Ausgrabungen in Griechenland: Vortrag gehalten am 12. November 1900 in der Aula der Universität Rostock zum besten der Errichtung einer Bismarcksäule [Reprint 2019 ed.] 9783111465005, 9783111098098

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Ausgrabungen in Griechenland: Vortrag gehalten am 12. November 1900 in der Aula der Universität Rostock zum besten der Errichtung einer Bismarcksäule [Reprint 2019 ed.]
 9783111465005, 9783111098098

Table of contents :
Einleitung
Inhalt

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AUSGRABUNGEN IN

GRIECHENLAND.

VORTRAG GEHALTEN AM 12. NOVEMBER 1900 IN DER AULA DER UNIVERSITÄT ROSTOCK ZUM BESTEN DER ERRICHTUNG EINER BISMARCKSÄULE

VON

F. FRHR. HILLER VON GAERTRINGEN.

BERLIN

1901.

DRUCK UND VERLAG VON G E O R G

REIMER.

MEINERMUTTER WEIHNACHTEN • 1900 ZUR • ERINNERUNG • AN • UNSEREN BESUCH•DES•THEATERS•VON M A G N E S I A • AM • 5 A P R I L • 1893

Wir graben nicht mehr um Schätze, die Motten und Rost fressen: wir suchen die Wahrheit, mit dem Spaten und mit dem Gedanken. U. v. WILAMOWITZ-MOELLENDOKFF.

Iiis gereicht mir zur besonderen Freude, aus einem so schönen nationalen Anlasse, wie es die Errichtung einer Gedenksäule in dieser Stadt für den ersten und grössten Staatsmann Deutschlands ist, hier vor Ihnen zu stehen, um Ihnen von einer Thätigkeit zu erzählen, welche Theorie und Praxis, Wissenschaft und Leben in glücklichster Weise verbindet, keineswegs Selbstzweck ist, wol aber eins der wirksamsten und vornehmsten Mittel, der Geschichtswissenschaft neuen wertvollen Stoff zuzuführen, alte Streitfragen zu entscheiden, neue aufzuwerfen und ganz unbekannte Gebiete der Forschung zu erschliessen, nicht zum wenigsten aber auch, den Sinn für die ehrwürdigen Monumente der Vergangenheit zu vermehren, aus denen wir lernen, wie wir unsere eigenen grossen Männer zu ehren haben. — Das Wort A u s g r a b e n ist uns allen wolvertraut, und wol jeder Gebildete in Deutschland hat im Grunde seines Herzens mehr oder weniger Sympathie für diese Beschäftigung übrig. Wie mancher, der in der Philologie am liebsten nur öde Textkritik und grammatikalische Interpretation der klassischen Schulautoren sehen möchte, schwärmt vom Ausgraben und meint, das müsse doch wol eine



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herrliche, höchst romantische Thätigkeit sein. Dies haben in Italien vor allem die Ausgrabungen in den vom Yesuv verschütteten Städten Pompeji und Herculaneum, in Griechenland die Lebensarbeit und die Persönlichkeit eines mecklenburgischen Forschers, Heinrich Schliemann, bewirkt. Nicht jeder wird sich selbst Rechenschaft geben können über das, was dem Ausgraben seinen besonderen Reiz und Zauber verleiht. Oft wird dieser Reiz auch nur in dem Unbekannten, Fremdartigen liegen, das die Arbeit und Lebensweise des Grabenden umgiebt, oder in dem aufregenden Lotteriespiel,- das dem einen herrliche Funde, dem anderen leere Nieten in den Schooss wirft. Aber genug, der Reiz ist vorhanden, und er hat auch seine Berechtigung. Es wird verlocken, den Gründen nachzugehen, und dabei nach den Methoden und Zielen einer Ausgrabung, auch etwas nach ihrem äusseren Verlauf zu fragen. Ich darf mich dabei wo! auf Griechenland, d. h. den alten hellenischen Boden, beschränken, und auch da auf das, was ich aus eigener Erfahrung kenne. Eine systematische Vorlesung über die Geschichte der griechischen Ausgrabungen, von C'yriacus an bis auf die Erforschung des phrygischen Gordion im letzten Sommer, werden Sie am heutigen Abend nicht erwarten von mir zu hören, und wollten Sie es, so würden die an der hiesigen Universität wirkenden Vertreter der Altertumswissenschaft weit besser als ich im Stande sein, diesen gewiss berechtigten Wunsch ein andermal zu erfüllen. Meine persönlichen Erfahrungen auf dem Gebiete der Ausgrabungen umfassen einen Zeitraum von beinahe elf Jahren. Im Frühjahr 1890 sah ich unter



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Führung von Wilamowitz und Brückner einige nichts weniger als musterhaft ausgegrabene Ruinenplätze Böotiens und das, was die Vorläufer Flomolle's in Delphi geleistet hatten. Alsbald lernte ich durch Dörpfeld auf der Institutsreise die Peloponnes, Tiryns, Mykenä, Epidauros, die damals erst halberforschten arkadischen Städte Megalopolis und Mantinea und vor Allem Olympia kennen. Im Juni hatte ich das Glück, eine Woche lang auf der Höhe von Hissarlik Heinrich Schliemanns Gast zu sein und zum ersten Male eine Ausgrabung im Gange zu sehen, die zugleich die letzte des unermüdlichen Forschers sein sollte. Selbstthätig und leitend an einer Grabung teilzunehmen war schon seit geraumer Zeit mein Wunsch gewesen; er erfüllte sich im Dezember 1890, als ich auf Karl Humanns Einladung mit Otto Kern in Magnesia am Mäander weilte, um im Auftrage des deutschen archäologischen Instituts eine Voruntersuchung zu führen, aus der zunächst meine eigene kleine Privatunternehmung im dortigen Theater und im folgenden März die grossen Ausgrabungen der Berliner Museen erwuchsen. Da lernte ich zum ersten Male die Pflichten des Ausgrabenden, von den Verhandlungen mit den türkischen Beamten und Besitzern und der Aufsichtführung über die Arbeiter an bis zum letzten Imprimatur, dem Abschluss der Veröffentlichung aller Ausgrabungsergebnisse, mit ihren Freuden und Leiden gründlich, wenn auch noch lange nicht erschöpfend, kennen. Nachher trat das Ausgraben für einige Jahre in den Hintergrund. Ich unternahm zwei Reisen nach den Inseln des ägäischen Meeres zur Erforschung der griechischen Inschriften, die ich für die

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Sammlung der Berliner Akademie bearbeitete. Aber die Inschriften nötigten mich auch, wieder zum Spaten zu greifen. Es war im Sommer 1895 auf dem Stadtberge von Thera, wo die altertümlichen Schriftzüge auf dem gewachsenen Kalkfelsen gebieterisch eine Erklärung heischten, wie sie nicht die Texte für sich, sondern nur ein wirkliches Verständnis der ganzen Gegend und ihrer Bauten gewähren konnte. Daraus erwuchs meine erste Ausgrabung auf Thera im Jahre 1896, an die sich nach drei Jahren die zweite, in diesem Sommer die dritte anschloss. Mittlerweile hatte ich Gelegenheit gehabt, in Milet und Priene die deutschen, in Ephesos die österreichischen Archäologen, im ätolischen Thermos den Griechen Sotiriadis bei der Arbeit zu sehen und in Delphi die Veränderungen zu bewundern, welche innerhalb der letzten Jahre durch die französische Schule bewirkt waren: ein grosses Dorf war an eine andere Stelle verpflanzt, ein mächtiger heiliger Bezirk mit allen Bauten und erhaltenen Weihgeschenken freigelegt; und vor meinen Augen fand man das Unterteil des herrlichen bronzenen Wagenlenkers, den man nicht mit Unrecht ,den Hermes von Delphi' genannt hat. Aus diesen eigenen Erfahrungen und Eindrücken, nicht aus Büchern, möchte ich Ihnen jetzt ein Bild von der Thätigkeit des Ausgrabenden entwerfen, soweit sich dies thun lässt. Denn jede Ausgrabung hat ihre eigenen Züge, die bedingt sind vom Ort, dem zu erforschenden Objekt und vor allem auch von der Individualität der Forscher, deren Wille die Arbeit ins Leben ruft. Als solche hat man zunächst wirkliche Gelehrte, besonders auch die Leiter wissenschaftlicher Institute im Auge.



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Aber vorher ist noch eine andere Klasse zu erwähnen, die S c h a t z g r ä b e r . Sie sind eine Karrikatur von uns, aber oft auch unsere Vorläufer, und etwas von ihrem Geiste hat, ohne es sich einzugestehen, wol jeder wissenschaftliche Forscher einmal gehabt. Schatzgräber giebt es auch in Deutschland, auch unfreiwillige, die beim Pflügen oder Umgraben ihres Gartens oder beim Fundamentieren ihres Hauses auf einen Topf mit alten Münzen stossen; aber auch solche, die durch höhere Magie in den Besitz von vergrabenen Schätzen zu gelangen suchen, und das nicht nur zu Goethes Zeiten, sondern noch heutzutage. So erzählt man von einem bekannten Limesforscher, der die Ecken eines römischen Lagers mit dem Kompass bestimmt und dann auch richtig an den vermuteten Stellen ausgegraben hatte, dass ihn ein altes Weib um die Zauberuhr bat; sie hoffte damit einen Schatz zu finden, dessen Platz im Walde sich schon lange durch verdächtige Flämmchen offenbart hatte. — Auf griechischen Inseln, wie in dem besonders zurückgebliebenen Astypalaia, werden einsam gelegene verfallene Kapellen als die Orte bezeichnet, wo man Schätze suchen müsse; es ist gut, einen Neger als Begleiter mitzunehmen und zu mitternächtlicher Stunde einen schwarzen Hahn zu schlachten, bevor man die Grabung beginnt. Eine besondere Rolle spielen die alten Inschriften. Manch schöner Marmorstein ist zerschlagen, weil man im Inneren Gold zu finden hoffte. Auch dem Fremden, der mühsam in unbequemer Stellung eine Inschrift entziffert, schiebt der Türke praktische Gesichtspunkte unter — er lese d a , dass man zu der und der Stunde an den und den Ort gehen müsse und dort so



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und soviel Meter tief graben, um den Schatz zu finden. Und es giebt eine antike Inschrift der römischen Kaiserzeit, die diesen Glauben zu nähren im Stande ist! Auf der Insel Seriphos, dem Eiland, das Perseus durch das Gorgonenhaupt mitsamt seinen ältesten Bewohnern versteinert haben soll, steht auf dem Fels ein Pentameter (der Hexameter des Distichon ist leider fast ganz zerstört) : „Fünf von mir und fünf von dir grabe den Schatz."

Wer also davor steht und das liest, braucht nur von seinem Standpunkte und vom Orte der Inschrift aus Kreisbogen mit dem Radius von 5 Masseinheiten zu schlagen; dann ist der Schatz entweder am linken oder am rechten Schnittpunkt zu finden. S u r schade, dass diese Masseinheit nicht angegeben wird, wenigstens nicht in dem erhaltenen Texte. Ob sie der Fuss, das Plethron oder das Stadion, nach unseren Begriffen das Meter oder das Kilometer oder die Meile war, kein Mensch kann es wissen. Es scheint also, dass ein antiker Spassvogel die Absicht hatte, seine goldgierigen Landsleute an der Nase herumzuführen, und diese Absicht würde er erreicht haben; denn noch im letzten Sommer fragte mich auf der Ueberfahrt von Kythnos nach Syros ein braver Seriphiot eifrig nach meiner Meinung über jene Zauberinschrift. Sehr viel gefährlicher als diese Leutchen sind eine Klasse von g e w e r b s m ä s s i g e n A u s g r ä b e r n an Orten, wo nach alter Erfahrung reiche Funde zu erwarten sind, besonders in ausgedehnten Nekropolen. Sie betreiben ihr Handwerk oft Jahrzehnte hindurch, bereichern durch



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die Vermittlung der Kunsthändler alle Museen der Welt und schädigen die Wissenschaft, indem bei ihrem Betrieb von einer regelrechten Beobachtung der Fundumstände, von einer Feststellung des zeitlich und räumlich Zusammengehörenden nicht die Rede sein kann. So ist es in Tanagra gegangen, wo seit geraumer Zeit die berühmten niedlichen Terrakotten gefunden sind, die in den ersten Jahren ihres Bekanntwerdens für enorme Summen verkauft wurden. Kein Wunder, dass bald trotz der strengen Gesetze überall nachgegraben und, als man die Nachfrage nicht mehr decken konnte, obendrein fleissig gefälscht wurde; zum Teil mit Benutzung echter, antiker Formen. Wo einmal solcher Antikenhandel aufgekommen ist, j a , wo einmal ein antikes Kunstwerk für erheblichen Preis an einen Lordos, wie man den fremden Reisenden zu nennen pflegt, verschachert ist, wie z. B. in Melos die berühmte Aphrodite des Louvre, wird die Bevölkerung in der Regel auf Generationen hinaus verdorben sein und den Fremden mit unglaublichen Ansprüchen belästigen. Um so mehr kann man der griechischen Regierung beistimmen, wenn sie energische Massregeln zur Erhaltung der Altertümer im Lande trifft, namentlich solange sie wirklich dafür Sorge trägt, dass die auf griechischem Boden gebliebenen Kunstwerke und Inschriften angemessen aufbewahrt werden und die Reste der Baudenkmäler gegen willkürliche Zerstörung geschützt bleiben. Dass hierzu gegenwärtig der gute Wille besteht und dass auch die Ausführung seit dem neuen, Kavvadias verdankten Antikengesetz erheblich besser geworden ist, obwol ja noch immer nicht alles geschieht, was gethan werden



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könnte, wird jeder, der das alte Griechenland auch im neuen liebt, freudig anerkennen. Jene Raubausgrabungen haben freilich auch mitunter, ganz ohne den Willen ihrer Urheber, das Gute geschafft. Die Lage des Kabirenheiligtums beim böotischen Theben hat man nur dadurch erkannt, dass eine Zeitlang bei den Kunsthändlern eigenartige Vasen, Terrakottafiguren und Bronzen auftauchten, die schliesslich alle auf denselben Fundort wiesen. Das deutsche archäologische Institut hat das Verdienst, hier zugegriffen zu haben, als noch nicht alles geplündert war; wir verdanken dem die Kenntnis eines merkwürdigen ländlichen Kultus und einer wenn auch nicht hohen, so doch urwüchsigen und mit ihren Karrikaturen jedes für Humor empfängliche Gemüt erfreuenden Kunstfertigkeit. Noch etwas ungünstiger lagen vielleicht die Verhältnisse im arkadischen Bergheiligtum der Artemis von Lusoi; aber das österreichische archäologische Institut, das bei dieser Ausgrabung die ersten Sporen verdiente, hat dort in methodischer Weise das gerettet, was noch zu retten war. Und damit sind wir schon bei unserem Hauptthema, der eigentlich w i s s e n s c h a f t l i c h e n A u s g r a b u n g , angelangt. Kabirion und Lusoi zeigten bereits, wie solche Unternehmungen keineswegs aus dem Nichts geboren werden, sondern durch ganz bestimmte Anlässe und oft aus einer gewissen Naturnotwendigkeit entstehen. Dies widerspricht freilich den Idealen eines Fremden, der uns in Magnesia am Mäander fragte, ob wir denn vorher irgend etwas von den Ruinen gesehen hätten, und als wir dies bejahen mussten, geringschätzig meinte: „Dann



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ist ja das Ausgraben gar keine Kunst!" Ihm hätte es nur imponiert, wenn wir durch geniale Kombination der leider meist nur zu ungenauen Angaben antiker Geographen, oder auch durch den richtigen Gebrauch der Wünschelrute, den wahren Platz gefunden hätten! Und es giebt allerdings auch Fälle genug, in denen die Fühlung mit dem Feinde, hier also den antiken Ruinen, erst durch geschickte und glückliche R e k o g n o s z i e r u n g hergestellt werden muss. So in E p h e s o s . Die Lage der antiken Stadt war ungefähr gegeben durch stattliche, weit verstreute Ruinen und das ärmliche Dorf Ajassoluk, das noch eine prächtige Moschee aus der frühen Türkenzeit und Reste eines grossartigen, spätrömischen Aquädukts enthält. Wood, ein eifriger Dilettant, der sich selbst mit Recht die british obstinacy nachrühmt, wollte dort den durch die Apostelgeschichte ihm vertrauten Tempel der „grossen Diana der Epheser" finden. Acht Jahre suchte er in der falschen Richtung; da fand er das Stadtthor, aus dem die Strasse nach dem benachbarten Magnesia herausführte, und von dort aus brauchte er nur den durch alte Schriftsteller bezeugten Hallenweg zu verfolgen, um schliesslich am Weihnachtsfest in einem Versuchsloch auf den Marmorfussboden des Tempels zu stossen. Er hatte den Feind endlich gefunden, dicht neben seinem eigenen Lager, während er ihn in weiter Entfernung gesucht hatte; aber nun versagten die Geduld und die Mittel, um den Sieg auszunutzen; er grub nur den Tempel selbst aus, nicht aber seine Umgebung, in der doch die meisten Gebälkstücke des Tempels, zahlreiche Weihgeschenke und Inschriften, sowie der grosse von Praxiteles geschmückte Altar der Göttin zu erwarten



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waren; und erschwerte obendrein durch die enormen Schuttmassen — beträgt doch das blosse Alluvium der Kaystrosebene hier etwa 8 Meter — eine Wiederaufnahme der Arbeit. An seinen Fehlern liebte es Humann zu demonstrieren, wie eine Ausgrabung n i c h t gemacht werden dürfe. Eine andere Rekognoszierungs-Ausgrabung habe ich selbst zum Teil als Zuschauer miterlebt; sie wurde von Otto Rubensohn auf der Insel F a r o s in den Jahren 1898 und 1899 ausgeführt. Die selbstgestellte Aufgabe war, das Heiligtum der Demeter zu finden, welches nach Herodot auf einem Hügel vor der Stadt lag. Es ist durch die Geschichte vom nächtlichen Besuch des Siegers von Marathon bekannt, der beim Eindringen seinen Fuss verletzte und in der Folge genötigt wurde, auf die Einnahme der Stadt zu verzichten. Diese Stadt liegt an einer grossen Hafenbucht und ist von einer Anzahl Höhen umgeben, von denen mehrere genau untersucht wurden. Da fand sich nun auf der einen, über dem seiner Lage nach schon längst bekannten Asklepiosheiligtum, ein dem pythischen Apollon geweihter Bezirk. Eine andere Höhe enthielt an einem Absatz unterhalb des Gipfels das Felsheiligtum und die Quelle der Geburtsgöttin Eileithyia mit zahlreichen Weihungen in Stein und Thon, von den ältesten Zeiten bis in die Kaiserzeit, und näher dem Gipfel einen Altar an Aphrodite und einen Bezirk des Zeus Hypatos, dessen Stelle jetzt der Prophet Elias einnimmt. Aber nichts von Demeter, obwol eine Inschrift mit dem Namen der Gottheiten von Eleusis am Fusse des Berges gefunden ist. Nun wandte sich die Hoffnung einer Höhe näher .dem Meere



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zu. Wieder begannen verheissungsvolle Funde; die Erwartung stieg aufs höchste; da kam eine Statuenbasis zum Vorschein mit dem Namen der Artemis von Delos! Es war also das Delion von Paros, die hohe Warte, von der man hinüberschauen konnte nach dem religiösen Mittelpunkte der Kykladen. Und das Demeterheiligtum — — ist unbekannt geblieben bis auf den heutigen Tag. Aber statt seiner waren so viele bedeutende Stätten des parischen Kultus gefunden und an ihnen eine so eigenartige Gottesverehrung, dass man darüber gern das Nichtgelingen der ursprünglichen Aufgabe vergass. Anders als hier wird in den meisten Fällen, bei denen von einer grösseren Ausgrabung die Rede sein kann, die Erkundung des Ortes schon vorausgehen und die Grabung selbst bereits nach einem f e s t e n e i n h e i t l i c h e n P l a n e veranstaltet werden, sodass der Erfolg bis zu einem gewissen Grade bereits im Voraus gesichert ist. Dies gilt für die zahlreichen Tempelruinen, deren Stellen längst durch umherliegende Bauglieder gegeben waren; dies gilt auch für die grossen heiligen Bezirke der Akropolis von Athen, der Altis von Olympia, des Asklepiosheiligtums von Epidauros, der Apollonheiligtümer von Delos und von Delphi. Hier waren einheitliche grosse Aufgaben gestellt, die auch im grossen Stil und nach einheitlichem Plan teils gelöst sind, teils hätten gelöst werden sollen. Nicht anders steht es mit Pompeji, wo es gilt, eine ganze antike Stadt, deren Umkreis bekannt ist, von ihrer Aschendecke zu befreien. Solche Ausgrabungen verlangen freilich oft Jahre, ja Jahrzehnte Arbeit, zumal, wenn die Mittel nur langsam zulliessen; aber durch die Möglichkeit, ihre Ueberwachung



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lange Zeit hindurch denselben erprobten Männern anzuvertrauen, bieten sie die sichersten und wertvollsten Ergebnisse. So ist Olympia eine hohe Schule der Ausgrabungstechnik gewesen, und die Veröffentlichung der dortigen Funde eine Musterleistung geworden. Ich habe Ihnen zwei Typen vorgeführt, die Rekognoszierungsausgrabung und die Freilegung eines begrenzten, von vornherein gegebenen Objekts. Selbstverständlich lassen sich beide Kategorien nicht vollständig von einander scheiden, und sehr oft entwickelt sich die eine aus der anderen. Dass auf die Rekognoszierung oft eine sehr eingehende Ausgrabung folgt, versteht sich von selbst. Ist andererseits eine antike Stadt wie Priene, Milet, Ephesos, Thera in ihrer Gesamtheit als Gegenstand der Forschung gegeben, so kann doch meistens nur die Aufdeckung der wichtigsten Gebäude und Strassenzüge, Plätze und Wasseranlagen, Stadtmauern und Thore erstrebt werden, während eine vollständige Freilegung sämtlicher Privathäuser selten lohnen und meist die vorhandenen Mittel weit übersteigen würde. Da gilt es dann mit richtigem Takt und Glück die Hauptpunkte zu finden und von ihnen aus soweit wie nötig vorzugehen. Oft wird man auch ausserhalb des gegebenen Bezirks, welcher immer das Hauptobjekt bleibt, gelegentliche Vorstösse in die Umgebung machen, nach alten Gräbern und einzelnen Anlagen spähen und überhaupt keine Gelegenheit versäumen, etwas hinzuzulernen, solange man dabei die eigentliche Aufgabe nicht zu vernachlässigen braucht. Die Ausgrabungen in Pergamon waren in dieser Hinsicht musterhaft; Archäologen und Generalstabsoffiziere haben während ihrer



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Dauer die Umgebung weithin abgesucht, und dabei stifteten mitunter auch Vergnügungsausflüge ihren Nutzen. Auf einer Jagdpartie fand der damalige Leutnant Prinz Carolatli den ältesten pergamenischen Herrschersitz Teuthrania; daraufhin hat der archäologische Leiter, Conze, die Ruinen untersucht und die richtigen wissenschaftlichen Folgerungen gezogen. D e r ä u s s e r e G a n g e i n e r A u s g r a b u n g ist von Fall zu Fall verschieden, und alle Möglichkeiten vorzuführen würde unsere Zeit nicht verstatten. Ich möchte es daher lieber versuchen, Ihnen zwei Ausgrabungen anschaulich zu machen, die ich selbst erlebt habe, und die jedenfalls einen sehr verschiedenen Verlauf genommen haben, die von Magnesia am Mäander und von Thera. Ueber M a g n e s i a werden viele unter Ihnen durch die Erzählungen Kerns, der den grössten und beschwerlichsten Teil der Arbeit geleistet hat, eingehend unterrichtet sein. Mir kommt es aber diesmal nicht auf die Verehrung der Artemis Leukophryene und ihre den Olympien gleichgestellten Feste, zu denen ganz Griechenland zusammenströmte, nicht auf die Agora oder das Theater und seine von Dörpfeld fein entwickelte Baugeschichte an, so wichtig das alles ist, sondern nur auf den äusseren Gang der Grabung, soweit ich davon eine Anschauung gewonnen habe. Es lagen hier besondere, technische Schwierigkeiten vor. Der Tempel des Artemis, ein grosses Fundament mit darauf- und darumgelagerten mächtigen Säulentrommeln, Basen und Kapitalen, Stücken des Frieses und anderer Gebälkteile, liegt im Alluvium des Lethaios, der zum Mäander fliesst, einer 2



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sumpfigen, fieberreichen Ebene.

In den vierziger Jahren

hatte eine französische Expedition unter Texier dort gegraben und reiche Funde gemacht, aber als der Herbst kam mit seinen Regengüssen,

wurde der ganze Bezirk zum

Morast, und ein Mitglied der Expedition, der MalerBoulanger, war schon am Fieber gestorben. und sich damit

begnügen,

Man musste abbrechen

die

bisherigen Funde nach

dem Louvre zu schaffen; eine Veröffentlichung unterblieb. Mehr als 4 0 J a h r e später kam Huniann mit W i n t e r und Judeich an der Stelle vorbei, die mittlerweile als Steinbruch für Chaussee- und Eisenbahnbauten gedient hatte, und sah noch ganze Friesrelicfs aus dem Sumpfe herausragen.

Diese Beobachtung

und

eine wissenschaftliche

Entdeckung Puchsteins über den Baumeister des Tempels Hermogenes

gab

den Anstoss

zur

neuen Ausgrabung.

Aber sollte diese gelingen, mussten die Fehler der ersten vermieden werden. pedition

So wurden die Mitglieder der E x -

an einer gesunden Stätte,

in der

/

Stunden

3 i

entfernten Bahnstation B a l a d j i k , untergebracht und die Arbeit

in

unterlassen.

den

heissesten

Sommermonaten

möglichst

Sodann wurde auf Grund genauen Nivelle-

ments,

das Humann als gelernter Ingenieur selbst aus-

führte,

ein Entwässerungsplan

entworfen,

der Tempel

mit tiefen Gräben umgeben und das gesammelte Wasser dann durch

die

dicke spätrömische

Befestigungsmauer

des heiligen Bezirks hindurch in einer fast einen viertel Kilometer langen, 3 — 4 Meter tiefen Leitung nach dem Lethaios geführt.

J e d e r Zoll,

den

man

tiefer

graben

wollte, musste vorher dem Wasser abgewonnen werden, und dazu war es nötig, den ganzen Kanal von der betreffenden Stelle bis zur Mündung entsprechend zu ver-



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tiefen. Aber so oft man glaubte des Wassers Herr zu sein, kam es plötzlich über Nacht wieder. Ein Miihlbach führte nämlich hoch über dem Bezirk vorbei, dessen künstliche Wände nur allzuwenig dicht hielten und überdies vom Müller selbst öfters durchstochen wurden, um beim Stehen der Mühlen das überflüssige Wasser herauszulassen. Dann war der grosse ebene Thalboden im Westen des Tempelbezirks ein Sumpf, in dem sich die Büffel wälzten und die Schildkröten munter herumtummelten, und wo im Frühjahr die schönsten gelben und weissen Lilien blühten — ein reizendes landschaftliches Bild, aber traurig für den Tempelbezirk, der von hier aus immer wieder überschwemmt wurde. So entschloss sich Humann notgedrungen, auch den Nachbarplatz durch Gräben zu entwässern, und fand dabei eine prachtvolleAnlage, den antiken Staatsmarkt, den man auch bereits dort vermutet hatte, mit seinen doppelten Säulenhallen und der langen, inschriftbedeckten Wandfläche, die uns für Zeitgeschichte und Dialekte soviel gelehrt hat; und im Inneren des Platzes ein Kabinetstück der Baukunst, den Tempel des Zeus Sosipolis. Diese Ausgrabung war also ein Triumph der Technik, und nur ein Humann, der ausser seinem genialen Blick für die feinsten topographischen Merkmale auch die volle Kenntnis der technischen Hilfsmittel besass, konnte es wagen, hier den Spaten einzusetzen, wo seine Vorgänger gescheitert waren. — Für die grossen Ergebnisse der Ausgrabung erwarten wir den Abschluss der Veröffentlichung, welche von Seiten der Berliner Museen erfolgen wird. Ein kleiner Zug jedoch darf auch hier beachtet werden, in Hinsicht auf die Bestimmung des heutigen Abends. 2*



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Humann gab damals seinem Freunde, Direktor Hallbaue.i in Lauchhammer, einige Eisendübel von den Säulentrommeln des Artemistempel zur chemischen Analyse mit. Die Untersuchung erfolgte nach allen Regeln; aber der besterhaltene Dübel wurde zu einem Briefbeschwerer für den Fürsten Bismark auserlesen und mit folgender Inschrift versehen — die leider in der von Kern herausgegebenen Sammlung m agnesischer Inschriften übergangen werden musste —• „Dir Fürst Bismarck dem eisernen Kanzler schmiedete ITermogenes zu Magnesia 200 v. Chr. dies Eisen, Humann fand es im Tempel der Artemis nach '2000 Jahren und sandte es Hallbauer, der ihm die Form gab, in der es Zeuge werden soll, dass von Dir Geschaffenes Jahrtausende besteht! 1. April 1894."

Soviel von Magnesia am Mäander.

Von meinen eigenen Ausgrabungen in T h e r a habe ich schon gelegentlich gesprochen. Hier ist die Aufgabe, die anfänglich eine rein epigraphische war, allmählich mit den Funden gewachsen. Die Inschriften führten zur Bestimmung des Gymnasion der Epheben und des die Umgegend beherrschenden Tempels des Apollon Karneios. Angaben von früheren, flüchtigen Ausgrabungen, die sich in Büchern vorfanden, und verstreute Bruchstücke, die von den älteren Forschern verschmäht und liegen gelassen waren, wiesen auf den Mittelpunkt der alten Stadt; es fand sich die Agora, d. h. der Staatsmarkt,



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dessen Kenntnis sich freilich erst allmählich abrundete; an diesem Platze einige Hauptgebäude, die Königshalle, die uns das Schema einer altgriechischen Basilika mit nur einer Säulenstellung in der Mitte bot, der dem Dionysos und den Ptolemäern und später dem Kaiserkult geweihte Tempel, ein römisches Bad und manches andere, dazu Inschriften und Skulpturen in Menge. Nun wollten wir auch die Verbindung zwischen dem Markt und dem zuerst entdeckten, an der Stadtgrenze gelegenem Heiligtum des Apollon finden. W i r folgten also der Hauptstrasse der Stadt und einigen ihrer Seitengassen, und legten dabei mehrere Heiligtümer und Privathäuser frei. Endlich interessierte uns der höchste Gipfel des Stadtberges. Trug er eineii Tempel oder ein wichtiges Staatsgebäude? Der von uns zunächst ausgegrabene, aus vielen Zimmern bestehende Bau, ehemals zweistöckig, mit stattlichem Portal und eigener, breiter Aufgangsstrasse ergab unmittelbar nichts zur Deutung. Daneben aber lag ein sehr zerstörtes, durch späte Veränderungen fast unkenntlich gemachtes Gebäude, das uns ausser leidlichen Skulpturen eine Prachtinschrift lieferte. Daraus erfuhren wir in der denkbar authentischsten Form, dass es das Gymnasion war, ausgebessert in den Jahren 2 2 9 — 2 2 6 vor Chr. durch Beiträge der Soldaten des Königs Ptolemaios III., und lasen den Brief des Königs an seinen Kommandanten von Thera, worin er bestimmte Einkünfte der Garnison anwies; nebenbei die auffallende Zahl von 111 Drachmen, die ' aber bei einem Zinsfuss von 9 % auf 999, d. h. fast genau 1000 Drachmen Kapitalwert führen würde. Das Nachbarhaus konnte also mit Wahrscheinlichkeit als Kaserne oder



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Kommandantur der Ptolemäerzeit bezeichnet werden. So war uns mit einem Male eine wichtige Periode der Stadtgeschichte von Thera klar und anschaulich vor die Augen getreten, die hochgelegene, von der Natur befestigte Stadt als Stützpunkt der Lagidenmacht im ägäischen Meere. Die älteste Blüthe hatten uns mittlerweile ausser den archaischen Felsinschriften die von Hans Dragendorff geleiteten kurzen, aber sehr ergebnisreichen Ausgrabungen in der Gräberstadt von Thera durch zahlreiche Vasen der geometrischen Art, Terrakotten und Grabsteine mit Inschriften kennen gelehrt. Somit schien die erste Ausgrabung von 1896 schon genug feste Punkte und Linien geliefert zu haben, um den Versuch zu rechtfertigen, daraus ein Bild der Stadtanlage und ihrer Geschichte zu entwerfen. Der erste Band der Ausgrabungspublikation erschien; nur die Gräberfunde sollten in einem zweiten Bande folgen. Aber als ich im Frühjahr 1899 noch in dem beruhigten Gefühl, meine Pflicht erfüllt zu haben, wieder den Platz besuchte, zog er mich von neuem so mächtig an, dass ich im Herbst zu einer zweiten, zweimonatlichen Ausgrabung schritt, der dann im Mai und Juni dieses Jahres einer dritte von gleicher Dauer, hoffentlich die letzte, folgte. Die Aufgabe war erweitert und vertieft. Es galt nun wirklich, die ganze Stadt zu begreifen, ihr Wegenetz festzustellen und ihre wesentlichen Teile möglichst vollständig freizulegen, gleichviel ob es staatliche Bauten oder nur Privathäuser waren. So wurde 1899 zur vollständigen Freilegung der Agora und ihrer Nachbarschaft geschritten, wobei vor allem das Theater gefunden wurde. Dazu kam am nördlichen Stadtrande ein einzeln



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stehendes, ganz eigenartiges Heiligtum zum Vorschein, das ein Gefolgsmann der Lagiden, Artemidoros Sohn des Apollonios aus I'erge, den von ihm bevorzugten grossen und kleinen Gottheiten geweiht, mit Epigrammen und den Reliefs der heiligen Tiere Löwe, Delphin, Adler und seinem eigenen Medaillonporträt, alles auf dem gewachsenen Kalkfelsen, geschmückt hatte; ein Dokument für die Mischung asiatischer und griechischer Kultur in der hellenistischen Zeit. In diesem Jahre endlich wurde der obere, meist von Privathäusern eingenommene Teil der Stadt in ziemlicher Ausdehnung von den Schuttmassen gereinigt und durch meinen Mitarbeiter, Landmesser AVilski, genau aufgenommen. Für die Zeitbestimmung der Häuser wird ein vergleichendes Studium der erheblichen Reste bemalten Wandstucks von Wichtigkeit sein. Wilski hat auch die Strassenzüge ausserhalb der Stadt sorgfältig studiert und durch feine Beobachtungen auch an den am meisten zerstörten Stellen sicher festgelegt. Sein neuer Stadtplan wird uns zum ersten Male das ziemlich vollständige Bild einer älteren griechischen Bergstadt mit ihrer Unregelmässigkeit und doch auch wieder Schönheit und Zweckmässigkeit zeigen und damit ein Gegenstück bilden zu den regelmässigen, im Sinne des Hippodamos von Milet und Alexanders des Grossen nach einheitlichem Plan angelegten hellenistischen Städten, wie wir sie in Alexandreia rekonstruieren und im ionischen Priene dank den Ausgrabungen Wiegands und Schräders lebendig vor uns sehen. Wenn Thera freilich in griechischen Zeitungen als griechisches Pompeji bezeichnet ist, so ist der Ausgräber genötigt, diese Vergleichung als allzu ehrenvoll abzulehnen; der Vulkan



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von Santorin hat doch nicht so gut für die Erhaltung gerade der alten Stadt gesorgt, wie der Vesuv für Pompeji. Immerhin haben wir unser Möglichstes getlian, der Parallele mehr Berechtigung zu verschaffen, als sie noch vor einem Jahre besass. Die alte Stadt Thera liegt auf einem ins Meer vorspringenden Berge, dem Messavunö, das sich bis zu 369 Metern erhebt, nach drei Seiten steil abfällt und durch einen tiefen Sattel von dem höheren Nachbarberge getrennt wird. Es ist ein einzig schöner Platz; und fast vergisst der Ankommende dort oben, dass er kurz vorher etwas noch Schöneres und Wunderbareres gesehen hat, die steilen Innenwände des ehemaligen Vulkans und die rätselhaften, in historischen Zeiten aus der Flut aufgetauchten Gipfel der Kaymenen. Dort belebte das Bild am oberen Rande des finsteren Kiesenkessels eine Fülle blühender, blendend weisser Ortschaften. Auf dem alten Stadtberge dagegen fanden wir nur eine kleine Kapelle des Evangelismos, d.h. Maria Verkündigung, und daneben ein Häuschen mit zwei Kammern, eingebaut, wie es sich herausstellte, in ein antikes Grabmausoleum. Wer hier als verwöhnter Kulturmensch leben wollte, musste all das Seinige mitbringen, Zelt und Betten, Stühle und Tische, Konserven und Getränke, und dazu Leute, die mit all dem umgehen konnten. Ein Koch und sein Gehilfe sorgten für das leibliche Wohl der Expedition; für deren wissenschaftliche Zwecke aber war die wichtigste Person der alte A n g e l i s Kosmopulos aus Maguliana in Arkadien. Jeder, der in Athen zum deutschen Archäologischen Institut und seinen Arbeiten in Beziehung getreten ist, kennt diesen Mann.

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Seit dem Beginn der Ausgrabungen von Olympia war er immer und immer wieder im Dienste des Instituts thätig. Keine der grossen Peloponnesreisen fand statt, ohne dass er während der Reise durch das arkadischeleische Bergland für die Berittenmachung und Unterkunft aller Teilnehmer die oberste Verantwortung trug. In seiner griechischen Nationaltracht, der Fustanella, mit seinem breiten, jetzt grau werdenden Barte und seiner ehrlichen, furchtlosen und intelligenten Miene ist er einer der besten und sympathischsten Vertreter des unverdorbenen, kraftvollen hellenischen Volkstums; mit ganzer Seele der Sache und Person seines Herrn ergeben. Er hat unbedingte Autorität über seine Arbeiter, die er gerecht und mit seltener Unparteilichkeit behandelt, ohne ihnen Nachlässigkeiten durchgehen zu lassen. Diese A r b e i t e r waren meist Tagelöhner, die in den zahlreichen Weinbergen beschäftigt werden, auch Barkenfiihrer und kleinere Besitzer; ein fleissiges und genügsames Völkchen. Mit Sonnenaufgang wurde aufgestanden und mit Ausnahme einer halbstündigen Frühstückspause bis Mittag gearbeitet, dann l 1 /.. Stunden geruht und nun wieder bis Sonnenuntergang ununterbrochen gearbeitet. Die griechischen Sommertage sind freilich nicht so lang wie die des hohen Nordens; aber wenn man sie auch nur von '/•/) früh hie Abends rechnet, und davon zwei Stunden abzieht, bleiben immer noch dreizehn Arbeitsstunden übrig, also etwas mehr als ein achtstündiger Normalarbeitstag. Aber auch diese genügten nicht, um die kräftigen Männer müde zu machen. In hellen Mondnächten traf man sie noch gegen Mitternacht hinter altem Gemäuer versteckt auf dem Kaninchen-



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anstand, und viele liefen jede Nacht den steilsten Abhang hinab und wieder hinauf nach ihrem über eine Stunde entfernten Heimatsdorfe Gonia, um Weib und Kind zu besuchen und womöglichst noch kleine Arbeiten in Haus und Garten zu verrichten; bei Sonnenaufgang waren sie wieder pünktlich zur Stelle. Andere bauten sich auf unseren Schutthalden aus Steinen und Erde einfache Hütten, in denen sie die Nacht zubrachten, gegen Thau und Sturm geschützt. Als Wilski eines Nachts ein Feuerwerk abbrannte, um die Vollendung eines seiner Stadtpläne zu feiern, versammelten sich die Arbeiter um uns, freuten sich über die bengalische B e leuchtung der Königshalle und sangen ihre Lieder, in die sie auch auf uns bezügliche Strophen aus dem Stegreif einfügten; zuletzt verbanden sie den Gesang mit einem Reigentanz u m uns herum, wobei der Vortänzer häutig wechselte. — Nur mit so frischen, willigen Arbeitern unter Führung eines Angelis war es möglich, binnen acht Monaten ein so ausgedehntes Gebiet freizulegen. Im Anschluss an die Arbeiter m a g auch ein Wort von einer sehr prosaischen, aber notwendigen Sache gesagt werden, der A b f u h r des durch die Hacke gelockerten Erdreichs und Schuttes. Sie erfolgte bei uns durch Handkarren, nachdem wir bald den kleinen Tragkorb in den meisten Fällen als unpraktisch verworfen hatten. In der Anlegung geeigneter Karrenwege war unser Angelis gross, und es ist auch wirklich nicht gleichgiltig, ob 2 0 Karrenführer im Stande sind alle zwei oder alle drei Minuten ihre Karren zu füllen, zu leeren und wieder zur Stelle zu sein. A m besten ging die



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Arbeit am steilen Südwestabhang, wo Erde und Steine einfach 300 Meter tief hinabgeschüttet wurden und uns nie wieder belästigen konnten. Dagegen ist es uns an dem durch viele übereinandergelegeue Terrassen gebildeten Ostabhang passiert, dass wir die noch unerkannte Stelle des Theaters mit einer bis zu acht Meter tiefen Schuttschicht bedeckten, die wir drei Jahre später wieder beseitigen mussten. Zum Glück konnten wir uns mit dem Meister der Ausgrabungskunst, Humann, trösten, dem an der Theaterterrasse von Pergamon Aehnliches begegnet ist. — In Olympia karrte man den Schutt in den wasserreichen Kladeosfluss, dessen rasche Strömung ihn zum Alpheios führte und weiter unterhalb als Alluvium wieder ansetzte. Bei neueren grossen Ausgrabungen verwendet man häufig Feldeisenbahnen, so in Troja, Delphi, Ephesos, Priene und Milet. Ist die Eisenbahn einmal gelegt, so schafft sie in kurzer Zeit erstaunliche Massen Erdreich weit fort. Aber in einer Bergstadt wie Thera wäre es jedenfalls nicht leicht gewesen, geeignete Bahntracen ausfindig zu machen, und man wäre durch die mühsam gelegte Eisenbahn wol gar tyrannisiert und veranlasst worden, an unwichtigen Plätzen, weil sie bequem lagen, zu graben und wichtige zu vernachlässigen. Ganz anders die leichtbeweglichen Karren, die sich unter Leitung von Angelis jeder Aenderung des Ausgrabungsplans sofort anpassten. Und so müssen sich überhaupt die Ausgrabungsmethoden nach dem Gelände und dem Objekt richten; es genügt hier ebensowenig, wie etwa im Kriege, überall das gleiche Schema F zur Anwendung zu bringen. Ueber die E i n z e l f u n d e , die in den Ausgrabungs-



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Publikationen sehr oft die erste, manchmal leider, wie in Salzmanns Kamiros, die einzige Stelle einnehmen, kann ich hier nur einige allgemeine Bemerkungen machen. Es giebt viele Arten solcher Funde, Statuen, Inschriften, Bronzen, Terrakotten, ganze Gräberfunde. Ausser in Gräbern, deren ungefähren Ort m a n schon kennt, sind diese Funde meist gar nicht vorauszusehen, und so bilden sie das eigentlich unberechenbare, lotterieartige Element bei der Ausgrabung. W e r nur auf zufällige Funde gräbt, ist kein wissenschaftlicher Forscher, sondern ein Schatzgräber und Goldsucher. Aber ganz k a n n und mag keiner dieser Art Funde entraten, welche oft f ü r lange entsagungsvolle Arbeit entschädigen. Wie oft hat auch ein gelegentlich entdeckter Inschriftbrocken, hat eine Statue zur richtigen Benennung eines Gebäudes, j a einer ganzen Stadt geführt! Und wenn die Funde kommen, beginnt erst die anstrengende Arbeit für die Leiter der Ausgrabung. Es erfordert grosse Aufmerksamkeit, eine Marmorstatue so aus der Erde herauszuholen, dass nicht der geringste Kratzer einer Hacke darauf zu sehen ist, und da man nicht bei jedem Schlag oder Stich in den Boden voraussehen kann, ob nicht an der Stelle ein wertvolles Kunstwerk verborgen liegt, kann m a n es gewissermassen als einen Glücksfall betrachten, dass der Hermes des Praxiteles mit heiler Nase ans Tageslicht gekommen ist. Sobald der Marmor gespürt wird, muss natürlich mit grösster Vorsicht gearbeitet, müssen eiserne Werkzeuge nach Möglichkeit vermieden werden. Bei Gräbern oder Fundschichten, die mit kleinen Terrakotten oder Bronzen durchsetzt sind, wie sie bei wichtigen Altären vorkommen, sind die mensch-



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liehen Finger oder kleine Löffel mitunter die einzig zulässigen Werkzeuge, und oft muss man die durchsuchte Erde durch ein Sieb schütten, um nicht das kleinste Bruchstück zu verlieren. Dazu kommt dann die mühsame Aufzeichnung der Funde und ihrer äusseren Umstände, von der oft allein die wissenschaftliche Verwertbarkeit abhängt. Zeichnung und Photographie leisten hier unschätzbare Dienste. Und daran schliesst sich die Reinigung und Zusammensetzung, die Aufstellung im Museum und endlich die Publikation. Dies ist ein reiches Thema — hier kann es nur gestreift werden. Auch das Umschlagetuch gehört ehrenhalber hierher, mit dem Frau Schliemann die trojanischen Goldfunde ihres Mannes vor den gierigen Blicken der Arbeiter und der türkischen Aufpasser geschützt hat. Das brauchten wir freilich in Thera nicht, wo wir mit den Vertretern der griechischen Regierung einig waren in dem Bestreben, an Ort und Stelle ein möglichst reiches Museum zu begründen, und wo nie ein Fall bekannt geworden ist, dass seitens eines der Arbeiter ein Stück unterschlagen wäre. Die T e i l n e h m e r an unserer Expedition wechselten häufig, und jeder förderte das Ganze, indem er eigene Gedanken, selbständige Arbeit beitrug. Auch der Gast, der nur wenige Stunden weilt, wirkt oft mehr, als er selbst ahnt, durch die geistige Anregung, die er aus einer anderen Welt in den stillen Kreis mitbringt, und mancher, der als Gast kam, fand sich nachträglich bereit, als wirklicher Mitarbeiter einzutreten. Bei der Vielseitigkeit der Aufgaben, die eine Ausgrabung stellt, oft ohne dass es der Unternehmer gewollt oder auch

— 30 — nur geahnt hat, ist eine Teilung der Arbeit dringend wünschenswert, um so mehr, als sich auch hier die Methoden so verfeinert haben, dass in der Regel nur der Spezialist im Stande sein wird, den Ansprüchen gerecht zu werden. Es tritt eben immer seltener der Fall ein wie beim trefflichen Cavallari in Syrakus, der selbst seine Ausgrabungen leitete, beschrieb und vermass, selbst im Stande war, seine Pläne in Kupfer zu stechen, und nach eigenem Entwurf sein Museum zu bauen, in dem er als der Meister der syrakusaner Topographie gewaltet und mich vor zehn Jahren noch in liebenswürdiger und sachkundiger Weise herumgeführt hat. — Die Regel ist, dass bei einer grösseren Ausgrabung wenigstens Architektur, figürliche Archäologie und Epigraphik einzeln vertreten sind. In Thera hatten wir es zeitweilig noch besser; für die Bauten sorgte Dörpfeld, unterstützt von Wilberg, für die Skulpturen Wolters, für Vasen und andere Gräberfunde Dragendorff und nachher Zahn; auch für die Geologie und moderne Geographie fanden wir in Philippson, für die Botanik in Th. von Heldreich Vertreter. Alfred Schiff opferte einmal drei Wochen seiner Zeit dem alleinigen Zweck, die Aufnahmen eines tüchtigen Berufsphotographen vom wissenschaftlichen und künstlerischen Standpunkt aus zu überwachen. Die Vermessung des ganzen Stadtgebiets und dann auch der weiteren Umgebung besorgte Landmesser Wilski. Er, der mathematisch vorgebildete Fachmann, bet ä t i g t e sich freilich am vielseitigsten von allen, wie er es auch die längste Zeit auf Thera aushielt; er machte nicht nur seine schönen Karten, sondern übernahm auch einen grossen Teil der AVetterbeobachtungen, die wir



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1896 dreimal am Tage, 1900 mit selbst registrierenden Instrumenten und gehörigen Kontroibeobachtungen ausführten; er griff dann auch, wo es not that, weit über in das Gebiet der Architektur und Archäologie und sogar in die Fächer der Volkskunde und Epigraphik. Es wird nicht indiskret sein, wenn ich zur Ehre des Gymnasiums, das ihn ausgebildet hat, hinzufüge, dass er in den wenigen Mussestunden gern den Homer in der Ursprache las und mit gleicher Freude homerische Verse machte, wie er die unverfälschte Volkssprache des modernen theräischen Arbeiters handhabte. — Ich selbst hatte, wenn ich so sagen darf, das Portefeuille der Epigraphik, die namentlich im ersten Jahre zu Zeiten alle meine Kräfte in Anspruch n a h m , und war natürlich immer für die Gesamtleitung und die äussere Repräsentation der Ausgrabung verantwortlich. Nicht zu unterschätzen sind nämlich, obwol davon in keinem Handbuch der Archäologie die Rede sein dürfte, die g e s e l l s c h a f t l i c h e n O b l i e g e n h e i t e n bei einer Ausgrabung. Die einheimische Bevölkerung zeigte unseren Arbeiten gegenüber viel Interesse, zunächst aus Neugierde, dann aus patriotischem Stolz über die auf i h r e m Boden gemachten Funde, die ihre kleine Insel hoch über das altberühmte Naxos erhoben; schliesslich auch aus wirklicher Wissbegierde, der eine verständige Lokalpresse zu Hilfe kam. An Sonn- und Festtagen pilgerten oft Schaaren von Männern und Frauen auf unseren Berg, und wir oder unser griechischer Iiegierungskommissar führten sie dann stundenlang durch die Strassen und Gebäude der alten Stadt, mit dem guten Bewusstsein, damit auch ein wenig den Sinn für die



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Erhaltung der Ruinen zu vermehren. Auch an auswärtigem Besuch fehlte es uns in diesem Jahre nicht. Zuerst sahen wir die Teilnehmer an der Inselreise dos deutschen archäologischen Instituts, später den französischen Gesandten in Athen Graf d'Ormesson mit zahlreichem Gefolge, darunter auch den Offizieren des Kriegsschiffes Condor. Da es ein sehr heisser Tag war, erstiegen sie erst gegen Sonnenuntergang die Höhe und ritten, nachdem sie die Hauptsachen besichtigt und etwas geruht, bei völliger Dunkelheit, die nur durch den elektrischen Scheinwerfer des Schiffes erleuchtet wurde, den steilen Pfad hinab zum Hafen. Viele willkommene Gäste brachte uns auch der Besuch des oftmaligen griechischen Premierministers, jetzt wieder Führers der Opposition, Herrn Theodoros Delijannis und seiner Freunde aus Athen und Thera. Der 76jährige Staatsmann wurde nicht müde, bergauf bergab die Ruinen zu durchwandern, nach ihrer Bedeutung zu fragen und oftmals die Verhältnisse des modernen Athens zur Vergleichung heranzuziehen. Dann nahmen wir unter dem alten Maulbeerbaum beim Evangelismos, dessen Schattendach durch Bretter und Säcke noch etwas dichter gemacht war, unser Frühstück ein, zu dem unter anderem ein ganzer Hammel nach Pallikarenart bei langsamem Feuer am Spiess gebraten war, und Griechen wie Deutsche labten einträchtig die trockene Kehle mit nicht allzu warmem Münchener Pschorrbräu. Nach den unvermeidlichen offiziellen Reden ging mau bald zum poetischen Trinkspruch über, dessen zweiter Vers jedesmal mit dem Namen des Gefeierten schloss, während der erste Vers einen Reim auf den Namen enthalten



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musste. Das war bei unseren deutschen Namen gar nicht leicht, obwol man sich schliesslich auch bei Wilski und mir zu helfen wusste; um so geeigneter erwies sich durch seine Endung der witzige Professor Konstäntinidis, der deshalb die Zielscheibe für zahllose scherzhafte Reime und Sprüche wurde. Einer meiner Freunde fühlte sich dabei an die Skolienpoesie der alten Griechen erinnert, deren Wesen Reitzenstein vor etwa zehn Jahren an derselben Stelle, wo ich jetzt stehe, fein entwickelt hat. Etwas näher kam man dem antiken Brauch bei einem Hochzeitsmahl auf der kleinen türkischen Insel, Nisyrös, an dem ich teilnahm; dort trat der Gesang hinzu, und einer nahm des anderen Gedanken auf und suchte ihn zu überbieten oder zu widerlegen, wobei es meist auf persönliche Anspielungen und Neckereien herauskam. So hatten wir, nicht ganz dem goethischen Rezept entsprechend, Tages Arbeit und nicht blos des Abends Gäste, feierten die Feste wie sie nach dem griechischen Kalender fielen oder ignorierten sie auch mitunter, wenn es ihrer gar zu viele wurden, und gruben weiter, mit wechselndem Erfolge aber nie ganz vergebens, weil jeder Spatenstich das Bild der alten griechischen Stadt vollständiger erstehen Hess. An den gewöhnlichen Tagen gab es genug zu thun. Früh morgens weckte uns die Sonne, deren schräge Strahlen das am Ostabhange aufgeschlagene Zelt bald so unerträglich heizten und die zahllosen Fliegen ermunterten, dass man aufstehen musste, mochte man wollen oder nicht. Nach dem Frühstück und der ersten Wetterbeobachtung begann die Arbeit, man besichtigte die Grabungen, notirte die Funde, und 3



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Wilski ging mit seinen 3 oder 4 Vermessungsarbeitern eigene Wege, um oft erst spät Abends wiederzukehren. Mittag assen wir, wenn uns der Sturm nicht ins Haus jagte, 1896 unter einem Feigenbaum, in diesem Jahre unter dem dichteren Schatten des alten Maulbeerbaums. Um 2 Uhr erfolgte eine weitere Wetterbeobachtung. Die späten Nachmittagsstunden waren der schönste Teil des Tages; die Sonne lag dann auf der anderen, steil nach Südwesten abfallenden Seite des Berges, ein reiner, erfrischender Nordost wehte namentlich in den eigentlichen Sommermonaten Juli und August, und im Schatten konnte man die herrliche Aussicht auf das Meer und die Inseln, von los und Naxos im Norden bis Kreta im Süden, geniessen. Sehr schön war an wolkenlosen Tagen die Wirkung des Sonnenuntergangs am Osthimmel; dann färbte sich die Nachbarinsel Anaphe rötlich und lila, und das Meer nahm die wunderbarsten Töne an, die wir uns begnügen wollen mit dem Dichter als purpurn zu bezeichnen. Und bald stieg am Horizont der dunkelblaue Erdschatten auf, von einem violetten Kreisbogen begrenzt. Nach kurzer Dämmerung brach dann rasch die Nacht herein. Der Sonnenuntergang war das Zeichen zum Schluss der Arbeit und zur Hauptmalzeit. Dann wurde wol noch Tagebuch geschrieben und Wetter beobachtet, und in der Regel früh das Zelt aufgesucht, wo wir meist vorzüglich schliefen, wenn nicht gerade der Sturm die Zeltstangen zerbrach oder die stille, heisse Südwestluft ausnahmsweise einige Mücken bis zu unserer Höhe hinaufkommen Hess, um uns die Ruhe zu stören. — Und fragt man nun noch besonders nach dem Z i e l



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einer derartigen Ausgrabung, so ist es dies, ein gewähltes Objekt, also sagen wir die in Betracht kommenden Gebäude, so frei zu legen, dass man sie wissenschaftlich erkennen, aufnehmen und beschreiben kann, und dass sie, wenn möglich, auch später einen erfreulichen und belehrenden Anblick für den gewähren, der aus Wissenseifer oder allgemeinem Bildungstrieb sie besichtigen will. Für die Erhaltung pflegt in Griechenland ein Kustode zu sorgeil, den die Regierung anstellt; im türkischen Pergamon muss das Berliner Museum die Wächter unterhalten; an anderen Punkten der Türkei wird alles von Behörden und Privatleuten rücksichtslos geplündert und zerstört. Die beweglichen Fundstücke müssen am sicheren Ort untergebracht werden, am besten nahe der Fundstelle in einem Lokalmuseum, wie dies auch für Thera geplant und bereits provisorisch durchgeführt, und in Olympia durch deutsche Baumeister, dank der Freigebigkeit des griechischen BanquiersSyngros, in grossem Stil geschehen ist. Denn bei einer Ueberführung in das weitläufige und trotzdem schon überfüllte athenische Nationalmuseum kommen wol die Meisterwerke zur Geltung; die übrigen Stücke aber verschwinden unter der Masse und sind oft gar nicht mehr wiederzufinden. Also E r h a l t u n g der ausgegrabenen Altertümer ist die erste Pflicht des Ausgräbers und der ihn unterstützenden Behörde. Die zweite Pflicht ist die V e r ö f f e n t l i c h u n g . Wie oft diese Pflicht vernachlässigt wird, zeigt der mündliche Ausspruch eines sehr verdienten Archäologen, Otto Puchstein in Freiburg, der bis vor kurzem selbst im Auftrage des deutschen Kaisers in Baalbek grub, dass es auf zehn Jahre allen nach



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Griechenland reisenden Archäologen verboten werden müsse, auszugraben, da es noch so viel zu verarbeiten giebt. Und man halte einmal Umschau! Wie es gemacht werden muss, hat Puchstein selbst zusammen mit Robert Koldewey in einer grossartigen Veröffentlichung über italische und sizilische Tempel, und hat vor allen anderen Ernst Curtius in Olympia gezeigt. Die Archäologische Zeitung und umfangreiche vorläufige Berichte setzten das Publikum sofort von den wichtigen Funden in Kenntnis, und innerhalb von 22 Jahren, vom Beginn der Ausgrabungen ab gerechnet, ist die vollständige, monumentale Publikation erschienen. Von anderen Ausgrabungen können wir noch nicht dasselbe sagen. Für die Attalidenburg von Pergamon ist viel gethan; aber der herrliche Altar mit seinem Gigantomachiefries ist noch nicht ausreichend veröffentlicht. Doch ist dies zu entschuldigen, da erst jetzt die nach langen Mühen erreichte würdige Aufstellung im neuen Pergamonmuseum der Vollendung entgegengeht und erst dort eine gerechte Schätzung dieser AVerke im Sinne der alten Künstler und eine gute photographische Wiedergabe möglich sein wird. Dass gleichzeitig auch Conze, der Waffengelahrte Humanns in Pergamon selbst weilt, um die Erforschung auch des alten Stadtbilds abzuschliessen, trägt wesentlich dazu bei, für Pergamon jetzt, das Beste hoffen zu lassen. Schwerer noch wird es den hochverdienten Gelehrten der französischen Schule in Athen werden, das rasche Tempo ihrer überaus ergebnisreichen Ausgrabungen in Delos und Delphi durch abschliessende Veröffent" Heilungen einzuholen, nachdem sie sich, ihren Direktor !Iomolle an der Spitze, in der geschmackvollen und



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feinsinnigen Einzelpublikation der hervorragenden Fundstücke oftmals als unübertreffliche Meister gezeigt haben. Für Magnesia am Mäander hatten die früheren Erforscher ihre Pflicht nicht erfüllt; von den Funden der Berliner Museumsausgrabung verdanken wir jetzt die Inschriften der neunjährigen Arbeit Otto Kerns. Ob bei Thcra einmal der umgekehrte Fall eingetreten ist, dass eine Ausgrabungspublikation zu früh erschien, wird spätere Kritik entscheiden, wenn sie die Resultate der nachträglichen beiden Campagnen vergleichen kann. Vielfach erweist sich aber auch das Allzuviel in vorläufigen Publikationen als Fluch für die späte Gesamtveröffentlichung: es geht viel Zeit und Arbeit verloren, die erste Kraft und Begeisterung verraucht, die Mitarbeiter kommen in andere Stellungen, manche sind wol gar mittlerweile verstorben, das Interesse des Publikums wird durch Vorwegnahme der Leckerbissen erschöpft. Also es ist zwar eine sehr schöne Sache mit der Wissenschaft vom Spaten, und wir wollen wünschen, dass noch recht viel und recht glücklich gegraben werde; aber dann nicht unter dem Zeichen der Schatzgräberei, der einseitigen Bereicherung eigener oder öffentlicher Sammlungen mit hübschen Fundstücken, sondern unter dem einzigen Zeichen, das für den Altertumsforscher und für jeden Gelehrteil gilt, dem Zeichen der reinen Wissenschaft. Wenn sie in diesem Sinne betrieben wird, dann ist keine Thätigkeit besser geeignet, die Einheit der scheinbar entgegengesetzten Methoden philologisch - archäologischer und naturwissenschaftlicher Forschung, die Notwendigkeit des Zusammenschliessens



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von Vertretern der verschiedensten wissenschaftlichen und technischen Fächer, kurz die Gemeinsamkeit aller wahren Wissenschaft, Kunst und Technik zu erweisen, als die Arbeit des Ausgrabenden.

I n h a l t . Seite

Einleitung. Das Ausgraben und sein Reiz Meine persönlichen Erfahrungen l T nwissenschaftliche Ausgrabungen. Die Schatzgräber (Inschrift von Seriphos) Die gewerbsmässigen Ausgräber (Tanagra) Diese als Vorläufer wissenschaftlicher Ausgrabungen (Kabirion, Lusoi) Wissenschaftliche Ausgrabungen. Rekognoszierungsausgrabungen (Wood in Ephesos, Paros) Grosse Ausgrabungen nach einheitlichem Plan . . . . t'ebcrgänge von einer zur andern Art Der äussere Gang einer Ausgrabung wird erläutert durch zwei Beispiele. Magnesia ain Mäander (Entwässerungstechnik) . . . . Thera l'ebersicht der Grabungen von 1896. 1899. 1900 . . Das Leben bei den Ausgrabungen. W o h n u n g . . . Der Aufseher Die Arbeiter Schuttabfuhr Einzelfunde Teilnehmer an der Expedition und ihre Wirkungskreise Gäste Gewöhnliche Arbeitstage Ziele und Pflichten des Ausgrabenden. Gute Freilegung des Objekts und Erhaltung der Funde Veröffentlichung

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