Autonomie und Anerkennung : Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption [1. Aufl.] 9783608911220, 3608911227

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Autonomie und Anerkennung : Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption [1. Aufl.]
 9783608911220, 3608911227

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wma 4 393

0246

Andreas Wildt

AUTONOMIE UND ANERKENNUNG

Hegels Moralitatskritik im Lichte seiner

Fichte-Rezeption.

Deutscher Idealismus - Klett-Cotta -

Deutscher Idealismus Philosophie und Wirkungsgeschichte in Quellen und Studien

Herausgegeben von Hans Michael Baumgartner, Riidiger Bubner, Konrad Cramer, Klaus Hartmann, Hermann Krings, Otto Péggeler, Gerold Prauss, Manfred Riedel, Josef Simon,

Michael Theunissen, Reiner Wiehl, Wolfgang Wieland

Band 7

Andreas Wildt Autonomie und Anerkennung

Klett-Cotta

Andreas Wildt

Autonomie und Anerkennung Hegels Moralitatskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption

Klett-Cotta

Univ. Library, JC Santa Cruz 1988 CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Wildt, Andreas: Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitatskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption/ Andreas Wildt. — 1. Aufl. — Stuttgart: Klett-Cotta, 1982. (Deutscher Idealismus; Bd. 7) ISBN 3-608-91122-7

NE: GT

1. Auflage 1982 Alle Rechte vorbehalten Fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages Verlagsgemeinschaft Ernst Klett — J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, Stuttgart © Ernst Klett, Stuttgart 1982. Printed in Germany Satz: Alwin Maisch, Gerlingen

Druck: Verlagsdruck Gerlingen

Inhalt

Ivy

Vorwort

Einfihrung . . 1. Sittliche Moralitit und sittliche Relativierung der Moralitat - — zur Tiefendimension von Hegels Kritik der Kantischen Mora-

2.

litit

.

.

12

Moralitat als notwendige Bedingung von Tchidentitat — Theorie der Anerkennung bei Fichte und Hegel.

19

I Revision und Rekonstruktion von Hegels Moralitatskritik Einleitung: Die Moralitatsproblematik in der Hegelforschung . o.1 Zur hegelianischen Abwertung moralischer Autonomie .

0.2

0.3 1. 1.1

Zur Geschichte einer Reaktualisierung positiver Momente von

Hegels Moralititskritik. se Hegels Erweiterung und Relativierung moralischer Autonomie

1.2 1.3 1.4 1.5

Kritik und Verteidigung von Kants kategorischem Imperativ Kritik von Hegels Argumenten fiir die Leerheit des Kategorischen Imperativs . foe Widerlegung weiterer ‘Argumente ‘fiir Hegels These . Schwierigkeiten in Kants Darstellung . : Zur Reichweite von Kants Gesetzesformeln . Gesetzesformeln und Zweckformeln .

2.

Hegels Leerheitsvorwurf und Kants Pflichtbegriff

3.

Der Gehalt der Moralitat in Hegels Philosophie des objektiven Geistes . .

2.1 2.2

3-1 3-2

3.3

.

Kants moralistische Sprache und Darstellung. . . Kants psychologistischer und rigoristischer Pflichtbegriff .

Moralitatsbeg: rife in der Philosophie des objektiven Geistes Zum moralischen Gehalt des Verbrechens. os Der Gehalt der moralischen Intention

.

27 27 35

40

Institutionelle Sittlichkeit und nichtinstitutionalisierbare Mo-

ralitit

.

.

41 Institutionalisierte ‘Sittlichkeit und Moralitit 4.2 Juridische und moralische Rechtsférmigkeit

.

.

.

.

43 Gehalte sittlicher Moralitat und Sollenskritik bei Hegel . 44 Rechtsférmigkeit in Kants Ethik. . 45 Zum Konzept iibererforderlicher moralischer Verpfictungen und Rechte

.

Se

Nichtinstitutionelle Sittlichkeit als Bedingung rationaler mora-

lischer Motivation . . soe ee ee 5.1 Hegel und der moralische Relativismus . oe 5.2 Zur sittlichen Relativitat moralischer Motivation bei Schiller und Hegel : . Das Motivationsproblem und das Programm einer ¢ or subjektivi53 tatstheoretischen Begriindung der Moral . . 5-4 Kants absolutistischer Autonomiebegriff und das Konzept

sittlichh vermittelter Autonomie

toe

Hegels frithe Kritik der kantischen Moralitat.

Die Komplementenlehre als normative Ethik.

.

104

105

eee

.

Die Komplementenlehre als Theorie moralischer Motivation Das Verbrechen und seine Verséhnung.

111 115 124 134 146

147 153 165

173 179

181 185 190

II

Fichtes subjektivitatstheoretische Grundlegung der praktischen Philosophie Einleitung: Kants Begriindungsversuche der Moral 1. 121

1.2

13 2. 21 2.2

2.3

197

SelbstbewuBtsein . . . Fichtes Problemstellung. . . Zur Rekonstruktion von Selbstbewuftseinsproblemen im Anschlu8 an Fichte oe Fichtes Ansatz zur Definition von SelbstbewuBtsein .

201

Wissen von sich. Fichtes Fragestellung. . . : Wissen vom eigenen Erleben und der eigenen numerischen Identitat. . . Wissen von sich als Subjekt, objektivierende Selbstreflexion und qualitative Ichidentitat.

227 227

202

210 221

230 235

2.4

Fichtes Deduktion des RechtsbewuBtseins aus seiner Aporie epistemischer Selbstbeziehung . woe ee eee

3. 3.1 3.2

Wollen .. Die Selbsthaftigkeit des Wollens als Entschlossenheit . : Der Rationalitdtsanspruch im Wollen und der Gehalt der moralischen Intention rn

247

Ichidentitét und Anerkennung. . . Moralitat als notwendige Bedingung praktischer Ichidentitat Anerkennung als Erkenntnisbedingung von Subjektivitat und das Prinzip von Fichtes Rechtslehre . . . Anerkennung als Struktur des Rechtsbewutseins und “als

259 261

4. 4.1. 4.2 4.3.

Konstitutionsbedingung von ,,Individualitat”.

241 248

253

270 278

.

Ill

Die Entwicklung von Hegels praktischer Philosophie im Lichte seiner Fichte-Rezeption

Einleitung: Das Problem von Hegels Verhaltnis zur Philosophie

Fichtes

.

.

.

oe

oe

.

287

1. 1.1 1.2

Die frihen Fragmente . . Der Weg zur Fichtekritik . . . Fichteanische Elemente der Komplementeniehre

2. 2.1

Differenzschrift und ,,Glauben und Wissen” . . Die fichtesche Antinomie als Grundproblem der Philosophie

303

griffe des ,,Nichts” und der ,,Unendlichkeit”

306

Naturrechtsaufsatz und ,System der Sittlichkeit” Freiheit, Todesbeziehung und Tapferkeit . . Sittliche Tapferkeit, Kritik der Rechtsform und ‘Versshnung des Verbrechens Anerkennung, Verbrechen und Kampf im i " System der Sitt-

312 313

Die Fragmente zur Philosophie des Geistes von 1803/04

325

2.2.

3. 3.1 3.2 3.3 4.

4.1

4.2, 4.3

293

294

.

296

Hegels Programm der Auflésung der Antinomie und die Be-

lichkeit” .

eee

ee

Der bewuStseinstheoretische Rahmen Der Proze8 des Bewu8tseins . Der Kampf um Anerkennung .

.

:

.

:

304

317 320 326

333 336

5.1 5.2 5-3

5-4 5-5

Der Héhepunkt der Fichte-Rezeption in der Jenaer Realphilosphle ite ot Wille und Trieb . . . Die instrumentelle Selbsterfahrung des ‘Wollenden . . Die Selbsterfahrung des Wollenden im Willen anderer: Liebe und Familie. . . : . Der Kampf um die ‘Anerkennung als Wille. oe Das Verbrechen und der Proze8 der Materialisierung der Anerkennung . . Die héchste Stufe derAnerkennung ini der »Phanomenologie des Geistes” Soe ee Hegels Entfernung von Fichtes Grundlegung der praktischen Philosophie . . Zum Fichteanismus der "/Phanomenologie “des Geistes” oe Die spitere Entwicklung und die Willenstheorie der ,,Rechtsphilosophie” Co ee

343 344 351 353 357

363 365 370 372 383

x

Bibliographischer Anhang Zitierweise . Primartexte und Abkirzungen Literaturverzeichnis

394 394 398

Register Personenregister Sachregister .

409

412

Vorwort

Dieses Buch geht auf ein Manuskript iiber ,,Hegels Theorie des praktischen Wissen” zuriick, mit dem ich 1973 in Heidelberg in Philosphie bei D. Henrich promoviert habe. Die Konzeption ist nicht grundsiatzlich verandert, aber jetzt sind die systematischen Thesen so weit geklart und die historischen Interpretationen so spezifisch, da8 ich die Arbeit veréffentlichen will. Diese Fassung unterscheidet sich von jener inhaltlich vor allem in zwei Hinsichten. Erstens habe ich friiher im Sinne von Fichte und Henrich versucht, das moralische BewuStsein aus Aporien des Selbstbewu8tseins zu deduzieren; mein Gedankengang findet sich jetzt im wesentlichen in II, 2.4 im Munde Fichtes. An seine Stelle tritt der Sache nach die Frage

nach notwendigen Bedingungen qualitativer Ichidentitat. Zweitens habe

ich frither, auch in dem Aufsatz iiber ,,Hegels Kritik des Jakobinismus”, den Bereich moralischer Autonomie durch eine dialogistische Idee rein

kommunikativen Selbstwerdens zu begrenzen versucht. Diese radikal-

utopische Perspektive, die ich in Habermas’ Idee einer ,,kommunikativen

Verfliissigung innerer Natur” und Theunissens Begriff ,,kommunikati-

ver Freiheit” wiederfinde, ist fiir mich bisher theoretisch nicht ganz ein-

holbar. Die Konzepte der nichtrechtsférmigen, spezifisch sittlichen Moralitat und der sittlichen Relativitét der Verniinftigkeit des moralischen Standpunkts iiberhaupt sind aber m. E. notwendige Schritte in dieser Richtung. Dem Interesse an den Grundlagenfragen der Moralphilosophie empfehle ich, abgesehen von der Einleitung zum Ganzen, die Abschnitte 1.4

und 1.5 sowie vor allem die Kapitel 4 und 5 des ersten Teils und den Abschnitt 4.1 des zweiten. Die ersten drei Kapitel des zweiten Teils kinnen als selbstandige Untersuchungen zur philosophischen Psychologie gelesen werden, auch wenn sie als Fichte-Rekonstruktionen angelegt sind. Diese stirker systematisch orientierten Teile gehen iiber die nachfolgenden,

rein historisch

gerichteten, in der Sache

zum

Teil hinaus.

Uberblicke iiber die Hegelforschung findet man in den Einleitungen zu

den beiden Hegelteilen und den einleitenden Bemerkungen zu den mei-

sten primir historisch gerichteten Kapiteln dieser Teile. Um eine Lektiire der Einleitung und der Hauptteile unabhangig voneinander zu erleichtern, habe ich die Literatur in diesen zunachst jeweils ohne Abkiirzungen zitiert (zur Zitierweise vgl. den bibliographischen Anhang). Meine Dankbarkeit gegeniiber meinen akademischen Lehrern in der Philosophie, insbesondere K.-H. Ilting (jetzt Saarbriicken), H. Schmitz 9

(Kiel), D. Henrich (jetzt Miinchen), E. Tugendhat (jetzt Berlin) und M.

Theunissen (jetzt ebenfalls Berlin), méchte ich ihnen dadurch erweisen, da& ich ihrem Philosophieren durch Rezeption, Kritik und Weiterbildung in dieser Arbeit gerecht zu werden suche. Mein besonderer Dank gilt Hildegard Kraus, ohne deren Interesse und Verstindnis fiir meine Arbeit

es mir viel schwerer gefallen ware, gegeniiber dem Legitimationsdrudk des marxistischen und sprachanalytischen Reduktionismus an meinen moralphilosophischen Fragestellungen weiterzuarbeiten. SchlieBlich méchte ich erwahnen, da& mir mein Bruder Stefan vor langer Zeit einmal energisch versucht hat klarzumachen, da8 eine Familie nicht funktionsfahig ist, wenn ihre Mitglieder in ihr ihre legitimen Bediirfnisse als Rechte durchzusetzen versuchen. Vielleicht wiirde ich mich immer noch dariiber argern, wenn mir nicht dieselbe Behauptung bei Hegel begegnet ware und mich mit dazu motiviert hatte, in der Moralphilosophie das Paradigma des Rechts zu hinterfragen, ohne die Idee rationaler Autonomie preiszugeben. Fiir diese Fragestellung gibt es allerdings noch andere Motive und Griinde, insbesondere solche der Kri-

tik unserer Gesellschaftsform. Seit dem gemeinsamen 6ffentlichen Engagement und der spontanen Solidaritat in der auSerparlamentarischen Oppositionsbewegung Ende der sechziger Jahre habe ich dann wesent-

lidhe Momente

nichtinstitutioneller Sittlichkeit auch praktisch erfahren.

Heidelberg, Februar 1982

A.W.

10

Einfihrung

Wahrend Hegels These eines umfassenden Erkenntnisfortschritts von Kant bis zu ihm selbst inzwischen auch von Hegelianern in Zweifel gezogen wird, gilt Hegels negative Kritik der Moralitat auch bei vielen Nichthegelianern als adaquater Abschlu8 der Entwicklung in der praktischen Philosophie, die durch Kants Ethik in Gang gekommen ist. Bei dieser Ansicht bleibt jedoch sowohl das sachliche Gewicht der Ethik Kants — und Fichtes — unberiicksichtigt als auch die Komplexitat von Hegels Stellung zu deren Problematik. Hegel gilt zwar zu Recht als bedeutender Kritiker der Moralitat, insbesondere in ihrer kantischen Form.

Seine Kritik an einem verabsolutierten ,moralischen Standpunkt” impliziert jedoch keineswegs notwendig eine Absage an die Méglichkeit und Wichtigkeit der verniinftigen moralischen Autonomie individueller Subjekte zugunsten einer angeblich prinzipiell iiberlegenen Verniinftig-

keit von iiberindividuellen Gebilden oder Prozessen wie Sitten, Institu-

tionen, Staat, Religion, Geschichte und spekulativer Gedankenbewegung. In der vorliegenden Arbeit méchte ich zeigen, da8 Hegels Moralitatskritik — in einem gewisen Gegensatz zu Hegels Selbstdarstellung — als die Au8enseite einer produktiven Weiterentwicklung der moralphilosophischen Ansitze von Kant und Fichte verstanden werden kann. Die Argumente dafiir gewinne ich aus der Rekonstruktion des systematischen Kontextes, in dem Hegel sich mit Kants Ethik und Fichtes Theorie

der Selbstbeziehung, der Anerkennung und des Willens auseinandersetzt. Das sachliche Resultat meiner Interpretationen ist der Entwurf

einer ethischen Theorie, die nicht nur historisch von Kant, Fichte und Hegel entwickelt wurde, sondern auch sachlich zwischen den Formen

liegt, in denen Kant und Hegel ihre Positionen selbst dargestellt haben. Die entscheidende Vorarbeit dafiir hat m. E. Fichte geleistet. In einem historischen und systematischen Sinne geht es mir also um eine Ethik zwischen Kant und Hegel. Meine Interpretation von Hegels Stellung zu den ethischen Grundproblemen kann sich nur in einem begrenzten Umfang auf Hegels ex-

plizite Aussagen stiitzen. Es handelt sich also um eine interpretatorische

Rekonstruktion. Diese Rekonstruktion hat zugleich den Charakter einer Revision, da sie Hegels Selbstversténdnis widerspricht. Und Revision und Rekonstruktion haben einen systematischen Charakter, da sie von

systematischen Pramissen in der Ethik ausgehen. Unter diesen Bedingun-

gen wird man fragen, warum ich gleichwohl noch von einer ,,Interpreta-

tion” spreche.

a1

Zunachst michte ich darauf bestehen, da8 dann, wenn man einmal das

Selbstverstindnis eines Autors iiberschreitet, die Frage in gewisser Weise

sinnlos wird, ob die so ,rekonstruierte” Position noch die des interpre-

tierten Autors ist. Weiterhin kann man nur dann verniinftigerweise glauben, jemanden verstanden zu haben, wenn man ihm ein Minimum

an Meinungen zuschreiben kann, von deren Wahrheit man selbst iiber-

zeugt ist; und man versteht ihn um so besser, je mehr reflektierte eigene

Uberzeugungen man ihm mit guten Griinden zuschreiben kann. Schon

deshalb ist man oft gendtigt, das Selbstverstaindnis eines Autors zu iiberschreiten, um ihn wirklich zu verstehen.

Durch die Rede von einer ,,Revision” von Hegels Moralitatskritik méchte ich auch zum Ausdruck bringen, da8 ich einige, m. E. entschei-

dende Grundiiberzeugungen mit Hegels praktischer Philosophie zu teilen glaube. Diese sind allerdings weniger in Hegels positiven Lehren adaquat artikuliert als in seiner Grundstellung zu den beherrschenden

Philosophien seiner Zeit implizit enthalten. Allgemein gefaSt betreffen

sie den Versuch, Umfang und Geltung moralischer Verpflichtungen aus den konkreten sittlichen Sozialbeziehungen zu begreifen, ohne dadurch ihre praktische Rationalitat in Frage zu stellen. Im Horizont dieser Fragestellung mu man die eigentliche Auseinandersetzung Hegels mit der Ethik Kants sehen. Zweitens nimmt Hegel mit der Entwicklung seiner Theorie des Bewu8tseins, der Anerkennung und des Willens implizit Fichtes Versuch auf, Moralitat als notwendige Bedingung menschlichen

Selbstseins zu begriinden.

1. Sittliche Moralitat und sittliche Relativierung

der Moralitat — zur Tiefendimension von Hegels Kritik der Kantischen Moralitat

Die hauptsachlichen Einwande gegen die Kantische Ethik werden gerne

unter den Titeln des ,,Rigorismus”, ,Absolutismus”, ,,Legalismus” und »Formalismus” zusammengefa&t. Diese Titel sind allerdings vieldeutig und iiberschneiden sich in mancher Hinsicht; insbesondere beziehen sie

sich auf sehr verschiedene Niveaus der Kantischen Theoriebildung — bis hin zu philosophisch kontingenten, falschen Meinungen ‘. Aber sie kén-

1 So nennt sich Kant selbst einen Rigoristen, insofern er meint, da8 es ,weder in Handlungen noch in menschlichen Charakteren” moralische Indifferenz geben kann (Rel 668). In verwandtem Sinne vertritt er einen unhaltbaren Rigorismus, sofern er glaubt, da8 jedes verniinftige Wesen daran interessiert sein mu8, von

seinen sinnlichen Neigungen miglichst frei zu sein (GMS 60), und da8 moralisches BewuB8tsein als ,Selbstzwang”

beschrieben werden mu8

12

(MS

509 Anm.).

nen auch so gefa8t werden, da8 sie die Tiefendimension von Hegels

Kantkritik treffen. Demnach kritisiert Hegel einerseits die Orientierung

der Moral am Paradigma des Rechts (,,Legalismus”) und die Annahme, Verpflichtungen einer Person kénnten nicht in altruistischen Neigungen begriindet sein (,,Rigorismus”); und andererseits die Annahme, aus der moralischen Richtigkeit einer Handlung folge notwendig ihre praktische Richtigkeit schlechthin (,,Formalismus”), unabhangig von dem sittlichen Kontext der Handlung (,,Absolutismus”). Nun hat Hegel bekanntlich gemeint, die (Kantische) Moralitat sei iiberhaupt leer, insbesondere ihr Moralprinzip. Wie ich in I,1 zeigen werde, ist diese Meinung jedoch grundfalsch, und sie ist auch nicht einmal damit vereinbar, da8 Hegel an Kant immer herausgestellt hat, da8 bei diesem der Mensch sein Handeln erstmals prinzipiell auf Vernunft gegriindet habe. Denn wenn es kein gehaltvolles Moralprinzip gibt, dann lassen sich Handlungen in moralischer Hinsicht letztlich auch nicht begriinden. Die These von der Leerheit des allgemeinen Moralprinzips lauft darauf hinaus, die Méglichkeit von moralischer Begriindung letztlich zu bestreiten.

Demgegeniiber liegt es nahe, Hegels Frontstellung gegen Kants moralischhen Absolutismus so zu verstehen, da8 Hegel ein relativistisches Moralprinzip vertritt, demgema8 es moralisch richtig ist, sich nach den Normen zu verhalten, von denen die relevante Bezugsgruppe glaubt, es sei moralisch richtig, sich danach zu verhalten. Aber dieses Prinzip ist schon deshalb unbrauchbar, weil es inkonsistent ist und auch darauf hin-

auslauft, die Méglichkeit moralischer Begriindungen iiberhaupt zu bestreiten (s. I, 5.1). Da ein radikaler moralischer Relativismus

unhaltbar

ist, mu8

man

Hegels Relativierung der Moral offenbar in einem schwacheren Sinne verstehen. Dafiir bieten sich zundchst einige bekannte Lehren Kants an. Kant hatte behauptet, da8 es unter keinen Umstinden moralisch erlaubt ist, z. B. zu liigen. Kants Argumentation

dafiir ist nun offenbar nicht

schliissig und bedient sich nicht einmal seines eigenen Moralprinzips, des ~kategorischen Imperativs” *. Die Kritik an Kants Behauptung einer abAbsolutistisch und legalistisch ist seine Anschauung, da& moralische Regeln wie Du sollst nicht liigen” ausnahmslos gelten. Und in einem schlechten Sinne formalistisch schlie8lich ist seine Meinung, da8 es genau dann im strengen Sinne

moralisch verboten sei, nach einer Maxime

zu handeln, wenn

gischen Griinden unmiglich ist, da& diese Maxime

es aus rein lo-

ein allgemeines Gesetz wird.

Diese Meinungen haben mit Kants eigentlichen systematischen Pramissen einen

teilweise blo8 assoziativen Zusammenhang. 2 s. Kant, Ober ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu liigen, in: ders., W IV,

S. 637 ff.; vgl. Singer, Verallgemeinerung Argumentierens, Frankfurt

('75) S. 267 ff.

13

in der Ethik. Zur Logik moralischen

soluten Geltung von konkreten moralischen Regeln ist also keine Kritik an philosophischen Pramissen Kants. Auch sonst hat Kant sicher nicht geniigend bedacht, da8 die Anwendung seines Moralprinzips unter verschiedenen Umstanden zu verschiedenen, auch entgegengesetzten Ergebnissen fiihren kann; dies gilt natiirlich auch fiir die rechtsphilosophischen Anwendungen dieses Prinzips. Dieser Gesichtspunkt ist vor allem von der marxistischen Hegelliteratur betont worden, wenn auch hier die Grenzen zum radikalen moralischen

Relativismus meist nicht beachtet werden *. Bei Kant bleibt insbesondere die Frage oft ausgeblendet, ob das mora-

lisch Gebotene auch realisierbar ist. O. Marquard hat deshalb Hegels Sollenskritik so verstanden, da8 sie sich gegen das Postulieren von faktisch Unrealisierbarem richtet ‘. Aber selbst das Kantische ,,Du kannst,

denn du sollst” braucht man nicht so zu verstehen, da es der notwendi-

gen Wahrheit widerspricht, da8 es nur dann verniinftig sein kann, etwas

zu tun, wenn dies auch real mdglich ist *. SchlieBlich wird von Hegelianern oft unterstellt,

da8

Kant

an der

Realisierung des moralisch Richtigen iiberhaupt desinteressiert sei, da in seiner ,,Ethik der blo8en Innerlichkeit” * nur der gute Wille interessiere ’. Aus der These von der unvergleichlichen moralischen Qualitat des guten Willens folgt aber natiirlich nicht, da8 die Realisierung dieses Willens

moralisch indifferent oder nebensachlich ist.

Erst recht folgt daraus nicht, da8 die gute Absicht auch dann moralisch geniigt, wenn sie etwas beabsichtigt, das inhaltlich moralisch falsch ist.

Denn dann ergibe sich ein besonders radikaler moralischer Relativismus,

in dem die Bezugsgruppe schlicht mit dem Handelnden zusammenfiele.

3 insbes. G. Lukdcs, Der junge Hegel (73), Bd. 1, S. 251; vgl. S. 31 f. dieser Arbeit.

4 O. Marquard, Hegel und das Sollen, in: Philosophisches Jahrbuch der GérresGesellschaft, Miinchen ('64). 5 Eine weitere Variante des Vorwurfs einer Philosophie der Innerlichkeit gegentiber Kant ist Iltings These, da8 Kants Moralphilosophie nur die ,individuelle”

und ,private” Existenz des Menschen berilcksichtige

(K.-H. Ilting (’75), Die

Struktur der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: Materialien zur Hegels Rechtsphilosophie, Bd. 2, hrsg. v. M. Riedel, Frankfurt S. 58 ff.). Zu Ilting vgl. I, Einl.

S. 29 f.

6 J. Ritter (’75), Moralitat und Sittlichkeit. Zu Hegels Auseinandersetzung mit der Kantischen Ethik, in: M. Riedel (Hg.) S. 217 ff. 7 J. Derbolav, Hegels Theorie der Handlung, in: M. Riedel (Hg.) (‘75) S. 202: ,Ge-

wi8 mu8 der gute Wille mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln bemiiht sein, sein Motiv zu verwirklichen; aber seine Tauglichkeit oder Untauglichkeit dafiir fallt nicht mehr in die moralische Verantwortung des Menschen. Die Realisierung eines durch Priifung am Gesetz als gut erwiesenen Beweggrundes

interessiert Kant nicht nungssphire an.”

weiter;

sie gehdrt

14

der

empirischen

Welt,

der

Erschei-

Es liegt auf der Hand, da8 so jede Handlung moralisch gerechtfertigt werden kénnte. Damit ware wiederum die These von der Leerheit des moralischen Standpunkts erreicht. Auch auf diesem Weg kommt es also zu der Vorstellung vom leeren Subjektivismus der Kantischen Ethik, der besonders die deutsche Nachkriegsphilosophie — von Ritter bis Adorno * — wesentlich gepragt hat. Nach den skizzierten Interpretationsméglichkeiten ist Hegels Kritik an der Kantischen Ethik moralphilosophisch unergiebig. Entweder richtet sie sich gegen die Méglichkeit eines gehaltvollen Moralprinzips, jedenfalls eines solchen nichtrelativistischer Art, und untergrabt damit die Méglichkeit einer rationalen normativen Ethik iiberhaupt. Oder sie richtet sich nur gegen partikulire — tatsdchliche oder eingebildete — Schwachen der Kantischen Ethik und fiihrt deshalb in Wahrheit héchstens zu einer Verbesserung derselben, die deren tieferliegende Voraussetzungen gar nicht in Frage stellt. Gegeniiber diesem Anschein mdchte ich zeigen, da8 Hegels Kantkritik so rekonstruiert werden kann, da8 sie einerseits wirklich tiefliegende

Voraussetzungen der Kantischen Ethik in Frage stellt, ohne dadurch andererseits das Programm einer rationalen Ethik zu destruieren. Der Gegenstand von Hegels legitimer Tiefenkritik ist dabei m. E. nicht das Kantische Moralprinzip. Auch wenn Kants Lehre vom ,,kategorischen Imperativ’ in vieler Hinsicht fehlerhaft ist, so kann sie doch, wie ich in Kap.

I, 1 zu zeigen versuche, in befriedigender Weise reformuliert werden. Hegels Tiefenkritik der Kantischen Ethik betrifft vielmehr zwei Probleme, die beide in gewisser Hinsicht Anwendungsprobleme sind. Sie sind bereits in Hegels Frankfurter Kritik der Kantischen Ethik im Lichte der Bergpredigt ungeschieden enthalten, die philosophisch vor allem an

Schillers Auseinandersetzung mit Kant ankniipft. Beide Probleme ergeben sich aus einer gegeniiber Kant neuartigen Reflexion darauf, welche Rolle transsubjektive Motivationen, namlich altruistischhe Neigungen, Lebenskonzeptionen

und moralische

Intentionen, bei der Konstitution

von moralisch-praktischer Richtigkeit spielen. Auf der ersten Ebene handelt es sich um die Probleme einer Unterscheidung engerer und weiterer Verpflichtungen. Kant hatte bekanntlich

einerseits Rechts- und Tugendpflichten und andererseits innerhalb der Tugendpflichten Tugenden der Achtung und der Liebe unterschieden. Rechts- und Tugendpflichten unterschied Kant durch die verschiedene Weise legitimer Sanktionierung — durch auSeren Zwang und durch den »Selbstzwang” des Gewissens. Dabei blieb jedoch letztlich ungeklart,

8 Adorno

(63), Aspekte

der Hegelschen Philosophie, in: ders., Drei Studien zu

Hegel, Frankfurt S. 61; ders. (‘75), Negative Dialektik, Frankfurt S. 235, 278.

15

wie ,,Selbstzwang” ein Charakteristikum einer rationalen moralischen Einsicht sein kann und wie sich dann Tugenden der Achtung und der Liebe begrifflich unterscheiden lassen. Diese Ungeklirtheit wird schon daran deutlich, da8 Kant den Selbstzwang generell, also auch bei den Liebespflichten, als ,,Achtung”, namlich als ,,Achtung vor dem Gesetz”, versteht (s. I, 4.4).

Ich verstehe Hegels Kantkritik in dieser Hinsicht so, da& Hegel die

Moralitat im Gegensatz zu Kant nicht mehr vom Paradigma der Rechtsform her versteht. Die Orientierung an der Rechtsform hat vor allem die Folge, da8 moralische Verpflichtungen als etwas verstanden werden, dessen Erfiillung moralisch legitim gefordert — sozusagen vor dem Forum der Moral eingeklagt — und deren Nichterfiillung deshalb auch moralisch legitim moralisch sanktioniert werden kann, etwa durch Vorwiirfe oder Tadel. Das ist jedoch bei vielen moralischen Verpflichtungen nicht der

Fall.

Nun ist die Orientierung der Moral am Recht in mancher Hinsicht konstitutiv fiir die Idee einer rationalen Ethik. Denn wenn man nur die unhaltbare Idee von Pflichten gegeniiber sich selbst verabschiedet (s. S. 142 f.), so geht es in Recht und Moral stets darum, in Situationen von Interessenkonflikten legitime Entscheidungen zu treffen; und wenn das Recht in Gesetzesform kodifiziert ist, so geht es — wiederum wie in der

Moral — darum, diese Entscheidungen auf der Grundlage von Prinzipien zu treffen, die ,,ohne Ansehen der Person” gelten. Diese Strukturanalogie kommt insbesondere bei Kant durch die Rede vom ,,allgemeinen Gesetz”

und von moralischer ,,Gesetzgebung” zum Ausdruck, pragt wesentlich seine Lehre vom ,,kategorischen Imperativ” und heute insbesondere Argumente zur ,,Verallgemeinerung” in der Ethik °. Man hat deshalb die Tatsache, da& der spatere Hegel seine praktische Philosophie als ,,Philosophie des Rechts” darstellt, auch als Beleg dafiir angesehen, da8 Hegel damit zum Kantianismus zuriickkehrt '. Aber aus der Analogie folgt nicht nur keine Identitat von (moralisch legitimem) Zwangsrecht und Moral oder eine Begriindung der Moral auf den Grundprinzipien des Zwangsrechts "; sie versagt vielmehr schon viel frither, weil im

Recht

daraus, da

jemand

ein bestimmtes

Recht hat,

selbstverstindlich folgt, da8 er auch berechtigt ist, die Erfiillung dieses Rechts zu verlangen. Die Form, in der im Recht Konflikte legitim ausgetragen werden, ist eben mindestens die der Forderung und Einklagung 9 vel. 1, 4.4 5.130.

to insbes. M. Riedel (’69), Hegels Kritik des Naturrechts, in: ders., Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, Frankfurt S. 72. 11 Diese Thesen werden von Ilting bzw. Riedel vertreten, vgl. Anm. I, 169 dieser

Arbeit.

16

— und zwar des naheren vor einer zur verbindlichen Entscheidung legitimierten Instanz (s. I, 4.2). Daraus, da8 jemand zu Dankbarkeit, Verzeihung, einem Opfer oder

Lebensrisiko, zu Treue in persénlichen Beziehungen usw. verpflichtet ist (vgl. 1, 4.3), folgt jedoch nicht, da8 die Betroffenen oder méglicherweise auch Dritte sinnvollerweise oder jedenfalls moralisch legitimerweise fordern kénnen, da8 jener diese Verpflichtungen erfiillt. Es ist deshalb auch genausowenig sinnvoll oder legitim, die Nichterfiillung der Verpflichtung moralisch zu sanktionieren. Aus diesem Grunde kénnen diese

Verpflichtungen nicht nur nicht moralisch legitim positiv-rechtlich institutionalisiert werden, sondern sie entziehen sich prinzipiell jeder legitimen Institutionalisierung. Fiir Hegels praktische Philosophie sind nun gerade die genannten

Phadnomene stets orientierend gewesen (s. I, 4.3). Ich fasse sie unter dem Titel einer nicht-rechtsférmigen, spezifisch ,,sittlidien” Moralitat zusam-

men. Sie gegen Kant geltend zu machen, bedeutet also eine Kritik an einem ,,Legalismus” in einem bisher meines Wissens nicht herausgearbeiteten, prinzipiellen Sinn. Zugleich bedeutet diese Kritik am Legalismus auch eine am Rigorismus in einem Sinne, der nicht von kontingenten Uberspitzungen in Kants Selbstverstindnis abhangig ist. ,,Rigorismus”

meint immer eine grundsatzliche Entgegensetzung von Pflicht und Neigung. Verpflichtungen

sind aber vor allem dann nicht forderbar, ein-

Klagbar und sanktionierbar, wenn

sie erst dadurch entstehen, da8 eine

entsprechende altruistische Neigung aufkommt; dann aber steht die Nei-

gung der Pflicht nicht nur nicht entgegen, sondern begriindet sie sogar positiv.

SchlieBlich erlaubt die Idee nichtforderbarer Verpflichtungen ein neues

Verstaindnis

von Hegels

Polemik

gegen das ,Sollen”;

denn

moralische

Pflichten als Sollen aufzufassen, besagt doch offensichtlich, sie mit Forderungen, genauer: legitimen Forderungen, gleichzusetzen. Eine Kritik an dieser Gleichsetzung fiihrt zu einer grundsatzlichen Neubestimmung

der Natur moralischer Verpflichtungen (s. I, 4.3).

Die Bedeutung von Hegels Idee einer prinzipiell nichtinstitutionalisierbaren sittlichen Moralitat, also der Anerkennung prinzipiell nicht institutionalisierbarer moralischer Rechte und Pflichten, wird auch dann deutlich, wenn man sie mit der weiteren These Hegels verbindet, da8

verniinftige Institutionen nur auf der Basis von lebendiger Moralitat funktionieren kénnen. Noch wichtiger wird sie m. E. fiir die liberale und

insbesondere die Marxsche Perspektive eines ,,Absterbens des Staates”

und institutioneller Verselbstaindigungen iiberhaupt. Ein kleiner Gedankenschritt fiihrt dariiberhinaus zu einer noch grundsatzlicheren Umorientierung in der Theorie der praktischen Vernunft. Wenn eigene altruistische Neigungen, Ideale und Lebenskonzeptionen 17

moralische Verpflichtungen begriinden kénnen, so liegt der Gedanke nahe, da& die Giiltigkeit von moralischen Verpflichtungen iiberhaupt von der Méglichkeit und Wirklichkeit transsubjektiver Einstellungen in den entscheidenden Bezugsgruppen abhingt. Diese These scheint mir bereits bei Schiller antizipiert, und sie ist bei Hegel schon dadurch angedeutet, da& er die Moralitat zu einem ,,moralischen Standpunkt” relativiert. Hegels grundlegende These lautet hier: Nur in sittlichhen Lebenszusammenhangen gibt es iiberzeugende Griinde, diesen Standpunkt einzunehmen; wenn aber die transsubjektiven, sittlihhen Anerkennungsbeziehungen hoffnungslos zerstért sind, gibt es auch keinen zwingenden Grund mehr, moralisch zu sein. Und dann haben moralische Verpflichtungen, seien sie im iibrigen legitim forderbar oder nicht, prinzipiell den Charakter eines grundlosen, blo8en ,,Sollens”.

Damit schen — baren — mativer

wird die Verniinftigkeit von Moralitat relativ auf die faktivergangenen, gegenwéartigen oder verniinftigerweise erhoffAnerkennungsbeziehungen. Darin liegt nicht eigentlich ein normoralischer Relativismus (s.I,5.1), sondern ein Relativismus

der rationalen moralischen Motivation, demzufolge aus der moralischen

Richtigkeit einer Handlung nicht unbedingt folgt, da8 sie auch schlechthin praktisch richtig ist. In der Fragestellung nach notwendigen Bedingungen dafiir, da& es verniinftig ist, moralisch zu sein, liegt eine philosophische Erneuerung des moralischen Motivationsproblems, das den Einwanden, die seit Kant gegen dessen dltere Fassungen erhoben werden miissen, nicht mehr unterliegt. Hegel setzt damit anstelle von Kants absolutistischem Autonomiebegriff implizit eine Idee sittlich vermittelter Autonomie (s. I, 5.4). Hegels These der sittlichen Bedingtheit rationaler moralischer Motivation ist ebenso wie die Idee sittlicher Moralitat ein spezifisch moralphilosophischer Beitrag zu einer Theorie nichtinstitutioneller Sittlichkeit. Sie impliziert ebenso wie die Idee sittlicher Moralitat eine prinzipielle Kritik des Paradigmas der Rechtsform. Denn im juridischen Recht wird es als eine selbstverstindliche Voraussetzung angesehen, da8 die Giiltigkeit von Verpflichtungen nicht von den konkreten sittlichen Anerkennungsbeziehungen abhangig sein kann. Tatsichlich gehen Hegels Ideen zum Verhdltnis von Moralitat und nichtinstitutioneller Sittlichkeit auf eine Kritik des Rechts und des normativen Gesetzes zuriick (s. I, 6).

Der Nachweis, da& Hegels Moralitatskritik nicht auf eine theoretische

Destruktion der Rationalitét moralischer Autonomie, sondern auf deren Erméglichung in sittlicher Anerkennung hinauslauft, bleibt nun im Prin-

zip philosophisch ahnlich unverbindlich wie bei Schiller, solange die motalische Giiltigkeit moralischer Prinzipien nicht begriindet und dabei

gezeigt wird, wie diese moralische Giiltigkeit mit der sittlichen Relativi-

tat ihrer praktischen Richtigkeit zusammenhingt. 18

Einen Ansatz zur Be-

antwortung dieser Fragen sehe ich in Fichtes Theorie der Begriindung von qualitativer Ichidentitat in intersubjektiver Anerkennung. Und ge-

rade diese Lehre Fichtes hat Hegel in seiner Jenaer Zeit zunehmend rezi-

piert und entfaltet.

2. Moralitat als notwendige Bedingung

von Ichidentitat — zur Theorie der Anerkennung bei Fichte und Hegel

Wenn bei Hegel irgendwo ein Ansatz zu einer Begriindung der Moralitat gefunden werden kann, dann in seiner Theorie der Anerkennung. /Anerkennung” bezeichnet in der ,,Rechtsphilosophie” zwar im wesentlichen nur die Beziehung zwischen Rechtspersonen; in der ,,Phanomeno-

logie des Geistes” von 1807 dient sie jedoch zur generellen Definition des Begriffs des (praktischen) Geistes (Ph 145), und die ,,Phanomenologie” im Rahmen der ,,Enzyklopadie” bezeichnet sie ausdriicklich als ,,die Substanz jeder wesentlichen Geistigkeit der Familie, des Vaterlandes, des

Staats; sowie aller Tugenden, — der Liebe, Freundschaft, Tapferkeit, der

Ehre, des Ruhms” (EnzHd § 358 Anm.) ¥. Diese These legt den Gedanken nahe, Hegels Anerkennungslehre als Versuch zu verstehen, Kants Lehre von der Achtung fiirs moralische Gesetz einerseits auf ihre phanomenalen Evidenzen zuriickzufiihren * und andererseits aus den Bedingungen des menschlichen Selbstverhaltnisses neu zu begriinden. Vielleicht hat Hegel auch daran gedacht, da8 die Schwierigkeiten im Begreifen des Anerkennungscharakters moralischer Einsicht, die bei Kant in die Sackgasse der Lehre vom ,,Faktum der Ver-

nunft” gefiihrt hatten “, aus der Struktur intersubjektiver Anerkennung aufgeklart werden kénnen.

12 Die Berliner Enzyklopadie spricht vorsichtiger von der ,Form des BewuStseins der Substanz jeder wesentlichen Geistigkeit” und merkt zusatzlich an: ,,Aber dies Erscheinen des Substantiellen kann auch vom Substantiellen getrennt und fiir sidi in gehaltleerer Ehre, eitlem Ruhm usf. festgehalten werden” (EnzB* § 436 Anm.).

13 Vgl. Teil I, 4.4 dieser Arbeit. In Kants Metaphysik der Sitten bedeuten die »Pflichten der Achtung” zwar eine spezielle Gruppe von Tugendpflichten, die zwischen den Rechtspflichten und den Tugendpflichten der Liebe stehen. Kant spricht aber gelegentlich statt von der ,,Achtung” auch von der ,Anerkennung” der Giiltigkeit des moralischen Gesetzes (MS 508). Fichte bezeichnet das Rechts-

gesetz der wechselseitigen Anerkennung der Freiheit von Personen gelegentlich als Gesetz ,der gegenseitigen Achtung fiir ihre Freiheit“ (Nr 95). 14 Vgl. D. Henrich (‘60), Das Problem der sittlichen Einsicht und Kants Lehre vom Faktum der Vernunft, in: Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken, Festschrift fiir H.-G. Gadamer, Tiibingen; wiederabgedruckt in: Kant. Zur Deu-

tung seiner Theorie des Erkennens und Handelns, hrsg. v. G. Prauss, Kéln ('73).

19

Seit A. Kojéves Vorlesungen zur ,,Phainomenologie des Geistes” ist Hegels Theorie der Anerkennung als Zentrum seiner Jenaer Philosophie des Geistes erkannt worden. Kojéve hatte die phanomenologische Anerkennung allerdings auf die Anerkennung des ,,puren Prestiges” * des Kampfes auf Leben und Tod und auf die Anerkennung des Arbeiters als solchen reduziert, und es war ihm nicht gelungen, das von Hegel behaup-

tete Beziehungsverhaltnis von SelbstbewuStsein und Anerkennung einsichtig zu machen. J. Habermas hat sich zu diesem Zweck dann auf die Sozialphilosophie von G.-H. Mead berufen**. Habermas zielt dabei weniger auf eine Begriindung von SelbstbewuStsein im allgemeinen als von Ichidentitat in wechselseitiger Anerkennung (s. III, 4.1 insbes. S. 328). In diesem Fundierungsverhdltnis hat Habermas spiater, ohne direkten Hegelbezug, eine Begriindung der Rationalitat einer konsensuellen, und d.h. auch morali-

schen Orientierung, gesehen'’. Damit hatte sich gezeigt, da8 Hegels Theorie der Anerkennung implizit eine Begriindung der Ethik enthalt — falls Habermas’ Argumentation zur Sache iiberzeugend wire. Sie reicht jedoch noch nicht aus (s. II, 4.1). In dieser Situation hat die Beobachtung eine besondere Bedeutung, da

die Theorie der wechselseitigen

Konstitution

des

,,Selbstbewu8t-

seins” durch intersubjektive Anerkennung fiir Hegel gar nicht spezifisch ist, sondern bereits in Fichtes Schriften zur Grundlegung der praktischen Philosophie entwickelt worden ist *, namlich in seiner ,,Grundlage des Naturrechts” von 1796 und in seinem ,System der Sittenlehre” von 1798. Diese Lehre hat bei Fichte explizit eine zentrale Stellung in der Begriindung normativ-praktischer Prinzipien. Im ,,Naturrecht” dient sie Fichte zunachst zur Ableitung von Begriff und Prinzip des Rechts, die unabhangig von denen der Moral sein sollen (Nr §3 u. 4). In der ,,Sittenlehre” kommt Fichte auf sie aber bei der Frage des materialen Gehalts des Sittengesetzes zuriick (Sl § 18 III). Der Sache nach kommt erst hier Fichtes Begriindung der Moralitat an ihr Ziel.

Fichtes Begriindung der Ethik ist allerdings nicht von Anfang an an eine Anerkennungslehre gebunden, und die Anerkennungslehre ist zu-

nachst auch nicht geeignet, die von Fichte mit ihr verbundenen Anspriiche

15 A. Kojéve, Introduction a la lecture de Hegel, Paris (’47); ich zitiere nach der deutschen Auswahl:

Kojéve, Hegel.

Eine Vergegenwartigung

hg. v. I. Fetscher, Frankfurt ('75), S. 15, 18.

seines Denkens,

16 J. Habermas ('74), Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser »Philosophie des Geistes”, in: Hegel, Frithe politische Systeme, hrsg. v. G. Géhler, Frankfurt Berlin Wien S. 793 Anm. 10. 17 J. Habermas ('73), Legitimationsprobleme im Spatkapitalismus, Frankfurt S. 153 Anm, 18 M. Riedel ('69), S.59 Anm. 52. 20

einzulésen. Fichtes Begriindung der Ethik ist zunichst ein Versuch, angebliche Aporien in der Struktur epistemischer Selbstbeziehung, namlich des Selbstbewu8tseins iiberhaupt und des Wissens von sich, aufzulésen. Die Versuche Fichtes und seiner Interpreten, diese Aporien zu konstruieren, behandle ich kritisch in den ersten beiden Kapiteln des zweiten

Teils dieser Arbeit. Fichte entwickelt auch seine Anerkennungslehre zu-

nichst im Kontext der epistemischen Problematik. Anerkennung ist demnach Bedingung sowohl fiir SelbstbewuStsein als fiir ein Wissen von fremder Subjektivitat. Dieser Ansatz ist jedoch ebenfalls nicht hinreichend begriindet und hat auch fragwiirdige rechtsphilosophische Konse-

quenzen (s. II, 4.2).

Fichte hat nun spiitestens seit 1798 seine praktische Philosophie auf

einer Theorie des Willens und der praktischen Selbstbeziehung aufge-

baut. So besteht das erste Hauptstiick des ,,Systems der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre” von 1798 iiber die ,,.Deduktion des Prinzips der Sittlichkeit” zunachst in einer Analyse der Selbstbeziehung im Wollen (s. II. 3). Diese Analyse reicht allerdings zu einer Deduktion des Prinzips der Sittlichkeit nicht aus. Es bedarf dazu mindestens noch der Einsicht in die Fundierung von Ichidentitat in der Anerkennung von Rechten und Pflichten (s. II, 4.1). Fichte hat diesen entscheidenden Schritt in seiner Theorie der Fundietung von ,Ichheit” bzw. ,Individualitat” in Anerkennung vollzogen.

Da Fichte in seiner ,,Sittenlehre“ die ,Ichheit” im Wollen begriindet, hat

»lchidentitat” hier zunadchst nur die Bedeutung von Handlungskompe-

tenz oder Lebenskonzeption,

also von

,voluntativer Ichidentitat”.

Die

Problematik der Ichidentitat 148t sich jedoch auch als Nachfolgerin der

Problematik des Selbstbewu8tseins und der epistemischen Selbstbeziehung auffassen, von der Fichtes systematisches Philosophieren ausgegangen war (s. II, 2.3). Fichtes praktische Philosophie begriindet die Ethik in der Form einer Theorie der Wissensstruktur des moralischen BewuStseins. Denn die

Giiltigkeit moralischer Normen wird hier als die strukturelle Notwendigkeit expliziert, da8 in entfalteter praktischer Selbstbeziehung die Uberzeugung von der Giiltigkeit dieser Normen begriindet ist. Fichtes Aner-

kennungslehre ist dariiberhinaus insofern eine Theorie praktischen Wissens, als sie nach den Bedingungen fragt, unter denen sich das praktische Bewu8tsein seine rationalen Strukturen als solche aneignen kann. Nach diesen Vorbereitungen ist es nicht mehr schwer zu erkennen, da& auch Hegels Anerkennungslehre als wesentlicher Bestandteil einer Grundlegung der praktischen Philosophie verstanden werden kann”. In 1g L. Siep hat inzwischen tiberzeugend gezeigt, da8 Hegels Jenaer Anerkennungslehre als Grundlegung der praktischen Philosophie verstanden werden mu& 21

der ,,Phinomenologie des Geistes” von 1807 und im Rahmen der ,Enzy-

klopiadie” behandelt Hegel die Dialektik der Anerkennung zwar wesent-

lich unter dem Titel ,Selbstbewu8tsein”. Hegels These ist aber nicht eigentlich, da8 das SelbstbewuStsein iiberhaupt, sondern da8 das An-

undfiirsichsein des SelbstbewuStseins nur durch Anerkennung méglich

ist: ,Das Selbstbewu8tsein ist an und fiir sict, indem und dadurch, da8 es fiir ein Anderes an und fiir sich ist; d.h. es ist nur als ein Anerkann-

tes” (Ph 145). Das Anundfiirsichsein des SelbstbewuBtseins ist aber das Wissen von sich als bestimmte Subjektivitat, das wesentlich erst in qualitativer Ichidentitat erreicht ist. In der Jenaer Realphilosophie ist der Bezug auf die praktische Philosophie noch direkter. Der Proze& des Anerkennens ist dort die letzte Stufe der Analyse des Willens und insbesondere des Wissens des Wollenden von sich als solchhem. Da8 Hegel hier mit seiner Theorie des Willens auf eine Begriindung moralisch-rechtlicher Normen zielt, geht schon daraus hervor, da8

das Anerkanntsein

hier als Recht und Sittlichkeit

expliziert wird. In diesen Texten ist die Wertung der Moralitat ungewéhnlich positiv, wie bereits Rosenzweig erkannte (s. Einl. zu I, 5.37 ff.). Da8 Hegel dort auch eine rationale Moral begriindet, dafiir spricht vor allem, da8 die genannten Theoriestiicke eine erneute Fichterezeption verraten, die in Hegels expliziten AuSerungen iiber sein Verhiltnis zu Fichte keinen Niederschlag gefunden hat. Dem Nachweis von Hegels wachsender Fichteaneignung dient der Teil III dieser Arbeit. Im Kontext der Entfaltung und Differenzierung der Theorie der Anerkennung in der ,,Phanomenologie des Geistes” gelingt Hegel dann auch die iiberzeugendste Darstellung seiner Idee sittlichher Moralitat und die Begriindung der Sphare der moralischen Autonomie iiberhaupt in transinstitutioneller wechselseitiger Anerkennung (s. III, 5.6), namlich in der Theorie der Verzeihung und der Verséhnung am Ende des Moralititskapitels. Damit verkniipft Hegel tiber Fichte hinaus die Begriindung der Giiltigkeit moralischer Prinzipien durch den Aufweis von moralischer Anerkennung als Bedingung von Ichidentitat mit der spezifisch sittlichen Ebene der Moralitat und mit der Antwort auf das Motivationsproblem. (L. Siep (’79), Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, Freiburg Miinchen). Siep sieht die Aufgabe einer praktischen Philosophie allerdings nicht in der Formulierung, Begriindung und Anwendung eines allgemeinen Moralprinzips, sondern in der historisch gerichteten Vermittlung von Selbsterfahrung, gemeinsamen Situationsdeutungen und Institutionen. Hegels Ansatz ist fiir diese Fragestellung sicher fruchtbar, aber er reicht m. E. auch tiefer in die Fundamente

einer rationalen Moral. Meine Fragestellung und die von L. Siep beriihren sich in der Frage nach Bedingungen von Ichidentitat und vermutlich auch beim moralphilosophischen Motivationsproblem. Zu Sieps Ansatz vgl. Anm. I, 152

u. III, 84 dieser Arbeit.

22

Allerdings reicht die Verkniipfung von Ichidentitat und Anerkennung

bei Fichte und Hegel fiir eine tiberzeugende Begriindung der Moralphilosophie noch nicht aus, da sie Ichidentitét im wesentlichen nur

auf der

kognitiv-voluntativen Ebene thematisieren. In dieser Hinsicht enthilt Fichtes Subjektivitatsphilosophie jedoch einen Ansatz, dem in Hegels theoretischer Begrifflichkeit nur wenig entspricht. Fichtes Versuch einer Definition von Selbstbewu8tsein arbeitet vor

allem mit der Idee der Existenzgewifheit, und die SelbstbewuB8tseinsdefinition, die daraus entwickelt werden kann (s. II, 1.3), ist von der Art,

da8 sie es erlaubt, die prinzipielle Méglichkeit affektiver Selbstentfremdung zu verstehen (s. II, 2.3). Damit weist bereits die SelbstbewuStseinsdefinition implizit auf die subjektivitatstheoretisch fundamentale Dimension affektiver Ichidentitat. Hegel wird der theoretische Zugang dazu ins-

besondere durch seine ,dialektische” Konstruktion des Selbstbewu&tseins versperrt, die wesentlich von irrefiihrenden Anlehnungen an die

Sprache des Handelns lebt. Fir eine Grundlegung der Moralphilosophie ist es nun notwendig, von der Ebene praktisch-voluntativer Ichidentitat auf Sinn als notwendige Bedingung von dieser und auf affektiv-emotionale Ichidentitat als Bedingung von Sinn zuriickzugehen. Fiir diese Schritte stiitze ich mich zunachst auf Tugendhats Mead-Rekonstruktion™ und dann auf neuere psychoanalytische

Theorien

der

Genese

des

,Selbst”

und

auch

auf

Schmitz’ Theorie der moralischen Gefiihle (s. II, 4.1). Diese Uberlegungen haben einen vorlaufigen Charakter. Ihre Aufgabe ist hier hauptsachlich die zu verhindern, da8 naheliegende Einwande gegen die Konzeption von Fichte und Hegel dazu fiihren, die Fragestellung nach notwendigen Bedingungen von Ichidentitét in der Moralphilosophie von vornherein zu diskreditieren. Die Thematik emotionaler Ichidentitat ist aber auch Hegel nicht fremd. Der Wille findet nach Hegel erst durch seine Identitat mit sich im anderen sein ,,Selbstgefiihl” (Rph § 7 Zus.; § 147); und Hegels neospinozistischer Begriff des ,,Triebs“ weist, ebenso wie bei Fichte, auf den Zu-

sammenhang von affektiver und voluntativer Ichidentitat (III, 5.1). Dariiberhinaus wurzelt Hegels dialektische Denkform iiberhaupt wesentlich in elementaren Erfahrungen von Bedrohung “.

20 E. Tugendhat ('79a), SelbstbewuBtsein und Selbstbestimmung. Sprachanalytische Interpretationen, Frankfurt S. 264 ff. 21s. I, 6.3 und III dieser Arbeit sowie Schmitz’ Untersuchung: Die Symbolik der Bedrohung bei Kleist, Hélderlin und Hegel (mit besonderer Beriicksichtigung Hegels), in: ders, (’57), Hegel als Denker der Individualitat, Meisenheim a. Glan

S. 20-89, insbes. S. 75 ff.

23

I Revision und Rekonstruktion von Hegels Moralitatskritik

Einleitung: Die Moralitatsproblematik in der Hegelforschung Hegel galt die Kantische Ethik zu Recht als der wichtigste Versuch, eine normative Ethik rational zu begriinden, ohne ethische Fragen auf die des Selbstinteresses zu reduzieren. Hegels prinzipielle Kritik der Kantischen Ethik scheint deshalb die These zu implizieren, da8 praktische Fragen mit spezifisch moralischen Argumenten iiberhaupt nicht rational entschieden werden kénnen. Demgegeniiber méchte ich zeigen, da8 Hegels Moralitatskritik auch als ein Versuch verstanden werden kann, den Bereich mo-

ralischer Vernunft sowohl zu erweitern als auch kritisch einzuschrinken. Hegels Kritik der Kantischen Ethik richtet sich in dieser Perspektive inhaltlich einerseits gegen eine rechtsformige Begrenzung der moralischen Vernunft; sie entwickelt andererseits das moralphilosophische »Motivationsproblem” neu als das Problem notwendiger Bedingungen in den sittlichen Sozialbeziehungen dafiir, da8 es iiberhaupt verniinftig ist, den moralischen Standpunkt einzunehmen. Hegels Kantkritik impliziert deshalb nicht eine Zuriickweisung, sondern sogar eine Ausweitung

und Begriindung moralischer Autonomie. Mit dieser Interpretationsperspektive befinde ich mich in einem offensichtlichen Gegensatz zu den Hauptstrémungen der Interpretations- und Wirkungsgeschichte Hegels, insbesondere zu den dominierenden Hegel-

auffassungen der zeitgendssischen deutschen Philosophie. Das gilt insbesondere fiir die Hegelianer verschiedenster Orientierungen — auch marxistischer. Es gibt jedoch bereits in der Geschichte der Hegelinterpetationen Versuche zu einer Reaktualisierung positiver Momente von Hegels Moralitatskritik, insbesondere

bei F. Rosenzweig.

Der weitreichendste

Ansatz zum Verstandnis von Hegels tieferem Verhaltnis zur Kantischen Ethik scheint mir in der gegenwartigen Idealismusforschung derjenige von D. Henrich. Daran setzen meine Uberlegungen der Sache nach an. Dabei lege ich Wert darauf, da8 meine Thesen iiber Hegels Moralitatskritik nicht entscheidend von entwicklungsgeschichtlichen Hypothesen abhangen. o.1 Zur hegelianischen Abwertung moralischer Autonomie In der BRD ist die einfluSreichste Hegeldeutung zweifellos die von Joachim Ritter. Ritter hat sie in seiner Abhandlung iiber ,,Hegel und die Franzésische Revolution” ' entwickelt und dann auch direkt auf Hegels

1 J. Ritter, Hegel und die Franzisische Revolution, Frankfurt ('65). Die Erstauflage erschien 1957.

27

Auseinandersetzung mit der Kantischen Ethik angewandt*. Ritter deutet

hier in Abwehr einer angeblichen Kantischen Ethik der blo8en Innerlich-

keit (Ritter (’75) 222, 224, 231) den Hegelschen Begriff der ,Sittlichkeit” in schlichter Riickkehr zu aristotelischen Bestimmungen als ,,Einformung

in die ethischen und institutionellen Ordnungen der Polis [...] ,Ethik’ ist daher Lehre von dem Guten und Rechten, das in Ethos und Nomos

das in ihnen zur Allgemeinheit gebildete Tun der Einzelnen bestimmt” (Ritter (’75) 228). Gegeniiber den Institutionen wird vom einzelnen also nicht Autono-

mie erwartet, sondern Anpassung. Ethik wird verstanden als ,,institutio-

nelle Ethik” (Ritter (’75) 229) und als ,,Lehre von den ethischen Ordnungen und Institutionen” (Ritter (’75) 233); und Sittlichkeit wird definiert als ,,institutionelle Wirklichkeit menschlichen Selbstseins”

(Ritter (’75)

234). Selbstsein konstituiert sich hier nicht etwa durch einen originiren Zugang zu den eigenen Gefiihlen, eine universalistische Handlungskompetenz und eine konsistente Lebenskonzeption, sondern durch ,,Einformung in die ethischen und institutionellen Ordnungen der Polis” (Ritter (’75) 228). ,,So stellt Hegel den [...] Standpunkt der Sittlichkeit wieder her” (Ritter (75) 237) und hat ,,zugleich die kantische Trennung von Tugend und Recht riikgangig gemacht” (Ritter (’75) 238). Wie dies mit Ritters Versicherung, da8 ,alle restaurativen Deutungen beiseite bleiben” miissen (Ritter (75) 228), vereinbar ist, erfahren wir nicht. O. Marquard hat in seiner Miinsteraner Antrittsvorlesung iiber ,,Hegel und das Sollen” die ,,hermeneutische” Hegeldeutung Ritters vor dem Verdacht zu retten versucht, ,Unterwerfungsphilosophie” zu sein *. ,,He-

gels Sollenskritik” habe namlich ,ihre einzigartige Bedeutung und gegenwiartige Wichtigkeit als die gegeniiber der Transzendentalphilosophie polemische Priisenz dieses Prinzips Hermeneutik” (Marquard 107). Andererseits ,,scheint gegenwartig Hermeneutik weithin die Losung einer Philosophie der unbedingten Unterwerfung unter Gegebenes. Und die heutige Vorherrschaft gerade dieses Begriffs philosophischer Hermeneutik: sie bringt zwangslaufig auch den Versuch, Hegel im Namen der Hermeneutik zu prisentieren, in den Verdacht, die bloBe Variante und

Unterstiitzung dieser Unterwerfungsphilosophie zu sein” (Marquard 108). Marquard will jedoch zeigen, da sich Hegels Sollenskritik nicht gegen jedes Sollen, damit auch gegen jede Gesellschaftskritik in prakti2 J. Ritter, Moralitaét und Sittlichkeit. Zu Hegels Auseinandersetzung mit der Kantischen Ethik, in: Kritik und Metaphysik, Festschrift fiir H. Heimsoeth, Berlin ('66) S. 332 ff.; zit. n.: Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, Bd. 2, hrsg. v. M. Riedel, Frankfurt ('75) S. 217 ff. 3 O. Marquard, Hegel und das Sollen, in: Philosophisches Jahrbuch der GérresGesellschaft (’64) S. 103 ff.; wiederabgedruckt in: O. Marquard, Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie, Frankfurt (73). 28

scher Absicht richtet, sondern nur gegen die Tendenz, bei praktischen Forderungen von ihren Vermittlungsbedingungen im Sinne der fiir ihre Verwirklichung notwendigen Mittel zu abstrahieren (Marquard 112) und so die Verniinftigkeit des Wirklichen zu unterbieten; Marquard nennt das den ,Verleugnungszwang und Regressionseffekt des Sollensdenkens” (Marquard 115). Geistreiche Rhetorik kann jedoch kaum dariiber hinwegtauschen, da8 Marquards These sachlich unterbestimmt ist und insbesondere hinter kantischen Bestimmungen zuriickbleibt. Was Kant selbst betrifft, so fiigt Marquard zu den traditionsreichen Vorwiirfen des Rigorismus und der Realitatslosigkeit, die wir im folgenden kritisch behandeln werden, noch die einer ,Orientierung der Moralprobleme weithin am Extremfall der Pflichtenkollision” und eines ,,Zusammenhangs von Moralitat und Tra-

gédie” hinzu (Marquard 115 Anm. 48), obgleich Kant explizit auch nur die Denkbarkeit einer Pflichtenkollision bestritten hat (MS 330). Marquards positives Kriterium dafiir, da ein Sollen einsichtig und verbindlich ist, lautet: wenn es ,allgemeine Zwecke” formuliert, fiir deren Rea-

lisierung die notwendigen Mittel erreichbar sind. Dabei bleibt unklar, was ,allgemeine Zwecke” sind ‘, und uneinsichtig, da8 die Vermittlungs-

probleme auf das technische Problem der Mittel reduziert werden. Marquards Versuch, von der Sollenskritik her die Rittersche Hegeldeutung von der vorherrschenden hermeneutischen ,,Unterwerfungsphilosophie” zu unterscheiden, bleibt also selbst in einem — durchaus

schlechten —

Sollen stecken. Wahrend bei Ritter moralische Autonomie als blo&e Innerlichkeit und bei Marquard jedenfalls als praxisfernes Sollensdenken abgewertet wird, wird ihre Reichweite auch in differenzierteren Hegeldeutungen, die sich ebenfalls an vorkantischen Traditionen der praktischen Philosophie orientieren, prinzipiell eingeschrankt. So geht Ilting zunachst davon aus, da8 Hegel dadurch, da8 er seit seiner Niirnberger Enzyklopadie zwischen die Lehre des individualistischen Vernunftrechts und des Staates die

Lehre von der Moralitat einschob, ein Individuum postulierte, das ,,nicht

mehr als autonome Person lediglich im Interesse der eigenen Willkiir handeln, sondern die Durchsetzung allgemeiner Normen zum Zweck seines Handelns machen wiirde” (Ilting (’75) 58f.) *. Ilting schreibt Hegel,

mit Blick auf die klassische politische Philosophie, dann jedoch die Unter-

4 Marquard spricht vage von ,freiheitsbetreffenden, also allgemeinen Zwecken, die es fiir alle Menschen sind” (Marquard S. 112). Das mag eine — aristotelisierend iiberdeckte — Reminiszenz an gewisse Kantische Formulierungen des kategorischen Imperativs sein, insbesondere an das ,oberste Prinzip der Tugend-

lehre” in der ,Metaphysik der Sitten” (MS 526). 5 K.-H. Ilting (‘75), Die Struktur der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, Bd. 2, hrsg. v. M. Riedel, Frankfurt.

29

scheidung folgender zwei Grundbedeutungen im Begriff der Moralitit zu: ,,Die ,Moralitat’ des grundsitzlich von seinen sozialen Beziigen isoliert gedachten und primir sich selbst verantwortlichen Individuums und

die ,Sittlichkeit’, zu der ein Mensch stets nur dadurch fahig wird, da8 er

einer Gemeinschaft angehért und zu seinem Teil an den Aufgaben der Gemeinschaft mitwirkt” (Ilting (’75) 59). Auf diesem Weg kommt Ilting ohne nahere Begriindung zu.einer fragwiirdigen Einschrankung des Geltungsbereichs der Moralitét: Wahrend die philosophische Staatslehre vom Staat handle ,,als einer politischen Gemeinschaft, in der die Indivi-

duen nicht jedes ihren privaten Zwecken nachgehen, sondern ihre dffentlichen Interessen

gemeinsam

verfolgen”, beschranken

sich

Recht

und

Moralitat angeblich ,,auf die Betrachtung der individuellen Existenz des Menschen“ (Ilting (’75) 61) *. SchlieSlich wird in der neuesten Hegelforschung versucht, Hegels negative Moralitatskritik sowohl aus entwicklungsgeschichtlichen Griinden wie aus den theoretischen Zwangen der Systemkonstruktion zu verstehen’. Mit dieser Strategie werden die tieferliegenden philosophischen In-

tentionen Hegels jedoch m. E. eher verdeckt.

6 Ilting sagt richtig, da8 Hegel mit seiner Unterscheidung von Moralitat und Sittlichkeit deutlich machen will, ,da8 die Probleme der Moralitat, die Kant in seiner Moralphilosophie untersucht und dargestellt hatte, ebenso auf ein bestimmtes Verhaltnis des moralischen Subjekts zu anderen moralischen Subjekten zuriickgehen, wie sich die Fragen des Vernunftsrechts, die er im ersten Teil der ,Rechtsphilosophie’ behandelt hatte, auf den Menschen als autonome Person beziehen, die ihre rechtlichen Verhaltnisse frei und willkiirlich gestaltet” (Ilting (’75) S. 60). Es ist jedoch falsch, die Grundsatze der Moral ,individuali-

stisch” zu nennen in dem Sinne, da8 sie sich auf Individuen beziehen, sofern

sie ,ihren privaten Zwecken nachgehen” (ebd. 61). Ilting sagt leider nichts Niaheres tiber das ,,bestimmte Verhaltnis des moralischen Subjekts zu anderen moralischen Subjekten”.

7 In einer neueren Arbeit versucht Horstmann zu zeigen, da8 Hegel seine nega-

tive Beurteilung der Moralitat im Rahmen seiner friiheren Jenaer Theorie der absoluten Sittlichkeit im Kontext der spateren Geistphilosophie dadurch aufrecht zu erhalten sucht, da8 er einerseits den Freiheitsbegriff formalisiert und andererseits den erkennenden vom handelnden Geist systematisch trennt (Horst-

mann ('79), Subjektiver Geist und Moralitat, in: Hegels philosophische Psychologie, hrsg. v. D. Henrich, Hegel-Studien

Beih. 19, Bonn

S. 197). Die Philoso-

phie des subjektiven Geistes als Theorie des erkennenden Geistes tibernehme dabei die Funktion, fiir den endlichen Geist Freiheit im Sinne des Bei-sich-

Seins nachzuweisen, wahrend die Lehre von der Moralitat die Unwahrheit des subjektiven Geistes als handelnden aufweist (ebd. S. 198). Horstmanns Pramisse ist indes unrichtig, da8 die Philosophie des subjektiven

Geistes diesen nur als erkennenden behandelt. Sie behandelt vielmehr sowohl

die Bewegung des Anerkennens wie den Willen. Fiir die Moralphilosophie entsteht allerdings dadurch eine ungiinstige Situation, da& Hegel hier, im Gegensatz zur Jenaer Realphilosophie, den Proze8 des Anerkennens nicht mehr als 30

Elemente einer positiven Theorie der Moralitat bei Hegel werden auch

von marxistischen Autoren

kaum beachtet; sie bemiihen sich allerdings

zum Teil um eine kritische Erklarung des moralphilosophischen Defizits bei Hegel. So schreibt Marcuse in seiner Gesamtdarstellung der Hegelschen Philosophie: ,,Es ist oft hervorgehoben worden, da8 Hegels System keine wirkliche Ethik enthalt. Seine Moralphilosophie geht in seiner politischen Philosophie unter. Aber dieses Untergehen der Ethik in der Politik entspricht seiner Interpretation und Beurteilung der biirgerlichen Gesellschaft. Es ist kein Zufall, da8 sein Abschnitt iiber Moralitat der kiirzeste und am wenigsten bedeutsame seines Werkes ist.” *° Mit diesen Satzen geht Marcuse in seiner Hegeldarstellung vom ,,abstrakten Recht” zur ,,Sittlichkeit” iiber *.

Lukacs bezieht sich in seinem Werk ,,Der junge Hegel” vollkommen kritiklos auf Hegels geradezu peinliche Verballhornung von Kants Moralprinzip: ,Er [Kant] glaubt namlich, da8 wenn der Mensch ein moralisches Gebot zum allgemeinen Gesetz

erheben kann, ohne auf einen Wider-

spruch zu stoen, damit dessen Richtigkeit philosophisch nachgewiesen ist [...] Kant glaubt also, da& durch dieses Prinzip der Widerspruchslosigkeit aus der Form des kategorischen Imperativs sein gesellschaftlicher Inhalt in allen einzelnen Fallen deduzierbar ist” (Lukacs II, 459) *. Kant rechtfertige so auch ,,die einzelnen Institutionen, moralischen Gebote etc.

der biirgerlichen Gesellschaft” (Lukacs I, 264). Dagegen sei es Hegels These, ,,da8 ein bestimmtes Pflichtgebot, das unter bestimmten gesellschaftlichen und historischen Bedingungen, aber nur unter diesen Bedingungen richtig ist, ohne Veranderung seines Inhalts falsch werden kann, wenn es unter veranderten Bedingungen auf-

rechterhalten wird” (Lukacs I, 251). Das ist jedoch kein triftiger Einwand gegen Kant, da die Formalitat des Kantischen Prinzips gerade impliziert, da& mit ihm unter verschiedenen Bedingungen verschiedene Pflichten begriindet werden kénnen. Es geht Hegel nach Lukacs auch grundsatzlicher wesentlich darum, da8 man, da ,jede einzelne moralische

Forderung nur einen Teil, nur ein Moment eines lebendigen, sich in beGestalt des Wissens des Willens darstellt. Man kénnte auch darauf hinweisen,

da& die Gliederung der ,Wissenschaft des Geistes” in der ,,Philosophischen Enzyklopadie” der Niirnberger Propadeutik fiir die Oberklasse Horstmanns These weitgehend entspricht. (Vgl. Anm. III, 126). 8 H. Marcuse, Vernunft und Revolution, Neuwied S. 179. g In den Kapiteln tiber die ,theologischen Jugendschriften” und die friihen Jenaer Schriften wird die Moralitatsproblematik nicht einmal erwahnt. Fiir das Moralitatskapitel der ,Phanomenologie” hat Marcuse ebenfalls nur ein paar summa-

rische Bemerkungen tibrig (Marcuse S. 93).

10 G. Lukdcs, Der junge Hegel. Uber die Beziehungen von Dialektik und Okono-

mie, Frankfurt ('73), 2 Bde.

31

standiger

(ebd.), vom

Bewegung

befindlichen

gesellschaftlichien

,,Gebiet des Abstrakt-Moralischen

Ganzen

in das weite

bildet”

Feld

der

dkonomischen und sozialen Betatigungen der Menschen in der biirgerlichen Gesellschaft” iibergehen miisse (Lukacs I, 271). Nun sagt Lukacs nicht nur, die biirgerliche Gesellschaft lage als Voraussetzung den ,apriorischen Konstruktionen” Kants zugrunde (Lukacs

I, 263), sondern der kategorische Imperativ liefere auch ,,ein Idealbild

der biirgerlichen Gesellschaft” (Lukacs I, 247). Ist dies aber der Fall, so ist er erstens nicht mehr das leere Prinzip der Widerspruchslosigkeit; da zweitens die biirgerliche Gesellschaft durch rationale Prinzipien wie Freiheit und Gleichheit, wenn auch in wichtiger Hinsicht nur formal, struk-

turiert ist, so mii&te ein ,,Idealbild” dieser Gesellschaft ihre faktische und miégliche Realitat auch rational iiberschreiten. Nach Lukacs gibt es in der Entwicklung Hegels eine wichtige Stelle,

wo die historische Realitat von der Moralitat iiberschritten wird, namlich im Moralitatskapitel der ,Phanomenologie des Geistes”, das Lukacs als

die Darstellung der ,napoleonischen Deutschlandutopie Hegels” interpretiert (Lukacs II, 777) ". Diese moralische Utopie mu8 allerdings nach Lukacs leer bleiben, da ihr die gesellschaftliche Basis fehlt. Bloch hat dies

zugespitzt: ,,Das Ideal konnte freilich — als das Unding

einer verséhn-

ten, vollendeten Form der biirgerlichen Gesellschaft — auch keine Farbe

erhalten; und das Nicht-Unding an der Utopie: die Moralitat eines Sozialismus, lag fiir Hegel ganzlich hinter dem Horizont. So ist das Moralitatskapitel fast lediglich mit Kritischhem und Negativem gefiillt, nam-

lich mit der Feststellung, da8 der Gehalt der vollkommenen und vollstan-

digen biirgerlichen Polis die dialektische Uberwindung der Widerspriiche sei, die in der Moral von Kant, Fichte und Jacobi gespiegelt sind” (Bloch 95) **. Entsprechend stiefmiitterlich und affirmativ werden von Bloch die Moralitatskapitel der Phanomenologie (Bloch g2 f.) und der Rechtsphilosophie (Bloch 262—64) behandelt. Lukacs nimmt zum

ralitatskapitel

,,rein utopischen Gehalt” der Verséhnung im Mo-

der Phanomenologie

folgendermafen

Stellung:

,,Es ist

einerseits fiir die denkerische Ehrlichkeit Hegels charakteristisch, da& er

diese noch leere Stelle in seiner Wirklichkeit auch gedanklich lieber leer ]a&t, als reine Traumereien in der Form von Wirklichkeiten darzustellen.

Andererseits entsteht jedoch objektiv eine Uberlegenheit der spateren

Form der ,Verséhnung’, eine Uberlegenheit an realem Skonomischen

11 Zum Problem einer Anderung der Rolle der Moralitaét von der ,Phanomenologie des Geistes” zur ,,Rechtsphilosophie” vgl. neuerdings: Wim van Dooren,

Dialektik und Ethik, in: Hegel-Jahrbuch 1975 ('76) S. 329 f.

12 E. Bloch, Subjekt-Objekt. Erlauterungen zu Hegel, Frankfurt ('72) S. 95. 32

und sozialen Gehalt. (Da& diese Uberlegenheit mit einer Steigerung an munkritischem Positivismus’ erkauft wird, wissen wir bereits.)” (Lukacs IL, 779 £.). Da8 Lukacs sogar ,unkritischen Positivismus” einem rein

utopischen Gehalt” vorzieht, ist nur aus seiner Primisse verstandlich, da ,,die moralischen Probleme des gesellschaftlichen Lebens aus dessen dkonomischer Struktur herausentwickelt” werden miissen (Lukacs I,

255).

Im Unterschied zu Lukacs sieht Bloch in Hegels Sollenskritik eine ,,er-

staunliche ProzeSbremsung” (Bloch 444): ,.Bei Kant allerdings hat in der Tat das Sollen selber einen Teil seines Sollens darin, da8 es unerreichbar, ewig ungegenwartig sein soll; es hat seine melancholische Ehre darin [...] Hegel geht mit gro8em Recht gegen dies perennierende Sollen vor, doch mit dem Effekt, itiberhaupt kein Unverwirklichtes mehr zu behalten, also keine Zukunft” (Bloch 446)". Bloch sieht hier auch eine Differenz zwischen dem jungen und dem spiateren Hegel. Beziiglich der Jugendschriften notiert Bloch, kritisch gegen LukAcs’ Okonomismus gewandt, Hegels ,,Sturm und Drang” (Bloch 51). ,Der junge, zur vorhandenen Welt noch so gespannt sich verhaltende Hegel verwarf die Wiirde

des Sollens (Postuliertseins) noch nicht; aber er unterschied genau ein Aebendiges Sollen’ vom toten, d. i. von dem eines abgetrennten, uns nur gegeniiberstehenden Ideals” (Bloch 46). Aus diesen Vorbehalten gegen-

iiber der iiblichen materialistischen Moralitatskritik zieht Bloch jedoch nicht die Konsequenz, sich mit Hegels Argumenten im einzelnen kritisch auseinanderzusetzen. Um wieviel weniger wird man dies von Vertretern der DDR-Philosophie erwarten kénnen ™. Ein affirmatives Verhaltnis zu Hegels Moralitatskritik ist auch eine

wesentliche Pramisse der dlteren ,,Kritischen Theorie”. Adorno betont zwar den reaktionaren Charakter der Kritik der ,,materialen Wertethik”

an Kants Formalismus (Adorno (’75) 234) “© und erkennt gerade in der Abstraktheit dieses Formalismus ,,die Idee der Egalitat” (Adorno (’75) 235). Gleichwohl sieht Adorno in der Aufstellung von moralischen Prinzipien nur eine Verabsolutierung leerer Subjektivitit (Adorno (’75) 235,

13 Marquard will Hegel gegen Bloch in diesem Punkt verteidigen. In ihrer Kritik an

dem

,Verleugnungszwang

und

Regressionseffekt

des

Sollensdenkens”

sei

Hegels Sollenskritik keine Prozess-, d.h. Progressbremsung, sondern im Gegenteil: Regressbremsung. Sie widersetzt sich nicht dem Fortschritt, sondern im Gegenteil: sie schiitzt ihn” (Marquard S. 117). Diese Kritik trifft Bloch jedoch

nicht, da dieser gerade verschiedene Niveaus hat.

14 Vgl. die Monographie

von

H.Krumpel:

der Sollenskritik unterschieden

Zur Moralphilosophie

Dt. Vig. d. Wiss. (’72). 15 Th. W. Adorno ('75), Negative Dialektik, Frankfurt.

33

Hegels,

Berlin,

278) ** und pflichtet deshalb Hegel auch da bei, , wo er dem reaktionaren Mi8brauch Vorschub leistet“ (Adorno (’75) 278). Adornos

These von Kants ,monadologischer

Konstruktion der Mo-

ral” (Adorno (’75) 234) hat Habermas in ,,Arbeit und Interaktion” iibernommen (Habermas (’74) 795) ", aber dann aus dem Kontext des Leerheitsvorwurfs gegen Kant und einer generellen Kritik der rationalen Ethik herausgelést *. Auch Adornos These, da8 Moralitét

nur als Akt

der Negation mdglich ist, hat in der gegenwértigen Hegelliteratur Nachfolge gefunden”. Das dominierende Desinteresse des Hegelianismus gegeniiber den Problemen von individueller Autonomie und Moralitat im sozialen und politischen Handeln steht in auffalligem Kontrast zu der offenkundigen Tatsache, da8 Hegel seine eigene Philosophie wesentlich als Weiterfiihrung der durch Kant in Gang gebrachten Denkbewegung verstanden hat. Der Versuch, von diesem Zusammenhang aus Hegel zu verstehen, ist jedoch vom deutschen Neohegelianismus der Zwischenkriegszeit dadurch diskreditiert worden, da8 dieser Zusammenhang zur Unilinearitat und Teleologie des Weges ,,von Kant bis Hegel” verabsolutiert wurde”.

16 Die Kritik am moralischen Subjektivismus findet sich auch in Adornos ,Aspekten” (in: Adorno (‘63), Drei Studien zu Hegel, Frankfurt S. 61). Die Kritik der

Kantischen Moralitat ist dort ohne die Einschrinkung der ,Negativen Dialektik” formuliert. 17 J. Habermas ('74), Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser Philosophie des Geistes’, in: Hegel. Frithe politische Systeme, hrsg. v. G. Géhler, Frankfurt/Berlin/Wien;

zuerst erschienen in der Festschrift fiir K. Lowith:

Natur und Geschichte, hrsg. v. H. Braun und M. Riedel, Stuttgart (’67) S. 152 ff.; sodann in: Habermas, Technik und Wissenschaft als ,Ideologie”, Frankfurt ('68).

18 J. Habermas ('73), Legitimationsprobleme im Spatkapitalismus, Franfurt S. 124 f.; ders, ('76): Moralentwicklung und Ich-Identitat, in: ders., Zur Rekonstruktion

des Historischen Materialismus, Frankfurt S. 63 ff.

1g s. B. Lypp, Uber die Wurzeln dialektischer Begriffsbildung in Hegels Kritik an Kants

Ethik, in: Dialektik in der Philosophie Hegels, hrsg. v. R.-P. Horstmann,

Frankfurt ('78) S. 295 ff. Lypp sieht die Leistung der moralischen ,,Gesinnung” im Sinne von Hegels friihen Fragmenten wesentlich auf eine Negation von Positivitat beschrankt (dort S. 302, 304). Der Begriff der ,Gegenseitigkeit”,

mit dem Lypp dann Hegels Liebesbegriff zu fassen sucht, bleibt leider ganz unbestimmt. 20 R. Kroner, Von Kant bis Hegel, Bd. 2, Tiibingen ('24) S. 261: ,Hegel ist der gro8e

Synthetiker, wie Kant

der gro8e

Analytiker

war. Mit ihm

ersteigt die

Entwicklungslinie des deutschen Idealismus ihren Héhepunkt. Alle vor ihm auf-

getauchten Gedanken werden von ihm wieder aufgenommen und in sein System hineingearbeitet; in ihm reift die Ernte der von Kant, von Jacobi und den Kantianern, von Fichte, von Schiller, Schleiermacher und Schelling ge-

pflanzten Staat.”

34

ide.

EE

es a

Diese Verabsolutierung war bei dem so betitelten Werk von Kroner dadurch méglich, da8 es Kant irrationalistisch deutete™ und Hegel als

»den gré8ten Irrationalisten, den die Geschichte der Philosophie kennt” *,

und dabei natiirlich als Synthetiker von Rationalismus und Irrationalismus verstand. Man kann Lukdcs’ und Ritters unterschiedliche Versuche, Hegel durch eine scharfe Absetzung von dem angeblichen Subjektivismus Kants zu aktualisieren und dabei den Bruch der Kontinuitat KantHegel in Kauf zu nehmen™, als Reaktion auf diesen irrationalistischen Neohegelianismus verstehen. Fiir die im restaurierten Westdeutschland dominierende Heidegger-Schule konnte Hegel ohnehin nur aus der Frontstellung gegen den Rationalismus der modernen, insbesondere kantischen Philosophie der Subjektivitat heraus relevant werden. 0.2 Zur Geschichte einer Reaktualisierung positiver Momente von Hegels Moralitatskritik

In der Interpretationsgeschichte von Hegels praktischer Philosophie gibt es jedoch, wenn auch nur vereinzelte und meist unsystematische Ansatze, Hegels Philosophie wesentlich von der Problematik der Moralitat und rationalen Autonomie der einzelnen Person aus zu deuten. K. Rosenkranz, der Stammvater vermittelnder Hegelauslegung, beschrieb in seiner Hegelbiographie die Struktur der Hegelschen Rechtsphilosophie folgendermafen: ,,Der Begriff der Moralitat, der friiher in die iibrigen Be-

21 Kroner spricht beziiglich Kant von ,dem einseitigen Sieg der praktischen tber die theoretische Vernunft, [...] dem Verzicht des Wissens zu Gunsten des Gewissens und des Glaubens, [...] der Beschrankung des Denkens zu Gunsten des Lebens, der Erkenntnis zu Gunsten des Willens und der Tat”. Hegel bedeute die -volistindige Vereinigung dieser Gegensatze” (Kroner Bd. 2 S. 259 f.). Bei Kant gibt es jedoch nur einen Primat der praktischen Vernunft, nicht einen Primat der

Praxis, des Lebens und des Glaubens.

22 ,Hegels Denken ist ebensosehr rational als es irrational, tiberrational oder antirational ist, es ist ebensosehr Denken als Nichtdenken. [...] Hegel ist ohne Zweifel der grdfte Irrationalist, den die Geschichte der Philosophie kennt” (Kroner Bd. 2 S. 271). Hegel ist Irrationalist, weil er das Irrationale im Denken zur Geltung bringt, weil er das Denken selbst irrationalisiert, wie er freilich andererseits die dem Uberrationalen eigentiimliche Rationalitat gerade durch diese Irrationalisierung zur Darstellung bringt” (ebd. Bd. 2 S. 272). 23 Marquard wendet sich mit Recht gegen eine ,bedingungslose Absage an jede Form einer Kontinuitat zwischen Hegel und der Transzendentalphilosophie [. . .] gerade die aufklarungshaltigen, d.h. entscheidenden Elemente des Hegelschen Vernunftsbegriffs sind durch diese Kontinuitat definiert [...] eine vorsichtige Rehabilitierung des Begriffs ,deutscher Idealismus’ bzw. ,klassische deutsche Philosophie’ ist durchaus am Platz” (Marquard S.109 Anm.22). Uber Marquards Begriff der ,allgemeinen Zwecke” la8t sich dieser Zusammenhang allerdings kaum herstellen, da er wesentlich vorkantisch ist (s.0. Anm. 4).

35

griffe accidentell absorbiert war, ist selbstandig als die Mitte zwischen dem abstracten Recht des Einzelnen und dem concreten Recht des Staates zum Wesen der ganzen Sphire des objectiven Willens gemacht.” * Tatsachlich entspricht der Begriff des ,Wesens” in der Hegelschen Terminologie den vorherrschenden logischen Explikationsmitteln des Moralitatskapitels; er setzt jedoch in seiner mehr bildungssprachlichen Verwendung einen Akzent, der vom Hegelschen Text her nicht offensichtlich

ist. Rosenkranz resiimiert seine, durchaus einseitige heitlicher Institutionen der Rechtsphilosophie Hegels rung: ,,Er vergab der sittlicdien Autonomie nichts.” * Rosenkranz vorsichtiger, Hegel habe sich durch seine

Darstellung freimit der VersicheSpater formulierte Sollenskritik den

»Schein der Zufriedenheit mit dem Weltlauf” zugezogen™. G. Lasson vertrat dann die These, im Gegensatz zur nicht zufrieden-

stellenden Behandlung der Moralitat in der ,,Rechtsphilosophie” sei in der ,Phanomenologie

des Geistes“ die Moralitat

iiber der Sittlichkeit

plaziert*’. Diese Position wurde von Franz Rosenzweig in seinen bahnbrechenden entwicklungsgeschichtlichen Forschungen zu Hegels politischer Philosophie radikalisiert und verbreitert: ,Hegel hat sich kaum je weiter von seiner friihen und spiateren Verstaatlichung des Sittlichen entfernt als in diesem Geschichtsiiberblik [der ,Phanomenologie des Geistes‘]. Die beobachteten Ansiitze im System [von 1805/06], die ,Moralitat’ iiber die ,Sittlichkeit’ zu erheben, finden hier wenigstens geschichtsphilosophisch volle Verwirklichung.” * Dagegen hat der Rechtshegelianer Busse eingewandt, aus der Abhandlung der Moralitat nach der Sittlichkeit in der ,Phanomenologie des

Geistes” kénne man keine Oberordnung der Moralitat iiber die Institu-

tionen ableiten, da die Moralitat wirklichkeitslos bleibe *. Busse beachtet jedoch einerseits nicht, wie sich das ,Gewissen” im Moralitatskapitel zu

einer realitatshaltigen Gestalt entwickelt (vgl. Teil III, 5.6 dieser Arbeit), und andererseits iibergeht er villig Rosenzweigs Ergebnisse, die nicht von der speziellen Anlage der Phanomenologie abhingig sind, sich viel-

24 K. Rosenkranz (1844), Hegels Leben, Darmstadt (‘63?) S. 331. 25 K. Rosenkranz (1844) S. 332. Zu Hegels genereller Schatzung

der

Moralitat

dort S. 174. 26 K. Rosenkranz (1877), Hegel, in: Rosenkranz, Neue Studien, Bd. 3, Leipzig (1877); zit. n.: Litbbe (Hrsg.), Die Hegelsche Rechte, Stuttgart-Bad Cannstatt ('62) S. 42.

27 G. Lasson, Einleitung des Herausgebers zu Hegels ,Grundlinien der Philosophie des Rechts”, Leipzig 1911, XVII ff., XLII u. XXIX.

28 F. Rosenzweig, Hegel und der Staat, Aalen (‘62?) Bd. I, S. 218.

29 M. Busse,

S. 58 ff.

Hegels

Phanomenologie

des

36

Geistes

und

der

Staat,

Berlin

(’31)

mehr auch auf die Jenaer Realphilosophie und die Niirnberger Propadeutik beziehen. F. Rosenzweig schreibt zur Konstitutionslehre der Jenaer Realphilosophie: ,,Es ist ja nun sehr auffallend, da8 Hegel hier ganz offensichtlich eine individualistische Moralitat kantisch-fichtescher Prigung noch iiber die ,Sittlichkeit’ der gegliederten Stunde und der biirokratischen Maschinerie stellt. Gegen 1802 scheint es beinahe eine Umkehrung der Wertakzente zu sein, wenn er in der Erhebung des Geistes iiber die Standesgesinnung zur ,Moralitat’ eine notwendige Aufgabe sieht: Der Geist ,ist das Leben eines Volkes iiberhaupt, zu diesem hat er sich zu befreien’.

Ganz so scharf ist der Gegensatz vorlaufig doch nicht zu fassen; denn wie 1802 bleibt auch hier, in der Ausfiihrung wenigstens, die ,Moralitat’

an Standen haften; sie bleibt im Gemeinschaftsleben schlielich an festen

Punkten verankert. Immerhin, zusammengehalten mit der ungewdhnlich starken Betonung der persénlichen Gedankenfreiheit als Grundwesen des modernen Staates, ist diese bedingte Herabdriickung des sittlichen Werts der gesellschaftlichen Organisation héchst merkwiirdig, und folgenreich auch fiir die weitere Entwicklung des Systems” (Rosenzweig I,

192).

Zum Aufbau der Niirnberger ,,Propadeutik” bemerkt Rosenzweig dann: ,[...] im Widerspruch auch mit Hegels eigener in den vergange-

nen Jahren und spater wieder dauernd vertretenen Anschauung stellt sie die Pflichtenlehre, d.h. aber die ,Moralitat’, iiber den Staat. Auf dem

Wege von der Sittlichkeit des Staats hin zur Vollendung des absoluten Geistes finden wir jetzt — und nur jetzt — bei dem Systematiker Hegel den moralisch freien Einzelmenschen. Schon in dem

letzten Jenaer Sy-

stem hatten wir tastende Versuche nach dieser Richtung wahrzunehmen geglaubt, und unter dem Eindruck der Gestalt Napoleons hatte die Phanomenologie dann die geschichtsphilosophischen Formeln gefunden, in denen sich die Verschiebung der Wertgesichtspunkte zuungunsten des Staats und zugunsten der freien Moralitat kraftig kundgab” (Rosenzweig II, 17). F. Rosenzweig nimmt nun diese und weitere grundlegende Beobachtungen zu Veranderungen in Hegels Systemkonzeption (Rosenzweig II, 18) nicht zum Anla& einer systematisch verainderten Deutung der Moralitatsproblematik, weil in seiner religionsphilosophischen Interpretationsperspektive die Degradation der Moralitat durch die endgiiltige Trennung und Uberordnung des absoluten Geistes im Verhaltnis zum objektiven Geist ausgeglichen scheint. Nach seiner Auffassung war damit ,,zugleich das im Rahmen des damaligen Systems berechtigte Motiv, aus dem 1805 die ,Moralitat’ einen Platz iiber dem Staat hatte beanspruchen kénnen, abgetan: dem Einzelwillen, der 1805 nur dessentwegen,

da8 er Grundstein des Staates war, Anerkennung 37

nicht blo innerhalb,

sondern auch jenseits des Staates verlangt hatte, durfte nun geantwortet

werden, da& die ,Auto-Nomie’, die er beanspruche, ihm zuteil werde in Kunst, Religion, Wissenschaft; hier allein diirfe er Selbst’ sein, in seinem Verhiltnis zum Staate aber sei das Hachste, was er erreichen kénne

und solle, das ,Gesetz’” (Rosenzweig II, 94). Dagegen spricht jedoch, da8 die Autonomie des Urteilens und Handelns nach rationalen Moralprinzipien nicht durch Religion, auch nicht durch die christliche Religion, substituiert werden kann, es sei denn, der

Gehalt der (christlichen) Religion werde wiederum wesentlich als rationale Moral verstanden *. Rosenzweig begriindet seine These zur Vorrede der Rechtsphilosophie, da& das Christentum ,,das Urphanomen des Zusammenstimmens von Wirklichkeit und Verniinftigkeit” sei (Rosen-

zweig II, 182), damit, ,da8 nur weil und wo das Verniinftige anerkannt wird als das zu Verwirklichende, auch das Wirkliche als Verwirklichung

des Verniinftigen erkannt werden diirfe und miisse” (Rosenzweig II, 176). Das Verniinftige als das zu Verwirklichende anzuerkennen ist aber nichts anderes als eine formale Beschreibung der Struktur des moralischen Bewu8tseins. Rosenzweigs Deutung reicht also gar nicht so weit, einen spezifisch religionsphilosophischen Zugang zu Hegels praktischer Philosophie freizulegen. Aus dem Kontext der Vorrede zur Rechtsphilosophie wire dies auch nicht zu begriinden. Denn das Christentum steht dort in Absetzung von Platon lediglich fiir das Prinzip der ,,freien unendlichen Persénlichkeit”, das an anderer Stelle bereits von Sokrates ver-

treten (Rph § 138 Anm.) und erst in der spezifisch modernen Philosophie expliziert wird ™. Im Vergleich mit Rosenzweigs entwicklungsgeschichtlicher Aufwertung der Moralitat wirken vergleichbare Versuche der Zwischenkriegszeit wenig iiberzeugend. Der Staatsrechtler A.v. Trott zu Solz setzte gegen die These von Meinecke und Heller, bei Hegel sei das handelnde Individuum nur ,,Marionette des Weltgeistes” *, die Oberzeugung von einer Lehre Hegels

von

der ,Macht

des Gewissens”,

derzufolge

,,der

konkrete Einzelwille zum schépferischen Trager des allgemeinen Welt-

sinns wird. In dieser Funktion des ,wahrhaften Gewissens’ liegt fiir das

Wesen

30 z.B.

seiner [Hegels] ganzen praktischer Philosophie eine nicht nur Kant,

KpV

205 f.;

vgl.

Hare

('73),

Freiheit

und

Vernunft,

Diisseldorf

S.112 f. 31 Eine groSangelegte Weiterfiihrung des Ansatzes von Rosenzweig hat M. Theu-

nissen vorgelegt:

Theunissen

Theorie-Praxis-Diskussion

schau, Beih. 6, Tiibingen;

im

(70a), Die Verwirklichung der Vernunft. Zur Anschlu8

an

Hegel,

in:

Philosophische

Rund-

ders. (‘70b) Hegels Lehre vom absoluten Geist als

theologisch-politischer Traktat, Berlin.

32 s. H. Ottmann, Individuum und Gemeinschaft bei Hegel. Bd. 1: Hegel im Spiegel der Interpretationen, Berlin/New York ('77) S. 185 ff. 38

spekulative, sondern weit entscheidendere praktische Konsequenz, wie sie etwa die Auffassung, da8 hier das Subjektive vernachlassigt oder gar

zur Marionette herabgewiirdigt sei, einzusehen vermag.” ™ Hegel wertet jedoch die ,, Macht des Gewissens, fiir einen Inhalt nur aus sich zu bestim-

men, was gut ist” (Rph § 138), positiv nur fiir eine Situation, in der das

Gute nur der Existenz dieses Gewissens

seine Wirklichkeit verdankt;

Hegel nennt Sokrates in der Situation des Niedergangs der griechischen Sittlichkeit (ebd. Anm.). Am wenigsten iiberzeugt Trott zu Solz’ Anwendung dieses Gewissensbegriffs auf vélkerrechtliche Beziehungen. Gegen Meineckes Einordnung Hegels in die Geschichte der Verabsolu-

tierung der Staatsrason versucht auch H. Heimsoeth Hegels Moralitatslehre zu verteidigen: ,,Hegels ,universalistische’ Staatslehre stellt, zu-

folge ihres Fundaments im ethischen Idealismus der Freiheit als perso-

nale Autonomie, in dieser Sache gerade einen auSersten Gegensatz dar

zu dem Staatsgedanken etwa eines Hobbes” (Heimsoeth 39) “. Scheint Heimsoeth damit den Hegelschen Begriff der Sittlichkeit geradezu als einen erweiterten Anwendungsbereich der Moralitat zu verstehen, so re-

duziert er an derselben Stelle Moralitat doch eher wieder auf ein Kom-

plement substantieller Institutionen: ,,Gerade die Lehre vom Staat als sittlidhe Substanz fordert in der Vollendung des Gedankens von der ,un-

endlichen subjektiven Substantialitat der Sittlichkeit’ grundsatzlich indi-

viduelle Autonomie”

(ebd.). Heimsoeth

kommt

letztlich iiber die Be-

schworung einer ,,Dialektik” zwischen den ,,beiden selbstandigen Spharen [...] von Moral und Politik” (Heimsoeth 42) nicht hinaus. Gegeniiber den genannten Ansitzen scheint die auSerdeutsche Diskus-

sion nicht zu wirklich weiterfiihrenden Beitragen gefiihrt zu haben. T.M. Knox verfocht die These, Hegel sei in der Ethik wesentlich ein

Kantianer gewesen; er habe nur wenig zur Ethik geschrieben, weil er tiber Kant hinaus dazu nicht viel zu sagen gehabt habe. Was Hegel angreife, sei die Unzulanglichkeit der Moralitat als solcher, nicht die der

Kantischen Sicht der Moralitat (Knox 70) *. Hegel sei sich mit Kant sogar darin einig, da8 diese Unzulinglichkeit nur durch Religion iiberwunden werden kénne (Knox 77); ,,Sittlichkeit” sei genauso wie das ,,Reich der Zwecke” bei Kant ein Ideal auf religidser Grundlage (Knox 81). Nur

habe Hegel gemeint, die Fahigkeiten des Menschen, sich iiber die Morali-

tat zu erheben, seien gréfer, als Kant glaubte (Knox 78). E. Fleischmann 33 A. v. Trott zu Solz, Hegels Staatsphilosophie und das internationale Recht, Géttingen (’32) S. 104. 34 H. Heimsoeth ('34/’35), Politik und Moral in Hegels Geschichtsphilosophie, in: ders., Studien zur Philosophiegeschichte, Kant-Studien Ergh. Nr. 82, Kéln (’61). 35 T. M. Knox, Hegel’s Attitude to Kant’s Ethics, in: Kantstudien XLIX ('57/’58) S. 70.

39

hat in seinem Kommentar zur ,Rechtsphilosophie” Hegels Vorurteile gegeniiber der Moralitat im allgemeinen * und Kant im besonderen™ nur

wiederholt, um dann in einem neueren Aufsatz Hegel zum Ahnherrn nicht nur von Marx, sondern sogar von Stirner zu machen ™. Schlie8lich

bleibt die kurze Monographie von W. H. Walsh iiber Hegels Ethik in

ihrem Bemiihen, dieses Thema dem amerikanischen Publikum nahezu-

bringen, sachlich ziemlich unspezifisch ®.

0.3 Hegels Erweiterung und Relativierung moralischer Autonomie Es bedurfte der unzeitgema8en Reste eines lebendigen Kantianismus im Verein mit einer Vertiefung der entwicklungsgeschichtlichen Fragestellung jenseits aller teleologischen Voraussetzungen, um Hegel im Horizont von Kants rationaler praktischer Philosophie neu zu erschlieSen. Aus dieser Perspektive heraus hat D. Henrich die idealistischen Entwirfe zur praktischen Philosophie als Antworten auf Schwierigkeiten der Kantischen Theorie gedeutet, die gleihhwohl den Rahmen einer Theorie der personalen Autonomie nicht verlassen, der in einem prinzipiellen Sinn als kantisch gelten kann“. Henrich zeigt, da& Hegel in seinen ,,theologischen” Friihschriften versucht, Schillers partieller Kritik an der Kanti36 E. Fleischmann (‘64), La philosophie politique de Hegel. Sous forme d‘un commentaire des ,Fondements de la philosophie du droit’, Paris S.118: ,Der Dualis-

mus zwischen Sein und Sein-Sollen existiert nur fiir das moralische Individuum

allein — die Moral ist immer subjektiv, die mit ihrer empirischen Existenz unzufrieden ist und sich ihrer entledigen will. Deshalb ist die Moral immer in

Rebellion gegen eine wirkliche Existenz, die sie als ,schlecht’ denunziert. Die

Moral ist also ein ewiger Non-Konformismus.

Fiir einen Moralisten kann das,

was ist, niemals akzeptabel sein, denn, wenn er dazu kommt zu finden, da8 das, was ist, auch so ist, wie es sein soll — also akzeptabel —, so wiirde er aufhéren

zu moralisieren.”

37 E. Fleischmann ('64) S.152: ,Bei Kant verwirklicht sich die moralische Welt frei, unabhangig von der phanomenalen, empirischen, bedingten Welt. Es ist deshalb fiir die Kantische Moral gleichgiiltig, die Moral in der empirischen Welt zu realisieren oder nicht, denn der Begriff des universellen und nicht-empirischen Guten hat fiir die Empirie keinen Sinn (die Moral hat nur einen Sinn fiir die ,Sittlichkeit’). Ebenso 1a8t sie nicht den Begriff der persénlichen Befriedigung oder des Gliicks (,Wohl’) zu, denn die Partikularitat ist von der Moral

ausgeschlossen.”

38 E. Fleischmann ('71), The Role of the Individual in Prerevolutionary Society, in: Hegel’s Political Philosophy. Problems and Perspectives, Z. A. Pelzcynski

(ed.), Cambridge S. 228.

39 W. H. Walsh, Hegelian Ethics, London/New York (‘69); zu Walsh vgl. Anm. 48.

40 D. Henrich (63), Das Problem der Grundlegung der Ethik bei Kant und im spekulativen

S. 350—386.

Idealismus,

in:

Sein

und

40

Ethos,

hrsg.

v.

P. Engelhardt,

Mainz,

schen Ethik eine theoretisch grunds&tzliche Wendung zu geben; diese Kritik fiihrt jedoch keineswegs zu einer Theorie der Autonomie iiberindividueller Gebilde in Kultur, Religion oder Politik anstelle der Autonomie menschlicher Subjekte. Die Kritik des jungen Hegel an der Kantischen Ethik besteht nach Henrich auch nicht wesentlich in dem Vorwurf der Inhaltslosigkeit gegeniiber dem kategorischen Imperativ. Henrich zeigt auch, da8 dieser Vorwurf sachlich fragwiirdig ist“ (vgl. dazu Kap. 1). Ich werde dariiberhinaus zeigen, da8 der Vorwurf der Inhaltslosigkeit gar nicht primar eine These iiber den kategorischen Imperativ ist (s. Kap. 2) und da8 auch fiir den spateren Hegel die moralische Intention nicht leer ist (s. Kap. 3).

Hegels entscheidender Einwand besteht nach Henrich darin, da der im Sinne Kants moralisch gute Wille, der sich auf die Gesetzesférmigkeit seiner Maximen, aber nicht auf die betroffenen Individuen als solche be-

zieht, der moralischen Intention der Pflichten gegen andere nicht gerecht

wird, ,,weil im Falle der Pflicht gegen den Anderen die Intention des guten Willens auf ihn als den Anderen geht und hier nicht nur einen Fall der Anwendung von Gesetzen vor sich sieht” (Henrich (’63) 366). Diese Kritik an dem, was man auch Kants ,,Legalismus” nennt (Paton 78 ff.) “,

scheint mir allerdings in dieser allgemeinen Form nicht durchfihrbar “.

Moralisch handelt man genau dann, wenn man deshalb handelt, weil man dazu verpflichtet ist, so zu handeln; und das Gesetz des kategori-

schen Imperativs ist nichts anderes als ein Explikationsversuch davon, was es hei&t, zu etwas moralisch verpflichtet zu sein. In dem BewuStsein, zu einer bestimmten Handlung verpflichtet zu sein, bezieht man sich aber durchaus auf die konkrete Individualitat eines anderen. Denn Verpflichtungen hat man immer gegeniiber konkreten, so und so bestimm41 Henrich ('63) S. der kategorische abzuleiten (dort gen sich selbst” 42 H.J. Paton, Der

360 ff. Henrich sieht es als einen wichtigen Einwand an, da8 Imperativ nicht dazu geeignet ist, Pflichten gegen sich selbst 5. 364). Wie wir jedoch sehen werden, kann es ,Pflichten gegar nicht geben (s. Kap. 4.5). kategorische Imperativ, Berlin (‘62) S. 78 ff.

43 Henrich hat in neueren Arbeiten gezeigt, da Hegels Aneignung von Hilderlins Vereinigungsphilosophie in Frankfurt wichtig fiir seine philosophische Ent-

wicklung geworden ist (Henrich (’71), Hegel und Hdlderlin, in: ders., Hegel im Kontext, Frankfurt S. 22 ff.; sowie ders., Historische Voraussetzungen in Hegels System, ebd. S. 61 ff.). Es leuchtet ein, da@ Hélderlins Liebesphilosophie und seine Fichtekritik grundlegend dafiir waren, da8 Hegel von seinem

friihen

strengen

Kantianismus

auf

den

Weg

eines

spekulativ-dialektischen

Philosophierens gekommen ist. Spekulationen iiber Vereinigung in Liebe und Sein sind jedoch keineswegs hinreichend, um Kants praktische Philosophie tiberzeugend zu kritisieren. Die entscheidende Leistung des Frankfurter Hegel besteht m. E. gerade darin, da8 er Hilderlins philosophische Ideen in einer Auseinandersetzung mit Kant theoretisch fruchtbar macht.

41

ten anderen, nicht anderen iiberhaupt; und meine Verpflichtung einer bestimmten Person gegeniiber besagt nichts anderes, als daf diese einen

legitimen Anspruch und in diesem Sinne ein — moralisches — Recht darauf hat, von mir so behandelt zu werden.

Die Legitimitat dieses Anspruchs hat jedoch einen verschiedenen Sinn, je nachdem, ob sie die Legitimitat einschlie8t, die Erfiillung dieses An-

spruchs von dem anderen zu fordern, oder nicht; mit anderen Worten,

ob der Anspruch — quasi vor dem Forum moralischer Vernunft — sinnvollerweise eingeklagt werden kann oder nicht. Im ersten Fall spreche ich deshalb von ,rechtsférmigen” moralischen Anspriichen bzw. Verpflichtungen. Hegels Kritik an der Kantischen Ethik und der Verabsolutierung des ,,moralischen Standpunkts” iiberhaupt versuche ich in diesem Sinne zuniachst als Kritik am ,,Legalismus”, nimlich an der Verabsolutierung der Rechtsform, zu rekonstruieren (s. Kap. 4). Diese Kritik trifft auch wesentliche Schwierigkeiten von Kants Ethik (s. Kap. 4.4). Die Idee von Verpflichtungen und Beziehungen, die nicht in dem angedeuteten, verallgemeinerten Sinne ,,rechtsférmig” sind, scheint mir ein zentrales Mo-

ment von Hegels Begriff der Sittlichkeit. Sittlichkeit ist wesentlich sittliche Moralitat. Und diese bezieht sich auf den anderen in der Tat in einer spezifisch individualisierenden und spontanen Weise (s. 4.3). Henrich hat weiterhin zu zeigen versucht, da8 Hegels Kritik an Kants Achtungslehre auf dasselbe Problem zielt wie seine Kritik an der legalistischen Auslegung der moralischen Intention. Henrich sieht dies Problem wesentlich in der Denkbarkeit der Struktur einer ,Identifizierung”,

die ,Distanz und Einheit zugleich” ist (Henrich (63) 374) und deshalb eine spekulative Form des Philosophierens zum mindesten nahelegt. Die unlésbaren Schwierigkeiten in Kants Achtungslehre haben jedoch m.E. ihren letzten Grund darin, da8 das sogenannte ,,Motivationsproblem” unter Kants systematischen Pramissen in philosophischer Hinsicht ein Scheinproblem darstellt. Wenn Kants These gilt, da8 daraus, da es vom moralischen Standpunkt aus gesehen richtig ist, eine bestimmte Handlung zu tun, notwendigerweise folgt, da8 es schlechthin richtig ist, so hat derjenige, der wei8, da8 er zu einer Handlung moralisch verpflichtet ist, damit auch einen zwingenden Grund, so zu handeln. Und

die Frage nach einem Motiv ist héchstens dann eine philosophische Frage, wenn sie nach einem Grund fragt. Man mu& Hegels Kritik am ,moralischen Standpunkt” unter den Gesichtspunkten von Liebe, Anerkennung, Sittlichkeit usw. m.E. so verstehen, da Hegel davon ausgeht, da8 es nicht unbedingt verniinftig ist, moralisch zu sein, und zwar nicht unter Bedingungen hoffnungslos zerstérter sittlichher Lebenszusammenhange. Das ist Hegels grundlegende These von der sittlichen Relativitat der moralischen Motivation (s. Kap. 5.2). Diese These scheint mir ein zentraler Bestandteil von Hegels ,dia-

42

lektischer” Denkform zu sein, aber sie rechtfertigt natiirlich nicht eine

spekulative Form des Philosophierens im Sinne von Henrich. Ich versuche auch zu zeigen, da8 Hegel nur in diesem Sinne einen Wertrelativismus in der praktischen Philosophie vertritt, nicht jedoch in bezug auf den Gehalt der Moral (s. Kap. 5.1). Der Terminus ,,sittlich” meint hier vor allem transsubjektive Beziehungen im Medium von moralischer Motivation, insbesondere der Ubernahme nichteinklagbarer Verpflichtungen, von Anerkennung, Achtung und Liebe. Er hat also ebenso wie im Begriff der ,sittlidhen Moralitat” wesentlich eine nichtinstitutionelle Bedeutung. Es liegt auf der Hand, da8 Kants ,,Achtung vor dem Gesetz” diese Funktion, die Verniinftigkeit

des moralischen Standpunkts allererst zu erméglichen, nicht erfiillen kann. Aber das stellt Kants grundlegendes Projekt einer rationalen Ethik nicht in Frage. Mit der Rekonstruktion der positiven Bedeutung von Hegels Kantkritik im ersten Teil dieser Arbeit ist nachgewiesen, da8 Hegels Kritik der Moralitat nicht als Kritik an normativer Ethik iiberhaupt verstanden werden mu8. Dieser Nachweis ist nicht von Hypothesen iiber eine Entwicklung und Veranderung von Hegels Stellung zur Moralitat abhangig. Ich setze mich deshalb zundchst vor allem mit der Darstellung der Berliner Rechtsphilosophie auseinander und am Ende dieses Teils mit dem »Geist des Christentums” (s. Kap. 6), da diese Schriften den Beginn und den Abschlu8 einer méglichen Entwicklung von Hegels Moralitatskritik bezeichnen. Seit der Jenaer Realphilosophie von 1805/06 gibt es aber auch wichtige Belege fiir eine positivere Stellung Hegels zur Moralitat. Wie bereits berichtet, hat insbesondere

F. Rosenzweig beobachtet, da8 in der Jenaer

Realphilosophie die Moralitat als ,,Erhebung iiber den Stand” (JR 253; Goh 283, 270) beschrieben und in der Niirnberger Propadeutik gesamten Rechtslehre iibergeordnet wird (Prop I, 2. Abschnitt). Ein sonderes Interpretationsproblem gibt die Stellung der Moralitat in

267, der beder

»Phainomenologie des Geistes” von 1807 zwischen dem ,,sich entfrem-

deten Geist” und der ,,Religion” auf “. SchlieBlich hatten Hegels wiederholte Modifikationen seiner Rechtsphilosophie einen besonderen Bezug auf die Problematik des moralischen Gewissens und die naturrechtliche Legitimation einer Kritik existierender Institutionen “. 44 8. zuletzt: Wim

van Dooren, Dialektik und Ethik, in: Hegel-Jahrbuch 1975,

hrsg. v. W. Beyer, Kiln (’76) insbes. S. 231.

45 8. K.-H. Ilting ('73), Die ,Rechtsphilosophie” von 1820 und Hegels Vorlesungen

fiber Rechtsphilosophie, Einleitung zu: G. W. F. Hegel, Vorlesungen iiber Rechts-

philosophie, Ed. u. Komm.

S. 43 ff.

in 6 Bdn. hrsg. von K.-H.

43

Ilting, Bd. 1, insbes.

Ob aus diesen Beobachtungen eine wesentliche Verinderung der Stel-

lung Hegels zur Moralitit entnommen

werden

kann, brauche ich hier

nicht zu entscheiden. Immerhin sind die genannten Stellen prinzipiell nicht weniger zweideutig als die AuSerungen des frithen und des spaten Hegel. So ist in der Jenaer Realphilosophie explizit nur von der moralischen Erhebung iiber den Stand, nicht iiber die Gesamtheit der Institutionen die Rede, und die bereits duS8erlich besondere Stellung der Moralitat findet sich in der Propadeutik nur in dem Kursus fiir die Unterklasse. Die »Phanomenologie des Geistes” geht mit dem Moralititskapitel zwar ,,in ein anderes Land des selbstbewu8ten Geistes iiber” (Ph 441), aber dies ist dadurch charakterisiert, da8 die absolute Freiheit dort ,,in dieser Un-

wirklichkeit als das Wahre gilt” (ebd.). Die Moralitatskritik dieses Kapitels ist einerseits von besonderer Scharfe, andererseits fiihrt sie zu einer

Form von moralischer Anerkennung, auf die der Leerheitsvorwurf nicht

mehr zutrifft. Diese fa8t Hegel aber sogleich schon als ,den absoluten Geist” (Ph 493). Wie immer diese Beobachtungen letztlich interpretiert werden miissen, so sind sie doch nicht das einzige und nicht das entscheidende Argument fiir eine positive Bedeutung von Hegels Moralitatskritik. Da& Hegels Moralitatskritik als kritische Darstellungsform einer rationalen normativen Ethik verstanden werden kann, bekommt viel starker dadurch sein philosophisches Gewicht, da8 in Hegels Grundlegung seiner praktischen Philosophie implizit eine Moralphilosophie enthalten ist, insbesondere eine Begriindung der Giiltigkeit moralischer Prinzipien. Ich werde im III. Teil dieser Arbeit zeigen, da eine solche Moralphilosophie in Hegels Fichterezeption enthalten ist. Fiir diesen Nachweis ist dann der Riikgang auf die Entwicklungsgeschichte des Hegelschen Denkens allerdings konstitutiv.

1. Kritik und Verteidigung von Kants kategorischem Imperativ

Bei der Behandlung von Kants Ethik hebt Hegel obligaterweise zunachst

hervor, da ,,die Erkenntnis des Willens erst durch die Kantische Philo-

sophie ihren festen Grund und Ausgangspunkt durch den Gedanken seiner unendlichen Autonomie gewonnen hat” (Rph § 135 Anm.), um sodann die Abstraktheit und Inhaltslosigkeit des Kantischen Standpunkts

herauszustellen. Es gibt kaum

eine Schrift Hegels, in der er der Kanti-

schen Moralitdt nicht diesen Vorwurf der Inhaltslosigkeit und Leerheit macht. Fiir diesen Vorwurf gibt Hegel jedoch unterschiedliche Begriindungen, denen sachlich ein unterschiedliches Gewicht zukommt.

44

In diesem Kapitel behandle ich Hegels Kritik nur so weit, als sie Kants Moralprinzip, den ,kategorischen Imperativ”, betrifft. Im Folgenden gebrauche ich den Terminus ,,kategorischer Imperativ” als gingigen Namen fiir Kants Moralprinzip. Ich sehe also zunachst davon ab, da8 ,,kategorischer Imperativ” genaugenommen der Terminus fiir das Moralprinzip fiir sinnliche Vernunftwesen ist. Die ,,imperativischen” Aspekte in Kants

Lehre behandle ich erst im zweiten Kapitel.

1.1 Kritik von Hegels Argumenten fiir die Leerheit des kategorischen Imperativs Die These von der Leerheit der Kantischen Moralitat begriindet Hegel an exponierten Stellen mit der Behauptung, der kategorische Imperativ sei vollkommen leer, weil er nur die Formulierung des Prinzips der Wider-

spruchsfreiheit fiir praktische Satze darstelle (Nat 460 f.; Ph 317 f.; Rph § 135; GeschdPh III, 367 f.). Der kategorische Imperativ sei also nichts

als die ,analytische Einheit” beziehungsweise ,,Tautologie” von der Art: ,,Das Eigentum, wenn Eigentum ist, mu8 Eigentum sein” (Nat 463).

Es sei jedoch kein Widerspruch darin zu finden, da8 es z. B. kein Depositum oder iiberhaupt kein Eigentum gabe (Nat 462) oder dies zu wollen. Diese absichtlich trivialen Behauptungen Hegels gehen an Kants Lehre offensichtlich vollstandig vorbei, weil sie sich gar nicht auf Kants Fragestellung nach einer Verallgemeinerung von Maximen beziehen. Hegel bezieht sich jedoch auch explizit auf diese Fragestellung, und zwar in der folgenden Weise: ,,Die weitere Kantische Form, die Fahigkeit einer Handlung, als allgemeine Maxime vorgestellt zu werden, fiihrt zwar die konkretere Vorstellung eines Zustandes herbei, aber enthilt fiir sich kein weiteres Prinzip, als jenen Mangel des Widerspruchs und die formelle

Identitat. — Da8 kein Eigentum stattfindet, enthilt fiir sich ebensowenig

einen Widerspruch, als da8 dieses oder jene Volk, Familie usf. nicht existiere, oder da8 iiberhaupt keine Menschen leben. Wenn es sonst fiir

sich fest und vorausgesetzt ist, da8 Eigentum und Menschenleben sein

und respektiert werden soll, dann ist es ein Widerspruch, einen Diebstahl

oder Mord zu begehen; ein Widerspruch kann sich nur mit Etwas erge-

ben, das ist, mit einem Inhalt, der als festes Prinzip zum Voraus zu

Grunde liegt. In Beziehung auf ein solches ist erst eine Handlung entweder damit iibereinstimmend, oder im Widerspruch” (Rph §135 Anm.). Der Zusatz zu diesem Paragraphen der Rechtsphilosophie erlautert die Argumentation fiir die Leerheit des kategorischen Imperativs entsprechend: ,,Denn der Satz: Betrachte ob Deine Maxime kénne als ein allgemeiner Grundsatz aufgestellt werden, ware sehr gut, wenn wir schon be-

stimmte Prinzipien iiber das hatten, was zu tun sei. Indem wir namlich

von einem Prinzipe verlangen, es solle auch Bestimmung einer allgemei45

nen Gesetzgebung sein kénnen, so setzt eine solche einen Inhalt schon voraus, und wire dieser da, so mii8te die Anwendung leicht werden. Hier

aber ist der Grundsatz selbst noch nicht vorhanden, und das Kriterium, da8 kein Widerspruch sein solle, erzeugt nichts, da, wo nichts ist, auch

kein Widerspruch sein kann.” Hegel bezieht sich in diesen Passagen nur verbal auf Kants Problem der Verallgemeinerbarkeit von Maximen. Er priift die Maxime namlich gar nicht am Fall ihrer Verallgemeinerung, sondern vielmehr letztere an vorausgesetzten Institutionen. Was von dieser Art Kantkritik zu halten ist, hat der zeitgendssische Ethiker M. Singer unverbliimt ausgesprochen: »Dieser Einwand Hegels ist fast unglaublich einfaltig. Denn er ignoriert vollkommen, da8 die Maxime einer Handlung, die der kategorische Imperativ testen soll, selbst ein ,bestimmtes Prinzip’ ist und ,bereits einen Inhalt’ hat. Hegel nimmt an, der kategorische Imperativ solle in einem Vakuum — oder mit anderen Worten, auf gar nichts oder héchstens auf

sich selbst — angewendet werden, und es ist diesselbe Annahme, an der der tiblichhe Vorwurf krankt, da8 Kants Ethik ein ,leerer Formalismus’

sei.” “ Zwar redet Hegel von einem bestimmten Prinzip als Voraussetzung dafiir, da8 die Verallgemeinerung der Maxime die Maxime inhaltlich zu priifen erlaubt. Aber mit dem ,,bestimmten Prinzip” meint Hegel keineswegs die Maxime selbst, sondern vorausgesetzte Tatsachen, insbesondere soziale Normen “*. Kant aber behauptet natiirlich nicht, da8 der Satz widerspriichlich sei, da8 es kein Eigentum oder kein mensdhliches Leben gibt, und ebensowenig, da8 ein Widerspruch darin liegt, einen Diebstahl oder Mord zu be-

gehen, oder auch, da8 die entsprechende Maxime widerspriichlich sei‘ —

auch nicht, wenn sie den Zweck enthalt, da8 es gar kein Eigentum oder kein menschliches Leben gibt. Kants Behauptung ist vielmehr vor allem, da& die Verallgemeinerung solcher Maximen bzw. deren Folgen mit dem Handeln nach ihnen logisch unvertraglich ist. Es ist allerdings nur fair, Hegel zuzugestehen, da8 er in seiner Uberlegung implizit von der Verallgemeinerung der Maxime tatsichlich Gebrauch macht, die er als Kants konkretere Fragestellung ja selbst angibt. »Da8 kein Eigentum stattfindet [...] oder da8 iiberhaupt keine Menschen leben”, ware dann als Folge dessen gedacht, da&8 Maximen des 46 M.G. Singer,

Verallgemeinerung

in

der

Ethik,

Frankfurt

a.M.

(’75)

S.291.

Ahnlich H. Ebbinghaus ('59), Die Formeln des Kategorischen Imperativs und die Ableitung inhaltlich bestimmter Pflichten, in: Kant. Zur Deutung seiner

Theorie vom Erkennen und Handeln, hrsg. v. G. Prauss, Kiln (‘73) S. 287.

47a Vgl. L. H. Wilde, Hypothetische und kategorische Imperative, Bonn ('75) S. 276. 47b Das ist die merkwiirdige Ansicht von Héffe, jedenfalls beziiglich der Maxime falscher Versprechen (s. O. Héffe ('79), Kants kategorischer Imperativ als Kriterium des Sittlichen, in: ders., Ethik und Politik, Frankfurt S. 112).

46

Diebstahls

oder

Mordes

,allgemeine

Maximen”

bzw.

_,allgemeine

Grundsitze” waren. Nach Hegel bleibt dann zu zeigen, da8 diese Folgen

moralisch nicht wiinschenswert sind, und dieser Nachweis ware erst eine

hinreichende kantianische Begriindung dafiir, da8 die Maximen des Diebstahls und des Mordes moralisch falsch sind ®. Kant argumentiert jedoch gar nicht, da8 die Maxime des Diebstahls

oder Mordes deshalb moralisch zu verwerfen ist, weil die Folgen einer

Verallgemeinerung dieser Maxime aus moralischen Griinden zu verwer-

fen sind. Denn diese Argumentation ware kein Kriterium dafiir, was moralisch falsch ist, sondern setzt es offensichtlich voraus. Kant wiirde auch beim Diebstahl nicht so argumentieren, da8 die genannten Maximen des-

halb moralisch zu verwerfen sind, weil die Folgen ihrer Verallgemeinerung aus vormoralischen Griinden (des Wohls) nicht wiinschenswert sind

— und zwar fiir den, der seine Maxime priift, oder fiir viele oder auch

fiir alle“. Vielmehr ist gema& dem kategorischen Imperativ Diebstahl deshalb unmoralisch, weil aus der Verallgemeinerung der Diebstahlmaxime ein Zustand folgen wiirde, in dem Diebstahl gar nicht mehr méglich ware, weil es gar kein Eigentum mehr gabe. Hegels Vernachlassigung der Ausgangsmaxime und des entsprechenden Vorsatzes bei seiner Kantkritik findet allerdings eine gewisse Rechtfertigung in Kants eigenen Formeln. Kants engste Fassung des kategorischen Imperativs hebt namlich darauf ab, ob die zu priifende Maxime ohne Widerspruch als allgemeines Gesetz ,nicht einmal [...] gedacht werden kann” (GMS 54 f.); im Unterschied zu Maximen, die nur nicht als allgemeines Gesetz gewollt werden kénnen, spricht Kant hier von einer ,,inneren Unmiglichkeit” (GMS 55) in der Verallgemeinerung der Maxime. Nun enthalten die ersten und programmatischen Formeln in Kants ,,Grundlegung” zwar stets das Kriterium des Wollen-Kénnens

(GMS 28,51). Das ist auch sachlich angemessen, weil diese Formeln die umfassenderen sind: Wenn eine Maxime nicht als allgemeines Gesetz

gedacht werden kann, so kann sie auch niemals als solches gewollt werden; dies gilt jedoch nicht immer auch umgekehrt. Wenn es also gema& dem Kriterium des Nicht-als-allgemeines-Gesetz-wollen-Kénnens verboten ist, nach einer bestimmten Maxime zu handeln, so kann es nach dem

des Nicht-denken-Kénnens erlaubt sein. Dies zeigt jedoch nur, da8 das 48 So wird die Frage beztiglich Hegel zum Teil noch in der zeitgendssischen angelsachsischen Philosophie gestellt (obwohl dort gerade die Verallgemeinerungsproblematik sehr differenziert diskutiert wird), vgl. z.B. W. H. Walsh, Hegelian Ethics, London/New York (‘69) S. 23. Allerdings halt Walsh den kategorischen Imperativ nicht fiir leer, sondern immerhin fiir ein negatives, nicht-

hinreichendes Kriterium fiir Moralitat (ebd. S. 24).

49 Auch Hegel stellt die Frage nicht so, obwohl sie vermutlich seinen Intentionen

insbesondere dann entsprechen wiirde, wenn die Verallgemeinerung an ihren Folgen fiir das Wohl vieler oder der meisten gepriift wiirde.

47

Kriterium des Nicht-denken-Konnens eine nichtnotwendige, wenn auch hinreichende Bedingung fiir moralische Verbotenheit angibt. Kant hat nun bedauerlicherweise in den programmatischen Formeln seiner spateren Schriften zur Ethik, auf die sich Hegel ausschlie8lich bezieht, das Kriterium des Wollen-Kénnens nicht mehr mitformuliert (KpV 140; MdS 331). Das ist vor allem dann fatal, wenn man weiterhin von der Perspektive der ,,Grundlegung” aus die Unméglichkeit der Verallgemeinerung

einer Maxime

als deren

,,innere Unmiglichkeit”

versteht,

d.h. als die Unméglichkeit, als allgemeines Gesetz auch nur gedacht werden zu kénnen. Fatal ist das schon deshalb, weil Kant in der ,,Grund-

legung” und auch anderswo kein Beispiel fiir diese ,,innere Unméglichkeit” aufgezeigt hat. Auch sein Hauptbeispiel in der ,Grundlegung”, das eines liigenhaften Versprechens, hat nicht diese Implikationen. Dies liegt nicht daran, da8 Kant das liigenhafte Versprechen nur fiir den Fall der Not (GMS 29 ff.) und spater sogar nur beziiglich des Geldborgens in angenommener Not (GMS 52) diskutiert. Auch wenn wir die weitreichendere Maxime ,,Immer wenn es mir niitzt, will ich falsche Ver-

sprechen abgeben” zugrundelegen, so ist es zwar héchst unwahrschein-

lich,

aber

keineswegs

undenkbar,

da&

bei

deren

Verallgemeinerung

noch falsche Versprechen abgegeben werden ™. Undenkbar wire dies nur

dann, wenn die Maxime nicht aus empirischen Griinden (oder jedenfalls

solchen, die in synthetischen Satzen zu beschreiben waren), sondern aus rein logischen Griinden, und d. h. aufgrund der Bedeutung ihrer Termini

und der Gesetze der Logik, nicht verallgemeinert werden kénnte. Auch wenn Hegel dies so nur an einer Stelle seiner Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie begriindet (GeschdPh III, 366) — in solchen Fallen wiirde seine Annahme zutreffen, der kategorische Imperativ sei ein Prinzip der formallogischen ,,Identitat” oder des ,,Sich-nicht-Widersprechens” (ebd. 368) und insofern rein ,,analytisch” (Nat 463). Fiirs falsche Versprechen gilt dies jedoch nicht. Unter den normalen Bedingungen von menschlicher Erinnerung, Intelligenz und Zweckrationalitat wird die Verallgemeinerung der Maxime des falschen Versprechens allerdings dazu fiihren, da8 niemand mehr einem Versprechen glaubt. Und wenn jeder, der ein falsches Versprechen geben michte, weif, da8 ihm dies niemand glauben wiirde, so wiirde er dies, minimale

Zweckrationalitat vorausgesetzt, nicht einmal unterlassen kénen, weil er gar nicht mehr fahig wire, ein Versprechen abzugeben. Denn auch wenn es schwierig ist, simtliche Bedingungen zu spezifieren, die den Akt eines

Versprechens méglich machen",

so sollte doch klar sein, da8 niemand

50 So richtig R, Brandt (’59), Ethical Theory, Englewood Cliffs N. J. (USA) S. 32 f. 51

Vgl. J. Harrison, The Categorical

Imperative,

in: Kant. A Collection of Critical

Essays, hrsg. v. R. P. Wolff, London (‘68) S. 263 f.; Singer a. a. O, S. 269 f. 48

versprechen kann, wenn er wei8, da8 niemand einem Versprechen glaubt. Aber dieses Wissen folgt nicht schon logisch aus der bloSen Tatsache, da8 alle die Maxime des liigenhaften Versprechens haben und, wenn miglich, danach handeln.

Hegel hat also mit seiner These von der Leerheit des kategorischen Imperativs insofern recht, als er sich erstens nur auf die spatere, unvollstandige Formel des kategorischen Imperativs bezieht, die Unmiglichkeit der Verallgemeinerung der Maxime zweitens nur im Sinne der Unméglichkeit-aus-rein-logischen-Griinden versteht und drittens nur die von Kant diskutierten Beispiele beriicksichtigt. Aber diese Implikation kann

Hegels Kritik natiirlich nicht rechtfertigen, sondern bestenfalls erkliren,

wie Hegel zu ihr gekommen ist. Denn jedenfalls die ersten beiden Voraussetzungen sind bei einer korrekten Auslegung von Kants Lehre unhaltbar. 1.2 Widerlegung weiterer Argumente fiir Hegels These

Es fragt sich nun, ob wenigstens die dritte am Schlu8 von 1.1 genannte Voraussetzung der Sache nach unbedenklich ist. Hat Hegel also wenigstens dann, wenn man den kategorischen Imperativ als Kriterium der Denkunméglichkeit der Verallgemeinerung aus rein logischen Griinden versteht, recht damit, da er auch in den Fallen, die Kant nicht diskutierte,

inhaltsleer ist? Diese Frage ist dann negativ beantwortet, wenn es unmoralische Maximen gibt, die aus rein logischen Griinden nicht verallgemeinerbar sind, von Kant aber nicht untersucht wurden.

Der einzig erfolgversprechende Kandidat dafiir aus Kants Schriften

ist das ,,allgemeine Gesetz zu liigen“, das Kant bei seiner ersten Diskussion des liigenhaften Versprechens in der Not kurz erwahnt (GMS 30) —

offenbar deshalb, weil es der allgemeinsten Formulierung der fraglichen

Maxime entspricht —, aber nicht untersucht. Nehmen wir an, meine Maxime laute: ,. Immer dann, wenn es mir irgendwie niitzlich ist, will ich lii-

gen.”* Die Verallgemeinerung dieser Maxime wiirde offenbar dazu fiihren, da niemand mehr den (sprachlichen) AuSerungen anderer traut und deshalb auch niemand mehr den Sprechakt des Liigens vollziehen kann, der ja mindestens die Méglichkeit voraussetzt, da8 jemand dem Gesagten 52 Ahnlich die Formulierung der Maxime bei Singer S. 333 (diese Stelle ist im Re-

gister unter ,Liigen” leider nicht aufgefiihrt!). Ich habe diese Maxime und nicht etwa die radikaleren ,,Ich will immer liigen” oder ,,lImmer wenn ich rede, will ich liigen” gewahlt, weil die letzteren einfach irrational sind, jedenfalls solange, als keine Begriindungen dafiir vorliegen, da8 es fiir mich irgendwie sinnvoll ist, nach diesen Maximen zu handeln. Solange eine Handlung jedoch nicht einmal im vormoralischen Sinne rational ist, kann man es sich sparen,

ihre Verniinftigkeit in moralischer Hinsicht zu priifen.

49

Glauben schenkt. Das ist offenbar ganz analog dem spezielleren Fall des liigenhaften Versprechens *. Die Verallgemeinerung der allgemeinen Liigenmaxime hat allerdings

viel dramatischere Auswirkungen, weil sie dazu fiihren wiirde, da8 die

Sprache nicht mehr funktioniert und damit die Grundlage fiir jedes spe-

zifisch menschliche Leben entfallt *. Das bedeutet aber noch nicht, da8

es aus logischen Griinden unméglich ist, die Liigenmaxime zu verallge-

meinern. Letzteres scheint jedoch ebenfalls der Fall zu sein, und zwar nicht deshalb, weil Liigen eine Art der Tauschung ist, sondern weil es

eine Art ist, die Unwahrheit zu sagen oder jedenfalls das zu sagen, von

dem man selbst glaubt, da8 es unwahr ist, und es mindestens fiir méglich halt, da8 der andere es fiir wahr halt. Jemanden, der zu oft Falsches sagt, kann man namlich gar nicht mehr verstehen, und zwar wohl nicht

nur aus empirischen Griinden kontingenter Sprachkompetenz, sondern aus logischen oder jedenfalls fundamentalen Griinden der Bedingungen von sprachlicher Bedeutung iiberhaupt “. Die Verallgemeinerung der Liigenmaxime scheint also nicht einmal gedacht werden zu kénnen ™. Gliicklicherweise gibt es jedoch auch weniger undurchsichtige Beispiele fiir die Unméglichkeit der Verallgemeinerung von Maximen aus logischen Griinden. Die einfachsten scheinen mir die zu sein, bei denen eine

Reihenfolge gewollt wird, etwa solche, bei denen ich etwas immer als

erster tun will, z. B.: ,,Ich will immer als erster durch die Tiir gehen.” *

53 Singer hat darauf hingewiesen, da8 man die Analogie auch darin sehen kann, da8 der Gebrauch der Sprache ein implizites Versprechen darauf enthilt, nicht zu liigen (Singer S. 297).

54 Vgl. Singer S. 298. 55 Dies ist jedenfalls die Ansicht der neueren, von Quine ausgegangenen amerikanischen Sprachphilosophie, vgl. R. Rorty, Die glii&klich abhanden gekommene Welt,

in:

Moderne

Sprachphilosophie,

hrsg.

v.

M.Sukale,

Hamburg

('76)

S.175 ff. Ich spreche im Text vorsichtigerweise von ,,fundamentalen Griinden” der Unméglichkeit der Verallgemeinerung, weil nach Quine die strikten Unterscheidungen von analytischer und logischer versus empirischer Wahrheit ent-

fallen.

56 Bei seiner ersten Behandlung der Liige scheint Singer die Unmdglichkeit der Verallgemeinerung aus blo& logischen Griinden behaupten zu wollen (Singer S. 153 £.). In seiner zweiten Behandlung (S. 297 ff.) hebt er darauf jedoch nicht ab, obwohl der von ihm kritisierte Text ihn geradezu dazu provozieren kénnte; Singer erklart es auch explizit fiir gleichgiiltig, ob die Unmoglichkeit der Verallgemeinerung eine logische Unmiglichkeit ist oder nicht (ebd. S. 299). 57 Das ist ein Beispiel von Harrison (Harrison S. 232). Ein ahnliches Beispiel gibt Brandt (Brandt ('59) S.33). Singer fiihrt neben dem Beispiel der Liige folgenden Fall an: ,Um

mit Alice zu reden: Wenn

ansprache, wiirde niemand — ebensowenig

reden”

jeder erst redete, wenn man

ihn

(Singer S.290). Singer macht jedoch nicht

wie Wilde, der sich auf S.150 auf Singers

Beispiel bezieht —

klar, welche Maxime hier notwendig zerstért wiirde. Wenn die Maxime lautet: 50

Wenn alle diese Maxime hatten, so wiirde anscheinend ohne jede weitere empirische Pramisse folgen, da8 niemand nach ihr handeln kann. Es ist hierbei nicht einmal nétig, wie bei der Liigenmaxime, sich auf alle oder

die meisten zu beziehen. Es ist bereits logisch unmdglich, da8 zwei Personen nach dieser Maxime handeln, wenn sie in unmittelbarer raumzeitlicher Nachbarschaft durch dieselbe Tiir gehen wollen. Man muB jedoch priifen, ob die Evidenz dieser Argumentation nicht triigerisch ist. Die fraglidhe Maxime mu8 namlich ausfiihrlich so formu-

liert werden: ,, Immer wenn ich durch eine Tiir gehen will, will ich dies als

erster tun.” Die Verallgemeinerung dieser Maxime ist nicht logisch unmiglich, da es ja der Fall sein kénnte, da8 nie zwei Menschen in unmit-

telbarer zeitlicher Nachbarschaft durch dieselbe Tiir gehen wollen. Allerdings sind die empirischen Bedingungen, unter denen die Verallgemeinerung der Maxime allererst unméglich wird, nicht erst — wie in den Standardbeispielen des liigenhaften Versprechens oder Diebstahls — Folgen der Verallgemeinerung, sondern Voraussetzungen ihrer tatsachlichen Anwendung. Zu diesem Bedenken kommt hinzu, da8 es sich bei Maxi-

men stets um Regeln handelt, die Handlungen begriinden sollen. Unsere Maxime mu8 deshalb expliziter lauten: ,,Immer wenn ich einen — prima

facie hinreichenden — Grund dafiir habe, will ich, wenn ich durch eine

Tir gehen will, als erster durch diese Tiir gehen” (der Grund kénnte

darin bestehen, da& ich Lust dazu habe, oder da8 es mir niitzt, oder da8

ich es fiir moralisch geboten halte). Selbstverstandlich ist es keineswegs

logisch notwendig, da8 zwei Personen einen Grund haben, in unmittel-

barer raumzeitlicher Nachbarschaft nach unserer Maxime zu handeln.

Dariiberhinaus kann man darauf verweisen, da& die Begriindungsintention der Maxime auch den Anspruch einschlie8t, da8 die Maxime ih-

terseits begriindet ist. Solche Begriindungen miissen genauso wie die urspriingliche Maxime der Probe der Verallgemeinerung unterworfen werden. Da sie jedoch nicht mehr solche speziellen Umstande enthalten werden wie die Reihenfolge von Handlungen, kann hier die eventuelle Unméglichkeit der Verallgemeinerung auch nicht mehr rein logische Griinde haben.

wlch will nur reden, nachdem ich angeredet worden bin“, so impliziert ihre Ver-

allgemeinerung logisch, da8 niemand redet; dies ist mit meiner Maxime jedoch vertraglich, da sie nicht voraussetzt, da8 ich reden will. Hoerster bringt zuerst folgendes Beispiel: ,Weil ich ein Ausnahmemensch bin, begehe ich jeden Monat einen Einbruchsdiebstahl” (N. Hoerster ('74), Kants

kategorischer Imperativ als Test unserer sittlichen Pflichten, in: Rehabilitierung der praktischen Philosophie, hrsg. v. M. Riedel, Bd. II, Stuttgart S. 461).

Das ist jedoch tiberhaupt keine Maxime,

nicht einmal eine Begriindung

eine solche, sondern eine Begriindung dafiir, da8 ich etwas tue oder tun darf. 51

fiir

SchlieBlich werden unter unserer Fragestellung Beispiele des Zwangs gegeniiber anderen Personen diskutiert *. Beliebt ist besonders der Fall der Vergewaltigung *. Dabei liegt offenbar die richtige Idee zugrunde, da8 es logisch unméglich ist, da8 zwei Personen sich zu demselben Zeitpunkt und in derselben Hinsicht gegenseitig zwingen. Bei Zwang mit tédlichem Ausgang ist es sogar logisch unméglich, da8 er jemals gegenseitig wird. Ob diese logische Unméglichkeit wirklich vorliegt, hangt natiirlich wieder von der genauen Formulierung der Maxime ab. Offenbar liegt jene nicht vor, wenn die Maxime nur lautet: ,,.Immer wenn ich einen Grund dazu habe, will ich meine Mitmenschen, minde-

stens die einer bestimmten Art, (in bestimmter Weise) zwingen.” Die Maxime mii8te den Zwang vielmehr fiir alle Falle der Interaktion (mindestens einer bestimmten Art) intendieren, damit ein logischer Widerspruch entstehen kénnte. Sie kénnte dann lauten: ,,.Immer wenn ich einen Grund dazu habe, mit jemanden zu interagieren, so will ich ihn dabei zwingen.”

Die Evidenz scheint iiberwaltigend, da8 diese Maxime aus logischen

Griinden nicht verallgemeinerbar ist; aber leider ist sie wieder irrefiih-

rend formuliert. Sie mu8 namlich dann, wenn sie wenigstens vormora-

lisch rational sein soll, mindestens lauten: ,,.Immer wenn ich einen Grund dazu habe, dann, wenn ich mit jemand interagieren will, diesen zu zwin-

gen, so will ich ihn dabei zwingen.” Ob diese Maxime verallgemeinerbar ist, hingt offenbar davon ab, ob die Leute hinreichend hiufig einen (vormoralischen) Grund dafiir haben, bei ihren Interaktionen zu zwingen; und auch wenn das wohl so ist, ist es doch eine empirische Tatsache.

Es kénnte allerdings auch sein, da8 hinreichend viele Leute Lust dazu haben, gezwungen zu werden; und wenn dieser Wunsch den Grund zum Zwingen hinreichend oft iiberwiegt, so verschwindet die Unméglichkeit der Verallgemeinerung der Maxime. Aber da es sich hier in jedem Fall um empirische Fragen handelt, kénnen wir dies auf sich beruhen lassen. Ich komme zu dem Ergebnis, da& Hegel mit seiner These von der Leerheit des kategorischen Imperativs dann eine ziemlich starke Position behalt, wenn man ihn als Kriterium der Unméglichkeit der Verallgemeine58 Hoerster bringt folgendes Beispiel: ,Oder nehmen wir an, A versucht, bei je-

der Gelegenheit, seine Mitmenschen unter Gewaltanwendung zu zwingen, vor ihm eine tiefe Verbeugung ganz

klar, was

zu machen”

,bei jeder Gelegenheit”

ster ,zu Beginn jeder Interaktion”

(Hoerster (’7q) S. 461). Es ist nicht

heiSen

soll, aber vielleicht meint

oder ,immer, wenn

A dazu

Hoer-

Lust hat.

Im

iibrigen hangt nichts in der Argumentation von der von Hoerster formulierten

Spezifikation des Zwanges ab.

59 Vgl. Singer S. 305 ff. u. Hoerster (’74) S. 461 Anm. 20. 60 Vgl. dazu insbes. die Beispiele aus Anm. 59. 52

rung aus rein logischen Griinden versteht. Ob Hegel in dieser Hinsicht letztlich im Recht bleibt, ist jedoch ziemlich irrelevant, weil es nur sehr schwache Griinde dafiir gibt, den kategorischen Imperativ auf diesen Fall einzuschranken. Da der kategorische Imperativ ohne diese Einschrankung offensichtlich nicht leer ist, ist Hegels Leerheitsthese griindlich gescheitert, sofern sie besagen soll, da8 keine moralische Maxime

durch

den kategorischen Imperativ verboten bzw. geboten oder da8 jede Maxime durch ihn erlaubt wird “. Mit diesem Ergebnis ist Hegels These der Leerheit des kategorischen Imperativs jedoch noch nicht endgiiltig gescheitert. Sie kénnte namlich besagen, da8 der kategorische Imperativ, mag er auch als Form fiir die

Moralitaét von Maximen nicht leer sein, dennoch als Beurteilungskriterium fiir Handlungen leer ist. Dies ware dann der Fall, wenn auch fiir

jede offenbar unmoralische Handlung eine Maxime gebildet werden kann, die nach den Kriterien des kategorischen Imperativs erlaubt ist. Dies scheint auf den ersten Blick klarerweise méglich. Harrison schreibt dazu sarkastisch: ,,Ich denke, das ist ein Heuler [grober Schnitzer; eng-

lisch: howler]. Eine Maxime kann falsch sein, obwohl eine aufgrund ihrer

vollzogene Handlung richtig ist. Nehmen wir z. B. an, da8 mir ein Versprechen mittels Zwang abgenommen wird. Ich kénnte es mir zur Regel machen, Versprechen zu brechen, die zu halten fiir mich unbequem sind,

und so mein Versprechen brechen. Man kann argumentieren, da8 es miglich ist, da8 jeder nach dieser Maxime handelt, und es ist ganz klar, da8 die Maxime falsch ist, ob es nun méglich ist, da8 jeder nach ihr handelt oder nicht. Aber die Tatsache, da8 meine Maxime falsch war, wiirde in

keiner Weise zeigen, daS meine Handlung, ein Versprechen zu brechen,

das mir mittels Zwang abgenommen worden war, falsch war. Anzunehmen, daf& es das tut, bedeutet, einen Trugschlu8 zu begehen, der dem ent-

spricht, das antecedens im modus ponendo ponens zu verneinen. Falls meine Maxime richtig ist, so folgt, da8 jede aufgrund ihrer vollzogene

Handlung richtig ist, aber falls meine Maxime falsch ist, so folgt nicht, da jede aufgrund ihrer vollzogene Handlung falsch ist.” * Harrisons Belehrung in elementarer Aussagenlogik ist jedoch fehl am Platze. Wilde hat den Sachverhalt klargestellt: ,, Harrison hat es uns nicht schwierig gemacht, seine Auseinandersetzung zu widerlegen. Die Handlung enthalt ein Element (das Versprechen wurde unter Gewalt gegeben), das in der Maxime nicht vorkommt. Es ist eine sehr wichtige Tatsache, da8 die Maxime, die aufgestellt wird, wenn es sich darum handelt, die Zulassigkeit einer vorgenommenen Handlung zu priifen, alle Umstande 61

Ich sehe in diesem Kapitel davon ab, da8 die Unterscheidung engerer und weiterer Pflichten die Einfiihrung weiterer ethischer Modalitaten erzwingen mag. 62 Harrison S. 242.

53

enthalten mu&, die fiir die Beurteilung der Handlung wesentlich sind (ein Umstand ist wesentlich, wenn dessen Fortlassung in der Maxime das Resultat der Verallgemeinerung derselben beeinfluft [. . .]). In dem von Harrison fingierten Fall passen Maxime und Handlung nicht zueinander. So entstand der Schnitzer, der gewisslich nicht auf Kants Rechnung kommt.” * Da es, wie vor allem Singer gezeigt hat “, gerade die Aufgabe

der Maxime ist, den relevanten Kontext der Handlung — zu dem oft insbesondere ihr Zweck gehért — zu spezifizieren, ist es nicht einmal nétig,

ndie »Maxime< einer Handlung immer als etwas von der Handlung selbst Verschiedenes zu spezifizieren” “. Auch Kant hat dies nicht immer getan. Man kann jedoch die Maxime durch Aufnahme der besonderen Umstande der Handlung stets soweit spezifizieren, da8 die Verallgemeinerung schon deshalb keine Schwierigkeit macht, weil sie gar nicht dazu fihren kann, da8 viele oder auch nur mehrere Personen nach ihr han-

deln “. Das ist aber moralphilosophisch vollkommen irrelevant. Fiir die Beurteilung einer Handlung unter moralischen Gesichtspunkten sind nur diejenigen Umstinde der Handlung relevant, die diese Beurteilung verandern kénnten. Das ist bei Umstinden wie denen, da8 eine Person z. B.

eine bestimmte GréSe oder Haarfarbe hat, offensichtlich nicht der Fall,

es sei denn, es gabe wiederum generelle Griinde dafiir, Leute mit diesen Eigenschaften anders zu behandeln als andere ". Fiir den kategorischen Imperativ besagt dies, da8 neben einer eventuell sehr speziell formulierten Regel auch deren (mégliche) Begriindungen und damit auch ihr iibergeordnete ,Maximen” gepriift werden miissen. Diese Notwendigkeit folgt mindestens aus dem Richtigkeits- und damit auch Begriindungsanspruch jeden moralischen Satzes. Sie liegt dariiberhinaus schon in dem vormoralischen Richtigkeitsanspruch jedes praktischen Satzes. Und wenn das Handeln nach einer Maxime nicht einmal im vormoralischen Sinne praktisch richtig ist, so braucht man sie gar

nicht auf ihre moralische Richtigkeit hin zu priifen, um zu wissen, da8 es praktisch falsch ist, nach ihr zu handeln.

SchlieBlich wird die These vertreten, da8 die Priifung einer Handlung nach dem kategorischen Imperativ je nachdem verschieden ausfallt, wel63 64 65 66

Wilde S. Singer S. Singer S. Beispiele

253 f. 282 ff. 287. findet man bei Harrison S. 243 u. 245, sowie Brandt ('59) S. 34.

67 Singer hat deshalb als Bedingung rischen

Imperativ

nah

verwandten

fiir die Anwendbarkeit ,Arguments

der

seines dem

Verallgemeinerung”

katego-

gefor-

dert, da& die zu priifende Handlung nicht zu spezifisch beschrieben werden darf,

da das Argument so iterierbar wird (Singer S.107 ff.). Diese Bedingung gilt, ebenso wie die komplementare der Nichtumkehrbarkeit, nach Singer a fortiori

auch fiir den kategorischen Imperativ (ebd. S. 338).

54

chen

Zweck

die Maxime

angibt.

Es kénne,

wie Hegel

behauptet,

,,alle

unrechtlichhe und unmoralische Handlungsweise auf diese Weise gerechtfertigt werden” (Rph § 135 Anm.). Jedenfalls kénne ,der kategorische Imperativ die Moralitat von Maximen begriinden, die weder Kant noch die gemeine

sittlichhe Vernunfterkenntnis, mit der iibereinzustim-

men Kant behauptet, als moralisch ansehen wiirde. Wenn sich jemand etwa mit falschem Versprechen Geld ausleiht und dabei nicht die Absicht

hat, das geliehene Geld zu genieSen, sondern das Leihsystem oder das

Privateigentum zu untergraben, dann ist seine Maxime sehr wohl widerspruchsfrei verallgemeinerbar; ihre Verallgemeinerung wiirde sogar zum festgesetzten Ziel fiihren. Dasselbe gilt fiir einen Mord, wenn der Handelnde nur die Ausrottung des menschlichen Lebens zum Ziel hat. Die Maxime aber auszuschlie8en, die sich zum Ziel setzt, a8

kein Eigentum

stattfindet [...] oder da8 iiberhaupt keine Menschen leben’ (Rph ebd.],

dazu liefert Kants kategorischer Imperativ keine Mittel und keine Be-

griindung.” “ Zunachst

ist zu dieser Argumentation

zu bemerken, da8

sie nicht

eigentlich die Leerheit des kategorischen Imperativs als Moralitatskrite-

rium fiir Handlungen zeigt, sondern héchstens die Relativitat seines Ge-

halts hinsichtlichh der Zwecke des Subjekts der Maxime. Nun werden Zwecke zwar ,gesetzt” und sind insofern in gewisser Weise ,,beliebig”. Aber das bedeutet nicht, da8 jeder, der sich mit falschen Versprechen Geld ausleihen méchte, sich zum Zweck der Rechtfertigung gegeniiber

dem kategorischen Imperativ den Zweck setzen kénnte, das Privateigentum zu untergraben. Wenn er an der Sicherung des Privateigentums (bewuBt und iiberwiegend) interessiert ist, so kann er sich den entgegengesetzten Zweck auch nicht ,,setzen”, sondern héchstens vorgeben, ihn sich

zu setzen. Im iibrigen verdankt die Argumentation ihren Anschein von Schliissigkeit nur der Tatsache, da8 sie die zu priifenden Maximen nicht eigens formuliert und in einer unvollstandigen Form unterstellt. Der nachstlie-

gende Kandidat fiir die Maxime ist wohl folgendes: ,,Ich will mir mit fal-

schen Versprechen Geld ausleihen, um das Leihsystem (und damit das Privateigentum) zu untergraben.” Wenn nun die entsprechenden Handlungen tatsachlich dazu fiihren wiirden, das Leihsystem — oder sogar das Privateigentum — zu untergraben, so gabe es gar keine Méglichkeit mehr, Geld zu leihen; die Maxime wire also nicht verallgemeinerbar und ein Handeln nach ihr deshalb nach dem kategorischen Imperativ verboten. Dies ist nicht mehr

der Fall, wenn

die Maxime

lautet: ,,Ich will das

Leihsystem durch Geldausleihen mittels falscher Versprechen untergra-

68 U. Steinvorth, Stationen der politischen Theorie, Stuttgart (’81) S. 188 vgl. S. 149.

55

ben.” Unter der angenommenen ZweckmaBigkeit solchen Geldausleihens fiir die Zerstérung des Leihsystems (und Privateigentums) ist diese Maxime tatsachlich verallgemeinerbar, denn sie projektiert nicht unbedingt Handlungen des Geldausleihens mittels falscher Versprechen, sondern die Untergrabung des Leihsystems. Ihre durchsichtigere Formulierung

wiirde also lauten: ,,Immer wenn ich durch Geldausleihen mittels fal-

scher Versprechen das Leihsystem untergraben kann, so will ich mittels falscher Versprechen Geld ausleihen.” * Diese Maxime ist nun durchaus widerspruchsfrei verallgemeinerbar. Das ist jedoch kein Einwand gegen Kant, denn die Maxime ist auch kei-

neswegs notwendig unmoralisch. Wenn

es namlich moralisch erlaubt

oder sogar geboten ist, das Leihsystem und das Privateigentum zu untergraben, und das Geldausleihen mittels falscher Versprechen oder z. B. Diebstahl geeignet ist, dies zu erreichen, dann ist es auch moralisch erlaubt oder sogar geboten, Geld mit falschen Versprechen auszuleihen oder zu stehlen. Ob dies wirklich der Fall ist, hingt also von der Wahr-

heit der Griinde

beiden Primissen

dafiir,

da&

dieses

Schlusses

ab.

Es gibt bekanntlich

die Institution des Privateigentums

(insbesondere

des Privateigentums an Produktionsmitteln) moralisch schlecht ist und da& es folglich moralisch mindestens erlaubt ist, fiir die Ersetzung des Privateigentums durch andere Institutionen der Verfiigung iiber Giiter einzutreten. Der kategorische Imperativ kénnte bei der Priifung dieser 69 Steinvorths Fehlschlu8 kommt

m. E. dadurch zustande, da@ er unter ,Maxime”

einfach die ,Formulierung des Handlungsziels durch den Handelnden“

(Stein-

vorth S.146) versteht. Das ist jedoch auf jeden Fall zu wenig, denn die Maxime

formuliert mindestens immer auch eine bestimmte Handlungsweise unter bestimmten Umstinden. Dariiberhinaus ist die Angabe eines Zwecks in der Maxime nicht notwendig und sogar stets vermeidbar. Wesentlich fiir eine Maxime ist demgegeniiber die Angabe einer Bedingung, unter der die intendierte Handlung fiir den Handelnden erst sinnvoll wird. Maximen haben deshalb die Form: ,,.Immer wenn ich durch die Handlung H das Resultat R herbeifiihren kann, so will ich H tun.” Natiirlich ist damit implizit ein Zweck formuliert, denn

ich will H

dies ,um...”

ja tun, um

an die Maxime

wegla8t, ergeben

R herbeizufiihren.

Aber

es ist iiberfliissig,

anzuhangen; wenn man jedoch den Kann-Satz

sich ernsthafte

Fehler.

DaB zu einer Maxime ein Kann-Satz dieser Art gehért, wird auch von Singer in seiner sonst vorbildlichen Erlauterung des Begriffs der Maxime iibersehen (Singer 282 ff.). Auch Paton iibersieht die Kann-Bedingung;

immerhin

erkennt

er

die hypothetische Struktur der Maxime (H. J. Paton, Der kategorische Imperativ, Berlin ('72) S. 80). Die Arbeit von R. Bittner versucht keine Klarung der logischen Struktur der Maxime (R. Bittner, Maximen, in: Akten des IV. Internationalen Kant-Kongresses formuliert

1974, Teil II, 2, hrsg. v. G. Funke, Berlin ('74)). Wilde

zwar einen Kann-Satz, aber einen solchen, der uninformativ

seine Wahrheit in dem Vordersatz muB (Wilde S. 73).

bereits

56

ist, weil

verniinftigerweise unterstellt

sein

Griinde gute Dienste leisten, wenn gleichzeitig hinreichendes empirisches Wissen zur Verfiigung steht. Aber auch bei positivem Resultat folgt nicht, da8 es moralisch richtig ist, etwa zu stehlen, weil allgemeines Steh-

len zwar das Privateigentum untergrabt, aber sicher kein geeignetes Mit-

tel dafiir ist, bessere Eigentumsverhiltnisse zu etablieren.

1.3. Schwierigkeiten in Kants Darstellung Hegels

These

von

der Leerheit des kategorischen

Imperativs

schei-

tert also fast auf der ganzen Linie. Gerade deshalb sollte man erwahnen,

da& sie erstaunlich viele bedeutende Nachfolger gefunden hat: von Mill und Dewey, Bergson und Brentano bis zur materialen Wertethik. Abgesehen vom Einzugsbereich der neueren angelsachsischen Philosophie, ist sie noch heute sozusagen herrschende Lehre, insbesondere im deutschen Sprachraum. Das liegt natiirlich nur zum Teil an der Wirkung Hegels. Es scheint realistisch, wenn Singer dazu meint: ,Dieser Typ von Kritik, der von Hegel herriihrt, wird wohl niemals ganz ausgeraumt werden kénnen, weil es wahrscheinlich immer wieder jemand geben wird, der ihn von neuem entdeckt. Damit wird er aber nicht besser.“ ” Es hat offenbar etwas Entlastendes, Theorien rationaler Ethik in der Luft zu zer-

rei8en. Nicolai Hartmann hat sich sogar zu dem grotesken Fehlschlu8 verstiegen, der kategorische Imperativ miisse leer sein, da er doch rein formal sei"; und Dewey hat die spektakulare Konsequenz gezogen, da8 der kategorische Imperativ, da er leer sei, zur Rechtfertigung beliebiger In-

halte verwandt

werden

kénne

und

deshalb

philosophischer

Ausdruck

der deutschen Autoritatsglaubigkeit sei, die entscheidend zum Sieg des

Nationalsozialismus in Deutschland beigetragen hat ™.

Wie wir bereits gesehen haben, hat Hegels These allerdings eine ge-

wisse, wenn auch sehr schmale Basis in Kants Darstellung.

Im Interesse

sowohl der Fairne8 als auch der Klarheit scheint es mir dariiberhinaus

geboten, auf einige weitere

Schwachen

hinzuweisen,

die Kants Darstel-

lung wirklich hat und die eine sachangemessene Rezeption seiner Lehre erschweren. Dabei kommen vor allem solche Schwachen zur Sprache, die Hegels Position wahrscheinlich mitbeeinfluSt haben. Man

kann Hegel zunichst zugute halten, da8 Kant bei dem einzigen

Beispiel fiir die Anwendung des kategorischen Imperativs, das er in seiner »Kritik der praktischhen Vernunft” diskutiert, dem der Unterschlagung eines Depositums, zum Teil fehlerhaft argumentiert. Auf dieses Beispiel 7o Singer S. 334. 71 s. Ebbinghaus ('59) S. 274. 72 8. Ebbinghaus (‘48), Deutung und MiSdeutung des kategorischen Imperativs, in: ders., Gesammelte Aufsatze, Vortrige und Reden, Darmstadt ('68) S. 86 f.

57

bezieht sich auch Hegels erste Kritik des kategorischen Imperativs, namlich im ,,Naturrechtsaufsatz”, die Hegel noch in der ,,Phanomenologie des Geistes” wiederholt. Kant geht von folgender Situation aus: ,Ich habe z.B. es mir zur Maxime gemacht, mein Vermégen durch alle sichere Mittel zu vergré-

Bern. Jetzt ist ein Depositum in meinen Handen, dessen Eigentiimer ver-

storben ist und keine Handschrift dariiber zuriickgelassen hat. Natiirli-

cherweise ist dies der Fall meiner Maxime. Jetzt will ich nur wissen, ob

jene Maxime auch als allgemeines praktisches Gesetz gelten kénne. Ich wende jene also auf gegenwartigen Fall an, und frage, ob sie wohl die Form

eines Gesetzes annehmen,

mithin ich wohl durch meine Maxime

zugleich ein solches Gesetz geben kénnte: da8 jedermann ein Depositum ableugnen diirfe, dessen Niederlegung ihm niemand beweisen kann. Ich werde sofort gewahr, da ein solches Prinzip, als Gesetz, sich selbst ver-

nichten wiirde, weil es machen wiirde, da8 es gar kein Depositum gabe”

(KpV 136). : Kant hat natiirlich recht damit, da8 niemand mehr ein Depositum ohne hinreichenden Nachweis hinterlegen wiirde, wenn sich die Praxis durch-

setzen wiirde, ein Depositum

abzuleugnen, dessen Niederlegung nicht

bewiesen werden kann. Und es ist wohl realistisch, da8 sich diese Praxis

durchsetzen wiirde, wenn sie durch ein Gesetz (fiir jeden) erlaubt wiirde. Da& Kant hier jedoch gar nicht von einer allgemeinen Praxis spricht, sondern lediglich von einem ,,Gesetz”, demzufolge jedermann etwas diirfe”, enthilt folgende Schwierigkeit. Offenbar meint Kant mit diesem ,,Ge-

setz” ein Gesetz des Rechts, und Hegel versteht ihn auch so”. Das ist aber in diesem Falle ohnehin sinnlos, weil ein Rechtsgesetz, das die Un-

terschlagung eines unnachweisbaren Depositums verbietet, juridisch nicht durchsetzbar und deshalb sinnlos ist. Dieser Schwierigkeit kann man allerdings leicht dadurch entgehen, da8 man entweder ,,Gesetz” hier im Sinne eines im Gewissen von jedermann wirksamen moralischen Gesetzes versteht oder die Einschrankung des Despositums auf ein solches unnachweislicher Art fallenlast ™.

73 Es ist nicht eindeutig, wie Hegel die Verallgemeinerung der Maxime verstehen will.

Seine

Rede

von

,allgemeiner

Maxime“

bzw.

,allgemeinem

Grundsatz”

und einem entsprechenden ,,Zustand” (Rph § 135 Anm.) scheint zu implizieren,

da das ,allgemeine Gesetz” hier einen deskriptiven Sinn hat, nimlich, da8 alle

nach dieser Maxime handeln. Andererseits spicht Hegel auch von ,allgemeiner Gesetzgebung”

und von ,sollen”;

auch die Beispiele verweisen eher auf einen

normativen, insbesondere juridischen Sinn von ,allgemeinem Gesetz”. 74 In diesem Punkt hat sich eine zu globale Kritik an Kants Darstellung eingebiirgert. So schreibt z. B. Singer: ,Hier liegt deutlich ein klarer Fehler vor. Das Ergebnis wire nicht, da& es keine Deposita mehr gabe, sondern héchstens, da8 fiir jedes Depositum ein Beweis hinterlegt wiirde” (Singer S. 325). Das ist zwar richtig, trifft jedoch nicht Kants Gedankengang. Wenn ich es mir zur Maxime gemacht habe, unnachweisbare Deposita abzuleugnen, so wiirde die Tatsache, 58

Kants Beispiel fordert weiterhin den folgenden Einwand heraus. Kant

will die Maxime priifen, ,mein Vermégen durch alle sichere ™ Mittel zu

vergréSern”. Diese Maxime ist sicher relevant fiir den Fall, da8 ich ein,

eventuell unnachweisliches Depositum besitze. Aber sie ist auf diesen Fall natiirlich nicht eingeschrankt und hiéchstwahrscheinlich auch dann anwendbar, wenn es generell Deposita nicht mehr gibt. Dieser Einwand betrifft jedoch nur technische und terminologische

Feinheiten. Kant priift hier gar nicht direkt die ,Maxime”, also den an-

gegebenen ,praktischen

Grundsatz” von relativ hoher Allgemeinheit,

sondern eine darunterfallende ,,praktische Regel”, namlich die der Ab-

leugnung von Depositen ™. Kant meint mit Recht, da8 sich niemand mehr durch Ableugung von Depositen bereichern kénnte, wenn niemand mehr ein Depositum hinterlegen wiirde, weil es aufgrund eines allgemeingiiltigen Erlaubnisgesetzes herrschende Praxis geworden ist, Depositen abzuleugnen. Die gleiche Argumentation direkt beziiglich der , Maxime”, mich mit allen (sicheren)

Mitteln zu bereichern, fiihrt — ohne eine Vielzahl von zusitzlichen In-

formationen — zu keinem eindeutigen Ergebnis. Kant hat diesen Umstand dadurch verwischt, da8 er in seinen allgemeinen Formulierungen des kategorischen Imperativs von der Verallgemeinerungsfahigkeit der Maxime selbst spricht. Im diskutierten Text hei&t es jedoch lediglich, ob wich wohl durch meine Maxime zugleich ein solches Gesetz geben konnte”. Das fragliche ,,Gesetz” ist demnach nicht die verallgemeinerte Maxime selbst, sondern die verallgemeinerte speziellere ,,Regel”, die der Maxime untersteht ”.

da8 dies alle tun, dazu fithren, da8 auch ich keine Gelegenheit mehr hatte, nach genau dieser Maxime zu handeln, weil niemand mehr ein Depositum ohne Nachweis hinterlegen wiirde. Es gabe aber noch die Méglichkeit, da8 ich ein Depositum ableugnen kinnte, dessen Nachweis nachtraglich verlorengegangen ist. Wenn dieser Fall haufiger auftrite, wiirde das nun auch dazu fiihren, da& tiberhaupt keine Deposita mehr hinterlegt werden, weil man immer mit der Méglichkeit rechnen mu8, da8 der Nachweis verlorengeht. 75 Die Qualifikation ,,sichere“ antizipiert offenbar den Fall der Unnachweislichkeit des Depositums. Der Sache nach geht es jedoch nicht nur um sichere Mittel, sondern um alle hinlanglich effizienten Mittel; ein gewisses Risiko kann dabei

durchaus einkalkuliert sein.

76 Zur Unterscheidung von ,praktischen Grundsatzen” und praktischen Regeln”

vgl. den § 1 der ,,Kritik der praktischen Vernunft*. 77 Die Gesetzgebung ,durch meine Maxime” in Kants Depositum-Beispiel erinnert an das merkwiirdige ,durch die” in der allgemeinen Formel des kategorischen Imperativs in der ,Grundlegung“; die Unterscheidung von Maxime und praktischer Regel klart also einen Aspekt dieser umstrittenen Formulierung (vgl. Anm. 88). Auch in der ,Grundlegung” arbeitet Kant bei seinen Beispielen gleichzeitig mit praktischen Regeln unterschiedlichen Allgemeinheitsgrads, z. B. denen des Ltigens, des liigenhaften Versprechens, des liigenhaften Versprechens in der

Not und des ltigenhaften Versprechens in der Not zwecks Gelderwerbs.

59

Kants Terminologie fiihrt weiterhin zu folgenden Unscharfen. Kants kategorischer Imperativ beruht ganz allgemein auf der Idee, da8 ein Wi-

derspruch auftreten kénnte, wenn

meine Maxime

ein allgemeines Ge-

setz wiirde. Nun sind Maximen Grundsitze des Wollens. Ihre allgemeine Form ist: ,,.Immer wenn ich in der Situation S bin, will ich die Handlung

H tun.” Die Verallgemeinerung solcher Maximen schafft aber als solche noch gar kein Problem.

Schwierigkeiten kénnen offenbar erst dann entstehen, wenn nun alle

nach diesem Grundsatz tatsachlich handeln bzw. zu handeln versuchen.

Und das tun sie genau dann, wenn die in der Maxime formulierte Be-

dingung erfiillt ist, wenn sie sich also in der Situation S befinden. Die von Kant angenommene Unméglichkeit entsteht also genaugenommen nicht schon durch die Verallgemeinerung der Maxime, sondern erst durch die Verallgemeinerung der intendierten Praxis, die dann erwartet werden mu&,

wenn

bei verallgemeinerter

Maxime

deren Situationsbedin-

gung hinlinglich oft erfiillt ist. Wenn Kant also annimmt, da die Verallgemeinerung einer bestimmten Maxime unméglich ist, so hatte er richtiger sagen miissen, da8 eine Verallgemeinerung der Praxis nach dieser Maxime unmdglich ist, und insbesondere, da8 die Verallgemeinerung dieser Praxis dadurch unméglich wird, da& sie es ausschlie8t, da8 die Situationsbedingung der Maxime erfiillt ist. Da@ Kant diesen Unterschied nicht deutlich gemacht hat, liegt vielleicht daran, da8

er entfallt, wenn

die Maxime

die Zwecksetzung

mitenthalt. Denn dann liegt der Konflikt bereits zwischen diesem Zweck und der Verallgemeinerung der Maxime. Der kategorische Imperativ enthalt die genannte Schwierigkeit jedoch auch sonst nicht notwendig. Denn er bezieht sich nicht so sehr auf eine eventuelle Unméglichkeit, da& alle meine Maxime haben, sondern eher auf die Unmiéglichkeit, da8

alle nach ihr handeln. Dariiberhinaus mu& hier auch das starkere Kriterium des Wollen-Kénnens beriicksichtigt werden. Die gréSten Schwierigkeiten ergeben sich nun unmittelbar aus Kants Formulierungen seines kategorischen Imperativs. Eine erste Gruppe von

Schwierigkeiten griindet darin, daS Kant nicht immer klarmacht, ob sein

Moralprinzip ein Prinzip ist, das Handlungen gebietet, verbietet oder erlaubt bzw. freistellt *. Da er sein Prinzip als Imperativ oder Sollsatz und

78 Wenn eine Handlung erlaubt ist, boten; wenn sie freigestellt ist, ist geboten sein. Konsequenzen der stellt” diskutiert Th. Ebert, Kants botener, verbotener und

so ist sie damit entweder freigestellt oder gesie damit erlaubt, aber kann nicht gleichzeitig Unterscheidung von ,erlaubt“ und _,freigekategorischer Imperativ und die Kriterien ge-

freigestellter Handlungen,

in: Kant-Studien

67 ('76).

Von eventuellen weiteren ethischen Modalitaten sehe ich hier wiederum ab.

60

dabei meist positiv formuliert ”, scheint es primar ein Prinzip von Geboten zu sein. Es liegt dann nahe, den kategorischen Imperativ so zu ver-

stehen, da8 er alle Handlungen zur Pflicht macht, deren Maximen verallgemeinerbar sind. Aber das wire offenbar absurd, denn dann ware man verpflichtet, nach solchen Maximen zu handeln wie ,,Wenn du

allein im Dunkeln bist, pfeife!” ®, die offensichtlich problemlos verallgemeinerbar sind. Aus Kants Beispielen geht auch zweifelsfrei hervor, da8 er dies nicht meint, und seine ersten Formulierungen sind vollkommen eindeutig. In der ,,allgemeinen Formel” der ,Grundlegung”: ,,Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, da8 sie ein allge-

meines Gesetz werde” kommt es namlich entscheidend auf das unscheinbare ,nur” an. Wie die erste Formulierung des kategorischen Imperativs in der ,,Grundlegung” zeigt, ist darin namlich eine Negation im-

pliziert *. Sie besagt demnach: ,,Handle nicht nach der Maxime, durch

die du nicht zugleich wollen kannst, da sie ein allgemeines Gesetz werde.” * Der kategorische Imperativ ist also zunichst ein Kriterium fiir moralische Verbotenheit. Natiirlich folgt daraus sofort, da8 er Handlungen dann

erlaubt, wenn

sie dem

Test

der Verallgemeinerung

standhalten.

Und vermittels des Begriffs des Unterlassens ergibt sich auch das Prinzip fiir die Gebotenheit von Handlungen: Wenn eine Handlung verboten ist, so ist ihre Unterlassung geboten; und wenn ihre Unterlassung verboten ist, so ist sie geboten. Diese Differenzierungen sind natiirlich elementar,

aber ihre Nichtbeachtung fiihrt zu Verwirrungen,

die nur noch schwer

durchschaubar sind. Dies gilt z. B. fiir die These, der kategorische Imperativ sei zwar kein hinreichendes Moralprinzip, aber er formuliere we-

79 Beispiele s. GMS 51: ,Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte”; KpV 140: ,,Handle so, da8 die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemei-

nen Gesetzgebung gelten kénne*; MS 331: ,Handle nach einer Maxime, welche zugleich als ein allgemeines Gesetz gelten kann.”

80 s. W. K. Frankena, Analytische Ethik, Miinchen (72) S. 52; zur Kritik vgl. Singer S. 279 ff.

81 GMS 28: ,Ich soll niemals anders verfahren, als so, da8 ich auch wollen kénne,

meine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden.” 82 So richtig Hoerster (’74) S. 456. Leider hat Hoerster ebd. seine Klarstellung dadurch getriibt, da8 er sich dagegen wendet, ,die Verallgemeinerbarkeit einer Maxime sei eine ausreichende Bedingung fiir die Pflicitgemafheit der betref-

fenden Handlung”. ,Pflichtgema@heit” bedeutet doch ,,Erlaubtheit”, aber Hoer-

ster meint hier ganz offensichtlich ,Gebotenheit” oder ,, Verpflichtung zu”. Aller-

dings hat Kant in dieser Hinsicht manchmal einen ahnlichen Sprachgebrauch wie Hoerster.

61

nigstens eine notwendige Bedingung moralischer Handlungen™; ebenso fiir Thesen iiber das logische Verhdltnis der verschiedenen Formeln des kategorischen Imperativs. Nehmen wir einmal an, der kategorische Imperativ wiirde — entgegen dem soeben Ausgefiihrten — tatsachlich auch das Handeln nach Maximen

gebieten, die moralisch offensichtlich neutral sind. Das hieSe, da8 er als

Kriterium fiir die moralische Gebotenheit von Handlungen nicht hinreichend ist. Er kénnte dafiir jedoch zugleich durchaus notwendig sein; denn das hie8e nur, da8 keine Handlungen moralisch geboten sein kénnen, die dem Kriterium der Verallgemeinerbarkeit gemaS dem kategorischen Imperativ nicht geniigen. Formuliert man dies jedoch so, da8 der kategorische Imperativ ein nichthinreichendes, aber notwendiges Kriterium fiir die Moralitat oder moralische Richtigkeit von Handlungen bzw. Maximen ist, so ergibt sich ein falsches Resultat, wenn man mit ,,Mora-

litat” oder ,,moralischer Richtigkeit” nun nicht mehr Gebotenheit, sondern Erlaubtheit meint. Wenn etwas namlich eine bloS notwendige bzw.

blo& hinreichende

Bedingung

fiir Gebotenheit

von etwas

ist, so

kann es keine blo8 notwendige bzw. blo8 hinreichende Bedingung fiir die Erlaubtheit von demselben sein. Wenn der kategorische Imperativ (in einer seiner Formulierungen) zwar ein notwendiges, aber nicht hinreichendes Kriterium fiir die moralische Gebotenheit von Handlungen ist, so ist er kein notwendiges Kriterium fiir die moralische Erlaubtheit von Handlungen. Nehmen wir andererseits an, der kategorische Imperativ wiirde Maximen wegen fehlender Verallgemeinerbarkeit verbieten, die offensichtlich moralisch erlaubt sind (etwa die, da8 ich nie oder nur in seltenen

Ausnahmesituationen als erster durch die Tiir gehen will). So kénnte die Nicht-Verallgemeinerbarkeit trotzdem noch eine notwendige Bedingung fiir die moralische Verbotenheit von Handlungen sein. Fiir alle moralisch verbotenen Handlungen wiirde dann gelten, da8 sie nach dem kategorischen Imperativ verboten sind, weil sie nicht verallgemeinerbar sind. Die Nicht-Verallgemeinerbarkeit ware eine notwendige Bedingung fiir moralische Verbotenheit, aber deshalb ware die Verallgemeinerbar-

keit noch keine notwendige Bedingung fiir moralische Gebotenheit (s.

dariiberhinaus Anm. 83 und 89).

83 Vgl. die Position von Gram (M. S. Gram, Kant and Universalizability Once More

and Again, Kant-Studien 58 ('67) S. 301 ff.). Grams These ist, da8 das Univer-

salisierungskriterium

eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung

fiir

die Moralitat jeder Maxime ist (ebd. S. 311 Anm. 24). Andererseits formuliert er seine These jedoch so, da& das Universalisierungskriterium nicht hinreichend ist, alle unmoralischen Maximen als solche auszuweisen (ebd.). Dabei meint er

aber offenbar nicht das Kriterium der Universalisierbarkeit, sondern das der Nicht-Universalisierbarkeit; denn natiirlichh kann nur dieses die Unmoralitat 62

Eine zweite Gruppe von Schwierigkeiten hangt mit der Unklarheit des Kantischen Begriffs der Maxime zusammen. Die meisten davon sind schon zur Sprache gekommen. Eine weitere hangt damit zusammen, da& Kant nirgendwo gezeigt hat, wie man sein Kriterium auf offensichtlich moralisch richtige Maximen anwenden kann, in welchem Sinne also diese

immer verallgemeinerbar sind. Die Unklarheit wird verstarkt dadurch, da8 Kant nie explizit Maximen des Unterlassens priift. Beides spielt dabei eine Rolle, da8 Brentanos Beispiel der Ablehnung passiver Bestechung™ ein so schlagendes Argument gegen die Giiltigkeit des kategorischen Imperativs zu liefern scheint. Wenn alle Bestechungsversuche zuriickweisen, so wird es keine Bestechungen mehr geben, und es gibt dann auch keine Méglichkeit mehr, Bestechungsversuche zuriickzuweisen. Folglich scheint es nach dem kategorischen Imperativ verboten, Bestechungsversuche zuriickzuweisen, obwohl es doch offensichtlich moralisch nicht nur nicht verboten, sondern sogar geboten ist, dies zu

tun.

Man mu& zunichst darauf hinweisen, da8 es bei dieser Argumentation nicht auf die Rede von ,,ablehnen” oder ,,zuriickweisen” ankommt, son-

dern nur darauf, da8 um das Unterlassen als solches, also die Gesinnung usw., so

man sich nicht bestechen lassen will. Ginge es nicht passiver Bestechung, sondern um das Zuriickweisen Demonstration von Eigenstandigkeit, moralischer ware fiir die entsprechende Maxime das Verschwin-

den von Bestechungsversuchen allerdings letal. Aber diese Maxime ist

auch moralisch héchst fragwiirdig.

Priifen wir also folgende Maxime:

,,Ich will es unterlassen, mich be-

stechen zu lassen.” Wenn dies alle taten, gabe es keine Bestechungsver-

suche mehr und deshalb auch gar nicht mehr die Méglichkeit, sich bestechen zu lassen oder nicht, d. h., dieses zu unterlassen. Dieselbe Schwie-

tigkeit ergibt sich nicht nur bei Beispielen offensichtlich moralisch richtiger Unterlassungen, sondern bei allen Unterlassungen. Nehmen wir die Maxime, die Beteiligung an politischen Wahlen zu unterlassen. Wenn alle dies taten, gabe es keine Wahlen mehr und folglich auch nicht mehr die Méglichkeit, eine Beteiligung daran zu unterlassen.

Dieses Resultat ergibt sich aber natiirlich nur deshalb, weil in der For-

mulierung der Maxime

nicht Riicksicht darauf genommen

ist, da8 der

Sinn des Unterlassens — jedenfalls hier — nicht im Akt des Unterlassens, sondern darin liegt, dadurch irgendetwas zu erreichen. Nach unseren Vorklarungen des Maximenbegriffs

diirfte deutlich sein, da& dies etwa

von Handlungen ausweisen. Die beiden Behauptungen Grams sind selbst dann

nicht identisch, vg]. Anm. 89.

84 F. Brentano, Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis, Hamburg (’55) S. 52. Zur Kritik dieses Arguments s. Singer S, 321 f.

63

durch folgende Formulierung beriicksichtigt wiirde: ,Immer wenn ich durch eine Unterlassung der Handlung H etwas am besten erreichen kann, so will ich H unterlassen.” Diese Maxime ist im Falle der passiven

Bestechung und der Wahlabstinenz offensichtlich dann verallgemeiner-

bar, wenn das, was ich erreichen will, nicht seinerseits die Existenz von Be-

stechungen bzw. Wahlen voraussetzt. Bei der moralisch motivierten Maxime der Ablehnung passiver Bestechung ist dies auch offensichtlich nicht der Fall, und bei der Maxime der Wahlabstinenz ist es zundchst offen. Wenn jemand sich die Maxime der Wahlabstinenz zueigen macht in der Absicht, das Wahlsystem zu zerstéren, so hangt die moralische Erlaubtheit seiner Maxime offenbar von der Moralitat dieses Ziels ab —

vorausgesetzt natiirlich, allgemeine Wahlabstinenz ist tatsichlich ein ge-

eignetes Mittel, um das Wahlsystem zu zerstéren. Bei moralisch motivierten Maximen

ist es, auch abgesehen von

den

Fallen der Unterlassung, besonders notwendig, die Zielsetzung in der Maxime mit zum Ausdruck zu bringen. Nehmen wir als ihre allgemeine Form die, stets Unrecht verhindern zu wollen. Wenn alle dies taten, gabe

es natiirlich auch kein Unrecht mehr zu verhindern oder jedenfalls sehr wenig — aber das ist natiirlich auch der Zweck jeder Handlung unter dieser Maxime. Dies kann in der Maxime selbst etwa so zum Ausdruck gebracht werden: ,,Immer wenn ich durch Handlung H zur Verhinderung

von Unrecht beitragen kann, so will ich H tun.” Offensichtlich ist diese

Maxime problemlos verallgemeinerbar. Eine dritte Gruppe von Schwierigkeiten hingt damit zusammen, da8 Kant in seinen Hauptformeln als Kriterium fiir eine moralische Testfunktion der Maxime formuliert, ob ich ,,wollen kann, daf sie ein allgemeines Gesetz wird”. Man kann es Hegel nicht ganz verdenken, da8 er sich, statt auf solche Formulierungen des kategorischen Imperativs, auf die bezogen hat, in denen von einem ,,Wollen-Kénnen” nicht die Rede ist. Die Rede davon, da ich wollen kann, da8 meine Maxime ein allge-

meines Gesetz wird, ist namlich streng genommen sinnlos. Wollen kann man nur etwas, was man auch tun kann oder was man jedenfalls glaubt, tun zu kénnen; was dariiber hinausgeht, kann man nur noch wiinschen.

In der Hauptformel des kategorischen Imperativs wird nun zwar nicht davon ausgegangen, da8 die Maxime tatsdchlich durch deren Subjekt zum allgemeinen Gesetz wird, aber davon, da& dieses mindestens nicht

bei jeder Maxime unmdglich ist. Die Annahme jedoch, da irgend jemand, jedenfalls ein Mensch, fahig sei, eine Maxime zu einem allgemeinen Gesetz zu machen, scheint abwegig. Hdchstens jemand mit wahnhaften Omnipotenzideen mag glauben, dies zu kénnen, und es deshalb auch wollen kénnen. Ob es iiberhaupt rational méglich ist, eine Maxime als allgemeines Gesetz zu wollen, hangt natiirlich davon ab, was hier ,,allgemeines Ge-

64

setz” genauer bedeutet. Damit wird schon die vierte und letzte Hauptgruppe der generellen Schwierigkeiten in Kants Formulierung des kategorischen Imperativs beriihrt, zu der ich naher erst im nachsten Abschnitt Stellung nehmen kann. Kant spricht in der zweiten Formel und meist in den Beispielen vom ,Naturgesetz”, mit der ersten synonym

aber da jene, nach seinen Worten,

ist, meint er mit ,,allgemeinem Gesetz” offenbar

mindestens teilweise etwas anderes. Von Naturgesetzen mu8 man vor allem normative Gesetze unterscheiden™. Relevant davon sind in unserem Zusammenhang offenbar Gesetze der Moral und des Rechts. ,,Naturgesetzen” kénnte man

aller-

dings auch deskriptive Gesetze des menschlichen Verhaltens gegeniiber-

stellen, aber Kant meint damit, da8 Maximen allgemeine Naturgesetze werden, hauptsdchlich gerade, da alle Vernunftwesen sich faktisch da-

nach verhalten ™.

»Normatives Gesetz” kann nun in unserem Zusammenhang zweierlei

bedeuten. Einmal kénnen Gesetze gemeint sein — seien es nun Gesetze der Moral oder des Rechts —, die in dem eigentlichen Sinne normativ

giiltig sind, da8 es richtig ist, sich nach ihnen zu verhalten. Zweitens

kénnen Gesetze gemeint sein, die nur in dem Sinne gelten, da8 sie das Verhalten effektiv bestimmen, etwa durch duSere oder innere Sanktio-

nen. Es handelt sich dann aber um einen eigentlich deskriptiven Sinn von Geltung, und der relevante Unterschied zu den Naturgesetzen oder rein deskriptiven Verhaltensgesetzen liegt héchstens in der Reichweite dieser Gesetze. Es hat nun offensichtlich gar keinen Sinn zu wollen, da8 eine Maxime

im strikten Sinne normativ giiltig ist. Denn, ob es richtig ist, nach einer Maxime

zu handeln, kann nicht davon abhangen, ob jemand will, da8

85 Paton a.a.O. und Kemp unterscheiden Naturgesetze und Gesetze der Freiheit (s. J. Kemp, Kant’s Examples of the Categorical Imperative, in: Wolff (ed.) S. 246 f.). Kant verwendet bei der Diskussion seiner Beispiele meist ganz selbstverstandlich einen normativen Gesetzesbegriff. Ich zitiere drei Belege: ,,[...] und

wiirde ich wohl zu mir sagen kinnen: es mag jedermann ein unwahres Verspre-

chen tun, wenn er sich in Verlegenheit befindet, daraus er sich auf andere Art nicht ziehen kann?” (GMS 30). ,es mag jeder tun” hei8t hier entweder ,ich kann es wollen, wenn es jeder tut” oder ,jeder darf es tun”. ,[...] mithin ich wohl] durch meine Maxime zugleich ein solches Gesetz geben kénnte: da8 jedermann ein Depositum ableugnen diirfe [!], dessen Niederlegung ihm niemand beweisen kann” (KpV 136). ,[...] da& jeder, nachdem er in Not zu sein glaubt, versprechen kinne, was ihm einfallt, mit dem Vorsatz, es nicht zu halten (GMS 53). »kinne” hat hier die Bedeutung von ,diirfe“, denn die ganze Uberlegung

ware iiberfliissig, falls die anderen nicht in der Lage sind, Versprechen abzugeben.

86 Von teleologischen Aspekten des Kantischen Begriffs des Naturgesetzes sehe ich hier ab, vgl. dazu insbes. Paton u. Ebbinghaus (’59).

65

es richtig ist, danach zu handeln™. Es ist weiterhin, mindestens fiir We-

sen, deren Macht begrenzt und die nicht verriickt sind, unméglich zu

wollen, da8 eine Maxime ein Naturgesetz oder ein allgemeines Verhal-

tensgesetz wird. Nicht unméglich ist es allerdings, da8 jemand bewirkt, da& seine Maxime ein fiir viele wirksames normatives Gesetz ist. Aber natiirlich ist auch das vollkommen unrealistisch, wenn die Gruppe gro8 und die Verhaltenskontrolle durchgangig sein soll. Die Irrealitat des Bewirken-Kénnens in diesem Fall kénnte man nun dadurch zum Ausdruck bringen, da8 man

nicht von ,wollen kénnen“,

sondern von

,,wollen

kénnten” spricht. Es scheint im iibrigen jedoch empfehlenswert, das /wollen kénnen” in der ersten Formel durch ein ,,wiinschen kénnen” zu ersetzen. Denn wiinschen kann

man

auch das, was

die eigene Macht

prinzipiell iibersteigt. Dies Vorgehen hatte jedoch den Nachteil, da8 es von vornherein die Méglichkeit ausschlie8t, da8 die Maxime deshalb zuriickgewiesen werden mu&, weil ihre Verallgemeinerung real unméglich ist. Denn es ist zwar aus logischen Griinden, namlich der Bedeutung von ,,wollen”, un-

méglich, etwas zu wollen, von dem man wei8 oder glaubt, da8 es fak-

tisch unmdglich ist. Es ist jedoch zwar auch logisch unméglich, etwas logisch Unmégliches zu wiinschen, aber logisch und empirisch durchaus méglich, etwas zu wiinschen, von dessen faktischer Unméglichkeit man

tiberzeugt ist. Die Ersetzung von ,,wollen” durch ,,wiinschen” ist nun nicht mehr notwendig, wenn man die ganze Formel so verandert, da8 sich das ,,wollen” nicht mehr unmittelbar darauf bezieht, da8 die Maxime ein allgemeines Gesetz wird. In diese Richtung weist m. E. schon die Naturgesetzformel, die auf die diskutierte allgemeine Formel unmittelbar folgt: »Handle

so, als ob die Maxime

deiner Handlung durch deinen Willen

zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte” (GMS 51). Diese Formel betont die Irrealitat der allgemeinen Gesetzgebung durch

meine Maxime. Damit ist zunachst gemeint, da8 die Moralitaét des Handelns nach der Maxime nicht davon abhingt, ob es tatsachlich dazu fiihrt

oder dazu beitrigt, da& die Maxime ein allgemeines Gesetz wird. Vielmehr wird nur gefragt, wie es ware, wenn... Es geht jedoch nicht nur darum, wie es ware, wenn die Maxime ein allgemeines Gesetz wire, sondern auch darum, wie es ware, wenn die Maxime ,durch meinen

Willen”, also gerade dadurch ein allgemeines Gesetz wiirde, da8 ich

nach ihr handeln will bzw. handle. Letzteres ist nun irreal nicht nur in

dem Sinne von ,,hypothetisch” oder ,,fiktiv”, sondern auch von ,,unmig-

lich”. Schon dies zeigt, da& das sprachlich anstéBige ,durch die” in der 87 Vgl. Harrison S. 260 Ff. 66

ersten Formel nicht ohne Bedeutungsverlust durch ein ,,von der” ersetzt

werden kann, wie die Akadamieausgabe erwagt ©.

Die erste Formel mu8 demnach so expliziert werden: ,Handle nach der Maxime, nach der du noch wollen (oder handeln) kénntest, wenn dadurch, da8 du so handelst, alle so handeln wiirden.” In dieser Formulie-

tung gibt es keine Notwendigkeit, aber auch nicht einmal mehr die Még-

lichkeit, ,wollen” durch ,wiinschen’ zu ersetzen. Denn es macht zwar Sinn zu wiinschen, da8 meine Maxime ein allgemeines Gesetz wird, aber keinen Sinn, nach einer Maxime zu wiinschen. Natiirlichh kann man auch weiter mit ,,wiinschen” arbeiten, etwa in folgender Formel: ,,Handle nur nach der Maxime, von der du wiinschen

kannst, da8 sie ein allgemeines Gesetz wird.” Aber da man Beliebiges wiinschen kann, wird durch diese Formel nichts mehr ausgeschlossen, es sei denn, ,,wiinschen kénnen” wiirde schon verstanden als ,,verniinftigerweise (nimlich im wohliiberlegten Eigeninteresse) wiinschen kiénnen“.

Wie sich noch zeigen wird, wire dies gleichbedeutend mit der weitesten

Fassung des ,,wollen kénnens“. Die engeren Fassungen sind so aber nicht reformulierbar. Dariiberhinaus geht so ein Aspekt der Idee der autonomen Gesetzgebung verloren (vgl. 5.4). 1.4 Zur Reichweite von Kants Gesetzesformeln Mit der Widerlegung von Hegels Leerheitsthese und der Auflésung von speziellen Schwierigkeiten in Kants Darstellung ist natiirlich noch nicht gezeigt, da& der kategorische Imperativ ein brauchbares Moralprinzip ist. Hegel kinnte mit der Uberzeugung Recht haben, da8 dem nicht so ist.

Dies ware auch ein starkes Argument fiir seine weitere Uberzeugung, da8

es iiberhaupt unmiglich ist, ein zugleich korrektes und gehaltvolles Moralprinzip zu formulieren. Da der kategorische Imperativ nicht leer ist, bestiinde die nun scharfstmigliche Kritik in dem Nachweis, da8 er Handlungen nur zufallig moralisch richtig auszuwahlen erlaubt. Zufdllig ware dies dann, wenn er weder eine notwendige, noch eine zureichende Bedingung fiir die moralische Gebotenheit, Verbotenheit oder Erlaubtheit von Handlungen aufstellen

wiirde. Neben moralisch gebotenen Handlungen, die auch nach dem kategorischen Imperativ geboten sind, gabe es dann also sowohl moralisch gebotene Handlungen, die nach dem kategorischen Imperativ nicht geboten sind, als auch nach dem kategorischen Imperativ gebotene Handlun88 D. Henrich hat in seiner Rezension von Patons

,The Categorical

Imperative”

zwei Bedeutungen des ,durch die” unterschieden (D. Henrich ('54/55), Das Prinzip der Kantischen Ethik, in: Philosophische Rundschau Bd. 2, S. 28). In Anm. 77 habe ich eine weitere genannt. Es gibt aber noch mehr, vgl. Anm. 91 und 94.

67

gen, die moralisch nicht geboten sind, usw.

Die schwachere Kritik be-

stiinde in dem Nachweis, da8 der kategorische Imperativ ein notwendi-

ges, aber nicht hinreichendes Kriterium fiir die korrekte moralische Qua-

lifikation von Handlungen an die Hand gibt. Die schwachste Kritik lage

vor, wenn er ein hinreichendes, aber kein notwendiges Kriterium ware ™.

Bei der Diskussion der Leerheitsthese sind nun bereits einige Argumente dafiir widerlegt worden, da8 der kategorische Imperativ kein notwendiges bzw. hinreichendes Kriterium ist. Allerdings gilt letzteres wohl fiir die Formel von der rein logischen Méglichkeit der Verallgemeinerung. Kant selbst hatte betont, da8 die Eignung, als allgemeines Gesetz gedacht werden zu kénnen, eine nur notwendige Bedingung fiir die moralische Erlaubtheit einer Maxime sei; erst die Eignung, als allgemeines Gesetz gewollt werden zu kénnen, sei die notwendige und hinreichende Bedingung dafiir. Das Kriterium des Gedacht-werden-Kénnens ist jedoch nur in einer schwacheren Form leistungsfahig. Wenn Kant die logische Unméglichkeit der Verallgemeinerung der Maxime so versteht, da8 sie unabhangig nicht nur von den Folgen der Verallgemeinerung, sondern auch unabhingig von allen kontingenten Anwendungsbedingungen der Maxime eintritt, dann ist, wie wir in 1.2 sahen, diese Form des kategorischen Imperativs

leer — abgesehen vielleicht von der generellen Liigenmaxime. Sind diese Anwendungsbedingungen zugelassen, so ist zunachst noch die Behauptung zu stark, da8 die Verallgemeinerbarkeit notwendige Bedingung fiir moralische Erlaubtheit ist bzw. da8 die Nicht-Verallgemeinerbarkeit hinreichende Bedingung fiir moralische Verbotenheit ist. Denn Maximen,

in denen eine Reihenfolge von koprasenten Handlungen festgelegt ist, sind nie verallgemeinerbar, aber manchmal moralisch indifferent. Diese Méglichkeit ist allerdings nicht mehr gegeben, wenn die Maximen hinreichend allgemein formuliert bzw. begriindet werden. Die Bedingung der logischen Méglichkeit der Verallgemeinerung in ihrer schwacheren Form ist also wirklich ein notwendiges Kriterium fiir moralische Erlaubtheit. Es bleibt zu priifen, ob dieses Kriterium so weit reicht, wie Kant

glaubte, und ob die weiteren Formulierungen des kategorischen Imperativs auch ein hinreichendes Kriterium anbieten. Kant war der Meinung, da das Kriterium der logischen Méglichkeit der Verallgemeinerung nicht nur ein notwendiges Kriterium fiir die mo89 Ein blo& hinreichendes Kriterium scheint zwar auf den ersten Blick bereits mora-

lisch ausreichend. Dies ist jedoch nicht der Fall: Wenn etwas ein blo8 hinreichendes Kriterium fiir die moralische Erlaubtheit von Handlungen ist, so gibt es Handlungen, die moralisch erlaubt sind, auf die das Kriterium jedoch nicht zutrifft; und das impliziert, da& das Nichtzutreffen des Kriteriums keine hinreichende Bedingung fiir die moralische Nichterlaubtheit, d. h. Verbotenheit ist.

68

talische Erlaubtheit, sondern auch ein zureichendes Kriterium fiir Erlaubtheit im Sinne der ,strengen” oder ,engen” Pflichten darstellt.

Demnach wiirde es etwa auch liigenhafte Versprechen, Diebstahl und Mord ausschlieSen. Die Verallgemeinerung der Maxime liigenhaften Versprechens und entsprechender Handlungen ist jedoch nicht schon aus logischen Griinden unmiglich, sondern erst bei Beriicksichtigung der tatsachlichen Folgen dieser Verallgemeinerung. Insofern lage bereits ein Fall vor, der am Kriterium des Wollen-Kénnens gepriift werden mii&te. Es besteht jedoch kein Hindernis, die gedachten Folgen der fingierten Verallgemeinerung von vornherein miteinzubeziehen. Dann kénnte die Verallgemeinerung des liigenhaften Versprechens auch nicht einmal gedacht werden ®. Eine weitere Schwierigkeit bei der Zuordnung von Kants Beispielen liegt darin, da8 Kant, etwa beim

liigenhaften Versprechen,

sagt, da&

seine Verallgemeinerung ,,das Versprechen und den Zweck, den man da-

mit haben mag, selbst unméglich machen” (GMS 53) wiirde. Zunachst

scheint die Bezugnahme auf den Zweck erst bei der Frage nach dem Wollen-Kénnen relevant zu sein". Diese Schwierigkeit list sich jedoch bei der genaueren Betrachtung der Maxime auf. Zu dieser gehért, wie wir sahen, die mindestens implizite Bezugnahme auf den Zweck durch die Formulierung dessen, was durch die beabsichtigte Handlungsweise erreicht werden kann. Aber auch das so erweiterte Kriterium der Unméglichkeit der Verallgemeinerung geniigt nicht als Kriterium fiir die engen Pflichten, zu denen Kant jedenfalls die Rechtspflichten zahlt. Das 1a8t sich schon am Diebstahl zeigen. Versteht man unter Diebstahl dies — oder ist es jedenfalls der Zweck des Diebes —, die illegitim angeeignete Sache langfristig und mit dem Schein der Legalitdét zu besitzen, so kann Diebstahl bzw. die entsprechende Maxime unméglich allgemein sein. Verbindet man den Begriff ,,Diebstahl” jedoch nicht mit diesen Konnotationen des normalen Rechtszustands — oder sind diese fiir den Zweck der Maxime ille90 Hoerster hat versucht, innerhalb der Falle der logischhen Unmiglichkeit noch zu unterscheiden zwischen solchen eines logischen Widerspruchs innerhalb der gedachten allgemeinen Praxis und solchen eines Widerspruchs zwischen dieser Praxis (einschlieSlich ihrer Folgen) und der projektierten Handlung, ,losgelést von der nur gedachten allgemeinen Verwirklichung und ihren Folgen” (Hoerster (74) S. 462). Diese Unterscheidung ist jedoch unméglich, weil die eigene Handlung zu der allgemeinen Praxis logisch dazugehdrt. In Hoersters Versuch gehen vermutlich zwei andere Motive ein: einerseits die Unterscheidung zwischen der Verallgemeinerung der Maxime und der Verallgemeinerung der Handlung, andererseits die Unterscheidung zwischen der Unméglichkeit, da8 auch nur einige nach der Maxime handeln, und der Unmdglichkeit, da viele oder alle dies tun.

1 Dies kommt bei Kant unter anderem durch das emphatische ,durch

Ausdruck.

69

die” zum

gitimer Aneignung nicht konstitutiv —, so kann Diebstahl, also illegitime Aneignung, durchaus allgemein sein. Es fragt sich dann nur, ob man dies auch wollen kann. Ganz offensichtlich geniigt das Kriterium der bloSen Méglichkeit der Verallgemeinerung nicht bei Beispielen des Angriffs auf die Freiheit oder das Leben anderer, die Kant leider erst bei der Diskussion

der Zweck-

formel des kategorischen Imperativs beriicksichtigt (GMS 62). Einfache Mordmaximen z. B. lassen sich ohne Schwierigkeiten verallgemeinern. Bereits hier also mu8 das Kriterium des Wollen-Kénnens herangezogen werden.

Kants

Idee, da8

das Kriteri'um

des Denken-Kénnens

als hin-

reichendes Kriterium fiir die ethisch grundlegendste Gruppe enger Pflichten geeignet sei, ist also verfehlt *. Die Formel des Wollen-Kénnens ist bei Kant zunachst dadurch entwertet, da& Kant das Wollen unmittelbar auf die Verallgemeinerung der Maxime bezieht. Dies ist absurd, da man nichts wollen kann, von dem

man wei, da8 man es nicht verwirklichen kann (vgl. 1.3). Wenn man

nun ,,wollen” durch ,,wiinschen” ersetzt, so ist die Formel zwar sinnvoll,

aber leer, da man Beliebiges wiinschen kann. Jedenfalls kann beim Wiin-

schen nicht von einem logischen Widerspruch in der praktischen Intention die Rede sein. Das Kriterium des Wollen-Kénnens ist jedoch logisch sinnvoll, wenn man Kants Formel so reformuliert: ,Handle nur nach der Maxime, ge-

ma& der du noch wollen kénntest, wenn du wiiftest, da8 dadurch, da8 du danach handelst, alle danach handeln.” Es ist offensichtlich, da8 die-

ses Kriterium nicht erfiillt ist, wenn schon das Kriterium der Méglichkeit der Verallgemeinerung nicht erfiillt ist; denn ein unmdglicher Zustand kann auch nicht gewollt werden. Es fragt sich aber, ob das formulierte Kriterium mehr leistet als das bereits diskutierte der bloSen Denkmidglichkeit. Offenbar visiert es die Falle an, in denen die Verallgemeinerung dazu fihrt, da8 das projektierte Wollen nicht mehr realisiert werden kann,

z. B. bei liigenhaften Versprechen, Diebstahl usw. Aber das war

92 Kants Unterscheidung ist jedoch vielleicht geeignet, um institutionelle von nicht-

institutionellen Pflichten zu unterscheiden. Denn fiir institutionelle Pflichten ist charakteristisch, da8 die dadurch gebotenen Handlungen nur mdglich sind, weil

die Institution existiert. Wenn jedoch niemand so handelt, existiert die betreffende Institution nicht mehr.

93 Wimmer spicht deshalb vom kategorischen Imperativ als ,transzendentalpragmatischem Konsistenzkriterium” (R. Wimmer, Universalierung in der Ethik, Frankfurt a. M. (‘80) S. 339, 346, 353). Die Rede von ,transzendental” ist hier aber irrefiihrend. Sie soll offenbar dem Umstand Rechnung tragen, da8 die

Verallgemeinerung keine Tatsache, Mit dem

sonst iiblichen Sinn von

nichts zu tun,

sondern lediglicdh Gedankenexperiment ist.

,transzendentalpragmatisch”



hat das jedoch

ja genau die Uberlegung, die dem Kriterium der Unméglichkeit der Verallgemeinerung wegen deren Folgen zugrunde lag. Das Kriterium des Wollen-Kénnens unterscheidet sich also gar nicht wesentlich von der weitesten Form des Kriteriums des Denken-Kénnens. Dies sieht man

auch daran, da in ihm ,,wollen” ohne weiteres durch ,,handeln” ersetzt

werden kann. Es hat allerdings den Vorteil, da& auf diese Weise explizit gemacht wird, da8 die fraglicie Unméglichkeit nicht schon immer in der

Verallgemeinerung der Maxime, sondern oft erst im Handeln nach ihr

unter den Bedingungen ihrer Verallgemeinerung liegt “. Wenn die Formel des Wollen-Kénnens gegeniiber der des DenkenKGnnens

einen Fortschritt bringen soll, so mu8

,,wollen kénnen”

hier

verstanden werden als ,,rationalerweise wollen bzw. wiinschen kénnen”.

»Rationalerweise” soll dabei natiirlichh nicht blo8 tautologischerweise*

einen Widerspruch schon im Wollen gema8 der verallgemeinerten Ma-

xime ausschlieSen, sondern auch einen Widerspruch mit anderen iiber-

wiegenden Interessen des Wollenden. So kénnte jemand, der nach der Maxime handeln will, andere, sofern es ihm nur niitzt, der Freiheit oder des Lebens zu berauben, durchaus noch so wollen und handeln, wenn

er wii8te, da8 dadurch alle so handeln wiirden. Aber er kénnte im rationalen Eigeninteresse vermutlich nicht mehr so wollen, da ihn dies mit Verlust seiner eigenen Freiheit oder seines Lebens bedrohen wiirde. Man sieht allerdings bald, da8 dieses Argument nicht unter allen Bedingungen durchschlagend ist. Wenn jemand miachtig genug ist, die Mord- oder Versklavungsabsichten anderer wenig fiirchten zu miissen,

so kénnte er sich iiber die fiir ihn negativen Folgen der Verallgemeinerung seiner Maxime im rationalen Eigeninteresse hinwegsetzen; denn der Nachteil, der ihm durch die Verallgemeinerung entsteht, kénnte geringer sein als der Vorteil des Handelns nach der Maxime. Dies wird allerdings um so unwahrscheinlicher, je allgemeinere Maximen gepriift werden. Die Maxime durchgangigen Eigennutzens zahlt sich vielleicht auch fiir den Machtigsten nicht mehr aus, wenn sie ihre Verallgemeinerung zur Folge hat. Aber hichstens fiir einen schmalen Bereich unaufgebbarer Minimalzwecke wiirde das Argument bei spezielleren Maximen fiir jeden, auch den Privilegiertesten, durchschlagend sein ™.

94 Dies ist ein weiterer Grund fiir Kants Insistenz auf dem ,,durch die” in der ,all95

gemeinen Formel”. Die Qualifikation ,verniinftigerweise” bei Wimmer S. 354 ist iiberfliissig, weil er das ,wollen kinnen“ nur im Sinne der logischen Konsistenz versteht (vgl. Anm. 93).

96 So richtig Hoerster ('74) S. 473. Hoerster scheint jedoch zu glauben, die genannte Kritik sei nur gegeniiber weiten Pflichten im Sinne Kants méglich, z.B.

der Hilfe in der Not.

71

denen

Der genannte Einwand ist vor allem gegen Kants Paradebeispiel der weiten Pflichten gegen andere, namlich der (finanziellen) Hilfe in der Not erhoben worden. Es mag jemand so reich oder generell so michtig sein, daS fiir ihn die Tatsache, da die anderen ihm in Not nie helfen

werden, keine ernsthafte Bedrohung darstellt; jedenfalls kann es sein, da& es fiir ihn vorteilhafter ist, anderen Hilfe zu verweigern und dafiir

bei eigener Hilfsbediirftigkeit die Ablehnung der Hilfe durch andere in Kauf zu nehmen, als ihnen zu helfen. Natiirlich kann auch die gré&te Macht eines bediirftigen Wesens nicht ausschlieBen, da8 es in Not gerat und hilfsbediirftig wird und sich dann Hilfe ,wiinscht” (GMS 54). Jemand, der in Not gerat, kann sogar gar nicht umhin, sich Hilfe zu wiinschen ®. Und wenn der Miachtige tatsiichlich in existenzielle Not geraten ware und sich aufgrund seiner Maxime der Ablehnung von Hilfe gegeniiber anderen der Méglichkeit beraubt hatte, Hilfe zu bekommen,

so mii&te er im Interesse seiner Selbsterhal-

tung bedauern, diese Maxime gewahlt zu haben;

und

er wiirde

sie fast

unter allen Umstanden rationalerweise aufgeben miissen, wenn er die Méglichkeit hatte, sich neu zu entscheiden und dadurch auch die ent-

sprechende Maxime anderer sofort zu verandern. Aber all das zeigt nicht, da& die Wahl

der unmoralischen

Maxime

nach dem Kriterium des Wollen-Kénnens irrational war. Denn der Mann hatte das Risiko in Kauf genommen,

ring ist. Wenn

weil er kalkuliert hatte, da& es ge-

er nun Pech hat, wenn

also das eintritt, dessen Wahr-

scheinlichkeit gering ist, so zeigt das nicht, da8

war.

die Rechnung falsch

Man kann natiirlich diesen Fall durch Reformulierung der Formel des

Wollen-Kénnens

ausschlieBen:

,Handle nur nach der Maxime,

du unter allen Bedingungen rationalerweise dadurch, da&

an der

festhalten kénntest, wenn

du nach ihr handelst, alle danach handeln.” Aber dieses

Prinzip wird nur iibervorsichtigen Leuten einleuchten. Plausibel ware es nur dann, wenn es sich explizit auf genau die Situationen beziehen

wiirde, in die man in seinem Leben wirklich kommen wird. Aber dariiber

gibt es kein zuverlassiges Wissen. Das Argument ungleicher faktischer Handlungsmiglichkeiten und entsprechender ungleicher Angewiesenheit auf Hilfe anderer in der Not kann auch nicht dadurch entkraftet werden, da8 man zu héheren Maxi-

men iibergeht, etwa der der Verweigerung von jeder Form von Hilfe. Denn abgesehen von der Frage, ob Hilfe im allgemeinen moralisch tat97 Insbesondere von Sidgwic, vgl. Singer S. 311 ff., Hoerster (74) S. 471 £. 98 Das ist offenbar Singers Argument zur Verteidigung von Kant beziiglich des

Beispiels der Hilfe in der Not (Singer S. 312, 314). Singers Pramisse ist richtig, aber aus ihr folgt nicht die gewiinschte Konklusion. 72

sachlich geboten ist, so ist der Machtige vielleicht an ihr desinteressiert. Es mag sogar plausibel sein, da8 der Miachtige eher auf rechtlich ungarantierte Hilfe anderer angewiesen ist als auf den Schutz durch geltende Rechtspflichten. Aber auch dieses gilt héchstens fiir einen Minimalbereich. Folglich gibt der kategorische Imperativ kein hinreichendes Kriterium fiir moralische Erlaubtheit bzw. kein notwendiges Kriterium fiir moralische Verbotenheit. Das Argument aus der faktischen Ungleichheit von Handlungsméglichkeiten hat fiir den kategorischen Imperativ relativistischhe Konsequenzen. Denn demnach variieren die Verpflichtungen der Individuen in Abhangigkeit von ihren Handlungsmdglichkeiten. Diese Relativitat ist nun deshalb fatal, weil sie unseren moralischen Intentionen diametral ent-

gegengesetzt ist. Wenn sie darin bestiinde, den Machtigen und Privilegierten starkeren moralischen Verpflichtungen zu unterwerfen, so wiirde das fiir den kategorischen Imperativ sprechen. Sie besteht aber im Gegenteil darin, gerade den Privilegierten von moralischen Verpflichtungen

zu suspendieren ™. Das Argument ungleicher Handlungsmiglichkeiten ist anscheinend das einzige durchschlagende Argument gegeniiber dem Anspruch Kants, der kategorische Imperativ sei ein ausreichendes Moralprinzip'™. Man 99 Vgl. Hoerster S. 472. 100 Beliebt als Argument gegen den kategorischen Imperativ ist insbesondere der Hinweis darauf, da8 etwa ein zum Tode verurteilter Verbrecher die generelle Abschaffung der Todesstrafe gern akzeptieren wird, wenn dies in der Erfiillung seines Wunsches enthalten ist, nicht hingerichtet zu werden (vgl. etwa Harrison S. 244). Nun kénnte man natiirlich einfach einwenden, da8 die Todesstrafe eben moralisch verwerflich ist, aber das Argument ist natiirlich auch bei humaneren

6ffentlichen Sanktionen anwendbar, deren Illegitimitat nicht einfach unterstellt werden

kann,

etwa MaSnahmen

einer Resozialisierung,

die fiir den

Rechtsbre-

cher gleichwohl leidvoll sind. Man kann hier die Méglichkeit nicht ausschlieBen, da8 der Rechtsbrecher einen Zustand, in dem es gar keine gesellschaftliche Sanktion gegen den Typ seines Rechtsbruchs gibt, dem aktuellen Zustand vorzieht, in dem die giiltige Sanktion gerade ihn trifft. Aber die Méglichkeit wird umso unwahrscheinlicher, je grundsatzlicher die Ablehnung der giiltigen Rechtsordnung ist — es sei denn, diese Rechtsordnung sei im wesentlichen ungerecht oder der Rechtsbrecher sei besonders michtig. Dariiber hinaus ist es fragwiirdig, den Wunsch des verurteilten Rechtsbrechers isoliert zu priifen. Wenn sich jemand unmoralisch verhalten hat, so hat er damit die Verteilung von Handlungsméglichkeiten zu seinen Gunsten bereits in einer illegitimen Weise verandert und kann deshalb fiir sich nicht ohne weiteres mit dem kategorischen Imperativ argumentieren. Diese Schwierigkeit verschwindet zum Teil, sobald der kiinftige Tater bereits vor seiner Tat zwischen der Geltung oder Nichtgeltung von Rechtsnormen zu wiahlen hat. Gram fihrt S. 311 Anm. als Beispiel dafiir, da8 der kategorische Imperativ keine

hinreichende Bedingung fiir die moralische Erlaubtheit angibt, die Absicht an, Minderheiten zu unterdriicken. Offenbar denkt Gram dabei an ganz bestimmte

73

kann es jedoch auch weniger als vernichtenden Einwand gegen den kategorischen Imperativ verstehen denn als Angabe der Bedingung, unter denen der kategorische Imperativ generell moralisch giiltig ist: eben unter der Bedingung hinreichend gleichher Handlungsméglichkeiten. Um in einem Zustand hinreichend gleicher Handlungsméglichkeiten die Frage

zu klaren, ob es fiir jemand moralisch erlaubt ist, eine Handlung H zu

tun, geniigt demnach die Klarung der Frage, ob er rationalerweise wiinschen kann, da& dadurch die anderen ebenso handeln. Es fragt sich natiirlich, ob dieser Gedanke auch auf den faktischen Zu-

stand ungleicher Handlungsmiglichkeiten der Subjekte angewandt werden kann. Eine fragwiirdige Antwort bestiinde darin, da8 man bei der moralischen Reflexion mithilfe des kategorischen Imperativs eben Gleichheit der Handlungsméglichkeiten kontrafaktisch unterstellen mu8. Eine

Alternative kiénnte in einer Genetisierung des Anwendungsverfahrens

liegen. Eine Handlung ist dann moralisch erlaubt, wenn sie nach dem kategorischen Imperativ in einem Zustand erlaubt ist, in dem die Handlungsméglichkeiten moralisch legitim verteilt sind. Diese Verteilung ist dann moralisch legitim, wenn sie aus einem Zustand gleicher Handlungsméglichkeiten ausschlieBlich durch Handlungen hitte hervorgehen kénnen, die nach dem kategorischen Imperativ erlaubt sind ™. Die Feststellung, da8 der kategorische Imperativ nur dann ein generell korrektes Moralprinzip abgibt, wenn ein Zustand von gleichen Handlungsméglichkeiten, und d.h. gleicher materialer Freiheit, vorausgesetzt wird bzw. wenn der Zustand ungleicher Freiheit aus einem Zustand gleicher Freiheit durch Handlungen hatte hervorgehen kénnen, die der Minderheiten, denn in irgendeiner Hinsicht gehirt ja jeder zu einer Minderheit und kann deshalb die Verallgemeinerung einer generell gegen Minderheiten gerichteten Handlungsweise nicht rationalerweise wollen oder wiinschen — es sei denn wiederum, er sei besonders machtig. Die genannten Beispiele bestarken mich in der Vermutung, da8 hinter Beispielen gegen die Formel des kategori-

schen Imperativs vom Wollen-Kénnen, soweit sie plausibel sind, letztlicdh immer

das Argument der ungleichen Handlungsméglichkeit steht.

101 Ein verwandtes Verfahren ,normativer Genese“ ist von Lorenzen und Schwemmer vorgeschlagen worden in: Praktische Philosophie

(P. Lorenzen (‘70), Szientismus versus Dialektik, und konstruktive Wissenschaftstheorie, hrsg. v.

F. Kambartel, Frankfurt a. M. 1974; P. Lorenzen/O. Schwemmer (‘75), Konstruktive

Logik,

Ethik

und

Wissenschaftstheorie,

Mannheim;

ferner:

S.

Blasche/

O. Schwemmer ('72), Methode und Dialektik. Vorschlage zu einer methodischen Rekonstruktion der Hegelschen Dialektik, in: Riedel (Hg.)). Lorenzen/Schwemmer gehen dabei jedoch von dem Verstindnis des kategorischen Imperativs als Konsensprinzip aus und beginnen die Genese nicht mit einem Zustand von gleicher Handlungsfreiheit, sondern von ,natiirlichhen” oder ,primiren” Bediirfnis-

sen, Da sie dabei vor allem an einen Zustand

Arbeitsteilung gibt, nehmen lungsméglichkeiten an.

denken, in dem es noch keine

sie hier wohl auch im wesentlichen

74

gleichhe Hand-

kategorische Imperativ erlaubt, hat sicher eine gewisse Verwandtschaft mit Hegels These, da8 der kategorische Imperativ zu seiner Anwendung bereits die Giiltigkeit moralischer Prinzipien voraussetzt und da8 moralische Fragen nur im Kontext genetischer Fragestellungen beantwortet werden kénnen. Aber diese Verwandtschaft ist doch nur sehr weitlaufig. Hegel beginnt zwar in seiner Philosophie des objektiven Geistes mit einem Zustand

der

Gleichheit und Freiheit,

nimlich

dem

,,abstrakten

Recht”; es handelt sich dabei jedoch nicht um einen Zustand gleicher materialer Handlungsfreiheit, sondern nur gleicher Freiheit, iiberhaupt als Rechtsperson zu existieren. Vor allem aber ist der Typus der kontra-

faktischen Fragestellung, ob etwas auf eine bestimmte, und zwar rationale Weise hatte entstehen kénnen, zwar genetisch, aber nicht historisch;

und er ist gerade der der modernen Vertragstheorie, die Hegel stets bekampft hat (Rph § 75 Anm., § 258 Anm.). Zwar ist fiir Hegels Philosophieren auch ein Typus nichthistorischer Genese spezifisch, und dies nicht nur in der ,Phainomenologie

des Geistes”. Aber dabei handelt es

sich nicht um die Genese von Richtigem aus Richtigem durch Anwendung feststehender Prinzipien'’,

sondern um

die Darstellung, wie aus nur

partiell Verniinftigem Verniinftigeres hervorgeht. Wir brauchen hier der Frage nicht weiter nachzugehen, ob das Argument der ungleichen Handlungsmiglichkeiten gegen die generelle Eignung der Gesetzesformel des kategorischen Imperativs als Moralkriterium schon dann ausgerdumt ist, wenn die Genese der Anwendungs-

situation so rekonstruiert wird, da& sie nach der Gesetzesformel moralisch beurteilt werden kann. Man mu8 jedenfalls beachten, da8 eine

gewisse Ungleichheit von Handlungsméglichkeiten auch das Resultat moralisch korrekter Handlungen sein kann. Es gibt jedoch noch eine weitere Bedingung, unter der die Gesetzesformel nicht immer unmittelbar

anwendbar ist, namlich besonders gravierende Unterschiede in den Bediirfnissen, die sich auf die soziale Interaktion richten.

Schon Sidgwick hat gegen den kategorischen Imperativ, au8er mit dem Beispiel des auSergewéhnlich Michtigen, mit dem Beispiel desjenigen argumentiert, dessen Bediirfnis nach Unabhiangigkeit und dessen Abneigung gegen Verpflichtungen es (weitgehend) ausschlieBen, da& er an

102

Vor allem unter diesem Gesichtspunkt hat L. Siep Blasches und Schwemmers Versuch kritisiert, die Erlanger Theorie ,normativer Genese” zur Hegeldeutung zu nutzen (L. Siep (’79), Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes, Freiburg/Miinchen

S. 268 f.). Dazu kommt Sieps Kritik an dem Begriff ,natiirlicher” Bediirfnisse und an der Exemplifizierung des Erlanger Programms an Hegels Ubergang von der Familie zur biirgerlichen Gesellschaft.

75

Hilfe durch andere interessiert ist’*; er kann anscheinend rationalerweise akzeptieren,

da8 alle es ablehnen, Hilfe zu leisten, und ist also

gegeniiber dem Verallgemeinerungsargument der Gesetzesformel (weitgehend) immun. Ahnlich kénnte jemand mit starker Aggressivitat und dickem Fell mit dem kategorischen Imperativ fiir die Erlaubtheit von aggressivem Sozialverhalten pladieren. Umgekehrt kénnte jemand mit besonderem Bediirfnis nach passiver Hilfe daraus, da& er nicht rationalerweise wiinschen kann, da8 die Maxime der Unterlassung altruistischer Handlungen ein allgemeines Gesetz wird, folgern, da8 diese Unterlas-

sung von altruistischen Handlungen moralisch verboten, also Altruismus

in einem Ausma& moralisch

geboten ist, der weit iiber das hinausgeht,

was wir tatsachlich bei besonnener Priifung als Pflicht anerkennen wiirden. Gegen diese Argumente

1a8t sich zunachst einwenden,

da8 sie, weil

sie nicht explizit von maximenartigen Regeln ausgehen, auch nicht be-

achten, da& diese durch eventuelle héhere ,,Maximen” begriindbar sein

miissen, falls nicht ein besonderer Rechtfertigungsgrund vorgebracht werden kann. Das liegt einfach im Begriindungsanspruch jeder Behaup-

tung dariiber, da8 es richtig ist, etwas Bestimmtes zu tun. Die Regel etwa ,Immer wenn ich das Bediirfnis dazu habe, will icy mich asozial verhalten” untersteht der Maxime ,.Immer wenn ich das Bediirfnis habe, etwas zu tun, will ich es tun” oder besser: ,,.mmer wenn eine Handlung

fiir mich die héchste Praferenz hat, will ich sie tun”; und die fragliche Regel kénnte offenbar gegeniiber dem Einwand, da8 asoziales Verhalten doch anderen schadet, dadurch gerechtfertigt werden, da& diese Ma-

ximen dagegen gesetzt werden. Die Verallgemeinerung dieser Maximen kénnte nun z. B. dazu fiihren, da8 der Hilfeunwillige, entgegen seinen Wiinschen, mit Hilfe iiberhauft wird, weil seine Mitmenschen

stark al-

sequent altruistisch waren, kénnte der Asoziale seine Maxime

der Lust

truistisch motiviert sind. Diese Mitmenschen waren allerdings nur in einem eingeschrankten Sinne altruistisch; konsequenter Altruismus wiirde den autarkistischen Feind menschlicher Hilfe gerade in Ruhe lassen. Aber die Maxime eines eher egozentrischen Altruismus ist natiirlich mdglich. In diesem Fall wiirde unser asozialer Autarkist die Verallgemeinerung seiner Maxime nicht mehr rationalerweise wiinschen kénnen. Nur in solchen besonderen Fallen wiirde die Anwendung des kategorischen Imperativs zu einem moralisch akzeptablen Ergebnis fiihren. Wenn die anderen jedoch konrationalerweise als allgemeines Gesetz wiinschen. Im Unterschied zum Argument der ungleichen Handlungsméglichkei-

ten kann man dem Argument antagonistischer sozialer Bediirfnisse durch

103

s. Anm. 97.

Genetisierung des Anwendungsverfahrens iiberhaupt nicht begegnen. Denn da es in bezug auf Bediirfnisse, im Unterschied zu Handlungen

oder Maximen, keinen Sinn macht, nach ihrer Berechtigung zu fragen,

macht dies um so weniger Sinn beziiglich ihrer Genese. Wenn man z. B. zeigt, da8 etwa destruktive Bediirfnisse nur unter kontingenten Bedingungen zustande gekommen sind, insbesondere unter moralisch unhaltbaren Bedingungen, so sind sie deshalb nicht selbst illegitim. Vielmehr

hat jeder grundsatzlich das Recht auf gleiche Handlungsméglichkeiten, ein Maximum seiner Bediirfnisse zu befriedigen — egal, welcher Art diese sind. Der Ausgang von einem fingierten Zustand gleicher Bediirfnisse — entsprechend dem der gleichen Handlungsméglichkeiten — ist also in normativer Hinsicht uninteressant. Untersuchungen zur Bediirfnisgenese haben hier aber den Sinn aufzuzeigen, wie sozial antagonistische Bediirfnisse in einer Weise

verandert werden kénnen,

die deren

Subjekte nicht benachteiligt. Zur Begriindung einer solchen Verinderung wird aber das Kriterium nicht ausreichen, ob die Verallgemeinerung der Maxime einer Person von dieser rationalerweise gewiinscht werden kann. 1.5 Gesetzesformeln und Zweckformeln Den Problemen ungleicher Handlungsmdglichkeiten und antagonistischer

Bediirfnisse kann nun auch in einer anderen Weise begegnet werden als

durch Genetisierung, namlich durch eine Art ,,Verallgemeinerung” beziiglich der Subjekte des Wollen-Kénnens. Man fragt dann nicht nur, ob die Person, deren Handlungsabsicht gepriift werden soll, verniinftigerweise wiinschen kann, da8..., sondern, ob dasselbe auch andere kénnen — einige, viele, die meisten oder auch alle. In diesem Sinne unter-

scheidet sich etwa das sogenannte ,,Verallgemeinerungsargument” im Sinne von Singer von der Gesetzesformel des kategorischen Imperativs

dadurch, da8 es nicht nur fragt, ob es fiir mich nicht wiinschenswert ist,

wenn alle so handeln, sondern, ob es iiberhaupt nicht wiinschenswert

ist, d.h. mindestens, ob es den Gesamtnutzen empfindlich beeintrach-

tigt'“. In Analogie zum Begriff des ,,Regelutilitarismus” hat Hoerster

104 Singer bestimmt den Unterschied von kategorischem Imperativ und Verallge-

meinerungsargument so nicht. Da er den kategorischen Imperativ, ,,richtig verstanden, fiir vollkommen giiltig” halt (Singer S. 278, 342) und das Verallgemeinerungsargument erst recht, mite er sie beide eigentlich fiir im Kern identisch halten. Tatsdchlich sagt er jedoch, ,da&, wenn der kategorische Imperativ ein giltiges moralisches Prinzip ist, das auch das Argument der Verallgemeinerung

ist. Das la&t sich jedoch nicht umkehren” (Singer S. 337). Diese These ist jedoch

zweideutig, je nachdem, ob hier bzw. Verbietens gemeint sind. Es tiv mehr gebietet bzw. verbietet Fall’ Insofern ist der kategorische iden.

Prinzipien des Erlaubens oder des Gebietens kann bedeuten, da8 der kategorische Imperaoder da8 er mehr erlaubt. Letzteres ist der Imperativ gerade das schwachere Prinzip von

77

deshalb vorgeschlagen, Kants Gesetzesformel als ,regelegoistisch“ zu bezeichnen™, Ansitze zu einer mindestens regelutilitaristischen Erweiterung der Fragestellung finden sich bei Kant implizit schon in seiner Diskussion der Gesetzesformel des kategorischen Imperativs. So spricht Kant in dem

Paragraphen der ,,Kritik der praktischen Vernunft“, der das Depositum-

Beispiel — das einzige Beispiel in der ,,Kritik der praktischen Vernunft” — behandelt, ganz ohne Vorbereitung vom kategorischen Imperativ als Prinzip

_allseitiger

Einstimmung” '™ und

erldutert

dies

nur

dadurch,

da8 ,sonst ein allgemeines Naturgesetz alles einstimmig macht” (KpV

137). Kant meint damit sicher nicht nur, da8 ein Naturgesetz bedeutet,

da8 die Naturprozesse irgendwie geregelt, geordnet und voraussagbar

sind; denn auch ein allgemeines Handeln nach unmoralischen Maximen wire in diesem formalen Sinn ,,einstimmig”. Auch ,,das au8erste Wider-

spiel der Einstimmung, der argste Widerstreit und die ginzliche Vernichtung der Maxime selbst und ihrer Absicht” (ebd.), die Kant jedenfalls etwa fiir die Maxime liigenhaften Versprechens im wesentlichen mit Recht unterstellt, bedeutet genaugenommen nicht die Zerstérung einer Gesetzma&igkeit, sondern die Aufhebung der Miglichkeit, da8 die Antecedens-Bedingung des entsprechenden Gesetzes erfiillt ist. Vielmehr versteht hier Kant den Begriff des Naturgesetzes offenbar auch teleologisch. Paton hat gezeigt, wie sehr bei Kants Anwendung des kategorischen Imperativs naturteleologische Pramissen ins Spiel kommen". Das Wesentliche scheinen mir dabei nicht so sehr Annahmen iiber bestimmte notwendige

Zwecke

in der Natur, wie Selbsterhaltung, oder Annahmen

tiber die notwendige Zuordnung von Zwecken und Mitteln zu sein '™, sondern die Annahme der ZweckmaGigkeit der Natur im ganzen. Natur ware

demnach

ein Bereich,

in dem

solche

Gesetze

herrschen,

die

ein

Maximum an Zweckverwirklichung oder Nutzen in diesem Bereich garantieren. Solches Maximum bedeutet nun nicht eo ipso, da8 dort jeder 105

Hoerster ('74) S. 475. Die Rede von ,egoistisch” ist hier allerdings zum Teil irrefiihrend. Richtig ist, da8 die Gesetzesformel die Verallgemeinerung nur an den eigenen Interessen priift; diese kénnen jedoch egoistisch oder altruistisch sein. 106 Dabei wirkt sicher nach, da8 Kant das Moralprinzip in fritherer Zeit als Prinzip

allgemeingiiltiger

Obereinstimmung

gefaSt hatte (Eine Vorlesung

Kants tiber

Ethik, hrsg. v. P. Menzer, Berlin (’24) S. 21 f.). 107 Paton S. 177 £., vgl. Ebbinghaus (’59); M. Gregor, Laws of Freedom, Oxford (‘63) insbes. S. go £., 203 f. 108 Kant setzt bei der Diskussion des Selbstmordes (GMS 52) voraus, da8 ein Naturphanomen wie Unlust nicht in verschiedenen Situationen einander aus-

schlieSende Funktionen haben kann, z. B. die, Zufriedenheit wiederherzustellen,

und die, sich umzubringen.

78

seine Zwecke vollstandig oder jedenfalls in gleicher Weise optimal verwirklicht. Es bedeutet vielmehr zunachst nur ein Optimum des Gesamtnutzens oder des Durchschnittsnutzens. Kants naturteleologische Annahmen wiirden dann auf die Aufnahme eines utilitaristischen Gesichtspunkts hinauslaufen. Dieser Gesichtspunkt ware jedoch noch nicht spezifisch ethisch, da in ihn nicht das moralische Recht von jedem beliebigen Individuum eingeht. In Verbindung mit der Verallgemeinerung im nichtteleologischen Sinn ergibt sich jedoch ein solches Prinzip, das dem Singerschen Verallgemeinerungsargument dhnelt. Demnach wire es moralisch unerlaubt,

nach

einer Maxime zu handeln, deren allgemeine Befolgung den Gesamtnutzen nicht maximiert '*. Aber auch dieses Prinzip rechtfertigt noch nicht Kants Rede von der ,allseitigen Einstimmung”. Sollte Kant damit einen Zustand meinen, dem jeder zustimmen kann, weil jeder seine Zwecke in gleichem Ma8e und dabei optimal verwirklichen kann’, so ist er auch in einer teleologischen Idee der Natur kaum iiberzeugend antizipiert. Sachlich ergiebiger ist demgegeniiber die Strategie, das ,,allgemeine Gesetz” als normatives Gesetz, insbesondere als Rechtsgesetz zu verste-

hen. Dafiir spricht zunachst die Méglichkeit, die Argumente ungleicher Handlungsméglichkeiten und antisozialer Bediirfnisse in ihrer Reichweite einzuschranken. Die allgemeine Erlaubnis genereller Gewaltanwendung wiirde es ausschlie8en, da8 iiberhaupt von einem normativen

Gesetz gesprochen werden kann, da normative Regelungen, wie sie fiir mensdhliche im Unterschied zu tierischen Gesellschaften spezifisch sind, eben Regelungen nicht (nur) im Medium von Gewalt sind. Von einem Rechtsgesetz insbesondere kann nur dann gesprochen werden, wenn es die gewaltférmige Austragung von Konflikten ausschlie&t oder jeden-

falls beschrankt.

Solches verbindet Kant offenbar mindestens mit seiner Rede von ,,allseitiger Einstimmung”. Kants ,,Probierstein der RechtmaSigkeit eines jeden dffentlichen Gesetzes” ist namlich die Frage, ob ,ein ganzes Volk

unméglich dazu seine Einstimmung geben kénnte” '’. Kant hat nun nicht

geklart, in welchem Sinne die Einstimmung hier

,,unmdglich“

sein soll.

Mandhmal erlautert er dies so: ,.wenn es sich nur nicht widerspricht” "*;

10g Genauer gesagt, ist dies nach Singer das ,Gegenstiik” zum Verallgemeinerungsargument. Singer halt es im Unterschied zum Verallgemeinerungsargument nicht fiir giiltig; gegen diese unterschiedliche Behandlung argumentiert Wimmer S. 304 f. azo Eine genauere Formulierung miiSte Rawls’ ,Differenzprinzip” beriicksichtigen (J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt (’79) Kap. II).

111 Kant, Ober den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber

112

nicht fiir die Praxis, in: Kant/Gentz/Rehberg, ebd. S. 70.

79

Frankfurt ('67) S. 68, vgl. S. 70.

aber ein logischer Widerspruch kann hier nicht gemeint sein. Offenbar meint Kant, da8 es im Interesse des ganzen Volkes méglich sein mu8 zuzustimmen, und er gibt dafiir das Gegenbeispiel der Erbaristokratie ‘*.

Dabei macht Kant offenbar die Voraussetzung, da das Volk in einer Situation seine Wahl trifft, in der es durch Einfiihrung der Erbaristokratie etwas zu verlieren hat, oder er setzt einfach voraus, da& rechtliche Frei-

heit in keiner Situation verniinftigerweise aufgegeben werden kann. Die Rechtfertigung dafiir liegt vermutlich darin, da& elementare recht-

liche Freiheit, zusammen mit dem Gewaltverbot fiir die Biirger, fiir Kant

zum Begriff eines Rechtsgesetzes gehGrt. /Allseitige Einstimmung” wird durch wirksame Gesetze also héchstens dann erméglicht, wenn eine gewaltférmige Austragung von Konflikten durch die Individuen ausgeschlossen ist. Aber die Idee allseitiger Einstimmung reicht natiirlich weiter. Allseitige Einstimmung ist in verniinftiger Weise nur dann méglich, wenn alle verniinftigerweise zustim-

men kénnen, und d.h., gema& ihren tatsichlichen, aber aufgeklarten Praferenzen zustimmen kénnen. In diese Richtung weist Kants ,,trans-

zendentale” Bedingung fiir Rechtmafigkeit, namlich die ,,Publizitat* *™*.

Kant erklart diese zwar zundchst nur als die Bedingung, unter der eine

Veréffentlichung von staatlichen Handlungen, Maximen oder Gesetzen nicht zu einem allgemeinen Volkswiderstand fiihren mu& '*. Aber diese Bedingung ist offenbar viel zu sehr von empirischen Umstanden be-

stimmt, um mit Sinn ,,transzendental” zu heiSen.

Kant geht auch im weiteren von dem Kriterium der Vertraglichkeit mit

der Publizitat zu dem der Bediirftigkeit der Publizitat tiber. Dieses ,,an-

dere transzendentale und bejahende Prinzip des dffentlichen Rechts” begriindet Kant so: ,,Denn, wenn sie [die Maximen] nur durch die Publizitat ihren Zweck erreichen kénnen, so miissen

sie dem allgemeinen Zweck

des Publikums (der Gliickseligkeit) gema8 sein, womit zusammen zu stimmen (es mit seinem Zustande zufrieden zu machen) die eigentliche Aufgabe der Politik ist.” "* Hiermit mi8t Kant Rechtlichkeit explizit am

Allgemeinwohl. Da& damit nicht nur das Gesamtwohl, sondern das Wohl

eines jeden gemeint ist, geht daraus hervor, da& Kant unmittelbar darauf wieder vom Recht spricht. Aber dieser — ohnehin zirkulare — Riickgang aufs Recht soll vielleicht auch die Reichweite des allgemeinen Gliicksanspruchs wieder einschranken. Den eigentlichen Durchbruch zu einem Prinzip eines rationalen und damit allgemein méglichen Konsenses vollzieht Kant erst mit seiner 113 114 115 116

ebd. S. 68. Kant, Zum ewigen Frieden, W VIS. 244 f. ebd. S. 245. ebd. S. 250; MS 429. 80

Zweckformel des kategorischen Imperativs: ,Handle so, da8 du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden an-

dern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals blo& als Mittel brauchest” (GMS 61). Kant sagt in der ,,Grundlegung” zwar, die verschiedenen Formeln des kategorischen Imperativs, namlich

die Gesetzesformel, die

Zweckformel und die Formel der Autonomie bzw. des Reichs der Zwecke, seien ,im Grunde nur so viele Formeln eben desselben Ge-

setzes” (GMS 69; vgl. 71); die ,, Verschiedenheit in ihnen” sei ,,eher sub-

jektiv-praktisch [...], namlich, um eine Idee der Vernunft der Anschauung (nach einer gewissen Analogie) und dadurch dem Gefiihle naher zu bringen” (GMS 69). Diese Selbstinterpretation Kants ist jedoch unangemessen. Die verschiedenen Formeln unterscheiden sich sowohl als moralische Beurteilungsprinzipien als auch in ihrer Nahe zur moralischen Intention. Sie stellen auch jeweils wesentliche Schritte im Begriindungsgang der ,,Grundlegung” dar. An dieser Stelle besteht keine Notwendigkeit, die Zweckformel

und

ihre Stellung in der Kantischen ,,Grundlegung” im einzelnen zu disku-

tieren "”. Hegel hat sie ohnehin nicht beachtet. Fiir die Zweckformel spricht aber jedenfalls zundchst ihre unmittelbare Plausibilitat. So sagt

Kant mit Recht, da es _,klar einleuchtet”, da8 jemand, der Menschenrechte verletzt, die Menschheit in der Person der Betroffenen nicht als

Zweck behandelt (GMS 62). Diese Evidenz verliert sich jedoch schnell, wenn man zu komplizierteren Fallen iibergeht, in denen etwa Handlungen moralisch geboten sind, die mit den Interessen von Betroffenen kollidieren, etwa im Fall der Strafe.

Wenn Kant es weiterhin als Gebot enger Pflichten nach der Zweckformel ansieht, den anderen nichts zu entziehen (GMS 63), so ist sicher nur gemeint: nichts ohne Berechtigung. Damit wird die Argumentation offen zirkular. Und wenn Kant die weiten Pflichten nach der Zweckformel so bestimmt, da8 die Zwecke anderer ,,soviel méglich meine Zwecke” (ebd.) sein sollen, so liegt in dem ,,soviel méglich” entweder wieder ein Zirkel,

oder aber diese Bestimmung geht offensichtlich viel zu weit.

Der Schliissel zum Verstandnis der Zweckformel liegt nun m. E. darin, da8 Kant die Zweckformel als Prinzip anwendet, nur so zu handeln, da8 jeder ,,in meine Art, gegen ihn zu verfahren, einstimmen und also selbst den Zweck dieser Handlung enthalten” bzw. ,in sich” enthalten kénne (GMS 62). ,,den Zweck dieser Handlung in sich enthalten kénnen“ meint hier offenbar, ihm bzw. der Handlung rationalerweise zustimmen

117

Zur Analyse der Zweckformel vgl. H. E. Jones, Kant’s Principle of Personality, Madison/London (’71); ferner: E. Haezrahi, The Concept of Man as End-inHimself, in: Wolff (ed.) S. 291 ff.; Singer S. 272 ff.

81

zu kénnen "*. Denn eine nicht so qualifizierte allgemeine Zustimmung ist natiirlih immer méglich, aber vermutlich nie oder jedenfalls nur aus kontingenten Griinden wirklich. Die Zweckformel ist demnach schlicht das Prinzip des rationalen Konsenses:

,,Handle so, da8 alle rationaler-

weise zustimmen kénnen.” "” Nun fragt sich natiirlich, wie die Qualifikation ,,rationalerweise” ge-

meint ist. Im Kantschen Kontext liegt es nahe, ,,rational” auch und ge-

rade im moralischen Sinne zu verstehen '*. Dafiir spricht auch die Nahe der Begriffe

,,Zweck-an-sich-selbst”

und

,,Wiirde”

bzw.

,,Autonomie”

und die Tatsache, da8 die Zweckformel nicht einfach von der Behandlung

von Personen, sondern von der Behandlung der ,Menschheit” in diesen

Personen spricht. Demnach kénnte nur die Zustimmung derer fiir die Moralitat meiner Handlung bzw. meines Zwecks oder meiner Maxime ein Kriterium sein, die ihre Beurteilung ihrerseits an giiltige moralische Prinzipien binden. Dieses Kriterium ist jedoch offensichtlich zirkular, denn es geht ja gerade um die Angabe eines Prinzips fiir Moralitat, sei es nun von Handlungen, Maximen oder Beurteilungen. Diesem Zirkel kann man natiirlich

so entgehen, da8 man die Qualifikation der Prinzipien als ,,moralisch” wieder durch deren allgemeine Konsensfahigkeit ersetzt. Die Zweck-

formel lautet dann: ,Handle so, da8 jeder zustimmen kann, der nach solchen Prinzipien urteilt, denen jeder zustimmen kann.” Aber auch diese

Einschrankung reicht nicht aus, wenn nicht wiederum das ,jeder” des letzten Relativsatzes durch

,,der nach

solchen Prinzipien urteilt, denen

jeder zustimmen kann” qualifiziert wird. Da dasselbe fiir das ,jeder” des neuen Relativsatzes gilt usw., ergibt sich ein Progre8 ins Unendliche. Dieser Zirkel bzw. Progre& scheint zu zeigen, da8 die Zweckformel des kategorischen Imperativs leer ist. Auch wenn Hegel davon nicht handelt, kénnte man ihm zugute halten, da& sein Leerheitsvorwurf gegeniiber dem kategorischen Imperativ jedenfalls fiir die Zweckformel gilt. Es bleibt jedoch die Méglichkeit, das ,,rationalerweise” im vormoralischen Sinne der Maximierung des eigenen Nutzens zu verstehen. Allerdings mu& dann die Zweckformel erganzt werden. Denn sonst wire jede Handlung unmoralisch, die mit den Interessen von irgend jemand kollidiert. Die erste Erginzung besteht darin, da8 die Gesetzesformel in die Zweckformel aufgenommen wird. Das mu8 legitim sein, wenn die 118 Zur Kritik an drei anderen Deutungen von ,in sich enthalten kénnen” s. S. 34 ff. 119 So wird Kants kategorischer Imperativ insbesondere von der Erlanger verstanden, vgl. O. Sciwemmer (’73), Vernunft und Moral. Versuch einer schen Rekonstruktion des kategorischen Imperativs bei Kant, in: Prauss S. 255 ff.; ders. (‘71), Philosophie der Praxis; vgl. Wimmer Kap. 1.2.

120 So versteht es auch Jones S. 4g ff.

82

Jones Schule kriti(Hg.)

Zwedkformel die Aufgabe hat, Schwachen der Gesetzesformel auszuglei-

chen. Die Zweckformel lautet dann: ,,Handle so, daf alle dem rationalerweise zustimmen kinnten, wenn alle so handelten (bzw. wenn alle so

handeln diirften).” Wie hier nicht naher gezeigt werden kann, ist eine solche Verbindung von Zweck- und Gesetzesformel mindestens ein wesentlicher Teil dessen, was Kant mit seinen weiteren Formeln des ,,Reichs der Zwecke” und der ,,Autonomie“” im Auge hat. Dafiir spricht auch, da8 man sie sich am

einfachsten vertragstheoretisch verdeutlichen kann. Sie besagt dann, da8

die Handlung oder Institution moralisch richtig ist, von der es im ver-

niinftigen Interesse aller ist, mit allen einen Vertrag zu schlie8en, diese Handlung zu erlauben bzw. diese Institution einzufiihren **. Dazu pa8t,

da8 Kants politische Philosophie explizit vertragstheoretisch ist.

angelegt

Die vertragstheoretische Reformulierung der erganzten Zweckformel

1a8t auch leicht erkennen, da es noch nicht ausreicht, die Gesetzesformel

auf das rationale Selbstinteresse von allen zu beziehen. Denn wenn die Handlungsmiglichkeiten stark ungleich verteilt oder die Bediirfnisse antagonistisch sind, so wiirden viele Vertrage, die im Sinne der Gerechtigkeit geboten waren, nicht zustande kommen. Das vertragstheoretische Konsensprinzip fiihrt nur dann zu moralisch akzeptablen Ergebnissen, wenn es die Genese der Handlungsweisen bzw. Institutionen aus einer Situation einer fundamentalen Gleichheit rekonstruieren kann. In dieser Hinsicht sind in der gegenwartigen

Diskussion m.E.

zwei

Konzeptionen wichtig. Nach J. Rawls ist der Konsens immer dann moralisch richtig, wenn er bei rationaler Wahl _,,hinter einem Schleier der Unwissenheit” zustande kiame'*. Die fundamentale Gleichheit der Individuen liegt hier in ihrer gleichen Unwissenheit. Da Rawls’ Primissen jedoch nicht zu den gewiinschten Konklusionen fiihren™, eriibrigt sich die Frage, ob seine Konzeption dem Erfordernis der Gleichheit in plausibler Weise geniigt. Uberzeugender ist deshalb der Ansatz von Grice, das Gleichheitserfordernis dadurch zu beriicksichtigen, da8 der Vertrags-

schlu8 in einer Situation vorgestellt wird, in der niemand durch die le-

galen oder quasi-legalen Institutionen begiinstigt ware '*. Gleiche Hand121

Das entspricht der Position von G. R. Grice, The Grounds of Moral Judgement, Cambridge (’67) S. 100. 122 J. Rawls, Kap.3; ahnlich D. A.J. Richards, A Theory of Reasons for Action,

Oxford (71). Tugendhat (79 b) zeigt, da8 Rawls’ Konstruktion eine Art Opera-

tionalisierung der moralischen Unparteilichkeit darstellt.

123 Vgl. die Diskussion in den Sammelbanden: Reading Rawls, ed. by N. Daniels, Oxford (’75); Ober John Rawls Theorie der Gerechtigkeit, hrsg. v. O. Hoffe

(77), Frankfurt.

124 Grice S. 103 f., 145.

83

lungsméglichkeiten zur Verwirklichung der jeweiligen Praferenzen waren allerdings erst dann gesichert, wenn auch Begiinstigungen durch die Natur oder durch Handlungen anderer beriicksichtigt wiirden. In dieser Hinsicht ware Grice’ Konzeption wiederum durch Gesichtspunkte von

Rawls u. a. zu erginzen.

Auch dann reicht die vertragstheoretische Fassung der erweiterten Zweckformel jedoch nicht aus. Sie erlaubt namlich nicht, diejenigen Verpflichtungen zu begriinden, die Hegels Begriff der Sittlichkeit am besten entsprechen, namlich die, die moralisch nicht legitim forderbar, sanktio-

nierbar und so institutionalisierbar sind. Da& dem so ist, folgt unmittelbar daraus, da8 Vertrage Institutionen sind (vgl. Kap. 4). Aus diesem

Grunde

mu8

die generelle

erginzte

Zweckformel

kurz

so lauten:

~Handle so, da es fiir alle rational akzeptabel ware, wenn alle so han-

delten.” Die erganzte Zweckformel scheint ein hinreichend starkes Moralprinzip zu sein, wenn sie in der Weise genetisch angewandt wird, die wir bereits bei der Gesetzesformel skizziert haben. Die Zweckformel impliziert dariiberhinaus die Gesetzesformel. Wenn es fiir alle rational akzeptabel ist, da8 alle in bestimmter Weise handeln, dann ist es auch fiir mich rational akzeptabel. Handlungen, die nach der erganzten Zweckformel erlaubt sind, sind dies also auch nach der Gesetzesformel. Dies gilt jedoch nicht umgekehrt. Ebensowenig sind Handlungen, die nach der erganzten Zweckformel verboten sind, deshalb auch nach der Gesetzesformel verboten; denn daraus, da es nicht fiir alle in ihrem rationalen Selbstinteresse akzeptabel ist, da8 alle so handeln, folgt nicht, da8 es auch fiir mich

nicht in meinem

handeln.

rationalen Selbstinteresse akzeptabel ist, da8 alle so

Wenn die erginzte Zweckformel unter den Bedingungen gleicher oder durch sie genetisch legitimierbarer ungleicher Handlungsmiéglichkeiten

ein hinreichendes und die Gesetzesformel ein notwendiges Moralkrite-

rium ist und die erweiterte Zweckformel die Gesetzesformel impliziert,

so folgt schlieBlich, da8 die so erweiterte Zweckformel ein notwendiges und hinreichendes Moralkriterium ist. Man kann sie deshalb mit Recht

auch schlicht ,,das Moralprinzip” nennen.

2. Hegels Leerheitsvorwurf und Kants Pflichtbegriff Mit der Widerlegung von Hegels These der Leerheit des kategorischen Imperativs bricht Hegels These von der Leerheit der kantischen Morali-

tat noch nicht vollstindig zusammen. Im Unterschied zur Darstellung

seines Aufsatzes ,,Uber die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts”, dem Kapitel iiber ,Die gesetzpriifende Vernunft” in der

84

»Phanomenologie des Geistes” und zum Teil den Vorlesungen iiber die

Geschichte der Philosophie begriinden die umfassenderen Darstellungen in ,Glauben und Wissen“, dem Kapitel der ,Phanomenologie” iiber »Die moralische Weltanschauung“, der Niirnberger Propadeutik und der Rechtsphilosophie die Leerheit der kantischen Moralitét auch aus dem kantischen Pflichtbegriff. Das ist auch bereits Hegels Ansatz in seinen friihen Frankfurter Fragmenten, die damit an Schillers Auseinanderset-

zung mit Kant ankniipfen. Dementsprechend richtet sich die Kantkritik der Hegelianer meist nicht so sehr gegen den kategorischen Imperativ als gegen Kants ,,Gesinnungsethik” oder Ethik der ,,Innerlichkeit” ™. Die Rechtsphilosophie etwa fahrt nach der zu Beginn von 1.1 zitierten Affirmation des Autonomiekonzepts fort: ,[...] so sehr setzt die Festhaltung des blo8 moralischen Standpunktes, der nicht in den Begriff der Sittlichkeit iibergeht, diesen Gewinn zu einem leeren Formalismus und die moralische Wissenschaft zu einer Rednerei von der Pflicht um der Pflicht willen herunter” (Rph § 135 Anm.). Die Argumentation gegen den kategorischen Imperativ beschlie&t dementsprechend der folgende Satz: ,,Aber die Pflicht, welche nur als solche, nicht um eines Inhalts willen, gewollt werden soll, die formelle Identitat ist eben dies, allen In-

halt und Bestimmung auszuschlie8en“ (ebd.). Hegel meint hier anschei-

nend folgendes: Wenn es in der moralischen Intention nicht um den In-

halt der Pflicht, sondern lediglich darum geht, aus der Uberzeugung von der Pflicht (,,aus Pflicht”) zu handeln, so kann die moralische Intention

jeden Inhalt haben.

Auch dieser Gedanke Hegels ist jedoch in der vorgetragenen Form kaum haltbar oder jedenfalls mehrdeutig. Hegel scheint sich bereits daran zu sto8en, da8 nach Kant der moralisch gute Wille darin besteht, die Pflicht ,.nur als solche, nicht um eines Inhalts willen” (ebd.) zu wollen.

Dies ist jedoch lediglich ein anderer Ausdruck fiir die grundlegende Un-

terscheidung von ,,Moralitat” und _,,Legalitat”, die zwar von Kant betont wird, aber von spezielleren Pramissen seiner Moralphilosophie ganz unabhangig ist. Ein spezifisch moralisches Wollen liegt gema& dieser Grundunterscheidung nur dann vor, wenn jemand das tut, wozu er verpflichtet ist, weil er dazu verpflichtet ist bzw. glaubt, dazu verpflichtet zu sein. Das Wollen ist in moralischer Hinsicht lediglich ,,legal”, wenn jemand das tut, wozu er verpflichtet ist, weil es seinen vormoralischen

Praferenzen entspricht. Hegels Kritik an Kants Pflichtbegriff kann also nur berechtigt sein, wenn sie sich gegen etwas Spezielleres richtet als gegen die grundlegende

und unverzichtbare Unterscheidung von Moralitat und (moralischer) ** 125 126

Vgl. die in der Einfiihrung zum Ganzen und der Einleitung zum ersten Haupt-

teil dieser Arbeit besprochene Sekundarliteratur.

Ich erganze den Terminus ,Legalitat” in dieser bei Kant gelaufigen Bedeutung

85

Legalitat. Ich méchte im folgenden zeigen, da8 sie ihre Berechtigung zunachst gegeniiber Kants moralisch rigider Darstellungsweise und seiner moralistischen Rhetorik hat. Zweitens kann man sie als Reaktion auf Schwichen des Kantischen Pflichtbegriffs verstehen. Aus diesen kann in der Tat abgeleitet werden, da8 der

Gehalt

der kantisch verstandenen

Moralitat in gewisser Hinsicht beliebig ist. Die eigentliche Bedeutung von Hegels Kritik kann jedoch erst im 4. und 5. Kapitel rekonstruiert werden. Sie rechtfertigt allerdings nicht mehr Hegels These von der Gehaltlosigkeit der kantischen Moralitat. 2.1 Kants moralistische Sprache und Darstellung Bereits Schiller hatte bekanntlich in seiner Schrift ,Ober Anmut und Wiirde” Kants Darstellungsweise kritisiert: ,,.In der Kantischen Moral-

philosophie ist die Idee der Pflicht mit einer Harte vorgetragen, die alle Grazien davon zuriickschreckt und einen schwachen Verstand leicht versuchen kénnte, auf dem

Wege

einer finstern und ménchischen

Asketik

die moralische Vollkommenheit zu suchen. [...] Uber die Sache selbst kann, nach den von ihm gefiihrten Beweisen, unter denkenden Képfen, die tiberzeugt sein wollen, kein Streit mehr sein [...] Aber so rein er bei der Untersuchung der Wahrheit zu Werke ging, und so sehr sich hier

alles aus blo& objektiven Griinden erklart, so scheint ihn doch in Darstel-

lung der gefundenen Wahrheit eine mehr subjektive Maxime geleitet zu

haben, die, wie ich glaube, aus den Zeitumstanden nicht schwer zu erklaren ist” (AuW 33 f.). Auch abgesehen davon, da Kant zu Unrecht die ausnahmslose Giil-

tigkeit von moralischen Regeln wie ,,Du sollst nicht liigen” vertrat und in

der

Anwendung

seines

Moralprinzips

z.T.

kurzschliissig

argumen-

tierte, hat er in seiner Absicht, den unvergleichlichen Wert des Willens

aus Pflicht von jedem méglichen Wert eines Willens aus bloSer Neigung zu unterscheiden, Formulierungen gebraucht, die im Rahmen seiner eigenen Theorie nicht gerechtfertigt werden kénnen. So folgt daraus, da& eine altruistische Neigung nicht den spezifischen und fundamentalen

Wert von Pflichtmotivation haben kann, nicht, da8 sie, ,,so liebenswiirdig sie auch ist, dennoch keinen wahren sittlichen Wert habe, sondern mit

anderen Neigungen zu gleichen Paaren gehe” (GMS 24). Noch weniger folgt daraus, daS Neigungen keinen ,,absoluten Wert” haben kénnen,

»da8 vielmehr, ganzlich davon frei zu sein, der allgemeine Wunsch eines jeden verniinftigen Wesens sein mu8” (GMS 60). Man mu& Schiller durch ,moralisch”, um anzudeuten, da8 Kants Unterscheidung von ,,Moralitat” und ,Legalitat’ nichts mit seiner Unterscheidung von Rechts- und Tugendpflich-

ten zu tun hat.

86

recht geben, da8 Kant durch solche moralistischen Uberspitzungen ,,die kraftvollste Au8erung moralischer Freiheit nur in eine rithmlichere Art von Knechtschaft verwandelt” (AuW 34). Fiihrt diese Rhetorik schlie8lich zu der Auffassung, da8 der spezifisch moralische Wert nicht so sehr in der Motivation aus Pflicht, sondern in dem Kampf gegen die Neigungen liegt, so wird der Gehalt der Moralitat im Sinne der Hegelschen Kritik in gewisser Weise beliebig, namlich abhangig von dem kontingenten Vorliegen von Neigungen. Mit der moralistischen Diskreditierung der Neigungen hangt auch Kants geradezu paradoxe Uberscharfung des Pflichtgebots zusammen. Kant beginnt seine ,,Grundlegung zur Metaphysik der Sitten” bekanntlich mit der fundamentalen Einsicht in den einzigartigen Wert des guten Willens (GMS 18f.). Die richtige Beobachtung, da8 der unvergleichliche Wert des moralischen Willens darin liegt, etwas darum zu wollen, weil

es Pflicht ist, iiberspitzt Kant jedoch manchmal zu der Behauptung, wir seien verpflichtet, aus Pflicht zu handeln. So behauptet Kant: ,,Der Begriff der Pflicht fordert also an der Handlung, objektiv, Ubereinstimmung

mit dem Gesetze, an der Maxime derselben aber, subjektiv, Ach-

tung fiirs Gesetz, als die alleinige Bestimmungsart des Willens durch dasselbe” (KpV 203). Da nun ,,aus Achtung fiirs Gesetz” Handeln bedeutet, aus Pflicht zu handeln (vgl. GMS 26), so bedeutet das Zitierte die

Behauptung einer Verpflichtung, aus Pflicht zu handeln ”. Kant formu-

liert das Prinzip der Ethik deshalb manchmal auch so: ,,Handle pflicht-

maBig, aus Pflicht” (MS 521).

Wenn nun die spezifisch moralische Verpflichtung darin lage, das moralisch Gebotene aus Pflicht zu tun, so lage sie in einer Art Meta-

Pflicht. Die Intention im Bewu8tsein moralischer Verpflichtung wiirde sich dann nicht so sehr auf die konkreten legitimen Bediirfnisse der Personen beziehen, die den Gehalt unserer Verpflichtungen zu Handlungen bestimmen, sondern auf unsere Einstellung zu diesen Handlungen. Damit droht wiederum eine Entfremdung der moralischen Intention von ihrem materialen Gehalt ™. Allerdings ist eine Meta-Verpflichtung, das zu tun, wozu man verpflichtet ist, weil man dazu verpflichtet ist, nicht schon in praktischer Hinsicht leer, weil sie sich noch auf die Handlung

bezieht, zu der man

127 Vgl. Gemeinspruch 52: ,Da8 aber der Mensch seine Pflicht ganz uneigenniitzig

ausiiben solle und sein Verlangen nach Gliickseligkeit véllig vom Pflichtbegriff

absondern milsse, um ihn ganz rein zu haben: dessen ist er sich mit der gré8ten Klarheit bewu8t; oder glaubte er es nicht zu sein, so kann von ihm gefordert werden, da8 er es sei, soweit es in seinem Vermégen ist: weil eben in dieser Reinigkeit der wahre Wert der Moralitat anzutreffen ist.” 128 Paton hat hier im Anschlu8 an D.Ross sogar einen unendlichen Progress von Metapflichten befiirchtet (Paton S. 136 f.).

87

tatsachlich verpflichtet ist. Sie wird aber dann praktisch leer, wenn sie nur noch dazu verpflichtet, das zu tun, wozu man sich verpflichtet fihlt — eben weil man sich dazu verpflichtet fiihlt. Dann ist eine Situation leicht denkbar, in der, wie

Hegel

sagt, ,die Leerheit des reinen

Pflichtgefiihls und der Inhalt [...] einander bestandig in die Quere” kommen

(GuW 426, 416).

kann, ob

man

Eine Verpflichtung zur Motivation aus Pflicht wiirde das moralische Subjekt auch zu einer permanenten Selbstbespiegelung nétigen, die Hegels These der Moralitat als ,,moralischer Eitelkeit“” (Prop I, § 45, § 34; EnzHd § 428, 427) recht geben wiirde. Da man weiterhin nie sicher sein seine Pflicht wirklich aus Pflicht oder nicht vielmehr aus

anderen Griinden tut, hat diese Art von Moralitat die Tendenz, sich zum

»perennierenden Sollen” und zur ,,Heuchelei” (Ph 485) zu entwickeln. Eitelkeit und Heuchelei fiihren schlieSlich zum ,,Pharisdismus”

(FrSchr

332, N 272; GuW 426). Es ist jedoch zweifelhaft, ob Kant im Ernst eine Verpflichtung zum Handeln aus Pflicht behaupten wollte. Seine Lehre, da& es keine Pflicht zur Tugend gabe, begriindet er nimlich gerade damit, daf es ,,sonst [...] eine Verpflichtung zur Pflicht geben miisse” (MS 537). Man kann sich Kants deontologische Uberhéhung der moralischen Motivation immanent damit erklaren, da8 Kant meistens moralische Satze als Imperative

auffa8t. Seine Lehre von den Imperativen entwickelt Kant jedoch im Kontext einer Uberlegung iiber das, was praktisch gut, d.h., was verniinftig ist zu tun (GMS 4z1 £.), und manchmal spricht er von Imperativen auch als von Satzen iiber das, was praktisch gut ist (GMS 43). Der fragwiirdige Imperativ ,,Tue deine Pflicht aus Pflicht” la8t sich demgema& iibersetzen in den wahren praktischen Satz: ,,Es ist moralisch gut, seine Pflicht aus Pflicht zu tun.“ 2.2 Kants psychologistischer und rigoristischer Pflichtbegriff Es gibt nicht nur Schwachen in der Rede, sondern auch in der theoreti-

schen Begrifflichkeit Kants beziiglich des Pflichtbegriffs, aus denen Hegels Kritik abgeleitet werden kann. Zundchst behandelt Kant moralische Regeln unter dem Oberbegriff des ,Gebots” bzw. ,,Imperativs” und ,,Sollens” (GMS 41) und unterscheidet dann innerhalb der Gattung »Gebote

der Vernunft”

die ,,Regeln

der Geschicklichkeit”

und

,,Rat-

schlage der Klugheit” von den ,,Geboten (Gesetzen) der Sittlichkeit” (GMS 45 f.). Also will der moralische Wille etwas Gebotenes nicht des-

halb, weil er damit etwas erreichen will, sondern schlicht deshalb, weil

es geboten ist. Versteht man Gebot bzw. Imperativ oder ,,Sollen” nun

als Befehl, so ware Moralitat nichts als blinder Gehorsam, dessen Inhalt

dann tatsachlich beliebig wire.

88

Auch wenn es bei Kant keine eindeutige Auskunft dariiber gibt, was ein ,Gebot” bzw. ,,Imperativ” ist, so ginge diese Auslegung jedoch offensichtlich an Kants Ansatz bei Geboten der Vernunft vorbei. Demzufolge handelt es sich bei der Unterscheidung von hypothetischen und kategorischen Imperativen nicht um eine Unterscheidung der grammatischen Form oder der Bedingungen, unter denen Imperative wirksam wer-

den, sondern um eine Unterscheidung der Bedingungen, unter denen es

verniinftig ist, den Imperativen zu folgen, bzw. unter denen sie giiltig sind '*. Damit entfallt natiirlich die Méglichkeit einer autoritar-impera-

torischen Deutung des Kantischen Begriffs des ,.lmperativs” bzw. ,,Sollens“. Wichtiger ist jedoch, da8 Kant in der ,,Grundlegung” behauptet, die Begriffe der ,,Pflicht” und des ,,Sollens” enthielten ,,den eines guten

Willens, obzwar unter gewissen subjektiven Einschrankungen und Hindernissen” (GMS 22). Entsprechend wird in der ,,Metaphysik der Sitten”

»Pflicht” definiert als ,Zwang, der also nicht auf verniinftige Wesen iiber-

haupt (deren es etwa auch heilige geben kénnte), sondern auf Menschen als verniinftige Naturwesen geht, die dazu unheilig genug sind, da8 sie die Lust wohl anwandeln kann, das moralische Gesetz, ob sie gleich dessen Ansehen selbst anerkennen, doch zu iibertreten und, selbst wenn

sie es befolgen, es dennoch ungern (mit Widerstand ihrer Neigung) zu tun, als worin der Zwang eigentlich besteht” (MS 508). Bei dieser Definition der ,Pflicht” im Sinne des Pflichtbewu8tseins oder der Pflichtintention fallt zunachst auf, da8 Kant die Anerkennung des ,Ansehens”,

also wohl

der

Giiltigkeit, des moralischen

Gesetzes

noch von der Pflicht selbst zu unterscheiden sucht. Sinn und Notwendigkeit dieser Unterscheidung leuchten jedoch nicht ein. Fiir Kant ist sie vermutlich wichtig, um das PflichtbewuStsein sinnlicher Vernunftwesen

von dem nichtsinnlicher Vernunftwesen generell unterscheiden zu kén129 Patzig ist dieser Deutung

nahegekommen:

,,Das, was einen hypothetischen Im-

perativ zu einem hypothetischen macht, ist also nicht, wie bei den Urteilen, seine

sprachliche oder logische Form: hypothetisch sind Imperative genau dann, wenn sie Forderungen aussprechen, von denen es sinnvoll ist anzunehmen, daB sie nur im Hinblick auf mégliche, wirkliche oder sogar notwendige Interessen und Wiinsche des Adressaten ergehen. Wenn dies gilt, sind die Imperative auch dann hypothetisch, wenn sie als kategorische Satze formuliert sind” (G. Patzig, Die logischen Formen praktischer Satze in Kants Ethik, in: G. Prauss (Hg.), Kant.

Zur

Deutung

seiner

Theorie

vom

Erkennen

und

Handeln,

Kéln

('73)

S. 211). ~Es geht nicht darum, aus welchen Griinden ein Imperativ befolgt wird, sondern darum, wie er aufgefa&t, verstanden wird” (ebd. S. 220 Anm. 10). Wie ein Imperativ verstanden wird, soll wohl implizieren, aus welchen Griinden er als giiltig angesehen wird, d. h., warum es als verniinftig angesehen wird, ihn zu befolgen. Es geht jedoch bei Kant nicht um die Griinde eines Glaubens an die Verniinftigkeit, sondern um die Griinde der Verniinftigkeit selbst.

89

nen. Aber abgesehen von der Frage, ob man bei etwaigen rein rationalen Wesen iiberhaupt noch von Wollen, Entscheidung und Verpflichtung — und also auch von einem ,heiligen Willen” — sprechen kann, besteht gar keine Notwendigkeit, deren PflichtbewuStsein von unserem prinzipiell zu unterscheiden. Weiterhin fallt auf, da Kant den ,,Zwang” der Pflicht genaugenommen nicht daraus erklart, da8 ,,Lust” oder ,,Neigung” der Erfiillung des

moralischen Gesetzes — vor oder nach der Handlung — wirklich entge-

genstehen, sondern daraus, da dies so sein kann ™. Es ist aber gar nicht

abzusehen, wie das PflichtbewuStsein sich von der Anerkennung der Pflicht auch dann unterscheiden soll, wenn ihr keine Neigung entgegensteht. Vom Text her ist es allerdings nicht ganz ausgeschlossen, den »Zwang” am Ende des Zitats nur auf den Fall eines aktuellen Konflikts mit einer Neigung zu beziehen. Dann mu& man diesen ,,Zwang” jedoch noch vom

,,Zwang der Pflicht selbst” unterscheiden, weil letzterer nur

auf der Méglichkeit von ersterem beruht. Diese Unterscheidung ist jedoch irrelevant fiir die Beschreibung der generellen Struktur des Pflichtbewu8tseins sinnlicher Vernunftwesen. Relevant ist sie hingegen in normativer Hinsicht: Es ist besonderer Hochschatzung wert, besonders

,,verdienstlich”, wenn Personen ihre Pflicht

trotz widerstreitender Neigung tun. Sie kénnen jedoch aus Pflicht auch dann handeln, wenn sie keine Neigung zu iiberwinden haben, und manifestieren auch dann den unvergleichlichen Wert moralischer Motivation. Die zweite Schwierigkeit bei der Einfiihrung des Pflichtbegriffs ist also durch Kants Gleichsetzung von spezifisch moralischer Intention und speziellem moralischem Verdienst ** motiviert.

In der Sache kann man zunichst davon ausgehen, da8 auch schon bei

jeder Entscheidung, bei der moralische Erwagungen keine Rolle spielen, widerstreitende Neigungen oder jedenfalls Griinde fiir Alternativen prasent sind oder sein kénnen. Hier wiirde jedoch wohl auch Kant nicht von einem ,,Zwang” (durch die Neigung oder durch das BewuStsein des praktisch Richtigen) sprechen. 130

,,Praktische Notigung” als Definiens von Pflicht wird von Kant definiert als ,Bestimmung zu Handlungen, so ungerne, wie sie auch geschehen migen” (KpV 202). Hier ist also wohl ebenfalls nicht das Faktum, sondern die Méglichkeit widerstreitender Neigungen impliziert. ,,Praktische Nétigung” ist konstitutiv ,,fiir Menschen und alle erschaffene verniinftige Wesen” (ebd. S. 203). 131 Diese Gleichsetzung folgt nicht nur aus einer gewissen rigoristischen Tendenz des Kantischen Denkens im allgemeinen, sondern spezieller aus der besonderen Argumentationsstrategie der ,Grundlegung”. Kant beginnt hier namlich mit dem guten Willen qua Charakter und behandelt die moralische Intention einzelner Handlungen erst unter dem Begriff der ,,Pflicht”. Wenn es richtig sein sollte, da& Opposition gegen Neigungen zu einem ,guten Charakter” notwendigerweise gehért, so gilt dies jedoch nicht fiir die einzelne moralische Intention. go

Kants Rede vom ,,Zwang” im Pflichtbewu8tsein ist offenbar durch die

Analogie zum Recht motiviert. Wahrend das Recht legitim durch auS8eren Zwang durchgesetzt werden kann, geschieht dies bei der Moral nach

Kant durch ,,Selbstzwang” (MS 508 Anm.). Hinter dieser durchaus pro-

blematischen Analogie (s. 4.4) verbirgt sich vielleicht Kants Einsicht, da8 auch den Pflichten der Moral Rechte im weitesten Sinn korrespondieren

(MS 512). Und Rechte einer Person sind in gewisser Weise Grenzen fiir

die legitime Realisierung von Neigungen anderer, die diese betreffen. Im entsprechenden PflichtbewuB8tsein werden eigenen, aktuellen oder potentiellen Neigungen

insofern Grenzen gesetzt — und zwar gema8

Kants

Autonomiethese durch das verpflichtete Subjekt selbst. Daraus folgt jedoch nicht, da8 das rationale PflichtbewuStsein nichts anderes ist als die Erfahrung einer Grenze fiir Neigungen, die Teil meiner selbst ist. Nicht weil ich etwas als mir selbst zugehérige Grenze meiner Neigungen erfahre, fiihle ich mich verpflichtet, es zu respektieren, sondern weil ich mich dazu verpflichtet fiihle, erfahre ich es als eigene Grenze meiner Neigungen. Andernfalls ware das verniinftige PflichtbewuBtsein von einem beliebigen eigenen psychischen Zwangsphaénomen ununterscheidbar. Auch wenn die Méglichkeit eines Konflikts von Pflicht und Neigung zum PflichtbewuStsein gehdrt, so doch nicht notwendig die Wirklichkeit eines solchen Konflikts. Verpflichtungen kénnen vielmehr sogar in Neigungen begriindet sein (s. 4.4). Kants Vorstellung, da8 rationales PflichtbewuStsein sinnlicher Vernunftwesen durch Nétigung oder Selbstzwang definiert ist, ist wohl letztlich darin begriindet, da8 Kant das Sollen der empirischen Person durch ein Wollen des intelligiblen Ich erklart. ,,Ich soll die Handlung H tun” besagt demnach eigentlich: ,,Reine praktische Vernunft in mir will, da8 ich H tue.” Kants Gedanke ist nun anscheinend folgender: Da dieses

nichtempirische Wollen eo ipso mit Notwendigkeit erfolgt, hat es einem empirischen Wollen gegeniiber den Charakter der ,,Nétigung”. In dieser Uberlegung werden jedoch wiederum Fragen der logischen Geltung und der psychischen Genese unzulassig verbunden. Zwar hat Kant

recht damit, da8 moralische Geltung

in charakteristischer

Weise

von dem empirischen Haben von Zwecken unabhingig ist — das ist namlich nur eine Formulierung seiner grundlegenden Unterscheidung von hypothetischen

und

kategorischen

Imperativen.

Diesen

Befund

kénnte

man dazu benutzen, den Begriff der Pflicht durch den der zweckabsolu-

ten praktischen Giiltigkeit zu definieren. Das Pflichtbewu8tsein ist dann nichts anderes als das Bewu8tsein zweckabsoluter praktischer Giiltigkeit. In Kap. 5.3 (S. 167) und vor allem im zweiten Teil dieser Arbeit wird

sich zeigen, da8 es gute Griinde dafiir gibt, moralische Giiltigkeit als (das Bewu8tsein einer) strukturelle(n) Notwendigkeit eines Glaubens an diese Giiltigkeit zu explizieren. Dies ist meines Erachtens der Kern einer trans91

zendentalen Methode in der Ethik, der bei Kant noch in seiner leider vieldeutigen Lehre vom ,,Faktum der Vernunft” enthalten ist. Behauptungen moralischer Giiltigkeit sind demnach letztlich Behauptungen iiber (das BewuB&tsein) notwendige(r) Gehalte des praktischen BewuStseins. Der Charakter der Grenzsetzung im moralischen BewuStsein ist also auf ein Bewu8tsein davon zuriickzufiihren, da8 hier tatsichlich etwas mit struktureller Notwendigkeit erfolgt, namlich der Glaube an die praktische

Giiltigkeit einer moralischen Norm oder eines moralischen Prinzips.

Kant hilt es nun aber, insbesondere in der ,,Grundlegung”, fiir nétig,

diesen Glauben in ein reines Wollen zu inkarnieren und das PflichtbewuBtsein aus dessen Verhiltnis zum empirischen Wollen zur erklaren.

Aber dadurch, da8 Neigungen sich an einem , apriorischen” Wollen bre-

chen, erscheint

dies Wollen

noch

nicht als rationales

Sollen;

vielmehr

kann hichstens umgekehrt das BewuBtsein eines einsichtigen Sollens dazu beitragen, eigene Neigungen

zu relativieren. Wenn

der Verpflich-

tungscharakter der sittlichen Intention nicht in ihr selber lage, sondern erst durch den Widerstand der Neigungen zustandekame, dann ware das

Pflichtbewu8tsein eine Folge eines psychischen Antagonismus und, wenn die sittliche Intention strukturell begriindet ware, eine Art notwendigen Zwangsphanomens, jedoch kein BewuStsein vom Charakter rationaler Einsicht. Ist das BewuBtsein von Pflicht nun, wie bei Kant, eine Folge des Ant-

agonismus von reinem und empirischen Wollen, so scheint Hegels inhaltliche Kritik berechtigt. Verpflichtungen haben dann namlich keinen anderen Inhalt als den, das empirische Wollen zu beherrschen, ganz gleich, was dessen Gehalt ist. Die Schwierigkeiten im Pflichtbegriff wiederholen sich bei Kants Lehre von der ,,Achtung fiirs Gesetz”. Kant will mit dem Begriff der ,,Achtung fiirs Gesetz” oder ,reinen Achtung” (GMS 27) das Spezifische der moralischen Pflichtintention und -motivation fassen. Er definiert sie jedoch lediglich als das BewuStsein der Unterordnung meines Willens unter einem Gesetze, ohne Vermittelung anderer Einfliisse auf meinen Sinn“ (GMS 28 Anm.). Die Achtung bezieht sich hier also gar nicht auf den Gehalt des Sittengesetzes, sondern lediglich auf dessen Macht iiber die

Sinnlichkeit.

Kant unterscheidet dann zwei Momente

innerhalb der Achtung, ein

negatives uned ein positives (ebd.). Diese Unterscheidung hat Kant in der ,,Kritik der praktischen Vernunft” folgenderma8en prizisiert. Einerseits ist Achtung das Gefiihl, da8 die Sinnlichkeit eingeschrankt wird, da8 also ,,der Eigenliebe Abbruch” getan und ,,der Eigendiinkel niedergeschlagen” wird (KpV 193). Andererseits ist sie das Gefiihl, da8 sich das Sittengesetz Raum zur Entfaltung schafft. Auch die ,positive” Seite der Achtung bezieht sich also nicht auf Legitimitat und Wert der sittlig2

chen Prinzipien, sondern auf deren dynamische Uberlegenheit iiber die Sinnlichkeit *. Wenn man jedoch das Phanomen der moralischen Achtung durch Zwang auf die Sinnlichkeit definiert, dann wird die Intention des moralischen

Bewu8tseins so verzerrt, wie Hegel es auch sonst an

Kant kritisiert. Es geht nun um die Uberlegenheit iiber Sinnlichkeit iiberhaupt, nicht um eine inhaltliche Verpflichtung, und nur um die eigene Vollkommenheit, nicht mehr um die legitimen Wiinsche und Anspriiche anderer. Diese Verzerrung liegt keineswegs schon in der Orientierung am Phanomen der reinen praktischen Achtung begriindet ™, sondern in imma-

nenten Grenzen der Kantischen Theorie. Abgesehen davon, da& schon die Vorstellung von den zwei ,,Vermégen”, Vernunft und Sinnlichkeit, einem Begreifen des Phanomens rationaler Pflichtmotivation im Wege steht ', ist es von vornherein aussichtslos, das Phanomen der rationalen Motivation aus Achtung zu verstehen, wenn man zuniachst Achtung ,,ne-

gativ” als Einschrankung der Neigungen versteht. Dariiberhinaus ergibt sich eine autoritaére Einengung des Achtungsbegriffs durch den Kontext,

in dem Kant diesen Begriff einfiihrt, namlich dem einer ,,Achtung fiirs Gesetz*. Kant fiihrt den Begriff des ,,Gesetzes” als Substitut fiir den des ,,for-

mellen Prinzips” des Handelns ein (GMS 26). Formell ist ein Handlungsprinzip nach dem Kantischen Kontext dann, wenn es unabhingig ist von den konkreten Absichten und Neigungen usw.'. Das gilt aber nicht nur

132 Vgl. D. Henrich (63), Das Problem der Grundlegung der Ethik bei Kant und im spekulativen Idealismus, in: P. Engelhardt (Hg.), Sein und Ethos, Mainz S. 372 f. 133 Rein” kann Kant die moralische Achtung deshalb nennen, weil sie im Unterschied etwa von dem Respekt vor der Macht oder Autoritat nicht noch in einem weiteren Motiv griindet. Um den teilweise irrefiihrenden Anklang an _,,apriorisch” zu vermeiden, sollte man vielleicht besser von ,unbedingter” Achtung sprechen.

Kant spricht in seinen Schriften zur Ethik von Achtung weiterhin nur im Zusam-

menhang mit dem, was sich in und durch Handlungen realisiert, also nicht von der Achtung als Gefiihl gegeniiber dem Erhabenen, das sich ja per definitionem dem menschlichen Handeln entzieht (KU 329). Man sollte also deshalb hier von »praktischer” Achtung sprechen. Moralische Achtung scheint demnach als ,,unbedingte praktische Achtung” definierbar. 134 D. Henrich (‘63) S.373 £. Hinter dieser Vermégenspsychologie steht u.a. die Unfahigkeit zu verstehen, da& Gefiihle auch einen kognitiven Aspekt haben. Natiirlich ist es auch inadaquat, die Alternative aufzustellen, da& die Achtung dem Bewu8tsein der Verbindlichkeit der Pflicht entweder vorausgeht oder nachfolgt. Paton, der dies anhand Kants eigener Kriterien nachweist, kommt schlie8lich zu dem Ergebnis: , Achtung ist die Gefithlsseite unserer Anerkennung, da8 das Gesetz bindend ist” (Paton S. 69). 135 Dann ware das Prinzip des Gliicks auch formell. Man kann jedoch sagen, da& & in den Neigungen als Intention schon mitenthalten ist. Insofern ist es nicht

‘ormell.

93

etwa fiir das Prinzip ,,Ich will tun, was gerecht ist”, sondern auch fiir das

Prinzip ,,Ich will tun, was Gott will oder was die Machtigen lehren, die Tradition usw.” Das ,,Gesetz” kann also als das Prinzip der blinden Un-

terwerfung unter eine Autoritat verstanden werden. Allerdings kommt

man bei diesen autoritdren Gesetzen durch die Warum-Frage immer auf ein weiteres Gesetz oder ein materiales Prinzip; nicht jedoch bei einem autonomen Moralprinzip. Sie sind also keine letzten Gesetze. Es ist jedoch auch keine korrekte Beschreibung der spezifisch morali-

schen Intention zu sagen, da8 wir moralisch handeln aus Achtung vor

dem Gesetz der Gerechtigkeit. Die moralische Intention ist vor allem die aus Achtung vor dem Recht anderer, also dem Anspruch anderer, weil er gesetzmaSig ist, bzw. die Intention aus Achtung vor der GesetzmaBigkeit dieses Anspruchs, nicht jedoch aus Achtung vor dem (kantischen) ,,Gesetz”, etwa dem formellen Prinzip ,Handle gerecht”. Solch ein Prinzip kann man nicht eigentlich achten, sondern seine Giiltigkeit nur anerkennen und akzeptieren '*, Aus den genannten sachlichen Fehlern in Kants Pflichtbegriff la&t sich direkt folgende Radikalisierung der Schillerschen Kantkritik ableiten, die in Hegels Frankfurter Manuskripten enthalten ist. Hegel interpretiert hier die kantische Ethik vor dem Hintergrund der jiidischen Religion als eine Haltung der Herrschaft gegeniiber der Natur und der Knechtschaft gegeniiber dem géttlichen Idol. Moralitat ist demnach wesentlich Herrschaft iiber die Sinnlichkeit. Moralisch motiviertes Handeln erfordert also nicht blo& in vielen Fallen eine Kontrolle und Unterordnung sinnlicher Impulse, sondern das spezifisch Moralische besteht gerade in der Herrschaft iiber die Sinnlichkeit (FrSchr 323, 298; N 266, 386). Aus dieser Kritik la8t sich nun einerseits der Vorwurf der Leerheit der 136 Einen eigentiimlich autoritéren, also heteronomen Charakter zeigt Kants Ach-

tungslehre auch da, wo Kant die Achtung nicht auf die Macht des Gesetzes tiber die Sinnlichkeit bezieht. Achtung empfinden wir nicht nur gegeniiber dem Gesetz selbst, also richtig verstanden gegeniiber dem legitimen Willen anderer, sondern insbesondere gegeniiber einem anderen Willen, der aus Achtung vor dem Gesetz will, d. h. gegentiber einem Handeln aus moralischer Motivation. Dabei kann man mit Kant zwar sagen: ,,Alle Achtung fiir eine Person ist eigentlich nur Achtung fiirs Gesetz (der Rechtschaffenheit etc.), wovon jene uns das Beispiel gibt” (GMS 28 Anm.). Denn wir achten andere Personen als moralische Subjekte wegen deren Achtung fiirs Gesetz. Kant sagt jedoch dariiber hinaus: »Eigentlich ist Achtung die Vorstellung von einem Werte, die meiner Selbstliebe Abbruch tut” (GMS 28). Achtung sei insofern Hochachtung (KpV 193, 201,

206), Bewunderung

(KpV

300)

und

Ehrfurcht (KpV 300, MS

534, Rel 669/70

Anm.). Die Achtung vor der Moralitat anderer ist jedoch keineswegs notwendig mit dem Gefiihl des eigenen Unwerts verbunden. ,,Achtung” ist mit dem BewuBtsein von Gleichheit sehr wohl vereinbar, wenn nicht sogar notwendig ver-

kniipft.

94

kantischen Moralitat begriinden. Denn die moralische Intention hat nun

keinen fiir sich feststehenden Gehalt mehr, sondern ist durch die Faktizi-

tat der jeweilig vorherrschenden Neigung bestimmt, namlich als deren Negation und Unterwerfung. Der radikale moralische ,,Rigorismus” impliziert also ,Formalismus” im Sinne einer Auflésung des moralischen Gehalts. Dariiber hinaus lassen sich auch die weiteren Charakteristika

der Hegelschen Moralitatskritik ableiten: der Vorwurf der ,,moralischen Eitelkeit” und des ,,perennierenden Sollens”. Wenn es in der Moralitat

namlich eigentlich gar nicht darum geht, etwas fiir andere zu wollen und

zu tun, sondern darum, die eigene Sinnlichkeit zu iiberwinden, so geht es dem Subjekt in der moralischen Intention um sich selbst, es ist ,.mo-

ralische Eitelkeit” (Prop I, § 45, § 34; EnzHd § 428, 427) *’. Diese Art von

»Moralitat” ist auch eine Art ,,Heuchelei” und ,,Pharisdismus” (Ph 485;

FrSchr 332, N 272; GuW 426). Aus dem Verstandnis von Moralitat als Beherrschung der Sinnlichkeit folgt schlieBlich Hegels Kritik des ,,perennierenden Sollens” **. Denn erstens ist die véllige Beherrschung der Sinnlichkeit beim Menschen als einem Wesen, zu dessen Definition diese gehért, prinzipiell unmdglich. Zweitens wiirde eine endgiiltige Unterwerfung der Sinnlichkeit bedeuten, da& keine moralische Anstrengung mehr nétig ware. Damit wiirde

aber auch der spezifisch moralische Wert verschwinden, der sich ja nur in

Selbstiiberwindung manifestieren soll. Es ware also paradoxerweise Be137 Der

Begriff der ,Eitelkeit”

im Gewissenskapitel der Rechtsphilosophie bezieht

sich nicht mehr speziell auf die ,moralische Eitelkeit”. Nach dem § 139 ist ,das Selbstbewu8tsein in der Eitelkeit aller sonst geltenden Bestimmungen [...] bose”. ,,Eitelkeit” besagt hier nur, da8 nichts als der Wille des Selbstbewu8tseins gilt. In § 140 Anm. f) behandelt Hegel dann die ,subjektive Eitelkeit, [...] sich selbst als diese Eitelkeit alles Inhalts zu wissen, und in diesem Wissen sich als das Absolute zu wissen”. Diese ,absolute Selbstgefalligkeit” ist jedoch nicht Grund der eigenen Moralitat, sondern ,Ironie”, Kult der eigenen Souverdnitat. Hegel wirft der Moralitét auch unabhangig von dem Verhiltnis zur eigenen Sinnlichkeit bornierte Selbstgefalligkeit vor: ,Moralischer Mensch meynt, — die

Welt habe auf ihn gewartet, da8 der absolute Endzweck vollbracht” (Vorlesungsnotizen zur Heidelberger Enzyklopidie, Ilt 179). 138 Hegel hat seine Sollenskritik allerdings auch von den hier und im letzten Ab-

schnitt genannten speziellen Pramissen gelést. Der Standpunkt der Moralitat ist

demnach

generell der des ,Sollens”

(Rph § 108; EnzHd § 426; EnzB? § 511).

Dies gilt sogar fiir das Handeln tiberhaupt (Rph §§ 109 ff.). In seiner ,,Wissen-

schaft der Logik” hat Hegel

den Begriff des Sollens iiber den handlungstheo-

retischen Kontext hinaus zu einer Bestimmung nert (LI 119 £.).

der

,Endlichkeit”

verallgemei-

Fir eine differenzierende Rekonstruktion der Argumente von Hegels Sollenskritik ist die Monographie von B. Bitsch, Sollensbegriff und Moralitatskritik bei Hegel, Bonn

(’77), leider unbrauchbar.

hermetische Hegelei.

95

Dort findet man

statt Argumenten

nur

dingung der Moralitat, den Widerstand der Neigungen immer neu zu entfachen, um die moralische Gesinnung durch deren Uberwaltigung unzweideutig zu manifestieren (vgl. Ph 446 f.). Diese Konsequenzen widersprechen jedoch klarerweise Kants wohlbegriindetem Selbstverstandnis. Auch wenn Kant die Rolle altruistischer

Neigungen im sittlichen Leben nicht adaquat beschreibt, so lehrt er nir-

gendwo, da ein Handeln aus Neigung eo ipso unmoralisch ist und da8 Tugend in nichts anderem besteht als dem bestandigen Kampf gegen die eigene Sinnlichkeit. Das ist immerhin ein Argument dafiir, Kant keine

Primissen zuzuschreiben, aus denen die genannten Konsequenzen fol-

gen. Hegels Kritik der Kantischen Ethik trifft auch in der Form einer Radikalisierung der Schillerschen Kritik der Kantischen Pflichtidee nicht das sachliche Zentrum der Kantischen Ethik. Ich werde jedoch im 4. und 5. Kapitel zeigen, da8 Hegels Moralititskritik eine Tiefendimension besitzt, die sich in anderer Weise, jedoch wiederum ahnlich wie Schillers Kritik, gegen Kants zu strengen Pflichtbegriff wendet.

3. Der Gehalt der Moralitat in Hegels Philosophie

des objektiven Geistes

Nachdem gezeigt ist, da8 Hegels Leerheitsvorwurf gegeniiber dem kategorischen Imperativ im wesentlichen unberechtigt ist und da8 sein Leerheitsvorwurf gegeniiber Kants Pflichtbegriff zwar aus Kants Lehren teilweise begriindet werden kann, aber weder mit dessen Selbstverstand-

nis noch mit der normalen aufgeklarten Idee der Moralitat vereinbart

werden kann, méchte ich jetzt zundchst zeigen, da8 die Moralitét auch im Selbstverstandnis Hegels nicht durchgangig leer ist. In den nachsten Kapiteln werde ich dann mit Hegel zwei Hypothesen dariiber entwickeln, in welchen Hinsichten eine kantisch verstandene Moralitat unsere morali-

schen Intentionen tatsachlich inhaltlich nicht erschépft und insofern auch

mit Recht als ,,formalistisch” kritisiert werden kann.

3.1 Moralititsbegriffe in der Philosophie des objektiven Geistes Was Hegel unter dem Titel der , Moralitat” thematisiert, erweist sich bei

genauerem Studium als eine vielschichtige Problematik. Zunachst ist auffallig, da8 Hegel insbes. am Anfang des Moralititskapitels der Rechtsphilosophie nicht von der ,,Moralitat” spricht, sondern vom ,,moralischen Standpunkt” (Rph §§ 104 f., vgl. EnzHd. § 407). Dies legt die Vermutung

nahe, daf& Hegel in diesem Kapitel gar nicht generell das moralisch moti96

vierte Handeln kritisiert, sondern dies Handeln, sofern es an einen ,,mo-

ralischen Standpunkt“ fixiert ist. In diese Richtung weist auch bereits die

Kritik an der moralischen Eitelkeit '* und Hegels polemische Meinung:

»Moralischer Mensch meynt, — die Welt habe auf ihn gewartet, da8 der

absolute Endzweck vollbracht” (EnzHd, Ilt 179). Was immer Hegel genauer mit dem Begriff des ,,moralischen Standpunkts” spezifizieren will, jedenfalls unterscheidet er ihn von einem whéheren moralischen Standpunkt” (Rph §121 Zus.), von dem wiederum nicht ganz klar ist, ob er, wie der des ,wahrhaften Gewissens”

(Rph § 137), bereits in den Abschnitt iiber die ,,Sittlichkeit” gehért ™.

Ahnlich unterscheidet Hegel in der ,Phanomenologie” von der ,,morali-

schen Weltanschauung” den ,,Begriff der Moralitat selbst, dessen wahrer Inhalt die Einheit des reinen und einzelnen Bewu&tseins ist“ (Ph 445). Auch

jenseits dieser programmatischen

Unterscheidungen

ist der

Ge-

halt des Moralitatsbegriffs bei Hegel keineswegs eindeutig. Hegel leitet in seinen ,,Grundlinien der Philosophie des Rechts” den Begriff der Moralitat ab als Bedingung der Méglichkeit der Uberwindung der Rache gegeniiber dem Verbrecher. Die Forderung der Aufhebung des

Widerspruchs der Rache sei ,die Forderung einer vom subjektiven Interesse und Gestalt, sowie von der Zufialligkeit der Macht befreiten, so

nicht rachenden, sondern strafenden Gerechtigkeit. Darin liegt zundachst die Forderung eines Willens, der als besonderer subjektiver Wille das Allgemeine als solches wolle” (Rph § 103). Diese Bestimmung, die wohl auf Kants Begriff der Allgemeinheit des Gesetzes anspielt, scheint in dieser Hinsicht bestenfalls im dritten Abschnitt des Moralitatskapitels wirklich erreicht. Tatsdchlich definiert Hegel den Begriff der Moralitat zunachst in einem Sinne, der vor der mindestens seit Kant gelaufigen spezifischen Bedeutung des Wortes liegt. Hegel unterscheidet das Prinzip der Moralitat von dem des Rechts zunachst so: ,,Seine Persénlichkeit, als welche der Wille im abstrakten Rechte nur ist, hat derselbe so nunmehr zu seinem Gegenstande; die so

fiir sich unendliche Subjektivitat der Freiheit macht das Prinzip des moralischen Standpunkts aus“ (Rph § 104). Das unendliche Fiirsichsein der Subjektivitat versteht Hegel dann aber keineswegs im kantisch-fichteschen Sinne als Quelle verniinftiger Allgemeinheit, sondern seltsamerweise als Geltendmachen des Prinzips der Besonderheit des Willens.

139 Prop I §34 Erl.: ,.Die Menschen handeln gern blo8 moralisch oder edel und schenken oft lieber weg, als da sie ihre Rechtsschuldigkeiten erfiillen. Denn in

der edien Handlung geben sie sich das Bewu8tsein ihrer besonderen Vollkommenheit [. . .].“ Vgl. ebd. § 60.

140 In der Anmerkung

zu § 137 in der Rechtsphilosophie unterscheidet Hegel den

~moralischen Standpunkt” von dem ,,sittlichen”.

97

Schon in der Niirnberger Propddeutik heiSt es: ,.Die Moralitat hat den Menschen in seiner Besonderheit zum Gegenstande” (Prop I § 39 Erl.; vgl. Rph § 124 Anm.). Damit ist zunachst keineswegs gemeint, der moralische Wille richte sic: — im Unterschied zum Recht — auf die Besonderheit anderer als auf eine Quelle von Verpflichtungen; vielmehr geht es zunachst um die eigene Besonderheit des jeweiligen Subjekts. So hei&t es in den Vorlesungsnotizen zur Heidelberger Enzyklopidie: ,,Moralitat tiberhaupt der Standpunkt, — worauf das Individuum fiir sich sorgt. a) sein Wohl, es selbst soll dabey seyn; b) das Gute seine Gesinnung — seine Pflicht wissen, erkennen, sich sich zur Maxime machen” (Ilt 163).

Das ist nun wirklich eine haarstraubende Verdrehung der Kantischen Lehre. Da& jemand fiir sein eigenes Wohl sorgt, hat natiirlich mit Moralitat nichts zu tun; und wenn jemand nicht nur moralisch richtig handelt,

sondern auch aus moralischen Griinden richtig handelt, so bedeutet dies doch in keiner Weise, da8 er dabei ,,fiir sich sorgt”. Verstandlich sind

diese AuSerungen Hegels allenfalls einerseits durch Rekurs auf seine

Kritik an der moralischen Eitelkeit und der autoritaren Fassung des Kantischen Pflichtbegriffs '" und andererseits durch Zwange aus letztlich ungeklarten Problemen des Aufbaus seiner Rechtsphilosophie. Demzufolge behandelt Hegel namlich nicht so sehr den moralischen Willen als ,,das Recht des moralischen Willens” (vgl. Rph § 114). Dazu gehdrt vor allem das Recht darauf, nur fiir vorsatzliches oder héchstens

fahrlassiges Handeln zur Verantwortung gezogen zu werden, sowie das

Recht, nur das zu tun, von dessen Verniinftigkeit man sich selbst iiberzeu-

gen kann (Rph § 124 Anm.). Dabei handelt es sich jedoch nicht eigentlich um Rechte des moralischen Willens — ein strenggenommen irrefiihren-

der Ausdruck, da ein menschlicher Wille nicht dadurch zusatzliche Rechte erwerben kann, da& er moralischer Wille wird —, sondern um Rechte der »Person”, insofern sie ,Subjekt”, genauer, rationales Subjekt ist, also

um ,,das Recht des subjektiven Willens” (Rph § 107). Hegel bringt allerdings die Besonderheit auch in einer Weise ins Spiel, fiir die Moralitat tatsachlich konstitutiv ist. Moralitat ,betrifft somit den Menschen nach seiner Besonderheit, und ist nicht blo8 negativ, wie das Recht. Ein freies Wesen kann man nur gehen lassen, dem besonderen

Menschen aber etwas erweisen” (Prop III § 189). So ist im moralischen Verhiltnis zweier Willen

,,eine positive Beziehung derselben aufeinan-

der gesetzt” (Rph § 112 Zus.). 141

,Indem die Besonderheit von dem Guten unterschieden ist und in den subjekti-

ven Willen fallt, so hat das Gute zunachst nur die Bestimmung der allgemeinen

abstrakten Wesentlichkeit, — der Pflicht” (Rph § 133). Nach den Erérterungen

des zweiten Kapitels iiber den Kantischen Pflichtbegriff la@t sich die Rolle der Besonderheit bei Kant so deuten: Pflicht gibt es nur dort, wo dem BewuBtsein des Guten die Besonderheit im Subjekt opponiert. 98

Wie begriindet Hegel diese positive Beziehung auf den Willen anderer? In der Propadeutik fiir die Oberklasse hei8t es einfach: ,Das moralische Verhiltnis zu Andern iiberhaupt griindet sich auf die urspriingliche Identitat der menschlichen Natur” (Prop III § 193). Diese weitreichende These begriindet Hegel hier nicht. In der Propadeutik fiir die Mittelklasse hei&t es, ,das allgemeine Selbstbewu8tsein” sei ,,die Grund-

lage aller Tugenden”

(Prop II §§ 38, 39). Dies ,allgemeine Selbstbe-

wuB8tsein” wird beschrieben als ,,die Anschauung seiner als eines nicht besondern, von andern

unterschiedenen,

sondern des an sich seienden,

allgemeinen Selbsts. So anerkennt es sich selbst und die andern Selbstbewu8tsein in sich und wird von ihnen anerkannt” (ebd. § 38). ,,Das SelbstbewuBtsein ist sich nach dieser seiner wesentlichen Allgemeinheit nur real, insofern es seinen Widerschein in Andern wei8 (ich wei8, da&

Andere mich als sich selbst wissen) und als reine geistige Allgemeinheit, der Familie, dem Vaterland usf. angehérig, sich als wesentliches Selbst wei8" (ebd. § 39). Diese Bestimmungen bilden den Schlu8 des Ab-

schnitts iiber das Selbstbewu8tsein im Teil ,,Phanomenologie”, der schon

fast vollstandig der ,Phanomenologie” innerhalb der spateren ,,Enzyklopidie” entspricht und folglich der ,Moralitat” systematisch weit vorausliegt.

Es

scheint

demnach,

da8

die

,urspriingliche

Identitat

der

menschlichen Natur” qua ,allgemeines Selbst” Voraussetzung fiir alle Momente des Begriffs der Freiheit ist, also nicht spezifisch fiir Moralitat im Unterschied zum Recht ™. Der Begriff des ,,allgemeinen SelbstbewuStseins” wird in der Propadeutik iiber den der ,,EntauSerung” erreicht und zwar der EntauSerung in der Arbeit und dem Dienst des Knechts (Prop II § 36, 37). In der Rechtsphilosophie wird die positive Beziehung auf andere iiber die ,Objektivierung” (Rph §112) und ,AuSerung” (Rph113) des Willens in der Handlung erreicht. Die Beziehung zum Willen anderer konstruiert Hegel dabei analog zur ,,Entau8erung” im Vertrag (Rph § 73). Beim Vertrag handelt es sich jedoch um eine Beziehung auf die Be-

sonderheit der anderen aus Selbstinteresse. Es liegt also gerade nicht EntauBerung i. S. der Bildung zu einem ,allgemeinen Willen” vor. Der Begriff des ,,allgemeinen Willens”, der in der Propadeutik gleichbedeutend

ist mit dem durch EntauSerung konstituierten allgemeinen SelbstbewuStsein (Prop II § 37), taucht in der Rechtsphilosophie erst im Ubergang zum Unrecht (Rph § 81) und dann im Moralitatskapitel auf (Rph § 111)‘. Auch hier ist jedoch fraglich, was die Einfithrung des Begriffs 142 Vielleicht lassen sich jedoch die beiden zitierten Bestimmungen des § 39 der Propadeutik fir die Mittelklasse, ,Wissen seines Widerscheins in Andern” und

«wesentliches Selbst“, als je spezifische Basis fiir Recht und Moralitat verstehen.

143 Die

Heidelberger

Enzyklopadie

nimmt

99

in dieser

Hinsicht

eine

Mittelstellung

des ,,allgemeinen Willens” rechtfertigen kénnte. Jedenfalls ist eine posi-

tive Beziehung auf die Bediirfnisse anderer nicht schon darin gelegen, da& der Handelnde in einen Kontext intersubjektiver Beziehungen eintritt und durch seine ,Objektivierung” im Handlungsresultat fiir andere als Subjekt zuganglich wird.

Hegels Thematisierung der Moralitaét unter dem Blickwinkel der Ka-

tegorien der ,,Besonderheit” des Subjekts, des ,,Rechts des subjektiven Willens” und der ,,Objektivierung” im Handeln erreicht also nicht ihren spezifischen Gegenstand. Dieser kritischen Feststellung kann man auch nicht durch die Behauptung entgehen, da& Hegel unter dem Titel der »Moralitat” gar nicht spezifisch Moralisches thematisiert. Denn dies ist ab der Beziehung aufs Wohl anderer (Rph § 125 f.) sicher intendiert. In Anspruch genommen ist es sogar schon mit der Idee des Rechts der ,Besonderheit des Willens” im Abschnitt iiber das Verbrechen und der ent-

sprechenden ,,strafenden Gerechtigkeit”.

3.2 Zum moralischen Gehalt des Verbrechens Wie bereits in 3.1 erwahnt, steht am Obergang zum Moralitatskapitel der Rechtsphilosophie die Forderung der Aufhebung der rachenden Ge-

rechtigkeit in der strafenden Gerechtigkeit durch einen Willen, ,,der als

besonderer subjektiver Wille das Allgemeine als solches wolle” (Rph § 103). Mit dem ,,Allgemeinen als solchen” ist hier wohl zunachst ein

Recht gemeint, das nicht blo&, wie in der Rache, eine Legitimation fiirs

Handeln in eigener Angelegenheit ist, sondern Recht im Interesse anderer. Damit ist jedoch nur eine Primisse der gesamten ,,Rechtsphilosophie”, ein notwendiges Moment des freien Willens, in Anspruch genom-

men.

Entgegen dem ersten Anschein handelt auch der Anfang des abstrakten Rechts nicht nur von dem Recht jeder Person, sondern auch von der Pflicht jeder Person, die Rechtspersénlichkeit jeder anderen Person zu respektieren “. In dem Bewu8tsein der Person von ihrem eigenen (begrenzten) Recht ist immer schon das entsprechende Recht anderer Perzwischen Propadeutik und Rechtsphilosophie ein. Sie definiert durch den ,all-

gemeinen Willen” nicht schon das ,,allgemeine SelbstbewuBtsein” (§ 357), son-

dern erst die Sphire des objektiven Geistes (§ 399) (Vgl. III, 6.2 dieser Arbeit). 144 Rechtsphilosophie § 36: ,Das Rechtsgebot ist daher: Sei eine Person und respektiere die andern als Personen.” Was das Gebot ,,Sei eine Person” im abstrakten Recht zu suchen hat, ist allerdings eine offene Frage. Da es keine Pflichten gegen sich selbst gibt, ist es nicht

einmal ein moralisches Gebot. Mdéglicherweise ist gar kein Gebot, sondern die Behauptung eines notwendigen Zusammenhangs gemeint: Wenn du deine Freiheit verwirklichen willst, mu8t du dich als Person verhalten. 100

sonen mitanerkannt. Da8 Hegel mit der Analyse der einzelnen Personen

anfangt, bedeutet also nicht, da8 er ein Weltverhdltnis unterstellt, das

von intersubjektiv geltenden Normen frei ist. Vielmehr bezieht sich die anfangliche Bestimmung des Willens, ,nur sich abstrakt auf sich bezie-

hende Wirklichkeit” (Rph§ 34) zu sein, auf den spezifischen Gehalt der notwendigerweise intersubjektiv giiltigen Rechtsnorm; einen Rechtsanspruch hat jede Person namlich nach der Lockeschen Tradition des Naturrechts auf das, was sie sich zuerst angeeignet hat. Die Notwendigkeit des Unrechts ergibt sich also nicht einfach daraus, da8 sich lediglich selbstbezogene Individuen gegeniibertreten. Hegel leitet das Unrecht zunachst daraus ab, da8 im Tausch nur zufillig dasjenige getauscht wird, was der Rechtsidee der Vertragsgerechtigkeit entsprechen

wiirde, nimlich Gleichwertiges '*. Aus dieser Ableitung der Notwendigkeit des (biirgerlichen) Unrechts scheint Hegel in seiner Verbrechenstheorie widerspriichlichhe Konsequenzen zu ziehen. Denn einerseits erklart er das Verbrechen zu dem an sich ,,Negativen”, das den von vorn-

herein

nichtigen

Versuch

macht,

,das

Recht als

Recht aufzuheben”

(Rph § 97 Zus.); andererseits sagt er, da& ,in seiner als eines Verniinf-

tigen Handlung liegt, da8 sie etwas Allgemeines, da8 durch sie ein Gesetz aufgestellt ist” (Rph § 100). Hegel benutzt diesen Gedanken dann zwar nur dazu, die Verniinftigkeit der Strafe als Subsumtion des Verbrechers unter sein eigenes Gesetz abzuleiten. Diese Ableitung setzt aber voraus, da der Verbrecher in einem eigenen Rechtsprinzip anderen biir-

gerliche Rechte wie Eigentum, Freiheit und Leben bestreitet. Das Prinzip des ,,Verbrechens” kénnte etwa darin bestehen, die in

Wahrheit notwendige Ungerechtigkeit entfalteter Tauschprozesse anzu-

greifen. Hegel spricht am Beginn des Abschnitts iiber das Unrecht von

der ,Entgegensetzung des Rechts an sich und des besonderen Willens, als in welchem es ein besonderes Recht wird” (Rph § 82). Dies lie&e sich

als die Statuierung eines Rechts lesen, das auf die Besonderheit der Per-

son gegriindet ist, ein Recht also nicht der willkiirlichen Aneignung, sondern etwa ein Recht auf gleiche Handlungsfreiheit zur Befriedigung der

Besonderheiten einer Person, d.h. ein Recht auf Freiheit zum Gliick. In bezug auf andere hieSe dies nicht blo& abstraktes Recht, sondern ma-

teriale Gerechtigkeit. Da die ,,strafende Gerechtigkeit” lediglich das Prin-

zip des Verbrechers auf ihn selbst anwenden soll, ware mit ihr, wie bereits vermutet, in der Tat Moralitét im kantischen Sinne erreicht. Im

Text der Rechtsphilosophie ist dies friithestens in der Intention aufs Wohl anderer der Fall (Rph §§ 125 ff.).

145 P. Landau, Hegels Begriindung des Vertragsrechts, in: M. Riedel (Hg.), Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, Bd. 2. Frankfurt a.M. ('75) 5.184; vegl. E. Fleischmann, La philosophie politique de Hegel. Sous forme d’un commen-

taire des ,Fondements de Ja philosophie du droit”, Paris ('64) S. 105 f. 101

Die These von dem spezifischen Recht der Besonderheit des Willens hat aber noch eine weitere Dimension. So ist in der ,Jenaer Realphilosophie” von 1805/06 davon die Rede, der Verbrecher wolle lediglich ,,etwas sein” (JR224;G243),d.h., sich in seiner Individualitat zur Geltung bringen. Nun ist sicher jede Selbstverwirklichung Unrecht, die die legitimen Interessen anderer verletzt. Es ist jedoch auch eine Rechtsordnung ungerecht, die das Ziel von allgemeinem Recht und insbesondere von materialer Gerechtigkeit nur so erreicht, da damit die Individuationsmég-

lichkeiten der Individuen zerstért oder unndtig eingeschrankt werden. Folglich kénnte ,,Verbrechen” in Hegels Sinn erst in einer gesellschaftlichen Ordnung iiberwunden werden, in der die Individuen weitergehender anerkannt sind als in Institutionen maximalen und gleichen Rechts. Das ist vielleicht der Grund dafiir, da8 Hegel in der Rechtsphilosophie sagt, die Forderung einer nicht mehr rachenden, sondern strafenden Gerechtigkeit enthalte ,,zundchst” die eines Willens, der das Allgemeine als solches wolle. Sie enthalt namlich dariiberhinaus die Forderung sozialer Verhiltnisse, in denen der Wille nicht nur das Allgemeine

sondern verhalt wenden die den

als solches,

in eins damit seine Individualitat realisieren kann. Diesen Sachthematisiert Hegel unter dem Begriff der ,,Sittlichkeit*. Wir uns deshalb jetzt den Paragraphen der Rechtsphilosophie zu, Zusammenhang von Moralitat und Sittlichkeit bestimmen. 3.3 Der Gehalt der moralischen Intention

Moralitat im iiblichen — und kantischen — Sinne impliziert eine positive

Beziehung auf das Wohl anderer. Nun ist die Intention aufs Wohl an-

derer nicht eo ipso eine spezifisch moralische. Dies ist nur dann der Fall,

wenn ich mich um das Wohl anderer kiimmere, weil ich mir bewu8t bin,

dazu verpflichtet zu sein — nicht etwa lediglich aus Eigeninteresse oder aus altruistischer Neigung. Da8 ich mir einer Verpflichtung gegeniiber

einer anderen Person bewu8t bin, hei&t nichts anderes, als da& ich mir

bewu8&t bin, da& diese Person mir gegeniiber ein Recht hat (s. 4.5). Das Wohl anderer

als Inbegriff ihrer Bediirfnisse, Interessen usw. ist also

nur soweit moralisch relevant, als es zugleich legitimes Bediirfnis und in diesem Sinne ,,Recht” ist. Hegel sagt dies zwar im Moralitatskapitel nir-

gendwo ausdriicklich, jedoch la&t es sich schon aus einem Paragraphen der Berliner Enzyklopadie zur Einleitung in die Philosophie des objektiven Geistes entnehmen:

,,Dasselbe, was ein Recht ist, ist auch eine

Pflicht, und was eine Pflicht ist, ist auch ein Recht” (EnzB’ § 486) *.

146 Die Anmerkung zum § 486 der Heidelberger Enzyklopadie erlautert jedoch folgenderma&en: ,Im Felde der Erscheinung sind Recht und Pflicht zundchst so

Correlata, da8 einem

Rechte

von meiner 102

Seite eine Pflicht in einem Andern

Im Moralitatskapitel der Rechtsphilosophie behandelt Hegel jedenfalls zunachst den Fall einer Kollision von Recht und Wohl anderer (Rph

§ 126). Hegels These ist, da& eine moralische Absicht eine unrechtliche

Handlung nicht rechtfertigen kann. Als Ausnahme ]a8t Hegel nur die

Situation der Lebensgefahr zu; aus ihr legitimiert sich ein ,,Notrecht”

(Rph § 127). Hegel sagt nicht ausdriicklich, ob dies Notrecht nur moralische oder auch juridische Bedeutung hat. Kant war entschieden ersterer Ansicht und betrachtete deshalb das Notrecht zusammen mit der Billigkeit unter dem Titel des ,zweideutigen Rechts” (MS 341 f.). Hegel beachtet nun nicht, da8 der Konflikt zwischen positvem Recht und legiti-

mem Wohl nicht nur den Fall des Notrechts, sondern auch den der Billigkeit betrifft. Ein Handeln aus Billigkeit, das auf materiale Gerechtig-

keit zielt, hat ein héheres Recht als das blo& abstrakte Recht. ,,Notrecht”

im weiteren Sinn liegt deshalb immer dann vor, wenn die materiale Ge-

techtigkeit dem abstrakten Recht zum Opfer zu fallen droht. Hegel hatte unter dem Titel des ,,Notrechts” die gesamte Verbrechensproblematik wiederaufnehmen miissen. Die Einheit von Recht und Wohl behandelt Hegel dann unter dem platonisierenden Titel des ,Guten” (Rph §§ 128, 129). Der Begriff der Sittlichkeit schlieBlich ist wesentlich der des ,,lebendigen Guten” (Rph § 142). Soll das Gute mehr sein als eine auSerlichhe Zusammenfassung von

abstraktem

Recht

und

Wohl,

vielmehr

_,erfiilltes

Allgemeines“

(Rph§ 128), so kann es nur in dem berechtigten Wohl aller bestehen.

Moralitat wiirde dann einen Zustand intendieren, in dem fiir jeden die

Verwirklichung

seines Anspruchs, da& es ihm gut geht, méglich ist.

Moralitat ware keineswegs leer, sondern als Intention auf _,erfiillte All-

gemeinheit” soviel wie materiale Gerechtigkeit. Tatsachlich geht es bei

der platonischen Lehre vom

Guten wesentlich um die Gerechtigkeit als

Prinzip des richtigen Zusammenlebens. Man fragt sich aber, wieso Hegel mit dem Begriff des ,,Guten” noch nicht das hichste Prinzip seiner Rechtsphilosophie erreicht hat, wieso sich vielmehr nun wieder eine Dialektik der Trennung der Subjektivitat von ihrem Vernunftprinzip und

dessen Gehalt ergibt, die erst in der Sittlichkeit als ,, lebendigem” Guten

zu einer stabilen Synthese kommt. Hegel will m.E. zeigen, da8 Moralitat auch dann noch einen unvollstandigen, ,,formalen” Charakter hat, wenn

sie materiale Gerechtigkeit

entspricht.” Dann leitet sie die Pflicht des andern, mein Recht, z. B. als Eigentiimer, zu respektieren, aus meiner Pflicht ab, Eigentum zu besitzen, d. h., eine

Person zu sein. Das Recht in der Moralitat soll dann das ,Recht meines subjektiven

Willens,

meiner

Gesinnung”

sein.

Diese

falsche

Lokalisierung

des

Rechts innerhalb der Moralitét scheint mir Folge einer vorschnellen Moralisierung von Rechtsverhdltnissen durch die Behauptung einer Pflicit, als Rechts-

person zu existieren.

103

zu realisieren sucht. Fiir Hegel ist dies darin begriindet, da8 die Moralitat mit dem abstrakten Recht noch undurchschaute Voraussetzungen teilt. In beiden Kapiteln beginnt Hegel die Darstellung mit dem einzelnen

Subjekt, und die Beziehung auf andere scheint ihm in beiden Formen, unbeschadet ihrer strukturellen Differenz, in fundamentaler Hinsicht begrenzt zu sein. Da wir bereits gesehen haben, da& dies nicht bedeuten

kann, da8 fiirs abstrakte Recht oder die Moralitat Intersubjektivitat nicht konstitutiv ist, kann der Formalismus seine Wurzel nur in defizienten Formen von Intersubjektivitat haben. In diese Richtung weist Hegel, wenn er abstraktes Recht und Moralitat unter den Begriffen ,Privatrecht” und ,,Privatwohl” aufeinander be-

zieht (Rph§ 126 Anm.). Es gibt jedoch keinen verniinftigen Grund, die Intention der Moralitat auf das Wohl anderer nur auf ihr ,,Privatwohl”

zu beziehen. Wenn Hegel also Moralitat unter dem Gesichtspunkt ihrer systematischen Genese aus dem abstrakten Recht kritisch darstellen will, so mu& er an dem abstrakten Recht Pramissen aufzeigen, die nicht in seiner besonderen Gestalt als ,,Privatrecht” begriindet sind. Der Charakter des ,,Privaten” bei Recht und Wohl

mu8

zwar

gema&

der Wort-

bedeutung von ,privat” in deren negativem und unvollstindigem Charakter begriindet sein. Diese Defizienz des ,Privaten” kann aber befriedigend nur aus Hegels Idee nichtinstitutioneller Sittlichkeit rekonstruiert werden.

4. Institutionelle Sittlichkeit und

nichtinstitutionalisierbare Moralitat Da durch differenzierende Analyse der Moralitatskonzeption der ,,Philo-

sophie des objektiven Geistes” zwar die Vormeinung erschiittert werden kann, da8 die Moralitat leer ist, aber sich noch keine unzweideutige These iiber ihren Gehalt ergibt “’, mu Hegels eigentliche Moralitatsidee offenbar von seiner nachfolgenden Theorie der Sittlichkeit aus rekonstruiert werden. Hegel behandelt hier vor allem die Institutionen der Familie, der biirgerlichen Gesellschaft und

des Staates

die ,,Weltgeschichte”, die wesentlich als Geschichte des

und

schlie8lich

Staates verstan-

den wird. Ich werde jedoch zeigen, da& Hegels Begriff institutioneller Sittlichkeit

auf einem komplexen Begriff nichtinstitutioneller Sittlichkeit aufbaut.

147

Das gleiche

gilt fiir das Moralitatskapitel

wenn man von dessen Abschlu8

gehen werde.

der ,,Phanomenologie

des

Geistes”,

absieht, auf den ich im folgenden noch ein-

104

Einen Zugang zu dieser versteckten Dimension von Hegels Theorie der Sittlichkeit suche ich durch eine Vorbetrachtung des methodischen Verhaltnisses der Theorie der Moralitat zu derjenigen institutionalisierter

Sittlichkeit. In den weiteren Abschnitten dieses Kapitels versuche ich

dann eine Klarung von Hegels Idee einer spezifisch sittlichen, nichtinstitutionalisierbaren Moralitat. Das folgende Kapitel zeigt schlieBlich, da8 nichtinstitutionelle Sittlichkeit fiir Hegel notwendige Bedingung fiir Moralitat iiberhaupt ist. 4.1 Institutionalisierte Sittlichkeit und Moralitat Da Hegel seine Philosophie des objektiven Geistes unter dem Titel einer

»Philosophie des Rechts” ausgearbeitet hat, ist das Thema der Lehre von den Institutionen der Familie, der biirgerlichen Gesellschaft und des Staa-

tes offenbar in erster Linie deren (legitim positivierbares) Recht. Wahrend

das ,abstrakte

Recht” das Recht der Individuen in ihren Eigen-

tums- und Vertragsbeziehungen und die ,,Moralitat” das Recht des sub-

jektiven Willens auf Beriicksichtigung seines Vorsatzes, seiner Absicht, seines Wohls und seines Gewissens behandelt, thematisiert die ,,Sittlich-

keit” demnach insbesondere das Recht der Individuen in den Institutio-

nen der Familie, der biirgerlichen Gesellschaft und des Staates.

Da die Institutionen der Sittlichkeit nun keineswegs durchgingig solche des éffentlichen Rechts sind, ergibt sich im Rahmen dieses Verstandnisses eine systematische Abgrenzung der drei Hauptteile der Rechtsphilosophie nur dann, wenn erst auf der Ebene der Sittlichkeit Institutionen des positiven Rechts zur Sprache kommen. Man fragt sich dann aber, aus welchen Prinzipien subjektiver Rechte diese Institutionen ihre Legitimation beziehen. Offenbar sind dazu die Prinzipien des ,,abstrakten” Rechts nicht hinreichend, aber im Sittlichkeitskapitel werden anscheinend keine weitergehenden Prinzipien subjektiver Rechte aufgestellt. Also bliebe nur iibrig, da das Sittlichkeitskapitel Prinzipien der

Moralitat institutionell, insbesondere positiv-rechtlich anwendet. Das ist

auch ein plausibler Ansatz, wenn in der Beziehung der Moralitat auf das Wohl anderer das Prinzip materialer Gerechtigkeit anerkannt ist. Obwohl diese Verstindnisméglichkeit im Hegelschen Text eine Basis hat (vgl. 3.3), ist es mit Hegels moralitatskritischer Konzeption unvereinbar,

Sittlichkeit nur oder entscheidend als institutionelle, insbesondere posi-

tiv-rechtliche Anwendung von Moralitatsprinzipien zu verstehen.

Hegel spricht auch von seiner Philosophie des objektiven Geistes gar nicht als einer Philosophie der Gerechtigkeit, sondern des ,,Rechts”. Dabei bedeutet ,.Recht” nicht nur den garantierten Freiheitsraum individueller Subjekte, sondern auch eine Legitimitét von Institutionen, die nicht nur darauf beruhen soll, da& diese Institutionen zur Verwirk105

lichung der Freiheit menschlicher Subjekte dienen. So behauptet Hegel gegen das vertragstheoretische Prinzip der Freiheit des ,,Einzelnen als solchen”, da8 ,,die Subjektivitat der Freiheit, die in jenem Prinzip allein

festgehalten ist, nur das eine, darum einseitige Moment der Idee des verniinftigen

Willens enthalt, der dies nur dadurch ist, da8 er ebenso

an

sich, als er fiir sich ist” (Rph § 258 Anm.). Dies wird dann so expliziert: /Bei der Freiheit mu8 man nicht von der Einzelheit, vom einzelnen Selbstbewu8tsein ausgehen, sondern nur vom Wesen des Selbstbewu8t-

seins, denn der Mensch mag es wissen oder nicht, dies Wesen realisiert sich als selbstindige Gewalt, in der die einzelnen Individuen nur Momente sind: es ist der Gang Gottes in der Welt, da8 der Staat ist: sein

Grund ist die Gewalt der sich als Wille verwirklichenden Vernunft” (ebd.). Der Begriff der substantiellen oder ansichseienden Vernunft indiziert also die Liquidierung jeder individuellen Freiheit zugunsten eines von jedem subjektiven Recht abgelésten objektiven Rechts und einer vergittlichten Gewalt der Geschichte. Damit wire freilich der Boden der Philosophie der Autonomie endgiiltig verlassen. Hegels prinzipielle Zuriickweisung eines individualistischen Freiheitsbegriffs ist jedoch der Sache nach ambivalent. Einerseits wertet Hegel die Idee materialer individueller Freiheit und Gerechtigkeit zugunsten der des Rechts ab'*. Andererseits beruht Hegels Theorie der Sittlichkeit auch auf einer prinzipiellen Kritik der Rechtsform'*. Dazu gehért zunachst Hegels Polemik

gegen den

,,Rechts-Formalismus”, der etwa in

juridischer Rechthaberei (Rph § 37 Randb.) oder in der Ausdehnung des legitimen Zwangs auf Beziehungen in der Familie bei den Rémern (Rph§175 Anm.) zum Ausdruckk kommt. Hegel meint damit jedoch

offenbar auch grundsatzlich die Tendenz, alle Beziehungen, sofern es in

ihnen Rechte gibt, positiv rechtlich zu regeln. Dies scheitert schon daran,

148

,Hegel lieferte die Ideologie des positiven Rechts, weil es ihrer, in der bereits sichtbar antagonistischen Gesellschaft, am dringendsten bedurfte. Recht ist das Urphanomen irrationaler Rationalitat. In ihm wird das formale Aquivalenzprinzip zur Norm, [...] Solche Gleichheit, in der die Differenzen untergehen, leistet geheim der Ungleichheit Vorschub.” (Th. W. Adorno ('75), Negative DiaIektik, Frankfurt S. 303 f.), Adorno spielt hier offenbar auf die Kritik des positiven Rechts in Marx’ ,Kritik des Gothaer Programms“ an, 149 vgl. H.-G. Flickinger, Neben der Macht. Begriff und Krise des biirgerlichen Rechts, Frankfurt (’80). Flickinger behandelt allerdings die Frage nicht ausdriicklich, ob Hegels Kritik der Rechtsform nur das biirgerliche oder jedes (moderne) Recht trifft. Deutungen, die das emanzipatorische Potential von Hegels Begriff der Sittlichkeit in seiner Theorie der biirgerlichen Gesellschaft suchen (Lukacs, Riedel u. a.), haben ihre Grenze darin, da& die biirgerliche Gesellschaft héchstens das realisieren kann, was in den Prinzipien von abstraktem Recht und der als wesent-

lich defizient verstandenen Moralitat bereits vorentworfen ist. 106

da8 das positive Recht nie alle relevanten Situationsmerkmale beriicksichtigen kann. Dariiberhinaus ist es kaum sinnvoll, etwa gegenseitige

Hilfe, auSer vielleicht in klar umrissenen Ausnahmesituationen wie exi-

stentieller Not, positiv rechtlich vorzuschreiben (vgl. Rph § 94 Randb.). Ebenso sinnlos ware es, Formen der MiSachtung anderer Personen, die nicht das Ausma8 von gravierenden Schadigungen oder formlichen Beleidigungen erreichen, positiv rechtlich zu sanktionieren. Hegels Kritik der Rechtsform reicht jedoch auch bis in die fundamentalen Institutionen des sozialen Lebens. So lehrt die Propadeutik fiir die Oberklasse von der Familie folgendes: ,,Nach ihrer besondern Bestimmung kommen den Individuen, die diese Gesellschaft ausmachen, besondere Rechte zu; in sofern diese aber in der Form von Rechten behauptet wiirden, so ware das moralische Band dieser Gesellschaft zerrissen, worin Jeder wesentlich aus der Gesinnung der Liebe das erhalt, was ihm

an sich zukommt” (Prop III § 192). Hegel geht hier davon aus, da& den Familienmitgliedern besondere Rechte ,,nach ihrer besondern Bestimmung”

zukommen. Er denkt dabei

wohl an Unterschiede von Alter und Geschlecht. Es ist aber nicht einzusehen, warum gerade diese Unterschiede besondere Rechte begriinden sollen. Es kommt Hegel jedoch wohl weniger darauf an, da aufgrund

der spezifischen Familienstruktur ,,besondere Rechte” fiir verschiedene Personen existieren, sondern darauf, da& die existierenden Rechte, seien sie nun besondere oder allgemeine und gleiche, ,,das moralische Band dieser Gesellschaft” zerreiSen wiirden, wenn sie ,,in der Form von Rech-

ten behauptet wiirden”.

Rechte in der Form von Rechten behaupten, hei&t offenbar zundchst,

sie mit den Sanktionsmitteln des positiven Rechts zur Geltung zu bringen. Hegel hat sicher Recht damit, da8 eine Familiengemeinschaft dadurch gesprengt wird, da& die Individuen die Rechte in ihr oft oder sogar tiberwiegend rechtlich durchzusetzen suchen. Allerdings ist das sicher kein Argument dagegen, die Rechte der schwacheren Familienmitglieder

positiv-rechtlich abzusichern. Im Gegenteil: Erst wenn ein Minimum gleicher Rechte, etwa fiir Frauen und Kinder in der Familie, auch rechtlich oder in anderer Weise 6ffentlich geschiitzt sind, sind die Voraussetzungen dafiir gegeben, da& das ,,moralische Band“ der Familie nicht Herr-

schaftsverhdltnisse verdeckt. Hegel meint demgegeniiber anscheinend,

da8 ein Recht im Sinne eines ,moralischen Anspruchs” auch insofern ein

»unvollstindiges Recht” ist, als es noch kein ,,Recht auf Recht” (Rph

§ 94 Randb.), und d. h. wohl keinen moralischen Anspruch auf die recht-

liche Positivierung dieses Anspruchs, impliziert. Dies Meta-Recht erwerben mindestens die Kinder nach Hegel erst durch ihre Emanzipation von der Familie (Rph § 159).

Von Hegels These bleibt jedoch, da& die Familie insofern eine spezi107

fisch sittliche Institution ist, als die Individuen qua Rechtssubjekte in ihr nicht durchs positive Recht, sondern durch das ,,moralische Band dieser

Gesellschaft” verbunden sind. Daraus kénnte man nun entnehmen, da8 die Sittlichkeit der Familie nach Hegel darin besteht, da8 diese Institution

durch Moralitaét konstituiert ist. Die Sittlichkeit von Institutionen bestiinde demnach wohl auch allgemeiner darin, da8 sie durch Moralitat

konstituiert oder jedenfalls bedingt sind. Das ist jedoch mindestens fiir Hegels Theorie der Familie zu unspezifisch. Denn Hegel

sagt, da8 in der Familie ,,Jeder wesentlich aus der

Gesinnung der Liebe das erhilt, was ihm an sich zukommt” (Prop III § 192). Das Motiv fiir die sittliche Respektierung und Verwirklichung der

Rechte ist demnach nicht—oder nicht nur — eines der moralischen Pflicht, sondern der ,,Gesinnung der Liebe”. Da8 dies indes die moralische Mo-

tivation aus dem BewuBtsein von Verpflichtung nicht ausschlieSt, wird im folgenden Abschnitt deutlich werden. Abgesehen davon hat sich jedoch bereits ein methodisch neues Verhaltnis der Theorie der Moralitat und der sittlichen Institutionen abgezeichnet. Diese Institutionen sind nicht nur Anwendungen und Konkretisierungen eines materialen moralischen Prinzips, sie stehen in ihrer positiv-rechtlichen Wirklichkeit auch in einem Bedingungsverhiltnis zur Wirklichkeit von Moralitaét. Dabei ist es nicht leicht, die Richtung des

Bedingungsverhiltnisses zu bestimmen.

Die Familie im Sinne Hegels

existiert wesentlich durch ihr ,,moralisches Band”. Andererseits kann dies nur repressionsfrei verbinden, wenn die Rechte der Familienmit-

glieder auch positiv-rechtlich oder in anderer Weise dffentlich geschiitzt sind. Die Einfithrung und Wirksamkeit solchen Schutzes setzt wiederum eine, auch in den westlichen Demokratien heute noch keineswegs er-

reichte, moralische Kultur voraus, und diese kann sich wohl auch nur im

Rahmen eines dffentlichen Schutzes entwickeln usw. Da® das Verhaltnis von Moralitat und Sittlichkeit bei Hegel nicht nur als eines der Konkretisierung und Vervollstandigung, sondern auch der (wechselseitigen) Bedingung verstanden werden kann, liegt schon deshalb nahe, weil dies fiir Hegels philosophische Methode im allgemeinen charakteristisch ist. Die These entspricht auch besonders gut der Intention von Hegels Moralitatskritik, da8 Moralitat — sei es in ihrer rationalen Form oder in ihrer irrationalistischen Selbstaufhebung in der moralischen Genialitat des romantischen Gewissens — nur auf dem Boden entwickelter sittlicher Institutionen mdglich ist. Allerdings meint Hegel auch

umgekehrt,

da

die

rechtlichen

Institutionen,

insbesondere

des

Staates, nur im Medium des moralischen oder sogar religiésen (protestantischen) Gewissens ihre Stabilitét erhalten konnen. Auch wenn Hegel sich offenbar deshalb auf das konventielle und sogar das religidse Gewissen stiitzen wollte, weil er fiirchtete, da& seine konkretere Theorie 108

vor dem Urteil aufgeklarter Biirger nicht wiirde standhalten kénnen, so

scheint doch richtig, da8 das Bedingungsverhaltnis von richtigen Rechtsinstitutionen und moralischer Autonomie wechselseitig ist. Eine notwendige Verkniipfung von Moralitat und positivem Recht (oder einer anderen Form des 6ffentlichen Schutzes) gilt also nicht nur fiir Hegels Theorie der Familie, sondern auch fiir seine politische Philosophie. Dieser Zusammenhang ist hier in gewisser Hinsicht sogar noch enger. Das Bedingungsverhiltnis von Recht und Moralitat wird namlich hier wiederum

zu einem wesentlichen Gesichtspunkt fiir die konkrete

Ausgestaltung der dffentlichen Ordnung. Dies zeigt sich an der zentralen Stellung des Begriffs der ,,Vereinigung” in Hegels politischer Philosophie. Hegel unterscheidet die biirgerliche Gesellschaft von Familie und Staat dadurch, da8 in ersterer

,,das Interesse

der Einzelnen

als solcher der

letzte Zweck” sei, in letzterem jedoch ,,die Vereinigung als solche” (Rph §258 Anm.). Dies lat sich zundchst so verstehen, da& Freiheit des ein-

zelnen darin bestehen soll, soviel als méglich als einzelner, d. h. alleine, zu entscheiden, ohne dafiir Rechenschaft geben zu miissen. Die Freiheit

der ,, Vereinigung” als solcher bestiinde demgegeniiber in einem __,allgemeinen”, namlich éffentlichen, kooperativen und partizipatorischen Leben. Im Eigentumsrecht bedeutet das Postulat maximaler Entscheidungsfreiheit des einzelnen als solchen das Postulat des strikten Privateigen-

tums. Da Hegel nun explizit Privateigentum als Basis jeden Rechts ansieht (Rph § 46), scheint damit entschieden, da8 die Freiheit des einzelnen als solchen als exklusive Entscheidungs- und Handlungsfreiheit ge-

meint ist.

Die exklusive Entscheidungsfreiheit sellschaft fiihrt allerdings keineswegs Handlungsformen. Denn sie impliziert kooperativen Handlungsformen zu

als Prinzip der biirgerlichen Gezwingend zu nicht-kooperativen natiirlich auch die Freiheit, sich zu entscheiden. Auf skonomischer

Ebene bedeutet dies die Freiheit, Genossenschaften zu bilden. Auf politi-

scher Ebene ist mindestens eine Delegation der individuellen Entscheidungsfreiheit an ein politisches Organ vorausgesetzt, sei dies nun kooperativ und partizipatorisch strukturiert oder nicht. Dennoch bleiben nichtindividualistische Elemente in einem System, das auf dem Prinzip der individuellen Freiheit beruht, notwendig beschrankt und untergeordnet. In einer entwickelten Okonomie des Privateigentums z.B. verhindern die Zwange der Konkurrenz auf dem Markt eine Dominanz kooperativer konomischer Assoziationen. Zwar

ware es theoretisch miglich, da8 in einem System, dessen Institutionen

nach dem Prinzip der individuellen Entscheidungsfreiheit organisiert sind, mit den Mitteln dffentlicher Politik kooperative und partizipatorische Handlungsformen geférdert werden. Ob diese Politik im Rahmen 109

einer normativen Prioritat individueller Entscheidungsfreiheit noch legitimierbar wire, ist jedoch fraglich. Jedenfalls wiirden die kooperativen und partizipatorischen Formen, die sich privat konstituieren kénnten,

ihren Charakter der Partikularitat nicht verlieren. Hegels These, da8 es »die Bestimmung der Individuen ist ein allgemeines Leben zu fiihren”

(Rph § 258 Anm.), ware damit wohl nicht Geniige getan. Die genannten Konsequenzen aus Hegels These von der Vereinigung als ,wahrhaftem Inhalt und Zweck” des einzelnen gehen iiber Hegels Selbstverstandnis weit hinaus. Sie sollen hier nur einen weiteren Gedankenschritt vorbereiten. Denn selbst durch kooperative, partizipatorische und 6ffentliche Institutionen ware der Idee der sittlichen Vereinigung noch nicht Geniige getan. Dies ware vielmehr erst dann der Fall, wenn die Vereinzelung der Individuen nicht nur durch die rechtlichen Institutionen, sondern auch durch transsubjektive und soziale, ,,sittliche” Moti-

vationen verhindert wiirde. Dies sind einerseits Motivationen morali-

scher Natur, also aus dem Bewu8tsein von moralischer Verpflichtung,

und andererseits solche altruistischer Natur. Offentliche Institutionen sind demnach erst insofern spezifisch sittlich, als sie die Ausbildung sittlichher Motivationen erméglichen und férdern. Das jedenfalls scheint mir der sachliche Zusammenhang zwischen dem Prinzip der ,,Vereinigung” in Hegels spiter politischer Philosophie und seinem friihen Begriff der »Vereinigung” und des ,,Reichs Gottes” als Reich von Moralitat und nLiebe“. Eine Weiterbildung von Hegels impliziter Definition der Sittlichkeit von Institutionen hat neuerdings J. Habermas versucht. Habermas hat im Blick

auf Hegel die Idee entwickelt, da8

Institutionen insofern in

einem aufgeklarten Sinne als sittlich bezeichnet werden kénnen, als sie die Ausbildung postkonventioneller Ichidentitaten erméglichen'’. Dartiberhinaus kénnten sich Ichidentitaten nur im Kontext von kollektiven Identititen herausbilden. Habermas expliziert den Begriff der Ichidentitat dabei als ,Interaktionskompetenz”, und ein Kernbestandteil dieser Interaktionskompetenz

ist die moralische Kompetenz “*. Insofern definiert Habermas Sittlichkeit von Institutionen teilweise ebenfalls als Erméglichung von Moralitat, allerdings von moralischer Kompetenz und nicht von moralischer Motivation. Vielleicht hat die von Habermas betonte kollektive Identitat 150 J. Habermas (’76), Kénnen komplexe Gesellschaften eine verniinftige Identitat ausbilden? in: ders., (’76) Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Frankfurt S.97. Eine ahnliche Position vertritt bereits Charles Taylor ('75),

Hegel, deutsch: Frankfurt ('78) S.39, 497 ff.; ders. (’79), Hegel and Modern

151

Society, Cambridge S. 87 ff. J. Habermas ('76), Moralentwiclung und Ichidentitat, in: ders. (’76) S. 63 ff. 110

aber gerade in dieser motivationalen und emotionalen Hinsicht ihre Bedeutung. Hegel jedenfalls sagt ausdriicklich, da8 das Individuum in den sittlichen Institutionen sein ,,Selbstgefiihl” hat (Rph § 147) **. 4.2 Juridische und moralische Rechtsférmigkeit Wie wir in 4.1 sahen, besagt Hegels These, da8 die Sittlichkeit der Familienbeziehungen dadurch gesprengt wiirde, da8 in ihr die Rechte der Mitglieder

in der Form von Rechten”

behauptet

wiirden, zundchst, da8

diese Rechte nicht — oder jedenfalls normalerweise nicht — mit Mitteln des positiven Rechts durchgesetzt werden kénnen. Hegel zieht daraus

aber nicht die Konsequenz, da& das ,moralische Band dieser Gesellschaft” darin besteht, da8 die Familienmitglieder ihre Rechte aus morali-

scher Motivation, sondern ,,aus der Gesinnung der Liebe” erhalten (Prop III § 192). Das erdffnet die Méglichkeit, die kritisierte Behauptung der Rechte

»in der Form von Rechten” nicht schon juridisch, sondern so zu verste-

hen, da& die Familienmitglieder die Befriedigung ihrer legitimen Bediirfnisse und die Anerkennung ihrer legitimen Anspriiche anderen Familienmitgliedern gegeniiber moralisch behaupten, d.h. moralisch einfordern und einklagen bzw. deren Verletzung moralisch sanktionieren. Einer solchen, sozusagen ,rechtsformigen” Moralitat wiirde Hegel die »Gesinnung der Liebe” gegeniiberstellen. Die damit angedeutete Erweiterung des Begriffs der Rechtsformigkeit michte ich in diesem Abschnitt naher explizieren, um dann im nachsten Abschnitt, anhand von wesent-

lidten Gehalten der Hegelschen Philosophie, die Idee einer spezifisch sittlichen, namlich nichtrechtsformigen, nichteinklagbaren und nichtinstitutionalisierbaren Moralitat zu entwickeln. Kant hatte bekanntlich den Begriff des Rechts iiber den der 4uSeren

Erzwingbarkeit eingefiihrt (MS 338). Es ist jedoch schon fraglich, ob iiber dieses Merkmal — etwa in Verbindung mit dem des Staates oder jedenfalls dem einer sozial anerkannten Normsetzungsautoritat — ein allgemeiner Begriff des geltenden Rechts definiert werden kann. In vielen vormodernen Gesellschaften wird die Geltung der gesellschaftlich giiltigen Normen und Entscheidungen iiber Rechte und Pflichten nicht durch Sanktionen des physischen Zwanges, sondern des Drucks der 6f152 L. Sieps Interpretation von Hegels Anerkennungslehre

rung des Ansatzes

von

]48t sich als Weiterfiih-

Habermas verstehen (L. Siep (‘79), Anerkennung

als

Prinzip der praktischen Philosophie, Freiburg/Miinchen). Siep zeigt, da8 Hegels Jenaer Anerkennungslehre ein Versuch ist, die Bildung des Selbst und der Institutionen systematisch aufeinander zu beziehen. Im dritten Teil dieser Arbeit

versuche ich indes zu zeigen, da& Hegels Anerkennungslehre auch als Begriindung einer rationalen Ethik verstanden werden kann. 111

fentlichen Meinung und des Gewissens abgesichert. Das bedeutet jedoch

nicht, da8 sich die normative Steuerung der Gesellschaft ausschlie8lich durch Moral vollzieht, sofern es eine sozial anerkannte Instanz gibt, die

in Streitigkeiten iiber Rechte und Pflichten in einem anerkannten Verfahren bindende Entscheidungen fallt. Demgegeniiber werden Streitfragen erst dann als spezifisch moralische behandelt, wenn

niemand

die

privilegierte Kompetenz zugebilligt bekommt, iiber die Richtigkeit des Verhaltens normativ bindende Entscheidungen zu fallen. Zu jedem geltenden Recht gehért allerdings, da es auch im Prinzip durchgesetzt wird — ob durch physischen Zwang oder anders. Je starker

die sozialen Interessengegensatze werden und je mehr das geltende Recht zugleich ,,positives”, von einer Normsetzungsautoritat ‘* hervorgebrachtes oder formlich anerkanntes Recht ist, ist es allerdings unwahrscheinlicher, da8

es ausschlieSlich

mithilfe von

gewaltfreien, ,morali-

schen” Sanktionen gilt. Aber das dndert nichts daran, da8 das Merkmal geltenden Rechts in der Institution der Schiedsinstanz Kant wollte allerdings wohl keinen allgemeinen Begriff des oder des positiven Rechts definieren. Denn die ,Méglichkeit”

generelle liegt. geltenden des au8e-

ren Zwangs versteht er als die ,,Befugnis dazu” (MS 339) und diese — meist unausgesprochen — als dessen ,moralische Méglichkeit” (MS 512).

Da er dabei nicht an die Méglichkeit eines durch moralische Sanktionen

geltenden

Rechts denkt, gebraucht er den Terminus

,,Recht”

demnach

im Sinne von ,,moralisch legitimem Zwangsrecht”. Dabei kann man Kant zugeben, da8 es in gewisser Weise prinzipiell moralisch berechtigt ist, moralisch richtiges geltendes Recht durch rechtlich geregelten Zwang durchzusetzen. Denn wenn es sich als unmdglich herausstellt, moralisch richtiges geltendes Recht zwangsfrei durchzusetzen, so ist es moralisch

legitim, es durch rechtlich geregelten Zwang durchzusetzen. Kant hat den Begriff des ,,Rechts” im Sinne des moralisch giiltigen Rechts nun weiterhin auf den des ausdriicklich gesatzten, ,,positiven”

Rechts eingeschrankt. Damit hangt seine Ablehnung eines juridisch giil-

tigen Billigkeits- und Widerstandsrechts zusammen und sein Postulat einer ,mathematischen Genauigkeit” der Bestimmung von juridischen Rechten (MS 340). Damit bestreitet Kant ohne nahere Begriindung die rechtliche Legitimitat juristischer Konstruktionen ,,extra legem” und erst recht die rechtliche Legitimitat oder sogar Notwendigkeit von Entscheidungen ,,contra legem” ™. Kant hat so fragwiirdigen Positionen des

Rechtspositivismus vorgearbeitet.

153 vgl. N. Hoerster (’79), Zum begrifflichen Verhaltnis von Recht und Moral, in: Recht und Moral, Neue Hefte fiir Philosophie, Bd. 17, Géttingen (’79) S. 86 f. 154 Fiir diese argumentiert tiberzeugend H. Schmitz (’73), System der Philosophie, Bonn, Bd. III, 3: Der Rechtsraum. Praktische Philosophie, 6. Kap. 112

Es kommt hier indes nicht darauf an, die Fragen einer Definition des

Begriffs der rechtlichen Geltung und der Bedingungen der moralischen Geltung von juridischem Recht zu entscheiden. Es geniigt, da8 fiir den Rechtsbegriff die Merkmale der Erzwingbarkeit und der Positivitat nicht wichtiger sind als der der anerkannten Befugnis einer Instanz, in einem geregelten Verfahren normativ bindende Entscheidungen zu treffen. Rechtsanspriiche sind demnach vor allem solche Anspriiche, die vor einer

solchen Instanz einklagbar und durchsetzbar sind und deren Anerkennung durch diese Instanz die sozial wirksame Sanktionierung ihrer Rea-

lisierung impliziert.

Da8 Hegel diesem Rechtsverstindnis mindestens nicht fern steht, sieht

man daran, da8 er den Begriff

des

,abstrakten oder

strengen

Rechts”

nicht iiber den der Positivitat und auch nicht iiber den des legitimen Zwangs einfiihrt. Letzteres hieSe namlich seiner Meinung nach, ihn ,,an

einer Folge auffassen, welche erst in dem Umwege des Unrechts eintritt”

(Rph § 94 Anm.). Hegel hat allerdings auch keinen anderen juridischen Rechtsbegriff entwickelt und den Rechtskonflikt eher zur Einfiihrung seines

Moralitatsbegriffes

benutzt.

,,Recht”

im Sinne

des

abstrakten

Rechts hei&t also zundchst nur so viel wie ,,moralisches Recht”,

,mora-

lisch legitimer Anspruch”. Aber es fragt sich natiirlichh, warum Hegel dann vom abstrakten als ,,strengen” Recht spricht, was jedenfalls bei Kant der Terminus fiir das juridische Recht ist. Eine Antwort bestiinde darin, da8 es sich um genau die Rechte handelt, die, falls es eine anerkannte Schiedsinstanz gabe, (auf der hier von Hegel betrachteten Ebene

sozialer Beziehungen) vor dieser Instanz durchsetzbar waren. Es liegt nun nahe, den Begriff der moralischen Geltung in Analogie zu dem der juridischen Geltung einzufiihren. So hat Kant dem auferen

Zwang des Rechts den ,,Selbstzwang”

der Moralitat gegeniibergestellt

(MS 508 Anm.). Wenn weiterhin der Begriff des juridischen Rechts wesentlich durch legitime Einklagbarkeit und Durchsetzbarkeit vor sowie Sanktionierbarkeit durch eine anerkannte Schiedsinstanz definiert werden mu8, so liegt es ebenfalls nahe, den Begriff eines moralischen

Rechtsanspruchs durch den der moralisch legitimen Einforderbarkeit vor und der Sanktionierbarkeit durch das moralische Urteil von jedem mora-

lisch kompetenten Subjekt zu definieren. Damit soll natiirlich kein allgemeiner Begriff moralischer Geltung definiert werden — in diesem Fall ware die Definition offensichtlich zirkular. Vielmehr handelt es sich um die Definition eines rechtsférmigen Teilbereichs moralischer Geltung.

Da8 Hegel nun den _,moralischen Standpunkt” als notwendige Bedingung der Uberwindung des Rechtskonflikts einfiihrt, spricht dafiir, da8 er mit diesem ,,moralischen Standpunkt” zundachst diesen in verallgemeinertem Sinne ,,rechtsformigen” Teilbereich der Moralitat meint.

Hegels These, da das moralische Band der Familienbezichungen da113

durch zerstért wiirde, da8 die Mitglieder ihre Rechte in der Form von Rechten behaupten, kann demgegeniiber nun so verstanden werden, da8 es mit der Intimitat der Familienbeziehungen nicht nur unvereinbar ist,

da& hier die Rechte juridisch eingeklagt und durchgesetzt werden, sondern auch schon, da& sie iiberhaupt, und d.h. zunachst nur, da8 sie mo-

ralisch als Rechtsanspriiche eingefordert und durch moralisch legitime moralische Sanktionen durchgesetzt werden. Mir scheint, da8 Hegel mit dieser Kritik an der universalen Geltung moralischer Rechtsformigkeit eine bedeutende moralphilosophische Einsicht artikuliert, auch wenn mich

ihre generelle Anwendung auf die Beziehungen in der Familie nicht iiberzeugt. Da® sie aber fiir Liebesbeziehungen wichtig ist, wird der nachste Abschnitt zeigen. Durch den Begriff einer spezifisch moralischen Rechtsférmigkeit wird der Begriff der Rechtsformigkeit in einer Weise formalisiert, die mdg-

licherweise pragmatische Bedenken hervorrufen wird. ZweckmaSig scheint mir der Sprachgebrauch in der Tat in systematischer Absicht nur soweit, als er auf dem sachlich entscheidenden Merkmal der juridischen Rechtsform aufbauen kann. Dies ist etwa bei einem kantianischen juridischen Rechtsbegriff, der auf dem des auSeren Zwangs aufbaut, nicht miglich. Sofern fiir den juridischen Rechtsbegriff der einer sozial aner-

kannten Schiedsinstanz nicht entscheidend sein sollte, wiirde ich es auch nicht fiir zweckmafig halten, von ,,moralischer Einklagbarkeit” als ,,mo-

ralischer Rechtsformigkeit” zu sprechen. In diesem

Fall ware

es zweckmafiger,

statt von

rechtsformigen

nur

von sozial oder intersubjektiv moralisch legitim forderbaren, einklagbaren und

sanktionierbaren

Verpflichtungen

zu sprechen.

Es liegt auch

nahe, von dem Paradigma des Rechts zu dem der Institution im allgemeinen iiberzugehen. Institutionen sind namlich Verkérperungen von Rech-

ten und Pflichten, die notwendigerweise

forderbar und mindestens mo-

ralisch (negativ) sanktioniert sind; andernfalls ware ihre Stabilitat eine Funktion individueller Spontaneitat oder Einsicht. Sofern sich eine Moral

auf moralisch nichteinklagbare und in diesem Sinne nicht-rechtsformige

Verpflichtungen bezieht, ist sie frei von sozialen Sanktionen und des-

halb prinzipiell nicht institutionalisierbar. Im folgenden Abschnitt werde ich zeigen, daS Hegels

Art ist. Die

,,hdhere”, sittliche Moralitat

Rede von ,,moralischer Rechtsférmigkeit”

im Kern von dieser

hat im Kontext

dieser

Arbeit nun noch eine andere, namlich philosophiehistorische Berechtigung. Diese liegt zunachst darin, da& insbesondere der spatere Hegel

seine implizite Kritik einer auf Institutionalisierbarkeit eingeschrankten Moral explizit nur als Kritik an der juridischen Rechtsférmigkeit institutioneller Beziehungen artikuliert. Das ist aber insofern legitim oder je-

denfalls nachvollziehbar, als Hegels Kritik der Moralitat im wesentlichen

114

Kritik der Kantischen Ethik ist und Kants Begriff von Moralitat an sy-

stematisch entscheidenden

Stellen durch das Paradigma der juridischen

Rechtsform begrenzt bleibt. Gerade deshalb fehlt bei Kant auch ein Be-

griff nichtforderbarer Verpflichtungen (vgl. 4.4).

4-3 Gehalte sittlicher Moralitat und Sollenskritik bei Hegel Hegels Ideen zur sittlidhen Moralitat werden in seiner ,,Philosophie des

objektiven Geistes” gegeniiber der Theorie der Institutionen und des Rechts

fast unkenntlich.

Ganz

abgesehen

von der

Vieldeutigkeit

des

Rechtsbegriffs liegt dies schon im Begriff des ,,objektiven Geistes” begriindet. Denn in ihm meint ,,Objektivitat” zwar auch praktische Allgemeingiiltigkeit und Verniinftigkeit, aber auch ,Objektivation”, also Ver-

gegenstandlichung

und

institutionelle

Verkérperung.

Das

bedeutet

streng genommen, da& die nichtinstitutionellen Aspekte von Moralitat und Sittlichkeit in der Theorie des objektiven Geistes keinen Platz ha-

ben. Auch wenn dies dem wirklichen Textbefund nicht ganz entspricht, tut man deshalb doch gut daran, Hegels Idee der sittlichen Moralitat aus

der weiteren Perspektive seiner Geistphilosophie lungsgeschichte zu betrachten.

und deren Entwick-

Ein Grundthema von Hegels Philosophieren ist das der Verséhnung, insbesondere in seiner Philosophie des ,,absoluten Geistes”. Dabei geht

es meist um einigermaSen metaphysische Formen von ,,Verséhnung” — mit der Wirklichkeit, dem Endlichen, der Zufilligkeit, dem Schicksal

usw. Vor allem die Frankfurter Manuskripte Hegels machen aber deut-

lich, da8 Hegel mit ,,Verséhnung” zunachst ganz umgangssprachlich eine Form der Uberwindung von Konflikten zwischen Personen bzw. Per-

sonengruppen meint. Insbesondere geht es dort um die Versdhnung mit dem, der Rechte anderer verletzt hat, dem ,,Verbrecher”. Dabei gilt Hegel die Verséhnung in Anlehnung an die Bibel als wiinschenswerte und

unersetzbare Form der Bewaltigung solcher Konflikte.

Man kann sich nun fragen, ob es ein moralisches Recht auf oder jeden-

falls eine

moralische Verpflichtung zur Verséhnung

geben

kann. Es

scheint offensichtlich, da& es sich dabei jedenfalls nicht um eine forder-

bare,

einklagbare

und

sanktionierbare

Verpflichtung

handeln

kann.

Wenn zwei sich streiten, so kann der Streit nicht dadurch behoben wer-

den, da8 sie voneinander fordern, sich zu verséhnen; denn das wiirde den Streit nur auf eine Metaebene verlagern. Wenn einer dem anderen

dariiberhinaus ein Unrecht angetan hat, so wiirde er das nur noch dadurch verschlimmern, da8 er nun vom anderen Verséhnung fordert.

Wenn

er eine Zuriickweisung

dieser Verséhnungsforderung dann

auch

noch moralisch sanktionieren wollte, so ware dies einerseits wohl lacher-

lich, weil seine moralische Sanktion kaum wirkungsvoll ware, und ande-

115

terseits empdrend, weil er damit, obwohl er Unrecht getan hat, in der-

selben Angelegenheit quasi die Rolle des Richters bzw. des Strafenden

usurpiert.

Trotzdem kann es eine Verpflichtung zur Verséhnung geben. Ein moralisch sensibler Mensch wird sie gerade dann empfinden, wenn der andere Verséhnung

nicht erwartet, fiir dessen Position Verstandnis

auf-

bringt und sein eventuelles Unrecht jedenfalls nicht aggressiv verteidigt. Diese Verpflichtung wird auch als Antwort auf eine Art moralischen Rechts des anderen empfunden.

Nicht zwar als ein Recht, das in Form

eines legitimen Anspruchs an die Adresse dessen ergeht, der sich der Verpflichtung bewu8t ist; aber doch als ein Recht des Handelnden in dem schwachen Sinne eines Ansprudhs seines letztlich berechtigten Bediirfnisses danach, da Friede und Erfiilltheit seines Lebens nicht durch Prozesse

beeintrichtigt werden, iiber die er letztlich keine hinreichende Kontrolle

hat. Dabei kann es jedoch moralisch legitim sein, da8 Dritte diese Ver-

séhnung moralisch fordern.

Da8& es ein durch die entzweiten Parteien nichteinklagbares Recht auf Verséhnung gibt, ist Hegels implizite These am Ende des Moralitatskapitels der ,,Phinomenologie des Geistes”, unmittelbar vor dem Ubergang

zum Religionskapitel. Hegel fa8t hier namlich die Verséhnung durch das

Bekenntnis der partikularen Motivation einerseits und die Verzeihung derselben und der Handlung andererseits als ,,ein gegenseitiges Anerkennen“ (Ph 493). Anerkennen kann man aber nur Fahigkeiten und Rechte, und im Moralitatskapitel und insbesondere in bezug auf Be-

kenntnis und Verzeihung kann wohl nur von letzterem die Rede sein. Daran andert auch nichts, da& Hegel diese héchste Form von Anerken-

nung sogleich als ,,den absoluten Geist” faSt (ebd.) und damit zur Reli-

gion iibergeht. Vielmehr zeigt sich hier umgekehrt, da& Hegels Philoso-

phie des absoluten Geistes und insbesondere seine Religionsphilosophie implizit auf der Idee nicht ,,objektiver”, namlich nicht forderbarer Rechte

und Pflichten aufbauen ',

In moralphilosophischer Hinsicht der Versshnung und Verzeihung '*

155 156

Zur naheren Deutung der angefiihrten Lehre der ,,.Phanomenologie des Geistes”

s. Teil III, Kap. 5.6 dieser Arbeit.

Ein alltaglicher Fall von Verséhnung ist die Entschuldigung bzw. die Annahme einer Entschuldigung. Wie Chisholm richtig gegen Austin bemerkt, kann man mit einer Entschuldigung nicht nur die Verantwortung fiir eine schlechte Handlung ganz oder teilweise ablehnen, sondern auch zum Ausdruc bringen, da& die Handlung nur in einem schwachen Sinne schlecht gewesen ist (R. Chisholm

('63), Ubergebiihrlichkeit

und Ansté@igkeit.

Ein Begriffsschema fiir die Ethik,

in: Ratio, S.5 Anm. 8). Man meint dann namlich, da8 die Handlung zwar argumentativ kritisiert, aber nicht moralisch legitim getadelt werden kann. Eine solche Handlung kann deshalb ohne weiteres entschuldigt werden, weil man durch sie, obwohl sie moralisch falsch ist, nicht eigentlich schuldig wird.

116

strukturell verwandt ist die Dankbarkeit. Allerdings ist ,.Dankbarkeit” ein vieldeutiges Wort. Oft wird die Verpflichtung zur Dankbarkeit als die zur Gegenseitigkeit von Hilfeleistungen verstanden. Aber dabei handelt es sich um eine Verpflichtung, die zwar normalerweise nicht juridisch, aber durchaus moralisch einklagbar ist, vielleicht deshalb, weil man

durch Annahme von Hilfe implizit eine Art Vereinbarung eingeht, diese bei Gelegenheit zu erwidern. Dankbarkeit in einem spezifischeren Sinne liegt erst da vor, wo jemand auf Hilfe auch da, wo keine Gelegenheit zur Gegenleistung ist, so reagiert, da8 darin zugleich seine Freude und seine

Einstellung zum Ausdruck kommt, daf& die Hilfe nicht geschuldet war. Ganz eindeutig ist dies in der Reaktion aufs Schenken, das Hegel in

Frankfurt als Ausdruck des Liebesverhaltnisses und als Negation der Eigentumsbeziehung beschrieben hat (FrSchr 249 Anm.). Dankbarkeit in diesem Sinne ist nun sicher nicht moralisch einklagbar. Fiir das Gefiihl der Dankbarkeit gilt dies natiirlich schon deshalb nicht,

weil kein Gefiihl moralisch einklagbar ist. Aber auch Gesten der Dank-

barkeit, ganz gleich welche Gefiihle dahinterstehen, kénnen nicht mit Sinn moralisch gefordert werden, denn dadurch wiirden sie notwendiger-

weise ihre charakteristische Freiwilligkeit verlieren und sich bestenfalls in Gegenleistungen aus impliziten Vertrigen verwandeln. Trotzdem gibt es

nicht nur das Bediirfnis, sondern auch eine Verpflichtung zur Dankbarkeit. Und das gilt anscheinend nicht nur fiir Gesten, sondern auch fiir Ge-

fiihle von Dankbarkeit. Es ist bei Dankbarkeit auch nicht oder jedenfalls nicht beziiglich der Gesten widersinnig, da8 sie von Dritten gefordert wird.

Ahnliches gilt fiir die klassischhen Tugenden des Umgangs und der Humanitat. Wahrend eine durchschnittliche Freundlichkeit oder Héflichkeit von jedem mit Recht erwartet und notfalls gefordert werden kann, gilt dies kaum fiir persénliche Offenheit gegeniiber anderen, menschliche Anteilnahme, Mitleid, Engagement, Solidaritat, Sensibilitat und feineren

Takt. Da8 letztere moralisch gefordert wiirden, jedenfalls von den unmittelbar Betroffenen, ware widersinnig. Dennoch ist sich jeder der entsprechenden moralischen Verpflichtungen aufrichtigerweise wohl bewu8t. Ob sie von Dritten gefordert werden kénnen, will ich hier offenlassen.

Eine zweite Gruppe von spezifisch sittlichhen Verpflichtungen umfa8t

die Falle, in denen der Einsatz fiir andere eigenen Interessen in einem Ausma8 widerstreitet, das nicht moralisch zugemutet und gefordert werden kann. Dazu gehéren die Themen des sittlichhen Opfers und des Existenzrisikos, die insbesondere in Hegels Theorie des tragischen Opfers, der Tapferkeit und des Kampfes leitend sind (vgl. Teil III,3z). Natiirlich gibt es auch Fille, in denen es moralisch legitim durch andere gefordert werden kann, da ich eigene Wiinsche in einem einschneidenden und schmerzlichen Ma8e zuriickstelle — etwa Falle der Beachtung von Men-

117

schenrechten, institutionellen Verpflichtungen oder solchen aus privaten

Vertrigen. Aber hier kénnte man auch nur in einem schwachen und un-

spezifischen Sinne davon sprechen, Opfer bringen zu miissen. Im eigentlichen Sinne kann man von einem Opfer nur da sprechen, wo der Ver-

zicht von niemand, weder dem direkt Betroffenen noch

Dritten, mora-

lisch legitim gefordert werden kann. Trotzdem kann es hier eine Verpflichtung geben, insbesondere dann, wenn der andere auf das Opfer existentiell angewiesen ist. Hegel hat mit der Thematik des Opfers eine sittliche Problematik wieder zur Geltung gebracht, die bei Kant trotz seines moralischen Pathos’ nicht prasent ist. Ahnliches gilt fiir den Fall des existentiellen Risikos im Tun fiir andere, insbesondere des unmittelbaren Risikos des eigenen Lebens. Hegel war

sicher der Meinung, da8 das Risiko oder gar das bewuSte Opfer des eigenen Lebens in manchen Fallen moralisch oder sogar juristisch eingeklagt werden kann, etwa beim Soldaten, insbesondere beim Berufssoldaten. Aber auch wenn das so sein sollte '’, hangt es doch offenbar damit zusammen, da& es sich hier um institutionelle Verpflichtungen handelt,

die auf einer expliziten Zustimmung beruhen. Umso mehr gilt dies etwa im Verhaltnis zu den eigenen Kindern, vielleicht zu Kindern iiberhaupt. In anderen Fallen gibt es aber eine einklagbare Verpflichtung sicher nicht. Sie sind bei Hegel unter dem Titel der ,, Tapferkeit” ebenfalls an-

gespochen. Der wichtigste ist der der Hilfe unter Lebensrisiko fiir die zum Beispiel in Lebensgefahr schweben. Hier kann ich mit Grund eine Verpflichtung empfinden, mein Leben fiir andere zu ren, insbesondere dann, wenn ich der einzige bin, der iiberhaupt

andere, gutem riskiehelfen

kann. Aber es wire sicher moralisch ungerechtfertigt oder sogar empérend, wenn ein Dritter hier den Einsatz meines Lebens von mir fordern

oder es mir moralisch nicht so handle.

Und

vorwerfen bzw. sanktionieren

wenn

der Hilfsbediirftige

wiirde, wenn

dies nachtraglich

ich

tate,

ware dies mindestens moralisch verfehlt und unerfreulich. Ahnliches gilt fiir Fragen des Notrechts, etwa die beliebte Streitfrage,

ob es einem Schiffbriichigen moralisch erlaubt ist, einen anderen Schiff-

briichigen von einem Brett wegzusto8en, wenn dieses nur einen retten kann und keine anderen Rettungsmittel vorhanden sind. Kant hatte natiirlich Recht damit, da@ dies juridisch nicht vorwerfbar und sanktio-

nierbar ist, aber er war offensichtlich der Meinung, da

es das in morali-

scher Hinsicht ist (MS 343 f.). Aber wenn hier iiberhaupt von einer Verpflichtung gesprochen werden kann, so handelt es sich um eine, die von niemandem mit Recht oder auch nur mit Sinn gefordert werden kann.

SchlieGlich sind fiir Hegels praktische Philosophie seit frithester Zeit Phiénomene persénlicher Beziehungen, insbesondere der Liebe und 157

Hobbes war bekanntlich anderer Meinung.

118

Freundschaft leitend gewesen. Dabei geht es zwar auch um eine anthropologische, asthetische, religionsphilosophische oder metaphysische Problematik ™, aber der moralphilosophische Aspekt sollte dabei m.E. nicht

aus dem Auge verloren werden. ,,Persénliche Beziehungen” verstehe ich

hier nicht nur im Gegensatz zu institutionellen oder vertraglichen Beziehungen und zu denen des Umgangs mit Personen, die man nicht ,,persén-

lich’ kennt. ,,Persénliche” Hilfe, Takt, Dankbarkeit, Verséhnung usw. beziehen sich zwar in individueller Weise auf bestimmte Personen, aber

sie bringen nicht notwendig persénliche Verbundenheit zum Ausdruck oder hervor. In eigentlich persénlichen Beziehungen gibt es nun sicher mehr giiltige Verpflichtungen als in unpersénlichen, aber das braucht noch nichts mit der Frage der Einklagbarkeit zu tun zu haben. Schon in unpersénlichen Beziehungen entstehen durch die Handlungen des einen vielfaltige Folge-

verpflichtungen des anderen, z. B. durch ,,persinliche”, nicht durch Beruf,

Funktion oder Rolle vorgeschriebene Hilfeleistungen, insbesondere im Fall der Wiederholung. Dies gilt fiir persénliche Beziehungen umso mehr, als fiir sie gegenseitige Hilfe konstitutiv ist. Trotzdem sind solche Verpflichtungen durchaus legitim moralisch einklagbar. Durch eine persénliche Beziehung entstehen nun notwendigerweise Wiinsche und Erwartungen, da8 der andere sich um einen in einer be-

sonderen, persénlichen Weise kiimmert; aber es scheint sinnwidrig, die Erfiillung dieser Erwartungen zu fordern. Zwar kénnte man sagen, da& jeder, da er wei8, da8 er durch diese Beziehung solche Wiinsche und Er-

wartungen erzeugt, mit dieser ein implizites Versprechen abgibt, diese Wiinsche und Erwartungen auch im wesentlichen zu erfiillen. Aber das Einklagen entsprechender Forderungen ware mindestens sinnlos. Denn entweder bedeuten die Wiinsche des einen fiir den anderen forderbare Folgeverpflichtungen, und dann ist es iiberfliissig, sie als Forderungen zu

artikulieren. Oder dies ist nicht der Fall, und dann kann die Forderung nur dazu fiihren, da8 diese Wiinsche fiir den anderen iiberhaupt nicht

mehr verpflichtend wirken oder sogar die Freundschaft in Frage stellen. Persénliche Beziehungen

beruhen

entscheidend

darauf,

da8 in ihnen

auch nichteinklagbare Bediirfnisse als verpflichtend anerkannt werden.

Hegels These, da8 das ,,sittliche Band” der Familienbeziehungen zerrissen wiirde, wenn die Mitglieder ihre ,,besonderen” Rechte ,,in der Form von Rechten behaupten” wiirden, kann man also jetzt so verstehen, da&

die spezifische Sittlichkeit von persénlichen Beziehungen, von Intimitat

und Liebe dadurch zerstért wiirde, da& die Partner ihre spezifisch sitt-

lichen, also nichteinklagbaren Rechte moralisch einklagen und sanktionie-

158 s. D. Henrich ('71), Hegel und Hélderlin, in: ders., Hegel im Kontext, Frankfurt S. 9 ff.; ders.: Historische Voraussetzungen von Hegels System, ebda S. 61 ff.

119

ren wiirden. Das andert nichts daran, da8 es sich um Rechte handelt. In

diesem Sinne sagt Hegel explizit, das ,Recht an Liebe” sei ein ,anderes als an strenges Recht” und kénne nicht ,,geltend gemacht werden” (Rph § 159 Randb.). Ich méchte das abschlieBend noch in einer Hinsicht konkretisieren. Bekanntlich ist Hegel fiir das Recht auf Ehescheidung durch eine staatliche oder kirchliche Instanz eingetreten (Rph § 176). Seine Einschrankung, da8 diese Scheidung erst bei Feststellung ,,totaler Entfremdung” (ebd.) méglich ist, bedeutet dabei, da8 sie nicht die automatische Folge des Bediirfnisses und Willens der Ehepartner ist. Darauf bezieht sich wohl Hegels Rede von dem ,,Recht der Ehe selbst” (Rph § 159 Anm.). Auch wenn ich davon ausgehe, da8 die Ehe keine legitime soziale Institution ist, so kann ich diese Rede Hegels doch noch als Hinweis auf die

Méglichkeit eines uneinklagbaren Rechts der Partner einer langfristigen Beziehung auf sexuelle AusschlieBlichkeit oder jedenfalls Prioritat, kurz auf Treue, verstehen. Méglicherweise gibt es langfristige sexuelle Beziehungen, in denen die Partner kein Bediirfnis nach gegenseitiger Treue haben. In diesem Fall gibt es natiirlich auch kein ,,Recht der Beziehung

selbst”. Aber normalerweise entwickelt sich mit einer sexuellen Beziehung auch, mindestens auf einer Seite, das Bediirfnis nach gegenseitiger Treue. Da dies jeder wei und es sich um ein tiefgehendes Gefiihl handelt, begriindet es auch ein Recht auf seine Erfiillung. Es handelt sich aber nicht um ein einklagbares und

sanktionierbares

Recht. Denn selbst wenn die Partner gegenseitige Treue ausdriicklich als Voraussetzung der Beziehung vereinbaren wiirden, so ware es nicht notwendig legitim, da8 der eine die Untreue des anderen sanktioniert. Da sexuelle Beziehungen nicht Sache der bloBen, beliebigen Willkiir der Beteiligten sind, kann diese Reaktion auf Untreue zeigen, daf sich der von ihr Betroffene auf die Beziehung nicht ernsthaft genug eingelassen hat;

und da die genannte Vereinbarung mit der Natur tiefgehender emotio-

naler Beziehungen nicht vereinbar ist, ist sie von vornherein ungiiltig. Wenn ein Recht aber nicht Gegenstand einer Vereinbarung sein kann, so kann es auch nicht einklagbar sein.

Das Recht auf Treue ist nun offensichtlich auch nicht sinnvoll durch den Betroffenen einklagbar. Denn da die Untreue nicht eine beliebige, auBerliche Handlung betrifft, sondern Ausdruck von persénlichen Ge-

fiihlen ist, die vielleicht die Beziehung in Frage stellen, kann diese Beziehung nicht durch Forderungen, Vorwiirfe und Sanktionen geschiitzt werden. Das Recht auf Treue ist aber auch nicht durch Dritte einklagbar. Das liegt wohl ganz prinzipiell daran, da8 es hier weniger um Handlungen als um Gefiihle und Motive geht. Es gibt namlich prinzipiell keine einklagbaren Verpflichtungen zu bestimmten Gefiihlen oder Motiven,

sondern nur zu Handlungen.

Da& es trotzdem in bezug auf Gefiihle 120

oder Motive Verpflichtungen geben kann, namlich uneinklagbare, zeigt

gerade das Beispiel der Verpflichtung zur Treue. Treue hat nun offenbar etwas mit Vertrauen zu tun, und man kann sich fragen, ob es beziiglich dessen, insbesondere in persénlichen Bezie-

hungen, nicht ebenfalls uneinklagbare Rechte und Verpflichtungen gibt. Diese scheinen darin begriindet, da8 Vertrauen eine notwendige Bedingung fiir persénliche und iiberhaupt fiir sittliche Beziehungen ist. Hegel

hat das zuerst am Glauben der Maria Magdalena dargestellt (FrSchr 354, N 289).

Vielleicht wirft die Idee uneinklagbarer Verpflichtungen auch sonst

ein ganz

neues

Licht auf das, was

traditionellerweise

,,Tugendlehre”

hei&t. Dem will ich jedoch hier nicht mehr nachgehen. Auch wenn die in diesem Abschnitt diskutierten Phanomene fiir Hegels Philosophieren zentral sind, so werden sie von Hegel selbst doch meist

nicht explizit als moralische diskutiert, d.h. als solche von Rechten und Pflichten. Eine gewisse Ausnahme ist die Verséhnungslehre am Ende des

Moralitatskapitels der ,,Phanomenologie des Geistes”, aber auch dort findet man nicht den Begriff nichteinklagbarer und nichtsanktionierbarer Verpflichtungen. Da ich gleichwohl meine, da8 Hegels Philosophieren

immer wieder auf dem Wege dahin ist, liegt nicht nur an der zentralen Stellung dieser Phanomene bei Hegel und der von ihm konzipierten Kri-

tik der Rechtsform, sondern auch an seiner generellen Einstellung zur

Moralitatsproblematik.

Bekanntlich polemisiert Hegel unermiidlich gegen das moralische ,,Sol-

len“ und ,,Postulieren”. Diese Polemik ist in dieser allgemeinen Form sicher nicht haltbar. Allerdings betont Hegel manchmal, da8 er sich nicht gegen jedes Sollen, sondern nur gegen ein Sollen wendet, das nicht Moment der Wirklichkeit ist. Darin kann man schon die Bejahung eines verniinftigen, begriindeten moralischen Sollens sehen; Hegels Polemik wiirde sich dann nur gegen kurzschliissige, insbesondere moralistische

Vorstellungen dariiber richten, wie ein Sollen verniinftig begriindet werden kann.

Aber mit dieser harmonisierenden Strategie wiirde Hegels Kritik gerade um das gebracht, was sie fiir kritischh denkende und empfindende

Leute anziehend und plausibel macht. Es ist auch fast mit Handen zu

greifen, da die Kritik am ,Sollen” und ,,Postulieren” sich vor allem da-

gegen wendet, moralische Behauptungen und Wertungen als Forderun-

gen zu verstehen und zu behaupten. Und das ware bei nichtforderbaren,

nichteinklagbaren Rechten und Pflichten in der Tat eo ipso verkehrt. Hegels Sollenskritik ist fiir die sittliche Ebene der Moralitat vollkommen

richtig ™. 159 Da

Verletzungen

nichtforderbarer

Verpflichtungen 121

keinen

moralischen

Tadel

Dieses Ergebnis verdient es, itiber Hegel hinaus in seiner ganzen Tragweite festgehalten zu werden — auch auf der Ebene der Terminologie.

Dabei méchte ich von der heute weithin akzeptierten These von Hare ausgehen, da& Werturteile stets einen Imperativ logisch implizieren’®. Dagegen kann man zunichst einwenden, da es zwar widersinnig w4re,

zu jemandem zu sagen, da& es richtig ist, etwas Bestimmtes zu tun, und ihn dann aufzufordern, es nicht zu tun; aber das bedeutet nur, da8 diese

Aufforderung durch das Werturteil logisch ausgeschlossen ist, nicht jedoch, da8 die entgegengesetzte Aufforderung aus dem Werturteil logisch folgt. Aber dieser Unterschied ist noch relativ harmlos und hier nur erwahnt, um miglichst eindeutig herauszustellen, worauf es mir im folgenden ankommt. Wenn jemand nichtforderbar dazu verpflichtet ist, etwas Bestimmtes zu tun, so ist in dem entsprechenden Werturteil namlich die Aufforderung, dies zu tun, nicht nur nicht logisch impliziert, sondern diese Auf-

forderung ware sogar pragmatisch widersinnig (wenn etwa der Wohltater zur Dankbarkeit auffordert) oder moralisch illegitim. Urteile iiber nichteinklagbare Verpflichtungen enthalten keine entsprechenden Forderungen oder Aufforderungen, und sie sind mit entsprechenden Forderungen oder Aufforderungen sogar pragmatisch oder moralisch unvereinbar. In praktischer Hinsicht haben sie vielmehr den Charakter von Empfehlungen oder Ratschlagen, héchstens von Appellen oder Bitten. Selbstverstandlich sind sie auch unvereinbar mit den kontradiktorischen Forderungen und Aufforderungen. Daraus sollte man m. E. Konsequenzen fiir die Terminologie in der praktischen Philosophie ziehen. Ublicherweise gilt die moralische Sprache

als ,,praskriptiv’. Dabei wird etwa von Hare der Begriff ,,praskriptiv” auf die, mindestens impliziten Imperative oder Aufforderungen bezo-

gen. Da uneinklagbare Pflichten entsprechende Aufforderungen nicht enthalten, nicht moralisch legitimieren oder sogar praktisch sinnlos machen, kann die entsprechende Sprache nicht priaskriptiv sein. Soweit bezieht sich die Rede von Aufforderungen oder Imperativen

wie selbstverstindlich auf (mégliche) AuSerungen von Personen. ,,Auf-

forderung” kann jedoch auch in einem streng phanomenologischen Sinne gemeint sein, der nicht an AuSerungen von Personen gebunden ist ‘**. So und keine Beschuldigung rechtfertigen und deshalb Entschuldigungen ohne weiteres erlauben (vgl. Anm. 156), erzeugen sie auch keine Schuld. Das ist grundlegend fiir die Theorie des Tragischen und der Verséhnung. Es schlie8t

dariiberhinaus aus, das moralische Bewu8tsein, etwa im Sinne von Freud, durch

Schuldgefiihle

zu definieren

(vgl. S. Freud, Das Unbehagen

ders., Studienausgabe IX, Frankfurt (’74) S. 191 ff.).

in der Kultur, in:

160 R. M. Hare (‘52), Die Sprache der Moral, Frankfurt (‘72). 161 s. die allgemeine Normenlehre des Phanomenologen H. Schmitz ('73) § 177 a. 122

mag etwa in der Erfahrung der Natur von einer morgendlichen Lichtung

das Gebot oder die Aufforderung ausgehen, die Stimme zu senken oder innezuhalten, und von einem Kunstwerk die Aufforderung oder der Appell, sich darein zu vertiefen und damit auseinanderzusetzen, ohne da&

hier diese Imperative als AuSerungen von Personen gegeben waren. In diesem schwachen, nicht kommunikationstheoretischen, sondern phanomenologischen Sinne von ,,Aufforderung” enthalt natiirlich auch jede

uneinklagbare Verpflichtung eine Aufforderung.

Man kénnte nun behaupten, da8 es sich hier durchaus um eine Auf-

forderung durch eine Person, namlich um eine Aufforderung durch mich selbst handelt. Aber diese Behauptung ginge an dem Phanomen vorbei.

Sicher gibt es Selbstaufforderungen, aber sie unterscheiden sich offensichtlich von der Erfahrung von Verpflichtungen oder Appellen, einklag-

barer oder uneinklagbarer Art, auch wenn diese Erfahrung dazu fiihren

sollte, da8 ich mich dazu auffordere, das zu tun, von dem ich erkenne,

da8 ich verpflichtet bin, es zu tun. Aber

selbst wenn

diese Unterschei-

dung bestritten wiirde, wiirde das an der Unterscheidung forderbarer und nichtforderbarer Verpflichtungen nichts andern. Denn dabei geniigt

es, da8 es Verpflichtungen gibt, die von anderen nicht eingefordert wer-

den kénnen. Obwohl also moralische Satze bzw. Phanomene nicht notwendig pri-

skriptiv sind — in dem iiblichen, kommunikationstheoretischen

Sinn —,

so sind sie doch notwendig normativ. Das liegt einfach daran, da8 es

sich hier um Rechte und Pflichten handelt. Natiirlich ist der Bereich der Normen

weiter als der der moralischen Normen,

dazu gehéren namlich

auch Spielregeln, Kochrezepte, juridisches Recht usw. Auch wenn hier keine Notwendigkeit besteht, den Begriff der Norm zu diskutieren, michte ich doch darauf hinweisen, da& normative Geltung iiberhaupt

nicht schon durch das Faktum oder die Erfahrung einer Aufforderung

zustande

kommt,

sondern

erst dadurch, da&

die Aufforderung

in dem

Sinne erfolgreich ist, da8 ihr Geltungsanspruch — wenn auch vielleicht

nur halbherzig — anerkannt wird '*.

Das Konzept von durch niemand legitim forderbaren Verpflichtungen

macht weiterhin zum Teil verstindlich, warum Hegel seinen spezifischen

Begriff der Moralitat nicht so sehr auf den der Verpflichtung, sondern den des Guten aufbaut (Rph §§ 129 ff.; LII, 477 ff.). Verpflichtungen, die von niemandem legitim moralisch forderbar sind, gibt es namlich nur

aufgrund der Tatsache, da& das, wozu man verpflichtet ist, auch in einem

vormoralischen, genauer: vordeontologischen Sinne gut ist. Denn Voraussetzung fiir die Giiltigkeit einer schlechthin nichtforderbaren Ver-

162

s. H. Schmitz (’73) ebd.

123

pflichtung ist eine entsprechende altruistische Neigung oder ein sittliches Ideal bzw. eine entsprechende Lebenskonzeption ™. So ist die Verpflichtung zu einem selbstlosen Opfer oder Lebensrisiko und zur Treue in persénlichen Beziehungen durch eine spontane Tendenz vermittelt, so zu handeln. Fehit diese spontane Tendenz, so gabe es nichts, worauf sich die Behauptung stiitzen kénnte, da8 hier eine Verpflichtung vorliegt. Besonders bei nichtforderbaren Verpflichtungen in persénlichen Beziehungen vermittelt dariiberhinaus die Konzeption der Beziehung mit dem entsprechenden Selbstverstindnis. Ob das fiir alle Fille nichtforderbarer Verpflichtungen charakteristisch ist, ist schwer zu sagen, weil schon jedes BewuStsein einer Verpflichtung, wie wir im Teil II sehen werden,

letztlich eine Form

des Selbstverstaindnisses ist. Die

konstitutive Rolle der Neigung, des sittlichen Ideals bzw. der Beziehungs- und Selbstkonzeption bedeutet jedenfalls nicht, da8 hier die Rede von Verpflichtung iiberfliissig ware. Vielmehr wird eben auf der Basis der Neigung usw. eine Verpflichtung erfahren (vgl. 4.5 S. 141). Daraus folgt nun unmittelbar, da8 das, wozu man nichtforderbar ver-

pflichtet ist, sowohl im vormoralischen Sinne — bzw., falls man mora-

lisch erlaubte Handlungen aus altruistischen Neigungen zum Bereich der

Moral

zahlt,

im

vordeontologischen

Sinne

— als auch

im

moralischen

bzw. deontologischen Sinne ,,gut” ist. Mit einem traditionellen Terminus gesprochen, betrifft das die Unterscheidung von Fragen des ,,guten Le-

bens” und der Moral bzw. Verpflichtung. Diese Unterscheidung ist also

beziiglich der spezifisch sittlidhen Moralitét irrelevant. Fragen der spezifisch sittlidhen Moralitét sind Fragen des guten Lebens und eben dadurch deontologische Fragen. 4.4 Rechtsformigkeit in Kants Ethik

Schon fiir Kants Idee der Vernunft und insbesondere der philosophi-

schen Methode sind juridische Metaphern und Begriffe wie ,,Gerichtshof

der Vernunft’, ,,quaestio juris — quaestio facti”, ,,Deduktion” ™ usw.

charakteristisch. Aber »techtsformige” Ethik einer nichtforderbaren diese Idee ist auch mit 163

mit besonderem Recht la8t sich Kants Ethik als charakterisieren. Denn erstens fehlt ihr die Idee und nichtsanktionierbaren Verpflichtung, und zentralen Lehrstiicken seiner Ethik unvereinbar.

Das ist Grice’ These fiir die Begriindung von ,ultra obligations” (Grice, Kap. IV). Grice’ ,ultra obligations” entsprechen meinen nichtrechtsférmigen, nichtforderbaren Verpflichtungen.

164 vgl. D. Henrich (’75), Die Deduktion des Sittengesetzes. Uber die Griinde der Dunkelheit des letzten Abschnittes von Kants ,Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, in: Denken im Schatten des Nihilismus, Festschrift fiir Wilhelm Weischedel, hrsg. v. A. Schwan, Darmstadt S. 76 ff.

124

Zweitens ist seine Ethik auch in wichtigen Punkten am Paradigma des juridischen Rechts orientiert. Kant sagt selbst, da8 positive juridische Gesetze ,,vortrefflih zum

Leitfaden dienen kénnen”, um die Quellen des Rechten ,in der bloSen

Vernunft” zu erkennen (MS 336). Andererseits war er offenbar der Meinung, das Vorbild des juridischen Rechts besonders griindlich verabschiedet zu haben. So betont Kant gegeniiber der Unterscheidung der Schule von ,,vollkommenen’ und _,,unvollkommenen”, d. h. Rechts- und

Tugendpflichten, die Pflichten gegen sich selbst (GMS 52 Anm.; Vorlesung 145 ff.), die ja prinzipiell keine Rechtspflichten sein kénnen. Damit ist jedoch nichts gewonnen, da es ,,Pflichten gegen sich selbst” im gemeinten Sinne gar nicht geben kann (vgl. 4.5 S. 142 f.). Kant verfiigt jedoch iiber ein brauchbares Kriterium der Unterscheidung von Rechts- und Tugendpflichten. Rechtspflichten sind demnach solche, bei denen es (moralisch) legitim ist, ihre Einhaltung durch du8eren (rechtlich geregelten) Zwang zu sanktionieren (MS 339, 512). Kant verwechselt allerdings dabei dfters die moralische Legitimitat des Zwangs mit seiner faktischen Méglichkeit *, und das hangt mit seiner weiteren irrigen Annahme zusammen, die im engeren Sinne moralischen Pflichten bezégen sich nicht auf Handlungen, sondern ausschlie8lich auf Gesinnungen, Zwecke und Maximen (MS 326, 511 ff, 519). Kant glaubt weiterhin irrtiimlicherweise, da8 Rechts-, im Unterschied zu Tugendpflichten, ausnahmslos gelten (GMS 52 Anm., MS 522 ff.), da& das Recht mit »mathematischer Genauigkeit” bestimmt

werden kénne

(MS 340)

und

da8 die juridische Sanktionierung so effektiv sein mu&, da8 das Recht wselbst fiir ein Volk von Teufeln” '** durchsetzbar ware.

SchlieBlich definiert Kant (moralisch legitimes juridisches) Recht explizit nur durch gesetzma8ige Kompossibilitat der Freiheit aller (MS 337) und beriicksichtigt dabei normalerweise nicht das Erfordernis eines Maximums ’ und gar nicht das der Gleichheit der gesetzlich garantierten faktischen Handlungsfreiheit aller. Das

andert aber alles nichts daran,

da das Kriterium der moralischen Legitimitat des Zwangs in Wahrheit

165 So bestimmt Kant die juridische Gesetzgebung als eine, ,welche auch auGerlich sein kann“ (MS 326). Die ,dufere” Gesetzgebung ist aber eine, die ,nur das auBere und zwar praktische Verhdltnis einer Person gegen eine andere, sofern

ihre Handlungen

als Facta aufeinander (unmittelbar oder mittelbar)

haben kénnen“ (MS 337), betrifft.

Einflu&

166 Kant, Zum ewigen Frieden, W VI, S. 224. 167 Deutlicher sind hier, wie so oft, Kants Schriften zur angewandten praktischen Philosophie. So definiert die ,Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbiirgerlicher Absicht” eine ,vollkommen gerechte biirgerliche Verfassung” als ,,eine Gesellschaft, in welcher Freiheit unter duferen Gesetzen in gréStméglichem Grade mit unwiderstehlicher Gewalt verbunden angetroffen wird” (Kant, W VI,

S. 39).

125

ausreicht, wenn gleichzeitig ein korrektes Moralprinzip zur Verfiigung

steht. Dieses Erfordernis entfallt natiirlidh, wenn man Kants Rechtsdefi-

nition auf jedes juridisch geltende Recht bezieht, sei es nun material und prozedural moralisch legitim oder nicht. Das einzige Erfordernis ware dann das der allgemeinen Gesetzlichkeit, also des Geltens ,ohne Anse-

hen der Person”. Kants grundlegende Irrtiimer sind nun darin begriindet, da8 er das Moralprinzip, das moralische Bewu8tsein und die moralische Motivation

weitgehend

von

einer

im

Prinzip

richtigen

Idee

moralisch

legitimen

Rechts her deutet. Seine Orientierung am Rechtsparadigma fiihrt ihn

allerdings gleichzeitig zu grundlegenden Entdeckungen in der Ethik. Das ist am einfachsten greifbar bei seiner Idee der Autonomie. Kants Idee der ,Autonomie” der moralischen Willensbestimmung ist offensichtlich an der politischen Idee der Volkssouverdnitat orientiert,

wie sie etwa in Rousseaus ,,Gesellschaftsvertrag” und der Forderung nach einer plebiszitaren Entscheidung iiber juridische Gesetze oder einer

allgemeinen Wahl einer verfassungsgebenden oder legislativen Kérperschaft zum Ausdruck kommt. Diese Orientierung hat auch einen prazisen und legitimen Sinn, sofern sie dazu dient, das Moralprinzip vertrags-

theoretisch zu explizieren. Kant versucht dies jedoch nicht ausdriicklich, wenn auch viele Ziige seiner Theorie des kategorischen Imperativs gar nicht anders rekonstruiert werden kénnen (s. 1.5).

Kant iibertrigt vielmehr vor allem die Idee der juridischen Selbstgesetzgebung einer Gruppe auf das einzelne Individuum. Die ,,Gesetze”, die ein Individuum

sich selbst aus ungezwungener

Entscheidung gibt,

sind zundchst alle seine Grundsatze, ,Maximen”, seien es nun Grundsatze der Klugheit oder der Moral. Es ist jedoch bereits fragwiirdig, die Festlegung eigener Grundsitze als eine Selbstgesetzgebung zu verstehen. Denn die Festlegung eigener Grundsatze ist ein Proze8, héchstens eine

Entscheidung, aber keine Handlung wie ein Gesetzgebungsakt. Sprachlich kommt das u. a. darin zum Ausdruck, da8 man davon redet, ,,ein

Gesetz zu machen”, aber nicht davon, ,,sich einen Grundsatz zu machen”, sondern nur, ,,es sich zu einem Grundsatz zu machen”.

Kant verkniipft weiterhin den Begriff der Autonomie ausschlie8lich mit dem moralischen Willen und BewuStsein. Aber da8 bereits das BewuB8tsein der Giiltigkeit des moralischen Gesetzes eine Handlung sein

soll, ist mindestens eine problematische theoretische Konstruktion — ganz abgesehen davon, da& Kant diese als Gesetzgebungsakt des intel-

ligiblen gegeniiber dem empirischen Ich fa8t '. Das Problematische des Kantischen Autonomiebegriffs liegt soweit allerdings nicht generell in der Orientierung am juridischen Recht, son168

Zu Kants Autonomiebegriff vergleiche weiterhin Kap. 5.4, ferner Kap. 2.2.

126

dern in der Orientierung am Akt der (juridischen) Gesetzgebung. Eine inhaltliche Orientierung am juridischen Recht 1a8t sich jedoch an Kants naherer Auslegung des moralischen ,,Gesetzes” aufweisen. Dafiir sind indes einige Umwege zu bewéltigen '*. Zunachst 1aGt sich eine Orientierung am Recht nicht schon daran ablesen, da& der kategorische Imperativ nach der Méglichkeit einer ,allgemeinen Gesetzgebung” fragt. Denn »Gesetz”

versteht

Kant

hier mindestens

auch

als Naturgesetz.

Zwar

verbindet er mit ,,Naturgesetz” wesentlich teleologische Vorstellungen, die wohl nur vertragstheoretisch rekonstruierbar sind (vgl. 1.5, S. 78f.),

aber das andert nichts daran, da8 ,,Naturgesetz” mindestens auch einen rein deskriptiv-nomologischen Sinn hat. Und sofern Kant ,,allgemeines Gesetz”

im Sinne von ,normatives Gesetz”

versteht, so denkt er zwar

sicher an juridische Gesetze, aber nichts hindert daran, hier auch norma-

tive Gesetze der dffentlichhen Meinung oder des Gewissens der Individuen in Betracht zu ziehen. Eine Orientierung am (juridischen) Recht folgt erst aus den naheren Fassungen des kategorischen Imperativs mitsamt ihren charakteristischen Schwierigkeiten. Als erstes fallt auf, da8 Kant das Prinzip allen Rechts

manchmal so formuliert, da es mit dem kategorischen Imperativ schlicht

identisch ist bzw. nichts als dessen Anwendung auf Institutionen dar-

stellt, die durch Zwangssanktionen legitim stabilisiert werden. So heiSt

es zu Beginn der Einleitung zur Tugendlehre der ,,Metaphysik der Sitten”: ,,Die Rechtslehre hatte es blo8 mit der formalen Bedingung der aueren Freiheit (durch die Zusammenstimmung mit sich selbst, wenn

ihre Maxime zum allgemeinen Gesetz gemacht wurde), d.i. mit dem Recht zu tun” (MS 509). Hier meint Kant offenbar, da8 Institutionen solche des ,,Rechts”

sind, wenn

sie es durch Zwangssanktionen

ermég-

lichen, da8 alle nach der Maxime handeln kénnen, nach der einer handelt. Handlungen einer Person sind also rechtlich, wenn sie aus Maximen folgen, deren Befolgung durch alle bei entsprechender auerer Gesetzge169 Ilting hat eine ,Identitat zwischen der Struktur des Rechtsgrundsatzes und des

moralischen Grundsatzes bei Kant” behauptet (Diskussionsbeitrag in: Recht und Ethik. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert, hrsg. v. J. Bliihdorn u. J. Ritter, Frankfurt (‘70) S. 64). Ilting fiihrt dies auf den Einflu8 von

Hobbes zuriidc (vgl. sophie

der

Neuzeit,

auch K.-H. Ilting (‘64), Hobbes und die praktische Philoin:

Philosophisches

Jahrbuch

der

Gérres-Gesellschaft,

S. 92 f). Ahnlich hat Riedel behauptet, da8 Kant die Moralitat aus Prinzipien des Rechts ableitet” (Diskussionsbeitrag, ebd. S. 61). Demgegeniiber hat Kam-

bartel zunachst zu Recht bemerkt, da8 Recht und Moral von verschiedenen Fragen ausgehen (Diskussionsbeitrag ebd. S. 70 f.). Dariiberhinaus 1a48t sich natiirlich ein Begriff eines moralisch akzeptablen Rechts gar nicht ohne einen Begriff des moralisch Richtigen definieren. Offenbar ist der Zusammenhang von Recht und Moral komplizierter, als es die Thesen einer Identitat oder Ableitung der Moral

aus dem Recht annehmen — auch bei Kant.

127

bung und Sanktionierung méglich ist. Das scheint nun nichts anderes zu

besagen als die Formel des kategorischen Imperativs, die u. a. die Gesamteinleitung in die ,,Metaphysik der Sitten” als generelles Moralprin-

zip formuliert: ,,Handle nach einer Maxime, welche zugleich als ein all-

gemeines Gesetz gelten kann” (MS 331).

Man sollte jedoch beachten, da8 Kants Formulierung hier, wie auch sonst 6fters (z. B. KpV 140), unvollstandig ist und da die ,,Grundle-

gung” ausdriicklich sagt, da8 die Formel des kategorischen Imperativs, die davon spricht, ob eine Maxime als allgemeines Gesetz ,,gedacht werden kann”, die Formel ,,der strengen oder engeren (unnachlaBlichen) Pflicht” und die Formel, die nach der Méglichkeit des ,,wollen kénnens”

fragt, die Formel ,,der weiteren (verdienstlichen) Pflicht” ist (GMS

55).

Und diese Unterscheidung scheint nichts anderes als die der Rechts- und Tugendpflichten aus der ,,Metaphysik der Sitten” zu sein. Ich habe jedoch schon gezeigt, da8 die Formel des ,,denken kénnens”

zwar fiir institutionelle und vertragliche Verpflichtungen brauchbar ist, jedoch schon fiir so grundlegende ,,natiirliche” Rechtspflichten wie die Respektierung von Leben und physischer Freiheit durch die des ,,wollen

kénnens” erganzt werden muB8 (s. 1.4). Die Gesetzesformeln gehéren also insgesamt in den Bereich der Rechtspflichten, soweit in ihnen_,allgemeines Gesetz” nicht die Bedeutung eines Naturgesetzes oder eines

nichtjuridischen normativen Gesetzes hat.

Dementsprechend hat Kant in der ,,Metaphysik der Sitten” fiir die Tugendlehre ein Prinzip formuliert, das gegeniiber den Gesetzesformeln der ,,Grundlegung” neu zu sein scheint: ,, Handle nach einer Maxime der

Zwecke, die zu haben fiir jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann” (MS 526). Hier geht offenbar Kants Lehre ein, da8 die Tugendlehre da-

durch definiert ist, da8 sie gewisse Zwecke und nicht blo® Handlungen als Pflichten vorschreibt. Das ist nun, besonders im Rahmen

von Kants

strengem Pflichtbegriff, eine hdchst problematische These; jedenfalls erfat sie nicht den Gesamtbereich der Pflichten, die iiber die Rechtspflich-

ten hinausgehen. Kant erlautert sein Prinzip der Tugendlehre auch sogleich im Sinne der Formel der ,Grundlegung” »Zweck

an sich selbst”

in jeder Person.

Da

von der Menschheit als

die Zweckformel

nun

der

Sache nach ein Konsensprinzip ist (s. 1.5 S. 80 ff.), meint die geforderte

Qualifikation der Maxime, eine solche zu sein, ,,die zu haben fiir jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann”, offenbar, da8 jeder dem rationalerweise zustimmen kann, da8 sie ein allgemeines Gesetz wird *”. 170 Gregor deutet Kants Prinzip der Tugendlehre in der ,,Metaphysik der Sitten” in Fortfiihrung des Ansatzes von Paton durch den Begriff des ,Systems der Zwecke der reinen praktischen Vernunft”. Dieser solle denen des ,Reichs der Zwecke” aus der ,Grundlegung” und des ,,hichsten Gutes” aus der ,Kritik der

128

Nun hat sich aber ebenfalls gezeigt, da8 die Zweckformel als Prinzip allgemein mdglichen Konsenses eine notwendige Erginzung fiir die Gesetzesformel schon fiir den Bereich des Rechts darstellt (s. 1.5). Sie ist also auch nicht geeignet, Tugend- von Rechtspflichten zu unterscheiden. Tatsachlich sagt Kant in mehr exoterischen Kontexten auch ganz deut-

lich, da& sein Rechtsbegriff auf dem eines (kontrafaktisch rationalen) Vertrags beruht '", und so kann man auch schon einige seiner Definitio-

nen in der Einleitung zur ,,Rechtslehre” lesen '*. SchlieBlich unterscheidet Kant auch noch eine schwachere

und

eine

starkere Fassung der Zweckformel. Aber diese Versuche sind ebenfalls nicht haltbar (vgl. 1.5 S. 81). Kants kategorischer Imperativ ist also in jedem Fall nur ein Prinzip fiir Rechtspflichten, falls ,,allgemeines Gesetz” nicht im Sinne des Naturgesetzes oder eines nichtjuridischen normativen Gesetzes verstanden wird. Da8 Kant aber ,,allgemeines Gesetz” vorwiegend im Sinne von Rechts-

gesetz meint, dafiir spricht schon seine Rede vom ,,Selbstzwang” im mo-

ralischhen Bewu8tsein, in Analogie zum du8eren Zwang im Recht (MS

508 Anm.). Moralisches Bewuftsein ist damit sozusagen als internali-

siertes Recht vorgestellt, nicht etwa nur als internalisierte moralische Sanktion durch andere. Man kénnte allerdings diese Konsequenz dadurch unterlaufen, da8 man hier ,,du8eren Zwang” auch als moralische

Sanktionierung durch andere versteht. Vielleicht das wichtigste Argument dafiir, da8 Kant mit ,,allgemeinem Gesetz” vorwiegend ,,juridisches Gesetz” meint, liegt nun gerade in der praktischen Vernunft* entsprechen (Gregor, S. go f.). Gregors These la8t sich aber der Sache nach nur wieder konsens- oder vertragstheoretisch rekonstru-

ieren.

171 Kant, Zum ewigen Frieden, W VI, S. 204 Anm.; ders., Gemeinspruch S. 68, 70. Murphy versucht folgende Rekonstruktion des generellen Kriteriums fiir rechte Handlungen: ,X ist eine rechte [engl.: right] Handlung dann und nur dann, wenn die Maxime von X, falls sie ein allgemeines Gesetz ist, der Freiheit jedes

individuellen Vernunftwesens nicht widerstreiten wiirde, seine Zwecke im Han-

deln so weit zu verfolgen, als diese Zwecke nicht die Verneinung der Freiheit fiir andere einschlie8en, ihre wesentlichen Zwecke zu verfolgen — Gliick und Vollkommenheit” (Murphy, S. 103). Diese Formel ist jedoch unvollstandig, da sie die besagte Freiheit flir andere nicht wiederum durch ein ,,soweit, als...” einschrankt. Dadurch wiirde sie allerdings zirkular. Dieser Zirkel kann wohl nur durch ein Konsensprinzip im Sinne von Kap. 1.5 vermieden werden. 172 Kants Kriterium fiir die Rechtlichkeit eines Vertrages lautet etwa, ob dadurch »die Handlung eines von beiden sich mit der Freiheit eines andern nach einem

allgemeinen Gesetze zusammen vereinigen lasse” (MS 337). Das ist wohl weniger die Frage danach, ob der eine wollen kann, da der andere nach seiner xime der Willktir handelt, sondern eher, ob beide dem zustimmen kénnen, jeder handeln will. Explizit vertragstheoretisch argumentiert Kant indessen in seiner Lehre vom ,éffentlichen Recht“ (MS 434), nicht in seiner Lehre »Privatrecht* im Sinne des ,,natiirlichen” Rechts (MS 350).

129

Mawie nur vom

positiv erschlieSenden Funktion des Rechtsparadigmas fiir Kants Idee einer rationalen

griff”, ,,Gedanke”

Moral.

Kant meinte

bekanntlich,

da8

der blo&e ,,Be-

bzw. die ,,Form” des kategorischen Imperativs

,,auch

die Formel desselben an die Hand gebe” (GMS 50). Das bedeutet gema8 unserer Interpretation der Formeln des kategorischen Imperativs, da8

darin, da8 es moralisch richtig ist, da8 ich in der Situation S die Hand-

lung H tue, sowohl liegt, da8 es fiir mich richtig ist, da alle, die sich in

S befinden, H tun, als auch — da fiir Kant moralische Richtigkeit unbe-

dingte, genauer: zweckabsolute Richtigkeit bedeutet —, da8 es fiir alle richtig ist, da8 ich (und alle anderen) in S H tun. Diese Thesen, die heutzutage unter dem Titel ,,Universalisierung” oder ,,Generalisierung” diskutiert werden ', sind m. E. durch das Para-

digma des juridischen Gesetzes inspiriert. Wenn

es namlich gesetzlich

erlaubt und also im juridischen Sinne richtig ist, da8 ich in S H tue, so

ist es, gema& der Giiltigkeit juridischer Gesetze fiir alle, auch juridisch

richtig, da8 alle anderen, die sich in S befinden, H tun; und dann ist es

natiirlich auch durch die bloBe Tatsache juridischer Geltung nicht nur fiir

mich, sondern fiir alle juridisch richtig, da8 ich (und alle anderen) in SH tun. Die Ubertragbarkeit dieser Folgerungen auf moralische Richtigkeit hangt nun allerdings zum Teil an Kants These, da8 moralische Richtigkeit praktische Richtigkeit impliziert. Da8 dies indes nicht immer der Fall ist, wird das folgende Kapitel zeigen. Starker als die Argumente dafiir, da8 Kant sich auch noch in seiner Ethik am Paradigma des juridischen Rechts orientiert, sind nun die Belege dafiir, da8 Kant in seiner Ethik an moralischer Rechtsférmigkeit, also Einklagbarkeit und Sanktionierbarkeit orientiert ist. Das stirkste Argument

scheint mir hier wiederum

Kants Rede vom

,,Selbstzwang”

im BewuB8tsein moralischer Verpflichtungen. Denn wenn dies nicht einfach eine Ubertragung des juridischen Modells ins Innere der Person ist, beruht es doch wenigstens auf der Vorstellung von inneren Forderungen, Vorwiirfen und Sanktionen. Aber Verpflichtungen, die mir gegeniiber von keinem anderen legitim moralisch gefordert und sanktioniert werden kénnen, kénnen dies mir gegeniiber auch nicht von mir selbst. Fir Verpflichtungen, die es nur auf der Basis von spontanen Neigungen,

Idealen und Lebensentwiirfen gibt, ist die Vorstellung einer Ausiibung

von Druck, Macht oder Zwang irgendwelcher Art in jedem Fall unange-

messen.

Das Fehlen eines schwachen, nichtrechtsformigen Begriffs von Verpflichtung fallt bei Kants Ethik gerade dadurch besonders ins Auge, da8 Kant auch innerhalb der Tugendpflichten noch zwischen engen und weiteren Verpflichtungen unterscheidet und bei letzteren sogar Fragen der 173

Zusammenfassend s. R. Wimmer, Universalisierung in der Ethik, Frankfurt (‘80).

130

Dankbarkeit, der Empfindung, der Humanitit, der Freundschaft und des Umgangs behandelt. Bekanntlich unterscheidet Kant die Tugendpflichten in die der ,,Achtung” und die der ,,Liebe”. Diese Unterscheidung ist zunachst deshalb erstaunlich, weil Kant

die moralische

Motivation

im allgemeinen

als

»Achtung” versteht, allerdings als ,Achtung vor dem Gesetz”. Aber »Achtung vor dem Gesetz” kann doch verniinftigerweise nur entweder

Achtung vor dem (gesetzm48igen moralischen) Recht von Personen bedeuten oder Achtung vor Personen, die das Gesetz auch dann befolgen,

wenn es ihnen schwerfillt. Da deren Bezug auf das Gesetz nun seinerseits wieder als ,,Achtung vor dem Gesetz” beschrieben werden mii£te,

1a8t sich ein unendlicher Progre& nur vermeiden, wenn deren Achtung die Achtung vor dem Recht ist. Auch die Motivation der Tugenden der wLiebe” kann also nach Kants eigener Lehre nur die Achtung vor dem (moralischen) Recht sein. Nun beziehen sich nach Kant gerade die ,,Tugenden der Achtung” auf

einen ,rechtmaSigen” (MS 600) bzw. ,gesetzmaBigen Anspruch” 603) des Mitmenschen,

(MS

und zwar auf ,ein Recht, worauf er den An-

spruch nicht aufgeben kann“ (MS 602). Achtung sei deshalb etwas, was ein anderer von mir fordern kann” (MS 600, 607). Ahnlich sagt Kant, da8 es zwar kein juridisches Recht auf Billigkeit gebe, aber da8 es sich dabei gleichhwohl um eine ,,Rechtsforderung” (MS 342) handle. Gema8 der Lehre von der ,,Achtung fiirs Gesetz” miiSten demnach alle Tugend-

pflichten moralisch forderbare Verpflichtungen sein. Dieser Konsequenz

kénnte

man natiirlich entgehen,

wenn

man

die

~Achtung vor dem Gesetz” auch als Achtung vor moralisch uneinforder-

baren Rechten anderer versteht. Das ist beziiglich Kants nicht prinzipiell ausgeschlossen, da er manchmal folgenden weiten Rechtsbegriff benutzt: /Aller Pflicht korrespondiert ein Recht, als Befugnis (facultas moralis generatim) betrachtet, aber nicht aller Pflicht korrespondieren Rechte eines anderen (facultas juridica), jemand zu zwingen; sondern diese hei-

8en besonders Rechtspflichten” (MS 512) '. Aber bei der Billigkeit sagt Kant wieder, da es sich keineswegs um einen ,Grund zur Auffordetung [!] blo8 an die ethische Pflicht anderer”, sondern um ein ,,Recht” handelt (MS 341) '*. Ohne diese Unterscheidung entfiele auch wieder die

174 vgl. Kants Vorlesung iiber Ethik: ,Das Jus zeigt die Notwendigkeit der Handlungen aus Befugnis oder aus Zwang. Die Ethik zeigt aber die Notwendigkeit der Handlungen aus der inneren Verbindlichkeit, die aus dem Recht anderer entspringt, sofern man dazu nicht gezwungen wird” (Vorlesung 267). 175 Kants Vorlesung iiber Ethik unterscheidet zwar ahnlich zunachst ,,Pflichten des Wohlwollens, der Giitigkeit” und ,,Pflichten der Schuldigkeit, der Gerechtigkeit” (Vorlesung 242), kommt dann jedoch zu dem Ergebnis: ,Demnach sind selbst

die Handlungen der Giitigkeit Handlungen der Pflicht und Schuldigkeit, die aus dem Recht anderer entspringen” (Vorlesung 246, vgl. 298).

131

Unterscheidung von Tugenden der Achtung und der Liebe, falls man nun nicht bei der Bestimmung der Tugenden der Achtung (und der Billigkeit) den Akzent darauf legt, da8 hier davon die Rede ist, da8 sie ,,ein anderer von mir fordern kann” (MS 600, 607, 342). In diesem Sinne kénnte man eine Bemerkung Kants bei der Behandlung des Zwecks der fremden Gliickseligkeit als Pflicht verstehen, der zwar nach Kant fiir den Begriff der Tugendpflicht gegeniiber anderen im allgemeinen, aber der Sache nach doch wohl fiir die Tugendpflichten der

Liebe spezifisch ist. Kant sagt dort, da8 ,niemand anders ein Recht hat,

von mir Aufopferung meiner nicht unmoralischen Zwecke zu fordern”

(MS 518). Aber damit will Kant nur begriinden, da8 die eigene Gliickseligkeit zu beférdern ein erlaubtes Mittel sein kann, um Zwecken zu dienen, die zugleich Pflicht sind. Weiterhin sagt Kant, da8 ,,ein anderer aus seinem Rechte wohl Hand-

lungen nach dem Gesetz, aber nicht, da8 dieses auch zugleich die Triebfeder zu demselben enthalte, von mir fordern kann” (MS 521). Aber letzteres mag

zwar

,,verdienstlich” sein, aber eine moralische Verpflich-

tung dazu gibt es entgegen Kants Meinung offenbar nicht. Schlie8lich mu& darauf hingewiesen werden, da& Kant die Rede vom ,,fordern kén-

nen” oft im spezifisch juridischen Sinne versteht (MS 339) und da8 er

andererseits auch beziiglich von Liebespflichten vom ,,Grund zur Auffor-

derung” blo& an die ethische Pflicht anderer (MS Da& Kant engere Pflichten als ,strenge” (GMS »schuldige” (GMS 61, MS 584) von weiteren kénnte zwar die Erwartung wecken, da8 er dabei werforderlichen”, im Sinne von

341) spricht. 55), ,notwendige” und Pflichten unterscheidet, die Unterscheidung von

,,forderbaren”, und ,,unerforderlichen”

Verpflichtungen im Auge hat. Die weiteren Pflichten bestimmt Kant demgegeniiber aber als ,zufillige” (GMS 62) oder _,,verdienstliche” (GMS 62, MS 584) Pflichten. Und wahrend die Rede von _,,zufalligen” Pflichten gar keinen Sinn macht, teilt Kant die Pflichten gegen andere ein win Pflichten gegen andere, sofern du sie durch Leistung derselben zugleich verbindest, und in solche, deren Beobachtung die Verbindlichkeit anderer nicht zur Folge hat. — Die erstere Leistung ist (respektiv gegen andere) verdienstlich; die der zweiten ist schuldige Pflicht” (MS 584). Der Unterschied der Pflichten besteht also bei Kant gar nicht in der Art der Verpflichtung zu der betreffenden Handlung, sondern in der moralischen Folgeverpflichtung, die durch den Vollzug der Handlung erst entsteht '* (zum Begriff der ,,verdienstlichen Pflicht” vgl. 4.5, S. 139 f.). 176

Eisenberg hat die zitierte Definition Kants folgendermafen interpretiert: Mit anderen Worten, der Handelnde tut nur seine Pflicht; aber weil der Empfanger der Wohltat in diesem Bereich nach Kant keine Rechte hat, mu& er die Handlung als verdienstlich und den Handelnden als jemand ansehen, der mehr oder anderes tut, als die Pflicht verlangt” (P. D. Eisenberg, From the Forbidden to the

132

Man mu8 allerdings beriicksichtigen, da8 Kant es im Sinne seiner ~Methodenlehre der reinen praktischen Vernunft” schon padagogisch fiir geboten hielt, alle moralisch guten Handlungen als solche strenger Pflichten vorzustellen'”. Kant meinte auch: ,Je weiter die Pflicht, je unvoll-

kommener also die Verbindlichkeit des Menschen zur Handlung ist, je naher er gleichhwohl die Maxime der Observanz derselben (in seiner Gesinnung) der engen Pflicht (des Rechts) bringt, desto vollkommener ist seine Tugendhandlung” (MS 520). Und Kant fragt schlie8lich am Ende seiner Behandlung der Liebespflichten: ,,Wiirde es mit dem Wohl der Welt iiberhaupt nicht besser stehen, wenn alle Moralitat der Men-

schen nur auf eingeschrankt, Es ist nicht so der Menschen

Rechtspflichten, doch mit der gré8ten Gewissenhaftigkeit das Wohlwollen aber unter die Adiaphora gezahlt wiirde? leicht zu iibersehen, welche Folge es auf die Gliickseligkeit haben diirfte. Aber in diesem Fall wiirde es doch wenig-

stens an einer gro8en moralischen Zierde der Welt, namlich der Men-

schenliebe fehlen, welche also fiir sich, auch ohne die Vorteile (der Gliic&k-

seligkeit) zu berechnen, die Welt als ein schénes moralisches Ganze in ihrer ganzen Vollkommenheit darzustellen erfordert wird” (MS 595). Kants Antwort auf die selbstgestellte Frage zeigt jedoch nur, da8 er

hier ,Wohlwollen” nur als altruistische Neigung, nicht aber als Gegen-

stand einer moralischen Verpflichtung sieht. Auch wenn dies mit seiner eigenen Theorie der Liebespflichten vereinbar sein sollte '", so jedenfalls nicht mit den Phanomenen. Und wie immer man Kants Vorstellungen zur moralischen Padagogik und zur Selbsterziehung zur Tugend beurtei-

len mag, so haben sie eben sicherlich dazu beigetragen, da8 Kant sich die

Frage nach der Weise der Verbindlichkeit nicht-strenger Verpflichtungen nicht wirklich gestellt hat '” und an einem generellen Begriff von Pflicht Supererogatory: The Basic Ethical Categories in Kants ,Tugendlehre”, in: Ame-

rican Philosophical Quaterly (‘66) S. 266 f. Das kime meinem Begriff nichtforderbarer Verpflichtungen nahe. Kant unterscheidet aber mit dem ,respektiv

gegen andere” gar nicht verschiedene Aspekte der Handlung relativ auf die Gesichtspunkte der Personen, sondern sagt nur, da8 die Handlung gem4& dienstlichen Pflicht gegen andere diese verbindet.

177 Kant

der ver-

spricht in seiner ,Methodenlehre der reinen praktischen Vernunft”

»edien (iiberverdienstlichen) Handlungen“ (KpV 291) und Pflichten* (KpV 297). 178 Zur Pflicht der Maxime des Wohlwollens s. MS 587.

179 In seiner Vorlesung iiber Ethik hat sich Kant noch mit

von

,auSerwesentlichen

Baumgartens

Unter-

scheidung von ,obligatio activa” und ,obligatio passiva” auseinandergesetzt. Der Begriff der obligatio activa ist anscheinend mit dem der nichtforderbaren Verpflichtungen verwandt, weil er Verpflichtungen zu Handlungen betrifft, die nicht

Verpflichtungen

gegeniiber

den betroffenen Menschen

sein

sollen, Kant

be-

hauptet aber, da8 jede obligatio insofern obligatio passiva sei, als sie tiberhaupt Verpflichtung ist, und insofern obligatio activa, als sie durch die Vernunft gesetzt ist. Fiir Kant ist die Unterscheidung daher letztlich ,nicht erheblich”

(Vorlesung 25).

133

festgehalten hat, der an den Paradigmen des juridisch legitimen Befehls und Zwangs oder jedenfalls der legitimen moralischen Forderung und Sanktion orientiert bleibt und ihm zu Recht den Vorwurf des ,,Rigorismus” eingebracht hat. Es macht deshalb den Eindruck eines iiberzogenen Moralismus, wenn

Kant von der Pflicht zur Dankbarkeit (MS 592) und Versthnlichkeit (MS 599) und von einem moralischen Notrecht in dem beriihmten Beispiel des gemeinsamen Schiffbruchs (MS 343 f.) spricht. Und Kant geht sicher zu weit, wenn er behauptet, ,da8 Freundschaft

unter Menschen

Pflicht derselben ist” (MS 608) *. Andererseits wirkt es kaum iiberzeugend, wenn Kant etwa behauptet, da es keine Verpflichtung zum Mitleid gibt, sondern nur einerseits eine Pflicht zu ,dem Vermégen und Willen, sich einander in Ansehnung seiner Gefiihle mitzuteilen” (MS 594), und andererseits eine ,,indirekte Pflicht, die mitleidige natiirliche (asthetische) Gefiihle in uns zu kultivieren, und sie, als so viele Mittel zur Teilnehmung aus moralischen Grundsatzen und dem ihnen gema8en Gefiihl zu benutzen” (MS 595). 4.5 Zum Konzept iibererforderlicher

moralischer Verpflichtungen und Rechte

Hegels Ideen zu einer sittlichen Moralitat der Institutionen und seine Sollenskritik grundsatzlichen Bedeutung zur Definition — wichtige Ansitze zu einer Theorie der

bens, die iiber die Phanomene

jenseits der Rechtsform und sind — abgesehen von ihrer des Moralitatsbegriffs (s. 4.3) Aspekte des moralischen Le-

von Recht und Pflicht hinausgehen, die

zunachst zu Recht die Aufmerksamkeit des Moralphilosophen absorbieren. Diese Aspekte bestimmen zum Teil schon die traditionelle Unterscheidung von Pflichten- und Tugendlehre. Bei Kant wird daraus die Unterscheidung von engeren und weiteren Pflichten, und zwar von Rechts- und Tugendpflichten einerseits, von Tugendpflichten der Ach180

Aus einer angeblichen Pflicht zur Freundschaft haben die Jakobiner sogar juridische Konsequenzen gezogen: ,,Wenn ein Mann einen Freund verla&t, ist er gehalten, auf die Aufforderung eines Biirgers oder des Altesten hin seine Griinde hierfiir vor dem Volk im Tempel darzulegen. Die Freunde diirfen ihre gegenseitigen Verpflichtungen nicht schriftlich niederlegen, noch diirfen sie gegeneinander Proze& fiihren. Freunde stehen in der Schlacht Seite an Seite. Wer sagt, er glaube nicht an die Freundschaft, oder wer keine Freunde hat, wird in Bann getan” (Saint-Just, Fragmente iiber die republikanischen Institutionen, zit. nach: P. Bertaux, Hélderlin und die Franzdsische Revolution, Frankfurt (‘69) S. 164). Einen Zusammenhang von rechtsférmiger Moral und Jakobinismus habe ich nachzuweisen versucht in meinem Aufsatz: Hegels Kritik des Jakobinismus, in: Aktualitat und Folgen der Philosophie Hegels, hrsg. v. O. Negt, Frankfurt (‘7o).

134

tung und der Liebe andererseits. Im deutschen Idealismus wird dann die

Problematik einer niederen von der einer ,héheren”

Moralitat unter-

schieden. In der Wertethik wird daraus ein Teilbereich der Frage nach der Rangordnung der ethischen Werte. In der zeitgenéssischen angelsichsischen Philosophie schlie8lich wird die Problematik unter dem Titel /supererogation” bzw. ,,supererogatory” diskutiert '*.

7Supererogatory” bedeutet nun dem Wortsinne nach ,,iibereinforder-

bar, itberforderbar, iibereinklagbar” oder glatter ,,iibererforderlich” '. Es

wird jedoch mit ,iibergebiihrlich” iibersetzt '* und meistens zur Bezeich-

nung moralischer Phanomene jenseits aller Verpflichtungen und Rechte

verwandt, manchmal jedoch so weit verstanden, da8 darunter auch zwar

nicht juridisch, aber moralisch (negativ) sanktionierbare Prinzipien fallen **. Nicht einmal unter dem Titel ,supererogation” scheint also heute

die Idee moralisch nichteinklagbarer und nichtsanktionierbarer Verpflichtungen und Rechte anerkannt ". Bevor ich zu dem zweiten Aspekt von Hegels Theorie nichtinstitutioneller Sittlichkeit itibergehe, mdchte ich des-

181 J. O. Urmson, Saints and Heroes, in: Essays in Moral

Melden, Doing

Seattle

Philosophy, ed. by. A. 1.

(’58); J. Feinberg ('61), Supererogation

and Rules,

in: ders.,

and Deserving. Essays in the Theory of Responsibility, Princeton

(’70);

ders., (63), Justice and Personal Desert, ebd.; R. Chisholm (’63); G. R. Grice,

Kap.IV; D. A.J. Richards, A Theory of Reasons for Action, Kap. XI. 182 Der Ausdruck ,erforderlich” ist natiirlich nicht eindeutig, weil er moralische Bedeutung hat (,erforderlich fiir etwas”). Zudem ist schied zu ,einforderbar” so schwach, da8 man kaum sagen kann,

Oxford

(’71)

auch eine vorer im Unterman sei zwar

verpflichtet, etwas zu tun, aber es sei nicht erforderlich, dies zu tun. 183 Chisholms Aufsatz z. B. wurde in der deutschen Ausgabe von ,,Ratio” mit ,,Ober-

gebiihrlichkeit und Ansté8igkeit” iibersetzt (engl.: Supererogation and Offence). 184 So bei Richards a.a.O. 185 Richards unterscheidet allerdings ,principles of supererogatory blame” von einem ,principle of supererogatory praise” und sagt, da8 die Handlungen ge-

m48 diesem auSerhalb des Bereichs der Handlungen fallen, ,die man legitim

von andern fordern [verlangen, engl.: demand] und fiir deren Unterlassung man sie wenigstens tadeln kann. Es reprasentiert sozusagen den Bereich moralischer Gunst [engl.: moral grace] — wo man etwas geben mag, was andere nicht fordern kénnen” (Richards, S. 208, vgl. 237, 240). Der Umfang dieses Prinzips supererogatorischen Lobes entspricht auch weitgehend dem der nichtforderbaren Verpflichtungen in meinem Sinn (vgl. Richards, S. 205).

Dankbarkeit sieht Richards allerdings als ein Prinzip

supererogatorischen Ta-

dels an (ebd., S. 209 ff.). Dabei unterscheidet Richards allerdings nicht zwischen

Forderbarkeit bzw. Tadelbarkeit durch die unmittelbar Betroffenen und durch

Dritte. Bei Richards bleibt auSerdem ungeklart, in welchem Sinne bei nichtforderbaren Handlungen Lob moralisch am Platze ist. Damit hangt zusammen, da8

Richards den Begriff der Verpflichtung zugunsten eines nicht hinreichend explizierten moralischen ,ought” vermeidet und nicht mehr zwischen legitimem Altruismus mit und ohne ,,ought” unterscheidet.

135

halb diese Idee in diesem Abschnitt noch gegen einige prinzipielle Einwande absichern. Erstens kénnte man gegen die Merkmale der moralischen Nichtforderbarkeit und Nichtsanktionierbarkeit einwenden, da& sie fiir ,héhere”,

supererogatorische Verpflichtungen gar nicht spezifisch sind. Wenn etwa jemand nach verantwortungsvoller Priifung der Sachlage und nach bestem Wissen und Gewissen das moralisch Falsche tut, so ist es nicht gerechtfertigt, ihn wegen seiner Entscheidung moralisch zu verurteilen '™, ihm moralische Vorwiirfe zu machen oder ihm mit anderen moralischen Sanktionen zu begegnen. Wenn weiterhin jemand Kannibalen dabei an-

treffen wiirde, da& sie sich anschicken, einen Schiffbriichigen zu téten, um ihn zu verspeisen, so ware es zwar sicher moralisch legitim, von diesen zu fordern, das zu unterlassen; aber es ware auch in moralischer

Hinsicht vollkommen sinnlos. Sinnvoll wiirde diese Forderung erst durch die Androhung einer nichtmoralischen Sanktion, insbesondere physi-

schen Zwang **’. SchlieBlich ware es ebenso sinnlos gewesen, von Hitler

moralisch zu fordern, die Ausrottung der Juden zu unterlassen oder einzustellen ™.

Solche Handlung moralisch moralisch Handlung

Umstinde lassen sich vermutlich fiir jede moralisch falsche konstruieren, und sie zeigen deshalb, da8 es beziiglich jeder falschen Handlung Bedingungen geben kann, unter denen es illegitim oder pragmatisch sinnlos ist, ein Vollziehen dieser moralisch zu sanktionieren oder deren Unterlassung moralisch

zu fordern. Aber das zeigt nicht, da8 die Kriterien der moralischen For-

derbarkeit und Sanktionierbarkeit zur Unterscheidung von engeren und weiteren Verpflichtungen unbrauchbar sind. Denn mit ihnen ist natiirlich gemeint, da8 es auch von jemand, der verniinftige moralische Grundsatze hat, kein unbelehrbarer Schurke oder Fanatiker ist und keinem Irrtum unterliegt, nicht immer moralisch legitim und praktisch sinnvoll ist, das

moralisch zu fordern, wozu er moralisch verpflichtet ist, bzw. seine Handlungen moralisch zu sanktionieren, falls sie moralisch falsch sind.

Diese Intention kommt

am besten in der Rede

von ,,iibereinforderbar”

oder ,,iibererforderlich” zum Ausdruck. Der Bereich uneinforderbarer Verpflichtungen ]a&t sich also iiber das Gebiet der Moral nicht so weit ausdehnen, da8 das Konzept unspezifisch wird. Trotzdem kénnte er weniger spezifisch sein, als hier in An-

186 vgl. R. Brandt ('67), Ethical Relativism, in: The Encyclopedia of Philosophy, ed. by P. Edwards, S. 75. 187 In gewisser Hinsicht ist es sogar sinnlos, den Kannibalen gegeniiber auch nur zu sagen, da8 es moralisch falsch ist, ihr Opfer zu téten, vgl. G. Harman ('75), Moral Relativism Defended, in: The Philosophical Review, S. 5. 188 Zu diesem Beispiel vg]. Harman (’75) S.7 f.

136

spruch genommen wird. Bei den Beispielen im vorigen Abschnitt habe ich jeweils gefragt, ob die Nichtforderbarkeit nur eine solche durch den

Adressaten der Handlung oder eine solche auch durch Dritte, also durch jeden ist. Im ersten Fall, wie bei Verzeihung, Dankbarkeit, Mitleid usw.,

habe ich auch darauf hingewiesen, da8 es hier nicht primar darum geht,

da& es moralisch nicht berechtigt ist, die entsprechenden Handlungen moralisch zu fordern, sondern da8 es auch pragmatisch widersinnig ist, dies zu tun. Das kénnte man dahingehend verscharfen, da8 es eine mo-

ralische Illegitimitat der moralischen Forderung zur Erfiillung einer Verpflichtung héchstens gegeniiber dem gibt, demgegeniiber die Verpflichtung gilt. Die Méglichkeit aber, da8 es lediglich pragmatisch sinnlos ist, eine giiltige moralische Verpflichtung moralisch einzuklagen, besteht in bezug auf jede moralische Verpflichtung; dies ist namlich immer dann pragmatisch sinnlos, wenn man wei, da8 der Adressat der Forderung sich von dieser Forderung doch nicht beeinflussen la8t — aus welchen Griinden auch immer. Die Sinnlosigkeit der Forderung nach Verzeihung, eigentlicher Dankbarkeit, Mitleid usw. ist jedoch nicht von kontingenten Umstanden abhangig, etwa einer zynischen Haltung des Adressaten der Forderung. Ich habe deshalb davon gesprochen, da8 solche Forderungen ,,widersinnig” sind. Allerdings méchte ich hier die Frage nicht entscheiden, ob eine Forderung nach Mitleid, Verzeihung usw. immer sinnwidrig ist. Vielleicht ist sie in persénlichen Beziehungen sinnvoll, sofern sie als Ausdruck eines bestimmten Verstindnisses und einer bestimmten Konzeption der Beziehung verstanden wird; sie wiirde dann in dem Augenblick widersinnig, wo sich diese Konzeption als irreal herausstellt. Aber diese Fragen kann ich hier einer noch wenig entwickelten Disziplin der praktischen Philosophie iiberlassen: der Pragmatik moralischer Kommunikation. Von dieser hangt wohl auch ab, ob von dem pragmatischen Widersinn gewisser moralischer Forderungen noch deren Illegitimitat im Munde dessen, demgegeniiber die Verpflichtung gilt, unterschieden werden mu8&. Hier geniigt, da& das Konzept der Nichtforderbarkeit gegeniiber dem Adressaten, also dem Subjekt der Verpflichtung, spezifisch genug bleibt. Gegen die Idee der moralischen Nichteinklagbarkeit und Nichtsanktionierbarkeit von Verpflichtungen kénnte man schlieflich einwenden, da8 sie nur auf besonders ausgepragte Falle von juridischer Nichteinklagbarkeit und Nichtsanktionierbarkeit zuriickgeht. Juridische Nichteinklagbarkeit und Nichtsanktionierbarkeit von Handlungen la&t sich vertragstheo189

Den Anfang dazu haben Stevenson und Austin gemacht (cf. J. L. Austin, Ein Pladoyer fiir Entschuldigungen, in: Analytische Handlungstheorie Bd. 1. Handlungsbeschreibungen, hrsg. v. G. Meggle, Frankfurt (77); vgl. Anm. 156).

137

retisch so verstehen, da8 es im Urzustand der Gleichheit bzw. in jedem

gerechten Zustand nicht fir alle zweckmaBig ist, dieselben einzufiih-

ten'™. So ist eine juridische Sanktionierung von Prinzipien der Héflichkeit, der gegenseitigen Achtung und der persénlichen Hilfe im vertragstheoretischen Ausgangszustand unzweckma&ig, und zwar nicht nur

deshalb, weil solche Sanktionen ineffizient bleiben wiirden, sondern auch, weil der Nachteil, der durch diese Sanktionierung entstehen wiirde, den

Vorteil, der in einer angenommenen Einhaltung dieser Prinzipien bestiinde, iiberwiegen wiirde. Diese Argumentation ist jedoch nur zur Unterscheidung juridischer und moralischer Sanktionierbarkeit sinnvoll. Beziiglich Verzeihung, Dankbarkeit, Mitleid und insbesondere

persénlichem Opfer, Lebensri-

siko, Treue usw. sind Zwangssanktionen nicht nur deshalb illegitim, weil

es in einem gerechten Zustand nicht fiir jeden zweckmaGig wire, sie per Vertrag einzufiihren, sondern weil es den Interessen von jedem widerstreiten wiirde,

sie auf irgendeine

Art

zu vereinbaren und

zu sanktio-

nieren. Da fiir sie die vertragstheoretischhe Argumentation von vornherein entfallt, konnen sie nicht blo8 Extremfille von juridischer Nichtsanktionierbarkeit sein. Gegen die Idee nichteinklarbarer Verpflichtungen kénnte nun zweitens eingewandt werden, da& es sich bei den nichteinklagbaren morali-

schen Phanomenen gar nicht um moralische Verpflichtungen oder Pflichten, sondern um

Phanomene

einer schwacheren moralischen

Modalitat

handelt. Schon Urmson hatte fiir supererogatorische Handlungen den Begriff der Pflicht abgelehnt. Chisholm

definiert

,,supererogation”, wie

alle anderen moralischen Modalitaten, durch die — undefinierten — Be-

griffe des (moralisch) Guten und Schlechten . Obwohl schlieBlich Richards dazu auch und vor allem Prinzipien zahlt, die durch Tadel mora-

lisch legitim sanktionierbar sind, lehnt er fiir sie die Begriffe ,,Pflicht” (duty) und ,,Verpflichtung” (obligation) ab; ihre ethische Modalitat fa8t er allerdings als ein moralspezifisches ,,sollte” (ought) . Die Frage nun, ob man beziiglich der supererogatorischen Geltungs-

modalitat von ,,Verpflichtung” sprechen soll, ist natiirlich zum Teil eine

Frage der linguistischen Analyse oder der terminologischen Festsetzung. Die Begriffe ,,Pflicht” und ,,duty” beziehen sich umgangsspradhlich primar auf Anforderungen und usw.

und die Begriffe

Erwartungen in Amtern, Berufen, Rollen

,,Verpflichtung”

und

,,obligation” auf normative

Folgen des institutionellen Handelns, insbesondere auf solche Folgen aus privaten Vertragen; man kénnte ,,Verpflichtung” insofern gut mit dem 190

Das ist die Position von Richards, S. 103, 203 f.

191 Chisholm (’63) S.9.

192 Richards, Kap. XII.

138

u.a. bei Kant gebrauchlichen Terminus als ,,Schuldigkeit“ erlautern. Der Begriff der ,,Pflicht” bezieht sich aber auch schon gangig auf strenge vor-

institutionelle

Normen

wie

die

Respektierung

von

Menschenrechten;

man spricht dann auch von ,,natiirlichhen” Rechten und Pflichten. Wenn

Hegel nun in seiner Theorie der Moralitat und des Gewissens gegeniiber dem Kantischen Begriff der ,,Pflicht” nicht nur vom ,,Guten“, sondern auch von ,,Verpflichtung” spricht (Rph § 133), so kénnte man darin vor allem den Hinweis auf institutionelle oder institutionalisierbare Aspekte der wahren Moralitaét sehen. Aber ebenso wenig wie beim Begriff der

»Pflicht” sehe ich einen Grund, den Begriff der ,,Verpflichtung” auf diese

primdre, enge Bedeutung zu reduzieren. Der scharfste Einwand gegen die Idee nichteinklagbarer Verpflichtungen beruht nun darauf, da8 der Begriff der moralischen Verpflichtung,

der Pflicht, der Sittlichkeit usw. auf den des moralischen Rechts und die-

ser auf den der moralischen Legitimitat der Sanktionierung durch Zwang

zuriickgefiihrt wird. Diese Position ist in klassischer Weise von J. St. Mill

vertreten worden’, Dabei beruft sich Mill darauf, da8 jedes Verhalten,

das einer moralischen Verpflichtung zuwiderlauft, das Bediirfnis in uns

wachruft, den Tater zu einem anderen Verhalten zu zwingen, und es uns

bedauern lat, wenn wir dazu nicht in der Lage sind. Das

scheint

mir jedoch

bei Handlungen,

die nichtsanktionierbaren

moralischen Regeln widersprechen, iiberhaupt nicht der Fall zu sein; und wenn es beziiglich sanktionierbarer Regeln wie denen der Héflichkeit, Freundlichkeit, Achtung, gegenseitigen Hilfe usw. der Fall ist, so besagt

das nicht, da sich diese Reaktion bei naherer Uberlegung moralisch vertreten la8t. Zwangssanktionen sind schon in diesen Fallen nicht nur

moralisch

falsch,

weil

ihre

Institutionalisierung

unter

utilitaristischen

Gesichtspunkten unzweckma&ig, sondern weil sie moralisch unakzepta-

bel ware. Folglich kann der Begriff der moralischen Verpflichtung nicht auf den der legitimen Sanktionierbarkeit durch Zwang zuriickgefiihrt werden. Da& erst recht die Phanomene der Supererogation nicht durch das Kriterium der legitimen Zwangssanktion bestimmt werden kénnen,

ist also a forteriori kein Argument dagegen, da& es sich um Verpflichtun-

gen handelt. Da nun weiterhin der Begriff der Negation

der moralischen

Supererogation

wesentlich durch

Sanktionierbarkeit bestimmt ist, konnte man

die These, da& es sich dabei nicht um Verpflichtungen handelt, nun noch

dadurch beweisen, da man eine Definition der Supererogation vorlegt, die ohne die Begriffe der Verpflichtung bzw. Pflicht auskommt.

Kant definiert bekanntlich seine Tugendpflichten, insbesondere die der Liebe, als ,,verdienstliche” Pflichten. Was hier verdient werden kann, 193 J. St. Mill, Der Utilitarismus, Stuttgart (’76) Kap. V.

139

sind offenbar nicht materielle Werte, sondern sozusagen ,moralische Belohnungen”, insbesondere Lob und Sympathie. ,,Verdienen“ kann dabei in einem starkeren und in einem schwacheren Sinne verstanden wer-

den. Entweder es meint, da ein Recht auf die moralische Belohnung er-

worben wird, oder es meint lediglich, da8 eine moralische Belohnung

moralisch motiviert ware ™. Der letztere Sinn ist aber zu schwach, denn

moralisches Lob ist auch bei jeder Handlung moralisch motiviert, die den

strengen Pflichten — insbesondere bei widerstreitenden Interessen — Geniige tut und mit den weiteren nur nicht kollidiert. Und der erstere Sinn ist zu stark, wenn er eine strenge Pflicht implizieren wiirde, die Handlung moralisch zu loben '*. Denn dann wire es moralisch legitim, jeman-

den zu tadeln, weil er es unterla&t, denjenigen zu loben, der moralisch

verdienstvoll handelt. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall. Es scheint jedoch eine moralisch nichteinklagbare und nicht (negativ) * sanktionierbare Verpflichtung zu geben, jemanden zu loben, der sich moralisch ,,verdienstvoll” verhalten hat. Der Versuch, ,Supererogation“ durch morali-

sches Verdienst zu definieren, setzt also den Begriff der uneinklagbaren Verpflichtung in Wahrheit voraus.

Demgegeniiber kénnte man versuchen, eine supererogatorische Hand-

lung dadurch zu definieren, da

es moralisch motiviert ist, sie zu loben,

und moralisch verboten ist, ihre Unterlassung zu tadeln. Diese Defini-

tion ist aber auch noch zu weit, weil sie auf jede moralisch ,gute“, d.h. erlaubte und altruistische Handlung zutrifft'”. Es gibt offensichtlich moralisch

erlaubte altruistische Handlungen,

fiir die es keinerlei Ver-

pflichtung gibt. Gerade sie sind sogar im besonderen Mafe moralisch

lobenswert,

liebenswert und erfreulich. Aber das hindert nicht, da8 es

194 Das scheint die Position von Richards zu sein; er spricht sogar noch schwacher davon, da8 bei Wohltaten Lob ,gerechtfertigt” ist (Richards, S. 209). 195 Letzteres ist die Meinung von E. Schwarz, der nach Chisholm Meinongs Begriff

der Verdienstlichkeit einer Handlung definiert durch: ,mu8 gelobt werden und

darf nicht getadelt werden” (Chisholm ('63) S. 6). 196 Wenn man den Begriff der Sanktion so gebraucht, da8 es positive und negative Sanktionen geben kann, so fallen die Klassen der nichteinklagbaren und der nichtsanktionierbaren Verpflichtungen nicht mehr zusammen. Denn natiirlich ist es legitim und sogar moralisch motiviert, nichteinklagbare Handlungen ,positiv zu sanktionieren”. Wenn hier ,nichteinklagbar” und ,nichtsanktionierbar” gleichgesetzt werden, ist also genauer ,nicht negativ sanktionierbar” gemeint.

Aber mir scheint die Rede von ,positiven Sanktionen” zu kiinstlich, als da8 ich

darauf terminologisch dauernd Riicksicht nehmen will. 197 Das scheint auch Chisholm bei seinem Versuch zu iibersehen, eine supererogatorische Handlung als etwas zu definieren, ,was zu tun gut und was nicht zu tun weder gut noch schlecht ware” (Chisholm (‘63) S.9). Hier racht sich m. E. Chisholms Ausgang von den undefinierten Begriffen (moralisch) ,gut” und wschlecht”.

140

eine engere Klasse von moralisch erlaubten altruistischen Handlungen gibt, fiir deren Unterlassung man zwar nicht getadelt werden darf, zu deren Tun man jedoch in einem schwachen Sinn verpflichtet ist. Es scheint demnach keine hinreichend prazise bzw. differenzierte Theorie der Supererogation mdglich, die ohne den Begriff der Verpflichtung auskame. Die Existenz supererogatorischer Verpflichtungen kénnte jedoch mit folgendem Argument bestritten werden. Es kénnte zugegeben werden, da es Falle von Supererogation gibt, in denen eine Verpflichtung erlebt, gespiirt, gefiihlt wird. Aber da8 diese Verpflichtung wirklich existiere, impliziere doch, da8 fiir sie eine Begriindung angefiihrt werden kénne,

da dies zu jeder Form von ,,Richtigkeit”, also auch der moralischen, ge-

hért. Ersteres sei jedoch nicht der Fall. Denn

man

kénne nicht mehr

sagen, als da& der eine sich verpflichtet fiihlt, z. B. fiir einen anderen sein Leben zu riskieren, der andere aber nicht.

Gegen diesen Einwand geniigt nicht die im Prinzip richtige Verteidigung, da8 das Kriterium dafiir, ob eine Verpflichtung vorliegt, letzten Endes nur darin liegen kann, ob deren Evidenz bei gewissenhaftester Selbstreflexion jedem ernsthaften Zweifel standhalt’*. Denn zum Begriff der moralischen Verpflichtung gehéren mindestens auch Prinzipien der Verallgemeinerung, die es erstens ausschlieSen, da8 die Handlung

einer Person nur fiir diese moralisch richtig ist, fiir die anderen jedoch

nicht, und zweitens ausschlie8en, da8 in einem Fall oder bei einer Person

eine Verpflichtung vorliegt, im anderen Fall oder bei einer anderen Person jedoch nicht, ohne da8 dafiir ein Grund angegeben werden kénnte (vgl. 4.4 S.130). Dies scheint jedoch etwa bei der Verpflichtung zum heroischen Lebensrisiko oder zu einem heiligmaSigen Opfer der Fall zu sein. Tatsachlich gibt es jedoch einen Grund fiir eine solche Verpflichtung, wenn auch einen héchst subjektiven, namlich die entsprechende altruistische Neigung, Absicht oder Lebenskonzeption. Die Evidenz der Ver-

pflichtung ist also hier nicht unbegriindet, irrational; ihre Begriindung liegt vielmehr in einer Motivation des Subjekts, insbesondere in einem

altruistischen Gefiihl. Die Begriindung der Evidenz durch ein Gefiihl ist aber etwas anderes als ein bloSes Evidenzgefiihl. Man mB sich natiirlich fragen, wie ein Begriff der moralischen Verpflichtung definiert werden kann, der auch nichteinklagbare Verpflichtungen umfa&t. Die Schwierigkeit gegeniiber dem engen Pflichtbegriff liegt zunachst darin, da8 der weite Pflichtbegriff nicht so einfach auf den des moralischen Rechts zuriickgefiihrt werden kann, namlich auf das Recht auf (negative) moralische Sanktionen dem gegeniiber, der die entsprechenden Handlungen unterla&t. Aber das braucht nicht die einzige 198 vgl. Schmitz (’73) S. 23, 655.

141

Weise zu sein, in der moralische Verpflichtungen auf moralische Rechte zuriickgefiihrt werden kénnen. Ernster ware der Einwand, da Kants Definition des moralischen Pflichtbegriffs durch den der kategorischen praktischen Geltung oder Richtigkeit nicht ohne weiteres auf nichteinklagbare Verpflichtungen angewandt werden kann. Kant meinte, da8 die kategorische Giiltigkeit von moralischen Verpflichtungen darin besteht, da8 sie giiltig sind unangesehen der Neigungen und Absichten im verpflichteten Subjekt. Nun hat Grice gezeigt, da8 es eine Gruppe von Verpflichtungen gibt — Grice nennt sie, i. U. zu den ,,basic obligations”, ,, ultra obligations” —, die durch

altruistische Motive oder die Konzeption einer entsprechenden Lebensweise begriindet sind’. Und diese decken sich anscheinend im wesentlichen mit den Verpflichtungen, die durch niemanden legitim moralisch forderbar sind. Hier fiihrt Kants Kriterium fiir moralische Verpflichtungen also in die Irre. Die Schwierigkeit 1a8t sich jedoch durch eine geringfiigige Veranderung des Kantischen Kriteriums beheben. Eine moralische Verpflichtung liegt demnach dann vor, wenn es richtig ist, so zu handeln, unangesehen

der mdglichen Realisierung von Zwecken durch die Handlung. So ist man etwa zu selbstlosem Opfer, Einsatz des eigenen Lebens fiir andere oder Treue in persinlichen Beziehungen hichstens verpflichtet unter der Bedingung dementsprechender eigener Neigungen oder Konzeptionen. Das bedeutet aber nicht, da8 es nur deshalb praktisch richtig ware, so zu handeln, weil man dadurch etwas erreichen kann. Es ist unter diesen Bedingungen vielmehr schlechthin richtig, so zu handeln, nicht nur ,,richtig, um zu...” Nun wird sich in Kap. 5 allerdings herausstellen, da8 Kants Gleichsetzung von moralischer mit zweckabsoluter praktischer Richtigkeit nicht bedingungslos haltbar ist. Aber damit entfallt das skizzierte Argument gegen die Méglichkeit von Verpflichtungen, die auf Neigung

begriindet sind, erst recht.

Drittens kénnte bestritten werden, da8 nichteinklagbare Verpflichtungen Korrelate von moralischen Rechten irgendwelcher Art sind. Demgegeniiber bin ich jedoch der Meinung, da8 moralische Verpflichtungen letztlich nur als Korrelate von moralischen Rechten verstandlich gemacht

werden kénnen.

Dem

steht allerdings von vornherein die Idee von

»Pflichten gegeniiber sich selbst” entgegen. Zwar scheint es nicht von vornherein sinnlos, von ,,Rechten gegeniiber

sich selbst” zu sprechen, namlich von Rechten darauf, sich zu sich in be-

stimmter Weise zu verhalten, z. B. zu faulenzen. Mit der Idee der Pflichten gegeniiber sich selbst sind jedoch nicht nur Pflichten gemeint, sich zu 199

Grice, Kap. IV.

142

sich in bestimmter Weise zu verhalten, sondern Pflichten gegeniiber sich selbst, sich in bestimmter Weise zu verhalten, insbesondere zu sich selbst.

Die Rede von einem ,,Recht gegeniiber sich selbst” in diesem Sinne ware jedoch sinnlos, da der Begriff des ,,Rechts” da seine Rolle hat, wo zwischen unvereinbaren Bediirfnissen begriindet so entschieden werden soll,

da8 alle dem rational zustimmen kénnen™. Und das impliziert noch kei-

neswegs die Situation eines legitimen (moralischen) Rechtsstreits, wo die

Rechte (moralisch) eingefordert und eingeklagt werden kénnen.

Die genannte Schwierigkeit zeigt also nur, da& die Idee der ,,Pflich-

ten gegeniiber sich selbst” absurd ist *”. In Wahrheit handelt es sich um

Pflichten gegeniiber anderen, sich zu sich in bestimmter Weise zu verhalten. Fichte hatte bereits bemerkt, da8 es sich eigentlich nicht um Pflichten »gegen mich selbst”, sondern um Pflichten ,,auf mich selbst” handelt, und hatte diese deshalb als ,,mittelbare und bedingte” Pflichten behangelt (S1651). Kant selbst hatte schon Argumente gegen die Méglichkeit von Pflichten gegeniiber sich selbst entwickelt, aber diese mit dem Argument zuriickgewiesen, da8 es Pflicht iiberhaupt nur auf der Basis von

Pflichten gegeniiber sich selbst geben kann. Dabei verwechselt Kant je-

doch die Autonomie der moralischen Einsicht damit, da8 ich ,,mich selbst verbinde”, also mit einem Verhalten zu mir selbst (MS 549). Die These einer Riickfiihrbarkeit aller, auch der nichteinklagbaren

Pflichten auf Rechte mii8te also auf dem Feld der Pflichten gegeniiber anderen widerlegt werden. An dieser Stelle brauchen wir uns nicht mehr

mit dem Argument auseinanderzusetzen, da8 nichteinklagbare Pflichten schon deshalb nicht auf moralische Rechte zuriickgefiihrt werden kénnen, weil diese ihrerseits nichts anderes sind als Rechte, die im Prinzip auch

durch Zwang (legitim) sanktionierbar sind. Es bleibt jedoch die Méglich-

keit, da8 der Begriff des moralischen Rechts zwar prinzipiell weiter ist

als der des juridisch legitim institutionalisierbaren Rechtes, aber enger als der der Verpflichtung. In diesem Sinne hat Grice den ,,basic obligations”, die moralischen Rechten entsprechen, ,,ultra obligations” gegeniibergestellt, denen keine 200 Singer argumentiert gegen die Mdglichkeit eines Rechtes gegeniiber sich selbst folgenderma&en: ,.Denn man kann sein Recht gegen jemanden aufgeben oder sich entschlie8en, es nicht wahrzunehmen, und somit jemanden von einer Verpflichtung befreien. Aber dann ware eine Pflicht gegen sich selbst eine solche, von der man sich nach Belieben befreien kann, und das ist in sich widerspriich-

lich” (Singer, S.357; ahnlich bereits Kant, MS

549). Diese Argumentation gilt

jedoch nicht fiir alle Falle. Wenn jemand in Lebensgefahr ist, so werde ich von der Verpflichtung, ihm zu helfen, nicht dadurch befreit, da8 dieser mir sagt, da8 ich thm nicht zu helfen brauche oder sogar nicht helfen solle. 201 vgl. Singer, S.356f.; K. Baier, Der Standpunkt der Moral, Diisseldorf ('74), Kap. IX.

143

moralischen Rechte entsprechen sollen**. Ein moralisches Recht einer Person A gegeniiber einer Person B liegt nach Grice zunachst dann vor, wenn A

berechtigt ist zu versuchen, B dazu zu veranlassen, in bestimm-

ter Weise zu handeln®™. Diese Bestimmung ist jedoch zu allgemein, da solche Versuche beziiglich jeder Handlung berechtigt sind, die nicht moralisch falsch sind, also auch gegeniiber moralisch indifferenten Handlungen. Sie schlieSt auch die nichtforderbaren Verpflichtungen nicht aus, denn dort ist es zwar moralisch ausgeschlossen, den anderen durch Anspriiche und Forderungen, nicht aber durch Argumente, Ratschlage, nichtfordernde Bitten und Appelle sowie Lob zu beeinflussen. Grice’ eigentliches Kriterium fiir moralische Rechte und basic obligations ist auch, da8 sie im Unterschied zu den ultra obligations vertragstheoretisch begriindet werden kénnen. Aber

warum

ist es, so kénnte

man fragen, in einem Zustand urspriinglicher Gleichheit nicht in jedermanns Interesse, mit jedermann vertraglich zu vereinbaren, da& jeder gema& den ultra obligations handelt? Die Antwort scheint zunidchst zu sein, da& es nicht im Interesse von jedem wire, weil keineswegs jeder und jederzeit die entsprechende Neigung bzw. Lebenskonzeption hat. Diese Antwort ist aber falsch, weil die ultra obligations ja nur giiltig sind, falls

diese Neigungen usw. vorliegen.

Die richtige Antwort liegt jedoch schon implizit im Begriff des Vertrags. Ein Vertrag ist mehr als eine gemeinsame Absichtserklarung. Zu ihm gehért notwendig auch die Anerkennung legitimer Sanktionen. Es kann sich dabei auch nicht ausschlieZlich um positive moralische Sanktionen handeln wie etwa Lob, die auch bei ultra obligations legitim sind. Die fiir jeden Vertrag notwendige Stabilitat des entsprechenden Verhaltens erfordert mindestens die Legimtimitat weitergehender, insbesondere negativer Sanktionen, also etwa Tadel. Nichteinklagbare Verpflichtungen sind also einfach deshalb nicht vertragstheoretisch begriindbar, weil sie nichtinstitutionalisierbare Verpflichtungen sind. Daraus mu jedoch nicht gefolgert werden, da& sie keinen moralischen Rechten entsprechen.

Vielmehr kann man auch folgern, da8 der Begriff des moralischen Rechts

vertragstheoretisch nicht ausreichend definiert werden kann. Es liegt allerdings sehr nahe zu sagen, da8 jemand dann, wenn er ein Recht hat, auch einen Rechtsanspruch hat und da8 der Begriff des

7Rechtsanspruchs” einschlie&t, da8 die Erfiillung dieses Rechts auch legitim ,beansprucht”, d.h. eingefordert werden kann. In diesem Sinne

offenbar heift es einmal beim jungen Hegel: ,,Es gibt aber noch andere

Pflichten, die nicht aus dem Rechte eines anderen entspringen, — z. B. die

202

Grice, S. 42.

203 Grice, S. 69, vgl. S. 156.

144

Pflicht der Wohltatigkeit” (FrSchr 135, N 173) ™. Natiirlich kénnte man dagegen einfach behaupten, da8 der Begriff des Rechts den des Anspruchs nicht einschlieSt, sondern nur den eines berechtigten Bediirfnisses; und berechtigt ist ein Bediirfnis schon dann, wenn es eine Verpflich-

tung eines anderen konstituiert. Plausibler scheint es jedoch, da sich der Rechtsanspruch im Falle der

nichtforderbaren Rechte nicht an eine wirkliche, sondern nur an eine hypothetische Person oder Quasi-Person richtet. In diesem Sinne fahrt

Hegel auch beziiglich des Hilfsbediirftigen fort: ,,Sein Recht an Leben, Gesundheit

usw.

geht nicht an einzelne, sondern an die

Menschheit

iiberhaupt” (ebd.). Die Behauptung, da8 man hier eben deshalb nicht von einem Recht sprechen kann, weil kein konkreter Adressat bestimmt ist, von dem die Erfillung iiberhaupt gefordert werden kénnte, wiirde einer petitio principii gleihhkommen und inhaltlich bedeuten, die Rede tiber moralische Rechte unndtig an die iiber juridische Rechte anzupassen. Es fragt sich nun allerdings, ob die Vorstellung eines Rechts, das nicht an bestimmte Personen oder Institutionen adressiert ist, die Idee nicht-

strenger, nichtforderbarer Verpflichtungen schon einholt. Nehmen wir

an, da8 mehrere Individuen in der Lage waren, die fragliche Hilfe zu lei-

sten, so mii8te man behaupten, da8 jeder von ihnen dazu verpflichtet

wire, aber jeweils nur in schwacher, nichtforderbarer Weise, da ja nur

die Hilfe von einem gebraucht wird.

Das ist aber nicht der Fall; denn wenn keiner helfen wiirde, so ware es

moralisch legitim, alle deswegen moralisch zu tadeln, es sei denn, jemand kann begriinden, da ihn die Verpflichtung aus irgendeinem Grunde gar nicht betroffen hat. Wenn nur geniigend Informationen iiber die méglichen Adressaten der Verpflichtung zur Verfiigung stiinden, so ware es wohl auch entscheidbar, wen

die Verpflichtung

letzten Endes trifft*,

und wenn dies nicht entscheidbar sein sollte, so hat jeder die (sanktionierbare) Verpflichtung, dafiir zu sorgen, da8 wenigstens einer hilft. Allerdings sind die faktische Beschranktheit des Wissens iiber die konkrete Situation der anderen Adressaten der Verpflichtung *, die Ungewi&heit, ob ein anderer hilft, und die Schwierigkeit, zwischen den mig-

204 Hegel hebt hier allerdings nicht von einer Pflicht ab, die einem ausschlieBlich moralischen Recht entspricht, sondern von einer juridisch sanktionierten Rechtspflicht. 205 So argumentiert H. Reiner in einem 4hnlichen Fall, bei dem in einem gerechten Krieg ftir ein bestimmtes notwendiges Kommando von einer Einheit von hun-

dert Soldaten lediglich zwanzig bendtigt und die Soldaten aufgefordert werden,

sich freiwillig zu melden (s. H. Reiner (’51), Pflicht und Neigung. Die Grundlagen der Sittlichkeit neu bestimmt mit besonderem Bezug auf Kant und Schiller, in: ders.: Die Grundlagen der Sittlichkeit, Meisenheim am Glan ('74) S. 190).

206 Fiir Reiner ist dies ein ausreichender Grund dafiir, hier nicht mehr von einem »Sstreng verbindlichen Sollen” zu sprechen (Reiner (’51) S. 191).

145

lichen Adressaten eine Entscheidung herbeizufiihren, Entschuldigungsgriinde fiir den Fall, da& die Hilfe ausbleibt. Die Entschuldigung bezieht sich hier aber eher darauf, die Verantwortung zum Teil nicht iibernehmen zu miissen, als darauf, da8 die Verpflichtung gar nicht in sanktionierbarer Weise gegeben ist *”. Die Nichtadressiertheit moralischer Verpflichtungen scheint also ihre Nichtforderbarkeit nicht zu implizieren. Und umgekehrt impliziert die Nichtforderbarkeit nicht die Nichtadressiertheit. Wenn ich etwa der einzige bin, der einen Ertrinkenden retten kann, so kann dessen Recht auf

Leben nur durch mich geschiitzt werden, und die entsprechende Verpflichtung zur Hilfe ist an mich adressiert; wenn die Hilfe jedoch mit einem echten Lebensrisiko fiir mich verbunden ist, so ist sie nicht legitim forderbar, und es ist moralisch nicht gerechtfertigt, mich zu tadeln, wenn

ich nicht helfe. Das andert aber nichts daran, da8 die Giiltigkeit der Ver-

pflichtung fiir mich iiberwaltigend evident sein kann und daf ich sie als direkte Folge des moralischen Rechtsanspruchs des Ertrinkenden auf sein Leben erfahre. Auch wenn es keine iiberzeugenden Griinde dafiir gibt, im Falle uneinklagbarer Verpflichtungen die Existenz entsprechender moralischer Rechte zu bestreiten, kann man natiirlich fragen, warum es wichtig sein soll, darauf zu insistieren, da& es solche Rechte gibt. Die Antwort darauf ist letztlich nur im Zusammenhang einer Begriindung der Geltung moralischer Verpflichtungen miglich, die ich erst im zweiten Teil dieser Arbeit mit Fichte versuche. Ich werde jedoch schon im letzten Abschnitt des folgenden Kapitels skizzieren, inwiefern die Zuriiccfiihrbarkeit moralischer Verpflichtungen auf moralische Rechte zur philosophischen Idee einer Begriindung der Moral in der Autonomie des Subjekts gehdrt.

5. Nichtinstitutionelle Sittlichkeit als Bedingung rationaler moralischer Motivation

Hegels Unterscheidung der Sittlichkeit von Institutionen von der Moralitat hatte nicht nur einen klassifikatorischen Sinn. Vor allem diente sie der Entwicklung von Uberlegungen zum komplexen Bedingungsverhiltnis zwischen diesen Aspekten des transsubjektiven Geistes. In diesem Kapitel mdchte ich zeigen, da8 dies auch fiir das Verhiltnis der nichtinstitu-

tionellen Momente der Sittlichkeit zur Moralitat gilt. Ein Aspekt dieses Bedingungszusammenhangs hatte sich bereits herausgeschalt: Schlechthin nichtforderbare Verpflichtungen haben ihre 207 Zu dieser Unterscheidung vgl. die Anm. 156.

146

moralische Giiltigkeit auf der Basis altruistischer Neigungen oder Praxis-

entwiirfe. Diesen Gesichtspunkt michte ich nun in einer vorsichtigen

Weise verallgemeinern. Der entscheidende Schritt besteht in der Einsicht,

da& moralische Verpflichtungen iiberhaupt nur auf dem Hintergrund eines Minimums von altruistischen Neigungen und moralischer Praxis tiberzeugend sein kénnen. Dies gilt insbesondere von nichtforderbaren moralischen Verpflichtungen.

Abhiangigkeitsbeziehungen in der umge-

kehrten Richtung sind demgegeniiber eher trivial. Die These der Bedingtheit von Moralitat durch einen nichtinstitutionellen Kernbereich von Sittlichkeit bedeutet eine Kritik an Kants Idee

der schlechthinnigen Autonomie der moralischen Vernunft, also des moralischen Absolutismus, und kann als Relativierung der moralischen Vernunft bezeichnet werden. Es fragt sich deshalb, wie diese Relativierung sich zum ,moralischen Relativismus” verhalt, der mit der histori-

sierenden Kritik am aufklarerischen Rationalismus seit der Romantik meist verbunden wird. Ich werde zu zeigen versuchen, da& Hegel keinen

moralischen Relativismus im normativen Sinne vertritt, sondern einen Relativismus der rationalen moralischen Motivation, der in axiologischer

Hinsicht auch als ein spezieller relativistischer Aspekt einer allgemeinen Theorie praktischer Vernunft bezeichnet werden kann. 5.1 Hegel und der moralische Relativismus

Unter ,,moralischem Relativismus” versteht man prdziserweise die Ansicht, es sei moralisch richtig, sich gem48 den Normen zu verhalten, von

denen die relevante Bezugsgruppe glaubt, es sei moralisch richtig, sich danach zu verhalten **. Diese Position hat eine gewisse Plausibilitat, weil

durch die Tatsache der allgemeinen Anerkennung gewisser Normen in einer Gruppe und durch eine entsprechende (durchschnittliche) Praxis Annahmen beziiglich des zu erwartenden Verhaltens und dadurch Verantwortlichkeiten entstehen, die dann in der Tat moralische Verpflich-

tungen implizieren *’. Auch entstehen durch diese Praxis zum Teil ent-

208 Vgl. R. B. Brandt ('67) S.76. Eine weniger prazise Umschreibung gibt Singer, S.374. Williams behandelt in seiner Einfiihrung in die Ethik den moralischen Relativismus in seiner ,krudesten und vulgarsten Form“ (B. Williams (’78), Der Begriff der Moral. Eine Einfiihrung in die Ethik, Stuttgart, S. 28). Fiir diese Form sind jedoch nicht nur relativistische ethische bzw. metaethische Annahmen charakteristisch, sondern auch die durchaus nichtrelativistischhe Norm, es sei ,nicht richtig fiir die Angehdrigen einer Gesellschaft, sich in das Wertverhalten einer anderen Gesellschaft einzumischen, es zu verurteilen usw.” (ebd.). Keinen prazisen Begriff des ,ethischen Relativismus” findet man in dem einschlagigen Paragraphen bei H. Reimer (‘64), Die philosophische Ethik, Heidelberg, S. 79 ff. 209 Ein Beispiel gibt Brandt (’67) S. 77.

147

sprechende Folgeverpflichtungen. Das bedeutet aber nicht, da8 es allein deshalb moralisch richtig ist, sich so zu verhalten, weil es in der Bezugsgruppe anerkannt ist, da8 es moralisch richtig ist, sich so zu verhalten; sondern vielmehr

deshalb, weil diese Anerkennung

und

die

entspre-

chende Praxis Folgen haben, die moralische Verpflichtungen hervorbringen, die unter diesen Umstinden aus moralischen Prinzipien folgen, die von der (expliziten) Anerkennung der Gruppe unabhingig sind. Die Position eines solchen radikalen moralischen Relativismus ist auch nicht nur unbegriindet, sondern sogar inkonsistent **. Denn nehmen wir an, die fragliche Bezugsgruppe wiirde den moralischen Relativismus ihrerseits ablehnen. Dann hiatte sie gema8 dem Prinzip des moralischen Relativismus moralisch recht damit, den moralischen Relativismus abzu-

lehnen. In diesem Fall wiirde also aus der moralischen Richtigkeit des moralischen Relativismus seine moralische Falschheit folgen. Dieses Argument gegen die logische Konsistenz des moralischen Relativismus ist eine Anwendung eines klassischen Arguments gegen die logische Méglichkeit eines Wahrheitsrelativismus’ im allgemeinen. Man kénnte es also dadurch unterlaufen, da man dem traditionellen, absoluten und realistischen Wahrheitsbegriff den Boden entzieht, ohne einen

Wahrheitsrelativismus positiv zu behaupten. Dies wird auch heute sowohl von sprachanalytischer "* wie von phanomenologischer *” Seite gemacht. Demnach 148t sich die Tatsachlichkeit von Tatsachen letztlich nur im Rekurs auf unsere (optimal gepriiften) Meinungen explizieren.

Aber mit dem gingigen moralischen Relativismus ist offensichtlich mehr

gemeint. Denn es geht ihm gerade darum, da8 moralische Behauptungen im Vergleich mit den iiblichen Standards theoretischer Wahrheit nur relative Giiltigkeit haben. Vermutlich ist die eigentliche Absicht des radikalen moralischen Relativismus auch gar nicht, ein normatives Prinzip tiber das moralisch Rich-

tige aufzustellen, sondern in ,,metaethischer” ™* Absicht zu bestreiten,

da man in der Moral iiberhaupt im normalen Sinn von ,richtig” und »falsch” reden kann. Diese Konsequenz hat wohl auch Hegels These

210 Singer meint, da der moralische Relativismus schon deshalb widerspriichlich ist, weil er es erlaubt, alles, was man will, nach Belieben zu rechtfertigen (Singer, S. 378). Das ist jedoch nicht der Fall. Nach dem moralischen Relativismus ist etwas nicht dann moralisch richtig, wenn man es wiinscht oder wiinscht, da8 es moralisch richtig ist, sondern wenn man bzw. die relevante Bezugsgruppe

glaubt, da& es richtig ist. Man kann aber natiirlich etwas wiinschen, ohne zu

glauben, da8 es moralisch richtig ist.

211 Zusammenfassend s. R. Rorty, a.a.O.

212 H. Schmitz (’80), System der Philosophie, Bonn, Bd. IV: Die Person, 5. Kap.

213 Brandt unterscheidet deskriptiven, metaethischen und normativen ethischen Relativismus (Brandt (’67) S.75 ff; vgl. ders. ('59), Ethical Theory. The Problems of Normative and Critical Ethics, Englewood Cliffs/USA, Kap. 5 u. 9).

148

gegen Kant, da8 es kein gehaltvolles allgemeines Moralprinzip gibt. Aber wie wir im ersten Kapitel gesehen haben, ist diese These falsch, und ihre metaethische Konsequenz ist jedenfalls damit unvereinbar, da8 Hegel es Kant als epochales Verdienst anrechnet, da8 dieser vom Vernunftanspruch praktischer Aussagen ausgeht. Gegen die Annahme,

da8 Hegel in normativ-ethischer Hinsicht einen

radikalen Relativismus vertritt oder in metaethischer Hinsicht den Begriindungsanspruch ethischer AuSerungen bestreitet, spricht auch die systematische Anlage von Hegels Rechts- und Geschichtsphilosophie. Offensichtlich vertritt Hegel die Normen und Institutionen seiner Rechtsphilosophie nicht nur deshalb, weil sie den herrschenden Zeitgeist artikulieren und systematisieren. Und seine Geschichtsphilosophie ist mit voller Absicht teleologisch konzipiert, namlich am Leitfaden der Entwicklung der Idee des Staates, wie sie letztlich in seiner Rechtsphilosophie entwickelt ist. Wenn der radikale normative ethische Relativismus inkonsistent und der radikale metaethische Relativismus falsch ist, so fragt es sich nun, ob

nicht schwachere Formen des moralischen Relativismus recht haben. Eine schwachere Form des metaethischen Relativismus kénnte zwar zugeben,

da8 moralische Satze mit Recht einen Begriindungsanspruch erheben, da sie sich auf ein gehaltvolles Moralprinzip beziehen lassen, aber dennoch behaupten, da8 beziiglich ein und derselben Sachlage einander widersprechende moralische Urteile giiltig sein kénnen*‘. Dies kénnte entweder daran liegen, da& es mehrere giiltige Moralprinzipien gibt, bei deren korrekter Anwendung auf ein und dieselbe Sachlage einander widersprechende moralische Urteile resultieren, oder aber, da8 das ein-

zige Moralprinzip von der Art ist, da8 es in gewissen Fallen bei korrekter Anwendung auf ein und dieselbe Sachlage zu widersprechenden moralischen Urteilen fiihrt. Wenn es jedoch mehrere, zum Teil konfligierende, giiltige Moralprinzipien gabe, so ware damit in Wahrheit die Idee moralischer Richtigkeit und Begriindung untergraben; denn sie impliziert auch die Méglichkeit, die Wahl eines dieser Prinzipien zu begriinden. Und die Méglichkeit, da8 das giiltige Moralprinzip so schwach ist, da8 es bei korrekter Anwendung beziiglich derselben Sachlage zu widersprechenden Urteilen fiihrt, ware

nur dann gegeben, wenn dieses Prinzip auf Attribute des Beurteilenden rekurriert **. Solche Theorien, die insbesondere in der schottischen Mo-

214 Brandt (’59) S. 272 ff; ders. ('67) S.75 ff. 215 Das ist insbesondere bei den Theorien eines ,,ideal observer” der Fall, z. B. in Brandts qualified attitude method” (Brandt (’59) Kap. 10) oder Harmans Theorie des ,ideal reasoner” (Harman ('77), The Nature of Morality. An Introduction to Ethics, New York/Oxford, Kap. 11).

149

ralphilosophie entwickelt wurden, spielen fiir Hegel jedoch kaum eine

Rolle. Das im ersten Kapitel im Anschlu8 an Hegels Kantkritik heraus-

gearbeitete Moralprinzip rekurriert darauf auch nicht. Ein prinzipieller ethischer oder metaethischer Relativismus gilt also wohl weder fiir Hegel noch der Sache nach. Dennoch ist fiir Hegels Geschichtsbetrachtung eine Art relativistischer Grundiiberzeugung charakteristisch. So wie Hegel meint, da8 frithere philosophische Systeme zu ihrer Zeit in gewisser Weise wahr gewesen sind, auch wenn sie den heutigen Erkenntnissen widersprechen, so meint

er, da8 andere Vélker und Epochen in gewisser Hinsicht moralisch recht hatten, nach ihren spezifischen Normen zu handeln. Wir werden jedoch

sehen, da8 die fiir Hegel leitenden Ideen weitgehend auf das scheinbare Paradox nichtforderbarer Verpflichtungen und Rechte zurtikgehen und da& nicht im eigentlichen Sinne von einer Relativitat der moralischen Giiltigkeit, sondern nur von der Fundierung der praktischen Richtigkeit moralischen Handelns in nichtinstitutioneller Sittlichkeit gesprochen werden kann. Hegel hat seine historische Betrachtung des menschlichen Geistes zunachst vor allem in der Auseinandersetzung mit der Entstehung und Geschichte des Christentums entwickelt. Wahrend er in Bern in Jesus von Nazareth noch den Propheten einer kantisch verstandenen Moral der Freiheit und Autonomie sah, mit der er sich damals ganz identifizierte,

und die Entwicklung des Christentums

zur Religion der Knechtschaft

aus duSeren Umstinden erklirte, suchte er bereits in Frankfurt die Wur-

zeln der spateren Entwicklung des Christentums in den Bedingungen, unter denen Jesus seine Lehre entwickelte. Hegel will hier zeigen, da8 unter den Bedingungen des jiidischen Geistes zwar ein entscheidender Fortschritt in der Geschichte des Geistes mdglich war, da8 Jesus von N.s

Lehre von der ,,Erfiillung des Gesetzes” jedoch noch nicht zu zeption vom richtigen Leben fiihren konnte, die Riickschritte heitsgeschichte ausschlieSt oder jedenfalls wirkungsvoll zu erlaubt. Das liegt insbesondere an der abstrakten Negation

einer Konin der Freikritisieren des Eigen-

tums und der materiellen Giiter, der rein privaten Moral usw. Die Idee

eines unvollstindigen und ambivalenten Fortschritts in der Geschichte der Freiheit hat Hegel in seiner spateren Geschichtsphilosophie weiterverfolgt. Sie ist jedoch nicht notwendig mit einem moralischen Relativismus

verbunden. Wenn Jesus von N. die menschlichste und freieste Moral ent-

wickelt und praktiziert hat, die zu seiner Zeit méglich war, so ware es sicher unangebracht,

ihn moralisch zu kritisieren, da8 sie nicht ausrei-

chend war bzw. ist. Denn es ist moralisch immer fragwiirdig, jemanden zu kritisieren, der nach verantwortungsvoller Uberlegung und nach bestem Wissen und Gewissen handelt. Aber deshalb sind dessen Handlun150

gen noch nicht moralisch richtig, und es ware auch nicht notwendig sinnlos, dies ihm gegeniiber zu vertreten. Wenn jemand andere moralische Standards hat, so ist es allerdings sinnlos, die Respektierung der objektiv giiltigen moralischen Standards von ihm zu fordern, da der Betreffende

keine Méglichkeit hat, die Richtigkeit dieser Standards einzusehen — jedenfalls nicht, solange man dabei nicht an gemeinsam geteilte Prinzipien appellieren kann. Der scheinbare Relativismus lduft hier also auf einen besonderen Aspekt der Nichtforderbarkeit hinaus. Man kénnte nun die These von objektiven historischen und sozialen Bedingungen fiir bestimmte Gestalten des Geistes und insbesondere der Moralitat dahingehend verscharfen, da8 auch die Vorstellung sinnlos wird, jemanden, der einen bestimmten Typ von Moral vertritt, von des-

sen Falschheit tiberzeugen zu wollen. Das naheliegendste Modell dafiir ist heute wohl die Untersuchung und Systematisierung der ontogenetischen Entwicklung des moralischen Urteils durch Piaget und Kohlberg ™*. So ist es sicher sinnlos, ein Kind, das sich auf der prakonventionellen Entwicklungsstufe befindet, mit Argumenten des konventionellen oder sogar postkonventionellen Typus zu konfrontieren. Eine ahnliche Idee ist bei Hegel vielleicht mit der These seiner geschichtsphilosophischen Vorlesungen verbunden, da& im Orient nur einer, in der klassischen An-

tike einige und in der Moderne alle frei sind. Aber auch hieraus folgt nicht eigentlich ein moralischer Relativismus. Es ware sicher ungerecht, einem Inkapriester moralische Vorwiirfe zu

machen, wenn er im Rahmen seiner 6ffentlichen Funktion Menschen geopfert hat, und es mag auch von vornherein sinnlos sein, von ihm die

Einstellung der Menschenopfer zu verlangen oder zu versuchen, ihn da-

von zu iiberzeugen, da Menschenopfer moralisch schlecht sind; mdgli-

cherweise fehlt diesem Priester einfach die Idee einer Gleichheit der Menschen hinsichtlich des Rechts auf Leben*’. Aber das dndert nichts daran, da die Institution des Menschenopfers moralisch schlecht ist, da& dem Geopferten schlimmstes Unrecht geschehen ist, da8 der Priester mora-

lisch falsch handelt und daf es folglich moralisch erlaubt oder sogar ge-

boten ist, diese Menschenopfer, wenn méglich, zu verhindern ** — jeden-

216 J. Piaget ('54), Das moralische Urteil beim Kinde, Frankfurt (’79); L. Kohlberg, Zur kognitiven Entwicklung des Kindes. Drei Aufsatze, Frankfurt ('74); dazu: ]. Habermas (’76) Moralentwicklung und Ichidentitat, in: ders. (’76) S. 63 ff.

217 Eine Differenzierung zwischen den sozial giiltigen Normen

und der Entwick-

lungsstufe der moralischen Kompetenz fehlt leider bei Harmans These, da8 moralische Urteile iiber jemand nur sinnvoll sind auf der Basis eines Konsenses des Urteilenden und des Beurteilten iiber grundlegende normative Standards

(s. Harman (’75).

218 Harman scheint demgegeniiber nur die Ungerechtigkeit der Institution man (’75) S. 4) und des Ereignisses (ebd. S. 6 f.) zu konzedieren.

151

(Har-

falls dann, wenn dies den zum Opfer Ausersehenen ein menschenwiirdi-

ges Weiterleben erméglichen kénnte. Wenn der Priester jedoch im Prinzip iiber die moralische Kompetenz verfiigt, seine konkreten normativen Standards auf der Basis von universalistischhen Argumenten zu verandern, so ist es sinnvoll, diese Argumentation zu versuchen, aber deshalb

noch lange nicht sinnvoll oder jedenfalls moralisch fragwiirdig, von ihm die Aufgabe seines Standpunkts zu fordern. Eine Einschrankung der moralischen Kompetenz kénnte auch aus der Sozialstruktur begriindet werden. So war Marx der Meinung, da8 die Ideen der Freiheit und Gleichheit erst in einer Gesellschaft entwickelt oder jedenfalls sozial verbindlich werden kénnen, in der die Warenform

der Arbeitsprodukte dkonomisch vorherrschend geworden ist™*. Ahnlich kénnte

man

vermuten,

da8

in einer fiktiven Population

isoliert

lebender Vernunftwesen die Norm der gegenseitigen Hilfe unbekannt

bzw. unverbindlichh ware. Demnach werden moralische Normen erst dann entdeckt und sozial verbindlich, wenn sie grundlegende soziale Funktionen erfiillen. Daraus, da8 es gegeniiber einem altgriechischen oder besser altorientalischen Sklavenhalter, im Unterschied etwa zu seinem Kollegen in den amerikanischen Siidstaaten des 19. Jahrhunderts, mdglicherweise kognitiv sinnlos gewesen ware, die Sklaverei moralisch zu kritisieren, folgt aber natiirlich nicht, da& der antike Sklavenhalter moralisch im Recht

war, Sklaven zu halten. Ebensowenig hatte ein isoliert lebendes Ver-

nunftwesen recht damit, anderen Hilfe zu verweigern.

Allerdings kann niemand von dem legitim moralisch Hilfe fordern, dem er seinerseits nie hilft oder helfen will. Aber diese Regel gilt wiederum fiir alle Gesellschaften und ware fiir eine Population von isoliert

lebenden

Vernunftwesen nur nicht anwendbar,

da dort gar keine Ge-

legenheit zu wiederholter Hilfe gegeben ist. Im iibrigen scheint die Ver-

pflichtung, anderen zu helfen, nicht dadurch schon ganzlich zu verschwinden, da& diese eine Erwiderung der Hilfe ablehnen, aber sie ver-

liert dadurch doch ihre eventuell legitime Beanspruchbarkeit oder Forderbarkeit. Ahnliches gilt fiir das Verbot von Gewalt, Versklavung usw. Nun hat Hegel jedoch behauptet, da8 repressive Institutionen wie Sklaverei sich dadurch als gerecht erweisen kénnen, da8 sich die Sklaven nicht gegen sie auflehnen (Nat 524; s. III 5.4, S. 362). Wer nam-

lich nicht bereit sei, fiir sein Recht zu kampfen, der sei seiner auch nicht wiirdig, und er habe sozusagen sein ,,Recht aufs Recht” verloren oder

noch gar nicht erworben. Die Vorstellung jedoch, man miisse sich ein Recht aufs Recht allererst erwerben oder sich seiner wiirdig erweisen, ist 219

K. Marx S.74.

(1867), Das Kapital, Bd. I, Marx/Engels/Werke Bd. 23, Berlin-Ost (‘69)

152

sachlich unbegriindet und vielleicht als hobbesianische Variante von Kants Vorstellung zu verstehen, da8 man sich durch Tugend allererst

gliickswiirdig machen miisse. Vielleicht kann man sagen, da8

jemand,

der

fiir sein

Recht

nicht

kampft, den moralischen Anspruch darauf verliert, da8 andere sich fiir sein Recht engagieren. Aber selbst dies besagt nicht, da8 er damit das

moralische Recht auf Hilfe verliert, sondern nur, da8 er das moralische Recht darauf verliert, diese Hilfe von anderen moralisch zu fordern. Der

Anschein einer Plausibilitat des moralischen Relativismus geht hier also darauf zuriick, da8 sich durch ein Unterlassen ein forderbares Recht zu einem nichtforderbaren Recht abschwacht. 5.2 Zur sittlichen Relativitat moralischer Motivation bei Schiller und Hegel Nachdem sich gezeigt hat, da8 ein prinzipieller moralischer Relativismus absurd oder jedenfalls unbegriindet ist und da8 speziellere relativisti-

sche Argumente in Wahrheit bestenfalls auf die Unterscheidung forder-

barer und nichtforderbarer Verpflichtungen und Rechte hinauslaufen, méchte ich nun zeigen, inwiefern Hegels Idee einer Relativierung des moralischen Standpunkts dennoch einen sachlich haltbaren Kern besitzt,

namlich in der Frage nach Bedingungen der spezifisch moralischen Moti-

vation im Sinne einer handlungsbestimmenden moralischen Einsicht. Da-

bei méchte ich von Ansitzen in dieser Richtung bei Kant und vor allem bei Schiller ausgehen. Kants Selbstverstaindnis ist zweifellos prinzipiell antirelativistisch.

Seine absolutistische These, da8 moralische Regeln wie ,,Du sollst nicht

ligen” ausnahmslos giiltig sind, ist jedoch mit seiner Theorie des kate-

gorischen Imperativs unvereinbar. Man sollte nun meinen, da8 Kant wenigstens beziiglich des kategorischen Imperativs selbst oder unmifverstandlicher: des Prinzips aller konkreten kategorischen Imperative konsequent antirelativistisch denkt. Natiirlich ware die These absurd, da8 es Situationen geben kann, in denen der kategorische Imperativ fiir die Entscheidung nicht mehr giiltig ist, ob eine Handlung moralisch richtig

ist oder nicht; denn dann wire er kein oberstes

Moralprinzip.

Das

schlie8t natiirlich nicht aus, da es Situationen gibt, in denen der kategorische Imperativ insofern nicht relevant ist, als beziiglich der fraglichen Handlungen daraus keine Gebote oder Verbote mehr folgen. Es schlieSt

aber dariiber hinaus nicht die Méglichkeit aus, da8 es Situationen gibt,

in denen es nicht mehr plausibel ist, den moraliscien Standpunkt iiberhaupt noch einzunehmen, in denen also das Wissen, daS man zu etwas

moralisch verpflichtet ist, kein hinreichender Grund mehr ist, so zu handeln. 153

Nun hat Kant diese Méglichkeit allerdings durch seine These prinzipiell ausgeschlossen, da& moralische Giiltigkeit bzw. Richtigkeit nichts anderes als unbedingte praktische Giiltigkeit bzw. Richtigkeit ist. Mit

dieser Lehre ist jedoch letztlich unvereinbar, wenn Kant in der Anwendung seiner Theorie von der ,,Hoffnung besserer Zeiten“ spricht, ,ohne

welche eine ernstliche Begierde, etwas dem allgemeinen Wohl Ersprie8liches zu tun, nie das menschliche Herz erwarmt hatte” (Gemeinspruch 82). Kant meint damit den Fortschritt in Kultur und Moralitat. Er gesteht also zu, da8 die Uberzeugungskraft moralischer Einsicht von der Hoffnung darauf abhangt, da& moralische Opfer nicht immer in dem gleichen Ma&e nitig sein werden, da8 gréSere Gerechtigkeit herrschen wird und da8 moralisches Handeln auch in anderen das Interesse an Moralitat ver-

starkt. In seiner Postulatenlehre ist Kant sogar noch weitergegangen. Kant lehrt dort, da8 die Unméglichkeit der Realisierung des ,héchsten Gutes”,

der proportionalen Verkniipfung von Gliic&k und Tugend, auch das Sittengesetz ungiiltig machen wiirde: ,.Da nun die Beférderung des hiéchsten Guts, welches diese Verkniipfung in seinem Begriff enthilt, ein a priori notwendiges Objekt unseres Willens ist, und mit dem moralischen Gesetz unzertrennlich zusammenhingt, so mu8 die Unméglichkeit des ersteren auch die Falschheit des zweiten beweisen. Ist also das héchste Gut nach praktischen Regeln unméglich, so mu8 auch das moralische Gesetz, welches gebietet, dasselbe zu beférdern, phantastisch und auf leere eingebildete Zwecke gestellt, mithin an sich falsch sein” (KpV 242 f., vgl. Rel. 652 f.). Auch wenn man Kant zugeben kann, da8 zum moralischen Prinzip der gleichen Verteilung eines Maximums von Gliick oder jedenfalls von relativ auf die Bediirfnisse gleichen Handlungsméglichkeiten auch gehért, da& moralische Anstrengungen ausgeglichen werden, so folgt doch nicht, da& fiir die Giiltigkeit dieses Prinzips vollstandige Realisierbarkeit Vor-

aussetzung ist. Richtig ist jedoch, da8 Verpflichtungen dann ihre prakti-

sche Evidenz verlieren, wenn es keine berechtigte Hoffnung darauf gibt, da sich an dem Vorherrschen unmoralischer Motivationen etwas indern

laBt.

Diese These betrifft nicht eigentlich die Frage des Umfangs der Verpflichtungen gegeniiber einer Person, die sich mir gegeniiber unmoralisch verhalt. Wenn jemand mir z.B. nie hilft, so bin ich diesem gegeniiber auch nicht zur Hilfe verpflichtet. Das liegt nicht daran, da8 die moralische Norm der Hilfe konventionell begriindet und insofern nur von relativer Giiltigkeit ware *°, sondern daran, da

220 Diese Position vertritt jedoch Harman S. 98; ders. ('75) S. 11 ff.).

154

ihre (nichtrelative) Giil-

im Anschlu8

an Hume

(Harman

('77)

tigkeit sich nicht auf die Situation erstreckt, wo der andere sie dauernd

verletzt.

Man kénnte allerdings sagen, da8 man in dieser Situation doch noch

eine moralische Verpflichtung zur Hilfe hat, jedoch keine, die von den

Betroffenen oder auch von anderen moralisch legitim gefordert werden

kann. Das bedeutet also, da8 hier die Verpflichtung insoweit entfallt, als der andere sein Recht im Sinne einer legitimen Rechtsforderung an mich oder auch an andere verliert. Dadurch wird es aber doch noch nicht unbegriindet, den kategorischen Imperativ anzuwenden. Das ist jedoch nicht mehr plausibel fiir den Fall, da8 kaum jemand sonst sich zur Hilfe verpflichtet fiihlt und auch keine Aussicht darauf

besteht, da8 sich dieser Zustand verandern lat. Das ist noch nicht die

Situation des Naturzustandes. In einer Situation eines blanken Naturzustandes des allgemeinen Krieges sind natiirlich mégliche Verpflichtungen — jedenfalls solche forderbarer Art — durch die Erfordernisse elementarer Selbsterhaltung ohnehin suspendiert. Das la8t sich auch mit

Hilfe des kategorischen Imperativs zeigen. Aber die Situation eines all-

gemeinen moralischen Verfalls im gesellschaftlichen Zustand ohne be-

rechtigte Hoffnung auf Verinderung zum Besseren hebt zwar nicht die moralischen Verpflichtungen auf, aber zerstért ihren Sinn, ihre prakti-

sche Oberzeugungskraft. In diesem Sinne kiénnte man Kants Postulatenlehre als einen Theorieansatz iiber notwendige Bedingungen dafiir rekonstruieren, da8 moralische Verpflichtungen iiberhaupt noch praktisch iiberzeugend sein kénnen. Wie bereits die zitierte Stelle aus der Schrift iiber den ,,Gemeinspruch”

zeigt, denkt Kant in dieser Hinsicht nicht nur daran, da eine permanent vorherrschende Amoralitat moralischen Sinn untergrabt. Vielmehr gehért zu den Bedingungen moralischer Evidenz auch das Faktum oder das

Wissen um die reale Méglichkeit von moralischem Fortschritt. In der Postulatenlehre ist dies eine Primisse von Kants — im iibrigen nicht schliis-

siger — Argumentation fiir die Unsterblichkeit der Seele (KpV 252 ff.). Direkter kommt dies in Kants Bemerkungen zum Interesse an Moralitat am Ende der ,,Grundlegung” zum Ausdruck. Kant sagt dort zwar

zundchst, da8 unser Interesse an Moralitit unerforschlich sei (GMS 84 f.), deutet aber zum Schlu8 an, da& das ,,herrliche Ideal eines allgemeinen Reichs der Zwecke an sich selbst (verniinftiger Wesen), zu wel-

chen wir nur alsdann als Glieder gehéren kénnen, wenn wir uns nach

Maximen

der Freiheit, als ob sie Gesetze

der Natur waren,

sorgfaltig

verhalten, ein lebhaftes Interesse an dem moralischen Gesetz in uns” bewirkt (GMS 101). Konstitutiv fiir Moralitat ist hier also die Intention

auf einen Zustand allgemeiner Moralitat. Kant kann damit nicht meinen,

da8 wir, wenn wir moralisch handeln, dies nur deshalb tun, weil wir an

der Verbundenheit mit anderen in moralischer Motivation interessiert 155

sind. Die moralische Verbundenheit mit anderen ist jedoch in der morali-

schen Intention mitintendiert, und ihre reale Méglichkeit ist deshalb eine

notwendige Bedingung fiir die Evidenz im moralischen BewuStsein ™. Mit diesen Ansitzen deutet sich bei Kant m. E. eine neue Fassung des sog. »Motivationsproblems”

in der Ethik an, die dieses nicht mehr als

das psychologische Problem der moralischen ,,Triebfeder”, sondern als Problem notwendiger Bedingungen dafiir versteht, da8 moralische Verpflichtungen praktisch iiberzeugend sein kénnen und da8 es deshalb praktisch richtig ist, sie zu befolgen. Kant hatte die Unterscheidung der philosophischen Probleme von moralischer ,,Dijudikation” und ,,Exekution”, moralischer Beurteilung und

handlungsbestimmender Motivation, zundchst aus der zeitgendssischen Philosophie iibernommen™. Kants eigene moralphilosophische Einsicht macht diese Unterscheidung jedoch in der tradierten Form gegenstandslos. Denn Moralitat besteht fiir Kant gerade darin, ,dafs das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimme [...] mithin der objektive Bestimmungsgrund jederzeit und ganz allein der subjektiv-hinreichende Bestimmungsgrund der Handlung sein miisse“ (KpV 191 f.). Ein Wollen

bzw.

Handeln hat naémlich nur dann den spezifisch

moralischen

Wert,

wenn es nicht nur gema& dem giiltigen Beurteilungsprinzip erfolgt, sondern auch aus dem Grunde, weil man dies fiir das giiltige moralische Beurteilungsprinzip halt, bzw. aus der Absicht, diesem Beurteilungsprinzip zu folgen. Der spatere Kant hat zwar zur Frage der moralischen Motivation noch ein eigenes Theoriestiick entwickelt: die Lehre von der ,,Achtung fiirs Gesetz”. Diese Lehre ist aber wesentlich negativ; sie versucht lediglich mit Problemen fertig zu werden, die sich aus Kants eigenen Primissen ergeben (s. 2.2 und 4.4). Der Sache nach besagt ein Handeln aus Achtung fiirs Gesetz nichts anderes als ein Handeln aus der Uberzeugung, da8 es gema& dem Moralprinzip eine Pflicht gibt, so zu handeln. Kant hat demgem48 auch immer mehr darauf verzichtet, iiber das Motivationsproblem

eigene positive Lehrstiicke zu legitimieren. Wahrend etwa in der ,,Kritik der reinen Vernunft” Gott und Unsterblichkeit noch als Bedingungen der Exekution des Sittengesetzes abgeleitet werden, wird diese Méglich-

221 vgl. vom Vf., Hegels Kritik des Jakobinismus (70) S. 285; (‘74) S. 424. 222 Eine Vorlesung Kants tiber Ethik, hrsg. v. P. Menzer, Berlin ('24) S. 44 ff.; vgl. die handschriftlichen Reflexionen Kants zu dieser Unterscheidung, die in dem Band: Materialien zu Kants ,Kritik der praktischen Vernunft“, hrsg. v. R. Bitt-

ner/C. Kramer,

Frankfurt

s. Henrich ('63) S. 358 ff.

(’75)

S.95 ff. 156

zusammengestellt

sind.

Zur

Sache

keit in der ,,Kritik der praktischen Vernunft” und noch eindeutiger in der Religionsschrift ausdriicklich ausgeschlossen ™. Das Problem der ,,Ausiibung” bzw. ,,Ausfiihrung” der Pflicht wurde

jedoch gerade in der Auseinandersetzung mit der Kantischen Ethik wieder aktuell. So ist es Schillers Programm in ,,Anmut und Wiirde”, gegen

die ,,Rigoristen der Moral [...] die Anspriiche der Sinnlichkeit, die im Felde der reinen Vernunft und bei der moralischen Gesetzgebung villig zuriickgewiesen sind, im Feld der Erscheinungen und bei der wirklichen Ausiibung der Sittenpflicht noch zu behaupten” (AuW 32). Auch die spateren Briefe ,,Uber die asthetische Erziehung des Menschen” mu8 man, nach Schillers eigenen Worten, als Antwort auf das Problem der ,,Aus-

fiihrbarkeit reiner Vernunft“ (aE 110) lesen. Schiller hat seine Fragestellung zum Teil darauf eingeschrinkt, welche Rolle den Neigungen nicht zwar bei jeder moralischen Motivation, aber

bei einem tugendhaften Charakter zukommt: ,,So gewi8 ich namlich tiberzeugt bin — und eben darum weil ich es bin —, da8 der Anteil der

Neigung an einer freien Handlung fiir die reine PflichtgemaSheit dieser Handlung nichts beweist, so glaube ich eben daraus folgern zu kénnen, da8 die sittliche Vollkommenheit des Menschen gerade nur aus diesem Anteil seiner Neigung an seinem moralischen Handeln erhellen kann”

(AuW 32). Schillers These ist, da8 nicht schon ,,Wiirde”, sondern erst

~Anmut” im Verhalten beweist, da8 echte Tugend den (AuW 47). Dem konnte Kant zustimmen. Auch fiir ihn Herz in Befolgung seiner Pflicht [...] ein Zeichen der hafter Gesinnung” (Rel 670 Anm.). ,,Herkules [wird]

Charakter pragt ist ,,das fréhliche Echtheit tugendMusaget“, wenn

auch, wie Kant wohl im Sinne Schillers einschrankt, ,nur nach bezwun-

genen Ungeheuern” (ebd.). Schon in der ,,Kritik der praktischen Vernunft” hatte Kant dementsprechend gelehrt, da& sittliche Vollkommenheit darin besteht, alle Pflicht gerne und mit Leichtigkeit zu tun (KpV 205 f.). Kant hatte insofern keine Schwierigkeit gehabt, mit Schiller die Tugend ,,als eine Neigung zu der Pflicht” zu definieren (AuW 33). Eine genauere Lektiire zeigt jedoch, da8 es Schiller nicht nur um die Rolle der Neigung beim moralisch vollkommenen Charakter geht, sondern bei der moralischen Motivation iiberhaupt: ,,Ob es aber nicht viel-

mehr Stumpfheit des Empfindungsvermégens (Harte) sei, was wir fiir Beherrschung halten, und ob es wirklich moralische Selbsttatigkeit [sei ...] das kann nur die damit verbundene Anmut auer Zweifel setzen” (AuW 47). ,Selbsttatigkeit” ist der formale Charakter jeder moralischen Einsicht und Willensbestimmung durch diese Einsicht. Anmut ist also demnach auch ein Priifstein dafiir, da8 das moralische BewuStsein

223

s. K. Diising, Das Problem

des héchsten Gutes

phie, in: Kant-Studien 62 ('71) S. 15 ff.

157

in Kants

praktischer

Philoso-

bzw. der moralische Wille nicht zwanghaft und autoritatsbestimmt, sondern wirklich autonom ist. Schiller hat seine Theorie in den Briefen iiber die asthetische Erziehung dann explizit als Antwort auf die Frage nach den Bedingungen wirklicher sittlicher Einsicht gesehen (aE 31, 93). Wir brauchen hier dem nicht nachzugehen, warum nach Schiller gerade

Anmut der Priifstein autonomer Willensbestimmung ist, da Schiller diese

These im Interesse einer philosophischen Theorie der Kunst entwickelt. Der ethische Hintergrund dieser Lehre zeigt sich jedoch in Schillers These dariiber, da8 Anmut durch Liebe wahrgenommen wird, Wiirde jedoch durch Achtung (AuW 49). Wiirde, so kénnte man kantianisch formulieren, ist achtungswiirdig, Anmut aber liebenswiirdig. Liebenswiirdig ist die Anmut vor allem dadurch, da8 sie selbst durch Liebe motiviert ist. Die ethische Relevanz der Anmutslehre liegt also darin, da& autonome moralische Willensbestimmung nicht nur Achtung, sondern auch ,,Liebe” impliziert. Ein weiteres, schon von Kant genanntes Moment der Erméglichung von autonomer moralischer Motivation liegt in Schillers Unterscheidung von Achtung

und Hochachtung:

,,Man darf die Aditung

nicht mit der

Hochachtung verwechseln. Achtung (nach ihrem reinen Begriff) geht nur

auf das Verhiltnis der sinnlichen Natur zu den Forderungen reiner praktischer Vernunft

iiberhaupt, ohne

Riicksicht auf eine wirkliche Erfiil-

lung [. . .] Hochachtung hingegen geht schon auf die wirkliche Erfillung

des Gesetzes und wird nicht fiir das Gesetz, sondern fiir die Person, die

demselben gema& handelt, empfunden. Daher hat sie etwas Ergétzendes, weil die Erfiillung des Gesetzes Vernunftwesen erfreuen mu8. Achtung ist Zwang, Hochachtung schon ein freieres Gefiithl. Aber das rithrt von der Liebe her, die ein Ingredienz der Hochachtung ausmacht. Achten mu8

auch der Nichtswiirdige das Gute, aber um denjenigen hochzuachten, der es getan hat, mii&te er aufhéren, ein Nichtswiirdiger zu sein” (AuW 49 Anm. 1).

Schiller sagt hier, da8 das Gefiihl, das man fiir denjenigen empfindet, der aus moralischer Einsicht handelt, erst eigentlich die moralische Selbsttatigkeit erméglicht. Da ,,Hochachtung” ein Gefiihl der grundlegenden

Ungleichheit impliziert, scheint es mir allerdings nicht zwingend, das Verhiltnis zu dem moralisch Motivierten so zu bezeichnen; ,,Liebe” ist

auch nicht angemessen fiir das Verhaltnis zu jemanden, der durch die Tat zeigt, da8 das Ideal allgemein méglicher Ubereinstimmung fiir ihn wirksam ist. Kant hatte eine Welt gemeinsamer moralischer Motivation bereits mit seinem ,,Reich der Zwecke” entworfen. Schiller will dariiberhinaus offenbar sagen, da8 moralische Einsicht und Motivation so etwas wie ,,Liebe” voraussetzt.

Schiller gelingt in , Anmut und Wiirde” allerdings nicht viel mehr als die keineswegs eindeutige und begrifflich unbefriedigende Artikulation 158

dieser Evidenzen. In der ,,asthetischen Erziehung” hat er sie sodann durch

eine von Fichte inspirierte philosophische Trieblehre zu begriinden versucht. Denn die Motivationstheorie von , Anmut und Wiirde” scheiterte

schon an dem kantianischen Dualismus von Sinnlichkeit und Vernunft:

»Der reine Geist kann nur lieben, nicht achten; der Sinn kann nur ach-

ten, aber nicht lieben” (AuW 50). In den Briefen zur asthetischen Erziehung wird der Dualismus von selbsttatiger Vernunft und rezeptiver Sinnlichkeit durch Riickfithrung beider auf entsprechende ,,Triebe” relativiert und durch Annahme eines /Spieltriebs” vermittelt. Dieser ,,Spieltrieb”, dessen Betatigung im /asthetischen Zustand” Bedingung fiir sittliche Einsicht und Motivation ist, impliziert namlich eine EntauSerungsfahigkeit und Sensibilitat, die gegeniiber

anderen

Personen

darin besteht,

,,fremde

Natur

treu und

wahr in uns aufzunehmen, fremde Situationen uns anzueignen, fremde Gefiihle zu den unsrigen zu machen” (aE 53 Anm.). Damit holt Schiller das kognitive Moment ein, das in seinem friiheren Liebesbegriff mitge-

meint war. Vernunft steht jetzt nicht mehr den Neigungen nur gegeniiber, sondern ist quasi den Neigungen und Trieben zugeneigt, die anderen zugeneigt sind. Da weiterhin der ,,asthetische Zustand” nicht nur einen harmonischen Zustand des einzelnen Subjekts, sondern eine utopische Form sozialer Beziehungen meint, ist damit auch so etwas wie ,,Liebe” als reale Bedingung sittlichhen Verstehens und Wissens angesetzt. Schon der ,,Don Carlos” zeigte, wie die moralische Handlungsfahigkeit sich zersetzt, wenn

Vertrauen nicht mehr Basis von Freundschaft ist. Im ,,Wallenstein” wird dann dariiberhinaus Thema, da& historisch progressive Handlungsentwiirfe nur in einem solidarischen sozialen Handlungszusammenhang rational konkretisiert werden und motivierend sein kénnen ™. Zweifellos gehen in Schillers Versuche, den Kantischen Dualismus von Pflicht und Neigung zu tiberwinden, viele Motive ein, die Schiller nicht theoretisch voneinander zu differenzieren vermochte. M. E. trifft Schiller jedoch der Sache nach bereits die entscheidenden bei Kant ungelésten Fragen der Moralphilosophie, die noch Hegels Theorie der Sittlichkeit motivieren ™*, 224 Hegel hat Ende 1800 oder Anfang 1801 Reflexionen zu Schillers Wallenstein”

notiert (FrSchr 618-20). Hegel sieht das tragische Schicksal Wallensteins darin begriindet, da8 sein Zweck, der ,gré8te [Zweck] seiner Zeit, fiirs allgemeine Deutschland Frieden zu gebieten” (ebd. S. 619), fiir seine Umgebung zu gro8

ist. Wallenstein ist als isoliertes Individuum nicht fahig, die Einsicht konsequent in die Tat umzusetzen, da& die Realisierung dieses Zweckes den Bruch mit der traditionalen Legitimitat des Kaiserreiches notwendig macht. 225 H. Reiner hat gegeniiber Schillers Selbstverstaindnis und der vorherrschenden

Tendenz

der kantianisch gepragten

Philosophiegeschichtsschreibung,

159

Schillers

Erstens hat Schillers These gegen Kant, da8 Neigungen fiir sittliche

»Vollkommenheit”

konstitutiv sind, einen Aspekt,

der in Kants Ethik

insoweit keinen Platz hat, als diese durchs Paradigma der Rechtsform gepragt ist (vgl. 4.4). Verpflichtungen, die von niemandem legitim moralisch einklagbar sind, sind namlich, wie in 4.3 gezeigt, nur dadurch giiltig, da8 entsprechende altruistische Neigungen wirksam sind; und eine solche Begriindung von Verpflichtungen gibt es im Recht offenbar nicht. Da8 Schiller aber dieser Idee nichtforderbarer und nichtsanktionierbarer Verpflichtungen auf der Spur war, sieht man daran, da8 er z. B. sagt, da8 man ,anmutig verpflichten” (AuW 46) und ,einen Fehler mit Anmut riigen” mu& (AuW 47). Ein Verpflichten mit Anmut ist aber offenbar ein nichtforderndes Verpflichten, und ein Riigen mit Anmut gleicht eher einem engagierten Rat als einer moralischen Sanktion. Da& von niemandem einklagbare Verpflichtungen gleichgerichtete altruistische Neigungen zur Voraussetzung haben, ist nun zunachst nicht eine These iiber eine Bedingung moralischer Motivation, sondern iiber eine motivationale Bedingung fiir die Giiltigkeit eines bestimmten Typs von Verpflichtungen. Aber die Beziehung zur eigentlichen Motivationsproblematik ist doch so eng, da8 es kaum einer Erklarung bedarf, da8 Schiller hier nicht differenzierte. Denn in beiden Fallen geht es darum, da& altruistischhe Neigungen Voraussetzungen fiir spezifisch moralische Motivation sind. Bei streng nichteinklagbaren Verpflichtungen gilt dies auch schon dafiir, da8 die Verpflichtung iiberhaupt besteht und als solche bewuBt wird. Schillers Beitrag zur eigentlichen Motivationsfrage liegt in der suggestiven Artikulation der Evidenz, da& sittliche Beziehungen Bedingungen fiir die Wirklichkeit von Moralitat sind. Ein theoretisches Einholen dieser Evidenz ist nun aber nur méglich, wenn klar zwischen der Frage unterschieden wird, wozu man moralisch verpflichtet ist, und der weite-

ren Frage, warum

man

das tun soll, wozu

man

verpflichtet ist. Auch

wenn Kant diese Unterscheidung nicht gemacht hat und sein absolutistisches, ,, kategorisches” Verstandnis von moralischer Verpflichtung gerade darauf hinauslauft, schon den Sinn dieser Unterscheidung zu bestreiten,

Philosopheme bestenfalls als bloSe Erganzung der Kantischen Ethik zu bewerten, das Verdienst, daran festzuhalten, da8 die Auffassungen von Kant und Schiller der Sache nach unvereinbar sind. Allerdings kommt Reiner nicht

tiber das Dilemma hinaus, einerseits Schiller mit der Annahme einer Pflicht, die

Pflicht mit Neigung zu tun, eine paradoxe Verscharfung der ohnehin tiberspitz-

ten Kantischen Pflicht, die Pflicht aus Pflicht zu tun, zu unterstellen

(Reiner

(‘51) S.42) und andererseits Kants Ansatz einer rationalen Ethik wertphilosophisch letzten Endes wieder preiszugeben. Da8 der junge Hegel tatsachlich wesentlich an Schillers Kant-Kritik ankniipft, zeigt dann insbesondere Henrich

('63) S. 382 Ff.

160

so hat er doch bereits, wie gezeigt, die Evidenz artikuliert, da8 es keinen

iiberzeugenden Grund mehr gibt, moralisch zu handeln, wenn Amoralitat

allgemein ist und keine Hoffnung auf Veranderung in dieser Hinsicht besteht. Schiller fiigt dem hinzu, da8 moralische Motivation Anmut, Liebe,

den Trieb zur interpersonellen EntéuSerung und Aneignung usw. voraussetzt.

Man kénnte allerdings versuchen, Kants und Schillers Evidenzen nicht

als Argumente gegen die unbedingte Giiltigkeit des moralischen Standpunkts, sondern als Grenzfalle anzusehen, in denen es keine moralischen

Verpflichtungen mehr gibt. Demnach gabe es in einem hoffnungslos zerstérten sittlichhen Zusammenhang einfach keine moralischen Verpflichtungen mehr. Als Beleg dafiir konnte man sich auf die klassischen Gestalten eines legitimen oder moralisch motivierten Verbrechens berufen,

etwa auf Orest, Karl Mohr oder Michael Kohlhaas.

Aber hier mu8 sorgfaltig zwischen verschiedenen Fallen unterschie-

den werden. Im reinen Naturzustand

gibt es allerdings, wie schon er-

wihnt, keine Verpflichtungen mehr, jedenfalls keine forderbaren. Zweifellos sind gegen Tyrannen und u.U. gegen Morder andere Handlungen erlaubt und geboten als im Umgang mit Gleichen. Aber das rechtfertigt natiirlich nicht die Gewalttatigkeit eines Karl Mohr oder Michael Kohlhaas. Trotzdem leuchtet es ein, da8 fiir diese moralische Argumente

ihre praktische Uberzeugungskraft grundsatzlich verloren haben. Das mag in diesen Fallen weniger an der tatsichlichen Situation als an ihren Situationsinterpretationen liegen. Aber man kann sich leicht Situationen vorstellen, wo ersteres der Fall ist und dennoch moralische Verpflichtun-

gen bestehen.

Wenn etwa in einem KZ eine Mutter ihr Kind, von dem sie wei8, da& es ermordet werden wird, verleugnet, um dadurch selbst dem sicheren Tode zu entgehen, so ist das moralisch nicht richtig, aber es kann sein,

da8 es fiir die Mutter in dieser Situation nicht mehr rational ware, das moralisch Richtige zu tun. Vielleicht leuchtet das noch mehr ein bei einem

Verbrecher, der, statt mit Zartlichkeit und Achtung, mit Priigel gro8geworden ist, oder einem edlen Rauber oder Revolutionar, der nach Ver-

tat und endgiiltigem Scheitern seiner Hoffnungen brecher wird. Solche Evidenzen lassen sich durch Anwendung konsenstheoretischen Moralprinzips erharten. Es ist rationalen Eigeninteresse aller, in einem gerechten

zum normalen Verdes vertrags- bzw. namlich durchaus im Zustand dem zuzu-

stimmen, da8 jemand die anerkannten sozialen Normen verletzen darf,

der dazu im Interesse der puren Selbsterhaltung gendtigt ist. Aber es ware nicht im rationalen Eigeninteresse aller, in einem gerechten Zustand dem zuzustimmen, da8 jemand, dessen sittlicher Lebenszusammenhang

hoffnungslos zerstért ist, die anerkannten sozialen Normen verletzen 161

darf. Denn sofern er dadurch nicht ein legitimes eigenes Recht realisiert, kénnen dem die anderen auch nicht rationalerweise zustimmen.

Allerdings scheint es auch nicht rational, im gerechten Zustand zu ver-

einbaren, da8 diese Art von Rechtsbruch zum Zwecke der Resozialisierung in irgendeiner Weise sanktioniert wird. Denn da es fiir den Tater keine Méglichkeit mehr gibt, durch moralische Argumente hinsichtlich seiner Tat praktisch iiberzeugt zu werden, verlieren Sanktionen in dieser Absicht ihren Sinn. Da dies vermutlich aber der einzige legitime Sinn von Sanktionen ist, scheinen die moralischen Verpflichtungen fiir jemand in hoffnungslos zerstérten sittlidhken Zusammenhdangen prinzipiell nichtsanktionierbar zu sein. Das andert nichts an ihrer Geltung, aber diese Geltung impliziert nicht die praktische Richtigkeit, entsprechend zu handeln. Der junge Hegel hat nun die Ansitze von Schiller zur Erneuerung der Motivationsproblematik aufgenommen bzw. selbstindig entdeckt und in seiner Frankfurter Komplementenlehre systematisiert (s. Kap. 6). Dabei wird die Kantkritik darauf zugespitzt, da8 sich Kants Ethik am Modell des Rechts und des Gesetzes orientiert. Jedoch bleiben auch bei Hegel die beiden Hauptebenen von Schillers Kantkritik ungeschieden. Hegel thematisiert aber tiber Schiller hinaus die wechselseitige Bedingt-

heit von Moralitat und Liebe. Zugleich wird bei Hegel deutlicher, da8 die

Moralitat erméglichende ,,Liebe” nicht nur auf der Seite des verpflichte-

ten Subjekts, sondern als ein interpersoneller Zusammenhang vorausgesetzt ist.

Hegel unterscheidet dabei auch deutlicher zwischen altruistischer ,,Geneigtheit”, gemeinsamer moralischer Motivation und Versdhnung, wechselseitiger Liebe und dem Verséhnung und Liebe erméglichenden Vertrauen, dem ,,Glauben” als ,,einer Erkenntnis des Geistes durch Geist”

(FrSchr 354, N 289), die Hegel dann religids auslegt. Weiterhin ist bei Hegel deutlicher, da8 die Moralitat und insbesondere Verséhnung erméglichende Sittlichkeit nicht so sehr in der Gegenwart als einerseits in den

identitatsbildenden Erfahrungen der Vergangenheit und andererseits in der Antizipation eines kiinftigen sittlichen Weltzustandes liegt, den Hegel wiederum religiés als ,,Reich Gottes” fa8t. SchlieBlich spitzt Hegel die gesamte Problematik seiner ethischen Fragestellung darauf zu, die berechtigten Motive des Verbrechens und die Bedingungen seiner Versdhnung zu begreifen. Hegel hat diese Ideen, die ich im nachsten Kapitel im einzelnen belegen und interpretieren méchte, leider niemals systematischer entwikkelt. In Frankfurt steht dem vor allem ein dsthetisch und religiés motivierter Irrationalismus entgegen. Dieser Irrationalismus wird durch Hegels spatere Entwicklung einer spekulativen Philosophie weniger korrigiert als iiberhdht. Dazu kommt Hegels wachsende Einsicht in die welt162

historische Rolle der biirgerlichen Gesellschaft, die Formen nichtrechtsformiger und nichtinstitutioneller Sittlichkeit systematisch zerstért bzw. marginalisiert. Trotzdem beruht etwa noch die Theorie der sittlichen Versdhnung im friihen Jenaer Naturrechtsaufsatz auf einer prinzipiellen Kritik der Rechtsform und der Méglichkeit einer autonomen Moralitit au8erhalb eines sittlichen Zusammenhangs. Allerdings zeigt sich hier besonders kra8, da& Hegel zunachst gar nicht zeigen kann, wie sich die Kritik an einer sittlich unvermittelten persén-

lichen Autonomie von der Auflésung der Idee der persénlichen Autonomie unterscheiden 148t. Eine Lésung dieser Aufgabe ist auch nicht allein durch differenzierte Deskriptionen, sondern nur durch den Nachweis méglich, da8 nicht erst die praktische Richtigkeit moralischen Handelns und damit die Motivationskraft des Wissens um moralische Giiltigkeit, sondern bereits diese selbst in grundlegenden sittlichen Erfahrungen begriindet ist. In diese Richtung fiihrt m. E. die Anerkennungslehre Fichtes, die Hegel in seiner spateren Jenaer Zeit rezipiert und weiterentwikkelt hat. Sie ist deshalb Gegenstand der beiden folgenden Hauptteile dieser Untersuchung. Im Kontext dieser Anerkennungslehre nimmt Hegel seine Philosophie des Verbrechens einerseits, der Liebe und Verséh-

nung andererseits dann auch wieder auf. Die Verséhnungslehre am Ende des Moralitatskapitels der ,,Phanomenologie des Geistes” scheint mir Hegels klarste Darstellung nicht nur einer nichteinklagbaren, spezifisch sittlidhen Moralitat, sondern auch einer Begriindung moralischer Motivation im Erfahrungszusammenhang nichtinstitutioneller Sittlichkeit (s. 5.6 in Teil III). Von hier aus gesehen verliert der Tautologievorwurf gegeniiber dem kategorischen Imperativ, im Kapitel V.C.b der ,,Phanomenologie”, und die Kritik an den Wider-

spriichen der ,,moralischen Weltanschauung”, im Kapitel VI.C, den Schein von Voraussetzungslosigkeit. Die Leerheit der moralisch ,,gesetzgebenden Vernunft” ist namlich eine Folge davon, da8 ihr Subjekt eine Individualitat ist, ,.welche sich an und fiir sich selbst reell ist” und im »geistigen Tierreichh” au8erhalb von jedem sittlidien Zusammenhang steht. Und die Widerspriiche der ,,moralischen Weltanschauung”, insbesondere des Kantischen Pflichtbegriffs und der Postulatenlehre, sind

nicht Implikationen moralischer Autonomie als solcher, sondern einer ab-

solutistischen Form von Moralitat, die der Dialektik der ,,absoluten Frei-

heit“ in einer Revolution entspricht, die sich vom Paradigma der Rechtsform nicht zu lésen vermag ™*. Diese Zusammenhange kann ich in dieser Arbeit allerdings nicht mehr im einzelnen interpretatorisch verfolgen. In Hegels spaterer Philosophie des Geistes nimmt die Anerkennungslehre nur noch einen untergeordneten Platz in der ,,Philosophie des sub226 vgl. v. Vf., Hegels Kritik des Jakobinismus (‘7o, ‘74). 163

jektiven Geistes” ein, und der Gesichtspunkt einer Fundierung autonomer moralischer Motivation in nichtinstitutionellen sittlicdhen Sozialbe-

ziehungen wird marginal. Daher bezieht der Ansatz sein Recht, den

Kerngedanken von Hegels praktischer Philosophie in seiner ,,Philosophie des absoluten Geistes”, insbesondere seiner Religionsphilosophie, aufzuspiiren *’. Dieser Ansatz folgt jedoch m. E. zu stark Hegels Selbstverstandnis, um sachlich iiberzeugen zu kénnen, und gibt die Idee der persénlichen rationalen Autonomie letztlich preis. Um so wichtiger ist es, die rudimentire Theorie persénlicher Autonomie im sittlidien Zusammenhang in der ,,Philosophie des objektiven Geistes” herauszuarbeiten. Einen ersten Hinweis kann man darin sehen, da8 Hegel die Moralitat in der ,,Rechtsphilosophie” zunachst unter dem leicht ironischen Titel des »moralischen Standpunkts” behandelt. Damit kiénnte zunachst gemeint sein, da& die Moralitat etwas ist, das man, letztlich nach subjektiver Ent-

scheidung, an- oder einnehmen kann oder nicht. Hegel meint sicher auch, da& es sich um eine fragwiirdige Haltung handelt, die subjektiv ist im Sinne von Selbstbeziiglichkeit, ,,Eitelkeit” usw. Und Hegel meint weiterhin, da8 die Moralitat schon deshalb gar keinen ,,Standpunkt” abgibt, weil sie gehaltlos ist. Aber Hegel kiénnte auch meinen, da8 moralische Intentionen allein, auch wenn sie gehaltvoll sind, nicht die Festigkeit eines ,,Standpunkts” vermitteln und da8 es auch nicht Sache der bloSen Entscheidung der Subjekte ist, ob sie diesen Standpunkt einnehmen oder nicht. Das verweist zunachst auf den nichteinklagbaren Bereich der Moralitat, da die altruistischen Motive und die Lebenskonzeptionen, die streng nichtein-

klagbare Verpflichtungen begriinden, nicht willkiirlich hervorgebracht werden kénnen. Es verweist aber dariiberhinaus auf das Motivationsproblem der Moralitat iiberhaupt, namlich die Frage nach den Bedingungen, die es iiberhaupt erst praktisch sinnvoll und iiberzeugend machen, den moralischen Standpunkt einzunehmen. Unter diesem Gesichtspunkt méchte ich nun noch einmal auf die These der ,,Propadeutik” zuriikkommen,

da8 die Mitglieder der Familie ihre

Rechte nur ,,aus der Gesinnung der Liebe” (Prop III § 192) erhalten kén-

nen. Da hier von ,,Gesinnung” die Rede ist, so bezieht sich die These

wohl zunachst auf eine Einstellung, namlich die einer Respektierung und Realisierung auch nichteinklagbarer Rechte. Da Hegel hier jedoch auch von ,,Liebe” spricht, so bekommt die Fundierung der Rechte den prinzipielleren Sinn einer Erméglichung von rationaler moralischer Motivation durch vormoralische sittliche Beziehungen. Auch Hegels Ausfithrungen iiber Liebe in der Ehe lassen sich kaum anders verstehen. Denn fiir die rechtliche Institution der Ehe ist Liebe 227 F. Rosenzweig; M. Theunissen (’7oa) u. ders. ('70b).

164

irrelevant, da die Ehe nicht in Gefiihlen, sondern im Entschlu8 begriindet

ist (Rph § 163) und nach Hegel auch erst aufgelést werden soll, wenn dieser Entschlu8 gegen die tatsachliche ,,totale Entfremdung” (Rph § 176) nicht mehr bestehen kann. Da Liebe keine notwendige Bedingung von Ehe als Rechtsinstitution ist, kann sie eine konstitutive Rolle hier nur spielen, insofern sie notwendige Bedingung fiir moralische Motivation in der Institution ist. In Hegels weiterer Gesellschafts- und Staatstheorie spielt das Konzept

der nichtinstitutionellen Sittlichkeit allerdings keine explizite Rolle mehr.

Es ist jedoch in dem Grundbegriff der ,,Vereinigung” aufbewahrt. Hegel sagt bekanntlich, da8 im Staat nicht das ,,Interesse der Einzelnen als solcher” der letzte Zweck der Vereinigung der Individuen ist, sondern die »Vereinigung als solche“ (Rph 258 Anm.). ,, Vereinigung als solche” und ein ,,allgemeines Leben” (ebd.) verweisen hier nicht nur auf ein Leben in Kooperation, Partizipation und Offentlichkeit, sondern vor allem auch auf ein Leben in nichtinstitutioneller sittlicher Verbundenheit als Bedingung dafiir, da8 sich innerhalb und auferhalb verniinftiger Institutionen moralische Motivation entfalten und Gerechtigkeit verwirklichen kann. 5.3 Das Motivationsproblem und das Programm einer subjektivitatstheoretischen Begriindung der Moral Das eigentliche moralphilosophische Motivationsproblem ist durch die Frage gestellt: ,,Warum soll ich moralisch sein?” Anders als in der vor-

kantischen Schultradition des Problems der ,,Exekution des Guten” ist damit nicht die Frage nach dem Motiv im Sinne der ,,Triebfeder” von

moralisch richtigen Handlungen gemeint. Denn aus einem bestimmten

Motiv heraus zu handeln, ist man nur in besonderen Fallen verpflichtet; und die Frage, aus welchem Motiv heraus man tatsachlich handelt, ist

gar keine moralphilosophische, sondern eine empirisch-deskriptive Frage. Vielmehr meint das moralphilosophische Motivationsproblem die Frage

nach den Griinden dafiir, da8 es praktisch richtig ist, moralisch zu han-

deln (bzw. zu sein). Diese Frage wird in der zeitgendssischen angelsachsischen Philosophie ausgiebig diskutiert, differenziert und meist letztlich als sinnlos zuriickgewiesen** oder jedenfalls fiir unbeantwortbar er-

klart **. Letzteres

entspricht

der

Position

von

Kant,

insofern

dessen

Frage, wie reine Vernunft praktisch sein kann (KpV 192), die philosophische Motivationsfrage meint. 228 Als Beispiel fiihre ich Singer S. 363 ff. an. 229 B. Gert, The Moral Rules. A New Rational Foundation for Morality, New York/ Evanston/London (‘66) Kap. 10. Die angelsachsische Diskussion ist zum Teil von Henrich aufgenommen worden (Henrich (’75) S. 102).

165

Die Frage nach den Griinden dafiir, da8 es richtig ist, moralisch zu

handeln, ist tatsichlich nicht leicht zu verstehen. Sollte hier nach moralischen Griinden gefragt sein, so ware jede mdgliche Antwort zirkular bzw. mii&te die Frage ins Unendliche iterieren. Falls jedoch nach vor- oder au8ermoralischen Griinden gefragt wird, so kann die Frage zwar fiir

einzelne Faille leicht verstanden und beantwortet werden, nicht jedoch fiir

den Willen, aus Prinzip und also auch dann, wenn es den eigenen Be-

diirfnissen und Praferenzen widerspricht, moralisch zu handeln. Aber wenn man sich dann entgegen den moralischen Prinzipien verhalt, wenn

man vormoralische Griinde dazu hat, dann ist man eben unmoralisch.

Die Frage nach dem Sinn vormoralischer Begriindungen dafiir, prinzipiell den moralischen Standpunkt zu akzeptieren, ist offenbar letztlich nur beantwortbar, wenn geklart ist, was die moralische Giiltigkeit von

Prinzipien des Handelns iiberhaupt bedeutet. Aber es ist jedenfalls nicht

von vornherein ausgeschlossen, die Motivationsfrage so zu verstehen:

Unter welchen Bedingungen ist es hinreichend verniinftig, begriindet, sich iiberhaupt auf den moralischen Standpunkt zu stellen? Dafiir, da8

dies hinreichend begriindet ist, ist offenbar Voraussetzung, da8 es iiber-

haupt sinnvoll, plausibel und dariiber hinaus wichtig ist ™*. Und da8 dies so ist, ist gleichbedeutend damit, da es — hinreichende kognitive Kompetenz vorausgesetzt — als sinnvoll, plausibel und ebenfalls als wichtig erfahren werden kann. Nun hatten wir Hegels Kritik des autonomistischen moralischen Standpunkts gerade so verstanden, da8 es nur im sittlidken Zusammenhang sinnvoll, wichtig und iiberzeugend sein kann, moralisch zu sein. Hegels Ansatz lat sich also tatsachlich als Antwort auf die Frage ,,Warum soll ich moralisch sein?” verstehen.

Es fragt sich jedoch zunachst, ob die Frage nach der moralischen Giil-

tigkeit der moralischen Verpflichtung zu einer Handlung von der Frage wirklich unterschieden werden kann, ob es richtig, und d. h. begriindet

ist, gema8 dieser Verpflichtung zu handeln. Gegen diese Unterscheidung steht insbesondere Kants Ansatz, moralische Geltung als kategorische Geltung zu definieren (GMS 43 ff.). Nun hat sich jedoch schon gezeigt, da& Kants Konkretisierung des Kategorischen moralischer Verpflichtungen als Unabhangigkeit von Neigungen nicht generell giiltig ist, nimlich nicht fiir streng nichteinklagbare Verpflichtungen; und mdglicherweise stimmt sie gar nicht fiir den Fall, da& es an Sinn als Bedingung fiir jede konsistente Handlungsmotivation fehlt. Die Unabhangigkeit bezieht sich anscheinend eher auf die mit der Handlung beabsichtigten Zwecke (vgl. 4.5 S. 142). 230 Die Idee, die Frage ,Warum soll ich moralisch sein?” als Frage nach der Wichtigkeit moralischer Prinzipien zu verstehen, hat Henrich an Kant entwickelt (Henrich ('75) S. 100 ff.).

166

Aber

gegen

die

vorgeschlagene

Definition

von

,,kategorisch”

als

,zweckabsolut” kénnte wiederum eingewandt werden, da8 es — morali-

sche oder unmoralische — Handlungen gibt, die nicht um eines zu erreichenden Zwecks willen vollzogen werden, z. B. Handlungen blo& aus Lust zu ihnen. Man tut dann etwas zwar, weil man Lust dazu hat, aber

nicht, um seiner Lust dazu nachzugehen. Aber da solche Handlungen

nicht absichtlich sind, kann man hier nicht von (zweckabsolut) ,,richtig”

oder ,,falsch” sprechen. Weiterhin hat Henrich plausibel gemacht, da8 Kant selbst de facto zwischen der Giiltigkeit von und dem Interesse an

moralischen Gesetzen, und damit ihrer ,,Wichtigkeit”, unterscheidet ™'. Da von ,Interesse” und ,,Wichtigkeit” hier jedoch héchstens sekundar

im Sinne eines Mehr oder Weniger die Rede sein kann, lauft Kants Unterscheidung auf die von moralischer Giiltigkeit und praktischer Richtigkeit hinaus. Was bedeutet dann aber iiberhaupt die moralische Giiltigkeit von moralischen Verpflichtungen und Prinzipien? Die Unterscheidung von

Giiltigkeit einer Norm und der Richtigkeit, nach ihr zu handeln, ist sicher

oft sinnvoll. So kann eine Rechtsnorm in dem Sinne (juridisch) giiltig sein, da8 sie auf einem legalen Wege zustandegekommen ist, der zugleich moralisch legitim ist; und trotzdem kann sie inhaltlich so ungerecht sein, da8 es moralisch richtig ist, sich nicht nach ihr zu verhalten. Diese Unterscheidung ist hier gerade deshalb mdglich, weil juridisches Recht durch ein bestimmtes formalisiertes Verfahren der Normsetzung definiert ist. Da dies fiir moralische Normen

nicht gilt, scheint auch die

Unterscheidung von Geltung und praktischer Richtigkeit bzw. Begriindetheit nicht méglich. Eine Lésung kann ich nur darin finden, die moralische Giiltigkeit moralischer Prinzipien als eine, naher zu bestimmende Notwendigkeit des Glaubens an die praktische Giiltigkeit dieser Prinzipien zu verstehen (vgl. 2.2 S. 91 f.). In diese Richtung weist m. E. schon Kants allgemeine Idee der ,transzendentalen Deduktion”,

spezielle

Form

von

,,transzendentaler

wenn

auch vielleicht nicht die

Deduktion”

in

der

,,Kritik

der

praktischen Vernunft” **. Insbesondere kann man die Andeutungen der »Grundlegung”

iiber einen

spezifisch ,,praktischen Gebrauch

der Ver-

nunft” (GMS 99) so verstehen **. Da es sich bei der Notwendigkeit des Glaubens, die die moralische Giiltigkeit moralischer Prinzipien explizieren soll, nicht um eine solche empirisch-psychologische Notwendigkeit, die in zufalligen Attributen begriindet ist, handeln kann, kommt

hier

nur eine apriorische oder jedenfalls strukturelle Notwendigkeit in Be231 Henrich ('75) S. 74 ff., 100 ff.

232 Vgl. Henrich (’75) S. 76 ff. 233 Ausfiihrlicher s. die Einleitung zum Teil II.

167

tracht. Fiir diesen Begriff moralischer Giiltigkeit ist der der juridischen Giiltigkeit nur noch ein entferntes Vorbild.

Damit wird deutlich, was es iiberhaupt heiSen kann, die Giiltigkeit

oder Richtigkeit moralischer Prinzipien zu begriinden. Es hei&t nichts anderes, als die Notwendigkeit des Glaubens an die Giiltigkeit der morali-

schen Prinzipien aus der Struktur des Subjekts zu begriinden. Auch wenn

man mit Kant meint, da8 solch eine Begriindung aus erkenntnistheore-

tischen Griinden undurchfiihrbar ist, so macht die Fragestellung doch schon verstandlich, warum es nicht von vornherein sinnlos ist, zwischen

der moralischer Giiltigkeit oder Richtigkeit der Norm und der praktischer

Richtigkeit, danach zu handeln, zu unterscheiden. Daraus, da8 man aus

strukturellen Griinden nicht umhin kann, eine Verpflichtung anzuerken-

nen, folgt namlich nicht schon logisch, da8 es hinreichende Griinde gibt,

ihr zu folgen. An diesem Punkt stehen nun m. E. zwei Wege zum niheren Verstandnis der Motivationsfrage offen. Entweder kénnte man zu zeigen versuchen, da8 die strukturelle Notwendigkeit des Glaubens an die prak~-

tische Richtigkeit der moralischen Prinzipien von der Art ist, da8 sie es

logisch impliziert, da8 es auch im vormoralischen Sinne praktisch richtig ist, sich jederzeit moralisch zu verhalten. Dafiir mii8te man zeigen, da8 unmoralische Handlungen das Subjekt notwendig in fiir es selbst unlésbare und so schwere und zerstérerische Konflikte treiben, da8 es in seinem wohlverstandenen Interesse liegt, so nicht zu handeln. Theorien die-

ses Typs lisen jedoch die eigenstindige Evidenz der moralischen Prinzipien wieder auf, wenn sie die Notwendigkeit des Glaubens an ihre

Richtigkeit nur aus kontingenten Zwangen der sozialen oder psychischen

Integration begriinden. Mit der Autonomie moralischer Einsicht sind sie also nur vereinbar, wenn sie diese Notwendigkeit in den fundamentalen Strukturen der Subjektivitat des Subjekts verankern wiirden. Wie aber eine solche Theorie gleichzeitig zeigen kénnte, da8 der moralische Glaube unter allen Bedingungen motivational so bestimmend ist, da8 ein Han-

deln gegen ihn zur Zerstérung der persinlichen Identitat oder des Le-

benssinns fiihren mu, ist nicht leicht zu sehen.

Offenbar nimmt man eine geringere Beweislast auf sich, wenn man die Méglichkeit nicht prinzipiell ausschlieSt, da8 moralische und praktische Richtigkeit auseinanderfallen. Allerdings kann dies nicht der Normalfall sein, und die Bedingungen, die die moralische in praktische Richtigkeit iiberfithren, miissen zugleich in einem verstandlichen Zusammen-

hang mit denen stehen, unter denen sich der notwendige Glaube an die praktische Richtigkeit der moralischen Prinzipien konstituiert. Die Frage ,,Warum soll ich moralisch sein?” ist nun nach Hegels Ansatz

nur in Ausnahmefallen wirklich praktisch motiviert. Da& eine moralische Verpflichtung besteht, ist normalerweise auch schon hinreichend da168

fiir, da8 es richtig ist, so zu handeln, denn die strukturelle Notwendigkeit

des Glaubens an die Giiltigkeit der Verpflichtung ist normalerweise ein hinreichender Grund, die Verpflichtung zu erfiillen. Aber dies ist auSerhalb jeden oder im zerstérten sittlichhen Zusammenhang nicht mehr der Fall. Mindestens diese Méglichkeit macht die Motivationsfrage auch als philosophische Frage sinnvoll. Praktisch motiviert ist sie jedoch nur in Fallen, wo der sittliche Zusammenhang tatsachlich in Frage gestellt ist. Da dies nicht der Normalzustand des Lebens sein kann, hat sie den Anschein, redundant zu sein.

Thesen dariiber, da8 es Handlungen geben kann, bei denen ihre moralische Richtigkeit nicht ihre praktische Richtigkeit impliziert, kénnen, streng genommen, nicht zu einem normativen moralischen Relativismus

fiihren. Denn die moralische Richtigkeit bleibt erhalten, sie impliziert nur

nicht die allgemein praktische, evaluative, axiologische Giiltigkeit bzw. Richtigkeit. Da praktische Bewertungen streng genommen noch keine

Normen sind, handelt es sich bei dieser Relativierung evaluativer Rich-

tigkeit genaugenommen nicht einmal um eine Art des normativen Relativismus, jedenfalls nicht um

einen moralischen

normativen

Relativis-

mus. Diese axiologische Relativierung moralischer Giiltigkeit 1a8t sich als metaethische bzw. metaaxiologische These formulieren. Denn sie besagt, da8 aus moralischer Richtigkeit nicht unter allen Umstanden auf evaluative praktische Richtigkeit geschlossen werden darf. Gegen diese Fassung der Motivationsproblematik kénnte sich allerdings der Verdacht erheben, da

sie auf einen uferlosen evaluativen Re-

lativismus hinauslauft, der in der Konsequenz vom normativen morali-

schen Relativismus kaum unterscheidbar ist. Wenn es nur dann praktisch

richtig ist, moralisch zu sein, wenn dies sinnvoll und wichtig ist, so folgt zunichst, da8 es iiberhaupt nicht mehr richtig ist, moralisch zu sein, wenn gar nichts mehr sinnvoll und wichtig ist, und d.h., so erfahren werden

kann. Das ist jedoch kein Einwand gegen den vorgeschlagenen Ansatz. Wenn fiir jemand, etwa in einem Zustand von tiefgehender Selbstentfremdung, Depression usw. gar nichts mehr als sinnvoll erscheint, so kann auch moralisches Handeln nicht mehr als sinnvoll erscheinen. Das sieht man auch daran, da8 man gegeniiber solchen Individuen nicht mehr sinnvoll vertragstheoretisch argumentieren kann, weil sie auch an jedem Vertrag notwendigerweise desinteressiert waren. Was nun die Position von Hegel betrifft, so kann man zundchst feststellen, da8 Phainomene von Selbstentfremdung und Sinnverlust seit

Fichte und der Friihromantik einen zentralen Stellenwert in der philosophischen Reflexion gewonnen haben ™. Bei Hegel pragen sie insbeson-

234 H. Schmitz (’80) S. 78 ff. Zum Zusammenhang von Selbstbewu8tsein und Selbstentfremdung s. Teil II Kap. 2.3.

169

dere die ,,nihilistische” Freiheitsidee der frithen Jenaer Zeit ™*, die phanomenologische Theorie des ,,geistigen Tierreichs” (insbes. Ph 296) und sind beim spateren Hegel — wenn auch durchaus im Widerspruch zu seinem klassizistisch harmonisierenden Selbstverstandnis — noch in der schwer verstandlichen Lehre aufbewahrt, da8 zur Freiheit eine ,,absolute

Abstraktion” von jedem Inhalt gehért (Rph § 5, vgl. Teil III, 6.2 dieser

Arbeit).

Aber selbst der Abschlu8

des Vernunftkapitels

der ,,Phino-

menologie” argumentiert gegen die Vernunftmoral eher mit der Trennung vom sittlihhen Zusammenhang als mit der Trennung von jedem

Sinn und Gehalt. Aber auch sofern dies der Fall ist, folgt daraus nur eine

plausible Relativierung der moralischen Motivation, die nicht zu einem normativen moralischen Relativismus im iiblichen Sinne fiihrt. Das ware jedoch der Fall, wenn fiir Sinn und Wichtigkeit von Handlungen auch normative bzw. evaluative Voraussetzungen iiber das Feld der rationalen Moral hinaus zugestanden wiirden. So hat neuerdings B. Williams gegen die (u. a.) Kantische Norm der moralischen ,,Unpar-

teilichkeit” eingewandt, da8 man von jemandem nicht verniinftigerweise verlangen kann, moralisch zu handeln, wenn dies seinem ,,Charakter” im

Sinne der fundamentalen Bediirfnisse und Projekte widerspricht, die sei-

nem Leben Sinn geben und ihn zum Weiterleben motivieren ™*.

Williams hat sicher recht damit, da8 es dann, wenn keine Handlung mehr sinnvoll ist, weil das Leben sinnlos geworden ist, auch keinen Grund mehr gibt, moralisch zu handeln. Und es iiberzeugt auch, da8 der Sinn des eigenen Lebens erlischt, wenn die fundamentalen Bediirfnisse

dauernd unbefriedigt bleiben und die fundamentalen Projekte durchweg

scheitern. Aber das bedeutet nicht, da8 es Situationen geben kann, wo

moralisch richtiges Handeln den Sinn des eigenen Lebens zerstort. Zwar gibt es Bediirfnisse, etwa sadistischer Art, deren Befriedigung

nur in Sonderfallen moralisch legitim ist, aber es ist kaum vorstellbar, daB sie fiir den Sinn des eigenen Lebens konstitutiv sind; eher sind sie

ein Symptom dafiir, da8 dieser Sinn emotional ohnehin nicht stabil fun-

diert ist. Und es gibt sicher Lebensentwiirfe, etwa des Kierkegaardschen Asthetikers oder eines machthungrigen Politikers, die im Einklang mit moralischen Prinzipien nicht oder nur zufallig zu verwirklichen sind. Aber solche Lebensentwiirfe sind wiederum, wie etwa Kierkegaard in seiner Theorie des asthetischen Stadiums

zeigte *’, nicht ein Quell fiir

Sinn, sondern eine Kompensation fiir Sinnlosigkeit.

235

In diesem

Zusammenhang

kann

man

auch

Hegels

Wallenstein” sehen (FrSchr 618 ff.), vgl. Anm. 224.

frithe Notiz

zu

Schillers

236 B. Williams (’76), Persons, Character and Morality, in: The Identities of Per-

sons, ed. by A. Oksenberg-Rorty, Berkeley/Los Angeles/London S. 209. 237 S, Kierkegaard, Entweder—Oder, Miinchen (’75), Teil I.

170

Wenn

eine Person mit amoralischem Lebensentwurf fiir moralische

Argumente

unzuginglich ist, so kann man daraus nur zwei Konsequen-

zen ziehen. Entweder man sieht ein, da8 der Lebenssinn dieser Person

fundamental geschadigt ist, da8 es tatsachlich sinnlos ist, ihr gegeniiber moralisch zu argumentieren oder jedenfalls moralische Forderungen zu

erheben ™*. Oder dies ist sinnvoll, und dann ist diese Person

auch ver-

pflichtet, ihre Lebenskonzeption zu andern und mit ihren Bediirfnissen anders umzugehen; und wenn sie nicht in einem zerstirten sittlichen Zusammenhang lebt, so ist es auch richtig, da8 sie sich gem ihren Verpflichtungen verhalt. Allerdings kann es sein, daS eine Person wegen

ihrer speziellen Bediirfnisse auch spezielle Rechte hat und fiir sie da-

durch andere Pflichten entfallen. Aber das ist ein Gesichtspunkt materialer Gerechtigkeit, der mit Unparteilichkeit gar nicht kollidiert. Ubrigens konkretisiert Williams seine These auch nur am Beispiel der persénlichen Bindung an andere Personen ™*. Dabei sind jedoch nach dem hier in bezug auf Hegel entwickelten Ansatz folgende Differenzierungen notwendig. Erstens entstehen durch persénliche Beziehungen spezifische Folgeverpflichtungen. Zweitens sind altruistische Neigungen gute Griinde fiir streng nichteinklagbare Verpflichtungen; die Norm der Unparteilichkeit gilt fiir diese also nicht. Drittens gibt es in tragischen Konflikten, wo es um existentielle Opfer geht, héchstens uneinklagbare Verpflichtungen. Viertens schlieBlich kann es sein, da8 an einer persénlichen Bin-

dung tatsichlich der Sinn des Lebens hangt. Wenn dies jedoch zur Nicht-

achtung moralischer Prinzipien fiihrt, so weist dies immer darauf hin, da&

die Identitat der Person nicht hinreichend auf Erfahrungen von Anerkennung und Liebe aufbaut und die Hoffnung auf Realisierung von sitt-

lichen Zusammenhdngen nicht lebendig ist. Und das fiihrt genau auf die

Bedingung sittlicher Relativitat moralischer Motivation, die hier aus Hegels Moralitatskritik entwickelt wurde. Allerdings sind diese Thesen bisher nur damit begriindet worden, da8 sie unsere wohliiberlegten sittlichen Erfahrungen, Gefiihle und Uberzeugungen am besten wiedergeben. Nun kann man in der Ethik zwar letzten

Endes auch von nichts als den eigenen moralischen Gefiihlen als Quellen

normativer und evaluativer Evidenz ausgehen *, aber der Begriindungsund Verallgemeinerungsanspruch von Werturteilen im allgemeinen und

moralischen Urteilen im besonderen ™! zwingt dazu, diese Evidenzen im

238 Williams spricht interessanterweise davon, da8 es ,nicht notwendigerweise eine verntinftige Forderung [engl.: demand] gegentiber dem Handelnden sein kann”, den Standpunkt unparteiischer Moralitat einzunehmen (Williams ('76) S. 210). 239 Williams ('76) S. 210 ff. 240 8. Schmitz (’73) S. 23, 655.

241 Kap. 4.4 S.130 u. Kap. 5.4 5.175, ferner Wimmer.

171

Fall der Moral sowohl beziiglich des eigenen Verhaltens wie des Verhaltens anderer so konsistent und koharent zu machen, da8 sie als Anwendungen von einem Prinzip oder wenigstens von mehreren, miteinander konsistenten Prinzipien verstanden werden kénnen. Diese Systematisierungsarbeit erhalt aber eine wichtige Bestatigung, wenn es gelingt, moralische Giiltigkeit tiberhaupt so zu analysieren, da8 daraus auch das moralphilosophische Motivationsproblem verstanden und beantwortet werden kann und so die Relativitat praktischer Richtigkeit von moralischem Handeln verstindlich wird. Nun hat Fichte damit begonnen, das moralische Bewu8tsein im Zusammenhang damit zu interpretieren, da8 sich das Selbst von Vernunftsubjekten nur im Medium wechselseitiger Anerkennung konstituieren kann. Es ist auch zumindest plausibel, da8 sich ein Subjekt, das nicht umhinkann, von der Giiltigkeit des Moralprinzips im Sinn eines Prinzips allgemein mdglichen Konsenses unter Bedingungen von Gleichheit bzw. Gerechtigkeit iiberzeugt zu sein, seine Identitat nur im Medium von Anerkennung erworben haben kann. Es leuchtet auch ein, da8 dieses moralische BewuStsein sich zwar nicht auflést, aber die Bedeutung eines not-

wendigen Kernbereichs der persdnlichen Identitat verliert oder verlieren kann, wenn es keinen sittlichhen Anerkennungszusammenhang mehr gibt oder geben wird. Diesen Perspektiven werden die beiden folgenden Hauptstiicke dieser Arbeit nachgehen. Nachdem der zweite Teil Fichtes subjektivitatstheoretische Begriindung des moralischen BewuBtseins verfolgt, versucht der letzte Teil den Nachweis, da8 Hegel Fichtes Ansatze

so aufnimmt und entwickelt, da8 sie auch einen begrifflichen Rahmen fiir

die Theorie nichteinklagbarer Verpflichtungen und das Motivationsproblem der Moral darstellen. Fichtes subjektivitatstheoretische Begriindung der Giiltigkeit moralischer Normen und der moralischen Motivation stelle ich dabei auch unter

den Titel einer Theorie des ,moralisch-praktischen Wissens”. Dieser Titel ist schon dadurch motiviert, da8 hier die moralische Giiltigkeit

moralischer Normen als die strukturelle Begriindetheit des Glaubens an die praktische Giiltigkeit dieser Normen und das Motivationsproblem als das der praktischen Richtigkeit entsprechender Handlungen, bzw. des Wissens von dieser Richtigkeit, verstanden wird. Der Titel einer Theorie

des ,,moralisch-praktischen Wissens” meint hier also nicht die normalen Anwendungsprobleme des Moralprinzips** und auch nicht die besonderen kognitiven Probleme von Praxis (,,know how”), sondern schon die

Struktur des rationalen moralisch-praktischen BewuStseins iiberhaupt.

242

So wird er heute insbesondere von der ,,Erlanger Schule” verwandt (vgl. Loren-

zen/Schwemmer (75), S. 273 ff.; vgl. auch Habermas ('76)).

172

Man kann deshalb auch vom ,,moralisch-praktischen Sichwissen” sprechen. Fiir Fichte und insbesondere fiir Hegel hat dieser Titel seine besondere Berechtigung darin, da8 sie die Frage nach der Begriindung des moralisch-praktischen BewuStseins im Rahmen der Frage nach der Genese der Selbsterkenntnis des Geistes entfalten. 5.4 Kants absolutistischer Autonomiebegriff und das Konzept sittlich vermittelter Autonomie Hegel hat das Recht des Kantischen Autonomiegedankens zunichst immer darin gesehen, da8 die Willensbestimmung hier nicht mehr auf

Autoritdt, sondern auf eigener Einsicht in das, was praktisch richtig ist,

beruhen soll (Rph §135

Anm.; GeschdPh III, 331). Das ist eine auch

heute noch unmittelbar verstindliche Bedeutung von ,,Autonomie”, auch wenn ,Autonomie” heute starker den Sinn von ungezwungener und

selbstandiger Entscheidung hat, der direkter auf den juridischen Sinn des Wortes zuriickgeht. Demgegeniiber hatte Kant ,,Autonomie” jedoch auf den Bereich der moralischen Gesetzgebung und Willensbestimmung eingeschrinkt. Diese Einschrankung ist als terminologische Festsetzung natiirlich legitim; tatsachlich ist sie jedoch Ausdruck einer spezifischen moralphilosophischen Konzeption. Diese Konzeption enthilt einerseits unaufgebbare Einsichten und andererseits dadurch, da8 sie der Motivationsfrage letztlich den Boden entzieht, eine unhaltbare, individualisti-

sche Uberspitzung des Autonomiegedankens. Dabei spielt wiederum Kants Orientierung am Paradigma der Rechtsform eine wichtige Rolle

(vgl. 4.4).

Das nichstliegende Argument fiir Kants Gleichsetzung von Autonomie und Moralitat ist sicher seine Gesetzesformel des kategorischen Imperativs. Sie gibt als Kriterium fiir moralisch richtiges Handeln an, ob es noch

verniinftig wire, nach einer Maxime zu wollen oder zu handeln, wenn dadurch, da8 man dies tite, alle anderen dies auch taten oder jedenfalls

tun diirften (vgl. Kap. 1). Hier hat die Idee der Gesetzgebung durch den

eigenen Willen den buchstablichen Sinn, da8 das Verhalten einer Menge

von Personen durch diese — deskriptiven oder normativen — Gesetze bestimmt ware. Genaugenommen ist hier jedoch der moralische Wille nicht wirklich gesetzgebend, sondern er will etwas deshalb, weil es verniinftig wire, wenn er wirklich gesetzgebend ware *. Zweifellos ist der Gebrauch

243 Zu untergeordneten Aspekten der Autonomieidee, die durch das ,durch die” der ,allgemeinen Formel” des kategorischen Imperativs (GMS 51) angedeutet sind, vgl. die Anm. 77, 91, 94 u. die zugehdrigen Passagen im Ifd. Text des 1. Kap.

173

dieses Gedankenexperiments eine geniale Idee Kants, die m. E. auch — u. a. mit weiteren Ideen von Kant — zu einem korrekten Moralprinzip

ausgebaut werden kann (s. 1.5). Aber inwiefern damit eine wirkliche

Autonomie des moralischen Willens aufgezeigt wird, ist zunachst ganz

dunkel.

Den Weg zur Aufklarung weisen Formulierungen des kategorischen

Imperativs, die Kant in der ,Grundlegung” zuletzt anfiihrt. Kant sucht namlich nach der Diskussion der Gesetzes- und Zweckformel einen noch adaquateren moralischen Grundsatz, den er das ,,Prinzip der Autonomie

des Willens” (GMS 66) nennt. Fiir dieses soll charakteristisch sein, da8 »die Lossagung von allem Interesse beim Wollen aus Pflicht, als das spezifische Unterscheidungszeichen des kategorischen vom hypothetischen Imperativ, in dem Imperativ selbst, durch irgendeine Bestimmung,

die er enthielte, mitangedeutet wiirde” (GMS 64). Dies geschieht noch nicht durch die ,allgemeine Formel” und auch nicht durch die Formeln,

die Kant zunachst als Autonomieformeln anbietet (GMS 65, 67, 70). Kant gelangt aber schlieSlich zu der Formel: ,,Handle nach einer Maxime, die ihre eigene allgemeine Giiltigkeit fiir jedes verniinftige Wesen zugleich in sich enthalt” (GMS 71), die er bei seiner programmatischen Definition des Prinzips der Autonomie wiederholt: ,,Das Prinzip der Autonomie ist also, nicht anders zu wahlen, als so, da8 die Maximen seiner Wahl in

demselben Wollen zugleich als allgemeines Gesetz mit begriffen seien”

(GMS 74 f.).

Offenbar meint die Rede von der ,allgemeinen Giiltigkeit fiir jedes

verniinftige Wesen” hier nicht nur, im Sinne der Gesetzesformel, die Be-

dingung, da alle so handeln oder handeln diirfen, sondern auch, im Sinne der Zweckformel, die Bedingung, daf es alle verniinftigerweise akzeptieren kénnen, da8 ich so handle und da8 alle so handeln. Dies geht daraus

hervor, da8 Kant die Autonomieformel mit der des ,,Reichs der Zwecke” identifiziert (GMS 70), also im wesentlichen dem, was wir in 1.5 die ,er-

ganzte Zweckformel” genannt haben. Kant sagt auch direkt, da8 die Vernunft ,,jede Maxime des Willens als allgemein gesetzgebend auf jeden anderen Willen” bezieht (GMS 67). Das Spezifische der Autonomieformel ist nun aber nach der zitierten Formulierung, da8 die Maxime nicht nur auf ihre Verallgemeinerbarkeit

im angegebenen Sinn hin gepriift werden soll, sondern daraufhin, ob sie ihre Allgemeingiiltigkeit fiir jeden bereits ,,in sich enthalt”

(GMS 71)

bzw. ob sie ,,in demselben Wollen zugleich als allgemeines Gesetz mit

begriffen” sei (GMS 74 f.). Das setzt voraus, da8 Kant hier mit Maximen

bereits Grundsatze mit moralischem Anspruch meint, die in Satzen der Form ,,Es ist moralisch richtig, in der Situation S die Handlung H zu tun”

formuliert werden miiSten. Die Autonomieformel miiSte demnach etwa so lauten: ,,Es ist moralisch richtig, nach solchen Grundsatzen zu handeln,

174

die implizieren, da8 es (in einem gerechten Zustand) im verniinftigen Interesse aller ist, wenn alle danach handeln.” Die so verstandene Autonomieformel ist zwar mit der bei Kant sonst iiblichen Bedeutung von ,,Maxime“ als ,subjektivem” Grundsatz des faktischen Wollens und Handelns ohne moralischen Anspruch unvereinbar. Aber die Unterscheidung von ,subjektiv” und ,,objektiv” (insbes. KpV § 1) 1a8t sich hier sinngema8 neu treffen, namlich als Unterscheidung von wes scheint mir moralisch richtig’ und ,,es ist moralisch richtig”. Und dariiber hinaus ist es auch sonst erst dann moralisch relevant, eine Maxime

im iiblichen Sinn auf ihre moralische Richtigkeit hin zu priifen, wenn zwar nicht unbedingt schon die Formulierung der Maxime, aber das betreffende Subjekt beansprucht, da8 es moralisch richtig ist, nach der Maxime zu handeln.

Die rekonstruierte Autonomieformel unterstellt nun offenbar, da8 die

moralische Giiltigkeit einer Maxime oder eines entsprechenden Satzes mit moralischem Anspruch die Giiltigkeit des Kantischen kategorischen Imperativs impliziert. Da ein moralisch giiltiger Imperativ weiterhin nach Kant nichts anderes als ein kategorischer Imperativ ist, ist diese Unter-

stellung mit Kants programmatischer These identisch, da8 der blo8e ,,Begriff” oder ,Gedanke” eines kategorischen Imperativs ,,die Formel des-

selben an die Hand gebe” (GMS 50). Das ist auch die nichstliegendste Bedeutung des Kantischen ,,Formalismus”, demzufolge moralische Maximen ,,nicht der Materie, sondern blo& der Form nach, den Bestimmungs-

grund des Willens enthalten” (KpV 135).

Kant sagt nun zwar, da8 der kategorische Imperativ ein ,,synthetisch-

praktischer Satz a priori” (GMS 50) und also nicht analytisch sei, aber

das liegt daran, da8 er dabei eher das Verhiltnis von Wille zu morali-

schem Prinzip als das von Begriff oder Form moralischer Urteile zu ihrem Prinzip im Auge hat (GMS 50 Anm.). Jedenfalls sind folgende Zusammenhange analytisch: Wenn es moralisch richtig ist, da ich in der Situation S die Handlung H

tue, so ist es auch moralisch richtig, da8 jeder in

der entsprechenden Situation H tut. Wenn es weiterhin moralisch richtig ist, da8 ich in S H tue, so ist es im verniinftigen Interesse aller anderen und in diesem Sinne fiir alle anderen richtig, da8 ich in S H tue. Und wenn dies beides der Fall ist, so ist es — in einem

gerechten Zustand —

auch fiir alle anderen richtig, wenn alle (jeweils anderen) in S H tun (vgl. 4.4 S. 130). Damit ist die erweiterte Zweckformel schon fast erreicht. Wenn nun die Tatsache, da8 es moralisch richtig ist, da8 ich in S H tue, nichts andetes bedeutet, als da& es unbedingt, sowohl fiir mich als fiir alle anderen,

richtig ist, da8 ich in S H tue, so ist es jedenfalls auch richtig fiir mich,

da8 ich so handle. Zusammen mit den schon genannten Pramissen ergibt sich daraus, da& die moralische Richtigkeit, da8 ich in bestimmter Weise

175

handle, impliziert, da8 es (im gerechten Zustand) fiir alle richtig ist, da8

alle so handeln. Damit ist die erweiterte Zweckformel erreicht, aus der

die iibrigen Formeln des kategorischen Imperativs ableitbar sind. Bei der Ableitung der erweiterten Zweckformel haben wir nun die Priamisse benutzt, da8 daraus, da8 es moralisch richtig ist, da8 ich etwas tue, folgt, da8 es iiberhaupt richtig ist, da8 ich dies tue. Und diese Pra-

misse ist mit Kants tigkeit unbedingte, durch Schillers und vationsproblematik ben,

so folgt im

These identisch, da8 moralische Giiltigkeit oder Rich,kategorische” Richtigkeit ist. Diese These ist aber Hegels Erneuerung der moralphilosophischen Motiin Frage gestellt. Wenn Schiller und Hegel recht ha-

Zustand

hoffnungslos

zerstérter

Sittlichkeit

aus

der

moralischen Richtigkeit einer Handlung nicht die praktische Richtigkeit,

da8 ich so handle. Und das bedeutet, wie sich jetzt gezeigt hat, da8 eine Pramisse von Kants ,,Formalismus” im Sinne der Ableitung des Moral-

prinzips aus der Form moralischer Urteile entfallt. Und damit entfallt auch die Formel des kategorischen Imperativs, die Kant speziell die der »Autonomie” nennt.

Die Autonomieformel 148t sich nun natiirlich dadurch heilen, da8 die

Bedingung unzerstérter Sittlichkeit in ihr erginzt wird. Aber dadurch

verschwindet genau der Zug, den Kant speziell mit dem Begriff der Autonomie verband, namlich die Unabhangigkeit von jedem kontingenten Motivationszusammenhang. Durch seine absolutistische und formalisti-

sche Negation der philosophischen Motivationsproblematik wird so selbst

Kants Begriff spezifisch moralischer Autonomie individualistisch iiber-

dehnt. Demgegeniiber bedeuten Schillers und Hegels Ideen einer sittlich

vermittelten moralischen Autonomie eine tiefgreifende Umwé4lzung der gesamten Moralitatsproblematik. Kant hat dariiber hinaus die Begriffe des Formalismus und der Autonomie, insbesondere in der ,,Kritik der praktischen Vernunft”, dadurch

belastet, da& er Autonomie nicht nur auf moralische Willensbestimmung einschrankt, sondern diese in einen prinzipiellen Gegensatz zu vormora-

lischen Motivationen bringt. Dem liegt zunachst zugrunde, da8 Kant

nicht zwischen einer kausalen Determination durch Ausléserreize von Objekten der Neigungen und einer Begriindung von Entscheidungen mit Bezug auf vormoralische Zwecke und Motive unterscheidet (s. insbes.

KpV §§ 2 u. 3). Dariiber hinaus verhindert Kants rigoristischer Pflicht-

begriff, da8 er die Méglichkeit erkennt, da8 (unforderbare) Verpflichtungen durch das Auftreten altruistischer Neigungen und Konzeptionen entstehen. Diesen Aspekt des Kantischen Autonomiebegriffs hatten wir bereits auf Kants Orientierung an der Rechtsform zuriickgefihrt (s. 4.4). Das ist nun auch beziiglich Kants prinzipieller Zuriiccweisung der Motivationsproblematik und der daraus folgenden Verscharfung der Ideen des ethi176

schen Formalismus und der moralischen Autonomie méglich. Denn da jede Sanktionierbarkeit von moralischen Verpflichtungen es ausschlie8t, da8 entsprechende altruistische Motive sie fundieren, so gilt dies a fortiori fiir juridische Sanktionierbarkeit. Es widerspricht auch mindestens den iiblichen Vorstellungen einer Trennung von Sittlichkeit und Recht und der gesetzlichen juridischen Geltung ,,unangesehen der Person”, wenn juridische Verpflichtungen fiir Personen nicht mehr gelten, wenn diese in hoffnungslos zerstérten sittlicien Kontexten leben miissen. Demnach lassen sich nicht nur Kants Rigorismus und die entsprechenden Einengungen der Idee des Formalismus und der Autonomie, sondern auch Kants absolutistische, gegen die Legitimitat der Motivationsfrage gerichtete Fassungen der Ideen des Formalismus und der Autonomie als Folgen eines

,,Legalismus”,

setzesbegriff, verstehen.

namlich

der Orientierung

am

juridischen

Ge-

Kants Begriff der spezifisch moralischen Autonomie hat jedoch auch

eine Tiefendimension, die von seiner naheren Theorie des Moralprinzips

und der Motivation sachlich unabhingig ist, ohne da8 Kant dies indes explizit unterscheidet. Kant folgert sein ,,Prinzip der Autonomie” namlich aus folgender ,,Autonomie des Willens”: ,,Autonomie des Willens ist die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst (unab-

hangig von aller Beschaffenheit der Gegenstande des Wollens) ein Gesetz ist” (GMS 74). Diese Definition von ,,Autonomie” wiederholt Kant am Beginn des dritten Abschnitts der ,,Grundlegung”: , Was kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein, als Autonomie, d.i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein?” (GMS 81). Kant sagt hier nicht nur, da8 der Wille sich selbst ein Gesetz gibt oder

es als giiltig anerkennt, sondern, daf er es ,,ist”. Damit kann also nicht

wie bei dem ,,Prinzip der Autonomie” der notwendige Zusammenhang von jeder moralischen Intention mit dem Moralprinzip (der erweiterten Zwedckformel) gemeint sein. Vielmehr meint Kant hier einen notwendigen Zusammenhang von Willen und moralischer Intention. Dieser Zusammenhang besteht natiirlich nicht darin, da8 jedes Wollen auch ein moralisches Wollen ist, aber er kénnte darin bestehen, da in jedem Wollen,

explizit oder implizit, die Giiltigkeit des Moralprinzips anerkannt wird. Zu jedem Wollen gehért namlich, wie wir im Kapitel 3.2 des II. Teils noch genauer sehen werden, ein Anspruch darauf, da8 es im vormorali-

schen Sinne richtig und verniinftig ist, so zu handeln. Zu diesem Rationalitatsanspruch gehért weiterhin auch der, da8 es berechtigt ist, so zu handeln. Kant hat das zwar nicht so analysiert, aber die Sache kommt sowohl in seinem Begriff der ,,Wiirde” jedes Vernunftwesens wie von

dessen Existenz als ,Zweck an sich selbst” zum Ausdruck. Nach Kant liegt namlich die Wiirde eines verniinftigen Wesens darin, da8 es ,,kei-

nem Gesetze gehorcht, als dem, das es zugleich selbst gibt” (GMS 67); 177

insofern ist die Autonomie der ,Grund der Wiirde der menschlichen und jeder verniinftigen Natur” (GMS 69, 74). Und ,die verniinftige Natur existiert als Zweck an sich selbst” (GMS 61), sofern sie die Selbstbestimmung iiber ihre Zwecke und deren Verwirklichung als ihr unverauSerliches Recht vorstellt und behauptet ™. Nun verkniipft Kant die Idee der Existenz als Zweck an sich selbst, der Wiirde und der Autonomie allerdings speziell mit der moralischen Motivation. Das ist zunachst wieder eine moralistische Uberspitzung, da der Sache nach auch in jedem eigeninteressierten Wollen, das die Handlung als berechtigte wei und behauptet, die Wiirde der Selbstgesetzgebung zum Ausdruck kommt. Aber Kant hat doch insofern recht, als man nur dann wirklich von Selbstgesetzgebung sprechen kann, wenn in der Behauptung eigener Rechte auch Rechte anderer in verbindlicher Weise anerkannt sind. Nun liegt darin, da8 ich ein Recht meiner behaupte, analytisch, da8 ich auch jedem anderen in der entsprechenden Situation dies Recht zubillige. Aber wenn ich mir, etwa im Sinne des Hobbesschen

natural

right”,

ein

schrankenloses

Recht auf alles ein-

raume, so bleibt die Anerkennung eines entsprechenden Rechtes anderer

notwendig unverbindlich, weil mein Recht mit dem Recht der anderen

notwendig unvereinbar ist. Es bleibt also zu zeigen, da& jedes Vernunftwesen als solches notwendigerweise in der Behauptung eigener Rechte die Rechte anderer so anerkennt, da& dadurch ein verniinftiger Konsens zwischen allen méglich ist, ein ,Reich der Zwecke”. Kant hat keine befriedigende Lésung dieses Problems vorgelegt und es auch schlieSlich als prinzipiell unlésbar behauptet (vgl. Einl. zu Teil II). Fiir eine kritische Wiirdigung von Kants Autonomiebegriff geniigt hier jedoch folgendes:

Einerseits macht Kants Idee, die Giiltigkeit des Moralprinzips in der

Struktur des Vernunftsubjekts als solchen zu verankern, plausibel, den

Begriff der Autonomie in gewisser Hinsicht auf den der moralischen Autonomie zu beschranken. Denn wenn iiberhaupt, dann gibt es nur beziiglich des moralischen Gesetzes, nicht beziiglich von vormoralischen

Zwecksetzungen, eine strukturelle oder sogar apriorische Notwendigkeit des Glaubens an ihre Giiltigkeit. Die strukturelle Notwendigkeit dieses

Glaubens kann man mit Kant sehr spezifisch , Autonomie” nennen, so-

fern damit eben gemeint ist, da8 das Vernunftsubjekt, wie Kant sagt, sich selbst ein Gesetz ist” (GMS 74, 81). Allerdings hat hier ,,Autono-

244 Ilting sieht in der zitierten These Kants nur dogmatische Metaphysik (K.-H. Ilting ('72), Der naturalistische Fehlschu8 bei Kant, in: Riedel (Hg.) S. 124). Allerdings ist Kants Rede vom ,,Zweck an sich selbst” bisher nur unzulanglich

analysiert worden (s. insbes. Haezrahi und Jones). Ich habe hier lediglich den in unserem Kontext entscheidenden Aspekt herausgehoben. 178

mie“ nicht mehr den normalen Sinn von Selbstgesetzgebung oder allge-

meiner von Selbstbestimmung. Héchstens kénnte man sagen, da8 ein

Handeln in diesem radikalen Sinne autonom ist, wenn das Subjekt durch seinen Entschlu8 sich gema& dem Gesetz bestimmt, das es immer schon

ist.

Andererseits zeigt sich hier wieder, wie Kant seinen Autonomiebegriff

absolutistisch und dabei letztlich individualistisch iiberspitzt. Kant sieht namlich die moralische Autonomie, als welche das Vernunftsubjekt notwendigerweise existiert, als eine Eigenschaft seines Willens an. Das be-

deutet, da8 fiir ihn die Anerkennung der moralischen Giiltigkeit auch

die Anerkennung der Richtigkeit, so zu handeln, impliziert. Und damit ist von vornherein ausgeschlossen, da8 es nur unter sittlichhen Normalbedingungen, namlich denen einer wenigstens nicht endgiiltig zerstérten Sittlichkeit, praktisch richtig ist, sich moralisch richtig zu verhalten. Damit enthebt Kant die moralische Vernunft prinzipiell jeder sozialen Relativitat.

Zweitens verhindert Kant damit, da8 er die Grundstruktur des praktischen Subjekts fiir unerkennbar erklart, da8 die Autonomie des morali-

schen Bewu8&tseins als ein Resultat einer Verbindung von Selbsterkenntnis und interpersonaler Interaktion analysiert wird. Dadurch bekommt diese Autonomie den Anschein einer ratselhaften Priexistenz oder einer direkt absurden Selbstschépfung. Offenbar hangen die beiden Aspekte, in denen die moralische Autonomie als sozial vermittelt erkannt werden

muf&, miteinander zusammen: Wenn die Genese des moralischen BewuSt-

seins im Kontext interpersoneller Anerkennung verstanden wird, wird es verstandlich, da8 es nur in einem solchen Kontext rational motivieren kann. In diese Richtung fiihren die Anerkennungslehren von Fichte und Hegel.

6. Hegels frithe Kritik der kantischen Moralitat Seitdem die von Hegel nicht veréffentlichten Manuskripte

Frankfurter Zeit zuganglich geworden

aus seiner

sind, stiitzt sich die Auffassung

von Hegel als Gegner von jeder Philosophie individueller moralischer Autonomie auch auf Hegels Entwicklungsgeschichte. Nachdem Hegel in Bern den Kantischen Standpunkt moralischer Autonomie durch Verabschiedung von Kants Postulatenlehre noch radikalisiert hatte (FrSchr 1go f.; N 233 f.), hat er in Frankfurt diesen Standpunkt durch den der

wLiebe” und ,,Religion” in der Tat zu iiberwinden versucht. Dilthey hat in seiner ,,Jugendgeschichte Hegels” zur Deutung von Hegels Frankfurter Konzeption den fragwiirdigen Begriff eines ,mysti179

schen Pantheismus”

verwandt™.

G. Luk4cs, dessen Buch

,,Der junge

Hegel” wesentlich gegen die irrationalistische Hegeldeutung von Lebensphilosophie und Neuhegelianismus gerichtet ist, hat dennoch von Dilthey

die These von der Frankfurter ,,Krise“ des Hegelschen Denkens iibernommen, die er von seinem objektivistischen Ansatz aus als ,,subjektivi-

stische Krise“ fa8t**. Obwohl Peperzak in seiner Monographie ,,Der junge Hegel und die moralische Weltanschauung” festgestellt hat, da8 die Anfangsteile des zentralen Frankfurter Manuskripts iiber den ,,Geist

des Christentums” als indirekter Kommentar zu Kants ,,Metaphysik der

Sitten” gelesen werden miissen ™’, sieht er in Hegels Ausfiihrungen iiber Moral nur IIustrationen einer Ontologie spinozistischhen Typs **. Die Analyse des Einflusses von Hilderlins Philosophieren auf Hegel, insbesondere durch D. Henrich ™, fiihrte schlie8lich auf eine Theorie mensch-

licher Strebensrichtungen einerseits und ein Uberschreiten der kritischen

Grenzziehungen von Kant und Fichte andererseits, das die ethische Pro-

blematik in einer metaphysischen Asthetik aufzulisen droht. D. Henrich hat jedoch bereits in einer fritheren Arbeit skizziert, wie die Frankfurter Komplementenlehre als Antwort auf immanente Probleme der Kantischen Ethik verstanden werden kann ™. Inzwischen liegt mit Baumeisters Heidelberger Dissertation iiber ,,Hegels frithe Kritik an Kants Ethik” ™ ein detaillierter Versuch vor, Hegels Frankfurter Philo-

sophieren als eine Kritik an Kants Moralphilosophie zu explizieren, die gleichwohl wesentlich Philosophie der moralischen Subjektivitat bleibt.

Baumeister vertritt die These, da8 der ,,philosophische Kern der Hegel-

schen Kritik im wesentlichen ein methodischer ist” (Baumeister 13), insofern Hegel die vergegenstandlichende Haltung theoretischer Reflexion 245

W.

Dilthey,

Die

Jugendgeschichte

Hegels,

in: Dilthey,

Gesammelte

Schriften

Bd. IV, Leipzig/Berlin ('21) S. 43 ff., 138 ff. 246 G. Lukdcs, Der junge Hegel. Ober die Beziehungen von Dialektik und Okonomie, Frankfurt (’73) Kap. 2. Zur Kritik an der These von der Frankfurter »Krise” Hegels siehe: H. S. Harris, Hegel’s Development. Toward the Sunlight,

1770—1801, Oxford (’72) S. 258 ff.

247 A. Peperzak, Le jeune Hegel et la vision morale du monde, La Haye (’60) S. 158.

248 ebenda S. 150, 252. 249 D. Henrich (’71), Hegel und Hélderlin, in: Henrich, Hegel im Kontext, Frankfurt ('71) S.9 ff.; ders. (’71), Historische Voraussetzungen von Hegels System, ebd. S. 61 ff.; O. Péggeler ('73 a), Sinclair — Hélderlin — Hegel, in: HegelStudien Bd. 8; ders. (’76), Philosophie im Schatten Hélderlins, in: Der Idealis-

mus

und

seine

Gegenwart,

Festschrift

fiir

W.

Marx,

hrsg.

v.

U.

Guzzoni,

B. Rang, L. Siep, Hamburg; siehe auch die detaillierte Darstellung in der Heidelberger Dissertation von P. Kondylis, Die Entstehung der Dialektik. Eine

Analyse der geistigen Entwicklung von Hélderlin, Schelling und Hegel bis 1802,

Stuttgart (’79).

250 Henrich (‘63) S. 382 £.

251

Th. Baumeister, Hegels friihe Kritik an Kants Ethik, Heidelberg ('76).

180

im Lichte der Selbstauslegung des sittlichhen BewuStseins hinterfragt (ebd. 14, 82 f., 92). Diesen Gesichtspunkt wendet Baumeister auch auf Hegels Kritik am Legalismus der Kantischen Ethik mit der These an, ,da8 das Eigentliche der Tugenden bzw. ihre Intention verfehlt werde, wenn

sie im Rahmen von Vernunft und verniinftiger Rechtfertigung verstanden werden” (ebd. 103).

Ich méchte demgegeniiber zeigen, da8 Hegels Kritik so verstanden

werden mu8, da8 Moralitdt genau dann als Ausdruck eines verabsolu-

tierten ,,Legitimationsgesichtspunkts” (ebd. 101) kritisiert werden mu8, wenn sie am Modell rechtsférmiger Sozialbeziehungen orientiert wird. In einem prinzipiellen Sinne jedoch bleiben Fragen der Ethik — auch beim jungen Hegel — Fragen nach rationaler Rechtfertigung (6.1). Allerdings verfolgt Hegel gleichzeitig eine dariiber hinausgehende Fragestellung, namlich die nach der Fundierung der Rationalitat moralischer Motivation in nichtinstitutionellen sittlidhen Beziehungen (6.2). Beide Fragestellun-

gen finden ihre Zuspitzung in dem Problem einer Rationalitat des Ver-

brechens und seiner Verséhnung (6.3).

6.1 Die Komplementenlehre als normative Ethik Hegel hat in dem Frankfurter Manuskript zum Geist des Christentums

die Lehre des Jesus von Nazareth von der ,,Erfiillung” des jiidischen Ge-

setzes gleichzeitig als Kritik am Standpunkt der (kantischen) Moralitat ausgelegt: ,Unmittelbar gegen Gesetze gekehrt zeigt sich dieser iiber Moralitat erhabene Geist Jesu in der Bergpredigt, die ein an mehreren

Beispielen von Gesetzen durchgefiihrter Versuch ist, den Gesetzen das

Gesetzliche, die Form von Gesetzen zu benehmen, der nicht Achtung fiir

dieselben predigt, sondern dasjenige aufzeigt, was sie erfiillt, aber als Gesetze aufhebt, und also etwas Héheres ist als der Gehorsam gegen dieselben und sie entbehrlich macht” (FrSchr 324; N 266). Wir wollen nun untersuchen, ob diese Konzeption das Feld der normativen Ethik prinzipiell verla8t, ob also die ,,Aufhebung der Gesetzlichkeit” bedeutet, da8 keine allgemeinen Prinzipien des Handelns und folglich auch keine Verpflichtungen mehr giiltig sein sollen. Hegels Antwort scheint zunachst ganz eindeutig negativ: Das, was die moralischen Gesetze erfiillt — Hegel nennt es ,,Sein”, ,Leben“, ,,Liebe” oder ,,Geist“ — ist nichts , Allgemeines”, kein Begriff und erst recht kein »Gebot”. ,,Moralitat ist nach Kant die Unterjochung des Einzelnen unter

das Allgemeine, der Sieg des Allgemeinen iiber sein entgegengesetztes

Einzelnes” (FrSchr 299; N 387). ,Kants praktische Vernunft ist das Ver-

mégen der Allgemeinheit, d.h. das Vermégen auszuschlieBen” (FrSchr 301; N 388); das von Jesus aufgezeigte Komplement ist jedoch eine »Synthese, in der das Gesetz [...] seine Allgemeinheit, und ebenso das 181

Subjekt seine Besonderheit, — beide ihre Entgegensetzung verlieren” (FrSchr 326; N 268). ,,Da Gesetze Vereinigungen Entgegengesetzter in einem Begriff sind” (FrSchr 321; N 264), die Erfiillung des Gesetzes jedoch die Entgegensetzung aufhebt, ist die entsprechende Vereinigung auch keine mehr in einem Begriff; in ihr wird ,der Begriff vom Leben

verdrangt” (FrSchr 327; N 369). Hier ist also auch die Form des Pflicht-

gebotes unangemessen. ,,Wenn Jesus auch das, was er den Gesetzen ent-

gegen- und iiber sie setzt, als Gebot ausdriickt [...], so ist diese Wendung in einem ganz anderen Sinne Gebot als das Sollen des Pflichtgebotes; sie ist nur die Folge davon, da8 das Lebendige gedacht, ausgesprochen, in der ihm fremden Form des Begriffs gegeben wird, dahingegen das Pflichtgebot seinem Wesen nach als ein Allgemeines ein Begriff ist” (FrSchr 324; N 266 f.). Aber ,in der Liebe [fallt] aller Gedanke von Pflichten” weg (FrSchr 325; N 267). Eine genauere Lektiire zeigt jedoch, da8 Hegels Gedanke sich nicht gegen jede Form von Allgemeinheit und Verpflichtung wendet. Gegentiber der Herrschaft des Allgemeinen

iiber das Einzelne

denkt Hegel

namlich keine blo8 negative Aufhebung des Allgemeinen, sondern ,,eher Erhebung des Einzelnen zum Allgemeinen, Vereinigung — Aufhebung der beiden Entgegengesetzten durch Vereinigung” (FrSchr 299; N 387). Ebenso hei&t es, da8 das Gebot der Nachstenliebe nicht einfach ein unangemessener Ausdruck fiir ein Sein ist, sondern ,,in einem ganz anderen

Sinne Gebot als das Sollen des Pflichtgebots” (FrSchr 324; N 267). Es ist zwar richtig, da8 Liebe nicht mehr durch ein BewuStsein von Verpflich-

tung motiviert ist. Daraus kann man aber auch den Schlu8 ziehen, da8

das von Hegel gesuchte Komplement der moralischen Pflicht zunachst

nicht zureichend als ,,Liebe” beschrieben werden

kann, sondern

selbst

noch eine Form von Verpflichtung impliziert und da8 ,,Liebe” in diesem Kontext die spezifisch moralphilosophische Bedeutung erhilt, diese Form von Verpflichtung zu begriinden. Als Charakteristikum eines moralistischen Standpunkts gilt Hegel die Form der Gesetzlichkeit (FrSchr 324; N 266 £.; vgl. FrSchr 339; N 278). Damit kann nach dem Vorhergehenden nicht die prinzipielle Allgemeinheit von moralischen Regeln und Urteilen gemeint sein; denn sie ist fiir jede Art von moralischen Satzen charakteristisch: Wenn ich verpflichtet

bin, in der Situation S die Handlung H zu tun, dann ist auch jeder andere in einer entsprechenden Situation S verpflichtet, H zu tun; und es ist dann fiir alle anderen gut, da8 ich in S H tue — und ebenso bei jedem anderen. ,,Gesetz” hat vielmehr hier die Bedeutung von einer Norm des Rechts: ,,Aber Jesus fordert im allgemeinen Aufgebung des Rechts, Er-

hebung iiber die ganze Sphare der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit durch Liebe” (FrSchr 331; N 271). Es erhebt sich natiirlich sogleich die Frage, mit welchem Recht Hegel 182

durch seine Auslegung der Worte des Jesus von Nazareth die kantische Moralitat implizit auf die Sphare des Rechts und der Gerechtigkeit einschrinken kann. Tatsadchlich hatte Hegel zunachst ausdriicklich moralische von ,biirgerlichen” Geboten unterschieden (FrSchr 321; N 264). Biirgerlich ist ein Gebot nach Hegel dann, wenn es ,,durch eine fremde

Macht behauptet wird” (ebd.), also kraft der auSeren Macht der Sanktionen.

,Rein moralische Gesetze, die nicht fahig sind, biirgerliche

zu

werden” (FrSchr 322; N 265), sind solche, ,deren Tiatigkeit nicht eine Tatigkeit, eine Beziehung gegen andere Menschen ist” (ebd.), also die sogenannten

,,Pflichten gegen sich selbst”. Da es diese nun trotz ihrer

beredten Verteidigung in Kants ,,Metaphysik der Sitten” nicht geben kann, reduziert sich im Hegelschen Text der Unterschied von moralischen

und biirgerlichen Gesetzen zundchst auf Unterschiede innerhalb der biirgerlichen Gesetze selbst, namlich zwischen blo8 positiven, also illegitimen biirgerlichen Gesetzen, legitimen biirgerlichen Gesetzen und Gesetzen, die legitimerweise biirgerliche Gesetze sein wiirden. Insofern

kann man mit Recht sagen, da8 Moralitat sich auf die ,Sphare von Recht

und Gerechtigkeit” beschrinkt. Diese Konsequenz wird auch durch den folgenden Gedankengang un-

terstiitzt: ,Jesus mu8te nicht blo8 das Komplement der Pflichten, son-

dern auch das Objekt dieser Prinzipien, das Wesen der Sphire der Pflichten aufzeigen, um das der Liebe entgegengesetzte Gebiet zu zerstéren” (FrSchr 334; N 274). Dieses Objekt oder Wesen der rechtlichen Pflichten ist aber nach Hegels Jesusdeutung das Eigentum. Eigentum kann ,kein Ganzes, kein vollstindiges Leben zulassen, weil es an Objekte gebunden,

Bedingungen seiner au8er sich selbst hat, weil dem Leben noch etwas als eigen zugegeben ist, was doch nie sein Eigentum sein kann. Der Reichtum verrit sogleich seine Entgegensetzung gegen die Liebe, gegen die Ganzheit dadurch, da8 er ein Recht und in einer Mannigfaltigkeit

von Rechten begriffen ist” (ebd.). Hegel spielt damit wohl auch auf Kants »Metaphysik der Sitten” an, wo Kant die Theorie des Eigentums, spezieller des Privateigentums, als Grundlage der philosophischen Rechtslehre behandelt. Hegel hat in dem Fragment iiber die Liebe aber gezeigt, da8 die »Rechtsform”

(FrSchr 250; N 382) nicht an das Privateigentum gebun-

den ist: ,,Durch jene Nichtabsonderung des Eigentums, solange es nicht gebraucht ist, tauscht die Giitergemeinschaft mit einem Schein der volligen Aufhebung der Rechte, im Grunde ist auch ein Recht an dem Teil des Eigentums, der nicht unmittelbar gebraucht wird, nur benutzt wird,

beibehalten, nur wird davon

stillegeschwiegen. In der Giitergemein-

schaft sind die Sachen kein Eigentum, aber es ist in ihr das Recht, das

Eigentum an einem Teil derselben versteckt. Danach ist die gewéhnliche Art unter Liebenden, die Rechte der Liebenden auf Sachen [...] gegen183

seitig aufzuheben und dies als einen Beweis der Liebe anzusehen, zu be-

urteilen” (FrSchr 249 f. Anm.; N 382 Anm.). Hegels kritische These ist hier, da8 eine Kollektivierung von Eigentum noch nicht bedeutet, da8 Beziehungen der Individuen nicht mehr rechtsférmig bestimmt sind. Dariiberhinaus behauptet Hegel positiv, da8 alles, in dessen Besitz die Menschen sind, die Rechtsform des Eigentums hat” (FrSchr 250; N 382). Die Begriindung fiir diese Uberzeugung ist, da8 der Besitzer im Besitzverhiltnis ,,keine andere Beziehung auf das

Objekt finden kann als die Beherrschung desselben” (FrSchr 250; N 382). Hegel scheint dies daraus zu schlieSen, da& Besitz immer ein Verhiltnis zu Dingen ist, zu ,,Totem”, das wesentlich nur aufgrund von ,,Macht”

eigen sein kann (ebd.); Eigentum kénne deshalb ,kein Ganzes, kein vollstandiges Leben zulassen, weil es an Objekte gebunden, Bedingungen seiner auSer sich hat, weil dem Leben noch etwas als eigen zugegeben ist, was doch nie sein Eigentum sein kann“ (FrSchr 334, N 274). Demgegeniiber meint Hegel, da8 die Dinge im dsthetischen und religidsen Weltbezug nicht notwendig schon Objekte sind, sondern dies erst durch die Reflexionsbeziehung werden, die Verfiigung und Herrschaft impliziert (vgl. das Fragment ,,Religion, eine Religion stiften”, FrSchr 241 f.; N 376f.). Demnach ist fiir Hegel die ,,Rechtsform” wesentlich aus objektivierender Herrschaft iiber Dinge zu verstehen. Vielleicht will Hegel so den Zwangscharakter des Rechts begriinden, den Kant in der ,,Metaphysik der Sitten” nur dogmatisch angesetzt hatte. Man mu8 jedoch mit Kant beriicksichtigen, da8 auch zwangsrechtliche Regelungen von Handlungsfreiheiten legitim sein kénnen, die man nur kiinstlich als Freiheiten der

Verfiigung iiber Objekte beschreiben kann. Und es ist fraglich, ob die »Sphare von

Recht und Gerechtigkeit”, die nach Hegels

Jesusdeutung

auch die der Kantischen Moralitat ist, auf die zwangsrechtlich positivierbaren Normen beschrankt werden kann. Von der Systematik von Kants »Metaphysik der Sitten” blieben dann einerseits das ,,zweideutige” Recht der Billigkeit und Not (MS 341f.) und andererseits die ,, Tugenden der Achtung” unberiicksichtigt, die sich nach Kant im Unterschied zu den Tugenden der Liebe auf einen ,,rechtmaBigen” und ,,gesetzmaSigen Anspruch” beziehen (MS 6oo0f.). Zur Umschreibung des Gesamtbereichs der in diesem weiteren Sinne rechtsférmigen Anspriiche habe ich in 4.2 den Begriff der ,moralisch forderbaren” oder ,,moralisch einklagbaren”

Anspriiche vorgeschlagen. In diesem Sinne charakterisiert Hegel die »ganze Sphire von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit” durch ,dies Gefiihl der Ungleichheit und das Soll dieses Gefiihls,

das Gleichheit for-

dert” (FrSchr 331; N 271). Dieses Fordern macht Mitmenschen und Dinge erst eigentlich zu ,,Objekten”.

Es liegt also in der Konsequenz der Hegelschen Gedankenfiihrung, den 184

Gesetzesstandpunkt der Kantischen Moralitat als den Standpunkt von in

einem weiten Sinne rechtsformigen, namlich mindestens moralisch ein-

klagbaren Anspriichen und entsprechenden Pflichten zu verstehen. Zur Vervollstandigung dieser Gesetzesmoralitat gehért also eine andere Dimension von Moralitat, namlich die der Verpflichtungen, die moralisch

nicht einklagbaren, jedoch gleichwohl legitimen Anspriichen entspre-

chen. Von ihnen, jedoch nicht eigentlich von der Liebe, kann Hegel mit

Sinn sagen, sie seien ,in einem ganz anderen Sinne Gebot als das Sollen

des Pflichtgebots” (FrSchr 324; N 267), namlich im Sinne der Verpflichtung zu etwas, das nicht legitim gefordert werden kann. Sie sind jedoch durch altruistische Motive (,,Liebe”) bedingt (s. 4.3). Da8 man hier zwar von einer ,, Verpflichtung”, jedoch nicht gut von einer ,,Pflicht” im Sinne

Kants sprechen kann, kann man darin angedeutet finden, da8 die Liebe —

offenbar in Analogie zu der ,,Achtung vor dem Gesetz” in der Kantischen Moralitat — ,,das Lebendige achtet” (FrSchr 308; N 394). 6.2 Die Komplementenlehre als Theorie moralischer Motivation

Wenn auch die Komplementenlehre normativ-ethische Implikationen hat, so ist sie doch in erster Linie als Theorie transsubjektiver Motivation gemeint. Dies kann man schon daran sehen, da8 das Komplement des Gesetzes ein ,Sein”

sein soll, also nicht

eine

andere

Norm,

sondern

die

Wirklichkeit moralischer Praxis ** bzw. Motivation. Die Komplemente

»Geneigtheit”, ,Liebe” und ,,Religion” sind nicht so sehr Vervollstandigungen des Kantischen Sittengesetzes als der ,,Achtung” vor diesem

Gesetz (FrSchr 324, N 266, vgl. FrSchr 301, N 388). Und ,,Achtung” ist das Prinzip moralischer Einsicht und Motivation in Kants Ethik. Auch

in dieser Weise

hat Hegel

Schillers Versuch,

den Kantischen

Dualismus von Pflicht und Neigung zu relativieren, in seiner Komplementenlehre weitergefiihrt. Hegel nennt als erstes Komplement des Ge-

setzesdenkens die ,,Geneigtheit, so zu handeln“ (FrSchr 301, N 288; vgl.

FrSchr 309, N 395). Im sogenannten ,,Grundkonzept” zum ,,Geist des Christentums” identifiziert Hegel diese Geneigtheit mit der ,,Gesinnung” (ebd.). Demnach scheint ,,Geneigtheit” lediglich spezifisch fiir Moralitat im Unterschied zu blo8er Legalitat. Moralitat aber ware Achtung vor dem Gesetz, nicht Geneigtheit: ,,Nei-

252 Baumeister ('76) S. 74. Baumeister beachtet allerdings nicht, da& hier Hegel mit Hélderlin ,Sein” als ,Vereinigung“” denkt — also auch als Form von Intersubjektivitat — und es in einem metaphysischen Oberstieg iiber Fichtes Ichbegriff fundiert. Zu Hélderlin vgl. D. Henrich (‘67b), Hélderlin iiber Urteil und Sein.

Eine Studie zur Enststehungsgeschichte des Idealismus, in: Hélderlin-Jahrbuch

Bd. 14, 1965/66 Tiibingen.

185

gung ist in sich gegriindet, hat ihr idealisches Objekt in sich selbst, nicht in einem Fremden (dem Sittengesetze der Vernunft). Er [Jesus v. N.] sagt

nicht: Haltet solche Gebote,

weil sie Gebote eures Geistes sind, nicht

weil sie euren Voreltern gegeben worden sind, sondern weil ihr sie selbst euch gebt — so sagt er nicht; er setzt die Gesinnung gegeniiber, die Geneigtheit, moralisch zu handeln” (FrSchr 301, N 388). Diese spezielle Bedeutung von Gesinnung kann man zunichst von dem Passus der ,,Kritik

der praktischen Vernunft” her verstehen,

des biblischen lieben, heift, Rel 670 Anm.). Gesetz ,,durch

in dem Kant

seine Deutung

Liebesgebots vortrigt. Kants These ist: ,Den Nachsten alle Pflicht gegen ihn gerne ausiiben” (KpV 205, vel. Und das ist nach Kant eine Folge des Handelns nach dem die mehrere Leichtigkeit, ihm Geniige zu tun” (KpV 206).

Das Gebot aber, das dieses zur Regel macht, kann auch nicht diese Ge-

sinnung in pflichtma&igen Handlungen zu haben, sondern blo&8 darnach zu streben gebieten” (KpV 205). Hier bezeichnet ,diese Gesinnung” nicht etwa die moralische Intention, das Tun aus Pflicht, sondern das Gernetun der Pflicht. Entsprechend heift es weiter, das Liebesgebot Jesu

stelle ,,die sittlicdie Gesinnung in ihrer ganzen Vollkommenheit dar, so wie sie ein Ideal der Heiligkeit von keinem Geschépfte erreichbar, den-

noch

das Urbild ist, welchem wir uns zu naheren, und,

in einem un-

unterbrochenen, aber unendlichen Progressus, gleich zu werden streben sollen” (KpV 205 f.). Es ist jedoch schon deshalb ausgeschlossen, da& Hegel diese Lehre von Kant meint, weil das von Hegel gesuchte Komplement ein Sein sein soll, Heiligkeit bei Kant aber ein unerreichbares Ideal ist. Gegen die Kantische Deutung des neutestamentlichen Liebesgebotes richtet sich tatsachlich Hegels Polemik in dem angefiihrten Manuskript zum Geist des Christentums (FrSchr 325, N 267). Dort wird die ,,Geneigtheit” zunachst so erlautert: ,,Nicht die Unterstiitzung der moralischen Gesinnung durch Neigung, sondern eine geneigte moralische Gesinnung, d. h. eine moralische Gesinnung ohne Kampf” (FrSchr 326 Anm., N 268 Anm.[a]). Diese Stelle, die man noch als Umschreibung des Kantischen ,,die Pflicht gerne

tun” verstehen kann, hat Hegel dann gestrichen und durch folgende ersetzt: ,Einigkeit der Neigung mit dem Gesetze, wodurch dieses seine Form als Gesetz verliert; diese Ubereinstimmung der Neigung ist das mihouua des Gesetzes” (FrSchr 326, N 268). Hegel fahrt einige Zeilen weiter so fort: ,, Die Ubereinstimmung der Neigung mit dem Gesetze ist von der Art, da& Gesetz und Neigung nicht mehr verschieden sind; und der Ausdruck Ubereinstimmung der Neigung mit dem Gesetze wird darum ganz unpassend, weil in ihm noch Gesetz und Neigung als Besondere, als Entgegengesetzte vorkommen.” Die Ubereinstimmung von Gesetz und Neigung nennt Hegel dann ,,Leben und, als Beziehung Verschiedener, Liebe“ (FrSchr 327, N 268). 186

Hegel sagt hier ausdriicklich, da8 die moralische Vollkommenheit nicht einfach darin besteht, da8 die Neigungen zu demselben motivieren wie die Achtung vor dem moralischen Gesetz. Es liegt deshalb nahe, Hegel so zu verstehen, da8 hier die moralische Motivation

durch spontane Ge-

neigtheit zum Guten iiberfliissig wird. Aber das wiirde Hegel nicht erlauben, davon zu sprechen, da8 ,,Gesetz und Neigung nicht mehr verschieden sind”, sondern ,,einig”. Es bliebe auch vollkommen dunkel, wie

eine solche sittlichhe Verwandlung der Neigungen mdglich ist; und auch

wenn sie wirklich stattfande, bliebe moralisch richtiges Handeln letztlich

zufallig, solange die moralische Richtigkeit der Neigungen nicht durchs

moralische Bewu8tsein kontrolliert wiirde. Damit bliebe der Kantische

Dualismus aber in prinzipieller Hinsicht erhalten. Nach den Vorbereitungen in den vorangegangenen Kapiteln bereitet

es nun keine groSen Schwierigkeiten mehr, Hegels Perspektive einer

»Einigkeit der Neigung mit dem Gesetze, wodurch dieses seine Form als

Gesetz verliert”, zu verstehen. Diese Einigkeit charakterisiert namlich die Verpflichtungen, die moralisch prinzipiell uneinklagbar sind, da es diese nur aufgrund gleichgerichteter altruistischer gibt. Hier werden also Neigung und moralisches aufeinander bezogen, sondern die Verpflichtung durch die entsprechende Neigung und ist insofern

Neigungen iiberhaupt Gesetz nicht sekundar konstituiert sich erst ein Moment an dieser

selbst. Und dadurch verliert das Gesetz ,,seine Form als Gesetz”, namlich seine Rechtsférmigkeit, d. h. Einklagbarkeit, ohne dadurch den Charak-

ter eines allgemeinen Prinzips fiir moralische Rechte im weitesten Sinn (s. 4.5) zu verlieren. Diese hdhere Form von Moralitat zeigt sich nach Schiller in Anmut und der Fahigkeit zu einer quasi spielerischen Identifikation mit anderen (vgl. 5.2. S. 157 ff.).

Die Begriindung der Wirklichkeit von Moralitat in dem Komplement der ,,Liebe” hat jedoch eine moralphilosophisch noch grundlegendere Bedeutung. Wie wir in 5.2 gesehen haben, hatte bereits Kant Minimalbedingungen dafiir angegeben, da& es iiberhaupt iiberzeugend motivieren kann, moralisch sein zu wollen. Schiller hatte dann

zu zeigen versucht,

da eine wirklich autonome Moralitat Liebe und einen ,,asthetischen Zu-

stand” auch in den interpersonellen Beziehungen voraussetzt. Damit wird letztlich die praktische Richtigkeit, sich mit dem moralischen Standpunkt zu identifizieren, und damit die Méglichkeit einer rationalen moralischen

Motivation von der Wirklichkeit sittlichher Beziehungen abhingig. Hegels Komplementenlehre 1a8t sich nun als Erweiterung dieser Ansatze verstehen **, die Motivationsfrage in einer Weise zu stellen, die

253 Hegels Liebestheorie ist dartiberhinaus wesentlich von Hélderlin inspiriert, der sein Philosophieren seinerseits wesentlich als eine Radikalisierung der kantkritischen Impulse von Schillers Denken aufgefa8t hat. 187

sie weder redundant macht, noch die Autonomie moralischer Motive de-

struiert, namlich als Frage nach Bedingungen der Rationalitat moralischer Motivation. Das Komplement der Geneigtheit ist nach Hegel ,Liebe”. Die Erfahrung von und die Hoffnung auf Liebe ist notwendige Bedingung fiir moralische Einsicht und ihre Motivationskraft, weil sie die utopische Perspektive bezeichnet, die durch Moralitat, d.h. die Inten-

tion auf allgemein mégliche Ubereinstimmung,

freigelegt wird. Diese

These setzt freilich voraus, da8 Liebe ihrerseits die moralische Intention

eine reale Basis in der Erfahrung von Liebe haben mu&, kann auch diese

nicht moralisch neutral sein. Hegel geht es deshalb hier nicht um Liebe

als Bediirfnis und Begehren, sondern um den ,,Geist der Liebe”, den er

als ,,Freundschaft” fa8t (FrSchr 365, N 297). Liebe in der Form der Freundschaft fordert eine prinzipielle Anerkennung von Gleichheit, sie ist mit Herrschaftsstrukturen unvereinbar und setzt deshalb auch real eine gewisse Gleichheit voraus (FrSchr 395, N 322). Bei Hegel folgt dies daraus, da& Liebe und Freundschaft Moralitat voraussetzen: ,,Moralitat erhdlt, sichert nur die Méglichkeit der Liebe [. . .];

ihr Prinzip ist die Allgemeinheit, d. h. alle als seinesgleichen — als gleiche zu behandeln, die Bedingung der Liebe” (FrSchr 307, N 394). Wenn Liebende sich aus Moralitat als Gleiche behandeln, dann haben sie damit auch die Maxime akzeptiert, alle anderen als Gleiche zu behandeln.

»Liebe“ in diesem Sinne hat also allgemeine moralische Implikationen. Da& Hegel diesen Zusammenhang jedoch nicht eindeutig festgehalten

hat, zeigt sich daran, da

er das Verhaltnis

von

Liebe und Reflexion

widerspriichlich bestimmt. Einerseits heiSt es im Fragment tiber die Liebe, da& in ihr ,Einigkeit und Trennung vereinigt” sind, da8 in ihr also ,auch der Reflexion Geniige geleistet worden ist” (N 379 Anm.|[b]) ”. Andererseits hei8t es im ,,Grundkonzept zum Geist des Christentums”:

»Das Gesetz als herrschendes durch Tugend aufgehoben. Die Beschrinkung der Tugend durch Liebe — aber Liebe selbst Empfindung, mit ihr die Reflexion nicht vereinigt” (FrSchr 308, N 394). Diese reduktive Bestimmung von ,,Liebe” ist ein Grund

dafiir, da8

Hegel nun noch ein weiteres Komplement postuliert, das ,,Reflexion und Liebe vereint” (FrSchr 370, N02), namlich Religion” (ebd.; vel. FrSchr 302, N 389). Religion” bezeichnet in den Frankfurter Manuskripten einerseits eine Umsetzung von Liebe im Verhiltnis zur Welt *, 254 Die gestrichenen Partien, die bei Nohl S. 379 als Anmerkungen [a] und [b] abgedruckt sind, fehlen in der Ausgabe des Suhrkamp Verlages. Da die Suhrkamp-Ausgabe die sachlich gehaltvollen gestrichenen Partien sonst wiedergibt, sind die beiden Stellen vermutlich vergessen worden. 255 »Denn nur eine durch Einbildungskraft objektivierte Vereinigung in Liebe kann Gegenstand einer religiésen Verehrung

188

sein” (FrSchr 364, N 297). In dem Frag-

ee up

in sich enthilt. Da die handlungsmotivierende Antizipation von Liebe

andererseits

N 389) ™.

das

sittlichhe

Ideal

des

,Reiches

Gottes”

(FrSchr 302,

»Reich Gottes” war schon das Losungswort des Tiibinger Bundes von Hélderlin, Hegel und Schelling und gleichbedeutend mit dem der ,,unsichtbaren Kirche” *’. In dem Berner Manuskript iiber die Positivitat der christlichen Religion ist davon auch schon im Zusammenhang der Frage nach dem neutestamentlichen Komplement der Gesetze die Rede (FrSchr 139f., N176f.). Es wird dort als ,,Reich der Moralitat” bezeichnet

(FrSchr 140, N 177). Auch fiir den ,,Geist des Christentums” kann man zundchst annehmen, das ,,Reich der Moralitat” sei das Komplement fiir

Freundschaft, die ihrerseits Komplement fiir Moralitat des einzelnen ist. Aber die Utopie des ,,Reichs Gottes” ist doch nicht nur eine Utopie der Moralitat. Auch bei Kant schwankt der Begriff des ,,Reichs Gottes” zwischen dem einer blo8 moralischen und einer dariiber hinausgehenden Utopie. Denn

einerseits spricht Kant von einer ,,Darstellung der Welt, darin verniinf-

tige Wesen sich dem sittlichen Gesetze von ganzer Seele weihen, als ein

Reich Gottes, in welchem Natur und Sitten in eine, jedem von beiden fiir sich selbst fremde Harmonie, durch einen heiligen Urheber kommen,

der das abgeleitete héchste Gut mdglich macht” »Reich

Gottes”

also die Utopie

allgemeiner

(KpV 260). Hier ist

Moralitit,

das

von

dem

Reich Gottes qua ,,unsichtbarer Kirche” antizipiert wird (Rel 760). An-

dererseits ist ,,Reich Gottes” auch der Name fiir die Verwirklichung des héchsten und vollstandigen Gutes, das auch bei Kant nicht nur die Ver-

wirklichung der moralischen Zwecke der Menschheit enthalt (KpV 262). Nun

kann Hegel mit ,,Reich Gottes”

auch

nicht Kants

Lehre vom

héchsten Gut meinen, d. h. Gliick proportional der Moralitat; denn gegen diese Lehre richtet sich die Spitze seiner Polemik schon in Bern (FrSchr 1go ff., N 214 ff.). Hegel charakterisiert das Reich Gottes im Grundkonzept zum

Geist des Christentums zunichst negativ

als ,den Zustand,

wenn die Gottheit herrscht, also alle Bestimmungen und alle Rechte aufgehoben sind” (FrSchr 311, N 397). Da Hegel in implizitem Bezug auf Fichtes Naturrecht annimmt, da8 Rechte ,,aus der Entgegensetzung durch Freiheit entspringen”

(FrSchr 308, N 395), ist mit dieser Bestimmung

nicht die Geltung legitimer Anspriiche iiberhaupt und damit moralische ment ,Religion, eine Religion stiften” (FrSchr 241 ff., N 376 f.) scheinen dsthetischer und religidser Weltbezug noch identisch. 256 Diese beiden Momente des Religionsbegriffs verkniipft Hegel auch miteinander:

wlm Reiche Gottes kann es keine Beziehung geben als die [die] aus der riicksichtslosesten Liebe und damit der hichsten Freiheit hervorgeht, die von der Schénheit allein die Gestalt ihrer Erscheinung und ihr Verhdltnis zur Welt erhalt“ (FrSchr 400 £., N 328).

257 Hegel an Schelling, Ende Januar 1795 (Briefe 18). 189

Motivation schlechthin ausgeschlossen, sondern das entgegensetzende Einklagen von legitimen Anspriichen oder Bediirfnissen, das sie erst im

engeren Sinne zu ,,Rechten” macht.

Positiv spricht Hegel zundchst von ,schénen Verhiltnissen” (FrSchr 311, N 397) und dann von ,,lebendiger Gemeinschaft, die im Individuum

betrachtet,

Glaube

an die Menschheit

ist, Glaube

ans

Reich Gottes”

(FrSchr 312, N 398). Im Haupttext charakterisiert Hegel das ,,Reich Got-

tes” dann durch die ,,Schénheit und das gottliche Leben eines reinen Men-

schenbundes” (FrSchr 394, N 321) und als Vereinigung durch die Liebe (FrSchr 393 f., N 321). Damit scheint sich zu erweisen, da8 die Komplementierungsstufen

,,Liebe” und ,,Religion” ununterscheidbar

sind und

da8 die ,,Reflexion” von Hegel nicht wirklich integriert werden kann. Dieser Befund zeigt sicher eine Grenze des Frankfurter Denkens von Hegel. Hegel iiberschreitet sie erst endgiiltig durch seine Fichterezeption der Jenaer Zeit. Die Idee des ,,Reichs Gottes” geht jedoch in einem Punkt

tiber die vorhergehenden Komplemente

hinaus. Das Prinzip der Be-

ziehungen im ,,Reich Gottes” ist nicht blo8 allgemeine, auch nichteinklag-

bare Moralitat sowie die ,,Empfindung der Einigkeit des Lebens” in der

Liebe (FrSchr 394, N 321), sondern auch ,,Glaube an die Menschheit”

(FrSchr 312, N 398) bei mir und den andern, der als eine Form der Erkenntnis aufgefa8t werden kann, die Hegel spezifisch mit dem Begriff des ,,Geistes” verkniipft: ,,Glauben ist eine Erkenntnis des Geistes durch Geist, und nur gleiche Geister kénnen sich erkennen und verstehen”

(FrSchr 354, N 289). Hegel meint mit diesem Glauben ein solches Ver-

trauen in die iibergesetzliche Sittlichkeit eines anderen, das auch die »Verzeihung der Siinden” erméglicht. 6.3 Das Verbrechen und seine Verséhnung Die moralphilosophische Interpretation der Komplementenlehre findet ihre Bestatigung in Hegels Reflexionen iiber Bedingungen der Miglichkeit einer ,,Verzeihung der Siinden” bzw. der ,,Verséhnung des Verbrechens”. Zugleich machen diese die Notwendigkeit deutlich, das morali-

sche Bewu8tsein in einer Theorie der Subjektivitat zu verankern. Unter der Versdhnung des Verbrechens versteht Hegel dessen ,,Riickkehr zur Moralitat” (FrSchr 308, N 394). Riickkehr zur Moralitat meint nicht nur Riickkehr zu moralischem Verhalten, sondern Riikkehr zum

moralischen ,,Glauben an sich selbst” (FrSchr 306, N 392), namlich zum Vertrauen auf eigene moralische Motivation. Hegels These ist nun, da8 eine Verséhnung des Verbrechens unmdglich ist, ,,solange Gesetze das Hoéchste sind” (FrSchr 339, N 278), solange also die obersten Normen des Lebens die Rechtsform von Gesetzen haben und der moralische Standpunkt unbedingte Giiltigkeit haben soll.

190

Hegel

begriindet

diese These

Héchste sind”, solange mu

zunichst

so:

,,Solange

Gesetze

das

durch die Strafe ,,das Individuelle dem All-

gemeinen aufgeopfert, d. h. es muS getétet werden” (ebd.). Hegel denkt dabei wohl an den Fall des Mordes und daran, da8 nach Kant Wiedervergeltung das Prinzip des verniinftigen Strafrechts ist **. Hegels These ist jedoch von diesem speziellen Zusammenhang ablésbar: Immer dann, wenn auf der Grundlage von Gesetzen gestraft wird, tritt das Gesetz dem Normbrecher als etwas ihm Fremdes gegeniiber. Hegel argumentiert also keineswegs so, da8 dem Verbrecher in dem

strafenden Gesetz nur seine eigene verniinftige Freiheit entgegentritt. Dies spricht dafiir, da8 Hegel hier verniinftige Freiheit so versteht, da8 sie in der Form von Gesetzen nicht adaquat objektiviert werden kann. Insofern

das Verbrechen,

wenn

auch

unbewu&t,

gegen

die

abstrakte

Herrschaft von Gesetzen rebelliert, enthalt es also ein Moment von Legi-

timitdt auch dann, wenn diese gerecht sind.

Die Frage nach der Méglichkeit der Verséhnung in der Bestrafung eines Verbrechens scheint auch nur die vorlaufige Fassung von Hegels Fragestellung zu sein. Denn das Problem der Verséhnung und des Gewissens stellt sich auch demjenigen, der legitime Interessen illegal oder gewaltsam durdhsetzt, also auch dem Revolutionar. Hegel thematisiert zwar das legitime Verbrechen von Widerstand und Revolution nicht direkt im Un-

terschied zum bloSen Verbrechen, aber er unterscheidet das Verbrechen, das sich gegen geltende Gesetze richtet, von dem Verbrechen, das ,,aus

[dem] Leben kommt” und Gesetze allererst etabliert (FrSchr 346, N 283). Da die Etablierung von Gesetzen nach Hegel schicksalhafte historische Notwendigkeit ist, handelt es sich dabei also um die legitime Verletzung von Leben. Nach Hegels Einsicht kann nun auch legitimes Handeln in Widerstand und Revolution solange nicht autonom sein, wie es das Ganze der eigenen Subjektivitdt (FrSchr 306, N 392) und des intersubjektiven Lebens (FrSchr 346, N 283) zugunsten verniinftiger Rechtsprinzipien verdringen mu&. Hegels positive These zur Versohnung des Verbrechens ist, da8 diese

in der Erfahrung des Schicksals méglich ist. Dabei orientiert sich Hegel offenbar vor allem an der griechischen Tragédie. Da& Hegel davon spricht, da8 das verletzte Leben ,,seine Eumeniden loslaSt” (FrSchr 342,

N 280), ist ein Beleg dafiir, da& die Aischyleische ,,Orestie” den Hinter-

grund seiner Analyse bildet. Das Motivationsproblem eines Handelns, das fiir die Durchsetzung von Recht fiir es selbst fundamentales Leben

zerstéren mu8, lat sich dort auch gut veranschaulichen. Orest ist zu der

Rache an seiner Mutter, zu der er verpflichtet ist, erst fahig, nachdem er

258 Vgl. Peperzak S.159 Anm.

191

sich in einen wilden Ha8- und Rachegesang hineingesteigert hat, nachdem sich seine Rechtfertigungsrede in eine Schmahrede verkehrt hat **. Weil er seine owpgootvn, seine Besonnenheit und praktische Vernunft, zerstéren mu8, um handeln zu kénnen, zeigt die Tat nach ihrer Voll-

bringung ein anderes Gesicht, und die Erinnyen steigen in ihm auf. Ubrigens scheint auch fiir die moderne Tragidie das Motivationsproblem moralischer

Vernunft

zentral zu sein (Hamlet,

Wallenstein

usw.).

In

einer kurzen Niederschrift hat der junge Hegel die Tragédie Wallensteins so als ,das Schicksal des Bestimmtwerdens eines Entschlusses” (FrSchr 618) aufgefa8t. In der ,,Phanomenologie” wird Hegel dann den Terror der franzésischen Revolution auf die Entzweiung von Rechtsprinzipien und konkreter Individualitat zuriiccfiihren ™. Die Verséhnung des Verbrechens wird nun nach Hegel méglich durch die Erfahrung des Schicksals. Denn im Schicksal erfahre ich das andere

nicht, wie in der Strafe *, als etwas fremdes Allgemeines, sondern als etwas ,Individuelles“”, das insofern trotz seiner Feindschaft nach Hegels

Meinung einen Zugang zu der verletzten Ganzheit erméglicht. Hegel begriindet dies zunachst so, da8 im Kampf mit dem Schicksal ,,eine Sehnsucht nach dem verlorenen Leben” (FrSchr 345, N 282) aufbricht. Hegel mu aber zeigen, da8 diese Erfahrung im Verhiltnis zum Schicksal eine andere Rolle spielen kann als im Verhaltnis zum strafenden Gesetz. Eine Begriindung ist die folgende: ,,Das Schicksal ist das Bewu8tsein seiner selbst (nicht der Handlung), seiner selbst als eines sein des Ganzen reflektiert, objektiviert; da dies ist, das sich verletzt hat, so kann es wieder zu Liebe zuriickkehren; sein BewuStsein wird wieder

Ganzen, dies BewuStGanze ein Lebendiges seinem Leben, zu der Glaube an sich selbst,

und die Anschauung seiner selbst ist eine andere geworden, und das Schicksal ist verséhnt” (FrSchr 306, N 392 f.). Die Verséhnung des bésen Gewissens wird also in der Erfahrung des Schicksals dadurch

Selbstanschauung

méglich,

da8 diese ein SelbstbewuStsein

,als eines Ganzen”

erméglicht.

Diese

und

Ganzheit

eine

ist

einerseits die Vereinigung von entzweiten Momenten der eigenen Person,

insbesondere von Sinnlichkeit und Vernunft, und andererseits die iibersubjektive ,,Liebe” und ,,Freundlichkeit des Lebens” (FrSchr 343, N 280). Vielleicht setzt Hegel hier Hélderlins These voraus, da& SelbstbewuBtsein nur méglich ist aufgrund eines transsubjektiven ,,Seins“, das Hél-

259 Im beriihmten Kommos der ,,Choephoren” der Aischyleischen ,,Orestie”. 260 Vgl. v. Vf., Hegels Kritik des Jakobinismus ('70, ‘74).

261 Fiir Hegel ist das Schicksal einerseits das Gegenteil von Strafe (FrSchr 341, N 279), andererseits spricht er von der ,Strafe des Schicksals” (FrSchr 343, N 281).

192

derlin als ,,Vereinigung” und ,,Friede” fa8t**. Fiir die Verséhnung des

bésen Gewissens ist allerdings nur die Annahme notwendig, da8 eine

Einheit mit sich und anderen der Selbstreflexion zuginglich ist, nicht je-

doch, da8 sie schon in dem Faktum des SelbstbewuStseins vorausgesetzt

ist. Hegel hat diese Einheit mit anderen in der Deutung der Haltung von

Jesus gegeniiber Maria Magdalena

beschrieben

(FrSchr 354, 357 ff.;

N 289, 292 ff.). Hegels These iiber die Versshnung des Verbrechens la&t sich demnach und gemé& unserer Interpretation der Komplementenlehre wie folgt explizieren: Sie ist unméglich im Zustand zerstdrter Sittlichkeit und unter der Herrschaft der Rechtsform, miglich jedoch auf der Basis einer Intention auf iibergesetzliche, nicht-einklagbare Moralitat und der Erfahrung von Freundschaft und Vertrauen. Die Theorie der Verséhnung des Verbrechens weist in einem Punkt

noch iiber die Komplementenlehre

hinaus, namlich in der Theorie des

Schicksals. Das Schicksal ist zwar nach Hegel eine Erscheinung meiner selbst, jedoch wesentlich eine objektivierte, entfremdete Gestalt meiner

selbst, mit der ich mich deshalb im Kampf befinde (FrSchr 346 Anm.,

N 283 Anm.[a]). Eine Erfahrung der Ganzheit, die autonome Motivation erméglicht, ist deshalb nicht méglich im Ignorieren des Schicksals, son-

dern nur in der radikalisierten Selbsterfahrung im Kampf mit ihm. Hegel

zeigt im

weiteren

Text

zum

,,Geist

des

Christentums”,

da8

Jesus’ Lehre deshalb dem Schicksal der Verkehrung durch die Geschichte verfallt, weil sie versucht, sich in der weltlosen reinen Liebe iiber jedes

Schicksal zu erheben (FrSchr 397, N 324). Jesus’ praktische Konsequenz aus der Kritik der Rechtsform, die ,,Forderung von Abwerfung

der Le-

benssorgen und Verachtung der Reichtiimer“, nennt Hegel mit Recht »eine Litanei, die nur in Predigten oder in Reimen verziehen wird, denn eine solche Forderung hat keine Wahrheit fiir uns. Das Schicksal des Eigentums ist uns zu machtig geworden, als da& Reflexionen dariiber ertraglich, seine Trennung von uns uns denkbar wire” (FrSchr 333, N 272). Da Jesus den Rechtsstandpunkt kritisiert, ohne fiir die Verwirklidhung materialer Gerechtigkeit zu kiampfen und damit die Verhiltnisse aufzuheben, die die Verabsolutierung rechtsférmiger Handlungsregeln bedingen, konnte er den jiidischen Geist und den kantischen Moralismus nicht versdhnen: ,,Solche Feindschaften, als er aufzuheben suchte, kin-

nen nur durch Tapferkeit iiberwiltigt, nicht durch Liebe verséhnt werden” (FrSchr 317, N 261).

262 Hélderlin, Vorrede zur vorletzten Fassung des Hyperion, in: Hélderlin, Samtliche Werke und Briefe Bd. 1, Miinchen ('70) S. 558 f., vgl. Metrische Fassung,

ebd.

S.509,

Urteil

und

Sein,

ebd.

840f.;

dazu

Vgl. Hegel (FrSchr 370, N 302): ,,Reines Leben zu denken ist die Aufgabe.”

193

D.Henrich

[gestrichen:

(‘67 b)

S.73 ff.

SelbstbewuStsein]

Hegel meint dann allerdings, da8 auch die Tapferkeit nicht verséhnen

kann, weil ,,schon der Kampf fiir Rechte ein unnatiirlicher Zustand ist,

so gut als das passive Leiden” Jesu (FrSchr 348, N 283). ,Das Wahre beider Entgegengesetzten, der Tapferkeit und der Passivitat, vereinigt sich so in der Schénheit der Seele” (FrSchr 349, N 285). Die schéne Seele

ist aber als ,,freie Erhebung tiber den Verlust des Rechts und iiber den

Kampf” (ebd.) wiederum eine vergebliche Flucht vor dem Schicksal der Objektivitat. Hegel sieht schlie8lich die Versshnung zwischen dem ,,entgegengesetzten Extrem des jiidischen Geistes” und dem christlichen

»Bund

der Gemeine”

in der ,Mitte der Extreme in der Schénheit”

(FrSchr 404, N 330). Damit meint Hegel offenbar nicht die schéne Seele, sondern ,,schéne Verhiltnisse” (FrSchr 311, N 397). Es bleibt jedoch un-

Klar, in welcher Form in diese Kampf und Tapferkeit als notwendige

Momente eingehen, wie es die Theorie der Selbsterfahrung in der Erfahrung des Schicksals voraussetzt. Man kann die weitere Entwicklung von Hegels moralphilosophischen Ideen so verstehen, da8 er die Themen von Verbrechen, Kampf und Tapferkeit wirklich zu integrieren versucht und moralphilosophische Probleme behandelt, die sich im Zusammenhang dieser Problematik stellen. Diese Entwicklung fiihrt wesentlich von der Theorie der Tapferkeit im ,,Naturrechtsaufsatz” und des Verbrechens im ,,System der Sittlich-

keit” zu den Theorien des Kampfs um die Anerkennung und zur Dialektik der Anerkennungsformen. In Gestalt dieser Thematiken stellt Hegel m. E. implizit das Problem einer Begriindung der Ethik aus der Struktur der Subjektivitat. Dies wird dort deutlich, wo Hegel diese Thematiken zunichst in eine Theorie des BewuStseins und dann in eine Theorie des Willens und der praktischen Ichidentitat integriert. In den Frankfurter Manuskripten hatte Hegel zwar Ideen zum Gehalt moralischer Verpflichtungen und zu den Bedingungen moralischer Einsicht und autonomer moralischer Motivation entwickelt, jedoch die Frage nicht gestellt, worin die Giiltigkeit moralischer Normen begriindet ist und wie sich ein BewuBtsein von dieser Giiltigkeit konstituiert. Die theoretischen Mittel zur Behandlung dieser Fragen iibernimmt Hegel m. E. wesentlich von Fichte. Man kann sogar Hegels Entwicklung besser verstehen, wenn man sie von Fichtes verschiedenen Grundlegungs-

versuchen her rekonstruiert. Ich werde deshalb zunachst Fichtes Versuche

einer Begriindung der Ethik untersuchen. Bei seiner Aufnahme fichtescher Theoreme verfolgt Hegel allerdings immer gleichzeitig das Ziel, seine spezifischen Ideen von einer Sittlicikeit zu explizieren, die die Rechtsform transzendiert und Moralitat erméglicht. Hegels Versuche in beiden Richtungen kommen im wesentlichen in der Stufentheorie der Anerkennung

in der ,Jenaer

Realphilosophie”

von

1805/06

»Phanomenologie des Geistes” von 1806/07 zum Abschlu8.

194

und

der

II Fichtes subjektivitatstheoretische Grundlegung der praktischen Philosophie

Einleitung:

Kants Begriindungsversuche der Moral

Kant hatte in der ,,Grundlegung” nicht nur ein allgemeines Moralprinzip formuliert, das mit unseren intuitiven moralischen Urteilen konvergiert, sondern auch versucht, die Giiltigkeit dieses Prinzips zu begriinden’.

Diese Versuche hat Kant seit der ,,Kritik der praktischen Vernunft” auf-

gegeben und mit der Lehre vom ,,Faktum der Vernunft” als prinzipiell

undurchfiihrbar behauptet. Die Philosophen des ,,deutschen Idealismus”

haben diese vorgeblich ,,kritische” Grenzziehung jedoch nicht respektiert, obwohl sie mit der Kantischen Ethik im iibrigen im Prinzip iibereinstimmten. Zur Rechtfertigung dieser generellen Haltung miéchte ich einleitend plausibel machen, da& eine Begriindung des Moralprinzips im weiteren Rahmen des Kantischen Ansatzes nicht ausgeschlossen ist. Kant fragt in der ,Grundlegung” nach demjenigen, was den Willen mit dem moralisch motivierten Wollen einer Handlung bzw. dem Moralprinzip notwendig verkniipft (GMS 50, 82). Diese Verkniipfung sucht Kant in einem ,,Dritten”, das den synthetischen Charakter der apriorischen Verkniipfung bedingt (GMS 82) *. Als dieses Dritte gibt Kant zunachst den ,,positiven Begriff der Freiheit” (ebd.) an. Es hei8t dann jedoch vorsichtiger, da8 der positive Begriff der Freiheit dieses Dritte wschafft”

bzw.

,,uns darauf

weist”

(ebd.). Im

weiteren Verlauf

sieht

Kant dies Dritte dann in der ,intelligiblen Welt” bzw. im ,intelligiblen Selbst”. Kants Begriindungsversuche fiir diese Thesen sind jedoch wenig iiberzeugend, wie hier nur kurz gezeigt werden soll *. Der ,,positive Begriff 1 Zu Kants unzureichenden fritheren Versuchen, die Giiltigkeit moralischer Normen zu begriinden, vgl. D. Henrich (‘60), Das Problem der sittlichen Einsicht und Kants Lehre vom Faktum der Vernunft, in: Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken, Festschrift fiir H.-G. Gadamer, Tiibingen; zitiert nach: Kant. Zur Deutung seiner Theorie vom Erkennen und Handeln, hrsg. v. G. Prauss,

Kéln (’73).

2 GMS 82 fragt Kant allerdings nicht nach der synthetischen Verkniipfung des

Willens tiberhaupt mit der GesetzmaSigkeit seiner Maxime, sondern nach der Verkniipfung des ,schlechterdings guten Willens” mit dieser GesetzmaSigkeit. Diese Frage hat Kant jedoch in den ersten beiden Abschnitten bereits beantwortet mit seiner These, da8 diese Verkniipfung nicht synthetisch, sondern analytisch ist. 3 Zur ausfiihrlichen kritischen Analyse des Abschnitts III der ,Grundlegung” vergleiche H.]. Paton, Der kategorische Imperativ, Berlin (’72) Kap. XX ff.; D. Henrich ('75), Die Deduktion des Sittengesetzes. Uber die Griinde der Dunkelheit

197

der Freiheit” bzw. der ,Autonomie” kann die Verkniipfung von Wille und Moralitat nicht begriinden, da er bei Kant so definiert ist, da8 er mit dem Begriff der Moralitat zusammenfallt. Negative Freiheit” ist nach Kant eine Kausalitat, , unabhangig von fremden sie bestimmenden Ur-

sachen” (GMS 81). Als ,,fremde Ursachen” versteht Kant dabei anschei-

nend nicht nur 4u8ere Einwirkungen auf eine Person, sondern auch die

Antriebe und Neigungen der jeweiligen Person. Soll die postulierte unabhangige Kausalitat dennoch nicht schlechthin kontingent, im Falle des Handelns also unmotiviert sein ‘, so mu& sie aufgrund eines apriorischen praktischen Gesetzes erfolgen, da alle empirischen praktischen Gesetze nur unter der Voraussetzung einer Neigung oder eines Zwecks eine bestimmte Handlung implizieren. ,,Frei”, im positiven und negativen Sinne, ist ein Handeln also nur, wenn es rational motiviert ist, ohne da8 darin

eine kontingente Absicht konstitutiv eingeht. Dann aber ist Freiheit im positiven und im negativen Sinn gleichbedeutend mit Moralitat. Denn moralisch richtig ist ein Handeln nach Kant genau dann, wenn seine Richtigkeit nicht in einem Zweck oder einem Motiv des Handelnden begriindet ist, wenn es also ,,zweckabsolut richtig” ist (vgl. I, 4.5 S. 142).

Kant scheint nun im folgenden Absatz mit der Oberschrift ,,Freiheit

mu8 als Eigenschaft des Willens aller verniinftigen Wesen vorausgesetzt werden” (GMS 82f.) einen Freiheitsbegriff zu verwenden, der zwischen Undeterminiertheit durch Fremdes und (moralischer) Autonomie steht. Kants Gedanke ist der, da8 man nur wollen und handeln kann, wenn man sich dabei selbst als frei unterstellt. ,,Freiheit” meint hier offenbar

die Fahigkeit, nach den richtigen Griinden zu handeln, also einen rationalen Willen. Kant miiSte nun zeigen, da8 es einen notwendigen Zusammenhang von rationalem Wollen und Moralitat gibt. Rationales Wollen liegt auch schon dann vor, wenn man in moralisch indifferenten Kon-

texten aus guten Griinden handelt. Setzt man die praktische Richtigkeit des moralischen Standpunkts voraus, so impliziert die Fahigkeit zu rationalem Wollen auch die Fahigkeit zur Moralitat. Es bleibt jedoch zu zeigen, da& das Moralprinzip fiir Wesen, die zu rationalem Wollen fahig sind, giiltig ist. des letzten Abschnittes von Kants ,Grundlegung der Metaphysik der Sitten”, in: Denken im Schatten des Nihilismus, Festschrift fiir W. Weischedel, hrsg. v. A. Schwan, Darmstadt S. 54—112. 4 E. Tugendhat hat vorgeschlagen, die ,negative Freiheit” bei Kant als Freiheit

dazu zu verstehen, sich zwischen Rationalitat und Irrationalitét entscheiden zu kénnen

(E. Tugendhat

furt a.M.

('79a) SelbstbewuStsein

S.151). Diese Entscheidung

ist dann

und

Selbstbestimmung,

entweder

Frank-

durch Neigung

be-

stimmt oder unmotiviert. Tugendhat versteht ,positive Freiheit” demgegentiber als Bestimmung durch Vernunft, wahrend Kant, jedenfalls mit ,Autonomie”,

spezieller die Bestimmung

meint.

durch

reine praktische,

198

d.h. moralische Vernunft

Kant versucht sodann, den Standpunkt der Moralitat durch Riickgriff auf seine erkenntniskritische Unterscheidung von phanomenaler und noumenaler Welt zu begriinden. Dieser Versuch, aus Prinzipien seiner theoretischen Philosophie die praktische Philosophie zu begriinden, ist bereits so durchschlagend kritisiert worden (s. Anm. 3), da8 sich eine Auseinandersetzung hier eriibrigt. Kant leitet aus seiner Unterscheidung explizit auch nur den nétigenden Charakter des kategorischen Impera-

tivs ab, nicht jedoch seine Giiltigkeit bzw. diese héchstens mit Hilfe der

Zusatzannahme

eines Interesses an der Idee einer intelligiblen Welt

(GMS 100, vgl. 84 ff., 97 ff.) *.

Es ist nun fiir ein richtiges Verstindnis von Fichtes Ansatz bemerkens-

wert, da8 Kant nicht nur mit den Begriffen des ,,Dings an sich” und der

nintelligiblen Welt” argumentiert, sondern auch des ,Ichs an sich” (GMS 87) oder des ,,eigentlichen Selbst” (GMS 95, 98). Lést man diesen Begriff aus dem Kontext der Unterscheidung von erkennbarem Phanomenalen und unerkennbarem Noumenalen, so ist damit das Programm formuliert, die Giiltigkeit des Moralprinzips fiir ein Vernunftsubjekt aus Implikationen dessen abzuleiten, da8 Vernunftsubjekte notwendigerweise ein ,Ich” oder ,,Selbst” sind oder haben. Dies ist offenbar auch der Ansatz, den Fichte versucht hat zu explizieren. Das ,,Dritte”,

das das Wollen und das Moralprinzip miteinander verbindet, ist demnach darin zu suchen, da8 zu einem Wollen wesentlich (qualitative) Ich-

identitat gehdrt. Dieser Ansatz weist in zwei verschiedene Richtungen:

einerseits des Versuchs, apriorische Implikationen von epistemischer Selbstbeziehung zu deduzieren, und andererseits, die Selbsthaftigkeit des Wollens und seine Verkniipfung mit qualitativer Ichidentitat aufzuklaren. Wir werden im folgenden sehen, da& Fichtes Philosophie der epistemischen Selbstbeziehung ihren Anspruch, Moralitat zu begriinden, nicht einlésen kann (insbes. 2.4). In dieser Lage ist es wichtig, sich darauf zu besinnen, da& Kant auch versucht hat, die Ideen von Freiheit und Moralitat als notwendige Unterstellungen jeden Wollens und Handelns zu begriinden (GMS 82 ff.). Das ,,Dritte” zwischen Wollen und Moralprinzip 5 Vel. D. Henrich (’75) Kap. IX S. 94 ff. Die Lehre von dem Interesse an der Idee

einer intelligiblen Welt ist freilich nur zur Begriindung der Rationalitat moralischer Motivation, nicht der moralischen Geltung moralischer Prinzipien geeignet

(s. I 5.3). Henrich unterscheidet in dem genannten Aufsatz von der Frage nach dem ,Ursprung der RechtmaGigkeit des Anspruchs moralischer Gesetze” die Frage nach ihrer ,Wichtigkeit” (D. Henrich (’75) S.100). Damit meint Henrich einerseits einen konstitutiven Aspekt ihrer Geltung, namlich deren Unbedingtheit (ebd. S. 101), und andererseits die wirklichen Motive zur Moralitat im Zusammenhang einer integrierten verniinftigen Lebensform (ebd. S. 102 ff.). Unbedingte Geltung schlieSt jedoch das ,Motivationsproblem” in meinem Sinne

aus.

199

waren demnach die apriorischen Implikationen jeden Wollens (vgl. 3.2). Wir werden allerdings sehen, da8 diese Implikationen nur in einem solchen Wollen nachgewiesen werden kénnen, das — mindestens implizit — den Entwurf einer praktischen Identitat in sozialem Handeln enthalt (s. 4.1). In solcdhem Wollen geht das Subjekt des Wollens in seine Tatigkeit in einer Weise ein, die die Theorie der Ethik auf die der Subjektivitat zu

griinden erlaubt. Fichtes Versuche einer subjektivitatstheoretischen Begriindung der Ethik erreichen deshalb erst mit der Theorie des Willens und des praktischen Selbst in seiner ,,Sittenlehre” die Ebene, auf der sie erfolgreich sein kénnen. Damit erweist sich der Begriff der qualitativen Ichidentitat als der angemessene Nachfolgerbegriff fiir Kants Begriff des intelligiblen Selbst. Eine nicht mehr erkenntnistheoretisch-metaphysische, sondern subjektivitatstheoretische Begriindung der Giiltigkeit moralischer Normen gibt auch Kants erkenntniskritischen Restriktionen auf dem Gebiet der

praktischen Philosophie ihre spezifische Bedeutung zuriick. Man kann Kant in der ,,Grundlegung” namlich so verstehen, da8 der ,,praktische Gebrauch der Vernunft“ die Giiltigkeit des moralischen Imperativs nur insofern erweisen kann, als er die Notwendigkeit der , Uberzeugung von der Giiltigkeit dieses Imperativs” (GMS gg) erweist. Dies ist allerdings keine Einschrankung hinsichtlichh der Erkennbarkeit der Giiltigkeit

moralischer Normen, sondern nur die Umschreibung dessen, was es iiber-

haupt hei&t, anderes, als glauben, da8 In diesem

da8 oberste moralische Normen giiltig sind; es hei&t nichts da& vernunftfahige Subjekte als solche notwendigerweise diese Normen giiltig sind (vgl. I; insbes. 5.3 S. 167 f.). Sinne 14&t sich nun auch Kants Lehre vom ,,Faktum der Ver-

nunft” in der ,,Kritik der praktischen Vernunft” verstehen. Kant meint damit zunichst, da& die Giiltigkeit des moralischen Gesetzes bzw. die Tatsache, da8 es jedem Vernunftwesen als solches bewu8t ist, theoretisch

nicht begriindet werden kann (KpV 141,161). Kant meint mit dem 7Faktum der Vernunft” jedoch nicht nur diese Unerkennbarkeit, sondern auch das moralische Gesetz selbst, seine Giiltigkeit, also Achtungswiirdigkeit, das BewuStsein von diesem Gesetz, das BewuStsein von

dessen Giiltigkeit und die Achtung vor ihm ‘. Daher hat Henrich die Entwicklung der Kantischen Ethik zur Lehre vom ,,Faktum der Vernunft” so verstanden, da Kant nun den spezifischen Faktizitats- und Anerken-

nungscharakter der moralischen Einsicht ins Zentrum seiner Theorie stellt’. Kant will damit jedoch nicht nur einem Phanomen gerecht wer6 Beck unterscheidet das ,Faktum der Vernunft” von dem ,Faktum fiir die Vernunft” (L.W. Beck, Kants ,Kritik der praktischen Vernunft“. Ein Kommentar,

Miinchen (’74) S. 159 ff.). 7 vgl. D. Henrich ('60) S. 247 ff.

200

den, sondern auch bezeichnen, welches theoretische Problem durch dieses

Phanomen gestellt ist. Deshalb erlautert er seine Rede vom ,,Faktum der Vernunft”

folgendermafen:

,.Denn so kann

man

eine Willensbestim-

mung nennen, die unvermeidlich ist, ob sie gleich nicht auf empirischen Prinzipien beruht” (KpV 172) °.

Wenn das richtig ist, so besteht das ,,.Faktum der Vernunft” im Sinne

der Giiltigkeit des praktischen Vernunftprinzips in der (apriorischen) Notwendigkeit, da8 der Wille jedes Vernunftwesens durch dieses Prinzip bestimmt wird. Und da diese Willensbestimmung nicht schon bedeu-

ten kann, da8 das Vernunftwesen nun schon moralisch will, sondern zu-

nachst nur, da8 es die Giiltigkeit des Moralprinzips anerkennt, so besteht die moralische Giiltigkeit des Moralprinzips in nichts anderem als in der (apriorischen) Notwendigkeit der Uberzeugung jedes Vernunftwesens von der Giiltigkeit dieses Prinzips. Die Lehre der ,,Kritik der praktischen Vernunft” vom ,,Faktum der Vernunft” lauft also ganz im Sinne des Endes der ,,Grundlegung” darauf hinaus, die Giiltigkeit des moralischen Imperativs als die Notwendigkeit der , Uberzeugung von der

Giiltigkeit dieses Imperativs” (GMS gg) zu verstehen. Ein Beweis dafiir,

da& diese Notwendigkeit wirklich besteht, ware also ein Beweis fiir die

Giiltigkeit des Moralprinzips. Da8 Kant einen solchen Beweis fiir unmiglich hielt, hat seine Nachfolger zu Recht nicht davon abgehalten, sich daran zu versuchen.

1. Selbstbewu&tsein Fichtes Philosophie gilt als Philosophie des Selbstbewu8tseins, als eine

Philosophie also, deren zentraler Gegenstand Probleme der Theorie des

Selbstbewu8tseins sind und die SelbstbewuStsein zum Prinzip philosophischer Begriindung macht. Nun ist es zwar fiir Fichtes kritisches

Philosophieren charakteristisch, da8 seine Rede vom ,,ch” ihre Berechtigung darin hat, sich auf etwas zu beziehen, das Selbstbewu8tsein be-

sitzt. Dies unterscheidet ihn etwa von Schellings spekulativer Ichmetaphysik. Es ist jedoch keineswegs ausgemacht, da8 Fichtes Rede vom nich” sich auf einfaches SelbstbewuStsein bezieht und nicht eher auf komplexere Phainomene epistemischer oder praktischer Selbstbeziehung. So deutet der Ausdruck ,,Ichh=Ich”, den Fichte im § 1 der ,Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre” von 1794 als erste Umschreibung seines Gedankens vom ,,Ich“ angibt (GWI 288), darauf hin, da8 sein Thema nicht so sehr das schlichte (eigene) SelbstbewuStsein als vielmehr ein kom8 Diese Stelle beriicksichtigt Beck nicht. 201

plizierteres BewuStsein von der eigenen Identitat oder von dem eigenen

Wesen ist. Zwar finden sich bereits in der ,,Grundlage” wichtige Thesen

zur Struktur von SelbstbewuBtsein iiberhaupt. Die eigentlichen Themen von Fichtes Ansatz scheinen mir jedoch einerseits Probleme eines Wissens von sich selbst und andererseits Probleme der epistemischen Momente praktischer Selbstbeziehung zu sein °. Dem werde ich mich in den nachsten Kapiteln zuwenden. Hier soll zunachst gepriift werden, welchen Beitrag Fichte zur SelbstbewuStseinstheorie im engeren Sinne geleistet hat. Dabei zeigt sich, da8 der Versuch einer Definition von Selbstbewu&tsein zwar nicht auf Paradoxien fiihrt, die es als Deduktionsprin-

zip, insbes. fiir die Begriindung der Moral, geeignet machen kénnten, aber doch auf eine Bestimmung, aus der verstandlich wird, wie das Problem entstehen kann, dessen Auflésung die Grundlegung der Moralphilosophie bedeutet. 1.1 Fichtes Problemstellung Fichte hatte nach eigenem Zeugnis friih die ,noch unbestimmte Idee, die gesamte Philosophie auf das reine Ich aufzubauen” (GA I, 2/176). In den Revolutionsschriften gibt Fichte als Ziel des Menschen an, ,,blo8 von Sich, von seinem reinen Ich abhingig [zu] werden” ". Erst aus Aufzeichnungen und Dokumenten gegen Ende des Jahres 1793 l48t sich jedoch ein Bewu8tsein Fichtes dariiber belegen, auf welches Problem das ,,Ich” eine Antwort gibt und welche Probleme es selbst stellt. So hei8t es in den Vorarbeiten zur Gebhard-Rezension:

,,Die Vft. ist gendthigt ihr Ich als

absolute Einheit zu denken; eine absolute Einheit ist nur denkbar unter der

Voraussetzung

eines

schlechthin

unbedingten”

(GAII,

2/269) *.

Ebenso deduziert Fichte in dem Manuskript ,,Eigne Meditationen iiber ElementarPhilosophie” vom Winter 1793/94 aus der Denkbarkeit einer whéchsten Einheit” (GA II, 3/48 Zeile 16) und fordert auf: ,,Gehe der Unbedingtheit des Ich nach” (ebd. Zeile 21). In den folgenden Manuskripten zur ,,Practischen Philosophie” geht Fichte explizit aus von ,,uns-

9 Fichte sagt in einem Brief an Reinhold vom April 1795, da8 das Prinzip der Philosophie nicht ,,das des theoretischen Vermégens seyn kiénne“, sondern ,das

Prinzip der Subjektivitat iiberhaupt” (zit. nach dem Vorwort von R. Lauth zur ,Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“ in GA I, 2/215).

10 Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums siber die Franzésische Revolution, in: Fichte, Schriften zur Revolution, hrsg. v. B. Willms, Kéln/Opladen (67) S. 70, vgl. auch S. 91. a1 In der Endfassung der Gebhard-Rezension ist schwacher von blo8er ,Einheit” die Rede: ,Der Mensch wird dem Bewu8tseyn als Einheit, (als ich) gegeben; diese Tatsache ist nur unter Voraussetzung ihm zu erklaren” (GA I, 2/28). 202

eines schlechthin Unbedingten

in

rer Voraussetzung, da das Ich Eins seyn mii€e [u.] als Eins mii&e gedacht [werden] kénnen” (GA II, 3/190 Zeile 17/18), und sagt von dem Streben des Ich nach Selbsttitigkeit: ,,.Die Notwendigkeit eines solchen Strebens ist synthetisch a priori aus der geforderten Einheit des Ich — nach dem realen Grundsatze des Widerspruchs deduciert” (ebd. 190 Zeile 30—32). Worin besteht das Problem der Denkbarkeit dieser ,,absoluten Einheit des Ich“? In der Wiedergabe eines privaten Berichts Fichtes iiber die Entstehung

seiner Philosophie schreibt H. Steffens: ,,Da iiberraschte ihn plétzlich der Gedanke, da die Tat, mit welcher das SelbstbewuStsein sich selber ergreift und festhalt, doch offenbar ein Erkennen sei. Das Ich erkennt sich als erzeugt durch sich selber, das denkende und das gedachte Ich, Erkennen und Gegenstand des Erkennens, sind eins, und von diesem Punkte der Einheit, nicht von einer zerstreuenden Betrachtung, die Zeit und

Raum und Kategorien sich geben ]48t, geht alles Erkennen aus” (GA I, 2/177 Anm. 4). In einer weiteren Mitteilung ist durch Fichtes Enkel iiberliefert, wie Fichte ,,mit einer plétzlich ihn ergreifenden Evidenz, wahrend

er am warmen Winterofen stand, von dem Gedanken ergriffen worden

sei, nur das Ich, der Begriff der reinen Subjekt-Objektivitat, konne das héchste Prinzip sein” (ebd.).

Die lehrhafte Darstellung der Grundsatze in der ,,Grundlage der ge-

sammten Wissenschaftslehre” von 1794 gibt nicht mehr eindeutig zu

erkennen, auf welches Problem die These antworten soll, da8 das Ich dasjenige ist, was sich selbst schlechthin setzt. In einer Anmerkung zur zweiten Auflage von 1802 fa&t Fichte den Gedanken des ersten Paragraphen dann so zusammen: ,,Dies alles hei&t nun mit andern Worten, mit denen ich es seitdem ausgedriickt habe: Ich ist notwendig Identitat des Subjekts und Objekts: Subjekt-Objekt: und dies ist es schlechthin ohne weitere Vermittelung” (GW1 292 Anm.). Im ,,Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre. Fortsetzung” formuliert Fichte das Resultat der Uberlegungen der ersten beiden Abschnitte so: ,,Es gibt ein Bewu8tsein, in welchem das Subjektive und Objektive gar nicht zu trennen, sondern absolut Eins, und ebendasselbe sind” (VnD 111, Mei 107).

Die Einleitung in die Sittenlehre von 1798 beginnt mit der Voraussetzung einer ,,absoluten Identitat des Subjekts und Objekts im Ich”

(SI

395). In der Nachschrift der ,,Wissenschaftslehre nova methodo” von 1798 ist entsprechend die Rede von einer ,Identitat des Setzenden und

Gesetzten.

Diese Identitat ist absolut, die alles Vorstellen

erst miglich

macht. Das Ich setzt sich scilechthin, d. h. ohne alle Vermittelung. Es ist zugleich Subjekt und Objekt” (SN 357). Aus den angefiihrten Belegen geht hervor, da& die problematische ~absolute Einheit im Ich” nach Fichtes explizitem Selbstverstandnis mindestens in erster Linie die Identitat des Subjekts und Objekts im ,,Ich“

203

ist. In dieser Identitat sieht Fichte, mindestens in der Zeit von 1793—95, ein Problem, das es erlaubt, Bedingungen ihrer Méglichkeit zu erschlie-

&en. Dieses Problem ist namlich nach Fichte offenbar eine Paradoxie, die

bei Strafe des Widerspruchs Annahmen fordert, die sie aufzulésen imstande sind. Man kommt jedoch um die Feststellung nicht herum, da8 die Identitat eines Subjekts mit einem Objekt gar kein spezifisches Problem stellt, das iiber das jeder sonstigen (nichttautologischen) Identitatsaussage hinausginge *. Da8 ein Subjekt und ein Objekt identisch

sein sollen, mu& natiirlich paradox erscheinen, wenn mit ,Objekt” ein

vom Subjekt verschiedener Gegenstand gemeint ist — dies kann jedoch im Selbstbewu8tsein gerade nicht der Fall sein. Damit ist natiirlich nicht

behauptet,

da& das Phinomen

des Selbstbewu8tseins

keine Probleme

aufgibt. In der Identitat von Subjekt und Objekt liegt aber kein spezifisches Problem. Die dogmatische und merkwiirdig realitatsblinde Meinung, ein Sub-

jekt und ein Objekt kénnten nicht miteinander identisch sein — es sei 12 W. Beckers vehemente Kritik des Idealismus und der gesamten Philosophie in der Tradition von Descartes beruht auf der dogmatischen Leugnung der Méglichkeit

einer

Identitét

von Subjekt

und Objekt

im

Selbstbewu8tsein,

ja der

Méglichkeit von Selbstbeziehung iiberhaupt: Kann jedoch das im Gedanken ch’ gemeinte Ich das meinende Ich selber sein? Man mu8 diese Formulierung schon sehr genau nehmen. Sie stellt nicht in Frage, ob im SelbstbewuStsein im Gedanken Ich’ tiberhaupt ein meinendes Ich’ gemeint sein kann. Sicher meine

ich, wenn ich ,ich’ sage, mich als das Ich, welches in der Lage ist, was auch immer zu meinen. In Hegels Fassung aber mu8 das gemeinte Ich das genau dieses

sein ,Selbst-Meinen’ ausdriickende Ich sein. Erst diese Bedingung bezeichnet den Sacherhalt der Selbstbeziiglichkeit des Ich. Nicht-selbstbeziiglich ist der im Selbstbewu8tsein ausgedrtickte Gedanke ,Ich’, wenn mit ihm nicht das diesen Gedanken denkende Ich gemeint wird, sondern das Ich, welches in anderer Hinsicht au8ere Gegenstinde wahrnimmt, einen Kérper hat, etwas fiihlt etc.” (W. Becker, Idealistische und materialistische Dialektik, Stuttgart (’70) S. 33 f.). Man muB es jedoch noch genauer nehmen. Im Selbstbewu8tsein oder im Sichselbst-Meinen liegt Identitat des Subjekts und Objekts genau dieses Bewu8t-

seins oder Meinens vor. Das bedeutet jedoch nicht, da8 dabei das Meinen sich selbst meint, der Gedanke oder das Denken des Gedankens ,ich” sich selbst denkt usw., wie Becker anzunehmen scheint. Man mu8 Becker allerdings zugeben, da& die deutschen Idealisten sich in dieser Hinsicht oft sehr zweideutig

ausgedrtickt haben.

Tugendhat zeigt, da8 das Objekt von Selbstbewu8tsein stand, sondern eine Proposition ist ,und da& daher auch das nicht so verstanden werden kénne, da8 sich etwas einfach das Subjekt selbst zum Objekt wird” (E. Tugendhat ('79a) und

Selbstbestimmung.

Sprachanalytische

Interpretationen,

nicht ein GegenSelbstbewu8tsein auf sich bezieht, SelbstbewuB8tsein Frankfurt

a.M.

S. 38). Daraus, da8 SelbstbewuBtsein nicht als Identitat von Subjekt und Gegenstand definiert werden kann, folgt jedoch nicht, da& es diese Identitat nicht auch

enthalt.

Zum

Problem

einer

(intentionalen)

E. Tugendhat ebd. S. 146, 159, 160, 172, 259.

204

Selbstbeziehung

vergleiche

denn in einem irgendwie ,,dialektischen” Sinn von _,,identisch” — ,ist vielleicht teilweise nur eine verkehrte Artikulation der Tatsache, da& das

mit dem Subjekt eines Selbstbewu8tseins identische Objekt dieses Selbst-

bewu8tseins nicht — oder nicht nur — in dem normalen Sinne Objekt sein kann, namlich etwas, das sprachlich durch einen Namen, eine Kenn-

zeichnung oder ein Demonstrativpronomen bezeichnet wird. Selbstbewu8tsein ist in der Tat nur méglich aufgrund einer Bezugnahme, die sprachlich nicht durch einen Namen, eine Kennzeichnung oder ein Demonstrativpronomen formulierbar ist und im Gegensatz zu diesen prinzipiell nicht fehlgehen, also einen anderen oder gar keinen Gegenstand

treffen kann. Diese Weise der Beziehung auf ein Objekt ist sicher auf-

klarungsbediirftig, aber sie ist nicht schon dadurch paradox, da8 sich hier

ein Subjekt auf ein Objekt bezieht, das mit dem Subjekt identisch ist. Ein Problem der Identitdt von Subjekt und Objekt gibt es anscheinend bei komplexeren Fallen des Selbstbewu8tseins, namlich bei Stellungnah-

men zu sich, in denen das Subjekt und das Objekt der Stellungnahme in

kontradiktorischer Weise bestimmt zu sein scheinen, z. B. bei Selbstkritik. Es scheint ratselhaft, wie ein und dieselbe Person zu derselben Zeit

und in derselben Hinsicht Kritisierender und Kritisierter sein kann ™. Vielleicht enthalt auch jede Stellungnahme zu sich in diesem Sinne wider-

streitende Elemente. Eine Paradoxie der SelbstbewuStseinstheorie im all-

gemeinen ergabe sich jedoch erst durch die weitere Annahme, daf Selbst-

bewuBtsein immer eine Stellungnahme zu sich selbst enthilt. Fichte hat

mit seiner Erklarung des theoretischen durch das praktische Ich (vgl. insbes. § 1 seines ,,Naturrechts” von 1796) vielleicht so etwas im Auge gehabt. Es geht jedoch hier noch nicht um das, was Fichte positiv behauptet, sondern um das Problem, das fiir ihn jedes SelbstbewuBtsein stellt. Und

dieses Problem sieht Fichte irrtiimlicherweise offenbar in der einfachen Tatsache der Identitat von Subjekt und Objekt im SelbstbewuStsein — unabhingig von allen Problemen, die Stellungnahmen zu sich selbst stellen mégen ™. 13 s. hierzu H. Schmitz ('64) System der Philosophie, Bd. I: Die Gegenwart, Bonn S. 247 f£.: -b) Zweite Paradoxie: Die Identitdt des Unvereinbaren”.

14 Das Problem der Subjekt-Objekt-Identitdt in Stellungnahmen zu sich lést sich dann auf, wenn man beachtet, da8 das Objekt der Stellungnahmen immer ein Sachverhalt ist. Ich kritisiere z. B. nicht eigentlich mich, sondern, da8 ich so und

so gehandelt habe, da8 ich die und die Gewohnheit habe usw. E. Tugendhat hat dariiberhinaus in seiner Interpretation von Heideggers Existenzialphilosophie zu zeigen versucht, da8 man sich in allem Tun und Wollen insofern zu sich verhlt, als man sich im Verhalten zu Propositionen von sich letztlich auch immer zu der Proposition verhalt, da8 man existiert (Tugendhat (79a) S. 186, 189, 225, 236, zu Kierkegaard ebd. S. 160.).

Tugendhat sagt allerdings auch, da8 ein Verhalten zum eigenen Tun auch unabhangig

von

Heideggers

werden kann (ebd. S. 260).

BAe

spezieller These

205

als Verhalten

zu

sich verstanden

Man kann Fichtes Texte seit 1797 so verstehen, da8 in ihnen die Uber-

zeugung von einer notwendigen Verschiedenheit von Subjekt und Objekt nur die Uberzeugung des naiven, weltbezogenen BewuStseins ist, die durch die Reflexion auf das Phianomen des SelbstbewuBtseins gerade destruiert

wird.

Der

,,Versuch

einer

neuen

Darstellung

der Wissen-

schaftslehre. Fortsetzung” etwa argumentiert zwar zundchst so: ,,.Du bist — deiner dir bewu8t, sagst du; du unterscheidest sonach notwendig dein denkendes Ich von dem im Denken desselben gedachten Ich. Aber damit du dies kénnest, mu8 abermals das denkende in jenem Denken Objekt eines héheren Denkens sein, um Objekt des BewuBtseins sein

zu kénnen; und du erhiltst sogleich ein neues Subjekt, welches dessen, was vorhin das Selbstbewu8tsein war, sich wieder bewu8t sei. Hier ar-

gumentiere ich nun abermals, wie vorher [...]” (VnD 110, Mei 106). Fichte benutzt diesen Regre8 aber nicht mehr dazu, eine absolute Einheit im Selbstbewu8tsein zu deduzieren, etwa das moralische BewuStsein, sondern um die Notwendigkeit zu begriinden, die Primisse von der

notwendigen Verschiedenheit von Subjekt und Objekt fallenzulassen:

In jedem Bewu8tsein also wurde Subjekt und Objekt voneinander ge-

schieden und jedes als ein Besonderes betrachtet; dies war der Grund,

warum uns das BewuStsein unbegreiflich ausfiel. Nun aber ist doch Bewu8tsein; mithin mu8 jene Behauptung falsch sein. Sie ist falsch, hei&t: ihr Gegenteil gilt; sonach folgender Satz gilt: Es gibt ein BewuStsein, in welchem das Subjektive und das Objektive gar nicht zu trennen, sondern absolut Eins, und ebendasselbe sind“ (VnD 111, Mei 107) **. Fichte sagt iiber sein ,,Ich“ allerdings noch mehr, als da8 in ihm Sub-

jekt und Objekt identisch sind. In dem zitierten Bericht von H. Steffens

hei&t es, das ,Ich” sei ein ,,Akt des Selbsterkennens”, es erkenne sich

als erzeugt durch sich selber” und nicht nur das Erkennende und das

Erkannte seien in ihm identisch, sondern auch ,,Erkennen” und ,,Gegen-

stand des Erkennens”

(GAI, 2/177 Anm. 4). Im §1 der ,,Grundlage”

charakterisiert Fichte es vor allem durch die Satze ,,Ich = Ich” bzw. ,,Ich

bin Ich” (GWI 288) und ,,Das Ich ist fiir das Ich” (GWI 292). Im ,,Naturrecht” und den Versuchen einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre vor allem als ,,in sich selbst zuriickgehende Tatigkeit” (Nr 21) und »Handeln auf ein Handeln selbst” (2. Einl. 43, Mei 39) bzw. ,Handeln auf sich selbst” (VnD 107, Mei 103). Fichte spitzt jedoch diese Beschreibungen nicht explizit auf Probleme zu, die iiber das der Subjekt-Objekt15 Bedauerlicherweise

hat Fichte diese klare methodische Einsicht

nicht

durchge-

halten. So sagt er in der Einleitung zur Sittenlehre im klaren Widerspruch zu dem im Text Zitierten: ,Diese absolute Identitaét des Subjekts und Objekts im

Ich 148t sich nur schlieBen, nicht etwa unmittelbar als Tatsache des wirklichen

BewuBtseins nachweisen” (SI 395).

206

Identitat hinausgingen *. Dariiberhinaus ist es sehr fraglich, ob diese Beschreibungen auf das einfache SelbstbewuStseinsphinomen zutreffen — wenn sie iiberhaupt auf irgend etwas zutreffen. Wir werden in den folgenden Abschnitten dazu verschiedene Interpretationen diskutieren und eigene Rekonstruktionsversuche machen. In Fichtes Ichphilosophie geht nun explizit noch ein weiteres Problem ein. Es handelt sich jedoch nicht primar um ein Problem des Selbstbe-

wuBtseins,

sondern um

das Problem der Miglichkeit von BewuStsein

iiberhaupt. Dieses hat aber deshalb Konsequenzen fiir die Selbstbewuft-

seinstheorie, weil Fichtes These lautet, da8 BewuStsein nur auf der Basis

von SelbstbewuStsein méglich ist. Fichtes mangelnde Scheidung der Fragen nach der Méglichkeit des BewuBtseins und des SelbstbewuStseins hat einen historischen Grund in der Entstehung von Fichtes Wissenschaftslehre in der Auseinandersetzung mit Reinholds Elementarphilosophie. Wenn man namlich mit Reinholds ,,Satz des Bewu8tseins” annimmt, da8 Bewu8tsein notwendig darin

besteht, da8 Subjekt und Objekt unterschieden und aufeinander bezogen

werden, so versteht man weder die Méglichkeit des SelbstbewuStseins

noch des Bewu8tseins iiberhaupt. SelbstbewuStsein ist demnach unmiglich, weil in ihm Subjekt und Objekt nicht voneinander unterschieden, sondern identisch sind; und BewuStsein ist ebenfalls unméglich, weil das Unterscheiden und Beziehen von Subjekt und Objekt ja bereits voraussetzt, da8 diese bewuB8t sind.

Das Problem der Méglichkeit des Bewu8tseins wird in den Grundsadtzen der ,Grundlage” eher verdeckt. Im zweiten Grundsatz geht es

nicht etwa darum, da8 Bewu8tsein ohne SelbstbewuStsein unmiglich ist, sondern eher darum, da8 Selbstbewuftsein unmdglich ist ohne ein Bewu8tsein, das nicht Selbstbewu8tsein ist, und d. h. nach Fichte ein Be-

wu8tsein von etwas vom Ich Verschiedenem. In den neuen Darstellungen der Wissenschaftslehre, also ab 1797, geht Fichte jedoch von vornherein von dem Problem der Méglichkeit des Bewu8tseins aus. Schon in 16 D. Henrich meint, da8 die zitierte, nachtrigliche Anmerkung am Ende der Ziffer 10 des § 1 der Wissenschaftslehre von 1794 den Akzent gegeniiber dem Haupttext wesentlich verlagert, indem sie von einer ,Identitat des Subjekts und Objekts [...] schlechthin ohne weitere Vermittelung” (GWI1 292 Anm.) spricht (D. Henrich ('67a), Fichtes urspriingliche Einsicht, Frankfurt S. 41). In der Unmittelbarkeit der Subjekt-Objekt-Identitat liegt allerdings kein neues Problem gegentiber einer ,mittelbaren” Subjekt-Objekt-Identitat — falls dies iiberhaupt einen Sinn hat. Henrich zieht die Unmittelbarkeit auch selbst heran, wenn er das ,sich Setzen” des ersten Grundsatzes erlautert (Henrich (‘67 a) S. 18). Fichtes Rede von der Unmittelbarkeit weist vor allem auf die Unmittel-

barkeit eines Wissens. Auf der Unmittelbarkeit des Wissens im Selbstbewu8t-

sein liegt der Akzent wohl erst im Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre. Fortsetzung von 1797/98 (VnD 111 ff.; Mei 107 ff.).

207

der ,,Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre“ argumentiert Fichte gegen die Kantianer, da8 ein Denken von etwas nur dann durch ein Den-

ken dieses Denkens erméglicht sein kann, wenn dieses Denken ein Denken seiner selbst ist, da andernfalls ein unendlicher Regre8 entsteht

(2. Einl. 59f., Mei 56), und formuliert lakonisch: ,Ohne Selbstbewu8tsein ist tiberhaupt kein BewuStsein” (2. Einl. 50, Mei 57). Das einzige Kapitel des ,,Versuchs einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre. Fortsetzung” ist sogar mit der These iiberschrieben: ,,Alles Bewu8tsein ist bedingt durch das unmittelbare Bewu8tsein unserer selbst”. Fichtes Argument ist dies: ,Indem du irgendeines Gegenstandes — es sei derselbe die gegentiberstehende Wand — dir bewuSt bist, bist du dir, wie du eben zugestanden, eigentlich deines Denkens dieser Wand bewu8t, und nur inwiefern du dessen dir bewuSt bist, ist ein BewuStsein

der Wand miéglich. Aber um deines Denkens dir bewu8t zu sein, muSt du deiner selbst dir bewu8t sein” (VnD 110, Mei 106). Dieser Gedankengang beruht offensichtlich auf einer ganzen Reihe problematischer Gleichsetzungen. Fichte setzt voraus: 1., da8 jedes BewuStsein ein Denken ist, 2., da8 jedes Denken eine Tatigkeit ist, 3.,da8 die Tatigkeit, die

es ausmacht, da8 mir etwas bewuft ist, immer meine Tatigkeit ist, so-

wie 4.,da8 ich mir dieser Tatigkeit notwendigerweise auch als meiner Tatigkeit bewu8t bin. Fichte sagt ausdriicklich, da8& jemand, der dann, wenn er BewuStsein von etwas hat, sich darin keiner Tatigkeit bewuSt ist, ,von nun an keines meiner Worte verstehen” wird (VnD 106, Mei 102). Gliicklicherweise scheint Fichte jedoch in der Wissenschaftslehre ,nova methodo” von 1798 nicht mehr so massive Voraussetzungen zu machen,

ohne da 17 Die

allerdings ein iiberzeugender Beweis zustande kime “. Wenn

Stelle

lautet:

Man

hat

bisher

so

gefolgert:

Entgegen

gesetzter

Dinge

oder SuSerer Objekte kénnen wir uns nicht bewu8t sein, ohne uns selbst be-

wu8t zu sein, d.h. uns selbst Objekt zu sein. Durch den Akt unseres BewuStseins, dessen wir uns dadurch bewuSt werden kinnen, da8 wir uns wieder als

Objekt denken, und dadurch Bewu8tsein von unserem Bewu8tsein erlangen. Dieses BewuStsein von unserem BewuStsein werden wir aber nur wieder dadurch

bewuSt,

da8 wir dasselbe

abermals

zum

Objekt machen,

und

dadurch

Bewu8tsein von dem BewuStsein unseres Bewu8tseins erhalten, und so ins Unendliche fort. — Dadurch aber wurde dieses unser Bewu8tsein nicht erklart, oder es gibt demzufolge gar kein Bewu8tsein, indem man es als Zustand des Gemiits oder als Objekt annimmt,

und

daher

immer

ein Subjekt voraussetzt,

dieses aber niemals findet. Diese Sophisterei lag bisher allen Systemen — selbst dem Kantischen — zum Grunde. Dieser Einwurf aber ist nur dadurch zu beheben, da8 man etwas findet, bei dem das BewuStsein Objekt und Subjekt zugleich ware, da8 man also ein unmittelbares Bewuftsein aufstellte” (SN 356). Merkwiirdigerweise wird diese Passage von Henrich als Hauptbeleg dafiir an-

geftthrt, da8

Fichte

die

Aporie

einer Reflexionstheorie

des SelbstbewuStseins

erkannt habe (D. Henrich (67a) S.14, 41). Henrich versteht ,BewuStsein” hier 208

man einmal von der Méglichkeit absieht, da8 es BewuStsein von etwas

geben kénnte, ohne daf dieses fiir etwas, also einem Subjekt, bewu8t ist, so scheint es zwar nicht ausgeschlossen, einen Beweis im Sinne Fich-

tes zu erbringen ". Fiir eine Begriindung von Fichtes Intentionen wiirde es jedoch ausreichen zu zeigen, da& jedes ,,Denken” SelbstbewuStsein

voraussetzt.

7Denken“ im Sinne von Fichtes Beispielen, z.B. Denken ,,deines Tisches”, scheint ein propositionales Bewu8tsein zu sein. Denn es ist ein intentionales BewufStsein, und das beruht immer auf einem propositio-

nalen Bewu8tsein *. Propositionales BewuStsein ist jedoch ohne Selbstbewu8tsein unméglich; denn jede Proposition setzt Referenz voraus, und SelbstbewuBtsein ist der letzte Bezugspunkt aller Referenz *. Dariiberhinaus hat der Wahrheitsanspruch von Propositionen nur relativ auf ein selbstbewuftes Subjekt der Ausweisung dieses Anspruchs einen Sinn.

Die These, da8 BewuS8tsein SelbstbewuStsein voraussetzt, hat nun bei

Fichte eine wichtige Konsequenz fiir die Theorie des SelbstbewuStseins. Selbstbewu8tsein kann namlich nun nicht mehr genetisch verstanden werden als Riickwendung des Subjekts eines BewuStseins von anderem

auf sich selbst; denn ein bloSes Bewu8tsein von anderem ist der These zufolge unmiglich. Selbstbewu8tsein kann also nicht durch ,,Reflexion”

zustandekommen ™, Aus dieser wichtigen These ergibt sich jedoch noch nichts iiber die Struktur von SelbstbewuStsein und ihre méglichen internen Probleme. anscheinend von vornherein als BewuStsein

eigener mentaler Zustande. Diesen

Sprachgebrauch finde ich auch bei seinem Schiiler Pothast (U. Pothast, Uber einige Fragen der Selbstbeziehung, Frankfurt a. M. ('71) S. 49; S.73 Anm. auch

mit Bezug auf die zitierte Fichte-Passage), vgl. auch unten S. 219 f., Anm. 40.

18 Wenn Schmitz’ These richtig ist, da8 Bewu8tsein leibliches Geschehen ist (s. Schmitz, ,Bewu8tsein von etwas” als leibliches Geschehen, in: H. Schmitz (68), Subjektivitat, Bonn S.1—31), dann ist BewuStsein notwendig wenigstens elementares SelbstbewuStsein, nimlich das SelbstbewuBtsein des eigenleiblichen Erlebens. Jedenfalls scheint mir ein wahrnehmendes BewuStsein nicht ohne elementares SelbstbewuStsein miéglich. Denn Wahrnehmung impliziert dic Uberzeugung von der Existenz des Wahrgenommenen, und raumliche Ordnung ist ohne eine unmittelbare Kenntnis von dem Ort, an dem ich bin, unmdglich. Beides setzt jedoch leibliches Selbstbewu8tsein voraus. Zum Verhiltnis von Bewu8tsein und SelbstbewuS8tsein vorsichtiger: D. Henrich (’70), Selbstbewu8tsein. Kritische Einleitung in eine Theorie, in: Hermeneutik und Dialektik I, hrsg. v. R. Bubner et al. Tiibingen S. 275 ff. Schmitz, (’69) § 146 a, definiert BewuBtsein sogar direkt als SelbstbewuBtsein. 19 s. E. Tugendhat ('76), Vorlesungen zur Einfiihrung in die sprachanalytische Philosophie, Frankfurt a. M. S. 98 ff., vgl. Tugendhat ('79a) S. 19 £. 20 s. E. Tugendhat ('79a) S. 78, 87. 21 D. Henrich hat Fichtes Ichphilosophie als Gegenentwurf gegen die Vorstellung

des Ich als Reflexion interpretiert. Obwohl Henrich von dem Problem des Zu-

standekommens

des SelbstbewuStseins

209

ausgeht

(Henrict

(‘67a)

S.13),

hat er

1.2 Zur Rekonstruktion von Selbstbewu8tseinsproblemen im Ansdhlu8 an Fichte Fichte ist es nicht gelungen, beziiglich des Phanomens des Selbstbewuft-

seins ein philosophisches Problem zu explizieren. Sein gesamter Versuch,

systematisch zu philosophieren, wird jedoch von dem Bewuf&tsein angetrieben, da8 das Selbstbewu8tsein dem Denken Paradoxien aufgibt.

Wenn Fichtes Idee von Philosophie nicht auf einer Illusion beruht, miis-

sen diese Paradoxien auffindbar sein, wenn man sich nur geniigend in die Perspektive begibt, aus der heraus Fichte philosophieren wollte. Fichte beginnt den ,,Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre. Fortsetzung” mit der Aufforderung, den Gedanken ,,Ich” zu denken (VnD 105, Mei 101). Der zweite Abschnitt beginnt mit der Aufforderung ,,Denke dich” (VnD 109, Mei105), die man wohl verstehen muB als: ,,Denke: ,ich’.” Im ersten Abschnitt ist jedoch nicht von dem Gedanken ,,ich” die Rede, sondern von ,,dem Ich” (VnD 107 f., Mei

102 f.). Offenbar gleichbedeutend redet Fichte von dem ,,Begriff des Ich” (VnD 107, Mei 103); schlieBlich auch nicht mehr von ,dem Ich”, sondern von ,,deinem Ich” (VnD 108, Mei 104). Fichtes Einfiihrung eines Gedankens

,Ich”

iiber das Denken

indivi-

dueller Gegenstande wie ,dieser Tisch” usw. kénnte den Gedanken nahelegen, da8 dieser Gedanke ,Ich” genauer den Gedanken bezeich-

nen soll: ,,Dies ist Ich.“ Und das wiederum kann zweierlei heifen, ent-

weder: ,,Dies ist ein Ich“, was eine ausfiihrliche Formulierung des Be-

griffs des Ich qua SelbstbewuBtsein ware, oder: ,,Dies bin ich.” Schlie8-

lich kénnte gemeint sein: ,,Ich bin ich.” Die beiden letzteren Méglichkei-

ten kénnte man als Interpretation dessen ansehen, da8 Fichte in der /Cweiten Einleitung” das Postulat ,,Denke dich” gleichsetzt mit diesem:

»Konstruiere den Begriff deiner selbst” (2. Einl. 42, Mei 38). Falls dieser

» Begriff” jedoch der Begriff von ,,meinem Ich” sein soll, miiSte er lauten: ,,Ich bin einer, der denkt ,ich’ “, bzw.: ,,Ich bin einer, der denkt: ,Dies

bin ich.’ “

kein echtes Problem der Genese von SelbstbewuBtsein formuliert, sondern Probleme von dessen interner Struktur. Sicher hat Henrich

recht damit, da8 man

SelbstbewuBtsein nicht als Resultat von Selbstbesinnung erklaren kann (ebd.).

Aber

eine

Reflexionstheorie

des Selbstbewu8tseins,

die dies annimmt,

versteht

sich selbst nicht und ist kein ernstzunehmender Gegner. Die These, da8 Selbst-

bewuBtsein aus bloSem Bewu8tsein von anderem entstehen kann, ist im Ge-

gensatz

dazu keineswegs

prima

lich richtig zu sein. Abgesehen sein/Bewu8tsein

sehe

ich keinen

facie unsinnig,

von

sie scheint

eher selbstverstand-

dem Bedingungsverhiltnis

Grund,

warum

Selbstbewu8t-

SelbstbewuStsein

nicht

durch

Reflexion zustandekommen kénnte. Die Genese von SelbstbewuBtsein stellt als solche iiberhaupt kein philosophisches Problem, das nicht bereits durch die Struktur von Selbstbewu8tsein und Bewu8tsein gestellt ist. 210

Es ergeben sich somit folgende Grundmiglichkeiten, das nach Fichte

zu denkende ,Ich” zu verstehen: 1. ,ich” oder besser: ,Ich bin ...”; 2. ,ein Ich“, d.h.: ,ein selbstbewu8tes X” bzw.: ,,X ist ein Ich”, d.h.: #X hat SelbstbewuBtsein”; 3. ,mein Selbstbewu8tsein”; 4. ,Dies bin ich”; 5. ,Ich bin ein Ich”, d. h.: ,,Ich habe SelbstbewuBtsein.” Diese Liste

1a8t sich beliebig verlangern, wenn man einen der Gedanken 1, 3, 4 oder 5 * wiederum zum Gegenstand eines Denkens von X oder mir selbst

macht, das erst den Gedanken ,,Ich“ vollstindig ergeben soll: 6. ,,X hat den Gedanken ,Ich bin .. .'”; 7. ,Ich habe den Gedanken ,Jch bin .. .’“

usw.”

1.) Es ist fiir Fichte charakteristisch, da8 er die Méglichkeit2 (,,ein Ic“, ,X hat Selbstbewu8tsein”) nicht weiter in Betracht zieht. Ihm kommt

es darauf

an, Selbstbewuftsein im eigenen

Fall, verbal also in

der ersten Person, zu explizieren. So heift es bereits in den

,,Eignen

Meditationen zur ElementarPhilosophie“: ,,1ster Saz [.. .] Schaue Dein Ich an{’]. ,Du bist Dir Deines Ich bewu8t[‘]” (GA II, 3/27 Zeile 7-8). wWill jemand mit uns philosophieren, so wird ihm angemutet, da8 er

sich seines Ich durch Anschauung bewuSt werde” (ebd. 28). In der ,,Zweiten Einleitung” spricht Fichte von dem ersten Postulat: Denke dich,

konstruiere den Begriff deiner selbst” (2. Einl. 42, Mei 38). In der Wissenschaftslehre nova methodo hei&t es entsprechend: ,,Es denke nun jeder sein Ich, und gebe dabei Achtung wie, er es mache” (SN 355). Fir dieses Programm hat Fichte in den ,,Eignen Meditationen” den Begriff »Selbstphilosophie” gepragt (GA II, 3/28 Anm.). 22 Ein Denken, das Denken

der Méglichkeit

2 (,ein Ich“, ,X ist ein Ich, d.h. hat

SelbstbewuB8tsein”) ist, kommt hier deshalb nicht in Betracht, weil es gar kein

Selbstbewu8tsein ergibt: Wenn es der Fall ist, daS X — midglicherweise ich selbst — den Gedanken hat, da& X Selbstbewu8tsein hat, dann impliziert dies nicht, da8 wirklich SelbstbewuBtsein vorliegt, namlich dann nicht, wenn X nicht glaubt, da er selbst X ist. 23 In der Fichteliteratur wird erst gar nicht gefragt, welchen Gegenstand bzw. welchen Gedanken Fichte mit dem Titel ,Ich” thematisiert. So geht D. Henrich zundchst davon aus, da& ,SelbstbewuStsein” Fichtes Thema ist (Henrich (’67a) S. 7, 10). Er spricht jedoch im gleichen Atemzuge ohne Erklarung von ,,dem Ich” (ebd.). Weiterhin

geht

es nach Henrich um

,das

Wort

,Ic)”

(ebd. S. 11); damit

ist offenbar das Personalpronomen gemeint. Darauf sagt Henrich, da vom Ich «nur dort gesprochen

werden

[kann ...] — wo Ich zu sich selbst ,Ich’ sagt”

(ebd.

S. 12). Damit kénnte auch der Gedanke ,,Dies bin ich” gemeint sein. Schlie8lich sagt Henrich, da8 ,der philosophische Terminus ,Ich’ [. . .] sich nicht in die Sprache des Lebens einbringen 1a8t” (ebd. S. 48). Da die bisher genannten Interpretationsmiglichkeiten

in der

hier vielleicht den Gedanken

Alltagssprache

vertraut

sind, meint

Henrich

,Ich bin ein Ich” oder ,Ich bin einer, der den Ge-

danken ,ich’ hat” oder etwas noch Komplexeres. E. Tugendhat kommt sogar zu

dem Ergebnis, da8 das von Henrich gemeinte Phanomen ,unmiglich” ist (E. Tugendhat (’79a) S. 57). 211

Man kann dieses Programm so verstehen, da8 es nur methodische Be-

deutung besitzt: Selbstbewu8tsein im eigenen Fall ist deshalb der primire Gegenstand der Philosophie des Selbstbewu8tsein, weil dies nur im eigenen Fall beobachtet werden kann. Dem entspricht Fichtes ,,Erstes Postulat: Denke dich, konstruiere den Begriff deiner selbst; und bemerke, wie du das machst” (2. Einl., Mei 38; vgl. die soeben zitierte Stelle

aus: SN 355), und sein Verstindnis der philosophischen Methode als »Experiment” und ,,Beobachtung” (2. Einl. 38, Mei 34). Eigene mentale Phanomene lassen sich jedoch nicht beobachten, und eigene mentale

Grundstrukturen wie SelbstbewuStsein, Wollen usw. sind nicht einmal

anschaulich gegeben und damit, anders als Empfindungen, Gefiihle usw., keine méglichen Gegenstiande einer intuitiven Selbstbesinnung, die in einem weiteren Sinne als Beobachtung bezeichnet werden kiénnte. Das Programm einer ,,Selbstphilosophie“ kann also nur besagen, da8 SelbstbewuB8tsein im eigenen Fall inhaltlich der primare Gegenstand der Philosophie des SelbstbewuStseins ist. In diesem Sinne scheint Fichte zu glauben, da8 Selbstbewu8tsein nur durch Rekurs auf den eigenen Fall definiert werden kann. Gegen diese Annahme steht jedoch die Tatsache,

da& Selbstbewu8tsein im eigenen Fall durch Satze der Form ,,Ich bin F”

beschrieben werden mu&, die Verwendungsregel fiir ,,ich” jedoch auf

SelbstbewuStsein in der dritten Person rekurriert: Mit ,,ich” bezeichnet

ein jeder sich selbst als sich selbst. Diese Regel kann nicht nur so verstanden werden: Mit ,ich” bezeichnet jeder Sprecher S den Sprecher S. Denn es ware miglich, da8 in einer

Sprachgemeinschaft der Ausdruck ,,ich” so verwandt wird, da8 damit jeder Sprecher faktisch sich selbst bezeichnet, ohne sich dabei als sich selbst zu meinen, und d. h. auch, ohne zu wissen, da8 der Bezeichnete er

selbst ist. Etwa kénnte die Regel so lauten: Mit ,,ich” bezeichnet jeder Sprecher S denjenigen, den S nur in einer prinzipiell beschrinkten Weise

wahrnehmen

kann, z. B., dessen Gesicht S unter Standardbedingungen

(ohne Hilfsmittel von Spiegeln, Fotos usw.) nicht sehen kann *, Der Ausdruck ,ich” hatte dann jedoch nicht die Bedeutung, die er in unserer Sprache faktisch hat. Da& mit ,,ich” in unserer Sprache jeder Sprecher S sich selbst als sich selbst bezeichnet, besagt namlich, da8 S damit den-

jenigen bezeichnet, von dem S Selbstbewu8tsein hat. Der Ausdruck

,,ich” ist also nur durch Rekurs

auf den Begriff des

SelbstbewuBtseins definierbar. Fichtes Ansatz kénnte allerdings durch den weiteren Nachweis gerechtfertigt werden, da& SelbstbewuStsein wie24 Anscombe hat diesen Gedanken an einem etwas komplizierteren Beispiel entwickelt und die entsprechende Bedeutung als die des Ausdrucks ,,A“ eingefiihrt (s. G. E. M. Anscombe, The First Person, in: S. D. Guttenplan Language, Wolfson College Lectures 1974, Oxford ('75) S. 49). 212

(Ed.), Mind and

derum

nur durch ein ,Ich

...“-Sagen oder -Denken

definiert werden

kann ™. Tatsichlich gibt es ungewdhnliche Schwierigkeiten, des SelbstbewuB8tseins zu definieren. Diesen Schwierigkeiten begegnen, da man SelbstbewuStsein durch ,,ich” definiert, zwei fatale Konsequenzen. Erstens ware es dann unmdglich,

den Begriff dadurch zu hatte jedoch eine zirkel-

freie Gebrauchsregel fiir ,ich” zu formulieren. Zweitens ware damit die

Méglichkeit von priverbalem SelbstbewuStsein ausgeschlossen, weil dies per definitionem nicht die Form ,Ich bin F” haben kann. Priverbales

Selbstbewu8tsein ist aber in allem leiblichen und affektiven Erleben nicht nur eine offenkundige Realitat, sondern auch eine notwendige Bedingung fiir das Verstindnis der Bedeutung, die ,ich” in unserer Sprache wirk-

lich hat, namlich den Sprecher durch den Sprecher so zu meinen, wie er

sich in seinem unmittelbaren Erleben — im Unterschied zu seiner Wahrnehmung — gegeben ist. Es war jedoch vielleicht nicht Fichtes Absicht, SelbstbewuStsein am

eigenen Fall zu definieren, sondern er war vielleicht nur der Meinung, da8& Selbstbewu8tsein auch dann, wenn man es in der dritten Person zirkelfrei definiert hat, im eigenen Fall noch Probleme stellt, die para-

dox genug sind, um daraus weitreichende Schliisse ziehen zu kénnen. So sieht H. Schmitz Fichtes Ich-Philosophie als historische Antizipation seiner Lehre von der Subjektivitat des Soseins selbstbewu8ter Wesen an, die darin bestehen soll, da& die Bestimmtheit des Soseins dieser Wesen

nur fiir diese selbst vorhanden ist *. Die entscheidende Pramisse des komplizierten Beweisganges fiir diese

These entnimmt Schmitz einer Beobachtung iiber den Sinn von Sitzen,

in denen in der ersten Person iiber affektives Betroffensein gesprochen

wird. Schmitz stellt fest, da8 der Sinnverlust, der bei solchen Satzen dann eintritt, wenn ,,ich“ durch einen Namen oder eine Kennzeichnung ersetzt wird, die keinen ,,strikt ichbezogenen” Ausdruc enthilt, nicht dadurch

ausgeglichen werden kann, da& von dem Satzsubjekt beliebige weitere Pradikate ausgesagt werden ™, Schmitz legt diesen einleuchtenden Befund jedoch so aus, da& mit ,,Ich bin F” in solchen Satzen etwas beschrieben

wird, das mit Pradikaten nicht beschrieben werden kann und das insofern etwas radikal Unbestimmtes ist, namlich die Subjektivitat des pradi-

25 So Anscombe S. 50; Schmitz ('64), System der Philosophie, Bd. I: Die Gegenwart, Bonn S. 249 ff. 26 H. Schmitz (69), System der Philosophie III, 2: Der Gefithlsraum, Bonn. Zum

Begriff der ,Subjektivitat des Soseins” dort S. 51 ff., zu Fichte S. 70 ff. Schmitz meint auSerdem, vgl. Anm. 25.

Selbstbewu8tsein sei nur

in der ersten Person definierbar,

27 Ebd. S. 32 ff., 53 ff., vgl. bereits Schmitz (‘64), System der Philosophie I: Die Gegenwart, Bonn S. 8 ff., und Schmitz (‘68), Subjektivitat, S. 100 ff.

213

kativ beschriebenen Soseins * bzw. ein entsprechender subjektiver Sachverhalt. Daraus, da8 ein jeweiliger Sprecher beim verstindnisvollen Gebrauch

des Wortchens ,,ich” etwas versteht, das durch Beschreibungen nicht eingeholt werden kann, folgt jedoch nicht, da8 mit ,Ich bin F” etwas be-

schrieben wird, etwa eine ,Ichnuance” ™. ,,Ich” hat vielleicht iiber seine referierende Funktion hinaus eine ganz andere, aber durchaus verstindliche sprachliche Funktion als die, in Satzen der Form ,Ich bin F” etwas

zu beschreiben. Es geniigt hier als Beleg fiir diese Miglichkeit, eine These

von Chisholm anzufiihren: ,,Wir kénnen sagen, da8 die Funktion von Satzen der Form ,Ich bin F’ die ist, den Glauben des Sprechers auszu-

driicken, da8 er selbst F ist.” * Das eigentliche Selbstbewu8tseinsproblem

besteht dann in der Explikation des ,er selbst“, also des Selbstbewu8t-

seins in der dritten Person. 2.) D. Henrich hat in seiner Untersuchung iiber ,,Fichtes urspriingliche Einsicht” die These vertreten, da8 Fichtes Selbstbewu8tseinstheorie als

Gegenentwurf

zur ,,Reflexionstheorie” des Selbstbewu8tseins verstan-

den werden mu8, auf die eine Explikation des vorphilosophischen Vorverstandnisses und der neuzeitlichen SelbstbewuStseinstheorie bis einschlieZlich Kant fiihre *. Henrich sagt ausdriicklich, da& Fichtes Theorie 28 H. Schmitz (’68) S. 100 ff.

2g Es scheint auch, da Schmitz’ These mit den Tatsachen in Konflikt gerat, indem er behauptet, die Ichnuance sei ,keinem anderen mitteilbar”, dieser Gedanke sei nur ,mir mdglich” und er sei ,blo8 fiir mich verstandlich” (Schmitz ('68) S. 102, 104, 106). 30 R. Chisholm

('78), The Self and the World, in: Wittgenstein

und sein Einflu8

auf die gegenwartige Philosophie. Akten des 2. Internationalen WittgensteinSymposiums, H. Berghel et al. (Hg.), Wien S. 409. Eine gewissermaSen umgekehrte Strategie verfolgt Tugendhat. Wahrend Chisholm Wittgenstein so interpretiert, da8 ,ich” expressiv verwendet wird, interpretiert ihn Tugendhat so, da8 die Ausdriicke fiir mentale Zustande in der ersten Person expressiv verwendet werden (Tugendhat ('79a) 6. Vorl.). Den Ausdruck ,ich” kennzeichnet Tugendhat durch zwei Merkmale: 1. Die gemeinte Entitat existiert notwendig. 2. Ich” ist nicht auf andere deiktische Ausdriicke reduzierbar (ebd. S.75). ,Ich” bezeichnet namlich ,den letzten Bezugspunkt aller Identifizierung* (ebd. S. 87). Tugendhat macht jedoch nicht den Versuch,

die Bedeutung von ,ich’ explizit zu definieren. 31 Henrich (’67a). In der Fichte-Literatur gibt es bisher keinerlei Auseinanderset-

zung mit Henrichs systematischer These. Diese These wird vielmehr unverstan-

den weitergereicht, ohne da8 daraus irgendwelche Konsequenzen gezogen wiir-

den. W. Janke etwa formuliert den Zirkel der Reflexionstheorie so: ,Ist nadmlich das Ich das Subjekt, das sich selbst erkennt, indem es sich in sich selbst

zuriickwendet, so ergreift sich ein bereits vorhandenes Wesen” (W. Janke, Fichte. Sein und Reflexion — Grundlagen der kritischen Vernunft, Berlin ('70) S. 80 Anm. 15). Darin, da8 das Wesen schon vorhanden ist, liegt aber natiirlich kein

Zirkel; ein Zirkel lage nur dann

sein bese.

Die Zustimmung

vor, wenn dieses Wesen

zu Henrich

214

schon SelbstbewuSt-

hat bei Janke im iibrigen nur zur

»nicht infolge der Kritik der Theorie vom Ich als Reflexion” entstanden

ist (Henrich (’67) 42). Er meint jedoch, daf Fichtes verschiedene Ansatze zur SelbstbewuStseinstheorie und deren Aufeinanderfolge nur rational rekonstruiert werden kénnen, wenn man sie als Antworten auf die Aporien der Reflexionstheorie versteht; und da8 Fichte selbst in seiner Entwicklung dahin gekommen ist, seinen eigenen Ansatz als Lésungsversuch dieser Aporien zu begriinden (ebd.). Henrich formuliert zwei Schwierigkeiten der Reflexionstheorie des SelbstbewuStseins. Die erste Schwierigkeit soll darauf beruhen, da8 im SelbstbewuStsein Subjekt und Objekt identisch sind; die zweite darauf, da8 im Selbstbewu8tsein sich das Subjekt als mit diesem Objekt identisch wei8 (ebd. 12—14). Henrich sagt nun, da8 diese Sachverhalte es einer Reflexionstheorie unmdglich machen, das ,,Zustandekommen” von

Selbstbewu8tsein zu verstehen (ebd.13f.). Andererseits geht es ihm

offenbar nicht nur nur um die Genese, sondern auch um die Struktur des Sachverhalts ,,Selbstbewu8tsein”, wie schon seine Rede von der ,, Theorie

vom Ich als Reflexion” zeigt. Es

scheint

mir

nun,

da8

unter

beiden

Gesichtspunkten

die

erste

Schwierigkeit nur dann besteht, wenn man der Reflexionstheorie Primissen unterstellt, die nicht notwendig im Begriff der Reflexion liegen. Wie in 1.1 bereits ausgefiihrt, stellt die Subjekt-Objekt-Identitat als solche kein spezifisches Problem. Es besteht aber auch nicht die von Henrich genannte Schwierigkeit, die Genese von Selbstbewuftsein durch die Riickwendung eines Subjekts auf sich zu verstehen. Henrich argumentiert so: ,,Wird

die Relation durch Reflexion interpretiert und somit als

Leistung, durch welche der Akt, welcher die Reflexion vollzieht, sich sei-

ner bewu&t wird, so mu8 das Aktsubjekt entweder selbst schon Ich sein, oder die Gleichhung Ichh=Ich wird nicht erreicht. Wenn das Ich-Subjekt nicht Ich ist, kann auch das gewu8te Ich, das Ich-Objekt, nie mit ihm identisch sein” (ebd. 13). Folge, da8 er statt vom

Ich als Reflexion”

im ganzen Buch

vom Ich als ,,ab-

soluter Reflexion” redet — als ob der Zirkel der Reflexion dadurch iiberwunden

wire, da8 sie als ,absolut” qualifiziert wird. P. Baumanns stimmt Henrich ebenfalls zu (P. Baumanns, Fichtes urspriingliches System. Sein Standort zwischen Kant und Hegel, Stuttgart (’72) S. 41) und schreibt etwas

spater:

,Der

erste Grundsatz

iiberwindet

in der

Tat

die ,Refle-

xionstheorie’ des Ich, denn er halt den absoluten, selbst der Zeitlichkeit noch vorausliegenden

Ursprung

des

Ich

fest“

(ebd.

S. 44).

Abgesehen

davon,

da&

man nicht wei8, was ein SelbstbewuStsein sein soll, das der Zeitlichkeit vor-

ausliegt”, ist vdllig dunkel, was dies mit den Problemen zu tun haben soll, die Henrich an der Reflexionstheorie aufgedeckt hat. Die Arbeit von E. Winterhager (Selbstbewu8tsein, eine Theorie zwischen Kant und Hegel, Bonn ('79)) mi&braucht den Ansatz von D. Henrich und U. Pothast zu unkontrollierbaren genetischen Spekulationen.

215

Dagegen mu8 man einwenden, da8 keine prinzipielle Schwierigkeit

darin liegt, da& ein X durch ein und denselben Akt, namlich die Intention auf X, sowohl Bewu8tsein von X, also dem Objekt erlangt, das es faktisch selbst ist, als auch damit Bewu8tsein seiner selbst als seiner selbst. Abgesehen davon, da8 man natiirlich die Ausdriicke ,,Reflexion” bzw. 7Riickwendung” und ,,Subjekt” so verstehen kann, da8 sie Selbstbe-

wu8tsein voraussetzen, ergibt sich eine Aporie nur erstens dann, wenn

dasjenige, was sich auf sich zuriickwendet, mit Henrich als ,,Subjekt”, und das hei&t wohl auch schon als Bewu8tsein von etwas anderem, vorausgesetzt wird und auSerdem gilt, da8 Bewu8tsein SelbstbewuStsein

voraussetzt (s. 1.1). Zweitens ergibt sich dann eine Aporie, wenn man mit Henrich an-

nimmt, da8 im Selbstbewu8tsein ein Akt sich seiner selbst bewuSt wird — und nicht einfach ein Gegenstand durch etwas hindurch, was vielleicht als ,,Akt” beschrieben werden kann. Denn wenn der Akt das Ob-

jekt des SelbstbewuS8tseins ist, so kann dies nicht durch diesen Akt erst entstehen. Ubrigens mu& man feststellen, da8 es gerade Fichte selbst — genauso wie die Reflexionstheoretiker — gewesen ist, der oft davon spricht, da8 im SelbstbewuStsein nicht nur Identitat eines Subjekts und Objekts, eines Denkenden und Gedachten, eines Wissenden und eines Gewu8ten, eines Erkennenden und Erkannten, eines Handelnden und eines Behandelten usw., sondern auch eines Denkens, Wissens, Erken-

nens, Handelns usw. mit dem entsprechenden Korrelat vorliegt *. Die Aporie folgt also nur aus unhaltbaren Pramissen. 3.) Folglich mu8 die Beweislast fiir Henrichs These von seiner Exposition der zweiten Schwierigkeit der Reflexionstheorie getragen werden.

Henrich geht davon aus, da8 im Selbstbewu8tsein nicht nur eine Identi-

tat von Subjekt und Objekt vorliegt: ,,Dies Subjekt mu8 auch wissen,

da& sein Objekt mit ihm selbst identisch ist” (ebd. 13). Wenn nun Selbst-

bewu8tsein durch Reflexion zustandekommen oder darin bestehen sollte, so miiSte es die Erkenntnis oder das Wissen enthalten:

,Was

ich er-

fasse, das bin ich selbst” (ebd. 14). Mit ,,ich selbst” ware aber Selbst-

bewuBtsein bereits vorausgesetzt. Es ist nicht ganz deutlich, inwieweit Henrich diese Schwierigkeit nur der Reflexionstheorie des Selbstbewu8tseins oder auch dem Sachverhalt SelbstbewuBtsein selbst zuschreibt. Denn wenn SelbstbewuStsein immer 32 W. Beckers Kritik der modernen Philosophie der Subjektivitat beruht wohl der Sache nach auf der Kritik an diesem Fehler (zu Becker vgl. Anm. 12). Tugendhat meint sogar, da& Henrichs erste Schwierigkeit nur verstandlich wird, wenn man

Henrichs

Verstandnis

des SelbstbewuStseins

sen Wesen darin besteht, Identitat von (Tugendhat ('79a) S. 64, 62 ff.).

216

als etwas

voraussetzt,

Wissendem und Gewu8tem

,des-

zu sein”

das Wissen eines Subjekts enthalt, ,,da8 sein Objekt mit ihm selbst identisch ist“ (ebd. 13), so scheint es doch den Gedanken ,,Das bin ich selbst“ notwendig zu enthalten. Offenbar in diesem Sinne beruft sich Henrich »zur Sache” auf den ersten Band von Schmitz’ ,,System der Philosophie”

(ebd. 13 Anm.). Schmitz hatte dort folgende ,,3. Paradoxie des SelbstbewuStseins” for-

muliert: ,,Selbstbewu8tsein ist Bewu8tsein von etwas a) entweder ohne

BewuBtsein von dessen Identitdt mit mir b) oder mit Bewu8tsein davon.

Das Erste kann nicht zutreffen, weil dann kein Anla& bestiinde, das im

Selbstbewu8tsein

Bewu8te

als

mich

selbst

anzuerkennen

[...]

Das

Zweite kann auch nicht zutreffen, weil dann jedes Selbstbewu8tsein eine

unendliche Menge von gleichfalls vorhandenem anderen eigenen SelbstbewuBtsein voraussetzen wiirde. Das SelbstbewuB8tsein enthielte dann namlich folgende auf seinen Gegenstand beziigliche Einsicht: Das bin ich. Diese Einsicht enthalt eine — ausdriickliche oder unausdriicklihe — Vorstellung, die sich sprachlich durch das Wort ,,ich” wiedergeben 148t.

Eine solche Vorstellung ist aber ebenso wie der sinnvolle Gebrauch des

Wortes ,ich” (§1) nur mdéglich, wenn bereits Selbstbewu8tsein vorliegt. Also mii8te das SelbstbewuStsein, um iiberhaupt méglich zu werden, im zweiten Falle doppelt vorkommen und, da ebenso weitergeschlossen werden kann, unendlich oft zur selben Zeit. Das ist aber unméglich,

also auch der zweite Fall.” * Gegen die Konstruktion dieser Aporie la8t sich zuniachst einwenden, da8 sie ohne Begriindung voraussetzt, es ginge bei dem BewuBtsein einer Identitat im SelbstbewuS8tsein um das BewuBtsein von der Identitat von etwas ,,mit mir”. Dadurch entsteht namlich die bereits erlauterte Schwierigkeit, SelbstbewuStsein in der ersten Person

definieren zu miissen.

Diesem Einwand unterliegt der Text von Henrich nur teilweise, da er Wissen von der eigenen Identitat im SelbstbewuStsein zunachst in dritten Person formuliert und erst bei der Beschreibung des Resultats Reflexion zu der Formulierung kommt: ,,Was ich erfasse, das bin selbst” (Henrich (’67) 14). Gegen Schmitz und Henrich 1a&t sich jedoch weiterhin einwenden,

das der der ich

da8

der Gedanke oder die Vorstellung ,,ich“ bzw. ,,Ich bin F” nicht notwen-

dig die Vorstellung ,,Das bin ich” impliziert. Natiirlich ware der Ubergang von ,ich“ zu ,,Das bin ich” dann gerechtfertigt, wenn Selbstbewu8t-

sein immer ein BewuBtsein von der eigenen Identitat implizierte — und 33 Schmitz (64) S.250f. Schmitz hat diese Exposition in dem Band IV seines Systems der Philosophie: Die Person (‘80) zuriickgenommen. Gleichzeitig hat Schmitz dort zu zeigen versucht, da& Fichte das Problem der Explikation der Satze der Form ,,Das bin ich”, das hinter Schmitz’ ,3. Paradoxie” steht, gar nicht gesehen hat (Schmitz (‘80) S. 39 f.).

217

so wird SelbstbewuS8tsein von Schmitz und Henrich iibereinstimmend angesetzt. Derselbe Zirkel ergibt sich natiirlich auch in der dritten Person. Wenn man ,,X hat SelbstbewuB8tsein” definiert als ,,X wei8, da8 es selbst mit einem Y identisch ist” — was trivialerweise impliziert, da8 X und Y

identisch sind —, so ergibt sich sofort ein unendlicher Regre8, weil das

Definiens mit dem Ausdruck ,,es selbst” bereits SelbstbewuStsein unter-

stellt. Selbstbewu8tsein 1a8t sich also nicht als Wissen von der eigenen

Identitat definieren. Indem Henrich dies mit Schmitz tut, scheint er selbst dem zu verfallen, was er die ,,Theorie vom Ich als Reflexion” nennt. Man mu dariiberhinaus bezweifeln, da einfaches SelbstbewuSt-

sein ein Wissen irgendeiner Identitat enthalt *. Fiir das Zustandekommen der Aporie ist es gleichgiiltig, ob man das Bewu8tsein von der eigenen Identitat als Wissen oder als ein bloSes Mei-

nen oder Vorstellen auffa8t. Denn wenn X dann SelbstbewuB8tsein hat,

wenn X etwas als sich selbst meint bzw. vorstellt, so mu8 das _,,sich”

darin, das offenbar Selbstbewu8tsein schon enthalt, wiederum expliziert werden als ,,den X, der etwas als sich meint bzw. vorstellt” — usw. ad infinitum. X hatte dann SelbstbewuStsein, wenn er jemand meint bzw. vorstellt als den X, der jemand meint bzw. vorstellt als den X, der... In

ahnlicher Weise hat Herbart versucht, die Aporie des Selbstbewu8tseins zu entwickeln *. Fiir Fichte scheint es nun geradezu charakteristisch, SelbstbewuStsein als BewuB8tsein von

der eigenen Identitaét zu verstehen,

sei dieses Be-

wu8tsein nun ein Wissen, Vorstellen, Meinen o. 4. Dies geht schon dar-

aus hervor, da Fichte sein ,Ich” immer durch den Ausdruck ,,Ich= Ich’

expliziert. Noch deutlicher wird dies in der Ichformel der Wissenschafts-

lehre von 1798: ,,Ich setze mich als mich setzend” (SN 359). Da ,,Setzen” zundchst Fichtes Oberbegriff fiir alle BewuStseinsweisen ist, besagt diese 34 Nach Tugendhat beruht Henrichs zweite Schwierigkeit nicht nur auf dem Subjekt-Objekt-Modell, sondern auch auf dem weiteren MiSverstandnis, ,da8 mit dem Wort ,ich’, wenn mit ihm in der Tat eine einzelne, identifizierbare Person gemeint

wird, diese auch schon

in irgendeiner

(oder sogar in einer besonderen)

Weise identifiziert wird” (Tugendhat ('79 a) S. 83). Mit ,ich” wird tatsachlich weder eine Identitat von etwas mit dem jeweiligen Sprecher behauptet, noch wird dieser Sprecher dadurch identifiziert. Es ist allerdings nicht ganz deutlich, wie Tugendhat aus der gegenteiligen Annahme Henrichs zweite Aporie ableiten will. Eine Aporie ergibt sich m.E. nur dann, wenn die fragliche Identitat die ,Identitat mit mir“ sein soll, und insbesondere dann, wenn ,ich” eine Er-

kenntnis dieser Identitat artikulieren soll.

35 Zu Herbart vgl. Sdimitz (64) S.249 f. und U. Pothast S. 36 ff. Pothast behandelt Herbarts Aporie unter dem Problemtitel ,Wie man sich als ein Ich erken-

nen kann“, also nicht dem des einfachen SelbstbewuStseins. Schmitz hat neuer-

dings zu zeigen versucht, da8 Herbart die eigentliche Paradoxie des SelbstbewuBtseins gar nicht begriffen habe (Schmitz (‘80) S. 29 f.).

218

Definition in der dritten Person formuliert: ,X hat SelbstbewuB8tsein, wenn es Bewu&tsein von X hat als von etwas, das BewuB8tsein von sich hat.” Da man das , sich” bei Strafe eines Zirkels durch ,,X als von etwas, das Bewu8tsein von sich hat” substituieren muS&, ergibt sich ein un-

endlicher Regre8 *. Man kommt also nicht um die Feststellung herum, da& Fichte selbst in wichtigen Hinsichten nicht weniger als Kant die Pramissen der ,Theorie vom Ich als Reflexion” teilt. Wir werden jedoch

auch sehen, da8 er sie in einem wichtigen Punkt iiberwunden hat. Henrich belastet, zum Teil mit Fichte, seine Exposition der Selbstbewu8tseinsprobleme damit zusitzlich, Selbstbewu8tsein nicht nur als ein

Wissen, sondern als ein ,,Erkennen” zu beschreiben (ebd. 31). Dies mag

Pothast veranlaSt haben, das, was bei Henrich die zweite Schwierigkeit ist, als Aporie der Selbsterkenntnis aufzufassen *’. Nach Pothast steht

man bei der Frage nach dem ersten Auftreten von (verbalem) Selbstbewu8tsein in der Geschichte eines Individuums vor folgender Situation: Dem Individuum kann zwar, sofern es iiberhaupt Gegenstandwahrnehmungen und die Fahigkeit, zwischen einzelnen Objekten zu unterscheiden, besitzt, nicht schwerfallen, einen Gegenstand aus der Menge

der iibrigen zu isolieren. Ihn mit sich selbst identifizieren kann es aber

nicht, sofern ihm nicht schon bekannt ist, wer es selbst ist, d. h. sofern es

nicht schon in diesem Sinn ein BewuB8tsein seiner selbst hat. Es mag zwar

so sein, da8 es bei seinem Versuch faktisch seine Aufmerksamkeit auf den Gegenstand richtet, der es selbst ist, aber es kann nicht erkennen,

da das so ist, weil jede Erkenntnis dieser Art zu ihrem Vollzug eine gleichartige als schon geschehen voraussetzt.” * Pothast

glaubt, damit

die Aporie

zu formulieren,

die Henrich

und

Schmitz gemeinsam exponieren und die Fichte ,,wahrscheinlich gesehen, aber nie genau exponiert hat” *. Aber abgesehen davon, daf Pothast hier

die Fehler von Schmitz insofern wiederholt, als er SelbstbewuStsein in der ersten Person explizieren will und dabei voraussetzt, SelbstbewuSt-

sein sei Selbstidentifikation “, entsteht ihm ein gegeniiber Schmitz neues

36 Henrich meint, da8 die Formel ,Ich setze mich als mich setzend” eine jedenfalls

teilweise adiquate Antwort auf die Aporien der Reflexionstheorie darstellt (Henrich (‘67 a) S. 21 ff.). Insofern die Explikation von SelbstbewuStsein in der

ersten Person und als Selbstidentifikation zentrale Fehler der Reflexionstheorie sind, kann davon jedoch keine Rede sein.

37 U. Pothast, Teil I, 1. Abschnitt: Wie kann man jemanden

nen? 38 Ebd. S. 18.

als sich selbst erken-

39 Ebd. S. 19, 20.

40 Die Oberschrift des Absatzes bei Pothast S, 18 ff. lautet: ,1. Man kann sich nicht unmittelbar mit sich selbst identifizieren”. Pothast meint allerdings, da8 Fichtes Oberlegungen eher auf zwei andere

Phinomene

bezogen

sind, namlich

einerseits das Wissen von sich als eines Ich bzw. das Erkennen seiner als eines

219

Problem dadurch, da8 er SelbstbewuBtsein kognitiv, also als das Resultat eines Erkenntnisvorganges auffa8t. Da8 ein Subjekt etwas erkennt, setzt mindestens voraus, da8 es vorher schon BewuStsein von irgend etwas

hatte, und es kann etwas nur dann als etwas erkennen, wenn es schon ein Verstindnis von diesem Etwas besitzt. Beides kann jedoch beim SelbstbewuBtsein nicht der Fall sein: Bewu8tsein ist ohne Selbstbewu8tsein nicht méglich; und jemand kann etwas nur dann als sich selbst erkennen, wenn er mit sich als sich selbst schon bekannt ist. Einfaches SelbstbewuB8tsein ist hdchstens epistemisch, aber nicht kognitiv. Fichte legt wohl deshalb in seinen Schriften seit 1797 gré8ten Wert

darauf, da& das Selbstbewu&tsein ein ,,unmittelbares BewuStsein” oder

/unmittelbares

Wissen”

ist (VnD 111f., Mei1o7f.; SN 356f.),

also

keine Erkenntnis, die stets ein mittelbares Wissen bedeutet. In der ,,Zweiten Einleitung” heift es bereits, da8 das Ich ,kein Begreifen” ist, mithin sei es eine bloSe Anschauung” ; dasselbe driickt Fichte so aus, da8

das Ich urspriinglich fiir sich selbst” wird (2. Einl. 43, Mei 39).

Ein ,urspriingliches” oder ,,unmittelbares” Wissen, ein Wissen also,

das weder in einem Erkenntnisvorgang begriindet ist noch iiberhaupt

Ich (Pothast S.34 ff.) und andererseits den ,Selbstbezug des Bewu8tseins” (ebd. S.73 Anm. 51). Pothast macht nicht verstiindlich, inwiefern in der Er-

kenntnis seiner selbst als eines Ich ein Problem liegt und inwiefern diese Erkenntnis zu jedem Ich” gehdrt. Er schatzt insofern zu Recht diese Seite der Fichteschen Problemstellung letztlich als ,unkritisch” ein (ebd. S. 48).

Pothasts Ausfiihrungen zur Theorie des BewuStseins leiden m. E. darunter, da8 sie mit einem Bewu8tseinsbegriff arbeiten, der von SelbstbewuStsein nicht unterschieden werden kann. Pothast definiert BewuStsein zunachst so: Der Ausdruck BewuBtsein ist genommen im Sinne des elementaren

Gewahrens von wie

immer beschaffenen Daten, das nicht notwendig mit einer Zuwendung der Aufmerksamkeit verbunden, vielmehr die Voraussetzung dafiir ist, da8 man auf etwas aufmerksam werden kann“ (ebd. S. 49). Er fahrt jedoch fort: ,Es handelt sich um die Eigenschaft, die es ausmacht, da8 die Vollziige unseres mentalen Lebens uns ganz ohne unser Dazutun ,bekannt ‘sind” (ebd. S. 49). Pothast geht hier ohne Begriindung von ,Bewu8tsein” im Sinne des BewuB8tseins von Beliebigem zum BewuB8tsein der ,,Vollziige unseres mentalen Lebens“

tiber. Das Be-

wu8tsein der Vollziige unseres mentalen Lebens impliziert jedoch eo ipso SelbstbewuBtsein: Wenn ich z. B. ein Bewu8tsein meines Denkens oder Wollens habe, dann habe ich darin zugleich BewuStsein meiner selbst als eines Denkenden oder Wollenden. Vermutlich ist dies auch die Meinung von Pothast, so da8 er mit , Bewu8tsein” nichts anderes als praverbales Selbstbewu8tsein bezeichnen will (der einschlagige Teil II ist itiberschrieben: ,Das Problem der ,wahrnehmenden’

Selbstbeziehung”, der Teil I dagegen: ,Schwierigkeiten der verbalen Selbstbeziehung”). Pothast behandelt jedoch hier auch Fichtes These, da8 BewuStsein Selbstbewu8tsein voraussetzt (ebd. S. 54 ff.). Dabei hat ,Bewu8tsein” aber nicht den speziellen Sinne des Bewu8tseins von eigenem Mentalem. Pothast behandelt beziiglich des Problems des praverbalen Selbstbewu8tseins bei Fichte nur die dunkle Augenmetaphorik des spaten Fichte (ebd. S. 67 ff.). 220

einer Begriindung bediirftig und fahig und prinzipiell irrtumsfrei ist, ist eine Gewifheit, genauer: empirische GewiSheit. Der Terminus ,,intellek-

tuelle Anschauung” scheint in spateren Fichtetexten zum Teil eine Bezeichnung fiir empirische GewiSheit zu sein (insbes. VnD 112 ff., Mei 108 ff.) “. Wir werden im folgenden sehen, welche konstitutive Rolle der

Begriff des ,,unmittelbaren Wissens“ oder der ,empirischen GewiSheit”

implizit spielt.

in Fichtes

positiven

Ansatzen

zur

SelbstbewuBtseinstheorie

1.3 Fichtes Ansatz zur Definition von SelbstbewuStsein Wir haben in den beiden vorigen Abschnitten gesehen, da8 die Explika-

tion von ,,Selbstbewu8tsein” unter folgenden Voraussetzungen in Apo-

tien fiihrt: 1. Selbstbewu8tsein wird im eigenen Fall und in der ersten Person expliziert. 2. SelbstbewuStsein entsteht aus BewuStsein von anderem. 3. SelbstbewuStsein ist Identitat eines BewuStseinsaktes mit dessen Gegenstand. 4. SelbstbewuBtsein ist Selbstidentifikation. 5. Selbstbewu8tsein ist ein Erkennen bzw. eine Erkenntnis. Zur Vermeidung dieser Aporien ist man also zu folgenden Annahmen genitigt: 1. Selbstbewu8tsein mu8 in der dritten Person expliziert werden. 2. SelbstbewuStsein entsteht nicht aus bloSem Bewu8tsein, es ist auch in diesem Sinne

/urspriinglich” oder ,,unmittelbar”. 3. SelbstbewuStsein enthilt die Iden-

titat des Subjekts, nicht eines Aktes des Subjekts, und des Objekts des

BewuBtseins. 4. SelbstbewuStsein ist etwas Elementareres als Selbstiden-

tifikation. 5. Selbstbewutsein ist unmittelbares Wissen.

Obwohl Fichte nur 2 und 5 wirklich beachtet hat, 1a8t sich seine Defi-

nition des ,,Ich” ohne groSen Aufwand so umformulieren, da8 sie auch

1,3 u. 4 gerecht wird. Diese Definition hat Fichte iibrigens frith entdeckt, und er hat sie nie weiter prazisiert, obwohl er die Bedingungen 2 u. 5 seit 1797 viel klarer formuliert hat als vorher “. 41 Pothast hat Fichtes Uberlegungen zum ,unmittelbaren Bewu8tsein” des epistemischen SelbstbewuBtseins insofern zu Recht unter dem Titel ,,Fichtes intellek-

tuelle Anschauung” behandelt (Pothast S. 67 ff.). Zu weiteren menten von Fichtes Begriff der ,intellektuellen Anschauung” dieser Arbeit. 42 Henrich hat behauptet, der Ubergang von der Ichformel des Setzens in der ,Grundlage” zum Sich-Setzen-als-sich-setzend

Bedeutungselesiehe Kap. II, 2

Sich-schlechthinin der Wissen-

schaftslehre von 1798 sei ein wichtiger Fortschritt in Fichtes SelbstbewuStseins-

theorie (Henrich ('67 a) S. 21 ff.). Diese These la&t sich m. E. weder philologisch noch sachlich halten: 1. Henrich sagt selbst, da8 die Formel vom Sich-Setzen-als-sich-setzend bereits in der ,,Grundlage” von 1794 vorkommt, und zwar sowohl in der theoretischen als auch in der praktischen Wissenschaftslehre (Henrich ('67 a) S. 44 ff.). Henrich meint jedoch, da8 in diesen Formulierungen das Ich nur in eingeschrankter 221

Fichte beginnt seine Erdrterung des Ichbegriffs in der ,,Grundlage der

gesamten Wissenschaftslehre”

von 1794 mit den Sitzen: ,Ichh=Ich;

Ich

bin Ich” (GWI 288). Dies soll gleichbedeutend sein mit: ,,Ich bin” (GWI 289). Weiterhin soll gelten: ,,Das Ich setzt sich selbst” (GWI 290). Diese kryptischen Kiirzel fiihren Fichte schlie8lich zu folgender Definition: »Dasjenige, dessen Sein (Wesen) blof darin besteht, da es sich selbst als seiend setzt, ist das Ich, als absolutes Subjekt” (GW1 291). Dem entspricht das, was Fichte als Quintessenz seiner Uberlegungen der Ziffern

1—10 des §1 der ,,Grundlage” formuliert: ,,Das Ich setzt urspriinglich schlechthin sein eigenes Sein” (GW 292). Falls diese Sitze eine Explikation von Selbstbewu8tsein sein sollen “, Hinsicht gemeint ist; in der theoretischen Wissenschaftslehre namlich in Rela-

tion zum

Nicht-Ich

(GW1 416), in der

praktischen

Wissenschaftslehre

was es nicht ist, sondern sein soll (GWI 466). Henrich tibersieht Stellen: ,Das Ich ist urspriinglich gesetzt, als sich setzend; und fiillt insofern die Sphire seiner absoluten Realitét aus“ (GWI das sich setzt, als sich selbst setzend, oder ein Subjekt” (GWI

als

das,

dabei folgende das Sich-Setzen 388). ,Ein Ich, 411). .Das Ich

setzt sich selbst schlechthin, und dadurch ist es in sich selbst vollkommen, und allem a4uSern Eindrucke verschlossen. Aber es mu8 auch, wenn es ein Ich sein

soll, sich setzen, als durch in diesem Punkt vgl. Janke 2.Henrich behauptet ein wo es nicht nachzuweisen

sich selbst gesetzt” (GWI 469). Zur Kritik an Henrich S. 80 Anm. 15 und P. Baumann S. 42 ff. Vorkommen des Sich-Setzens-als-sich-setzend dort, ist. Im ,Versuch einer neuen Darstellung der Wissen-

schaftslehre. Fortsetzung” ist entgegen Henrichs Behauptung nur von einem wsich Setzen als setzend (irgendein Objektives, welches auch ich selbst, als blo-

Bes Objekt, sein kann)” die Rede (VnD 112, Mei 108), nicht von einem SichSetzen als ,,sich [{] setzend”, wie Henrich schreibt (Henrich ('67 a) S. 21). Diesen Fehler hat auch Baumanns beobachtet (Baumanns S. 42). Ebenso hei8t es an der Stelle der

Wissenschaftslehre

von

1798,

auf die sich Henrich beruft

(Henrich

(‘67 a) S. 41): ,Ich setzte mich als setzend, dies ist Anschauung; ich stellte mich selbst vor als vorstellend” (SN 357). Zwar bringt die Wissenschaftslehre von 1798 — nicht jedoch der ,,Versuch einer neuen Darstellung. Fortsetzung” — dann die Formel ,Ich setze mich als mich setzend” (SN 359); die vorhergehende For-

mel ohne ,,mich” ist jedoch keineswegs die Folge von Nachlassigkeit, sondern davon, da& Fichte die Formel zuniachst nicht bei der Problematik des Selbstbe-

wuBtseins, sondern des bloSen Bewu8tseins entwickelt. Dies entspricht fibrigens der von

Henrich in der ,Grundlage”

beobachteten

Verwendung

Relation zum Nicht-Ich. 3. Die neue Formel erbringt fiir die Selbstbewu8tseinstheorie Sie fihrt, wie im vorigen Kapitel gezeigt, in den bekannten mel ist allerdings grundlegend fiir kompliziertere Phanomene seins, insbesondere fiir die ethische Problematik. Das gilt m.

der Formel in

keinen Fortschritt. Regre&. Die Fordes SelbstbewuBtE. jedoch genauso-

gut fiir die ,Grundlage” von 1794 wie fiir die Wissenschaftslehre nova methodo.

43 Claesges meint gegen

Henrich, das Sich-Setzen

beschreibe nicht die Struktur

des SelbstbewuBtseins, sondern seine ,,Seinsweise” (U. Claesges, Geschichte des SelbstbewuStseins, Den Haag ('74) S. 152, vgl. S. 55). Diese Unterscheidung er-

klart Claesges nicht. Er verbindet sie mit der, in der Fichteliteratur tiblichen, aber sachlich unverstandlichen These, das ,,absolute Ich” habe als solches noch kein SelbstbewuBtsein. 222

so sind sie offenbar noch nicht zirkelfrei. Der Sachverhalt ,,X hat Selbst-

bewuBtsein”

bestiinde dann namlich in dem

Sachverhalt

,X setzt ur-

spriinglich schlechthin sein eigenes Sein” bzw. ,,X setzt urspriinglich schlechthin das Sein seiner selbst”. Man kann Fichtes Satz auch als Versuch lesen, SelbstbewuStsein in der ersten Person auf SelbstbewuStsein in der dritten Person wie folgt zuriickzufiihren: ,,Mit ,ich’ setzt jeder

Sprecher schlechthin sein eigenes Sein.” ,,Setzen” ware dann ein Ausdruck fiir eine sprachliche Funktion, die hier nicht weiter untersucht zu werden braucht “‘. Auch dann stellt sich die Frage, wie das ,,sein eigenes” bzw. ,seiner selbst” zirkelfrei analysiert werden

soll.

Eine Méglichkeit dazu erdffnet sich dann, wenn man darauf achtet, da& Fichte nicht nur davon spricht, da8 das Ich ,,setzt“, sondern da& es ,,ur-

spriinglich schlechthin setzt”. ,Setzen” ist bei Fichte zunachst ein unspezifischer Titel fiir BewuStsein iiberhaupt, umfa8t also Anschauung,

Wahrnehmung, Denken usw.“ Eine besondere Affinitat hat es natiirlich

zum ,,Satz”, insbesondere in der Form ,,Gesetzt, da8...”,d. h. einer An-

nahme. Auferdem enthilt ,,Setzen” vielleicht bereits ein Annehmen

von

Existenz, da dies in jedem Satz qua Behauptung tatsdchlich geschieht und

etwa bei Kant Existenz als ,,Position oder Setzung” ausgelegt wird “. Je-

denfalls bedeutet ein schlechthinniges Setzen von Existenz soviel wie die schlechthinnige Annahme dieser Existenz. Da8 eine Annahme schlechthin gemacht wird, kann bedeuten, da& sie ohne jede Moglichkeit eines Irr-

44 Vgl. dazu Chisholms These: ,Die Funktion des Satzes der Form Ich bin F’ ist die, den Glauben des Sprechers auszudriicken, da8 er selbst F ist” (Chisholm

('78) S. 409)-

45 Fichte an Reinhold am 2. Juli1795: ,Jenes urspriingliche Setzen nun, und Gegensetzen, und Theilen ist NB. kein Denken, kein Anschauen, kein Empfinden, kein Begehren, kein Fiihlen usf. sondern es ist die gesamte Tatigkeit des mensdhlichen Geistes, die keinen Namen hat, die im Bewu8tseyn nie vorkommt, die unbegreiflich ist“ (zit. n. GA, I, 2/217). Vgl. Fichtes Sittenlehre: ,Das Ich ist etwas nur insofern, inwiefern es sich selbst als dasselbe setzt (anschaut und denkt)” (SI 423). 46 Kant, Der einzig mégliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (W I 632). In Fichtes 1. Einleitung in die Wissenschaftslehre heiSt es dementsprechend, da8 ,hingegen dem Dinge nur eine einfache Reihe, die des Reellen (ein blofes Gesetztsein) zukommt” (1. Einl. 20, Mei 19). Damit ist der Konnotationsbereich des Fichteschen ,,Setzens” nicht erschépft. Fichte verbindet damit sicher die Vorstellung des Hervorbringens, die jedoch beziiglich des schlechthinnigen Sich-Setzens des Ich zu Absurditaten fiihrt. Vielleicht kann man dies Hervorbringen in dem schwacheren Sinne von ,Geltung Konstituieren” verstehen, wie wenn etwa ein ,,Gesetz” in Geltung gesetzt wird. In der praktischen Philosophie hat das ,Setzen” sicher etwas mit ,,Gesetz” und

vielleicht auch mit ,,Position” im Sinne von Stellungnahme und Standpunkt

tun.

223

zu

tums oder verniinftigen Zweifels, also mit (empirischer) GewiSheit gemacht wird “’. Es ergibt sich dann folgender Satz iiber X im Zustand von Selbstbe-

wuStsein: ,X hat empirische GewiSheit, da8 er selbst existiert.” Dieser

Satz ist natiirlich nicht als Definition von Selbstbewu8tsein zu gebrau-

chen, da er ,er selbst” enthalt. Man gewinnt daraus jedoch leicht einen Satz, der als zirkelfreie Definition zunachst in Frage kommen kénnte, namlich: ,,X hat empirische GewiSheit, da8 etwas existiert.”

Fichte scheint auf seinen Satz vom Ich in derselben Zeit gesto8en zu sein, in der ihm SelbstbewuStsein iiberhaupt zum eigenen Problem wurde. Nach dem Bericht von Baggesen iiber ein Gesprach mit Fichte Ende 1793 formulierte Fichte sein Prinzip so: ,,Ich bin: Pono me existentem” (GA II, 3/13). Dem entsprechen Reflexionen in den ,,Eignen Meditationen iiber

ElementarPhilosophie”:

,,Ich setze mich existirend, also

existire ich: der Saz ist identisch. Pono me existentem, ergo existo. Nicht cogito, ergo sum” (ebd. 91 Zeile g—11) “.

Fichte meint hier anscheinend, da8 der cartesische Beweis fiir die eigene Existenz die Pramisse ,Ich denke” gar nicht bendtigt, sondern da8 ,,Ich existiere” fiir sich allein ebenso gewi8 ist wie ,,Ic denke”. In diesem Fall

lauft das Argument nicht iiber die Bedingungen

der Bezweifelbarkeit

eines Satzes der Form ,Ich bin g“, wobei ,,@” fiir mentale Ausdriicke

steht, sondern iiber die Bedingungen fiir jeden sinnvollen Gebrauch von wich”. Die entscheidende Bedingung fiir letzteres ist aber Selbstbewu8tsein, und

SelbstbewuBtsein

ist eben nichts anderes

als GewiSheit

der

eigenen Existenz. Fichtes Radikalisierung des cartesischen Ansatzes la8t sich insofern so verstehen, da8 Fichte Existenzgewiheit, die bei Descartes Resultat seines Beweises ist, bereits zur Definition von Selbstbewu8t-

sein und damit von epistemischen Zustanden macht. Es gilt dann: X hat genau dann Selbstbewu8tsein, wenn X empirische GewiSheit hat, da8 etwas existiert.

Dieser Satz ist natiirlich nur dann als Definition des SelbstbewuStseins von X geeignet, wenn es nur einen Gegenstand geben kann, von dem X ExistenzgewiSheit hat. Diese Pramisse steht mdglicherweise in 47 Fichte: ,,Ich wei8 es unmittelbar, ich setze es schlechthin” (SI 398). ,Wenn aber

jemand einen Beweis desselben fordern sollte, so wiirde man sich auf einen solchen Beweis gar nicht einlassen, sondern behaupten, jener Satz sei schlechthin,

d.i. ohne allen weitern Grund, gewi8; und indem man dieses, ohne Zweifel mit

allgemeiner

Beistimmung,

tut,

schreibt

man

sich

schlechthin zu setzen” (GWI 286). 48 Vgl. Eigne Meditationen iiber ElementarPhilosophie,

das

GA

Vermégen

zu,

etwas

II, 3/92 Zeile 11-12

u, 20—23: ,Ich wird im Ich als seyend gesetzt: also durch u. vermige der Setzung ist es”; ,Das Ich setzt sich selbst als existirend, u. existirt durch diese Set-

zung: es ist selbstandig.”

224

Konflikt mit Fichtes Lehre vom Nicht-Ich. Nach Fichte ist auch das NichtIch _,,schlechthin” gesetzt (GWI 297). Sollte Fichte damit nicht meinen, da8 dessen Gesetztsein grundlos ist, sondern da8 es mit dem Setzen des Ich notwendigerweise verbunden ist, so gabe es auch GewiSheit von der Existenz des Nicht-Ichs.

Mindestens ist mit jedem SelbstbewuBtsein, sofern es sich immer an einem Hier und Jetzt wei8, die empirische GewiSheit verbunden, da8 es eine raumliche und zeitliche Weite gibt, von der das Hier und Jetzt sich

abheben. Diesem Sachverhalt kénnte man indes dadurch Rechnung tragen, da8 man in der Selbstbewuftseinsdefinition von ,,etwas an einem

Raum-Zeitpunkt” spricht. Unbrauchbar ware die Definition erst, wenn jedes Selbstbewu8tsein empirische GewiSheit hatte, da8 es ein von ihm verschiedenes Etwas an einem Raum-Zeitpunkt gabe. Vielleicht kommen

dafiir Randphanomene wie Nachbilder der Wahrnehmung in Frage. Daritiberhinaus hat schon Kant in seiner ,,Widerlegung des Idealismus” zu zeigen versucht, da8 die Einheit des BewuStseins die Existenz von Din-

gen in der Welt voraussetzt. Gegen das Kantische Argument geniigt gegebenenfalls die Unterscheidung von empirischer und apriorischer GewiSheit. Und gegen das

Argument mit Phinomenen wie Nachbildern und sinnlichem Schein wiirde die Ersetzung von ,,etwas” durch ,,ein Subjekt” ausreichen (dabei

steht ,Subjekt” natiirlich nicht fiir einen Gegenstand mit SelbstbewuSt-

sein, sondern lediglich mit BewuStsein; diese Unterscheidung ware nur

dann sinnlos, wenn gezeigt ware, da8 BewuBtsein nur als Selbstbewu8tsein definiert werden kann). Und auch wenn gezeigt werden kénnte, da

verbales Selbstbewu&tsein nur intersubjektiv entstehen kann, ware das Wissen von der (wenigstens vergangenen) Existenz anderer Subjekte

bestenfalls apriorisch, aber keine empirische GewiSheit. Es gibt jedoch eine grundsatzliche Schwierigkeit beziiglich der vorgeschlagenen Definition, die sich sofort bei der Betrachtung von Satzen der Form ,,Ich bin F” zeigt. Wenn das SelbstbewuStsein von N.N. darin

bestiinde, da8 N.N. Gewifheit hat, da8 es ein Subjekt X gibt, so scheint

das Bewu8tsein von N.N., da8 er selbst ein beliebiges Attribut F besitzt,

in dem BewuBtsein des N.N. davon bestehen zu miissen, da8 derjenige, von dem N.N. ExistenzgewiSheit hat, F ist. Dabei ware die Person N.N. Gegenstand einer Beschreibung durch N.N,, in der ,,N.N.” vorkommt. Dies ist aber keineswegs notwendig der Fall, wenn N.N. das BewuBtsein hat, da& er selbst F ist; denn N.N. braucht gar nichts iiber N.N. als N.N. zu wissen oder zu meinen — auch nicht, da8 jemand von N.N. ExistenzgewiSheit hat —, um sich als sich selbst meinen zu kénnen. Vor

allem

Castafieda

hat

gezeigt, da8

das

,,er selbst”

(das

den

ir-

reduziblen Bedeutungsunterschied ausmacht zwischen den Satzen ,,N.N. glaubt, da8 N.N. F ist” bzw. ,,Es gibt ein X von der Art, da X identisch

225

mit N.N. ist, und N.N. glaubt, da8 X F ist” und dem Satz ,,N.N. glaubt,

da er selbst F ist”) nicht durch einen Namen oder eine Kennzeichnung,

die nicht wiederum ,er selbst” enthalten, ersetzt werden kann ®. Dies gilt

auch fiir die vorgeschlagene Lisung, da8 die substituierende Kennzeichnung keine Eigenschaft von N.N., sondern lediglich eine epistemische

Relation von N.N. zu N.N. beschreibt. Entsprechend ist der Satz ,,Ich

bin F“ im Munde jedes Sprechers S zwar zunachst als Beschreibung der

Tatsache durch S

explizierbar, da8 er selbst F ist. Aber dies ist aus dem

genannten Grund nicht explizierbar als Beschreibung der Tatsache durch S, da8 dasjenige X, von dem S ExistenzgewiSheit hat, F ist. Die prinzipiellen Schwierigkeiten, die Bedeutung von ,er selbst” bzw. wich” anzugeben, sind ein suggestives Argument dafiir, das Vorkommen

von SelbstbewuB8tsein entweder ganz zu bestreiten (wie im Empiriokritizismus und bei W. James) oder jedenfalls zu bestreiten, da8 die fraglichen Ausdriicke iiberhaupt eine referierende Funktion haben (bei Wittgenstein und seinen Schiilern) *. Gegen diesen ebenso paradoxen Ausweg wurde zunachst im Anschlu8 an Wittgenstein und Strawson die spezifische, namlich tauschungsfreie, garantierte Referenz von ,,ich” analysiert und die These vertreten, da& jede Referenz nur auf der Basis der spezifischen Referenz von ich” méglich ist '. SchlieSlich hat Chisholm eine Analyse vorgeschlagen, die die genannte Schwierigkeit umgeht, ohne die Funktion der Referenz zu opfern. Der Satz ,,S glaubt, da& er selbst F ist” besagt demnach: ,,Es ist empitisch gewi8 fiir S, da8 es jemand gibt, der geglaubt wird, F zu sein.” Den Ausdruc ,ich” analysiert Chisholm dann so, da8 dessen Referenz der Sprecher selbst und die Funktion des Satzes ,,Ich bin F” die ist, die Ge-

wiSheit des Sprechers auszudriicken, da8 es jemand gibt, der geglaubt

wird, F zu sein *, Damit scheint gesichert, da& das Phanomen des ein49 H.N. Castafieda,

,Er“:

Zur

Logik

des

SelbstbewuStseins,

in:

Ratio

8

('66)

S. 117 Ff. 50 Vgl. neuerdings Anscombe, insbes. S.60; A.W. Miiller, Reply to ,I”, in: Jowett Papers 1968—69, ed. by Khanbai/Katz/Pineau, Oxford ('70) S. 11 ff. 51 S. Shoemaker, Self-Reference and Self-Awareness, in: The Journal of Philosophy, Vol. LXV (68) S.55 ff. Prior vertritt die These, ,ich” sei der einzige logische Eigenname im Sinne Russells (A. N. Prior, I, in: Jowett Papers 1968—69,

ed, by Khanbai/Katz/Pineau, Oxford (’70)). Ahnlich zeigt Tugendhat, da8 ,ich“ der letzte Bezugspunkt aller Identifizierung ist (Tugendhat (79 a), 4. Vorlesung).

52 Die angegebene Definition korrigiert den Text von Chisholm ('78) S. 410 in einem Punkt. Chisholm sagt namlich, da8 die Funktion von ,Ich bin F die ist, »die Tatsache auszudriicken, da8 es empirisch gewi8 fiir den Sprecher ist, da8 [...]*. Damit enthalt die ausgedriickte Tatsache doch wieder den Sprecher. Um dies zu verhindern, habe ich formuliert, da& es die Funktion von ,Ich bin F* ist,

die GewiGheit des Sprechers auszudrticken, daB... Da& dies ein entscheidender

Unterschied ist, sieht man auch daran, da8 das ,ausdriicken” in Chisholms For-

226

fachen SelbstbewuBtseins, auch des verbalen SelbstbewuStseins im eigenen Fall, keine Paradoxien aufgibt, die philosophische Deduktionsversuche rechtfertigen kénnten. Gleichzeitig ergibt sich eine neue Interpreta-

tionsmdglichkeit des Fichteschen ,,Setzens” als ,,Ausdriicken einer Gewifheit”: Obwohl der Ausdruck ,,ich” einen Gegenstand bezeichnet, be-

steht die Funktion von Satzen der Form ,,Ich bin F” nicht in der Beschreibung einer Tatsache, sondern in dem Ausdruck eines epistemischen Zustands des so sprechenden bzw. denkenden Subjekts.

2. Wissen von sich 2.1 Fichtes Fragestellung Die Aufgabe, die Fichte seit den ,,Eignen Meditationen zur Elementar-

Philosophie” dem Philosophieren stellt, namlich den Gedanken ,,Ich” zu

denken, 1a&t sich zundchst hauptsachlich auf drei Arten verstehen, nam-

lich als Denken von 1. bloSem SelbstbewuStsein, und zwar im eigenen Fall oder im Fall anderer, in verbaler oder in praverbaler Form, 2. der

Selbstidentifikation, also dem Meinen und Wissen von der eigenen (numerischen) Identitat (,,Ich bin N.N.”), 3. der eigenen Natur qua Sub-

jektivitdt, also der Form ,Ich bin ein Ich”. Schlieflich kann man ,,Ich“ oder ,,Ichheit” auch schon im Sinne ,,qualitativer Ichidentitat” verstehen.

Fichte hat zwar einen wichtigen Beitrag zur Definition des SelbstbewuBtseins geleistet; die Problematik des Selbstbewu8tseins fiihrt jedoch nicht auf eine Aporie, die den Anspruch philosophischer Deduktion legitimiert. Im Interesse einer Rekonstruktion von Fichtes Grundlegung der praktischen Philosophie werde ich deshalb zunachst die Problematik von 2 und 3 entwickeln. Fichte hat es durch seine eigene Explikation des mulierung durch ,beschreiben” ersetzt werden kann, in meiner jedoch nicht. Die Korrektur entspricht aber Chisholms Intention, da er als vorlaufige Funktion

von ,Ich bin F” die angibt, den Glauben des Sprechers auszudriicken, da8 er selbst F ist (ebd. S. 409). Chisholm hat gegen seine eigenen Vorschlage kurz darauf Bedenken formuliert, die ich nicht fiir durchschlagend halte (Chisholm (79 a), Objects and Persons: Revision and Replys, in: Essays on the Philoso-

Phy of Roderick M. Chisholm, ed. by E.Sosa, Grazer Philosophische Studien

7/8 S.325; sowie ders (‘79 c), The Indirect Reflexive, in: Intention and Intentionality. Essays in Honour of G. E. M. Anscombe, ed. by C. Diamond/J. Teichmann, Brighton, Sussex). Zur Kritik an Chisholms Selbstbewu8tseinsthesen vgl. auch die Beitrage von Castaiieda, Heidelberger und Henrich in dem genannten Band der Grazer Philosophischen Studien. Chisholms Vorschlage scheinen mir jedenfalls sachlich unabhingig von seinem besonderen, ,normativen” Begriff von GewiSheit (s. Chisholm (‘79 b), Erkenntnistheorie, Miinchen 1. Kap.).

227

wich” als ,,1ch=Ich” (GWI 288) selbst nahegelegt, den Schwerpunkt seiner Erérterung in der Problematik von 2 und 3 zu sehen. ,,Ichh=Ich” besagt dann, wenn es iiberhaupt etwas besagt “, soviel wie ,,Ich bin dies”

bzw. ,Ich bin N.N.” oder ,,Ich bin ein Ich”. Wie wird die Méglichkeit

eines Meinens und Wissens dieser Sachverhalte fiir Fichte tiberhaupt zum Problem? Obwohl Fichte in der ,,Grundlage” einen Ansatz zur Analyse von SelbstbewuBtsein formuliert, liegt sein spezifisches Problem dort — im Unterschied zu den Darstellungen der Wissenschaftslehre nova methodo — gar nicht in der Theorie des Selbstbewutseins oder Bewu&tseins. Er geht nicht aus von einer Aporie des Selbstbewu8tseins oder Bewu8tseins, sondern von einer Aporie der Bestimmtheit eines Subjekts von SelbstbewuS8tsein bzw. der Aporie, wie ein Subjekt von SelbstbewuB8tsein sich als ein bestimmtes soll wissen kénnen. Diese Aporie des Wissens von sich verbindet Fichte gleichzeitig mit der Aporie der Selbst-

bestimmung.

Fichte hat den ersten Grundsatz seiner Wissenschaftslehre im § 1 der Grundlage” so formuliert: ,,.Das Ich setzt urspriinglich schlechthin sein eigenes Sein” (GW 292). Dies la8t sich zunachst, wie gezeigt, als Formulierung der GewiSheit der eigenen Existenz und sogar als Versuch einer Definition von Selbstbewu8tsein durch ExistenzgewiSheit verstehen. Offensichtlich will Fichte jedoch mit seinem Grundsatz mehr behaupten. Es liegt natiirlich nahe, ,setzen” hier als ,hervorbringen” zu verstehen “. Es macht jedoch keinen Sinn zu behaupten, da8 sich das Ich 53 Vgl. dazu Tugendhat (’79 a) S.57 ff., 62 ff., 68 ff., 330. Oblicherweise wird das Fichtesche Ich = Ich” zu dem Satz der Identitat in Beziehung gesetzt. Natiirlich ist ,,Ich-Ich” auch eine triviale Folgerung aus dem Prinzip: ,Fiir alle X gilt: X ist identisch mit X.” Fichte sieht es vielleicht deshalb als eine nichttriviale Folgerung an, weil er an die Identitat von Subjekt und Objekt im SelbstbewuStsein denkt, die ihm problematisch scheint. Vielleicht meint Fichte auch, da8 es Identitdt oder jedenfalls Identifikation nur auf der Basis von SelbstbewuStsein gibt.

In diese Richtung (GWI

290 Anm.,

Bedingung

weist auch

291). Diese

die Rede

Rede

148t

vom

sich

,Ich” als

,absolutem

so deuten, da8

Subjekt”

SelbstbewuStsein

der Méglichkeit jeder Identifikation und sogar jeder Referenz ist

(vgl. Anm. 51).

Fichte kommt zum ,Ich=Ich”

jedoch wesentlich

durch

die merkwiirdigen

Be-

hauptungen, da8 ,A=A” soviel bedeutet wie ,Wenn A sei, so sei AX (GWI 287) und da8& im ,,Ich” dieser Zusammenhang seinen hypothetischen Charakter

verliert. pliziert Existenz weitere

Dahinter steht vielleicht folgender Gedanke: Der Gedanke ,Ich” imdie Existenz von mir, da Selbstbewu8tsein die GewiSheit der eignen impliziert oder sogar durch sie definiert ist (s. 1.3). Dies fiihrt auf eine Bedeutung von ,Ich” als ,absolutem Subjekt“: Bei jedem Gebrauch

eines Zeichens als Subjekt wird unterstellt, da8 das Bezeichnete existiert. Diese

Unterstellung geschieht beim ,Ich” per definitionem zu Recht.

54 Zur Bedeutung von ,setzen” bei Fichte vgl. Anm. 46.

228

selbst hervorbringt; denn wenn es nicht existiert, kann es nichts hervor-

bringen, auch nicht sich selbst. Fichtes weitere These: ,,Das Ich ist das-

jenige, als was es sich setzt” (ebd.) legt dann die Deutung nahe, das Ich

bringe zwar nicht sein Dasein, aber sein gesamtes

Sosein hervor. Das

ware aber keine geringere logische Absurditat, da dann gar nicht bestimmt ware, wessen Sosein das Ich hervorbringt *. Es bleibt dann die Deutung, da8 das Ich zwar nicht sein gesamtes, aber einen Teil seines Soseins hervorbringt, indem es sich selbst dazu bestimmt, so und so zu sein. Das Ich ware dann ,,Selbstbestimmung” im Sinne einer Kategorie der Determination oder Kausalitat. Die Idee kausaler Selbstbestimmung ist jedoch aporetisch. Entweder ist eine Bestimmung eines X, die nicht durch anderes bestimmt ist, grundlos, und dann kann man auch nicht sagen, da8 sie durch X selbst be-

stimmt ist. Oder man muf8 eine Selbstbestimmung des X zu jener ,,Selbstbestimmung” annehmen. Da beziiglich dieser Selbstbestimmung zweiter Stufe dieselbe Alternative gilt, fiihrt die Idee kausaler Selbstbestimmung

auf einen unendlichen Regre& *. Die Idee der Selbstbestimmung lat sich

nur im Hinblick auf praktische Vernunft verstehen, also insbes. als ratio-

nales Wollen ”. Fichte scheint die Aporie der kausalen Selbstbestimmung gesehen zu haben. Jedenfalls halt er dem ersten Grundsatz im zweiten Grundsatz

55 Fichte hat allerdings in der Sittenlehre so etwas explizit behauptet: ,,Wer bin ich denn eigentlich, d. i. was fiir ein Individuum? Und welches ist der Grund, da8 ich der bin? Ich antworte: Ich bin von dem Augenblicke an, da ich zum Bewu8t-

sein gekommen, derjenige, zu welchem ich mich mit Freiheit mache, und bin es darum, weil ich mich dazu mache“ (SI 616). 56 Vgl. U. Pothast S. 84 ff. 57 Vgl. Tugendhat ('79 a) S. 242: ,Das Kennzeichen derjenigen Wahl, die man als Selbstbestimmung

charakterisieren

kann, ist, da8 wir die

Wahl

in der Weise

eines rationalen Wollens vollziehen. Die Wahl la&t sich nicht als Selbstbestimmung verstehen sowohl dann, wenn man ihren irreduzibel voluntativen Charakter leugnet, wenn man sie auf Rationalitat glaubt reduzieren zu kénnen, als auch dann, wenn man, wie Heidegger, leugnet, da8 sie sich auf Begriindung stiitzen kénnen mu8.” Es leuchtet ein, da& Entscheidungen oft nicht ,zwingend” begriin-

det werden

kénnen, da8 sie also oft schon rational sind, sofern sie ,auf der

Basis” von Griinden (Tugendhat (’79 a) S. 240), aber nicht nur aus Griinden getrotfen werden. Es leuchtet jedoch nicht recht ein, da& man nur dann von

»Selbstbestimmung” sprechen soll. Tugendhat sagt zwar zu Recht: ,Kénnte sich das Wollen in letzter Instanz noch auf Griinde abstiitzen, so wiirde der Wille gewisserma8en seine Schwerkraft, seinen Ernst verlieren” (ebd. S. 238). Tugendhat folgert daraus

jedoch zu Unrecht:

,und

d.h.: es ware

nicht mehr

meine

Stellungnahme” (ebd.). In anderer Hinsicht ist der Begriff ,,Selbstbestimmung”

allerdings weiter als der der praktischen

Rationalitat:

Man

kann

davon

auch

dann reden, wenn jemand versucht, rational zu entscheiden, ohne da8 ihm dies zu gelingen braucht. Auch dann kann man namlich sagen, da& ,jemand, was er tut oder will, selbst wahlt” (ebd. S. 232). Vgl. Anm. 96.

229

nicht nur das Faktum bzw. die Notwendigkeit entgegen, da8 das Ich

durch das Nicht-Ich begrenzt und bestimmt wird, sondern stellt in der

praktischen Wissenschaftslehre auch den sich nicht selbst begrenzen” (GWI 497, Verscharfung des zweiten Grundsatzes These einer kausalen Selbstbestimmung

Grundsatz auf: ,.Das Ich kann 474). Dieser Satz, den man als lesen kann, schlie8t es aus, die des Ich auch nur partiell auf-

rechtzuerhalten. Welche These formuliert aber dann der erste Grundsatz

im Zusammenhang der Problematik der Selbstbestimmung? Fichte hat dem ersten Grundsatz in den Teilen seines ersten System-

entwurfs, die sich von der Orientierung an Reinhold starker freimachen,

namlich im praktischen Teil der ,,Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre” und dem ,,Grundri8 des Eigentiimlichen der Wissenschaftslehre in Riicksicht auf das theoretische Vermégen” von 1795, eine wesentlich negative Form gegeben: ,,Nichts kommt dem Ich zu, als das, was es in sich setzt” (GE 525). Fichte scheint damit seine Grundsitze weniger als evidente Prinzipien aufzufassen denn als Ausdruck einer Antinomie. Die Systematik der ,,Grundlage” 1a8t sich dann verstehen als ein immer wieder scheiternder Versuch, diese Antinomie aufzulésen “. Beziiglich der

Problematik der Selbstbestimmung wiirde die Antinomie durch folgende sich widersprechende Behauptungen erzeugt: 1. Nur dasjenige kann das Ich bestimmen, zu dem es sich selbst bestimmt. 2. Das Ich kann sich nicht selbst bestimmen” *, Da die Problematik der kausalen Selbstbestimmung ein Scheinpro-

blem darstellt, fragt es sich nun, welche anderen Probleme Fichte mit sei-

nen Grundsatzen formulieren wollte. Wir werden zeigen, da8 es sich um Probleme des Wissens von sich handelt. Als rationaler Kern dieser Probleme wird sich das der qualitativen Ichidentitat erweisen. 2.2 Wissen vom eigenen Erleben

und der eigenen numerischen Identitat Fichte schreibt in einem Brief vom 2. Juli 1795 an Reinhold: ,,Wir lernen

nicht aus der Erfahrung, was wir zu uns rechnen, und nicht zu uns rechnen sollen; eben sowenig giebt es einen Grundsaz a priori, nach welchem

dies sich entscheiden la8e; sondern der Unterschied ist absolut, und erst

durch ihn werden alle Grundsitze a priori, und alle Erfahrung miglich”

58 Vgl. H. Schmitz (’64) S. 101 Ff. 59 Eine symmetrische Gestalt bekame die Antinomie durch folgende Formulierun-

gen:

A: 1. Das Ich kann nicht bestimmt werden. 2. Das Ich kann sich nicht selbst bestimmen.

B: 1. Nur dasjenige kann das Ich bestimmen, zu dem es sich selbst bestimmt.

2. Das Ich kann sich nur zu dem bestimmen, zu dem es bestimmt wird.

230

(GA I, 2/217). Einen verwandten Gedanken formuliert die ,,Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre” speziell fiir den Fall des Handelns:

~\ch kann keinen Schritt tun, weder Hand noch Fu8 bewegen, ohne die

intellektuelle Anschauung meines Selbstbewu8tseins in diesen Handlun-

gen; nur durch diese Anschauung wei8 ich, da8 ich es tue, nur durch diese

unterscheide ich mein Handeln und in demselben mich, von dem vorgefundenen Objekte des Handelns. Jeder, der sich eine Tatigkeit zuschreibt, beruft sich auf diese Anschauung” (2. Einl. 47; Mei 43 f.). In dem Brief an Reinhold ist von einem Problem der Zuschreibung von Attributen zu uns selbst die Rede. Wenn in der Selbstzuschreibung im allgemeinen ein Problem lage, so ware dies durch unsere Analyse von

SelbstbewuStsein und ,,ich” bereits erledigt, da wir diese anhand der Satzformen ,,N.N. glaubt, da8 er selbst F ist” und ,,Ich bin F” analysiert haben. Fichte meint auch wohl nicht, da8 wir beziiglich keiner unserer Attribute aus der Erfahrung lernen, ob wir sie uns mit Recht zuschreiben

oder nicht. Wie das Beispiel der Eigenbewegung aus der ,,Zweiten Einleitung” zeigt, denkt Fichte offenbar an die Selbstzuschreibung dessen, was jeder unmittelbar, nicht erst durch Wahrnehmung, an sich selbst erfahren kann, etwa an Impulse von Eigenbewegungen in Verbindung mit dem leiblichen Spiiren der zu bewegenden Glieder. Es handelt sich also um das Problem der Selbstzuschreibung sog. ,,mentaler”, also eigener-

lebter Zustinde. Fichtes Problem bezieht sich nun offenbar nicht auf die epistemische Charakteristik des Wissens eines Subjekts davon, welche mentalen Zu-

stande es wirklich besitzt. Er fragt also nicht nach dem besonderen epistemischen Zugang zu eignen mentalen Zustanden, etwa nach Gewifheit, Unkorrigierbarkeit usw. Sein Problem betrifft vielmehr den besonderen epistemischen Zugang zu dem Subjekt eigenen Erlebens. Fichtes These lautet demnach, da& jedes selbstbewuSte Subjekt von dem Subjekt seiner eigenen mentalen Zustinde (durch diese Zustinde) ein ausgezeichnetes Wissen besitzt, das weder auf Erfahrung noch auf einem Grund-

satz a priori beruht.

Fichte nennt dieses Wissen ,,intellektuelle Anschauung”. Er sagt nicht explizit, was das Spezifische dieses Wissens ist, aber seinen negativen

Aussagen kann man wohl entnehmen, da8 es sich um (empirische) GewiSheit handeln soll. Diese GewiSheit bezieht sich nach Fichte auf den

Sachverhalt, da& ich derjenige bin, der die mentalen Zustinde besitzt, zu

denen ich einen besonderen epistemischen Zugang habe. Unter dem Titel pintellektuelle Anschauung” ist also ein besonderes Wissen von der eigenen (numerischen) Identitdt gemeint. Es fragt sich, ob in diesem Wissen ein Problem liegt, das durch die Definition von Selbstbewu8tsein im Anschlu8 an Fichte (s. 1.3) nicht schon erledigt ist. Die Besonderheit der Selbstzuschreibung mentaler Zustande ist im An231

schlu8 an Wittgenstein und Strawson insbesondere von Shoemaker untersucht worden. Shoemaker zeigt, da8 Feststellungen iiber mentale Zustande in der ersten Person zwar nicht (oder jedenfalls nicht immer) total gegen Irrtum immun sind, da8 sie jedoch ,immun sind gegen Irrtum aufgrund von Fehlidentifikation relativ zu den Pronomen der ersten Person“ *. Da8 hier keine Fehlidentifikation méglich ist, besagt jedoch nicht, 60 Shoemaker S.556. Shoemaker argumentiert so: Die Behauptung ,Ich fiihle Schmerzen’ kann nicht einem Irrtum durch Fehlidentifikation relativ zu ,ich’ unterliegen: Es kann nicht sein, da& ich mit der Aussage ,Ich fiihle Schmerzen’ einen Fehler mache, weil ich, obwohl ich von jemand wei8, da8 er Schmerzen fihlt, falschlich glaube, da8 ich selbst diese Person bin” (ebd. S. 557). Shoema-

ker formuliert hier nicht ganz priazise. Offenbar denkt er nicht an den Fall, wo

jemand nur sagt: Ich fiihle Schmerzen”, ohne dies selbst zu glauben, sondern an

ein aufrichtiges Sprechen. Weiterhin meint Shoemaker offenbar den Fall, wo jemand nicht auf der Basis von Beobachtung von Schmerzausdruck und Schmerzverhalten sagt: ,Ich fithle Schmerzen”, sondern auf der Basis des eigenen Erlebens (dies wird bei Shoemaker dadurch angedeutet, da8 von dem Satz wich fiihle Schmerzen“, nicht ,Ich habe Schmerzen“ die Rede ist). Die Argumentation lautet also genauer so: Wenn jemand in dem Versuch, sein Erleben

aufrichtig zu artikulieren, sagt (und natiirlich glaubt): ,Ich habe Schmerzen” und dabei (aufgrund dieses Erlebens) wei8, da8 es jemand gibt, der Schmerzen

hat, so kann er sich nicht darin téuschen, da8 er selbst derjenige ist, von dessen

Schmerzen er (aufgrund seines Erlebens) wei8. Allerdings gilt im Falle von Schmerzen, von denen Wissen hat, schon ein einfacherer Zusammenhang: Erlebens glaube, Schmerzen zu haben, so habe ich dann wei8 ich (jedenfalls dann, wenn ich tiberhaupt lebens

wissen kann) sowohl, da8 es jemand

man m. E. ein inkorrigibles Wenn ich aufgrund meines tatsdchlich Schmerzen, und etwas aufgrund meines Er-

gibt, der Schmerzen hat, als auch,

daB ich derjenige bin, der diese Schmerzen hat. Shoemaker bringt jedoch vielleicht deshalb sofort die kompliziertere Argumentation, weil nur sie auch fiir korrigible mentale Zustande gilt. Vielleicht ist das ein weiterer Grund dafiir, da Shoemaker vom Satz ,Ich fithle Schmerzen“ ausgeht; denn dies kann man auch

lesen

als

,Mir

scheint

aufgrund

meines

Erlebens

(,Fiihlens’),

da8

ich

Schmerzen habe“; und dies ware auch dann inkorrigibel, wenn Schmerzen kor-

rigibel waren.

Henrich paraphrasiert Shoemakers These so: ,Empfindet eine Person Schmerzen oder hat sie eine Absicht, so ist es ausgeschlossen, da® sie irrt, wenn sie sich selbst fiir die Person halt, welche die Schmerzen hat oder die Absicht hegt”

(Henrich (‘79 c), Identitat. Begriffe, Probleme, Grenzen, in: O.Marquard u. K. Stierle (Hg.), Poetik und Hermeneutik VIII, Miinchen S. 176). Das ware aber eine Trivialitat, die auch fiir jedes nichtmentale Attribut gilt: Wenn eine Person z. B. Sommersprossen hat, so ist es auch ausgeschlossen, da8 sie irrt, wenn sie

sich selbst

meint

fiir die

anscheinend

Person

folgendes:

halt, welche diese Sommersprossen Empfindet

eine Person

Schmerzen

hat. Henrich

oder

hat

sie

eine Absicht, so kann sie nicht umhin zu glauben und ist in ihrem Glauben gegen Irrtum immun (d.h. hat GewiSheit), da& sie selbst die Person ist, die

diese Schmerzen hat oder diese Absicht hegt. Das ist jedoch nicht Shoemakers Argumentation, und richtig ist sie nur fiir inkorrigible mentale Zustande, zu denen Absichten wohl nicht gehdren. Henrich bestreitet dariiberhinaus die In-

korrigibilitat sogar fiir Schmerzen (ebd. S. 176).

232

da hier iiberhaupt identifiziert wird. Mit ,,ich” wird vielmehr referiert

gerade ohne eine Identifikation (durch eine Kennzeichnung, eine Geste oder wenigstens die Intention des Sprechers) *'.

Nun ist es richtig, da8 die Weise, in der ,ich” referiert, namlich tau-

schungsfrei oder garantiert, fiir ,ich” spezifisch ist. Aber sie stellt kein neues philosophisches Problem, sofern sie schon daraus folgt, da8 ,,Ich bin F” stets die Gewi8heit des Sprechers ausdriickt, da8 es ein X gibt, so da8 X von X geglaubt wird, F zu sein, und es kein von X verschiedenes Y

geben kann, fiir das dasselbe gilt wie fiir X *. Es ist auch eine Tauschung, da8 ich mit ,,Ich bin derjenige, der ein gewisses Erlebnis hat” spezifisch eine Identitatsaussage iiber mich mache; denn dieser Satz besagt — jeden-

falls unter normalen Umstinden — nichts anderes als: ,,Ich habe ein ge-

wisses Erlebnis.” H. Schmitz hat versucht, Fichtes Idee der intellektuellen Anschauung auf echte Aussagen iiber die eigene (numerische) Identitat zuzuspitzen:

»Die intellektuelle Anschauung prasentiert das Ich ihm selbst so, wie es sich selbst setzt oder bestimmt. Dies ist, wohlverstanden, begreiflich und nicht ratselhaft, wenn wir uns vor Augen halten, da8 z. B. der bestimmte Mensch, als den ich mich selbst anerkenne, mir nie als eine objektive Tatsache dies entgegenhalten kann, da8 ich er bin; meine Identitat mit ihm ist vielmehr nur durch mein Identifizieren meiner selbst mit ihm, das

Fichte als Selbstbestimmung oder Sichsetzen des Ich bezeichnet, gesichert.” * Schmitz hat diesen Gedanken spater ohne expliziten Bezug auf Fichte genauer entwickelt: ,,Wenn ich in meinem Selbstbewuftsein

nicht mehr gleichsam ,Das bin ich’ sage — was auch in vorsprachlichem,

unwillkiirlichhem Bescheidwissen geschehen

61 Tugendhat

hat

kann, selbst ohne Kenntnis

in Auseinandersetzung mit der Heidelberger

Schule”

gezeigt,

da8 durch den Ausdruck ,ich” nicht identifiziert wird, und gleichzeitig deutlich gemacht, da8 jede Identifikation eine subjektive und eine objektive Komponente hat (Tugendhat (‘79 a) S. 82). Vgl. Anm. 30 u. 51. Es ist nicht ganz klar, ob Shoemakers These der Unmiglichkeit der Fehlidentifikation bei Satzen in der ersten Person tiber mentale Zustande besagen soll, da8

wich” gar nicht identifizierend, sondern lediglich referierend gebraucht wird.

Henrich behauptet mit Berufung auf Shoemaker beziiglich eigener mentaler Zustande das Vorliegen kriterienloser Selbstidentifikation (Henrich (‘79 a) S. 178).

Dabei unterscheidet Henrich nicht zwischen Selbstidentifikation und Selbstrefe-

renz.

62 Die Analyse von Satzen der Form ,Jch bin F” mu8 auf einen mentalen Zustand des Sprechers zuriickgreifen, namlich seinen Glauben. Das Wissen des Sprechers von diesem Glauben ist inkorrigibel. Und darin liegt die Garantie fiir die Referenz von ,ich“. Dies andert natiirlich nichts daran, da8 das Argument

von

Shoemaker (s. Anm. 60) nicht fiir alle Satze der Form ,Ich bin F” gilt, sondern nur dann, wenn ,F” fiir mentale Zustande des Sprechers steht. 63 H. Schmitz ('64) S. 102.

233

dieser oder gleichsinniger anderer Worte —, dann gibt es fiir noch so eindringliches Erkennen keine Tatsache mehr, die die Vermutung bestatigen kénnte, da ich der Hermann Schmitz bin. Unter allen Tatsachen, die diesen Mann durch Eigenschaften bestimmen, kommt namlich nicht diese vor, da& ich er bin; das ist tiberhaupt keine objektive Tatsache, die ich oder ein anderer durch Erfahrung auskundschaften kénnte, sondern, wenn es sich so verhdlt, mu8 ich die Tatsache durch mein Wissen von mir, das sich auf den Hermann Schmitz gleichsam einla&t, in die Welt mitbringen und kann sie nicht aus ihr lernen, ebenso wenig, wie ein an-

derer das kann.” “ Dasselbe Problem wurde von Thomas Nagel im Kontext der analytischen Philosophie formuliert “*. Schmitz und Nagel haben daraus auch eine ahnliche Konsequenz gezogen, namlich die einer radikalen ontologischen Unterscheidung von ,subjektiven” und ,objektiven” Tatsachen. In der angegebenen Form handelt es sich jedoch um ein Scheinproblem. Die Tatsache, da8 H. Schmitz oder Th. Nagel glaubt oder wei8,

da& er selbst H. Schmitz oder Th. Nagel ist, ist nichts anderes als die Tatsache, da8 H. Schmitz oder Th. Nagel GewiSheit hat, da8 es ein X

gibt, so da& X von X geglaubt (oder gewu&t) wird, H. Schmitz oder Th.

Nagel zu sein. Da8 Schmitz schon etwas von sich wissen muS, um zu wissen, da er selbst Schmitz ist, bedeutet nicht, da8 er dies nicht ,,aus der Welt lernen kann” ; denn das vorausgesetzte Wissen von Schmitz be64 H. Schmitz ('68) S. 96. 65 Th. Nagel ('65), Physicalism, in: The Philosophical Review;

ders., The Objec-

tive Self, erscheint in: Mind and Knowledge, Essays in Honour of Norman Malcolm, ed. by C. Ginet/S. Shoemaker.

Nagel geht in ,Physicalism” von demselben Problem aus wie Schmitz in seinem

#System der Philosophie”, namlich von der Unersetzbarkeit von ,ich” (Schmitz bezieht sich dabei allerdings spezifisch auf Satze iiber affektives Betroffensein). Bei Nagel bleibt dieser Ansatz jedoch, in merkwiirdigem Kontrast zum Anspruch ,analytischer~ Philosophie, rein intuitiv, wahrend der Phaénomenologe Schmitz ihm ausfiihrliche, teilweise auch linguistische Untersuchungen widmet

(Schmitz, System der Philosophie Bd. I (‘64) § 1; Bd. III, 2 (‘69) § 142).

Noch mehr gilt dies fiir den Begriff der ,Subjektivitat” bzw. der ,subjektiven

Tatsache” (s. Nagel (‘74), What is it like to be a bat?, in: ders. (‘80) Mortal Questions, Cambridge S.165 ff.; ders. (‘80), Subjective and Objective, ebd.).

Schmitz verwendet ihn ab Bd. III, 2 (’69) seines Systems zur Auflisung der schwierigsten SelbstbewuStseinsprobleme. Schmitz versteht hier unter einer subjektiven Tatsache eine Tatsache, die nur fiir das Subjekt, fiir das sie vorliegt, bestimmt, d.h. angemessen beschreibbar ist. In einer fritheren Arbeit hatte Schmitz aus der Voraussetzung, da8 meine Identitat mit etwas keine ,objek-

tive Tatsache” ist, eine ontologische Antinomie der ,Unbestimmbarkeit und Bestimmtheit dessen, der ich bin“ (Schmitz (‘68) S. 108), abgeleitet und diese Anti-

nomie durch Annahme einer unendlichfachen Unentschiedenheit meiner gegeniiber meinen Attributen aufgelist. Damit hat Schmitz in radikaler Weise Fichtes These reformuliert, da8 das Ich ,,absolut-unbestimmbar“ ist (GWI 314).

234

steht lediglich in seiner Gewifheit, da8 es ein X gibt, das @ ist (wobei ~~" hier fiir fiir X gewisse Attribute von X steht, also mindestens dafiir,

da8 ihm etwas zu sein scheint, oder etwa fiir seine Schmerzen). Ebenso ist fiir Nagel die Tatsache, da8 er selbst Nagel ist, eine Tat-

sache, die in ontologischer Hinsicht nicht weniger objektiv ist als alle iibrigen Tatsachen; sie besteht namlich in der Gewifheit Nagels, da8 es ein X

gibt, so da8 X fiir X Nagel zu sein scheint. Entsprechendes gilt fiir die

Formulierung des Problems in der ersten Person: Der Satz ,,Ich bin F” beschreibt zwar, wie wir gesehen haben, keine Tatsache, aber er driickt

im Munde von Nagel oder Schmitz die GewiSheit dieser Philosophen aus, daB es ein X gibt, so da8 X fiir X Nagel oder Schmitz zu sein scheint.

Nach der gegebenen Explikation von ,ich” ist auch nicht zu erwarten, da& der Satz ,,Ich bin N.N.” neue philosophische Probleme stellt; denn

die Explikation geschah durch Explikation des Satzes ,,Ich bin F”, und

wich bin N.N.” ist nur ein Sonderfall davon.

2.3 Wissen von sich als Subjekt, objektivierende Selbstreflexion und qualitative Ichidentitat Fichte exponiert in den Grundsitzen der ,,Grundlage“ einerseits das Pro-

blem einer Theorie des SelbstbewuStseins, andererseits das Problem einer

Theorie des Wissens von der eigenen numerischen Identitat. Beide Probleme erlauben jedoch nicht die Konstruktion einer Antinomie, die philosophische Deduktionen rechtfertigen kénnte. Nun kann man Fichtes Pro-

gramm, den Gedanken ,,Ich” zu denken, neben dem Programm, ,,ich.. .“ und ,Ich bin N.N.” zu denken, auch noch als das Programm verstehen zu denken: ,,Ich bin ein Ich.” Es liegt allerdings nicht auf der Hand, worin

hier ein Problem liegen soll. Wenn (propositionales) SelbstbewuStsein tiberhaupt méglich ist, dann scheint auch der Gedanke des Wissens oder

Erkennens ,,Ich bin ein Ich” méglich, da dies zunachst nichts anderes besagt als: ,Ich habe verbales SelbstbewuStsein.”* Ein Problem kénnte

dieser Gedanke nur aufgrund spezifischer Eigentiimlichkeiten des Sachverhalts des (verbalen) SelbstbewuStseins aufwerfen. Nach Fichtes eigener Darstellung gibt sogar jeder Sachverhalt der Bestimmtheit des Ich, also der Form ,Ich bin F”, eine Paradoxie auf. Da

66 Nach Pothast betrifft Fichtes Selbstbewutseinsproblematik neben dem Problem, ,wie man jemanden als sich selbst erkennen kann“ (Pothast, Teil I, 1. Abschnitt), vor allem das Problem, ,wie man sich als ein Ich erkennen kann” (ebd. 2. Abschnitt). Es ist nicht ganz deutlich, ob Pothast damit die Erkenntnis wlch bin ein Ich” oder vielleicht die Erkenntnis ,Ich bin ich” meint. Jedenfalls ist letztere eine schlichte Tautologie, wenn sie nicht meint: ,,Der N.N. bin ich.”

Im letzteren Fall liegt jedoch gegeniiber ,Das bin ich”, das Pothast in seinem

ersten Abschnitt behandelt, kein spezifisches Problem.

235

(verbales) Selbstbewu8tsein im eigenen Fall immer die Form ,,Ich bin F“

hat, gehdrt diese These zunachst noch zur SelbstbewuStseinstheorie. Sie ist jedoch bei Fichte, wie wir im folgenden sehen werden, ein irrefiihren-

der Ausdruck von Phanomenen komplexerer Selbstbeziehung. Fichte hat am Schlu8 des ersten Teils der ,,Grundlage”, der die »Grundsatze der gesamten Wissenschaftslehre” behandelt, versucht, die logische Form derjenigen Satze zu bestimmen, die spezifisch philosophische Probleme stellen. Er unterscheidet dort ,,antithetische”, ,synthetische” und _,,thetische” Urteile. Zu dem Begriff des ,,thetischen” Urteils hei&t es: ,,Ein thetisches Urteil aber wiirde ein solches sein, in welchem etwas keinem andern gleich- und keinem andern entgegengesetzt, sondern blo& sich selbst gleichgesetzt wiirde: es kénnte mithin gar keinen Beziehungs- oder Unterscheidungsgrund voraussetzen: sondern das Dritte, das es der logischen

Form

nach doch voraussetzen mu&,

wire

blo8 eine Aufgabe fiir einen Grund. Das urspriingliche héchste Urteil dieser Art ist das: Ich bin, in welchem vom Ich gar nichts ausgesagt wird, sondern die Stelle des Pradikats fiir die mdgliche Bestimmung des Ich ins Unendliche leergelassen wird. Alle Urteile, die unter diesem, das ist, unter dem absoluten Setzen des Ich enthalten sind, sind von der Art (wenn sie auch nicht allemal wirklich das Ich zum logischen Subjekt hatten); z. B. der Mensch ist frei” (GW1 311). ,,So ist das Geschmacksurteil :

A ist schon, (soviel als in A ist ein Merkmal, das im Ideal des Schénen

auch ist) ein thetisches Urteil; denn ich kann jenes Merkmal nicht mit

dem Ideale vergleichen, da ich das Ideal nicht kenne. Es ist vielmehr eine Aufgabe meines Geistes, die aus dem absoluten Setzen desselben herkommt, es zu finden, welche aber nur nach einer vollendeten Annahe-

rung zum Unendlichen gelést werden kénnte. — Kant und seine Nachfolger haben daher diese Urteile sehr richtig unendliche genannt, obgleich keiner, so viel mir bewuSt ist, sie auf eine deutliche und bestimmte Art

erklart hat” (GWI 312). Fichtes

Unterscheidung

der

,thetischen”

von

,,antithetischhen”

und

wsynthetischen” Urteilen kénnte die Vermutung nahelegen, da& es sich bei den ,,thetischen” Urteilen schlicht um analytische Urteile handelt. Den Satz ,Ich bin” kénnte man auch mit einer gewissen Berechtigung

»analytisch” nennen, sofern das angemessene Verstandnis von ,,ich” die GewiSheit enthalt, da ich existiere. Es geht Fichte jedoch hier nicht nur darum, da& das Wissen von der eigenen Existenz in dem Verstandnis

von ,ich” bereits impliziert ist, sondern darum, da& von jedem ,,Ich” mit

philosophisch ausgezeichneter GewiSheit genau das gesagt werden kann, was es gar nicht oder jedenfalls nicht im sonst iiblichen Sinne bestimmt. Hierbei bezieht sich Fichte implizit auf Kants These, da8 Existenz kein

»teales Pradikat” ist, d. h. kein Pridikat, das das Satzsubjekt charakterisiert, also kein Attribut. ,,Thetische” Urteile kénnte man demnach als 236

Urteile verstehen, die (mit Gewi8heit) von etwas nichtattributive Bestimmungen aussagen. Abgesehen von singulirer Existenz ” gibt es mindestens, wie Schmitz gezeigt hat, die nichtattributiven Bestimmungen der absoluten Ortlichkeit und Gegenwart “, die man wohl auch bei der Definition von Selbstbewu8tsein benutzen kénnte. La8t sich in diesem Sinne Fichtes These von der absoluten Unbestimmbarkeit des Ich verstehen?

Diese These lautet: ,,Das absolute Ich des ersten Grundsatzes ist nicht etwas (es hat kein Pradikat und kann keins haben)” (GW1 304); es ist

deshalb ,,absolut—unbestimmbar” (GW1 314). Nun ist allerdings keine logische Schwierigkeit darin zu finden, da8

ein Gegenstand, z. B. ,,das Ich”, der nichtattributiv und in diesem Sinne

unbestimmt bestimmt ist, gleichzeitig attributiv bestimmt ist. Singulare Existenz scheint sogar die notwendige Bedingung dafiir, da8 ein Einzelnes irgendwelche Bestimmungen haben kann. Au8erdem ist die GewiSheit von einer nichtattributiven Bestimmung

von etwas, im Unter-

schied zu dieser Bestimmung selbst, eine attributive Bestimmung. Es liegt auch keine Schwierigkeit darin, daS ein selbstbewu8tes Wesen, und das hei&t nach 1.3 ein Wesen, das durch die Gewi8heit von einer nicht-

attributiven Bestimmung seiner definiert ist, gleichzeitig Wissen von attributiven Bestimmungen seiner selbst hat. Fichte sah sein Problem auch wohl nicht schon in dem Sachverhalt ,,Ich bin F” oder ,,Ich wei8, da8 ich F bin”, sondern erst in dem Sachverhalt wich wei&, da8 ich als ein Ich, d. h. ein nichtattributiv Bestimmtes, F bin.”

Ein Problem ergibt sich jedoch nicht schon aus dem deskriptiven Tatbe-

stand, sondern erst aus einer spezifischen Erlebnisweise oder BewuStseinsstellung, namlich dann, wenn ich meine nichtattributive Bestimmt-

heit als eine Negation attributiver Bestimmung erlebe oder auffasse. Die Kritik an dieser BewuStseinsstellung kénnte man als Kritik an einer Ge-

stalt von ,,Reflexionstheorie” bezeichnen. In ahnlicher Weise ergibt sich, ebenso wie bei der Problematik des SelbstbewuBtseins, beziiglich des Wissens von eignen mentalen Zustdnden eine Aporie dann, wenn man

voraussetzt, da8 alles Wissen kognitiv und begriindbar ist. Mit dem angedeuteten Gedanken Fichtes verschiebt sich die Problematik epistemischer Selbstbeziehung in grundsitzlicher Weise. Es geht jetzt nicht mehr um Schwierigkeiten im Denken der Grundstrukturen epistemischer Selbstbeziehung, sondern um ein Begreifen der Méglichkeit fak67 Tugendhat hat zu zeigen versucht, da8 Existenz im Sinne singularer Existenz von Gegenstinden in Raum und Zeit als ein genuines Pradikat zu verstehen ist, nimlich als ,ein relationales Pradikat mit Bezug auf Raum- und Zeitstellen” (Tugendhat (‘79 a) S. 175, vgl. Tugendhat (‘76) S. 468). Existenz in diesem Sinne

wire demnach doch ein Attribut; anders Scimitz (‘80) S. 166 ff.

68 Schmitz ('64) S. 158 ff., 207 Ff.

237

tischer Schwierigkeiten im Vollzug epistemischer Selbstbeziehung, das

sich auf Grundeinsichten in die Struktur epistemischer Selbstbeziehung

stiitzen kann. Fichte hat seine Leser oft dadurch in seine Philosophie einzufiihren ver-

sucht, da& er sie zur Selbstreflexion, zum Denken iiber sich selbst, und

zur Iterierung dieser Selbstreflexion aufforderte. Diese Aufforderung

kann als Vorbereitung dazu, die Struktur des SelbstbewuStseins zu be-

greifen, héchstens den Sinn haben, den Hérer durch eigene Erfahrung

davon zu iiberzeugen, da8 SelbstbewuStsein gerade nicht Selbstreflexion ist. Sie hat jedoch noch einen anderen Sinn. Die Praxis der Selbstreflexion zeigt, da8 jedes entwickelte menschliche Subjekt sich auf sich, sprachlich

gesehen, nicht nur durch ,,ich”, sondern auch durch Namen und Kennzeichnungen bezieht bzw. beziehen kann, und d. h. so, wie sich die an-

deren auf es sprachlich beziehen. Ein Minimum dieser objektivierenden Selbstreflexion kann man in gewisser Weise schon im Gebrauch von

wich” finden, sofern man dessen Gebrauchsweise, wenn auch natiirlich

zirkelhaft, so umschreiben kann, da8 sich dadurch jeder auf den bezieht, auf den er sich mit ,ich” bezieht.

Die Méglichkeit objektivierender Selbstreflexion stellt nun als solche zunachst weder ein Lebens- noch ein philosophisches Problem. Ein Problem ergibt sich aber durch die Erfahrung, da8 die Iterierung der objektivierenden Selbstreflexion, d. h. — sprachlich gesehen — die fortlaufende

Ersetzung von ,ich” durch Namen oder Kennzeichnungen, das reflektie-

rende Subjekt in einen BewuStseinszustand versetzen kann, wo ihm der Zusammenhang zwischen sich selbst, so wie es sich durch ,,ich” meint,

und seinem normalen Selbstverstandnis oder sogar seinem Eigenerleben ungreifbar wird. Es erlebt dann eine Entfremdung von sich selbst. Ahn-

lich hat Fichte in der ,Bestimmung

des Menschen”

einen Zustand von

Selbstentfremdung als Resultat radikaler philosophischer Selbstreflexion dargestellt. Die romantische Theorie der ,,Ironie” kniipft daran an *.

Selbstentfremdung im Sinne der Entfremdung von den eigenen Erlebnissen stellt nun tatsichlich ein philosophisches Problem. ,,Entfremdung von den eigenen Erlebnissen” soll dabei nicht besagen, da8 einer Person ihre Erlebnisse gar nicht oder wenig bewu8t sind oder sie diese anderen Subjekten zuschreibt, sie also projiziert; es besagt vielmehr, da8 die

Person zwar unmittelbar, d. h. durch ihr Erleben, wei8, da8 diese Erlebnisse ihre Erlebnisse sind, aber sie dennoch nicht als solche erlebt. Was kann es aber heiSen, da8 jemand von seinen Erlebnissen durch sein Erleben wei8, ohne sie als die seinigen zu erleben? 69 Vgl. Schmitz (’80) S. 78 ff. Mein Begriff der ,objektivierenden Selbstreflexion” versucht, Schmitz’ Begriff der ,objektivierenden spielerischen Identifizierung” qua ,persénlicher Distanz“ (ebd. S. 47 ff.) auch sprachlich zu fassen.

238

Eine Lésung dieses Problems ist nun gerade durch die Explikation von

SelbstbewuStsein miglich, die wir im Anschlu8 an Fichte gefunden ha-

ben. Selbstbewu8tsein von X bestand demnach in der GewiSheit von X, da8 es ein Y gibt, so da8 Y fiir Y F zu sein scheint. Nehmen wir nun an, »F” stiinde fiir Ausdriicke des Erlebens, wie etwa Trauer, so la8t sich

Selbstentfremdung von X beziiglich dieser Trauer so explizieren: X weif

zwar unmittelbar, da8 die Trauer seine eigene Trauer ist, da es dadurch, da& Y fiir Y traurig zu sein scheint, GewiSheit davon hat, da8 es Y gibt;

aber es erlebt dadurch die Trauer doch nicht als die eigne und damit

auch nicht sich als Y, sondern wei lediglich, da8 Y die Trauer erlebt und

da& es selbst Y ist. Die Analyse von SelbstbewuStsein mithilfe der GewiSheit, da8 es ein Subjekt gibt, das .. . erméglicht ein Verstindnis der Phanomene radika-

ler Selbstentfremdung dadurch, da8 sie es erlaubt, von den (bewu8ten)

Erlebnissen des — quasi anonymen — Subjekts bzw. Objekts des SelbstbewuBtseins noch die affektive Betroffenheit durch diese Erlebnisse zu unterscheiden. Im normalen Sprachgebrauch wird dieser Unterschied allerdings nicht gemacht, insbesondere nicht in der direkten Rede. Mit ,,Ich bin traurig” driickt ein Sprecher normalerweise nicht nur die Gewifheit aus, da8 es ein Y gibt, das fiir Y traurig zu sein scheint, sondern auch die eigene affektive Betroffenheit von dieser Trauer ™. Vielleicht kann jemand, der von seiner Trauer entfremdet ist, zu Recht sagen: ,,Ich bin traurig, aber die Trauer ist mir dabei fremd, und dadurch

bin ich mir selbst fremd.” Aber richtiger ware es wohl, wenn er sagen wiirde: ,Ich wei zwar absolut sicher, da8 da jemand traurig scheint und da8 dies nicht jemand ist, der von mir verschieden ist, aber ich kann auch nicht im Vollsinne sagen: Ich bin traurig.” Das Personalpronomen der ersten Person Singular driickt bei der Verbalisierung eigenen Erlebens normalerweise eben nicht nur das SelbstbewuStsein des Sprechers aus, das der Sprecher in diesem Erleben hat, sondern auch die affektive Betroffenheit durch dieses Erleben. Das andert nichts daran, da8 man die beiden Aspekte auseinanderhalten mu8, um sich nicht erneut in Antinomien oder Zirkel zu verstricken. 7o Schmitz setzt seine Analyse der Bedeutung von ,ich” von vornherein bei Fallen affektiven Betroffenseins an (Schmitz (64) § 1; (‘69) §§ 142, 143). Dies hat den

Vorteil, da8 so von vornherein die ganze Dimension der Subjektivitat im Blick ist, aber den Nachteil, da die Analyse von ,ich” mit der des affektiven Betrof-

fenseins m. E. zu unmittelbar verbunden wird. Es scheint allerdings richtig, da8

es SelbstbewuStsein nur aufgrund affektiver Betroffenheit gibt. Auch im Zustand von Selbstentfremdung ist das Subjekt mindestens noch von der Tatsache seiner Selbstentfremdung affektiv betroffen, indem es namlich daran leidet.

Aber die Betroffenheit bezieht sich nicht auf den Zustand, von dem das Subjekt

entfremdet ist.

239

Die angegebene Explikation von SelbstbewuStsein bewahrt sich insbesondere gegeniiber der Tatsache, da8 Selbstentfremdung oft sogar zu einer Auflésung der GewiSheit von der eigenen Existenz fiihrt (sogenannte

,,Derealisation”), ohne da8 dadurch das SelbstbewuStsein und

die Fahigkeit beeintrachtigt wiirde, den Ausdruck ,ich” sinnvoll zu gebrauchen. Das ist deshalb paradox, weil andererseits, wie im cartesischen »cogito, ergo sum” mit Recht vorausgesetzt, aus dem sinnvollen Gebrauch von ,ich” die GewiSheit des Sprechers von seiner eigenen Existenz folgt. Die Paradoxie lést sich auf, wenn man beachtet, da8 die Per-

son im Zustande der Derealisation durchaus noch die Gewifheit hat, da8 es ein Y gibt, das fiir Y traurig zu sein scheint; und dieses Y ist natiirlich sje selbst. Aber sie hat keine hinreichende Evidenz mehr fiir den Sachverhalt ,,Ich existiere“, weil sie von den (grundlegenden) Erlebnissen von Y nicht mehr betroffen ist, durch die Y seine ExistenzgewiSheit hat.

Fichte hat seine eigene Analyse der Subjektivitat allerdings program-

matisch nicht an dem Begriff des Erlebens, sondern dem des Handelns

orientiert: Was er den ,,objektiven” Tatsachen gegeniiberstellt, nennt er »Tathandlung”. Damit hangt zusammen, da8 Fichte davon iiberzeugt war, da& die Distanz zum eigenen Erleben und damit zu sich selbst, die in Erfahrungen von Selbstentfremdung wirklich vorkommt, durch einen Entschlu8 oder jedenfalls durch konsequent objektivierende Selbstreflexion prinzipiell beliebig herstellbar ist. Diese Annahmen sind jedoch m. E. unbegriindet und unndtig fiir Fichtes Absicht, die praktische Philosophie auf eine allgemeine Theorie der Subjektivitat aufzubauen. Die skizzierte Analyse von Selbstentfremdung fiihrt auf einen anderen Weg.

Das Gegenteil des Erlebens von Selbstentfremdung im angegebenen Sinn ist das Erleben oder Gefiihl eigener Identitat im qualitativen Sinne, also affektives oder emotionales Selbstsein”. Nun gibt es einen tiefliegenden Zusammenhang von affektiver Betroffenheit, Lebendigkeit, Gewifheit der eigenen Existenz und emotionaler Ichidentitat * sowie der 71 Ich versuche in dieser Arbeit

keine explizite Definition und

Rechtfertigung des

Begriffs der (qualitativen) ,,Ichidentitat”. Erste Schritte dazu macht Tugendhat (79 a) S. 282. Bei Tugendhat

fehlt jedoch die Unterscheidung zwischen emotio-

nal-affektiver und voluntativ-praktischer Ichidentitat. Das liegt vielleicht daran,

da8 Tugendhat speziell den ,sozialpsychologischen” Begriff der Ichidentitat be-

handelt. 72 Solche Zusammenhiange sind in der zeitgendssischen psychoanalytisch orientierten oder aufgeklarten klinischen Psychologie iiberzeugend beschrieben worden,

vgl.

R. D. Laing, Das

geteilte Selbst, Kiln

('72);

M. Mahler,

Symbiose

und

In-

dividuation, Stuttgart (‘72); A. Miller, Das Drama des begabten Kindes und die

Suche nach dem wahren Selbst, Frankfurt Selbst, Frankfurt (‘79). 240

(’79); H. Kohut, Die Heilung

des

Erfahrung von Sinn im eigenen Leben. Das eigene Leben wird sinnlos

in dem Ma&e, in dem das eigene Erleben mich nicht mehr erreicht, gleich-

giiltig wird. Wenn nun gezeigt werden kann, da8 ein Handeln gegen eigene aufgeklarte moralische Uberzeugungen emotionale Ichidentitat in Frage stellt, so stellt sie damit auch den Sinn des eigenen Lebens in Frage (und umgekehrt). In den niachsten beiden Kapiteln werde ich zu zeigen versuchen, da8 Fichtes Ansitze zu einer Theorie der praktischen Selbstbeziehung in seiner Willens- und Anerkennungstheorie als Beitrage dazu verstanden werden kénnen, zum Zwecke der Grundlegung der praktischen Philosophie die Problematik weiterzuentwickeln, die im Rahmen der epistemischen Selbstbeziehung an den Phinomenen der objektivierenden Selbstreflexion und der Selbstentfremdung sichtbar wird, namlich die der Ich-

identitat im qualitativen Sinne. Zuvor werde ralitat diskutieren, die Fichte aus Annahmen tur epistemischer Selbstbeziehung versucht. schlag, den ich dabei machen werde, hat hier

ich die Deduktion der Moiiber die allgemeine StrukDer Rekonstruktionsvornur ein philosophiehistori-

sches Interesse, da es nicht gelungen ist, eine Antinomie epistemischer Selbstbeziehung im allgemeinen so in den Phanomenen zu verankern,

wie dies fiir eine Rechtfertigung von Fichtes Deduktionsanspriichen notwendig ware. Fichtes Praimisse der radikalen Unbestimmtheit des Ich hat jedoch in den Phinomenen der objektivierenden Selbstreflexion und der Selbstentfremdung auch ein gewisses Fundament, das schon in seinem Ansatz

zur SelbstbewuBtseinsdefinition angelegt ist. Denn das Subjekt meiner Erlebnisse ist mir hier nur noch als ein gewisses Y gegeben, mit dem ich mich nicht mehr erlebnismaSig identifizieren kann. Dieses Fundament wird jedoch in Fichtes Deduktion der Moralitat aus der allgemeinen Struktur epistemischer Selbstbeziehung durch allzu kiihne Konstruktionen iiberlastet. 2.4 Fichtes Deduktion des RechtsbewuStseins aus seiner Aporie epistemischer Selbstbeziehung Fichte war der Meinung, da8 der Widerspruch unbestimmbaren

und

insofern

,unendlichen”

zwischen dem absolut-

und

dem

bestimmten,

»endlichen” Ich in der theoretischen Philosophie nicht aufgelést werden kann. Hegel sagt deshalb in seiner ,,Differenzschrift” mit einem gewis-

sen Recht: ,,Ich gleich Ich verwandelt sich in Ich soll gleich Ich sein”

(D 68, 50; Mei 53, 38).

Diese Formel kann man jedoch verschieden lesen. Sie kann bedeuten, da8 von der Praxis gefordert wird, das zu erreichen, was theoretisch nicht erreicht werden kann, namlich ein widerspruchsfreies Wissen von sich,

241

und d. h. iiberhaupt ein Wissen von sich. Diese Forderung ware aber ab-

surd. Denn durch Praxis mag sich ein Wissen von sich konstituieren, das theoretisch nicht antizipiert werden kann; dieses Wissen kann sich aber

dann nicht ergeben, wenn theoretisch nachgewiesen ist, da8 es unmdglich, da widerspruchsvoll ist. Falls man iiberhaupt verstehen kann, was in einer widerspruchsvollen Forderung gefordert wird, ware iiberdies ganz dunkel, warum diese Forderung eine moralische ist. Eine weitere Absurditat ergibt sich dann, wenn ,,lch=Ich” als Formel fiir die Struktur

von SelbstbewuStsein aufgefa8t wird, die Forderung also besagt: ,,Sei ein Ich.” Denn da an ein Wesen iiberhaupt eine Forderung ergehen

kann, setzt voraus, da8 es bereits SelbstbewuStsein hat, denn nur dann

kann es die Forderung als an sich gerichtet verstehen. Die Auslegung von ,,Ichh=Ich” als ,Ich soll gleich Ich sein” mu8 also sinnvollerweise als das Programm nicht nur der Praxis, sondern auch der praktischen Philosophie verstanden werden. Es besagt dann, da8 die vorausgesetzte Ichantinomie nur durch Bezugnahme auf Phinomene der Praxis theoretisch aufgelést werden kann. Zwischen diesen beiden Méglichkeiten nimmt Fichte eine schwer lokalisierbare Mittelstellung ein ”. Denn einerseits meint Fichte, da8 der Widerspruch im Begreifen der Praxis iiberwunden ist; andererseits wird diese Praxis in einer Weise bestimmt, da& sie gerade das nicht erreicht, was sie erreichen soll. Auf diese

widerspriichliche Verquickung von Theorie, Praxis und praktischer Philosophie bezieht sich wesentlich Hegels Kritik am ,,unendlichen Progre8”. Fichtes Lésungsversuche gehen davon aus, da8 die Unbestimmtheit des

Ich nicht von der Art sein kann, da8 sie das Ich von allen Bestimmungen

abgrenzt; denn dann ware es ja unmiglich, da das Ich auch bestimmt

ist. Es handelt sich also nicht um eine negative Unbestimmtheit, sondern um eine in dem Sinne positive Unbestimmtheit, da8 sie das Ich auf keine Bestimmtheit festzulegen erlaubt, diese also transzendiert, ohne sich da-

von zu unterscheiden.

Fichte kann deshalb sagen: ,,Das absolute Ich

ist [...] Alles, und ist Nichts, weil es fiir sich nichts ist, kein Setzendes

und kein Gesetztes in sich selbst unterscheiden kann” (GWI 457) ™. Fichte 73 Die Fichte-Literatur pflegt diese Differenz zu iiberspielen, vgl. neuerdings das zitierte Buch von P. Baumanns S. 32 ff.

74 Fichtes Begriindung soll, da&

das

kann hier auGer Betracht bleiben. Denn wenn sie besagen

absolute

Ich nicht

fiir sich ist, da es kein

Setzendes

und

kein

Gesetztes in sich selbst unterscheiden kann, so wire einerseits zu sagen, da& etwas, das nicht fiir sich ist, kein Selbstbewu8tsein haben kann, und andererseits, daB ein Selbstbewu8tsein als solches iiberhaupt nichts von sich unter-

scheidet, wenn

,,unterscheiden”

bedeutet,

eine

Verschiedenheit

anzunehmen.

Wenn die Begriindung also besagen soll, da& das Ich nur fiir sich ,Nichts” ist,

so ist damit dasselbe gesagt wie, da& es ,,Nichts“ ist.

242

gebraucht hier auch schon den Begriff der Totalitat, der fiir Hegels Selbstverstindigung dann grundlegend wird: ,Insofern gesagt wird:

das Ich bestimmt sich selbst, wird dem Ich absolute Totalitat der Realitat

zugeschrieben” (GWI 324) ™. Es kann

davon

abgesehen

werden,

da&

Fichte hier den

Totalitats-

charakter des Ich aus seinem Selbstbestimmen begriindet. Denn es war Fichte weder gelungen zu zeigen, da8 das Ich als Selbstbestimmung ge-

dacht werden kann und mu&, noch, da8 Selbstbestimmung impliziert, die

Totalitat der Realitat zu sein oder sie zu produzieren. Fichtes These vom Totalitatscharakter des Ich hat aber einen verstindlichen Sinn, wenn man sie als Explikation der Idee positiver Unbestimmtheit liest *. Fichte gebraucht dafiir auch die Begriffe ,,Unendlichkeit” und ,Unbeschranktheit“. In der Selbstbewu8tseinsdefinition ist es uns immerhin gelungen, im Ichphanomen selbst ein Unbestimmtheitsmoment nachzuweisen. Die Idee der positiven Unbestimmtheit qua Totalitat la8t sich vielleicht auch durch die phanomenologische These substantiieren, da8 die ,,Welt” als Horizont alles dessen, was in der Welt ist, ein Strukturmoment der Sub-

jektivitat selbst ist ”. Fichtes Auflésung der Antinomie von Endlichkeit und Unendlichkeit

des Ich arbeitet zunachst mit dem Begriff des unendlichen Strebens: ,,Das Ich ist unendlich, aber blo& seinem Streben nach; es strebt unendlich zu

sein” (GWI 463). Das kénnte nur dann eine Auflésung sein, wenn dies Streben nicht nur nach der Unendlichkeit strebt, sondern selbst schon unendlich ist. Unendlich ist dies Streben aber hdchstens in einem Sinne, der es gerade ausschlie8t, da8 es selbst schon Unendlichkeit an sich hat —

namlich in dem Sinne, da es sein Ziel prinzipiell nicht erreichen kann und deshalb ohne Ende nach demselben strebt. Diese Pseudo-Unendlichkeit ist die des unendlichen Progresses ”.

75 Vgl. GWI 339: ~Alle Schranken miissen verschwinden, das unendliche Ich mu8 als Eins und als Alles allein iibrig bleiben.” 76 H. Schmitz hat den Unbestimmbarkeitscharakter des Ich zundchst als ,unendlichfache Unentschiedenheit” expliziert (Schmitz (’68), Die Logik unendlichfacher Unentschiedenheit, in: ders. (‘68) S. 108 ff.); spater als Subjektivitat subjektiver

Tatsachen (Schmitz (‘69), System der Philosophie, Bd. III, 2: Der Gefihlsraum,

Bonn § 143).

77 Schmitz

hat die These

durch

den

Nachweis

konkretisiert,

da&

leiblichhe

und

raumliche Weite im Kern identisch (Schmitz (‘67) System der Philosophie, Bd. III, 1: Der leibliche Raum, § 125) oder jedenfalls nicht voneinander verschieden sind.

78 Baumanns

versucht

zwar, Fichte gegen Hegels

Kritik zu verteidigen,

zu Fichtes Theorie des Strebens: ,In kritischer Betrachtung Zweifel sein, da8 Fichte hier gar keinen stringenten Beweis nur die seinen gesamten Entwurf fundierende Uberzeugung manns S. 133). Eine widerspriichliche Oberzeugung ist jedoch sinnlos.

243

sagt aber

kann freilich kein vortragt, sondern ausspricht” (Baueo ipso falsch bzw.

Fichte spricht jedoch nicht nur von einem Streben, sondern auch von

einem Fordern: ,,Das Ich fordert, da& es alle Realitat in sich fasse, und

die Unendlichkeit erfiille. Dieser Forderung liegt notwendig zum Grunde die Idee des schlechthin gesetzten, unendlichen Ich; und dieses ist das absolute Ich, von welchem wir geredet haben” (GW1 469). Die Forderung des Ich, unendlich zu sein, kann jedoch wiederum nicht die Unend-

lichkeit dieses Ich ausmachen, wenn sie nicht Ausdruck seiner eigenen

Unendlichkeit ist, sondern nur auf der ,Idee” des unendlichen Ich be-

ruht.

Fichte sagt ersteres an friiherer Stelle ausdriicklich: ,,Nur weil und inwiefern das Ich selbst absolut ist, hat es das Recht, absolut zu postulieren; und dieses Recht erstreckt sich denn auch nicht weiter, als auf ein

Postulat dieses seines absoluten Seins, aus welchem dann freilich noch manches andre sich diirfte deduzieren lassen” (GWI 453 Anm.)™. Das Ich erhebt die Forderung, alle Realitat zu sein, also nicht einfach aufgrund einer Idee, die es von sich hat, sondern es hat ein ,,Recht”, diese Forderung zu erheben, weil sie darin begriindet ist, was es als Ich im Grunde

selbst schon ist. Fichte erldutert das Deduzierte so: ,,Kants kategorischer Imperativ.

Wird es irgendwo klar, da8 Kant seinem kritischen Verfahren, nur stillschweigend, gerade die Pramissen zum Grunde legte, welche die Wissen-

schaftslehre aufstellt, so ist es hier. Wie hatte er jemals auf einen kate-

gorischen Imperativ, als absolutes Postulat der Ubereinstimmung mit dem reinen Ich, kommen kénnen, ohne aus der Voraussetzung eines absoluten Seins des Ich, durch welches alles gesetzt ware, und, inwiefern es

nicht ist, wenigstens sein sollte” (ebd.). Diese Auslegung der absoluten Forderung als Prinzip aller Pflichten erscheint mir als moralistischer Kurzschlu8. Wenn ich durch mein ab-

solutes Sein dazu verpflichtet ware, danach zu streben, unendlich zu sein, dann wire dies offenbar eine Verpflichtung gegeniiber mir selbst, die es

jedoch, wie Fichte an anderer Stelle selbst gesehen hat (SI 651), nicht geben kann. Wenn es eine solche Verpflichtung gabe, dann offenbar aufgrund der generellen Verpflichtung, alles das zu sein, was man im Grunde ist. Ein Ich ist jedoch auch endlich. Also wiirde es widersprechenden Pflichten unterliegen. Fichte hat m. E. immanent Recht damit, einen konstitutiven

Zusam-

menhang von absolutem Fordern und Moralprinzip zu behaupten. Nur kann dieser Zusammenhang nicht darin bestehen, da& die absolute Forderung schon das Moralprinzip ist. Was sie sonst sein kann, ist von

Fichte dadurch angedeutet, da8 er nicht nur davon spricht, da8 die ab79 Die Sittenlehre spricht an den entsprechenden und ,reinen” Sein des Ich (SI 418).

244

Stellen vom

,urspriinglichen”

solute Forderung im absoluten Sein des Ich begriindet ist, sondern da es

aufgrund seines absoluten Seins ein ,Recht” hat, absolut zu fordern. Dies kann man namlich so verstehen, da8 das Ich deshalb, weil es urspriinglich unendlich ist, das Recht hat zu fordern, unendlich zu sein; bzw. so, da8 diese ,Forderung” nichts anderes ist als die GewiSheit, ein fundamentales Recht darauf zu haben, als Unbeschranktes zu existieren. Aus

diesem Recht lassen sich dann leicht moralische Pflichten ableiten. Da namlich jeder in gleicher Weise ein Totalititsmoment hat, hat jeder in gleicher Weise die Gewi8heit des Rechts, als Unbeschrankter zu existie-

ren; und da jeder seinen Anspruch unmittelbar aus seinem Charakter der Subjektivitat als begriindet versteht, erkennt er gleichzeitig die Legitimitat des Anspruchs der anderen an. Die Einschrankungen durch Pflichten ergeben sich also aus der GewiSheit gleichen Rechts eines jeden auf

Unbeschranktheit.

Eine Begriindung des Rechts einer Person aus ihrem ,,urspriinglichen”

Sein scheint dem zu entsprechen, was wir mit ,,Recht” intuitiv meinen. Wenn ein Recht namlich nicht auf einem anderen Recht beruht, dann hei&t das soviel wie, da& dasjenige, worauf wir ein Recht haben, uns

irgendwie zusteht. Und wie la8t sich das anders verstehen als so, da8 wir es in gewisser Weise schon haben oder sind?

Mit Fichtes methodischem Ansatz ware es allerdings besser vereinbar,

das urspriingliche Rechtsbewu8tsein als BewuStsein aufzufassen, von dessen Richtigkeit wir qua Ich notwendigerweise iiberzeugt sind. Es kénnte dann — anders als in der phinomenologischen Deutung — von dem unendlichen Sein des Ich nur aufgrund des urspriinglichen RechtsbewuBtseins die Rede sein. Es bestiinde auch in Wahrheit gar keine Anti-

nomie

von

Endlichkeit und

Unendlichkeit des Ich, wenn

das absolute

Fordern durch ein absolutes Sein des Ich begriindet werden kénnte, das doch nichts anderes wire als das notwendige BewuBtsein der Legitimitat dieser Forderung. Fichtes These: ,,Nur weil und inwiefern das Ich selbst absolut ist, hat es das Recht, absolut zu postulieren” (GW1 453 Anm.) mu8 also durch ihre Umkehrung expliziert werden: Nur weil und inwiefern das Ich absolut postuliert, hat es ein Recht, sich ein absolutes Sein

zuzuschreiben. Der Gehalt der absoluten Forderung ist nach Fichte folgender: ,,Es wird die Obereinstimmung des Objekts mit dem Ich gefordert; und das ab-

solute Ich, gerade um seines absoluten Seins willen, ist es, welches sie

fordert” (GW 453). Was kann damit gemeint sein, da8 die Objekte mit

dem Ich iitbereinstimmen oder da8 das Ich ,,alle Realitat in sich fasse, und

die Unendlichkeit erfiille’ (GW1 469)?

80 Die Alternative zu dieser subjektivistischen Deutung des Rechtsbewu8tseins ist diejenige, die es von vornherein als intersubjektiv auffaSt, vgl. Kap. 4.

245

Fichte hat die Aufgabe der Ubereinstimmung der Objekte mit dem

Ich oft als Aufgabe verstanden, die Welt vollstindig zu beherrschen (z. B. BG 227, 244). Dem entspricht auf der Seite der Selbstbeziehung das Ideal der Selbstbeherrschung (z. B. SL 610), das Fichte auch in die Forderung nach einer ,,mannlichen Sittenlehre” (BG 262) kleidet. Solche tigoristischen Auslegungen der fundamentalen Ichintention hangen sicher damit zusammen, da8 Fichte das urspriingliche Fordern falsch-

licherweise primar als Pflichtbewu8tsein versteht. Andererseits ergeben

sie sich aus Fichtes unaufgeklarter Idee von Selbstbestimmung in Verbindung mit der irrigen Meinung, Selbstbewu8tsein kénne und miisse als Selbstbestimmung expliziert werden. Das urspriingliche Bewu8tsein des Rechts auf Unbeschranktheit, auf ein Leben in Ubereinstimmung mit der Welt, 1a8t sich jedoch viel einfacher als BewuStsein des Rechts darauf verstehen, das zu tun, was man tun will, vorausgesetzt, dies verletzt nicht das gleiche Recht der anderen.

Fichte hat diesen Gedanken in seiner friihen Revolutionsschrift mit beeindruckender Naivitat formuliert: ,Mein erstes Weinen ist ein Aufruf an die Welt der Geister, da& wieder einer von ihnen in die Welt der Er-

scheinung eingetreten sei, und seine Rechte in ihr geltend machen wolle; — ist eine feierliche Erklarung und Ankiindigung dieser Rechte fiir die gesamte Natur; ist eine feierliche Besitznehmung derselben” (Beitrag 108).

Natiirlich ist das Schreien eines Neugeborenen kein Erheben von Rechtsanspriichen — ebensowenig wie das Schreien der Tiere. Denn

Rechtsanspriiche kann nur ein Wesen erheben, das ein Bewuftsein sei-

ner Rechte hat. Die Begriindung fiir Rechtsanspriiche kann jedoch letztlich — vorausgesetzt, die gleichen Rechte der anderen sind beriicksichtigt — nur darin bestehen, da8 jemand etwas will; und dies ist, abgesehen vom Handeln aus moralischen

Griinden, letztlichh darin begriin-

det, da8 man ein Bediirfnis danach hat. Deshalb haben auch Tiere und

Kinder, die noch kein Bewu8tsein ihrer Rechte haben kénnen, trotzdem

das Recht auf die Befriedigung ihrer Bediirfnisse. Denn ein Frustrieren dieser Bediirfnisse bedeutet die Erfahrung der Tatsache,

da8 die Welt

nicht so ist, wie sie fiir das Subjekt der Erfahrung sein soll. Eine Konkretisierung des absoluten Forderns des Ichs als evidenter Anspruch auf urspriingliche Besitznehmung der Welt hat Fichte in der »Grundlage des Naturrechts” von 1796 in seiner Theorie des ,,Urrechts”

gegeben. Fichte definiert das Urrecht als ,,das absolute Recht der Person, in der Sinnenwelt nur Ursache zu sein” (Nr 117). Fichte erlautert so den Begriff des ,absoluten” Willens: ,,Das Recht, freie Ursache zu sein und

der Begriff eines absoluten Willens sind dasselbe” (Nr 123). Fichte meint

damit offenbar nicht ein hybrides Recht, durch nichts mehr bestimmt zu werden, sondern ein Recht, alles das zu bestimmen, was von mir iiber246

haupt bestimmt werden kann. Das Recht auf unbeschrankte Kausalitat

habe ich wohl deshalb, weil ich das Recht habe, das zu tun, was ich will. Fichte fragt nicht, worauf

das Recht, das zu tun, was man will, zuriick-

zufiihren ist. Es liegt aber auf der Hand, da8 es mindestens nicht voll-

stindig aus einem Recht auf die eigene Willkiir verstandlich gemacht werden kann, sondern den Riickgang auf eigene Bediirfnisse erfordert ".

3. Wollen Fichte hat einen ambivalenten theoretischen Fortschritt damit vollzogen, da& er die Begriindung der Moralitat in seinem ,,System der Sittenlehre” von 1798 auf einer Theorie des Willens aufgebaut hat. Zwar scheint Wollen nur thematisch zu werden als eine Antwort auf das Grundproblem des Selbstbewuftseins bzw. der epistemischen und kognitiven Selbstbeziehung, namlich, wie man ,,sich selbst, blo8 als sich selbst” den-

ken bzw. finden kann (SI 412). Wie wir im folgenden Abschnitt sehen werden, ist das Problem jedoch nicht eindeutig formuliert. Einerseits ist Fichtes Willensanalyse im wesentlichen unabhangig von seinen Annahmen iiber die Struktur von Selbstbewu8tsein und Wissen von sich selbst; und andererseits weist das Problem des Sichfindens iiber die allgemeine Theorie des Wollens hinaus auf die Problematik der qualitativen Ichidentitat und insbes. auf die der affektiven Ichidentitat (s. 2.3). Schon Fichtes frithe Wissenschaftslehre kann als eine Theorie der praktischen Selbstbeziehung gelesen werden. Sie definiert von vornherein ,,das Ich” als ,,Tathandlung” (GWI 285) bzw. ,,in sich selbst zuriickgehende, sich selbst bestimmende Tatigkeit” (Nr 21, § 1) und lést die Antinomie von Endlichkeit und Unendlichkeit des Ich erst durch die Theorie des praktischen Ich auf. Dennoch sind die Probleme, auf die die friihe Wissenschaftslehre antwortet, wesentlich solche des SelbstbewuSt-

seins und des Wissens von methodo von 1798 riickt die ginn ins Zentrum (NS 386), eine wesentliche inhaltlichhe zieht *. Entscheidend ist fiir

sich selbst. In der Wissenschaftslehre nova Willenstheorie demgegeniiber schon zu Beauch wenn es fraglich ist, ob Fichte damit Verainderung seiner Gesamttheorie volluns jedoch nicht die Frage einer Wandlung

in Fichtes Systemidee, sondern die Tatsache, da8 sich bis zur Sittenlehre

81 Fichte meint vielleicht, da& wir deshalb ein Recht auf absolute Freiheit haben, weil Freiheit Voraussetzung fiir moralisches Handeln ist. Man mu jedoch umgekehrt Moralitit durch Bezug aufs (moralische) Recht erklaren. 82 Henrichs These von dem grundlegenden Wandel in der Wissenschaftslehre nova methodo (Henrich (‘67 a) S. 21 ff., 44 ff.) wurde schon von W. Janke (S. 80 Anm. 15) und P. Baumanns (S. 47) kritisiert.

247

von 1798 die Theorien der theoretischen und der praktischen Selbstbe-

ziehung soweit herausdifferenziert haben, da8 sichtbar wird, da8 eine

Grundlegung der Ethik nicht mehr auf problematische Primissen von Fichtes Theorie der epistemischen Selbstbeziehung angewiesen ist. Allerdings geniigt auch die Theorie des Willens noch nicht zur Begriindung der Giiltigkeit moralischer Prinzipien. Diese gelingt erst durch den Aufweis eines notwendigen Zusammenhangs von qualitativer Ichidentitat und moralischer Anerkennung.

3.1 Die Selbsthaftigkeit des Wollens als Entschlossenheit Fichte beginnt den § 1

der Sittenlehre von 1798 mit folgender ,,Auf-

gabe”: ,,Sich selbst, blo8 als sich selbst, d. i. abgesondert von allem, was

nicht wir selbst ist, zu denken“ (SI 412). Als ,Auflésung” gibt Fichte so-

fort den ,,1. Lehrsatz” an: ,,Ich finde mich selbst, als mich selbst, nur

wollend” (ebd.). Das Folgende gibt eine Erlauterung und Begriindung dieses Lehrsatzes *.

Man mu& zunachst darauf hinweisen, da Fichte hier nicht nach einem konkreten Zustand sucht, in dem man etwas als sich selbst — im Unterschied zu von sich Verschiedenem — findet. Er spricht nicht von dem, was wir nicht selbst sind, sondern von dem, ,,was nicht wir selbst ist”. Fichte sucht also wohl nach einer Klasse von Zustinden, in denen sich

das Subjekt als selbsthaftes gegeben ist.

Es scheint zunadhst, als ob im 1. Lehrsatz ,,wollen” als Explikat von

(einfachem) Selbstbewuftsein behauptet wiirde. Fichte beruft sich zum Beweise des 1. Lehrsatzes demgem48 auf den §1 des Naturrechts von 1796. Fichte fa&t dort seine These so zusammen: ,,Es wird behauptet, da& das praktische Ich das Ich des urspriinglichen SelbstbewuBtseins sei; da ein verniinftiges Wesen nur im Wollen unmittelbar sich wahrnimmt,

und sich nicht, und demzufolge auch die Welt nicht wahrnehmen wiirde,

mithin auch nicht einmal Intelligenz sein wiirde, wenn es nicht ein praktisches Wesen ware. Das Wollen ist der eigentliche wesentliche Charak-

ter der Vernunft” (Nr 25).

Diese These des Naturrechts beruht auf der falschen Voraussetzung, da das Ich ,,in sich selbst zuriickgehende, sich selbst bestimmende Tatigkeit” sei (Nr 21). Eine gewisse Plausibilitat hat sie hdchstens

fiir das

83 Fichte gibt keine Begriindung dafiir, da8 in der ,Aufgabe” von ,denken” die Rede ist, im ,1. Lehrsatz”

jedoch von finden“. Nach

dem ,Korollarium”

hei&t

»finden” einfach soviel wie ,sich bewu8t werden” (SI 417). An anderen Stellen besagt es jedoch spezieller soviel wie ,wahrnehmen” (Nr 25, SI 414). Vorbild fiir

die doktrinare Darstellungsweise in Form von ,Aufgaben” und ,Lehrsatzen” offenbar das erste Hauptstiick von Kants ,Kritik der praktischen Vernunft”.

248

ist

Sichidentifizieren mit sich (,,Der Soundso bin ich“), nicht jedoch fiir ,,das

Ich des urspriinglichen SelbstbewuB8tseins” (Nr 25), also fiir einfaches SelbstbewuBtsein. Vermutlich bezeichnet das zu analysierende Bewu8tsein in ,,Naturrecht” und ,Sittenlehre” auch nicht einfaches SelbstbewuBtsein, sondern Bewu8tsein von der eigenen numerischen Identitat.

Dementsprechend

expliziert Fichte das ,,Ich finde mich”

als ,,Ich nehme

das Gefundene fiir Einerlei an mit mir dem Findenden” (Sl 413). Im § 3 der ,Sittenlehre” wird es dann deutlicher, da8 es Fichte nicht um das Phanomen des einfachen SelbstbewuS8tseins, sondern um das Wissen von

der eigenen, mindestens numerischen Identitat geht (Sl 436) “.

Es ist jedoch irrefiihrend, Wollen als einen Bezug auf die eigene Iden-

titat zu verstehen, auch wenn man ,Identitat” im qualitativen Sinne von

»\chidentitat versteht. Zwar entscheidet man in manchem Wollen implizit dariiber, was fiir ein Mensch man sein will. Und das kann man eine Entscheidung tiber die eigene praktische Identitat nennen™. Aber das ist nicht fiir Wollen als solches charakteristisch. Inwiefern liegt dann gerade im Wollen in spezifischer Weise eine Selbsthaftigkeit? In einem elementaren Sinn ist man sich in allen mentalen Zustanden als sich selbst gegeben, da man von ihnen ein unmittelbares Wissen hat

und dadurch unmittelbar wei8, da&8 man selbst das Subjekt dieser Zu-

stande ist *. Darin ist man sich jedoch noch nicht spezifisch als mensch-

liches Subjekt gegeben, d.h. als nicht nur empfindungsfahiges, sondern handlungsfahiges Subjekt. Im Wollen liegt offenbar beides, die unmittelbare epistemische Selbstbeziehung und der Bezug auf das eigene Handeln. Wie ist dieser spezifisch selbsthafte Charakter des Wollens genauer zu fassen? Fichte

mung”.

versucht

eine

Antwort

iiber

den

Begriff

der

,,Selbstbestim-

Wollen hat als Selbstbestimmung den Charakter der ,,Absolut-

heit” (Sl 419) oder des ,,Absoluten” (SI 420); denn es ,,ist ein Erstes, absolut in sich selbst, und in nichts auSer ihm, Gegriindetes” (Sl 418). Da »das Ich” sich nach Fichte, insofern es selbst schon Selbstbestimmung sein soll, nur im Wollen finden kann, folgert Fichte eine ,absolute Ten-

denz zum Absoluten; absolute Unbestimmtheit durch irgendetwas au8er

ihm, Tendenz sich selbst absolut zu bestimmen, ohne allen au8eren An-

trieb” (Sl 422); bzw. ,eine Tendenz zur Selbsttatigkeit um der Selbsttatigkeit willen” (SI 423). 84 Vgl. Henrich ('63) S. 384. 85 Vgl. den ,Anhang iiber

gendhat ('79 a) S. 282 ff.

den

sozialpsychologischen

Identitatsbegriff”

bei

Tu-

86 Beziiglich des affektiven Erlebens ist der Terminus des ,,Sichfindens” besonders

einleuchtend. Es handelt sich dabei namlich um ein Bewu8tsein von /unmittelbar”

schaulich” ist.

sowohl im Sinne von ,privilegiert zuganglich”

249

sich, das

als auch von ,an-

Da der von Fichte vorausgesetzte Zusammenhang von Ich und Wollen nicht nachweisbar ist, entfallt zunachst jede Rechtfertigung dafiir, aus

dem Absolutheitscharakter des Wollens auf eine entsprechende ,,Tendenz” des Ich zu schlieSen . Dariiberhinaus ist der Begriff der Selbstbestimmung bei Fichte nicht geeignet, eine Absolutheit im Wollen nachzuweisen, die fiir eine rationale Ethik relevant ware. Denn falls ,Selbstbestimmung” etwas anderes besagen soll als Entscheidung nach verniinftigen Griinden, dann ist sie entweder nichts anderes als Willkiir oder

fiihrt auf den unendlichen Regre8 des Sichbestimmens zum Sichbestimmen zum Sichbestimmen usw. (vgl. Einl. zu II u. II. 2.1). Ist sie aber nichts anderes als Entscheidung nach verniinftigen Griinden, so ist sie nicht etwas ,,absolut in sich selbst [. . .] Gegriindetes” (SI 418). Mit dem Scheitern von Fichtes eigenen Explikationsversuchen ist aber die These nicht widerlegt, da8 Wollen durch eine Absolutheit und Selbsthaftigkeit charakterisiert ist. W. Weischedel hat Fichtes These von der Absolutheit und spezifischen Selbstbeziiglichkeit des Wollens durch folgende Uberlegung zu begriinden versucht: ,Schon wenn ich das Buch will, bin das Objekt meines Wollens eigentlich ich selbst, namlich als der, der das Buch besitzt. Aber Besitzer des Buches zu sein, ist noch eine verhiltnisma&ig au8erliche

Méglichkeit meines Daseins. Die Erweiterung meiner Erkenntnis als der Grund, weshalb ich das Buch will, gehért wesentlich naher zu mir. Und der Grund des Erkennenwollens, der etwa in der entschlossenen Ausrich-

tung meines Daseins auf Wissenschaft ruhen kann, ist noch wesentlicher mit mir selbst verkniipft. Wenn ich also in allem Wollen immer mich selbst will und jedes Wollen auf ein tieferes Wollen zuriickverweist, dann wurzelt alles einzelne Wollen in einem grundhaften Wollen meiner selbst.” ® Weischedel

beruft sich hierzu auf Fichtes These:

,,Das

hdchste Interesse und der Grund alles iibrigen Interesses ist das fiir uns selbst“ (1. Einl. 17, Mei 15).

Weischedel hat sicher recht damit, da8 Wollen meist in einem Interesse dafiir begriindet ist, da8 etwas mit dem Wollenden der Fall sein soll. Wenn ich etwa will, da8 ein bestimmtes Buch in meinem Biicherschrank

steht, dann will ich das normalerweise deshalb, weil ich daran interes-

siert bin, da& ich das Buch benutzen kann, mich damit wissenschaftlich betatigen kann, es besitze usw.” Dies unterscheidet dieses Wollen von 87 Die Rede von

urspriinglichen ,Tendenzen”

menschlicher

Subjekte hat

Existentialphilosophie Heideggers eine Renaissance erfahren.

in der

88 W. Weischedel, Der frithe Fichte. Aufbruch der Freiheit zur Gemeinschaft, Stutt-

gart ('73*) S. 33.

89 Weischedel hat diesen Punkt dadurch verunklart, da8 er bereits von einem selbstbeziiglichen Wollen ausgeht, namlich dem, selbst ein Buch zu besitzen.

Damit geht er schon von einem Wollen aus, das sich darauf richtet, da8 beziiglich der eigenen Person etwas der Fall ist.

250

blo8em Getriebensein, wie z.B. beim

Hunger,

der nichts von seinem

Subjekt intendiert, auch wenn er in einem Selbstgefiihl erlebt wird und objektiv als Selbstinteresse beschrieben werden mu8. Das Merkmal der Selbstbeziiglichkeit im Sinne der praktischen Intention auf das Subjekt des Aktes ist jedoch erstens fiir Wollen gar nicht

spezifisch, sondern findet sich genauso bei anderen spezifisch menschlichen praktischen

Intentionen

wie

Hoffen,

Fiirchten

oder

Wiinschen.

Zweitens gilt es per definitionem nur fiir egozentrisches Wollen, nicht jedoch fiir ein Wollen, das altruistisch bzw. moralisch motiviert ist.

Wenn ich etwas will, weil jemand anderes dies will oder wiinscht oder

begehrt, so will ich es gerade nicht, weil ich will, da8 mit mir etwas der

Fall ist. Und wenn ich etwas will, weil ich glaube, dazu verpflichtet zu sein, so will ich es nicht deshalb, weil ich moralisch richtig handeln will,

sondern ich will deshalb moralisch richtig handeln, weil ich glaube, dazu

verpflichtet zu sein, moralisch zu handeln. Da Fichte nun die Selbsthaf-

tigkeit des Wollens zur Begriindung der Moralitat verwendet, kann er keine Selbstbeziiglichkeit meinen, die Moralitat gerade ausschlie8t. Fiir die Frage der Selbsthaftigkeit des Wollens im Sinne Fichtes kann schlieBlich die Frage nicht entscheidend sein, ob es sich dabei um ein »auBerliches”, kontingentes Wollen handelt oder ein Wollen, das mei-

nen Lebensentwurf wesentlich bestimmt oder manifestiert *. Denn Fichte formuliert seine These fiir jedes Wollen ". Weischedel hat allerdings insofern recht, als der von ihm herausgestellte Fall bzw. Aspekt entscheidend ist fiir das Problem der Begriindung der Moral (s. 4.1). Worin besteht nun die spezifische Selbstbeziiglichkeit und Absolutheit des Wollens? Eine Antwort ergibt sich dann, wenn man versucht, das

Spezifische von ,,Wollen” gegeniiber anderen spezifisch menschlichen praktischen Intentionen wie wiinschen und hoffen zu definieren. Schon Aristoteles hat das Wollen bzw. die Entscheidung dadurch von bloSem Begehren und Wiinschen unterschieden, da8 es sich nur auf das beziehen kann, was das Subjekt der praktischen Intention auch selbst herbeifiihren kann (Nikomachische Ethik III, 4 ff.). Der Zusammenhang zwischen Intention und Handlung ist im Wollen jedoch noch enger. Wenn ich go Weischedel sucht die Absolutheit als innerstes Wesen des Menschen auch nicht mehr in der Struktur des Wollens, sondern in der Freiheit des Wollens (Weischedel S. 34 ff.). Diese sieht er beglaubigt im Faktum des Gewissens (ebd. S. 41) und in dem Entschlu8 zum Philosophieren (ebd. S. 45). 91 Tugendhat meint allerdings, die Frage ,Was will ich?” besage immer soviel wie ,Wer (bzw. wie) will ich sein?” (Tugendhat ('79 a) S. 217). Wollen ist in dieser Hinsicht dann immer selbstbeziiglich, wenn der Wollende die praktische Frage stellt. Eine Auseinandersetzung mit Tugendhats Theorie der Selbstbeziehung im Wollen ist im Rahmen dieser Arbeit nicht méglich, da Tugendhat bei

einer Heidegger-Interpretation ansetzt.

251

will, da8 sondern was ich d. h. die das, was

p, dann strebe ich es nicht nur an oder wiinsche und erhoffe es, ich bin dann auch dazu entschlossen, dasjenige selbst zu tun, tun mu&, damit p der Fall wird. Wollen impliziert Tunwollen, Entschlossenheit zu handeln, wenn das notwendig dafiir ist, da8 man erstrebt, wirklich wird.

Diese Entschlossenheit scheint dasjenige zu sein, was Fichte zunachst

mit der ,,Absolutheit des Wollens” meint; in ihr bezieht sich das Subjekt

der praktischen Intention in der Weise der Selbstfestlegung auf sich selbst als ein Subjekt von (kiinftiger) Tatigkeit; es handelt sich also um

eine spezifische Weise der bzw. Tendenz zur Selbsttatigkeit, wie Fichte

sagt. Wollen eines Subjekts hei8t, da8 das Subjekt sich darauf festlegt,

selbst taitig zu werden. Dies kann man, wenn auch mifverstandlich, so formulieren, da8 Wollen durch eine ,,Tendenz zur absoluten Selbsttiatig-

keit“ definiert ist *. Wie 148t sich nun die Entschlossenheit des Wollens definieren? Die zeitgendssische Handlungstheorie hat den Zukunftsbezug des Wollens insbesondere von Prognosen iiber eigenes Verhalten unterschieden, die begriindet sind wie Prognosen iiber das Verhalten anderer. Wenn ich X tun will, dann unterstelle ich, da8 ich versuchen werde, X zu tun, und

zwar nicht aufgrund der Beobachtung meines bisherigen Verhaltens oder meiner gegenwartigen Tendenzen, sondern aufgrund der Griinde, auf

denen mein Entschiedensein beruht *. Darin liegt auch, X zu tun, nicht nur den Glauben oder die Uberzeugung, beruhen, enthalt, da8 ich versuchen werde, X zu tun, Gewifheit, da8 ich versuchen werde, X zu tun, falls ich

da8 mein Wille, die auf Griinden sondern auch die nicht meine Mei-

nung dndern oder die Kontrolle iiber mich selbst ganz verlieren sollte”.

Zwar kann ich keine Gewi&heit dariiber haben, was ich tatsachlich tun werde, und auch nicht dariiber, was ich versuchen werde zu tun; aber da

Fakten und eigene Motive nur insofern Griinde fiir mich sein kiénnen,

als ich von ihnen wei8, und sich mein Entschiedensein ausschlie8lich aus ihnen ergibt, kénnte dieses sich nur dadurch andern, da& ich andere Griinde anerkenne, also meine Meinung andere.

Die Struktur der Entschlossenheit im Wollen scheint nichts anderes zu sein als diese praktische GewiSheit davon, was ich zu tun versuchen

g2 Mi&verstandlich ist daran allerdings nicht nur die Vorstellung von einer ,Tendenz”, sondern auch die, da& es darum

geht, unbedingt

(, absolut”)

selbsttatig

zu werden. Auf Selbsttatigkeit hat man sich im Wollen jedoch nur fiir den Fall festgelegt, da8 diese Selbsttatigkeit notwendig ist, damit das Intendierte wirklich wird. Man kann allerdings erst dann von Wollen sprechen, wenn man

glaubt, daB Selbsttatigkeit notwendig ist.

93 St. Hampshire/H. L. A. Hart, Entscheidung, Absicht und GewiSheit, in: Analy-

tische Handlungstheorie, Frankfurt (‘77) S. 183. 94 Ebd. S. 171 f., 185.

Bd. 1: Handlungsbeschreibungen,

252

hrsg. v. G. Meggle,

werde. Fichtes Terminus der ,Absolutheit’ ware dafiir nicht unangemes-

sen. Es hat auch eine spezifische Berechtigung, da8 Fichte hier von einem

»Sichfinden” spricht. Denn beim Wollen handelt es sich nicht wie bei an-

deren mentalen Zustanden nur um einen epistemisch privilegierten Glau-

ben, da8 ich in diesem Zustand bin, sondern um einen privilegierten Glauben, da ich versuchen werde, so und so zu handeln.

3.2 Der Rationalitatsanspruch im Wollen und der Gehalt der moralischen Intention Fichte hatte im § 1 der Sittenlehre von 1798 zu zeigen versucht, da8 Wollen eine ,,Tendenz zur Selbsttatigkeit um der Selbsttatigkeit willen” impliziert (SI 423). Soweit hatte Fichte das Ich ,,als Objekt” (ebd.) betrachtet. In den noch folgenden zwei Paragraphen des ,,Ersten Hauptstiickes”

zur ,,Deduktion des Prinzips der Sittlichkeit” fragt Fichte nun, wie sich

das Ich mit seiner Tendenz zur absoluten Selbsttatigkeit einerseits selbst identifizieren (Sl § 2, insbes. 426) und andererseits dieser Tendenz dabei als solcher bewuSt werden kann (SI § 3, insbes. 433). Diese Fragen scheinen beziiglich meiner Deutung der absoluten Tendenz als Entschlossenheit des Wollens zunachst redundant: Entschlossenheit bedeutet doch

gerade, sich selbst darauf festzulegen, etwas zu tun; und wenn sie als

privilegierter Glaube expliziert werden kann, selbst zu versuchen, etwas zu tun, so ist die Tendenz zur Selbsttatigkeit eo ipso als solche bewu8t.

Man kann die Fragen nach der Weise des Bewu8tseins von der Ent-

schlossenheit und der Weise des darin implizierten SelbstbewuStseins jedoch auch unspezifischer als Fragen nach einer vollstindigen Explikation der Struktur des Wollens

auffassen. Fichtes Anspruch ist es dabei,

da8 diese Explikation gleichzeitig eine solche der Freiheit (Sl § 2) und des moralischen BewuBtseins (Sl § 3) leistet. Fiir beide Schritte ist es nach Fichte charakteristisch, da8 hier die absolute Tendenz

,,unter die Bot-

mafigkeit des Begriffs” kommt (Sl 426, 440). Man kommt der Einlésung von Fichtes Programm naher, wenn man annimmt, da8 Fichte hier den Rationalitatsanspruch in jedem Wollen im Auge hat. Man kann niamlich nichts wollen, ohne gleichzeitig davon iiberzeugt zu sein, da8 es gut, richtig oder verniinftig ist, in bestimmter Weise zu handeln. Platon hatte bekanntlich gelehrt, da& man dann, wenn

man wei, was zu tun richtig ist, dies auch notwendigerweise tun will. Platon hat damit jedoch einen wirklich bestehenden notwendigen Zusammenhang von Wollen und Uberzeugung von praktischer Richtigkeit verkehrt. Ich kann durchaus etwas wollen und tun mit dem BewuStsein, da& es nicht richtig ist, dies zu tun. Wenn ich jedoch iiberhaupt etwas will, dann kann ich dabei nicht umhin, mich auf eine Uberzeugung festzulegen, was zu tun richtig ware. Es scheint sogar so, da8 ich dann, wenn 253

ich etwas tun will, nicht umhin kann, mindestens vor mir selbst zu be-

haupten, da8 es richtig ist, dies zu tun, auch wenn mir bewu8t ist, da8 es nicht richtig ist, dies zu tun. Jedenfalls ist jedes Wollen notwendig

mit einem Anspruch auf praktische Richtigkeit, d. h. Rationalitat, einer bestimmten Handlungsweise verkniipft. Der Rationalitatsanspruch des Wollens 1a8t sich, wie die Entschlossen-

heit, als ein Aspekt der spezifisch praktischen Selbstbeziehung, namlich

der Entschiedenheit im Wollen verstehen: Wenn

ich etwas will, dann

entscheide ich mich nicht nur dazu bzw. bin dazu entschieden, insofern ich mich darauf festlege zu versuchen, X zu tun; sondern ich lege mich auch darauf fest, es gegeniiber Beliebigen zu vertreten oder vertreten zu kénnen, da es richtig ist, etwas Bestimmtes zu tun.

Der Rationalitaitsanspruch des Wollens 1a8t sich sogar direkt aus der gegebenen Explikation von Entschlossenheit ableiten. ,,Entschlossenheit” einer Person wurde expliziert als ein Wissen dieser Person von

ihrem Handeln auf der Basis nicht von Gesetzen oder Ursachen, sondern

von ihren Griinden. Richtigkeit und Begriindetheit einer Handlung beziehen sich nun auf dasselbe: Wenn ich sage, da8 es richtig ist, X zu tun, dann hei&t das nichts anderes, als da8 es iiberwiegende Griinde gibt, X zu

tun — und umgekehrt. Wenn Wollen also ein Wissen von eigenem Handeln auf der Basis von Griinden ist, so enthalt es auch die Annahme der

praktischen Richtigkeit dieses Handelns ™.

95 Heidegger hat die eigentliche Seinsweise des Menschen als _,Entschlossenheit” ausgelegt (Heidegger, Sein und Zeit, Tiibingen (‘60) §§ 54 ff.). Da Heideggers Terminus

der

,Entschlossenheit”

die eigentliche

Weise

von

,,Erschlossenheit”

(ebd. § 44) meint, zielt er auf praktische Rationalitat (,Verantwortlichkeit”, »Gewissen-haben-Wollen“), die allerdings aufgrund von Heideggers reduktionistischhem Wahrheitsbegriff nicht wirklich expliziert wird. Heidegger scheint deshalb mit ,Entschlossenheit* nicht so sehr auf praktische Rationalitat als auf wEntschiedenheit” zu zielen. Immerhin ist in dem Terminus der ,Entschlossenheit“ der Zusammenhang von Entschiedenheit und praktischer Rationalitat angedeutet. Die sachliche und historische Beziehung von Heidegger und Fichte ware eine eigene Untersuchung wert — in Weischedels Fichte-Interpretation etwa

ist sie der Sache nach priasent (Weischedel, insbes. S.91 f.). Grundsatzlich meinsam ist Heidegger und Fichte, da8 sie die menschliche Endlichkeit als kelstruktur auslegen. Die Zirkelstruktur des Heideggerschen ,,Daseins” als gleich von Geworfenheit und Entwurf weist bemerkenswerte Ahnlichkeiten Fichtes Zirkel vom Sichsetzen und Sichfinden auf. Auch die Rede von einer spriinglichen Tendenz” als Merkmal von Subjektivitat stammt von Fichte.

geZirZumit ,ur-

A.Gehlen hat seine friihe, stark an Fichte orientierte Theorie der Willensfreiheit” (in: A. Gehlen, Theorie der Willensfreiheit und friihe philosophische Schriften, Neuwied und Berlin ('65) 5. 54 ff.) am Begriff der ,Entschiedenheit” orientiert. Dabei geht der bei Heidegger noch teilweise gewahrte Zusammen-

hang von Wille und Rationalitat ganz verloren. Der Fichteanismus des frithen Gehlen ist nur ein Deckmantel fiir eine irrationalistische Willensmetaphysik mit

faschistischen Ziigen.

254

Der Rationalitatsanspruch in jedem Wollen begriindet nun nach Fichtes Meinung direkt das moralische BewuStsein. Diese Meinung setzt allerdings Kants These voraus, da8 moralische Richtigkeit praktische Richtigkeit schlechthin impliziert, und ignoriert damit die eigentliche Motivationsproblematik (s. I, 5). Davon sehe ich hier zunachst ab. Wenn ich demnach unterstelle oder behaupte, da es richtig bzw. verniinftig ist, X zu tun, dann behaupte ich, da es sowohl zweckma&ig als auch moralisch richtig ist, X zu tun. Ich behaupte namlich, da8 sowohl die von mir gewollten Mittel hinsichtlichh meiner Zwecke richtig sind als auch

meine Zwecke

selbst, und das sowohl fiir mich als fiir alle anderen. In-

dem ich etwas will, behaupte ich also anscheinend auch etwas iiber die moralische Richtigkeit der Handlung. Damit waren die Beweisanspriiche des ersten Hauptstiickes der Fichteschen Sittenlehre in gewisser Hinsicht eingeholt. Es scheint, da8 die Intention auf moralische Richtigkeit mit jedem Wollen verbunden ist. Es ergibt sich auch eine Perspektive auf Fichtes Versuch im § 2, die Freiheit des Willens zu deduzieren. Wie

bereits erwahnt,

arbeitet Fichte im §1

zunachst mit dem

un-

brauchbaren Begriff der kausalen Selbstbestimmung. Die Deduktion der Freiheit in § 2 bezieht sich jedoch auf einen anderen Freiheitsbegriff. So kennzeichnet Fichte das Ich des § 2 als ,,dasjenige, welches durch die absolute Reflexion auf sich selbst sich losgerissen hat von sich selbst, und

selbstindig hingestellt; das lediglich von seinem Begriff abhangende” (Sl 467). ,Jene Absolutheit des reellen Handelns wird sonach hierdurch Wesen einer Intelligenz, und kommt unter die Botmafigkeit des Begriffs; und dadurch erst wird sie eigentliche Freiheit: Absolutheit der Absolutheit, absolutes Vermégen, sich selbst absolut zu machen” (SI 426). Sieht man davon ab, da Fichte hier in etwas undurchsichtiger Weise mit dem Begriff eines ,,Vermégens” operiert, so bedeutet hier ,,Freiheit” soviel wie Bestimmung durch den ,,Begriff”, also rationale Motivation. Damit, da8 jemand etwas will, ist natiirlich nicht garantiert, da8 er dabei rational motiviert ist. Indem er etwas will, erhebt er jedoch notwendig

den Anspruch, durch die iiberwiegenden Griinde, d.h. rational, motiviert zu sein oder mindestens auf der Basis dieser Griinde entschieden zu sein. Mit diesem Anspruch ist der weitere Anspruch verbunden, anders motiviert zu sein, falls sich herausstellen sollte, da& die zunachst

motivierenden Griinde nicht triftig gewesen sind. In jedem Wollen ist also die Fahigkeit zu rationalem Wollen und in diesem Sinne zu Freiheit oder Selbstbestimmung unterstellt *. Wollen enthalt notwendig das

96 ~Die Rede von einer Selbstbestimmung verliert endgiiltig den letzten Anschein des Paradoxen, wenn wir uns klarmachen, da8 mit ihr lediglich gemeint ist, ob jemand, was er tut oder will, selbst wahlt, da& es die Person selbst ist, die dar-

255

Postulat, wenn auch nicht eo ipso die Realitat, von Freiheit im Sinne von

rationalem Wollen. Fichte hat nun aber gesehen, da& der Rationalitatsanspruch im Wollen in dem Sinne formal ist, da8 er kein Kriterium zur Entscheidung morali-

scher Fragen an die Hand gibt. Fichte formuliert auch folgendes Prinzip

der Sittlichkeit: ,.Der Mensch soll stets einig mit sich selbst sein, er soll

sich nie widersprechen” (BG 224). Entsprechend endet das zweite Haupt-

stiick seiner Sittenlehre mit dem zundchst inhaltslosen Prinzip: ,,Handle

nach deinem Gewissen. Dies ist die formale Bedingung der Moralitat unserer Handlungen, die man auch vorzugsweise die Moralitét derselben genannt hat” (SI 550). Fichte hat deshalb versucht, zusatzlich zur Behauptung der Intention auf moralische Richtigkeit iiberhaupt in jedem Wollen auch Prinzipien ihres Gehalts zu deduzieren, und zwar im zweiten Hauptstiick (Sl §§ 4 bis 13) und im zweiten Abschnitt des dritten Hauptstiickes (Sl §§ 17—18).

Das zweite Hauptstiic kommt nach langeren Gedankengingen, die wir hier iibergehen kénnen™,

im § 12 zur Aufstellung des ,,Prinzips einer

anwendbaren Sittenlehre”. Dieses Prinzip besagt nach Fichte: ,,Der zige Bestimmungsgrund der Materie unserer Handlungen ist der, unserer Abhingigkeit von der Natur zu entledigen, ohnerachtet die forderte Unabhingigkeit nie eintritt [...] Nun kann, zufolge des fiihrten Beweises das Ich nie unabhangig werden, so lange es Ich soll; also liegt der Endzweck des Vernunftwesens notwendig in der

einuns gegesein Un-

endlichkeit, und ist ein zwar nicht zu erreichender, aber ein solcher, dem

es sich zufolge seiner geistigen Natur unaufhérlich annahern soll” (Sl 543). Abgesehen davon, da Fichte hier die Selbstandigkeit, die nur als praktische Rationalitat begriindet werden kann, illegitimerweise als Unabhangigkeit von der Natur auslegt — offenbar kehrt Fichte damit von

dem Begriff der Freiheit als rationaler Motivation zu dem der Selbstbe-

stimmung zuriick —, ist dieses Prinzip fast so formal wie das Prinzip »Handle nach deinem Gewissen”. iiber entscheidet, wer sie ist” (Tugendhat (’79 a) S. 232 f.). Man mu8 hier jedoch vier Ebenen unterscheiden: 1. den Anspruch, rational zu entscheiden, 2. den Versuch, rational zu entscheiden, 3. die rationale Entscheidung im Sinne der Entscheidung aus richtigen Griinden (rationale Motivation), 4. die rationale Ent-

scheidung

Griinde.

im Sinne der

Tugendhat

Entscheidung

meint, da8

man

von

lediglich auf der Basis der richtigen _,Selbstbestimmung”

nur

dort

reden

kann, wo die Griinde zur Entscheidung nicht ausreichen (ebd. S. 338); vgl. dazu

Anm. 57.

97 Der Titel des zweiten Hauptstiickes der Sittenlehre lautet: Realitat

und Anwendbarkeit

,Deduktion der

des Prinzips der Sittlichkeit”. Fichtes Thema

ist

hier zum Teil der Inhalt des Moralprinzips (z. B. SI 459, 470, 525) und zum Teil

seine ,wirkliche Ausiibung” (SI 545). Andererseits scheint Fichte mit ,Realitat” und ,,Anwendbarkeit” dasselbe zu meinen (z. B. SI 602).

256

Einen neuen Ansatz macht Fichte dann in dem zweiten Abschnitt des dritten Hauptstiickes im § 18 unter dem Titel ,,Systematische Aufstellung der Bedingungen der Ichheit, in ihrer Beziehung auf den Trieb nach absoluter Selbstandigkeit”.

Fichte will hier das ,,Materiale des Sitten-

gesetzes” aus den notwendigen Bedingungen fiir die Selbstindigkeit des Ich ableiten. Dabei nimmt Fichte die Fragestellung des ersten Hauptstiik-

kes insofern wieder auf, als er nach den Bedingungen

fragt, um

,,sich

selbst als Ich [zu] finden” (SI 606). Da Fichte jedoch hier ,,Selbstindigkeit” zunachst wieder als Unabhangigkeit versteht, kommt er im AbschnittI zur Ableitung der absurden Pflicht, seinen Leib nur als Werk-

zeug der Moralitat zu behandeln.

Im zweiten Kapitel versteht Fichte die Selbstindigkeit richtig als ratio-

nale Motivation und behauptet eine Pflicht zur permanenten Selbstreflexion in moralischer Absicht. Der Anspruch auf rationale Motivation in jedem Wollen impliziert jedoch keine Verpflichtung zur moralischen Dauerreflexion. Er bedeutet nur, da8 ich mich immer schon darauf festgelegt habe, das zu tun bzw. zu akzeptieren, von dem mir bewu&t ist,

da8 es nach meinen eigenen Prinzipien das Richtige ist. In jedem Wollen

erhebe ich einen Anspruch auf praktische Rationalitat. Daraus folgt jedoch nicht, da8 ich mich moralisch darauf festgelegt habe, praktisch ratio-

nal zu sein. Aus der Verpflichtung auf Moralitat la8t sich keine generelle Verpflichtung auf Rationalitat ableiten. Den erfolgversprechendsten Ansatz zu einer gehaltvollen Ethik verfolgt Fichte im Abschnitt III des § 18 mit seinem Versuch, interpersonale Anerkennung als Bedingung der ,,Selbstandigkeit” von Subjekten zu deduzieren. Wie wir in den folgenden Kapiteln sehen werden, handelt es sich dabei einerseits um den Versuch einer Begriindung der Giiltigkeit moralischer Normen iiberhaupt und andererseits um eine Theorie der intersubjektiven Bedingungen der Konstitution des Willens und der Selbsterfahrung seiner praktischen Implikate. Allerdings kommt Fichte auch hier nicht zur Aufstellung eines materialen Moralprinzips, sondern — abgesehen von dem fiir sich leeren Prinzip, ,die Rechte anderer zu respektieren” — zur Aufstellung der fragwiirdigen ,,hdheren” Verpflichtung, die Moralitat auch aller anderen zu wollen (SI § 18 V). Fichte hat allerdings bei seiner Erérterung des Kantischen kategorischen Imperativs in der Sittenlehre ein Prinzip formuliert, nach dem moralische Urteile zunachst nicht leer zu sein scheinen. Fichte meint, dies

Prinzip ermégliche einen ,,heuristischen Gebrauch” des kategorischen Im-

perativs: ,,Ein Satz, aus dem eine Absurditat folgt, ist falsch: — nun ist es absurd, da8 ich X soll, wenn ich nicht denken kann, da in derselben

Lage es alle sollten; mithin soll ich dann X gewi8 nicht, und habe in der

vorhergegangenen Beurteilung mich geirrt” (Sl 628). Fichte hat damit ein Prinzip formuliert, das in der zeitgendssischen Ethik das der ,,Universali257

sierung” genannt wird. Dieses Prinzip 148t sich natiirlich genausogut

fiir Rechte wie fiir Pflichten formulieren: ,Wenn ich das Recht habe, X

zu tun, dann hat jeder andere unter gleichen Umstanden auch das Recht, X zu tun.” Sofern man sich durch den Rationalitatsanspruch im Wollen Rechte zuschreibt, ist also auch dieses Prinzip anwendbar. Es fiihrt allerdings in eine aporetische Situation, wenn man mit Hobbes annimmt, da8 jeder ein Recht auf alles hat. Diese Annahme ist bei Hobbes aber nicht in einer Analyse des RechtsbewuStseins begriindet, sondern in speziellen empirischen Annahmen iiber die urspriinglichen sozialen Beziehungen, insbesondere der fundamentalen Bedrohung der Subjekte durch einander. Man benitigt jedoch gar keine hobbesianischen Primissen, um zu zei-

gen, da8 der Rationalitatsanspruch in jedem Wollen als solcher noch kei-

nen moralischen Gehalt impliziert. Zwar mu8 man mit jedem Wollen die beabsichtigte Handlung als praktisch richtig, und d.h. auch als berechtigt, hinstellen. Aber das kann ja auch darauf beruhen, da8 man jede beliebige eigene Handlung fiir berechtigt halt, und zwar nicht aus Griinden der permanenten Selbstverteidigung, wie bei Hobbes, sondern deshalb, weil man prinzipiell bestreitet, da& sie unberechtigt sein kann. Nun ist es zwar faktisch so, da& wir, da wir — jedenfalls normaler-

weise — diese amoralistische Haltung nicht einnehmen, mit dem Rationalititsanspruch jeden Wollens auch die moralischen Prinzipien anerkennen. Aber es geniigt, jedenfalls in theoretischer Absicht, nicht, sich auf dieses Faktum zu berufen; das ware nur eine Wiederholung der agnostischen Seite von Kants Lehre vom ,,Faktum der Vernunft”. Eine Begriindung der Moral miiSte gerade zeigen, da8 wir aus Griinden unserer Natur als praktische Vernunftwesen gar nicht umhinkénnen, die Giiltigkeit moralischer Prinzipien anzuerkennen. Dieser Beweis mii&te offenbar zeigen, da8 die Anerkennung der Giiltigkeit moralischer Prinzipien eine notwendige Bedingung fiir eine praktisch unverzichtbare Eigenschaft praktischer Vernunftwesen ist. Das gilt

nun sicher nicht schon fiir jedes Wollen bzw. die Fahigkeit zum Wollen

iiberhaupt ®. Es gilt aber mdglicherweise fiir die umfassendere Struktur 98 Vgl. R. M. Hare (’73), Freiheit und Vernunft, Diisseldorf; G. M. Singer, Verallgemeinerung in der Ethik, Frankfurt a. M. (75) Kap. II. Fichte mi8versteht den kategorischen Imperativ an anderen Stellen als ,Goldene Regel” (Nr 84, SI 675). Bereits Kant hat jedoch gezeigt, da8 die ,Goldene Regel” kein brauchbares Moralprinzip ist (GMS 62 Anm. ). Singer hat allerdings plausibel gemacht, da8 man die

,Goldene

Regel”

als nicht

ganz korrekte

Formulierung

des ,Prinzips

der

Verallgemeinerung” verstehen kann (Singer S. 37). 99 Auch wenn dies der Fall wire, lage die Anerkennung der Giiltigkeit moralischer Prinzipien nicht im Wollen selbst, wie Fichte offenbar meint. Denn da aufgrund des Motivationsproblems aus moralischer Richtigkeit nicht notwendig praktische Richtigkeit folgt, ware es (im Zustand hoffungslos zerstirter Sittlichkeit) még258

praktischer Selbstbeziehung, die des praktischen Selbst oder, wie man heute gerne sagt, der ,Ichidentitat”. In diesem Zusammenhang bekommt auch Fichtes Ansatz beim ,,Sichfinden” eine neue Bedeutung.

4. Ichidentitat und Anerkennung Fichte thematisiert das Wollen im §1 seiner Sittenlehre von 1798 zur Lésung der Aufgabe, ,,sich selbst, blo& als sich selbst, d.i. abgesondert von allem, was nicht wir selbst ist, zu denken” (Sl 412). Seine Antwort lautet: ,,Ich finde mich selbst, als mich selbst, nur wollend” (ebd.). Wir

haben im vorigen Kapitel gesehen, inwiefern dieser ,,1.Lehrsatz” der Fichteschen Sittenlehre seine Berechtigung schon beziiglich jeden Wollens hat. Eine besondere Berechtigung hat er aber offenbar beziiglich des Wollens, das in den grundlegenden Projekten oder der Lebenskonzeption einer Person zum Ausdruck kommt. Denn es hat einen besonders guten Sinn zu sagen, da

eine Person in diesen nicht nur Selbstfestle-

gungen und darin sich selbst, sondern sogar ,sich selbst blo8 als sich selbst” und in diesem Sinne ihr Selbst findet. Das ist auch ein Kern des heute gangigen (sozialpsychologischen) Begriffs von ,Ichidentitat” ™,

genauer: voluntativer Ichidentitat **. Auch Fichtes Begriffe der ,,Ichheit”, der ,,Selbstindigkeit” und der ,,Individualitat” lassen sich teilweise so

verstehen. Ein grundlegendes Projekt und eine Lebenskonzeption sind nun offenbar keine Produkte willkiirlicher Entscheidungen. Sie sind nur mdglich als komplexe Synthesen zwischen den Verhaltensmotiven und Selbstinterpretationsangeboten, die aus der, insbes. sozialen Umwelt einerseits und den Erfahrungen, Neigungen, Fahigkeiten, Zielen und Idealen der

lich, da8 man zwar seine Handlung durch sein Wollen als berechtigt behauptet,

aber gleichzeitig keinen Grund mehr anerkennt, den moralischen Standpunkt einzunehmen (vgl. Kap. 5 des Teils I dieser Arbeit, insbes. zu Kants Verstandnis moralischer Autonomie als Eigenschaft des Willens dort S. 177 ff.).

100 Darauf wollte offenbar auch Weischedel hinaus, vg]. Anm. 88. 101 Die Idee, einen Menschen wesentlich als ein menschliches Leben aufzufassen, das nach einem Lebensplan gelebt wird, tibernimmt J. Rawls von J. Royce (J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt ('79) 446). Von dort ist sie vermutlich iiber G. H. Meads Begriff des ,Selbst” in den sozialpsychologischen Begriff der ,Ichidentitat” eingegangen. 102 Oft wird der Begriff des ,Selbst” oder der ,Ichidentitat” mit dem des ,Selbstbilds” oder des ,Selbstverstandnisses” gleichgesetzt. Es ist nicht ganz deutlich, ob dieses auch die Lebenskonzeption einschlie8t und ob dieser ,kognitive” Begriff von Ichidentitét von dem ,voluntativen” iiberhaupt sinnvoll unterschie-

den werden kann. Dasselbe gilt nattirlich auch von Fichtes Begriff der ,Ichheit”, sofern man ihn iiberhaupt auf Ichidentitat beziehen kann.

259

Person und ihrer Biographie andererseits hervorgehen. Auch wenn die Vorstellung fragwiirdig ist, da8 Personen Lebenskonzeptionen im Sinne von ,,Lebensplanen” verwirklichen, so scheint doch die volle Handlungsfahigkeit einer Person sowie Sinn und Erfiillung ihres Lebens wesentlich davon abzuhingen, da& diese Synthesen wenigstens in dem Sinne

eine ,,Ichidentitat” herausbilden, da8 sie die akzeptierten sozialen Er-

wartungen und vor allem grundlegende eigene Neigungen, Fahigkeiten

und Ideale miteinander konsistent machen ™.

Es liegt nun nahe, die Giiltigkeit moralischer Normen so zu begriinden, daf ihre Befolgung notwendige Bedingung fiir Selbstsein oder Ichidentitat in dem erlauterten, voluntativen Sinne ist. In Fichtes Sprache hieBe dies, da8 Moralitat notwendige Bedingung von ,Ichheit”, ,Selbstindigkeit” oder ,Individualitat” ist. Diese These scheint mir von groSer Uberzeugungskraft. Es scheint tatsichlich so, da& unmoralisches Handeln die Person notwendig in Konflikte, mindestens in Gewissenskonflikte, bringt, die die Konsistenz

ihrer Selbstinterpretationen und

ihres Praferenzsystems, ihre volle Handlungsfahigkeit und letztlich den Sinn ihres Lebens in Frage stellen, es sei denn, sie lebte ohnehin im Zu-

stand von Selbstentfremdung und Sinnverlust oder jedenfalls in Zusammenhingen hoffnungslos zerstérter Sittlichkeit. Aber abgesehen davon, da

in diesem Zustand ohnehin der Lebenssinn

auf schwachen

Fundamenten ruht, so hat unsere Rekonstruktion des moralphilosophischen Motivationsproblems gezeigt, da es hier tatsachlich keinen durchschlagenden Grund mehr gibt, moralisch zu sein. Auch wenn dieser Zusammenhang einleuchtet, so fragt es sich doch, ob er sich als notwendig erweisen und so verstandlich machen 1a8t, da8 dabei die moralische Intention als solche gewahrt bleibt. Die Richtung einer Antwort finde ich in Fichtes Lehre von der interpersonalen Anerkennung. Fichte will hier zeigen, da8 ein Vernunftsubjekt als solches nur im Kontext welchselseitiger Anerkennung mdglich ist. Fichte entwickelt diese Theorie zundchst und ausfiihrlich nur in seinem ,,Naturrecht”, und sie hat dort auch eine spezifisch rechtsphilosophische Funktion, die jedoch auf unhaltbaren Primissen beruht. Diese fiihren auch

zum Teil aus dem Bereich der praktischen Philosophie heraus. Aber

Fichte nimmt seine Anerkennungslehre an der entscheidenden Stelle sei-

ner Sittenlehre auf, wo es um die inhaltliche Bestimmung

der morali-

103 Zu Konsistenz als Kriterium des sozialpsychologischen Identitatsbegriff vgl. Habermas ('76), Moralentwicklung und Ichidentiat, in: ders., Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Frankfurt ('76) S. 68; ders., Kénnen komplexe Gesellschaften eine verniinftige Identitat ausbilden?, ebd. S. 93. Andererseits versteht

Habermas

,Ichidentitat*

als ,Interaktionskompetenz“, ohne

da8

ganz deutlich wiirde, wie sich dieser Begriff zu dem der praktischen Konsistenz

verhilt (ebd. 63 ff.).

260

schen Intention geht (SI § 18 III). Ihren fiir die Begriindung der Moral entscheidenden Kern michte ich zunachst unabhingig von Fichte entwickeln, um mich dann abschlie8end der Interpretation seiner Lehre im

Detail zuzuwenden.

4.1 Moralitat als notwendige Bedingung praktischer Ichidentitat Der Versuch eines Nachweises, da8 Moralitét notwendige

Bedingung

von Ichidentitat ist, kann zunachst davon ausgehen, da& beide notwen-

dige Konstituentien menschlicher Gesellschaftlichkeit sind. Menschliche Gesellschaft

ist im Unterschied

zu tierischen Gesellschaften normativ,

d.h. durch Rechte und Pflichten, strukturiert’. menschlichen

Gesellschaft wird man

deshalb

Zum

dadurch

Mitglied einer

sozialisiert, da8

man die in ihr giiltigen Pflichten internalisiert und ein entsprechendes Bewu8tsein von Rechten ausbildet. Indem man nun iiberhaupt irgendwelche Rechte und Pflichten ™ anerkennt, hat man — bei voller Entwicklung moralischer.Kompetenz — implizit auch schon das Prinzip moralischer Rationalitat anerkannt, da dies, wie in I, 5.4/S. 175 skizziert, nur eine Explikation dessen ist, was es iiberhaupt hei8t, etwas als Recht und Pflicht anzuerkennen. Allerdings hat das Individuum mit seiner vollen moralischen Kompetenz auch die Fahigkeit, die gesellschaftlich giiltigen Normen in Frage zu stellen. Sofern es

aber nur irgendwelche Pflichten anerkennt, hat es implizit das Moral-

prinzip anerkannt. Sollte es jedoch jede Pflicht ablehnen, so scheint nur noch ein Verstindnis, aber keine Anerkennung von moralischen Pflichten iibrig zu bleiben. Es fragt sich also, ob nachgewiesen werden kann, da& die Anerken-

nung irgendwelcher sozialer Normen fiir jede menschliche Existenz kon-

stitutiv ist. Habermas hat dazu folgende These formuliert: ,,.Der fundamentale Irrtum des methodischen Solipsismus erstreckt sich auf die An-

nahme der Méglichkeit nicht nur des monologischen Denkens, sondern

auch des monologischen Handelns: absurd ist die Vorstellung, als kinne ein sprach- und handlungsfahiges Subjekt den Grenzfall kommunikati-

ven Handelns, namlich

die monologische

Rolle des instrumentell

und

strategisch Handelnden permanent machen, ohne seine Identitat zu verlieren.” *** 104 Vgl. Habermas (’76), Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, in: ders., Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Frankfurt a.M. ('76) S. 150 ff. 105 Von den Fallen nichtmoralischer Rechte und Pflichten wie Spielregeln und posi-

tivem Recht sehe ich hier ab. 106 Habermas ('73), Legitimationsprobleme im Spatkapitalismus, Frankfurt Anm. 261

S. 153

Diese Erklarung ist jedoch noch zu pragmatistisch, um die rationale Giiltigkeit spezifisch moralischer Normen begriinden zu kénnen. Es ist denkbar, da8 das Subjekt immer nur zeitweise auf eine konsensuelle Orientierung umschaltet, um so das Minimum der identitdtserhaltenden

sozialen Anerkennung zu bekommen. Dadurch kénnte allerdings die personliche Identitat im Sinne der Kontinuitat der Lebenspraxis gefahr-

det werden. Das ist aber vielleicht nicht der Fall, wenn das Umschalten

zwischen strategischer und konsensueller Orientierung wiederum nach zweckrationalen Regeln ablauft. Dann gibt es also keine originare Anerkennung von moralischen Rechten und Pflichten, sondern nur ihre partielle Befolgung aus zweckrationalem Kalkiil. Fir eine Begriindung der Anerkennung moralischer Normen als solcher mii&te nachgewiesen werden, da& jeder Entwurf von Ichidentitat seiner eigenen Intention nach eine Zuschreibung oder Anerkennung von Rechten und Pflichten einschlieSt. In diese Richtung 1a8t sich E. Tugendhats Interpretation von Mead entfalten, derzufolge ,,die durch Rollen vorgezeichneten kooperativen Handlungsmiglichkeiten [...] die einzigen méglichen Sinnangebote sind” ™. Die Frage nach meiner praktischen Identitat ist letztlich die Frage, in welcher Lebensform ich einen Sinn finden, und d.h., in der ich mich be-

jahen kann. Dafiir gilt nach Tugendhat folgende Bedingung: ,,Offenbar miissen wir uns als bejahenswert

erfahren, um

uns selbst bejahen zu

kénnen, und als bejahenswert erfahren wir uns zumindest genetisch nur, wenn uns andere bejaht haben — geliebt und anerkannt —, und auch strukturell nur, wenn

wir meinen, da8 uns andere bejahen kén-

nen.” Da wir nun ,Sinn nur in einer Lebensform [finden], die wir mit anderen fiir schatzenswert halten kénnen” ™, finden wir Sinn oder Identitat nur in einem Lebenskontext von ,,Rollen” im Sinne von min-

destens zum Teil gemeinsamen Uberzeugungen von unseren Rechten und Pflichten. Da aber in jeder Anerkennung von Rechten und Pflichten implizit das Moralprinzip anerkannt ist, liegt in jeder Intention auf Sinn und Identitat eines kooperativen Lebens die Intention auf Moralitat.

Gegen diese Konzeption kénnte man zundchst einwenden, da8 die Anerkennung von sozialen Rollen schon deshalb nicht notwendige Bedingung fiir Lebenssinn sein kann, weil es menschliche Lebensformen

107 Tugendhat ('79 a) S. 271. 108 Ebd. S. 272. Hierauf beruht m.E. auch die Relevanz dialogistischer Motive fiir eine Begriindung der Ethik. Theunissen kommt in seiner umfassenden Mono-

graphie zu dem Ergebnis, da8 der Dialogismus zwar nicht fiir eine Theorie der Konstitution des Selbstbewu8tseins, aber fiir eine Theorie der Selbstwerdung seine Bedeutung behalt (M. Theunissen (‘65), Der Andere. Studien zur Sozial-

10g

ontologie der Gegenwart, Bonn, insbes. Nachschrift S. 483 ff.). Tugendhat ('79 a) S. 273.

262

gibt, die jedenfalls nicht in dem Sinne sozial sind, da8 sie kooperativ sind, z. B. die des Eremiten. Das wird allerdings von Tugendhat implizit ausgeschlossen “*. Und vermutlich ist die Lebensform des Eremiten doch in dem Sinne eine soziale, da sie ihren Sinn gerade aus der Absetzung von der Gesellschaft bezieht. Aber diese Frage ist fiir die Ethik letztlich irrelevant, weil sich innerhalb dieser Lebensform per definitionem gar keine spezifisch moralischen Probleme stellen, da es Pflichten nur gegen sich selbst nicht geben kann (vgl. I, 4.5 S. 142 f.); moralische Probleme gibt es nur im Verhaltnis des Eremiten zu anderen Menschen (bzw. Tieren), und dafiir reicht es aus, da8 auch ein Eremit, wie jedes menschliche Wesen, notwendigerweise einmal gesellschaftlich existiert hat, namlich

zur Zeit seiner primdren Sozialisation.

Weiterhin kénnte sich der Verdacht erheben, da8 Tugendhats Mead-

Rekonstruktion Handlungsfahigkeit und Lebenssinn letztlich an einen Konformismus gegeniiber den vorliegenden Rollenerwartungen bindet. Das ist jedoch nicht der Fall. Denn da auf der Stufe universalistischer moralischer Kompetenz in der moralischen Anerkennung von irgendwelchen Rechten und Pflichten das Moralprinzip mitanerkannt ist, wei8

derjenige, der die faktischen sozialen Normen vom moralischen Stand-

punkt aus in Frage stellt, da8 er anerkennungswiirdig handelt und insofern implizit anerkannt ist. Auch das Todesurteil gegen Sokrates andert

nichts daran, da& er sich vom Geist der Stadt anerkannt wei.

Allerdings hat nicht jedes Minimum von Anerkennung die Kraft, Lebenssinn an die Bedingung von Moralitét zu kniipfen. Das ist namlich im Zustand hoffnungslos zerstérter Sittlichkeit nicht mehr der Fall. Aber da gibt es auch keinen iiberzeugenden Grund mehr, moralisch zu sein

(vgl. 1,5).

SchlieBlich konnte man gegen meine moralphilosophische Anwendung

von Tugendhats

These

einwenden,

da8 soziale Rollen nur durch ihre

expliziten Gehalte Sinnangebote sind, nicht jedoch durch die Implikate, die erst durch eine konsequent universalistische Form der Anerkennung von Rechten und Pflichten sichtbar werden und dem manifesten Gehalt der Rollen gerade widersprechen kénnen. Demnach kann ein unmora-

lisch handelnder Mensch, der sich auf dem universalistischen Interaktionsniveau befindet, zwar nicht umhin, die moralische Falschheit und —

unter sittlicdhen Normalbedingungen — auch die praktische Falschheit dieser Handlungen anzuerkennen und dadurch in seinen Werturteilen 110 Tugendhat 1a8t Mead gegen Heidegger einwenden: ,a) wir finden Sinn nur in einer Lebensform, die wir mit anderen fiir schatzenswert halten kénnen, und damit hiingt zusammen b), daf es sich um Tatigkeiten handelt, die wir nicht nur fiir uns, sondern zugleich mit und fiir andere tun: kooperative Tatigkeiten” (Tugendhat ('79 a) S. 273).

263

inkonsistent zu werden; aber diese Inkonsistenz braucht seine Lebenskonzeption, seine Handlungsfahigkeit und seinen Lebenssinn solange nicht in Frage zu stellen, als seine Anerkennung moralischer Prinzipien nicht in direkter und emotional tiefsitzender Weise mit seiner qualitativen Identitat verkniipft ist. Eine solche Verkniipfung hat nun Tugendhat bereits durch die Feststellung angedeutet, da& dafiir, da8 wir uns selbst bejahen kénnen, nicht nur notwendig ist, da8 wir meinen, da8 uns andere bejahen kénnen, sondern auch, da8 uns andere zumindest bejaht haben, namlich geliebt

und anerkannt. Diese fundamentale Bejahung ist fiir die Méglichkeit praktischer Ichidentitat deshalb entscheidend, weil sich nur in ihr die notwendige Basis fiir die voluntative Ebene von Ichidentitat bilden kann: affektive und emotionale Ichidentitat. Affektive Ichidentitat in diesem Sinne ist der Gegenpol zu radikaler affektiver Selbstentfremdung. Sie besteht wesentlich in der GewiSheit der eigenen Existenz, dem Vertrauen in die eigene Lebendigkeit, dem Betroffensein durch die eigenen Erlebnisse und der Sicherheit, da8 sich diese zu einer rdumlichen, zeitlichen und individuellen Einheit zusam-

menschlieBen. Die neuere psychoanalytisch orientierte Sozialisationsforschung hat eindringlich gezeigt, da8 ,,das Selbst” im Sinne dieser affektiven Ichidentitat nur auf der Basis von Liebe und Achtung durch die primaren Bezugspersonen moglich ist". Und da Lebenssinn, wenn nicht iiberhaupt eine Art Stimmung, so doch jedenfalls emotional fundiert ist, leuchtet es ein, da8 es ihn nur auf der Basis von emotionaler

Ichidentitat gibt. Mit der Fundierung von voluntativer in emotionaler Ichidentitat ist nun fiir die Begriindung der Ethik erst dann etwas gewonnen, wenn ge-

zeigt werden kann, daf die fiir deren Konstitution fundamentale Liebe,

Achtung und Anerkennung einen moralischen Gehalt haben. Das scheint mir nun offensichtlich der Fall zu sein. Eine Bejahung in der primaren

Sozialisation, die emotionale Ichidentitat vermittelt, besteht vor allem in

der Achtung vor den Wiinschen, Impulsen und Initiativen des Kindes. Damit vermittelt sie ihm ein tiefsitzendes Gefiihl fiir das Recht darauf

zu sein, wie es sein will, und in diesem Sinne fiir seine Freiheit oder

Autonomie. Dariiber hinaus besteht sie in der Bereitschaft und dem Bediirfnis, die Bediirfnisse des Kindes zu befriedigen, und vermittelt da-

111 R.D. Laing, Das geteilte Selbst, Kéln ('72); M. Mahler, Symbiose und Indivi-

duation, Stuttgart (‘72); A. Miller, Das Drama des begabten Kindes und die Suche nach dem wahren Selbst, Frankfurt (’79); H. Kohut, Die Heilung des

Selbst, Frankfurt ('79); vgl. Anm. 72.

264

durch ein fundamentales Vertrauen in sein Recht, seine grundlegenden Bediirfnisse befriedigen zu kénnen. Natiirlich ist diese RechtsgewiSheit

noch kein entwickeltes moralisches BewuS8tsein, aber sie ist die entschei-

dende Voraussetzung dafiir, da8 das Kind dann, wenn es weit genug entwickelt ist, auch alle anderen ebenso behandelt oder es jedenfalls fiir richtig halt, dies zu tun. Auch das Prinzip einer rationalen Moral kann letztlich nichts anderes sein als die Operationalisierung der Idee eines Maximums gleicher kompossibler Freiheit und Bediirfnisbefriedigung. Daf ein konstitutiver Zusammenhang zwischen dem moralischen Bewu8tsein und emotionaler Ichidentitat besteht, zeigt sich m. E. noch an folgenden Phinomenen. Schmitz hat gezeigt, da8 unsere moralischen

Evidenzen vor allem auf zwei Gefiihle zuriickgehen: Zorn und Scham.

Im Zorn erfahren wir das Unrecht, das andere tun, und in der Scham das,

was wir selbst tun “”. Nun ist das Vorherrschen scher Weise mit Entwicklungsphasen verkniipft, tionale Identitat sich entwickelt oder umbildet: phasen, der Pubertat usw. Daf diese typisch mit

dieser Gefiihle in typiin denen die eigene emoden klassischen Trotzden moralischen Haupt-

gefiihlen von Zorn und Scham verbunden sind, belegt den Zusammen-

hang von emotionaler Ichidentitat und moralischen Intentionen. Vermutlich wird die skizzierte Begriindung der Moralitat den Einwand

herausfordern, da8 sie darauf hinauslauft, klassische Topoi in modernem Gewande wieder aufzuwarmen, namlich die von der Tugend als dem

wahren Gliick, dem Unrecht tun, das schlimmer sei als Unrecht leiden,

usw. Ich meine in der Tat, daf es in entscheidender Hinsicht schlimmer ist, Unrecht zu tun, als Unrecht zu leiden. Zwar bereitet Unrecht leiden eher Schmerz oder Ungliick als Unrecht tun, und Unrecht tun bereitet

eher Lust und Gliick als Recht tun. Aber Unrecht leiden beschadigt im Gegensatz zum Unrecht tun nur im Extremfalle die eigene Identitat und den Sinn des eigenen Lebens. Und da Sinn notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung von Gliick ist, so verschafft zwar Recht tun kein

Gliick, aber durch Unrecht tun wird es tatsachlich untergraben. An dieser Stelle drangt sich wieder die Frage auf, ob die Begriindung der Giiltigkeit moralischer Normen nicht nur um den Preis gelingt, die spezifisch moralische Intention aufzulésen und letzten Endes die moralischen Fragen wieder zu solchen der Klugheit zu machen. Denn wenn es nur deshalb (im sittlidien Normalzustand) verniinftig ist, moralisch zu sein, weil dies notwendige Bedingung

fiir Ichidentitat, Lebenssinn, Zu-

friedenheit und damit letztlich auch fiir Gliick ist, so handelt man mora-

312 Schmitz ('73) § 172. 265

lisch, falls man dies in aufgeklarter und insofern rationaler und auto-

nomer Weise tut, eben nur, weil dies notwendige Bedingung fiir Ichidentitat, Sinn, Zufriedenheit und Gliick ist. Und das scheint gleichbe-

deutend damit, da& man so handelt, um das zu erreichen, fiir das dies

Handeln

notwendige

Bedingung

ist. Dann

aber

ware

der Endzweck

moralischen Handelns nicht mehr der, die Rechte anderer zu respektie-

ren und damit einen verniinftigen Konsens mit allen zu ermdglichen, sondern dieser Endzweck lage in der Erhaltung oder Erzeugung eigener Attribute. Diese Argumentation

scheint indes vorauszusetzen, da8 die Giiltig-

keit moralischer Normen noch etwas anderes ist als die strukturelle Notwendigkeit des Glaubens daran, da& es richtig ist, nach diesen Normen

zu handeln; und da8 deshalb ein Handeln aus einem moralischen Motiv

etwas anderes ist als ein Handeln aus dem Grunde, da8 dies notwendige

Bedingung fiir Ichidentitat usw. ist. Aber diese Voraussetzung ist vielleicht nur eine Naivitat. Allerdings kénnte es sein, da8 es mehrere not-

wendige Bedingungen fiir Ichidentitat gibt und da8 deshalb die moralische Intention bisher noch nicht spezifisch genug umschrieben wurde. Aus der gegebenen Begriindung dafiir, da8 Moralitat notwendige Bedingung fiir Ichidentitat ist, ergibt sich in der Tat sofort, da8 sie nicht die einzige notwendige Bedingung ist. Denn die Notwendigkeit meines Anerkennens

der Rechte

anderer ist nur die Folge davon,

da8 das An-

erkanntsein durch andere fiir mich notwendige Bedingung mindestens fiir die Genese von emotionaler Ichidentitat ist. Ebensowenig wie ich um-

hinkann zu glauben, da& es richtig ist, andere moralisch anzuerkennen, kann ich auch umhin zu glauben, da& es richtig ist, von anderen moralisch anerkannt zu werden. Aber das ist kein Einwand gegen die Eindeutigkeit der vorgeschlage-

nen Analyse der moralischen Intention. Denn in dem BewuStsein von

Pflichten anderen gegeniiber ist natiirlich das Bewu8tsein eigener Rechte implizit enthalten. Um erfolgreich zu sein, miiSte sich der Einwand also etwa auf ein Bediirfnis nach Anerkanntwerden beziehen, dessen Befriedigung ebenso wie das moralische Anerkennen und Handeln notwendige

Bedingung von Ichidentitat usw. ist, dessen Realisierung jedoch dem anerkannten Moralprinzip widersprechen kann; denn dann ware es ebenso wkategorisch” richtig, nach diesem Bediirfnis zu handeln, wie nach dem

Moralprinzip, obwohl sich beide widersprechen.

Diesem Einwand kann ich dadurch begegnen, da8 ich zugebe, da es

jedenfalls dann nicht tiberzeugend begriindet ist, moralisch zu sein, wenn

ein Anerkanntsein fehlt, das notwendige Bedingung fiir Ichidentitat ist. Denn dann hatte nichts mehr einen Sinn, oder jedenfalls ware ein Zu-

stand hoffnungslos zerstérter Sittlichkeit gegeben, in dem es keinen zwingenden Grund mehr gibt, moralisch zu sein (s. I, 5). Die gegebene 266

Rekonstruktion des moralphilosophischen Motivationsproblems i. S. He-

gels ist also auch relevant dafiir, den Verdacht zu entkraften, da8 die

vorgeschlagene Begriindung der Giiltigkeit des moralischen Standpunkts moralische Begriindungen letztlich auf solche bloSer Klugheit teduziert. Fichte hat nun das Motivationsproblem nicht gesehen, und er war natiirlich von dem Begriff der emotionalen Ichidentitat der heutigen psychoanalytisch orientierten Sozialisationsforschung weit entfernt. Fichte war jedoch der erste Theoretiker, der versucht hat zu zeigen, da8 sich Per-

sonen nur in wechselseitiger Anerkennung konstituieren, sich und andere als solche erkennen, ein Bewu8tsein von Rechten und Pflichten entwickeln und ihre ,,Ichheit”, ,Selbstindigkeit” und ,,Individualitat” her-

ausbilden kénnen. Fichtes Anerkennungslehre hat ihre besondere Funk-

tion auch zuniachst in seinem Naturrecht (vgl. den nachsten Abschnitt).

Aber er nimmt sie in seiner Sittenlehre wieder auf im Rahmen der Frage-

stellung nach den ,,Bedingungen der Ichheit, in ihrer Beziehung auf den

Trieb nach absoluter Selbstandigkeit” (Sl 606 ff.). Fichte behandelt also Anerkennung als Bedingung von Ichidentitat, um deren Beziehung zur (moralischen) Autonomie aufzuklaren. Es ist Fichte allerdings nicht gelungen, dazu eine konsistente Theorie zu entwickeln. Dafiir fehlt ihm vor allem der Zusammenhang von voluntativer Ichidentitdt und Sinn bzw. emotionaler Ichidentitat. Fichte kann deshalb héchstens zeigen, da8 in jedem Wollen, das Moment der prakti-

schen Ichidentitat ist, die Giiltigkeit moralischer Prinzipien anerkannt ist.

Aber daraus ergibt sich eine Begriindung fiir moralisches Handeln nur dann, wenn man voraussetzt, da8 es geboten oder jedenfalls verniinftig

ist, nach maximaler

Selbstdurchsichtigkeit in praktischen Urteilen und

ebensolcher Konsistenz im Handeln zu streben. Es ist deshalb nur folgerichtig, da& Fichte die Normen aufstellt: ,,Handle nach deinem Gewissen”

(Sl 550) bzw. ,Der Mensch soll stets einig mit sich selbst sein, er soll sich nie widersprechen” (BG 224). Aber tatsichlich gibt es keinen verniinftigen Grund dafiir, unbedingt nach der Durchsichtigkeit der eigenen Intentionen zu streben und unbedingt konsistent im Urteilen, Wollen und Handeln zu sein. Jedenfalls handelt es sich bei den entsprechenden

Normen

sind.

oder Werturteilen nicht um

solche, die moralisch begriindet

Fichte kann die Verniinftigkeit moralischen Handelns also nur dadurch

begriinden, da& er eine bestimmte, durchaus problematische, nichtmoralische Motivation voraussetzt. Es ist klar, da8 unter diesen Voraussetzun-

gen das eigentliche moralphilosophische Motivationsproblem nicht gestellt werden kann. Das ist bei Fichte noch weniger der Fall als bei Kant. Es ist Fichte auch nicht gelungen, die Orientierung an der Rechtsform zu verlassen, ohne die Rationalitat des PflichtbewuStseins iiberhaupt preis267

zugeben. In seiner friihen Revolutionsschrift ist es Fichte selbstverstandlich, Fragen der Klugheit und der Moral so zu unterscheiden, da8 wir bei

der Frage der Klugheit ,,keinem verantwortlich sind, als allenfalls uns

selbst; da hingegen etwas Pflichtmafiges der andere von uns fordern

und als Schuldigkeit begehren darf, fiihlt jeder, wenn er es auch nicht immer zugestehen sollte” (Beitrag 47).

In der Sittenlehre von 1798 hat Fichte sogar Kants Rigorismus durch die Thesen iibersteigert, da8 jeder nur insofern fiir sein Wohl sorgen darf, als er Werkzeug des Sittengesetzes ist '*, und da8 sich der sittliche Wille auf die ,Moralitat aller verniinftigen Wesen” (Sl 627) richten soll **, Fichte hat an dieser Lehre auch spiter festgehalten "*. Andererseits hat Fichte angedeutet, da8 die Moralitit, die Kants Lehre expliziert,

durch ihre Orientierung an Recht und Gesetz inhaltlich begrenzt sei "*

113

Fichte versucht damit eine Rekonstruktion des christlichen Liebesgebots: ,Es tritt hier zunadchst der Satz ein: sorge flir das Wohl jedes deiner Nebenmenschen geradeso, wie du fiir das deine sorgst; liebe deinen Nachsten, wie dich

selbst,

der hinfort bei allen positiven Pflichten gegen

wird. Der Grund davon ist angegeben.

Ich kann und

andere

Regulativ sein

darf fiir mich selbst sor-

gen, lediglich weil, und inwiefern ici Werkzeug des Sittengesetzes bin: dies aber ist jeder andere Mensch auch” (SI 675). Kant war der wirklichen Sachlage

schon niher gekommen, vgl. KpV 205 ff.

114 Wie wir gesehen haben, liegt die Intention auf die Moralitat anderer tatsachlich in jeder moralischen Intention. Wie Fichtes Formulierungen und die Begriindungsversuche

fiir

seine

These

zeigen,

meint

er

jedoch

absurderweise

eine

Pflicht, fiir die Moralitat anderer zu sorgen (SI 624 ff.). Fichte nennt folgenden

fragwiirdigen Satz den ,wichtigen, unserer Darstellung der Moral charakteristi-

schen*: ,Die Ubereinstimmung aller zu derselben praktischen Uberzeugung, und die daraus folgende Gleichférmigkeit des Handelns ist notwendiges Ziel aller Tugendhaften“ (SI 630). 115 Noch in der Sittenlehre von 1812 hat Fichte als die spezifische Oberzeugung seiner Ethik angegeben: ,Der Sittliche will darum durchaus die Sittlichkeit Aller” (AW VI, S. 77).

116 Fichte schreibt in seiner Anweisung

zum seligen Leben (AW V, S.178 f.): ,Die

zweite, aus der urspriinglichen Spaltung méglicher Ansichten der Welt hervorgehende Ansicht ist die, da man die Welt erfasset als ein Gesetz der Ordnung und des gleichen Rechts in einem Systeme verniinftiger Wesen [...] In Absicht

der

aus

dieser

Ansicht

hervorgehenden

Wissenschaften

gehért

hierher

nicht

blo8 die Rechtslehre, als aufstellend die juridischen Verhaltnisse der Menschen, sondern auch die gewoéhnliche Sittenlehre, die nur darauf ausgeht, da& keiner dem andern Unrecht tue, und nur jeder das Pflichtwidrige, ob es nun durch ein

ausdriickliches

Gesetz des

Staats

verboten sei oder

nicht, unterlasse.

[...]

In

der philosophischen Literatur ist Kant [...] das getroffenste und konsequenteste Beispiel dieser Denkart;

— den eigentlichen Charakter dieser Denkart,

den wir

oben so ausdriickten, da& die Realitét und Selbstandigkeit des Menschen nur durch das in ihm waltende Sittengesetz bewiesen, und da er lediglich dadurch etwas an sich werde, driickt Kant aus mit denselben Worten.” 268

und

keine

,positive

Selbstachtung” "’

hervorbringen

kiénne.

Die

whdhere” Moralitat, die Fichte von dieser rechtsférmigen Moral unterscheidet, faSt er jedoch iiberhaupt nicht mehr in Terminis rationaler Normen "™*, Die ,,Vollendung der Freiheit” " in der sog. hdheren Moralitat

ist deshalb beim spiiten Fichte die Auflésung jeder moralischen Rationalitat und wohl von praktischer Rationalitat iiberhaupt *.

117 Ebd. S. 215: , Wir miissen uns verachten, wenn wir nicht nach dem Gesetze einhergehen, und sind dieser Selbstverachtung entledigt, wenn wir damit tibereinstimmen. [...] Allenthalben, wo man von positiver Selbstachtung spricht, meint man nur, und kann man nur meinen, die Abwesenheit der Selbstverachtung.” 118 Ebd. S. 244: ~Und so ist es denn der allererste Akt der héhern Moralitat, wel-

cher auch unausbleiblich, wenn nur der eigne Wille aufgegeben ist, sich findet, da der Mensch seine ihm eigentiimliche Bestimmung ergreife, und durchaus nichts anderes sein wolle, als dasjenige, was er, und nur Er, sein kann, was er und nur Er, zufolge seiner héheren Natur, das ist des Gottlichen in ihm, sein soll: kurz, da8 er eben gar nichts wolle als das, was er recht im Grunde wirklich will.”

119 Ebd. S. 230. 120

Hegel hat deshalb mit seinem, freilich arroganten Urteil iiber die Spatphiloso-

phie Fichtes im Prinzip — jedenfalls, was die Ethik betrifft — recht: ,In seinen spateren, popularen Schriften hat Fichte Glaube, Liebe, Hoffnung, Religion aufgestellt, ohne philosophisches Interesse, fiir ein allgemeines Publikum, eine Philosophie ftir aufgeklirte Juden und Jiidinnen, Staatsriite, Kotzebue” (GeschdPh III, 413). An solchen Spott erinnert man sich gern bei der Lektiire neuerer Fichteaner. So schreibt W.G. Jacobs in seiner Arbeit ,Trieb als sittliches Phinomen”, Bonn ('67) S.171: ,Deshalb geht auch die sittliche Handlung

nicht primar auf Freiheit, Selbstindigkeit und Selbsttatigkeit des Ich, sondern

auf die Liebe. Somit greift eine Formulierung des Prinzips der Sittlichkeit, wie Fichte sie 1794—98 gibt, zu kurz. Die Intelligenz darf ihre Freiheit nur um der Liebe willen bestimmen; denn diese ist das Prinzip der Sittlichkeit, weil sie die unmittelbare

Erscheinung des Absoluten

ist. Da

aber Fichte in der ersten

Phase

seines Philosophierens die Erscheinung nicht als die des Absoluten begreift, konnte er zu keinem hdheren Prinzip der Sittlichkeit gelangen.” Man vermift bei Jacobs den Beweis, da8 1. Liebe das ,Prinzip der Sittlichkeit” und 2. die »unmittelbare Erscheinung des Absoluten” ist, sowie 3. das Begriindungsverhiltnis von 2 und 1. Solange solche Beweise nicht geleistet sind, ist eine kantianische Limitation der Ethik vorzuziehen. Da8 man damit freilich Fichtes Geist und Buchstaben nicht gerecht wird, mu& man auch gegeniiber G. Gurvitschs neukantianischer Arbeit ,,Fichtes System der konkreten Ethik”, Tiibingen (‘24), betonen. U. a. die Passage der Sittenlehre von

1612 iiber das sittlichhe Verhdltnis verschiedener Personen: ,In dieser Lage hat jeder seinen besonderen geistigen Charakter, die Aufgabe aber ist, da8 alle

diesen Charakter in Einen verschmelzen”

(AW. VI, 73) kommentiert Gurvitsch

namlich so: ,In diesen etwas unvorsichtigen Formulierungen ist nichts anderes als die Herstellung der transpersonalen empirischen Gemeinschaftseinheit der realen Ganzheit gemeint, in der erst die personalen empirischen Individualitaten midglich werden” (G. Gurvitsch S. 325). Fichte geht es hier jedoch nicht nur um die konkreten Bestimmungen der Individualitdten, sondern um die Moglichkeit transsubjektiver Motivation. Auch die Passage aus den ,Reden

269

an die deutsche

4.2 Anerkennung als Erkenntnisbedingung

von Subjektivitat und das Prinzip von Fichtes Rechtslehre In Fichtes Grundlegung seiner praktischen Philosophie nimmt die Theorie intersubjektiver Anerkennung eine ambivalente Rolle ein. Fichte entwickelt sie zuerst in den SchluSparagraphen des ersten Hauptstiickes sei-

ner ,,Grundlage des Naturrechts” von 1796, das die ,,Deduktion des Be-

griffs vom Rechte” behandelt. Diese Theorie ist jedoch nur partiell speziell rechtsphilosophischen Inhalts. Fichte nimmt bei dem konkreten Aufbau seiner Rechtsphilosophie nur eine Konsequenz dieser Theorie in Anspruch, namlich die These von der Rechtlosigkeit des Rechtsbrechers. Diese Konsequenz folgt jedoch ebenso aus den hobbesianischen Praimissen, die Fichte dort voraussetzt ™. In der Sittenlehre von 1798 wird die Anerkennungslehre

dann erneut entwickelt, und zwar im Zusammen-

hang der Frage nach dem ,,Materialen des Sittengesetzes”. Die Anerkennungslehre ist bei Fichte also offenbar ein Kernstiick seiner Grundlegung der praktischen Philosophie, das seine Trennung zwischen Recht und Ethik in gewisser Hinsicht iibergreift. Ich werde in diesem Abschnitt zeigen, da8 es Fichte nicht gelingt, mithilfe der Theorie der Anerkennung das spezielle Prinzip seiner Rechtslehre zu begriinden. Die Bedeutung der Anerkennungslehre liegt deshalb zunachst in einer

Theorie der Konstitution und Selbsterfahrung des praktischen, insbes.

des rechtlich-moralischen Bewu8tseins. In dieser Hinsicht ist sie auch vor allem von Hegel rezipiert worden. Im nachsten Abschnitt werde ich dartiberhinaus zeigen, da8 Fichtes Anerkennungslehre auf eine Explikation und eine Begriindung der Giiltigkeit des Bewu8tseins von Recht und Pflicht zielt. 1.) Fichte will im § 3 seines Naturrechts zeigen, da8 ein Subjekt seiner selbst nur bewuSt werden kann, wenn es dazu aufgefordert wird, frei selbsttatig zu sein (Nr 37, 43). Dieser Beweis scheint die entscheidende Nation“: ,Es ist durchaus vergeblich, dem, der nicht in der Liebe ist, zu sagen, handle moralisch, denn nur in der Liebe geht die moralische Welt auf und ohne sie gibt es keine” sucht Gurvitsch kantianisch zu reduzieren: ,Diese Worte besagen nur [...] Keineswegs also hat die Liebe in dieser Bedeutung eine von der sittlichen Aktivitét unabhangige Rolle bei der Erfassung der ethischen Reinheit: sie bildet nur das Korrelat und die Begleiterscheinung dieser Aktivitat, mit der sie zusammenflie8t” (Gurvitsch S. 356). Im Gegensatz dazu habe ich gezeigt, da& mindestens die Intention auf nichtinstitutionelle Sittlichkeit notwendige Bedingung fiir rationale moralische Motivation ist (s. I, 5). 121 Vgl. R. Schottky (62), La ,Grundlage des Naturechts’ de Fichte et la philosophie politique de l'Aufklarung, in: Archives de philosophie, 25 Jg. Paris; ders. (’63), Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie im 17. u. 18. Jahrhundert: Hobbes, Locke, Rousseau, Fichte, Phil. Diss., Miinchen, S.142. Zum Verhiltnis von Hobbes’ und Fichtes Vertragstheorie s, a. Baurmanns S. 185 ff.

270

Pramisse fiir den Beweis des § 4, da8 verniinftige Individualitét nur im Rahmen einer intersubjektiven Anerkennung von Rechten miglich ist. Wir wollen Fichtes Argumentation im einzelnen priifen, um dabei die,

in ihr eher verborgenen als explizierten, tragfahigen Gedanken herauszuschalen “*. Dabei werden wir uns auch schon auf die Darstellung des § 18 III der Sittenlehre von 1798 beziehen.

Fichte setzt seine Deduktion nicht direkt an einem Problem des Selbst-

bewuB8tseins

an, sondern

bereits

an einem

Problem

des Bewu8tseins

iiberhaupt. BewuB8tsein eines Objektes ist nach Fichte unméglich, ohne da& das Subjekt sich eine freie Wirksamkeit zuschreibt (Nr 34). Wie aber ist dieses BewuB8tsein eigener freier Wirksamkeit méglich, wenn

doch alles BewuBtsein BewuBtsein eines Objektes ist und Bewu8tsein

eines Objektes nach Fichte gerade bedeutet, da& die eigene Titigkeit ge-

hemmt

ist?

Fichtes

Antwort

freien Wirksamkeit” (Nr 37).

lautet:

durch

eine

,,Aufforderung”

zur

Die Frage, wie BewuS8tsein méglich ist, beantwortet Fichte also durch den zirkularen Rekurs auf ein SelbstbewuStsein, das so bestimmt ist,

da& es wiederum eines scheint jedoch auch einen bewuftsein, die nicht als schlossen ist, in Anspruch

anderen zu seiner Méglichkeit bedarf. Fichte direkten Beweis aus der Struktur von SelbstBedingung der Méglichkeit von BewuBtsein erzu nehmen: ,,Urspriinglich kann ich mich nicht

selbst durch freie ideale Tatigkeit bestimmen, sondern ich mu8 mich finden, als bestimmtes Objekt: und da ich nur Ich bin, inwiefern ich frei

bin, mu8 ich mich frei finden, mir als frei gegeben werden; so sonderbar dies auch auf den ersten Anschein vorkommen mige” (SI 613, vglNr 37).

122

In der Fichteforschung der Gegenwart

hat der Aufsatz

von R. Lauth

,Le pro-

bléme de linterpersonnalité chez J.G.Fichte” (in: Archives de philosophie, Julliet-Décembre (‘62) S. 325-44) einige Autoritat gewonnen. So zitiert H. Girndt schlicht eine ganze, sehr unklare Seite dieses Aufsatzes und fahrt dann lakonisch fort: ,Damit ist erwiesen, da8 das Vernunftwesen sich nur unter Voraussetzung eines an dasselbe geschehenden Aufrufes setzen kann” (H. Girndt,

Die Differenz des Fichteschen und Hegelschen Systems der Philosophie in der Hegelschen ,Differenzschrift”, Bonn ('67) S.98; zur Kritik an Girndt vgl. H. Braun, Differenzen. Zu einem Buch von H. Girndt, in: Hegel-Studien Bd. 4 (67)). Auch die detaillierte Monographie von Hunter ist wegen ihrer dogmati-

schen Darstellungsweise und hermetischen Terminologie leider kaum brauchbar (C. K. Hunter, Der Interpersonalitatsbeweis in Fichtes friiher angewandter prak-

tischer Philosophie, Meisenheim a. Glan (’73)). Niitzlicher ist die altere Monographie von W. Weischedel, Der frithe Fichte. Aufbruch der Freiheit zur Ge-

meinschaft, Stuttgart ('73*), Leipzig ('39); vgl. auch die eindrucksvolle Gesamtdarstellung von H. Heimsoeth (‘23), Fichte, Miinchen. Eine knappe Diskussion von Fichtes Lehrstiick findet man bei Baumanns S. 166 ff. und H. J. Verweyen,

Recht und Sittlichkeit in J. G. Fichtes Gesellschaftslehre, Miinchen ('75) S. 87 ff., 145 ff.

271

Beide Beweise beruhen auf fragwiirdigen Pramissen. Fichte gelingt weder ein Beweis dafiir, da8 jedes Bewu8tsein ein Bewu8tsein gehemmter Wirksamkeit voraussetzt, noch dafiir, da8 SelbstbewuStsein notwendi-

gerweise ein Sich-als-frei-Finden ist. Zwar ist Selbstbewu8tsein notwendig ein ,,Sichfinden”, namlich ein unmittelbares Wissen; dies Sichfin-

den bedeutet aber nicht notwendig ein BewuStsein der Einschrankung

eigener Tatigkeit; da Selbstbewuftsein nicht als solches schon freies Selbstbestimmen ist, findet es sich auch nicht einmal notwendig als frei tatig.

Fichtes These von der Bedingtheit von Selbstbewu8tsein durch die Erfahrung des Verhaltens anderer Personen wird jedoch dann iiberzeugend, wenn man die Bestimmungen, die Fichte als Merkmale von Selbstbewu8tsein iiberhaupt ansieht, als Merkmale spezifischer Formen von

praktischer Selbstbeziehung nimmt. SelbstbewuBtsein ist nach Fichte ein Handeln auf sich, ein Verhalten zu sich selbst. In unserem Jahrhundert

hat insbesondere G. H. Mead gezeigt, da8 das Verhalten einer Person

zu sich selbst nur durch deren Internalisierung des Verhaltens einer anderen Person zu ihr gelernt werden kann '. SelbstbewuB8tsein ist nach Fichte weiterhin wesentlich freie Selbstbestimmung. Versteht man nun unter ,,Freiheit” nicht nur Selbstbestim-

mung im formalen Sinne, d. h. Willkiir, sondern rationales Wollen, so ergibt sich ein weiterer Grund dafiir, da8 das fichtesche SelbstbewuSt-

sein nur interpersonal mdglich ist. Rationales Wollen hei8t namlich Wol-

len auf der Basis richtiger Griinde. Das Wissen davon, da8 ein bestimmtes Motiv ein Grund ist, setzt eine Kenntnis dessen voraus, was iiber-

haupt ein praktischer Grund ist. Diese Kenntnis ist gleichbedeutend da-

mit, da ich den Unterschied lerne zwischen dem Sachverhalt, da& ich etwas tun will, und dem, da8 es richtig ist, da& ich es tue; ich lerne so,

was praktische Vernunft ist. Vernunft kann ich jedoch nur in Erfahrungen einer intersubjektiven Begriindungspraxis lernen. Das entsprechende Lehren ist in dem mindestens

enthalten, was man ,Erziehung”

nennt. Fichte legt allerdings Wert darauf, da& diese nicht nur das Lehren von praktischer Verniinftigkeit, sondern auch eine ,,Aufforderung” dazu enthalt (Nr 43 f.). 2.) Fichte benutzt seine These iiber die interpersonale Konstitution von (praktischem) ,,Selbstbewu8tsein” zunichst dazu, das Problem des Wissens von der Existenz anderer Personen zu lésen. Diese Argumentation kann man auf zweierlei Weise verstehen. Fichte versucht selbst, aus

seinem Beweis ein hinreichendes Kriterium dafiir zu gewinnen, da8 ein bestimmtes Objekt ein von mir verschiedenes Vernunftwesen ist. Dies

123

G.H. Mead, Geist, Identitat und Gesellschaft, Frankfurt

272

a. M. ('68).

Kriterium soll darin liegen, da8 die Wirkung des Objekts auf mich eine

Erkenntnis zum Zweck hat, insbesondere den Zweck, die Ursache dieser

Einwirkung als solche zu erkennen (Nr 42), also hier als ,,Aufforderung zur Selbsttatigkeit”. Es liegt jedoch auf der Hand, da& die Erkenntnis anderer Subjekte aufgrund ihrer praktischen Intentionen mir gegeniiber nicht geringeren Schwierigkeiten unterliegt als die Erkenntnis anderer Subjekte aufgrund ihrer sonstigen mentalen Zustinde bzw. des diese Zustainde ausdriickenden Verhaltens . Fichte hat in der Sittenlehre auch selbst ausgefiihrt, da8 eine unmittelbare Einwirkung eines an-

deren Subjekts auf mich fiir dessen Erkenntnis durch mich gar nicht ndtig ist, ,nachdem ich nun einmal den Begriff von wirklichen verniinf-

tigen Wesen aufer mir habe” (Sl 617). Das eigentliche philosophische Problem besteht also nicht darin, wie

ich ein bestimmtes anderes Subjekt als solches erkennen kann, sondern

wie ich dazu komme, einen Begriff von anderen Personen iiberhaupt zu haben. Diesen Begriff nun bekomme ich durch denselben Vorgang, durch

den ich zum ,,praktischen Selbstbewu8tsein” komme, d. h. hier zum Ver-

halten zu mir selbst und insbesondre zum BewuStsein von praktischer Vernunft und zum rationalen Wollen. Aufgrund eigenen praktischen Selbstbewu8tseins habe ich zwar nicht GewiSheit von der Existenz bestimmter anderer Personen,

aber Gewifheit davon, da8 es iiberhaupt

andere Personen gibt *. Fichte benutzt seine These iiber die interpersonale Konstitution von praktischem SelbstbewuBtsein, wie bereits anfangs erwahnt, zweitens dazu, die Verpflichtung zu begriinden, die Freiheit des anderen zu respektieren. Fichte sagt dabei ausdriicklich, da8 ,,streng a priori” nur bewiesen ist, da8 wenigstens ein Individuum einmal auf ein Individuum eingewirkt haben mu&, das dadurch ein verniinftiges Individuum geworden ist. ,,Aber schon aus dem Deduzierten folgt eine Beschrinkung des Triebs nach Selbstandigkeit; also eine nahere materiale Bestimmung der Moralitat, die wir vorlaufig angeben wollen. Meine Ichheit und Selbstandigkeit iiberhaupt ist durch die Freiheit des anderen bedingt; mein Trieb nach Selbstandigkeit kann sonach schlechthin nicht darauf ausgehen, die Bedingung seiner eigenen Méglichkeit, d.i. die Freiheit des anderen, zu vernichten. Nun soll ich schlechthin nur zufolge des Triebs 124 Vgl. Baumanns

S. 183 Anm. 315.

125 Fichtes Gedanke ist hier zeitgendssischen Theorien verwandt, die aus der Wirk-

lichkeit eigenen Sprachverstandnisses und der Unmdglichkeit einer Privatsprache auf die Existenz anderer Sprachsubjekte schlieRen. Fichte scheint seine These in der Sittenlehre iibrigens wieder zuriickzunehmen, indem er das BewuStsein von anderen Personen als Projektion eigener Gewissenforderungen versteht (SI 626).

Fichte stellt hier seltsamerweise nicht die Frage nach der Méglichkeit dieses Gewissens.

273

nach Selbstindigkeit handeln, und schlechterdings nach keinem anderen Antriebe. Es liegt sonach in dieser Beschrinkung des Triebs das absolute

Verbot, die Freiheit des anderen zu stéren; das Gebot, ihn als selbstandig zu betrachten, und schlechthin nicht als Mittel fiir meinen Zweck zu

gebrauchen” (SI 615). Dieses Zitat bestatigt, da8 Fichtes Problem in seiner Interpersonalitatslehre nicht eigentlich das der Bedingungen von SelbstbewuStsein iiberhaupt ist, sondern das der Bedingungen eines spezifischen Selbstbe-

wuBtseins, das Fichte hier als ,.meine Ichheit und Selbstandigkeit iiber-

haupt” bezeichnet. Denn es heiSt, da8 ich schlechthin nur zufolge des

Triebs nach Selbstindigkeit handeln soll”. Dieses Sollen ware jedoch

ohne Adressaten und ohne Sinn, wenn ich nicht schon Selbstbewu8tsein

hatte. ,Ichheit” meint also eine komplexere Struktur (epistemischer)

Selbstbeziehung, und ,,Selbstandigkeit” meint die Grundlage praktischer Rationalitat, insbes. die Existenz als Rechtssubjekt.

Auch unter diesen Voraussetzungen ist Fichtes These jedoch nicht schliissig bewiesen. Nehmen wir an, da8 ich meine Selbstandigkeit nicht lernen kann, ohne die Selbstandigkeit des anderen dabei anzuerkennen. Daraus, da8 ich die Selbstandigkeit des anderen einmal anerkannt habe, folgt aber nicht, da8 ich sie auch weiterhin anerkenne oder anerkennen

sollte. Erst recht folgt nicht, wie Fichte selbst sagt, da8 ich auch die Selbstandigkeit Dritter anerkenne. Man kann zwar davon ausgehen, da8 die anderen mir ihre Anerkennung entziehen werden, wenn ich sie nicht meinerseits anerkenne. Um die Notwendigkeit durchgingiger Anerkennung anderer zu beweisen, miiSte Fichte hier jedoch zeigen, da8 ich auf die durchgangige Anerkennung durch andere angewiesen bin, um als

praktisches Vernunftwesen existieren zu kénnen. Da dies nicht der Fall ist und mit moralischem Handeln auch gar nicht vereinbar ware, ergibt sich eine Pflicht zur Anerkennung nur dann, wenn

man eine Pflicht zur praktischen Rationalitat voraussetzt, wie Fichte dies

u. a. mit der Annahme einer Pflicht tut, ausschlieSlich nach dem Trieb zur Selbstandigkeit zu handeln. Es ist jedoch nicht zu sehen, wie diese Voraussetzung begriindet werden kann. Es kann nun leicht iibersehen werden, daf Fichtes These von der interpersonalen Konstitution des praktischen SelbstbewuStseins in seinem

,Naturrecht” — im Unterschied zur ,,Sittenlehre” — nicht darauf zielt,

eine generelle Verpflichtung zur Anerkennung zu beweisen, sei es gegeniiber dem urspriinglich auffordernden Vernunftwesen oder auch allen Vernunftwesen. Vielmehr will Fichte gerade zeigen, da8 Anerkennung in rationaler Weise nur gegenseitig sein kann: ,,Das Verhiltnis freier Wesen zueinander ist demnach notwendig auf folgende Weise bestimmt,

und wird gesetzt, als so bestimmt: Die Erkenntnis des einen Individuums vom anderen ist bedingt dadurch, da8 das andere es als ein freies behan-

274

dele (d.i. seine Freiheit beschrinke durch den Begriff der Freiheit des ersten). Diese Weise der Behandlung aber ist bedingt durch die Handelsweise des ersten gegen das andere; diese durch die Handelsweise und durch die Erkenntnis des anderen, und so ins Unendliche fort. Das Ver-

haltnis freier Wesen zueinander ist daher das Verhiltnis einer Wechselwirkung durch Intelligenz und Freiheit. Keines kann das andere anerkennen, wenn nicht beide sich gegenseitig anerkennen: und keines kann das andere behandeln als ein freies Wesen, wenn nicht beide sich gegenseitig so behandeln” (Nr 48). Fichte vollzieht dabei wieder fast unmerklich eine Verschiebung seiner Fragestellung. Es geht hier nicht mehr um die Frage, wie ein Subjekt in der Erfahrung der anderen seine eigene Freiheit und Vernunft erfahren kann, sondern darum, wie es ein anderes Subjekt als solches erkennen

kann. Die Antworten auf diese beiden Fragen hangen zwar bei Fichte

durch die These zusammen, da8 man seine eigene Freiheit nur erfahren

kann, indem man in dem Verstehen einer Aufforderung zur Freiheit das Subjekt dieser Aufforderung als freies Vernunftsubjekt erkennt. Es ware jedoch durchaus denkbar, da8 man sich in dieser Interpretation von etwas als Aufforderung zur Freiheit tauscht. Fichte formuliert nun eine Bedingung dafiir, da8 diese Interpretation des begegnenden Objekts als Vernunftsubjekt richtig ist. Die Aufforderung der freien Tatigkeit ist nur dann verniinftig, wenn es sich bei

dem Aufgeforderten tatsachlich um ein Vernunftsubjekt handelt. Da& dies so ist, kann der Auffordernde

letztlich nur daran sehen, da& der

Aufgeforderte ihn ebenfalls als freies Wesen behandelt. Um dies rational tun zu kénnen, mu8 der Aufgeforderte den Auffordernden als freies

Wesen

erkennen.

Dies kann er letztlich wieder nur dadurch, da

der

Auffordernde den Aufgeforderten als freies Wesen behandelt. Fichtes Uberlegung 1a8t sich zwar noch im Rahmen des Modells der »Erziehung” interpretieren. Denn auch Erziehung setzt dann, wenn sie sich von Dressur grundsitzlich unterscheidet, ein Verhiltnis gegenseitiger Anerkennung voraus. Fichte spricht aber in der zitierten Passage — im Unterschied zu der Seite davor (Nr 47) — gar nicht mehr speziell von einer Aufforderung zur Freiheit, sondern allgemein von einer Behandlung als freies Wesen. Diese Behandlung des anderen als freies Wesen nennt Fichte ,Anerkennung”. Da man nun jemand nicht rational anerkennen kann, ohne ihn als freies Vernunftwesen erkannt zu haben, diese

Erkenntnis jedoch voraussetzt, da8 der andere einen selbst anerkennt,

ist Anerkennung nur als wechselseitige Anerkennung rational méglich. Fichte sagt nun, da& auf diesem Begriff der wechselseitigen Anerkennung ,,unsere ganze Theorie des Rechts” beruht (Nr 48). ,.Das deduzierte Verhaltnis zwischen verniinftigen Wesen, da jedes seine Freiheit durch den Begriff der Méglichkeit der Freiheit des anderen beschranke, 275

unter der Bedingung, da8 das erstere die seinige gleichfalls durch die des

anderen beschrinke, hei&t das Rechtsverhdltnis; und die jetzt aufgestellte

Formel ist der Rechtssatz” (Nr 56). Diesen Rechtsbegriff benutzt Fichte dann auch ausdriicklich im systematisch zentralen § 12 des Naturrechts,

der unter dem Titel ,,Obergang zur Untersuchung des Zwangsrechts

durch die Idee eines Gleichgewichts des Rechts” den Ubergang des vor-

gesellschaftlichen

,,Urrechts”

zum

gesellschaftlichen

Recht

vollzieht:

»Also — alles Rechtsverhaltnis zwischen bestimmten Personen ist bedingt durch ihre wechselseitige Anerkennung durcheinander, durch dieselbe aber auch vollkommen bestimmt” (Nr 127). Fichtes Begriindung fiir seinen ,,Rechtssatz” ist jedoch nicht schliissig. Selbst wenn man zugibt, da8 ich die Verniinftigkeit eines Wesens letztlichh nur daran erkennen kann, da8 es andere Vernunftwesen als

solche anerkennt, so ist es dafiir nicht erforderlich, da8 es gerade mich

als verniinftig anerkennt. Zweitens folgt aus der notwendigen Wechsel-

seitigkeit von rationaler Anerkennung nicht, da8 dann, wenn der andere mich anerkennt, ich ihn auch meinerseits anerkennen mu8 oder soll.

Ebensowenig folgt, da8 eine einmal etablierte rationale Anerkennung von Dauer sein mu& oder soll.

Es fragt sich auch, wie Fichte von dem Begriff der ,Anerkennung” zu

dem der ,,Anerkennung von Rechten” iibergehen kann (explizit ab Nr 53). , Anerkennung” bezieht sich immer auf die Frage der Legitimitat von Anspriichen. Diese Anspriiche kénnen Rechtsanspriiche sein, aber auch Anspriiche darauf, eine Fahigkeit zu haben oder eine Leistung vollbracht zu haben. Deshalb spricht man nicht nur von der Anerkennung

von Rechten, sondern auch von der Anerkennung von Fahigkeiten oder

Leistungen. Die Aufforderung zur Freiheit im Erziehungsverhaltnis impliziert zwar eine Anerkennung des Aufgeforderten als Person, aber nicht wendig eine Anerkennung des Rechts auf freie Selbstbestimmung, dern nur eine Anerkennung der Fahigkeit dazu. Streng genommen man bei der primaren

nun notsonmu8

Sozialisation von der ,,Zuschreibung”, nicht der

»Anerkennung” von Fahigkeiten sprechen; denn dies setzt voraus, da8 ein Anspruch erhoben wird oder jedenfalls erhoben werden kénnte. Diese Bedingung kann man bei dem hier von Fichte betrachteten Verhaltnis der wechselseitigen Erkenntnis von Personen allerdings unterstellen. Sie kénnen sich nur gegenseitig als Personen erkennen, wenn ihr Anspruch, zum freien und verniinftigen Handeln fahig zu sein oder dies bereits zu vollziehen, gegenseitig als gerechtfertigt anerkannt ist. Um einen ,,Rechtssatz” zu erhalten, miiSte Fichte jedoch zeigen, da die Sub-

jekte sich nur als solche gegenseitig erkennen kénnen, wenn sie ihren Anspruch als gerechtfertigt, d.h. begriindet, erkennen, Subjekte von Rechten zu sein. 276

Vielleicht glaubt Fichte, da8 die Freigabe von Méglichkeiten fiir jemand bzw. die Anerkennung seiner Fahigkeiten dadurch zu einer Anerkennung von Rechten wird, da8 man an seiner Erkenntnis konsequent festhilt. Fichte sagt namlich, da8 das ,,von uns gemeinschaftlich notwen-

dig anzuerkennende Gesetz” das logische Gesetz der ,,Konsequenz” sei (Nr 52, vgl. 51, 54). Aus dem Gesetz der Konsequenz wiirde aber nur

folgen, da8 ich, wenn ich an einer Erkenntnis festhalte, die nur mit Hilfe

einer Anerkennung méglich war, dann auch an dieser Anerkennung festhalten mu8 — sei dies eine Anerkennung von Rechten oder von Fahigkeiten. Man mu8 Fichte allerdings zugestehen, da8 die Anerkennung von Fahigkeiten bzw. von Leistungen und die Anerkennung von Rechten im Falle der moralisch-praktischen Verniinftigkeit eng verbunden sind. Meine Fahigkeit zur moralisch-praktischen Vernunft beweise ich

gerade dadurch, da8 ich legitime Rechtsanspriiche als solche anerkenne.

3.) Die problematische These, da& Anerkennung notwendigerweise wechselseitig sein muS, ist bei Fichte nicht nur durch seine Uberlegungen zur Interpersonalitat motiviert, sondern auch durch einen Vorgriff auf die Primissen seiner Rechtsphilosophie. Fichte geht namlich hier nicht mehr von einem in wechselseitiger Anerkennung konstituierten, notwendig gemeinsamen Bewu8tsein aus, sondern von der ,, Voraussetzung eines

allgemeinen Egoismus” (Nr 156). Unter dieser Voraussetzung folgt allerdings, da8 Anerkennung nur dann geleistet wird, wenn sie erwidert

wird (vgl. Nr 127) '*. Die Anerkennungslehre hat noch eine weitergehende Parallele in Fichtes Rechtsphilosophie, namlich in seiner Lehre, da8 der Rechtsbrecher durch den Rechtsbruch vollkommen rechtlos wird (Nr 101). Diese Lehre 1a8t sich mit der Anerkennungslehre namlich so begriinden, da8 man bei

einem

Rechtsbrecher,

nicht mehr

wissen

der die Anerkennung

kann,

ob er iiberhaupt

von

Rechten

ein verniinftiges

verweigert, Wesen

ist

oder nicht. Die besagte Lehre 1a8t sich jedoch auch aus anderen Pramissen von

Fichtes Rechtsphilosophie ableiten. Fichte geht mit Hobbes von einem schrankenlosen ,,Urrecht” der Personen aus und sieht das Problem einer

Rechtsordnung primar in dem Schutz vor den drohenden Ubergriffen

der anderen (Nr 146,150). Unter diesen Voraussetzungen leuchtet es ein, da8 ein Verbrecher sich durch seine Tat auSerhalb des Rechts stellt, 126 Verweyen hat behauptet, Fichtes Rechtssatz laufe im wesentlichen auf die ,Goldene Regel“ hinaus (Verweyen S. 93). Es ist jedoch ein gro8er Unterschied, ob

ich verpflichtet bin, das gegeniiber jemanden zu tun, von dem ich wiinsche, da8

er es mir gegeniiber tut, oder ob ich nur verpflichtet bin, das gegeniiber jemanden zu tun, was dieser tatsichlich mir gegentiber tut oder tun wird. Er-

steres entspriche der ,Goldenen Regel“, letzteres in gewisser Hinsicht Fichtes »Rechtssatz”.

277

d.h. zuriick in den Naturzustand. Angesichts der genannten Parallelen drangt sich der Verdacht auf, da8 Fichtes Anerkennungslehre zum Teil die Funktion hat, hobbesianische Primissen durch die Konstruktion not-

wendig wechselseitiger Anerkennung zu iiberdecken.

4.3 Anerkennung als Struktur des RechtsbewuStseins und als Konstitutionsbedingung von ,,Individualitit” Fichte expliziert seinen Rechtsbegriff nicht nur durch den der notwendigen Wechselseitigkeit von Anerkennung. Er sucht diesen Begriff namlich sogleich ,,durch folgenden Syllogismus deutlicher und zuganglicher zu machen.

I. Ich kann einem bestimmten Vernunftwesen nur insofern anmuten,

mich fiir ein verniinftiges Wesen anzuerkennen, inwiefern ich selbst es als ein solches behandle” (Nr 48). wll. Aber ich muf allen verniinftigen Wesen aufer mir, in allen méglichen Fallen anmuten, mich fiir ein verniinftiges Wesen anzuerkennen”

(Nr 49).

lll. Ic mu das freie Wesen aufer mir in allen Fallen anerkennen als

ein solches, d. h. meine Freiheit durch den Begriff der Méglichkeit seiner Freiheit beschranken” (Nr 56).

Es fallt sofort auf, da& Fichte in der Conclusio die Notwendigkeit der

Anerkennung bedingungslos behauptet, d. h. auch fiir den Fall, da8 die Anerkennung nicht erwidert wird. Dies entspricht der Formulierung der Rechtsregel in der ,,Einleitung” zum Naturrecht: ,,Beschranke deine Frei-

heit durch den Begriff von der Freiheit aller iibrigen Personen, mit denen du in Verbindung kommst” (Nr 14). Die Conclusio folgt tatsachlich aus den Pramissen. Wie steht es mit der Wahrheit der Primissen? 1.) In den Pramissen ist, wie im § 3 des Naturrechts, von einer ,,Anmutung”, d.h. einem Anspruch oder einer Aufforderung, die Rede; es handelt sich jedoch nicht mehr um eine Aufforderung zur Selbstbestimmung, die eine Anerkennung des Aufgeforderten als verniinftiges Wesen natiirlich impliziert, sondern um einen Anspruch oder um eine Aufforderung zur Anerkennung des Auffordernden als verniinftiges Wesen. Weiterhin fragt es sich, welche Bedeutung das ,kann”

bzw. ,mu8”

in

den drei Satzen des Schlusses hat. Fichte erlautert das ,,ich mu8 notwendig” der zweiten Pramisse selbst durch ,inwiefern ich verniinftig, d. i. meinen Erkenntnissen konsequent verfahre” (Nr 51). Verniinftigkeit und Konsequenz hei&t hier nicht so viel wie Zweckrationalitat, da die

Notwendigkeit nicht durch einen hypothetischen Zweck begriindet wird, sondern Festhalten an den eigenen Uberzeugungen und damit Aufrichtigkeit gegeniiber mir selbst. Entsprechend geht es in der ersten Primisse nicht darum, da@ ich in der Forderung nach Anerkennung nur demjeni278

gen gegeniiber erfolgreich sein werde, den ich selbst anerkenne; ich habe jemanden vielmehr implizit schon als Vernunftwesen anerkannt, wenn

ich ihm anmute, mich als ein solches anzuerkennen, und mu8 dies durch

mein Verhalten auch explizit tun, wenn ich konsequent und aufrichtig

mir selbst gegeniiber sein will. Au8erdem kann eine Anerkennung durch andere fiir mein ,,Selbstbewu8tsein” (im alltiglichen Wortsinn) nur dann entscheidend sein, wenn ich diese auch anerkenne und damit ihrer még-

lichen Anerkennung iiberhaupt erst ein Gewicht fiir mich gebe. Es fragt sich nun, ob sich die ,,Anerkennung” in den drei Satzen Fichteschen Syllogismus auf die Anerkennung von Fahigkeiten bzw. stungen oder von Rechten bezieht. SatzI ist unter Voraussetzung vorgeschlagenen Lesart von ,,kann” offenbar richtig beziiglich einer erkennung der Fahigkeit und Realitat von Freiheit. Es ist sinnlos

des Leider Anvon

einem Wesen zu verlangen, mich als Vernunftwesen anzuerkennen, ohne

dabei zu unterstellen, da8 dies Wesen selbst zur Vernunft fahig ist. Und

die Anerkennung

durch andere, da& ich frei handle, ist fiir mich nur

dann eine relevante Bestatigung meiner selbst, wenn ich wei8, da8 diese

selbst zu freiem Handeln mindestens fahig sind. Anders bei Satz II und III. Ich mu8 keineswegs in Konsequenz meiner praktischen Uberzeugungen notwendigerweise allen verniinftigen Wesen

anmuten,

meine

Fahigkeit oder Praxis von

Freiheit anzuerken-

nen. Ich mu8 ihnen jedoch notwendigerweise anmuten, meine Rechte anzuerkennen,

da

mein

Wissen

von

meinen

Rechten

per

definitionem

nichts anderes bedeutet als mein Wissen, da8 die anderen dazu verpflich-

tet sind, die Rechtmafigkeit meiner entsprechenden Handlungen anzuerkennen. Schlieflich bedeutet die Fahigkeit von jemand zur Freiheit keineswegs, ,,meine Freiheit durch den Begriff der Méglichkeit seiner Freiheit” zu beschranken, wie es der Satz III (Nr 56) behauptet. Folglich besagt Anerkennung hier Anerkennung von Recht. In dieser Bedeutung von ,,Anerkennung” besagt der SatzI einfach, da ich aufrichtigerweise nur dann von einem anderen erwarten kann, da8 er mich als Rechtssubjekt anerkennt, wenn ich selbst ihn als solches

anerkenne. Bei dieser These handelt es sich dann nicht mehr um eine These iiber die generelle Struktur von interpersoneller Anerkennung, sondern um eine Folgerung aus einer Teilexplikation der Bedeutung des Ausdrucks ,,Recht”: Wenn ich ein Recht habe, dann hat jede Person un-

ter entsprechenden Umstinden auch dieses Recht. Von hier aus wird es

verstandlich, da8 Fichte in der Conclusio die Notwendigkeit der Anerken-

nung der Rechte anderer durch mich nicht mehr an die Bedingung kniipft, da& diese ihrerseits meine Rechte anerkennen. Ich mu& vielmehr aufrich-

tigerweise die Rechte anderer immer dann anerkennen, wenn ich ent-

sprechende Rechte mir selbst zuschreibe. Da ich mir aber notwendiger-

weise Rechte zuschreibe, mu8 ich auch aufrichtigerweise meine ,,Freiheit 279

durch den Begriff von der Freiheit aller ttbrigen Personen” beschrinken, wie Fichtes unbedingte ,,Rechtsregel” lautet (Nr 14).

2.) Fichtes Anerkennungslehre ist also zunachst nur eine Explikation

dessen, was es iiberhaupt heit, da8 jemand ein BewuStsein davon hat,

ein Recht zu haben. Fiir das Rechtsbewu8tsein haben nun Fichtes weitere Thesen von der interpersonalen Konstitution von praktischer Subjektivitat und der notwendigen Wechselseitigkeit der Befriedigung des Bediirfnisses nach Anerkennung eine besondere Plausibilitat. Fiir die Genese des Rechtsbewuftseins im Unterschied zum bloSen BewuBtsein des eigenen Wollens und der darin implizierten Behauptung der praktischen Richtigkeit ist namlich die Erfahrung konstitutiv, da8 jemand meine Rechte anerkennt, der seinerseits einen Anspruch auf Anerkennung seiner Rechte stellt. Und wenn ich dafiir, da8 ich der Rechtma8ig-

keit meiner Anspriiche sicher bin, die Anerkennung dieser Rechtmaf8ig-

keit durch andere brauche, so kann diese Anerkennung diesen Zweck nur

dann erfiillen, wenn ich diese anderen als Subjekte von Rechten nach denselben Prinzipien anerkenne. Diese These hangt zwar an der Pramisse eines fiir SelbstbewuStsein und RechtsbewuStsein notwendigen Bediirfnisses nach Anerkennung. Sie fiihrt jedoch nicht auf die These zuriik, da8 Anerkennung von Personen notwendigerweise wechselsei-

tig sein mu8 und nur als wechselseitige verbindlich sein kann. Die These der notwendigen Wedhselseitigkeit von Anerkennung besteht allerdings zu Recht fiir die Genese von rechtlich-moralischer Ver-

nunft und von Vernunft iiberhaupt. Bisher haben wir zwar betont, da8 Vernunft nur gelernt werden kann in der interpersonalen Erfahrung einer Vernunftpraxis. Es ist jedoch auch leicht zu sehen, da8 diese Erfahrung notwendig die Erfahrung von Anerkennung in sich schlie8t. Ich kann nicht lernen, was es hei8t, da8 ein Anspruch, ein bestimmter von mir geduGerter Satz sei wahr, zu Recht besteht, wenn ich nicht die Er-

fahrung mache, da& der Wahrheitsanspruch von anderen als legitim an-

erkannt wird. Erst in dieser Erfahrung erlange ich auch ein Wissen davon, die Fahigkeit zur Vernunft zu besitzen. Umgekehrt habe ich die an-

deren schon dadurch als Vernunftwesen anerkannt, da8 ich die Giiltig-

keit des Wahrheitsanspruches eines Satzes von ihrer potentiellen Anerkennung abhangig mache. Dieselbe Uberlegung gilt natiirlich auch fiir praktische Satze und ins-

besondere fiir moralisch-rechtliche Satze, da hier die Zustimmung derer nicht nur

als Vernunftsubjekte,

sondern

auch

an-

als Interessensub-

jekte beansprucht wird. Hier ist auch der Punkt erreicht, wo die An-

erkennung von Fahigkeiten und von Rechten notwendig miteinander verkniipft sind: Die Anerkennung meiner Fahigkeit zur moralisch-prak-

tischen Vernunft kann ich nur dadurch erreichen, da8 ich solche Rechtsanspriiche anerkenne, die tatsachlich legitime Anspriiche sind. 280

Fichtes ,,Deduktion des Begriffs vom Recht” im ersten Hauptstiick seines Naturrechts beantwortet bis jetzt nicht eigentlich die Frage, was

Recht ist, sondern die Frage nach der Struktur und Genese des rationalen

Bewuftseins von Recht. Diese Fragestellung ist schon in Fichtes Versuch

enthalten, den ,,Begriff des Rechts” als ,,Bedingung des SelbstbewuSt-

seins” zu erweisen (Nr 57, vgl. 114). Sie ist aber nicht schon dadurch diskreditiert, da8 der Versuch scheitert, RechtsbewuStsein

als Implikat

von Selbstbewuftsein zu erweisen. Die Deutung der ,,Deduktion des Begriffs vom Recht” als Erklarung der Genese des rationalen Rechtsbewu8tseins aus intersubjektiver Anerkennung holt den Anspruch ein, den Fichte am Beginn des § 3 mit der Aufgabe stellt, wie das Subjekt sich selbst als praktisch finden kann, ohne dabei von einem Objekt abzuhingen. Fichte stellt damit die Frage,

wie Autonomie méglich ist. 3.) Die Explikation von Fichtes Anerkennungslehre als Theorie des rationalen Rechtsbewu8tseins steht in einer gewissen Spannung zu Fichtes Vorstellung von der vollstindigen Unabhingigkeit von Recht und Moral (insbes. Nr 57 ff.) Fichte glaubt an diese Unabhangigkeit wohl deshalb, weil er — zu Unrecht — glaubt, zeigen zu kénnen, da8 Anerken-

nung generell nur wechselseitig sein kann, und weil er Recht deshalb von der Bedingung faktischer wechselseitiger Zustimmung abhingig

macht. Fichte bringt Recht und Moral andererseits dadurch sehr eng zusammen, da8 er die rechtliche Verbindlichkeit als eine der Konsequenz

des Denkens ansieht (Nr 51, 52, 54, 90) und das Sittengesetz als ,,Gesetz der absoluten Ubereinstimmung mit sich selbst“ (Nr 14) versteht. Fichtes Anerkennungslehre umfa8t nun auSer der Ableitung des Prinzips der Rechtslehre und der Theorie der Struktur und Genese des

RechtsbewuB8tseins noch ein weiteres Element, namlich eine Theorie der windividualitat”. Diese Theorie ist zwar auch im ,,Naturrecht” angedeu-

tet (Nr § 4, insbes. das erste ,,Corollarium”), sie nimmt jedoch bemerkenswerterweise in der ,Sittenlehre” den verhiltnismaSig gréSten Raum ein (SI § 18 III f—h). Diese Tatsache legt die Vermutung nahe, da8 es sich dabei um den Aspekt der Anerkennungslehre handelt, der fiir die Ethik entscheidend ist. Fichtes These lautet, da8 menschliche Individualitat nur im Rahmen von Gemeinschaft méglich ist (Nr 51f.), und d.h. im Kontext der Anerkennung von Rechten und Pflichten. Unter ,,Individualitat” versteht Fichte nicht die Gesamtheit aller mei-

ner Attribute, insbesondere der Attribute, durch die ich gegeniiber anderen identifiziert werden kann, sondern speziell das Resultat meiner

freien Handlungen: ,,Wer bin ich denn eigentlich, d. i. was fiir ein Indi-

viduum? Und welches ist der Grund, da8 ich der bin? Ich antworte: Ich bin von dem Augenblicke an, da ich zum BewuStsein gekommen, derjenige, zu welchem ich mich mit Freiheit mache, und bin es darum, weil 281

ich mich dazu mache. — Mein Sein in jedem Momente meiner Existenz ist, wenn auch nicht seinen Bedingungen nach, doch seiner letzten Bestimmung nach, durch Freiheit” (Sl 616). Als Individuum in diesem Sinne ist nach Fichte jeder ,nur insofern mdglich, inwiefern er als durch ein anderes [Vernunftwesen] vollendet gesetzt wird” (Nr 51). Nun kann ich aus dem Gesamtbereich aller méglichen Handlungen nur diejenigen wirklich vollziehen, die nicht schon andere vollziehen oder an deren Vollzug sie mich hindern. In diesem Sinne hingt meine Individualitat davon ab, da8 die anderen mir einen Spielraum freien Han-

delns lassen und mich insofern als ,,freies Wesen” anerkennen. Mein Handlungsspielraum erméglicht mir jedoch erst dann Individualitat im Sinne eines koharenten Lebens nach meinem eigenen Lebensentwurf, wenn dieser Handlungsspielraum nicht mehr willkiirlich, sondern durch

die Anerkennung

von Redchten bestimmt

wird. In diesem Sinne sagt

Fichte: Das ,,Eigentumsrecht, d. i. das Recht des ausschlieSenden Besitzes

wird vollendet durch die gegenseitige Anerkennung” (Nr 133). ,Dadurch wird der Besitz erst Eigentum, d. i. etwas Individuelles” (Nr 134). Diese Uberlegung ist jedoch zwingend nur in der Situation eines Naturzustandes, der durch permanente gegenseitige Bedrohung charakterisiert ist. Ganz abgesehen vom Fall des Eremiten — im gesellschaftlichen Zustand hat der Machtige schon aufgrund seiner Macht einen gesicher-

ten, also individualitatsverbiirgenden

Handlungsspielraum.

Die

von

Fichte gemeinte Erméglichung von Individuierung durch Anerkennung liegt also nicht schon in der Sicherung eines Handlungsspielraums, sondern erst in der Zuschreibung von Rechten — und den korrelativen

Pflichten, die ich als solche akzeptieren kann. Fiir diese These finde ich bei Fichte allerdings keine Begriindung. Es ist jedoch richtig, da8 sich nur in einem Kontext von wechselseitiger Anerkennung, d. h. von Rechten und Pflichten, Fichtes Frage beantworten la8t: ,,Wer bin ich denn eigentlich, d. i. was fiir ein Individuum? Und welches ist der Grund, da8

ich der bin?” (Sl 616). Denn nur im Kontext der Anerkennung von Rechten und Pflichten 1a8t sich die Frage beantworten, welchen Sinn mein

soziales Leben hat, was fiir ein Leben ich eigentlich leben will, und d. h., wer, was fiir ein Mensch ich bin und sein will (vgl. 4.1).

Fichtes Frage nach den Bedingungen von Individualitat lauft also der Sache nach auf die Problematik der (qualitativen) Ichidentitat hinaus. Damit zeichnet sich auch eine Liésung des Problems der Begriindung autonomer moralischer Prinzipien ab: Da fiir jede Ichidentitat im sozialen Lebenszusammenhang die wechselseitige Anerkennung von Rechten und Pflichten vorausgesetzt ist, diese Anerkennung jedoch implizit die Anerkennung des Prinzips rationaler Moral bedeutet, ist die Anerkennung autonomer moralischer Normen

jede qualitative Ichidentitat (genauer s. 4.1). 282

notwendige Bedingung fiir

Von hier aus ist es méglich, Fichtes Unterscheidung von Rechts- und

Sittenlehre letztlich folgenderma8en zu verstehen. Die ,,Rechtslehre” hat

die Aufgabe zu zeigen, da8 jedes von der Giiltigkeit des Rechts aller wendige Folge der Anerkennung qualitativen Ichidentitat notwendig

Vernunftsubjekt nicht umhin kann, iiberzeugt zu sein, da dies eine notist, die fiir die Konstitution seiner ist. Dies RechtsbewuStsein wird aber

erst dadurch wirklich verbindlich, da8 das Subjekt ,,konsequent”, nam-

lich aufrichtig gegeniiber seinen eigenen Uberzeugungen ist. Die Ethik hatte deshalb vor allem zu zeigen, da8 ein Handeln gegen diese unauf-

gebbare praktische Oberzeugung die ,,Individualitat” des Subjekts in

Frage stellt, namlich seine Lebenskonzeption, Handlungsfahigkeit letztlich den Sinn seines Lebens.

und

Da8 Fichte nun glaubte, durch die Anerkennungslehre auch die Frage

nach jeder Bestimmung des Individuums beantworten zu kénnen, liegt wohl daran, da8 er sie mit der metaphysischen Problematik der Pradestination verband und voraussetzte,

da8 meine

konkreten, insbesondere

sinnlichen Eigenschaften nur Materialisierungen meiner sittlichen Bestimmung sind. Und da8 Fichte das Problem der Ichidentitat als das der

»Individualitat” formulierte, liegt vielleicht daran, da8 er voraussetzte,

da8 persénliche Identitdt nur durch die Unterscheidung von und sogar Entgegensetzung gegen andere méglich ist.

Fichtes Lehre von der Erméglichung von Individualitat durch wechsel-

seitige Anerkennung miindet in der ,,Sittenlehre” in Uberlegungen, die Fichte in seiner spateren Theorie der ,,Geisterwelt” weiterverfolgt hat. Diese Theorie fiihrt auch zu einer Kritik einer rechtsférmigen Auslegung von Moralitaét (vgl. Anm.116). Die Theorie der Anerkennung weist also — trotz ihres rechtsphilosophischen Ursprungs — auf eine Begriindung der Moralitat, die sich auf den anderen auch spezifisch als ,,Indi-

vidualitat”, namlich nicht mehr als blo8en Fall eines einklagbaren Gesetzes bezieht. In diese Richtung hat Hegel die Theorie der Anerkennung in Jena weiterentwickelt.

283

Il Die Entwicklung von Hegels praktischer Philosophie im Lichte seiner Fichte-Rezeption

Einleitung:

Das Problem von Hegels Verhiltnis zur Philosophie Fichtes

Es ist eine gangige Primisse der Hegelforschung, da8 Hegels Philosophie der Moralitét in erster Linie eine Auseinandersetzung mit der Ethik Kants ist. Hegels Kantverstindnis ist jedoch weitgehend durch Fichte gepragt*. Schon deshalb ist Hegels Philosophie der Moralitat wesentlich eine Auseinandersetzung mit Fichte. Da& Hegels Philosophie der Moralitdt in erster Linie Moralitatskritik ist, dem entspricht, da8 Hegels explizite Stellung zu Fichte hauptsdchlich kritisch ist. Hegels Moralitatskritik verdeckt jedoch seine eigenen moralphilosophischen Ansitze (s. Teil I). Ebenso verdeckt Hegels Fichtekritik sein sachliches Verhdltnis zu Fichtes Philosophie der Subjektivitat; und hier zeigt sich klarer als an Hegels Au8erungen zu Kants Ethik, da8 seine Philosophie der Moralitat nicht nur Moralitatskritik ist, sondern auch eine Begriindung der Moralitat enthalt. Hegels eigene Darstellung seines Verhiltnisses zu Fichte folgt seit der »Differenzschrift” gleichbleibend* einem simplen Schema: Zundchst wiirdigt Hegel Fichtes Prinzip des ,lch=Ich” emphatisch als wahrhaft spekulatives Prinzip und weist dann Fichtes nahere Fassung und An-

wendung dieses Prinzips ebenso nachdriicklich zuriick. So heift es in der

Differenzschrift, Fichte habe die ,,Identitit” des Selbstbewu8tseins nur

als reine”, d.h. ,,als durchs Abstrahieren der Reflexion entstandene” (D 55, Mei 42), gefa8t, und die Berliner Vorlesungen zur Geschichte der

Philosophie sprechen beziiglich der Durchfiihrung der Fichteschen Theo-

rie von deren ,,vollkommener Geistlosigkeit, Hélzernheit und, das Wort

zu sagen, deren ganzlicher Albernheit” (GeschdPh III, 415). Die merkwiirdige Unausgeglichenheit von Hegels Darstellung seines Verhiltnisses zu Fichte fordert geradezu kontrare Interpretationen heraus, und zwar

sowohl

auf der Seite der Hegelianer

wie auf seiten der

Hegelkritiker. Schon der erste Lexikonartikel iiber Hegel, aus dem Jahre 1824, spricht von der ,,Idee der Philosophie, die sich in ihm, besonders

1 8.1. Gérland, Die Kantkritik des jungen Hegel, Frankfurt ('66). 2 Vgl. L.Siep ('70), Hegels Fichtekritik und die Wissenschaftslehre von 1804, Freiburg Miinchen. Modifikationen an der Kontinuitatsthese im Verhiltnis zu Fichte versucht K. Diising in seiner Rezension des Buchs von L. Siep anzubringen (K. Dising ('73), Uber das Verhiltnis Hegels zu Fichte, in: Philosophische Rundschau 20.Jg. S. 50 ff.).

287

nach vollendetem Studium der Fichteschen Wissenschaftslehre, gebildet

hatte.” * Ahnlich sah der Neuhegelianismus der Zwischenkriegszeit in

Fichte wesentlich den Vorlaufer und Wegbereiter Hegels, deutete dabei

jedoch die subjektivititstheoretischen und ethischen Grundlagen der Fichteschen Wissenschaftslehre spekulativ um ‘. Demzufolge wurde fiir die marxistische Hegelrezeption und die HegelRenaissance nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Skepsis gegeniiber spekulativer Dialektik und dem Desinteresse an subjektivitatstheoreti-

schen und ethischen Fragen auch Fichte uninteressant. Gegeniiber He-

gels Verarbeitung der Skonomischen, politischen und religidsen Probleme seiner weltgeschichtlichen Umbruchssituation tritt seine Philosophie des Bewu8tseins und des Geistes in den Hintergrund °. Wenn Hegelianer dieser Richtungen sich iiberhaupt auf Fichte beziehen, ist ein

Totalverri8 zu erwarten °,

Ebenso gespalten ist das Lager der Hegelkritiker. Auf der einen Seite werden Hegels philosophiehistorische und systematische Scheuklappen auf den iiberragenden EinfluS Fichtes zuriickgefiihrt ’; auf der anderen Seite wird behauptet, da& Hegel die entscheidenden Einsichten Fichtes

gar nicht zur Kenntnis genommen habe *.

In dieser Situation scheint es mir zunachst sachdienlich, bei Hegel die-

jenigen Lehrstiicke kritisch zu verabschieden, die nach Hegels eigener Darstellung wesentlich fichtesch sind: die Theorie des Gewissens und

des SelbstbewuStseins. Tatsachlich la&t sich das moralische BewuBtsein

nicht auf eine moralische Intuition reduzieren, wie Hegel mit Blick auf Fichte meint. Und eine ,dialektische” Konstruktion des SelbstbewuSt-

seins als einer Bewegung, die Widerspriiche zwischen Subjekt und Objekt erzeugt und auflést, halt einer sprachlogischen und phinomenologischen Kritik nicht stand — ganz gleich iibrigens, ob diese Bewegung als eine des Bewu8tseins oder der Praxis verstanden wird. Das ,,wahr-

haft spekulative Prinzip”, das Fichte nach Hegels Meinung mit der para3 Zit. n. O. Péggeler (’73 a) Sinclair — Hélderlin — Hegel, in: Hegel-Studien 8, S.45.

4 Insbes. R. Kroner, Von Kant bis Hegel, Bd. 1 ('21) Bd. 2 ('24) Tiibingen. 5 Reprisentativ fiir diese dominierende Tendenz sind Arbeiten von Lukacs, Ritter, Habermas, Riedel, Theunissen u. a. 6 Z.B. B. Willms, Die totale Freiheit. Fichtes politische Philosophie, Kéln Opla-

den ('67). 7 1. Gérland zeigt, da& Hegel Kant durch die Brille Fichtes gesehen hat (s. Anm. 1).

W. Becker versucht den Nachweis, da8 die Absurditaten der Hegelschen Dialektik durch Fichtes Selbstbewu8tseinstheorie determiniert sind und fiihrt letztere

auf cartesische Primissen Dialektik, Stuttgart (’70)).

zuriickk (W. Becker, Idealistische und materialistische

8 H. Girndt, Die Differenz des Fichteschen und Hegelschen Systems der Philosophie in der Hegelschen ,,Differenzschrift”, Bonn ('67). 288

doxen Subjekt-Objektivitat des SelbstbewuStseins gefunden hat, ist eines der fragwiirdigsten Elemente in Hegels Philosophie *. Mit dem negativen Resultat des Versuchs, Hegels eigene Darstellung seines Verhiltnisses zu Fichte zum Leitfaden der Frage des sachlichen Verhiltnisses seiner Philosophie zu der Fichtes zu machen, ist diese Frage jedoch nicht hinreichend beantwortet. Denn eine philosophische Abhangigkeit von Fichte in sachlich relevanten Hinsichten braucht nicht in Hegels Selbstverstindnis angemessen artikuliert zu sein. Auch hier hat D. Henrich durch die These in die richtige Richtung gewiesen, da8 Hegels Philosophie der Sittlichkeit auf einer Weiterentwicklung der Willenstheorie aus Fichtes ,,System der Sittenlehre” beruht (Henrich ('63) 384 ff.) **. Ich habe im Fichte-Teil gezeigt, inwiefern dieser Ansatz sachlich fruchtbar ist, und er tragt m. E. auch in historischer Hinsicht Entscheidendes zur Aufklarung der Genese von Hegels Philosophie des Geistes bei. In diesem Sinne méchte ich im folgenden Teil zunidchst zeigen, da8 schon die systematischen Pramissen Hegels in Frankfurt und in den

friihen Jenaer Jahren als Weiterfithrung von Fichteschen Thesen iiber die Struktur des SelbstbewuStseins verstanden werden kénnen, die — auch

wenn sie sachlich fragwiirdig bleiben — durch die Kritik an der SubjektObjekt-Dialektik nicht schon widerlegt sind (s. Kap. 1—3). Vor allem aber hat Hegel in den spateren Jenaer Jahren Fichtes Theorie der Anerkennung, des Willens und der Ichidentitat produktiv rezipiert (s. Kap. 4 u. 5). In diesem Zusammenhang bekommt es erst sein volles Ge-

wicht, da8 Hegels dialektischer Begriff des SelbstbewuStseins der Sache

nach viel eher das speziellere Problem praktischer Ichidentitat trifft. Rosenkranz

verstand

Hegels

Jenaer

Entwicklung

als

_,,didaktische

Modifikationen” und ,,phanomenologische Krisis des Systems” *. In der gegenwartigen Hegelforschung wird mit Recht davon ausgegangen, da bereits die, vor allem gegen Schellings Identitatsphilosophie artikulierte Konzeption einer ,,Phanomenologie des Geistes” der Sache nach eine gewisse Riicdkwendung zur Transzendentalphilosophie bedeutet, namlich durch die Aufnahme der erkenntnistheoretischen Thematik des BewuStseins

und

insbesondere

durch

die Konzeption

einer

,,Geschichte

des

Selbstbewu8tseins” *. Darin allein braucht jedoch noch keine Riickwen9 Vgl.

W. Becker,

Idealistischhe

und

materialistische

Dialektik,

Stuttgart

(‘70);

H. Schmitz ('64), System der Philosophie Bd. I: Die Gegenwart, Bonn S. 255 ff.; E. Tugendhat ('79 a), SelbstbewuStsein und Selbstbestimmung. Sprachanalytische Interpretationen, Frankfurt S. 302 ff., 309 ff. 10 D. Henrich ('63), Das Problem der Grundlegung der Ethik bei Kant und im spekulativen Idealismus, in: Sein und Ethos, hrsg. v. P. Engelhardt, Mainz. 11 K. Rosenkranz (1844), Hegels Leben, Darmstadt ('63) S. 178 ff., 201 ff. 12 O. Péggeler ('73 b), Hegels Phinomenologie des SelbstbewuStseins, in: ders., Hegels Idee einer ,,Phanomenologie des Geistes”, Freiburg Mitinchen S. 294. 289

dung zu Fichte zu liegen *, sondern méglicherweise nur zur erkenntnis-

theoretischen Problematik iiberhaupt und speziell zu Kant einerseits “,

dem friiheren Schelling andererseits. Ein spezifischer Fichtebezug liegt jedoch dem SelbstbewuB8tseinskapitel

der ,,Phinomenologie des Geistes” zugrunde, und zwar nicht schon im Begriff des Selbstbewu8tseins, sondern in der These, da8 es dem Selbst-

bewu8tsein primar um seine ,,Selbstaindigkeit” geht und da8 diese nur durch wechselseitige , Anerkennung” miglich ist. Diesen Fichtebezug hat Riedel zuerst bemerkt '*, und Siep hat ihn fiir den Versuch einer sach-

lichen Rekonstruktion von Hegels Anerkennungslehre genutzt “*. Die Edition des Hegelschen Nachlasses und die entwicklungsgeschichtliche Hegelforschung haben Hinweise dafiir erbracht, da8 der philosophische Wandel Hegels in Jena in einem engen Zusammenhang mit einer erneuten Riickwendung zu Fichte steht. Die Anerkennungslehre, die bereits im ,,System der Sittlichkeit”, wenn auch an untergeordneter Stelle,

erscheint, bekommt mit den Fragmenten zur Philosophie des Geistes von 1803/04 ihre zentrale Bedeutung fiir die Konstruktion der Struktur des Geistes. Hegel entwickelt hier die Anerkennungslehre zudem im Rahmen einer Theorie des ,BewuStseins”, in der etwa Kimmerle

,,den in-

neren Wendepunkt in der Entwicklung des Hegelschen Denkens in Jena” ", den ,unmittelbaren sachlichhen Ursprung” der ,,phainomenologischen Krisis des Systems” * im Sinne von Rosenkranz und zugleich damit eine Riickkehr von Schelling zu Fichte gesehen hat (ebd.). Horstmann hat demgegeniiber zu zeigen versucht, daf die Geistphilosophie von 1803/04 eher noch eine immanente Veranderung der friihen

Jenaer Theorie der Sittlichkeit ist, wahrend sich dann in der Realphilo-

sophie von 1805/06 ,eine bereits vollzogene Veranderung in der Expli13 Beztiglich der phanomenologischen Thematik des Bewu8tseins behauptet dies Kimmerle ('69), Zur Entwicklung des Hegelschen Denkens in Jena, in: HegelStudien Beiheft 4, Bonn S. 42.

14 Insbes. R. Wiehl hat darauf hingewiesen, da& das BewuStseinskapitel der ,Pha-

nomenologie” als Auseinandersetzung mit Kants Erkenntnistheorie gelesen wer-

den mu8 (R. Wiehl, Uber den Sinn der sinnlichen Gewi8heit in Hegels Phano-

menologie des Geistes, in: Hegel-Studien Beiheft 3, (66) S. 103-134).

15 M. Riedel (‘69), Hegels Kritik des Naturrechts, in: ders., Rechtsphilosophie, Frankfurt S. 59 Anm. 52.

Studien zu

Hegels

16 L. Siep (’75), Zur Dialektik der Anerkennung bei Hegel, in: Hegel-Jahrbuch 1974, hrsg. v. W. Beyer, Kéln S. 390 ff.; vgl. ders. (‘74), Der Kampf um Anerkennung. Zu Hegels Auseinandersetzung mit Hobbes

in den Jenaer Schriften,

in: Hegel-Studien Bd. 9, S.192 ff.; ders. (‘79), Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, Freiburg Miinchen. Zu Sieps Ansatz vgl. die Anm.19 zur ,Einfiihrung” und die Anm. I, 152.

17 H.Kimmerle

('70), Das

Problem

der Abgeschlossenheit

des Denkens.

#System der Philosophie” in den Jahren 1800/04, Bonn S. 259.

18 Ders. ('69), S. 42.

290

Hegels

kationsstruktur des ganzen Systems ausdriickt” *. Diese sieht Horstmann in der ,,Struktur des Selbst [...], namlich als Einheit von Allge-

meinheit und Einzelheit ,an ihm selbst zugleich das Andere seiner selbst zu sein’ “ (ebd.). Wir werden allerdings sehen, da8 das Neue der Realphilosophie von 1805/06 nicht so sehr in einer Theorie des SelbstbewuStseins * und in den von Horstmann genannten logischen Explikationsmitteln liegt, sondern — neben der Entfaltung der logischen Form des Schlusses — vor allem in einer Theorie des Willens, die offenbar auf

Fichte zuriickgreift.

Bereits Rosenzweig hatte bemerkt, da8 die entscheidende Wandlung in Jena sich in der Entwicklung einer Theorie des Willens in der Realphilosophie von 1805/06 vollzieht *. Rosenzweig erkannte darin jedoch nur eine Aufnahme Rousseaus, nicht Fichtes *. Haering geht in seiner monumentalen Entwicklungsgeschichte nur ganz summarisch auf diesen Text ein * und bemerkt nicht einmal bei der Thematik der Anerkennung den Fichtebezug “. Fetscher nahm beilaufig beziiglich der Willenstheorie der Jenaer Realphilosophie von 1805/06 ,eine vermehrte Beschaftigung mit Fichte“ * an. SchlieSlich hat Riedel thesenartig gezeigt, »da8 Hegel in der zweiten Hialfte der Jenaer Periode sich erneut mit Fichte auseinandergesetzt hat und seit etwa 1804 in seinen Vorlesungen iiber Philosophie des Geistes und Naturrecht auf ihn zuriidkgreift’ **. Riedel sieht in der neuen Systematik der Jenaer Realphilosophie von 1805/06, die auf den Begriffen des ,Ichs” und des ,,Willens” aufbaut,

eine ,Umkehr der Grundlagen von Hegels bisheriger Naturrechtskonzeption” und eine Riickkehr auf den Boden der transzendentalphilosophischen Theorie der Freiheit ”. Riedel sieht den gemeinsamen Boden der Freiheitstheorie von Transzendentalphilosophie und Hegelscher Rechtsphilosophie seit der Jenaer Realphilosophie im Begriff der ,,universellen Rechtsfahigkeit” der ,,Per, 1g R.-P. Horstmann

('72), Probleme

der Wandlung

in Hegels Jenaer Systemkon-

zeption, in: Philosophische Rundschau 19. Jg. S. 115. 20 Ebd. S.116, Dies war bereits die These der Dissertation von Horstmann ('68), Hegels vorphinomenologische Entwiirfe zu einer Philosophie der Subjektivitat in Beziehung auf die Kritik an den Prinzipien der Reflexionsphilosophie, Heidelberg, insbes. S.119 ff.

21 F. Rosenzweig, Hegel und der Staat, 2 Bde., Aalen ('62?) Bd. 1., S. 183.

22 Ebd. Bd. 2.,S. 22. 23 Th. Haering, Hegel.

und sein Werk,

Leipzig Berlin Bd. 2z., (’38)

25 I. Fetscher, Hegels Lehre vom Menschen, Stuttgart um den Druck der Diss. v. 1950). 26 Riedel ('69), S. 58.

(’70) S.22 (Es handelt sich

S. 459.

Sein Wollen

24 Ebd. S. 345, 438.

27 Ebd. S. 61, 72.

291

son” (ebd.). Riedel hat jedoch nicht naher gezeigt, inwiefern die Be-

griffe des ,,Ichs”, des ,,Willens” und der ,,Anerkennung” systematische Grundlagen fiir eine Freiheitstheorie sind, die auch sachlich auf Fichte zuriickgreift. Insbesondere bleibt unklar, wieso diese Begriffe Grundlage nicht nur fiir eine Theorie des Rechts, sondern auch fiir eine Theo-

rie der Sittlichkeit sein kénnen und deshalb mehr implizieren als eine

»Riickkehr” zur Transzendentalphilosophie.

Nachdem im Fichte-Teil dieser Arbeit gezeigt ist, da8 Fichte in der Analyse des Willens, der Anerkennung und des praktischen Selbst wichtige Schritte zu einer Grundlegung der praktischen Philosophie gelungen sind, werde ich in diesem Teil zeigen, da& Hegel diese Theorie in den entscheidenden Hinsichten in der spateren Jenaer Zeit rezipiert und weiterentwickelt hat (Kap. 4 u. 5). Dariiberhinaus erhalten die spezifischen Ziige von Hegels praktischer Philosophie erst im Kontext dieser Verarbeitung ihre eigentliche Begriindung.

Aus Fichtes Ansatz zur Begriindung moralischer Normen 1a8t sich

namlich unmittelbar Hegels Erweiterung der Moralphilosophie zu einer

Theorie sittlicher Moralitat und der sittlichen Relativitat moralischer Mo-

tivation ableiten. Dazu gehdrt auch Hegels Versuch in der Jenaer Realphilosophie, Strukturen der Liebe im Kontext der Willenstheorie zu begreifen (s. Kap. 5.3). Auch die Zuspitzung der Anerkennungslehre zu einer Theorie des Kampfes um Anerkennung erweist sich, wenn man sie von ihrer hobbesianischen Robinsonadenform befreit, als Explikation der Willensstruktur des praktischen Selbst, die eine fiir Hegel charakteristi-

sche soziale und historische Relativitat moralisch-rechtlicher Vernunft zur Folge hat. Damit ergibt sich ein iiber die Kritik an der Rechtsformig-

keit hinausreichendes Argument dafiir, da8 die verabsolutierte moralische Vernunft ,,formalistisch” beschrankt ist, wie Hegel es an Kant und

Fichtes Theorie immer kritisiert hatte. SchlieBlich wird Fichtes Frage nach der Konstitution von verniinftiger

Subjektivitat in intersubjektiver Anerkennung von Hegel zu einer um-

fassenden Theorie der Selbsterfahrung und Bildung der Subjektivitat entfaltet. In diesem Bildungsproze& spielt die Theorie des Verbrechens eine zentrale Rolle. Die Stufen der Bildung der praktischen Vernunft werden dabei von Hegel wesentlich als Formen von Anerkennung verstanden. Im Schlu8kapitel dieser Arbeit zeige ich schlieSlich, wie Hegels Philosophie sich seit der ,,Phanomenologie des Geistes” von Fichtes praktischer Philosophie und damit auch von der moralphilosophischen Problematik iiberhaupt entfernt. Aber noch die Willenstheorie der Berliner Rechtsphilosophie 1a8t sich nur im Fichteschen Licht rational verstehen (s. Kap. 6.2). 292

1. Die frithen Fragmente Aus den Fragmenten, die seit Nohls Edition unter dem Titel der ,, Theo-

logischen Jugendschriften” bekannt sind, la8t sich nicht entnehmen, da8 Hegel vor der Abfassung der Differenzschrift Fichtes grundlegende philosophische Schriften genauer studiert hat (Haering I, 610 Anm. 1) *.

Theoretische Grundbegriffe Fichtes (,,absolutes Ich”, ,,Nicht-Ich”) finden

sich zuerst 1794 in Notizen zu Schellings Schrift ,,Uber die Méglichkeit einer Form der Philosophie iiberhaupt” (FrSchr 102, N 361). Hélderlin schreibt Hegel am 26. 1.1795 von seiner Auseinandersetzung mit Fichte

(Briefe 18 ff.). Aber von Hegel hért man in einem Brief an Schelling vom

16. 4.1795 dann nur, da& er sich das Studium von Fichtes Wissenschaftslehre vorgenommen hat (Briefe 25), und in einem Brief an Schelling vom 30. 8.1795 mit skeptischem Unterton: ,,Ich versuche es, Fichtes Grundlage zu studieren” (Briefe 32). Wegen des mageren Befundes beziiglich einer relevanten Fichteaneignung beim frithen Hegel hat Haering angesichts Hegels nachweisbarer Rezeption von Schillers Briefen ,,Uber die asthetische Erziehung des Men-

schen” sogar die Méglichkeit erwogen, da8 ,,Begriffe, die wir schon bis-

her bei Hegel in dieser Zeit auftreten sahen, und die wir zundchst viel-

leicht eher auf Schelling—Fichtesche Einfliisse zuriickzufiihren zu sollen glaubten, mindestens daneben auch noch auf Schiller zuriickgehen kénn-

ten. Finden wir in diesen ,,Briefen” doch auch die Begriffe des ,Unendlichen”, insbesondere auch den Gegensatz der ,leeren” und ,erfiillten Unendlichkeit” — und die Gegensatze Leiden—Tatigkeit, Materie—Form,

Sinnlichkeit—Vernunft in ganz verwandtem Sinn der zu verbindenden Gegensiatze” (Haering I 466). Haering scheint nicht geniigend zu beachten, da Schillers asthetische

Briefe

auf

einer

Verarbeitung

Fichtes

beruhen,

insbesondere

seiner

Trieblehre. Jedenfalls ist es fiir unsere Fragestellung gleichgiiltig, ob Hegel sich Grundbegriffe und Theoreme Fichtes aus Fichtes Schriften oder aus Auferungen von Fichtes Schiilern angeeignet hat. Neben Schiller gilt dies in der friihen Zeit insbesondere fiir Hélderlin und Sinclair, die bei

Fichte studiert hatten und in Frankfurt Hegels wichtigste Gesprachspartner wurden ™. Man mu8 auch die Méglichkeit erwagen, da8 Hegels frag-

28 Th. Haering, Hegel. Sein Wollen und sein Werk. Leipzig Berlin, Bd. I (’29). 29 s. Henrich (’71), Hegel und Hélderlin, in: ders. (71), Hegel im Kontext, Frankfurt S. 18 ff.; H. Hegel (71), Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Hélderlin und Hegel. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der idealistischen Philosophie, Frankfurt; dies. (’73), Reflexion und Einheit. Sinclair und der ,Bund der Geister” Frankfurt 1795—1800, in: Das dlteste Systemprogramm, hrsg. v. R. Bubner, Hegel-Studien Beiheft IX; vgl. auch die Literatur in der Anm. I, 249.

293

mentarische Versuche von einem fichteanischen Ansatz beeinflu&t sind, ohne da8 dies in terminologischen Anlehnungen hinreichend zum Ausdruck kommt. 1.1 Der Weg zur Fichtekritik Die ersten Anlehnungen an Fichtes Begriffe finde ich in den spiaten Ber-

ner Manuskripten. Im ,Leben Jesu” 148t Hegel Jesus von Nazareth von der moralischen Motivationskraft als einem ,,Trieb” sprechen, der iiber

die iibrigen Triebe ,,bermacht” habe (N 114) ®. In dem Manuskript zur »Positivitat der christlichen Religion” nennt Hegel Griinde, ,,die unbe-

stechbare Macht

des Ichs zu bewundern,

das tiber tugendzerstérende

Uberzeugungen des Verstands und gelernte Worte des Gedichtnisses triumphiert” (FrSchr 130, N170). In dem zu diesem Manuskript gehGrigen Text iiber den ,,Unterschied zwischen griechischer Phantasieund dhristlicher positiver Religion” hei8t es von den griechischen und den rémischen Republikanern, da8 sie ,,das Ewige, Selbstindige [. . .] in ihrem eigenen Busen” hatten (FrSchr 207, N 223). Nach dem Untergang der Republiken gilt: ,, Die Vernunft konnte es nie aufgeben, doch irgend-

wo das Absolute, das Selbstandige, Praktische zu finden, in dem Willen der Menschen war es nicht mehr anzutreffen; es zeigte sich ihr noch in

der Gottheit, die die christliche Religion ihr darbot, au8erhalb der Sphire

unserer Macht, unseres Wollens, doch nicht unseres Flehens und Bittens” (FrSchr 208, N 224). Dies war die Zeit, ,,als der Mensch selbst ein Nicht-

Ich und seine Gottheit ein anderes Nicht-Ich war (FrSchr 212, N 228). Wenn

Hegel hier in Fichteschen Termini redet, handelt

es sich der

Sache nach nur um eine Radikalisierung des Kantischen Autonomiebegriffs, und zwar dadurch, da& Hegel jede Beziehung von Moralitat auf Gliickseligkeit und damit auch die Kantische Postulatenlehre verwirft. Diese Radikalisierung war Hegels Antwort darauf, da8 die Kantische Postulatenlehre von seinem Tiibinger Lehrer Storr dazu benutzt wurde,

die Notwendigkeit eines positiven religissen Glaubens zu beweisen (FrSchr 190 ff., N 233 ff.; vgl. Henrich ('71) 51 ff.). Sie liegt jedoch auch in der Richtung des Fichteschen Denkens *. 30 Das ,Leben Jesu” ist in der Suhrkamp-Ausgabe nicht enthalten. Der Triebbegriff ist tibrigens schon bei Jacobi zentral, vg]. Anm. go. 31 In seiner Sittenlehre behauptet Fichte sogar, da Genu8 ohne moralische Funktion notwendig unmoralisch ist: ,Jeder Genu&, der sich nicht, mit der besten Uberzeugung, beziehen 1aGt auf Bildung unseres Kérpers zur Tauglichkeit, ist unerlaubt und gesetzwidrig [...] Esset und trinket zur Ehre Gottes. Wem diese Sittenlehre auster und peinlich vorkommt, dem ist nicht zu helfen, denn

es gibt keine andere“ (SI 610).

294

Das erste Frankfurter Manuskript, von Nohl mit ,,Moralitat, Liebe, Religion” iiberschrieben, reflektiert die radikale Berner Kritik der Posi-

tivitdt dann in einem offensichtlich ficiteschen Rahmen: ,,Die praktische Tatigkeit handelt frei, ohne Vereinigung eines Entgegengesetzten, ohne durch dieses bestimmt zu werden — sie bringt nicht Einheit in ein gegebenes Mannigfaltiges, sondern ist die Einheit selbst, die sich nur rettet gegen das mannigfaltige Entgegengesetzte, das in Riicksicht auf das praktische Vermégen immer unverbunden bleibt; die praktische Einheit wird dadurch behauptet, da8 das Entgegengesetzte ganz aufgehoben wird. Alle moralischen Gebote

sind Forderungen, diese Einheit zu be-

haupten gegen Triebe” (FrSchr 239, N 374).

Die Unterscheidung der praktischen Tatigkeit von der theoretischen Tatigkeit als Synthesis des Mannigfaltigen entspricht zwar noch der Lehre Kants, da8 die gegebenen Neigungen und Maximen durch den moralischen Willen nicht nur geordnet, sondern auch selegiert und umgeformt werden. Demnach ist die moralische Einheit bei Kant wesentlich Form des Mannigfaltigen, namlich der Maximen und der Triebe. Sie wird aber nicht erst dadurch behauptet, da8 sie ,,sich nur rettet gegen das man-

nigfaltige Entgegengesetzte” und es ganz aufhebt (ebd.) *. Gegen Ende des Manuskripts bestimmt Hegel mit Fichte naher, worin die praktische Tatigkeit besteht: ,,Das Wesen des praktischen Ich besteht im Hinausgehen der idealen Tatigkeit iiber das Wirkliche und in der Forderung, da& die objektive Tatigkeit gleich sein soll der unendlichen” (FrSchr 241, N 357). Die praktische Tatigkeit mu also deshalb das Entgegengesetzte ganz aufheben, weil sie nach Unbeschranktheit oder unendlicher Tatigkeit strebt. Positivitait besteht demnach darin, da&

diese Tatigkeit bzw. ihr Ziel ,,gegeben” (ebd.) und dadurch in ihr Gegenteil verkehrt wird. Hegel hat diese fichtesche Idee der Moralitdt nun bereits in dem Text »Religion, eine Religion stiften” kritisiert, der von Nohl als Fortsetzung

des soeben behandelten Fragments ediert worden ist: ,.Das andere Ex-

trem von dem, von einem Objekte abzuhingen, ist das, die Objekte

fiirchten, die Flucht vor ihnen, die Furcht vor Vereinigung, die hdchste

Subjektivitat” (FrSchr 241, N 376). ,,Die theoretischen Synthesen werden ganz objektiv, dem Subjekt ganz entgegengesetzt. Die praktische Tatigkeit vernichtet das Objekt und ist ganz subjektiv — nur in der Liebe

32 Die folgende Definition von Moralitat lie8e sich auch noch auf Kant beziehen: »Was ist: Begriff von Moralitat? Die moralischen Begriffe haben nicht in dem

Sinne Objekte, in denen die theoretischen Begriffe Objekte haben. Das Objekt

jener ist immer das Ich; das Objekt dieser das Nicht-Ich” (FrScir 239, N 374). Hegel unterstellt dann jedoch Grundbegriffe der Fichteschen Philosophie: Begriff ist eine reflektierte Tatigkeit” (FrSchr 240, N 374).

295

allein ist man eins mit dem Objekt, es beherrscht nicht und wird nicht beherrscht. Diese Liebe, von der Einbildungskraft zum Wesen gemacht,

ist die Gottheit” (FrSchr 242, N 376).

»Subjektivitat” war bei Fichte der Begriff, mit dem er das Selbstbe-

wu8tsein artikulierte, endlich das wahre Prinzip der Philosophie entdeckt zu haben (GA I, 2/215). Auch Hegel verwendet noch in den Manuskripten zum Geist des Christentums einen positiven, emphatischen Begriff der Subjektivitat, wenn er sagt, da& Jesus den positiven jiidischen Gesetzen ,,die ganze Subjektivitit des Menschen entgegensetzt” (FrSchr 321, N 246). In unserem Text ist ,,hdchste Subjektivitit” jedoch, wie dann in den frithen Jenaer Schriften, der Begriff fiir einen falschen Standpunkt, der zum Teil die Flucht vor Objekten, zum Teil deren Ver-

nichtung intendiert. Als Motivation fiir diesen Standpunkt gibt Hegel hier ,,die Furcht vor Vereinigung” an. ,,Vereinigung” wird sodann als nLiebe” gedeutet. Hegel hat damit anscheinend Hélderlins Fichtekritik aus der Perspektive der Vereinigungsphilosophie iibernommen (Henrich (’71) 22 ff.) *. Die primare philosophische Aufgabe ist es demnach nicht mehr, ,,reines SelbstbewuBtsein”,

sondern

,reines

Leben”

bzw.

,,Sein”

zu

denken

(FrSchr 370f., N 302). Fichtes Idee des reinen Ich ist dann ebenso wie positive Religion Ausdruck fehlender oder falscher Vereinigung. Hegel hat diesen Zusammenhang noch in dem Fragment von 1800 formuliert, das iiblicherweise als ,,Systemfragment” gilt: Die ,, Vollstandigkeit”, die in einem ,zerrissenen und zertrennten” Leben mdglich ist, kinne man »von der Seite der Subjektivitat als Selbstandigkeit betrachten oder von der anderen als fremdes, entferntes, unerreichbares Objekt; beides scheint

nebeneinander vertraglich zu sein, so notwendig es ist, da&, je stirker die Trennung, desto reiner das Ich und desto weiter zugleich das Objekt tiber und fern den Menschen ist [. . .] es ist zufallig, welche Seite sein Bewu8tsein aufgreift, ob die, einen Gott zu fiirchten [...] oder [die,] sich als reines Ich [. . .] zu setzen” (FrSchr 426 f., N 351). 1.2 Fichteanische Elemente der Komplementenlehre Trotz dieser fichtekritischen Wendung bleibt Fichte auch fiir den Frankfurter Hegel konstitutiv. Dies gilt erstens auf der Ebene der Termino-

logie. So hei&t es im ,,Geist des Christentums”

Den

gottesdienstlichen Geboten

von der Moral

Jesu:

stellte Jesus das ihnen gerade Ent-

33 Zu Holderlins Fichtekritik ausfiihrlichher: D. Henrich (’67 b), Hélderlin tiber Urteil und Sein. Eine Studie zur Entstehungsgeschichte des Idealismus, in: Hél-

derlin-Jahrbuch Bd. 14 1965/66, Tiibingen S. 73—96.

296

gegengesetzte, einen Trieb [...] gegeniiber” (FrSchr 318, N 262). ,,In der Setzung der Subjektivitat gegen das Positive schwindet die Gleichgiiltigkeit des Dienstes und seine Grenze. Der Mensch steht fiir sich da,

sein Charakter und seine Tat wird Er selbst; er hat nur Schranken da, wo er sie selbst setzt, und seine Tugenden Bestimmtheiten, die er selbst

begrenzt” (FrSchr 337, N 277). Mit der These, daf ,,in jeder Vereinigung

ein Bestimmen und Bestimmtwerden” ist (FrSchr 253, N 384), nimmt He-

gel grundlegende Konstruktionsmittel der Fichteschen Wissenschaftslehre von 1794 auf “. Der Fortschritt der Komplementenlehre ist wie der der ,,Wissenschaftslehre” eine Steigerung von Selbstbestimmung: ,,Das Moralgesetz hebt zugleich die rein positiven Gebote auf, indem sie [die Moralitét] kein Gesetz anerkennt als ihr eigenes, aber inkonsequent

darin, indem es doch nicht blo8 ein Bestimmendes, sondern Bestimmbares ist, also immer noch unter einer fremden Macht steht” (FrSchr 304,

N 390f.; vgl. FrSchr 309, N 395). SchlieBlich sind die Fichteschen Begriffe der ,Entgegensetzung”,

,,Reflexion”

und

,,Vereinigung”

in den

zitierten Texten iiberall prasent *. Eine fichteanische Terminologie ist allerdings noch kein Beweis fiir eine fichteanische Lehre, sondern héchstens

fiir eine mit Fichte gemein-

same Thematik, nimlich die der Selbstbestimmung. Hegel hat diese Thematik jedoch nicht nur im Rahmen der Hélderlinschen Thematik von Sein und Vereinigung behandelt, sondern auch im Rahmen einer Thematik, die fiir Fichte bestimmend ist, namlich der des SelbstbewuStsein und

der praktischen Selbstbeziehung. So ist Hegels Lehre von der Verséhnung mit dem Schicksal nur méglich aufgrund folgender These: ,,Das Schicksal ist das BewuBtsein seiner selbst [...] als eines Ganzen, dies Bewu8tsein des Ganzen reflektiert, objektiviert” (FrSchr 306, N 392f.; vgl. FrSchr 346 Anm., N 283 Anm. [a]). Obwohl Hegel schon den Stand-

punkt der , héchsten Subjektivitat” als den der ,,Furcht vor Vereinigung”

kritisiert hatte (FrSchr 241, N 376), hat er es noch als zentrale Aufgabe

angesehen, ,,SelbstbewuStsein” bzw. ,,reines SelbstbewuStsein” zu denken (FrSchr 370, N 302). Hegel hat diese Begriffe dann zwar gestrichen und durch ,reines Leben” bzw. ,,Bewu8tsein reinen Lebens” ersetzt

(ebd.). Diese Verainderung kann jedoch kaum besagen, da8 Selbstbe-

wu8tsein nun nicht mehr Hegels Thema ist. Es wird vielmehr von Hegel jetzt, vermutlich unter dem Einflu& Hélderlins, mit Hilfe des Begriffs des

»teinen Lebens” oder Die Thematik des teanische, auch wenn stellt hat. Sie wird es

,,Seins” ausgelegt bzw. hinterfragt. SelbstbewuStseins ist nun nicht per se eine fichFichte sie zuerst ins Zentrum der Philosophie geaber dadurch, da8 Hegel hier auch eine spezifisch

34 Vgl. Th. Baumeister, Hegels friihe Kritik an Kants Ethik, Heidelberg ('76) S. 48. 35 Vgl. J. Schwarz, Hegels philosophische Entwicklung, Frankfurt (’38) S. 71.

297

Fichtesche Problematik iibernimmt,

namlich die des Verhiltnisses

von

Bestimmtheit und Unbestimmtheit im Selbstbewu8tsein. So hei8t es von

dem soeben zitierten ,reinen Selbstbewu8tsein” bzw. ,BewuStsein rei-

nen Lebens”: ,,Dies Einfache ist nicht ein negatives Einfaches, eine Einheit der Abstraktion (denn in der Einheit der Abstraktion ist entweder nur ein Bestimmtes gesetzt und von allen iibrigen Bestimmtheiten abstrahiert, [oder] ihre reine Einheit ist nur die gesetzte Forderung der Abstraktion von allem Bestimmten; das negative Unbestimmte. Reines

Leben ist Sein)” (FrSchr 371, N 302f.). Hegel will mit den Begriffen »Sein” und ,reines Leben” also offenbar wie Fichte eine radikale Un-

bestimmtheit im SelbstbewuBtsein denken, d.h. eine Unbestimmtheit,

die nicht mehr im Widerspruch zu seiner Bestimmtheit steht *. Damit

weist Hegel bereits wesentlich iiber Hélderlin hinaus, und zwar in die

Richtung Fichtes *”. Eine Antwort auf dieses Problem gelingt Hegel allerdings erst in Jena mit dem Begriff der ,absoluten Negativitat”.

Eine fichtesche Problematik stellt weiterhin den Rahmen dar, in dem Hegel seine Komplementenlehre entwickelt, wenn sie sich auch gerade 36 H. Schmitz hat einen subtilen Versuch gemacht, die Idee der radikalen Unbestimmtheit zu explizieren: Die Logik der unendlichfachen Unentschiedenheit, in: H. Schmitz (‘68), Subjektivitdt. Untersuchungen zur Phinomenologie und Logik, Bonn S. 95 ff., vgl. Anm. 44; zu den Primissen

dieser Fragestellung s. II,

1. Eine andere Rekonstruktion gibt Schmitz (’80) in dem Band IV seines Systems der Philosophie: Die Person, Bonn § 257 d. 37 Hegel glaubt iibrigens — im Unterschied zu Hélderlins Lehre von der ,exzentrischen Bahn” —, da8 die urspriingliche Einheit in der ,Liebe” real wiederhergestellt werden kann: ,In ihr findet sich das Leben selbst, als eine Verdoppe-

lung seiner selbst, und Einigkeit desselben; das Leben hat, von der unentwil kelten Einigkeit aus, durch die Bildung den Kreis zu einer vollendeten Einig-

keit durchlaufen” (FrSchr hier: ,Diese Einigkeit ist flexion Gentige geleistet Méglichkeit der Reflexion,

246, N 379). In einer gestrichenen Passage hei&t es darum vollendetes Leben, weil in ihr auch der Reworden ist; der unentwickelten Einigkeit stand die der Trennung gegeniiber; in dieser ist die Einigkeit

und Trennung vereinigt, ein Lebendiges, das sich selbst entgegengesetzt worden

war (und sich selbst izt fihlt), aber diese Entgegensetzung nicht absolut machte. Das Lebendige fiihlt in der Liebe das Lebendige, in der Liebe also sind alle Aufgaben,

die sich selbst zerstérende Einseitigkeit der Reflexion,

und die

unendliche Entgegensetzung des bewuBtlosen, unentwickelten, Einigen gelist” (N 379 Anm. [b]; diese Passage fehlt leider in der Suhrkamp-Ausgabe). Die Vereinigung von Einigkeit und Trennung wird dann durch die Fichtesche Dialektik von Bestimmen und Bestimmtwerden beschrieben (FrSchr 253, N 384). In der Formulierung einer ,Vereinigung von Einigkeit und Trennung” nimmt Hegel bereits die Formel der Differenzschrift von der ,Identitat von Identitat und Nichtidentitit” vorweg. Der spezifische Hintergrund der spekulativen Grundformel Hegels kommt in den zitierten Frankfurter Fragmenten besser zum Ausdruck als in den eher Reinholdschen bzw. Kantischen Formeln des ,Systemfragments” von 1800: ,Verbindung der Entgegensetzung und Beziehung”

bzw. ,Verbindung der Verbindung und Nichtverbindung~ 298

(FrSchr 422, N 348).

gegen Fichtes inhaltliche Idee von Moralitat richtet. Die Komplementenlehre zielt material vor allem auf eine Kritik der kantischen Gesetzesethik (s. Teil I, 6). Dabei beschreibt Hegel die kantische Ethik als eine verwandelte und generalisierte Form der jiidischen positiven Gesetzesreligion. Hegel gibt damit in gewisser Weise seinen Tiibinger Lehrern das Recht zuriick, die orthodoxe Theologie mit kantischen Mitteln zu

restaurieren. Wichtiger erscheint mir jedoch, da8 Hegel den jiidischen

Geist in Terminis der fichteschen Idee von Moralitat beschreibt. Hegels Analyse des Geistes des Judentums ist zunachst eine Deutung

der Gestalt des Abraham: ,,Mit Abraham, dem wahren Stammvater der Juden, beginnt die Geschichte dieses Volks, d. h. sein Geist ist die Einheit, die Seele, die alle Schicksale seiner Nachkommenschaft regierte”

(FrSchr 274, N 243). Von Abraham erwahnt Hegel, da8 er schon frith

sein Vaterland und dann

seine Familie verlassen habe,

selbstindiger, unabhangiger

Mann”

zu sein. Diese

,um

ein ganz

,,Selbstandigkeit”

hat einen spezifischen Sinn. ,Auch Kadmos, Danaos usw. hatten ihr Vaterland, aber im Kampf verlassen; sie suchten einen Boden auf, wo sie frei waren, um lieben zu kénnen; Abraham wollte nicit lieben und darum frei sein; jene, um in unbefleckten schénen Vereinigungen, was ihnen in ihrem Lande nicht mehr vergénnt war, leben zu kénnen, sie trugen diese Gétter mit sich fort, — Abraham wollte frei von diesen Beziehungen

selbst sein” (FrSchr 277, N 246).

Unter diesem Gesichtspunkt sieht Hegel auch den Entschlu8 zur Opfe-

tung seines Sohnes Isaak: ,,Selbst die einzige Liebe die er hatte, die zu seinem Sohne, und Hoffnung der Nachkommenschaft, die einzige Art, sein Sein auszudehnen, die einzige Art der Unsterblichkeit, die er kannte und hoffte, konnte ihn driicken, sein von allem sich absonderndes Ge-

miit stéren und es in eine Unruhe versetzen, die einmal so weit ging, da er auch diese Liebe zerstéren wollte und nur durch die GewiSheit

des Gefiihls beruhigt wurde, da8 diese Liebe nur so stark sei, um ihm

doch die Fahigkeit zu lassen, den geliebten Sohn mit eigener Hand zu

schlachten” (FrSchr 279, N 247).

Die ,,Selbstindigkeit” Abrahams ist also ebenso wie diejenige der Fichteschen Ethik nur durch Herrschaft realisierbar, insbesondere durch Herrschaft iiber sich selbst. Da& Fichtes ethische Herrschaft im Unterschied zu der Abrahams mit Mord unvereinbar ist, weil sie die Selbstandigkeit aller intendiert, kann hier zundchst auSer Betracht bleiben.

Die Herrschaft iiber die Welt erreicht Abraham indirekt durch Unter-

werfung unter einen Gott, der die Welt beherrscht: ,,Da Abraham selbst

die einzige mdgliche Beziehung, welche fiir die entgegengesetzte unendliche Welt méglich war, die Beherrschung, nicht realisieren konnte, so

blieb sie seinem Ideale iiberlassen; er selbst stand zwar auch unter sei-

ner Herrschaft, aber er, in dessen Geiste die Idee war, er, der ihr diente,

299

geno

seiner Gunst, und da die Wurzel seiner Gottheit

seine Verach-

tung gegen die ganze Welt war, so war auch er ganz allein der Giinst-

ling” (ebd.).

Es fragt sich nun, warum Abraham nach unbedingter Selbstindigkeit und Herrschaft strebt. Hegel beantwortet diese Frage indirekt durch die Deutung Noahs, des Stammvaters von Abraham. Hegel erklart die

Genese der Religion der Herrschaft als Antwort auf die Erfahrung der

absoluten Bedrohung in der biblischen Sintflut. Die Erfahrung ,,jenes allgemeinen, durch feindselige Elemente bewirkten Menschenmordes” (FrSchr 275, N 244) bringt nach Hegel mit Notwendigkeit den Willen

zur absoluten Herrschaft hervor. Adaquater such Nimrods, das ,,Toben” der Natur durch und die Mittel der Technik niederzuhalten wirklicht sich dieser Wille durch den Bund der absoluten Herrn:

als im aussichtslosen Verdie Macht einer Despotie (FrSchr 276, N 245), verGemeinde Noahs mit dem

,Sie glaubten an ihren Gott, weil sie, mit der Natur

villig entzweit, in ihm den” (FrSchr 294 Anm., Hegels Riickgriff auf Literatur seiner Zeit *.

die Vereinigung derselben durch Herrschaft fanN 258 Anm.[a]) *. die Sintflutsage hat anscheinend Vorbilder in der Vor allem handelt es sich dabei jedoch m. E. um

eine theologische Veranschaulichung von Fichtes Lehre vom ,,Nicht-Ich“.

Fichte lehrt namlich nicht nur, da8 dem Ich ein Nicht-Ich ,,schlechthin

entgegengesetzt” wird (GWI 298). Dies ,,Entgegensetzen” hat vielmehr auch die Bedeutung der Vernichtung: ,,Insofern das Nicht-Ich gesetzt ist, ist das Ich nicht gesetzt; denn durch das Nicht-Ich wird das Ich villig aufgehoben” (GWI1 300). Gegeniiber einem Bestimmtwerden durchs Nicht-

Ich kann sich das Ich als solches nach Fichte nur dadurch behaupten, da8

es seinerseits das Nicht-Ich vollstindig bestimmt. Dafiir, da8 Hegels Deutung der jiidischen Religion durch diese Lehre Fichtes gepragt ist, spricht zunachst die Tatsache, da8 die Lésung des Problems bei beiden dieselbe ist: die Bestimmung des Nicht-Ichs durchs Ich. Man

kénnte auch noch anfiihren, da

das ,,Beherrschte”, ,,Passive”

jeweils als ,Totes” und sogar als ,,Nichts” (FrSchr 283, N 250) bzw. »Nichts-Sein” (FrSchr 318, N 262) gilt. Der wichtigste Beleg fiir meine

These findet sich aber in dem bereits zitierten ersten Frankfurter Frag-

ment. Dort sagt Hegel, da8 die ,,praktische Einheit” im Unterschied zur theoretischen ,,sich nur rettet gegen das mannigfaltige Entgegengesetzte, das in Riicksicht auf das praktischhe Vermégen immer unverbunden bleibt; die praktische Einheit wird dadurch behauptet, da8 das Entgegengesetzte ganz aufgehoben wird” (FrSchr 239, N 374). 38 Zu den Einzelheiten des Bundes der Herrschaft s. FrSchr 275, N 244. 39 Kondylis wAlexis”.

verweist

in

seiner

Heidelberger

300

Dissertation

auf

Hemsterhuis’

Da die praktische Einheit sich vor dem Entgegengesetzten, dem NichtIch , nur rettet”, wird sie offenbar als solche durch dieses bedroht — wie

die Menschen durch die Sintflut —, und die praktische Einheit kann sich

gegen das bedrohende Nicht-Ich nur dadurch behaupten, da8 es diesem die Macht der Entgegensetzung nimmt, es also beherrscht oder sogar

vernichtet. Wie wir bereits gesehen haben, behandelt Hegel in dem un-

mittelbar folgenden Text und im ,,Systemprogramm” von 1800 die positive Religion und das reine Ich als Reaktionen auf die Unméglichkeit von Vereinigung. Uber diese Kritik an Fichte sollte man jedoch nicht vergessen, da8 das Problem, das diese Reaktionen

provoziert, erst unter

fichteschen Primissen zustandekommt. Dieses Problem ist namlich die Aporie der Vereinigung von Ich und Nicht-Ich, von Unbestimmtheit und Bestimmtheit bzw. von Selbstbestimmung und Bestimmtwerden. Hegels Theorie hat iibrigens sogar eine direkte Parallele in der Lehre aus Fichtes Sittenlehre von 1798, da8 das Ich sich seiner selbst als Wille zur Herrschaft bewu8t wird, bevor es sich als moralisches Subjekt zu verstehen lernt. In der Lehre von der ,,heroischen Denkart” hat Fichte

namlich den Willen zur ,,unbeschrankten und gesetzlosen Oberherrschaft iiber alles au8er uns” als AuSerung des ,,blinden und gesetzlosen Triebs

nach absoluter Selbstandigkeit” verstanden (SI 580). Im Zusammenhang seiner Untersuchung ,,Uber die Ursache des Bésen im endlichen verniinftigen Wesen” entwickelt Fichte die Idee einer Theorie méglicher prinzipieller Standpunkte im Sinne von Stufen der Selbsterfassung der Freiheit. Allerdings ist die Aufzahlung Fichtes nicht konsequent an einer Analyse der Stufen praktischer Ichidentitat, sondern zum Teil an gangigen Klassifikationen ethischer Standpunkte orientiert. So erscheint als erster Standpunkt nicht nur der der Lust, sondern auch der des Eigennutzes — sie werden von

(ebd. 572 ff.).

Fichte nicht klar unterschieden

Der zweite Reflexionspunkt ist nun der der ,,unbeschrankten und ge-

setzlosen Oberherrschaft iiber alles auSer uns” (ebd. 580). Fichte versteht ihn als unmittelbare Erscheinungsform der Tendenz zur absoluten Selbstindigkeit. Der Mensch wird hier ,blind getrieben [. . .], alles auSer

ihm der absoluten Botma&igkeit seines Willens zu unterwerfen“

(ebd.).

»Der zwar nicht deutlich gedachte, aber dunkel unsere Handlungen leitende Zweck ist der, da8 unsere gesetzlose Willkiir iiber alles herrsche” (ebd. 584). Transsubjektive Motive sind hier jedenfalls keine moralischer Art: ,,Man will gro8miitig sein und schonen, nur nicht gerecht. Man hat Wohlwollen gegen andere, nur nicht Respekt und Achtung fiir ihre Rechte” (ebd. 582). Da8 diese ,,heroische Denkart” insofern verniinftig ist, als sie aus dem Streben nach Autonomie entspringt, erweist sich darin, da8 sie ,,Bewun-

derung einflé8t; dahingegen derjenige, der erst berechnet haben mu&, 301

was er dabei gewinnen werde, ehe er eine Hand riihrt, verachtet wird. Sie

ist und bleibt doch immer Unabhingigkeit von allem au8er uns; ein Be-

ruhen auf sich selbst. Man kénnte sie heroisch nennen. Sie ist auch die

gewohnliche Denkart der Helden unserer Geschichte” (ebd. 584). Fichtes Ich-Philosophie spielt nun auf den Stufen der Komplementen-

lehre, die auf den Geist des Judentums folgen, keine groSe Rolle mehr.

Die begrifflichen Mittel, mit denen Hegel die Stufen von Moralitat, Ge-

neigtheit, Liebe, Freundschaft und Religion (vgl. I, 6) aufeinander bezieht, sind tiberhaupt noch sehr unentwickelt. Immerhin 1a8t sich beobachten, da8 Hegel das Verhaltnis von Gesetz und Neigung u. a. mit Fich-

tes Sittenlehre als das von ,,Begriff” und ,,Wirklichem” fa8t (FrSchr 327,

N 268); und die Verséhnung mit dem Schicksal ist deshalb méglich, weil das Schicksal als ,,das Bewu8tsein seiner selbst [. ..] als eines Ganzen, dies

Bewu&tsein des Ganzen, reflektiert, objektiviert” interpretiert wird (FrSchr 306, N 392f.; vgl. FrSchr 346 Anm., N 283 Anm.[a]). Die Verséhnung sieht Hegel dabei in einer Vereinigung von ,,Tapferkeit” und »Passivitat” (FrSchr 349, N 285). Es ist auch mindestens eine interes-

sante Parallele, da8 Fichte seine Lehre von der ,,heroischen Denkart”, die starke Parallelen zum

,,Geist des Judentums” aufweist, im Kontext einer

subjektivitatstheoretischen Begriindung des ,,Bésen” entwickelt und da8 Hegel dem ,,Verbrechen” eine konstitutive Rolle in seiner Komplemen-

tenlehre zuweist (s. I, 6.3). SchlieSlich kann man auch einen Fichtebezug darin finden, da8 Hegel die hdéchste Stufe der Komplementierung, Religion, dadurch charakterisiert, da& — wie die Fichtesche ,,Einbildungs-

kraft” — ,,der Gott zwischen Himmels Unendlichem, Schrankenlosem und der Erde, dieser Versammlung von lauter Beschrinkungen, in der

Mitte schweben sollte” (FrSchr 409, N 335). Der sachliche Ertrag von Hegels Frankfurter Fichterezeption ist allerdings begrenzt. Da& das Ich durchs Nicht-Ich aufgehoben zu werden droht, folgt bei Fichte zunachst aus der These, da& das Ich als absolute

Selbstbestimmung gedacht werden mu&. Diese These ist jedoch sachlich nicht haltbar (s. II, 2.1). Fichtes Lehre kann man auch daraus ableiten, da8 das Ich seine wesentliche Selbstindigkeit im Medium der Selbstreflexion als attributive Unbestimmbarkeit versteht und deshalb auf das Faktum des Bestimmtwerdens mit dem Versuch vollstindigen Bestim-

mens, also Beherrschens oder Vernichtens, reagieren mu8. Fichte hat je-

doch bestenfalls die Méglichkeit, nicht die Notwendigkeit oder Motiviertheit dieses Selbstverstandnisses aufgezeigt (s. II, 2.3). Es ist deshalb jedoch nicht notwendig, Hegels Komplementenlehre aus dem Rahmen der Fichteschen Subjektivitatstheorie herauszulésen. Da Fichtes IchPhilosophie in ihrer praktischen Komponente der Sache nach eine Theodie der praktischen Ichidentitat antizipiert, kann die Bedrohung der Sintflut als mythischer Ausdruck einer Bedrohung zwar nicht der Existenz, 3502

aber eines konsistenten Selbstverstindnisses des Ich verstanden werden. SchlieBlich ist die Sintflutsage sogar ein besonders suggestives Bild fiir die Bedrohung der emotionalen Ichidentitat “.

2. Differenzschrift und ,,Glauben und Wissen” Hegel scheint sich in Jena noch weiter von dem Fichteanismus der spaten Berner und friihen Frankfurter Zeit und den fichteschen Elementen seiner Komplementenlehre zu entfernen. Dafiir spricht die Kritik des Fichteschen Systems in der Differenzschrift, die Einordnung der Fichteschen

Philosophie

als eine Form der ,,Reflexionsphilosophie der Subjektivi-

tat” in ,Glauben und Wissen” und die Kritik am modernen Natur- und

Vernunftrecht im Naturrechtsaufsatz und im ,,System der Sittlichkeit“. Mit der Kritik an der Philosophie der ,Subjektivitat” setzt Hegel die fichtekritische Wendung fort, die er am Anfang der Frankfurter Zeit unter dem Einflu8 Hélderlins vollzogen hatte. Sie wird nun radikalisiert durch die Entwicklung einer an Schelling orientierten Systemkonzeption, einer spekulativen Deutung der christlichen Erlésungslehre und einer Idee der praktischen Philosophie, die an Plato, Aristoteles und Spinoza orientiert ist. Mit der emphatischen Deklaration des spinozistischen Begtiffs des Absoluten scheint Hegel sich auf einen philosophischen Standpunkt zu stellen, den Fichte als seinen eigentlichen Gegner angesehen hatte. Bei naherem Zusehen zeigt sich jedoch, da& Hegels frithe Jenaer Fichtekritik als eine Radikalisierung Fichtescher Intentionen verstanden werden kann. Hegel geht mit Fichte von dem Prinzip des ,,reinen Selbstbewu8tseins” (D 52, Mei 39) oder ,dem reinen Denken seiner selbst” (ebd.; D 54, Mei 40) aus und fragt, wie dieses SelbstbewuBtsein ein Wissen von sich haben kann, obwohl es ein radikal Unbestimmtes ist. Auch He-

gels Strategie zur Auflésung der Antinomie, das Postulieren zendentalen Anschauung”, hat ihren Vorganger in Fichtes des moralischen BewuStseins in der ,,Grundlage”, auch wenn seiner Lehre andere Absichten verfolgt. Eine Riickwendung zu

der ,,transDeduktion Hegel mit Fichte liegt

dann der Sache nach in der Weiterentwicklung der Lehre vom ,,Nichts”

in ,Glauben und Wissen”. Sie wird in den folgenden Schriften zur praktischen Philosophie zum Teil weiterverfolgt und zum Teil durch neue Ansitze zur Fichterezeption erganzt. 40 Vgl. Schmitz’ Untersuchung ,Die Symbolik und Begrifflichkeit der Bedrohung bei Kleist, Hélderlin und Hegel (mit besonderer Beriicksichtigung Hegels)”, in:

Schmitz

S. 20-89.

('57),

Hegel

als

Denker

der

393

Individualitat,

Meisenheim

am

Glan

2.1 Die fichtesche Antinomie als Grundproblem der Philosophie Hegel

hat bekanntlich

seit der Differenzschrift

Fichtes

,Ich=Ich”

als

»absolutes Prinzip der Spekulation” (D 56, Mei 42) anerkannt. Fichtes Philosophie sei insofern ,die griindlichste und tiefste Spekulation”

(D 51, Mei 38). Nach Hegel kann Fichte an diesem Prinzip der Identitat

von Subjekt und Objekt in der Durchfiihrung seines Systems jedoch nicht festhalten: ,,Diese Identitat wird vom System nicht aufgezeigt; das objektive Ich wird nicht gleich dem subjektiven Ich, beide bleiben sich absolut entgegengesetzt. Ich findet sich nicht in seiner Erscheinung oder in

seinem Setzen; um sich als Ich zu finden, mu8 es seine Erscheinung zer-

nichten. Das Wesen des Ich und sein Setzen fallen nicht zusammen: Ich wird sich nicht objektiv” (D 56, Mei 42f.). Hegel kann diesen merkwiirdigen Widerspruch zwischen Prinzip und Durchfiihrung bei Fichte nur deshalb behaupten, weil er ,Ich=Ich” in

zweifacher Weise versteht. Erstens meint Hegel damit _,intellektuelle

Anschauung,

reines

Denken

seiner

selbst,

reines

SelbstbewuStsein”

(D 52, Mei 39). Zweitens bezeichnet dieser Ausdruck fiir Hegel jedoch die ,,Identitat des reinen und empirischen Bewu8tseins” (ebd.), die

Gleichsetzung ,,der objektiven Totalitdt des empirischen Wissen” mit dem ,reinen Selbstbewu8tsein”

(D 54, Mei 41) und das Sichfinden des

Ich ,,in seinem Setzen [.. .] als Ich” (D 56, Mei 42). In dieser Bedeutung ist ,Ich=Ich” nicht blo8 eine Formel fiir reines SelbstbewuStsein, sondern auch fiir ein gehaltvolles Wissen von sich und damit nach Hegel insbesondere fiir alles philosophische Wissen. Hegel meint nun, da8 bei Fichte unter dem ,spekulativen” Titel des »ich=Ich” in Wahrheit nur reines SelbstbewuStsein gedacht wird, nicht jedoch die Einheit von reinem und empirischem Selbstbewu8tsein und damit philosophisches Wissen. Der fichtesche Gedanke des ,reinen Selbstbewu8tseins”

entsteht nach Hegel folgenderma8en:

,,Dem Philo-

sophen entsteht dieses reine SelbstbewuStsein dadurch, da er in seinem

Denken von allem Fremdartigen abstrahiert, was nicht Ich ist, und nur

die Beziehung des Subjekts und Objekts festhalt” (D 52f., Mei 39). Aus dieser Genese des ,,reinen SelbstbewuStseins” ergibt sich seine Struktur: in der Entgegensetzung gegen das empirische BewuB8tsein erscheint die intellektuelle Anschauung, das reine Denken seiner selbst, als Begriff, namlich als Abstraktion von allem Mannigfaltigen” (D 54, Mei 40). Dadurch ergibt sich nach Hegel jedoch kein philosophisches Wissen, dieses wird vielmehr unméglich:

,,Auf diese Weise ist durch die trans-

zendentale Anschauung kein philosophisches Wissen entstanden; sondern im Gegenteil, wenn sich die Reflexion ihrer bemachtigt, sie ande-

rem Anschauen entgegensetzt und

diese Entgegensetzung festhilt, ist

304

kein philosophisches Wissen miglich. Dieser absolute Akt der freien Selbsttatigkeit ist die Bedingung des philosophischen Wissens, aber er ist noch nicht die Philosophie selbst” (D 54, Mei 41). Hegel scheint hier Fichte zu unterstellen, da8 das reine Selbstbewuft-

sein deshalb nicht gleichzeitig empirisches SelbstbewuStsein sein kann, weil es erst durch Abstraktion von den empirischen Bestimmungen zuginglich wird. Das ware in der Tat eine falsche Argumentation. Wenn ich die Eigenschaft

eines bestimmten

SelbstbewuStseins

denke,

iiber-

haupt Selbstbewuftsein zu sein, mu8 ich dabei natiirlich von den Bestimmtheiten dieses SelbstbewuStseins abstrahieren. Daraus folgt na-

tiirlich nicht, da8 dieses SelbstbewuStsein nun keine empirischen Bestimmungen mehr haben kann, da es seinem Wesen nach Abstraktion

von allen Bestimmtheiten ware. Hegel hat jedoch an Fichtes Begriff des reinen Ich nicht kritisiert, da8 Fichte dieses wesentlich als unbestimmtes fa8t. Die Charakterisierung des reinen Ich als ,,Unbestimmtes”

oder ,,Unbestimmtheit”

findet sich

haufig, vor allem in Hegels Darstellung von Fichtes praktischer Philosophie (D 71, 73, 74, 76f.; Mei 55, 56, 57, 58, 60), ohne da8 Hegel es fiir ndtig hilt, dafiir eine Begriindung zu verlangen oder selbst zu geben. Es ist nach Hegels Ansicht gerade die Aufgabe der philosophischen Refle-

xion, das Verhdltnis von Unbestimmtheit und Bestimmtheit, Unbeschranktheit und Beschranktheit, Unendlichkeit und Endlichkeit als

Antinomie zu formulieren (D 26f., 39f., 44, 76f.; Mei 18, 29, 33, 60). Dabei ist das eine Glied dieser Grundantinomie das Ich als Unbestimmtheit. Gegen Fichte wendet Hegel ein, da& dieser von Grundsitzen ausgegangen ist (D 35 ff., Mei 25 ff.), die zwar faktisch eine Antinomie formulieren (D 59, Mei 45), ohne da& bei Fichtes Verfahren jedoch klar werden kénnte, da8 diese Antinomie nur eine Konstruktion der philosophischen Reflexion ist, die sich selbst negieren mu8 und sich dadurch als ,Spekulation” erweist. Da Fichte die Widerspriichlichkeit seiner Grundsatze nicht als Antinomie erfa8t habe, bleibe er in der Durchfiih-

tung seines Systems bei der ,,Reflexion” stehen (D 55 £., 71; Mei 42, 55);

das ,,lch=Ich”

verwandle sich deshalb in seinem System notwendig in

nich soll gleich ich sein“ (D 50, 68; Mei 38, 53). ,Die Antinomie bleibt als Antinomie und wird im Streben ausgedriickt” (D 70, Mei 54). Demgegeniiber lautet Hegels eigenes Programm: ,,Die wahre Antinomie, die beides, das Beschrankte und Unbeschrankte, nicht nebeneinander, son-

dern zugleich als identisch setzt, mu8

zung aufheben” (D 44, Mei 33).

305

damit zugleich die Entgegenset-

2.2 Hegels Programm der Auflésung der Antinomie

und die Begriffe des ,,Nichts“” und der ,Unendlichkeit”

Hegel scheint mit Fichte in dem entscheidenden Punkt iibereinzustimmen, da8 die Struktur epistemischer oder kognitiver Selbstbeziehung die Aufstellung einer Antinomie der Unbestimmtheit und Bestimmtheit des Ich legitimiert und erzwingt. Wie ist nun nach Hegel die Auflésung dieser Antinomie méglich? Hegel versteht mit Fichte die ,, Unbestimmtheit”

auch als ,,absolute Selbsttatigkeit” (D 71, Mei 55). Die Aufhebung der Antinomie mu8 dann in einer Selbstbestimmung gesucht werden, die sich gerade dazu bestimmt, sich bestimmen zu lassen: ,,Durch eine echtfreie Gemeinschaft lebendiger Beziehungen hat das Individuum auf seine

Unbestimmtheit, das hieSe Freiheit, Verzicht getan.

In der lebendigen

Beziehung ist allein insofern Freiheit, als sie die Méglichkeit, sich selbst aufzuheben und andere Beziehungen einzugehen, in sich schlie8t; d. h.

Freiheit ist als ideeller Faktor, als Unbestimmtheit weggefallen” (D 83,

Mei 65). Diese Lésung

kann aber nicht befriedigen. Eine Selbstbestimmung

dazu, sich bestimmen zu lassen, ist nur dann frei, d. h. rational, wenn sie

sich deshalb dazu bestimmt, sich bestimmen zu lassen, weil sie wei8, da8 das dann Bestimmende in rationaler Weise bestimmt. Das darf jedoch beziiglich des zweiten Gliedes der Antinomie nicht unterstellt werden. Wie wir im Fichteteil gesehen haben, rechtfertigt Fichtes Ansatz die Aufstellung einer Antinomie von Selbstbestimmung und Bestimmtwer-

den nicht (vgl. II, 2.1). Es handelt sich vielmehr der Sache nach bei Fichte

wie bei Hegel héchstens um eine Antinomie der Unbestimmtheit und Bestimmtheit des Ich (vgl. II, 2.3). Hegel war nun gegen Fichte der Meinung, da& die Auflésung der sub-

jektivitatstheoretischen Antinomie, die durch ,,Reflexion” erzeugt ist, nur durch ein Uberschreiten der Subjektivitat und die Erhebung ,,auf den

Standpunkt des Absoluten” (D 53, Mei 40) méglich ist. Falls ,,das Absolute” ein vom SelbstbewuStsein verschiedener, eigener Gegenstand

sein soll, ist dies jedoch keine Lésung des Problems. Eine Antinomie, die

sich bei der Thematisierung eines Gegenstandes ergibt, kann nicht in der Thematisierung eines anderen Gegenstandes aufgelést werden, mag dieser den ersteren auch als Moment enthalten. Wenn man die Antinomie im Ich mit Hegel zugibt, mu& man sie auch durch vertiefte Analyse der Subjektivitat auflésen. Entgegen dem ersten Anschein kann Hegels Ansatz in der Differenzschrift auch in dieser Richtung interpretiert werden. Hegel sagt namlich

von

der philosophischen Reflexion:

,,Sie erweist sich als Vernunft da-

durch, da sie die Antinomie des bedingten Unbedingten aufstellt, und indem sie durch dieselbe auf eine absolute Synthese der Freiheit und des 306

Naturtriebs hinweist, hat sie die Entgegensetzung

und das Bestehen

beider oder eines derselben, und sich selbst nicht als das Absolute und

Ewige behauptet, sondern vernichtet und in den Abgrund ihrer Vollendung gestiirzt” (D 77, Mei 60). Hegel spielt hier auf den Hilderlinschen Empedokles an, der sich in den Krater des Atna stiirzt. Die ,Vernichtung”, von der Hegel spricht, kann keinen

wértlichen

Sinn haben. Denn durch die Vernichtung des Ich wird natiirlich nicht die

Antinomie aufgelést, auf die das Phanomen des Wissens von sich fiihren soll. Die ,,Vernichtung” kann die Antinomie nur dann auflésen, wenn sie die ,,Unbestimmtheit” des Ich so radikalisiert, da8 diese mit sei-

ner Bestimmtheit nicht mehr unvereinbar ist. In diese Richtung weist bereits Schellings Begriff der ,,Indifferenz”, also der Ununterschiedenheit.

Darauf zielt Hegel auch z. T. mit dem spinozistischen Begriff der ,,Totalitat” (D 21f., 24, 94, 98; Mei14, 16, 75, 78). Spezifisch fiir Hegels In-

tention ist aber der Begriff des ,Nichts” (D 26, Mei 18) oder des ,,negativen Absoluten” (D 26, Mei17). Mit diesen Ausdriicken, Vorformen

des Begriffs der ,absoluten Negativitat”, will Hegel eine Art von Un-

bestimmtheit denken, die mit Bestimmtheit nicht nur nicht unvereinbar ist, sondern diese sogar ,,setzt“: ,,Die Vernunft stellt sich als Kraft des

negativen Absoluten, damit als absolutes Negieren und zugleich als

Kraft des Setzens der entgegengesetzten objektiven und subjektiven Totalitat dar“ (ebd.). Wie denkt Hegel nun das Verhiltnis von Subjektivitat und ,,negativem Absoluten”? Hegel hat noch in seinen Berliner Vorlesungen iiber die Geschichte der Philosophie den Spinozismus als den wesentlichen Anfang allen Philosophierens beschrieben: ,,Wenn man anfangt zu philosophieren, so mu8 man zuerst Spinozist sein. Die Seele mu8 sich

baden in diesem Ather der einen Substanz, in der alles, was man fiir wahr gehalten hat, untergegangen ist. Es ist diese Negation alles Be-

sonderen, zu der jeder Philosoph gekommen sein mu; es ist die Befreiung des Geistes und seine absolute Grundlage” (GeschdPh III 165). Hegel versteht also den Spinozismus nicht wie Fichte als Dogmatismus, sondern gerade im Gegenteil als den wahren Beginn der kritischen Philosophie. Obwohl Hegel die spinozistische Idee dort mit dem eleatischen Sein vergleicht, kann der kritische Beginn der Philosophie von Hegel wohl nicht als Abschied von der modernen kritischen Philosophie,

die wesentlich Philosophie der Subjektivitat ist, gemeint sein.

Das ambivalente Verhaltnis der Philosophie des Nichts und der Sub-

jektivitat “ kommt noch scharfer als in der Differenzschrift zum Aus-

41 ,Die transzendentale Anschauung ist aber nichts anderes als Selbstanschauung des Ich, das selber die Bewegung der Entzweiung und Aufhebung der Entzweiung ist. Das

Ich ist die Bewegung

absoluter Negativitat. Das

307

Verhaltnis

zwi-

druck in dem Aufsatz aus dem ,,Kritischen Journal” iiber ,Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjektivitat in der Vollstandigkeit ihrer Formen als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie”. Hegel sagt dort einerseits im Kapitel iiber Fichte: ,,Das Erste der

Philosophie aber ist, das absolute Nichts zu erkennen, wozu es die Fich-

tesche Philosophie so wenig bringt, so sehr die Jacobische sie darum verabscheut. Dagegen sind beide in dem der Philosophie entgegengesetzten

Nichts;

das Endliche, die Erscheinung

hat fiir beide

absolute

Realitat; das Absolute und Ewige ist beiden das Nichts fiir das Erken-

nen” (GuW 410).

Auf der anderen Seite soll nach dem Kapitel iiber Jacobi Fichtes ,,Ich” eine Antizipation des Hegelschen ,,Nichts” sein: ,,Es ergibt sich hieraus

der wahre Charakter des Denkens, der Unendlichkeit ist; indem nam-

lich der absolute Begriff Unendlichkeit — an sich absolute Affirmation, aber gegen das Entgegengesetzte und Endliche gekehrt ist als ihre Identitat, so ist es absolute Negation, und diese Negation als seiend, reell gesetzt ist das Setzen Entgegengesetzter: + A—A = O. Das Nichts existiert als + A—A

und ist seinem Wesen nach Unendlichkeit, Denken,

absoluter Begriff, absolute reine Affirmation. Diese abstrahierte Unendlichkeit der absoluten Substanz ist dasjenige, was Fichte als Ich oder

reines Selbstbewu&tsein, reines Denken, namlich als das ewige Tun oder

Produzieren der Differenz, welche das reflektierte Denken immer nur als Produkt kennt, unserer neuen

subjektiveren

Kultur nahergebracht

hat” (GuW 351). Ahnlich hei&t es dann im SchluSabschnitt, da8 in den Philosophien der Subjektivitat ,,das Denken als Unendlichkeit und negative Seite des Absoluten — welche die reine Vernichtung des Gegensatzes oder der Endlichkeit, aber zugleich auch der Quell der ewigen Bewegung oder der Endlichkeit, die unendlich ist, d. h. die sich ewig vernichtet, aus

welchem Nichts und reinen Nacht der Unendlichkeit die Wahrheit als aus dem geheimen Grund, der ihre Geburtsstitte ist, sich emporhebt —

erkannt wird” (GuW 431) “. Schmitz hat plausibel gemacht, da8 die logische Figur des ,,unendlichen Urteils”, die besonders in den Jenaer Schriften Hegels eine wichtige Rolle

schen Ich und Negativitat hat Hegel aber am Anfang der Jenaer Zeit nicht ge-

nauer bestimmt” (W.Bonsiepen, Der Begriff der Negativitdt in den Jenaer Schriften Hegels, Bonn ('67) S. 67). 42 Bei Rohrmoser hei&t es dazu lakonisch: ,Es ist keine Frage, da8 Hegel in dieser positiven Aufnahme des unendlichen Begriffs und der Subjektivitit in sein Verstandnis des Absoluten der Sache nach entschieden von Schelling auf Fichte zuriickgeht” (G. Rohrmoser, Subjektivitat und Verdinglichung, Giitersloh ('61) S. 83). Eine Bekraftigung der These Rohrmosers findet sich bei H. Ottmann, Individuum und Gemeinschaft Bd. 1: Hegel im Spiegel der Interpretationen, Berlin New York ('77) S. 351 f.

308

spielt, von diesem frithen Begriff der Unendlichkeit, der im Unterschied

zu dem spiteren Begriff der Unendlichkeit einen betont negativen Charakter hat, seinen Namen bei Hegel bekommen hat “. Und mit dem Begriff des ,,unendlichen Urteils” bezeichnet Hegel eine radikalisierte Negation, die auch noch die impliziten positiven Unterstellungen des normalen negativen Urteils negieren und damit einerseits das radikal Unbestimmte und andererseits den Umschlag dieses unendlich Unbestimmten ins Bestimmte bedeuten soll (Schmitz (’57) 104 ff.). Hervorstechend sind nun in Jena insbesondere Urteile des Typs, ,da8

das Selbst ein Ding ist” (s. Schmitz (’57) 108 ff.). Es scheint auch kein Zufall zu sein, da& die wichtigsten Fille von unendlichen Urteilen in den

Jenaer Schriften Phanomene der epistemischen Subjektivitat betreffen (,Intelligenz”, ,Bewu8tsein’, ,,SelbstbewuStsein”). Denn die Radikali-

sierung der Negation, die Hegel mit der Form des ,,unendlichen Urteils”

zu fassen versucht, stellt der Sache nach den Versuch dar, die radikale

und so mit Bestimmtheit vertrigliche Unbestimmtheit zu fassen, die nach Fichtes Ansatz fiir epistemische Selbstbeziehung spezifisch ist (s. II, 2.) “. Fichte hatte dafiir den Begriff des ,,thetischen Urteils” gepragt

und sich dabei auf Kants Begriff des unendlichen Urteils berufen, den bisher noch niemand ,,auf eine deutliche und bestimmte Art erklart hat” (GWI 312). Diese Zusammenhinge

sind ein Argument

dafiir, da8 He-

gels programmatischer Begriff der ,,Unendlichkeit” in den frithen Jenaer Schriften auf die Fichtesche Problematik epistemischer Selbstbeziehung verweist.

Hegel fordert gegeniiber den Philosophien der Subjektivitat schlie8-

lich, ,da8 die Unendlichkeit, Ich nicht wieder, wie in ihnen geschah, statt

unmittelbar ins Positive der absoluten Idee iiberzuschlagen, auf diesem Punkte sich fixierte und zur Subjektivitat wurde” (GuW 431f.). Der

Vorwurf der Subjektivitét kann sinnvollerweise nicht so gemeint sein, da8 der wahre Gegenstand der Philosophie nicht mehr die Struktur der

43 H. Schmitz (‘57), Das unendliche Urteil und der Schlu8 als Prinzipien der Dialektik Hegels, in: ders., Hegel als Denker der Individualitat, Meisenheim am Glan S. 15 ff.

44 Schmitz hat in dem zitierten Aufsatz ,Das unendliche Urteil und der Schlu8 als Prinzipien der Dialektik Hegels” bereits versucht, die Bedeutung der Idee einer tadikalisierten Negation fiir Grundlagenprobleme der gegenwéartigen Logik nachzuweisen (Schmitz ('57) S.106 ff.). Spater hat Schmitz Grundlagen einer wLogik der unendlichfachen Unentschiedenheit” entwickelt, die eine vergleich-

bare Intention verfolgt, ohne sich jedoch auf Hegel

zu beziehen

(in: Schmitz

('68) S. 95 f£.). Schmitz geht hier von einem ,Ichproblem” aus, das als Rekon-

struktion von Fichtes Aporie epistemischer Selbstbeziehung verstanden werden kann. Darin kommt zum Ausdruck, da8 Hegels Begriff des ,unendlichen Urteils* der Sache nach Fichtes Problematik aufnimmt. Zu Schmitz’ Konstruktion des ,Ichproblems” vgl. Il, 1.2 und II, 2.2.

309

Subjektivitat hat. Denn dann kénnte er nicht mehr mit ,,Ich” bezeichnet

werden und auch nicht dazu geeignet sein, die Fichtesche Antinomie aufzuldsen, die sich nur beim Denken von Subjektivitat stellt. Hegels Kritik richtet sich verniinftigerweise gar nicht generell gegen die Philosophie der Subjektivitat, sondern gegen deren Gestalt als ,,Reflexionsphilosophie” oder ,.Metaphysik der Subjektivitat” (GuW 430) “. Wenn Hegels Begriffe der ,,Totalitat” und des ,,Nichts” iiberhaupt eine ausweisbare Bedeutung haben, dann kénnen sie nur erste Versuche

sein, ein notwendiges Strukturmoment von Subjektivitat zu fassen. Es

war aber kein anderer als Fichte, der seine These der schlechthinnigen Unbestimmbarkeit des Selbstbewu8tseins durch den Satz umschrieben hatte: ,,Das Ich ist Alles, und ist Nichts” (GWI 457). Eine ,,.Reflexionsphilosophie” oder ,,Metaphysik der Subjektivitat” entwickelt sich daraus erst dadurch, da8 Fichte die Unbestimmtheit des Ich negativ auffa8t, d. h. als etwas, was mit Bestimmtheit unvereinbar ist, und da8 er demnach die

Beziehung des reinen Ich auf seine Bestimmtheiten als Herrschaft und letztlich als Vernichtung fa8t “. Hegels Kritik der Fichteschen Philosophie der Subjektivitat‘’ kann also m. E. nur als Radikalisierung des eigenen Ansatzes von Fichtes Theorie epistemischer Selbstbeziehung verstanden werden. Damit iibernimmt Hegel allerdings auch die Primissen des Fichteschen Ansatzes, von denen

sich gezeigt hat, da8 sie nur teilweise einer rationalen Rekonstruktion

zuganglich sind (vgl. II, 1—3). Hegels Entwicklung in Jena besteht m. E. wesentlich darin, in der Aneignung und Weiterentwicklung von Fichtes Theorie der Ichidentitat, des Willens und der Anerkennung

einen An-

satz zur praktischen Philosophie auszubilden, der von den Pramissen von Fichtes allgemeiner Theorie epistemischer Selbstbeziehung unabhingig ist.

Ubrigens 148t sich von Fichte aus Hegels eigenes Programm eines systematischen Philosophierens im Ansatz rekonstruieren. Hegel geht davon aus, da& die Vernunft die Aufhebung der durch sie produzierten Antinomien postuliert, und zwar durch ,,transzendentale Anschauung”

45 »Die spinozistische Substanzmetaphysik wird von vornherein im Blick auf Kant und Fichte iibernommen. Kantische Vernunft und Fichtesches Ich stellen die negativen Seiten der absoluten

Substanz dar, die deshalb selber neu als absolute

Vernunft und absolute Idee verstanden werden mu&” (Bonsiepen (‘67) S.77). 46 Rohrmoser iiberspringt die Sachprobleme der Theorie der Subjektivitat sogleich in Richtung auf eine geschichtsphilosophische Globaldeutung: ,Die Tiefe der Hegelschen Einsicht besteht darin, da8 er das Prinzip der Aufklarung, der Revolution, als mit dem Fichteschen identisch erkennt” (Rohrmoser S. 96). 47 Diising sieht eine wesentliche Veranderung der Stellung Hegels zu Fichte in »Glauben und Wissen” gegeniiber der ,Differenzschrift” (K. Diising ('73), Ober das Verhaltnis Hegels zu Fichte, in: Philosophische Rundschau 20, S. 55 f.).

310

(D 43 ff., Mei 32f.). Wenn nun das zur Auflésung der Antinomie Postu-

lierte dem Postulieren der Vernunft nicht 4uerlich sein soll, so kann es

nichts anderes sein als die richtig verstandene Struktur der Vernunft als Postulieren selbst. Wie wir in Teil II, 2.4 gesehen haben, interpretiert Fichte eben so das moralische BewuBtsein: als Aufldsung der Antinomie

epistemischer Selbstbeziehung durch das Begreifen des notwendigen Postulierens dieser Auflésung. Diese Struktur nennt Fichte dann insbes. /intellektuelle Anschauung”,

weil sie die einzige Form

sei, in der sich

die intellektuelle Anschauung der epistemischen Selbstbeziehung wirklich vollziehen kann.

Es ist allerdings fraglich, ob Hegel in der Differenzschrift die Struktur

des Postulierten aus der epistemischen Selbstbeziehung begriinden will und ob er schon seiner spateren Forderung geniigen will, da8 etwas nur dann postuliert werden darf, wenn es sich aus der immanenten Entwick-

lung der Sache ableiten 1a8t. Hegel bezeichnet das, was die Antinomie aufhebt, als ihre ,,Vervollstindigung”, ,,Erginzung” und ,,Ausfiillung” (D 43 f., Mei 32 ff.). Damit kniipft Hegel offenbar an seine Frankfurter Komplementenlehre an, die ja auch eine Weiterentwicklung der Kan-

tischen Postulatenlehre war. Hegels Komplementenlehre setzte jedoch, ebenso wie Kants Postulatenlehre, die moralische Giiltigkeit eines allgemeinen Moralprinzips voraus und zeigte dessen umfassenden Gehalt und die Bedingtheit von dessen genereller praktischer Verniinftigkeit in sittlichen Beziehungen auf (s. I, 6). Hegels Begriff der ,,Totalitat” in

der Differenzschrift bezeichnet dementsprechend auch das sittliche Ideal der Komplementenlehre und ist insofern gleichbedeutend mit ,,Vereini-

gung” (D 2off., Mei 12 ff.). Hegel leistet jedoch im Rahmen der formalisierten Komplementenlehre der Differenzschrift keine Begriindung dieses Ideals und auch keine Begriindung des Standpunkts moralischrechtlicher Rationalitat. Im Kontext der Differenzschrift kénnte dieser nur darin bestehen, einen notwendigen Zusammenhang zwischen den Begriffen weisen.

der

Totalitaét

In diese Richtung mit der Forderung, damit das absolute historisch war, und

als

,,Nichts”

und

als

,,Vereinigung”

nachzu-

weist Hegel implizit dann in ,Glauben und Wissen“ ,,der Philosophie die Idee der absoluten Freiheit und Leiden oder den spekulativen Karfreitag, der sonst ihn selbst in der ganzen Wahrheit und Harte seiner

Gottlosigkeit wiederherzustellen”

(GuW 432) “. Damit

ist ein Zusam-

48 Obwohl Rohrmoser die implizite Fichteerneuerung in ,Glauben und Wissen“ sieht (vgl. Anm. 42), relativiert er Hegels These vom ,,spekulativen Karfreitag” sogleich geschichtsphilosophisch: Die Subjektivitat werde ,von Hegel anerkannt

als die Form, in der die im Sterben Gottes gewonnene Freiheit von und gegen-

tiber der Welt geschichtlich erscheint, und sie wird verneint, insofern sie getrennt von diesem ihrem Vermitteltsein absolut setzt” (Rohrmoser S. 83).

311

sich

menhang zwischen Freiheit, Tod und Sittlichkeit angesprochen, den Hegel in seinen folgenden Arbeiten zur praktischen Philosophie zu entfalten sucht.

3. Naturrechtsaufsatz und ,,System der Sittlichkeit” Wie Ilting gezeigt hat, basiert der theoretische Ansatz des Aufsatzes »Uber die wissenschaftlichen Behandlungsarten

des Naturrechts,

seine

Stelle in der praktischen Philosophie und sein Verhiltnis zu den positiven Rechtswissenschaften”

und

des

Fragments,

das

seit Rosenkranz

/System der Sittlichkeit” hei8t, unterhalb seines offensichtlichen Schel-

lingianismus

auf einer Verbindung

aristotelischer und

spinozistischer

Grundbegriffe “. Diesen Befund hat Riedel so interpretiert:

,,Durch die

Einbeziehung des Spinoza in die Kritik des neueren Naturrechts werden die Grundsatze

der klassischen Politik, die der Ma&stab

dieser Kritik

sind, metaphysisch potenziert.” “ Riedel meint entsprechend, Hegels damalige Konzeption des Negativen erlaube auch nur einen negativen Begriff des Individuums (Riedel (’69) 56). Diese These wird jedoch schon durch Riedels Beobachtung in Frage gestellt, da& Hegel im Naturrechtsaufsatz eine Fahigkeit der Individuen, sich dem Zwang aller Beschrankungen

zu iiberheben,

Freien (Riedel (’69) 57).

annimmt



wenn

auch

nur

fiir den

Stand

der

Wie in 2.2 gezeigt, weisen Hegels Kategorien des ,,Nichts”, des ,negativen Absoluten” und der ,,Unendlichkeit” darauf hin, da8 der Spinozis-

mus der friihen Jenaer Schriften — wenigstens der Intention Hegels nach — eine Art radikalisierter Kritizismus ist. Im Naturrechtsaufsatz

benutzt Hegel vor allem den Begriff der ,,Unendlichkeit”,

der jetzt als

das unvermittelte Gegenteil seiner selbst” (Nat 454 vgl. 479) expliziert wird. Der Begriff des ,,unvermittelten Gegenteils seiner selbst” bereitet in diesem Zusammenhang, nach der in 2.2 gegebenen Deutung von ,,Un-

endlichkeit”, keine besonderen Schwierigkeiten: Selbstbewu8tsein ist in-

sofern ,unvermitteltes Gegenteil seiner selbst”, als es gleichzeitig absolut unbestimmt und bestimmt ist. Es zeigt sich jedoch in der Theorie

der Tapferkeit bald, da& diese Begriffe sachlich fiir eine Begriindung der

praktischen Philosophie der Freiheit nicht hinreichend sind. Die sachliche 49 K.-H. Ilting ('63/'64),

Hegels

Auseinandersetzung

mit der aristotelischen

Po-

litik, in: Philosophisches Jahrbuch der Gérres-Gesellschaft Jg.71 ('63/'64) S.38 —58; jetzt in: Hegel. Frithe politische Systeme, hrsg. v. G. Gohler, Frankfurt Berlin Wien ('74).

50 M. Riedel (67), Hegels Kritik des Naturrechts, in: Riedel, Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, Frankfurt (’69) S. 50.

312

Bedeutung des Naturrechtsaufsatzes liegt demgegeniiber eher in der Entfaltung der Problematik des Verhiltnisses von Rechtsform, Morali-

tat und Sittlichkeit. Im ,,System der Sittlichkeit” wird schon an der 4u8eren Komposition

deutlich, da8 Hegels friiher Jenenser Freiheitsbegriff, der sich in den Begriffen des ,,Nichts”, des ,Negativen” und der ,,Unendlichkeit” artikuliert, dazu nicht ausreicht, die Konstitution von Sittlichkeit zu denken.

Hegel beginnt hier mit der Aufnahme des Fichteschen Begriffs der ,,An-

erkennung”

seine direkte Fichterezeption in Jena. ,,Die Freiheit” setzt

hier als ,,das Negative oder [...] das Verbrechen” (SdS 38, Goh 45) die Anerkennungsverhiltnisse einer ,,natiirlichen Sittlichkeit” (SdS 9, Goh 17) erst voraus, um sie dann aufzuheben. Diese Aufhebung ist aber

nur , negative Aufhebung” (SdS 39, Goh 46). Die positive, ,,dialektische” (SdS 38, Goh 46) Aufhebung bleibt letztlich unbegriindet. Indem Hegel jedoch die negative Aufhebung durch das Verbrechen, im Unterschied

zum Naturrechtsaufsatz, einerseits bis zum Kampf

auf Leben und Tod

radikalisiert und damit in eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Hob-

bes eintritt (Siep (’74) 165 ff.) * und andererseits den Kampf um Eigen-

tum zu dem Kampf um Ehre entwickelt, macht er wichtige Schritte in

Richtung auf die Theorie, da8 praktische Vernunft, wie bei Fichte, auf

Anerkennung beruht und da sich universalistische Gesellschaftlichkeit wesentlich im Kampf um Anerkennung konstituiert. 3.1 Freiheit, Todesbeziehung und Tapferkeit

Hegel verwirft im Naturrechtsaufsatz ,die Ansicht der Freiheit véllig [. . .], nach welcher sie eine Wahl sein soll zwischen entgegengesetzten Bestimmtheiten” (Nat 476). Damit kénnte gemeint sein, da8 Freiheit

nicht nur in der Fahigkeit und Gelegenheit liegt, zwischen Alternativen zu wahlen, sondern vor allem in der Fahigkeit, das Richtige aus Einsicht

zu wahlen und zu tun. Das Spezifische von Hegels Freiheitsbegriff hangt jedoch an seinem

Begriff der Unendlichkeit: ,.Aber ein anderes ist, Bestimmtheiten in das Individuum

unter der Form der Unendlichkeit, ein Anderes, sie absolut

in dasselbe setzen. Die Bestimmtheit unter der Form der Unendlichkeit ist damit zugleich aufgehoben, und das Individuum ist nur als freies

Wesen;

d.i.

indem

Bestimmtheiten

in ihm

gesetzt sind, ist es die ab-

solute Indifferenz dieser Bestimmtheiten, und hierin besteht formell seine sittliche Natur” (Nat 478). Hegel meint hier offenbar, da8 die prin51 Vgl. L. Siep (74), Der Kampf um Anerkennung. Zu Hegels Auseinandersetzung mit Hobbes in den Jenaer Schriften, in: Hegel-Studien Bd. 9, Bonn.

313

zipielle Fahigkeit von Vernunftsubjekten, Einstellungen und Entschei-

dungen zu revidieren, Gefiihle zu relativieren usw., darauf zuriickgeht,

da& das Subjekt als solches zu allen seinen (bewuS8ten) Bestimmungen

ein Verhdltnis der ,,Indifferenz”, namlich der schlechthinnigen Unent-

schiedenheit hat. Selbst wenn man dies zugabe, wiirde es doch nur die

Fahigkeit Fahigkeit, lésen, auf Loslésung

zu umfassender Willkiir erklaren. Tatsachlich beruht die sich aus vorgegebenen oder eingegangenen Bindungen zu der Fahigkeit zu verniinftiger Oberlegung, und ,frei“ ist diese letztlich auch nur dann, wenn sie auf der Basis von verniinfti-

ger Uberlegung erfolgt.

Hegel betrachtet die ,,absolute Freiheit” (Nat 477) weiterhin im Verhaltnis zu méglichhem Zwang: ,Indem —A ein Aueres gegen die Bestimmtheit + A des Subjekts, so ist es durch dies Verhdltnis in fremder Gewalt; aber dadurch, da& es sein +A als eine Bestimmtheit ebenso

negativ setzen, aufheben und entauSern kann, bleibt es bei der Méglichkeit und bei der Wirklichkeit fremder Gewalt schlechthin frei. Indem es + A sowohl als —A negiert, ist es bezwungen, aber nicht gezwungen; es wiirde Zwang nur erleiden miissen, wenn + A in ihm absolut fixiert ware, wodurch an dasselbe als an eine Bestimmtheit eine unendliche

Kette anderer Bestimmtheiten gefesselt werden kénnte. Diese Miglich-

keit, von Bestimmtheiten zu abstrahieren, ist ohne Beschrankung, oder es ist keine Bestimmtheit, welche absolut ist, denn dies widersprache sich unmittelbar; sondern die Freiheit selbst oder die Unendlichkeit ist zwar das Negative, aber das Absolute, und sein Einzelsein ist absolute in den

Begriff aufgenommene Einzelheit, negativ absolute Unendlichkeit, reine Freiheit” (Nat 478 f.). Hegel hebt hier an der Freiheit der ,,Indifferenz”

zusatzlich hervor, da8

Zwang

nur 4uSerlich sein kann, da8

also eine

positive Einstellung zu dem, wozu jemand gezwungen wird, nicht erzwungen werden kann. Die Freiheit der ,Indifferenz” ist also nicht nur die Fahigkeit, Bindungen aufzulésen, sondern auch die Fahigkeit, sie trotz Gezwungensein gar nicht einzugehen. Das Entscheidende ist nun, da8 Hegel die ,,reine Freiheit” durch das

Verhiltnis zum Tod bestimmt. Hegel fahrt namlich an der soeben zitierten Stelle fort: ,,Dies negativ Absolute, die reine Freiheit, ist in ihrer Er-

scheinung der Tod, und durch die Fuhigkeit des Todes erweist sich das Subjekt als frei und schlechthin iiber allen Zwang erhaben. Er ist die absolute Bezwingung; und weil sie absolut ist oder weil in ihr die Einzelheit schlechthin reine Einzelheit wird — namlich nicht das Setzen eines +A mit AusschlieBung des —A (welche AusschlieSung keine wahre

Negation,

sondern nur das Setzen des —A

als eines AuSeren und zu-

gleich des + A als einer Bestimmtheit ware), sondern Aufhebung sowohl des Plus als des Minus —, so ist sie der Begriff ihrer selbst, also unend-

lich und das Gegenteil ihrer selbst, oder absolute Befreiung, und die reine 314

Einzelheit, die im Tode ist, ist ihr eigenes Gegenteil, die Allgemeinheit”

(Nat 479).

Die ,,Fahigkeit des Todes”, die fiir ,,reine Freiheit” konstitutiv ist, erweist sich nach Hegels Meinung allein in der ,absoluten formalen Tugend, welche die Tapferkeit ist” (Nat 481). Schon im ,,Geist des Chri-

stentums” war die Uberwindung

der Unfreiheit des jiidischen Geistes

und des Verbrechens nur mit Tapferkeit méglich (FrSchr 317, N 261; FrSchr 349, N 285; vel. 1, 6.3 S. 193 f.). Nun wird die emanzipatorische

Bedeutung der Tapferkeit ausdriicklich durch das Verhiltnis zum eige-

nen Tod begriindet. Damit ist eine Thematik erreicht, die bis zur Theo-

tie des Kampfes auf Leben und Tod in der ,,Phanomenologie”

und zur

Lehre vom Krieg in der Rechts- und Geschichtsphilosophie eine gro8e

Rolle in Hegels praktischer Philosophie spielt. Hegel sieht die ,,Fahigkeit des Todes” im Naturrechtsaufsatz zunachst wohl darin, da8 man sich dadurch jedem mdglichen Zwang entziehen kann, da8 man gegen den Zwang sein Leben wagt und dabei entweder siegt oder stirbt — in keinem Fall kann man linger gezwungen werden.

Die Fahigkeit, den eigenen Tod durch andere zu riskieren, um nicht ge-

zwungen werden zu kénnen, ist jedoch kein ausreichender Beweis von Freiheit. Aus dem zitierten Kontext geht auch hervor, da& fiir Hegel die emanzipatorische Leistung der Beziehung zum eigenen Tod darauf beruht, da8 man sich darin seiner selbst als ,, Unendlichkeit” bewu8t wird,

d.h. als radikaler Unbestimmbarkeit durch beliebige eigene Bestim-

mungen. Abgesehen davon, ob es diese ,,Unendlichkeit” iiberhaupt gibt, ist nicht leicht zu sehen, wie sich das entsprechende Bewu8tsein in der

Beziehung zum Tod konstituieren soll. In der Beziehung zum eigenen Tod miissen zwei Fille unterschieden werden: die aktuelle Todesdrohung und das Bewu8tsein vom eigenen Leben angesichts der permanenten Méglichkeit des Todes. In der aktuellen Todesdrohung erfahre ich mich sicher nicht als ,,Unendlichkeit”. Denn der Tod bedeutet die Negation oder Vernichtung meiner in der normalen, einfachen Bedeutung des Wortes und nicht eine Art von Negation, die praziser als schlechthinnige Unentschiedenheit gefa8t werden miiSte. Die aktuelle Todesdrohung mag also zwar die Bindung an bestimmte Partikularitaten in Frage stellen. Sie bindet jedoch um so fester an andere Bestimmtheiten. Die Todesdrohung ist gerade die Situation, in der am allerwenigsten von Freiheit und Vernunft die Rede sein kann. Dies ist am deutlichsten in der einzig adaquaten Reaktion auf die Todesdrohung: der Todesangst. Todesdrohung und Todesangst definieren gerade die Situation, in der sich die nach Hegel ,,absolute formale Tugend” bewahren mii&te: die Tapferkeit. Eine spezifisch sittliche Bedeutung der Tapferkeit

1a8t sich also nicht iiber den Begriff der Freiheit als ,Unendlichkeit” begriinden. 315

Anders ist die Sachlage beziiglich des BewuStseins vom eigenen Leben angesichts der permanenten Moglichkeit des Todes. In diesem Sinne war der Tod bereits Thema in Hegels Lehre vom ,,spekulativen Karfreitag” in ,Glauben und Wissen”. In dem blo8en Gedanken an den eigenen

Tod kann ich mich zwar nicht als ,Unendlichkeit” erfassen, da der Tod

selbst schlichte Vernichtung bedeutet. Das BewuB8tsein von der jederzeitigen Moglichkeit des eigenen Todes kann jedoch die Bestimmungen des eigenen Lebens in eine , Schwebe” versetzen, wie sie Fichte als Wesen der Einbildungskraft beschrieben und letztlich auf die absolute Unbestimmbarkeit des Ich zuriickgefiihrt hat. Da diese Ich-Theorie nun der Kritik nicht standhilt (vgl. II, 1. u. 2.), mu&

fiir das Phinomen

der ,,Unendlichkeit” im BewuStsein der Mig-

lichkeit des Todes eine andere Deutung gesucht werden. Es liegt nahe, sie darin zu sehen, da& das Bewu8tsein von der jederzeitigen Méglichkeit des Todes die Gesamtheit des eigenen Lebens in Frage stellt, oder mindestens, da es eine notwendige Bedingung dafiir ist, das eigene Leben insgesamt in Frage zu stellen“. Indem das TodesbewuBtsein die eigene Existenz in Frage stellt, stellt sie namlich zugleich das eigene praktische Selbstverstindnis, den eigenen Lebensentwurf und damit meine wlchidentitat” in Frage. Das TodesbewuB8tsein

ist insofern konstitutiv

fiir praktische Rationalitat. Fiir eine solche Deutung findet sich in Hegels Naturrechtsaufsatz und dessen philosophiehistorischhen Bezugspunkten zuniachst folgender Ansatzpunkt. Hegel sagt, da8 die Tapferkeit vor allem konstitutiv fiir ,,das absolut Sittliche, namlich das Angehéren einem Volke ist, das Einssein mit welchem

der Einzelne im Negativen, durch die Gefahr des Todes

allein, auf eine unzweideutige Art erweist” (Nat 481). Darin sind zwei wesentliche Merkmale sittlicher Tapferkeit enthalten. Einerseits beweist erst die Bereitschaft zum Risiko des Lebens ,auf unzweideutige Art”, da8 es dem Handelnden mit dem, was er will, ernst ist. Platon, an dem

sich Hegel im Naturrechtsaufsatz mindestens in seiner Standelehre orientiert, hatte die Tapferkeit als die Tugend des zweiten Seelenteils, des Supoeidéc, gefaSt, das fiir die Leidenschaften und die Fahigkeit zum praktischen Engagement steht. Entschlossenheit und Engagement sind dann /unzweideutig” und insofern unbedingt, wenn sie durch das Todesrisiko nicht mehr erschiittert werden. Dies hangt wohl damit zusammen, da& sie dann nicht mehr von Gesichtspunkten des Eigeninteresses in Frage gestellt werden kénnen. Dies Merkmal unbedingter Entschlossenheit ist wichtig in Hegels spaterer Lehre vom Kampf auf Leben und Tod um Ehre und Anerkennung. 52 Vgl. Tugendhats

Deutung des Heideggerschen

(‘79 a) S. 235; zu Hegel dort S. 339).

316

,Seins zum Tode*

(Tugendhat

Andererseits kann das BewuBtsein der eigenen Sterblichkeit das eigene

Leben und die eigene Identitat auch in dem Sinne in Frage stellen, da8

es mich von mir selbst emotional entfremdet. Solche emotionale Selbstentfremdung zeigt zwar auch etwas Charakteristisches von der Natur der Subjektivitat (s. II, 2.3), aber sie ist natiirlich kein Zustand und keine Bedingung eines rationalen Selbstverhaltnisses und moralischer Motiva-

tion. Es liegt eher nahe, die unbedingte Entschlossenheit im Todesrisiko als eine fragwiirdige Reaktion auf solche Erfahrungen zu sehen.

3.2 Sittliche Tapferkeit, Kritik der Rechtsform und Verséhnung des Verbrechens Im Naturrechtsaufsatz ist jedoch entscheidend, da8 sich die Entschlossenheit der Tapferkeit auf das ,,Einssein mit einem Volke” richtet (Nat 481). Sittliche Tapferkeit ist also Beweis sittlichher Vereinigung *. Im TeilI haben wir gesehen, da8 Hegels Begriff der Vereinigung auf eine Kritik an einer rechtsférmig begrenzten Sozialitat zielt. Sittliche Tapferkeit ist ein wichtiges Beispiel fiir deren Oberschreitung. Hobbes hatte bekanntlich zu zeigen versucht, da8 eine rechtliche Ver-

pflichtung zur eigenen Lebensgefahrdung ein Widerspruch in sich ist. Unabhingig von Hobbes Pramissen ist jedoch die Feststellung, da& moralische Verpflichtungen zum Lebensrisiko im Interesse anderer jedenfalls solche sind, die von den anderen nicht sinnvoll gefordert und

moralisch eingeklagt werden kénnen. Damit hangt zusammen, daf fiir die Entscheidung tiber solche Verpflichtungen der kategorische Imperativ in seiner vertragstheoretischen Form nicht ausreicht (vgl. I, 1.5). Angesichts des eigenen Lebensrisikos werden utilitare Kalkiile iiberhaupt unscharf. SchlieBlich sind Verpflichtungen zum Lebensrisiko insofern nicht rechtsférmig, als sie in ihrem Bestehen von den intendierten persénlichen Beziehungen abhingig sind (vgl. I, 4). Zwar

ist die Tatsache, da8 die Staatsbiirger oder ein Stand derselben

bereit sind, ihr Leben fiir ihren Staat zu opfern, kein Beweis fiir die Verniinftigkeit dieses Staates oder seiner Biirger. Wenn es jedoch nicht sinnvoll sein kann, fiir eine Gemeinschaft sein Leben zu riskieren, dann kann es sich nicht um eine sittlidie Gemeinschaft handeln; die Bereitschaft

zum Lebensrisiko gehért zu sittlichhen Beziehungen und ist fiir sie in vielen Fallen auch spezifisch.

53 Hegel gebraucht dementsprechend beziiglich der Abstraktion von den Bestimmt-

heiten, die in der Todesbereitschaft der Tapferkeit vollzogen wird, den Begriff

~Entau8ern”. EntauSerung

Vereinigung.

(aliénation) ist aber Rousseaus Begriff fiir sittliche

317

Hegels Theorie der Tapferkeit fiihrt also im Naturrechtsaufsatz iiber

das Verhiltnis zum eigenen Tod zu einer Kritik an der Rechtsférmigkeit von individueller Moralitat und sozialen Beziehungen. Diese Kritik artikuliert Hegel dann staatstheoretisch, und zwar auf zwei Ebenen. Zu-

nachst entwickelt er eine Stindelehre, in der dem niederen Stand die Bediirfnisbefriedigung in Familie und biirgerlicher Gesellschaft zugewiesen

wird, wahrend der héhere Stand sich in Krieg und Politik verwirklicht. Die Beziehung des héheren zum niederen Stand ist wesentlich die, einer-

seits durch das Recht die Bediirfnisbefriedigung zu regeln und zu schiitzen (Nat 494f.) und andererseits dies Recht wieder aufzuheben (Nat

483).

»Recht” bedeutet hier allerdings nicht die Verwirklichung eines Systems rationaler Prinzipien, sondern eher die Legalisierung des Faktischen und Kontingenten. Dieser empiristische Begriff des Rechts hangt einerseits mit der hier noch sehr unzureichenden Vorstellung von biirgerlicher Gesellschaft zusammen, andererseits folgt er auch aus Hegels fragwiirdiger Engfiihrung von empiristischer und transzendentalphilo-

sophischer Rechtstheorie. Die Kritik am Recht ist deshalb noch keine

prinzipielle Kritik der Reichweite der Rechtsform in den sozialen Beziehungen. Das Bild einer ,,Auffiihrung der Tragédie im Sittlichen, welche das Absolute ewig mit sich selbst spielt” (Nat 495), ist insofern nur eine metaphysische Uberhdhung einer noch unentwickelten politischen Philosophie. Die Rede von der ,,Tragédie im Sittlichen” verweist jedoch auch auf die Kritik der Rechtsform, die in der Aischyleischen ,,Orestie” enthalten ist, auf die Hegel sich im SchluSteil des Naturrechtsaufsatzes wesentlich

bezieht. Der dritte Teil der Orestie-Trilogie stellt den unlésbaren Rechts-

streit zwischen dem Muttermérder Orest und Apollon einerseits, den Erinnyen andererseits vor dem Areopag Athens und dessen Giottin Athene dar. Bei diesem Rechtsstreit handelt es sich um die Konfrontation des Rechts der Familie, der Empfindung und Subjektivitat einerseits, der Offentlichkeit und des staatlichen Rechts andererseits. Dieser Streit

kann nach der Darstellung von Aischylos weder hinreichend rational

ausgetragen noch rational entschieden werden. Eine Entscheidung fallt

erst durch das Eingreifen der Stadtgéttin Athene. Die verséhnende Ent-

scheidung besteht darin, da8 einerseits Orest freigesprochen und andererseits den Erinnyen ein legitimer Ort in der Polis garantiert wird. In der Aischyleischen Tragédie ist folgende Kritik der Rechtsform enthalten. Sie handelt von einem Konflikt zwischen gleicherma&en legitimen,

wenn auch in sich instabilen Standpunkten, von denen der eine — der

von Agamemnon, Orest und Apollon — spezifisch der der Offentlichkeit und des Rechts, der andere — der der Klytaimnestra und der Erinnyen — der der Privatheit und emotionalen Bindung ist. Da8 man den tragischen 318

Konflikt so verstehen mu8, zeigt Aischylos dadurch, da& er darstellt, da& der Konflikt in rechtsférmiger Weise, d.h. durch einen Proze8, nicht

entschieden werden kann.

Allerdings ist diese Kritik der Rechtsform bei Aischylos — ebenso wie

bei Hegel — auch begrenzt. Die Entscheidung kommt namlich durch das

Eingreifen Athenes

zustande, der Géttin der Polis, und die Erinnyen

werden zwar geehrt und integriert, ohne da8 dies jedoch eine wirkliche Infragestellung der herrschenden sozialen Beziehungen und politischen

Strukturen bedeuten wiirde. Damit ist von vornherein entschieden, da& die Kritik der Rechtsform sich nicht auch auf den Gehalt moralischer

Prinzipien und die sittliche Relativitat des moralischen Standpunkts iiber-

haupt bezieht “. Man kann sich schlieflich fragen, inwiefern die ,,Orestie” nicht nur den sittlichen Charakter sittlicher Tapferkeit zu verstehen erlaubt, sondern

auch den fiir Tapferkeit spezifischen Bezug zum eigenen Tod. Hegel konstruiert den Zusammenhang iiber die Idee der Verséhnung im tragischen Opfer, ,,welche Verséhnung eben in der Erkenntnis der Notwendigkeit

und in dem Rechte besteht, welches die Sittlichkeit ihrer unorganischen Natur und den unterirdischen Machten gibt, indem sie ihnen einen Teil

ihrer selbst iiberla&t und opfert” (Nat 494). Hegel meint hier, da& das sittliche Ganze sich in der Freigabe einer Sphire von Bediirfnisbefriedi-

gung und Recht ,dem Tode opfert” (Nat 495). Darin liegt zwar ein Be-

zug auf den Ausgang des Prozesses der ,,Orestie”, aber kein Bezug auf die Todesbeziehung in der Tapferkeit. Die Leistung der Tapferkeit liegt darin, da8 sie sich aus der Verbundenheit mit dem Leben in der ,,zweiten Natur” der Familie und biirgerlichen Gesellschaft befreit, damit ,ebenso absolut aus ihm aufersteht,

denn in diesem Tode, als der Aufopferung der zweiten Natur ist der Tod bezwungen” (Nat 495). In diesen Formulierungen ist jedoch kein

Bezug mehr auf die ,,Orestie” vorhanden, wahrend die Anspielungen auf die Christuslegende offensichtlich sind. Es ist auch sachlich nicht nach-

vollziehbar, da8 sich die Sittlichkeit des Gemeinwesens in dem Einsatz des Lebens fiir es konstituieren soll. Der Mythos der ,,Orestie” legt eine andere Beziehung von Todesbeziehung und Sittlichkeit nahe. Es handelt sich dort namlich um eine Folge von Verbrechen, insbesondere das Verbrechen des Muttermordes durch

54 In seinen spateren Vorlesungen iiber Asthetik wird Hegel zwar nicht miide, die Notwendigkeit des tragischen Konfliktes zu behaupten, aber die Wahrheit liegt

fiir ihn dann doch nur in der Versdhnung (Hegel, Asthetik, hg. v. F. Bassenge, Frankfurt o.J. Bd.I, S. 211 ff., 217 £f., Bd. I, S. 548 ff., 564 ff.). Hegel klart

weder, inwiefern

die Verletzung

moralischer Prinzipien im Ernst

legitim ist,

noch, wodurch Versihnung moglich wird. Zu Karl Moor und Wallenstein s. ebd. I, 194, IL, 574.

319

Orest. Dabei ist zwar die Gefahr des eigenen Todes nicht das Thema,

aber der Bruch mit der eigenen Herkunft bedeutet eine so grundsitzliche Infragestellung der eigenen Identitét, da8 dies mit der Beziehung auf den eigenen Tod in Beziehung gebracht werden kann. Hegel hatte schon im ,,Geist des Christentums”

das Verbrechen wesentlich als not-

wendige Zerstérung einer urspriinglichen Einheit des Lebens verstanden.

Indem er nun die Sittlichkeit im Risiko des Lebens begriindet, radikali-

siert er damit die Momente von Kampf und Negativitat, die schon in der Gestalt des Verbrechers liegen. Eine konsistente Synthese gelingt Hegel allerdings noch nicht: Die absolute Sittlichkeit konstitutiert sich nicht

u. a. durch den Kampf von Parteien, die sich darin als ,,Verbrecher” ge-

geniiberstehen, sondern durch géttliche Sanktionierung eines Gerichts-

beschlusses, der das Recht auf Leben, Achtung und Gliick und die Pflicht

zur sittlichen Praxis auf verschiedene Stande verteilt.

3.3 Anerkennung, Verbrechen und Kampf im ,,System der Sittlichkeit” Das ,,System der Sittlichkeit” behandelt die Themen des Kampfes und

des Verbrechens in seinem 2. Teil iiber ,,Das Negative oder die Freiheit

oder das Verbrechen” (SdS 38—52; Goh 45—59). Das hier thematisierte wNegative” ist zunachst Negation der ,,absoluten Sittlichkeit nach dem

Verhiltnis”, die im 1. Teil dargestellt wird (SdS gQ—38, Géh 17—45). ,,Die absolute Sittlichkeit nach dem Verhiltnis” oder ,,natiirliche Sittlichkeit” (SdS g, Géh 17) umfa&t Phinomene von Bediirfnisbefriedigung und Arbeit, Besitz und Eigentum, Liebe und Familie, Bildung und Anerkennung,

Maschine und Handel, Recht und Vertrag sowie Herrschaft und Knechtschaft im Rahmen der Familie. Es handelt sich also um eine noch partikulare und kontingente, naturwiichsige Form von Gesellschaftlichkeit, in der es noch keinen systematischen Zusammenhang gibt wie im Staat

und dem, was Hegel spater ,,biirgerliche Gesellschaft” nennt “. In den Verhiltnissen der ,,natiirlichen Sittlichkeit” spielt nun die fichtesche ,,Anerkennung” eine wichtige Rolle. Der Begriff der ,Anerken55

Was Hegel spater ,die biirgerliche Gesellschaft” nennt, behandelt er im System der Sittlichkeit im Teil ,,3 Sittlichkeit” im Abschnitt 1. II. B., dem letzten fertigen Teil des Fragments, unter dem Titel Allgemeine Regierung” (SdS 76—go, Géh 85-101). Dazu gehdren ,A. Das System des Bediirfnisses”, ,,B. Das System der Gerechtigkeit“, C. Das System der Erziehung, Bildung und ,Zucht“. Die ,natiirliche Sittlichkeit” des ,Systems der Sittlichkeit“ entspricht ungefahr dem gesellschaftlichen Zustand vor dem Ausgang des Prozesses der Eumeniden, d.h. vor der Durchsetzung einer anerkannten dffentlichen Gerichtsbarkeit und

der institutionellen Garantie und faktischen Entfaltung

diirfnisbefriedigung.

320

der Sphiren

der

Be-

nung” kommt zwar schon im Naturrechtsaufsatz an zentralen Stellen vor. So hei&t es, da8 die absolute Sittlichkeit in ihrem Selbstopfer das Recht ihrer ,,unorganischen Natur” (Nat 494), d. h. der Familie und biirgerlichen Gesellschaft, ,zugleich anerkannt und zugleich sich davon gereinigt hat” (Nat 495). Die Anerkennung in der ,, Tragédie im Sittlichen” weist sogar auf die spaitere Lehre vom Kampf um die Anerkennung voraus durch die These, ,,da8 die sittliche Natur ihre unorganische, damit sie sich nicht mit ihr verwickele, als ein Schicksal von sich abtrennt und sich

gegeniiberstellt und, durch die Anerkennung desselben in dem Kampfe, mit dem géttlichen Wesen als der Einheit von beidem versdhnt ist” (Nat 496). Der Begriff der ,,Anerkennung” wird hier jedoch nur en passant gebraucht und er bezeichnet auch nicht wie bei Fichte ein Verhiltnis zwischen Personen. Im ,,System der Sittlichkeit” bezeichnet der Begriff der ,,Anerken-

nung” nun die Resultate der Entwicklung der ,,natiirlichen Sittlichkeit”, namlich in der ,,ersten Potenz der natiirlichen Sittlichkeit” das gegenseitige, wesentlich auf Gleichheit beruhende Verhiltnis der durch die Ar-

beit und Erziehung im Rahmen der Familie gebildeten Individuen (SdS 18, Goh 26) “ und in der ,,zweiten Potenz” das Prinzip des Rechts (SdS 26 f., Gdh 33 f.), die , absolute Subjektivitat” der ,,Person” (SdS 33, Goh 39f.). Der zweifache Stellenwert von Anerkennung la&t sich dabei direkt auf die Anerkennungslehre in Fichtes ,Naturrecht“ zuriickfiihren.

Fichte behandelt dort namlich zunachst im § 3 die Konstitution von Sub-

jektivitat iiberhaupt und den Begriff der Erziehung, in § 4 dann das

Rechtsverhiltnis und den Begriff der ,,Individualitat”. Fichte kam es al-

lerdings auf den notwendigen Zusammenhang zwischen den beiden Momenten der Anerkennungslehre an. Dieser Zusammenhang wird aber im ,,System der Sittlichkeit” mit der an Schelling orientierten schematischen Methode der wechselseitigen Subsumtion von Anschauung und Begriff nicht nachgewiesen *". Zur Konstitution verniinftiger Sittlichkeit mu8 die natiirliche Sittlichkeit und damit die Anerkennung naturwiichsiger Verhaltnisse aufge-

56 Hegel spricht dariiberhinaus in der ,ersten Potenz der natiirlichen Sittlichkeit” einmal von dem ,absoluten Anerkennen” in der sprachlichen Verstandigung (SdS 23, Goh 31). 57 Vielleicht hangt die Trennung der Konstitution von Intersubjektivitat von der Konstitution von

Rechtsverhaltnissen auch direkt mit der Darstellung in Schel-

lings ,System des transzendentalen Idealismus” zusammen. Schelling nimmt dort die Lehre aus Fichtes Naturrecht von der Erméglichung von Selbstbestimmung durch Intersubjektivitat auf (Schelling 205 f.), begriindet jedoch die Idee

des Rechts ganz unabhangig davon im Zusammenhang der Idee des ,hdchsten Gutes” (Schelling 250 ff.), ahnlich wie Fichte in seinem friihen Versuch einer

Kritik aller Offenbarung (AW I, 12 ff.). In Schellings ,System des transzendentalen Idealismus” spielt der Begriff der , Anerkennung” keine Rolle.

321

hoben werden. Hegel unterscheidet eine positive, namlich ,,dialektische”

und ,reale” (SdS 38, Géh 46), von einer blo8 ,negativen Aufhebung” (SdS 39, Goh 46). Letztere wird in dem 2. Teil des ,Systems der Sittlichkeit” unter dem Titel ,,Das Negative oder die Freiheit oder das Verbrechen” (SdS 38-52, Goh 45—59) dargestellt. ,,Freiheit” meint hier wesentlich eine negative, ,,reine Freiheit” (SdS 39, Goh 46). Als negative Freiheit, die sich gegen die Verhiltnisse der natiirlichen Sittlichkeit und Anerkennung richtet, ist sie durchweg Verbrechen (SdS 4off., Géh 47 ff.). Als Formen des Verbrechens behandelt Hegel hier unter a) Verwiistung und Wut, unter b) Raub, Kampf und Bezwingung und unter c) Mord, Rache und Kampf von einzelnen bzw. Familien um Ehre sowie Krieg. L. Siep hat festgestellt, da8 Hegel hier ,,zwar nicht den Hobbesschen

Kampf aller gegen alle erdrtert, sich in seiner Darstellung verschiedener

Formen des Kampfes, vor allem des Zweikampfes um die Ehre der Einzelnen, gleichwohl mit Hobbes’ Naturzustandslehre, d. h. mit der These

auseinandersetzt, da8 sich die urspriingliche Freiheit der Individuen, das Recht aller auf alles, im Kampf duert” (Siep (’74) 172) ®. Bei dieser

Auseinandersetzung arbeitet Hegel jedoch nicht einfach mit Hobbes’

Freiheitsbegriff. Bei Hobbes ist die Grenzenlosigkeit des ,,natiirlichen Rechts” in der Grenzenlosigkeit der Begierde rastlos bewegter Kérper begriindet; das Recht auf alles griindet in der normativen bzw. faktischen Grenzenlosigkeit der Begierde. Dabei bleibt bei Hobbes letztlich unentschieden, ob die Grenzenlosigkeit des Rechts jedes einzelnen im

Naturzustand eigentlich besagt, da8 es urspriinglich gar keine Rechte gibt, sondern nur Bewegungen schrankenlos begehrender Kérper, oder aber, da8 das originare Recht von jedem auf (gleiche) Bediirfnisbefriedigung unter den Bedingungen von permanenter Todesdrohung — oder jedenfalls permanenter Todesfurcht — ein Recht auf alles impliziert. Man

kann

Hegels

Begriff der schrankenlosen,

,negativen”

Freiheit

nun so verstehen, da& er Hobbes’ These von der urspriinglichen Grenzenlosigkeit der Begierde und des Rechts in der Struktur der Subjektivitat als Negativitat verankern und dabei zugleich einen Weg aufzeigen will, auf dem das Subjekt zu einer vollstindigeren Erfahrung seiner selbst gelangt. Damit erweist sich Fichtes Subjektivitatstheorie als die entfaltete Gestalt von Hobbes Pramissen einer spezifisch modernen Idee von Freiheit und Recht: Das Recht auf alles beruht letztlich auf der Totalitatsstruktur der entfalteten Selbstbeziehung *. Die Erfahrung der

eigenen Negativitat, insbesondere der Todesgefahr im Kampf, ist des58

s.o0.S.313 Anm. 51.

59 Es ist also folgerichtig, da& Fichte mit seiner Theorie des ,,Urrechts” Hobbes’ Lehre vom jus naturale iibernimmt.

322

halb nicht nur, wie bei Hobbes, das Merkmal eines unsittlichen Zustandes, sondern auch der erste Schritt auf dem Weg, auf dem dieser aufge-

hoben wird (vgl. Siep (’74) 172).

Das ,System der Sittlichkeit” behandelt in seinem

2. Teil die

reine

Freiheit weiterhin im Unterschied zu Hobbes nicht als Freiheit in einem vorgesellschaftlichen Zustand, sondern als Negation der natiirlichen Sittlichkeit und Anerkennung und in diesem Sinne als ,,Verbrechen” (vgl. Siep (’74) 165 ff.). In der Einleitung gibt Hegel nach seinen Ausfiih-

rungen iiber die Weisen der Aufhebung der ,,natiirlichen Sittlichkeit”

eine allgemeine Skizze der Problematik der Verséhnung des Verbrechens, die die Begrifflichkeit der Frankfurter Komplementenlehre mit der des Jenaer Spinozismus

verbindet “. Hegel

geht hier davon

aus, da&

die

wideale Umkehrung” der Tat des Verbrechens im ,,bésen Gewissen” noch ,etwas Unvollstandiges”, da blo8 ,,Inneres” ist; ,so treibt es zu einer Totalitat” (SdS 41, Géh 49). Das bise Gewissen arbeitet so lange, bis es ,,seinem Feind sich gegeniibersieht”, und ,,es produziert einen Angriff auf sich, da8 es sich wehren kénne und durch die Gegenwehr gegen den Angriff sich darin beruhigt, da8 es die allgemeinste Forderung, die Indifferenz und Totalitat, namlich das Leben, von welchem selbst das Ge-

wissen eine Bestimmtheit ist, gegen die gedrohte Negation verteidigt” (SdS 42, Goh 49).

Die Verséhnung liegt hier offenbar darin, da8 der bedrohte Verbre-

cher nicht mehr seine Bestimmtheit als Verbrecher, sondern seine allgemeine Natur als Lebendiges iiberhaupt behauptet. In der ,,Todesgefahr”

(ebd.) tiberschreitet er jedoch auch diese Bestimmtheit. L. Siep hat dies

so zugespitzt: ,,Offenbar ist die Todesgefahr, die im Naturrechtsaufsatz die Aufhebung des Einzelnen und sein Einssein mit dem Volk manifestierte, jetzt als Méglichkeit der Darstellung des Einzelnen selbst als Totalitat gedacht” (Siep (’74) 168). Hegel sagt sogar: ,,[...] seine Versdhnung ist allein in der Todesgefahr und hért mit dieser auf” (SdS 42, GGh 49). In der Durchfithrung behandelt Hegel nach dem ,,Fanatismus des Ver-

wiistens” (SdS 43, Géh 50) zundchst die Verbrechen des Diebstahls und

Raubs und den daraus entstehenden Kampf;

dann den Mord und den

daraus entstehenden Kampf um Ehre. Hegel beschreibt den Diebstahl, im Unterschied zur Vernichtung der Sache in der Verwiistung, als eine

Vernichtung

des Anerkennens

beziiglich

des Rechts

auf

die

Sache

(SdS 44, Goh 51f.), also als die Negation der Sache qua Eigentum. Hegel fragt hier aber nicht, warum es zu dieser Negation kommt.

60 Zu den

Unterschieden

der Frankfurter und der Jenaer

nung des Verbrechens vgl. Siep ('74) S. 163, 168.

323

Theorie

der Verséh-

Weiterhin handelt es sich nicht nur um eine Verletzung von Eigentum,

sondern

dabei auch um eine Verletzung der ,,Person” als ,,Indifferenz

der Bestimmtheiten” (SdS 44, Goh 52). Der Diebstahl ist also hier ebensowohl persénlich und Beraubung” (SdS 45, Géh 53). Hegel be-

griindet dies damit, da8 die Abstraktion des Rechts hier ,,noch nicht in

einem selbst Allgemeinen ihre Realitét und Halt allein in der Besonderheit

der Person;

und

darum

[hat], sondern

ihn

ist jede Beraubung

persénlich” (SdS 45, Goh 52). Hegel meint hier offenbar zunichst, da8 es noch keine 6ffentliche Instanz zur Entscheidung und Durchsetzung von Recht gibt — wir befinden uns insofern im Naturzustand. Daraus folgt aber nicht nur, da& die einzelnen Personen ihre Rechtsanspriiche selbst durchsetzen miissen, es folgt auch, da8 sogar ein Angriff auf die Rechte einer Person an duSeren Sachen diese Person tendenziell in ihrer Identitat als Person angreift, ganz gleich, ob der Angriff die Person physisch verletzt oder nicht. Es entwickelt sich deshalb ein Kampf, in dem ,,sich Person mit Person”

mift (SdS 45, Goh 53), und ,insofern mu8 dasjenige, was diese per-

sdnliche Verletzung zur Sache seiner ganzen Persénlichkeit macht, die Oberhand behalten, die Umkehrung reell machen, weil es sich als Totalitat, jenes aber nur sich als Besonderheit setzt” (SdS 46, Goh 53). Hegel meint hier also, da8 der Sieger im Kampf insofern auch im Recht ist, als der Sieg darauf zuriickgefithrt werden kann, da8 dieser nicht nur um eine partikulare Bestimmtheit, sondern um seine Integritdt als Person

kampft. Der Kampf um Eigentum wird also gerade dadurch entschieden,

da& er in einen Kampf um Selbstbehauptung der Ichidentitat und in diesem Sinne um ,,Ehre” iibergeht ". Hegel behandelt im folgenden Abschnitt dann den unmittelbaren Kampf um die Ehre als Reaktion auf die direkte Verletzung der Person im Mord:

,,Durch

die Ehre

wird

das

Einzelne

zu

einem

Ganzen

und

Persénlichen, und die scheinbare Negation von Einzelnem allein ist die

Verletzung des Ganzen, und so tritt der Kampf der ganzen Person gegen die ganze Person ein” (SdS 47, Goh 54). In dem Kampf um Ehre, ins-

besondere wenn er als Kampf zwischen Familien ausgetragen wird, ist nach Hegel

,,das bése Gewissen,

der Trieb

sich zu vernichten

aufge-

hoben” (SdS 51, Goh 58). Der Sieg fallt nach Hegel wiederum letztlich der Seite zu, die bereit ist, kompromi8los ihr Leben aufs Spiel zu setzen

(ebd.).

61 L. Siep hat gegen L. Strau8 gezeigt, da8 es sich bei dem bellum des Hobbesschen Naturzustandes nicht wie bei Hegel primar um einen Kampf um Ehre handelt (Siep ('74) S.155 ff.). Hegel entwickelt jedoch weniger ein anderes Modell, als da8 er aufzeigt, da8 der Kampf ums Eigentum notwendig in den Kampf um

Ehre umschlagt.

Ob dieser Zusammenhang — auch in der umgekehrten Rich-

tung — nicht auch von Hobbes selbst gesehen wurde, kann hier offenbleiben.

324

Hegel zeigt im ,,System der Sittlichkeit” nicht, wie sich im Medium des Kampfes Anerkennungsverhiltnisse wiederum konstituieren. Der »Frieden”, der den Krieg beendet, ist vielmehr nur die Unterwerfung der einen Partei unter die andere (SdS 52, Goh 59). In der Bereitschaft

zum Tode erfahrt sich das Individuum jedoch in einer Weise, die not-

wendige Voraussetzung ist fiir die freie Integration in einen sittlichen Zusammenhang. Im Gegensatz zu Hobbes ist der Kampf und die Kon-

frontation mit dem Tode ,,nicht die Offenbarung der absoluten Unsittlichkeit dieses Zustandes, sondern eine wichtige Stufe der Entwicklung der ihm immanenten Sittlichkeit” (Siep (’74) 174).

4. Die Fragmente zur Philosophie des Geistes von 1803/04 Gegeniiber

der antikisierenden

Konzeption

des

Naturrechtsaufsatzes

hatte Hegel mit dem ,,System der Sittlichkeit” eine Auseinandersetzung mit dem modernen Naturrecht begonnen, insbesondere mit Hobbes und

Fichte. Diese Auseinandersetzung wird in den Jenaer Entwiirfen zur Philosophie des Geistes von 1803/04 entscheidend radikalisiert (Siep

('74) 180f.). Zwar bleibt Hegels Idee einer ,,absoluten Sittlichkeit”, in

der das Recht und die Freiheit des Individuums eine prinzipiell untergeordnete

Rolle

spielen,

erhalten.

Die Wirklichkeit

dieser

Sittlichkeit

wird jedoch nicht mehr vorausgesetzt. Der Naturrechtsaufsatz setzte die Existenz des Athener Areopags und seiner Schutzgéttin voraus und thematisierte die Tapferkeit nur als Tu-

gend des Einsatzes fiir das schon existierende Gemeinwesen. Das System

der Sittlichkeit enthalt zwar schon einen eigenen Systemteil iiber die negative, reine Freiheit des Individuums; die Anerkennungsverhiltnisse der ,,natiirlichen Sittlichkeit“, gegen die sich diese Freiheit richtet, wer-

den aber ohne Begriindung vorausgesetzt, und der Kampf um Ehre auf Leben und Tod erbringt nur eine negative Voraussetzung fiir die ,,ab-

solute Sittlichkeit”, die also ebenfalls wesentlich unabgeleitet bleibt. Seit

der Geistphilosophie von 1803/04 behandelt Hegel nun die Frage, wie sich aus der Auseinandersetzung der Individuen bzw. primaren Gruppen mit der Natur und anderen Individuen bzw. Gruppen eine spezifisch gesellschaftliche, rechtliche und sittliche Allgemeinheit allererst konstituiert. Dariiberhinaus

148t sich beobachten,

da& Hegel

den fiir Sittlichkeit

konstitutiven Kampf von einem Kampf um Besitz und Ehre zu einem Kampf um Anerkennung entwickelt und unter anderem damit seine Auseinandersetzung mit Hobbes durch eine starkere Beziehung auf Fichte 325

tiberformt *. Symptomatisch dafiir ist auch der bewuStseinstheoretische Rahmen der Systementwiirfe. Die Fichterezeption fiihrt allerdings erst damit in eine sachlich erhellende Perspektive, da8 Hegel Hobbes’ Idee eines urspriinglichen Kampfes vorsittlicher Individuen implizit in Frage

stellt.

4.1 Der bewuStseinstheoretische Rahmen J. Habermas

hat in seinem

Aufsatz

iiber ,,Arbeit und

Interaktion”

die

These vertreten, da8 Hegel in den beiden Jenenser Vorlesungen zur Philosophie des Geistes von 1803/04 bzw. 1805/06 ,,fiir den Bildungsproze8 des Geistes eine eigentiimliche, spater preisgegebene Systematik zugrunde gelegt hat” (Habermas (’74) 786) “. Dabei versteht Habermas die spatere Systematik Hegels als eine solche von ,,Stufen, die nach der gleichen logischen Form konstruiert” sind (ebd.), namlich der der Selbstreflexion. Demgegeniiber halt Habermas einerseits an Hegels ,,urspriinglicher Einsicht” fest, ,,da8 Ich als Selbstbewu8tsein nur begriffen werden

kann, wenn es Geist ist, d. h. wenn es von der Subjektivitat zur Objektivitat eines Allgemeinen iibergeht, indem auf der Basis der Gegenseitigkeit die als nichtidentisch sich wissenden Subjekte vereinigt sind” (Habermas (’74) 790). Andererseits bringt Habermas die These der marxistischen Hegelforschung in einer differenzierten Weise zur Geltung, da8 Hegels Dialektik sich wesentlich in einer Auseinandersetzung mit der politischen Okonomie und dem gesellschaftlichen Arbeitsproze8 herausgebildet hat (Habermas ('74) 786, 810). Hegel hatte in den Entwiirfen zur Geistphilosophie von 1803/04 das »BewuBtsein”,

den

,,Begriff des Geistes”

(PhilG 266 ff., Goh 293),

als

eine Abfolge von drei ,,Potenzen”, ,,Formen” oder ,,Mitten” beschrieben, nimlich Gedachtnis und Sprache, Arbeit und Werkzeug, sowie Liebe, Familie

und

Familienbesitz.

Aus

dem

Bewu8tsein,

das

sich in diesen

Formen bildet, begriindet Hegel dann die Notwendigkeit des Kampfes

62 Da& Hegels Theorie des Kampfes um Anerkennung eine neue Fichterezeption Hegels in Jena anzeigt, hat zuerst Riedel festgestellt (M. Riedel, Hegels Kritik des Naturrechts, in: Hegel-Studien Bd. 4 ('67); wiederabgedr. in: ders., Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, Frankfurt (69) S.59). Zum sachlichen Verhaltnis von Fichtes und Hegels Anerkennungslehre s. Siep (’74) 5.179 f., 183 f.; ders. ('75), Zur Dialektik der Anerkennung bei Hegel, in: Hegel-Jahrbuch 1974, hrsg.

v. W. Beyer, Kiln

S. 390 f.; sowie

ders. (’79),

Anerkennung

praktischen Philosophie, Freiburg/Miinchen. 63 J. Habermas, Arbeit und Interaktion. Bemerkungen sophie

des

Geistes’,

in: Habermas,

Frankfurt (68), zit. n.: Hegel. Frankfurt Berlin Wien ('74).

Technik

Friihe

326

und

politische

als Prinzip

der

zu Hegels Jenenser ,Philo-

Wissenschaft

Systeme,

als

,,Ideologie”,

hrsg. v. G. Géhler,

um Anerkennung, der im Volksgeist zu seinem Ziel kommt. In der Hauptsache die gleichen Themen behandelt der erste Teil der Realphilosophie des Geistes von 1805/06, dem

unter dem Titel des ,,wirklichen

Geistes” dann die Darstellung von Recht und entfalteter Gesellschaft-

lichkeit folgt.

Beziiglich des vorgesellschaftlichen, grundlegenden Teils der Geistphilosophie behauptet Habermas nun folgendes: ,,Die Kategorien Sprache, Werkzeug und Familie bezeichnen drei gleichwertige Muster dialektischer Beziehungen: die symbolische Darstellung, der Arbeitsproze8 und die Interaktion auf der Grundlage der Reziprozitat vermitteln Subjekt und Objekt je auf ihre Weise [. . .] Eine Radikalisierung meiner These kénnte lauten: Es ist nicht der Geist in der absoluten Bewegung der Reflexion seiner selbst, der sich unter anderem auch in Sprache, Ar-

beit und sittlidhem Verhaltnis manifestiert, sondern erst der dialektische Zusammenhang von sprachlicher Symbolisierung, Arbeit und Interaktion bestimmt den Begriff des Geistes” (Habermas (’74) 786f.). Habermas

betont, da8 es sich um Medien” handelt, die ,gleichurspriinglich” und wheterogen”, also nicht aufeinander reduzierbar

sind (Habermas

(’74)

796£.). Sie seien deshalb nicht nur ,,Stufen des Bildungsprozesses des Geistes, sondern Prinzipien seiner Bildung selber” (Habermas (’74) 806). Die Irreduzibilitat dieser Medien hat bei Habermas nicht nur einen strukturellen, sondern vor allem einen entwicklungsdynamischen Sinn; insbesondere gegen den orthodoxen Marxismus betont Habermas: »[...] ein entwicdlungsautomatischer Zusammenhang zwischen Arbeit und Interaktion besteht nicht” (Habermas (’74) 814). Gerade weil diese Thesen iiberzeugen, fragt es sich nun, welcher Zu-

sammenhang zwischen den drei Mitten des Geistes besteht. Habermas stellt vor allem einen welthistorischhen Zusammenhang von Arbeit und Interaktion heraus: Universalistische rechtliche Anerkennung entwickelt

sich historisch erst in einer Gesellschaft, in der der Aquivalententausch dominiert, und diese Dominanz setzt eine enorme Entfaltung der Produktivkrafte voraus (Habermas (’74) 804).

Es fragt sich jedoch zunachst, welcher Zusammenhang bereits auf der vorgesellschaftlichen Stufe zwischen den Mitten des Geistes besteht, und das hei&t dann auch: welcher strukturelle Zusammenhang. Dafiir mu8 geklart werden, unter welcher Fragestellung Hegel Sprache, Arbeit, Liebe und Anerkennung iiberhaupt thematisiert. Habermas stellt diese Frage nicht explizit, er geht vielmehr davon aus, da8 es sich um das Problem handelt, ,Subjekt und Objekt” zu ,,vermitteln” (Habermas ('74) 786) “. 64 In dieser Hinsicht entspricht Habermas’ Darstellung eher der Theorie der Mit-

ten im ,,System der Sittlichkeit” als in den spateren Entwiirfen (s. insbes. SdS 19 f£., Goh 26 ff.), Hegel behandelt hier bereits Kind, Werkzeug und Rede als

Mitten, und zwar als letzte Stufen der ,,Potenz der Natur”.

327

Dabei bleibt jedoch unklar, worin dieses Problem der ,,Vermittlung” besteht. Habermas zeigt dann, da8 sich fiir Hegel ,,SelbstbewuStsein”

bzw. ,Ich-Identitat” (Habermas (’74) 788, 789, 790, 793 Anm. 10) erst in intersubjektiver Anerkennung konstituiert. Spater versucht er zu zeigen, da8 sich auch in Sprache und Arbeit die ,,Identitat des Ich” bildet

(Habermas (’74) 800, 801).

Diese Thesen bleiben jedoch vieldeutig und inkonsistent. Habermas

entscheidet sich nicht, ob es ihm um die Problematik des SelbstbewuS8t-

seins tiberhaupt oder um die speziellere der Ich-Identitat geht; mit der Rede von der ,Identitat des Selbstbewu8tseins” (Habermas (’74) 801) zieht er beide Ebenen der Problematik zusammen. Dies mag dem Umstand zuzuschreiben sein, da& Habermas

seine These von Hegels

spriinglicher Einsicht” in die Nichturspriinglichkeit

,,ur-

des Selbstbewu8t-

seins implizit gegen Henrichs Abhandlung iiber ,,Fichtes urspriingliche

Einsicht” in die Urspriinglichkeit des SelbstbewuStseins (Henrich (’67 a)) entwickelt (Habermas (’74) 788 Anm. 5). Jedenfalls ist die These, da& es SelbstbewuStsein iiberhaupt nur im Kontext intersubjektiver Anerkennung gibt, sachlihh kaum haltbar. Natiirlich setzt die Genese von verbalem SelbstbewuStsein sprachliche Intersubjektivitat voraus; aber diese bedeutet noch keine Anerkennung

von Personen, und sie ist auch

nur eine genetische, keine strukturelle Bedingung von verbalem Selbstverhaltnis“. Praverbales SelbstbewuStsein ist natiirlich vorgesellschaftlich. Noch weniger Sinn hatte die These, da& sich SelbstbewuStsein, praverbaler oder verbaler Art, in der Arbeit konstituiert.

Man mu8 also davon ausgehen, da8 es bei Habermas’ Hegeldeutung

nicht um die Problematik von Selbstbewu8tsein iiberhaupt, sondern um

die der ,,Identitat des Ich” geht. Wenn jedoch die These von Mead und seiner Schule richtig ist, da8 Ich-Identitat nur im Kontext intersubjek-

tiver Anerkennung méglich ist, dann kann nicht gleichzeitig behauptet werden,

da& sich Ich-Identitat auch allein in den Mitten Sprache

Arbeit bilden kann. Habermas’ Hegeldeutung

und

spitzt sich also auf die

These zu, da8 Ich-Identitat nur durch die Verbindung von Sprache, Ar-

beit und Anerkennung méglich ist. Diese These wird von Habermas allerdings nicht formuliert und erst recht nicht begriindet. Habermas macht

nur im Blick auf Hegel und Marx mit rudimentaren geschichtsphilosophi-

65 Habermas stiitzt sich bei der These der konstitutiven Rolle der Intersubjektivitat wesentlich auf Mead (vgl. Habermas ('74) Anm.10). Tugendhat hat jedoch gezeigt, da8 in der Argumentation von Mead mehrere Ebenen unterschieden werden miissen (Tugendhat (’79 4) 11. u. 12. Vorl.). Habermas’ Formulierung der These iiber die intersubjektive Konstitution von Selbstbewu8tsein iiberhaupt erinnert weniger an Mead als an einen radikalen Dialogismus: ,Bewu8tsein existiert als die Mitte, in der die Subjekte sich treffen, so da8 sie, ohne sich zu treffen, als Subjekte nicht sein kinnten” (Habermas ('74) S. 789).

328

schen Argumenten plausibel, da& die entwickelte, universalistische Anerkennung im biirgerlichen Recht in der Entfaltung des Arbeitsprozesses fundiert ist (Habermas (74) 804) “*. Ich méchte nun zeigen, da8 die Ambivalenzen von Habermas’ Deutung in Hegels Texten begriindet, aber durch sie hindurch auch auflésbar

sind. Dabei beziehe ich mich zunachst nur auf die Entwiirfe zur Geist-

philosophie von 1803/04, auf die sich Habermas weitgehend stiitzt, ob-

wohl er seine Thesen auch in gleiciem Mae durch die Realphilosophie von 1805/06 bestitigt sieht. Die Realphilosophie fiihrt jedoch, wie wir im nachsten Kapitel sehen werden, mit dem Begriff des Willens eine neue Problematik in die Philosophie des Geistes ein. Hegel thematisiert in der Geistphilosophie von 1803/04 Sprache, Arbeit und Liebe als ,,Potenzen”, ,,Formen” oder ,,Mitten” des ,,BewuSt-

seins“. ,BewuStsein” ist hier fiir Hegel wesentlich der ,,Begriff des Geistes” (PhilG 266, 269; Goh 293, 296 Anm. 2; Text und Schreibweise fol-

gen hier stets der Edition von Gohler), also so etwas wie die noch unentfaltete Grundstruktur des Geistes. Der Begriff des ,, BewuStseins” hat schon in dem Abschnitt iiber ,,Sittlichkeit” des ,,Systems der Sittlichkeit”

zentrale Bedeutung (SdS 53, Goh 60)". ,BewuStsein” wird jetzt aber

explizit als ,,Einheit des BewuStseienden und des BewuSten” (PhilG 269, 273; Godh 297 Anm., 298) verstanden, d. h. immer schon auch als

SelbstbewuStsein “. Die genannte Formel kénnte zwar noch als Beschreibung von blo faktischem BewuBtsein seiner selbst — also ohne Wissen

davon, da es sich um mich selbst handelt — gelesen werden. Diese Les66 Dabei verbindet Habermas

durchaus heterogene Argumente. Zundchst sieht er

den Zusammenhang von Arbeit und Interaktion so: ,Der Besitz als Substrat der rechtlichen Anerkennung geht aus Arbeitsprozessen hervor” (Habermas ('74) S. 804). Dies ist Lockes Argument zur Legitimation von Privateigentum. Dann

verweist Habermas

auf den Zusammenhang

der Entfaltung des Aquivalenten-

tausches einerseits, der Produktivitat der Arbeit andererseits

(ebd. 804 f.) und

behauptet mit Blick auf Hegels Jenaer Realphilosophie: ,Der Tausch von Aqui-

valenten ist das Muster fiir reziprokes Verhalten” (ebd. 805). Diese heterogenen Argumente zieht Habermas schlie8lich in die These zusammen, da8 im biirgerlichen Recht ,auch das Resultat einer Befreiung durch gesellschaftliche Arbeit festgehalten ist” (ebd. 811).

67 Der Begriff des ,BewuStseins” ist also noch kein Indiz oder Anla& fiir einen grundlegenden Wandel bei Hegel, wie Kimmerle meint (H. Kimmerle (‘69), Zur

68

Entwicklung des hegelschen Denkens in Jena, in: Hegel-Studien Beih. 4, Bonn S.42; ders, ('70), Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels »System der Philosophie” in den Jahren 1800—1804, Bonn S. 259 ff.; zur Kritik an Kimmerle s. R.P. Horstmann ('72), Probleme der Wandlung in Hegels Jenaer Systemkonzeption, in: Philosophische Rundschau 19. Jg., Tiibingen). Dies

iibersieht

Horstmann

in seiner

Kritik der Subjektivitatstheorie

Philosophie von 1803/04 (R. P. Horstmann

('68), Hegels

der Geist-

vorphanomenologische

Entwiirfe zu einer Philosophie der Subjektivitat in Beziehung auf die Kritik an

den Prinzipien der Reflexionsphilosophie, Diss. Heidelberg S. 52).

329

art wird jedoch dadurch ausgeschlossen, da8 Hegel auch von dem ,,Sich-

bewuStseienden”

(PhilG 273, Géh 298) und davon spricht, da8 im Be-

wuftsein ,,sich die beiden, das Sichbewu8tseiende und das, dessen dies

sich bewu8t ist, in ihm als Eins setzen” (PhilG 276, Goh 301). Da8 Hegel gleichwohl den Terminus Bewu8tsein beibehilt, hat allerdings einen systematischen Sinn: ,,In dieser Einheit des Gegensatzes ist das SichbewuB8tseiende die eine Seite desselben, und das, dessen es sich

bewu8t ist, die andere. Beide sind wesentlich dasselbe, beide eine un-

mittelbare Einheit der Einzelheit und der Allgemeinheit. Aber dies Bewuftseiende und das, dessen es sich bewuft ist, ist nur fiir einen Dritten diese Einheit des Bewu8tseins, nicht fiir sie selbst” (PhilG 273, Goh 298).

Hegel will damit nicht bestreiten, da8 Bewuftsein immer auch Selbstbewu8tsein ist, aber er insistiert darauf, da8 Selbstbewu8tsein immer auch Bewu8tsein von etwas ist, das von diesem Bewu8tsein selbst ver-

schieden ist *. Die Bedeutung des BewuStseinsbegriffs der Geistphilosophie von 1803/04 sieht Kimmerle so: ,,Diese Konzeption bezeichnet den innern Wendepunkt in der Entwicklung des Hegelschen Denkens in Jena. Mit diesem Begriff des Bewu8tseins wird das Prinzip der Transzendentalphilosophie im Kantisch-Fichteschen Sinne auf eine neue Weise zum Zentralbegriff der Philosophie. Die absolute Identitat von Subjekt und Objekt wird in der Einheit von Bewu8tseiendem mit dem, dessen es sich bewu8t ist, in der Dimension des erscheinenden Geistes greifbar” (Kimmerle (’70) 259). Kimmerle bewertet diese Wendung allerdings negativ. Es ist aber durchaus fraglich, ob der Begriff des BewuBStseins als 69 K.Cramer hat gezeigt, da8 eine Pointe von Hegels Reflexionen zur Bewu8tseinstheorie darin liegt, einerseits zu bestreiten, da8 es BewuStsein ohne SelbstbewuBtsein geben kann, und andererseits zu bestreiten, da& es SelbstbewuBtsein ohne Bewu8tsein von von ihm selbst Verschiedenem geben kann (K. Cramer ('79), Bewu&tsein und Selbstbewu8tsein. Vorschlage zur Rekonstruktion der systematischen Bedeutung einer Behauptung im § 424 der Berliner Enzyklopadie der philosophischen Wissenschaften, in: Hegels philosophische Psychologie, hrsg. v. D. Henrich, Hegel-Studien Beih.19 S. 215—225; vgl. ders. ('76), Bemerkungen zu Hegels Begriff vom Bewu8tsein in der Einleitung zur Phanomenologie des Geistes, in: Der Idealismus und seine Gegenwart, hrsg. v. U. Guzzoni et al., Hamburg S.75—100; sowie ders. (74), ,Erlebnis”. Thesen zu Hegels Theorie des

SelbstbewuStseins mit Riicksicht auf die Aporien eines Grundbegriffs nachhegel-

scher Philosophie, in: Stuttgarter Hegel-Tage 1970, hrsg. v. H.-G. Bonn S. 598 f.). 7o Kimmerle (‘70) S. 263: ,Einerseits werden iiber das BewuBtsein als scheidenden Faktor der menschlichen geschichtlichen Welt auf diese sentliche Erkenntnisse zutage geférdert. Die Bedingtheit dieser Welt

Natur und

durch die Arbeit als das

iiber die Natur kann andererseits

werden.

Sofern

die

Entdeckung

Gadamer,

einen entWeise wedurch die

natiirlihhe Hinauswachsen des Menschen

nicht mehr in ihrer vollen Bedeutung

der

Struktur

des Bewu8tseins

erfa8t

maBgebende

Voraussetzungen dafiir schafft, da& das System als ein in sich zuriickgehender

330

Einheit von Bewu8tsein und SelbstbewuBtsein schon eine grundlegende

Wendung bedeutet, und das hei8t auch, ob darin bereits eine neue Fichte-

rezeption liegt ™. Hegel fiihrt den Begriff des BewuStseins so ein: ,.Der so bestimmte

Begriff des Geistes ist das Bewufstsein, als der Begriff des Einsseins des

Einfachen und der Unendlichkeit. Aber im Geiste existiert sie fiir sich selbst oder als wahrhafte Unendlichkeit. Das Entgegengesetzte in ihr, in der Unendlichkeit ist diese absolute Einfachheit beider selbst. Dieser Begriff des Geistes ist dasjenige, was Bewuftsein genannt wird; [es] ist das ihm Entgegengesetzte selbst ein solches einfaches an sich Unendliches, ein Begriff; jedes Moment ist an ihm selbst vollkommen das ein-

fache unmittelbare Gegenteil seiner selbst, ohne Widerstreit das Einzelne in die Allgemeinheit aufgenommen; ebenso aber [ist] das Bewuftsein das unmittelbare einfache Gegenteil seiner selbst: einmal [ist es dasjenige], das einem, dessen es sich bewu8t ist, entgegengesetzt [ist], sich in Tatiges und Passives trennend, und das andere Mal das Gegenteil dieser Trennung,

das absolute Einssein des Unterschieds, das Einssein

des seienden und des aufgehobenen Unterschiedes” (PhilG 266f., Goh 293 f.). Spater heit es: ,,.Das Wesen des Bewuftsein ist, da8 unmittelbar in einer 4therischen Identitat absolute Einheit des Gegensatzes sei; es kann dies nur sein, indem unmittelbar, insofern es entgegengesetzt ist, die beiden Glieder des Gegensatzes es selbst sind, [die] an ihnen als Glieder des Gegensatzes unmittelbar das Gegenteil ihrer selbst, die absolute Differenz, eine sich selbst aufhebende

renz sind, einfach sind” (PhilG 273, Goh 298).

und aufgehobene Diffe-

In dieser Explikation von ,BewuStsein”, die fast wértlich die Explikation von ,SelbstbewuBtsein” in der ,,Phanomenologie des Geistes” vorwegnimmt ™, sind zwei Explikationsmittel vorherrschend: einerseits der Begriff der Unendlichkeit, die hier auch als ,,unmittelbare Einheit der

Einzelheit und Allgemeinheit” gefaSt wird (PhilG 273, 266; Goh 298,

Kreis konzipiert werden kann, tragt sie zur Abgeschlossenheit des Denkens Entscheidendes bei, die ohne Zweifel die Grundfrage dieses Systems (im Sinne

der kritischen Anfrage) darstellt. Es scheint mir allerdings mindestens unfruchtbar, Hegels Subjektivitdtstheorie durch Axiome des common sense oder

materialistische Binsenwahrheiten zu kritisieren.

71 Vgl. Horstmann (’72) S.115.

72 Ph 134 f.: ,Indem ihm dieser Begriff der Unendlichkeit Gegenstand

ist, ist es

also Bewu8tsein des Unterschiedes als eines unmittelbar ebensosehr Aufgehobenen; es ist fiir sich selbst, es ist Unterscheiden des Ununterschiedenen oder Selbstbewuftsein. Ich unterscheide mich von mir selbst, und es ist darin unmittelbar fiir mich, da dies Unterschiedene nicht unterschieden ist.” Der Unter-

schied der beiden Explikationen liegt darin, da& hier, beim ,SelbstbewuStsein”,

vom ,,Unterschied“, beim ,,BewuStsein” in der Geistphilosophie von 1803/04 jedoch vom ,,Gegensatz“ die Rede ist.

334

294), andererseits der des Gegensatzes, der ebenso unmittelbar aufge-

hoben ist; beide werden

als ,,unmittelbares

Gegenteil ihrer selbst” be-

schrieben (ebd.). Es liegt nahe, beide Begriffe als Explikationsmittel der spezifischen Subjekt-Objekt-Beziehung des Bewu8tseins aufzufassen. Demnach ware das BewuB8tsein erstens BewuStsein eines ihm entgegengesetzten Objekts; zweitens ware es als Selbstbewu8tsein BewuStsein eines Objekts, dessen Entgegensetzung ebenso unmittelbar aufgehoben ist; und drittens ware es die Bewegung der Aufhebung des Gegensatzes seiner als Bewu8tsein und als SelbstbewuStsein. Diese Deutung entsprache der Darstellung, die Hegel von der ,Phanomenologie des Geistes” (Ph138f.) iiber die ,,Propadeutik” (Prop II § 23, Prop III § 345) bis zur Berliner Enzyklopidie gibt (EnzB* § 425). Sie konnte auch mit einem gewissen Recht als Aneignung der Fichteschen Wissenschaftslehre von 1794 verstanden werden. Diese Deutung wire jedoch gleichbedeutend damit, Hegels Ansatz durch die Behauptung von offensichtlichen Absurditaten jegliche sachliche Relevanz zu nehmen. Schwierigkeiten in der Theorie des SelbstbewuB8tseins machen

es nicht sinnvoll, SelbstbewuStsein

widerspriichlich

zu beschreiben — als Gegensatz, der ebenso unmittelbar aufgehoben ist,

und als zeitlose Bewegung des Setzens und Aufhebens dieses Gegensatzes. Aber selbst wenn dies einen Sinn ergeben wiirde und damit sogar Probleme der Selbstbewu8tseinstheorie aufgelést werden kénnten, wiirde dies noch lange nicht die Behauptung rechtfertigen, da8 das Bewu8&tsein eine Bewegung impliziert, jeden Unterschied von Subjekt und Objekt aufzuheben (und — wenn es denn sein mu8 — auch wieder zu setzen).

Hegels Theorie des BewuStseins mu8 jedoch nicht nach dem Modell

der Subjekt-Objekt-Dialektik tung weist bereits der Begriff Jenaer Schriften eine Einheit stimmtheit qua Totalitat meint der

ausgelegt werden. In eine andere Richder ,,Unendlichkeit”, der seit den frithen von Bestimmtheit und radikaler Unbe(s. 2.2). Dieser Begriff der Unendlichkeit,

schon im Naturrechtsaufsatz

als ,,Gegenteil

seiner selbst”

gefaSt

wurde (s. 3.1), wird jetzt dariiberhinaus als ,,unmittelbare Einheit der Einzelheit und Allgemeinheit” begriffen (PhilG 273, 266; Géh 298, 294). Damit sind zum ersten Mal die fiir Hegels Dialektik spezifischen Begriffe im wesentlichen erreicht *. Sie bezeichnen zuniachst die Struktur 73 Tugendhat hat zu zeigen versucht, da8 sich Hegels ,dialektisches” SelbstbewuBtseinsmodell aus einer Dynamisierung miSverstandener formaler ontologischer Kategorien ergibt (Tugendhat (‘79 a) S. 302 ff., 330 ff.). Becker hat es als Konsequenz der irrigen cartesianischen Tradition der Moderne erklart (vgl. z. B.: W. Becker, Idealistische und materialistische Dialektik, Stuttgart

74 Das System der Sittlichkeit arbeitete mit einer wechselseitigen ~Allgemeinheit”

bzw.

,,Allgemeinem”

und

,,Besonderheit”

bzw.

,Besonderem”,

die Hegel mit ,Anschauung” und ,,Begriff” gleichsetzt (SdS 7, Goh 15). 332

(’70)).

Subsumtion von

einer Einheit von Unbestimmtheit qua Totalitat und Bestimmtheit, die —

wenn iiberhaupt — dann nur am selbstbewuSten Subjekt aufgewiesen werden kann. In dem Begriff der ,,Allgemeinheit” liegt allerdings auch der Anspruch, da8 aus dieser Struktur Intersubjektivitat iiberhaupt, insbesondere verniinftige Intersubjektivitat, verstindlich gemacht werden kann. 4.2 Der Proze8 des BewuStseins

Hegel betrachtet die Folge der Potenzen des Bewuftseins als einen Proze8, in dem es sich ,,zur Totalitat macht” (PhilG 280, Goh 295). Die Notwendigkeit dieses Prozesses des BewuBStseins begriindet Hegel so: ,,Dieses empirische Bewuftsein mu8 aber absolutes BewuStsein sein, oder unmittelbar das Andere, als es selbst ist” (PhilG 274, G6h 299). ,Absolutes Bewu8tsein” ist also nicht ein vom ,,empirischen BewuStsein”

verschiedenes Bewu8tsein, sondern dessen eigene adaquate Wirklichkeit. Das empirische BewuBtsein ,,mu& sein Anderssein, seine positive

Gleichheit mit dem BewuStsein an ihm selbst haben; es ist absolutes BewuBtsein, indem dies Andre als es selbst ist, sein eignes vollkommenes Bewu8&tsein [ist], ohne alles Fiirsichselbstsein, ohne alle wahr-

hafte Verschiedenheit — nur verschieden von ihm durch die leere inhaltslose Form des Anderssein[s], so da8 sie, indem sie so inhaltslos ist als Form, allgemein an ihr selbst auch ideell ist. Dies ist das Ziel, die ab-

solute Real[litat] des BewuBtseins, in die wir seinen Begriff zu erheben

haben” (ebd.). Da& Hegel meint, da& das Bewu8tsein ,,die Totalitat” nur wals der Geist eines Volkes hat, der absolut, das Bewu8tsein aller ist” (ebd.), kann zunachst unberiicksichtigt bleiben.

Auf dem Weg des Bewu8tseins zu sich als Totalitat unterscheidet He-

gel den ,,theoretischen Proze8” vom

,,praktischen Proze8”

(PhilG 280,

Goh 295). Der theoretische Proze& fiihrt iiber Gedachtnis, Sprache und

Verstand ,,zum einfachen absoluten Begriff, zur absoluten Reflexion in

sich selbst, zur Leerheit des formalen Verm[dgens] der absoluten Abstraktion” (ebd., vgl. PhilG 282-296, Gdh 304-314). Hegel beschreibt dies Resultat am Ende des theoretischen Prozesses so: ,,Dieser abs[olute]

einfache Punkt des e[ine]s Negativen; solchen, als e[ine]s Einzelne kann sich solut abstrahieren,

Bewuftseins ist das Absolutsein desselben, aber als oder es ist das Absolutsein des Individuums als eines Einzelnen. Es ist die Freiheit seines Eigensinns. Der zu diesem Punkte machen; er kann von Allem aballes aufgeben; er kann nicht abhangig gemacht wer-

den, an nichts gehalten werden; jede Bestimmtheit, an der er gefaSt werden soll, kann er von sich abtrennen, und im Tode seine absolute Unabhangigkeit und Freiheit, sich als absolut negatives BewuStsein reali-

sieren” (PhilG 296, Goh 314). Es handelt sich hier also nicht nur um das 333

reine epistemische

und

verbale SelbstbewuStsein,

etwa

im Sinne

von

Kants transzendentaler Apperzeption, sondern um die Fahigkeit, alle Bestimmungen in Frage zu stellen und von ihnen zu ,,abstrahieren”. Die

»absolute Abstraktion” ist kein urspriingliches Faktum, sondern das Resultat einer Herausbildung von Gegensiatzen (PhilG 298, Gdh 315). Nach Hegels Darstellung geht ,,der theoretische Proze8 [...] in den

praktischen iiber, in welchem sich das BewuB8tsein ebenso zur Totalitat

macht” (PhilG 280, Goh 295), und zwar auf dem Weg von der Arbeit iiber das Werkzeug zum Geschlechtsverhiltnis und zur Familie und letztlich zur Sittlichkeit. Den Ubergang vom theoretischen zum praktischen Proze& begriindet Hegel so: ,,Das BewuS8tsein als Bewu8tsein des Einzelnen ist entgegengesetzt [dem] anderer Einzelner, und es mu8 jetzt die Einzelheit

als eine aufgehobene

setzen,

oder es als

existierendes

Ding gegen existierende Dinge — praktisches BewuBtsein” (PhilG 296, Goh 314). Diese Aufhebung der Einzelheit ist kein externes Postulat He-

gels. Denn in der ,,absoluten Abstraktion” ist das BewuB8tsein nicht blo8& Einzelnes, sondern ebenso unmittelbar auch Allgemeines, und d. h. auch

Unbestimmtes. Das ist jedoch solange ein Widerspruch, wie Unbestimmtheit hier den negativen Sinn der ,,Leerheit” und ,,absoluten Ab-

straktion” hat. Die Bewegung des praktischen Prozesses besteht folglich darin, da& die Einzelheit des BewuStseins ,,sich erfiillt” (PhilG 298, Goh

315), ,zum Reichtume in ihm selbst, eine Totalitat des Seins” wird (PhilG 280 Anm. 19, Géh 295 Anm. 3) *. Hegel konstruiert den Proze8 des BewuBtseins also nicht so sehr mithilfe der fatalen Subjekt-Objekt-Dialektik, sondern eher als Auflésung

der Antinomie von Bestimmtheit und Unbestimmtheit im epistemischen

SelbstbewuB8tsein, die den friihen Jenaer Schriften mit dem friihen Fichte

gemeinsam ist (vgl. II, 2 und III, 2.). Das bedeutet, da8 Sprache, Werkzeug und Familie fiir Hegel nicht nur Mitten zwischen Subjekt und Objekt bzw. Subjekt und Subjekt sind, sondern dariiberhinaus Mitten zwischen der Bestimmtheit und der Unbestimmtheit des Subjekts. Ihre Funktion ist wesentlich die, eine tragfahige Identifikation des Subjekts mit seiner Bestimmtheit zu ermdglichen. Habermas hat deshalb recht, sie

75 Hegel sagt allerdings auch, da8 das Bewu8tsein erst durch Arbeit und Werkzeug, indem es hier nicht nur wie in der Sprache seine ,ideale“, sondern auch wseine reale Herrschaft gegen die Natur sich erwiesen” hat, sich als flirsichseiender, der Natur entnommener Geist konstituiert” hat (PhilG 281, Géh 295). Fiirsichsein ist jedoch schon in der ,absoluten Abstraktion” der theoretischen, reinen Selbstbeziehung erreicht. Hegel meint hier offenbar, da8 erst in der prak-

tischen Potenz Fiirsichsein in dem Sinne erreicht ist, da8 das Bewu8tsein sich

fiir sich gestaltet, den Gegensatz autonomen Gehalt gewonnen hat.

nach

334

auSen

aufgehoben”

(ebd.), also einen

als Konstitutionsbedingungen

von Ichidentitat zu deuten (s. 4.1), auch

wenn er nicht das Problem aufweist, das fiir Hegel die Méglichkeit von Ichidentitat darstellt *. Da die Exposition dieses Problems nun weder Fichte noch Hegel gelungen ist, bleibt der Proze8 des BewuS8tseins in der Geistphilosophie von 1803/04 letztlich ohne theoretische Begriindung. Da sich das Bewu8tsein in seinem Proze8 ,,zur Totalitat macht”, mu8

Hegel davon ausgehen, da& die Begierde, die den praktischen Proze8 in

Gang bringt, die hobbessche bzw. fichtesche Begierde nach allem ist. In diesem Sinne heiSt es spiter in der ,,Propadeutik” explizit: ,,Der Trieb des Selbstbewuftseins besteht darin, seinen Begriff zu realisieren und in

Allem sich das Bewu8tsein seiner zu geben” (Prop II § 23). Hegel sagt so etwas in der Geistphilosophie von 1803/04 nicht explizit, er scheint es aber vorauszusetzen, wenn er die Notwendigkeit des Kampfes um An-

erkennung nachweisen will. In eine verwandte Richtung weist Hegel mit den Andeutungen, da8 sich die spezifisch menschliche Begierde nicht nur

in der konkreten

Bediirfnisbefriedigung

realisiert, sondern

wesentlich

»in ihrem Vernichten” (PhilG 300, Géh 317) bzw. in der ,,realen Herrschaft gegen die Natur” (PhilG 281, Goh 295). Damit ist allerdings ,,der

Trieb, in Allem sich das Bewu8tsein seiner zu geben”, erst negativ und

vorlaufig expliziert. Hegel geht im Folgenden vom Werkzeuggebrauch zur Geschlechtsbeziehung und zur Liebe iiber, ohne da& dafiir eine Begriindung deutlich wiirde ”. Als Liebe bezeichnet Hegel die Geschlechtsbeziehung dann, wenn die Begierde sich ,,von der Beziehung auf den Genu&” befreit hat (PhilG 302, Géh 317). Dann ist nach Hegel ,jedes selbst Eins mit dem

Andern [. . .] und der Genu8 ist in diesem Anschauen seiner selbst in die-

sem Sein des andern BewuBtseins” (PhilG 301f., Goh 317f.). Diese Struktur des Sich-selbst-Erkennens-im-andern sieht Hegel noch mehr

76 Sprache kann allerdings unter diesem Gesichtspunkt nicht einfach analog mit Werkzeug und Familie behandelt werden, wie Habermas dies tut. Denn sie

fihrt bei Hegel erst zur ,absoluten Abstraktion” und damit zur Konstruktion des Vermittlungsproblems; bei Hegel ist sie auch nur ein ideales Komplement der praktischen Potenz. 77 Zunachst sagt Hegel vom BewuBtsein: ,Indem es in der ersten Potenz seine ideale, hier seine reale Herrschaft gegen die Natur sich erwiesen und damit sich als fiirsich[seiender], der Natur entnommener Geist konstituiert und sich fiir sich gestaltet, den Gegensatz nach auSen aufgehoben hat, so zerfallt es in sich

selbst und realisiert [sich] in gegeneinander differenten Momenten, deren jedes selbst ein BewuBtsein ist, in der Geschlechtsdifferenz, in welcher es ebenso die einzelne Begierde der Natur aufhebt und zur bleibenden Neigung macht“ (PhilG 281, Gédh 295). Spater sieht er bereits den Obergang zur Geschlechtsbeziehung im Zusammenhang mit der Hemmung der Begierde im Werkzeugge-

brauch (PhilG 301, Goh 317).

335

als im Verhaltnis der Liebenden im Verhaltnis von Eltern und Kind realisiert, insbesondere in der Erziehung. Hegel sagt ausdriicklich, da8 damit erst die Struktur des Bewu8tseins erreicht ist, ,,sich selbst ein Anderes“ zu sein (PhilG 303, Goh 319). Das Bewu8tsein gelangt insofern in der Familie zur ,,Totalitat” (PhilG 306 f., Goh 321; vgl. PhilG 280 Anm. 19, Goh 295 Anm. 3). Hegel verwendet den Begriff der ,,Totalitat” hier nicht fiir die Allheit,

die extensive Totalitat, oder fiir eine spezifisch totalisierende Beziehung auf alles, sondern fiir die Beziehung zwischen Teilen und begrenztem Ganzen, in der die Teile in gewisser Weise selbst das Ganze sind, indem

sie sich mit den anderen Teilen identifizieren, sich in ihnen erkennen usw. Eine solche intensive, aber partikulare Totalitat ist jedoch fiir Hegel keine hinreichende Verwirklichung der urspriinglichen Totalitat des Be-

wu8tseins. Es ist namlich ,,absolut notwendig, da8 die Totalitat, zu der

das Bewuftsein in der Familie gelangt ist, sich in einer anderen solchen Totalitat [des] BewuB8tseins als sich selbst erkennen kann” (PhilG 307, Goh 321) ®. Mit dieser These iiberschreitet Hegel die Stufe des ,praktischen

Prozesses”

als Folge

von

Potenzen

des

Bewu8tseins

als ,,Mit-

ten” ”. Es geniigt nicht einmal, sich ,,in einer andern solchen Totalitat”

zu erkennen;

das Bewu8tsein

mu8

vielmehr

notwendig

darauf gehen,

sich in allen solchen Totalitdten zu erkennen. Insofern ist der Totalitatsbegriff hier immer auch extensiv. Hegel will so die Notwendigkeit des Kampfes auf Leben und Tod um Anerkennung begriinden. 4.3 Der Kampf um Anerkennung In einer Analyse von Hegels Theorie des Kampfes um Anerkennung kann man mindestens die folgenden Fragen unterscheiden: 1. Warum kommt es notwendig zu einem Konflikt? 2. Warum fiihrt dieser zum Kampf? 3. Warum ist Anerkennung notig? 4. Warum ist der Kampf ein Kampf um die Anerkennung? 5. Warum ist er dabei ein Kampf auf Le-

ben und Tod? 6. Wie ist eine Uberwindung des Kampfes miglich? Hegel

hat diese Fragen nicht explizit unterschieden und seine Argumentation verkniipft die differenten Aspekte in vorschneller Weise. So setzt Hegel voraus, da der Konflikt und Kampf deshalb notwendig ist, weil jeder 78 Ich folge auch hier dem Text von Gohler, der der Edition von Hoffmeister folgt. 79 Hegel bezeichnet nur Sprache, Werkzeug und Familie, nicht jedoch den Kampf um die Anerkennung als ,,Potenzen des BewuB8tseins”, als ,ideale Momente der Existenz des Geistes” (PhilG 281, Géh 296) und qua ,Mitte” als ,erste gebundene Existenz des Geistes” (PhilG 277, Gdh 302). Indem Habermas Liebe und Kampf um die Anerkennung unter dem Titel der ,,Interaktion” zusammenfa&t, nivelliert er diese Differenz (Habermas ('74) S. 791 ff.).

336

als ein solcher anerkannt werden will, als der er sich nur im Kampf auf

Leben und Tod erweisen kann. Es ist aber zunichst gar nicht abzusehen, wie dieser Wille begriindet werden kénnte. Hegels Theorie des Kampfes um Anerkennung ist eine komplexe theo-

retische Synthese, in die, neben den bereits thematisierten Theorien des Verbrechens und der Tapferkeit, vor allem Hobbes’ Theorie des Natur-

zustandes und Fichtes Anerkennungslehre eingehen (vgl. Siep (’74) 179). Hobbes begriindet die Notwendigkeit eines strukturellen Konflikts im Naturzustand (des ,,bellum”), jedoch genau genommen nicht die Notwendigkeit,

da8

sich dieser

Konflikt

im Kampf

auf Leben

und

Tod

au8ert — er kann auch aus rationaler Einsicht durch den Unterwerfungsvertrag aufgelést werden, bevor es zum offenen Kampf kommt. Der Konflikt und der eventuelle Kampf sind weiterhin nicht primar solche um Anerkennung, sondern um Macht. SchlieBlich ist beim Kampf die Beziehung auf den eigenen Tod unwesentlich, und der Kampf ist des-

halb keine positive Voraussetzung fiir die Uberwindung des Naturzu-

standes, Fir Fichte andererseits ist wechselseitige Anerkennung notwendige Bedingung fiir jedes stabile und konsistente Selbstverhaltnis und alle Intersubjektivitat; sie resultiert zwar aus einer Auseinandersetzung der Subjekte in wechselseitiger ,Aufforderung” und ,,Erziehung”, die aber

nicht den Charakter des bellum oder gar des offenen Kampfes haben. Dennoch fiihrt gerade Hegels Rezeption von Hobbes im Horizont von

Fichtes Subjektivitatstheorie zu einer Radikalisierung von Hobbes’ Lehre, die diese im Ergebnis allerdings geradezu umkehrt.

Fiir Hobbes war der strukturelle Konflikt darin begriindet, da8 jeder

Besitz und jede Macht direkt oder indirekt dazu dienen kénnen, den anderen zu unterwerfen oder jedenfalls zu téten. Jeder hat deshalb ein ur-

spriingliches Bediirfnis und Recht auf alles. Dies wird von Hegel schon in der Struktur des BewuStseins als ,,Id[eell]-Sein der Welt” begriindet (PhilG 308, Goh 322). Hegel spricht fichteanisch auch davon, da8 das BewuBtsein

,jedes Moment

als sich selbst setzt“

(ebd.) *. Daher

kann Hegel sagen: ,,In seinem Besitze muf jeder besonders notwendig

gestdrt werden, denn im Besitze liegt der Widerspruch, da8 ein AuSeres, ein Ding, ein Allgemeines der Erde, da& dies in der Macht eines Einzelnen sein soll, was wider die Natur des Dinges als eines Allgemeinen,

Aufern ist” (PhilG 309, Gdh 323). Demnach ergibt sich die Notwendig-

80 Die zitierte Formulierung bezieht sich unmittelbar auf die Momente jedes einzelnen. Hegel begriindet sie aber auch durch die Struktur des BewuStseins als awldeell-Sein der Welt“, also auch der Momente, die nicht unmittelbar Bestimmungen des einzelnen sind.

337

keit eines unlésbaren Konflikts und damit des Kampfes schon aus der formalen Struktur des Bewu8tseins bzw. daraus, da8 das Bewu8tsein seinen Totalitdtscharakter als Anspruch auf alles erfahrt. Hegel ist Einwanden gegen die Pramissen dieser Bewu8tseinstheorie allerdings dadurch zuvorgekommen, da8 er _,,Totalitat“, auch beziiglich des einzelnen, u. a. als blo& intensive Totalitat verstanden hat: ,,Der Einzelne ist nur ein BewuStsein, insofern jede Einzelheit seines Besitzes und

seines Seins an sein ganzes Wesen gekniipft erscheint, in seine Indifferenz aufgenommen ist, insofern er jedes Moment als sich selbst setzt“ (PhilG 308, Goh 322). Diese Identifikation des Subjekts mit jedem seiner Momente versteht Hegel als die Tugend der Ehre: ,,Die Verletzung einer seiner Einzelheiten ist daher unendlich; sie [ist] eine absolute Beleidigung, eine Beleidigung seiner als eines Ganzen, eine Beleidigung seiner Ehre; und die Kollision um jedes Einzelne ist ein Kampf um das Ganze” (ebd.).

Wenn das Bewu8tsein Totalitat im Sinne der unbedingten Identifika-

tion mit seinen Momenten ist, dann folgt zwar, da8 ein Konflikt um eins dieser Momente zu einem ,,Kampf ums Ganze“ fithren mu8. Worin

liegt aber die Notwendigkeit fiir einen solchen Konflikt? Hegels Ant-

wort lautet: ,,Als diese Totalitat treten beide, die sich als diese Totalitat

der Einzelnen gegeniiber anerkennen und anerkannt wissen wollen, gegeneinander auf” (PhilG 308, Goh 323). Hegel scheint hier also voraus-

zusetzen, da8 sich die einzelnen als Totalitat anerkennen und anerkannt

werden wollen. Dieser Wille zur Anerkennung ist nicht von kontingenten Bedingungen

wie einem Streit um Eigentum oder Ehre abhingig,

sondern fiirs Bewu&tsein

konstitutiv, das ,nur als ein Anerkanntwer-

den von einem Andern“ ist (PhilG 312, Goh 325). Da® sich die Anerkennung

auf den einzelnen als Totalitat richtet, ist

dabei gleichbedeutend damit, da& sie sich auf ihn als Vernunftsubjekt tichtet: ,,Und jene Kollision mu8 und soll eintr[eten], denn ob der Einzelne als solcher eine Vern[iinftigkeit,] Indifferenz sei, kann nur gewu8t werden, indem jede Einzelheit seines Besitzes und Seins in ihr gesetzt [ist, und] er sich auf sie als Ganzes bezieht. Dies kann nur sich zeigen, indem er um seine Erhaltung seine ganze Existenz daransetzt, sich schlechthin nicht teilt; [...] Ob die ausschlieBliche Beziehung des Einen darauf eine vern{iinftige] sei, ob er in Wahrheit eine Totalitat sei, um dies Anerkennen geht die Beziehung der Einzelnen. Jeder kann vom Andern nur anerkannt werden, insofern seine mannigfaltige Erscheinung in ihm indifferent ist, in jeder Einzelheit seines Besitzes sich als un[endlich] erweist und jede Verletzung bis auf den Tod racht. Und diese Ver-

letzung mu8 eintreten, denn das BewuStsein mu8

auf dies Anerkennen

gehn, die Einzelnen miissen einander verletzen, um sich zu erkennen, ob

sie verniinftig sind” (PhilG 308 f. Gdh 322 Anm. 1). 338

Hegel setzt hier mit Fichte voraus, da8 ein entwickeltes und konsistentes Selbstverstindnis und das Wissen davon nur im Kontext einer Erfahrung von intersubjektiver Anerkennung erworben werden kénnen". Hegel betrachtet diesen Lernproze8 nun teleologisch und nimmt deshalb ein Bediirfnis bzw. einen Willen zur Anerkennung bzw. zum Aner-

kanntwerden an. Dabei handelt es sich ebenso um das Bediirfnis nach

Anerkennung von Rechten wie von Fahigkeiten. Fiir diese Bediirfnisse gibt es starke empirische Evidenzen, die jedoch fiir eine Begriindung der Rationalitat von Recht und Moral noch nicht ausreichen. Hegel kommt dariiberhinaus zu der Behauptung von Bediirfnissen nach Anerkennung, die empirisch sehr fraglich scheinen, wie das Bediirfnis der Anerkennung von ,Ehre”, namlich der Bereitschaft, sich mit beliebigen (eigenen) Bestimmungen unbedingt zu identifizieren.

Fichte hatte sich nun in seiner Theorie der ,,Individualitat” einem Ar-

gument dafiir angenahert, da8 das Bediirfnis danach, eigene Rechte an-

erkannt zu haben und Rechte anderer und damit Pflichten anzuerkennen, nicht nur genetisch, sondern auch strukturell notwendig ist. Diese

Anerkennung ist namlich notwendige Bedingung dafiir, da8 mein Leben

mit anderen sinnvoll ist und die Méglichkeit bietet, eine Identitdt aus-

zubilden (s. II, 4.1). Diese Einsicht geht, wenn auch eher in der Form eines Riickgriffs auf die praktische Philosophie der Alten, in Hegels Lehre ein, da8 das einzelne Bewu8tsein nur im Anerkennungszusammenhang eines sittlichen Lebens, nach Hegel also im ,,Volksgeist“, zu

sich kommen kann.

Der Kampf um Anerkennung kann von hier aus als Folge vorlaufiger

Formen

des

Selbstverstindnisses

verstanden

werden,

die sich

gerade

dann aufdrangen, wenn man von einer hobbesianischen Ausgangssitua-

tion ausgeht. In einer Situation permanenter, wenn auch nur latenter Be-

drohung kann sich das Bediirfnis nach Ichidentitat zunachst nur in dem Willen manifestieren, in alle oder jedenfalls beliebige eigene Bestimmtheiten einen unbedingten Wert zu legen. Hegel nimmt tatsachlich nicht nur ein Bediirfnis nach Anerkennung an, sondern auch ein Bediirfnis nach Selbstsetzung, nach Selbstbestdtigung und Selbstdarstellung: ,,Sie miissen daher einander verletzen; da& jeder in seiner Einzelheit seiner Existenz sich als ausschlieSende Totalitat setze, mu8

wirklich werden;

81 Fichte lehrte auSerdem, da8 mein Wissen von anderen Vernunftsubjekten die Anerkennung meiner durch diese voraussetze, die wiederum die Anerkennung dieser durch mich voraussetze. Aus dieser Pramisse leitete Fichte als Prinzip seiner Rechtslehre den ,Rechtssatz” ab, daS der Anspruch auf Anerkennung nur legitim ist, wenn die Anerkennung wechselseitig erfolgt (s. Teil II, 4.2 dieser Arbeit). Die Pramisse hat Hegel schon dadurch verabschiedet, da8 er Liebe als primare Form von Intersubjektivitat einfiihrt, die ein ,Erkennen” ist, das

nicht schon , Anerkennen” ist.

339

die Beleidigung ist notwendig; nur indem ich den Andern in seinem erscheinenden Sein stére, kann er sein Ausschlie8en eines Andern wirklich machen, [kann] er sich als BewuStsein darstellen, da8 dies sein Sein, die

Einzelheit indifferent, da8 dies AuSerliche in ihm selbst ist“ (PhilG 309, Géh 323). Diese Darstellung seiner selbst als BewuStseinstotalitat ist also nicht primar eine Darstellung gegeniiber dem anderen, sondern gegeniiber sich selbst. Das Bediirfnis nach Anerkennung folgt aus diesem Bediirfnis nach Selbstdarstellung zunachst nur deshalb, weil der andere meine Selbstdarstellung verhindert oder jedenfalls verhindern kann. Hegels Theorie des Kampfes um Anerkennung ist also nicht primar

eine Theorie der Intersubjektivitat, sondern der Folgen, die unentwik-

kelte Formen von Ichidentitat fiir die Beziehungen zu anderen haben. Die Entwicklung verlauft von der archaischen Identitat des Anspruchs auf alles iiber die heroische Identitat der Ehre zur eigentlich sozialen Identitat in einem System von Rechten und Pflichten. Hegel will zeigen, da8 entfaltete Ichidentitat nur in einem Kontext der Anerkennung von Rechten und Pflichten mdglich ist. Das ist Hegels Ansatz, den Standpunkt moralisch-rechtlicher Vernunft zu begriinden. Hegel scheint dabei davon auszugehen, da8 die Erfahrung des Kampfes um Anerkennung notwendig ist dafiir, da8 das Bewu8tsein sich als praktische Vernunft konstitutiert. Der Kampf ist insbes. deshalb, anders

als bei Hobbes, unvermeidlich. Er enthilt jedoch im Gegensatz zu Hobbes das Potential seiner Uberwindung

in sich selbst. Denn im Verhiltnis

zum eigenen Tode erfahrt sich das BewuStsein nach Hegel als ,,verniinf-

tig”. Diese These ist bei Hegel allerdings in fragwiirdiger Weise konkretisiert.

Hegel meint, da8 sich das BewuBtsein als ,,Verniinftigkeit” nur dadurch beweist, da8 es bereit ist, fiir ,,jede Einzelheit seines Besitzes und Seins” sein Leben zu wagen (PhilG 308, 310f.; Gdh 322 Anm. 1, 324). An diesem fanatischen Standpunkt der ,,Ehre” ist aber nichts Verniinf-

tiges zu finden. Es mag zwar sein, da8 man von einer Identitat des Ich dann

nicht sprechen kann, wenn

es nichts gibt, fiir das ein Risiko des

Lebens sinnvoll ware. In der Todesbereitschaft als solcher liegt jedoch nicht, da

sie rational motiviert ist. Es ist sogar fraglich, ob das iiber-

haupt méglich ist. Eher kénnte man sagen, da& der Rationalitatsbezug

der Todeserfahrung darin liegt, da8 sie jedes Ziel und jede Identitats-

projektion in Frage stellt. Das ist jedoch fiir die Erfahrung der Todesgefahr kaum spezifisch. Vor allem ist nicht zu sehen, wie diese Erfahrung zu einer positiven Aufhebung der Kampfsituation fiihren soll.

Eine Infragestellung der eigenen Identitat ist aber grundlegend fiir die Erfahrung der Verletzung moralischer Normen; denn die rationale Oberzeugung

von der Giiltigkeit moralischer Normen

340

ist gerade darin be-

griindet, da8 ihre Anerkennung notwendige Bedingung fiir Sinn und Ichidentitat ist (vgl. II, 4.1). Ichidentitat wird deshalb nicht erst in der Todeserfahrung in Frage gestellt, sondern in jedem gravierenden Bruch moralischer Normen.

Wie besonders

am ,,System der Sittlichkeit” ab-

lesbar, hat Hegel seine Theorie des Kampfes aus seiner Theorie des Verbrechens entwickelt. Ab 1803/04 entwickelt sich der Kampf aus einer Art von Verbrechen, das sich nicht mehr gegen einen gesellschaftlichen

Zustand von Anerkennung richtet, der iiber die Familienverhiltnisse hinausgeht. Das bedeutet aber nicht, da8 das BewuB8tsein nun moralisch

indifferent geworden ware ™. Es versucht gerade, das Sich-Erkennen-im-

anderen, auf dem die Familientotalitat beruht, auch in seinem Verhilt-

nis zu Fremdem zu realisieren. Die Theorie des Kampfes um Anerkennung unterscheidet sich von der fritheren Theorie des Verbrechens also nicht dadurch, da8 sie die Ver-

letzung anderer aus allen normativen Bindungen herauslést, sondern dadurch, da8 sie auf dem Umweg iiber den Begriff des Bewu8tseins und des-

sen Erfahrung im Verhiltnis zum eigenen Tod die Verbrechensthematik explizit auf die Problematik der Ichidentitit bezieht. Sie besagt deshalb vor allem, da8 die Verletzung eines giiltigen Systems von Rech-

ten und Pflichten, insbesondere die Gefahr des Todes, den Sinn einer Identitaét im sozialen Leben so erschiittert, da8 die Beteiligten sich der Einsicht nicht entziehen kénnen, da eine solche Identitat nur médglich

ist, wenn an der prinzipiellen Intention auf Rechte und Pflichten festgehalten und sie gleichzeitig rationaler konkretisiert wird. Hegels Theorie der Anerkennung ist so implizit eine Begriindung moralisch-rechtlicher Vernunft. Hegels These, da8 der Kampf das Potential seiner eigenen Uberwindung aus sich heraus erzeugt, ist nicht so sehr eine paradoxe, letztlich blo8 postulatorische Auflésung der hobbesschen Problematik als Ausdruck einer ganz anderen, wesentlich von Fichte bestimmten Problema-

tik. Von dem Kontext der Verbrechenstheorie her wird deutlich, welcher

methodische Sinn dem Kampf um die Anerkennung zukommt — dieser beriichtigten Robinsonade Hegels. Schon fiir Hobbes war der Naturzustand weniger eine historische Hypothese als ein Konstrukt, um gegenwartige Institutionen dadurch zu techtfertigen, da8 erstens gezeigt wird, wie die gegenwiartige Gesellschaft aussehen wiirde, wenn es diese Institutionen nicht gabe, und zwei-

tens, durch welche Schritte dieser Zustand rational iiberwunden werden

82 In den Fragmenten zum Geist des Christentums hatte Hegel eine Form des Verbrechens, die sich gegen geltende Gesetze richtet, von einer anderen Form des Verbrechens unterschieden, die Gesetze allererst konstituiert. Nur die letztere Form ist nach Hegel verséhnbar (s. I, 6.3).

341

kénnte. Fiir Hegel kann es sich beim Kampf um die Anerkennung schon deshalb nicht um eine historische oder prahistorische Phase handeln, weil es sich gar nicht um einen allgemeinen gesellschaftlichen Zustand handelt, also um den Kampf aller gegen alle bzw. aller Primargruppen gegeneinander. Fiir Hegel ist dariiberhinaus ein dem Vorgehen von Hobbes analoges Gedankenexperiment gar nicht sinnvoll. Es macht keinen Sinn zu fragen,

wie die Beziehungen zwischen Menschen aussehen wiirden, wenn es

keine Anerkennung von Rechten und Pflichten gabe; denn ,das Bewu8tsein ist nur als ein Anerkanntwerden von einem Andern” (PhilG

312, Goh 325) ®. Damit ist nicht nur gemeint, da8 es kein menschliches, soziales Leben ohne jede Anerkennung geben kann. Die Anerkennung bezieht sich vielmehr implizit auch stets auf jeden anderen. Die Bewegung des Anerkennens kann nicht darin bestehen, da8 sich Anerken-

nung allererst konstituiert, sondern nur darin, da8 das Bewu8tsein er-

fahrt, da8 die Anerkennung, die es notwendig explizit vollzieht, sich implizit notwendigerweise auch auf diejenigen Individuen bezieht, mit denen manifest kein Anerkennungsverhiltnis besteht. Deshalb enthalt

der Konflikt und Kampf um Anerkennung das Potential zu seiner Uber-

windung in sich selbst. In der Bewegung des Anerkennens erfahrt das menschliche BewuBtsein seine urspriingliche Intention auf universelle moralisch-rechtliche Vernunft und wird damit als moralisches BewuStsein wirklich. Hegels Theorie des Kampfes um Anerkennung ist also nicht so sehr eine paradoxe Radikalisierung und Umkehrung von Hobbes’ Naturzustandslehre, sondern eine eigenstindige Entwicklung der allgemeinen, nicht speziell rechtsphilosophischen Problematik der Fichteschen Anerkennungslehre. Es geht hier um die Selbsterfahrung der Strukturen praktischer Vernunft und der interpersonalen Bedingungen von Ichidentitdt. Da& Hegel den Konflikt um Anerkennung gegeniiber Fichte zum aporetischen Kampf auf Leben und Tod zuspitzt“, geht einerseits auf die problematische Theorie vom Ich als negativ Absolutem aus der Jenaer Zeit zuriick und weist andererseits auf die Jenaer Realphilosophie 83 Die Jenaer Realphilosophie formuliert denselben Gedanken in ihrer expliziten Auseinandersetzung mit der modernen Naturzustandslehre so: ,Der Mensch wird notwendig anerkannt und ist notwendig anerkennend” (JR 206, Géh 227); vgl. ausfiihrlicher III, 5.4 dieser Arbeit.

84 Eine

Rekonstruktion dieser Entwicklung

im Rahmen

der

dialektisch-idealisti-

schen SelbstbewuStseinstheorie versucht L. Siep (75) S. 390 ff.; vgl. ders. (’74) S.179. Siep kommt so allerdings nicht zu einer Begriindung von normativen Prinzipien, sondern zum Ansatz einer Theorie von institutionellen Zusammenhangen, historisch vergangenen Handlungsprinzipien und Formen des Selbstverstandnisses (Siep (’75) S. 393); vgl. Anm. Einf., 19 und I, 152.

342

vor, in der Hegel die Anerkennungstheorie im Kontext nicht mehr nur

der Theorie des Bewu8tseins, sondern auch des Willens entwickelt. Damit ist die letzte und wichtigste Etappe von Hegels Fichterezeption er-

reicht.

5. Der Héhepunkt der Fichte-Rezeption

in der Jenaer Realphilosophie

Bereits Rosenzweig hat in seinen bahnbrechenden Untersuchungen iiber »Hegel und der Staat” erkannt, da& die Realphilosophie von 1805/06 die entscheidende Entwicklungsstufe zu Hegels reifer Philosophie des Geistes darstellt. Riedel hat dann festgestellt, da& fiir diese Entwicklung eine erneute Fichte-Rezeption konstitutiv ist (Riedel (’69) 59). Die Reichweite dieser Thesen hangt jedoci davon ab, welche theoretischen Momente der Jenaer Realphilosophie als ihre sachliche Grundlage angesehen werden miissen. Horstmann sieht sie in der Theorie des SelbstbewuStseins bzw. des Selbst iiberhaupt (Horstmann ('68) 119 ff.; ders. (’72) 115). ,~BewuStsein” im Sinne der Fragmente von 1803/04 impliziert jedoch immer schon

SelbstbewuStsein, und auch die Entwicklung des Bewu8tseins verlauft

in beiden Darstellungen analog. Horstmann sieht das Spezifische der Realphilosophie auch nicht blo8 in der Form des Selbst iiberhaupt, sondern in dessen spezifischer Struktur, ,,namlich als Einheit von Allgemein-

heit und Einzelheit ,an ihm selbst zugleich das Andere seiner selbst’ zu sein”

(Horstmann

('72) 115). Diese Struktur ermdgliche einerseits ein

Begreifen von SelbstbewuB8tsein, andererseits die Aufhebung des Dualismus von Inhalt und Methode in der Darstellung der ,,Selbstbewegung

des Begriffs als Methode” (Horstmann (’72) 116). Die Struktur der ,,unmittelbaren Einheit der Einzelheit und Allgemeinheit” benutzt Hegel jedoch schon in den Fragmenten von 1803/04 zur Charakterisierung des Bewu8tseins (PhilG 273, 266; Gdh 298, 294) *; 85 Riedel hat bereits darauf hingewiesen, da die Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit des Ich die ,theoretische Basis” der ,Metaphysik der Subjektivitat” in der Jenenser Logik darstellt (Riedel ('79) S. 59 Anm. 51). Riedel meint dartiberhinaus, da8 die Disposition der Jenaer Realphilosophie ,,auch sonst mit den diesbeziiglichen Kapiteln der Jenenser Metaphysik (III. Metaphysik der Subjektivitdt, 161 ff.) auffallig tibereinstimmt’ (ebd.). Da Riedel fiir die Realphilosophie den entscheidenden Durchbruch zur transzendentalphilosophischen

Theorie der Freiheit, insbesondere zu Fichte, annimmt, mu8 dieser nach Riedel

also schon fiir die Jenenser Logik gelten.

Diising hat zu zeigen versucht, da8 die offensichtlichen Fichteanklange in der »Metaphysik

der

Subjektivitaét”

keine

343

sachlichhe Ubereinstimmung

von

Hegel

und die Formel vom ,,Gegenteil” bzw. ,,Anderen seiner selbst”, die Hegel auch dort verwendet, ist sogar schon in friiheren Jenaer Schriften

zentral (s. o. Einl.). Horstmann hat allerdings insofern recht, als Hegel in der Realphilosophie, wie Schmitz gezeigt hat, der Durchbruch zu der logischen Form des Schlusses gelingt (Schmitz (’57) 133 ff.) und die Schlu8form in der Geistphilosophie zuerst und am ausfiihrlichsten in der Ableitung der kognitiven Selbstbeziehung der Intelligenz qua Vernunft entwickelt wird (JR 190 ff., Goh 212 ff.). G. Gdhler hat indes in seiner Dissertation gezeigt, da8 der Schlu8 gerade an dieser Stelle eher eine komplexere Form des unendlichen Urteils darstellt als eine grundsatzlich neue Vermittlungsstruktur “. Hegel spricht dort auch zusammenfassend von dem ,Schlu8 in seiner Unendlichkeit” (JR 193, Géh 215). Eine volle Entwicklung der Schlu&struktur, in der zu den Extremen des Einzelnen und Allgemeinen ein dritter, eigenstindiger Terminus hinzutritt, findet sich dann im Willenskapitel der Realphilosophie. Abgesehen von diesen logischen Fragen, ist auf den ersten Blick deutlich, da8 das Neue der Geistphilosophie von 1805/06 darin liegt, da8 die Phanomene

von Arbeit, Liebe, Anerkennung

nun als Formen des Wil-

lens und seines Wissens von sich analysiert werden. Damit hangt offenbar zusammen, da8 der Kampf um Anerkennung nun nicht mehr direkt in die absolute Sittlichkeit fiihrt, in der der einzelne sich ganz aufgeben

mu&, sondern zundchst ins ,,Recht”. Es wird zu zeigen sein, da8 Hegel auf

der Basis dieser Willensanalyse eine Begriindung der praktischen Philosophie vollzieht, die Fichtes Entdeckungen wiederholt und weiterfiihrt.

5.1 Wille und Trieb Hegel entwickelt seine Theorie des Willens im zweiten Kapitel (,,b. Willen”) des ersten Teils der Jenaer Realphilosophie, der im ganzen eine Vorform der spateren Philosophie des ,,subjektiven Geistes” darstellt ”. mit Fichte indizieren (K. Diising ('76), Das Problem der Subjektivitat in Hegels Logik, Bonn S. 189 ff.). Dabei orientiert sich Diising m. E. zu stark an kontingenten Ziigen von Fichtes Selbstverstandigung in der ,Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre” von 1794/95. Die Frage der Fichterezeption in der Jenaer »Metaphysik der Subjektivitat” mdchte ich hier jedoch offenlassen. 86 G. Géhler, Dialektik und Politik in Hegels friihen politischen Systemen. Kommentar und Analyse, in: G.Géhler (Hrsg.) Hegel. Frithe politische Systeme, Frankfurt Berlin Wien ('74) S. 426 ff. 87 Dieses Kapitel hat bei Hegel keine Uberschrift. Hoffmeister hat es wie selbst-

verstandlich mit ,Subjektiver Geist” iiberschrieben. Habermas hielt das fiir in-

addquat und schlug den Titel ,Abstrakter Geist” vor (Habermas ('74) S.787 Anm.). Nusser pladierte fiir ,Bewu8tsein” (Nusser, Hegels Dialektik und das

Prinzip der Revolution ('73) S.192), und die Herausgeber der neuen kritischen

Hegelausgabe entschieden sich fiir ,Der Geist nach seinem Begriffe”.

344

Genaugenommen handelt es sich um den ,,abstrakten Willen” “, im Unterschied zum ,,allgemein Willen” als Prinzip des zweiten Teils unter dem Titel des ,,wirklichen Geistes” (JR 213, Goh 233). Das erste Kapitel, zu dem — wie zu dem ganzen ersten Teil — die

Uberschrift fehlt, entwickelt die ,,Intelligenz” von Anschauung und Einbildungskraft iiber Erinnerung, Zeichen, Namen, Ordnung der Namen

und Gedichtnis bis zu Verstand und Vernunft. Dafiir ware der Titel des

vtheoretischen Bewu8tseins” aus den Fragmenten von 1803/04 nicht mehr ganz angemessen, denn eine wesentliche Rolle in der Entwicklung

spielt jetzt die Obung des Gedichtnisses (JR 186 ff., Goh 209 ff.), die genaugenommen keine kognitive Tatigkeit ist. Hegel beschreibt das Ge-

dachtnis der Namen und dessen Ubung als ,erste Arbeit des erwachten

Geistes als Geistes” (ebd.) und diese Arbeit bereits so, da8 das Ich sich dabei ,,zum Dinge macht“ (JR 187 ff., Goh 210 ff.). Auf diese Weise will Hegel anscheinend die Konstitution von Allgemeinbegriffen denken. Das Verhiltnis des Ichs und des Dings, zu dem sich das Ich gemacht hat, konstruiert Hegel dann in der Form eines ,,Sdilusses in seiner Unendlichkeit” als ,Vernunft, die sich selbst der Gegenstand ist”. ,,Die Intelligenz

Habermas begriindet seine Kritik an der Oberschrift von Hoffmeister so: ,Die Kategorien Sprache, Werkzeug und Familiengut reichen in die Dimension des 4uBeren Daseins und gehirten daher nach der spater verbindlichen Einteilung des Systems zu Gestalten des objektiven Geistes.” Der ,subjektive Geist” sei demgegeniiber dasjenige, was iibrigbleibt, ,wenn wir vom Bildungsproze8 des Geistes alle seine Objektivationen abziehen, an denen er sein du8eres Dasein hat” (ebd.). Dies scheint mir jedoch nicht das entscheidende Kriterium Hegels zu sein. In Hegels spiterer ,Philosophie des subjektiven Geistes” kommen durchaus ,Objektivationen” vor, mindestens die des Werkes und der Sprache. Das Entscheidende im Begriff des objektiven Geistes ist nicht Objektivitat im Sinne von Objektivation, also Vergegenstandlichung, sondern im Sinne von verniinftiger Allgemeinheit und Intersubjektivitét. Universalistische Intersubjektivitat versus bestenfalls partikularistische Intersubjektivitét ist aber auch ein brauch-

bares Kriterium fiir die Unterscheidung zwischen den beiden ersten Teilen der Jenaer Realphilosophie. Insofern ist es legitim, da8 Géhler in seiner Edition wieder auf den Hoffmeisterschen Titel zuriickgreift. Allerdings kommen in der spiteren ,Philosophie des subjektiven Geistes” die entwickelteren Objektivationen von Werkzeug, Kind und Familie nicht vor. Am auffalligsten ist jedoch, da8 dort Liebe gar keinen Stellenwert hat. Diese Diver-

genzen erklaren sich wohl zum Teil daraus, da8 die Jenaer Realphilosophie in

vieler Hinsicht eher eine phanomenologische

als enzyklopadische Methode ver-

folgt. Die zitierten neueren Titelvorschlage versuchen dem offenbar gerecht zu werden. Die wechselnde Stellung von Liebe und Familie weist jedoch auch auf eine Veranderung in den Grundlagen von Hegels praktischer Philosophie. 88 Vom ,abstrakten Willen” spricht Hegel andererseits als Prinzip von Arbeit und Werkzeug im Unterschied zu Liebe, Familie und Kampf um Anerkennung (JR 197 Anm. 1, Géh 219 Anm. 1).

345

hat auf diese Weise nicht einen anderen Gegenstand mehr zu ihrem Inhalte, sondern sie hat sich erfa8t und ist sich der Gegenstand”

Goh 215).

(JR 193,

Dies Resultat ist nun nicht einfaches SelbstbewuStsein, denn dies war

als ,,Ich” einerseits von Anfang an vorausgesetzt und andererseits schon das Resultat der ersten Bewegung vom Ding zum Ich in der Zeichen-

setzung (JR 182f., Goh 206). Die Selbstbeziehung in der ,Vernunft” ist demgegeniiber wohl die einer (numerischen) Selbstidentifikation (der Form: ,,Das bin ich”). Hegel sagt nun von diesem Resultat: ,,Diese In-

telligenz ist frei, aber ihre Freiheit ist umgekehrt ohne Inhalt, auf dessen

Kosten, durch dessen Verlust eben sie sich befreit hat. Ihre Bewegung

ist die entgegengesetzte: sich zu erfiillen” (JR 193, Goh 215). Als diese Bewegung der Erfiillung ist das Ich nach Hegel Wille. Bei Hegel verbinden sich mehrere Begriindungen dafiir, da8 die Selbst-

beziehung der ,,Vernunft”

inhaltslos, leer ist. In den Fragmenten von

1803/04 hatte Hegel einerseits von der bloSen Fahigkeit der ,absoluten

Abstraktion”,

,,absoluten Reflexion” und ,,absoluten Freiheit” gespro-

chen (PhilG 296, Goh 314), andererseits aber mit seinem Begriff des Be-

wuB8tseins im Sinne des friihen Ansatzes vorausgesetzt, da8 das Ich als

solches prinzipiell unbestimmt und damit leer ist. Zu diesen fragwiirdigen Pramissen kommt jetzt die Oberlegung hinzu, da& das Subjekt dort, wo es sich auf etwas

bezieht, zu dem

es sich selbst verdinglicht hat,

sich nicht mehr als sich selbst finden kann. Vielleicht soll diese Uberlegung auch nur zu einer allgemeinen Exposition des Problems der

Selbstidentifikation

oder

des

Sichfindens

fiihren.

Die

Frage,

wie

ein

Subjekt sich als solches finden kann, beantwortet Hegel mit Fichte durch eine Theorie des Willens. Hegel beginnt das Willenskapitel mit dem Satz: ,,Das Wollende will, d. h. es will sich setzen, sich als sich zum Gegenstande machen” (JR 194, Goh 216)". Dieser Satz bezieht sich in doppelter Weise auf Fichte. Einerseits wird der Wille hier durch bewufte Selbstbeziehung bestimmt,

andererseits durch ein ,,Setzen”. Dariiberhinaus gibt Hegel eine Bestimmung, die sich bei Fichte nicht findet, namlich die, da8 der Wille sich zum

Gegenstande machen will. Diese Bestimmung wird jedoch wiederum als eine der bewuSten Selbstbeziehung qualifiziert: Der Wille will sich als sich zum Gegenstande machen. Wie sind diese Bestimmungen zu verstehen? Hegel sagt von dem Wollenden weiter: ,,Es ist frei, aber diese Freiheit ist das Leere, Formale, Schlechte. Es ist in sich beschlossen oder es 8g Ich folge hier den Sperrungen des Textes der kritischen Ausgabe der Gesammelten Werke, Bd. 8, Jenaer Systementwiirfe III, hrsg. v. R. P. Horstmann, Hamburg (’76) S. 202.

346

ist der Schluf in sich selbst. a) ist es das Allgemeine, Zweck; B) ist [es]

das Einzelne, Selbst, Tatigkeit, Wirklichkeit; y) ist es die Mitte dieser

beiden, der Trieb” (ebd.). Mit dem Satz: ,Es ist in sich beschlossen oder es ist der Schlu& in sich selbst” spielt Hegel darauf an, da hier zunachst

die

Struktur

des

,,Beschlusses”

oder

,,Entschlusses”

Thema

ist. Die

Hauptschwierigkeit ist dabei zu verstehen, welche Funktion dem ,,Trieb” zukommt. Hegel sagt im weiteren, da sich der Inhalt des Triebes des Ich ,,aus dem Inhalt seiner Welt” ergibt (ebd.). Sodann ist von dem Gefuhl des Mangels die Rede, solange der Beschlu8 unausgefiihrt, der Trieb unbefriedigt bleibt. Im folgenden Abschnitt ,b” behandelt Hegel dann die Befriedigung des Triebs im Werk, im Abschnitt ,,c’ die Entzweiung

des Ich qua Trieb in der Arbeit, die Vergegenstandlichung der Arbeit im Werkzeug und das Zuriicktreten des Triebs aus der Arbeit in der List der Arbeit mit Maschinen. Es liegt nahe, diese Ausfiihrungen als eine Skizze spezifisch menschlicher Bediirfnisbefriedigung, also als empirisch gerichtete anthropologische Bestimmungen zu lesen, die offenbar durch das Studium nationalékonomischer Literatur angeregt sind. Demnach ergabe sich der Ubergang zu Werk, Arbeit und Werkzeug aus der einfachen Tatsache, da8 der menschliche Organismus fahig und wegen seiner mangelnden Spezialisierung auf eine spezifische Umwelt hin gendtigt ist, die Mittel seiner Bediirfnisbefriedigung erst herzustellen. Hegel betrachtet hier Werk und Werkzeug jedoch gar nicht in erster Linie als adiquate Mittel fiir ihnen gegeniiber prinzipiell gleichgiiltige Bediirfnisse, sondern als die Form, in denen das Subjekt sich als solches

verwirklichen und erfahren kann. Das Werk ist deshalb hier Thema als »Werk des Ich; es wei8 sein Tun darin, d.h. sich als das Ich” (JR 196,

Goh 218). Und das Werkzeug wird so betrachtet: ,Darum macht der

Mensch Werkzeuge, weil er verniinftig ist und dies ist die erste AuSe-

tung seines Willens; [...] Stolz der Volker auf ihr Werkzeug” (JR 197 Anm. 1, Géh 219 Anm. 1). Die Struktur praktischer Selbstbeziehung und der Trieb zur Selbsterfahrung der tatigen Subjektivitat sind dabei fiir Hegel nicht Epiphanomene der entwickelten Praxis menschlicher Bediirfnisbefriedigung, sondern deren Voraussetzungen. Hegel geht deshalb schon am Beginn des Kapitels davon aus, da8 der Wille als Trieb ,,nur

auf sich gerichtet ist” (JR 195, Gdh 217) und daf der Trieb das Ich ,als Ganzes” ist (JR 196, Goh 217). Damit ist deutlich, da8 ,,Trieb” hier nicht einfach als Synonym

von

Bediirfnis oder Begierde verwandt wird, sondern in der emphatischen subjektivitatstheoretischen Bedeutung, die dieser Begriff im Neospinozismus der friihen Goethezeit und dann vor allem bei Fichte angenom-

men hat. Fr. H. Jacobi schreibt am Beginn seiner Briefe an Mendelssohn »Uber die Lehre des Spinoza”: ,,Was allen verschiedenen Begierden einer 347

lebendigen Natur zum Grunde liegt, nennen wir ihren urspriinglichen natiirlichen Trieb, und es macht das Wesen selbst dieses Dinges aus. Sein Geschift ist, das Vermégen da zu seyn der besondern Natur, deren

Trieb er ist, zu erhalten und zu vergréSern. Diesen urspriinglichen, natiirlichen Trieb kénnte man die Begierde a priori, die absolute Begierde des einzelnen Wesens, nennen. Die Menge der einzelnen Begierden sind von dieser unverdnderlichen allgemeinen nur so viele gelegentliche Anwendungen und Modificationen.” * Jacobis Versuch, die spinozistische Ontologie im Lichte von Leibniz’ Monadenlehre und dem Lebensgefiihl des Sturm und Drang subjektivitatstheoretisch neu zu formulieren, bleibt allerdings zweideutig. Einerseits bezeichnet ,,Begierde a priori“ nur die formale Struktur jeder Begierde, nach ihrer Befriedigung zu dringen, und andererseits meint sie einen eigenen Trieb nach Selbsterhaltung,

Selbststeigerung, Selbstverwirklichung.

Dieser Trieb bleibt bei Jacobi

jedoch inhaltlich unbestimmt und letztlich ohne Begriindung. Fichte hat Jacobis These in der Lehre vom ,Urtrieb” weitergefiihrt,

aus dem sich der sinnliche und der Vernunfttrieb allererst herausdiffe-

renzieren sollen. Der ,,Urtrieb” hat bei Fichte einen fa8baren Gehalt, da

Fichte entwickelte Vorstellungen dariiber hat, was die Subjektivitat ihrer

Natur nach ist, die sich in diesem Trieb verwirklichen will. Nach Fichte

hat das Subjekt den urspriinglichen Trieb, sich als reine, passivitatslose

Tatigkeit zu erfahren und sein Sein als schrankenlose Totalitat zu verwirklichen. Es ist bei Fichte auch begriindet, da8 die Selbstverwirk-

lichung des Ich nichts anderes ist als seine Selbsterhaltung: Das Ich ist Alles, und ist Nichts [...] Es strebt [...], kraft seines Wesens sich in diesem Zustande zu behaupten” (GW1 457). Denn nur in seiner Selbstverwirklichung erreicht es unter Fichtes Primissen iiberhaupt seine Einheit als Ich. Fichtes Pramissen gehen offenbar in Hegels bereits zitierte Behaup-

tung eines konstitutiven ,,Triebs des SelbstbewuBtseins” ein: ,.Der Trieb

des Selbstbewu8tseins besteht darin, seinen Begriff zu realisieren und

in Allem sich das Bewu8tsein seiner zu geben” (Prop II, 1. Abt.: Phin. d. G. § 23; vgl.: Phin. d. G. v. 1807 S. 139). Versteht man den ,,Trieb” der Jenaer Realphilosophie

so, dann ist es nicht schwer, die Themen-

folge im Willenskapitel als Folge der Versuche zu verstehen, den Totalitatscharakter des Ich zu verwirklichen. Allerdings ist dann auch von vorngo Fr. H. Jacobi, Ober die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, in: Die Hauptschriften zum Pantheismusstreit zwischen Jacobi und Mendelssohn, hrsg. v. H. Scholz, Berlin ('16) S.55. Hegel geht auf Jacobis Trieblehre weder in seiner Jacobi-Darstellung in ,,Glauben und Wissen” noch in seiner Heidelberger Jacobi-Rezension oder der Jacobi-Darstellung der Berliner Vorlesungen iiber Geschichte der Philosophie ein.

348

herein klar, da8 diese Versuche zum Scheitern verurteilt sind. Vor allem

aber beruht der Gedankengang auf unhaltbaren Pramissen.

Bei Fichte und Hegel bezeichnet ,,Trieb” jedoch auch die allgemeine

Struktur einer selbstbeziiglichen Motivationsform.

So heiSt es in der

Enzyklopadie gegen die Entgegensetzung von Trieb und Pflicht: ,,Aber Trieb und Leidenschaft ist nichts anderes als die Lebendigkeit des Subjekts, nach welcher es selbst in seinem Zwecke und dessen Ausfiihrung

ist” (EnzB’ § 475 Anm.). Diese Bestimmung ist noch keineswegs eindeu-

tig. Zundchst beschreibt sie nur die Struktur einer bewuSten zweckge-

richteten Lebenstatigkeit, die also auch nicht spezifisch menschlich ist.

Fichte hat dafiir in seinen friihen Meditationen iiber ,,Practische Philo-

sophie” den treffenden Ausdruck einer ,Spontaneitat der Rezeptivitat” gebildet (GA II, 3/189). Das Spezifische des Triebs mu8 nun in einer naheren Bestimmung dessen gesucht werden, da, wie Hegel vom Sub-

jekt sagt, ,,es selbst in seinem Zwecke und dessen Ausfiihrung ist”. Trieb ist demnach durch eine Beziehung des Subjekts auf sich selbst und die eigene Tatigkeit bestimmt. Dabei mu8 man beachten, da8 die Selbstbeziehung zunachst nicht darin liegt, da8 der Trieb dazu treibt, da8 mit dem Subjekt etwas Be-

stimmtes geschieht bzw. da8 es sich in einem bestimmten Zustand be-

findet. ,Trieb” meint hier nicht speziell den sinnlichen Trieb, sondern etwa auch den moralischen. Und wenn ich ,,um der Pflicht willen” (EnzB* § 475 Anm.) handle, dann handle ich gerade nicht deshalb, weil ich etwas fiir mich will, sondern weil ich es fiir moralisch richtig halte, etwas Bestimmtes zu tun.

Fichte hat das Spezifische des Triebs im Menschen zunichst darin ge-

sucht, da8 hier der Zweck der Erfahrung vorhergeht: ,,Trieb ist das erste

und héchste im Menschen; der fordert sein Objekt vorher vor irgend-

welcher Kenntnis und vor seiner Existenz; der fordert etwas schlechthin,

wenn es sogar iiberhaupt gar nicht existiert” (BG 274b). Was Fichte mit

diesem iiberzogenen Apriorismus sachlich anzielt, ist die Tatsache, da8 sich die spezifisch menschliche Motivationsform nicht nur auf das angestrebte Objekt bzw. den Sachverhalt, sondern in einer noch naher zu

bestimmenden Weise auf das Subjekt selbst bezieht. In diese Richtung weist Fichte mit der These:

,,Trieb ist ein sich selbst produzierendes

lich definiert Fichte Wollen

geradezu

Streben — eine fortdauernde Tendenz nach Tatigkeit” (SN 390). Schlie8Selbsttatigkeit (Sl 423 ff.; vgl. II, 3.1).

durch

den Trieb

zur

absoluten

Es scheint demnach, da mit dem idealistischen Triebbegriff zundchst

nichts anderes bezeichnet werden soll als die formale Struktur des Wol-

lens eines Subjekts™, insbes., sofern darin ein konstitutiver Bezug auf 91 Bei Jacobi hie8 es bereits: ,,Die verniinftige Begierde iiberhaupt, oder den Trieb des verniinftigen Wesens, als eines solchen, nennen wir den Willen” (Jacobi 56).

349

eigene Tatigkeit liegt. Hegel fiihrt den Trieb in der Jenaer Realphilosophie als ,Mitte” zwischen dem Zweck und dem Selbst bzw. der Tatigkeit ein. Diese Mitte ist zunachst nichts anderes als der Entschlu8, auf den ja schon Hegels Metaphorik hinweist. Wie wir bei der Analyse von Fichtes Willenstheorie gesehen haben, besagt ,,Wollen” nichts anderes als die Entschlossenheit zu versuchen, das Intendierte zu verwirklichen.

Und diese Entschlossenheit kann man als das Wissen auf der Basis von Griinden, und nicht von Ursachen, analysieren, da& man selbst versuchen

wird, die Sache zu realisieren — falls man nicht die Kontrolle ganz iiber sich verliert oder neue entscheidende Griinde auftauchen (vgl. II, 3.1). Die

Entschlossenheit in jedem Wollen geniigt also den beiden Bedingungen, da8 im Wollen das Subjekt auf sich selbst und dabei auf eigene Tatigkeit gerichtet ist. Hegels Willensdefinition in der Jenaer Realphilosophie hatte die Selbstbeziehung im Wollen herausgehoben: ,,Das Wollende will, d. h. es

will sich setzen, sich als sich zum Gegenstande machen” (JR 194, Goh 216). In der Willensdefinition der Berliner Enzyklopadie wird dies sogar noch stirker betont: ,,Der Geist als Wille weif sich als sich in sich beschlie8end und sich aus sich erfiillend” (EnzB* § 499, vgl. Prop III, 2 § 173). Mit diesen Definitionen wird die Entschlossenheit noch weiter bestimmt als durch das Wissen vom eigenen Tunwollen. In dem ,setzen” wird angedeutet, da8 mit der Entschlossenheit notwendigerweise ein

praktischer Satz behauptet wird, d. h. ein Anspruch darauf erhoben wird, da8 das Gewollte auch das Richtige, das am besten Begriindete ist. Die-

ses ,setzen” ist auch ein ,,sich setzen”, da das Subjekt sich damit auf eine

Position” zu dem festlegt, was praktisch richtig ist. Schlie8lich wei8 der Wille nach der Berliner Enzyklopidie nicht nur ,,sich als beschlie8end”, sondern ,,sich als sich in sich beschlieBend” (vgl. EnzHd § 398). Hegel will damit namlich auch ausdriicken, da8 ich im Wollen und seinen im-

pliziten Thesen iiber das praktisch Gute auch immer dariiber mitentscheide, was

fiir ein Mensch ich iiberhaupt sein will, also tiber meine

qualitative Identitat.

Die Selbstbeziehung im Willen zielt demnach, wie schon in Fichtes

Rede von der ,absoluten Selbsttatigkeit” bzw. ,,Selbstindigkeit”, auf voluntative Ichidentitat, und von daher liegt es nahe, im neospinozistischen Triebbegriff einen impliziten Riickgang auf Probleme der affektiv-emotionaler Ichidentitat zu sehen. Es liegt an der impliziten Thematik der Ichidentitat, da8 Hegels Willensanalyse wesentlich den Proze8 betrachtet, in dem

92

das Subjekt sich selbst als Wollendes erfahrt *. In

Daraus erklart sich auch der merkwiirdige Wollen, sondern dem ,,Wollenden”.

350

Beginn nicht mit dem

Willen

oder

diesem methodischen Zusammenhang

miissen auch die Bestimmungen

des Willens bzw. des Triebes interpretiert werden, die iiber die allge-

meine Willensstruktur hinausgehen. Hegel sagt namlich auch, da8 das

Wollende ,,sich zum Gegenstande machen” will. Mit dieser Vergegenstandlichungsthese geht Hegel iiber die Willensdefinition von Fichte hinaus. Aber worin ist sie begriindet? Es liegt nahe, die Begriindung in der zitierten weitergehenden These zu suchen, da&

der ,,Trieb

des Selbstbewu8tseins”

darin besteht,

,in

Allem sich das BewuStsein seiner zu geben” (PropII,1 § 23). Diese These scheidet jedoch aus, sofern sie auf der fragwiirdigen Totalitatsthese des

SelbstbewuStseins beruht. Es ist auch zu beachten, da8 in der Jenaer Realphilosophie nicht einfach davon die Rede ist, , sich zum Gegenstande

zu machen”, sondern ,sich als sich zum Gegenstande zu machen“. Es geht also nicht nur um Selbstobjektivation, sondern darum, da8 das Wollende sich in seinem Gegenstand als sich selbst erfahrt. Die Notwendig-

keit, da8 diese Selbsterfahrung sich iiber den Gegenstand vollzieht, mu8 nicht darin begriindet sein, da8 das Wollende einen philosophisch nicht begriindbaren Trieb zur Vergegenstandlichung hat; sie ist aber darin begriindet, da8 die vollstandige Selbsterfahrung des praktischen Subjekts

in seiner Ichidentitat nur durch objektive Vermittlungen méglich ist. 5.2 Die instrumentelle Selbsterfahrung des Wollenden

Unter den angegebenen Primissen la8t sich Hegels Darstellung des vor-

sozialen und in diesem verscharften Sinne ,,abstrakten” (JR 197 Anm. 1.,

Géh 219 Anm. 1) Willens als eine einsichtige und nicht-triviale Gedankenfolge rekonstruieren. Die Befriedigung des Triebs geschieht, wie der Abschnitt

,b”

darstellt, nicht in dem

einfachen Selbstgefiihl

(JR 196,

G6&h 218) der Bediirfnisbefriedigung, sondern im ,,Werk”, weil nur dort

das Ich ,sein Tun darin, d.h. sich als das Ich” wei& (ebd.). Erst in dem

Wissen seines Tuns wei8 demnach das Wollende sich als solches. Genau besehen ist dafiir das Werk jedoch noch nicht hinreichend. Hegel geht deshalb in ,,c” zur Betrachtung von Arbeit und Werkzeug iiber. In der Arbeit ist sich das Wollende nun zwar als Tatiges gegeben, aber diese Tatigkeit umfa8t, solange sie andauert, nie die gesamte Tatigkeit, auf die sich das Wollende im Entschlu8 festgelegt hat; dartiberhinaus ist Arbeit als zweckrationale und disziplinierte Anpassung der Tatigkeit an das Bearbeitete immer nur partielle Selbsttdtigkeit und Selbstverwirklichung. Hegel nennt die Arbeit deshalb ,das diesseitige Sich-zumDinge-Machen” (JR 197, Goh 219). Mit diesem Ausdruck bezeichnet He-

gel vielleicht nicht — oder nicht nur — eine Vergegenstandlichung, son-

dern den Selbstzwang in der Arbeit, der gerade eine adaquate Selbster351

fahrung verhindert™. Die beiden negativen Momente der Arbeit bezeichnet Hegel besonders mit dem Begriff des Triebes: Arbeit ist trieb-

férmig, insofern sie noch unvollendeter Proze8 ist und im ,,Sich-zum-

Gegenstande-Machen” eine ,,Entzweiung” des Ich vollzieht (ebd.). Hier wird deutlich, da& Hegel mit ,,Trieb” eine noch unvollstindige Mitte des

Willens bezeichnet. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, wie fragwiirdig die durch den marxistischen Hegelianismus popular gewordene These ist, daf der reife Jenaer Arbeitsbegriff bei Hegel das Modell fiir eine emanzipatorische Theorie der EntauSerung ist. Lukacs sieht in dieser Theorie eine philosophische Verarbeitung der modernen Nationalékonomie, insbesondere der Arbeitswertlehre (Lukdcs II 495 ff.). Riedel hat diese These dadurch

verfeinert, da8 er in der ,,neuen Poietik” der Entéu8erungstheorie ,,das

Resultat einer Verbindung zwischen moderner Nationalékonomie und transzendentalem

Idealismus”,

insbesondere

dem

Fichteschen Produk-

tionsidealismus, sieht (Riedel (’69) 27, 30)™. Aber abgesehen davon, da8 die Vorstellung einer Vergegenstandlichung in der Arbeit vielleicht gar keinen Sachgehalt hat, ist Arbeit fiir Hegel nur die erste Etappe in der Verwirklichung des praktischen Geistes und, wenn iiberhaupt, dann nur eine unvollkommene Form von EntauSerung *. Das war iibrigens auch die Meinung von Marx, auf den sich Lukécs hier also zu Unrecht beruft *. 93 Gegen die Auslegung des ,,Sich-zum-Dinge-Machens” als Vergegenstandlichung spricht auch die Tatsache, da8 Hegel davon bereits bei der Arbeit des Gedichtnisses spricht (JR 187 ff., Géh 210 ff.). Es eriibrigt sich deshalb hier eine Aus-

einandersetzung mit der Vergegenstandlichungstheorie der Arbeit.

94 M. Riedel ('69), Objektiver Geist und praktische Philosophie, in: ders., Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, Frankfurt (’69). 95 Hegels Begriff der EntauSerung meint weniger ,Vergegenstandlichung” als ~Bildung zur Allgemeinheit” im Sinne der ,aliénation” im Rousseauschen Gesellschaftsvertrag. 96 Marx wirft Hegel zu Unrecht vor, er sehe ,nur die positive Seite der Arbeit, nicht ihre negative“. Marx selbst setzt dagegen: ,,Die Arbeit ist das Firsichwerden des Menschen innerhalb der Entaduferung oder als entdufterter Mensch” (K. Marx (1844), Okonomisch-philosophische Manuskripte (1844), in: MEW

Erg. Bd. 1 ('73) S. 574). Lukacs liest daraus, da8 jenseits des Kapitalismus die

Arbeit gar keine negative Seite mehr habe (Lukdcs II, S. 520). Géhler hat neuerdings behauptet, das ,System der Sittlichkeit” erhalte durch den Arbeitsbegriff ,eine nahezu ,materialistische’ Grundlegung” (Géhler, S. 489), wahrend die Theorie der ,Selbstobjektivation” und ,,Vergegenstandlichung” des Subjekts in der Jenaer Realphilosophie eher idealistisch sei (ebd. S. 492). Das ,,Materialistische” sieht Gohler im System der Sittlichkeit* in der Idee einer Konstitution der Gesellschaft durch Arbeit (ebd. S. 483 ff.) Diese Idee ist aber noch problematischer als die der ,Vergegenstandlichung” in der Arbeit. Bei Hegel handelt es sich auch nur um eine Ankniipfung an klassische Topoi.

352

Wahrend in der als eigene Tatigkeit in der Maschine das Hegel sagt deshalb:

Arbeit eigene Tatigkeit nur partiell, aber wirklich erfahren wird, ist im Werkzeug und noch deutlicher Resultat einer Totalitat eigener Tatigkeit vorhanden. ,,Hier tritt der Trieb ganz aus der Arbeit zuriick”

(JR 199, Goh 220). Die ,,List” als wesentlich zusehende, steuernde Tatig-

keit scheint in der Maschine sich als vollstindige Willensstruktur erfahren zu kénnen. Tatsichlich fehlt aber jetzt das Moment der Selbstbeziehung im Wollen, da& namlich die Totalitit der Tatigkeit auch als eigene Tatigkeit erfahren werden kann. Im blo8 instrumentellen Verhaltnis zu Objekten, also im Verhdltnis zu Gegenstinden oder objek-

tivierten Subjekten, kann sich das Wollende nicht vollstandig als solches erfahren und verwirklichen.

5.3 Die Selbsterfahrung des Wollenden

im Willen anderer: Liebe und Familie

Das Scheitern der Selbsterfahrung des Willens in Arbeit und Maschine

fihrt Hegel zur Analyse von Liebe und Familie. An diesem Ubergang 1a8t sich besonders gut erkennen, welchen methodischen Sinn die Ge-

dankenentwicklung in der ,,Realphilosophie” hat. Hegel redet zwar so, als handle es sich um eine einfache genetische oder logische Konsequenz: »Durch die List ist der Willen zum Weiblichen geworden” (JR 199, Goh 221). Aber beides wire hier eine offensichtliche Absurditat: Weder entsteht der weibliche

,,Charakter“

aus der List des Maschinengebrauchs,

noch kann auf seine Existenz aus der Selbsterfahrung im Maschinengebrauch geschlossen werden. Der Ubergang hat vielmehr den Sinn, da8 jetzt ein Verhiltnis analysiert werden soll, das gerade durch das Merkmal charakterisiert ist, dessen Fehlen zum Scheitern der Selbsterfahrung

im instrumentellen Objektbezug fiihrte. Worin besteht dieses Merkmal? Hegel beschreibt das Verhiltnis der Geschlechter als ,,Erkennen”

(JR

200 ff., Goh. 222 ff.). Das ist neben einem Bibelzitat vor allem ein Kiirzel fiir die Struktur des Sichwissens oder -erkennens im anderen (ebd.).

Hegel spricht auch einfacher davon, ,,sein Wesen im Andern zu haben“

OUR 202, Goh 223). Hegel erklart diese Struktur noch im ,,System der

Sittlichkeit”, ebenso wie in den Frankfurter Manuskripten, fiir ,,unbe-

greiflich” (SdS 17, Goh 25; FrSchr 244, N 377) ®. In der Realphilosophie scheint mit ihr zunadchst nichts anderes gemeint als die Begierde nach einem anderen (JR 202, Géh 223). Diese wiirde sich jedoch von der Be-

97 Hier zeigt sich, wie verwandt Hegels Frankfurter und friihe Jenaer philosophi-

sche Vorbilder sind, namlich Hélderlins Vereinigungs- und Schellings Identitats-

philosophie.

353

gierde der instrumentellen Objektbeziehung, auch wenn diese sich nicht auf Personen richtet, strukturell nicht unterscheiden.

Man mu8& hier jedoch beachten, da8 bei Hegel die Entwicklung im Abschnitt iiber Liebe vom Weiblichen ausgeht. Hegel unterscheidet die ménnliche und weibliche Sexualitat ganz konventionell: ,Der Mann hat Begierde, Trieb; der weibliche Trieb ist dies vielmehr, nur Gegenstand des Triebes zu sein, zu reizen, Trieb zu erwecken und ihn sich an ihm be-

friedigen zu lassen” (JR 200, Gdh 221). Die weibliche Begierde ist nach Hegel also wesentlich Begierde des einen nach der Begierde des anderen nach ihm”. Auf der Basis dieser Metabegierde ist nach Hegel erst eine volle Selbsterfahrung des Wollenden und seiner gesellschafts- und vernunftkonstitutiven Implikationen mdglich. Das ist Hegels Umkehrung

der traditionellen Vorurteile gegeniiber der weiblichen Sexualitat in eine

These iiber deren notwendige Funktion in der Genese praktischer Vernunft”. Die erste Gestalt des Sichwissens im anderen ist demnach die Begierde des einen nach der Begierde des andern nach ihm. Der Ubergang von der List im Maschinengebrauch zum Geschlechtsverhiltnis ergibt sich nun aus folgender Uberlegung: Wahrend ich die

Tatigkeit der Maschine nicht mehr als meine erfahre, obwohl ich sie steuere, ohne mich dabei, wie in der Disziplin der einfachen Arbeit, ver-

dinglichen zu miissen, bin ich in der Begierde eines anderen nach meiner Begierde mir selbst durch die Vermittlung des anderen als praktisches Subjekt gegeben. Im ,,System der Sittlichkeit” hatte Hegel Bildung und Erziehung noch als héchste Stufe der Arbeit behandelt, die sich nach-

einander auf Dinge, Pflanzen, Tiere und Menschen richtet; von da aus

war Hegel zum Geschlechtsverhiltnis iibergegangen (SdS 16, Goh 24). Diese Darstellung ware noch mit der Idee vereinbar, da8 das Beisichsein

98 Kojéve hat in der Interpretation des Selbstbewu8tseinkapitels der ,Phanomenologie” die These entwickelt, da& die ,anthropogene” Begierde die Begierde nach der Begierde des anderen ist (A. Kojéve, Hegel. Eine Vergegenwartigung seines Denkens, hrsg. v. I. Fetscher, Frankfurt (‘75) S. 22 ff.). Kojéve bringt zwar auch das Beispiel der entsprechenden Begierde zwischen Mann und Frau (ebd. S.23), aber er versteht die Metabegierde dann einerseits als Begierde von einem nach etwas, weil ein anderer es begehrt, und andererseits als Begierde danach, da8 der andere begehrt, so zu sein wie der eine (ebd. S. 24). Kojéve meint, dies sei nichts anderes als die Begierde nach Anerkennung (ebd.). Kojéve hat die genauere Struktur und Entwicklung der Metabegierde vielleicht deshalb nicht untersucht, weil er voraussetzt, da& jede Begierde nach einer Begierde schon deshalb SelbstbewuStsein konstituiert, weil jede Begierde, wie das SelbstbewuBtsein, ,negierende Negativitat” ist (ebd. S. 21).

99

Dies

iibersieht

Karen

Bohme

in

ihrer

Hegelinterpretation

(K. Bohme,

Zum

Selbstverstandnis der Frau. Philosophische Aspekte der Frauenemanzipation, Meisenheim ('73)). Sie behandelt allerdings auch nur die ,Phanomenologie des Geistes“, nicht die Jenaer Realphilosophie.

354

im anderen wesentlich ein Resultat der Vergegenstandlichung in der Arbeit ist. In der Jenaer Realphilosophie handelt es sich aber von vornherein um eine spezifisch interpersonale Struktur, in der ein Problem gelost ist, das iiber die Objektbeziehung in der Arbeit prinzipiell nicht zu lésen ist. Wahrend der Ubergang von der instrumentellen Objektbeziehung

zum Geschlechtsverhiltnis also im Rahmen der Willenstheorie nachvoll-

ziehbar ist, macht Hegel sich selbst unndtige Schwierigkeiten dadurch, da& er die Geschlechtsbeziehung’” als Beziehung polar bestimmter

wCharaktere” versteht. Denn wenn der ,Mann“ nur einfache Objektbegierde und die ,,Frau” nur Metabegierde hatte, dann ware sich die

Frau zwar in der Befriedigung ihrer Begierde als Objekt der Begierde des Mannes gegeben, jedoch nicht als Objekt einer Begierde, die ihrer eigenen Begierde entspricht, Begierde nach der Begierde zu sein. Die strikte Polaritat der Geschlechter hat bei Hegel auch keinen wesentlichen argumentativen Stellenwert. Denn Hegel beschreibt die Entwicklung des Geschlechtsverhiltnisses nicht als Leistung wesentlich des einen Pols oder als Bewegung zum Ausgleich dieser Polaritit. Hegel beschreibt die Entwicklung des Geschlechtsverhiltnisses als eine

vom ,,Wissen” zum ,,Erkennen” (JR 200 ff., Goh 222 ff.). Damit ist nicht so sehr die Befriedigung der Begierde gemeint als ihre Sublimierung zur

wLiebe”. In den Fragmenten von 1803/04 hie& es dazu: ,,Die Geschlechts-

beziehung wird eine solche, in welcher in dem Sein des BewuStseins eines

jeden, jedes Selbst Eins mit dem Andern ist, oder eine ideale [Beziehung]. Die Begierde befreit sich so von der Beziehung auf den Genu8&;

sie wird

zu einem unmittelbaren Einssein beider in dem absoluten Fiirsichsein

beider, oder sie wird Liebe; und der Genu& ist in diesem Anschauen sei-

ner selbst in dem Sein des andern BewuBtseins” (PhilG 301 f., Géh 317 f.). In der Realphilosophie hei&t es lakonisch: ,,Eben indem jedes sich

im Andern wei8, hat es auf sich selbst Verzicht getan: Liebe” (JR 201

Anm. 1, Géh 222 Anm. 1). Hegel beschreibt Liebe an diesen Stellen als die Verwirklichung der

Struktur des Sichwissens-im-andern, die er bereits fiir die spezifische Begierde des menschlichen Geschlechtsverhiltnisses ansetzte. Im Kontext

der Willensanalyse kann dabei nur eine Weise gemeint sein, wie der eine den Willen des andern will. Beim bloSen Geschlechtsverhiltnis handelte es sich um den Willen, vom anderen gewollt zu werden, genauer: die Begierde, vom anderen begehrt zu werden. Verzichtet nun der eine auf seine Begierde, so kann sein Wollen des Willens des anderen nur noch bedeuten, da8 er will, da& der Wille des anderen geschieht, bzw.

100

Es bleibt anzumerken, da& Hegel einfach voraussetzt, die sexuelle Beziehung sei

die zwischen Mann und Frau.

355

da& er wiinscht, da8 die Wiinsche des anderen in Erfiillung gehen, und d.h., da8 er ein Bediirfnis nach der Bediirfnisbefriedigung des anderen hat.

Hegel sagt mit Recht, da8 ,,Liebe” in diesem Sinne ,,das Element der Sittlichkeit” ist (JR 202, Goh 223). Denn Recht, Moral und Sittlichkeit

beruhen immer auf einer positiven willentlichen Beziehung auf den Willen anderer. Hegel notiert zur Liebe an dieser Stelle am Rande: ,Jedes

nur als bestimmter Wille, Charakter oder natiirliches Individuum; sein

ungebildetes natiirliches Selbst ist anerkannt” (JR 202 Anm. 1, Géh 223 Anm. 2). Das ist die erste Stelle, an der im Text der Geistphilosophie von 1805/06 von ,,Anerkennung” die Rede ist. Anerkennen kann man nun nicht Beliebiges, sondern nur Leistungen bzw. Bemiihungen und Rechte. Das Gemeinsame

ist dabei, da8 Anerkennung

sich mindestens

implizit auf die Legitimitat von Anspriichen bezieht. Im Fall des ,,ungebildeten natiirlichen Selbst” kann es sich kaum um die Anerkennung von Leistungen oder Bemiihungen handeln, sondern wohl nur um die Anerkennung des legitimen Bediirfnisses bzw. Anspruchs auch in seiner Natiirlichkeit und ,,ungebildeten” Besonderheit bejaht zu werden und sich verwirklichen zu kénnen. Da8 Hegel Liebe als eine Form von Anerkennung beschreibt, impli-

ziert die These, da8 eine Anerkennung, die sich, wie die des notwendig wabstrakten” Rechts und der davon abhangigen Gestalt der Moralitat, nicht auch auf die Natiirlichkeit und Besonderheit der Personen richtet,

keine volle Verwirklichung des Willens erméglichen kann. Da8 Hegel

Liebe dariiberhinaus als die erste Form von Anerkennung thematisiert, impliziert die These, da die Rationalitat der rechtlichen, moralischen und sittlichhen Anerkennung nur auf der Basis liebender Anerkennung midglich ist. Mit dieser These macht Hegel einen wichtigen Schritt iiber die praktische Philosophie von Kant und Fichte hinaus (s. I, 5). Diese

These findet aber gerade im Kontext einer allgemeinen Theorie des Wil-

lens ihre Begriindung: Voluntative Ichidentitat impliziert nur dann notwendig moralische Motivation, wenn die Erfahrung lebendig bleiben

kann, da8 die Besonderheit des Individuums als solche, also nicht nur als

Fall genereller Regeln, bejaht und anerkannt ist. Hegel betrachtet die Beziehung der Liebe, die er sogleich als Ehe fa8t, dann als Zeugung, als gemeinschaftliche Arbeit fiir die Familie und als Liebe zum Kind und Erziehung. Hegel meint anscheinend, da8 sich hier einerseits die Begierde entfalten kann und andererseits sich die ,Befreiung” der Liebe von der Begierde vollzieht. In der gemeinschaftlichen Arbeit ,,tritt erst eigentlich die Begierde selbst als solche ein, nimlich als verniinftige, geheiligte, wenn man so will. Sie wird durch die gemeinschaftliche Arbeit befriedigt. Die Arbeit geschieht nicht fiir die Begierde als einzelne, sondern allgemein” (PhilG 203, Géh 224). Dadurch wird

356

nach Hegel der Besitz ,,geistiger Besitz” (ebd.). Dies scheint eine Aufnahme des Begriffs des ,,intelligiblen Besitzes” zu sein, der bei Kant fiir den Unterschied von Besitz und Eigentum stand (MS 353), also fiir das Recht. Hegel will hier nicht nur sagen, da8 man durch gemeinsame Arbeit sich ein Recht auf das Arbeitsprodukt erwirbt. Vielmehr geht es grundsatzlicher darum, da& der Wille sich nur dann als berechtigter Wille erfahren kann, wenn er sich zugleich als Selbstbeziehung in seiner Tatigkeit und in dem Willen eines anderen erfahrt. In der Liebe zum Kind wird nach Hegel das Erkennen der Liebenden erst wirklich zum ,erkennenden Erkennen” (JR 203, Gdh 224). Hegel meint anscheinend, da8 sich in der Beziehung zwischen Eltern und Kind die Liebe von der Begierde ganz befreit. Das ist im Lichte der psychoanalytischen Erkenntnisse dieses Jahrhunderts sicher eine Naivitat. Wichtiger ist jedoch, da8 Hegel die Erziehung auch als ,,Aufheben der Liebe” beschreibt (PhilG 204, Géh 225). Das Resultat der Erziehung ist deshalb nicht mehr das Anerkennen der Natiirlichkeit, sondern ,,geisti-

ges Anerkennen” stimmung werde tat der Familie in ten von 1803/04,

(PhilG 204, Goh 225); auf die Bedeutung dieser Beich im nachsten Abschnitt zuriic&kommen. Vom Resulder Erziehung geht Hegel dann, wie in den Fragmenzum Kampf um Anerkennung iiber.

5.4 Der Kampf um die Anerkennung als Wille Die Darstellung des Kampfes um Anerkennung in der Jenaer Realphilosophie unterscheidet sich von der entsprechenden Darstellung in den Fragmenten von 1803/04 unter dem Gesichtspunkt der Beziehung zu Fichte vor allem dadurch, da8 sich das Subjekt jetzt im Kampf auf Leben und Tod nicht mehr als ,,Totalitit”, sondern ,,als Willen darstellen” mu8

(JR 211, Géh 232). Da8 Hegel sich damit auf Fichte bezieht, dafiir spricht

vor allem, da8 Hegel dies Darstellen als Wille damit erlautert, sich ,,als

absolutes” (Fiirsichsein) darzustellen. Denn Fichte hat in seiner Sittenlehre den Willen als etwas ,,Absolutes” (Sl 420, 419, 422) bzw. als ,,absolute Tendenz zum Absoluten” (SI 422) charakterisiert und in seinem Naturrecht das ,,Urrecht” als Recht eines ,,absoluten Willens” (Nr 123) beschrieben. Die Thematik des Willens ist auch der Grund dafiir, da8 das Resultat der Erfahrung des Kampfes nun nicht mehr unmittelbar die wabsolute Sittlichkeit” ist, sondern zundchst das ,,Recht”. Es ist jedoch

zundchst ganz unklar, ob Hegel fiir diese Veranderung, die das entscheidende Ergebnis seiner Riickwendung zur praktischen Philosophie der Neuzeit und insbesondere zu der der Transzendentalphilosophie bezeichnet (Riedel (’69) 60 ff.), ein Argument hat. Méglicherweise ist der

UObergang vom BewuBtsein als ,,Totalitat” zum Wechsel der Terminologie. 357

,,Willen”

auch nur ein

Bei genauerem Zusehen lassen sich folgende weitere Unterschiede der beiden Expositionen der Bewegung des Anerkennens feststellen. Diese

Differenzen kann man als Anzeichen dafiir deuten, da8 Hegel nun den

Kampf um Anerkennung starker bildlich versteht und damit seine Bewegung von Hobbes zu Fichte fortsetzt. Erstens ist der Ausgangspunkt

anders bestimmt. Schon die Liebe ist jetzt ein ,,Anerkennen”, nimlich Anerkennen des Natiirlichen und Besonderen, und das Resultat der Er-

ziehung ist jetzt ,,geistiges Anerkennen” (s. 5.3). Zweitens schiebt Hegel vor der Darstellung des Anerkennungskampfes eine langere Auseinandersetzung mit der modernen Lehre vom Naturzustand ein. Drittens liegt der Ursprung des Konflikts jetzt nicht erst in einer Besitzverletzung, sondern bereits in der exklusiven Besitznahme iiberhaupt (vgl. Siep (’74) 185). Viertens geht es jetzt im Kampf nicht mehr so sehr darum, sich mit jeder beliebigen angegriffenen eigenen Bestimmtheit unbedingt zu identifizieren, sondern darum, seine Fahigkeit zu beweisen, sich iiberhaupt mit Eigenem unbedingt identifizieren zu kénnen. Fiinftens geht es im Kampf auf Leben und Tod jetzt nicht so sehr um den Tod des anderen als um den eigenen Tod; Hegel spricht in dieser Hinsicht sogar von ,,Selbstmord” (JR 211, Goh 232; vgl. Siep (’74) 187). Es fragt sich, ob es sich dabei um echte Unterschiede in der Sache handelt ** und ob sie dann auch zur Begriindung dafiir beitragen, da8 der

Kampf um Anerkennung sich nicht mehr auf den Totalitatscharakter des BewuBtseins, sondern den Willen bezieht und als Resultat zunachst das Recht hat. Am auffalligsten unterscheidet sich die Darstellung der Jenaer Realphilosophie auerlich von der der Fragmente von 1803/04 durch die kritische Passage zur modernen Theorie des Naturzustandes (JR 205 f., Goh

226 f.). Hegel macht damit seine Differenz zu Hobbes’ Theorie des Kampfes explizit, die freilich 1803/04 bereits der Sache nach vorhanden ist. Hegel wiederholt Hobbes’ These: ,exeundum e statu naturae” (JR

205, Goh 226), er gibt ihr jedoch einen neuen Sinn. Der Grund dafiir, da& der Naturzustand verlassen werden mu8, ist schon bei Hobbes, da&

er ein Zustand ist, in dem es intersubjektiv giiltige Rechte und Pflichten

gar nicht gibt (ebd.). Bei Hobbes hatte die Notwendigkeit des ,,exeun-

dum” den Sinn eines Gebots der Klugheit, bei Kant und Fichte auSerdem den eines Gebots der Moral.

Bei Hegel hat diese Notwendigkeit nun iiberhaupt weniger einen eva101

Siep hat gezeigt, da8 zwei weitere Differenzen zwischen den beiden Darstellungen nur scheinbar sind. Auch in der Realphilosophie handelt es sich nicht um einen Kampf zwischen Familien, sondern einzelnen, die aus der Familientotalitat kommen (Siep ('74) S. 184 f.); und der Kampf um Besitz geht wiederum in einen Kampf um Ehre iiber, auch wenn hier der Begriff der Ehre erst in der

Verbrechenstheorie auftaucht (ebd. S. 186). 358

luativen als einen modal-deskriptiven Sinn: ,,Recht ist die Beziehung der

Person in ihrem Verhalten zu andern, das allgemeine Element ihres freien

Seins oder die Bestimmung, Beschrankung ihrer leeren Freiheit. Diese Beziehung oder Beschrankung habe ich nicht fiir mich auszuhecken und herbeizubringen, sondern der Gegenstand ist selbst dieses Erzeugen des Rechts iiberhaupt, d. h. der anerkennenden Beziehung. [. . .] Der Mensch wird notwendig anerkannt und ist notwendig anerkennend. Diese Notwendigkeit ist seine eigene, nicht die unseres Denkens im Gegensatze gegen den Inhalt. Als Anerkennen ist er selbst die Bewegung und diese Bewegung hebt eben seinen Naturzustand auf: Er ist Anerkennen; das Natiirliche ist nur; es ist nicht Geistiges” (JR 206, Gdh 227).

Wir haben bei der Behandlung der Fragmente von 1803/04 (s. 4.3) bereits dafiir argumentiert, da8 Hegel hier verniinftigerweise nicht meinen

kann, da& der Naturzustand als Zustand der gesellschaftlichen oder in-

dividuellen Beziehungen zwar notwendigerweise zunachst Wirklichkeit hat, dann jedoch auch notwendigerweise — und zwar durch die Erfahrung im Kampf selbst — iiberwunden wird. Vielmehr ist gemeint, da& menschliche Personen sich als solche implizit immer schon als Rechtssubjekte anerkennen. Der Kampf um Anerkennung kann nur ein Moment in der Bewegung sein, in der sich menschliche Personen als solche konstituieren und ein Selbstbewu8tsein als praktische Vernunftsubjekte entwickeln. Diese Umkehrung der Lehre vom Naturzustand hat nun im Text der Realphilosophie im Vergleich mit der Geistphilosophie von 1803/04 deutlichere Konsequenzen. Zunachst sagt Hegel jetzt, da8 durch jede Besitznahme,

jedenfalls die von Land — Hegel meint mit ,,Besitz” offenbar

stets exklusiven Besitz — ,,der Andre

[...]

aus dem, was er ist, ausge-

schlossen” ist (JR 205, Goh 226). Hegels Begriindung dafiir — die Erde sei ,das dauernde, allgemeine Dasein” (ebd.) — findet sich zwar auch in den Fragmenten von 1803/04. Hegel sagt dort sogar, da& in jedem Besitz ein Widerspruch liegt: ,,In seinem Besitze mu8 jeder besonders notwendig gestért werden, denn im Besitze liegt der Widerspruch, da8 ein AuBeres, ein Ding, ein Allgemeines der Erde, da& dies in der Macht eines Einzelnen sein soll, was wider die Natur des Dinges als eines All-

gemeinen, Auferen ist, und es ist das Allgemeine gegen die unmittelbare Einzelheit des BewuBtseins” (PhilG 309, Géh 323). Da& Hegel in der Realphilosophie nun aber den Konflikt explizit schon mit der Besitznahme beginnen 148t, kann im Kontext der expliziten Kritik an der Naturrechtslehre so gelesen werden, da& die Besitznahme nun nicht den Zustand verletzt, in dem es iiberhaupt keinen Besitz gibt, sondern einen

Zustand des Kollektivbesitzes der Erde. Diese durchaus traditionelle Idee hatten ja schon Locke und Kant in die Hobbessche Theorie des Naturzustandes eingefiigt. 359

Dies wiirde im Kontext von Hegels Fragestellung zunachst besagen,

da& das BewuStsein von Rechten und Pflichten sich nicht erst im Kampf um Anerkennung konstituiert, sondern ihm bereits vorausgesetzt ist.

Der Kampf um die Anerkennung fiihrt iiber das ,Wissen des Willens” (JR 212, Goh 232) dann zur rationalen Aneignung dieses Bewu8tseins als praktischem Wissen. Damit ware auch begriindet, warum das Resultat

des Kampfes nicht mehr die ,,absolute”, namlich von den Individuen abgeldste Sittlichkeit, sondern zundchst das ,,Recht” ist.

Die Idee eines urspriinglichen Rechts und Rechtsbewuftseins ist ein erstes Argument von Hegels Text selbst her dafiir, den Kampf um die Anerkennung zu entmythologisieren, ihn also weniger wértlich als bildlich auszulegen. In diese Richtung kann man m. E. auch die vierte und fiinfte Eigentiimlichkeit der Darstellung der Realphilosophie interpretieren. Wenn es im Kampf nur um den Beweis dafiir geht, sich mit Eigenem tiberhaupt unbedingt identifizieren zu kénnen, nicht jedoch um den Beweis, in allen eigenen Bestimmungen seine Identitat unbedingt verteidigen zu wollen, so ist der Kampf kein Verhiltnis, das die sozialen Be-

ziehungen durchgangig pragt; und wenn man im Kampf gar nicht primar

auf den Tod des anderen geht, sondern auf den eigenen Tod, so ist ein Kampf, der eine Todesdrohung fiir den anderen bedeutet, nicht notwen-

dig. Es ist allerdings zunichst nicht zu sehen, um welchen Kampf es sich dann

handelt, insbesondere

ob es iiberhaupt ein sozialer Kampf

sein

mu8. Die wichtigste Rechtfertigung dafiir, den Kampf um Anerkennung bildlich zu interpretieren und dadurch als Weg zum Wissen von Rechten und Pflichten zu verstehen, sehe ich darin, da8 Hegel bereits die An-

erkennung zwischen Eltern und erzogenen Kindern als _,geistiges An-

erkennen”

(JR 204, Goh 225)

liche, ,,anthropogene”

beschreibt.

Offenbar

Kampf um Anerkennung

findet der eigent-

schon in der Familie

statt. Dabei geht es darum, da8 ,,die Liebe, das Anerkanntsein ohne Gegensatz des Willens” (JR 209, Géh 229), zum Anerkanntsein mit Gegensatz des Willens und damit ,,als freie Willen” (ebd.) transformiert wird. Es leuchtet ein, da8 man sich ein Wissen von eigenen Rechten — und

damit ein BewuB8tsein des prinzipiellen Unterschieds

von Recht und

bloSer Macht — nur dadurch erwerben kann, da8 man den eigenen Willen als etwas erfahrt, das in dem Sinne absolut gilt, da& es nicht mehr

durch den Willen anderer aufgehoben werden kann. Freilich ist die bloBe Unbedingtheit des Willens allein so wenig verniinftig, da8 sie gerade die Haltung des Kleinkindes charakterisiert, das noch gar nicht eigentlich sozial existiert — allerdings hat ,,Wille” da noch nicht die spezifische

Bedeutung, die ihn mit Uberlegung und Wahl verkniipft. Die Unbe-

dingtheit des Willens, die Element seiner Verniinftigkeit ist (,,Entschlos-

senheit auf der Basis von Griinden”), kann sich nur in der Erfahrung 360

von Auseinandersetzung und in diesem Sinne von ,,Kampf” entwickeln, die eine notwendige Voraussetzung dafiir ist zu lernen, den unmittelbaren eigenen Willen in Frage zu stellen. Da8 der Kampf sich zu einem ,,Kampf auf Leben und Tod” zuspitzen

mu&, ist ein zum Teil bildlicher Ausdruck dafiir, da8 der Wille sich als solcher nur erfahren kann, wenn er sich einerseits als unbedingt erweist

und wenn er andererseits lernt, sich ganz in Frage zu stellen. Die Unbe-

dingtheit des Willens ist dann nicht mehr blinde, ,,wilde“ Entschlossenheit, wie im Standpunkt der Ehre, sondern eine Entschlossenheit, die sich

das Bewu8tsein davon explizit gemacht hat, da8 sie mit ihrer Bezogenheit auf Griinde einen Rationalitatsanspruch erhebt (vgl. II, 3.2). Da-

durch erwirbt der Wille das ,,Wissen des Willens”

(JR 212, Goh 232),

d.h. praktische Vernunft. Praktische Vernunft im sozialen Handeln ist aber notwendig moralisch-praktische Vernunft. Die verniinftige Unbedingtheit des Willens ist letztlich eine solche, die sich mit dem eigenen Willen ebenso identifiziert und davon distanziert, wie sie sich mit dem

Willen anderer identifiziert und davon distanziert: die Unbedingtheit von

moralisch-praktischen Vernunft, also von Recht, Moral

lichkeit **.

und Sitt-

Versteht man den ,,Kampf um Anerkennung” als Genese von reflek-

tierter Entschlossenheit,

d.h. von praktischer Vernunft iiberhaupt, so

stellt sich die weitere Frage, ob Hegel wirklich ein Argument dafiir hat, da& die praktische Vernunft notwendigerweise auch moralisch-praktische Vernunft ist. Dies Argument ist m. E. das folgende. Da im Kampf nicht so sehr das eigene Leben als der Sinn dieses Lebens und des eigenen Selbstverstandnisses in Frage gestellt wird, Sinn und Ichidentitat im sozialen Leben jedoch nur im Kontext einer Anerkennung von Rechten und Pflichten méglich sind, die auf ein primires sittlicies Anerkanntsein

zuriickverweist und deshalb die Anerkennung umfassender Moralprinzipien impliziert (vgl. II, 4.1), so erfahrt das BewuBtsein gerade im Kampf die Gebundenheit seiner voluntativen Identitat an moralische Intentionen. Die ,Umkehrung” des Bewuftseins im Kampf um Anerkennung ist durch diese Erfahrung motiviert. Hegel hatte schon in dem Abschnitt iiber Liebe und Familie zu zeigen versucht, da8 Selbsterfahrung des Wollenden nur im Medium des Ge-

liebt- und Anerkanntwerdens méglich ist (s. 5.3). Indem sich der Wille, gewollt zu werden und das zu wollen, was der andere will, durch den

Gegensatz der Willen hindurch zu dem Willen, in seinen Rechten an-

102 Die Idee einer rationalen Transformation der infantilen Unbedingtheit wirft ein Licht auf Fichtes und Hegels Idee einer Ableitung der Moral aus dem Selbst-

bewu8tsein als Totalitit. Dies SelbstbewuStsein entspricht namlich der ersten

Phase der kindlichen Entwicklung, der narziStisch-symbiotischen Phase. 361

erkannt zu werden, entwickelt, ist mit der darin implizierten Anerken-

nung der Rechte der anderen auch eine, wenn auch eingeschrankte, positive Beziehung auf ihre Bediirfnisse gegeben. Im ,,Wissen des Willens” als Resultat des Anerkennungskampfes vollzieht sich eine Synthese der Selbsterfahrung des Willens im instrumentellen Objektbezug und in der Liebe. Moralisch-praktische Vernunft ist als Verbindung von praktischer Vernunft iiberhaupt und der vorrationalen, positiven Beziehung der Wil-

len aufeinander wesentlich Entfaltung von Liebe in die Form der Vernunft. Diese Entfaltung ist fiir Hegel bedingt durch die Erfahrung und Uberwindung einer fundamentalen Bedrohung.

Bei Hegel ist der Gehalt des ,,Wissens des Willens” jedoch nicht un-

mittelbar

ein vollstindig

verniinftiges

BewuStsein

und

ein Zustand

realisierter Gerechtigkeit, sondern ein Zustand des Rechts, in dem zwar

jeder als Rechtsperson anerkannt ist, aber zufallig bleibt, woriiber der einzelne im Rahmen seines Rechts tatsachlich verfiigt. Diese formalistische Auffassung von Recht la&t sich in gewisser Weise auf die Begriindung des Rechts bzw. des RechtsbewuStseins im Willen zuriickfiihren. Der Umfang, in dem jemand Rechte hat, ist demnach nicht unabhangig von der Entschlossenheit, mit der er diese als solche behauptet; insbe-

sondere ist das BewuBtsein eigener Rechte von dem Willen, sie als solche zu behaupten, abhingig. Hegel hat diesen Zusammenhang bereits im Auge gehabt, als er damit begann, seine frithe kantianische Positivitatskritik geschichtsphilosophisch zu relativieren. Fiir die ,,menschliche Natur” ist demnach eine autoritare Religion so lange angemessen, wie sie selbst ,,elend”, namlich autoritatshdrig ist; und jene wird erst dann ,,positiv’, also praktisch falsch, ,wenn

ein anderer Mut

schen

versunken

erwacht, wenn

sie ein Selbstgefiihl er-

halt und damit Freiheit fiir sich selbst fordert” (FrSchr 219, N 141). Entsprechend heiSt es dann im Naturrechtsaufsatz: Wenn eine Nation ,,das Ungliick und die Schmach des Verlustes der Selbstandigkeit dem Kampfe und dem Tode vorgezogen hat, wenn sie so roh in die Realitat des tieriLebens

ist, da&

sie sich nicht einmal

in die formelle

Idealitat, in die Abstraktion eines Allgemeinen erhebt und also in der Bestimmung der Verhaltnisse fiir das physische Bediirfnis nicht das Verhaltnis von Recht, sondern nur von Persénlichkeit ertragen kann, — oder ebenso, wenn die Realitit des Allgemeinen und des Rechts allen Glau-

ben und alle Wahrheit verloren hat und sie das nicht in sich selbst zu empfinden und zu genieBen selbe auSer sich setzen und fiir dasselbe mit einem dem ganz Schmerzlichen der weiten Entfernung lieb nehmen

mu&, so haben Lehensverfassung

Bild der Géttlichkeit vermag, sondern dasdumpfen Gefiihl oder und Erhabenheit vor-

und Knechtschaft abso-

lute Wahrheit, und dies Verhiltnis ist die einzig mégliche Form der Sitt-

lichkeit und darum die notwendige und gerechte und sittliche” (Nat 524). 362

Es scheint nun, da8 Hegel mit der Jenaer Realphilosophie die Frage des Rechts und des Wissens vom Recht grundsatzlicher voneinander unterscheidet. Wenn der Wille auch erst im Kampf ein Wissen von sich als Rechtssubjekt erwirbt, so eignet er sich doch damit das implizite Rechtsbewu8tsein an‘, in dem die Giiltigkeit des Rechts besteht. Obwohl diese nicht historisch relativ ist (vgl. I, 5.1), gilt das fiir das praktische Wissen von dem konkreten Gehalt des Rechts. Es ist z. T. abhangig

von dem Ausma8, in dem sich die Subjekte fiir es engagieren; dadurch miissen sich die Subjekte erst ein Wissen und insofern das Recht auf ihre Rechte erwerben. So la8t sich ohne Anleihen bei der Geschichtsphilosophie verstehen, da& Hegel nach dem Kampf um die Anerkennung nicht sofort das Modell einer verniinftigen Gesellschaft entwickelt, sondern zunachst den Proze® darstellt, in dem sich die Idee der moralisch-

praktischen Vernunft schrittweise materialer konkretisiert. Dieser Proze8 ist als einer des Kampfes gegen schon vorhandene Verhiltnisse partieller rechtlicher Anerkennung wesentlich einer des Verbrechens und seiner Verséhnung. 5-5 Das Verbrechen und der Proze& der Materialisierung der Anerkennung Das Resultat des Kampfes um Anerkennung ist in der Jenaer Realphilosophie ,,Sittlichkeit iiberhaupt, unmittelbar aber Recht” (JR 212, Goh 233). Fiir ,,Sittlichkeit tiberhaupt” steht dabei vor allem der Begriff des /allgemeinen Willens” (JR 213, Goh 233). Die weitere Entwicklung vom

unmittelbaren Recht zur eigentlichen Sittlichkeit, der ,,Konstitution”, ist

wesentlich eine Entwicklung von Formen der Anerkennung und des allgemeinen Willens. Motor dieser Entwicklung ist wiederum eine Art von Kampf, namlich — ahnlich wie bereits im Mittelteil des ,Systems der Sittlichkeit” — die Auseinandersetzung zwischen dem ,,Anerkanntsein”

und dem Verbrecher (vgl. Siep (’74) 189 ff.). Entscheidend ist dabei, da8 Hegel eine ,,innre Rechtfertigung” des Verbrechens annimmt (JR 224, Goh 243). Die Problematik des Verbrechens behandelt Hegel zweimal, zunachst im Rahmen des ,,unmittelbaren Anerkanntseins” ' und dann im Rah103 Camus hat dies an der Revolte des Sklaven gezeigt (A. Camus, Der Mensch in

der Revolte, Hamburg (’58) S. 17—27) und gegen Hegels Herr-Knecht-Dialektik, insbesondere in ihrer Interpretation durch Kojéve, gewandt (ebd. S. 144—160).

Es ist allerdings mit Camus’ Idee des ,,mittelmeerischen Denkens” schwer vereinbar, da8 das Recht des Sklaven erst in der Revolte durch seine Aneignung als Recht giiltig werden soll. Zur Sache vgl. I, 5.1, S. 152 f.

104 Die kritische Edition der Gesammelten schrift (,a”) im Teil tiber den

Werke erganzt nach der ersten Ober-

,wirklichen Geist”:

363

,unmittelbares Anerkannt-

men des ,,gewalthabenden Gesetzes”. Hegel stellt die Entwicklung haupt-

sachlich als eine in der Entwicklung von Institutionen dar: vom ,,unmit-

telbaren Anerkanntsein” ohne dffentliche Sanktionsgewalt iiber das ,,gewalthabende Gesetz“ bis zur ,,Konstitution”. Diese Entwicklung ist jedoch auch eine der materialen Konkretisierung der Idee der Anerkennung, des allgemeinen Willens und der Sittlichkeit. Das Resultat des Anerkennungskampfes ist zunachst das _,abstrakte

Anerkanntsein” (JR 213 Anm., Géh 233 Anm. 1). Die Anerkennung be-

*

zieht sich hier lediglich auf die Rechtspersénlichkeit und die Rechtsfolgen des Verhaltens als Rechtsperson, insbesondere also auf die Giiltigkeit von Vertrigen. Hegel geht nun davon aus, da ein solcher Zustand dazu fiihrt, da8 ,,einzelner und gemeinsamer Wille [sich] trennen” (JR 218, Goh 238), also zum Unrecht. Das Unrecht entwickelt Hegel zunachst beim Obergang vom direkten Tausch zum Vertrag als dem__,ideellen Tausch“ (ebd.). Es besteht namlich jetzt die Méglichkeit, den Vertrag auch nicht einzuhalten. Hegel nennt dies ,,die Gleichgiiltigkeit gegen das Dasein und die Zeit“ (JR 219, Goh 239). Der legitime Zwang, der dagegen geltend gemacht wird, provoziert als Angriff auf die Persénlichkeit dann das eigentliche Verbrechen: ,,Die innre Quelle des Verbrechens ist der Zwang des Rechts; Not und so fort

sind duSerliche Ursachen, die dem tierischen Bediirfnisse gehdren, aber das Verbrechen als solches geht gegen die Person als solche und sein

Wissen von ihm, denn der Verbrecher ist Intelligenz. Seine innre Recht-

fertigung ist dies, der Zwang, das Entgegenstellen seines einzelnen Wil-

lens zur Macht, zum Gelten, zum Anerkanntsein. Er will etwas sein (wie Herostrat), nicht gerade beriihmt, sondern daf er seinen Willen zum

Trotz dem allgemeinen Willen ausgefiihrt hat” (JR 224, Goh 243). Durch die ,,Verkehrung des verletzten allgemeinen Anerkanntseins” (JR 224, Goh 244) wird das Anerkanntsein dann endgiiltig ,,realisiert” (JR 225, Goh 244).

Hegel behandelt in dieser Darstellung zunichst den Ubergang von einem informellen, vorgesetzlichhen Zustand der Anerkennung zu der Durchsetzung einer Rechtsordnung, die von einer 6ffentlichen Instanz sanktioniert wird. Insofern findet nicht unbedingt eine Entwiddung in dem Gehalt der Anerkennung von Rechten statt. Hegels Bestimmungen lassen sich jedoch auch in diese Richtung auslegen. Da& dem Willen hier

zunachst ,sein wirkliches Dasein gleichgiiltig ist” (JR 219, Goh 239), kann man namlich auch darauf beziehen, da& hier nur die rechtliche

Freiheit und Gleichheit iiberhaupt, jedoch nicht das Recht auf Verwirkseyn”. Als gemeinsame Oberschift fiir a. unmittelbares

Vertrag” und ,c. Verbrechen (GW VIII, 223).

und Strafe” erganzt sie dann

364

Anerkanntseyn”, ,b. ,a. Anerkanntseyn”

lichung des einzelnen Willens als solchen, und d. h. auch auf gleiche fak-

tische Méglichkeiten von Handlungsfreiheit und Bediirfnisbefriedigung, anerkannt ist. Der ,Zwang

des Rechts” ist insofern nicht die Gewalt-

férmigkeit der Durchsetzung der Anerkennungsprinzipien, insbesondere deren Durchsetzung durch die Gewalt von Privatpersonen, sondern die

inhaltliche Formalitit der Rechtsregeln, die den einzelnen und gemein-

samen Willen notwendig entzweien. Es ist allerdings in Hegels Text nicht

deutlich, in welcher Hinsicht die Einzelheit hier zusatzlich anerkannt

sein will und inwiefern sie in der Verkehrung, die Hegel als Strafe beschreibt, ihre Anerkennung als Einzelheit erreicht. Hegel behandelt das Verbrechen in der Jenaer Realphilosophie noch ein zweites Mal, namlich in einer langen Randbemerkung zur Rechtspflege am Ende des Kapitels iiber das ,gewalthabende Gesetz” (JR 239— 242, Géh 257—60). Der einzelne tritt hier dem gewalthabenden Gesetz als ,,fiir sich absoluter unendlicher Wille” (JR 240, Géh 258) gegentiber. In der Genese des Verbrechens spielt zwar die mangelhafte Gerechtigkeit von rechtlich korrekten Handlungen eine wichtige Rolle ',

das Entscheidende ist jedoch, da8 der Wille des einzelnen sich als ,,ab-

soluter” zur Geltung bringen mu8 (JR 241, Goh 260). Als solcher ist er einerseits das reine Anerkanntsein” (JR 239, Géh 258) und anderer-

seits ,das Bose”, ,.das reine Wissen von sich selbst” (JR 241, Goh 260). Gegeniiber dem so bestimmten Verbrechen ist nach Hegel die einzig adaquate Haltung des ,,Gesetzes”, ,,es als sich selbst zu erkennen”

(ebd.). Hegel sieht hier also keineswegs die Strafe als Verséhnung des

Verbrechens an, sondern fordert vom Gesetz, das Verbrechen zu ,,ver-

zeihen oder als Tat ungeschehen [zu] machen” (ebd.). Erst dadurch wird das gewalthabende Gesetz fiir Hegel zum ,,Geist” (JR 242, Gih 260). Allerdings beschreibt Hegel diese Verzeihung hier zwar als ein ,,als sich selbst Erkennen”, aber nicht als Anerkennung der Legitimitat von Anspriichen, sondern eher als Ubersehen (ebd.) oder als Begnadigung (JR 244, Goh 262). 5.6 Die héchste Stufe der Anerkennung in der ,Phinomenologie des Geistes”

In der ,,Phanomenologie des Geistes” beschreibt Hegel jedoch die Verzeihung des ,,Bésen” als ,Anerkennung”, und zwar am Ende des Mora-

litatskapitels (Ph 492 f.). Dabei handelt es sich allerdings nicht um das 105 Hegel bezieht sich vor allem auf die laesio enormis im Tauschvertrag (JR 240, Goh 259). Schon im unmittelbaren Anerkanntsein spielte die Idee der Gleichheit im Tausch eine wichtige Rolle (JR 215, Géh 235 f.). Vgl. auch die in der Anm.I, phie”.

145

angegebene

Literatur

zu dieser Thematik

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in der

,Rechtsphiloso-

Verhaltnis

der rechtlichen

Institutionen

zum

Verbrecher,

sondern

um

das Verhiltnis von Individuen zueinander, namlich des beurteilenden In-

dividuums und des handelnden, ,,bésen” Individuums. Die sittliche Még-

lichkeit und Notwendigkeit dieses Verhaltnisses von Individuen hat aber auch Konsequenzen

fiir die Frage der Verniinftigkeit von dffentlichen

Institutionen. Zwar kann es keinen rechtlichen Anspruch auf Verzeihung geben; 6ffentliche und rechtliche Institutionen sind jedoch auch wesent-

lich in dem Mae

verniinftig und frei, in dem sie Beziehungen zwischen

den Individuen erméglichen, in denen ein Anspruch auf EntdéuSerung in der Artikulation von eigener Subjektivitat und auf deren Bejahung durch die anderen als legitim anerkannt ist. Bei der Verzeihung

des ,,Bésen“ in der Phanomenologie

handelt es

sich nicht unbedingt um die Verzeihung des absichtlichen Normbruchs,

also des ,,Verbrechens”. Der bewuSte Bruch sozial geltender Normen spielt im Geistkapitel zwar eine fundamentale Rolle: Die ,,sittlicdie Hand-

lung” Antigones ist grundlegend fiir den Ubergang von der _,,Sittlich-

keit” zum ,,Rechtszustand” und die ,Empérung” fiir den Obergang von der ,,Bildung” zur ,,absoluten Freiheit”. Gegen Ende des Moralitatskapi-

tels geht Hegel jedoch von einer allgemeinen Eigenschaft jeder Handlung

aus: ,,So gibt es fiir das Beurteilen keine

Handlung,

in welcher es nicht

die Seite der Einzelheit der Individualitat der allgemeinen Seite der Handlung entgegensetzen und gegen den Handelnden den Kammerdiener der

Moralitét machen kénnte” (Ph 489).

Bei der Frage der ,,Moralitat” handelt es sich im Unterschied zu der

der ,,Legalitat” um die Frage der Motivation der Handlung. Hegel meint

nun,

da&

jede

Handlung

von

blo&

subjektiven,

partikularen

Motiven

bestimmt bleibt. Diese These kann in einer schwacheren und in einer starkeren Weise verstanden werden. Die schwachere Version stellt — iibrigens mit Kant — gegen einen puristischen Moralismus kritisch fest, da beziiglich keiner Handlung ein Wissen mdglich ist, da& nicht auch blo& subjektive Motive mitwirken. Die starkere Version behauptet dartiberhinaus, da& moralische Griinde Handlung wirklich vollzogen wird.

niemals

ausreichen,

damit

eine

Fiir letztere These findet sich in dieser generellen Form bei Hegel al-

lerdings keine Begriindung. Hegels Absicht scheint es auch gerade zu sein zu zeigen, unter welchen Bedingungen die Diskrepanz zwischen wirk-

licker Motivation und moralischer Begriindung iiberwunden wird oder

jedenfalls iiberwunden werden kann. In einer eingeschrinkten Form kann die These jedoch aus dem Hegelschen Kontext begriindet werden.

Bei den Anerkennungsverhaltnissen, auf die sich Hegels Gewissensanalyse bezieht, handelt es sich niamlich um die Verhdltnisse der prinzipiell formalen Anerkennung im nachnapoleonischen Rechtszustand und

der ihm entsprechenden formalistischen Form von Moralitat. Ohne die 366

Perspektive sittlichher Transsubjektivitat hat jedoch, wie ich bei der Analyse von Hegels Moralitatskritik nachgewiesen habe, moralische Motivation keinen rationalen Grund (s. I, 5).

Hegel zeigt nun im folgenden, wie die Diskrepanz zwischen wirklicdhem Handlungsmotiv und moralischer Begriindung aufgehoben wird. Hegel verteilt dabei die beiden Aspekte des Handels auf zwei Personen.

Die eine Person handelt und rechtfertigt ihre Handlung moralisch, die

andere beurteilt die Handlung moralisch nach ihren wirklichen Motiven. Das beurteilende BewuBtsein beurteilt die Handlung als bése und ihre Rechtfertigung als Heuchelei. Indem es jedoch ,,sein tatloses Reden fiir eine vortreffliche Wirklichkeit genommen wissen will” (Ph 489), ist es nach Hegels Darstellung im Prinzip genauso verkehrt wie das handelnde Bewu8tsein. Die Erfahrung dieser wesentlichen Gleichheit erméglicht es dem Handelnden, sich dem anderen einzugestehen (Ph 489 f.). Dieses »Gestandnis” oder ,,Bekenntnis” (Ph 490) ist offenbar das der Diskre-

panz zwischen der eigenen Rechtfertigung der Handlung und ihrer wirklichen Motivation.

Hegel betrachtet nun zunichst den Fall, in dem das beurteilende Bewu8tsein auf das Gestandnis negativ reagiert; so ,,std8t es diese Gemeinschaft von sich und ist das harte Herz, das fiir sich ist und die Kon-

tinuitat mit dem Anderen verwirft” (Ph 490). Damit ,,ist hier die héchste Empérung des seiner selbst gewissen Geistes gesetzt” (ebd.), namlich als Reaktion auf das eigentlich Bése der Zuriickweisung des Bekennenden.

Es ergibt sich auf diesem Wege die Gestalt der ,,wirklichkeitslosen schénen Seele”; diese wird ,,zur Verriicktheit zerriittet und zerflie&t in sehnsiichtiger Schwindsucht” (Ph 491). Das ist jedoch nur ein vorlaufiges Resultat. ,Die wahre, namlich die

selbstbewufte und daseiende Ausgleichung ist nach ihrer Notwendigkeit schon in dem Vorhergehenden enthalten” (Ph 491f.). Gegeniiber dem

Handelnden

entsagt das urteilende BewuStsein ,,dem teilenden Gedan-

ken und der Harte des an ihm festhaltenden Fiirsichseins darum, weil es in der Tat sich selbst im ersten anschaut. Dies, das seine Wirklichkeit wegwirft und sich zum aufgehobenen Diesen macht, stellt sich dadurch in der Tat als Allgemeines dar; es kehrt aus seiner 4u8eren Wirklichkeit in sich als Wesen zuriick; das allgemeine BewuStsein erkennt also darin

sich selbst” (Ph 492). Dies nennt Hegel die ,,Verzeihung” (ebd.). Bekenntnis und Verzeihung fa&t Hegel schlieSlich als Momente der vollstandigen Form gegenseitigen Anerkennens: ,,Das Wort der Verséh-

nung ist der daseiende Geist, der das reine Wissen seiner selbst als all-

gemeinen Wesens in seinem Gegenteile, in dem reinen Wissen seiner als

der absolut in sich seienden Einzelheit anschaut, — ein gegenseitiges Anerkennen, welches der absolute Geist ist” (Ph 493). Damit, da8 Hegel das Bekenntnis und die Verzeihung als Weisen von 367

Anerkennung beschreibt, sagt er implizit, da8 sie spezifisch moralische Intentionen ausdriicken und damit die Legitimitiét von Anspriichen anderer. Dies bedeutet, da8 es eine Art von moralischer Verpflichtung zum Bekenntnis und zur Verzeihung gibt. Allerdings kann es sich nicht um forderbare Anspriiche und einklagbare Verpflichtungen handeln. Hegel stellt deshalb Bekenntnis und Verzeihung nicht als Konsequenzen einer Auseinandersetzung mit moralischen Forderungen dar, sondern als positive Antworten auf die Erfahrung einer fundamentalen Gleichheit mit dem anderen.

Es leuchtet auch sachlich ein, da8 sich moralisch, ebenso wie rechtlich

einklagbare Anspriiche nur auf Handlungen, nicht aber auf die Motivation von Handlungen beziehen kiénnen und da8 Verzeihung schon deshalb nicht eingeklagt werden kann, weil sie Normen gerade nicht anwendet, obwohl diese gemeinsam als giiltig anerkannt sind '*. Wenn Bekenntnis und Verzeihung gleichwohl in dem Bewu8tsein moralischer Verpflichtung vollzogen werden, dann nur deshalb, weil die Personen sich dabei auf ein moralisches Ideal festlegen, in dem eine Verbundenheit in moralischer Motivation und eine Bejahung auch der partikularen Subjektivitat des anderen enthalten ist (vgl. I, 4.3). Fiir die These, da8 es sich bei der SchluSpartie des Moralitatskapitels

um Hegels Versuch handelt, eine nachkantische Form von Moralitat zu entwerfen, spricht auch, da& Hegel sich dabei implizit auf Schillers ,,An-

mut und Wiirde” zuriickbezieht '”. Hegel sagt von dem ,,Gestdndnis”, es sei , nicht eine Erniedrigung, Demiitigung, Wegwerfung im Verhiltnis gegen das Andere” (Ph 490). Bei Schiller hie8 es ahnlich: ,Man mu8 einen Fehler mit Anmut riigen und mit Wiirde bekennen. Kehrt man es um, so wird es das Ansehen haben, als ob der eine Teil seinen Vorteil

zu sehr, der andere seinen Nachteil zu wenig empfande” (AuW 47). n»Wiirde” bezeichnet bei Schiller den spezifischen Charakter der Handlungsweise der kantischen Moralitat; ,,Anmut” hingegen ist die Erscheinungsform eines vollendeten sittlichen Charakters, in dem Vernunft

und Sinnlichkeit eine Verbindung eingehen, die eine spontane und gleich-

wohl normengeleitete Zuwendung zum anderen erméglicht (vgl. I, 5.2). Indem Schiller nun von dem Subjekt moralischen Beurteilens erwartet,

da8 es seine Kritik ,,mit Anmut”

artikuliert, bringt er zum Ausdruck,

da& eine spezifisch moralische Kritik gerade dadurch positiv wirksam

werden kann, da8 sie ihre Anspriiche nicht rechtsférmig, namlich als For-

106 Es sei hier an Kants zweideutige Stellung zur Frage eines Billigkeitsrechts erinnert (MS 341 £.). 107 Das tibersieht E. Hirsch in seiner Deutung des Moralitatskapitels der Phiinomenologie (E. Hirsch, Die Beisetzung der Romantiker in Hegels Phanomenologie, in: Materialien zu Hegels ,Phanomenologie des Geistes”, hrsg. v. H. F. Fulda und D. Henrich, Frankfurt (’73) S. 245-275).

368

derung und Klage, zur Geltung bringt. Schillers Begriff der ,Anmut” entspricht in Hegels Kontext vor allem der der ,,EntauSerung” (Ph 492 ff.). Indem Schiller von dem Subjekt der moralisch defizienten Hand-

lung erwartet, da8 es seinen Fehler ,mit Wiirde bekennt”, besteht er

gleichzeitig darauf, da8 es sich hier um Fragen von Verpflichtungen und Anspriichen und nicht blo& um Fragen von Bediirfnissen und Gefiihlen handelt.

Aus Schillers Darstellung la8t sich auch entnehmen, da die Beziehung

von moralisch beurteilendem und bekennendem Subjekt als Paradigma der allgemeinen Struktur einer sittlich entfalteten moralischen Beziehung

genommen werden kann. ,,Anmut” und ,,Wiirde” sind namlich bei Schiller nicht nur fiir den genannten Spezialfall konstitutiv: ,Man fordert Anmut von dem, der verpflichtet, und Wiirde von dem, der ver-

pflichtet wird” (AuW 46). Eine nachkantisch verstandene Moralitat, die die Praxis und den Charakter der Individuen rational bestimmen kann,

ist demnach wesentlich eine Moralitat der Anmut, und das heiSt auch

der transjuridischen Spontaneitat und Individuierung ™. Schiller hat in , Anmut und Wiirde” allerdings nicht die Frage gestellt, wie die von ihm konzipierte moralische ,Anmut” midglich ist. In den Briefen ,,Ober die dsthetische Erziehung des Menschen” beantwortet

Schiller diese Frage mit seiner Theorie des ,,asthetischen Zustandes” ; dabei bleibt letztlich ungeklart, ob es sich um einen Zustand der Personen

oder der sozialen Beziehungen handelt. Hegel begriindet die Méglichkeit von Bekenntnis und Verzeihung in der Erfahrung der Gleichheit der

Subjekte. Dabei handelt es sich nach Hegel jedoch, jedenfalls beim Be-

kenntnis, um die Erfahrung der Gleichheit in einer wesentlich negativen Hinsicht (Ph 489). Wie diese Erfahrung positive sittlichhe EntauSerung motivieren kann, bleibt dunkel.

Hegel weicht hier in die Sprache des Geheimwissens aus: ,,.Die Wunden des Geistes heilen, ohne da8 Narben bleiben” (Ph 492). Diese Beschwérung ist wohl in einem Vorgriff auf das Religionskapitel begriindet, der auch darin zum

Ausdruck

kommt,

da& Hegel

das verséhnende

gegenseitige Anerkennen ,,den absoluten Geist” (Ph 493) nennt. Es ist jedoch fraglich, ob Hegel den damit formulierten Anspruch theoretisch einlésen kann. Im Schlu&kapitel konstruiert Hegel ,,das absolute Wis-

sen” als Vereinigung der vollendeten Moralitat mit der Religion (Ph 579 ff.). Dabei unterscheidet er diese zunichst als inhaltslose Form und formlosen Inhalt (ebd.). Hegel gesteht dann jedoch zu, da8 auch der Inhalt im Gewissen schon in seiner ,, Vollstandigkeit” (Ph 580) entwickelt worden ist, und sagt sogar: 108

,,Das Selbst fiihrt das Leben des absoluten

Ich sehe hier davon ab, da8 Schiller meint, da& man Anmut dert® (dazu s. o. I, 5.2, S. 160).

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bzw. Wiirde ,,for-

Geistes durch” (Ph 581). Die Frage der konkreteren Bedingungen spezifisch sittlicher Moralitat bleibt deshalb in der ,,Phanomenologie des Geistes” — und auch sonst bei Hegel — letztlich ungeklart. Das ist die Grenze von Hegels praktischer Philosophie, die wesentlich in der Sozialstruktur seiner Epoche griindet, die auch in dieser Hinsicht z. T. noch die

unsere ist.

6. Hegels Entfernung von Fichtes Grundlegung

der praktischen Philosophie

In der Hegelliteratur, die sich mit der Frage der Fichterezeption in den spateren Jenaer Jahren Hegels beschiftigt, wird meist angenommen, da8 diese Fichterezeption eine bleibende Grundlage von Hegels Philosophie, und zwar spatestens seit der ,,Phanomenologie

des Geistes”, darstellt.

Je nach den die Interpretation leitenden Begriffen wird dies fiir die Begriffe des Willens und der Person (Riedel), des BewuStseins (Kimmerle) oder des SelbstbewuStseins bzw. des Selbst (Péggeler, Horstmann) behauptet. In Fragen der Grundlegung der praktischen Philosophie la8t sich jedoch schon in der ,,Phanomenologie des Geistes” gegeniiber der Jenaer Realphilosophie ein gré8erer Abstand gegeniiber der Philosophie Fichtes feststellen '*. Symptomatisch dafiir ist die Auflésung des Zusammenhangs von Anerkennung, Trieb und Wille und die teleologische Deutung von Vernunft und Subjektivitat (vgl. Ph 26). Da die Theorie der Anerkennung in Verbindung mit der des Triebes und des Willens in der Jenaer Realphilosophie erst die spezifische Fichterezeption in den spiteren Jenaer Jahren ausmacht, la&t sich diese Feststellung auch auf die Beziehung zu Fichte tiberhaupt ausdehnen, obwohl die Begriffe des BewuStseins, des Selbstbewu8tseins, des Selbst und der Anerkennung

in

der ,,Phanomenologie” noch an Bedeutung gewinnen. Hegels relative Entfernung von Fichte ist dabei gleichzeitig eine Entfernung von einer praktischen Philosophie, die wesentlich Moralphilosophie, namlich

Philosophie der persénlichen Autonomie im Wissen von Rechten und

Pflichten ist, auch wenn das Gewissenskapitel der ,,Phinomenologie des

Geistes” in einer Analyse spezifisch sittlichher Moralitdt miindet (vgl. 5.6). Die relative Entfernung der ,,Phanomenologie” von den Grundbegriffen der praktischen Philosophie Fichtes und von einer autonomen Moral-

tog L.Siep hat bereits festgestellt, daS der Kampf um Anerkennung in der ,,Phanomenologie des Geistes” ,seine zentrale Rolle in der Theorie der Sittlichkeit bzw. spater des objektiven Geistes verliert” (Siep (74) S. 200).

37°

philosophie iiberhaupt setzt sich in den folgenden Schriften Hegels, wenn auch nicht geradlinig, fort. Diese Entwicklung fiihrt zu einer weitgehenden Verdrangung der fichteschen Problematik des Willens und der praktischen Ichidentitat durch Bestimmungen der subjektiven Logik, des theoretischen Geistes und der Institutionen. Nur mit Mithe 1a8t sich jene

Problematik aus den Bestimmungen des Willens noch rekonstruieren, die

die Einleitung der ,,Rechtsphilosophie” exponiert. Die Riicknahme fichtescher Momente aus der praktischen Philosophie macht es erst méglich, da8 Hegel Fichte in seinen spaten Werken genauso negativ-kritisch behandelt wie in der Darstellung der Differenzschrift, die vor seiner Jenaer Fichterezeption liegt. Diese Obereinstimmung hat die Hegelforschung lange Zeit wie selbstverstindlich so verstanden, da8 Hegels Verhiltnis zu Fichte seit der Differenzschrift im wesentlichen konstant geblieben ist. Wenn eine Fichteannaherung in den spateren

Jenaer Jahren zugegeben werden mu8, so erhebt sich nun vielmehr die

Frage, warum Hegel diese Annaherung in seinen spiteren Verdffentlichungen unkenntlich gemacht hat. Dieselbe Frage wirft Hegels Stellung zur Problematik der Moralitat iiberhaupt auf. Bei der Beantwortung dieser Fragen, die nicht mehr Thema dieser Arbeit sind, mu8

man, wie auch sonst bei Hegel, die Ebene der auSeren

Akkommodation von der der systematischen Intention unterscheiden (vgl. Theunissen (’70a)). Wie schon der Begriff des ,,allgemeinen Willens” zeigt, ist Fichtes praktische Philosophie zu eindeutig mit dem modernen, revolutionaren Vernunftrecht verbunden, als da8 der postnapoleonische Hegel ihr noch einen entscheidenden Platz in seiner Systematik hatte zubilligen kénnen. Fichteanismus ware wie die Idee der moralischen

Autonomie in der Staatstheorie des Jakobinertums verdachtig “°. Andererseits konnte sich Hegel deshalb in seinen spaten Werken auch legiti-

merweise von Kants und Fichtes praktischer Philosophie entfernen, er auch in seiner gréSten Annaherung an diese niemals seine Idee sittlichhen Vermittlung moralischer Autonomie preisgegeben hatte, sich in einem kantisch-fichteschen Rahmen nicht begriinden lat. Riickgriffe auf die Teleologie und den Institutionalismus der Alten

weil der die Die sind

azo Zur auSeren Akkomodation s. K.-H. Ilting ('73), Die ,.Rechtsphilosophie“

von

allerdings ein fragwiirdiger Ausdruck

1820 und Hegels Vorlesungen

dieser systematischen Intention.

iiber Rechtsphilosophie, in: G. W. F. Hegel, Vor-

lesungen iiber Rechtsphilosophie 1818—1831, Ed. u. Komm. in 6 Bdn. v. K.-H.

Ilting, Bd. 1, Stuttgart-Bad Cannstatt.

371

6.1 Zum

Fichteanismus der ,,Phanomenologie

des Geistes”

Da8 Hegels Konzeption einer ,,Wissenschaft der Erfahrung des Bewu8tseins” Fichtes Philosophie der Subjektivitat nahesteht, dafiir spricht nicht

nur die Thematik des ,BewuStseins”, die Idee von dessen Geschichte

und die zentrale Stellung der SelbstbewuStseinsproblematik in ihrer Durchfithrung. Hegels spezifische Idee der ,,Erfahrung des Bewu8tseins”

ist dariiberhinaus nur soweit nachvollziehbar, als ,BewuStsein” immer schon als ,,SelbstbewuStsein” verstanden ist; und bei der Theorie des

SelbstbewuStseins greift Hegel direkt auf Fichtesche Bestimmungen zu-

riick. Es gibt auch Hinweise darauf, da8 die Problematik, die bei Hegel erst im ,,absoluten Wissen” ihre Auflésung findet, wesentlich fichtesch ist. Dennoch ist der Fichtebezug der ,,Phanomenologie des Geistes”

weniger spezifisch als der der Jenaer Realphilosophie; und dies betrifft z. T. gerade diejenigen Elemente der Fichteschen Theorie, durch die diesem eine Grundlegung der praktischen Philosophie ansatzweise gelungen war. An ihre Stelle tritt offenbar zunehmend ein Riickgriff auf teleologische Konzepte (vgl. Ph 26).

Hegel bezeichnet in der ,,Einleitung” zur ,Phanomenologie des Geistes” sein Vorhaben als ,,die Darstellung des erscheinenden Wissens”

(Ph 72). Demnach

ware das Thema

hier nicht eigentlich das Subjekt

selbst, sondern sein Wissen. Hegel formuliert den ,,Weg des natiirlichen

BewuBtseins” jedoch dann so, da8 ,,die Seele [. . .] durch die vollstandige Erfahrung ihrer selbst zur Kenntnis desjenigen gelangt, was sie an sich selbst ist” (ebd.). Im folgenden beschreibt Hegel dann die Dynamik und das Ziel der Entwicklung in selbstreflexiven Terminis Fichteschen Ursprungs: ,,Das BewuBtsein aber ist fiir sich selbst sein Begriff, dadurch unmittelbar das Hinausgehen iiber das Beschrankte und, da ihm dies Beschrankte angehort, tiber sich selbst” (Ph 74). ,Das Ziel aber ist dem

Wissen ebenso notwendig als die Reihe des Fortgangs gesteckt; es ist da,

wo es nicht mehr iiber sich selbst hinauszugehen ndtig hat, wo es sich selbst findet und der Begriff dem Gegenstande, der Gegenstand dem

Begriff entspricht” (ebd.). Schon hier wird deutlich, da sich die Begriffe von ,,Gegenstand” und Begriff” bzw. von ,,An-sich” und ,,Fiir-uns” und dann natiirlicdh von »Fiir-sich” und ,,An-und-fiir-sich” bei Hegel — iiber einen Riickgriff auf

traditionelle Bestimmungen hinaus — auf die fichtesche Problematik des

Sichfindens in der epistemischen Selbstbeziehung beziehen "*. Hegel sagt im folgenden ausdriicklich, da& ,,die Natur des Gegenstandes, den wir

untersuchen” (Ph 76), uns der Trennung von An-sich und Fiir-uns iiber-

111 Fiir eine nahere Analyse des Bewu8tseinsbegriffs der ,Einleitung” zur ,,Phanomenologie des Geistes” s. K. Cramer ('76).

372

hebt; denn ,das Bewu8tsein gibt seinen Mafstab an ihm selbst” (ebd.).

Damit ist nicht nur gemeint, da8 das BewuBtsein au8er seinem Gegenstand auch einen Maf8stab besitzt (Ph 77), sondern auch, da8 sich in der Priifung mit der Verainderung des Wissens auch der Gegenstand bzw. der Ma8stab verindert (Ph 78). Dies ist aber nur dann méglich, wenn

das Bewu8tsein nicht nur sein Wissen iiber etwas anderes, sondern ,,sich

selbst priift” (ebd.). Hegels dialektischer Begriff der ,,Erfahrung” ist also immer schon einer der Selbsterfahrung: ,,Diese dialektische Bewegung, welche das BewuStsein an ihm selbst, sowohl an seinem Wissen als an

seinem Gegenstande ausiibt, sofern ihm der neue wahre Gegenstand daraus entspringt, ist eigentlich dasjenige, was Erfahrung genannt wird”

(Ph 78). Auch in methodischer Hinsicht ist Hegels Konzeption der ,,Wissen-

schaft der Erfahrung des Bewu8tseins” ohne Fichte kaum denkbar. Hegel

betont, da8, ,,indem das Bewu8tsein sich selbst priift, uns auch von die-

ser Seite nur das reine Zusehen bleibt” (Ph 77). Diese Methodenidee hat Fichte als die ihm eigentiimliche dargestellt '*; denn der Gegenstand der Wissenschaftslehre ist ein Lebendiges und Tatiges, das aus sich selbst und durch sich selbst Erkenntnisse erzeugt, und welchem der Philosoph blo& zusieht. Sein Geschift in der Sache ist nichts weiter, als da er jenes

Lebendige in zweckma8ige Tatigkeit versetze, dieser Tatigkeit desselben

zusehe, sie auffasse, und als Eins begreife. Er stellt ein Experiment an.

Das zu Untersuchende in die Lage zu versetzen, in der bestimmt diejenige Beobachtung gemacht werden kann, welche beabsichtigt wird, ist seine Sache, es ist seine Sache, auf die Erscheinungen aufzumerken, sie

richtig zu verfolgen, und zu verkniipfen, aber wie das Objekt sich

auBere, ist nicht seine Sache, sondern die des Objekts selbst” (2. Einl. 38,

Mei 34). Diese Methode des Gedankenexperiments hat jedoch nur im

Rahmen einer Ich-Philosophie einen Sinn. Hegels scheinbar antikisierende Rede vom

,,Zusehen”

des Theoretikers verweist also, jedenfalls

im Kontext der Problematik der Selbstpriifung des BewuBtseins, auf die fichtesche Problematik der Selbstbeziehung.

Hegel beginnt nun zwar die ,,Phinomenologie des Geistes” mit einem Teil ,A. BewuStsein”, dem der Teil ,,B. SelbstbewuStsein” erst nachfolgt. Hegel rekurriert jedoch bereits bei der Beschreibung der ,,sinn-

lichen GewiSheit” auf ein ,Ich” (Ph 82), und schon die Argumentation gegen die sinnliche GewiSheit bezieht sich, was hier nicht gezeigt werden

kann, wesentlich auf die Tatsache, da8 BewuStsein SelbstbewuStsein im-

pliziert. Der Obergang zum Selbstbewuftsein ist dariiberhinaus — was hier ebenfalls nicht begriindet werden kann — sachlich nicht nachvoll112

Diesen Zusammenhang

und 101 ff.

entnehme ich der Darstellung von Schmitz (‘64) S. 94 ff.

373

ziehbar, sofern er mehr meint als den Riickgang auf eine Bedingung von Bewu8tsein. Ein solcher Riickgang entspricht jedoch kaum der Metho-

denidee einer ,,Wissenschaft der Erfahrung des BewuStseins”. Diese Befunde sprechen ebenfalls dafiir, die ,,Phanomenologie des Geistes” von

vornherein als Theorie des Selbst und der Selbsterfahrung zu verstehen.

Nach Hegels eigenen Aussagen im Kapitel iiber das , absolute Wis-

sen” ist das Selbst der eigentliche Gegenstand der ,,Phanomenologie des

Geistes”. Hegel sagt dort, da8 ,das absolute Wissen” in lichen Urteile” implizit enthalten ist, ,,da8 das Sein des Ich (Ph 577). Das darin Implizierte sprechen nach Hegel die »moralischen SelbstbewuStseins” und des ,,Gewissens” Deren Inhalt findet Hegel zwar, mindestens zum Teil, erst

dem ,,unendein Ding ist” Momente des aus (Ph 578). im religidsen

Geiste (Ph 579 f.); aber schlieBlich hei&t es: ,,Das Selbst fiihrt das Leben des absoluten Geistes durch” (Ph 581).

Geht man also davon aus, da8 die ,,Erfahrung des BewuStseins” substantiell von der ,,Wahrheit der GewiSheit seiner selbst” bis zur Verzeihung des ,,Gewissens” verlauft, so handelt es sich dabei im wesent-

lichen um die Problematik der Selbstbeziehung und insbes. der Ichidenti-

tat. Jedenfalls beginnt die Entwicklung mit dem ,,absoluten Begriff (Ph

130) des ,,Unterschieds an sich selbst” (Ph 131) des Selbstbewu8tseins, der fiir dieses ,unmittelbar ebensosehr” aufgehoben ist (Ph 134), und endet mit der ,,absoluten Verschiedenheit” (Ph 493) ,des zur Zweiheit ausgedehnten Ichs, das darin sich gleichbleibt und in seiner vollkommenen EntauGerung und Gegenteile die GewiSheit seiner selbst hat”

(Ph 494). In beiden Fallen handelt es sich offenbar um Explikationen des Fichteschen ,,Ich = Ich”. Da& Hegel das ,,Ich = Ich” am Ende des Gewis-

senskapitels als vollstandige Anerkennung versteht, ist dabei durchaus

im Sinne von Fichtes Theorie des Ichs als ,,Idee“.

Die Weise, in der Hegel in der ,,Phanomenologie” Fichtes Philosophie der Subjektivitit verarbeitet, zeigt gleichwohl, da er sich im Vergleich zur Jenaer Realphilosophie bereits wieder von denjenigen Elementen dieser Theorie entfernt, die fiir eine Grundlegung der praktischen Philo-

sophie sachlich zentral sind. Charakteristisch dafiir ist, da@ in der »Phanomenologie des Geistes” der Begriff des ,,Willens” keine Rolle

mehr spielt, da8 der Kampf um Anerkennung nicht mehr unmittelbar zum

,allgemeinen Willen”

fiihrt und da& der Zusammenhang

von An-

erkennung und Sittlichkeit bzw. Moral undeutlicher wird. Statt dessen griindet die praktische Philosophie wieder starker auf der These der

Totalitatsstruktur des SelbstbewuStseins, die jetzt als ,,absolute Nega-

tivitat” gefa8t wird und auch die eigentliche Basis fiir die beriichtigte Subjekt-Objekt-Dialektik des SelbstbewuStseins ist. Hegel beschreibt das SelbstbewuBtsein als Resultat der BewuStseins-

dialektik so: ,,Es ist hiermit fiir es das Anderssein als ein Sein oder als

374

unterschiedenes Moment; aber es ist fiir es auch die Einheit seiner selbst

mit diesem Unterschiede als zweites unterschiedenes Moment. Mit jenem ersten Momente ist das SelbstbewuB8tsein als Bewuftsein und fiir es die ganze Ausbreitung der sinnlichen Welt erhalten, aber zugleich nur als auf

das

zweite

Moment,

die Einheit

des SelbstbewuStseins

mit

sich

selbst, bezogen; und sie ist hiermit fiir es ein Bestehen, welches aber nur Erscheinung oder Unterschied ist, der an sich kein Sein hat“ (Ph 138f.). Hegel will hier offenbar nicht nur sagen, da8 das Selbstbewu8tsein so-

wohl Objekte hat, die von ihm verschieden, als auch solche, die mit ihm identisch sind, sondern auch, da8 es das von ihm Verschiedene in gewisser Hinsicht auch selbst ist. Hegel gewinnt diese Pramisse in der ,,Phanomenologie” dadurch, da8 er das Selbstbewu8tsein aus dem Zusammen-

bruch aller fixen Objektivitit hervorgehen la8t. Dieser Ubergang ist je-

doch dann ganz unplausibel, wenn man nicht voraussetzt, da8 das Selbst-

bewuB8tsein die Objektivitat in gewisser Weise schon ist, also die Fichtesche Totalitatsstruktur besitzt. Aus dieser Primisse ergibt sich erst die Begriindung dafiir, da8 Hegel

fortfahren kann: ,,Dieser Gegensatz seiner Erscheinung und seiner Wahrheit hat aber nur die Wahrheit, namlich die Einheit des SelbstbewuBtseins mit sich selbst, zu seinem Wesen; diese mu8 ihm wesentlich

werden, d.h. es ist Begierde iiberhaupt” (Ph 139). Die ,,Begierde iiberhaupt” “* nimmt hier offenbar eine ahnliche Stellung ein wie ,,Wille” und

insbesondere

,,Trieb”

in der Jenaer Realphilosophie.

,,Begierde”

scheint speziell eine Motivationsform zu meinen, fiir die der Gegenstand

wesentlich , mit dem Charakter des Negativen bezeichnet ist” und bei der das Selbst ,,zunachst nur erst im Gegensatze des ersten vorhanden ist”

(ebd.). Dieser negative Charakter der Objektbeziehung des SelbstbewuBtseins liegt aber nicht in der Struktur des SelbstbewuStseins als solchen, sondern ist eine spezifisch idealistische Pramisse des Kapitels, das ,,SelbstbewuB8tsein” tiberschrieben ist. Diese Pramisse besteht offenbar in einer wesentlich negativen Auslegung der Unbestimmtheit des SelbstbewuStseins. Das Selbstbewu8t-

sein ,ist sic, zundchst nur als dieses einfache Wesen und hat sich als

reines Ich zum Gegenstande [...] und das Selbstbewu8tsein [ist] hier-

mit seiner selbst nur gewi8 durch das Aufheben dieses Anderen, das sich

ihm als selbstaindiges Leben darstellt; es ist Begierde” 113

Der

Ausdruck

,Begierde

iiberhaupt”

erinnert

an

Jacobis

(Ph 143). Die

,Begierde

a priori”

bzw. ,absolute” oder ,allgemeine Begierde”, die dasselbe meint wie der ,urspriingliche, natiirliche Trieb” (Jacobi 55). Auch wenn eine Bezugnahme Hegels auf Jacobis

Lehre

von

Trieb

und

Begierde

nicht

nachgewiesen

werden

kann

(vgl. Anm. go), so ist diese doch gerade in der ,,Phanomenologie des Geistes”

nicht unwahrscheinlich, weil sich das Kapitel iiber die ,,sinnliche GewiSheit”

plizit auf Jacobi bezieht.

375

im-

Weiterbestimmung

des Gegenstandes zum

,selbstindigen Leben” be-

deutet dabei anscheinend keine strukturelle Weiterentwicklung der Begierde, etwa zur Begierde nach der Begierde: ,, Der Nichtigkeit dieses An-

deren gewi8, setzt es fiir sich dieselbe als seine Wahrheit, vernichtet den

selbstandigen Gegenstand und gibt sich dadurch die GewiSheit seiner selbst als wahre Gewifheit, als solche, welche ihm selbst auf gegenstandliche Weise geworden ist” (ebd.). Hegel zeigt dann, da8 diese Begierde nach Bewahrung des wesentlich negativ verstandenen Selbstbewu8tseins nicht durch Aufheben von Gegenstinden befriedigt werden kann. Die Befriedigung ist nach Hegel vielmehr nur dadurch méglich, da8 der Gegenstand ,,die Negation an sich selbst ist und darin zugleich selbstindig ist’ (Ph 144). Daraus folgert Hegel: ,,.Das SelbstbewuStsein erreicht seine Befriedigung nur in einem anderen Selbstbewu8tsein” (ebd.). Hegel folgert hier aus der angeblich paradoxen Subjekt-Objekt-Identitat des Selbstbewu8tseins, da8 es Selbstbewu8tsein nur beziiglich eines Gegenstandes geben kann, der sich selbst als solcher aufhebt. Auch wenn dies richtig wire, ware es keine hinreichende Auflésung der von Hegel exponierten Problemlage. Denn das andere SelbstbewuStsein kann dem ersten nicht dessen Gewiheit bewahren, da8 kein Gegenstand Selbstindigkeit hat — dies kénnte héchstens ein fiktives Selbstbewu8tsein, wie der Gott Noahs und

Abrahams in Hegels friihem Fragment zum ,,Geist des Judentums”. Aber das andere SelbstbewuStsein kann dem ersten nicht nur die Ge-

wiSheit bewahren, da& es iiberhaupt Selbstbewu8tsein hat, sondern auch, da8 es in dem Sinne selbstandig ist, da8 es auf keine Bestimmtheit

festgelegt ist. Die Begierde nach Anerkennung, zu der die ,,Begierde iiberhaupt” notwendig fiihrt, ist also hier notwendig Begierde nach An-

erkennung von ,,Selbstandigkeit”, und diese Selbstandigkeit erweist sich

nur im Uberschreiten aller Bestimmtheiten, und d. h. bei Hegel im Kampf auf Leben und Tod. Die zentrale Stellung der Begriffe der ,Selbstandigkeit” und der ,,Anerkennung” im Rahmen der Selbstbewu8tseinsproblematik verweisen auf Fichte; der Begriff der ,,Selbstandigkeit” sogar auf die Willenstheorie von dessen Sittenlehre. Um so auffalliger ist, da& der Begriff des

7Willens” jetzt keine Rolle spielt. Im Kampf auf Leben und Tod geht es nicht mehr wie in der Jenaer Realphilosophie darum, sich als ,,Willen“

und

darin

als ,absolut”

darzustellen

(JR 211, Gdh 231f.),

sondern

als

»teines Fiirsichsein” (Ph 149). Das kénnte noch als blo& terminologische

Veranderung verstanden werden ‘, Die Problematik des Willens ist je114 In der Jenaer Realphilosophie nennt Hegel an der zitierten Stelle den Willen »das Fiirsichsein als solches”, und das Adjektiv , absolutes” la8t sich am besten durch ,Fiirsichsein” ergainzen (JR 211, Géh 233).

376

doch in der Realphilosophie vor allem deshalb zentral, weil sie Grundlage fiir eine Theorie des praktischen Wissens und der Anerkennung in Recht, Moral und Sittlichkeit ist. Gerade in dieser Hinsicht gibt es Dif-

ferenzen zwischen der Realphilosophie und der ,Phanomenologie des Geistes”. Auch in der , Phinomenologie” ist die Realitat des anerkannten Selbstbewu8tseins das ,,Reich der Sittlichkeit” (Ph 264). ,Anerkanntsein” ist dabei speziell das Merkmal des ,,Rechtszustands” (Ph 355 ff.). ,,Sittlichkeit itiberhaupt, unmittelbar aber Recht” (JR 212, Géh 233), ist hier jedoch nicht wie in der Realphilosophie schon das Resultat der Selbsterfahrung im Kampf um Anerkennung. Dieser Kampf fihrt jetzt zunachst zum Verhaltnis von Herrschaft und Knechtschaft. Die Uberwindung dieses Verhiltnisses geschieht nicht dadurch, da8 der Wille sich wissender Wille wird und sich dadurch als allgemeiner Wille erfa8t, sondern dadurch, da8 der Knecht in der Todesfurcht und der Arbeit sich als ,,die absolute Negativitat, das reine Fiirsichsein” (Ph 153,154), erfaBt. Die ,,wahre Selbstindigkeit”, zu der der Knecht sich so ,umkehrt”

(Ph

152), ist nicht schon die des allgemeinen Willens, sondern die der leeren Verniinftigkeit iiberhaupt (Ph 158) in Stoizismus und Skeptizismus. Erst im ,,Aufgeben des eigenen Willens” des ,,ungliicklichen BewuS8tseins” ist der allgemeine Wille gesetzt, aber nicht fiir das Bewu8tsein selbst (Ph 176). Geht man davon aus, da8 der Kampf auf Leben und Tod ein wirklicher und notwendiger Vorgang zwischen sittlich noch indifferenten Subjekten ist, so ist es sicherlich konsequent, daS Hegel nun den Kampf ins Herrschaft-Knechtschaft-Verhdltnis miinden lat. Umgekehrt mu8 man jedoch auch sagen, da& durch diese Darstellung Hegel den Schein wieder befestigt, da8 der Kampf als ein Verhiltnis vorsittlichher und zugleich selbstbewuSter menschlicher Subjekte tiberhaupt mdglich ist — also als Robinsonade. Eine ebenso fragwiirdige Konsequenz zieht Hegel damit, da8 er nun Liebe und Familie nicht mehr als Voraussetzungen des Anerkennungskampfes darstellt *. Die dafiir konstitutive Begierde nach

115

L.Siep hat zu diesem Befund allerdings relativierend folgendes angemerkt: Man kénnte freilich der zwischen Begierde und Kampf eingeschobenen allgemeinen Erérterung der Bewegung des Anerkennens entnehmen, da8 Hegel auch in der Phanomenologie dem Kampf die Liebe vorausgesetzt hatte. Die Bewegung des Anerkennens beginnt namlich nach Hegel damit, da8 das Selbstbe-

wuB8tsein sich im Anderen ,verloren’ hat, da8 es ,auGer sich’ ist, sich als ,Fiirsichseiendes

aufhebt’

und

sich

nur

Diese Struktur entspricht nicht dem

im Anderen

Kampf,

anschaut

(Ph 146 bzw.

147).

sondern der Liebe, so wie sie in der

Realphilosophie verstanden wird” (Siep (74) S.194 Anm. 57; die Seitenangaben

der ,Phinomenologie” andert).

habe ich der von

377

mir

benutzten

Ausgabe

gema&

ver-

der Begierde (vgl. 5.3) ist jetzt erst Thema im Vernunftkapitel, unter dem Titel ,,Die Lust und die Notwendigkeit” (Ph 270 ff.). Aus den angestellten Beobachtungen kann man die Vermutung ableiten, da8 die zentrale These des Selbstbewu8tseinskapitels: ,Das SelbstbewuStsein ist an und fir sich, indem und dadurch, da8 es fiir ein Anderes an und fiir sich ist; d.h. es ist nur als ein Anerkanntes” (Ph

145) keinen Ansatz mehr fiir die Begriindung der praktischen Philosophie darstellen soll. Es handelt sich dabei allerdings auch nicht einfach um die These der Konstitution von SelbstbewuStsein durch Anerken-

nung, denn es geht hier nicht um Selbstbewu8tsein iiberhaupt, sondern um dessen An-und-fiir-sich-Sein. Da das Selbstbewu8&tsein sich als ,,Fiir-

sichsein” oder ,,absolute Negativitat” erst im Wagnis des Lebens bzw.

in Todesfurcht und Arbeit erfahrt, besagt diese These, da8 das Selbst-

bewu8tsein zugleich bestimmt als solches nur als Anerkanntes Damit scheint wieder Fichtes Philosophie erreicht, allerdings

und radikal unbestimmt ist und da8 es existieren kann. These zur Begriindung der praktischen nicht auf der tragfahigen Grundlage von

»Naturrecht” und ,,Sittenlehre”, sondern auf der schhwankenden ,,Grund-

lage” der ,,Wissenschaftslehre” von 1794 (vgl. II, 2.4). Dies ware jedoch nur der Fall, wenn Hegel das Anerkennen als notwendige Bedingung des An-und-fiir-sich-Seins behaupten wiirde. Er behauptet dies jedoch zunachst nur von dem Anerkanntsein. Hegel zeigt in der allgemeinen Exposition der ,,Bewegung des Anerkennens” dann zwar, da8 die Anerkennung wedhselseitig sein mu8, um die Verniinftigkeit des Selbstbewu8tseins zu realisieren (Ph 146f.). Es ist jedoch zweifelhaft, ob diese These sachlich auf der Ebene des SelbstbewuStseinskapitels nachvollziehbar ist; denn dort kommt

die wechselseitige Anerkennung

gerade

nicht zustande. Auch wenn man feststellen mu, da& die Anerkennungslehre in der »Phanomenologie” nicht mehr direkt eine Begriindung moralisch-rechtlicher Vernunft ist, so ist sie doch die entscheidende Pramisse dafiir. Sieht

man namlich davon ab, da Hegel das An-und-fiir-sich-Sein des Selbst-

bewuBtseins als ,Unendlichkeit” auffa&t und damit die frithe Jenaer Theorie des Nichts im SelbstbewuStsein zu der der ,,absoluten Negativitat” fortspinnt, so bleibt doch die Rede vom ,,An-und-fiir-sich-Sein” des

Selbstbewu8tseins eine Formulierung dafiir, da8 jedes selbstbewuSte Wesen seine Bestimmtheiten mit seiner Selbstbeziehung konsistent

machen mu&, also fiir die Problematik der Ichidentitat. Der erste Schritt

einer praktischen Philosophie bestiinde von hier aus in dem Aufweis, da8 Ichidentitat im sozialen Leben die Anerkennung von Rechten und Pflichten voraussetzt (vgl. II, 4.1; III, 4.3 u. 5.4). Hegels Gedankenfiithrung in der ,,Phanomenologie” verlauft jedoch anders. Aus dem Herrschaft-Knechtschaft-Verhiltnis als solchhem konnte

378

sich iiber den Stoizismus, Skeptizismus und das ungliickliche BewuBtsein nur ein Begriff des ,allgemeinen Willens” entwickeln, dem die Dimension der Intersubjektivitat noch fehlt (Ph 176 f.) "*. Hegel entwickelt

deshalb nun einen Begriff der ,,Vernunft” als ein spezifisches, namlich positives Verhaltnis von Selbstbewu8tsein und Welt: ,,Damit, da8 das

Selbstbewu8tsein Vernunft ist, schlagt sein bisher negatives Verhaltnis zu dem Anderssein in ein positives um. Bisher ist es ihm nur um seine

Selbstandigkeit und Freiheit zu tun gewesen, um sich fiir sich selbst auf Kosten der Welt oder seiner eigenen Wirklichkeit, welche ihm beide als das Negative seines Wesens erschienen, zu retten und zu erhalten. Aber

als Vernunft, seiner selbst versichert, hat es die Ruhe gegen sie empfangen und kann sie ertragen; denn es gewi8, oder da8 alle Wirklichkeit nichts ist unmittelbar selbst die Wirklichkeit; mus zu ihr. Es ist ihm, indem es sich so

ist seiner selbst als der Realitat anderes ist als es; sein Denken es verhalt sich also als Idealiserfa8t, als ob die Welt erst jetzt

ihm wiirde; vorher versteht es sie nicht; es begehrt und bearbeitet sie, zieht sich aus ihr in sich zuriick und vertilgt sie fiir sich und sich selbst als BewuB8tsein — als Bewuftsein derselben als des Wesens sowie als Bewu8tsein ihrer Nichtigkeit. Hierin erst, nachdem das Grab seiner Wahr-

heit verloren, das Vertilgen seiner Wirklichkeit selbst vertilgt und die Einzelheiten des BewuStseins ihm an sich absolutes Wesen ist, entdeckt

es sie als seine neue wirkliche Welt, die in ihrem Bleiben Interesse fiir es hat wie vorhin nur in ihrem Verschwinden; denn ihr Bestehen wird ihm

seine eigene Wahrheit und Gegenwart: Es ist gewi8, nur sich darin zu erfahren” (Ph 178 f.). Hegel versteht hier den Idealismus der Vernunft als eine Position, fiir die es zwar durchaus noch eine ihr gegeniiberstehende Welt gibt, zu welcher sie jedoch — im Unterschied zum bloSen SelbstbewuStsein — ein wesentlich positives Verhaltnis hat. Da8 das Selbstbewu8tsein als Vernunft ,,seiner selbst als der Realitat gewi8” (ebd.) ist, besagt demnach, da8 es die Welt jetzt erst versteht, fiir sie Interesse hat und sie als die

seinige wei8. Indem die Welt fiir die Vernunft so _,ihr versichertes Eigentum” (Ph 186) ist, ist die Vernunft offenbar auch Prinzip von Recht. Der Vernunftbegriff der ,,Phanomenologie” wiederholt insofern die These

der Fichteschen Wissenschaftslehre, da8 das SelbstbewuB8tsein als positiv

Unbestimmtes an sich Totalitat ist und dies im Wissen von Recht und

116 Hegel bezeichnet die Rechtspersinlichkeit im ,,Rechtszustand” als ,die wirklich geltende Selbstandigkeit” (Ph 355). Demgema& werden Stoizismus und Skeptizismus jetzt als Gestalten des BewuBtseins

der Prinzipien

des Rechtszustands

verstanden (Ph 356 f.). Daraus kann man jedoch nicht entnehmen, da8 diese Gestalten schon solche der moralisch-praktischen Vernunft sind. Denn die rechtliche Selbstandigkeit im ,,Rechtszustand” ist ,geistlos” (Ph 356) und eine ,leere

Form” (Ph 357).

379

Pflicht vollzieht. Fichtes Begriff des ,Strebens“ und ,,Triebs” ersetzt Hegel hier durch den des ,,Interesses”, der schon bei Kant eine wesent-

lich vernunftbestimmte Motivationsform meint (GMS 42 Anm., 97 Anm.; MS 316) und auch etymologisch ein positives In-der-Welt-Sein bezeichnet *”. Mit dem Vernunftbegriff der ,,Phinomenologie” greift Hegel also auf die SelbstbewuStseinstheorie der Fichteschen Wissenschaftslehre von 1794 zuriick; wahrend das Selbstbewuftseinskapitel implizit auf der Pramisse beruht, das Ich sei ,,Nichts“, beruht das Vernunftkapitel auf der

Primisse, es sei ,,Alles” "*. Hegel betont jedoch zu Recht, da8 der Standpunkt der ,,Vernunft” zur Begriindung der praktischen Philosophie nicht ausreichend

ist. ,,Die

allgemeine

Besitznehmung

des ihr versicherten

Eigentums” fiihrt nicht schon zum Bei-sich-Sein des Subjekts: ,,Die Vernunft ahnt sich als ein tieferes Wesen, denn das reine Ich ist und mu8

fordern, da8 der Unterschied, das mannigfaltige Sein, ihm als das Seinige selbst werde, da8 es sich als die Wirklichkeit anschaue und sich als Ge-

stalt und Ding gegenwartig finde. Aber wenn die Vernunft alle Eingeweide der Dinge durchwiihlt und ihnen alle Adern dffnet, da

sie sich

daraus entgegenspringen midge, so wird sie nicht zu diesem Gliicke ge-

langen, sondern mu8 an ihr selbst vorher sich vollendet haben, um dann

ihre Vollendung erfahren zu kénnen” (Ph 186). Im Teil B. des Vernunftkapitels stellt Hegel

dar, wie ,,die Verwirk-

lichung des verniinftigen SelbstbewuStseins durch sich selbst” scheitert, solange dies SelbstbewuStsein isoliertes Einzelnes ist: ,,Zuerst ist diese tatige Vernunft ihrer selbst nur als eines Individuums bewuSt und mu8 als ein solches seine Wirklichkeit im anderen fordern und hervorbringen, — alsdann aber, indem sich sein BewuStsein zur Allgemeinheit er-

hebt, wird es allgemeine Vernunft und ist sich seiner als Vernunft, als

117 Der Begriff des Triebs, namlich des ,Naturtriebs”, kommt in der Einleitung zum Teil B des Vernunftkapitels vor (Ph 268). Dartiberhinaus sagt Hegel am Ende der Einleitung zum ganzen Vernunftkapitel, da8 die Vernunft ,getrieben

ist, ihre Gewi8heit zur Wahrheit zu erheben und das leere Mein zu erfiillen”

(Ph 185). 118 Fulda hat mit bezug auf das Jenenser Fragment ,,Die Wissenschaft” und das Blatt zur ,Phanomenologie des Geistes” aus Hoffmeisters Dokumentenband

(Dokumente

353) die Vermutung

begriindet, da8 urspriinglich ,die beobach-

tende und die sich verwirklichende Vernunft dem SelbstbewuStsein, die gesetzgebende Vernunft aber dem Geist untergeordnet gewesen” ist (Fulda, F., Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik, Frankfurt (65) S.138). Diese Hypothese erhalt unter dem Gesichtspunkt der Rezeption von Fichtes Philosophie des Selbstbewu8tseins ein systematisches Fundament: Das Selbstbewu8tseinskapitel beruht auf der Primisse, da8 das Ich ,Nichts”, das Vernunftkapitel darauf, da& das Ich , Alles” ist (vgl. Ficite, GWI 457).

380

an und fiir sich schon anerkanntes bewu8t, welches in seinem reinen Be-

wuBtsein alles SelbstbewuStsein vereinigt” (Ph 263 f.). Damit greift Hegel jedoch, wie er selbst sagt, auf den Begriff der ,,Sittlichkeit” und damit des ,,Geistes” vor. Fiir die Vernunft bleibt nur noch ,,die Individuali-

tat, welche sich an und fiir sich selbst reell ist”, insbesondere als ,,geisti-

ges Tierreich” — das solipsistische und nihilistische Zerrbild der Transzendentalphilosophie "*. Hegel hatte bereits im Vernunftkapitel den Begriff der ,,Sittlichkeit” eingefiihrt (Ph 264), der seine systematische Stelle erst im Geistkapitel hat, und zwar iiber den Begriff der ,,allgemeinen Vernunft” als des ,,an und fiir sich schon anerkannten“ (Ph 263). Im Geistkapitel spielt der Begriff der ,Anerkennung” jedoch zunichst keine Rolle. Dies hingt wohl

damit zusammen, da8 der Begriff ,,Geist” zunachst nicht als Form der Intersubjektivitat eingefithrt wird: ,,Die Vernunft ist Geist, indem die Gewi&heit, alle Realitat zu sein, zur Wahrheit erhoben und sie sich ihrer

selbst als ihrer Welt und der Welt als ihrer selbst bewu8t ist” (Ph 324). Diese Bestimmung schlie8t eine der Intersubjektivitat allerdings ein: ~Der Geist ist das sittlidie Leben eines Volkes, insofern er die unmittel-

bare Wahrheit ist; das Individuum, das eine Welt ist” (Ph 326). Die wSittliche Welt”, die Hegel zunichst beschreibt, wird jedoch nicht als verniinftige Gesellschaftsform, sondern als tragischer Konflikt des ,,Geset-

zes der Einzelheit” und der ,,Allgemeinheit” (Ph 329), des ,,géttlichen”

und ,,menschlichen” Gesetzes, der Familie und des Staates gefa8t. Dieser Konflikt fiihrt hier zur _,,geistlosen Selbstandigkeit” (Ph 356) und zum »inhaltsleeren Fiirsichsein” (Ph 358) des Selbst im ,,Rechtszustand”.

Einen rationalen Gehalt bekommt das Selbst erst durch den Proze8 der EntiuSerung (Ph 360, 364). ,EntauSerung” besagt dabei nicht in erster Linie Vergegenstandlichung und trennende ,,Entfremdung”, sondern ,,Bildung”, und d.h. auch Entwicklung zu Freiheit und Vernunft, allerdings auf dem Umweg iiber die Entfremdung. Die iu8erste Zuspitzung der Entfremdung sieht Hegel in dem Verhiltnis, wo dem einen Bewu8tsein ,,das Fiirsichsein selbst [...] ein Fremdes ist; es findet sein Selbst als solches entfremdet vor, als eine gegenstandliche feste Wirklichkeit, die es von einem anderen festen Fiirsichsein zu empfangen hat“ (Ph 381f.). Hegel beschreibt dies Verhaltnis dann so: ,,Das reine Ich 119 In der verdffentlichten Phanomenologie folgt auf das ,geistige Tierreich” noch die ,gesetzgebende” und ,gesetzpriifende” Vernunft. Wenn Fuldas Hypothese

richtig ist, da& die ,gesetzgebende Vernunft“ urspriinglich zum Geist gehérte (das nachgelassene

Blatt zur Phinomenologie

sagt:

,Das absolute Wissen tritt

so zuerst als gesetzgebende Vernunft auf” (Dokumente 353)), so kann man dies

als ein Anzeichen dafiir werten, da8 der Autonomiebegriff der kantischen Moral im urspriinglichen Konzept der Phanomenologie eine wesentlich gréfere Be-

deutung besa8 als in dem ausgefiihrten Werk. 381

selbst ist absolut zersetzt” (Ph 382); ,die Reflexion, da das Selbst sich als ein gegenstandliches empfangt, ist der unmittelbare Widerspruch im reinen Ich selbst gesetzt” (Ph 383). Es liegt auf der Hand, da8 Hegel hier das Verhiltnis au8erster sozialer Entfremdung ™ zugleich als die Exposition der Fichteschen SelbstbewuBtseinsparadoxie interpretiert. Die Dialektik von Ich und Nicht-Ich wird hier geschichtsphilosophisch eingeholt. Dafiir spricht auch, da8 Hegel dieses Verhiltnis als ,,unendliches Urteil” fa8t: ,,.Das Firsichsein hat sein Fiirsichsein zum Gegenstande, als ein schlechthin Anderes und so-

gleich ebenso unmittelbar als sich selbst” (Ph 385). In der ,Empérung”

erweist sich dies unendliche Urteil dann als ,identisches Urteil” des Ich=Ich: ,,Dies SelbstbewuStsein, dem die seine Verworfenheit verwer-

fende Empérung zukommt, ist unmittelbar die absolute Sichselbstgleichheit in der absoluten Zerrissenheit, die reine Vermittlung des reinen Selbstbewu8tseins mit sich selbst” (Ph 384 f.). Fichtes Subjektivitatstheorie ist Hegel hier also der Garant dafiir, da8

diese absolute und allgemeine Verkehrung und Entfremdung der Wirk-

lichkeit und des Gedankens” als ,reine Bildung” (Ph 385) in die Aufhebung der Entfremdung umschlagt. Das Resultat dieses Umschlags ist jetzt jedoch nicht mehr, wie in der am Willen orientierten Analyse von Kampf und Verbrechen in der Jenaer Realphilosophie, die rousseausche

,Entau8erung” im ,,allgemeinen Willen”, sondern die idealistische ,,reine

Einsicht”: ,,Sie als das sich selbst erfassende Selbst vollendet die Bildung; sie fa8t nichts als das Selbst und alles als das Selbst auf, d. h. sie

begreift alles, tilgt alle Gegenstindlichkeit und verwandelt alles Ansichsein in ein Fiirsichsein” (Ph 362, vgl. 394). ,,Was darin dem Ich das An-

dere ist, ist nur das Ich selbst. In diesem unendlichen Urteile ist alle Ein-

seitigkeit und 120 Hegel

Eigenheit des urspriinglichen

spricht direkt von dem Verhaltnis des

Fiirsichseins getilgt;

das

,Klienten” zum ,Reichtum”, ,der

durch eine Mahlzeit ein fremdes Ich-Selbst erhalten und sich dadurch die Un-

terwerfung von dessen innerstem Wesen erworben zu haben meint” (Ph 383 ff.). Dessen Analyse in Terminis der Selbstbewu8tseinstheorie spricht jedoch dafiir, da&

es sich bei der

,gegenstandlichen

festen Wirklichkeit”, in der

der ,Klient”

wsein Selbst als solches entfremdet“ vorfindet (Ph 381 f.), um Geld handelt, und zwar eher um Lohn als um Almosen. Hegel sagt niamlich in der Jenaer Realphilosophie, da8 im Geld ,das formale Prinzip der Vernunft vorhanden” ist; und das soziale Elend der Fabrik- und Manufakturproduktion fa8t Hegel dort so: ,Der Geist ist sich also in seiner Abstraktion Gegenstand geworden als das selbstlose Innre.” Den Ubergang zum Staat konstruiert Hegel dann iiber folgenden Gedankengang: ,,Aber dies Innre ist das Ich selbst, und dieses Ich ist sein Dasein selbst. Die Gestalt des Innern ist nicht das tote Ding: Geld, sondern ebenfalls Ich” (JR 257, Goh 274). Hieraus lassen sich Perspektiven fiir das Verhaltnis von kapitalistischer Gesellschaftsform und idealistischer Selbstbewu8tseinstheorie gewinnen, die ich hier aber nicht mehr entwickeln kann.

382

Selbst wei8 sich, als reines Selbst, sein Gegenstand zu sein; und diese

absolute Gleichheit beider Seiten ist das Element der reinen Einsicht“ (Ph 398). Die Begriindung der historisch-praktischen Dialektik durch die des SelbstbewuStseins fiihrt so zum Standpunkt leerer und deshalb

wesentlich unpraktischer Verniinftigkeit: ,Diese reine Einsicht ist also der Geist, der allem Bewu8tsein zuruft: Seid fiir euch selbst, was ihr alle

an euch selbst seid, — verniinftig” (ebd.). Die ,Aufklarung”

als Verwirklichung des Prinzips der ,reinen Ein-

sicht” bleibt deshalb abstrakt und kontemplativ und fiihrt iiber die »Niitzlichkeit” zur ,,reinen Einsicht” zuriic&k (Ph 430). ,,Die wirkliche

Umwilzung der Wirklichkeit”, die ,,aus dieser inneren Umwalzung” hervortritt (Ph 431), kann so als ,,die absolute Freiheit” sich nur im ,,Schrek-

ken” realisieren (Ph 431 ff.) ". ,So geht die absolute Freiheit aus ihrer sich selbst zerstérenden Wirklichkeit in ein anderes Land des selbstbewu8ten Geistes iiber, worin sie in dieser Unwirklichkeit als das Wahre gilt” (Ph 441), in das Land der ,Moralitét”. Auch wenn Hegel dort am

Ende

eine besonders

iiberzeugende Darstellung

seiner Idee der sitt-

lichen Moralitat als nichtforderbarer Anerkennung gelingt (s. 5.6) — der

phinomenologische Riickzug von der praktischen Philosophie Fichtes auf die Selbstbewu8tseinstheorie ist auch ein Riickzug von der praktischen Philosophie iiberhaupt. 6.2 Die spatere Entwicklung und die Willenstheorie der Rechtsphilosophie Die Entfernung der ,,Phanomenologie des Geistes” von Grundbegriffen der praktischen Philosophie Fichtes und von einer rationalen Moralphilosophie iiberhaupt setzt sich in den folgenden Schriften Hegels im wesentlichen fort. Eine gewisse Sonderstellung nimmt dabei die Niirnberger ,,Propadeutik” ein. Der Abri8 der ,,Phanomenologie des Geistes” fiir die Mittelklasse enthalt zwar

ebensowenig

wie die ,,Phanomeno-

logie” von 1807 eine Analyse des Willens, sie thematisiert das Selbstbewu8tsein jedoch explizit im Lichte der Fichteschen Paradoxie der Selbstbestimmung: ,,Das Bestimmtwerden des SelbstbewuB8tseins ist zugleich ein sich Selbstbestimmen und umgekehrt” (Prop II, 1 § 23). Das Resultat 121 In meiner Arbeit iiber Hegels Kritik des Jakobinismus habe ich zu zeigen ver-

sucht, da8 die Argumentation des Revolutionskapitels der ,,Phanomenologie”

sich gleichwohl nicht generell gegen Vernunftprinzipien der Gesellschaftskritik

und deren revolutionare Realisierung richtet, sondern gegen deren Orientierung an der Rechtsform (in: Aktualitat und Folgen der Philosophie Hegels, hrsg. v. O. Negt, Frankfurt (’7o); gekiirzt in: Stuttgarter Hegel-Tage 1970, Hegel-

Studien Beih. 11, hrsg. v. H.-G. Gadamer, Bonn (’74)).

383

der Bewegung des Anerkennens in der Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft ist hier, anders als in der gro8en ,,Phanomenologie” und in den spiteren ,,Enzyklopiadien”, bereits der ,,allgemeine Wille” als ,,der Obergang zur positiven Freiheit” (ebd. § 37). Dem entspricht in der Propadeutik die starke Stellung der Moralitat (vgl. Rosenzweig II, 16 ff.). Der Abschnitt iiber die ,,Pflichtenlehre oder

Moral” in der Propadeutik fiir die Unterklasse behandelt die Moralitat nicht als Gestalt des objektiven Geistes und des Rechts unter anderen

Gestalten, sondern umgekehrt die Institutionen von Familie, Staat und Recht im Rahmen der ,,Pflichtenlehre”. Dabei spielen die kantischen Be-

griffe des ,,moralischen Gesetzes” und der ,,Achtung” eine fiir Hegel ungewéhnliche Rolle; entsprechend wird die Religion kantisch aus dem moralischen Gesetz begriindet. Auch in der kurzgefa8ten ,,Enzyklopadie” fiir die Oberklasse ist in der Theorie des ,,praktischen Geistes” generell der Begriff des ,Gesetzes” zentral (Prop III, 2 § 180). Die ,,Moralitat” hat jetzt zwar ihre spatere Stellung zwischen ,Recht” und ,Staat (Realer Geist)” ‘*. Dieser Abschnitt hat aber noch gar nicht den spateren polemischen Gestus. Er beginnt bemerkenswerterweise mit einer ganz fichteschen Wendung: ,,Die Moralitat enthalt den Satz: schaue dich in deinem Handeln als freies Wesen an” (ebd. § 189). Die Problematik der ,,Anerkennung” fehlt jedoch in der ,,Enzyklopadie” der Propadeutik vollstandig. In der Heidelberger ,,Enzyklopidie” ist das Resultat der Herrschaft-

Knechtschaft-Dialektik nicht mehr der ,,allgemeine Wille”, sondern ,,das

allgemeine Selbstbewu8tsein” (EnzHd § 358), das offenbar kein inhaltliches Prinzip des Handelns ist. Die Heidelberger Enzyklopadie behandelt den ,,praktischen Geist” und damit auch den Willen zum ersten Mal

im Rahmen

einer speziellen

Philosophie

des

,,Geistes”,

die den

3. Abschnitt der ,,Philosophie des subjektiven Geistes” bildet. Der ,,all-

gemeine Wille” als Prinzip des ,,objektiven Geistes” ist jetzt nicht schon die Wahrheit des Herrschaft-Knechtschaft-Verhaltnisses, sondern die Wahrheit des Willens: ,,Der Geist in dieser Wahrheit seiner Selbstbestimmung, die sich als die reine Reflexion-in-sich der Zweck ist, ist so-

mit als allgemeiner, objectiver Wille, objectiver Geist iiberhaupt” (EnzHd

§ 399). Der Vernunftbegriff des ,,allgemeinen, objectiven Willens” definiert hier noch eindeutig den Begriff des ,,objectiven Geistes”; spater

tritt er zugunsten des Begriffs der Objektivierung im Sinne der Vergegenstandlichung zuriick, der als solcher keinen normativ-praktischen Gehalt mehr hat.

122 Die Jenaer Realphilosophie erwahnte die Moralitat zwischen dem Teil iiber den »wirklichen

Geist”

(JR 253, Géh 270).

und

der Durchfiihrung

384

der

Lehre

von

der

,Konstitution”

In der Rechtsphilosophie und der Berliner ,,Enzyklopadie” tritt dann der Begriff des allgemeinen Willens fast ganz zuriick. Dabei mag eine auSere Akkommodation an das gegenrevolutionare geistige Klima der Zeit eine Rolle gespielt haben **. Wichtiger ist jedoch, da& Hegel nun den Gehalt des verniinftigen Willens immer weniger aus der Theorie des Willens, der Ichidentitat und des praktischen Geistes als aus der theoretischen Philosophie, insbesondere der Logik, abzuleiten sucht. Die ausfiihrlichste Analyse des Willens seit der Jenaer Realphilosophie findet sich in den Paragraphen der ,,Einleitung” zu den ,,Grundlinien der Philosophie des Rechts” ™. Hegel beschreibt hier den Willen zunachst als eine Einheit von drei Bestimmungen. Die erste Bestimmung ist ,das Element der reinen Unbestimmtheit oder der reinen Reflexion des Ich in sich, in welcher jede Beschrankung, jeder durch die Natur, die Bediirfnisse, Begierden und Triebe unmittelbar vorhandener, oder, wodurch es sei, gegebener und bestimmter Inhalt aufgelést ist; die schrankenlose Unendlichkeit der absoluten Abstraktion oder Allgemeinheit, das reine Denken seiner selbst“ (Rph § 5). Hegel erlautert diese Seite des Willens in der Anmerkung als ,,diese absolute Méglichkeit von jeder Bestimmung, in der Ich mich finde, oder die Ich in mich gesetzt habe, abstrahieren zu kénnen, die Flucht aus allem

Inhalte als einer Schranke”. Und der Zusatz illustriert: ,Der Mensch

allein kann Alles fallenlassen, auch sein Leben: Er kann einen Selbst-

mord begehen: das Tier kann dieses nicht.” Demnach scheint es sich bei dem ersten Moment des Willens nicht um ein notwendiges Moment in der Struktur jeden Wollens, sondern um eine Méglichkeit des Wollens

zu handeln, also auch einen méglichen Inhalt neben anderen méglichen Inhalten. Ausgezeichnet ist dieser Inhalt allerdings dadurch, da8 er in jeder Situation Inhalt des Willens sein kann. Die Frage des Selbstmords kann man bei jeder méglichen Entscheidung stellen. Hegel spricht jedoch im § 5 der Rechtsphilosophie selbst von der ,,reinen Unbestimmtheit oder der reinen Reflexion des Ich in sich” bzw. der wschrankenlosen Unendlichkeit der absoluten Abstraktion oder Allgemeinheit, dem reinen Denken seiner selbst”, gar nicht als von einer Méglichkeit, sondern

Wirklichkeit. In ihr bzw. ihm kann nicht nur ,jeder

123 Die Geschichte dieser Akkommodationen hat Ilting (73) analysiert. Mégliche Veranderungen der Stellung Hegels zu Fichte und zur Moralitat in seinen verschiedenen Berliner Vorlesungen zur Rechtsphilosophie habe ich nicht unter-

sucht. 124 Eine griindliche Interpretation dieser Paragraphen sucht man in der Hegelliteratur vergeblich. Die einschlagigen Ausfithrungen von Liebrucks kann man sich sparen (B. Liebrucks, Recht, Moralitat und Sittlichkeit bei Hegel, in: Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, hrsg. v. M. Riedel, Bd. 2, Frankfurt ('75) S.13—51).

385

gegebene und bestimmte Inhalt aufgelist” werden, sondern er ,,ist” hier

aufgelist. ,,Die reine Unbestimmtheit oder die reine Reflexion des Ich in sich” bzw. ,das reine Denken seiner selbst” ist primar nichts anderes als die Struktur des ,,Ich“ selbst. Bei Hegel kommt dies im Text auch

dadurch zum Ausdruck, da8 der nachste Paragraph nicht direkt iiber den Willen, sondern iiber ,,Ich” spricht. Ausfithrlicher ist Hegels Primisse schon im Zusatz zum § 4 angesprochen: ,,Ich ist das Denken und ebenso das Allgemeine. Wenn ich Ich sage, so lasse ich darin jede Besonderheit fallen, den Charakter, das Naturell, die Kenntnisse,

das Alter. Ich ist

ganz leer, punktuell, einfach, aber tatig in dieser Einfachheit.” Das Faktum der ,,Auflésung” aller Bestimmungen ist also nach Hegel

einfach darin begriindet, da8 jedes Wollen die Form ,,Ich will” hat. Wenn sich die Pramisse von der konstitutiven ,reinen Unbestimmtheit” und 7Unendlichkeit” des Selbstbewuftseins begriinden lie8e, so ware damit auch begriindet, da8 ihre Realisierung in der ,,Flucht aus allem Inhalte

als einer Schranke” nicht nur eine stindige Méglichkeit darstellt, sondern in gewisser Weise stets schon Wirklichkeit ist, da8 also die ent-

sprechende Frage nicht nur gestellt werden kann, sondern stets schon

gestellt ist. Wir sind jedoch in der Auseinandersetzung mit Fichte zu dem

Ergebnis gekommen, da8 diese Idee von SelbstbewuStsein nicht hinrei-

chend begriindet ist (s. II, 1.2 u. 2.1). Hegel bezieht sich in der Anmerkung zum §6 in dieser Hinsicht jedoch wie selbstverstandlich positiv auf

Fichtes These vom ,,Ich als dem Unbegrenzten (im ersten Satz der Fich-

teschen Wissenschaftslehre)”. Im § 6 formuliert Hegel das zweite Moment des Willens: ,,Ebenso ist Ich das Ubergehen aus unterschiedsloser Unbestimmtheit zur Unterscheidung, Bestimmen und Setzen einer Bestimmtheit als eines Inhalts und Gegenstands. — Dieser Inhalt sei nun weiter als durch die Natur ge-

geben oder aus dem Begriffe des Geistes erzeugt. Durch dies Setzen sei-

ner selbst als eines bestimmten tritt Ich in das Dasein iiberhaupt; — das absolute Moment der Endlichkeit oder Besonderung des Ich.” Diese zweite Bestimmung scheint zundchst nur eine Trivialitat festzuhalten: wich will nicht blo&, sondern ich will etwas” (Rph § 6 Zus.). Hegel sagt aber nicht einfach, da8 das Wollen oder der Wille ,,Setzen

einer Bestimmtheit” ist, sondern da8 ,,Ich” das ist. Das kann man zu-

nachst so verstehen, da jedes selbstbewuSte Subjekt nicht umhin kann,

dauernd zu handeln, also auch sich zu etwas Bestimmtem zu entscheiden bzw. entschieden zu sein, also auch etwas Bestimmtes zu wollen. In

der Anmerkung wirft Hegel der Transzendentalphilosophie, insbesondere in ihrer Fichteschen Darstellung, vor, bei ihr sei ,,[ch als das Unbe-

grenzte (im ersten Satze der Fichteschen Wissenschaftslehre) ganz nur als Positives genommen, (so ist es die Allgemeinheit und Identitat des Verstandes) so da8 dieses abstrakte Ich fiir sich das Wahre sein soll, und 386

da& darum ferner die Beschrankung, — das Negative tiberhaupt, sei es als eine gegebene, auSere Schranke oder als eigene Tatigkeit des Ich — (im zweiten Satze) hinzukommt”. Hegel insistiert hier also darauf, da8 je-

des Ich immer ein bestimmtes Ich ist und dariiberhinaus auch notwendigerweise ein sich bestimmendes Ich.

Hegel sagt nun im § 6 nicht nur, daf ,Ich” ,,Setzen einer Bestimmtheit als eines Inhalts und Gegenstandes”, also Wollen von etwas Bestimmtem ist, sondern auch ,,Setzen seiner selbst als eines bestimmten”.

wich” ist qua Wollen ein Setzen seiner selbst als eines Bestimmten. Damit erreicht Hegel erst das spezifische Phanomen des Wollens, wie es von Fichtes Sittenlehre analysiert worden ist. Demnach ist Wollen eine Art von Streben, das spezifisch selbsthaft ist: In ihm legt sich das Subjekt des Strebens auf dieses fest, nimlich in der Weise der Entschlossenheit

(s. Il, 3.1) und des Rationalitatsanspruchs (s. II, 3.2; vgl. III, 5.1). Es fragt sich, ob Hegel mit der These der Selbstbeziehung des Wollens im Wollen von etwas Bestimmtem nicht bereits die dritte Bestimmung des Willens antizipiert: ,,Der Wille ist die Einheit dieser beiden Momente; — die in sich reflektierte und dadurch zur Allgemeinheit zuriickgefiihrte Besonderheit; — Einzelnheit; die Selbstbestimmung des Ich, in Einem, sich als das Negative seiner selbst, namlich als bestimmt, be-

schrénkt zu setzen und bei sich d. i. in seiner Identitit mit sich und Allgemeinheit zu bleiben, und in der Bestimmung sich nur mit sich selbst zusammenzusdchlie8en” (Rph § 7). Hegel erlautert diese Bestimmung zunachst als die jederzeitige Méglichkeit einer neuen Wahl (ebd.). Wenn die Freiheit der Wahl jedoch in diesen Paragraphen iiberhaupt ein zentraler Gegenstand ist, dann wohl schon bei der ersten Willensbestimmung, dem § 5, wo Hegel von der wabsoluten Méglichkeit” spricht, ,,von jeder Bestimmung, in der Ich mich finde, oder die Ich in mich gesetzt habe, abstrahieren zu kénnen” (Rph §5 Anm.). Damit ist dann zwar direkt nur die Méglichkeit behauptet, jede Wahl aufzuheben; aber mit der trivialen Méglichkeit zusammengenommen, iiberhaupt etwas zu wahlen (Rph § 6), impliziert dies auch die Méglichkeit, jederzeit neu zu wahlen. Hegel sagt in der Anmerkung zu § 7, die ersten beiden Bestimmungen des Willens

seien ,jedoch

nur Abstraktionen;

das Konkrete

und

Wahre (und alles Wahre ist konkret) ist die Allgemeinheit, welche zum Gegensatze das Besondere hat, das aber durch seine Reflexion in sich mit dem Allgemeinen ausgeglichen” ist. Hier ist nicht mehr von Méglichkeiten die Rede, sondern von dem, was der Wille als Einheit seiner

Momente

schon ist. Hegel fahrt fort: ,Diese Einheit ist die Einzeln-

heit [...] nach ihrem Begriffe [.. .] oder diese Einzelnheit ist eigentlich

nichts anderes als der Begriff selbst [. ..] Der Erweis und die nahere Erérterung dieses Innersten der Spekulation, der Unendlichkeit, als sich auf 387

sich beziehender Negativitat, dieses letzten Quellpunktes aller Tatigkeit, Lebens und BewuBtseins, gehdrt der Logik als der rein spekulativen Philosophie an“ (ebd.). Und Hegel warnt dann davor, den Willen als

ein Substrat zu denken, das vor einem Akt des Willens schon fertig da ist.

Die Legitimitat dieses Rekurses auf die Logik ist in diesem Zusammenhang jedoch zweifelhaft. Sollte Hegel meinen, da8 mit den Mitteln der Logik allein die Begriffe des Willens und seiner Freiheit definiert

werden kénnen, so ware das ein Irrtum. Die Mittel der Logik sind da-

fiir zu unspezifisch, ganz gleich, wie ,spekulativ’ sie angelegt ist. Der Rekurs auf die Logik ware jedoch vielleicht sinnvoll, wenn sich bei der Analyse des Willens herausstellen wiirde, da8 die dabei benutzten Begriffe zu Aporien fiihren. Eine solche Aporie hat Hegel jedoch nicht aufgewiesen. Und selbst wenn Hegel dies geleistet hatte, dann kénnte die logische Analyse nur den Sinn haben, bessere begriffliche Mittel fiir eine erneute Phanomenanalyse bereitzustellen. Es scheint auch keineswegs zwingend, Hegels Polemik gegen das iibliche Reden (§ 7 Anm.) und das ,,Vorstellen” (§ 4 Zus.) so zu verstehen, da8 es Hegel gar nicht mehr eigentlich um Phinomene des Wollens geht, sondern nur um eine damit isomorphe Struktur. Hegel gibt zwar vor den Paragraphen iiber die drei Willensbestimmungen einen kurzen Abri8 seiner ,,Psychologie” und beschlie8t sie mit dem abwertenden Satz: ,In Ansehung der in diesem und in den folgenden Paragraphen der Einleitung angegebenen Momente des Begriffes des Willens [...] kann sich iibrigens zum Behuf des Vorstellens auf das SelbstbewuBtsein eines jeden berufen werden” (§ 4 Zus.). Hegel konkretisiert dies jedoch so: ,,Jeder wird zundchst in sich finden, von Allem, was es sei, abstrahieren zu

kénnen und ebenso sich selbst bestimmen, jeden Inhalt durch sich selbst

in sich setzen zu kénnen, und ebenso

fiir die weiteren Bestimmungen

das Beispiel in seinem SelbstbewuStsein haben” (ebd.). Hegel erklart hier also die Orientierung der Willenstheorie an den Méglichkeiten des

Willens fiir eine bloSe Vorstellungshilfe, jedoch nicht die Orientierung

an dem generellen Phanomen des Wollens von individuellen Subjekten.

Die Struktur des Willens, ,,bei sich d. i. in seiner Identitat mit sich und

Allgemeinheit zu bleiben, und in der Bestimmung sich nur mit sich selbst zusammenzuschlieRen” (Rph § 7), ist auch durchaus ohne Rekurs auf

die ,,Logik” interpretierbar. Wie bereits erwahnt, kann man darin zu-

nachst die spezifische Selbstbeziehung im Wollen qua Entschlossenheit finden. Hegel meint aber sicher mehr. Im Zusatz zu § 7 charakterisiert er das dritte Moment des Ichs qua Wille so, ,da8 es in seiner Beschrinkung, in diesem Anderen bei sich selbst sei, da8 indem es sich bestimmt,

es immer bei sich selbst bleibe und nicht aufhére das Allgemeine festzuhalten: dieses ist dann der konkrete Begriff der Freiheit.” Fiir den Be388

griff des ,,Allgemeinen” bieten sich hier zwei Deutungsmiglichkeiten an: Unbestimmtheit als Ungebundenheit und Begriindetheit. Hegel sagt am Ende des Zusatzes zu § 7: ,,Die Freiheit liegt also weder in der Unbestimmtheit, noch in der Bestimmtheit, sondern sie ist Beides [.. .] der Wille ist aber nicht an ein Beschranktes gebunden, sondern

mu8 weitergehen, denn die Natur des Willens ist nicht diese Einseitigkeit und Gebundenheit, sondern die Freiheit ist ein Bestimmtes zu wollen, aber in dieser Bestimmtheit bei sich zu sein, und wieder in das Allgemeine zuriickzukehren.” Freiheit besteht demnach darin, in der Ent-

schlossenheit und im Engagement dennoch nicht an das Gewollte und den Entschlu8 fixiert zu sein. Das impliziert nicht nur die Fahigkeit, seinen Willen jederzeit zu andern, sondern auch eine spezifische Einstellung im Wollen und Handeln, die man als inneren Abstand oder Gelassenheit

umschreiben kénnte.

Damit ware allerdings die Struktur von freiem Wollen noch nicht spezifisch genug umschrieben. Hegel geht es ja auch nicht nur darum, da& man im Anderssein des Engagements auch noch bei sich bleibt, sondern um ein Beisichsein im Anderssein selbst. Die innere Distanz zu dem Gewollten ist nur frei und rational, wenn sie in dem BewuStsein fundiert

ist, da8 fiir das bestimmte Engagement jeweils Griinde sprechen, die bei einer Verinderung der Umstinde oder des Wissens immer iiberholt sein kénnen. Nur aus der Beziehung auf Griinde ist auch hinreichend verstandlich, da8 Hegel dasjenige, bei dem das Beisichsein bleiben soll, als das ,,Allgemeine” bezeichnet. Fiir den Willen ware demnach konstitutiv ein Anspruch auf Rationalitat; und frei ware der Wille in einem nicht nur formalen Sinne dann, wenn er will auf der Basis des Wissens von

den richtigen Griinden. Es fragt sich dann, was nach Hegel die richtigen Griinde fiirs Wollen sind. Hegel erlautert seinen ,,konkreten Begriff der Freiheit” im Zusatz zum §7 so: ,,Diese Freiheit haben wir aber schon in der Form der Empfin-

dung, z. B. in der Freundschaft und Liebe. Hier ist man nicht einseitig in sich, sondern man beschrinkt sich gern in Beziehung auf ein Anderes, wei8 sich aber in dieser Beschrankung, als sich selbst. In der Bestimmtheit soll sich der Mensch nicht bestimmt fiihlen, sondern indem man das Andere als Anderes betrachtet, hat man darin erst sein Selbstgefiihl.”

Mit ,,Bestimmtheit” ist hier offenbar nicht eine beliebige Bestimmtheit gemeint, sondern die Beschrankung durch andere Personen. Fiir Freiheit ist also nach Hegel spezifisch, da8 man sich mit anderen identifiziert und darin sein Selbstgefiihl hat. Hegel konstatiert nicht nur, da& man sich in der Identifikation mit anderen als sich selbst wei8 oder wissen kann, sondern er sagt, da8 ,,man darin erst sein Selbstgefiihl hat”. Emotionale

Ichidentitat ist nach Hegel also nur durch die Identifikation mit anderen miglich.

389

Damit wird deutlich, da8 die Willensanalyse der Einleitung zur Rechts-

philosophie darauf zielt, praktische Transsubjektivitat, sei es in der Form von Liebe, Freundschaft, Recht oder Moral, als notwendige Bedingungen von Ichidentitat zu begriinden. Hegel benutzt sogar geradezu diesen Be-

griff in seiner These, da8 die Einheit der Willensmomente darin besteht, in seiner Bestimmtheit ,,bei sich d. i. in seiner Identitadt mit sich und All-

gemeinheit zu bleiben”. Hegel spricht an der zitierten Stelle des Zusatzes zwar hauptsachlich vom ,,Selbstgefiihl”. Aber dies liegt nicht nur daran, da er die Freiheit ,,in der Form der Empfindung” als Illustration gewahlt hat; vielmehr hat Ichidentitdt immer ein emotionales Fundament (s. IL, 4.1). Hegel spricht im Zusatz auch davon, da man sich im anderen nals sich selbst wei8”. Die Phinomene von Liebe und Freundschaft werden von Hegel als Beispiele transsubjektiver und als Analoga moralisch-rechtlicher Beziehungen angefiihrt. In diese Richtung weist natiirlich auch schon der Begriff der ,,Allgemeinheit’, der nicht nur auf die Allgemeinheit von Griinden iiberhaupt, sondern insbesondere auf die spezifische Allgemein-

heit des (Kantischen) Moralprinzips verweist, namlich auf die Begriindung hinsichtlich der Méglichkeit allgemeiner Gesetzgebung, und d. h. letzten Endes hinsichtlich der Interessen auch aller anderen (s. I., 1.5). Aus den Paragraphen 5 bis 7 der Einleitung zur Rechtsphilosophie 1a8t sich also die Annahme begriinden, da auch der Berliner Hegel noch die Formen des Rechts, der Moral und der Sittlichkeit als Bedingungen von qualitativer Ichidentitat versteht. Diese Konzeption ist hier allerdings ziemlich versteckt artikuliert und wohl nur aus der Perspektive der Jenaer Schriften erkennbar; eine Begriindung sucht man hier erst recht

vergeblich.

Jedenfalls gibt Hegel in den folgenden

Paragraphen

nur

einerseits eine breite Schilderung von Momenten des Willens und an-

dererseits einen Abri8 der logischen Bestimmungen des ,,Subjektiven”

und

,,Objektiven”,

des

,,Allgemeinen”

und

,,Besonderen”

usw.,

mit

denen die spezifischen Phanomene des Willens und der praktischen Ichidentitat nicht erreicht werden. Diese Paragraphen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht analysiert wer-

den kénnen, fiihren schlieBlich auf folgende bekannte These: ,,Der ab-

strakte Begriff der Idee des Willens ist tiberhaupt der freie Wille, der den freien Willen will” (Rph § 27). Dies scheint nicht nur eine Bestimmung

7des abstrakten Begriffs der Idee des Willens” zu sein, sondern auch des

»wahrhaften Willens”. So heift es schon im § 21 vom Willen: ,,Indem er die Allgemeinheit, sich selbst als die unendliche Form zu seinem Inhalte, Gegenstande und Zweck hat, ist er nicht nur der an sich, sondern

ebenso der fiir sich freie Wille — die wahrhafte Idee” (vgl. auch § 21 Anm. u. Zus. u. §§ 22 u. 23). Indem Hegel den ,,wahrhaften Willen” als widee” charakterisiert, scheint er endgiiltig die Ebene des Wollens von

390

Individuen zu verlassen. Soweit Hegel dies tut, wird jedoch nicht nur ratselhaft, wie er seine Behauptungen noch begriinden will, sondern auch, woriiber er eigentlich spricht. Jedenfalls 1a&t sich der Idee des sich selbst wollenden Willens gerade

beziiglich des individuellen Subjekts ein relevanter Sinn abgewinnen. In ihr lassen sich bei einiger analytischer Anstrengung alle die Momente wiederfinden, die Hegel in seiner Jenaer Willenstheorie entwickelt hatte ‘*. Da8 der Wille seine eigene Form der Allgemeinheit zum Inhalt hat, ist zunachst mindestens ein Aspekt von Kants Autonomiebegriff. Demnach ist der Wille genau dann frei, wenn er verniinftigerweise wollen kann, da alle anderen ebenso, d. h. nach demselben Prinzip, wollen,

oder wenn er die Freiheit aller Willen will. Damit ist jedoch das Spezifische von Hegels Formel noch nicht erreicht. Da& der Wille den Willen will, besagt nicht so sehr, da8 er etwas beziiglich des Willens anderer will, sondern zunachst und vor allem, da8

er sich auf sich selbst bezieht: Mein Wille, mein Ich oder meine Freiheit wollen als solche sich selbst (s. Rph § 21-23). Damit kann folgendes gemeint sein: 1. Ich will wollen. 2. Ich will ich selbst sein. 3. Ich will frei sein. Der letzte Satz bezeichnet offenbar die unspezifische und unproblematische Voraussetzung der ganzen Argumentation. Da Hegel die Prinzipien der Freiheit hier nicht als praktische Normen, sondern als Zwecke

des Wollens formuliert, mu8

er den Willen zur Freiheit oder

praktischen Vernunft voraussetzen, um Prinzipien der Freiheit zu begriinden. Satz 1. ist in der angegebenen Form paradox. Ich kann nicht beziiglich

eines bestimmten Sachverhalts wollen, ihn zu wollen, weil das Wollen

des Sachverhalts voraussetzt, da8 ich glaube, hinreichende Griinde dafiir

zu haben; es ist jedoch schon unméglich, glauben zu wollen, hinreichende Griinde zu haben.

Ich kann jedoch auch nicht wollen, nur irgendetwas

dann zunichst, da

ich so handeln will, da8 ich damit nicht die Bedin-

wollen zu kénnen, denn dann wiirde ich ja bereits etwas wollen, obwohl ich laut Voraussetzung noch nicht wollen kann. Satz 1. 1a8t sich aber in einer nichtparadoxen Weise lesen. Er besagt gung dafiir zerstére, iiberhaupt noch wollen zu kénnen. Voraussetzung 125

M. Baum kommt in seinem Aufsatz ,Gemeinwohl und allgemeiner Wille in Hegels Rechtsphilosophie” (in: Kant-Studien Bd. 60 (’78) Heft 2) zu dem erniichternden Ergebnis, da8 das Sich-selbst-Wollen des Willens lediglich besage,

da8 man dann, wenn man etwas will, will, da8 das Gewollte Wirklichkeit wird.

Baum merkt bei der Betrachtung der Paragraphen 5—7 der ,,Rechtsphilosophie” an, da& Hegel hier von Fichtes Wissenschaftslehre abhangig ist; er scheint dies jedoch sachlich nicht fiir entscheidend zu halten, wie aus seiner Bemerkung entnommen werden mu8&, da8 darauf ,hier nicht eingegangen” werden kann (ebd.

S. 179).

391

dafiir, etwas wollen zu kénnen, ist nun, da8 es mir sinnvoll erscheint, dies zu tun. Da ein soziales Leben, wie Hegel mit Recht voraussetzt, nur

im Kontext von intersubjektiver Anerkennung, insbesondere der Anerkennung von Rechten und Pflichten, als sinnvoll erlebt wird (vgl. IL, 4.1), kann man den Willen nach einem Wollen im sozialen Zusammenhang nur realisieren, wenn man zur Anerkennung anderer bereit ist.

Das Bewu8tsein der Sinnlosigkeit eigenen Handelns im Kontext zerstérter Anerkennung kann man freilich dadurch beruhigen, da8 man sich

die Reichweite verdeckt, die die Zerstérung einer einzelnen Anerken-

nungsbeziehung implizit hat: Sie betrifft implizit alle weiteren sozialen Beziehungen. Dem stiinde jedoch Satz 2. entgegen, der den Willen formuliert,

ein

konsistentes

Selbstverstindnis

und

in diesem

Sinne

ein

Selbst oder eine Ichidentitat zu besitzen. Dasselbe 1a8t sich auch schon aus einer weiteren Deutung von Satz 1. folgern, derzufolge die Selbstbeziehung des Willens besagen wiirde, das explizit zu wollen, was in jedem Wollen immer schon beansprucht ist: die Rationalitat des Gewollten (vgl. II, 3.2). Aus beidem 1a8t sich auch folgern, da8 ein sich selbst wollender Wille in einem faktischen System der Anerkennung immer auch an obersten normativ-praktischen Prinzipien ausgerichtet ist. Hegels These iiber den freien Willen la8t sich also als Ansatz einer Begriindung hichster normativer Prinzipien, insbesondere des Moralprinzips, rekonstruieren. Dariiber hinaus will sie sicher auch Hegels spezifische Idee von Sittlichkeit umschreiben. Demnach geht es bei dem Wollen des Willens anderer nicht nur kantianisch darum, ihr Recht auf gleiches Wollen, gleiche Freiheit und Selbstverwirklichung zu wollen, sondern tendenziell auch darum, ihr besonderes Wollen zu wollen, d.h. sich

mit diesem Wollen zu identifizieren und solche Institutionen zu wollen, die eine spezifisch sittliche Beziehung auf das besondere Wollen der anderen ermdglicht. Die spezifisch sittliche Beziehung auf den Willen anderer und die adaquate praktische Selbstbeziehung denkt Hegel dabei in notwendiger Verkniipfung: Erst in der sittlidhen Beziehung auf andere gewinnt das Individuum ,,sein Selbstgefiihl” (Rph § 7 Zus., vgl. § 147), seine emotionale Identitat, die das Fundament jeder Ichidentitit ist.

In der Willenstheorie der Einleitung zur Berliner Rechtsphilosophie sind also alle Momente von Hegels Grundlegung einer Theorie der Sittlichkeit nachweisbar. Allerdings ist der spezifisch sittliche Aspekt von Hegels praktischer Philosophie dort so wenig sichtbar, da z. B. Riedel zu der Uberzeugung gekommen ist, da8 Hegels Entwicklung seit der Jenaer Realphilosophie auf den Rechts- und Personenbegriff der Transzendentalphilosophie zuriickfiihrt (Riedel (’6g) 61 ff.). Weiterhin ist nur

noch schwer erkennbar, da& die Willenstheorie auch einen Ansatz zur Begriindung einer autonomen Moralitat im Sinne Kants und Fichtes ent-

halt. SchlieBlich scheint sich die spezifisch Fichtesche Problematik des 392

notwendigen Zusammenhangs von Anerkennung und Ichidentitat durch die Zuriickfiihrung auf die Bestimmungen des theoretischen Geistes einerseits, auf logische Kategorien andererseits tendenziell aufzulésen. Einen letzten Schritt in diese fatale Richtung kann man in der Exposition des Begriffs des freien Willens in der Berliner Enzyklopadie erkennen. Hegel fiigt hier zu der Einteilung der ,,Psychologie” in der Heidelberger Enzyklopidie in ,,a. Der theoretische Geist” und ,b. Der prakti-

sche Geist” noch ,,c. Der freie Geist” hinzu. Der freie Wille wird jetzt,

wie in der Heidelberger Enzyklopadie der objektive Geist (EnzHd § 400),

als ,,die Einheit

des

theoretischen

und

praktischen

Geistes”

definiert

(EnzB* § 481). Da die Entwicklung des ,,praktischen Geistes” schon in

dem so betitelten Abschnitt abgeschlossen ist, ist jetzt nicht mehr die be-

wuB8te Aneignung der rationalen Implikationen des Willens selbst thematisch, sondern eine Bestimmung des praktischen Geistes durch die Gehalte des theoretischen BewuStseins. Prinzip der Theorie des wirklichen Geistes ist deshalb nicht mehr wie in der Jenaer Realphilosophie das spezifisch praktische Wissen des Wollenden von sich, sondern das theo-

retische Wissen von der Welt, einschlie8lich der eigenen Objektivationen ™., Damit lést sich bei Hegel tendenziell die spezifische Problematik der praktischen Philosophie auf.

126

In diesem Sinne hat Horstmann Ppidische Psychologie wesentlich Anm. I, 7).

(’79) mit seiner These recht, da8 die enzyklodie des theoretischen Geistes ist (vgl. jedoch

393

Bibliographischer Anhang 1. Zitierweise Im Folgenden ist die in dieser Arbeit angefiihrte Literatur verzeichnet. Die Primartexte von Kant bis Hegel werden meist mit Abkiirzungen zitiert,

die im Folgenden chronologisch nach Autoren aufgefiihrt sind. Rémische

Ziffern geben Bandzahlen bzw. Abteilungen an, arabische Ziffern normalerweise, auch ohne ,5S.”, Seitenzahlen.

Im laufenden Text wird die weitere Literatur durch den Namen des

Autors, die Jahreszahl in Klammern, falls mehrere Arbeiten desselben

Autors zitiert sind, und die Seitenzahl (ohne ,,S.”) angegeben. Das Literaturverzeichnis ist entsprechend — im Rahmen der alphabetischen Gliederung nach Autoren — nach Jahreszahlen geordnet. Dariiberhinaus wird

jeder Titel, wenn er in einem der drei Teile bzw. der Einfithrung zuerst zitiert wird, in der Anmerkung ohne Abkiirzung angefiihrt. Die Jahres-

zahl hinter dem Namen des Autors verweist dann, wenn nach dem Titel noch eine Jahreszahl folgt, auf eine Erstauflage, aus der ich nicht zitiere.

Bei nicht weiter gekennzeichneten Verweisen bezeichnen rémische Ziffern die Teile und arabische Ziffern die Kapitel und Abschnitte dieser Arbeit. Nicht naher gekennzeichnete Verweise auf Anmerkungen be-

ziehen sich auf Anmerkungen

dieser Arbeit; bei Verweisen auf Anmer-

kungen zu einem anderen Teil dieser Arbeit steht vor der Anmerkungs-

ziffer die entsprechende rémische Ziffer bzw. ,,Einf.”

Ich zitiere Hegel normalerweise nach der Theorie-Werkausgabe bei Suhrkamp und dem von Gohler herausgegebenen Reader bei Ullstein. Texte dieses Readers und einige weitere Schriften Hegels belege ich zusatzlich nach den 4lteren Editionen von Nohl, Lasson und Hoffmeister bzw. den neuen kritischen ,,Gesammelten Werken”. Bei Werken, die ich

nur nach Paragraphen zitiere, habe ich auch andere Ausgaben benutzt. Auch einige Schriften von Fichte belege ich gleichzeitig nach zwei Editionen.

Die

Schreibweise

ist nur

dort z.T.

modernisiert,

wo

dies in

neueren Ausgaben iiblich ist, insbes. bei Hegels ,,Rechtsphilosophie”.

2. Primartexte und Abkiirzungen Kant W

= Werke in sechs Banden, hrsg. v. W. Weischedel, Darm-

stadt 1963 (als Theorie-Werkausgabe in zwélf Banden bei Suhrkamp nachgedruckt, Frankfurt 1968) 394

Texte zur Moralphilosophie aus Kants handschriftlidhhem Nachlaf, in: Materialien zu Kants Kritik der praktischen Vernunft, hrsg. v. R. Bittner/ K. Cramer, Frankfurt 1975, S. 33—136 Vorlesung § = Eine Vorlesung Kants iiber Ethik, hrsg. v. P. Menzer, Berlin 1924 KrV

= Kritik der reinen Vernunft, in: W II

Gemeinspruch = Uber den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht fiir die Praxis, in: W VI; GMS KpV KU

Rel MS

Jacobi

Jacobi

zitiert nach: Kant—Gentz—Rehberg, Uber Theorie und Praxis. Frankfurt 1967

= Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: WIV = Kritik der praktischen Vernunft, in: WIV = Kritik der Urteilskraft, in: W V

= Die Religion innerhalb der Grenzen der bloSen Vernunft, in: WIV = Die Metaphysik der Sitten, in: WIV

= Uber die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn

Moses Mendelssohn, in: Die Hauptschriften zum Pan-

theismusstreit zwischen Jacobi und Mendelssohn, hrsg.

v. H. Scholz, Berlin 1916

Schiller AuW aE

= Uber

Anmut

Schriften,

und

Zweiter

Wiirde, Teil,

in: Schiller, Theoretische

dtv-Gesamtausgabe

Bd. 18,

Miinchen 1966 = Uber die asthetische Erziehung des Menschen. In einer Reihe von Briefen, Stuttgart 1973

Fichte AW

= Ausgewiahlte Werke in sechs Banden, hrsg. v. F. Medi-

GA

= Gesamtausgabe

cus, Darmstadt 1962

der Bayerischen Akademie

schenschaften, hrsg. v. R. Lauth

gart-Bad

Cannstatt

der Wis-

und H. Jacob, Stutt-

1964 ff. (die Abteilungen

haben

rémische, die Bande arabische Ziffern, die Seitenzahlen

Beitrag BG

folgen nach dem Querstrich) = Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums iiber die franzdsische Revolution,

in: Fichte, Schriften zur

Revolution, hrsg. v. B. Willms, Kéln—Opladen 1967 = Bestimmung des Gelehrten (1794), in AW I 395

GWI GE

= Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, in: AWI = Grundri& des Eigentiimlichen der Wissenschaftslehre in

Nr

= Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wis-

1. Einl.

= Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre (zuerst er-

2. Einl. VnD Mei

Riicksicht auf das theoretische Vermégen, in: AWI senschaftslehre, in: AW II

schienen unter dem Titel: Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, Erste Abteilung), in: AW III; zitiert nach: Mei = Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre fiir Leser, die schon ein philosophisches System haben, in:

AW III; zitiert nach: Mei

= Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschafts-

lehre. Fortsetzung (Erstes Kapitel), in: AW III; zitiert nach: Mei

= Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre. Vorerinnerung, Erste und Zweite Einleitung, Erstes Kapitel, hrsg. v. P. Baumanns, Felix Meiner Ver-

lag Hamburg 1975; auch belegt nach: 1. Einl., 2. Einl., Sl SN

VnD

= Das System

der Sittenlehre nach den Prinzipien der

Wissenschaftslehre, in: AW II

= Schriften aus dem Nachla8 1790—1800, hrsg. v. H. Jacob, Berlin 1937

Hélderlin Samtliche Werke und Briefe, 2 Bde, Hanser Verlag Miinchen 1970 Schelling Schelling

= System

des

transzendentalen

Idealismus,

Hamburg

1957

Hegel Werke GW

= Werke in zwanzig Banden, Theorie-Werkausgabe, hrsg. v. E. Moldenhauer und K. M. Michel, Frankfurt

1970

= Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hrsg. v. d. Rheinisch-Westfalischhen

Goh

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der

Wissenschaften,

Hamburg

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bzw. zitiert nach: SdS, PhilG, JR = Briefe von und an Hegel, hrsg. v. J. Hoffmeister, Bd. 1,

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Tiibingen 1907; zitiert nach: FrSchr = Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie, in: Werke II; zitiert nach: Mei

GuWw

= Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie. Unveranderter Abdruck der Ausgabe von G. Lasson, Hamburg 1962; auch belegt nach: D = Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie

der Subjektivitit in der Vollstaindigkeit ihrer Formen als Kantische, Jacobische und

Nat

in: Werke II

Fichtesche

Philosophie,

= Uber die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts,

seine Stelle in der praktischen

Philosophie

und sein Verhiltnis zu den positiven Rechtswissen-

SdS

schaften, in: Werke II = System der Sittlichkeit,

PhilG

= Philosophie des Geistes, in: GW VI., Jenaer System-

JL

burg 1975; zitiert nach: Goh = Jenenser Logik, Metaphysik

Ph Prop 1, IL, Wl

Abdruck

der

Ausgabe von G. Lasson, Hamburg 1967; auch belegt nach: Géh

entwiirfe I., hrsg. v. K. Diising u. H. Kimmerle, HamUnveranderter

JR

Unverinderter

Abdruck

Hamburg 1967 = Jenaer Realphilosophie.

der

und

Naturphilosophie.

Ausgabe

v.

Unveranderter

G. Lasson,

Abdruck

der

Ausgabe von J. Hoffmeister unter dem Titel ,,Jenenser

Realphilosophie II”, Hamburg 1967; zitiert nach: Goh

= Phanomenologie des Geistes, Werke III

= Philosophische

Propadeutik.

Erster

Kursus.

Unter-

klasse. Rechts-, Pflichten- und Religionslehre. Zweiter Kursus. Mittelklasse. Phanomenologie des Geistes und Logik. Dritter Kursus. Oberklasse. Begriffslehre und philosophische Enzyklopidie (paragraphenweise zitiert nach dem Text der Studienausgabe in 3 Bdn., ausgewahlt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen 397

LLU

EnzHd Ilt Rph

von K. Léwith u. M. Riedel, Bd. III., Frankfurt 1968) Erl. = Erlauterung

= Wissenschaft der Logik, 2 Bde. Unveranderter Abdruck

der Ausgabe von G. Lasson, Hamburg 1951 = Enzyklopidie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, Heidelberg 1817 (paragraphenweise zitiert nach dem Text der Studienausgabe, vgl. Prop). = Vorlesungen iiber Rechtsphilosophie. 1818—1831. Edition und Kommentar in sechs Banden v. K.-H. Ilting, Bd. L., Stuttgart-Bad Cannstatt 1973 = Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse (paragraphenweise zitiert nach dem Text der Studienausgabe, Bd. II, vgl. Prop) Anm. = Anmerkung Zus.

EnzB*

GeschdPh III

= Zusatz

Randb. = Randbemerkung (zitiert nach der Edition von Hoffmeister, Meiner 1955) = Enzyklopidie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, Berlin 1830, 2. Aufl. (paragraphenweise zitiert nach der Ausgabe von F. Nicolin und O. Péggeler, Hamburg 1959)

= Vorlesungen

iiber die

Bd. III, Werke XX.

Geschichte

der

Philosophie,

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Register Kursiv gesetzte Zahlen beziehen sich im Folgenden auf Seitenzahlen von Anmerkungen. Bei Verweisen auf fortlaufende Seiten entfallen Verweise auf dazwischen liegende Anmerkungen bzw. Stellen im Haupttext.

1. Personenregister Abraham 2g9 f., 376

Camus 363 Castafieda 225, 226 f. Chisholm 116, 135,138, 138, 140,

Anscombe 212, 213, 226 Antigone 366

Claesges 222 Cramer 330, 372

Adorno 15,15, 33—34, 106 Agamemnon 318 Aischylos 191, 192, 318 f. Apollon 318,320 Aristoteles 251, 303, 312 Athene 318 f. Austin

116, 137

Baggesen 224 Baier 143 Baum 391 Baumanns 215, 222, 242 f., 247, 270, 271 Baumeister 180 f., 185, 297 Baumgarten 133 Beck 200 Becker 204, 216, 288, 289, 332 Bergson 57 Bertaux 134

Bitsch 95

Bittner 56

Blasche 74, 75

Bloch 32—33

Béhme 354 Bonsiepen

214, 214, 223, 226—27

Danaos

299

Derbolav 14 Descartes 204, 224,240, 288 Dewey 57 Dilthey 179—80

Dooren, van

32, 43

Diising 157, 287, 310, 343 f.

Ebbinghaus 46, 57, 65,78 Ebert 60 Eisenberg 132 Empedokles 307 Erinnyen 191, 318 f. Eumeniden s. Erinnyen Feinberg 135 Fetscher 291, 291 Fichte 9, 11,12, 20-23, 143, 146, 159, 163, 169, 172 f., 179 f.,

185, 189, 194, 195—283, 287— 311, 313, 316, 321—22, 325—26,

307 f., 310

330, 334 £., 337, 339, 339 341-44, 346-52, 356-58,

Brandt 48, 50, 54,136, 147—49 Braun 271

Brentano 57, 63, 63 Busse 36, 36

370-74, 376, 37880, 382 f., 385, 387, 391, 392

409

Fleischmann 39 f., 40, 101 Flickinger 106 Frankena 61 Freud 122

Herbart 218, 218 Hirsch 368 Hitler 136 Hobbes 118, 127, 178, 258, 270,

Gehlen 254

Hoffe 46

Fulda

Gert

Girndt

380, 381

165

271, 288

2771 313, 317, 322, 324, 325 F.,

337, 340—42, 358 F.

Hélderlin

192—93, 293, 296—98, 303, 307,

Gohler 344, 344 f., 352 Gérland

Gram

Gregor

287, 288

62 f.,73

78,128

Grice 83 f.,124,135,142—44 Gurvitsch 269 f.,

Habermas 9, 20, 20, 34, 34, 110 f., 151,172, 260—61, 288, 326—29,

334-36, 344 f.

Haering

291, 291, 293, 293

353

Hoerster

77,78, 112

Horstmann

331, 343 £., 370, 393

Ilting 9, 14, 16, 29-30, 43, 127, 178, 312, 312, 371, 385

Harman 136, 149,151, 154 Harris 180 Harrison 48, 50,53 f., 66,73 Hart 252 Hartmann 57 Hegel, G. W. F. 9-194, 241—43,

James

267, 269, 270, 283, 287—393

Hegel, H. 293 Heidegger

263, 316

205, 229, 250 f., 254,

Jacobi 294, 308, 347—48, 375

Jacobs 269 Jesus

150, 181—83, 186, 193 f.,

Jones

82,178

294, 296

Kadmos 299 Kambartel 127 Kant 11, 12—19, 27-35, 38—43, 44—96, 103, 111—13, 115, 118,

124-34, 139, 142 f., 147,149,

153—63, 165—68, 170, 173—81, 183—87, 189, 191, 197—201,

214, 219, 223, 223, 225, 236, 244,255, 257-58, 267-68,

93, 119, 124, 156, 160, 165—67,

287, 288, 290, 290, 292, 294—95,

298, 299, 309, 311, 330, 334, 356—59, 366, 368, 371, 380,

180, 180, 185, 193, 197—200,

207—11, 214—19, 221 f., 227,

232 f..247, 249, 289, 289, 293,

226

Janke 214 f., 222, 247

Heidelberger 227 Heimsoeth 39, 39, 271 Heller 38 Hemsterhuis 300 Henrich 9, 10, 19, 27, 40—43, 67,

294, 296, 296, 328

30 f., 290—91, 329,

Hume 154 Hunter 271

Isaak 299

38, 122,122, 258

51, 52, 61, 69, 71, 72, 73,

Hoffmeister 344 f.

Haezrahi 178 Hamlet 192 Hampshire 252 Hare

41, 180, 185, 187, 189,

390-92

Kemp 410

65

Kierkegaard 170, 170, 205

Kimmerle

290, 329—31, 370

Klytaimnestra 318

Orest 161, 191 f., 318, 320 Ottmann 38, 308

Knox 39, 39

Kohlberg 151,151 Kohlhaas 161 Kohut 240, 264

Kojéve 20, 20, 354, 363 Kondylis 180, 300 Kroner

Krumpel

34 f., 35, 288

33

180, 288, 352, 352

Lypp 34

Marquard

352

209, 215, 118—21, 229,

Rawls 79, 83 f.,259

Reiner 145,147,159

Reinhold 207, 230, 298 Richards 83, 135,138, 138 Riedel

16, 18, 106, 127, 288,

Ritter

14, 15, 27-28,

290—91, 312, 312, 326, 343, 3431 3521 3521 3570 3701 392

121, 193

14, 14, 28—29, 33, 35

40, 106, 152, 152, 328, 352,

Mead 20, 259, 262, 263, 272, 272, 328, 328

38, 253, 303, 316

Quine 50

240, 264

Maria Magdalena Marx

Piaget 151,151

235

74, 172

31, 32

Rosenzweig

87

Miller 240, 264

Saint-Just

161, 319

Miller 226 Murphy 129

Nagel 234 f. Nimrod 300 Noah 300, 376

22, 27, 36—38, 43,

164, 291, 291, 343, 384

Ross

Royce

Moor

29, 35, 288

Rohrmoser 308, 310, 311 Rorty 50,148 Rosenkranz 35 f., 36, 289 f., 312

Meinecke 38 f. Meinong 140

Mill 57,139,139

180, 180, 191

Prior 226

Lukacs 14, 31-33, 35, 106, 180,

Marcuse

89

Peperzak

Pothast

Liebrucks 385 Locke 101, 329, 359

Mahler

87, 93, 128, 197

Patzig

Platon

348

Lorenzen

Paton 41, 41, 56, 65, 67, 78, 78,

Poéggeler 180, 288, 289, 370

Laing 240, 264 Landau 101 Lasson 36, 36 Lauth 271 Leibniz

Nohl 295 Nusser 344

Rousseau 126, 291, 352 259

134

Schelling 189, 201, 289 f., 293, 303, 307, 308, 321, 321, 353 Schiller 15, 18, 40, 85, 86, 94, 96, 153, 157—62, 170, 176, 185, 187, 187, 293, 368—69

Schmitz 9, 23, 23, 112, 122, 123, 141, 148, 169, 171, 205, 209, 411

213—14, 217-19, 230, 233-35, 237-39, 238 f., 243, 265, 265,

289, 298, 303, 308—09, 344, 373

Schottky 270

Schwarz, E. 140

Schwarz, J. 297

Taylor 110 Theunissen

Trott zu Solz 38—39 Tugendhat 10, 23, 23, 198, 204, 205, 209, 211, 214, 216, 218,

Schwemmer 74, 75, 82,172 Shoemaker 226, 232—33

226, 228, 229, 233, 240, 249, 251, 256, 262—64, 289, 316,

Sidgwick 72,75 Siep 21 f., 75,111, 287, 290, 290,

313, 322—26, 325—26, 337, 358,

370, 377

Sinclair 293

Singer 13, 46, 46, 49, 50, 52, 54, 540 56, 571 571 58 fur 61, 63, 72,

771771 791 791 1431 147 f.1 165, 258

Sokrates 38 f., 263 Spinoza 303, 312 Steffens

328, 332

Urmson

135,138

Verweyen

271,277

Wallenstein 159, 192, 319

Walsh 40, 40, 47

Weischedel 250—51, 254, 259, 271

Wiehl 290

203, 206

Wilde 46, 50, 53, 54.56

Steinvorth 55 f. Stevenson 137 Stimer 40 Storr 294 Strau8 324 Strawson

9,10, 38, 164, 262,

288,371

Williams

147,170—71

Willms 288 Wimmer 70, 71, 79, 82, 130, 171 Winterhager 215 Wittgenstein 226, 232

226, 232

2. Sachregister BloBe Wiederholungen sowie Vor- und Riickverweise sind nicht aufgenommen. Kursive Zahlen sind Seitenzahlen von Anmerkungen (vgl. die Vorbemerkung auf S. 409). Absicht 232 altruistische A. 141 Absolute, das negativ (bei Hegel) 307, 314

Standpunkt des A. (bei Hegel) 306

.

Absolutheit des Wollens

250—52;

(bei Fichte) 249, 253, 255; (bei

Hegel) 294, 306 f., 314 Absolutismus (moralischer) 12—13, 147, 163; (bei Kant) 176 f.; (bei Kant und Fichte)

292; vgl. Autonomie, absoluti-

stische Abstraktion, absolute (bei Hegel)

333-35, 385

412

Achtung 93, 264; (bei Kant) 19, 42, 92—94, 131; (bei Fichte) 19; (bei Schiller) 158; (bei Hegel)

384

A. fiirs Gesetz

(bei Kant) 19,

allgemeine A. 155,161 andere Begriff von a. (bei Fichte) 273 Bewu8tsein von a. (bei Fichte) 273

Erkenntnis von a. (bei Fichte)

43, 92—94, 131, 156, 185

A. vor dem Lebendigen (bei Hegel) 185 A. vor uneinforderbaren Rech-

ten 131

reine A. (bei Kant) 92—93 Pflichten der A. s. Tugendpflichten Verpflichtung zur A. 138 vgl. Hochachtung, Mi8achtung, Selbstachtung Adressiertheit moralischer Verpflichtungen und Rechte 145 f.

Asthetik, metaphysische (bei Hélderlin und Hegel) 180 asthetisches Stadium (bei Kierkegaard) 170 4. Weltbezug (bei Hegel) 184, 189

a. Zustand 187

(bei Schiller) 159,

Asthetiker (bei Kierkegaard) 170 AuSerung 123; (bei Hegel) 99; vgl. Entéu8erung Agressivitat 76 Akkomodation (Hegels au8ere

273,275

Wissen von der Existenz a. 273; (bei Fichte) 272 Andere seiner selbst, das (bei Hegel) 291, 333, 336, 382; vgl. Gegenteil seiner selbst Aneignung

A. des eigenen Willens

gel) 393

A. des Rechts(bewuBtseins)

363; (bei Hegel) 360, 363

interpersonelle A. (bei Schiller) 159, 161

willkiirliche A. 101 Anerkanntsein 266; (bei Hegel)

377 £., 381

abstraktes A. (bei Hegel) 364 reines A. (bei Hegel) 365 unmittelbares A. (bei Hegel) 363 £. Anerkanntwerden (bei Hegel)

338, 342

Bediirfnis nach A. 266

Anerkennung, Anerkennen 18, 21, 116, 179, 26166, 276 f.,

280, 342, 356; (bei Kant) 19; (bei Fichte) 20 f., 163, 172, 257, 260, 267, 270, 274—78; (bei Schelling) 321; (bei Hegel)

371, 371, 385, 385

Allgemeinbegriff (bei Hegel) 345 Allgemeinheit (bei Hegel) 18: f.,

291, 333, 347, 385—90

Allgemeinwohl Altruismus 76

(bei He-

19—23, 30, 99, 111, 116, 188,

(bei Kant) 80

194, 290-92, 313, 320 f., 338, 342, 35668, 374, 376-78, 384,

altruistische Absicht, Ideal, Le-

392 f. A. von Fahigkeiten und Leistun-

benskonzeption, Neigung

s. Absicht, Ideal, Lebenskon-

gen

zeption, Neigung Amoralitaét 258

116, 276 £., 280,356

A. in der moralischen Einsicht

19, 200

413

absolutes A. (bei Hegel) 322 formale A. (bei Hegel) 366 liebende A. (bei Hegel) 356 universalistische A. 263, 329 wechselseitige A. (bei Fichte) 27478, 282; (bei Hegel)

lichkeit des Ich (bei Fichte)

247

A. von Unbestimmtheit und Be-

stimmtheit, Unbeschranktheit

und Beschrinktheit, Unendlichkeit und Endlichkeit (bei Hegel) 305 f. ontologische A. (des Ich) 234 wahre A. (bei Hegel) 305 Auflésung der subjektivitatstheoretischen A. (bei Hegel)

378

Bewegung der A. (bei Hegel)

342

Kampf um die A. s. Kampf Konflikt um A. (bei Fichte und Hegel) 342 Verpflichtung zur A. (bei Fichte) 274

306 £., 311, 534

Anundfiirsich

378

Aporie s. Paradoxie Appell 122 f. Arbeit (bei Hegel) 327 f., 334,

Wille zur (Bediirfnis, Begierde

nach) A. 339; (bei Hegel)

338—40, 354, 376

345, 351—52, 377; (bei Marx)

vgl. Anerkanntsein, Anerkannt-

352

werden

Anmut

A. und Interaktion (bei Hegel)

(bei Schiller) 157—62, 187,

327, 329

368 fF. Anschauung Anschauen seiner selbst (bei

Arbeiter (bei Hegel) 20 Arbeitsproze8 (bei Hegel) 326 Arbeitsteilung 74 Arbeitswertlehre (bei Hegel)

Hegel) 335

intellektuelle A. (bei Fichte) 221, 221, 231, 233, 311 transzendentale A. (bei Hegel)

304 £., 307

Ansich (bei Hegel) 372 Anspruch 145, 276 einklagbarer (rechtsformiger) A. 42, 113, 184 f.; gl. Recht legitimer A. 42

moralischer A. 113 Anteilnahme 117 Anthropologie (bei Hegel) 347 Antinomie (bei Fichte) 235; vgl. Paradoxie A. der Selbstbestimmung 230, 230 A. epistemischer Selbstbeziehung 241 f. A. von Unendlichkeit und End-

(bei Hegel) 372,

352

Areopag

318, 325

Aufforderung 271,278

122 f.; (bei Fichte)

Aufkldrung (bei Hegel) 383 aufklarerischer Rationalismus

147

Aufrichtigkeit gegeniiber sich selbst (bei Fichte) 278, 283 Ausfiillung (bei Hegel) 311; vgl. Erfiillung

Ausleihen (von Geld) 55, 56 Aussage s. Satz Autonomie 10, 30,109, 146, 173, 178 f., 191, 264, 371; (bei Kant) 67, 82, 126 f., 173—79, 198, 198, 391; (im deutschen Idealismus) 40; (bei Schiller) 158, 187; (bei

414

Befreiung, absolute

Fichte) 267, 281, 301; (bei Hegel) 11, 18, 22, 27—44, 109,179,

314

B. durch gesellschaftliche Arbeit

191, 294, 381, 391 f.

329

A. des moralischen Bewu8tseins

179

Begierde

A. moralischer Einsicht 143 A. moralischer Motive 188 A. der moralischen Vernunft (bei Kant) 147 Autonomie des Willens (bei Kant) 177 f. absolutistische A. 18,179 individualistische A. (bei Kant)

diirfnis, Trieb

B. nach Anerkennung s. Anerkennung B. nach allem (bei Hegel) 335 B. nach der B. s. Metabegierde B. iiberhaupt (bei Hegel) 375, 375 absolute B. (bei Jacobi) 348,

173,179

375

anthropogene B. (bei Hegel)

354

verniinftige B. (bei Hegel) 356 weibliche B. (bei Hegel) 354 f. Hemmung der B. (bei Hegel)

sozial vermittelte A. 179

Prinzip/Formel der Autonomie (bei Kant) s. Imperativ, kategorischer autonomistisch s. Stand-

335

Begnadigung (bei Hegel) 365 Begriff (bei Hegel) 182, 295, 302,

punkt, autonomistischer,

moralischer

304, 372, 387

B. seiner selbst (bei Hegel) 314 absoluter B. (bei Hegel) 308,

Beanspruchbarkeit 152; vgl. Forderbarkeit Bedeutung, sprachliche 50 Bedrohung (bei Hegel) 23, 301 f.,

374

moralischer B. (bei Hegel) 295 Begriindung, moralische 13,149; vgl. Moral, Begriindung der Begriindungsanspruch von Werturteilen 171 Behauptung, moralische 121; vgl.

339, 362

B. der emotionalen Ichidentitat (bei Hegel) 303 vgl. Todesdrohung

Bediirfnis vgl. Begierde, Trieb

B. nach allem (bei Hobbes) 337 B. nach Anerkennung s. Anerkennung B. und Recht 246 antagonistisches B. 76 natiirliches, primares B. 74,75

gel) 347

(bei Hobbes) 322; (bei

Hegel) 335, 354, 375 f.; vgl. Be-

juridische A. (bei Kant) 126 sittlich vermittelte A. (bei Hegel) 18, 163 £.,176, 371

Bediirfnisbefriedigung

(bei Hegel)

(bei He-

vgl. Gleichheit der Bediirfnisse

Satz, moralischer

Beisichsein im anderen/Anderssein (bei Hegel) 354 f., 388 f. Bejahung (praktische) 262, 264 Bekenntnis (bei Schiller) 368 f.; (bei Hegel) 116, 367 f. moralische Verpflichtung zum B. (bei Hegel) 368

Beleidigung (bei Hegel) 338, 340 Belohnung, moralische 140 415

Bergpredigt 181 Besitz (bei Hegel) 184, 337, 359 geistiger B. (bei Hegel) 357

unmittelbares B. (bei Fichte)

220

Einheit des B. (bei Kant) 225; (bei Hegel) 330 f. Formen des B. (bei Hegel) 326

intelligibler B. (bei Kant) 357

Besitznahme (bei Hegel) 359 Besonderheit (bei Hegel) 97 f., 99, 101 f., 182; vgl. Recht der

Besonderheit Besonderung des Ich (bei Hegel) 386

Besonnenheit 192 Bestechung, passive 63 f. Bestimmung, nichtattributive 237 B. des Menschen (bei Fichte) 269 Betroffensein, affektives 213,

Méglichkeit von B. (bei Fichte) 207—09

BewuBtseinsstellung 237 Beziehung vgl. Sozialbeziehungen interpersonelle B. 187 persénliche B. 118—21, 137,

171

sexuelle B. 120; (bei Hegel) 354-55 sittliche B. 160, 187, 317

nichtinstitutionelle sittliche B.

(bei Hegel) 164, 181, 392; gl. Sittlichkeit, nichtinstitu-

234, 239 £., 264

Beurteilung, moralische (bei Kant) 156; (bei Schiller) 368 f.; (bei Hegel) 367; vgl. Urteil, moralisches Bewu8tsein 207—09, 220; (bei Reinhold) 207; (bei Fichte) 207—09; (bei Hegel) 289—go,

326, 329-32, 334-35, 337 F., 342, 372-74

B. von der eigenen Identitat 218

absolutes B. (bei Hegel) 333

gemeinsames B. (bei Fichte) 277 intentionales B. 209 moralisches B. 9, 38, 91 f., 122, 265, 288; (bei Kant) 126,

tionelle vormoralische sittliche B. 164 Bezwingung, absolute (bei Hegel)

314

Bildung

352,354, 381 f.

reine B. (bei Hegel) 382 Billigkeit(srecht) (bei Kant) 112, 131, 184; (bei Hegel) 103, 131 Bitte 122 Bése, das (bei Hegel) 365—67 Ursache des B. (bei Fichte) 301 f. Bund der Herrschaft (bei Hegel)

300, 300

129; (bei Fichte) 172, 206, 253; 255,271; (bei Hegel) 194; vgl. PflichtbewuB8tsein; Intention, moralische; Einsicht, moralische

Genese des m. B. 179 praktisches B. (bei Hegel)

334-36

propositionales B.

209

ungliickliches B. (bei Hegel) 377379

(bei Hegel) 292, 298, 327,

Bund von Hegel, Hilderlin,

Schelling in Tiibingen 189

Cartesianismus

332

wChoephoren*

192

Charakter 170 guter Ch. (bei Kant) 90; (bei Schiller) 157 Christentum og. Religion, christliche 416

Geist des Ch.

(bei Hegel)

181—94

Differenzprinzip 79 Ding (bei Hegel) 337 D. an sich (bei Kant) 199 7Don Carlos” 159 duty 138

Geschichte des Ch. 150, 193

Christuslegende 319

Dankbarkeit (Verpflichtung zur) 17, 117, 119, 135, 137 £.; (bei Kant) 131,134

Deduktion 235; (bei Kant) 124 D. des Rechts- und PflichtbewuBtseins (bei Fichte)

241-47

transzendentale D. (bei Kant) 167

Denkart, heroische (bei Fichte) 301 f. Denken (bei Fichte) 209; (bei Hegel) 308 reines Denken seiner selbst (bei Hegel) 385 f. deontologisch 124

Depositum 45,57—59, 65 Depression

169

Derealisation Despotie (bei Dialektik (bei Hegel) 163,

240 Hegel) 300 Fichte) 298; (bei 288, 298, 326, 332,

383; vgl. Spekulation

D. der Praxis 288

D. des SelbstbewuStseins

(bei

Hegel) 23, 288 f., 332 D. von Subjekt und Objekt, von Ich und Nicht-Ich (bei Hegel)

Egoismus 78 allgemeiner E. (bei Fichte) 277 regelegoistisch 78 Ehe (bei Hegel) 120, 164 f., 356 Ehescheidung (bei Hegel) 120 Ehre (bei Hegel) 338—40, 358 Ehrfurcht (bei Hegel) 94 Eigenbewegung 231

Eigensinn (bei Hegel) 333

Eigentum 45; (bei Kant) 357; (bei Fichte) 282; (bei Hegel) 183 f.,

193,379

Eigentumsrecht (bei Fichte) 282 ogl. Privateigentum Einbildungskraft (bei Fichte) 302, 316

Einforderbarkeit s. Forderbarkeit Einklagbarkeit vgl. Forderbarkeit, Rechtsférmigkeit moralische E. 16, 113, 137.; (bei Hegel) 187 juridische E. 16 f., 113, 137 Ff. Einklagen 190 Einsicht

moralische/sittliche E. 16,19,

143, 157, 168, 200; (bei Kant)

154, 200

332,334, 382

historisch-praktische D. 383 dialektische Aufhebung (bei Hegel) 313 d. Denkform (bei Hegel) 23, 42zf. d. Philosophie 41 Dialogismus 9, 262, 328 Diebstahl 45—48, 51, 56 f., 69 f.; (bei Hegel) 323 f.

Bedingungen moralischer/sittlicher E. (bei Schiller) 158; (bei Hegel) 188

reine E. (bei Hegel) 382 f.

Einstimmung (bei Kant)

s. Konsens

Einzelne, das (bei Hegel) 182,

333,347

Einzelnheit (bei Hegel) 291, 314,

387

reine E, (bei Hegel) 314 f.

417

Einheit von E. und Allgemeinheit (bei Hegel) 330—32,

E. Hegels 30, 44, 194, 285—393 (insbes. 289—92, 310, 392) E. von Hegels Moralitatskritik

343

Eitelkeit (bei Hegel) 95 moralische E. (bei Hegel) 88,

95, 95, 164

Empfehlung 122 Empiriokritizismus 226 Empérung (bei Hegel) 366 f., 382 Endlichkeit (bei Hegel) 95 E. des Ich (bei Hegel) 386 Engagement

36 £., 43 £.,179, 372, 385

Entwicklungsphasen, ontogenetische 265 Entzweiung (bei Hegel) 352 Erbaristokratie (bei Kant) 80 Eremit

Erfahrung vgl. Selbsterfah-

rung

sittliche E. 163 E. des BewuBtseins

117, 316, 389

EntduBerung (bei Rousseau: aliénation) 317, 352; (bei Hegel) 99, 314, 317, 352, 352, 369, 381

interpersonelle/sittliche E. 161,

366, 369

vollkommene E. (bei Hegel)

374

EntaéuSerungsfahigkeit 159 Entfremdung (bei Hegel) 381—82 absolute E. (bei Hegel) 382 totale E. (bei Hegel) 165 Aufhebung der E. (bei Hegel) 382

Entgegensetzung

(bei Hegel) 189,

295, 297, 298, 301

Entscheidung

E. contra legem

rationale E. 256

112

Entscheidungsfreiheit (exklusive)

109

Entschiedenheit 254,254 Entschlossenheit 252-54 reflektierte E. (bei Hegel) 361 unbedingte E. (bei Hegel) 316 f. Entschlu8 (bei Hegel) 192, 347, 350

Entschuldigung 116, 122,146 Entwicklung E. von Fichtes Systemidee 247,

247

263, 282

372-74

E. des Schicksals

191-94

(bei Hegel)

(bei Hegel)

Erfiillung vgl. Komplement, Erganzung, Vervollstaindigung E. des Bewu8tseins (bei Hegel)

334

E. des Gesetzes 181 f.

(bei Hegel)

E. der Intelligenz (bei Hegel) 346

Erganzung (bei Hegel) 311; vgl. Vervollstindigung, Komplement, Erfiillung

Erkennen (bei Hegel) 339 E. der Liebenden (bei Hegel) 353+ 355+ 357

E. als sich selbst (bei Hegel)

365; vgl. Sichherkennen-imandern Erkenntnis von anderen (bei Fichte) 273, 275 f.; vgl. Erken-

nen

erkenntniskritische Restriktionen (bei Kant) 200 erkenntnistheoretische Problematik (bei Hegel) 290 Erlanger Schule 74, 75, 82, 172 Erlaubtheit, moralische 61 f. Erleben (und Betroffenheit) 418

239;

vgl. Wissen vom eigenen Erleben Erziehung 272; (bei Fichte) 272,

Fichteanismus 254, 269, 371 Fichtekritik (Hilderlins) 185, 296, 296; (Hegels) 287, 292, 296,

ogl. Sozialisation Erzwingbarkeit 113; (bei Kant) 111; vgl. Zwang moralisch legitime E. 125 Ethik (bei Kant) 131, 162; (bei

Fichterezeption (Schillers) 159, 293; (Hegels) 11 f., 22, 44, 190, 194, 287—393 (insbes. 287,

275; (bei Hegel) 336, 354, 3573

Hegel) 28, 31, 44, 287, 292, 370 £., 383—85; vgl. Moral institutionelle E. 28

rationale E. 15, 16, 22, 57; (bei

Kant) 43, 130, 160; (bei Hegel)

303, 310

290—92, 302, 303, 310, 313,

325 f., 331 £., 343 £., 370 £.,

374, 383 £.)

Folgeverpflichtungen 119, 132,

148,171

Forderbarkeit

Rechtsférmigkeit, Ubererforder-

44, 111, 370 £., 383-85

lichkeit

rechtsformige E. s. Rechtsférmigkeit, ethische

juridische F. 16 f., 112 f.

moralische F, 16, 113, 135, 136,

schottische E. 149

146, 151 £.; (bei Kant) 131 f.;

(bei Fichte) 268

Begriindung der Ethik s. Moral, Begriindung der; Begriin-

moralische Nichtforderbarkeit durch die Betroffenen/durch

dung, moralische

Evidenz evaluative E. 171 moralische E. 141, 155 f., 168, 265

normative E. 171

praktische E. 154 Existenz (singulare) 237, 237; (bei Kant) 223, 236; vgl. Sein ExistenzgewiSheit 23, 224, 228, 228, 240, 264

Existenzialphilosophie 250

Existenzrisiko s. Risiko, exi-

stenzielles

Faktum der Vernunft (bei Kant) 19, 91, 197, 200 f., 258 Familie 10; (bei Hegel) 107—09,

111, 113 f., 119 f., 164, 321,

327, 334, 336, 356 £., 360, 377

Recht der F. (bei Hegel) 318, 381

Fehlidentifikation 232—33

vgl. Einklagbarkeit,

Dritte 116—21, 135, 137 Forderung 122

absolute F. (bei Fichte) 244—46 Form, unendliche (bei Hegel) 390 Formalismus (bei Kant) 12—13,

31, 33, 95, 175-77, 292; (bei

Hegel) 104, 366 Formalitat des Rechts (bei He-

gel) 365

formelles Prinzip (bei Kant) 93 Fortschritt (bei Hegel) 33, 150 moralischer F. (bei Kant) 154 f. Frau (bei Hegel) 355 Freiheit 125, 264, 272; (bei Kant) 197 f.; (in der Transzendentalphilosophie) 291; (bei Fichte) 253, 255; (bei Hegel) 75, 106, 170, 291, 313 f., 389 F. in der biirgerlichen Gesellschaft 32 F. der Wahl (bei Hegel) 387 absolute, reine F. (bei Hegel) 419

das (unvermittelte) G. seiner

163, 311, 314, 322 f., 333,

selbst (bei Hegel) 312,314 f., 331 £.; vgl. das Andere seiner selbst vollkommenes G. (bei Hegel)

383

individuelle/individualistische F. 106, 109

kommunikative F. 9 konkrete F. (bei Hegel) 388 f.

negative F. (bei Kant) 198, 198;

(bei Hegel) 322

positive F. (bei Kant) 197—98;

374

Gegenwart, absolute

Geist (bei Hegel) 19, 190, 290,

326 £., 359, 365, 381

(bei Hegel) 384 rechtliche F. (bei Hegel) 364 vgl. Entscheidungsfreiheit Freundlichkeit 117, 139 F. des Lebens (bei Hegel) 192 Freundschaft 119; (bei Kant) 131; (bei Schiller) 159; (bei Hegel) 118 f., 188 f.,193, 389 f. Pflicht zur F. 134; (bei Kant)

G. der Liebe (bei Hegel) 188 absoluter G. (bei Hegel) 44, 115 £., 164, 333, 367, 369 £., 374

freier G. (bei Hegel) 393 objektiver G. (bei Hegel) 105, 115, 345 370, 384

praktischer G. (bei Hegel) 384, 393

134

Frieden (bei Hélderlin) 193; (bei Hegel) 325 Fiirsich (bei Hegel) 372 Fiirsichsein 334; (bei Hegel)

334, 376, 381 F.

inhaltsleeres F. (bei Hegel) 381 reines F. (bei Hegel) 376 f. Fiiruns (bei Hegel) 372

subjektiver G. (bei Hegel) 30,

345

theoretischer G. (bei Hegel) 30, 393, 393

Geisterwelt (bei Fichte) 283 Gelassenheit 389 Geld (bei Hegel) 382 Geltung, Giiltigkeit 65, 167; vgl. Richtigkeit G. moralischer Normen 18, 21, 160, 168; (bei Kant) 167, 199, 200; (bei Hegel) 194;

Gebot 123; (bei Kant) 88; (bei Hegel) 182

konventionelle G. moralischer

G. der Sittlichkeit (bei Kant) 88 G. der Vernunft

Normen 154

(bei Kant) 88

juridische G. 113, 167 f.; gesetzliche juridische G. 177 kategorische (praktische) G.

Gebotenheit, moralische 61 f.

Gedankenexperiment

(bei Fichte)

373

Gefiihl 93

moralisches G.

237

142,166

moralische G. 18, 91 f., 113, 166—68, 172, 199, 201; (bei Kant) 154, 166 f.,176, 201 normative G. 65

23,171, 265

altruistisches G. 141 Verpflichtung zu G.en 120 f. Gegenseitigkeit 34

zweckabsolute G. 91 axiologische Relativierung moralischer G. 169

G. von Hilfe 117 Gegenstand (bei Hegel) 372, 375 Gegenteil

420

Gemeinschaft freie G. (bei Hegel) 306 lebendige G. (bei Hegel) 190 sittlichhe G. 317 Generalisierung s. Verallgemeinerung

Genese G. von Bediirfnissen 77

G. des moralischen Bewu8tseins

(bei Hegel) 320 universalistische Gesellschaftlichkeit (bei Hegel) 313 Gesellschaftskritik

Hegel) 383 kapitalistische Gesellschaftsform und idealistische Selbstbewu&tseinstheorie 382 Gesetz 126; (bei Hegel) 182, 384; vgl. Naturgesetz, Rechtsgesetz

179

G. und Neigung

G. von Handlungsweisen und Institutionen 83 G. des SelbstbewuBtseins 210

(bei Hegel)

186 f., 302

allgemeines G. (bei Kant) 16, 57 £.,65, 79,127, 129; (bei Hegel) 58 autoritdres G. 94 biirgerliches/juridisches G. (bei Hegel) 181-183 moralisches G. (bei Hegel) 183,

nichthistorische G. (bei Hegel) 75

normative G. 74,75 Genetisierung der Anwendung des Moralprinzips 74—77; ogl. Moralprinzip, Anwendung des Geneigtheit (bei Hegel) 162, 185,

384

normatives G.

(bei Kant) 127

normatives/deskriptives G. 65,

186

Genossenschaften 109 Genu8 (bei Fichte) 294 Gerechtigkeit (bei Hegel) 183 mangelhafte G. (bei Hegel) 365 materiale G. 171; (bei Hegel)

10, 28; (bei

65.79

101—03, 106, 193

Rechtma&igkeit von G.en (bei Kant) 79 f. Wichtigkeit moralischer G.e (bei Kant) 167, 199 Gesetzesform 16; (bei Hegel)

100

Gesetzesformel des kategorischen

strafende G. (bei Hegel) 97,

181 f., 186 f.; vgl. Rechtsform

Bedingung vonG. 165 Gesamtnutzen 77,79 Geschichtsphilosophie Hegels

gorischer Gesetzesreligion

Geschlechtsbeziehung

Gesetzesstandpunkt

149 f., 193, 382

335+ 3351 353-55

Geschlechtsdifferenz

(bei Hegel) (bei Hegel)

335

Gesellschaft (menschliche) 261; (bei Hegel) 165 biirgerliche G. (bei Hegel) 32 f., 106, 109, 163, 320

partikulare Gesellschaftlichkeit

Imperativs

299

s. Imperativ, kate-

(bei Hegel) (bei Hegel)

185; vgl. Standpunkt, mora-

lischer Gesetzgebung allgemeine G. (gema& dem kategorischen Imperativ) 66 f.; (bei Hegel) 45 f., 58, 390; vgl. Autonomie juridische G. (bei Kant) 125 421

moralische G. (bei Kant) 16, 126

Selbstgesetzgebung 126 Gesinnung (bei Hegel) 185 G. der Liebe (bei Hegel) 108, 164

Gesinnungsethik 85

Gestindnis (bei Hegel) 367 f. Getriebensein

251; vgl. Trieb

Gewaltanwendung, allgemeine 79 Gewissen (bei Fichte) 267, 273; (bei Hegel) 36, 38 f., 43, 108, 191, 288, 366 f., 369, 374 béses G. (bei Hegel) 192 f.,

rechtliche G. (bei Hegel) 364 Bewu8&tsein gleichen Rechts 245 f. Erfahrung vonG. (bei Hegel) 367 £. Urzustand von G. 138 Glick 265 Prinzip des Gliicks 93 Prinzip gleicher Verteilung von Gliik 154 Goldene Regel 258, 277 Gott (bei Kant) 156; (bei Hegel)

go2

Gottheit (bei Hegel) 294, 296 gittliches Idol (bei Hegel) 94,

323 £., 365-67

wahrhaftes G. (bei Hegel) 97 Gewissenskonflikt 260

GewifSheit 221, 224, 227,231

G. der eigenen Existenz s. ExistenzgewiSheit apriorische G. 225 empirische G. 221, 224 f., 231 praktische G. 252 sinnliche G. (bei Hegel) 373, 375

Glauben (interpersoneller) (bei Hegel) 162, 190 G. an sich selbst (bei Hegel)

299

vgl. Reich Gottes Giiltigkeit s. Geltung Giitergemeinschaft (bei Hegel) 183

gut 123 f.; moralisch gut 140; (bei Kant) 88 das Gute (bei Hegel) 103, 123 das héchste Gut (bei Kant) 128, 154, 189; (beim frithen Fichte und Schelling) 321 das hdchste und vollstandige Gut

das lebendige Gute

190, 192

notwendiger moralischer G. 167—69, 172, 178, 200 f.; (bei Kant) 200 f. Gleichheit 265; (bei Hegel) 75,

(bei Kant) 189

103

Handlung, Handeln 366

(bei Hegel)

(bei Hegel)

kommunikatives, konsensuelles

184, 188

H. 261 f. Reihenfolge von Handlungen

G. und Ungleichheit von Handlungsméglichkeiten 72—75, 83 £., 101, 125, 265; (bei Hegel) 364 f.; vgl. Verteilung G. und Ungleichheit von sozialen Bediirfnissen 75—77 G. in der biirgerlichen Gesellschaft 32 f. fundamentale G. 83

50 F£., 68

Handlungsfahigkeit, Handlungskompetenz 21, 260; ovgl. Interaktionskompetenz moralische Handlungsfahigkeit 159; vgl. Kompetenz, moralische 422

Hegeldeutung s. Hegelrezeption Hegelianismus 11, 14, 27—35, 288; ugl. Neohegelianismus marxistischer H. 31-34, 352 Hegelkritik

38 f., 288

Schiller) 158

Héflichkeit

nich/,,\ch bin F”

27-43, 288; vgl. Hegelianismus 326

religionsphilosophischeH. 164

37 f.,

wich bin”

224

201—03, 206, 210—11, 214 f., 218-22, 227—30, 247 f. 257,

271; (bei Hegel) 308 f., 347,

382, 385—88; vgl. ,.Ichh=Ich",

Wille, heiliger

nich”, SelbstbewuStsein

Herrschaft (bei Fichte) 301; (bei Hegel) 184, 299 f. H.vonGesetzen (bei Hegel) 191 H. des Ich iiber seine Bestimmtheit (bei Fichte) 310 H. iiber die Natur (bei Hegel)

94, 334-335

I. als Idee (bei Fichte) 374 I.an sich (bei Kant) 199 absolutes/unendliches I. (bei Fichte) 222, 241—45 abstraktes I. (bei Hegel) 386 empirisches I. (bei Kant) 126 intelligibles I. (bei Kant) 126 praktisches I. (bei Fichte) 247 £.; (bei Hegel) 295 reines I. (bei Fichte) 202, 244; (bei Hegel) 296, 301, 305,

(bei Hegel)

193

H. iiber sich selbst (bei Hegel) 99

H. iiber die Sinnlichkeit (bei Hegel) 94 f. H. iiber die Welt (bei Hegel) 299

H. und Knechtschaft

Hegel) 377

236; (bei Fichte) 222,

Ich 210 f., 227; (bei Fichte) 185,

Heidegger-Schule 35 Heidelberger Schule 233 Heiligkeit (bei Kant) 186; vgl.

H. der Rechtsform

212-14,

217—18, 223—27 (insbes. 226 f.), 231—35, 238—39; vgl. SelbstbewuB8tsein ichbezogener Ausdruck 213

Hegelrezeption, Hegeldeutung 14, H. der Lebensphilosophie 180 marxistische H. 14, 31-34, 288,

117, 138 f.

375, 381 f.

Bestimmtheit des I. (bei Fichte)

235-37

Einheit des I. (bei Fichte) 203,

(bei

206; vgl. Identitat des Sub-

jekts und Objekts absolutes Sein des Ich (bei Fichte) 244 f. Selbstandigkeit des I. s. Selb-

ethische H. (bei Fichte) 299 unbedingte H. (bei Hegel) 300 Wille zur absoluten H. (bei Hegel) 300 Heuchelei (bei Hegel) 88, 95, 367 Hilfe 71—72, 76, 107,118 f., 138 f.,143,145 £.,152,154 f. Hobbesianismus (bei Fichte) 270; (bei Hegel) 292 Hochachtung (bei Kant) 94; (bei

standigkeit

Totalitatscharakter des I. (bei Fichte) 243, 245

Unbestimmbarkeit des I. 241,

243, 243; (bei Fichte) 234, 237, 241, 242; vgl. Unbestimmbarkeit

423

wich=Ich”

(bei Fichte)

201,

sittliches I. 124 Idealismus (bei Hegel) 375, 379

206,

218, 222, 228, 228, 241f.; (bei

deutscher I. 34, 35,197, 204

Hegel) 241, 287, 304, 374, 382 Ichformel (bei Fichte) 218, 219,

idealistische Selbstbewu8tseinstheorie und kapitalistische Gesellschaftsform 382 Identifikation 233; (bei Fichte) 228; vgl. Fehlidentifikation, Selbstidentifikation

221 f.

Ichheit (bei Fichte) 227, 257,

259 f., 267, 273 f. Ichidentitat (qualitative) 9, 19—23, 110, 171 f., 199 f., 240,

I. mit anderen

240, 249, 259, 259, 316, 328,

389

187; (bei Hegel)

340; (bei Fichte) 21, 227, 247 f., 282 £.; (bei Hegel) 20, 22, 328,

Identifizierung, objektive spieleri-

affektive, emotionale I. 23,

Identitat (numerische)

sche 238

335; vgl. Identitat, Selbst

(bei Fichte)

228 eigene (numerische persén-

240 f., 264 f.; (bei Fichte) 23,

247, 267; (bei Hegel) 23,

389 f. kognitive I. 259

liche) I. 202, 227, 233 I. von I. und Nichtidentitat (bei

praktische, voluntative I. 21,

I. des reinen und empirischen

postkonventionelle I. 110

Hegel)

Bewu8tseins

23, 110, 200, 240, 249, 259 £.; (bei Fichte) 21, 23; (bei Hegel

(bei Hegel) 304

I. von Subjekt und Objekt 204, 204; (bei Fichte) 203 f., 206—07, 228; (bei Hegel)

23,289

sozialpsychologische I. 240, 259-60

304, 376

I. mit sich (bei Hegel) 387, 390 I. des Verstandes (bei Hegel)

notwendige Bedingung von I.

9, 19-23, 259-67; (bei

Fichte) 21, 267; (bei Hegel)

386

20, 22, 356, 361, 390 Bediirfnis nach I. (bei Hegel)

kollektive I. 110 f. persénliche I. s. Ichidentitat urspriingliche I. der mensch-

339

Infragestellung von I. 340 f. Kampf um I. (bei Hegel) 324 Stufen praktischer I. (bei Fichte) 301; (bei Hegel) 340 Zerstérung der I. 168 Ichmetaphysik Schellings 201 Ichproblem 309

298

lichen Natur

(bei Hegel) 99

Satz der Identitat 228 Imperativ 122 f.; (bei Kant) 88 hypothetischer I. 89

hypothetischer und kategori-

scher I. 89,91 kategorischer I. (bei Kant) 16, 29,31 £., 41, 44—84 (insbes.

Ideal 259 f.

73 £., 82-84), 127-130, 153,

I. allgemein méglicher Uberein-

155,173—77; (bei Fichte)

stimmung 158

244, 257-58; (bei Hegel)

altruistisches I. 17 moralisches I. 368

45-49

424

Begriff des k. I. (bei Kant) 130,

371

175

Intelligenz (bei Hegel) 345

Formeln des k. 1.: allgemeine Formel

freie I. (bei Hegel) 346 Intention

59, 61, 66 f.; Geset-

moralische I. 15,94, 102—04,

zesformeln 67—80, 84, 128 f.,

156, 188, 260, 266; (bei He-

173; Naturgesetzformel 66,

gel) 85, 95; vgl. BewuB8tsein,

78 £.; Zweckformel 81-84, 128 f.; erginzte Z. 82-84;

moralisches; PflichtbewuSt-

genetisch erweiterte Z. 83 f., 175 f.; Formel der Autonomie 81, 83, 174—76; Formel des

sein; Moralitat

I. auf die Moralitat anderer 268 praktische I. 251 Interaktion 327, 336

Reichs der Zwecke 81, 83,174

Interaktionskompetenz

Formulierungen des k. I. 48 f., 60—62, 127—30, 174 Leerheit des k. I. 13, 41, 45-57,

260

Interesse (bei Kant) 380; (bei Hegel) 379 f. I. an der Idee einer intelligiblen

82,163

Indifferenz (bei Schelling) 307; (bei Hegel) 338 absolute I. (bei Hegel) 313 f., 323 f. Individualitat, Individuum

(bei

Fichte) 229, 259 f., 267, 269, 281—83; (bei Hegel) 312,

380 f. verniinftige I. (bei Fichte) 271 Realisierung der Individualitat (bei Hegel) 102

Individuation

Welt

tat; andere

Interpretation 11 f. Intersubjektivitat (bei Fichte und Schelling)

321; vgl. Interperso-

nalitat; andere

Formen von I. 104; (bei Hegel)

Inkorrigibilitat s. Korrigibilitat

sittliche I. 108, 110; vgl. Sitt-

(bei Kant) 199, 199

I. an Moralitat (bei Kant) 154 f., 167 Interessenkonflikt 16 Interpersonalitat (bei Fichte) 270—277; vgl. Intersubjektivi-

102

Innerlichkeit, Kants Ethik der 14, 14, 28 £., 85 Institution 114

185

Intimitat 119 Ironie (in der Romantik) 238;

(bei Hegel) 95

verniinftige I. 17, 366

Irrationalismus 35, 162

Legitimitadt von I.en (bei Hegel)

Jakobinismus

lichkeit

Kritik von len 43

105 institutionelle Verselbstandi-

gungen 17

legitime Institutionalisierung

17, 105—111

Institutionalismus

110,

(bei Hegel) 35,

134,371

Judentum, Geist des (bei Hegel)

193 f., 299, 302

Kampf

(bei Hobbes) 337; (bei

Hegel) 194 K. um (die) Anerkennung

(bei Hegel)

425

(bei

Hegel) 194, 336-43, 35763, 379,377

K. um Besitz/Eigentum

Hegel) 324, 324, 358

(bei

(bei Hegel) 335 £., 357, 360;

gl. Familie Kirche, unsichtbare

189

(bei Hegel)

K. um Ehre (bei Hegel) 324,

Klugheit 265, 267; (bei Fichte)

K. um Ichidentitat (bei Hegel)

Knecht (bei Hegel) 377 Knechtschaft K. vor Gott (bei Hegel) 94, 299 gerechte K. (bei Hegel) 362 Herrschaft und K. (bei Hegel)

324, 358 324

K. auf Leben und Tod (bei Hegel) 20, 324 f., 340-42,

376

K. um Macht (bei Hobbes) 337 K. fiir Rechte (bei Hegel) 194 K. mit dem Schicksal (bei Hegel) 192 f. Notwendigkeit des K. (bei Hobbes) 337; (bei Hegel) 388, 340

Kannibalismus 136, 136 Kantianismus 16, 40; (bei Fichte) 208

K. des frithen Hegel 42 Kantkritik

K. Schillers 15, 85-87, 157—60 K. Fichtes 268—69

K. Hélderlins 187 K. Hegels 12—19, 27—35,

40-49, 57, 84-96, 114 f., 147, 162 f., 176, 180 f.,

184—86, 191, 290, 292, 294, 299

Kantverstandnis Hegels 287 Karfreitag, spekulativer (bei Hegel) 311, 311, 316 kategorisch 91, 142, 166 f. k. Imperativ s. Imperativ Kind 264 f.; (bei Hegel) 327 kindliche Entwicklung 362 kindliche Unbedingtheit 362 Recht von K.ern 246 Verpflichtung gegeniiber K.ern

268

377

Kollektivbesitz (bei Hegel) 359 Kollektivierung

(bei Hegel) 184

Kompetenz, moralische

110, 151,

152, 261

universalistische m. K. 263 vgl. Handlungskompetenz, Interaktionskompetenz Komplement (bei Hegel) 185, 188 f.; vgl. Erfiillung, Erganzung, Vervollstaindigung Komplementenlehre Hegels

162, 180—90, 193, 297-303,

311, 323

Kompossibilitat K. der Freiheit (bei Kant) 125 K. gleicher Freiheit und Bediirfnisbefriedigung 265 Konflikt strukturell notwendiger K. (bei Hobbes) 337; (bei Hegel)

337 £.

K. um Anerkennung (bei Fichte und Hegel) 342 Konformismus 263 Konkrete, das (bei Hegel) 387 Konkurrenz auf dem Markt 109 Konsens, rationaler, allgemein

méglicher 81—84, 158, 172 konsensuelle Orientierung s. Orientierung

118, 161

Verhiltnis von Eltern und Kind

Konsensprinzip

426

82, 129, 172;

(bei Kant) 74, 78, 79-84,

128 f. vertragstheoretisches Konsensprinzip

Konsequenz

83,161

283

(bei Fichte) 278, 281,

Gesetz der K. (bei Fichte) 277

Konsistenz, praktische 267

260, 260,

Konstruktion, juristische 112 Kontinuitat der Lebenspraxis 262 Kooperation 109, 165, 263

Lebensplan 259, 260 Lebensssinn s. Sinn des Lebens Legalismus (Kants) 12 f., 13,17,

41, 42,177,181 leiblich

1, Geschehen 209 1. SelbstbewuBtsein 209 1. Spiiren 231 Leiden (bei Hegel) 194 Liebe

ler) 158 f., 161, 187; (bei Fichte)

269 f.; (bei Hegel) 34, 108,

Korrigibilitat 231, 232; vgl. Wis-

sen, korrigibles Krieg, gerechter 145 Kritik vgl. erkenntniskritisch moralische K. (bei Schiller) 368 £. kritisches Philosophieren Fichtes

201

Kritizismus, Hegels radikalisierter

312

Kultur, moralische

108

Fortschritt der m. K. (bei Kant)

154

Kunst, Philosophie der (bei Schiller) 158 Kunstwerk 123 KZ (Konzentrationslager) 161 Leben

(bei Hegel) 181 f., 186,

190, 193, 298

gutes L. 124

intersubjektives L. (bei Hegel) 191 reines L. (bei Hegel) 296 f. Lebendigkeit 240 Lebensform

262 f.; verniiftige

Lebensform 199 Lebenskonzeption, Lebensentwurf 21,124, 251, 259 f., 316; altruistische Lebenskonzeption

15, 17,141

118 f., 182, 264; (bei Schil-

162—65, 179, 181—90, 292,

295 £., 298, 299, 335, 3397 345,

355—57» 360, 377, 377, 389 £.;

vgl. Sexualitat, Vereinigung

Liebesgebot, biblisches/christ-

liches (bei Kant) 186; (bei Fichte) 268 Liebespflichten s. Tugendpflichten der Liebe vgl. Nachstenliebe Lob, moralisches 140, 140

supererogatorisches L. 135,140

Logik Hegels

388

Liigen 49—50, 59; vgl. Versprechen, falsches Lust (bei Hegel) 378

Macht (bei Hobbes) 337; (bei Hegel) 184 M. des Ich (bei Hegel) 294 M. und Individualitat 282 Mann (bei Hegel) 355 m§annliche Sittenlehre (bei Fichte) 246

Marxismus, Kritik am orthodoxen

327

Maschine (bei Hegel) 353 Maxime 51,51, 54, 56,59 f., 63, 174; vgl. Verallgemeinerung v.M.n

Menschenopfer 151

427

Menschenrechte 81 Metabegierde (bei Hegel) 354,

3541 377 £.

Metapflicht (bei Kant) 87, 87 Metarecht s. Recht aufs Recht Methode, philosophische (bei Kant) 124; (bei Fichte) 212, 245, 373; (beim spateren Hegel)

378, 392

Moralisierung des Rechts 103 Moralismus 366; (Kants) 134; (bei Hegel) 193 moralistischer Standpunkt 182 Moralitat 247, 261—67; (bei Kant)

85 f., 155 f.; (bei Fichte) 256;

(bei Hegel) 27-44, 96-104,

105, 163, 179-94, 287, 297,

108, 343, 373; (im ,,System der

366, 371, 383—84, 385, 392;

Sittlichkeit”) 321; (in der »Jenaer Realphilosophie“) 345, 353; vgl. Komplementenlehre Hegels Minderheiten, Unterdriickung von

vgl. Motivation, moralische

M. der transjuridischen Spontaneitat und Individuierung

369

M. und Legalitat 85 f., 185;

73f.

(bei Kant) 85—86

MiGachtung 107 Mitleid, Verpflichtung zum 117, 137 f.; (bei Kant) 134 Mitten (des Bewu8tseins bzw. Geistes) (bei Hegel) 326—39,

absolutistische M. 163 formalistische M. (bei Hegel) 366

héhere M. (bei Fichte) 269; 269; (bei Hegel) 135 rechtsférmige M. 111; (bei

334

Modalitaten, ethische/moralische

Fichte) 283

53, 60, 61 £.,138 Moral 16, 112,124, 127; (bei

sittliche, nichteinklagbare, nichtforderbare, nichtinstitutionalisierbare, nichtrechtsfér-

Fichte) 281; (bei Hegel) 390;

vgl. Moralitat, Ethik, Moralprinzip, moralische Autonomie,

mige, nichtsanktionierbare M. 9, 42,114; (bei Hegel) 12—19,

m. Begriindung, m. BewuStsein, m. Einsicht, m. Gesetz, m. Kom-

petenz, m. Kultur, m. Modalita-

ten, m. Satz, m. Standpunkt, m. Wertung, m. Wissen

individualistische M. 30 nichtinstitutionalisierbare M. 114 rechtsformige M. 134; (bei Fichte) 269; Kritik der r. M. (bei Hegel) 27

Begriindung der M. 146, 260—

22, 42, 104—11, 114, 115—21,

123, 134, 163 f., 190, 193, 368. Bedingungen von M. 160 Bedingungen sittlicher M. (bei Hegel) 369 f. Leerheit der M. (bei Hegel) 84—96; vgl. Imperativ, Leerheit des kategorischen Moralitatskritik (bei Hegel) 11,

12-19, 25—194 (insbes. 25-57, 84—96, 121, 147, 162—65,

66, 361; (bei Kant) 197—201;

(bei Fichte) 20, 21, 241—47,

267; (bei Hegel) 19, 22, 44,

194, 287, 340 f., 361, 361,

179-94), 287, 371, 385

materialistische M. 33 Moralkriterium s. Moralprinzip 428

Moralphilosophie s. Ethik Moralprinzip, Moralkriterium

rationale M. 198; (bei Fichte)

255, 257

84,

sittliche M. 110

172, 175 f., 265; (bei Kant) 78,

transsubjektive M. 15,110;

126; (bei Fichte) 244, 256, 256, 281; vgl. Konsensprinzip; Imperativ, kategorischer M. enger Pflichten (bei Kant) 68—70, 81; vgl. Rechtspflichten, Prinzip der M. weiter Pflichten (bei Kant) 81; vgl. Tugendpflichten, Prinzip der hinreichendes M.

61 f., 68,

notwendiges M.

61 f., 68 f.

73-74

notwendiges und hinreichendes Mz. 84 Anwendung des M.

14,15,

74-77, 161, 172; (bei Fichte) 256; (bei Hegel) 75 Begriindung des M. (bei Kant) 197—201; (bei Hgel) 392; vgl. Moral, Begriindung der Leerheit/Gehalt des M. 13; (bei Fichte) 256—59

(bei Fichte) 269; (bei Hegel) 185—90

Motivationsproblem (moralphilosophisches) 22, 165—69,

173, 191 £., 199; (bei Kant)

42, 156, 176; (bei Schiller) 160, 176; (bei Fichte) 255, 267; (bei Hegel) 18, 164,176, 181, 187 f.

Nachbild 225 Nachkriegsphilosophie, deutsche

15

Nachstenliebe 182 Natur (bei Kant) 78 f. innere N. 9

menschliche N. (bei Hegel) 99, 362

sittliche N. (bei Hegel) 313 zweite N. (bei Hegel) 319 Naturerfahrung 123 Naturgesetz (bei Kant) 65, 65,

Mord 45-48, 55, 69, 71; (bei

Aischylos) 319; (bei Hegel) 324

78,127

Motiv

Naturrecht (bei Locke) 101; (bei Hegel) 291 Naturteleologie (bei Kant) 78 f.,127 Naturtrieb (bei Hegel) 380 Naturzustand 155, 161, 282;

altruistisches M. 164

moralisches M. 266 Verpflichtung zu Motiven 120 f., 368

Motivation moralische (rationale, autonome) M.

18, 110 f., 160,

163, 166, 187 f., 199; (bei Kant) 126, 131, 156; (bei Schiller) 157-61, 187; (bei Hegel) 163-65, 181, 185—go, 193 f., 294, 366 F.; vgl. Pflichtmotivation gemeinsame moralische M. 155 f.,162, 368

(bei Hobbes) 322, 324, 337,

341 £., 358; (bei Fichte) 278, 358; (bei Hegel) 324, 342, 358 F. Negation 315 absolute N. (bei Hegel) 308 radikalisierte N. 309, 309, 315 wahre N. (bei Hegel) 314 Negativitat (bei Hegel) 322 absolute N. (bei Hegel) 298,

429

nomie (bei Hegel) 352 Politische ©. (bei Hegel) 326 Okonomismus 33 Ortlichkeit, absolute 237 Offenheit, persénliche 117 Opfer (sittliches) 117, 118, 124,

307-308, 377 f.

sich auf sich beziehende N.

(bei Hegel) 388 Neigung (altruistische)

86,123 f.,

141; (bei Kant) 86, 96; (bei

Schiller) 160; (bei Hegel) 185—87; vgl. Pflicht und Neigung, Gesetz und Neigung,

138,142

existentiellesO.

Sinnlichkeit und Vernunft N. zur Pflicht (bei Schiller) 157

Neohegelianismus

tragisches O. (bei Hegel) 319 Menschenopfer 151 »Orestie” 191—92, 318—20; (bei

34 f., 180, 288

Neospinozismus der Goethezeit

Hegel) 191 f.

347

Orientierung

Nicht-Ich (bei Fichte) 225, 300; (bei Hegel) 294, 300 f., 382 Nichts (bei Fichte) 242; (bei Hegel) 307 f., 310 das absolute Nichts 308

Nihilismus

90, 91,199

Norm

O. an Recht und Gesetz konsensuelle O.

Paradoxie, Aporie

(bei Kant)

(Hegel) 301

P. der Selbstbestimmung (bei Fichte) 228—30; (bei Hegel)

118; (bei Kant) 118,

301, 385

134; (bei Hegel) 103, 184

P. des SelbstbewuBtseins 204-05, 215—21

204 f.; (bei Hegel) 184

P. der Selbsterkenntnis Partizipation 109, 165

Objektivation, Objektivierung 351, 384; vgl. EntauSerung,

Vergegenstindlichung

Objektivitat (bei Hegel) 115,

345

obligation 138

133

219

Passivitat (bei Hegel) 194, 302 Person (bei Fichte) 267; (bei

(bei Hegel) 99 £.,115, 345,

obligatio activa/passiva

vgl. Antinomie

P. von Ich und Nicht-Ich (bei

Normautoritat 111

Objekt

20, 262

strategische O. 262

(bei Hegel)

123

Notrecht

(bei

Fichte) 268; vgl. Rechtsform, Gesetzesform

(bei Hegel) 170

Nétigung, moralische

171

Hegel) 100, 100, 321, 324, 359; vgl. Rechtsperson

Pflicht 123, 138 f.,143, 185, 261; (bei Kant) 84—96, 139, 142,

163, 176; (bei Hegel) 98, 102 f.,

basic 0. 142-44 ultra 0. 124,142—44 observer, ideal 149 Offentlichkeit 80, 109, 165

182, 185; vgl. Verpflichtung Pf. gegen andere 41

Pf. gegen sich selbst 41,125, 142 f., 183, 244

Recht der ©. (bei Hegel) 318

engere Pf. 53,69, 81, 141; (bei Kant) 15, 128, 130-34

Okonomie

institutionelle Pf. 70

Rezeption der Nationaléko-

430

weitere Pf.

Pridestination (bei Fichte) 283 praskriptiv 122 f. Pragmatik moralischer Kommunikation 137, 137 Praktische, das (bei Hegel) 294

53, 71, 81, 141; (bei

Kant) 15, 128, 130—34 verdienstliche Pf. (bei Kant) 139 f.; vgl. Verdienst Pf. der Achtung/der Liebe (bei Kant) s. Tugendpflichten Pf. und Neigung 15,17, 91, 185

praktische Einheit, Tatigkeit,

Vermigen (bei Hegel) 295 Praxis 241 f. Dialektik der P. 288 Private, das (bei Hegel) 104 Privateigentum 55, 56, 109; (bei Hegel) 183 Legitimation von P. 329 Privatheit 318 Privatrecht (bei Kant) 129 Privatsprache, Unmiglichkeit von

PflichtbewuS&tsein, Pflichtinten-

tion 89—92; rationales Pf. 91 Pflichtenkollision 29 Pflichtenlehre 134 Pflichtgema8heit 62 Pflichtmotivation 86—88, 92; rationale Pf. 93; vgl. Motivation, moralische

Pharisdismus (bei Hegel) 88, 95 Philosophie dialektische Ph. 42 kritische Ph. (Fichtes) 201 praktische Ph. 22, 242; (bei Fichte) 195—283 (insbes. 241 f.); (bei Hegel) 16,

273

Privatwohl (bei Hegel) 104 Produktion vgl. Arbeit Produktionsidealismus 352 Produktivitat der Arbeit 329

Produktivkrafte, Entfaltung der

327

109—11, 164, 285—393 (ins-

Progre& vgl. Fortschritt

bes. 312 £., 344, 370, 374,

unendlicher P. 87, 242 f.; vgl.

378, 383, 392 f.); Grenze der p. Ph. Hegels 370 spekulative Ph. (bei Schelling) 201; (bei Hegel) 42, 42 f.,

Regre&, unendlicher

Kritik des unendlichen Progresses (bei Hegel) 242 Projekt, grundlegendes einer Person 259

162

Anfang der Ph. (bei Hegel) 307 f. Positivitat (bei Hegel) 295 Kritik der P. (bei Hegel) 295,

Proposition

Psychoanalyse 357

Postulatenlehre (Kants) 154-57, 179

Kritik am P. (bei Hegel) 121

Potenzen des BewuBtseins Hegel) 326, 336

(bei

23, 240, 264, 267,

Psychologie (bei Hegel) 393, 393 philosophische P. 9 klinische P. 240 Pubertat 265

362

Kritik an K.s P. 163, 294 Postulieren P. der Vernunft (bei Fichte und Hegel) 311

209

Rauber, edler 161

Rat 122 engagierter R. 160

Ratschlag der Klugheit Kant) 88

431

(bei

adressiertes R. 145 f. besonderes R. (bei Hegel) 101, 107; vgl. R. der Besonderheit einklagbares/nichte., forder-

Rationalitét vgl. Vernunft, Be-

griindung, Richtigkeit

R. moralischer Motivation 188; vgl. Motivation, rationale

moralische

bares/nichtf., institutionalisierbares/nichti., sanktionier-

moralische R. 82; (bei Fichte)

bares/nichts., supererogatorisches, iiberforderliches

269

praktische R. 229, 254, 256 f., 316; (bei Fichte) 269 Pflicht, Verpflichtung zur (praktischen) R. (bei Fichte) 257,

R. 17, 42,113,116, 134-146,

150-53; (bei Kant) 132 f.; (bei Hegel) 17, 42, 107, 114,

274

116, 150, 164, 189 f.; vgl.

Rechtsférmigkeit gesellschaftliches R. (bei Fichte)

Rationalitatsanspruch im Wol-

len 177, 253-58

reasoner, ideal 149 Recht 91, 102, 123, 279; (bei Fichte) 189, 268, 275—81, 321; (bei Schelling) 322; (bei Hegel)

276

juridisches R. 16, 91,111—113, 127, 167; (bei Kant) 111 f., 125 f., 129 f.,131; vgl. abstraktes R., Zwangsrecht, po-

30, 99, 102-103, 105—106,

sitives R., juridische Rechts-

182 f., 184, 189, 318, 321, 357, 359, 362; vgl. Anspruch, Gesetz,

formigkeit moralisches R. 42, 113,139, 141 f.,143—46, 245, 261, 264; gl. Recht, moralische Rechts-

Rechtsform, Vertrag R. auf absolute Freiheit (bei

Fichte) 247 R. auf alles 178; (bei Hobbes) 322, 337; (bei Fichte) 322; (bei Hegel) 322 R. der Besonderheit (bei Hegel)

formigkeit

moralisch geltendes juridisches

R. 112 f., 125 f., 127 natiirliches R. (bei Hobbes)

99, 102; vgl. besonderes R.

322, 322; ogl. Naturrecht

R. der Familie und Subjektivitat (bei Hegel) 318 R. des moralischen Willens (bei Hegel) 98

ffentliches R., Prinzip des (bei

Staates (bei Hegel) 318 R. gegeniiber sich selbst 142 f. R. aufs Recht (Metarecht) 107,

tik der Rechtsform Paradigma des R. 10; (bei Kant) 125 f., 130; vgl. Rechtsform

Kant) 80, 129

positives R. 112 f.; vgl. juridisches R.

R. der Offentlichkeit und des

152 f.; (bei Hegel) 363 R. des subjektiven Willens

Kritik des R. 18, 106; vgl. Kri-

(bei

Vertrauen ins eigene R. 265

Hegel) 98, 103; vgl. R. der Besonderheit abstraktes R. (bei Hegel) 75,

gl. Billigkeitsrecht, Menschen-

rechte, Naturrecht, Notrecht, Privatrecht, Strafrecht, Unrecht, Urrecht, Vernunftrecht,

100 f., 105,113, 362

432

Widerstandsrecht, Zwangsrecht Rechtfertigung, rationale (bei

Hegel) 181 Rechtmafigkeit von dffentlichen

Gesetzen (bei Kant) 79 f.; Rechtsanspruch 113,144 f.,246 Rechtsbegriff, empirischer (bei Hegel) 318 RechtsbewuStsein 245; 265; (bei Fichte) 280 f.; (bei Hegel) 360,

363

urspriingliches R. (bei Fichte) 245 f. Genese von R. 280; (bei Fichte) 280 f. Rechtsbrecher s. Verbrecher Rechtsbruch s. Unrecht, Verbrechen Rechtsform, Rechtsférmigkeit 16,

18, 42,107 f., 111-115, 163; (bei Kant) 124—34, 160, 173, . 176 £.; (bei Fichte) 267—69; (bei Hegel) 183 f., 187; vgl. Recht, rechtsférmiger Anspruch, r. Sozialbeziehungen, r. Sozialitat ethische, moralische R. 114;

Prinzip der R. (bei Kant) 69 f., 129; vgl. Rechtsprinzip Rechtsphilosophie Hegels 96—111, 149; vgl. Recht (bei Hegel) Rechtspositivismus 112 Rechtsprinzip (bei Kant) 127, 127; (bei Fichte) 281; vgl. Rechtspflichten, Prinzip der

Rechtsregel (bei Fichte) 278 Rechtssatz (bei Fichte) 275 f.,

277, 339

Rechtsstandpunkt

193

Rechtsstreit 143 Rechtsverhiltnis (bei Fichte) 276 Rechtszustand (bei Hegel) 366,

379, 381

Referenz 209

garantierte R. 226, 233, 233;

vgl. Selbstreferenz Reflexion 215 f.; (bei Hegel) 188, 190, 297, 298, 305; vgl. Selbstreflexion absolute R. (bei Fichte) 255;

(bei Hegel) 333

(bei Kant) 130—34; vgl.

reine R. (bei Hegel) 385 Reflexionsbeziehung (bei Hegel) 184

Moral, rechtsférmige; Mora-

litat, rechtsférmige juridische

Reflexionstheorie (des Selbstbe-

R. 107, 114,115; vgl. Recht,

juridisches Kritik der R. 42; (bei Aischylos) 318 f.; (bei Hegel)

16—18, 106 f., 114, 163, 181,

190, 193, 318 f. Rechtsgesetz 79 f.; vgl. Gesetz RechtsgewiSheit 265 Rechtsordnung (bei Fichte) 277 Rechtsperson (bei Hegel) 75, 100,

100, 379

Rechtspflichten 128 f.,134

(bei Kant) 125,

(bei Hegel)

wuBtseins)

208, 209—10,

214-20, 237

Regel, praktische (bei Kant) 59, 59

R. der Geschicklichkeit (bei Kant) 88 Regelutilitarismus 77 f. Regre&, unendlicher 218 f., 229, 250; vgl. Progre&, unendlicher Reich , R. Gottes (bei Kant) 189; (bei Hegel) 110, 162, 189 f. R. der Moralitat (bei Kant und 433

Hegel) 189

R. der Zwecke

128,158,178

(bei Kant) 39,

Religion 38; (bei Hegel) 116, 164, 179, 185, 188—go, 302, 369 f., 384

R. der Herrschaft

Reichtum (bei Hegel) 193, 334 Reihenfolge von Handlungen s. Handlung Relativierung, Relativitat vgl. Relativismus R. evaluativer Richtigkeit 169

R. des moralischen Gehalts, der moralischen Geltung, Ver-

nunft 55, 73,147, 150; vgl. Standpunkt, moralischer

axiologische R. moralischer Giiltigkeit 169 sittliche R. der Moralitat 9,

12-19

300

christliche R. 38; vgl. Christentum

jiidische R. 299 f. positive R. (bei Hegel) 296, 299-301, 362

religidser Weltbezug (bei Hegel) 184, 189 Republikaner (bei Hegel) 294 Resozialisierung 73,162 Revolte

383

(bei Hegel) 163, 191,

franzisische R. (bei Hegel) 192, 383

tion 42,171

Revolutionar

161,191

Richtigkeit 141; vgl. Geltung,

Begriindung moralische R. 149, 168, 175; (bei Kant) 130, 142,154

Prinzipien 18, 172

soziale R. moralischer Vernunft

179

moralisch-praktische R. 15; (bei

soziale und historische R. moralisch-praktischer Vernunft (bei Hegel) 292 Relativismus

363

Revolution

sittliche R. moralischer Motivasittliche R. der praktischen Richtigkeit moralischer

(bei Hegel)

Kant) 130

praktische R. moralischen Handeln 150, 163, 167 f.

vgl. Relativierung,

Relativitat axiologischer/evaluativer R.

zweckabsolute R. 130, 142

deskriptiver ethischer R. 148 (normativer) ethischer/morali-

sittliche Relativitat der praktischen R. moralischer Prin-

Relativierung evaluativer R. 169

169

scher R. 13,18, 147—53, 169

prinzipieller moralischer R. 150 radikaler moralischer R. 13, 14,

zipien 18,172

Rigorismus

171 29, 90, 95134, 1577 1773

(bei Fichte) 268 rigoristischer Pflichtbegriff (bei

148 f.

metaaxiologischer R. 169

metaethischer R. 148—50, 169

prinzipieller metaethischer R.

150

vgl. Wahrheitsrelativismus, Wertrelativismus

(bei Kant) 12 f., 22,

Kant) 88—96, 176 Risiko des Lebens, existentielles Risiko (Existenzrisiko) 17, 117 f.,124, 138, 142, 146, 317 Rolle 262 f.

434

Romantik 147, 238 Frithromantik

169

Sachverhalt, subjektiver

Tatsache, subjektive Sadismus 170 Sanktion

296 f.; vgl. Existenz absolutes (urspriingliches, reines) Sein des Ich (bei Fichte) 244 f. Selbst 23, 259, 259, 264; (bei Hegel) 291, 369 f., 374,

214; vgl.

381—83; vgl. Selbstsein, Selbst-

111; vgl. Strafe

bild, Selbstverstandnis, Selbstgefithl, Ichidentitat

legitime S. 162 moralische S. 112 negative/positive S. 140

Sanktionierbarkeit

eigentliches S. (bei Kant) 199 intelligibles S. (bei Kant) 197,

15; vgl.

200

Rechtsférmigkeit juridische S. 113,137 £.,177

praktisches S. 259; (bei Fichte) 200; (bei Hegel) 292 reines S. (bei Hegel) 383 Bildung des S. (bei Fichte) 172; (bei Hegel) 122 Selbstachtung, positive (bei Fichte) 269, 269 Selbstiandige, das (bei Hegel) 294 Selbstandigkeit (bei Fichte) 256 f.,

moralische S. 16,113, 136 f., 140,177

S. durch Zwang 139 Satz vgl. Urteil moralischer S. 121; vgl. Werturteil, moralisches

Begriindungsanspruch moralischer S.e 54 praktischer S. 149; vgl. Wert-

259 f., 267, 268, 273 £., 302;

(bei Hegel) 290, 296, 299, 376,

urteil

Scham 265

Schein, sinnlicher

3791 379, 381

unbedingte S. (bei Hegel) 300 wahre S. (bei Hegel) 377

225

Schellingianismus des friihen Jenaer Hegels 312 Schenken 117 Schicksal (bei Hegel) 191-94,

Tendenz, Trieb zur (absoluten)

S. (bei Fichte) 249 f., 252 f.,

257, 302

Selbstanschauung (bei Hegel) 384; vgl. Selbsterfahrung, Sichwissen-im-anderen Selbstaufforderung 123 Selbstbeherrschung (bei Fichte)

297, 302

Schlu8 (bei Hegel) 344, 347

Sch. in seiner Unendlichkeit

(bei Hegel) 345

Schmerzen 232 Schénheit (bei Hegel) 190, 194 Sch. der Seele (bei Hegel) 194;

246

Selbstbesinnung 212; vgl. Selbstreflexion Selbstbestatigung, Bediirfnis nach (bei Hegel) 339 f. Selbstbestimmung (bei Fichte) 228—30, 233, 249 f.; (bei Hegel)

vgl. Seele, schine Schuld 116,122

Schuldgefiihle 122 Schuldigkeit (bei Kant) 139 Seele, schéne (bei Hegel) 194, 367 Sein (bei Hélderlin) 185, 192; (bei Hegel) 181, 185, 185,

297, 306, 383, 387 f.

kausale S. 229; (bei Fichte)

435

Selbstbeziiglichkeit vgl. Selbstbeziehung, praktische/voluntative S. praktischer Intentionen 251

229 f., 255 f.

rationale S. 229, 229, 255 f.

Steigerung von S. (bei Hegel)

297

S.des Wollens 251, 251; (bei Fichte) 250

SelbstbewuBtsein 9, 204—05,

Selbstbild 259; vgl. Selbstver-

209—27 (insbes. 224—27), 234, 239 f., 262, 332; (bei Fichte) 23, 201—28, 247 f., 272; (bei Hegel) 20, 22, 23, 192—93, 288, 290 f.,

stindnis, Selbstinterpretation

Selbstdarstellung, Bediirfnis nach

(bei Hegel) 339 fF. Selbstdurchsichtigkeit 267 Selbstentfremdung 238; (bei Fichte) 238, 241

297, 312, 326, 328, 330,

331—32, 373—76, 37880, 383;

vgl. Ich S. im eigenen Fall/in der ersten Person 211—13; vgl. ,,ich” S. in der dritten Person 214 allgemeines S. (bei Hegel) 99,

affektive, emotionale S. 23,

169, 234, 238—41, 264, 317

Selbsterfahrung

193 £., 292, 322, 342, 351-57, 362, 372—74, 379; Dgl. Sich-

384

kognitives S. 220 leibliches S. 209 moralisches S, (bei Hegel) 374 praverbales S. 213, 220, 328 teines S. (bei Hegel) 296 f., 304 F., 308, 382 verbales S.

finden praktische S. (bei Fichte) 270,

275

Trieb zur S. (bei Hegel) 347

Selbsterfassung (bei Hegel) 382; gl. Sicherkennen-im-anderen

S. der Freiheit (bei Fichte) 301

225, 227,328

Bedingung von S. (bei Fichte) 270—72; (bei Hegel) 328 Dialektik des S. (bei Hegel) 23, 288 f., 332 Einheit des S. (bei Hegel) 375 Genese des S. 210, 215

Geschichte des S. (bei Hegel) 289

neuzeitliche Selbstbewu8tseins-

Selbsterhaltung 155; (bei Jacobi) 348; (bei Fichte) 348 Selbstgefiihl (bei Hegel) 23, 110, 351, 362, 389 £., 392; vgl. Ichidentitat, affektive

Selbstgesetzgebung 126; vgl. Autonomie

Selbsthaftigkeit im Wollen

249-51; vgl. Selbstbeziehung, Selbstbeziiglichkeit, Wollen Selbstidentifikation 219, 219,

theorie 214

Selbstbeziehung 204 epistemische S. 21, 199; (bei Fichte) 237 f., 241; vgl. Wissen von sich, SelbstbewuBtsein

praktische/voluntative 5. 254, 272; (bei Fichte) 21, 241, 247;

(bei Hegel) 350, 387, 392;

vgl. Selbstbeziiglichkeit

(bei Hegel)

233; (bei Fichte) 227, 249; (bei Hegel) 334, 338, 346, 360 kriterienlose S. 233

Selbstinterpretation 260; vgl. Selbstverstandnis Selbstmord (bei Kant) 78; (bei Hegel) 358, 360, 385 Selbstphilosophie (bei Fichte)

436

211 f. Selbstpriifung des Bewu8tseins

227—29; (bei Hegel) 337 f., 386; vgl. Sich-Setzen

schlechthin S. (bei Fichte) 223-24

(bei Hegel) 373

Selbstreferenz 233; vgl. Referenz,

Sexualitat, weibliche (bei Hegel) 354; vgl. Beziehung, sexuelle Sicherkennen-im-anderen (bei

garantierte

Selbstreflexion 238; (bei Fichte) 238; (bei Hegel) 193, 326; vgl. Reflexion, Selbstbesinnung

Hegel) 335 £., 353, 367

objektivierende S. 238, 238, 240 fF. Pflicht zur S. (bei Fichte) 257

Selbstsein

Sichfinden 249; (bei Fichte) 247-49, 253, 254, 259, 272,

281; (bei Hegel) 304, 346, 372, 381; vgl. Selbsterfahrung, Sichwissen-im-anderen Sichidentifizieren mit sich s. Selbstidentifikation Sich-Setzen (bei Fichte) 218, 221, 228 f., 233, 254; (bei Hegel)

12, 28, 260; vgl. Selbst

affektives, emotionales S. 240 notwendige Bedingung von S. 12; vgl. Ichidentitat, not-

wendige Bedingung von Selbsttatigkeit 252; (bei Fichte)

249, 252

337 £., 346, 350, 386 f.

absolute S. (bei Hegel) 305 f. moralische S. (bei Schiller) 157 f. Selbstverstaindnis 259; vgl.

Sich-Setzen-als-setzend

Sichwissen-im-anderen (bei Hegel) 353—55, 367, 389 f.; vgl. Sicherkennen-im-anderen Sinn (des Lebens) 23, 170, 241,

Selbstbild, Selbstinterpretation

praktisches S. 326 vorlaufiges S. (bei Hegel) 339 Bedingung fiir konsistentes S. (bei Fichte) 339; (bei Hegel)

260, 262

moralischer S. 155 notwendige Bedingung von S. 262-67

339

Selbstverwirklichung (bei Jacobi) 348; (bei Fichte) 348; (bei Hegel) 348 f. Selbstwerden 262 rein kommunikatives S. 9 Selbstzuschreibung (von Attributen) 231 S. von mentalen Zustanden

Zerstérung von S. s. Sinnverlust Sinnangebot 262 f. Sinnlosigkeit 166 Sinnverlust

168—71; (bei

Hegel) 170 Sinnlichkeit (bei Schiller) 157; vgl. Neigung

231-33

Selbstzwang (bei Kant) 12, 15 f., 91,113, 129 f. S. in der Arbeit (bei Hegel) 351f. Sensibilitat 117, 159 Setzen (bei Fichte) 218, 223—24,

(bei

Fichte) 219, 221-23, 224

S. und Vernunft

(bei Kant) 93;

(bei Schiller) 159; (bei Hegel)

192; vgl. Pflicht und Nei-

gung, Gesetz und Neigung

Sintflut (bei Hegel) 300—03 Sittengesetz

s. Moralprinzip

Sittlichkeit (bei Hegel) 28, 30, 39, 437

tion, s. Beziehungen, s. Tapfer-

387 f. spekulative Grundformel (bei Hegel) 298 sp. Philosophie (bei Schelling) 201; (bei Hegel) 42, 42 f.,

absolute S. (bei Hegel) 316,

sp. Prinzip (bei Hegel) 287—89,

42 f., 84, 102 f.,104—11, 119, 146, 159, 162, 289 f., 313, 320,

363, 370, 381, 390, 392; vgl.

sittliche Moralitat, s. Motiva-

162

keit

320, 325

504

natiirliche S. (bei Hegel) 320 f. nichtinstitutionelle S. (bei Hegel) 104, 147, 150,

Spieltrieb (bei Schiller) 159 Spinozismus 348; (bei Hegel) 180, 307, 312, 323; vgl. Neo-

zerstérte S. 18, 42, 161 £., 169,

Spontaneitat der Rezeptivitat (bei

163-65, 181

171, 176 f. Prinzip der S. s. Moralprinzip Skeptizismus (bei Hegel) 377, 379: 379

Sklaverei 71,152 Soldat 118

Solidaritét 10, 117

Sollen 18; (bei Kant) 33, 88 f., 91; (bei Hegel) 95, 182 rationales S. 92 verbindliches S. 145 Sollensdenken 29, 33 Sollenskritik (bei Hegel) 14,17, 28 £., 33, 33, 36, 88, 95, 121, 134 swpooctvy 192 Sozialbeziehungen vgl. Beziehung nichtinstitutionelle sittliche S.

spinozismus

Fichte) 349

Moralitat der transjuridischen

Spontaneitit 369 Sprache 50; (bei Hegel) 327, 334, 334-35

Staat (bei Hegel) 109, 149, 165 Absterben des St. 17 Recht des St. (bei Hegel) 318, 381

Stand (bei Hegel) 316, 318 Standpunkt St. des Absoluten 306

(bei Hegel)

moralischer St. 171, 187; (bei Hegel) 18, 42, 96 f., 113, 164, 185,190; vgl. Moralitat

autonomistischer m. St., Kritik

rechtsférmige S. 181

des (bei Hegel) 166 hGherer m. St. (bei Hegel) 97 Begriindung des m. St. 166,

Erziehung

Leerheit des m. St. 15; vgl.

164

Sozialisation

261, 263 f.; vgl.

266

primare S. 264, 276

Moralitat, Leerheit der; Im-

Sozialisationsforschung, psycho-

perativ, Leerheit des kategorischen Relativierung des m. St. (bei Hegel) 153, 161, 259; vgl.

analytische 264, 267 Sozialitat, rechtsformige (bei Hegel) 317 Sozialstruktur 152 Spatphilosophie Fichtes 268—70 Spekulation (bei Hegel) 304 f.,

Relativierung

Wichtigkeit des m. St. 166, 166

moralistischer m. St. 182

438

sittlicher St. (bei Hegel) 97 vgl. Rechtsstandpunkt Stellungnahme zu sich 205, 205 Stimmung

Stoizismus

264

(bei Hegel) 377, 379,

379

Strafe 81; (bei Hegel) 97, 100, 191—92, 365

Verniinftigkeit der St. (bei Hegel) 101 Strafrecht (bei Kant) 191 Todesstrafe 73 Streben (bei Fichte) 243 unendliches St. (bei Fichte) 243 Sturm und Drang 348; (Hegels) 33

Tadel, moralischer

(bei Schiller) 160 supererogatorischer m. T. 135 Takt 117,119 Tapferkeit (bei Platon) 316; (bei Hegel) 117 f., 193 f., 302, 315 f. sittliche Tapferkeit (bei Hegel)

317,319

Tathandlung

Tatsache

228

Subjekt-Objekt-Dialektik s.

Dialektik

Subjekt-Objekt-Identitat s. Identitat Subjektivismus, moralischer 34; (bei Kant) 15,35 Subjektivitat 213 f., 234, 239, 243, 243; (bei Fichte) 202, 227, 240, 296; (bei Hegel) 97, 191, 194, 295—97, 306—11, 322; vgl. Tatsache, subjektive

vgl. Sachverhalt, subjektiver

Tausch 101

T. von Aquivalenten (bei

Hegel) 327, 329, 364, 365

Technik (bei Hegel) 300 Teleologie (bei Hegel) 372 f.; vgl. Naturteleologie Tendenz spontane T. 124 urspriingliche T. 250, 254 T. zur (absoluten) Selbstandigkeit s. Selbstindigkeit Supoevdés

135, 138-41

System Hegels 30, 37 Wandlung des Systems Fichtes

247

316

Tier 246 Tod (bei Hegel) 314, 333 Beziehung/Verhaltnis zum

(eigenen) T. 315—17, 320;

absolute S. (bei Hegel) 321 leere S. 33 moralische S. (bei Hegel) 180 Konstitution verniinftiger S. (bei Fichte und Hegel) 292 Philosophie der S. 35 Prinzip der S. (bei Fichte) 202

supererogation, supererogatory

(bei Fichte) 240, 247

objektive T. 234—35 subjektive T. 234, 234, 243;

Subjekt vgl. Subjektivitat

absolutes S. (bei Fichte) 222,

121, 140, 140;

(bei Hegel) 314—16 Fahigkeit des T. (bei Hegel) 314 fF. Todesangst/Todesfurcht (bei

Hegel) 315, 377

Todesbereitschaft (bei Hegel) 325,340

TodesbewuStsein 316 f. Todesdrohung/Todesgefahr 315; (bei Hegel) 322 f. Todeserfahrung 340 f. Todesstrafe 73 Totalitat (bei Fichte) 243; (bei 439

Hegel) 307, 310 f., 323 f., 333 f.,

Triebfeder 156, 165; vgl.

extensive T. (bei Hegel) 336

Trieblehre, philosophische Schiller) 159

336, 338 £.

Motivation

intensive T. (bei Hegel) 336,

338

Totalitatscharakter des Ich (bei Fichte) 243, 245

Totalitatsstruktur entfalteter Selbstbeziehung (bei Fichte)

322

Tragische, das

vgl. Naturtrieb, Urtrieb

Trotzphasen 265 Tugend

184

T.(pflicht) der Empfindung

tragischer Konflikt 171 Notwendigkeit des tragischen Konflikts (bei Hegel) 319 tragisches Opfer (beiHegel) 319

Kant) 131

(bei Kant) 131

T. (pflicht) der Liebe (bei Kant)

16, 131-33, 135, 139, 184

T. im Sittlichen (bei Hegel) 318

T.(pflicht) des Umgangs 117; (bei Kant) 131 absolute formale T. (bei Hegel)

(bei Kant) 29

griechische T. (bei Hegel) 191 f. Transsubjektivitat praktische T. (bei Hegel) 390 sittliche T. 367

315

Tugendlehre 134; Prinzip der Tugendlehre

s.

128

Motivation transzendental 91 f.; (bei Kant) 80; vgl. Deduktion, transzen-

dentale

(bei

T.(pflicht) der Humanitat 117;

Tragédie

transsubjektive Motivation

121, 265; (bei Kant) 96;

(bei Schiller) 157 T.(pflicht) der Achtung (bei Kant) 16, 19, 131 f., 134 f.,

122

T. und Moralitat

(bei

(bei Kant) 128,

Tugendpflichten (bei Kant) 125, 128, 130, 134, 139

Tunwollen

252

Transzendentalphilosophie

(bei Hegel) 381, 386, 392

transzendentalpragmatisch

70

Treue (in persénlichen Beziehungen) 120 f., 124, 138, 142

Trieb

(bei Schiller) 159; (bei

Fichte) 349; (bei Jacobi) 347 f.;

(bei Hegel) 23, 294, 347-54,

380

T. nach absoluter Selbstandigkeit s. Selbstandigkeit

T. des SelbstbewuBtseins

Hegel) 335

(bei

Triebbegriff, idealistischer 349 Triebbegriff, neospinozistischer 35°

Ubereinstimmung

s. Konsens

Obererforderlichkeit 135; vgl. supererogation

iibergebiihrlich 135; Obergebiihrlichkeit 135; gl. supererogation

Uberlegung, verniinftige

314

Umkehrung des BewuB8tseins

Hegel) 361, 377

(bei

Unabhiangigkeit (bei Fichte) 302 U. von der Natur (bei Fichte) 256

absolute U. (bei Hegel) 333

Unbestimmbarkeit, Unbestimmt-

heit (Unbestimmtes)

234, 243,

243; (bei Fichte) 242 f.; (bei

440

analytisches U. 236 moralisches U. 251, 182; (bei

Hegel) 305—10, 332 F., 375; vgl. Unentschiedenheit, Unendlichkeit, Ich

Kant) 175; Entwicklung des

absolute U. (bei Fichte) 237,

m. U. 151 thetisches U. (bei Fichte) 236 unendliches U. (bei Fichte) 236, 309; (bei Hegel) 308—09,

249, 310

attributive U. 302 negative U. (bei Fichte) 242; (bei Hegel) 298 positive U. (bei Fichte) 242 f. radikale U. 213, 298; (bei Fichte) 241, 309; (bei Hegel)

374, 382

Urtrieb (bei Fichte) 348 Urzustand der Gleichheit 138; vgl. Gleichheit

298, 307, 309

Utopie

reine U. (bei Hegel) 385 Unendlichkeit (bei Fichte) 243; (bei Hegel) 308 f., 312—16,

U. sozialer Beziehungen (bei Kant) 189; (bei Schiller) 159; (bei Hegel) 188 f. moralische U. (bei Kant) 189; (bei Hegel) 32, 188 f.

331 £., 378, 385, 387 Ff.

Unentschiedenheit vgl. Unbestimmbarkeit schlechthinnige U. (bei Hegel)

314

Verallgemeinerung (in der Ethik),

Verallgemeinerbarkeit vgl.

unendlichfache U. 234,243 Universalisierung s. Verallge-

Imperativ, kategorischer V. von Handlungsweisen

meinerung

60, 69,130

Unparteilichkeit 83 moralische U. 170—71 Unrecht 162, 265; (bei Hegel) 101, 364; vgl. Verbrechen U. tun/U. leiden 265 Unsterblichkeit der Seele (bei Kant) 155 f. Unterdriickung von Minderheiten

73 f.

Unterlassen

V. von Maximen

45-77. 174

seiner selbst, das Andere seiner

selbst Unterschlagung s. Depositum Unterwerfungsvertrag (bei Hobbes) 337 Urrecht (bei Fichte) 246 f., 276 f., 322 Urteil vgl. Satz

(bei Kant)

Denken-Kénnen der V. von Maximen (bei Kant) 47—57, 68 £.,128

Wollen-Kénnen der V. von Maximen (bei Kant) 47 F.,

70-72, 128

V. beziiglich der Subjekte 77 Argument der V. 54,77,77,

61, 63

Unterschied an sich selbst (bei Hegel) 374; vgl. Gegenteil

16,

79:79

Prinzipien der V. 141, 257—58 Verallgemeinerungsanspruch von Werturteilen 171 Verantwortlichkeit 147 Verantwortung 116, 146; (bei

Hegel) 98 Verbindlichkeit, Weise der

(bei

Kant) 153; vgl. Pflicht, Ver-

pflichtung

441

Verbindung von Verbindung und Nichtverbindung (bei Hegel) 298

Verbotenheit, moralische

61 f.

Verbrechen (bei Aischylos) 319; (bei Hegel) 100—02, 162 f., 190—94, 292, 302, 320, 322—24, 341, 36366; vgl. Verbrecher,

Unrecht legitimes V. (bei Hegel) 181,

191

moralisch motiviertes V. 161 Prinzip des V. 101 Rechtfertigung des V. (bei Hegel) 364 vgl. Verséhnung des V.

Verbrecher

absolute V. (bei Hegel) 382 Vermittlung (bei Hegel) 29 V. von Subjekt und Objekt (bei Hegel) 327 f. sittliche V. moralischer Autonomie (bei Hegel) 371 reine V. (bei Hegel) 382 Vermégen (bei Kant) 93; (bei Fichte) 255 Vermégenspsychologie (bei Kant) 93 Vernichtung (bei Fichte) 310; (bei Hegel) 307 f. Vernunft (bei Kant) 124; (bei Hegel) 306 f., 310 f., 338, 340,

345 £.,379—-80 V. und Sinnlichkeit s. Sinnlichkeit allgemeine V. (bei Hegel) 380 f.

161, 320; (bei Fichte)

277; vgl. Verbrechen

Rechtlosigkeit des V. (bei Fichte) 270, 277 f.

Verdienst, moralisches

praktische V. 272; (bei Hegel) 313, 340, 361 £., 380 substantielle V. (bei Hegel) 106 Genese von V. 280 Primat der praktischen V. 35

(bei Kant)

90, 132,139 f. Verdoppelung seiner selbst (bei Hegel) 298 Vereinigung (bei Hélderlin) 41, 193; (bei Hegel) 41, 109 f., 165,

ogl. Relativierung der V.

Vernunftrecht, revolutionares

182, 190, 192, 297, 311

V. von Einigkeit und Trennung (bei Hegel) 298 V. von Ich und Nicht-Ich (bei Hegel) 301 Furcht vor V. (bei Hegel) 295 f. Verfall, moralischer 155 Verfassung, gerechte (bei Kant) 125 Vergegenstandlichung (bei Hegel) 345, 351—52, 384; vgl. Objektivation

V. in der Arbeit (bei Hegel) 355 Trieb zur V. (bei Hegel) 352 Verhalten zu sich 205, 272 Verkehrung (in der Strafe) (bei Hegel) 364 f.

(bei Fichte) 371 Vernunftsubjekt, praktisches (bei Fichte) 260; (bei Hegel)

314, 359

Vernunftwesen, praktisches

258; isoliert lebendes V. 152 Verpflichtung 102, 138, 185; (bei Hegel) 139, 182; vgl. Pflicht, Verbindlichkeit V. gegeniiber sich selbst 244; vgl. Pflicht gegen sich selbst V. gegeniiber Kindern s. Kinder

V. zu Gefiihlen und Motiven 120 f., 368 V. zur Pflichtmotivation (bei Kant) 88; vgl. Metapflicht

442

adressierte V. 145 f.; (bei Hegel) 145 enge/weite V. 15, 136; (bei Kant) 15, 130

institutionelle V. 128 moralische V. 17, 41 f.,122—24,

Verstehen, sittliches 159 Verteilung, gleiche von Gliick bzw. Handlungsméglichkeiten 154; vgl. Gleichheit Vertrag

Hegel) 99 Rechtlichkeit von Vertragen

135,139, 141-43; (bei

(bei Kant) 129

Hegel) 12, 17,121 einklagbare, forderbare, insti-

Vertragsgerechtigkeit 101 Vertragstheorie 75, 83 f., 126 f.,137 £.,144, 169; (bei

tutionalisierbare, rechtsférmige, sanktionierbare moralische V. 16, 42,114;

(bei Kant) 132; (bei Hegel)

16, 42, 184 f.

sittliche, supererogatorische, tibererforderliche, uneinklagbare, nichtforderbare moralische V. 17, 42, 84, 115—121, 123—24, 132 f.,

134-47, 150-53, 155, 162,

171 £.; (bei Schiller) 160; (bei Hegel) 17, 42, 116—121, 123, 150, 172, 185, 187

nichtadressierte V. 145 f.; (bei Hegel) 145

Verschiedenheit, absolute

Hegel) 374

Kant) 126 f., 129; (bei

Fichte) 270; (bei Hegel) 106; vgl. Konsensprinzip, vertragstheoretisches Vertrauen 121,159, 162; (bei Hegel) 190, 193 V. in die eigene Lebendigkeit

264

V. ins eigene Recht 265 Vervollstindigung (bei Hegel) 185,311

Verzeihung 17,137 f., 368; (bei

Hegel) 22, 116, 365-68 V. der Siinden (bei Hegel) 190

moralische Verpflichtung zur V.

(bei

Versthnlichkeit, Pflicht zur (bei Kant) 134 Verséhnung 115 f.,119, 122,191;

(bei Hegel) 22, 115, 121, 162,

163, 191, 319, 319, 367

V. des bésen Gewissens (bei Hegel) 192 f. V. mit dem Schicksal (bei Hegel) 297, 302 V. des Verbrechens (bei Hegel)

115, 162, 181, 190-94, 323, 323,365

Versprechen 48 f.

falsches V. 46, 48-51, 55, 56,

59, 69 £., 78; vgl. Liigen implizites V. 50, 119

144; (bei Kant) 129; (bei

(bei Hegel) 368

rechtlicher Anspruch auf V. 366 Volksgeist (bei Hegel) 339 Volkssouveranitat 126 Volkswiderstand

(bei Kant) 80

Vollkommenheit moralische V. (bei Hegel) 187 sittliche V. (bei Schiller) 157, 160

Wahlbeteiligung/Wahlabstinenz 63 f. Wahre, das

(bei Hegel) 387

Wahrheit 148; (bei Hegel) 150 Wahrheitsanspruch 280 Wahrheitsrelativismus 148 Wahrnehmung

443

209

»Wallenstein”

159,170

391 f.

159; (bei Hegel)

Warenform 152 Weite 225, 243 Welt 243 intelligible W.

199,199

W. zur Freiheit (bei Hegel) 391 W. zur Herrschaft (bei Fichte) 301; (bei Hegel) 300 W. des W. anderer (bei Hegel)

355 £., 391 £.

(bei Kant) 197,

absoluter W. (bei Fichte) 246; (bei Hegel) 365 abstrakter W. (bei Hegel) 345,

Weltbezug, religidser s. Religion

345, 352

Werk (bei Hegel) 347, 352 Werkzeug (bei Hegel) 327, 327, 334, 334, 347,353

Werkzeuggebrauch Wert

allgemeiner W.

99 £., 363, 371, 377, 384 F.

altruistisches W. 251 egozentrisches W. 251 freier W. (bei Hegel) 390, 392 f. guter W. (bei Kant) 14, 14,

(bei Hegel)

335

W. moralischer Motivation go moralischer W. 86 f., 95,156; Rangordnung ethischer W.e

41, 85, 87, 90, 197

heiliger W. (bei Kant) go; vgl. Heiligkeit

135

Wertethik (materiale) 33,135,

intelligibler, reiner W.

160

Kant) 91 f.

Wertrelativismus 43; vgl. Relativismus Werturteil

100

sches Werturteil 121,171

wahrhafter W. (bei Hegel) 390 Autonomie des W. (bei Kant)

Wesen (bei Hegel) 36 Wichtigkeit des moralischen

177-79

Standpunkts, moralischer Ge-

Besonderheit des W. (bei

setze, Prinzipien 166 f., 199

Widerstandsrecht

112

Hegel) 97 f. Unbedingtheit des W.

(bei Kant)

Volkswiderstand (bei Kant) 80 Wiedervergeltung (bei Kant) 191 Wille, Wollen 64, 70, 177, 199 F., 205, 249, 251—54; (bei Kant) 175,197—201; (bei Fichte) 21, 200, 247—59 (insbes. 252); (bei Jacobi) 349; (bei Hegel) 22 f.,

(bei

rationaler W. 198, 229, 229 subjektiver W. (bei Hegel) 98,

122,171; morali-

Widerstand 191

(bei Hegel)

360 f.

Willensbestimmung, moralische

(bei Schiller) 157 f. Willensmetaphysik 254 Wirkungsgeschichte Hegels 27—40; vgl. Hegelrezeption Wissen

W. vom eigenen Erleben

230 f., 238 f. W. von der eigenen (numeri-

30 f-, 344, 346—65 (insbes. 346,

schen) Identitat 218, 233 f.;

350 £.), 376 £., 384—93 (insbes. 391 f.) W. des eigenen W. (bei Hegel)

(bei Fichte) 218, 227, 231,

249

444

W. von eigenen Rechten (bei Hegel) 360; vgl. RechtsbewuBtsein W. von der Existenz anderer (bei Fichte) 272 W. von sich 231—35; (bei Fichte) 173, 227—47 (insbes. 227 f., 230 £.), 249; (bei Hegel) 173, 304; reines W. von sich (bei Hegel) 365, 367, 383; vgl. Selbstbeziehung,

Wiirde (bei Kant) 82, 177 f.; (bei Schiller) 157 f., 368 f. Zorn

Zugang, epistemischer zu eigenen

mentalen Zustanden

Zustand, mentaler

249

361-63,

absolutes W.

374,381

(bei Hegel) 31,

Z. der Pflicht (bei Kant) 89—91; val. Selbstzwang

moralisch legitimer Z. 125, 139

korrigibles/inkorrigibles W. 232, 233; vgl. Korrigibilitat moralisch-praktisches W. (bei Fichte) 172 philosophisches W. (bei Hegel) 304 f. praktisches W. (bei Fichte) 21;

Sanktionierbarkeit durch Z. 139 Zwangsrecht

16; moralisch

legitimes Zwangsrecht 112; vgl. Recht, juridisches

Zweck Z.-an-sich-selbst

177-78

(bei Hegel) 9, 360, 377, 393

unmittelbares W.

214, 231—33,

364 £.; gl. Zwangsrecht

(bei Hegel) 369,

sittliches W. 159

231

asthetischer Zustand s. Asthetik Zustimmung s. Konsens Zwang (duBerer) 52, 52,91; (bei Hegel) 314; vgl. Erzwingbarkeit Z. des Rechts (bei Hegel)

epistemische; Sichwissen-im-

anderen W. des Willens

265

Zufriedenheit 265

(bei Kant)

Reich der Z.e s. Reich

(bei Fichte)

zweckabsolut

220 f. Wohl 102 f.; vgl. Allgemeinwohl Wollen s. Wille Wiinschen 66 f., 251

91, 130, 142, 167

Zweckformel des kategorischen Imperativs

s. Imperativ,

kategorischer Zweckrationalitat 262

445

Deutscher Idealismus

Philosophie und Wirkungsgeschichte in Quellen und Studien Herausgegeben von

Hans Michael Baumgartner, Riidiger Bubner, Konrad Cramer,

Klaus Hartmann, Hermann Krings, Otto Péggeler,

Gerold Prauss, Manfred Riedel, Josef Simon, Michael Theunissen, Reiner Wiehl, Wolfgang Wieland

Bandi

Tilman Borsche Sprachansichten Der Begriff der menschlichen Rede in der Sprachphilosophie Wilhelm von Humboldts 1981, 341 S., Leinen, ISBN 3-12-913530-8

Band2

Eduard Gans Naturrecht und Universalrechtsgeschichte Herausgegeben von Manfred Riedel 1981, 260 S., Leinen, ISBN 3-12-913520-0

Band3

Michael Haller System und Gesellschaft Krise und Kritik der politischen Philosophie Hegels 1981, 277 S., Leinen, ISBN 3-12-913540-5

Band 4

Homburg vor der Héhe in der deutschen Geistesgeschichte Studien zum Freundeskreis um Hegel und Hélderlin Herausgegeben von Christoph Jamme und Otto Péggeler 1981, 377 S., Leinen, ISBN 3-12-913510-3

Klett-Cotta

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Reinhold Aschenberg Sprachanalyse und Transzendentalphilosophie 1982, 469 S., Leinen, ISBN 3-12-913550-2

Band 6

Die Flucht in den Begriff Materialien zu Hegels Religionsphilosophie Herausgegeben von Friedrich Wilhelm Graf und Falk Wagner 1982, 357 S., Leinen, ISBN 3-12-913560-X

Band 7

Andreas Wildt

Autonomie und Anerkennung

Hegels Moralitatskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption

1982, 445 S., Leinen, ISBN 3-608-91122-7

Stand: Herbst 1982 Bitte fordern Sie das Verlagsverzeichnis an.

Klett-Cotta

Hegels Philosophie des Rechts Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik Herausgegeben von Dieter Henrich und Rolf Peter Horstmann Mit Beitragen von C. Bruaire, C. Cesa, P. Chamley, J. D'Hondt,

H. F. Fulda, K. Hartmann, D. Henrich, R. P. Horstmann, K.H. Ilting, H. Klenner, M. J. Kénigson-Montain, M. Le Dantec, S. Mercier-Josa, T. I. Oizerman, H. Ottmann, A. Peperzak, O. Péggeler, L. Siep, M. Theunissen

Veréffentlichungen der Internationalen Hegel-Vereinigung, Band 11 1982, 450 Seiten, Leinen, ISBN 3-12-915800-6 Hegels Rechtsphilosophie hat sich in vielerlei Hinsicht als ein Werk erwiesen, das zur Diskussion Anla8 gibt. Besonders drei Aspekte sind es, unter denen auch heute noch ein bisher nur unzureichend befriedigendes Bediirfnis nach Aufklarung und Klarstellung der Grundlagen der politischen Philosophie Hegels und mit ihnen der Rechtsphilosophie besteht. Der erste dieser Gesichtspunkte betrifft die Hegelsche Rechtsphilosophie als Teil des philosophischen Systems Hegels, der zweite betrifft sie als Versuch der theoretischen Aufarbeitung von sozialen und gesellschaftlichen Phinomenen bzw. Zusammenhangen und der dritte Gesichtspunkt schlieBlich zielt auf die politischen Implikationen der Hegelschen Theorie des Naturrechts und der Staatswissenschaft selbst, also auf ihre

Bewertung im Rahmen eines Spektrums von in unserer Zeit erwogenen politischen Optionen. Die von der Internationalen Hegel-Vereinigung 1979 in Fontenay-auxRoses veranstaltete Tagung iiber Hegels Rechtsphilosophie hatte gewi8 nicht das Ziel, alle die genannten Aspekte des interessierten Umgangs mit der Rechtsphilosophie abschlie8end zu behandeln. Die Absicht, die bei der Planung leitend war, ging darauf, die an einer wichtigen Diskussion iiber ein Thema aus Hegels Werk Beteiligten zusammenzufiihren, den Stand der Diskussion gemeinsam zu beurteilen, Kontroversen auszutragen und neue Beitrage kontrovers zu erértern.

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