis 15 °C gekühlt werden müssen, ist in die Betonplatte des Erdgeschosses ein System für Heizung und Verdunstungskühlung eingebaut, um in den kontrastierenden Klimazonen ein angemessenes Temperatur- und Feuchtigkeitsniveau zu gewährleisten. rgm

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TREFFPUNKTE IM ALLTAG

Lageplan Maßstab 1:7000

10 Blumenmarkt WMA – Willy Müller Architects ○

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120 TREFFPUNKTE IM ALLTAG

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Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:2000

1 Eingang 2 Tickets 3 Ladezone 4 Schnittblumen

5 Trockenblumen, Pflanzen­ zubehör Accessoires 6 Topfpflanzen

7 Logistik 8 Floristenschule 9 Gastronomie 10 Direktion 11 Versammlungsraum

12 Großhandelsverband 13 Floristenverband 14 Mehrzweckraum

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Mezzazin

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10 Blumenmarkt WMA – Willy Müller Architects ○

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Images © TerraMetrics, map data © 2023 GeoBasis-DE/BKG (© 2009), Google

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Kultur und Bildung für alle

○ ○ ○

 11 Theater Sala Beckett Flores & Prats Arquitectes  12 Museum Oliva Artés BAAS Arquitectura  13 Bibliothek Montbau-Albert Pérez Baró Oliveras Boix Arquitectes Essay Das industrielle Erbe als Chance Heide Wessely  14 Schule für audiovisuelle Medien JAAS  Montserrat Abelló Ricard Mercadé / Aurora Fernández 15 Bibliothek  arquitectes  16 Französischer Kindergarten b720 Fermín Vázquez Arquitectos  17 Schule 906 Harquitectes Interview Anna Ramos: Europäische Perspektiven  18 Kinderkrippe Bressol Xiroi Espinet / Ubach  19 Institut der Autonomen Universität Barcelona Harquitectes, dataAE  20 Schule La Mar Bella SUMO Arquitectes

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○

132 140 148 156 166 174 182 188 196 202 208 216

124 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Mit der Stadtteilbibliothek, der auch ein Seniorenheim angegliedert ist, revitalisieren RCR Arquitectes einen Innenhof

im Stadtteil Eixample. Der Fabrikschlot erinnert an eine frühere industrielle Nutzung des Grundstücks.

Bibliothek Sant Antoni–Joan Oliver RCR Arquitectes

125

126 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Das Dipòsit de les Aigües ist seit 1999 die Weltausstellung als Wasserturm. Er Universitätsbibliothek. Josep Fontseré speiste einen künstlichen Wasserfall im entwarf das Gebäude 1874 für die erste Ciutadella-Park.

Bibliothek der Universität Pompeu Fabra Lluís Clotet, Ignacio Paricio

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128 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Der Barcelona-Pavillon von Ludwig Mies van der Rohe und Lilly Reich ist eine gelungene Rekonstruktion aus den 1980er-

Jahren. Heute ist die Ikone der Architektur Ausstellungsraum der Fundació Mies van der Rohe.

Barcelona-Pavillon Ludwig Mies van der Rohe und Lilly Reich

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130 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Erst Textilfabrik, dann Polizeistation – jetzt ist das modernistische Gebäude von Josep Puig i Cadafalch aus dem Jahr

1913 Museum und Veranstaltungsort. Die gleichnamige Bank hat es 2002 zum CaixaForum umbauen lassen.

CaixaForum Arata Isozaki

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Bauherr: Institut de Cultura de Barcelona, Fundació Sala Beckett Tragwerksplanung: Manuel Arguijo y Asociados Fertigstellung: 2017 Fläche: 2923 m2 Nutzung: Restaurant, Theatersaal (200 Plätze), Blackbox (120 Plätze), ­Ausbildung

11

Carrer de Pere IV 228, Sant Martí 🌐 salabeckett.cat @salabeckett #salabeckett

Flores & Prats Arquitectes

Keine Epoche ist wichtiger als die andere Theater Sala Beckett

Die Sala Beckett ist nicht nur ein Saal, sondern ein ganzes Theater. Pate für den Namen der Kultur- und Ausbildungsstätte stand der bekannte irische Schriftsteller Samuel Beckett, der an mehreren Stellen im Haus auf großformatigen Fotos zu sehen ist. Das Eckgebäude im Stadtteil Poblenou, dem ehemaligen Industrieviertel, wurde 1924 für die Arbeiterschaft gebaut. Einen Lebensmittelladen gab es darin, einen Versammlungsraum zum Feste feiern oder Karten spielen, später auch einen Tanzsaal und ein kleines Theater. 1935 wurde der Bau umgestaltet und im rückwärtigen Teil eine Schule angebaut. Ab den 1980er-Jahren stand das Haus leer, um schließlich in den 1990er-Jahren als Supermarkt und Sauna wieder in Betrieb genommen zu werden. Dann wieder Leerstand. Das Dach war undicht, der Regen bahnte sich seinen Weg ins Innere und zeichnete Spuren auf die Wände. All diese

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Zeugnisse aus den unterschiedlichen Lebensabschnitten haben Flores & Prats bei ihrer jüngsten Intervention bewahrt und teils neu sortiert. Sie inventarisierten jedes erhaltenswerte Bauteil, jede Fliese, jede Tür. Dann begann die Suche: An welcher Stelle würden welche Elemente am besten passen? Wie sollten die fehlenden Teile ersetzt werden? Das Zusammenspiel von Alt und Neu findet sich an unzähligen Stellen im Haus. So wurde der Fliesenboden aus dem Obergeschoss ins Eingangsfoyer und das angrenzende Restaurant umgezogen, daher passen die Ornamente nicht mehr überall zusammen, sondern ergeben an manchen Stellen neue Muster. Die alten Türen mit ihren filigranen Sprossen wurden durch neue ergänzt, die ähnlich, aber doch nicht gleich aussehen. Gerettete Stuckrosetten zieren jetzt nicht mehr die Decken, sondern die Wand im Foyer. Die Architekten haben mit den Relikten aus unterschiedlichen Epochen gespielt, sie neu zusammengewürfelt und experimentiert – eine Arbeitsweise, die auch zu Theaterleuten passt. Hier können sie neue Ideen entwickeln und sich von den Geschichten, die das Gebäude erzählt, inspirieren lassen. Eine Wertung gibt es dabei absichtlich nicht. Die braunen Wandflächen aus der Franco-Zeit sind ebenso sichtbar geblieben wie der Stuck, der ein paar Jahrzehnte älter ist. Ganz neu gestaltet ist nur die Blackbox im Erdgeschoss. Sie hat keine Bühne und ist flexibel bestuhlt, um maximale Freiheit bei der Inszenierung von Theaterstücken zu ermöglichen. Das gilt auch für das Experimentiertheater im ersten Obergeschoss und für den Probenraum, der mit seinen großen Schiebefenstern natürlich belichtet ist, wie übrigens alle Räume im Haus, in denen nicht gespielt wird. Die früheren Klassenzimmer sind auch heute noch Ausbildungsstätte. In den kleineren Räumen lernen junge Talente das Schreiben, in den größeren das Inszenieren von Theaterstücken. Während der Planungsphase wurde das Budget von acht Millionen Euro auf 2,5 Millionen reduziert. Geschadet hat es dem Projekt nicht – das Theater erfreut sich großen Zulaufs, das Restaurant im Erdgeschoss ist stets gut besucht. Hier treffen intellektuelle Theaterleute auf alteingesessene Bewohner aus der Nachbarschaft und können sich gegenseitig wahre und fiktive Geschichten rund um die Sala Beckett erzählen. hw

134 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Lageplan Maßstab 1:5000

11 Theater Sala Beckett Flores & Prats Arquitectes ○

135

Wo früher einmal eine Treppe war, ist jetzt ein Muster in der Wand. Die jetzige Treppe haben die Architekten mit einem

136 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Geländer versehen, das an die Arts-andCrafts-Bewegung erinnert. Auch damit verbinden sie Gestern und Heute.

aa

bb

Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:500

1 Eingang 2 Foyer 3 Restaurant 4 Blackbox

5 Künstler­ garderobe 6 Verwaltung 7 Theatersaal 8 Probensaal

9 Workshop ­Dramaturgie 10 Workshop Schreiben 11 Hof

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10 9 4

9 10

11

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3 b

6

1

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Erdgeschoss

11 Theater Sala Beckett Flores & Prats Arquitectes ○

1. Obergeschoss

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138 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Ein Oberlicht streut Tageslicht auf die Treppe. Zu den Oberflächen aus unterschiedlichen Epochen kommen die

Lichtspiele der Sonne hinzu. Auch die Künstlergarderobe im Erdgeschoss bekommt Tageslicht von oben.

11 Theater Sala Beckett Flores & Prats Arquitectes ○

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Tragwerksplanung: BIS Structures Bauherr: Barcelona d’Infraestructures Municipal, Museu d’História de Barcelona Fertigstellung: 2020 Fläche: 2456 m2 Nutzung: Museum

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Carrer de Espronceda 142–146, Sant Martí 🌐 barcelona.cat/museuhistoria/en/muhba-oliva-artes #museuhistoriabarcelona

BAAS Arquitectura

Staub und Glamour Museum Oliva Artés

Der Kontrast zwischen Alt und Neu ist nicht zu übersehen bei diesem Umnutzungs- und Sanierungsprojekt für das Oliva Artés Museum, einer neuen Zweigstelle des Museums für Geschichte in Barcelona (MUHBA). Dabei blieb der Bestandsbau, ein 100 Jahre altes Fabrikgebäude aus Ziegel und Stahl, größtenteils unverändert. Baas Arquitectura haben eine Reihe von abstrakten skulpturalen Objekten aus goldverzinktem Stahl in den Innenräumen und an den Fassaden der alten Fabrik hinzugefügt. Das Ergebnis gleicht einer minimalistischen Kunstinstallation, die verwitterte Textur des Bestands verstärkt den Kontrast zu den goldfarben schimmernden Elementen, die dem historischen Industriegebäude den Rang eines Museums verleihen.

141

Tatsächlich sind die goldfarbenen Objekte von Baas funktionale architektonische Elemente. Der aufsteigende Balken an der Gebäuderückseite nimmt die Feuertreppe auf; die beiden Spiralen in den Innenräumen des Museums entpuppen sich als Treppen. Und der abstrakte neue Rahmen an der Hauptfassade wird zum großzügigen Eingangsbereich mit seitlichem Aufzugsturm. Dank der etappenweisen Entwurfsstrategie konnte das Sanierungsprojekt kostengünstig in einzelnen Phasen umgesetzt werden. In der letzten Bauphase erhalten die Hallen noch neue Fenster. Der Eingriff verdeutlicht, wie entscheidend der Kontext für unser Kunstverständnis ist, besonders wenn es um minimalistische Kunst und ihr postindustrielles Ausstellungsparadigma geht. Der Vorbau und der neu hinzugefügte Turm von Baas werden zu architektonischen Zeichen. Sie fungieren nicht nur als dreidimensionales Museumslogo, sondern auch als Zeichen der Zeit, was für ein Geschichtsmuseum umso interessanter ist. Das rußige Industriezeitalter Barcelonas, früher auch Manchester des Südens genannt, begegnet hier einer postindustriellen Gegenwart, die ehemalige Fabrik wird zur Destination für den Design- und Freizeittourismus. Der messerscharfe Kontrast zwischen den rauen Industriehallen und der golden schimmernden Dekoration spiegelt Barcelonas Yin-Yang-Prinzip von Staub und Glamour wider. rgm

142 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Lageplan Maßstab 1:8000

Das 100 Jahre alte Fabrikgebäude blieb bei der Verwandlung in ein Kunstmuseum fast unverändert.

12 Museum Oliva Artés BAAS Arquitectura ○

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144 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

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Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:750

1 Eingang 2 Café

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3 Ausstellung 4 Luftraum

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1. Obergeschoss

GSPublisherVersion 0.98.100.98

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GSPublisherVersion 0.98.100.98

12 Museum Oliva Artés BAAS Arquitectura ○

Erdgeschoss

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146 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

12 Museum Oliva Artés BAAS Arquitectura ○

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Bauherr: Barcelona d’Infraestructures Municipals Tragwerksplanung: Boma, Anabel Lázaro Fertigstellung: 2015 Fläche: 842 m2 Garten: 609 m2 Nutzung: Bibliothek

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Carrer de l’Arquitectura 8, Montbau 🌐 Ajuntament.barcelona.cat/biblioteques/bibmontbau #bibmontbau

Oliveras Boix Arquitectes

Lesen zwischen Park und Stadt Bibliothek Montbau-Albert Pérez Baró

Am höchst gelegenen Stadtrand, wo Barcelona auf den Naturpark Serra de Collserola trifft, liegt das Montbau-Viertel – eine funktionalistische Wohnsiedlung, die Ende der 1950er-Jahre entstand und von der Berliner Bauausstellung Interbau 1957 inspiriert ist. Die jetzige Bibliothek wurde ursprünglich als Grundschule errichtet, die aus drei identischen Riegeln mit dazwischenliegenden Gärten bestand. Nach Auszug der Schule und vorübergehendem Leerstand, wandelte 1980 eine Nachbarschaftsvereinigung das Gebäude in eine Gemeindebücherei um; zehn Jahre später wurde sie zu einer offiziellen Zweigstelle des städtischen Bibliothekssystems von Barcelona. Ein länglicher Flachdachbau, der die zwei nördlichen Riegel verbindet, wurde damals ergänzt.

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Im Jahr 2000 entstand ein zweiter Anbau, der Form und Charakter der ursprünglichen Riegel aufgreift. Die jüngste Umgestaltung im Jahr 2015 stellt bereits die dritte Veränderung und Ergänzung dar. Oliveras Boix Arquitectes überarbeiteten die Bibliothek vollständig. Obwohl sie die Freiheit hatten, das Gebäudekonglomerat abzureißen und neu zu bauen, entschieden sie sich für eine Sanierung – als Anerkennung des kollektiven Gedächtnisses, das die Bauten verkörpern. Sie ließen Trennwände entfernen, um helle, offene Innenräume zu schaffen, der Bestand wurde wärmegedämmt und saniert. Die Lücke zwischen dem südlichen Eingangsgebäude an der Carrer de l’Arquitectura und dem Anbau aus dem Jahr 2000 füllt heute ein Körper aus Stahl und Glas. Er gleicht in Größe und Proportion den anderen Modulen, verändert das Gesamtbild jedoch erheblich, da er die Ansammlung von frei stehenden Gebäudeteilen zu einem Ensemble zusammenfasst. Nur der Flachdachbau von 1990 bildet in der Reihung von Sheddächern eine Ausnahme. Die vollständig verglasten Stirnwände des Neubaus kon­ trastieren mit den Fensterbändern des Bestands aus Beton und Ziegel. Ein Metalldach mit einem höheren, gegenläufigen Segment aus Metallgeflecht schirmt die technischen Anlagen auf dem Dach ab. Das Ergebnis feiert keine Reinheit der Formen, sondern eine Architektur der Transformation, der Verschmelzung und des Hinzufügens. rgm

Lageplan Maßstab 1:5000

150 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Erst Grundschule, dann Nachbarschafts- Gärten stammt ursprünglich aus den bücherei und jetzt Stadtteilbibliothek: 1950er-Jahren. Seine Architektur ist von Das Gebäude mit seinen Riegeln und der Berliner Interbau inspiriert.

13 Bibliothek Montbau-Albert Pérez Baró Oliveras Boix Arquitectes ○

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aa

Schnitt, Grundriss Maßstab 1:500

3 offener Lese­ bereich 4 Computerraum

1 Park mit Sitz­ möbeln 2 Eingang

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5 Ausleihe 6 Kinderbereich 7 Bibliothek

8 Arbeitsplätze 9 Seminarraum 10 Direktorat 11 Personalraum

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Erdgeschoss

152 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

3

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13 Bibliothek Montbau-Albert Pérez Baró Oliveras Boix Arquitectes ○

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154 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

13 Bibliothek Montbau-Albert Pérez Baró Oliveras Boix Arquitectes ○

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156 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Fabra i Coats ist jetzt keine Textilfabrik mehr, sondern ein Kreativviertel, zu dem auch eine Kunsthalle gehört.

Das  indus­tri­elle Erbe als Chance Heide Wessely

BARCELONA Urbane Architektur und Gemeinschaft seit 2010

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Wer an Barcelona denkt, denkt an den Mittelmeerstrand – und an Antoni Gaudí natürlich. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich ein weiteres Charakteristikum der katalanischen Metropole: Bis in die 1970er-Jahre war die Stadt ein herausragender Industriestandort. Ehemalige Fabrikanlagen, Arbeiterwohnungen und Genossenschaftsbauten prägen das Stadtbild bis heute. Das industrielle Erbe Barcelonas wird derzeit auf Initiative der Stadtverwaltung und auch der Bürgerinnen und Bürger in vielen Bereichen revitalisiert.

Viel später als in anderen Städten Europas setzte die Industrialisierung in Barcelona ein, dafür mit voller Wucht. Um 1900 entstanden überall in der Stadt Fabriken unterschiedlichster Größe. Viele davon lagen in damals noch eigenständigen Gemeinden, in Sants, Poblenou oder Gràcia zum Beispiel. Besonders wichtig war die Textilindustrie. Das Manchester des Südens, so der Zweitname Barcelonas zu der Zeit, bot Arbeit, Wohlstand und Wachstum. Um die vielen Zuwanderer aufnehmen zu können, wurde eine Stadterweiterung notwendig und Eixample entstand – der Bezirk mit seinen berühmten Blöcken im Schachbrettmuster nach der Planung von Ildefons Cerdà. Viele Juwelen des Modernisme stammen aus derselben Zeit: Antoni Gaudís Casa Batlló etwa, deren Bauherr Josep Batlló i Casanovas aus der Unternehmerfamilie stammte, die mit der Can Batlló eine der größten Textilfabriken betrieb. Den ebenfalls von Gaudí gestalteten Park Güell, in dem ursprünglich eine Luxuswohnanlage entstehen sollte, hatte Eusebi Güell in Auftrag gegeben. Auch er war Textilfabrikant und Immobilienspekulant. Fabriken für die Nachbarschaft Die historischen Spuren des industriellen Zeitalters durchziehen Barcelona noch heute: Schornsteine als Landmarken, kleine, revitalisierte Manufakturen als Sportclubs, Glashütten als Bürgerzentren, große Fabrikanlagen als Design-Hubs, alte Lagerhallen als Wohnraum für die Kreativszene. Viele der ehemaligen Stätten allerdings stehen leer und warten auf ein zweites oder drittes Leben. Eine der prominentesten ist Can Batlló, an der sich zeigt, wie sehr sich die Bürger in Barcelona in die Stadtentwicklung einmischen. Die ehemalige Textilfabrik dehnte sich 158 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

BAAS Arquitectura haben die älteste Textilfabrik im Stadtteil Poblenou zu neuem Leben erweckt. Zeitgenössische katalanische Malerei der Fundació Vila

Casas ist jetzt in den zwei revitalisierten Bestandsbauten und der Ergänzung aus Sichtbeton zu sehen. Das Projekt ist Teil des Stadtentwicklungsprogramms 22@.

Das industri­elle Erbe als Chance Heide Wessely

159

Im Juni 2011 hatte die Nachbarschaft im Stadtteil Sants genug: Sie stürmte das von der Stadt abgeriegelte Gelände der früheren Textilfabrik Can Batlló und for-

160 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

derte die Flächen für die Stadtbewohner ein. Heute betreiben Nachbarschaftsverbände eine Bücherei, einen Kindergarten, Werkstätten und ein Café.

über ein Areal von 14,6 Hektar aus und musste in den 1960er-Jahren schließen. Danach siedelten sich zahlreiche Werkstätten und Kleinunternehmen darin an, die etwa 2000 Menschen Arbeit gaben. Als nach der Wirtschaftskrise 2008 die meisten davon den Betrieb einstellen mussten, begannen die Gebäude zu verfallen. Schließlich riegelte die Stadtverwaltung das Areal mit einem hohen Zaun ab, und die Fläche lag brach. Mehreren Anläufen, das Gelände in ein High-End-Wohngebiet zu verwandeln, stand der „Plan General Metropolitano“ (Allgemeiner Plan für die Metropolregion) von 1976 entgegen. In diesem ist verankert, dass die umliegende Anwohnerschaft das Gelände von Can Batlló mit seinen intakten Plätzen, Wegen und Grünflächen nutzen darf. Diese organisierte sich und stellte der Stadtverwaltung 2011 ein Ultimatum für die Revitalisierung. Weil nichts geschah, stürmten sie das Gelände. Letztendlich willigte der Stadtrat ein, rund 13 000 Quadratmeter an eine selbstverwaltete Nachbarschaftsorganisation zu übergeben, die heute ein Café, einen Kindergarten, Werkstätten und eine Bibliothek betreibt. Deren Ausbau hatte das Architektenkollektiv Lacol federführend vorangetrieben. Damals noch an der Universität eingeschrieben, erstellten die jungen Robin Hoods der Architekturszene nicht nur die Pläne, sondern arbeiteten auch an der Umsetzung mit. Die Stadt mitgestalten Die Beschreibung von Stadtplanung als Graswurzel-Bewegung trifft auch auf Fabra i Coats im Arbeiterviertel Sant Andreu zu. Die große Anlage mit Spinnerei bestand von Anfang an aus zwei Teilen, getrennt durch die Handelsstraße nach Frankreich. Bis 2006 wurden hier Textilien produziert – viele der früheren Beschäftigten leben noch immer in der Nachbarschaft. Sie waren es auch, die laut gegen die Pläne der Stadt protestierten, die komplette Fabrikanlage abzureißen. Der Masterplan, um Hochhäuser auf dem Grundstück zu errichten, lag bereits vor. Für die meisten Bauten nördlich der Straße kam der Widerstand zu spät, dort steht nur noch ein einzelnes historisches Gebäude auf einer Grünfläche. Die andere Straßenseite konnte die Bewegung jedoch retten und hat hier ein lebendiges Nachbarschaftszentrum mit Kindergarten, einer Grundschule, Büros und einer Kunsthalle initiiert. Auch die Sozialwohnungen von Roldán + Berengué (S. 236) sind Teil des quirligen Miteinanders. Eine Besonderheit ist die Musikschule, für die sich die Anwohnerschaft in einem partizipativen Prozess entschied. Auf der Internetplattform decidim.barcelona können Bürgerinnen und Bürger abstimmen, welche Projekte sie realisiert sehen wollen und wie viel Geld dafür ausgegeben werden soll. Die Stadtverwaltung unter der linken Bürgermeisterin Ada Colau hat dieses Mittel zur Bürgerbeteiligung Das industri­elle Erbe als Chance Heide Wessely

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eingeführt und wünscht die Teilnahme an den basisdemokratischen Abstimmungsprozessen ausdrücklich. In dieser Hinsicht sind neue Zeiten angebrochen, denn Can Batlló und Fabra i Coats sind keine Einzelfälle – auch in Poblenou, wo viele alte Industriegebäude dem Olympischen Dorf weichen mussten, konnten durch Proteste noch einige Bauten gerettet werden. Technologie, Kultur, Statussymbol Inzwischen hat auch die Stadt das Potenzial der alten Industriestandorte in Poblenou im Bezirk Sant Martí erkannt und im Jahr 2000 eines der größten europäischen Revitalisierungsprogramme mit dem Namen 22@Barcelona auf den Weg gebracht. Auf dem ehemaligen 200 Hektar großen Industrieareal entsteht derzeit ein Technologie- und Innovationsdistrikt, aber auch dringend benötigter Wohnraum. Moderne Landmarken wie Jean Nouvels Torre Glòries koexistieren mit 114 katalogisierten Industriedenkmälern, die nach und nach neue Nutzungen bekommen. Dass diese nicht nur profitabel sind, sondern auch der Stadtbevölkerung als soziale und kulturelle Einrichtungen zugutekommen, dafür sorgen diverse Nachbarschaftsverbände. So beherbergt die ehemalige Bleicherei Can Felipa heute ein von Josep Lluís Mateo

Von der früheren Plastikfabrik Alchemika eine komplett neues Multifunktionsgeließen Oliveras Boix Arquitectes nur die bäude mit Bibliothek, Altenheim, Kinderäußere Hülle stehen. Dahinter entstand garten und Bürgerzentrum.

162 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

gestaltetes Bürgerzentrum, und Baas Arquitectura hat die Wollfabrik Can Framis in ein Museum für katalanische Kunst umgebaut. Auch neue Bildungseinrichtungen entstehen, zum Beispiel in der früheren Baumwolldruckerei Can Ricart, die sich über vier Eixample-Blocks ausdehnt. Sie soll zum Campus für audiovisuelle Kommunikation und Informationswissenschaften der Universität von Barcelona umgewandelt werden. Die vielen unterschiedlichen neuen Nutzungen – vom Kindergarten zum Design-Hub – entstehen auf Initiative von drei Gruppen von Akteuren: die Bürger, die die Wiederbelebung der Fabriken einfordern, in denen ihre Großmütter noch gearbeitet haben, aber auch die Stadtverwaltung, die immer mehr Umnutzungen in Auftrag gibt. Dritter Akteur sind private Investoren, die sich mit der Verwandlung und Rettung alter Industriestätten auch ihre eigenen Denkmäler setzen. Bekanntestes Beispiel ist das CaixaForum aus dem Jahr 2002, das Arata Isozaki zu einem Museum für zeitgenössische Kunst umgestaltet hat. Erbaut hatte die ehemalige Textilfabrik einer der bedeutendsten Architekten des katalanischen Jugendstils, Josep Puig i Cadafalch. Das Gebäude von 1913 wurde schon 1976 unter Denkmalschutz gestellt. Weil die Flächen für die neuen Nutzer, die Stiftung der katalanischen Bank Caixa, und ihre vielen Exponate nicht ausreichten, wurde ein großer Teil des Raumprogramms mit erheblichem Aufwand unter die Erde verbannt. Casas fabricas für die Kreativszene Kunst und Kreativität halten auch in El Raval im historischen Teil der Stadt vermehrt Einzug. Das Viertel lag innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern und war deshalb über Jahrhunderte hinweg in seiner Ausdehnung begrenzt. Mit der industriellen Revolution siedelten sich viele Casas fabricas – kleine Fabriken – auf engstem Raum an und machten El Raval zum am dichtesten besiedeltes Viertel Europas. Zur Straße hin wurde gewohnt, dahinter gesponnen und gewebt. Von der Straße aus sind die ehemaligen Fabriken nicht erkennbar, weil sie in die Häuserzeilen integriert sind und nicht auffallen. Hinter der Haustür aber scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: Ausgetretene Treppen führen hinauf in ehemalige Werkstätten, die an New Yorker Lofts erinnern. Dicke, durchhängende Balken liegen auf filigranen Stahlstützen, und große Fenster sorgen für viel natürliches Licht. Hier haben sich Designer, Architektinnen und Künstler niedergelassen, meist ohne rechtlich gültigen Mietvertrag, sondern unter der Prämisse, die Bauten instand zu halten und sie dafür mietfrei nutzen zu dürfen. Seit Kurzem zeigt die Stadtverwaltung Interesse an der Zukunft der Fabrikhäuser, auch auf Druck der Kreativszene. Mittlerweile sind 26 davon unter Denkmalschutz gestellt und Planungen Das industri­elle Erbe als Chance Heide Wessely

163

Die Casas fabricas waren Kleinfabriken, in denen auch gewohnt wurde. Heute hat sich die Kreativszene hier einquar-

164 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

tiert. Sie kämpft für den Erhalt der alten Häuser – 26 stehen inzwischen unter Denkmalschutz.

für Umnutzungen in Auftrag gegeben. Beispielsweise wird eine Casa fabrica, die die Stadt von einem Privatinvestor zurückgekauft hat, derzeit zu einem Jugendzentrum umgebaut. Verwandelte Wertschätzung Erst in den 1980er-Jahren führte die Stadt den Denkmalschutz auch für Industrieanlagen ein, sodass sich der Schwund durch die Abrissbirne verlangsamte. Die Publikation „Cent elements del Patrimoni Industrial a Catalunya“ listet 100 erhaltenswerte Industriedenkmäler, die bald auf 150 erweitert wurden – nicht nur Gebäude, sondern beispielweise auch Wasserspeicher oder Schornsteine. Eine der ersten Umnutzungen eines ehemaligen Fabrikgebäudes war Gottardo de Andreis Metalgraf in Badalona. 1980 wurde der Betrieb, der Metallbehälter mit Gravuren herstellte, geschlossen, und schon kurz danach verwandelten Enric Miralles und Carme Pinós den Bau in eine weiterführende Schule. Das Planungsteam sanierte und konservierte den gut erhaltenen Bestand des Architekten Joan Amigó i Barriga von 1922, hinterließ aber auch ein eigenes Vermächtnis, indem es einen Teil der Fassade durch damals hochmoderne großflächige Glaselemente ersetzte. Einen anderen Ansatz verfolgten Oliveras Boix Arquitectes bei der Umwandlung der ehemaligen Plastikfabrik Alchemika in ein Multifunktionsgebäude mit Bibliothek, Kindergarten, Altenheim und Bürgerzen­ trum. Bei ihrer Intervention im Jahr 2015 blieb nur die historische Fassade erhalten, dahinter ist alles neu. Bei der Sala Beckett von Flores & Prats Arquitectes (S. 132) oder dem Bürgerzentrum Lleialtat Santsenca von Harquitectes (S. 60) bewahren die Architekten das Vorgefundene, sie legen die Spuren unterschiedlicher Epochen frei und zelebrieren sie. Die eigene architektonische Intervention bleibt im Hintergrund, sie ist nur ein weiterer Mosaikstein in der Geschichte der Bauten. Das Vergängliche, Kaputte und Raue bleibt sichtbar – eine architektonische Haltung, die auch gesellschaftlich und politisch in unsere Zeit passt.

Das industri­elle Erbe als Chance Heide Wessely

165

Bauherr: Consorci de l’Educació de ­Barcelona Tragwerksplanung: Jordi Payola Fertigstellung: 2019 Fläche: 7611 m2 Nutzung: Filmhochschule

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Gran Via de les Corts Catalanes 173–175, Sants 🌐 emav.com #emav.EscolaDeMitjansAudiovisuals @emavescola

JAAS

Filmen im ­Fabrikkomplex Schule für audiovisuelle Medien

Die EMAV ist eine städtische Schule für audiovisuelle Medien und Medientechnik. Sie ist in einem Industriegebäude aus dem 19. Jahrhundert untergebracht, das zu Can Batlló gehört, einem großen, ursprünglich außerhalb Barcelonas gelegenen Fabrikkomplex. Bei der Umnutzung stand die Rückbaubarkeit im Vordergrund – alle Eingriffe und Ergänzungen können entfernt werden, ohne Spuren am historischen Gebäude zu hinterlassen. Dafür hat das Team von Jaas das Raumprogramm in großen freistehenden Holzboxen untergebracht. Sie sind auf die beiden Etagen des ursprünglichen Gebäudes verteilt, während die Haustechnik, die Erschließung und andere Nebenräume in einem separaten Volumen entlang der nördlichen Außenwand angeordnet sind.

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Alle neuen Elemente rücken vom historischen Bestand ab und lassen unterschiedlich große Zwischenräume entstehen. Sie dienen als Flure, bieten aber auch Platz für Arbeitstische, Ausstellungsflächen und Lounge-Möbel, auf denen sich die Studierenden zwischen den Unterrichtsstunden ausruhen können. Das Team von Jaas nutzte die bestehende Struktur der Halle für die programmatische Aufteilung der Schule für 600 Studierende: Im Erdgeschoss trägt ein Raster aus gusseisernen Säulen eine Decke mit katalanischem Gewölbe. Hier sind kleinere Räume wie Klassenzimmer, Büros und Besprechungsräume untergebracht. Das Obergeschoss ist stützenfrei – historische Holzfachwerkträger tragen das Dach. Hier liegen die größeren Räume: ein Auditorium, ein Fernseh- und ein Tonstudio.

Die untere Holzbox ist in zwei Ebenen unterteilt, von denen die obere kleiner ist. So entsteht eine umlaufende Galerie mit Blick auf die Aufenthaltsflächen im Erdgeschoss. Schmale, tiefe Stützen verleihen den Holzboxen einen regelmäßigen Rhythmus. Sie bilden das Tragwerk und zugleich einen Sichtschutz für die verglasten Klassenzimmer und Büros – der Blick in diese Räume ist nur möglich, wenn man frontal vor den Scheiben steht. Die systematische Anordnung der Stützen spiegelt die rationale Einfachheit und Standardisierung wider, die für die Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts charakteristisch ist. Dieses Thema wiederholt sich auch im Auditorium, wo die Stützen im leuchtenden Rot eines Theatervorhangs dem Auditoriums Würde verleihen und gleichzeitig als Schallabsorber dienen. Von den neuen Eingriffen ist das historische Lagerhaus fast unberührt geblieben. Nur einige historische Fensteröffnungen mussten geschlossen werden. Dafür verwendeten die Architekten einen ähnlichen Ziegel, wie er auch im Bestand zu finden ist. So lassen sich auch künftige Veränderungen einfacher umsetzen. Die Dachträger wurden abgebaut, gereinigt und wieder aufgerichtet, bevor ein neues Zinkdach mit rautenförmigen Stehfalzen und dreieckigen Oberlichtern aufgesetzt wurde. Obwohl sich das neue Gebäude deutlich vom alten unterscheidet, respektiert es den Bestand und hat Vorbildcharakter für den Rest der Sanierung von Can Batlló. rgm

168 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Lageplan Maßstab 1:8000

GSPublisherVersion 0.98.100.98

14 Schule für audiovisuelle Medien JAAS ○

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Schnitt, Grundrisse Maßstab 1:750

170 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

1 Eingang 2 Foyer/Ausstellungen/Spinde 3 Klassenzimmer 4 Arbeitsbereich 5 Leihausrüstung

6 Editierraum 7 Professoren/ Verwaltung 8 großer Lehrund Versammlungsraum 9 Teeküche ­Studierende

10 Digitalarchiv 11 Server 12 Kino 13 Garderobe 14 Theater 15 TV-Studio 16 Fotografie 17 Radio

18 Aufnahme­ studio 19 Produktion 20 Aufenthalt/ Präsentation 21 Vorbereitung/ Reparaturwerkstatt

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14 Schule für audiovisuelle Medien JAAS ○

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KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Wenn das Theater für die Nachbarschaft dann geöffnet und leitet die Gäste direkt öffnet, wird der Zugang zur Schule vernach oben in den leuchtend roten Theschlossen. Nur das Treppenhaus bleibt atersaal.

14 Schule für audiovisuelle Medien JAAS ○

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Bauherr: Barcelona d’Infraestructures Municipals Tragwerksplanung: Eskubi Turroó ­arquitectes Fertigstellung: 2018 Fläche: 4005 m2 Nutzung: Bibliothek, Versammlungs­ räume, FabLab

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Comptes de Bell-Lloc 192–200, Les Corts 🌐 barcelona.cat/bibmontserratabello #bibmontserratabelló

Ricard Mercadé / Aurora Fernández arquitectes

Vom Seidenband zum Lesezeichen Bibliothek Montserrat ­Abelló

Die Bibliothek Montserrat Abelló ist in einem früheren Fabrikgebäude, einem der ersten Stahlbetonbauten Spaniens untergebracht. Geplant hatte es der Schweizer Bauingenieur Robert Maillart in den 1920er-­ Jahren. Die Fabrik, in der bis 1984 Seidenbänder hergestellt wurden, bestand aus zwei Teilen: einem dreigeschossigen Bürohaus und der Weberei. In ihre historische Halle fiel nur durch das Sheddach Licht, sonst war sie genauso geschlossen wie das Erdgeschoss des Bürotrakts. Wichtig bei der Transformation in eine Bibliothek war daher, das Haus zu öffnen. Die Architekten schnitten hohe Schlitze in die Hallenfassade und ließen die komplette Nordseite durch eine mit Glas gefüllte Stahlkonstruktion ersetzen. So ist der Hauptraum nun von der Straße einsehbar. Der Blick der Passanten fällt auf Lesende, Bücherregale und das Tragwerk mit

175

den schlanken Stützen. Auch an der Längsseite, wo der Eingang liegt, ist die Fassade auf Straßenniveau jetzt transparent. Ein riesiger Stahlbetonbalken auf wenigen mächtigen Stützen trägt die oberen Ebenen und erlaubt große Glasflächen im Erdgeschoss. Diese sind von schwarzen Stahlprofilen gerahmt und bilden in ihrer Präzision einen starken Kontrast zum grob geschalten Sichtbeton. In der Materialwahl spiegeln sich Alt und Neu wider: Auf das Mauerwerk des Bestands ist lehmfarbener Putz aufgetragen, die neuen Bauteile bestehen aus Beton, Stahl und Holz. Kiefernholz bestimmt auch den Eingang in die Bibliothek und schafft eine warme Atmosphäre. Im Inneren öffnet sich das Foyer bis unter das Dach. Das Architektenduo hat dafür Teile der früheren Decken entfernen lassen und damit nicht nur Licht in den Innenraum geholt, sondern auch die beiden zuvor getrennten Gebäudeteile räumlich verknüpft. Rechts neben dem Eingang ist ein FabLab mit 3D-Druckern untergebracht, das benachbarte Schulen nutzen sowie Anwohner, die eine kreative Idee in die Realität umsetzen wollen. Veranstaltungen aller Art kann die Nachbarschaft kostenfrei in drei Räumen im zweiten Obergeschoss organisieren, Firmen müssen für die Nutzung der Flächen Miete zahlen.

Den Rest des Gebäudes nimmt die städtische Bibliothek ein, die auch ein lebendiger Ort zum Lesen, Lernen und Arbeiten ist. Sofas und Tischlampen, Sessel und Beistelltischchen erinnern an ein Wohnzimmer und sind von spanischen Designern entworfen. Die Möbel aus Holz und Stahl stammen von den Architekten, ebenso die Kojen mit Sitzbänken und großem Tisch. Hier darf gesprochen werden – sonst herrscht Ruhe. In der eingestellten Holzbox, die parallel zu einem Lichthof angeordnet ist, liegt ein abgetrennter Bereich für Kinder. Die Sheds im Hof sind aufgeschnitten, damit die Luft zirkulieren kann. Auch die dicke Wärmedämmung und ein ausgeklügeltes Heiz- und Lüftungssystem im Boden haben der neuen Bibliothek zum Breeam-Label „Sehr gut“ verholfen. hw

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KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Auch heute noch ist die Zweiteilung des die Fabrikhalle mit den Sheds und der Gebäudes auf den ersten Blick zu sehen, höhere Bau, in dem Büroräume untergewenn man die Straße entlang läuft: bracht waren.

Lageplan Maßstab 1:5000

15 Bibliothek Montserrat Abelló Ricard Mercadé / Aurora Fernández arquitectes ○

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KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

aa

Schnitt, Grundrisse Maßstab 1:750

1 Eingang 2 Foyer 3 FabLab

4 Transforma­ toren 5 Infodesk 6 Patio

7 Kinderbibliothek 8 Bibliothek 9 Multimedia 10 Konferenzraum

11 Raum zu mieten 12 Magazin 13 Lager 14 Verwaltung

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Erdgeschoss

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15 Bibliothek Montserrat Abelló Ricard Mercadé / Aurora Fernández arquitectes ○

2. Obergeschoss

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180 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

15 Bibliothek Montserrat Abelló Ricard Mercadé / Aurora Fernández arquitectes ○

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Bauherr: Lycée Français de Barcelone Tragwerksplanung: BIS Structures Fertigstellung: 2019 Fläche: 3400 m2 Nutzung: Kindergarten

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Carrer de Munner 5, Sant Gervasi 🌐 lfb.es/la-maternelle/ @lfb_barcelone

b720 Fermín Vázquez Arquitectos

Mehrsprachig und ­multikulturell Französischer Kindergarten

Mit palastartigen Villen hat sich die katalanische Bourgeoisie im frühen 20. Jahrhundert im Stadtteil Bonanova angesiedelt. Heute sind viele der privaten Prachtbauten an Institutionen und Schulen übergegangen – auch zwei identische Villen aus den 1920er-Jahren, auf deren Grundstück der Kindergarten des Lycée Français de Barcelone jetzt angesiedelt ist. Die Schule selbst liegt rund drei Kilometer entfernt. Für die Erweiterung des Kindergartens ließen die Architekten eine der inzwischen maroden Villen abreißen. An ihrer Stelle steht jetzt ein Neubau mit viel größerer Kubatur. Überspielt wird das Volumen durch die abgerundeten Ecken – eine Referenz an die Vorgängerin – und

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die farbenfrohe Hülle. Sie besteht aus weißen, gelben und orangen Vertikallamellen, angeordnet in unterschiedlich hohen horizontalen Bändern. Dadurch sind die Geschosshöhen schwerer ablesbar und der fünfgeschossige Neubau wirkt im Verhältnis zur Villa, die nur zwei Stockwerke hoch ist, weniger mächtig. Auch die Topografie machten sich die Architekten zunutze und versteckten einen Großteil der unteren Ebene im Hang. Auf der Talseite haben sie den Eingang in eine geschosshohe transparente Glasfassade gelegt und damit einen offenen, hellen Bereich geschaffen, in dem die Kinder abgegeben und abgeholt werden. Vom Eingangshof aus führt eine breite Außentreppe hinauf zum Spielplatz, auf dem Laubbäume im Sommer Schatten spenden. Einige ältere Nadelbäume wurden sorgsam in den neu gepflasterten Boden integriert. Der Hof bildet das Bindeglied zwischen Neubau und Villa, und auch hier spielte das Team von b720 Fermín Vázquez mit den Mustern der bunten Metalllamellen der Fassade. Sie sind Zaun und Brüstungsgitter und binden die gesamte Anlage optisch in heiterer Leichtigkeit zusammen. Die historischen Räume der Villa beherbergen jetzt eine Bibliothek mit über 5600 Büchern, die Verwaltung und ein Musikzimmer. Im Neubau stapeln sich die Gruppenräume, die jeweils einer Altersstufe zugeteilt sind, auf drei Geschossen übereinander. Auf der untersten Ebene, wo auch der Eingang liegt, können die Kinder in einem Mehrzweckraum turnen oder spielen und in der Mensa zu Mittag essen. Danach geht es hinaus auf eine der drei Spielflächen im Freien: den Hof, den großen Balkon im ersten Stock, der in einen Steg zur Villa übergeht, oder das Dach. Dort können sich die Kleinen auf den unterschiedlich eingefärbten Kreisen und Linien des Kunstrasens austoben. Rund 400 Kinder besuchen den Kindergarten derzeit. Die Einrichtung untersteht dem französischen Kulturministerium und hat einen sehr guten Ruf – Spanisch, Katalanisch und Englisch werden dort gelehrt und zur Abholzeit füllt sich der enge Straßenraum vor dem Gebäude mit französischem Stimmengewirr. hw

184 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Lageplan Maßstab 1:5000

Grundstücksgrenzen ???

16 Französischer Kindergarten b720 Fermín Vázquez Arquitectos ○

185

aa

Schnitt, Grundrisse Maßstab 1:1000 

1 Anlieferung 2 Eingang 3 Mehrzweckraum 4 Küche 5 Speisesaal/ Mensa

6 Gruppenraum 7 Ruheraum 8 WC 9 Freispielbereich 10 Technik 11 Eingangshalle ­Altbau

12 Bibliothek 13 Musikzimmer 14 Klassenzimmer 15 Sprachlabor 16 Empfang ­Verwaltung 17 Besprechung

18 Personal 19 Lehrerzimmer 20 Schulleitung 21 Spielbalkon

10 10 9 11 12 11 12

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2. Obergeschoss

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Erdgeschoss

186 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

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1. Obergeschoss 1

Auch das Dach ist für die Kinder reserdie Kleinen auf den Mustern des Kunst­ rasens austoben oder die fest installierviert. Es ist eine von mehreren Spiel­ landschaften im Freien. Hier können sich ten Lernspiele benutzen.

16 Französischer Kindergarten b720 Fermín Vázquez Arquitectos ○

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Bauherr: Agrupació Pedagògica Sant Nicolau Tragwerksplanung: DSM arquitectes Fertigstellung: 2014 Fläche: 1677 m2 Nutzung: Grundschule

17

Carrer del Jardí 72–80, Sabadell 🌐 santnicolau.com #santnicolausbd @santnicolau

Harquitectes

Buntes Miteinander Schule 906

Beim Umbau der Grundschule gelang es den Architekten, mit ­wenigen Maßnahmen, den Altbaukomplex mit seiner rauen, haptischen Materialität auf subtile Weise zu ordnen und zu modernisieren, ohne ihm seine Patina zu nehmen. Der Komplex liegt an der Ecke eines dicht bebauten Häuserblocks im Zentrum der Industriestadt Sabadell rund 20 Kilometer nordwestlich von Barcelona. Zwei Gebäudeflügel rahmen einen großen Innenhof mit einem Sportzentrum im Untergeschoss. Der Eingriff der Architekten beschränkte sich auf das Bestandsgebäude der Grundschule und auf die Außenräume. Der Altbau aus dem Jahr 1959 stand zwar nicht unter Denkmalschutz, hatte aber einen gewissen Charme, den die Architekten beim Umbau bewahren wollten. Daher erhielten und sanierten sie einen Großteil der Konstruktion mit ihren Kappendecken und dem straßenseitigen Sichtmauerwerk.

189

Der Entwurf geht stark auf die Bedürfnisse der Kinder ein. Den Hof und die Dächer nutzt er, um viele zusätzliche geschützte Spielzonen im Außenraum zu schaffen, wo sich die Kinder frei bewegen können. Die größte davon befindet sich auf dem Flachdach des Bestandsbaus, das verstärkt wurde und über einen ergänzten Treppenlauf erreichbar ist, unter dem eine weitere Spielzone entstand. Von der Terrasse aus blicken die Kinder im Schutz leichter Sonnensegel über die Stadt. Am Eingang sorgt eine neue Vorhalle als Dreh- und Angelpunkt aller Nutzungen für Orientierung und Kommunikation. Hier lässt sich besonders deutlich das reizvolle Nebeneinander von alten Ziegelwänden und neuen Stahlstützen und Betonsteinmauern ablesen.

Den wichtigsten Eingriff stellt jedoch die Erweiterung des Haupttrakts auf der südlichen Hofseite dar. Eigentlich nicht im Programm des Wettbewerbs gefordert, überzeugte die Jury gerade dieser Vorschlag. In den Räumen auf der Nordseite herrschten beengte Verhältnisse. Da das Gebäude dort durch die Straße begrenzt ist, erweiterten die Architekten den Bau zum Hof hin, indem sie eine drei Meter tiefe vorgesetzte Stahlkonstruktion ergänzten. Im Erdgeschoss beließen sie den zentralen Erschließungsgang, in den oberen Geschossen verschoben sie ihn jedoch auf die andere Seite der mittigen tragenden Wand. So vergrößern sich die Räume an der Straßenseite von 35 auf 50 Quadratmeter. Vor der neuen Fassade liegen perforierte Stahllamellen, die die starke Sonneneinstrahlung auf 20 Prozent senken; durch ihre horizontale Position konzentriert sich der Wärmeeintrag zudem auf die Wintermonate. Die Kinder nutzen die Lamellen im Zwischenraum vor den Fensterbrüstungen begeistert zur Kultivierung eigener Pflanzen. Zudem dient die 50 Zentimeter tiefe Schicht, die von vertikalen Pfosten aus robustem Douglasienholz in schmale Einheiten unterteilt wird, zur Belüftung und als thermischer Puffer. sd

190 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Lageplan Maßstab 1:4000

Der Bestandsbau aus dem Jahr 1959 stand nicht unter Denkmalschutz, hatte aber seinen Charme. Daher bewahrten

ihn die Architekten und ergänzten eine zusätzliche Schicht aus Stahl, die auch vor zu viel Sonne schützt.

Schnitt Bestand

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1 Vor-, Grund­ schule

2 Pausenhof, dar- 3 Verwaltung, unter Sporthalle Mensa/Oberstufe

4 Spielplatz, darunter Zugang Turn­halle

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17 Schule 906 Harquitectes ○

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1 Eingang 2 Klassenzimmer 3 Besucher­ zimmer

Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:400

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4 Tutorenzimmer 5 Psycho­ pädagogik 6 Leitung

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Erdgeschoss 192 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

7 Technik 8 Vorhalle 9 Informatikraum 10 Bibliothek

11 Differenzierungsraum 12 Lager

17 Schule 906 Harquitectes ○

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194 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

17 Schule 906 Harquitectes ○

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Anna Ramos im Gespräch mit Sandra Hofmeister

Europäische Perspektiven

BARCELONA Urbane Architektur und Gemeinschaft seit 2010

197

Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist die Fundació Mies van der Rohe in Barcelona für den renommierten europäischen Architekturpreis bekannt, den Mies van der Rohe Award (EUmies Awards). Die Auszeichnungen der Europäischen Kommission und der Stiftung Fundació Mies van der Rohe würdigen herausragende Beispiele der zeitgenössischen Architektur und Stadtplanung in Europa. Doch das Engagement der Stiftung geht darüber hinaus und beschäftigt sich auch mit regionalen und lokalen Perspektiven der Architektur in Barcelona. Mit ihren Programmen bei Ausstellungen, Kongressen und Workshops wurde die Fundació zu einer stadtbekannten Plattform für ein breit gefächertes Publikum. Anna Ramos ist seit 2016 Direktorin der Mies-vander-Rohe-Stiftung. Im Gespräch erklärt sie, warum der europäische und der regionale Blick auf die Architektur wichtig sind für Barcelona.

Der Barcelona-Pavillon von ­Ludwig Mies van der Rohe und Lilly Reich ist eine Ikone der Moderne. Wie kommt es, dass der deutsche Pavillon für die Weltausstellung 1929 in den 1980erJahren vollständig rekonstruiert wurde? Gleich nach der Expo wurde der deutsche Pavillon wieder abgerissen. Trotzdem avancierte das Gebäude schnell zu einer Architekturikone, die Generationen von Architektinnen und Architekten inspiriert hat und zu einer Referenz für Architektur weltweit wurde. Schon in den 1950er-Jahren hatte eine Gruppe junger Architektinnen und Architekten aus Barcelona die Idee, das Gebäude neu zu errichten. Sie ­wandten sich an Mies van der Rohe, und er war mit der Rekonstruktion einverstanden. Allerdings wurde der Plan erst viele Jahre später umgesetzt – in den 1980er-Jahren, als Spanien nach der Franco-Diktatur 198 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

wieder eine Demokratie war. Der Pavillon konnte an derselben Stelle wie das Original gebaut werden. Seiner Planung gingen gründliche Forschungsstudien in Zusammenarbeit mit dem Museum of Modern Art in New York und der Stiftung Preußischer Kultur­besitz in Berlin voraus. Nur so konnten die Natursteine für den Neubau aus den­selben oder unmittelbar benachbarten Steinbrüchen gewonnen werden wie die des Originalbaus. Gab es auch Kritik an der Rekonstruktion? Es gab eine recht interessante intellektuelle Kontroverse um die Frage, ob wir einen Pavillon rekonstruieren sollten, der gar nicht mehr existierte. Heute, mehr als 30 Jahre später, hat sich diese Debatte erübrigt. Millionen Besucherinnen und Besucher haben den rekonstruierten Pavillon besichtigt; wir erklären allen unseren Gästen sehr deutlich, dass

das Gebäude nicht das Original ist. Ich glaube aber, Architektur muss unmittelbar erfahren werden. Räume selbst zu erkunden und zu durchschreiten ist der beste Weg, von ihnen zu lernen. Das Ziel der Rekonstruktion war genau diese direkte Erfahrung eines Meisterwerks. Heute nutzt die Fundació Mies van der Rohe den Pavillon als Ausstellungsraum. Die Mission der Stiftung ist einerseits die Pflege dieses architektonischen Erbes, andererseits stehen auch zeitgenössische Fragen der Architektur auf der Agenda. Wie kommen die beiden Seiten zusammen?

päische Kultur zu stärken. Der Originalpavillon von 1929 war ein experimenteller Bau, sowohl im ­Hinblick auf die Konstruktion als auch auf die ­Ästhetik. Mies van der Rohe und Lilly Reich nutzten die Weltausstellung als Möglichkeit, ihre Ideen und Forschungen in die Realität umzusetzen – und das hat weltweit die Art des Bauens verändert. Heute folgen wir dieser Haltung und dem Weg von Mies van der Rohe und Lilly Reich. Wir versuchen, die drängenden Fragen unserer Zeit an die Architektur aufzugreifen und stellen uns ihnen. Es gibt also eine Verbindung zwischen dem Originalpavillon und der zeitgenössischen Architektur sowie unserem Programm dazu.

Die EUmies Awards blicken heute „Mies van der Rohe und Lilly auf eine lange Liste an ausgezeichneten Projekten zurück. In Reich setzten ihre Ideen und den letzten Jahren lässt sich ein Forschungen in die Realität klarer Schwerpunkt auf Themen um – das hat weltweit die Art der sozialen Verantwortung in der Architektur erkennen. Gehören des Bauens verändert. “ sie zu den Kriterien der Ausschreibung? Der Preis zeichnet generell herausDie Stiftung ist für die Rekonstruk­ ragende Architektur in Europa aus. tion gegründet worden. Und kurze Jede Jury definiert von Neuem, Zeit danach wurde der Mies van was genau das bedeutet. Wenn der Rohe Award aus der Taufe geArchitektur ein Ausdruck ihrer Zeit ist, dann muss sie auch Antworten hoben. Spanien ist seit 1986 in der Europäischen Union, und wir hatten auf die Fragen ihrer Zeit finden. wundervolle Unterstützer wie Xavier Welche genau dies sind, bestimmen Rubert de Ventós, einen Philosophen die Jurorinnen und Juroren. und EU-Parlamentarier, der die Idee eines europäischen Architektur­ Die Fundació Mies van der Rohe richtet sich auch an junge preises gefördert hat, um die euroAnna Ramos im Gespräch mit Sandra Hofmeister

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Besucherinnen und Besucher aus Barcelona. Warum ist die nächste Generation wichtig? Sie ist in meinen Augen sogar entscheidend. Unter unseren Gästen sind viele Schülerinnen und Schüler, auch aus Grundschulen. Wir vermitteln ihnen nicht nur die Geschichte des Pavillons, sondern geben ihnen Einblicke in die kreativen Prozesse der Architektur. Wir wollen ihnen „architectural thinking“ beibringen, damit sie mit offenen Augen auf Räume blicken. Es ist eine großartige Gelegenheit, gerade junge Menschen für Fragen der Architektur zu begeistern, sodass sie eine eigene Haltung zu zeitgenössischer Architektur entwickeln. Zu den Bauaufgaben der Architektur zählt immer mehr auch das Umbauen und Umnutzen des Bestands. Wie geht die Fundació diesen Punkt in der Vermittlung an?

200 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Das Verständnis für das kulturelle Erbe der Architektur im Bestand bedeutet auch, den Kontext zu verstehen. Dazu gehören soziale und städtebauliche Fragen, die Entwicklung des Bauwesens, aber auch die Bedürfnisse von Bewohnenden und letztlich die maßgebliche Frage, wie Menschen in Städten leben. Alles in allem betrifft das architektonische Erbe deshalb viel mehr als nur Lösungen für die Sanierung. Es geht um Strategien, wie wir Gebäude umnutzen und wie wir sie an neue Anforderungen anpassen können. In Europa gibt es exzellente historische Gebäude – das architektonische Erbe ist Teil unserer Geschichte, unserer Städte, und es ist Teil unseres Alltags. Herausragende Beispiele zeigen, wie wir die Liebe zu diesem Erbe und den Respekt für die Errungenschaften der Geschichte mit einer anpassungsfähigen Um- und Weiternutzung im heutigen Kontext verbinden können.

Viele Ausstellungen der Fundaciò Mies van der Rohe reisen quer durch Europa. Mit ihnen will die Stiftung ein breites

Publikum begeistern – für die Preisträger der europäischen Architektur und für zeit­genössische Architektur generell.

In den letzten Jahren gab es einen Fokus auf Lilly Reich. Sie stand lange im Schatten von Mies van der Rohe, doch heute hat sich die Perspektive geändert. Wie gehen Sie mit der Frauenfrage in der Architektur um? Als ich bei der Fundació begonnen habe, habe ich ein Lilly-Reich-­Stipen­ dium für Gleichstellung in der ­Architektur vorgeschlagen. Heute haben wir das Stipendium bereits dreimal ausgeschrieben. Es hat damit begonnen, mehr Informationen über Lilly Reich zu sammeln. Aber dann haben wir den Fokus ausgeweitet. Die Gewinnerinnen des letzten Stipendiums haben eine Forschungsstudie zu Anna Bofill Levi vorgeschlagen, eine Architektin aus ­Barcelona, die heute über 80 Jahre alt ist. Wir können ihr wertvolles Wissen aus erster Hand für jüngere Generationen sichern, das ist sehr wichtig. Lilly Reich zum Beispiel war zu Lebzeiten recht bekannt, aber gleich nach ihrem Tod wurde sie vergessen. Es war ziemlich aufwendig, sie für die Gegenwart wieder sichtbar zu machen. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass niemand vergessen wird, wir müssen den Generationenaustausch lebendig halten. Wenn wir wollen, dass unsere Töchter und Enkelinnen unsere Errungenschaften anerkennen, ­müssen wir unsere Mütter und ­Großmütter würdigen. Es ist viel schwieriger, Pionierin zu sein, als den anderen einfach zu folgen – deshalb sind Frauen als Referenz so wichtig. Anna Ramos im Gespräch mit Sandra Hofmeister

Eine Frage zum Abschluss: An welchen aktuellen Projekten arbeiten Sie gerade? Wir arbeiten zum Beispiel am Young Talent Award 2023, einer Kategorie der EUmies Awards, die Diplom­ projekte prämiert. Alle europäischen Architekturhochschulen sind zum Einreichen aufgerufen, und dieses Jahr haben wir zusätzlich afrikanische Architekturhochschulen eingeladen. Die Preisvergabe wird auf der Architekturbiennale in ­Venedig stattfinden. Außerdem sind wir damit beauftragt, ein Programm für 2026 zu entwickeln, wenn ­Barcelona Unesco-Welthauptstadt der Architektur ist. Im selben Jahr wird die Stadt auch den World Congress of the Union of International Architects (UIA) ausrichten – die Fundació entwickelt dazu im Auftrag des Stadtrats ein spannendes Programm. Bitte den Termin schon mal vormerken!

201

Bauherr: Consorcio de Educación de Barcelona Tragwerksplanung: Àrea 5 Landschaftsarchitektur: Miquel Espinet Fertigstellung: 2011 Fläche: 822 m2 Nutzung: Kinderkrippe

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Carrer d’Europa 41, Les Corts

Espinet / Ubach

Camouflage am Tag – Leuchtkörper bei Nacht Kinderkrippe Bressol Xiroi Seit der Eröffnung der Kinderkrippe sind die Robinien in der Carrer ­d’Europa 41 groß geworden, ihre Baumkronen verdecken das Gebäude beinahe und die Ocker- und Grüntöne der perforierten Trapezblechfassade mischen sich mit dem Grün der Blätter. Wenn die Sonne scheint und der Wind die Zweige bewegt, entsteht ein Spiel von Licht und Schatten, das eine heitere Lebendigkeit auf die Fassade zaubert. Dabei dient die Hülle, die das gesamte Grundstück umsäumt, einem ganz pragmatischen Zweck: dem Schutz der Kleinen. Anders als die meisten Bildungseinrichtungen in Spanien, die von massiven, hohen Mauern umgeben sind, lässt die Schutzhülle der Escola Bressol Xiroi Einblicke zu. Dabei ändert sich der Grad der Durchsichtigkeit beim Vorbeigehen, je nachdem, in welchem Winkel man auf die Fassade sieht und wie stark sich die Sicken des Trapezblechs überlagern. An drei Stellen sind große Öffnungen in das Blech geschnitten und geben den ungehinderten Blick in den Spielhof und die Innenräume frei. In anderen Bereichen, dort wo der

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dreigeschossige Bau an die perforierte Hülle heranrückt, wirkt die Fassade geschlossen. Die sechs Gruppenräume aber öffnen sich mit bodentiefen Fensterflächen zum Hof. Stehen die Türen offen, verschmelzen Innen- und Außenraum. Dann können die Kinder im Schatten eines Baums spielen oder unter den großen Sonnensegeln auf dem breiten Balkon im Obergeschoss. Eine einläufige Außentreppe verbindet die beiden Freibereiche, wobei oben eine massive Gittertür für die Sicherheit der Zwei- bis Dreijährigen sorgt. In der Spitze des Gebäudes ist im Obergeschoss ein fast 100 Qua­ dratmeter großer Multifunktionsraum untergebracht, in den von zwei Seiten durch das Lochblech gefiltertes Tageslicht fällt. Ist er am Abend beleuchtet, zeichnen sich die Fenster hinter der perforierten Hülle als quadratische Leuchtflächen ab, während die geschosshohen Verglasungen der Gruppenräume den Bau in einen Leuchtkörper verwandeln. Für den Passanten wirkt die perforierte Haut dann fast durchsichtig, das Tragwerk aus Stahl zeichnet Muster in die Nacht und die Schichtung von Hülle, Tragwerk und Glasfassade tritt noch deutlicher hervor. Einfach zu bebauen war das spitzwinklige Dreieck des Grundstücks nicht. Mit der Idee, in die transparente, opake und geschlossene Außenhülle einen separaten Baukörper zu setzen, haben Espinet Ubach auf kleiner Fläche ein visuell komplexes Gebäude geschaffen. Die extrem spitze Ecke heben sie nochmals besonders hervor, indem sie das Trapenzblech an dieser Stelle ansteigen lassen. So entsteht eine scharfe, hohe Gebäudekante, die den Zugang zu einem kleinen Park auf der straßenabgewandten Seite der Kinderkrippe markiert. Dort befindet sich auch der Eingang – eine Glastür in knallorangem Rahmen, die in einem Sichtbetonsockel sitzt. Bunte, kindliche Graffitis weisen auf die Nutzung des Hauses hin. Früher war das Grundstück Teil der Glasfabrik Cristalleries Planell – gleich gegenüber steht das gleichnamige Bürgerzentrum von Harquitectes. Dessen Patchwork aus verschiedenen Mauerwerksverbänden spricht eine ganz andere architektonische Sprache. Dennoch harmonieren die beiden so unterschiedlichen Nachbarn in ihrer historischen und zeitgenössischen Differenziertheit wunderbar. hw

204 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Lageplan Maßstab 1:5000

18 Kinderkrippe Bressol Xiroi Espinet / Ubach ○

205

aa

Wie in einem Baukasten sind die ein­ zelnen Gebäudeteile in die perforierte Hülle gesetzt. Sie ist Grundstücks­ begrenzung und Schutz für die Kleinen.

206 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

bb

Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:500

1 Eingang 2 Küche 3 Essen 4 Gruppenraum

5 Schlafraum 6 Spielhof 7 Wäscherei 8 Büro

9 Kinderwägen 10 Multifunktionsraum 11 Personal

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12 Umkleide 13 Werkstatt 14 Spielbalkon

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Erdgeschoss

18 Kinderkrippe Bressol Xiroi Espinet / Ubach ○

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Bauherr: Universitat Autònoma de ­Barcelona Tragwerksplanung: Boma Fertigstellung: 2017 Fläche: 8237 m2 Nutzung: Forschungsinstitut

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UAB Campus Bellaterra, Cerdanyola del Vallès 🌐 uab.cat/icta #icta-uab @icta.stories

Harquitectes, dataAE

Forschen im ­Gewächshaus Institut der Autonomen ­Universität Barcelona

Das Forschungsgebäude auf dem Campus Bellaterra der Autonomen Universität Barcelona (UAB) präsentiert sich als strenger Kubus mit einer einfachen Lamellenfassade aus Stahl und Polycarbonatplatten. Dahinter verbirgt sich jedoch ein komplexer Baukörper aus Beton und Holz mit einer ausgefeilten Lüftungs- und Klimatisierungsstrategie. Der 20 Kilometer nordwestlich vom Stadtzentrum Barcelonas liegende Campus bietet neben zahlreichen universitären Einrichtungen auch über 800 Apartments für die Studierenden. Das neue Institutsgebäude befindet sich am südlichen Rand des Campus auf einer Grünfläche an der Autobahn und nimmt Forschungseinrichtungen für Umweltwissenschaften und Paläontologie auf. Entsprechend hoch waren die

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Anforderungen an die Nachhaltigkeit des neuen Komplexes, in dem auf fünf Geschossen Vorlesungsräume, Büros und Labors untergebracht sind. Parkflächen und Lagerräume erstrecken sich auf zwei weiteren Ebenen größtenteils unter der Erde. Die heißen, feuchten Sommer in Katalonien und die hohen Wärmelasten, die in den hochtechnisierten Räumen anfallen, erforderten vor allem eine gut durchdachte Lüftungsstrategie. Die Architekten gruppierten hölzerne, gedämmte Kuben um vier Atrien, die als Pufferzone dienen. Ein kostengünstiges industrialisiertes Gewächshaussystem umhüllt den kompletten Quader, dessen Fassaden aus Polycarbonatplatten sich teils öffnen lassen. Im Sommer steigt die erwärmte Luft hinter der Fassade und in den gebäudehohen Lichthöfen auf und entweicht über Klappen im Dach. In einem Hohlraumboden unter dem Gebäude wird gleichzeitig die von außen nachströmende Luft vorgekühlt und in die Atrien geleitet. Im Winter bleiben die Fassadenklappen geschlossen, und die Luft hinter den Kunststoffplatten erwärmt die Höfe und die Bürokuben, die mit Lüftungsflügeln versehen sind. Die Stahlbetonkonstruktion erreicht mit ihren dicken Deckenplatten eine hohe thermische Masse. In Plattenmitte reduzieren große Rohre das Eigengewicht der Platten und verteilen die über Erdsonden vortemperierte Luft. Ober- und unterhalb verlaufen die Bewehrung und die wasserführenden Leitungen der Bauteilaktivierung. Das Konzept beruht auf drei unterschiedlich klimatisierten Bereichen: die mit passiven Maßnahmen temperierten Zonen wie das Atrium oder die Pausenbereiche; die Büroräume, die zusätzlich beheizt werden können, und die klimatisierten Labors. Ganz oben, im fünften Geschoss, versorgen experimentelle Gewächshäuser die Nutzer mit selbstgezogenem Gemüse, und im Atrium verbessert üppige Vegetation das Raumklima. sd

210 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Lageplan Maßstab 1:4000

19 Institut der Autonomen Universität Barcelona Harquitectes, dataAE ○

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KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

aa Schnitt, Grundriss  Maßstab 1:750

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11 Luftraum 12 experimentelles Gewächshaus 13  Mehrzweckraum

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8 Hörsaal 9 Büro 10 Management/ Verwaltung

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5 Atrium 6 Versammlungsraum 7 Druckerraum

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1 Lager 2 Labor 3 Speisesaal 4 Personalraum

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1. Obergeschoss

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Harquitectes, dataAE 19 Institut der Autonomen Universität Barcelona 9 ○ 11

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214 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Das Klimakonzept im Winter und im Sommer mit Bauteilaktivierung und natürlicher Beüftung.

19 Institut der Autonomen Universität Barcelona Harquitectes, dataAE ○

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Bauherr: Consorci d’Educació de ­Barcelona Tragwerksplanung: Manuel Arguijo Landschaftsplanung: Manel Colominas Fertigstellung: 2021 Fläche: 5400 m2 Nutzung: Vor- und Grundschule, ­öffentliche Einrichtung

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Plaça de Sant Bernat Calbó 2, Sant Martí 🌐 lamarbella.cat @escolamarbella

SUMO Arquitectes

Den Duft des Meeres in der Nase Schule La Mar Bella

La Mar Bella – das schöne Meer – heißt die Schule für Kinder von drei bis zwölf Jahren. Zwar ist es nicht weit weg, doch zu sehen ist das Meer von hier aus nicht. Dafür sind die Häuser des ehemaligen Arbeiterviertels Poblenou zu hoch. Ganz eng rücken sie an drei Seiten an die Schule heran, die aus einem Bestandsbau aus dem Jahr 1953, einem neuen Riegel mit Klassenzimmern und einer neuen Turnhalle besteht. Die verschiedenen Gebäudeteile schaffen Stadträume mit sehr unterschiedlichen Qualitäten: Die Rückseite des langen Schulneubaus grenzt unmittelbar an die Terrassen der benachbarten Wohnhäuser, zu denen ein beranktes Gitter in den beiden Obergeschossen visuellen Abstand schafft. Die über eine Brücke angebundene Turnhalle hingegen öffnet

217

sich an der Rückseite mit geschosshohen Glasfronten zu einer belebten, engen Fußgängerzone. Das Treiben dort spiegelt sich in den Scheiben und mischt sich mit dem in der Halle. Innen und Außen verschmelzen – und das nicht nur visuell, sondern auch programmatisch, denn der Bau mit Halle, Werkstatt und Bibliothek im Obergeschoss steht allen im Viertel offen. Kostenfrei können sie sich darin in Nachbarschaftsgruppen treffen oder als Mitglied eines Sportvereins trainieren. Eine mobile Bühne ermöglicht Theateraufführungen und Konzerte. Die beiden seitlichen Flanken der Turnhalle sind geschlossen gestaltet. Wände aus Sichtbeton mit unterschiedlichen Oberflächen bilden mit den gegenüberliegenden Arbeiterhäusern enge Gassen. Diese führen auf den großen Platz vor der Halle, die auch hier verglast ist und aufgefaltet werden kann: Eintreten und Zuschauen erwünscht. Wenn Lehrerinnen und Schüler keinen Kontakt mit der Außenwelt haben wollen, bleiben die Falttüren zu und ein türkisfarbener Vorhang blockiert die Sicht. Mit dem Umfeld und dem Thema Wechselwirkung spielt das Team von Sumo an vielen Stellen. So ist die Verbindungsbrücke zwischen Schulhaus und Turnhalle nur so hoch, dass die denkmalgeschützte Fassade eines Stadthauses dahinter nicht verdeckt wird. Heller textiler Sonnenschutz wirft Schatten, lässt aber Licht durch. Hölzerne Vertikallamellen dienen ebenso als Sonnenschutz wie als verbindendes Element der drei Gebäudeteile. Wo früher im Bestandsbau die Turnhalle war, befindet sich heute der Speisesaal. Sumo haben ihn durch einen gläsernen Vorbau vergrößert, hell und luftig gemacht. Innen ließen sie alle abgehängten Decken entfernen und das brandschutzbeschichtete Stahltragwerk mit den darüberliegenden Kappendecken freilegen. Lüftungskanäle und Elektroleitungen bleiben sichtbar. Das gilt auch für die Klassenzimmer im Geschoss darüber, die früher schon hier untergebracht waren und jetzt dank des neuen breiten Flurs eine wertvolle Vorzone dazugewonnen haben. Im Inneren ist der Unterschied zwischen Alt- und Neubau kaum spürbar. Holz, dunkle Faserzementplatten, weiße Wandflächen und Betonstein bestimmen die Räume. Sie können alle quergelüftet werden. Eine Ampel zeigt an, wenn der CO2-Gehalt ansteigt und die Fenster geöffnet werden sollen. Steht die Ampel auf Rot, springt die Lüftungsanlage automatisch an. Mit vielen verschiedenen Maßnahmen – dezentrale Lüftung mit Wärmerückgewinnung, Luftwärmepumpe, dicke Dämmung, Lüftungskamine in der Turnhalle, Solarthermie und Photovoltaikpaneele, die gleichzeitig als Schattendach dienen – haben Sumo ein Nearly-Zero-Energy-Building (Nzeb) geschaffen. Und die sind in Spanien noch selten. hw

218 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

Lageplan Maßstab 1:8000

20 Schule La Mar Bella SUMO Arquitectes ○

219

Schnitt, Grundrisse Maßstab 1:750

1 Eingang 2 Pausenhof 3 Speisesaal 4 Küche

aa

220 KULTUR UND BILDUNG FÜR ALLE

5 Verwaltung 9 Lehrerzimmer 6 Turnhalle 10 Bibliothek 7 Klassenzimmer 11 Mehrzweck 8 Spielbalkon im raum 1. Obergeschoss

12 Werkstatt 13 Lehrbereich im Freien

13

12

7

10

9

11

8

7

2. Obergeschoss a

6 5 1 GSPublisherVersion 0.98.100.98

3

4

2

a

Erdgeschoss

20 Schule La Mar Bella SUMO Arquitectes ○

221

28 ●



25 ● 23 ●

Images © TerraMetrics, map data © 2023 GeoBasis-DE/BKG (© 2009), Google



29 ●

30 ● 22 ●

24 ● ● 26

27 ●

21 ●

Zu Hause in der Stadt



230

○ ○ ○ ○ ○ ○

236 244 252 260 270 278 286

○ ○ ○

294 302 310 316

 für Bedürftige Straddle3, Eulia Arkitektura, 21 APROP-Wohnen  ­Yaiza Terré  22 Apartments Fabra i Coats Roldán + Berengué  23 Genossenschaftsbau La Borda Lacol Interview Lacol: Die Stadt mitgestalten  24 Genossenschaftsbau La Balma Lacol, La Boqueria  25 Geschosswohnungsbau Caracol Estudio Herreros, MIM-A  26 Wohnhaus Lola Domènech, Lussi Studio  Alí Bei Arquitectura Produccions, Pau Vidal, 27 Sozialwohnungen  Vivas Arquitectos Essay  Wohnungsbau und Politik Jelena Prokopljević  28 85 geförderte Wohnungen Peris+Toral Arquitectes  29 57  Apartments für Studierende dataAE, Harquitectes  Torre Juliá Pau Vidal, Sergi Pons, 30 Seniorenwohnungen  ­Ricard ­Galiana

224 ZU HAUSE IN DER STADT

Pau Vidal und Vivas Arquitectos realisierten einen kostengünstigen Genossenschaftsbau auf einem gepachteten

Grundstück der Stadt. 32 Wohnungen und vielfältige Gemeinschaftsbereiche zählen zum Programm.

La Chalmeta Pau Vidal Vivas Arquitectos

225

226 ZU HAUSE IN DER STADT

Die Casa Vicens von 1885 ist das erste gro- 2017 ist er öffentlich zugänglich. Wie das ße Projekt von Antoni Gaudí. Der frühere Treppenhaus ursprünglich aussah, ist bis Sommersitz war lange in Privatbesitz, seit heute unbekannt.

Casa Vicens Antonio Gaudí

227

228 ZU HAUSE IN DER STADT

Insgesamt sieben Innenhöfe hat der ­soziale Wohnungsbau Walden 7 von ­Ricardo Bofill. Seine Gänge, Treppen

und Nischen in unterschiedlichen Blautönen und mit verschiedenen Oberflächen sind Begegnungsorte.

Walden 7 Ricardo Bofill Taller de Arquitectura

229

Bauherr: Ajuntament de Barcelona, ­Derechos Sociales Tragwerksplanung: Jon Begiristain & Ibai Lamarca (Eulia), Jordi Granada (Straddle3) Fertigstellung: 2019 Fläche: 816 m2 Nutzung: temporäre Unterkunft für ­Wohnungslose

21

Nou de Sant Francesc 8–10, Ciutat Vella

Straddle3, Eulia Arkitektura, Yaiza Terré

Kein altes Eisen APROP – Wohnen für ­Bedürftige

In den Innenstadtvierteln Barcelonas steigen die Mietpreise immer höher: Ferienwohnungen und Luxusapartments sind ein lukratives Geschäft, bezahlbarer Wohnraum verschwindet. Mit dem Programm Aprop möchte die Stadtverwaltung dieser Krise entgegenwirken und vorübergehende Unterkünfte für wohnungslos gewordene Menschen schaffen. Das erste Aprop-Gebäude steht im gotischen Viertel in der Altstadt auf einem Eckgrundstück, das von Brandwänden gefasst ist. Das Team von Straddle3 hat dazu in Kooperation mit Jon Begiristain und Yaiza Terré ein Baukastensystem entwickelt, mit dem die Stadtverwaltung kurzfristig auf den Bedarf reagieren kann. Es nutzt ausrangierte Schiffscontainer und verlängert damit – ganz im Sinne des zirkulären

231

Bauens – auch die Nutzungszeit der robusten Module, die normalerweise gerade einmal zehn Jahre beträgt. Die Gebäude sind schnell zu montieren und können auch in neuer Konstellation an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. Die zwölf Schiffscontainer lagern wie auf einem Tisch auf einer Tragstruktur aus Stahl, die über Mikropfähle im Boden verankert ist. Ein weiterer Container auf dem Dach nimmt die Haustechnik auf. Verbunden sind Container und Tragstruktur über ein Twistlocksystem, das sonst auf Schiffen, Güterzügen oder Lastwagen zum Einsatz kommt. Stützen und Träger ermöglichen einen offenen Grundriss im Erdgeschoss, das derzeit von einer nahegelegenen Gesundheitseinrichtung genutzt wird. Ab dem ersten Obergeschoss gibt es auf jeder Ebene zwei Einzimmer- und eine Zweizimmerwohnung. Die kleineren, rund 30 Quadratmeter großen Einheiten für Singles und Paare bestehen aus einem einzelnen Container. Für die Zweizimmerwohnungen mit 60 Quadratmetern, die Familien bis zu vier Personen nutzen, haben die Architekten jeweils zwei Container miteinander verbunden. An der Südostseite, die sich auf einen kleinen Innenhof mit Treppenturm und Aufzug ausrichtet, sind den Wohnungen Laubengänge vorgelagert. Auf der Nordwestseite orientieren sich schmale Loggien mit vertikalen, bodentiefen Öffnungen auf einen kleinen Platz. So hat jede Wohnung mindestens zwei Außenwände für eine gute Querlüftung. Zusätzliches Tageslicht erhalten die Zweizimmerwohnungen über Fenster an der Südostseite. Schwierige Bodenverhältnisse und die schmalen, belebten Gassen im historischen Stadtkern waren beim Bauen eine Herausforderung. Um Verkehrsbehinderungen zu vermeiden, wurden die einzelnen Elemente in einer Werkhalle zu 85 Prozent ausgebaut. Die Bauzeit war extrem kurz: Weniger als zwei Tage dauerte es, die Grundstruktur zu errichten, schon vier Monate später bezogen die Bewohner ihre neuen Wohnungen. bz

232 ZU HAUSE IN DER STADT

Lageplan Maßstab 1:2500

21 APROP – Wohnen für Bedürftige Straddle3, Eulia Arkitektura, Yaiza Terré ○

233

234 ZU HAUSE IN DER STADT

Die recycelten Schiffscontainer sind hin- nat versteckt. Trotz der kostengünstigen ter einer zweischaligen Fassade aus Materialien wirkt das Haus hochwertig wetterfestem Gipskarton und Polycarbo- und edel.

8

5

5 6

5

6

6

7

7

7

8 5 6

7

1. –4. Obergeschoss b

4

b

a

a 3

2

1 4

Erdgeschoss b

a

Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:250

a 3

1 Innenhof 2 Lobby 3 Rezeption 2

4 Arztpraxis/ Laden 5 Wohnen/Essen 1 6 Kochen

7 Doppelzimmer 8 Einzelzimmer

b

aa

bb

21 APROP – Wohnen für Bedürftige Straddle3, Eulia Arkitektura, Yaiza Terré ○

235

Bauherr: Institut Municipal de l’Habitatge Carrer de Parellada 9, Sant Andreu i Rehabilitació, Ajuntament de ­Barcelona 🌐 fabraicoats.bcn.cat Tragwerksplanung: Bernuz-Fernández @fabraicoatscentredart arquitectes Fertigstellung: 2019 Fläche: 5392 m2 Nutzung: Sozialwohnungen, temporäre Künstlerwohnungen, Sporthalle

22

Roldán + Berengué

Spinnerei für Kreative Apartments Fabra i Coats

Die frühere Textilfabrik Fabra i Coats hat die Größe eines kleinen Dorfs. In ihrer Blütezeit haben dort rund 3000 Menschen Garn und Zwirn gesponnen. Jetzt ist die Kreativszene in viele der alten Hallen und Häuser eingezogen – auch in den 100 Meter langen und 14 Meter breiten zweigeschossigen Riegel, der entlang der hohen Grundstücksmauer im Süden verläuft. 1905 war er als Lagerhalle gebaut worden, nun sind 41 Sozialwohnungen für junge Menschen darin untergebracht sowie zusätzlich fünf temporär vergebene Apartments für Künstlerinnen und Künstler. Auch für den Sport gibt es hier Räume: In einer viergeschossigen Halle trainiert ein lokaler Verein den katalanischen Nationalsport Castellets, bei dem Mannschaften aus rund 20 Männern, Frauen und kleinen Kindern einen menschlichen Turm bilden.

237

Ziel der Architekten war es, den Charakter des Bestands möglichst originalgetreu zu erhalten. Da die Baumaßnahme reversibel sein sollte, sind sämtliche Einbauten in Leichtbauweise errichtet, modular aufgebaut und selbsttragend, ohne direkt an den Bestand anzuschließen oder in ihn einzugreifen. Über vier Geschosse erstrecken sich die Wohnmodule aus Holz in dem einst zweigeschossigen Riegel, an beiden Seiten sind sie von der dicken alten Backsteinmauer abgerückt. Zur Straße entsteht so ein viergeschossiger Luftraum, der auch als Klimapuffer dient; zum Hof liegen Laubengänge. Sie sind eher Laufsteg als Erschließung, Zone zwischen innen und außen und auch ein bisschen Schaufenster. Denn durch die großen ehemaligen Fabrikfenster, deren Glas jetzt filigranes Drahtgitter ersetzt, hat jeder freien Einblick. Man hört das Klappern der Schlüssel, wenn eine Bewohnerin die Wohnungstür öffnet und kann den Gesprächen der Nachbarn lauschen, die sich auf dem Gang treffen. Die Gitter schützen vor Eindringlingen, dienen als Absturzsicherung und lassen Frischluft durch das Gebäude streichen. Für die Querlüftung der Wohnungen haben die Architekten stabile Gitterelemente vor die bodentiefen Fenster gesetzt. Sie erlauben einbruchsicheres Lüften, auch wenn niemand zu Hause ist. Zentraler Ort mitten im Gebäude ist die bis unter das Dach offene Halle. Nach oben weitet sie sich immer weiter auf und bietet spektakuläre visuelle Eindrücke. Hier treffen Innen und Außen, Alt und Neu, Mieter und Besucherinnen aufeinander. Und hier öffnet sich das Haus mit einer Lücke in der Mauer zur Stadt. Die Bewohner der Umgebung sollen sich eingeladen fühlen, das noch im Wandel befindliche Kreativquartier auf dem ehemaligen Fabrikareal zu besuchen. Eine Kunsthalle gibt es dort schon, ebenso Werkstätten und Ateliers für die Kunstschaffenden. Auch Ausstellungen, Festivals und Veranstaltungen finden regelmäßig statt. Ein beachtlicher Teil der alten Fabrikgebäude wartet jedoch noch darauf, nach langen Jahren des Leerstands wieder mit Leben gefüllt zu werden. hw

238 ZU HAUSE IN DER STADT

Lageplan Maßstab 1:5000

22 Apartments Fabra i Coats Roldán + Berengué ○

239

dd

1 Haupteingang 2 Halle

Schnitt, Grundrisse Maßstab 1:750 a

3 Hintereingang 4 Trainingshalle

5 Wohnung 56 m2 6 Luftraum

a 6

4

6 2

3. Obergeschoss c

d

b

1

2 4

5

5

3 c

Erdgeschoss a

a

Erdgeschoss Bestandsgebäude

240 ZU HAUSE IN DER STADT

b

d

Schnitte Maßstab 1:500

Die Holzboxen mit den Apartments für junge Kunstschaffende erstrecken sich über vier Geschosse. Den zweigeschos-

aa Bestands­ gebäude

bb Einbau Wohnungen aus Holz

cc Einbau Trainingshalle aus Stahl

sigen Bestand berühren sie nicht. So wird die historische Bausubstanz bei einem Rückbau nicht beschädigt.

22 Apartments Fabra i Coats Roldán + Berengué ○

241

242 ZU HAUSE IN DER STADT

22 Apartments Fabra i Coats Roldán + Berengué ○

243

Bauherr: Cooperativa La Borda Tragwerksplanung: Miguel Nevado Fertigstellung: 2018 Fläche: 3000 m2 Nutzung: Wohnen, Bioladen

23

Carrer de la Constitució 85–89, SantsMontjuïc 🌐 laborda.coop @bordacoop

Lacol

In der Gemeinschaft ­wohnen Genossenschaftsbau La ­Borda

Wer die Carrer de la Costitució im Stadteil Sants entlangschlendert, wird bei Hausnummer 85 hinter der fensterlosen Fassade aus AcrylglasWellplatten kaum einen innovativen Wohnungsbau vermuten. Hier hat von 2012 bis 2018 die Anwohnerschaft um das Architekturkollektiv Lacol La Borda einen Genossenschaftsbau verwirklicht. Ausgangspunkt war die Frage, wie man auf einem überhitzten und schließlich kollabierten Wohnungsmarkt bezahlbaren Wohnraum schaffen und sichern kann. Nach zahlreichen partizipativen Workshops mit der Nachbarschaft und potenziellen Bewohnerinnen und Bewohnern konnten die Mitglieder von Lacol die Stadt überzeugen – sie bekamen das Grundstück in Erbpacht zur Verfügung gestellt. Zum ersten Mal wurde in Barcelona ein

245

Tragwerk aus Brettsperrholz in dieser Größenordnung realisiert und auf eine Tiefgarage zugunsten von Fahrrädern verzichtet. Ein Bioladen im Erdgeschoss und ein zweigeschossiger öffentlicher Durchgang zum neuen Quartierspark im Innenhof lassen das Gebäude trotz der minimalistischen Straßenfassade einladend wirken. Die rückseitige Südfassade zum Park ist das eigentliche Gesicht des Hauses. Im Sommer sind dort alle Sonnenschutzrollos wie ein homogener hölzerner Vorhang über die durchlaufenden Balkone gehängt. Im Winter genießen die Bewohner die wärmende tief stehende Südsonne. Auf der Südseite liegen nur die größeren der insgesamt 28 flexibel aufteilbaren Wohnungen. Kleinere Apartments mit Fensterbändern zur Straße sind auf der Nordseite im vierten und fünften Geschoss angeordnet. Sie sind im Sommer angenehm kühl, haben jedoch keine eigenen Balkone. Als Ausgleich stehen allen Bewohnerinnen zahlreiche kollektive Räume und Freiflächen zur Verfügung. Der zentrale Kommunikationsraum ist die siebengeschossige Halle. Sie ist weder beheizt noch gedämmt, bleibt aber auch im Winter erträglich warm. Das mit Acrylglas gedeckte Dach kann großflächig zur Entlüftung und Entrauchung geöffnet werden. Im Erdgeschoss der Halle sind die zahlreichen Fahrräder abgestellt. Von hier geht es durch die offene Gemeinschaftsküche und den Mehrzweckraum auf die Terrasse zum öffentlichen Park. In der Halle liegen auch die Laubengänge, die in den Obergeschossen die Wohnungen erschließen. Sie laufen ringsum und bilden Galerien, wie Logen in einem Theater. Der zweigeschossige offene Raum an der Nordseite lässt sich bei Veranstaltungen als Bühne nutzen. Er liegt direkt hinter der transluzenten Acrylglasfassade. Tagsüber fahren in diesem multifunktionalen Piano Nobile die Kinder Gocart. Waschmaschinen stehen frei an der Wand und sollen später, wenn die Kooperative mehr Geld hat, mit Trennwänden abgeschottet werden. Ganz oben auf dem Dach ist vor der Photovoltaikanlage eine Wiese für alle Bewohnerinnen und Bewohner angelegt. Von hier fällt mit Blick über die Dächer der Stadt zum nahe gelegenen Hausberg Montjuïc. fk

246 ZU HAUSE IN DER STADT

1

1 2 4

3 2

3

4 6

5

5

Lageplan Maßstab 1:5000

23 Genossenschaftsbau La Borda Lacol ○

1 La Borda 2 In Planung: KFZ-Werkstatt, Kita, Lager, Brauerei, Kunst

6

3 Gemeinschafts- 5 genossengärten schaftlich be 4 Bibliothek, Vertriebene Schule sammlungsräu- 6 Sozialeinrichme, Kletter­wand tungen

247

Gemeinschaftraum mit Küche und Blick sollen Werkstätten, eine Kindertagesauf das Entwicklungsgebiet des ehemali- stätte, eine Brauerei und Räume für gen Fabrikgeländes von Can Batlló. Hier Kunst und Künstler entstehen.

248 ZU HAUSE IN DER STADT

1 öffentlicher Durchgang zum Park 2 Eingang

Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:500

3 Halle/Fahrräder 6 genossen 4 Gemeinschaftsschaftlicher raum/-küche Lebensmittel­ 5 Technik laden

7 Büro/Laden­ personal 8 Wohnung

8

8

8

8

8

8

8

8 8

8

2. Obergeschoss

1. Obergeschoss a

7

6

1

3

2

4 5

a

Erdgeschoss

23 Genossenschaftsbau La Borda Lacol ○

aa

249

250 ZU HAUSE IN DER STADT

23 Genossenschaftsbau La Borda Lacol ○

251

ZU HAUSE IN DER STADT

Eliseu Arrufat und Carles Baiges von Lacol im Gespräch mit Heide Wessely

Die Stadt ­mitgestalten

BARCELONA Urbane Architektur und Gemeinschaft seit 2010

253

Vor zehn Jahren hat sich eine Gruppe junger Architektinnen und Architekten zur Kooperative Lacol zusammengeschlossen – und schon 2022 für ihren Genossenschaftsbau La Borda den Emerging Architects Award der EU Mies Foundation bekommen. Eliseu  Arrufat und Carles Baiges sehen sich als Vertreter des gesamten Kollektivs, das aus insgesamt 13 Mitgliedern besteht. Ihr Büro haben sie in La Comunal, einer ehemaligen Fabrik im Stadtteil Sants, die sie zu einem kleinen Kulturquartier umgebaut haben. Auch das ist genossenschaftlich organisiert.

Die Nutzerinnen und Nutzer sind feste Partner in euren Planungsprozessen – das ist ein Grundsatz eurer Arbeitsweise geworden. Warum macht ihr das? Carles Baiges: Bevor wir vor drei Jahren hierher gezogen sind, hatten wir unser Büro zehn Jahre lang in einem Laden hier um die Ecke. Anfangs haben wir alle noch studiert. Die Straße vor dem Laden, durch dessen Schaufenster uns die Passanten beim Arbeiten zugesehen haben, wurde irgendwann zur Fußgängerzone. So kamen wir in Kontakt mit den Menschen aus der Nachbarschaft, die uns viel fragten und auch um Ratschläge baten. Auch zum Fabrikgelände Can Batlló, das abgeriegelt war und das die Menschen in Sants zurückhaben wollten. Der Stadtteil ist für seine Genossenschaften, Vereine und auch 254 ZU HAUSE IN DER STADT

die Hausbesetzerszene bekannt. Wir haben uns viel mit den Leuten aus diesem Umfeld ausgetauscht und beschlossen, uns genossenschaftlich zu organisieren. Dieser Austausch hat von Anfang an eine zentrale Rolle für uns gespielt. Wir glauben, dass wir so unsere Arbeit wirkungsvoller, sozialer und nachhaltiger gestalten können. Die Bürgerinnen und Bürger in Barcelona mischen sich stark in die Stadtentwicklung ein. Wie kommt es, dass die Menschen hier so engagiert sind? CB: In einigen Stadtvierteln ist die Nachbarschaft so engagiert, weil ihre Vergangenheit stark mit den Fabriken verbunden ist: Aus der Arbeiterschaft sind Gewerkschaften und linksorientierte Parteien hervorgegangen.

Die Arbeits- und Lebensbedingungen in den Fabriken waren miserabel. Deshalb mussten sich die Menschen organisieren, um Verbesserungen zu erkämpfen. Die Selbstorganisation hat hier Geschichte, und dieser Geist ist nach wie vor vorhanden. Heute heißt es: Die Stadtverwaltung bietet uns keine Musikschule an? Na gut, dann bauen wir sie uns eben selbst. Dafür gründen sich dann Nachbarschaftsverbände, Genossenschaften oder Vereine. Eliseu Arrufat: Ein weiterer Grund mag auch sein, dass sich die Men-

Die Mitglieder von Lacol auf dem Balkon des Kulturquartiers La Comunal, wo sie sich auch ihr Büro eingerichtet haben.

schen während des Bürgerkriegs, der von 1936 bis 1939 hier tobte, über zwei Jahre hinweg selbst organisieren mussten. Es gab keine Stadtverwaltung oder Regierung. Vielleicht romantisiere ich diese Tatsache, aber ich glaube, dass das Spuren im Zusammenhalt und in der Durchsetzungskraft einer Stadtbevölkerung hinterlässt. Während des Bürgerkriegs saßen viele politische Gefangene in La Model ein, einem Gefängnis aus dem frühen 20. Jahrhundert, das

Carles Baiges steht in der hinteren Reihe in der Mitte, Eliseu Arrufat rechts daneben.

Eliseu Arrufat und Carles Baiges von Lacol im Gespräch mit Heide Wessely

255

nun umgenutzt wird. Ihr habt dafür mit der Nachbarschaft ein Nutzungsprogramm erarbeitet. Wie lief das ab? CB: Die Stadtverwaltung hat uns 2018 beauftragt, Gespräche mit der Nachbarschaft zu führen, um deren Bedürfnisse herauszufinden. Auf dieser Grundlage wurde dann der Masterplan erstellt. Das Gefängnis ist erst 2017 geschlossen worden. Deshalb war die Umnutzung ein sehr emotionales Vorhaben. Einige der Gefangenen, die dort während des Bürgerkriegs einsaßen, waren Freunde oder Familienmitglieder

256 ZU HAUSE IN DER STADT

aus der Nachbarschaft. Es gab viele Vorschläge, vom kompletten Abriss bis zum 100-prozentigen Erhalt. Wir haben Arbeitsgruppen gebildet, die unterschiedliche Themen diskutiert haben: Abriss, Grünflächen, Bestandserhalt, Sport, alles Mögliche. Das Ergebnis ergab 23 verschiedene Themenblöcke, die den Leuten wichtig waren. Meistens waren sich alle einig, bei drei oder vier gab es Diskussionen. Nur bei einem griff die Stadtverwaltung ein – sie hat eine große Sportanlage durchgesetzt, die Anwohner hingegen wollten eine kleinere. Weil es im Umkreis keine

weitere Sportanlage gibt, fiel diese Entscheidung von oben.

wir in Schulen angefragt. Jeden Tag war ein anderer Themenblock dran. Alle Teilnehmer konnten sich dann Wie kann ich mir diese Gespräche an Tische setzen, die wir in den Räumit der Nachbarschaft vormen des ehemaligen Gefängnisses stellen? Welche Leute kamen, aufgestellt haben, und diskutieren. und wie habt ihr diese Treffen An manchen Tagen waren rund 100 Leute da, insgesamt haben sich fast organisiert? CB: Zu den offenen Treffen konnte 300 beteiligt. sich jeder anmelden. Außerdem haben wir um die 40 Organisationen Wie schafft man es, 300 Leute zu direkt eingeladen, die mit Denkmal- koordinieren? Endet das nicht in schutz, Nachhaltigkeit, Architektur endlosen Diskussionen? und so weiter zu tun haben. Um CB: Bei La Model war das gar nicht so problematisch, weil die Themen junge Menschen miteinzubeziehen – das war uns sehr wichtig –, haben sehr offen waren und nicht tief ins Detail gingen. Bei konkreten Bauaufgaben ist das oft schwieriger. Bei den Genossenschaftswohnbauten, die wir machen, haben die Beteiligten meistens eine ähnliche Denkweise. Das ist „Während des Bürgerkriegs haben sich die Stadtbewohner ein großer Vorteil. Trotzdem müssen wir die Arbeitsgruppe so leiten, dass zwei Jahre lang selbst verwal- niemand zu sehr abschweift. Wenn tet – das hinterlässt Spuren.“ es zum Beispiel um Materialien geht, darf es auch nur um diese gehen und nicht um Farben. Wir haben sichergestellt, dass alle fokussiert an einem Thema arbeiten – erst am Schluss wurden die Ergebnisse in der großen Runde vorgestellt. Trotzdem herrscht sicher nicht immer Konsens. Wie bringt ihr verschiedene Interessen unter einen Hut? EA: Mittlerweile haben wir viel Erfahrung damit, unterschiedlichen Stimmen zuzuhören: denen von Individuen, der Nachbarschaft, der Politik, den Fachplanern oder den Kolleginnen. Wir sind sehr offen. Eliseu Arrufat und Carles Baiges von Lacol im Gespräch mit Heide Wessely

257

La Model ist eine Strafvollzugsanstalt Gefängnistrakt diskutierte die Nachbar­ aus dem frühen 20. Jahrhundert, die erst schaft, wie der geschichtsträchtige Ort 2017 geschlossen wurde. Im ehemaligen in Zukunft genutzt werden soll.

Andererseits ist es dabei sehr wichtig, unsere rote Linie zu finden. Ab wann sind wir nicht mehr bereit zu verhandeln? Was können wir nicht akzeptieren? Manchmal müssen wir auch einzelne Personen zur Seite nehmen, wenn sie zu wenig kompromissbereit sind. Das Gruppenverhalten ist sehr interessant, denn häufig ändern sich die Rollen der einzelnen Mitglieder, wenn einer oder eine die Gruppe verlässt. Es entwickelt sich eine ganz neue Dynamik, und plötzlich kommt man wieder vorwärts. 258 ZU HAUSE IN DER STADT

Was haltet ihr von Decidim, der Open-Source-Plattform für Bürgerbeteiligung, die hier in Barcelona entwickelt wurde und seit 2016 im Einsatz ist? CB: Im Prinzip ist Decidim eine super Sache, mittlerweile wird sie auch von vielen anderen Institutionen, Städten und Ländern eingesetzt. Im Bereich der Architektur oder Stadtplanung allerdings ist sie in der Anwendung schwierig, weil man damit nicht visuell arbeiten kann. Wir machen viele Projekte für die Stadt,

und sie müssen alle über Decidim abgewickelt werden. Dazu müssten wir Pläne, Bilder und Grafiken hochladen können, um Bürgerinnen und Bürger digital zu beteiligen. Das funktioniert aber technisch nicht gut. Diskussionen online zu führen, ohne Modelle oder Pläne zu zeigen, das klappt nicht. Viel besser ist das Tool für die Nachvollziehbarkeit oder den Fortschritt eines Projekts geeignet. Das kann man in Zahlen und Prozenten darstellen.

mehr Nachhaltigkeit für ihre Stadt fordern und umsetzen können. Es hilft auch nicht, dass man für den Förderantrag einer Solaranlage einen Universitätsabschluss braucht, weil es so kompliziert ist, ihn auszufüllen.

Wie seht ihr eure Stadt insgesamt im Hinblick auf Nachhaltigkeit? CB: Barcelona ist extrem dicht. Mit Blick auf Aspekte der Nachhaltigkeit ist das positiv, weil weniger Fläche versiegelt ist. Andererseits ergeben sich dadurch auch Nachteile, wie zu Welche Rolle spielt Politik gene- wenig Grün und schlechte Luft. Die Stadt ist in vielem ambivalent. Die rell für eure Arbeit? EA: Die linksorientierte Regierung, Superblocks beispielsweise geben den Fußgängern Stadtraum zurück, doch die wir derzeit haben, macht vieles unreguliert, leiten sie den Verkehr in einfacher, weil sie die sozialen Beandere Straßen um. Architektonische dürfnisse mehr im Blick hat. Die Verbesserungen führen oft zu einer Bürgerbeteiligung etwa ist eine Gentrifizierung. Und auch der gute Sache, aber sehr wichtig ist Tourismus bringt einerseits Geld in es auch, gerechter zu werden. Der Klimawandel, der in den letzten zwei die Stadt, doch andererseits treibt Sommern hier extrem zu spüren war, er die Mieten in die Höhe. Die Stadt sozialverträglich zu verbessern, ist beschleunigt ein Umdenken. Wir ein Balanceakt – dem müssen wir sehen aber, dass dieses Umdenken uns in unserer Arbeit immer wieder oft nicht mit sozialen Aspekten zusammenpasst. Zum Beispiel setzen stellen. wir gerade 70er-Jahre-Wohnblocks außerhalb von Barcelona instand, in denen sehr arme Menschen wohnen. Angesichts der hohen Energiekosten brauchen sie dringend energetische Sanierungen. Doch sie trauen den ↪ Fachleuten nicht, und sie trauen der Regierung nicht. Oft sehen sie auch  2 La  Comunal die Notwendigkeit nicht, etwas zu S. 032 verändern. Es besteht eine Gefahr, 23 La Borda dass sich die sozialen Gräben durch S. 244 die Klimadiskussion weiter vertiefen. 24 La Balma Denn es sind die Bessergestellten, die S. 260

○ ○ ○ ○

Eliseu Arrufat und Carles Baiges von Lacol im Gespräch mit Heide Wessely

259

Bauherr: Sostre Cívic Tragwerksplanung: Miguel Nevado Fertigstellung: 2017 Fläche: 2348 m2 Nutzung: Genossenschaftswohnen, Gästewohnung, Läden

24

Carrer Espronceda 131–135, Sant Martí 🌐 sostrecivic.coop #sostrecivic @sostrecivic

Lacol, La Boqueria

Progressiver Holzbau Genossenschaftsbau La ­Balma

Jahrzehntelang blieb das Grundstück an der Ecke zwischen dem Stadtpark Camí Antic de Valencia und der Carrer d’Espronceda unbebaut. Erst nach der geplatzten Immobilienblase rückte es ins Blickfeld der Stadtverwaltung und wurde an den Gewinner des ersten Wettbewerbs für Baugenossenschaften in Barcelona vergeben. Um den Zuschlag zu bekommen, erstellte die Genossenschaft Sostre Cívic mit den Architekten von Lacol und La Boqueria ein kostengünstiges, flächeneffizientes Bau- und Nutzungskonzept, mit flexiblen Grundrissen, einer Wohnung für Gäste, Läden für das Quartier sowie einem Tragwerk aus Massivholz. Zudem erarbeiteten sie ein ressourcensparendes Energiekonzept mit Erdwärmepumpe und Wandheizungen in Lehmbauplatten. Um

261

den Rohbau aus Brettsperrholz zu optimieren, nutzten die Architekten die BIM-Methode. Die Aufteilung der Zimmer entwickelten sie in Workshops partizipativ mit den Bewohnern für jede Wohnung individuell. Innerhalb der festgelegten Struktur aus wenigen Grundtypen entstanden auf diese Weise zahlreiche Varianten. Ganz nach persönlichen Vorlieben sind die Schlafzimmer nach Osten oder nach Westen ausgerichtet, sie orientieren sich entweder zum Laubengang oder zur gegenüberliegenden Fassade. Der kubische Bau besetzt selbstbewusst die Ecke des Gebäudeblocks und wirkt wie die selbstverständliche Fortsetzung der benachbarten Schule im Norden. Das Erdgeschoss mit Pfeilern und Wandscheiben aus Sichtbeton ist robust gestaltet. Dazwischen öffnen sich entlang der Straßenseite die Schaufenster der Läden. Der Zugang zum ebenerdigen Gemeinschaftsraum mit Küche sowie zu den 20 Wohnungen erfolgt über eine Loggia im Freien, die mit einer transparenten Gitterrostwand vom davorliegenden Park abgetrennt ist. Unterschiedlich breite und tiefe Einschnitte verleihen den Fassaden der Wohngeschosse Vielfalt und Offenheit. Laubengänge schaffen in den ersten drei Obergeschossen eine Pufferzone zur lauten Carrer d’Espronceda. Ab dem vierten Obergeschoss sind die Laubengänge auf die gegenüberliegende Längsseite nach Westen verlegt, mit Blick auf den Sonnenuntergang über die Schule hinweg. Sie dienen nicht nur zur Erschließung der Wohnungen, sondern als Kommunikationsbereich unter den Nachbarn und als individuelle Außenzone vor den Wohnungen. Diese sind durchgesteckt und kommen daher dank Querlüftung ohne mechanische Kühlung aus. Von der Eingangsloggia im Erdgeschoss führen eine offene Treppe und ein Aufzug vorbei an Gemeinschaftsräumen für Yoga und Co-Working, einem Gästeapartment und einem Gemeinschaftsbad mit Badewanne für Bewohner, denen die Dusche in der eigenen Wohnung nicht ausreicht. Der größte Gemeinschaftsbereich ist die große Dachterrasse über dem gesamten Gebäude, die mit Verschattungsdächern aus Photovoltaikpaneelen nachgerüstet werden kann. Sie kompensiert den nur schmalen Gartenstreifen vor dem Gemeinschaftsraum. Als traditionelle Fassadenelemente verleihen knallrote Sonnenschutzrollos dem innovativen Wohnungsbau nicht nur Lokalkolorit, sondern auch einen typisch mediterranen Charme. Sie sind teils aufgerollt, teils hängen sie senkrecht oder schräg nach vorn über die Brüstungen. fk

262 ZU HAUSE IN DER STADT

Im Kontext von öffentlichen Einrichtungen wie Krankenhaus, Kindergarten und Schule sollte auch der Wohnbau einen

öffentlichen Charakter haben. Zwischen den massiven Betonpfeilern öffnen sich die Schaufenster der Läden.

24 Genossenschaftsbau La Balma Lacol, La Boqueria ○

263

264 ZU HAUSE IN DER STADT

11

Schnitt, Grundrisse Maßstab 1:500

1 Eingangs­ bereich 2 Gemeinschaftsraum 10 3 Küche 4 Grauwasser

12

12

5 Gemeinschaftshof 6 Lager 7 Müllraum 8 Heizung ­Geo­thermie

a

12 Wohnung 48,50 m2 13 Wohnung 61 m2 14 Gemeinschaftsterrasse

14 14

6 7

1

13

9 Laden 10 Co-Working/ Gästezimmer/ Yoga 11 Wohnung 73 m2

8

9

9 14 14

Dachgeschoss 2

3

4

5

aa

a 11

12

13

11

12

13

11 11

12 12

13 13

4., 5. Obergeschoss

10

11

12

12

13

11

12

12

13

11 11

12 12

12 12

13 13

10 10 10

1.–3. Obergeschoss

a a 6 6

8

9

7

8

9

7 7

8 8

1

9 9 2

3

1

2

3

1 1

5 2 52

3 3

6 6

Erdgeschoss

24 Genossenschaftsbau La Balma Lacol, La Boqueria ○

a a

7

5 5

9 9 9 9

a

4 4 4 4

a a a

265

Grundrisse Maßstab 1:200

266 ZU HAUSE IN DER STADT

Die Grundrisse lassen verschiedene ­Ausbauvarianten zu – mit separat zugänglichem Schlafzimmer am Lauben-

gang etwa. Die Größen der Ein- bis Dreizimmer-Wohnungen liegen zwischen 48,50 und 73,00 m2.

24 Genossenschaftsbau La Balma Lacol, La Boqueria ○

267

268 ZU HAUSE IN DER STADT

24 Genossenschaftsbau La Balma Lacol, La Boqueria ○

269

Bauherr: lnstituto Metropolitano de Carrer Baldiri Net i Figueres 5–7, ­Promoción de Suelo, Àrea Metropolitana Sant Boi de Llobregat de Barcelona Tragwerksplanung: Manuel Arguijo Fertigstellung: 2019 Fläche: 12 500 m2 Nutzung: Sozialwohnungen, frei finanzierte Wohnungen, Läden, Restaurant

25

Estudio Herreros, MIM-A

Monument zum Wohnen Geschosswohnungsbau Caracol

Caracol – Schnecke, so lautet der Name des mächtigen Wohnblocks im Nordwesten der Stadt. Zwar sieht der Bau nicht nach diesem Tier aus, doch der Blick durch die riesigen Öffnungen an den Stirnseiten des Gebäudes macht genauso neugierig wie der ins Innere eines Schneckenhauses. Hier schimmert hindurch, was sich im Inneren verbirgt: ein großer rosafarbener Innenhof, durchzogen von etwas Grün, mit Laubengängen und Begegnungsflächen. Hier spielt sich das soziale Leben der Wohnanlage ab, hier trifft sich die Nachbarschaft auf gemeinschaftlich genutzten Terrassen und von hier aus gelangen alle in ihre Wohnungen. Weil der Bebauungsplan keine Balkone zuließ, verlegten die Architekten sie kurzerhand nach innen

271

und nutzten das Grundstück bis an seine Grenzen. Mit Innenhof, Loggien und Einschnitten im Dach schafften sie es, die maximal zulässige Geschossfläche einzuhalten. Sehr effizient ist auch die Erschließung: In einem einzigen, mittig im Grundriss platzierten Kern sind zwei Aufzüge und eine Treppe zusammengefasst, die zu 79 Wohnungen auf sieben Geschosse führen. Der Erschließungskern teilt den Innenhof in zwei Teile, was dessen Dimensionen angenehmer macht. Auch die in Nord-SüdRichtung durchgesteckte Eingangshalle sprengt das riesige Volumen des Gebäudes, das selbstbewusst in der neu angelegten Parkanlage mit ihren spitzwinkligen Grünflächen steht. Die Stadt als frühere Grundstückseigentümerin stellte dem Investor beim Verkauf die Bedingung, 60 Prozent der Einheiten als Sozialwohnungen zu vermieten. Der Rest wurde auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten. Mit ihren offenen Küchen – eine Seltenheit in Barcelona – wirken die Wohnungen großzügig. Dank der durchgesteckten Grundrisse sind sie von zwei Seiten belichtet. So entstehen luftige und helle Räume. Beim Innenausbau von Sozial- und frei finanzierten Wohnungen gibt es nur bei den Oberflächenqualitäten geringe Unterschiede – eine bewusste Entscheidung, um die sozialen Differenzen möglichst wenig sichtbar zu machen. Zwischen dem Wettbewerbsgewinn im Jahr 2009 und der Fertigstellung lagen zehn Jahre. Planungsänderungen und die Immobilienkrise verzögerten den Bau. Auf die Umplanung von 100 Kleinstwohnungen in nun 79 etwas größere Einheiten konnte die klare, einfache Tragwerksstruktur gut reagieren, weil das Erschließungskonzept nicht verändert werden musste. Das strenge Raster zeichnet sich auch an der Fassade durch gleich breite grüne Bänder aus Faserzementplatten ab. Dazwischen sorgen Schiebeläden aus gelb lackierten Lamellen und Putzflächen in unterschiedlichen Grüntönen für ein lebendiges Bild. Im Sockelgeschoss haben sich Läden und ein Restaurant eingemietet, die den Stadtraum auch außerhalb der Wohnanlage beleben. Stolz steht Caracol nun an der Schnittstelle von Gewerbeviertel und Blockrandbebauung – ein Monument zum Wohnen. hw

272 ZU HAUSE IN DER STADT

Lageplan Maßstab 1:5000

25 Geschosswohnungsbau Caracol Estudio Herreros, MIM-A ○

273

10 9

9

9

9

9

9

9

9

9

9

10

10 10

10

6.10Obergeschoss 5

7

6

7

6

5

10

5

8 7

6

5

5 8 7

5 6

5

5

b

1. Obergeschoss 7

6

1

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a

5

b

5

5

1

3 7

a

2

2

2

2

3

6

a 3

b 4

a 1 1

b 4

4

3

4

1

a

a 3

b

2

2

3

Erdgeschoss

274 ZU HAUSE IN DER STADT

5

4

1

4

Der massive Baukörper ist überraschend durchlässig: in Nord-Süd-Richtung durch die Eingangshalle, in Ost-West-Richtung durch die Loggien in den Obergeschossen.

Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:500

1 Eingangshalle 4 Müllraum Wohnungen 5 Wohnküche 2 Durchgang 6 Schlafzimmer 3 Restaurant, Café zweigeschossig mit Galerie

aa

25 Geschosswohnungsbau Caracol Estudio Herreros, MIM-A ○

7 Kinderzimmer 9 Luftraum 8 Gemeinschafts­ 10 private Dach­ loggia terrasse

bb

275

276 ZU HAUSE IN DER STADT

25 Geschosswohnungsbau Caracol Estudio Herreros, MIM-A ○

277

Bauherr: privat Tragwerksplanung: Bernuz-Fernández Arquitecte Fertigstellung: 2019 Fläche: 912 m2 + 177 m2 Terrasse Nutzung: Wohnen

26

Carrer de Pujades 251, Sant Martí

Lola Domènech, Lussi Studio

Vier befreundete Paare Wohnhaus

Der Schweizer Architekt Thomas Lussi tat sich mit drei befreundeten Paaren zusammen, um in Barcelona ein neues Zuhause zu schaffen. Im Stadtteil Poblenou fanden sie ein sechs Meter breites und 30 Meter langes Grundstück, das innerhalb des Cerdà-Rasters liegt. Zusammen mit der lokalen Architektin Lola Domènech entwickelte die Gruppe ein  Haus mit fünf Wohnungen. Eine Gewerbefläche im Erdgeschoss wird als Architekturbüro und Co-Working-Space genutzt. Wichtig waren den Bewohnern und Bewohnerinnen auch die Gemeinschaftsbereiche: So gibt es im gemeinsamen Innenhof einen langen Tisch, an dem alle Platz finden und auch die Dachterrasse mit Pool wird von allen genutzt. Hinauf gelangt man über das Treppenhaus, das entlang der Längs­fassade verläuft und sich dort als keramisches Gitterwerk

279

abzeichnet. Es bringt Licht ins Innere und bewirkt eine natürliche und konstante Belüftung. In den Wohnungen sorgen die großen hölzernen Klappläden für Kühle. Sie können geschlossen werden, um ein Aufheizen der Räume zu verhindern, gleichzeitig erzeugen sie ein dynamisches Spiel in den Außenansichten. Zwischen Klappläden und Glasfronten sind an beiden Stirnseiten des Hauses Terrassen platziert, die nicht nur als privater Außenraum mit Blick auf Straße oder Hof dienen, sondern auch als Klimapuffer. Stehen die großen gläsernen Schiebetüren an beiden Seiten des Hauses offen, streicht kühlende Luft durch den langen Flur. Ihn begleitet eine Schrankwand in voller Länge, in der alles Platz hat, was die Bewohner so brauchen. Im größten, zum Hof orientierten Raum wird aus der Schrankwand eine Küchenzeile. Hier wird gekocht und gegessen, und ein Sofa zum Ausruhen gibt es auch. Bei der Gestaltung der Innenräume hat das Architektenteam den Dialog zwischen verschiedenen Materialien angestrebt. Ziegel, roh belassene Betonböden, Einbauten aus unbehandeltem Holz und anthrazitfarbener Kalkputz schaffen eine sinnliche und entspannte Atmosphäre. Für ein angenehmes Raumklima zu jeder Jahreszeit sorgt ein Heizund Kühlsystem mit Fußbodenheizung und einer integrierten Klimaanlage, die mit einer Luft-Wärmepumpe betrieben wird. Mit dieser Maßnahme und den doppelschaligen, gedämmten Außenwänden sowie dem gedämmten Dach erreicht das Apartmentgebäude Passivhausstandard. hw

280 ZU HAUSE IN DER STADT

26 Wohnhaus Lola Domènech, Lussi Studio ○

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8

4

7

Dachgeschoss

6 4

5

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1. Obergeschoss

2

1

3

a

a

Erdgeschoss

Schnitt, Grundrisse Maßstab 1:250

GSPublisherVersion 0.98.100.98

GSPublisherVersion 0.98.100.98

GSPublisherVersion 0.98.100.98

282 ZU HAUSE IN DER STADT

1 Eingang 2 Innenhof

3 Architektur­ büro/Co-­ Working-Space

4 Terrasse 6 Schlafen 5 Kochen/Essen/ 7 Pool Wohnen 8 Dusche

aa

26 Wohnhaus Lola Domènech, Lussi Studio ○

283

Nicht mehr drin und doch nicht draußen – die Faltläden vor der Terrasse dienen als Sichtschutz und Schattenspender.

284 ZU HAUSE IN DER STADT

Sie lassen die Meeresbrise hindurchstreichen und sorgen außerdem für ein abwechslungsreiches Fassadenspiel.

26 Wohnhaus Lola Domènech, Lussi Studio ○

285

Bauherr: Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació, Ajuntament de ­Barcelona Tragwerksplanung: Manuel Arguijo y Asociados Fertigstellung: 2020 Fläche: 6020 m2 Nutzung: Sozial­ wohnungen für Senioren, Wohnungen für Mütter in Not

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Carrer d’Alí Bei 100–102, Eixample

Arquitectura Produccions, Pau Vidal, Vivas Arquitectos

Action im Alter Sozialwohnungen Alí Bei

Die Aussicht aus den Sozialwohnungen ist spektakulär: Statt in einen engen Hinterhof blicken die Bewohnerinnen und Bewohner des siebengeschossigen Gebäudes auf den Rasen eines riesigen Sportplatzes, von dem sich Tribünen mit bunten Sitzen nach oben staffeln. Gleich dahinter sorgt ein Park für noch mehr Grün, erst dann beginnt wieder die Stadt. Zwar liegt der Wohnungsbau mitten im streng gerasterten Stadtteil Eixample, doch ist ein Großteil des urbanen Blocks unbebaut. Das ist historisch bedingt, denn früher fuhren dort, wo jetzt Action auf dem Fußballplatz herrscht, die Züge zum nahe gelegenen Nordbahnhof. Auch dessen Flächen sind heute dem Sport gewidmet. Die beiden städtebaulich so unterschiedlichen Seiten bestimmen auch die Fassaden. Zur Straße schließt die Wohnanlage die Lücke

287

zwischen zwei Stadthäusern aus der Zeit des Modernisme. Schachbrettartig angeordnete Balkone über einem Sockel aus Sichtbeton wirken klar und rational und schaffen den visuellen Brückenschlag zwischen Alt und Neu. Das Thema Schachbrett taucht auch auf der anderen Seite wieder auf, hier jedoch als zurückversetzte Loggien. Die zweigeschossige gläserne Ecke oben rechts durchbricht das Raster und lässt ahnen, dass sich dahinter eine besondere Nutzung verbirgt: Hier liegen ein Gemeinschaftsraum und die Waschküche für die Seniorinnen und Senioren. Zu seinen Nachbarn hält der Baukörper ein wenig Abstand, links nur einen Meter, rechts etwas über drei Meter. An dieser Seite führt eine auch vom Stadtraum sichtbare Gittertreppe nach oben, die nicht nur als Erschließung dient, sondern auch als Begegnungsort und Aussichtsplattform. Visuelle Durchlässigkeit spielt im gesamten Gebäude eine zentrale Rolle. Schon die großen gläsernen Eingangstüren geben den Blick durch das gesamte Haus frei – über einen grünen Innenhof hinweg und durch die verglasten Gemeinschaftsbereiche. Das Erdgeschoss ist zweigeteilt, das machen bereits die unterschiedlich gestalteten Eingänge deutlich: der eine ganz aus Glas, der andere mit einem massiven, schützenden Gitter davor. Hier liegt der Zugang zu zehn temporär vergebenen Wohnungen für bedürftige Mütter und ihre Kinder. Die Einheiten sind unterschiedlich groß und auf zwei Ebenen verteilt. Im Erdgeschoss können die Frauen und Kinder in einer Gemeinschaftsküche kochen, im Speisesaal essen und im Aufenthaltsraum spielen. Leider standen die Wohnungen im November 2022 noch leer, denn die administrativen Mühlen in Barcelona mahlen langsam. Die 49 Sozialwohnungen für Senioren hingegen sind längst bezogen. Ihre Grundrisse sind mit 40  bis 45 Quadratmetern alle annähernd gleich groß und für Paare gedacht, die sich selbst versorgen können. Brauchen sie doch einmal Hilfe, stehen Sozialarbeiterinnen zur Verfügung, die fest im Haus beschäftigt sind. Außerdem gibt es diverse Gemeinschaftszonen: einen Aufenthaltsraum im Erdgeschoss, einen im fünften Obergeschoss und die große Dachterrasse mit Fitnessgeräten und Hochbeeten für den eigenen Kräutergarten. Hier oben können sich die Bewohnerinnen und Bewohner auch in bequemen Loungemöbeln ausruhen und der Jugend beim Sport zuschauen. hw

288 ZU HAUSE IN DER STADT

Lageplan Maßstab 1:8000

27 Sozialwohnungen Alí Bei Arquitectura Produccions, Pau Vidal, Vivas Arquitectos ○

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8 7

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1. Obergeschoss

aa

1

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3

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9

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a

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Erdgeschoss

Schnitt, Grundrisse Maßstab 1:500

290 ZU HAUSE IN DER STADT

11

a

6. Obergeschoss

1 Eingang 6 Kochen/Essen/ 8 Sozialarbeiter ­Senioren Aufenthalt ­Mütter 9 Wohnung 2 Empfang 7 temporäre ­Senioren 3 Gemeinschafts­Wohnung für be- 10 Wasch­ raum Senioren dürftige ­Mütter maschinen 4 Eingang Mütter 5 Beratungsstelle Mütter

11 Gemeinschaftsdachterrasse mit Fitness­ räumen 12 Luftraum

27 Sozialwohnungen Alí Bei Arquitectura Produccions, Pau Vidal, Vivas Arquitectos ○

291

292 ZU HAUSE IN DER STADT

Ganz umsonst und ohne Aufwand können die Senioren die Fußballspiele aus ihren Fenstern verfolgen. Für mehr Ge-

meinsamkeit beim Zuschauen sorgt die Dachterrasse, zu der alle Bewohner und Bewohnerinnen Zutritt haben.

27 Sozialwohnungen Alí Bei Arquitectura Produccions, Pau Vidal, Vivas Arquitectos ○

293

294 ZU HAUSE IN DER STADT

Mit ihrem Wohnbau aus dem Jahr 2008 werten Coll & Leclerc die Gegend nördlich des Forumgeländes auf. Das Projekt

initiierte die Stadtverwaltung für einkommensschwache Menschen, die hier in 42 Wohnungen untergekommen sind.

Wohnungsbau und Politik Jelena Prokopljević

BARCELONA Urbane Architektur und Gemeinschaft seit 2010

295

Mit welchen Programmen trotzt Barcelona der Wohnungsnot? Die Geschichte der Wohnungspolitik in der katalanischen Hauptstadt kennt viele recht unterschiedliche Kapitel und ebenso viele verschiedene Maßnahmen. Einige historische Eingriffe der Stadterweiterung haben sich heute bereits fest in das Stadtbild eingeschrieben und sind ein Teil von ihm. Wo aber steht die Stadt heute – und welche Rahmenbedingungen schafft sie, um bezahlbares Wohnen möglich zu machen und die Lebensqualität zu verbessern?

Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es zu wenig Wohnraum in Barcelona. Damals siedelten sich viele Industriebetriebe in der Altstadt an und dehnten sich mit der Zeit auch auf die umliegenden Gemeinden aus. 1860 entstand nach den Plänen von Ildefons Cerdà die Stadterweiterung Eixample. Sie sollte gesunden Wohnraum für alle bieten, mit funktionalen Grundrissen und großen Freiflächen. Die privaten Eigentümer jedoch ließen die offenen Blöcke schon bald schließen und deren ursprünglichen Qualitäten gingen verloren. Für zugewanderte Arbeiter und Arbeiterinnen war der Wohnraum zu teuer, und so begannen sie bereits in den 1920er-Jahren, sich für Lösungen zum Wohnungspro­ blem zu engagieren. Schließlich wurde das „Llei d’Habitatge barat“ auf den Weg gebracht, ein Gesetz für bezahlbaren Wohnraum. Es war die Grundlage für den Bau vieler subventionierter Siedlungen in der Peripherie – auch für Bon Pastor: Das Wohnviertel im Nordosten der Stadt besteht aus Hunderten eingeschossiger Reihenhäuser mit jeweils 40 Quadratmetern Wohnfläche und kleinen Vorgärten. Doch Läden, Arztpraxen, Cafés und Schulen, Gemeinschaftszentren oder öffentliche Plätze gab es in dem Wohnbezirk nicht. Funktionalismus und soziale Interaktion Die sozialistische Regierung der Zweiten Republik (1931–1939) legte die Grundlagen für umfangreiche öffentliche Investitionen in Wohnungsbau, Gesundheitswesen und Bildung. Vor diesem Hintergrund entwickelte die funktionalistische Group of Architects and Technicians for Promotion of Contemporary Architecture (GATCPAC) eine Wohnungsbautypologie, die auch öffentliche Räume und Einrichtungen einbezog – eine Innovation. Mit ihrer Casa Bloc schuf die Gruppe 1932 einen Komplex mit 207 Sozialwohnungen für Arbeiterfamilien. Die S-förmige Anlage mit fünf Stockwerken rahmt zwei Höfe, um die sich öffentliche Einrichtungen wie eine Bibliothek, ein Kindergarten und Geschäfte 296 ZU HAUSE IN DER STADT

In der Casa Bloc der Gruppe GATCPAC bracht (unten). Bon Pastor besteht aus aus dem Jahr 1932 sind 207 Sozialeingeschossigen Reihenhäusern mit nur wohnungen für Arbeiterfamilien unterge- jeweils 40 m2 Wohnfläche (oben).

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gruppieren. Laubengänge, die als Orte der sozialen Interaktion konzipiert sind, erschließen die Maisonettewohnungen darüber. Nach einer langen wirtschaftlichen Durststrecke wurden Ende der 1950er-Jahre bis 1970 viele bezahlbare staatliche Wohnungen errichtet. Die neuen Großsiedlungen lagen am Stadtrand oder in den angrenzenden Industriestädten. Sie bestanden aus Tausenden Mietwohnungen mit zwei bis drei Zimmern – und der Option zum späteren Kauf. Plattenbauten und Hochhäuser veränderten die Stadtsilhouette, in öffentliche Räume, Kulturbauten und Bildungseinrichtungen wurde aber auch hier nicht investiert, und in der Folge entstanden sogenannte vertikale Slums. In diesen Brennpunktvierteln gründeten sich schließlich die ersten basisdemokratischen Nachbarschafts verbände.

Individuelle Konzepte ersetzen das übliche Top-DownDesign, bei dem festgelegt ist, wer welchen Raum wie nutzt. Das Gemeinschaftseigentum ermöglicht eine gewisse Flexibilität bei der Wohnungsgröße.

Mit dem Wandel von der Diktatur zur Demokratie Ende der 1970er-Jahre wurden die Zuständigkeiten für Stadtplanung und Bauwesen von der Regierung in Madrid auf die Stadtverwaltungen übertragen. Die Subventionen für den Wohnungsbau kamen allerdings weiterhin aus der Hauptstadt – oft in unzureichender Höhe. Städtische Wohnbaugesellschaften errichteten Wohnungen, um sie günstig zu vermieten oder zu verkaufen und nahmen dazu hohe Kredite auf. Der Verkauf war die bevorzugte Option, weil sein Gewinn die so dringend benötigten öffentlichen Räume und Einrichtungen finanzierte. Das Programm „Barcelona dels Barris“ (Barcelona der Nachbarschaften) propagierte eine Planungsmethodik, die städtische und architektonische Maßstäbe, öffentlichen und privaten Raum sowie lang- und kurzfristige Projekte miteinander verknüpfte. Viele Wohngebäude, die im Zuge der Olympischen Spiele 1992 gebaut wurden, sind Beispiele für diese Wohnbaupolitik.

298 ZU HAUSE IN DER STADT

Die Nachfrage regelt den Preis Der Wirtschaftsboom der frühen 2000er-Jahre ließ die Wohnungsnachfrage steigen – und die Preise ebenso. Besonders die wachsende Zahl an Migranten hatte kaum noch Zugang zu Wohnungen auf dem freien Mietmarkt. Dank der niedrigen Zinsen interessierten sich vermehrt auch private Investoren für den Immobilienmarkt, während die Stadtverwaltung darum bemüht war, bezahlbare Mietwohnungen für einkommensschwache Familien bereitzustellen. Dafür lobte sie eine Reihe von offenen Wettbewerben aus, die auch innovative Lösungen für gemeinschaftliche Flächen und die Räume zwischen den Gebäuden anbieten sollten. Der Wohnblock von Coll-Leclerc in der Nähe des Forums oder die Seniorenwohnungen von EMBT Architects am Markt Santa Caterina zeigen, wie sich die soziale Integration durch die neue Wohnungspolitik fördern lässt und zugleich Stadtviertel aufgewertet werden können. Während der Wirtschaftskrise von 2008 bis 2013 fielen die Mietpreise von Wohnungen um 16 Prozent und die Verkaufspreise um 35 Prozent. Die Zinsen für Baudarlehen sanken zwar auf ein historisches Tief, doch viele Menschen galten nicht mehr als kreditwürdig, da sie ihre Arbeit verloren hatten. Wegen der schwindenden Steuereinnahmen gingen auch die staatlichen Investitionen zurück, und öffentliche Einrichtungen, Unternehmen und Banken verschuldeten sich. Ihre leer stehenden Wohnungen waren mit hohen Hypotheken belastet und mussten oft zwangsversteigert werden. Der boomende Tourismus und ausländische Bauinvestitionen sorgten schließlich für eine Kehrtwende, die jedoch zur Gentrifizierung zentraler Stadtviertel führte. Diese Entwicklung veranlasste die sozialistisch orientierte Stadtregierung dazu, in einem partizipativen Prozess mit Bürgerinnen und Bürgern sowie Vertretern lokaler Gemeinden einen Plan aufzusetzen, der das Recht aller auf menschenwürdigen Wohnraum umsetzen soll, den „Pla pel Dret a l’Habitatge de Barcelona 2016–2025“. Recht auf Wohnen Zentrale Punkte dieser Absichtserklärung sind, erschwinglichen Wohnraum bereitzustellen, den Gebäudebestand aufzuwerten, Mietobjekte sinnvoll zu nutzen und Menschen zu unterstützen, die in Not geraten sind. Der Rat für sozialen Wohnungsbau in Barcelona (Consell de l’Habitatge Social de Barcelona) und das städtische Institut für Wohnungswesen und Sanierung (Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació de Barcelona) haben Geschäftsstellen in allen Stadtbezirken und kümmern sich um die Wohnfrage. Nicht mehr nur Neubauten stehen im Fokus, sondern auch die Sanierung und Wohnungsbau und Politik Jelena Prokopljević

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Instandsetzung von Altbauten. Etwa 35 Prozent des Gebäudebestands in Barcelona stammen aus der Zeit vor 1950, weitere 45 Prozent wurden zwischen 1960 und 1990 gebaut. Die energetische Sanierung dieser Bauten tut not. Deshalb subventioniert die Stadt nun auch Wärme- und Schalldämmung sowie die Nutzung von Solarenergie. Außerdem soll ein Teil der leer stehenden Gebäude, die häufig im Besitz von Banken sind, sozialen Nutzungen zugeführt werden, und bedürftige Familien werden bei der Zahlung der Miete unterstützt. Zudem gibt es Mediations- und Beratungsangebote, um Zwangsräumungen zu verhindern. Obwohl nach städtischen Vorschriften 30 Prozent der neu gebauten Wohnungen Sozialwohnungen sein müssen, wird nur ein kleiner Teil dieser Quote erfüllt. Die Defizite sind nach wie vor spürbar. Laut einer Studie der Stiftung Arrels sind in Barcelona über 5000 Menschen ohne festen Wohnsitz, etwa 1200 Menschen leben auf der Straße. Das Recht auf qualitativ hochwertigen Wohnraum, wie es in Artikel 47 der

300 ZU HAUSE IN DER STADT

Mit Walden 7 schuf Ricardo Bofill 1975 bengängen und Pflanztrögen realisierte einen sozialen Wohnungsbau der beson- er 446 Wohnungen – und ein Gebäude deren Art. Mit Türmen, Innenhöfen, Lau- mit Symbolkraft.

spanischen Verfassung verankert ist, wird nicht erfüllt. Dafür bräuchte es eine engere und andauernde Zusammenarbeit von zentralen und lokalen Verwaltungen, doch die funktioniert immer noch nicht effizient. In jüngster Zeit jedoch gibt es ein Erfolgsmodell, das die Wohnungsnot lindert: Wohnbaugenossenschaften. Die ersten ­ genossenschaftlichen Projekte in Barcelona gehen auf die 1920er-Jahre zurück. Während der Wohnungsknappheit in den 1970er-Jahren wurde das Modell bekannter, da es durch die kollektive Investition in den Bau einen gerechteren und erschwinglicheren Zugang zu Wohnraum ermöglichte. Das berühmte Apartmentgebäude Walden 7 von Ricardo Bofills Taller de Arquitectura gab Bewohnern und Bewohnerinnen die Möglichkeit, an der Gestaltung mitzuwirken. Walden 7 basiert auf 30 Quadratmeter großen Modulen, die sich zu Wohnungen mit bis zu 120 Quadratmetern auf einer oder zwei Ebenen kombinieren lassen. Gemeinschaftseigentum und Flexibilität Die Gebäude heutiger Wohngenossenschaften sind für die Nutzung durch die Bewohner konzipiert und dem spekulativen Finanzmarkt entzogen. Individuelle Konzepte ersetzen das übliche Top-Down-Design, bei dem festgelegt ist, wer welchen Raum wie nutzt. Das Gemeinschaftseigentum ermöglicht eine gewisse Flexibilität bei der Wohnungsgröße, da Flächen, die zwischen öffentlichen und privaten Bereichen liegen, miteinbezogen werden. Die genossenschaftlichen Projekte La Borda (S. 244) und La Balma (S. 260) der Architektengruppe Lacol sind nicht nur in der Gestaltung der einzelnen Wohneinheiten innovativ, sondern auch in der Organisation der Nutzung gemeinschaftlicher und flexibler Räume. Das erste genossenschaftliche Wohnbauprojekt auf einem stadteigenen Grundstück entstand im strand- und zentrumsnahen Viertel Barceloneta, wo viele Touristenunterkünfte die Preise in die Höhe treiben. Im Anschluss an ein partizipatives Verfahren der Bürgergenossenschaft Sostre Civic wurde ein Pachtvertrag mit einer Laufzeit von 75 Jahren geschlossen. Das Architekturbüro La Mar baute ein Gebäude aus dem 19. Jahrhundert in das Mehrfamilienhaus La Xarxaire um. Gemeinschaftsräume im Erdgeschoss und auf dem Dach erweitern die kleinen Wohnungen. Hier können Bewohner und Bewohnerinnen sonnenbaden, arbeiten, mit ihren Kindern spielen oder sich einfach nur treffen. Die derzeitige linksorientierte Stadtverwaltung unterstützt die neuen basisdemokratischen Initiativen ausdrücklich, die erschwingliche, nachhaltige und dauerhafte Wohnlösungen schaffen. Und in größerem Maßstab umgesetzt, könnten sie durchaus die allgegenwärtige Immobilienspekulation ablösen, und zwar durch ein demokratisches Wohn- und Stadtmodell. Wohnungsbau und Politik Jelena Prokopljević

301

Bauherr: lnstituto Metropolitano de Avenida República Argentina 21, Cornellà ­Promoción de Suelo, Àrea Metropolitana de Llobregat de Barcelona Tragwerksplanung: Bernúz Fernández Arquitectes Landschaftsarchitektur: AB Pasatgistes Fertigstellung: 2020 Fläche: 2137 m2 Nutzung: Sozialwohnungen

28

Peris+Toral Arquitectes

Leben im Quadrat 85 geförderte Wohnungen

Die Menschen im Vorort Cornellà de Llobregat sind arm, die Häuserblocks, in denen sie wohnen, heruntergekommen. Dass kostengünstiger sozialer Wohnungsbau aber auch edel und hochwertig wirken und dazu noch nachhaltig und innovativ sein kann, beweisen Peris+Toral. Ein kurzer Blick auf die Grundrisse macht das ungewöhnliche Konzept deutlich: Alle Geschosse sind in gleich große Quadrate mit 3,60 Metern Kantenlänge aufgeteilt. Doch was auf dem Plan sehr streng aussieht, wirkt als dreidimensionaler Raum äußerst differenziert. Die meisten Wohnungen bestehen aus sechs Quadraten, nur die Einheiten in den Ecken sind etwas größer oder etwas kleiner. Zugänglich sind diese Eckwohnungen über ein Verteilerquadrat, das direkt an die Treppenhauskerne angegliedert ist. Die Eingänge zu den anderen

303

Wohnungen hingegen führen vom innenhofseitigen Laubengang über eine abschließbare Tür zunächst auf den Balkon. Er ist Eingangsbereich und Pufferzone zugleich. Um die zentrale Küche gruppieren sich alle weiteren Zimmer. Ihnen ist keine bestimmte Nutzung zugewiesen, und so können die Bewohnerinnen und Bewohner selbst festlegen, wo sie wohnen, arbeiten und schlafen wollen. Alle Räume sind durch große Öffnungen verbunden, sie können mit Schiebetüren geschlossen und flexibel zusammengeschaltet werden. Dank des Konzepts, möglichst viele Flächen mit mehreren Nutzungen zu füllen und auf Flure in den Wohnungen zu verzichten, entsteht eine Großzügigkeit, die im sozialen Wohnungsbau Spaniens ihresgleichen sucht, denn der lässt Mindestflächen für ein Schlafzimmer von nur sechs Quadratmetern zu. Bei Peris+Toral bekommen alle Wohnungen Licht und Luft von zwei Seiten, die Klimaanlage wird dank der Querlüftung überflüssig. Dazu sorgt ein Gittergewebe, das an der Außenseite der Balkone montiert ist, für Verschattung. Es ist nach außen silbern reflektierend und zum Innenraum anthrazit beschichtet, wodurch es durchsichtiger wirkt. Zusätzlich können hölzerne Sonnenschutzrollos, die zum Standardrepertoire des Wohnungsbaus in Barcelona zählen, herabgelassen werden, dahinter streicht der kühlende Wind an der Fassade entlang. Neben dem Klimakonzept ist auch die Konstruktion mit Holz aus dem Baskenland nachhaltig. Sie ist so konzipiert, dass die Querschnitte möglichst gering ausfallen. Gespart wurde auch bei den Geländern aus Stahlgeflecht, die ohne teure Schweißarbeiten mehrfach gekantet und dadurch stabil sind. Im gesamten Gebäude ist die Schichtung von Räumen ein zentraler Aspekt. Straßenraum, überdachter Patio und Innenhof gehen fließend ineinander über. Auch von außen wird deutlich, dass sich öffentliche und private Bereiche hier abwechseln. Das U-förmige Sockelgeschoss bietet Platz für Läden, im Untergeschoss ist ein Kino vorgesehen – das gab es schon früher auf dem Grundstück, und die Anwohnerschaft forderte wieder eines ein. Wann das von der Gemeinde betriebene Filmtheater allerdings die Gelder dafür zur Verfügung haben wird, ist offen. hw

304 ZU HAUSE IN DER STADT

Lageplan Maßstab 1:8000

28 85 geförderte Wohnungen Peris+Toral Arquitectes ○

305

aa

1 Kino (in Planung) 4 Zugang 2 Tiefgarage Wohnungen 3 Läden (in 5 Wohnung 60,44 m2 ­Planung)

Schnitt, Grundrisse Maßstab 1:750

5 5

6 6

7

6 Wohnung 83,70 m2 7 Wohnung 74,85 m2 8 Gemeinschaftsdachterrasse 8

7

3 3 4

a

a

4

a

8

a

8

3 3 1 1

Erdgeschoss

5. Obergeschoss

5 1 1

6

7

2 2

3

a

4

5

6

7

5

6

7

a 3

Untergeschoss

1.–4. Obergeschoss 1

306 ZU HAUSE IN DER STADT

3 3

Große Öffnungen verbinden alle Räume. in kleinere Einheiten unterteilen. So ist Sie lassen sich beliebig zusammenschal- für Privatheit und Gemeinschaftlichkeit ten oder bei Bedarf durch Schiebetüren gesorgt.

28 85 geförderte Wohnungen Peris+Toral Arquitectes ○

307

308 ZU HAUSE IN DER STADT

28 85 geförderte Wohnungen Peris+Toral Arquitectes ○

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Bauherr: Universitat Politècnica de Catalunya, CompactHabit, Constructora d’Aro Tragwerksplanung: DSM arquitectes Fertigstellung: 2015 Fläche: 3101 m2 Nutzung: Wohnen

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Carrer de Pere Serra 1, Sant Cugat del Vallès 🌐 unihabit.com/en/university-residencesant-cugat @unihabit #unihabit

dataAE, Harquitectes

Im Modul wohnen 57 Apartments für ­Studierende

Die überregional bekannte Escola Tècnica Superior d’Architectura del Vallès (ETSAV) hat ihren Sitz in Sant Cugat del Vallès, etwa zehn Kilometer nordwestlich von Barcelona. Eingebettet in die leicht hügelige Topografie liegt das Studentenwohnheim der ETSAV zwischen Universitätsgebäude und Bahntrasse. Die Anlage besteht aus zwei gegenüberliegenden zweigeschossigen Riegeln, deren Erschließung sich zur gemeinsamen Mitte hin orientiert. Der begrünte längliche Innenhof dient als zentraler Gemeinschafts- und Begegnungsraum für die Studierenden. Durch die Hanglage können beide Geschosse barrierefrei erschlossen werden, sodass keine Aufzüge notwendig sind. Der Neubau des Wohnheims geht auf einen Wettbewerb zurück, den die Universitat Politècnica de Catalunya (UPC) auslobte.

311

Voraussetzung für die Teilnahme war die Verwendung des modularen Betonfertigteilsystems eines spanischen Herstellers, das vorher ebenfalls ein Wettbewerbsverfahren durchlief. Als weitere Vorgabe musste der Schweizer Minergie-Standard eingehalten werden, der zur Bauzeit einem Heizwärmebedarf von maximal 38 kWh/m2a entsprach. Das siegreiche Team aus den beiden aus der Region stammenden Architekturbüros DataAE und Harquitectes nahm sich die Freiheit, die an den Stirnseiten offenen Betonboxen nach ihren Vorstellungen zu modifizieren. Zum einen wichen die Architekten von der Standardmodulgröße ab und wählten Maße von 5 x 11,2 Metern – die maximalen Abmessungen für den Lkw-Transport. Zum anderen verzichteten sie auf die vom Hersteller vorgesehenen Wand- und Bodenbeläge zugunsten roh belassener Oberflächen. Auf diese Weise reduzierten sie den Materialaufwand deutlich und setzten das eingesparte Budget für bessere Dämmung und Holzfenster ein. Auch architektonisch ist die rohe Optik beabsichtigt: Die Sichtbetonoberflächen von Wänden, Decken und Böden bilden gemeinsam mit dem schwarz beschichteten Sperrholz von Bad- und Kücheneinbauten einen ruhigen Hintergrund. So können sich die Studierenden die Räume aneignen und nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten. Die einzelnen Wohneinheiten sind etwa 40 Quadratmeter groß und werden jeweils von einer oder zwei Personen bewohnt. Bis auf das fest installierte Bad, an dessen Rückseite eine Küchenzeile mit offenen Regalen integriert ist, kann das Apartment frei möbliert werden. Für die Belegung mit zwei Personen haben die Architekten verschiedene Einrichtungsvarianten entwickelt. Der Vorteil der Modulweise liegt nicht nur in der kostengünstigen Herstellung und der kurzen Bauzeit von acht Monaten, sondern auch in der einfachen Demontage. Fast alle Bauteile können wiederverwendet werden. Auch die Fassaden sind in Trockenbauweise konzipiert. Während die Verkleidung der geschützten Laubengangseite das beschichtete Sperrholz der Innenräume aufgreift, erhielten die stärker wetterexponierten Außenwände eine robuste Haut aus Stahl. Kletterpflanzen, die an einem Stahlseilnetz hochranken, sorgen für ein besseres Mikroklima und lockern die repetitive Lochfassade auf. jl

312

ZU HAUSE IN DER STADT

Lageplan Maßstab 1:4000

1 Wohnheim 2 Architektur­ fakultät 2

1

29 57 Apartments für Studierende dataAE, Harquitectes ○

313

aa

bb

3 Waschküche 4 Technik

Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:750

5 Zugang Erdgeschoss 6 Rezeption 7 Zimmer

8

9

7

8 Zugang Obergeschoss 9 Fernseh zimmer

8 7 7

9

7

1. Obergeschoss

4

5

b

7 6

a

3

4

5

3

a

b 7 7

65

Erdgeschoss

314 ZU HAUSE IN DER STADT

a

3

b

3

a

29 57 Apartments für Studierende dataAE, Harquitectes ○

315

Bauherr: Institut Municipal de l’Habitatge Via Favència 348, Nou Barris i Rehabilitació, Ajuntament de Barcelona Tragwerksplanung: Boma, Robert Brufau Fertigstellung: 2011 Fläche: 8391 m2 Nutzung: Sozialwohnungen für Senioren

30

Pau Vidal, Sergi Pons, Ricard Galiana

Im Turm gut aufgehoben Seniorenwohnungen ­Torre Juliá

Gelb und grün leuchten die Farben der Torre Júlia hinter weißen Metallbändern hervor. Doch nicht nur durch seine Farbgebung macht der Wohnturm für Senioren und Seniorinnen auf sich aufmerksam, sondern auch durch seine Höhe. Mit 17 Geschossen ragt er aus der Stadtsilhouette empor und zieht schon von Weitem die Blicke auf sich. Von der angrenzenden Ringstraße aus erscheint der Turm wie eine kunstvoll gestaltete Landmarke. Dabei haben die Farben durchaus einen Sinn: Sie sollen den Bewohnerinnen und Bewohnern im Alltag die Orientierung erleichtern. So gibt es eine gelbe, eine hell- und eine dunkelgrüne Wohngruppe, die sich jeweils über vier oder fünf Geschosse verteilen. Zu jeder Einheit gehören eine Waschküche und ein zweigeschossiger Gemeinschaftsraum, der mit seinem großen Fenster auch in der Fassade sichtbar ist.

317

Die Grundrisskonzeption ist pragmatisch. In den Regelgeschossen liegen sechs Wohnungen beidseits eines kurzen, natürlich belichteten Flurs. Alle Einheiten haben zwei Zimmer, Wohnen zu zweit ist möglich. Die elektronisch gesteuerten Brandschutztüren an beiden Enden der Gänge stehen immer offen, sie geben Ausblicke auf die Stadt frei und ermöglichen in Kombination mit den Lüftungsflügeln neben den Wohnungstüren die Querlüftung bis in die Apartments. Um dunkle Erschließungsräume zu vermeiden, sind die Treppen nach außen an die Fassaden gesetzt. Der offene Treppenbereich wird so zur Aussichtsplattform, er fördert Begegnung und Kommunikation und animiert zu mehr Bewegung im Alltag. Neben den farbig gekennzeichneten Bereichen der Wohngruppen erleichtert ein eigens entwickeltes grafisches Leitsystem die Orientierung im Gebäude: Symbole in den Aufzügen sind eindeutig den Geschossen und Funktionsbereichen zugeordnet. Um eine menschliche Atmosphäre zu schaffen, verteilen sich abstrakte Silhouetten von Kindern und älteren Menschen locker über die Wände im Gebäude, während die in Retro-Ästhetik gemusterten Tapeten in den Gemeinschaftsräumen Vertrautheit vermitteln sollen. Allen Bewohnern steht ein Saal im Erdgeschoss offen sowie die große Terrasse auf dem Dach. Sie ist zum wichtigen Treffpunkt im Freien geworden mit wundervollen Blicken über die Stadt. Die winzige Parkanlage vor dem Haus hingegen ist weniger spektakulär, obwohl auch hier ältere Damen die Sonne genießen und den schrillen Pfiffen und Jubelrufen auf dem angrenzenden Fußballplatz lauschen. Manchmal gehen die freudvollen Rufe allerdings im Verkehrslärm der Ringstraße unter. Eine Treppe und eine recht steile Rampe, die für Menschen mit Rollatoren eher ungeeignet ist, führen von hier hinab zu einem Platz auf der straßenabgewandten Seite. Dort sollen Spielgeräte Kinder anlocken und Jung und Alt zusammentreffen lassen. Der sozialen und generationenübergreifenden Durchmischung dienen außerdem Gemeinschaftsflächen im Sockelgeschoss, die auch von der Nachbarschaft genutzt werden können. hw

318 ZU HAUSE IN DER STADT

Lageplan Maßstab 1:5000

1 Torre Júlia 2 Seniorenheim 3 Sportzentrum und Schwimmbad

3 2 1

30 Seniorenwohnungen Torre Juliá Pau Vidal, Sergi Pons, Ricard Galiana ○

319

Schnitt, Grundrisse Maßstab 1:500

4 Gemeinschaftsbereich Sockel (auch extern genutzt)

5 Empfang 6 Mehrzwecksaal 7 Leitung 8 Wohnung

9 Gemeinschaftsraum Wohngruppe 10 Waschküche

12 a

a

11 Trockenraum 12 Technik 13 Dachterrasse

13

12

7

Dachgeschoss 5 6 8 8

10 11

Erdgeschoss

8. Obergeschoss

8

8 9 4

7. Obergeschoss

8

Sockelgeschoss

320 ZU HAUSE IN DER STADT

2. Obergeschoss

Die unterschiedlichen Farben dienen auch als Leitsystem für die Senioren. Außerdem helfen die großen Lettern

mit den Geschosszahlen und scherenschnittartige Abbildungen von Kindern bei der Orientierung.

aa

30 Seniorenwohnungen Torre Juliá Pau Vidal, Sergi Pons, Ricard Galiana ○

321

322 ZU HAUSE IN DER STADT

30 Seniorenwohnungen Torre Juliá Pau Vidal, Sergi Pons, Ricard Galiana ○

323

Appendix

325

Architektinnen & Architekten AIA Activitats Arquitectòniques AFF Architekten

Plaça de Sant Pere 3 08003 Barcelona

🌐 aia.cat @aia.activitats.instal.lacions

8 ○

Arquitectura Anna Noguera

Carrer d’Aragó 224, 3º 1ª 08011 Barcelona

🌐 annanoguera.com @anna.noguera.arquitectura

3 ○

Arquitectura Produccions

Carrer de Santiago Rusiñol 9, baixos 08050 Barcelona

🌐 aproduccions.com @arquitecturaproduccions

27 ○

b720 Fermín Vázquez Arquitectos

Carrer de Calvet 55 08021 Barcelona

🌐 b720.com @b720arquitectos

1 ○ 16 ○

BAAS Arquitectura

Montserrat de Casanovas 105 08032 Barcelona

🌐 baas.cat @baasarquitectura

12 ○

Barceló Balanzó Arquitectes

Carrer del Camp 64 08022 Barcelona

🌐 bbarquitectes.com @bb_arquitectes

8 ○

Benedetta Tagliabue – EMBT ­Architects

Passatge de la Pau 10, bis pral. 08002 Barcelona

🌐 mirallestagliabue.com @embtarchitects

4 ○

dataAE

Carrer de Bailèn 28, 2º 1ª 08010 Barcelona

🌐 dataae.com

19 ○ 29 ○

Espinet / Ubach

Carrer del Camp 61, 1º 1ª 08022 Barcelona

🌐 espinet-ubach.com @espinetubach

18 ○

Estudio Herreros

Calle de Boix y Morer 6, 8º 28003 Madrid

🌐 estudioherreros.com @estudioherreros

25 ○

Eulia Arkitektura

Ulia 252 20013 Donostia-San Sebastian

🌐 eulia.eu @euliaarkitektura

21 ○

Flores & Prats Arquitectes

Carrer de Trafalgar 12, 3º 1ª 08010 Barcelona

🌐 floresprats.com @floresyprats

11 ○

Gustau Gili Galfetti

Carrer Princesa 16, 2°1 08003 Barcelona

🌐 gustaugili.com @gustaugiligalfetti

8 ○

Harquitectes

Carrer de Montserrat 22, 2º 2ª 08201 Sabadell

🌐 harquitectes.com #harquitectes

haz arquitectura

Carrer del Robí 33, bajos 1 08024 Barcelona

🌐 hazarquitectura.com @hazarquitectura_barcelona

JAAS

Passeig de Sant Joan 17–19, 2º 1ª 08010 Barcelona

🌐 jaas.cat @jaas_architects

14 ○

Javier Fernandez

Carrer Sant Emili 11 08960 Sant Just Desvern

🌐 j2j.es @j2jarchitects

3 ○

La Boqueria

Carrer de la Petxina 4, 1º 1ª 08001 Barcelona

🌐 laboqueria.net @laboqueriataller

24 ○

Lacol

Riera d’Escuder 38, 2º 1ª 08028 Barcelona

🌐 lacol.coop @lacolarq

2 ○ 23 ○ 24 ○

326

5 ○ 6 ○ 17 ○ 19 ○ 29 ○ 9 ○

Lola Domènech

Ronda de Sant Pere 58, 3 3a 08010 Barcelona

🌐 loladomenech.com @loladomenech_arqt

26 ○

Lussi Studio

Carrer de Pujades 251, local 08005 Barcelona

🌐 lussistudio.com @lussistudio

26 ○

MIM-A

Carrer del Camp 61, 4º 4ª 08022 Barcelona

🌐 mim-a.com

25 ○

Oliveras Boix Arquitectes

Carrer d’Ausiàs Marc 39, 2º B 08010 Barcelona

🌐 oliverasboix.com

13 ○

Pau Vidal

Carrer de Pere IV 29–35, 3º 5ª 08018 Barcelona

🌐 pauvidal.eu

27 ○ 30 ○

Peris+Toral Arquitectes

Carrer de Sant Antoni Abat 6, 2º 1ª 08001 Barcelona

🌐 peristoral.com

28 ○

Ricard Galiana – RGN Arquitectes

Carrer de Francisco Giner 22, local 2 08012 Barcelona

🌐 ricardgaliana.com @rgnarchitects

30 ○

Ricard Mercadé / Aurora Fernández arquitectes

Carrer de Ramon Turró ­100–104, 6º 6a 08005 Barcelona

🌐 mercadefernandez.com @mercadefernandez

15 ○

Roldán + Berengué

Carrer de Girona 37, 2ª 08010 Barcelona

🌐 roldanberengue.com @roldan.berengue

Sergi Godia Arquitecte

Carrer del Dr. Fleming 4, 12º 1ª 08017 Barcelona

🌐 sergigodia.net

sergi pons studio

Carrer del Penedés 1, bajos 08012 Barcelona

🌐 sergipons-studio.com

22 ○ 7 ○ 30 ○

Straddle3

Carrer Riereta 32, 1º 3ª 08001 Barcelona

🌐 straddle3.net @straddle3

21 ○

SUMO Arquitectes

Carrer d’Ausiàs Marc 26, 5º 52 08010 Barcelona

🌐 sumo-arquitectes.com @sumoarquitectes

20 ○

Vivas Arquitectos

Carrer de Ramón Turró 1­ 00–104, 4º 8ª 08005 Barcelona

🌐 vivasarquitectos.com @vivasarquitectos

27 ○

WMA – Willy Müller Architects

Ronda de Sant Pere 58, 2B 08010 Barcelona

🌐 willymullerarchitects.com

10 ○

Yaiza Terré

Carrer de l’Alzina 21 08024 Barcelona

🌐 yaizaterre.com @yaizaterre

21 ○

327

Impressum & Bildnachweis Herausgeber Autorinnen und Autoren Interviews Projektleitung Redaktionelle ­Mitarbeit Lektorat Gestaltung Zeichnungen Herstellung/DTP Reproduktion Druck und Bindung Papier

Heide Wessely, Sandra Hofmeister Sabine Drey (sd), Sandra Hofmeister, Rafael Goméz-Moriana (rgm), Frank Kaltenbach (fk), Lorenzo Kárász, Julia Liese (jl), Jelena Prokopljević, Heide Wessely (hw), Barbara Zettel (bz) Josep Ricart Ulldemolins, Anna Ramos, Carles Baiges und Eliseu Arrufat Heide Wessely Valerie D’Avis Sandra Leitte, Katrin Pollems-Braunfels strobo B M (Matthias Friederich, Luis Schneider, Julian von Klier) Lisa Hurler, Barbara Kissinger Roswitha Siegler Ludwig Media, AT–Zell am See Schleunungdruck GmbH, Markt Heidenfeld Munken Print White, 90g, vol 1,8

© 2023, erste Auflage DETAIL Business Information GmbH, München, detail.de ISBN 978-3-95553-605-3 (Print) ISBN 978-3-95553-606-0 (E-Book) Die für dieses Buch verwendeten FSC-­zertifizierten Papiere werden aus Fasern hergestellt, die nachweislich aus umwelt- und sozialverträglicher Herkunft stammen. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des N ­ achdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Zeichnungen, der Mikrover­filmung oder der Vervielfältigung auf ­anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, ­vorbehalten. Eine Verviel­ fältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der ­gesetzlichen Bestimmungen des ­Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich ­vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Die Inhalte dieses Buchs wurden nach bestem Wissen und G ­ ewissen sowie mit größter Sorgfalt recherchiert und ­erar­beitet. Für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Beiträge wird keine G ­ ewähr übernommen. Rechtliche Ansprüche können aus dem Inhalt dieses Buchs nicht abgeleitet werden. Bildnachweis Ajuntament de Barcelona, S. 40, S. 258 Ajuntament de Barcelona/ Bayer, Edu, S. 105 Ajuntament de Barcelona/ ­TAVISA, S. 84, S. 106, S. 109 Ajuntament de Barcelona/ Zambrano, Vincente, S. 44, Akazawa, Baku, S. 32, S. 35, S. 37, S. 247 oben Alamy Stock Photo, S. 12 Autor unbekannt/Historisches Bild, S. 176 Bujedo Aguirre, Iñigo, S. 228– 229, S. 300 Cardelús, David, S. 174, S. 177, S. 178 oben, S. 178 unten, S. 180–181 Comissió d’Activitats de Can Batlló, S. 160 Del Río Bani, S. 44 Duch, Enrich, S. 46, S. 49 oben, S. 49 unten, S. 50, S. 51, S. 52–53 Estévez Olaizola, Aitor, S. 216, S. 219 oben, S. 219 unten, S. 220 oben, S. 220 unten ETSAV–Uva, S. 268–269 Fons Quaderns d’Arquitectura i Urbanisme/Arxiu Històric del COAC, S. 297 García–Valdecantos, ­Álvaro, S. 35, S. 36, S. 38–39, S. 248, S. 256

328

García, Jordi – Fundació Mies van der Rohe, S. 200 García, Simón, S. 94, S. 97, S. 100–101, S. 126–127, S. 156, S. 182, S. 185, S. 187 oben, S. 187 unten Gómez Cuberes, Oriol, S. 260 Gómez-Moriana Rafael S. 106 unten Goula, Adriá, S. 60, S. 63, S. 64 oben, S. 64 unten, S. 66, S. 67, S. 74, S. 77, S. 78–79, S. 80, S. 82, S. 83, S. 87, S. 89, S. 90, S. 91, S. 92–93, S. 110, S. 113, S. 114, S. 115, S. 132, S. 135, S. 136 oben, S. 136 unten, S. 138, S. 139 oben, S. 139 unten, S. 140, S. 142, S. 143, S. 144 oben, S. 144 ­unten, S. 146, S. 147, S. 166, S. 168, S. 169, S. 170, S. 172, S. 173, S. 188, S. 193 oben, S. 193 unten, S. 194–195, S. 208, S. 211, S. 212 oben, S. 212 unten, S. 213, S. 214, S. 230, S. 233, S. 234 oben links, S. 234 oben rechts, S. 234 ­unten links, S. 234 ­unten rechts, S. 278, S. 281, S. 282, S. 283, S. 284, S. 285, S. 310, S. 313 oben, S. 313 unten, S. 315 oben, S. 315 unten, S. 316, S. 319, S. 321 oben, S. 321 unten Guerra, Fernando, S. 159 Harquitectes, S. 68, S.  72, S. 76, S. 190, S. 191

Hevia, José, S. 97, S. 98, S. 99, S. 130–131, S. 148, S. 151, S. 152, S. 153 oben, S. 153 unten, S. 154–155, S. 162, S. 224–225, S. 270, S. 273, S. 276, S. 277, S. 286, S. 289, S. 291, S. 292– 293, S. 294, S. 302, S. 305, S. 307 oben, S. 307 unten, S. 308, S. 309 Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació de Barcelona, S. 250–251 Lacol – Arquitectura cooperativa, S. 34, S. 244, S. 247 unten, S. 252, S. 255 Lau, Benjamin, S. 102 Loureiro, Ricardo, S. 116, S. 120 Malagamba, Duccio, S. 20–21, S. 24, S. 27, S. 28, S. 30–31, S. 54, S. 57, S. 58, S. 59, S. 106 Mas, Anna, S. 196 Metropoli, Bon Pastor, S. 297 Miralles, Lluc, S. 248 unten Nagy, Sebastien, S. 18–19 Pegenaute, Pedro, S. 202, S. 205, S. 206 Pericas, Anna, Escofet, S. 22–23 Roldán Berengué arqts., S. 242 Schuhmacher, Raoul, S. 11 Segura, Pepo – Fundació Mies van der Rohe, S. 128–129 Somorrostro. Crónica visual de un barrio olvidado, S. 105 Surroka, Jordi + del Río, Gael, S. 236, S. 239, S. 241, S. 243

Surroka, Jordi, S. 118, S. 119, S. 120 Suzuki, Hisao, S. 124–125 TerraMetrics, Kartendaten, S. 6, S. 16, S. 122, S. 222 Viladoms, Pol, S. 226–227 Villalba, Milena, S. 263, S. 264 oben, S. 264 unten, S. 267 oben, S. 267 unten Wessely, Heide, S. 164 Xavier Basiana, Jaume Orpinell. Can Batlló, 1997–1998 Fotografía a las sales de plata e impresión sobre papel 85 x 65 cm. Colección MACBA. Consorcio MACBA., S. 160 Allen, die durch ­Überlassung ihrer Bildvorlagen, durch ­Er­tei­­lung von Reproduktions­ erlaubnis und durch ­Auskünfte am Zustandekommen des ­Buches mitgeholfen haben, sagt der Verlag aufrichtigen Dank. Sämt­liche Zeichnungen in diesem Werk sind eigens ­angefertigt. Trotz intensiver ­Bemühungen konnten wir ­einige Urheber der Abbildungen nicht ermitteln, die Urheberrechte sind aber gewahrt. Wir bitten um dement­sprechende Nachricht.