BAND Alexander Rüstow: Ordnungspolitische Konzeption und Einfluss auf das wirtschaftspolitische Leitbild der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland 9783110504521, 9783828201132

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BAND Alexander Rüstow: Ordnungspolitische Konzeption und Einfluss auf das wirtschaftspolitische Leitbild der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland
 9783110504521, 9783828201132

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Biographisches
3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft
4. Die Entwicklung der deutschen Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze
5. Schlußbetrachtungen
Literaturverzeichnis

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Jan Hegner Alexander Rüstow - Ordnungspolitische Konzeption und Einfluß auf das wirtschaftspolitische Leitbild der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland

Marktwirtschaftliche

REFORMPOLITIK Schriftenreihe

der Aktionsgemeinschaft

Soziale Marktwirtschaft

Herausgegeben von

Rolf Hasse und Joachim Starbatty Bd. 4: Alexander Rüstow - Ordnungspolitische Konzeption und Einfluß auf das wirtschaftspolitische Leitbild der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland

N. F.

Alexander Rüstow Ordnungspolitische Konzeption und Einfluß auf das wirtschaftspolitische Leitbild der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland

von Jan Hegner

Lucius & Lucius • Stuttgart

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Alexander Rüstow - Ordnungspolitische Konzeption und Einfluß auf das wirtschaftspolitische Leitbild der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland / von Jan Hegner. - Stuttgart: Lucius und Lucius 2000 (Marktwirtschaftliche Reformpolitik ; N.F., Bd. 4) ISBN 3-8282-0113-X

© Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH • Stuttgart • 2000 Gerokstraße 51 • D-70184 Stuttgart Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Einband: Spiegel, Ulm Printed in Germany

Vorwort In der gegenwärtigen Standortdiskussion um die beste Wirtschaftspolitik zur Überwindung der krisenhaften Entwicklungen, beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt oder in den Systemen der sozialen Sicherung, wird in Deutschland immer wieder auf das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft verwiesen. Zuweilen ist es verblüffend, welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen von verschiedenen (politischen) Interessengruppen noch unter diesem Konzept subsumiert werden. Insofern erwächst die Notwendigkeit, kontinuierlich zu prüfen, welche Aussagen von den Vätern der Sozialen Marktwirtschaft ursprünglich einmal getroffen wurden und inwieweit aktuelle wirtschaftspolitische Maßnahmen im Einklang mit diesen stehen. Einer der führenden Persönlichkeiten, die sich um die Soziale Marktwirtschaft verdient gemacht haben, war Alexander Rüstow. Als Hochschullehrer und langjähriger Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft (ASM) hat er sowohl für die Entwicklung als auch für die Umsetzung des neoliberalen Konzepts einen erheblichen Beitrag geleistet. Wie umfangreich und vielschichtig ist sein Beitrag gewesen? Inwieweit deckt er sich mit den Aussagen anderer Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft? Was hat von seinen konzeptionellen Entwürfen im Zeitablauf Eingang in die deutsche Wirtschaftspolitik gefunden? Auf diese Fragen soll der vorliegende Band eine Antwort geben. Die Arbeit habe ich begleitend zu meiner Tätigkeit bei der ASM verfaßt. Während ihrer Entstehung erhielt ich von verschiedenen Seiten befruchtende Anregungen. An erster Stelle möchte ich Herrn Professor Dr. Dr.h.c.Joachim Starbatty nennen, den ich als Doktorvater und Vorsitzenden der ASM stets um fachlichen Rat sowie tätigkeitsbezogene Einschätzungen bitten konnte; darüber hinaus aber wurde mir im Laufe der Zeit auch seine Meinung in manchen persönlichen Belangen zunehmend wichtiger. Dafür danke ich ihm. Ferner möchte ich Herrn Professor Dr. Dr.h.c. Josef Molsberger nennen, der das Zweitgutachten erstellt hat, und dem ich wertvolle Anmerkungen und Anregungen verdanke. Besonderen Dank möchte ich an Frau Dr. Indira Gurbaxani richten, die als Freund auch stets Geduld für fachliche Gespräche aufbrachte. Mein weiterer Dank gilt Herrn Dr. Gunther Schnabl, mit dem ich seit dem Vordiplom den universitären Alltag geteilt habe. Auch danke ich Herrn PD Dr. Bernhard Duijm für eine Vielzahl von wissenschaftlichen Gesprächen. Mein besonderer Dank gilt der ASM und ihren Mitarbeitern. Aus diesem lebendigen Umfeld habe ich die Motivation genommen, mich immer wieder an diese Arbeit zu setzen; ohne die ASM wäre sie nicht entstanden. Zum Schluß danke ich meiner Familie, die mir — jeder auf seine Weise — die Kraft gab, den Doppelpack aus ASM und Dissertation zu tragen. Darin schließe

VI

Vorwort

ich Katrin Bernhard ein, die die Entstehung der Arbeit von Anfang an begleitet hat und mir während der Höhen und Tiefen stets Mut gemacht hat; ihr widme ich diese Arbeit.

Tübingen, im Juli 1999 Jan Hegner

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

Abkürzungsverzeichnis

XII

Tabellenverzeichnis

XIII

1. Einleitung

3

1.1. Problemstellung und Gang der Untersuchung

3

1.2. Der Neoliberalismus als geistesgeschichtlicher Hintergrund der Riistowschen Konzeption

6

1.2.1. Historische Entwicklungslinien des Neoliberalismus

6

1.2.2. Besonderheiten in den Konzepten des Ordoliberalismus und der Sozialen Marktwirtschaft

9

2. Biographisches

15

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

27

3.1. Die zentrale Bedeutung der .Ortsbestimmung der Gegenwart' (OdG) für Rüstows Welt- und Menschenbild

29

3.1.1. Fundament und Zielsetzung der OdG

29

3.1.2. Zwischen Herrschaft und FreiheitDie drei Bände der OdG

32

3.1.3. Rüstows Schlüsselbegriffe

34

3.1.3.1. Individuelle Freiheit 3.1.3.2. Überlagerungstheorie 3.1.3.3. Integrationslehre

34 36 38

VIII

Inhaltsverzeichnis

3.1.4. Kritik 3.2. Rüstows staats- und gesellschaftspolitische Konzeption

40 43

3.2.1. Die Subsidiarität als gesellschaftliches Organisationsprinzip

44

3.2.2. Der ,starke Staat' im neoliberalen Konzept

47

3.3. Rüstows vitalpolitische Konzeption

52

3.3.1. Die Vitalsituation und die Bedeutung der Eigenverantwortung bei der Gestaltung des sozialen Sicherungssystems

52

3.3.2. Startgerechtigkeit als Voraussetzung individueller Entfaltungsmöglichkeiten

58

3.3.2.1. Bildungspolitische Vorstellungen 3.3.2.2. Vermögenspolitische Vorstellungen 3.3.3. Die Bedeutung des Lebensumfeldes für das individuelle Wohlbefinden 3.3.3.1. Siedlungspolitische Vorstellungen 3.3.3.2. Familienpolitische Vorstellungen 3.3.4. Betriebliche Solidarität 3.4. Wirtschaftspolitische Grundpositionen 3.4.1. Marktmacht: Entstehung, Schädlichkeit und Regulierungsansätze 3.4.1.1. Antimonopolpolitik 3.4.1.2. Liberale Intervention 3.4.1.3. Wettbewerbsorientierte Rahmenbedingungen

59 60 62 63 66 66 69 69 69 71 73

3.4.2. Geld- und währungspolitische Grundsätze

76

3.4.3. Außenwirtschaftliche Freiheit und Europäische Integration

77

3.5. Die konzeptionellen Ansätze Rüstows

83

3.5.1. Resümee der Rüstowschen Positionen

83

3.5.2. Kritik an den konzeptionellen Ansätzen Rüstows

85

IX

Inhaltsverzeichnis

4. Die Entwicklung der deutschen Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze 4.1. Subsidiarität

93 94

4.1.1. Subsidiäre Verantwortung des Staates und die Gestaltung der Wirtschaftsordnung in Deutschland 4.1.1.1. Die Ableitung von Staatsaufgaben aus der deutschen Rechtsordnung 4.1.1.2. Der Staat als Anbieter privater Güter und Dienstleistungen 4.1.1.3. Subsidiarität und die Kompetenzen der Gebietskörperschaften 4.1.2. Subsidiarität und materielle SicherheitEin Grundsatz und seine Umsetzung 4.1.2.1. Der Staat und seine Einflußnahme auf die Gestaltung der sozialen Sicherung 4.1.2.2. Bedürftigkeit und Nachrangigkeit als Operationalisierung der Subsidiarität 4.1.2.3. Das Kindergeld unter Berücksichtigung Rüstowscher Prinzipien 4.2. Leistungsgerechtigkeit und Umverteilung in dem System der sozialen Sicherung 4.2.1. Realisierung des Äquivalenzprinzips in der sozialen Sicherung 4.2.1.1. Die Bedeutung der Äquivalenz bei der Ausweitung der Leistungsbreite in der deutschen Sozialversicherung 4.2.1.1.1. Die Ausweitung bezugsberechtigter Personenkreise bei gegebener Leistungsbreite 4.2.1.1.2. Die Ausweitung der Leistungsbreite bei gegebenem Personenkreis

94 94 99 102 106 108 112 117

120 121

122

122

125

4.2.1.2. Die Wahlfreiheit als Ausdruck praktizierter Äquivalenz

128

X

Inhaltsverzeichnis

4.2.1.2.1. Die Kostendämpfungspolitik der 70er Jahre Eine Bewertung aus der Sicht Rüstows 4.2.1.2.2. Reformansätze nach dem politischen Wechsel von 1982 - Eine Bewertung aus der Sicht Rüstows 4.2.2. Die Bedeutung einer systematischen Entscheidungsgrundlage für die Gestaltung einer effizienten sozialen Sicherung 4.2.2.1. Die Forderung nach einem Sozialplan 4.2.2.2. Die mangelnde Informationsleistung des Sozialbudgets als eine Ursache für Inkonsistenzen in der praktizierten Sozialpolitik 4.3. Nachhaltigkeit und innere Geschlossenheit in der Wirtschaftspolitik 4.3.1. Die ,liberalen Interventionen' als Maßstab für die Praxis der Subventionsvergabe in Deutschland 4.3.1.1. Art und Ausmaß der Subventionen in Deutschland 4.3.1.2. Wettbewerbsverzerrungen als Folge dauerhafter Subventionszahlungen 4.3.2. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen als Umsetzung der wettbewerbspolitischen Vorstellungen Rüstows 4.3.2.1. Die Entwicklung des GWB unter Berücksichtigung Rüstowscher Grundsätze 4.3.2.2. Das GWB und der Einfluß europäischer Wettbewerbsvorstellungen

129

131

135 137

143

147

147 150 154

158

159 165

Inhaltsverzeichnis 5. S c h l u ß b e t r a c h t u n g e n

XI 169

5.1. Begrenzte Berücksichtigung der Rüstowschen Grundsätze

169

5.2. Die Fehlentwicklungen - Ansätze zur Erklärung

173

5.3. Was kann uns Rüstow heute sagen?

177

Literaturverzeichnis

179

Abkürzungsverzeichnis AEU ALV Art. ASM Az. BAföG BGBl. BIP BSHG BVerfGE BvS et al. EG EWG FAZ FLA Gestapo GG GKV GRG GRV GSG GSv GUV GWB HStrukG IW KVEG KVKG NL OdG ORDO SV SVR THA UNESCO VDMA

Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer Arb eitslo s enver sicher ung Artikel Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e.V Aktenzeichen Bundesausbildungsförderungsgesetz Bundesgesetzblatt Bruttoinlandsprodukt Bundessozialhilfegesetz Bundesverfassungsgerichtsentscheid Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben et alii Europäische Gemeinschaft Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Frankfurter Allgemeine Zeitung Familienlastenausgleich Geheime Staatspolizei Grundgesetz Gesetzliche Krankenversicherung Gesundheitsreformgesetz Gesetzliche Rentenversicherung Gesundheitsstrukturgesetz Gebiet der Sozialversicherung Gesetzliche Unfallversicherung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung Haushaltstrukturgesetz Institut der deutschen Wirtschaft Köln Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz Nachlaß Ortsbestimmung der Gegenwart Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Sozialversicherung Sachverständigenrat Treuhandanstalt United Nations Educational, Scientific, and Cultural Organization Verein Deutscher Maschinenbauanstalten

Tabellenverzeichnis Tabelle

Tabelle

I: Staatsquote und Staatsverschuldung in der Bundesrepublik Deutschland II:

Sozialbudget für die Bundesrepublik Deutschland

Tabelle III:

Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland

B r a u c h s t Du eine hilfreiche Hand, so suche sie z u n ä c h s t a m Ende Deines rechten A r m e s (Ein von Alexander Rüstow gerne verwendetes Bonmot)

1. Einleitung 1.1. Problemstellung und Gang der Untersuchung Die gegenwärtige wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik Deutschland zeigt ein ambivalentes Bild: Einerseits leben weite Teile der Bevölkerung in einem hohen Wohlstandsniveau, andererseits bestehen etwa auf dem Arbeitsmarkt, im System der sozialen Sicherung oder in der Landwirtschaft erhebliche strukturelle Defizite, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit stark belasten. Verschiedene Reformansätze, die sowohl in den letzten Jahren der bürgerlichen Koalition als auch zu Beginn der rot-grünen Koalition im Anschluß an die Bundestagswahlen vom Herbst 1998 unternommen wurden, haben im Hinblick auf eine wirkliche konzeptionelle Neuausrichtung keine nachhaltigen Verbesserungen zur Folge gehabt. Diese Situation läßt sich mit einer Äußerung von Alexander Rüstow, einem bedeutenden Soziologen und Nationalökonomen des 20. Jahrhunderts, beschreiben: „Politik ist die Kunst des Möglichen. Dieser Ausspruch gilt nur für die (...) Politik des Von-Tag-zu-Tag-Weiterwursteins. (...) Große Politik ist die Politik des Unmöglichen, nämlich die Politik, die das scheinbar Unmögliche möglich macht." 1 Aus diesen Worten spricht ein starker Reformwille; ein solcher ist notwendig, um Krisensituationen zu überwinden. Mit dieser Uberzeugung hat Alexander Rüstow als einer der ersten Wissenschaftler bereits 1932 - unter dem Eindruck der andauernden Wirtschaftskrise der Weimarer Republik stehend — eine vollständige Abkehr von der interventionistischen Wirtschaftspolitik des Staates gefordert. 2 Einen solchen Kurswechsel bezog er nicht nur auf die wirtschaftspolitischen Aktivitäten. Vielmehr verlangte er einen grundlegenden Bewußtseinswandel im Hinblick auf das Staatsverständnis, einschließlich einer konsequenten Neufassung staatlicher Aufgaben- und Verantwortungsbereiche. Im Gegensatz zur Weimarer Realität forderte Rüstow die Konzentration staatlicher Aktivitäten auf eine ordnende Funktion des wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Rahmens. Mit der Beschränkung der Staatsaufgaben und der Durchsetzung des Wettbewerbsprinzips als dem grundlegenden marktwirtschaftlichen Koordinationsmechanismus zielte er nach dem Vorbild des politischen Liberalismus auf eine Stärkung der individuellen Entscheidungs- und Handlungsspielräume. Auf Grund dieser konzeptionellen Initialzündung wird Rüstow heute neben anderen — wie beispielsweise Walter Eucken, Wilhelm Röpke, Alfred Müller-Armack, Franz Böhm und 1 2

Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 116f. Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft — Starker Staat, S. 62ff.; im gleichen Jahr veröffentlichte Walter Eucken mit gleicher Intention seinen Aufsatz: Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis des Kapitalismus, S. 297ff.

4

1. Einleitung

Ludwig Erhard — zu den Gründungsvätern des Neoliberalismus gezählt, an dessen Entwicklung er seit Beginn der 30er Jahre in entscheidender Weise mitgewirkt hat. Während der Weimarer Republik hatte er sich in den volkswirtschaftlichen Grundsatzreferaten des Reichswirtschaftsministeriums sowie des Vereins Deutscher Maschinenbauanstalten wirtschaftspolitisches Renommee erworben, das in liberalen Kreisen von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft große Beachtung fand. Zu Beginn der 30er Jahre trat er mit seinem an Freiheit und Wettbewerb orientierten Ansatz mehr und mehr in Opposition zu der offiziellen Politik, so daß er sich 1933 entschloß, Deutschland zu verlassen. Nach seiner Rückkehr aus dem Exil 1949 hat er in der jungen Bundesrepublik Deutschland als Professor und Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft auf dem Wege der Politikberatung versucht, Einfluß auf die Gestaltung der Sozialen Marktwirtschaft zu nehmen. In Form der von ihm geprägten ,Vitalpolitik' stand dabei die Gestaltung des sozialen Umfelds eines jeden Bürgers im Mittelpunkt seines Wirkens. Wendet man den Blick wieder in die Gegenwart, so zeigt sich, daß die strukturellen Verwerfungen vor allem in solchen Wirtschaftsbereichen auftreten, die dem wettbewerblichen Allokationsprozeß am meisten entzogen sind. Dieser Zustand deckt sich nicht mit der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Vision, deren Umsetzung Rüstow seit Anfang der 30er Jahre angestrebt hat. Vor diesem Hintergrund wird mit der vorliegenden Arbeit die Frage beantwortet, inwieweit Rüstows Analysen und konzeptionellen Vorschläge Einfluß auf das wirtschaftspolitische Leitbild in Deutschland genommen haben. Die Untersuchungen konzentrieren sich dabei auf das wirtschaftspolitische Werk Rüstows; als Teil seines Weltbildes bündelt dies die Grundsätze, deren Realisierung aus seiner Sicht eine gleichermaßen dauerhafte, effiziente und gerechte materielle Versorgung der Bevölkerung gewährleistet. Die zu Grunde liegenden Prinzipien verkörpern dabei die praktische Anwendung seiner Forschungsergebnisse, deren interdisziplinärer Ansatz weit über wirtschaftswissenschaftliche Fragestellungen hinausgeht. Am Beginn der Untersuchung steht in Kapitel 2 die Darstellung der Person Rüstows. Der biographische Teil der Arbeit zeichnet das Bild eines Universalgelehrten, der über eine lebenslange Auseinandersetzung mit seiner Umwelt eigene Anschauungen weiterentwickelt und schließlich eine Position findet, die er mit leidenschaftlicher Überzeugung zu vermitteln sucht. Das 3. Kapitel faßt Rüstows Positionen zu verschiedenen staats-, gesellschaftsund wirtschaftspolitischen Fragestellungen zusammen. Im Mittelpunkt seiner Gesellschaftsvision steht der in Freiheit und Selbstbestimmung lebende Mensch. Umgeben wird er von einer Gemeinschaft, die ihm gleichermaßen Inhalt, Raum und Geborgenheit vermittelt. Dieses Welt- und Menschenbild ist aus den interdisziplinären Forschungen Rüstows erwachsen, die er in seinem opus magnum, der .Ortsbestimmung der Gegenwart', zusammengetragen hat. Zur Kennzeich-

1.1. Problemstellung und Gang der Untersuchung

5

nung des Hintergrundes, vor dem Rüstow seine Konzeption erarbeitet hat, wird zu Beginn des Kapitels die zentrale Bedeutung des Werkes gewürdigt. Besonderen Raum nimmt dabei die Vitalpolitik ein, in der Rüstow die vielschichtigen Einflüsse, die das individuelle Wohlbefinden prägen, zu erfassen sucht. Die Analyse legt Grundsätze offen, die immer Anwendung finden und somit das Fundament der Rüstowschen Konzeption bilden: Es sind die Prinzipien der Subsidiarität, der Leistungsgerechtigkeit sowie der inneren Geschlossenheit. Zum Schluß des Kapitels wird der Versuch unternommen, sowohl das geistesgeschichtliche als auch das persönliche Umfeld, in dem Rüstow sein wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Gedankengut entwickelt hat, zu analysieren. Da zu den wirtschaftspolitischen Einschätzungen Rüstows kaum Sekundärliteratur existiert, wurde das Kapitel 3 im wesentlichen auf der Grundlage seiner Veröffentlichungen erarbeitet. Die Analyse der Primärquellen wurde durch eine Auswertung des Rüstowschen Nachlasses, der im Bundesarchiv (Koblenz) zugänglich ist, ergänzt. Die herausgearbeiteten Grundsätze der Subsidiarität, der Leistungsgerechtigkeit sowie der inneren Geschlossenheit dienen in Kapitel 4 als Maßstab. An ihnen wird die Entwicklung wesentlicher Teile von Wirtschafts- und Sozialpolitik bis in die Gegenwart daraufhin überprüft, ob und inwieweit die Rüstowschen Vorgaben berücksichtigt wurden. Diese Bewertung wird exemplarisch an repräsentativen Themen durchgeführt, deren Auswahl sich auf folgende Kriterien stützt: — Die Bedeutung, die der dargestellte Bereich in der Konzeption Rüstows einnimmt, — die Relevanz, die dem behandelten Bereich in der Gegenwart zufällt sowie — das Ausmaß an aktueller Reformbedürftigkeit. Die hervorgehobene Behandlung sozialpolitischer und wettbewerbsorientierter Aspekte in Kapitel 4 spiegelt die besondere Bedeutung wider, die Rüstow diesen beiden Themenbereichen beigemessen hat. Nach dem Vergleich zwischen der Konzeption Rüstows und dem realen Verlauf der Wirtschaftspolitik in 50 Jahren Sozialer Marktwirtschaft werden im 5. Kapitel ,Werk und Wirken' Rüstows zusammenfassend bewertet. Bevor jedoch die eigentliche Anylyse des Rüstowschen Werkes beginnt, werden in dem folgenden Abschnitt die Zusammenhänge und Unterschiede in den Konzepten des Neoliberalismus, des Ordoliberaüsmus und der Sozialen Marktwirtschaft aufgezeigt, wobei sich die Darstellung auf die Grundzüge beschränkt. Ziel dieses Kapitels ist es, Personen und gedankliche Strömungen zu beschreiben, in deren Umfeld Rüstow seine Forschungen betrieben hat.

1.2. Der N e o l i b e r a l i s m u s a l s g e i s t e s g e s c h i c h t l i c h e r

Hintergund

der Rüstowschen Konzeption 1.2.1. Historische Entwicklungslinien des Neoliberalismus

Der wirtschaftliche Liberalismus folgte einem Leitbild, in dessen Mittelpunkt der freie Bürger stand. Als Gegenreaktion auf den protektionistischen Merkantilismus3 waren die Vertreter des Liberalismus bestrebt, die Macht des Staates zu beschränken 4 und hielten aus diesem Grund die Einschränkung der staatlichen Aktivitäten auf ein notwendiges Minimum für geboten. Dazu gehörte nach liberaler Auffassung die Sicherung verfassungsverbriefter Grundrechte, die Sicherung des äußeren und inneren Friedens sowie die Gewährleistung der Rechtssicherheit.5 Der Liberalismus war von der Vorstellung geleitet, daß das Gewähren von individuellen Freiheiten, verbunden mit der Übertragung von Verantwortung und Pflichten, dazu führe, daß die Bürger ihre individuellen Prioritäten setzen und ihr Eigeninteresse zu realisieren suchen würden. Entscheidend bei dieser Auffassung war die Uberzeugung, daß eine verantwortungsvolle Realisierung des Eigennutzes gleichzeitig auch das Gemeinwohl fördere und so den Wohlstand insgesamt mehre. 6 Dies gelte allerdings nur dann, wenn das Wirtschaftssystem marktwirtschaftlich organisiert sei und über die Gewährung von Eigentumsrechten arbeitsteilig und somit effizient funktionieren könne.7 Die Gestaltung der Wirtschaftsordnung wurde dabei nicht als staatliche Aufgabe angesehen. 8 Mangels einer funktionierenden Wettbewerbsordnung kam es deshalb im Verlaufe des späten 18. und des 19. Jahrhunderts zu wirtschaftlichen und sozialen Fehlentwicklungen, 9 die die entscheidenden Schwächen des Wirtschaftsliberalismus deutlich machten: „Die Freiheit, welche der Rechtsstaat garantieren wollte, wurde faktisch durch wirtschaftliche Machtbildung bedroht. Arbeitnehmer wurden von Arbeitgebern, Konsumenten von Monopolisten, Händler von Konzernen und Kartellen abhängig". 10 Mit der sich aus der Machtkonzentration ableitenden fak3 4 5

6 7 8 9 10

Vgl. Boelcke, Willi Alfred: Liberalismus, S. 41. Vgl. Besters, Hans: Neoliberalismus, S. 107f. Vgl. Mises, Ludwig von: Liberalismus, S. 597; Besters, Hans: Neoliberalismus, S. 111. Mit dieser Zielsetzung ist der Liberalismus ein abendländisches Phänomen, das mit seiner Auffassung von Freiheit und individueller Selbstbestimmung mit seinen Wurzeln bis in die Antike zurückreicht; vgl. Dörge, Friedrich-Wilhelm: Menschenbild und Institution in der Idee des Wirtschaftsliberalismus, S. 96. Vgl. Mises, Ludwig von: Liberalismus, S. 597. Vgl. Mises, Ludwig von: Liberalismus, S. 596. Vgl. Eucken, Walter: Die Wettbewerbsordnung und ihre Verwirklichung, S. 3f. Vgl. Boelcke, Willi Alfred: Liberalismus, S. 44. Eucken, Walter: Die Wettbewerbsordnung und ihre Verwirklichung, S. 4.

1.2. Geistesgeschichtlicher Hintergrund

7

tischen Entrechtung breiter Bevölkerungsschichten ging der Neoliberalismus hart ins Gericht. Um die Fehlentwicklungen des wirtschaftlichen Liberalismus zu vermeiden, 11 entwarfen die neoliberalen Wissenschaftler eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die sich insbesondere im Hinblick auf die staatlichen Verantwortlichkeiten entscheidend vom Liberalismus absetzte; nach wie vor zentrales Element war jedoch die Freiheit und Selbstbestimmung des Individuums sowie eine verkehrswirtschaftliche Marktsteuerung. Die unter dem Oberbegriff Neoliberalismus subsumierten Konzepte und Persönlichkeiten unterscheiden sich nicht in ihren grundsätzlichen Auffassungen; vielmehr bestehen Nuancen bei der Frage nach dem Umfang staatlicher Aufgaben und Verantwortungen sowie den daraus resultierenden Interventionsmöglichkeiten. 12 Zwar gibt es keine allgemeingültige Theorie des Neoliberalismus,13 gleichwohl gründen die verschiedenen neoliberalen Positionen auf der gemeinsamen Überzeugung, daß der Freiheit, dem Eigentum und dem Wettbewerb eine überwirtschaftliche Bedeutung zufallen. 14 Da den Neoliberalen eine freiheitliche Wettbewerbsordnung als einzige Möglichkeit gilt, ein gleichermaßen menschenwürdiges und effizientes Wirtschaften zu ermöglichen,15 wird diese von ihnen zum allgemeinen Ordnungsprinzip erhoben.16 Aufgabe des Staates ist es, die positiven, gestalterischen Merkmale der Wettbewerbsordnung in den Dienst der neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu stellen und unter allen Umständen zu erhalten.17 Innerhalb der neoliberalen Denkrichtung lassen sich verschiedene Schulen unterscheiden; Behlke beispielsweise unterscheidet die London School of Economics (Lionel Robbins, Edwin Cannan, Th. Gregory, F.C. Benham, u.a.m.), die (emigrierte) Wiener Schule (Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek, Gottfried von Haberler, Fritz Machlup u.a.m.), die Chicagoer Gruppe (Milton 11

12

13

14 15 16

17

Dazu zählt Becker im wesentlichen die Passivität des liberalen .Nachtwächterstaates', den wuchernden Gruppeninterventionismus und die unkontrollierte Monopolbildung; vgl. Becker, Helmut Paul: Der Neoliberalismus. Entstehungsgeschichte, Zusammenarbeit, Gruppen und Richtungsunterschiede, S. 43. Vgl. Muthesius, Volkmar: Die Liberalen haben keinen Papst, FAZ Nr. 226 vom 30.9.1957, S. 11. Vgl. Becker, Helmut Paul: Der Neoliberalismus. Entstehungsgeschichte, Zusammenarbeit, Gruppen und Richtungsunterschiede, S. 38; in diesem Sinne auch Dörge, Friedrich-Wilhelm: Bericht über einführende Literatur zur neuliberalen Wirtschaftspolitik, S. 206. Vgl. Boelcke, Willi Alfred: Liberalismus, S. 45. Vgl. Holzwarth, Fritz: Ordnung der Wirtschaft durch Wettbewerb, S. 10. Vgl. Thieme, H. Jörg: Soziale Marktwirtschaft - Ordnungskonzeption und wirtschaftspolitische Gestaltung, S. 17. Vgl. Miksch, Leonhard: Wettbewerb und Wirtschaftsverfassung, S. 178.

8

1. Einleitung

Friedman, Henry C. Simons, G. Stigler, F.H. Knight u.a.m.) sowie die kontinentale Gruppe (Walter Eucken und Franz Böhm, Wilhelm Röpke, Alfred Müller-Armack, Ludwig Erhard und Alexander Rüstow),18 wobei die Leitlinien des Neoliberalismus maßgeblich von der (emigrierten) Wiener Schule und von der Chicagoer Schule erarbeitet wurden. 19 Die Vertreter der kontinentalen Gruppe kann man in Anlehnung an Tuchtfeldt auch als den gesellschaftlich orientierten Varianten' des Neoliberalismus zugehörig bezeichnen und sie von den ,individualistisch orientierten Varianten' unterscheiden; in dieser Unterteilung wären die drei zuerst genannten Gruppen (London, Chicago und Wien) den .individualistisch orientierten Varianten' zuzuordnen. 20 Für diese .gesellschaftlich orientierten Varianten' ist kennzeichnend, daß sie eine besondere Verpflichtung der Gemeinschaft für diejenigen ihrer Mitglieder anerkennen, die unverschuldet in eine Notlage gelangt und folglich durch die Solidarität der Gemeinschaft aufzufangen sind.21 Akzeptiert man die .gesellschaftlich orientierten Varianten' des Neoliberalismus als Oberbegriff, so läßt sich eine weitere Unterteilung der Konzepte vornehmen. Dies sind im einzelnen der Ordoüberalismus 22 (auch Freiburger Schule; Walter Eucken, Franz Böhm, Hans Großmann-Doerth), der soziologische Neoliberalismus 23 (Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow) und die Soziale Marktwirtschaft

18

19 20 21 22

23

Vgl. Behlke, Reinhard: Der Neoliberalismus und die Gestaltung der Wirtschaftsverfassung in der Bundesrepublik, S. 38ff. Vgl. Besters, Hans: Neoliberalismus, S. 114. Vgl. Tuchtfeldt, Egon: Varianten des Liberalismus, S. 2. Vgl. Besters, Hans: Neoliberalismus, S. 112. In der Regel wird in diesem Kontext der Ordoliberalismus mit der Freiburger Schule gleichgesetzt, als deren Begründer eben Walter Eucken, Franz Böhm, Hans GroßmannDoerth angesehen werden. Vgl. dazu etwa Becker, Helmut Paul: Der Neoliberalismus. Entstehungsgeschichte, Zusammenarbeit, Gruppen und Richtungsunterschiede, S. 43 f. Der Begriff des soziologischen Neoliberalismus geht letztlich auf Wilhelm Röpke zurück. Vgl. Röpke, Wilhelm: Civitas Humana, 1949, S. 51. und 91f., Anm. 7. Diese soziologische Ausrichtung des Neoliberalismus wird in der Literatur zum Teil auch als Wirtschafts- und Sozialhumanismus bezeichnet, so etwa bei Tuchtfeldt Egon: Varianten des Liberalismus, S. 2. Diese soziologische Ausrichtung, die auch bei Alfred Müller-Armack von großer Bedeutung ist, ergibt sich aus den Forschungsschwerpunkten der ihr zugeordneten Denker. Allerdings wird in diesem Zusammenhang Alfred Müller-Armack deshalb nicht dem soziologischen Neoliberalismus zugeordnet, weil er mit der Wortschöpfung .Soziale Marktwirtschaft' diese Richtung in entscheidendem Maße mitgeprägt hat; vgl. Müller-Armack, Alfred: Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft (1946), S. 20, 78ff.; in: ders: Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik, 1966. In dieser Unterteilung ähnlich auch Tuchtfeldt, Egon: Soziale Marktwirtschaft als ordnungspolitisches Konzept, S. 3f.

1.2. Geistesgeschichtlicher Hintergrund

9

(Ludwig Erhard, Alfred Müller-Armack). Der zu der kontinentalen Gruppe gehörende Ordoliberalismus kann darüber hinaus - etwas verkürzt - als deutsche Ausprägung des Neoliberalismus angesehen werden.24 Ihm liegt das am weitesten entwickelte und ein in sich geschlossenes theoretisches Modell zugrunde. 25 Dieser Variante nahestehend ist das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft, 26 deren Vertreter allerdings nicht eindeutig und ausschließlich dem einen oder dem anderen Konzept zuzuordnen sind. Insgesamt kann diese Einteilung nur eingedenk des Umstandes erfolgen, daß diese verschiedenen Varianten bei grundsätzlich gleicher Zielrichtung lediglich unterschiedliche Schwerpunkte haben und daß sich deren Denker gegenseitig beeinflußt haben.27 Letztlich bestimmen persönliche Forschungsschwerpunkte und Einstellungen und nicht inhaltliche Differenzen die jeweilige Zuordnung dieser Vertreter der kontinentalen Gruppe. 28

1.2.2. Besonderheiten in den Konzepten des Ordoliberalismus und der Sozialen Marktwirtschaft

Die Protagonisten der Freiburger Schule forcierten durch ihre Arbeiten die Entwicklung des neoliberalen Gedankenguts und bündelten es in einem in sich geschlossenen Konzept.29 Durch diese Leistung begründete die Freiburger Schule den Ordoliberalismus, mit dem sie in der Regel gleichgesetzt wird. Die Wissenschaftler der Freiburger Schule haben ihre Forschungen insbesondere auf die Entwicklung, die Möglichkeiten der Implementierung und die notwendigen Maßnahmen zum Schutze einer Wettbewerbsordnung konzentriert. Dazu gehören auch Fragen, wie die Machtverteilung in einer freien Gesellschaft zu ordnen und der Machtmißbrauch zu kontrollieren sei, auf welche Weise Märkte koordiniert werden können und wie Ordnungsstörungen systemimmanent vermieden bzw.

24 25 26

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28

29

Vgl. Starbatty, Joachim: Ordoliberalismus, S. 191. Vgl. Giersch, Herbert: Allgemeine Wirtschaftspolitik, S. 182. Vgl. Besters, Hans: Neoliberalismus, S. 114; Thieme, H. Jörg: Soziale Marktwirtschaft Ordnungskonzeption und wirtschaftspolitische Gestaltung, S. 16. Vgl. Tuchtfeldt, Egon: Varianten des Liberalismus, S. 2. Becker unternimmt eine andere Einteilung und ordnet Alfred Müller-Armack dem soziologischen Neoliberalismus zu; vgl. Becker, Helmut Paul: Der Neoliberalismus. Entstehungsgeschichte, Zusammenarbeit, Gruppen und Richtungsunterschiede, S. 44f. Vgl. Starbatty, Joachim: Soziale Marktwirtschaft als Forschungsgegenstand-Ein Literaturbericht, S. 6. Vgl. Becker, Helmut Paul: Der Neoliberalismus. Entstehungsgeschichte, Zusammenarbeit, Gruppen und Richtungsunterschiede, S. 43.

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1. E i n l e i t u n g

beseitigt werden können.30 Diese Fragen wurden in der Überzeugung gestellt, daß es eine Interdependenz zwischen den einzelnen wirtschaftspolitischen Bereichen gebe. Demnach müsse eine Wirtschaftspolitik in sich geschlossen betrieben werden und habe in erster Linie Wirtschaftsordnungspolitik zu sein. Daraus läßt sich im Hinblick auf die Verwirklichung sozialer Zielsetzungen ableiten, daß der Ordoliberalismus von einer weitgehenden Identität der Ordnungspolitik und der Sozialpolitik ausgeht.31 Eine wettbewerbliche Wirtschaftsordnung ist aus sich heraus sozial, weil sie jedem Wirtschaftssubjekt die Chance gibt, sich am Markt zu bewähren. Ist es im Einzelfall aus unverschuldeten Gründen nicht möglich, in den Wettbewerbsprozeß einzutreten, so generiert diese Wirtschaftsform auf Grund ihrer Effizienz ausreichend Überschüsse, mit denen individuelle Nodagen durch die Gemeinschaft aufgefangen werden können. Unter den neoliberalen Konzeptionen ist der Ordoliberalismus als eine konsistente und in sich geschlossene Variante anzusehen.32 Das Konzept ist als (wirtschafts-) politische Handlungsanweisung gedacht, die durch die Politik zu beachten sei.33 Die Soziale Marktwirtschaft entspricht dem wirtschaftspolitischen Leitbild der Bundesrepublik Deutschland für die Zeit nach der Wirtschafts- und Währungsreform von 1948. Dabei wird sie verkürzt als praktische Umsetzung des Ordoliberalismus aufgefaßt.34 Dies stimmt jedoch nur zum Teil. Zwar baut sie auf den ordnungstheoretischen Analysen der Freiburger Schule auf; dennoch bestehen — weniger prinzipielle, als vielmehr graduelle — Unterschiede hinsichtlich des wirtschaftspolitischen Instrumentariums, also der Art und des Umfangs staatlicher Interventionsmöglichkeiten. Während die von Walter Eucken entwickelten konstituierenden und regulierenden Prinzipien darauf gerichtet sind, staatliche Eingriffe in den Wirtschaftsablauf so gering wie möglich zu halten, strebt Alfred Müller-Armack „... keine sich selbst überlassene, liberale Marktwirtschaft, sondern eine bewußt gesteuerte, und zwar sozial gesteuerte Marktwirtschaft" an.35 Dies gilt zum einen im Hinblick auf den Umfang der sozialpolitischen Ziele und der daraus folgenden Ausgestaltung der Sozialpolitik. Auch in der Sozialen Marktwirtschaft wird die Wettbewerbsordnung als Grundlage angesehen, die den sozialen Fortschritt überhaupt erst zu erwirtschaften in der Lage ist. Dennoch bestehen für den Staat zusätzliche, verteilungspolitisch motivierte Aufgaben, die

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Vgl. Böhm, Franz: Die Forschungs- und Lehrgemeinschaft zwischen Juristen und Volkswirten an der Universität Freiburg in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts, S. 162. Vgl. Eucken, Walter: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 312ff. Vgl. Giersch, Herbert: Allgemeine Wirtschaftspolitik, S. 182. Vgl. Starbatty, Joachim: Ordoliberalismus, S. 204. Vgl. Besters, Hans: Neoliberalismus, S. 117. Vgl. Müller-Armack, Alfred: Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, S. 109.

1.2. Geistesgeschichtlicher Hintergrund

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in erster Linie auf eine gewisse Korrektur der primären Einkommensverteilung (z.B. Einkommenszuschüsse für verschiedene Lebenslagen, Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand), auf die Absicherung von Menschen, die noch nicht oder nicht mehr am Erwerbsleben teilnehmen können sowie auf die Ausgestaltung von Arbeitsschutzgesetzen und den Gesundheitsschutz gerichtet sind.36 Zum zweiten gilt dies im Hinblick auf die Konjunkturpolitik, für die insbesondere Müller-Armack eine Notwendigkeit sieht;37 er möchte den Wettbewerbsprozeß durch eine begleitende Geld-, Kredit-, Außenwirtschafts- und Finanzpolitik abgesichert wissen. 38 Darüber hinaus werden in der Sozialen Marktwirtschaft gleichberechtigt nebeneinanderstehend gesamtwirtschaftliche Ziele formuliert, auf deren Verwirklichung die Wirtschaftspolitik gerichtet sein sollte. In Erweiterung der regulierenden Prinzipien Euckens werden gesamtwirtschaftliche Ziele nunmehr qualitativ und quantitativ präzisiert; zu ihnen gehören die Geldwertstabilität, die Vollbeschäftigung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht sowie ein angemessenes Wirtschaftswachstum. 39 Bereits unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Leitsätzegesetzes (1948) wurde die Forderung nach einer gleichmäßigen Umsetzung der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Aspekte aus dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft erhoben. Zwar wurde wegen der materiellen Not eine Schwerpunktsetzung auf die wirtschaftliche Entwicklung vorübergehend akzeptiert; als aber gegen Ende der 50er Jahre ein erheblicher Teil des Wiederaufbaus in Deutschland erreicht war, mehrten sich die Stimmen, die in einer zweiten Phase auf die Realisierung der gesellschaftspolitischen Zielsetzungen drängten.40 Für Müller-Armack beispielsweise ist es „... kein Zufall, wenn gerade auf dem Höhepunkt der materiellen Daseinsvorsorge der Fragmentcharakter der bisherigen Arbeit spürbar wird ...".41 Aus dieser Forderung ergibt sich ein weiterer Unterschied zwischen dem Ordoliberalismus und der Sozialen Marktwirtschaft, wenn man akzeptiert, daß sich die Eigenständigkeit der Sozialen Marktwirtschaft zu einem gewissen Grad aus dem Umstand ableiten läßt, daß sie - namentlich in der ersten Dekade nach dem Krieg - der politisch machbaren Umsetzung der ordoliberalen Grund-

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Vgl. Thieme, H. Jörg: Soziale Marktwirtschaft — Ordnungskonzeption und wirtschaftspolitische Gestaltung, S. 22f. Vgl. Starbatty, Joachim: Ordoliberalismus, S. 200. Vgl. Thieme, H. Jörg: Soziale Marktwirtschaft - Ordnungskonzeption und wirtschaftspolitische Gestaltung, S. 22. Vgl. Thieme, H. Jörg: Soziale Marktwirtschaft - Ordnungskonzeption und wirtschaftspolitische Gestaltung, S. 41 ff. Vgl. aus dem Nachlaß Nr. 37 einen Brief von Alexander Rüstow an Theodor Heuß vom 20.2.1950. Müller-Armack, Alfred: Die zweite Phase der Sozialen Marktwirtschaft, S. 66.

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1. E i n l e i t u n g

sätze entspricht. Gemeint ist, daß aus der materiellen Not der ersten Nachkriegsjahre heraus die dem Ordoliberalismus zugrundeliegende Identität von Ordnungsund Sozialpolitik aufgegeben wurde. Angesichts des Ausmaßes der Kriegszerstörung sowie der Notwendigkeit, über 10 Millionen Flüchtlinge einzugliedern, lag der Schwerpunkt des staatlichen Engagements auf der Wirtschaftspolitik und ging zu Lasten der gesellschaftspolitischen Zielsetzungen der Sozialen Marktwirtschaft. Dies galt bis in das Ende der 50er Jahre und mündete in der oben erwähnten Forderung nach einer zweiten Entwicklungsphase der Sozialen Marktwirtschaft. Müller-Armack beispielsweise will in einer solchen Phase durch die Verlagerung des Schwerpunktes auf gesellschaftspolitische Ziele den sozialen Folgen der fortschreitenden Industrialisierung und der zunehmenden Technisierung des Arbeitsumfeldes sowie dem stetigen Verlust traditioneller Werte und Bindungen begegnen. 42 Nach der Schaffung der wirtschaftlichen Basis solle nunmehr die gesellschaftliche Weiterentwicklung erfolgen,43 mit dem Ziel, die menschenwürdige Gestaltung des individuellen Lebens- und Arbeitsumfeldes zu erreichen.44 Rüstow band dieses Ziel in seine Forderung nach einer umfassenden Vitalpolitik ein,45 Ludwig Erhard hatte dieses Ziel in seiner Vision von der formierten Gesellschaft' vor Augen. 46 Trotz der nur graduellen inhaltlichen Unterschiede, die die einzelnen Positionen der Vertreter der Sozialen Marktwirtschaft kennzeichnen, fällt es schwer, eine allgemeingültige Definition der ,Sozialen Marktwirtschaft' zu finden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, daß deren gedankliche ,Väter' den Begriff selbst nicht einheitlich verwandt haben. Alfred Müller-Armack, auf den der Begriff der Sozialen Marktwirtschaft zurückzuführen ist,47 bezeichnet das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft nicht als Wirtschaftsprogramm; für ihn ist es „... ein der Ausgestaltung harrender, progressiver Stilgedanke". 48 Das Ziel ist klar, die Wirkungszusammenhänge liegen offen; da aber eine dynamische Wirtschaft laufend der Veränderung unterliegt, gibt die Soziale Marktwirtschaft keine starren Regieanweisungen, sondern stellt lediglich ein Instrumentarium zur Verfügung, dessen sich die politischen Akteure bedienen sollen. Alexander Rüstow verwendet in seinem Bemühen, das neoliberale Gedankengut zu verbreiten, den Begriff

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Vgl. Müller-Armack, Alfred: Die zweite Phase der Sozialen Marktwirtschaft, S. 66. Vgl. Müller-Armack, Alfred: Die zweite Phase der Sozialen Marktwirtschaft, S. 68. Vgl. Starbatty, Joachim: Ordoliberalismus, S. 205. Vgl. dazu ausführlicher den Abschnitt über Rüstows Vitalpolitik (3.3.). Vgl. dazu ausführlicher Erhard, Ludwig: Das gesellschaftspolitische Leitbild der Formierten Gesellschaft, S. 79f.; Zencke, Hans-Henning: Formierte Gesellschaft — Vision und Wirklichkeit, S. 273f. Vgl. Müller-Armack, Alfred: Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, S. 20, 78ff. Müller-Armack, Alfred: Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik, S. 12.

1.2. Geistesgeschichtlicher Hintergrund

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der Sozialen Marktwirtschaft als Synonym für den Neoliberalismus schlechthin.49 Im Volksmund, aber auch im Ausland, wird die Soziale Marktwirtschaft hingegen fälschlicherweise mit der im Laufe der Zeit installierten, bundesdeutschen Wirtschaftsordnung gleichgesetzt.50 Dieser schlichten Gleichsetzung aber steht entschieden der Umstand entgegen, daß - auch heute noch - manche Wirtschaftsbereiche, etwa die Landwirtschaft, der Bergbau, wesentliche Teile der Wohungswirtschaft, das Gesundheitswesen, die Luft- und Raumfahrttechnik oder auch die Ausnahmen vom Kartellverbot nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§§ 2 - 8 und §§ 99-103 GWB a.F.51), noch nicht im Rahmen einer wettbewerblichen Grundordnung organisiert sind.52 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die akademischen und politischen Väter der Sozialen Marktwirtschaft auf die Gestaltung dieses einen nachhaltigen Einfluß ausgeübt haben.53 Dies gilt insbesondere in bezug auf das Menschenbild und den Versuch, einen dritten Weg zwischen den extremen Gesellschaftsordnungen des 18. und 19. Jahrhunderts zu formulieren. Inwieweit dieser Einfluß dabei auf Alexander Rüstow zurückzuführen ist, wird im Zuge dieser Arbeit geklärt.

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Vgl. Rüstow, Alexander: Wirtschaftsordnung und Staatsform, S. 235; ders.: Soziale Marktwirtschaft als Gegenprogramm gegen Kommunismus und Bolschewismus, S. 101; ders.: Das neoliberale Programm, S. 91. Vgl. Becker, Helmut Paul: Der Neoliberalismus. Entstehungsgeschichte, Zusammenarbeit, Gruppen und Richtungsunterschiede, S. 48. Seit dem 1.1.1999 gelten in der Neufassung des GWB andere Ziffern, die hier nicht mehr berücksichtigt wurden. Nicholls, Anthony James: Freedom with Responsibiüty, S. 395; Tuchtfeldt, Egon: Soziale Marktwirtschaft als ordnungspolitisches Konzept, S. 4. Nicholls, Anthony James: Freedom with Responsibiüty, S. 396f.

2. Biographisches Am 8. April 1885 wurde Alexander Rüstow als ältestes von fünf Kindern in Wiesbaden geboren. Der Beruf des Vaters, der als Offizier in der preußischen Armee diente, prägte Rüstows Kindheit. Materielle Einschränkungen auf Grund bescheidener Offiziersbesoldung sowie ein häufiger Wechsel der Stationierungsorte bestimmten das familiäre Leben.54 Darüber hinaus hinterließen die strenge preußische Erziehung des Vaters und die pietistische Erziehung der Mutter bei Alexander Rüstow tiefe Spuren: Zeitlebens hatte er eine kritische Einstellung zum Wilhelminischen Deutschland und ein ambivalentes Verhältnis zur Kirche, insbesondere zur protestantischen. 55 In seinem Idealismus und seiner — späteren - liberalen Überzeugung hingegen fühlte sich Rüstow seinem Großonkel Friedrich Wilhelm Rüstow, ebenfalls preußischer Offizier, der sich 1848 auf die Seite der Revolutionäre gestellt hatte und daraufhin das Land verlassen mußte, sehr viel stärker verbunden als seinem Vater.56 Diese Verbundenheit ist wohl auch darauf zurückzuführen, daß beide, wenngleich zu unterschiedlichen Zeiten, ihre Heimat auf Grund ihrer politischen Uberzeugung — zumindest vorübergehend — verlassen mußten. In Berlin besuchte Alexander Rüstow das humanistische Gymnasium und legte dort 1903 sein Abitur ab.57 In den Jahren zwischen 1903 und 1908 studierte er an den Universitäten von Göttingen, München und Berlin unter anderem die Fächer klassische Philologie, Philosophie, Mathematik, Physik,Jura sowie National-

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Vgl. Rüstow, Dankwart: Alexander Rüstow (1885-1963): Eine biographische Skizze, S. 369. Vgl. Ebinger, Susanne: Alexander Rüstow und die Soziale Marktwirtschaft, S. 17. Rüstows Verhältnis zur Kirche ist insofern ambivalent, als er auf der einen Seite von der Integrationsfahigkeit der christlichen Religion überzeugt ist. Andererseits aber steht er der Institutionalisierung des christlichen Glaubens in Form der Kirche, insbesondere in Form der protestantischen, kritisch gegenüber. Vgl. dazu ausführlicher aus dem Nachlaß Rüstows Briefe, die er am 1.2.1944 und am 20.6.1946 an Walter Eucken verfaßt hat (NL Nr. 3). Der im Bundesarchiv aufbewahrte Nachlaß Rüstows ist fordaufend durchnumeriert; wird im folgenden aus dem Nachlaß zitiert, so sind die Quellen mit NL und der fordaufenden Nummer sowie dem Datum gekennzeichnet. Vgl. ferner Thielicke, Helmut: Ortsbestimmung der Gegenwart — der Weg und das Lebenswerk Alexander Rüstows, S. 976; ferner Rüstow, Alexander: Ortsbestimmung der Gegenwart (OdG) II, besonders die Seiten 201 ff. und 265ff. Vgl. Rüstow, Alexander: Brief an Marcel Herwegh, vom 9.6.1935, NL Nr. 37. Vgl. Rüstow, Dankwart: Alexander Rüstow (1885-1963): Eine biographische Skizze, S. 369.

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2. Biographisches

Ökonomie.58 In seiner ersten beruflichen Tätigkeit als Lektor ging er seiner durch die humanistische Erziehung geprägten Neigung zur Antike nach. So arbeitete er zwischen 1908 und 1914 bei einem renommierten Verlag für klassische Texte. 1908 promovierte er in klassischer Philologie über das kretische Lügnerparadoxon59 und richtete anschließend sein Interesse auf den griechischen Philosophen Parmenides. Sein Vorhaben, sich über ein Thema aus dessen Umfeld zu habilitieren, scheiterte am Ausbruch des Ersten Weltkrieges.60 Die nachhaltige Auseinandersetzung mit dem klassischen Altertum legte das Fundament seiner an den Idealen des Humanismus orientierten Lebens- und Arbeitsweise. In die Jahre, die Rüstow vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Berlin verbrachte, fiel auch sein Engagement in der Jugendbewegung.61 Er versuchte, deren Ziele zu definieren und der Bewegung einen intellektuellen Überbau zu geben. 62 Die idealistischen Anfänge der deutschen Jugendbewegung waren Ausdruck eines von der Jugend getragenen Aufbegehrens, das sich in seiner Bandbreite über alle sozialen Schichten erstreckte. Sie umfaßte Lagerfeuerromantik, reichte bis zu den Künstlerkreisen um Käthe Kollwitz und vereinte auch konfessionelle und marxistisch orientierte Gruppen. Das diesen Gruppen gemeinsame Ziel war der Protest gegen die erstarrten Konventionen des gesellschaftlichen Lebens der damaligen Zeit.63 Die Jugendbewegung — und mit ihr Alexander Rüstow — wollte mit ihrem Protest die Enge des 19. Jahrhunderts überwinden und die persönlichen Freiheitsrechte verwirklichen. Dabeiwar sie eine grundsätzlich unpolitische Bewegung, die als Ziel eine natürliche Lebensführung zu realisieren versuchte, in der die Gemeinschaft und das menschliche Miteinander im Vordergrund stehen sollten. Dieses Leben in der Gemeinschaft sollte darüber hinaus von einer Rückbesinnung auf das unmittelbare Verhältnis des Menschen zur Natur bestimmt sein.64 Für Rüstow sind die Erfahrungen in der Jugendbewegung nicht zuletzt deshalb von großer Bedeutung, weil sie seinen späteren Vorstellungen von der Lebensweise kleiner Gruppen entspricht. Nach seiner Auffassung sind es gerade die kleinen Lebensgemeinschaften, die sich freiwillig in eine natürliche, nach Leistung und Begabung gestaffelte Hierarchie einordnen und so

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Vgl. Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 19. Vgl. Rüstow, Alexander: Der Lügner. Theorie, Geschichte und Auflösung, Leipzig 1910. Vgl. Eisermann, Gottfried: Alexander Rüstow - Persönlichkeit und Werk, S. 148. Vgl. Eisermann, Gottfried: Alexander Rüstow — Persönlichkeit und Werk, S. 147. Vgl. Ebinger, Susanne: Alexander Rüstow und die Soziale Marktwirtschaft, S. 36. Vgl. Rüstow, Alexander: Ortsbestimmung der Gegenwart, Bd. 3, S. 238. Vgl. Rüstow, Alexander: Ortsbestimmung der Gegenwart, Bd. 3, S. 244.

2. Biographisches

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die Grundlage einer aufrichtigen Solidargemeinschaft bilden.65 Neben dieser natürlichen Gemeinschaftsbildung ist es die — im Zentrum seiner Weltanschauung stehende - Respektierung der individuellen Freiheiten, die Rüstow in der Jugendbewegung realisiert sieht; das bindet ihn an diese und beeinflußt seine Vorstellungen von einer idealen Gesellschaftsordnung. Diese prägende Wirkung bezieht Rüstow nicht nur auf sich; vielmehr stellt er insgesamt fest, daß sich jeder ehemalige Anhänger der Jugendbewegung „... an dem Grad seiner Freiheit von konventionellen Hemmungen und Vorurteilen, an seiner Unbefangenheit und Aufgeschlossenheit, an seiner Ritterlichkeit und Menschlichkeit, an seiner Empfindlichkeit gegen Unrechtes und Gemachtes" stets erkennen lasse.66 Dieser nachhaltigen Bedeutung für die persönliche Biographie jugendbewegter Menschen steht das rasche Ende der Jugendbewegung als gesellschaftliches Phänomen gegenüber, denn der Ausbruch des Ersten Weltkrieges markiert im wesentlichen das Ende ihrer gestalterischen Phase und damit das Ende der bedeutungsvollen Zeit des jugendlichen Protestes. Nach dem Krieg kritisierte Rüstow deren zunehmend defensive Position und den Rückzug in eine Scheinwelt.67 Während des Ersten Weltkrieges diente Alexander Rüstow als Leutnant d.R. bei der Artillerie in verschiedenen Regimentern, vor allem an den Fronten in Frankreich und Rußland.68 Zwar meldete er sich freiwillig, weil er von der staatsbürgerlichen Pflicht überzeugt war, für das eigene Land zu kämpfen, solange sich dieses im Krieg befand; gleichwohl wandte er sich entschieden gegen den HurraPatriotismus und die blinde Kriegsbegeisterung der ersten Kriegsphase. Der Vaterlandsliebe auf der einen Seite stand auf der anderen Seite seine Mißbilligung der politischen Führung und ihrer außenpolitischen Instinkdosigkeit, die schließlich in den Ersten Weltkrieg mündete, gegenüber. 69 Des weiteren beklagte er an einer Reihe von Beispielen die Arroganz insbesondere von Teilen des berittenen kaiserlichen Offizierskorps, die die (französische) Überlegenheit der Militärtechnik schlicht ignorierte und so zu krassen Fehlentscheidungen führte.70 Trotz dieser

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1932 schreibt Rüstow an Arnold Wolfers: „Der höchste soziale Wert und der letzte entscheidende Maßstab für die Beurteilung alles Sozialen ist für mich die Gemeinschaft"; vgl. Brief an Arnold Wolfers vom 24.9.1932, NL Nr. 210; ferner ders.: Ortsbestimmung der Gegenwart, Bd. 3, S. 240f. Vgl. Rüstow, Alexander: Ortsbestimmung der Gegenwart, Bd. 3, S. 249. Vgl. Rüstow, Alexander: Die gesellschaftliche Lage der Gegenwart in Deutschland, S. 70. Vgl. Rüstow, Dankwart: Alexander Rüstow (1885-1963): A Biographical Sketch, S. XIV. Vgl. Rüstow, Alexander: Ortsbestimmung der Gegenwart, Bd. 3, S. 429; Rüstow, Dankwart: Alexander Rüstow (1885-1963): Eine biographische Skizze, S. 370. Vgl. Rüstows Manuskript zu dem unveröffentlichten Aufsatz ,Soziologische Bemerkungen zur deutschen Verfassungsgeschichte', S. 19f., NL Nr. 328; ferner ders.: Die gesellschaftliche Lage der Gegenwart in Deutschland, S. 58.

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2. Biographisches

kritischen Haltung stellte er seine Kompetenz pflichtbewußt in den Dienst der Artillerie und wurde im Verlauf des Krieges mit dem Eisernen Kreuz Erster und Zweiter Klasse ausgezeichnet.71 Zu den prägenden Kriegserlebnissen gehörten für Rüstow auch diejenigen Situationen, in denen sich der einzelne — allein oder mit seinen Frontkameraden - in unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben befand.72 Nach dem Krieg kehrte Rüstow nach Berlin zurück. Er war von dem moralischen Versagen des Wilhelminischen Deutschlands überzeugt und engagierte sich in den ersten Nachkriegsjahren in verschiedenen Gruppen sozialistischer Intellektueller, zu denen er sich selbst zählte.73 Im Winter 1918/19 beteiligte er sich aktiv, wenngleich in untergeordneter Rolle, an den revolutionären Ereignissen in München und Berlin.74 Im Zuge dieses Engagements galt sein Hauptinteresse der Wirtschaftstheorie, wobei er sich neben der marxistischen Theorie auch mit dem Wirtschaftsliberalismus auseinandersetzte.75 Rüstow schloß sich dem Nationalökonomen und Soziologen Franz Oppenheimer (1864—1943) an und entwickelte in den folgenden Jahren eine enge Freundschaft zu dessen Schülern Adolph Löwe und Eduard Heimann.76 Mit Oppenheimer verband ihn erstens die Ablehnung feudaler Strukturen in der Landwirtschaft sowie zweitens das Ziel, die jeweiligen Vorzüge aus dem Kommunismus und dem Kapitalismus miteinander zu verbinden: „Entsprechend dem Bekenntnis zum ,liberalen Sozialismus' suchte Oppenheimer das bürgerliche Gesetz der ursprünglichen Akkumulation ebenso wie die marxistische Theorie vom Vorrang des ökonomischen Mittels zu widerlegen und vertrat — wissenschaftlich und politisch — die Idee eines .dritten Weges' zwischen liberalem Kapitalismus und marxistischem Kommunismus". 77 Rüstows Vorstellungen von einem ,dritten Weg' deckten sich — in dieser Phase — im wesentlichen mit denen Oppenheimers. Zum dritten bestanden auch methodische Gemeinsamkeiten, insbesondere in bezug auf die Auffassung der Soziologie als,historischer Universalwissenschaft'.78 Mit Adolph Löwe und Eduard Heimann fand

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Vgl. Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 23. Vgl. Rüstow, Alexander: Ortsbestimmung der Gegenwart, Bd. 3, S. 284f£; ders.: Stimmen von der Hannoverschen Tagung, S. 42. Vgl. Rüstow, Alexander: Geistige Bewegung, 7.7.1919, S. 655. Vgl. Rüstow, Dankwart: Alexander Rüstow (1885-1963): A Biographical Sketch, S. XTVf. Vgl. Rüstow, Dankwart: Alexander Rüstow (1885-1963): Eine biographische Skizze, S. 70. Vgl. Ebinger, Susanne: Alexander Rüstow und die Soziale Marktwirtschaft, S. 46; Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 24f. Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 26. Vgl. Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 26.

2. Biographisches

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Alexander Rüstow ab etwa 1920 im sogenannten Kairos-Kreis eine Zirkelgemeinschaft, die die Neuordnung des deutschen Staates nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches aus verschiedenen wirtschafte- und gesellschaftspolitischen Blickwinkeln diskutierte.79 Ihm gehörten Wissenschaftler aus den Fachrichtungen der Theologie, der Soziologie, der Ökonomie sowie der Jurisprudenz an. In den Diskussionen, die zum Teil in der dem Zirkel eigenen Zeitschrift veröffentlicht wurden, 80 kam eine sozialistische Grundhaltung zum Ausdruck, die eine Neuordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland anstrebte und den Versuch unternahm, die christliche Nächstenliebe im Sinne der Fürsorge mit den sozialistischen Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit zu vereinen. Die Mitglieder dieses Kreises fühlten sich in diesem Sinne als religiöse Sozialisten.81 An den Sozialismus als solchen band Rüstow vor allem „... das Ziel, die Verbundenheit zwischen den Menschen wieder herzustellen". 82 Er war von der Integrationskraft und -fähigkeit des Sozialismus überzeugt, was für ihn die Kollektivierung der Produktionsmittel sowie die Zügelung des Eigennutzes als Motor aller wirtschaftlicher Betätigung einschloß.83 Erneut — wie zu Zeiten seines Engagements in der Jugendbewegung — konzentrierte er sich auf die wissenschaftliche Arbeit und den Versuch, eine inhaltliche Begründung zu liefern, weshalb diese Integration nur über den Sozialismus zu erreichen sei.84 Allerdings empfand Rüstow den Kampf für den Sozialismus nicht als Selbstzweck, damit der Sozialismus ohne Einschränkung regiere, sondern als eine Aufgabe, die sozialen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen tatsächlich zu verbessern. 85 Rüstows Auseinandersetzung mit der ökonomischen Theorie — sowohl der liberalen als auch der marxistischen — stand im Zusammenhang mit seinen Aufgaben im Reichswirtschaftsministerium zwischen 1919 und 1924.86 Er war in die79

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Vgl. Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 32f. Das Sprachorgan des Kairos-Kreis nannte sich .Blätter für religiösen Sozialismus' und wurde von Carl Mennicke zwischen 1920 und 1927 in Berlin verlegt. In dieser Zeit hat auch Rüstow einige Male, so etwa mehrmals 1921 und 1926, in dieser Zeitschrift publiziert. Vgl. Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 32f. Rüstow, Alexander: Die gesellschaftliche Lage der Gegenwart in Deutschland, S. 71. Vgl. Greta Gräfin Waldeck: Der Geist der Freiheit. Jungdeutsche Stimmen, 2.9.1920, S. 395; Gräfin Waldeck berichtet von einem nicht näher bestimmten Treffen mit Rüstow, anläßlich dessen Rüstow diese Meinung vertreten habe. Vgl. Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 33. Vgl. Rüstow, Alexander: Geistige Bewegung v. 3.3.1919, S. 183. Vgl. Rüstow, Dankwart: Alexander Rüstow (1885-1963): A Biographical Sketch, S. XV.

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2. Biographisches

ser Zeit als Referent für Kartellfragen zuständig und beeinflußte bis 1923 maßgeblich die ,Verordnung gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen'. Als diese Verordnung 1923 in Kraft trat, entsprach sie nach der Einflußnahme machtvoller Interessengruppen auf die Wirtschaftspolitik und den daraus resultierenden politischen Interventionen nur noch einer verwässerten Version von Rüstows ursprünglicher Vorlage.87 Die Verordnung stellte insbesondere durch die Anwendung des Mißbrauchsprinzips für Kartelle anstatt des Verbotsprinzips nicht mehr die von Rüstow geforderte Begrenzung privater wirtschaftlicher Machtkonzentration dar.88 Gleichermaßen konnte er seine Vorstellungen, wesentliche Industrien, wie etwa Kohle und Stahl, zu nationalisieren, nicht durchsetzen.89 Die von Rüstow vertretene Auffassung im Streit um die Kartellverordnung von 1923 diente im übrigen als Grundlage für die Wettbewerbsordnung der Bundesrepublik. Alexander Rüstow war somit einer der ersten, der die Bedeutung einer funktionierenden Wettbewerbsordnung für ein tragfähiges Wirtschaftssystem erkannt und formuliert hat.90 Überhaupt verfolgte Alexander Rüstow die zunehmende Einflußnahme privater Interessengruppen auf die staatliche Politik mit tiefer Besorgnis. In Anlehnung an Carl Schmitt nannte er diese Art der Auflösungserscheinung staatlicher Macht Pluralismus' 91 , in dessen Verlauf der Staat mehr und mehr zur Beute einflußreicher Interessengruppen würde. Die Beeinflussung der Wirtschaftspolitik in der Weimarer Republik durch machtvolle Wirtschaftssubjekte führte tatsächlich zu einer zunehmend punktuellen und unsystematischen Subventionierung durch den Staat.92 Als Ersatz für den notwendigen Strukturwandel und als Antwort auf die veränderten Wettbewerbsbedingungen eignete sich, so Rüstow, diese Politik nicht, und so sah er in diesem Interventionismus eine der wesentlichen Ursachen für die zunehmende Wirtschaftskrise in Deutschland der 20er und 30er Jahre.93

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Vgl. das unveröffentlichte Manuskript von Alexander Rüstow: Die Moral der Verbände, N L Nr. 309, S. 1. Vgl. Eisermann, Gottfried: Alexander Rüstow — Persönlichkeit und Werk, S. 148. Vgl. Rüstow, Dankwart: Alexander Rüstow (1885-1963): Eine biographische Skizze, S. 370. Vgl. Lenel, Hans Otto: Alexander Rüstows wirtschafts- und sozialpolitische Konzeption, S. 51. Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 66£; ders.: Ortsbestimmung der Gegenwart, Bd. 3, S. 160£, 177f. Vgl. Lenel, Hans Otto: Alexander Rüstows wirtschafts- und sozialpolitische Konzeption, S. 50. Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 62; Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 49.

2. Biographisches

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Rüstow nahm im Verlauf der 20er Jahre schrittweise Abstand vom Sozialismus.94 Er erkannte zwar dessen Anliegen, die wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten in den jungen Industriegesellschaften zu beseitigen, an. Jedoch gewann er durch seine nachhaltige Auseinandersetzung mit der Theorie des Sozialismus die Einsicht, daß sich dieses Ziel nicht auf der Basis einer Zentralverwaltungswirtschaft und unter Ausschaltung der individuellen Freiheit realisieren ließe.95 Die sozialistische Realität in der Sowjetunion verstärkte die Zweifel an der Integrationsfähigkeit und der Glaubwürdigkeit des Sozialismus. So wandte er sich gegen den totalitären Sozialismus Marxscher und Engelsscher Prägung, hielt aber den demokratischen Sozialismus Lassalles' im Sinne staatlicher Sozialpolitik für eine berechtigte Forderung.96 Darüber hinaus blieb ihm die Gemeinschaft, die Einbindung des Menschen in eine solidarische Gruppe, sein Leben lang ein zentrales Anliegen. Dies gilt insbesondere für die Zeit nach seiner Hinwendung zum Neoliberalismus, den er mit einer auf die Integration des einzelnen in sein natürliches Umfeld ausgerichteten Vitalpolitik zu gestalten suchte.97 Insgesamt vollzog sich sein Wandel, etwa um die Mitte der 20er Jahre, im Rahmen eines mehrjährigen Prozesses, der von langen Auseinandersetzungen mit seinen Wegbegleitern der frühen 20er Jahre geprägt war.98 Keiner seiner einstigen Weggefährten hat in vergleichbarer Weise die Seiten gewechselt, und selbst die schlichte Respektierung seiner Hinwendung zum Neoliberalismus blieb ihm von den meisten seiner früheren Mitstreiter weitgehend versagt.99 1924 wechselte Alexander Rüstow vom Reichswirtschaftsministerium zum Verein deutscher Maschinenbauanstalten (VDMA)100, in dem er sich bis 1933 als Syndikus und Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung im Interesse namentlich kleiner und mittlerer Unternehmen verstärkt gegen die Konzentration wirtschaftlicher Macht wandte. Sein Arbeitsgebiet blieb inhaltlich in wesentlichen Teilen gleich, nur daß er nun zunehmend von einem liberalen Standpunkt aus argumentierte. Unter seiner Führung avancierte die wirtschaftspolitische Abteilung des VDMA zu einer Institution, die sowohl vom Reichswirtschaftsministerium wie

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Vgl. Alexander Rüstow in einem Brief an Adolf Löwe vom 28.6.1946, NL Nr. 42; ferner ders. in einem Brief an Peter Heimann von 19.1.1933, NL Nr. 4. Vgl. Lenel, Hans Otto: Alexander Rüstows wirtschafts- und sozialpolitische Konzeption, S. 47; Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 23. Vgl. Rüstow, Alexander: Ortsbestimmung der Gegenwart, Bd. 3, S. 324f. Vgl. Tönnies, Sibylle: Kulturhistoriker der Freiheit. Dringlicher Hinweis auf Alexander Rüstow, S. 74; ferner dazu ausführlich Kapitel 3.2.2.1. dieser Arbeit. Vgl. Rüstow, Dankwart: Alexander Rüstow (1885-1963): Eine biographische Skizze, S. 370f. Vgl. Ebinger, Susanne: Alexander Rüstow und die Soziale Marktwirtschaft, S. 48. Vgl. Eisermann, Gottfried: Alexander Rüstow - Persönlichkeit und Werk, S. 148.

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2. Biographisches

auch von anderen Interessengruppen konsultiert wurde. Über die spezifische Situation im Maschinenbau hinaus sprach sich Rüstow gegen jede Form von Machtkonzentration, Subvention und Protektion, auch in der Landwirtschaft, aus.101 Im wissenschaftlichen Disput über eine der damaligen Wirtschaftslage angemessene Wirtschaftspolitik wandte er sich — zusammen mit anderen jüngeren Nationalökonomen — im Verlauf der späten 20er Jahre zunehmend gegen die Vertreter der Historischen Schule.102 Im Zuge dieser Auseinandersetzung, die besonders im Rahmen des Vereins für Socialpolitik stattfand, wurde die Abgrenzung zwischen dieser zur damaligen Zeit dominierenden Schule und dem in der Entstehung befindlichen neuartigen Liberalismus immer stärker.103 Außerhalb des Vereins für Socialpolitik fanden sich zu Beginn der 30er Jahre einige liberal eingestellte Wissenschaftler, Politiker und Unternehmer in dem ,Deutschen Bund für freie Wirtschaftspolitik e.V.' zusammen, um diese neue, liberale (Wirtschafts-) Politik zu entwickeln und zu präzisieren.104 Den Höhepunkt der Auseinandersetzung bildete die letzte Vorkriegstagung des Vereins für Socialpolitik, die 1932 in Dresden abgehalten wurde. Dort skizzierte Alexander Rüstow, zum ersten Male überhaupt, eine in sich geschlossene wirtschaftspolitische Konzeption, die auf der Grundlage der Marktfreiheit die - bis dato - praktizierten staatlichen Interventionen minimiert und dem Staat im wesentlichen eine wirtschaftsordnende Gestaltungsaufgabe überträgt.105 Diese von Rüstow vorgetragenen Vorstellungen einer sogenannten neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wurden zeitgleich, aber unabhängig von ihm, auch von Walter Eucken an der Universität

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Vgl. Rüstow, Dankwart: Alexander Rüstow (1885-1963): Eine biographische Skizze, S. 371. Vgl. Krohn, Claus-Dieter: Wirtschaftstheorien als politische Interessen, S. 132ff. Vgl. Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 44. Zu diesem sich mit unterschiedlicher Intensität treffenden Personenkreis gehörten neben Rüstow und anderen auch der Geheime Regierungsrat Dr. Demuth, Syndikus der IHK Berlin, Karl Lange, Direktor des VDMA und unmittelbarer Vorgesetzter Rüstows, Dr. Carl Petersen, Regierender Bürgermeister der freien und Hansestadt Hamburg, Professor Dr. Wilhelm Röpke, Universität Marburg, Professor Dr. Walter Eucken, Universität Freiburg, Professor Dr. Götz Briefs, TH Berlin, Dr. Ing. E.h. Robert Bosch und Dr. Theodor Eschenburg, Mitarbeiter Rüstows beim VDMA, dem die Geschäftsführung des Bundes überantwortet wurde; vgl. Aufzählung des Hauptvorstandes anläßlich seiner Sitzung vom 21.3.1933, NL Nr. 1; ferner Eschenburg, Theodor: Also hören Sie mal zu. Geschichte und Geschichten 1904-1933, S. 298f. Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat; ausführlich dazu siehe auch das Kapitel 3.2.2.2. dieser Arbeit. Walter Eucken publizierte seine gleichgerichteten Ideen in dem Aufsatz Staatliche Strukturwandlungen und die Krise des Kapitalismus', in: Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 36, Hamburg 1932.

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Freiburg entwickelt.106 Das Jahr 1932 kann mithin als Ursprung des Neoliberalismus angesehen werden.107 Aufgrund Rüstows anerkannter wirtschaftspolitischer Kompetenz und seiner bemerkenswerten Zielstrebigkeit hatte General v. Schleicher in seinem letzten Versuch, Hitler nicht an die Macht kommen zu lassen, ihn als Wirtschaftsminister in seinem 2. Kabinett vorgesehen.108 Als aber Hitler im Januar 1933 die Macht ergriff und kurze Zeit später Rüstows Zuhause von der Gestapo durchsucht wurde,109 entschloß er sich, Deutschland zu verlassen und reiste bereits im Herbst 1933 in die Schweiz.110 Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich gerade mit Lorena Gräfin Vitzthum von Eckstädt vermählt. Dies war bereits seine dritte Heirat und nach Aussage seines Sohnes Dankwart der Beginn seiner glücklichsten Ehe.111 Von der Schweiz siedelte er noch im gleichen Jahr auf die Vermitdung der „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft" hin in die Türkei über, um an der Universität von Istanbul, an der auch sein Kollege und späterer Freund Wilhelm Röpke von 1933 bis 1937 lehrte, den für ihn eingerichteten Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie und Wirtschafts- und Sozialgeschichte zu übernehmen. 112 Die Möglichkeit, in die Türkei zu emigrieren, ergab sich aus dem Umstand, daß Atatürk im Zuge seiner Westorientierung des Landes ab 1932 auch den Versuch unternahm, die Universitäten an westliche Standards heranzuführen. Mit diesem Ziel öffnete Atatürk die Landesgrenzen für zahlreiche intellektuelle Flüchtlinge aus Deutschland.113 Rüstows Exil in der Türkei dauerte trotz verschiedener Übersiedlungsversuche in die Schweiz bzw. in die USA bis 1949.114 In dieser Zeit beklagte Rüstow gelegentlich die Einschränkungen hinsichtlich des wissenschaftlichen Austausches sowie den unzureichenden Zugriff auf einschlägige Literatur.115 Anderseits ist zu 106

Vgl. Eisermann, Gottfried: Alexander Rüstow - Persönlichkeit und Werk, S. 148.

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Vgl. Rüstow, Alexander: Das christliche Gewissen und die neoliberale Marktwirtschaft, S. 50. Vgl. Brief von Alexander Rüstow an Theodor Eschenburg vom 14.12.1952, NL Nr. 61. Vgl. Rüstow, Alexander: Freedom and Domination, FN 132, S. 704. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG, Radiovortrag, S. 259. In erster Ehe war Rüstow mit der Bildhauerin Mathilde Herberger, in zweiter Ehe mit Anna Bresser verheiratet; vgl. Rüstow, Dankwart: Alexander Rüstow (1885-1963): Eine biographische Skizze, S. 369f., 372.

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Vgl. Neumark, Fritz: Zuflucht am Bosporus. Deutsche Gelehrte, Politiker und Künstler in der Emigration 1 9 3 3 - 1 9 5 3 , S. 76f., 84. Vgl. Nicholls, Anthony James: Freedom with Responsability, S. 58f. Vgl. Rüstow, Dankwart: Alexander Rüstow (1885-1963): Eine biographische Skizze, S. 375. Vgl. Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 68.

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vermuten, daß gerade in dieser Abgeschiedenheit ein wesentlicher Grund für seine umfangreiche Arbeitsleistung in diesen Jahren zu sehen ist.116 In diese Zeit fällt nämlich der wesentliche Teil seiner Forschungen117, die er während der 50er Jahre in der Trilogie ,Ortsbestimmung der Gegenwart', seinem Lebenswerk, veröffentlicht hat.118 Darüber hinaus führte jene Abgeschiedenheit von der europäischen und amerikanischen Forschergemeinschaft zu einer um so intensiveren Zusammenarbeit innerhalb der Exilgruppe in Istanbul, was in besonderem Maße für Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke galt.119 In dieser engen Zusammenarbeit profitierte einer vom anderen: Rüstow von Röpkes wirtschaftswissenschaftlicher Expertise und Röpke von Rüstows humanistischem und geisteswissenschaftlichem Hintergrund. 120 Diese Zusammenarbeit war die Basis der engen Beziehung, die die beiden Wissenschaftler während ihrer Istanbuler Jahre miteinander pflegten und auch nach dieser Zeit aufrecht erhielten. Als Röpke 1937 nach Genf zog, bedeutete dies für Rüstow einen sowohl in persönlicher wie auch in wissenschaftlicher Hinsicht schmerzlichen Verlust. Sie intensivierten in den folgenden Jahren ihre Korrespondenz und versuchten, dadurch diesen gegenseitigen Verlust zu kompensieren. Ihr Briefwechsel, der insgesamt über den Zeitraum von 1929 bis 1963 nachzuweisen ist, ist von einem respektvollen und vertraulichen, teils aber auch burschikosen Ton geprägt. Bereits vor ihrer Emigration diskutierten sie die Ursachen der Wirtschaftskrise in Deutschland und der Welt, tauschten sich über Geld- und Kreditpolitik aus oder überlegten gemeinsame Stellungnahmen gegen eine protektionistische Außenhandelspolitik. 121 Während des Krieges und auch danach diskutierten sie die politische Lage in Europa sowie die Möglichkeiten einer Übersiedlung in die Vereinigten Staaten. Des weiteren setzten sie sich mit der wirtschaftspolitischen Entwicklung in Deutschland und Europa auseinander; sie übten konstruktive Kritik, wenn der jeweils andere im Begriff war, eine neues Werk zu veröffentlichen; 122 sie besprachen öffentlichkeitswirksame Einsätze, um

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Vgl. Rüstow, Alexander in zwei Briefen an Colm v. 14.5. und 15.9.1944, NL Nr. 32; ders. in einem Brief an Walter Eucken vom 4.3.1937, NL Nr. 3. Vgl. Sternberger, Dolf: Gedenkrede auf Alexander Rüstow, S. 136; Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 78f. Vgl. dazu ausfuhrlich das Kapitel 3.1. dieser Arbeit. Vgl. Röpke, Wilhelm: Alexander Rüstow zum 8. April 1955, S. 17f. Vgl. Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 65. Vgl. hierzu neben zahlreichen anderen Quellen NL Nr. 22, Brief von Wilhelm Röpke an Alexander Rüstow vom 21.10.1930, NL 24 und 27, Briefe von Alexander Rüstow an Wilhelm Röpke vom 1.9.1931 und 8.4.1932. Das große Vertrauen, welches sie dabei einander entgegenbringen, sowie ihre weitgehende Übereinstimmung in wirtschaftspolitischen Fragen wird unter anderem an dem

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ihren wirtschaftspolitischen Vorstellungen Nachdruck zu verleihen. Darüber hinaus berichteten sie einander regelmäßig von familiären Ereignissen, gesundheitlichem Befinden sowie persönlichen Begegnungen. 123 Nach löjähriger Emigration kehrte Rüstow 1949 nach Deutschland zurück, um als Professor der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Heidelberg die Nachfolge des emeritierten Alfred Weber anzutreten.124 In Deutschland wollte er sich an dem Wiederaufbau des zerstörten Landes beteiligen und seinen Beitrag zur Gestaltung einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung leisten — ein Ziel, für das er schon während der letzten Exiljahre eintrat.125 Rüstow fesselte die Aufbruchstimmung, die er bei seiner Rückkehr in Deutschland vorfand, in einer Weise, daß er sich bald an der ökonomischen und politischen Debatte beteiligte.126 Dieses politische Engagement setzte er auch noch nach seiner Emeritierung im Anschluß an das Wintersemester 1955/1956 fort.127 Er tat dies im Rahmen der verschiedenen Ämter, die er im Verlauf der 50er Jahre übernommen hatte. Zu deren wichtigsten gehörte sein Vorsitz in der wiedergegründeten .Vereinigung für die deutsche Wissenschaft' sowie sein Vorsitz in der ,Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft'; letztere führte er von 1955 bis 1962 und präsidierte noch ein weiteres Jahr als Ehrenvorsitzender.128 Mit der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft schuf Rüstow eine Schnittstelle zwischen wirtschaftswissenschaftlicher Theorie und politischer Praxis, indem er deren Jahrestagungen zu einem Forum entwickelte, in dem Lösungsansätze zu den aktuellen wirtschaftspolitischen Problemen der jungen Bundesrepublik erar-

Umstand deutlich, daß Rüstow mit den Worten „... denn wo könnte das kleine Pflegekind besser aufgehoben sein" die Überarbeitung des von ihm in englisch verfaßten Aufsatzes ,General Sociological Causes of the Economic Disintegration and Possibilities of Reconstruction' Wilhelm Röpke überläßt; vgl. dazu aus dem Nachlaß Nr. 7 den Brief von Röpke an Rüstow vom 21.10.1940 sowie Rüstows Antwort vom 4.12.1940. Zur Kennzeichnung der weitreichenden Übereinstimmung vgl. auch Alexander Rüstow: Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus, FN 1, S. 90. 123

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Vgl. für den oben genannten Zeitraum ausführlich aus dem Nachlaß Rüstows insbesondere die Nummern 7, 21, 22, 24, 27, 47, 72, 81, 87, 9 9 , 1 0 5 . Vgl. Ebinger, Susanne: Alexander Rüstow und die Soziale Marktwirtschaft, S. 156; Eisermann, Gottfried: Alexander Rüstow - Persönlichkeit und Werk, S. 151. Vgl. Brief an Colm vom 14.5.1944, NL Nr. 32. Vgl. Rüstow, Dankwart: Alexander Rüstow (1885-1963): Eine biographische Skizze, S. 375. Zu den Inhalten seines wirtschaftspolitischen Engagements vgl. ausführlich das Kapitel 3.2. dieser Arbeit. Vgl- Rüstow, Dankwart: Alexander Rüstow (1885-1963): Eine biographische Skizze, S. 375. Vgl. Eisermann, Gottfried: Alexander Rüstow - Persönlichkeit und Werk, S. 152; Niederschrift der außerordentlichen ASM-Mitgliederversammlung vom 30. Januar 1962.

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2. Biographisches

beitet wurden.129 Die Bedeutung der ASM als Think-Tank der Sozialen Marktwirtschaft läßt sich daran ablesen, daß sich ihre Gremien (Vorstand, Wissenschaftlicher Beirat und Kuratorium) in den 50er und 60er Jahren wie das ,who is who' der Sozialen Marktwirtschaft lesen: Unter anderem gehörten ihnen neben Alexander Rüstow auch Wilhelm Röpke, Franz Böhm, Friedrich A. Lutz, Günter Schmölders und Götz Briefs an. Zu den Jahrestagungen dieser Zeit versammelten sich etwa 400 Teilnehmer aus den verschiedensten Bereichen: Parlamentarier, Ministeriale, Universitätsangehörige, Unternehmer, Verbandsvertreter und Journalisten. Regelmäßig beteiligte sich Ludwig Erhard entweder persönlich oder zumindest in Form eines Beitrages an den Tagungen.130 Im Hinblick auf sein Wirken als Hochschullehrer berichten Zeitzeugen von Alexander Rüstow als einer Persönlichkeit, der es nicht nur um die reine Vermittlung von Lehrinhalten ging. Die lebendigsten Erinnerungen richten sich auf die Ausstrahlung Rüstows, der durch sein eigenes Handeln versucht habe, auch den Charakter seiner Schüler zu stärken und diese zu verantwortungsbewußten Staatsbürgern zu erziehen. Dabei habe er es als wissenschaftliches und charakterliches Vorbild vermocht, einer durch Krieg, Vertreibung und Gefangenschaft niedergeschlagenen Studentengeneration wieder neue Hoffnung zu geben. Auch habe er sein persönliches Ziel, einen Beitrag zur Entwicklung und Festigung der freiheitlichen Gesellschaftsordnung in Deutschland zu leisten, auf die Studenten übertragen können.131 In diesem Bemühen arbeitete Alexander Rüstow bis ins hohe Alter, wobei sein Interesse zunehmend den interdisziplinären Fragestellungen an der Grenze zwischen Ökonomie, Religion und Kultur galt. 1963 starb er im Alter von 78 Jahren. 132

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Vgl. ASM Tagungsprotokolle Nr. 1 bis Nr. 37 der Jahre zwischen 1953 und 1973. Auch andere Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben beteiligten sich wiederholt an den Tagungen der ASM: zu ihnen gehörten unter anderem Herbert Giersch, HansOtto Lenel, Ernst-Joachim Mestmäcker, Alfred Müller-Armack, Christian SchwarzSchilling, Egon Sohmen, Gerhard Stoltenberg oder Hans Willgerodt; vgl. dazu aus dem Archiv der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft die Protokolle und Anwesenheitslisten der Jahres tagungen. Die Tagungen wurden im Zeitraum zwischen 1953 und 1973 abgehalten und fortlaufend bis zur Nr. 37 durchnumeriert. Vgl. die Korrespondenz zwischen Dieter Spiess und Erich Lange vom 14., 18. und 26.1.1999 und dem Verfasser: ferner Molt, Peter: Als Schüler von Alexander Rüstow in Heidelberg, S. l l l f f . Vgl. Behrendt, Richard F.: Alexander Rüstow, S. 2.

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

Im Mittelpunkt der folgenden Untersuchungen werden diejenigen Gedanken aus Rüstows Gesamtwerk stehen, die sich mit der Gestaltung einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung beschäftigen, in der Freiheit, Gerechtigkeit und sozialer Friede vereint sind. Die Freiheit des Individuums und das Junktim zwischen Staatsform und Wirtschaftsordnung sind die festen Koordinaten seines Systems.133 Als variable Koordinate ist die kontinuierliche Weiterentwicklung des Neoliberalismus, d.h. die Ausfüllung und Einhaltung der Rahmenbedingungen nach den Erfordernissen der jeweils aktuellen wirtschaftlichen Situation zu sehen. Diese Gedankenstränge markieren den Übergang von den theoretischen Forschungsergebnisse Rüstows zu einem praxisnahen Konzept, mit dem sich eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gestalten läßt. Das wissenschaftliche Fundament für die konzeptionelle Umsetzung hat Rüstow in seinem schriftlichen Werk gelegt, dessen Mittelpunkt die Trilogie .Ortsbestimmung der Gegenwart' (OdG) darstellt. In ihr erarbeitet sich Rüstow die wesentlichen Züge seines Welt- und Menschenbildes. Auf der Grundlage dieser Arbeit konkretisiert er seine wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen in den Veröffentlichungen, die zu einem geringeren Teil vor und während seiner Emigration, im wesentlichen aber nach seiner Rückkehr ab 1949 erschienen sind. Gleichwohl hat Rüstow im Hinblick auf die Konzeption seiner Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung kein vollendetes System entwickelt, welches in allen wirtschaftlichen und außerwirtschaftlichen Lebensbereichen detaillierte Handlungsanweisungen bereithält.134 Vielmehr formuliert er auf der Basis seines Menschenbildes Grundsätze, die er systematisch auf die verschiedenen Lebensbereiche des Marktes und des Marktrandes135 anwendet und aus denen er für den Staat, die

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So gehören nach Rüstow Merkantilismus und Absolutismus, die Entwicklung der Konkurrenzwirtschaft und die Aufklärung, Planwirtschaft und totalitäre Staatsform sowie Marktwirtschaft und Demokratie zusammen; vgl. Rüstow, Alexander: OdG III, S. 519; ders.: Soziale Marktwirtschaft als Gegenprogramm gegen Kommunismus und Bolschewismus, S. 99; ders.: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 18 u. 19; ders.: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 229. „Dieses unser neoliberales Wirtschaftsprogramm steht zwar in seinen Grundzügen fest, ist aber in seinen Einzelheiten noch in Arbeit und Diskussion begriffen". Rüstow, Alexander: Marktwirtschaft und Demokratie, S. 38. Vgl. ausführlicher zu der Unterscheidung von Markt und Marktrand die Einführung in den Abschnitt 3.2.

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3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

Wirtschaftssubjekte und in ihrer Summe die Gesellschaft unterschiedliche Aufgaben und Verpflichtungen ableitet. Der Grund für den überwiegend prinzipiellen Charakter seiner Vorschläge ist darin zu sehen, daß Rüstow mit seinen Überlegungen am Anfang einer geistigen Strömung stand, deren grundsätzliche Ausrichtung zwar feststand, deren konkrete Positionen zu den verschiedenen wirtschaftspolitischen Themen aber erst noch definiert, umgesetzt und vor allem von den politischen Entscheidungsträgern wie auch von der breiten Bevölkerung rezipiert werden mußten.136 Da das vornehmlich richtungsweisende Arbeiten kennzeichnend für Rüstow ist, werden nachfolgend lediglich seine wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Grundpositionen am Beispiel einzelner Politikbereiche nachgezeichnet. Dies wird Rüstow auch insofern gerecht, als seine Ausführungen zu den einzelnen Feldern der Wirtschaftspolitik - wie etwa der Sozialpolitik, der Wettbewerbspolitik, der Geldpolitik oder den Fragen zur Europäischen Integration — nicht umfassend und tief genug sind, um von einer jeweils in sich geschlossenen Konzeption zu sprechen. Am Beispiel seiner wettbewerbspolitischen Äußerungen sei dies skizziert: Diese zielen im wesentlichen auf die Möglichkeiten, die Entstehung von Marktmacht zu verhindern bzw. zu kontrollieren, sowie darauf, die dauerhafte Subventionierung bevorzugter Wirtschaftssubjekte durch den Staat zu unterbinden. Dies aber reicht nicht aus, um von einer geschlossenen und umfassenden wettbewerbspolitischen Konzeption zu sprechen. In einem ersten Schritt wird in dem Kapitel ,Die zentrale Bedeutung der Ortsbestimmung der Gegenwart für Rüstows Welt- und Menschenbild' (3.1.) dieses Werk als geistesgeschichtliches Fundament der gesellschaftspolitischen Vorstellungen Rüstows beleuchtet. Die in diesem Opus angestellten vielschichtigen Untersuchungen legen menschliche Verhaltensweisen offen, auf die Rüstow sein Ordnungskonzept abstimmt. Die Ausprägungen, die sein Konzept im Hinblick auf die verschiedenen staatsgestaltenden, lebensraumgestaltenden und wirtschaftsordnenden Fragestellungen annimmt, werden in den Abschnitten .Staats- und gesellschaftspolitische Konzeption' (3.2.),,Vitalpolitische Konzeption' (3.3.) und ,Wirtschaftspolitische Grundpositionen' (3.4.) dargestellt. Abschließend werden Rüstows konzeptionelle Ansätze zusammengefaßt und einer Bewertung unterzogen (3.5.).

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In diesem Sinne führt Rüstow auf der 12. Arbeitstagung der ASM 1959 aus: „Walter Eucken und ich haben 1932 die Richtung des Neoliberalismus begründet. Bis jetzt versuchen wir, ich nach seinem Tod, das Konzept weiterzuentwickeln und abzugrenzen". Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 132.

3.1. Die zentrale B e d e u t u n g der O r t s b e s t i m m u n g der Gegenwart' ( O d G ) für Rüstows Welt- und M e n s c h e n b i l d

In dem folgenden Abschnitt stehen die soziologischen Forschungen, die Rüstow in der OdG zusammengetragen hat, im Vordergrund der Betrachtung. Zu Beginn der Analyse werden die Gründe untersucht (3.1.1.), die Rüstow dazu bewogen haben, sich einer so umfangreichen kulturhistorischen Analyse zu widmen, sodann wird der Inhalt der OdG in den Grundzügen wiedergegeben (3.1.2.). Anschließendwerden einige Schlüsselbegriffe vorgestellt (3.1.3.), die für Rüstow von zentraler Bedeutung sind. Das Kapitel schließt mit einer kritischen Würdigung des Rüstowschen Schlüsselwerkes ab (3.1.4.).

3.1.1. Fundament und Zielsetzung der OdG

„Um dieses deutsche Buch schreiben zu können, bin ich 1933 aus dem von Hider überlagerten Deutschland emigriert, dessen Stickluft mir den Atem verschlug. Sich darüber klar zu werden, was denn eigentlich geschehen sei, an welchem weltgeschichtlichen Ort wir uns denn eigentlich befinden, schien mir die wichtigste und dringendste Aufgabe, die die katastrophale Weltlage selbst dem Historiker wie dem Soziologen stellte, und an dieser Ortsbestimmung der Gegenwart habe ich seitdem gearbeitet".'37 Die Suche nach den Ursachen, die in die Katastrophe des Dritten Reiches geführt haben, ist für Rüstow also der Antrieb gewesen, seine umfangreichen Arbeiten an der OdG zu beginnen.138 Wie konnte es dazu kommen, daß ein Volk nicht in der Lage war, sich gegen eine schrittweise Totalisierung zu wehren? Mit dem Versuch, Antworten auf diese Fragen zu finden, will Rüstow den Boden einer Gesellschaftsordnung bereiten, in der der Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten im Mittelpunkt steht. Rüstow baut seine zeitlich wie inhaltlich breit angelegte Untersuchung auf seiner umfassenden Kenntnis universalhistorischer Zusammenhänge auf und überträgt diese auf die Gegenwart. Bei seiner historischen Analyse der Entwicklungsgeschichte der Freiheit legt er den inhaltlichen und geographischen Schwerpunkt auf das kontinentale Europa.139 Die Betrachtung der Geschichte aus soziologischer, ethnologischer, frühgeschichtlicher, archäologischer, humanistischer und ökonomischer Sicht führt Rüstow zum Teil tief in Fachgebiete hinein, die nicht 137 138 139

Rüstow, Alexander: O d G I, S. 9. Vgl. Alexander Rüstow: OdG, Radiovortrag, S. 259. Vgl. Rüstow, Alexander, O d G I, S. 9ff.

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3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

zu seinen originären Forschungsgebieten zählen. Die im Einzelfalle berechtigte Kritik an der Vereinfachung bestimmter Zusammenhänge 140 muß allerdings die umfangreiche Gesamtaufgabe, die sich Rüstow gestellt hat, berücksichtigen. Hinzu kommt, daß die wesentlichen Arbeiten an der OdG in den Zeitraum seines Exils fallen.141 Die bescheidene Ausstattung der türkischen Bibliotheken142 sowie seine wissenschaftliche, politische und persönliche Isolierung während des Exils haben dazu beigetragen, daß er sich auf seine Kernthesen konzentrierte und dabei im wesentlichen auf sein Grundwissen zurückgreifen mußte.143 Die OdG, die zwischen 1950 und 1957 erschien, entstand in einem langen Prozeß, der 1936 begann und im Laufe dessen Rüstow die verschiedenen Fassungen der einzelnen Bände stetig verfeinerte und um viele Aspekte erweiterte.144 In diesem Lebenswerk hat Rüstow auch Ergebnisse weiter ausgebaut, deren erste Ansätze aus der Zeit vor seiner Emigration stammten.145 Rüstow beginnt die OdG mit einem Rückblick in die Entwicklung menschlicher Hochkulturen, deren Wurzeln er bis an das Ende der letzten Eiszeit zurückverfolgt.146 Dabei konzentriert er sich auf die Wechselbeziehung zwischen Herrschaft und Freiheit: Der Machtausübung steht der Versuch gegenüber, sich dieser Macht zu entziehen. Seine Untersuchungen setzen bei der Bezwingung seßhafter Bauern durch überlegene Jäger- und Hirtennomaden an.' 47 Rüstows Analyse des Strebens nach Freiheit in den Gesellschaftsordnungen vergangener Epochen mündet in eine vorsichtig optimistische Vision einer weltumspannenden Ordnung in der Zukunft, 148 deren Verwirklichung er durch den sich ausbreitenden Kommunismus gefährdet sieht.149 Diesem könne nur widerstanden werden, wenn die westliche Welt eine klare und offensive Gegenposition bezöge und die positi-

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Vgl. u.a. Hochkeppel, Willy: Modelle des Gegenwärtigen, S. 53£, 57, 58, 59£, 61, 62. Vgl. aus dem Nachlaß Nr. 32 die Schreiben von Alexander Rüstow an Gerhard Colm vom 26.11.1944 und 29.3.1949. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG I, S. 11 f.; Auerbach, Erich: Mimesis, S. 518. Vgl. Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 68f., 77. Vgl- Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 78. So etwa sind die in Kapitel 1.9. des dritten Bandes der OdG gemachten grundsätzlichen Gedanken über eine funktionierende Wettbewerbspolitik in dem Aufsatz „Monopolkontrolle oder Monopolverhütung?" wiederzufinden. Vgl. Rüstow, Alexander: Monopolkontrolle oder Monopolverhütung? Berlin 1928. Vgl. Alexander Rüstow: OdG I, S. 39ff. Vgl. Behrendt, Richard F.: Alexander Rüstow, S. 3. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG III, S. 511 ff. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG, Radiovortrag, S. 265.

3.1. Rüstows Welt- und Menschenbild

31

ven Ergebnisse ihrer freiheitlichen und demokratischen Politik herausstreiche.150 Es gelte, sich selbst stets mit Wort und Tat für eine freiheitliche und menschenwürdige Gesellschaftsordnung einzusetzen: „Man kann nur das verwirklichen, was man erkannt hat; aber man muß das, was man erkannt hat, auch verwirklichen, sonst ist die Erkenntnis nichts wert".151 So ist sein Werk als Analyse und Therapievorschlag zugleich zu verstehen.152 In der OdG arbeitet Rüstow die Grundlagen seines Welt- und Menschenbildes und damit gleichzeitig das geistesgeschichtliche Fundament der neoliberalen Schule heraus;153 dabei lehnt er es ab, sich an irgendeiner Art von Ideologie zu orientieren, sei sie politischer, wirtschaftlicher oder religiöser Natur.154 Rüstow geht allerdings noch einen Schritt weiter; er arbeitet nicht nur die Grundlagen heraus, sondern entwickelt darüber hinaus Leitlinien für die Politik, mit deren Hilfe nach seiner Überzeugung eine vom Humanismus geprägte, ökonomisch stabile Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu erreichen sei.155 Seine methodischen Grundlagen erarbeitete sich Rüstow unter dem Einfluß Oppenheimers bereits in den 20er Jahren. Zwar gingen Oppenheimers und Rüstows Vorstellungen über die Gestaltung dieses dritten Weges zunehmend auseinander,156 dennoch wurde Rüstow in seiner Arbeitsweise in diesen Jahren nachhaltig von der kultursoziologischen Schule Oppenheimers geprägt.157 Rüstows soziologische Forschungen im Rahmen der OdG stellen eine Verfeinerung und Vollendung der Oppenheimerschen soziologischen Staatstheorie dar, weil sie deren Bedeutung über den staatlich-politischen Bereich hinaus nachweisen.158 Die

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Vgl. Rüstow, Alexander: OdG, Radiovortrag, S. 265. Alexander Rüstow: Hat der Westen eine Idee? S. 168. Vgl. Rüstow, Alexander: Kulturtradition und Kulturkritik, S. 309. Vgl. Eisermann, Gottfried: Alexander Rüstow - Persönlichkeit und Werk, S. 151. Vgl. Eucken-Erdsiek, Edith: Kultur und Herrschaft, S. 450. Vgl. Eisermann, Gottfried: O d G I. I. Band: Ursprung der Herrschaft, S. 499. Die unterschiedlichen Positionen richten sich darauf, daß Oppenheimer an die Möglichkeit eines liberalen Sozialismus glaubt, während Rüstow im Verlaufe der späteren 20er Jahre von einer grundsätzlich liberalen Position aus argumentiert und sich für einen sozialen Liberalismus einsetzt. Die Gemeinsamkeiten beider beziehen sich gerade auf die Gestaltung dieses dritten Weges, die Geltung der exogenen Staatstheorie und die Einordnung der Soziologie als „historische Universalwissenschaft"; vgl. MeierRust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 26. Vgl. Tönnies, Sibylle: Kulturhistoriker der Freiheit. Dringlicher Hinweis auf Alexander Rüstow, S. 73. Vgl. u.a. Eucken-Erdsiek, Edith: Kultur und Herrschaft, S. 446; ferner Eisermann, Gottfried: Alexander Rüstow - Persönlichkeit und Werk, S. 151. In diesem Sinne auch Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 26.

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3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

Überzeugung, daß in erster Linie exogene Schocks die Entwicklung eines Systems voranbringen, sind die Grundlage für Rüstows These von der fortwährenden Überlagerung.159 Mit Alfred Weber sieht sich Rüstow über die Ansätze der österreichischen Ethnologie der Wiener Schule verbunden und liegt damit in der Linie der Heidelberger kultursoziologischen Schule Webers, dessen Werk er intensiv rezipiert hat.160

3.1.2. Zwischen Herrschaft und Freiheit - Die drei Bände der O d G

Die Untertitel der dreibändigen OdG,Ursprung der Herrschaft' (1950), ,Weg der Freiheit' (1952) und ,Herrschaft oder Freiheit' (1957) gliedern das Werk bereits in seine wesentlichen Abschnitte: Mit Band I und II stellt Alexander Rüstow die beiden Pole Herrschaft und Freiheit einander gegenüber, um am Ende des dritten Bandes seine Vision eines dauerhaften Gleichgewichtes der beiden Pole zu formulieren. Im ersten Band ,Ursprung der Herrschaft' führt Rüstow den Nachweis, daß einzelne Kulturgebiete in unterschiedlicher Weise durch die Folgen der Überlagerung beeinflußt wurden.16' Zur Erläuterung seines überlagerungstheoretischen Ansatzes beschreibt Rüstow zunächst das Gesetz der Kulturpyramiden, wonach sich ein anspruchsvolles Kulturniveau in einer Gesellschaft nur auf der Grundlage von Arbeitsteilung und Spezialisierung bilden kann.162 Er arbeitet ferner an seiner Theorie der fortwährenden Überlagerung, nach der immer wieder ein Stärkerer einen Schwächeren unterwirft und sich dessen Arbeitskraft zu eigen macht.163 Der Überlagerer kann folglich seine Energie anders als zum Lebensunterhalt nutzen. Rüstow zeichnet ein ambivalentes Bild der Überlagerung: Am Anfang stehen Gewalt und Unterdrückung, diese aber sind Voraussetzung, um ein höheres Kulturniveau zu entwickeln.164

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Vgl. Tönnies, Sibylle: Kulturhistoriker der Freiheit. Dringlicher Hinweis auf Alexander Rüstow, S. 73. Vgl. Rüstow, Alexander: O d G I, S. 13; Salin, Edgar: O d G , Band 1, S. 357; EuckenErdsiek, Edith: Kultur und Herrschaft, S. 446; Hochkeppel, Willy: Modelle des Gegenwärtigen, S. 53. Vgl. Rüstow, Alexander: O d G , Radiovortrag, S. 263f. Vgl. Rüstow, Alexander: O d G I, S. 39; ausführlicher dazu die Skizzierung der Rüstowschen Uberlagerungstheorie im gleichnamigen Abschnitt (3.1.3.2.). Vgl. Rüstow, Alexander: O d G I, S. 59ff.; siehe auch Eucken-Erdsiek, Edith: Kultur u n d Herrschaft, S. 445. Vgl. dazu ausführlicher den Abschnitt,Uberlagerungstheorie' weiter unten in diesem Kapitel.

3.1. Rüstows Welt- und Menschenbild

33

In seinem zweiten Band ,Weg der Freiheit' beschreibt Rüstow, wie sich die menschliche Freiheit in den vergangenen 3.000 Jahren von den Vorgriechen bis in das ausgehende 19. Jahrhundert entwickelt hat. Nachdem eine Gesellschaftsstrukur etabliert ist, entstehen Kräfte, die auf die Ausweitung freiheitlichen Handlungsspielraumes drängen.165 Hoch- und Tiefpunkte in bezug auf den jeweils realisierten Freiheitsgrad verschiedener Gesellschaftsformen werden mit einer Fülle historischer Fakten untermauert, wobei Rüstow stets auf den positiven Einfluß hinweist, den die griechische Kultur und das Christentum auf die Entwicklung des Abendlandes gehabt haben.' 66 Im dritten Band ,Herrschaft oder Freiheit' bringt Alexander Rüstow die Entwicklung menschlicher Gesellschaftsformen auf einen gemeinsamen Nenner. Nach seiner Meinung bewegt sich der Verlauf der Weltgeschichte zwischen den beiden Polen Herrschaft und Freiheit. Rüstow stellt die Frage, wie dieser Verlauf dahingehend zu beeinflussen ist, daß er in der Zukunft den Weg der Freiheit einschlägt. In seiner Analyse thematisiert er das zerstörerische Auseinanderfallen von Verstand und Gefühl beim Menschen in seiner geschichtlichen Entwicklung vornehmlich im 19. und 20. Jahrhundert. An Hand historischer Beispiele beschreibt er die phasenweise Dominanz des einen Phänomens, dessen Übersteigerung und anschließend, als Reaktion, das Ausschlagen des Pendels in das entgegengesetzte Extrem. Rüstow unterscheidet verschiedene rationale Tendenzen, zu denen er unter anderen die Naturbeherrschung, den technischen Fortschritt und die kapitalistischen Entartungen zählt, sowie verschiedene irrationale Gegentendenzen, in die er auch die Jugendbewegung, den Nationalismus, den Kommunismus und nicht zuletzt auch den Nationalsozialismus einordnet. Nach dieser polaren Gegenüberstellung von rationalen Tendenzen und ihren irrationalen Gegentendenzen versucht er am Ende, einen für die Gegenwart gangbaren Mittelweg zu benennen, indem er mit kritischem Optimismus die Vision eines dauerhaften Ausgleichs zwischen diesen widerstrebenden rationalen und irrationalen Strömungen aufzeigt.167 Dieser Ausgleich würde, so Rüstow, auch dem antiken Freiheitsideal zum dauerhaften Durchbruch verhelfen und damit die zum Teil gegenläufige Entwicklung von geistiger Freiheit und sozialer Wirklichkeit in Einklang bringen.168

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Vgl. Berkefeld, Wolfgang: Herrschaft oder Freiheit. Zu Alexander Rüstows OdG Bd. III, S. 399. „Die wirksamsten Gegenkräfte verdanken wir Abendländer der Antike und dem Christentum: Der Antike mit ihrem Ideal der Freiheit und der Gerechtigkeit, dem Christentum mit seinem Ideal der Nächstenliebe"; Rüstow, Alexander: OdG, Radiovortrag, S. 261; in diesem Sinne auch ders.: OdG III, S. 508. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG III, S. 501-526; dieser grundsätzliche Optimismus geht auch aus anderen Stellen hervor, etwa a. a. O., S. 158. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG, Radiovortrag, S. 262.

34

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

Nach Rüstows Auffassung sind die unterschiedlichen Staatsformen (des Abendlandes) das institutionalisierte Ergebnis der verschiedenen historischen Überlagerungen. 169 Somit haben sich auch die Wertmaßstäbe, die in einer Gesellschaft von Bedeutung sind, aus den unterschiedlichen Machtverhältnissen, die aus den wiederkehrenden Überlagerungen entstanden sind, entwickelt.170 Um aber insbesondere dem bedrohlichen Kommunismus nachhaltig eine glaubwürdige Alternative bieten zu können, sei es wichtig, so Rüstow weiter, das westliche System von den letzten Resten der Überlagerung zu befreien. Dies gelte insbesondere für die junge Bundesrepublik, die nach Kriegsende und ohne belastende koloniale Vergangenheit mit dem Neuanfang von 1948 die besten Voraussetzungen habe.171

3.1.3. Rüstows Schlüsselbegriffe

Im folgenden sollen Überlegungen und Einstellungen skizziert werden, die sich wie ein roter Faden durch die drei Bände der OdG und darüber hinaus auch durch Rüstows gesamtes Lebenswerk ziehen. Es handelt sich dabei um Schlüsselbegriffe, die Rüstows Welt- und Menschenbild in besonderer Weise prägen. 3.1.3.1. Individuelle Freiheit Die Entscheidungsfreiheit des einzelnen ist die Grundlage für ein menschenwürdiges Leben, in dem dessen Bedürfnisse berücksichtigt werden. Dabei ist die,Freiheit' unteilbar; die Freiheit in bezug auf politische, wirtschaftliche, kulturelle oder religiöse Betätigung sind nur verschiedene Seiten derselben Medaille. Als stärkste Bedrohung der ,Freiheit' identifiziert Alexander Rüstow die Konzentration von Macht,172 die die Entscheidungsfreiheit des einzelnen und damit auch dessen Unabhängigkeit einschränkt. Diese Erkenntnis ist ein tragendes Moment in Rüstows Weltbild, denn als Konsequenz daraus wendet er sich vehement gegen alle Formen der Machtkonzentration, sei sie in privaten oder in staatlichen Händen. Die Begrenzung privater und staatlicher Macht sieht Rüstow am ehesten im Neoliberalismus realisiert: Durch die Schaffung eines Ordnungsrahmens versuche er — so Thielicke - , die individuellen Freiräume im gesellschaftlichen, im politischen und vor allem im wirtschaftlichen Bereich dauerhaft sicherzustellen.173 169 170 171 172 173

Vgl. Hochkeppel, Willy: Modelle des Gegenwärtigen, S. 52. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG, Radiovortrag, S. 264. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG, Radiovortrag, S. 265. Vgl. Eucken-Erdsiek, Edith: Kultur und Herrschaft, S. 448f. Vgl. Thielicke, Helmut: OdG - der Weg und das Lebenswerk Alexander Rüstows, S. 972.

3.1. Rüstows Welt- und Menschenbild

35

Dieser Ordnungsrahmen muß darauf gerichtet sein, unterschiedlichen Arten der Freiheitseinschränkung zu widerstehen; zum einen muß er gewährleisten, daß auf der individuellen Ebene die Freiheitsausübung des einen nicht zu Lasten eines anderen geht; zum anderen muß der Schutz der individuellen Freiheit gleichermaßen auf der institutionellen Ebene gegen Übergriffe seitens des Staates gesichert sein. Im Hinblick auf den Niedergang der Weimarer Republik fordert Rüstow einen starken Staat, der sich der Usurpation durch Parteien und Interessenverbände erwehren kann.174 Ist der Staat dazu nicht in der Lage, besteht die Gefahr, daß er als,Beute' 175 der unterschiedlichen Interessengruppen instrumentalisiert wird oder einer schleichenden Erosion zum Opfer fällt. Der Staat muß also über eine ausreichende Wehrhaftigkeit verfügen, die ihn vor endogenen oder exogenen Ubergriffen schützt.176 Der wirksamste Schutz einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung vor ihrer Instrumentalisierung durch verschiedene Interessengruppen ist dann gewährleistet, wenn die Rahmenbedingungen so gestaltet sind, daß kein Anreiz besteht, aus persönlichen Motiven Einfluß auf die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik auszuüben. Nach Rüstows Überlagerungstheorie 177 sind entwickelte Gesellschaftsordnungen zunächst auf der Grundlage von Machtanwendung entstanden. Allerdings sieht er einen Zusammenhang zwischen der Entwicklungsstufe einer Gesellschaft und deren realisiertem Freiheitsgrad: „Aber je höher das Kulturniveau, desto empfindlicher wird das Fehlen der Freiheit spürbar. Die gleiche Herrschaftlichkeit, die zunächst konzentrierend und steigernd wirkte, wirkt mehr und mehr beengend und hemmend. (...) Alle kulturellen Höchstleistungen haben daher Durchbrechung dieser Bindungen, Befreiungen und Freiheit zur Voraussetzung gehabt, politische Freiheit, und noch mehr geistige Freiheit"178. In einer modernen Gesellschaft muß deren Ordnungsrahmen gewährleisten, daß die Machtausübung auf dieser entwickelten Gesellschaftsstufe in engen Grenzen gehalten wird. Vorbild in der Gestaltung und in dem Ausmaß realisierter Freiheit ist für Alexander Rüstow das antike Griechenland.179 Zugleich ist er von einem grundsätzlich positiven Fortgang der Entwicklung in Richtung Freiheit überzeugt unter der Voraussetzung, daß die politische Führung ihrer Verantwortung ge-

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Vgl. Thielicke, Helmut: OdG - der Weg und das Lebenswerk Alexander Rüstows, S. 972f. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG III, S. 180. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG I, S. 273. Vgl. dazu ausführlicher den folgenden Abschnitt,Überlagerungstheorie' (3.1.3.2.). Rüstow, Alexander: OdG I, S. 271. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG II, S. 11.

36

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

recht wird.180 Den Zustand der von ihm angestrebten Gesellschaftsform nennt er selbst klassenlos,181 eine Gesellschaftsform, die von allen Resten der Uberlagerung, mithin von allen negativen Merkmalen der Herrschaft, befreit sein würde. Dabei liegt ihm aber eine undifferenzierte Einebnung natürlich gewachsener Unterschiede fern: „Das wirkliche Gegenteil von Gewaltherrschaft ist nicht gewalttätige Gleichmacherei, sondern freiwillige, sachgemäße und nach Leistung verteilte Staffelung".182 3.1.3.2. Überlagerungstheorie Der staatssoziologische Ansatz, dem Alexander Rüstow folgt, geht davon aus, daß wesentliche Fortentwicklungen bestehender Gesellschaftsstrukturen insofern von außerhalb initiiert werden, als eine bestehende Gesellschaft durch eine andere unterworfen und fortan zur Sicherung von deren materieller Versorgung gezwungen wird.183 Er setzt diese nachhaltige Uberlagerung und mit ihr den Beginn der gesellschaftlichen Arbeitsteilung mit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren an, als zum ersten Mal Nomadenvölker seßhafte Bauernvölker unterwarfen.184 Gleichzeitig aber bildet diese Form der Arbeitsteilung, die wirtschaftliche Versorgung der Oberschicht und einstigen Überlagerer durch die aus der Überlagerung entstandene Unterschicht, eine elementare Voraussetzung zur Steigerung des Kulturniveaus einer Gesellschaft. Erst die Arbeitsteilung macht es möglich, daß eine Oberschicht sich anderen Aufgaben als der Bewältigung des Lebensunterhaltes zuwendet und diese Aufgaben auch monopolisiert.185 Andere Aufgaben sind in diesem Sinne die Organisation und Führung des Staatsgebildes, der Schutz der inneren wie äußeren Sicherheit, aber auch die Möglichkeit, sich anspruchsvollem Zeitvertreib im Sinne künstlerischer Betätigung hinzugeben. Wenn es zur

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181 182 183

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„Die Linie Antike-Renaissance-Aufklärung, in deren Verlängerung auch wir noch stehen, war durch das christliche Mittelalter und durch Reformation und Gegenreformation nur beschattet, keineswegs unterbrochen. Heute zum ersten Mal ist sie radikal in Frage gestellt, aber je schwerer heute die Freiheit bedroht ist, desto lebendiger wird uns bewußt, in welchem Maße die gesamte abendländische Kultur mit allen ihren Werten und Idealen auf dieser Grundlage ruht". Rüstow, Alexander: OdG I, S. 271 f. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG III, S. 651, A 14. Rüstow, Alexander: OdG III, S. 94. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG I, S. 95; ferner Tönnies, Sibylle: Kulturhistoriker der Freiheit. Dringlicher Hinweis auf Alexander Rüstow, S. 73; Eisermann, Gottfried: OdG I. Band I: Ursprung der Herrschaft, S. 498f.; Salin, Edgar: OdG, Band I, S. 357. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG, Radiovortrag, S. 260. o.V.: Überlagerungstheorie, S. 693.

3.1. Rüstows Welt- und Menschenbild

37

Aufgabenteilung kommt, so geschieht dies im Zuge der Überlagerung im wesentlichen unfreiwillig; das bedeutet, daß nur fortwährende Machtausübung die arbeitsteiligen Strukturen sicherstellt. Auf längere Sicht etablieren sich hierarchische Strukturen, deren Stufen sich im Ausmaß der Freiheit und der Möglichkeit der Einflußnahme voneinander unterscheiden. Nach dem Gesetz der Kulturpyramiden ist die erreichbare Höhe des Kulturniveaus abhängig vom Umfang der versorgenden Unterschicht.186 Je größer sie ist, desto besser versorgt sie die Führungsschicht. Dieser kommt wiederum die organisatorische Aufgabe zu, eine große Anzahl von Menschen arbeitsteilig und produktiv zu organisieren, will sie ihre wirtschaftliche Grundlage voll ausschöpfen. Der Ursprung und die Entwicklung von Hochkulturen wird von Rüstow ambivalent bewertet. Zum einen bedarf es der Gewalt und Herrschaft, um auf der Grundlage einer arbeitsteiligen Gesellschaftsstruktur ein höheres Kulturniveau zu erreichen. Auf der anderen Seite bringt diese Arbeits- und Gewaltenteilung ein hohes Maß an Unfreiheit und Ungerechtigkeit mit sich. Denn häufig, so Rüstow, werden die Rechte und Pflichten, die sich für die jeweiligen Hierarchieebenen ergeben, willkürlich zu Lasten der Unterschicht verteilt.187 Allerdings stellt Rüstow innerhalb einer etablierten Gesellschaftsordnung auf Dauer Neigungen fest, die in Richtung eines Ausgleichs der ursprünglichen Überlagerungs folgen wirken und zwar im Sinne von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gleichheit.188 So schwankt die menschliche Entwicklung für Rüstow zwischen dem Fluch und der Notwendigkeit der Überlagerung: „Die Überlagerung gleicht einer stark giftigen Substanz, die im Laufe eines chemischen Produktionsprozesses zur Herbeiführung wichtiger synthetischer Reaktionen unentbehrlich ist, die aber später wieder vollständig ausgeschieden werden muß, wenn nicht das Produkt mit entsprechenden giftigen Eigenschaften belastet bleiben soll".189 Der Herausbildung höherer Kulturstufen stehen fortwährende Gewaltanwendungen und Ungerechtigkeiten gegenüber. Nach Rüstow ist es die Aufgabe der gesellschaftlichen Führungseliten, die positiven Ergebnisse der Überlagerung herauszuschälen und zu erhalten sowie die negativen Folgen auszumerzen.

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Vgl. Rüstow, Alexander: OdG I, S. 259; ferner dazu ausfuhrlicher Coste, Adolphe: Principes d'une sociologie objective, Paris 1899, S. 154—156. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG I, S. 105. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG I, Kapitel III, S. 205-256. Rüstow, Alexander: OdG I, S. 99; hierzu auch Eucken-Erdsiek, Edith: Kultur und Herrschaft, S. 447; Ebinger, Susanne: Alexander Rüstow und die Soziale Marktwirtschaft, S. 131.

38

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

3.1.3.3. Integrationslehre Eines der herausragenden Phänomene, dessen Beschreibung bei Rüstow in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder auftaucht, 190 ist die Problematik einer fehlerhaften Integration innerhalb einer Gesellschaft. Nach seiner Integrationslehre ist die so2iale Einbindung des einzelnen in seine natürliche Umgebung, in der er einen seinen Stärken und Schwächen entsprechenden Platz einnimmt, für diesen von allergrößter Bedeutung. 191 Diese gilt nicht nur im Hinblick auf sein Wohlbefinden, sondern ist darüber hinaus essentiell für sein Überleben. E s gibt demnach gesellschaftliche Organisationsformen, die das Verhalten des einzelnen in einer Weise beeinflussen, daß dieses nicht nur sein eigenes Fortkommen, sondern auch das seiner Gruppe sichert. Die Größe des Sozialgebildes sowie die Intensität der Beziehungen seiner Mitglieder zueinander bestimmen, inwieweit das individuelle Verhalten gemeinwohlförderlich ist. Für den einzelnen,überschaubare Regelkreise' verdeutlichen dabei am ehesten den unmittelbaren Zusammenhang zwischen eigennützlichem und gemeinwohlförderlichem Verhalten. 192 Verschiedene Entwicklungen aber, so Rüstow, stehen der sozialen Integration entgegen: Industrialisierung, Bevölkerungszunahme, Verstädterung und der schwindende Einfluß der Kirchen führen zu einer Auflösung der traditionellen Bindungen und damit zur Isolierung des einzelnen Menschen. Der Verlust übergeordneter Werte, die für den Zusammenhalt von Solidargemeinschaften notwendig sind, und die dem einzelnen eine Orientierung in bezug auf sein Handeln geben, begünstigt die Verrohung des einzelnen sowie die gegenseitige Entfremdung. In dem Maße, in dem sich die ursprünglichen Regelkreise auflösen, steigt der Bedarf an Substituten, die zumindest das Gefühl subjektiver Einbindung und Sicherheit geben. Diese Schlußfolgerung ergibt sich aus Rüstows Überlegungen, daß die mangelnde Einbindung des Individuums in ein traditionelles Wertesystem zu dessen Orientierungslosigkeit führt. Dies wiederum kann den einzelnen unter Umständen dazu verführen, sich Bewegungen anzuschließen, bei denen die Einbindung des einzelnen nicht primär auf dessen Wohlergehen, sondern auf andere, etwa ideologische, religiöse oder machtpolitische Ziele gerichtet ist. Rüstow unterscheidet zwei unterschiedliche Erscheinungsformen fehlerhafter Einbindung in eine Gemeinschaftsstruktur und ordnet diese bestehenden Ge-

190

191 192

So etwa bei der Analyse der rationalistischen und irrationalistischen Tendenzen im dritten Band der OdG, bei seiner Forderung nach einer zufriedenstellenden Vitalsituation; vgl. OdG III, S. 164 und 520ff. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG III, S. 120. Vgl. dazu ausführlicher Starbatty, Joachim: Die Soziale Marktwirtschaft aus historischtheoretischer Sicht, S. 9, 17ff.

3.1. Rüstows Welt- und Menschenbild

39

sellschaftsformen zu; deren teils geographische, vor allem aber wirtschafte- und gesellschaftspolitische Trennungslinie verläuft entlang des ehemaligen ,Eisernen Vorhanges'.193 Sozialistische Regime leiden danach an ,Distanzlosigkeit' und somit an Überintegration, während kapitalistische an ,Beziehungslosigkeit' und infolgedessen an Unterintegration leiden.194 Mit Uberintegration bezeichnet Rüstow einen Zustand, in dem von staatlicher Seite der Versuch unternommen wird, jegliche Bindungen, die sich aus traditionellen Gemeinschaftsstrukturen ergeben, aufzulösen und durch eine staatlich verordnete und kontrollierbare Integration zu ersetzen.195 Die Unterintegration hingegen beschreibt einen,Mangel an Eingeordnetsein',196 einen ,Mangel an lebendiger Bindung',197 auf den letztlich ,viele Formen unseres Mißbehagens' zurückzuführen seien.198 Die beiden fehlerhaften Formen der Integration führen über die Auflösung individueller, persönlicher Bindungen zur ,Vermassung' der Bevölkerung, einem Zustand, der dadurch gekennzeichnet ist, daß eine Vielzahl von Individuen nur physisch, etwa in einer Großstadt, zusammengefügt ist, sich aber nicht inhaltlich in einer Werte- und Lebensgemeinschaft zusammengefunden hat. Alexander Rüstow unterscheidet in diesem Sinne .organische Gemeinschaftsbeziehungen' von ,mechanischen Gesellschaftsbeziehungen'. 199 Natürlich gewachsene Integrationsnetze mit ihren familiären, direkten und sehr persönlichen Beziehungen werden durch einen lockeren und zufälligen Zusammenschluß einer Menge sich fremder Menschen abgelöst. Dieser Mangel an gewachsenen und persönlichen Beziehungen wird durch staatlich definierte Ziele ersetzt. Insofern stehen Vermassung auf der kollektiven Ebene und Vereinsamung auf der individuellen Ebene in unmittelbarem Zusammenhang. 200 Dieser nach Rüstow verheerenden Entwicklung stellt er als Alternative das Idealbild gewachsener Gemeinschaftsstrukturen familiärer und dörflicher Art gegenüber.201 Er strebt dabei eine Gesellschaftsstruktur an, wie er sie seit seinen jugendbewegten Zeiten idealisiert, weil in ihr die Gemeinschaft im Mittelpunkt

193 194 195 196 197 198

199 200 201

Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 458. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 42. Vgl. Rüstow, Alexander: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 217. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 458. Vgl. Rüstow, Alexander: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 216. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 458; Soziale Marktwirtschaft als Gegenprogramm gegen Kommunismus und Bolschewismus? S. 105. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG III, u.a. S. 139 und FN 56 auf S. 595. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG III, S. 139. Vgl. Rüstow, Alexander: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 216.

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3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

steht, in der der Mensch ein ihm würdiges Dasein verwirklichen kann.202 Zwischen den Gegensätzen der Unter- und Uberintegration möchte Rüstow einen dritten Weg begehen, der von einem „... Gleichgewicht zwischen Selbständigkeit des einzelnen und genossenschaftlicher Verbundenheit ,.."203 geprägt ist. Da für Rüstow die Familie die,Zelle aller Sozialorganismen' ist, muß das Bemühen, diese Formen des Massenzustandes zu überwinden, an der Förderung familiärer Strukturen ansetzen.204 Rüstow ist davon überzeugt, daß nur eine die gesamte Bandbreite der Einflüsse auf das menschliche Leben berücksichtigende Vitalpolitik205 in der Lage ist, der Vermassung in ihren unterschiedlichen Ausprägungen und mit ihren negativen Folgen wirksam und nachhaltig entgegenzuwirken. 206

3.1.4. Kritik

Bei den Autoren, die Rüstows Werk aus soziologischer, historischer, philosophischer oder wirtschaftswissenschaftlicher Sicht betrachtet haben, überwiegt zwar insgesamt der Respekt vor der gewaltigen wissenschaftlichen Leistung, die Rüstow mit seinem interdisziplinären Ansatz und umfangreichen Detailwissen in der,Ortsbestimmung der Gegenwart' zusammengetragen hat. Allerdings wird auch — in unterschiedlich scharfer Form - Kritik, insbesondere an der Art der Rüstowschen Geschichtsdeutung, geübt.207 Die Kritik wendet sich vor allem gegen die Dominanz der Überlagerungstheorie, die Rüstow sämtlichen historischen Erscheinungen zugrunde legt.208 So etwa geht manchen Rüstows Auffassung, daß jede Staatsform die verfestigte Konsequenz einer Überlagerung sei, deutlich zu weit.209 202

Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 41; ebenso Kapitel 2. dieser Arbeit. Ausführlich zur Jugendbewegung u.a. Hegner, Ulrich: Verhalten der Bündischen Jugend nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, Hamburg 1991.

203

Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 42.

204

Vgl. Rüstow, Alexander: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 220f. Vgl. ausführlicher zu dem Begriff der Vitalpolitik das Kapitel Rüstows vitalpolitische Konzeption (3.3.) dieser Arbeit. Vgl. Rüstow, Alexander: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 236. Vgl. dazu ausführlich Kempski, Jürgen v.: Brechungen, S. 66ff.; Hochkeppel, Willy: Modelle des Gegenwärtigen, S. 5 1 - 6 4 ; Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 126ff. Vgl. u.a. Eucken-Erdsiek, Edith: Kultur und Herrschaft, S. 449; ähnlich auch Berkefeld, Wolfgang: Weg der Freiheit, S. 169f. u. 176, Salin, Edgar: OdG, Band I, S. 358 und Kempski, Jürgen v.: Brechungen, S. 67; ferner Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 126. Vgl. Hochkeppel, Willy: Modelle des Gegenwärtigen, S. 53f.

205

206 207

208

209

3.1. Rüstows Welt- und Menschenbild

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Ferner wird Rüstow vorgeworfen, sein Geschichtsurteil sei teilweise subjektiv geprägt und entspreche in erster Linie seinem persönlichen Geschmacksurteil'. 210 Dies ist unter anderem auf Stellen bezogen, in denen Rüstow die moderne Kunst 2 ", die zeitgenössische Literatur212 oder den technischen Fortschritt213 bewertet. Des weiteren wird kritisiert, daß sich Rüstow auf die abendländische, kontinentaleuropäische und zuletzt auch deutsche Entwicklungsgeschichte der Geistes freiheit konzentriert. Dabei wird darauf hingewiesen, daß eine ausführlichere Darstellung etwa der geistesgeschichtlichen Entwicklung orientalischer Hochkulturen wie China oder Indien, die Entwicklung der Demokratie in England und Nordamerika oder auch die Berücksichtigung europäischer Randmächte wie Schweden, Polen oder Spanien fehle. Ein weiterer Kritikpunkt setzt an der fehlenden Berücksichtigung etwa der europäischen Kriege des 16. bis 18. Jahrhunderts sowie der Beschränkung der Darstellung des 19. und 20. Jahrhunderts auf die Geistesgeschichte an.214 Auch wird der Vorwurf formuliert, daß Rüstow bei der Darstellung historischer Ereignisse teilweise die Grenze von der sachlichen Beschreibung zum Kommentar überschreitet: „Wo politisch-historische Geschehnisse behandelt werden, geschieht dies überdies kaum je in deskriptiv-erzählerischer Weise, sondern in der Form eines Kommentars oder einer Interpretation dieser Ereignisse für einen Leser, dessen Kenntnis der Fakten offensichtlich vorausgesetzt wird. (...) Über weite Strecken liest sich die OdG deshalb als ein einziger großer Kommentar zur Geistesgeschichte Europas, der wissenschaftliche Diskussion und analytische Interpretation ebenso enthält wie das beständige Räsonnieren und Beurteilen des Autors als Früchte seines Nachdenkens". 215 Dieser Kritik an einzelnen Sachverhalten ist grundsätzlich entgegenzuhalten, daß ein so umfangreicher Ansatz wie der Rüstowsche den Anspruch, in jedem einzelnen Detail der unterschiedlichen Forschungsgebiete den Stand der jüngsten Forschung wiederzugeben, nicht erfüllen kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn man sich vor Augen führt, daß die wesentlichen Überlegungen zur OdG während der Isolation seines türkischen Exils entstanden sind. Auch Rüstow selbst erhebt

210 211 2,2

Vgl. Hochkeppel, Willy: Modelle des Gegenwärtigen, S. 53, 62f. Vgl. Rüstow, Alexander: O d G III, S. 132ff. Vgl. Rüstow, Alexander: O d G III, S. 134ff.

213

Vgl. Hochkeppel, Willy: Modelle des Gegenwärtigen, S. 58f.; Rüstow, Alexander: O d G III, Kap. 1.5.

214

Vgl. Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 184f. Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement, S. 185 f.

215

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3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

nicht den Anspruch auf Vollständigkeit;216 er möchte sich auf die nach seinem Empfinden wesentlichen Einflüsse und Entwicklungen konzentrieren, die dazu geführt haben, daß Hochkulturen des Abendlandes in die totalitären Katastrophen des 20. Jahrhunderts abgerutscht sind.217 Von dieser Zielsetzung ausgehend, ist es nur konsequent, wenn Rüstow — trotz seines universellen Ansatzes — nicht auf die Entwicklung beispielsweise der orientalischen Hochkulturen eingeht, da diese keinen unmittelbaren Einfluß auf die Entstehung der Diktaturen in Europa genommen haben. Letztlich ist die OdG ein weiterer Versuch, die Komplexität der menschlichen Entwicklung zu analysieren und dabei die Interdependenzen der betroffenen Wissenschaftsgebiete aufzudecken. 218 Am Ende steht ein in sich geschlossenes Erklärungsmodell, welches in einzelnen Aspekten zwar kritisiert werden kann, in seiner Gesamtheit aber einen Uberblick über die geschichtliche und soziologische Entwicklung der Menschheit vermittelt.219 Damit bietet das Werk eine Arbeitsgrundlage, an Hand derer man typisch menschliche Verhaltensweisen analysieren kann. Dazu gehören auch solche, die in ihren extremen Ausprägungen in die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts geführt haben. Über das ganze Werk sind Schlußfolgerungen, Hinweise und Anleitungen verteilt, die zum Nachdenken und zur Diskussion anregen sollen,220 und bei deren Berücksichtigung sich eine friedlichere und gerechtere Zukunft gestalten ließe. In diesem Sinne bezeichnet Berkefeld den dritten Band der Ortsbestimmung der Gegenwart sogar als ein ,Handbuch der Moral'.221

216 217

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219 220 221

Vgl. Rüstow, Alexander: OdG II, S. 475f. Vgl. Berkefeld, Wolfgang: Herrschaft oder Freiheit. Zu Alexander Rüstows OdG Bd. III, S. 399. Von verschiedener Seite ist die OdG in den gleichen Rang neben die Lebenswerke Alfred Webers, Toynbees oder Sprenglers gestellt worden. So etwa bei: Salin, Edgar: OdG, Band I, S. 358, bei Thielicke, Helmut: OdG - der Weg und das Lebenswerk Alexander Rüstows, S. 968 oder bei Kempski, Jürgen v.: Brechungen, S. 66f. Vgl. Salin, Edgar: OdG, Band I, S. 358. Vgl. Eucken-Erdsiek, Edith: Kultur und Herrschaft, S. 449. Vgl. Berkefeld, Wolfgang: Herrschaft oder Freiheit. Zu Alexander Rüstows OdG Bd. III, S. 403.

3 . 2 . Rüstows staats- und g e s e l l s c h a f t s p o l i t i s c h e

Konzeption

In einer Gesellschaftsordnung, in der Demokratie und Marktwirtschaft verwirklicht sind, bestehen unterschiedliche Interessensphären, die Rüstow in wirtschaftliche und überwirtschaftliche gliedert und in deren Wirkungsbereichen unterschiedliche Organisationsmechanismen vorherrschen. Für die Wirtschaft spricht Rüstow von deren dienender Funktion, Wirtschaften sei nicht Selbstzweck, sondern habe die materielle Versorgung des einzelnen sowie der Gemeinschaft sicherzustellen.222 Diese Unterordnung bedeutet für ihn konsequenterweise, den Rahmen und die Bedingungen für die Entfaltung der Wirtschaft festzulegen. Den Geltungsbereich der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen will Rüstow auf den Markt beschränkt wissen; vor allem für diesen Bereich läßt er den Wettbewerb als Organisationsprinzip gelten. Die durch die Ordnungspolitik gesetzten Rahmenbedingungen begrenzen den Wettbewerb der Wirtschaftssubjekte auf dem Markt und schützen diesen vor Entartungen des wirtschaftlichen Gebarens, wie sie Rüstow für die Zeit des wirtschaftlichen Liberalismus diagnostiziert.223 Die darüber hinausgehenden Lebensbereiche wie Kultur, Erziehung und Familie, Ethik und Religion oder Staat sind für Rüstow von größerer Bedeutung als das Wirtschaften. 224 Er bezeichnet diese Bereiche als Marktrand und vertritt die Auffassung, daß das Verhalten in diesen Lebensbereichen durch moralische Werte gesteuert wird.225 Die Unterscheidung in Markt und Marktrand erfordert eine Instanz, die die Grenzen zwischen diesen Bereichen definiert, den jeweiligen Ordnungsrahmen gestaltet und dessen Einhaltung gewährleistet. Unter bestimmten Voraussetzungen weist Rüstow diese Aufgabe dem Staat zu. Zum einen verlangt er eine möglichst weitgehende Beschränkung der staatlichen Aktivitäten und stützt sich in der Frage der Aufgabenzuordnung auf das Subsidiaritätsprinzip;226 zum anderen fordert er einen starken Staat, in dessen Unabhängigkeit er den Garanten einer langfristig angelegten, sachlichen Politik sieht.227 222

Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 3.

223

Vgl. Rüstow, Alexander: Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus, S. 68—86. Unter dieser Entartung versteht Rüstow u.a. die Verdrängung der Leistungskonkurrenz durch die Behinderungskonkurrenz (S. 68-70), einen den Mittelstand zerstörenden Konzentrationsprozeß (S. 71 f), zunehmenden staatlichen Protektionismus und Interventionismus (S. 73—78) sowie den wachsenden Einfluß privatwirtschaftlicher Interessengruppen auf den (wirtschafts-) politischen Entscheidungsprozeß (S. 83f). Vgl. Rüstow, Alexander: Wirtschaft als Dienerin der Menschlichkeit, S. 77. Vgl. Rüstow, Alexander: Wirtschaftspolitik und Moral, S. 13. Vgl. dazu ausführlicher den Abschnitt zur Subsidiarität als gesellschaftliches Organisationsprinzip (3.2.1.). Vgl. zu den Einzelheiten des Rüstowschen Staatsverständnisses den Abschnitt zum ,starken Staat' im neoliberalen Konzept (3.2.2.).

224 225 226

227

44

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

3.2.1. Die Subsidiarität als gesellschaftliches Organisationsprinzip

Nach Rüstows Auffassung ergeben sich die Aufgaben, die der Staat zu erfüllen hat, aus den Zielen, die von der Gesellschaft definiert werden. Fehlten diese gemeinsamen Ziele, dann mangele es der Gemeinschaft an verbindenden Elementen, welche diese im Kern zusammenhielten und den Mittelpunkt ihrer Integration bildeten.228 Für Rüstow liegt dieses übergeordnete, verbindende Ziel in der Realisierung und Erhaltung einer Gemeinschaft, in der sich Freiheit und Gerechtigkeit mit sozialem Ausgleich verbinden. In Rüstows Wirtschaftskonzeption hat der Staat in der Rolle eines Schiedsrichters die Einhaltung des von ihm gesetzten Ordnungsrahmens zu gewährleisten; diese Aufgabe schließt aus, daß er selbst als Wirtschaftssubjekt in Erscheinung treten darf.229 Dies hat zwei Gründe: Zum einen besteht die Gefahr, daß sich der Staat durch seine wirtschaftlichen Verflechtungen zunehmend in eine Abhängigkeit, zumindest aber in eine Beziehung zu anderen Wirtschaftssubjekten manövriert, die ihn nicht mehr seine neutrale Schiedsfunktion ausüben läßt; zum anderen besteht die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen, wenn der Staat selbst die Bedingungen festlegen kann, unter denen er als Wirtschaftssubjekt handelt. Also ist für den Staat Zurückhaltung geboten. Eine solche Selbstbeschränkung des Staates erachtet Rüstow als notwendig für die Unabhängigkeit des Staates. Eine verantwortungsvolle (Selbst-) Beschränkung des Staates hat entscheidende Vorteile. Je weniger Felder vom staatlichen Engagement betroffen sind, um so umfangreichere Entfaltungsmöglichkeiten besitzen die einzelnen Wirtschaftssubjekte. Dieser Ansatz deckt sich mit den Ausführungen Euckens, wonach eine Ausweitung der zentralen Planung gleichzeitig die Einschränkung von Freiheitsrechten der Betriebe und Haushalte, wie etwa die der Gewerbe- und Vertragsfreiheit oder der Freizügigkeit, bedeutet; problematisch sei dabei insbesondere die schleichende Entrechtung des Bürgers durch den Staat.230 Des weiteren muß der Staat seine Aktivitäten über Steuern und Abgaben finanzieren. Durch eine Konzentration der Staatsaufgaben wird gleichzeitig eine Einschränkung der Staatsausgaben erreicht und somit eine übermäßige Belastung des Steuerzahlers vermieden.231 Die Begrenzung der staatlichen Wirtschaftsaktivitäten fördert dessen eigene Unabhängigkeit. 232 Ein staatliches Engagement auf allen nur denkbaren Gebieten sei kein Ausdruck der Stärke, sondern nur eines ,Nicht-mehr-seine228 229

230 231 232

Vgl. Vgl. Das Vgl. Vgl. Vgl.

Rüstow, Alexander: Zielgemeinschaft tut not, S. 33; ders.: OdG III, S. 187. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 5; ders.: christliche Gewissen und die neoliberale Marktwirtschaft, S. 51. Eucken, Walter: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 333. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 36. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 68.

3.2. Rüstows staats- und gesellschaftspolitische Konzeption

45

Grenzen-kennens'. 233 Erneut werden Parallelen zu Eucken deutlich; dieser stellt zwei Grundsätze auf, deren Befolgung erst zu einem unabhängigen Staat führen: Die Wirtschaftspolitik des Staates müsse zum einen darauf gerichtet sein, das Entstehen wirtschaftlicher Machtgebilde zu unterbinden; zum anderen müsse sie auf die Gestaltung des wirtschaftlichen Ordnungsrahmens, nicht aber auf die Lenkung des Wirtschaftsprozesses gerichtet sein. Erst unter diesen Voraussetzungen könne der Staat als,ordnende Potenz' im Bereich der Wirtschaft Verantwortung übernehmen. 234 Zieht sich der Staat aus Aktivitäten zurück, die nicht zu seinen originären Aufgaben gehören, ist es notwendig, die bisher von ihm erledigten Aufgaben auf diejenige gesellschaftliche Ebene zu verlagern, die aus räumlicher, inhaltlicher oder persönlicher Nähe den engsten Bezug zu dem entsprechenden Problem hat. Rüstow verweist in dem Zusammenhang der Dezentralisierung von Aufgaben auf das der katholischen Soziallehre entlehnte Subsidiaritätsprinzip.235 In der Sozialenzyklika ,Quadragesimo anno' von 1931 wird mit Bezug auf vorhergehende Enzykliken, insbesondere auf ,Rerum novarum', zu deren 40. Jahrestag sie verfaßt wurde, das Subsidiaritätsprinzip umschrieben:236 „Wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen". Rüstows Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip als einer gesellschaftlichen Gestaltungsnorm ist vor dem Hintergrund seiner Überzeugung zu sehen, daß die Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit, seiner Freiheit und seiner Selbstverantwortung nicht durch staatliche Aktivitäten, insbesondere durch eine Ausweitung der kollektiven sozialen Sicherung, beeinträchtigt werden darf.237 Bei der Interpretation des Subsidiaritätsprinzips ist anzunehmen, daß Rüstow weitgehend

233

234 235

236 237

Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 66; in diesem Sinne auch Eucken, Walter: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 327. Vgl. Eucken, Walter: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 334ff. Vgl- Rüstow, Alexander: Soziale Marktwirtschaft als Gegenprogramm gegen Kommunismus und Bolschewismus, S. 105f. Pius XI: Quadragesimo Anno, Randziffer 79, S. 64. Vgl. Rüstow, Alexander: Wohlfahrtsstaat oder Selbstverantwortung? S. 367; ders.: Die Deckung des Krankheitsrisikos in der Sozialen Marktwirtschaft, S. 175.

46

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

Arthur F. Utz folgt.238 Dieser leitet aus der Subsidiarität den Schutz der individuellen Rechte vor denen der Gesellschaft oder des Staates ab. Ein in der Hierarchie übergeordnetes soziales Gebilde darf demnach Aufgaben, mit deren Bewältigung eine untergeordnete Ebene betraut ist, erst dann an sich ziehen, wenn die untergeordnete Ebene zu einer Lösung der Aufgabe nicht in der Lage ist. Utz geht mit seiner Forderung sogar noch einen Schritt weiter und möchte die übergeordnete Ebene dazu verpflichten, Hilfestellung nur für den Teil der Aufgabenbewältigung zu gewähren, der die Kräfte der untergeordneten Ebene übersteigt.239 Insgesamt sieht er die Subsidiarität in einem engen Zusammenhang mit der Solidarität, die für ihn eine grundsätzliche Bereitschaft, unter Umständen auch einen Zwang zur Hilfeleistung darstellt, ohne in Erwartung einer äquivalenten Gegenleistung zu stehen. Auf dieser Basis benennt die Subsidiarität dann in Form der Eigeninitiative und der Bedürftigkeit die Bedingungen, unter denen solidarische Hilfe geleistet wird.240 Oswald v. Nell-Breuning hält die negative Auslegung der Subsidiarität, wonach deren Bedeutung vor allem in der Abwehr kollektivistischer Tendenzen zu sehen ist, bei Utz für überbetont. Insbesondere während der Diskussionen um die Gestaltung des Kindergeldes sowie die Reform der Sozialleistungen in den 50er Jahren hat v. Nell-Breuning eine positive Auslegung des Subsidiaritätsprinzips vertreten; dieser Auslegung zufolge sei die Hilfeleistung durch die Gesellschaft vor allem danach zu bewerten, ob sie im eigentlichen Sinne des ,subsidium afferre' an der Bedürftigkeit ansetzt und tatsächlich geeignet ist, dem Empfänger Beistand und Milderung seiner Lage zu leisten. Gleichzeitig aber macht er deutlich, daß es sich bei der positiven und negativen Auslegung des Subsidiaritätsprinzips nicht um sachliche Gegensätzlichkeiten, sondern lediglich um Nuancen einer im Grundsatz gleichen Sichtweise handelt.241 Dieser prinzipiellen Übereinstimmung entspricht auch, daß v. Nell-Breuning - wie Utz - das Subsidiaritätsprinzip als Zuständigkeitsnorm begrifft, an Hand derer die Zuweisung von Verantwortlichkeiten an die verschiedenen Ebenen der gesellschaftlichen und staatlichen Hierarchien möglich ist. Gleichwohl läßt das Subsidiaritätsprinzip als Zuständigkeitsnorm einen weiten Ermessensspielraum offen. Nicht in jedem Fall sei eindeutig zu bestimmen, ob eine Maßnahme noch dem Geist der Subsidiarität ent-

238

Diese Annahme stützt sich auf eine Textstelle, in der Rüstow gezielt auf Utz verweist; vgl. Rüstow, Alexander: Wohlfahrtsstaat oder Selbstverantwortung? S. 366f.

239

Vgl. Utz, Arthur F.: Das Subsidiaritätsprinzip, S. 8; vgl. ferner ders.: Grundsätze der Sozialpolitik, S. 13f. Vgl. Utz, Arthur F.: Grundsätze der Sozialpolitik, S. 15f. Vgl. Nell-Breuning, Oswald v.: Subsidiaritätsprinzip, S. 827f., 831; ders.: Einführung in die Literatur der katholischen Soziallehre, S. 128.

240 241

3.2. Rüstows staats- und gesellschaftspolitische Konzeption

47

spreche.242 Dennoch könne das Prinzip der Subsidiarität als ,wertvolle Leitregel' angewandt werden.243 Mit Blick auf die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips in der Gegenwart spricht Nörr von ihm als einer ,Klugheitsregel', deren Berücksichtigung in der Realpolitik von Fall zu Fall zweckdienlich sein kann, deren Berücksichtigung aber nicht auf jeden Fall zwingend ist.244 Die Nuancierung zwischen positiver und negativer Auslegung des Subsidiaritätsprinzips ist bei Rüstow nicht in dieser Weise nachzuvollziehen; für ihn stellt die über die Subsidiarität angestrebte Dezentralisierung von Aufgaben insofern ein wesentliches Moment einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung dar, als sie entscheidenden Anteil an der Mobilisierung individueller und gesellschaftlicher Kräfte hat. Dabei sind gegenseitige Hilfestellung und freiwilliges Einordnen in eine Hierarchie sich ergänzender Regelkreise für Rüstow Ausdruck einer funktionierenden Gemeinschaft. Die Regelkreise beginnen, wie oben beschrieben, mit der Familie. „Das nächste in der Staffelung nach oben wäre dann, innerhalb des Sektors der Wohnwelt, die Gruppe, die Siedlungsgemeinschaft, die Nachbarschaft, die Gemeinde". 245 Anwendung, so Rüstow, findet die gegenseitige Hilfestellung etwa beim (privaten) Häuserbau in Siedlungen246 oder bei der Gründung von Nachbarschaftsbewegungen 247 , die sich um die Lösung wohnviertelbezogener Probleme bemühen. Solche Arten von Eigeninitiative, die zunächst aus eigener Kraft versuchen, Probleme zu lösen, bevor sie sich zu deren Lösung an staatliche Stellen wenden, finden Rüstows volle Unterstützung und sollten nach seiner Meinung sogar ,eigene Entscheidungsbefugnisse, Zuständigkeiten und Verantwortungen' verliehen bekommen. 248

3 . 2 . 2 . D e r .starke S t a a t ' i m n e o l i b e r a l e n Konzept

Rüstows Vorstellungen von einem sich den Einflüssen verschiedener Lobbygruppen erwehrenden Staat bündelt er in der Forderung nach einem starken und unabhängigen Staat. Der starke Staat neoliberaler Prägung hat nichts mit dem tradi-

242

243 244 245 246 247 248

Zur Bandbreite der Interpretationsspielräume vgl. auch Höffe, Otfried: Subsidiarität als staatsphilosophisches Prinzip, S. 50f. Vgl. Nell-Breuning, Oswald v.: Subsidiaritätsprinzip, S. 830, 832. Vgl. Nörr, Knut Wolfgang: Subsidiarität, privatrechtstheoretisch betrachtet, S. 239. Rüstow, Alexander: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 224. Vgl. Rüstow, Alexander: Vom Sinn des Eigenheims, S. 401. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 457. Vgl. Rüstow, Alexander: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 226.

48

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

tionellen Obrigkeitsstaat des 19. Jahrhunderts gemeinsam. 249 Wenn Rüstow von einem starken Staat spricht, dann geschieht das vor dem Hintergrund einer neuen Staatsauffassung in dreifachem Sinne: 1. Zum einen bedingt sie eine andere Selbsteinschätzung der politischen Führung: Als Maßstab für die Entscheidungen der politischen Verantwortungsträger dürfte ausschließlich das langfristige Interesse des Gemeinwohls dienen; die Eigeninteressen der politischen Klasse, wie Machterhalt oder materielle Absicherung, müßten aus Verantwortungsbewußtsein in den Hintergrund treten. 2. Zum zweiten bedingt sie eine neue Einstellung auf der Seite des Volkes: Politik ist die aktive Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens.250 Da jeder einzelne an dem gesellschaftlichen Leben teilnimmt, verlangt die neue Staatsauffassung auch eine aktive Teilnahme am politischen Leben. 3. Zum dritten würde die von Rüstow geforderte neue Staatsauffassung auch ein anderes Verständnis von politischer Verantwortung seitens der politischen Führung einschließen. Schon 1929, vor dem Hintergrund der politischen Instabilität der Weimarer Republik, kritisiert er die Verantwortungs flucht der politischen Klasse in doppelter Hinsicht.251 Erstens wendet er sich gegen die Art der damaligen Entscheidungsfindung bei häufig wechselnden parlamentarischen Mehrheiten. Für die Unzulänglichkeit ausgehandelter Kompromisse wurde die jeweils andere Seite verantwortlich gemacht. Die häufig wechselnden Mehrheiten führten unter der Beteiligung jeweils unterschiedlicher Parteien zu Koalitionsregierungen, die nach dem ,Prinzip des Kuhhandels' ihre politische Einigung erzielten.252 Politisch notwendige Entscheidungen wurden, so Rüstow, auf diese Weise hinausgezögert und darüber hinaus nicht mehr von einer klar zu identifizierenden Gruppe verantwortet. Zweitens wurde diese Entwicklung dadurch forciert, daß das Ergebnis bestimmter Entscheidungen vor den parlamentarischen Verhandlungen bereits vorgegeben war. Rüstow kritisiert, daß diese Vorgaben in den Parteigremien, die sich in ihrer Urteilsfindung vor allem durch partei- und klientelpolitische Interessen leiten ließen,

249

Vgl- Besson, Waldemar: Vorbemerkung zum Aufsatz von Alexander Rüstow: Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik, S. 86. Diesem Aufsatz, der erst 1959 veröffentlicht wurde, liegt die Rede „Diktatur innerhalb der Grenzen der Demokratie" zugrunde, die Alexander Rüstow bereits 1929 an der Deutschen Hochschule für Politik gehalten hat. Die Gedankengänge in diesem Text sind also aus den unmittelbaren Eindrücken der wirtschaftlichen und politischen Situation von 1929 entstanden. Vgl. ferner Alexander Rüstow: Freedom and Domination, FN 135, S. 679.

250 251

Vgl. Rüstow, Alexander: Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik, S. 94. Vgl. Rüstow, Alexander: Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik, S. 89.

252

Vgl. Rüstow, Alexander: Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik, S. 89.

3.2. Rüstows staats- und gesellschaftspolitische Konzeption

49

entwickelt wurden.253 Er äußert gegenüber dieser Präjudizierung' politischer Entscheidungen insofern verfassungsrechtliche Bedenken, als inhaltliche und formale Entscheidungen auseinanderfallen. Formal verantwortungslose Parteigremien nehmen den eigentlich damit beauftragten Parlamentariern die Entscheidung ab und lassen sich ihr Ergebnis durch die gewählten Volksvertreter nachträglich absegnen, womit die politische Verantwortlichkeit verwischt wird.254 Ein weiteres Problem sieht Rüstow in der Tendenz, daß eigentlich politische Sachverhalte den verschiedenen Instanzen der Justiz zur Entscheidung vorgelegt werden. Dadurch eröffnet sich eine weitere Möglichkeit, die Verantwortung politischer Entscheidungen auf den formalen Teil zu reduzieren.255 Vor dem Hintergrund der konstitutiven Schwächen der Weimarer Verfassung entwickelt Rüstow Alternativen, die im wesentlichen darauf hinauslaufen, das politische Anreizsystem so zu verändern, daß das oben aufgezeigte politische Gebaren vermieden wird.256 Diese grundlegende Erneuerung, so Rüstow, sei aber nur durch eine Bewußtseins- und auch Verfassungsänderung herbeizuführen. Im Mittelpunkt der von ihm empfohlenen Verfassungsänderung steht die Vision eines gestärkten Regierungschefs in Form eines Kanzlers, dem zu Beginn seiner Kanzlerschaft eine Bewährungsfrist zugestanden wird. Rüstows Ausführungen lassen ein parlamentarisches Verfahren erkennen, welches in den Grundzügen der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers und dem konstruktiven Mißtrauensvotum ähnlich ist.257 Zunächst müßten, so Rüstow, nur der Kanzler, nicht aber einzelne (Koalitions-) Minister dem Parlament gegenüber verantwortlich sein.258

253 254 255

256 257 258

Vgl. Rüstow, Alexander: Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik, S. 89. Vgl. Rüstow, Alexander: Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik, S. 89f. Vgl. Rüstow, Alexander: Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik, S. 89. Bemerkenswert bei diesem Vorwurf ist seine andauernde Aktualität; in der jüngsten Vergangenheit hat das Bundesverfassungsgericht mit seinen Urteilen etwa zur Neuregelung des Abtreibungsparagraphen § 2 1 8 (Urteil v. 28.5.1993 - BVerfGE Bd. 88, S. 203-337), zu Kampfeinsätzen der Bundeswehr außerhalb des Nato-Vertragsgebiets (Urteil v. 12.7.1994 - BVerfGE Bd. 90, S. 2 8 6 - 3 9 0 ) oder zur Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Erziehungsgemeinschaften in bezug auf die steuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten (Urteil v. 1 0 . 1 1 . 1 9 9 8 - Az. BvR 1057/91; noch nicht in BVerfGE veröffentlicht) vom Grundsatz her politische Entscheidungen getroffen, die eigentlich dem Bundestag oblegen hätten. Gegenwärtig anhängig ist eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Länderfinanzausgleichs; für die nahe Zukunft ist zu vermuten, daß die Rechtmäßigkeit einer generellen doppelten Staatsbürgerschaft verfassungsrechtlich überprüft wird. Vgl. Rüstow, Alexander: Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik, S. 11 Of. Vgl. Rüstow, Dankwart: Alexander Rüstow (1885-1963): A Biographical Sketch, S. XXI. Vgl. Rüstow, Alexander: Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik, S. 97.

50

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

Während seiner „Bewährungsfrist" soll der Kanzler Gelegenheit haben, seine politischen Vorstellungen umzusetzen, ohne unter dem Druck zu stehen, jederzeit abgewählt werden zu können.259 Diese Karenzzeit, die Rüstow mit grob einem Jahr veranschlagt, würde sich auf den Kanzler selbst und auf seine gesetzlichen Maßnahmen' erstrecken.260 Eine detaillierte, zeitliche und inhaltliche Ausgestaltung der Schonfrist nennt Rüstow nicht. Das ist auch sekundär, denn die Bedeutung dieses Vorschlages liegt in der Erkenntnis, daß politische Entscheidungen an ihren langfristigen Konsequenzen zu messen und nicht als Gegenstand parteipolitischer Taktik zu mißbrauchen sind. Die politischen Entscheidungen könnten sich seiner Meinung nach zunehmend an deren Konsequenzen messen lassen, was die Entscheidungsfindung versachlichen würde.261 Eine weitere Stabilisierung der politischen Verhältnisse erwartet Rüstow von einer Änderung des Wahlrechts.262 Seine Kritik richtet sich vor allem gegen das proportionale Wahlrecht, welches für ihn die Ursache der destruktiven Parteienvielzahl der Weimarer Republik darstellte. Nach seinen Vorstellungen wäre ein durch das Mehrheitswahlrecht (nach englischem Vorbild) zusammengesetztes Parlament erheblich weniger krisenanfällig, da dieses im Parlament zu stabilen Mehrheiten führe.263 Darüber hinaus wendet er sich gegen den Einzug von Abgeordneten über Listenplätze in das Parlament; auf diese Weise werde verhindert, daß sich alle Abgeordneten dem Votum der Wähler stellen müßten. Statt dessen könnten die Parteien über die von ihnen in das Parlament entsandten Vertreter entscheiden.264 Insgesamt mißt Rüstow die Tauglichkeit einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung an den Chancen, die diese in bezug auf die Realisierung der individuellen Freiheiten bietet. Dabei kommt es, wie im vorigen Abschnitt dargestellt, auf der einen Seite auf die Verankerung der Freiheit in der Verfassung an. Auf der anderen Seite ist aber auch von Bedeutung, inwieweit die konstitutiven Freiheiten von jedem einzelnen Mitglied der Gesellschaft genutzt werden. Der Schritt von

259 260

261 262 263

264

Vgl- Rüstow, Alexander: Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik, S. 99. Vor dem Hintergrund der wechselnden Mehrheiten im Reichstag skizziert Rüstow ein Modell, im dem unter Umständen auch für Gesetzesvorhaben im Rahmen der Schonfrist eine qualifizierte Minderheit ausreichen würde; vgl. Rüstow, Alexander: Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik, S. 99. Vgl. Rüstow, Alexander: Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik, S. 99. Vgl. Rüstow, Alexander: Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik, S. 110. Vgl. Rüstow, Alexander: Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik, S. 97; ders.: OdG III, S. 439. Sehr kritisch urteilt F. A. Hermens über das Verhältniswahlrecht, in dem er eine Gefahr für die Stabiltät von Demokratien sieht; vgl. dazu ausfuhrlich Hermens, F. A.: Demokratie oder Anarchie, S. 8ff. Vgl. Rüstow, Alexander: Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik, S. 90.

3.2. Rüstows staats- und gesellschaftspolitische Konzeption

51

der formalen, verfassungsmäßigen Freiheit zur gelebten Freiheit vollzieht sich über das Individuum, dem Rüstow bei der Gestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eine aktive Rolle zuspricht. Erst die Nutzung der Freiheit zur Entfaltung eigener Aktivitäten im politischen, kulturellen oder wirtschaftlichen Bereich schafft die Bereitschaft, diese Freiheit zu würdigen und zu erhalten.265 Entscheidend ist, daß auf der Ebene des Individuums das Bewußtsein entsteht, daß die eigene Freiheit eine Frage der Respektierung der Freiheit des Mitbürgers ist. Will man die eigene Freiheit in Anspruch nehmen, muß man die des anderen achten und schützen. Aus dem institutionellen Recht auf Freiheit entwickelt Rüstow so eine Pflicht zur Freiheit, eine Forderung an den einzelnen, aktiv für den Erhalt und die Verbreitung der Freiheit einzutreten.266 Rüstow nimmt jedes Individuum als Staatsbürger in die Pflicht und verlangt von ihm politisches Engagement. Wenn dies nicht in Form aktiven Handelns geschieht, so doch zumindest in Form einer gedanklichen Auseinandersetzung mit den jeweils aktuellen gesellschaftlichen Problemen. In jedem Bürger sei ein Rest staatsbürgerlicher Verantwortung verblieben, den es zu mobilisieren gelte;267 dabei seien die Rahmenbedingungen so zu setzen, daß der einzelne nicht in Versuchung gerate, aus persönlichem Interesse die (freiheitliche) Gesellschaftsstruktur zu untergraben. 268 Vielmehr müßte sich die Gestaltung der Rahmenbedingungen an den langfristigen Interessen des Gemeinwohls orientieren. In diese Forderung bezieht Rüstow gleichermaßen die wirtschaftlichen Interessenverbände ein, deren Einflußnahme stets dem Gesamtinteresse untergeordnet bleiben müsse; dies zu gewährleisten sei wiederum Aufgabe der Politik.269 In der Summe bildet diese gedankliche Auseinandersetzung die Grundlage für die Schaffung eines Problembewußtseins in der breiten Bevölkerung.270 Aus dem Problembewußtsein heraus ist es dem einzelnen möglich, an der politischen Diskussion teilzuhaben, sie zu beeinflussen und seine Interessen zu artikulieren, um somit einer Bevormundung durch den Staat entgegenzuwirken.

265

Vgl. Rüstow, Alexander: Die Zukunft als Wille und Vorstellung, S. 53.

266

Vgl. Rüstow, Alexander: Menschenrechte oder Menschenpflichten, S. 8f.; ders.: The Frontlines of Freedom, S. 14. Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat? S. 68.

267 268 269

270

Vgl. Tönnies, Sibylle: Kulturhistoriker der Freiheit, S. 75. Vgl. das unveröffentlichte Manuskript zu dem Vortrag ,Die Moral der Verbände' NL Nr. 309, S. 13f. Vgl. Rüstow, Alexander: Die staatspolitische Krise unserer Gesellschaft, S. 64.

3.3. Rüstows vitalpolitische

Konzeption

3.3.1. Die Vitalsituation und die Bedeutung der Eigenverantwortung bei der Gestaltung des sozialen Sicherungssystems

Der Mensch soll in Freiheit ein würdiges und seinen Veranlagungen gemäßes Dasein führen. Zur Beschreibung, wie sich nach seinen Vorstellungen ein menschenwürdiges Leben gestaltet, entwickelt Rüstow den Begriff der Vitalsituation, mit der er die Umstände beschreibt, die das tägliche Leben jedes einzelnen prägen.271 Die Vitalsituation umfaßt dabei alle Lebensbereiche, die sich im weiteren Sinne auf das Wohlbefinden des Menschen auswirken.272 Das schließt für ihn unter anderem die familiäre Situation zwischen Klein- und Großfamilie, die Bedingungen und das Umfeld am Arbeitsplatz, die Wohn- und Siedlungsweise einschließlich der Einbettung in ein nachbarschaftliches Verhältnis und den Bereich der Freizeitgestaltung ein.273 In einer gesunden Vitalsituation sieht Rüstow die Verwirklichung der Menschlichkeit, zu der all das gehöre, „... was den Menschen zum Menschen macht, von der Biologie seiner Leiblichkeit bis zum Seelischen, Geistigen, Ethischen, Religiösen".274 Rüstows Kritik an den sozialen Umständen der Arbeiter setzt an der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein; damals sei es nicht gelungen, das Auseinanderdriften von wirtschaftlichem Wachstum einerseits und sozialer Verelendung andererseits zu vermeiden oder wenigstens zu lindern. Der Anspruch auf ein menschenwürdiges und selbstgestaltetes Leben sei für den größten Teil der Bevölkerung nicht verwirklicht worden.275 Erst allmählich seien die unerträglichen Lohn- und Arbeitsbedingungen verbessert worden.276 Rüstow aber strebt eine grundlegende Verbesserung der sozialen Zustände in der Gesellschaft an. Aller271

Rüstow kommt an zahlreichen Stellen und in ganz verschiedenen Zusammenhängen auf seine vitalpolitischen Vorstellungen zu sprechen: vgl. Rüstow, Alexander: Soziale Marktwirtschaft als Gegenprogramm gegen Kommunismus und Bolschewismus? S. 104; ders.: Garten und Familie, S. 275; ders.: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 121; ders.: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 453-459; ders.: Vom Sinn des Eigenheims, S. 399; dazu auch Lenel, Hans Otto: Alexander Rüstows wirtschafts- und sozialpolitische Konzeption, S. 48.

272

Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 455. Vgl. Rüstow, Alexander: Vom Sinn des Eigenheims, S. 400f.; ders.: Wirtschaft als Dienerin der Menschlichkeit, S. 15; Lenel, Hans Otto: Alexander Rüstows wirtschafts- und gesellschaftspolitische Konzeption, S. 48. Rüstow, Alexander: OdG III, S. 509. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 121.; ders.: Vom Sinn der Wirtschaftsfreiheit, S. 219. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 453.

273

274 275

276

3.3. Rüstows vitalpolitische Konzeption

53

dings lehnt er dazu eine Verstaatlichung des privaten Eigentums sowie eine kollektive Absicherung der gewöhnlichen Lebensrisiken nach sozialistischem Vorbild strikt ab. Gleichermaßen wendet er sich gegen die traditionelle Sozialpolitik Bismarckscher Prägung, die er politisch mißbraucht sieht. Diesem wirft er vor, seine Sozialpolitik nicht mit dem primären Ziel betrieben zu haben, die sozialen Umstände zu verbessern; vielmehr habe er aus machtpolitischem Kalkül die Arbeiterschaft einschließlich der Gewerkschaften ruhigstellen wollen, um die deutsche Sozialdemokratie zu schwächen; dabei sei es als eines der großen Verdienste der Gewerkschaften anzusehen, sich diesem Ansinnen widersetzt zu haben.277 Der Bismarcksche Mißbrauch war für Rüstow der Beginn einer unvollständigen Sozialpolitik, die sich, vor dem Hintergrund ihres klassenkämpferischen Ursprunges, im wesentlichen darauf beschränkte, kürzere Arbeitszeiten und höhere Löhne zu fordern.278 Zwar hält es Rüstow für berechtigt, daß bei zunehmender Arbeitsproduktivität die Arbeitnehmer einen angemessenen Anteil der Produktivitätssteigerung als Lohnzuwachs einfordern. 279 Gleichzeitig aber ist er auch davon überzeugt, daß in entwickelten Industriegesellschaften die Lebensumstände eines Arbeiters nicht ausschließlich von Lohnzuwachs und Arbeitszeitverkürzung abhängen.280 Um die soziale Struktur einer Gesellschaft insgesamt zu verbessern, bedarf es einer umfassend angelegten Politik: Einer Vitalpolitik, „... die als wichtiger Bestandteil des Programms unserer Sozialen Marktwirtschaft nicht nur, wie die traditionelle Sozialpolitik, jene materiellen Meßbarkeiten in Betracht zieht, sondern darüber hinaus alle jene Umstände, die für die Vitalsituation des arbeitenden Menschen wesentlich und bestimmend sind".281 Bei der Vitalpolitik Rüstowscher Prägung282 geht es um die Ergänzung der (unvollständigen) Sozialpolitik durch diejenigen Maßnahmen, die „... zu einer wirklich befriedigenden Vitalsituation führen".283 Die Sozialpolitik als solche schließt dabei denjenigen Teil der umfassenderen Vitalpolitik im Rüstowschen Sinne ein, der sich auf die Absicherung außergewöhnlicher Lebenslagen, wie etwa Krank-

277 278

279 280 281 282

283

Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 123. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 453; Soziale Marktwirtschaft als Gegenprogramm gegen Kommunismus und Bolschewismus? S. 130f. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 453. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 453. Rüstow, Alexander: Vom Sinn des Eigenheims, S. 399. Der Begriff ,Vitalpolitik' geht, so wie er in diesem Kontext Verwendung findet, grundsätzlich auf Rüstow zurück. Allerdings erwähnt Rüstow seinen Kollegen Bernhard Pfister, der den gleichen Begriff in ähnlichem Zusammenhang schon vor Rüstow in seinen Vorlesungen verwendet hat. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 458 und 459, FN 6. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 455.

54

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

heit, materielle Not oder Arbeitslosigkeit, bezieht. Allerdings wird eine inhaltlich präzise und erschöpfende Definition, was unter Vitalpolitik insgesamt zu verstehen ist, von ihm nicht vorgenommen. Rüstow bleibt im Grundsätzlichen und fordert 1951, daß sich für eine detaillierte Ausarbeitung Experten hauptamtlich um die Entwicklung einer konsistenten Vitalpolitik kümmern sollten.284 Trotz dieser mangelnden Präzisierung seiner vitalpolitischen Maßnahmen beschreibt Rüstow die Zielrichtung seiner Vitalpolitik, wobei Konsistenz und Planmäßigkeit in bezug auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen die ,neue' Vitalpolitik von der,alten' Sozialpolitik grundlegend unterscheiden sollen.285 Wichtig bei der Skizzierung der Rüstowschen Vitalpolitik ist seine Forderung nach einem ganzheitlichen Denken bei der Erarbeitung wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Lösungsansätze. Sein soziologischer Hintergrund und seine Vertrautheit mit der Vielschichtigkeit von Einflüssen auf den Entwicklungsprozeß von Individuen und Gesellschaften lassen ihn bei dem Entwurf einer gleichermaßen effizienten wie sozialen Wirtschaftsordnung berücksichtigen, daß (wirtschafts-) politische Maßnahmen in der Regel Auswirkungen auf mehrere Lebensbereiche zeitigen. Bei der Erörterung ganz unterschiedlicher Themen weist Rüstow darauf hin, daß Entscheidungen, die in einzelnen Politikfeldern getroffen werden, mittelbare und unmittelbare Auswirkungen auf andere Politikfelder und letztlich auch auf die Vitalsituation des einzelnen haben.286 Vor diesem Hintergrund zielt seine Vitalpolitik weniger auf die Beschreibung und Abgrenzung einer konkreten Politik als vielmehr auf den Appell, bei anstehenden Entscheidungen deren Konsequenzen in vollem Umfang zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für den politischen Entscheidungsträger, wenn er über die gesellschaftlichen Funktionsmechanismen und das wirtschaftliche Anreizsystem entscheidet; dies gilt aber auch für das Individuum in zweierlei Hinsicht: Auf der einen Seite muß die Bereitschaft beim einzelnen vorhanden sein, als Teil der Solidargemeinschaft einen angemessenen Beitrag zum Erhalt dieser Gemeinschaft zu leisten, auf der anderen Seite muß das Bewußtsein entwickelt sein, im Falle der eigenen Not die Solidargemeinschaft nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen. Damit sich diese Ausgewogenheit einstellt, kommt es — insbesondere bei der Gestaltung des sozialen Sicherungswesens — auf die

284 285 286

Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 458. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 131. Dies gilt insbesondere für Fragen der Wohn- und Siedlungspolitik im speziellen u n d der .Landesplanung und Raumordnung' im allgemeinen (vgl. Rüstow, Alexander: Garten u n d Familie, S. 286£); dies gilt ferner für die Fragen zur Startgerechtigkeit u n d Vermögensstreuung, für Fragen der Schulbildung und Berufswahl (ders.: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 457) oder im Zusammenhang mit der Integration des einzelnen in eine Gemeinschaft (ders.: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 458).

3.3. Rüstows vitalpolitische Konzeption

55

Set2ung der Rahmenbedingungen an, unter denen die soziale Absicherung gewährt wird. Zunächst würde, so Rüstow, eine konsequente Umsetzung des K o n zepts der Sozialen Marktwirtschaft ausreichend Anreize setzen, die dazu führten, daß jeder Bürger grundsätzlich sich selbst zu versorgen in der Lage wäre.287 Damit legt er die grundsätzliche Verantwortung für die Vorsorge im Falle der Krankheit, des Alters oder der materiellen N o t in die Hände des Individuums. Dieses kann Art und Umfang seiner materiellen Absicherung über Eigentumsbildung und freiwillige Versicherung selbst gestalten.288 D e m Staat bliebe lediglich die Aufgabe, die Lücke für diejenigen zu schließen, die aus eigener K r a f t nicht für ihren Lebensunterhalt aufkommen könnten. Bei seinen Ausführungen zur Ausgestaltung des sozialen Sicherungssystems konzentriert sich Rüstow im wesentlichen auf die Skizzierung einiger grundlegender Prinzipien. Für die Sozialversicherung im allgemeinen und die Krankenbzw. Rentenversicherung im besonderen unterscheidet er zwei sich gegenseitig ausschließende Prinzipien. Auf der einen Seite steht das Äquivalenzprinzip, das auf der Grundlage einer Leistung (gezahlte Beiträge) eine bestimmte Gegenleistung (Versicherungsschutz) gewährt. Leistung und Gegenleistung sind aufeinander abgestimmt und entsprechen sich für den Fall, daß man den ,horizontalen Risikoausgleich der Gefahrengemeinschaft' mit in die Berechnung einbezieht. 289 Dieses privatrechtliche Versicherungsprinzip enthält keine sozialpolitisch motivierte Umverteilung, denn durch die Beiträge ist ein rechtlicher Anspruch in Höhe der Gegenleistung entstanden.290 Dieses Modell nimmt den Versicherungsnehmer in die Pflicht, sich vorausschauend gegen die von ihm erwarteten bzw. gefürchteten Lebensrisiken zu versichern. Die Eigenfürsorge wird subsidiär durch die des familiären Umfeldes ergänzt; erst wenn diese gebündelten Mittel nicht ausreichen, gewährleistet der Staat die Absicherung des Existenzminimums. Durch die Übertragung der Verantwortlichkeit für individuelle Not- und Unglücksfälle auf die unmittelbar betroffenen Regelkreise kann die staatliche Fürsorge auf ein Minimum beschränkt werden. 291 Außerdem wird sie wirkungsvoll vor dauerhafter Inanspruchnahme und Mißbrauch geschützt. Auf der anderen Seite beschreibt Rüstow das Prinzip der distributiven Gerechtigkeit. Nach diesem zweiten Prinzip sind die kollektiven Sicherungssysteme organisiert und zielen auf eine politisch gewollte Umverteilung der Ressourcen.

287 288 289

290

291

Vgl. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 39. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 40. Vgl. Rüstow, Alexander: Die Deckung des Krankheitsrisikos in der sozialen Marktwirtschaft, S. 176. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 132; ders.: Sicherung in einer freien Gesellschaft, S. 202. Vgl. Rüstow, Alexander: Sicherung in einer freien Gesellschaft, S. 194.

56

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

Sie enthalten einen politisch definierten Mindeststandard, auf den sämtliche (Zwangs-) Versicherten mindestens gehoben werden, unabhängig davon, ob sie durch ihren eigenen Beitrag imstande wären, dieses politisch definierte Niveau aus eigener Kraft zu erreichen. Hier wird das Element der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit aufgegriffen: Bessergestellte zahlen mehr, um Schlechtergestellte auf ein bestimmtes Niveau zu helfen.292 Alexander Rüstow fordert eine klare Trennung der beiden Prinzipien in ihrer Anwendung. Diejenigen (Pflicht-) Versicherungen, die nach dem Äquivalenzprinzip organisiert sind, sollten langfristig in private Trägerschaft überführt werden. Die darüber hinausgehenden, politisch motivierten Umverteilungen sollten nach dem Prinzip der distributiven Gerechtigkeit strukturiert sein. Die klare Trennung der beiden Bereiche folgt aus den unterschiedlichen Leistungsverpflichtungen. Während dem Äquivalenzprinzip ein vertraglicher Anspruch zugrunde liegt, erfolgen die Leistungen nach dem Prinzip des sozialen Ausgleichs nach der individuellen Bedürftigkeit, d.h. Leistung und Gegenleistung entsprechen sich nicht notwendigerweise. Diese kollektiven Leistungen müssen aber im Interesse des Kollektivs an eine Bedürfnisprüfung gebunden sein. Nur im Falle der nachgewiesenen Bedürftigkeit entsteht ein ,einklagbarer Rechtsanspruch auf soziale Hilfe'.293 Allerdings, so Rüstows Vorwurf, sei der Zusammenhang von individueller Notlage und Nachweis einerseits sowie Rechtsanspruch und kollektiver Fürsorge andererseits aus psychologischen und verteilungspolitischen Gründen zunehmend gelöst und durch einen allgemeinen Rechtsanspruch auf Unterstützungsleistung für jedermann ersetzt worden.294 Die Ausdehnung des Empfängerkreises und infolgedessen die Erhöhung des Finanzbedarfs der öffentlichen Hand zeitigt materielle und immaterielle Konsequenzen. Zwar wird der zunehmende Finanzbedarf zum Teil durch höhere Steuern und Abgaben sowie durch die Ausweitung des Versicherungszwanges bestritten. Auf Dauer aber muß der Personenkreis, der ausschließlich auf Sozialtransfers angewiesen ist, eine Einschränkung des gewährten Leistungsumfanges zu Gun-

292

293 294

Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 132. Rüstow nennt diese zweite Variante auch das Prinzip des sozialen Ausgleichs (ders.: Sicherung in einer freien Gesellschaft, S. 203) oder das Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit (ders.: Die Deckung des Krankheitsrisikos in der sozialen Marktwirtschaft, S. 176). Vgl. Rüstow, Alexander: Wohlfahrtsstaat oder Selbstverantwortung; S. 369. „Man will sich nicht als bedürftiger Empfanger von Wohltaten fühlen, man empfindet das als erniedrigend und beschämend, man will statt dessen hocherhobenen Hauptes einen bedingungslosen, jedem ohne weiteres zustehenden gesetzlichen Rechtsanspruch geltend machen". Rüstow, Alexander: Wohlfahrtsstaat oder Selbstverantwortung, S. 369.

3.3. Rüstows vitalpolitische Konzeption

57

sten einer erhöhten Zahl von Leistungsempfängern hinnehmen. Der im Zeitablauf abnehmenden Leistungstiefe steht somit die Ausdehnung der Leistungsbreite gegenüber, die zu Lasten der Zielgenauigkeit im einzelnen Versorgungsfall geht. Auch kann sich die Leistungsbreite deshalb ausweiten, weil die zunehmende Belastung den Anreiz zur mißbräuchlichen Inanspruchnahme in sich birgt. Zwar kann man, so Rüstow, etwa durch Selbstbeteiligung oder Prämienstaffelung, den Mißbrauch der öffentlichen Versicherungsträger einschränken, grundsätzlich aber können solche defensiven Maßnahmen die falschen, systemimmanenten Anreize nicht ausgleichen.295 Über diese meßbaren Folgeerscheinungen hinaus befürchtet Rüstow insbesondere auch immaterielle Schäden in Form der „... Schwächung, Zurückdrängung, Untergrabung und Ausschaltung der Selbstverantwortung, der eigenständigen Selbstfürsorge, der Risikobereitschaft und der Risikofreude, des Wagemuts und des Unabhängigkeitsstolzes ,..".2% Die in dieser Form verursachte tendenzielle Einschränkung von Freiheit und Selbstbestimmung durch kollektive Sicherungssysteme ist für Rüstow eine zentrale Frage des menschenwürdigen Daseins.297 Der Wohlfahrtsstaat, so Rüstow, „... macht in würdeloser Weise den Menschen von der Staatskrippe abhängig, statt seine Eigenverantwortung zu stärken ...",298 Des weiteren sieht Rüstow ein erhebliches Verteilungsproblem in der Tatsache, daß ein wesentlicher Teil des umzuverteilenden Potentials aus der Masse der mittleren Einkommensempfänger gewonnen werden muß. Somit werden v.a. durchschnittliche Einkommen stärker als nötig belastet, um entweder Sozialleistungen für Empfänger aufzubringen, die derer eigentlich nicht bedürfen299 oder um diese Leistungen eines überhöhten Sozialniveaus selbst in Anspruch nehmen zu können.300 Schließlich besteht die Gefahr, daß sich der nicht bedürftige Empfängerkreis dadurch ausweitet, daß sich unterschiedliche Leistungsarten teilweise überschneiden und bei einem einzelnen Empfänger zu einer unberechtigten Häufung der empfangenen Leistungen führen.301

295

Vgl- Rüstow, Alexander: Die Deckung des Krankheitsrisikos in der sozialen Marktwirtschaft, S. 177.

296

Rüstow, Alexander: Wohlfahrtsstaat oder Selbstverantwortung, S. 370.

297

Vgl. Rüstow, Alexander: Wohlfahrtsstaat oder Selbstverantwortung, S. 367. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 42. Vgl. Rüstow, Alexander: Sicherung in einer freien Gesellschaft, S. 196. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 129; ders.: Die Kehrseite des Wirtschaftswunders, S. 9. Vgl. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 40.

298 299 300

301

58

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

Auf der Grundlage der Selbstfürsorge skizziert Rüstow ein gesundes, weil dauerhaft lebensfähiges Sozialversicherungssystem wie folgt:302 1. Sicherung des Existenzminimums; Beschränkung der staatlichen Sicherung auf das Notwendige, 2. darüber hinaus obligatorische Selbstfürsorge, um den kurzfristigen Konsum der für die Eigenversorgung benötigten Mittel durch die privaten Haushalte zu verhindern, 3. Anstreben eines die Eigenfürsorge ermöglichenden (Arbeits-)Einkommens, 4. Organisation der Leistungserbringung nach dem Subsidiaritätsprinzip, 5. Einbettung staatlicher (sozialpolitischer) Maßnahmen in einen konsistenten Sozialplan.

3.3.2. Startgerechtigkeit als Voraussetzung individueller Entfaltungsmöglichkeiten Ein von Rüstow akzeptierter Kritikpunkt des Sozialismus an den traditionellen Gesellschaftsordnungen war deren Unvermögen, soziale Ungleichheiten zu überwinden.303 Die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Schicht war traditionell eine Frage der Geburt und somit letztlich des Erbes an materiellen und immateriellen Werten. Rüstows Kritik wendet sich dabei nicht in erster Linie gegen soziale Unterschiede als solche; vielmehr empfindet er die Bedingungen, die über die sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten des Individuums entscheiden, als ungerecht. Vor dem Hintergrund einer im wesentlichen herkunftsund nicht leistungsbedingten gesellschaftlichen Schichtenbildung304 fordert Rüstow die Herstellung gerechter Startbedingungen innerhalb einer Gesellschaftsordnung. Er zielt damit auf die Veränderung der Rahmenbedingungen in einer Weise, daß die individuelle Entfaltung und damit auch der Einkommenserwerb im wesentlichen von den Talenten und Fähigkeiten des einzelnen abhängig ist.305 Mit der Schaffung gerechter Startbedingungen wird eine wichtige Grundlage für die Funktionsfähigkeit der Leistungskonkurrenz verwirklicht. Damit rückt die Verantwortlichkeit für Erfolg und Daseinsgestaltung hauptsächlich in den Bereich des Individuums, das so ,zum Schmied seines eigenen Glückes' in einem Umfeld wird, das auf Grund dieser Gestaltungsfreiheiten eine „... starke dynamische Gerechtigkeitstendenz in sich trägt".306 302 303 304 305 306

Vgl. Rüstow, Alexander: Sicherung in einer freien Gesellschaft, S. 197-201. Vgl. Rüstow, Alexander: Die Forderung der Startgerechtigkeit, S. 754. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 25. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 50. Rüstow, Alexander: Vom Sinn der Wirtschaftsfreiheit, S. 219.

3.3. Rüstows vitalpolitische Konzeption

59

Bildung und Vermögen stellen also nach Rüstow 2wei wesentliche Einflußfaktoren auf dem Weg zur Schaffung von Startgerechtigkeit und Chancengleichheit dar, wobei er der Bildung im Vergleich zum Vermögen eine größere Bedeutung beimißt. 307 Dies ergibt sich aus der Überlegung, daß Bildung zum einen direkt die Startmöglichkeiten beeinflußt und zum anderen (angesichts der Erfahrungen aus der Nachkriegszeit) einen krisensicheren Besitz darstellt.308 Rüstow fordert die Realisierung von Startgerechtigkeit als einen Schritt in die Richtung zur Vollendung sozialer Gerechtigkeit, wissend, daß dieses Ziel zwar noch nicht erreicht ist,309 die Durchlässigkeit zwischen den sozialen Schichten aber bereits zugenommen hat. U m diese Entwicklung zu festigen und zu beschleunigen, setzt Rüstow mit seinen Vorschlägen an der Verbesserung des Bildungswesens sowie der Förderung der Vermögensbildung an.

3.3.2.1. Bildungspolitische Vorstellungen Die zentrale Aufgabe des Bildungswesens, insbesondere der schulischen Ausbildung, besteht nach Rüstow in der Vorbereitung auf das berufliche Leben. So müsse die Schule ihre Absolventen bei der Berufswahl tatkräftig unterstützen, um deren Übergang in ein Arbeitsumfeld zu erreichen, das ihren Fähigkeiten entspreche. Diese Forderung steht bei Rüstow erneut im unmittelbaren Zusammenhang mit der individuellen Vitalsituation. 310 Für die höhere Bildung fordert Rüstow, „... daß kein Begabter von den Bildungsmöglichkeiten, die seinen geistigen und charakterlichen Fähigkeiten entsprechen, durch die Wirtschaftslage seiner Eltern ausgeschlossen werden soll". 311 In Fällen, in denen die wirtschaftlichen Möglichkeiten eine höhere Ausbildung nicht zulassen, könne über den Ausbau des Stipendienwesens Abhilfe geschaffen werden. 312 Wer selber in der Lage sei, die erforderlichen Mittel für eine weiterführende (Hochschul-) Ausbildung aufzubringen, solle durch die eigene Finanzierung Zugang zu dieser weiterführenden Ausbildung erhalten. 313 Gleichwohl anerkennt Rüstow gewisse Schwierigkei-

307 308

309 310

311 312 313

Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 50. Vgl. Rüstow, Alexander: Die Forderung der Startgerechtigkeit, S. 755; ders.: Vom Sinn der Wirtschaftsfreiheit, S. 219. Vgl. Rüstow, Alexander: Vom Sinn der Wirtschaftsfreiheit, S. 219. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 457; ausführlicher zur individuellen Vitalsituation siehe in diesem Kapitel den Abschnitt ,Die Vitalsituation und die Bedeutung der Eigenverantwortung bei der Gestaltung des sozialen Sicherungssystems' (3.3.1.). Rüstow, Alexander: Vom Sinn der Wirtschaftsfreiheit, S. 219. Vgl. Rüstow, Alexander: Die Forderung der Startgerechtigkeit, S. 756. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 50.

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3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

ten bei der Umsetzung einer frühzeitig an Eignung orientierten Gymnasialausbildung, etwa in bezug auf (standardisierte) Auswahlverfahren, deren Tauglichkeit er skeptisch beurteilt oder bei der flächendeckenden Versorgung, insbesondere ländlicher Gegenden mit weiterführenden Schulen.314 Ein weiteres Problem, welches sich für Rüstow im Zusammenhang mit dem höheren Bildungswesen ergibt, ist die mangelnde Unabhängigkeit der Universitäten und infolgedessen deren unterentwickeltes Vermögen, Probleme in eigener Regie zu lösen. 315

3.3.2.2. Vermögenspolitische Vorstellungen Nach Rüstows Überzeugung bildet ein fairer Wettbewerb, in dem Chancen und Eigentum breit und gleichmäßig verteilt sind, grundsätzlich die einzig denkbare dauerhaft tragfähige Grundlage für ein freiheitliches und demokratisches Gemeinwesen. 316 Zwar tritt Rüstow für eine angemessene Umverteilung mit dem Ziel gleicher Startbedingungen ein, dennoch lehnt er es strikt ab, gleiche Startbedingungen auf dem Wege der Vollsozialisierung anzustreben. 317 Dies gilt sowohl für eine schlagartige als auch für eine schrittweise Verstaatlichung, etwa über den Weg einer konfiskatorischen Vermögensbesteuerung.318 Rüstows Weg führt grundsätzlich über eine Stärkung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, die durch

314

315 316 317

318

Vgl. Rüstow, Alexander: Die Forderung der Startgerechtigkeit, S. 756. In dem Zusammenhang von Auswahlkriterien und Zulassung zu weiterführender Bildung äußert sich Rüstow auch positiv über die Aufnahmeprüfungen an Hochschulen sowie die Möglichkeit, in geeigneten Fällen nach vollendeter Berufsausbildung den Zugang zur Universität zuzulassen; dazu auch ders.: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, FN 56, S. 70f. Vgl. Rüstow, Alexander: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 231 f. Vgl. Rüstow, Alexander: Vom Sinn der Wirtschaftsfreiheit, S. 219. „Was nützt mir das gewiß erhebende Bewußtsein, zu einem soundsovielmillionstel Miteigentümer sämtlicher Fabriken meines Landes zu sein, wenn ich in keiner einzigen von ihnen auch nur das geringste zu sagen habe?" „Was praktisch entscheidet, ist nicht der formal-juristische Eigentumstitel, sondern der faktische Besitz, die wirkliche Ausübung der Verfügungsgewalt". Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 26 und FN 22, S. 63. „Denn das bisher, ..., (zur Realisierung wirtschaftlicher Startgerechtigkeit Anm.d.V.) allein in Betracht gezogene Mittel war entweder das einer konfiskatorischen Erbschaftssteuer, das nach und nach einen immer größeren Teil der Wirtschaft in die öffentlichen Hände bringen und schließlich zur Vollsozialisierung führen müßte, oder aber eben die sofortige Vollsozialisierung, was dann schon einfacher und folgerichtiger wäre - wenn auch in Wirklichkeit mit dem gerade entgegen gesetzten Erfolg eines Rückfalls in primitivere und wesentlich schroffere Formen sozialer Ungleichheit". Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 51 f.

3.3. Rüstows vitalpolitische Konzeption

61

Leistung und Fähigkeit bestimmt sein sollte. Vor diesem Hintergrund plädiert Rüstow dafür, den Aktienerwerb für breite Schichten zu ermöglichen. Die dies erschwerenden steuerlichen Hemmnisse sollten abgebaut und das Aktienrecht so (um-)gestaltet werden, daß der Handel mit Aktien auch für den Kleinerwerb attraktiv und vereinfacht werde.319 Eine Konkretisierung, was er zu den steuerlichen Hemmnissen zählt bzw. wie das Aktienrecht umzugestalten wäre, läßt Rüstow vermissen. Er wendet sich generell gegen besondere Vergünstigungen etwa beim Aktien- oder Eigenheimerwerb, weil dies nach seiner Auffassung die Würde des Arbeiters beeinträchtige.320 Als weitere grundsätzliche Möglichkeit zur Streuung des Vermögensbesitzes in der Bevölkerung nennt Rüstow eine angemessene Gewinnbeteiligung von Arbeitnehmern an den Betrieben, in denen sie arbeiten.321 Darüber hinaus zeigt sich Rüstow überzeugt, daß nicht die Marktwirtschaft als solche, sondern diese erst in Kombination mit einem aus der Feudalzeit stammenden Erbrecht erhebliche Startungleichheiten entstehen läßt.322 Um diese erblich bedingte Verzerrung der Chancengleichheit zu beseitigen, erhebt Rüstow eine seiner zentralen Forderungen nach Änderung des herrschenden Erbrechtes.323 Rüstow spricht sich - ausschließlich in bezug auf Erbeinkommen — für deren stark progressive Besteuerung nach englischem Vorbild mit dem Ziel aus, ein auf den generationsweisen Neuanfang ausgerichtetes Erbrecht zu schaffen. Kleine gewerbliche oder bäuerliche Familienbetriebe können sich im Laufe der Bewirtschaftung durch eine Generation nach Belieben durch Tüchtigkeit, Zu- oder Verkauf entwickeln. Beim Erbübergang aber solle der Erbumfang auf die Größe eines durchschnittlichen, kleinbäuerlichen Familienbetriebes beschränkt und das darüber hinausgehende Vermögen über den Erblasser oder die öffentliche Hand an junge Leute übergeben werden, die nicht in Erwartung eines Erbes stünden.324 Die bei zunehmender Betriebsgröße auftretenden Teilungsschwierigkeiten möchte Rüstow über eine genossenschaftliche Betriebsform lösen, bei der Mitarbeiter Eigentum am Unternehmen erwerben können.325 Eine genaue Ausgestaltung und Übertragung dieses Lösungsmodells in die moderne Industriewirtschaft müsse, so Rüstow, geprüft werden.326 Kriterien, wie eine solche Prüfung auszusehen habe,

319

Vgl. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 34f.

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Vgl. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 35. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 457. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 53. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 24f., 55; ders.: Die Forderung der Startgerechtigkeit, S. 755. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 52. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 52. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 53.

321 322 323

324 325 326

62

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

nennt er nicht. Für große Unternehmungen schlägt er die Bildung von Eigentumstiteln im Gegenwert eines durchschnittlichen Bauernhofes vor, die dann nach dem beschriebenen Verfahren auf die nächste Generation übertragen werden könnten. Zwar anerkennt Rüstow mögliche Schwierigkeiten in bezug auf die inhaltliche und auch rechtliche Gestaltung der erblichen Übertragungsmodalitäten, die zu einer solch breiten Eigentumsstreuung führen würden, zeigt sich aber von ihrer grundsätzlichen Lösbarkeit überzeugt.327 Mittels einer derart starken Progression der Steuer auf Erbeinkommen könne eine Endastung von Massensteuern herbeigeführt werden.328 Arbeitseinkommen hingegen sollten keiner starken Steuerprogression unterliegen, da zum einen das für das Funktionieren der Sozialen Marktwirtschaft notwendige Anreizsystem untergraben werde und zum anderen die Glaubwürdigkeit der politischen Führung leide, wenn dem Aufruf zur Leistungssteigerung ein vermehrter Zugriff auf das erarbeitete Vermögen folge.329 Einen weiteren Vorteil seiner radikalen steuerpolitischen Vorschläge sieht Rüstow in der Chance, nach dem einmaligen, umfangreichen Eingriff fortwährende, kleinere Eingriffe in die .wirtschaftliche Entwicklung des einzelnen' zu vermeiden.330

3 . 3 . 3 . Die Bedeutung des Lebensumfeldes für das individuelle Wohlbefinden

Der ganzheitliche Ansatz in der Rüstowschen Vitalpolitik zielt auf eine in sich geschlossene Gestaltung des gesamten individuellen Lebensumfeldes. Neben den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wird dieses wesentlich von den räumlichen und familiären Umständen geprägt, von denen der einzelne umgeben ist. In den folgenden beiden Abschnitten wird skizziert, wie diese beiden Einflußgrößen nach Rüstows Vorstellungen zu gestalten sind. Dabei wird die Wechselbeziehung zwischen diesen Bereichen insofern deutlich, als die Wohnsituation mitunter entscheidend das familiäre Leben zu bestimmen und ggf. auch zu beeinträchtigen vermag. Zunächst werden Rüstow Gedanken zur Siedlungspolitik dargelegt; anschließend wird in Abschnitt 3.3.3.2. auf die Bedeutung eingegangen, die dem einzelnen aus einem intakten Familienleben erwachsen kann.

327 328 329 330

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Rüstow, Rüstow, Rüstow, Rüstow,

Alexander: Alexander: Alexander: Alexander:

Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 53. Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 52, 54. Wirtschaftsordnung und Staatsform, S. 245. Die Forderung der Startgerechtigkeit, S. 755.

3.3. Rüstows vitalpolitische Konzeption

63

3.3.3.1. Siedlungspolitische Vorstellungen Unter die Siedlungspolitik subsumiert Rüstow alle Arten von Maßnahmen, die dazu beitragen, daß der Mensch in einem seiner würdigen räumlichen Umfeld aufwachsen und sich entfalten kann, Maßnahmen also, die sich — in Rüstows Diktion — auch positiv auf seine Vitalsituation auswirken. Nach seiner Auffassung kommt dabei den Wohn- und Lebensverhältnissen auch deshalb eine besondere Bedeutung für das menschliche Zusammenleben zu, weil sich drei Viertel des menschlichen Lebens außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit vollziehe.331 Die wohnlichen Gegebenheiten bilden somit den Mittelpunkt des Familienlebens und bieten den Raum für Herberge und Refugium, für Arbeit und Freizeit, soziale Kontakte, Spielplatz und Alterssitz. Dies gilt in Rüstows Augen grundsätzlich für alle Menschen, besonders aber für die sozial schwächeren Schichten.332 Im Vordergrund der Rüstowschen Überlegungen steht der physischen Anstrengungen unterliegende Arbeiter, der in seiner Freizeit Ausgleich und zugleich eine sinnvolle Beschäftigung finden soll. Rüstow skizziert das Bild vom modernen Industriearbeiter, der nach monotoner Fließbandarbeit in eine enge Mietwohnung eines großen Häuserblocks zurückkehrt. Daheim hat er wenig Platz, seine Kinder müssen auf der Straße spielen und entbehren jeder Erfahrung im Umgang mit der Natur. So haben Eltern und Kinder nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, ihre Freizeit bzw. Kindheit zu gestalten.333 Rüstow nennt einige für ihn negative Beispiele des - in seinen Worten - industrialisierten Vergnügens, zu denen er den Rummel- und den Fußballplatz, das Wirtshaus und den Boxkampf zählt.334 Rüstow steht einer Vergnügung an solchen Orten ablehnend gegenüber, da sie in seinen Augen allesamt nur eine ablenkende und passive, nicht aber gestaltende und kreative Beschäftigung ermöglichen. Dem stellt er sein Idealbild gegenüber, welches er in Süddeutschland und der Schweiz zum Teil weitgehend verwirklicht sieht. Es ist das ländliche Eigenheim, einschließlich eines Gartens, dessen positive Auswirkung auf die Vitalsituation des einzelnen und seiner Familie er hervorhebt. 335

331 332

333 334 335

Vgl. Rüstow, Alexander: Vom Sinn des Eigenheims, S. 399. „Wir Intellektuellen haben uns in der Regel an (...) Mietwohnungen gewöhnt und können die Nachteile dieser Vitalsituation durch eine ganze Anzahl materieller und geistiger Gegengewichte bei unserer ziemlich abstrakten Lebensweise einigermaßen kompensieren (...). Dem realitätsnäheren Arbeiter stehen viele unserer Kompensationen nicht zu Verfügung, für ihn ist und bleibt eine Wohn- und Siedlungsweise ä la taille de l'homme der durch nichts zu ersetzende Mittelpunkt". Rüstow, Alexander: Vom Sinn des Eigenheims, S. 399. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 454. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 454. Vgl. Rüstow, Alexander: Garten und Familie, S. 287.

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3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

Im günstigsten Fall ist Heim und Garten um eine im Nebenerwerb bewirtschaftbare Nutzfläche ergänzt.336 Für die voll berufstätige Generation stellen Haus und Garten eine Möglichkeit dar, sich nach getaner Arbeit allein oder im Familienverbund zu beschäftigen. Die Instandhaltung des immobilen Eigentums biete, so Rüstow, gleichermaßen Arbeit und Erholung337 und bewahre vor Langeweile. 338 Darüber hinaus entfaltet die von Rüstow idealisierte Wohn- und Siedlungsweise im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit eine besondere Bedeutung. Bei abgesichertem Existenzminimum kann eine auch länger andauernde Arbeitslosigkeit durch vermehrten Einsatz in dem häuslichen Umfeld aufgefangen werden, insbesondere dann, wenn die Möglichkeit zum landwirtschaftlichen Nebenerwerb oder zumindest zur Eigenversorgung besteht.339 Der bei Rüstow auch in diesem Zusammenhang wiederkehrende Bezug und die darin zum Ausdruck kommende Wertschätzung der (halb-) bäuerlichen Lebensweise liegt in der überwirtschaftlichen Bedeutung, die er dem Bauerntum zuspricht, begründet. Zum einen ist es für ihn eine wesentliche soziologische Errungenschaft des Bauerntums, daß „... zum erstenmal wieder seit den Anfangszeiten der Menschheit ein Gleichgewicht zwischen den beiden Geschlechtern hergestellt wurde. Jenes Gleichgewicht, das ja für unzersetztes Bauerntum bis gestern und heute charakteristisch geblieben ist, beruhend auf einer gleichberechtigten, kameradschaftlichen Arbeitsteilung und Zusammenarbeit zwischen Mann und Frau, von denen jeder auf die Mitarbeit des anderen angewiesen ist, ein kooperatives Gleichgewicht, das die Grundlage eines gesunden Familienlebens gebildet hat und bildet".340 Zum anderen sieht Rüstow eine gleichermaßen

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„Diese halbbäuerliche Siedlungsweise bedeutet für den Industriearbeiter eine grundlegende Sanierung seiner Vitalsituation und derjenigen seiner Familie, nicht zuletzt auch der Kinder und der Alten, und eine sinnvolle und menschlich erfreuliche Verwendungsmöglichkeit seiner Freizeit". Rüstow, Alexander: Das neoliberale Programm, S. 95. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 455. „Der großstädtische Proletarier, der oft schon mit dem bisherigen anderthalbtägigen Wochenende nichts sinnvolles anzufangen weiß, wird es mit zwei ganzen freien Tagen noch viel weniger, während der Eigenheimsiedler für diese zwei Tage beste Verwendung hat". Rüstow, Alexander: Vom Sinn des Eigenheims, S. 400. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 454f. Von dem unmittelbaren Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und eigenheimbezogener Ersatzbeschäftigung losgelöst, weist schon Erich Preiser darauf hin, daß Vermögenslosigkeit einem Arbeitssuchenden die Unabhängigkeit verwehrt, Arbeitsbedingungen auszuschlagen, die nicht seinen persönlichen Fähigkeiten und Ansprüchen entsprechen; vgl. Preiser, Erich: Bildung und Verteilung des Volkseinkommen, S. 232ff; Willgerodt, Hans: Vermögen und Arbeitsangebot, S. 267ff. Rüstow, Alexander: Die weltgeschichtliche Bedeutung des Bauerntums in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, S. 11; ders.: Die Krisis der sozialen Sicherheit, S. 185f.

3.3. Rüstows vitalpolitische Konzeption

65

kameradschaftliche Aufgabenteilung, wie sie zwischen Mann und Frau besteht, auch zwischen den Generationen gegeben, „... die Kindern wie Alten, vor und nach der Periode voller Arbeitsfähigkeit, nützliche Verwendung und sinnvolle Beschäftigung bietet ,..".341 Diese Aufgaben- und Arbeitsteilung sowie die Einbettung des einzelnen in das natürliche soziale Umfeld seiner Familie stärken nach Rüstow das Füreinander und den Familienzusammenhalt. 342 Neben dieser unmittelbar prägenden Bedeutung für das familiäre Umfeld sieht Rüstow zum dritten in der Verwurzelung des Bauerntums in Grund, Boden und Familie zugleich einen wirksamen Schutz vor totalitären Entwicklungen innerhalb einer Gesellschaftsordnung. Dies bezieht er insbesondere auf die Bedrohung, die er in der Ausbreitung des Kommunismus sieht.343 Rüstow ist davon überzeugt, daß die bäuerliche Eigenständigkeit, ihr Stolz und ihre von Selbstversorgung geprägte Lebensweise einer zunehmenden Fremdbestimmung und politischen Gängelung wirkungsvoll entgegensteht. 344 Insgesamt fußen Rüstows Überlegungen zur Wohn- und Siedlungsweise der breiten Massen auf seiner Uberzeugung, „... daß dies die gesündere und naturgemäßere Einstellung bildet, und daß die Bevorzugung des Großstadtlebens, wenn nicht eine Degenerationserscheinung oder ein Entwurzelungssymptom, so doch jedenfalls eine sekundäre Anpassung an unnatürliche und ungesunde Lebensverhältnisse darstellt".345 Mit der Förderung der von ihm in besonderer Weise geschätzten halbbäuerlichen Siedlungsweise möchte Rüstow dem Verlust der bäuerlichen Tugenden' begegnen, denen er aus den oben beschriebenen Gründen eine überwirtschaftliche Bedeutung beimißt. Dabei zeigt Rüstow mit seinen wohnund siedlungspolitischen Vorstellungen weniger konkrete Schritte auf; vielmehr skizziert er vorhandene Defizite und fordert von einer entsprechenden Politik, diese auszugleichen. Neben den genannten Problemen sieht er beispielsweise auch eine Aufgabe der Siedlungspolitik darin, die Mobilitätseinbußen des Faktors Arbeit, die sich aus einer Ausweitung des Eigenheimbestands ergeben könnten, auszugleichen. Dies könne, so Rüstow mit Bezug auf die klassische Standortlehre Alfred Webers, durch eine verstärkte Industrieansiedlung, vor allem in ländlichen Gebieten erreicht werden.346 341

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Rüstow, Alexander: Die weltgeschichtliche Bedeutung des Bauerntums in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, S. 13f. Vgl. Rüstow, Alexander: Die weltgeschichtliche Bedeutung des Bauerntums in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, S. 16. Vgl. Rüstow, Alexander: Die weltgeschichtliche Bedeutung des Bauerntums in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, S. 17ff. Vgl. Rüstow, Alexander: Die weltgeschichtliche Bedeutung des Bauerntums in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, S. 17. Rüstow, Alexander: Vom Sinn des Eigenheims, S. 399. Vgl. Rüstow, Alexander: Vom Sinn des Eigenheims, S. 402.

66

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

3.3.3.2. Familienpolitische Vorstellungen Da die Familie Geborgenheit bietet, Lebensinhalte vermittelt, den Kern subsidiärer Verantwortung darstellt und somit einen entscheidenden Einfluß auf das Wohlbefinden des einzelnen hat, nimmt die Institution der Familie bei Rüstow einen hohen Stellenwert ein.347 Die Entscheidung zur Familiengründung fällt in den privaten Bereich jedes Elternpaares, die es von staatlicher Seite zu respektieren gelte. Rüstow plädiert daher für eine behutsame staatliche Familienpolitik, die nicht in erster Linie darauf gerichtet sein sollte, finanzielle Unterstützung zu leisten: „Die einseitige Überbetonung der finanziellen gegenüber der intim menschlichen, nicht materiell abwägbaren Seite der Kinderaufzucht ist abwegig: Kindergeld kann nur als vorübergehender Notbehelf gelten".348 Vorrang vor finanzieller Unterstützung durch die öffentliche Hand sollte deren Bestreben haben, die Entfaltungsmöglichkeiten der Familie zu sichern. Eine Förderung, so Rüstow, könne indirekt, über geeignete Maßnahmen im Rahmen der Siedlungspolitik, die er aber nicht weiter benennt, erfolgen.349 Des weiteren sei es wichtig, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen insgesamt so zu gestalten, daß für jedes Elternpaar ausreichend Erwerbsmöglichkeiten bestehen, die es erlauben, Kinder aufzuziehen. Eine generelle Zahlung von Kindergeld setze falsche Anreize und mißachte das Gebot der Bedürftigkeit.350 Damit wendet sich Rüstow aber nicht vollständig gegen eine Förderung der Familie: „Von diesen Überlegungen bleiben Kinderzulagen bei sozialen Leistungen und die Staffelung der Steuersätze nach der Kinderzahl unberührt, weil diese für die Fähigkeit, finanziell zu den öffentlichen Aufgaben beitragen zu können, relevant ist".351 Schließlich spricht sich Rüstow explizit gegen den Familienlastenausgleich aus; Gewährleistungen in diesem Zusammenhang verstießen nach seiner Meinung gegen das Subsidiaritätsprinzip und untergrüben das Bewußtsein innerhalb der Familie, im Falle der Not die primäre Verantwortung für die gegenseitige Versorgung zu übernehmen.352

3.3.4. Betriebliche Solidarität

Der Wunsch nach Einbettung in eine Gemeinschaft, die die Risiken von Arbeitsplatzverlust, Krankheit oder Vereinsamung auffängt, führt, so Rüstow, je nach

347 348 349 350 351 352

Vgl. Rüstow, Alexander: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 220f. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 41. Vgl. Rüstow, Alexander: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 222. Vgl. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 41 f. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 42. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 133f.

3.3. Rüstows vitalpolitische Konzeption

67

Ausgestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zur Herausbildung von Solidargemeinschaften. 353 In den planwirtschaftlichen Systemen des 20. Jahrhunderts wird die Solidarität ideologisch begründet, auf den Staat ausgerichtet, durch ihn monopolisiert und der Gesellschaft aufgezwungen. 354 In den marktwirtschaftlichen Systemen haben sich seit der industriellen Revolution Solidargemeinschaften unter anderem in Form von Gewerkschaften und Arbeiterparteien herausgebildet, die die Abhängigkeit der arbeitenden Massen von den Arbeitgebern auszugleichen versuchten. Die Entstehungsgeschichte der Gewerkschaften hing unmittelbar mit diesem Bedürfnis nach Solidarität zusammen und hatte - betrachtet man die sozialen Verhältnisse zu Zeiten des Wirtschaftsliberalismus - auch ihre Berechtigung.355 Gleichzeitig haben sich die Arbeitgeber häufig in Form von Kartellen oder anderen Zusammenschlüssen organisiert, um ihre Marktpositionen abzusichern. Rüstow nennt diese Formen der gewerkschaftlichen und auch unternehmerischen Zusammenschlüsse eine Notintegration, da sie aus einer Zwangslage heraus entstanden seien.356 Beide Varianten führten zur Bildung von Machtpositionen, die ein erhebliches Mißbrauchspotential in sich bargen und häufig das bestehende Marktrisiko zu Lasten dritter, nicht (gleichermaßen stark) organisierter Marktteilnehmer minderten.357 Diese ,alte Form der Befriedigung des Solidaritätsbedürfnisses' sieht Rüstow als überholt und im Gegensatz zu einer zeitgemäßeren, innerbetrieblichen Form der Solidarität stehend an.358 Zwar setzt sich Rüstow aus wirtschaftlichen, soziologischen und auch politischen Gründen für die Leistungskonkurrenz zwischen den Betrieben ein,359 die in seiner Idealvorstellung im Kampf um des Konsumenten Gunst nicht mit-, sondern — fair - gegeneinander kämpfen sollen. Gleichzeitig aber erkennt er an, daß der Wettbewerb zwischen den Betrieben nicht dazu geeignet ist, Solidarität zu verbreiten. Um so mehr müsse der Wettbewerb untereinander durch Solidarität innerhalb der einzelnen Betriebe ausgeglichen werden.360

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357 358 359

360

Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 21 f. Vgl. dazu ausführlicher den Abschnitt 3.1.3.3. über die Integrationslehre Rüstows. Vgl. Rüstow, Alexander: Vom Sinn der Wirtschaftsfreiheit, S. 221; ders.: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 230. Vgl. Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 230; ders.: Zwischen Kapitalismus und K o m munismus, S. 21. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 21. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 457. Vgl. Rüstow, Alexander: Soziale Marktwirtschaft als Gegenprogramm gegen Kommunismus und Bolschewismus? S. 103. Vgl. Rüstow, Alexander: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 229f.

68

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

Diese Überlegungen gehen auf die Tatsache zurück, daß das einzelne, leistungsfähige Unternehmen die Keimzelle einer funktionierenden Wettbewerbsordnung darstellt. Die Summe einer Vielzahl gesunder (kleiner) Unternehmen bildet das Rückgrat einer in Freiheit lebenden, wohlhabenden Gesellschaft. So falle jeder einzelnen ,Zelle der Marktwirtschaft' 361 eine übergeordnete, gesamtwirtschaftliche Bedeutung zu. Darüber hinaus sei anzustreben, den Arbeitnehmer über das rein sachliche Angestelltenverhältnis hinaus in den Betrieb, der ihn beschäftigt, einzubinden, damit ein starkes ,Wir-Gefühl' entstehen könne.362 Rüstow ist davon überzeugt, daß ein positives Betriebsklima auch unmittelbare Auswirkungen auf das Wohlbefinden des einzelnen Mitarbeiters hat. Und gerade weil das Arbeitsleben einen erheblichen Teil des Lebens insgesamt ausmacht, liegt für ihn die enge Beziehung zwischen Betriebsklima, Familienklima und Betriebsergebnis auf der Hand.363 Aus diesen Gründen mißt Rüstow der Solidarität innerhalb der Betriebe als Gegengewicht zur Konkurrenz zwischen den Betrieben eine große Bedeutung bei364 und begrüßt die Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahre 1952 als einen positiven Ansatz zur Schaffung dieser innerbetrieblichen Solidarität.365 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß Rüstow in gelebter Betriebssolidarität nicht nur einen elementaren Bestandteil des Programms der Sozialen Marktwirtschaft sieht,366 sondern zugleich auch einen wesentlichen Beitrag zu der von ihm angemahnten Vitalpolitik.367 Neben den voranstehend dargestellten staats-, gesellschafts- und vitalpolitischen Grundsätzen, stützt sich die Rüstowsche Gesamtkonzeption darüber hinaus auch auf dezidiert wirtschaftspolitische Positionen, die in dem folgenden Abschnitt 3.4. erläutert werden.

361 362 363

364

365

366

367

Vgl. Rüstow, Alexander: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 229f. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 456. Vgl. Rüstow, Alexander: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 230; ders.: Vom Sinn der Wirtschaftsfreiheit, S. 220. Vgl. Rüstow, Alexander: Vom Sinn der Wirtschaftsfreiheit, S. 220; ders.: Das neoliberale Programm, S. 94. Vgl. Rüstow, Alexander: Soziale Marktwirtschaft als Gegenprogramm gegen Kommunismus und Bolschewismus? S. 103. Vgl. Rüstow, Alexander: Soziale Marktwirtschaft als Gegenprogramm gegen Kommunismus und Bolschewismus? S. 103. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 457.

3.4. Wirtschaftspolitische Grundpositionen 3 . 4 . 1 . Marktmacht: Entstehung, Schädlichkeit und Regulierungsansätze

3.4.1.1. Antimonopolpolitik Wenn auf der einen Seite die politische Freiheit durch ein demokratisches Staatswesen gewährleistet werde, dann müsse es - so Rüstow - auf der anderen Seite ein Pendant für die Organisation der Wirtschaftsordnung geben, die ein gleiches Maß an Freiheit für die Entfaltung der individuellen wirtschaftlichen Aktivitäten sichere. Ein solches Pendant sieht Rüstow in einer funktionierenden Wettbewerbsordnung, deren Ziel eine Beschränkung der privaten (und öffentlichen) Macht einzelner Wirtschaftssubjekte ist. Dieses Ziel, so Rüstow weiter, werde durch das System der fairen Leistungskonkurrenz erreicht.368 Ein Marktteilnehmer könne in diesem System ausschließlich auf Grund überlegener Produkte oder höherer Produktivität, nicht aber auf Grund unfairer Praktiken einen Vorteil erreichen.369 Darüber hinaus sei ein wettbewerbsorientiertes Wirtschaftssystem — im Gegensatz zu einem planwirtschaftlich orientierten — neben der höheren Effizienz auch durch eine ungeteilte politische und wirtschaftliche Freiheit gekennzeichnet. 370 Rüstows Vorschläge zur Ausgestaltung der wettbewerblichen Rahmenbedingungen gründen sich auf die Analysen, die er während des wirtschaftlichen Niedergangs und des Verfalls marktwirtschaftlicher Strukturen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gemacht hat. Die wachsende Regulierung und Subventionierung der Wirtschaft durch den Staat sowie die zunehmende Etablierung von Kartellen und die damit verbundene Verdrängung wettbewerblicher Strukturen waren nach Rüstows Auffassung für die wirtschaftlichen Krisen der späten 20er und der frühen 30er Jahre verantwortlich.371 Damit habe Rüstow, so betont Lenel, auf die Notwendigkeit der Wettbewerbspolitik zu einem Zeitpunkt hingewiesen, als die Mehrzahl der (deutschen) Nationalökonomen deren Bedeutung noch nicht erkannt oder zumindest unterschätzt habe.372

368 369 370 371

372

Vgl. Rüstow, Alexander: Wirtschaftspolitik und Moral, S. 13. Vgl. Rüstow, Alexander: Vom Sinn der Wirtschaftsfreiheit, S. 217. Vgl. Rüstow, Alexander: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 229. Diese Aussage bezieht Rüstow auf einen Zeitraum, der vom Ende des 19. Jahrhunderts über die Kriegswirtschaft des Ersten Weltkrieges bis in die Zeit der Weimarer Republik reicht; vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 7; ders.: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 62. Vgl. Lenel, Hans Otto: Alexander Rüstows wirtschafts- und sozialpolitische Konzeption, S. 51.

70

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

Bei der Bekämpfung monopolistischer Strukturen mißt Rüstow der Etablierung einer wettbewerbserhaltenden Monopolaufsicht eine besondere Bedeutung bei. In Form einer Marktpolizei solle der Staat über die Einhaltung der Wettbewerbsordnung wachen und jede Wettbewerbsverzerrung, die einzelne Marktteilnehmer auf Grund unfairer Praktiken schaffen, unterbinden.373 In der Entstehung von Monopolen, also in der Ausweitung privater oder staatlicher Macht im wirtschaftlichen Sektor, sieht er die freiheitliche Ausrichtung der Wettbewerbsordnung gefährdet, wenn einzelne Wirtschaftssubjekte aus ihrer starken Marktposition heraus unlautere Vorteile zu Lasten Dritter erlangen374 und damit den Entfaltungsraum der übrigen Marktteilnehmer auf eine wettbewerbswidrige Weise einschränken.375 Über die wirtschaftlichen Ineffizienzen und die ungerechtfertigte Erzielung von Monopolrenten hinaus sieht Rüstow in der Bildung von Monopolen auch Gefahren für das politische System heraufziehen. Nach seiner Auffassung schränken Monopole durch das Entstehen willkürlicher Machtpositionen grundsätzlich die Freiheit ein; des weiteren neigen sie dazu, im Sinne ihrer Interessenlage Einfluß auf politische Entscheidungen zu nehmen, ein Phänomen, welches Rüstow aus seiner Tätigkeit im Reichswirtschaftsministerium und beim VDMA kannte. Es ist festzuhalten, daß Rüstows Ausführungen zum Wettbewerbsschutz grundsätzlich bleiben: Der Begriff der,fairen Leistungskonkurrenz' läßt im Hinblick auf die Zielvorgabe der Wettbewerbsbehörde große Interpretationsspielräume offen. Ähnlich wie bei dem Begriff der ,Vitalsituation' oder der ,Vitalpolitik' arbeitet Rüstow auch hier mit einem Begriff, der zwar der neoliberalen Ordnungspolitik zuzuordnen ist, der aber als Handlungsanweisung, etwa zur Entwicklung konkreter Aktivitäten der Monopolbehörde, nicht ausreichend präzisiert wird. Des weiteren hat sich Rüstow seit den späten 20er Jahren gegen eine Wirtschaftspolitik gewandt, die die Sozialisierung des negativen Risikos durch die Förderung der Kartellbildung begünstigte, gleichzeitig aber das positive Risiko dem Unternehmen als Erfolg zugestand.376 Aus dieser Überzeugung heraus hat Rüstow stets eine Bekämpfung von Kartellen befürwortet, wobei er in der Durchsetzung des sogenannten Verbotsprinzips — im Gegensatz zum Mißbrauchsprinzip — ein wesentliches Element einer wirksamen Antimonopolverordnung sah. Der Unterschied liegt im wesentlichen in der Verteilung der Beweislast:377 Während bei dem Verbotsprinzip eine Ausnahme von seiten des Antragstellers begründet werden muß, muß beim Mißbrauchsprinzip die Kartellbehörde den Nach-

373 374 375 376 377

VglVglVgl. Vgl. Vgl.

Rüstow, Rüstow, Rüstow, Rüstow, Rüstow,

Alexander: Alexander: Alexander: Alexander: Alexander:

Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 37. Mittelstandsgerechte Wirtschaftspolitik, S. 2. Wirtschaft als Dienerin der Menschlichkeit, S. 13. Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 14. Mittelstandsgerechte Wirtschaftspolitik, S. 2.

3.4. Wirtschaftspolitische Grundpositionen

71

weis eines Mißbrauchs bestehender Marktmacht erbringen.378 Vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen, die Rüstow während seiner Tätigkeit im Reichswirtschaftsministerium und beim VDMA gesammelt hatte, warnte er davor, daß der Nachweis eines Mißbrauches regelmäßig scheitern werde, weil es der Behörde kaum gelingen dürfte, den Informationsvorsprung der Kartellmitglieder, den diese in Form ihrer geheimen Absprachen besäßen, einzuholen. Ein solches Informationsdefizit der Behörde beeinträchtige, so Rüstow, erheblich die Wirksamkeit jeder Kartellverordnung.379 Bei einer Reihe von Wirtschaftszweigen geht Rüstow davon aus, daß diese aus natürlichen, technischen oder sonstigen Gründen' notwendigerweise über eine Monopolstruktur verfügten, wobei er allerdings nicht erläutert, aus welchen Gründen er zu dieser Feststellung gelangt.380 Für diese Wirtschaftszweige empfiehlt Rüstow die Sozialisierung381 und steht in diesem Punkt im Vergleich zu seinen ordoliberalen Weggefährten auf einer extremen Position. Darüber hinaus schlägt er vor, vorübergehend noch bestehende private Monopole einer scharfen Aufsicht und einem Lieferzwang zu unterwerfen.382 In der Frage der Behandlung von Oligopolen nähert sich Rüstow wieder an seine ordnungspolitischen Weggefährten insofern an, als er für die Oligopole fordert, deren HandlungsSpielräume so weit einzuengen, „... bis der verbleibende Rest nur noch im Sinne des Leistungswettbewerbs ausgenutzt werden kann".383 3.4.1.2. Liberale Intervention Mit Blick auf die 20er und 30er Jahre kritisiert Rüstow den zunehmenden Interventionismus und Subventionismus in dieser Zeit. Dieser Entwicklung sieht er teilweise als Reaktion auf eine durch ausländische Wettbewerber verursachte Verschärfung des Wettbewerbsdrucks auf die nationale Wirtschaft. Mit Regulierungen oder Subventionen habe daraufhin der Staat in wachsendem Maße eingegriffen, um heimische Betriebe oder ganze Branchen vor den Folgen der veränderten

378 379

380

381 382 383

Vgl. Rüstow, Alexander: Mittelstandsgerechte Wirtschaftspolitik, S. 2. Vgl. Rüstow, Alexander: Mittelstandsgerechte Wirtschaftspolitik, S. 2; dazu auch ausführlicher: Barnikel, Hans-Heinrich: Kartelle in Deutschland, S. 41 ff. Dazu zählt Rüstow namentlich den Schienenverkehr und die public Utilities (vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 37) sowie die Rohstoffindustrien (vgl. ders.: Mittelstandsgerechte Wirtschaftspolitik, S. 2). Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 37. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 37. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 37; Lenel, Hans Otto: Alexander Rüstows wirtschafts- und sozialpolitische Konzeption, S. 50.

72

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

Wettbewerbsbedingungen zu schützen.384 Die zunehmende Mißachtung marktwirtschaftlicher Ordnungsprinzipien habe sich in den Jahren der Kriegsvorbereitung, des Krieges und der Nachkriegszeit zwischen 1933 und 1948 noch einmal verstärkt. Schließlich habe sie ein Ausmaß erreicht, bei dem die staatlichen Eingriffe „... teilweise schon ihren ersten und unmittelbaren Zweck nicht oder nur sehr schlecht erfüllt haben. Aber auch diejenigen von ihnen, die dieser ersten und selbstverständlichen Bedingung mehr oder weniger genügten, legen den Verdacht nahe, daß ihnen dies nur auf Kosten einer kumulativen Zerrüttung des Marktmechanismus als solchen gelungen ist".385 Die Selbstheilungskräfte des Marktes wurden durch diese zunehmenden, zum Teil gegeneinander wirkenden Eingriffe geschwächt, wodurch immer wieder neuer Handlungsbedarf initiiert wurde. Dieses erneute Eingreifen in den Wirtschaftsablauf mündete in eine nach oben gerichtete Spirale aus sich häufenden, unkoordinierten Einzelmaßnahmen, deren langfristige Wirkungen nicht berücksichtigt wurden. Hierzu gehörte die Aushöhlung der marktwirtschaftlichen Selbstheilungskräfte, der Fähigkeit also, strukturelle Veränderungen aus eigener Kraft über die relative Veränderung von Wettbewerbspositionen auszugleichen.386 Weitere negative Konsequenzen ergaben sich aus dem Umstand, daß die strukturerhaltenden Maßnahmen in ihrer Dosierung stets erhöht werden mußten, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Diese Überlegungen stützen sich auf den Gedanken, daß die strukturellen Veränderungen außerhalb des zu schützenden Wirtschaftsgebietes weitergehen und sich somit der Abstand zwischen geschütztem und ungeschütztem Wirtschaftsraum stetig vergrößert. Darüber hinaus vermindert die Protektion den Druck auf die heimischen Wettbewerber, sich den veränderten Bedingungen anzupassen; anstatt ihre Positionierung am Markt zu überprüfen, beziehen die Begünstigten den gewährten Schutz in ihr Kalkül ein und gewöhnen sich daran.387 Deshalb müssen Subventionen, so Rüstow, zwei Bedingungen erfüllen: Zum einen müssen sie geeignet sein, eine vorhandene Störung tatsächlich zu beseitigen; zum anderen dürfen sie nicht die Funktionsfähigkeit — und damit auch die Selbstheilungsfähigkeit — des Marktmechanismus beeinträchtigen. 388 Um diese beiden Bedingungen zu gewährleisten, schlägt Rüstow einen dritten Weg zwischen der vollständigen Abstinenz und einer sich stetig ausweitenden Interventions-

387

Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 62. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 10. Vgl. ausführlich zur Interventionsproblematik Mises, Ludwig v.: Interventionismus, S. 610ff.; ders.: Nationalökonomie, S. 646f£, 717ff. Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 64.

388

Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 10.

384 385 386

3.4. Wirtschaftspolitische Grundpositionen

73

Spirale vor.389 Sein Ziel ist es, das Ergebnis des Strukturwandels durch gezielte, marktkonforme Eingriffe beschleunigt herbeizuführen, um so die Anpassungskosten auf ein unvermeidbares Minimum zu reduzieren.390 Nach Lenel beschreibt Rüstow somit den Unterschied zwischen Erhaltungs- und Anpassungssubventionen,391 von denen letztere in außergewöhnlichen Situationen sowie in zeitlich und materiell begrenztem Umfang durchaus als wirtschaftspolitisches Mittel Einsatz finden könnten.392 Unter außergewöhnlichen Situationen versteht Rüstow beispielsweise die,Eingliederung der Heimatvertriebenen', den,Beginn der Verwendung der Atomenergie', ,große Umschulungsaufgaben infolge sehr rascher und umfassender Änderung der Produktionsmethoden' oder auch die ,Bewältigung der massiv aufgestauten Anpassungsnotwendigkeiten in der Landwirtschaft'. Die Vorzüge .liberaler Interventionen' sieht er in den erheblich reduzierten Anpassungskosten sowie in der verkürzten Zeitspanne, in der sich ein Strukturwandel vollzieht.393 Allerdings, so Rüstow weiter, sei hierfür eine gänzlich andere Auffassung von den Aufgaben und der Funktion des Staates nötig, der im neoliberalen Sinne stark und unabhängig sein müsse.394 3.4.1.3. Wettbewerbsorientierte Rahmenbedingungen Rüstow verlangt für alle Wirtschaftssubjekte wettbewerbsneutrale Start- und Arbeitsbedingungen. Diese Forderungen liegen in den Erfahrungen mit der Weimarer Republik begründet; die rechtliche Bevorzugung großer Wirtschaftseinheiten hatte wesentlich zum Niedergang des Mittelstandes beigetragen. Neben den im Abschnitt .Antimonopolpolitik' dargestellten Maßnahmen zur Begrenzung von Marktmacht hat sich Rüstow stets für eine Förderung des Mittelstandes eingesetzt. In einem wirtschaftlich effizienten, unabhängigen Mittelstand sieht er nicht nur die wirtschaftlichen Vorteile einer im Vergleich zu Konzernen in der Regel höheren Rentabilität,395 sondern auch eine gesellschaftspolitische Notwendigkeit, bei der „... die selbständigen Unternehmer diejenige soziale Gruppe sind, die

389

Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 64£

390

Vgl. Rüstow, Alexander: Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus, S. 95. Vgl. Lenel, Hans Otto: Alexander Rüstows wirtschafts- und sozialpolitische Konzeption, S. 54f. Vgl. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 36f.; Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 40. Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 65.

391

392

393 394

395

Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 66f.; ferner dazu die Ausführungen zum starken Staat in Kapitel 3.2.1. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 27 und FN 23, S. 64.

74

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

nicht nur aus Idealismus und allgemein weltanschaulicher Überzeugung, sondern auch sozusagen von Berufs wegen zur entschlossenen Verteidigung der Demokratie berufen sind, die ohne die Grundlage einer Sozialen Marktwirtschaft und ihrer freien Leistungskonkurrenz nicht bestehen kann".396 Von dieser grundsätzlichen Überzeugung ausgehend, plädiert Rüstow mit Blick auf die Wettbewerbsneutralität der rechtlichen Rahmenbedingungen zum ersten für eine Novellierung des Patentrechtes. Dabei hat er neben einer verbesserten Innovationsbereitschaft insbesondere auch die Stärkung des forschenden Mittelstandes im Visier. Um Wettbewerbsbeschränkungen, die sich durch den Aufkauf und die anschließende Geheimhaltung von Patenten ergeben, zu verhindern, plädiert Rüstow für einen „... allgemeinen Lizenzzwang, der allerdings ergänzt werden müßte durch die gesetzliche Ungültigkeit von fortwirkenden Geheimhaltungsverpflichtungen und Konkurrenzklauseln in Anstellungsverträgen".397 Zum zweiten spricht sich Rüstow für ein wettbewerbsorientiertes Gesellschaftsrecht aus, das die Verantwortlichkeiten für Chancen und Risiken des unternehmerischen Handelns gleichartig verteilt. Die Haftungsbegrenzung der Kapitalgesellschaften sozialisiere, so Rüstow, die Verluste, während die Gewinne als unternehmerischer Erfolg vereinnahmt würden. Als Konsequenz fordert er die Abschaffung der GmbH sowie die Neuordnung der Aktiengesellschaften.398 Zum dritten weist er auf die Notwendigkeit einer klaren Steuersystematik hin; bereits 1958 fordert Rüstow im Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft eine große Steuerreform, „... die das Steuersystem vereinfacht, bereinigt und organisch den Bedingungen der Sozialen Marktwirtschaft anpaßt".399 Er fordert ein Steuersystem, welches die individuelle Leistungsbereitschaft honoriert,400 wettbewerbsneutral ist, die steuerliche Abgabenlast nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verteilt und, als Rüstowsche Besonderheit, den Erbumfang begrenzt. Im einzelnen habe das ,Prinzip der Minimaüsierung des empfundenen Steuerdrucks' zu gelten, nach dem die Steuererhebung möglichst unmerklich für den Steuerzahler vollzogen werden sollte.401 Des weiteren müßten die steuerlichen Eingriffe marktkonform und steuersystematisch konsistent gestaltet sein.402 Außerdem habe die Steuererhebung den Grundsätzen der Rentabilität zu entsprechen. Die Summe der Aufwendungen, die bei Steuerbehörden, Unterneh-

396 397 398 399 400 401 402

Rüstow, Alexander: Marktwirtschaft und Demokratie, S. 39. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 38. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 38. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 35. Vgl. Rüstow, Alexander: Wonach soll man Steuern beurteilen? S. 142. Vgl. Rüstow, Alexander: Wonach soll man Steuern beurteilen? S. 145f. Vgl. Rüstow, Alexander: Wonach soll man Steuern beurteilen? S. 143.

3.4. Wirtschaftspolitische Grundpositionen

75

men und privaten Haushalten im Zuge der Steuerzahlung anfielen, müßten als Erhebungskosten in einem vertretbaren Verhältnis zu dem Aufkommen der Steuer insgesamt stehen.403 Mit diesen Forderungen folgt Rüstow im wesentlichen den vier klassischen Grundsätzen des Steuerwesens, wie sie beispielsweise Adam Smith niedergeschrieben hat. Danach habe die Besteuerung dem Prinzip der — Gleichmäßigkeit (die Steuerlast muß in einem tragbaren Verhältnis zum Einkommen jedes Steuerträgers stehen), — Bestimmtheit (die Steuerforderung muß sich klar und einfach aus dem Gesetz ergeben), — Bequemlichkeit (der Steueraufwand muß für den Steuerpflichtigen möglichst niedrig bleiben) sowie der — Billigkeit (die Steuererhebung darf keine übertriebenen Verwaltungskosten verursachen sowie die Leistungsbereitschaft des Steuerträgers beeinträchtigen) zu genügen. Ein Steuersystem, welches diesen Anforderungen nicht genüge, könne als ungerecht empfunden werden und deshalb die Steuermoral untergraben sowie die Integrationswirkung des Systems aushöhlen.405 Im Hinblick auf den Aspekt der Wettbewerbsneutralität dürfe es aus fiskalischen Gründen nicht zu einer Bevorzugung bestimmter Unternehmensgrößen kommen. Mit dieser Kritik wendet sich Rüstow gegen die konzentrationsfördernde Wirkung der Allphasenbruttoumsatzsteuer, die in Deutschland bis Ende 1967 erhoben wurde.406 In seinem Bemühen, einer umfassenden Wettbewerbswirtschaft zur Geltung zu verhelfen, plädiert Rüstow schließlich für die Aufhebung sämtlicher Beschränkungen. Dies bezieht er zum einen auf .Marktregelungen oder Berufsordnungen', die die unternehmerische Selbständigkeit und die Freiheit des Konsumenten begrenzten, 407 zum zweiten auf diejenigen Wirtschaftszweige, die im Zuge der Wirtschafts- und Währungsreform von 1948 noch nicht in den Wettbewerb endassen wurden; zu den letzteren gehörte neben der Wohnungswirtschaft auch der Kapitalmarkt und der Devisenhandel sowie der Bereich von Kohle und Stahl.

403 404 405 406

407

Vgl. Rüstow, Alexander: Wonach soll man Steuern beurteilen? S. 148. Vgl. Schmölders, Günter: Allgemeine Steuerlehre, S. 46. Vgl. Rüstow, Alexander: Wonach soll man Steuern beurteilen? S. 144f. Vgl. Rüstow, Alexander: Wonach soll man Steuern beurteilen? S. 143; Dichtl, Erwin/ Issing, Otmar (Hrsg.): Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, Bd. 1, S. 53, 313f. Der Vollständigkeit halber sei auf die Besonderheit und damit steuersystematische Ausnahme der nahezu konfiskatorischen Besteuerung des Erbes bei Rüstow hingewiesen; vgl. dazu ausführlicher den Abschnitt zur Startgerechtigkeit als Voraussetzung individueller Entfaltungsmöglichkeiten (3.3.2.). Vgl. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 37.

76

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

3.4.2. Geld- und währungspolitische Grundsätze

Die beiden deutschen Währungsschnitte von 1923 und 1948 haben mit ihren wirtschaftlichen, sozialen und auch politischen Konsequenzen Rüstow deutlich die Notwendigkeit einer stabilen Währungsordnung erkennen lassen.408 Bei der Bekämpfung von inflationären Tendenzen identifiziert Rüstow verschiedene Ursachen der Geldentwertung. Seine Ausführungen sind vor dem Hintergrund der Einbettung der D-Mark in das Währungssystem von Bretton-Woods zu sehen, einem Regime fester Wechselkurse mit einseitiger Interventionsverpflichtung seitens der beteiligten Notenbanken gegenüber dem Dollar.405 Unter den möglichen Inflationsursachen bewertet Rüstow die der Geldmengenausweitung zur Haushaltsfinanzierung als die .schlechteste und moralisch verwerflichste', weil sie vor allem zu Lasten Besitzer geringer Vermögen und Einkommen gehe.410 Eine zweite, wesentliche Inflationsursache sieht Rüstow durch eine Lohn-Preis-Spirale gegeben, die in der Regel auf eine die wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht berücksichtigende Tarifpolitik zurückgeführt werden könne. Als dritten Punkt weist Rüstow vor dem Hintergrund des Regimes fester Wechselkurse von Bretton-Woods auf die Gefahren einer importierten Inflation hin. Durch sie würden, wie beispielsweise im Falle der Bundesrepublik in den 50er und 60er Jahren, die inländischen Anstrengungen im Hinblick auf eine stabilitätsorientierte Geldpolitik konterkarriert. Auf Grund ihrer einseitigen Interventionsverpflichtung mußte die Bundesbank regelmäßig Devisen (vor allem Dollar) aufkaufen und die erhöhte Nachfrage nach D-Mark befriedigen. Diese Geldmengenausweitung entspricht einer importierten Entwertung der D-Mark. Rüstow zieht daraus die Schlußfolgerung, daß es auf Dauer nicht möglich sei, ein Land mit stabiler Währung in inflationierender Umwelt vor den Einflüssen einer importierten Inflation zu schützen.411 Seiner grundsätzlichen Logik folgend, Regulierungen zu Gunsten von Wettbewerbslösungen abzuschaffen, kritisiert Rüstow darüber hinaus die in den 50er und 60er Jahren nach wie vor verbreitete Devisenbewirtschaftung und fordert die

408

Dies gilt insbesondere deshalb, weil die als Konsequenz aus den Währungsreformen resultierende radikale Entwertung sämtlicher Geldvermögen vor allem zu Lasten kleiner Einkommen geht; vgl. Rüstow, Alexander: Die Unordnung des Geldwesens - Eine moralische Krankheit, S. 180f.

409

Vgl. dazu ausführlicher Deutsche Bundesbank: Weltweite Organisationen und Gremien im Bereich von Währung und Wirtschaft, S. 23f.

410

Vgl. Rüstow, Alexander: Die Unordnung des Geldwesens - Eine moralische Krankheit, S. 172. Vgl. Rüstow, Alexander: Die Unordnung des Geldwesens - Eine moralische Krankheit, S. 173f.

411

3.4. Wirtschaftspolitische Grundpositionen

77

vollständige Konvertibilität aller Währungen. 412 Ferner plädiert er mit Blick auf das Festkursystem von Bretton-Woods für die Freigabe der Wechselkurse, damit diese sich zwischen - wenn möglich - allen Währungen aus dem freien Spiel der Marktkräfte bilden können.413 Als zweitbeste Lösung bewertet er eine rechtzeitige Wechselkursanpassung; so hätten beispielsweise mit einer Aufwertung lange vor 1961 — als die DM-Aufwertung tatsächlich durchgeführt wurde - die nachteiligen Wirkungen der importierten Inflation sowie die Überhitzung der Konjunktur in Deutschland vermieden werden können.414 Schließlich setzt sich Rüstow für die Aufhebung sämtlicher Beschränkungen in bezug auf den internationalen Devisen- und Kapitalverkehr ein.415

3 . 4 . 3 . Außenwirtschaftliche Freiheit und Europäische Integration

Hinsichtlich des Freihandels und der Europäischen Integration bezieht Rüstow nur wenige Male explizit Stellung. Daß Rüstow in bezug auf den europäischen Zusammenschluß eine grundsätzlich positive Einstellung hat, kommt in einem Beitrag aus dem Jahre 1957 anläßlich des 60. Geburtstages von Ludwig Erhard zum Ausdruck, in dem Rüstow zu überlegen gibt, daß die Bundesrepublik Deutschland einer über die Vorstellung des Schuman-Plans hinausgehenden europäischen Einigung ein erprobtes und bewährtes Wirtschaftsprogramm beisteuern könne.416 Wilhelm Röpke hat im Vergleich zu Rüstow die Fragen des europäischen Integrationsprozesses intensiver behandelt. Da Rüstow dessen Ausführungen im wesentlichen zustimmt und diese Übereinstimmung an verschiedenen Stellen deutlich macht, werden in der Folge sowohl auf Rüstows als auch auf Röpkes Quellen zurückgegriffen. Die gleichgerichtete Auffassung der beiden Wissenschaftler in bezug auf den Prozeß der europäischen Integration, insbesondere ihre skeptische Einstellung zur regionalen Vertiefung im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, kommt unter anderem in ihrem Schriftverkehr zum Ausdruck;

412 413

414

415 416

Vgl. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 38f. Vgl. Rüstow, Alexander: Die Unordnung des Geldwesens - Eine moralische Krankheit, S. 180. Vgl. Rüstow, Alexander: Die staatspolitische Krise unserer Gesellschaft, S. 64. Die Forderungen nach Freigabe der Wechselkurse sowie zumindest nach einer Aufwertung der DM erhebt Rüstow auch schon früher, beispielsweise 1958; vgl. dazu Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft von 1958, S. 38f. Vgl. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 35, 39. Vgl. Rüstow, Alexander: Die geschichtliche Bedeutung der Sozialen Marktwirtschaft, S. 6.

78

3. Riistows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

am 14.12.1959 schreibt Röpke an Rüstow: „In Sachen der europäischen Mißintegration sind wir natürlich einer Meinung. Ich fürchte nur, daß alles zu spät ist und daß Europa sich tatsächlich in zwei Blöcke spaltet"; die Zustimmung seitens Rüstows erfolgt sinngemäß in dessen Antwort am 23.12.1959.417 1925 diskutierte Rüstow in einem Aufsatz das Für und Wider der (deutschen) Schutzzollpolitik und sprach sich bereits zu diesem Zeitpunkt gegen Schutzzölle aus. Er wendet sich Zug um Zug gegen die Argumente, die vermeintlicherweise für die Beschränkung des Außenhandels im allgemeinen sowie die Erhebung von Zöllen im besonderen sprechen. Im einzelnen widerlegt er, — daß Zölle zum Schutze und zur Stärkung des Binnenmarktes geeignet seien,418 — daß Zölle geeignet seien, heimische Industrien so lange zu schützen, bis diese einen international wettbewerbsfähigen Standard erreicht haben,419 — daß es gelingen könnte, die Zollbelastung dauerhaft auf das Ausland zu überwälzen.420 Des weiteren widerlegt er — die fiskalische Bedeutung der Außenzölle,421 — die Wirksamkeit von Zöllen als politisches Machtinstrument gegenüber ausländischen Handelsnationen, 422 — die Möglichkeit, mit Hilfe von Zöllen dauerhaft und wirkungsvoll eine Politik des Antidumping zu betreiben.423 Diesen Argumenten stellt er die komparativen Vorteile internationaler Arbeitsteilung, die Gefahren von Retorsionsmaßnahmen sowie die ungleiche Verteilung der negativen Auswirkungen auf die heimische Industrie gegenüber 424 und weist dabei besonders auf den Bereich der Agrar-425 sowie der Eisenzölle426 hin. Rüstow wendet sich konsequent gegen Protektion und Subventionismus und macht dabei keine branchenspezifischen Ausnahmen. 427 Uber die oben beschriebenen Nachteile einer protektionistischen Außenhandelspolitik hinaus warnt er vor wei-

417

418 419 420 421 422 423 424 425 426 427

Vgl. zu dem genannten Schriftwechsel vom 14. und 23.12.1959 aus dem Nachlaß Rüstows die Nr. 111; zur Übereinstimmung in bezug auf die freihändlerische Position vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 41. Vgl. Rüstow, Alexander: Schutzzoll oder Freihandel? S. 9. Vgl. Rüstow, Alexander: Schutzzoll oder Freihandel? S. 11. Vgl. Rüstow, Alexander: Schutzzoll oder Freihandel? S. 14f. Vgl. Rüstow, Alexander: Schutzzoll oder Freihandel? S. 21 f. Vgl. Rüstow, Alexander: Schutzzoll oder Freihandel? S. 29 f. Vgl. Rüstow, Alexander: Schutzzoll oder Freihandel? S. 42ff. Vgl. Rüstow, Alexander: Schutzzoll oder Freihandel? S. 10,11,13, 14f., 37. Vgl. Rüstow, Alexander: Schutzzoll oder Freihandel? S. 49-69. Vgl. Rüstow, Alexander: Schutzzoll oder Freihandel? S. 70—85. Vgl. Rüstow, Alexander in der Aussprache unter dem Titel: Die Agrarnot des deutschen Ostens, S. 193.

3.4. Wirtschaftspolitische Grundpositionen

79

teren negativen Auswirkungen: A m Beispiel der Landwirtschaft macht er deutlich, welche lähmende Wirkung sie auf den inneren Antrieb, die Eigeninitiative und Kreativität sowie die Fähigkeit 2ur Selbsthilfe haben kann.428 Als Folge dieser negativen Auswirkungen auf das Verhalten befürchtet er eine wachsende Abhängigkeit von öffentlichen Transfers, die gegen die ,Würde, Freiheit und Selbstverantwortung' des Bauernstandes gerichtet seien.429 In dieser Kritik kommt im Grundsatz Rüstows neoliberale Auffassung im Hinblick auf einen wettbewerbsorientierten, uneingeschränkten Außenhandel zum Ausdruck. 430 Diese freihändlerische Auffassung bildet auch später, nach Rüstows Rückkehr aus dem Exil, die Basis, von der aus er sich für eine internationale Arbeitsteilung und ein weltweites Zusammenwachsen der Märkte einsetzt. Rüstows Forderungen nach vollständiger Konvertibilität, realistischen Wechselkursen, Beseitigung der quantitativen Handelsbeschränkungen, Abbau des Zollprotektionismus sowie Freizügigkeit für Menschen, Kapital, Waren und Dienstleistungen sind darauf gerichtet, die internationale Integration auf marktwirtschaftlichem Wege erreichen. 431 Dabei plädiert er für internationalen Freihandel ohne regionale Präferenzen. 432 Mit kritischem Blick auf die Entstehung des Gemeinsamen Marktes fordert Rüstow, daß ein verstärktes regionales Zusammenwachsen nicht zu Diskriminierungen von Drittstaaten führen dürfe. Insofern befürwortet er neben dem britischen Beitritt zur E W G auch den der skandinavischen Länder sowie weiterer Staaten. 433 Im Vergleich zu diesen grundsätzlichen Äußerungen Rüstows hat sich Röpke konkreter mit dem Prozeß der europäischen Integration auseinandergesetzt und dabei eine neoliberale Position vertreten. Grundlegend für seinen Ansatz ist die Überzeugung, daß sich wirtschaftliche und politisch-geistige Integration in Europa symmetrisch vollziehen müsse; beide bedingten einander wechselseitig und

428

Vgl. Rüstow, Alexander: Agrarpolitik in der Sozialen Marktwirtschaft, S. 207.

429

Vgl. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 38. Vgl. dazu aus dem Nachlaß Nr. 2 auszugsweise den Briefwechsel zwischen Walter Eucken und Alexander Rüstow der Jahre 1931/32: Walter Eucken an Alexander Rüstow vom 21.6.1931; Alexander Rüstow an Walter Eucken vom 8. und 15.5.1931, 23.2.1932 und 19.4.1932. Vgl. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 35, 38f. Den Gedanken eines Zusammenschlusses ohne regionale Präferenz entwickelt Rüstow bereits in einer kritischen Auseinandersetzung mit der Paneuropa-Idee. Den Aufsatz ,Paneuropa' hat Rüstow ca. 1940 verfaßt, allerdings wurde er - soweit dies aus dem Nachlaß zu erkennen ist — nicht veröffentlicht; vgl. das Manuskript ,Paneuropa', ohne Datum, ca. 1940, N L Nr. 290, S. 4f. Vgl. Rüstow, Alexander: Europas politisches Gewicht? S. 8.

430

431 432

433

80

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

müßten mit gleicher Intensität betrieben werden. 434 In diesem Sinne spricht er sich für eine funktionale Integration im Gegensat2 zu einer institutionellen aus, eine Auffassung, die Rüstow grundsätzlich teilt.435 Die funktionale Integration ergibt sich aus der Zweckmäßigkeit erprobter Verfahrensweisen im länderübergreifenden Austausch von Gütern und Dienstleistungen sowie aus der realen Konvergenz der nationalen Wirtschaftspolitiken und Handelsinteressen; eine Entwicklung, wie sie beispielsweise zu Zeiten der Goldwährung vor dem Ersten Weltkrieg zu beobachten war. Der Zusammenbruch dieses im Vergleich freizügigen Welthandelssystems wurde durch einen fortschreitenden Protektionismus und eine zunehmende Vereinnahmung der Handels- und Wirtschaftspolitik durch verschiedene gesellschaftlichen Interessengruppen verursacht. 436 Nach neoliberaler Überzeugung, wie sie von Röpke vertreten wird, muß eine Re-Integration der Nationalstaaten bei der realen Konvergenz der verschiedenen Wirtschaftspolitiken beginnen. 437 Besondere Bedeutung für das spannungsarme Zusammenwachsen Europas fällt dabei der gemeinsamen geld- und währungspolitischen Disziplin zu. Eine zwischen den Teilnehmerstaaten konvergente Geldund Währungspolitik führt darüber hinaus zu einem Gleichgewicht mit dem Dollarraum und stellt deshalb eine der Bedingungen für die volle Konvertibilität dar.438 In einer auf diese Weise verwirklichten realwirtschaftlichen Konvergenz sahen die Vertreter des Neoliberalismus ein solides Fundament für den europäischen Integrationsprozeß; mit Blick auf die mangelnde Bereitschaft zum nationalen Souveränitätsverlust hielten sie die Zeit für eine schnelle politische Integration für noch nicht gegeben. 439 Dies schließt die Erkenntnis ein, daß strukturelle

434

Vgl. Röpke, Wilhelm: Europa als wirtschaftliche Aufgabe, S. 167.

435

Vgl. Tuchtfeldt, Egon: Wilhelm Röpke - Eine Kraft im geistigen Leben Europas, S. 19. Rüstow äußert sich anläßlich einer Bewertung der Arbeit der U N E S C O auch kritisch über übergeordnete, supranationale Institutionen, denen ein funktionsfähiger Unterbau fehle; vgl. Rüstow, Alexander: Kultur zwischen Organisation und Politik, S. 153f£ Vgl. Röpke, Wilhelm: Europa als wirtschaftliche Aufgabe, S. 170ff. Vgl. Röpke, Wilhelm: Europa als wirtschaftliche Aufgabe, S. 175. Vgl. Röpke, Wilhelm: Europa als wirtschaftliche Aufgabe, S. 181 f. „Ein besonders häufiger Fall einer solchen ,idée généreuse' ist der Gedanke, daß die europäischen Währungsprobleme, um die sich, wie wir sehen werden, das Gesamtproblem der europäischen Wirtschaftsintegration vor allem dreht, doch einfach dadurch zu lösen seien, daß man eine europäische Währung mit einer europäischen Zentralbank schaffe. Es sollte aber einleuchten, daß dieser Vorschlag undurchdacht ist, denn es liegt auf der Hand, daß eine Währungsvereinheitlichung Europas heute angesichts der Bedeutung, die die Geld- und Kreditpolitik gewonnen hat, nur möglich ist, wenn die gesamte Politik vereinigt wird. Diese aber setzt die Vereinigung der Staaten zu einer

436 437 438 439

3.4. Wirtschaftspolitische Grundpositionen

81

Probleme der nationalen Wirtschaftspolitiken zunächst im eigenen Land zu lösen sind, bevor ein weiterführender Integrationsschritt unternommen werden kann.440 Jeder folgende Integrationsschritt muß außerdem daraufhin überprüft werden, ob die Freiheiten und Vorteile, die dem Kreis der Teilnehmer zuwachsen, nicht auf Kosten solcher europäischer und außereuropäischer Staaten gewonnen werden, die nicht in die Integration eingebunden sind. Zur Unterscheidung spricht man von einer offenen Integration, wenn sich ein Integrationsschritt ohne Diskriminierung von Drittstaaten vollzieht, anderenfalls von einer geschlossenen. 441 Anläßlich des de Gaulieschen Vetos gegen das britische EWG-Beitrittsgesuch von 1963 skizzieren beispielsweise Rüstow und Röpke die Gefahren einer Spaltung Europas, für den Fall, daß es nicht gelingt, die beteiligten Länder schrittweise in solchen Bereichen zusammenzuführen, in denen sie zu einem (wenigstens teilweisen) Souveränitätsverzicht bereit sind.442 Die Aussicht auf eine nachhaltige Aneinanderkettung hat zum Teil auf diejenigen Länder abschreckend gewirkt, die aus historischen, politischen oder auch wirtschaftlichen Gründen eine eigenständige Rolle im europäischen Geschehen behalten wollten. Vor dem Hintergrund der unterschiedlich ausgeprägten Integrationswilligkeit der europäischen Länder gibt beispielsweise Röpke einer universellen Zollbefreiung im Rahmen einer ausgedehnten Freihandelszone den Vorzug vor einer regionalen Vertiefung der Zollbefreiung in Form eines Gemeinsamen Marktes. Durch einen solchen Schritt, so Röpke, könne das wirtschaftliche Zusammenwachsen Europas vorangebracht und gleichzeitig die politische Trennung verhindert werden.443 Eine universelle Ausdehnung der Zollbefreiung intensiviert die Arbeitsteilung und erhöht das Niveau der durchschnittlichen Produktivität sowie der Einkommen des gesamten Teilnehmerkreises. 444 Außerdem vermeidet eine pauschale Zollsenkung eine Bevorzugung einzelner, nationaler Interessen; deren Übertragung auf die europäische Ebene kann bei einem Zusammenschluß sehr unterschiedlich entwickelter Länder den freien Handel mit Drittstaaten behindern. Wenn jedes Teilnehmerland seine speziellen Interessen, etwa die der Olivenbauern, der Bergarbeiter, der Werften oder der Winzer, durch Zölle vor Außenseiterkonkurrenz schützen will, dann

einzigen europäischen Regierung voraus, eine Utopie, die natürlich das Problem zum Verschwinden bringt, uns aber mit dem Problem sitzen läßt, wie sie verwirklicht werden soll". Röpke, Wilhelm: Europa als wirtschaftliche Aufgabe, S. 169. 440 441 442

443 444

Vgl. Röpke, Wilhelm: Internationale Ordnung - heute, S. 26f. Vgl. Röpke, Wilhelm: Europa als wirtschaftliche Aufgabe, S. 171. Vgl- Rüstow, Alexander: Europas politisches Gewicht? S. 8; Röpke, Wilhelm: Fruchtbarmachung des Vetos de Gaulles, Blatt 2. Vgl. Röpke, Wilhelm: Fruchtbarmachung des Vetos de Gaulles, Blatt 2. Vgl. Röpke, Wilhelm: Gemeinsamer Markt und Freihandelszone, S. 126.

82

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

führt die Summe aller Schutzmaßnahmen zu einer Beeinträchtigung des Handels zwischen den an der Integration teilnehmenden Ländern und den Außenseitern.445 Die Vorteile, die durch freien Handel, vermehrte Arbeitsteilung, erhöhte Produktivität und wachsenden Wohlstand für alle Beteiligten erreicht werden, dürfen nach neoliberaler Lesart nicht auf der Abschottung nach außen fußen und durch Handelsverdrängungen und Handelsverzerrungen überkompensiert werden.446 Röpke, der sich intensiv mit dem Prozeß der Europäischen Integration beschäftigt hat, sieht gerade in der Realisierung eines Gemeinsamen Marktes die Gefahr einer Abschottung, einer Ausweitung des internationalen Dirigismus sowie planwirtschaftlicher Praktiken zur Steuerung und zum Schutze der gemeinsamen Interessen.447 Darüber hinaus dient ihm als abschreckendes Beispiel für die von ihm gleichfalls befürchtete zentrale Investitionslenkung die Entwicklung innerhalb der Montan-Union.448 Diese kritische Einschätzung der Entwicklung innerhalb der Montan-Union bzw. des Gemeinsamen Marktes wird von Rüstow geteilt.449 Als Abschluß des 3. Kapitels werden in dem folgenden Abschnitt die Rüstowschen Positionen noch einmal in ihren Grundsätzen zusammengefaßt und einer Bewertung unterzogen.

445

Vgl. Röpke, Wilhelm: Gemeinsamer Markt und Freihandelszone, S. 127.

446

Vgl. Röpke, Wilhelm: Gemeinsamer Markt und Freihandelszone, S. 126ff. Vgl. Röpke, Wilhelm: Gemeinsamer Markt und Freihandelszone, S. 118,121,130; ders.: Europa als wirtschaftliche Aufgabe, S. 161, 174. „Das, was dem Sextett durch die Montan-Union zugemutet worden ist, ist wahrscheinlich das Äußerste, was auf diesem Gebiete noch erwartet werden kann, und selbst die Montan-Union wäre gut beraten, wenn sie in der Anwendung ihrer dirigistischen Befugnisse die größte Zurückhaltung üben würde, vor allem in der Lenkung der Investitionen"; Röpke, Wilhelm: Europa als wirtschaftliche Aufgabe, S. 174. Vgl. Rüstow, Alexander: Die Kehrseite des Wirtschaftswunders, S. 7; Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 39.

447

448

449

3.5. Die konzeptionellen Ansätze Rüstows 3.5.1. Resümee der Rüstowschen Positionen

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verflechtung wirtschaftlicher und politischer Interessen, die nach der Auffassung Rüstows die krisenhafte Entwicklung der Weimarer Republik stark begünstigt hat, entwirft er den Rahmen einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Sein Ziel ist eine Ordnung des Gemeinwesens, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und mit ihren Ordnungselementen das menschliche Verhalten erfaßt und nutzt.450 Ein effizientes Wirtschaftssystem soll die materielle Grundlage schaffen, auf der die Gestaltung eines menschenwürdigen Lebens möglich ist.451 Rüstows komplexe Zielvorgabe ist unmittelbare Konsequenz seines ganzheitlichen und interdisziplinären Ansatzes, in den seine wirtschaftswissenschaftlichen und soziologischen Forschungen einfließen. Als eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die die Bedürfnisse des Menschen und dessen Entwicklung berücksichtigt, ist der (auch) von Rüstow vertretene Neoliberalismus eine offene, entwicklungsfähige Konzeption, die in einem vorgegebenen Ordnungsrahmen auf verschiedenartige Entwicklungen reagieren kann. Der Marktwirtschaft liegt mit dem Neoliberalismus ein in sich geschlossenes, wissenschaftlich stringentes Modell zugrunde, 452 das den Vorstellungen Rüstows von individueller Freiheit und wirtschaftlicher Effizienz entspricht. Auf der Grundlage des neoliberalen Konzepts will Rüstow die systembedingten Mängel des sogenannten Paläo-Liberalismus, nämlich453 — mangelnde Berücksichtigung menschlicher Lebensumstände, 454 — Mangel an sozialer Grundsicherung, insbesondere im Falle unverschuldeter Notlagen, — teils menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, 455

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451

452 453 454

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Vgl. Rüstow, Alexander: Das christliche Gewissen und die neoliberale Marktwirtschaft, S. 51 f. Vgl. zur Konkretion der überwirtschaftlichen Werte ausführlicher die Abschnitte zu Rüstows Schlüsselbegriffen (3.1.3.) sowie zu seiner vitalpolitischen Konzeption (3.3.); ferner Rüstow, Alexander: Wirtschaft als Dienerin der Menschlichkeit, S. 77. Vgl. Rüstow, Alexander: Zu den Grundlagen der Wirtschaftswissenschaft, S. 111. Vgl. Becker, Helmut Paul: Der Neoliberalismus, S. 226. Rüstow hat in diesem Zusammenhang den Begriff der Soziologieblindheit verwendet; siehe dazu ausführlicher Rüstow, Alexander: OdG III, S. 160; ders: Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus, S. 50ff. Vgl- Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 121.; ders.: Vom Sinn der Wirtschaftsfreiheit, S. 219.

84

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

— die höchst ungleichmäßige Verteilung von Chancen, Einkommen und Vermögen überwinden. Ein starker Staat soll diesen Mangelerscheinungen entgegentreten und durch eine aktive Wettbewerbspolitik — Monopolbildung verhindern, — die Kanalisierung des unternehmerischen Eigeninteresses in Richtung des Gemeinwohls begünstigen,456 — einen liberalen Interventionismus etablieren457 — sowie ein leistungsstarkes, mittelständisches Unternehmertum fördern.458 Diesen ordnungspolitischen Rahmen will er durch eine konsistente Sozialpolitik umfassenden Typs, die er Vitalpolitik nennt, ergänzen.459 Sie soll das in jedem einzelnen bestehende Spannungsverhältnis zwischen der Notwendigkeit zu einem effizienten, wettbewerbsnahen Verhalten auf der einen Seite sowie dem Bedürfnis nach Solidarität und Integration auf der anderen Seite überbrücken.4*50 Mittels der Vitalpolitik will Rüstow das Lebensumfeld so gestalten, daß es das individuelle Wohlbefinden positiv beeinflußt. Solche positive Einflüsse verspricht er sich unter anderem durch — eine naturbezogene, bäuerliche Lebensweise in (wo immer möglich) ländlicher Umgebung, — eine sinnvolle Beschäftigung nach Abschluß der Tages- und auch der Lebensarbeitszeit, — ein harmonisches und arbeitsteiliges Familienleben und — eine effiziente, auf menschliche Notlagen gerichtete, subsidiäre Absicherung.441 Mit seinen wirtschaftspolitischen Vorstellungen möchte Rüstow die Wiederverwurzelung des einzelnen in einer solidarischen Gemeinschaft erreichen. Dabei wendet er sich mit seiner Vitalpolitik im besonderen gegen die aus seiner Sicht negativen Auswirkungen von Industrialisierung, Vermassung und Verstädterung, von wirtschaftlicher Abhängigkeit nicht selbständiger Arbeitnehmer sowie gegen

456

Vgl. Lenel, Hans Otto: Alexander Rüstows wirtschafts- und sozialpolitische Konzeption, S. 57.

457

Vgl. Frickhöffer, Wolfgang: Das politische Wirken von Alexander Rüstow, S. 163. Vgl. Herberts, Kurt: Alexander Rüstow — die verbindende Gestalt zwischen Nationalökonomie und Soziologie, S. 78. Vgl. dazu ausführlicher den Abschnitt zur vitalpolitischen Konzeption Rüstows (3.3.). Vgl. Rüstow, Alexander: Die Bewältigung des Wohlstandes, FAZ, Nr. 286, 7.12.1960, S. 11. Vgl. Ebinger, Susanne: Alexander Rüstow und die Soziale Marktwirtschaft, S. 171.

458

459 460

461

3.5. Die konzeptionellen Ansätze Rüstows

85

den Verlust christlicher und moralischer Werte. 4 ' 2 Allerdings besteht kein Zweifel, daß Rüstow die von ihm konzipierte Vitalpolitik als Bestandteil der Wirtschaftspolitik ansieht und sie damit auch grundsätzlich den gleichen Anforderungen unterwirft. Danach gelten auch für seine Vitalpolitik die Prinzipien der Marktkonformität, der Subsidiarität und der grundsätzlichen Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung im Rahmen der wirtschaftlichen Tauschprozesses. Daraus folgt, daß die sozialpolitisch motivierten Fragen, wie etwa die der sozialen Sicherung, der Start- und Bildungsgerechtigkeit oder der Siedlungs- und Familienpolitik, nur im Rahmen der neoliberalen Ordnungsvorstellungen zu lösen sind. Die soziale Frage wird damit von Rüstow grundsätzlich als Teil der Wirtschaftsordnungsfrage gesehen. Dies bedeutet eine systematische Einordnung sozialpolitischer Zielsetzungen in den wirtschaftspolitischen Rahmen, nicht aber eine qualitative Unterordnung.463 Zur Realisierung dieser neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung stellt Rüstow hohe Anforderungen an jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft. Er verlangt einen rücksichts- und verantwortungsvollen Umgang miteinander, um zu einem inneren Frieden zu gelangen. Nur wenn jeder einzelne die Bedürfnisse des anderen respektiere, sei die Voraussetzung geschaffen, daß auch die Bedürfnisse dieses einzelnen von seiten der anderen anerkannt würden. 464 Darüber hinaus appelliert er immer wieder an das Individuum, das eigene Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und im jeweiligen Umfeld mit kleinen, aber selbstverantworteten Schritten, für den Erhalt der persönlichen und damit auch der gesellschaftlichen Freiräume zu arbeiten.465

3 . 5 . 2 . Kritik an den konzeptionellen Ansätzen Rüstows

Die Sekundärliteratur, in der eine Würdigung des Rüstowschen Werkes aus wirtschaftspolitischer Sicht vorgenommen wird, hat einen schmalen Umfang.466 Die

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Vgl. dazu ausführlicher die Abschnitte zu Rüstows Schlüsselbegriffen (3.1.3.) sowie zu seiner vitalpolitischen Konzeption (3.3.) sowie im Original u.a. folgende Werke Alexander Rüstows: OdG III, S. 139ff., 521 f.; Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 215ff.; Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 19f.; 44; Hat der Westen eine Idee? S. 179. Vgl. mit diesem Ansatz ähnlich, aber mit unterschiedlicher Schlußfolgerung Haselbach, Dieter: Autoritärer Liberalismus und Soziale Marktwirtschaft, S. 188f., 227, 278. Vgl. Rüstow, Alexander: Politik und Moral, S. 582. Vgl. Rüstow, Alexander: OdG III, S. 523f. Vgl. dazu vor allem Wilhelm Röpke (1955, 1963), Hans-Otto Lenel (1985), Wolfgang Frickhöffer (1987), Horst-Friedrich Wünsche (1985) Hanns-Joachim Rüstow (1987). Die Rezensionen, in denen Rüstows historische und soziologische Forschungen abgehan-

86

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

negative Kritik ist dort am größten, wo sich Rüstow, etwa mit seinen erbrechtlichen Vorstellungen wegen seiner weitreichenden Eingriffe in das private Eigentum, erheblich von den Eigentums- und Selbstbestimmungsvorstellungen der neoliberalen Hauptströmung entfernt.467 Dabei steht die systemwidrige, weil leistungshemmende Konfiszierung des über eine bestimmte Obergrenze hinausgehenden Eigentums im Mittelpunkt der Kritik.468 Dieses Vorgehen steht nicht im Einklang mit dem sonst von Rüstow geforderten Schutz des Eigentums und der Freiheit, über dieses nach eigenen Präferenzen zu verfügen. Darüber hinaus mißachtet Rüstow die fundamentale Bedeutung, die dem,System des Anreizes' in der neoliberalen Wirtschaftsordnung zukommt:469 Die Aussicht, im Falle großer Erbvermögen den Löwenanteil an den Staat oder mittelbar an unbekannte Dritte abführen zu müssen, dürfte das Streben nach Ansammlung familiären Vermögens erheblich beeinträchtigen. Des weiteren übersieht Rüstow die Schwierigkeiten, einen gesellschaftlich tragfähigen Kompromiß im Hinblick darauf zu erzielen, in welchem Umfang bestehendes Vermögen an dritte, teilweise nicht einmal bedürftige Personen umverteilt werden soll. Ebenso berechtigt sind die Bedenken, die in bezug auf einen drohenden Mangel an Kapitalbildung für den Fall einer fortwährenden Zerstückelung des Vermögens, insbesondere im Hinblick auf die mittelständische Wirtschaft geäußert werden.470 Schließlich ist noch mit Blick auf den Grundsatz der Rentabilität471 auf eine steuersystematische Unwägbarkeit hinzuweisen, da, wie Lenel vermutet, eine progressive Erbschaftssteuer

delt werden, sind hier nicht Gegenstand der Untersuchung. Auf sie wurde bereits in Kapitel 3.1. eingegangen. Vgl. dazu ausführlicher Ebinger, Susanne: Alexander Rüstow und die Soziale Marktwirtschaft; Meier-Rust, Kathrin: Alexander Rüstow. Geschichtsdeutung und liberales Engagement; Behrendt, Richard F.: Alexander Rüstow; Helmut Thielicke: Ortsbestimmung der Gegenwart — der Weg und das Lebenswerk Alexander Rüstows. 467

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Vgl. u.a. Lenel, Hans Otto: Alexander Rüstows wirtschafts- und gesellschaftspolitische Konzeption, S. 51-54; Röpke, Wilhelm: Jenseits von Angebot und Nachfrage, S. 194, 326, 334; Hau, Hans: Marktwirtschaft und sozialer Friede, S. 94. Rüstow schlägt vor, diese Obergrenze etwa in der Höhe des Gegenwertes eines Bauernhofes durchschnittlicher Größe festzumachen. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 52f.; vgl. dazu ausführlicher den Abschnitt 3.3.2.2. zur Vermögensbildung. Vgl. Lenel, Hans Otto: Alexander Rüstows wirtschafts- und gesellschaftspolitische Konzeption, S. 53. Vgl. Lenel, Hans Otto: Alexander Rüstows wirtschafts- und gesellschaftspolitische Konzeption, S. 53f. Vgl. dazu die Ausführungen zum Abschnitt ,Wettbewerbsorientierte Rahmenbedingungen' (3.4.1.3.).

3.5. Die konzeptionellen Ansätze Rüstows

87

insgesamt nicht so ergiebig ist, um die von Rüstow gewünschten Mittel zu erbringen, mit denen die Massensteuern spürbar gesenkt werden könnten.472 Abgesehen von dieser speziellen Kritik ist der grundsätzliche Tenor bei der Bewertung von Rüstows wirtschaftstheoretischer und wirtschaftspolitischer Konzeption überwiegend positiv.473 Diese Beurteilung ergibt sich vor allem aus der Würdigung der Rolle Rüstows als eines der geistigen Wegbereiter des Neoliberalismus, der Denkanstöße gab und auf die Einhaltung der ordnungspolitisch richtigen Richtung achtete. In der Rolle eines Wegbereiters hat es Rüstow mit der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e.V (ASM), deren langjähriger Vorsitzender er war, vermocht, ein Forum zu schaffen, innerhalb dessen während der 50er und 60er Jahre an der Ausgestaltung des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft gearbeitet wurde. Unter seinem Vorsitz wurden auf den Jahrestagungen der ASM Fragen zur Sozialordnung, zur deutschen und europäischen Agrarpolitik, zur Ausgestaltung der Finanz-, und Steuerpolitik, zur Geld- und Währungspolitik, zum weltweiten Freihandel sowie zur Wettbewerbsordnung behandelt.474 Die Vorgehensweise, aus dem Rüstowschen Werk detaillierte Gestaltungshinweise für die verschiedenen staats- und wirtschaftspolitischen Themenbereiche herauszufiltern, hat deutlich gemacht, daß Rüstows Arbeitsweise vor allem darauf gerichtet war, die grundsätzlichen Funktionsmechanismen und Wirkungszusammenhänge einer Gesellschaftsordnung zu isolieren. Daraus ergeben sich zwei Erkenntnisse: Zum einen lassen sich aus der Summe der Rüstowschen Veröffentlichungen keine umfassend ausgearbeiteten Vorschläge ableiten. Es ist charakteristisch, daß seine Ausführungen zwar die Kernprobleme der von ihm behandelten Bereiche erfassen, aber wesentliche Fragen im Hinblick auf die Realisierung seiner Vorstellungen offen lassen. Dies sei am Beispiel seiner siedlungspolitischen Vorstellungen kurz skizziert: Rüstow beschreibt Wohn- und Lebensumstände, wie sie in idealisierter Weise zu seinem Welt- und Menschenbild passen. Grundsätzlich sind die Vorzüge eines Eigenheims mit Garten in einer ländlichen Umgebung mit dezentralen Industriestandorten, der Möglichkeit zur teilweisen Selbstversorgung und eines harmonischen (Groß-) Familienlebens unbestritten. Angesichts einer zunehmenden Arbeitsteilung mit einhergehender Spezialisierung der Arbeitskräfte

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Vgl. Lenel, Hans Otto: Alexander Rüstows wirtschafts- und gesellschaftspolitische Konzeption, S. 53. Vgl. dazu unter anderem die Lebensbilder von Wilhelm Röpke: Alexander Rüstow zum 8. April 1955; Dolf Sternberger: Der Gelehrte als Arzt der Gesellschaft; Wolfgang Frickhöffer: Das politische Wirken von Alexander Rüstow. Vgl. dazu auch den biographischen Teil dieser Arbeit (2); ferner im einzelnen die Tagungsprotokolle der ASM, Nr. 2 - 1 7 aus den Jahren 1 9 5 3 - 1 9 6 2 .

88

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

ergeben sich Zweifel, wie realitätsnah solche Vorstellungen tatsächlich sind. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß der Ausweitung der Nebenerwerbslandwirtschaft der arbeits- und kostenintensive Faktoreinsatz in der heimischen Landwirtschaft und eine zunehmende Anzahl attraktiver Freizeitbeschäftigungen entgegenstehen. Darüber hinaus ist eine im hohen Maße dezentrale Produktionsstruktur, etwa im Hinblick auf die infrastrukturelle Anbindung, die Versorgung mit qualifizierten Arbeitskräften oder auch die Einbindung von Zulieferindustrien nur begrenzt effizient.475 Auch wird die Realitätsnähe der siedlungspolitischen Vorschläge durch den Umstand eingeschränkt,476 daß die Bundesrepublik Deutschland bereits in den 50er und 60er Jahren zu den sehr dichtbesiedelten Industrienationen gehörte.477 In dieser Zeit kam hinzu, daß ein dramatischer Wohnraummangel herrschte; Kriegszerstörungen und der Verlust der deutschen Ostgebiete mit den daraus resultierenden Flüchtlingsströmen ließen das Eigenheim mit Garten für weite Teile der Bevölkerung als Utopie erscheinen. Zum zweiten lassen sich bei Rüstow keine vollständigen, in sich geschlossenen Konzeptionen isolieren. Dies gilt in gleicher Weise für Sozialpolitik, Bildungspolitik, Steuerpolitik oder auch Wettbewerbspolitik; am Beispiel der Wettbewerbspolitik sei dieser Punkt kurz verdeutlicht. Rüstow konzentriert sich im wesentlichen darauf, die Notwendigkeit einer Antimonopolpolitik zu begründen. Seine Analysen münden in die Schlußfolgerung, daß Wettbewerbsbeschränkungen im allgemeinen zu verhindern seien. Mit dieser Uberzeugung bezieht er eine Position, die faktisch die gesamte Breite wettbewerbsrechtlicher Fragestellungen abdeckt, ohne jedoch im einzelnen etwa auf die unterschiedlichen Auswirkungen horizontaler und vertikaler Vereinbarungen, auf die Unterschiedlichkeit der durch die Ausnahmeregelungen erlaubten Kartellarten oder auch auf die Bedingungen,

475

Von dieser Kritik bleiben die Möglichkeiten der Heimarbeit im Dienstleistungsbereich, die sich durch den zunehmenden Fortschritt der Telekommunikationstechniken ergeben, unberührt.

476

Von Willy Hochkeppel wurde Rüstow deshalb sogar als ,naiv-romantisch' bezeichnet; vgl. Hochkeppel, Willy: Modelle des Gegenwärtigen, S. 64. 1955 betrug die Anzahl der Einwohner pro km 2 Deutschland (West) 2 0 2 , 1 9 6 5 betrug sie 234 und 1997 betrug sie 230 (vereinigtes Bundesgebiet). Die Vergleichszahlen betragen für Großbritannien: 209 (1955), 222 (1965), 243 (1997); für Belgien: 288 (1955), 306 (1965), 333 (1997); für Frankreich: 78 (1955), 89 (1965), 107 (1997); vgl.: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, Jahrgang 1956, 1966, Internationale Ubersicht, Tabelle B.l. Fläche und Bevölkerung der Erde; Jahrgang 1998, Tabelle 3.4. Fläche und Bevölkerung nach Ländern und Regierungsbezirken; Statistisches Jahrbuch für das Ausland, Jahrgang 1998, Europäische Union, Tabelle 1.1., Fläche und Bevölkerung nach Regionen.

477

3.5. Die konzeptionellen Ansätze Rüstows

89

unter denen eine Kartellbildung möglich ist, ausführlich einzugehen. Damit bleiben oberhalb des von ihm vertretenen Grundsatzes Interpretationsspielräume offen, so daß von einer geschlossenen Konzeption Rüstows nur bedingt zu sprechen ist. Im Hinblick auf die Neuordnung der liberalen Interventionen ist zu bemerken, daß er das grundsätzliche Prognoseproblem zu wenig in seine Betrachtungen einbezieht. Rüstows Vorstellungen zielen darauf ab, einen notwendigen Strukturwandel abzufedern und damit die Anpassungskosten hinsichtlich der zeitlichen Dauer sowie des materiellen Aufwandes zu begrenzen. Ziel ist es, den Zustand des vollendeten Strukturwandels durch begrenzte Hilfen schneller zu erreichen. Allerdings läßt Rüstow ungeklärt, wie er den Verlauf und das Ergebnis des Wettbewerbsprozesses vorherbestimmen möchte. Sein Ansatz trägt dem Umstand, daß in einer dynamischen Wirtschaft ein neuer Gleichgewichtszustand bei seinem Erreichen bereits veraltet ist und daß die Ergebnisse von Wettbewerbsprozessen grundsätzlich offen sind, zu wenig Rechnung. Somit besteht die Gefahr, daß Rüstows liberale Interventionen insofern zu einer Dauereinrichtung werden, als ein Strukturwandel nie als abgeschlossen betrachtet werden kann. Schließlich geht Rüstow auch nicht auf das Spannungsverhältnis ein, das sich aus den Unterschieden ergibt, welche zwischen den nationalen Regelungen des GWB und den europäischen Regelungen im Rahmen der EG-Verträge bestehen. Die beiden voranstehenden Gedankengänge stützen die These von Rüstows richtungsweisender, an Grundsätzen orientierten Arbeitsweise, die für die konkrete Anwendung zum Teil erhebliche Interpretationsspielräume offenläßt. Diese für Rüstow kennzeichnende Methodik ist darauf zurückzuführen, daß er — neben anderen — an der Spitze der neoliberalen Strömung stand und sich primär deren grundsätzlicher Orientierung verpflichtet fühlte. Um bei der politischen Umsetzung keine großen Interpretationsspielräume offenzulassen, bedürfen Rüstows wirtschaftspolitische Grundsätze für ihre Anwendung in den wirtschaftspolitischen Teildisziplinen der Konkretisierung; eine Notwendigkeit, die Rüstow im übrigen selbst anerkennt.478 Dies gilt zum einen für die Übertragung der Grundsätze auf die Ebene rechtsverbindlicher Normen, die den Rahmen des wirtschaftlichen Handelns aufzeigen; dies gilt zum zweiten aber auch für eine Erfolgskontrolle, also die Definition von Kriterien, an Hand derer gemessen werden kann, in welchem Umfang die in der Wirtschaftspolitik gesetzten Ziele erreicht wurden.

478

Teilweise versieht Rüstow seine grundsätzlichen Arbeiten mit d e m Hinweis, daß sich Experten noch intensiv mit deren jeweiliger Ausarbeitung auseinandersetzten müßten; vgl. dazu: Rüstow, Alexander: Sozialpolitik oder Vitalpolitik, S. 458.

90

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

Gemeinsam ist Rüstows Ausführungen zu den Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik bzw. zu den Fragen des politischen Systems, daß er damit das Ziel verfolgt, menschenwürdige und materiell abgesicherte Lebensumstände zu schaffen. Auf diese Weise soll es einer hochindustrialisierten Gesellschaft möglich sein, sich auch den überwirtschaftlichen Dingen, wie der Familie, der Kunst, der Musik oder der Religion, zuzuwenden. Auf der Grundlage seiner interdisziplinären Forschungen entwickelt Rüstow dazu ein gesellschaftliches Leitbild, das er mit,Vitalsituation' umschreibt und in den Mittelpunkt seiner Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung stellt. Da aber die Lebensbedingungen auf jedes Individuum unterschiedlich einwirken und darüber hinaus jedes Individuum seine Prioritäten anders setzt, ist es nahezu unmöglich, den Zustand einer .wirklich befriedigenden Vitalsituation' formelgleich und allgemeingültig zu definieren. Daraus ergibt sich für den politisch Handelnden oder den wissenschaftlich Bewertenden die Schwierigkeit, die Rüstowschen Vorgaben konkret umzusetzen, um den Weg (die Vitalpolitik) zu beschreiten und das Ziel (eine optimale Vitalsituation) zu erreichen. Die Umsetzung dieses Leitbildes stellt einen hohen Anspruch an das individuelle Verhalten, welches von Rücksichtnahme auf den Nächsten, von Verantwortungsbewußtsein und Bescheidenheit beim Umgang mit dem Eigentum, von Solidarität und Standfestigkeit geprägt sein sollte. Dabei existiert für Rüstow kein Unterschied im Hinblick auf den Adressaten: Diese (christlichen) Tugenden verlangt er von einem Politiker bei der sparsamen Verwendung der von ihm treuhänderisch verwalteten Steuereinnahmen genauso wie von einem Unternehmer, der nicht willkürlich die Arbeitsbedingungen seiner Arbeitnehmer verändern dürfe, und vom einfachen Bürger, der soziale Transfers als Leistungen der Solidargemeinschaft nur bei Bedürftigkeit und in angemessenem Umfang in Anspruch nehmen soll. Rüstow sucht eine Antwort auf die Frage, wie ein solches Verhalten zu erreichen sei: Aus seiner Auseinandersetzung mit dem Sozialismus weiß er, daß der Versuch, den Menschen auf das gesellschaftliche Leitbild auszurichten, illusorisch ist. Rüstow setzt infolgedessen aus der entgegengesetzten Richtung an; er nimmt die Menschen so, wie diese veranlagt sind und richtet die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nach ihnen aus. Dazu arbeitet er in seinen Analysen heraus, welche Bedeutung einem in sich konsistenten Anreizsystem für die dauerhafte Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens zufällt. Die Rahmenbedingungen für das individuelle wirtschaftliche Gebaren, für das gesellschaftliche Zusammenleben und auch für das politische System müssen so gestaltet sein, daß sie grundsätzlich die menschlichen Eigenschaften nutzen, deren elementarste der Selbsterhaltungstrieb ist. Gleichzeitig müssen sie die negativen Auswüchse der menschlichen Triebe zu unterbinden bzw. Notsituationen auszugleichen geeignet sein. Auf dieser Grundlage soll das individuelle Verhalten in einer Weise gesteuert werden, die gemeinwohlzersetzendes Handeln sanktioniert, gleichzeitig aber gemeinwohl-

3.5. Die konzeptionellen Ansätze Rüstows

91

förderndes honoriert. 479 In dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft sieht Rüstow diese Art von Anreizsystem am ehesten realisiert. Sind die Anreize grundsätzlich so gesetzt, daß ein Verhalten auf Kosten Dritter sanktioniert wird, kommt es darüber hinaus — bis zu einem gewissen Grad — auf die Erziehung und Bildung an. Dies gilt, weil es stets Situationen gibt, in denen die Grenzen zwischen gemeinwohlförderndem und -schädigendem Verhalten fließend sind. In solchen Fällen entscheidet die anerzogene Überzeugung über das spontane individuelle Verhalten. Diese Überzeugung versucht Rüstow immer wieder durch Appelle zu vermitteln: — Die Tarifparteien mahnt er zu einer verantwortungsbewußten Auseinandersetzung, die nicht ideologisch und klassenkämpferisch, sondern sachlich und kooperativ zu sein habe.480 — Die staatlichen Stellen fordert er auf, sich in Bescheidenheit zu üben und ihre Aufgaben (und damit Ausgaben) auf ein notwendiges Minimum zu beschränken.481 — Die politischen Akteure ruft er dazu auf, ihre eigenen Interessen, wie Machterhalt und materielle Absicherung, zurückzunehmen und statt dessen das langfristige Gemeinwohl zum Maßstab ihrer politischen Entscheidungen zu machen; ferner appelliert er an sie, die Politik in einem ganzheitlichen Ansatz zu bewältigen und die bereichsübergreifenden Konsequenzen einzelner politischer Entscheidungen mit in ihr Kalkül einzubeziehen.482 — Jeden einzelnen Bürger fordert er dazu auf, sich in dem persönlichen Umfeld stets für die Wahrung menschlicher Grundrechte einzusetzen.483 — In Rüstows vitalpolitischen Vorstellungen im Hinblick auf den Industriearbeiter, der in ländlicher Umgebung Heim und Garten sein eigen nennt, kommt der Wunsch zum Ausdruck, daß sich dieser nach dem Ende des industriellen Arbeitstages im Einklang mit der Natur um Hof und Familie kümmern könne.

479

A m Beispiel der Sozialversicherung verdeutlicht Rüstow die Notwendigkeit, mit kollektiven Mitteln sparsam und nach dem Prinzip der Bedürftigkeit umzugehen. In diesem Zusammenhang wäre unter gemeinwohlzersetzendem Handeln eine über die Bedürftigkeit hinausgehende Inanspruchnahme des sozialen Sicherungssystems zu verstehen. Ein solches Verhalten, das bei der Verfolgung des eigenen Interesses (Auffangen einer Notlage) nicht auch gleichzeitig die dauerhafte Lebensfähigkeit des Gemeinwesens berücksichtigt, läßt auf lange Sicht eine Aushöhlung der Substanz des Gemeinwesens erwarten.

480

Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 127f. Vgl. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 36. Vgl. Rüstow, Alexander: Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik, S. 94. Vgl- Rüstow, Alexander: Menschenrechte oder Menschenpflichten, S. 8f.

481 482 483

92

3. Rüstows Grundgedanken über Wirtschaft und Gesellschaft

- Arbeitnehmer und Arbeitgeber ermahnt Rüstow nach der Verabschiedung des Betriebsverfassungsgeset2es 1952 da2u, das gesetzliche Regelwerk mit gutem Willen zu füllen, um das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Unternehmen zu stärken.484 Mit dieser Kombination aus ökonomischen Anreizen und Appellen an das Verantwortungsbewußtsein stellt Rüstow sehr hohe Ansprüche an das Verhalten des einzelnen Bürgers. Es ist zu befürchten, daß gerade die Appelle nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie auf entsprechende Akzeptanz stoßen. Akzeptanz heißt in diesem Falle, daß bei dem einzelnen ein grundsätzliches Verständnis der ökonomischen Zusammenhänge mit einem Interesse an gesellschaftlichen Regelkreisen und dem Vorhandensein traditioneller Werte zusammenfallen muß. Dies ist bei Rüstow vor dem Hintergrund seiner universalen Gelehrtheit und religiösen Verbundenheit der Fall. Allerdings stellt er damit eine Ausnahme im Vergleich zur durchschnittlichen Bevölkerung dar. Die Untersuchungen in Kapitel 3 haben verdeutlicht, daß Rüstow bei der Entwicklung seiner wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Konzeption vor allem grundsätzliche Prinzipien herausarbeitet; zu ihnen gehört die Subsidiarität, die Forderung nach Leistungsgerechtigkeit, der Anspruch auf Konsistenz in der (Wirtschaftspolitik sowie die Forderung nach Gewährleistung der individuellen Freiheit. Auf der Grundlage dieser Zielvorgaben ergeben sich die beiden folgenden Fragen: 1. Inwieweit stehen die legislativen und administrativen Maßnahmen, die seit 1948 im Namen der Sozialen Marktwirtschaft ergriffen wurden, im Einklang mit den Rüstowschen Grundsätzen? 2. In welchem Ausmaß wurden die Rüstowschen Ziele in den fünf Jahrzehnten praktizierter Sozialer Marktwirtschaft realisiert? In dem Kapitel 4 wird diesen Fragen nachgegangen. Die Untersuchungen konzentrieren sich dabei auf die Entwicklungen in der Sozialpolitik, da dieser Bereich in den vitalpolitischen Vorstellungen Rüstows eine besondere Bedeutung einnimmt. Daneben wird exemplarisch an der Sicherung des Wettbewerbs die Erfüllung der Rüstowschen Forderungen überprüft. Diese Eingrenzung wird in dem Bemühen unternommen, gerade diejenigen Ansätze in Rüstows Konzeptionen zu bearbeiten, die einen aktuellen Bezug haben.

484

Vgl. Rüstow, Alexander: Das neoliberale Programm, S. 94; ders.: Vom Sinn der Wirtschaftsfreiheit, S. 220.

4. Die Entwicklung der deutschen Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze Die Untersuchungen in Kapitel 3 haben gezeigt, daß Rüstow vor allem die Grundsätze herausgearbeitet hat, denen eine Gesellschaftsordnung genügen muß, um ihren Bürgern ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung zu ermöglichen. Hinzu tritt das Verdienst einer umfassenden Analyse individueller und kollektiver Verhaltensweisen, die entstehen können, wenn in einer Gesellschaftsordnung Freiheit und Selbstbestimmung nicht gewährleistet sind. Rüstows Grundkoordinaten sind eine nach dem Grundsatz der Subsidiarität gestaltete Zuweisung von Verantwortung, die Forderung nach einem im Regelfall ausgeglichenen Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung sowie eine in sich geschlossene, den langfristigen Wirkungsketten Rechnung tragende Wirtschaftspolitik. Hieran richtet er seine ordnungspolitische Konzeption aus, in deren Mittelpunkt der freie, mündige Bürger steht. Rüstow will die hierzu notwendigen Prinzipien herausarbeiten sowie deren Anerkennung und Verankerung in einem adäquaten Ordnungsrahmen erreichen. Die Erarbeitung richtungweisender Grundsätze hält Rüstow für wichtiger als die Konkretisierung einzelner Maßnahmen, da diese aus seinen Ansätzen abgeleitet werden können; soweit Rüstow die Ableitung selbst geleistet hat, werden sie als,Kernaussagen' im weiteren Fortgang der Untersuchung Verwendung finden. Als Maßstab zur Überprüfung, inwieweit Rüstows Gedankengut Eingang in die reale Wirtschaftspolitik gefunden hat, werden die von ihm herausgearbeiteten Grundsätze herangezogen. Zur Operationalisierung der Grundsätze Subsidiarität, Leistungsgerechtigkeit und innere Geschlossenheit - sie gliedern zugleich das 4. Kapitel - werden Rüstows relevante Kernaussagen im Zusammenhang mit der Zuordnung staatlicher Verantwortungsbereiche, der Gestaltung der Sozialversicherung, des GWB und der Subventionsvergabe herangezogen. Sie werden bei der Darstellung beispielhafter Entwicklungen in der Wirtschaftspolitik aufgegriffen, um in einem konkreten Zusammenhang wirtschaftspolitische Entscheidungen den Intentionen Rüstows gegenüberzustellen. Seine Kernaussagen lassen sich zum einen auf unterschiedliche Sachverhalte anwenden; zum anderen können an Hand der Entwicklungen der praktizierten Wirtschafts- und Sozialpolitik verschiedene Grundsätze Rüstows illustriert werden. Dabei werden Rüstows Prinzipien und Kernaussagen aus dem 3. Kapitel wieder aufgenommen, um vor allem die sozialpolitische Entwicklung in Deutschland aus der Sicht Rüstows zu analysieren; die dabei unvermeidlichen Wiederholungen sollen der Verdeutlichung der Aussagen dienen.

4.1. Subsidiarität 4.1.1. Subsidiäre Verantwortung des Staates und die Gestaltung der Wirtschaftsordnung in Deutschland

Rüstow definiert nicht, welche Verantwortungen im einzelnen auf den Staat zukommen. Durch seine explizite Bezugnahme auf das Subsidiaritätsprinzip als Gestaltungsnorm für den Aufbau einer Gesellschaftsordnung 485 ist es möglich, die Entwicklung der Staatsaufgaben in Deutschland in Rüstows Sinne zu bewerten. Mit seiner Forderung, der Staat habe den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnungsrahmen festzulegen und dessen Einhaltung zu gewährleisten, 486 akzeptiert Rüstow unabdingbare, ordnungspolitisch motiverte Staatseingriffe unter dem Vorbehalt, daß sie die individuellen Freiräume nicht willkürlich eingrenzen. Im folgenden soll an drei Beispielen geprüft werden, ob diesem Rüstowschen Ansatz dem Prinzip nach entsprochen wurde, ob und inwieweit die Entwicklung in der Bundesrepublik über sie hinaus gegangen ist und sie sogar verfälscht hat. Zunächst wird auf die Ableitung von Staatsaufgaben eingegangen, die sich aus der gesetzlichen Verankerung von Verantwortungsbereichen ergeben. Es wird gezeigt, daß mit deren gesetzlicher Ausdehnung staatliche Eingriffsmöglichkeiten geschaffen wurden, die dem Leitbild einer verantwortungsvollen Selbstbeschränkung des Staates entgegenstehen. Darüber hinaus wird untersucht, inwieweit das Verhältnis von öffentlichen und privaten Leistungserbringern sowie das Verhältnis der staatlichen Ebenen untereinander das Gebot der Subsidiarität widerspiegeln. 4.1.1.1. Die Ableitung von Staatsaufgaben aus der deutschen Rechtsordnung In den Jahren unmittelbar nach Kriegsende haben die Sieger mächte das innenpolitische Geschehen in Deutschland bestimmt; die Aktivitäten der deutschen staatlichen Behörden waren von der - teils improvisierten - Verwaltung der Not und der Kriegsfolgen geprägt. Bei der Versorgung der Bevölkerung hielt man an den Mitteln der Zwangsbewirtschaftung fest; gleichwohl begann schon bald nach 1945 die Diskussion um die Gestaltung der Wirtschaftsordnung, die zunächst stark von sozialistischen Ideen und dem Streben nach Teilsozialisierungen beeinflußt

485

4M

Vgl. Rüstow, Alexander: Soziale Marktwirtschaft als Gegenprogramm gegen Kommunismus und Bolschewismus, S. 105f. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 5.

4.1. Subsidiarität

95

war.487 Erst mit der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft nach der Währungsreform von 1948 als Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sowie der Gründung der Bundesrepublik Deutschland veränderten sich die Rahmenbedingungen grundlegend. Die Festschreibung der persönlichen Freiheitsrechte (Art. 1 bis 10 GG), der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) sowie der Rechts- und Sozialstaatlichkeit (Art. 20 Abs.l, 28 Abs. 1 S.l GG) im Grundgesetz begründen seither die erheblichen Freiheitsspielräume des Individuums. Die grundgesetzliche Verankerung dieser Rechte definiert gleichzeitig die wichtigsten Staatsaufgaben insofern, als der Staat deren Verwirklichung zu garantieren hat. Im Hinblick auf die Wirtschaftsordnung ist dem Grundgesetz kein positiver Gestaltungsauftrag zu entnehmen; in diesem Sinne ist auch die Feststellung: „Ein bestimmtes Wirtschaftssystem ist durch das Grundgesetz nicht gewährleistet", die das Bundesverfassungsgericht bereits 1954 getroffen hat, zu verstehen.488 Allerdings schließen die im Grundgesetz gewährten Freiheits- und Eigentumsrechte solche Wirtschaftsordnungen aus, deren Koordination einer umfassenden, zentralen Planung unterliegt. Durch den Ausschluß der Zentralverwaltungswirtschaften erfährt die oben zitierte Neutralität eine gewisse Einschränkung, denn das Grundgesetz erlaubt nicht, daß die Grundrechte im Rahmen einer Wirtschaftsordnung zur Disposition gestellt werden.489 Für die Gestaltung der Staatsaufgaben bedeutet dies dem Grundsatz nach einen Ausschluß solcher Aktivitäten, die darauf gerichtet sind, die Koordination der Märkte sowie die Produktion von Gütern und Dienstleistungen vollständig in die Hände des Staates zu überführen. Die positive Ausgestaltung und Konkretisierung der auf den wirtschaftlichen Bereich bezogenen Staatsaufgaben liegt darüber hinaus seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland in den Händen der Legislative und zum Teil — etwa in der Arbeitsrechtsprechung - auch der Judikative. Die politische Gestaltungsfreiheit birgt Interpretationsspielräume in sich, die letztlich durch die ideologische Ausrichtung der Parteien und der gesellschaftlichen Einflußgruppen ausgefüllt werden. Vor diesem Hintergrund unterliegen Art und Umfang der staatlichen Aktivitäten sowie das Verhältnis von staatlichem zu privatem Sektor tendenziell dem Wechsel parlamentarischer Mehrheiten.490

487

488 489

490

Vgl. Nörr, Knut Wolfgang: Die Entscheidung für die Soziale Marktwirtschaft als ein Wendepunkt der deutschen Geschichte, Manuskript eines Vortrages, gehalten während des 6. Alfred Müller-Armack-Symposions 1998 der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. lf. BVerfGE, 1954, Bd. 4, S. 8. Vgl. Papier, Hans-Jürgen: Soziale Marktwirtschaft - ein Begriff ohne verfassungsrechtliche Relevanz? Manuskript eines Vortrages, gehalten während des 6. Alfred MüllerArmack-Symposions 1998 der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 6f. Vgl. Tuchtfeldt, Egon: Soziale Marktwirtschaft als ordnungspolitisches Konzept, S. 32.

96

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

Für die Wirtschaftsordnung des sich etablierenden neuen Staatsgefüges fiel 1947 mit der Gründung der ,Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebiets' die erste grundlegende Entscheidung gegen planwirtschaftliche Strukturen. Die Ernennung Ludwig Erhards 1948 zum Direktor der Verwaltungsbehörde schließlich war der Beginn einer aktiven Gestaltung marktwirtschaftlicher Politik im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft. 49 ' Mit der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft hat Erhard wesentliche Teile der Güterversorgung von Bewirtschaftung und Preisbindung freigestellt492 und diese somit der Gestaltung und der Verantwortung der Marktteilnehmer übertragen. Statt einer behördlichen Lenkung übernahm der Preis als Knappheitsindikator die Steuerung von Angebot und Nachfrage auf den Gütermärkten. Die Einschränkung staatlicher Regulierungsbefugnisse galt allerdings im wesentlichen nur für die gewerbliche Wirtschaft; in anderen Wirtschaftsbereichen griff die öffentliche Hand nach wie vor massiv durch gesetzliche und administrative Vorschriften ein.493 Zum Teil verfolgten diese Regelungen das Ziel, das Nebeneinander von Reichs-, Länderund Zonenanordnungen zu beseitigen, um schrittweise zu einer bundesweiten Rechtseinheitlichkeit zu gelangen.494 Allerdings überwog die Überzeugung, daß bestimmte Bereiche der Wirtschaft in staatlicher Obhut besser - das heißt vor allem sozial verträglicher — zu steuern seien als unter wettbewerblichen Bedingungen. So wurden weite Bereiche, z.B. die gesundheitliche Fürsorge, die Landwirtschaft, der Kohlebergbau, das Kredit- und Versicherungswesen, der Devisenverkehr, das Wohnungswesen und der Arbeitsmarkt weiterhin nicht der subsidiären Gestaltung durch die Marktteilnehmer überlassen. Der Ansatz, staatliche Regulierungen mit einer größeren Sozialverträglichkeit zu begründen, widerspricht Rüstows Uberzeugung. Sozialverträglich bedeutet für ihn, eine - auf Freiheit und Eigenverantwortung basierende — Wirtschaftspolitik so zu gestalten, daß für jeden Mitbürger ausreichende Erwerbsmöglichkeiten bestehen.495 In der staatlichen Regulierung ganzer Wirtschaftsbereiche hingegen sieht er eine Umverteilung, deren Wirkungsketten nicht mehr zu überschauen sind.496

491

Vgl. Nörr, Knut Wolfgang: Die Entscheidung für die Soziale Marktwirtschaft als ein Wendepunkt der deutschen Geschichte, Manuskript eines Vortrages, gehalten während des 6. Alfred Müller-Armack-Symposions 1998 der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 7f., 11 ff.

492

Vgl. Zacher, Hans F.: Sozialpolitik, Verfassung und Sozialrecht im Nachkriegsdeutschland, S. 195. Vgl. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 2. Vgl- Zacher, Hans F.: Sozialpolitik, Verfassung und Sozialrecht im Nachkriegsdeutschland, S. 196.

493 494

495 496

Vgl. Rüstow, Alexander: Wir fordern eine zielklare Wirtschafts- und Sozialpolitik, S. 210. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 10.

4.1. Subsidiarität

97

Grundsätzlich lassen politische Präferenzen Renten entstehen, deren Bezug sich nicht auf Leistung, sondern politischen Organisationsgrad gründet. Eine solche willkürliche Umverteilung bekämpft nicht gezielt und systematisch materielle Not, sondern trifft den Bedürftigen lediglich per Zufall. Eine wettbewerbsorientierte Wirtschaftspolitik hingegen führt zu einer effizienten Ressourcenallokation. Sie verhindert nicht nur die Entstehung von Machtpositionen und daraus resultierende Abhängigkeiten; sie bildet darüber hinaus die Grundlage, daß sich jeder einzelne seine materielle Unabhängigkeit erarbeiten kann, eine für Rüstow zutiefst soziale Eigenschaft. Trotz der staatlichen Regulierungen in den oben aufgeführten Bereichen ist in den ersten Jahren nach 1948 das Bestreben erkennbar, politisch motivierte Eingriffe in die wirtschaftlichen Abläufe zu begrenzen und die Wirtschaftspolitik insgesamt an den ordnungspolitischen Vorgaben der Sozialen Marktwirtschaft auszurichten. 497 Diese Einschätzung wird im Grunde von Rüstow geteilt; die Entlassung wesentlicher Wirtschaftsbereiche in den Wettbewerb entsprach prinzipiell seiner Forderung nach einer Dezentralisierung von Verantwortlichkeiten sowie dem Ziel, den Wettbewerb als grundlegendes Organisationsprinzip der Märkte zu etablieren. Gleichwohl betont er, daß man trotz der erreichten Anfangserfolge im Hinblick auf das gestiegene Wohlstandsniveau noch immer weit von einer umfassenden Umsetzung der Sozialen Marktwirtschaft entfernt sei und fordert einmal mehr 1958 „... einen entschlossenen Rückzug des Staates aus dem Wirtschaftsprozeß auf seine legitimen Funktionen in der Wirtschaftspolitik". 498 In dieser Stellungnahme kommt Rüstows Ablehnung gegenüber prozeßpolitischen Maßnahmen zum Ausdruck; staatliche Interventionen zur Steuerung des Wirtschaftsprozesses lehnt er grundsätzlich ab. Konjunkturelle Schwankungen sieht er am besten über die Selbstheilungskräfte der Märkte ausgeglichen; erst der staatliche Eingriff, der die marktwirtschaftlichen Anpassungsprozesse bremsen oder gar verhindern will, führt auf Dauer zu strukturellen Verwerfungen. Wegen der Bedenken vor unkontrollierbaren Nebenwirkungen kurzfristiger Eingriffe in den Wirtschaftsprozeß will Rüstow die staatlichen Aktivitäten auf die (langfristig wirkende) Setzung des Ordnungsrahmens beschränken sowie die Gewährung von Anpassungsinterventionen auf begründete Ausnahmefälle reduzieren.499 Dieses Ziel wurde im Hinblick auf Wachstum, Beschäftigung und Geldwert während der 50er und 60er Jahre im wesentlichen erreicht; es gelang, die materi497 498

499

Vgl. Röpke, Wilhelm: Ist die deutsche Wirtschaftspolitik richtig? S. 55f. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 4; Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 133. Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 62, 65f., 68; ders.: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 6ff.; Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 3.

98

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

eile Not der Nachkriegszeit in erheblichem Umfang zu beseitigen. Allerdings hatte dies auch zur Folge, daß sich die Qualität der Wirtschaftspolitik änderte. An die Stelle einer Beachtung ordnungspolitischer Prinzipien, die in erster Linie auf eine effiziente Ressourcenallokation gerichtet waren, trat zunehmend der Verteilungsaspekt. Darüber hinaus gewann die Überzeugung an Bedeutung, man könne mittels wirtschaftspolitischer Maßnahmen den Wirtschaftsprozeß gestalten. Dieser zunehmende ,Machbarkeitsglaube' fand seinen Ausdruck unter anderem in dem 1967 verabschiedeten sogenannten Stabilitätsgesetz,500 in dem der Staat seine wirtschaftspolitischen Kompetenzen ausbaute und die ,Globalsteuerung, des Wirtschaftsprozesses zum Ziel seiner Wirtschaftspolitik machte. Mit der Verpflichtung, die Wirtschaftspolitik gleichzeitig auf die Geldwertstabilität, einen hohen Beschäftigungsstand, ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum sowie das außenwirtschaftliche Gleichgewicht auszurichten, wurde die Rechtfertigung für ein diskretionäres Eingreifen in den Wirtschaftsprozeß geliefert. Im weiteren Verlauf der 60er und 70er Jahre ist zu beobachten, daß sich der Einsatz prozeßpolitischer Steuerungsmaßnahmen, die sich im wesentlichen auf die Fiskalpolitik konzentrierten, zu Lasten des ordnungspolitischen Gebots der Zurückhaltung entwickelte. Außerdem wurden im Zuge des Stabilitätsgesetzes mit dem Konjunkturrat und der Konzertierten Aktion Institutionen ins Leben gerufen, denen vor allem eine Koordinierungsaufgabe zufiel;501 in der Konzertierten Aktion beispielsweise fanden sich öffentliche Hand, Gewerkschaften und Unternehmerverbände zusammen, um ihre jeweiligen Aktivitäten, insbesondere im Hinblick auf die Gestaltung ihrer Lohn- und Preispolitik, aufeinander abzustimmen.502 Die mit diesem Instrumentarium eröffneten Eingriffsmöglichkeiten stimmen nicht mit Rüstows Vorstellung einer subsidiären Aufgabenverteilung überein. Dies gilt zum einen insbesondere für die diskretionäre Fiskalpolitik, die in ihrer Kurzfristigkeit nicht nur einer berechenbaren Wirtschaftspolitik widerspricht, sondern auf Dauer dazu geeignet ist, die Selbstheilungsfähigkeit funktionierender Märkte zu untergraben. Zum anderen gilt dies für die Tätigkeit der Konzertierten Aktion; statt beispielsweise die Verantwortung für einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf den Arbeitsmärkten in die (subsidiären) Hände der Unternehmen und ihrer Betriebsräte zu legen, wurde durch die Schaffung der Konzertierten

500

501 502

Mit dem ,Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft' wurde dem Bund (und den Ländern) ein prozeßpolitisches Instrumentarium mit dem Ziel an die Hand gegeben, eine antizyklische Stabilitätspolitik betreiben zu können. Vgl. Starbatty, Joachim: Stabilitätsgesetz, S. 1732. Vgl. Starbatty, Joachim: Stabilitätsgesetz, S. 1732f. Vgl- Hamel, Hannelore: Soziale Marktwirtschaft: Anspruch und Realität eines ordnungspolitischen Konzepts, S. 121 f.

4.1. Subsidiarität

99

Aktion ein abgestimmtes Verhalten auf der Ebene der Spitzenverbände gefördert. Entscheidend an dem Beispiel des Stabilitätsgesetzes ist die Tendenz, daß aus mangelndem Vertrauen in die Selbststeuerungsfähigkeit der Märkte die Verantwortung für deren Entwicklung - entgegen dem Subsidiaritätsprinzip — auf gesetzlicher Grundlage in den Händen des Staates festgeschrieben wurde. Diese formale, gesetzlich verankerte Zuweisung von Verantwortlichkeiten setzte sich auch in der Verfassung durch, deren ordnungspolitische Zurückhaltung teilweise aufgegeben wurde. Wesentliche Schritte auf diesem Weg waren die Verfassungsänderungen in den Jahren von 1967 bis 1970, als die wirtschaftspolitischen Ziele des .gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts' (Art. 104 Abs. 3 S. 1, Art. 109 Abs. 4, Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG), des,wirtschaftlichen Wachstums' (Art. 104a S. 1 GG), der Verbesserung der regionalen Wirtschafts- bzw. Agrarstruktur (Art. 91a Abs. 1 GG), der Bildungs- und Forschungsförderung sowie der konjunkturgerechten Haushalts- und Finanzplanung (Art. 91b, Art. 109 Abs. 3 GG) Eingang in das Grundgesetz fanden.503 Im Ergebnis steht die Konkretisierung wirtschaftspolitischer Ziele in Gesetz und Verfassung nicht im Einklang mit der Forderung Rüstows nach einer verantwortungsvollen Zurückhaltung' des Staates. 4.1.1.2. Der Staat als Anbieter privater Güter und Dienstleistungen Aus der gesetzlichen Erweiterung staatlicher Verantwortungsbereiche ergeben sich im wesentlichen zwei Möglichkeiten, wie der Staat die Aufgabenausweitung gestalten kann. Zum einen kann er über Verordnungen und Gesetze sowohl die Art und Weise als auch den Umfang der Leistungserstellung auf einzelnen Märkten regulieren. Von dieser Möglichkeit hat der Staat beispielsweise bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen, im Rahmen des Ladenschlußgesetzes oder im Hinblick auf die Leistungserbringung im Gesundheitswesen weidlich Gebrauch gemacht.504 Eine zweite Möglichkeit bietet sich dem Staat, indem er unmittelbar auf der Ebene der Güterversorgung ansetzt und selbst als Anbieter auftritt. Ein staatliches Engagement auf dieser Ebene ist für Rüstow unvereinbar mit einer auf Privateigentum und fairem Wettbewerb basierenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, da er die individuellen Freiräume eingeengt und den Wettbewerb durch Verzerrungen behindert sieht.505 Für die Bundesrepublik läßt sich festhalten, daß sich der Staat im Zeitablauf auf allen Ebenen seiner Gebietskörperschaften durch das Anbieten von Gütern und Dienstleistungen in wachsendem Umfang als Wirt-

503

504

505

Vgl. Zacher, Hans F.: Sozialpolitik, Verfassung und Sozialrecht im Nachkriegsdeutschland, S. 202. Das Beispiel der Leistungserbringung im Gesundheitswesen wird ausführlicher in A b schnitt 4.1.2. (Subsidiarität und materielle Sicherung) behandelt. Vgl. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 4.

100

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

schaftssubjekt etabliert hat.506 Zu Beginn der 90er Jahre wurde die Anzahl der in öffentlicher Hand befindlichen Liegenschaften, Unternehmen und Beteiligungen auf über 100.000 geschätzt.507 So unterhalten die Gebietskörperschaften unter anderem eigene Fuhrparks für den öffentlichen Personennahverkehr, eigene Handwerksstätten, Betriebe zur Stadtreinigung, Grünanlagenpflege oder Müllbeseitigung, Energieversorgungsbetriebe, Flughäfen, Freizeitanlagen, Schlachthöfe, Sargfabriken, Blumenläden, Druckereien, Brauereien, Banken und Versicherungen. 508 Diese absolute Zahl an öffentlichen Unternehmen steht deutlich im Gegensatz zu Rüstows Forderung nach verantwortungsvoller Selbstbeschränkung des Staates.509 Dies gilt insbesondere dann, wenn man berücksichtigt, daß viele der oben aufgeführten öffentlichen Anbieter Leistungen bereitstellen, die offensichtlich nicht von den regelmäßigen Begründungen, die eine staatliche Leistungserbringung rechtfertigen könnten, gedeckt werden.510 Allerdings ist in Erweiterung der Rüstowschen Forderung zu berücksichtigen, daß nicht die Anzahl der öffentlichen Unternehmen als solche, sondern vor allem die Bedingungen, unter denen diese wirtschaften müssen (oder dürfen), ausschlaggebend für eine ordnungspolitische Bewertung des staatlichen Engagements sind; eine Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen durch staatliche Unternehmen gilt dann als inakzeptabel, wenn sich deren Rahmenbedingungen und Verhalten von denen der privaten Anbieter unterscheiden; zu diesen Bedingungen gehört die Verpflichtung zur Publizität und zur Rechnungslegung, die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts sowie das Streichen aller Vergünstigungen, die nicht auch gleichzeitig den privaten Wettbewerbern gewährt werden. Da diese Voraussetzungen regelmäßig nicht gegeben sind, ist die öffentliche Leistungserbringung mit erheblichen Effizienzverlusten verbunden. 511 Findet aber die öffentliche Leistungserbringung nicht unter den marktüblichen Wettbewerbsbedingungen statt und ist sie darüber hinaus auch noch ineffizient, so stellt sie in diesen Fällen eine ungerechtfertigte Einschränkung des Subsidiaritätsprinzips dar.

506

Vgl. Hamm, Walter: Öffentlicher Sektor, S. 272.

507

510

Vgl. Kronberger Kreis: Mit Marktwirtschaft aus der Krise, S. lOff. Vgl. Hamm, Walter: Öffentlicher Sektor, S. 273; Hartwig, Karl-Hans: Der Staat als Unternehmer, S. 663. Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 68. Vgl. zu der grundsätzlichen Diskussion um die Rechtfertigung staatlicher Aktivitäten bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben, zum Ausgleich von Marktversagen sowie zum Umgang mit natürlichen Monopolen beispielsweise Musgrave, Richard A. et al.: Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis, S. 53ff.; Grossekettler, Heinz: Öffentliche Finanzen, S. 483ff.; Brümmerhoff, Dieter: Finanzwissenschaft, S. 79ff.

511

Vgl. Hartwig, Karl-Hans: Der Staat als Unternehmer, S. 653, 655.

508

509

4.1. Subsidiarität

101

In manchen Bereichen tritt der Staat nicht nur als einer unter mehreren Anbietern auf, sondern dominiert in dem betreffenden Markt das Angebot (fast vollständig). Dies ist beispielsweise bei Bildungseinrichtungen (Schulen, Hochschulen) oder Krankenhäusern der Fall.512 Eine solche staatliche Dominanz traf in Deutschland über lange Zeit auch für den Schienenverkehr, das Post- und Fernmeldewesen sowie die Energieversorgung zu. Inzwischen hat sich in diesen Branchen die Situation - zum Teil erheblich - geändert. Zwischen 1959 und 1965 hat sich der Bund zum ersten Mal in nennenswertem Umfang von seinen industriellen Engagements zurückgezogen. Im Zuge der Teilprivatisierungen von Preussag, VW und VEBA wurde neben der Rückführung des staatlichen Engagements auch das Ziel verfolgt, größere Bevölkerungsteile am Produktiwermögen zu beteiligen. In den Jahren 1983 bis 1990 hat sich der Bund vor allem mit dem Ziel, die staatlichen Aktivitäten auf die Kernaufgaben zu reduzieren, erneut von Industriebeteiligungen getrennt.513 Weitere Privatisierungsanstrengungen wurden im Vorfeld der Europäischen Währungsunion unternommen; um die in den Maastrichter Verträgen festgelegten Konvergenzkriterien zu erfüllen,514 veräußerte der Bund weitere staatseigene Unternehmen und sonstiges Vermögen. Allerdings ändern die entscheidenden und begleitenden Gründe, aus denen eine Übertragung von Eigentum und der damit verbundenen Verantwortung aus öffentlichen in private Hände hervorging, nichts an der prinzipiell positiv zu bewertenden Tatsache, daß der Bund nach und nach sein direktes wirtschaftliches Engagement erheblich eingeschränkt hat. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß sich ein Teil der Privatisierung auf die Änderung der Rechtsform beschränkt und die öffentliche Hand ihre Verfügungsgewalt über das Produktiwermögen nicht vollständig abgegeben hat. Des weiteren bleibt festzuhalten, daß die skizzierte Entstaatlichung in erster Linie auf den Bund entfiel. Auf der Ebene der Bundesländer hat sich lediglich Schleswig-Holstein umfassend von seinen Beteiligungen getrennt; in anderen Bundesländern ist teilweise sogar eine gegenläufige Entwicklung zu beobachten.515 Überwiegend konzentrieren sich bei den Ländern und insbesondere den Gemeinden noch erhebliche Vermögenswerte und Beteiligungen mit den korrespondierenden Einflußmöglichkeiten auf regionale bzw. kommunale Märkte.516 Auf diesen Ebenen kann von einem Rückzug des Staates im Rüstowschen Sinne nicht

512 513 514

515 516

Vgl. Kronberger Kreis: Mit Marktwirtschaft aus der Krise, S. 18. Vgl. Kronberger Kreis: Mit Marktwirtschaft aus der Krise, S. 11. Vgl. zu den Konvergenzkriterien Art. 109j des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in seiner Fassung vom 1.1.1995. Vgl. Hartwig, Karl-Hans: Der Staat als Unternehmer, S. 668f. Vgl. Kronberger Kreis: Mit Marktwirtschaft aus der Krise, S. 11, 13, 15ff.

102

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

gesprochen werden. Dies gilt auch insofern, als die öffentliche Hand neben ihrem direkten Engagement als Leistungserbringer auch auf indirekte Weise gegen das Gebot der Subsidiarität verstößt, indem sie ein2elne Unternehmen oder Branchen vor Konkurrenz schützt. Durch die Zahlung von Subventionen, die Festlegung von Preisen oder die Beschränkung des Marktzutritts für Dritte (Werften, Kohle- und Stahlproduzenten, landwirtschaftliche Betriebe usw.) untergräbt sie die Eigenverantwortung und auf Dauer die Fähigkeit, eigenständig die Herausforderungen des Wettbewerbs zu bewältigen. Betrachtet man des weiteren die Aktivitäten der Landesbanken und Girozentralen auf Länderebene sowie der Sparkassen auf kommunaler Ebene, so wird auch an diesem Beispiel deutlich, daß die öffentliche Hand mittelbaren Einfluß, insbesondere durch eine selektive Förderung von Unternehmen, auf den privaten Sektor ausübt.517 Diese Entwicklung verdeutlicht, daß die öffentliche Hand — nach wie vor — in erheblichem Ausmaß in den Wirtschaftsprozeß eingreift; Rüstow hingegen hatte nicht nur gefordert, der Staat dürfe nicht als Wirtschaftssubjekt in Erscheinung treten, er hatte sich auch für eine strenge Begrenzung staatlicher Prozeßpolitik ausgesprochen. 4.1.1.3. Subsidiarität und die Kompetenzen der Gebietskörperschaften Neben der gesetzlichen Ausweitung staatlicher Verantwortungsbereiche und der auf die Erstellung von Gütern und Dienstleistungen gerichteten Aktivitäten der öffentlichen Hand kann ein weiterer Maßstab für die Geltung des Subsidiaritätsprinzips in der Aufgabenteilung gesehen werden, die die Gebietskörperschaften untereinander treffen; dabei sei in der folgenden Darstellung der Schwerpunkt auf das Verhältnis zwischen dem Bund einerseits sowie den Ländern und Kommunen andererseits gelegt. Mit Blick auf eine subsidiäre und föderale Aufgabenverteilung zwischen den staatlichen Ebenen siedelt die Verfassung in ihrem Art. 70 Abs. 1 GG das Schwergewicht der Gesetzgebung bei den Ländern an. Das greift Rüstows Forderung nach einer dezentralen Aufgaben- und Verantwortungsverteilung zwar auf, doch trotz dieser formal subsidiären Kompetenzzuweisung sieht die Verfassungsrealität anders aus: Über die ausschließliche und vor allem die konkurrierende Gesetzgebung schränkt der Bund den Gestaltungsspielraum der Länder erheblich ein.518 Eine wesentliche Stütze subsidiärer Aufgabenausübung ist in der Einnahmenautonomie der untergeordneten

517 518

Vgl. Hartwig, Karl-Hans: Der Staat als Unternehmer, S. 663f. Vgl. Peffekoven, Rolf/Kirchhoff, Ulrike: Deutscher und europäischer Finanzausgleich im Lichte des Subsidiaritätsprinzips, S. 109 ff.

4.1. Subsidiarität

103

Gebietskörperschaften zu sehen; im Interesse einer staatenweit relativ einheitlichen Abgabenbelastung wurde diese Autonomie deutlich begrenzt. 519 Dies hat zur Folge, daß eine untergeordnete Gebietskörperschaft ihre politischen Gestaltungsräume nur in dem Maße nutzen kann, wie sie über eigene Mittel verfügt oder aber einen Finanzierungskonsens mit der übergeordneten Gebietskörperschaft erzielt. Über diese grundsätzliche Einschränkung hinaus, soll im folgenden beispielhaft skizziert werden, inwieweit das Subsidiaritätsprinzip auf der Ebene der Länder und Gemeinden an Bedeutung verloren hat: 1. Durch den Anspruch, überall in Deutschland vergleichbare Lebensbedingungen zu schaffen, wurden die föderalen Gestaltungsmöglichkeiten über bundeseinheitliche Regelungen und — für die Geberländer — durch Belastungen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs eingeschränkt. 2. Die Einführung der Gemeinschaftsaufgaben sowie die Ausweitung der Mischfinanzierung zwischen Bund und Ländern hat die (Finanz-) Autonomie der Länder in zunehmendem Maße begrenzt. 3. In umgekehrter Richtung haben die Bundesländer immer dann Aufgaben an den Bund übertragen, wenn diese mit finanziellen Lasten verbunden waren (Finanzierung der deutschen Einheit, Haushaltsnodagen der Bundesländer Bremen und Saarland).520 4. Die Gemeinden dürfen ihren Selbstverwaltungsaufgaben nur auf der Grundlage von Gesetzen nachkommen, die — in der Regel — von den übergeordneten Gebietskörperschaften erlassen werden; über gesetzliche Regelungen können diese die Ausübung der Selbstverwaltung nach Art und Umfang beeinflussen. 5. Ursprünglich freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben wurden zunehmend und zu Lasten der kommunalen Entscheidungsfreiheit in Pflichtaufgaben der kommunalen Verwaltung umgewandelt. Damit haben die Kommunen die Entscheidungsfreiheit darüber verloren, ob und in welchem Umfang sie freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben erfüllen wollen. 6. Durch die Vergabe von Zweckzuweisungen der Bundesländer an ihre Gemeinden können die Länder einen erheblichen Einfluß auf die Mittelverwendung der Kommunen ausüben, da die Zuweisungen regelmäßig an Auflagen gebunden sind. 7. Eine — regelmäßig in der Diskussion stehende — Abschaffung bzw. Einschränkung der Gewerbesteuer könnte zu einer weiteren Schwächung der Kommunen

519

520

Vgl. Peffekoven, Rolf/Kirchhoff, Ulrike: Deutscher und europäischer Finanzausgleich im Lichte des Subsidiaritätsprinzips, S. 113f. Vgl. zu den N u m m e r n 1 bis 3 Peffekoven, R o l f / K i r c h h o f f , Ulrike: Deutscher und europäischer Finanzausgleich im Lichte des Subsidiaritätsprinzips, S. 112, 115.

104

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher G r u n d s ä t z e

führen; dies gilt für den Fall, daß eine ersatzweise Finanzierung der Gemeinden nicht mit einem eigenen Hebesatzrecht verbunden wäre, sondern etwa über eine Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer geregelt würde. Damit aber würde ein weiterer subsidiärer Gestaltungsraum eingeengt.521 Im Voranstehenden wurde an drei Beispielgruppen dargestellt, auf welche formale und reale Weise die öffentliche Hand Aufgaben- und Verantwortungsbereiche an sich gezogen bzw. innerstaatlich auf eine übergeordnete Ebene gehoben hat. Insbesondere der Abschnitt über die Aufgabenverteilung zwischen den Gebietskörperschaften zeigt, daß Wort und Tat bei deren Zuordnung der Konzeption Rüstows widersprechen; ihr würde gefolgt, wenn dem in Form gesetzlicher Kompetenzzuweisung manifestierten Bekenntnis zur Subsidiarität auch der Raum für eine tatsächliche Verwirklichung geschaffen würde. Allerdings setzt dies bei den übergeordneten Ebenen voraus, daß sie den nachgeordneten Ebenen die Inanspruchnahme gesetzlich festgelegter Freiräume nicht nur gestatten und zutrauen, sondern ihnen über eine ausreichende Finanzausstattung auch die Möglichkeit dazu eröffnen. Im folgenden soll die aufgezeigte qualitative Ausdehnung der Staatsaufgaben, deren Kehrseite in der Einschränkung von Entfaltungsmöglichkeiten privater bzw. staatlich untergeordneter Einheiten zu sehen ist, quantifiziert werden. Um das Ausmaß der staatlichen Aktivitäten zu messen, kann die Staatsquote herangezogen werden; sie drückt das Verhältnis der Staatsausgaben einschließlich der Sozialversicherungen zum Bruttoinlandsprodukt aus.522 In dieser Größe sind nicht die Ineffizienzen, die der Staat durch die Schaffung einer erheblichen Regulierungsdichte verursacht, enthalten; ebenso unberücksichtigt ist die Umverteilung, die sich daraus ergibt, daß der Staat in zunehmendem Maße Verwaltungsaufgaben zur kostenlosen Erledigung auf die Wirtschaftssubjekte überwälzt. Gleichwohl läßt sich an ihr ablesen, daß in tendenziell zunehmendem Maße das wirtschaftliche Produktionspotential durch den Staat, insbesondere durch dessen wohlfahrtsstaatliche Aktivitäten, absorbiert wurde.523 Die folgende Tabelle zeichnet die Entwicklung von Staatsquote und Staatsverschuldung bis in die Gegenwart nach.

521

522

523

Vgl- z u den Nummern 4 bis 7 Peffekoven, Rolf/Kirchhoff, Ulrike: Deutscher und europäischer Finanzausgleich im Lichte des Subsidiaritätsprinzips, S. 118f. Vgl. Schüller, Alfred: Soziale Marktwirtschaft - Niedergang im Umverteilungschaos oder Gesundung durch Ordnung in Freiheit, S. 106. Vgl. Gäfgen, Gérard: Entstehung und Expansion des Wohlfahrtsstaates, S. 346.

105

4.1. Subsidiarität

Tabelle I: Staatsquote und Staatsverschuldung in der Bundesrepublik Deutschland524 1950

1960

1970

1980

1990

1993

1995

1997

Staatsquote in % des BIP

31,1

32,2

39,1

49,0

46,1

51,2

57,4

48,8

Staatsverschuldung in Mrd. DM

18,7

56,7

123

462,8

1.049

1.499

1.976

2.219

Die Staatsquote hat mit dieser Entwicklung ein bedenkliches Ausmaß erreicht. Dies gilt zum einen, weil die wachsenden Staatsausgaben, insbesondere seit den 70er Jahren, in teils erheblichem Maße über die Verschuldung der Gebietskörperschaften finanziert wurden.525 Neben der zunehmenden Schuldenbelastung, die über steigenden Zins- und Tilgungsdienst den politischen Gestaltungsraum einschränkt, wurden die Kosten der vermehrten Staatstätigkeit zum anderen auch auf die Wirtschaftssubjekte in Form höherer Steuern und Abgaben überwälzt. Bereits 1956 hat Rüstow mit speziellem Blick auf die wohlfahrtsstaatlichen Aktivitäten davor gewarnt, daß diese nur durch eine höhere Belastung gerade auch der kleinen und mittleren Einkommen zu finanzieren seien. Damit würden dem Arbeiter die ,sauer verdienten Groschen aus der Tasche' gezogen und ohne Rücksicht auf die Verteilungswixkungen, allerdings einschließlich aller negativen Konsequenzen für die Leistungsbereitschaft, umverteilt.526 Seit 1948 ist neben dem BIP pro Kopf auch die Pro-Kopf-Belastung durch Steuern und Sozialabgaben gestiegen. Da seit dem Beginn der 70er Jahre der durchschnittliche Anstieg der Abgabenlast stärker war als der des BIP, ist zu vermuten, daß sich die steigende Abgabenbelastung negativ auf die Leistungsbereitschaft der Wirtschaftssubjekte niedergeschlagen hat.527 Inzwischen liegt die durchschnittliche Steuern- und Abgabenbelastung bei über 50% des Bruttoeinkommens; mit dieser Einschränkung

524

525

526 527

Vgl. Statistisches Jahrbuch 1994, 1998, Tabellen 20.5.1, 24.16; Institut der deutschen Wirtschaft: Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, 1998 - Tabelle 8 0 , 1 9 9 9 - Tabelle 90; Schüller, Alfred: Soziale Marktwirtschaft - Niedergang im Umverteilungschaos oder Gesundung durch Ordnung in Freiheit, S. 106. Vgl. Hamm, Walter: Öffentlicher Sektor, S. 269; Hamel, Hannelore: Soziale Marktwirtschaft: Anspruch und Realität eines ordnungspolitischen Konzepts, S. 122. Vgl. Rüstow, Alexander: Wir fordern eine zielklare Wirtschafts- und Sozialpolitik, S. 213. Vgl. Paraskewopoulos, Spiridon: Sozialpolitik in der Sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, S. 200.

106

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

des verfügbaren Einkommens werden Anreize und Entscheidungsfreiräume der (arbeitnehmenden wie arbeitgebenden) Wirtschaftssubjekte in erheblichem Maße beeinträchtigt. 528 In der Tendenz belegen die aufgeführten Beispiele, daß Rüstows Vorstellungen über das Subsidiaritätsprinzip als Gestaltungsnorm im Hinblick auf eine Aufgabenzuweisung zwischen den staatlichen und gesellschaftlichen Kräften nicht umgesetzt wurden. Hingegen bestätigen die Aussagen, daß seine Befürchtungen im Hinblick auf die wachsende individuellen Belastungen eingetreten sind. Neben der Belastung hat die zunehmende Übertragung von Verantwortlichkeiten aus dem privaten in den öffentlichen Sektor auch zu Verhaltensänderungen insbesondere im Hinblick auf die Leistungsbereitschaft sowie das Verantwortungsbewußtsein geführt, die Rüstow ebenfalls frühzeitig vorhergesagt hat.529 Da für die Bundesrepublik davon auszugehen ist, daß Bund, Länder und Gemeinden in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ihr wirtschaftliches Engagement ohne Notwendigkeit und Anzeichen von Marktversagen unterhalten,530 erscheint eine stärkere Beachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes dringend geboten. Dieser Grundsatz könnte in der zunehmenden Finanzknappheit der Gebietskörperschaften einen wirksamen Verbündeten finden; zwar stünde dann bei der Veräußerung von Beteiligungen nicht die ordnungspolitische Überzeugung Pate, aber im Ergebnis könnte eine Rückverlagerung von Verantwortlichkeiten, die gegenwärtig beim Staat liegen, in private Hände erreicht werden.

4.1.2. Subsidiarität und materielle SicherheitEin Grundsatz und seine Umsetzung

Rüstow fordert die Gestaltung der wirtschafts- und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in einer Weise, daß dem Individuum einschließlich seines sozialen Umfelds ein Dasein in Freiheit und Würde möglich ist. Dabei macht er deutlich, daß die individuelle Freiheit immer nur in dem Maße zu verwirklichen ist, wie der einzelne die Gestaltung der gewonnenen Freiheit und die Verantwortung für deren Erhalt zu übernehmen bereit ist. Freiheit und Würde bedingen außerdem ein Mindestmaß an materieller Sicherheit; erst wenn das Überleben in der Gegenwart gesichert ist, öffnet sich der Raum, Vorsorge für sich und sein soziales Umfeld zu betreiben. Darüber hinaus wachsen mit der materiellen Sicherheit auch die Mög528

529 530

Vgl. Hamm, Walter: Öffentlicher Sektor, S. 269; Schüller, Alfred: Soziale Marktwirtschaft — Niedergang im Umverteilungschaos oder Gesundung durch Ordnung in Freiheit, S. 106 f. Vgl. Rüstow, Alexander: Wohlfahrtsstaat oder Selbstverantwortung, S. 370. Vgl. Hartwig, Karl-Hans: Der Staat als Unternehmer, S. 666.

4.1. Subsidiarität

107

lichkeiten, Neigungen nachzugehen und Interessen zu verwirklichen, mithin sein Dasein über das Lebensnotwendige hinaus zu gestalten. Gleichzeitig wirkt der Druck, Gegenwart und Zukunft abzusichern, als Antrieb für die individuelle Leistungsbereitschaft, die ihrerseits der Motor einer wettbewerbsorientierten, effizienten Wirtschaftsordnung ist; nur eine solche ist dauerhaft in der Lage, die materielle Versorgung einer Gesellschaft in zweierlei Weise zu gewährleisten: Sie erwirtschaftet für die leistungsfähigen Mitglieder der Gesellschaft die materielle Grundversorgung sowie Mittel zur Vorsorge und Lebensgestaltung; darüber hinaus generiert sie Überschüsse, mit denen eine Absicherung solcher Gesellschaftsmitglieder möglich ist, die zu einer eigenständigen Versorgung nicht (mehr) in der Lage sind. Die Leistungsbereitschaft der arbeitsfähigen Mitglieder hängt dabei zum einen von der Dringlichkeit ab, mit der das eigene Dasein abgesichert werden muß, zum anderen von dem Ausmaß der Umverteilung. Mit der quantitativen Zunahme der Umverteilung erhöht sich gleichzeitig der Anteil, der dem Einkommen der Leistungsfähigen zwangsweise entzogen wird und damit deren Gestaltungsfreiheit einengt.531 Diese Zusammenfassung des Rüstowschen Gedankenganges führt zu der grundsätzlichen Frage, wie die materielle Versorgung der Mitglieder einer Gesellschaft gewährleistet werden kann, und zwar sowohl für den (Normal-) Fall des leistungs- und arbeitsfähigen Individuums als auch für solche Fälle, in denen die Leistungsfähigkeit nicht ausreicht. Nach Rüstows Vorstellungen gilt auch bei dieser Frage das Prinzip der Subsidiarität als Gestaltungsnorm. Das bedeutet in einem ersten Schritt die Etablierung einer effizienten Wirtschaftsordnung, die eine umfassende Versorgung der Bevölkerung ermöglicht; in einem zweiten Schritt muß die Verantwortung für die tägliche Lebensführung einschließlich der Absicherung gewöhnlicher Risiken, die sich aus Gesundheit, Alter oder Erwerbslosigkeit ergeben können, in den Händen des Individuums bzw. dessen unmittelbaren, familiären Umfeldes liegen; schließlich obliegt in einem dritten Schritt der kollektiven Verantwortung die Aufgabe, außergewöhnliche Ereignisse, die weder vorhersehbar noch individuell zu tragen sind, abzusichern.532 Erst eine derartige Kompetenzverteilung gewährleistet ein dauerhaftes Gleichgewicht zwischen Eigenverantwortung und fremder Hilfestellung, zwischen Subsidiarität und Solidarität.533 Im folgenden wird der Frage nachgegangen, ob diese im Rüstowschen

531

532 533

Vgl. Rüstow, Alexander: Wir fordern eine zielklare Wirtschafts- und Sozialpolitik, S. 211; darüber hinaus auch ausführlicher den Abschnitt zur Realisierung des Äquivalenzprinzip in der sozialen Sicherung (4.2.1.). Vgl. Rüstow, Alexander: Sicherung in einer freien Gesellschaft, 194. Vgl. Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (im folgenden zitiert als SVR): Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung 2000, S. 23£, 47f.

108

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

Sinne skizzierten Schritte in die tatsächliche Entwicklung in Deutschland eingeflossen sind. Dem roten Faden der Subsidiarität folgend wird zunächst untersucht, inwieweit sich der Staat im Hinblick auf die materielle Versorgung seiner Bürger auf die Gestaltung der Rahmenordnung und damit auf das von Rüstow geforderte Minimum beschränkt hat. Anschließend wird geprüft, ob Bedürftigkeit den Übergang von der Eigenleistung zur Fremdhilfe markiert. Mit der Sozialhilfe und dem Kindergeld werden zwei Beispiele genannt, an denen sich sowohl einzelne Aspekte der konkreten Anwendung des Subsidiaritätsgedanken als auch tendenzielle Entwicklungen verdeutlichen lassen. 4.1.2.1. Der Staat und seine Einflußnahme auf die Gestaltung der sozialen Sicherung Um die individuelle Versorgung in der Gegenwart sowie die in die Zukunft gerichtete Absicherung von Standardrisiken zu gewährleisten, muß für den einzelnen überhaupt die Möglichkeit bestehen, eine Beschäftigung aufzunehmen. Das Beschäftigungsangebot wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflußt; 534 eine wesentliche Einflußgröße ist der Staat, der über die Gestaltung des Steuersystems, über Schutzvorschriften oder Sicherheitsstandards, über das gesetzlich induzierte Sozialleistungsniveau oder über arbeitsrechtliche Bestimmungen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Standortes beeinflußt. 535 Dem folgenden Gedankengang sei die Einschränkung vorangestellt, daß nicht ausschließlich der Staat die Standortqualität bestimmt; außerdem kann er — von der Nachfrage nach Staatsbediensteten einmal abgesehen — nur mittelbaren Einfluß auf das Arbeitsangebot ausüben. Dennoch trifft ihn in seiner Zuständigkeit für die Gestaltung des wirtschaftlichen Ordnungsrahmens ein Teil der Verantwortung für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und somit auch indirekt für die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Die Bundesrepublik Deutschland sieht sich seit etwa 1975 in zunehmendem Maße mit dem Problem der .strukturellen' Arbeitslosigkeit konfrontiert. An dem Prinzip der Subsidiarität gemessen bedeutet dies, daß der Staat seiner anteiligen Verantwortung insofern nicht nachgekommen ist, als er es versäumt hat durchzusetzen, daß jeder Arbeitswillige ungehindert eine reguläre Arbeit aufnehmen kann. Ohne Erwerbstätigkeit aber besteht für den betroffenen Teil der Bevölkerung nicht die Möglichkeit, subsidiär die eigene Versorgung sicherzustellen; statt dessen ist der arbeitslose Teil der Bevölkerung auf Transfers angewiesen. Diese aber sollten im Rüstowschen Sinne nur die Ausnah-

534

535

So etwa durch den individuellen Ausbildungsstand, die Politik der Tarifvertragsparteien, die konjunkturelle Lage oder die außenwirtschaftlichen Bedingungen. Die Aufzählung ist exemplarisch, nicht erschöpfend.

4.1. S u b s i d i a r i t ä t

109

me darstellen und nicht massenhaft gewährt werden; außerdem sollten kollektive Hilfeleistungen nur in Fällen einer körperlichen Leistungsunfähigkeit des Betroffenen zum Einsatz kommen. Diese Art der Arbeitsunfähigkeit ist zu trennen von der - zumindest teilweise - staatlich induzierten Einschränkung der Arbeitsmöglichkeiten auf Grund eines gesamtwirtschaftlich mangelhaften Arbeitsplatzangebotes. In dem Maße, in dem sich der Staat seiner Verantwortung entzieht, durch eine ordnungspolitisch konsistente Rahmensetzung (positiven) Einfluß auf die Entwicklung des Wirtschaftswachstums — und damit indirekt auf die individuellen Beschäftigungsmöglichkeiten — zu nehmen, beteiligt er sich bis zu einem gewissen Grad an der Schaffung individueller Noüagen. Dies steht im klaren Gegensatz zu Rüstows These, daß die beste Wirtschaftspolitik diejenige ist, die nur in Ausnahmefällen zu Hilfebedürftigkeit führt.536 Die staatliche Verantwortung für eine Politik, die auf Wirtschaftswachstum ausgerichtet ist, bildet die Spitze einer Verantwortungshierarchie in einem System, in dem der Staat nur mit der Gestaltung von Rahmenbedingungen betraut sein sollte. Auf der folgenden Hierarchieebene kommt es darauf an, wie der Staat den Rahmen eines Sicherungssystems setzt, das eine ausreichende, möglichst effiziente Absicherung regelmäßiger und außergewöhnlicher Risiken ermöglicht. Bei dieser organisatorischen Aufgabe muß zuerst die Frage nach der Kompetenzverteilung zwischen dem Staat, den Sozialversicherungsträgern, den Leistungsanbietern und den privaten Haushalten geklärt werden. Betrachtet man beispielsweise das gegenwärtige Gesundheitswesen, hat der Staat mit der Bedarfsplanung für Versorgungseinrichtungen (Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte), mit dem daraus abgeleiteten Recht zur Niederlassungsbeschränkung oder mit der Großgeräteplanung wesentliche Schlüsselbereiche der medizinischen Versorgung an sich gezogen. 537 Diese staatlichen Regulierungen werfen zwei Probleme auf: Einmal sind mit dieser weitreichenden Regelungsbefugnis die Mehrheit medizinischer Produkte und Dienstleistungen dem wettbewerblichen Allokationsprozeß entzogen;538 zum anderen wird den übrigen Beteiligten (in diesem Fall den Trägern, Erbringern und Nachfragern gesundheitsorientierter Leistungen) die Möglichkeit genommen, in eigener Verantwortung Art und Umfang der medizinischen Versorgung zu gestalten sowie in Anspruch zu nehmen. Eine weiterführende Darstellung der eingeschränkten Wahlmöglichkeiten im gegenwärtigen Gesundheitswesen wird in dem Abschnitt zur Realisierung des

536

Vgl. Rüstow, Alexander: Wir fordern eine zielklare Wirtschafts- und Sozialpolitik, S. 210.

537

Vgl. SVR: Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung 2000, S. 214ff. Dazu gehören unter anderem pharmazeutische Produkte und ärztliche Diensdeistungen, Art und Umfang stationärer Behandlungen in Krankenhäusern, die Bereitstellung von teuren Großgeräten, Art und geographische Streuung ärztlicher Praxen.

538

110

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

Äquivalenzprinzips in der sozialen Sicherung (4.2.1.) vorgenommen. In dem vorliegenden Zusammenhang der Subsidiarität reicht die Festellung aus, daß der Mangel an individueller Entscheidungskompetenz diesem Gedanken widerspricht, die Eigenverantwortung schwächt und damit zur Entmündigung führt; darüber hinaus führt er zu erheblichen Ineffizienzen bei der Leistungserstellung und hat eine stetig zunehmende staatliche Regulierungs- und Kontrolldichte zur Folge; auch im Gesundheitswesen haben die fortwährenden Interventionen die Selbststeuerungsfähigkeit der Märkte außer Kraft gesetzt und im Zeitablauf immer neue Regulierungen nach sich gezogen.539 Diese Entwicklung widerspricht Rüstows Vorstellungen, nach denen sich staatliche Interventionen auf ein notwendiges Minimum zu beschränken haben und die Marktkräfte nicht beeinträchtigen dürfen. Eine Zurückdrängung der staatlichen Lenkungsbefugnisse in den skizzierten Bereichen würde nicht nur zu Leistungssteigerungen und Innovationen im Gesundheitswesen führen;540 sie würde darüber hinaus beim Patienten den Raum schaffen, die Versorgung mit gesundheitsorientierten Leistungen nach eigenen Präferenzen zu gestalten, und über diesen Weg das Bewußtsein stärken, daß auch in Fragen der Gesundheitsversorgung die Verantwortung weitgehend beim Individuum liegt. Das voranstehende Beispiel zeigt die direkte Einschränkung der Entscheidungsfreiheit nachgeordneter Hierarchieebenen durch die Ansiedlung von Kompetenzen bei der öffentlichen Hand. Diese direkte Konzentration von Entscheidungsbefugnissen beim Staat wird durch eine mittelbare ergänzt. Das Beispiel der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger zeigt, wie der Staat über die formale Ausgliederung von Kompetenzen zunächst dem Grundsatz der Subsidiarität folgt, durch eine ausgedehnte Wahrnehmung seiner Regulierungszuständigkeiten aber die gewährten Freiräume letztlich wieder begrenzt: Die subsidiäre Intention des Gesetzgebers kommt in diesem Beispiel in dem Vorhaben zum Ausdruck, die sozialpolitischen Kompetenzen zu dezentralisieren, indem die Gestaltung und Organisation der sozialen Sicherung aus den Händen des Staates verlagert wird. 1951 wurden dazu auf der Grundlage des ,Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung' (GSv) die Sozialversicherungsträger ermächtigt, Selbstverwaltungsorgane einzurichten. In diesen mit Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern paritätisch besetzten Organen sollten die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der beiden Lager auf der Ebene der Tarifvertragsparteien ausgeglichen werden. Ein Jahr später

539

540

Vgl. Oberender, Peter/Fibelkorn, Andrea: Ein zukunftsfähiges deutsches Gesundheitswesen, S. 49. Vgl. SVR: Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung 2000, S. 217.

4.1. Subsidiarität

111

weitete der Gesetzgeber die Selbstverwaltung dem Prinzip nach auch auf die Arbeitsmarktverwaltung, einschließlich der Arbeitslosenversicherung, aus.541 Das tatsächliche Ausmaß der Selbstverwaltung weicht jedoch von der gesetzlichen Ausgangslage ab: Zwar ist der staatliche Einfluß grundsätzlich auf Gesetzgebung und Aufsicht begrenzt; allerdings wurde die dahinterstehende Absicht, die Organisations-, Verwaltungs- und Finanzierungsfragen denjenigen Ebenen zuzuordnen, die deren Beantwortung am nächsten stehen, durch die Politik im Zeitablauf untergraben. Durch gesetzlich bedingte Leistungsausweitungen, etwa im Hinblick auf den Kreis der bezugsberechtigten Personen, die Gewährungsmodalitäten oder die Höhe des Leistungsniveaus, wurden den Sozialversicherungsträgern Verpflichtungen auferlegt, die sie im wesentlichen einlösen müssen. Unter Berücksichtigung dieser politischen Einflußnahme auf die Gestaltung der Sozialversicherung läßt sich gegenwärtig nur von einer eingeschränkten Autonomie der Selbstverwaltungsorgane sprechen.542 Die faktische Beschränkung der formal gewährten Autonomie widerspricht der Intention des Selbstverwaltungsgedankens. Sie macht deutlich, daß sich der Staat auch in Organisations- und Verwaltungs fragen der sozialen Sicherung nicht darauf beschränkt, Rahmenbedingungen zu setzen bzw. solche Lücken zu schließen, die mit den Kräften der Selbstverwaltungsorgane nicht geschlossen werden können; statt dessen greift er bis auf die Ebene des Leistungsangebotes ein und beschneidet damit die Freiheit der ihm nachgeordneten Ebenen. Auch wenn Rüstow nicht explizit auf die Selbstverwaltung der Sozialversicherung eingeht, so widerspricht doch die faktische Einschränkung subsidiärer Befugnisse seinem Standpunkt; dies wird an einer Äußerung deutlich, in der er die Zentralisierung von Aufgaben in den Händen der obersten Instanz als das genaue Gegenteil des Subsidiaritätsprinzips bezeichnet.543

541

Im wesentlichen besteht der Unterschied in einer nicht hälftigparitätischen Besetzung der Selbstverwaltungsorgane, sondern einer drittelparitätischen Besetzung mit Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern sowie Vertretern der öffentlichen Körperschaften. Außerdem werden diese Vertreter im weiteren Unterschied zu den übrigen Sozialversicherungsträgern nicht durch die Versicherten gewählt (Sozialwahl), sondern von ihren jeweiligen Lagern (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände oder Gebietskörperschaften) benannt; vgl. Kleinhenz, Gerhard/Lampert, Heinz: Zwei Jahrzehnte Sozialpolitik in der BRD, S. 117ff.; Frerich, Johannes/Frey, Martin: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 152ff.; Gesetz über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung (GSv) 1951, BGBl. 1 , 1 9 5 1 , S. 124.

542

Vgl. Watrin, Christian: Ordnungs- und Gesellschaftspolitische Grundlagen Sozialer Marktwirtschaft, S. 23; Farny, Dieter: Sozialversicherung, S. 164. Vgl. Rüstow, Alexander: Wohlfahrtsstaat oder Selbstverantwortung, S. 367.

543

112

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

4.1.2.2. Bedürftigkeit und Nachrangigkeit als Operationalisierung der Subsidiarität Auf die weiter oben ski2zierte Verantwortung für eine im Rüstowschen Sinne ,gute Wirtschaftspolitik' sowie die Klärung staatlicher Regulierungskompetenzen folgt die Frage, wie die materielle Sicherheit gewährleistet werden kann, wenn die individuelle Vorsorge, die nach Rüstow den Normalfall darstellen sollte,544 nicht ausreicht. Dem Gedanken der Subsidiarität folgend, nimmt Rüstow zunächst die Familie des Individuums in die Pflicht.545 Sind auch die familiären Ressourcen überfordert, kommt die öffentliche Hilfeleistung zum Tragen. An dieser Stelle ist entscheidend, welchen Kriterien der Einsatz kollektiver Hilfe nach Art, Umfang und Dauer folgt; nach Rüstows Vorstellungen sollte diese auf ein notwendiges Minimum beschränkt bleiben. Dazu würde es ausreichen, wenn der Staat verbindlich vorschriebe, daß jeder einzelne sich mindestens in Höhe des Existenzminimums abzusichern habe. Diese verpflichtende Mindestsicherung könnte von jedem Versicherungsnehmer durch Zusatzleistungen, die der Sicherung eines individuell gewünschten Lebensstandards dienen, freiwillig aufgestockt werden.546 Die individuellen Wahlfreiheiten im Hinblick auf Versicherungsträger, Regel- und Zusatzleistungen oder Ausmaß an Eigenbeteiligung bei der Behebung von Schadensfällen stellen ein wichtiges Element subsidiärer Aufgabenzuweisung in dem System der sozialen Sicherung dar. Da — wie erwähnt — der Aspekt der Wahlfreiheit ausführlich in dem Abschnitt zur Realisierung des Aquivalenzprinzips in der sozialen Sicherung (4.2.1.) behandelt wird, kann sich an dieser Stelle die Untersuchung auf die Bedürftigkeit als einen Parameter konzentrieren, der den Grenzverlauf zwischen Eigen- und Fremdleistung markiert. Exemplarisch wird der Frage nachgegangen, inwieweit das Gebot der Nachrangigkeit berücksichtigt wird und sich die Gewährung von Leistungen darauf beschränkt, bei Bedürftigkeit die Lücke zwischen der unzureichenden Eigenversorgung und der gesellschaftlich definierten Mindestsicherung zu schließen. Bedürftigkeit und Nachrangigkeit stehen dabei in einer engen Beziehung zueinander, denn die Bedürftigkeit entscheidet über die Grenze, jenseits derer die nachrangige Hilfe des Kollektivs einsetzt. Nach Rüstows Vorstellungen bemißt sich das Ausmaß der kollektiven Hilfeleistung nach dem Grad der möglichen Eigenleistung; die Höhe der sozialen Transfers ist demzufolge nicht in allen Fällen gleich, sondern beginnt als ein Zuschuß zur eigenen

544 545

546

Vgl. Rüstow, Alexander: Sicherung in einer freien Gesellschaft, 194. Vgl. Rüstow, Alexander: Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 42. Vgl. Rüstow, Alexander: Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 40.

4.1. Subsidiarität

113

(unzureichenden) Versorgungsleistung und steigert sich schrittweise bis zum vollen Betrag des Existenzminimums. 547 Am Beispiel der Sozialhilfe läßt sich zeigen, daß der Gedanke der Subsidiarität die Gestaltung einzelner Teilsysteme der sozialen Sicherung beeinflußt hat.548 Die Absicherung von Risiken, die sich aus Krankheit, Alter oder sonstiger Arbeitsunfähigkeit ergeben, ist im deutschen System der sozialen Sicherung regelmäßig an ein Arbeitsverhältnis gebunden. Die Sozialhilfe hingegen ist speziell auf die Absicherung von Risiken solcher Fälle gerichtet, denen kein bzw. kein ausreichend entlohntes Arbeitsverhältnis zu Grunde liegt.549 Sie soll Personen ermöglichen, ein menschenwürdiges Leben zu führen, die — aus individuellen Notständen, wegen Behinderung oder Pflegebedürftigkeit sowie wegen dauerhafter Erwerbslosigkeit — über kein Einkommen verfügen und aus diesem Grund zu einer eigenen Versorgung nicht (ausreichend) in der Lage sind (§ 1 Abs. 2. BSHG). Dieser Grundsatz entspricht im wesentlichen Rüstows Forderung, nach der kollektive Hilfe nur dann zum Einsatz kommen soll, wenn die eigenen Kräfte erschöpft sind und aus diesem Grunde eine individuelle Bedürftigkeit vorliegt. Darüber hinaus und in weiterer Beachtung des Subsidiaritätsprinzips werden Leistungen aus dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) nur dann bewilligt, wenn die Nachrangigkeit der Sozialhilfe gewährt ist (§§ 2, 76ff., 88f., 91 BSHG); dies bezieht sich sowohl auf gegebenenfalls vorhandenes Vermögen als auch auf Leistungen anderer Sozialversicherungsträger sowie auf die grundsätzliche Unterhaltsverpflichtung von Ehegatten bzw. Angehörigen direkter Linie. Schließlich entspricht auch die Unterteilung der Sozialhilfe in ,Hilfe in besonderen Lebenslagen, und ,Hilfe zum Lebensunterhalt, 550 (§§ 1 Abs. 1, 11 ff.) der Vorstellung Rüstows, nach der die Hilfe des Kollektivs zunächst in Form einer Hilfe zur Selbsthilfe gewährt werden und sich insgesamt auf die Sicherung des Existenzminimums beschränken sollte. Das BSHG versteht unter dem ,sozio-kulturellen Existenzminimum' ein Niveau, das dem Empfänger ermöglicht, im Rahmen des alltäglichen Bedarfs einer durchschnittlichen Haushaltsführung am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (§ 12 BSHG). Diese Definition geht über das unmittelbar Lebensnotwendige hinaus; sie steht aber im Einklang mit Rüstows Vorstellungen, da er mit Blick auf die individuelle Vitalsituation die Verantwortung für die Schaffung menschenwürdi-

547 548 549 550

Vgl. Rüstow, Alexander: Sicherung in einer freien Gesellschaft, 198. Vgl. Pohmer, Dieter: Umverteilung und Subsidiarität, S. 135. Vgl. Krahmer, Utz: Bundessozialhilfegesetz. Lehr- und Praxiskommentar, S. 27f. Der Regelsatz für die ,Hilfe für den Lebensunterhalt' betrug 1998 im Durchschnitt der alten Bundesländer (Stand 1. Juli 1998) für eine alleinstehende Person D M 541,-;,Hilfe in besonderen Lebenslagen' wird je nach Einzelfall bemessen. Für die neuen Bundesländer gelten jeweils etwas verminderte Regelsätze; vgl. Bundesministerium für Gesundheit: Das Sozialhilferecht, S. 15ff., Anhang, Tabelle Regelsätze.

114

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

ger Lebensumstände dem Staat für solche Fälle überträgt, in denen eine Bedürftigkeit tatsächlich nachgewiesen ist und nicht durch subsidiäre Hilfe Dritter abgewendet werden kann.551 Die voranstehenden Betrachtungen verdeutlichen, daß die gegenwärtigen Regelungen der Sozialhilfe in ihren Grundzügen den Forderungen Rüstows nach subsidiärer Gestaltung entsprechen. Gleichwohl ist festzuhalten, daß es im einzelnen auch Entwicklungen gab, die den subsidiären Vorstellungen Rüstows zuwiderliefen; dazu zählt beispielsweise die vorübergehende Einschränkung der Unterhaltsverpflichtung von Angehörigen der Empfangsberechtigten. 552 Auch ist den Warnungen Rüstows entsprechend anzunehmen, 553 daß sich in manchen Fällen die Anhebung des Sozialhilfeniveaus - insbesondere während der 70er Jahre — unter mangelnder Berücksichtigung des Lohnabstandsgebots entwickelt hat; dies hat den Ansporn gelähmt, unter allen Umständen eine zügige Rückkehr in das Erwerbsleben anzustreben.554 Ein gravierender Bruch zu der Rüstowschen Auffassung vom Ausnahmecharakter der Sozialhilfe ist in dem Umstand zu sehen, daß gegenwärtig, im Vergleich zu den Aufbaujahren nach dem Krieg555 - trotz des in 50 Jahren kontinuierlich gewachsenen Wohlstandes — ein tendenziell steigender Anteil der Bevölkerung Leistungen aus dem BSHG bezieht.556 Bei dieser kritischen Bewertung darf allerdings das Institut der Sozialhilfe nicht isoliert, sondern nur als ein Teil des gesamten Systems der sozialen Sicherung betrachtet werden. Das hohe Leistungsniveau

551

Vgl. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 42.

Vgl. Frerich, Johannes/Frey, Martin: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 127. 553 Vgl. Rüstow, Alexander: Wir fordern eine zielklare Wirtschafts- und Sozialpolitik, S. 211. 554 Der geringe Lohnabstand wird an einem Einkommensvergleich zweier vierköpfiger Familien deutlich, bei dem die eine Familie auf das Erwerbseinkommen eines Facharbeiters angewiesen ist, während die andere Sozialhilfe bezieht; vgl. Jürgen Friedrich Weskott vom Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer (AEU) anläßlich einer Pressekonferenz am 20. November 1996, als der AEU mit dem Bund Katholischer Unternehmer und unter Mitwirkung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft eine Erklärung der Kirchen zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland abgegeben haben. 555 Der folgende Gedankengang setzt sich mit einer tendenziellen Entwicklung auseinander und klammert die vereinigungsbedingte Sonderentwicklung zu Beginn der 90er Jahre aus. 556 Aufgeführt werden die Anteile der Bevölkerung, die in dem korrespondierenden Jahr Fürsorge bzw. Sozialhilfe empfangen haben: 1949: 5,1%; 1965:1,2%; 1975:1,8%; 1987: 5,1%; 1992: 5,9%; 1996: 3,3%; Quellen: Frerich, Johannes/Frey, Martin: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 123, 125; Statistisches Jahrbuch: Jahrgang 1992,Tab. 19.12.1., Jahrgang 1994,Tab. 19.12.1., Jahrgang 1996,Tab. 19.14.1. 552

4.1. Subsidiarität

115

des deutschen Sozialversicherungssystems insgesamt 557 sowie die Belastung des Faktors Arbeit durch dessen Finan2ierung hat im Zeitablauf negative Beschäftigungswirkungen entfaltet. 558 Durch die weitgehende Koppelung des Sozialversicherungsschutzes an das Arbeitsverhältnis ist mit Blick auf die Massenarbeitslosigkeit ein Vakuum im Versicherungsschutz für die Personen entstanden, die in keinem Arbeitsverhältnis stehen; deren Standardrisiken wurden zunehmend von der Sozialhilfe abgesichert. 559 Werden Tätigkeiten mit niedriger Produktivität auf Dauer unbezahlbar, so verlieren vor allem unterdurchschnittlich ausgebildete Arbeitnehmer die Möglichkeiten, eigene Vorsorge zu betreiben. Z w a r greift in solchen Fällen die Nachrangigkeit der Sozialhilfe; dennoch handelt es sich hier um eine andere Qualität der Nachrangigkeit. Sie kommt nicht auf Grund individueller Leistungsunfähigkeit zum Einsatz, sondern gründet auf einem Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten bzw. kommt zum Tragen, weil der Versicherungsschutz eines dritten Sozialversicherungsträgers (u.a. Kranken-, Renten- oder Arbeitslosenversicherung) mangels eines Arbeitsverhältnisses nicht besteht. Vor diesem Hintergrund stellt die Sozialhilfe gegenwärtig ein residuales Sicherungselement für Versäumnisse aus anderen Politikbereichen bzw. für adverse Anreizstrukturen 560 innerhalb des Sozialversicherungssystems als Ganzem dar. Zwar übernimmt auch in der Rüstowschen Konzeption sozialer Sicherung die Sozialhilfe eine residuale Funktion; gleichwohl nur in dem Sinn, daß vorher alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, den Sozialhilfeempfang zu vermeiden. Dies schließt nicht nur die Anstrengungen des Individuums und seines familiären Umfeldes ein; es erfordert auch von der öffentlichen Hand die Setzung der Rahmenbedingungen in einer Weise, daß negative Auswirkungen auf den Beschäftigungsstand bzw. das Wirtschaftswachstum insgesamt vermieden werden. 561

557

558 559

560

561

Dazu gehört insbesondere das Leistungsniveau in der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie die Bereitstellung sog. versicherungsfremder Leistungen durch das Sozialversicherungssystem; vgl. dazu ausführlicher den Abschnitt zur Realisierung des Äquivalenzprinzip in der sozialen Sicherung (4.2.1.). Vgl. Vogler-Ludwig, Kurt: Sozialpolitik, Beschäftigung und Wettbewerb, S. 8. Im Zeitablauf ist aus diesem Grund der Anteil der Langzeitarbeitslosen an den Sozialhilfeempfängern kontinuierlich gewachsen; vgl. Paraskewopoulos, Spiridon: Sozialpolitik in der Sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, S. 204. Vgl. dazu ausführlicher den Abschnitt zur Realisierung des Äquivalenzprinzips in der sozialen Sicherung (4.2.1.). Vgl. Rüstow, Alexander: Wir fordern eine zielklare Wirtschafts- und Sozialpolitik, S. 210; dieser Gedankengang greift die Ausführungen zu der Verantwortung des Staates hinsichtlich einer,guten Wirtschaftspolitik' im Rüstowschen Sinne auf, die am Anfang des Abschnittes zur Bedürftigkeit und Nachrangigkeit im Subsidiaritätsprinzip (4.1.2.2.) stehen.

116

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

Für die Bundesrepublik kann bei isolierter Betrachtung der Sozialhilfevergabe festgestellt werden, daß sie als nachrangig zu Hilfeleistungen Dritter und damit dem Subsidiaritätsgrundsatz folgend zu bezeichnen ist. Prinzipiell entspricht dies Rüstows Forderung nach einem Sicherungsinstrument, das Bedürftige vor einem Abrutschen in existentielle Not bewahrt. Die Sozialhilfe sichert jedoch auch individuelle Existenzen, die durch Versäumnisse Dritter gefährdet wurden. 562 Anstatt aber die Versäumnisse zu korrigieren, wird der Lebensunterhalt mittels kollektiver Hilfe garantiert. Zwar entspricht eine derartige Gewährung von Transfers im Zweifel dem Grundsatz der Bedürftigkeit, nicht jedoch dem der Nachrangigkeit im Rüstowschen Sinne; danach müßten zunächst auf den der Sozialhilfe vorgelagerten Ebenen Anstrengungen unternommen werden, die darauf gerichtet sind, die individuelle Versorgung aus eigener Kraft zu ermöglichen. Dies würde insbesondere auch die Korrektur unzureichender Rahmenbedingungen einschließen; erst nachrangig zu diesen Anstrengungen käme der Einsatz kollektiver Hilfeleistungen in Betracht. Bewertet man also die Sozialhilfe im Kontext des gesamten Sozialversicherungssystems, muß für das gegenwärtige System festgestellt werden, daß der Nachrangigkeit nicht die von Rüstow intendierte Geltung zukommt. Zur Operationaüsierung des Subsidiaritätsbegriffs wurde die wechselseitige Beziehung zwischen Nachrangigkeit und Bedürftigkeit aufgezeigt. Im Anschluß an die Untersuchungen zur Nachrangigkeit wird im folgenden exemplarisch dargestellt, daß auch die Bedürftigkeit in der gegenwärtigen Sozialversicherung nicht in dem von Rüstow geforderten Umfang Berücksichtigung findet. Es wird dazu ein Beispiel aus dem Bereich der Familie gewählt, da diese für Rüstow dem originären Wirkungskreis subsidiären Füreinanders entspricht und damit in seinen Augen einen besonderen Schutz verdient.563 Mit dem Ziel, die familiäre .Intimsphäre' zu bewahren, mahnt Rüstow die politisch Verantwortlichen zu einer Politik, die die Eigenständigkeit der Familie respektiert. Gerade die sieht er durch Zahlungen, die sich nicht an der Bedürftigkeit orientieren, gefährdet und läßt beispielsweise das Kindergeld nur als einen .vorübergehenden Notbehelf gelten.564 Im übrigen wendet er sich grundsätzlich gegen jede Art von Familienlastenausgleich, um die subsidiäre Verantwortung der Familie sowie den ,Kern ihres Wesenszusammenhaltes' nicht aufzuweichen.565 Mit dieser Einstellung wider-

562

Im vorliegenden Beispiel sind damit etwa wachstumshemmende, staatliche Regulierungen des Wirtschaftsprozesses, adverse Anreizstrukturen in der Sozialversicherung oder auch die weitgehende Bindung des Sozialversicherungsschutzes an das Arbeitsverhältnis gemeint.

563

564

Vgl. Rüstow, Alexander: Vitalpolitik gegen Vermassung, S. 220£; ferner den Abschnitt zu Rüstows Vitalpolitik (3.3.). Vgl. Rüstow, Alexander: Vitalpolitik gegen Vermassung. S. 222.

565

Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 133f.

4.1. S u b s i d i a r i t ä t

117

spricht Rüstow der herrschenden Meinung, nach der es eine finanzielle Anerkennung der Erziehungsleistung durch die Gesellschaft sowie eine grundsätzliche Anpassung der Familieneinkommen an den erhöhten Finanzbedarf durch das Aufziehen von Kindern geben müsse.566 Ausschlaggebend für die Gewährung familienorientierter Transfers, insbesondere des Kindergeldes, ist nach Rüstow ausschließlich die Bedürftigkeit; dies impliziert im Sinne der Subsidiarität die Nachrangigkeit kollektiver Leistungen und damit die vorrangige Mobilisierung aller familieneigenen Kräfte zur Sicherung der Versorgung. Da Rüstow das Kindergeld explizit erwähnt und dessen Gewährung an die Bedürftigkeit bindet, wird sich die Untersuchung im folgenden Abschnitt auf das Kindergeld konzentrieren. 4.1.2.3. Das Kindergeld unter Berücksichtigung Rüstowscher Prinzipien Zwar läßt sich die Förderungswürdigkeit der Familie aus dem Grundgesetz ableiten (Art. 6 GG); da aber die grundgesetzliche Verankerung Schutz- und Förderungsmöglichkeiten der Familie nicht konkretisiert, obliegt Regierung und Parlament die Gestaltung der Familienpolitik im allgemeinen sowie des Kindergeldes im besonderen. Aus dieser Kompetenzzuweisung folgt, daß sich Art und Umfang des Kindergeldes mit den parlamentarischen Mehrheiten bzw. mit den sich im Zeitablauf ändernden ehe- und familienbezogenen Wertvorstellungen wandeln kann. Außerdem haben die unterschiedlichen politischen Standpunkte dazu geführt, daß von einer einheitlichen familienpolitischen Konzeption in der Bundesrepublik Deutschland nicht die Rede sein kann.567 Die grundsätzlichen Auffassungsunterschiede beim Kindergeld bestanden — je nach politischem Lager — im wesentlichen in der Frage, ob eine steuerliche Entlastung (CDU) einem direkten Kindergeld (SPD) vorgezogen werden sollte und in der Frage, ob es beitrags(CDU) oder steuerfinanziert (SPD) sein sollte.568 Den Regierungsmehrheiten folgend, kam es in den vergangenen 50 Jahren zu einem mehrfachen Wechsel im Hinblick auf die Betonung entweder der steuerlichen Vergünstigung oder der direkten Bezuschussung. In der Tendenz aber ist festzuhalten, daß sowohl die von der Kinderzahl als auch die vom Einkommen abhängigen Gewährungsmo-

566

567

568

Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Jugend, Familie, Gesundheit: Reform des Familienlastenausgleichs, S. 5f.; Kaufmann, Franz-Xaver et al.: Wirkungen öffentlicher Leistungen auf den familialen Soziaüsationsprozeß, S. 193. Vgl. Borchert, Ernst-Jürgen: Familienlastenausgleich, S. 86; Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit: Zweiter Familienbericht, S. 83. Vgl. Frerich, Johannes/Frey, Martin: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 115.

118

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

dalitäten des Kindergeldes weitgehend aufgehoben oder entschärft wurden;569 inzwischen wird es steuerfinanziert und einkommensunabhängig gewährt sowie darüber hinaus von einem, zumindest in den ersten sechs Monaten, ebenso einkommensunabhängigen Erziehungsgeld ergänzt. Die Trennung des Kindergeldes von der Bedürftigkeit wurde von politischer Seite insbesondere in den 70er Jahren betrieben; dies geschah, obwohl Untersuchungen über die Wirksamkeit familienpolitischer Transfers gerade aus dieser Zeit ergeben haben, daß eine Familienpolitik in dem Maße an Effizienz gewinnt, in dem sie gezielt bei kinderreichen (vier und mehr Kinder) und/oder unvollständigen Familien ansetzt, da solche Familien relativ am häufigsten unterhalb der Mindestbedarfsgrenze liegen.570 Diese Untersuchungen bestätigen für das Kindergeld die Berechtigung, mit der Rüstows seine Forderung nach einer Orientierung kollektiver Leistungen an der Bedürftigkeit erhoben hat; gleichwohl hat die tatsächliche Entwicklung einen anderen Verlauf genommen und sich von den Rüstowschen Vorstellungen entfernt. Berücksichtigt man darüber hinaus die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Steuerentlastung von Familien,571 so vergrößert sich die Differenz zwischen Rüstows Auffassung zur finanziellen Unterstützung der Familie einerseits sowie der gegenwärtigen Rechtsauslegung andererseits. Dies gilt insofern, als das Bundesverfassungsgericht die Kindeserziehung nicht nur als Privatangelegenheit ansieht, sondern — im Gegenteil — die gesellschaftliche Bereicherung betont. Daraus leitet das Gericht weitreichende Vergünstigungen als einen begrenzten Ausgleich für die materielle Belastung der Kindeserziehung ab.572 Anders als Rüstow läßt das Gericht mit dieser Auffassung bei der Gestaltung familienorientierter Transfers auch gesellschaftspolitische Zielsetzungen gelten;

569

570

571

572

Vgl. neben anderen Quellen Frerich, Johannes/Frey, Martin: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 115ff., 143, 333, 336, 339f.; Zacher, Hans F.: Sozialpolitik, Verfassung und Sozialrecht im Nachkriegsdeutschland, S. 214; Gesetz über die Gewährung von Kindergeld und über die Errichtung von Familienausgleichskassen (Kindergeldgesetz) v. 13.11.1954, BGBl. I, 1954, S. 333; 9. Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes v. 22.12.1981, BGBl. I, 1981, S. 1566; Gesetz zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften vom 30.6.1989, B G B l . 1,1989, S. 1297; 12. Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes 1989, BGBl. I, 1989, S. 1294; Bundesverfassungsgerichtsentscheid v. 29.5. und 12.6.1990, BGBl. 1,1990, S. 1513. Vgl. Kaufmann, Franz-Xaver et al.: Wirkungen öffentlicher Leistungen auf den familialen Sozialisationsprozeß, S. 195. Vgl. Urteil vom BVerfGv. 10.11.1998, Az. 2 B v R 1057/91; dieses Urteil war bei Fertigstellung dieser Arbeit noch nicht veröffentlicht. Vgl. Gelinsky, Katharina: Ein politisches Urteil, FAZ v. 20.1.1999, Nr. 16, S. 1.

4.1. Subsidiarität

119

Rüstow hingegen lehnt Vergünstigungen ab, die sich nicht ausschließlich nach der Bedürftigkeit richten, da sie seiner Meinung nach das subsidiäre Verantwortungsbewußtsein der Familienangehörigen untergrüben. 573 Inwieweit einkommensunabhängige Transfers, die zu einer generellen Entlastung der Familien von ihrer Versorgungs-, Pflege- und Erziehungsverantwortung führen, tatsächlich deren Vitalität und Widerstandsfähigkeit schwächen — und damit im Sinne Rüstowscher Befürchtungen wirken —, läßt sich kaum messen. Dagegen wird am Beispiel des weitgehend einkommensunabhängigen Kindergeldes einmal mehr deutlich, daß der Rüstowsche Grundsatz aus den Augen verloren wurde, die kollektive Hilfeleistung auf die leistungsschwachen Mitglieder in der Gesellschaft zu konzentrieren und die leistungsstärkeren ihrer subsidiären Verantwortung und Selbstvorsorge zu überlassen. Die zunächst isolierte Betrachtung der Sozialhilfe und ihre anschließende Einordnung in den Gesamtzusammenhang der sozialen Sicherung sollte beispielhaft verdeutlichen, daß es im gegenwärtigen Sozialversicherungssystem zwar einzelne Bereiche gibt, die in ihren Grundzügen im Einklang mit den Rüstowschen Grundsätzen stehen. Wird jedoch in dem vorliegenden Zusammenhang das System der sozialen Sicherung als Ganzes betrachtet — so wie es auch der Forderung Rüstows nach einer,Politik aus einem Guß' entspricht —, muß diese im wesentlichen positive Einzelfallbewertung erheblich revidiert werden; dies gilt insbesondere, wenn man die staatliche Verantwortung für die Gestaltung einer effizienten Wirtschaftsordnung in die Betrachtung einschließt. Auf der Ebene der direkten Sozialleistungen steht das Beispiel der familienorientierten Transfers — im Gegensatz zur Sozialhilfe — für den Regelfall der eingeschränkten Bedeutung der Prinzipien von Subsidiarität und Bedürftigkeit. Vor diesem Hintergrund bleibt festzuhalten, daß Rüstows Auffassung von der Subsidiarität in dem bis in die Gegenwart gewachsenen Sozialversicherungssystem nur in begrenztem Maße wiederzufinden ist. Nach der Subsidiarität wird anschließend mit der Leistungsgerechtigkeit die zweite Koordinate des Rüstowschen Gesellschaftskonzepts behandelt.

573

Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 134.

4.2. Leistungsgerechtigkeit und Umverteilung in dem System der sozialen Sicherung Dem liberalen Ansat2 folgend, sieht Rüstow im Selbsterhaltungswillen des Menschen den entscheidenden Antrieb allen wirtschaftlichen Handelns; Wirtschaften stellt für ihn keinen Selbstzweck dar, sondern ist das Mittel zur eigenen (und familiären) Versorgung. Das Ziel jeder wirtschaftlichen Leistungs er Stellung ist die Deckung eines - wie auch immer gearteten - Bedarfs, dessen Wert durch das Individuum mindestens so hoch eingeschätzt wird wie der seiner ursprünglich erbrachten Leistung. In Abschnitt 4.2.1. wird untersucht, inwieweit sich Leistung und Gegenleistung entsprechen und somit beim Individuum den Anreiz auslösen, Leistung zum Zwecke des Tausches zu erbringen. Rüstow sieht in dieser wechselseitigen Spannung die Grundlage einer dynamischen, prosperierenden Wirtschaftsordnung. Er befürchtet — und sieht sich durch die Entwicklung totalitärer Wirtschaftssysteme bestätigt - , daß eine regelmäßige Einschränkung des Äquivalenzprinzips zu einer Lähmung der wirtschaftlichen und darüber hinaus auch gesellschaftlichen Kräfte führt. 574 Die Aussicht, eine Leistung ohne eigene Gegenleistung in Anspruch nehmen zu können, schwächt den individuellen Antrieb zur Eigenleistung; ferner bereitet sie den Boden, (fremde) Leistungen über Gebühr zu nutzen und damit zu verschwenden. Andererseits hemmt die mangelnde Aussicht auf ein gleichwertiges Pendant die eigene Bereitschaft, eine Leistung zu erbringen; ein markantes Beispiel ist der zwangsweise Entzug von verfügbarem Einkommen durch hohe Steuern und Abgaben. Das Wechselspiel von individuellem Aufwand und Nutzen gilt für Rüstow bei der Betrachtung des Normalfalls eines gesunden, arbeitsfähigen Menschen; davon ausgenommen sind — wie bereits im vorigen Abschnitt ausgeführt — Personen, die aus Not oder Unverschulden zu einer Eigenleistung nicht in der Lage sind; für diese Personengruppe steht eine Umverteilung mit dem Ziel einer menschenwürdigen Lebensführung bei Rüstow außer Frage. Die Untersuchungen konzentrieren sich auf die soziale Sicherung, für deren Organisation Rüstow explizit das Äquivalenzprinzip als Regelfall vorgesehen hat; in dem Abschnitt Realisierung des Äquivalenzprinzips in der sozialen Sicherung (4.2.1.) wird der Frage nachgegangen, inwieweit diese Rüstowsche Vorgabe tatsächlich konstituierend für das Sozialversicherungssystem in Deutschland ist. Wird das Prinzip des ,do ut des' bei der Gewährung von Leistungen nicht berücksichtigt, liegt eine Umverteilung vor. Um sachlich zu trennen, welche Leistungen der sozialen Sicherung nach dem Äquivalenzprinzip ausgetauscht oder — bei nachgewiesener Bedürftigkeit - umverteilt werden sollen, bedarf es einer Entscheidungs-

574

Vgl. Rüstow, Alexander: Sicherung in einer freien Gesellschaft, S. 192f.

4.2. Leistungsgerechtigkeit und Umverteilung

121

grundlage, die sozialpolitische Ziele, Prioritäten und Instrumente benennt. Die systematische Planung sozialpolitischen Handels faßt Rüstow in dem Begriff des Sozialplans zusammen. Dieser soll über die tatsächlich vorhandene materielle Not sowie die Wirksamkeit sozialpolitischer Instrumente Auskunft geben können; auf der Basis dieser Informationen sollen dann die sozialpolitischen Maßnahmen aufeinander abgestimmt und durchgeführt werden. In dem Abschnitt zur Bedeutung einer systematischen Entscheidungsgrundlage für die Gestaltung einer effizienten sozialen Sicherung (4.2.2.) wird überprüft, ob und inwieweit in dem deutschen System der sozialen Sicherung auf solche Informations- und Entscheidungshilfe zurückgegriffen werden kann.

4.2.1. Realisierung des Äquivalenzprinzips in der sozialen Sicherung Die nachfolgenden Untersuchungen beziehen sich auf das System der sozialen Sicherung, wie es sich in seiner Gesamtheit seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland entwickelt hat; gleichwohl liegt ein Schwerpunkt der beispielhaften Darstellung auf der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). In einigen Zusammenhängen besteht ein enger Bezug zu dem bereits in dem Abschnitt .Subsidiarität und materielle Sicherheit' (4.1.2.) behandelten Grundsatz der Bedürftigkeit; aus diesem Grund wird auf eine Wiederholung der Gedankengänge verzichtet und statt dessen auf die entsprechenden Stellen in dieser Arbeit verwiesen. Die folgenden Untersuchungen gehen von der These aus, daß das Äquivalenzprinzip in dem gegenwärtigen System der sozialen Sicherung nur eine untergeordnete Bedeutung einnimmt.575 Um diese These zu stützen, wird in Abschnitt 4.2.1.1. zur Bedeutung der Äquivalenz bei der Ausweitung der Leistungsbreite in der deutschen Sozialversicherung dargestellt, daß sich die Vernachlässigung des Äquivalenzprinzips vor allem in zweierlei Varianten äußert: Zum einen ist zu beobachten, daß ein staatlich vorgegebener Leistungskanon einem stetig wachsenden Empfängerkreis gewährt wurde; zum anderen wurde — namentlich in der GKV für gesetzlich festgelegte Gruppen empfangsberechtigter Personen die Leistungsbreite ausgedehnt. Für Rüstow hingegen schließt die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung im Rahmen einer Versicherung die Möglichkeit für den Versicherten ein, Art und Ausmaß der von ihm in Anspruch genommenen Leistungen nach seinen Präferenzen selbst zu bestimmen. Da er fordert, daß sich jedes Individuum so weit als möglich selbst zu versorgen hat und die Sozialfürsorge sich

575

Vgl. Tuchtfeldt, Egon: Das Sozialbudget der Bundesrepublik Deutschland und sein Erkenntniswert, S. 124; Rüstow, Alexander: Wir fordern eine zielklare Wirtschaftsund Sozialpolitik, S. 214.

122

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

auf ein unvermeidliches Minimum zu beschränken hat,576 ist zu vermuten, daß er die Wahlfreiheit weit faßt und sie auf den Leistungserbringer, den von diesem angebotenen Leistungskatalog sowie auf die Tarifgestaltung bezieht. Als Konsequenz dieser Wahlfreiheit ergibt sich aus den dezentralen Entscheidungen aller Wirtschaftssubjekte automatisch die Zusammensetzung der bezugsberechtigten Personengruppen; sie muß nicht staatlich vorgeschrieben werden. Folgt man dem Gedanken Rüstows, so beschränkt sich die staatliche Regulierung im wesentlichen auf die Verpflichtung der Bürger, eine Versicherung zur Abwehr materieller Not in einer existenzsichernden Mindesthöhe einzugehen. Die Frage nach dem Ausmaß der Wahlmöglichkeiten und deren Entwicklung im Zeitablauf wird in einem zweiten Schritt in dem Abschnitt ,Die Wahlfreiheit als Ausdruck praktizierter Äquivalenz' (4.2.1.2.) behandelt. 4.2.1.1. Die Bedeutung der Äquivalenz bei der Ausweitung der Leistungsbreite in der deutschen Sozialversicherung 4.2.1.1.1. Die Ausweitung bezugsberechtigter Personenkreise bei gegebener Leistungsbreite Im folgenden Abschnitt wird exemplarisch dargestellt, wie das Versicherungsprinzip zunehmend zu Gunsten verteilungspolitischer Zielsetzungen aufgeweicht wurde. Dabei wird zunächst das Beispiel der Gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) aufgegriffen, da diese im Vergleich zu anderen Bereichen der Sozialversicherung bis in die 70er Jahre als dem reinen Versicherungsprinzip am nächsten liegend angesehen wird.577 Die Einrichtung der GUV löste die unmittelbare Arbeitgeberhaftung für Betriebsunfälle der im Unternehmen beschäftigten Mitarbeiter durch eine Versicherungsregelung ab; auf deren Grundlage konnten sich fortan die Unternehmen gegen Personenschäden, die aus Arbeitsunfällen ihrer Mitarbeiter resultierten, versichern. Im Sinne einer Rüstowschen Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung konnten innerhalb differenzierter Risikoklassen branchenspezifische Risiken durch äquivalente Beiträge gedeckt werden. Die ursprüngliche Dominanz des Versicherungsgedankens in der Unfallversicherung wurde jedoch durch die Ausweitung des Versicherungsschutzes - der zunächst nur für beschäftigte Arbeitnehmer galt — auf nichterwerbstätige und damit nicht beitragspflichtige Personengruppen ausgehöhlt.578

576

Vgl. Rüstow, Alexander: Sicherung in einer freien Gesellschaft, S. 194.

577

Vgl. Farny, Dieter: Sozialversicherung, S. 168. Vgl. Farny, Dieter: Sozialversicherung, S. 167.

578

4.2. Leistungsgerechtigkeit und Umverteilung

123

Inzwischen gehören neben allen in Betrieben beschäftigten Arbeitnehmern (mit Ausnahme von Beamten) auch Heimarbeiter, Schausteller, Artisten, Künstler, Haus- und Kleingewerbetreibende, Landwirte, Seefischer, werktätige Häftlinge, Lebensretter, Blutspender, Personen, die bei Unglücken oder drohender Gefahr Hilfe leisten, Schüler, Studenten, Kindergartenkinder sowie Kinder in Horten und Krippen dem in der GUV versicherten Personenkreis an. Sie haben Anspruch auf folgende Leistungen: Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Erste Hilfe, Heilbehandlung (ärztliche Behandlung, Heilmittelversorgung, Krankenhauspflege, Krankengeld, Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes, berufsbildende Maßnahmen zur Wiederherstellung und Erhöhung der Erwerbsfähigkeit, Hilfestellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes), Verletztengeld, Berufshilfe, Verletztenrente, Sterbegeld sowie Hinterbliebenenrente. 579 Mit der Ausweitung des Versichertenkreises auf Personen, die nicht wegen ihrer unfallgefährdeten Erwerbstätigkeit mit risikoäquivalenten Beiträgen in der GUV versichert sind (Kindergartenkinder, Schüler, Studenten, Blutspender, Lebensretter etc.), hat sich die GUV eindeutig vom Versicherungsgedanken entfernt.580 Die Entwicklung widerspricht in zwei Ausprägungen Rüstows Vorstellungen. Erstens sind Personengruppen in den Versicherungsschutz aufgenommen worden, die für den Schutz keine oder zumindest keine risikoäquivalenten Beiträge entrichten müssen; als Konsequenz werden die Leistungen der übrigen Beitragspflichtigen auf den gesamten Kreis der Empfangsberechtigten umgelegt. Diese Umverteilung führt bei einem Teil der Versicherten zu Beiträgen, denen ein minderäquivalentes Leistungsvolumen gegenübersteht; bei einem anderen Teil der Versicherten hingegen übersteigt das gewährte Leistungsvolumen die geleisteten Beiträge. Nur per Zufall kommt es bei Versicherten zu einem Ausgleich von geleisteten Beiträgen und empfangenem Versicherungsschutz; dieser Ausgleich aber sollte sich nach Rüstow nicht zufällig, sondern regelmäßig einstellen. Zweitens wurden die Leistungen generell ausgeweitet, ohne sie auf die individuelle Situation des Empfangsberechtigten abzustimmen. Die willkürliche Umverteilung widerspricht einmal mehr Rüstows Forderung, die Gewährung finanzieller Unterstützungen an der Bedürftigkeit auszurichten; im vorliegenden Fall entscheidet zwar der Umstand, z.B. Kindergartenkind oder Student zu sein, über die Aufnahme in die GUV, er begründet jedoch nicht zwangsläufig eine Bedürftigkeit. Schließlich muß im Sinne Rüstows bezweifelt werden, ob berufsbildende Maßnahmen oder Sterbegeld zu den originären Versicherungsleistungen der GUV zu zählen sind.

579 580

Vgl. Lampert, Heinz: Die Wirtschafts- und Sozialordnung der BRD, S. 266f. Vgl. Farny, Dieter: Sozialversicherung, S. 168.

124

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

Die an der GUV dargestellte Ausdehnung der Leistungsbreite kann als beispielhaft für die Sozialversicherung insgesamt angesehen werden; bereits in den 50er Jahren begann deren Ausweitung und sukzessive Entkoppelung von der Versorgung unmittelbarer Not und Bedürftigkeit.581 Gesetzgebung und Rechtsprechung der Sozialgerichte führten neben der Leistungsausweitung zur Einbindung immer größerer Personen- und Risikogruppen mit niedrigen Einkommen in den Versicherungsschutz, ohne daß deren Risiko durch ein äquivalentes Beitragsaufkommen gedeckt wurde.582 Als Beispiel für diese Tendenz sei die Aufnahme von Rentnern in die GKV (1956), deren spätere Befreiung von den Beitragszahlungen (1970), die Öffnung der GKV für Landwirte sowie die Öffnung der GRV für Selbständige und Hausfrauen (1972) und die Aufnahme von Studenten und Behinderten in die GKV ohne Beitragsäquivalenz (1975) erwähnt.583 Diese Ausdehnung der Sozialleistungen auf einen wachsenden Personenkreis hat den Finanzbedarf der Sozialversicherungsträger in die Höhe getrieben, da Leistungen ohne versicherungsmathematisch äquivalente Beiträge gewährt wurden. Statt dessen wurden zusätzliche Einnahmen auf dem Wege erhöhter Beitrags- und Versicherungspflichtgrenzen erzielt, eine Maßnahme, die einen wachsenden Teil der Bevölkerung zwanghaft in das Sozialversicherungssystem einschloß;584 in der GKV beispielsweise sind gegenwärtig über 90% der Bevölkerung versichert.585 Damit spiegelt auch die gesamte Entwicklung des Sozialversicherungssystems nicht den Rüstowschen Ansatz wider, dem zufolge die Versicherungsbeiträge im Regelfall nach den vom Versicherten in Anspruch genommenen Leistungen bemessen sein sollten. Ein solches Vorgehen hätte nicht zu Finanzproblemen in der Sozialversicherung geführt, da einer Leistungsausweitung eine Gegenfinanzierung mittels leistungsäquivalenter Beiträge gegenübergestanden hätte. Ein weiterer Widerspruch zu Rüstow ist in dem Umstand zu sehen, daß der Versicherungszwang auf immer größere Bevölkerungsteile ausgeweitet wurde.

581

582

583

584

585

Vgl. Oberender, Peter: Der Einfluß ordnungstheoretischer Prinzipien Walter Euckens auf die deutsche Wirtschaftspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, S. 333. Vgl- Frerich, Johannes: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 76. Vgl. Oberender, Peter/Okruch, Stefan: Die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft aus ordnungspolitischer Sicht, S. 473; Frerich, Johannes: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 70f. Vgl. Frerich, Johannes: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 69. Vgl. Oberender, Peter/Fibelkorn, Andrea: Ein zukunftsfahiges deutsches Gesundheitswesen, S. 1.

4.2. Leistungsgerechtigkeit und U m v e r t e i l u n g

125

4.2.1.1.2. Die Ausweitung der Leistungsbreite bei gegebenem Personenkreis Im Voranstehenden wurde bei gegebenem Leistungsvolumen die Ausweitung der bezugsberechtigten Personenkreise unter dem Gesichtspunkt gleichwertiger Beiträge betrachtet. Die Relevanz des Äquivalenzgedankens läßt sich auch feststellen, indem geprüft wird, inwieweit sich bei einem gegebenen Personenkreis das Leistungsvolumen in der Sozialversicherung verändert. Bestimmt das Ausmaß der in Anspruch genommenen Leistungen die Beiträge, so ist es dem Versicherungsnehmer mittels seines eigenen Verhaltens möglich, den Aufwand für seine soziale Absicherung selbst zu bestimmen und damit gleichzeitig die persönliche Verantwortung für deren Gestaltung zu übernehmen. Über diesen Anreiz kann im Sinne Rüstows - das individuelle Verhalten in einer verantwortungsbewußten, mündigen Weise gefördert werden. Eine Entkoppelung von Leistung und Gegenleistung hingegen läßt befürchten, daß — dem Phänomen des ,moral hazard' folgend — das individuelle Verhalten davon bestimmt ist, den Versicherungsschutz über den tatsächlichen Bedarf hinaus und damit zum Schaden des gesamten Systems in Anspruch zu nehmen. 586 Diesem letzten Gedankengang soll im folgenden Beispiel der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nachgegangen werden; sie verdeutlicht den unmittelbaren Zusammenhang von Anreizen und Verhaltensänderungen für den Fall, daß Leistungen (Versicherungsschutz) ohne unmittelbare Gegenleistungen (Kostenbeteiligung) gewährt werden und wird aus diesem Grunde stellvertretend für die Sozialversicherung als Ganzes behandelt. Die Ursprünge der Lohnfortzahlung gehen auf das Bestreben zurück, Arbeiter und Angestellte im Falle der Krankheit gleich zu behandeln. Historisch bedingt waren Angestellte im Vergleich zu Arbeitern sozialrechtlich besser gestellt. Diese sogenannte .gespaltene Lösung' wurde auch nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland praktiziert. Zwar erfolgte 1957 mit dem Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle eine Angleichung der Versorgung, allerdings wurde die unterschiedliche Behandlung von Arbeitern und Angestellten nicht vollständig aufgehoben. Durch das Gesetz von 1957 wurden die Arbeitgeber bei gleichzeitiger Festsetzung von zwei Karenztagen verpflichtet, die Leistungen der GKV in den ersten sechs Wochen auf 90% des Nettoarbeitsentgeltes aufzustocken. 587 1961 wurde mit dem Änderungsund Ergänzungsgesetz unter Fortschreibung der gespaltenen Lösung der Zuschuß auf 100% aufgestockt, ein Karenztag gestrichen sowie die Bezugsdauer des Kran-

586

587

Vgl. Rüstow, Alexander: Die Deckung des Krankheitsrisikos in der Sozialen Marktwirtschaft, S. 177. Vgl. Frerich, Johannes: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 66; BGBl. I., 1957, S. 649.

126

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

kengeldes verlängert.588 Erst 1969 erfolgte mit dem Lohnfortzahlungsgeset2 die gesetzliche Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten. Seither erhalten beide Gruppen für die ersten sechs Wochen der Krankheit die vollen Bezüge einschließlich der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung; die Karenztage bestehen nicht mehr, der Arbeitnehmer muß lediglich binnen dreier Kalendertage ein ärztliches Attest vorweisen.589 Mit dieser gesetzlichen Regelung wird kein Arbeitnehmer im Falle der Krankheit von Einbußen an Lohn oder Urlaubstagen getroffen. Die Gleichstellung von Arbeit und Nichtarbeit bei der Entlohnung im Krankheitsfall pervertiert die von Rüstow geforderten Anreizstrukturen, da eine Gegenleistung — in diesem Fall der Lohn - auch ohne eigene Leistung — die Arbeit — zu erlangen ist. Infolge dieser Umkehrung der Anreizstrukturen standen bei den Auseinandersetzungen um die Lohnfortzahlung vor allem die Kostenbelastung der Arbeitgeber sowie die Bedenken, daß eine geringe bzw. keine Beteiligung der Arbeitnehmer an den Kosten der Lohnfortzahlung zu einer mißbräuchlichen Inanspruchnahme dieser Leistungen führen werde, im Vordergrund. Tatsächlich konnte man im Anschluß an die Gesetzesänderungen von 1957, 1961 sowie 1969 jeweils ein Ansteigen der Morbiditätsraten feststellen.590 Interessant ist auch, daß die durchschnittlichen Fehltage pro Betrieb montags und freitags signifikant höher sind als mittwochs.591 Ein Vergleich über die Landesgrenzen hinweg verdeutlicht, daß Länder mit Regelungen zur Lohnfortzahlung (Deutschland, Italien, Schweden) einen zwei- bis achtmal so hohen durchschnittlichen Krankenstand aufweisen wie Länder ohne vergleichbare Regelungen (Japan, USA). 592 Diese Zahlen bestätigen die Warnungen Rüstows und machen die Berechtigung deutlich, mit der er sich für eine unmittelbare Anbindung der Beiträge an das Ausmaß der Leistungsinanspruchnahme durch den Versicherungsnehmer eingesetzt hat. Im übrigen ist zu bemerken, daß die einseitige Belastung der Arbeitgeber mit den Kosten der Lohnfortzahlung 593 zu einer Benachteiligung von Arbeitnehmern mit überdurchschnittlichem Krankheitsrisiko geführt hat, da der Arbeitgeber deren Kosten für

588

Vgl. Frerich, Johannes: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 66f.; B G B l . I , 1961, S. 913.

589

Vgl. Frerich, Johannes: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 67f.; B G B l . I., 1969, S. 946. Vgl. Frerich, Johannes: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 66f. Untersuchungen aus den frühen 80er Jahren ergaben, daß die durchschnittlichen Fehltage pro Betrieb montags etwa 5 mal und freitags 6 mal höher waren als mittwochs; Salowski, Heinz: Fehlzeiten - Ein internationaler Vergleich, S. 17, 87. Vgl. Salowski, Heinz: Fehlzeiten - Ein internationaler Vergleich, S. 17, 87. Vgl. Oberender, Peter/Fricke, Frank-Ulrich: Vom Wohlfahrtsstaat zum Sozialstaat: Einsparungspotentiale im Sozialbudget, S. 24f.

590

591

592 593

4.2. Leistungsgerechtigkeit und U m v e r t e i l u n g

127

die ersten sechs Wochen im wesentlichen allein tragen muß. Diese Verpflichtung führt bei vielen Arbeitgebern zu dem Versuch, hohe Kosten aus einer überdurchschnittlichen Häufung von Krankheitsrisiken zu vermeiden, indem Personen mit erhöhtem Gesundheitsrisiko nicht (mehr) beschäftigt werden. Würde der Gesetzgeber eine versicherungsmathematisch äquivalente Lösung zulassen, bei der sich die guten mit den schlechten Risiken mischen könnten, wäre der Anteil chronisch kranker Personen an den Arbeitslosen niedriger.594 Ein weiteres Beispiel, an dem die beitragsunabhängige Ausweitung der Versicherungsleistungen gezeigt werden kann, ist in den sogenannten versicherungsfremden Leistungen zu sehen; damit sind solche Aufgaben gemeint, die nicht unmittelbar dem Risikoausgleich innerhalb einer gegebenen Risikogemeinschaft und einer bestimmten Zeit, unter Berücksichtigung der versicherungsmathematischen Äquivalenz von Beitrag und Leistungsanspruch, dienen. Auf die GKV bezogen, handelt es sich um Aufgaben, die nicht unmittelbar auf die Heilung gesundheitlicher Schäden gerichtet sind; zu ihnen werden Empfängnisverhütung, Mutterschaftsgeld, Schwangerschaftsabbrüche, künstliche Befruchtung, Betriebsund Haushaltshilfen, Krankengeld bei der Erkrankung von Kindern, Sterbegeld und Entbindungsgeld gezählt.595 Im System der sozialen Sicherung hat der Umfang versicherungs fremder Leistungen sowie die damit verbundene Verdrängung des Äquivalenzprinzips zu Gunsten der Umverteilung in einer Weise zugenommen, daß von einer Versicherung im eigentlichen Sinne nur noch bedingt gesprochen werden kann. Gegenwärtig beträgt allein in der GKV der Umfang versicherungsfremder Leistungen, die der Äquivalenz entzogen sind und aus sozial- oder gesellschaftspolitischen Gründen umverteilt werden, schätzungsweise DM 115 Mrd pro Jahr.596 Die aufgeführten Beispiele und das Volumen der politisch motivierten Umverteilung widersprechen Rüstows Zielsetzung, daß Leistungen, die nicht dem Äquivalenzprinzip folgen, auf ein notwendiges Minimum zu beschränken sind. Zwar ist — einmal mehr - eine eindeutige Definition des ,Notwendigen' nicht möglich; gleichwohl ist es plausibel, daß die Ausweitung der Leistungsbreite bis hin zur Übernahme von Beerdigungskosten, der künstlichen Befruchtung oder der Bereitstellung von Haushaltshilfen nicht zu dem originären Aufgabenbereich einer im Rüstowschen Sinne gestalteten Krankenversicherung zu zählen sind.

594

595

596

Vgl. Hamm, Walter: An den Grenzen des Wohlfahrtsstaates, S. 309; Vaubel, Roland: Sozialpolitik für mündige Bürger, S. 20. Vgl. Farny, Dieter: Sozialversicherung, S. 161, 165; Pfaff, Martin: Diskussionsbeitrag in: Umbau der Sozialsysteme, S. 104; Gäfgen, Gérard: Entstehung und Expansion des Wohlfahrtsstaates, S. 345. Vgl. Kern, Axel Olaf: Zur Neubestimmung des Leistungsumfangs in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 11 f.

128

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher G r u n d s ä t z e

4.2.1.2. Die Wahlfreiheit als Ausdruck praktizierter Äquivalenz Im voranstehenden Abschnitt wurde gezeigt, daß sich die Ausweitung der Sozialleistungen in der Vergangenheit nicht in versicherungsmathematischer Äquivalenz zu den Beiträgen entwickelt hat. Dies jedoch war ein zentraler Baustein in Rüstows Konzeption zur Sozialversicherung; diesen hat er durch die Forderung nach einer möglichst weitgesteckten Wahlfreiheit für den Versicherungsnehmer ergänzt. Zwar muß der Staat mittels Zwang dafür sorgen, daß sich jeder Bürger — so weit es ihm möglich ist - in einem gesellschaftlich definierten Minimum versichert, damit er im Schadensfall nicht der Allgemeinheit zur Last fällt. Jedoch sollte sich der staatliche Zwang lediglich auf die Durchsetzung einer Versicherungspflicht in Höhe dieses Minimums erstrecken und darüber hinaus dem Individuum die Freiheit gewähren, den Versicherungsschutz nach seinen Präferenzen und seinem Vermögen zu gestalten.597 Die Wahlfreiheit bezieht Rüstow auf den Versicherungsträger, den Leistungsanbieter, die Leistungen selbst sowie auf die Tarife. In dem in der Bundesrepublik gewachsenen Sozialversicherungssystem gibt es jedoch für den Versicherungsnehmer kaum Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten in der oben beschriebenen Weise;598 bereits in den 50er Jahren war an die Stelle der Notversorgung die Absicherung normaler Lebensrisiken sowie das Ziel getreten, alle Mitglieder der Gesellschaft mit einer weitgehend einheitlichen Versorgung auszustatten.599 Die Beiträge zu den verschiedenen Sozialversicherungszweigen werden weder nach sektoralen oder regionalen Merkmalen differenziert,600 noch werden Verhaltensweisen oder unterschiedliche Risikopräferenzen berücksichtigt.601 Tendenziell gelten diese Aussagen für den gesamten Bereich der sozialen Sicherung und untermauern die These der eingeschränkten Wahlmöglichkeiten; bevor diese am Beispiel der GKV ausführlich behandelt wird, sei sie durch zwei Beispiele außerhalb der GKV gestützt: Die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) ist als ein staatliches Monopol organisiert, deren Beiträge immer den glei-

597

Vgl. Rüstow, Alexander: Die Deckung des Krankheitsrisikos in der Sozialen Marktwirtschaft, S. 176.

598

Vgl. Tuchtfeldt, Egon: Das Sozialbudget der Bundesrepublik Deutschland und sein Erkenntniswert, S. 124. Vgl. Kleinhenz, Gerhard/Lampert, Heinz: Zwei Jahrzehnte Sozialpolitik in der BRD, S. 151; Bethusy-Huc, Viola Gräfin v.: Das Sozialleistungssystem der Bundesrepublik Deutschland, S. 24, 30. Vgl. Vaubel, Roland: Wider die Wohlfahrtsdiktatur, Manuskript des 3. Franz-BöhmVortrages der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft vom 29.11.1996, S. 9f. Vgl. SVR: Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung 2000, S. 172f.

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600

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4.2. Leistungsgerechtigkeit und U m v e r t e i l u n g

129

chen Prozentsatz vom Lohn umfassen, keine Wahltarife vorsehen und darüber hinaus keine versicherungsmathematisch begründeten Abschläge im Falle einer Frührente vorsehen. 602 Analoges gilt für die Arbeitslosenversicherung (ALV), in der der Versicherungsnehmer weder über die Leistungen (z.B. Arbeitslosenunterstützung, Hilfen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß, Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen) noch über Tarife, Karenztage, Beitragsrückgewähr bzw. Schadensfreiheitsrabatte sowie Abschläge bei eigener Kündigung oder selbst verschuldeter Entlassung entscheiden kann.603 Aus Rüstows Sicht ist bereits die erwähnte Ausweitung der Sozialleistungssysteme, die sich seit den 50er Jahren immer weniger an Bedürftigkeit und Äquivalenz orientierte, als verfehlt anzusehen. Der daraus resultierende drastische Ausgabenanstieg 604 hat neben hohen Steuer- und Abgabenbelastungen für die Bürger auch zu empfindlichen Defiziten in den öffentlichen Haushalten geführt. Mit dem Ende der 70er Jahre begann der Gesetzgeber, kostendämpfende Maßnahmen mit dem Ziel zu erlassen, die wachsenden öffentlichen und privaten Belastungen zu begrenzen. Der weitere Fortgang der Untersuchung knüpft an die im Rahmen dieser Kostendämpfungspolitik unternommenen Reformanstrengungen im Gesundheitswesen an; sie werden nachfolgend dargestellt und auf ihre Verträglichkeit mit den Rüstowschen Forderungen hin überprüft. 4.2.1.2.1. Die Kostendämpfungspolitik der 70er Jahre Eine Bewertung aus der Sicht Rüstows Unter dem Druck leerer Kassen bildete 1977 das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (KVKG) den Auftakt einer Fülle von Sparmaßnahmen, die das gesamte System der sozialen Sicherung betrafen und in erster Linie auf eine Begrenzung des Kostenanstiegs abzielten. 605 Gleichwohl handelte es sich dabei nicht um ein geschlossenes Reformkonzept, sondern um punktuelle Eingriffe, die die Höhe der Einnahmen aus den Sozialbeiträgen zum Maßstab der Ausgaben machten. 606

602 603 604 605

606

Vgl. Vaubel, Roland: Wider die Wohlfahrtsdiktatur, S. 5f. Vgl. Vaubel, Roland: Wider die Wohlfahrtsdiktatur, S. 8f. Vgl. dazu die Entwicklung des Sozialbudgets, Tabelle II, Abschnitt 4.3.1. dieser Arbeit. Vgl. Frerich, Johannes: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 266f.; eine kurze Ubersicht der wesentlichen Spargesetze zur Haushaltskonsolidierung, Arbeitsförderung, Rentenanpassung sowie zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen findet sich bei Zacher, Hans F: Sozialpolitik, Verfassung und Sozialrecht im Nachkriegsdeutschland, S. 214; ders.: Der gebeutelte Sozialstaat in der wirtschaftlichen Krise, S. 2. Vgl. Henke, Klaus-Dirk: Kranken- und Pflegeversicherung, S. 75.

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4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

Im wesentlichen sahen die ersten Kostendämpfungsgesetze folgende Veränderungen vor:607 1. Kürzung und Streichung von Leistungen (Bagatell- oder Luxusarzneien, Heilund Verbandsmittel), 2. Selbstbeteiligung der Patienten (Einführung und Erhöhung der Rezeptgebühren, prozentuale Beteiligung an Brillen und Zahnersatz, Beteiligung an den Tagessätzen für Kuren), 3. Verschärfung von Gewährungsmodalitäten, 4. Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Kontrollen bei der Leistungserbringung; Einführung buchhalterischer Grundsätze in Krankenhäusern und Praxen, 5. Veränderung und Verzögerung der Anpassungsmechanismen dauerhaft gewährter Transfers (Rentenanpassung, Anwartschaften), 6. Einschränkung der Häufungsmöglichkeiten von Leistungen verschiedener SVTräger, 7. Deckelung der Gesamtvergütung für (zahn-) ärztliche Leistungen, 8. Erhöhung der Steuern und Sozialabgaben, 9. Ausweitung der beitragspflichtigen Personengruppen, 10. Abschmelzen von Rücklagen innerhalb der einzelnen Sozialversicherungsträger; Verschiebung von vorübergehenden Überschüssen zwischen den einzelnen Sozialversicherungsträgern. Die Nummern 1 und 2 folgen im Ansatz der von Rüstow aufgezeigten Richtung; eine Herausnahme von Bagatellarzneien oder Verbandsmitteln vermindert nicht nur den Verwaltungs- und Auszahlungsaufwand der Krankenversicherer; sie entspricht auch dem Versicherungsgedanken, daß geringwertige Mittel dieser Art nicht über das Versicherungskollektiv zu decken sind. Auch die Einführung von Selbstbeteiligungselementen ist dem Grundsatz nach positiv zu bewerten, da sie einen ersten Schritt zur Stärkung der Eigenverantwortung des Patienten darstellt. Die Beteiligung an den von ihm verursachten Kosten fördert bei dem Leistungsempfänger die Bereitschaft, Leistungen aus der GKV sparsam und zielgerichtet in Anspruch zu nehmen; allerdings ist der Umfang der verordneten Eigenbeteiligung nicht ausreichend, um eine Lenkungswirkung der erwünschten Art zu erzielen. Außerdem entspricht sie insofern nicht den Rüstowschen Vorstellungen, als die Kostenbeteiligung auf Einzelbereiche der medizinischen Versorgung beschränkt blieb und Steuerungsinstrumente, wie etwa die Beitragsrückgewähr, den Selbstbehalt oder die Prämienstaffelung, nicht umfaßte. Die unter Nr. 3 aufge-

607

Vgl. Frerich, Johannes: H a n d b u c h der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 265f., 267; Zacher, Hans F: Sozialpolitik, Verfassung und Sozialrecht im Nachkriegsdeutschland, S. 215f.; ders.: D e r gebeutelte Sozialstaat in der wirtschaftlichen Krise, S. 2f.

4.2. Leistungsgerechtigkeit und U m v e r t e i l u n g

131

zählte Verschärfung der Gewährungsmodalitäten trifft insofern den Kern Rüstowscher Forderungen, als damit eine dauerhafte Vernachlässigung des Bedürftigkeitsgrundsatzes sowie eine Kumulation von Leistungen bei einem Versicherten vermieden wird; im Verbund mit den unter Nr. 4 und 6 beschriebenen Maßnahmen führen sie zu einer effizienteren Verwendung kollektiver Mittel. Eine gegen Verschwendung und Mißbrauch gerichtete Verwendung gemeinschaftlicher Ressourcen entspricht in jedem Falle Rüstows Vorstellungen; allerdings stellt ein solches Verhalten in seinen Augen eine Selbstverständlichkeit dar, die von ihm nicht eigens erwähnt, sondern vielmehr vorausgesetzt wurde. Es erscheint vor diesem Hintergrund unverständlich, daß die Mobilisierung von Effizienzreserven erst zu Ende der 70er Jahre als Ziel in der gesundheitspolitischen Reformdiskussion identifiziert wurde. Die unter den übrigen Nummern 7 bis 10 genannten Maßnahmen deuten auf einen grundsätzlich anderen als von Rüstow vorgeschlagenen Lösungsansatz hin; dies gilt insbesondere deshalb, weil sie mit Verbreiterung der Ertragsbasis oder Ausgabendeckelung erstens den Zwang ausweiten und zweitens auf die kurzfristige Beseitigung von Finanzierungsengpässen gerichtet sind. Vernachlässigt wird dabei vor allem Rüstows Grundsatz der Nachhaltigkeit; 608 dessen Berücksichtigung führt nicht primär zu einer kurzfristigen Behandlung von Symptomen, in diesem Fall der Finanzierungsengpässe, sondern verlangt dauerhafte Lösungen in Form tragfähiger Anreizstrukturen. Aus dieser Sicht enthalten die Reformansätze, mit denen 1977 die ersten umfangreichen Kostendämpfungsmaßnahmen im Gesundheitswesen durchgeführt wurden, zu wenig Elemente, die marktkonformes Verhalten belohnen und auf diese Weise die beteiligten Interessengruppen in die Verantwortung für die Funktionsfähigkeit des sozialen Sicherungssystems einbinden. 4.2.1.2.2. Reformansätze nach dem politischen Wechsel von 1982 Eine Bewertung aus der Sicht Rüstows Nach dem politischen Wechsel von 1982 intensivierten sich die Diskussionen um eine grundlegende Reform mit dem Ziel, wettbewerbliche Anreiz- und Kontrollmechanismen stärker in dem System der sozialen Sicherung und insbesondere in der GKV zu verankern. Dennoch überwogen in den gesetzlichen Maßnahmen, die bis 1988 eingeleitet wurden, die begrenzenden, regulierenden und kürzenden Ansätze. So wurden durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz (HStrukG) 1981, das Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz (KVEG) 1981 sowie durch die Haushaltsbegleitgesetze 1983 und 1984 im wesentlichen die Zuzahlungen für Arzneien, Heil- und Verbandsmittel, Kuren, Brillen, Zahnersatz und Krankenhausaufent-

608

Vgl. zu diesem Aspekt ausführlicher den Abschnitt zu den ,Liberalen Interventionen' als Maßstab für die Praxis der Subventionsvergabe (4.3.1.).

132

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

halte erhöht.609 Die zunehmende Beteiligung der Patienten an den von ihnen verursachten Gesundheitskosten ist als ein weiterer Schritt, der den Betroffenen den unmittelbaren Zusammenhang von in Anspruch genommenen Leistungen und entstandenen Kosten aufzeigt, positiv zu bewerten. Gleichwohl steht die zwangsweise Erhöhung der Beteiligung sowie die Ausdehnung administrativer Kontrollen weiterhin im klaren Widerspruch zu einem gewichtigen Grundsatz Rüstows; dem zufolge läßt sich das individuelle Verhalten viel gründlicher durch Anreize, die dem einzelnen Vorteile (Beitragsrückgewähr) versprechen, beeinflussen als durch die Ausweitung von Zwang und Strafen. Die nächste größere Zäsur erfolgte mit dem Gesundheitsreformgesetz (GRG) im Jahre 1988. Zwar wurden einige marktwirtschaftliche Steuerungsmechanismen aus dem Rüstowschen Forderungskatalog eingeführt (befristete Experimentiermöglichkeiten mit dem Institut der Beitragsrückgewähr, Zulassung eines begrenzten Wettbewerbs zwischen den gesetzlichen Krankenversicherungen, Stärkung des Kostenerstattungsprinzips, Stärkung von Präventions- und Informationsmaßnahmen, Kostentransparenz in der GKV); dennoch wurden entscheidende planwirtschaftliche Strukturen (Budgetierung der Leistungsvergütung, mangelnde Wahlfreiheit der Patienten im Hinblick auf Tarife, Leistungspakete oder Selbstbeteiligungselemente) nicht beseitigt.610 Aus diesem letzten Grund fällt eine Bewertung des GRG 1988 aus der Sicht Rüstows zurückhaltend aus; zwar wurde dem Patienten eine begrenzte Wahlfreiheit eingeräumt, indem der Wettbewerb als Koordinations- und Disziplinierungsmechanismus, zumindest eingeschränkt, zwischen den Krankenversicherungen zugelassen wurde, allerdings muß das tatsächliche Ausmaß marktwirtschaftlicher Orientierung verglichen mit den von Rüstow geforderten Möglichkeiten als beschränkt bezeichnet werden. In diesem Sinne überwog in der wissenschaftlichen Diskussion eine skeptische Beurteilung des GRG 1988, da es die strukturellen Probleme, insbesondere den undurchsichtigen Zusammenhang von Verursachung und Finanzierung der Kosten im Gesundheitswesen, nicht zu lösen bzw. offenzulegen vermochte. Diese Einschätzung wurde im wesentlichen von der Enquete-Kommission ,Strukturreform der GKV' und dem Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen geteilt.611 Nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1990 wurden im Beitrittsgebiet für den Aufbau eines funktionierenden Sozialleistungssystems sowie für

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Vgl. Frerich, Johannes: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 268£, 285. Vgl. Frerich, Johannes: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 289ff.; BGBl. I., 1988, S. 2477. Vgl. Frerich, Johannes: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 289, 298f.

4.2. Leistungsgerechtigkeit und Umverteilung

133

das Abfedern der Massenarbeitslosigkeit erhebliche Finanzmittel benötigt. Trotz dieser zusätzlichen Belastung blieb die Chance zu einer ordnungspolitischen Umorientierung auch für den Bereich der Sozialversicherung ungenutzt. Statt dessen wurde das westdeutsche System auf die Neuen Bundesländer übertragen, ohne die Strukturen innerhalb des Systems an die ostdeutschen Gegebenheiten anzupassen. Der daraus resultierende außerordentliche Finanzierungsbedarf in den Jahren nach der Einigung Deutschlands führte das gesamte System der sozialen Sicherung an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. 612 Für das Gesundheitswesen versuchte die Bundesregierung, dieser Entwicklung durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) aus dem Jahr 1993 Rechnung zu tragen; allerdings war das GSG 1993 erneut von einer Mischung aus Verschärfung bestehender Regelungen sowie der Einführung neuer Steuerungsmechanismen geprägt. Unter Beibehaltung von Härtefallregelungen wurden noch einmal die Zuzahlungen für Medikamente, Zahnersatz, Krankenhausaufenthalte und Kuren erhöht. Als Neuerungen wurde dem Patienten die Wahl der Krankenversicherung gänzlich freigestellt, das Selbstkostendeckungsprinzip bei der stationären Versorgung aufgehoben und durch leistungsorientierte Pauschalen abgelöst sowie die Information der Patienten über die von ihnen verursachten Kosten verbessert.613 Mit der freien Wahl des Versicherungsträgers wird eine Forderung Rüstows erfüllt; die Wahlfreiheit verlagert Entscheidungskompetenzen auf die Ebene des Versicherten und führt auf diese Weise zur Stärkung seines Verantwortungsbewußtseins. Gleichzeitig müssen sich die Versicherungsträger darauf einstellen, bei der Gestaltung ihres Leistungsangebotes in Zukunft stärker auf die Präferenzen der Kunden einzugehen. Langfristig könnte sich über den zunehmenden Wettbewerbsdruck zwischen den Versicherungen die Perspektive eröffnen, das gegenwärtige Volleistungssystem614 in ein Wahlsystem mit verschieden umfangreichen Leistungspaketen zu überführen. Allerdings haben die Begrenzung der Zu- und Niederlassungen für Ärzte, die Budgetierung einzelner Leistungsbereiche sowie die Preis- und Honorarstopps die marktwirtschaftlichen Ansätze untergraben. In der Summe bleibt festzustellen, daß das GRG 1988 und das GSG 1993 vor allem der sofort wirksamen Kostendämpfung, weniger aber der strukturellen Reform gegolten haben; sie haben vor allem in weiten Teilen des Ge-

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Vgl. Oberender, Peter/Okruch, Stefan: Die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft aus ordnungspolitischer Sicht, S. 475. Vgl. SVR: Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung 2000, S. 76; Frerich, Johannes: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 619f. Dieses gewährt dem Patienten eine beitragsunabhängige Inanspruchnahme aller medizinisch denkbaren Behandlungsmöglichkeiten.

134

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

sundheitswesens planwirtschaftliche Steuerungsmechanismen 2ementiert.615 Die Konzentration auf Kostendämpfung und Beitragsstabilität ist aus politischen bzw. wahltaktischen Gründen nachvollziehbar; sie vernachlässigt jedoch die Ursachen der Kostensteigerungen in Form einer mangelhaften Eigenbeteiligung, ungezielter Umverteilung sowie mißbräuchlicher Inanspruchnahme. 616 Die strukturellen Probleme in Form ungünstiger Risikoverteilung in den Versicherungskollektiven, fehlender Effizienz bei der Leistungserbringung, mangelndem Kostenbewußtsein bei den Versicherten sowie teilweiser Überkapazitäten bei der ambulanten und stationären Versorgung konnten für den Bereich der GKV durch die bislang eingesetzten Instrumente nicht gelöst werden. 617 Die marktwirtschaftlichen Ansätze, mit denen die Eigenverantwortung der Patienten gestärkt werden sollte (Selbstbeteiligung, Kassenwahl, Einblick in die verursachten Kosten), haben bei den beteiligten Interessengruppen bislang kein marktkonformes Verhalten durchsetzen können.618 Daß jedoch eine weiterführende Einbindung des Versicherten in die Schadensbehebung sowie dessen Aussicht, seine Beiträge durch entsprechendes Verhalten zu minimieren, zu einer kostenbewußten Nachfrage von Versicherungsleistungen führt, ist empirisch bestätigt; für den Bereich der Krankenversicherung wurde festgestellt, daß eine 25%ige Selbstbeteiligung die Kosten der medizinischen Versorgung um 14% (ambulant 20%) und eine 50%ige Selbstbeteiligung die Kosten um 18% (ambulant 35%) senken.619 Diese Untersuchungen lassen sich tendenziell auf das gesamte Sozialversicherungssystem übertragen; sie bestätigen darüber hinaus die Begründetheit Rüstowscher Forderungen nach einem System, das über die Verwirklichung des Äquivalenzprinzips eine willkürliche Umverteilung ausschließt. Übersteigen die versicherungsmathematisch ermittelten Prämien die finanziellen Ressourcen des Versicherten, besteht die Möglichkeit, der individuellen Bedürftigkeit unmittelbar über das Steuersystem Rechnung zu tragen.620 Darüber hinaus verhindert ein Kontrahierungszwang den Ausschluß von Personen mit schlechten oder dauerhaften

615

Vgl. Henke, Klaus-Dirk: Kranken- und Pflegeversicherung, S. 81 f.; Oberender, Peter: Leitlinien für eine Systemkorrektur in der Krankenversicherung, S. 90f.; SVR: Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung 2000, S. 1 5 9 , 1 7 1 .

616

Vgl. Henke, Klaus-Dirk: Kranken- und Pflegeversicherung, S. 81.

617

Vgl- Frerich, Johannes: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 264. Vgl. Oberender, Peter/Okruch, Stefan: Bevölkerungsentwicklung, Solidarität und Subsidiarität, S. 545. Vgl. Vaubel, Roland: Sozialpolitik für mündige Bürger, S. 17. Vgl. Vaubel, Roland: Wider die Wohlfahrtsdiktatur, S. 2.

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619 620

4.2. Leistungsgerechtigkeit und Umverteilung

135

Risiken aus dem Versicherungssystem. 621 Eine tatsächliche Reform der Sozialversicherung sollte nicht primär auf die Regulierung der Kosten, sondern auf die Neuordnung der Anreize setzen, über die sich im freien Spiel der Marktkräfte eine optimale Allokation der knappen Ressourcen nach den Präferenzen der Marktteilnehmer von selbst einstellt.622 Die nachfolgenden Ansätze skizzieren die gegenwärtig diskutierten Möglichkeiten, mit denen eine Stärkung des Äquivalenzprinzips erreicht werden könnte: 623 1. Freie Wahl zwischen privaten und gesetzlichen Krankenversicherungsträgern; ggf. Beschränkung der GKV auf die Breitstellung der Grundversorgung, Zusatzversorgung durch die PKV; 2. Herausnahme familien- und geschlechtsspezifischer sowie sozialpolitisch motivierter Umverteilung aus der GKV; 3. Einführung von Wahltarifen; 4. Belohnung präventiven Verhaltens. Bei dieser Aufzählung werden die grundsätzlichen Parallelen zu den Forderungen, die Alexander Rüstow bereits in den 50er Jahren herausgearbeitet hat, deutlich. Abschließend bleibt in seinem Sinne anzumerken, daß der staatliche Zwang zur Mindestsicherung nicht unterhalb der Leistungen aus der Sozialhilfe Regen darf, wenn vermieden werden soll, daß ein Mitglied der Gesellschaft auf Grund mangelnder Eigenvorsorge im Schadensfall der Allgemeinheit zur Last fällt.624

4.2.2. Die Bedeutung einer systematischen Entscheidungsgrundlage für die Gestaltung einer effizienten sozialen Sicherung Bereits in den 50er Jahren hatten die unterschiedlichen, zu einem erheblichen Teil aus der Nachkriegsnot heraus geborenen Sicherungsansprüche an das Sozialprodukt ein Ausmaß erreicht, das deren Abstimmung und Einordnung in einen konsistenten Sozialplan dringlich machte. Hinzu kam, daß im Zuge der sich schnell verbessernden Wirtschaftslage zunehmend Ansprüche gestellt wurden, die über die materielle Existenzsicherung hinaus einen einmal erarbeiteten Lebensstandard festschreiben sollten. Die Vielschichtigkeit der bestehenden Ansprüche hatte, so Rüstow, zu einer komplizierten Sozialgesetzgebung geführt, die nur noch

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Vgl. Oberender, Peter/Okruch, Stefan: Bevölkerungsentwicklung, Solidarität und Subsidiarität, S. 546. Vgl. Vaubel, Roland: Wider die Wohlfahrtsdiktatur, S. 5. Vgl. Brümmerhoff, Dieter: Äquivalenzprinzip versus Solidaritätsprinzip in der GKV, S. 200. Vgl. Vaubel, Roland: Wider die Wohlfahrtsdiktatur, S. 3.

136

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher G r u n d s ä t z e

für Experten zu durchschauen war.625 Darüber hinaus ist er überzeugt, daß der Betrag von DM 25 Mrd., die 1956 für die soziale Sicherung aufgewandt wurden, schon bei weitem das Maß überschritten habe, welches zur Sicherung tatsächlicher Notlagen nötig sei. Diese Äußerung verdeutlicht seine Auffassung, daß er in dem seinerzeit praktizierten Sozialversicherungssystem die Grundsätze der Äquivalenz und Bedürftigkeit nicht ausreichend berücksichtigt sah. Da es trotz dieser schon damals gewaltigen Summe dennoch Fälle materieller Not gab, schloß Rüstow auf erhebliche Fehler in der Verteilungspraxis sozialer Transfers,626 deren Ursache eben gerade in einer mangelnden Anwendung des Äquivalenzprinzips zu suchen seien. Aus diesen Gründen verlangte er eine Systematisierung aller gewährten Transfers, um auf diese Weise Ineffizienzen offenlegen und beseitigen zu können. Die damals zuerst von Mackenroth erhobene Forderung nach einem sogenannten Sozialplan zielte darauf ab, die Diskussionen um die Ausprägung der Sozialpolitik zu entideologisieren und die Entscheidungen an sachlich nachvollziehbaren Maßstäben - wie dem der Bedürftigkeit — auszurichten. Grundlegend für eine solche,rationale Sozialpolitik' ist eine hinreichend genaue Kenntnis über die Einkommens- und Vermögensverteilung innerhalb der verschiedenen sozialen Gebilde einer Gesellschaft sowie über die Wirksamkeit der eingesetzten sozialpolitischen Instrumente.627 Rüstow hat sich nicht im Detail an der Ausarbeitung eines Sozialplans beteiligt; statt dessen verweist er auf Gerhard Mackenroth,628 der bereits zu Beginn der 50er Jahre den ersten systematischen Vorschlag in dieser Richtung entwickelt hatte.629 Als Grundlage für die weiteren Untersu-

625

Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 130.

626

Vgl- Rüstow, Alexander: Sicherung in einer freien Gesellschaft, S. 195. Vgl. Frerich, Johannes/Frey, Martin: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 416. Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 131; bemerkenswert an Rüstows Verweis auf Mackenroth ist, daß zwar beide in der Einschätzung über die Notwendigkeit einer systematisierten Sozialpolitik übereinstimmen; gleichwohl gab es gravierende Meinungsverschiendenheiten im Hinblick auf die Bedeutung des Familienlastenausgleichs (FLA): während Rüstow — wie bereits in Abschnitt 4.1.2. (Subsidiarität und materielle Sicherheit) behandelt - einen FLA grundsätzlich als Einmischung in die intimste Sphäre der Familie und als Aushöhlung der Subsidiarität ablehnt (vgl. Rüstow, Alexander: Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 41), sieht Mackenroth darin ,die sozialpolitische Großaufgabe des 20. Jahrhunderts', im Rahmen derer ein Ausgleich der Lasten für das Aufziehen der nachfolgenden Generation anzustreben sei (vgl. Mackenroth, Gerhard: Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan, S. 52, 57f). Vgl. Mackenroth, Gerhard: Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan, S. 43ff.

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4.2. Leistungsgerechtigkeit und Umverteilung

137

chungen wird wegen des Rüstowschen Verweises zunächst die Position Mackenroths skizziert; im Anschluß daran wird gezeigt, daß dessen Vorstellungen einer systematischen Planung und Abstimmung sozialpolitischer Aktivitäten (noch) nicht umfassend verwirklicht wurden. Abschließend wird an einigen Beispielen gezeigt, inwieweit sich — mangels systematischer Grundlage — die gegenwärtige Vergabepraxis im Rahmen der Sozialversicherung von den am Äquivalenzprinzip orientierten Vorstellungen Rüstows unterscheidet. 4.2.2.1. Die Forderung nach einem Sozialplan Mackenroth strebte die Anpassung der deutschen Sozialpolitik an die zuletzt durch die Folgen von Krieg und Vertreibung drastisch veränderten materiellen und gesellschaftlichen Verhältnisse an. Die Notwendigkeit einer umfassenden Sozialreform ergab sich für ihn aus dem Umstand, daß das Verlangen nach kollektiver Sicherung nicht mehr nur ein schichtenspezifisches Problem war, sondern sich zu einem schichtenunabhängigen Phänomen entwickelt hatte. Darüber hinaus wuchs das Volumen der Sozialleistungen durch die Ausweitung der Empfängerkreise in einem Ausmaß an, daß eine nachhaltige Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu befürchten war. Vor diesem Hintergrund forderte Mackenroth eine Neuorientierung in der Vergabepraxis auf der Grundlage einer stärkeren Verzahnung von Wirtschafts- und Sozialpolitik.630 In einem offenen Diskurs wollte er ermitteln, welche Ansprüche von den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen an das Sozialprodukt gestellt werden dürften.631 Zunächst könne die Aufstellung der denkbaren Ansprüche umfassend erfolgen; entscheidend sei dann deren Einordnung in eine Rangfolge. Diese werde in einem ersten Schritt durch das soziale Gewissen der Gesellschaft, welches über Bedürftigkeit und Prioritäten befindet, festgelegt. In einem zweiten Schritt gebe die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit den Ausschlag über den Umfang der tatsächlich realisierbaren Sozialleistungen, da stets zu berücksichtigen sei, daß die Summe der (sozialen) Ansprüche aus dem Volkseinkommen der jeweils laufenden Periode zu bestreiten sei.632

630

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Vgl. Mackenroth, Gerhard: Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan, S. 3 9 ff. Dieser gesellschaftliche Diskurs müsse gleichermaßen die Wissenschaft, die Wirtschaft, die Politik sowie die Sozialverwaltung einbeziehen, um in einem möglichst großen Umfang Sachverstand, wirtschaftliche Leistungsbereitschaft und (politisches) Durchsetzungsvermögen zu kombinieren; vgl. Mackenroth, Gerhard: Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan, S. 72f., 75. Vgl. Mackenroth, Gerhard: Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan, S. 43f., 45f.

138

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

Mackenroths Ziel, alle sozialpolitisch wünschenswerten Maßnahmen einer Prioritätenliste zu unterwerfen, trifft auf Rüstows Zustimmung, da auf der Grundlage einer solchen Zusammenfassung systematisch über eine Bündelung staatlicher Transfers auf die Fälle tatsächlicher Bedürftigkeit entschieden werden kann. Die Benennung der gesellschaftlich als notwendig bzw. wünschenswert erachteten sozialen Sicherung ist die Voraussetzung, um die Grenze fesüegen zu können, an der die Eigenversorgung in den Anspruch auf kollektive Hilfestellung übergeht. Rüstow hatte diese Grenze an dem individuellen Existenzminimum festgemacht und darüber hinaus die Gewährung von sozialen Leistungen an einen risikoäquivalenten Beitrag gebunden. Des weiteren stimmen die beiden Wissenschaftler in der Auffassung überein, daß die sozialpolitisch motivierte Umverteilung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht nachhaltig beeinträchtigen darf; dieser Einstellung Rüstows liegt die Überzeugung zu Grunde, daß eine auf Wachstum gerichtete Wirtschaftspolitik am ehesten in der Lage sei, die sozialen Bedingungen, insbesondere für Bezieher niedriger Einkommen, nachhaltig zu verbessern.633 Auf diese Weise lassen sich Einkommen schaffen, die es dem jeweiligen Haushalt ermöglichen, aus eigener Kraft die materielle Existenz sicherzustellen. Im übrigen sehen Mackenroth und Rüstow gleichermaßen die Gefahr, daß eine zu weit angelegte staatliche Sozialpolitik den Umverteilungsprozeß anonymisiert und auf Dauer der Formulierung solcher Ansprüche Vorschub leistet, die über die Sicherung der Existenz hinausgehen.634 Von dieser letzten Überlegung ausgehend, warnt Rüstow noch etwas dezidierter als Mackenroth vor den negativen Auswirkungen anhaltender Finanzhilfen auf das individuelle Verhalten. Die grundsätzliche Notwendigkeit einer stärker koordinierten Sozialpolitik führte in der Folge der Mackenrothschen Arbeiten zu weiteren wissenschaftlichen bzw. politischen Initiativen, die sich in Form von Gremienarbeit und Publikationen äußerten. In allen diesen Vorhaben, deren wichtigste nachfolgend chronologisch aufgeführt sind, kommt das Bemühen zum Ausdruck, die sozialpolitische Diskussion zu entideologisieren, sie auf eine sachliche Basis zu bringen und die Politik im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der Sozialpolitik zu beraten:635

633 634

635

Vgl. Rüstow, Alexander: Wir fordern eine zielklare Wirtschafts- und Sozialpolitik, S. 210. Vgl. Mackenroth, Gerhard: Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan, S. 44f. Vgl. Zacher, Hans F.: Sozialpolitik, Verfassung und Sozialrecht im Nachkriegsdeutschland, S. 183ff., 200, 206, 210ff., 215; Frerich, Johannes/Frey, Martin: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 416f£; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung: Sozialbericht 1997, S. 5; Tuchtfeldt, Egon: Das Sozialbudget der Bundesrepublik Deutschland und sein Erkenntniswert, S. 108.

4.2. Leistungsgerechtigkeit und Umverteilung

139

1. Mackenroth, Gerhard: Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan (1952), Die Verflechtung der Sozialleistungen (1954), 2. Achinger, Hans et al.: Zur Neuordnung der sozialen Hilfe. Konzept für einen Deutschen Sozialplan (1954), ders.: Neuordnung der sozialen Leistungen. Denkschrift im Auftrag der Bundesregierung (1955), 3. Schreiber, Wilfried: Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft (1955), 4. Auerbach, Walter et al.: Sozialplan für Deutschland. Auf Anregung der SPD (1957), 5. Schaffung des Sozialbeirates im Zuge der Rentenreform (1957), 6. Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland (ab 1963), 7. Einsetzung der Sozialenquete-Kommission durch die Bundesregierung (1964-66), 8. Schmidt, Klaus-Dieter et al: Sozialhaushalt und Wirtschaftskreislauf in der Bundesrepublik Deutschland 1950-1960, Umverteilung des Volkseinkommens in der Bundesrepublik Deutschland 1955 und 1960 (beide 1965), 9. Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung (ab 1967), 10. Erstellung des Sozialbudgets durch die Bundesregierung (ab 1968), 11. Veröffentlichung des ersten Sozialberichts durch die Bundesregierung (1970), 12. Einsetzung der Kommission für den wirtschaftlichen und sozialen Wandel (1971) und Veröffentlichung ihres Berichts (1976), 13. Einsetzung der Transfer-Enquete-Kommission (1977) und Veröffentlichung ihres Berichts (1981). Ziel dieser Initiativen war es, eine empirisch-wissenschaftliche Grundlage zu schaffen, die Aufschluß über die Einkommensentwicklung, die Einkommens- und Vermögensverteilung, den sozialpolitischen Transferbedarf sowie die Wirksamkeit sozialpolitischer Maßnahmen geben sollte. Einige dieser Initiativen waren als wissenschaftliche Untersuchungen nur auf einen befristeten Zeitraum ausgelegt; bei anderen änderten sich im Zeitablauf die Intentionen. In dem sogenannten Sozialbudget, dessen begriffliche Prägung auf Mackenroth zurückgeht, 636 ist jedoch ein Institut entstanden, das von seinem Ansatz her am ehesten in die Richtung des Mackenrothschen Sozialplans geht und bis in die Gegenwart weiterentwickelt wurde. Aus diesem Grund soll an Hand des Sozialbudgets exemplarisch überprüft werden, ob und inwieweit dieses den Mackenrothschen Vorstellungen einer systematischen Basis entspricht, auf der eine effiziente Sozialpolitik gestaltet werden kann.

636

Vgl. Tuchtfeldt, Egon: Das Sozialbudget der Bundesrepublik Deutschland und sein Erkenntniswert, S. 106.

140

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

1966 veröffentlichte die Sozialenquete-Kommission ihren Bericht und kennzeichnete darin das Sozialbudget als die Summe aller sozialen Aufwendungen, die von der öffentlichen Hand kraft Gesetzes getätigt werden.637 Mit Bezug auf die Sozialenquete-Kommission wurde 1968 durch die Bundesregierung zum ersten Mal ein Sozialbudget aufgestellt. Mit der doppelten Zweckbestimmung einer Informations- und Entscheidungshilfe wollte die Regierung Art, Ausmaß und Struktur aller Sozialleistungen ermitteln, die von den Gebietskörperschaften und den Sozialversicherungsträgern in den verschiedenen Bereichen der sozialen Sicherung aufgebracht wurden.638 Darin ist der - von Mackenroth geforderte - Versuch zu erkennen, alle denkbaren Sicherungsansprüche an das Sozialprodukt als Grundlage für eine sozialpolitische Prioritätenliste zu erfassen. Ein erhebliches Problem bei der Ermittlung des Sozialbudgets ergab sich jedoch aus der anfänglich lückenhaften Datenerfassung; hinzu kam, daß eine nur bedingt aufschlußreiche Abgrenzung nach institutionellen Bereichen gewählt wurde. Bei dieser Systematik geben die Größen lediglich einen Eindruck von dem Umfang der Sozialleistungen, die von den verschiedenen Sozialleistungsträgern insgesamt aufgewandt werden; sie läßt jedoch keinen Einblick in die qualitative Verteilung der Gesamtausgaben nach Zielgruppen oder sozialpolitischen Sachverhalten zu. Dieser Mangel schließt eine Festlegung von Prioritäten im Sinne Rüstows aus, da keine Anhaltspunkte über Bedürftigkeit und subsidiäre Alternativen geliefert werden. Allerdings veranschaulichte die institutionelle Einteilung in acht Haupt- und über dreißig Untergruppen die Zersplitterung des deutschen Sozialversicherungssystems.639 Die Mängel bei der Erfassung sozialer Aufwendungen im Rahmen des Sozialbudgets wurden im Zeitablauf zwar erheblich reduziert; so wurde die institutionelle Gliederung durch eine funktionale ergänzt, um das Ausmaß der Sozialleistungen

637

638

639

Vgl. Bogs, Walter et al.: Soziale Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland. Bericht der Sozialenquete-Kommission, Stuttgart et al. 1966, S. 151. Dies gilt einschließlich des Wohngeldes, des Familienlastenausgleichs, der Ausbildungsund Vermögensförderung, des Lastenausgleichs sowie der Wiedergutmachung; vgl. Krüsselberg, Hans-Günter: Vitalvermögenspolitik und die Einheit des Sozialbudgets, S. 146; Farny, Dieter: Sozialversicherung, S. 161; Tuchtfeldt, Egon: Das Sozialbudget der Bundesrepublik Deutschland und sein Erkenntniswert, S. 109. Zu den Hauptgruppen gehören das allgemeine System (Altersrenten, Kranken-, Unfall-, Arbeitslosenversicherung usw.), die Sondersysteme (Altersrenten für Landwirte und freie Berufe), das beamtenrechtliche System, die Arbeitgeberleistungen (soweit sie nicht als Arbeitgeberbeiträge unter das Allgemeine System fallen), die Entschädigungen (mit dem Hauptposten Kriegsopferversorgung), die Sozialen Hilfen und Dienste (wovon allein die Hälfte auf Sozialhilfe entfällt), die indirekten Leistungen (vor allem steuerlicher A r t und im Wohnungswesen); vgl. Tuchtfeldt, Egon: Das Sozialbudget der Bundesrepublik Deutschland und sein Erkenntniswert, S. 113f.; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung: Sozialbericht 1997, Tabelle 1-4.1, S. 286.

4.2. Leistungsgerechtigkeit und Umverteilung

141

in den einzelnen Feldern der Sozialpolitik (Ehe und Familie, Gesundheit, Beschäftigung, Alter, Übrige) zu kennzeichnen. 640 Gleichwohl wurden andere Schwächen im Konzept des Sozialbudgets nicht behoben. So werden etwa nach wie vor diverse privatwirtschaftliche Leistungen von der Erfassung ausgeklammert.641 Darüber hinaus leidet die Aussagefähigkeit an einer mangelnden Disaggregation der bestehenden Zahlungsströme. Ferner gibt das Sozialbudget keinen Aufschluß über die individuelle Lebenslage sowie über eine Kumulation von Einkommen und Sozialleistungen in einem Haushalt, so daß es nicht möglich ist, das tatsächliche Ausmaß der Redistributionseffekte offenzulegen.642 Schließlich lassen sich auf der Grundlage des Sozialbudgets keine gesicherten Rückschlüsse auf den Wirkungsgrad einzelner sozialpolitischer Maßnahmen ziehen. Vor diesem Hintergrund erreicht das Sozialbudget seine doppelte Zweckbestimmung nur eingeschränkt.643 Vergleicht man diese Entwicklung mit den Mackenrothschen (und Rüstowschen) Forderungen, so muß festgestellt werden, daß deren wesentliche Zielsetzung in Gestalt einer Datenbasis, auf deren Grundlage eine Ermittlung des sozialen Transferbedarfs sowie eine Bewertung der Effizienz und Inzidenzwirkungen der Sozialleistungen möglich sein sollte, nicht umgesetzt wurde. Die Gründe dafür sind vielschichtig; zum einen ist es schwierig, Effizienz und Wirkungsweisen von Sozialleistungen qualitativ zu messen. Darüber hinaus ist zu vermuten, daß detaillierte Aussagen über die Wirksamkeit sozialpolitischer Aktivitäten auf ein geteiltes Interesse stoßen könnten; im Falle nachgewiesener Ineffizienz müßten betroffene Sozialleistungen abgesetzt werden, was allerdings aus Klientelinteresse unerwünscht sein könnte. Auf jeden Fall wurde die bestehende, unzureichende Informations- und Entscheidungssituation durch die deutsche Wiedervereinigung, bei der zwei gänzlich verschiedene soziale Sicherungssysteme aufeinandertrafen, sogar noch verschärft.644

640

641

642

643

644

Vgl. Frerich, Johannes/Frey, Martin: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, S. 417f.; Tuchtfeldt, Egon: Das Sozialbudget der Bundesrepublik Deutschland und sein Erkenntniswert, S. 114; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung: Sozialbericht 1997, Tabelle 1-3.1, S. 282. Dazu gehören vor allem die Leistungen der privaten Versicherungen, die der Vorsorge dienenden privaten Sparguthaben, die familiären Pflegeleistungen, die Selbstmedikation sowie betriebliche Leistungen; vgl. Tuchtfeldt, Egon: Das Sozialbudget der Bundesrepublik Deutschland und sein Erkenntniswert, S. 125f. Vgl. Tuchtfeldt, Erkenntniswert, Vgl- Tuchtfeldt, Erkenntniswert, Vgl. Tuchtfeldt, Erkenntniswert,

Egon: Das Sozialbudget der Bundesrepublik Deutschland und sein S. 128. Egon: Das Sozialbudget der Bundesrepublik Deutschland und sein S. 120£, 129. Egon: Das Sozialbudget der Bundesrepublik Deutschland und sein S. 128f.

142

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

Um eine Vorstellung von der Größenordnung des diskutierten Sozialbudgets zu geben, wird dessen Wachstum in der folgenden Tabelle dargestellt und in das Verhältnis zum BIP gesetzt. Tabelle II: Sozialbudget für die Bundesrepublik Deutschland645 Jahr

Sozialbudget

in Mrd. DM

Veränderung zum jeweiligen Vorjahr in %

BIP

Sozialleistungsquote b

in Mrd. DM

Veränderung zum jeweiligen Vorjahr in %

1961

73,0

11,2

22,0

331,7

9,6

1970

175,8

15,4

26,0

675,1

13,1

1975

343,2

15,1

33,4

1.026,0

4,3

1980

474,1

8,2

32,2

1.471,5

6,0

1989

671,9

2,7

30,2

2.224,4

6,1

1992"

998,9

13,1

32,4

3.078,6

7,9

1995

1.177,9

6,3

34,0

3.459,6

3,9

1996

1.236,1

4,9

34,9

3.541,5

2,4

1997

1.256,1

1,6

34,4

3.654,1

3,2

"Ab 1992 für das gesamte Bundesgebiet b

Sozialleistungen im Verhältnis zum BIP in %

Die Entwicklung macht deutlich, daß die soziale Sicherung einen stetig wachsenden Anteil am BIP in Anspruch genommen hat. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Rüstow schon 1956 bzw. 1959 das damalige Ausmaß der Sozialaufwendungen kritisiert und erhebliche Verteilungsmängel konstatiert hatte, da die überwiegenden Teile dieses Aufwands nicht auf der Basis einer Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung ausgetauscht, sondern nach politischen Vorgaben umverteilt wurden. Bei gleicher Gelegenheit drückte er seine Verwunderung aus, daß trotz der — in dem BIP-Wachstum zum Ausdruck kommenden — gesell645

Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung: Sozialbericht 1997, Tabelle 1-1, S. 278.

4.2. Leistungsgerechtigkeit und Umverteilung

143

schaftlichen Wohlstandsmehrung die Aufwendungen für die soziale Sicherung überproportional zugenommen hätten.646 Diese Korrelation bestätigt die von Rüstow skizzierten Szenarien, nach denen dauerhafte Alimentationen die individuelle Eigenständigkeit beeinträchtigen und beim Empfänger Verhaltensänderungen im Sinne von Gewöhnungserscheinungen und der Herausbildung einer Anspruchsmentalität auslösen können. 4.2.2.2. Die mangelnde Informationsleistung des Sozialbudgets als eine Ursache für Inkonsistenzen in der praktizierten Sozialpolitik Konzentriert man den Blick von der konzeptionellen Ebene auf die praktizierte Sozialpolitik, so läßt sich in Ergänzung zu den Ergebnissen in dem Abschnitt zur Realisierung des Äquivalenzprinzips (4.2.1.) feststellen, daß sich die Vergabepraxis in den verschiedenen Sozialversicherungszweigen von dem Grundsatz der Äquivalenz entfernt hat. Die mangelnde Informations- und Entscheidungshilfe des Sozialbudgets läßt Art und Ausmaß der gegenwärtigen Umverteilung verdeckt und leistet somit einen Beitrag, daß bestehende Ineffizienzen und Inkonsistenzen bei der Gewährung kollektiver Mittel nicht im Sinne des Äquivalenzprinzips korrigiert werden. Zwar wurden innerhalb des bestehenden Sozialversicherungssystems unterschiedliche Gewährungsmodalitäten, etwa im Rahmen des Familienlastenausgleichs oder der Gleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten, vereinheitlicht. So betraf die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten neben deren Witwenversorgung durch die unterschiedlichen Rentenversicherungsträger insbesondere die Lohn for tzahlung im Krankheitsfall.647 Am Beispiel der Lohnfortzahlung wird allerdings das Dilemma deutlich, das mit der Gleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten verbunden ist: Einerseits hat die Gleichstellung die innere Systematik verbessert, indem vergleichbare Tatbestände in gleicher Weise behandelt werden. Andererseits aber ist zu berücksichtigen, daß es sich - wie in dem Abschnitt ,Die Ausweitung der Leistungsbreite bei gegebenem Personenkreis' (4.2.1.1.2.) dargestellt — bei der Lohnfortzahlung in ihrer gegenwärtigen Ausprägung um einen Fremdkörper in der auf Äquivalenz und Bedürftigkeit gründenden Konzeption Rüstows handelt. Wird nun innerhalb dieses Fremdkörpers eine Systematisierung vorgenommen, so vereinfacht sie dessen Organisation; allerdings vergrößert sie insgesamt den Abstand der gegenwärtigen Praxis von der 646

Vgl. Rüstow, Alexander: Sicherung in einer freien Gesellschaft, S. 195; ders.: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 129.

647

Vgl. Bethusy-Huc, Viola Gräfin v.: Das Sozialleistungssystem der Bundesrepublik Deutschland, S. 226.

144

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

Rüstowschen Konzeption. Aus diesem Grund steht dem politisch gewollten Fortschritt im Sinne der Gleichbehandlung der konzeptionelle Rückschritt im Sinne der von Rüstow angestrebten Sozialpolitik gegenüber. Es läßt sich nicht quantifizieren, in welchem Ausmaß die gespaltene Entwicklung von sozialpolitischer Praxis und Rüstowscher Konzeption auf eine unvollständige Kenntnis der negativen Auswirkungen einer inkonsistenten Sozialpolitik zurückgeht. Allerdings ist zu vermuten, daß ein unvollständiges Wissen über Umfang, Ausprägung und Wirkung gegenwärtiger Sozialpolitik die Reform des Sozialversicherungssystems beeinträchtigt. Überblicken die politischen Entscheidungsträger nicht die Vielschichtigkeit der ineinandergreifenden sozialpolitisch motivierten Umverteilung, hängt deren Entscheidung über weitere Maßnahmen vor allem von der subjektiven Beurteilung des Wahrgenommenen ab; ein Zustand, dessen Überwindung gerade die Rüstowsche Intention war. In den folgenden Ziffern wird an unterschiedlichen Beispielen der Abstand skizziert, der gegenwärtig zwischen der Vergabepraxis sozialer Leistungen und den Vorstellungen Rüstows von einer durch die Gleichwertigkeit gekennzeichneten Erfüllung vertraglicher Ansprüche besteht. 1. Vergleichbare Tatbestände werden je nach Sozialleistungsträger auf der Grundlage verschiedener Leistungsvoraussetzungen ungleich behandelt. So variieren die Leistungsvoraussetzungen bei der Gewährung von Arbeitsunfähigkeitsrenten je nachdem, ob die Ursache alters-, krankheits-, unfall- oder kriegsbedingt ist. Wäre das zu Grunde liegende Sozialversicherungssystem im wesentlichen an dem Grundsatz der Äquivalenz ausgerichtet, könnten in den variierenden Leistungsvoraussetzungen unterschiedliche Risikoklassen und Schadenseintrittswahrscheinlichkeiten zum Ausdruck kommen. Da aber das realisierte Sozialleistungssystem nicht nach dem Äquivalenzprinzip organisiert ist, sondern nach politischen Vorgaben umverteilt, ist eine Ungleichbehandlung der aufgeführten Tatbestände in der Logik des gegenwärtigen Systems nicht zu rechtfertigen. 2. Neben der oben beschriebenen Mehrgleisigkeit wird die Übersichtlichkeit des Sozialleistungssystems ferner durch die sogenannte Mehrschichtigkeit beeinträchtigt. Sie beruht auf dem Umstand, daß verschiedene Träger unterschiedliche Leistungen ein und derselben Empfängergruppe gewähren. Am Beispiel des Familienlastenausgleichs (FLA) wird das besonders deutlich, da in ihm Kindergeld, familienstandabhängige Ortszuschläge, Steuerfreibeträge und familienbevorzugende Leistungen der GKV in einer schwer überschaubaren Weise zusammenwirken, 648 die sich sowohl von der Entrichtung leistungsäquivalenter Beiträge als auch von dem Grundsatz der Bedürftigkeit abgekoppelt hat.

648

Vgl. Bethusy-Huc, Viola Gräfin v.: Das Sozialleistungssystem der Bundesrepublik Deutschland, S. 249.

4.2. Leistungsgerechtigkeit und Umverteilung

145

3. Da die einzelnen Sozialleistungen nach Art bzw. Trägerschaft nicht (ausreichend) miteinander verknüpft sind, kommt es möglicherweise über die Kombination verschiedener Tatbestände zu einer Häufung sozialpolitischer Transfers. Einerseits ist es denkbar, daß eine Person auf Grund verschiedener Tatbestände zum Bezug mehrerer Sozialleistungen berechtigt ist; so fallen etwa Leistungen aus der Renten- und Unfallversicherung sowie der Kriegsopferversorgung zusammen. Andererseits können mehrere Mitglieder einer Familie (eines Haushalts) zum Bezug mindestens einer Sozialleistung berechtigt sein; eine Kumulation dieser Art ist beispielsweise dann gegeben, wenn in einem Haushalt Rentenzahlungen, Arbeitslosenunterstützung sowie Leistungen aus dem BAföG zusammenfließen. 649 Über das mögliche Zusammentreffen sozialer Transfers in einem Haushalt gibt das Sozialbudget auch in seiner gegenwärtigen Form eine nur mangelhafte Auskunft. Die aufgeführten Beispiele stützen die These von der überwiegenden Bedeutung des — in Rüstows Diktion - Prinzips der distributiven Gerechtigkeit im Vergleich zum Äquivalenzprinzip, was einer Umkehrung der von Rüstow angestrebten Verhältnisse entspricht.650 Darüber hinaus verdeutlichen sie Inkonsistenzen in der gegenwärtigen Sozialpolitik; dies gilt sowohl für deren konzeptionelle Grundlagen, was am Beispiel des Sozialbudgets demonstriert wurde, als auch für den realen Vollzug sozialpolitisch motivierter Transfers. Konzentriert man den Blick auf die von Mackenroth geforderte Erstellung eines Sozialplans als Grundlage einer systematischen, in sich geschlossenen Sozialpolitik, so muß festgestellt werden, daß diese Forderung bis in die Gegenwart nicht zufriedenstellend erfüllt worden ist;651 die in den Punkten 1—3 beschriebenen Inkonsistenzen sind dabei als unmittelbare Konsequenz einer mangelhaften Kenntnis sozialpolitischer Wirkungsketten zu werten. Festzuhalten bleibt ferner, daß in der dargestellten Entwicklung die Befürchtungen Rüstows (und Mackenroths) im Hinblick auf eine ineffiziente Sozialpolitik bestätigt werden. Will man eine Neuordnung der Sozialpolitik in Angriff nehmen, so böte sich eine Rückbesinnung auf die von Mackenroth bereits vor 50 Jahren aufgestellten Richtlinien an; diese wurden — wie gezeigt - bislang nur unzureichend berücksichtigt.

649

Vgl. Transfer-Enquete-Kommission: Das Transfersystem in der Bundesrepublik Deutschland, S. 108ff., 187f.; Mackenroth, Gerhard: Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan, S. 50, 62.

650

Vgl. Rüstow, Alexander: Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes, S. 132. Vgl. Tuchtfeldt, Egon: Das Sozialbudget der Bundesrepublik Deutschland und sein Erkenntniswert, S. 129.

651

146

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Riistowscher Grundsätze

Ein zentrales Element einer konzeptionellen Erneuerung im Rüstowschen Sinne bestünde in der Konzentration sozialer Transfers auf tatsächlich bedürftige Personen. Damit würde nicht nur die Übersichtlichkeit wiederhergestellt; es würde darüber hinaus auch das Umverteilungsvolumen mit der Folge reduziert, daß über die originäre Einkommensverteilung in die Haushalte gelangte Finanzmittel in einem Umfang dort verblieben, die deren Eigenversorgung ermöglichten; die sekundäre Umverteilung könnte dann mit dem Maßstab der Bedürftigkeit auf ein Minimum gesenkt werden. Notwendige Voraussetzung ist der von beiden Wissenschaftlern angemahnte gesellschaftliche Konsens im Hinblick auf die sozialpolitischen Prioritäten sowie die Kriterien, an Hand derer eine Reihenfolge der Prioritäten bestimmt werden kann.652 Die Aufstellung sozialpolitischer Ziele und Prioritäten läßt sich allerdings nur sachlich durchführen, wenn ausreichende Informationen über die sozialen Lebensumstände innerhalb der Haushalte, besonders im Hinblick auf deren Einkommens- und Vermögensverteilung, existieren. Trotz möglicher technischer Schwierigkeiten ist es erst auf der Grundlage einer Sozialstatistik, die die makroökonomischen Aggregate bis auf die Ebene der unterschiedlichen sozialen Gruppen aufschlüsselt, möglich, den tatsächlichen Bedarf an Sozialleistungen zu ermitteln und, den Vorstellungen Rüstows folgend, auf ein notwendiges Minimum zu beschränken.

652

Vgl. Bethusy-Huc, Viola Gräfin v.: Das Sozialleistungssystem der Bundesrepublik Deutschland, S. 224.

4 . 3 . Nachhaltigkeit und innere Geschlossenheit in der Wirtschaftspolitik Nachdem die beiden für Rüstow wichtigen Grundsätze der Subsidiarität und der Leistungsgerechtigkeit behandelt wurden, wird schließlich auf seine Forderung nach einer in sich geschlossenen, den langfristigen Wirkungsketten Rechnung tragenden Wirtschaftspolitik eingegangen. In diesem dritten Grundsatz spiegelt sich sein interdisziplinäres Lebenswerk wider: Seine fächerübergreifenden Kenntnisse lassen ihn immer wieder mahnen, bei (wirtschafts-) politischen Entscheidungen nicht nur die direkten Auswirkungen auf das im Mittelpunkt stehende Primärziel, sondern auch die indirekten Konsequenzen für angrenzende Politikbzw. Wirtschaftsbereiche zu berücksichtigen. Seine Grundsätze der Nachhaltigkeit und inneren Geschlossenheit sollen an einem Bereich der Wirtschaftspolitik untersucht werden, der auf den Erhalt und die Förderung des Wettbewerbs gerichtet ist. Diesem wirtschaftspolitischen Teilbereich kommt nicht nur in dem Konzept Rüstows eine vorrangige Bedeutung zu;653 offene und wettbewerblich organisierte Märkte spielen auch als eines der konstituierenden Prinzipien Euckens in der ordoliberalen Konzeption der Wirtschaftspolitik eine zentrale Rolle.654 Auf Grund dieser herausgehobenen Stellung werden die wettbewerbsbezogenen Aussagen Rüstows aufgegriffen und auf ihre gegenwärtige Relevanz hin untersucht. Am Beispiel von Subventionen wird in dem Abschnitt über die ,liberalen Interventionen' als Maßstab für die Praxis der Subventionsvergabe in Deutschland (4.3.1.) geprüft, inwieweit deren gegenwärtige Vergabepraxis sich an Rüstows Konzept der ,liberalen Interventionen' orientiert und auf der Grundlage zeitlich sowie materiell begrenzter Subventionen das Rüstowsche Ziel eines nachhaltigen Strukturwandels unterstützt. Abschließend wird in dem Abschnitt ,Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen als Umsetzung der wettbewerbspolitischen Vorstellungen Rüstows, (4.3.2.) an Hand des GWB gezeigt, inwieweit dessen gesetzlich verankerte Grundsätze, insbesondere im Hinblick auf das Kartellverbot, bei der Anwendung des Gesetzes auch tatsächlich berücksichtigt werden.

4.3.1. Die .liberalen Interventionen' als Maßstab für die Praxis der Subventionsvergabe in Deutschland Wird bei einer Gewährung von Leistungen die Bedingung der marktmäßig äquivalenten Gegenleistung aufgehoben, so erfolgt deren Verteilung nach anderen, in 653

654

Vgl. dazu ausführlicher den Abschnitt zu Rüstows Gedanken im Hinblick auf die Entstehung von Marktmacht (3.4.1.). Vgl. Eucken, Walter: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 264ff.

148

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

der Regel sozialpolitischen Kriterien. Diese Art von Verteilung ist nach Rüstow dann gerechtfertigt, wenn Bedürftigkeit vorliegt und die Subventionen darauf gerichtet sind, die Anstrengungen des Empfängers zu unterstützen und das Wirtschaftssubjekt (wieder) in die Selbständigkeit zu führen. Rüstow läßt diese Bedingung für jedes Wirtschaftssubjekt gelten, gleichgültig, ob es sich um ein Individuum oder ein Unternehmen handelt. Da er sich in Form der,liberalen Interventionen' explizit zur Subventionsproblematik geäußert hat, werden sich die weiteren Ausführungen auf den Unternehmenssektor konzentrieren. In diesem Konzept der ,liberalen Interventionen' hatte Rüstow die Forderung aufgestellt, daß finanzielle Hilfen nur gewährt werden dürften, wenn sie tatsächlich geeignet seien, den Strukturwandel zu beschleunigen und im Einzelfall dessen Anpassungskosten zu minimieren. Außerdem hatte er die Bedingung gestellt, die Subventionen von Beginn an zeitlich zu befristen und degressiv zu gestalten, damit dem Empfänger deren Ausnahmecharakter sowie deren Bedeutung als ,Hilfe zur Selbsthilfe' deutlich werde. Entscheidend ist für Rüstow schließlich, daß die gewährten Transfers den Marktmechanismus in Kraft lassen und nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen.655 Mit diesen Forderungen stellt er sich gegen jede Art langfristiger Umverteilung, weil er negative Auswirkungen auf die Verhaltensweisen antizipiert; auf Dauer, so Rüstow, gewöhnt sich das Unternehmen an die gewährte Hilfe und schließt dessen Empfang in seine Kalkulation ein. Dadurch erlahmt der Antrieb, eine Verbesserung der individuellen Situation zunächst aus eigener Kraft anzustreben.656 Die Problematik unzureichender Eigenständigkeit sieht Rüstow in der Abhängigkeit des Empfängers von Dritten. Abhängigkeiten können mißbraucht werden und möglicherweise Freiheit und Würde des Betroffenen gefährden; dies trifft auf seinen grundsätzlichen Widerstand. Neben diesen ethischen Bedenken steht für ihn die Beeinträchtigung der Selbstheilungsfähigkeit der Märkte im Vordergrund. Wie erwähnt, ist das Ziel der Rüstowschen Interventionen eine Abfederung des Strukturwandels in der durch die Marktkräfte eingeschlagenen Richtung, um deren Anpassungskosten zu minimieren.657 Damit liegt die primäre Bedeutung der .liberalen Interventionen' Rüstowscher Konzeption in der sozialen Abfederung unvermeidbarer struktureller Änderungen, ohne jedoch den Marktmechanismus zu beeinträchtigen. 658 Allerdings hat sich unter dem politischen Einfluß, den parlamentarische Demokratien auf die Wirtschaftsordnung ausüben, seit Mitte der 60er Jahre die vorwiegend sozialpolitische Ausrichtung der .liberalen Interventionen' verlagert; Ziel ist es inzwi-

657

Vgl. dazu ausführlicher den Abschnitt,Liberale Intervention' (3.4.1.2.). Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 64. Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 64f.

658

Vgl. Starbatty, Joachim: Strukturpolitik im Konzept der Sozialen Marktwirtschaft? S. 7.

655 656

4.3. Nachhaltigkeit und innere Geschlossenheit in der Wirtschaftspolitik

149

sehen nicht mehr nur, den Strukturwandel abzufedern, sondern diesen auch im Sinne einer vorausschauenden Strukturpolitik durch den Staat gezielt in die Richtung zukunftsträchtiger Industrien zu lenken. Diese Akzentverschiebung läuft auf einen Paradigmenwechsel hinaus, dem die Auffassung zu Grunde liegt, die marktmäßige Allokation sei suboptimal und bedürfe einer staatlichen Korrektur bzw. Ergänzung.659 Mit Rüstows .liberalen Interventionen' stimmt diese - im politischen System begründete — Konzeption der gestaltenden Strukturpolitik nicht überein; sie ist aber weitgehend bestimmend für die reale Entwicklung der Subventionsvergabe in der Bundesrepublik. Der gezielte Einsatz öffentlicher Transfers als sektorales Förderinstrument unterstellt, daß politische und administrative Entscheidungsträger ex ante über Informationen verfügen, die den unmittelbaren Marktteilnehmern erst nach erfolgtem Marktprozeß zugänglich sind. Hayek nennt diese Art des Unterstellens von Kenntnissen eine ,Anmaßung von Wissen' und lehnt sie entschieden ab.660 Zwar steht das Rüstowsche Konzept der .liberalen Interventionen' im Prinzip vor dem gleichen Prognoseproblem, da es mit seiner Forderung nach einer befristeten, marktkonformen Intervention darauf angewiesen ist, wenn nicht das Ergebnis, so doch zumindest die Richtung des Marktprozesses zu antizipieren. Gleichwohl spielt dieses Problem bei Rüstow eine untergeordnete Rolle; zum einen will Rüstow keinen Strukturwandel initiieren, sondern nur unterstützen; zum anderen ist das Volumen einer strukturanpassenden Intervention im Sinne Rüstows erheblich geringer als das einer strukturlenkenden. Und schließlich ist das Erkennen der Richtung, in die die Marktprozesse zielen, leichter möglich, als die Fesdegung konkreter Ergebnisse. Diese Überlegungen ergeben sich auch aus der Rüstowschen Ablehnung langfristig gewährter Subventionen, die — seiner Meinung nach - dem Strukturwandel die immanente Selbststeuerungsfähigkeit nehmen. Alimentationen befreien die Wirtschaftssubjekte von dem Druck, im Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern um die beste Lösung zu ringen. Der nachlassende Druck steht einer kontinuierlichen Verbesserung von Leistungen und Verfahren entgegen und führt dauerhaft zu Fehlallokationen; gesamtwirtschaftlich folgen Wohlfahrtsverluste sowie strukturelle Verwerfungen. Als Beispiel verweist Rüstow auf die wirtschaftlichen Krisen der 20er und 30er Jahre, die für ihn zu wesentlichen Teilen auf den Interventionismus und Subventionismus des Weimarer Staates zurückzuführen sind.661

659

660 661

Vgl. Starbatty, Joachim: Strukturpolitik im Konzept der Sozialen Marktwirtschaft? S. 8 , 1 4 f . Vgl. Hayek, Friedrich A. v.: Die Anmaßung von Wissen, S. 15, 20f. Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 62f.

150

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

Im folgenden wird geprüft, inwieweit die Bedingungen, die Rüstow in seinem Konzept der ,liberalen Interventionen' formuliert hat, bei der Subventionsvergabe in Deutschland berücksichtigt werden. Zunächst wird geklärt, was unter dem Begriff der Subventionen 2u subsumieren ist; danach wird am Verlauf der Subventionsentwicklung überprüft, ob von einem Ausnahmecharakter der bestehenden Transfers zu sprechen ist. Des weiteren wird der Frage nachgegangen, ob die eingesetzten Mittel tatsächlich zielführend im Rüstowschen Sinne eines nachhaltigen Strukturwandels gewirkt haben. Abschließend werden an einigen Beispielen die wettbewerbsverzerrenden Wirkungen der gewährten Subventionen skizziert. 4.3.1.1. Art und Ausmaß der Subventionen in Deutschland Rüstow definiert in seinen Schriften den Subventionsbegriff nicht abschließend; gleichwohl ergibt sich aus der Summe seiner Äußerungen dessen weite Fassung unter Einschluß sämtlicher Hilfen in Form direkter Zahlungen, Steuervergünstigungen oder sonstiger Beihilfen an private und öffentliche Wirtschaftssubjekte.662 Im folgenden wird diese Interpretation mit der offiziellen Definition, die von der Bundesregierung in ihrem regelmäßigen Subventionsbericht vertreten wird, verglichen. Deren Grenzen sind deutlich enger gefaßt und beschreiben daher nur ein unvollständiges Bild des tatsächlich gewährten Subventionsvolumens. Die wesentlichen materiellen und institutionellen Abgrenzungen beziehen sich auf folgende Punkte:663 — Außer den Zuweisungen und Vergünstigungen, die der Bund aus seinem Haushalt finanziert, werden die Finanzhilfen der Länder und Gemeinden, der Europäischen Union, der Treuhandanstalt (THA) bzw. der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), der Bundesanstalt für Arbeit sowie — bis 1996 - des Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleeinsatzes nicht als Subventionen berücksichtigt. — Als Subventionsempfänger werden keine bundeseigenen Stellen berücksichtigt; damit werden beispielsweise die erheblichen Summen, die der Deutschen Bundesbahn bis zu ihrer Umwandlung in eine privatrechtliche Rechtsform 1993 zugeflossen sind, ausgeklammert. — Sozialpolitisch motivierte Zahlungsströme (Wohngeld, Versorgungsleistungen an Beschäftigte in der Landwirtschaft oder im Bergbau) werden nicht im Subventionsbericht aufgeführt.

662 663

Vgl. zur Begründung den Gedankengang im Anschluß an die nachstehende Aufzählung. Vgl. Boss, Alfred/Rosenschon, Astrid: Subventionen in Deutschland, S. 3f.

4.3. Nachhaltigkeit und innere Geschlossenheit in der Wirtschaftspolitik

151

— Transfers, die der Erfüllung allgemeiner Staatsaufgaben dienen, sowie infrastrukturelle Maßnahmen und Lohnsubventionen werden qua definitione nicht als Subventionen angesehen. Im Rahmen der subsidiären Aufgabenverteilung zwischen Staat und privaten Haushalten hat Rüstow für eine weitgehende Dezentralisierung der Verantwortlichkeiten, insbesondere bei der Erstellung von Gütern und Dienstleistungen, plädiert; neben pädagogischen Gründen im Hinblick auf die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten, hat er dies vor allem aus Effizienzgründen gefordert. 664 Überträgt man diese Position auf den gegenwärtigen Kontext der Subventionen, so widerspricht sie der oben beschriebenen Ausklammerung weiter Bereiche staatlicher Transfers: Die Dezentralisierung von Verantwortlichkeiten ist auf die Stärkung der Eigenständigkeit gerichtet. Wo diese Eigenständigkeit nicht aus eigener Kraft erreicht wird, gesteht Rüstow vorübergehende Hilfe zu, die die Verwirklichung der Eigenständigkeit unterstützen soll. Da die Hilfeleistungen aus kollektiven Mitteln finanziert werden, muß deren verantwortungsvolle und sparsame Verwendung gewährleistet sein; dies setzt eine vollständige Erfassung jeder Art von Beihilfen an öffentliche oder private Wirtschaftseinheiten voraus. Eine Nichterfassung gewährter Mittel verschleiert zwar deren Existenz, sie verhindert aber nicht die von Rüstow antizipierten negativen Verhaltensänderungen, deren Vermeidung für ihn im Vordergrund steht. Die weitgehende Ausgrenzung von Subventionstatbeständen aus der offiziellen Zählung legt die Vermutung nahe, daß das tatsächliche Ausmaß der gewährten Subventionen nicht vollständig ausgewiesen werden soll, um einer öffentlichen Rechenschaftslegung über die Effizienz der eingesetzten Subventionen auszuweichen. Dies führt zu der — von Rüstow bereits zu Beginn der 30er Jahre herausgearbeite 665 - Erkenntnis, nach der Subventionen auf Dauer nicht geeignet sind, Strukturen den Notwendigkeiten einer dynamischen Wirtschaft anzupassen; vielmehr konservieren sie bestehende Strukturen und tragen zu einer Perpetuierung bestehender Probleme bei; gegenwärtig gilt dies etwa für die Landwirtschaft, den Wohnungs- und Bergbau oder die Arbeitsmärkte. Die in diesen Sektoren gewährten Subventionen wurden bei ihrer Einrichtung in der Regel nicht auf Dauer bewilligt;666 statt dessen waren sie Teil eines ordnungspolitisch vertretbaren Anpassungsziels. Gleichwohl zeigt die Er-

664 665 666

Vgl. dazu ausfuhrlicher den Abschnitt zur subsidiären Verantwortung des Staates (4.1.1.). Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 66f. Vgl. Hamel, Hannelore: Soziale Marktwirtschaft: Anspruch und Realität eines ordnungspolitischen Konzepts, S. 123.

152

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

fahrung mit den genannten Beispielen, daß die Subventionen nach Ablauf der Fristen stets verlängert und häufig sogar erhöht wurden.667 Für die Entwicklung der Subventionsvergabe in der Bundesrepublik ist vor diesem Hintergrund insgesamt festzuhalten, daß deren Umfang im Zeitablauf stetig zugenommen hat; dies gilt sowohl für Subventionen, die in Form von Steuervergünstigungen gewährt wurden, als auch für Zahlungen, die auf direktem Weg an Wirtschaftseinheiten geflossen sind.668 Konzentriert man den Blick auf das vergangene Jahrzehnt, so ist ein deutlicher Anstieg der Steuerausfälle in der ersten Hälfte der 90er Jahre durch die Umsatzsteuerbefreiung der Sozialversicherungsträger sowie der Krankenhäuser und Diagnosekliniken zu verzeichnen. Seit 1996 hat der Umfang der Steuervergünstigungen allerdings durch den vereinigungsbedingten Wegfall der Zonenrandförderung sowie durch Herabsetzung der Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz abgenommen. 669 Betrachtet man die direkten Finanzhilfen des Bundes in ihrer erweiterten Abgrenzung, 670 so ist eine ähnliche Entwicklung festzustellen: Bis 1997 kam es zu einer Ausweitung der Bundesleistungen; für die Folgejahre wurde eine Absenkung des Subventionsniveaus zumindest angestrebt. Die Ausweitungen bis 1997 gehen vor allem auf zusätzliche Zahlungen für die soziale Sicherung der Landwirte, für die Wohnraumsubventionierung, für die Privatisierung der Deutschen Bundesbahn und insbesondere für beschäftigungspolitisch motivierte Maßnahmen zurück.671 Ein markantes Beispiel für die dauerhafte Subventionierung einer Branche ist der Steinkohlebergbau; über Jahrzehnte wurden dessen Strukturen mit erheblichen direkten und indirekten Mitteln, die in ihrer Summe zum Teil auf über DM 22 Mrd. jährlich angeschwollen sind, erhalten.672 Erst in den vergangenen Jahren wurde eine Reduzierung der Finanzhilfen für den Steinkohlebergbau beschlossen; so ist vorgesehen, das Volumen der Steinkohlesubventionen zwischen 1996 und 2005 um die Hälfte zu reduzieren.673 Die sektorspezifischen und -übergreifenden Beihilfen der Bundesländer weisen in ihrer Summe, über die Zeit betrachtet, ebenfalls eine steigende Tendenz auf; während in den letzten Jahren bei den sektorspezifischen Finanzhilfen geringere

672

Vgl. Peters, Hans-Rudolf: Sektorale Strukturpolitik, S. 141. Vgl. Boss, Alfred/Rosenschon, Astrid: Subventionen in Deutschland, S. 14ff. Vgl. Boss, Alfred/Rosenschon, Astrid: Subventionen in Deutschland, S. 14. Hierzu wird — im Sinne Rüstows - die weitgefaßte Abgrenzung des Subventionsbegriffs herangezogen, wie sie das Institut für Weltwirtschaft Kiel vornimmt; vgl. Boss, Alfred/Rosenschon, Astrid: Subventionen in Deutschland, S. 13. Vgl. Boss, Alfred/Rosenschon, Astrid: Subventionen in Deutschland, S. 16. Vgl. Peters, Hans-Rudolf: Sektorale Strukturpolitik, S. 143 f.

673

Vgl- Boss, Alfred/Rosenschon, Astrid: Subventionen in Deutschland, S. 28.

667 668 669 670

671

4.3. Nachhaltigkeit und innere Geschlossenheit in der Wirtschaftspolitik

153

Beträge an die Land- und Forstwirtschaft sowie die Fischerei geflossen sind, wurden auf Grund der Bahnregionaüsierung erheblich mehr Mittel in den Sektor Verkehr übertragen. Bei den sektorübergreifenden Finanzhilfen kam es über beschäftigungspolitisch motivierte Maßnahmen zu einer deutlichen Mittelaufstockung. 674 Lediglich die kommunalen Finanzhilfen sind seit 1993 stark zurückgegangen, was sich insbesondere mit den Kürzungen der von den Ländern im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs übertragenen Mittel erklären läßt. Allerdings kommen in dieser rückläufigen Entwicklung solche Subventionen nur mangelhaft zum Ausdruck, die auf kommunaler Ebene verdeckt gewährt werden, indem die Kommune beim Erwerb von Gütern oder Dienstleistungen überhöhte Preise zahlt oder eigenen Baugrund unter Wert an Dritte abgibt.675 Schließlich sind auch die durch die EU gewährten Subventionen kontinuierlich angewachsen; deren wesentlicher Teil entfällt auf Finanzhilfen im Rahmen der Agrarmarktordnungen. 676 In der Tabelle .Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland' ist die Entwicklung der Steuervergünstigungen und Finanzhilfen, die in den vergangenen Jahren gewährt wurden, zusammengefaßt; es wurde die erweiterte Definition des Instituts für Weltwirtschaft Kiel zu Grunde gelegt. Aus der Tabelle ist zu entnehmen, daß sich für das Jahr 1997 der Gesamtbetrag an Finanzhilfen und Steuervergünstigungen auf DM 290,9 Mrd. beläuft. Der vorläufige Höhepunkt wurde infolge der deutschen Wiedervereinigung 1994 mit einem Subventionsvolumen von DM 308,8 Mrd. erreicht. Nach der Auflösung der Treuhandanstalt reduzierte sich das Subventionsvolumen erheblich; heute liegt es wieder etwa auf dem Niveau von vor der Wiedervereinigung. 677 Der Vollständigkeit halber müssen die ausgewiesenen Subventionen um kaum zu beziffernde Aufwendungen in Form von Verwaltungs- und Kontrollkosten, die sowohl bei der öffentlichen Hand als auch bei den privaten (und öffentlichen) Wirtschaftseinheiten anfallen, ergänzt werden.678

674 675 676

677 678

Vgl. Boss, Alfred/Rosenschon, Astrid: Subventionen in Deutschland, S. 18. Vgl. Boss, Alfred/Rosenschon, Astrid: Subventionen in Deutschland, S. 19, 21. „Die Interventionen betreffen Getreide, Reis, Milch und Milcherzeugnisse, Fette, Zukker und Isoglukose, Schweinefleisch, Rindfleisch, Obst und Gemüse, Schaf- und Ziegenfleisch, Rohtabak, Wein, Fischereierzeugnisse, Flachs und Hanf, Eier, Geflügel, Saatgut, Hopfen, Trockenfutter"; Boss, Alfred/Rosenschon, Astrid: Subventionen in Deutschland, S. 21. Vgl. Boss, Alfred/Rosenschon, Astrid: Subventionen in Deutschland, S. 23, 28. Vgl. Boss, Alfred/Rosenschon, Astrid: Subventionen in Deutschland, S. 26.

154

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

Tabelle III: Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland 1993

1994

1995

1996

1997

57,9

57,8

61,4

62,2

60,1

249,1

250,9

222,7

230,1

230,9

Bund

48,3

52,2

58,3

63,4

64,2

Länder

76

78,8

78,4

90

89,1

Gemeinden

65

60,2

58,1

56

56

Europäische Union

12,7

11,3

11,4

11,5

14,3

Ausgleichs fonds Steinkohle

4,9

6

5,7

-

-

Treuhandanstalt

31,2

32,2

-

-

-

Bundesanstalt für Arbeit

11

10,3

10,9

9,3

7,3

308,8

284,4

292,7

290,9

I. Steuervergünstigungen II. Finanzhilfen

III. Subventionen insgesamt

307

Aus: Boss, Alfred/Rosenschon, Astrid: Subventionen in Deutschland, S. 22f.; Angaben in Mrd. DM.

Die Finanzierung der gegenwärtigen Subventionen in einer Gesamthöhe von fast DM 291 Mrd. - dies entspricht einem Anteil von 8,1% am BSP - bedeutet für die Wirtschaftssubjekte eine schwere Bürde. Mit dieser Größenordnung ist die Vergabepraxis in Deutschland von dem Ausnahmecharakter, den Rüstow in seinem Konzept der ,liberalen Interventionen' gefordert hatte, weit entfernt. Will man ein Bild von der gesamten Belastung zeichnen, so müssen die wettbewerblichen Verzerrungen in die Betrachtung eingeschlossen werden; dies führt unmittelbar in den zweiten von Rüstow aufgestellten Bedingungskomplex, der im folgenden Abschnitt behandelt wird. 4.3.1.2. Wettbewerbsverzerrungen als Folge dauerhafter Subventionszahlungen Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Rüstow in den andauernden staatlichen Eingriffen während der Weimarer Zeit eine wesentliche Ursache der strukturellen Wirtschaftskrise zum Ende der 20er Jahre identifizierte. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis entwickelt er sein Konzept der,liberalen Interventionen', durch

4.3. Nachhaltigkeit und innere Geschlossenheit in der Wirtschaftspolitik

155

dessen Umsetzung er nicht nur die Beschleunigung notwendigen Strukturwandels, sondern auch die Vermeidung dauerhafter Wettbewerbsverzerrungen erreichen will. Nachfolgend werden einige Beispiele behandelt, an denen deutlich wird, auf welche Weise Subventionen verzerrend auf den Wettbewerbsprozeß einwirken. Im Unternehmenssektor entzieht die Finanzierung der Subventionen tendenziell ertragsstarken und wettbewerbsfähigen Unternehmen Finanzmittel und lenkt sie in Wirtschaftsbereiche, die nicht wettbewerbsfähig sind.679 Diese Umleitung von Mitteln an Unternehmen oder Sektoren, deren mangelnde Wettbewerbsfähigkeit gerade ursächlich für die Subventionen ist, führt zu einer Erhaltung von Strukturen, die unter wettbewerblichen Bedingungen beseitigt oder verändert würden. 680 Der gezielten Förderung ertragsschwacher Unternehmen steht auf diese Weise eine Diskriminierung aller steuerzahlenden Wirtschaftssubjekte gegenüber.681 Trotz des nur mittelbaren Zusammenhangs läuft die Belastung eines (ertragreichen) Unternehmens zu Gunsten eines strauchelnden Wettbewerbers Rüstows Intentionen zuwider, weil sie gegen die natürliche Marktentwicklung gerichtet ist. Im Hinblick auf die sektorale Verteilung ist zu beobachten, daß etwa dreiviertel der Subventionen in die Bereiche Landwirtschaft, Bergbau, Verkehr und Wohnungsvermietung fließen, obwohl deren Anteil an der Wertschöpfung im Unternehmenssektor vergleichsweise gering ausfällt;682 dieses Mißverhältnis zwischen Subventionsbezug und Wertschöpfungsanteil verdeutlicht die erheblichen Ineffizienzen bei der Subventionsvergabe. Außerdem führt die Konzentration von Mitteln zu einer starken Umverteilung zu Gunsten weniger Unternehmen bzw. Branchen; 683 die entstehenden Belastungen einer Mehrzahl von Steuerzahlern sind - so der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung — jedoch nur in dem Maße zu rechtfertigen, wie sie durch positive externe Effekte kompensiert werden. Diese vermutet der Sachverständigenrat vor allem bei der Grundlagenforschung und geht mit Blick auf das Gesamtvolumen der Subventionen im übrigen davon aus, daß positive externe Effekte im Zusammenhang mit Subventionen nur selten realisiert werden.684 Folgt man der Auffassung des Sachverständigenrats, so entfällt die Legitimation für die Mehrzahl der gewährten Subventionen. Konsequenz daraus kann nur eine drastische

679

Vgl. Jüttemeier, Karl H.: Abbau der Subventionen, S. 310.

680

Vgl. Jüttemeier, Karl H.: Abbau der Subventionen, S. 307. Vgl. Rosenschon, Astrid: Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland, S. 4. Vgl. Boss, Alfred/Rosenschon, Astrid: Subventionen in Deutschland, S. 24; Jüttemeier, Karl H.: Abbau der Subventionen, S. 306. Vgl. Rosenschon, Astrid: Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland, S. 10. Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Im Standortwettbewerb, Ziffer 306.

681 682

683 684

156

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher G r u n d s ä t z e

Reduzierung des gegenwärtigen Subventionsvolumens und eine Konzentration der Mittel auf solche Fälle sein, die tatsächlich den Rüstowschen Anforderungen im Sinne der .liberalen Interventionen' genügen. Eine weitere Verzerrung relativer Wettbewerbspositionen ergibt sich aus dem Umstand, daß wesentliche Teile der Subventionen zur Verbilligung des Kapitaleinsatzes verwandt werden.685 Eine Begünstigung des Faktors Kapital zu Lasten des Faktors Arbeit zeitigt auf Dauer negative Beschäftigungswirkungen 686 und trägt so zur Zementierung der gegenwärtigen strukturellen Arbeitslosigkeit bei. Dieses Beispiel veranschaulicht, welche negativen Auswirkungen staatliches Handeln mit sich bringen kann, wenn es gegen die Marktkräfte gerichtet ist. In der selektiven Förderung einzelner Unternehmen oder Branchen durch die öffentliche Hand kommt deren Anmaßung von Wissen zum Ausdruck, da sie unterstellt, besser als die Marktteilnehmer erkennen zu können, welche wirtschaftlichen Aktivitäten durch den Markt honoriert werden.687 Es wird damit der Erkenntnis nicht ausreichend Rechnung getragen, daß vor allem der Markt über die Wettbewerbsfähigkeit von Arbeitsplätzen entscheidet. Die Mißachtung dieser Erkenntnis führt im Falle staatlicher Fehleinschätzungen bei der Gewährung von Subventionen mittelbar zu einer erhöhten Arbeitslosigkeit, die wiederum staatlichen Schutz — etwa in Form weiterer Subventionen — nach sich zieht.688 Die Praxis der Subventionsvergabe in Deutschland zeigt, daß es in kaum einem Fall gelungen ist, regionale oder sektorale Probleme auf dem Weg dauerhafter und stetig anwachsender Finanzhilfen zu lösen.689 Nachdem gezeigt wurde, daß nicht nur die Praxis der Subventionsvergabe dem Sinn der,liberalen Interventionen' widersprechen, sondern auch die von Rüstow antizipierten Verhaltensänderungen eingetreten sind, könnte eine Rückbesinnung auf dessen Konzept eine Reform anstoßen sowie deren Richtung vorgeben. Allerdings reicht es nicht aus, nur die negativen volkswirtschaftlichen Konsequenzen, die sich neben den hohen Belastungen auch in einer verminderten Wettbewerbsfähigkeit sowie der Ausbildung einer leistungshemmenden Subventionsmentalität äußern, zu verdeutlichen.690 Auch wird es darüber hinaus nicht genügen, auf

685 686 687 688 689 690

Vgl. Boss, Alfred/Rosenschon, Astrid: Subventionen in Deutschland, S. 28. Vgl. Jüttemeier, Karl H.: Abbau der Subventionen, S. 309f. Vgl. Jüttemeier, Karl H.: Abbau der Subventionen, S. 307. Vgl. Woll, Artur: Reform der Staatsaufgaben u. -ausgaben, S. 304. Vgl. Jüttemeier, Karl H.: Abbau der Subventionen, S. 308. Vgl. Woll, Artur: Reform der Staatsaufgaben u. -ausgaben, S. 310; Jüttemeier, Karl H.: Abbau der Subventionen, S. 304.

4 . 3 . N a c h h a l t i g k e i t u n d innere G e s c h l o s s e n h e i t in d e r W i r t s c h a f t s p o l i t i k

157

den ökonomischen Verstand und eine sachliche Überzeugung der Interessengruppen zu setzen.691 In erheblichem Maße wird es darauf ankommen, inwieweit die politische Dimension der Entscheidungsfindung in einem umfassenden Lösungsansatz berücksichtigt wird; dies gilt zum einem, weil die Politik mit Blick auf die Maximierung von Wählerstimmen auch über das Instrument der Subventionsvergabe Klientelinteressen verfolgt;692 zum anderen, weil die strukturellen Defizite, die mittels gezielter Subventionen behoben werden sollen, zu einem erheblichen Teil auf fehlerhafte Eingriffe des Staates in anderen Wirtschaftsbereichen zurückzuführen sind.693 Soll also das Problem der Subventionen gelöst werden, muß man jenseits der Reduzierung von Finanzhilfen vor allem die strukturellen Defizite der am meisten subventionierten Wirtschaftsbereiche beseitigen. Dieser komplexe Zusammenhang läßt vermuten, daß eine grundlegende Reform der Subventionsvergabe in Deutschland, die zunächst auf die Beseitigung aller faktisch auf Dauer gewährten (Erhaltungs-) Subventionen gerichtet sein sollte, dann Mehrheiten in Bevölkerung und Parlament finden würde, wenn alle begünstigten Bevölkerungsgruppen gleichermaßen — etwa durch eine lineare Kürzung sämtlicher Subventionen — getroffen würden. Ein solcher Reformansatz müßte dann auch die Belastung durch Steuern und Abgaben senken sowie umfangreiche Deregulierungsmaßnahmen einschließen.694 Eine (lineare) Kürzung bestehender Erhaltungssubventionen würde zunächst nur eine Beschleunigung des durch die Dauerhaftigkeit der Subventionen erst einmal verzögerten Strukturwandels erreichen. Mit zunehmender Reduzierung der Subventionen würde sich die Geschwindigkeit des Strukturwandels dann auf das Maß zubewegen, mit dem sich der Wandel ohne die Gewährung jeglicher Beihilfen mutmaßlich vollzogen hätte. Rüstows Ansatz der ,liberalen Interventionen' ging jedoch weiter. Für ihn war die Bewilligung jeglicher Subventionen davon abhängig, daß der Strukturwandel durch die Intervention beschleunigt würde. Demnach ist die Praxis der Subventionsvergabe in Deutschland derzeit noch weit von der Rüstowschen Konzeption entfernt.

691 692

693 694

Vgl. Hartwig, Karl-Hans: Der Staat als Unternehmer, S. 671. Vgl. Jüttemeier, Karl H.: Abbau der Subventionen, S. 307; Boss, Alfred/Rosenschon, Astrid: Subventionen in Deutschland, S. 28f. Vgl. Rosenschon, Astrid: Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland, S. 22f. Vgl. Boss, Alfred/Rosenschon, Astrid: Subventionen in Deutschland, S. 29; Jüttemeier, Karl H.: Abbau der Subventionen, S. 309.

158

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

4 . 3 . 2 . Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen als Umsetzung der wettbewerbspolitischen Vorstellungen Rüstows

Die Umset2ung der Rüstowschen Forderung nach einer konsistenten Wirtschaftspolitik wird im folgenden Abschnitt an Hand des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) überprüft. Dabei konzentriert sich die Behandlung des GWB als des Kernstücks der deutschen Wettbewerbsordnung im wesentlichen auf den Gesichtspunkt der inneren Geschlossenheit: Rüstow hatte zum Schutz des Wettbewerbs eine gesetzliche Regelung gefordert, die strikt auf die Bekämpfung privater Machtkonzentration, insbesondere in Form von Kartellen, gerichtet sein sollte. In dem 1957 verabschiedeten GWB wurde zwar ein grundsätzliches Kartellverbot verankert; gleichwohl wurden auch eine Reihe von Ausnahmebestimmungen festgeschrieben, die zu einem konzeptionellen Bruch mit dem Kartellverbot führten. Über diverse Ausnahmetatbestände war es, entgegen Rüstows Intentionen, unter bestimmten Voraussetzungen möglich, den Grundsatz des Kartellverbots faktisch zu unterlaufen. Das Ausmaß dieser Inkonsistenz zwischen dem gesetzlichen Anspruch und der wettbewerblichen Wirklichkeit wird in diesem Abschnitt herausgearbeitet. Darüber hinaus wird bei der folgenden Untersuchung der von Rüstow angemahnte Aspekt der Nachhaltigkeit berücksichtigt: Der Wettbewerb trägt neben seiner ökonomischen Funktion, die auf eine effiziente Ressourcenallokation gerichtet ist, nach Rüstows Verständnis auch zu dem dauerhaften Erhalt einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bei. Dies gilt insofern, als eine funktionierende Wettbewerbsordnung, in der das Kriterium der Leistung über den Erfolg im Markt entscheiden soll, die wirtschaftliche Freiheit des Individuums garantiert.695 Dies hatte für Rüstow zugleich eine über den ökonomischen Aspekt hinausgehende Dimension, da sich nach seinem Verständnis wirtschaftliche und politische Freiheit nicht trennen lassen. Rüstow sieht die unteilbare Freiheit vor allem durch das mißbräuchliche Ausnutzen von Machtpositionen gefährdet; am Beispiel der Weimarer Republik zeigt er, wie wirtschaftliche Machtgebilde ihre Stärke in Form politischer Einflußnahme mißbrauchen und so die Stabilität des politischen Systems beeinträchtigen können.696 Existiert hingegen ein ordnungspolitisch konsistentes Kartellgesetz, so läßt sich Entstehung und Mißbrauch von Marktmacht wirkungsvoll bekämpfen. Vor diesem Hintergrund wächst dem GWB auch aus dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit eine Bedeutung zu, da über

695

696

Vgl. Rüstow, Alexander: Wirtschaftspolitik und Moral, S. 13; ders.: Vom Sinn der Wirtschaftsfreiheit, S. 217. Vgl. Rüstow, Alexander: Freie Wirtschaft - Starker Staat, S. 66f.

4.3. Nachhaltigkeit und innere Geschlossenheit in der Wirtschaftspolitik

159

dessen Gestaltung und Anwendung die Stabilität und Dauerhaftigkeit einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung beeinflußt wird. 4.3.2.1. Die Entwicklung des GWB unter Berücksichtigung Rüstowscher Grundsätze Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges strebten insbesondere die Vereinigten Staaten eine Dekon2entration und Dekartellierung der deutschen Industrie, namentlich der Chemieindustrie, des Kohle- und Stahlsektors sowie des Bankenwesens an.697 1947 setzten die Amerikaner in ihrer Zone ein Dekartellierungsgesetz durch, welches auf die Unterbindung horizontaler und vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen gerichtet war. In diesem Gesetz wurde auf der Grundlage des Verbotsprinzips zum ersten Mal in Deutschland ein umfassendes Kartellverbot verankert.698 Die Aufnahme eines grundsätzlichen Verbots von Kartellen in das GWB entspricht den Vorstellungen Rüstows nach einer eindeutigen und strengen Regelung, da ein schlichtes Verbot den Sanktionierungsaufwand des Staates minimiert, indem alle gegen das Verbot gerichteten Verträge und Absprachen nichtig und dem Anspruch auf Rechtsdurchsetzung entzogen sind.699 Die Währungsreform 1948 sowie das Ende von Preisbindung und Bewirtschaftung auf den meisten Gütermärkten markierten den Durchbruch des Wettbewerbsprinzips als des grundlegenden Koordinationsmechanismus der Wirtschaftsordnung. In Fortführung der Wirtschafts- und Währungsreform wollte die deutsche Wettbewerbspolitik vor allem Wettbewerbsbeschränkungen, wie die mißbräuchliche Ausnutzung bestehender Marktmacht, unterbinden.700 Hintergrund dieser Ausrichtung war die - unter anderem von Rüstow herausgearbeitete - Erkenntnis, daß ein funktionierender Wettbewerb zwar wirtschaftliche Macht begrenzen,

697

Allerdings ist festzuhalten, daß lediglich in der Chemieindustrie die Entflechtung der IG-Farben Industrie AG von Dauer gewesen ist, während sie in den übrigen Wirtschaftszweigen im Zeitablauf rückgängig gemacht wurde; vgl. Gröner, Helmut/Knorr, Andreas: Soziale Marktwirtschaft zwischen wettbewerbspolitischem Imperativ und interventionistischer Pragmatik, S. 206; Kommission für den wirtschaftlichen und sozialen Wandel in der Bundesrepublik: Wirtschaftlicher und sozialer Wandel in der Bundesrepublik Deutschland, S. 381.

698

Vgl. Gröner, Helmut/Knorr, Andreas: Soziale Marktwirtschaft zwischen wettbewerbspolitischem Imperativ und interventionistischer Pragmatik, S. 206f. Vgl- Rüstow, Alexander: Mittelstandsgerechte Wirtschaftspolitik, S. 2. Vgl. Gröner, Helmut/Knorr, Andreas: Soziale Marktwirtschaft zwischen wettbewerbspolitischem Imperativ und interventionistischer Pragmatik, S. 207.

699 700

160

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

sich aber unter Umständen nicht selbst erhalten kann.701 Für die ersten Jahre nach 1947 läßt sich festhalten, daß in der politischen Diskussion um die Gestaltung der Wettbewerbsordnung die unter anderem von Rüstow analysierten Wirkungsketten und die daraus im Hinblick auf die wettbewerbliche Rahmenordnung gezogenen Schlußfolgerungen rezipiert wurden. Die rechtliche Grundlage einer auf das Prinzip der Wettbewerbs freiheit verpflichteten Politik entstand in dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), welches darauf abzielt, den Wettbewerb als solchen in seiner Existenz zu schützen; parallel dazu wurden Regelungen erlassen, die auf die Gestaltung des Wettbewerbs gerichtet waren.702 Bei der Verabschiedung des Gesetzes hielt man prinzipiell an dem Leitbild der Wettbewerbsfreiheit fest: Horizontale und vertikale vertragliche Wettbewerbsbeschränkungen wurden grundsätzlich untersagt (Verbotsprinzip); außerdem wurde eine Kontrolle gegen den Mißbrauch bestehender Marktmacht eingerichtet (Mißbrauchsprinzip).703 Allerdings hatte die strenge Wettbewerbsorientierung im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens gelitten, da der Gesetzgeber bei dem Inkrafttreten des GWB 1958 erhebliche Ausnahmen vom Kartellverbot, den Verzicht auf eine Fusionskontrolle sowie sektorale Einschränkungen des Geltungsbereichs des GWB festschrieb.704 Zum einen wurden einzelne Kartellarten, Bindungen und Empfehlungen vom Verbotsprinzip ausgenommen;705 des weiteren wurden bestimmte Unternehmen oder Branchen vom Geltungsbereich des GWB freigestellt.706 Diese Ausnahmen galten im wesentlichen für Verkehrs- und Speditionsunternehmen, die Land- und Forstwirtschaft, das

701

702

703

704

705

706

Vgl- ausführlicher dazu den Abschnitt 3.4.1. zur Entstehung von Marktmacht; ferner Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 7; ders.: Freie Wirts c h a f t - Starker Staat, S. 62f.; Langfeldt, Enno: Wettbewerbsordnung, S. 206. Zu den letzteren, auf die im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden kann, gehören das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, das Rabattgesetz, die Zugabeverordnung, das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, das Warenzeichengesetz, das Patentgesetz; vgl. Langfeldt, Enno: Wettbewerbsordnung, S. 206f. Vgl. Langfeldt, Enno: Wettbewerbsordnung, S. 210; Gröner, Helmut/Knorr, Andreas: Soziale Marktwirtschaft zwischen wettbewerbspolitischem Imperativ und interventionistischer Pragmatik, S. 209. Vgl. Gröner, Helmut/Knorr, Andreas: Außenhandelsordnung und Soziale Marktwirtschaft, S. 97; ders.: Soziale Marktwirtschaft zwischen wettbewerbspolitischem Imperativ und interventionistischer Pragmatik, S. 209. Zu den genannten Kartellen gehören die teils anmelde-, teils erlaubnispflichtigen Konditionen-, Rabatt-, Strukturkrisen-, Normungs- und Typisierungs-, höhere Rationalisierungs-, Spezialisierungs-, Ex- und Import- und (mittelständische) Kooperationskartelle; vgl. zu den Kartellen, Bindungen und Empfehlungen ausführlicher §§ 2f£, §§ 15f£, § 38 I Nr. 11 G W B a.E; ferner Langfeldt, Enno: Wettbewerbsordnung, S. 210f. Vgl. dazu ausführlicher §§ 99-105 GWB a.F.

4.3. Nachhaltigkeit und innere Geschlossenheit in der Wirtschaftspolitik

161

Kredit- und Versicherungswesen, sogenannte Urheberrechts- und Verwertungsgesellschaften sowie insbesondere für die Energie- und Wasserversorgungswirtschaft; in diesen Wirtschaftszweigen ersetzte man das Verbots- durch das Mißbrauchsprinzip.707 Diese weitere Entstehungsgeschichte des GWB bricht mit den Vorstellungen Rüstows: Gerade in dem Konflikt zwischen Verbots- und Mißbrauchsprinzip hatte sich Rüstow unmißverständlich zu Gunsten der Verbotsregelung ausgesprochen, da er nur in dieser eine stets eindeutig zu bewertende Rechtsgrundlage erkannte.708 Zwar zählt das GWB zur Stützung der Mißbrauchsregelung eine Reihe von Tatbeständen auf, die als Ausbeutung oder Behinderung geahndet werden können; dennoch ist es für die Kartellbehörde meist äußert schwierig, im Einzelfall den Beweis anzutreten und beispielsweise zu niedrige Abnahmepreise als Ausbeutung nachzuweisen. 709 Es ist also festzuhalten, daß das GWB bei seinem Inkrafttreten nur eingeschränkt mit den von Rüstow aufgestellten wettbewerbsorientierten Grundsätzen übereinstimmt. Zwar ist er erleichtert, als das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) 1957 verabschiedet wird;710 gleichwohl sieht er darin nur einen ersten Schritt in die ordnungspolitisch richtige Richtung. Er bemängelt vor allem, daß die ordnungspolitische Klarheit des Kartellverbots durch zahlreiche Ausnahmetatbestände aufgeweicht wurde, und spricht sogar einmal während dessen parlamentarischer Diskussion von einem ,unglückseligen und nachgerade völlig verpfuschten' Gesetzentwurf. 711 Seit 1958 wurde das GWB in sechs Gesetzesnovellen weiterentwickelt. Als besonders markante Novellierungen gelten die Einführung der Fusionskontrolle, die Einschränkungen der wettbewerblichen Ausnahmebereiche sowie die schrittweise Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht. Bei der jüngsten, der 6. Novelle, die zum 1. Januar 1999 in Kraft trat, stand zunächst die Angleichung des nationalen an das europäische Wettbewerbsrecht im Vordergrund. Nach massiver Kritik wurde in der Novelle auch die Stärkung des Wettbewerbsprinzips in Angriff genommen,

707

708

709 710 711

Vgl. Kommission für den wirtschaftlichen und sozialen Wandel in der Bundesrepublik: Wirtschaftlicher und sozialer Wandel in der Bundesrepublik Deutschland, S. 398. In den Kontext der Mißbrauchsaufsicht gehört auch, daß — in der damaligen Fassung des GWB — bestehende Marktmacht nicht als solche, sondern erst bei deren Mißbrauch durch das Wettbewerbsrecht sanktioniert wurde; vgl. Langfeldt, Enno: Wettbewerbsordnung, S. 211. Vgl. Rüstow, Alexander: Wirtschaftsethische Probleme der Sozialen Marktwirtschaft, S. 70ff.; ausführlicher dazu auch der Abschnitt ,Marktmacht: Entstehung, Schädlichkeit und Regulierungsansätze (3.4.1.) dieser Arbeit. Vgl. Langfeldt, Enno: Wettbewerbsordnung, S. 211. Vgl. Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 31 f. Vgl. Rüstow, Alexander: Wirtschaftsethische Probleme der Sozialen Marktwirtschaft, S. 70.

162

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

indem unter anderem die Unwirksamkeit bestehender Kartellverträge in ein generelles Kartellverbot umgewandelt und das Verbot eines Mißbrauchs marktbeherrschender Stellung verschärft wurden. Inzwischen ist nicht mehr nur die Anwendung eines Kartellvertrages, sondern bereits der Vertragsabschluß verboten. Analoges gilt für den Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung; er ist jetzt grundsätzlich verboten und wird auch rückwirkend, etwa durch die Gewährung von Schadensersatzansprüchen, geahndet. Des weiteren wurden mit der 6. GWBNovelle die vom Kartellverbot des GWB ausgenommenen Bereiche eingeschränkt. Aus ordnungspolitischer Sicht ist diese formale Ausweitung des Verbotsprinzips positiv zu bewerten, da sie einer Annäherung der Rechtsgrundlagen an die neoliberale Position entspricht. Allerdings bestehen auch begründete Zweifel im Hinblick auf die tatsächliche Wirksamkeit des ausgeweiteten Verbotsprinzips: Zwar wurden die Ausnahmeregelungen beispielsweise für Rabatt- und Importkartelle beseitigt; allerdings handelt es sich in beiden Fällen um in der Praxis inzwischen bedeutungslose Kartellformen. Andere, ebenfalls gestrichene Ausnahmen hatten ihre Bedeutung bereits durch die materielle Vorrangigkeit des europäischen Gemeinschaftsrechts verloren.712 Diese gespaltene Bewertung charakterisiert das Verhältnis zwischen den Rüstowschen Vorstellungen, der praktizierten Wettbewerbspolitik im engeren Sinne des GWB sowie dem tatsächlichen Geltungsbereich des Wettbewerbsrechts. Einerseits nähert sich mit der Einschränkung der wettbewerblichen Ausnahmebereiche das GWB formal den Rüstowschen Grundsätzen an, da die geschützten Ausnahmebereiche zum Teil substanziell eingeschränkt wurden; betrachtet man also die Wettbewerbspolitik als Anwendung und Durchsetzung des Wettbewerbsrechts, so bewegt sich auch deren Praxis in die von Rüstow skizzierte Richtung. Andererseits sind der umfassenden Verwirklichung des Wettbewerbsprinzips im Sinne Rüstows durch die Herausnahme erheblicher Teile der gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten aus dem Geltungsbereich des GWB Grenzen gesetzt; dies gilt trotz der seit 1999 mengenmäßigen Einschränkung der Ausnahmebereiche. Dieser eingeschränkte Wirkungskreis des GWB ist nicht auf eine Inkonsistenz innerhalb der Wettbewerbsrechts zurückzuführen, sondern liegt vielmehr in den gesetzlichen Regelungen anderer Politikbereiche, wie etwa dem der Arbeitsmarkt-, Sozialoder Handelspolitik begründet. Die gespaltene Bewertung ist also in dem Wettbewerbsrecht einerseits und der mangelnden wettbewerblichen Ausrichtung weiterer Politikbereiche andererseits zu sehen. Zwar sind in den vergangenen Jahren, beispielsweise im Telekommunikationsund Postsektor sowie bei den Handwerksordnungen, Regulierungen mit dem Ziel abgebaut worden, den Wettbewerb in diesen Bereichen zu stärken. Diese umge-

7,2

Vgl. Monopolkommission: Marktöffnung umfassend verwirklichen, S. 59f.

4 . 3 . N a c h h a l t i g k e i t u n d innere G e s c h l o s s e n h e i t in d e r W i r t s c h a f t s p o l i t i k

163

setzten Liberalisierungsschritte allerdings waren je nach Sektor von unterschiedlicher Intensität und erfüllen in ihrer Summe den Anspruch nach einer ümfassenden Durchsetzung des Wettbewerbs im Rüstowschen Sinne nur begrenzt.713 Insgesamt belaufen sich gegenwärtig die vor dem Wettbewerb geschützten Bereiche auf über 50% der gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten;714 dies gilt, wenn man die Staatsaufgaben, das bilaterale Kartell auf dem Arbeitsmarkt und das Sozialversicherungssystem genauso in die Betrachtung einschließt wie solche Branchen, die — wie die Textil- und Bekleidungsindustrie oder der Schiffsbau — durch Importbeschränkungen und Subventionen zum Teil weitgehend dem Wettbewerb entzogen sind.715 Die Aufzählung läßt sich noch um die umfangreiche Regelungsdichte, die etwa im Hinblick auf das Ladenschlußgesetz im Einzelhandel, das technische Prüf- und Sachverständigenwesen oder das öffentlich-rechtliche Funk- und Fernsehwesen besteht, verlängern.716 Diese weitreichenden Ausnahmen verdeutlichen die grundsätzliche Distanz zu Rüstows Vorstellungen.717 Zwar würde Rüstow die oben beschriebenen Verschärfungen der 6. GWB-Novelle begrüßen; er würde in ihnen aber nicht mehr als nur einen Ansatz sehen, dem zwingend ernstgemeinte Schritte zur Durchsetzung des Wettbewerbs als wirtschaftlichem Organisationsprinzip auf allen Märkten folgen müßten. Als Garanten dieser umfassenden Durchsetzung des Wettbewerbs hatte Rüstow eine unabhängige ,Marktpolizei' gefordert, deren Aufgabe er in einer strengen Unterbindung unfairer Wettbewerbspraktiken sah.718 Den Aufgabenbereich des Bundeskartellamtes umreißt diese Skizze Rüstows insofern, als das Amt bei bestehender Marktmacht deren wettbewerbsbeschränkenden Mißbrauch auszuschließen und im übrigen eine Konzentration von Marktmacht zu verhindern hat, sobald eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird.719 Um die Aufgaben der Kartell- und Mißbrauchsaufsicht sowie der Fusionskontrolle ohne

713 714

7,5 716

7,7

718 719

Vgl. Monopolkommission: Marktöffnung umfassend verwirklichen, S. 41 f., 44f£, 49ff. Vgl. Fehl, Ulrich/Schreiter, Carsten: Ordnungspolitische Kurswechsel in der Wettbewerbspolitik, S. 234f.; Hamel, Hannelore: Soziale Marktwirtschaft: Anspruch und Realität eines ordnungspolitischen Konzepts, S. 118; etwas ausfuhrlicher dazu Langfeldt, Enno: Wettbewerbsordnung, S. 213ff. Vgl. Langfeldt, Enno: Wettbewerbsordnung, S. 213. Vgl. Gröner, Helmut/Knorr, Andreas: Soziale Marktwirtschaft zwischen wettbewerbspolitischem Imperativ und interventionistischer Pragmatik, S. 216f.; Langfeldt, Enno: Wettbewerbsordnung, S. 213. Vgl. unter anderem Rüstow, Alexander: Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 31 f. Vgl. Rüstow, Alexander: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 36f. Vgl. Klodt, Henning: Wirtschaftliche Konzentration und Kartelle im Unternehmensbereich, S. 261.

164

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

den Einfluß politischer oder wirtschaftlicher Interessengruppen erfüllen zu können, wurde das Bundeskartellamt als eine weisungsunabhängige Bundesoberbehörde organisiert. Es untersteht formal dem Bundeswirtschaftsministerium, kann aber durch dieses bei der Beschlußfassung in Sachfragen nicht angewiesen werden.720 Rüstow hatte für die einzurichtende Kartellbehörde eine gleichermaßen weitreichende Unabhängigkeit gefordert, wie sie für die Deutsche Bundesbank gegeben ist. Mit der formalen Eingliederung des Bundeskartellamtes in das Wirtschaftsministerium ist die Forderung Rüstows nicht vollständig erfüllt. Allerdings läßt sich nach über 40 Jahren praktischer Tätigkeit des Kartellamts festhalten, daß es sich im Rahmen der durch das Wettbewerbsrecht eröffneten Möglichkeiten seine Unabhängigkeit erarbeitet hat und diese von politischer Seite faktisch nie bestritten wurde.721 Allerdings wird auch an dieser Stelle die Zwiespältigkeit in der Beurteilung deutlich; die gesetzlichen Regelungen, etwa in Form des GWB — geben der Kartellbehörde eine aus der Sicht Rüstows nur bedingt zufriedenstellende Handhabe gegen die Entstehung potentiell wettbewerbsbedrohender Machtstellungen. In dem Rahmen aber, in dem das Kartellamt tatsächlich tätig werden kann, erfüllt es seinen Auftrag in zufriedenstellender Unabhängigkeit von politischen und wirtschaftlichen Interessengruppen. Diese Situation entspricht einem Kompromiß: Zwar konnten die gegenwärtigen Wettbewerbsregelungen eine Machtkonzentration und deren negative Auswirkungen, wie sie Rüstow bereits in den 20er und 30er Jahren kritisiert hatte, verhindern; gemessen an seinen wettbewerblichen Vorstellungen im Hinblick auf den insgesamt möglichen Geltungsbereich des Wettbewerbsprinzips liegt die Kompromißlinie jedoch jenseits der Grenze, die er als ordnungspolitisch vertretbar bezeichnen würde. An der Grenze dieser Linie liegt beispielsweise die Möglichkeit, mit der die politische Führung Entscheidungen des Bundeskartellamtes umgehen kann. Untersagt die Wettbewerbsbehörde beispielsweise eine Fusionsvereinbarung, kann der Bundeswirtschaftsminister auf Antrag der betroffenen Unternehmen diesen Vorgang aufgreifen. Gelingt es den beteiligten Parteien, den Minister davon zu überzeugen, daß bei ihrem Zusammenschluß gesamtwirtschaftliche Vorteile überwiegen bzw. das allgemeine Interesse gefördert wird, so kann dieser in Form der sogenannten Ministererlaubnis eine Ausnahme vom Fusionsverbot gewähren. 722

720

Vgl. Geberth, Rolf: Das Spannungsfeld zwischen Wirtschaftsministerium und Kartellamt, S. 296.

721

Vgl. Kartte, Wolfgang: Wettbewerbspolitik im Spannungsfeld zwischen Bundeswirtschaftsministerium und Bundeskartellamt, S. 56; Ortwein, Edmund: Das Bundeskartellamt, S. 86f.

722

Vgl. Langfeldt, Enno: Wettbewerbsordnung, S. 212.

4.3. Nachhaltigkeit und innere Geschlossenheit in der Wirtschaftspolitik

165

Die Genehmigung einer Ausnahme vom Fusionsverbot muß der Minister aber nach Einholung eines Gutachtens der Monopolkommission rechtfertigen, so daß eine Umgehung des kartellamtlichen Verbots stets der Hürde der öffentlichen Anteilnahme unterworfen ist. Die grundsätzliche Möglichkeit, aus übergeordneten Gesichtspunkten Entscheidungen des Kartellamtes revidieren zu können, erscheint im Sinne Rüstows für den Fall vertretbar, daß von dieser Option nur in begründeten Ausnahmefallen Gebrauch gemacht wird. Da diese Regelung seit dem Bestehen des Bundeskartellamts in nur sechs Fusionsfallen angewandt wurde,723 läßt sich festhalten, daß die Forderung Rüstows nach einer Trennung von sachlicher und politischer Entscheidung im Hinblick auf wettbewerbsgefährdende Unternehmenszusammenschlüsse als im wesentlichen erfüllt angesehen werden kann. Allerdings trifft diese Einschätzung nur auf den durch das Wettbewerbsrecht zu gestaltenden Teil der Wirtschaft zu; in den weiter oben beschriebenen Ausnahmebereichen des GWB ist eine Wettbewerbsaufsicht durch die Kartellbehörde erst gar nicht vorgesehen. 4.3.2.2. Das GWB und der Einfluß europäischer Wettbewerbsvorstellungen Die bisherigen Untersuchungen haben ein zweifaches Spannungsverhältnis deutlich gemacht: Eines besteht zwischen den Vorstellungen Rüstows und der wettbwerbspolitischen Wirklichkeit in Deutschland; ein weiteres zwischen dem formalen Anspruch der wettbewerbsgesetzlichen Grundlage und der praktizierten Wettbewerbspolitik, soweit diese in Deutschland entschieden wird. Im fortschreitenden Integrationsprozeß hat sich neben der deutschen auch eine europäische Wettbewerbsordnung entwickelt.724 Formal hat die EU in ihren Verträgen eine strengere, d.h. insbesondere mit weniger Ausnahmebereichen versehene Wettbewerbsordnung festgeschrieben.725 So geht beispielsweise die im Rahmen der 6. GWB-Novelle in Angriff genommene Wiedereingliederung der Energiemärkte in den Wettbewerbsprozeß auf die Initiative der Europäischen Kommission zurück; dies gilt insofern, als die Bundesregierung gezwungen war, entsprechende europäische Richtlinien in nationales Recht umzusetzen.726

723 724 725

726

Vgl. Monopolkommission: Marktöffnung umfassend verwirklichen, S. 383f. Vgl. Langfeldt, Enno: Wettbewerbsordnung, S. 207. Vgl. Gröner, Helmut/Knorr, Andreas: Außenhandelsordnung und Soziale Marktwirtschaft, S. 101 f. Vgl. Gröner, Helmut/Knorr, Andreas: Soziale Marktwirtschaft zwischen wettbewerbspolitischem Imperativ und interventionistischer Pragmatik, S. 215; Monopolkommission: Marktöffnung umfassend verwirklichen, S. 38.

166

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze

Dem Grundsatz nach ist der auf die Deregulierung gerichtete europäische Einfluß auf die nationale Wettbewerbspolitik aus Rüstowscher Sicht positiv zu bewerten. Allerdings ist auch an dieser Stelle ein differenziertes Maß anzusetzen: Einerseits ist eine Verschärfung des Wettbewerbsrechts festzustellen und — wie beschrieben — positiv zu bewerten; andererseits wurde der wettbewerbsrechtliche Geltungsbereich durch die Aufnahme weiterer Aufgaben und Ziele (Industrie-, Agrar-, Sozial- oder Beschäftigungspolitik etc.) in die EU-Verträge eingeschränkt. Diese Einschränkungen äußern sich vor allem in einem zunehmenden sektoralen Interventionismus, dem Protektionismus gegenüber Drittstaaten (Land- und Forstwirtschaft, Textil- und Bekleidungs- und Schuhindustrie, Kohle-, Stahl- und Eisenerzeugung), der umfangreichen Industrie- und Technologiepolitik sowie der Strukturpolitik; ferner bestehen weitreichende Ausnahmebestimmungen vom Beihilfeverbot sowie Regelungen, mit denen gegen mutmaßliches Dumping vorgegangen wird.727 In dieser Entwicklung wird die Analogie zu dem im Abschnitt über die Entwicklung des GWB (4.3.2.1.) gezogenen Fazit deutlich: Auch auf der europäischen Ebene besteht eine gespaltene Bewertung zwischen der wettbewerbsrechtlichen Entwicklung einerseits sowie den in erheblichem Umfang vertraglich zugelassenen Ausnahmebereichen andererseits. Während sich - etwa mit Blick auf die jüngsten Deregulierungsentwicklungen in den Bereichen der Telekommunikation sowie der Strom- und Gasversorgung — das europäische Wettbewerbsrecht den Positionen Rüstows angenähert hat, bestehen mit den oben genannten Wettbewerbsbeschränkungen materielle Ausnahmebereiche, die auf den entschiedenen Widerstand Rüstows gestoßen wären. Diese Unterstellung ergibt sich aus Rüstows dezidierter Befürwortung einer strikten Anwendung des Verbotsprinzips. 728 Die skizzierten Differenzen zwischen der Rüstowschen Auffassung und der nationalen wie auch der europäischen Praxis liegen zum Teil in einem unterschiedlichen wettbewerbspolitischen Leitbild begründet. Dies trifft auf jeden Fall für die wettbewerbspolitischen Positionen der EU zu; es gilt in zunehmendem Maß aber auch im Hinblick auf die nationale Wettbewerbspolitik, da europäisches Recht häufig in nationales umgesetzt werden muß. In ihren Anfängen war — wie skizziert - der Schwerpunkt der deutschen Wettbewerbspolitik darauf gerichtet, die Freiheit auf den Gütermärkten zu etablieren, die Entstehung privater (und öffentlicher) Macht zu verhindern sowie die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs sicherzustellen. Mitte der 60er Jahre änderte sich in Deutschland das wettbewerbspolitische Leitbild, bei dem eine Machtbegrenzung der Marktteilnehmer im Vor-

727 728

Vgl- Horn, Ernst-Jürgen: Internationale Offenheit der deutschen Gütermärkte, S. U l i . Vgl. unter anderem Rüstow, Alexander: Aktionsprogramm der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, S. 31 f.

4.3. Nachhaltigkeit und innere Geschlossenheit in der Wirtschaftspolitik

167

dergrund gestanden hatte. Mit der Abkehr von dem Leitbild der ,vollständigen Konkurrenz' und der Hinwendung zum Konzept des dynamischen Wettbewerbs', mit dem die Gestaltung eines funktionsfähigen Wettbewerbs sowie die Verwirklichung einzelner wettbewerbspolitischer Ziele in den Vordergrund traten, vollzog sich eine Abkehr von den ordnungspolitischen Grundsätzen, wie sie auch von Rüstow vertreten worden waren.729 Auf europäischer Ebene ist diese Entwicklung bereits weiter fortgeschritten; dort wird im Wettbewerb ein wirtschaftspolitisches Instrument gesehen, das als eines unter vielen eingesetzt werden kann, um wirtschaftliche und außerwirtschaftliche Ziele in der EU zu verwirklichen. So ermöglichen die EU-Wettbewerbsregeln bei wettbewerbspolitischen Entscheidungen auch die Berücksichtigung industrie- oder beschäftigungspolitischer Ziele.730 Bedenkt man die mögliche Einbindung industrie- oder beschäftigungspolitischer Ziele, so wäre eine fortschreitende Angleichung der deutschen an die europäische Wettbewerbsordnung sowie deren Praxis mit einer weiteren Abkehr von den ordnungspolitischen Grundsätzen Rüstows verbunden. In der Ausdehnung der Bewertungskriterien wettbewerbspolitischer Entscheidungen um beispielsweise umweit-, industrie- oder beschäftigungspolitische Maßstäbe wäre darüber hinaus ein klarer Bruch mit der von Rüstow — und anderen — vertretenen Systematik verbunden. Die Wettbewerbskontrolle sollte nach Rüstows Vorstellungen mittels einer Beschränkung von Machtpositionen ausschließlich der Erhaltung des Wettbewerbs dienen. Mit der Aufnahme wirtschaftspolitischer Ziele der oben beschriebenen Art könnte die Kartellbehörde in einen Zielkonflikt geraten: Sie müßte unter Umständen bei der Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgabe wettbewerbliche Grundsätze gegen politische Ziele abwägen; eine Aufgabe, die eine auf Neutralität verpflichtete Kartellbehörde nicht leisten könnte. Die Vermengung ordnungspolitischer und politischer Ziele richtet sich eindeutig gegen die Position Rüstows; er hatte gerade in einer solchen Vermengung der Interessenlage eine entscheidende Schwäche des politischen Systems der Weimarer Republik gesehen und sich deshalb für eine klare Trennung der politischen und wettbewerbserhaltenden Zuständigkeiten ausgesprochen. Eine Rückbesinnung auf die Rüstowschen Grundsätze wäre am einfachsten durch eine radikale Streichung der wettbewerblichen Ausnahmebereiche zu verwirklichen. Dieser Ansatz könnte bei der Streichung der noch verbleibenden, expli-

729

Vgl. Fehl, Ulrich/Schreiter, Carsten: Ordnungspolitische Kurswechsel in der Wettbewerbspolitik, S. 231; Kommission für den wirtschaftlichen und sozialen Wandel in der Bundesrepublik: Wirtschaftlicher und sozialer Wandel in der Bundesrepublik Deutschland, S. 379.

730

Vgl. Gröner, H e l m u t / K n o r r , Andreas: Soziale Marktwirtschaft zwischen wettbewerbspolitischem Imperativ u n d interventionistischer Pragmatik, S. 210f.

168

4. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Lichte Rüstowscher G r u n d s ä t z e

zit im GWB genannten Ausnahmebereiche beginnen; er müßte aber insbesondere darauf gerichtet sein, die auf Grund anderer Gesetze dem Geltungsbereich entzogenen wirtschaftlichen Aktivitäten (z.B. der öffentlichen Unternehmen oder in der Landwirtschaft), schrittweise dem GWB zu unterstellen. Dieser Ansatz wäre auch im Hinblick auf das wettbewerbspolitische Leitbild eindeutig und würde die Kartellbehörde vor Zielkonflikten bewahren, wenn sichergestellt würde, daß der Karteüaufsicht neben der Wettbewerbssicherung keine weiteren Entscheidungsmaßstäbe auferlegt werden. Allerdings haben die Darstellungen gezeigt, daß eine nachhaltige Orientierung an den wettbewerbspolitischen Grundsätzen, wie sie auch von Rüstow vertreten wurde, sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene keine politischen Mehrheiten findet.

5. Schlußbetrachtungen 5.1. Begrenzte Berücksichtigung der Rüstowschen Grundsätze Bei der Untersuchung der Bedeutung Alexander Rüstows muß einerseits zwischen seinem Einfluß auf die Gestaltung der neoliberalen Konzeption und andererseits deren Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland unterschieden werden. Im Hinblick auf seinen konzeptionellen Einfluß hat Rüstow mit seiner Grundlagenarbeit einen wesentlichen Beitrag zur Ausgestaltung des Neoliberalismus geleistet; dies gilt vor allem für: — Die geistesgeschichtliche Fundierung der neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sowie deren Abgrenzung gegenüber Sozialismus und (altem) Wirtschaftsliberalismus, — das Kennzeichnen der Bedeutung, die ein Ordnungsrahmen für den Erhalt einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hat, sowie — die Kennzeichnung der überwirtschaftlichen Einflußgrößen auf die Gestaltung der menschlichen Lebensräume.731 Rüstow verfolgt einen interdisziplinären Ansatz und wendet sich dabei einigen Themen in besonderer Weise zu: Dies gilt an erster Stelle für die Sicherung der in Würde realisierten Freiheit des Individuums. Dem Anspruch auf Freiheit ordnet Rüstow das gleiche Maß an Verantwortung für die Gestaltung des individuellen Daseins zu. Diesem Freiheitsideal folgend verweist er auf die Bedeutung, die ein Wertesystem für den dauerhaften Erhalt einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hat und sieht die Wurzeln der an Freiheit und Fürsorge orientierten neoliberalen Konzeption einerseits in der Antike, andererseits im Christentum. Zum Kern seines Ansatzes gehört des weiteren eine subsidiäre, an der Leistungsfähigkeit ausgerichtete Aufgabenteilung zwischen den verschiedenen Ebenen der Gebietskörperschaften, den gesellschaftlichen Interessengruppen und dem Individuum. Diese konstituierenden Bestandteile seiner wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen faßt Rüstow in einem Leitbild zusammen, das durch die Herausstellung gemeinsamer Werte und Anschauungen die Grundlage für den Zusammenhalt der Gemeinschaft bilden soll.732 Dieses Leitbild, für das Rüstow 731

732

Zu den Kernwerken, in denen Rüstow die Erkenntnisse seiner interdisziplinären Forschungen zusammenträgt, zählen neben der Trilogie .Ortsbestimmung der Gegenwart' (1950—57, vgl. ausführlicher dazu das Kapitel 3.1. dieser Arbeit) vor allem die Aufsätze ,Freie Wirtschaft - Starker Staat' (1932), ,Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus als religionssoziologisches Problem' (1945) sowie ,Zwischen Kapitalismus und Kommunismus' (1949). Vgl. Rüstow, Alexander: O d G III, S. 187.

170

5. Schlußbetrachtungen

den Begriff der,Vitalsituation' geprägt hat, drückt aus, auf welches Ziel die staatlichen, gesellschaftlichen sowie individuellen Aktivitäten zu richten sind. Auf die Prägung dieses Leitbildes, zu dem neben der Entwicklung seines Wertesystems seine Forderung nach Schaffung von Startgerechtigkeit, seine erbrechtlichen, familien- und siedlungspolitischen Vorstellungen sowie in Teilen seine Ausführungen zur Gestaltung des Arbeitsumfeldes gehören, hat Rüstow sein Hauptaugenmerk gelegt. Zu dem weiteren Kreis seiner Forschungsarbeiten gehören seine Ausführungen zur Bedeutung der Anreizmechanismen in dem System der sozialen Sicherung, seine wettbewerbspolitischen Ansätze, seine Ansichten zum ,starken Staat', seine geld- und währungspolitischen Ansätze sowie seine Forderungen nach außenwirtschaftlicher Freiheit. Diese von Rüstow herausgearbeiteten Grundsätze nehmen in seinem Werk einen größeren Raum ein als die Formulierung detaillierter Maßnahmen für einzelne Wirtschaftsbereiche. Dieser Akzentuierung entspricht auch sein steter Hinweis, daß der Erhalt einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nur dann gewährleistet ist, wenn alle Beteiligten bei ihrem Verhalten dessen langfristige Konsequenzen berücksichtigen. Zeitzeugen berichten, daß Alexander Rüstow durch sein eigenes Auftreten ein an Bescheidenheit, Anständigkeit und Zivilcourage orientiertes Handeln überzeugend vorgelebt und auf diese Weise in der Kombination von Werk und Wirken die Aufbruchsstimmung nach dem II. Weltkrieg gefördert hat.733 Mit seinem eigenen Verhalten hat er gleichzeitig einen hohen Anspruch an das Verantwortungsbewußtsein der staatlichen Institutionen, der gesellschaftlichen Interessengruppen sowie jedes einzelnen Bürgers gestellt. Es ist zu vermuten, daß Rüstow die beteiligten Akteure mit diesem Anspruch zum Teil überfordert hat, da die Versuchung besteht, aus Eigennutz die aus den Grundsätzen hervorgehenden Interpretationsspielräume - etwa im Hinblick auf wirtschaftspolitische Entscheidungen — weit zu fassen und sogar zu überdehnen. Nach der Darstellung von Rüstows Perönüchkeit und Werk und wurde in dem 4. Kapitel über die Entwicklung der deutschen Wirtschaftspolitik im Lichte Rüstowscher Grundsätze geprüft, inwieweit diese Einfluß auf die Gestaltung der deutschen Wirtschaftspolitik hatten. Dazu wurden einzelne Sachfragen an den übergeordneten Maßstäben, wie sie in der Subsidiarität, der Leistungsgerechtigkeit sowie der Konsistenz aus Rüstows Werk abzuleiten sind, gemessen. Die Untersuchungen haben gezeigt, daß die Rüstowschen Grundsätze in der seit 1948 praktizierten Wirtschaftspolitik nur begrenzte Berücksichtigung gefunden haben. Seine Vorstellungen, die Aufgabenverteilung zwischen den verschiedenen Ebenen der Gebietskörperschaften, den gesellschaftlichen sowie den familiären Regelkreisen

733

Vgl. die Korrespondenz zwischen Dieter Spiess und Erich Lange, zwei ehemaligen Studenten Rüstows, mit dem Verfasser vom 14., 18. und 26.1.1999.

5.1. Begrenzte Berücksichtigung der Rüstowschen Grundsätze

171

auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips zu ordnen, haben sich nur teilweise erfüllt. Am Beispiel der Leistungserstellung durch die öffentliche Hand, ihrer regulierenden Eingriffe sowie der Zentralisierung von Aufgaben innerhalb der Gebietskörperschaften wurde gezeigt, daß im Zeitablauf stetig Aufgaben aus der Verantwortung nachgeordneter Ebenen genommen und zentralisiert wurden. Darüber hinaus wurde im Hinblick auf die konkrete Umsetzung des Subsidiaritätsgedankens untersucht, inwieweit die von Rüstow für die Sozialpolitik eingeforderten Kriterien der Bedürftigkeit und der Nachrangigkeit berücksichtigt werden, um die Grenze zwischen eigenverantwortlicher Versorgung und kollektiver Hilfestellung zu definieren. Es wurde festgestellt, daß in einzelnen Bereichen - so etwa bei der Gestaltung der Sozialhilfe - die Rüstowschen Ansätze im wesentlichen als umgesetzt bezeichnet werden können; erweitert man jedoch den Betrachtungshorizont auf das gesamte System der sozialen Sicherung, so ist diese Aussage nicht haltbar; im Gegenteil muß festgestellt werden, daß von einer Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips Rüstowscher Prägung nur eingeschränkt gesprochen werden kann. In Abschnitt 4.2.,Leistungsgerechtigkeit und Umverteilung in dem System der sozialen Sicherung' stand das Spannungsverhältnis dieser beiden Prinzipien im Mittelpunkt der Betrachtungen. Nach der Auffassung Rüstows stellt die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung den Regelfall einer wirtschaftlichen Beziehung dar. Die im übrigen geltende Umverteilung sollte nach seinen Vorstellungen auf klar definierte Ausnahmen beschränkt bleiben und darauf hinwirken, die Ursache der Umverteilung zu beseitigen. Es wurde gezeigt, daß das Äquivalenzprinzip in dem System der sozialen Sicherung nicht in dem von Rüstow geforderten Umfang Anwendung findet. Durch eine weitgehende Entkoppelung der Leistungsbreite vom individuellen Beitragsaufkommen hat statt dessen eine Umverteilung von Ressourcen eingesetzt, die deutlich jenseits der von Rüstow akzeptierten Existenzsicherung liegt. Zum Teil ist die jenseits der Bedürftigkeit liegende Umverteilung auf eine unzureichende Kenntnis der bestehenden Transfers und ihrer Wirksamkeit zurückzuführen. Am Beispiel des Sozialbudgets wurde gezeigt, daß die Voraussetzung einer konsistenten Sozialpolitik in Form eines gesellschaftlich konsens fähigen Leitbildes, aus dem sich sozialpolitische Ziele, Prioritäten und Notwendigkeiten ableiten lassen, nicht in dem von Rüstow geforderten Umfang existiert. Dieser Mangel führt in der Sozialpolitik zu Inkonsistenzen bei den konzeptionellen Grundlagen sowie zu Ineffizienzen bei deren praktischer Umsetzung. Die Forderung Rüstows nach einer langfristigen, auf Kontinuität und Berechenbarkeit ausgerichteten Wirtschaftspolitik wurde in dem Kapitel ,Nachhaltigkeit und innere Geschlossenheit in der Wirtschaftspolitik' (4.3.) überprüft. Exemplarisch wurde zunächst die Subventionsvergabe in Deutschland untersucht und nachgewiesen, daß die von Rüstow geforderte Ausrichtung der gewährten Subventionen auf die Beschleunigung eines durch die Marktkräfte initiierten Struktur-

172

5. Schlußbetrachtungen

wandels in der Praxis in der Regel nicht gegeben ist. Art und Umfang der Finanzhilfen führen darüber hinaus zu Wettbewerbsverzerrungen, die neben der Selbstheilungsfähigkeit der Märkte auch die individuelle Leistungsbereitschaft nachhaltig beeinträchtigen; diese wollte Rüstow gerade durch sein Konzept der,liberalen Interventionen' verhindern. Als zweiter Untersuchungsgegenstand im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Konsistenz wurde das GWB analysiert und dabei das Spannungsverhältnis verdeutlicht, das zwischen den wettbewerbspolitischen Grundsätzen einerseits und den umfangreichen wettbewerblichen Ausnahmebereichen andererseits besteht. Einerseits hat sich das Wettbewerbsrecht — was die Ausweitung des Verbotsprinzips oder die Einführung der Fusionskontrolle betrifft — im Zeitablauf an die Rüstowsche Position angenähert. Andererseits sind nach wie vor erhebliche Teile der gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten vom Geltungsbereich dieses Rechts ausgenommen. Allerdings muß festgehalten werden, daß solche Wettbewerbsbeschränkungen, wie etwa das Tarifkartell oder die EUAgrarmarktordnungen, auf politische Entscheidungen zurückgehen, die außerhalb der Wettbewerbspolitik getroffen wurden und somit nicht als Inkonsistenz der Wettbewerbspolitik im engeren Sinne zu bezeichnen sind. Gleichwohl bedeuten diese erheblichen Ausnahmebereiche, daß die Vorstellungen Rüstows im Hinblick auf eine weitgehende Durchsetzung des Wettbewerbs als marktwirtschaftliches Organisationsprinzip als nicht verwirklicht anzusehen sind. Daraus ergibt sich die Schlußfolgerung, daß - anders als bei der Gestaltung der neoliberalen Konzeption — der tatsächliche Einfluß Rüstows auf die reale Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland als gering einzuschätzen ist. Schließt man die individuellen und kollektiven Verhaltensänderungen, die Rüstow für den Fall einer mangelnden Berücksichtigung seiner Prinzipien beschrieben hat, mit in die Betrachtung ein, so läßt sich außerdem festhalten, daß er diese weitgehend richtig antizipiert hat. Markant ist dabei die Parallelität zwischen der mangelnden Berücksichtigung seiner Grundsätze und den beschriebenen Verhaltensänderungen. Diese Korrelation läßt die Vermutung zu, daß eine stärkere Ausrichtung der Wirtschaftspolitik an den Rüstowschen Vorgaben zumindest einen Teil der gegenwärtigen Ineffizienzen vermieden hätte.

5.2. Die Fehlentwicklungen - Ansätze zur Erklärung Auf der Grundlage seiner universalen Bildung hat Rüstow ein Wertesystem entwickelt, in dem Freiheit, Verantwortung, Nächstenliebe und Bescheidenheit im Mittelpunkt stehen. An diesen Werten richtet er seine Kon2eption einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aus und skizziert für sie Rahmenbedingungen sowie Anreizmechanismen. Ein funktionierendes Wirtschaftssystem stellt in dieser Ordnungskonzeption eine notwendige Grundlage für die Funktions- und Überlebensfähigkeit der Gemeinschaft dar, letztlich aber hat es nur eine dienende Funktion, wie Rüstows Unterscheidung in Markt und Marktrand deutlich macht. Daraus läßt sich die überwirtschaftliche Bedeutung, die Rüstow traditionellen und marktorientierten Institutionen zuordnet, ableiten. Die Familie, der Unternehmer, das Bauerntum, die Schrebergartensiedlung oder die (kleine) Gemeinschaft tragen ihren Anteil dazu bei, daß die Werte, an denen sich das menschliche Handeln ausrichten sollte, mit Leben gefüllt und in die nächste Generation getragen werden. Die Werte und Funktionsweisen dieser Ordnung hat Rüstow in einem lebenslangen Studium erforscht; aus deren Verständnis erwächst seine Uberzeugung, daß nur ein Verhalten, das sich an diesen Werten und Funktionsweisen orientiert, Grundlage einer dauerhaften Gemeinschaft sein kann. Seine Fähigkeit, die soziologischen und ökonomischen Wirkungsketten innerhalb einer Gesellschaftsordnung nachzuzeichnen, lassen ihn Ursache und Wirkung menschlichen Handelns erkennen und auf die (negativen) Konsequenzen suboptimaler Rahmenbedingungen für das individuelle Verhalten hinweisen. An folgende Beispiele sei erinnert: Die zunehmende Übertragung von Aufgaben auf die öffentliche Hand höhlt auf Dauer das individuelle Verantwortungsbewußtsein, für sich und sein unmittelbares Umfeld Sorge zu tragen, aus; eine stetige Ausweitung der Umverteilung bringt neben einer materiellen Belastung vor allem die Einschränkung der individuellen Entfaltungsfreiheit mit sich; Höhe und Dauer sozialer Transfers beeinflussen den Willen, aus eigener Initiative den Zustand des Leistungsempfangs zu beenden. Geht man von der Annahme aus, daß das Werteempfinden des ,Durchnittsbürgers' vor allem überliefert und intuitiv ist, so besteht an dieser Stelle ein entscheidender Unterschied zu Rüstow, da dieser in der Lage ist, sein Wertesystem zu begründen sowie die Wirkungszusammenhänge in ihren Einzelheiten nachzuvollziehen. Sein Verständnis des Werte- und Gesellschaftssystems läßt ihn einen hohen Anspruch an die Verhaltensweise des einzelnen Bürgers stellen. Nun besteht grundsätzlich keine Notwendigkeit, daß jeder Bürger das Funktionieren seiner Gesellschaftsordnung in allen Einzelheiten nachvollziehen kann. Dies gilt insbesondere für den Fall, daß die Rahmenbedingungen mit ihren Anreizmechanismen so gesetzt sind, daß ein Verfolgen des Eigeninteresses gleichzeitig dem

174

5. Schlußbetrachtungen

Gemeinwohl dienlich ist. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß die Rahmenbedingungen von solchen Personen gesetzt werden, die die Funktionsweise des Systems erfassen; im Falle einer Wirtschaftsordnung bedingt dies zumindest ein grundsätzliches Verständnis ökonomischer Zusammenhänge. Damit stellt sich die Frage nach der Verantwortlichkeit für die Durchsetzung der von Rüstow mitentwickelten neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Der Umstand, daß Entwicklung und Durchsetzung dieser Ordnung weitgehend in unterschiedlichen Händen lag, ist bereits Teil der Antwort auf die Frage, woran die Realisierung des neoliberalen Ordnungsrahmens im umfassenden Sinne Rüstows gescheitert ist. Sicherlich darf nicht vernachlässigt werden, daß in dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft Mängel enthalten sind, die ein stetiges Abrücken von dem ursprünglichen Konzept im Zeitablauf begünstigt haben. Dazu gehört in erster Linie die unzureichende bzw. lückenhafte Ausgestaltung der Wettbewerbsordnung; dazu gehört nach Ansicht des Verfassers auch die mangelnde Präzision, mit der die Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft, z.B. die der Subsidiarität, der Leistungsgerechtigkeit, der Bedürftigkeit, durch die,Väter' des Konzepts definiert wurden. Die unzureichende Präzision setzt sich in dem Umstand fort, daß keine Maßstäbe entwickelt wurden, mit denen der Zielerreichungsgrad der von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen gemessen werden kann. Dies gilt beispielsweise für eine Konkretisierung, wann eine Aufgabe im subsidiären Sinne an die übergeordnete Ebene der Gebietskörperschaften zu übertragen ist. Dies gilt auch bei der Frage nach dem staatlich garantierten Existenzminimum oder nach der Grenze zwischen Pflicht- und Zusatzleistungen in der Krankenversicherung. Die unterentwickelten Quantifizierungsmöglichkeiten verstärken die Gefahr, daß aus den neoliberalen Grundsätzen politische Maßnahmen abgeleitet werden, die nach genauer Analyse nicht im Einklang mit dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft stehen; die gegenwärtige Gestaltung der Pflegeversicherung ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit. Der Mangel an Präzision kann jedoch nur bedingt als Vorwurf formuliert werden, denn die Soziale Marktwirtschaft war von ihren Begründern mit Absicht in Form eines entwicklungsoffenen Konzepts entworfen worden. Allerdings hat der Verlauf, den die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland genommen hat, gezeigt, daß deren geringe Regelbindung als Interpretationsspielraum genutzt wurde und die Entfernung der gegenwärtigen Ordnung von der ursprünglichen Konzeption begünstigt hat. Die von politischen Entscheidungsträgern bei der Gestaltung der Wirtschaftspolitik beanspruchten Interpretationsspielräume haben im Zeitablauf den Wandel von der Sozialen Marktwirtschaft zum Sozialstaat ermöglicht. 734 Damit läßt

734

Vgl. Woll, Arthur: Wirtschaftspolitik, S. 86.

5.2. Die Fehlentwicklungen-Ansätze zur Erklärung

175

sich der Systemwandel zumindest teilweise systembedingt begründen. Allerdings wurde diese Schwäche durch die parlamentarische Demokratie in Deutschland verstärkt: Ordnungspolitische Maßnahmen sind in der Regel langfristig angelegt und führen insofern häufig erst auf lange Sicht zum Erfolg; teilweise fordern sie kurzfristig sogar Opfer, und sei es in der Form, daß bestimmte Begünstigungen gestrichen werden. Prozeßpolitische Eingriffe können hingegen wirkungsvoll inszeniert werden und zeitigen in der Regel sofort sichtbare Ergebnisse. Vor diesem Hintergrund besteht in Teilen der Politik die Versuchung, Entscheidungen an kurzfristigen Parametern oder dem mutmaßlichen Wählerwillen auszurichten. Bei der parteiinternen Entscheidung über die Ausrichtung der (Wirtschaftsund Gesellschafts-) Politik stehen den ,Ordnungspolitikern',Sozialpolitiker' gegenüber. Letztere versprechen etwa mit der Ausweitung der sozialen Sicherung Maßnahmen, die — zumindest kurzfristig — die Zustimmung der Wahlbevölkerung erwarten lassen. Betrachtet man das derzeitige Ausmaß an Umverteilung, so liegt der Schluß nahe, daß die,Sozialpolitiker' offensichtlich in der Mehrheit sind. Diese These wurde in der jüngsten Vergangenheit unter anderem durch die Art und Weise, wie die wirtschafts- und sozialpolitischen Herausforderungen der deutschen Wiedervereinigung bewältigt werden sollten, bestätigt.735 Auch das Beispiel der Wiedervereinigung verdeutlicht, daß in der gegenwärtigen Politik die Frage nach der Entstehung des Sozialproduktes der Frage nach seiner Verwendung untergeordnet wurde. Die Umkehrung dieses Rüstowschen Ansatzes zeigt, in welchem Ausmaß das ursprüngliche Konzept der Sozialen Marktwirtschaft an Bedeutung verloren hat. Dies gilt um so mehr, wenn man berücksichtigt, daß diese Verkehrung der Zielsetzung die Leistungserbringung geradezu bestraft. Die geringe Wertschätzung der Leistungsbereitschaft hat sogar in manchen Teilen der Politik und auch der Bevölkerung dazu geführt, daß der Neoliberalismus in einer beachtenswerten Verkürzung seiner Grundlagen und Wirkungszusammenhänge negativ besetzt ist: Anstatt den wachsenden Umfang der Sozialausgaben auf die perversen Anreizstrukturen einer zu über 50% dem Wettbewerb entzogenen Wirtschaftsordnung zurückzuführen, werden die Ursachen einer solchen Entwicklung in der primären Einkommensverteilung einer neoliberalen Wirtschaftsordnung gesucht. Die voranstehenden Ausführungen sind nicht ausschließlich als eine Politikschelte zu verstehen, denn in dem System der Gegenwart ist ein solch kurzfristiges Verhalten durchaus plausibel: Wirtschaftliche Interessenverbände fragen dieses Verhalten beispielsweise in Form ihrer Subventionsansprüche nach, und der Wähler tut Vergleichbares über seinen Sozialleistungskonsum. Angesichts der

735

Vgl. dazu ausführlicher neben anderen auch Sinn, Gerlinde/Sinn, Hans-Werner: Kaltstart, 1993.

176

5. Schlußbetrachtungen

hohen Steuern- und Abgabenbelastung stellt sich die Frage, warum ein solches Verhalten dennoch honoriert wird. Vor dem Hintergrund zahlreicher warnender Veröffentlichungen736 sowie einiger praktischer Beispiele anderer Staaten737 ist zu vermuten, daß das Gros der Wähler die langfristigen Einschränkungen, die aus den Belastungen eines Wohlfahrtsstaates erwachsen, durchaus erkennt. Geht man von dieser Annahme aus, so ergibt sich als Erklärungsansatz gleichermaßen für Politik und Wähler, daß in der Regel die kurzfristigen Präferenzen das individuelle Handeln zu bestimmen scheinen:738 So wird der Konsum heute im Vergleich zum Sparen bevorzugt; mit der Aussicht, die Kosten auf die nachfolgende Generation überwälzen zu können, wurde der Wohlfahrtsstaat zunehmend über Schulden finanziert; die Mutmaßung, insgesamt von der Umverteilung zu profitieren, führte zu einer stetigen Ausweitung der Leistungsbreite in der Sozialversicherung. Der Glaube, die durch den Wohlfahrtsstaat verursachten Belastungen seien der Preis für den sozialen Frieden, beeinträchtigt den Reformwillen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß die Bevölkerung in Deutschland offensichtlich das derzeitige Maß an Umverteilung akzeptiert. Damit kommen bei politischen Entscheidungen solche Gruppierungen zum Zuge, die eine entsprechende Umverteilung in ihrem ,Angebot' haben. Langfristig angelegte (Ordnungs-) Politik sowie die Begrenzung der Umverteilung, wie sie von Rüstow gefordert wurde und wie sie auch dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft zu Grunde liegt, stimmen in einem wohlhabenden Land offenbar nur begrenzt mit den Bedürfnissen der Wählermehrheiten überein. Es ist zu befürchten, daß einschneidende Maßnahmen zur Begrenzung des Wohlfahrtsstaates über einen parlamentarischen Kompromiß nicht zu erreichen sind. Diese Vermutung stützt sich auf die Feststellung Ludwig Erhards, daß die Wirtschafts- und Währungsreform von 1948 nicht so nachhaltig und erfolgreich verlaufen wäre, wenn sie statt auf dem Verordnungswege auf dem des parlamentarischen Prozesses, einschließlich seiner politischen Kompromisse, geboren worden wäre.739

736

737 738

739

So etwa die Jahresgutachten des Sachverständigenrates, die Monatsberichte der Bundesbank, diverse Veröffentlichungen des HWWA oder des IW, die Schriften des Kronberger Kreises u.v.a.m. So etwa Großbritannien in der Nachkriegszeit oder Schweden in den 70er Jahren. Vgl. ausführlicher zur Theorie der Politischen Ökonomie beispielsweise Frey, Bruno S.: Moderne Politische Ökonomie, 1977; ders.: Die Politische Ökonomie der Wirtschaftspolitik, S. 55ff. Vgl. Erhard, Ludwig: Deutsche Wirtschaftspolitik, S. 8.

5.3. Was kann uns Rüstow heute sagen? Das Studium der Schriften Rüstows verdeutlicht, wie sehr er bereits zu einem frühen Zeitpunkt auf die negativen Folgen hingewiesen hat, die eine schleichende Sozialisierung einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung mit sich bringt. Dies gilt insbesondere für die wachsende Einschränkung der individuellen Freiheitsräume sowie für die sich verändernden Verhaltensweisen in der Gesellschaft mangels Eigenverantwortung und Initiative.740 Sollen also die Fehlentwicklungen der Vergangenheit korrigiert werden, so bieten die Koordinaten seines wirtschaftsund gesellschaftspolitischen Leitbildes eine Orientierung. Da sich aber dieses Leitbild in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nur eingeschränkt durchsetzen konnte, bleibt die Frage, wie eine stärkere Betonung von Eigenverantwortung, Subsidiarität, Langfristigkeit und Leistungsgerechtigkeit in Zukunft gesichert werden könnte. Neben den fachbezogenen Reformansätzen, die für die einzelnen wirtschaftspolitischen Bereiche vorliegen, scheint der Dreh- und Angelpunkt in dem politischen System zu liegen. Eine kurzfristig orientierte Politik, deren Kosten entweder verschleiert (unüberschaubare Verteilungswirkungen in dem System der sozialen Sicherung) oder in die Zukunft verschoben werden (Staatsverschuldung), darf nicht länger honoriert werden. Dem politischen Handeln muß die Verantwortung für die daraus entstehenden Folgen an die Seite treten. Gleiches gilt auch für den normalen Bürger, dessen individuelle Freiheiten einem gleichen Maß an Eigenverantwortung für sein Dasein entsprechen müssen. Für jedes Individuum - gleich, ob es sich um einen ,Normalbürger' oder eine durch das öffentliche Leben herausgestellte Persönlichkeit handelt - bedeutet dies die kontinuierliche Ausrichtung des eigenen Handels an (traditionellen) Werten, deren Berücksichtigung für Rüstow die Grundlage eines funktionierenden Gemeinwesens ist. Wenn das tägliche Handeln jedes einzelnen von Ehrlichkeit, Bescheidenheit, dem Respekt vor Rechten und Eigentum Dritter sowie von Solidarität und Standfestigkeit geprägt ist, dann — so Rüstows Überzeugung - würden Fehlentwicklungen, wie sie im Rahmen der sozialen Sicherung bzw. der Staatsaktivitäten beschrieben wurden, von vornherein vermieden. Auf die gegenwärtig von einem erheblichen Reformdruck geprägte Situation in der Bundesrepublik Deutschland übertragen, hieße dies für den handelnden Politiker, sich bei politischen Entscheidungen so zu verhalten, wie es in jedem Privathaushalt als Selbstverständlichkeit gilt: Kosten und Nutzen, die aus familiären Entscheidungen

740

Vgl. dazu ausführlich das 3. Kapitel dieser Arbeit.

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5. Schlußbetrachtungen

resultieren, müssen gegeneinander abgewogen werden; das Einhalten von Budgetrestriktionen verlangt Maßhalten im Hinblick auf den Gegenwartskonsum; die langfristigen Interessen der nächsten Gegenration sind zu respektieren. Nur so gelangt man zu einem dauerhaft funktionsfähigen Gemeinwesen, in dem eine verantwortungsvolle, politische Führung an der Spitze einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung steht, deren Mittelpunkt — so Rüstows Credo - der,mündige Bürger' bildet.

Literaturverzeichnis I. Chronologisches Verzeichnis Im folgenden Verzeichnis werden solche Schriften von Professor Dr. Dr.h.c. Dr.h.c. Alexander Rüstow aufgeführt, die für die vorliegende Arbeit ausgewertet wurden. Eine vollständige Bibliographie (ohne die türkischen Publikationen) ist dem Sammelband ,Alexander Rüstow. Rede und Antwort', Ludwigsburg 1963, zu entnehmen. Geistige Bewegung, in: Sozialistische Monatshefte, Berlin 1919, Bd. 52, Heft 4/5, S. 181-183, Heft 15/16, S. 654-657. Zur Geschichte, Soziologie und Ethik der Jugendbewegung, in: Freideutsche Jugend, Bd. 6, Heft 5/6, Hamburg 1920, S. 191-196. Der religiöse Charakter des Sozialismus, in: Blätter für religiösen Sozialismus, Bd. 2, Heft 11/12, Berlin 1921, S. 41-42. Sozialismus als Ziel und Sozialismus als Weg, in: Blätter für religiösen Sozialismus, Bd. 2, Heft 11/12, Berlin 1921, S. 45^47. Die weltgeschichtliche Aufgabe der Frau, in: Die Neue Erziehung, Bd. III, Heft 10, Berlin 1921, S. 356-357. Zur Soziologie der preußisch-deutschen Verfassungsgeschichte, (hektographiertes Manuskript aus dem Nachlaß), Berlin 1924. Klassenkampf und Religion, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 170, München 1925, S. 71-74. Schutzzoll oder Freihandel? Das Für und das Wider der Schutzzollpolitik, Frankfurt/Main 1925. Industriezölle und Landwirtschaft, in: Germania Nr. 307 (vom 4.7.1925), Berlin 1925. Zur Frage der Agrarzölle, in: Königsberger Härtung Zeitung, Nr. 341, Königsberg 1925. Die gesellschaftliche Lage der Gegenwart in Deutschland, in: Blätter für religiösen Sozialismus, Bd. 7, Berlin 1926, S. 51-72. Die sittliche Idee des Klassenkampfes (Offener Brief an Eduard Heimann), in: Blätter für religiösen Sozialismus, Bd. 7, Berlin 1926, S. 116-118. Ein neuer deutsch-französischer Eisenpakt? In: Frankfurter Zeitung, Nr. 118, Frankfurt 1926. Welteisenkartell und Eisenverarbeitung, in: Frankfurter Zeitung, Nr. 342, Frankfurt 1926. Reparation und Weltwirtschaft, in: Magazin der Wirtschaft, Bd. 2, Nr. 31, Berlin 1926, S. 971-975.

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