Aus Deutschlands Vergangenheit: Geschichtsbilder in der Erzählkunst [Reprint 2019 ed.] 9783486748246, 9783486748239

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Aus Deutschlands Vergangenheit: Geschichtsbilder in der Erzählkunst [Reprint 2019 ed.]
 9783486748246, 9783486748239

Table of contents :
Vorwort
Verzeichnis des Inhaltes
Verzeichnis der Autoren
I. Don altdeutscher Art
II. Kämpfe und Fahrten
III. Der Sieg des Kreuzes
IV. Rittezeit
V. Vom Aufstieg des Bürgertums
VI. Düstere Zeiten
VII. Die neue Lehre
VIII. Der große Krieg
IX. Neue Bedrängnis von Gst und West
X. Der große König
XI. Kampf um Recht und Freiheit
XII. Am die Jahrhundertwende
XIII. Deutschlands Erniedrigung und fein Emporringen
XIV. Innere Kämpfe
XV. Sieg
XVI. Dom tätigen Menfchengeist
Anhang

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J^ll6 Deutschlands BeWaqgeuheit ^eschichtsbildw inbcr Erzählkunst c—

non LL.Eryinger u. Wchausmann

Zweite Auflage.

ILlüuchen1922 Sut Deutschland« Vergangenheit.

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IV. Ritterzeit.

Brieflein zu übergeben. Georg hatte indes Zeit genug das Schloß und seine Umgebung zu betrachten. War ihm schon in der Nacht beim ungewissen Schein des Mondes und in einer Gemütsstimmung, die ihn nicht zum auf­ merksamsten Beobachter machte, die kühne Bauart dieser Burg aufgefallen, so staunte er jetzt noch mehr, als er sie vom Hellen Tag beleuchtet anschaute. Wie ein kolossaler Münsterturm steigt aus einem tiefen Alptal ein schöner Felsen, frei und kühn, empor. Weitab liegt alles feste Land, als hätte ihn ein Blitz von der Erde weggespalten, ein Erdbeben ihn losgetrennt oder eine

Wasserflut vor uralten Zeiten das weichere Erdreich ringsum von seinen festen Steinmassen abgespült. Selbst an der Seite von Südwest, wo er dem übrigen Gebirge sich nähert, klafft eine tiefe Spalte hinlänglich weit um

auch den kühnsten Sprung einer Gemse unmöglich zu machen, doch nicht so breit, daß nicht die erfinderische Kunst des Menschen durch eine Brücke die getrennten Teile vereinigen konnte. Wie das Nest eines Vogels, auf die höchsten Wipfel einer Eiche oder

auf die kühnsten Zinnen eines Turmes gebaut, hing das Schlößchen auf dem Felsen. Es konnte oben keinen sehr großen Raum haben; denn außer einem Turm sah man nur eine befestigte Wohnung, aber die vielen Schießscharten im unteren Teile des Gebäudes und mehrere weite Öffnungen, aus denen

die Mündungen von schwerem Geschütz hervorragten, zeigten, daß es wohl verwahrt und trotz seines kleinen Raumes eine nicht zu verachtende Feste sei, und wenn ihm die vielen Hellen Fenster des oberen Stockes ein freies,

luftiges Aussehen verliehen, so zeigten doch die ungeheuem Grundmauern und Strebepfeiler, die mit dem Felsen verwachsen schienen und durch Zeit und Ungewitter beinahe dieselbe braungelbe Farbe wie die Stein­ masse, worauf sie ruhten, angenommen hatten, daß es auf festem Grunde

wurzle und weder vor der Gewalt der Elemente noch dem Sturm der Men­ schen erzittern werde. Eine schöne Aussicht bot sich schon hier dem über­ raschten Auge dar und eine noch herrlichere, freiere ließ die hohe Zinne des Wartturms und die lange Fensterreihe des Hauses ahnen.

Diese Bemerkungen drängten sich Georg auf, als er erwartend an der äußeren Pforte stand, die wohlverschanzt herwärts über die Kluft auf dem Lande den Zugang zu der Brücke deckte.

Jetzt tönten Schutte über die

Brücke; das Tor tat sich auf und der Herr des Schlosses erschien selbst seinen Gast zu empfangen. Es war jener ernste, ältliche Mann, den Georg in Ulm mehreremal gesehn, dessen Bild er nicht vergessen hatte; denn die düsteren, feurigen Augen, die bleichen, aber edlen Züge hatten sich tief in die Seele

des Jünglings geprägt. „Ihr seid willkommen in Lichtenstein!" sagte der alte Herr, indem er seinem Gast die Hand bot und eine gütige Freundlichkeit den gewöhnlichen strengen Emst seiner Züge milderte. „Was steht ihr müßig da! ihr

25. Die Burg Eltz.

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Schlingel!" wandte er sich nach dieser ersten Begrüßung zu seinen Dienem. „Soll etwa der Junler sein Roß mit hinaufführen in die Stube? Schnell, hinein mit in den Stall; das Rüstzeug traget auf die Kammer am Saal! Verzeihet, werter Herr, daß man Euch so lange unbedient stehen ließ, aber in diese Burschen ist kein Verstand zu bringen. Wollet Ihr mir folgen?" Er ging voran über die Zugbrücke, Georg folgte. Sie gelangten jetzt an das innere Tor. Es war nach alter Art tief, stark gebaut und mit Fallgattern, Öffnungen für siedendes Ol und Wasser

und allen jenen sinnreichen Verteidigungsmitteln versehen, womit man

in den guten alten Zeiten den stürmenden Feind, wenn er sich der Brücke bemeistert haben sollte, abhielt. Doch die ungeheuren Mauem und Befestigungen, die sich von dem Tor an rings um das Haus zogen, verdankte Lichten­ stein nicht der Kunst allein, sondern auch der Natur; denn ganze Felsen waren in die Mauerlinie gezogen und selbst der schöne, geräumige Pferdestall und die kühlen Kammern, die statt des Kellers dienten, waren in den Felsen eingehauen. Ein bequemer, gewundener Schneckengang führte in die oberen Teile des Hauses und auch dort waren kriegerische Verteidigungen nicht vergessen; denn auf dem Vorplatz, der zu dem Zimmer führte, wo in andem Wohnungen häusliche Gerätschaften aufgestellt sind, waren hier furchtbare Doppelhaken und Kisten mit Stückkugeln aufgepflanzt. Das Auge des alten Ritters ruhte mit einem gewissen Ausdruck von Stolz auf diesem sonderbaren Hausrat und in der Tat konnten diese Geschütze damals für ein Zeichen von Wohlhabenheit und selbst Reichtum gelten; denn nicht jeder Privatmann war imstande seine Burg mit vier oder sechs solchen Stücken zu versehen. Von hier ging es noch einmal aufwärts in den zweiten Stock, wo ein überaus schöner Saal, der Palas, ringsum mit hellen Fenstern, den Ritter von Lichtenstein und seinen Gast aufnahm. Der Hausherr gab einem Diener, der ihnen gefolgt war, mehr durch Zeichen als Worte einige Be­ fehle, die ihn aus dem Saale entfernten. (Wilhelm Hauff, «Lichtenstein".)

25. Die Burg Eltz. Enger ward das Tal. Ich überschritt den Gebirgsbach und folgte dem

Pfad an der waldigen Bergwand entlang — aufwärts, abwärts. Zerklüftete Abhänge zu beiden Seiten, wohin ich sah. Über mir die Wipfel

des Bergwaldes — tief unten das schäumend hineilende Wasser der Eltz. Hin und wieder weitet sich das Tal, kleine Mesen mit frischem Grün er­ freuen den Blick, bald eine llappernde Mühle bald ein einsames Gehöft mit weidender Viehherde. Dann aber wird es düsterer und schroffer um 7*

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IV. Ritterzeit.

mich her und feierlicher die Waldeinsamkeit, tiefer das Rauschen des Wild­

wassers. Plötzlich — da vor mir lichtet sich's.

Über einen Wiesenhang fort

sehe ich sie — schroff aufsteigend, zwischen den Waldhügeln — als wollte sie alles überragen und die Wolken berühren mit ihren stolzen Zinnen:

Burg Eltz, die uralte, herrliche Ritterfeste. Auf steiler Felskuppe steht sie da, grau und verwittert. Standhafte Mauern, hohe Giebel, spitze Schiefer­

dächer, übereinander emporsteigend zu schwindelnder Höhe, Türme, Zinnen und Erker, zahllose Fensterreihen — das Ganze ein Bauwerk von riesen­ hafter Kraft und Wucht und doch zugleich stolzer Leichtigkeit — das Abbild

selbstbewußter Herrenmacht. Darumher aber lagern die Bergwälder und hüten dieses Kleinod in tiefer Einsamkeit. So konnte es bewahrt und erhalten bleiben vor den Wechselfällen der Kriege und Zerstörungen fast ein Jahrtausend hindurch.

Ich überschritt den Bach, der von drei Seiten den Fuß des Burgberges umspült, und stieg die Felsstufen hinauf — zahllose — immer höher, immer

höher und betrat endlich den Vorhof der Burg, wo das freundliche Gold­ schmiedhäuschen an der Mauer lehnt, wo ein steinerner Brunnen mit stetig rinnendem Wasser dem Durstigen Labung bietet. Dann trat ich durch

das düstere Tor in den Zwinger hinein und zog die Glocke. Dem Burgwart, der mich empfing, übergab ich den Brief, durch welchen der fernweilende Burgherr auf dem Schlosse seiner Ahnen mir Gastrecht gewährte. So be­ trat ich schon mit einem Gefühl der Zugehörigkeit den engen Schloßhof, den die mächtigen Ritterhäuser mit ihren Turmeingängen, Erkem und Treppen umschließen.

Gegenüber die uralte Platteltz mit der Terrasse,

rechts der große Rübenacher Palas.

Zur Linken das Rodendorfer und

Kempenicher Haus, gleich am Eingang aber die Kapelle, alt und schlicht, aus der Zeit der frühesten Gotik stammend. In einem dieser Häuser ward ein behaglich Gemach mir zur Wohnung angewiesen — rund gewölbt, mit tiefer Nische und steinernem Estrich, die Wohngeräte von wurmstichigem

Eichenholz.

Bor dem Fenster ein winziger Altan und von dort hinab der

Ausblick über ein Meer von Waldeswipfeln. Hier hausten ein Jahrtausend lang in den vier Häusem, um die engen Schloßhöfe gedrängt, vier ver­

schiedene Linien und Sippen, alle die Herren und Frauen, Junker und Fräulein. (AuS „Im Burgfrieden" v. H. Werder.

Verlag v. O. Janke, Berlin.)

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26. Belagerung einer Stadt.

26. Belagerung einer Stadt. Lücke Flotow ritt in die Burg ein. Er rief seinen Schreiber und ließ ihn den Fehdebrief aufsetzen, wie er ihn vorsprach.

„Utb sage der Stadt auf zu Sonntag mittag!" Dei Schreiber wandte sich um: „Zu Sonntag?"

„Hcst du?" fragte Flotow.

„Zr Sonntag, sagt Ihr?"

„Min', wär' rechte Zeit!" entgegnete Flotow.

„Hoff', daß wir zur

Meß Irrt sind."

Unt der Schreiber setzte hin: Zu Sonntag mittag!

Darn stand er auf, machte Licht und Wachs bereit und Flotow gab sein

Siegel m den Brief. Dam rief er aus dem Fenster in den Burghof, drei Knechte sollten zu Pferd gchen. Ms das Siegel trocken war, trat er auf den Hof und übergab einem ba Aufgesessenen die Schrift; abzugeben am Tor zu Plan. — Sie hätten ir. andetthalb Stunden wieder zurück zu sein. Sollte man sie aber bei der Wegwehr nicht durchlassen, wär' der Brief dort an der Wehr ab» zuliefern Die Brücke fiel und die Reiter stoben davon. Darms befahl Flotow, daß die Brücken und das Vorwerk doppelt stark bezogen würden. Ohne Losung sollte niemand mehr ein, wer es auch sei.

*

*

*

Auf dem Burghof drängte es sich von Pferden und Gewaffneten. Aus den Flotowschen Gütern waren die eigenen Leute schon gestern ein­ gerückt. Flotow, der schon im Sattel war, ließ seine Leute aufsteigen und auf den Anger jenseits des Grabens zwischen Burg und Vorwerk rücken. Worauf dann die Malchower Bürgerschaft ihren Einzug tun und ihre Bündel vorläufig absetzen konnte.

Der Ratmann Bolte übergab Tideke Flotow die Namenrolle. Der sah sich zu jedem Namen den zugehörigen Mann an, war nicht sonderlich zufrieden, daß man ihm nichts Besseres geschickt hätte, und übergab dann die dreißig Bürger dem Wallmeister, der damit den Befehl über die Mann­ schaft übemahm.

Um zehn Uhr, fast auf die Minute genau, trafen auch die Lehnsleute auf dem Anger bei den Flotowschen Leuten ein. Tideke Flotow zählte ge­ wissenhaft nach, was jeder mitgebracht hatte. Es war überall die Zahl richtig. Nur einer war übrig. Und das war der Vikar Dicke Krevtsdorf aus dem Kloster der Magdalenerinnen zu Malchow. Den hatte das Kloster

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IV. Mtt-rjkit

aus gutem Willen zu diesem Heerzug draufgegeben; „bis auf Wideriruf". Er wurde darauf als Feldvikar in Dienst und Verpflegung genommen.

*

*

*

Die ganze Reiterei setzte sich auf die Heerstraße und hinter ihr folgtem die

Fuhrwerke. Schon nach einer Stunde gelangte man vor die Mauem von Plau.

Sie läuteten gerade die Mittagsmesse ein.

Flotow war pünktlich.

Aber die Plauer hatten ihn auch so pünktlich erwartet. Man war dort auch nicht müßig gewesen, seit der Brief Flotows angelangt war. Die Bauem von jenseits Plau, gegen Stuer zu, waren in die Stadt genommen; ihr Vieh in Quetzin eingestellt. Was Waffen tragen konnte, war aus­

gerüstet. Die Besatzung der Burg aber hatte erllärt, sie hätte mit den Händeln der Stadt nichts zu tun, hätte ja auch außerhalb ihrer Gräben kein Recht zu verteidigen als nur das freie Wegerecht. Dies Recht aber würden sie sich nicht beschränken lassen, weder von der Stadt noch von Flotow. Und sie würden wohl erwarten dürfen, daß man sie ungehindert aus- und ein­ gehen ließe, auch wenn es zu einer Belagerung durch Flotow kommen sollte. Die Plauer sahen denn auch allmählich ein, daß man sie die Sache wollte allein ausfechten lassen. Und da sie nichts anderes dagegen zu tun wußten, so gingen sie an jenem Sonntag fast alle zur Kirche. Die Türen mußten offen bleiben; denn es standen die Leute bis weit auf die Straße. Statt der Predigt gab es heute nur ein langes Bittgebet, daß der Herr das aufziehende Gewitter möchte gnädig vorüberziehen lassen und Leben und Hab und Gut aller Glieder dieser Gemeinde bewahren. Während­ dessen mußte schon der Posten auf dem Klüschenberg eingezogen werden; denn drüben traten die ersten Reiter aus dem Wald. Und bald darauf setzte der Burgwächter sein Hom an und blies die Kirche leer noch vor dem letzten Läuten.

Die Eldemauer vom Mühlen- bis zum Brückentor war besonders stark besetzt. Man hatte längs der ganzen Mauer den Blick frei aufs Brückentor. Es dauerte auch nicht lange, daß ein kleiner Trupp vor die Brücke kam, mit einem weißen Fähnlein voran. Sie forderten die Öffnung der Stadt. Der Bürgermeister Martini stand selber im Tor. Es wäre nur im Einverständnis mit ihrem mächtigen Schutzherm, dem Herm Herzog Mbrecht, möglich die Stadt an einen offenen Feind zu übergeben. Um so weniger aber könnten sie die Stadt übergeben, als man nicht wisse, um welche Sache es sein sollte; denn der Fehdebrief gäbe nicht stichhaltigen Gmnd an. Der Bürgermeister wurde von drüben unterbrochen: Ob die Stadt da­ bei verharre dem Herm Tidsske Flotow sich zu verschließen?

26. Belagerung einer Stadt.

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„Mit Gottes Hilfe ja!" antwortete der Bürgermeister.

„So wird Herr Tideke Flotow versuchen sich den Weg stei zu machen!" — Damit schwenkte der Trupp herum und jagte davon.

Flotow lachte ingrimmig, als man ihm die Antwort des Bürger­ meisters berichtete. Er ließ fünfzig Mann gegen das Tor vorrücken, den Rest absitzen, das Schanzzeug ausgeben und das Fuhrwerk auf den Klüschenberg auffahren. Am Fuß des Berges, der Stadt gegenüber, war eine

Ulmenallee, von den Plauem erst gepflanzt nach dem Kriege um die Schwe­ riner Grafschaft, in dem die Stadt arg mitgenommen war und die Wälle und den Klüschenberg hatte rasieren müssen. Flotow ließ die jungen Bäume köpfen. Darüber kam aus der Stadt der erste Pfeilschuß — ohne zu stören. Die Flotowschen schlugen den ganzen Berg kahl und bauten aus dem Astwerk einen Wehrgang, der neben der Eide herlief. Hinter der Buschwehrung wurden die vier größten Bliden aufgestellt. — Und es war noch nicht eine Stunde seit der Aufforderung zur Übergabe vergangen, als

das Windenwcrk an dem Geschütz zu knarren begann und die eschenen Wurfstangen übergeholt wurden. Gleich darauf gab es das erste Pfeifen und Knacken vom Schießzeug her und eine Steinkugel schoß in flachem Bogen vorwärts. Es hätte fast ein Unglück unter den Belagerern selbst gegeben; denn die Kugel flog in das Buschwerk, riß einige Äste mit sich

und blieb dann stecken; man hatte die Neigung des Bodens, auf dem das Schießzeug stand, nicht berücksichtigt; die Blidenschwänze standen zu hoch; man mußte sie eingraben. Über diese Arbeit verging wieder eine halbe Stunde und so mochte es gegen drei Uhr sein, als man endlich mit dem Schießen beginnen konnte. Die Steine sausten davon und schlugen jenseits der Mauer in die Schindeldächer. Man sah, wie die Hölzer auf die Straße splitterten. Schuß auf Schuß ging gegen die Stadt. Aber der Erfolg war nicht allzu beträchtlich. Und wenn Flotow gedacht hatte, er könnte mit seinen Bliden in ein Papier, das im Rathaus auf einem Tisch läge, ein

paar beträchtliche Punkte setzen, so hatte er sich darin geirrt. So weit reichte es bei weitem nicht!—Auch wenn er die Ladung noch Keiner nehmen würde! — Flotow war darüber verdrießlich genug. Er konnte aber nichts weiter daran ändern, als daß er nur immer wieder antrieb. Die Kugeln fielen dichter, weiter aber fielen sie nicht. Er war wütend, hielt unbeweglich neben dem Geschütz und starrte auf die Stadt. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Der sollte sogleich versucht werden. Es begann zwar schon leicht zu dämmem. Aber desto besser. — Man konnte den Erfolg dann nut um so besser sehen! — Man sollte ein Holzstück an ein

schweres Stück Eisen binden, das Holz über Feuer tüchttg in Brand setzen und das brennende Zeug gegen die Stadt verschießen. Neugierig hatten sich viele Herren beim Geschütz versammelt. Es kam auch bald zum Schießen.

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IV. Ritterzrit.

Die Holzfackel fuhr sprühend davon, aber sie hatte noch nicht den halben Weg hinter sich, als sie erloschen war. Die Bescherung kam auch nicht über die Mauer, sondem legte sich kurz vorher in den Wall. Flotow ließ das Eisen Heiner nehmen, die Kette länger und das Holz größer. Man mußte es auch tiefer sich einbrennen lassen. Aber der Erfolg war nicht viel besser . . . Das Eisenstück kam selber noch eben über die Mauer, das Holz aber, das wieder erloschen war, blieb diesseits. Es schaukelte lustig hin und her, als hätte es selber seine rechte Schadenfreude an der Erfindung des Herm Tideke Flotow, in welcher Schadenfreude es eine beträchtliche Hilfe hatte bei den Herrschaften, die neben Flotow standen und mit ihrer Meinung auch nicht zurückhielten. Flotow sah dem schwarzen Ding, das an der Mauer schaukelte, grimmig zu. Und er sah dann, daß sich an dem Holzscheit die Glut besann, daß einige Stellen schon wieder ganz rot waren. Und nach einigen Augenblicken züngel­ ten auch schon die ersten Flammen aus dem Holz. Jetzt nur das Eisen noch leichter! Ein schmaler Bolzen war genug. Und die Kette dünner und vor allem: den Wurfbaum länger! Flotow ließ eine lange eschene Hebestange an den Wurfbaum nageln und auf dessen Ende legte er das gut durchglühte Brandzeug. Dann ließ er die Klammer losreißen; der Baum hieb einen gewaltigen Bogen durch die Luft, das glühende Scheit flog davon, die Kette straff voran; es erlosch scheinbar wieder, querte die Mauer in beträchtlicher Höhe, fuhr gegen das Dach eines Hauses, wollte daran hemntergleiten, hing sich dann aber an einem Steighaken auf und die leise ziehende Luft, die da oben am Dach strich, blies die Glut wieder auf. Nicht lange, so brannte das Scheit lickterloh und bald begannen auch die Dachschindeln unter ihm zu brennen.

Flotow ließ jetzt, so schnell es möglich war, weiter schießen. Die Scheite segelten in die Stadt. Nicht immer glückte ihnen ihr schadenfrohes Handwerk. Mitunter fielen sie auf die Gasse oder in einen Hof und wurden ausgetreten. Aber man konnte wohl gewahr werden, daß über die Plmer eine ungeheure Aufgeregtheit gekommen war mit dem FeuerschieZen. Den anfangenden Brand in dem Holzdach, das zuerst getroffen war, merkten sie doch nicht früher, als bis die Schindeln auf die Straße fielen. Flctow ließ danach das Schießen mit Steinkugeln fortsetzen. Währenddessen kam drüben die Feuerglocke in Gang und gegen den dunkelnden Himmel stieg immer deutlicher der Schein auf, der wie ein Fächer

über der Stadt stand. Flotow meinte dann, es wäre für den ersten Tag einer Belagemng genug. Man möchte die Wachen nicht zu schwach besetzen. Die Herren lud er zu einem Trunk in sein Zelt. Dorthin sollte auch der Plauer Bürgermeister geführt werden, wenn er mit den Schlüsseln endlich soweit wäre.

27. Ein Turnier.

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Die Feuerglocke ging eintönig fort. In der Stadt aber sah es übel aus. Da man es nicht wagen konnte aus der Elde zu schöpfen, mußte man das Wasser vom See her holen. Man bildete dazu zwei lange Ketten. Da Männer nicht genug zur Hand waren, stellte man in die leer gehende Kette, die die Eimer zurückgab, auch Weiber, soviel gerade zur Hand waren. Und

als die Bauersfrauen erst auf die Beine kamen, gegen die Brandstelle, nahm man sie ohne weiteres beim Arm und ließ sie in die Leerkette treten, wogegen man auch Vie übrigen Männer herausnahm zum Retten beim

Feuer.

Denn das hatte sich rasch ausgebreitet in den eng aneinandergebauten Holzhäusem. Man mußte mehr Hilfe haben. Zwar leistete das Schloß

fast mit seiner ganzen Besatzung Brandhilfe. Aber man mußte ttotzdem allmählich von der Mauer zurückziehen, was irgend möglich war. Am Mühlenwehr standen zuletzt nur noch zwei Mann und am Brückentor noch fünf. Nachdem Herr Engelle Dewitz von der Burg das Feuer besichtigt hatte, riet er dem Bürgermeister die Tore zu öffnen und die Flotowschen um Hilfe anzugehen. Dieser rief die Ratsmänner aus dem Gedränge und eröffnete ihnen die Ansicht des Herm Dewitz und ob es unter so bewandten Verhältnissen nicht richttg wäre, dem Flotow die Schlüssel auszu­ händigen. Die Ratsmänner wußten nichts Besseres. So wurden denn der Bürgermeister und die beiden ältesten Rats­ männer abgeordnet die Schlüssel nach dem Klüschenberg zu bringen. (Au» „Xibete Flotow" v. H. Kroepelin.

Verlag v. S. Fischer, Berlin.)

27. Ein Turnier. Die Sonne hob sich in strahlender Pracht und kaum war sie über dem Horizont emporgetaucht, als die eifrigsten oder müßigsten der Zuschauer auf der Wiese erschienen und dem gemeinsamen Mittelpunkt, dem Turnierplatz, zustrebten um sich günstige Plätze für das interessante Schauspiel zu sichern. Die ersten, welche innerhalb der Schranken erschienen, waren die Tumiermarschälle mit ihrem Gefolge und die Herolde um die Namen der sich meldenden Ritter und die Partei aufzuschreiben, für welche sie eine

Lanze zu brechen gedachten. Es war diese Vorsichtsmaßregel nötig um zwischen den sich gegenüberstehenden Stteitkörpem eine gewisse Gleichheit zu erzielen. Gegen zehn Uhr war die ganze Ebene mit Reitem, Reiterinnen und

Fußgängem besäet, die zum Turnier eilten, und kurze Zeit später ver-

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IV. Ritterjeit.

kündete Trompetengeschmetter das Nahen des Prinzen Johann mit seinem Gefolge und vielen Rittem, von denen mehrere sich ebenfalls an dem

Kampfspiel zu beteiligen gedachten. Ungefähr um dieselbe Zeit erschien auch Cedric, der Sachse, mit Lady Rowena. Kaum hatte Lady Rowena, die Königin des Tages, ihren Sitz ein­ genommen, als ein donnernder Tusch und das laute Jauchzen der Menge sie begrüßte. Inzwischen glitzerten schon die blanken Waffen der Ritter, die beide Enden der Schranken mit ihren Reihen füllten, im Hellen Sonnenlicht. Nun geboten die Herolde Ruhe, damit die Tumiergesetze verlesen wer­ den konnten. Cs war den Kämpen geboten das Schwert nicht zum Stoß zu gebrau­ chen, sondem nur zum Hieb. Die Stteitaxt oder Keule durfte von den Rittem gefühtt werden, Dolche aber zählten zu den verbotenen Waffen. Ein aus dem Sattel gehobener Ritter durfte den Kampf zu Fuß mit jedem der Gegenpartei weiter führen, der sich in derselben Lage befand; doch war es den Berittenen verboten ihn in solchem Falle anzugreifen. Gelang es einem der Ritter seinen Gegner bis an das Ende der Schranken zu drängen, so daß seine Person oder auch nur seine Waffen die Palisaden berühtten, so hatte sein Widersacher sich als besiegt anzusehen und sein Roß und seine Rüstung waren dem Sieger verfallen. Einem auf diese'Art bezwungenen Ritter war es nicht gestattet weiter am Kampfe teilzunehmen. War einer der Kämpfer zu Boden geschlagen und nicht imstande sich wieder zu erheben, so mußte sein Knappe oder Page auf den Kampfplatz eilen und seinen Herrn aus dem Gewühl tragen; in diesem Falle aber galt der Ritter ebenfalls für besiegt und seine Waffen und sein Pferd für verwirtt. Aufhören sollte der Kampf in dem Augenblick, wo Prinz Johann seinen Feldhermstab hinabwarf. Ein Ritter, welcher gegen die Tumiergesetze verstieß oder sonst die Regeln ehrenhafter Ritterschaft verletzte, war der Sttafe verfallen ent­ waffnet, mit verkehrtem Schild rittlings auf die Palisadenpfähle gesetzt und so dem öffentlichen Hohne preisgegeben zu werden. Nachdem der Herold diese Gesetze vorgelesen hatte, schloß er mit einer

Mahnung an jeden guten Ritter seine Pflicht zu tun und die Huld der Königin der Liebe und Schönheit zu verdienen, worauf sie auf ihre Stand­ plätze zurückkehrten. Die von beiden Seiten in langem Zuge in die Schranken reitenden Ritter stellten sich einander gegenüber in einer Doppelreihe auf, indem der Führer jeder Partei genau die Mitte der vordersten Reihe einnahm.

27. Ein Turnier.

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Es war ein stattlicher und doch besorgniserregender Anblick, so viele

tapfere, gut berittene und stark bewaffnete Kämpen für einen so fürchter­ lichen Zusammenstoß bereit zu sehen, wo sie gleich ehernen Statuen in ihren Kriegssätteln saßen und mit gleicher Ungeduld wie ihre edlen Rosse, die wiehemd den Boden stampften, auf das Signal zum Angriff warteten. Noch hielten die Ritter ihre langen Lanzen gerade in die Höhe — die blanken Spitzen blinkten im Sonnenschein, die schmalen Wimpel flatterten lustig über den Federbüschen ihrer Helme. So verharrten sie so lange, bis die Tumiermarschälle die Reihen mit strenger Aufmerksanlkeit genmstert

hatten, ob auch keine der Parteien an Zahl stärker sei als die andere. Als die Zahl auf beiden Seiten gleich befunden war, zogen die Marschälle sich aus den Schranken zurück und William von Wyvil sprach mit Donner­ stimme die entscheidenden Worte: „Laissez aller!“ Da schmetterten die Trompeten, die Speere der Kämpfer senken sich zum Angriff — die Sporen drangen in die Weichen der Rosse, die zwei Vorderreihen jeder Partei sprengten in vollem Galopp gegeneinander los und prallten in der Mitte des Kampfplatzes mit solcher Gewalt zusanimen, daß man den Ton eine Meile weit hören konnte. Die hinteren Reihen folgten langsamer um die Geschlagenen zu verstärken oder den Sieg der einen Partei zu verfolgen. Die Folgen des Zusammenstoßes waren nicht sofort zu erkennen; denn der durch so viele Rosseshufe aufgewirbelte Staub verdunkelte die Luft und es währte eine Minute, bis die Zuschauer sehen konnten, was geschehen war. Als der Schauplatz sichtbar wurde, war etwa die Hälfte der Ritter jeder Partei aus dem Sattel gehoben, einige durch die geschickte Lanze ihrer Gegner, andere durch das überlegene Gewicht und die größere Stärke ihrer Widersacher, welche Roß und Reiter zu Boden geworfen hatten; einige lagen auf der Erde um nie mehr aufzustehen — andere waren schon wieder auf den Füßen und im erneuten Gefecht mit ihren Gegnem; mehrere schwer Verwundete beider Parteien füllten das Blut mit ihren Schärpen und versuchten sich aus dem Getümmel zu entfernen. Die noch zu Pferde Sitzenden, deren Lanzen fast sämtlich zersplittert

waren, kämpften mit den Schwertern und erhoben ihren Kriegsruf, als hänge Leben und Ehre am Ausgang dieses Kampfes. Da wurde das Getümmel noch vermehrt durch das Borrücken der anderen Reihen, die als Reserve ihren Gefährten zu Hilfe kamen.

Brian von Bois-Guilberts Anhänger riefen: „Ha Beauseant l — Beaus6ant!" Die Gegenpartei rief: „Desdichado! — Desdichado I“ — welche Parole sie dem Motto auf dem Schild ihres Anführers entnahmen.

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IV. Ritterzeit. Während'die Streiter sich mit äußerster Wut und wechselndem Glück

angriffen, schien das Kampfgewühl sich bald nach dem südlichen bald nach dem nördlichen Ende der Schranken zu ziehen, je nachdem eben die eine oder die andere Partei im Vorteil war. Schrecklich aber klang das Schmettern der Hiebe, das Geschrei der Kämpfenden, die Fanfaren der Trompeten zu­

sammen und übertönte das Stöhnen der Gefallenen, die wehrlos unter den Hufen der Pferde lagen. Die glänzenden Waffen und Rüstungen waren staub- und bkutbedeckt und barsten unter den Streichen der Schwerter

und Streitäxte. Die von den Helmen abfallenden Federn flogen wie Schnee­ flocken durch die Lüfte. Alles, was an der kriegerischen Ausrüstung schön und anmutig gewesen war, war verschwunden und was jetzt sichtbar wurde,

konnte nur Entsetzen oder Mitleid erwecken. Mein die Macht der Gewohnheit ist so stark, daß nicht nur die ge­ wöhnliche Menge, welche stets Gefallen an Schreckensszenen findet, sondem

sogar vomehme Damen, welche die Galerien schmückten, dem Streit, aller­ dings mit bebender Aufregung, zusahen, aber dennoch nicht vermochten ihre Blicke von dem greulichen Bild abzulenken. Wohl mochte hier und da eine holde Wange erbleichen, mochte ein leiser Schrei ertönen, wenn ein Geliebter, ein Bruder oder Gatte vom Pferde gestürzt war. Im allgemeinen aber eiferten die Damen selbst die Kämpfenden an, nicht nur durch Klatschen in die Hände und Wehen mit Schleiem und Taschentüchern sondem auch durch Rufe wie: „Tapfere Lanze! — Wackeres Schwert!" wenn ein erfolg­

reicher Streich ihnen auffiel. Nahm das schöne Geschlecht so lebhaften Anteil an diesem blutigen

Spiel, so war der der Männer um so begreiflicher. Er äußerte sich in lauten Ausrufungen bei jedem Wechselfall des Glückes und indem sie die Blicke so gespannt auf die Schranken hefteten, als gälten ihnen selbst die Streiche,

welche da unten fielen. In allen Pausen aber machten sich die Rufe der Marschälle ver­ nehmbar: „Kämpft weiter, tapste Ritter! — Die Männer sterben, der Ruhm aber lebt fort!—Kämpft weiter! — Tod ist besser als Niederlage! — Kämpft weiter, tapste Ritter! — Schöne Augen sehen eure Taten!"

Man bemühte sich allgemein in dem Gewirre die Führer der beiden Parteien herauszufinden, welche, im dichtesten Gewühle kämpfend, ihre Gefährten durch Wort und Beispiel anspomten. Beide entfalteten unend­ liche Tapferkeit und weder Bois-Guilbert noch der enterbte Ritter, wie dieser

sich nannte, fanden in den feindlichen Reihen einen Kämpen, der ihnen völlig gewachsen gewesen wäre.

Wohl hatten sie es, durch gegenseitige Feindschaft erbittert, mehrmals versucht sich gegenüberzustehen, schon weil die Mederlage des einen Führers

27. Ein Turnier. den Sieg für die Gegenpartei bedingte.

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Aber das Getümmel und der

Wirrwan waren so groß, daß diese Versuche lange fruchtlos blieben. Als die Reihen der Kämpfenden sich jedoch zu lichten begannen, standen der Tempelhen und der enterbte Ritter sich endlich gegenüber — und maßen sich mit Zomesblicken. Die Geschicklichkeit eines jeden Streiche aus­

zuteilen und zu parieren war eine so seltene, daß die Zuschauer unwill­ kürlich und einstimmig in Rufe der Bewunderung ausbrachen. Das Roß des Tempelherrn hatte bereits viel Blut verloren und schwankte unter dem Angriff des enterbten Ritters. Plötzlich stürzte Brian von Bois-Guilbert und sein Fuß blieb im Steigbügel hängen, von dem er sich nicht loszumachen vermochte. Da

sprang sein Gegner vom Pferde, schwang sein verderbenbringendes Schwert über dem Haupte seines Feindes und gebot ihm sich zu ergeben; doch Prinz Johann, von des Templers gefahrvoller Lage ergriffen, ersparte ihm die Beschämung sich für besiegt zu erllären, indem er seinen Stab hinab­ warf und so dem Kampf ein Ende machte. Da es jetzt Prinz Johanns Pflicht war den Ritter zu nennen, der sich am meisten ausgezeichnet hatte, entschied er dahin, daß die Ehre des Tages dem enterbten Ritter gebühre.

„Enterbter Ritter," sprach Prinz Johann ihn an, „da Ihr durchaus keinen andem Namen nennen wollt, wir übertragen Euch die Ehren dieses Turniers und verleihen Euch das Recht die Ehrenkrone, welche Eure Tapferkeit ver­ dient, aus den Händen der Königin der Liebe und Schönheit entgegen­ zunehmen. Der Ritter verbeugte sich tief und anmutig ohne aber etwas zu er« widem.

Unter dem Schmettem der Trompeten, unter den Rufen der Herolde zu Ehren und Ruhm des Siegers, unter dem Wehen der Schärpen und ge­

stickten Schleier der Damen und unter dem Beifallsgeschrei der gesamten Vollsmenge fühtten die Marschälle den enterbten Ritter unter den von Lady Rowena eingenommenen Ehrenthron. Auf der untersten Stufe dieses Thrones ließ der enterbte Ritter sich auf ein Knie nieder. Die Königin des Tages legte den prächtigen Ehrenkranz auf das ge­

neigte Haupt des Siegers, indem sie mit Heller, deutlicher Sttmme sagte: „Herr Ritter l ich verleihe Euch diesen Kranz als Lohn der Tapferkeit für den Sieg im heuttgen Turnier."

So endete der denkwürdige Tag von Ashby. (Walter Scott, »Ivanhoe".)

IV. Ritterzeit.

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28. Eine RitterhochzeiL. Im Jahre unseres Heiles 1474 sorgte Herzog Ludwig der Reiche von Niederbayem, daß seinem Sohne, dem Herzog Georg, ein trefflich Ehegesponse zuteil werde. Es fiel die Wahl auf die Hedwig, des Königs Kasimir von Polen Tochter, und da der Bischof Heinrich von Regensburg für den Georg warb, sagten der König, seine Gemahlin und die Hedwig

mit Freuden: Ja. Ward demnach die wichtige Angelegenheit auf beste Weise geordnet, der Herzog Georg kam demnächst auf Besuch nach Polen, waren Braut und Bräutigam ganz ftoh sich einander angehören zu dürfen, und wär'

nichts im Wege gelegen, hätten sie lieber heute als morgen Hochzeit gehalten.

Das ging aber nicht an und so mußte die Hochzeit bis ins nächste Jahr ver­ schoben werden. Als es an der Zeit war, machten sich der König von Polen und die

Königin mit ihrer schönen Tochter auf, begleiteten sie bis Posen und Über­

gaben sie dort zweien Woiwoden, dem von Kalisch und dem von Lenczincz. Diese brachten sie weiterhin bis Land Bayem und gen Landshut. Im Gefolge aber waren an polnischen Edelleuten, Grafen, ihren Frauen und Töchtem allein siebenzig — Diener ganz ungerechnet. So nun Herzog Ludwig der Reiche genannt wurde, betätigte er die Wahrheit in der Zeit aufs beste; denn die Hochzeit kostete siebenzehntausend­ sechshundertsechsundsechzig Dukaten. Das war das wenige Geld nicht, ist aber auch in acht Tagen das wenige

nicht verzehrt worden. Das waren 300 ungarische Ochsen, 62 000 Hühner,

5000 Gänse, 75 000 Krebse, 75 Wildschweine, 126 Hirsche, 170 große Fässer Landshuter Wein — den mußten die Reisigen und das Gesinde trinken —, weiters 200 Fässer fremden Weins und vom welschen aller Art 70.

Was

Kälber, Schafe, Ferllein, Vögel und Federwild, das ist auch schier unglaub­

lich — und doch wahr, gerade wie mit den Siern. Deren verbrauchten die Köche nicht weniger denn 212 000. Und was die Rosse betrifft, werden sie auch so viel Mangel nicht gehabt haben; denn ihrer 9260 ist zwar eine schöne

Zahl, aber 1772 Scheffel Hafer ist auch ein Wort. Item, da wurde gekocht, gesotten und gebraten, daß man es früher

noch nie so erlebt hatte, und vom Zuviel war keine Rede; denn die Hochzeits­ gäste waren nicht allein freigehalten, sondern alle, die da von Landshut waren oder auf Besuch dahin kamen, konnten essen und trinken, was und wieviel sie wollten, und so ein Wirt, Bäcker, ein Fleischer oder Fischer Geld

annahm, verfiel er in Strafe, weil der Herzog Ludwig verrufen hatte lassen, er zahle alles und er wolle, daß die Leute acht Tage lang ins Blaue lebten.

28. Eine Ritterhochzeit.

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Da war ihnen freilich fast wohl zunmte und ließen sich Speis' und Trank munden von früh bis abends, hinwieder hatten die hohen Herren auch

ihre Freude an der Freude und solcher großen Herren waren viele da. Fürs erste einmal der römische Kaiser Friedrich selbst. Der war nebst Otto von Neumarkt Brautführer gewesen — mit ihm sein Sohn, der Erz­ herzog Maximilian. Dann Herzog Sigmund von Tirol, der Markgraf Al­ brecht von Brandenburg samt seinem Sohne Friedrich und dessen Ge­ mahlin, femers der Pfalzgraf Philipp samt seiner Ehefrau Margaret, der Pfalzgraf Otto und sein Bruder Johannes, Herzog Albertus von Bayern und der Herzog Christoph waren auch zugegen, der Graf Mrich von Württem­ berg und sein Sohn Eberhard nicht minder, wieder Ladislaw, der Prin­ zessin Hedwig Bruder, Albrecht, Markgraf von Baden, die Brüder Leuchten­ berg samt ihren vierzig uralten Reichsgrafen und einer großen Zahl fürst­ licher und gräflicher Frauen und Jungfrauen. Das waren die Weltlichen. Es hatten sich aber auch geistliche Herren eingefunden, wie der Erzbischof von Salzburg, die Bischöfe von Freising, Bamberg, Passau, Augsburg und Eichstätt; wieder andere, die nicht in Person erschienen waren, hatten Gesandte geschickt. So der König von Böheim, der Bischof von Würzburg, die Kurfürsten von der Pfalz und von Sachsen, der Großdeutschmeister, Eberhard der Ältere von Wütttemberg und acht Reichsstädte. Die waren: Regensburg, Augsburg, Nürnberg, Ulm, Frank­ furt, dann die kleineren, wie Nördlingen, Dinkelsbühl und Donauwörth. Da sieht nun jeder, was vornehme und mächtige Leute beisammen waren, davon gar mancher schon herrliche Taten voNbracht hatte; es war aber einer leutseliger und bescheidener als der andere. Stand ja doch der Kaiser über allen an Hoheit — und Herzog Christoph an Kraft und Ritter­ tugend. Nur ein einziger im Gefolge der Hedwig fand sich, der hochmütiger war als der Kaiser, Herzog Christoph und alle andern miteinander, vom Haupt bis zu seines mächttgen Wallachen Hufen von gediegenem Silber. Derselbe Hochmütige war der Graf von Lublin, ein gewaltig großer und feister Herr aus dem Litauischen. Als nun der Graf von Lublin das Tumieren, Rennen und Gestech der deutschen Ritter sah, lachte er darüber, verachtete es gleichwie ein Kinderspiel und vermaß sich ganz anderer Kraft und besseren Geschickes. Ging darauf her, bot allen anwesenden Fürsten und Grafen ein Scharf­ rennen an und setzte tausend Gulden. Die sollten dem gehören, der ihn besiegte. Es fand sich aber keiner, der ihn, diesen „vierschrötigen Fierabras", zu bestehen gettaute, und hielt es Herzog Georg von Landshut mit Recht

für eine große Beschimpfung seines Beilagers und für eine große Schande

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IV. Ritterzeit.

aller deutschen Ritter, so sich gar niemand fände den frechen Polacken zu züchtigen. Weil nun Herzog Christoph anderen auch eine Ehre lassen wollte,

sagte er nichts und hoffte, es sollte doch der oder jener Graf vortreten — es zeigte sich aber keiner.

Deshalb wandte sich Herzog Georg an den Kaiser Friedrich und bat

ihn, er möchte doch Mittel machen, daß der Herzog Christoph den Streit

aufnehme. Der Kaiser war gerne bereit, entbot den Herzog Christoph zu sich und sagte: Der Polack mit seinem Hochmut sei ihm das Wenige nicht zuwider, da müsse einer her und ihm denselben vertreiben und unter allen Fürsten und Grafen sei keiner des Sieges sicher, wie er, der Christoph. Also sei sein gnädiges Begehren, er sollte den Kampf unverweilt annehmen.

Dabei teilte er ihm mit, der Vetter Georg habe ihm noch 1000 Gulden als Preis ausgesetzt. Sagte Herzog Christoph, des Geldes wegen untemehm' er sicher nichts, weil aber der Kaiser so treues Vertrauen auf ihn allein lege, sei er mit

Freuden bereit und in zwei Tagen wolle er mit dem Polacken ein Treffen liefern, daß der fürhin sicher bescheidener von den Deutschen spreche. Diese Antwort machte Kaiser, Fürsten und alle anderen ganz froh — und den Grafen von Lublin auch, als ihm angezeigt wurde, er sollte sich zum Stechen rüsten; denn Herzog Christoph dünkte ihm keineswegs ge­

fährlich und hätte sich's nicht besser wünschen mögen, als d e n zu werfen, der von allen der Mutigste und Stärkste genannt wurde. Als der dritte Tag und die Stunde des Kampfes erschien, gab es ein

großes Gedräng rings um den Tumierplatz; denn alle Welt war begierig

des Polacken Niederlage mit anzuschauen. Der erste der zwo Kämpfer so ankam — war Herzog Christoph. Der

ritt auf seinem starken, tätigen Schimmel, den er oft in dergleichen Schimpf gebraucht und bewährt gefunden. Wie er in edler Kühnheit daherritt, schlug allen das Herz vor lauter Freude und entstand ein Geschrei zu Preis und Ermutigung, das kaum mehr enden wollte. Dafür dantte er hier und dorthin mit Hauptneigen, hielt an und wattete ganz ruhig, bis der Polack

angerückt käme.

Und wie Christoph da zu Roß wattete, schien's etwan,

als sei er, auf einem Ritt durchs Land begttffen, just eines Feindes Nähe

inne geworden, hielle demnach ein wenig an und dächte: „Wir werden

dich gleich haben, daß ich wieder fürder reiten mag!" Weil nun der Graf von Lublin noch eine ganze Viettelstunde lang ausblieb, glaubten viele, er habe sich von Herzog Christophs Stärke er­

zählen lassen, also daß es ihm nicht geheuer schiene sein Wott zu lösen. Er kam aber doch dahergetttten und wie er so hinschaute, las jeder in

des Polacken Gesicht Stolz und Verachtung sondergleichen; ganz aufgebläht

28. Eine Mttrrhochzeit.

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saß er auf seinem silberbeschlagenen Wallachen, daß er hätte platzen mögen, und auftrat er mit dem Roß, als wollte er den ganzen Erdboden einstoßen. So ritt er in die Schranken und etliche Schritte vor Herzog Christoph hielt er füll. Der grüßte ihn nach Sitte, redete ihn auf lateinisch an und sprach: „Hierzulande sei es Sitte aller Welt zu zeigen, daß ein jeder aus frei ritterlichem Gemüt und ohne allen Vorteil kämpfe. Damit nun das vor jedermann erscheine, sollte er von seinem Roß absitzen und tun, wie er ihn tun sehe." Auf diese Worte sprang er ohne Beihilfe in vollem Rüstzeug aus dem Sattel. Der Graf von Lublin war über Herzog Christophs Anmuten ganz erschrocken, wollte vom Absteigen nichts wissen und meinte, derlei Beweise und Verzögerung bedürfe es nicht. Weil aber Herzog Christoph erfahren hatte, daß der Polack zwei feste Bünde am Sattel und an seinen Füßen habe, wollte er die schnöde, un­ ritterliche List nicht ungestraft lassen und bestand auf seinem ersten Ver­ langen. Blieb demnach dem Grafen nichts übrig denn Folge zu leisten. Konnte sich aber keineswegs so ohneweg vom Sattel heben, weil er an­ gebunden war, und mußte erst die Seinen herbeirufen, daß sie ihm die zwei Bünde abschnitten. Drüber entstand ein großes Gelächter und fielen unzählige Spottworte, bis derselbige Polack mit vieler Hände Nachhilfe aus dem Tumiersattel und auf den Stechplan gelangte. Schritt sofort auf Herzog Christoph zu, bot ihm die Hand und versprachen sich beide ein redliches, ritterliches Treffen. Hierauf ttat Christoph zu seinem Schimmel, legte die linke Hand auf den Sattelbogen und schwang sich, wie vorhin vom Roß, so wieder in voller Mstung hinauf. Das tat ihm kein Ritter in der ganzen Welt nach. Großes Jauchzen erhob sich weitaus und der Kaiser, alle Fürsten und Grafen, die Fürstinnen und andere Frauen verwunderten sich höchlich. Der Graf

von Lublin aber zumeist. Hatte er vor kurzem noch von leichtem Sieg geträumt, nunmehr bedünkte ihn derselbe doch noch in Frage zu stehen und wär's ihm nicht zu große Schmach gewesen, er hätte gern seine 1000 Gul­ den fahren lassen und wär' fortaus und ins Polnische geritten, daß er dem Christophe! aus Land Bayem entkäme.

Nachdem weiters Stangen und Stechzeug, wie es die Tumiersitte bedang, besichttgt und wohl geprüft war, ritten der Herzog und der Polack auseinander an zwei Enden der Bahn, legten ein und rannten aufeinander los, daß beide Tumierlanzen zersplitterten und die Trümmer hoch in die Lust fuhren. Dabei blieb Herzog Christoph, der ehevor aus und in den Sattel schier geflogen war, fest wie ein Turm sitzen. . Der schwere Polack aber flog so 8n»inger--au»mann, Au» SeutfölanM versanaenhelt. 8

IV. Ritterzett.

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leichtfertig seinem Roß über den Mcken hinab, daß er zwei Mannslängen weit hinter demselben niederstürzte. Unbeschreiblicher Jubel erhob sich und was freudiges Wort zu Ruhm,

Ehr' und Dank einem Ritter gezollt werden kann, das ward dem Herzog Christoph von Kaiser, Fürsten und vom ganzen Volk zuteil.

Also hatte Herzog Christoph den übermütigen Grafen von Lublin besiegt, seine Hoffart emiedrigt und der ganzen deutschen Ritterschaft Ehre gerettet. (AuS „Die Abenteuer Herzog-Christoph von Bayern" v. F. Trantmann. Verlag Pustet, Regen-burg.)

29. Herr Walter von der Vogelweide. „Der lalle Reif tat kleinen Vöglein weh. Daß sie nicht mehr sangen. Jetzt hör' ich sie noch lieblicher als eh', Da die Wiesen prangen." So sang eine jungfrische Männerstimme durch den frühlingsgrünen Bergwald. Bald trabte ein prächtiger Schimmel aus dem Busch. An den blauen und roten Bändem, mit welchen die weiße Mähne des edlen Tieres durchflochten war, sowie am reich gestickten Zaum- und Sattel­ zeug erklang gar lieblich ein Kranz von Silberschellen und läutenden Glöcklein. Das zierliche Lederwams, der schmale Stoßdegen an der Seite, die nickende Reiherfeder am Samtbarett und das lockig gekräuselte Bartund Haupthaar hätten wohl auch ohne den hellen Sang und die Fiedel, welche aus dem Reisemantel lugte, den fahrenden Sänger verraten.

Nun griff der Reiter zu seinem Saitenspiel. Da kam es von allen Seiten herbeigeschwirrt; da begann es im weiten grünen Bereiche zu musizieren

und zu jubilieren, als ob heute Hochzeit wäre im Bergwalde. Und das Schmettem und Singen, das Geigen und Klingen zog heraus ins blühweiße Mühlental. Hier saß ein Häuflein Kinder in den Blumen, sich zu schmücken zum luftigen Ringelreihen. Plötzlich aufspringend rief der Kleinste: „Gesellen, horcht! Tram: das ist kein anderer als Herr Walter." Schon kam der Sänger aus dem Hag. Da hob das kleine Volk ein Schreien Md Jauchzen an: „Eya, eya! Gott grüße dich, Herr Walter von der Vogelweiden!" Keck hatten die Buben den Schimmel erllettert; die Mädeln in ihren kurzen Rotröcklein reichten ganze Hände voll Blumen dem lieben Manne hinauf. Der ließ sich nicht lange bitten. Alsbald saß er am Bache mitten in Laub und Gras, umsprungen von den Kleinen, umsungen von seinen Waldvögelein. So schlangen sie den Ringelreihen immer und immer wieder, bis die Abendsonne ins Mühlental schien. Da nahm der Spielmann

29. Herr Walter von der Bogelweide.

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die Kleinsten aufs Pferd; die Buben liefen voraus es in allen Höfen zu künden: „Herr Walter ist wieder im Land!"

Die frohe Botschaft flog von Haus zu Haus. Als der Mond aus dem Tale stieg, beleuchtete sein weißes Licht die ganze Gemeinde, die sich unter der Dorflinde um den Sänger versammelt hatte. Eng aneinander ge­ drängt horchten sie alle, was der fahrende Mann zu singen und zu sagen wußte von Kriegslauf und Fehdegang, von lieben und leiden Mären, die sich zugetragen draußen in der weiten Welt, auch von lustsamen Geschichten, Schwänken und Schelmenstücklein, von kurzweiligem Mummenschanz

bei Hochzeiten und Turnieren. Dann aber lockte die Fiedel zum Reigen, daß die Freude noch lange durch die Nacht hin klang. Und wer hatte all das Glück ins stille, weltferne Dörflein gebracht? „Eya," riefen sie durch Täler und Höhen, „wer anders als unser viellieber Herr Walter von der Vogelweiden!" Nicht mit reichen Gaben bedacht, doch mit der Liebe aller beschenkt, trabte der Spielmann am andem Morgen in einen neuen Morgen hinein. Niedriger wurden die himmelanstrebenden Felswände; liebliches Grün überzog die sanften Gehänge und in ihren Tälem lachten fülle grüne oder blaue Wasser. Da mußte der Schimmel oft fülle stehen, daß der Sänger all die Wunderpracht der Heimat erfasse. Gen Abend pochten Roß und Reiter müde an die Pforte Hohenschwangaus. Längst hatte des Wächters Hom vom weit ausschauenden Bergfried den Gast gemeldet. An der Brustwehr des Burggrabens stand die neugierige Jugend, des Ballspielens und Haschens vergessend. Im Pförtnerstübchen wollte just der große Kunz den Humpen zum Munde heben. Wie aber das helle Tandaradei am Tore erklang, da hat's ihm jäh den Trunk verschlagen. „Seht ihr recht, ihr alten Augen? Tandaradei! Juchhei, da reitet Deutschlands Getreuester ein!" Und „Tandaradei!

Herr Walter von der Vogelweiden!" llang's und jauchzte es fort aus aller Mund durch Höfe und Hallen. Nun eilten sie herbei aus Saal und

Kemenate, aus den Rüstkammem und Ställen, aus Küchen und Gesindestuben. Men voran Herr Heinrich, der Burggraf. Rasselnd war die Zug­ brücke niedergegangen. Im Torweg umfing der Graf den abgespmngenen Sänger mit Gruß und Kuß. „Gesegnet seist du, holde Abendstunde, die du mir den Herzbmder, meinem Hause den Sänger gebracht!" Nun sank Herr Walter ins Knie die Burggräfin zu begrüßen. Weit hinaus und hinab in den grünen Schwangau llang des Sängers Saitenspiel; begeistert sang er das Lob der deutschen Frau. Bewegt beugte sich die Gräfin zu dem Spielmann und schmückte

sein Haupt mit einem Kranz von Rosen. Haupt und Schultem von Rosen umwM, zog Herr Walter in die Burg.

„Nun laßt alle Arbeit mhen, 8»

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IV. Ritterjeit.

Kinder!" gebot Graf Heinrichs frohe Stimme. „Jägerbursche, steckt einen MIdfrischling an den Spieß! Schenk und Kellermeister, rollt ein Faß dort unter die Linde vom allerbesten Roten, den die Südsonne an den Leiten von Terlan und St. Magdalenen gezeitiget! Holet Eure Harfe, ehrwürdiger Burgkaplan, und ihr, meine sangeskundigen Töchter, bringet

eure Lauten Deutschlands liebsten Singemeister zu seinen Weisen zu begleiten!"

Bald saßen sie alle unter der Linde und Herr Walter begann zu singen von den Blumen, die aus dem Grase dringen, vom frischen Klee

und der laubenden Linde, von der lichten, tauigen Rose, vom Sang der heimgekehrten Nachtigall, von lobesamen Helden und ihrem kühnen Streiten.

Reicher Beifall lohnte den Sänger; denn manche Brust war weit geworden in Mut und Stolz, manches Auge feucht. Verstand es ja gerade Walter wie kein anderer deutscher Dichter durch seinen herzinnigen Volkston die Zuhörer zu jubelnder Begeisterung mit fortzureißen. (tooU grfoting«.)

30. Ein Pfeiferfest. Huldigung. Kaum graute der Morgen, als ein Trommler, begleitet von zwei Pfeifern,

die Stadt durchzog um die aus allen Ortschaften des Elsasses herbeigeström­ ten Brüder wachzurufen. Bald öffneten sich die Pforten der Häiser und der eine zog lustig singend die Straße hinab um seinen Freund am entgegengesetzten Ende der Stadt abzuholen, während der andere in wmig anmutenden Koloraturen sein bestes Instrument für die heutige Anfordemng zu erproben suchte. Mmählich aber versammelte sich die Shar

vor der Pfeiferherberge zur Sonne in der unteren Stadt. Lange dauerte es, bis alles nach Wunsch geordnet war. Als endlich alles marschbereit war, setzte sich der lange Zug in Be­ wegung. Der Stadttrommelschläger eröffnete ihn. Dann folgte der Köng,

der in seinen Mienen und seiner Haltung die ganze Würde seiner Hcheit auszuprägen bestrebt war. Es war noch derseibe Träger des Antes,

wie in den letzten Jahren, ein Schloßtrompeter namens Joachim Cellarus. Eine stattliche Figur, ein gepflegter Bart und lluge, listige Augen zeichmten ihn aus. Heute trug er den Kopf gar hoch und stolz. Denselben schmtckte ein dunkelroter, weitkrämpiger Hut, auf dem ein glitzemder Kronreif mit Zinken wie an einem königlichen Diadem ruhte. Er trug einen gellen, reichgestickten Rock, der durch einen Gürtel in den Hüften zusammengehcllen

30. Ein Pfeiferfest.

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wurde. Der Schoß des Rockes endete oberhalb der Knie, so daß er die weißen, enganliegenden Beinkleider genügend hervortreten ließ. Über den

Rock fiel in langen Falten der pelzverbrämte rote Mantel hinab, das wirkungsvollste Stück seiner Pfeiferwürde. In der Hand hielt er ein mäch­ tiges Schwert, das bishe.r wohl kaum zu ernstem Berufe gezogen worden war. Hinter dem König schritten zunächst der Schultheiß, Meister und Zwölfer, dann folgte der Fähnrich mit dem im Morgenwinde hoch­

wallenden, riesigen Banner der Bruderschaft und der Weibel. Hieran schloß sich dann der lange Zug der Pfeiferbrüder an.

Heute waren alle mit Bändem und Kokarden festlich geschmückt und trugen im Knopfloche das Bruderschaftszeichen, eine blinkende Münze, welche „ein halb Unz fein Silber" hatte und das Bildnis der reinen Mutter Gottes zeigte. Sie schritten zu vieren und spielten jeder auf seinem In­ strumente, aber nicht etwa dieselbe einheitliche Melodie, sondem ein jeder, was er wollte und so laut er konnte. Da gab es keine Harmonie, sondern einen ohrbetäubenden Lärm von schmettemden Hörnern, von gellenden Pfeifen, von Ringenden Lauten und Zinken, von dröhnenden Pauken und Trommeln, kurzum ein Gemisch von sinnverwirrenden Klängen und Tönen. In Rappoltsweiler schien aber niemand darunter zu leiden; denn je weiter der Zug vorwärts schritt, um so toller und rasender tanzte die Menge hinter den Pfeifem her. Vom Kinde hinauf bis zum Jüngling und zur Jungfrau folgte ihnen alles tanzend, lachend und singend. Wer nicht hüpfen und laufen mochte, schaute aus den Fenstern oder stand in den Straßen um mit lautem

Zurufe die tosende Menge zu begrüßen. Immer mehr schwoll der Zug an, bis er am Fuße des Gebirges angelangt war um von nun an schweigend und infolge der Enge des Pfades weniger behelligt von den mitlaufenden Buben und Mädeln den Pfad zur Kapelle hinaufzuziehen. In den letzten Jahren hatte man schon wiederholt die Messe in der Pfarrkirche zelebriert und die Huldigung auf dem Stadtschlosse abgehalten, da beide Örtlichkeiten mehr Raum boten und leichter zugänglich waren als die Keine Dusenbachkapelle und die im mittelalterlichen Stile erbaute Ulrichsburg. Der Schutz­ herr der Pfeiferbruderschast Egenolph von Rappoltstein aber hatte in diesem

Jahre strenge Weisung ergehen lassen, daß die frühere Sitte wieder auf­ zunehmen sei. Er wollte damit bezeugen, daß er den Willen besitze ein ge­ treuer Beschützer der alten Einrichtungen zu werden, außerdem aber er­ schienen ihm tatsächlich die von ihm bevorzugten Stätten für das Pfeifer­ fest passender und zweckentsprechender zu sein. Nachdem die Spielleute eine Zeitlang während des Aufstieges schwei­

gend fürbaß geschritten waren, stimmten sie auf halber Höhe der Kapelle eine fromme Weise an und die Klänge drangen feierlich durch das stille Waldtal zum Gotteshause empor.

IV. Ritterzeit

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Nur einen Augenblick später, als die Fahrenden vor demselben an­ langten, erschienen die hohen Herrschaften, ebenfalls in längerem Zuge

von der Ulrichsburg herniederschreitend. Bei der günstigen Witterung hatten sich nur wenige versagt den nicht allzu weiten Weg zu Fuß zurückzulegen. Zuerst trat Egenolph in strahlender Rüstung aus dem Walde, er führte seine

Mutter Anna Alexandrina. Dann folgten die beiden Gräfinnen von Sayn, je an dem Arm eines Markgrafen von Baden und eines Ritters von Sickingen. Allmählich trat ein Paar nach dem andern aus dem Dunkel der Tannen heraus. Als die Spielleute Egenolph und seiner Mutter ansichtig wurden,

erhoben sie ihre Jnstmmente zu einem schmetternden Jubelruf um dem

neuen Träger der Königswürde einen ersten Gruß darzubringen. Der­ selbe verfehlte seine Wirkung nicht. Egenolph dankte durch einen freudigen Gegengruß und sah dann mit Genugtuung zu seiner Mutter nieder, die nicht minder angenehm überrascht erschien. Dann traten zuerst die Ritter und später die Pfeifer, soweit der Raum genügte, in das Innere der Kapelle, aus der ein vielstimmiger Knabenchor ihnen entgegenschallte. Nachdem die feierliche Handlung den üblichen Verlauf genommen hatte, zog hoch

und niedrig zur Huldigungsfeier nach der Ulrichsburg, der die meisten ein weit größeres Interesse entgegenbrachten als der geistlichen Zeremonie. Während die Zuschauer ihre beifälligen und bewundernden Äußerungen über das bewegte Bild austauschten, gruppierten sich Adelige und Pfeifer im Rittersaale. Von einem thronartigen Aufbau aus, den man an der dem

Strengbachtale zugekehrten Wand errichtet hatte, überragte Egenolphs Gestalt die anderen um ein beträchtliches. Zunächst hielt er sein Haupt noch bedeckt. Neben ihm zur Rechten saß seine Mutter, während zur Linken die Gräfin Ottilia von Sayn Platz genommen hatte.

An der entgegen­

gesetzten Wand des Saales stand Egenolph, gerade gegenüber der biedere Joachim Cellarius in der ganzen Würde des stellvertretenden Königs mit wallendem Mantel und blinkender Krone. Sein Gesicht schien etwas ge­ rötet und die ihm zunächst Stehenden bemerkten, daß ein leises gittern durch seinen Körper ging. Zu beiden Seiten von ihm standen die Pfeifer ebenfalls im Halbkreise geordnet, jeder sein blank geputztes Instrument in der rech­ ten Hand.

Jetzt klopfte Joachim Cellarius dreimal mit seinem Schwerte auf.

Nachdem das lebhafte Geschwirr der Stimmen einem tiefen Stillschweigen Platz gemacht hatte, trat er bis in die Mtte des Saales, verbeugte sich tief, räusperte sich mehrmals und begann endlich in kurzer, gebundener Rede den jungen Gebieter zu begrüßen.

Seine Worte lauteten:

„Von Hagenaus geweihtem Forste, Hinauf bis zu dem Hauenstein

30. Ein Pfetfttfrst.

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Klingt heut' der Bruderschaft Gelübde Dem jungen Herrn von Rappoltstein. Wie Euren Bätem wir geschworen Mit feierlich gestabtem Eid, So bleiben hold wir und gewärtig Dem neuen König allezeit. Solang noch Pfeifertöne schwirren. Durch- Land ein Fahrender noch zieht. Solang das Dreigestirn der Burgen Noch stolz hinab zum Tale sieht, Gilt unser Denken, unser Trachten, Gilt unserer Künste schönster Laut Dem hohen mächtigen Beschirmer Und seiner Mutter hehr und traut. Ihr Brüder alle, die erschienen Vom WaSgenfirste bis zum Rhein, Erhebt das Spiel zu meinen Worten: Hoch Egenolph von Rappoltstein!"

Als die letzte Silbe erklang, setzten die Laute der Instrumente ein. Diesmal war es kein wirres Durcheinander, sondem eine Art von anschwellen­ den Tönen in dreimaliger Wiederholung eines kurzen Satzes. Zuerst gaben ihn nur Flöten und Pfeifen, dann setzten die Guitarren, Zinken und Schalmeien ein, schließlich dröhnten die Pauken und schmetterten die Hörner, daß die Schallwellen durch die geöffneten Fenster weit hinab in die wal­ digen Niederungen drangen und der draußen weilenden Vollsmenge das Zeichen gaben, in lang anhaltende Jubelrufe auszubrechen. Im Innern aber schwenkten die Spielleute nunmehr begeistert ihre großen, mit wallender Reiherfeder besetzten Hüte, während die Edelfrauen und Ritter dem ent­ blößten Hauptes sich nach allen Seiten hin vemeigenden Egenolph ihre höfischen Grüße zuwinkten. Er erhob jetzt die Hand und nachdem Joachim Cellarius wiederum dreimal mit seinem Schwerte aufgeklopft hatte, sprach er mit fester Stimme: „Wir, Egenolph, Herr zu Rappoltstein, Hohnack und Geroldseck am Wasichin, danken unserm Vertreter im Ambaht und der Bruderschaft für das Gelübde der Treue und Ergebenheit, das ihr nach alter Ordnung und löblichem Gebrauche uns geleistet. Wir dagegen bestätigen eure Satzungen mit dem Versprechen, allezeit euer gerechter König und Gebieter im Namen des heiligen Reiches zu sein, dem Bösen zu wehren, das Gute zu schirmen, zur Ehre der reinen Mutter Gottes, deren Bildnis ihr auf eurem Herzen tragt, und zum Ruhme deutscher Kunst und deutscher Sittel" Nachdem Egenolph seine feierlich erhobene Rechte langsam wieder

hatte sinken lassen, wandte er sich um und nahm aus den Händen eines hinter ihm stehenden Pagen einen mächtigen, mehr denn zwei Fuß hohen silbemen Pokal mit goldglänzenden Verzierungen entgegen. Er erhob ihn, schwenkte ihn einmal leicht im Halbkreise und sagte: „So trinke ich auf das

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IV. RitterM.

Wohlergehen meiner hohen Gäste, meiner gekewen Pfeifer und Varenden Lüte mit dem Wahrspruch, der hier in glänzendem Silber eingettagen ist:

„Lobet Gott von Hertzen, Lob singet ihm mit Harpfen Und Lauden, denn sein ist allein die Ehre!" Nachdem er einen langen Zug aus dem Pokale getan und ihn dann zurückgereicht hatte, trat ein Spielmann vor um das erste von drei Liedern zu singen, die gewöhnlich bei der Huldigungsfeier vorgetragen wurden.

31. Das Pfeifergericht. Mer Sitte gemäß fanden die Gerichtssitzungen nach dem Mahle statt, obwohl dies nicht unbedenklich erscheinen mochte. Indessen auf diese

Weise wurde verhindert, daß schon beim Mittagstische dem Humpen über­ mäßig zugesprochen wurde, und andererseits hatte die Erfahrung gelehrt, daß die Erledigung der Klagen sich nach Tisch stets glatter vollzog. Egenolph hatte Joachim Cellarius wissen lassen, daß er für eine Zeit­ lang den Verhandlungen beiwohnen wolle, um so sein Interesse an einer gerechten Handhabung der richterlichen Funktionen zu bekunden, ohne selbst­ redend durch seine Gegenwart die Rechtsprechung in irgend einer Weise beeinflussen zu wollen. Einige von den Rittern und Edelfrauen schlossen sich nach Beendigung des Mahles dem Gastgeber an, als er zum Gerichte aufbrach, da sie den Befugnissen und Urteilen dieser besonderen Behörde eine gewisse Neugierde entgegenbrachten. Unter ihnen befanden sich auch die beiden Gräfinnen von Sayn. Joachim Cellarius hatte mit den Meistem und Zwölfem die Eröffnung der diesjährigen Tagung ein wenig hinausgezogen um die Ankunft der hohen Herrschaften abzuwarten. Sobald dieselben erschienen waren und auf erhöhten Sitzen zur Rechten des Gerichtes Platz genommen hatten, eröffnete er die Verhandlung „zur Anhömng aller Klag' und Frag'" aus dem ganzen Jahre. Wer sich in den Reihen der Adeligen Hoffnung auf sehr packende Erörtemngen gemacht hatte, fand sich bald enttäuscht; denn die meisten Fragen entbehtten des allgemeinen Interesses und wurden zudem schnell erledigt. Die Anwesenheit des Herm von Rappoltstein mochte dazu beitragen, daß die Pfeifer, die zu Sttafen vemtteilt wurden, sich ohne querköpfiges Widersprechen und Murren dem Richterspmche unterwarfen. So kam es, daß die vorher angezeigten Stteitftagen bald abgeurteilt waren und Joachim Cellarius zum Aufmf der nichtangemeldeten schritt. Als erster Kläger ttat Marttn Bürkhel vor. Er war aus Rappoltsweiler gebürttg

und durchzog als Zinkenbläser die elsässischen Gaue. Er war von großem, breitschultrigem Bau, von etwas verwiüwrtem Aussehen und unregel­ mäßigen Gesichtszügen.

31. DaS Pfeifergericht.

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„Wessen ist dein Begehr?" hub Cellarius an. „So wahr du dem König und der Bruderschaft einen gestabten Eid geschworen hast, soll deine Rede der Wahrheit gewärtig sein!" „Ich zeihe den Lautenschläger Hans Eberlin aus Reichenweier der Ver­ letzung heiliger Ordnung und Sitte und damit der Mißachtung Unserer lieben Frau von Dusenbach, weil ebenderselbe entgegen dem strengen Befehle seiner Bischöflichen Gnaden, während der Kommunionzeit nicht zu spielen, am Vorabend des Osterfestes, an dem er hier in der Pfarrkirche das Sakrament nahm, buhlerische Lieder zu Hunaweier gesungen und dazu auf seiner Lauten geschlagen hat." Joachim Cellarius schüttelte unwillig sein Haupt, so daß die Zinken seiner Krone hin und her schwankten. Mit einem tiefen Emst in der Stimme

sprach er zu dem Kläger: „Schwerer Schuld hast du deinen Bmder geziehen, Martin Bürkhel, wie vermagst du deine Klage zu bezeugen und zu erhärten?" „Ich selbst," llang die Antwort, „habe es gesehen und gehört, so wahr ich das Bildnis unserer reinen Mutter Gottes auf dem Herzen trage!" „Hans Eberlin," rief Cellarius, „wenn du zugegen bist, so trete vor!" Der Gerufene erschien; aus seinen Mienen sprach eine hochgradige Erregung. „Bekennst du dich zu der Tat und gestehst du deine Schuld ein?" „Ja und nein, je nachdem Ihr die Frage stellt. Ich habe an dem Abend zu Hunaweier gespielt und bin anderen Tages zu dem Tische des Heim gegangen; das ist wahr. Nimmer aber habe ich damit die Vorschriften unseres ehrwürdigsten Herm Bischofs übertreten und mich so an Unserer lieben Frau von Dusenbach versündigt; denn ich habe weder zu Tanz noch zu Mahlzeit noch sonst um Geldeslohn die Laute gerührt, sondem nur um meinem Maidele ein verabredetes Zeichen von langer Wanderschaft zu geben. Dies halt' ich wahr, so ich ein ehrlicher Spielmann bin." Martin Bürkhel trat wieder vor und begann von neuem: „Seine Rede ist so schlau und verschlagen, als seine Wangen glatt sind; er weiß die Worte zu drehen und wenden, wie es seinem Belieben paßt. Doch Ihr, die Ihr zu Gericht sitzet, werdet wissen, daß das Spiel unter­ sagt ist, gleichviel was und. warum gespielt wird. Hier kommt noch hinzu,

daß er. auf offener Gasse seine losen Lieder hat hören lassen." Hans Eberlin durchfuhr es mit wilder Wut, ein Zittem und Beben faßte seine Glieder; am liebsten hätte er sich auf seinen Gegner gestürzt. Er faßte sich aber; denn hier galt es mehr als persönliche Genugtuung zu erlangen; hier mußte er sich einer öffentlichen schmähenden Strafe erwehren. Jetzt wandte sich Cellarius mit der Frage an ihn: „Was hast du noch zu sagen, so du dich frei von Schuld fühlst. Du weißt, daß derjenige, der das Gebot sich während zweier Wochen vor und nach der Kommunion des Spiels zu enthalten.

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IV. SNttirzttt.

verletzt hat, nimmermehr in unserer Bmderschaft verweilen kann; denn die Gesetze der Kirche sind uns heilig vor allen andern." „Heilig und unverletzbar

waren sie mir und sollen es mir bleiben. Weder für llingende Goldgulden noch für die Lust schnöden Possenspieles rührte ich die Laute und so fühle ich mich jeder Schuld frei des Bischofs Gebote übertreten zu haben." Murren und Beifall mischten sich nach seinen Worten durcheinander, während Cellarius und seine Beisitzer die Köpfe zusammensteckten. Der Weibel, der hinter dem Stuhle des Königs stand, überreichte gerade eine große Pergamenturkunde mit den Bedingungen, unter denen der Bischof

den Pfeifem und fahrenden Löten die Heilsmittel der Kirche wieder ge­ währt hatte. Die Meinungen der Beratenden schienen wesentlich von­ einander abzuweichen; denn so leise sie auch sprachen, so ließen doch ihre Gesten nichts an Lebhaftigkeit zu wünschen übrig. Die einen stimmten Eberlin bei, daß nur das Spielen gegen Entgelt oder zum Zwecke der Lustbarkeit verboten sei, daß wenigstens ein Ausschluß aus der Bmderschaft als eine zu weitgehende Sühne erachtet werden müsse. Die anderen be­ fürworteten rücksichtslose Ahndung, da der Bischof vom Spiele überhaupt ohne Unterschiede zu machen gesprochen habe. Endlich erhob sich Cellarius zur Verkündigung des Urteils:

„Im Namen unseres gnädigsten Gebieters, des Herm zu Rappoltstein, erlläre ich, Joachim Cellarius, bestellter Pfeiferkönig, mit samt den ge­ schworenen Richtem und verordnetem Weibel, den Lautenschläger Hans Eberlin des geziehenen Vergehens für schuldig. Da aber der Schuldige bisher keinen Anlaß zur Klage gegeben, derselbe auch aus keinem gewerbsmäßigen oder unlauteren Grunde die Tat beging, so haben wir von der hatten Sttafe durch Ausschluß aus der Bmderschaft, Wandem und Saitenspiel nieder­ legen zu müssen abgesehen. Vielmehr soll die Sühne in einer Sttafe von hundert Gulden bestehen. Dies geschehe zu Recht und zur Ehre unserer hohen Schutzpattonin!" Nach dem Eindmck, den diese Wotte auf die Pfeifer machten, schien Cellattus das richtige Urteil gefunden zu haben. Hans Eberlin hatte in ängstlicher Spannung jedes Wort von seinen Lippen abgelesen. Jetzt bedeckte tiefe Blässe sein Gesicht, während er verstört vor sich hinblickte. Das Urteil war hart genug; selten war auf eine so hohe Geldstrafe erkannt worden.

Plötzlich schaute er mit einem scharfen Blick gegen Cellattus auf

und tief: „Ihr habt gesprochen, doch ich appelliere fahrenden Fußes mit lebendiger Stimme an ihn, der Euch nur mit demAmbaht des Königreichs

bettaut hat, an ihn, der die Krone in Wahrheit und zum Stolz unserer aller ttägt, an unseren Gebieter und König Egenolph von Rappoltstein!" Eine neue lebhafte Erregung erfaßte alle Gemüter. Nicht häufig ereignete es sich, daß ein Bruder an das Hofgettcht appellierte; noch seltener war der

81. DaS Pfeifcrgericht.

123

Fall, daß einer der Herren von Nappoltstein selbst um eine höhere Entschei­ dung angegangen wurde. Egenolph wandte sich an Hans Eberlin mit der Frage: „Du hast mein Urteil angerufen; es soll dir gewährt sein. Jnwiefem fühlst du dich durch den Spruch unseres Vertreters im Ambaht beschwert?"

„Hoher Herr," begann Eberlin mit bewegter Stimme, „hundert Gulden soll ich zahlen. Mit einer solchen Strafsumme wird nur selten ein Vergehen geahndet.

Ich könnte sie ja zahlen, aber mein Glück wird auf

lange Zeit damit zerstört; denn mein ganzes Verdienst geht damit hin und ohne ein solches darf ich nicht mein Maidele zur Hochzeit führen. Auch

mag überhaupt keiner einen Bmder zu seinem Eidam annehmen, der mit einer so hohen Strafe belegt vom Pfeifertage heimkehrt. Damm bitte ich

Euch, gnädiger Herr, den Spmch in Güte und Milde zu wenden und mich dieser Strafe zu entheben."

Egenolph fühlte sich unschlüssig. Er selbst erblickte in dem Spiele Eber­ lins vor dem Hause seiner Liebsten keine Übertretung der bischöflichen Vor­ schriften, andererseits aber war es llar, daß Hans zum mindesten sehr un­ vorsichtig gewesen war. Auch mochte Egenolph den Spmch nicht gern gänzlich aufheben, weil die Bruderschaft darin leicht eine ketzerische Miß­ achtung strenger kirchlicher Gebräuche und Vorschriften erblicken konnte. Er winkte Cellarius zu sich heran und sprach dann, während lautlose Stille eingetreten war, folgendes Urteil: „Wir, Egenolph, Herr zu Rappoltstein, Hohnack und Geroldseck am

Wasichin, entheben dich Hans Eberlin kraft des uns zu Lehen gegebenen Königtums der varenden Lüte der zuerkannten Strafe, weil du nicht zu ver­ botenem Zwecke die Tat begangen hast. Damit du aber künftighin besser die heiligen Vorschriften achtest, sollst du ein Pfund Wachs der Kapelle Unserer lieben Frau von Dusenbach geben, ihr zur Ehre und dir zur Sühne." In den Augen Hans Eberlins glänzte eine Träne, als Egenolph geendet hatte. Nach einem langen, dankbaren Blicke zu seinem Gebieter trat er in die Reihen der anderen zurück. Egenolph verließ bald darauf mit den Herrschaften die Sitzung, die wieder den alten weniger anziehenden Verlauf genommen hatte. (Au- «Der Rappoltsteiner" v. F. W. Bredt.

Verlag v. A. Ahn, Bonn.)

124

IV. Ritterzeit.

32. Otto von Wlttelsbach an der Veroneser Klause. Die Sommerglut lag auf den Gefilden Italiens, die Sümpfe der Campagna hauchten ihre Giftdünste aus und die Deutschen, des fremden Klimas ungewohnt, begannen dessen Nachteile zu empfinden. Jeden Tag erhielt der Kaiser Meldungen von neuen Erkrankungen und bald er­ kannte er, daß es notwendig werde in die Heimat zurückzukehren.

Der Abzug wurde also beschlossen. Emst und schweigsam zog das kleine Heer seine Straße; auf zahlreichen Wagen führte es seine Kranken mit. Auf des Kaisers Seele lag tiefe Verstimmung. Er wußte: solange

das Heer nicht die Luft Deutschlands wieder atmete, hatte er wenig Gutes zu erwarten. Überall aber begegnete der Zug der Feindschaft und dem Hasse Mai­

lands. Selbst kleinere Städte zeigten sich trotzig, weil mailändische Be­ satzungen sie verteidigten. In seinem Zome sprach der Kaiser über die feind­ liche Lombardenstadt die Acht aus, freilich ohne in der Lage zu sein, die Voll­ streckung seines Gebotes folgen zu lassen. Mit Hohn überschüttet kamen seine Boten, die den Mailändem die Kunde bringen sollten, zurück. Un­ muts- und sorgenvoll, die Seele voll verhaltenen Grolles, setzte er feinen Zug fort. Bei Verona gedachte er die Etsch zu überschreiten, aber hier fand er heftigen Widerstand. Die Stadt verwehrte den Durchzug und die Be­ nützung der steinernen Brücken über den Strom und so befahl der Kaiser eine Schiffsbrücke herzustellen. Das war jedoch nicht leicht; denn das Gewässer hatte ein starkes Gefäll und man mußte ohnedies fürchten, daß am anderen Ufer feindselige Kundgebungen stattfinden würden.

Pfalzgraf Otto von Wittelsbach erklärte, er werde mit seinem Pferde

hinüberschwimmen und forderte andere auf ihm zu folgen und eine mutige kleine Schar, damnter der Ritter Friedrich von Hausen, der alte Berthold und der Edelknappe Rudo, erreichte auch glücklich das jenseitige Ufer. Sie hatten von hier einen freieren Ausblick stromaufwärts nach der feindlichen Stadt zu und Otto hielt auch scharfe Wacht, daß von dorther kein Unheil drohe. Indessen war der Bau der Schiffsbrücke begonnen worden. Leute aus der Gegend hatte man zur Arbeit gezwungen und diese schafften lässig genug. Hausen sprach die Befürchtung aus, daß man die Verbindung der einzelnen Fahrzeuge nachlässig herstellen und die Brücke daher eine sehr un­ sichere Überführung bieten werde, aber der Wittelsbacher erllärte, daß

man die Arbeiter wohl in der Hand behalten und nicht entlassen werde, bevor das Heer nicht sicher über den Fluß hinübergelangt wäre. Rudo war indes vorsichtig eine Strecke das Ufer aufwärts geritten und spähte hinaus in die Weite. Die Brücke war endlich fertig, der über-

31. Otto von WittelSbach an der Veroneser Klause.

125

gang begann und ohne Gefährdung war schon ein Teil der Deutschen an das andere Gestade gelangt. Da sprengte Rudo eilig heran; beinahe atemlos teilte er mit, daß den Strom herab dunkle, schwere Massen trieben und es außer Zweifel sei, daß die Veroneser die Brücke zu vemichten suchten. Heftige Erregung faßte die Gemüter, aber rasch entschlossen sprengte der junge Edelknappe in die Fluten und zwang sein schnaubendes Pferd durch die kräftig andrängenden Wellen hinüber nach dem jenseitigen Ufer um dort zu wamen und zur Beschleunigung der Übersetzung zu mahnen.

Der Kaiser selbst hatte eben die Brücke betreten. Er vernahm noch, was geschehen war, und befahl sogleich die Veroneser Bauleute festzuhalten und sie für die Erhaltung des Bauwerkes haftbar zu machen. Dann drängte er selbst die Seinen vorwärts, die in beschleunigter Eile über die schwankenden Bretter zogen. Die Gefahr kam indessen näher. Es war kein Zweifel, daß die Veroneser

Baumstämme und mächtige Holzblöcke in den Sttom geworfen hatten, der diese mit seinem starken Gefälle abwärts trieb und mit Heftigkeit zu­ letzt gegen die Schiffbrücke schleudern und dieselbe vernichten mußte. Der alte Berthold war am Sttom hinaufgeritten bis an die Stelle, wo dieser eine Heine Biegung macht. Hier schien das Wasser sich zu stauen, infolgedessen an einer anderen Stelle eine Untiefe entstanden war. Mit raschem Blick hatte der Me das erspäht; er eilte zu den Seinen zurück

und rief: „Herr Pfalzgraf, wenn fünfzig Männer bei der Furt dott oben im Wasser stehen, vermögen sie wohl das herantteibende Rammwerk — will's Gott! — nach seitwärts zu drängen gegen das Ufer!" „Vorwätts, wer Kraft und Mut hat!" schrie der Wittelsbacher und sogleich jagte ein Haufen Knappen und Knechte nach der bezeichneten Stelle. Immer näher kamen inzwischen die zusammengebundenen mächtigen

Baumstämme, an denen ein schwer belastetes Floß befestigt zu sein schien, dessen Wucht wohl den Anprall zu verstärken bestimmt war. Ohne weiteres Zaudem stürzten sich die Männer in den Fluß und drangen watend bis gegen die Mitte der Flußbreite vor, indem sie sich, gegenseitig an den Händen fassend, stützten. Die Wellen umspülten die Brust der Wackeren, mancher von ihnen stand fast bis an die Schultern im Wasser.-------------

Die schwimmende „Burg" hatte mit ihrem Vorderteil beinahe schon

die letzten von der Reihe der Männer erreicht. „Achtung!" rief der Pfalz­ graf vom Ufer her. Die Muskel der Arme aller strafften sich da. Die Hände losgelassen, dicht Schulter an Schulter gepreßt, standen sie gegen die Flut ankämpfend. Da erscholl der Befehl: „Los!" Und nun warf sich die ganze Kette mit gewalttgem, gemeinsamem Vorstoß gegen die Stämme. Indem

IV. Rttterzeit.

126

sie die Hände an das Rammwerk stemmten, gewannen sie selbst eine größere Sicherheit und vor der Kraft der vereinten Männerarme wendete sich die

Spitze der Riesenpfähle aus ihrer Richtung, ein mächtiges Nachdrängen der Vordersten erfolgte und die Flußwendung half bei dem Rettungswerke.

Das Rammwerk wendete sich dem Ufer zu, fuhr kraftvoll gegen die Böschung und bohrte sich mit seiner Spitze in das Erdreich des Gestades ein. Lautes

freudiges Jauchzen erscholl von der Schiffsbrücke her, von der man das Rin­

gen der Tapferen mit Sorge beobachtet hatte. Die Männer im Strome aber sahen jetzt, daß nun auch schon die Letzten des kaiserlichen Heeres die Brücke betreten hatten. „Überlaßt das Werk des Verrates seinem Schicksal!" rief Otto.------------

Der Kaiser befahl in auflodemdem Zorn die veronesischen Bauleute an den nächsten Bäumen aufzuhängen, nach welchem furchtbaren Akte der

strafenden Gerechtigkeit das Heer weiter die Etsch entlang von dannen zog.

*

*

*

Da, wo der schäumende Fluß sich in vermehrter Tiefe durch ein enges, felsenbegrenztes Tal, die sogenannte Etschklause, hindurchzwängt und wo nur eine schmale Straße sich zwischen dem jäh abfallenden Abgrunde

hinwindet, in welchem die Etsch brausend dahinrauscht, erhob sich an der steil aussteigenden Felswand ein kleines, festes Schloß, das trotzig und wehr­ haft herabschaute. Von dieser Stelle aus vermochte man selbst mit einer Handvoll Männer ein ganzes Heer aufzuhalten.

Schon am nächsten Tage nahte die Vorhut des kaiserlichen Heeres in der Absicht den Paß zu durchziehen. Da stürzten vor ihr mächtige Blöcke dröhnend die steile Felswand herunter und schlugen mitten in den kleinen Reitertroß. Einige Reiter stürzten zerschmettert nieder; die andem wichen

erschrocken zurück. Die schmale Straße, die bereits durch Geröll und Gestein verengt war, hatten die herabgeworfenen Steinblöcke nun fast gänzlich ge­ sperrt. Die Kunde von der Verlegung des Weges wurde dem Kaiser durch Boten überbracht. „Wir haben keinen anderen Ausweg als diesen," rief Barbarossa im Zom, „wir müssen hindurch. Sende einen Boten zu dem Burgherm," rief Friedrich seinem Diener Hartmann zu, „und lasse ihm kundtun, daß der Kaiser von ihm verlange den Paß freizugeben." „Das ist ein gefährlicher Auftrag, Herr!

Ich fürchte, daß der Ab­

gesandte aus dem Raubnest nicht wiederkehrt."

Der Kaiser hatte so laut gesprochen, daß seine Worte in seiner Um­ gebung wohl vernommen worden waren. Da trat der Edelknappe Rudo vor

Barbarossa und sprach: „Mein hoher Herr, darf ich es wagen dich an das Wort zu erinnern,

das du auf dem Ronkalischen Felde mir gabst?

Wo Gefahr droht, sollte

82. Otto von Wittelsbach an der Veroneser Klaus«.

127

ich ihr zuerst entgegentreten dürfen! Erlauchter Herr, sende mich als Boten hinauf nach der Feste — mein Leben gehört dir!" Mit freundlicher Miene sah der Herrscher den mutigen Jüngling an und nach kurzem Schweigen sprach er: „Nun wohl denn, ziehe hin, Rudo, und Gott geleite dich! Mein Deutsch­ land hat noch brave Herzen!" Gleich darauf erstieg der Edelknappe auf schmalem Fußwege die Höhe, auf der die Feste ragte, und wendete sich, ein WeißesFähnlein in der Hand,

nach der Burg. Er begehrte im Namen Kaiser Friedrichs Einlaß. In kurzer Frist stand er vor dem Burgherm und meldete diesem seinen Auftrag. Ritter Alberico hörte ihn ruhig an, dann huschte ein böses Lächeln über seine Züge; er sprach: „Vermelde deinem Herrn, daß Ritter Alberico keines Kaisers Gewalt über sich kennt. Er wolle sich jedoch herbeilassen mit ihm zu unterhandeln. Ihr alle seid verloren, wenn ich den Paß versperre, das wißt ihr wohl, dämm habt ihr keine Wahl. Aber ich will in meiner Forderung bescheiden sein. Melde deinem Herm, daß ich ihn ziehen lasse, wofem er mit seinem Kaiserwort gelobt mir achthundert Pfund Silbers zu bezahlen und außerdem jeden seiner Ritter mit einem Pferde und einem Hämisch auszulösen. Bon dieser Fordemng lasse ich nichts abfeilschen l" „Der deutsche Kaiser feilscht nicht!" antwortete Rudo mit zornbebender Stimme, aber er bezwang sich und mhiger fügte er hinzu: „Ich werde Eure Worte getreulich meinem Herm berichten — meine Sendung ist beendet!" „So beeile dich zu den Deinen zu kommen; denn wenn die Lombarden euch erst in den Rücken fallen, kostet der Durchzug dem Kaiser mehr als achthundert Pfund!" rief ihm mit höhnischem Lächeln der Italiener nach.

Rudo entfernte sich. Langsam ging er, von einem Knecht geleitet, über den Burghof und ließ die scharfen Augen in diesem umhergehen. Er erhob auch den Blick nach der nahen Felswand, an welche die Burg sich lehnte und die hier beinahe senkrecht emporstieg, ja sogar über den Burghof hinüberhing. „Seht euch nur um, uns ist nicht beizukommen!" spottete der welsche Knecht, „wer zu uns hereinwollte, müßte Flügel haben!" Rudo entgegnete dem Begleiter nichts, aber seine Gestalt reckte und dehnte sich schier unwillkürlich, als sollten ihm Flügel wachsen, und seine Augen leuchteten. Als er durch den Torbogen geschritten war und «Mich wieder auf der von den Trümmem der herabgeschleuderten Blöcke bedeckten Straße stand, blieb er noch einmal stehen und sah an der überragenden Felswand empor.

128

IV. Ritterzeit.

Sie schien in der Tat auf allen Seiten steil abzufallen und gänzlich unzu­ gänglich zu sein.------------Als er dem Kaiser die Botschaft Albericos meldete, geriet Friedrich in heftigen Zom. „Lieber untergehen bis auf den letzten Mann, als Schimpfliches tun!" rief der Kaiser. „Mr werfen uns gegen die nachrückenden Lombarden

und sterben wie Männer, ehe wir wie Hunde vor diesen Schurken kriechen! Meine Deutschen werden ihren König nicht verlassen!" „Verzeiht, mein hoher Herr," begann Rudo bescheiden, „wenn ich Euch sage, daß wir die Burg wohl vernichten könnten, wenn es möglich wäre die Felswand, die sie überragt, zu ersteigen!" „Wenn es möglich wäre, Rudo! — Wer aber soll den steilen Felsen er­ klimmen?" Bei dem Kaiser befanden sich Pfalzgraf Otto von Wittelsbach und Friedrich von Hausen. Der feurige junge Wittelsbacher rief: „Mein kaiserlicher Herr, gönne mir die Ehre das Nest auszuräuchern! Je größer die Gefahr, desto stolzer ist die Lust sie zu besiegen." „Nun wohl—so nehmt entschlossene Männer mit Euch, so viel Euch für die Aufgabe nötig erscheinen! Der Himmel gebe Euch Gelingen!" Otto erwiderte: „Wenn Ihr am Morgen über dem verruchten Neste das Adlerbanner flattem seht, dann brechet los, damit die Räuber uns nicht entkommen!" „Wir werden das Unsere tun! Zieht mit Gott!" antwortete der Kaiser. Bald hatte der Pfalzgraf eine stattliche Schar tapferer Mannen um sich und Hausen gesammelt. Fröhlicher Wagemut erfüllte die Herzen der Schar. Sie konnten den Augenblick des Aufbruchs kaum erwarten. Aber es mußte erst Abend werden; denn die Nacht war ausersehen zu dem kühnen Werke, dem nur der Mond sein Licht lechen sollte. Um die Mitternachtsstunde zogen die Männer aus, ein Teil von ihnen mit festen Eschenspeeren bewaffnet. Der Pfalzgraf selbst hatte sich die seidene Fahne mit dem Adler um den Leib gewunden. Geräuschlos bewegte sich der Zug durch die Nacht. Mann hinter Mann kroch durch eine enge Schlucht empor. Endlich kamen sie an den Fuß der mächtig aufstrebenden Felswand. Einer schwang sich auf den Schultern des andern zu einer vorspringenden Platte empor. Als der letzte hinaufgezogen worden, waren die ersten bereits einen steilen Hang hinaufgeklettert. Die Lanzenschäfte hielten sie mit den Zähnen fest, mit Händen und Füßen aber llammerten und stemmten

sie sich an Wurzelwerk und Gestrüpp, das überall aus dem Gellüft wucherte; mutig setzten die anderen den gefahrvollen Weg fort, ob auch zwei Unvor­ sichtige stürzten, bis Otto als der erste tief atmend auf dem letzten Fels­ vorsprunge stand und nun an der steilen Felswand emporblickte. Der Boll-

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82. Otto v. Wittetsbach an der Veroneser Klause

Mond warf auf diese sein weißes Licht und ließ die dunkle Schlucht erkennen, die in fast gleichmäßiger Breite, gleich einem Schachte, in die Höhe führte. Rudo, der sich hinter Otto befand, reichte diesem einen Speer. Der Pfalzgraf stemmte ihn an beiden Seiten der Rinne ein. Wunderbar, die

Felsvertiefung zeigte genau die Spannweite, deren es bedurfte um innen die

Lanze festzuklemmen und so einen festen Anhalt zum Aufstieg zu gewinnen. Ein zweiter Speer wurde etwas höher in dem Felsenspalt eingerammt.

Während Rudo auf dem unteren stand und an dem oberen mit der Linken sich festhielt, preßte er mit der Rechten einen dritten Speer, wiederum

höher, zwischen die Wände des Felsenspalts. Otto wollte es sich nicht nehmen lassen der erste der Ersteigenden zu sein und den Seinen ein Beispiel auch

in der Bewältigung dieser Schwierigkeit zu geben. Allmählich, wenn auch

langsam und mühselig, wurde so eine Leiter errichtet, auf welcher einer nach dem andern emporzuklettern vermochte. Als der Morgen graute, stand der junge Wittelsbacher auf der breiten Platte des Felsens, der sich nur durch einen schmalen Spalt getrennt zeigte von jenem andern, welcher über der Raubburg hing. Verwitterte, zerbröckelnde Steinblöcke lagen hier überall zerstreut, wenig fehlte, daß der Pfalzgraf aufgejubelt hätte, als er den Spalt übersprungen hatte und nun auf der noch breiteren Platte angelangt

war, von der er gerade unter sich die grauen Mauem und Dächer der kleinen Feste liegen sah, die wohl von jener Seite aus keines Feindes gewärtig war.

Es dauerte noch eine gute Weile, ehe der letzte der Männer auf dem beschwerlichen Pfade emporgeklommen war. Selbst die beiden gestürzten Knappen hatten sich noch aufraffen können und waren ihren Gefährten ge­ folgt. Endlich war die ganze Schar auf der Felshöhe angelangt. Der Wittels­ bacher löste sich jetzt das seidene Banner vom Leibe, entrollte es und befestigte es an einem Speerschaft. Als eben im Osten die Morgenröte den jungen Tag ankündete, entfaltete Otto hart über dem Felsenschlosse das Panier. De: Adler schwebte in der frischen Morgenluft und gleichzeitig hallte aus hundert kräftigen Männerkehlen ein begeisterter Jubelmf: „Hie gut deutsch

allewege!" Vom Tale herauf erscholl es wie ein dröhnendes Echo, wie wildfreudiges Jauchzen — das war die Antwort des deutschen Heeres, als es da oben in fteier Höhe die Kriegsfahne siegreich wehen sah. Die Mannen des Pfalzgrafen wälzten wuchtige Felsstücke heran und ließen

sie schmetternd hinabsausen in das kleine trotzige Nest, so daß die Dächer und das Mauerwerk darin krachend in Trümmer geschlagen wurden. In der Burg bemerkten sie mit einem Male wilde Bewegung. Die Männer rannten ratlos umher, mit verzerrten Gesichtem schauten sie hinauf

nach der Verderben speienden Höhe, von welcher immer wieder zermalmende Felsstücke niederschmetterten, Mensch und Tier vemichtend. Wie auf­ gescheuchte Ameisen, denen der Bau zerstört wird, rannte die Besatzung durchEn zinger-Hausmann, Aus Deutschlands Vergangenheit.

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IV. Ritterzeit.

einander, unschlüssig was sie tun sollte zu ihrer Rettung. Von dem Tale her stürmten schon die Kaiserlichen mit jauchzendem Kriegsruf heran und warfen sich gegen das Tor. Alberico und die Seinen erfaßte Verzweiflung; an einen Widerstand

war nicht mehr zu denken.

Stets aufs neue prasselte mächtiges Geröll

auf sie hernieder. In wilder Verwirrung sprangen einzelne der Verteidiger an den Mauem hinab und zerschmetterten sich die Glieder an den Fels­ wänden. An das Tor aber dröhnten jetzt die Mauerbrecher der Deutschen

und sprengten es endlich aus seinen Angeln. In breitem Strome fluteten Bewaffnete in den Hoftaum und wer noch Widerstand leisten wollte, wurde von ihnen niedergeschlagen. Da warfen die letzten dreizehn der Bemannung ihre Waffen weg und baten um Gnade, unter ihnen auch Mberico.

Mit fahlem, angstverzerrtem Angesicht stand der Burgherr vor dem Kaiser, der nun auch den Hof des Nestes betrat und Alberico mit finsteren Blicken maß. Jetzt sanken er und seine Genossen vor dem Herrscher auf die „Gnade jedem, der im ehrlichen Ihr aber seid verruchtes Raubgesindel, Aussatz

Kniee nieder und flehten um Gnade.

Streite gefangen wird.

am Leibe des Rittertumes; euer Ende soll nicht das von Soldaten sein. Für euch und euresgleichen ist der Galgen!" rief der Kaiser.

Bebend in stummer Angst lagen die Elenden noch auf den Knieen. Einer von ihnen aber kroch an den Kaiser heran und haschte nach dem Saume seines Gewandes. Finster aber zog der Herrscher sein Kleid an sich, während der andere flehte:

„Hab' Erbarmen, hoher Herr! — Ich gehöre nicht zu jenen — ich habe nichts zu tun mit ihrer Empörung und habe keine Waffe gegen dich und dein Volk geführt. Ein Franzose bin ich, der hierherkam um Alberico

zu mahnen an eine langgestundete Schuld. — Hab' Erbarmen, Herr, und töte keinen Unschuldigen! Ich bin Bertrand aus der Freigrafschaft!" Einige Augenblicke sah der Kaiser auf den in Todesangst bebenden Mann, dann wandte er sich an Mberico:

„Spricht der Mann die Wahrheit?"

Der Italiener schaute auf seinen Gläubiger nieder; der Schimmer eines teuflischen Hohnes flog über sein fahles Gesicht und es schien, als wolle er den Verhaßten hineinziehen in sein eigenes Verderben, doch Friedrich, der seine Absicht ahnen mochte, sprach: „Geh mit keiner Lüge aus der Welt, Alberico; denn in einer Viertel­

stunde stirbst du, bei meinem Barte!" Angst und Zittern durchrieselte den Leib des welschen Ritters, dann

sagte er düster: „Es ist, wie er sagt; eben die Schuld, um die er drängte, war die Ver­ anlassung zu meiner Forderung, die ich an euch stellte."

33. Friedrich Barbarossa in großer Not.

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„Nun wohl, Bertrand, ich will Gnade an deinem Leben üben, aber merke: keine deutsche Hand soll Henkerdienste tun an diesen Elenden,

dir befehle ich dieses Gesindel hängen zu lassen, dann magst du deines Weges

ziehen!" Der Franzose stand fassungslos bei diesen Worten des Kaisers, aber stumm und ergebungsvoll neigte er das Haupt. Eine Stunde später waren

die zwölf Veroneser mit Hilfe einer Schar von Gefangenen, die aus dem Turm befreit wurden, gerichtet.

Weiter zog das Heer seine Straße; durch die Schluchten und Pässe streiften die deutschen Ritter; wen sie ergriffen, der mußte sterben. Die Leichen der Erschlagenen ließen sie zur fürchterlichen Warnung an den Seiten der Straße liegen. Xu8: «Kaiser Rotbart* v. A. Ohorn.

Verlag v. Dietrich, München.)

33. Friedrich Barbarossa in großer Not. In Piacenza waren die Häupter des lombardischen Bundes zusammen­ getreten und hatten ihren früheren Eid emeuert mit allen Kräften zu Schutz und Trutz für einander einzustehen. Die Lage Friedrichs gestaltete sich immer bedrohlicher. Er schickte daher den Erzbischof von Köln an Herzog Heinrich, der sich nach Bayern begeben hatte und ließ in beinahe bittender Weife den stolzen Fürsten zu einer Untenedung nach Klüsen (Chiavenna) einladen, denn er hoffte bei einer persönlichen Begegnung ihn zur Unter­ stützung geneigt zu machen.

Am Comersee liegt die freundliche Stadt, in welcher der Kaiser den Herzog erwattete. Er war mit seiner Gemahlin und einem Keinen Gefolge, unter diesem Pfalzgraf Otto, Hausen, Hartmann und Rudo, hierher ge­ kommen. Der Löwe erschien. Den trotzigen Herzog gelüstete es fast Äug' in Auge dem Kaiser die Treue zu kündigen und es schmeichelte ihm, daß der Kaiser ihn um eine Unterredung angegangen. Vielleicht hoffte er auch Vorteile dabei für sich zu erringen. Ein Frühlingstag lag über dem Lande, blau und kühl und doch sonnig, aber in dem Keinen Saale, in welchem die Fürsten sich begegneten, nur von wenigen Rittem umgeben, lag atembeklemmende Schwüle. Nach den ersten Begrüßungen der Mächtigen wandte sich der Kaiser ruhig und freundlich an den Herzog: „Heinrich, du weißt, weshalb ich dich hierher geladen, nicht zu fröhlichen Festen, sondem zu emstem Wott. Die treulosen Lombarden sind aufs neue eidbrüchig geworden, im Bunde mit Alexander stehen sie übermächtig gegen mich auf und mehr als je bedarf ich der deutschen Fürsten und ihrer Macht. 9*

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IV. Rttterzett.

Du bist der erste unter ihnen, dich rufe ich vor allen andem.

Stets habe

ich dich auch vor allen andem hochgehalten und du bist nicht bloß durch leinen Eid, du bist mir auch durch die Bande des Blutes zu eigen! Verlaß mich nicht, Heinrich, in diesen ernsten Tagen! Deutschlands Ruhm, seines Kaisers Ehre, der Preis meines ganzen Lebens steht auf dem Spiele." Die schlichten großen Worte hatten alle Anwesenden mächtig ergriffen; der Herzog stand einige Augenblicke ernst erwägend, dann antwortete er und durch seine Stimme ging es, wie ein geheimes Grollen: „Verzeih mir, Kaiser! Dein Dienst hat mich vor der Zeit alt und müde gemacht; mein ganzes Leben war ein einziger Kampf; ich sehne mich nun nach Ruhe. Laß mich in Frieden auf meinem Thron sitzen, den Dom in Braunschweig ausbauen und den Welthändeln fortan fremd bleiben! Was kümmert mich Welschland!" „Heinrich — das ist nicht die Sprache eines deutschen Fürsten. Der deutsche Kaiser hat hier seine Ehre eingesetzt für das Ansehen des Reiches, hilf sie ihm einlösen, auf daß die Welt nicht Heiner von dir denke, als du bist." „Nun wohl, so nimm Gelder von mir an, mit denen du Kriegsleute werben magst!" entgegnete der Herzog, den finsteren Blick zu Boden

gewendet. „Nicht dein Gold will ich, dich selbst brauche ich und deine Macht!" versetzte der Kaiser, stets drängender und herzlicher. Einige Augenblicke lag erwartungsvolle Stille über dem Raume. Ergriffen umstanden die Ge­ fährten den Kaiser und die Kaiserin, welche in tiefer Erregung die gefalteten Hände gegen die Brust drückte. Jetzt hob der Herzog das Haupt und sprach dumpf: „Nun wohl — so gib mir die Reichsstadt Goslar mit all ihrem Besitz und ihren Rechten und ich will dir folgen!" Der Kaiser trat einen Schritt zurück. Die Augen der Ritter richteten sich mit unwilliger Frage dem Antlitz des Herrschers zu. Mit zurückgehal­ tenem Unmut antwortete jetzt der Kaiser: „Heinrich, begehre nichts Un­ billiges in dieser Zeit der Not! Willst du deinem Kaiser abdingen, was er dir nicht geben kann? Denk der alten Zeit unserer Freundschaft!" Der Herzog richtete sich trotzig auf und sprach kalt: „Du willst nicht — und ich kann nicht! So laß uns scheiden!" In Friedrichs Brust rangen auf­

bäumender Groll und düstre Sorge. Die ganze Gefahr seiner Lage, die Schmach des deutschen Namens, der Zusammenbruch des kaiserlichen An­ sehens in diesem Lande schwebten vor seiner Seele. Da verlor der Gewattige plötzlich Halt und Fassung, sein Knie beugte sich vor dem Herzog und er flehte: „Heinrich — vor keinem Fürsten der Wett habe ich mich je gebeugt; dich aber bitte ich heute: Nur dieses Mal, Heinrich, verlaß mich nicht!"

34. Absetzung Heinrichs des Löwen.

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Doch der Herzog erhob das Haupt und wendete sich trotzig von dem Kaiser ab. Erschüttert eilte die Kaiserin auf Friedrich zu, neigte sich und schlang beide Arme um den Hals des Gatten. „Steh auf, mein lieber Herr, und gedenke dieses Übermutes und dieser

Stunde und auch Gott wird dessen eingedenk sein!"

Der Kaiser erhob sich, als ob er etwas von sich schüttelte, reckte seine majestätische Gestalt und sprach bitter gepreßt: „So helf mir Gott, daß ich es ohne dich zwinge, Herzog Heinrich; denn noch lin ich nicht verlassen von deutscher Treue. Du aber gehe und sehen wir ms wieder, so wird es vor den Schranken meines Gerichtes sein!" (AuS: „Kaiser Rotbart" v. A. Ohorn.

Verlag v. Dietrich, München.)

34. Absetzung Heinrichs des Löwen. In der Mitte des Novembers 1181 ritten an einem trüben Nebeltage zahlreiche Fürsten und Herren in Erfurt ein zum Reichstage. In der Ver­ sammlung waren die alten Feinde Heinrichs des Löwen, aber auch seine ehemaligen, von ihm abgefallenen Freunde zahlreich vertreten. Friedrich selbst war gegen Mittag mit glänzendem Gefolge eingezogen. In dem großen Saal der Burg fanden sich die Großen um die zehnte Stunde ein. Die Fan­ faren vor der Burg verkündeten den Beginn des Reichstages. Geleitet von dem Erzbischof von Magdeburg betrat Herzog Heinrich den Reichstagssaal. Ein trüber, verhüllter Winterhimmel hing über der Stadt; vor den hohen Bogenfenstern spielten die ersten Winterflocken.

Der Herzog trat in einem schlichten Gewände wie ein Büßender unter die Versammelten. War sein Gesicht auch blaß und sein Haar gebleicht, blitzte doch noch der alte Trotz in seinen dunklen Augen, als er die Schar der Fürsten überblickte, während er aufgerichtet langsam dem Throne des Kaisers zuschritt. Als der Löwe vor dem Throne angelangt war, stand er einen kurzen Augenblick, als ränge er mit seinem Trotz; er tat einen tiefen Atemzug,

dann beugte er vor Friedrich das Knie, entblößte das Haupt und sprach: „So bitte ich dich, o Kaiser, um deine Verzeihung und deine Gnade. Ich habe gefehlt gegen das Reich und wider dich, strafe nicht nach dem Rechte, sondem nach deinem großen Herzen! Nicht für mich bitte ich, sondem für meine Kinder, für mein Geschlecht; erhalte ihnen die alten Stammgüter Braunschweig und Lüneburg!"

Der einst Mächtigste im Reiche war bei dieser Demütigung sichtlich von einer tiefen Erschütterung erfaßt. Daß dieser Übergewaltige sich so tief beugen mußte, ergriff seine bittersten Feinde.

Mancher der Fürsten

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IV. Ritterzeit.

in der Versammlung dachte an den Tag von Klüsen. Aller Augen waren

nach den Worten des Löwen auf das Antlitz des Kaisers gerichtet, dem eine Träne in den Bart niederrollte. Einen Moment verhüllte er sein Gesicht mit den Falten seines Mantels, dann beugte er sich zu dem Knieenden nieder, hob ihn empor, küßte ihn auf Stim und Wange ünd sagte bewegt: „O Heinrich, du selbst warst das Werkzeug deines Unglücks und so gern ich es anders wollte, ich muß der Gerechtigkeit ihren Lauf lassen.

Deine

Lehen sind dir verloren nach der Fürsten ernstem Spruche und bei meinem

Throne habe ich ihnen den Eid geleistet, daß ich das Urteil bestätige. Doch

Braunschweig und Lüneburg sollen dir und deinem Hause bleiben.

Du

aber sollst für drei Jahre mit den Deinen den Boden Deutschlands verlassen

und nicht wiederkehren ohne des deutschen Kaisers Genehmigung. Helf' mir Gott! — Ich kann nichts andres dir künden! — Ist es so, ihr Erlauchten Edlen und Großen des Reichs?" „So ist's! — So sei es!" ging es murmelnd im Kreise. Heinrich neigte das Haupt, erhob sich und sprach feierlich: „Ich füge mich dem Spruche und will ihn hinnehmen als Gnade!"

„So leiste den Eid, den der Erzbischof von Köln dir vorsprechen wird l" sprach Friedrich. Die Hand zum Schwur erhoben, sprach der Herzog die Worte des Erz­

bischofs nach: „Ich entsage meinen Würden, Lehen und (äütern, will das

Reich verlassen und nur mit des Kaisers Erlaubnis wieder betreten." Nochmals senkte er vor dem Throne das Knie und sprach: „Dem Rechte ist Genüge geschehen.

Der Welf ist zertreten I"

(Au»: „Kaiser Rotbart" v. A. Ohorn.

Verlag v. Dietrich, München.)

35. Friedrich Barbarossas Tod. Als am Morgen des zehnten Junitages im Jahre neunzig — dem Jahre, das der Christenheit und dem deutschen Volke ein ewig unvergessenes

ward, — das Kreuzfahrerheer aus Seleukias Toren zog, da lag die Welt

vor ihnen allen wie ein Garten der Lust: wie glänzten so ganz besonders

heut die heiligen Waffen im Morgenlichte, wie strahlten die Augen der

Krieger, die unterm bekreuzten Schilde vor ihrem Kaiser freudig vorbeischritten und -ritten! Gewaltig, daß alle Herzen selig erbebten, scholl der deutsche Kriegsgesang aus den Tausenden von Männerkehlen in den jungen, silber­ hellen Tag: „Laßt wehen die Fähnlein, uns führet ein Held, wir reiten mit ihm wohl ans Ende der Welt,

35. Friedrich Barbarossas Tod.

135

vor dem Kreuze wir in Demut weihten Herzen, Hand und Wehr, segne uns, Maria, die wir reiten, die wir streiten Gott und dir und deinem Sohne zu Ehr."

Rier Wulfhelm, der heut neben Gerwin ritt, sprach lachend, der immer

frohllauige Schwab: „Aißt ihr. Lieber, wie mir zur Stund' ums Herz ist? Als ging's heute wied-erzum Maifest wie Anno vierundachtzig im goldenen Mainz. War

dannaleein spinnbeinig, zartes Junkerlein noch und zog mit meinem Ritter zu. H>of. Hab' euch nicht schlecht Maul und Augen aufgesperrt vor Staunen. Hei, dafühlten wir alle, daß unser Herr und Kaiser die Sonne der Christen­ welt!" — «5t hielten auf einer Höhe, die Straße senkte sich steil zu Tal, drunten blinkste >er breite Kalykadnos, sie hörten sein Rauschen; der hatte es gar eilig, war ieir wilder, unbändiger Gebirgssohn! Auf beiden Ufern waren breite Geröillhilden, zwischen denen er schäumig dahinbrauste. Eine lange, graue Quadevrücke überspannte den Fluß und die breiten, felsigen Uferränder, die der Strom, wenn er mit Hochwasser ging, wohl weit überflutete. Es war ein herrlicher Anblick, wie des Heeres Bortrab schimmemd über die Brücke sog, rechts und links der Brücke, längs der Geröllufer der Gewalt­ haufen ich staute und zu immer dichteren Massen aufschloß.

Da jagte ihnen beiden der Kaiser vorbei: lang wehte seines edlen Rappen seidiger Schweif, sein Mantel flog, wie ein Jüngling saß der alte Held im Sattel, ein Schatten von Unmut und Ungeduld lag über seinen Brauen. „Raum dem Kaiser!" schrien die Männer.

In )er Tat schien eine arge Verwirrung hier einzureißen, alles stockte, immer lichter war das Gedränge der Reisigen und des Fußvolkes die Flußufer hinaus. Herzog Friedrich war mit der Vorhut schon jenseits des Stromes; nun wogte, drängte, nun schalt und schrie das um den engen Zu­ gang der Brücke, daß dem Kaiser die Zornader schwoll: „Das währt ja Stunden hier um Stunden!" hörte Gerwin ihn mit seiner hellen, durch­ dringenden Stimme schelten; er und Wulfhelm sprengten ihm nach, durch die Gasse der Krieger, zu Tal. Immer toller ward das Getümmel um sie, Geschrei, Trompetensignale, Zank und Gelächter, Rosse wurden scheu und stiegen hoch, mit den schlagenden Hufen die Nachbam gefährdend. Gerwin sah Thibaut im Streite mit einem vierschrötigen Kämpen, der ihn niedergeritten hatte. „Ruhe, Thibaut, Friede! Ihr seid ja wie die Kinder, bärtiges Kriegs­ volk!" fuhr er dazwischen.

Da ward sein der Kaiser gewahr:

IV. Ritterzeit.

136

„Guten Morgen, Gerwin," lachte er, „das wallt der Donner, gelt? Das ist ja, als trieb man ein Fuder Weins durch einen einzigen Flaschenhals. Ist nichts für uns jungen Leute, was, Freund Gerwin? Mir nach!"

„Raum dem Kaiser!" schrie man. Eh' die Tausende recht wußten, was geschah, sahen sie ihren Kaiser

über das prasselnde Geröll reiten, Gerwin und Wulfhelm folgten ihm; am Rande des schäumenden Stromes angelangt, hub sich der Heldengreis hoch im Sattel empor und winkte mit der Rechten: „Hier hindurch, meine Wackeren!

Wer mag harren, bis da droben

auf der Brücke die Reihe an ihn kommt?" Rufe des Schreckens, der Warnung, der Ermunterung wurden laut, die Masse drängte nach, ohne Besinnen trieben die Beherztesten der Ritter ihre Rosse über das Geröll dem Strome zu: der Rotbart, Gerwin und Wulf­

helm kämpften schon mit den Wellen.

Im nächsten Augenblicke war das

Strombett voll von Reitern. Was nun geschah, hat keines Menschen Auge

recht erkannt, wie lange keines Menschen Herz es fassen konnte. Mit Todes­ schauer und versetztem Atem ward Gerwin der eisigen Kälte des Gebirgs­ wassers, mit Schrecken und Grauen der reißenden Gewalt der Strömung

inne und er schrie: „Der Kaiser, Wulfhelm, der Kaiser!"

Er wollte sein Roß zur Stelle lenken, wo er das Haupt des Rapp­ hengstes, der seinen hohen Herrn trug, über den schäumenden Strudeln

schnauben sah, er sah des Kaisers edles Angesicht im steinernen Emste der Todesnot — umsonst! —

„Wulfhelm," schrie er, „der Kaiser!"

Ja, wo war Wulfhelm? Da sank sein Pferd unter ihm, wehrlos ward er hindanngerissen und rang nun mit Verzweiflungskraft wider die Gewalt der reißenden Wasser, die seine Glieder erstarren machten. Wie er's ver­ mochte, wußte er selbst nicht; er faßte zuletzt einen Felsblock, um den die Wellen schäumten und spritzten und zog sich aufs Ufer, wo er hochatmend, um Luft ringend, halb besinnungslos eine kurze Weile ruhte. Dann hub er

sich taumelnd empor: der Strom wimmelte von kämpfenden Rossen und Kriegem; weit, weit stromabwärts sah er Pferdehäupter, sah er Helme blin­

ken, sah er Schilde leuchten und treiben, drüben am anderen Ufer war alles schwarz von Menschen und ein tausendstimmiges Wehgeschrei machte die Lüfte erzittern. Stromab, stromab drängte und schob sich die Masse drüben, tausend Arme wiesen dorthin. Gerwin stand das Herz still, ihm zur Seite

schien wer zu treten und kalt lächelnd über seine Schulter zu raunen: „Der Satan ist doch der Herr der Welt!" — Da wußt' er's, wußt' er's gewiß,

und möcht sich nicht bedeuten lassen: Der Kaiser ist ertrunken, die Sonne der Welt erloschen, hinweggenommen aus der Welt, das einzige Heldenbild,

36. Eine Gründung des Deutsch-Ordens.

137

verwaist, lichtlos das deutsche Volk, der Schrecken des Islam ein Nichts. Und er warf sich auf das harte Gestein nieder und weinte, weinte ohn' Maß und Ende. „Warum leb' ich? Warum ich noch?" Kein Menschenwort

mag das lähmende Entsetzen, die grenzenlose Trostlosigkeit zu schildern,

die das verwaiste Heer in Bann schlug. Alles Hoffen war dahin, jedem Übel, jeder Vernichtung fühlten sich die Deutschen preisgegeben. Gerwin wandelte lange Zeit wie in schwerem, dumpfem Traume, sein Gemüt

und Begreifen vermochten des Unfaßbaren nicht Meister zu werden. Warum ließ Gott das Furchtbarste zu? Für sich selbst hoffte, erstrebte er nichts mehr. Er sah kalten Blickes allerenden Not um sich her wachsen, mit dem

edlen Herzog Friedrich, dem das niedergeschlagene Kreuzfahrerheer gehuldigt

hatte, zog er weiter, er fragte kaum noch, wohin! Er sah das stattliche Heer sich allgemach auflösen oder in Seuchen dahinsterben, zog mit dem Herzog Friedrich und den Trümmern des Heerbannes in Antiochia ein, wo des

Rotbarts edler Leib in marmornem Sarkophage beigesetzt war; hier starben die meisten an der Pest, der Rest einte sich den Christen von Akkon, wo Fried­

rich der Seuche erlag. Er hatte allda noch den Orden der deutschen Ritter gestiftet, in dem unser ernster Held zu angesehener Stellung gelangte.

Er war ein Mann stillet Pflichterfüllung geworden. (Aus: „Ums heilige Grab" v. E. König.

Verlag der Mainzer Volks- u. Jugendbücherei v. Scholz, Mainz.)

36. Eine Gründung des Deutsch-Ordens. Aus dem Hügellande Thüringens bewegte sich ein reisiger Zug ost­ wärts nach den Ufern der Weichsel. In der Urzeit hatte das gelbe Wasser des großen Stromes die Vandalen und Burgunder getrennt von Slaven

und anderen Völkern fremden Stammes.

Damals hatten sich die Ger­

manenkrieger aus ihren östlichen Sitzen erhoben und waren wie Meereswogen eingebrochen in den Ländern des Westens, mildere Sonne und ein reicheres Leben begehrend. Jetzt strömte die Volkskraft der Deutschen in vielen

kleineren Wellen wieder zurück von Westen nach Osten und tausend Jahre

nach der Auswanderung jener alten Germanen begannen die Thüringer und Sachsen an der Stromgrenze aufs neue den Kampf gegen die Fremden, mit stärkeren Waffen und festerer Kraft.

Der Haufe, welcher von den roten Bergen und dem Nessebach über die Saale zog, glich in vielem den Schwärmen alter Germanen, welche tausend Jahre vorher aus dem Osten gekommen waren; denn nicht nur gewappnete Krieger bildeten die Schar, ein langer Troß von Wagen und Karren folgte mit Kindern und Frauen, gezogen durch starke Rinder, beladen mit Saat­ korn, Hausrat und Feldgerät. Und es war nicht allein die unruhige Jugend,

IV. Ritterzeit.

138

welche auszog, auch grauhaarige Bauern mit ihren Hausfrauen saßen auf den Wagen oder schritten, das Kreuzlied singend, nebenher.

Der alte

Hartmann aus Friemar ritt in dem Haufen, der Freischöffe Jsenhard und andere ansehnliche Nachbam von der Nesse, welche Baugrund in einem Lande begehrten, wo sie als Christen ehrwürdig waren und wo man um an­ deres sorgte als um ihre Gedanken über die Macht des Vaters und des Sohnes. Auch deutsche Ordensleute zogen in der Schar, Bruder Sibold führte sie und Ivo ritt als Mitbruder neben seinem Gemahl Friderun

und in seinem Gefolge waren Ritter Lutz und ein rotwangiges Dorfkind, das Berchtel aus Frienstädt.

Je weiter die Fahrenden nach Osten drangen, desto größer wurde ihre Schar, mehr als einmal kamen sie bei ähnlichen Haufen gerüsteter

Auswanderer vorüber, dann liefen die Fahrenden mit frohem Gruß zu­ sammen als künftige Nachbam und Streitgenossen. Während der Nächte rasteten sie in der Wagenburg, die sie aus ihren Karren zusammenstießen,

auf einem Dorfanger oder in der Nähe einer ummauerten Stadt, bis sie das wilde Wasser der Weichsel erreichten. Dort lagerten sie am Ufer und zimmerten Fähren. Bmder Sibold aber fuhr mit Ivo über den Strom zu der Stelle, wo andere Brüder bereits um einen alten Eichbaum die kleine Holzburg gezimmert hatten. Dort steckten die beiden mit ihren Gehilfen

Pfähle für ein Standlager, welches zu einer festen Stadt werden sollte und zu einer neuen Grenzburg der Deutschen. Den Brüdem gefiel die neue Stätte Toron zu nennen und sie dachten dabei mit Freude an einen Berg

bei Akkon, unter dem die Bremer vor vierzig Jahren das erste Spital des Ordens aus Segeltuch errichtet hatten.

Die Kreuzfahrer aber taten jetzt

am Gestade der Weichsel dieselbe Arbeit, welche frühere Waller im heiligen Lande geübt hatten; sie zogen die Gräben, erhöhten den Wall, richteten darüber aus Pfählen den Zaun einer Stadt und bauten in dem umschanzten

Raum ihre Hütten. Fehlten ihnen in dem Flachland die Steine, so schich­

teten sie die Baumstämme des Waldes. Wie durch Zauber wuchs das neue Menschenwerk aus dem Boden und auf dem Markt und in den Straßen der Stadt bewegte sich wenige Monate nach der Ankunft geschäftig die wohl­

geordnete Gemeinde; der Kaufmann bot seine Waren feil, der Handwerker schnitt und hämmerte und der Landbauer fuhr auf seinem Emtewagen den

ersten Hafer ein. In dem neuen deutschen Heere gründete auch Ivo sein Heimwesen.

Zuerst war es ein Blockhaus, bald wurde es ein künstlicher Bau, welcher an­

sehnlich unter den Hütten ragte. Als Kriegsmann ritt er mit dem Kreuz­ heer gegen die Heiden und bei der ersten Ausfahrt führte er das Banner der thüringischen Pilger, wie einst seine Ahnen in den Kämpfen des Reiches

das Banner ihrer Landschaft getragen hatten.

Bald wurde er im Grenz-

36. Eine Gründung deS Deutsch-Orden».

139

lande ein vielgenannter Held, die Freude seiner Nachbam und den Feinden

furchtbar. Und ihm selbst hob sich das Herz in stolzem Behagen, als er sah, wie hier das Heidenland sich ganz nach dem Willen des weisen Sibold mit Burgen und Städten füllte; denn jeder Kreuzhaufe, der über die Weichsel kam, zimmerte eine neue Burg oder Feste und ließ Ansiedler für Dörfer

oder eine neue Stadt zurück und durch jede dieser Ansiedelungen wurden neue Meilen des Bodens den Heiden entrissen und dem Deutschtum ge­ wonnen.

An wandernden Landsleuten fehlte es nicht, welche neue Kunde aus der Heimat zutrugen. Als erster kam Nikolaus mit seiner Laute. Ms ihn Ivo ausforderte im Preußenlande zu bleiben, wo seine Schreibekunst den

neuen Bürgern wertvoll sein könne, da sah er traurig nach Friderun und schüttelte das Haupt. Doch einige Jahre später blieb er und seit er das an­ sehnliche Amt des Stadtschreibers in einem neuen Burgsitz gewann, wurde

er wohlhäbig und überwand seinen geheimen Gram, nur machte er zuweilen lateinische Verse, in denen die Anfangsbuchstaben, ohne daß es jemand merkte, zu dem Namen Friderun zusammenstimmten. Im nächsten Jahre zog ein anderer Gast, Bertold, mit einem sächsischen Kreuzhaufen durch das Stadttor. Aber schon am andem Morgen ritt er wieder, durch Ivo über die Stadtmark geleitet, zum Kampfe mit den Heiden von dannen. Als endlich der große Ordensmeister Hermann selbst über die Weichsel kam, da war Ivos Haus die erste Herberge, welche er auf dem neuen Grund der Deutschen besuchte. Er saß zwischen Friderun und ihrem Gatten und begann: „Dir, Schwester, bringe ich einen Gruß der Herzogin Hedwig, welche am Kaiserhofe lebt, von vielen umfreit und von den Sängern ge­ priesen." Darauf erzählte er, daß Kaiser Friedrich über die Alpen nach Deutschland gekommen sei.

„Wie war sein Heergefolge, Meister?" fragte Ivo. „Er zog ohne Heer. Dreißig Kamele trugen ihm Kisten nach, darunter einige mit Gold gefüllte für die deutschen Fürsten."

„Wie widersteht er bei uns der Herrschaft des Heiligen Vaters? Denn wir hören, daß die großen Häupter der Christenheit wieder uneinig sind." „Er hat um seine Gläubigkeit zu erweisen mit seinen Schultern den Sarg der Frau Else getragen, da diese als Heilige beigesetzt wurde," ant­

wortete der Meister ernsthaft. Die Männer sahen einander an. „Oft muß der große Kaiser tun, was er im geheimen mißbilligt oder verachtet," fuhr Hermann traurig fort, „und doch wird seine Herrschaft im Reiche allmählich schwach und zu eitlem Schein." „Die Leute hier sorgen oft, daß die Herrlichkeit des Reiches Nein werde und sie fürchten Unheil auch für unsere Burgen im Preußenland."

IV. Ritterzeit.

140

„Der bescheidene Mann meidet vergebliche Sorge. Du weißt, wir Brüder deuten nicht und grübeln nicht, wir schaffen schweigsam und warten überall unseres Amtes. Hier im Lande säen wir deutsche Saat. Wenn einst

die Zeit der Ernte kommt, dann mögen andere zusehen, die nach uns leben."

Er wies auf zwei blondhaarige Knaben, welche an die Kniee der Mutter

geschmiegt den fremden Herrn anstarrten.

Auch die deutsche Saat, bei welcher Ivo tätig war, wurde zuweilen durch die Kriegsrosse der heidnischen Preußen niedergetreten. Es war ein harter Kampf und es war ein sorgenreiches Wachstum, aber ihm erschien

er als groß und als heilsam für alle, die er lieb hatte. Wenn er mit seinem

treuen Gesellen Lutz gegen die Feinde ritt oder wenn er im Rate der An­ siedler tagte, so oft er den alten Sibold gleich einem Ahnherrn zwischen der Kinderschar sitzen sah, welche in seinem Hause aufblühte und immer wenn er das mutige und hochgesinnte Weib im Arme hielt, fteute er sich des Tages, wo er ein Mitbruder des deutschen Hauses geworden war und

aus einem thüringischen Edeln der Ivo, den sie den König nannten, ein Burgmann von Thom. (Aus: „Die Brüder vom deutschen Hause- v. G. Freylag.

Verlag v. Hirzel, Leipzig.)

37. Der letzte Hohenstaufe. Die Gefängnistür öffnete sich, der Protonotarius Roberto de Bari trat ein und verkündigte Konradin und Friedrich, des Königs Majestät habe

das über sie gefällte Todesurteil bestätigt. Sie hatten nichts anderes erwartet, kein Zug in ihren Gesichtern ver­ änderte sich.

Der Protonotarius verließ wieder den Raum.

Am andem Tage, einem Montag, dem 29. Oktober des Jahres 1268, drängte alles, was in Neapel den Fuß zu bewegen vermochte, der piazza del mercato, dem alten Marktplatze der Stadt, zu. Die ganze Bevölkerung rannte, schrie, sang, pfiff, lachte und jubelte; ein Volksfest stand ihr bevor,

ein noch nicht gesehenes Schauspiel. Nicht den zehnten Teil der Masse faßte der Platz, weithin staute sich in allen Nebengassen, dem nahen Uferrand

entlang, Kopf an Kopf. Tausende überlagerten schon seit dem Abend zuvor die zunächst um­

liegenden flachen Dächer, die größeren, kleineren und winzigsten Vorbauten, Brüstungen, Söller, Altane und Terrassen; frohlockend im Besitz der besten Schauplätze, hielten Mütter ihre Kinder auf den Armen. Es war das Volk von Neapel. Alle Augen richteten ungeduldig erwartungsvoll sich auf die Mitte des Mercato hinunter, von der ein schwarz überkleidetes Blutgerüst auf-

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38. Ein Überfall.

ragte.

Dann ging eine befriedigt freudige Bewegung durch die Menge;

denn der Anfang des „spettacolo“ fesselte jeden Blick. Begierig verschlangen sie das wie Gold leuchtende Haargelock des deutschen Jünglings, den mit seinem Todesgefährten ein Wagen herangebracht; Erwartung eines köst­

lichen Genusses war's, dies sonnenhaften Glanz um sich breitende Haupt

unter dem Richtschwert fallen zu sehen. Nur zu rasch geschah alles, zu kurz für das lange Harren ging das entzückende Schauspiel vorüber. Noch einmal verlas der Protonotarius Roberto de Bari das Todesurteil, dann

stieg Konradin sicheren Fußes die Schafottstufen hinan.

Ein Knabe fast

noch an Jahren war's, doch in diesem Augenblick ein Mann, ein furcht­ loser Held, ein Staufer, der mit königlicher Hoheit und Würde sein großes Geschlecht zu Grabe trug. Mit ruhiger Hand auch legte er sein Obergewand ab, trat auf Friedrich von Baden zu, schloß ihn schweigend in die Arme und küßte ihn. Nun ging sein Blick noch einmal in die Runde, traf das Ge­

sicht Karls von Anjou, der ihm unweit gegenüber auf einem Balkon stand. Stumm zog Konradin den Handschuh von seiner Rechten ab und warf ihn vor die Füße seines Mörders. Dann kniete er schnell nieder; von den Lippen kamen ihm nur die Worte: „O Mutter, welchen Schmerz bereite ich dir!" und das Schwert traf seinen Nacken.

Ein ungeheurer Schrei des Schmerzes brach aus der Brust Friedrichs von Baden, vor dem weiß entfärbt das schöne Antlitz seines geliebten Kindergespielen und königlichen Freundes zu Boden fiel. Doch der im Leben

sich nie von ihm getrennt, vereinigte sich um wenige Augenblicke später

mit ihm auch im Tode wieder. Mit gleichem stolzem Mut empfing er den Schwertstreich.

Nun klatschten die Neapolitaner hunderttausendhändig dem glorreichen König Beifall und Dank für die herrliche Augenweide, die er ihnen geboten und huldvoll erwiderte Karl von Anjou vom Balkon den Gruß seines treuen Volkes. (Ans: „Der Hohenstaufer Aus gang" v. W. Jensen.

Verlag von Reißner, Dresden.)

38. Ein Überfall. Rasch verstummte das Gelächter der Raubritter, näher drängte sich jeder das Wichtige zu vernehmen und Wein und Zorn, alles war ver­ schwunden und nur der Raubinstinkt streckte die Fühlfäden aller fünf Sinne aus wie die fünf Finger um die wichtige Nachricht zu hören.

„Heute war ich in Solothum," sprach Laveri. „Hatte dann bei einem Domherrn viel zu tun, er hat Hühneraugen, die Köchin Hühner, diese Hühner mußte ich das Legen lehren, welches sie bisher nicht konnten, trotz Hafer und Grütze, welche an ihnen nicht gespart wurden. Die Köchin war

142

IV. Ritterzelt.

sehr beschäftigt, ich wußte lange nicht, warum, vemahm endlich, es würde diesen Abend ein Zug von geistlichen Herren und einigen reichen Familien

von Solothum nach Fraubmnnen aufbrechen um dort die Weihnacht würdig zu feiern, den Dienst der Kirche zu versehen und die verwandten Schwestern, Fräulein aus den vornehmen Geschlechtem, zu besuchen. Da wäre Beute, dachte ich; das Beste, was jeder hat, zieht er an, und mit leeren Händen geht keiner. Ich forschte nach dem Geleite und vemahm, daß es nur aus einigen Klosterknechten bestehen solle, mehr zum. Dienste als zum Schutze; denn

an Gefahr auf dem kurzen Wege in befreundetem Lande dentt niemand. Da mache ich mich auf die Beine, renne her es euch anzusagen zu rechter Zeit.

Eile tut not, wenn ihr was wagen wollt."

Wie die Katze vor dem Mäuseloch hatten alle die Ohren gespitzt bei

diesem Bericht. Zom und Rausch waren verflogen, verwandelt wie durch ein Zauberwort war auf einmal das Leben in der Hütte. Die Frauen mußten

in den sogenannten Stall, der eigentlich mehr ein Loch war als ein Stall; keinem vemünftigen Menschen wäre eingefallen dort Pferde zu suchen, aber eben das wollte man, als man ihn einrichtete. Die Männer setzten sich ums Feuer, suchten neue Stärkung im Kessel und hielten Rat in aller Be­ sonnenheit. Man sah, es war nicht die erste derartige Beratung, sie war rasch und kurz; alsbald war der Nagel auf den Kopf getroffen. Der fürch­ terliche Nebel, in welchem man am hellen Tage nicht drei Schutte vor sich sah, machte die Nacht undurchdringlich, war eine bessere Deckung als Wald oder Berg. So konnten sie zum Überfall eine freie Stelle wählen, wo sie im Fall der Not nach allen Seiten auseinanderstäuben und ihren Schlupf­ winkeln zureiten konnten auf ihnen allein bekannten Wegen durch Emme, Busch und Sumpf; denn zwischen ihrer Hütte und der Straße von Solo­ thum nach Fraubrunnen floß die Emme, welche in dieser Jahreszeit leicht zu durchreiten war, wenn man die Gelegenheit kannte, aber halsbrechend, besonders in Nacht und Nebel, für Unbekannte. Die passendste Stelle zum Überfall schien ihnen unterhalb Bätterkinden zu sein, im ebenen Lande, auf freier Heide, wo man einen Überfall am wenigsten erwartete, der Zuz

dann doch am leichtesten von allen Seiten zu fassen war und ringsum der Weg zu Flucht oder Rückzug offen. Der beste Rat war rasch und einstimmig angenommen. So einstimmig waren die Pferde nicht; allen, das des Flumenthalers ausgenommen, welches geschont war und Ruhe gehabt, war der nächtliche Ritt zuwider,

sie sträubten sich gegen neues Satteln und Zäumen, die Junker mußten selbst dazu sehen und ihre selbsteigene Autorität gebrauchen. Dieser unter­ zogen sich denn auch die Tiere, wenn auch mißmutig, ließen sich aus dem Loche ziehen, wenn auch langsam, als ob sie bei jedem Beine, welches sie heben sollten, erst überdächten, ob sie eigenllich wollten oder ob sie nicht wollte«.

88. «in Überfall.

143

Fraubrunnen war ein junges Frauenkloster, lag in der Mitte zwischen Bem und Solothum, drei Stunden von jedem Orte entfernt, gehörte nicht zum strengsten Orden; aus den vornehmsten Familien beider Städte stamm­ ten die meisten Nonnen. Das Kloster lag in einer lieblichen und reichen Gegend. Mit beiden Städten war das Kloster in steter Verbindung, in freundschaftlicher und kirchlicher; denn zu feierlichem, würdigem Gottes­ dienste an großen Festen, wie Weihnachten zum Beispiel, bedurfte es auswärtiger Hilfe, in sich hatte es die Mittel nicht. Doch neigte sich das Kloster mehr nach Solothum hin, hatte mit dieser Stadt den stärkeren Verkehr.

Wenn an andem Orten im Land der Nebel einem Erbsmus gleicht, so ist er in Solothum akkurat wie eine Schokoladecreme, Gemch und Ge­

schmack ausgenommen. Ein solcher Nebel ist keiner Reise förderlich, sondem macht schwerfällig, legt sich wie Blei über jede Bewegung, lähmte sogar die Köchinnen, welche die Vorräte bereiteten, welche die edlen Herren mitzu­ nehmen gedachten. Es war nämlich nicht ein Ritt hungriger Ritter, welche

wie Heuschrecken über ein Kloster herfallen wollten und, einmal eingebrochen, nicht abzogen, bis der letzte Bissen gegessen, der letzte Tropfen aus dem Keller gewunken war. Es waren geistliche Väter und leibliche Verwandte, welche den jungen Schwestem Geschenke aus der Welt bringen und ihnen nicht lästig fallen wollten; denn das Kloster war jung, hatte zu leben, war aber nicht reich, wurde es erst später. Als man in den dichten Nebel vor die Türe kam und abreiten wollte, trat noch mancher ältliche Herr zurück, ver­ sah sich mit dickeren Tüchem, doppelten Pelzen und versäumte darob sich

länger, als er dachte. Ohnehin geht's, wenn viele zusammen reisen und alle auf den letzten warten wollen, oft eine Ewigkeit, bis endlich dieser letzte da ist und vom Lande abgestoßen werden kann. Endlich waren die dicken Herren alle auf ihre Pferde gekugelt; die mageren saßen längst oben und taten ungeduldig, mochten nicht erwarten, bis sie als Nebelspalter voraufreiten konnten. Einige Mütter und einige Brüder, welche Schwestem im Kloster hatten, schlossen sich an und hinter­ drein kamen einige Saumrosse und zuletzt einige Knechte, bewaffnet wie bräuchlich. An Gefahr dachte man übrigens, wie gesagt, durchaus nicht, wenn auch alle, die geistlichen Herren nicht ausgenommen, bewaffnet waren. So war es finster geworden, als man abritt. Mit Not fand man die Brücke über die Aar, die Aar selbst sah man nicht, hörte sie bloß rauschen. Da hielt man jenseits, die Knechte mußten die Fackeln anbrennen, die Herren stärkten sich durch einen tüchtigen Schluck bei der Herberge innerhalb

des Tores. Es war eine merkwürdige Fahrt: ungefähr drei Dutzend Reiter von allen Arten, mehr als ein halbes Dutzend Fackeln, rabenschwarz die Nacht, soweit die Fackeln den Nebel nicht blutrot färbten, voll weißen Reifes die sonst

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IV. Rtlterzett.

schwarzen Tannen, hie und da rosenrot angehaucht von blutrot gefärbten, Nebel, dazu viel Lachens und Schwatzens, hie und da ein lauter Aufschrei, wenn ein Pferd einen Satz tat, ohne daß ein Mensch wußte, warum, und dann allen einfiel, wie die Pferde gewahrten, was den Menschen verborgen bleibe. So zogen sie durch den langen wüsten Wald, Hügel ab, Hügel auf,

waren in Lohn, ehe sie daran dachten, und ließen sich von dem gastlichen Pfarrherrn, der sie erwartete und über dem Warten fast erfroren war, trefflich erquicken. Dann ging's unter manchem Stolpem den jähen Berg

hinab, durchs sumpfige Tal hinauf in den schauerlichen Altisberg, in dem ver­ irrte Römer schlummern sollen den Tag über und nachts den Weg suchen nach dem schönen Lande Italien hin ohne ihn finden zu können. Suchen und immer suchen zu müssen ohne je finden zu können, ist schauerlich. Allen war es unheimlich und dichtgedrängt ritten sie. Die Römer ließen sie in Ruhe, sie kamen glücklich aus dem Walde, glücklich über die Brücke des trügerischen Moosbachs, Limbach genannt. Im freien Lande schwand das Bangen und rascher ging es dem sich nahenden Ziele zu; seltsam glühte der Nebel, es war, als wenn er die Straße entlang zu Gestalten sich geballt,

welche lautlos hielten und gleichsam Spalier bildeten, wie Soldaten an der Straße, durch die der König zur Messe schreitet. Plötzlich fährt ein gellender Pfiff durch den Nebel, fährt Mann und Roß durch Mark und Bein, lebendig wird der Nebel, wilde Gestalten zu Fuß und zu Roß werfen sich von allen Seiten über den Zug, werfen die Reitenden von den Rossen, ehe sie sich aus den warmen Gewänden: ge­ wickelt, die Waffen blank gemacht oder die Pferde gewendet, das Heil in der Flucht gesucht. Wenigen gelang diese, fast der ganze Zug war zusammengeworfen, ehe man ein Vaterunser hätte beten können; aus die Niedergeworfenen warfen sich die Plünderer, wälzten sich mit den Wider­ standleistenden am Boden; Geschrei und Fluchen, schlagende Pferde und blutrot glimmende Fackeln, welche die Räuber brennend erhielten, es war ein wüstes, greuliches Bild. In der Mitte dieses Bildes war ein grimmiger Kampf: wild schlugen die Reiter, wild bäumten die Pferde sich, Jammergeschrei ringsum von den von wilden Hufen Getretenen, Geschlagenen. Zwei wilde, kampfgewohnte Junker hatten ihre Mütter ge­

leitet, wollten ihre Schwestern besuchen; Gibeli hieß der eine, Gäbeli der andere. Der Anprall hatte sie nicht niedergeworfen, an Flucht dachten sie nicht, ihre Schwerter hatten sie freibekommen, gebrauchten sie mit Macht, und mehr als eine der seltsamen Gestalten, welche aus dem Boden hervor­ gewachsen, aus dem Nebel geballt schien, sank heulend zusammen. Raub­ ritter Kurt von Koppigen und der Landshuter ließen die Beute, warfen sich

ihnen entgegen, während die andern die Tenne fegten und in Sicherheit

brachten, was sie errafft.

Der Kampf war hart, die Junker waren keine

SS. Ein Überfall.

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Milchbärte, schienen im Feuer gehärtet, waren gut gerüstet, machten den beiden Strauchrittem heißes Blut, heiß rauchte es aus mancher Wunde in die kalte Wintemacht hinein; zweifelhaft war das Ende. Da floh windschnell der Flumenthaler, der Fliehende gegen Fraubrunnen hin verfolgt hatte, vorüber, rief dem Landshuter etwas zu, führte im Vorüberjagen einen

scharfen Hieb, traf Kurt statt einen der Junker und verschwand im Nebel. Der Landshuter hob sich hoch in den Bügeln, schmetterte sein Schwert mit aller Kraft auf seines Gegners Haupt, daß dasselbe betäubt sich bog bis auf den Sattelknopf herab, sprengte dann dem Flumenthaler nach, der Emme zu. Dom Flumenthaler getroffen, doch nicht schwer, war Kurt von Koppigen plötzlich zwei Gegnem gegenüber allein; da erfaßte ihn eine ungeheure Wut; was in der Hütte so rasch erloschen, loderte jetzt doppelt so wild wieder auf; er hieb sich frei, stürmte den andem nach in den Nebel hinein. Sobald die Waffen schwiegen, hörte er von Fraubrunnen her wilden Rosseslauf einer ganzen Schar schon ganz nahe; da erst ward ihm klar des Flumenthalers Verrat, der ihn den Feinden in die Hände liefern wollte. Tief in seines Rosses Leib fuhren seine Sporen und ehe sie an der Emme waren, hatte er die andem erreicht, hieb den Flumenthaler vom Rosse, stürzte sich auf den Landshuter; aber hinter ihnen schnaubten Rosse, die Sorge für ihre Sicherheit trieb sie auseinander und über die Emme. Es waren nämlich in Fraubrunnen mehrere Edle aus der Umgegend eingeritten um bei dem glänzenden Gottesdienste im Kloster die heilige Nacht zu feiern; auch von Bern waren einige gekommen, ihren Verwandten zu Lieb und Ehre. Als die von Solothum immer nicht kamen, als es längst Nacht geworden war, bangte man, es möchte ihnen etwas zugestoßen sein, und die Herren wurden einig ihnen entgegenzureiten. Daß die Gegend unsicher sei, war zwar bekannt, aber daß die Strauchritter die Tollkühnheit haben sollten über einen solchen Zug herzufallen, daran dachte man nicht. Bei allzulangem Ausbleiben von Freunden entsteht ein allgemeines Bangen und in hunderterlei Gestalten stellt sich das Unglück dar, welches ihnen, wie man glaubt, begegnet sein muß, bis sie wohlbehalten vor einem stehen, oder von etwas betroffen, an das man eben gar nicht gedacht. In der kalten Wintemacht ritten die Herren scharf, und gut war's, denn noch waren sie oberhalb Bätterkinden, als die Flüchtlinge sie ansprengten und Kunde brachten von dem Überfall. Da spornten sie die Rosse zum schnellsten Lauf, verjagten die Räuber, und wer in der Gegend etwas kundig war,

jagte dem Geräusche der Fliehenden nach; sie fingen jedoch niemand, denn die Räuber kannten die Gegend doch noch besser und bei Nacht und Nebel durch Sumpf und Busch, Fluß und Wald Fliehende verfolgen, ist ein schlimmes Untemehmen, das man aufgibt, sobald man kann. (AuS: „Äutt b. Koppigen" v. I. Gotthelf. Enzinger-HauSmann, AuS Deutschlands Vergangenheit.

Verlag v. Schaffstein, Köln.) 10

IV. Ritter,eit.

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39. Rudolf von Habsburg. Zawisch an seinen Bruder Witigo.

Meinen Gruß zuvor. Geliebter Bmder Witigo. Jaroslaw, ich und die anderen Boten der Königin ritten mit vielen Rossen im Monat Oktober nach Mähren zum König Rudolf und fanden ihn mit seinem Heere bei

Eibenschitz im Feldlager. Weißt du, welch einen gewaltigen Brief der römische König an alle

Herren und Städte in Böhmen gesandt hatte? An jedem Stadttore stand zu lesen: „Auf, schließt euch Uns an und dem hl. Reiche in lauterer Ergebenheit und Wir wollen euch erheben und wollen euch überschütten mit Unserer Gnade!" Im Herzen brannten mir seine Worte und mein Herz jubelte: Er ist ein Starker, der die Schwachen regieren wird mit Sanftmut und die Widerspenstigen mit dem Stabe Wehe! So kamen wir und fanden den römischen Rudolf. Höre, wie er aus­ sieht: Er ist ein langgewachsener, hagerer Mann, er hat einen Keinen Kopf, ein glattes, blasses Gesicht, als wäre er ein Schreiber und kein Kriegsheld; seine Nase ist stark gebogen wie eines Geiers Schnabel und weil sein Schädel

vom und oben kahl ist wie eine kahle Bergkuppe, so ist er auch anzuschauen wie ein alter, großer Geier, insonderheit, wenn er mhig siht, nichts redet

und seine scharfen, blauen Augen aus einen richtet. Verzeih mir's Gott, so sieht er aus! Ehedem habe ich mir sein Bild wohl anders gemalt; jetzt

muß ich sagen: der römische Rudolf kann gar nicht anders aussehen, als er just aussieht. Er nahm uns mit hohen Ehren auf, ließ uns prächtige Zelte bauen und hob auch gleich mit mir zu reden an. Seltsam ist seine Art zu reden; noch seltsamer ist seine Art zu schweigen. Sicherlich hat er schon die geheimsten Dinge aus dem Menschen heraus­ geschwiegen, dieser König. Denke dir, da sitzt der König und hier stehst du. Deine Sache hast du vorgebracht, lang und breit. Er hat dich kein einziges Mal unterbrochen in deiner Rede und jetzt schweigst du und horchst, was er sagen werde. Aber nichts sagt er, ruhig sitzt er und schaut dich an.

Bist du ein heuriger Hase, so fängst du nach einer Weile aufs neue an, sagst ihm das Ding zum zweiten Male, nur nicht so Kärlich wie zuerst und sagst

dazu wohl auch dies und das, was du zu Anfang nie gesagt hättest. Aber der Zawisch hat eine gute Witterung, er ist kein heuriger Hase, er ist über­ haupt kein Hase und so schwieg er, als er fertig war. Nach kurzer Bekanntschaft

schon taten wir uns leicht miteinander: wenn ich schwieg, dann hob er zu reden an, wie sich's gebührt, der römische König.

39. Rudolf von Habsburg.

147

Ein großer Zusammenlauf war im Lager bei Eibenschitz. Da waren Geschworene aus den mährischen Städten; die kamen, huldigten und trugen

starke Schutzbriefe von dannen. Da kamen die Herren vom Lande, einer nach dem andem, Große und Kleine, kamen wie die Mücken zum Lichte, verbrannten sich aber die Kleider nicht, sondem gingen mit großen Ehren davon. Da kamen Boten aus Polen und aus Ungarland, da kamen Boten aus Österreich, Steier, Kärnten und aus dem Reiche. Da kamen Geschworene aus Yen böhmischen Städten. — Um die Weihnachtszeit reitet der römische König in Prag ein, dachte ich in meinem Herzen und war frohen Mutes, («ul: «Die Söhne deö Herrn Budiwoj- v. A. Sperl. Verlag v. O. Beck, München.)

V.

Vom Aufstieg des Bürgertums

Der Hauptbeschäftigung der Deutschen entsprechend zeigten in den ersten Jahr­ hunderten die menschlichen Ansiedelungen bäuerlichen Charakter. Erst im 12. Jahrhundert, als sich zum Ackerbau auch Gewerbefleiß, industrielles Schaffen und Handel gesellte, entwickelten sich aus burgartig befestigten Orten, welche das Marktrecht besaßen, die Städte. Der Ursprung der Städte ist sehr verschieden: sie entstanden teils um Bischofssitze und Klöster, teils um königliche Pfalzen und Burgen, teils auf den Trümmern alter Römer­ sitze und an den Kreuzungspunkten der Handelsstraßen. Das Verwaltungsrecht, die Gerichtsbarkeit und das Recht der Besteuerung übte anfangs der Fürst (Stadtherr) durch die von ihm ernannten Beamten — Schultheißen — aus. Bald jedoch kam die Leitung des städtischen Gemeinwesens an einen Ausschuß der Bürgerschaft, den Rat, der von den Bürgern aus ihren Reihen selbst gewählt wurde: städtische Selbstverwaltung, Ratsverfassung. In Bezug auf Ansehen und Rechte gab eS in jeder Stadt zwei Menschenvassen: die Geschlechter (Patrizier) — Großkauf­ leute, Großgrundbesitzer, Bankier — und die Handwerker, Krämer, Klerngrundbesitzer und Künstler. Während die Geschlechter nur aus ihrer Mitte die Ratsherren und Richter wählten und somit das Stadtregiment führten, hatten die Handwerker keine Rechte, wohl aber Verpflichtungen (Steuern, städtische Kriegsdienste). Um sich nun gegenseitig zu schützen und das Verlangen nach Rechten zu befriedigen traten die Hand­ werker zu engeren Verbindungen, Lebensgemeinschaften zusammen (Zünfte, Gilden, Innungen). Es gab sonach in jeder Stadt die Zunft der Bäcker, der Schuster, der Schäff­ ler usw. Die vornehmsten Zünfte waren die „Bauhütten", städtische Baubrüderschaften von Künstlern und Handwerkern, denen die großartigen Kirchen- und Rathausbauten des Mittelalters ihre Entstehung verdanken. Für die Entwicklung des Bürgerstandes waren die Zünfte von größter Bedeutung: sie bildeten tüchtige Handwerksmeister heran, pflegten den Familiensinn und weckten den mannhaften Mut deutscher Bürger. Als sich die Zünfte ihrer Bedeutung bewußt wurden — vielfach gelangten sie auch zu großem Wohl­ stand — suchten sie sich im Laufe des 14. Jahrhunderts in blutigen Kämpfen Anteil am Stadtregiment zu verschaffen. Die Städte waren ganz besonders auch die Träger des Handels, der namentlich durch die Kreuzzüge einen Aufschwung erhielt. Mit den italienischen Städten Venedig und Genua unterhielten vor allem die süddeutschen. Städte Augsburg, Ulm, Nürnberg und Straßburg regen Handelsverkehr. Der Großhandel ruhte meist in den Hrnden weniger, die dadurch zu außerordenllichem Reichtum gelangten (Fugger). Im Norden Deutschlands schlossen sich zur Sicherung ihrer eigenen Selbständigkeit zum Schutze gegen Raubritter und Seeräuber und um eine Verbindung deutscher Kauf­ leute im Auslande herbeizuführen mehrere Städte unter Lübecks Führung zu einem Bunde, der Hansa, zusammen. In der Zeit seiner höchsten Macht umfaßte dieser Bund 83 Städte, welche gemeinschafllich eine Flotte von 200 Schiffen ausrüsteten urb ein ansehnliches Landheer unterhielten. Im 14. Jahrhundert beherrschte die Hanse den gesamten Handel Rußlands, Skandinaviens und Englands.

40. In VineLa. Vor Ms Holgersson erhob sich eine dunkle Mauer mit einem großen

turmgekrönten Tor. Was er sah, war nicht unheimlich oder grauenhaft. Die Mauern und Türme waren prächtig gebaut und jetzt regte sich auch gleich der Wunsch in ihm, zu sehen, was dahinter sei. „Ich muß untersuchen, was das ist,"

dachte er und damit ging er durchs Tor. Unter dem kleinen Torgewölbe saßen in bunten, gepufften Anzügen, langstielige Streitäxte neben sich, die Wächter und spielten Würfel. Sie waren ganz in ihr Spiel vertieft und gaben nicht auf den Jungen acht, der hastig an ihnen vorbeieilte. Dicht am Tor war ein freier, mit glatten Steinfließen gedeckter Platz.

Ringsum standen hohe, prachtvolle Häuser und zwischen diesen öffneten sich lange, schmale Straßen. Auf dem Platz vor dem Tor wimmelte es von Menschen. Die Männer trugen lange, pelzverbrämte Mäntel über seidenen Unterkleidern, federn­

geschmückte Barette saßen ihnen schräg auf dem Scheitel und über die Brust herunter hingen ihnen wunderschöne Ketten. Alle waren herrlich gekleidet,

es

hätten lauter Fürsten sein können. Die Frauen trugen spitzige Hauben und lange Gewänder mit engen Ärmeln. Sie waren auch prächtig geschmückt, aber ihr Staat konnte sich bei weitem nicht mit dem der Männer messen. Dies alles glich ja ganz den Bildern in dem alten Märchenbuch, das Mutter ab und zu einmal aus ihrer Truhe holte und ihm zeigte. Der Junge

wollte seinen Augen nicht trauen. Aber noch viel merkwürdiger als die Männer und die Frauen war die Stadt selbst. Jedes Haus hatte einen Giebel nach der Straße zu und diese Giebel waren so reich verziert, daß man hätte glauben können, sie wollten müeinander wetteifem, welcher von ihnen am schönsten geschmückt sei. Wer rasch viel Neues zu sehen bekommt, kann sich nachher nicht mehr an alles erinnern. Aber der Junge erinnerte sich später doch noch, daß er ausgezackte Giebel gesehen hatte, auf deren verschiedenen Absätzen die Figuren

von Christus und den Aposteln standen, Giebel, die an beiden Seiten hinauf mit Figuren geschmückte Nischen hatten, dann wieder solche, die mit buntem

152

V. Vom Aufstieg des Bürgertums.

Glas oder mit weißem und schwarzem Marmor eingelegt waren und die

ihm gewürfelt und gestreift entgegenschimmerten. Doch während der Junge alles dies bewunderte, wurde er von einer ihm selbst unbegreiflichen Hast überfallen. „So etwas haben meine Augen

noch nie gesehen. So etwas werde ich meiner Lebtage nicht wieder sehen," sagte er sich. Und er begann in die Stadt hineinzulaufen, Straße auf, Straße ab, ohne anzuhalten.

Die Straßen waren eng und schmal, aber

durchaus nicht leer und düster wie in den Städten, die er bis jetzt gesehen hatte. Überall waren Menschen, alte Weiber saßen vor ihren Türen und

spannen ohne Spinnrädchen, nur an der Kunkel. Die Warenlager der Kauf­ leute waren wie Marktbuden nach der Straße zu offen. An einem Platze wurde Tran gekocht, an einem anderen wurden Häute gegerbt, an einem

Wege war eine Seilerbahn. Wenn der Junge nur Zeit gehabt hätte, ja dann hätte er hier alles

Mögliche lernen können!

Er sah, wie die Waffenschmiede dünne Brust-

harnische hämmerten, wie die Goldschmiede Edelsteine in Ringe und Arm­ bänder einsetzten, wie die Drechsler ihre Dreheisen handhabten, wie die

Schuhmacher weiche rote Schuhe sohlten, wie der Goldspinner Goldfäden drehte und wie die Weiber Seide und Gold in ihre Gewebe hineinwoben.

Aber der Junge hatte keine Zeit zum Verweilen.

Er stürmte nur

immer vorwärts um so viel als möglich zu sehen.

Die Stadtmauer ging rund um die ganze Stadt herum und umschloß sie. Am Ende jeder Straße sah man die Mauer türm- und zinnengekrönt Hervorschauen. Und oben darauf wanderten Kriegsknechte umher in glän­

zendem Harnisch und blankem Helm. Als der Junge die ganze Stadt durchquert hatte, kam er wieder an ein

Stadttor. Da draußen lag das Meer und der Hafen. Hier sah der Junge altertümliche Schiffe mit Ruderbänken in der Mitte und mit hohen Auf­ bauten vorn und hinten. Lastträger und Kaufleute liefen eilig hin und her. Überall war Leben und alle hatten es eilig.

Aber auch hier erlaubte ihm seine innere Unruhe nicht sich aufzuhalten. Er eilte wieder in die Stadt hinein und kam jetzt auf den großen Marktplatz.

Hier lag die Domkirche mit drei hohen Türmen und tiefen, mit steinernen Figuren geschmückten Toren.

Die Wände waren mit Bildhauerarbeit so

reich verziert, daß auch nicht ein einziger Stein zu sehen war, der nicht seinen Schmuck gehabt hätte. Und welch eine Pracht schimmerte durch das offene Portal heraus! Goldne Kruzifixe, mit vergoldeter Schmiede­ arbeit verzierte Altäre und Priester in goldenen Meßgewändern! Der Kirche gerade gegenüber stand ein Haus mit Zinnen auf dem Dach und mit

einem einzigen schlanken, himmelhohen Turm. Das war wohl das Rathails.

41. Augsburger Handel-Herren.

153

Und von der Kirche bis zum Rathaus, rings um den ganzen Markt herum, standen die schönsten Giebelhäuser mit den mannigfaltigsten Verzierungen.

Der Junge hatte sich warm und müde gelaufen; er dachte, er habe nun so ziemlich das Merkwürdigste von der Stadt gesehen und ging deshalb etwas langsamer weiter. (Au- „Wunderbare Steile des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen" v. S. Lagerlöf. Verlag v. A. Langen, München.)

41. Augsburger Handelsherren. Am 22. Mai 1506 kamen drei Schiffe, welche Venedig, Florenz und Genua in Gemeinschaft mit den Augsburgern Jakob und Ulrich Fugger,

Welser, Föhlin, Gossenbrot und Höchstetter zu einer Fahrt nach Kalkutta ausgerüstet hatten, reich beladen zu Lissabon an. Der König von Portugal beeilte sich durch einen Gerichtsbeamten den vierten Teil der Waren für sich zu fordern, der ihm auch ohne Anstand verabfolgt wurde. Doch kaum war dies geschehen, so stellte der König die weitere Forderung, es sollte ihm in Anbetracht des den Schiffen gewährten Schutzes noch ein Zwanzigstel des Gewinnes zuerkannt werden. Der Vertreter der Handelsgesellschaft in

Lissabon verweigerte die Leistung, worauf König Emanuel die Schiffe

und Waren mit Beschlag belegen ließ. Ein reitender Eilbote brachte diese unangenehme Botschaft nach Augsburg. Der alte Welser wetterte, daß sein Gesicht blaurot ward; die andern teilten seinen Unmut und nannten den König von Portugal einen unersättlichen Wucherer, dem sie keinen Heller

mehr zahlen würden, als ursprünglich ausbedungen gewesen. Lieber fingen sie einen Rechtsstreit gegen ihn an, als daß sie sich von ihm so betrügen ließen. Dazu schüttelte Jakob Fugger bedenklich den Kopf. „Weigern wir uns," sprach er, „und fangen wir Streit mit dem König an, so dürfen wir erstlich

rechnen, daß derselbe ein paar Jahre dauert, bis er ausgetragen ist; unter­ dessen verdirbt uns ein Teil der Waren auf den Schiffen. Endlich, wer bürgt uns dafür, daß wir im Prozesse nicht unterliegen und dann auch noch die Kosten zu tragen haben?" „Sollen wir uns von dem Portugiesen an der Nase herumführen lassen?" eiferte Welser. „Diesesmal müssen wir es uns wohl oder übel gefallen lassen," entgegnete Fugger ruhig. „Ich denke, wir Augsburger senden dem König ein Schreiben, worin wir seine Forderung annehmen, ihm aber zugleich erklären, daß wir für seinen femeren Schutz

ganz entschieden danken, da wir ihn gar zu teuer finden." Und so geschah es auch. Welser wollte sich freilich lange nicht fügen, zuletzt aber beugte er doch

seinen Willen. Kam aber je Meder die Rede auf den König von Portugal,

so verfinsterte sich sein Gesicht.

V. Vom Aufstieg deS Bürgertums.

154

AIs nun der Handel ganz abgewickelt war, zeigte sich, daß Fuggers Rat der beste gewesen war; denn mit den dreißigtausend Dukaten, welche die

Augsburger in das Untemehmen gesteckt hatten, gewannen sie nach Deckung aller Unkosten noch sünfundachtzigtausendzweihundertfünfzig Dukaten, die nicht wenig dazu beitrugen, den Reichtum Augsburgs und damit seinen

Glanz zu steigern. Als König Maximilian hiervon Nachricht erhielt, lachte er fröhlich auf

und rief: „Das haben meine Augsburger gut gemacht; nur fürchte ich, das viele Geld könnte ihnen nicht gut bekommen. Sollten ein wenig mit mir teilen, dann ist mir auch geholfen."

Max hatte beschlossen die längst in Aussicht genommene Romfahrt und Kaiserkrönung zu verwirklichen, bedurfte aber hierzu, da er voraussicht­ lich von Seite der Venetianer Widerstand zu befürchten hatte, eines starken, wohlausgerüsteten Heeres. Er begnügte sich also nicht mit den 26 Reitern und 50 Fußknechten, welche Augsburg nach den Bestimmungen des Reichs­

tages von Konstanz stellen sollte, sondern forderte noch, daß Augsburg seinen Rat und Pfleger Kaspar Winzerer mit seiner Rüstung auf sich nehme und

unterhalte und endlich Büchsenmeister und Schlangenschützen sende, so viel die Stadt nur habe. Dann ging er an das Geld. Die Kaufleute von Augs­ burg, Nümberg, Memmingen und Ravensburg sollten dem König eine große Summe borgen. Darüber gab es in Augsburg arges Schmähen und als die Bürgermeister Langenmantel und Baumgartner den Rat zusammenriefen um die Antwort an den König zu beraten, setzte es heiße Köpfe und böse Reden ab; bewilligt wurde aber nichts. Jakob Fugger hatte ruhig zu­ gehört.

Er, der Reichste in Augsburg, wollte auf die anderen Kaufleute

keinen Druck ausüben. Als ihn daher die übrigen Kaufherren drängten auch seine Meinung zu äußem und ihn, den Liebling des Königs, dabei mit mißtrauischen und argwöhnischen Augen ansahen, antwortete er zu ihrem nicht geringen Erstaunen, auch er sei dafür, daß die Kaufherren dem König kein Geld gäben. Er wußte aber wohl, was er zu tun gesonnen war.

Nach Hause zurückgekehrt, setzte er sich, nachdem er einige Wachskerzen

angezündet hatte, in seine Schreibstube und richtete an Max folgende Zeilen: „Euer Majestät bekommen von den Augsburger Kaufherren keinen roten

Heller, und auch ich war dagegen, daß sie gezwungen und mit schlechtem Willen Euch Geld borgen und Euch dann bei jeder Gelegenheit sonder Ehr­

furcht in den Mund nehmen. Bitte Euch darum, Ihr wollet Euch mit meinem Geldkätzlein zufrieden geben. Darin liegt ein erllecklicher Pfennig, den Ihr haben mögt und dessen ich jetzt und auf längere Zeit leicht entraten kann, so an die siebzigtausend Goldgulden. Ist Euch damit gedient, so schickt mir einen Brief mit guter Sicherheit für mein Geld."

42. Aufnahme eines Lehrlings in die Zunft

155

Siegelte darauf das Brieflein und gab es andem Tags dem könig­ lichen Boten, der es zugleich mit der Antwort des Rates und jener der

Kaufleute an Max nach Innsbruck überbrachte. (Au- „Die Fugger u. ihre Zeit" v. F. v. Geeburg.

Verlag v. F. Pustet, Regensburg.)

42. Aufnahme eines Lehrlings in die Zunft. Rat Schwarzmann hatte Meister Bockelhardt und den neuen Lehr­

jungen, sein Mündelkind, erwartet. Es war Brauch, daß beim Aufdingen des Lehrjungen der Vater oder der Vormund anwesend sein mußte, obgleich der künftige Meister das Wort für den Jungen führte. Auch hatte Schwarz­

mann den Geburtsschein vorzuzeigen, da Brechtle kein Meisterssohn, noch ein geborener Mmer war. Gravitätisch schütten die beiden Herren über den Markt und schienen den Kleinen kaum zu sehen, der wie an einer unsichtbaren Kette hängend hinter ihnen herlief. Dann verloren sie sich in dem winkligen

Viertel an der unteren Blau, wo im „Wilden Mann" in der Schwilmengasse die Schneidermeister ihre Herberge hatten.

Es war eine geräumige, aber düstere Stube, deren getäfelte Holz­ wände mit den Schätzen und Kunstwerken der Zunft geschmückt waren. Eine gewaltige Schere hing hinter dem Lederstuhl des Altmeisters. Auf einem mit reichen altertümlichen Kleidungsstücken behängten Seitenbrette stand ein Dutzend zinnemer Trinkgefäße, wohl die Form, aber keineswegs die Größe von Fingerhüten nachahmend. An der entgegengesetzten Wand

glänzte aus einer den Kopf eines Ziegenbocks darstellenden Konsole ein riesiges versilbertes Bügeleisen, auf dessen glänzenden Türchen ein von der Zunft

hochgeschätzter Vers eingegraben to.tr, der also lautete: Der erste Schneidermeister war Gott unser Herr im Paradies, der unser sündig Mernpaar nicht unbekleidet laufen ließ.

In einer Ecke stand ein reichgesticktes, aber sehr verstaubtes Fähnlein,

um das sich die tapferen Schneider von Ulm mutig scharten, wenn es galt die Feinde der freien Reichsstadt abzuwehren. Es zeigte sich, daß Bockelhardt und seine Begleiter erwartet wurden. Die Lade der Zunft, eine uralte, etwas unansehnliche Holztruhe, mit den

Wappenschildern längst verstorbener Meister bemalt und mit drei schweren Schlössem versehen, stand bereits auf dem Tisch. Neben ihr lag ein in Leder gebundenes Buch mit eisernem Beschlag, auf der anderen Seite stand ein

altertümliches Tintengeschirr. Hinter dem Tisch, von der Lade fast verdeckt, saß in der Mitte der Obermeister der Zunft, Herr Knöppel, rechts und links je zwei Beisitzer, am unteren Ende stand der Handwerksschreiber. Von ande­ ren Meistern waren nut fünf erschienen und hatten auf den Stühlen entlang

156

V. Bom Ausstieg deS Bürgertums.

der Seitenwände Platz genommen.

Die Sitzung war allen doch gar zu

überraschend über den Hals gekommen.

Gesichter wie aus Holz geschnitzt,

aber meist magere, kleine Gestalten, denen man das körperlich wenig an­ strengende Handwerk anmerkte.

Knüppel erhob sich, als der Obermeister der Schifferzunft, Herr Schwarz­ mann, eintrat, und begrüßte ihn mit einer feierlichen Verbeugung, jedoch ohne ein Wort zu sagen. Dann wies er mit einer Handbewegung, die einem reichsunmittelbaren Fürsten Ehre gemacht hätte, auf einen Armstuhl, der in Erwartung des hohen Gastes neben dem Tisch aufgestellt war. Schwarzmann ließ sich dröhnend nieder und begann mit seiner silbernen Uhrkette zu spielen. Er wollte diesen Schneidern zeigen, daß die Schiffer doch eine andere Klasse von Menschen seien. Bockelhardt blieb mit Brechtle Berblinger, den er an seine linke Seite gezogen hatte, vor dem Tisch stehen; Knüppel räusperte sich und begann: „Gott segne das Handwerk! . . . Amen. — So, mit Verlaub und Gunst tue ich die günstigen Herren Beisitzer fragen, ob sie alle zur Stelle seien, also daß ich die löbliche Lade öffnen möge nach Handwerksgebrauch." „Dank dir Gott willkommen!" sagten die vier fast einstimmig. „Wir sind alle da." „Dank euch Gott um und um; so komm' ich schnell herum," fuhr der Obermeister fort. „So mit Verlaub und Gunst, ihr günstigen Meister, lasset uns die Lade öffnen im Namen Gottes des Vaters —" Dabei zog er einen Schlüssel aus der Tasche und steckte ihn in das mittlere der drei Schlösser, die an der Truhe hingen. „Und des Sohnes," sagte der rechtssitzende Meister Glückten und steckte einen zweiten Schlüssel in das ihm zunächst hängende Schloß. „Und des Heiligen Geistes!" rief mit dünner Stimme Meister Schlumperger, einen dritten Schlüssel hervorziehend. „Amen!" sprach Knüppel feierlich und alle drei drehten gleichzeitig ihre Schlüssel um, worauf der Altmeister den Deckel der Truhe aufschlug und sich die beiden andem wieder setzten. „Mit Gunst, ihr Meister," begann Knüppel aufs neue, „so wir nun ver­ sammelt sind bei offener Lade nach Handwerksgebrauch, tu' ich Euch fragen, Meister Bockelhardt. Sprechet mit Bescheidenheit. Was ist euer Begehr?" „Mit Verlaub und Gunst!" erwiderte der Angeredete sehr feierlich. „Bor offener Lade tu' ich euch kund und zu wissen, löbliche Meister, daß ich gewillt bin, diesen hier anwesenden Albrecht Ludwig Berblinger auszu­ dingen, also daß er mein Lehrjung' sei für drei Jahr und drei Tage nach

Handwerksgebrauch." „Mit Gunst," fuhr der Obermeister fort, „ist der Junge ehrlicher Leute Kind?"

42. Aufnahme eines Lehrling- in die Zunft.

157

„Ich weiß nicht anders," versetzte Bockechardt. „Da er aber nicht der Sohn eines Meisters der Zunft, auch nicht als Bürger unsrer fteien Reichs­ stadt Ulm geboren, auch weder Vater und Mutter noch leben, ist an ihrer

Stelle erschienen sein Vormund, der Obermeister der Schifferzunft, der

ehrenwerte Herr Rat Schwarzmann, für ihn gutzustehen und seinen Ge­ burtsbrief dorzulegen."

Schwarzmann glättete ein zerrissenes Papier auf seinen Knieen und legte es auf den Tisch.

„Woraus zu ersehen," fuhr Bockechardt fort, „daß der Junge geboren

ist zu Ochsenwang im Württembergischen, woselbst sein Vater Schulmeister, seine Mutter aber, Rosa Schwarzmann von Ulm, dessen ehelich angetrautes Weib gewesen. Item ist zu ersehen, daß die Berblinger, seine Vorvordern

freie Ulmer Bürger gewesen, also daß der Junge leichtlich als in Ulm zu­ ständig anzusehen wäre. Item, daß der Junge evangelischen Glaubens ge­ boren, getauft und erzogen wurde. Item ist wohlbekannt, daß seine Sippe niemals kein unehrlich Gewerb betrieben, so da sind Schäfer, Türmer, Trompeter, Henker, Abdecker und dergleichen, wie solches des weiteren erwiesen ist durch das Zeugnis seines Vormunds, des hochachtbaren Herm

Rats Schwarzmann, sowie auch durch das meinige, das ich bezeuge als ehr­ samer zünftiger Meister vor offener Lade." „Was dünket euch, ehrsame Beisitzer und Meister?" fragte Knöppel, indem er eine große Hornbrille aufsetzte und das Dokument zu studieren begann, es dann aber dem Zunftschreiber zuschob, der es mit näselnder Stimme vorlas. „Mit Gunst, was dünket euch, soll der Junge entweichen?" fragte der Obermeister noch einmal.

Die Herren Beisitzer verharrten in nachdenklichem Schweigen. „Nachdem solches bekanntgegeben und wohl erwogen," fuhr nach einer Pause Knöppel fort, „auch von dem Jungen seinen Eltem und seiner Sippen niemand nichts weiß als alles Liebe und Gute, so weiß ich auch

nichts und tu' dich fragen, Albrecht Ludwig Berblinger, ob du den ehrsamen Meister Bockechardt zu deinem Meister erwählet hast und willst ihm untertan sein Md ihm dienen fleißig, fromm und verschwiegen, auch ehrlich sein,

von diesem Tag an drei Jahr lang, wie sich einem ehrlichen Lehrbursch geziemt?" „Sag ja!" sagte Bockechardt halblaut, Berblinger einen Stoß ver­ setzend. „Willst ja sagen!" brummte der Onkel, sich halb, aber drohend von seinem Stuhl erhebend. „Ja!" sagte Brechtle.

„Und Willst unfern Herrgott sowie den hochedeln und hochweisen Magistrat dieser weltberühmten freien Reichsstadt Ulm, auch Kaiser und Reich ehren und dienen, recht und schlecht, wie es eines guten Christen Pflicht ist?" fragte der erste Beisitzende. „Ja!" sagte Brechtle. „Und willst die ehrsame Zunft der Schneider zu Ulm und ihre Meister hochhalten, von ihren Sitten und Bräuchen nichts dazutun noch abschneiden, auch ihre Rechtsame schützen mit Herz und Him, mit Nadel und Storni?" „Ja!" sagte Brechtle. „So mit Gunst, ihr günstigen Meister!" fuhr jetzt Knüppel wieder fort, „mähen ihr solches aus seinem Munde gehört und vernommen, soll nunmehr der Zunftschreiber den Namen Albrecht Ludwig Berblinger einschreiben in das Handwerksbuch, so hier auflieget, und soll besagter Berblinger ge­ bunden sein für drei Jahre und drei Tage nach Handwerksgebrauch Jung und Lehrling des wohllöblichen und ehrlichen Meisters Bockelhardt zu bleiben. Auch soll er das übliche Aufgeld in die Lade legen nach Handwerksgewohnheit, nämlich zwei Gulden und achtundvierzig Heller Ulmer Münz." Schwarzmann zog einen mächtigen Lederbeutel aus der Tasche und zählte das Geld auf den Tisch, das Bockelhardt in die Lade warf, während der Zunftschreiber mit vieler Umständlichkeit das Handwerksbuch aufschlug und Berblingers Name, Geburtsjahr, Eltern und was sonst dazu gehörte in das Lehrlingsregister eintrug. Dann bat er zuerst Schwarzmann, so­ dann Bockelhardt und schließlich auch Berblinger seinen Namen unter das Dokument zu setzen. „Kannst du schreiben, Bub?" fragte ihn Knöppel, der vergessen hatte, woher er kam, nicht unfreundlich. „Er ist ein Württemberger," erklärte Meister Glöcklen, der erste Bei­ sitzende; „das sind Gelehrte, ehe sie auf die Welt kommen. Glauben wenig­ stens, sie seien's." „Lateinisch!" rief Meister Schlumperger, der zweite Beisitzende, der aufmerksam zusah, während der Junge unterschrieb. „Er hat seinen Namen lateinisch eingeschrieben! Geht das?" „Es ist wider Zunftgebrauch, ihr Herren," sagte Knöppel sehr ernst. „Kannst du nicht deutsch schreiben, verflixter Bub, deutsch, wie dir der Schnabel gewachsen ist?" „Doch!" sagte Berblinger, nach echt Ulmer Art; „aber — ich dachte —" „Was brauchst du da zu denken; unterschreiben hättest du sollen, wie jeder andre," erllärte der Zunftmeister mit gerunzelter ©time. „Wir wollen's übersehen um des Herrn Rats willen. Ein guter Anfang ist es nicht, aber zu hoffen, daß Meister Bockelhardt dir die gelehrten Faxen austteiben und dafür etwas vom ehrlichen Handwerk in den Kopf treiben wird, eh'

43. Wanderbrauch

159

deine drei Jahre um sind. Nun aber mahne ich Euch, Meister Bockelhardt,

nach Handwerksgebrauch, daß Ihr den Jungen haltet recht und schlecht, ihn christlich nähret und Pfleget, ihm nichts nachlasset noch auch zuviel fordert und ihn lehret Gottes Gebote zu halten und alles, was sonst einem ehrlichen Schneidersjungen zu erlernen geziemet, also daß er heranwachse

zu Ehren seines Meisters und des Handwerks.

— Nun aber, zünftiger Meister, nachdem mit Gottes Hilfe alles gesagt und vollbracht ist, was dieses Ausgeding verlangt, frage ich, ob noch jemand

etwas weiß, so etwa geschehen oder vergessen sei wider Handwerksgebrauch.— So aber niemand nichts weiß, weiß ich auch nichts und schließe die Lade im Namen der heiligen Dreieinigkeit, Amen."

Und wieder zogen die drei Meister ihre drei Schlüssel hervor und ver­ schlossen die Truhe mit dem Bewußtsein eine hochwichtige Amtspflicht würdig erfüllt zu haben, worauf Bockelhardt in einem etwas weniger

feierlichen Tone vorschlug, daß sie alle nach Handwerksgewohnheit in die Wirtsstube hinuntergehen und zu Ehren des Herm Rats den üblichen Trunk tun sollten. Berblinger, dem jeder die Hand gegeben und Glück zur Lehre gewünscht hatte, wurde, nicht zu seinem Leidwesen, nach Hause geschickt.

Er möge sich dem Mgesellen zeigen, der ihm schon sagen werde, was nun zu tun sei. (AuS »Der Schneider von Ulm" v. M. Eyth. Deutsche BerlagSanstalt, Stuttgart.)

43. Wanderbrauch. Ms man zählte und schrieb nach Gottes Geburt vierzehnhundert

und danach im vierundfünfzigsten Jahr am Mittwoch nach Quasimodogeniti, da wanderten zwei junge Handwerksburschen munter fürbaß durch die Lüneburger Heide.

Der eine war von gedrungener Gestalt mit dunllem Krauskopf und braunen Augen, die einen scharfen, fast stechenden Blick hatten. Der andere war hochaufgewachsen mit kräftigem Gliederbau, hatte blondes Haar und unter einer freien Stime helle, freundliche Augen. Jeder trug seine fahrende Habe mit sich; der größere ein schwer bepacktes Felleisen auf dem Rücken

und darunter an der Hüfte noch einen prall gefüllten Beutel aus bräun­ lichem Ziegenfell, der kleinere nur einen Ranzen über der Schulter, der chn nicht sonderlich zu drücken schien.

Jedem stak ein langes Dolchmesser im

Gürtel, aber dem Blonden hing auch ein Schwert an der Seite, fast zu kostbar für einen Handwerksburschen, und seinen niedrigen Filz zierte ein

grüner Wachholderzweig, den er sich gestern schon als ersten Gruß der Heimat gepflückt hatte, wo sie auf dem Wege von Celle nach Ülzen die große Heide

160

V. Vom Aufstieg des Bürgertunis.

betraten.

Sein Geselle hatte, auf den Wanderstab gestützt, ihm dabei

lächelnd zugeschaut und dann gesagt: „Jeder nach seiner Gunst und Gaben! Schusterpech ist schwarz, für mich hat ein Rabe hier einen Kopfputz hin­

gelegt." Damit hatte er sich die Feder an den Hut gesteckt und weiter ge­ sprochen: „Hoffentlich hat es nichts Übles zu bedeuten, Bruder Böttcher, wenn ich mit diesem Zeichen aus der Schwinge des Galgenvogels m deine

Vaterstadt einziehe."

„Gott verhüt' es!" hatte der Böttcher geartwortet

und dann waren sie weitergewandert. Sie hatten sich frühmorgens in Celle getroffen, als sie beide zu gleicher Zeit aus demselben Tore hinausschritten und sich gegenseitig nach ihrem

Wohin und Woher gefragt. Der Schuster wollte nach dem hochberchmten,

mächtigen Lübeck; den Böttcher aber zog es nach vierjähriger Wanderschaft

in die Heimat zurück nach Lüneburg. Sie hatten also denselben Weg kamen beide aus dem Rheinland und waren froh sich aneinander anschliezen und

Freuden und Fährnisse der Wandemng teilen zu können. In Ülzen waren sie nach starkem Marsche gestern spät abends angelangt,

jeder hatte für sich allein in der Herberge seines Handwerks übernachtet

und heute Morgen pünktlich mit dem verabredeten Glockenschlage sich am

Tore wieder eingefunden um die große Fahrstraße nach Norden silbander weiterzuziehen.

Unterwegs hatte der Blonde viel Gutes und schönes

von Lüneburg erzählt und seinem Begleiter wacker zugeredet vorerst ein­ mal hier sein Glück zu versuchen; er könne ja nach vierzehn Tage: wieder

weitergehen, wenn es ihm nicht gefiele, aber es würde ihm schon gefallen;

denn in Lüneburg gingen die Leute auch nicht barfuß; es käme duch die gesegnete Sülznahrung und den großen Frachtverkehr viel Geld in di; Stadt;

da wären dreißig Bürgerfamilien, die Grafengut besäßen, und:s ließe sich da so gut und lustig leben wie in jeder andern reichen Hansestwt, selbst

Lübeck nicht ausgenommen.

Der Schusterknecht hatte den Ruhnredigen

groß angesehen und bloß gefragt: „Aber so lustig wie am Rhene doch

wohl nicht, Bruder Lüneburger?"

Darauf ließ sich wenig entzegnen;

aber der Schuster war schon entschlossen und sagte: „Will's versuchen, Oilbrecht Henneberg! will das Handwerk grüßen und sehen, ob ein wohlgewmderter

Korduaner in Lüneburg ehrliche Arbeit und gutes Auskommen findet." „Warum solltest du denn unter ehrlichen Leuten nicht ehrlich Arbeit

finden, Timotheus Schneck?" fragte der Böttcher. „Nenne mich Timmo," sagte der Schuster, „das hör ich liebe."

„Ist

mir auch recht," sagte Gilbrecht und sie nahmen den Weg zwichen die

Füße. Es war ein lauer Apriltag. Zerrissene Wolken jagten, vom Südwind getrieben, am Himmel dahin, sandten bald hier auf die beiden Äesellen

bald fern am Horizont in breitem Streifen einen Regenschaue nieder

161

48. Wanderbrauch.

und gönnten zuweilen auch der Sonne wieder einen flüchtigen Blick auf das feuchte Land. Meist aber blieb das Wetter trübe und so weit die Augen

der Wanderer reichten, dehnte sich endlos die rotbraune Heide. — Nach einer kurzen Mittagsrast unter freiem Himmel, bei der sie sich mit einem einfachen Imbiß aus der Tasche und einem mäßigen Trünke gestärkt hatten, begegnete den Fußgängem ein Zug von vier Frachtwagen, jeder mit vier starkknochigen Gäulen bespannt, denen an Kummet und Ge­ schirr allerlei bunter und blanker Flitter hing.

Neben jedem Gespann

schütten zwei bewaffnete Knechte und vier Männer, augenscheinlich die Fuhrherren, ritten im Hämisch, je ein Paar vor und eins hinter dem Wagen zu besserer Umsicht und zum Schutz gegen Sttaßenräuber. —

Es fing an zu dämmem und die Wanderer eilten um die Stadt noch vor Toresschluß zu erreichen; aber die Dämmerung war schneller als sie. Gilbrecht wußte den Weg zum Sülztore; dort kannte er den Torwart

Kaspar Rulle, wenn er noch lebte und auf seinem Posten war. Der würde, wenn der Meistersohn seinen Namen nannte, nicht viel Umstände machen

und die beiden Ankömmlinge mit ihren Bündeln willig einlassen, ohne daß sie erst das Handwerkszeichen aus einer Werkstatt zu holen brauchten.

Ungefähr hundert Schütt vor dem Tore machten sie Halt um sich gehöüg instandzusetzen, daß jeder nach seines Handwerks Gebrauch und Gewohnheit in die Stadt einzöge. Sie reinigten ihre Kleider von den Spuren des Weges, dann nahm Gilbrecht das Felleisen vom Rücken, schnürte es auf, langte sein Schurzfell heraus und schnallte es so über das Felleisen herüber, daß der Kreuzüemen nachher gerade über seinem Kopfe zu sehen war. Timmo schlang den Tragüemen über die linke Schulter, so daß ihm sein Ranzen am linken Ellbogen hing. Den Stock führte jeder in der Rechten. So und nicht anders mußten sie in jede Stadt einziehen;

das war ihnen eingeprägt worden, als sie vom Stande eines Jungen feierlich

losgesprochen und zum Knecht und Gesellen gemacht waren, und kein ehr­ barer Handwerksknecht im ganzen Reiche wich jemals von diesen peinlich

genauen Vorschriften im geringsten ab. Als sie nun an den mächtigen Turm herankamen, hörten sie, wie die beiden großen Torflügel eben knarrend zugeschoben wurden und Riegel und Kette dahinter rasselten und klirrten.

Aber in dem einen Torflügel

war noch ein besonders kleines Pförtchen für Fußgänger; das erreichten sie gerade noch im letzten Augenblick vor seinem Schluß, und wie Gilbrecht

als der Erste hineinsprang und jubelnd rief: „Hurra! ich bin drin in Lüne­ burg!" stand er dicht vor dem graubärttgen Torwart, der fast erschrocken zurückprallte wie vor einem räubeüschen Überfall und zomig ausrief: „Holla, sachte, Gesindel. Was soll das bedeuten? Was wollt ihr? Wer seid chr?" Schnell griff er mit der einen Hand nach seiner Hornlateme, Enzlnger-Hau-mann, Aus Deutschlands Vergangenheit.

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V. Vom Aufstieg des Bürgertums.

die am Boden stand, und mit der andern nach einem kurzen Spieße, der daneben an der Wand lehnte.

Gilbrecht lachte vergnügt, Timmo aber machte dem Alten seine Reverenz und sprach laut und lustig: „Timotheus Schneck, Schusterknecht aus Darm­ stadt, bringt Gmß und Glück der guten Stadt Lüneburg aus allen vier Mnden!" „Und ich," sprach Gilbrecht, „bin Bbttcherknecht und ein Lüneburger Kind."

„Daß du ein Böttcher bist, seh' ich," sagte der Torwart, ihm ins Gesicht

leuchtend, „aber ein Lüneburger Kind? — Das kann jeder sagen." „Aber nicht beweisen, Kaspar Rulle! Ich bin Gilbrecht, "der zweite Sohn des ehrsamen Böttchermeisters Gotthard Henneberg in der Roten Hahn-Straße."

„Was? dem Böttchermeister sein Junge, der Gilbrecht bist du? Zeig mal her? — Ja, die Nase ist's und weil du mich kennst, will ich's glauben." „Ihr laßt uns doch ohne Handwerkszeichen ein, nicht wahr? Für den

da sag' ich gut," bat Gilbrecht.

„Gut sagen!" brummte der Alte, „ich sage für keinen Menschen gut, geschweige denn für einen „Schusterknecht." „Na! na!" machte Timmo, „Schusterknechte —" „Haben das Maul zu halten! Sonst heißt es: Marsch! wieder raus!" schnauzte der Bärbeißige. Dann beleuchtete er auch Timmo mit der Lateme

und musterte ihn mit strenger Amtsmiene, dabei überlegend, ob er es wohl auf sich nehmen könne einen fremden Wanderburschen ohne Handwerks­ zeichen in die Stadt einzulassen. „Ich will mal ein Auge zudrücken wegen des Handwerkszeichens,

weil du ein Henneberg bist. Geht in Gottes Namen hinein mit eurem Sack und Pack und tut eure Pflicht und Schuldigkeit, sonst soll's euch nicht

gut gehen. — Vorwärts!" Nun leuchtete er den beiden durch das dicke Torgewölbe bis zur Wach­ stube an der Stadtseite, wünschte ihnen gute Herberge und ging hinein.

„Das fängt gut an," sagte Timmo, „sind sie hier alle so höflich?" „Kaspar Rulle ist der gutmütigste Mensch in ganz Lüneburg," entgegnete Gilbrecht.

„Na, dann freu ich mich auf die andem," lachte Timmo. Im letzten Dämmerschein des Tages schritten die beiden Gesellen

durch die Schlägertwiete, aber an der nächsten Ecke sprach Gilbrecht: „So, dies ist die Grapengießerstraße und die nächste ist die Altstadt, die gehst du hinab an ein, zwei, drei Querstraßen vorbei, dann kommst du zur Herberge

ser Schusterknechte; das Herbergsschild hängt groß genug in die Straße

hinein, kannst gar nicht fehlen, wenn du die Augen aufsperrst."

43. Wandcrbrauch.

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„Ein Hesse bin ich zwar, aber kein blinder," sagte Timmo, „will's also schon finden." „Nun denn viel Glück ins Feld!" sprach Gilbrecht, „laß dich umschauen, und wenn du Arbeit gefunden hast und eingeehrt wirst, so komm ich und

trinke mit und zu meiner Einfahrt kommst du auch."

„Soll ein Wort sein!" sagte der Schuster und schritt in die Gasse hinein. Gilbrecht wandte sich rechts und eilte dem Vaterhause zu. — Bald klopfte Timmo in der Herberge an die Stubentür, trat ein und

sagte: „Schönen guten Abend, Frau Mutter! Ist der Herr Vater nicht da?" Die er so begrüßte, war eine ältere, aber noch rührige Frau mit wundem, rotem Kopf und glühen Augen darin. „Der Herr Vater ist nicht zu sprechen," sagte sie, „er hat einen Hexenschuß im Kreuz und liegt zu Bette; aber die Herbergsmutter hat auch noch keinem ehrlichen Schusterknecht ein Bein

ausgerissen." „So wollt' ich euch ganz freundlich angesprochen haben, Frau Mutter," sagte Timmo, indem er sich mit geschlossenen Hacken vor sie hinstellte, den

Hut in der Hand und den Ranzen unter dem linken Arm, „von wegen des Handwerks, ob ihr mich und mein Bündel heute wollet beherbergen, mich auf der Bank und mein Bündel unter der Bank; ich will mich halten nach Handwerks Gebrauch und Gewohnheit, wie es einem ehrlichen Schuster­

knecht zukommt, mit keuschem Mund und reiner Hand."

„Sei willkommen wegen des Handwerks!" sagte die Alte, „lege dein

Bündel unter die Bank und deinen Filz auf dem Herrn Vater seinen Tisch; ich will den Altschaffer rufen lassen, daß er dich umschaut." Timmo tat, wie ihm geheißen war, und ruhte sich. Als aber der Altgesell kam, erhob er sich wieder, setzte den Hut auf, ging dem Eintretenden entgegen und legte seine linke Hand auf dessen rechte Schulter. gesell machte es ebenso und fing an:

Der Alt-

„Hilf Gott, Fremder! — Schuster?"

„Stück davon," antwortete Timmo.

„Wo streichst du her bei dem staubigen Wetter?" „Immer aus dem Land, das nicht mein ist." „Kommst du geschritten oder geritten?" „Ich komme geritten auf zwei Rappen aus eines guten Meisters Stall. Die Meisterin hat sie mir gesattelt, die Jungfer hat sie mir gezäumt und be­ schlagen hab ich sie mir selber."

„Worauf bist du ausgesandt?" „Auf ehrbare Beförderung, Zucht und Ehrbarkeit." „Was ist Zucht und Ehrbarkeit?"

„Handwerks Gebrauch Md Gewohnheit."

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V. Bom Aufstieg des Bürgertum-.

„Wann fängt selbige an?" „Sobald ich meine Lehrjahre ehrlich und treu ausgestanden." „Wann endigt selbige?" „Wenn mir der Tod das Herz abbricht." „Was trägst du unter deinem Hut?" „Eine hochlöbliche Weisheit." „Was trägst du unter deiner Zunge?" „Eine hochlöbliche Wahrheit." „Was frommt unserm Handwerk?" „Mes, was Gott weiß und ein Schustergeselle/

Nun nahmen sie beide den Hut ab, der Altschaffner reichte dem Fremden die Hand und sprach: „Sei willkommen wegen des Handwerks I Wie heißt du? Und was ist dein Begehr?" „Ich heiße Timotheus Schneck, bin aus Darmstadt gebürtig itnb wollte dich gebeten haben, du wollest mir Handwerksgewohnheit widerfahren lassen und mich umschauen, es steht heute oder morgen wieder zu verschulden, ist es nicht hier, so ist es anderswo."

„Ich hab's mein Tag noch keinem ehrlichen Gesellen abgeschlagen," sprach der Altschasfer, „will auch an dir nicht anfangen noch aufhören. Wie

steht's mit der Kundschaft?" „Geburtsbrief und Dankelbrief, alles in Ordnung." „Wo hast du deinen Lehrbraten verschenkt?" „In der guten Stadt Darmstadt. Da habe ich gesehen eine Stube mit vier Winkeln, einen Tisch mit vier Ecken und darauf eine offene Lade. Ich habe auch gesehen einen hochlöblichen Willkomm und Schenkkännel mit Bier, daraus habe ich gewunken einmal oder vier, hätte ich mehr getrunken, so würde es mein Schaden nicht gewesen sein."

„Du hast vielleicht mehr vergessen, als ich gelernt habe; aber wir wollen die Meistertafel ansehen, welcher Meister darauf geschrieben steht." „Bon mir wird er nicht viel lernen; das Land auf und nieder laufen, Kleider und Schuhe zerreißen, dem Herm Vater Bier oder Wein austrinken, einmal viel, ein andermal wenig, je nachdem es der Beutel vermag." Dmmo sprach die althergebrachten bescheidenen Worte durchaus nicht in bescheide­ nem Tone und mit demütigem Gesicht, sondem sein Auftreten und seine

Haltung ließen deutlich genug durchblicken, wie fest er von seiner eigenen Vortrefflichkeit überzeugt war. Der Altgesell beachtete das aber nicht oder war dergleichen schon gewöhnt; er schloß einen Schrein auf und brachte die Meistertafel. „Es hat sich nur einer darauf einschreiben lassen, daß er einen .knecht braucht," sagte er. „Daniel Spörken, ein ehrbarer Meister, aber cs hält

keiner lange bei ihm aus."

165

43. Wanderbrauch.

„Warum nicht?" frug Timmo. „Mit der Meisterin ist schwer auszukommen, sie ist manchmal wie vom Satan besessen." „Wenn's weiter nichts ist," lachte Timmo, „den treib ich ihr aus."

„Sieh dich vor, Bruder Darmstädter!" warnte der Altschaffer, „ich habe dir's gesagt; aber wenn du mit wohlbedachtem Mute, freiem Willen und guter Vemunft darauf bestehst, so will ich hingehen und dich bei ihm

umschauen. Laß dir unterdes die Zeit nicht lang werden bei einer Kanne Bier und wenn ich wieder komme, so sei bedeckt mit dem Hut und nicht

mit dem Tischblatt." „Ich bedanke mich freundlichst," sagte Timmo. Nun öffnete der Altschaffer die Tür und rief ins Nebengemach: „Frau

Mutter, der Fremde hat das Handwerk bewiesen, nun wollen wir ihm auch

Handwerksgerechtigkeit erweisen. Gebt ihm die Vorschenke, ich gehe ihn umschauen und komme bald wieder." Er nahm aus Timmos Hand die Kund­ schaft, warf einen Blick in die Briefe und sprach dann: „Also mit Verlaub, der Filz ist mein, verzieh einen Streich." Damit setzte er den Hut auf und ging. Die Herbergsmutter stellte eine Kanne Bier und einen zinnernen Becher auf den Tisch und sagte: „Wohl bekomms!" Timmo bedankte sich und nun begannen sie einen kleinen Schnack,

wobei sich Timmo nach allerlei Lüneburger Verhältnissen erkundigte. — So plauderten sie, bis der Altgeselle wieder kam und sprach: „Ich bin gegangen nach deinem Verlangen, nach meinem Vermögen, so weit das Handwerk redlich gewesen."

Meister Spörken läßt dir auf vierzehn Tage Arbeit zusagen. Mmm mit einem armen Meister vorlieb, weil ein reicher nicht da ist. Ich wünsche

viel Glück in die Werkstatt! Laß dir den.Tisch nicht zu schmal, die Stube nicht zu eng und der Fenster nicht zu wenige sein."

„Schönen Dank, Bruder Mtschaffer! Was hast du denn dem Meister gesagt?" „Ich habe gesagt: Meister, ich habe einen fremden Gesellen, er schläft gem lange, ißt gern früh Suppe, macht gern Nein Tagewerk, nimmt gern groß Wochenlohn; ich wünsche viel Glück zum fleißigen Gesellen."

„Das hast du gut gemacht," lachte Timmo. „Übrigens ist es hier Handwerksgebrauch," fuhr der Altgesell fort, „wenn

ein Fremder umschauen läßt und erhält Arbeit, so bezahlt er zwei Kannen Bier; erhält er keine Arbeit, so bekommt er ebensoviel zum Tore hinaus." „Frau Mutter!" rief Timmo schnell, „zwei Kannen Eimbecker!" (Aus „Der Sülfmeister" v. I. Wolff.

Grotescher Verlag, Berlin.)

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V. Bom Ausstieg deS Bürgertum-.

44. Die Wardierer. Meister Gotthard und seine beiden Gesellen, Arnold und Jakob, sowie Lutte, der Lehrjunge, und der freiwillig mitschaffende Gilbrecht wechselten während der Arbeit nur dann und wann ein paar Worte, bei denen aber keine Hand feiern durfte. Immerhin ging es bei der Böttcherei laut genug her, daß sie alle fünf nicht gleich bemerkten, wie sich die Haustür öffnete und zwei Männer eintraten, über das scharf gezeichnete, verbissene Gesicht des einen von ihnen, eines langen, hageren Mannes in den fünfziger Jahren, flog ein häßliches Frohlocken und fast auf der Schwelle noch wandte er sich halb zu seinem Begleiter und sagte leise: „Das ist gut! Er arbeitet mit drei Gesellen und einem Lehrjungen." Dann gingen sie auf den Meister

zu, der sie jetzt erblickte, sich von der Schneidebank erhob und ihnen entgegenhat. Auch die Gesellen stellten die Arbeit ein und der erste der Eingettetenen sprach: „Gott grüße euch, Gott weise euch, Gott lohne euch, ehrbarer, günstiger Meister, und euch, hübsche Gesellen! Wir kommen eure Gelegen­ heit zu besehen nach Handwerks Gebrauch und Gewohnheit." „Seid willkommen wegen des Handwerks!" sagte der Meister.

„Wir wissen wohl," nahm jetzt der zweite das Wort, „daß es bei dir nicht vonnöten ist, Henneberg, aber du weißt auch, daß wir es tun müssen mit eines hochedlen Rates Vollbord und Befehlich und nach des ehrbaren Amtes Ordnung." „Ich weiß," sagte der Meister, „tut eure Pflicht, ihr Herren! Ich hoffe, ihr sollt nichts Wandelbares finden. Zählt und meßt die Großheit und die Kleinigkeit und die Unwissenheit, wo ich gefehlt habe."

„Ei, lieber Meister, was redet ihr!" sagte der Lange wieder, „ihr, der Amtsmeister der ehrbaren Böttchergilde und aller Handwerker leuchtend Vorbild, solltet Wandelbares haben; das ist ja zum Lachen." Aber das Lachen kam nicht von Herzen und der Meister gab auch keine Antwort darauf, sondem schüttelte dem zweiten, einem kräftigen, untersetzten Manne, freundlich die Hand und sagte, als er dessen besorgten Blick erst auf Gilbrecht

und dann auf ihn selber sah, ruhig lächelnd: „Ist Gilbrecht, mein Zwetter, ist eben aus der Fremde gekommen und wirkt aus Langewelle und zu seinem Vergnügen heute hier ein wenig mit, ist aber nicht mein Knccht." Das Gesicht des anderen heiterte sich auf und die beiden Männer fingen nun an mit Visierrute und Kettenmaß ein paar Tonnen auszumessen und das Boden- und Stabholz sowie die Reifenbunde zu überzählen. — Es waren die Wardierer, welche die Pflicht hatten in bestimnten Zeitabschnitten und zwar unangemeldet und überraschend in den Berk­

stätten die Gelegenheit zu besehen und alle Handwerksarbeit gemu zu prüfen, zu wägen und zu messen, ob sie genau nach der strengen Hmd-

44. Die Markierer.

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Werksordnung von tadellosem Rohstoff, nach rechtem Maß und Gewicht

und in der vorgeschriebenen Art und Weise hergestellt und mit des Meisters

Hausmarke gezeichnet war. Sie mußten das Holz, das zu Wasser oder zu Wagen gekommen war, untersuchen, ob es trocken und nicht rissig, von der richtigen Art und von den geschworenen Holzwrackem auf dem Platz hinter

dem Kaufhause ausgewählt war. Und wie hier das Holz und die Tonnen, so wurde anderwärts das Gold und Silber, das Kupfer, Leder, Tuch, Kom

usw. und alle daraus gefertigte Arbeit geprüft in allen Werkstätten jeglichen

Gewerbes und bei jedem Meister ohne Ausnahme.

Wurde irgendwo ein

nicht ganz tadelloser Rohstoff oder eine wandelbare, fehlerhafte Arbeit ent­ deckt, so wurde der eine wie die andere sofort zerschlagen oder ohne Topf gekocht, d. h. verbrannt. Man ging dabei sehr streng zu Werke und die

Wardierer hatten kein angenehmes Geschäft. In der Regel besorgten es ein oder zwei von den vier geschworenen Alterleuten der betreffenden Hand­ werksgilde, die unter dem Amtsmeister standen, und daneben ein Abgeord­ neter des Rates, der ein Buch mit den darin enthaltenen Vorschriften mit sich führte, während die Älterleute die Maße und Gewichte hatten.

Hier war es der Altermann der Böttchergilde, Meister Ditmar Elvers, und als Abgeordneter des Rates ein gewisser Heinrich Sengstake, eben jener lange,

hagere Mann mit dem blassen Gesicht, ein Mensch von bedeutenden Fähig­ keiten und Kenntnissen, aber etwas zweifelhafter Vergangenheit. Er war früher Stadtschreiber gewesen, hatte sich aber ein Vergehen zuschulden

kommen lassen. Daß der Rat ihm trotzdem wieder eine Anstellung gegeben

hatte, legte man in der Bürgerschaft dahin aus, daß Heinrich Sengstake ein zu lluger und, in des Wortes dehnbarstem Sinne, sehr brauchbarer

Geselle war. Beliebt war er nirgends und galt allgemein für einen ge­ fährlichen Menschen voll Ehrgeiz und Habgier.

Das Geschäft der Wardierer war schnell beendet und die beiden Männer wollten wieder abgehen, als Meister Gotthard sagte: „Wollt ihr nicht ein­

treten, liebe Herren, und euch mit einer kleinen Verehrung zu Hilfe kommen lassen?"

Es war Brauch sich gegen die Älterleute mit einer Leinen Verehmng, einem Trunk oder leichten Imbiß gutwillig zu zeigen; sie lehnten es aber beide dankend ab und Altermann Elvers nahm die Tür in die Hand. Seng­

stake dagegen sagte zu Meister Gotthards großer Verwunderung: „Wenn's euch nicht ungelegen ist, lieber Meister Gotthard, so trete ich einen Augen­ blick bei euch ein um noch ein vertraulich Wörtlein mit euch zu reden."

Der Altermann ging weg und Meister Gotthard führte Sengstake in die Wohnstube. (Aus: „Der Sülfmeister" v. I. Wolff.

Grotescher Verlag, Berlin.)

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V. Bom Aufstieg des Bürgertum-.

45. Ein StädLegerichL. Twei suert let got in ertrike to beschermende de cristenheit.

Dem

pauese is gesät dat geistlike, deme keysere dat wertlike.

Zwei Schwerter ließ Gott auf Erden zu beschirmen die Christenheit. Dem Papste ist gesetzt das geistliche, dem Kaiser das weltliche. So beginnt der Sachsenspiegel, das älteste deutsche Rechtsbuch, das

von dem anhaltischen Ritter Eike von Repkow im ersten Drittel des 13. Jahr­ hunderts auf der Burg Falkenstein im Harzwalde niedergeschrieben, bald in Deutschland und über dessen Grenzen hinaus bis in die Niederlande und bis nach Polen und Livland Geltung erlangte und in den thüringischen, anhaltischen, holsteinischen und einigen anderen deutschen Gauen, wie aud) in Lüneburg, sechshundertundfünfzig Jahre lang Geltung behalten sollte.

Die Stadt Lüneburg besaß von diesem Buche eine sehr kostbare Per­ gament-Handschrift. Es war ein mächtiger Foliant mit reichen, schweren Silberbeschlägen auf Vorder- und Rückseite des starken Einbandes. Die großgeformte Schrift zeigte in ihrer Gleichmäßigkeit von der ersten bis zur letzten Zeile die Vollendung der mittelalterlichen Schreibkunst. Der köstlichste Schmuck des Buches waren aber die wunderprächtigen Malereien, die mit dem edelsten Geschmack, dem feinfühligsten Farbensinn und einer un­ erschöpflichen Erfindungsgabe auf allen seinen Blättem, von denen keines dem andern gleich war, in höchster Sorgfalt, Sauberkeit und Schönheit ausgeführt waren als liebliche Randverzierungen, als ranken- und blumenreiche, mit Tiergestalten belebte Erweiterungen und Umkränzungen der gold­ durchwobenen Anfangsbuchstaben, die mit ihrem bunten Zierat bei den Kapitelanfängen die halbe Seite bedeckten, und endlich als große, den

ganzen Raum einnehmende Bilder mit Darstellungen aus Geschichte und Legende. Dieses Buch lag heute aufgeschlagen in der Gerichtslaube des Rat­ hauses zu Lüneburg auf einem Tische, hinter welchem auf hohem Stuhle der Schultheiß Herr Gregorius von Elebek saß um mit dem weltlichen Schwerte des Kaisers Gericht zu halten nach altem Sachsenrecht. Es war aufgeschlagen beim vierzehnten Kapitel des zweiten Buches, wo geschrieben steht:

Alle mordere unde alle de den ploch . malen . kerken oder kerkhof rouet. uoredere . mordbrennere . oder de ere bodescap weruet to ereme uromen . de scal men alle radebraken.

Alle Mörder und alle, die den Pflug, Mühlen, Kirchen oder Kirchhöfe berauben, Verräter, Mordbrenner oder die zu ihrem Frommen deren Auftrag vollziehen, die soll man alle radebrechen.

45. Ein Städtcgericht.

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Auf einer Bank zur Rechten des Schultheißen saßen die Schöffen und auf der anderen Seite die Ratsherren, soweit sie nicht als Zeugen auf­ zutreten berufen waren. Der letzteren waren eine ziemliche Anzahl; unter ihnen Heinrich Viskule, Nikolaus Stoketo, Gotthard Henneberg mit seinen Söhnen und Jakob Diepold und andere Werkmeister.

Außerdem waren

viele Geschlechterherren und sämtliche Amtsmeister zugegen, im ganzen weit über hundert Männer, die mit tiefernsten Gesichtem dem Anfang des Ge­ richts entgegensahen. In die große Halle schien durch hohe, herrlich gemalte Bogenfenster mit Wappenschildern und lebensgroßen Figuren von Rittem, Helden und

Heiligen die helle Morgensonne hinein und warf bunte Lichter auf die ge­ musterten Fliesen des Fußbodens. Auch die Wände ringsum und die ge­ wölbte Decke waren über und über in glühenden Farben mit Darstellungen geschichtlicher Vorgänge, mit Laub- und Blumengewinden, mit Bildnissen und allerlei Schmuckwerk gar kunstreich und sinnvoll bemalt. Diese wunderbar schöne Laube war die Stätte für das Richten über Haut und Haar und über Hals und Hand. Die Stunde war gekommen, die rechte Zeit, gerechtes Ding zu hegen. Es war hoch am Tage, die aNsehende Sonne schien, der Stuhl war besetzt, die Bank gespannt. Der Richter bedeckte das Haupt, zog mit der behandschuhten Rechten sein Schwert aus der Scheide und legte es quer über den offenen Sachsen­ spiegel. Dann gebot er Frieden bei dem Halse und verbot Dingflucht und

Unlust. Auf seinen Wink führte der Fronbote die von reisigen Knechten be­

wachten Gefangenen und die übrigen Angeklagten herein. Dalenborg, Schupper, Niebuhr und der Schließer des neuen Turmes kamen bleich und schlottemden Ganges daher; sie fühlten, wie aller Augen auf sie gerichtet waren und wagten kaum die ihrigen zu erheben um einen

scheuen Blick auf Schultheiß und Schöffen zu werfen. Nach ihnen erschienen die fünf Sülfmeister und die fünf Amtsmeister, die unter Dalenborg im Rate gesessen hatten. Diese zehn schienen furchtlos und mhig zu sein; denn sie waren sich keiner Schuld bewußt, als daß sie sich von Dalenborg und

seinen Spießgesellen hatten beiseite schieben lassen statt ihren tätigen An­ teil am Regiment zu verlangen und durch Wachsamkeit und Rechtschaffen­ heit Verrat, Betrug und Mord zu verhüten. Den Schluß der Armensünder­ reihe machte Timmo, der sich wegen der Unterstützung von Sengstakes Flucht zu verantworten hatte. Der Schultheiß stabte den Zeugen den Eid und sie schwuren mit aus­ gereckten Fingem zu Gott und den Heiligen auf den Gerichtsspruch Zeugnis Md die rechte Wahrheit zu sagen, soviel einem jeden wissentlich wäre,

170

V. Bom Ausstieg bei Bürgertums

niemandem zuliebe oder zuleide, noch um Gift, Gabe, Gunst, Haß, Neid oder einige andere Sachen, die Zeugnis der Wahrheit hindern mögen; auch daß sie weder mit Pflicht noch täglichem Beiwesen und Gemeinschaft den

Angeklagten verwandt wären. Dann trat der Fronbote an die Schranke und erhob die Klage, die gegen die verschieden davon Betroffenen auf Mord, Verrat an der Stadt, Vernachlässigung des Amtes und Vorschubleistung eines Borflüchtigen

lautete. Die Hauptschuldigen suchten vieles auf Sengstake zu schieben, der dingflüchtig geworden war und schon vor einem höheren Richter stand.

Aber sie wurden übersiebenet und konnten ihren Hals nicht auslösen; ihre Taten waren handhaft, Zeugen und Beweise vollkräftig und unwider­

legbar. Der Hungertod Springintguts war auf Befehl Dalenborgs, Schuppers und Sengstakes über den Unglücklichen verhängt und der Schließer hatte den grauenvollen Auftrag ausgeführt und war dadurch selber zum Mörder geworden. Stephan Bartels und die anderen Mauermeister bezeugten, wie sie den Toten im Kerker gefunden und was ihnen der Schließer darüber ge­ standen hatte.

Gotthard Henneberg erzählte nun, unterstützt vom Bürgermeister Viskule, seinen eigenen Söhnen sowie Jakob und Dippold, wie er hinter­ listig in den blauen Turm gelockt und dort verräterisch überfallen worden

sei und wie sie dann Dalenborg überwältigt und eingesperrt hätten. Die schriftlichen Belege für die Verhandlungen, mit denen Dalenborg und Schupper hohe Rechte und Freiheiten der Stadt verschleudern und ver­ schachern wollten, und wie sie sich aus dem Vermögen der Stadt diebisch

bereichert hatten, lagen klar und offen dort auf dem Tische. Niebuhrs Teilnahme daran war nur eine geringe, aber ganz zu reinigen vermochte er sich nicht. Die zehn Sülfmeister und Amtsmeister wußten von all den Schandtaten

nichts, trugen aber doch als ehemalige Ratmannen die Verantwortung für den der Stadt zugefügten Schaden und hatten außerdem die Beschämung sich als willenlose Werkzeuge ihrer Gewalthaber tadeln und schelten lassen zu müssen. Die Klage gegen Timmo hob der Richter auf, weil Sengstakes

Flucht nicht geglückt war und weil Timmo so ehrlich gewesen war das von jenem geraubte Silberzeug zurückzubringen.

Damit schloß die Verhandlung und der Schultheiß hatte nun die Bank um das Urteil zu fragen. Er wandte sich zu den Schöffen und sprach:

„Stehend schilt man Urteil, sitzend findet man Urteil unter Königsbann, jeder auf seinem Stuhle. Schöffen, findet das Urteil nach euren Sinnen,

46. Ein Turnier der Zünfte.

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so ihr es am besten wißt; ihr leidet darum keine Not, sei es gleich Unrecht.

Schöffen auf der Bank, ich frage euch um euer Urteil!" Nach kurzer, flüsternder Beratung sprachen die Schöffen auf sämtliche Klagen ein einstimmiges Schuldig. Da erhob sich der Schultheiß von seinem Sitze, entblößte das Haupt

und tat seinen Spruch. Er verdammte Dalenborg, Schupper und den Schließer zum Tode durch das Rad. Niebuhr wurde an Leib und Gut fried­

los gelegt und auf ewige Zeiten aus der Stadt und dem Herzogtum Lüne­

burg verbannt. Die übrigen zehn wurden zu einer bürgerlichen Buße von mäßigem Betrage verurteilt, mit jeder anderen Strafe jedoch verschont und von ihrem Einlager erlöst. Sie waren von Stund an frei, während die drei dem Tode Verfallenen gebrochenen Mutes in ihre Kerker zurückgeführt wurden. Jetzt tat Herr Gregorius von Elebek, ehe er das Gericht aufhob, die

übliche Umfrage. Er sprach: „Gerechtes Gericht ist gehegt und gehalten, Klage geführet, Urteil gefunden, Spruch gefället. Ich steige: Hat noch einer vor Stuhl und Bank, vor Schrann' und Schrank' etwas zu sagen, zu fragen, zu klagen? Ich ftage zum anderen Male. — Ich ftage zum dritten Male." —

Alle schwiegen. Der Schultheiß griff nach seinem Schwerte und steckte

es in die Scheide. (Aus: „Der Sülfmeister" v. I. Wolff.

Grotescher Verlag, Berlin.)

46. Ein Turnier der Zünfte. . Die Schlacht von Wagram war geschlagen. Im ehrwürdigen alten Münster zu Ulm wurde dem Höchsten für das Glück gedankt, das er in seiner unerforschlichen Gnade wiederum den Waffen des großen Kaisers zuge­ wendet habe. Am 28. Oktober, zwei Wochen nach dem Friedensschluß von Wien, toutbe derselbe mit Trompeten- und Paukenschall auf dem Münsterplatz

vor dem Rathaus und auf dem Weinhof verkündigt und am folgenden Tag abends zehn Uhr durfte man Napoleon selbst mit Glockengeläute und Kanonendonner in Ulm empfangen.

Die Herbei- und Frauengasse

warm festlich beleuchtet, Rat Schwarzmanns Haus strahlte heller als alle anderen, während das Baldingersche kein Licht zeigte. Der wackere, sonst so festlustige Staatsrat hatte sich selbst vierundzwanzig Stunden Stuben­

arrest gegeben, auf die Gefahr hin, arretiert und füsiliert zu werden. Aller­ dings konnte er es nicht verhindern, daß sein schönes Töchterlein eifrig an den Festlichkeiten teilnahm, die die Stadt veranstalten zu müssen glaubte.

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V. Vom Aufstieg deS Bürgertum-.

Von besonderem Eifer zeigte sich der Rat Schwarzmann, der schon

vor vierzehn Tagen — so lange hatte man die Durchfahrt Seiner Majestät erwartet — bei der Polizeidirektion um die Erlaubnis nachgesucht hatte, zu Ehren der Friedensfeier und der Anwesenheit des Kaisers ein Fischer­

stechen abhalten zu dürfen.

Als der kgl. Generalkommissar Baron von

Gravenreuth, bei dem der Kaiser Quartier genommen, Seine Majestät

von diesem Vorhaben in Kenntnis setzte und die Bitte wagte, Allerhöchstdieselben möchten die Abreise um sechs Stunden zu verschieben geruhen, um dieses altertümliche und kuriose Tumier der ehrsamen Schifferzunft anzusehen, lehnte die Majestät es zwar ab, Höchstihre Reisepläne zu ändern, soll aber trotzdem laut gelacht haben, was allseitig als ein Zeichen hoher

Gnade den besten Eindruck machte. — Es waren böse Zeiten!

Ihr Fischerstechen ließen sich jedoch die Ulmer nicht nehmen. Die alten Anzüge, in denen teilweise Väter und Großväter gestochen hatten, wurden hervorgesucht, ausgebessert und aufgebügelt, Kähne hergerichtet und geschmückt. Die Weißfischer hielten Ruder- und Sangproben ab. Am Fuß der geschleiften Bastion Lauseck wurde eine Tribüne errichtet und der Hügel mit Bänken bedeckt; oberhalb des Kampfplatzes ließ der Magistrat eine Schiffbrücke über die Donau schlagen. Die untere Grenze wurde durch ein über den Fluß gespanntes Seil bezeichnet, an dem nach uraltem Brauch ungefähr in der Mitte des Stromes drei Gänse an den

Füßen aufgehängt waren, die eine wesentliche, allerdings peinliche Rolle bei der Festlichkeit zu spielen hatten.

Kaum war gegen zehn Uhr morgens das Glockengeläute und der Kanonendonner verstummt, die dem abfahrenden Kaiser das Geleite gegeben hatten, so begannen sich die Schiffer und Weißfischer mit ihren „Kirchweih­ jungfern" in der Zunftherberge, der „Sonne" am Herbeltor, zu versammeln und die Feier mit einem kräftigen Trunk und Imbiß zu eröffnen. Während­ dessen ging der „Kollektionszug" durch die Stadt. Er bestand aus zwei Trommlem und einer Anzahl verlleideter Fischerknechte, Bauer und Bäuerin,

„Narren" und Mohren darstellend, die den „Haupt- und Festspeer" um­ gaben und die anschwellende Volksmenge mit derben Witzen und tollen Sprüngen unterhielten, in Brunnen hüpfend, Mädchen küssend, ehrbare Bürger mit Pritschen daran erinnernd, daß es Zeit sei in die Tasche zu greifen und die tapferen Schiffer mit einer Ehrengabe zu bedenken. Der

Hauptzweck des Umzugs war an jedem wohlhabenden Hause zu klopfen

und in nicht allzu höflicher Form um Beiträge für das Stechen zu bitten. Münzen, Würste, Eßwaren aller Art, Gegenstände der scheinbar ungeeig­ netsten Gattung: eine Trompete, ein Becher, ein Regenschirm, ein Paar Strümpfe wurden mit Dank angenommen und unter dem Jubel der

Gassenjungen an dem Hauptspeer aufgehängt, der zu diesem Zweck mit

46. Ein Turnier der Zünfte.

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Querstäben versehen ist. Was nicht aufgehängt werden konnte, blieb nicht

zurück. Um zwei Uhr hatte das Einsammeln der Festgaben ein Ende.

Bor

der „Sonne" ordnete sich der Festzug, voran Trommler und Musikanten, denen sich die Kirchweihjungfern anschlossen, festlich gekleidete Schiffer­ und Fischermädchen, jede mit einer Zitrone in der Hand. Diesen folgten die Narren mit Masken in toller Kamevalslaune, den reichbeladenen Hauptspeer tragend. Den Schluß bildeten in ernster, würdiger Haltung, durchaus in Weiß gekleidet, mit federgeschmückten hohen Filzhüten die Weißfische!, voran die mit Speeren bewaffneten, hinter ihnen andre,

Ruder schulternd. Am Donauufer angelangt, fand der Zug den Festplatz bereits überfüllt. Kopf an Kopf bedeckte die Menge den jäh ansteigenden Hügel der alten

Bastei, Mann an Mann die gefährlich schwankende Schiffbrücke. Ganz Ulm hatte sich hier zusammengedrängt. Das jenseitige, flachere Ufer säumten die aus der Umgegend herbeigeströmten Landleute des früheren Ulmer Gebiets, die sich seit einer Stunde an dem Geflatter und Geschnatter der

aufgehängten Gänse erfreuten, welche bewiesen, daß das Stechen wieder einmal in alter Pracht und Herrlichkeit vor sich gehen sollte. Auch auf der Festtribüne wurde der Zug schon seit einiger Zeit erwartet. Dort hatten sich die Spitzen der Gesellschaft, die höheren Beamten des Staates und der Stadt und sämtliche Offiziere der Gamison versammelt, zwischen denen sich die Zunftmeister in ihren schwarzen Sonntagsröcken etwas unbehaglich bewegten. Auch an schönen Frauen fehlte es nicht. In der Mitte saß die Schönste der Stadt, Lucinde von Baldinger, rechts und links von ihr die beiden Töchter des Obermeisters der Schifferzunft; dieser stand in seiner drei­ fachen Würde als Rat, Zunftmeister und Festleiter auf der linken Ecke der Tribüne, von wo aus er mit schallender Stimme seine Befehle erteilte. Am Fuß dieses Aufbaues lagen Kahn an Kahn, die, nachdem die Ordnung der Kämpfer durch das Los bestimmt worden war, von den Weißfischern bemannt wurden. Nun konnte das Stechen beginnen. Auf ein Trompetensignal stießen gleichzeitig zwei Boote von den beiden Ufern ab, jedes von drei Weißfischern

mit aller Kraft gerudert. Am Hinterteil des Nachens, auf einem etwas erhöhten schmalen Brett, steht der Kämpfer mit aufgerichtetem Speer. Die Waffe ist eine lange Stange, deren Spitze ein rundes Brettchen bildet, während ein Querholz am unteren Ende dazu dient sie fest gegen die Brust zu stemmen. Wenige Sekunden vor der Begegnung der Kähne, die so nah als möglich aneinander vorbeizufahren suchen, legen die Kämpfer

ihre Lanzen ein und stoßen möglichst mitten auf die Brust des Gegners. Einer derselben stürzt fast unfehlbar rücklings oder seitlings in den Strom,

174

V. Vom Ausstieg deS Bürgertums.

manchmal tun dies beide, während die Nachen aneinander vorbeischießen

und sich dann wenden um den verloren gegangenen Wasserhelden wieder aufzufischen.

Hat sich derselbe nach Ansicht der Ruderer schlecht gehalten,

so wird er von diesen, während sie ihn über den Rand des Bootes ziehen,

zum Entzücken der Zuschauer in väterlicher Weise bestraft.

Die trocken­

gebliebenen Sieger, kurzweg die Trockenen genannt, erhielten die am

Hauptspeer aufgehängten Preise. Mes war jetzt bereit und wartete in ruhiger Spannung auf den ersten Gang. Die Damen, der kgl. Generalkommissar, der Bürgermeister und

etliche Generale nahmen Platz. Fräulein von Baldinger, die Festkönigin, erhob sich strahlend vor Vergnügen und stützte sich wie eine WaMre auf ihren goldenen Speer. Schwarzmann winkte mit einer kleinen roten Flagge, die Musikanten bliesen eine lustige Fanfare und die beiden Trommler schlugen auf ihren riesenhaften Kübeln einen langgedehnten, schwellenden Wirbel, während gleichzeitig von beiden Ufem die ersten zwei Boote abstießen.

Die lebhafte Strömung riß sie rasch stromabwärts und es gehörte keine kleine

Geschicklichkeit dazu sie in richtiger Entfernung aneinander vorbeizurudern; doch die drei Weißfischer im Nachen verstanden ihren Fluß und ihre Auf­ gabe. Auf dem Hinterteil des einen Kahns stand ein Bauer in altschwäbischer Tracht, auf dem andem eine Bäuerin. Noch zehn Schritte voneinander ent­

fernt senkten sie die Speere, die Bäuerin mit allen Zeichen der Entschlossen­ heit, der Bauer zaghaft, wie nach Hilfe umschauend. In diesem Augenblick hörte das Wirbeln der Trommeln auf, im nächsten erreichten beide Stangen

ihr Ziel. Die Bäuerin schwankte, in Gefahr vorwärts zu stürzen, faßte sich aber wieder, indem sie blitzschnell ihren Speer als Stütze aufsetzte. Der

Bauer bog sich rückwärts, versuchte, den Speer wegwerfend, sich aufzu­ richten, trat fehl, stürzte kopfüber ins Wasser und trieb, wild um sich schlagend,

flußabwärts. Unter brausendem Jubel wurde der Mann in der.Nähe des Seils, an dem die Gänse hingen, erreicht, an Bord gezogen und unter schallendem Gelächter von seinen Rüderem verhauen, während die Bäuerin,

sich stolz auf den Speer stützend, unter der Tribüne landete und vor dem Zunftmeister und der Festkönigin knickste.

Lucinde band von dem neben

ihr stehenden reichbeladenen Hauptspeer ein Paar rote Strümpfe ab

und überreichte sie der Siegerin, die sie mit züchtigem Erröten und nach

allen Seiten dankend unter den wohlgepanzerten Brustlatz schob. Daß die Bäuerin im Privatleben ein junger, kräftiger Schiffer gewesen, blieb den. Kirchweihjungfem kein Geheimnis. Aber schon stießen die nächsten Kähne vom Land, indem sie zwei

pechschwarze Mohren in den Kampf führten.

Beim ersten Gang fuhren

sie aneinander vorüber ohne sich zu treffen, beim zweiten fielen beide ins

Wasser, aus dem sie als über die Maßen schmutzige Weiße herausgefischt

46. Tin Turnier der Zünfte.

175

wurden. In rascher Folge spielte sich die Fortsetzung des feuchten Turniers ab, immer aufs neue stürmische Salven von Gelächter entfesselnd. Den Mohren folgten zwei Türken unter riesigen Turbanen, die der reißende Strom entführte, so daß sie erst bei Günzburg an einem überhängenden

Gebüsch gerettet werden konnten. Dann kamen zwei Tiroler, die lebhaft beklatscht wurden. Diesen folgten ein Herr und eine Dame der kaum dahin­ gegangenen Zopfzeit. Beide schrien gleichzeitig jämmerlich um Hilfe, wobei namentlich die Dame in dem sie rettenden Reifrock stürmische Heiter­ keit erregte. Auf die Tragödie, die ein schwäbischer Straßenräuber und ein italienischer Bandit aufführten, folgte wieder eine Glanznummer: der Ulmer Spatz, mit einem gelben Speer bewaffnet, der seinen Strohhalm vorstellen

sollte, bekämpfte den Münsterstorch, welcher, ehe er zum Kampf schreiten konnte, ein kleines Wickelkind weglegen mußte. Natürlich siegte der leicht­ fertige Spatz und krähte wie ein Hahn über den besiegten Familienvogel. Den Schluß der Maskerade bildete ein Paar, das sichtlich ernster genommen werden wollte: zwei Ritter mit geschlossenem Visier, der eine in weißer, der andre in schwarzer Rüstung. Auch die Ruderer schienen von besonderem Schlag; die Nachen flogen wie Pfeile gegeneinander. Beim ersten Gang streiften sich die Kämpfer nur leicht und es fehlte wenig, so wäre der weiße Ritter vornüber ins eigene Boot gestürzt; auch beim zweiten glitten die Speere von den Blechpanzern ab. Beide schwankten und machten wunderliche Bewegungen um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, keiner aber fiel über Bord. Erst beim dritten Gang stürzte der schwarze Ritter wohlgetroffen nach rückwärts und wurde ohne die übliche Bestrafung triefend und traurig nach dem jenseitigen Ufer gefahren, während der andere jetzt mit offenem Visier vor Lucinde trat, die ihm mit ihrem berückenden Lächeln einen niedlichen Zinnbecher überreichte. Es war Hans Schwarzmann, der seine Ritterrüstung mit wirllichem Anstand zu tragen wußte. Bisher war das Ganze nur Scherz und Spiel gewesen. Jetzt erst wurde die Sache ernster und das Stechen unter den unmaskierten Weißfischern nahm seinen Anfang. Hierbei zeigte sich wirlliche Kraft und Geschicklichkeit, aber auch in nicht zweideutiger Weise die germanische Kampflust der alten

Zünftler. Die Ruderer wetteiferten miteinander die Boote über den Fluß zu jagen, die Speere prallten hart auf die knochige Bmst der Gegner. Die Bemühung sich selbst nach dem erfolgreichsten Stoß im Gleichgewicht zu erhalten oder wenigstens nicht über Bord zu stürzen, führte zu den wunderlichsten Verrenkungen und Sprüngen und die Wut der Besiegten,

der höhnende Stolz der Sieger trat unverhohlen zutage. Auch die Zu­ schauer nahmen jetzt ernsthafte Partei für den einen oder andem. Die Sieger

in den einzelnen Gängen erhielten keine Preise mehr; es gab nur noch einen zu gewinnen, der dem Besten von allen zufallen sollte: der goldene Speer.

176

V. Vom Aufstieg des Bürgertum».

Nicht ganz den Regeln entsprechend — aber es war ja ein Schwarz­

mann und des Zunftmeisters Sohn, um den es sich handelte, — wurde dem weißen Ritter gestattet auch an dem Kampf der unmaskierten Weißfischer teilzunehmen, und in der Tat, er stellte seinen Mann. Lucinde lächelte

ihr lieblichstes Lächeln und winkte ihm vor aller Augen mit dem Taschentuch, als er nur noch einem unbesiegten Gegner, dem jungen Molfenter, gegen­ überstand. Da kam ein völlig unerwartetes Zwischenspiel. Ein untersetzter

Bauer, vielleicht ein als Bauer gelleideter Fischer, der dazu noch gebückt ging und hinkte, Kat vor die Tribüne und bat mitstechen zu dürfen. Mes

lachte und jubelte dem Bäuerlein zu. Der Zunftmeister wollte den frechen Kerl derb zurechtweisen, allein auch Herr von Gravenreuth schien Spaß an der Sache zu finden. Der Bauer sagte in echtem Günzburger Deutsch, er komme aus dem befreundeten Nachbarstädtchen und habe jetzt genug zugesehen. Er vermeine auch stechen zu können, man möge ihm den Spaß

vergönnen.

Stürmisch verlangte die jauchzende Menge, die den Hügel

bedeckte, daß man der Bitte willfahren möge, und da selbst der Herr General­ landeskommissar der Ansicht war, daß es dem Bäuerlein nur gut tun könne ein paar Ulmer Rippenstöße nach Günzburg zu bringen, mußte endlich auch der Zunftmeister ja sagen, und das Bäuerlein bestieg mit allen Zeichen

der Ungeschicklichkeit — oder war es betrunken? — einen Nachen. Das war zum Schluß endlich einmal ein richtiger Bauer, meinten die Stadtherren mit großer Befriedigung.

Tatsache war, daß der endgültige Sieg nur noch zwischen zweien,

dem jungen Molfenter und Hans, auszufechten war. Es wurde beschlossen zuerst den Spaß mit dem Bäuerlein abzumachen: der Weißfischer sollte ihn kurzerhand in die Donau werfen. Sie gingen unter dem üblichen Trom­ melwirbel gegeneinander los. Noch immer schien der Bauer kaum zu

wissen, wie man den Speer, den man ihm gegeben hatte, handhabt; aber als sie noch eine Bootlänge voneinander waren, richtete er sich plötzlich auf und legte sich etwas vor, nicht zu viel und nicht zu wenig, der geschickteste Weißfischer hätte es nicht richtiger machen können. Der Speer kaf den sorg­ losen Gegner auf die linke Brust, drehte ihn halb um und im nächsten Augen­

blick plätscherte er fluchend im Wasser umher, während das Bäuerlein, das den Speer verkehrt wie eine Dunggabel über die Schulter gelegt hatte,

nach dem Ufer fuhr. Zuerst trat ein allgemeines Schweigen ein; das Erstaunen war allzu groß gewesen.

Dann jubelte, schrie und schimpfte alles durcheinander.

„Schwindel! Wer ist der Günzburger? Der Molfenter, der beste Stecher, im Wasser! Hexerei!" fragte, murrte und rief es von allen Seiten, während der bäuerliche Sieger vor der Tribüne seinen Dreispitz zog und drei possier­

liche Kratzfüße machte.

46. Etn Turnirr der Zünfte.

177

So konnte die Sache nicht enden. Der Stolz der Ulmer regte sich und Hans, ein verächtliches Lächeln auf den Lippen, winkte dem Eindring­ ling. Der Bauer schnitt ein dummpfiffiges Gesicht, schien aber den Herm Ritter wohl zu verstehen. Er wurde unter erneutem Gelächter an das andere Ufer gebracht und stellte sich dort mit allen Anzeichen der Furcht wieder auf das Hinterteil seines Kahns. Die Fanfare und der Trommelwirbel setzten ein, die Boote fuhren ab. Aber die Ruderer des Bäuerleins, denen ba5 Spiel keineswegs behagte, führten das Boot so ungeschickt, daß Hans an seinem Gegner vorbeischoß ohne ihn treffen zu können, und da er sich in der Erwartung eines kräftigen Gegenstoßes etwas zu weit vorgelehnt hatte, in sein Boot stürzte und in die Knie sank. Wütend sprang er auf, während der Bauer seinen Hut zog und demütig um Verzeihung zu bitten schien. Vom Hügel schallte ein wunderliches Gemisch von Murren, Klatschen und Lachen, doch fühlte man förmlich die Spannung, die jetzt die ganze Masse der Zuschauer ergriffen hatte. Die Boote wendeten und machten sich zum zweiten Gang fertig. Wieder erklangen Trompetenstoß und Trommelwirbel. Jetzt richtete sich der Bauer in seiner ganzen Größe auf. Alles sah staunend, wie der kleine Mann plötzlich gewachsen war. Die Kämpfer trafen sich diesmal mitten auf die Brust. Beide wankten. Hans' Spieß zerbrach krachend, die Stücke schnellten in die Luft. Er wäre wieder nach dom in sein Boot gefallen, wenn es nicht durch eine ungeschickte Be­ wegung der Ruderer heftig geschwankt hätte. Vielleicht war er auch ab­ sichtlich um dem gefährlichen Fall zu entgehen über Bord gesprungen. Der junge Schwarzmann war weder in der Stadt noch bei seinen Zunft­

genossen beliebt; sonst wäre der Jubel und das Klatschen, das den Sieg des Bauem begrüßte, nicht denkbar gewesen. Dieser sprang jetzt ans Land und hatte alles Bäurische in seinem Auftreten verloren. Ein stattlicher, fast schöner Kerl ttotz seiner Bauernttacht, trat er vor Lucinde, die ihm mit ihrem holdesten Lächeln den goldenen Spieß übergab. Auch jetzt war noch nicht alles zu Ende, obgleich ein Teil der Zuschauer, fast alle auf der Tribüne, ihre Plätze verließen. Was den Schluß des Festes bildete, war einer jener Volksbräuche aus der „guten alten Zeit", deren Roheit dem milderen Geschmack der Gegen­ wart nicht mehr ganz entsprach. Das Spiel bestand darin, daß sämtliche Nachen unter den aufgehängten Gänsen durchfuhren; der Narr oder Mohr oder Weißfischer, der wie beim Stechen auf dem Hinterteil des Bootes stand, versuchte den Kopf einer der Gänse zu erfassen und festzuhalten.

Gelang ihm dies, so fuhr ihm der Nachen unter den Füßen weg, so daß er, den Gänsekopf in der Hand, über dem Wasser hing. Vermochte er den Kopf rbzureißen, so fiel er in den Fluß und schwamm mit seiner Mutigen Trophäe ans Ufer, ging dies nicht, so verlor er nach wenigen Minuten anzlng«r«Hau»mann, Aus Deutschlands Vergangenheit.

12

V. Bom Aufstieg des Bürgertum-.

178

seinen Halt und kam beschämt und ohne Kopf ans Land. Die Gänse aber wurden schließlich dem übergeben, der den dazugehörigen Kopf vorwies.

Kein Wunder, daß sich die Damen der besseren Gesellschaft vor dieser Schlußfeierlichkeit entfernten. Ältere Bewohner der unteren Stadt be­

haupteten allerdings, daß sich auch die Gänse auf das Fest freuten; gegessen würden sie ja doch. (AuS: „Der Schneider v. Ulm" v. M. Eyth.

Deutsche BerlagSanstalt, Stuttgart.)

47. Ständekampf. Es dunkelte bereits, als die Führer der Zünfte einer nach dem andern in das Haus des Buntmachers Arnold von Söst traten. Das Zimmer, in

dem sie beraten wollten, lag nach dem Hofe zu und keines Spähers Auge vermochte hineinzublicken. Die Männer setzten sich um den Eichentisch und dann begann Hinrich

Paternostermacher die Forderungen der Handwerker gegenüber dem Rat in leidenschaftlichen Worten zu stellen.

„Wir dürfen diesmal nicht nachgeben oder uns durch bloße Worte ab­ speisen lassen. Wir wollen unser gutes Recht bis zum äußersten verfechten, wenn es sein muß, mit dem Schwert in der Hand."

Gödeke Wittenborg sprang auf: „Das geht auf uns, Meister Hinrich, auf uns Knochenhauer.

Seid

dessen versichert, diesmal halten wir es durch. Ich bürge für alle Knochen­ hauer der Stadt."

„Und ich desgleichen für alle Bäcker," rief HanS Kalefeld. „Wie ich es hier für die Lohgerber tue."

Arnold von Söst aber unterbrach die erregten Männer: „Hört mich an! Ich darf wohl ein Wort des Friedens sagen; denn ich bin der Älteste unter uns. Und wieder mahne ich euch: denket an das

Wohl der Stadt!" „Das tun wir auch und dämm fordem wir unser Recht!" „Wir wollen endlich unser Recht!"

Der Paternostermacher sprang vor ihn hin:

„Immer redet Ihr von Dulden und Frieden! Mr haben lange genug geduldet und ich habe lange genug Frieden gehalten. Durch all die Jahre

hindurch habe ich's in mir getragen. Nun kann ich es nicht länger in mir bewahren. Sollen wir es so weit kommen lassen, daß man uns den Mund mit Schrauben und Zangen verschließt und uns das Herz aus der Bmst

peinigt? Nein, ich will nicht warten. Lange genug schreit alles in mir nach Rache.

Jetzt haben wir mehr denn je einen guten Grund zum Beginnen

und dämm dürfen wir nicht warten."

179

47. Ständekampf.

„So ist's recht! Wir wollen heraus aus dem Joch! Zu lange haben wir

schon gezaudert, als wären wir feige!" Eine wilde Erregung war über die Männer gekommen.

Die meisten

sprangen von ihren Sitzen auf, fuchtelten mit den Armen in der Luft, riefen Md redeten durcheinander und drängten gegen den alten Arnold von Söst vor, als sähen sie in ihm einen Feind ihrer Sache. Die meisten von ihnen waren sich über das, was sie forderten oder augenblicklich wollten, im unklaren;

aber die wilde, hinreißende Begeisterung des Paternostermachers, sein glühender Haß hatte sie blind und taub gemacht. Frei wollten sie sein auf jeden Fall. Losmachen wollten sie sich von der immer drückender werdenden Herrschaft des Rats. Frei wollten sie sein in ihren Ämtem und Innungen,

in allen Dingen, die ihr Handwerk berührten, sich selber regieren und dazu

Sitz und Stimme int Rat haben. Nun sie zu allen Lasten herangezogen wur­ den, wollten sie über die Verwendung der Gelder auch mitberaten. Sie

selbst wollten ihre Geschicke in die Hand nehmen, mochte daraus entstehen, was immer wolle. Was nützte ihnen ein fauler Friede? Lange genug hatten sie in diesem Frieden, der doch kein Friede und Segen war, gelebt.

Sie schienen in diesem Augenblick alles vergessen zu haben, was sie sonst

immer getrennt hatte, alle ihre Sonderwünsche, ihre gegenseitigen Eifer­ süchteleien, ihren gegenseitigen Neid und nur eins stand lockend und gleißend vor ihnen: Freiheit und Selbständigkeit! Rufend und fordemd umdrängten sie Amold von Söst.

Der aber stand wie ein Baum zwischen ihnen und rührte sich nicht. Und als die Meister ruhiger geworden waren, sprach er mit lauter,

langsamer Stimme: „Und denke ich anders als ihr? Hab' ich nicht in allen Jahren mit euch zusammen gegen den Rat gestanden? Häufiger als ihr alle habe ich versucht eine Forderung um die andere durchzusetzen.

Aber meine grauen Haare

haben mich auch gelehrt, daß wir über Hals und Kops nichts ausrichten können. Sie werden uns eine geringe Forderung bewilligen, um uns ruhig zu machen." „Wir werden aber nicht ruhig sein!" „Ihr nicht, Meister Wittenborg.

Aber die andem alle? Alle andern

Handwerksmeister der Stadt? Wer steht uns für die?

Und mit Gewalt

wollt Ihr versuchen Recht zu erlangen? Wer stützt Euch, wenn alle andern Meister nicht hinter Euch stehen? Wir, die wir hier versammelt sind, können doch allein nichts ausrichten. Wir müssen uns erst in allen Amtem fester

gegründet haben, bevor wir mit Gewalt losschlagen; denn, wenn wir unter­ liegen, sind wir schutzlos dem Gericht und Urteil des Rats ausgeliefert."

Die Meister schienen einzusehen, daß der alte Buntmacher recht habe' Nur einige von ihnen murrten, ohne doch einen lauten Widerspruch zu wagen.

V. Bom Aufstieg des Bürgertums.

180

„Recht habt Ihr, Meister Arnold, wir müssen des Sieges gewiß sein, bevor wir losschlagen," meinte Arend Springe. „Und die Macht zum Siege haben," sprach Hermann von der Wisch.

„Und darum ist mein Rat," fuhr Arnold von Söst fort, „horche jeder in seinem Amte umher um die Stimmung aller Meister zu erkunden. Wer euch unsicher dünkt, den lasset aus dem Spiel, die andem aber laßt

schwören kein Wort darüber zu verlieren, bis wir sicher sind die Macht zu haben."

„Wie ich euch schon einmal gesagt habe, Arnold von Söst, ich bürge für die ganze Knochenhauergilde. Ich bürge für sie, ich, Gödeke Wittenborg." Da wollte jeder für seine Zunft bürgen und viele Namen, die ein Festhalten an der neuen Sache verbürgten, schwirrten durch die Luft.

Hinrich Paternostermacher war vom Tisch aufgestanden, lehnte an einem großen Schrank in einer Ecke des Zimmers und blickte schweigend auf die eifrig verhandelnden Männer und ein halb spöttisches Lächeln glitt über sein bleiches Gesicht. Ein stolzer Gedanke brauste ihm in diesem Augen­

blick durch den Sinn und verwirrte ihn schier. Da standen vor ihm all die Führer der Zünfte und Ämter, die Herzen voll Leidenschaft und Kampf­ begier, und wußten doch nicht, was sie tun sollten, und hatten weder den Mut die verhaßten Fesseln abzuschütteln noch einen eigenen Weg zu gehen.

Und warum? Weil ihnen der Führer fehlte, weil nicht einer da war, der sie aufrief, sie aufrüttelte und sie in den Kampf führte. Wie, wenn er der Führer würde? Wenn er an die Spitze aller Zünfte träte, wenn alle um

ihn sich scharten?

Wenn er selber die Geschicke der Stadt in die Hände

bekäme und nach seinem Willen lenkte und führte? Einen Augenblick schloß er die Augen vor dem glänzenden Bilde, das vor ihm auftauchte, und strich sich mit der Hand über die Stirn, als

wollte er irre Träume fortjagen. Und stand und konnte sich doch nicht von den Träumen losreißen. Da riß ihn Arnold von Sösts Stimme aus seinem Sinnen:

„Und was meint Ihr, Hinnch Paternostermacher?" Meister Hinrich fuhr zusammen.

Einen Augenblick schien er verwirrt. Dann aber trat er heftig einige Schritte vor, bis er wieder am Tische stand und sagte:

„Bin nicht fürs Warten, ob's nun recht oder unrecht ist. Lieber heute

als morgen schlage ich drein. Und doch mag's besser sein zu warten, bis alles ins kleinste geordnet ist. Und drum ist auch mein Rat: sammle jeder in seiner Zunft treue und zuverlässige Männer und die laßt schwören aber nicht nur zu schweigen sondem auch zu gegebener Zeit zu handeln. Und gebt ihnen

ein Schwurwort mit, daß wir wissen, wer zu uns gehört.

,Mt Lübeck'

47. Ständekampf.

181

sei die Losung und wehe, wer seinen Schwur bricht! Ehr- und friedlos soll

er sein und jedermanns Schwert zum Opfer fallen. Wenn unser Schlachtms durch die Gassen gellt, soll jeder fahren lassen, was er in den Händen

hat. Laßt Axt und Nadel, Hammer und Zange und greift zu euren Waffen

und laßt euch nicht blind und schwach machen! Haltet aus, bis die Stunde kommt, da wir die Bürgermeister und Ratsherren von ihren Sesseln herunter­

gerissen und Männer aus unseren Reihen darauf gesetzt haben! In unsere Hände sott Lübecks Geschick gelegt werden, wir wollen die Wege in die Zukunft weisen." Wieder riß Hinrich Patemostermacher die Meister mit sich fort und

schon wurden Stimmen laut: „Ihr sollt uns führen, Meister Hinrich!" Der alte Amold von Söst aber schüttelte seinen Kopf sorgenvoll hin

und her. „Meister Hinrich, Meister Hinrich! Md treibt ein gar gefährlich Spiel.

Ihr seid ein gefährlicher Mensch

Eure wilde Hast führt unsere Sache

zum Unheil. Ihr überstürzet alles." Es wäre ihm diesmal nicht gelungen die Leute zur Besonnenheit zurückzuführen, wenn nicht der Patemostermacher selbst eingelenkt hätte.

Er hatte eben nur eine Kraftprobe gemacht. Er wollte sehen, wie stark sein Einfluß auf die Meister sei. Und nun glitt ein siegesfrohes Lächeln des Triumphs über sein Gesicht.

Er wußte jetzt, daß er sie alle in seiner Ge­

walt hatte, daß er mit ihnen machen konnte, was er wollte. Und weiter wollte er jetzt nichts. Er hatte selber eingesehen, daß es Nüger sei zu warten, bis alle Zünfte ihm ergeben seien. Mehr aber noch bewog ihn der Um­

stand zum Warten, daß er noch nicht mit den Rittern Gudendorp verhandelt

hatte. Einen Augenblick hatte er geschwankt, ob er den Meistern von diesen neuen Helfershelfem Mitteilung machen sollte; aber er hatte den Gedanken gleich wieder fallen lassen. Er wollte warten, bis alle Fäden in seiner

Hand waren. Und nun redete er selber zur Besonnenheit und wie er die andern erst zu wilder Erregung gebracht hatte, so beruhigte er sie auch wieder und es war fast, als wäre nie ein Sturm durch die Herzen all derer gebraust, die jetzt friedlich am Tische saßen. Und wieder war es Arnold von Söst, der das Wort nahm.

Und wieder riet er es mit einer Abordnung an den Rat der Stadt zu versuchen, fand auch fast bei allen für seine Vorschläge ein geneigtes Ohr.

Hinrich Patemostermacher lächelte nur. Mochten die andem nur warten und verhandeln und beraten. Das alles war ja nur ein Vorspiel zu dem großen Tage, der kommen sollte, dem Tage, an dem er handeln wollte. Mochten sie immerhin beraten; es änderte

V. Vom Aufstieg des Bürgertums.

182

für ihn nichts an der Sache, schob nicht einmal den Tag des Kampfes hinaus. Es war ja doch alles nutzlos; das wußte er.

Und so stimmte er auch gem mit ein, als beschlossen wurde innerhalb der nächsten vierzehn Tage eine Versammlung aller Ämter in der St. Katha­

rinenkirche zu berufen. Dort sollten zwei oder mehr Männer gewählt werden, die mit dem Rat zu verhandeln hätten.

Hinrich Paternostermacher lächelte noch immer, als er Abschied nahm und einer nach dem andem hinausschlich und im Dunkel der Nacht ver­

schwand. Er lächelte immer noch, als er vor dem Hause des Bürgermeisters vor­

beikam und die Fäuste ballte.

Und lächelte noch, als er sich in seiner Kammer schlafen legte. Er sah schon den Sieg leuchten und den Tag der Rache nahe vor sich. lAuS „Jodutol" v. W. Lobsien.

Verl. d. Mainzer Volks- u. Iugendbücherei v. I. Scholz in Mainz.)

48. Klaus Störtebeckers Gefangennahme. Im Jahre 1402 hatte die Hansa ihre neue Rüstung gegen die See­ räuber vollendet und eine Flotte, stärker und stattlicher als die früheren, stach in See, diesmal geführt von Herm Simon von Utrecht, der nicht bloß den Ruf eines überaus tüchttgen Seefahrers genoß, sondem auch das

stärkste und schönste Schiff der ganzen Flotte selbst ausgerüstet hatte, dem er den wunderlichen Namen gab „die bunte Kuh aus Flandern". Auch Störtebecker schien eine Ahnung zu haben, daß es zu einem heftigeren und wohl entscheidenden Kampfe kommen werde, und er scharte die Schiffe der Bitalienbrüder in großer Zahl um sich und suchte um den

Gegner zu ermüden durch geschicktes Manöverieren die Sache in die Länge zu ziehen. Aber er hatte diesmal einen überaus gewandten und schlauen Gegner, der noch dazu vom bittersten persönlichen Hasse erfüllt war und an Kühnheit seinem Feinde kaum etwas nachgab. Endlich stieß die hanseattsche

Flotte in der Nähe von Neuwerk, nördlich vom Lande Hadeln, auf die See­ räuber und suchte die Schiffe derselben ringsum einzvschließen, was nicht

recht gelingen wollte, da man einerseits mit widrigen Winden zu kämpfen

hatte, anderseits Klaus Störtebecker dmch seine außerordentliche Geschick­ lichkeit und Seetüchtigkeit immer wieder die Absicht der Feinde vereitelte.

So brach der Abend herein, der vorläufig dem Streite ein Ende machte, und ruhig lagen sich die Gegner gegenüber. Gegen Einbruch der Nacht leuchtete von dem Admiralschiffe der Han­

seaten eine rote Flamme auf, die schnell wieder erlosch und nur vorüber­ gehend das Mißttauen der Seeräuber geweckt hatte, die sogar einen nächt-

48. Klaus Störtebeckers Gefangennahme.

183

Da indessen bis gegen Mitternacht cllles ruhig blieb und in wenigen Stunden bereits der Tag wieder anbrach,

lichen Angriff zu fürchten schienen.

wurde man sorgloser.

Thoms Rolle, einer der Vitalienbrüder, der mit den Hanseaten ge­ meinsame Sache hatte und bereit war gegen hohes Entgelt seinen Haupt­ mann und seine Kameraden zu verraten, hatte das Flammenzeichen wohl

bemerkt und gegen Mitternacht schlich er lautlos, auf dem Bauche kriechend, nach dem Hinterteil des Schiffes. Vorsichtig spähte sein scharfes Auge in der Nähe des Steuers umher. — Mles war tiefstille und dunkel und Nebel lag über dem Schiffe wie über der weiten, leise rauschenden See. — Da

erhob er sich langsam, schlich bis an den Bord des Fahrzeugs und mit rascher Bewegung ließ er eine Strickleiter, die er zusammengerollt unter seiner

Jacke verborgen gehalten, über den Rand gleiten und machte sie an einem Haken an der Brüstung fest. Dann glitt er wieder nieder auf den Boden und schob sich leise, schlangengleich davon bis in die Nähe des Hauptmastes,

wo er sich langsam aufrichtete und eben die Treppe nach dem Zwischendeck hinabschreiten wollte, als ihm der Steuermann Jürgen Behrens ent­ gegenkam. „Was machst du um diese Zeit noch auf Deck, Thoms?" ftagte er.

Der Matrose zuckte leicht zusammen, aber er entgegnete: „Hatte keinen Schlaf in den Augen und wollte nach dem Winde aus­ sehen!"

Jürgens Behrens brummte etwas halblaut zwischen den Zähnen und ging vorüber, während Thoms nach seiner Koje schlich. Etwa eine halbe Stunde später glitt von „der bunten Kuh aus Flan-

dem" ein Boot, wie eine Nußschale, herab und drei Männer stiegen ein,

von welchen zwei die Ruder führten, der dritte aber glühende Kohlen in einem Becken anfachte; der schwach aufleuchtende Schimmer derselben fiel auf das ernste, entschlossene Gesicht Herrn Simons von Utrecht. Die Dunkelheit war jetzt so groß, daß man nur auf geringe Entfemung zu sehen

vermochte, aber die drei Männer waren ihrer Richtung außerordentlich gewiß; lautlos flog das flehte Boot über die dunklen Wellen, man hörte keinen Schlag der Ruder und binnen kurzem tauchten in unmittelbarer Nähe die Umrisse des „roten Teufels", des Kommandoschiffs Störtebeckers, auf. Vorsichtiger als bisher ging die Fahrt weiter. Tiefniedergebückt saßen die Ruderer, Herr Simon aber hatte einen großen eisernen Löffel voll Blei auf die glühenden Kohlen gelegt und hielt seinen Mantel darüber um den Schimmer zu verbergen.

Die kleine Nußschale langte jetzt hart unter das Hinterteil des See­ räuberschiffs und das scharfe Auge Simons suchte und fand die Strickleitet, welche Thoms Rolle hier befestigt hatte. Einige Augenblicke später

184

V. Born Aufstieg bei Bürgertum-,

stieg der kühne Utrechter auf den schwankenden Sprossen gewandt empor: fest zogen die Gefährten unten die Leiter an, so daß er, in seiner Rechten den eisernen Löffel mit dem flüssigen, geschmolzenen Blei, glücklich an Bord des „roten Teufels" gelangte. Nur wenige Sekunden spähte er lau­ schend umher; alles war still und dunkel und so glitt er schattenhaft heran

gegen das Steuer und goß mit sicherer Hand das kochende Metall in die Höhlung, in welcher ersteres sich bewegte, so daß von hier aus das Schiff regiert wurde und auch am sichersten zu jedem weiteren Eingriff in den Kampf unfähig gemacht werden konnte. Ein leises Zischen klang durch die Nacht; wieder war es still; Simon hatte sein Werk vollbracht; vorsichtig glitt er wieder an der Strickleiter hinab und gleich darauf schoß das kleine Boot wieder lautlos, wie es gekommen, durch die Wellen zurück. Auch Thoms gelang es, noch vor Tagesanbruch die Strickleiter zu beseitigen, zumal er fürchtete, daß der Anschlag der Hanseaten, von dem er freilich keine Ahnung hatte, nicht ausführbar gewesen. Der Morgen kam.

Die goldene Königin des Tages stieg leuchtend

aus dem Meere und die Wellen blitzten und flimmerten unter ihrem Kusse und ihre Strahlen beleuchteten die zum Kampfe gerüsteten Gegner. Ms den Hansaschiffen begann es sich zu regen, von allen Seiten drängten sie streitlustig heran gegen die Seeräuber und die Schiffe dieser sahen erwartungs­ voll nach dem „roten Teufel", woher ihnen ihre Weisungen signalisiert werden sollten und dem sie in seinen Bewegungen zu folgen gewohnt waren. Aber das Admiralschiff regte sich nicht, sondern lag wie festgebannt und mehr als ein Fahrzeug der Vitalienbrüder sah sich genötigt auf eigene Faust und ohne allen Zusammenhang mit den Genossen sich der andrängendm Gegner zu erwehren.

Wohl hatte Störtebecker seine Befehle erteilt, wohl war Jürgens Behrens auf seinen Posten geeilt, aber das sonst gehorsame Steuer fügte sich nicht seinem Drucke, das Schiff führte die befohlene Bewegung nicht aus und mit Entsetzen starrte der Steuermann, der anfangs an Zauberei und Teufelsspuk dachte, endlich auf die mit Blei ausgegossene Höhlung, in welcher fest und unbeweglich, von ehemen Klammem dicht umschlossen, das Steuer lag. Auch Störtebecker war herbeigeeilt, zomig, weil seine Wlisungen nicht ausgeführt wurden und so das Schicksal der ganzen Flotte ledroht schien, und auch ihn faßten Schrecken und Zorn, als er sah, was ge­

schehen war.

„Das hat Thoms Rolle getan, der verräterische Schurke!" schrie Jürgm — „ich habe ihn um Mitternacht getroffen, wie er auf dem Verdeck Herun­ schlich," und mit wilder Löwenstimme schrie Störtebecker:

„Schafft mir Thoms Rolle zur Stelle!"

48. KlauS StörtebcckerS Gefangennahme.

185

Wenige Augenblicke später stand der Matrose blaß und zitternd vor seinem Admiral, der ihn anherrschte: „Elender Verräter, willst du leugnen, daß du Uns dem Feinde

preisgegeben? Du verdientest, daß ich dir flüssiges Blei bei lebendigem Leibe in deinen Schlund gießen ließe — aber ich will barmherzig sein gegen dich, verächtliche Kreatur —, hängt das Scheusal hoch an den Mast, damit die hansischen Pfeffersäcke den Schurken sehen, den sie mit ihrem Gelde er­ kauft haben.

Fort mit ihm!"

Thoms wollte reden und seine Unschuld beteuern, aber wild wurde er fortgerissen und bald darauf schwebte sein Leib zwischen Himmel und Erde — er sollte die Frucht seiner Tat nicht ernten.

Indes war die Verwirrung auf den Schiffen der Vitalienbrüder immer größer geworden, da ihnen jede Einigkeit und jede Führung mangelte, und während Störtebecker und Jürgen Behrens sich vergeblich abmühten das verderbliche Blei zu entfernen, holte das feindliche Führerschiff bereits zum vernichtenden Schlage aus. Mit vollem Segeldruck unter günstigem

Wind kam es herangeschossen, weit leuchtete der verhängnisvolle Name „die bunte Kuh aus Flandern" und Störtebecker, der mit Ingrimm und Zähneknirschen seinen Gegner erkannte, war nicht imstande dem fürchter­ lichen, drohenden Anprall auszuweichen. Noch wenige Augenblicke, dann dröhnte ein furchtbares Krachen, ein wildes, lautes Aufschreien, das Meer schäumte und zischte, Sparren und Splitter flogen weit umher, „die bunte Kuh aus Flandern" war gegen das Vorderkastell des „roten Teufels" mit aller Kraft angerannt und hatte es durchbrochen, so daß ein gewaltiges Leck entstand, und zugleich schlugen die Enterhaken des Hanseaten in die

Planken des Seeräubers.

Aber Störtebecker ergab sich nicht so leicht. Dicht umdrängt von den Seinen, wehrte er mit verzweifelter Kraft und Wut dem Ansturm der Gegner und gar viele erlagen unter seinen mächtigen Streichen. Aber das Element selbst, auf dem er so lange geherrscht, war mit den Feinden im Bunde. Das Wasser stieg immer höher und schneller im Kielraum des „roten Teufels" und er begann zu sinken. Da überkam die wilde Schar der Seeräuber mit einem Male tiefe Mutlosigkeit; immer lauter scholl der Angstruf: „Wir ertrinken!" und bald warfen einige, bald mehrere die Waffen weg und ergaben sich, bis zuletzt nur noch Störtebecker und sein treuer Jürgen Behrens sich mit wahrem Löwenmute, der einer besseren Sache wert gewesen wäre, wehrten. Immer dichter umdrängte sie die Übermacht, aber das Gewühl und Toben des Kampfes weit übertönend, scholl die Stimme Simons von Utrecht: „Fangt ihn lebendig!

Goldgulden dem, der ihn bewältigt!"

Tausend

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V. Vom Aufstieg deS Bürgertum-.

Da warf sich die Menge aufs neue gegen die beiden, die, von allen Seiten umringt, nicht mehr imstande waren ihre Waffen zu gebrauchen

und so endlich überwältigt wurden. In Hamburg ward Gericht gehalten über die Seeräuber und sämtliche

wmden zum Tode verurteilt. Vergebens bot Störtebecker für sich und Jürgen Behrens so viel Gold, daß es zu einer dicken Kette um ganz Hamburg reichen sollte, als Lösegeld, der Rat der Hansastadt lehnte das Anerbieten ab und nur eines wurde gewährt, daß die Piraten nicht wie arme Sünder und Schelme, sondem im Prunkgeleite zum Tode geführt werden sollten. (AuS »Die Hexe v. Szegedin u. andere Novellen- v. A. Ohorn.)

VI.

Düstere Zeiten

Die immer mehr sinkende Neichsgewalt unter den Kaisern des 14. und 15. Jahrhunderts hatte eine wachsende Rechtsunsicherheit zur Folge. Aus den alten Volksgerichten der Germanen halten sich die Frei- oder Femgerichte herausgebildet. Anfangs öffentlich, urteilten sie später in geheimen Sitzungen über Leben und Tod. Die Verbrechen, über welche die „Heilige Feme" richtete, waren Ketzerei, Zauberei, Diebstahl und Mord. Diese Gerichte führten mit der Zeit zu großen Mißbräuchen; denn der Willkür der Richter war zu große Gewalt eingeräumt. Erst die Einführung einer besseren Rechtspflege im 16. Jahrhundert und die festere Begründung der Landeshoheit der Fürsten beschränkten den Wirkungskreis dieser Gerichte und ließen sie allmählich untergehen. Um das Jahr 1348 verbreitete sich, von Südfrankreich ausgehend, über ganz Europa die Pest, „der Schwarze Tod" genannt. DaS enge Zusammenleben in den mittelalterlichen Städten, die große Unreinlichkeit der Bewohner, die vernachlässigte Sttaßenpflege — Kehricht, Eßüberreste, selbst totes Vieh warf man auf die Sttaßen — und der tiefe Stand der medizinischen Wissenschaft waren schuld, daß diese todbringende Krankheit so verheerend wirken konnte. Das Volk, von einer religiösen Unruhe er­ griffen, sah in dem großen Sterben eine Strafe Gottes und suchte durch Buße und Selbstmarter den Zorn Gottes zu besänftigen: Gruppen armer, verzückter Leute, die Geißler, zogen von Stadt zu Stadt und geißelten sich betend unter großem Zulauf und andächtiger Tellnahme der städtischen Massen. —

Die Unwissenheit des Volkes im Mittelalter, verbunden mit einer religiösen Schwärmerei begünstigten eine starke Verbreitung des Aberglaubens, der in den schauderhaften Hexenprozessen am grellsten ans Tageslicht trat. Viele ehrbare und angesehene Jungfrauen und Frauen wurden meist von rachsüchtigen, mißgünstig gesinnten Menschen der Hexerei bezichtigt und da die Aussage einer Person, ja die bloße Vermutung derselben, vollgültige Beweiskraft hatte, so waren alle Unschuldsbeteuerungen und Rechtfertigungen der Angellagten nutzlos: die schrecklichsten Folterqualen harrten ihrer

49. Das Freigericht. Zehn bis zwölf Bauern wanderten von verschiedenen Seiten die

Pfade den Hügel hinauf nach dem Freistuhle. Es waren die reichsten Hof­ besitzer der Umgegend. Die Gesichter dieser Leute waren ernsthaft und feier­ lich. Ihre Schutte übereilten sie nicht und wo auch zwei zusammengingen,

wurde dennoch kein Wort gewechselt. Diese alten Freibankbauern trugen auch heute noch ihren Feierputz und die großen, breitkrämpigen Hüte gaben ihnen ein schweres und würdiges Ansehen. Der Nebel, der noch immer fortdauerte, umhüllte die heimlichen und schweigenden Wanderer. Als sie oben am Freistuhle angekommen waren, einer nach dem anderen, setzten sie sich schweigend und einander nicht begrüßend auf die Steine umher, die in der Einsenkung zwischen den Brombeergebüschen lagen, der größte aber unter den drei alten Linden blieb leer und für den Frei­ grafen aufbehalten. Sie saßen wohl eine Viertelstunde lang ohne einander

anzusehen, geschweige daß sie zusammen geredet hätten. Jeder blickte starr

und fest vor sich hin.

Zuletzt kam der alte Bauer, welcher mit dem Hof­

schulzen gesprochen hatte, der Fronbote, nächst dem Besitzer des Oberhofes der Kundigste in den Sitten und Gebräuchen der Väter. Dieser stellte sich

außerhalb des Kreises der Steine hin, auf seinen Knotenstock gestützt und

nach der Gegend des Oberhofes hinuntersehend. Bon dieser Gegend kam nach einer Viertelstunde der Hofschulze herauf­ gegangen, der Freigraf. Neben ihm ging sein Eidam. Feiermäßig war auch sein Anzug, aber gebückt und kummervoll sein Gang. Den Eidam ließ er

an einer über hundert Schritte vom Freistuhle entfernten Stelle zurück­ bleiben, das Gesicht von diesem abgekehrt. Der Fronbote ging dem Hof­ schulzen entgegen, führte ihn bis an den Kreis und sagte: „Herr Graf, mit Urlaub und mit Behagen tue ich Euch fragen:

soll ich, Euer Knecht, euch den Königsstuhl setzen wie Recht?"

Der Hofschulze erwiderte: „Alldiewell die Sonne mit Rechte bescheinet Herren und Knechte und alle unsre Werke,

spreche ich, das Recht zu stärken, den Stuhl zu setzen eben

und rechte Maß zu geben,"

190

VI. Düstere Zeiten.

Der Fronbote ging hierauf durch den Kreis zu dem großen Steine unter den drei alten Linden, legte die Hand an denselben, als setze er ihn

wie einen Stuhl zurecht, stellte ein kleines Kommaß, welches er unter dem Rocke hervorzog, vor den Stein, blieb selbst daneben stehen und rief dem Hofschulzen, der sich noch immer außerhalb des Kreises befand, folgenden Spruch zu: „Herr Grafe, lieber Herre,

ich vermahne Euch bei Eurer Ehre, ich bin Euer Knecht,

darum sagt mir für Recht,

ob diese Maß ist gleich für arm und reich zu messen Land und Sand

bei Eurer Seelen Pfand?"

Der Hofschulze antwortete: „Ich erlaube Recht und verbiete Unrecht

bei Peen dem alten, erkannten Recht."

Er ging nun auch in den Kreis, schütt ohne von seinen Genossen be­ grüßt zu werden oder sie zu begrüßen auf den Stein unter den Linden,

den Königsstuhl, zu, setzte sich, stellte seine Füße auf das Kommaß und ent­ blößte das Haupt, welchem Beispiele die Bauem folgten. Dann zog er eine Flechte von Weidenzweigen aus dem Rockärmel und gab sie dem Fron­ boten, der sie auf einen tischartigen Stein vor dem Stuhle legte.

Die Bauem murmelten und einer fragte: „Die Wyd sehen wir; wo ist das Schwert?"

Der alte Freigraf zuckte zusammen und der Fronbote antwortete statt seiner: „Es hat nicht gleich auf der Stelle gefunden werden können." „Nachbam," sagte der Hofschulze zittemden Lautes, „es ist ein Macheur mit dem Schwerte von Carolus Magnus geschehen und wenn ihr wollt,

stehen wir auf und gehen heim." „Nein!" riefen die Bauem, „aber daß das Schwert mangelt, ist schlimm; denn es bedeutet das Kreuz, woran der Herr Christus gelitten hat." Sie blieben in nachdenllichen Stellungen. Auch ihr alter Vorstand hatte Mühe seine Fassung zu behalten. Er erhob indessen die Stimme und sprach zum Fronboten: „Ich biete zu sagen mir:

sind Notschöffen allhier? oder Mann, die nicht wissen? das sage mir beflissen."

Der Fronbote sah sich im Kreise um und versetzte dann mit lautem Tone: „Me Mann sind wissend und gerecht, weder Notschöffen weder Juden weder Knecht."

49. DaS Freigericht.

191

Jetzt redete der Hofschulze die Versammlung mit folgenden Worten an: „Ist es die rechte Stätte und die rechte Stunde Ding und Gericht zu halten nach Freistuhlsrecht und echtem römischen Königsbann?" — Die Bauem

antworteten einstimmig: „Ja, sie ist es!" Und der Hofschulze fuhr fort: „So wame ich euch vor Unlust, Keif, Scheltwort. Niemand soll sprechen, denn mit Fürsprach, niemand scheiden vom Gericht, denn mit Urlaub. — Die­

weil" — setzte er hinzu — „Dieweil an diesem Tage

mit euer Mer Behagen

unter dem hellen Himmel llar ein frei Feldgericht offenbar,

wo Notschöffen keine gehegt beim lichten Sonnenscheine,

nicht in Schlüften,

nicht in Klüften zwischen sieben Uhr frühe

und ein Uhr mittags; siehe!

Me Mann auch nüchtern kommen sind,

Königsstuhl und Maß man recht befindt, so sprecht das Recht ohne Witz und Wonne, weil scheint die Sonne."

Die Bauem sprachen: „Wir wollen's."

Der Hofschulze fragte abermals: „Was gibt dem Freischöffen Fug und Recht?" Die Bauem murmelten dumpf: „Hebende Hand, blinkender Schein,

gichtiger Mund." Darauf sagte der Fronbote: „Herr Grafe, es steht draußen ein Mann, der Begehr am Ding und Gericht hat."

Der Hofschulze wandte sich wieder an die Versammlung und sprach: „Ist es euch genehm und zum Behagen, daß mein Eidam vom Jürgenserb, frei, keinem eigenbehörig, ohne Schimpf noch Schande, unverleumd't im

Lande, wissend gemacht werde auf roter, offener Erde, sahe Losung und Heimlichkeit, wie Kaiser Carolus gesetzt zu seiner Zeit?"

Die Freischöffen erwiderten: „Es geschehe." — Der Hofschulze gab nun dem Fronboten einen Wink, dieser ging zu dem Eidam und führte ihn herbei. Der junge Bauer sah sehr stolz und freudig aus, als er in den Kreis

trat, in welchem er die höchste Ehre von seinesgleichen empfangen sollte.

Der Fronbote gab ihm Anweisung, darauf entblößte der junge Bauer sein rechtes Knie, kniete bedeckten Hauptes vor seinem Schwiegervater nieder, legte die linke Hand auf die Weide, die ihm der Fronbote vorhielt, und empfing in dieser Stellung vom Hofschulzen die Vermahnung vor Eid­ bruch, die ihm unter schweren Verwünschungen erteilt wurde. Bei der

Weide solle er denken an den Strick um den Hals, hieß es darin, und bei der

192

VI. Düstere Zeiten.

Linde, die er sehe, an den Baum, der den Verräter trage.

Vermaledeit

sei dessen Fleisch und Blut, der Wind solle ihn verwehen, die Krähen, Raben und Tiere in der Luft sollen ihn verführen und verzehren.

Noch schrecklichere Drohungen enthielt dieses Verwamen. Der Eidam verzog aber keine Miene dabei. Hierauf nahm ihm der Fronbote den Eid ab, den der neue Schöffe nachsprach. Er schwor die Feme zu hüten: „vor Mann, vor Weib, vor Dorf, vor Traid, vor Stock, vor Stein, vor groß, vor klein, auch vor Quick und vor allerhand Gottesgeschick, ohne vor dem Mann, der die heilige Feme hegen und hüten kann, und nicht zu lassen davon um Lieb noch um Leid, um Pfand oder Kleid, noch um Silber noch um Gold noch um keinerlei Sold".

Als der Eidam den Eid geleistet hatte, wollte er aufstehen; der Fron­ bote hielt ihn aber in seiner knienden Stellung fest und sagte, sich vergessend und aus der feierlichen Redeweise in seine Bauernsprache fallend: „Wollt Ihr denn wie das liebe Vieh Schöffe sein? Ihr kriegt ja erst die Losung!"

— „Auch gut!" rief der junge Bauer, dem die fürchterliche Verwarnung und der Eid ein Behagen erregt zu haben schien. „Her mit der Losung!"

Der Hofschulze setzte den Hut auf, der Eidam mußte ihn abnehmen und nun sagte jener: „Die Losung und das Notzeichen, das ich dich lehre, lautet: Stock, Stein, Gras, Grain." „Gut!" versetzte der Eingeweihte, „Stock, Stein, Gras, Grain! Das ist wohl zu behalten. Aber was bedeutet Stock, Stein, Gras, Grain?" „Neige dein Ohr zu meinem Munde!" versetzte der Freigraf, „du sollst

den heimlichen Sinn erfahren, den außer dir nicht einmal die Lüfte hören dürfen." Indem der Eidam sich zu den Lippen des Schwiegervaters hinüber­

beugte, rief aber der alte Frvnbote laut: „Halt! Das Ding ist geschändet! Wir haben einen Lauscher in der Nähe; ich hörte ein Geräusch ganz deutlich." „Nun ja," sagte Oswald, der hinter der alten Linde hervortrat, ge­ zwungen lachend, „ich habe euch belauscht. Ich stand in dem hohlen Baume da.

Das Horchen, welches ich noch nie getan, wollte mir aber so schlecht

behagen, daß ich mich rührte um fortzugehen, womöglich da in den Forst, euch unbemerkt. Nehmt mir's nicht übel! Ich werde nichts von euren Sachen verraten; es ist, als ob ich sie nicht gehört hätte." Er trat in den

Forst zurück und verlor sich unter den Bäumen. (Karl Jmmermann, „Der Oberhof".)

193

50. Der schwarze Tod.

50. Der schwarze Tod. Renzo eilte seiner Heimatstadt entgegen um seine Braut, das Liebste, was er noch auf der Welt besaß, noch einmal zu sehen. Was den Eintritt

in die Stadt betraf, hatte Renzo im allgemeinen sich sagen lassen, es sei strenger Befehl gegeben worden ihn ohne Gesundheitszettel niemandem zu gewähren; wer sich aber ein wenig zu helfen wisse und die Zeit abzupassen

verstehe, der komme bei alledem recht gut hinein. So war's. — Nachdem er also quer über die Felder an die Mauer gekommen, stand er einen Augenblick füll und schaute umher wie ein Mensch, der nicht weiß, wohin er sich am besten zu wenden habe. Doch zur Rechten und Linken ergab

sich nichts als zwei Strecken einer gekrümmten Straße, geradeüber ein Stück der Mauer; auf keiner Seite ein Zeichen von lebendigen Menschen; nur sah er von einem Punkte des Walles aus eine dichte, schwarze Rauch­ säule emporsteigen, die aufwogend sich verbreitete, in großen Kreisen sich zum Himmel wälzte und dann in den Men, grauen Lüften sich verlor. Sie stieg von Kleidern, Betten und andem angesteckten Gerätschaften auf, die verbrannt wurden; so trübselige Festfeuer glänzten tagtäglich, nicht hier bloß sondem auf allen Punkten der Ringmauer. Nachdem unser Held einige Sekunden in die wallende Rauchwolke geblickt, wählte er aufs Geratewohl den Weg zur Rechten und setzte sich ohne es zu wissen, nach dem Neuen Tore in Bewegung. Nach wenigen

Schritten klang ihm ein Schellengeläut ins Ohr, welches, in Zwischenräumen aufhörend und sich wiederholend, jedesmal von der Stimme eines Menschen begleitet ward. Er ging weiter, bog um die Ecke der Bastei und das erste, das auf dem offenen Platz vorm Tore seinen Blicken sich darstellte, war ein großes, hölzemes Haus, an dessen Schwelle eine Schildwacht stand,

welche müde und sorglos sich auf ihre Muskete stützte. Aber dicht vor dem Toreingange zeigte sich ein trauriges Gerät, eine Bahre, auf welcher zwei Leichenträger einen Unglücklichen zurechtlegten um ihn fortzuschleppen. Es war der Borstand des Zollamtes, bei dem kurz zuvor der Ausbruch der Seuche festgestellt worden war. Renzo blieb, wo er sich eben befand, stehen und wollte das Ende abwarten: das Geleit machte sich fort; doch

niemand erschien um das Tor wieder zu schließen. Unserm Wanderer schien das der rechte Zeitpunkt und so setzte er sich rasch in Bewegung.

Die Schildwacht aber rief ihm plötzlich mit unfreundlicher Miene ein „Holla!" zu. Renzo stand still, betrachtete seinen Mann, zog einen silbernen Halb­ dukaten heraus und zeigte ihn. Jener hatte entweder die Pest schon gehabt oder scheute sie weniger als er silberne Halbdukaten liebte; er gab dem Fremdling einen Wink, daß er ihm das Silberstück hinwerfen möchte, und

nachdem er es zu seinen Füßen hatte niederfallen sehen, brummte er: „So Enzinger-Hausmann, Aus Deutschlands Veraanaenbeit.

13

194

VI. Düstere Zeiten.

geh flink durch \v — Renzo wartete nicht auf einen zweiten Wink, eilte durch das Tor und wanderte vorwärts, ohne daß ihn jemand gewahr ward. Um diese Zeit waren bereits zwei Dritteile der Bevölkerung der Stadt gestorben. Von den übrigen hatten viele das Verderben glücklich über­

standen oder kränkelten. Unter den wenigen, welche Renzo traf, war kaum

einer, an welchem nicht etwas Seltsames auffiel. Er sah Leute von Stand ohne Mantel und Kragen, damals die beiden Haupterfordemisse einer an­ ständigen Kleidung, Priester ohne den langen Überrock, Mönche ohne die

Kutte, jede Tracht so eingezogen als möglich um nicht mit Falten und flie­ genden Zipfeln etwas zu berühren oder den Giftsalbern, die man mehr als alles andere fürchtete, bequeme Gelegenheit zu geben. Überdies erschien

jeder vernachlässigt und unordentlich, der Bart länger als man ihn zu tragen pflegte und selbst das Gesicht der Leute entstellend, welche zu anderer Zeit ihn scheren ließen, nicht bloß weil die fortwährende Niedergeschlagen­

heit jede Sorgfalt dieser Art schwächte, sondem vor allem weil die Barbiere

im Verdacht standen Giftmischer zu sein. Die meisten Leute auf der Straße hatten einen Stock in der einen Hand, auch wohl eine Pistole, um jeden, der etwa allzusehr sich ihnen zu nähern gesonnen, drohend zurückscheuchen zu können; in der anderen trugen sie durchlöcherte Kugeln von Metall oder

Holz und in diesen Schwämme, mit arzneilichen Essigen vollgesogen; hin und wieder hielten sie diese Schutzmittel an die Nase; einige auch führten am Halse eine kleine Flasche mit Quecksilber; sie waren der Meinung,

dieses Metall sauge jeden pestartigen Ausfluß ein oder wehre ihn ab. Freunde, wofern sich noch einige auf der Straße begegneten, begrüßten sich von weitem mit wortkarger, eilfertiger Höflichkeit. Aus Furcht ekelhaften Gegenständen zu nahe zu kommen oder eine traurige Last von den Fenstern aus auf den Kopf zu empfangen, hielt sich jeder in der Mitte der Straße; auch graute

ihm vor den Giftpulvern, welche die Bösewichter, wie die Rede ging, auf

die Vorübergehenden herabstäuben ließen; man scheute die Wände, die mit Pestsalben bestrichen sein konnten.

Mitten durch diese Verwüstung hatte Renzo bereits eine ziemliche

Strecke seines Weges zurückgelegt, als er einen vielstimmigen Lärm aus einer Seitenstraße hervordringen hörte und dazwischen das grausenhafte

Klingelgeschelle unterschied.

Bei dem Eintritte in die Straße bemerkte er

vier Karren und, wie man auf einem Getreidemarkte Leute kommen und gehen, Säcke aufladen und umstürzen sieht, wimmelte dort ein vielköpfiges Gedränge, Leichenträger, welche in die Häuser liefen, Leichenträger, die mit einer Last auf den Schultern herauskamen und sie auf den einen oder andern Wagen legten. Aus den Fenstern ließ sich hin und wieder der un­

heimliche Ruf hören: „Hierher, Totenmann!" Und mit noch unheim­ licherem Ton scholl aus dem trübseligen Gewimmel die Antwort: „Gleich-

50. Der schwarze Tod. gleich!"

195

Nachbarn jammerten oder baten um schnelle Beförderung der

Toten; die Leichenträger sahen mit herzlosen Mienen umher und antworteten mit Flüchen. Aus der Türe eines Hauses bewegte sich nach den Karren zu eine Frau. Mühsam schritt sie dahin, doch ohne zu straucheln; keine Träne vergoß ihr

Auge, schien aber viele vergossen zu haben. Sie hielt ein totes, etwa neun­ jähriges Mädchen in den Armen; aber der Leichnam erschien im vollen

Schmuck, die Haare aus der Stirne gescheitelt, in weißem, reinlichem Kleide, als wenn die Hände, die ihn trugen, ihn zu einem lange versprochenen

Feste geschmückt hätten. Und nicht in liegender Stellung hielt ihn die Frau, sondem aufgerichtet, auf den einen Arm gesetzt, die Brust an ihre eigene Brust gelehnt, als wär's ein lebendes Kind; ein weißes, wachsähnliches Händchen hing mit lebloser Schwere auf einer Seite herab und der Kopf ruhte, wie tiefem Schlafe sich hingebend, auf der Schulter der Mutter. Ein ekelhafter Totenmann ging auf die Frau zu und machte Anstalt die schmerzliche Last aus ihren Armen zu nehmen. Die Frau zögerte. „Nein!"

sprach sie, „berührt sie mir jetzt nicht, ich will sie auf den Wagen legen." Die Frau gab dem Kinde einen Kuß auf die Stirne, legte es, wie auf ein Bett, in den Karren, brachte die Glieder in Ordnung, breitete ein glänzendes, weißes Linnentuch darüber und sagte: „Leb wohl, Cäcilia! Ruh in Frieden! Diesen Abend kommen auch wir und dann werden wir immer beisammen bleiben!" Darauf wandte sie sich zu dem Leichenträger mit den Worten:

„Wenn ihr gegen Abend wieder vorbeikommt, so kommt herauf; ihr werdet auch mich holen und nicht mich allein!"

Nachdem sie so gesprochen, trat sie ins Haus zurück und erschien einen Augenblick später am Fenster oben. Auf ihren Armen hielt sie eine andere kleinere Tochter, noch lebend, aber schon die Zeichen des Todes in den zarten Zügen. Sie betrachtete das unwürdige Leichenbegängnis ihres älteren

Kindes. Der Karren verschwand. — Was hatte die Jammervolle anders zu tun, als das einzig Geliebte, welches ihr blieb, aufs Bett zu legen und sich daneben um mit der Sterbenden zu sterben? „O Gott im Himmel!" schrie Renzo. „Erhöre sie! nimm sie zu dir, sie und das kleine Geschöpf da; sie haben genug gelitten, beim Heiland,

haben genug gelitten!" Er schritt weiter. Nachdem er an eine Wegkreuzung gekommen, sah er von der einen Seite her eine verworrene Schar sich nähern und blieb stehen, bis sie vorübergezogen. Es war ein Haufe von Kranken, die nach dem

Hospital gebracht wurden; einige, mit Gewalt getrieben und furchtlosen Widerstand leistend, schrien unbeachtet, sie wollten auf ihrem Bette sterben

und antworteten den Flüchen und Geboten der schleppenden Totenmänner mit ohnmächtigen Verwünschungen; andre schlichen, wie sinnlos, in stummer 13*

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VI. Düstere Zeiten.

Ergebung hin, ohne sichtbaren Schmerz, ohne Hoffnung: Frauen, mit

unmündigen Kleinen am Halse; Kinder, die vom Geschrei, von den Befehlen

und dem Geleite mehr als von der undeutlichen Vorstellung des Todes er­

schreckt, mit lautem Gewinsel nach den treuen Armen der Mütter verlangten und die Treiber beschworen daheim an bekannter Stätte bleiben zu dürfen. Doch auch in diesem schauderhaften Gewühl ließ sich manches Beispiel der Beharrlichkeit und der frommen Liebe entdecken; Eltern und Brüder, Söhne und Eheleute, die ihre Geliebten unterstützten und sie mit herzlichem Zuspruch begleiteten; ja nicht nur Erwachsene, auch Knaben und Leine

Mädchen trösteten ihre jüngeren Geschwister, zeigten gereiftes Gefühl und Mitleid, ermutigten sie zum Gehorsam und versicherten ihnen, es gehe nach einem Orte, wo andere Leute sich ihrer annehmen und ihre Heilung

befördem würden. Schmerz und Rührung ergriff unsem Renzo bei solchem Anblick. — Da plötzlich durchzuckte ihn ein furchtbarer Gedanke und schnürte ihm die

Kehle zu. Das Haus, das gesuchte, mußte doch hier in der Nähe sein und wer weiß, ob unter jener Schar . . . Indes als der ganze Schwarm vorüber war und sich seine Befürchtung nicht bestätigt hatte, wandte er sich an einen Kommissar, welcher den Zug schloß, und beftagte ihn um die Sttaße, in welcher Don Ferrantes Haus zu

finden sei. Dieser deutete mit seinem Stocke nach der Gegend, daher er selbst kam und sagte dann: „Die erste Sttaße zur Rechten und dann links

das letzte vornehme Haus." Mit einem neuen, heftigeren Sturm im Herzen ging unser Jüngling darauf zu.

Schon ist er in der Straße; er unterscheidet sogleich das Haus

von den niedrigen Nachbarn; er nähert sich der geschlossenen Türe; er will die Hand an den Klopfer legen und hält sie schwebend in die Höhe, als griffe

er in einen Lostopf, worin ein Zettel sein Leben oder seinen Tod entscheiden sollte. Endlich hebt er den Hammer und läßt ihn entschlossen zurückfallen.

Nach einigen Sekunden tat sich ein Fenster ein Lein wenig auf. Ein Frauenzimmer erschien, sich zusammenduckend, in der Öffnung. „Geehrte Frau," rief Renzo mit nicht allzu sicherer Sttmme, „dient

hier nicht ein junges Mädchen von außerhalb, die Lucia heißt?"

„Die ist nicht mehr hier; geht!" antwortete das Frauenzimmer und

machte Mene das Fenster wieder zu schließen. „Einen Augenblick!

Habt Erbarmen!

Sie ist nicht mehr hier?

Wo

ist sie?" „Nach dem Lazarett!" und das Fenster sollte von neuem geschlossen

werden. „Einen Augenblick, um aller Heiligen willen! Pestttank?" „Versteht sich, als wenn das was Neues wäre! Geht!"

50. Der schwarze Tod.

197

„Wartet, eh! Wie lang ist's her . . .?" Das Fenster ward geschlossen. Von der Nachricht bestürzt und über die Behandlung entrüstet, ergriff

Renzo den Hammer noch einmal, drehte ihn, gegen die Türe sich stemmend, in der Hand, hob ihn um zum zweitenmal mit verzweifelter Gewalt zu pochen, ließ ihn aber bald regungslos in der Hand schweben. In dieser

Gemütsbewegung wandte er sich, ob vielleicht ein Nachbar sich sehen ließe, von welchem eine menschenfteundlichere Nachricht, ein Licht, ein Fingerzeig zu erlangen wäre. Die erste und einzige Person aber, so er gewahr wurde, war ein andres Frauenzimmer, welches etwa zwanzig Schritte davon stand,

mit einem Gesichte, worin Schrecken und Haß, Ungeduld und Bosheit nebeneinander hausten. Dieses sah Renzo eine Weile stumm an; plötzlich begann sie zu rufen: „Ein Gistsalber! packt ihn! packt ihn! packt den Giftsalber!"

„Wer? Ich?" schrie Renzo. „Willst du schweigen, lügnerische Hexe?" Aber schon liefen auf das Geschrei des Frauenzimmers von beiden Seiten Leute herbei. „Greift ihn! Greift ihn! 's ist einer von den Höllen­ schuften, die herumgehen und ehrlicher Leute Türen ansalben." Mit Blitzesschnelle überlegte Renzo, daß es rötlicher sei sich hier aus

dem Staube zu machen als dazubleiben und seine Rechtfertigung zu ver­ suchen. Er wandte das Auge nach beiden Seiten um zu sehen, auf welcher der schwächste Zusammenlauf sei; nach dieser setzte er sich in Lauf. Mit einem tüchtigen Stoß drängte er einen, der ihm die Straße versperren wollte, zurück; acht oder zehn Schritte weiter brachte er einen andem, der ihm

entgegenlief, durch einen kräftigen Faustschlag gegen die Brust zu Fall. Die Straße vor ihm war bald frei; im Rücken aber hörte er immer un­ bändiger das ergrimmte Zetergeschrei sich nachrufen: „Packt ihn! packt

ihn! 's ist ein Giftsalber!" Bald merkte er auch, wie die Tritte der Schnell­ füßigsten sich näherten. Sein Zorn verwandelte sich in Wut, seine Angst stieg zur Verzweiflung. Er drehte sich um, zog seinen Dolch und indem er diesen in der Sonne funkeln ließ, schrie er mit fürchterlicher Stimme: „Heran Canaille, wenn ihr den Mut habt. Ich will euch wahrhaftig einsalben

mit dieser Salbe hier!"

Aber seltsamerweise, seine Verfolger waren bereits stehengeblieben; sich gebärdend wie Trunkene und unaufhörlich brüllend, fuchtelten ie in

der Luft herum, als ob sie Leuten, die hinter ihnen herkämen, Zeichen geben wollten. Renzo drehte sich also wieder um, entdeckte vor sich und gar nicht weit mehr einen daherkommenden Leichenwagen oder richtiger eine ganze Reihe gewöhnlicher Leichenkarren mit der üblichen Begleitung, dahinter aber einen andem Menschenschwarm, welcher ebenso gerne dem Giftsalber

VI. Düstere Zeiten.

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zu Leibe gegangen und ihn in die Mitte genommen hätte, jedoch durch das­ selbe Hindernis zurückgehalten wurde.

Renzo sah, daß keine Zeit war den Bedenklichen zu spielen; er sprang auf die Karren zu, lief an dem ersten vorüber und bemerkte auf dem zweiten einen leeren Raum. Schnell tat er einen Sprung und schleuderte sich hinauf.

„Bravo! bravo!" schrien die Leichenträger.

„Bist heraufgesprungen

dich in den Schutz der Totenmänner zu begeben," sagte einer von den beiden, die auf demselben Karren saßen, „verlaß dich drauf, sollst sicher sein wie

in der Kirche." Während der Zug sich näherte, hatten die meisten Feinde den Rücken gekehrt und schlichen zurück, indem sie jedoch noch immer: „Packt ihn! packt ihn! ein Giftsalber!" schrien. Einer unter ihnen machte sich langsamer fort, stand hin und wieder still und drehte sich mit gefletschten Zähnen, mit den drohenden Gebärden des Grimmes nach Renzo hin. Dieser ant­ wortete von seinem Karren herab und ließ seine geballten Fäuste in der Luft spielen. (Manzont

Verlobten-.)

51. Die Geißler. Eine schreckliche Zeit lag über den deutschen Landen in den Jahren 1348 und 49. Der schwarze Tod wütete überall und zu all' dem Elend, das der große „Sterbet" verursachte, kam noch der Kirchenbann, der auf dem Reiche lastete von wegen des toten Kaisers Ludwig und seiner An­

hänger. Trauer und Klage ging durch alle Gaue und alles rief den Himmel an um Erbarmen durch Werke der Buße. In hellen Scharen zogen die

büßenden Geißelbrüder von den Alpen bis zur Nordsee von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf.

An einem Sommertage des Jahres 1349 ging durch Hasela der Ruf: „Die Geißler kommen!" Von Straßburg her waren sie im Anzug, den Ländern an der Donau zu. Mles eilte ans untere Tor um die Büßer zu empfangen. Und als diese

paarweise dem Städtchen nahten, fingen die Glocken der Kirche zu läuten an. Es war ein Zug, wie ihn die Menschen im Kinzigtal weder vorher noch nachher mehr gesehen. Zuerst kamen die Träger der „gewundenen" Kerzen, der Kreuze und der Fahnen und dann die Büßer, hchläugigc, abgehärmte Gestalten mit großen Hüten, in schwarze Mäntel gehüll:, auf denen blutrote Kreuze geheftet waren.

61. Die Geißler.

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Als die Glocken zu läuten aufhörten, fingen die Geißler ihren Leis zu singen an: Nun ist die Betefahrt so hehr,

Christ reit selber gen Jerusalem, er führt' ein Kreuz in seiner Hand;

nun helfe uns der Heieland! Nun ist die Betefahrt so gut, hilf uns Herre durch dein heilig Blut, das du am Kreuz vergossen hast; hilf uns von der Sünden Last!

Nun ist die Straße so breit,

die uns zu unserer Fraue trait in unserer lieben Frauen Land; nun helfe uns der Heieland!

Wir sollen die Buße an uns nehmen, daß wir Gott desto besser versöhnen

alldort in seines Vaters Ruh; deß' bitten wir dich alle glüh;

so bitten wir den heiligen Christ, der der ganzen Welt gewaltig ist.

So singend zogen sie durchs Stadttor der Kirche zu. Hinter ihnen drein die Menge derer von Hasela. In der Kirche knieten die Büßer nieder und sangen: Jesus, der ward gelobet mit Gallen, drum sollen wir an ein Kreuze fallen.

Jetzr warfen sie sich mit kreuzweis vorgestreckten Armen zur Erde und blieben so, bis der Vorsänger anhub: Nun hebet auf euere Hände, auf daß Gott dies große Sterben wende.

Dann erhoben sie sich.

Dieser Vorgang wiederholte sich dreimal.

Hierauf verließen die Büßer die Kirche und begaben sich auf den Kirchhof. Hier begann die Geißelung. Sie zogen ihre Mäntel und Oberkleider ab, banden einen Schurz um die Lenden und legten sich in weitem Kreise

auf den Boden nieder. Der „Meister" schritt über die Liegenden weg, berührte jeden mit seiner Geißel und sprach: Steh auf durch der teilten Marter Ehre und hüte dich vor den Sünden mehre!

Jeder der Berührten erhob sich, folgte dem Meister und tat wie er. Nachdem alle sich erhoben, gingen sie paarweise um die Kirche, ihren nackten

Rücken blutig schlagend mit ledernen Geißeln, von denen wenigstens drei Riemen mit vier eisernen Stacheln versehen waren. Während der Geißelung sangen sie wieder ihren Leis:

VI. Düstere Zeilen.

200

Nun komme jeder, der büßen welle; fliehen wir die heiße Hölle! Luzifer ist ein bös' Geselle,

sein Mut ist, wie er uns Verfälle.

Wer unserer Buße will Pflegen, der soll vergelten und widerwägen,

der beichte recht, laß' Sünde fahren,

so will sich Gott über ihn erbaren, der beichte recht, laß' Sünden reuen,

dann will Gott sich in ihm erneuen. Jesus Christa der ward gefangen, an ein Kreuz ward er gehangen; das Kreuze ward von Blute rot, wir vagen sein Märtel und sein Tod.

Durch Gott vergießen wir unser Blut, das sei uns für die Sünden gut. Deß- hilf uns lieber Herre Gott, deß' bitten wir durch deinen Tod. Sünder, womit willst du mir lohnen die Nägel und ein dümin Kronen,

des Kreuzes Frone, eines Speeres Stich? Sünder, das leid ich durch dich! Was willst du leiden nun für mich?

So rufen wir aus lautem Tone: Unsern Dienst geben wir dir zum Lohne. Durch dich vergießen wir unser Blut, das sei uns für die Sünden gut. Deß' hilf uns lieber Herre Gott, deß- bitten wir durch deinen Tod.

Nach diesem Leis knieten sie, blutend aus vielen Wunden, wieder

nieder und sangen abermals: Jesus, der ward gelabet mit Gallen, drum sollen wir an ein Kreuze fallen.

Mit kreuzweis ausgebreiteten Armen blieben sie liegen, bis der Vor­ sänger begann.

hebet auf die euren Hände,

daß Gott dies große Sterben wende! Nun hebet auf die euren Arme, daß Gott sich über uns erbarme!

Jesus, durch deine Namen drei,

du mach uns, Herr, von Sünden frei! Jesus, durch deine Wunden rot, behüt' uns vor dem jähen Tod!

Jetzt schlugen alle an ihre Brust und sangen: Nun schlagt euch sehr zu Christi Ehre, durch Gott so laßt die Sünden mehre!

Durch Gott so laßt die Hoffart fahren,

so will sich Gott über uns erbaren!

62. Hexenglaube.

201

Damit schloß der erste Umgang der Geißelung. Ihm folgte ein zweiter und ein dritter unter anderen Gesängen. Namentlich ward beim zweiten Umgang Maria um ihre Fürbitte angerufen. Schaudemd stund das Volk von Hasela auf dem Kirchhof und verfolgte

tiefergriffen das ungewohnte Schauspiel. Die meisten weinten und schlugen mit den Büßem an ihre Brust. Nach der dritten Geißelung legten die Büßer die Kleider wieder an über ihre blutenden Leiber. Die Bürger und Bürgerinnen traten nun auf sie zu und luden sie ein zu einem Imbiß in ihre Häuser oder brachten ihnen Wein und Speisen vor die Kirche. (AuS „Der Steinerne Mann von HaSle- v. HanSjakob.

Verlag v. Bonz, Stuttgart.)

52. Hexenglaube. Es war um die Zeit der Sommersonnenwende, als Sarah Jeiteles und Walpurgis in der Küche des alten Mordje Maimones saßen. Die Glut des Tages war gewichen und kühle Lüfte wehten von der Donau her; erfrischend kam es gezogen. Das Feuer unter dem mächtigen Kessel im Rauchfang war erloschen, nur hin und wieder im verkohlten Geblätter flackte ein Fünkchen; unter leisem Knistem zerging es. Das Oberlicht der zwiegeteilten Hoftür war aufgeswßen; lustig auf und nieder in dem mäch. tigen Rahmen tanzten die Mücken; ein feines Summen und Singen ging von ihnen aus und wie der hohe Ton einer sanftgestrichenen Saite klang der summende Ruf. Walpurgis und Sarah saßen sich gegenüber. Die Jüdin haspelte Gam. Zwischen ihr und Walpurg stand ein mächtiges Spinnrad. Die letztere trieb das surrende Rad mit geschäftigter Sohle und netzte den Flachs. Mit bunten Bändem und Schleifen war der Wocken umgestrickt; beschriebene Pergamentschnitzel und Zweiglein vom Eibenbaum waren dazwischen gesteckt und dienten zur Abwehr von Trudner und Hexen. Heilsame Sprüche waren's, die dort geschrieben standen, erprobt in Not und Gefahr und bei den Gebresten der Seele. Walpurgis hielt große Stücke auf ihr Rad und den Wocken — es waren Erbstücke der Mutter selig. Jetzt hemmte Walpurgis das sausende Rädchen. „Sonnenwende!" sprach sie mit Nachdruck. „Was soll's mit der Sonnenwende?" fragte die Jüdin. „Just so schlimm wie Walpurgisnacht! Da fahren die Hexen zu Staffel­ stein, über Weiden und Moor, über Triften und Gras, zu Berg, zu Berg, zu Berg!"

„Gott, der Gerechte!" meinte die Jüdin, „welch seltsam Spektakel!" „Mit der Salbe bestrichen, geht es zu Berg auf Besen und Gabeln. Wohl aus und an, stoß nirgends an! so hallt es im Chor und schneller wie

202

VI. Düstere Zeiten.

Segel und Rosses vermögen, trägt sie der Zauber zum Hexenring. Da sitzt

auf ragendem Stein ein gewaltiger Mann, halb Bock, halb Mensch, des Krone ist wie Ziegengehöm, seine Stimme wie Eulenruf bei strahlender Scheibe, zu öfters trägt er ein schwarzes Ornat, mit Jnful und Chorhemd

— bei Gott im Himmel und seiner allmächtigen Kirche, es ist der Satan!" „Was soll's?" warf Sarah dazwischen. „O du barmherziger Himmel! Was soll's?

Er hat die Weiblein ge­

worben und ihnen das Stigma aufgedrückt; sie sind ihm verfallen und des

ewigen Lebens verlustig. Sie müssen ihm dienen; sie machen Gewitter und Winter und fallende Sucht und sonstig Gebresten, sie säuren die Milch, verderben die Halme des Feldes und schaden den Christen an ihrem Leib und der Seele. Sie jagen böse Gedanken ins Hirn und wecken unlautere

Liebe, sie knüpfen die Nesteln und schließen die Schlösser und sammeln

Almnen, die aus den Angsttränen Gehenkter sprießen und keimen. O meiner Treu und Seligkeit, was sind derlei Weiber für unsäglich schlimme Ge­ schöpfe ! Der Zorn des Ewigen muß sie vernichten, wie Israels gewaltig

Heer die Söhne Enaks erschlug; denn sie haben sich von ihm abgewandt für ewige Zeiten." „Woßu haben se sich verschrieben dem Satan?" fragte die Jüdin.

„Um mit dem Teufel zu buhlen, um höllischen Lüsten zu stöhnen, um Christi Joch abzuwerfen und um zu tanzen auf ragendem Stein; es dünkt ihnen Hochgenuß! Dann werden höllische Trummen gerührt, es Hingen Geigen und Pfeifen und sie tanzen im Ring, die Rücken nach innen

gekehrt und fluchen und lachen und lüstern und singen die Weise: Hopla, harre, Teufel springe!

Springe hie und hüpfe da, harre, hop, halleluja.

Und der Teufel sieht zu und freut sich des Sabbats und wirft infer­ nalischen Schein über den schändlichen Reigen; dann kürt er die Jungen und drückt den Novizen das Stigma auf. Und diese entsagen dem Herrn, der heiligen Jungfrau und allen, die gottselig sind, erkennen den Satan als

Hirten an, schwören ihm Treu und Gehorsam um alle Genüsse der Erde

zu heimsen und Einkehr zu halten nach sündhaftem Leben in das Paradies des teuflischen Buhlen. Jetzt schreit der Hahn und der Morgen graut und die Sterne verblassen.

Der Teufel wittert die Morgenluft; ihn fröstelt.

Mit hopla, harre, Teufel springe! schwindet der Zauber. Auf Böcken und

Säuen, auf Gabeln und Besen fahren die Hexen zu Tal. Als wäre nimmer was geschehen, so ruhig und still liegt der Staffelstein. Nebel und flatternde Streifen umziehen die Kuppe, blinkender Tau hängt am Kieferngeäst

und von spärlichen Halmen sickert die Feuchte.

Krähen umschwärmen

den Gipfel — kein Hexlein, kein Sabbat, keine Höllenpsalmodie — alles

63. Ein Hexrngrricht.

203

dahin um) verflogen und fern im Ost steigt aus Dunst und Gewölk die Sonne

des Etwijen." „Setsami" meinte die Jüdin, „aber Sarah Jeiteles glaubt's nicht." Waburgis sprang auf und umspannte mit der Rechten das Hand­ gelenk de Schaffnerin. „Ihr glaubt's nicht? Ach, daß es nicht wahr wäre, qah Ihr :echt behieltet, aber beim heiligen Kreuz und der Leidensgeschichte

des Hern, es ist kein Trug und kein Märlein; so wahr die Donau dahin­ fließt um) der Wind kühlt und der Vogel streicht auf Feld und Anger, so wahr ffcchen die Hexen zum Sabbat, bezaubem die Feldfrucht und rufen das Wetvr und schaden Menschen und Tieren. Ich hab' ihn gesehen, ich sage g,eschen mit meinen zwei Augen! Nicht einmal, zehnmal, an die hundertnal, bei den Ursulinen im Stift, am Prebrunnentor, am Friedhof der Kwrnelitessen und hier oben im Flur!" ,Mot, der Gerechte, as du kriegst de Tobsucht im Kopf, wen hast du gesehn,, Aalpurgis, wen hast du gesehn?"

Walmrgis trat etliche Schritte zurück, hielt die Arme wie abwehrend von sich inb rief unter Kreischen: „Wen hast du gesehn? — Ich hab's schon zu öftens gesagt, Euch und dem alten Maimones! Sarah, begreif's! Wenn der Mwnt über Dachfirst und Giebel die zaubrische Scheibe hebt, wenn die Feldmami kreist und das Käuzlein umherstreicht, dann sucht er mich heim. Zween: Schuh über'm Boden schwebt der Gesell, er meckert und äugt wie ein bösliy Verliebter und hofieret und klingelt in seinen Taschen gar liebre!ch mit lauterem Golde. Der aber, der also daherkommt, ist Junker Blümcheiblau, auch Kräutlein benamst und Hans aus dem Gräsle. Aber mein Oh: ist taub gegen sein Locken und Werben und meine Augen sehen nicht dne heimliche Glut des Verliebten; ich schlage ein Kreuz und mit Puhu Aw Schwefelgedüft fliegt er von dann. Sarah, begreif's! — Am Kloster de Karmelitessen wohnt 'ne Radlerin, nicht alt, nicht jung, ein recht­ schaffen Deiblein und mir befreundet, die ruf' ich an Zeugnis zu geben; die Göbel Babelin beschwört's, so ihr wollt." (AuS „2U Hexe* v. I. Laufs. Grotefcher Verlag, Berlin.)

53. Ein Hexerrgerlcht. Ein nächtiger Schweinsband lag der Hexenhammer in der Gerichts­ laube des Stadthauses von Regenspurg. Herr Ortuin, des Rates für­ sorglicher Schreiber, hatte den Kodex auf die Lade gelegt. Solches geschah am Tage )es heiligen Timon und in dem Jahre, so man nach der Geburt

des Herrn zählte fünfzehnhundertvierzig und sechs.

204

VI. Düstere Zeiten.

Eine Gerichtssitzung war anberaumt.

Schon längst saß der Gewalt­

herr vor Stuhl und Schrein, angetan mit den Zeichen seiner richterlichen Würde. Vor ihm stund ein deinem Kreuzlein, je drei Kerzen flockten ihm zur Rechten und zur Linken und das nackte Schwert lag ihm verquer auf den Knieen. Er saß nicht allein vor der Richterlade; Bruder Ramuldus war bei ihm, sintemal Zauberei und derlei Wesen weltlich und geistlich Urteil verlangten. Es war hellsehender Tag und dennoch waren die Fettster geblendet. Inmitten der Laube hing eine schwere Ampel von der ragenden Wölbung. Ihre unstete Flamme warf wechselnde Lichter durch den unheimlichen Raum; sie flackte über grausige Dinge. Das Herz mußte sich wenden beim Anblick solchen Gezierdes. Nach Rang und Würden und dem Grade der Folter lagen die Werkzeuge der hochnotpeinlichen Frage gereiht und gerichtet. Vom einfachen Schräublein bis zur entsetzlichen Wippe und der schlimmen Siesel war hier alles vereint — eine herzbrechende Schau! Von der

Laube führte ein Durchbruch in eine niedrige Kammer; spöttischerweis' das „gefältet Stüblein" benannt; es war der Vorraum der peinlich Beklagten.

Hier stand der Meister Auweh mit seinen Gesellen, gewärtig nach Recht, Pflicht und Gewissen peinlich zu fragen, wenn der Schein blinkig, das Herz aber verstockt und der Mund verschlossen blieb. Seitwärts des Schreins, auf niedriger Empore, saß Meister Ortuin; Schreibrohr und

Pergament waren sein Werkzeug. Hinter der Richterlade stand der Fronvogt, ihm zur Seite die Schössen, zwölf Männer an Zahl, würdige Gestalten, erfahren und rechtskundig. —

Es war um die elfte Morgenstunde; Herr Sebastian Plumberger erhob sich mit vemehmlicher Stimme:

„Ist heute Zeit und Stunde nach Recht und Gewissen zu hören und zu richten?" „Es ist Zeit und Stunde, Gewaltherr!" sprach Meister Ortuin.

„Ist weltlich und geistlich Gericht, wie Rechtens, gehegt?" »Ihr sagt es, Gewaltherr!" „Ich frage, wer schreit nach Sühne und Nagt?"

„Walpurgis, des alten Maimones Insassin!" „Hat Klägerin wahrhaftigen Mund?" »Ihre Zunge ist rein!" „Ist Bellagte bei höchster Wette geladen?" „Bei Weh und Wette, bei Strang und Schwert und peinlicher Fraze!"

„So tage Spruch und Gericht im Namen des Kaisers!" „Im Namen des Kaisers!" riefen die Schöffen.

63. Ein Hexengericht.

205

Dann sprach der Gewaltherr zum letzten: „Fronvogt, merke und höre und führe die Klägerin vor Stuhl und Schrein. Sie schreie die Klage im

Namen des Kaisers!" Er ließ sich nieder. Walpurgis erschien; in ihren Augen lohte fanatisches Licht; ihre Wangen schienen krankhaft gerötet, schwankend war ihr Schritt und ihre Haltung gebrochen. Sie trat vor die Lade und Herr Sebastian Plumberger begann: „Seid Ihr Walpurgis, des alten Maimones Insassin?" „Ich bin es, Gewaltherr." „Was führt Euch zur Laube? es ist ein fährlicher Gang!" „Ich Nage und schreie, Gewaltherr l" „Gegen wen?" „Gegen Alftadis, des seligen Tundorffer Kind l" Ein Raunen und Murmeln ging um; Entsetzen malte sich auf allen Gesichtem. Ein jeder kannte die Klage, aber der hohe Name wirkte dennoch lähmend auf alle. Der Fronvogt rührte den Stab und das Gemurmel verüang. Herr Sebastian Plumberger sprach weiter: „Wes klagst du sie an?" »Ich zichte und vage sie an: unlauteren Wesens, der'Buhlschaft und Zauberei!" „Wie hast du Bevagte hierbei betroffen?" „Mit hebender Hand und handhafter Tat!" „Womit erhärtest du schmachvolle Klage?" „Mit heiligem Eidschwur l" „So schreie, Walpurgis, schreie und vage!"

„Es war in der Karwoche; die Leiden unseres Herm Jesu Christi begannen und fromme Schauer, Trauer und Trübsal hielten jedwedes Menschenherz umfangen. Ich hatte den David Hans, Chorherm vom Meder-Münster, sorglich gesargt und gebahrt und wollte heimgehen. Es war um die elfte Stunde. Zerfetzte Wolken jagten am Himmel, der Mond stand in luftiger Höh' und trieb durch das bunte Gewirr der flattemden

Streifen und Fransen. Seltsame Gebilde waren's, durch welche der Mond strich: züngelnde Schlangen, Ungeheuer, Lindwurmleiber und Fratzen; Schrecken ergriff mich, da ich solches gewahrte. Ich beschleunigte den irrenden Schritt; ein Frösteln durchfuhr mich." Walpurgis hielt inne und atmete tief. „Mein Weg führte am Goliath vorbei," sprach sie weiter. Gespenster­ hast stiegen die Giebel auf, das Schiefergestein war seltsam beleuchtet. Im weiten Umkreis keine menschliche Seele, nur ich allein inmitten der Schauer. Ich wollte Vorbeigehen, da fuhr um die Ecke ein bläulicher Schein und mit ihm kam Gräsle. Der hofierte gar kecklich; ich schlug ein Kreuz,

da entwich der Unhold mit Puhu und Geschwefel. Aber ein Brausen hub an, wie ich es nimmer gehört, greuliche (Stimmen allerorten, die lästerten

206

VI. Düstere Zeiten.

Gott und seine heilige Kirche.

Ich wollte vor Schrecken vergehen.

Da

begab sich Unerhörtes: aus dem Schornstein des Goliath kam es gefahren, zuerst neblichte Streifen, Funken und bläulicher Schein, dann hob es sich

blendend und schön in entsetzlicher Nacktheit. Ein Weib fuhr davon, rittlings sitzend auf einer dreifachen Gabel; im Mondlicht zischte und strich ihr gelöstes Haar in glitzernden Fäden. Sie schien ein Neuling, noch unkundig des Rittes.

Kaum dem Schornstein entstiegen, senkte sich Gabel und Weib schier bis zur Erde; die Hexensalbe schien machtlos.

Ich erkannte das Weib, ich sah ihr

Gesicht, ich fühlte ein grimmiges Weh in der Brust — war's möglich?

Hilf Himmel, Alfradis! Sie stieß einen Schrei aus, Meister Gräsle erschien, der raunte den Spruch: Wohl aus und an, stoß nirgends an!

Und mit harre, hopla, Teufel springe! hoben sich Gabel und Weib. Durch die Lüfte ging's mit teuflischem Lachen; in den Wolken

ver­

schwand sie. Ich klage, Gewaltherr, ich schreie und klage und zichte Alfradis der höllischen Buhlschaft; hört mich und wisset und schreibet — sie ist eine Hexe!"

Walpurgis schwieg; unheimliche Stille folgte der Klage, nur Meister Ortuins Gekritzel unterbrach das Schweigen. Schier mit Unwill folgte das kreischende Rohr der zitternden Hand.

Herr Sebastian Plumberger erhob sich und fragte: „Wollt Ihr Schrei

und Klage erhärten mit gichtigem Mund und schwörender Hand?" „Ich will es, Gewaltherr!" „So schwört!"

Walpurgis trat näher und schwur. Herr Sebastian Plumberger winkte dem Fronvogt und sprach: „Heischt die Klägerin gehn und ruft die Beklagte!"

Und also geschah es. Und Alfradis erschien, die peinlich Beklagte, im Kleide der Büßerinnen. Ihr Haar war gelöst, in goldigen Wellen umschloß es die hehre Gestalt. Ein linnen Gewand hüllte die Glieder, nur ob den Lenden war es mit

hänfener Schnur geschürzt und gegürtet. Arme, arme Alfradis! Was sie

in den letzten Monden gelitten, die fürchterliche Anklage, die, wie sie wußte,

dem Tode gleichkam, die Seelenqualen und Marter hatten keine sichtliche Spur bei ihr hinterlassen; Ergebung in Gottes heiligen Willen ließ ihr Ant­ litz sonder Entstellung und friedlich. Herr Sebastian Plumberger kehrte sich ab; Schatten gingen über seine Seele, ein grenzenloses Weh hielt ihn umfangen; er fühlte, wie sich das

Herz aufbäumte gegen Pflicht und Gewissen, mit Gewalt nur hielt er die

53. Ein Hexengericht.

207

Tränen zurück, er wollte vergehn. „Wie wird es enden?" sprach er für sich. „Rätsechaft sind deine Wege, heiliger Gott!" Meister Ortuin hatte das Haupt nur leichthin gehoben; er kaute am Schreibrohr; dem hartherzigen Manne krampften sich Kehle und Hals und wie er sich niederbeugte um seinen Schmerz zu verbergen, wischte er verstohlen die Wange; sie war feucht. Herrn Sebastian Plumberger

durchfuhr es. Er raffte sich auf und sprach mit vernehmlicher Stimme: „Alfradis Tundorffer, der Stuhl ist gehegt, wie es Kaiser Karl gesetzt und befahl.

Ort und Zeit sind für recht befunden zu hören und zu richten,

Urteilsfinder und Schöffen sind ehrsame Männer, wissend und sonder Hader und Schalkheit, drum stell' ich die Frage: Haltet Ihr Stuhl und

Schrein für geboten und für rechtlich besetzt?" Ein wehmütiger Zug spielte um den Mund der Alfradis; sie schwieg.

„Ich frage zum zweiten," sprach der Gewaltherr. Alfradis nickte. „So höret und wißt: es wäre besser, Ihr hättet nimmer die Sonne geschaut und das leuchtende Blau des ewigen Himmels.

Das Blau wird

dunkel für Euch und die Sonne verlöschen, Ihr möget klagen und Buße tun — das mag Euch erlösen von dem ewigen Übel. Weh Euch, Alfradis! Ihr seid des Zaubers beschuldigt, Ihr seid gefahren in laulicher Nacht über

Stock und Stein, über Gras und Grein, zu Berg, zu Berg, zu Berg! Ihr habt Euch dem Satan verschrieben und ihm Treue gelobt; Ihr seid gewesen im Ring und habt gebuhlt auf ragendem Stein. Weh Euch, Alfradis! Euch

schrecken Orgel und Hahnenkraht und Glockengeläut ist Euch ein Greuel. Ob Ihr Wetter gemacht und Schlossen geschickt, verderbten Gemütes Nesteln

geknüpft und Filter gebraut — der Ewige weiß es! — Weh Euch, Alfradis!

Ihr seid eine Hexe; nur Feuer und Flammen tilgen die Schuld!" Entsetzlich klang's; die letzten Worte hatte der Gewaltherr keuchend aus der Brust gestoßen; es war, als ob ein Verzweifelter klagte und schrie.

Erschöpft sank er auf den Stuhl zurück. Mftadis wankte; sie preßte mit beiden Händen die Schläfen: „O du herzlieber Gott, wie geschieht meinem Herzen; o weh, o weh!"

Der Gewaltherr sprach weiter mit tönender Stimme: „Bist du ge­ ständig, so sprich!" „Bin ich ein Unhold," stöhnte die Jungfrau, „will ich das ewige Leben verlieren! O wie geschieht mir so unrecht!" „Mftadis, Alfradis, ich frage zum zweiten!" „Herr Jesus, komm mir zu Hilfe; ich kann nicht anders, ich bin keine

Hexe!"

„Mftadis, bei den Heiligen im Himmel, gedenket der Folter!" „Folter und Qualen schrecken mich nicht!"

208

VL Düstrre Zeiten. „Gedenket der Eltem unter dem Rasen!" „Ihnen ist wohl!" „Bei höchster Wette, bei Stuhl und Schrein gedenket des ewigen

Lebens!" „Ich bin versöhnt mit dem Herm!"

„Heila, Meister Peinmann, was gedenkt Ihr zu tun?" „Ich quäle und strecke, ich zerre und recke!" „Womit?" „Mit Ruten und Weiden, mit Wippe und Seilen!" „Wie lange?" „Bis fadenscheinig der Leib und Sonne hindurchsieht!" „Alfradis, ich frage zum dritten, ich frage zum letzten, bekennt!" Traurig klang's; schier flehend hatte der Gewaltherr die Hände er­ hoben. Ihm war's, als müßte er das Geheimnis von ihren Lippen zerren und ringen — zur Kürzung der Qual und der Ärmsten zuliebe.

Ein grausenhaftes Schweigen ging durch die Laube. Mfradis trat näher; überirdisches Licht funkelte unter den Brauen; sie hatte die Hände ob der Bmst gekreuzt; die Augen gen Himmel ge­ richtet, begann sie. Sie sprach nicht, sie knirschte nicht — es waren Laute der Verzweiflung, höchster Not und des Grausens, die sich vom gequälten Herzen rangen. „Im Namen des Vaters, des Sohnes, des Heiligen Geistes — was wollt Ihr? l Ich eine Hexe?—Haha! Ich lache, lache, lache ob der gräßlichen Pein! O du herzlieber Gott, Mutter der Gnaden, ich lache von Stund an — ich kann nicht mehr weinen. In höchster Not und Bedrängnis lacht der Mensch, aber es ist ein Lachen voll entsetzlicher Tragik. So lacht sich im Wahnsinn, so lacht ein Weib, wenn es der Ehre beraubt wird — bei höchster Gewalttat. Erlöser und Heiland — ich eine Hexe, ein Unhold?! Mir schwinden die Sinne! Zerrt mich und reckt mich, laßt mich erdulden an Matter und Pein, was jemals erdacht und ersonnen—ich rufe Euch zu: ich lin nicht gefahren zu Berg, ich sah nicht den Teufel im Ring, ich machte nicht Wetter und Schlossen und Hagel und fallende Sucht — bei allem, was nti heilig und wert — ich bin keine Hexe!" Sie schloß mit einem Aufschrei, der das Blut gefrieren machte; dann sank sie zu Boden; die kalten Fliesen der Laube kühlten die gemarterte Sttm. Der Gewaltherr stund auf, hob das Schwett und warf es aif Lade

und Schrein. Der Stahl flirrte und schrie. Ein blutiger Scheir zuckte herfür; dann tief er zum „gefaltet Stüblein" hinüber: „Hella, Meistrr Pein­ mann, im Namen des Kaisers und seiner allheiligen Satzung sei dcs Weib Eurer Kunst übergeben! Ihr Herz blieb hättet denn Kiesel, ihr Aund ist

versiegelt — sprengt ihr das Herz und löst ihr die Zunge!"

53. Ein H^engrricht.

209

Der Meister trat vor, von den Gesellen begleitet. Ihre Gewandärmel waren geschürzt; kraftvoll sprangen die Sehnen vor. Sie standen, des

Winkes gewärtig.

„Heila, Meister Auweh, beginnt Ihr die peinliche Frage sofort?"

„Mit Nichten, Gewaltherr!" „Was heischt das Gesetz?"

„Ich sinne und suche vorher!" „Was sinnet und sucht Ihr?"

„Das Stigma, das höMsche Zeichen, Gewaltherr!" Herr Sebastian Plumberger sank zurück und stöhnte: „Waltet des Amtes; Ihr habt Macht und Möge und freie Tat über sie." „Barmherzigkeit!" flehte die Ärmste.

Im Gescharr der nahenden

Sohlen verhallte der Angstruf. Um das liebliche Rund der schneeichten Arme und Knöchel legten sich klammernd die. Fäuste der rohen Gesellen. Sie zerrten am weißen Gewand, sie sprengten die Hefteln, sie lösten den Gurt unb rissen das Linnengespinst von dem blendenden Nacken. Da prallte Mfradis zurück. „Was beginnt Ihr, was wollt Ihr?" schrie sie entsetzt. „Wir suchen das Stigma," sprach der Gewalcherr, „der Hammer befiehlt es." Das traf wie ein gewaltiger Faustschlag. Mfradis schnellte vom Boden. „Ich ertrag es nicht länger!" rief sie mit entsetzlichem Weh­ schrei. „Jesus, Maria, helft mir, errettet! Häuft Kloben auf Kloben, ihr Schergen und Knechte, tränkt sie mit Teeren und Harzen, stoßt mich hinaus, facht Feuer und Flammen, schüret den Brand, ich will brennen, brennen! Quält nich und spannt mich — ich will es ertragen, stäupt mich über Gebühr — es se mir Gnade und Glück — aber laßt mir Kleid und Gewand! O wie geschieh: mir so schwer!" Sie sank in die Kniee und hob flehend die Hände

gebreitet.

„Jh kann Euch nicht helfen," sprach der Gewaltherr. Dann zu den Knechte: gewandt, gebot er mit schmerzlicher Stimme: „Heila, bei höchster Klage utb Wette, tut, was Eures Amtes! Ich habe gesprochen!" De Meister drang vor mit den Knechten. Sie rissen die Jungfrau em­ por, scher mit Gewalt legten sie Hand an sie zu entkleiden — da aber kam mämliche Kraft über Mfradis: sie stieß die Gesellen.zurück, sie rang sich bos und stürzte zur Lade und schrie wie im Irrsinn: „Und wenn ich bekenne?" „Dmn seid Ihr geständig," sprach der Gewaltherr. „Ihr werdet zum Sdß geführt in christlicher Liebe, Ihr sühnet den Frevel; der Himmel wird grädig sein."

„Utb das Zeichen — wird es gesucht?" Angirger-HauSmann, Aus Deutschlands Vergangenheit.

14

210

VI. Düstere Zeiten.

„Durch das Bekenntnis ist Satans Macht und List dahin . . . Nein." „So höret und wisset, Gewaltherr, Richter und Schöffen," stöhnte

Alfradis, „hört mein Geständnis! — Vergib mir die Sünde, heiliger Gott! — Ich klage, bekenne und schreie: ich bin eine Hexe!" „Ein himmlisches Lächeln verklärte das Gesicht der Alfradis, aber sie war bleich wie der Tod; dann schlug sie zurück. Tränenden Auges fing sie der Fronvogt auf. „Der Herr sei mit ihr!" sprach der Gewaltherr. (Au- „Die Hexe- v. I. Laufs.

Grotcscher Verlag, Berlin.)

VII. Die neue Lehre

Am Ende des Mittelalters vollzog sich eine große Umwälzung auf kulturellem Gebiete (Renaissance — Humanismus). Die Päpste und Bischöfe nahmen regen Anteil an der neuen geistigen Bewegung. Hand in Hand damit gingen eine Veräußerlichung des religiösen Lebens und eine Vernachlässigung der Seelsorge. In Deutschland glaubte man besonders Grund zur Klage über religiöse Mißstände zu haben. Das unter der Asche glimmende Feuer der Unzufriedenheit konnte durch eine verhältnismäßig geringfügige äußere Ursache zum verheerenden Reformationsbrand entfacht werden.

Der Augustinermönch Martin Luther machte durch den Anschlag von 95 religiösen Streitsätzen (Thesen) an der Schloßkirche zu Wittenberg einen kühnen Vorstoß gegen Rom, der ungewöhnliches Aufsehen erregte und auch viel Beifall fand. Der Papst und der Kaiser suchten auf dem Wege der Güte und Strenge Luther zum Widerruf zu be­ wegen, jedoch umsonst. Immer kühner wurde das Auftreten des Reformators, der in hervorragender Weise die Sprache meisterte und seinen Zwecken dienstbar machte; immer größere Stoßkraft gewann die von höherer Seite begünstigte protestantische Bewegung; immer verworrener wurden die religiösen Verhältnisse in Deutschland. Die Verwirrung wurde noch gesteigert durch das Eindringen zwinglianischer und kalvinischer Ideen. Eine Klärung erfolgte endlich 1555 auf dem Reichstag zu Augsburg, wo die Spaltung Deutsch­ lands in zwei chrisüiche Konfessionen öffentliche Anerkennung fand. Der Augsburger Religionsfriede räumte den Reichsständen völlige Religionsfreiheit ein, besiegelte das „Reformattonsrecht" („Wessen das Land, dessen die Religion") und schuf den „Geistlichen Vorbehalt" (tritt ein geistlicher Fürst zum neuen Glauben über, so dürfen seine Güter nicht säkularisiert werden).

Neben der religiösen Bewegung und in Verquickung mit derselben erlebte Südund Mitteldeutschland auch eine soziale. Die wirtschaftlich bedrängten Bauern beriefen sich auf Luthers Lehre von der christlichen Freiheit und revolutionierten. Nur das gemein­ schaftliche Vorgehen der Fürsten machte dem Bauernaufstand ein Ende (1525). Mit dem Augsburger Religionsfrieden hatte der erste Akt der religiösen Erschütterung Deutschlands sein Ende gefunden; den zweiten Akt bezeichnet man gewöhnlich als „Gegenreformation". Die katholische Kirche, durch die Trienter Reformen neu-gekräftigt, suchte einen weiteren Übertritt zum Protestantismus zu verhindern und abgefallene Glieder wieder zum alten Glauben zurückzuführen (kirchliche Gegenreformation); die katholischen Fürsten machten vom Reformationsrecht Gebrauch und zwangen ihre Unter­ tanen zum katholischen Glauben zurückzukehren oder auszuwandern (politische Gegenreformatton); die Protestanten setzten sich vielfach über das Reformattonsrecht und den Geistlichen Vorbehalt hinweg, indem sie in katholischen Herrschaftsgebieten sich Glaubens­ freiheit verschafften und eine Reihe von Kirchengütern säkularisierten. Diese beiderseittgen Bestrebungen brachten viele bittere Streittgkeiten mit sich, deren bitterste der Dreißig­ jährige Krieg war. Das gemeinsame Unglück dieses Krieges brachte schließlich die Kon­ fessionen einander etwas näher.

54. Reichstag zu Worms. Eines Tages trafen Doktor Johannes Welser, Sebastian Tücher, Kaspar Nützel, Leonhard Schürstab, Lazarus Spengler und sonstige Herren­

leute in Gemeinschaft mit etlichen Vertretem der maßgebenden Frater­ nitäten Und Zünfte in der Hirschelgasse zusammen. Auch der Singer und Reimer aus dem Mehlgäßlein hatte der fteundlichen Weisung seines ver­ ehrten Gönners pünktlich Folge gegeben und alle lauschten mit gespannten Ohren den beredten Worten des Stadtschreibers, der also erzählte:

„So waren wir denn endlich gen Wormse gekommen. Es war am sechzehnten April und am nämlichen Tage als Martinus Luther in Be­ gleitung von Nikolaus Amsdorf und Justus Jonas seinen Einzug hielt; da trabte ich auf meinem Rößlein in die altehrwürdige Burgunderstadt,

deren Mauern und Giebel so manches von Walter von Aquitanien und dem hümenen Siegfried, von Biterolf und Dietleib und dem Wormser Rosen­ garten erzählen mochten. Auf einem schäbigen Wagen, der mit einer faden­ scheinigen Leinwand bedeckt war, triumphierte der große Reformator

durch die dichtbesetzten Straßen um sich andem Tages vor Kaiser und Reich, vor seinen Freunden und Feinden zu stellen. Eine zahllose Menge Volkes umjubelte den Zeltwagen, schöne Frauen winkten mit ihren duftigen Tüchlein aus Erkern und Gaden, die Auglein blitzten und selbst auf den ab-

gedeckten Schindel- und Ziegeldächem hatte sich die Schaulust postiert um sich von hier aus an dem vom Papste geächteten Manne erbauen zu können. Des Reiches Erbmarschall, Herr Ulrich von Pappenheim, und

der kaiserliche Herold, Herr Kaspar Storm, ritten als Vortritt und sorgten dafür, daß der dem honorabili, dilecto, devoto doctori Martino Luthero

vom Kaiser ausgestellte Geleitsbrief sich in allen Punkten als sicher er­ weisen möge.

Etliche Stunden nachher schickte sich ein alter Haudegen an durch die Tore von Wormse zu reiten." „Haha!" meinte Hieronymus Paumgärtner, „ich kenne den Men."

Lazarus Sengler fuhr fort: „Es war eine große Eisengestalt, die also daherkam. Ein eisgrauer Knebelbart überwallte den Stahlkrebs. Die ge­ riffelte Sturmhaube, von deren Helmrose eine einzelne Rabenfeder empor­ stieg, war tief in den Nacken gestülpt, die Sporen klangen und eine durch die

VII. Die neue Lehre.

214

Unbilden des Wetters schon stark abgenutzte Sattelschabracke deckte den Rücken des schwarzen Ardenners.

Alle Leute brachten dem eisernen Reiter einen

freudigen Zuruf. Er dankte mit gerunzelter Stirne." „Und wie nannte sich besagter Mann?" fragte Hans Sachs. „Georg von Frundsberg," erwiderte Hieronymus Paumgärtner, „den Gott segnen möge!"

„Er war es," bestätigte der städtische Schreiber; dann schwieg er für eine Weile.

„Andem Tages," so erzählte er weiter, „um die zehnte Morgenstunde tönten von allen Kirchen helle Fanfaren und Paukenwirbel."

„Auf den Zinnen der Sankt Pauluskirche wurde zuerst getrommelt

und geblasen.

Von den meisten Türmen flatterten die wohlbekannten

Wappendecken mit dem Doppeladler.

Die kaiserlichen Pauker und Heer-

drommeter riefen zum Reichstag." „Das war eine große Schau im stattlichen Saale!

Der jugendliche

Karl saß in einem stolzen Kranz von weltlichen und geistlichen Würden­

trägem. Viel Edelgefunkel allerorten! Neben dem Pallium der gefürsteten Äbte paradierte der Hermelin der regierenden Häupter. Zwischen den ge­

buckelten Hauben und Reiherfedern streckte sich die Mitra hervor, die Bänder tanzten und weithin glänzten die mit seltenen Steinen umkrusteten Am­

monshörner von den Stäben der infulierten Prälaten. Kleriker und Laien,

die Senatoren und die Vertreter der befohlenen Städte waren im Vorder­ grundpostiert, während Aleander, derpäpstlicheNuntius, mit seinen Disputan­

ten, Ketzerrichtem, Offizialen und Schreibern den linken Flügel besetzt hielt."

Eine hohe Gestalt

„Aller Augen waren auf den Eingang gerichtet.

lehnte mit verschränkten Armen an der Flügeltüre des Saales und wie

im Unmut spielte der eiserne Fäustling mit den grauen Haaren des Kinn­

bartes.

Es war der schweigsame Reitersmann vom gestrigen Tage."

„Der Frundsberger," meinte Hans Sachs. Lazarus Spengler nickte.

„Jetzt stieß der Reichserbmarschall, Herr

Ulrich von Pappenheim, den mächtigen Stab auf.

Da war ein großes

Schweigen geworden und Doktor Martinus Luther betrat in schlichtem

Augustinerkleid die weite Halle. Sein Blick war ruhig. Als er den Mann in

Eisenrüstung passierte, zupfte ihn dieser an seinem groben Ärmeltuch und meinte in warnenden Lauten: „Mönchlein, Mönchlein, Ihr tut einen ge­

fährlichen Gang, dergleichen ich und mancher Oberster auch in den bedenk­

lichsten Schlachten nimmer gewandelt sind!" „Donner und Wetter!" eiferte Sebastian Tücher. „Aber Luther versetzte: ,Und wenn so viel Teufel in Wormse sind

als Ziegel auf den Dächem, doch wollte ich hinein'." „Brav so!" warf Hieronymus Paumgärtner dazwischen.

54. Reichstag zu Worms.

215

Aber Lazarus Spengler fuhr fort: „Da klopfte ihm der Frundsberger

auf die Schulter und brummte: .Bist du. auf rechter Meinung und deiner Sache gewiß, so fahre in Gottes Namen; der Herr da droben wird dich nimmer verlassen!' — und mit diesem Zuspruch des wetterharten Ge­ nerals betrat der beherzte Mönch die kaiserlichen Schranken des Gerichtes.

Und was nunmehr geschah, das mögen nur solche verkünden, denen Engels­

zungen gegeben; denn was groß und erhaben und was im heiligen Zorne zu den (Sternen lodert, himmlische Begeisterung, eifriges Suchen nach dem Höchsten auf dieser Erde — alles dieses zuckte wie ein schweres Gewitter

über die Köpfe der lautlosen Menge hin.

Aller Sophistik und allen An­

feindungen der erbitterten Gegner hielt er trutzigen Widerpart gleich einer ehernen Mauer."

„Allein erst am folgenden Tage entwickelte Luther die volle Kraft seiner

gewaltigen Zunge und verfocht seine Glaubenssätze und Lehren, so er in den berühmten Schriften: ,An den christlichen Adel deutscher Nation' und: ,Bon dem babylonischen Gefängnis der Kirche' niedergelegt, mit Geistes­

schärfe und heiligem Eifer. Auch seinen Gegnern kam ein Staunen an; die goldumbordeten Jnfuln neigen sich hierhin und dorthin, die gotisierten Ammonshömer schwankten auf und nieder, als der ketzerische Mönch in Donnerlauten von dem wahren Heiltum erzählte und alle in Grund und Boden verfluchte, die tauben Ohres sich den christlichen Lehren verschlössen.

Aus dem Angeklagten war ein mutiger Kläger geworden. Immer drohender rollte die befehlende Sprache über die vielhundertköpfige Sitzung; die Brandung schwoll zu gewaltigen Lauten an, die Kühnsten verzagten; denn nunmehr zog er gegen die Jndulgenzen zu Felde, forderte die Reichsstände und Fürsten auf bei der Reform des geistlichen Standes zu helfen und

verwarf unter atemloser Stille die Herrschaft des Papstes, die Verehrung der himmlischen Scharen, der Heiligen und ihrer Gebeine, ließ die Lehre

von den sieben Sakramenten nicht gelten, verlangte die Spendung des Kelches an die Laien beim Abendmahl und verdammte die Ehelosigkeit der Priester. Der Kaiser war hilflos; nur Aleander hatte seine Fassung behalten."

„Ein wütendes Halt warf er dem Wittenberger Ketzer entgegen. »Ihr seid nicht zum Reichstag befohlen,' sprach er mit Ingrimm, .Eure ver­ derbten Lehren und Sätze mit tönendem Wortgeklingel allhier zu verfechten;

nur die Gnade des Papstes und die Einsicht des Kaisers allein zitierten Euch, den Glaubensrebellen, nach Wormse, auf daß Euch eine letzte Frist gegeben werde die entsetzlichen Flüche der heiligen Bulle „In coena domini“

von Eurem Haupte zu wenden. Widerrufet, abtrünniger Mönch; denn nur auf solche Weise möget Ihr Gnade finden vor dem Stellvertreter Gottes auf Erden! Dies meine Weisung: Die Antwort sei bündig.'

VH. Die neue Lehre.

216

Der päpstliche Nuntius hatte gesprochen.

Da reckte sich Luther auf;

sein Antlitz war gen Himmel gerichtet. ,Weil denn eine schlechte, einfältige, richtige Antwort von mir verlanget wird/ sprach er mit Rührung, aber

zugleich mit eisernem Willen, ,so werde ich eine geben, die weder Hörner noch Zähne haben soll, nämlich also: Es sei denn, daß ich mit Zeugnissen der Heiligen Schrift oder mit öffentlichen, klaren und hellen Gründen

überwunden und überwiesen werde — so kann ich und will ich nicht wider­

rufen, weil weder sicher noch geraten ist etwas wider das Gewissen zu tun. — Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir — Amen!'" — (AuS „DerMünch von St. Sebald" v. I. v. Laufs. Grotescher Verlag, Berlin.)

55. Bauernelend. Ein Haufen armseliger Hütten, planlos hingesetzt, bildete das Dorf,

in dem Michel Busch mit seinen kranken Eltem lebte.

Die Strohdächer

dieser Hütten schützten kaum vor dem Regen und deren Wände, aus Holz und Lehm zusammengefügt und ohne Fundament auf den Erdboden gesetzt, zitterten bei jedem Windstoß und drohten den Einsturz.

Es war Morgen und die Sonne bemühte sich vergebens durch die kleinen, grünlichen Glasscheiben hineinzulächeln in die einzige Stube des

Hauses um mit ihrem milden Strahle die bedrückten Menschenherzen zu erfreuen. Auf einem elenden Strohlager lag Michels Mutter, ein Bild des Jammers und der Not.

Die fleischlosen Wangen waren tief eingefallen

und die hervorstehenden Backenknochen, die tiefliegenden, glanzlosen Augen

und die bläulichen Lippen ließen erkennen, daß der Tod nicht lange mehr

sein Opfer werde leiden lassen. Vor dem Lager kniete der treue Sohn, in der Hand einen Topf mit Milch haltend, mit der anderen die trockenen Lippen der Kranken anfeuchtend. In der Nähe des Herdes saß der alte, gelähmte Vater, stummschmerzlich das Brodeln eines Kessels beobachtend, der in schweren Ketten über dem Feuer hing. Ein lang entbehrter Genuß sollte ihm heute werden; denn Michel hatte aus der Stadt ein Stück Fleisch mitgebracht und der Alte freute sich auf die stärkende Brühe.

Die Kranke stöhnte auf.

„Lieb Mütterchen, hast Schmerzen!" sagte

Michel mit weicher Stimme, „könnte ich dir helfen!" Gleichzeitig schob er das Stroh unter dem Kopfe der Kranken zusammen um sie weicher zu betten. — Da ertönte ein heller, langgezogener Klang durch das Dorf

und die schweren Hufschläge vieler Pferde wurden hörbar. „Das ist Diether von Kleen," sprach Michel, „der Geldwolf ist gekommen uns den letzten Tropfen Blutes auszusaugen."

Schon verlangten heftige Schläge an die

wurmstichige Tür stürmisch Einlaß. Ehe Michel Zeit fand die Tür zu öffnen,

217

55. Bauernelend.

krachte diese in der morschen Einfassung weit auf. Herein traten einige Lan-

zenknechte.

„Meine Mutter liegt im Sterben," sagte der junge Bauer

mit gedämpfter ©throne zu dem Rottenführer, „habt Gnade, Herr!" „Was?" rief dieser roh und stieß Michel, der ihm den Eintritt zu wehren schien, heftig zurück, „bezahl, Bauer — wo bleibt der Zehnt?"

Auf die Krücke

gestützt, hatte sich der Vater herangeschleppt, trat zum Rottenführer und sagte, die Hände erhebend: „Erbarmen, Herr!

Wir sind blutarme Leute,

mein Weib ist todkrank und wir haben keinen Heller." „Zurück, Bauemgesindel! — Leute," wandte er sich an seine Begleiter, „nehmt, was ihr

findet und macht unsern Ritter bezahlt!" Da hallte aus dem Stall herüber das Gebrüll der Kuh, der einzigen Habe dieser armen Leute und sofort

stürzte einer der Reisigen hinaus das Tier zu holen. Michel aber, sein Vorhaben merkend, eilte in mächtigem Sprunge ihm nach und ließ seine geballte Faust mit solcher Wucht auf des Knechtes Blechhaube fallen, daß derselbe betäubt zu Boden stürzte. „Auf, greift ihn!" schrie der Anführer, „stecht den Bauer nieder!"

Michel, mit dem Rücken wider die Tür des

Stalles gelehnt, war in diesem Augenblick schrecklich anzusehen; seine Augen flammten wild, er knirschte mit den Zähnen. Er sah die Knechte auf sich ein» dringen; da ergriff er den nächsten davon und schleuderte ihn mit solcher

Kraft zur Erde, daß der Boden dröhnte. Dann stürzte er, mit dem langen

Heftmesser wild um sich hauend, vor und brach sich Bahn.

Vergebens

war der Befehl des Rottenführers den Fliehenden zu ergreifen; in mäch­ tigen Sätzen sprang Michel weiter, dem nahen Walde zu, wo er erschöpft am Stamme einer alten Eiche niedersank.

Wie lange Michel in verzweiflungsvollem Brüten dagelegen, wußte er nicht. Als es aber zu dunkeln begann, trat er entschlossen den Rückweg nach dem Dorfe an. Völlige Dunkelheit herrschte als er in der Nähe der heimatlichen Stätte anlangte. Plötzlich blieb er stehen. Hatte er sich denn verirrt? — Nein, dort standen ja die drei großen Dorflinden und hier führte

der Seitenpfad nach dem Nachbardorfe; aber die Hütte erblickte er nicht. Michel schlug sich mit der Fläche der Hand wider die hämmemde Stim um sich zu überzeugen, daß er wache und schlich näher . . .

Und da er­

blickte er an der Stelle, wo die Hütte seiner Eltem gestanden, einen Trümmerhaufen, noch rauchend von dem Brande, der die Hütte ver­

zehrt hatte . . . „Mutter!" rief er so schmerzlich, daß es weithin durch die Sülle der Nacht klagend und schaurig ertönte, „Mutter, Vater!" Dann starrte Michel, stumm die Hände ringend, vor sich hin; der Ort,

an dem seine Wiege gestanden, war das Grab seiner Eltem geworden, und welches Grab! Mittemacht mochte vorüber sein, als er sich angestoßen und in die Höhe gezogen fühlte.

218

VII. Die neue Lehre.

„Michel, du bist's?" hörte er eine Stimme sagen, die ihm bekannt schien. Es währte eine Weile, bis er völlig zur Besinnung kam.

„Meerwein?" fragte er endlich, tief aufseufzend. „Ja, ich bin's, Michel; was suchst du hier?"

„Laß mich, Meerwein; ich will allein sein!" „Nein, hier sollst du nicht bleiben; komm, wir all' haben so viel Plag und Kummer zu tragen, daß es besser ist, wenn der ein' sich am andern

tröstet." „Wo ist meine Mutter — mein Vater? — sag's mir, Meerwein, du weißt's."

„Niemand weiß, wo der andere ist; das ganze Dorf ist flüchtig; viele Hütten sind verbrannt und wer noch was retten konnte, ist vor dem Wüterich geflohen ... Die ganze Nacht hab' ich Barb gesucht . . . auch die ist fort, wer weiß wohin!"

— Barb, Meerweins Schwester, war Michels Braut. — „Barb fort? fragte er tonlos. „Aber komm, Michel, hier helfen Klagen nicht!" „Nein!" rief der junge Bauer wild auffahrend und heftig faßte er seines Freundes Hand, „Klagen hilft nicht, aber Handeln! — Hier bei der Asche meiner Eltem, an der Stätte wo meine Hütte gestanden, schwöre ich Rache dem Elenden!" (Aus „Schwere Zeiten" v. W. Koch. Zeitschrift „Bayerland").

56. Der arme Konrad. Was die Pferde laufen konnten, ging der Zug Herm Konrads III.,

des flüchtenden Bischofs von Würzburg, durch das Neckartal: Ein wildes

Gewimmel von gepanzerten Lehnsrittern und schwertbewährten Dom­ herren, von Köchen, Dienern und Knappen, von Karren voll Mönchen und Priestern, die, gedrängt wie die Raben auf dem Ast, beisammensaßen, Reliquienschreine und Altargerät in den Armen, von bepackten Maul­ tieren, Hunden und Troßvolk, das neben den Gäulen lief.

Inmitten der regellosen Schar der Kirchenfürst selbst.

Zusammen­

gebrochen saß der stolze, alte Herr auf seinem weißen Hengst, das vom purpur­ roten Barett gekrönte Haupt gesenkt, Kotspritzer auf dem blanken, mit gol­

denen Reifen gezierten Harnisch und dem scharlachfarbenen Waffenrock, den Krummstab schlaff in der Hand haltend. — Ritter Felix von Trugenhofen war zur Seite gewichen um die wilde Jagd an sich vorbeisausen zu sehen. „Ich mein', man soll dem Feind die Bäuche weisen und nicht den Rücken!" schrie er in das Geklirr der Panzer,

das Wagengerassel und Hufgepolter hinein.

66. Der arme Konrad.

219

„Ihr redet, wie Jhr's versteht, Ritter!" erwiderte ihm, in eiligem

Vorbeireiten sich im Sattel wendend, ein Reisiger. „Das Gespenst fliegt weiter! Ganz Franken und Schwaben steht in Hellen Flammen. Wann es dämmert, geht die Rede, soll man heute im Neckartal und auf den Bergen hier die ersten feurigen Häuser sehen! Merkt auf, ob nicht auch Eures

dabei ist!" „An meinem Häuslein ist nichts mehr auszubrennen l" lachte Ritter

Felix und ritt weiter. —

Kurz vor Neckarzimmem hallte wie vom Himmel her dumpfes Pochen an seiy Ohr. Dort oben auf schwindelnder Höhe verwahrte Herr Götz von Berlichingen emsig sein Schloß Hornberg. Hell hoben sich der schlanke, hohe Bergfried, das Gewirr der kleineren Türme und zackengekrönten

Mauern vom Blau des Himmels ab.

Winzig klein erschienen vom Tal

die geschäftig hin und her eilenden Knechte und die im Sonnenschein blin­

kenden Panzer der Reiter, die ihre Rosse den Bergpfad auf und nieder zügelten. Zwei wilde Gesellen auf mageren Bauerkleppern kamen dicht an Ritter Felix vorbei den Abhang hinab. „Der Götz muß unser Oberst wer­

den!" sprach der eine finster.

„Er mag wollen oder nicht.

Die Bauem-

hauptleut', Fähndriche und Gewaltigen haben sich zusammengetan und ihn erwählt!"

„Er aber hat sich beschwert!" lachte der andere tückisch. gehört, Müllerhänslein, wie er sich gewunden hat!

„Hast nicht

Es wollt' ihm nicht

gebühren! Sie sollten den Neuhauser nehmen, wär' geschickter dazu!" „Potz Blitz!" sagte Müllerhänslein von Bieringen gleichmütig, „wir

haben ihn itz abgefangen! Hilft ihm nichts, wenn er noch so ein langschweifig

Geschwätz macht! Er muß Oberster sein oder wir schießen ihn vom Gaul!" — Nun ritt der Trugenhofer im Deutschordensstädtchen Gundelsheim ein. Die Deutschherren waren allesamt geflohen. Wie in einem Bienen­ stock summte es vor den Portalen des Schlosses und strömte über die Zug­

brücken und kehrte beutebeladen zurück.

Die Gundelsheimer fegten den

Deutschherrn gründlich Küche, Keller und Kammer ihrer Feste aus, ehe sie die Pechkränze hineinwarfen. Da schleppten sich Bauem mit Getreidesäcken, dort trugen vier Kerle

im Schweiß ihres Angesichts einen steinernen Wassertrog auf Stangen

davon und zankten sich Weiber um die Chorhemden, aus denen sie sich Schür­

zen zu schneiden gedachten. Die zerrissenen Briefe und Urkunden des Rent­

amtes bedeckten wie ein Schneegestöber den Hof und im Keller stand schuh­ hoch der Wein, der den zerschlagenen Fässem entronnen war. Betrunkenes Volk stapfte und plätscherte bei Fackelschein in der goldigleuchtenden Flut, die den Raum mit betäubendem Dunst erfüllte, und beugte sich nieder

VII. Die neue Lehre.

220

den Wein mit der Hand in den Mund zu schöpfen oder in Näpfen und Kesseln

auf die Gasse zu tragen. Dort scharte sich johlend und jubelnd das Volk, Weiber und Kinder, um die Brandmeister, die den Beuteschatz des Schlosses, Silber, Leinwand

und Hausgerät unter den armen Konrad verteilten und gellend klang das Spottlied: „Essen, Trinken, Schlafengan, Kleider aus und Kleider an ist die Arbeit, so die Deutschherm Han!"

Ernster aber ging es im Städtlein selbst zu. Dort rüsteten sich die wehr­ haften Männer um zu dem großen Heer der Odenwälder und Neckar-

bauem zu stoßen. Sie stellten sich in Reih' und Glied, sie hoben ihre Banner mit der ausgehenden Sonne und der Umschrift: „Wer frei will sein, der zieh' zu diesem Sonnenschein!" und von einem Stein herab, neben dem die Pechkessel und das Brandgerät zum Einäschem der Burg schon bereit lagen, predigte der Schweineheinz von Krebsbach den Aufruhr.

„Fahrt an, christliche Brüder!" gellte seine heisere Stimme. „Wetzet die Waffen! Dran, dran, dran, weil das Feuer heiß ist! Lasset euer Schwert nicht kalt werden von Blut! Schmiedet Pinkepank auf dem Amboß Nimrods! Stellet euch fürwahr männlich und werfet den Turm zu Boden!

Lasset euch von den Junkern nicht mit Affenschmalz bestreichen, sondern rucket ihnen die festen Häuser herum und schreit: ,Hier steht der arme Konrad

mit Grund und Boden und sonst kein Herr!"' (Aus „Der arme Konrad" von Rud. Strah. Cottasche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart.)

57. Der Eid der Bauern. Aus'm Kirchtor aus druckt sich die Rott, rennt rundum vor durch Gäng und Hall und Höf zum Eingangstor, so steht drauß voran der Gerberfritz, Stahl, Stierlibüll, und oben an'n Speisstubfenstem steht's Bauemvolk Köpf und Köpf, schrein voll Freud, winken die Weibleut mit Schürz und Tüchlen, halten allsamt die Krüg hoch: vom Kocherberg vom die Waldstraß

daher aufs Murrhartkloster blinzt's, funkt's aus'm Staub in der Sonn, Spieß, Büchs, Sens, Gschütz, Keul, Speer, Schwert, Beil, Helmbart,

Hüt, Helm, Hamasch, Seidefahn, Lanzfähnle, Wagen, Pferd, Sturm-

hauf, Heerhauf, Gwaltgerott, Bauemvolk trappt, trottet strackschreitig, lachende, singende mit Gewink, Gejuchz, Grußschrein, kommen daher aufs

Murrhart. Im Klostertor unt' der Schmied hebt hoch beide Arm, deut vor mit Lachen, rechthin, linkhin: „Lug an, Glück! seh, seh, — jetz kommen zusamm' der grüne Rhin, die blaue Done!"

67. Der Eid der Bauern.

221

Hinthin winkt der Lauteschleher: „Wein bringt zum Brudergrüßen, Stiftsbecher silbern!" In die Stub nach der Bauemfahn rennt der Kunli-

kunz; zusamm treten der Stierlibüll, Lugaushocker, Nunnmacher, Schwart-

heindl mit Horn, Pfeif, Trömmle, Geig; vor'n Schmidutz stellt sich her der Gerberfritz straff: „Ich meld, sind da der Frank Feuracher und Kurt Kolm­

schlag, Hauptleut, zwei Häuf in eim; von Rhein und Donau nach dein' Briefen ein Dritteil, kommen Handschlag zu tun."

So treten jetz her die Straß ab zum Schmid vor der Kurt Kolmschlag, der Frank Feuracher, hinter sich jeder sein Bauemfahn getragen breitaus, schwenkig. Mich Schritt vor macht der Schmid, steht bei ihm der Ul, Stahl, Kunlikunz mit der Schmidutzfahn, Gerberfritz, Sporrergötz, Lauter; senken

jetz ihr' Fahnen dort da, gibt'm Schmid die Hand der Kolmschlag: „Gott grüß, Schmidutz!" Der Feuracher: „Gott grüß, Schmidutz!" — „Gott grüß auch!" So streckens alle die Hand her nach der Reih. Ihr Händ heben der

Sporrer, Gerberfritz, Liendl, Stahl, Kunli, Riemschneider, Feuracher: „Ruh, Ruh, Schmid, red!" „Wohl ich sag, da sind wir, wir, merk's jeder, wir zusamm und niemd für sich selbs allein. Wir Einung der Bauerschaft deutsch sind ein eine Rott, gehören her zusamm in ein einen hellen Heerhauf aller Landart, heut heißt nimmer: du geh recht, ich geh link — nein, zusamm! Zusamm allmitnand:

Herrwetter, das merk' jetz jeder oder unser Hilf ist hin, bevor anhebt. Merk's, wir, wir, zusamm sind auf allsamt für uns selbs, allsamt für ein jeden, stehn für einand. So sag ich, weil schier 's ganz' Reich von Rhein und Done beisamm sind. Ein Eid tun auf unser Einung, heilig Hilf zu tun einander, unser Einung zu halten hart, .unreißbar allmitnand, so lang lebst und Atem hast, da drauf ein Eid!"

Hoch auf ruft's Bauergerott im Saal: „Ein Eid auf Einung, allsamt ein Eid!"

Dem Kunli winkt der Schmidutz: „Die Fahn! — und hinaus

alls aus untern Himmel auf die Wies, ein' Gmeindring machen drauß!"

So heben sich von Tischen alls Bauemvolk, Weibleut, Bursch, Greis, Knecht; aushin ist's Gelauf, Gerenn, Gespring, aus Stub, Saal, Gang,

Stall, Gehöf, Gebäu, tausendfalt aus auf die Wies mit Waffen; recht, link, rundum rennt's Bauervolk am Rasen in die Sonn aus und stellt sich

dick mit Gedring in eim Gemeindring rundher die pralle Machtmeng wehrhaft. Spießstechig, büchsblinzig, starrschnittig stehn's, mit Fahn und Fähn­

lein ringsher, hallen sich herbfest still, rucken ihr Köpf auf. So kommt der Schmid, in der Hand 'n Hammer, der Lauteschleher mit der Urkund, die breit Bauerfahn tragt der Kunlikunz, hertreten die mitteherein in 'n Gewaltring der Haufgmeind. Jetz sentt sich mittedrin

die Fahn, vor der bleibt stehn der Schmid, spricht in die Rott:

VII. Die neue Lehre.

222

„Komm jetz her, Ul, Stahl, Feuracher, Kolmschlag, Hauptleut, Fahn-

träger, vor der Einungfahn senkt euer Fähnlein, her legt euer Händ auf'n

Hammer. Da, auf Stern, Sonn, Erd, Mensch, — auf die Siebesätz, — auf'n Hammer, versprich jeder: stehn für'n andern, heilig Hilf tun, allsamt zusamm euer Einung, halten hart, unreißbar, ob stehst oder stirbst, in Tag und Tod. Jetz sprich "

Ihr' Fahnen senken die, legen ihr' Händ auf'n Hammer, so spricht der Schmid hoch, laut, stark überhin mitt' im Ring die Siebesätz: „Freiheit, Hab, Standschaft, Reich, Recht, Lehr, König!" Starkhin laut sprechen's die nach mitt' im Ring:

„Freiheit, Hab, Standschaft, Reich, Recht, Lehr, König!" Wildstark, rauhfest rust's nach die Gemeind rundum:

„Freiheit, Hab, Standschaft, Reich, Recht, Lehr, König!" So spricht der Schmid stark überhin mitt' im Ring: „Auf Stem, Sonn, Erd, Mensch!" Starklaut überhin sprechen's nach die mitt' im Ring: „Auf Stem, Sonn, Erd, Mensch!" Rauhstark, wildlaut mft's nach die Gmeind: „Auf Stem, Sonn, Erd, Mensch!" Sein' Hammer hoch schwingt der Schmid, dreimal hin, hin, hin, haltet ihn vor, ihr Händ legen dran die mitt' im Ring, so ruft überstark der Schmid

im Ring: „Ich halt zum Hammer, Eid auf Einung!" Überstark sprechen's nach die mitt' im Ring: „Ich halt zum Hammer, Eid auf Einung!" Hochtobig, freudschmettrig ruft zuhöchst her die Bolkrott:

„Ich halt zum Hammer, Eid auf Einung!" (AuS „Utz Urbach" v. H. Graedener.

Verlag Rütten & Loening, Frankfurt.)

58. Florian Geyer. Wie eine Felsenklippe aus dem ringsum brandenden Meere des Aufmhrs aufstarrend, reckte Unsrer Frauen Berg, das feste, ob Würzburg ge­

legene Schloß des geflüchteten Bischofs, seine trotzigen Mauem und Zinnen zu dem grauenden Morgenhimmel empor.

Übel hatte der Feind schon an ihm gehaust.

Verkohltes Gebälk, zer-

schundene Türme und gespaltenes Quaderwerk zeugten von der Wirkung des Rothenburger Geschützes. Ein tiefer Stollen gähnte am Fuße des Ab­

hanges, durch den die Bauern das starke Haus in die Lüfte zu sprengen ge­ dachten und bis an die verwüsteten Bollwerke der bischöflichen Ritterschaft

68. Florian Geyer.

223

dünnen zogen sich die Feldschanzen und Pfahlgräben der außen lagernden

schwarzen Schar. Von Herm Florian Geyers Schwarzen hatten schon viele, allzuviele bei dem allgemeinen, nach wütendem Kampfe kürzlich abgeschlagenen Sturm auf dies letzte unbezwungene Schloß im Frankenland ihr Leben gelassen und moderten in den feuchten, tiefen Wallgräben, die üngs um die Festung liefen. Und unverzagt hielt sich drinnen der hundertköpfige,

reisige Lehnadel. Der Tag von Weinsberg hatte es dir Edlen gelehrt, daß

sie alle verloren waren, sobald einmal die schweren Eisentore des Frauen­ bergs sich der evangelischen Brüderschaft öffneten. Heute an diesem dämmemden Maimorgen herrschte ein ganz ungewohn­ tes Leben auf der sonst still und grimmig daliegenden Feste. Durchdringend

läuteten ununterbrochen die Glocken, heller Lichterschein und Dankgesang aus rauhen Kehlen drang durch die buntbemalten Kirchenfenster und aus

den Schießscharten der Türme spähten allerhand Köpfe, fahlgewordene, bärtige Ritterhäupter und lustige Bubengesichter höhnend und johlend

zum Tal hinab, in das Lager der schwarzen Schar, aus dessen Nebelgrauen

dumpfes Poltern und Stimmgewirr aufstieg. Und dann kletterten drei Zinkenisten auf den Mittelturm, stellten sich recht sichtbar oben hin und bliesen aus vollen Backen unter dem Jubel der

Bischöflichen das Spottlied: „Hat dich der Schimpf gereut, so zeuch du wieder

heim!" während unten sich allmählich die Schwaden lüfteten und die Morgensonne den Abzug der schwarzen Schar, die Aufhebung der Belagerung beschien, von deren Ausgang das Schicksal des Krieges in Franken überhaupt abhing. „Eine Woche noch —" Florian Geyer starrte düster zu dem grauen Bollwerk und den spöttisch daraus grüßenden, farbigen Punkten empor,

„eine Woche noch und sie hätten sich geben müssen! Ohne Kampf! Ich

bin wohl berichtet, daß sie zum längsten kein Wasser mehr haben. Sie kochen sich die Speisen mit Frankenwein und waschen sich mit Steinwein Hände

und Gesicht. Ihre Pferde haben sie geschlachtet und aufgefressen. Es war am letzten und hat doch nicht sollen sein! — Felix Trugenhofen, du bist zur

bösen Stunde bei uns eingeritten!

Hörst ja, was sie dort oben blasen!

Laß dich den Handel gereuen, ehe du darin verstickt bist und hänge dich nicht

an die verlorene Sache!" „Wer das hinter sich gelassen hat, was hinter mir liegt," — Ritter Felix schwang sich mit dem Freunde zu Pferd — „für den gibt's keine Umkehr. Bestem abend bin ich an das Würzburger Tor gekommen und habe zu der Bauern Wache auf die Frage: ,Was leit dir an?' das Losungs­

wort gesprochen: ,Was dir anleit, leit auch mir an!' Da haben sie zum dütten gesagt: ,So eröffne uns deine Heimlichkeit', und mich zu dir geleitet!

VH. Dir neue Lehre.

224

Dir hab ich alles eröffnet, Bruder Florian, und bin eins mit dir und deiner gerechten Sache." „Die Sache ist gerecht und wird doch untergehenl" Florian Geyer warf einen letzten Blick auf den Frauenberg zurück. „Der Truchseß mit dem

ganzen Fürstenheer zieht im Eilmarsch auf Königshofen. Dort liegen die Bauem zwar in Menge, in lichten Haufen und wohlbewahrt, aber in sich uneins, voll Hader und Neid. An mich und die Schwarzen klammern sie sich an wie die stoßenden Bienen um die Königin. Bin ich da, so hallen

sie stand. Sehen sie mich nicht, aber vor sich die reisigen Geschwader in vollem Rosseslauf, so ist ihre Furcht vor den Geharnischten schon allzu mächtig und alles verzettelt sich übers Feld und wird erstochen, wie's eben der Herzog von Lothringen mit seinen Untertanen gemacht hat."

„An einem Tage hat er ihrer fünfzehntausend erwürgt," — der von Trugenhofen schaute finster vor sich nieder — „und am Rhein hin mehr Blut vergossen, als Wasser im Flusse rinnt. Nun hat er freilich Ruhe in seinen Landen."-------Die Stadt lag hinter ihnen. Ein schweigender Zug wand sich die schwarze Schar die geschlängelte Waldsteige gen Heidingsfeld hinauf. Es war völlig

hell geworden.

*

*

*

Viele Stunden waren verstrichen, die Sonne stieg schon wieder all­ mählich vom Himmel, da ging eine plötzliche Bewegung durch den stillen, müde der nachtfarbenen Fahne nachwandernden Zug. Aus der Feme dröhnte ein dumpfer Schlag. Vier, fünf andere folgten rasch hintereinander. Dann ward alles wieder unheimlich mhig. Florian Geyers Gesicht war aschfahl geworden. „Das waren grobe Stücke," murmelte er. „Es ist nicht möglich, der Tmchseß müßte geflogen

sein mit Mann und Roß." Ritter Felix zuckte die Achseln. „Der Tmchseß reitet schnell. Was von

den Pferden fällt, läßt er leichten Herzens den Raben und um die meu­ terischen Knechte sorgt er sich nicht eines Fingers breit."

Sie spomten ihre Gäule; denn der Haufe vor ihnen schritt rascher und immer rascher aus, so daß sie anttaben mußten um an seine Spitze zu gelangen. Der Geyer lauschte atemlos. „Es ist nichts!" sprach er endlich mit unsicherer Stimme. „Sie haben verdorbenes Kraut aus den Feldschlan­

gen herausgeschossen und dämm —" s Er brach ab. Vielstimmiges Geschrei des jählings stillhattenden Zuges begrüßte einen Reiter, der plötzlich vor ihnen auftauchte und, seinen schweiß­ triefenden, mit Schaumflocken überspritzten Rappen verzweifelnd spomend,

angstverzerrten Gesichts über die Mesen dahinstob.

225

68. Florian Geyer.

„Bauernhans — wohin reitest du?" brüllte es dann. Ein paar Knechte suchten mit vorgestreckten Hellebarden seinen Lauf zu hemmen. Der junge

Bauernführer wich ihnen mit einem wütenden Fluche aus. „Flieht! — flieht!" schrie er mit heiserer Stimme, „es ist alles dahin — alles!" Und mit angstgekrümmtem Rücken trieb er sein Roß durch krachendes Dickicht, über sumpfige Wiesen dahin, als ritte der Teufel selbst hinter ihm. Drei, vier andere Kapitäne folgten, atemlos, auf dampfenden Gäulen.

Die Schwarzen erkannten sie schon aus der Feme. „Da kommt Wolf Meng," schrie es vom, „Hans Flux bei ihm — und Ulrich Vischer — und der Georg Metzler selbst — der Bauem Gewaltiger! Steh', Metzler — steh' oder du wirst vom Sattel geswchen — steh' und gib Bescheid — was ist geschehen?" „Was geschehen ist?" Georg Metzler keuchte in Todesangst. „Das evangelische Volk liegt tot auf der Walstatt — erstochen und erschossen — der Truchseß hat uns überfallen — hält mit den Fürsten ein Gejaid wie auf der Schweinshatz." Ein hagerer Mann mit den scharfen, harten Zügen eines Buchgelehrten sauste vorbei, mit Meisterschaft die Kräfte seines feurigen Rosses lenkend und schonend. Bei seinem Anblick senkte Herr Florian wie in Verzweiflung das Haupt, indes Hipler, der einstige hohenlohische Kanzler und nun die Seele des ganzen Aufruhrs ihm mit der Hand zuwinkte. „Brauch' deine Sporen, Geyer!" Wer keinen Hengst zwischen den Beinen hat, ist verloren! Die Fürsten kennen keine Gnade — haben unsere Büchsenmeister bestochen, daß sie uns heimlich von den Geschützen entlaufen sind, und uns dann von drei Seiten die wehrlose Wagenburg gestürmt. Flieht! — flieht, der Tod ist hinter uns! Vom Hügel oben könnt ihr ihn schauen, wie er mäht und rafft." Florian Geyer wandte sich im Sattel um und musterte seine schwarze Schar. Keiner der finsteren Gesellen hatte sich zur Flucht umgewendet. Aller Augen hingen erwartungsvoll an ihm. Da ritt der Hauptmann vor­ wärts dem Hügelrande zu und in mannhaftem Schweigen folgten ihm seine Getreuen und spähten über das Blachfeld dahin. Wie ein Ameisengewimmel, das der Stock des Wanderers aufgestört, zitterte und hastete es in schwarzen Flocken und Klümpchen sich strahlen­ förmig ausbreitend über die Felder.

Blinkende Streifen schossen mordgierig hinterher und wo sie in die schwarzen Wolken hineingeraten waren, da erstarrte bald um sie her Leben

und Bewegung. Es färbten sich, tausendfach von reglosen dunklen Punkten durchkömt, die frühlingsgrünen Matten, indes die fliehenden, von den

reisigen, blitzschnell gleitenden Schlangen gelichteten Schwärme immer dünner, immer langsamer über die Hügel hinrieselten. Um die Wagenburg, die, eine finstere, zerbeulte Krone, den Kopf eines kchlen Bergkegels umspannte, kämpfte man noch. Man sah das DurchEnrinaer-Lau-mann. Au- Deutschland- Beraanaenheit.

15

226

VII. Die neue Lehre.

einanderfunkeln, das Auf- und Niederblitzen der Waffen, die geballten

Pulverwolken im Sonnenlicht. Nach hinten zu war der Karrenring geplatzt. Eine weite Lücke klaffte da, aus der zuweilen dicke Ströme von Bauern herausquollen um alsbald unter dem Anlauf der draußen haltenden Ge­ schwader zu vergehen wie Wasser im Sande.

Weithin, so weit das Auge

reichte, erstreckte sich die Flucht. Aus feinen Dörsem sah man schon den Rauch der Kirchen aufsteigen, in denen sich versprengte Haufen noch einmal

zur Wehr setzten.

„Dort brennt Giebelstadt, mein Dorf." Florian Geyer blickte, die Augen mit der Hand beschattend, scheinbar ganz ruhig in die Runde. „Meine Stammburg liegt in Asche. Ich, ihr Herr, fahre desselben Wegs und wir

alle — der Bauemkrieg ist aus ohne Hoffnung und Rettung!" Die schwarze Schar schaute stumm zu ihm auf.

Er lächelte stolz und

heiter. „Brüder!" rief er mit heller Stimme. „Gott hat's nicht gewollt und nicht geschehen lassen, was wir ersonnen und gewollt haben. Er hat denen drüben den zeitlichen Sieg gegeben. Uns gibt er den ewigen Sieg! Wer hier bei dem schwarzen Banner bleibt, das mein Fähnrich so lustig auf­

reckt, der muß sterben. Wer nicht sterben will, der entlaufe eilends, wie schnell ihn seine Füße tragen und berge sich vor den Reitern." Nichts regte sich in der Schar. Nichts klang aus ihr als die schweren Atemzüge der Männer und leises Waffengeklirr. Kein einziger trat aus den

Reihen. „Wenn ihr euch zum Tode schicken wollt, schwarze Brüder," fuhr

Herr Florian fort, „so schaut: da drüben haben sie uns erkannt! Sie blasen das Feindsgeschrei aus allen Hömem, sie rotten sich in Gewalthaufen zu­ sammen und rufen nach dem Truchseß und den Fürsten; denn sie wissen's wohl: der Kampf schlägt ihnen nicht ganz ledig aus, sondem sie müssen viel

Schaden von der schwarzen Schar nehmen. Ist selbes euer Wille vor eurem Tod dem Feinde noch manchen guten

Gesellen — edel oder unedel — zu beschädigen, so weist es mir." Die Schwarzen entblößten statt der Antwort die Schwerter und dräuend richteten sich die Hellebarden in die Luft.

„Wir sind noch eine große Meile vom Feinde," — Florian Geyer ritt zur Seite — „darum wollen wir ihn nicht im Feld bestehen, sondem

zu unserem Vorteile in einen festen Ort entweichen. Dort bei dem Dorfe liegt das Schlößlein Ingolstadt, zerstört zwar, aber mit gutem Gemäuer noch umfangen. Gegen das ist mit Reisigen bös handeln. So folgt mir, ihr Schwarzen, und seid getrost! Wann jetzt in diesen geschwinden Sausten

viel ehrliche Kriegsleut' am Himmelstor anpochen, dann erschleußet Herr Petrus auch euch fteudig die Tür zu Gottes Gnade." (AuS „Der arme Konrad", von Rud. Stratz.

Cottasche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart)

69. Gegenreformation.

227

59. Gegenreformation. „Krems! Krems!" — Da lag wie aus der Donau gewachsen die Stadt mit ihren gewaltigen Mauem und den vier Türmen: Sankt Veit, Dominikaner, Jesuiten, Spital. — Marie kennt sie alle genau — mit bekannten Zügen schaut die Stadt sie an — und grüßt mit den wehenden Fahnen am Rathaus und Stadttor;

Marie aber grüßt nicht zurück. Sie sieht von der Stadt nichts als den Jesuiterturm und es füllt sie nur ein Gedanke aus: Hin zu den Patres und bitten um eine Kommission. —

Fest schritt sie nach der Pforte und zog den Glockenstrang, daß man's weithin hörte. Ein Laibruder schaute beim Schiebfenster links heraus, ein junger Mann mit einem hageren Aloisiusgesicht. „Pater Rektor?" „Jawohl, ist da. Und wer ist die Frau?" „Die Schinnaglin, Richters Frau, aus Krummnußbaum." Der Kopf verschwand; die Pforte ging auf.

Marie ging dem Frater nach durch den weißen, kalten, gewölbten Gang mit den hoch angebrachten Bogenfenstern, durch die man wiegende

Baumwipfel sah. „Geliebt's allhier zu warten. — Herr Pater Maury wird gleich da

sein."

Sie sah, den Kragen zurückstreifend, unter dem das Herz rasch ging, im alten, hohen, kalten Zimmer sich um, ob's doch noch so wie früher war... Ganz so . . . Der alte, schwarze Kasten mit den angemalten lateinischen Gesetzlein steht auf seinem alten Platz und die alte, schwarze Leinbank und der schwarze Tisch sind auch noch da, wenn schon anders gestellt; an den Wänden hängen die beiden Tafeln, die erste Kommunion des seligen Moisius, und wie der kleine Stanislaus nach Rom kommt als ein Pilger mit dem Binkerl am Mcken . . . Eben wollte sie sich in die Beschauung des letzteren Bildes, das ihr immer besonders gefallen hatte, vertiefen. Da ging die Tür. Sie zuckte, tat ein Stoßgebet: „Jesus, steh mir bei, jetzo gilt's alles!" zog hastig ihr Schleiertuch zurecht, legte die etwas zitternden Hände über dem Brustkragen zusammen und neigte tief und anmutig ihre schöne Gestalt vor dem eintretenden Priester. Dieser blieb drei Schritte vor ihr stehen und maß sie mit durchdringendem Blick. Er war ein sehr großer Mann, schneeweiß von Haar, aber seine hellblauen Augen blickten jugendlich feurig aus dem gutgefärbten, schönen, alten Gesicht. „Was wöllet Ihr, Frau?"

„Ich komme ichtes bitten," sagte sie mit fester Stimme. „Was willt du bitten?"

228

VII. Die neue Lehre.

An ihrer Aussprache erst merkte er, daß die Richterin, die ihm der Frater

angesagt, ein Bürgersweib war. Ihre fürnehme Erscheinung hatte ihn in ihr eine Edelfrau vermuten lassen. „Hochwürdigster Herr!" sprach sie fest zu dem Riesenmann empor.

„Es hat bei uns daheimet eine große Unordnung, möchten uns Euer Hochwürden nit helfen." ' Ein schnackiges Lächeln umspielte den scharfgeschnittenen Mund des

Rektors. „Und wer macht die Unordnung, du oder der Herr?" fragte er.

„Ist nit soliche Unordnung," lächelte nun auch Marie. „Es hat Ketzer bei uns, — ich bin von Krummnußbaum an der Donau, nah bei Pechlarn. Sonderbar einer ist, ein absonderlich boshaftiger, der die Leut verführt und viele Unfüg stiftet ... Er ist ein Ritter, darum können wir uns seiner

nit entwehren und in unserer Not komme ich her und bitte Euch, hochwürdig­ ster Vater, helfet uns wider ihn, — schicket solche Herren zu uns, — wie heißt man die nur gleich? — wie Ihr habt nach Langenlois geschickt, daß sie uns

helfen!" „Du meinst Kommissarios?" „Ja! Ja!" fiel sie freudig bei. Aus dem Gesicht des Jesuiten war über die Ketzer rasch das Schalk­

lächeln entwichen, eine tiefe Falte grub sich über seiner Nasenwurzel ein. Ketzerische Unfüg an der Donau! Eine Sach, die ihn groß angeht; . . . sein Kolleg in Krems ist ja die Hochwacht, vom Kaiser gesetzt und gestiftet

wider die Ketzerei im Donaulande .... Aber sollte das möglich sein, —

ohne daß er bis heut etwas davon hörte, Ketzerei so nahe bei Krems? Der

kluge Mann beginnt die Denunziantin auszuforschen. „Das Ort, das du genannt, ist Krummnußbaum an der Donau. In dortiger Gegend ist schon seit Anno 46 mit den Lutherischen reine Wirtschaft gemacht. Etliche Herren waren Anno 50 noch ketzerisch, ist mir notorium; aber diese waren und sind durch kaiserlich Edikt so wohl gebunden und ge-

zwaget worden, daß sie sich nicht rühren können. Pechlam zudem ist bischöf­ lich und es siehet dem Bischöfen von Regensburg im mindesten nit gleich,

daß er lutherische Unfüge auf seinem Gebiet duldet." „Lugst mich du etwan an?" schnarchte er plötzlich. Die Grobheit stand mit seiner bisherigen maßvollen Redeweise so wenig im Einllang, daß nicht viel dazu gehörte, sie als inquisitorische Finte zu erkennen.

aber in ihrer Weltfremdheit nahm sie für echt.

Marie

Purpurröte schoß ihr ins

Gesicht und das helle Naß in die Augen, als sie sich verteidigte: „Ich sollt von so weit hergefahren sein um Euer Hochwürden anzulügen? — Vor so ein schlechtes Mensch haltet mich der hochwürdige Herr?" „Ich halt dich nit vor schlecht und nit vor gut," sagte der Rektor.

59. Gegenreformation.

229

„Ich frage dich, weil ich die Umständ genau wissen muß, soll ich in der Sach etwas tun. Wie reimt sich das, lutherische Unfüg und bischöflich Gebiet? Gib Antwort! Untersteh dich aber nicht und mach den Bischof

schlecht!" warnte er.

Marie begann ihm die Lage auseinanderzusetzen. So zuversichtlich wie zuerst war sie nicht mehr; daß er sie der Lüge geziehen, hat sie verletzt und ihr einen Teil ihrer Sicherheit genommen. „Hochwürdigster Herr! Der Bischof tät schon dreinfahren, wenn er wüßt, wie's zugeht bei uns, aber es sagt ihm's ja niemand; den Herrn Pfarrer von Großpechlarn, der ein heiliger Mann ist, hören sie droben nit

an, — weil ihn der Pfleger schlecht macht; der ist aber selbst der ärgste Lump und halt mit den Ketzem."

„Und wer sind sie, diese Ketzer?" forschte der Pater weiter.

„Wer sollte bei Pechlarn überhaupt noch lutherisch sein? Lindegg sein katholisch worden, Artstötter katholisch, Starhemberg katholisch, Hoyos gut katholisch; die einzigen Roggendorffer verharren im Jrrsal, sein aber

arme Hascher und zetteln nichts an." „Die Velderndorffer sind auch lutherisch und die sind's eben."

Der Pater machte eine rasche Bewegung, wie sie den Namen sagte, und fragte barsch: „Seit wann sind die in Krummnußbaum? Die sind be­ gütert in" — er zählte an den Fingem her —: „Schiermannsreith, Grafen­ dorf, Schiltberg, Donaudorf." „Sie han das Schloß in Großkrummnußbaum noch nit lang," erklärte

Maria. „Früher hat's der Herr von Händel gehabt und wie der ins Reich ist ausgereist, hat's sein Tochtermann von ihm überkommen, das ist eben der von Veldemdorff."

„Sol

Und der" — Pater Maury verschränkte die Arme vor seiner

mächtigen Brust — „treibt die Unfüg?" „Nicht der, sein Bruder."

Der Pater zog die Brauen empor. „Stiefbruder, nicht?" „Weiß nit, aber mein schon, daß es nit rechte Brüder seind; sehen sich gar nit gleich und der böse ist viel jünger."

„Ist schon," murmelte der Pater.

Er rechnete im füllen etwas aus.

„Dreiundzwanzig Jahr dürft der alt sein."

„Drei- oder vierundzwanzig,

weiß es nit genau."

„Heißet Helfried Jesse?" „Ich höre immer nur Herr Jesse."

„Und seine Mutter ist die Johanna von Odt gewest?" „Das weiß ich alles nit."

VH. Die neue Lehre.

230

„Ist schon. Das glaub ich, daß d e r Unfüg treibt. Seine Mutter war ein böses Weib, so gegen die Priester und gegen die katholischen Heiltümer

wie eine Furie raste." —

„Nun, und was sind dieses Jesse von Veldemdorff Unfüg? Spezifiziere sie mir!"

Maria begann mit lauter und dringender Stimme ihr bedrängtes Herz ihm auszuschütten: „Es ist so viel, daß ich's nicht alles aufzählen kann,

und wann Euer Hochwürden mich ein Stund anhörten. Wo soll ich an­ fangen und wo enden? Ich weiß es nit, dann er tut ja alles, was er tut, uns Katholischen zu Hohn und Possen. Den Sommer lang ist er nach Altenpechlarn jeden Sonntag — aber nein," unterbrach sie sich, gleichsam fürchtend, von der Hauptsache abzukommen und sich in Nichtigkeiten zu

verzetteln.

„Ist nach Altenpechlarn und hat dort was getan?" fmg aufmerksam

der Rektor.

„Schlechte lutherische Büchel ausgesträhet und solche Sachen, — aber hochwürdiger Herr Pater! Das ist das ärgste nit, das hätt' er immer tun mögen und dazu noch auf lutherisch heiraten und die gottlosen luthrischen Sakrament in seinem Haus meßen, ja seinen Hund mit eines heiligen Bischofs Namen nennen," — hier fuhr der Pater auf, sie indes sprach immer eifriger weiter: „All das, er hat's getan; schlecht ist's genug, aber ich hätt ihn verwegen nit anzeigt. Euer Hochwürden Herr Pater Rektor, was hat er aber noch getan! Meinen Mann hat er mir verführt, der schlechte Bub; mein lieber, stummer Mann, den ich so inniglichen lieb hab, mit dem ich von sieben Jahr hero ehelich, ist schon halbscheit luthrisch durch ihn, — und wann er's noch nit ganz würd, so ist das nur der Schutz der heiligen Jungfrau, die er bis jetzt noch verehren tut. — Und seht, Herr Pater! Da geht nun der Teufel in Menschengestalt her und nachdem er meinen Mann in Kummer und Schulden bracht, zeigt er ihm Geld und begehrt dafür ein ehrwürdig Marienbild, so mein Mann für diesen in eine Eiche am Auberg gesetzet und wir nit allein, sondem alle Leut in unserer Gegend hoch verehren. Euer Hochwürden, ich bin her nach Krems um Geld; ein Gefreund hier ist meinem Vater schuldig gewest fünfhundert Gulden,- und mit solchem Geld hab wöllen die heilige Jungftau loskaufen aus des Ketzers Gewalt, der sie vemichten will; mein Gefteund, der gibt kein Geld nit her; mein einzige Hoffnung steht jetzt in Euer Hochwürden und in der Kom­

mission . . . O Herr! O Herr! Gedenket, in welcher Not wir sind; ge­ denket, was dieser Satan mit uns treibt; erbarmet Euch, wo nicht über uns arme Leut, so über Unsere Liebe Frau und Mutter in ihrem Gnadenbild

und schicket uns eine Kommission — oder wir müssen verzweifeln!"

231

59. Gegenreformation.

Sie war vor ihm niedergesunken und drückte ihre zarte Wange an seine plumpen, groben Schuh. Er hatte, die Stim gefaltet, die harten Hände über den Knien ausgespreizt, mit immer schwärzerem Blicke ihr zu­ gehört.

Heiliger Unwille drohte von seiner Stim; dennoch Lang seine

Stimme gemäßigt, als er sagte:

„Verzweifeln, mein Kind, sollt du nicht sagen, so spricht kein frommes Kind! Was die Untaten dieses Jesse betrifft, so wundert mich noch immer am mehristen, daß er solches schon so lang, — du sagst bei einem halben Jahr

lang — treiben konnte, ohne daß es mir zu O.hren kam. — Sei dem sonst oder so, jetzo wird Abhilf, sobald wir können, geschaffen.

Kommission bekommen." „Vergelt's Gott!" atmete die Frau auf.

Ihr werdet die

„Wann denn?

Nur bald!

Nur bald!" drängte sie wie ein ungeduldig Kind. „Was von mir abhängt, wird es im Advent, erst oder zwite Wochen," sagte der Pater. „Gefreu dich aber nicht zu sehr, du hast noch keine Kom­ mission gesehen! Wann du glaubst, die kommen mit Kling und Klang,

mit weißen Jungfrauen und mit Ehrenpforten und Lemmaten .Seid

gebenedeit', irrst du groß." „Ich hab nit nachgedacht, wie sie kommen," sagte Marie.

„Aber sie

kommen den Glauben herstellen und die Ketzerei ausreuten und davor sein

sie gebenedeit." Der Pater lächelte wohlgefällig. „Da hast du recht, — obwohl viele Leute sie nicht benedeien, sondern vermaledeien werden, hinter die Türen kriechend wie die Ägypter vor dem Würgengel und die Faust im Sack ballend. — Denn dann heißt es: Biegen oder brechen! — Ent­ weder oder! — Merk's, Weib! Da geht es über alle her, die angesteckt sind, nit bloß über den Rädelführer. Merk's, Weib! Das ganze Ort wird da zitiert, et nil inultum remanebit, — merke es wohl!

Und wann dein

Herz lacht bei des Velderndorffers Straf, es wird etwan traurig werden, so gute Bekannte und Gefreund an Hab und Gut, vielleicht sogar an ihrem

Leib gebüßt werden. Du hast gesagt, dein Mann ist angeluthert, so müssen wir auch ihn befragen und etwan strafen."

Das Weib wurde bleich bis in die Lippen, das kehrt ihr das Herz um.

Krampfhaft die Hände auf ihr Herz pressend, schnappte sie nach Luft. O ihr guter Mann, ihr Mann! Ihr guter Mann!

„Was denn fragen?"

hauchte sie. „Nun, die Punkt, die im Formular sind fürgesehn." — Er begann sie an den Fingern herzuzählen; Marie sprach ihm, die blassen Lippen be­

wegend, jedes Wort leise nach.

„Erstens: glaubest», daß ein einige apo­

stolische Kirche sei; — andertens: glaubestu, daß solches in römisch-katholische Kirche sei; drittens: glaubstu das sichtbar Haupt dieser Kirch den Papst

232

VII. Dt« neue Lehre.

sein oder einen andem und so fort. Diese Stuck werden gefragt und nebelt dem hat er Red zu stehen, wie er's mit Ostern, Meß, Predigt, Fasten hält;^ seinen Beichtzeddul hat er zu produzieren und Zeugen zu stellen, dieseinen katholischen Wandel bestätigen." In Mariens kreideweißes Gesicht kam etwas Farbe, sie atmete auf,

„Ostern hat er immer gehalten, auch die hl. Meß gehört und, wann er kunnt, die Predigt; fasten tut er gar streng. Eine, die bei ihm ist Tag und« Nacht, kann vor ihn zeugen mit Wort und Eid und mit ihrem Herzbluet, wenn's die Herren verlangen. Ich glaub's aber auch nit, daß er auf die Fragstuck sich wird unkatholisch herauslassen, außer die Herm legen's darauf an ihn zu fangen. Und solches trau ich edlen katholischen Herren und Priestern nit zu." —

„Daß du deinem Mann anhangest und ihn nit willt in Ungstund bringen, ist löblich von dir. Mr wöllen sehen, ob wir ihn so gut befinden, wie du ihn machst, und dann gschieht ihm nichts; hier hast du meine Hand darauf. Finden wir ihn aber einen ganzen Ketzer sein wider dein Angaben, was söllen wir dann tun mit ihm?" „Dann," — sprach das Weib, die Augen voll zum Priester aufschlagend, „tut dennoch Gnade an ihm, dem armen Mann, und strafet mich, weilen ich alsdann ein falsches, lügnerisches Weib wäre. — Aber ich habe nicht gelogen, jetzt nicht und früher nicht; denn solches ist," dabei richtete sie sich mit herbem Frauenstolz empor, „bei uns niemalen Brauch gewest." „So, so," sagte der Jesuit. In seinem Herzen wächst die Achtung vor dem Weibe, die ist die rechte! Es hatte unter Mariens letzten Worten der Pfortenfrater den schwarzen Wirbel zur Tür hereingesteckt und gewartet, bis eine Pause im Reden ent­ stand, worauf er sich gebückt vorwärts schob und meldete: „Die Frau Gräfin Werda von Werdenberg Gnaden sein in der Kirch, Herr Pater Rektor mögten Hochdieselb: beichthören kommen." „Ich komme," sprach der Rektor. Er verließ mit Marien zugleich das Sprechzimmer. Und sie schritten nach der Pforte selbander. Jetzt kam ihr der Gang nicht mehr kalt und

öde vor. (Au- „äeffe und Maria" v. C. v. Handel-Mazzetti.

Verlag v. A. Kösel, Kempten.

VIII.

Der große Krieg

Der Augsburger Religionsfriede (1555) hatte dem Lande den so notwendigen Frieden zwischen Katholizismus und Protestantismus nicht gebracht, die Gegenrefor­ mation setzte ein und führte zu bittern Streitigkeiten. Die Reformationsjubelfeier des Jahres 1617 hatte in beiden Lagern die Spannung so erhöht, daß es nur eines äußeren Anlasses bedurfte um einen Religionskrieg zu entfachen. Böhmen, woselbst König Fer­ dinand katholisierend vorging, gab den Anlaß hiezu, als die erst erbaute protestantische Kirche in Braunau dem dortigen Abt übergeben werden sollte. Die Liga, unter der be­ währten Führung des genialen Tilly, kämpfte erfolgreich in Böhmen, Bayern und Pfalz (Schlacht am weißen Berg) und als in dem Dänenkönig den Katholiken ein neuer Gegner erstand, bot sich dem Kaiser in der Person Wallensteins, der mit unglaublicher Schnellig­ keit große Truppenmassen um sich sammelte, eine erwünschte Stütze. Die sieggewohnten Truppen der beiden kaiserlichen Feldherrn durchzogen nun Deutschland von Süden nach Norden. (Siege bei Lutter am Barenberg und an der Dessauer Elbebrücke.) Eine Wendung trat erst ein, als dieser Siegeslauf für den jungen Schwedenkönig Gustav Adolf eine Gefahr und für dessen Glauben den Untergang zu bedeuten schien. „Wir müssen ihnen in Strahlsund begegnen oder sie werden uns in Stockholm aufsuchen!" Und so machte sich denn Gustav Adolf auf seinen deutschen Glaubensgenossen zu Hilfe zu eilen. Während in Deutschland Söldnertruppen, geworbene Landsknechte aus aller Herren Länder, einander gegenüberstanden, hatte Schweden als erster europäischer Staat an deren Stelle ein nationales Heer gesetzt, seine Krieger aus seinen Landes­ kindern genommen, dadurch eine Einheitlichkeit im Heere und in der Kriegeführung erzielt und eine gute Grundlage zur Aufrechterhaltung der Zucht und Ordnung geschaffen. Die großartigen Erfolge des jungen Schneekönig- beruhen einesteils auf dieser Neuerung, andernteils in seinen hervorragenden Eigenschaften als Heerführer und Staatsmann. Die schwedischen Truppen schlugen Tilly bei Breitenfeld und im Zusammenstoß mit Wallenstein bei Lützen (1632) blieb Gustav Adolf Sieger, aber um den Preis seines Lebens. Bis zu Gustav Adolfs Tod war Deutschland der Schauplatz eines ehrlichen Kämpfenund Ringens überzeugter Glaubensgegner: Gustav Adolf wollte ein evargelischeDeutschland aufrichten, wie Kaiser Ferdinand ein katholisches anstrebte. Nun aber mischte sich Frankreich in die deutsche Angelegenheit ein und bekämpfte im Bunde mit Schweden das Kaiserreich: das Schlachtenglück schwankte noch wiederholt, brandschatzende und plündernde Heere verwüsteten das unglückliche Deutschlcnd nach allen Richtungen, bis endlich die längst begonnenen Verhandlungen den Frieden brachten (Münster und Osnabrück). Der dreißigjährige Krieg hatte die politische Einheit, den nattonalen Wohlsnnd und die Eigenart des deutschen Geistes zerstört.

60. Landsknechtwerben. Amos Haselbom von Weilburg, der wegen seiner Schönheit allenthalben vom Mißgeschick verfolgt wurde, bog um die Ecke des Marktplatzes am

Wirtshause zum Ritter. Da klopfte ihm ein fremder Mann auf die Schulter und tief: „Das ist der schönste Kerl, den ich in meinem Leben gesehen!

Kamerad, du mußt eine Kanne Wein mit uns trinken!" Amos fuhr wie aus einem Traum.

Vor dem Wirtshause auf dem

Marktplatz saßen stemde Soldaten und zechten, sangen und brüllten;

einige Bürgersöhne sahen schüchtern von ferne zu, Bauemburschen aus der Umgegend tranken mit den Soldaten; von der Schwanengasse herüber hörte man Trommelschlag. Es waren Werber von dem Regimente, welches Markgraf Hans Georg von Brandenburg damals in den Nassauischen

Landen für den Kaiser Ferdinand zusammenbrachte. r,Das ist der erste Mann, dem ich n i ch t zu schön bin und der mir etwas Gutes bietet wegen meiner Schönheit," dachte Amos bei sich und maß

den fremden Soldaten, welcher ihn zum Weine geladen, vom Kopf bis zu den Füßen. Dieser aber maß seinerseits mit noch viel festerem Blicke den jungen Haselbom, faßte seine Hand und zog ihn zu den Zechern.

„Da

bringe ich den allerschönsten Kerl, der muß zu unserer Fahne schwören!"

rief der Werber den Genossen zu und ehe sich's Amos versah, war er um«

ringt von den anderen, die ihm schmeichelten, zutranken, Brüderschaft boten. Bebend vor Ingrimm rief er: „Gefall' ich euch! Hol' mich der Teufel!

Ihr seid die ersten, denen ich ganz gefalle und gerade schön genug bin." „Schön genug und schöner als genug!" schmeichelte einer aus dem

Haufen und wollte ihm die Hand reichen. Aber Amos Kat wütend zurück, ballte die Faust und schrie: „Sagt das nicht noch einmal! Wer da spricht,

ich sei schöner als genug, ich sei zu schön, dem schlage ich den Hirnschädel ein!" In diesem Augenblick drängte sich ein Mädchen durch den wüsten

Schwarm. „Komm mit mir, Amos, um Gottes willen! Komm mit mir zu

deinen Ellem; sie suchen dich, die Mutter vergeht vor Kummer!" rief sie mit einem Schmerzenstone der Verzweiflung, der einen Stein hätte er«

236

VIII. Der große Krieg.

barmen können.

Es war Martha.

Aus den Fenstem ihres Hauses hatte

sie gesehen, wie Amos zu den Werbern gelockt worden war und während sich sonst die Frauen vor diesem rohen Soldatenvolk in den Wald flüchten

und in die Keller zu verstecken pflegten, eilte sie, aller Gefahr und Schande vergessend, mitten in die Rotte; denn es war ihr, als sei der undankbare Freund ihrer Jugend an Leib und Seele verloren, wenn sie ihn setzt nicht rettete. Mit wankenden Knieen sah Amos das flehende Mädchen an, die ge­ ballte Faust löste sich und er fuhr sich mit der Hand über Stim und Gesicht,

als wollte er ein wüstes Fiebertraumbild hinwegwischen.

„Du hast recht,

Marthe 1" sprach er gebrochen, „ich will mit dir nach Hause gehen."

Der Werber aber flüsterte ihm ins Ohr: „Ist das dein Schatz! Pfui, schäme dich; ein so schöner Bursch und eine so häßliche Dime! Ist nicht ihr

Gesicht wie aus einer Rübe geschnitzt?

Da schau hinüber nach unseren

Mädeln, die den Wein kredenzen!" Amos warf einen Blick auf die Troßdimen und spuckte voll Abscheu

aus.

„Geht mir mit euren Weibsbildem; ich habe keinen Schatz und will

keinen haben!" „Komm mit mir, Amos!" flehte Marthe. „Ich folge dir!" erwiderte er, verwirrter als zuvor.

Doch im selben

Augenblicke fiel ihm ein, daß man Marthe mit dem Rübengesicht nun doch für seinen Schatz halten würde, wenn er ihr folge. Hätten die Soldaten

nur nicht gleich beim ersten Anblick über das häßliche Gesicht gespottet. Und er folgte ihr nicht.

Als er aber sah, daß die Soldaten das geängstete Mädchen beleidigten, ergriff er eine Pike, die am Tische lehnte und rief wütend: „Das Mädchen

ist nicht mein Schatz und ich bleibe bei euch um es euch zu beweisen; aber

wer dem Kinde ein Haar krümmt, dem renne ich auf der Stelle den Spieß durch den Leib!" Die Soldaten standen verblüfft und ließen Marthe ziehen. Der Werber aber sprach: „Brav, Bursche!

im Leibe hast!"

Man sieht, daß du Mut

Und einer der eben geworbenen Bauem fügte hinzu:

„Der Teufel! Unser Kirchenengel ist wie ein Bär geworden. Wer hätte das von dem schönen Schneiderssohn erwartet!" Da rief Amos: „Nimm dies für den Kirchenengel und dies für den schö­

nen Schneiderssohn!" und schlug ihm mit der Pike auf den Kops, daß der Bauer zu Boden sank und das Blut ihm übers Gesicht lief. Amos war jetzt seiner Sinne nicht mehr mächtig. Er fühlte nur, wie man ihn entwaffnete, mit Büttel und Henker drohte, wenn er nicht

augenblicklich Handgeld nehme, dann ihm wieder schmeichelte, zutrank, seine Schönheit pries: die Eltern, Marthe, Dorothea, der Amtmann, die

61. LandSkruchtStreibrn.

237

Soldaten, der blutende Bauer, Büttel und Henker, alles wirbelte in seinem

Kopfe durcheinander.

Er trank und trank, damit er wieder klarer denke;

doch toller nut tanzten alle die Gestalten mitsammen und aus dem wachen Taumel fiel er zuletzt in den Taumel des wirklichen Schlafes und als er

wieder zu hellen Sinnen kam, stand die Morgensonne am Himmel. Der Werbeoffizier schlug ihm mit derber Faust auf die Schulter und rief: „Aufgewacht, Kamerad! Hörst du denn die Trommel nicht? Jetzt marschieren wir nach Herborn zu unserm Regimentsstab. Wärest du nicht der schönste Kerl, wir hätten's uns nicht so schwere Mühe und doppeltes Handgeld kosten lassen um dich für des Kaisers Fahne zu werben." (Au- „Set Fluch der Schönheit" v. W. H. Riehl. Tottascher Verlag, Stuttgart.)

61. Landsknechtstreiben. ----------------------- Die Landsknechte, aus allen Enden und Orten des Reiches zusammengelaufen, boten gewöhnlich dem ihre Hilfe an, der sie am besten zahlte; für was und gegen wen sie kämpften, war ihnen gleich­ gültig. Um sie zu halten mußte man ihnen vieles nachsehen und Raub, Mord, Plünderung und Brandschatzung führten sie auf ihre eigene Faust aus um sich zu entschädigen, wenn sie den Sold nicht richtig bekamen.

Georg von Frondsberg war der erste gewesen, der sie durch sein An­ sehen im Heere, durch tägliche Übungen und unerbittliche Strenge einigermaßen im Zaume hielt. Er hatte sie in regelmäßige Rotten und Fähnlein eingeteilt, er hatte ihnen bestimmte Hauptleute gegeben, er hatte sie ge­ lehrt, geordnet und in Reihen und Gliedern zu fechten. Sie zeigten jetzt, daß sie aus einer guten Schule kamen; denn als sie vom Bund entlassen waren, liefen sie nicht wie früher zerstreut durch das Land um Dienste zu suchen, sondem rotteten sich zusammen, richteten zwölf Fähnlein auf, erwählten aus ihrer Mitte Hauptleute und selbst einen Obersten in der Person des langen Peters. Sie waren schwierig auf den Schwäbischen Städtebund,

nährten sich von Raub und Brandschatzen im Land und führten Krieg auf eigene Rechnung. Die Anarchie war in Württemberg so groß, daß ihnen

niemand die Spitze bot. —

Es war ein schöner Morgen in der Mitte August's 1519, als sich diese Leute in einem Wiesentale gelagert hatten, das der Grenze von Baden zunächst gelegen war. Die riesigen schwarzen Tannen und Föhren, die das Tal auf drei Seiten einschlossen, gehörten noch dem Schwarzwald an

und das Flüßchen, das durch das Tal eilte, war die Würm. Halb überschattet vom Wald, halb in den Weidenbüschen des Tales versteckt, lag das kleine Heer in wunderlichen Gruppen und pflegte der Ruhe. In der Entfemung

238

VHI. Der große Krieg.

von zweihundert Schritten sah man Posten ausgestellt, deren blitzende Lanzen oder rotglühende Lunten schon von weitem Furcht einjagten. In der Mitte des Tales, im Schatten einer Eiche saßen fünf Männer um einen ausgespannten Mantel, den sie als Tisch gebrauchten um ein Spiel auf ihm zu spielen, das heute noch den Namen Landsknecht führt. Diese

Männer zeichneten sich vor ihren übrigen Genossen durch breite rote Binden aus, die sie über die Schulter und Bmst herabhängen hatten, sonst aber hatte ihre Bekleidung auch das zerrissene und morsche Aussehen wie das der übrigen Soldateska. Einige hatten Sturmhauben auf, andere große Filzhüte mit eisemen Bändem beschlagen, dazu Lederkoller, welche von

Regen, Staub und Biwaks alle möglichen Schattiemngen erhalten hatten. Bei näherem Blick erkannte man übrigens noch zwei Dinge, durch welche sie sich von ihren Kameraden unterschieden. Sie führten nämlich keine Donnerbüchsen oder Spieße, wie sie die Landsknechte gewöhnlich trugen, sondern Raufdegen von ungemeiner Länge und Breite. Auch hatten sie, wie es damals die Edelleute und Anführer trugen, auf ihren Hüten und Sturmhauben bunte, wallende Federbüsche aus Hahnenschwän» zen um sich ein ritterliches Ansehen zu geben. Die fünf Männer schienen große Geschicklichkeit im Spiel zu besitzen, vorzüglich aber einer, der sich mit dem Rücken an die Eiche lehnte. Es war dies ein langer, dabei wohlbeleibter Mann. Er hatte einen Hut auf, dessen

Rand sich wie ein bedeutender Mühlstein um den Kopf zog. Der Hut war mit einer Goldtresse besetzt, auf der Stirnseite war er mit dem Bild des heiligen Petrus geschmückt, aus welchem zwei ungeheure rote Hahnenfedern hervorragten. Dieser Mann mußte weit in der Welt herumgekommen sein; denn er konnte auf französisch, italienisch, ungarisch fluchen, seinen Bart aber trug er ungarisch; er hatte ihn nämlich mit Pech so zusammen­ gedreht, daß er wie zwei eiserne Stacheln auf beiden Seiten der Nase eine Spanne in die Luft hinausstarrte. „Canto cacramento!“ rief dieser große Mann mit einem dröhnenden Baß, „der kleine Wenzel ist mein. Drauf! Ich stech ihn mit dem Eichel­

könig." „Mein ist er, mit Verlaub," rief sein Nebenmann, „und der König dazu. Da liegt die Eichelsau!" „Mord de ma Vieh,“ zagt der Franzoz, Hauptmann Löffler, Ihr wollt Eurem Obersten diesen Stich abjagen? Schämt Euch, schämt Euch; daz ist ein Rebeller, der daz tut. Gott straf mein' Zeel, Ihr wollt mich vom Regiment absetzen?" Der große Mann funkelte zu diesen Worten gräßlich

mit den Augen, schob seinen großen Hut auf das Ohr, daß seine Überhängen» den Augenbrauen und eine mächtige rote Narbe auf der Stirne sichtbar wurden, die ihm ein ungemein kriegerisches Ansehen gaben.

61. LandSknecht-tretben.

289

„Beitu Spiel, Herr Oberst Peter, gilt keine Kriegsordnung," ant­ wortete bet andere Spieler. „Ihr könnet uns Hauptleuten befehlen ein Städtchen zu blockieren und zu brandschatzen, aber beim Spiel ist jeder

Landsknecht so gut wie wir."

„Ihr zeid ein Meuter, ein Rebeller gegen die Obrigkeit, Gott straf mein Zeel', und wäre es nicht gegen meine Würde, ich wollt euch in Kochstücke mazakerieren; aber spielt weiter." „Da liegt ein Dauß" — „drauf der Quater." — „Den stech ich mit dem

Zinken" — „Schellenwenzel, wer sticht den?" — „Ich," sprach der Große, „da liegt der Schellenkönig, Mordblei, der Stich ist mein." „Wie bringst du den Schellenkönig rauf?" rief ein kleines, dürres Männchen mit spitzigem Gesicht und kleinen, giftigen Äuglein und heiserer

Stimme. „Hab' ich nicht gesehen, als du ausgabst, daß er unten lag? Er hat betrogen, der lange Peter hat schändlich betrogen." „Muckerle, Muckerle, Hauptmann vom achten Fähnlein! Ich rat Euch,

haltet Euer Maul," sagte der Oberst. „Bassa manelka, ich versteh keinen Spaß. Die Mauz zoll den Löwen nicht erzürnen."

„Und ich sag's noch einmal, wo hättest du sonst den König her? Vor dem Papst und dem König von Frankreich will ich's beweisen, du falscher Spieler!" „Muckerle," erwiderte der Oberst und zog kaltblütig seinen Degen aus der Scheide, „bete noch ein Ave Maria und ein Gratias; denn ich schlage dich tot, zo wie daz Spiel auz ist."

Die übrigen drei Männer wurden durch diese Streitigkeiten aus ihrer Ruhe aufgeschreckt. Sie erklärten sich für den kleinen Hauptmann und gaben nicht undeutlich zu verstehen, daß man dem Obersten wohl dergleichen zutrauen könnte. Dieser aber vermaß sich hoch und teuer, er habe nicht betrogen. „Wenn der hl. Petruz, mein gnädiger Herr Patron, den ich auf dem Hute trage, sprechen könnte, der würde mir, zo wahr er ein christlicher Landsknecht war, bezeugen, daß ich nicht betrogen!" „Er hat nicht betrogen," sagte eine tiefe Stimme, die aus dem Baume

zu kommen schien. Die Männer erschraken und schlugen Kreuze wie vor einem bösen Spuk, selbst der tapfere Oberst erbleichte und ließ die Karten

fallen, aber hinter dem Baume hervor trat ein Bauersmann, der mit einem Dolche bewaffnet war und eine Zither an einem ledemen Riemen auf der Schulter hängen hatte. Er sah die Männer mit unerschrockenen Blicken an und sagte: „Es ist, wie ich sagte, dieser Herr da hat nicht betrogen; er bekam schon beim Ausgeben Schellen- und Eichelkönig, Fünfe und Vier von Laub und den Schippenunter in die Hand."

240

VHL Der große Krieg

„Ha! du bist ein wackerer Kerl," rief der Oberst vergnügt, „zo wahr ich ein ehrlicher Landsknecht — will zagen Oberst bin, ez ist all' wahr, waz du gezagt hast." „Was ist denn das?" rief der Heine Hauptmann Muckerle mit giftigen

Blicken. „Wie hat sich der Bauer daher eingeschlichen, ohne daß unsere Wachen ihn meldeten? Das ist ein Spion, man muß ihn hängen!" „Zei nicht wunderlich, Muckerle; daz ist kein Spioner, komm zez dich zu mir. Bist ein Spielmann, daz du die Cittara umhängst wie ein Spanier, wenn er zu zeinem Schätzer! geht?" „Ja, Herr! ich bin ein armer Pfeifer; Eure Wachen haben mich nicht angehalten, als ich aus dem Walde kam. Ich sah Euch spielen und wagte es den Herren zuzusehen. Ihr seid wohl Obersten und Hauptleute des Bundes und ziehet wieder zu Feld. Darf man fragen, gegen wen?" Die Männer sahen sich an und lächelten. Der Oberst aber antwortete ihm: „Ganz unrecht habt nicht. Wir haben früher dem Bund gedient; jetzt aber dienen wir niemand alz unz selbst und wer Leute braucht, wie wir zind------------- " „Freilich," fiel ihm der Pfeifer von Hardt in die Rede, „wenn der Herzog solche Leute gehabt hätte wie Ihr und Eure tapfren Fähnlein,

der Bund stünde, glaub ich, noch bei Ulm." „Du hast da ein wahre; Wort gesprochen, guter Gezell! Landsknecht hätt' er zollen haben! Nicht wahr, Magdeburger?" „Dat well ich man och meenen," antwortete der Magdeburger. „Lands­ knechte oder keener bringen den Herrtog wieder uf den Stuhl. Ihr solltet man sehen, wie wir die Donnerbüchsen laden, uf die Gabel legen und mit den Lunden drauf, dat dich dat Wetter! Dat Manäfer macht uns keener nich nach, Gott straf mir, keener!" „Ja, alle Achtung vor den Herren Landsknechten," sagte der Pfeifer und lüftete ehrerbietig die Mütze, „freilich, Euch Herren sollt er haben. Aber der Bund wird Euch so gut belohnt haben, daß ihr dem armen Herzog nicht zu Hilfe ziehen möget?" „Gelohnt, focht er?" rief der fünfte Hauptmann und lachte, „jo, wenn er's Geld von Blech schlagen könnt, der schwäbisch' Hund! Ich sog: schlecht hot er uns zohlt. Und wenn seine Durchlaucht der Herr Herzog mi hob'n will, ich steh 'nem -'Dienst wie jedem." „Ztaberl, du hast recht", sagte der Oberst und wichste den ungarischen Schnurrbart. „Mordblei, die Katz ist gern, wo man sie strehlet. Wenn der Herr Ulerich gut zahll, so wird, Gott straf' mein' Zeel', unsere ganze Mann­ schaft mit ihm ziehen." „Nun, das werdet Ihr bald sehen können," entgegnete der Pfeifer listig lächelnd, „habt Ihr noch keine Antwort vom Herzog auf Eure Botschaft?"

241

62. Sagerleben.

Der Oberst Peter ward feuerrot bis an die «Stinte.

„Mordelement!

Wer bist du denn, Menschenkind, daz du mein Geheimnuz weißt? Wer hat dir gezagt, daz ich zum Herzog schickte?" „Zum Herzog hob er g'schickt, Peter? Wos hobt er denn für Geheimnis, doß wir's nöt wissen dürften. Soch es nur gleich!"

„Nun, ich hab' gedacht, ich müsse wieder einmal für euch alle denken wie immer und hab einen Mann zum Herzog g'schilkt, ihm in unzerm

Namen einen schönen Gruz entboten und fragen lassen, ob er unz brauchen könnt'? Dez Monats für den Mann einen halben Dicktaler, uns Obersten und Hauptleut aber entert Goldgülden und täglich vier Maaz alten Wein."

„Dat is keen bitterer Vorschlach, der Teiwel! Eenen Goldgülden monatlich? Ich bin dabei und es wird keener was dagegen haben. Hast du Antwort von dem Heertog?"

„Bis jetzt noch keine; aber Bassa manelka! Wie kamst du zu meinem Geheimnuz, Pfeifer?" „Nun, vom Herzog kam mir die Nachricht zu, ich sollt' Euch Herren auf den heutigen Tag aufsuchen und wenn Ihr noch geneigt wäret mit ihm zu ziehen, so wolle er gerne zahlen, was Ihr ihm vorgeschlagen."

„Canto cacramento! daz ist ein frommer Herr! Einen Goldgulden des Monats und täglich vier Maaz Wein! Er zoll leben!" „Und wann wird er kommen?" fragte der Hauptmann Löffler. „Wo werden wir zu ihm stoßen?"

„Wenn kein Unglück geschehen ist, heute noch. Heute ist er auf Heims­ heim losgebrochen. Die Besatzung ist schwach. Wenn er sie überwältigt hat, rückt er heute noch weiter." iWUh. Hauff, „L ich teuft ein".)

62. Lagerleben. In den vierziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts war's.

Da lag am Juliabend ein kaiserlicher Heerhaufen, kaum ein halbes Tausend Mann stark, vor der markgräflich Burgauischen Hauptstadt im Ostwinkel des schwäbischen Kreises zwischen der Donau und dem Lech.

Er hatte ein Zeltlager vor den Mauern der Stadt aufgeschlagen; denn drinnen herrschte die Pest und die Leichen lagen offen auf den Gassen. Doch bildete dies kein Hindemis für Lärm und Lustigkeit im Lager. Die

Soldatenweiber hatten Razzia weitum auf den Dörfem gehalten und zerrten juchzend noch ein blökendes Kalb am Stricke nach oder schleppten eine schnatternde Gans unterm Arm. Auch aus Küchen und Kammem

der Stadt war bei sorgfältiger Nachsuche noch mancherlei herausgespürt worden, in einem Keller sogar ein vergrabenes Fäßchen mit Malvasier, Snzlnger-Haurmann, Aus Deutlchlands Vergangenheit.

16

242

VIII. Der große Krieg.

Gott oder der Teufel mochte wissen, wer sich die Kehle einmal dran zu er­

laben gedacht; mutmaßlich hatte die Pest ihn lange vom Durst Befreit. Nun kam's für die trockenen Gurgeln der Herren Offiziere wie vom Himmel oder aus der Hölle gefallen, das galt ihnen außerordentlich gleich.

Sie faßen und lagen um das Faß hemm und machten dem Inhalt aus großen Zinnbechem den Garaus, Oberst und Oberftwachtmeister, Haupt­ mann und Leutnant, Fähndrich und Feldweibel; die Hitze des Weins malte sich rot auf ihren Köpfen. Daneben betrieben sie sonstigen Spaß, fluchten

und zoteten und viel wiehernde Lache lief von Mund zu Mund. Auf einer

Trommel würfelten zweie mit Schelmbeinen, der Hauptmann Isidor Rattenzagei und der Fähndrich Eitelwolf von Hauschild; der Oberstwachtmeister saß als Scholderer dabei. Alle waren bereits betmnken, doch am meisten der Fähndrich, sonst ein schmucker Bursche von etwa dritthalb Jahrzehnten, mit störrigem Schopf und hellen, grauen Blitzaugen. Er riß sich den langen Schnauzbart vor Verdruß; denn er verlor stetig im Spiel und ward obendrein wegen feines Ärgers von den Umsitzem verlacht. Nun hakte er noch eine Goldplatte aus dem Wams und schmiß sie aufs Kalbfell. „Wo haft sie gemausert?" lachte der Hauptmann. Eitelwolf stteß dagegen: „Was ficht's dich an! Laß die Beine springen!" Rattenzagel warf schleifend über die Trommel und die drei Sechser lagen da. Darauf stierte der Fähndrich einen Augenblick hin, dann packte er einen der Würfel und hieb ihn auf dem Boden mit herausgerissenem Säbel haarscharf in der Mitte durch. Quecksilber sprang draus und Eitelwolf schrie: „Ihr zeugt's, seine Schelmbeine sind falsch! Mir gehört alles zurück!" Er streckte die Hand vor, doch auch der Hauptmann krallte die Finger um seinen Gewinst: „Was schert's mich, ich hab' sie nicht gemacht!" Stimmen umher riefen dafür und dawider; zwischen den Spielem gab's Gehader und Gereiß, dann tat der Scholderer zu Gunsten des höheren Offiziers Entscheid. Doch das Gesicht des Fähndrichs loderte besinnungslos von Wein und Wut; noch einen Ruck hin und her, da fuhr fein Säbel pfeifend über den bloßen Schädel des Hauptmanns, daß dieser umtaumelte und rück-, wärts überschlug. Jetzt brach wüster Tumult, Getobe und Geschrei los, der Weibel packte den von seinem jähzornigen Tun ziemlich ernüchterten Fähndrich. Die

Lagermenge drängte umher, der Prosoß kam gelaufen. „Laßt ihn morgen früh mit der Jungfer Hänfin am Querbalken drüben Hochzeit machen!" gebot der Oberst kurz. Es kam nicht darauf an, wer recht und unrecht gehabt, auch nicht, daß der Angreifer ein Junker von adligem Blut war; die Kriegs­

zucht und Subordination mußte aufrecht erhalten werden, das war oberste Not und einziges Zwangmittel unter den immer mehr verwildernden Heerhaufen.

Für den Fähndrich, der feinen Hauptmann zu Boden ge-

63. Landsknechtexekution.

243

schlagen, verstand sich der Galgen von selbst. Das wußte er und verzog keine

Miene drüber. Besonders nicht, da alles rundum, hundert Weiber, Dirnen und Troßbuben ihn neugierig und schadenfroh angafften. Ein schmalschult­

riger Bengel befand sich darunter mit einem ungeheuren, fraglos gestohlenen Schlapphut auf dem Kopf, der ihm fast über die Augen fiel. Den trieb besonderer Fürwitz sich den zum Strick Verurteilten anzuschauen und er drängte sich bis an die vorderste Reihe der glotzenden Masse; denn das Abendzwitterlicht fiel schon tiefgrau vom Gewölk. Doch nun schrie der Oberst grimmig: „Haut mir das Lumpenpack vom Leib!" und die Stecken­ knechte des Profoses fuhren starkknochig mit geknoteten Geißelsträngen drein und auf die Weiber, daß die Fetzen ihrer Kleider ihnen von Rumpf und Beinen flogen. Mit Geheul, Gekreisch und Geschnatter stoben sie aus­ einander; auch der Bengel mit dem Schlapphut war kein Held, sondern machte sich so hurtig, wie er konnte, aus dem Staub. Er hatte offenbar eine kräftige Mahnung hinten auf seine Pluderhose abbekommen; denn er hielt sich unwillkürlich mit der Hand drauf und rannte spornstreichs in der Richtung des Stadtgalgens davon, wo er unterwegs in der Dämmerung unter einer hohen, dunklen Mauer spurlos verschwand. Dann ward der Fähndrich Eitelwolf von Hauschild mit zusammengebundenen Händen vom Profos abgeführt und Oberst und Oberstwachtmeister, Leutnant und Feldweibel setzten sich wieder um das Malvasierfaß zurück. Die Aufregung über etwas Totschlag und Galgenurteil dauerte nicht lange und im Grunde war der Zwischenfall nicht so übel; denn es gab zwei durstige Kehlen weniger „bei dem Himmelherrgottssakramentischen Weinrest." (AuS „AuS schwerer Vergangenheit" v. W. Jensen.

Verlag Mischer, Leipzig.)

63. Landsknechtexekution. Im Arbeitskabinett, das von Dienem inzwischen hell erleuchtet worden war, erhielt der Herr Fürstbischof die Meldung, daß ein Haufen Lands­ knechte, Gartbrüder, von der ungarischen Grenze und aus Kärnten verwiesen, vor den Toren stünden und vom gnädigen Herm die Ritterzehrung erbitten möchten. Das vom Vater ererbte Soldatenblut regte sich im Fürsten, der durch­

aus nicht etwa besorgt, im Gegenteil amüsiert rief: „Ha, Landsknechte! Das bringt kriegerisch Leben in unsere Stadt! Ich brauche Leute auf Hohen­ salzburg wie auf Hohenwerfen und längst schon wartet des Kaisers Majestät

auf Salzburgs Türkenfähndlein!"

Der Hofmarschalk erhielt Auftrag die Landsknechte einzulassen und für deren Unterkunft auf Kosten des Fürsten zu sorgen.

So zog denn ein Haufe von etwa fünfhundert Mann im wuchtigen Taktschritt spät abends durch die Steingasse ein und den Trommelschlag begleitete nach Landsknechtart der charakteristische Ruf: „Hüt' dich, Bauer, ich komm'!" Es nützte im Geviert der engeren Stadt nicht viel, daß die Bürger ihre Häuser ängstlich verschlossen hielten, die Einquartiemng auf fürstlichen Befehl mußte vollzogen werden; doch brachte man den größten Teil der Soldateska in bischöflichen Gebäulichkeiten unter, so namentlich die Weiber, Mägde, Buben, Marketender und Händler, die wie immer den Beschluß des letzten Haufens bildeten. Die Noblesse des Fürsten für die obdachlose Soldateska zu sorgen, wurde von den Landsknechten fürs erste dankbar anerkannt, bei reichlicher Mahlzeit und gespendetem Bier und Wein prollamierten die Kerle jubelnd den kriegerischen Bischof als ihren „Patron". Die Kunde von solch' guter Aufnahme in Salzburg und der fürchterlichen Munifizenz lief aber rasck hinaus ins Land, auch nach Bayem und hatte zur Folge, daß noch mehr versorgungslustige Landsknechte zuströmten, mit ihnen Abenteurer aller Art in Haufen, die alle der noblen „Ritterzehrung" teichaft werden wollten und alsbald die Salzburger wegen mancherlei Übeltaten zum Klager

brachten. Beschwerden über Beschwerden wurden laut; sie drangen auch zun. Ohr des Fürsten, der schließlich gebot, es sollte Gericht gehalten und de: ärgste Übeltäter zur Abschreckung der anderen bestraft werden nach Landsknechtbrauch. Das gab denn eine Augenweide für die Salzburger, welche mancher erlittenen Schaden aufwog. Das „Recht der langen Spieße" sollte in Wirk­ lichkeit zum Vollzug kommen und zwar an einem Gartbruder, der schimpf­ lich gestohlen, geraubt und dabei wehrlose Weiber aufs Blut geschlager hatte. An einem kalten Morgen wurde auf einem freien Platz vor der Stadt­ mauer von allen Landsknechten ein Kreis gebildet und der Profos, um­ geben von fürstlichen Trabanten, trat mit dem Angeschuldigten in dieser Kreis. Halb Salzburg besah sich das Schauspiel, wo immer ein Platz zr

erobern war. Feierlich erllang die Ansprache des gefürchteten Profosen: „Guter

Morgen, ihr lieben, ehrlichen Landsknechte, edel und unedel, wie uns Got zueinander gebracht hat! Ihr traget alle Wissen wie wir anfänglich geschwo

ren haben, gut Regiment zu führen, dem Armen wie dem Reichen, den Reichen wie dem Armen, alle Ungerechtigkeit zu strafen, darauf ich liebt Landsknechte, auf heutigen Tag ein Mehr begehre, mir helfen solche« Übel zu strafen, daß wir es verantworten können bei dem gnädigen Fürsten!'

63. Landsknechtexekution.

245

Kreideweiß ward des Delinquenten Gesicht. Nun erhob der Feldwebel seine rauhe Stimme: „Ihr habet des Pro-

fosen Wort verstanden; welchem es lieb ist, daß wir demselben nachkom­ men, der hebe seine Hand auf!"

Im Banne des Augenblickes streckten wohl fast alle Knechte die Hände auf. Der Profos erhob die Anklage, nach welcher der anwesende Quartierer unter Mißbrauch von Landsknechtrecht und Gastfreundschaft Diebstahl,

Raub und Schlägerei verübet, sich also eines schweren Verbrechens schuldig gemacht habe und auf fürstlichen Befehl gepönt werden müsse.

Auf be-

meldtem Verbrechen stehe das Recht der langen Spieße. Auf den Vorhalt, ob der Angeklagte seine Untat verantworten könne, brachte der Quartierer, dem trotz der Winterkälte der Angstschweiß von der ©time lief, kein Wort

hervor. Dreimal und unmittelbar hintereinander wurde die Klage wiederholt

und ebensooft zur Verantwortung aufgerufen. Der Quartierer wimmerte zum Schluß um Gnade.

Die zwei anwesenden Fähnriche taten ihre Fahnen zu, steckten sie mit dem Eisen in den schneeigen Boden und einer derselben sprach fest und laut: „Liebe, ehrliche Landsknechte! Ihr habet des Profosen schwere Klage wohl vernommen, darauf wir unser Fähnlein zutun und es in das Erdreich kehren und wollen es nimmer fliegen lassen bis über solche Klage ein Urteil ergeht, auf daß unser Regiment ehrlich sei. Wir bitten euch alle insgemein, ihr wollet

im Rat unparteiisch sein, soweit eines jeden Verstand ausreicht. Wann das geschieht, wollen wir unser Fähnlein wieder lassen fliegen und bei euch tun, wie ehrlichen Fähnrichen zusteht." In der Erwartung des bevorstehenden Schuldspruches fühlte niemand

den beißenden Frost, der Haar und Bart der Soldateska wie der Bürger weiß bekrustete.

„Es trete ein Knecht vor und in den Ring zu fällen das Urteil!" rief

der Feldwebel. Einer der Landsknechte trat wohl vor, erklärte aber des Urteils allein

sich nicht gewachsen zu fühlen, weshalb er bitte ihm noch vierzig Knechte zur Beratung beizugeben.

„Dem geschehe nach Brauch und Wunsch!" verkündete der Weibel und bezeichnete vierzig Landsknechte, die aus dem Ring traten und abseit

Besprechung untereinander pflogen. Das dauerte eine Weile, dann kehrte die Schar zurück, worauf noch­ mals einundvierzig Mann zur Beratung abkommandiert wurden.

Beide Abteilungen wurden nun gefragt, ob sie das Urteil fertig hätten. Auf ihr schallendes „Ja!" wandte sich der Weibel an den gesamten, wieder geschlossenen Ring und verkündete den Beschluß der zweiundachtzig Mann,

246

VIII. Der große Krieg.

der auf „schuldig" lautete.

„Ist das Regiment gewillet, so bemeldetes

„Schuldig" zu bestätigen?" fragte er mit dröhnender Stimme die Soldateska, „so erhebe jeglicher Knecht, Mann und Fähnrich die rechte Hand!"

Vielhundertfach flogen die Hände auf, die Schar schien ernstlichen Willens die Missetat zu ahnden um dadurch bei Fürst und Volk wieder zu

einigem Ansehen zu gelangen. Der Weibel verkündete: „Das Regiment hat gesprochen, der Übel­

täter ist schuldig. Man führe ihn zum Beichtiger! Derweilen nehme das Wort ein Fähnrich nach Brauch!"

Das geschah in der Weise, daß einer der Fähnriche sich bedankte für die

Willigkeit gut Regiment zu halten. Hierauf hoben beide Fähnriche die Fahnen wieder auf und entrollten sie im frischen Morgenwind.

Der Profos übemahm jetzt den Befehl zur Exekution des Schuldspmches und ließ eine Gasse bilden, deren eine Öffnung die Fähnriche mit nach innen gefällter Fahne verschlossen. Unter Trommelwirbel wurde der Verurteilte, dem ein herbeigeholter Priester die Beichte abgenommen, an den oberen Eingang der Gasse ge­ bracht; die Knechte senkten ihre Spieße, so daß die Gasse ein eisenstarrender

Engpaß wurde, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt und der den sicheren

Tod bringen muß. „Hierher mit dem armen Mann!" befahl der Profos, der nun den Delinquenten mit drei Schwertstreichen auf die Schulter im Namen Gottes

des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zum Todeslaufe weihte

und dann der Soldateska verkündete, daß der Knecht, welcher den Ver­ urteilten ausbrechen ließe, gleichfalls ins Eisen laufen müsse.

Zum Todgeweihten gewendet, rief der Profos: „Nun auf!

Lauf

flink und fest ins Eisen, dann bist schneller erlöset! Marsch!" Ein Zögern, ein letzter Blick voll Todesangst auf die starrenden Spieße, ein Stoß von der Faust des unerbittlichen Profosen, dann sprang der Ärmste

los und rannte in die spitzen Eisen, daß es aus der Brust rot aufging. Ein Schrei — ein Röcheln — der Sterbende liegt im Schnee, ein Halbdutzend Spieße stecken in der blutenden, zuckenden Brust, bis das Leben entflohen ist.

„Die Spieße auf! Zum Gebet!" befahl der Weibel. Die Soldateska kniete nieder und betete für die Seele des Verschiedenen.

Und schluchzend beteten die Zuschauer aus der Bürgerschaft mit, von tief­

stem Mitleid für den Gerichteten ergriffen. Wieder ertönte ein Kommando, in dessen Befolgung die Knechte drei­ mal Umzug um den Leichnam hielten und die Hakenschützen dreimal ihre Büchsen abschossen.

Damit hatte das blutige Schauspiel ein Ende. (Au- „TelsissimuS" v. A. Achleitner.

Verlag v. Schall, Berlin.)

64. Der Prager Fenstersturz.

247

64. Der Prager Fenstersturz. An einem warmen Maimorgen versammelten sich die Stände bei Wichelm von Lobkowitz um sich nach gemeinschaftlich eingenommenem

Frühtrunk auf das Schloß zu begeben und die Vertreter der Krone zur Rede zu stellen. Einmal müsse man Mut zum Handeln finden, sagte Kinsky unter dem Trinken, ein einmaliger starker Bluterguß sei nicht so gefährlich

wie das stete Tröpfeln aus einer offenen Wunde.

Das sei nicht gesagt,

meinte Wichelm von Lobkowitz kopfschüttelnd, bei einem starken Bluterguß

fahre oft die Seele zugleich heraus. Unvorbereitet loszuschlagen sei sinnlos, man müsse gerüstet sein, wenn es auf einen Krieg auslaufen sollte.

Das sei gewiß, sagte Thum, daß der Zeitpunkt bei der Wahl Fer­ dinands geeigneter gewesen wäre. Es sei doch ein anderes, wenn man sich im Rechte wisse. Jetzt hätte man gewissermaßen zugegeben, daß Böhmen

ein habsburgisches Erbland sei. Was? rief Kinsky, wodurch sie das zugegeben hätten? Sie hätten Ferdinand aus Recht und Freiheit, nicht pflichtschuldig gewählt. Übrigens würde geschriebenes Recht doch nicht geachtet, die Faust gäbe den Aus­

schlag. Verträge wären nichts anderes als der Schafspelz wölfischer Fürsten, töricht, wer sich dadurch blenden ließe. Und ob sie etwa damals kriegsgerüstet gewesen wären?

Wer es ehrlich meine, verschanze sich nicht hinter Aus­

flüchten. Auf diese Worte fielen heftige Entgegnungen, mehrere sprangen von den Sitzen und es wurde laut durcheinandergeschrien. Nachdem sich der Lärm gelegt und die Streitenden sich beruhigt hatten, sagte Thum, sie wären ja darin einig, daß sie mit dem Hause Österreich nicht weiter wirt­

schaften wollten.

Sie wären voll Lug und Trug und ließen übermütige

Diener schalten. Alle stimmten zu: Matthias wisse wohl kaum etwas von

dem scharfen Schreiben, das in seinem Namen an sie abgelassen wäre, Martinitz und Slavata hätten es verfaßt, es wäre wohl niemals aus Prag

herausgekommen.

Den Prahlhansen müsse einmal gründlich das Maul

gestopft werden.

Einzelne Stimmen wurden laut, man müsse sie defe-

nestrieren, sie hätten es vollauf verdient, Langmut mache sie nur dreister.

Erhitzt und in wilder Laune stiegen die Herren zu Pferde und ritten den Weg zum Schloß hinan.

Goldregen, Rotdom und Schneeball quollen in

dicken Gebüschen über die Mauem der Gärten und die Luft war von süßen Gerüchen durchkreuzt, als würfen sich spielende Frühlingsgötter mit Haufen

von Fliederdust. Die Vertreter der Krone, die bereits im Schlosse versammelt waren, nahmen die ungestümen Fragen der Stände, sie wollten wissen, wer den kaiserlichen Drohbrief verfaßt habe, mit anscheinend hochmütiger Gelassen-

248

VJII. Der große Krieg.

heit und ein wenig hämischer Höflichkeit entgegen; aber sie konnten ihre Unsicherheit und Ängstlichkeit nicht ganz verbergen, die durch das umgehende Gerücht von der Wut und dem gefährlichen Vorhaben der Evangelischen über

sie gekommen war. In den feindlichen Blicken, die unter dem Fragen und Antworten auf sie gerichtet waren, bemerkten Martinitz und Slavata

plötzlich eine böse Lust, die ihnen Entsetzen einflößte. Martinitz wurde bleich, stotterte etwas von der Gerechtigkeit des Kaisers und daß er nicht vom

Majestätsbrief abweichen würde und wich dabei zurück um durch ein an­

stoßendes Gemach zu entfliehen. Aber schon wurde er umringt, von mehreren Fäusten gepackt und an das offenstehende, breite Fenster geschleppt, vor welchem der goldene Mai sich ausbreitete. Unter Sträuben und Zappeln hörte er lautes Brüllen: Fahre zur Hölle, Teufelsbraten! worauf ihm,

bevor er noch an der steilen Mauer hinuntersauste, die Sinne vergingen.

Inzwischen hatten schon verschiedene Fäuste den erschrocken zur Flucht sich wendenden Slavata ergriffen und schleuderten den kläglich um Gnade Flehenden dem ersten nach. „Die beiden Schelme gehören zusammen!" hieß es unter höhnischem Gelächter.

Den Schreiber der beiden, namens

Fabritius, der dem geschwinden Vorgang schlotternd zugesehen hatte, warfen sie nachträglich hinterher, damit er, wie sie ihm lachend zuriefen,

sich des fatalen Briefschreibens nicht mehr unterstehen könne.

Der Ausgang dieser raschen Tat war überraschend, indem die drei aus einer Höhe von vierzig Ellen herabgestürzten Männer, durch einen Mist­

haufen weich aufgefangen, keine Verletzung erlitten, sondem sich vor der Wut ihrer Feinde, die ihnen noch einige Schüsse nachknallten, in das nahe­

gelegene Haus des Popel von Lobkowitz flüchten konnten. (Au» „Der große Krieg in Deutschland- v. R. Huch. Jnselverlag, Leipzig.)

65. Der Winterkönig und die Schlacht am Weißen Berge bet Prag. Im Schlosse zu Prag saßen König Friedrich V. und seine Gemahlin Elisabeth bei der Tafel, Friedrich in gedrückter Stimmung, die er nicht zeigen

mochte, weil er fürchtete seiner Frau dadurch zu mißfallen. Als die ersten beunruhigenden Nachrichten vom Kriegsschauplatz hereinkamen, sagte er mit ungewohnter Heftigkeit, es sei nicht nötig ihn durch jeden kleinen Unfall zu erschrecken; jede Schlacht schwanke hin und her,

der Sieg werde nie mit einem Male errungen. Es sei ja unmöglich, daß ein Unglück geschehe, Christian von Anhalt habe ihm gesagt, wenn jeder seine Pflicht tue, könne es nicht fehlen und er habe auch selbst die Schlachtordnung besichtigt und vortrefflich gefunden.

66. Der Winterkönig und die Schlacht am Weißen Berge bei Prag.

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„Du vertraust dem Anhalt zu viel," sagte Elisabeth, „mit schönen Augen und kecken Worten hat noch niemand eine Schlacht gewonnen."

Da die üblen Nachrichten sich mehrten, eilte Friedrich an die Mauer um sich zu überzeugen, wie es stehe und kam bald darauf in fassungsloser Erregung mit den ersten Flüchtenden zugleich zurück. Diese meldeten, das Heer sei in vollständiger Auflösung und der Herzog von Bayern habe gesagt, er wolle im königlichen Schlosse zu Nacht speisen. Niemals, sagte

Elisabeth, werde sie den Anblick dieses hochmütigen Teufels ertragen, sie wolle in die Stadt und gab Befehl in Eile ihren Schmuck und alle Hab­ seligkeiten zu packen. Friedrich sagte, er müsse einen Waffensttllstand haben,

es solle sofort darum an den Herzog geschickt werden, inzwischen könnten die Fliehenden sich sammeln und könne man Maßregeln ergreifen. In größter Hast fuhren sie in die Stadt und stiegen im Schlickschen Palaste ab, wohin Anhalt kam um von dem Unglück Bericht zu erstatten. Schmutz und Regen hatten ihn übel zugerichtet, er grüßte den König und die Königin nur flüchtig und sagte, die ungarischen Truppen hätten sich schlecht, sehr schlecht gehalten, auch übrigens habe es gemangelt, da sei kein Eifer und

keine Zucht; er wisse wohl, woran es liege, die böhmischen Herren hätten chm entgegengearbeitet, sie wären alle den Galgen wett, er hätte umsonst Leben und Ehre aufs Spiel gesetzt. Wenn der Herzog nur einen Waffensttllstand gewährte, sagte Fttedttch, so könne man vielleicht fttsche Truppen zuziehen. „Euer Liebden werden den Herzog nicht für einen solchen Narren hal­ ten," sagte Anhalt ungeduldig. Er solle jetzt keine Zeit verlieren, sondem sich zur Flucht Herrichten. In Prag sei er seines Lebens nicht sicher. Er für seinen Teil gebe es auf, er hätte seine Kraft ehrlich an dies Unternehmen gesetzt, sein Sohn sei gefangen oder tot, nachdem er tapferer als alle gekrmpft hätte, er habe getan und geopfett was möglich sei. Gegen die Treu­ losigkeit und den bösen Willen der Böhmen sei nichts auszuttchten. Inzwischen war Wenzel von Budowa, einer von den böhmischen Räten, gekommen und redete dem König zu, er solle sich selbst zu Pferde setzen rnd die Fliehenden ermutigen und ermuntern. Es sei durchaus nicht alles

verloren, Prag sei kein Dorf, man könne sich noch lange hier verteidigen.

So schnell könne er sich nicht besinnen, jammerte Fttedrich; es müsse durchaus ein Waffensttllstand erbeten werden, damit er sich besinnen könne; der Schreck sitze ihm noch in den Gliedem. „Was Schrecken, Schrecken!" rief Budowa. „Sie sollten davor ershrecken eine kostbare Krone fahrlässig auf die Gasse zu werfen!"

Er habe genug an dieser Krone, sagte Friedrich; übrigens könne er sich n Brünn oder Breslau sammeln, nur in Prag wolle er nicht bleiben.

250

VIII. Der große Krieg.

„Das ist nicht wie ein König gesprochen!" rief Budowa zomig aus.

Anhalt machte indessen Friedrich Zeichen, daß er sich nicht solle überreden lassen und flüsterte Elisabeth zu, wenn ihr das Leben ihres Gemahls lieb sei, solle sie ihn zur Flucht bewegen.

Indem er die Krone angenommen habe, sagte Budowa, habe er sich

verpflichtet bei seinem Volke auszuharren, wie dies für ihn kämpfe.

Er

könne doch seine treue Stadt Prag nicht ohne Haupt dem Feinde preisgeben, damit der seine Rache an ihr kühle! Nein, sagte Anhalt halblaut, lieber solle e r dableiben und sich ausliefern

lassen, damit die Rache ihn treffe. „So mußte es kommen, so mußte es kommen!" schrie Budowa außer sich vor Zorn. Er warf noch einen verachtenden Blick auf Friedrich und verließ

das Haus. (Aus „Der große Krieg in Deutschland" v. R. Huch.

Juselverlag, Leipzig.)

66. Tilly. An einem Septembemachmittag ritt Tilly durch die Lüneburger Heide nach Winsen an der Luhe, wo er Quartier nehmen wollte. Er saß auf

einem Schimmel, einige Adjutanten folgten ihm, dann kamen Wagen, die langsam durch den Sand rollten. Seine Gedanken trugen sich damit, daß es mit dem Frieden doch noch lange Wege haben werde, obwohl er den Dänenkönig niedergeworfen hatte; derselbe führte doch noch hohe Worte

und hatte erst kürzlich wieder Geld von England und den Staaten er­

halten. Indem er aufsah, fiel sein Blick auf einen Schafhirten, der, auf einen Stock gestützt, den kriegerischen Zug betrachtete, während die Schafe, in einen Haufen gedrängt, zwischen dem purpumen Heidekraut standen. Der Himmel war grau und still, die Luft warm, nichts bewegte sich als

die langsam wie ein fernes Segelschiff vorrückende Herde.

Tilly dachte

sich, wie wohl dem Manne sein müsse, der nun bald zu seiner Hütte zurück­

kehrte; immer begleitete ihn diese treue Ebene, harrte und hütete seiner eine hohe Föhre oder ein immergrüner Wachholderbaum oder ein breites Haus mit samtschimmemdem Moosdach.

Auch die emsthaften, schweig­

samen Menschen gefielen ihm besser als die vom Rheine.-------Einige Tage später kam der Amtmann mit rotem Kopfe und brachte unter vielen Entschuldigungen vor, es hätten ein paar Soldaten einen Schafhirten erschossen, der seine Schafe gegen sie hätte verteidigen wollen.

Tilly solle die Gnade haben und dazusehen, daß die Schuldigen bestraft

66. Tilly.

würden.

251

Es sei großes Geschrei und Jammer im Dorfe; er wisse der

wütenden Bauem nicht mehr Herr zu werden. Tilly sagte, er habe die Obrigkeit oft und oft ermächtigt schuldige Sol­

daten festzunehmen und nach Gebühr zu bestrafen; ob man denn die Schul­ digen kenne und ihrer habhaft geworden sei? Ja, sagte der Amtmann,

sie hätten auch gestanden und der Profos wolle sie henken; da seien andere Soldaten in Haufen gekommen, murrten und wollten es nicht leiden.

Er wolle sofort selbst kommen, sagte Tilly, stieg zu Pferd und ritt dem Amtmann so schnell voran, daß der kaum nachkommen konnte. Vor der nächsten Ansiedelung traf er auf die zusammengerotteten Soldaten, die aber Platz machten, als sie den General kommen sahen, ritt mitten hindurch,

hielt an und fragte, wo die Leute seien, die den Schäfer erschossen hätten;

sie sollten sich melden. Nach einer Pause traten zwei hervor, der eine mit gesenktem Kopf, der andere dreist und böse Tilly ins Gesicht blickend. Der Alte fuhr sie rauh an: ob sie die Gesetze nicht kennten? Wie sie dazu gekom­ men wären einen friedlichen Hirten, der seine Schafe weidete, zu töten?

Ob das eine Tat eines christlichen Soldaten würdig sei? Ob sie nicht selbst einsähen, daß sie den Tod verdient hätten? Womit sie sich entschuldigen wollten? Der eine von den beiden antwortete trotzig: sie hätten Hunger

und nichts zu essen.

Tilly zögerte einen Augenblick; er wußte, daß trotz

seiner Mahnungen der Sold seit langem ausgeblieben war und daß die Bauern mit ihren Lieferungen im Rückstand zu bleiben anfingen; der Amt­ mann hatte erst kürzlich gellagt, sogar die Mäuse stürben Hungers, weil sie weder im Hause noch im Felde mehr etwas fänden. Andrerseits bedachte

er, daß die Nachsicht ein böses Exempel geben und der Sache schaden könne, zumal er nicht in Feindesland sei; darum sagte er kurz, die Gesetze müßten gehalten werden, die Schuldigen sollten sich zum Tode bereiten, Hunger ent­ schuldige Raub und Mord nicht. Die übrigen sollten sich durch die Exekution

warnen lassen und sich nie wieder der heiligen Justiz in den Arm zu fallen anmaßen. Vor seinem strengen Blick wagte keiner sich zu rühren, die Schul­ digen ließen sich süllschweigend ergreifen und hingen in wenigen Mnuten

leblos von den Zweigen einer in der Sonne flimmernden Birke herunter. Traurig ritt Tilly heim, von Sorge gequält, wie es mit der Disziplin

und dem Soldatenwesen werden sollte, wenn der Krieg noch immer kein Ende nähme und die Unlust der Fürsten den Beutel zu ziehen größer statt

geringer würde.

Die geistlichen Fürsten, die Schatzkammer und Speicher

voll hatten, speisten ihn mit Ausreden und Entschuldigungen ab, indes

er nicht mehr wußte, wie er mit gutem Gewissen die Ordnung zwischen dem armen, gequälten Bauersmann und dem hungemden Soldaten aufrecht­ erhalten sollte. Wie das Vieh wurden die Soldaten geachtet, das zum Abschlachten gekauft wird und schlechter, da man ihnen nicht einmal das

252

VIII. Der große Krieg.

Futter oder den bedungenen Lohn reichte. Er hatte stets seine Ehre darin

gesucht den Krieg so zu führen, daß dem Soldaten und dem Landmann

sein Recht werde, soweit es möglich sei und er wunderte sich, daß der Herzog von Bayern, sein Herr, ihn nicht besser darin unterstützen und die Liga­ fürsten zu ihrer Pflicht anhalten könne.

Dann dachte er an Wallenstein,

wie der seine Soldaten hausen ließ, wie der Kaiser ihn hochhielt, wie Offiziere und Soldaten ihm zuliefen, wie Freund und Feind vor ihm zitterte und wie die Welt von seinem Ruhme voll war. Mühsam überwand er solche Gedanken, indem er bei sich ein Gebet zu Gott und der heiligen Jungfrau sprach; diesen, dachte er, solle das Gericht überlassen sein. (AuS „Der große Krieg in Deutschland" v. R. Huch. Jnselverlag, Leipzig.)

67. Wallenstein. — Gustav Adolf. Ms die Kaiserlichen unter Wallenstein in Verfolgung des Feindes

an die Küste von Jütland kamen, sahen sie in der Ferne die dänischen Schiffe, die ihn unerreichbar entführten. Solche Rosse, die auf dem Wasser laufen könnten, möchte er auch haben, sagte Wallenstein zu Arnim, der neben ihm ritt, worauf dieser erwiderte, ja, ohne sie hätten sie die Dänen bis auf den letzten Mann niedergemacht oder sie hätten in den Graben springen und ersaufen müssen. Wallenstein blieb stundenlang am Strande und starrte

auf das unzugängliche Element, das, vor seinen Füßen ausgegossen, ihn Es wurmte ihn, daß das Göttertier seinen

durch sein Dasein unterjochte.

schäumenden Nacken dem geschlagenen Dänenkönige beugte und ihn, Wallen­

stein, den Sieger, verhöhnte.

Es tanzte vor ihm über die Felsen, daß die

aufspringenden Tropfen ihn bespritzten, überblies ihn mit dem Dampf seiner Nüstem und sein jauchzendes Wiehem gellte ihm ins Gesicht, weil

es wußte, daß er ihm keinen Zügel überwerfen konnte. Neue, mächtige Gedanken stiegen in ihm auf; armselig, dachte er, sei die Herrschaft der Erde; es sei das Meer, das Könige mache. Was für ein Bettlerfürst war im Grunde der Kaiser deutscher Nation von jeher gewesen, ein Bauer auf einem ver­ schuldeten Hofe, der niemals Geld in der Hand hatte, eine alte, verschrumpfte Reliquie, die von schlauen Marktschreiem ausgestellt und von Toren ver­ ehrt wurde. Macht hatten nur die, denen das Meer gehörte: England und Spanien und jetzt die Holländer, die es ihnen geraubt hatten.

Sie, die

Krämer, hatten es gezähmt, das Zauberroß, aus dessen Mähne die unschätz­ baren Perlen rinnen, dessen Hufschlag Sand in Gold verwandelt, dessen

Atem bewaffnete Heere vernichtet. Wallenstein glaubte nicht, daß das heroi­ sche Element sich dem Bürgervolke lange bequemen würde; aber da war ein anderer, der es lockte und auf den es horchen mochte, ein junger, rascher

König, den sein biegsamer Rücken schon oft getragen hatte, der Schwede

253

67, Wallenstein. — Gustav Adolf.

Gustav Adolf, der war zu fürchten. Er überdachte, was für ein unbändiges

Geschlecht die Wasa waren; sie planten wild und Ahn ins Weite. Was für

Träume mochte dieser Gustav haben, der, fast noch ein Knabe, das Schwert

ergriffen und es siegreich hierhin und dorthin geführt hatte? Schweden war ihm zu arm und zu klein, er phantasierte, das wußte Wallenstein,

von einem großen Bunde aller nordischen Mächte gegen Spanien und Österreich. In diesem Bunde würde keine aufrichtige Freundschaft sein; denn Gustav Adolf wollte nicht ein Gleicher unter andern, sondem er wollte der Herr sein, Herr des Meeres, Herr der Erde.

Zwischen ihm und den

Dänen, wenn sie sich auch als nachbarliche Freunde gebärdeten, war Miß­ trauen und Eifersucht, ebenso zwischen ihm und den Staaten. Sie waren alle Nebenbuhler um das Meer; es müsse viel Blut fließen, dachte Wallen­ stein, bevor die Hochzeit mit dieser Amazone gefeiert würde.---------

Er fragte Arnim, der vor zehn Jahren im Dienste Gustav Wolfs gestanden hatte, über den schwedischen König aus. Wie denn seine Person beschaffen sei? fragte Wallenstein. Das könne man nicht eigentlich beschreiben, erwiderte Amim.

Sein

Antlitz sei, wenn er sich unter Menschen aufhalte, immer freundlich und kühn,

sein Wort immer so fest und froh, als ob es ihm von Gott eingegeben sei. Er könne mit dem gemeinen Mann sprechen, als sei er seinesgleichen und doch vergesse keiner je, daß er König sei. Es gehe etwas von ihm aus, daß

man ihn liebhaben müsse, wenn man ihm auch dem Verstände nach mißtraue. Ob er tapfer und freigebig sei? fragte Wallenstein weiter. Ob er sein Tun lange vorher bedenke? Ja, so tapfer wie er, sagte Amim, sei kein anderer. Er sei verwegen und seine Lust an Getümmel und Gefahr habe Anteil an seiner Kriegs­ politik. Er habe auch den Glauben, es könne ihm nichts geschehen; aber das komme wohl mehr aus seinem sorglosen Gemüt als aus Stolz oder Religion.

Freigebig sei er nicht eigentlich, weil er wenig habe, doch auch nicht geizig. Für seine Person liege ihm nichts am Gelde, er wolle nur sein Land reich

und mächtig machen. Ebenso habe er für Pracht und Kunst nicht viel Sinn und schätze es nur, weil es die Dignität eines Landes vermehre; er für

sich begehre nur Kampf und Abenteuer. Deswegen tue er aber doch nichts

voreilig und unbedacht und es sei überaus schwer, ihn zu täuschen oder zu überlisten und wenn sein Wille auch stärker sein möchte als sein Rechnen, so verstehe er sich doch wohl auf Temporisieren, Dissimulieren und Hin­

halten und könne die Gelegenheit erwarten, wenn es sich um große Dinge handle. Günstlinge habe er nicht und der Einfluß des Kanzlers Oxenstiema, wenn er auch sein Freund sei, dürfe nicht zu hoch angeschlagen werden, am Ende gehöre sein Herz ihm allein und fahre für sich verborgene Wege.

Vin. Der große Krieg.

254

Warum er, Arnim, sich denn von Gustav Adolf getrennt habe, fragte Wallenstein zuletzt, da er ihn doch in so großer Konsideration zu haben

scheine. Da er nicht immer des Königs Meinung gewesen sei, sagte Amim mit einem verdrossenen Blick auf Wallenstein, habe es ihm nicht länger gepaßt ihn ästimieren zu sollen.

Was habe auch ein Brandenburger bei

den Schweden zu tun? Der Schwede sei wohl besser zu leiden als der Pole; aber man wäre doch allemal froh wieder unter sich zu sein.

Als Arnim sich entfernt hatte, wiederholte Wallenstein bei sich alles, was jener ihm gesagt hatte. Es war nicht geeignet Wallenstein zu be­ ruhigen, nur das war günstig, daß der König unbekümmert die Gefahr aufsuche; denn solche, dachte er, treffe zuletzt immer das Schicksal, das

sie albern heraus forderten; der Seiltänzer ende zerschmettert aus dem Pflaster. (AuS „Der große Krieg in Deutschland" v. N. Huch. Jnselverlag, Leipzig.)

68. Die Schlacht bei Lützen. Um neun Uhr am Morgen des sechzehnten November lag der Nebel noch dicht auf der Ebene von Lützen. Gustav Adolf ritt hin und wieder

durch die aufgestellten Truppen und wechselte freundliche Worte mit den

Soldaten. Der Nebel werde steigen, meinte er, die Luft sei zu frisch für einen Regentag; in einer oder zwei Stunden werde die Sonne durchdringen. Bei einer Scheune saßen mehrere Offiziere und tranken Wein; es waren

Baner, Knyphausen und der Herzog Franz von Sachsen-Lauenburg. Als er an ihnen vorbeikam, zog der König die Brauen zusammen und

sagte: „Es steht in der Heiligen Schrift: ein jeglicher, der da kämpft, ent­ hält sich aller Dinge." Baner antwortete fröhlich, das möge für die Ka­ valiere unter asiatischem Himmel recht gewesen sein; im frostigen Norden müsse eingeheizt werden, wo es Feuer geben solle. Der König lachte. Da kam Bernhard von Weimar angesprengt und sagte, der Nebel lichte sich, ob der König die Schlacht beginnen wolle. Wirklich begann der Dunst leise zu schwanken und durchsichtig zu werden

und man sah die Bäume, die die Straße begrenzten, tropfend aus der

schwindelnden Hülle auftauchen.

Ja, es sei jetzt Zeit, sagte der König,

er wolle noch eine Ansprache halten und einen Psalm absingen lassen,

die Herren sollten sich inzwischen auf ihre Posten begeben. Nachdem er die schwedischen und deutschen Regimenter zur Tapferkeit ermahnt hatte, zog er das Schwert und rief: „Jesus! Jesus! Jesus, hilf mir heute streiten!"

worauf der Angriff begann. In der Klarheit des Tageslichtes zeigten sich die Verschanzungen, die die Kaiserlichen während der Nacht am Straßengraben aufgeworfen

68. Die Schlacht bei Lützen.

255

hatten und die den Schweden den Übergang sehr erschwerten.

Als der

König im Mitteltreffen ein Zögem und Zurückweichen vor dem Hindernis bemerkte, ritt er hinüber, sprang vom Pferde und rief, einem Offizier die

Parttsane entteißend, wenn sie Bedenken hätten ihr Blut zu vergießen, Sogleich drängten ihm die Soldaten nach und

wolle er selbst sie führen.

beschworen ihn seine Person nicht auszusetzen, worauf er wieder zum

rechten Flügel, den er kommandierte, hinüberritt. Die Straße war bereits in ihrer ganzen Länge von den Schweden über­ schütten und die Höhe bei den Windmühlen genommen, als die zurück­

geworfenen Kroaten und Piccolominischen schwarzen Reiter, von ihren Anführern wieder gesammelt, sich mit starkem Anprall gegen die siegreichen Schweden warfen, die sich nun ihrerseits zurückzogen. Der König, der es

sah, führte sie wieder vorwärts. Er ritt dabei so schnell vorwärts, daß sein Gefolge Mühe hatte in seiner Nähe zu bleiben.

Plötzlich senkte sich der

Nebel wieder und fiel wie ein Vorhang vor die feindliche Aufstellung. „Wir sehen nichts mehr," rief der von Lauenburg, „gehen Eure Majestät nicht weiter!"

„Es wird wieder hell!" antwortete der König und wurde

gleichzeitig von einer Kugel im Oberarm getroffen.

Er empfand einen

Schmerz und achtete nicht darauf; aber der Page Leubelfing, der Blut am Ärmel Hinunterttopfen sah, rief ihm zu, er sei verwundet und solle sich

doch um Gottes Barmherzigkeit willen aus dem Gedränge zurückziehen. „Weißt du es besser als ich, Närrchen," wollte der König sagen; aber er

hötte seine eigene Sttmme kaum und gleichzeitig bemerke er, daß es ihm in den Ohren sauste und hämmerte. Mit den Worten: „Führe mich fort,

Vetter, ich bin schwer verwundet," wendete er sich zum Herzog von Lauen­ burg um; da traf ihn eine Kugel am Kopfe und er fühlte laues Blut über sein Gesicht fließen. Eine Kugel traf auch des Königs Pferd, das sich bäumte und seinen Reiter zur Erde warf; dann galoppierte es in die Ebene zurück. Als der junge Leubelfing den König fallen sah, sprang er vom Pferde,

umfaßte ihn und richtete ihn auf um ihm auf sein eigenes Tier zu helfen; aber er sah wohl, daß das unmöglich wäre, da der König nicht mehr imstande war sich zu bewegen.

Nicht einmal aus dem Gewühle schleppen konnte

er den schweren Körper und es war niemand in der Nähe ihm beizustehen.

Den Herzog von Lauenburg sah er nicht mehr, ein Stallmeister war eben verwundet oder tot vom Pferde gestürzt. Durch den Körper des Königs ging eine zuckende Bewegung, als wolle er sich aufrichten; er stöhnte und sagte: „Gott sei mir gnädig!" worauf er schwer auf die Schultem des Knaben zurückfiel.

Kurz nachdem Gustav Adolf gefallen war, erschien Pappenheim in

der Ebene von Lützen.

Er überblickte, atemlos vom schnellen Ritt, das

Schlachtfeld und erkundigte sich, auf welcher Seite der König von Schweden

256

Vm. Der große Krieg.

kämpfe, worauf er dorthin eilte um sich sofort in das dichteste Getümmel zu werfen. Von einer Kugel in die Hüfte getroffen, mußte er sich von einem

Trompeter aus der Schlacht tragen lassen. Als er das Ende des Schweden­ königs vemahm, sagte er, er sterbe gern; denn sein Feind sei hin und die Kirche gerettet.

Er wurde auf die Pleißenburg bei Leipzig gebracht, wo

er nach ein paar Tagen starb.



*

*

Wallenstein stand im Zwielicht auf einen Stock gestützt neben seinem Tragstuhl, als Piccolomini zu ihm geritten kam, vom Pferde sprang und ihm den Koller des gefallenen Königs zeigte. Der König von Schweden, sagte

Wallenstein trocken, habe stets gegen die erste Regel der Feldherrnkunst

verstoßen, daß, wer die Schlacht lenke, außerhalb derselben bleiben müsse; dieser unklugen Eitelkeit sei er nun zum Opfer gefallen . . . i.Au- „Bet große Krieg in Deutschland- v. R. Huch. Jnselverlag, Leipzig.)

69. Die Marisfelder. Es war ein schöner Morgen; die Birken auf den Straßen waren eben aufgebrochen, alle Finken schlugen, die Dullerchen sangen und das Bruch war von oben bis unten rot; denn der Post war am Blühen. Harm, der Wulfsbauer, setzte sich in einen schlanken Trab, daß der Sand hinter ihm

nur so mülmte; denn er dachte: „Je eher du in der Stadt bist, desto früher bist du wieder auf dem Hofe." Er kam aber erst am späten Abend nach Hause und er kam zu Fuße an. Als er nämlich seine Steuern bezahlt hatte und nach dem Kruge vor der Stadt ging, wo er seinen Falben eingestellt hatte um das Torgeld zu sparen, da war dort ein wildes Leben. Ein Mansfelder Feldhauptmann mit einem

Tmpp Kriegsvolk war angekommen und es ging hoch her. Die Kerle hatten alle rote Köpfe pon Bier und Schnaps und nun schrien sie und bölkten

und kriejöhlten. Als der Wulfsbauer um das Haus nach dem Stalle gehen wollte,

kam ihm ein Kerl entgegen, der eine rote Feder auf dem Hute und einen ge­ fährlichen pechschwarzen Schnauzbart unter seiner langen Nase hatte. Als er den Bauem sah, juchte er laut auf, nahm ihn in den Arm, küßte ihn

auf beide Backen, daß Harms der Schnapsgeruch um die Ohren schlug, faßte ihn an den Schultem, hielt ihn von sich ab, lachte über sein ganzes gelbes Gesicht, nahm ihn wieder in den Arm und brüllte: „Brudderhärz, mainiges! Wie lange Habben wirr uns nicht gesähenn? Aberr die Freide, die Freide! Auf das wollen wirr aberr einen trrinkenn!" Er zog den Bauem, der gar nicht wußte, was er davon halten sollte, unter das Fenster und schrie:

257

69. Die ManSfelder.

„Frau Wirrtinn, zwei Birr fürr mainen Fremd und mich, wo ich so lange nicht gesähenn habbe." Die Großmagd brachte das Bier, aber als der fremde Kerl sie in den

Arm kniff, machte sie Wulf mit den Augen Zeichen; denn sie war eine Häuslingswchter aus Odringen und als der Reiter das Bier hinnehmen

wollte, juchte sie auf und ließ beide Krüge fallen. Der fremde Mensch schimpfte Mord und Brand, aber da rief der Hauptmann und er mußte fort. Als Harm schnell machte, daß er weiter kam, winkte ihn Trine Reineke, die Großmagd, auf die Diele: „Wulfsbauer," sagte sie, „um Christi willen und Wunden, daß du bloß den Ludervölkern nicht Bescheid tust! Wer Be­ scheid tut, der ist angeworben. Kiek, da ist Krischan Bolle, den haben sie schon eingeseift, den Döllmer! Mit jedwedem hat er auf Bruderschaft angestoßen und nun hat er den bunten Lappen um den Arm und kann sich

morgen für Gott und den Deubel totschießen lassen." Ängstlich sah ihn das hübsche Mädchen, das auf dem Wulfshofe als

Lütjemagd angefangen hatte, in die Augen: „Sieh man bloß zu, daß du weiter kommst! Je eher du fortkommst, je besser ist das für dich! Das sind ja keine Menschen nicht, das ist das reine Vieh. O Gotte!" Sie schlug die Schürze vor das Gesicht und weinte los. „Na, Deem," bemhigte Harm sie, indem er ihr auf die Schulter schlug, „das ist ockles man ein Übergang. Aber recht hast du, wer hier nichts verloren

hat, soll sich nicht weiter aufhalten." Er bezahlte die beiden Krüge Bier, gab dem Mädchen ein Bringgeld und ging nach den Ställen. Da war es

noch toller als vor dem Hause. Sieben Roßknechte, einer noch schlimmer aussehend als der andere, hielten einen alten Trödeljuden zum besten, spuckten ihm in die Hände, warfen ihm seine Waren durcheinander und woll­ ten ihn zwingen, Schweinewurst zu essen. Drei andere stachen eine Sau aö, einer lag besoffen auf dem Mist und noch einer hatte einen Hahn in den fänden und drehte ihm den Hals ab. „Gottes Wunder," dachte der Bauer, „was ist das für eine Zucht und Mttschast!" Er drückte sich an den bettunkenen Völkem vorbei und ging ir. den Pferdestall. Sein Falber war da, hatte aber ein herrschaftliches Geschirr um und zwei Mantelsäcke aufgeschnallt. Er schirrte ihn ab, machte sich ein Halfter aus einem Ende Strick und fühtte das Pferd aus dem Stalle. Schon war er meist vom Hofe, da kam ihm ein Reiter, der einen rtten Batt hatte, der ihm bis über den Kragen hing, entgegen und schnauzte ihr an, wo er mit dem Pferd hin wolle. „Das ist doch von jeher mein Falber gewesen!" gab ihm der Bauer zuück. „Ferdl, Tonio, Pitter, Wladislaw, daher, daher!" schrie der rotbcrtige Mensch; „wem ist das Pferd hier, diesem Mann da oder Korporal Tllmann Anspach? Häh? Ruft ihn mal her! Wollen doch mal sehen, wessen Enz1naer-Lau»mann, Au» Deutschland» Derganaenhett.

17

258

VUL Der große Krieg.

Wort mehr gilt, das von einem ehrlichen Kriegsmann, der für die reine Lehre fechten tut, oder von so 'nem Bauem, der zu Fuße kommt und zu Pferde weiter will!"

Harm bekam einen roten Kopf und faßte nach der Hosennaht, wo er das Messer stecken hatte, aber er besann sich; denn er war einer gegen andert­

halb Dutzend und nun kam auch der Korporal an, ein Mensch, so dürr wie ein Bohnenstiefel und mit einer Narbe vom Auge bis zum Kinn und hinter ihm noch ein Dutzend Reiter, die alle Gesichter hatten wie dem Gottseibeiuns seine Vettemschaft. Als der Korporal hörte, wovon die Rede war, schüttelte er den Kopf, hob zwei Finger hoch und schwur: „So wahr ich hier auf zwei Beinen stehe," und dabei hob er den einen Fuß auf, „verdammigt will ich sein, wenn das nicht der Falbe ist, den ich zu Martini von Schlome Schmul zu Kölle am Rhing für dreißig schwere Taler und einen guten Weinkauf erstanden habe. Darauf will ich leben und sterben, so wahr ich ein getreuer Christen­ mensch bin!" Harm Wulf sah sich um: er stand zwischen dreißig oder mehr verwogenen Kerlen, denen es auf eine Handvoll Menschenblut weiter nicht ankam. Betrunken waren sie ja alle und wenn er erst auf dem Falben saß und er gab ihnen die Eisen in die Zähne! Aber der Gaul war schließlich nicht wert, daß er sich dafür in Not und Gefahr begab. Harm lachte mit eins auf: „Kinder und Leute," juchte er, „das ist ja hier ein Leben, noch doller als beim Martensmarkt auf der Burg! Da wird so ein Heidbauer, als wie ich bin, der alle halbe Jahre mal einen fremden Menschen zu sehen kriegt, ganz dösig von im Koppe. Ist ja auch wahr! Ich habe ja meinen Falben in der Burg! Ja, ja, man soll vor dem Mittagbrot den Schnaps aus dem Balge lassen. Na, denn nichts für ungut! Irren ist menschlich. Und nun wollen wir einen nehmen, daß die Heide wackelt!" „Kiek, sieh," schrie er lauthals, „da ist ja auch mein alter Freund," und damit nahm er den Mann mit dem schwarzen Schnauzbart, der die rote Feder auf dem Hute stecken hatte, unter den Arm und schrie über den Hof: „Howingvater, Trine, Deem, Hille, Hille!

Bier her!"

Als die Reiter ihm lachend folgten, warf er einen Reichstaler auf das Fensterbört und sang: „Ich hab' noch einen Taler, der soll versoffen sein,"

stieß mit jedwedem an und machte seine Witze, aber dabei wahrte er sich den

Rücken, behielt seine Lippen trocken und goß das Bier und den Schnaps

über seine Schulter gegen die Wand. Die hübsche Trina wußte nicht, wo sie so schnell Bier herkriegen sollte, so lustig ging es zu. Aber als sie zum achten Male wieder kam, war der Wulfsbauer nicht mehr da. Er hatte einen Witz von Ulenvaters quantester

Sorte zum besten gegeben und als die betrunkene Bande vor Lachen nicht wußte, wo sie bleiben sollte und einer dem andern, der sich auf die Landes­

sprache nicht verstand, verklarte, was der Bauer gesagt hatte, und sich auf die Reithosen schlug und wie ein Ochse brüllte, da gab Wulf der Wirtin etwas in das Ohr und auf einmal schrie die: „Das Essen ist da! Zum Essen!" Da standen alle auf und Wulf drückte sich hinter die Bäume. Er kam glücklich davon. Einen Koppelknecht, der ihm in die Möte kam, stieß er mit der Faust unter das Herz, daß der Mensch ohne ein Wort in die Jauche schlug. Der Rotbart fragte ihn: „Brudder, libber Brudder, trinken wirr noch eins?" Aber er gab ihm einen Puff, daß der Kerl mit dem Kopfe in die Hecke schoß. Er aber sprang in den Busch und als er erst dort war, da verholte er sich, biß die Zähne durcheinander, machte eine Faust und fluchte: „Ich sollte man bloß, ich sollte man, wenn ich noch ein lediger Kerl wäre! Dann solltet ihr mir den Falben bezahlen, was er wert ist, ihr Schweinepack!"

Aber als er dann in der Heide war, beruhigte er sich und als er meist beim Hofe war und seine Frau ihm entgegenkam, ganz weiß im Gesicht; denn noch keinmal war er so lange ausgeblieben, da konnte er schon wieder mit dem Munde lachen und ihr das, was ihm zugestoßen war, so erzählen, als wenn das bloß ein dummer Spaß gewesen wäre. Doch als er hinterher in der Butze lag und überdachte, wie es ihm ge­ gangen war, machte er die Finger an beiden Händen krumm. Wenn er nicht an seine Frau gedacht hätte, dann hätte er am liebsten geflucht, wie sein Schwiegervater, wenn der ganz falsch war, loslegte: „Das tote Pferd soN dich schlagen!" hätte er geflucht.

Aber so lag er da ohne sich zu rühren, obzwar ihm stickend heiß war. Den Morgen hatte er noch das Brummelbeerlied durch die Zähne geflötet, als er nach der Stadt ritt, und jetzt? Jetzt lag er da und dachte an das Lied, das der rotbärtige, dicke Kerl ihm in das Gesicht gebrüllt hatte, derselbe Kerl, dem er nachher den Heckenstößer gezeigt hatte. Wie ein unkluges Stück Vieh hatte er gebrüllt: Der Mansfeld kommt,

der Mansfeld kommt, der Mansfeld ist. schon da,

truderiderallala, jetzt ist der Mansfeld da.

(Aus »Der Wchrwols" v. H. Löns.

Verlag ». S. Diedcrlchs, Jena.)

Vin. Der große Krieg.

260

70. Schwedenschreck. „Siel, was ist denn das da für eine putzwunderliche Wolke über Öhringen ? I, das sieht ja meist wie Rauch aus! Aber es ist doch wohl bloß eine Wolke," sprach Klaus Hennecke zu Harm, dem Wulfsbauern, der neben ihm herritt.

Der Ansicht war Harm auch, aber als sie den Bogen um die Torfkuhlen machten und unter den Wind kamen, prusteten beide Pferde auf einmal los und wurden unruhig, so daß die beiden Bauem meinten, sie witterten einen Wolf. Als sie aber ein Ende weiter waren, hielt Hennecke an, schnüf­ felte und meinte: „Das riecht gewiß und wahrhaftig nach Rauch!" Harm mußte ihm recht geben; denn es roch nach Rauch, aber er dachte sich weiter nichts dabei.

Zuletzt rochen sie aber nichts mehr; denn der Wind ging unter dem Holze anders. Sowie sie aber in der hohen Heide waren, roch es wieder stärker

und als sie die krausen Fuhren hinter sich hatten und oben auf dem Anberge waren, schrien sie wie aus einem Munde: „Ö Gott!" Denn da, wo Ödringen

lag, war die ganze Luft schwarz. Sie sahen sich an; einer sah so käsig aus wie der andere. Öhne ein Wort zu sagen, ließen sie die Pferde schneller laufen. Sie jagten, was die Pferde hergeben wollten, und als sie aus dem Walde kamen, hielten sie und zitterten am ganzen Leibe. Vor ihnen auf dem Wege lag der Kuhhirt tot auf dem Rücken und sein Hund schnüffelte an ihm herum. Sie sprangen ab und sahen sich Tönnes an; er hatte einen Schnitt

über den ganzen Hals. Sie zogen ihn beiseite und dann horchten sie nach dem Dorfe hin. Da war es ganz still, nur die Kahkrähen lärmten über den Eichen. Sie gingen Schritt für Schritt näher, die eine Hand am Messer und die andere am Zaume. Im Wege lag eine zerbrochene Steingutflasche, wie sie im Dorfe keiner hatte. Weiterhin fanden sie einen blutigen Lappen und daneben ein Stück Wurst. Sie hielten an und horchten: Nichts war zu hören, keine menschliche Stimme war zu vemehmen, kein Stück Vieh brüllte, kein Hahn krähte, kein Hund bellte. —

So kamen sie an den Reinkenhof. Der stand noch, aber die Fenster waren eingeschlagen, die Türen standen offen, Bettfedem lagen überall verstreut und Stroh und Heu und Hafer. Im Hause war alles kurz und Hein geschlagen. Im Flett ging die gelbbunte Katze umher und quarrte gottsjämmerlich. Die Dönze sah aus wie ein Schweinestall; voller Unrat war sie. Kein Stuhl war mehr heil, kein Teller mehr ganz. Im Grasgarten lagen der Kopf und die Beine und die Kaldaunen von einem rotbunten Kalbe und daneben

das Spinnrad, aber in lauter Stücken. Klaus und Harrn sprachen kein Wort. Sie kamen nach Hingstmanns Hof. Da sah es genau so aus, nur daß quer über der Seele der Hüttejunge

71. Fried«.

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tot dalag; er hatte ein tiefes Loch in der Stirn. Bei Mertens war es nicht anders und auf dem Henkenhofe desgleichen, bloß daß da wenigstens keine Leiche zu finden war. Auch auf den andem Höfen war bloß geplündert und alles entzweigeschlagen, aber die Bauem schienen rechtzeitig Wind be­ kommen zu haben, so daß sie sich hatten bergen können. Mit einem Male sah sich der Wulfsbauer wild um und rief: „Ja, aber wo brennt es denn? Heiliger Gott!" Er saß auf und jagte davon

und hinter ihm her jagte Klaus Hennecke. Quer durch die Heide ritten sie und je weiter sie kamen, um so mehr roch es nach Rauch und dann hielt Harm Wulf an und sprang ab und machte ein Gesicht, als ob er losweinen wollte, und sah dahin, wo sein Hof gestanden hatte; denn da war alles ein Rauch und ein Qualm, bloß daß hier und da eine Flamme zu sehen war. „Wawawas ist dededenn dadas?" stotterte er. Ihm war, als ob er kein bißchen Kraft mehr in den Beinen hätte, so daß er Klaus an dem Arm fassen mußte. Und dann schrie er: „Rose! Rose!" Er lief um die Brand­ stätte herum, in den Grasgarten hinein, sah in den Sod, kletterte auf den brennenden Balken hin und her, sah gen Himmel, schüttelte den Kopf und sagte mit einem Lachen, bei dem es Hennecke kalt überlief: „In der Burg, sie wird in der Burg sein!"

Klaus nickte: „Ja, das glaube ich auch. Da werden sie wohl alle mit­ einander hin sein und das Vieh auch. Und der Junge von Hingstmanns und Tönnes, die werden allein noch draußen gewesen sein und da mußte es ihnen so gehen. Wollen nach der Burg gehen und wenn sie da nicht sind, dann müssen wir, ja, am besten ist es wohl, wir reiten dann zuerst nach Engensen; auf dem Drewshofe kriegen wir am ersten Bescheid."

Sie saßen auf und ritten über die Heide und durch die Fuhren und von da in das Bmch hinein. (AuS „Der Wehrwolf- v. H. Löus.

Verlag v. E. Diederichs, Jena.)

71. Friede. Bet', Kinder, bet',

morgen kommt der Schwed', morgen kommt der Ossenstern, der wird die Kinder beten lern'.

Damit brachte man die Kleinen zu Bette; sie lernten es und sangen es auf dieselbe lustige Art, wie sie die Maikäfer und die Sonnenkälbchen das Fliegen lehrten, so daß es den großen Leuten kalt über den Buckel lief. Überall wurde von Frieden gesprochen, aber kein Mensch glaubte, daß es dazu kommen würde. Eher glaubte man an das Ende der Welt und überall liefen Leute herum und schrien:

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VIII. Der große Krieg. „Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre; denn die Zeit seines Gerichtes

ist gekommen." Die Schweden aber kamen nicht wieder. Was kein Mensch für möglich gehalten hatte, das schien wahr werden zu wollen. Es sprach sich bis in die

Heide hinein, daß es nun bestimmt, aber auch ganz bestimmt Frieden werden sollte. Man merkte es an allerlei Vorzeichen: die Störche 6riiteten wieder auf den Dächem und nicht mehr in den Wäldern; die Winterkrähen gingen früher weg als vordem; der Mäusefraß hörte auf; man fand keine Stern­

schnuppen mehr; die feurigen Männer am Himmel kamen nicht wieder; die Pest- und Sterbevögel waren wie weggeblasen.

Die Marodebrüder und Parteigänger zogen immer noch im Lande um; aber ihre gute Zeit war vorbei. Wo sie sich blicken ließen, lief das Volk zusammen und schlug sie tot. Die Bauem kamen langsam aus den Büschen herausgekrochen und hingen die Kesselhaken wieder über die Herde, wenn die Häuser noch da waren, oder bauten sich neue, so gut es ging. Hier und da wurde auch wieder gepflügt und gesät und die Toten kamen unter die Erde, wie es sich gehörte, und wurden nicht in einem alten Sack beigerodet. Aber so ganz traute man dem Frieden doch nicht. Es war ja auch gar nicht zu denken. Frieden? Arbeiten und essen und schlafen ohne Angst und Bange? Keinen Feuerschein mehr am Himmel sehen? Kein Achund Wehgeschrei mehr hören? Wieder lachen und singen dürfen? Und spielen und tanzen? Und sich darüber freuen, wenn ein Kind geboren wird? Wer das glaubt, der ist unklug; dem hat der Krieg den Verstand verrückt! Für den ist es Zeit, daß man für ihn aufpaßt! Denn es geht ja doch bald wieder los! Das kennt man ja j Nach dem Lübecker Frieden Anno 1629 wurde es bloß noch schlimmer! Und das waren nun schon sechzehn Jahre her, nein siebzehn! Aber zuletzt mußten sie es doch glauben, die Heidbauem. Es war wirklich anders geworden in der Welt. Not und Elend gab es ja noch überall genug, aber das Morden und Martern war doch nicht mehr so int Gange. Es blühten auch viel mehr Blumen, die Vögel sangen schöner denn je und die Luft war so ganz anders, gar nicht mehr so, als wenn es immer nach Nauch

und Blut roch. Es mußte also doch wohl stimmen, was der Prediger in der Kapelle vortrug, daß es dem Kaiser und den Fürsten ernst damit war. Sonst würde der alte Drewes nicht mit einem Male wieder den Kopf so hoch halten. „Das will ich noch beleben, aber dann ist es Zeit für mich," sagte er. Er erlebte es noch. Es war Anfang November, da kam Viekenludolf

angejagt, schrie wie ein Ungetüm, sprang vom Pferde wie ein Junge, lachte wie unklug und rief: „Ihr glaubt wohl, ich bin besoffen? Keine Spur! Aber es ist Friede, Friede für immer, gewiß und wahrhaftig, und

71. Friede.

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wenn ihr es mir nicht glauben wollt, hier lest, oder der Prediger soll es

vorlesen! Das habe ich von einem Manne gekauft, der mehr solche Blätter ans Celle mitgebracht hat. Unserem Herzog sein Siegel ist damnter. Da, Euer Ehren!" Er fiel auf die Bank und jappte und mit einem Male lief ihm das Wasser aus den Augen.

Er sprang aber gleich wieder auf; denn der Wulfsbauer kam angelaufen. Er war im Grasgarten gewesen und hatte das Schreien und Weinen und Lachen gehört. Und nun stand er da und beberte an allen Gliedern und sah

wie eine frisch gekalkte Wand im Gesichte aus. „Wawawas ist llos?" stotterte er. Der Prediger hob die Hand. „Ich werde vorlesen." Alle falteten die

Hände, bloß der Burgvogt nicht; der hatte keine Kraft dazu. Der Prediger hatte zu Ende gelesen. Alles lachte und weinte wie 6er rückt durcheinander. Mit einem Male drehten sich alle um. Was war denn das? Der Wulfsbauer hatte ganz schrecklich aufgeschrien und jetzt stand er mit dem Kopfe gegen die große Tür, hatte die Hände vor dem Gesicht und weinte wie ein Kind. Dann drehte er sich um, ging wie ein todkranker Mann

auf seine Frau los, nahm sie an dem Arm und sagte: „Mutter, bring mich zu Bett; ich bin ja so müde!" Die Frau faßte ihn unter dem Arm, wischte ihm die Tränen ab und sagte: „Ja, ja, ich bring' dich zu Bett, mein Junge, du sollst nun auch schön schlafen." Da lachte keiner von den Leuten mehr; es wurde ganz still, nur daß auf der Wiese die Kinder das neue Lied sangen, das sie in der Schule gelernt hatten: Herzlich tut mich erfreuen die fröhliche Sommerzeit, all mein Geblüt erneuen, die Mai in Wollust freit; die Lerch' tut sich erschwingen mit ihrem hellen Schall, lieblich die Vögelein singen, dazu die Nachtigall.