Augustus und die Macht der Bilder [5 ed.] 9783406345142, 340634514X

288 124 14MB

German Pages 369 [368] Year 2009

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Augustus und die Macht der Bilder [5 ed.]
 9783406345142, 340634514X

Citation preview

Paul Zänker

A U G U STU S und die Macht der Bilder

Verlag C. H . Beck M ünchen

M it 351 A bbildungen

1. Auflage 1987 (Leinen)

2., durchgesehene Auflage 1990 (Broschur) 3. Auflage 1997 (B roschur) 4. A uflage 2003 (B roschur)

5. Auflage 2009 © Verlag C. H . Beck o H G , M ünchen 1987 Satz: App], W emding D ruck und Bindung: Kösel, Krugzell Umschlagabbildung: Rom, A pollotem pel in circo (vgl. Abb. 55) Umschlaggestaltung: B runo Schachtner, Dachau G edruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff) Printed in G erm any ISBN 978 3 406 34514 2

www.beck.de

Vorwort Bauwerke und Bilder spiegeln den Zustand einer Gesellschaft, ihre Wertvorstellungen ebenso wie ihre Krisen und Aufbruchstimmungen. Aber es ist bekanntlich schwierig, Kunstwerke im konkreten Fall als historische Zeugnisse eigener Aus­ sage zu analysieren. In diesem Buch soll gezeigt werden, wie eine politische Systemveränderung zur Ausbildung einer neuen Bildersprache führt, die eine sich verändernde Mentalität reflektiert, zugleich aber auch wesentlich zu deren Wan­ del beiträgt. Modernen Erfahrungen entsprechend stehen Fragen nach den gesellschaftlichen Triebkräften der Veränderungsprozesse und nach den psycho­ logischen Wirkungszusammenhängen im Vordergrund. Die Form der Kunst­ werke interessiert dabei nicht weniger als ihre Botschaft. Ist doch der „Stil“ selbst ein komplexes historisches Zeugnis. Selten standen die Künste so unmittelbar im Dienste der politischen Macht wie in der Augustuszeit. Die Bilder der Dichter und Künstler künden von einer glücklichen Welt, in der ein großer Herrscher ein Weltreich in Frieden regierte. Die Suggestion mancher dieser Bilder scheint auch heute noch ungebrochen, das bezeugt nicht zuletzt die moderne Werbung, die sie immer wieder einsetzt. Das verklärte Bild der augusteischen Kunst erhielt seine entscheidende Aus­ prägung erst in den dreißiger Jahren. Bei der Gestaltung des faschistischen Rom waren bedeutende Monumente wie das Mausoleum, das Augustusforum, das Marcellustheater und die Ara Pacis erst ans Licht gekommen bzw. durch Ausgra­ bungen und Rekonstruktionen voll ins Bewußtsein der Zeitgenossen getreten, und fatalerweise hatte die Zweitausendjahrfeier des Augustusgeburtstages im Jahre 1937 die Machthaber und ihre bewußten und unbewußten Helfer geradezu herausgefordert, die römische Kunst als Ganzes und die der Augustuszeit im besonderen zur Aesthetisierung des neuen Macht- und Herrschaftswahnes zu mißbrauchen. In der einen oder anderen Form wirkt die damalige Rezeption auch heute noch nach. Dabei war die Gestalt des Augustus seit dem Altertum immer auch kritisch gesehen worden, nicht nur von „Republikanern“ wie Tacitus, Voltaire und Mommsen. Auch das Augustuslob der dreißiger Jahre war nicht unwidersprochen geblieben. Bezeichnenderweise erschien R. Syme’s berühmtes Buch „The Roman Revolution“ 1939 in England. Leider spielen Kunst und Architektur in dem faszinierenden Kapitel „The Organisation of Opinion“ keine Rolle. Mancher Historiker ist auch heute noch überzeugt, Kunstwerke seien aesthetische Gebilde, mit denen man zwar Bücher illustrieren könne, aus denen aber nicht mehr zu erfahren sei, als man aus den schriftlichen Quellen schon lange wisse. Zu dieser Einstellung haben natürlich die Kunsthistoriker und Archäolo­ gen mit ihren „werkimmanenten“ Interpretationen und ihrem Desinteresse am konkreten historischen Ort der Bildwerke das ihre beigetragen. 5

Nach dem zweiten Weltkrieg konzentrierte sich die Forschung, wo sie nicht das Augustuslob fortschrieb, bezeichnenderweise weitgehend auf formale Pro­ bleme. Der Rang der augusteischen Kunst wurde jetzt - vor allem in der ganz unter dem Primat der griechischen Kunst stehenden deutschen Archäologie von ihrem Klassizismus und ihrer handwerklichen Qualität abgeleitet. Die Neu­ belebung und Übermittlung der griechischen Formen garantiere, so meinte man, den augusteischen Künstlern nicht anders als Vergil und H oraz eine zeitlose Bedeutung - trotz der politischen Funktion ihrer Werke. In Italien dagegen bestritt der von marxistischen Positionen ausgehende einflußreiche Archäologe R. Bianchi-Bandinelli die historische Bedeutung der augusteischen Kunst gerade •wegen ihres Klassizismus, in dem er den Ausdruck eines reaktionären politischen Systems sah. Seit den späten sechziger Jahren standen dann im Anschluß an Ronald Syme und Andreas Alföldi Fragen der Bildpropaganda im Vordergrund. Überall begann man die Machenschaften eines verborgenen Propagandaappara­ tes aufzuspüren, ohne diesen jedoch wirklich nachweisen zu können. In den letzten Jahren hat das Interesse an Augustus und seiner Zeit erstaunli­ cherweise sprunghaft zugenommen. Vor allem in Deutschland, den USA und in England finden Vorträge und Kolloquien statt, erscheinen nicht nur Spezial­ untersuchungen und Forschungsberichte, sondern auch aufwendig illustrierte Bücher, die sich an ein breiteres Publikum wenden, in Berlin wird gegenwärtig eine große Ausstellung vorbereitet. Handelt es sich dabei nur um den allgemeinen Trend der sog. Postmoderne, der allen „klassischen“ Perioden und Gestalten neues Interesse entgegenbringt? Oder faszinieren die geordnete, ruhige Gesell­ schaft, der Herrscher mit menschlichem Gesicht, der Wohlstand und Sicherheit für alle schuf, gute Dichter förderte und schöne Bauten errichten ließ und zu alle­ dem auch noch feste moralische Werte zu vermitteln wußte? Diesem Buch liegen meine 1983/84 in Ann Arbor und in der American Accademy in Rom gehaltenen Jerome Lectures zugrunde. Ohne die stimulierende Erfahrung dieser Vorlesungen hätte ich nicht den Mut zur Veröffentlichung einer solchen Synthese gefunden. Einladungen an das Institute for Advanced Study in Princeton (1982) und nach Oxford (Wolfson College, 1985) haben mir die Aus­ arbeitung ermöglicht. Diesen Institutionen und den Kollegen, mit denen ich Zusammensein konnte, gilt mein erster Dank, vor allem P. H. von Blanckenhagen, J.d’Arms, G.Bowersock, J.Griffin, Chr.Habicht, D.Scott, D. und H. Thomp­ son, Z.Yavetz. F.Miliar veranstaltete in Oxford ein gemeinsames Seminar, das die dortigen Kollegen zusammenführte und aus dem ich viel gelernt habe. Während der langen Zeit der Beschäftigung mit dem Thema habe ich von so vielen Seiten Anregungen, Hilfe und Zuspruch erhalten, daß es mir unmöglich ist, dafür im Einzelnen zu danken. Es liegt mir aber daran zu sagen, wieviel ich den Freunden, Kollegen und Studenten in München an Anregung und Hilfe ver­ danke, dabei möchte ich vor allem Chr. Meier und H.von Hesberg, aber auch O. Dräger, D. Lauenstein, M. Pfänner und R. Senff nennen.

6

Inhaltsverzeichnis Einleitung ..................................................................................................... I.

II.

11

Die widerspruchsvolle Bilderwelt der untergehenden Republik.........

15

Nackte Ehrenstatuen .......................................................................... Widersprüche in Form und Botschaft.................................................. Familienpropaganda und Desintegration der Führungsschicht............ Das Stadtbild Roms als Spiegel des Zustandes von Staat und Gesell­ schaft ..................................................................................................... Die Villa und das Entstehen privater Lebensräume..............................

15 18 21 28 35

Konkurrierende Bilder. Der Kampf um die Alleinherrschaft............

42

Divi filius............................................................................................... Die auftrumpfenden Statuen des jungen Caesar.................................... Götteridentifikation und Selbstverständnis.......................................... Die programmatischen Münzserien O ctavians.................................... Die problematischen Bilder des A ntonius............................................ Baukonkurrenz und Formenvielfalt..................................................... Das M ausoleum ...................................................................................

42 46 52 61 65 73 80

III. Die große Wende. Neue Zeichen und ein neuer Herrschaftsstil

....

85

Das Forum wird zum Repräsentationsplatz der Julier........................... Die symbolischen Siegeszeichen........................................................... Der Sieger nimmt sich z u rü c k .............................................................. Res publica re stitu ta............................................................................. Der Ehrenname „Augustus“ und das neue Bildnis.................................

85 88 90 96 103

IV. Das Programm der kulturellen Erneuerung..........................................

107

1. Pietas ............................................................................................... Aurea templa......................................................................................... Neuartige Bildprogramme ................................................................. Fest und Ritual...................................................................................... Die hohen Priesterschaften................................................................. Priesteramt und sozialer S ta tu s........................................................... 2. Publica Magnificentia....................................................................... Der Princeps statuiert Exempla gegen den privaten Luxus..................

108 110 116 119 124 132 141 141 7

r

Villenglück fürs V o l k .................................................................................. Die Präsenz der kaiserlichen Familie im S ta d tb ild ................................. Applaus und O rdnung. Das T heater als O rt der Begegnung von Prin­ ceps und Volk ................................................................................................ Stadtbild und I d e o lo g ie ............................................................................... 3. Mores M a io r u m ...................................................................................... Die Sittengesetze ......................................................................................... D er Princeps als V o rb ild ............................................................................... Toga und S to la ................................................................................................ V.

144 148 151 *57

Die mythische Ü berhöhung des neuen S ta a te s ..................................... , 1. Aurea A„ e t a s .......................................................................................... • • Das G oldene Zeitalter wird e r ö f f n e t ........................................................... Fruchtbarkeit und F ü l l e ........................................................... Die paradiesischen R a n k e n ........................................................................ Sieg und F rie d e n ............................................................................................ 2. Mythos - Geschichte - G egenwart........................................................... Vom Familienmythos zum S ta a tsm y th o s ................................................. Venus und M a r s ......................................................................................... Aeneas und R o m u l u s ............................................................................... Ein revidiertes Bild der römischen G e s c h ic h te ................................. 3. Principes Juventutis. Nachfolge und Staatsmythos............................. Die Erben aus dem Stamm der V e n u s ................................................. Tiberius und Drusus als R eich sfeld h errn .......................... ................... Tiberius als N a c h fo lg e r........................................................................... Die Jupiterrolle .....................................................................................

171 172 77 1^4

jgg j^

jgg 204 213 2j7 218 226 229 232 240

V F Die Formensprache des neuen M y th o s ................................ ' ' ' ' ' . . . Die Wiederverwendung klassischer und archaischer O ngina e • Die sakrale Bedeutung der archaischen Form ...................' D er moralische Anspruch der klassischen F o r m ................■ „Attizistische“ K o m p o sitio n e n ............................................. ‘ D er Symbolwert des Z i t a t s ................................................. ................

242 244 248 252 255 264

VII. Die neuen Bilder und das private Leben

..........................

Loyalität und M o d e ............................................................................. Verinnerlichung und private B otschaften................................. M entalität und G e sc h m a c k .............................................................. Bukolische Projektionen .......................................................' M entalität und S elbstdarstellung.......................................

8

264 273 279 284 290

VIII. Die Verbreitung des Kaisermythos im R eich .......................................

294

Die Reaktion der G riechen................................................................. Städtekonkurrenz im K aiserkult........................................................ Der Kaiserkult im W esten.................................................................... Die städtischen Eliten und das augusteische Program m ..................... Marmor und Selbstbewußtsein...........................................................

294 299 304 312 319

S c h lu ß ..........................................................................................................

329

Literaturhinweise ........................................................................................

333

Abbildungsverzeichnis..................................................................................

358

Orts- und Museumsregister..........................................................................

365

für Dorothea

Einleitung Als der römische Senat nach dem Tode des Augustus über Begräbnis und Ehrun­ gen beriet, stellte einer der Senatoren den Antrag, die ganze Lebenszeit des Ver­ storbenen saeculum Augustum zu nennen und so in den Staatskalender einzutra­ gen (Sueton, Aug. 100). Wie opportunistisch die Beweggründe des Antragstellers auch gewesen sein mögen, das Bewußtsein, eine Zeitenwende erlebt zu haben, war allgemein. Nach den düsteren Jahrzehnten der Bürgerkriege hatte man 45 Jahre lang in Ruhe und Sicherheit gelebt. Die Monarchie hatte dem riesigen Imperium endlich eine geordnete Verwaltung, dem Heer Disziplin, der römi­ schen plebs ,Brot und Spiele“, der Wirtschaft einen großen Aufschwung gebracht. Von moralischem Sendungsbewußtsein erfüllt blickte der Römer auf sein Reich. - Zu Beginn von Augustus’ Alleinherrschaft (31 v. Chr.) aber hatte Pessimismus geherrscht, hauen viele den Staat wegen ihrer eigenen Unmoral am Rande des Ruins gesehen. Wie ist es zu diesem Gesinnungswandel, zu dieser Hochstim­ mung gekommen, die dank der augusteischen Dichter auch die Vorstellung der Nachwelt vom saeculum Augustum bestimmt? Die römische Kultur ist entscheidend geprägt von einem dramatischen Akkulturationsprozeß, der im zweiten Jahrhundert v. Chr. einsetzte. Mit der Eroberung des griechischen Ostens war die noch archaisch strukturierte Gesellschaft des Stadtstaates von der Kultur der hellenistischen Welt überschwemmt worden. Anders als üblich hatten hier die Sieger die Folgen eines solchen Prozesses zu tra­ gen gehabt. „Das unterworfene Griechenland bezwang den Sieger und brachte die Künste ins bäurische Latium“ (Horaz, ep. II 1, 156). Graecia capta ferum victorem cepit et artis intulit agresti Latio . . . Die Auswirkungen auf Lebensgewohnheiten, Religion, Moral und Selbstver­ ständnis waren unübersehbar. Die Gegensätze zwischen den mores maiorum und dem, was man in Rom bald unter dem Sammelbegriff luxuria verteufelte, hätten kaum größer sein können. Auf der einen Seite in den griechischen Städten ein hochkultivierter Lebensstil, die glanzvolle Selbstdarstellung der Könige, die Tra­ dition der klassischen Kultur Athens, die Philosophenschulen, das rationale Den­ ken, aber auch die Mysterienkulte für die Heilsbedürfnisse des Individuums; auf der anderen Seite eine altertümliche, auf das Leben von Bauern zugeschnittene und untrennbar mit dem Staat verbundene Religion, die festen Bindungen patri­ archalisch geführter Familienverbände, einfache, seit Generationen kaum verän­ derte Lebensabläufe, eine karge Kultur ohne Literatur und Bilder. Kein Wunder, daß beim Aufeinanderstoßen so gegensätzlicher Welten Konflikte und tiefe Ver­ unsicherungen entstanden. 11

Dies um so mehr als sich die Hellenisierung Roms in einer Gesellschaft, die schnellen politischen Veränderungen ausgesetzt war, und in einem von der Ver­ waltung eines riesigen Reiches überlasteten Stadtstaat vollzog. Kriegsgewinn und Wirtschaftsexpansion hatten zur Konzentration von Reichtum und Grundbesitz in den Händen weniger, hatten zu Landflucht und zu entwurzelten Massen in Rom selbst geführt. Durch die großen Berufsheere waren neue Gefolgschaftsver­ hältnisse entstanden, die die siegreichen Feldherrn zu politischen Kräften neben dem Staat hatten werden lassen. Die dramatisch veränderten Besitzverhältnisse machten die strengen Standesgrenzen durchlässiger. Potente Aufsteigergruppen, vor allem die führenden Männer der italischen Städte und die reichen Freigelas­ senen drängten nach gesellschaftlicher Anerkennung und Beteiligung an der Politik. Ein allgemeines Konkurrieren griff um sich, bei dem es nicht mehr wie früher beim Adel um Leistungen für die res publica, sondern um persönliche Vor­ rangstellung und um materiellen Gewinn ging. Die schnell übernommene griechische Bilderwelt spielte bei diesen Prozessen eine große Rolle. Den schon hellenisierten römischen Familien, vor allem einzel­ nen Triumphatoren bot sie einen eindrucksvollen Rahmen, in dem Weitläufigkeit und Machtansprüche sichtbar gemacht werden konnten. Auf viele der Zeitgenos­ sen aberwirkten die neuen Bilder irritierend. Standen ihre Botschaften doch zum Teil in eklatantem Widerspruch zur Tradition. In der Abwehr des Neuen erstarr­ ten damals die überkommenen Wertbegriffe zu der bekannten Ideologie von Römertum und Römerstaat, die aber gleichzeitig durch das tatsächliche Verhal­ ten vieler in Frage gestellt wurde. Wie sehr die importierten Bilder die Auflö­ sungsprozesse nicht nur widerspiegeln, sondern das Ihre zu den widersprüchli­ chen Wertvorstellungen beitrugen, soll der erste Abschnitt des Buches veran­ schaulichen. Denn ohne diesen Hintergrund, diese destruktive Macht der Bilder bleibt die neue,,positive' Bildersprache der Augustuszeit unverständlich. Als die alte res publica dann in den Machtkämpfen zwischen Caesar und Pom­ peius, zwischen Octavian und Antonius endgültig unterging und die Zeitgenos­ sen angesichts der allgemeinen Orientierungslosigkeit nach den Ursachen zu fra­ gen begannen, suchten sie die Schuld vor allem in der Abwendung von den Göttern und von den Sitten der Vorfahren (mores maiorum). Denn die strukturel­ len Hintergründe konnten sie kaum erkennen. Aber die in üppigen Palästen kon­ zipierten Visionen von der Einfachheit und Frömmigkeit der alten Römer, von der Selbstlosigkeit ihrer politischen Führer und der Aufopferungsbereitschaft des bäuerlichen Staatsvolkes blieben angesichts der Realitäten hohle Rhetorik. In den stürmischen Veränderungen der letzten Generationen war nicht nur die res publica, sondern weithin auch die kulturelle Identität problematisch geworden. Nachdem Augustus die Alleinherrschaft errungen hatte (31 v. Chr.), ging er Punkt für Punkt gegen die in jenen Schlagworten formulierten ,Defizite' vor. Ein breit angelegtes, über zwanzig Jahre hin konsequent verfolgtes Kulturprogramm hatte eine umfassende moralische Erneuerung zum Ziel und erreichte tatsächlich einen Umschwung der allgemeinen Mentalität. Gegen die Selbstverherrlichung

der konkurrierenden Generäle wurde die Verehrung des von den Göttern erwählten Herrschers, gegen das Ärgernis des privaten Luxus ein Programm der staatlichen Prachtentfaltung (publica magnificentia), gegen die Vernachlässigung der Götter und gegen die Unmoral eine religiöse und moralische Erneuerungsbe­ wegung sondergleichen gesetzt (pietas und mores). Ein solches Programm erforderte eine neue Bildersprache. Es geht in diesem Buch um die komplexen Zusammenhänge zwischen der Errichtung der Monar­ chie, der Neuformierung der Gesellschaft und der Veränderung der Bilderwelt und des ganzen Systems der visuellen Kommunikation. Moderne Erfahrung hat dazu verführt, hier einen Propagandaapparat zu vermuten. Aber einen solchen hat es nie gegeben. Was sich im nachhinein wie ein raffiniertes System ausnimmt, ergab sich aus dem Ineinandergreifen von Selbstdarstellung des Herrschers und ihm dargebrachten, mehr oder weniger spontanen Ehrungen, und zwar in einem über weite Strecken hin selbstläufigen Prozeß. Ich will zeigen, wie die an der Ausbildung der neuen Bildersprache Beteiligten zusammenwirkten und welche Interessen und sozialen Zwänge bei ihrer Verbreitung eine Rolle spielten. Wenn im folgenden immer wieder von „Bilderwelt“ und „Bildersprache“ die Rede ist, so um auszudrücken, daß es mir nicht primär um die Interpretation der einzelnen Denkmäler geht. Das ist oft genug geschehen, wobei die Beschreibun­ gen und Kommentare der Archäologen häufig in den panegyrischen Ton der augusteischen Dichter verfallen. Hier interessiert dagegen die Gesamtheit der auf die Zeitgenossen einwirkenden „Bilder“. Damit sind nicht nur die Kunstwerke, Bauten und dichterischen Visionen gemeint, sondern auch religiöse Rituale, Klei­ dung, Staatsakte, Verhaltensweisen des Herrschers, ja alle Formen der sozialen Begegnung, soweit sie sich zu Bildeindrücken verdichteten. Es kommt mir auf die Zusammenhänge der Bilder und ihre Wirkung auf den Betrachter an. Eine so verstandene Bilderwelt spiegelt den inneren Zustand einer Gesellschaft wider und erlaubt Einblicke in die Wertvorstellungen und Projektionen der Zeit­ genossen, die sich in den literarischen Quellen oft nicht niederschlagen. Die Macht der Bilder konkretisiert sich in Wechselwirkungen. Auch die Mäch­ tigen unterliegen der Suggestion der Zeichen, mit denen sie werben. Ihr Selbst­ verständnis und Rollenverhalten werden entscheidend von ihren eigenen Schlag­ wörtern und natürlich auch von denen der Gegner geprägt. Auf der Seite der Adressaten wirkten die Bilder keineswegs nur als Träger politischer Botschaften. Sie wurden, wie zu zeigen sein wird, auch hier nach und nach verinnerlicht und als Ausdruck privater Tugenden und Werte verwendet. In der Augustuszeit liegt die Bedeutung der Bilder weniger darin, daß sie für die neue Monarchie warben. Das war beim Volk kaum nötig und bei den opposi­ tionellen Aristokraten sicher wirkungslos. Ohne die Legionen und die enormen Reichtümer des Augustus hätten die Bilder nichts vermocht. Aber ihre langfristige Wirkung auf die allgemeine Befindlichkeit stellt einen ernst zu nehmenden histo­ rischen Faktor dar. Bestimmte Werte wie die erneuerte Religion gewannen erst in dem unendlichen Widerhall der entsprechenden Bildersprache Realität. Vor 13

allem: Durch die Bilder konnte sich ein Kaiser- und Staatsmythos etablieren, der sich mit seinen einfachen Begründungszusammenhängen mehr und mehr ver­ selbständigte und vor die tatsächlichen Ereignisse und Lebensbedingungen schob, der die Wirklichkeit in einer bestimmten Weise gefiltert erleben ließ und so über Generationen hin das Gefühl vermittelte, man lebe im bestmöglichen Staat und auf der Höhe der Zeiten.

1. Ehrenstatue eines röm. Feldherrn, ca. 180-150 v. Chr. Der Römer ist wie ein hellenistischer König darge­ stellt. Haltung und Nacktheit gleichen ihn wie diese den Götterbildern an. 14

I. Die widerspruchsvolle Bilderwelt der untergehenden Republik Nackte Ehrenstatuen Als die prächtige Bronzestatue (Abb. 1) noch vor der Mitte des zweiten Jh. v.Chr. zu Ehren eines der großen Feldherrn in Rom aufgestellt wurde, muß ihre völlige Nacktheit auf die meisten der damaligen Römer in hohem Maße irritierend gewirkt haben. Die Statue ist in ihrer machtvollen Körperlichkeit ein durch und durch hellenistisches Werk. Das Körperschema geht wahrscheinlich auf den berühmten Alexander mit der Lanze des Lysipp zurück. Haar- und Bartschnitt sowie der leidenschaftliche Ausdruck sind den Bildnissen der makedonischen Könige angeglichen (Abb.2, 3). Die Statue gleicht völlig einer hellenistischen Herrscherstatue und stammt auch aus einer griechischen Werkstatt. Aber die feh­ lende Königsbinde zeigt, daß wir es nicht mit einem hellenistischen König, son­ dern offenbar mit einem Römer, vielleicht einem der Sieger über die makedoni­ schen Könige, zu tun haben. In der hellenistischen Welt rühmte man mit einer solchen Statue übermenschli­ che Kräfte und Qualitäten. Nacktheit und Standmotiv erinnerten dort an Götter­ oder Heroenstatuen, verglichen den Dargestellten mit diesen vertrauten mythi­ schen Leitbildern. Römischer Tradition aber war ein solches Vergleichen und Erheben fremd. Als Ehrenstatue der res publica diente seit alters die Togastatue (Abb.4). Hier konnte der Geehrte durch Attribute und entsprechende Kenn­ zeichnungen an der toga selbst in seinem politischen oder priesterlichen Amt, also als Konsul, Praetor, Augur etc., gekennzeichnet werden. Die nüchternen und die Gleichheit der Bürger betonenden Togastatuen entsprachen der streng geregelten Machtausübung durch jährlich wechselnde Beamte. Die sich gegen­ seitig kontrollierenden Aristokraten duldeten kein übermäßiges Rühmen indivi­ dueller Verdienste oder gar übermenschlicher Qualitäten. Auch der siegreiche Feldherr erhielt eine Togastatue. Selbst wenn er einen Triumph gefeiert hatte, wurde er nicht in Waffen, sondern in der Triumphaitoga dargestellt. Das ent­ sprach der strengen räumlichen Trennung der Bereiche domi und militiae. Der Senat fürchtete die politische Ausnutzung militärischer Glorie durch seine Gros­ sen. Deshalb verlieh er auch - solange er noch Herr seiner Entschlüsse war keine prunktvollen Reiter- und Panzerstatuen, wie sie für hellenistische Könige und Feldherrn üblich waren. Sulla, der so viele Normen gebrochen hat, war bezeichnenderweise der erste, dem der Senat ein repräsentatives Reiterdenkmal auf dem Forum errichtete (s. Abb. 30 b). Allerdings hatten die Senatoren die Auf15

Stellung solcher Statuen in hellenistischer Manier nicht verhindern können, wenn sie von privater Seite z.B. als Votiv in ein Heiligtum dediziert wurden. So hatte Fabius Maximus Cunctator schon 209 v. Chr. seine Reiterstatue auf dem Kapitol neben dem von ihm aus der Tarentiner Beute geweihten Herakleskoloß aufge­ stellt. Schon früh also war es in diesem zentralen politischen Bereich zu einer wider­ sprüchlichen Bildersprache gekommen. Aber während man die hellenistischen Panzer- und Reiterstatuen (trotz ihres charismatischen Anspruchs) verengt auf die Aussage ,Ehrung für militärische Leistung' mit den Traditionen noch einiger­ maßen verbinden konnte, muß eine nackte Bildnisstatue zumindest zu Beginn des Hellenisierungsprozesses unverständlich, ja schockierend gewirkt haben. Für die politischen Gegner, die die Sprache des griechischen Gottmenschen­ tums verstanden, enthielt die Statue in ihrer Leibprächtigkeit einen unerträgli­ chen Anspruch. Die große Menge der noch nicht hellenisierten Römer aber kann in ihr nur ein unmoralisches Machwerk gesehen haben. Denn Nacktheit galt um 150 v. Chr. in Rom noch vielen als Ausdruck der Schamlosigkeit. Von Cato dem Älteren wird berichtet, wie er es der „Sitte der Alten“ entsprechend vermied, selbst mit Sohn und Schwiegersöhnen zu baden, „weil er sich schämte, nackt vor ihnen zu stehen“ (Plutarch, Cato mai. 20). Nacktheit, das war vor allem ein Zei­ chen griechischer' Unmoral: „Am Anfang der Unzucht (gemeint ist die Homo­ sexualität der Griechen) steht das Entblößen vor den Mitbürgern“, so der 169 v. Chr. gestorbene Dichter Ennius (Cicero, Tusc. 4,70).

Vielleicht sind solche nackten Statuen zuerst von arglosen Griechen gestiftet worden, die die neuen Machthaber in derselben Art ehren wollten, wie sie es bei ihren Königen zu tun gewohnt waren. Aber das setzte doch zumindest die Ein­ willigung der Betroffenen voraus. Zahlreiche Monumente bezeugen denn auch, wie schnell sich die Vorstellung vom heroischen und charismatischen Feldherrn in Rom verbreitete. Manch einer der römischen Großen war durch seine Erfahrun­ gen im Osten schon früh zu einem hellenistischen Menschen geworden. Wer dort wie ein König geehrt und verehrt worden war, blieb auch in Rom nicht unemp­ fänglich für die neuen hochgreifenden Bilder. Nicht umsonst wirkte der römische Senat auf den griechischen Historiker Polybios (gest. um 120v.Chr.) wie eine

4. Sog. Arringatore. Ehren­ statue eines der führenden Männer von Perusium/Perugia, um 80 v.Chr. Der Dar­ gestellte trägt die toga exigua und ist durch breite Streifen auf toga und tunica sowie durch das Schuhwerk als Angehöriger der lokalen Oberschicht gekennzeichnet.

17

Versammlung von Königen. Und Rom selbst füllte sich im Laufe des zweiten und ersten Jahrhunderts v. Chr. immer mehr mit Fremden aus dem Osten - vor allem durch die freigelassenen Sklaven. Die Menge jedenfalls, die 44 v. Chr. den ermor­ deten Diktator Caesar spontan zum Gott erklärte und ihm opferte, hatte nichts mehr mit den durch Kriegsdienst und Grundbesitz von ihren Äckern vertriebenen Bauern des 2.Jh. v.Chr. zu tun. Wie sehr gerade Siege und Machterfahrung die Mentalität der Großen verän­ derte, kann man z.B. einem Bericht über den von Haus aus doch eher biederen homo novus Gaius Marius entnehmen. „Nach seinem Triumph über Jugurtha und die Kimbern trank er nur noch aus einem Kantharos, weil Dionysos bei seinem Triumphzug durch Asien diese Gefäßform benutzt haben soll. Er wollte so bei jedem Schluck Wein seine eigenen Siege mit denen des Gottes vergleichen.“ (Val. Max. III 6,6) Und wie sehr die Menge solchem Selbstverständnis entgegenkam, zeigen z.B. die Ehrungen, die dem mit mäßigem Erfolg gegen Sertorius kämpfenden Q. Cae­ cilius Metellus Pius in den 70er Jahren in Spanien entgegengebracht wurden. „Die Städte empfingen ihn mit Opfern und Altären. Er ließ sich auch Kränze aufsetzen, nahm an ausschweifenden Gastmählern teil, wobei er in der toga triumphaiis becherte, während Victorien mittels raffinierter Konstruktionen auf ihn herunterschwebten und ihm goldene Trophäen und Kränze reichten. Dazu san­ gen Knaben- und Frauenchöre Siegeshymnen.“ (Plut. Sertorius 22) Was für irri­ tierende Bilder römischer Feldherrn! Sie zeigen, daß wir neben den übernomme­ nen Ikonographien auch mit entsprechendem Auftreten und Ritualen zu rechnen haben. Der ganze Lebensstil der römischen Philhellenen wurde zu einer Heraus­ forderung für die Traditionalisten. Wenn es der Luxus- und sumptus-Geseizgebung des Senates zunächst auch noch gelang, die neuen Lebensformen und Bil­ der in Rom selbst einzudämmen, so vermochten diese doch nichts gegen die fortschreitende Hellenisierung im privaten Bereich, vor allem in den Villen. Hier gab es viele, die von dionysischem Lebensgefühl erfüllt feierten, sich in die Mysterien einweihen ließen und dies auch durch entsprechende Bilder in ihren Häusern verewigt sehen wollten.

Widersprüche in Form und Botschaft Die Bilderwelt der späten Republik war bunter und künstlerisch sehr viel reizvol­ ler als die von den Normen staatlicher Repräsentation geprägte Kunst der Kai­ serzeit. Das Zusammentreffen der reichen römischen Auftraggeber, die unter dem Druck der gesellschaftlichen Konkurrenz und des Verlangens nach Selbst­ bestätigung standen, mit den hellenistischen Künstlern, die über eine Vielfalt stili­ stischer Möglichkeiten verfügten, schuf ungewöhnliche Bedingungen. Aber so groß der ästhetische Reiz der Formen für uns heute ist, im damaligen Rom müs­ sen die Botschaften der Bilder voller Widersprüche gewesen sein, wenn man sie in

ihren Wirkungszusammenhängen betrachtet. Die neuen Ehrenstatuen sind ein gutes Beispiel dafür. Die hellenistischen Herrscher übten unbeschränkte Macht aus, und man schrieb ihnen übermenschliche Qualitäten zu. Die Griechen brachten dies dadurch zum Ausdruck, daß sie sie wie ihre Götter und Heroen darstellten. In Rom dagegen mußte selbst der erfolgreichste Führer wieder ins Glied zurücktre­ ten, wenn seine Amtszeit abgelaufen war, mochte er sich noch so begnadet füh­ len. Die Schemata der Herrscherstatuen entsprachen also in keiner Weise den wirklichen Gegebenheiten. Aber nicht nur für die römischen Triumphatoren, auch für zweitrangige Männer und sogar für die Magistrate der italischen Städte griff man bald zu den höchsten Ausdrucksformen der fremden Werteskala. Zur Zeit Caesars konnte man auch auf den Marktplätzen der römischen Landstädte die dortigen Honoratioren in gepanzerten oder nackten Statuen mit gespannten Muskeln und pathetisch gereckten Körpern bewundern. Bei solch inflationärer Verwendung verloren die übernommenen Bildzeichen ihre ursprüngliche Aus­ sage, wurden zu vagen Zeichen gesteigerten Rühmens. Es bedurfte deshalb immer größeren Aufwandes, um einen umfassenderen Führungsanspruch ins Bild zu setzen. Steigerungen in der Ikonographie sowie in der Zahl und Größe der Statuen waren die Folge. Auch die konkrete künstlerische Form mußte in einer solchen Situation wider­ spruchsvoll werden. Zunächst war der pathetische Stil der hellenistischen Herr­ scherporträts unbesehen übernommen worden, wie die Bronzestatue im Ther­ menmuseum zeigt (Abb.2). Da dieser Stil aber so gar nicht zu den von Hochschätzung des Alters und Kargheit der Selbstdarstellung geprägten Tradi­ tionen des römischen Adels paßte, hatte sich nach und nach eine realistische Por­ trätauffassung durchgesetzt. Die griechischen Künstler, die die römischen Aristo­ kraten porträtierten, verfügten seit langem über Erfahrungen in der wirklich­ keitsnahen Wiedergabe von Körpern und Gesichtern, aber sie hatten sie in der Porträtkunst bis dahin nur sehr zurückhaltend angewandt. Das Selbstverständnis ihrer neuen Auftraggeber in Rom scheint sie von dieser Tradition abgebracht zu haben. Dabei hat vermutlich die sich verschärfende Konkurrenz der römischen Aristokraten eine nicht geringe Rolle gespielt. Im Mittelpunkt des Interesses stand immer mehr der einzelne mit seinen besonderen Leistungen und Eigenhei­ ten. Das mag den Wunsch nach Porträts, die das Einmalige und Unverwechsel­ bare festhielten, gefördert haben. Jedenfalls wurde weder zuvor noch danach im Altertum soviel vom Persönlichen und vom Charakter des einzelnen zur Darstel­ lung gebracht wie im l.Jh. v.Chr. in Rom. Man betrachte nur die Distanz und Ironie des Caesarporträts (Abb. 5), das biedere Pompeiusgesicht (Abb. 6) oder die Energie und Härte des reichen Crassus (Abb. 7) und halte diese Bildnisse gegen die genormten, entindividualisierten Würdeporträts der späteren Augustuszeit (s. Abb. 83, 229). Die Unmittelbarkeit der physischen Präsenz des einzelnen tri­ umphierte damals über alle ästhetischen Normen. Ein jeder ließ sich darstellen, wie er zufällig aussah, mager oder fett, jung oder alt, selbst zahnlos, kahlköpfig 19

5. C.Julius Caesar (100-44 v.Chr.). Bildnis aus den letzten Jahren des dictator. 6. C n.Pompeius Magnus (106-48 v.Chr.). Das zugrundeliegende Urbild entstand um 55 v, Chr. Die aufspringenden Haare verweisen auf Alexander d.Gr.

und mit Warzen. Die meisten dieser Bildnisse blicken ernst und streng, aber sonst sind keine ästhetischen oder ethischen Werte ins Bild gebracht. Es gab eben noch kein allgemeingültiges Vorbild wie später in der Kaiserzeit. Spiegelt sich in die­ sem ,Realismus' die Loslösung des einzelnen aus einem verbindlichen Wertesy­ stem, so wird in der Verbindung der alltäglichen, nüchternen Physiognomien mit heroischen Körperschemata die Diskrepanz zwischen den naiv übernommenen fremden Bildern und der eigenen Lebenswirklichkeit evident. Aber auch die Porträts selbst sind nicht selten von denselben Kontrasten gekennzeichnet. Einerseits soll der einmalige Zustand und Ausdruck eines Gesichtes festgehalten, andererseits soll aber durch Zitate expressiver hellenisti­ scher Formeln auch heroische Leidenschaftlichkeit reklamiert werden. So erin­ nern die über der Stirnmitte aufspringenden Haare des Pompeius in aufdringli­ cher Weise daran, daß der Dargestellte sich wegen seiner Siege als neuer Alexander verstand. Er ließ sich sein Haar wohl wirklich so herrichten, wie man es von den Bildern Alexanders her kannte. Die Frisur (anastolé) setzt also gleich­ sam den von Alexander übernommenen Ehrennamen Magnus ins Bild um. Beim Triumphzug hatte der fünfundzwanzigjährige Pompeius übrigens statt der rituel­ len toga picta sogar die Chlamys des großen Makedonen getragen und auf einem von Elefanten gezogenen Wagen in Rom einzufahren versucht (peinlicherweise aber auf Pferdegespann umsteigen müssen, weil die Porta triumphalis zu eng war!). Hier spiegeln sich die widerspruchsvollen Wertvorstellungen unmittelbar

7. M. Crassus triumvir (Konsul 70 und 55 v.Chr.). Er war der reichste Mann Roms, verlor die später von Augustus wiedergewonnenen Feldzeichen an die Parther und fiel in der Schlacht bei Karrhai (53 v.Chr.). 8. Unbekannter, vielleicht aus einer der führenden Familien Sardiniens.

in der konkreten künstlerischen Form. Einerseits bewunderte man die großen charismatischen Führergestalten der hellenistischen Welt, andererseits wollte man den Fortbestand der Republik und bestand deshalb auf der Einordnung der eigenen Großen ins Glied. Wie merkwürdig unverbunden flatten Alexanders Löwenhaar über dem bewußt bürgerlich bieder geschilderten Gesicht des Pom­ peius! Das Pompeiusporträt war beileibe kein Sonderfall. Beim Bildnis eines zahnlo­ sen Greisen in Cagliari z.B. (Abb.8) steht das nüchterne Gesicht mit seinem so ganz unheldisch zusammengekniffenen Mund in ebenso schreiendem Kontrast zu den gesträubten Haaren wie bei Pompeius. Auch das Porträt des jugendlichen Octavian-Augustus (s. Abb. 33) zeigt mit seinen nervös angegriffenen Zügen und seinem pathetischen Habitus den gleichen Gegensatz.

Familienpropaganda und Desintegration der Führungsschicht Widersprüche im Stil, inhaltliche Überladung, Ambivalenz und schwere Ver­ ständlichkeit sind auch für andere Bereiche der politischen Bildersprache sympto­ matisch. Tonio Hölscher hat das für die gesamte politische Repräsentationskunst der späten Republik herausgearbeitet. Auch hier erweisen sich die Bilder und der künstlerische Stil als getreuer Spiegel der politischen und sozialen Situation. An 21

den Münzbildern läßt sich seit dem späteren zweiten Jahrhundert v. Chr. schritt­ weise verfolgen, wie die Einzelinteressen der jeweiligen Münzmeister immer mehr in den Vordergrund treten. Bis dahin waren Uber eine lange Zeit hin gleich­ bleibende Bilder auf die Münzen gesetzt worden, mit denen sich nicht nur der Senat, sondern auch die Gesamtheit der Bürger identifizieren konnte (z. B. Dioskuren, Roma, der siegreiche Jupiter, Beutestücke). Danach gebrauchten die jun­ gen Adeligen ihr Jahresamt (man bekleidete das Amt des Münzmeisters am Anfang einer Karriere) mehr und mehr, um sich zunächst der Herkunft und Taten ihrer Ahnen, später auch ihrer eigenen, oft ganz unerheblichen, Verdienste zu rühmen. So benutzt z. B. ein C. Manilius Limetanus während der Diktatur Sul­ las Vorder- und Rückseite einer Münze, um nach der Mode der Zeit auf die Abstammung seiner Familie von keinem geringeren als vom Gott Hermes und dessen angeblichem Sohn Odysseus hinzuweisen (Abb. 9) ! Ähnliches findet man aber auch an einem der größten und repräsentativsten Monumente, die aus der Zeit der späten Republik erhalten sind, der sog. Ahenobarbus-Basis in München und Paris: Ein Magistrat des späten zweiten Jahrhunderts ließ sich auf einer großen Votiv-Basis beim Abschlußopfer nach seiner Tätigkeit als Censor darstellen

9. Denar des C. M. Limetanus, Rom 82 v.Chr. Die Familie des Prägebeamten führte sich auf Odysseus (Rückseite) und den Gott Hermes/Mercurius zurück (Vorderseite).

22

lOa. Relief vom Monument eines römischen censor, um 100 v.Chr. oder früher. Auf der Vor­ derseite links mit dem census verbundene Verwaltungsakte, in der Mitte das feierliche Abschlußopfer für Mars, rechts Zug der Opfertiere. Auf den drei übrigen Seiten war der Hochzeilszug des Poseidon und der Amphitrite dargestellt, s. Abb. 10b.

(Abb. 10 a). Der Vorgang wird sachlich geschildert. Nur daß der Gott Mars selbst erscheint, widerspricht traditioneller römischer Göttererfahrung, ist eine der Sprache griechischer Weihreliefs entlehnte Ikonographie. Auf den übrigen drei Seiten der Basis aber wurde der Zeitgenosse in die Welt des griechischen Mythos, weit weg von der römischen Wirklichkeit entführt. Hier sah man das Hochzeits­ gespann Poseidons mit Amphitrite, umgeben von einem prächtigen Zug von Tritonen und Seenymphen (Abb. 10 b). Meist werden die sinnlichen Bilder - sie stammen aus einer sehr viel besseren Werkstatt als die Darstellung des Census, wurden aus Griechenland oder Kleinasien hergeschafft und bei dem Censordenkmal wiederverwendet - als Anspielung auf einen Seesieg des Censors gedeu­ tet. Wahrscheinlicher jedoch ist, daß die waffenlose Hochzeitsszene die Abstam­ mung der Familie des Beamten vom Meergott propagieren sollte.

10 b. Detail der Basis Abb. 10 a. Nereiden mit Triton. Diese mythologischen Reliefs stammen aus einer griechischen Werkstatt des Ostens und wurden in Rom für das Censor-Monument wiederverwendet. Um 130 v.Chr

Der Censor bezog seine Wertvorstellung also aus zwei ganz verschiedenen Welten. Sein Stammbaum und die verführerischen griechischen Bilder waren ihm ebenso wichtig wie seine politischen Verdienste. Mag das für ihn selbst und seine gebildeten Standesgenossen unproblematisch gewesen sein - solche Bilder war­ ben bei der Gesamtheit der Bevölkerung nicht für den alten Römerstaat und seine strengen Sitten! Mythologische Genealogien aber bedeuteten für die hellenisierten Familien mehr als nur ein Gesellschaftsspiel. Sie waren offensichtlich wichtig für das Selbstverständnis der graecomanen Römer: Man gehörte schon seit eh und je zur Griechenwelt, brauchte sich seiner Herkunft nicht zu schämen. Aber warum nackte Meerweiber und lüsterne Tritone? Mußten diese Bilder an öffent­ lich aufgestellten Denkmälern in unmittelbarer Verbindung mit der Darstellung eines Staatsrituals nicht irritierend wirken? Förderten sie nicht die Bereitschaft, im herausragenden einzelnen mehr zu sehen als einen verdienstvollen Beamten, der nach einem Jahr wieder ins Glied zurücktreten mußte? Nicht alle Adeligen konnten sich allgemein bekannter mythischer oder histori­ scher Gestalten rühmen oder als Münzmeister auf einen Brutus oder Marcellus oder auf bekannte Bauten ihrer Ahnen in Rom hinweisen. Viele der Münzbilder waren deshalb nur für kleine Kreise der miteinander konkurrierenden Familien verständlich und interessant. Schon die Auflösung der langen, manchmal extrem abgekürzten Inschriften war nur den Kennern der jeweiligen Familiengeschichte möglich (Abb. 11). Isolierte und abstrakte Zeichen standen auf diesen Münzen häufig für z.T. weit zurückliegende und wenig bekannte historische Ereignisse und politische Botschaften. Viele der mit punktuellen Aussagen überfüllten Mün­ zen konnten sich jedenfalls nicht auf einen allgemeinen Erlebnishorizont berufen. Nur selten wurden jetzt noch Bilder propagiert, die für den bedrohten gemein­ samen Staat werben konnten. Wie sehr sich manch einer der Beamten bereits vom Politischen entfernt hatte, zeigt das Beispiel des Q. Pomponius Musa, der

11. Denar eines Caldus, Rom 51 v.Chr. a) Bildnis des C.Coclius Caldus (Konsul 94 v.Chr ). Die Heeresstandarte mit HIS spielt auf seine Siege in Spanien, die Eberstandarte rechts auf seine Erfolge in Gallien an. b) Ein L.Caldus als VII vir epulo (hohe Priesterschaft) beim Zube­ reiten des Göttermahls. Die Siegeszeichen rechts und links davon dagegen beziehen sich wie­ der auf den Konsul von 94 v.Chr. Das A steht für Augur, das X für X vir sacris faciundis (Mit­ glied der Apollo-Priesterschaft). 24

66 v. Chr. eine Serie von nicht weniger als 10 Denaren jeweils mit Apollo au f d er Vorder- und dem Hercules Musarum bzw. den neun M usen auf d er R ückseite prägen ließ. Und das alles nur, um auf seinen schönen N am en hinzuw eisen! M an muß solche Beispiele im Gedächtnis behalten, um im G egensatz dazu die W ir­ kung der unter Augustus geprägten M ünzen abzuschätzen, auf denen jedes Bild für den neuen Staat und seinen Lenker warb. Es scheint symptomatisch für den gesellschaftlichen A uflösungsprozeß, d a ß individuelles Geltungsbedürfnis und allgemeine K onkurrenz am E nde der R ep u ­ blik überall zu exzessiven Formen der Selbstdarstellung führten, selbst bei L eu­ ten, die damit gar nichts erreichen konnten und wollten. Das ursprünglich agonistische Leistungsideal des Adels verkam dabei allenthalben zu r hektischen Demonstration von Reichtum und Erfolg. Die gesellschaftliche Bühne, auf d er das jeweils gezeigt werden konnte, mochte noch so klein sein. Ein anschauliches Beispiel dafür bieten die aufwendigen G rabbauten, die sich in den letzten Jahrzehnten der Republik und auch noch in d er A ugustuszeit immer dichter an den großen Ausfallstraßen drängten. Die zu W ohlstand gek o m ­ menen Freigelassenen wiesen meist nur stolz auf ihr B ürgerrecht und ihre jetzt freie Familie hin, indem sie sich an ihren dicht an den Straßen erbauten G ra b h äu ­ sern in der togaunà zusammen mit ihren Angehörigen darstellen ließen (Abb. 12). Der ebenfalls aus dem Sklavenstand aufgestiegene G roßbäcker Eurysaces d a g e ­ gen brüstete sich seines beruflichen Erfolges als sei er eine Leistung für den Staat (Abb. 13). Er hatte einen auffälligen Bauplatz an einer wichtigen S traß en k reu ­ zung nahe der Stadt ergattert. Für die Architektur seines Grabes ließ er sich etw as Originelles einfallen. Der Bau setzt sich aus hohen Zylindern zusam m en, deren 25

13. Rom, vor Porta Mag­ giore. Grabmonument des Freigelassenen M. Vergilius Eurysaces, der eine Groß­ bäckerei betrieb. Um 40-30 v.Chr.

Form auf die großen Getreidespeicher des Bäckers anspielt. Die Friese aber rüh­ men die rationelle Methode seiner Brotherstellung. Auf diesem gesellschaftlichen Niveau hatte das Konkurrieren und die entspre­ chende Selbstdarstellung vor den Zunftgenossen und Bekannten noch einen Sinn. Bei den großen Familien der Senatsaristokratie dagegen war dies oft nicht mehr der Fall. Man war zwar z.T. unermeßlich reich, von der wirklichen Macht aber blieb man ausgeschlossen. Neben Pompeius, Caesar, Antonius oder Octavian hatten die meisten Adeligen keine Chancen mehr. Es ist bezeichnend, daß eines der monumentalsten Gräber der Zeit um 30v.Chr. für eine Dame errichtet wurde, deren Verdienst und Rang lediglich darin bestand, Tochter eines Konsuls aus altadeligem Hause und Frau eines der reichsten Männer Roms, des Sohnes des C. Crassus, gewesen zu sein (Abb. 14). CAECILIAE Q. CRETICI F. METELLAE CRASSI lautet die knappe Inschrift, die selbstsicher damit rechnet, daß die Genannten allgemein bekannt sind. Das Grab wurde an einer der wirkungsvollsten Stellen der Via Appia auf einer Anhöhe errichtet. Es setzt sich aus drei Teilen zusammen: einem quadrati­ schen Sockel, einem hohen Zylinder (der vielleicht einen Rundaltar meint) und einem nicht erhaltenen tumulm (Grabhügel). Dieser sollte an die archaischen Grabhügel erinnern und so auf das Alter der Familie anspielen. Sockel und Zylin­ der dienen der triumphalen Erhebung dieses sprechenden1 Teils. Als Schmuck wählte man aber u.a. ein Tropaion mit keltischen Waffen, die an die höchst 26

14. Rom, via Appia. Grabmal der Caecilia Metella, um 30 v.Chr. Gleichzeitig erhielten die für den Staat gefallenen Konsuln nur ein bescheidenes Monument (s. Abb.58).

bescheidenen und den Zeitgenossen sicher unbekannten militärischen Erfolge des Ehemannes als Quaestor Caesars in Gallien erinnern sollten. Das Beispiel zeigt, wie aufwendig und dabei doch ziellos die Selbstdarstellung der alten Führungsschicht geworden war. Man feierte ein beliebiges Familienmit­ glied, das gar keine persönlichen Verdienste hatte und allenfalls an die der Vor­ fahren oder Verwandten erinnern konnte. Form und Botschaft stehen hier wie anderswo in einem geradezu grotesken Mißverhältnis: Nur wenige Jahre vor der Errichtung des Monumentes der Metella hatte der Senat dem immerhin im Kampf für die res publica gefallenen Konsul Hirtius ein Ehrengrab errichtet, das nur einen Bruchteil des Bauvolumens des Monumentes der Metella aufwies (s. Abb.58). Verdienst und Rang im Rahmen der traditionellen Beamtenkarriere fanden also in der Sprache der Monumente längst keinen Ausdruck mehr. Auch die architektonischen Formen der Grabmonumente als solche sind aussa­ gekräftig. Das zwanghafte Bedürfnis, sich gegenseitig zu überbieten, führte zur Verwendung aller nur denkbaren architektonischen Würdezeichen und Möglich­ keiten der Steigerung. Neben den gängigen Aedicula-, Altar- und Tempclformen griff man auf archaische Grabtumuli und sogar auf Pyramiden zurück, imitierte Ehrenmonumente und Palastfassaden. Der eine versuchte durch die Baumasse der Monumente zu imponieren, der andere durch Häufung der architektoni­ schen Zeichen. Im Grabmonument der lulii in St.-Remy in der Provence z.B. (Abb. 15) sind nicht weniger als drei verschiedene Architekturelemente überein-

15. St. Remy (Glanum), Pro­ vence. Grabmal der lokalen Iulii. Die Statuen der Grab­ inhaber standen im Rundtempelcben, um 40 v. Chr.

ander gesetzt: Über einem altarartigen Sockel erhebt sich ein Ehrenbogen (qua­ drifrons), über diesem ein Rundtempelchen mit den Statuen der Verstorbenen, die in dieser hybriden Architektur den Blicken der Vorbeikommenden fast entrückt sind. Die extreme Formenhäufung verunklärt die eigentliche Funktion des Monumentes. Diese eklektische Formensprache war weitgehend aus der hellenistischen Architektur übernommen. Aber die Steigerung ins Ffypertrophe und vor allem die dichte Reihung der Bauten an den Ausfallstraßen Roms und der italischen Städte ist ein charakteristischer Ausdruck der spätrepublikanischen Gesellschaft. Wir werden sehen, wie sehr diese Situation noch die ersten monumentalen Bau­ ten Octavians bestimmte, später aber einer neuen Ordnung, die sich auch in der Bildersprache manifestierte, wich.

Das Stadtbild Roms als Spiegel des Zustandes von Staat und Gesellschaft Auch das Stadtbild Roms muß vor der augusteischen Wende ein irritierender Spiegel des Zustandes von Staat und Gesellschaft gewesen sein. Wir selbst erfah­ ren täglich die Bedeutung des Zeichenwertes von öffentlichen und privaten Bau­ ten, von Straßen und Plätzen und wissen, daß man ihn kaum hoch genug veran­ schlagen kann. In der konkreten historischen Situation stellen Stadtbilder ein 28

kohärentes System visueller Kommunikation dar, das durch seine ständige Prä­ senz die Bewohner auch in ihrem Unterbewußtsein nachhaltig zu beeinflussen vermag. Zur Zeit der Bundesgenossen- und Bürgerkriege, der Proskriptionen und Machtkämpfe, und vor dem Hintergrund ständiger Unruhen und Straßen­ schlachten muß das in vieler Hinsicht unbefriedigende und beunruhigende Stadt­ bild Roms für die Zeitgenossen eine unmittelbare Aussagekraft gewonnen haben. Die Eindrücke waren natürlich je nach der Perspektive verschieden. Von der Villa auf dem heutigen Pincio herab sahen die Dinge anders aus, als wenn man sie in einem der düsteren, engen und vom Schwamm befallenen Wohnblocks im dicht bevölkerten Stadtzentrum erlebte. Seit der Diktatur Sullas entfaltete sich der private Wohnluxus auch in Rom selbst ungehemmt. Der Kontrast zwischen reich und arm prägte das Stadtbild stärker als vorher. Vor den Mauern entstanden üppige Villen in der Art der Gär­ ten des Lucull (am heutigen Pincio), deren prachtvoller Prospekt aus übereinan­ dergestaffelten Säulenhallen dem Anblick eines der großen spätrepublikanischen Terrassenheiligtümer in den Städten Latiums kaum nachstand. Wer in den „schlechten und engen Straßen“ (Cic. leg. agr. II96), die von überhängenden, bal­ konartigen Vorbauten verdunkelt waren, wohnte und bei der Morgenaufwartung die Größe und Pracht der Stadtpaläste eines Scaurus (Plin. n. h. 36,6) oder Vedius Pollio (S. 141) erlebte, in deren Atrien Hunderte von Klienten bei der morgendli­ chen Begrüßung des patronus Platz fanden (Vitruv, VI 5,2), der sah die Kluft vor sich, die den Reichen vom Armen trennte. Das sprunghafte Anwachsen der Bevölkerung hatte allenthalben zu Bodenspekulation und Wohnungsnot geführt. Zu enge und zu hohe Bebauung auf ungenügenden Grundmauern und mit schlechten Materialien führte fast täglich zu Hauseinstürzen und Brandkatastro­ phen (Plut. Crass. 2) und machte manche Quartiere der Altstadt wie die berüch­ tigten Mietskasernen des M, Crassus zu Herden ständiger Unsicherheit. Die gro­ ßen Paläste lagen wie ummauerte kleine Städte in solchen Straßenknäueln (vgl. Abb. 113). Der bauliche Zustand Roms entsprach ganz und gar nicht der Hauptstadt eines Weltreiches. Schon am Hofe Philipps V. von Makedonien (um 182 v.Chr.) hatte man sich über das ärmliche und altmodische Aussehen Roms lustig gemacht (Livius 40,5,7). Auch 150 Jahre später konnte sich das Stadtbild noch in keiner Weise mit den Griechenstädten des Ostens messen. Während die alten Städte Campaniens und Latiums (z. B. Capua, Tivoli, Praeneste) seit langem miteinan­ der in der Errichtung prächtiger Heiligtümer, moderner öffentlicher Gebäude, Straßen und Plätze konkurrierten, wobei sich die lokale Aristokratie oft gemein­ sam um das Aussehen ihrer Städte kümmerte, hatte sich die Situation Roms eher verschlechtert. Seit Jahrzehnten hatte keiner mehr das Ganze der Stadt im Blick, weder der Senat noch die einzelnen Großen: Im zweiten Jahrhundert v.Chr. hatte der Senat den privaten Wohnluxus noch zügeln können, und die Magistrate hatten sich noch mit einer gewissen Selbstverständlichkeit um die dringendsten Gemeinschaftsaufgaben der schnell wachsenden Stadt gekümmert. Es waren

16. Rom, Pompeiustheater, eingeweiht 57 v.Chr. Rekonstruktion nach Canina 1846.

Getreidespeicher, Wasserleitungen, Straßen, Brücken und Basiliken als Zentren des neuen internationalen Wirtschaftslebens gebaut worden. Auch die alten Tem­ pel hatte man damals noch in einer gewissen Regelmäßigkeit erneuert. Seit den ersten großen inneren Krisen zur Zeit der Gracchen (133-121 v.Chr.) aber wur­ den die notwendigen Erneuerungsarbeiten an Tempeln und Versorgungsbauten und vor allem die Entwicklung einer vernünftigen Stadtplanung und Infrastruk­ tur ganz vernachlässigt. Als Caesar kurz vor seinem Ende den baulichen Zustand der Stadt dann endlich als Problem aufgriff, geriet er bezeichnenderweise ins Utopische. Er wollte den Tiber umleiten, ein riesiges Theater am Abhang des Capitol zum Marsfeld hin errichten, eine neue, nun hellenistische Stadt mit recht­ winkligen Straßen, Bürgersteigen und Plätzen bauen. Die alte war seiner Vorstel­ lung nach offenbar nicht mehr zu retten (Suet. Div. ltd. 44; Cic. ad Att. XIII 33a, 1). Auch diese Entwicklung war eine Folge des schnellen Akkulturationsprozesses. Die großen Feldherren hatten seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts mehr und mehr nach Möglichkeiten glanzvoller Selbstverherrlichung und bald auch unmittelbarer demagogischer Wirkung gesucht. Stadtentwicklung, Wasserleitun­ gen und Kanalisation aber waren langwierige, wenig spektakuläre Unterneh­ mungen. Auch die Erneuerung der alten Tempel bot wenig Möglichkeiten zur Selbstdarstellung, zumal man dabei meist detaillierte religiöse Restriktionen zu beachten hatte. Große Freizeitbauten wie Theater und Thermenanlagen aber schienen dem Senat aus politischen und moralischen Gründen untragbar. Man wollte keine politischen Diskussionen und Manifestationen des Volkes, wie sie bei den Griechen im Theater üblich waren. Deshalb erlaubte der Senat nur die 30

Errichtung ephemerer Holztheater aus Anlaß der großen Götterfeste. Man wollte keine griechische Erziehung und keinen Müßiggang der Massen, deshalb hören wir in Rom auch nichts von Gymnasien und öffentlichen Thermen wie sie die Einwohner der campanischen Städte schon im zweiten Jahrhunden v.Chr. besaßen. So wurde die Bauaktivität der Großen weitgehend in den .privaten1 Bereich abgedrängt und entfaltete sich vor allem in Form religiöser Siegesmonu­ mente, die in privato solo (auf eigenem Grund) meist einer Schutzgottheit geweiht wurden. Diese entwickelten sich zu wichtigen Freiräumen; denn in Gestalt einer Votivgabe war jede Form von Selbstverherrlichung möglich. Man konnte sogar ein ganzes Theater zum Votivgeschenk erklären: Als Pompeius 57 v.Chr. das erste große Theater (Abb. 16) zu errichten wagte, hielt selbst er es trotz seines enormen Einflusses noch für nötig, den gewaltigen Zuschauerraum als ,Substruktion‘ für den über diesem errichteten kleinen Tempel seiner Siegge­ berin Venus Victrix zu deklarieren (Tertullian, de spect. 10). Der Senat vermochte zwar repräsentative Freizeitbauten über Generationen hin zu verhindern, war aber seinerseits unfähig, große Staatsbauten zu errichten, mit denen sich alle hätten identifizieren können. Geschweige denn, daß es ihm gelungen wäre, eine rationale Stadtplanung zu entwickeln. Was bei der Grün­ dung einer neuen römischen colonia selbstverständlich war, gelang in Rom nicht. Den Concordiatempel am Forum z. B. hatte der Senat 121 v. Chr. ausgerechnet durch den erbarmungslosen Gracchengegner L. Opimius erneuern lassen. Für die Anhänger der Gracchen wurde der Tempel so zum Denkmal ihrer Niederlage. Sulla und Catulus schufen nach 80 v.Chr. in dem gewaltigen Substruktionsbau des Tabularium am Abhang des Kapitols über dem Forum zwar ein Symbol der wiederhergestellten Ordnung und richteten (freilich mit großem Verzug) den Tempel des Jupiter Optimus Maximus mit großem Aufwand wieder auf. Aber das neue Tabularium verherrlichte nicht die res publica aller, sondern die Vorherr­ schaft der Optimaten in einem Senat, dessen Schwäche täglich deutlicher wurde. Der neue Tempel des Staatsgottes, der doch die maiestas des römischen Volkes auch für die Fremden veranschaulichen sollte, war zwar mit den prächtigen, von Sulla aus Athen entführten Säulen des Olympieion geschmückt, genügte aber offensichtlich in keiner Weise weitläufigen ästhetischen Ansprüchen. Auch dieser Fall ist symptomatisch : Aus religiösen Gründen hatte man Podium und Grundriß nicht verändern dürfen. Zum alten Grundriß aber paßten natürlich die hellenisti-

17. Zwei Denare des Petillius Capitolinus, Rom 43 v.Chr. a) Der neue Tempel des Jupiter Optimus Maximus. b) Kopf des neuen Kultbildes in hellenisti­ schem Stil.

sehen Marmorsäulen nicht, und der vergoldete, in traditioneller Weise mit Zierat überfüllte Tempelgiebel (Abb. 17 a) war zu steil und lastete schwer auf den viel zu hohen Säulen (Gellius II 10). Die einheitliche Übernahme moderner hellenistischer Tempelmodelle war bei einem solchen Staatsmonument aus Gründen der Tradition nicht möglich. Da man gleichzeitig konservativ und weitläufig sein wollte, mußten überall Kompro­ misse geschlossen werden. Sie führten nicht nur zu ästhetisch widersprüchlichen Erscheinungen, sie waren auch im Hinblick auf die religiösen Traditionen proble­ matisch. Das neue Kultbild des Jupiter Optimus Maximus gab man bei einem atti­ schen Künstler in Auftrag, der einen klassizistischen Zeus in der Tradition klassi­ scher griechischer Goldelfenbeinbilder lieferte (Abb. 17b). Daß solche Bildwerke an die Stelle der archaischen Terrakottastatuen traten, kann nicht ohne Folgen für das religiöse Empfinden gewesen sein. Die von den ,privaten' Siegesheiligtümern im Marsfeld ausgehenden Irritatio­ nen dagegen waren anderer Art. Die Triumphatoren errichteten ihren Schutz -

18. Rom, Marsfeld zur Zeit der späten Republik mit Votivheiligtümern und Portiken.

19. Darstellung einer Porticus mit überlebensgroßer Panzerstatue im Garten, davor zwei Altäre. Aus dem Amphitheater von Capua, l.Jh. v. Chr.

gottheiten neumodische hellenistische Marmortempel und statteten die sie umge­ benden, aus luxuriösen Materialien gebauten Portiken mit berühmten griechi­ schen Kunstwerken aus, die sie auf ihren Kriegszügen geraubt hatten (Abb. 18, 118). Im Zentrum eines heiligen Bezirks konnte aber durchaus auch die monu­ mentale Statue des Siegers stehen, neben der die Götterstatuen in den Nischen der Portiken ganz zurücktraten, wie man das auf einem zeitgenössischen Relief aus Capua sehen kann (Abb. 19). Wenn Q .Caecilius Metellus Macedonicus in seiner 146 v. Chr. erbauten Porticus auf dem Marsfeld die berühmte Reitergruppe Lysipps aufstellen ließ, die Alexander mit seinen am Granicus gefallenen Gefähr­ ten zeigte, war dies nicht nur eine glanzvolle Zurschaustellung der Beute, son­ dern auch ein Bekenntnis zum größten Heros der hellenistischen Welt - von den Traditionen der Republik her gesehen eine mehr als problematische Huldigung. Während führende Männer Luxusbauten für ihre persönlichen Gottheiten errichteten, gerieten viele der ältesten Kulte der Stadt in Vergessenheit. Manch einer mag mit dem alten Cato gezweifelt haben, ob die neuen nackten marmor­ nen Götterbilder der griechischen Künstler Rom wohl ebenso schützen würden, wie es die alten, tönernen getan hatten. Der Anblick der verfallenden archaischen Heiligtümer und Kapellen muß die modernen Marmortempel der Triumphatoren jedenfalls ins Zwielicht gebracht haben. „Je glücklicher es um das Geschick unseres Staates von Tag zu Tag bestellt ist und je mehr seine Macht wächst - wir gehen schon nach Griechenland und Asien hinüber, die von allen Verlockungen zu Ausschweifungen voll sind, und greifen 33

schon nach den Schätzen der Könige - desto mehr Angst habe ich, daß jene Dinge mehr von uns Besitz ergreifen als wir von ihnen. Als etwas Bedrohliches, glaubt mir, sind die Kunstwerke aus Syrakus in diese Stadt gebracht worden. Denn schon allzu viele höre ich die Ausschmückung von Athen und Korinth prei­ sen und bewundern und über die tönernen Giebelfiguren der römischen Götter lachen“, so angeblich Cato bereits 195 v. Chr. (Liv. 34,4,3). Eine neue Dimension erreichten diese .privaten* öffentlichen Bauten mit dem Theater des Pompeius und dem neuen Forum Caesars. Größe und Anspruch die­ ser Monumente entsprachen der Bedeutung dieser beiden Großen in und neben der untergehenden res publica. Pompeius’ Theater war die Selbstdarstellung eines einzelnen, wie sie Rom bis dahin nicht gekannt hatte. Überall sah man Statuen und Bilder, die auf die großen Siege des Alexander-Imitators hinwiesen. Das Theater war aber auch ein spekta­ kuläres Geschenk fürs Volk. Der demagogischen Wirkung des Baues wegen mußte Caesar gleichziehen. Er versuchte, Pompeius zu übertrumpfen, indem er nicht nur seine Taten (vor dem Tempel stand ein Reiterdenkmal Alexanders, das jetzt Caesars Bildnis trug), sondern auch seine göttliche Abstammung propa­ gierte. Der platzbeherrschende Tempel war der Ahnherrin seiner Familie, der Venus Genetrix, geweiht. Indem der Diktator Tempel und Platz bedenkenlos für seine Auftritte benutzte (S.52), propagierte er als erster der römischen Großen unverhohlen sein Gottmenschentum (Sueton, Div. lu i 78,2). Das Theater des Pompeius lag wie die Portiken der Triumphatoren außerhalb des pomerium auf dem Marsfeld, Caesars neues Forum aber lag im Herzen der Stadt, unmittelbar neben dem alten Forum. Es hatte durchaus symbolischen Charakter, daß für den Neubau die eben erst erneuerte alte Curia abgerissen und das bis dahin als sakro­ sankt angesehene Comitium samt Rednerbühne einfach überbaut wurde. Die beiden vor der Schlacht von Actium konzipierten großen Repräsentations­ bauten Octavians, der Apollotempel auf dem Palatin und das Mausoleum (vgl. Abb.40, 59) bleiben, wie wir sehen werden, nicht hinter diesen Manifestationen der Selbstherrlichkeit zurück. Bei diesen Bauten ging es ausschließlich um die Propagierung eines charismatischen Führers ohne jede Rücksicht auf die Tradi­ tionen der res publica. Auch das Bild der urbs also gab den von stürmischen Veränderungen und Unruhen geplagten Zeitgenossen kaum Identifizierungsmöglichkeiten mit ihrem Staat, konnte im Gegenteil selbst zur Quelle unterschwelliger Beunruhigung werden. Es bot jedenfalls angesichts der staatlichen Misere keine aufbauenden, stabilisierenden Bilder, die das Vertrauen in die Zukunft des Staates hätten festi­ gen können. Hier leuchteten einem nicht die beständigen Sterne der guten alten Traditionen. Statt allgemein verpflichtender Bilder und Symbole, die Halt und Ausrichtung hätten geben können, hatte man Monumente vor sich, die den Ver­ fall des Staates und die Auflösung der Gesellschaft in lauter Einzelinteressen manifestierten. Übermacht und Herrschaftsanspruch der Großen konnten über­ all in der Stadt .erlebt* werden. 34

Die Villa und das Entstehen privater Lebensräume Wir haben bisher nur auf die widerspruchsvolle Bilderwelt der Stadt Rom geblickt. In den alten Städten Campaniens und Latiums hatte sich die Hellenisierung sehr viel unproblematischer vollzogen. Pompeji z.B. besaß schon im zweiten Jahrhundert v. Chr. ein steinernes Theater, öffentliche Thermen und wahrschein­ lich auch ein Gymnasium. Das Fortunaheiligtum von Praeneste und der Herculestempel von Tibur übertrafen, was die landschaftsbeherrschende Wirkung der mächtigen Substruktionsarchitekturen anbelangt, selbst die Großbauten des Ostens. Capua bot mit seinen Straßen und Plätzen das Erscheinungsbild einer modernen hellenistischen Stadt (Cicero, leg. agr. II 95 f.). Für die weitläufigen, im Osthandel engagierten Honoratiorenfamilien dieser Städte stellten sich nicht bei jeder kulturellen Neuerung Fragen der Konkurrenz und des Machterhaltes wie bei den römischen Senatoren. Hier spielte die Römerideologie keine Rolle. In der freieren Luft Campaniens bauten denn auch die Philhellenen unter den römischen Aristokraten schon um die Mitte des zweiten Jahrhunderts ihre ersten luxuriösen Landhäuser - etwa gleichzeitig mit dem Einsetzen der Abwehrreak­ tionen im Senat. Diese Villen waren ein frühes und symptomatisches Produkt des Akkulturationsprozesses. Hier konnten sich die frisch übernommenen griechi­ schen Lebensformen ungestört entfalten, um dann ins öffentliche Leben einzudringen. Das Phänomen Villa stellt in seinen Anfängen eine Art soziales Ventil1 dar. Aus gelegentlich besuchten Gutshöfen entwickelten sich herrschaftliche Ferien­ sitze. Fern von Rom und in den Gerichtsferien durfte sich auch der traditionsbe­ wußte Aristokrat den an sich überflüssigen Zerstreuungen der griechischen Kul­ tur hingeben. „Denn in Rom ginge das nicht an“, läßt Cicero den Redner M. Antonius (Konsul 99 v. Chr.) statuieren. In dieser Situation kam es zu der für die spätere europäische Kultur so folgenreichen Aufspaltung des Lebens in einen privaten und öffentlichen Teil. Man versuchte die enormen politischen und per­ sönlichen Spannungen, zu denen die Diskrepanz zwischen der gierig aufgenom­ menen Griechenkultur und den mores maiorum geführt hatte, durch räumliche und zeitliche Trennung zu mindern. Erst damals entwickelte sich in der Span­ nung der Begriffe otium (Muße, Leben auf dem Lande) und negotium (Pflicht, politische Tätigkeit in Rom) jenes ideologisch hochgradig befrachtete römische Pflichtgefühl. Die Villen wurden schnell zu Zentren hellenistischer Luxusentfaltung. Man gewinnt den Eindruck, als ob die Restriktionen in Rom das Bedürfnis nach extrovertiertem Kultur- und Luxusgenuß ,auf dem Lande“ in geradezu pathologischer Weise gesteigert hätten. Diese private Welt expandierte schrittweise mit dem Zer­ fall der Autorität des Senates und erreichte in der Zeit von Lucullus, Pompeius und Caesar ihre größte Entfaltung. Der Gedanke der ruhigen Erholung auf dem eigenen Gutsbetrieb mit gleichgesinnten Freunden und Büchern wurde perver­ tiert: Die Villa entwickelte sich zum Ort der Schaustellung des Reichtums, wurde 35

20. J. P. Getty-Museum, Malibu (Kalifornien). Rekonstruktion der spätrepublikanischen „Villa dei Papiri“ bei Herculaneum (1985).

wie alles andere auch zu einem Vehikel der Selbstdarstellung. Es war die Zeit, als auch in Rom die letzten gegen den privaten Wohnluxus errichteten Schranken brachen. Der lernbegierige Römer trat der griechischen Kultur als einem abgeschlosse­ nen Ganzen gegenüber. Durch die Ausstattung der Villen mit griechischen Porti­ ken, Sälen und Ruheräumen, mit Bibliotheken und Pinakotheken, mit Gärten und Raumfolgen, die man nostalgisch mit Namen griechischer Kultureinrichtun­ gen wie gymnasium, lyceum, palaestra oder berühmter Stätten der griechischen Welt belegte und vor allem durch das hier gepflegte Kulturleben unter Beteili­ gung leibhaftiger griechischer Philosophen und Künstler, wurde diese private Welt zu einem wahren Amalgam griechischer Kultur. Die von Kunstsammlern wie dem erpresserischen C. Verres (Praetor 74 v.Chr.) zusammengetragenen Ori­ ginale sind meist verlorengegangen. Aber die vielerorts in Villen gefundenen Marmor- und Bronzekopien geben eine gute Vorstellung davon, wie diese Bild­ werke dazu dienten, die verschiedensten Bereiche der griechischen Kultur ent­ sprechend den jeweiligen Aufstellungsorten zu vergegenwärtigen. Bei der Biblio­ thek standen die Statuen und Büsten der großen Dichter, Philosophen und Redner, und bei den gymnasium genannten Säulenhallen sah man Athleten-, Her­ mes-, Herakles- und Athenastatuen. Beim Gang durch die Gärten entdeckte man dionysische Gestalten und erotische Gruppen. Anderswo wurde man in die Welt des homerischen Mythos versetzt, der in der großen Villa bei Sperlonga sogar in einer natürlichen Grotte inszeniert wurde. Losgelöst von ihren ursprünglichen Funktionszusammenhängen vergegenwärtigten die meisten dieser eklektisch und zeichenhaft zusammengestellten Bildwerke die griechische Kultur als reines Bil36

dungsgut. Sie forderten zu einem beschaulichen Leben mit Büchern und schönen Dingen auf, evozierten eine eigene Welt, fern von den politischen Pflichten. Die beste Vorstellung von den Raumwirkungen einer solchen Villa bekommt man heute nicht an den italienischen Ausgrabungsstätten, sondern in Malibu/ Kalifornien, wo der Ölmagnat P. Getty die in Herculaneum ausgegrabene Villa dei Papiri maßstabsgetreu als Museum nachgebaut hat (Abb. 20). Auch ein Teil der im 18. Jahrhundert gefundenen Statuenausstattung dieser Villa ist dort in Gärten und Portiken in bronzenen Nachgüssen wieder aufgestellt. Die ca. acht­ zig Statuen und Hermenbüsten bieten das beste Beispiel für ein einigermaßen vollständiges Ausstattungsensemble. Das in unserem Zusammenhang Interessan­ teste an diesem Fund ist das völlige Fehlen römischer Thematik. Man findet hier wie bei fast allen anderen Villenfunden weder Bilder römischer Staatsmythen noch Bildnisse großer Römer der heroischen oder historischen Vergangenheit, noch römische Geistesgrößen der letzten 150 Jahre, noch symbolische Darstel­ lungen römischer Werte und Tugenden. Statt dessen standen neben den Porträts griechischer Dichter, Philosophen und Redner Bildnisse hellenistischer Herr­ scher. Alexander und die großen Könige der Diadochenreiche, nicht römische Konsuln und Feldherrn waren die bewunderten Vorbilder der Senatoren. Die eigene staatliche Tradition hat keinen Platz in der Welt des otium gefunden. Erst unter Augustus wird die politische Bilderwelt den privaten Lebensbereich durch37

dringen, erst in der Kaiserzeit wird man in den Wohnungen Bildnisse der leben­ den und toten römischen Herrscher finden. Ebenso aufschlußreich für den inneren Zustand, für Wunschvorstellung und geistige Ausrichtung der Oberschicht ist die Dekoration der Wohnräume mit Wandmalereien im sogenannten Architektur-Stil, wie man sie in großen und klei­ nen Villen, aber auch in römischen und pompejanischen Stadthäusern gefunden hat. Die Interpretation muß von den frühesten, wahrscheinlich noch im zweiten Jahrhundert v. Chr. entstandenen Wänden ausgehen. Sie stellen Wandinkrustatio­ nen mit teuersten Marmorsorten dar, bald auch Säulenstellungen vor diesen kost­ baren Wänden und Durchblicke in ebenfalls von Säulen beherrschte Räume (Abb.21). Die gewünschte, mancherorts zum Teil wohl auch tatsächlich vorhan­ dene luxuriöse Ausstattung der Innenräume sollte durch die Malerei ersetzt bzw. gesteigert, die Bewohner sollten mit Bildern märchenhafter Pracht umgeben wer­ den. Es ging dabei um eine möglichst greifbare, alle nur denkbaren Formen von Aufwand an Architektur und Material vereinende Szenerie. Die Art und Weise, wie selbst in kleinsten Schlafräumen die Wände dekoriert und illusionistisch auf­ gerissen werden, um die Liegenden mit einer Fülle meist gegensätzlicher opti­ scher Reize zu überfluten, zeigt eine geradezu neurotische Sucht nach luxuriö­ sem Aufwand und imponierenden Architekturprospekten. Ob man in einem Raum wie dem kleinen Schlafzimmer der Villa von Boscoreale oder der Villa dei Misteri (Abb.22) ruhig schlafen konnte? Die Säulenwälder müssen die Schlafen­ den noch in ihre Träume verfolgt haben. Wie bei den Statuen findet man auch hier keine Sujets, die etwas mit dem Leben in Rom zu tun hätten. Aber auch das Landleben des grundbesitzenden Senators spielt anders als z.B. auf den Illusionsmalereien neuzeitlich barocker Schlösser und Villen keine Rolle; statt dessen Ausblicke in repräsentative, oft reich ausgestattete Heiligtümer, wie sie mit Palästen der hellenistischen Könige verbunden waren und wie sie vielleicht in den aufwendigsten der römischen Vil­ len und Paläste gelegentlich sogar gebaut wurden. Statt freier Natur sieht man raffiniert angelegte Parks und hermengeschmückte Pinakotheken, großflächige Bilder hellenistischer Fürsten, einen zum Greifen nahe gerückten griechischen Philosophen, ein dionysisches Einweihungsritual, in dem sich Darstellungen der Villenbewohner mit Trabanten des Gottes mischen, und Ausblicke in Landschaf­ ten mit mythischen Szenen. Eine Traumwelt von Luxus und griechischer Kultur! Die Bilder sollten wie die Statuen zu gebildeten Assoziationen stimulieren, das Bedürfnis des Betrachters nach einer möglichst glanzvollen Umgebung zumin­ dest in der Phantasie befriedigen und ihn in eine schönere Welt entführen. Wie sehr diese Wände später nach der augusteischen Wende als Ausdruck der luxuria und des falschen Bewußtseins empfunden wurden, zeigt der um die Zeit des Saecularfestes entworfene neue Wanddekor (s. Abb.224). Die ,Flucht1 in die griechische Bildungswelt führte sogar zu regelrechten Kostümierungen. Wenn sich die gebildeten Römer zu Füßen eines Platon- oder Aristotelesbildnisses in einem Lehnstuhl niederließen, um zu philosophieren oder 38

22. Selbst kleine Schlafräume, hier ca. 10 qm, werden mit suggestiven Architekturphantasien bemalt. Pompeji, sog. Villa dei Misteri, um 40 v.Chr.

Dichter zu lesen, so zogen sie dabei offenbar nicht selten den griechischen Man­ tel und griechische Sandalen an und bekränzten sich (Cic. K a b . Post. 26). Man fühlte sich als Literat und Künstler, als Grieche unter Griechen. Ja, man ließ sich in dieser Form sogar verewigen. In eindrucksvoller Weise zeigt dies eine Statue des griechischen Komödiendichters Poseidippos (3.Jh.v.Chr.), deren Gesicht und Haartracht in das Bildnis eines Römers des ersten Jahrhunderts v.Chr. ver­ wandelt wurden. Der gräkophile Mann legte bezeichnenderweise aber Wert dar­ auf, daß sein gesellschaftlicher Rang dennoch zur Darstellung kam. Der Bild39

23. Statue des griechischen Komödien­ dichters Poseidippos, dessen Kopf zum Bildnis eines Römers umgearbeitet wurde. 24. Porträtstatue eines jungen Römers in griechischer Tracht. Aus der „Villa dei Papiri“ in Herculaneum, um 30-20 v.Chr.

hauer mußte seine Senatorenschuhe angeben. Das gelang ihm nur, indem er die Verschnürung in Bronze auflegte und einsetzte (Abb.23). Auch in der Statue des sogenannten jungen griechischen Redners, die zwischen der des Aischines und der eines alten Dichters im gymnasion der Villa dei Papiri stand (Abb. 24), ist ein Zeitgenosse, vielleicht der Besitzer der Villa, verewigt worden, denn der junge Mann trägt den typischen Haarschnitt der Jahre um 30 v.Chr. Mit der toga legte man in der Freizeit gleichsam sein Römertum ab. Das Ent­ stehen eines alternativen privaten, d.h. außerhalb der Reichweite der res publica liegenden Lebensraumes macht den Verfall des einheitlichen 'Wertesystems der Oberschicht evident. Man gewöhnte sich mit einer gewissen Selbstverständlich­ keit daran, in zwei Welten zu leben, zwei Sprachen zu sprechen und - eine dop40

pelte Moral zu haben: Was man zuhause genoß, dagegen polemisierte man in den Reden vor dem Volk. Für die Entfaltung des Individuums und den Genuß der griechischen Kultur schuf die otium-Welt einen stimulierenden Rahmen. Es entstanden Freiräume, in denen unabhängig vom Staatsleben geistige Existenzen möglich wurden. In diese Welt konnte man sich aus dem Chaos der Bürgerkriege und der Misere des unter­ gehenden Staates flüchten, hier konnte man neue Möglichkeiten erfüllten Daseins erproben. Zusammen mit den Büchern wuchs dabei den Bildern und Sta­ tuen eine neue Aufgabe zu. Sie wurden zu Zeichen, mit denen man eine geistige Welt abstecken, intellektuelles Erleben anregen und intensivieren konnte. Früher hatte ein römischer Aristokrat nur in der Tätigkeit für die res publica seine Lebenserfüllung finden können. Jetzt eröffnete ihm die Welt des otium Möglich­ keiten einer Existenz ohne politische Geschäfte. Keine Frage, auch die Ästhetik und der Luxus der Villenkultur haben den entmachteten Aristokraten den Weg in die Monarchie erleichtert.

II. Konkurrierende Bilder. Der Kampf um die Alleinherrschaft Nach Caesars Tod (44 v.Chr.) wurde dreizehn Jahre lang um die Nachfolge in der Alleinherrschaft gekämpft. Bilder und Bauten spielten dabei eine große Rolle. In dieser Zeit tauchten zwar zukunftsträchtige Zeichen zum erstenmal auf, aber die widersprüchliche Struktur der Bildersprache blieb unverändert. Der Verfall der alten Ordnung erreichte seinen Höhepunkt. Octavian und M. Antonius benutzten die problematischen und ambivalenten griechischen Bilder und Zei­ chen so exzessiv, daß man den Eindruck gewinnt, hellenistische Könige stritten sich um das Imperium der Römer.

D ivi filius Als der neunzehnjährige C.Octavius im Frühjahr 44 v.Chr. den Kampf um sein Erbe antrat, war der Name seines Großonkels und Adoptivvaters Caesar sein ein­ ziger wirklicher Trumpf. Von Anfang an nannte er sich C. Caesar, ohne das in einem solchen Fall übliche Cognomen. (Die Benennung Octavian ist eine moderne Konvention.) Der „Knabe, der alles seinem Namen verdankt“, so M. Antonius (Cicero, Phil. 13,11,24), ließ von allem Anfang an keinen Zweifel an seinem Ziel aufkommen. „Möge es mir gelingen, die Ehren und die Stellung mei­ nes Vaters zu erringen, auf die ich Anspruch habe“, rief er schon Ende des Jah­ res 44 in einer Volksversammlung aus und zeigte dabei pathetisch auf die Statue des ermordeten Diktators (Cicero, ad Att. 16,15,3). Ein solches Bild prägte sich ein. Der Adel war konsterniert, selbst die damaligen Freunde des jungen Caesar erstarrten. „Von so einem möchte ich nicht gerettet werden“, kommentierte Cicero. Bald nach Erringung der Alleinherrschaft im Jahre 31 v.Chr. änderte Octavian seinen politischen Stil. Im Jahre 27 v.Chr. stellte er - wie das offiziell hieß - die res publica wieder her. Dafür erhielt er als „Retter der Bürger“ den Ehrentitel Augustus. Fortan tat er alles, um einen Trennungsstrich zur vorangegangenen Zeit zu ziehen. Das hatte gute Gründe. Vieles, was seit 44 geschehen war, mußte ver­ gessen werden. Die Selbstdarstellung Octavians vor dieser Wende unterscheidet sich grundsätzlich von dem Bild, das er später als Augustus so erfolgreich von sich vermittelte. Was gesagt wurde und wie es gesagt wurde, war bestimmt vom Kampf um die Alleinherrschaft. Dabei spielte die Konkurrenz zwischen den Prot­ agonisten eine entscheidende Rolle bei der Ausbildung der spezifischen Bilder und wirkte sich sogar auf deren künstlerische Form aus. 42

25. a) Denar des L. Lentulus, Rom 12 v. Chr. Augustus (mit dem clipeus virtutis von 27 v.Chr.) setzt einer Statue des Divus Iulius den Stern auf. Erinnerung an das Erscheinen des sidus lulium im Jahr 44 v.Chr. b) Denar Octavians, 42 v.Chr. Der Amtsstuhl Caesars mit dessen goldenem Kranz. Auf der sella steht CAESAR DlC(tator) PER(petuus).

Zunächst ging es vor allem darum, bei den Veteranen und bei der plebs das Andenken an Caesar aufzurufen. Das war das entscheidende politische Kapital. Wie bewußt die ,Partei1 des jungen Caesar dabei vorging, zeigt sich besonders deutlich an der Propagierung der Vergöttlichung des ermordeten Diktators und der systematischen Verwendung eines Kometen, des sidus lulium, als Heils­ zeichen. Als Octavian gegen den Willen der eigentlich dafür Verantwortlichen die noch von Caesar zu Ehren von Venus gelobten ludi Victoriae Caesaris im Juli 44 durch­ führte, erschien pünktlich ein Komet am Himmel. Später berichtete er in seiner Biographie, daß dieser Komet sieben Tage lang überall auf der Welt zu sehen gewesen und allgemein als Zeichen für die Vergöttlichung Caesars verstanden worden sei. Er selbst habe deshalb der Statue Caesars, die bald darauf auf dem Forum geweiht wurde, dieses Sternzeichen aufs Haupt gesetzt, - „in seinem Innern aber habe er den Stern mit Freude als ein Zeichen begrüßt, in dem er selbst aufsteigen werde“ (Plin. n.h. II 93/94).

26. Aureus Octavians (stark vergrößert), 36 v.Chr. Tempel des Divus Iulius noch vor seiner Erbauung. Im Tempel das Kultbild mit dem Augurstab (lituus), im Giebel das sidus lulium, daneben der Memorialaltar, der an den Ort der Verbrennung von Caesars Leiche erinnerte.

27. a) Denar Caesars, 46 v. Chr. Aeneas mit seinem Vater Anchises auf der Flucht aus Troja mit dem Palladion in der Hand, b) Denar des LL.Regulus, Rom, 42 v.Chr. Aeneas mit Anchises, der erschrocken zurückblickt, c) Denar Octavians, vor 31 -Chr. Venus Genetrix mit den Waffen des Mars. Beischrift: CAESAR DIVI F(ilius).

Anderswo erfahren wir, daß natürlich der junge Caesar selbst es war, der das Volk zu diesem Glauben an den Stern brachte, daß er „allen“ Statuen Caesars das sidus lulium aufsetzte (Abb.25a) und daß der Stern künftig auch auf seinem Helm prangte. Auch ein haruspex namens Vulcatius war behilflich, indem er den Kometen als Ankündigung eines neuen, glücklichen Zeitalters interpretierte und - kaum daß er diesen günstigen Bescheid gegeben hatte - verstarb (Serv. in Verg. Ed. IX 46-47). Der Stern erschien alsbald überall als Hoffnungszeichen, auf Münzen, Fingerringen, Siegeln usw. 42v.Chr. setzte Octavian die offizielle Aufnahme des vergöttlichten Caesar (Divus Iulius) in den Staatskult und die Verehrung des neuen Gottes in allen Städten Italiens durch. Von nun an konnte er sich Divi filius, Sohn des Vergött­ lichten, nennen. Überall wurden jetzt Altäre errichtet. Auf dem Forum Romanum begann man an prominenter Stelle mit dem Bau eines Tempels, der bereits Jahre vor seiner Vollendung (29 v.Chr.) auf Münzen erschien (Abb. 26). Die Münze ist ein gutes Beispiel für die Intensivierung der Bildersprache durch die Helfer Octavians. Im Giebel erscheint groß das sidus lulium, darunter steht die geradezu aufdringlich überproportionierte Dedikation DIVO IULIO. Das Kultbild des neuen Gottes ist zwischen den Säulen sichtbar. Neben dem Tempel sieht man den Memorialaltar, der später wirkungsvoll in den Bau integriert wurde. Dieser Altar war ein besonders emotionsträchtiges Zeichen; denn man hatte ihn nach der Ermordung des Diktators spontan am Ort der Verbrennung der Leiche errichtet. Bald begannen die Dichter von Caesars Stern zu singen und ihn bei allen wich­ tigen Ereignissen leuchten zu lassen. Auch auf den Münzen erscheint der Stern später immer wieder, vor allem im Zusammenhang mit der Feier des „Goldenen Zeitalters“ (saeculum aureum) und mit der Propagierung der Prinzen Gaius und Lucius als Nachfolger (vgl. Abb. 132b). Die Wirksamkeit des Sterns als Zeichen beruhte auf der großen und allgemein verbreiteten Bereitschaft, sich von Him­ melszeichen beeindrucken zu lassen, auf der konsequenten Ausnutzung dieser 44

28 a-c. Das Bildnis des Caesar Divi filius wird dem des Divus Iulius gegenübergestellt, a, b) Sesterz Octavians, um 40 v.Chr. DIVOS rVLIVS, CAESAR DIVI FILIVS. c) Denar Octavians, 38 v.Chr.

Disposition und auf der gezielten Verbindung von öffentlichen Manifestationen und gleichbleibenden Bildsymbolen. Die meisten der von den Octavianern in den ersten Jahren verbreiteten Bilder hängen direkt oder indirekt mit Caesar zusammen. Die Goldmünzen mit sella und Kranz (Abb.25b) erinnerten z.B. an die mutigen Versuche Octavians, den goldenen Stuhl und den edelsteingeschmückten Kranz Caesars zwecks Aufsta­ chelung der Emotionen öffentlich auszustellen. Venus und Aeneas hatte schon Caesar selbst als Zeichen für die göttliche Abstammung der gens Iulia auf seine Münzen prägen lassen (Abb.27a). Der junge Caesar übernahm mit diesen Bil­ dern auch den Anspruch auf die göttlichen und heroischen Ahnen des julischen Hauses (Abb.27b, c). Solchen Bildern hatte Marc Anton nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Und dann noch die Ähnlichkeit des Sohnes mit dem Vater auf den zahlreichen Münzbildnissen der ersten Jahre! Die Jugendlichkeit Octavians ließ sich hervorragend ausschlachten: Bald wird er betont knabenhaft (Abb. 28 b), bald wie ein junger Held dargestellt (Abb.28 c). Das große Leitbild des jungen Alexander des Großen war auch hier gegenwärtig und half, eine Gloriole des Wunderbaren um den jungen Caesarerben zu verbreiten. Selbst in dramatischen und düsteren Augenblicken entstanden eindrucksvolle Symbole für die enge Verbindung von Divus Iulius und Divi filius. So erzählte man sich, der Kopf des Caesarmörders Brutus sei nach Rom geschickt worden, um zu Füßen der Statue Caesars niedergelegt zu werden (Suet. Aug. 13; Dio 45

48,14). U nd die schaurige Szene der Abschlachtung von angeblich 300 Männern aus Perugia soll, zum Andenken an den dies nefastus (Unglückstag) der Ermor­ d u n g Caesars, an einem Altar des Divus Iulius stattgefunden haben (41 v.Chr.). Die konsequente politische Benutzung der Bilder war etwas Neues, man denke n ur an die Ziellosigkeit der Familienpropaganda der letzten Jahrzehnte.

D ie auftrumpfenden Statuen des jungen Caesar Z unächst ging es um eine möglichst schnelle öffentliche Anerkennung der Fähig­ keiten des Divi filius als Feldherr und seiner .Verdienste1um den Staat. Sichtbarer A usdruck dafür waren offiziell verliehene Ehrenstatuen. Die erste Statuen­ ehrung, die der damals immer noch Neunzehnjährige am 2.Januar 43 erhielt, w ar in m ancher Hinsicht die für ihn bedeutungsvollste: eine vergoldete Reitersta­ tue, die auf oder neben der Rednerbühne (rostra) stehen sollte. Das Monument w ar vom Senat und Volk zusammen mit einer Reihe anderer Ehrungen beschlos­ sen worden und sollte am wirkungsvollsten O rt der Stadt bekunden, daß Caesars Erbe nur wenige M onate nach seinem ersten Auftritt eine wichtige politische Kraft geworden war. Der Senat hatte nicht nur dessen völlig illegale Truppenaus­ hebungen zum außerordentlichen Verdienst um den Staat erklärt, sondern dem „Knaben“ neben einem ehrenvollen Rang im Senat und dem Recht, sich zehn Jahre vor der festgesetzten Zeit um alle höheren Ämter bewerben zu dürfen, ein regelrechtes imperium übertragen. D er junge Caesar konnte nun als Feldherr im Dienste der Republik agieren. Kein Wunder, daß dieses Denkmal für ihn zum Sinnbild seines politischen Durchbruchs wurde. Noch bevor die Statue ausge­ führt und aufgestellt werden konnte, ließen die Anhänger Octavians sie auf die Münzen prägen. Auf einem der ersten Münzbilder (Abb. 29 a) sieht man das künftige Monu­ ment mit zwei großen Beizeichen versehen. Das Pferd steht auf einer Leiste, unter der ein Schiffsrammsporn (rostrum) die mit solchen rostraverzierte Redner­ bühne als Aufstellungsort bezeichnet. Der Augurstab in der Hand des Octavian weist auf seine Selbständigkeit als Heerführer hin. Die Buchstaben S(enatus) C(onsultum) betonen, daß die Ehrung auf einen offiziellen Senatsbeschluß zurückging. Das alles zeugt von den intensiven Bemühungen um Legitimation. Welch aufwendige Form der Statuenehrung für einen jungen Mann, der noch kein Amt bekleidet, geschweige denn militärische Erfahrungen hatte! Ein Denk­ mal zudem, das gleichrangig neben den Reiterstatuen von Sulla, Pompeius und Caesar stehen sollte! Klarer konnte der Senat nicht zum Ausdruck bringen, wie wenig ihm seine eigenen Traditionen noch galten. Wie die Münzen des Jahres 43 v.Chr, zeigen, stellte man sich die Statue zunächst wie das Monument Sullas als ruhig stehendes Pferd vor (Abb. 29b). Später wurde dann aber ein galoppie­ rendes Roß ausgeführt. Dieses Schema erschien zuerst 41 v. Chr. auf den Münzen (Abb.29c), und zwar jetzt mit der plakativen und demagogischen Beischrift 46

29. Das für Octavian 43 v.Chr. beschlossene Denkmal wird sogleich auf den Münzen propa­ giert. a) Aureus 42 v. Chr. b) Denar 43 v. Chr. c) Denar 4 1 v. Chr.

POPULI IUSSU (auf Volksbeschluß). Das Volk - nicht der Senat, in dem Octa­ vian inzwischen allen Rückhalt verloren hatte - hatte die Ehrung durchgesetzt! Die detaillierteste Darstellung von der Statue geben indes erst ein paar Jahre spä­ ter geprägte Münzen (Abb.30a). Sie zeigen den Divi filius nicht in Feldherrn­ tracht, sondern mit nacktem Oberkörper und einem um die Hüfte geschlungenen flatternden Mantel. In dieser pathetisch gesteigerten Erscheinungsform über­ trumpfte das neue Denkmal die Statue Sullas (Abb.30b). Auch die ausgestreckte Hand gewann im neuen Kontext eine allgemeinere Aussage im Sinne umfassen­ der Herrschaft. Der Sohn des Vergöttlichten erschien hier wie die Dioskuren auf früheren republikanischen Münzen. Das war kein Feldherr der Republik mehr, sondern ein übermenschlicher Retter aus der Not. Das Bild entspricht den Lobhudeleien Ciceros im Senat, der die Leistungen des divinus adulescens (göttlicher Jüngling) ausdrücklich über die eines Sulla und Pompeius hob {Phil. 5,16,42). Auch Sulla hatte schon das charismatische IMPE­ RATOR FELIX unter seine Statue schreiben, sich aber wenigstens noch in der

30. a) Denar Octavians, vor 31 v.Chr. Endgültige Gestalt des 43 v.CItr. beschlossenen Denk­ mals. Octavian mit nacktem Oberkörper auf galoppierendem Pferd, b) Aureus des A. Manlius, Rom vor 80 v. Chr. Reiterdenkmal des L. Sulla. Im Gegensatz zu Octavian ist Sulla in der toga dargestellt. 47

toga darstellen lassen. Da die beiden Statuen nebeneinander standen, drängte sich den Betrachtern ein Vergleich auf. Daß dem Senat jetzt nicht einmal mehr am formalen Festhalten an seinen Traditionen lag, zeigt auch die Dedikationsinschrift, in der ausdrücklich das Alter des Neunzehnjährigen festgehalten wurde (Veil. Pat. 2,61,3). Ausgerechnet Cicero, der beredte Anwalt der res publica, hatte übrigens den jungen Caesar im Senat mit Alexander dem Großen verglichen und so die ungewöhnlichen Ehrungen zu rechtfertigen versucht {Phil. 5,17,48). Eine nicht weniger aussagekräftige Statue ist ebenfalls nur durch Münzen bekannt (Abb.31a). Da sie zusammen mit anderen in Rom errichteten Monu­ menten in derselben Münzserie erschien, muß es sich auch hier um ein berühmtes Monument gehandelt haben. Sie feierte den Sieg über Sextus Pompeius in der Seeschlacht bei Naulochoi (36 v.Chr.). Octavian ist auch hier wieder nackt dar­ gestellt, und zwar in einem bekannten Schema der spätklassischen Kunst. Wahr­ scheinlich war eine berühmte Poseidonstatue des Lysipp das Vorbild. Als Sieger einer Seeschlacht hält Octavian das Heckteil (aplustre/aphlaston) eines feindlichen Schiffes als Trophäe in der Hand. Die Lanze in der Linken kennzeichnet ihn heroisch als Feldherrn. Den rechten Fuß setzt er auf eine sphaera, das Symbol für die gesamte Welt mit den Gestirnen und deshalb für weltumfassende Herrschaft. Das wirkungsvolle Körperschema hatte schon bei hellenistischen Königs­ statuen dazu gedient, die göttlichen Kräfte der Geehrten zu veranschaulichen. Zur Zeit Octavians allerdings war selbst dieses Schema durch häufige Benutzung in seiner Wirkung abgeschwächt. Gleichwohl konnte es durch Aufstellungsort, Kontext und Rang des Dargestellten wie hier zum Träger einer eindringlichen Aussage werden. Sextus Pompeius, der Sohn des Cn. Pompeius Magnus, hatte sich in den Jahren nach Caesars Tod neben den Triumvim Octavian, Antonius und Lepidus eine Art Seereich mit Sitz in Sizilien eingerichtet. Nach den ersten Erfolgen gegen Octavian und dessen Feldherrn rühmte er sich, wie sein Vater unter Neptuns besonderem Schutz zu stehen, ja von diesem als Sohn angenom­ men worden zu sein. Auch er brauchte einen göttlichen Ahnen! Statt des Feld­ herrnmantels trug er eine meerblaue Chlamys, opferte seinem ,Vater“ Neptun Stiere mit vergoldeten Hörnern und versenkte ihm zu Ehren sogar lebende Pferde ins Meer (Dio 48,48,5). Sextus erfreute sich bei der römischen plebs großer Beliebtheit. Als bei einer pompa im Jahre 40 v.Chr. eine Statue des Meergottes in den Circus getragen wurde, jubelte die Menge und demonstrierte auf diese Weise für den Neptunsohn und gegen den Divi filius. Als dieser die Statue daraufhin aus dem Verkehr zog und bemerkte, er werde auch „gegen Neptuns Willen“ siegen, kam es zu Krawal­ len, bei denen nicht nur Octavians Statuen, sondern auch die der beiden anderen Triumvirn umgestürzt wurden. Bilder und Symbole des Meergottes wurden in diesen Jahren also ganz selbstverständlich auf Sextus Pompeius bezogen, wenn sie in einem politischen Kontext erschienen. Schon auf Münzen der Jahre 42-40 v.Chr. hatte dieser seine Erfolge im Seekrieg mit entsprechenden mytholo­ gischen Bildern gefeiert. Neben verschiedenen Siegeszeichen und den Bildnissen 48

31. a) Denar Octavians, vor 31 v. Chr. Ehrenstatue Octavians für den Sieg über Sextus Pom­ peius 36 v. Chr. Die Weltkugel ist ein Symbol für den Anspruch auf Alleinherrschaft, b) Denar des Sextus Pompeius, Sizilien, 42-40 v. Chr. Statue des Sextus Pompeius oder seines Vaters. Der Fuß ruht auf einem rostrum als Zeichen des Sieges über Octavians Flotte.

seines Vaters und seines Sohnes ließ er Bilder Neptuns und der ihm hilfreichen Skylla auf die Münzen setzen. Auf einer der Münzen dieser Serie erscheint eine Statue im selben Körper­ schema wie die spätere Statue Octavians (Abb.31b). Auch hier handelt es sich nicht um eine Darstellung des Gottes, sondern um eine Siegesstatue des Sextus Pompeius (oder seines Vaters, Cn.Pompeius). Wie bei der Octavianstatue hält der Sieger ein aplustre in der Hand, aber der Fuß ruht hier nur auf einem Schiffs­ schnabel. Zu Seiten des hochgreifenden Monumentes sind die „Brüder von Cata­ nia“ dargestellt, die der Sage nach ihre Eltern auf spektakuläre Weise gerettet hatten. Diese Geschichte war dem römischen Publikum bereits von früheren Münzen als ein Sinnbild für pietas gegenüber den Eltern vertraut. Sextus spielt damit auf das Prädikat pius an, das er seinem Namen hinzugefügt hatte, um so seine Anhänglichkeit an seinen Vater zu bezeugen. Darin lag natürlich auch eine Spitze gegen den jungen Caesar, der sich seit der Schlacht von Philippi soviel auf seine pietas gegenüber dem Divus Iulius zugute hielt. Der Sieg des Pompeiussohnes über den Caesarerben wird auf der Münze also als späte Rache für den Sieg Caesars über Pompeius bei Pharsalos gefeiert. Vor diesem Hintergrund ge­ winnt das von oder für Octavian errichtete Siegesmonument (Abb. 31 a) den Cha­ rakter einer polemischen Antwort auf die frühere Propaganda des Sextus Pom­ peius. Seine volle Aussagekraft erhält das Monument aber erst im Zusammenhang mit einer weiteren Statue im gleichen Schema, die man ein Jahrzehnt zuvor für Caesar auf dem Capitol errichtet hatte. Es war eine Bronzestatue, bei der die sphaera unter dem Fuß ausdrücklich als Symbol der Oikumene, der bewohnten Welt verstanden wurde (Dio 43,14,6) und unter der zu lesen stand, „weil er ein Halbgott ist“. Diesen Zusatz hat Caesar selbst später tilgen lassen, wahrscheinlich weil er den Anspruch auf Gottähnlichkeit in zu anstößiger Weise betonte. 49

32. Denar Octavians, vor 31 v.Chr. a) Octavian mit Lorbeerkranz, b) columna rostrata mit nackter Statue Octavians.

Die Statue des Sextus war auf einen konkreten Sieg bezogen gewesen: unter dem Fuß des Siegers lag ein rostrum der eroberten Schiffe. Unter dem Fuß Octa­ vians dagegen lag - wie bei Caesar - die Weltkugel! Damit propagierte Octavian schon Jahre vor der Entscheidungsschlacht von Actium ganz unverblümt, daß ihm als dem Divi filius die Alleinherrschaft zukam, wie sie sein Vater besessen hatte. Das dritte Monument war eine mit Schiffsschnäbeln verzierte Ehrensäule (columna rostrata). Es gehörte ebenfalls zu den überschwenglichen Ehrungen, mit denen der Senat den Sieger über Sextus Pompeius feierte (Abb. 32 b). „Von den für ihn beschlossenen Ehrungen nahm er eine ovatio (feierlicher Ein­ zug in die Stadt, sog. kleiner Triumph), ein jährliches Siegesfest und eine vergol­ dete Statue an. Und zwar sollte er in der Kleidung dargestellt werden, die er bei seinem Einzug in die Stadt trug. Und die Statue sollte auf eine mit den Schiffs­ schnäbeln der besiegten Schiffe geschmückte Säule gestellt werden. Auf der Inschrift aber sollte stehen, daß er den lange Zeit durch Zwietracht gestörten Frieden zu Land und Meer wieder hergestellt hat“ (App., Bell. Civ. 5,130). Dio berichtet von weiteren Ehrungen, darunter von dem Recht, den Lorbeer­ kranz ständig zu tragen. Und tatsächlich ist das Bildnis Octavians auf der Vorder­ seite nur dieser Münze im Gegensatz zu den anderen Porträts der Serie mit dem Lorbeerkranz geschmückt (Abb. 32 a). Auch in diesem Fall gewann das Monu­ ment durch seinen Aufstellungsort und durch seinen Bezug zu einem aktuellen Anlaß eine besondere Aussagekraft. Die Form war der Ehrensäule des Duilius nachgebildet, die an einen Seesieg über die Karthager (260 v. Chr.) erinnert. Kalt­ blütig verglich man einen Sieg im Bürgerkrieg mit einem Sieg über einen äußeren Feind, indem man die neue Säule neben der alten bei der Rednerbühne aufstellte. Zum anderen wurde mit dem prächtig flatternden Mäntelchen an den Einzug des Siegers in die Stadt erinnert. Octavian scheint damals also wohl nach des großen Pompeius und des Sextus Vorbild nicht die römische toga, sondern wie Alexander und die Könige eine griechische Chlamys getragen zu haben. Vom Kopf dieser Statuen geben uns die Wiederholungen des ersten Porträt50

33. Bildnis Octavians, um 30 v. Chr. Das Urbild dieser Marmorkopie stammt aus den ersten Jahren seines politischen Wirkens.

typus Octavians eine Vorstellung, der nach Ausweis von Münzbildnissen schon um 40 v. Chr. existierte (Abb.33). Wahrscheinlich ist das Urbild aus Anlaß der Errichtung einer wichtigen Ehrenstatue, vielleicht schon der Reiterstatue auf den rostra entstanden. Schon in der späten Republik war es üblich gewesen, einmal geschaffene Porträts der politischen Größen in Form von Abgüssen zu verbreiten und Kopien bzw. Verkleinerungen und Vergrößerungen auf anderen Ehrensta­ tuen, Münzen, Gemmen usw. zu verwenden. Das Bildnis stellt den jungen Caesar 51

mit knochigem Gesicht, kleinen Augen und unruhigem Ausdruck dar. Im Gegen­ satz zu den späteren Augustusporträts scheint es viel vom wirklichen Aussehen des ehrgeizigen und machtgierigen jungen Mannes zu überliefern. Die künstleri­ sche Form aber ist wie bei anderen römischen Bildnissen dieser Zeit widersprüch­ lich; denn die pathetische Aufmachung paßt nicht zur kleinteiligen Charakteri­ sierung des Gesichts und zum beruhigten Stil. Die Schemata dieser drei auf den Münzen propagierten und im Herzen Roms aufgestellten Statuen (Abb.30a, 31a, 32b) glichen vollständig hellenistischen Herrscherbildern und widersprechen in jeder Weise den Traditionen der Repu­ blik. Derselbe Mann, der 36 v. Chr. im Senat lauthals die Wiederherstellung der alten res publica versprochen hatte, ließ sich jetzt in seinen Statuen wie die helleni­ stischen Herrscher des Ostens feiern. Es waren polemische und demagogische Bilder. Sie rühmten die Sieghaftigkeit des Divi filius und verkündeten seinen Anspruch auf Alleinherrschaft. Das war klarer und offener als alles, was im Senat gesagt wurde. Die Sprache war laut und mochte der Menge gefallen, aber ihre Botschaft war mehr als problematisch. Der junge Caesar war eben kein hellenisti­ scher Herrscher. Er war seit 42 v. Chr. „triumvir zur Wiederherstellung der res publica“und hatte auf einer politischen Bühne zu agieren, die von ganz anderen Gesetzen und Traditionen bestimmt war. So reichten die Bilder zwar zum Auf­ trumpfen aus, aber man konnte in dieser Sprache in Rom kein neues Programm formulieren. Die Bilder sprachen nur von der Gestalt des Führers und von seinen Herrschaftsambitionen, nicht aber vom Staat und dessen Zukunft. Und doch blieben die Protagonisten auf diese Sprache angewiesen. Es gab keine Alternative zu ihr.

Götteridentifikation und Selbstventändnis Seit langem war es im römischen Adel Brauch geworden, das eigene Geschlecht auf griechische Heroen oder Götter zurückzuführen (vgl. Abb.9, 10). Man ahmte damit die großen hellenistischen Königshäuser nach und erhob vor allem mit dem Hinweis auf die trojanischen Urahnen den Anspruch, schon immer zur griechischen Welt gehört zu haben. Götterschutz, Götternähe und Angleichung an mythische Gestalten spielten in diesem ,Gesellschaftsspiel', in Selbstverständ­ nis und Selbstdarstellung der Großen der späten Republik eine immer größere Rolle. Ging es bei den Herakles- und Dionysosangleichungen des Pompeius um längst vertraute Metaphern zur Präsentation seiner kriegerischen Triumphe im Osten, so zögerte Caesar nicht mehr, sich selbst offen als Gottmenschen zu fei­ ern. Er baute Venus Genetrix als seiner Ahnherrin nicht nur den großen Tempel auf seinem neuen Forum, er empfing in der Vorhalle dieses Tempels die Senato­ ren „sitzend“ (Sueton, Div. lui. 78). Das Beispiel des Neptunius dux (Horaz, ep. 9,7) Sextus Pompeius zeigt dann, wie selbstverständlich nach Caesars Tod auch zweitrangige Figuren Auserwähltheit und Göttemähe für sich reklamierten. In 52

34. Aureus des L.Livineius Regulus, Rom, 42 v.Clir. a) M.Antonius, b) D er H erculessohn Anton, auf den sich das Geschlecht der Antonii zurückführte.

den folgenden Machtkämpfen überboten sich die Konkurrenten auch in m ytho­ logischen Vergleichen und Identifikationen. Aber der Mythos diente dabei nicht nur der Propaganda. Gerade an der Aus­ einandersetzung zwischen M.Antonius und Octavian kann man verfolgen, wie die mythischen Bilder und Gestalten im Laufe der Zeit mehr und mehr auf das Selbstverständnis der Protagonisten einzuwirken und deren H andeln m itzube­ stimmen begannen. Vor allem die großen Göttergestalten Dionysos/Bacchus und Apollo scheinen in bestimmten Situationen geradezu zu Identifikationsmustern geworden zu sein, mit deren Hilfe sich Antonius und Octavian einen H andlungs­ rahmen abstecken konnten, um den an sie herangetragenen Erwartungen ent­ sprechen zu können. Die Not der Gegenwart mit ihrer politischen Willkür und das Fehlen konkre­ ter, realistisch erscheinender Zukunftshoffnungen boten einen vorzüglichen Nährboden für Wahrsager und Zeichendeuter, für utopisches Hoffen auf einen Retter und für Visionen eines neuen glücklichen Zeitalters. Die Stimmung, aus der Vergils berühmte vierte Edoge hervorging, zeugt von den nervös übersteiger­ ten Erwartungen auch der gebildeten Zeitgenossen. In einer solchen Situation hatten die alten republikanischen Appelle und Schlagwörter eines Cicero keine Wirkung mehr. Wer wirklich an die Macht gelangen wollte, mußte solchen Heilserwartungen entgegenkommen, mußte für sich selbst in Anspruch nehmen, der „Retter“ zu sein. Die einzige dafür zur Verfügung stehende Bildersprache war die des griechischen Mythos. Die Wirkung dieser Bilder w ar noch immer groß, aber viele von ihnen erwiesen sich in Rom angesichts der Traditionen des Staates als zweischneidig. Die für M.Antonius so fatale Dionysosidentifikation ist das beste Beispiel dafür. Die Antonier führten ihr Geschlecht auf einen sonst unbekannten Sohn des Herakles/Hercules namens Anton zurück. M.Antonius ließ das Bild dieses Ahnen sogar auf seine Münzen prägen (Abb.34a, b) und stellte ihn - nicht gerade glücklich und wirkungsvoll - der großen Gestalt des Venussohnes Aeneas

(s. Abb. 27 a, b) entgegen. Es schmeichelte ihm, wenn man ihn mit Hercules ver­ glich: „Der wohlgeformte Bart, die breite Stirn und die gebogene Nase gaben ihm ein kraftvolles, männliches Aussehen, wie es die Leute von den Gemälden und Statuen des Herakles kannten, und ließen ihn diesem ähnlich erscheinen“ (Plut­ arch, Ant. 4). Vor allem im kraftmeierischen und leutseligen Umgang mit den Soldaten spielte er die Herculesidentifikation erfolgreich aus. Wie ein Ringstein (Abb.35) zeigt, gab es auch entsprechende Bilder und Statuen. Die Anhänger der Triumvirn scheuten sich nicht, das Bild ihres jeweiligen Idols auf ihrem Ring zu tragen und damit zu siegeln. Diese Form der Sympathiebezeugung war im übrigen nicht nur in der Politik beliebt, auch Philosophen und Dichter wurden auf diese Weise geehrt. Als Antonius aber nach der Aufteilung des Reiches zwischen den Triumvirn (42 v. Chr.) in den Osten kam, bot sich ihm in der Nachfolge Alexanders die ungleich umfassendere und wirkungsvollere Gestalt des Dionysos als Identifika­ tionsmuster an. Antonius’ leidenschaftliche Art, seine Großzügigkeit und Naivi­ tät, seine Liebe zum Wein, zu rauschenden Festen, mondänen Frauen und spek­ takulären Liebesgeschichten prädestinierten ihn geradezu für diese Rolle. Der neue Dionysos ließ die Griechen an die Tage des Königs Mithridates Eupator zurückdenken: „Als Antonius in Ephesos einzog, sprangen die Frauen als Mänaden, die Männer und Knaben als Satyrn und Pane verkleidet vor ihm her. Die Stadt war voller Efeu und Thyrsos, voller Saiten-, Syrinx- und Flötenspiel. Alles pries ihn als Dionysos den Freudenbringer, den zarten und freundlichen“ (Plut­ arch, Ant. 24). Und als sich dieser römische Feldherr dann gar in Tarsos als Dionysos-Osiris mit der ägyptischen Königin traf, die als Aphrodite-Isis auftrat, da schien es vie-

54

len, als habe sich das Gesicht Roms verändert, als seien neue glücklichere Zeiten angebrochen. „Kleopatra kam in einem Schiff mit vergoldetem Heck und purpurnen Segeln. Beim Klang der Flöten, Syringen und Kitharai bewegten sich die versilberten Ruder im Takt. Die Königin selbst lag unter einem goldverzierten Sonnensegel. Sie war gekleidet und geschmückt wie Aphrodite aufden Bildern. Zu ihren Seiten standen Knaben im Aufzug gemalter Eroten und fächelten ihr Kühlung zu. Die schönsten Dienerinnen standen als Nereiden und Chariten kostümiert an den Steuerrudern und an den Tauen. Über die Ufer hin aber verbreiteten sich die herrlichsten Weihrauchdüfte“ (Plutarch, Ant. 26). Nicht ohne Grund wird bei den Vergleichen mit Herakles und Dionysos immer wieder auf Statuen und Bilder verwiesen. Die Aufzüge ließen Mythos und Kunst Leben gewinnen. Die überall sichtbaren Götterbilder aber waren Aus­ gangspunkt und Widerhall solcher Manifestationen. Die intensive Wirkung der Aufzüge und Bilder ist für uns kaum mehr nachvollziehbar. Nicht nur die Zuschauer, auch die Akteure selbst erlagen der Suggestion. Dionysos und Aphro­ dite, das war nicht nur Wein und Liebe, es waren Bilder der vollkommenen Lebenserfüllung. Im prunkvollen Gelage vollzog sich für alle Beteiligten die Befreiung vom Alltag. Ein üppiges und rauschhaftes Leben, wie es Antonius in Athen und Alexandrien vor aller Augen genoß, war ein Programm, das nicht nur im hellenistischen Osten als Erlösung und Befreiung, als Antwort und Ausweg aus der bisherigen Misere, als Versprechen für eine glückliche Zukunft verstan­ den werden konnte. Die Alexandriner verstanden, was die Statuen bedeuteten, die Antonius als Dionysos mit üppigen Körperformen, schmachtenden Augen und offenem Mund, in durchsichtigen langen Gewändern und mit dem Kantharos in der Hand darstellten. Als Antonius nach seinem Sieg über die Armenier in Gestalt des triumphieren­ den Dionysos in Alexandrien einzog, war das für sie die rechte Art der Freuden­ feier. Der Römer hatte sich wirklich als neos Dionysos erwiesen. Sollte Antonius je zuvor seine mythische Rolle aus Berechnung nur gespielt haben, in Alexandrien im Palast der Kleopatra war er mit ihr verwachsen. Sein ganzes Verhalten in sei­ nen letzten Jahren war von dieser Rolle bestimmt. Mit rauschenden Festen feierte er den Ausbruch des Krieges, wie ein Dionysos mit Thiasos zog er Octavian ent­ gegen und selbst angesichts des sicheren Endes blieb er seinem Stil, das Leben als Feier zu genießen, treu. „Es schien, als habe er mit Freuden alle Hoffnungen aufgegeben . .. Antonius und Kleopatra lösten ihren Thiasos der unnachahmlichen Lebenskünstler“ auf und gründeten einen neuen, der jenem an Üppigkeit, Glanz und Verschwendung nichts nachgab und den sie .Freunde bis zum Tode“ nannten“ (Plutarch, Ant. 71). In der Nacht vor der Einnahme Alexandriens meinten die Alexandriner einen jauchzenden Thiasos aus der Stadt in Richtung des Lagers Octavians ziehen zu hören. „Viele glaubten, da habe der Gott Antonius verlassen, der Gott, dem er sich am meisten angeglichen und nach dessen Vorbild er vor allem gehandelt 55

36. Cistophorenserie, Pergamon, 27/26 v.Chr. a) Der Capricorn trägt ein Füllhorn und ist vom apollinischen Lorbeerkranz umrahmt, b) Die Sphinx verheißt ein neues Zeitalter, c) Die Ä hren versprechen Frieden und Wohlstand.

hatte“ (Plutarch, Ant. 75). Antonius selbst wird das nicht anders empfunden haben. Eine solche Macht hatten die mythischen Bilder über ihn bekommen! Auf der anderen Seite wuchs Octavian in Italien in eine ganz andere Rolle. Als Divi filius hatte er mit Caesars Klientel auch dessen Charisma geerbt. Aber so wirksam das in den ersten Jahren bei Veteranen und plebs war, auf Caesars Gestalt lag der Schatten der Tyrannis, vor allem aber war sie durch den Bürger­ krieg belastet. Sie bot keine Zukunftsperspektive für die allgemeinen Heilserwar­ tungen. Diese hefteten sich dagegen ganz von selbst an die Jugend Octavians und umgaben diesen von Anfang an mit einer Aura der Erwähltheit und Götternähe. Die Wundergeschichten sind zunächst diffuser Art. Schon der Knabe hatte übermenschliche Kräfte, selbst Frösche gehorchten ihm. Später bei seinen ersten Auspizien als Feldherr waren alle Lebern der Opfertiere nach innen gebogen, beim Antritt seines ersten Konsulats erschienen wie weiland bei Romulus zwölf Geier. Mehrere der Träume und Vorzeichen brachten den Knaben mit Sonne und Gestirnen in Verbindung, wie es dem allgemeinen Erwartungshorizont von einem neuen Weltalter und einem gottgesandten Herrscher entsprach. Das Baby kletterte allein aus der Wiege, man fand es auf einem hohen Turm wieder, zur Sonne gewandt. Nicht nur Vater und Mutter träumten von einem Sonnen- und Sternenkind. Selbst der würdige Konsular Cicero soll im Traum einen Knaben gesehen haben, der an einer goldenen Kette vom Himmel herabgelassen wurde und der von Jupiter Capitolinus eine Geißel bekam. Ein Teil dieser Geschichten kursierte offenbar schon in den ersten Jahren. Kein Wunder, daß die Menge bereits beim Einzug Octavians in Rom einen hellen Lichtkreis um die Sonne zu sehen meinte. Bilder über Bilder! Das Selbstgefühl des Wunderknaben konnte von alledem nicht unberührt bleiben. Noch zu Caesars Lebzeiten, als er noch als ein unbe­ kannter C. Octavius in Apollonia studierte, war der Astrologe Theogenes vor ihm als dem künftigen Weltherrscher ins Knie gesunken, als er die einzigartige Sternenkonstellation seiner Geburt erfuhr. „Von diesem Augenblick an hatte er solches Vertrauen in sein Schicksal, daß er

37. Aurei des C. Cassius 43/42 v. Chr. a) Kopf der Libertas, b) Dreifuß mit Binden und Lor­ beerzweigen geschmückt.

sein Horoskop veröffentlichen ließ und später eine Silbermünze mit dem Stern­ zeichen des Capricornus prägte, in dem er geboren war“ (Suet. Aug. 94). Der Capricorn erscheint tatsächlich schon früh auf Münzen und Glaspasten, welche Octavians Gefolgsleute als billige Ringsteine trugen. Später wird das Geburtsgestirn aus Anlaß der Siege sowohl wie der Friedensprogramme auf die Münzen gesetzt, um daran zu erinnern, daß Augustus von den Sternen zum Heil des Staates bestimmt war (Abb. 36). Sein Geburtstag wurde seit 30 v. Chr. offiziell als Glückstag für Rom gefeiert. Die Fülle der Zeichen und Wunder verlangte nach einem Zusammenhang. Auch Octavian brauchte einen umfassenden mythologischen Bezugsrahmen. Literarische Quellen und Monumente lassen uns trotz der Zufälligkeit der Über­ lieferung nachvollziehen, wie er langsam in die Rolle des Apolloschützlings hin­ einwuchs, wie dieser Prozeß durch die Auseinandersetzung mit dem Gegner und dessen Dionysosangleichung vorangetrieben wurde und wie Octavian nicht zuletzt mittels dieses mythologischen Bezugsrahmens in seine eigene künftige Rolle hineinfand. Entscheidend scheint der Schlachtruf von Philippi gewesen zu sein (42 v. Chr.), wo Caesarmörder und Caesarianer gleicherweise die Losung .Apollo' ausgege­ ben hatten. Seit Sulla waren Apollo und seine Symbole (Dreifuß, Sibylle, Kithara, Sphinx) als Versprechen einer besseren Zukunft auf den Münzen erschienen. Bei Brutus und Cassius ergab der Dreifuß im Kontext mit dem Kopf der Libertas (Abb.37) und den Morddolchen eine klare Aussage: Befreiung vom Tyrannen und Wiederherstellung der Republik waren die Voraussetzung für bessere Zeiten. Aber wer vertraute denn noch einem restaurierten Senatsregiment? In der Schlacht von Philippi zeigte sich dann, daß Apollo auf seiten des Caesarerben stand. Schließlich hatte ein Julier den ersten Apollotempel in Rom gebaut und Caesar den dazugehörigen Spielen (ludi Apollinares) neuen Glanz verliehen. Als Antonius bald darauf als neuer Dionysos in den Osten zog, lag es für Octavian nahe, ganz auf Apollo zu setzen. Bald hörte man von seinem „Zwölfgöttermahl“, bei dem er selbst als Apollo kostümiert auftrat (Sueton, Aug. 70). Dieses Fest­ bankett erregte bei der römischen plebs, die wegen des Getreideembargos des 57

Sextus Pompeius von Hunger geplagt war, Spott und Ärger. Aber solche an barocke Maskeraden erinnernden Feste waren nichts Ungewöhnliches, wie ent­ sprechende Nachrichten aus Alexandrien zeigen. Dort war bei einem Kostümfest der Kleopatra und des Antonius kein Geringerer als der Konsul von 42 v. Chr., Munatius Plancus, als Meergott Glaukos aufgetreten und hatte mit blau ange­ maltem nackten Körper einen Fischschwanz hinter sich herziehend auf allen vie­ ren getanzt. Auch im privaten Rahmen waren Dionysosmaskeraden verbreitet. Wie der bekannte Fries in der Mysterienvilla zeigt, stimulierte die Verkleidung die Phantasie der an solchen Festen Beteiligten. Um diese Zeit begann der Caesarerbe mit dem Bild der Sphinx, dem Symbol des von der Sibylle prophezeiten regnum Apollinis, zu siegeln (Plin. n.h. 37,1,10. Suet. Aug. 50). Das Orakeltier wurde bald zu einem geläufigen Zeichen der augusteischen Bildersprache (Abb.38). Bei feierlichen Anlässen trug Octavian jetzt immer häufiger den apollinischen Lorbeerkranz. Verschiedene direkt auf die Apollo-Identifikation abzielende Wundergeschichten kamen damals auf. Schon für die Adoption des Knaben durch Caesar soll ein wunderbarer Palmbaum den Ausschlag gegeben haben. Der Livia hatte bald nach ihrer Heirat mit Octavian ein Adler eine Henne in den Schoß fallen lassen, die einen Lorbeerzweig im Schnabel trug. Aus diesem soll sich dann in Livias Villa ein mächtiger Baum ent­ wickelt haben, von dem sich die künftigen Kaiser den Siegeslorbeer schnitten. Ebenfalls schon in den dreißiger Jahren verbreitete sich die Kunde, Octavians Mutter Atia habe den Knaben gar nicht von seinem vermeintlichen Vater, son­ dern von Apollo in Gestalt einer Schlange empfangen. Ähnliches hatte man von Alexanders Mutter Olympias erzählt. Über die Schlangengeschichte wurde offenbar viel geredet. Ein kleiner Glascameo bezeugt, daß die Anhänger Octa­ vians damit auch Bildpropaganda betrieben (Abb.39). Bei solcher Apollonähe nimmt es nicht wunder, daß Octavian den endgültigen Sieg über Sextus Pompeius vor allem der Hilfe Apollos und dessen Schwester Diana zuschrieb. Ein Heiligtum Dianas lag glücklicherweise auch in der Nähe von Naulochoi, wo das entscheidende Seegefecht stattfand. Der große Apollo-

38. Sphinx auf einem Siegelabdruck, augusteisch.

58

39. Glascameo. Die apollinische Schlange umschlingt den Dreifuß, hinter ihrem Kopf ein Sonnennimbus. Dreifuß, pikkendc Hühner, Augurstab und Schöpf­ kelle (simpuvium) weisen auf die drei Priesterschaften hin, denen Octavian damals angehörte, bringen die Apollon­ schlange also in direkte Verbindung mit ihm.

tempel auf dem Palatin soll von Octavian während jener Schlacht gelobt worden sein (36 v. Chr.). Es ist faszinierend zu sehen, wie konsequent Octavian in den nächsten 20 Jah­ ren die Apolloprogrammatik verfolgt, oder anders und ebenso richtig: wie er sein Sendungsbewußtsein und sein Heilsprogramm im Zeichen Apollos entwickelte. Er baute den neuen Tempel direkt neben seinem Wohnhaus. Die Entscheidungs­ schlacht von Actium wurde durch das persönliche Eingreifen Apollos gewonnen. In der zeitlosen Schönheit des bald danach entstandenen neuen Bildnisses (s. Abb. 83) konnten die Zeitgenossen wohl auch apollinische Züge herauslesen. Selbst der ,Parthersieg‘ und die Moralgesetzgebung von Ißv.Chr. standen im Zeichen Apollos. Und als es dann soweit war, daß man das saeculum aureum feier­ lich einläuten konnte, stellte Augustus dieses wieder unter den besonderen Schutz Apollos und Dianas und barg die - freilich von ihm selbst redigierten! sibyllischen Bücher in einem goldenen Behältnis zu Füßen der Kultbilder: Garan­ ten der ewigen Dauer der neuen Zeit! Die spektakulärste Manifestation der Apollonähe Octavians war zweifellos die unmittelbare Verbindung von Wohnhaus und Tempel auf dem Palatin (Abb. 40). Wie die neuen Ausgrabungen gezeigt haben, war das Haus mittels einer Rampe direkt mit dem Tempelvorplatz verbunden. Eindrucksvoller konnte das enge Ver­ hältnis des Erwählten zu seinem Schutzgott nicht gezeigt werden. Das Haus selbst war vergleichsweise bescheiden, aber das gesamte Tempelareal wurde durch die enge Verbindung zum Teil eines palastartigen Wohnsitzes. Octavian 59

hatte auch hier von den hellenistischen Königen gelernt. In Pergamon und Alexandria bildeten Heiligtümer die eigentlichen Repräsentationsbauten der Paläste. Das K onzept dieses .Wohnens beim G ott' stammt aus der Zeit unmittel­ b ar nach der Schlacht bei Naulochoi. Ein Blitzschlag hatte den Willen der G ottheit kundgetan und den Bauplatz direkt neben Octavians Haus als den gew ünschten bezeichnet. Es w ar eine wirkungsvolle Position, hoch über dem Circus maximus. Zudem ein O rt voller Erinnerungen an Romulus und die Früh­ zeit Roms (Abb. 52). D er mythologische Handlungsrahmen ,Apollo' sollte sich für die Sache Octa­ vians und für die Ausbildung seines politischen Selbstverständnisses als außer­ ordentlich geeignet erweisen. Ihm konnte man alle wichtigen Programmpunkte zuordnen, die sich im Laufe der Auseinandersetzung mit Antonius und danach beim Aufbau der neuen Ordnung ergaben. Apollo stand für Moral und Disziplin.

40. Rom, Palatin. Apollontempel und Augustushaus. Eine Rampe (R) verbindet die tiefer gele­ genen Wohnräume und das Peristyl direkt mit dem Tempelvorplatz.

Schon als sich die beiden Triumvirn nach Abschluß der Verträge von Brundisium (in denen sie 40 v. Chr. das Reich in Ost und West untereinander aufgeteilt und Lepidus mit Africa abgefunden hatten) gegenseitig zum Gastmahl einluden, soll sich Octavian eines „soldatischen“ und „römischen“ Stils, Antonius dagegen eines „asiatisch-ägyptischen“ bedient haben (Dio 48,30). Apollo war der Reiniger und Rächer jeder Art von Vermessenheit. Als solcher konnte er auch für die nationale Sache Italiens stehen, als man den Entscheidungskampf unter das Motto stellte: Italien gegen den Orient und seine luxuria, gegen Ägypten, seine tierköpfigen Götter und seine Unzucht. Später nach dem Sieg aber wandelte sich Apollo und wurde als Sänger mit der Kithara zum Gott des Friedens und der Ver­ söhnung. Und als mantischer Gott der Sibylle und Sphinx konnte er endlich das längst verheißene neue Zeitalter heraufführen.

Die programmatischen Münzserien Octavians Apollo bot aber auch einen sehr viel flexibleren Handlungsrahmen als Dionysos, der den Antonius zumal im kulturellen Klima Alexandriens ganz einseitig und eng an seine Rolle band. Neben Apollo und Diana dagegen hatten auch andere Götter Platz. Nicht nur Neptun, der von Sextus Pompeius zu Octavian überge­ gangen war, auch die Ahnfrau Venus und mit ihr der rächende Mars, Merkur und Jupiter selbst stellten sich hinter den dux Italiae, als es um die Entscheidung ging. So verkündeten es jedenfalls die vielen prächtigen Silberdenare, die zum Teil bereits vor der Schlacht von Actium geprägt wurden und mit denen Octavian seine Truppen entlohnte. Diese Münzen, auf denen auch die drei oben betrachteten Statuen dargestellt sind, wurden - wie heutzutage Briefmarkensätze - in Zweier- und Dreierserien ediert, wobei die Bilder der Gottheiten und die Darstellungen Octavians aufein­ ander bezogen wurden. Zu den ersten Prägungen gehören zwei Serien von je drei Münzen (Abb. 41, 42). Während auf der einen Serie der Kopf der Gottheit auf der Vorderseite und eine ganzfigurige Darstellung Octavians auf der Rückseite gezeigt wird, erscheint auf der zweiten das Bildnis Octavians auf der Vorderseite und eine ent­ sprechende ganzfigurige Darstellung derselben Gottheiten wie in der ersten Serie auf der Rückseite. Legt man die drei Münzen mit den Göttinnen und ihre Pen­ dants nebeneinander, so kann man sie in programmatischer Abfolge lesen: O cta­ vian wendet sich vor der Schlacht im Gestus der adlocutio an H eer und Gefolg­ schaft. Ziel des Kampfes ist wie immer der Frieden. Die Friedensgöttin trägt Füllhorn und Lorbeer. Auf der zweiten Münze führt Octavian sein H eer mit pathetischer Gebärde in den Kampf. Er steht unter dem Schutz der Venus Gene­ trix, die auf der einen Münze einen reichen Halsschmuck trägt, auf der andern sinnend die Waffen des Mars betrachtet, wobei das sidus lulium bedeutungsvoll auf dem Schild leuchtet. Die dritte Münze aber feiert den Sieger. Victoria eilt ihm 61

4 1 . Denare

Octavians, vor 31 v.Chr. Dreierserie A : Auf der Vorderseite jeweils das Bildnis Octavians, auf den Rückseiten die Gottheiten Pax, Venus und Victoria.

auf der Weltkugel entgegen, er selbst ist in Form der oben besprochenen Ehren­ statue in Neptunspose dargestellt. In der Situation unmittelbar vor Actium war dies ein eingängiges Programm. Es entspricht im übrigen Punkt für Punkt den Topoi der Rede Octavians vor der Schlacht, wie sie Cassius Dio später zusam­ mengestellt hat (50, 24 ff.) : Verweis auf frühere Leistungen, Götterschutz, Seg­ nungen des Friedens als Folge des Sieges. Andere Münzen derselben Edition von Silberdenaren lassen sich in ähnliche Serien ordnen. So verband man z.B. zwei Ehrenmonumente für den Sieg über Sextus Pompeius (Tropaion und Bogen) mit der von Octavian neu erbauten Curia (Abb. 43 c), die für das schon 36 v. Chr. abgegebene Versprechen stand, den Staat wiederherzustellen. Die Münze mit der columna rostrata (s. Abb. 32 b) wurde mit einem Münzbild des Gottes Mercurius verbunden, der Frieden und Wohlfahrt verhieß. Nie zuvor waren in Rom so schöne Münzen geprägt worden. Hier wurde die Ästhetik bewußt in den Dienst der Politik gestellt. Im Gegensatz zu den meist überladenen und schwer lesbaren Münzen der spätrepublikanischen Zeit (s. Abb. 11) mußte die Klarheit und Einfachheit der neuen Münzbilder Aufmerk­ samkeit erregen. Auf Beischriften mit Ausnahme des Namens des Gefeierten konnte man verzichten. Diese Bilder sprachen auch ohne Kommentar, ja sie wirkten sehr viel suggestiver auf dem leeren Hintergrund. Entsprechungen und Gruppen erregten zudem vielleicht Sammellust. Auch das lenkte die Aufmerk­ samkeit auf den Gehalt. 62

42. Denare Octavians, vor 31 v.Chr. Dreierserie B: Auf den Vorderseiten die Köpfe derselben Gottheiten wie Abb.41, auf den Rückseiten Octavian: a) Er spricht zum Heer, b) Ergibt das Zeichen zum Angriff, c) Siegerstatue Octavians.

Unter dem Aspekt der Götteridentifikation verdient ein Münzpaar dieser Serie besondere Aufmerksamkeit (Abb.44). Auf der einen Münze ist eine Götterherme dargestellt, auf der anderen der Kopf dieser Herme (beide Male mit Blitzbündel). Dabei trägt die Gottheit aber eindeutig die Züge Octavians. Zweifellos handelt es sich auch hier um die Darstellung eines stadtrömischen Monumentes. Octavian geht also in dieser Phase soweit, sein Bild mit dem der Gottheit zusammenfließen zu lassen, d.h. er bedient sich in Italien derselben Mittel wie die hellenistischen Könige und wie Antonius im Osten. Nur waren es andere Götter, denen er sich angleichen ließ. Schon Sextus Pompeius hatte auf Münzen das Bildnis des Gottes Janus mit den Porträtzügen seines Vaters als Friedensversprechen gezeigt. Dies mag die Anre­ gung für die beiden eigenartigen, schwer zu deutenden Münzen Octavians gege­ ben haben. Vielleicht ist Iupiter Feretrius in der Herme gemeint, dessen verfalle­ nen Tempel auf dem Kapitol Octavian unmittelbar vor der Schlacht von Actium auf Anraten des T. P. Atticus wieder aufgebaut hatte (Nep. Att. 20,3). Das Heilig­ tum soll ursprünglich von Romulus erbaut worden sein, der hier angeblich die Waffen eines eigenhändig erschlagenen Gegners weihte (spolia opima). Am Vor­ abend der Schlacht war das eine eindrucksvolle symbolische Handlung. Die etwa zur gleichen Zeit auf unser Münzbild geprägte Herme könnte das neue Kultbild des Iupiter Feretrius sein, womit man das urtümliche Kultmal ersetzte. Das Blitz­ bündel unter dem Hermenschaft sicherte jedenfalls einen Zusammenhang mit 63

43. Denare Ociavians. Dreierserie mit Siegesmonumenten: a-b) Denkmäler für den Sieg über Sextus Pompeius, c) Curia lulia.

einer spezifischen Jupiteridentifikation. Auch muß die Gottheit mit dem Sieg Octavians Zusammenhängen; denn auf der Rückseite der Pendantmünze sitzt er in der toga auf der sella curulis mit der Victoria in der Hand : Beamter und Herr­ scher zugleich! Mit dieser Münze stoßen wir wieder auf dieselbe Programmatik: Götternähe Octavians, Verheißung des Sieges und der Rückkehr zu geordneten Verhältnis­ sen. Die Konzeption zumindest des hier besprochenen Teils der berühmten Sil-

44. Zwei Denare Octavians, vor 31 v. Chr. a) Octavian - Jupiter-Herme, b) Kopf der Herme mit den Zügen Ociavians - Octavian auf der sella curulis mit Victoria auf der Hand.

64

berdenare scheint tatsächlich die Situation vorder Entscheidungsschlacht wider­ zuspiegeln. Die Münzen fanden zweifellos viele aufmerksame Betrachter. Anders als in unserer, von optischen Reizen überfluteten Zeit waren neue Bilder damals etwas Besonderes. Und hier wurde in edlem Metall gleichzeitig eine ganze Fülle schöner neuer Bilder verbreitet. Die Prägungen waren ungewöhnlich zahlreich und zirkulierten, wie die Fundplätze zeigen, überall im Westen des Reiches.

Die problematischen Bilder des Antonius M. Antonius machte es seinen Gegnern leicht. Er kümmerte sich nicht um die Wirkung der von ihm benutzten Bilder und Zeichen in Rom und Italien. W äh­ rend er sich bei den gegenseitigen Diffamierungen in Briefen, Pamphleten und Reden der üblichen Topoi bediente und Octavian z. B. in alter Aristokratenma­ nier dunkle Herkunft, Feigheit in der Schlacht und Wortbruch vorwarf, beuteten die Octavianer die Angriffspunkte, die sich aus Antonius’ Dionysosidentifikation ergaben, gnadenlos aus. Die Schlagwörter, mit denen man früher gegen die dio­ nysischen Mysterienvereine vorgegangen war, boten ein handliches Arsenal, um die dionysische Schwärmerei des Antonius als Ausdruck fremdländischer U nm o­ ral und luxuria zu denunzieren: Was Antonius mit seinen Leuten und der Kleo­ patra im Osten trieb, war ein Ausbund derselben Verweichlichung und Sittenver­ derbnis, die Rom in den letzten Generationen an den Abgrund gebracht hatten. Auch erinnerten sich die Alten noch, wie der König Mithridates als ein neuer Dionysos die Kräfte des Ostens an sich gebunden und Roms Herrschaft bedroht haue. Dagegen konnte sich der Apolloschützling Octavian als Mann der O rd ­ nung und Moral profilieren. Schon früher hatte Apollo in kritischen Augenblikken auf seiten der Römer gestanden. Nach dem endgültigen Bruch wurden die Anwürfe gegen Antonius vollends primitiv: Er sei im Osten völlig entartet, gottlos und verweichlicht geworden, ständig betrunken und von Kleopatra verhext. Wie anders sollte man verstehen, daß der römische General erobertes Gebiet an die Kinder der ägyptischen Köni­ gin verschenkte und in seinem Testament sogar verfügte, er wolle an der Seite Kleopatras in Alexandrien bestattet werden? Antonius war kein Römer mehr, ein Krieg gegen ihn also auch kein Bürgerkrieg. „Sein Feldhermgebäude nannte er Königspalast. Er trug einen orientalischen Dolch am Gurt und kleidete sich ganz gegen die Sitten seines Vaterlandes. Selbst in der Öffentlichkeit erschien er auf einer Kline (als Dionysos) oder auf einem goldenen Thron (als König). Zusammen mit Kleopatra ließ er sich auf Gemälden und in Statuen als Osiris und Dionysos darstellen, wobei sie als Selene und Isis dargestellt wurde. Dies mehr als alles andere erweckte den Eindruck, er sei durch sie verhext“ (Cass. Dio. 50,5). Diese für die Mobilisierung Italiens und die Bereitschaft zum Krieg wichtige Diffamierungskampagne wurde natürlich vor allem in Reden geführt. Aber es 65

45 a, b. Formschüssel für arretinlsche Tonbecher, um 30 v. Chr. Herakles und Omphale auf Kentaurengespannen in Anspielung auf Antonius und Kleopatra, a) Omphale/Kleopatra.

sind auch Bildzeugnisse erhalten geblieben, die zeigen, wie eng auch hier Bild und Wort ineinandergriffen, so daß die Reden gerade durch die Benutzung ent­ sprechender Bilder wirksam wurden. Die Statuen, die M. Antonius in Gestalt des Dionysos zeigten, konnte man wohl nur im Osten sehen. Aber auf der Seite Octavians tat man alles, um das Skandalöse dieses Faktums zu beschwören. Das war nicht schwer. Es gab ja über­ all Dionysosstatuen, auf die man verweisen, auf deren femininen Körpern man sich das Porträt des Antonius vorstellen konnte. Für die Gebildeten bemühte sich M. Valerius Messala Corvinus vielleicht um eine differenziertere Argumentation. Seine beiden (verlorenen) Streitschriften mit den Titeln de Antonii statuis und contra Antonii litteras entstanden jedenfalls in diesem Zusammenhang. Die dio­ nysischen Statuen und der üppige „asianische“ Redestil des Antonius werden darin als Ausflüsse ein und desselben Ungeistes gebrandmarkt worden sein. Ein schönes Beispiel für die Verunglimpfung des Antonius mittels mytholo­ gischer Bilder ist der (schon für Perikies verwendete) Vergleich mit dem in Omphale verliebten und in ihren Diensten verweichlichten Herakles. „Wie auf Gemälden Omphale dem Herakles die Keule wegnimmt und sein Löwenfell anzieht, so entwaffnete oft Kleopatra den Antonius und umgaukelte ihn. Dann ließ er sich von wichtigen Terminen und notwendigen Feldzügen abhalten, nur um mit ihr an den Ufern des Kanopus und Taphosiris herumzu­ schwärmen und sich mit ihr zu vergnügen“ (Plut. Ant. et Demetr. 3,3). 66

Eine entsprechende Darstellung gab es auf einem überaus fein gearbeiteten frühaugusteischen Silberbecher, dessen Modell einer der Keramikwerkstätten in Arezzo zur Verfügung gestellt wurde. Der Silberbecher ist verloren, aber meh­ rere tönerne Formschüsseln und Becherfragmente sind erhalten geblieben (Abb.45a, b). Sie bezeugen, daß Becher mit diesem Bild eine vergleichsweise große Verbreitung fanden. Herakles-Antonius sitzt in weichen und durchsichtigen Frauenkleidem auf einem von Kentauren gezogenen Wagen. Sehnsüchtig schmachtend schaut er sich nach Omphale um, die in einem zweiten Wagen folgt. Hinter Herakles’ Wagen gehen zwei Dienerinnen, die eine mit einem Fächer, die andere mit einem Sonnenschirm: Die Haut des weibisch gewordenen Helden ist empfindlich geworden (vgl. Horaz, Epoden 9,15 f.). - Die hinter ihm fahrende OmphaleKleopatra aber trägt stolz den Löwenskalp als Kopfschmuck und hält die Keule des Heros in der Hand. Eine Dienerin überreicht ihr einen überdimensionierten Becher. Das zielt direkt auf Kleopatra, die von der Octavians-Partei (Hör. carm. 1,37 und Properz 3,11,56) als trunksüchtig verschrien wurde. Die würdig hinter dem Wagen marschierenden Männer tragen auf den meisten Darstellungen Speere. Angespielt wird hier auf die Speerträger (Doryphoroi) der Garde Kleopa­ tras. Laut Octavians Hetzreden waren römische Soldaten zu diesem Dienst erniedrigt worden. Auf dem hier abgebildeten Exemplar aber hat die Garde breite Gegenstände geschultert, die man wohl als riesige Trinkhörner interpretieren 67

46. Alter Mann mit Efeu­ kranz und Kaniharos beim dionysischen Gelage. Durch die Porträtzüge erhält das Bild den Charakter eines per­ sönlichen Bekenntnisses zu Dionysos. Um 50 v.Chr.

darf, mit deren Inhalt der unermeßliche Durst der ebria regina gestillt werden sollte. M. Antonius verteidigte sich gegen den Vorwurf der Trunkenheit in einer leider ebenfalls verlorenen, in der frühen Kaiserzeit aber noch erhaltenen Schrift mit dem selbstbewußten Titel de ebrietate sua („Über seine Trunkenheit“). Wahr­ scheinlich hat er darin nicht nur ungerechtfertigte Vorwürfe zurückgewiesen, sondern auch die Größe seines Gottes, des Befreiers und Sorgenlösers gepriesen. Die Schrift wandte sich an Leute, die nicht nur lesen konnten, sondern deren hel­ lenistische Kultur auch festliches Gastmahl und dionysisches Symposium ein­ schloß. Männer dieser Art gab es viele in Rom. Welchen Stellenwert sie dem dio­ nysischen Gelage einräumten, zeigt ein Zecher, der sich sogar mit dem Kantharos in der Hand verewigen ließ (Abb.46). M. Antonius hatte also trotz aller Verunglimpfungen nach wie vor sein Publi­ kum in Rom. Es gab dort Leute, die „sein luxuriöses Leben und seine Üppigkeit (tryphai), seine Exzesse und seine Selbstverherrlichung als Heiterkeit und Menschlichkeit erklärten und als glanzvolle Darstellung von Macht und Glück priesen“ (Plutarch, Mor. I 56E). Ansehen genoß M. Antonius offenbar vor allem in den Kreisen der jeunesse dorée, die den genußreichen Lebensstil des Ostens liebte, die als .Private1 ganz der Kunst und Kultur lebte. Eine Vorstellung von dieser Welt geben die neoteri68

sehen Dichter und die Liebeselegien eines Tibull und Properz. Jasper Griffin hat in zwei faszinierenden Artikeln gezeigt, wie eng Dichtung und Lebenswirklich­ keit in diesen Kreisen zusammenhingen, wie für Properz die Gestalt des Antonius geradezu zum Modell für ein heroisches Liebesieben wurde. Der Dichter stili­ sierte den großen Feldherrn zum Protagonisten eines hedonistischen Lebens­ ideals, das ohne Bedenken sogar explizit gegen die Werte der römischen virtus gesetzt wurde. Von einer Nacht bei der Geliebten sang Properz noch, als sich Octavian als Alleinherrscher bereits fest etabliert hatte: „In einer solchen Nacht kann jeder von uns zum Gott werden. Wenn nur alle ein solches Leben führen und mit vom Wein beschwerten Gliedern ausgestreckt liegen wollten! Dann gäbe es kein grausames Schwert, keine Kriegsschiffe, und das Meer von Actium würde nicht mit den Gebeinen der Unseren spielen. Dann brauchte Rom sich nicht immer wieder in Trauer über die gegen sich selbst errun­ genen Triumphe die Haare lösen“ (Prop. II 15,39-47). Das war kühn. Hier wurde nicht nur Kritik am Bürgerkrieg geübt, sondern offen eine alternative Lebenseinstellung propagiert. Wie sehr M. Antonius und seine Helfer von solchen Vorstellungen erfüllt waren und diese bedenkenlos selbst auf Münzen propagierten, zeigt eine seltene „Flottenprägung“. Auf der Vorderseite sind die Bildnisse von Antonius und Octavians Schwester Octavia, mit der er danach noch verheiratet war, einander gegenübergestellt, als handle es sich um ein ägyptisches Königspaar. Auf der Rückseite aber sieht man die beiden wie Poseidon und Amphitrite als glückliches Paar übers Meer ziehen (Abb.47). Selig verliebt umarmt der römische Triumvir auf dem von Hippokampen gezoge­ nen Wagen seine Frau: Das der erotischen Dichtung entnommene Bild steht als Symbol für den erneuerten politischen Pakt und zugleich als Bekenntnis zum Lebensgenuß! Aber Antonius war kein Privatmann wie die Dichter, die so begei­ stert ausriefen, wie gleichgültig ihnen alles sei, was mit Politik, Geschäft oder gar Krieg zusammenhing. Die Freunde der sentimentalen Lyrik in Rom waren zwar begeistert, als sie sahen, daß ihr Idol gegen alle römische Tradition die Courage hatte, zuerst das Bild seiner Frau Octavia und später sogar das seiner Geliebten Kleopatra (Abb. 48) auf die Münzen zu setzen. Aber mit solchen Bildern und ent­ sprechenden Äußerungen lieferte sich Antonius heillos der Propaganda der Partei Octavians aus. Dabei war sein Scheitern letztlich eine Folge der Unverein­ barkeit des traditionellen römischen Selbstverständnisses mit dem hellenistischen Lebensgefühl.

47. Sesterz aus der Flottenprägung des M.Antonius. Korinth (?), um 36/35 v.Chr. a) Antonius und Octavia, b) Das Paar wie Poseidon und Amphitrite auf einem von Hippokampen gezogenen Wagen.

69

48. Denar des Antonius, 32 v.Chr. a) Antonius, hinter seinem Bildnis die armenische Tiara als Anspielung auf seine Eroberungen im Osten, b) Kleopatra mit Diadem, vor ihrer Büste ein Schiffsbug als Hinweis auf ihre Kriegsschiffe.

Die mythischen Zeichen und Bilder boten den Zeitgenossen aber auch Mög­ lichkeiten, ihre Sympathien mit der einen oder anderen Seite bzw. mit dem einen oder anderen Lebensstil zum Ausdruck zu bringen. Es zeigt sich mehr und mehr, daß politische Anspielungen in Dichtung und Bildersprache - auch auf Gegen­ ständen des privaten Lebensbereichs vom Schmuck der Wahnräume über das Tafelgeschirr bis zum Siegelring - sehr viel enger Zusammenhängen als man bis­ her gesehen hat. So kann man z.B. beobachten, daß auf den Wandmalereien des sog. zweiten Stils Attribute und Symbole Apollos und Dianas etwa gleichzeitig mit der Entfaltung der entsprechenden Programmatik Octavians auftauchen (s. Abb. 209). In diesem Zusammenhang verdienen zwei „Reliefbilder“ besonde­ res Interesse. Sie gehören einer späthellenistisch-kaiserzeitlichen Gattung an und dienten in die Wand eingelassen als Raumschmuck. Von beiden Bildtypen sind auffällig viele Repliken erhalten, die nach stilistischen Kriterien zumeist aus den Jahrzehnten nach Caesars Tod stammen. Während die Szenerie des Hintergrunds und die Kompositionsprinzipien auf beiden Bildern sehr ähnlich sind, ist der Figurenstil hier und dort völlig verschie­ den. Auf dem einen Relief (Abb. 49) zieht Dionysos mit seinem weinseligen Thia­ sos unter Flötenklängen im Haus eines seiner Verehrer ein. Man denkt unwill­ kürlich an den Einzug des Antonius in Ephesos. Der trunkene Gott stützt sich auf einen kleinen Satyr, ein anderer eilt, ihm die Schuhe auszuziehen. Neben dem Verehrer, der den Gott freudig begrüßt, liegt eine Frau auf der Kline und bestaunt das wundersame Bild. Masken zu Füßen des Bettes weisen auf die Welt des Theaters. Hinter dem Gott steht - auf hohem Pfeiler durch die Komposition deutlich betont - ein Weihrelief für ihn selbst; auf einer anderen Replik aber sieht man darauf - so gar nicht ins private Glück passend - eine Victoria auf galoppie­ rendem Gespann. Beim anderen Relief (Abb. 50) spielt Victoria eine sehr viel größere Rolle. In einem heiligen Bezirk schreitet die apollinische Trias feierlich auf einen Altar zu. Victoria gießt dem Apollo Wein in die Opferschale. Im Hintergrund steht ein 70

49. Der trunkene Dionysos mit seinem Gefolge besucht das Haus eines Verehrers, der ihn, neben seiner Freundin liegend, wie eine Erscheinung wahrnimmt, 40-30 v.Chr.

Tempel, der auf anderen Repliken große Victorien als Akrotere trägt. Links und rechts von den Gottheiten tragen hohe Pfeiler einen Dreifuß bzw. eine altertümli­ che Apollostatue. Auch wenn ihre Ikonographie zum Teil aus früherer Zeit stammt, müssen die beiden Reliefs angesichts wachsender politischer und moralischer Polarisierung zwischen apollinischer und dionysischer Programmatik mit neuen Augen gese­ hen worden sein. Die entsprechenden Assoziationen lagen damals auf der Hand, ganz gleich, ob Besteller und Erfinder das intendiert haben oder nicht. Der Zeit­ genosse, der den spektakulären Neubau des Apollotempels in Rom erlebte, kann weder den Tempel hinter der apollinischen Trias noch die Victoria .neutral“ betrachtet haben. Im Gegensatz zur hellenistisch-barocken Formensprache des Dionysoseinzugs sind die Gestalten des Apolloreliefs in einem hieratisch-archaistischen Stil darge­ stellt. Dies ist die Sprache, der sich das neue Regime im Zusammenhang mit sei­ ner religiösen Erneuerungspolitik bald programmatisch bedienen sollte. Es scheint, als könne man auch den Stilkontrast der beiden Reliefs mit dem gegen­ sätzlichen Selbstverständnis der beiden Lager in Zusammenhang bringen. Auch in der Redekunst war Antonius ein Anhänger des prunkvollen und sinnlichen „asianischen Stils“ (Suet. Aug. 86,2), der Sprache des Ostens, die nach Meinung der Klassizisten (Attizisten), denen sich Octavian angeschlossen hatte, nicht nur ästhetisch höchst unerfreulich, sondern auch Ausdruck moralischer Verderbtheit 71

50. Apollo mit seiner Schwester Diana und seiner Mutter Latona bei einem Siegesopfer mit Victoria. Die Gottheiten sind in archaistischer Manier dargestellt. Der Tempel im Hintergrund spielt vermutlich auf Octavians Bau auf dem Palatin an, links ein Dreifuß auf hohem Pfeiler. Relief, um 30 v.Chr.

war. Talis hominibus fait oratio qualis vita - „wie der Rede- so der Lebensstil“ liest man später bei Seneca (epist. 114,1). Über die Vorzüge und Nachteile der beiden Stilrichtungen hatte die hellenisti­ sche Welt schon lange diskutiert. Jetzt wurde der Diskurs in die politische Kon­ troverse hineingezogen. Aus einem ästhetischen Problem wurde eine Frage der Moral und Weltanschauung. Nicht nur der Inhalt der Bilder, auch ihr Stil wurde jetzt politisiert. Wir werden später sehen, wie sehr die Entscheidung Octavians für den „Attizismus“ das Bild der augusteischen Kunst geprägt hat. Die affektbetonte Kunst des Hellenismus jedenfalls hatte nach Octavians Sieg fürs erste keine große Zukunft mehr. Sinnlich unmittelbare Vergegenwärtigun­ gen der großen Führer, dramatische Massenszenen und Schlachtgewühl gab es in der augusteischen Staatskunst nicht. Denn das war die Sprache der „asianischen“ Rhetorik, und diese galt zuletzt als Inbegriff für die verdorbene Luxus- und Lasterkultur des Ostens, der Antonius verfallen war. Man kann sich an dieser Stelle fragen, ob die römische Kultur bei einem Sieg des Antonius ein anderes Gesicht gewonnen hätte. Sicher gilt das nicht für den Ausbau der Monarchie und die Entwicklung einer Massenkultur. Aber das Gesamtbild hätte sich doch wohl in vielem verschieden entwickelt. Vor allem das Selbstverständnis der Kaiser wäre ein anderes geworden. Der Monarch hätte sich 72

gewiß stärker am Vorbild der hellenistischen Könige orientieren können (wie Nero es später versucht hat). Das hätte stärkere emotionelle Beziehungen zwi­ schen Herrscher und Volk ermöglicht. Ob es überhaupt zu einem Principatsstil gekommen wäre? Vielleicht hätte sich die Sehnsucht nach einer Erlösungsreli­ gion mit dem unvermeidlichen Herrscherkult verbunden. Es ist bezeichnend, daß sich unter den vielen Götterangleichungen der römischen Kaiser niemals die mit Dionysos findet, die im Hellenismus doch die vorherrschende war. Diese Rolle war durch Antonius verspielt worden. Im Bereiche der Kunst liegt es auf der Hand, daß der Klassizismus bei ande­ rem Kriegsausgang kein solches Übergewicht gewonnen hätte, daß die Kunst hellenistisch geblieben, die ganze römische Kultur sehr viel „asianischer“ gewor­ den wäre. Aber das sind natürlich müßige Überlegungen.

Baukonkurrenz und Formenvielfalt Nach den gewaltigen Repräsentationsbauten des Pompeius und des Caesar wur­ den in dem Jahrzehnt des zweiten Triumvirats (42-32 v. Chr.) keine ähnlich gro­ ßen Monumente mehr fertiggestellt. Gleichwohl herrschte bei den Architekten Roms hektische Aktivität. Vieles wurde geplant und angefangen, aber das meiste davon konnte erst nach der Entscheidungsschlacht zu Ende geführt werden. Auch der Bildschmuck der Bauten ehemaliger Antonius-Anhänger ist daher vom Augustuslob bestimmt. Octavian war in den dreißiger Jahren der wichtigste Bauherr in Rom, aber neben ihm gab es etliche andere, die Tempel und öffentliche Bauten errichteten. Die gegenseitige Konkurrenz führte zu ungewöhnlichen Konzeptionen, zu immer mehr Dekor und zu hybriden Einzelformen. Octavians Apolloheiligtum und sein riesiges Mausoleum auf dem Marsfeld aber übertrafen an Maßen und Aufwand alle anderen Bauten. Nie zuvor hatte Rom so viele Triumphe in so kurzer Zeit - und aus so gering­ fügigen Anlässen - gefeiert. Die Triumphatoren waren dabei in der Regel nicht unabhängig, sondern bei ihren aus der Kriegsbeute finanzierten Bauten ging es immer auch darum, die Präsenz der jeweiligen politischen Gruppe auf der Bühne der Hauptstadt zu verstärken. Trotzdem waren im Gegensatz zu später auch die Anhänger Octavians, der die römische Szene dank seiner Anwesenheit beherrschte, in der Wahl der zu errichtenden Bauten noch relativ frei. Deshalb geben die damals projektierten Bauten sowohl eine interessante Vorstellung von dem, was an Programmatik ,in der Luft lag“, als auch vom Nebeneinander der Stil- und Geschmacksrichtungen vor der offiziellen Propagierung des augustei­ schen Klassizismus. Nachdem Caesar begonnen hatte, den Quirinustempel zu erneuern, nahmen sich auch andere der verfallenen Tempel an. Der Appell des Varro fand angesichts der Krisensituation offenbar Gehör. Munatius Plancus übernahm nach seinem 73

Triumph ex Gallia den Neubau des ehrwürdigen Saturntempels auf dem Forum Rom anum . C. Sosius, ein anderer Anhänger des Antonius, projektierte nach sei­ nem Triumph ex Judaea (34 v. Chr.) einen neuen Apollo-Tempel in Circo. Ein Gefolgsmann Octavians, Cn. Domitius Calvinus, der 36 v.Chr. über Spanien trium phiert hatte, baute die kurz zuvor abgebrannte Regia am Forum wieder auf. D. Cornificius, ein M ann ohne Ahnen, der sich gegen Sextus Pompeius bewährt hatte und 33 v. Chr. ex Africa triumphieren konnte, übernahm den Neubau des alten Dianatempels der plebs auf dem Aventin. D er auf einem Fragment der Forma Urbis überlieferte Grundriß dieses Tem­ pels der Diana Cornificia zeigt, daß L. Cornificius den Apollotempel Octavians an Aufwand eindeutig übertroffen hat, jedenfalls was das Tempelgebäude selbst anlangt. D er Bau war ein vielsäuliger Dipteros in ostgriechischer Tradition mit 8 Säulen in der Front und doppelter Säulenstellung an den Langseiten, während Octavians Apollotempel nur 6 Säulen in der Front und Halbsäulengliederung hatte (Abb.51 a). Der Wunsch, den Konkurrenten zu übertreffen, ist bei dem drei Jahre nach dem Apollotempel geplanten Dianatempel unübersehbar. Auch des C. Sosius neuer Apollotempel in Circo versucht, den Tempel auf dem Palatin durch engere Säulenstellung und aufwendige Innenarchitektur zu überbieten (Abb.51 b). Andererseits überragte aber das Apolloheiligtum Octavians alle anderen Tem­ pelbauten durch die Art der Inszenierung und die Verbindung mit dem Wohn­ haus des Bauherrn. Der palatinische Apollotempel lag auf hohen Substruktionen

51. Maßstabgleiche Grundrisse der Apollotempel des Octavian und des C. Sosius, Der spätere Entwurf (rechts) ist aufwendiger gestaltet.

52. Blick auf den Apollotempel und das Augustushaus auf dem Palatin. Modell.

wirkungsvoll über dem Circus Maximus (Abb. 52) und war darin den großen Heiligtümern von Palestrina und Tivoli vergleichbar. Auch die komplizierte Ver­ bindung der auf verschiedenen Ebenen angeordneten Bauteile, Höfe und Gärten (Treppen, Tempelareal, heiliger Hain, Haus des Augustus, Porticus der Danaiden, Bibliotheken) war in Rom bis dahin ohne Beispiel. Vielleicht ergab sich die­ ses Agglomerat ebenfalls erst nach und nach als Folge der Baukonkurrenz. Sein Anblick vom Circus Maximus aus und der Ausblick von ihm hinüber zum Aven­ tin, wo man den Neubau des Cornificius sehen konnte, müssen jedenfalls äußerst eindrucksvoll gewesen sein. Auch die schnelle Steigerung der Fülle und Vielfalt des Baudekors erklärt sich aus dem Bedürfnis, sich gegenseitig zu überbieten und möglichst viel Aufmerk­ samkeit auf das eigene Werk zu lenken. Am Beispiel des Konsolengebälks kann man verfolgen, wie sich dieses - gerade erst in den Tempelbau aufgenommene Schmuckelement im Laufe weniger Jahre zu höchster Prachtentfaltung entwikkelte. Die einfachen Formen an Saturntempel (Abb. 53 a) und Regia werden in 75

53. Rom, Konsolengebälke a) des Saturntempels, b) des Apollotempels des C. Sosius. Die Bau­ herren überbieten sich im Reichtum des Dekors.

wenigen Jahren zu der Ornamentfülle am Apollotempel des Sosius gesteigert (Abb.53b). Dasselbe gilt für Säulenbasen, Kapitelle, Fries und Gebälk (Abb.54, 55, 72). C.Sosius (Konsul 32v.Chr.) hatte bei Actium noch auf der Seite des Antonius gekämpft und war danach zu Octavian übergelaufen und begnadigt worden. Der einzigartige Aufwand an seinem Tempel wurde deshalb auf beson­ dere Weise zur Huldigung an Apollo und dessen Schützling. Sogar der auf dem Fries dargestellte Triumphzug war nicht der des Bauherrn, sondern der des Octa­ vian (Abb.55). Die Belohnung blieb nicht aus: Bei der Saecularfeier 17 v.Chr. konnte man C. Sosius, den ehemaligen Antonianer im Zug der Apollo-Priester, der X V viri sacrisfaciundis, sehen. Noch bevor durch Augustus’ Kulturpolitik die reiche Fülle der Architektur­ dekoration unter dem Motto „für die Götter das Beste“ zur ideologischen Forde­ rung erhoben wurde, war also schon in den dreißiger und frühen zwanziger Jah­ ren die Formenvielfalt durch den Anspruch der zahlreichen Bauherren, sich gegenseitig auszustechen, sprunghaft gestiegen. In den verschiedenartigen Grundrißlösungen und im Nebeneinander korinthi­ scher, ionischer und dorisch-tuskanischer Ordnung spiegelte sich damals noch der Formenreichtum des späten Hellenismus. Man war in den dreißiger Jahren weit entfernt vom späteren Einheitsbild der frühkaiserzeitlichen Tempel. Dieses steht nicht am Ende einer kontinuierlichen ,Entwicklung“, sondern ist - wie noch 76

54. a) Kapitell des Apollotempels auf dem Palatin, nach 36 v.Chr. b) Kapitell des Apollotem­ pels des C.Sosius, um 25 v.Chr.

zu zeigen sein wird - die Konsequenz der ideologischen Vorgaben, nach denen die Architekten des Augustus ihre vorbildhaft wirkenden Tempel konzipierten. Dem Nebeneinander der Baustile entspricht ein Nebeneinander verschiedener Geschmacksrichtungen in Rhetorik, Literatur und Kunst. Dafür sind die Monu­ menta Asinii Pollionis ein gutes Beispiel. Asinius Pollio (Konsul von 40 v.Chr.) war ein Caesarianer gewesen, hatte 39 v. Chr. über die Parthiner in Dalmatien tri­ umphiert, sich danach aber aus der Politik zurückgezogen und eine auch gegen­ über Octavian kritische Zeitgeschichte geschrieben. Aus den Beutegeldern erneu­ erte der literarisch gebildete Mann das Atrium Libertatis am Fuß des Capitol. Schon die Wahl dieses Baus war im politischen Klima jener Jahre keine Loyali­ tätskundgebung für die Triumvirn. Einem Wunsch des ermorderten Caesar fol­ gend, richtete Asinius Pollio in seinen monumenta die erste öffentliche Bibliothek griechischer und lateinischer Autoren in Rom ein. Darin stellte er auch Bildnisse der Autoren auf. Der einzige lebende Zeitgenosse, dem diese Ehre zuteil wurde, war der Polyhistor Terentius Varro, von dem noch zu sprechen sein wird. Als bald darauf Octavian in seinem Apolloheiligtum ebenfalls eine griechische und lateini­ sche Bibliothek zu bauen begann, mußte auch dies als Konkurrenz verstanden werden. Mit der Bibliothek des Pollio war eine prächtige Kunstsammlung verbunden. Dank der Beschreibung beim älteren Plinius gewinnt man eine Vorstellung vom Geschmack des Sammlers. Asinius Pollio liebte hellenistische Kunst in allen ihren Spielarten. Selbst die theatralische Gruppenkomposition des Farnesischen Stiers konnte man bestaunen. Satyrn, Mänaden, Kentauren, Dionysosstatuen, Wasser­ nymphen u.ä. müssen der wohl in einer Gartenanlage aufgestellten Sammlung einen heiteren Charakter verliehen haben. Das Ganze bot für den Zeitgenossen einen eklatanten, wahrscheinlich auch sehr erfreulichen Kontrast zu Octavians programmatischen Bekenntnis zur archaischen und klassischen Kunst, deren ern­ ste Feierlichkeit man bald darauf im Apolloheiligtum besichtigen konnte. 77

55. Rom, Apollotempel in circo. Friesblock. C .Sosius verherrlicht den dreifachen Triumph Octavians, nicht seinen eigenen. Die nördlichen Barbaren tragen lange Hosen (Illyrier?).

W ie die Bibliothek, so war auch die Kunstsammlung des Asinius Pollio öffent­ lich zugänglich. Spectari monumenta sua voluit - „er wollte, daß seine Sammlun­ gen besucht würden” (Plin. ». h. 36,33). Das paßte besser ins Programm des künf­ tigen Princeps als der „asianische“ Geschmack des Sammlers. In der zugespitzten Situation vor dem neuen Bürgerkrieg wurde dieses betont unpolitische Monu­ m ent natürlich auch zu einem Plädoyer. Die Dichter der Liebeselegien werden sich hier wohl gefühlt haben. Asinius Pollio war der einzige ,neutrale“ Bauherr, einer der wenigen Großen, die sich nicht an der Entscheidungsschlacht bei Actium beteiligten. Je mehr sich die Situation zuspitzte, desto demagogischer wurde auch die Bau­ tätigkeit der Anhänger Octavians. Statilius Taurus hatte 34 v.Chr. einen Triumph ex Africa gefeiert und daraufhin mit dem Bau des ersten, offenbar noch kleinen steinernen Amphitheaters begonnen (geweiht 29v.Chr.). Es lag auf dem Mars­ feld in der Nähe des Circus Flaminius (s. Abb. 18) und war speziell für Gladiato­ renspiele und Tierhetzen bestimmt (Dio 51,23,1). Statilius Taurus gehört zu jenen Männern ohne Ahnen, die als Generäle O cta­ vians zu gewaltigem Vermögen kamen und geradezu fürstliche Häuser begrün­ den konnten, ohne doch zu wirklichen Konkurrenten werden zu können. M. Vipsanius Agrippa war der bedeutendste unter ihnen. Bis zu seinem Tode 12 v. Chr. war er der zweite Mann des Regimes. Im gleichen Jahre, in dem Stati­ lius mit dem Bau seines Amphitheaters begann, übernahm Agrippa demonstrativ das Amt des u.a. für Bauten und Spiele zuständigen Aedilen, obwohl er schon Konsul gewesen war. Er begann sich sogleich nach einem wohl schon damals publizierten Gesamtkonzept (Front. Aqu. 98) mit größter Energie der vernachläs­ sigten Infrastruktur Roms anzunehmen. „Ohne irgend etwas aus dem Staatsschatz zu nehmen, reparierte Agrippa alle Straßen und öffentlichen Gebäude, reinigte die Kloaken und fuhr selbst in einem Boot durch die Cloaca maxima bis in den Tiber“ (Dio 49,43). 78

Das war ein Bild, das sich einprägte: der Dreck von Generationen wurde end­ lich beiseite geräumt. Die größte Leistung Agrippas jetzt und in Zukunft war aber die Sicherstellung der Wasserversorgung. Zunächst ließ er alle Aquädukte Roms reparieren, später auch noch neue bauen. Die Arbeiten zogen sich natürlich lange hin (vgl. S. 144). Aber jetzt wurde ein Anfang gemacht. Das Volk sollte sehen, daß mit dem jungen Caesar und seinen Helfern wirklich wieder bessere Zeiten kommen würden. Während Antonius das Geld an die Alexandriner verschwen­ dete, versuchten diese selbst in schwierigen Zeiten, etwas fürs Volk zu tun. Agrippa scheute sich nicht, höchst demagogische Mittel anzuwenden. Er dehnte die ludipublici auf 59 Tage aus. Dabei ging es zu wie im Schlaraffenland. Man verteilte Öl und Salz, die Bäder waren das ganze Jahr hindurch für Männer und Frauen frei. Im Theater wurden Marken unters Volk geworfen, mit denen man Geld oder Kleider bekam. Im Circus waren die schönsten Sachen zur Schau gestellt, und jederman durfte zugreifen. Selbst rasieren lassen konnte man sich auf Kosten des Ädilen. Agrippa wußte, was den Leuten Spaß machte. Im Circus Maximus ließ er auf hohen Säulen eine neue Anlage zum Zählen der Runden beim Pferderennen installieren. Sinnigerweise wählte der große Seesieger von Naulochoi dafür silbern glänzende Delphine. All das waren Demonstrationen, die zeigten, daß man auch unter Octavian trotz aller Moral- und virtus-Appel le künftig auch gut würde leben können. Der Erfolg war groß (Hör. Sat. 2,3,185). Man setzte die überaus beliebten „Delphine“ sogar auf die Lampen (Abb.56). 79

Das Mausoleum Octavian haue von Caesar auch eine ganze Reihe unvollendeter oder nur projek­ tierter Bauten geerbt, die Basilica Julia, die neue Curia, ein Theater und vieles andere. Er selbst hatte bei Philippi (42v.Chr.) einen großen Tempel für Mars Ultor gelobt, und auch der Tempel für den Divus Iulius am Forum blieb noch zu vollenden. Mit alledem ließ er sich aber Zeit. Er konzentrierte seine Kräfte auf die beiden Bauten, bei denen es vor allem um seine Selbstverherrlichung ging, den Apollotempel und das Mausoleum (Abb. 57). Warum ließ sich der gerade Dreißigjährige kurz vor und unmittelbar nach der Erringung der Alleinherrschaft (32-28 v. Chr.) einen monumentalen Grabbau errichten? In der neueren Forschung wurden Entschluß und Konzeption mit dem von Octavian widerrechtlich veröffentlichten Testament des Antonius in Zusam­ menhang gebracht. Neben anderen politisch problematischen Bestimmungen erhielt dieses den - für das Ansehen des Antonius in Rom fatalen - Wunsch, neben Kleopatra in Alexandrien bestattet zu werden. In den Propagandareden der Octavianer war das als Beweis dafür angeführt worden, daß Antonius die Hauptstadt des Reiches nach Alexandrien verlegen und eine hellenistische Des­ potie errichten wolle. „Dies machten ihm selbst seine bisherigen Anhänger zum Vorwurf“ (Dio 50,4,2). Nach der Einnahme Alexandriens bestand Octavian natürlich auf der Bestattung von Antonius’ Leichnam durch Kleopatra im Grab der Ptolemäer. Dort lag der Gegner dann neben den ägyptischen Königen, wäh­ rend in Rom das gigantische Grabmal des Siegers in die Höhe wuchs. Vieles spricht für eine solche Erklärung des Mausoleums. Dabei kommt es auf den Zeit­ punkt der Propagierung, nicht des tatsächlichen Baubeginns an. In der Auf­ bruchsstimmung vor Actium und im Überschwang des Sieges unmittelbar danach ist das in Form und Ausmaß geradezu monströse Bauwerk am ehesten verständ­ lich. 28 v. Chr. waren die Arbeiten jedenfalls schon so weit gediehen, daß die großen Parkanlagen (silvae et ambulationes, Suet. Aug. 100) dem Volk zum Gebrauch übergeben werden konnten. Also ein Monument der Treue des dux Italiae zur römischen Sache? Dies könnte tatsächlich den unmittelbaren Anstoß für den Bau gegeben haben. Aber die Assoziationen, die das vollendete Monu­ ment dann hervorrufen mußte, gingen sehr viel weiter. In erster Linie war es eine Demonstration der Größe und Macht des Bauherrn. Mit Recht wurde es von Anfang an „Mausoleum“ genannt. Darin kommt das Staunen über die kolossale Baumasse zum Ausdruck, die alles bis dahin Bekannte übertraf und in der Tat nur mit dem Grab des karischen Dynasten Mausolos, einem der sieben Weltwunder (4.Jh.v.Chr.), vergleichbar ist. Selbst die numidischen Königsgräber waren kleiner. Der Vergleich mit den Dimensionen des Grabmals der Caecilia Metella, vor allem aber mit denen der Ehrengräber der Konsuln Hirtius und Pansa auf dem Marsfeld (43 v. Chr.) spricht für sich (Abb. 58). In hellenistischer Manier war der Bau landschaftsbeherrschend zwischen Tiber 80

57. Rom, Augustusmausoleum. Ruine im heutigen Zustand mit den faschistischen Rahmen­ bauten im Hintergrund.

und Via Flaminia gesetzt (s. Abb. 114). Die Wucht der Baumasse wurde in ihrer Wirkung noch dadurch verstärkt, daß sie durch einen ausgedehnten Park vom bebauten Terrain isoliert war. Obwohl die Ruine weit unter dem heutigen Stra­ ßenniveau liegt, ist die Wirkung der etwa 9 m hohen Mauer des äußeren Zylin­ ders noch immer gewaltig (Abb. 59). Der Bau war 87 m breit und fast 40 m hoch. Er bestand aus zwei mit Marmor bzw. Travertin verkleideten Zylindern, zwi­ schen denen auf schräger Erdaufschüttung Bäume wuchsen. Strabo sah den Bau bald nach seiner Vollendung: „Am sehenswürdigsten ist das sogenannte M auso­ leion, ein über einem hohen Sockel aufgeführter großer Hügel am Fluß. Er ist bis zur Spitze mit immergrünen Bäumen bepflanzt. Oben steht das bronzene Stand-

58. Schematischer Größenvergleich: a) Mausoleum des Dynasten Mausolos in H alikarnaß (4.Jh. v.Chr.), b) Staatsgrab des Konsuls A. Hirtius (gefallen 43 v.Chr.). c) Augustusmauso­ leum d) Mausoleum der Caecilia Metella (nach J. Ganzen).

81

bild des Kaisers Augustus. Im Hügel sind die Gräber für ihn, seine Verwandten und Freunde. D ahinter befindet sich ein großer Hain mit herrlichen Wegen, in dessen M itte eine Erhöhung (ustrinum), wo der Leichnam des Augustus ver­ brannt w urde“ (Strabo 5,3,9). Strabo assoziierte also aufgrund der Bepflanzung einen Grabhügel („tumulus“), wie ihn die Zeitgenossen mit den Heroengräbern der Frühzeit, die z. B. in den etruskischen Nekropolen zu sehen waren, verbanden und gelegentlich in archai­ sierendem Geschmack auch für ihre eigenen Gräber benutzten. Aber dieser bewachsene Kegel w ar wie am M onument der Cecilia Metella (s. Abb. 14) nur ein Elem ent neben anderen. M an konnte die beiden weiß leuchtenden Zylinder auch als gewaltige Substruktionen für die Statue verstehen, die den Proportionen des M ausoleums entsprechend kolossale M aße gehabt haben muß. D aß es solche Kolossalstatuen Octavians zu dieser Zeit in Rom tatsächlich gegeben hat, bezeugt ein ca. 1,50 m hoher Kopf im Vatikan (Abb.60). Trotz der barocken Ergänzungen vieler Locken ist seine Zugehörigkeit zum ersten Bild­ nistypus Octavians eindeutig (s. Abb.33). Auch die scharfen Züge des knochigen Jugendporträts sind unverkennbar. Da der Kopf kaum von der Mausoleums­ statue stammt, kann man in ihm ein weiteres wertvolles Zeugnis für den unerhör­ ten Anspruch sehen, mit dem Octavian in jenen Jahren auftrat. Als das Mausoleum vollendet war, wirkte es zweifellos wie ein gewaltiges Sie­ gesdenkmal. Und in der Tat erinnert auch seine Form an spätere Tropaia wie das von St.Trapez. Auch die wahrscheinlich schon nach dem Sieg über Ägypten auf­ gestellten kleinen Obelisken zu seiten des Eingangs unterstrichen diesen Aspekt.

Kombinationen verschiedener Sinngehalte waren an spätrepublikanischen Grab­ bauten nicht ungewöhnlich, wie wir bereits am Beispiel des Juliermonumentes von Glanum gesehen haben (s. Abb. 15). Das Mausoleum überwältigt durch seine Masse - eine kohärente Gestalt aber vermochte ihm der Architekt bezeichnenderweise nicht zu geben. In der Hektik der Situation vor Actium und in dem Zwang, auftrumpfen zu müssen, hatte sich keine überzeugende Form für den neuen Anspruch finden lassen. Die vielfache Unterteilung, die eklektische Kontamination verschiedener Formelemente und die kleinteilige Dekoration vermögen die Masse nicht wirkungsvoll zu gliedern. In der zwiespältigen Formensprache verrät sich auch hier das Fehlen einer klaren Botschaft. Neben der volkstümlich-treffenden Bezeichnung „Mausoleum“, die auch auf Inschriften erscheint, gab es die offizielle tumulus Iuliomm. Das klang zwar altrömisch, unterstrich aber angesichts des Monumentalbaus auch deutlich den dynastischen Anspruch des neuen Herrschers. Und jedes feierliche Begräbnis angefangen mit der Beisetzung des Marcellus (23 v. Chr.) - demonstrierte dies dann aufs Neue. Octavian wollte sich natürlich nicht vor und schon gar nicht nach der .Wieder­ herstellung der Republik“ als Dynast heraussteilen. Er wollte nur zeigen, daß er der mächtigste und der einzige war, der den Staat wieder in Ordnung bringen konnte. Die Konkurrenzsituation und das Ausgeliefertsein an eine fremde Bil­ dersprache hatten auch hier zu hypertrophen Formen geführt. Anspruch und 83

Ausmaß dieser königlich-hellenistischen Architektur deckte sich - wie bei den nackten Ehrenstatuen und den pathetischen Bildnissen - nur zum Teil mit dem, was gesagt werden sollte. Aber das wirkte sich im Falle des künftigen Augustus nicht negativ aus. Im Gegenteil, die breite, weitgehend hellenisierte Masse der Bevölkerung, die ja durchaus zur Monarchie bereit war, empfand dies - anders als die alten Aristo­ kraten - trotz formaler Widersprüche und inhaltlicher Ambivalenz als eine ein­ prägsame Sprache. Angesichts dieses Mausoleums und der Residenz, die der junge Caesar beim Apollotempel in der Urstadt des Romulus bezogen hatte, konnte jedenfalls kein Zweifel mehr daran aufkommen, wer künftig die Geschicke Roms bestimmen werde. Man darf diese architektonische Kulisse, die ja auch nach 27 v.Chr. stehenblieb, nicht vergessen, wenn man den Republikani­ schen Stil*, die persönliche Zurückhaltung und die pietas des künftigen Princeps richtig einschätzen will.

III. Die große Wende. Neue Zeichen und ein neuer Herrschaftsstil Nach der Schlacht von Actium (31 v.Chr.) und der Einnahme von Alexandria (30 v. Chr.) erwarteten den Sieger in Ost und West überschwengliche Ehren. Die Zeit der Unsicherheit war vorbei. Man wußte jetzt, von wem man abhing, an wen man sich mit Bitten und Dank zu wenden hatte. Die römische Macht verkörperte sich endlich in einem einzigen Mann. Herrscherpanegyrik und Selbstverherrlichung gingen jetzt Hand in Hand. In Rom erreichte Octavians ,Diadochenstil‘ seinen Höhepunkt. Er siegelte nun mit dem Bildnis Alexanders. Agrippa plante ein Pantheon für den Herrscherkult, in dem die Statue des Divi filius neben denen seines vergöttlichten Vaters und seiner Schutzgötter stehen sollte (Dio 53,27). Senat und Volk schlossen ihn in ihre Gebete ein, nahmen seinen Namen ins Salierlied auf und verordneten Trankspen­ den bei allen öffentlichen und privaten Gastmählern (Dio 51,19). Das riesige Mausoleum und der Tempel für den Sieggeber Apollo gingen ihrer Vollendung entgegen. Das Forum wird zum Repräsentationsplatz der Julier Ein anschauliches Beispiel für die Bedenkenlosigkeit, mit der Octavian nach sei­ nem Sieg die ganze Stadt mit seinen Bauten und Zeichen ,besetzte', bietet die Umgestaltung des Forum Romanum (Abb.61). Im August des Jahres 29 v.Chr. feierte der Sieger mit größtem Gepränge einen dreifachen Triumph über Illyrien und Ägypten und „für den Sieg bei Actium“. Im Rahmen dieser Feierlichkeiten weihte er auf dem Forum den schon 42 v.Chr. beschlossenen Tempel für den Divus Iulius und die ebenfalls seit langem im Bau befindliche neue Curia ein, die künftig den Beinamen Iulia tragen sollte. Auch diese beiden Bauten wurden jetzt wie Siegesdenkmäler m it,ägyptischen' Trophäen dekoriert. Die Fassade der Curia ist auf einer Münze der oben besprochenen Denarserie dargestellt (Abb. 62 a). Auf dem First sieht man Victoria, die mit dem Siegeskranz in der Rechten Uber die Weltkugel eilt (Abb. 62 b). Als Seitenakrotere scheinen Statuen anderer Schlachthelfer gedient zu haben. Auf den klarsten Prägungen des Münzbildes meint man Anker und Ruder in ihren Händen zu erkennen. Im Innern der Curia ließ Octavian die originale Statue jener Victoria aufstel­ len, die aus Tarent stammte und als seine persönliche Siegesgöttin galt (Abb. 62 b). Wahrscheinlich hatte erst Octavian das frühhellenistische Kunstwerk auf die Weltkugel montieren lassen. Jetzt bekam die Göttin „ägyptische Beutewaffen“ in 85

die Hand und wurde an der wirkungsvollsten Stelle des Sitzungssaales hinter den Sitzen der Konsuln auf einem Pfeiler aufgestellt. In Gegenwart dieses Monumen­ tes tagte künftig der Senat! Auch der Caesartempel und eine neue Rednerbühne davor wurden mit Beute­ stücken geschmückt. In der Cella des Tempels standen sie neben dem weltbe­ rühmten Gemälde des Apelles mit der Darstellung der Venus Anadyomene, die an die Ahnfrau des julischen Hauses erinnerte. In die Fassade der neuen Rostra aber waren die Schiffsschnäbel (rostra) der erbeuteten ägyptischen Schiffe einge­ lassen. Diese neue Rednerbühne lag genau gegenüber der alten. Dadurch wurden die Schiffsschnäbel aus der Schlacht von Actium in unübersehbaren Bezug zu denen gesetzt, die man 338 v.Chr. von den Antiaten erbeutet und an der alten

61. Forum Romanum, um 10 n.Chr. Schematische Skizze.

62. Denare Octavians. a) Curia Iulia. b) Victoria mit Standarte und Siegeskranz über die Weltkugel eilend.

Rednerbühne angebracht hatte. Der so inszenierte Vergleich maß den Sieg im Bürgerkrieg bedenkenlos an einer epochemachenden Seeschlacht der alten Republik. Gleichzeitig unterstrich ein schmeichlerischer Senat die enge Verbin­ dung des Siegers zum neuen Staatsgott, indem er einen neuen Ehrenbogen für Octavian direkt neben den Caesartempel setzte. Bei der alten Rednerbühne standen bereits das Reitermonument Octavians von 43 v. Chr. (s. Abb. 30 a) und die columna rostrata für den Sieg von Naulochoi (s. Abb. 32 b). Nicht weit davon, vor der Basilica Iulia, wurden nun vier weitere bronzene Säulen mit Schiffsschnäbeln errichtet. Auch diese hatte Octavian aus dem Erz der rostra der ägyptischen Schiffe gießen lassen. Das Forum bekam durch diese von und für Octavian errichteten Denkmäler ein neues Gesicht. Wohin man auch schaute, überall wurde an den Sieger erin­ nert. Wer seinen Blick z. B. zum eben erst fertiggestellten neuen Saturntempel erhob, fand dort im Giebel statt Bildern des uralten Gottes der Saaten fröhlich auf ihren Muschelhörnern blasende Tritone (Macrobius, Sat. 18,4). Der Bauherr Munatius Plancus stimmte mit diesen damals jedermann als Schlachthelfer von Actium vertrauten Meerwesen in den allgemeinen Lobpreis ein. Als dann später ein weiterer Bogen den Parthersieg feierte, Tiberius die Tempel der Dioskuren und der Concordia in Form aufwendiger Marmorbauten neu errichten ließ und Augustus selbst die vergrößerte Basilica Iulia und eine herrlich dekorierte Porti­ cus vor der Basilica Aemilia nach den verstorbenen Prinzen Gaius und Lucius Caesar benannte, da war aus dem politischen Zentrum des alten Staates endgültig ein Repräsentationsplatz der Julier geworden, auf dem die Denkmäler der Repu­ blik ganz in den Hintergrund gedrängt waren, zwar Zeugen einer ruhmreichen Geschichte, aber doch vom Glanz der Gegenwart in den Schatten gestellt.

87

63. Marmorner Schiffschnabel, Triion mit Muschelhorn.

Die symbolischen Siegeszeichen Angesichts der Fülle von Denkmälern vergißt man leicht, wie problematisch die Verherrlichung des Sieges von Actium war, bei der man nicht an den eigentlichen Gegner erinnern durfte. Antonius war eine große Gestalt gewesen, seine Kinder waren die Neffen des Siegers und lebten in dessen Haus, viele der getöteten ,Feinde' waren römische Bürger gewesen. Da man weder den eigentlichen Geg­ ner ins Bild bringen noch die endlich errungene Alleinherrschaft wirklich über­ zeugend als bloßen Sieg über Ägypten feiern konnte, mußten sich die Künstler allgemeiner Zeichen und abstrakter Bilder bedienen. Dabei wies offenbar Octavian mit seinen Monumenten selbst den Weg, wie der Schmuck von Caesartempel und Curia zeigen. Es waren wenige und einfache Zeichen: Schiffsteile, Schiffe, Seewesen, Delphine und die Victoria auf der Weltkugel. Solche Bilder hatten den Vorzug, daß man sie leicht nachahmen, überall anbringen und ohne Schwierig­ keiten mit anderen Zeichen verbinden konnte. Bis dahin hatten die in Rom errichteten Monumente kaum über die Stadt hin­ aus gewirkt, hatte sich die politische Bildersprache Roms fast ausschließlich an das Publikum der Hauptstadt gewandt. Das änderte sich, was die Konzeption anlangt, auch unter Augustus kaum. Aber da das ganze Reich jetzt nach Rom ausgerichtet war, wurden die so einfachen und leicht verständlichen neuen Zei­ chen überall rezipiert. So ahmte man z.B. die originalen bronzenen Schiffsschnäbel auch in Marmor nach, wobei sie zu selbständigen Denkmälern mit eigenem Bildschmuck werden 88

64. Stirnziegel. Victoria mit Trophäen Uber Weltkugel, daneben je ein Capricorn. 65. Stirnziegel. Delphine zu Seiten eines Tropaion über einem Schiffsteil.

konnten. Eine gute Vorstellung davon gibt ein marmorner Rammsporn in Leipzig (Abb. 63), der wie andere ähnliche Stücke aus einer italischen Stadt stammt. Beide Seiten sind mit Reliefs geschmückt. Auf der einen sieht man wieder einen fröhli­ chen Triton mit dem Muschelhorn, auf der anderen wird ein Gepanzerter mit Lanze, vielleicht Agrippa, von einer Victoria gekrönt. Ohne Kenntnis der Fundumstände ist nicht auszumachen, ob ein solcher Schiffsschnabel von einem öffentlichen Monument oder von einem Grabmal stammt. Die Verbreitung der neuen Zeichen zog weite Kreise. Auch Delphine und Tri­ tone schmückten bald ebenso wie die Victoria auf dem Globus Privatbauten, Gräber und Hausrat. Auf einfachen Stirnziegeln z.B, ist Victoria mit dem Capri­ cornus oder Delphine mit rostra und Siegeszeichen verbunden (Abb.64, 65). Es gab offenbar auch viele Privatleute, die mit den neuen Zeichen siegelten. Del­ phine, Schiffe und Schiffsschnäbel erscheinen auf Ringsteinen und Glaspasten gelegentlich zusammen mit dem Bildnis des Siegers (Abb. 66, 67). Wie dabei lang­ sam eine eigene ,private“ Bildersprache entstand, werden wir später sehen. Im Laufe der Jahre wurde die Schlacht von Actium zu einem säkularen, die neue Herrschaft begründenden Heilsgeschehen stilisiert. Der düstere Anlaß ver­ blaßte nach und nach. Schon gleich nach der Schlacht hatte man sich nicht gescheut, den Sieg mit den Kämpfen der Athener gegen Amazonen und Perser zu vergleichen: C. Sosius stellte im Giebel seines neuen Apollotempels eine origi­ nale Amazonomachie klassischer Zeit auf, und noch im Jahre 2 v. Chr. ließ Augu­ stus anläßlich der Einweihung des Augustusforums die Schlacht von Salamis in einem eigens dafür gebauten Kunstsee (naumachia) aufführen (Cass. Dio 89

66. Ringstein mit Schiff, Capricorn und sidus lulium. 67. Glaspaste mit Octaviansbildnis, rostrum und Delphin.

55,10,7). Wie in den heroischen Schlachten der Athener war es auch in Actium gegen die Barbarei des Ostens gegangen. Dichter und Künstler hatten auch später immer wieder an diese herrschaftsbe­ gründende Schlacht zu erinnern, wenn es neue Siege oder andere große Ereig­ nisse zu rühmen galt. Als die Stadt Arausio (Orange/Provence) vielleicht nach den Siegen von Drusus und Tiberius gegen die Alpenvölker (vgl. S.227) einen ungewöhnlich aufwendigen Ehrenbogen für den Kaiser und die siegreichen Prin­ zen errichtete, ließen die Stadtväter neben den Tropaia mit gallischen Waffen große Reliefstilleben mit Schiffsteilen aller Art darstellen und Tritone mit Steuer­ rudern in die Giebelzwickel setzen. Die einfachen Symbole für Actium stehen am Anfang einer neuen kaiserlichen Bildersprache, deren Ausbildung und Verbreitung wir in den nächsten Abschnit­ ten verfolgen werden. Eine besondere Qualität dieser Bilder war ihre Einfachheit und Eindeutigkeit - vor allem wenn man an die schwer zu verstehenden Zeichen der spätrepublikanischen Münzen denkt. Jetzt haben alle Zeichen eine klare Bedeutung, und dank ihres Chiffren-Charakters konnten sie später auch leicht mit anderen Zeichen des neuen Regimes verbunden werden.

Der Sieger nimmt sich zurück Nach dem mit Hilfe Apollos errungenen Sieg von Actium hätte es nahe gelegen, das Heiligtum auf dem Palatin als ein Monument des Triumphes auszustatten. Aber als dann am 9.Oktober 28 v.Chr. die feierliche Einweihung stattfand, beherrschten ganz andere Bilder die reich ausgestatteten Höfe und Hallen. Zwar fehlte es nicht an Erinnerungen an den Sieg. Das große Votiv für den Apollo Actius stand auf einem hohen Podium, das wieder mit den rostra der ägyptischen 90

Schiffe verziert war (Abb.68), und an den Tempeltüren waren die Tötung der Niobiden und die Vertreibung der Gallier aus Delphi dargestellt (Properz II 31,12-14). Diese Bilder sprachen von Apollo als dem Rächer menschlicher Hybris und mußten damals als gleichnishafte Anspielungen auf Antonius verstanden werden. Aber der Sieger selbst trat völlig zurück. Statt des auftrumpfenden Pathos helleni­ stischer Herrscherpanegyrik füllten Zeichen des Friedens und der Devotion das Heiligtum. Statt seines eigenen Triumphgespanns stellte Octavian eine Marmor­ quadriga mit Apollo und Diana des klassischen Bildhauers Lysias auf, und die beiden großen Apollostatuen vor dem Tempel und in der Cella (s. Abb. 186) feier­ ten den Gott nicht mehr als rächenden Bogenschützen, sondern als friedlichen Sänger (Prop. IV 6,69). Der Gott von Actium hielt zudem - ebenfalls nach klassi­ schem Vorbild - die Spendeschale in der Hand und stand vor einem Altar. Das suggerierte Gedanken an Schuld und Sühne, wie sie auch aus einem vielfigurigen Danaidenmonument sprachen. Durch Opfergaben und Frömmigkeit sollten die Verirrungen der Bürgerkriege gesühnt, sollte Apollo als Garant eines neuen Gei­ stes gewonnen werden. Der eben noch auf dem Forum Romanum so stolz auf­ trumpfende Sieger ging selbst mit einem großen weithin beachteten exemplum voran. „Meine Standbilder, Reiterstatuen und Darstellungen in Quadrigen, insgesamt etwa 80 an der Zahl, alle aus Silber, die in der Stadt standen, habe ich selbst ent­ fernen und aus diesem Geld im Apollotempel in meinem Namen und im Namen derer, die mich durch diese Statuen geehrt hatten, goldene Weihgeschenke aufsteilen lassen“ (Res Gestae 24). Von Sueton erfahren wir, daß es sich bei den goldenen Weihgeschenken um Dreifüße handelte (Sueton, Aug. 52). Es müssen große, reich verzierte Monu­ mente gewesen sein, die die Devotion des Stifters eindrucksvoll vor Augen führ­ ten. Daß Octavian bei dieser spektakulären Einschmelzaktion gleichzeitig eine

68. Denar des C.Antistius Vetus, Rom, 16 v. Chr. Die Statue des Apollo Actius auf hoher, mit rostra geschmück­ ter Basis.

91

69. Moderner Becher aus arretinischer Formschale, um 25 v.Chr. Ein Dreifuß wird von zwei geflügelten Genien, die musizieren, verehrt; seitlich große Kandelaber. F ü lle v o n S ta tu en m it au ftru m p fen d en G ebärden beseitigen konnte, die nicht m e h r z u seinem n eu en politischen Stil und Selbstverständnis paßten, w ar ein will­ k o m m e n e r N e b en effek t. In d e r W andm alerei (s. Abb. 209), auf A rchitekturterra­ k o tte n (s. A bb. 193) und a u f arretinischen Tongefäßen (Abb. 69) jener Jahre sind o ffen sich tlich R eflexe d ieser go ld en en D reifüße vom Palatin erhalten. A u f d e m F rag m en t ein er zeitgenössischen W andm alerei sind sogar zwei D rei­ fü ß e m it d en sterb e n d en S öhnen und T öchtern d er N iobe dargestellt (Abb. 70). A u f R eliefs w ird zw ischen den B einen eines D reifußes die B lendung des betrun­ k e n e n P o ly p h em gezeigt. Es liegt n ahe, auch diesen M ythos au f die überw unde­ n e n G e g n e r zu beziehen, d eren T ru n k en h eit ja hinreichend an den Pranger g estellt w o rd e n w ar. D ie D re ifü ß e w aren m it V ictorien und anderen Bildzeichen, v o r allem m it dem M o tiv d e r w u ch ern d en R anken geschm ückt (s. Abb. 193). Das leg t die V erm u tu n g n ah e, d aß die g ro ß e n Votive durch entsprechende ikonograp h isch e P ro g ra m m e gleichzeitig als M onum ente des Sieges und d er H offnung g e k e n n z e ic h n e t w aren. E in schönes Beispiel d a fü r ist die D reifußdarstellung auf dem m arm ornen Türg e w ä n d e des A pollotem pels. Aus zw ei D reifüßen, die von den Greifen Apollos u n d d e r R a c h e g ö ttin N em esis flankiert w aren, w uchsen rechts und links von der T ü r n ich t en d en w ollende R an k en auf, die sich einst über d er T ürm itte trafen. B ild fo rm , O r t u n d enge V erbindung m it den D reifüßen bringen den sinnbildhafte n C h a ra k te r d e r R an k en eindringlich zum A usdruck. Schon hier ist aus dem alten O rn a m e n t ein Sym bol des G lücks und Segens gew orden. Im Zusam m en92

70. Photographie und Zeichnung einer Wandmalerei aus Pompeji. Das Bild gibt eine Vorstel­ lung von den monumentalen goldenen Dreifüßen Octavians im Apollotempel. Die Tötung der Söhne und Töchter Niobes ist als beispielhafte Bestrafung menschlicher Hybris durch Apollo dargestellt.

hang mit der Propagierung des „Goldenen Zeitalters“ wird von diesem Bildzei­ chen noch ausführlicher die Rede sein müssen. Gerade das Beispiel dieser Türeinfassung zeigt, wie sehr der Dreifuß als umfas­ sendes Symbol nicht nur für Apolloverehrung, sondern überhaupt für Frömmig­ keit und Hoffnung auf Neuanfang verstanden werden sollte. Die feierliche Ver­ ehrung dieses Zeichens auf mehreren Bildern frühaugusteischer Arretina-Gefäße bezeugt seine Verbreitung und Rezeption in weiten Kreisen. Der Dreifuß war nicht das einzige Zeichen, dessen Verbreitung offenbar durch die Ausstattung des Apolloheiligtums angeregt bzw. gefördert worden ist. Auch 93

bronzene W eihrauchständer erscheinen auf Münzen (Abb.71) und wurden hun­ dertfach in M arm or nachgeahmt, nicht selten verbunden mit apollinischen oder anderen Themen der neuen Bildersprache. Schon im Dekor des Apollotempels des C. Sosius wurden sie zusammen mit dem Lorbeer für die Apolloverehrung verwendet (Abb.72). Später benutzte man sie ebenso wie die Dreifüße als ein all­ gemeines pietas- Symbol, das man sich sogar aufseine Aschenurne setzen ließ, um auf das eigene gottesfürchtige Leben hinzuweisen. Ein anderes Apollozeichen ist der sogenannte Baitylos, ein archaisches Kult­ mal, wie es auf einer der schönen, im Apolloheiligtum gefundenen Architektur-

71. Aureus. Kandelaber umgeben von O pfer­ schalen und Bukranien, 17 v. Chr. aus Anlaß des Säkularfestes geprägt.

94

73. Tönerne Verkleidungsplatte. Altertümliches Kultmal mit der Leier Apolls und dem Köcher Dianas geschmückt und von Priesterinnen mit Binden ver­ ziert. Aus dem Apollonheiligtum auf dem Palatin.

terrakotten von Tempeldienerinnen mit Binden und Apolloattributen geschmückt wird (Abb.73). Wahrscheinlich waren solche Kultmale in großem Format auch im Heiligtum aufgesteilt. Die große „Meta“ im Garten der Villa Albani muß ein solches Votiv gewesen sein. Auch Bilder der Sphinx, eines anderen bedeutungs­ vollen Zeichens für den Heilbringer Apollo, werden im Heiligtum gestanden haben (s. S.270). Die Aufmerksamkeit, mit der zumindest das gebildetere Publikum die Ausstat­ tung des neuen Apollotempels verfolgte (Prop. II 31), hing nicht zuletzt mit der Fülle berühmter Werke archaischer und klassischer griechischer Kunst zusam­ men, die der Stifter hier aufstellen ließ und mit denen er ein kulturpolitisches Zei95

chen setzte, sozusagen eine Art von neuem Kunstdogma verkündete: Die Zei­ chen der Frömmigkeit und Zukunftshoffnung waren mit einem Bekenntnis zur klassischen und archaischen griechischen Kunst und den daraus resultierenden moralischen Implikationen verbunden. Der klassische Stil sollte die sakrale Aura der Bilder steigern. Zusammen mit der durch und durch griechischen Ikonogra­ phie huldigte so die ganze Ausstattung des Heiligtums der griechischen Kultur. Bald sollte deutlich werden, daß es ein Ziel der Kulturpolitik des neuen Herr­ schers war, nicht nur das Beste der Griechen nachzuahmen, sondern deren klassi­ scher Kultur etwas Ebenbürtiges an die Seite zu stellen.

Res publica restituta Nachdem die glanzvollen Triumphfeiern des Jahres 29 v. Chr. vorüber waren, stand Octavian vor einer völlig veränderten Situation. Alle Macht lag jetzt in sei­ ner Hand, alle schauten auf ihn. Er mußte zeigen, wie es weitergehen sollte. Auf dem vom Senat errichteten Ehrenbogen für den Sieger im Bürgerkrieg stand re publica conservata - „für die Rettung des Staates“. Octavian hatte den Staat vor dem Untergang bewahrt, nun aber mußte er ihn ,wiederherstellen‘. Niemand, der die Situation einigermaßen realistisch einschätzte, konnte erwarten, daß der Sie­ ger nun die Macht den Senatoren zurückgeben würde. Aber es galt Formen zu finden, die vor allem dem Adel die Monarchie erträglich machten. Der Friede war unsicher, beruhte er doch zunächst auf Gewalt, nicht auf Kon­ sens. Ein Großteil der alten Führungsschicht aus dem gegnerischen Lager wartete skeptisch ab, selbst die Freunde waren alles andere als optimistisch. Octavian mußte noch jahrelang mit der Gefahr eines Umsturzes rechnen. Bei bestimmten Gelegenheiten trug er selbst im Senat den Panzer unter der toga. Caesars Ende war eine Warnung. Die Masse fühlte die Unsicherheit - hing doch der Friede vom Leben Octavians ab - und suchte ihn deshalb geradezu in eine monarchische Stellung hineinzudrängen. Octavians neuer politischer Stil aber zielte auf die alte Führungsschicht, die man zur Mitarbeit gewinnen mußte. Es galt zu zeigen, daß der Sieger auch inneren Frieden bringen konnte, daß jetzt alles anders werden

74. Aureus des C.Lentulus, Rom 12 v.Chr. Augustus hilft der gefallenen res publica wieder auf

96

75. a) Aureus des Caninius Gallus, Rom 12 v.Chr. Die Lorbeerbäumchen zu Seiten des Augustushauses, darüber die corona civica, b-c) Aurei, Spanien 19/18 v.Chr. und Gallien 19/18 v.Chr. Zwischen den Lorbeerbäumen der clipeus virtutis.

würde. Das Einschmelzen der auftrumpfenden Statuen deutete bereits auf eine Wende im Selbstverständnis des Siegers hin. Nun wartete man, ob Octavian auch seine vor Actium so oft wiederholten Versprechungen wahr machen und nach 14 Jahren des Ausnahmezustandes den legalen Zustand der alten res publica wiederherstellen würde. Noch im Jahre 28 v. Chr. widerrief er denn auch alle ungesetzlichen Maßnahmen der vergangenen Jahre - wie wenig das konkret auch bedeuten mochte - und gab in jener berühmten Senatssitzung vom Januar 27 v.Chr. tatsächlich in aller Form „den Staat an Senat und Volk zurück“. „Seit jener Zeit überragte ich zwar alle an Ansehen und Einfluß (auctoritas), besaß aber künftighin nicht mehr Amtsgewalt (potestas) als diejenigen, die meine Kollegen in irgendeinem Amt waren“ (Res Gestae 34). Bekanntlich enthält dieser Satz aus dem politischen Leistungsbericht des alten Augustus allenfalls die halbe Wahrheit. Mittels eines komplizierten Systems von immer wieder verlängerten Sondervollmachten, von Ehrenvorrechten und Dau­ eraufträgen und vor allem durch sein gewaltiges Vermögen behielt er die Macht, d.h. vor allem das Heer, fest in der Hand. Eine mehr als zehn Jahre später geprägte Münze führt das Verhältnis von Retter und Staat in aller Klarheit vor Augen (Abb. 74): Augustus hilft der wie im Schema einer unterworfenen Provinz vor ihm knienden res publica auf die Beine. Der Retter steht neben dem wieder­ hergestellten Staat, der seiner Führung bedarf. Die meisten Zeitgenossen haben das auch 27 v. Chr. nicht anders gesehen. Aber der Akt der Rückgabe war eine große Geste, die es der Aristokratie erlaubte, ihr Gesicht zu wahren und künftig im neuen Staat mitzuarbeiten. „Für dieses Verdienst (die .Rückgabe*) wurde ich auf Senatsbeschluß Augustus genannt. Die Türpfosten meines Hauses wurden offiziell mit Lorbeerbäumchen geschmückt, über der Tür brachte man die corona civica (Kranz aus Eichenlaub) an, und in der Curia Julia wurde der goldene Ehrenschild (clipeus virtutis) aufge­ stellt, den mir Senat und Volk für meine Tapferkeit, Milde, Gerechtigkeit und Frömmigkeit (virtus, clementia, iustitia, pietas) zuerkannten, wie es auch auf der Inschrift des Schildes steht“ (Res Gestae 34). 97

76. Aurei, a) Spanien 19/18 v.Chr. b) Ephesos 27 v.Chr. Jupiters Adler mit der corona civica, dahinter die Lorbeerbäumchen, c) Rom 19/18 v.Chr. Augustus trägt den Eichenkranz, der ihm ob cives servatos verliehen worden war.

Die Lorbeerbäumchen, die corona civica und auch der clipeus virtutis waren einfache und bescheidene Ehrungen in der Tradition der Alten. Das entsprach dem neuen Stil des Geehrten, der sich jetzt ganz zurückhielt und sich im Umgang mit dem Senat nur noch als Princeps (etwa : Rangerster unter Gleichen) verstand und entsprechend verhielt. Eine entscheidende Neuerung des ,Principatsstils‘ nach 27 v.Chr. aber war, daß das Herrscherlob jetzt ganz den andern überlassen wurde: dem Senat, den Städten, Körperschaften und Einzelnen. Der Princeps selbst w ar über N acht bescheiden geworden. Mit Selbstverherrlichung in der Art des Mausoleums war es vorbei. Die Ehrungen des Senats waren ungemein glücklich gewählt - natürlich nicht ohne Einverständnis des Betroffenen. Sie boten den Kennern der römischen Tra­ dition vielfältige Assoziationsmöglichkeiten im Geiste der alten res publica, konn­ ten aber durch ihre Vieldeutigkeit auch ganz anders aufgefaßt werden. Lorbeerkränze und -zweige schmückten seit alters den Sieger und die Victoria. D er Lorbeer ist aber auch der Baum Apollos. Die Assoziationen der Zeitgenossen wurden durch die Form der beiden Bäumchen zu seiten des Türeingangs jedoch auch noch in eine ganz andere Richtung gelenkt (Abb.75a). Solche Baum­ pärchen standen seit archaischer Zeit an den Amtssitzen der ältesten Priesterschaften, an der Regia, am Vestatempel und an den Sitzen der flamines und pontifices (Priesterschaften). Die Lorbeerbäumchen umgaben den Eingang des Augustushauses also mit einer sakrosankten Sphäre und gemahnten an uralte religiöse Kräfte. Die corona civica dagegen stammte aus dem militärischen Bereich. Seit alters her hatte man den Eichenkranz als Auszeichnung für die Rettung eines Mitbür­ gers in der Schlacht verliehen. Jetzt erhielt ihn der Wiederhersteller des Staates ob cives servatos - „für die Rettung aller Bürger“ (Abb. 76 a). Aber auch der Eichen­ kranz ist mehrdeutig, denn die Eiche war ja auch der Baum Jupiters. Und in der Tat wurden schon im gleichen Jahr in Kleinasien Münzen zu Ehren des neuen Augustus mit dem Adler Jupiters geprägt, der die corona civica in seinen Fängen hält (Abb. 76b). Das eindrucksvolle Bild war natürlich in Rom erfunden worden, 98

wo es z.B, auf einem prächtigen Cameo erscheint (Abb.77): Jupiter selbst ehrt den „Augustus“, überbringt ihm die Siegespalme und die corona civica. Der Fall scheint symptomatisch: Die Benutzung der neuen Zeichen, die sich zunächst wie bescheidene Ehrungen im Geiste der Alten ausgenommen hatten, gab ihnen schnell einen weiteren Sinn. Durch die Kombination mit anderen Zei­ chen und durch entsprechende Verwendung, etwa als Schmuck von Tempeln für den Herrscherkult, wurden die Ehrungen von 27 v.Chr. bald zu so etwas wie monarchischen Herrschaftssymbolen. Man war eben allgemein auf einen Allein­ herrscher eingestellt! Schon zehn Jahre später prägten die Münzmeister Bild­ nisse, auf denen Augustus die corona civica auf dem Haupt trägt - wie ein helleni­ stischer König die Königsbinde (Abb.76c). Zur gleichen Zeit werden die ersten rundplastischen Porträts mit Eichenkranz entstanden sein. Durch Hinzufügung von Gemmen und Binden wurde auch formal aus dem einfachen Kranz eine Art „Krone“. Bereits auf einer Münze des Jahres 13 v.Chr. erschien die corona civica sogar über dem Haupt der Augustustochter Julia. Aus dem bescheidenen Ehren­ kranz für den Retter des Staates war ein Zeichen für Erbfolge und Dynastie geworden (s. Abb. 167b)! Bei den Nachfolgern wurde der Eichenkranz dann 99

78. Fries mir deiktisch hervorgehobenen Eicheln. Detail eines Larenaltars.

vollends zu einer den Kaisern vorbehaltenen und vom ursprünglichen Kontext völlig abgelösten Herrschaftsinsignie. Wohlgemerkt, Lorbeerbäume und Eichenkranz waren Ehrungen f ü r Augustus, keine Symbole, durch die er seinerseits einen Anspruch erhoben hätte. Und als Zeichen der Verehrung und Huldigung wurden sie bald an allen nur denkbaren Orten und in verschiedenartigster Gestalt verwendet - auch einfach nur als schmückendes Blattwerk. Von den Münzen über das Bauornament bis zum inti­ men bukolischen Bild, überall sah man die spitzen und gezackten Blätter sprie­ ßen, die sich vorzüglich zu ornamentalem und doch zugleich auch bedeutungs­ vollem Formenspiel eigneten. Dabei wurden die Künstler und ihre Auftraggeber nicht müde, mittels Vergrößerung oder entsprechender Plazierung immer wieder auf den erhabenen Sinn dieses Blattwerks hinzuweisen. So findet man z.B. auf

79. Marmorkopie des bron­ zenen clipeus virtutis aus Arles. 26 v. Chr., also ein Jahr nach der offiziellen Verlei­ hung aufgestellt. Ähnliche Kopien sind wahrscheinlich in den meisten Römerstädten zu Ehren des Augustus auf­ gestellt worden.

80. Denar und Aurei mit Darstellung des clipeus virtutis. Spanien 19/18 v.Chr. a) CL(ipeus) V(irtutis). b) Von Victoria gehalten. Die Säule erinnert an die Aufstellung in der Curia, c) Zwischen den von den Parthern wiedergewonnenen Feldzeichen: signis receptis.

einem stadtrömischen Larenaltar ein Ornamentband nur aus Eicheln (Abb. 78), und schon auf dem Fries des Apollotempels des Sosius ist der Lorbeer geradezu demonstrativ zwischen Kandelabern und Bukranien ausgebreitet (s. Abb.72). Lorbeer und Eichenlaub wurden so zu allgegenwärtigen Aifgwfw-Prädikaten. Ihre ursprüngliche Bedeutung trat dabei aber immer mehr in den Hintergrund. Auch der Ehrenschild (clipeus virtutis) wurde nicht selten wie ein mystisches Zeichen präsentiert. Solche mit Tugenden und Verdiensten beschriebenen Schilde waren in der hellenistischen Welt eine sehr gebräuchliche Form von Ehrung gewesen. Aber dadurch, daß der Geehrte hier in Wirklichkeit der Herrscher war, wurden die an ihm gerühmten Eigenschaften zu Herrschertugenden, die die Erwartungen des Senats und das Selbstverständnis des Geehrten gleicherweise umschrieben. Auf einer in Arles gefundenen Marmorkopie (Abb. 79) - es muß in vielen Städten solche öffentlich aufgestellten Schilde gegeben haben - ist der Wortlaut der Inschrift erhalten. Es heißt dort virtutis, clementiae, iustitiaepietatis­ que erga deos patriamque - „für die militärische Leistung, Milde, Gerechtigkeit und Frömmigkeit gegenüber Göttern und Vaterland“. Virtus und iustitia sind selbstverständliche Herrschertugenden. Clementia, d.h. Schonung der besiegten Feinde, war schon das große Motto Caesars gewesen; sie hatte in der Situation nach Actium und nach der .Rückgabe des Staates1noch an Aktualität gewonnen, man denke an die Grausamkeit Octavians gegen seine früheren Gegner. Pietas aber war, wie wir sehen werden, der wichtigste kulturpolitische Programmpunkt des neuen Herrschers. In der Formulierung „gegen Götter und Vaterland“ wies der Senat natürlich auch auf den erhofften Respekt vor den Traditionen des alten Staates hin. Der originale goldene clipeus virtutis war in der Curia wirkungsvoll in unmit­ telbarem Zusammenhang mit der Victoria des Siegers von Actium aufgestellt. Das hat die Verbreitung des neuen Zeichens bestimmt. Der Schild wird in der Folge fast ausschließlich mit der Siegesgöttin kombiniert und dadurch zu einem Symbol der beständigen gottgegebenen Sieghaftigkeit des Herrschers (Abb. 101

80b, c). A uf einem leider nur in späteren Spiegelungen überlieferten augustei­ schen M onum ent beschreibt die A hnherrin Venus sogar selbst den Schild. Ü berhaupt erweisen sich Kom binationen als überaus charakteristisch für die neue Bildersprache. Die Ehrenzeichen des Jahres 27 v. Chr. werden in allen nur denkbaren Varianten m iteinander verbunden, aber auch wieder mit früher oder später entstandenen Sieges- und Heilszeichen. Die zufällige Abfolge der histori­ schen Ereignisse löst sich dabei zugunsten der Vorstellung von notwendigen und schicksalhaften Zusam m enhängen auf. Ein kleiner Cameo in W ien präsentiert alle drei Ehrenzeichen und verbindet sie mit den Bildern für Actium (Abb. 81). M ajestätisch fährt d er Sieger auf einem von Seekentauren gezogenen Wagen übers Meer. Aber die fröhlichen Schlachthelfer halten als Trophäen die Ehrungen für die Rückgabe des Staates in die H öhe. Diese sind indes wie Herrscherinsig­ nien auf W eltkugeln montiert: Victoria mit der c o r o n a c i v i c a auf der einen, der c l i p e u s v i r t u t i s vom Eichenkranz gerahm t und von Capricorni getragen auf der anderen Seite. Alles hängt m iteinander zusammen, ohne Actium keine Rückgabe des Staates. Ein paar Jahre früher hatte man den Sieger noch ganz anders dargestellt (Abb.82). Auf einem Cameo in Boston sprengt er - durch N acktheit und Drei­ zack unm ittelbar dem Neptun angeglichen - über einen in den Fluten versinken­ den G egner hinweg. Auf dem späteren Bild ist dieses Pathos der rauschenden Bewegung durch eine fast heraldische En-face-Komposition ersetzt. D er Sieger wird nicht m ehr als Gott, sondern als römischer Trium phator in der to g a und mit dem Lorbeerzweig in der H and präsentiert, und seine Verdienste und Tugenden

81. Sardonyx. Augustus auf von Tritonen gezogenem Wagen. Die Meerwesen halten Steuerruder, Victoria mit Eichenkranz und den clipeus virtutis mit capricorni und Weltkugel.

102

82. Intaglio. Octavian auf von Hippokampen gezoge­ nem Wagen. In den Wogen der Kopf des Sextus Pom­ peius oder des M. Antonius.

werden mittels symbolischer Zeichen aufgezählt. Das neue Selbstverständnis erforderte einen neuen Stil. Dabei wurde aber die Monarchie in keiner Weise maskiert, im Gegenteil: der hieratische Stil entspricht der neuen Herrschafts­ form. Der Ehrenname „Augustus“und das neue Bildnis Während die bedeutungsträchtigen und so einfach anmutenden Ehrenzeichen ihre Wirkung erst nach und nach entfalteten, konnte über den Gehalt der größten Ehrung, nämlich der Verleihung des Namensprädikates Augustus von Anfang an kein Zweifel herrschen. Octavian hatte in einer früheren Phase daran gedacht, sich Romulus nennen zu lassen. Aber das paßte 27 v. Chr. nicht mehr ins neue Konzept, weil es zu sehr an Königsherrschaft erinnerte. Augustus dagegen war ein Adjektiv mit weitem Bedeutungsrahmen (erhaben, verehrungswürdig, heilig). Man konnte aber auch augere (mehren) assoziieren. War er nicht ein „Mehrer des Reiches“? Oder man konnte an den augur; den Zeichendeuter, denken. Hatten ihn nicht schon seine ersten Feldherrenauspizien mit dem optimus augur Romulus vergleichbar erscheinen lassen, woran er später selbst im Giebel des Mars-UltorTempels erinnerte (s. Abb. 150)? Der Name war eine geniale Wahl; denn er umgab den Augustus schon bei der Rückgabe des Staates mit einer Aura des Einzigartigen und Erhöhten, „als ob er schon damals allein durch den Namen vergöttlicht worden wäre“ (Florus 2,34,66). Der Senat wollte schon damals den Monat Sextilis in Augustus umbe­ nennen, was der Geehrte allerdings erst später akzeptierte. So erhielt der Ehren­ titel sogar einen bleibenden Platz im Kalender. In diesen Jahren muß das neue Bildnis des Caesar Augustus (so die jetzt oft gebrauchte Kurzform seines Namens) entstanden sein (Abb. 83). Es trat an die 103

Stelle des pathetischen Jugendporträts (s. Abb. 33) und unterscheidet sich von allem, was in der Porträtkunst der späten Republik üblich war. Es bringt das ver­ änderte Selbstverständnis des Dargestellten zum Ausdruck, zeigt, wie dieser als Angustus gesehen werden wollte, wie er sich mit dem neuen Ehrentitel identifi­ zierte. Denn wer immer die Auftraggeber der einzelnen Ehrenstatuen waren, für die das neue Porträt dann tausendfach kopiert wurde, das Urbild muß mit Augu­ stus’ Zustimmung, wenn nicht in seinem Auftrag entstanden sein. Und es ist offensichtlich, daß der beauftragte Bildhauer, was Stil und Konzeption des Bild­ nisses anbelangt, nach klaren Vorgaben arbeitete. Das neue Porträt unterscheidet sich von den knochigen und unregelmäßigen Formen des Octavianbildnisses durch harmonische, am klassischen Kanon orien­ tierte Proportionen. Die erregten und angestrengten Züge des früheren Porträts und dessen auftrumpfende Art sind getilgt. Das neue Gesicht zeichnet sich durch einen ruhig erhabenen Ausdruck aus. Die momentane Kopfbewegung des Jugendbildnisses ist in eine zeitlose und distanzierte Würdehaltung überführt. Statt der heftig bewegten Stirnhaare sind die Locken bis ins letzte Detail nach dem Prinzip von Bewegung und Gegenbewegung geordnet, eine Stilisierung, die deutlich auf klassische Werke wie die Polyklets als Vorbild weist (Abb. 84). Das neue Bildnis ist eine durch und durch reflektierte Schöpfung, ein Kunstgesicht, in dem sich physiognomische Züge mit den klassischen Formen in raffinierterWeise mischen. Das Gesicht des Augustus erscheint in alterslose, .klassische* Schönheit übersetzt. Das neue Bildnis war ein großer Erfolg. Man wiederholte es in allen Teilen des Reiches, und es prägte die visuelle Vorstellung von Augustus für alle Zeiten, obwohl es mit dessen wirklichem Aussehen wahrscheinlich nur noch wenig zu tun hatte. Als Selbstdarstellung betrachtet bringt das Bildnis einen sehr hohen Anspruch zum Ausdruck. Denn die klassischen Formen, besonders die der polykletischen Werke, stellten nach dem Verständnis der Zeit die höchste Form der Menschendarstellung überhaupt dar, verkörperten Vollkommenheit und Erha­ benheit (s. S.248). Quintilian (5,12,20) nennt den Doryphoros Polyklets sogar gravis et sanctus - „voll Würde und Fleiligkeit“. Das entspricht genau dem, was mit dem Ehrennamen des „Erhabenen“ gemeint war. Das neue Bildnis .verbild­ licht* tatsächlich das Augustus-Prädikat, wobei dessen höchste Bedeutungsmög­ lichkeiten maßgebend waren. Die Kunst definiert hier die herausragende Stel­ lung des Princeps im Staat. Sie spricht sehr viel offener als die Res Gestae, gibt eine Vorstellung von dem, was Augustus dort so schlicht und altväterlich auctori­ tas nennt. Wir haben es hier wirklich mit einem Fîerrscherbild zu tun. Freilich mit einem ganz neuartigen, dessen Formensprache sich nur dem Gebildeten völlig erschloß, das aber auch der Durchschnittsbürger, der nichts von klassizistischer Kunsttheorie verstand, als schön, alterslos, erhaben, überlegen und distanziert lesen konnte. Die Ehrungen des Jahres 27 v.Chr. und das neue Porträt zeigen, wie in der ver­ änderten Situation nach der Erringung der Alleinherrschaft und nach der Wie104

83. Augustus. Nach einem 27 v.Chr. entstandenen Original. Kopf der Panzerstatue hier Abb. 148 a. 84. Teilkopie nach dem Doryphoros des Polyklet. Bronzeherme aus der „Villa dci Papiri“.

derherstellung der respublica Zeichen und Bilder entstehen und rezipiert werden. An die Stelle der bedenkenlosen Selbstverherrlichung tritt ein Geflecht von Inter­ aktionen: Der Princeps bestimmt natürlich Thema und Ausrichtung. Dabei kommt seinem Auftreten und seinem neuen politischen Stil keine geringere Rolle zu als seinem tatsächlichen Handeln. Die .geretteten“ Bürger antworten darauf einzeln oder durch ihre Repräsentanten und Körperschaften mit Ehrungen, die sich entsprechend der neuen politischen Situation entweder mehr im Rahmen der Tradition bewegen oder die Einzigartigkeit des Princeps feiern können. Der Geehrte hält sich dabei offiziell völlig zurück. Aber er steht dem allgemeinen Wil­ len zur Verehrung natürlich auch nicht im Wege! Er kann sich durchaus mit den seinem Selbstverständnis entsprechenden Formen und Bildern des Herrscherlo­ bes identifizieren (Konzeption des neuen Bildnisses), ohne diese jedoch selbst zu propagieren (die Statuen mit dem neuen Porträt errichten die anderen). Mit der Wiederherstellung der res publica wurde keine „republikanische Scheinfassade“ aufgerichtet um die Römer zu täuschen, wie man so oft liest. Schon 27 v.Chr. zeigte sich, daß der neue Stil des Princeps dem Sendungsbewußtsein des Augu­ stus keinen Abbruch tat, im Gegenteil. Aber der Alleinherrscher verstand und spielte seine Rolle jetzt anders als vorher. 105

Die Macht der neuen Zeichen ging also nicht von einer Behörde aus, die mit der Verbreitung politischer Bilder und Schlagwörter befaßt gewesen wäre und sich an einem ,Zielpublikum‘ orientiert hätte. Ihre rasche Verbreitung beruhte allein auf der Bereitschaft, ja dem konkurrierenden Eifer der Städte, Stände, Gruppen und Einzelpersonen, den Augustus zu ehren, ihm zu danken und ihn der Loyalität zu versichern. Hinter dieser Spontaneität, dieser Selbstläufigkeit der Verbreitung der Bilder, standen natürlich sehr konkrete soziale, wirtschaftliche und politische Zwänge, die sich aus der individuellen Situation der Agierenden ergaben (vgl. Kapitel VIII). Doch wir sind dem Gang der Dinge vorausgeeilt. Die bereitwillige Aufnahme der neuen Zeichen für den Sieg, für die Apolloverehrung und für die Wiederher­ stellung des Staates beruhte auf einer allgemeinen Atmosphäre der Zustimmung zum neuen Regime. Freilich war diese nach dem Untergang des Antonius zumin­ dest in Rom nicht selbstverständlich, sie mußte erst geschaffen bzw. gefestigt wer­ den.

IV. Das Programm der kulturellen Erneuerung Die Stimmung vieler Römer, vor allem der Oberschicht, blieb auch in den Jahren nach Actium pessimistisch. Ein Hauptgrund für die Zukunftsangst war die ver­ breitete Vorstellung, daß die Bürgerkriege und all die anderen Desaster eine Folge des moralischen Verfalls gewesen seien. Die demagogischen Schlagwörter jahrzehntelanger Kulturkritik waren offenbar doch verinnerlicht worden. Selbst Livius, der dem neuen Regime so positiv gegenüberstand, blickt zu Beginn seines Geschichtswerkes düster auf die Gegenwart: „Wir vermögen weder unsere Unmoral noch die entsprechenden Gegenmittel mehr zu ertragen.“ Auf der anderen Seite gab es geradezu utopische Hoffnungen. Sibyllen, Zei­ chendeuter und Politiker, alle hatten ein neues Zeitalter des Friedens und Wohl­ standes versprochen. Wie so oft in Umbruchszeiten lagen Verzweiflung und phantastische Zukunftshoffnungen nahe beieinander. Der Princeps sah sich gleichzeitig tiefem Mißtrauen und hochgespannten Erwartungen gegenüber. Er mußte zeigen, daß es ihm nicht nur um die Sicherung seiner Macht, sondern tat­ sächlich um die Wiederherstellung von Staat und Gesellschaft ging. Es galt, das Gefühl zu vermitteln, daß er imstande sei, Abhilfe für die eigentlichen Ursachen der Übel zu schaffen. Es mußten überzeugende Zeichen gesetzt werden. Gleichzeitig mit der „Wiederherstellung der res publica“und der Entwicklung seines neuen politischen Stils brachte Augustus ein umfassendes Programm zur ,Gesundung“ der Gesellschaft in Gang. Erneuerung von Religion und Sitten, von virtus und Würde des Römervolkes waren die Leitmotive. Nie zuvor und selten danach ist die Errichtung einer Herrschaft von einem so umfassenden kulturpoli­ tischen Programm und von einer so suggestiven Visualisierung der tragenden Werte begleitet gewesen. Im Laufe der nächsten zwanzig Jahre entstand eine neue Bildersprache. Nicht nur die im engeren Sinne politischen Zeichen und Bilder, sondern auch das Stadt­ bild Roms, der Dekor und die Ausstattung der Häuser, ja sogar die Kleider der Leute änderten sich. Es ist erstaunlich, wie umfassend bald die gesamte visuelle Kommunikation im Dienst der neuen Sache stand, wie konsequent die Leitmo­ tive und Parolen ineinander griffen. Dabei gab es auch hier keinen ausgeklügel­ ten Plan, in dem so etwas wie ein Propagandafeldzug für die Erneuerung des Römertums abgesteckt gewesen wäre. Wie bei der Verbreitung der neuen Zei­ chen nach Actium ergab sich vieles ,wie von selbst“, nachdem der Princeps die Richtung angezeigt hatte und diese konsequent verfolgte. Er selbst brauchte sich kein neues Programm auszudenken; denn es war ihm vorgegeben. Seit Generationen hatte man die Krankheiten von Staat und Gesell­ schaft benannt, beschrieben und wie unheilbare Übel beklagt. Das Unerwartete, 107

für viele der Zeitgenossen geradezu ans Wunderbare Grenzende, war, daß der neue Herrscher dieses ewige Lamento zum Gegenstand ernsthaften politischen Handelns machte. Mit erstaunlicher Unbefangenheit ging er die in den dreißiger Jahren beschworenen Defizite und Erwartungen wie konkrete politische Aufga­ ben an. Dadurch ergab sich ihm gleichsam von selbst ein Rahmen, an dem er sein Handeln orientieren konnte. Wir werden in den nächsten Kapiteln sehen, mit welcher Selbstverständlichkeit, ja fast Naivität, er diesen Handlungsrahmen Stück für Stück ausfüllte, wie systematisch er den ganzen Negativkatalog der spätrepublikanischen Kulturkritik durchging, bis er dann 17 v. Chr. das „Goldene Zeitalter" einläuten konnte. Am Anfang stand das Programm der religiösen Erneuerung (pietas). Es folgten die Anstrengungen für die öffentlichen Bauten (publica magnificentia) und die Wiederherstellung der römischen virtus im Partherfeldzug (20 v.Chr.). Dem so gestärkten Selbstbewußtsein des Herrschervolkes konnten und mußten dann getrost die Gesetze zur moralischen Erneuerung zugemutet werden (18 v.Chr.). Damit war die innere Sanierung abgeschlossen. Nichts stand dem Anbruch des Goldenen Zeitalters mehr im Wege. So einfach war das. Aber zunächst waren diese Programmpunkte natürlich nicht viel mehr als die alten Absichtserklärungen, aus denen es erst allmählich realisierbare Aktionen, Bauten und Bilder zu entwickeln galt. Dazu brauchte der Princeps viele Helfer. Da keine literarischen Quellen Einblick in die komplexen Vorgänge geben, die zur Realisierung des Kulturprogramms führten, muß man aus den Manifestatio­ nen und Monumenten selbst ein Bild vom Zusammenwirken von Princeps, seinen politischen Helfern, den zur Mitarbeit bereiten Dichtern, den leitenden Architek­ ten, den Künstlern und Werkstätten zu gewinnen versuchen.

1. Pietas Pietas war nicht nur eine der auf dem Ehrenschild bezeugten Tugenden des Prin­ ceps, sie sollte auch zum wichtigsten Leitmotiv des augusteischen Staates werden. Seit Cato dem Älteren hatte man in der Vernachlässigung der Götter einen Hauptgrund für Staats- und Sittenverfall, für Selbstzerfleischung und drohenden Untergang gesehen. „Befleckt bleibst du, Römer, durch die Schuld deiner Väter, bis du die Tempel wiederhergestellt hast und all die verfallenen Heiligtümer mit ihren vom Rauch beschmutzten, dunklen Götterbildern“ (Horaz, carm. III, 6). Hier mußte der ,Retter' zuerst tätig werden. Er handelte planmäßig und umfassend. Bereits 29 v. Chr. kündigte sich ein religiöses Restaurationsprogramm an. Octavian ließ sich vom Senat beauftragen, die alten Priesterschaften zu ergänzen. Die zum Teil nur noch dem Namen nach existierenden Kulte wurden neu konstituiert, Statuten, Rituale, Priestertrachten und Kultlieder erneuert und wo nötig neu erfunden. Von nun an sollten alle religiösen Vorschriften wieder 108

minuziös beachtet werden. Bereits ein Jahr später folgte dann zusammen mit der Einweihung des Apollotempels das große Programm der Tempelsanierung. „In meinem 6. Konsulat (28 v.Chr.) habe ich im Auftrag des Senats 82 Götter­ tempel in der Stadt wiederhergestellt und dabei keinen ausgelassen, der zu dieser Zeit einer Erneuerung bedurfte“ (Res Gestae 20). Von der Notwendigkeit solcher Maßnahmen sprach man schon seit langem. Nirgends kam die nostalgische Identitätssuche der späten Republik so deutlich zum Ausdruck wie im wieder erwachenden Interesse an der Religion der Vorfah­ ren. Vor allem der große Polyhistor und Dichter M .Terentius Varro (116-27 v.Chr., Prätor 68 v.Chr.) hatte in seinen 16 Büchern antiquitates rerum divinarum - „Über die religiösen Altertümer“ - ein Kompendium dessen geschaffen, was man von den alten Kulten wußte und hatte in Vergessenheit Geratenes zu rekon­ struieren versucht. Ohne sein Werk wäre das Restaurationsprogramm des Augu­ stus in so umfassender Form nicht möglich gewesen. Varro hatte seine Studien mit patriotischer Hingabe, ja mit Enthusiasmus betrieben. In einem späteren Zitat heißt es, er (Varro) „fürchte, daß die Götter nicht durch Feindeseinfall zugrunde gingen, sondern durch die Gleichgültigkeit der Bürger. Er rette sie aus diesem Ruin durch seine Bücher und präge sie dem Gedächtnis der Guten ein. Das halte er für verdienstvoller als die Rettung der Kultgeräte der Vestalinnen aus dem Feuer durch Metellus und der Penaten aus dem untergehenden Troja durch Aeneas“ (Augustinus, deciv. dei VI 2). Das waren emotionsträchtige Bilder, die ihre Wirkung auch auf Augustus nicht

85. Cosa, Capitolium, 3.-2.Jh. v.Chr. Die altertümlichen Tempel mit ihren Holzdächern und Terrakottaverzierungen bildeten einen eklatanten Kontrast zu den neuen Marmorbauten.

verfehlten. Varro hatte seine Schrift Caesar gewidmet und ihn damit zum H an­ deln aufgefordert. Aber so sehr der Gedanke einer religiösen Erneuerung auch in d er Luft lag - man denke an die Tempelprojekte der 30er Jahre - , zu einem syste­ matischen Programm konnte es erst in der veränderten Situation nach Actium kommen. N och 32 v. Chr. hatte der Anstoß von außen kommen müssen. T. Pomponius Atticus, der gebildete Freund Ciceros und steinreiche Schwiegervater Agrippas, hatte damals Octavian aufgefordert, den Tempel des Jupiter Feretrius wiederauf­ zubauen, auf daß sich der d u x I t a li a e mit dem Heldentum des Stadtgründers Romulus vergleichen könnte. Octavian fand offenbar Gefallen an solchen Mani­ festationen. Ein Jahr später bei der Kriegserklärung an Antonius und Kleopatra schleuderte er - altertümlich als f e t i a l i s kostümiert - im Circus Flaminius die höl­ zerne Rituallanze ins symbolische Feindesland und sprach dazu eine magisch klingende Formel. Solche Darbietungen werden zunächst eher Befremden ausge­ löst haben und von den Gebildeten als modische Archaismen empfunden worden sein. Aber als sie sich mehrten, als 29 v.Chr. zum Zeichen des Friedens der Janustempel in einem noch nie gesehenen archaisierenden Ritual feierlich geschlossen, als das alte a u g u r iu m s a lu tis als Gelübde für das Heil des Staates erneuert wurde und als Octavian im Jahr darauf tatsächlich in spektakulärer Form mit der Erneuerung „aller“ alten Tempel begann, da konnte keiner mehr daran zweifeln, daß es mit der Rückkehr zu den Göttern diesmal ernst gemeint war. Überall in der Stadt wurden jetzt Baugerüste errichtet. D er Sieger hatte es offenbar tatsächlich darauf angelegt, daß unter ihm, dem „Gründer und Erneue­ rer aller Heiligtümer“ (Liv. 4,20,7), „die Tempel das Alter nicht mehr spüren wür­ den“ (Ovid, F a s ti II 61).

Aurea Templa Ein so umfassendes Programm erforderte Planung und Organisation. Das fing mit der Verteilung der Bauaufgaben an. Künftig wurde bei den vielen Bauprojek­ ten zwischen sakralen und profanen Bauten unterschieden. Den Bau der Heilig­ tümer, die wichtigste und vornehmste Aufgabe nach dem Verständnis des Augu­ stus, behielt sich das Herrscherhaus selbst vor. Sogar unter den vielen Bauten des Agrippa befindet sich kein Tempel - sieht man von dem besonderen Fall des für den Herrscherkult bestimmten Pantheon ab. Dagegen durfte Tiberius die beiden ehrwürdigen alten Tempel am Forum, den Dioskurentempel und den Concordiatempel, als Marmorbauten erneuern und 6 bzw. 10 n.Chr. als designierter Nach­ folger feierlich einweihen (s.Abb.61). „Größter Aufwand für die Götter“ hieß jetzt die Parole. Die weiß leuchtenden Tempelfassaden aus dem in den neuen Steinbrüchen bei Luni (Carrara) gewonne­ nen M armor mit ihrem üppigen, z. T. tatsächlich vergoldeten Dekor wurden zum Wahrzeichen der neuen Zeit. Die besten Architekten und Künstler strömten aus 110

86. Opferszene vor dem Mars Ultor Tempel. Relief von einem daudischen Altar ähnlich der Ara Pacis (5. Abb. 126).

dem Osten nach Rom, angezogen von der Aussicht auf große, lohnende Aufga­ ben und gute Bezahlung. Zumindest die Leitenden unter ihnen bekamen offenbar klare Direktiven, was den Zweck der Bauten und die Grundideen des religiösen Erneuerungspro­ gramms anbelangte. Es sollten keineswegs Tempel im Stil der Alten - aus Tuff mit schweren Holzdächern und altertümlichem Terrakottazierat (Abb. 85) - errichtet werden. Vielmehr wollte man die schönsten und wirkungsvollsten Formen der griechischen Tempel imitieren, ja überbieten (vgl. S.256), diese gleichzeitig aber mit traditionellen Formen des italisch-römischen Tempels verbinden: mit dem hohen Podium, der tiefen Vorhalle und dem steilen, durch üppigen Zierat schwe­ ren Giebel. Was sich zuvor infolge der Akkulturationsprozesse zwangsläufig ergeben hatte, wurde nun als Ausdruck der neuen Gesinnung bewußt als aesthetische Form konzipiert und kanonisiert. Die auf den Reliefs der sog. Ara Pietatis Augustae (Abb. 86) dargestellten Tem­ pelfassaden geben einen besseren Eindruck von der suggestiven Erscheinung der ganz auf Fassadenwirkung hin konzipierten augusteischen Marmortempel als die noch sichtbaren Ruinen. Dem Podium ist in der Regel eine breite Freitreppe vor­ gelegt, in die häufig auch der Altar integriert war (Abb. 87). Er wurde auf diese Weise ins Bild der Fassade einbezogen ; die Rituale konnten so unmittelbarer mit der Tempelfassade als Bühne verbunden werden. Dahinter erheben sich in dichter 111

Reihung die besonders hoch proportionierten, korinthischen Säulen. Diese Kapi­ telle (Abb. 88) waren wegen ihrer aufwendigen Form gewählt worden - die ande­ ren Ordnungen verschwanden in der Folge aus der Sakralarchitektur. Aber auch Säulenbasen, Gebälke, Friese, Kassetten, Simen (aufgebogene Dachränder), alles ist aufs reichste mit Ornamenten verziert. Dazu kommt der aufwendige Skulp­ turenschmuck im Giebel, auf den Treppenwangen und in Form von Akroter­ figuren. Die in der Konkurrenzsituation angehäufte überbordende Ornamentierung konnte jetzt ganz in den Dienst des Pietas-Programms gestellt werden. Die neue Ideologie fand ihre Formensprache bereits vor. Die kunstvolle Verbindung so verschiedenartiger Elemente setzt grundsätzliche Überlegungen voraus. Die glanzvollen Fassaden zeigen, daß es dem frommen Princeps keineswegs nur um eine antiquarische Erneuerung der römischen Religion im Sinne Varros ging. Die Marmortempel sollten nicht nur einen würdigen Rahmen für die erneuerten Rituale bilden, sie sollten selbst Zeichen einer neuen Gesinnung, eines neuen Selbstbewußtseins sein. Götterehrung und p u b li c a m a g n if ic e n tia gingen Hand in Hand. Dies alles mußte den führenden Künstlern nahegebracht, und ihre künstleri­ schen Möglichkeiten mußten in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Dazu war ein ständiger wechselseitiger Gedankenaustausch notwendig. Möglicherweise hatten einige leitende Architekten und Künstler unmittelbaren Zugang zu Freun112

88. Rom, Augustusforum. Kapitelle mit Gebälk, vor 2 v.Chr.

deskreisen wie wir sie von den Dichtern kennen, die sich u.a. im Haus des Mae­ cenas trafen und teilweise sogar direkten Zugang zu Augustus hatten. Für jedes größere Projekt bestimmte wohl eine Kommission die Richtlinien. Da die aus Anlaß bestimmter Ereignisse entstandenen Dichtungen und Bildwerke in ihren Leitmotiven sehr eng übereinstimmen, müssen zumindest die führenden Künstler schnell mit den neu gefundenen Formulierungen bzw. den Bildern der Dichter vertraut gemacht worden sein. Die Rolle der bildenden Künstler war dabei aller­ dings eine andere als die der Dichter. Während diese ihre Verse in der Regel in eigener Verantwortung schufen, den Herrscher rühmen und seinen Aktionen applaudieren konnten - oder auch nicht, wie die „Elegien“ des Tibull zeigen -, standen die Architekten, Bildhauer, Fest- und Ritualregisseure direkt im Dienst ihrer Auftraggeber. Sie verwirklichten deren Wünsche, nicht ihre eigenen. Den freischaffenden' Künstler kannte die Antike nicht. Im Falle seiner eigenen Tempelemeuerungen und Neubauten bestimmte Augustus den Rahmen schon durch den sehr unterschiedlichen Aufwand für Bauplatz, Material und Baukosten. So sollten zwar «//ealten Tempel erneuen, die verschiedenen Gottheiten aber durchaus mit sehr unterschiedlichem Aufwand geehrt werden. Die aufwendigsten Bauten entstanden nicht an den alten Kult­ plätzen und nicht für die Götter des alten Staates, sondern für die am engsten mit Augustus verbundenen, für Apollo auf dem Palatin und für Mars Ultor auf dem neuen Augustusforum. Dazu kam das erst jetzt vollendete Forum Julium Caesars 113

mit dem Tempel der Venus Genetrix. Diese neuen Tempel konnten mit den sie umrahm enden Portiken und Annexgebäuden, ihrer Ausstattung an Baudekor und Weihegaben und nicht zuletzt dank der mit ihnen verbundenen Rituale und Staatsakte selbst mit dem kapitolinischen Jupitertempel konkurrieren. Trotz der üppigen Weihungen, mit denen auch der alte Staatsgott Jupiter von Augustus immer wieder bedacht wurde, soll er darüber geklagt haben, daß dieser ihm Ver­ ehrer entziehe (Suet. A u g . 91,2). Er w ar in der Tat unter Augustus nicht mehr das alleinige Zentrum des Staatskultes. Die sibyllinischen Bücher z. B. hatte er an den palatinischen Apollo verloren, die Zeremonien vor und nach einem Feldzug an M ars Ultor, dessen Tempel zum Zentrum der Inszenierungen „außenpolitischer“ Aktivitäten wurde (S. 216). Aber nicht nur Venus-, Apollo- und Mars-UItor-Tempel waren eng mit dem Herrscher verbunden, auch der Jupiterkult auf dem Capi­ tol wurde durch einen Tempelneubau in unmittelbaren Bezug zum Princeps gebracht. Beim Feldzug gegen die Kantabrer war Augustus auf wunderbare Weise unversehrt geblieben, als ein Blitz seine Sänfte gestreift, aber nur den vorange­ henden Sklaven erschlagen hatte. War das nicht ein Zeichen für seine Erwähltheit, für seine enge Verbindung mit dem donnernden Himmelsgott? Er baute jedenfalls sogleich in unmittelbarer Nähe des großen Jupitertempels einen kost­ baren kleinen Tempel ganz aus Marmor für Jupiter Tonans und zeichnete diesen durch seine häufigen Besuche aus. In einer nach dem ,Parthersieg‘ geprägten Münzserie erscheint der sechssäulige Bau mit seinem Kultbild, einem Zeus des spätklassischen Bildhauers Leochares (Abb. 89 a), bezeichnenderweise zusammen mit den wiedeigewonnenen Feldzeichen und einem kleinen Rundtempel des Mars Ultor, in dem diese aufbewahrt wurden (Abb. 89 b) : Die Göttergunst befä­ higte Augustus zu seinen großen Taten. Der Aufwand für die Neubauten der alten Staatsgötter, z. B. für die Dioskuren und für Concordia auf dem Forum Romanum, war nicht geringer, doch gebot hier die jetzt wieder so streng beachtete r e lig io ein Festhalten am Bauplatz, manchmal selbst am alten Grundriß. Das bedeutete bei allem Reichtum der For­ men Einschränkungen in der Bauplanung. Weit unter diesen Bauten aber rangier­ ten die Tempel und a e d ic u la e der 82 alten Gottheiten, die 28 v. Chr. erneuert wor­ den waren. Sie wurden zum Teil nur geflickt, und die Tuffsäulen bekamen einen neuen Stucküberzug, aber sie behielten ihre altertümlichen Holzdächer mit den tönernen Dachterrakotten. Das veranschaulichte natürlich dramatisch ihren gesunkenen Stellenwert neben den neuen Marmorbauten für die Götter des Kai­ serhauses. Gar nicht bedachte der Princeps die schon damals im Volke sehr verehrten orientalischen und ägyptischen Gottheiten, vor allem Isis. Sie wurden nicht in den Kalender der Staatsreligion aufgenommen, ja ihre Kulte sogar zeitweise verbo­ ten. So unbedenklich Augustus in der Erweiterung und Umformung der alten Religion und in der Verbindung der traditionellen Kulte mit seiner Person und seinem Haus vorging, hier schien ihm Härte geboten. Die ekstatischen Erlö114

89. Denare, Spanien 19/18 v. Chr. a) Tempel des Jupiter Tonans auf dem Capitol. Als Kultbild diente eine Zeusstatue des klassischen Bildhauers Leochares. b) Rundtempelchen des Mars Ultor auf dem Capitol. Mars ist in archaistischem Stil dargestellt und hält die von den Parthern zurückgegebenen signa, vgl. Abb. 148b.

sungsreligionen des Ostens sprachen den einzelnen, nicht den Staatsbürger an. Das aber war mit den Grundsätzen der römischen Staatsreligion unvereinbar. Hier sah das neue Regime - nicht anders als früher der Senat - Gefahren der Desintegration, der Überfremdung und der Geheimbündelei. Eine Ausnahme wurde nur für Gottheiten gemacht, die seit langem in Rom heimisch und wegen ihrer Verdienste unter die Staatskulte aufgenommen waren. Aber auch hier war die Abstufung unübersehbar. Der Tempel der Mater Magna (Kybele) auf dem Palatin, der 205 v.Chr. auf­ grund einer Befragung der sibyllinischen Bücher eingeführt worden war, brannte 3 n. Chr. ab. Obwohl Dichter den nationalen Aspekt der Magna Mater, ihre Ver­ bindung mit den Trojanern und ihre Qualität als Schützerin der Städte und Mau­ ern betonten, erneuerte Augustus den nicht weit von seinem Haus liegenden Bau nicht in Marmor, sondern nur in Tuff (Peperin) und überließ den fremdartigen Kult mit seinen ekstatischen Tänzen und langhaarigen Priestern (galli) den Freigelassenen. Offenbar hat Augustus 28 v.Chr. auch nicht alle Tempel sofort erneuert, wie er in den Res Gestae schreibt. Auch hier gab es Dringendes und weniger Dringendes. Ein so volkstümlicher Tempel wie der der dionysischen Trias (Liber, Libera und Ceres) am Aventin, der ausgerechnet im Jahre der Schlacht von Actium abgebrannt war, konnte bezeichnenderweise erst von Tibe­ rius 17 n.Chr. neu eingeweiht werden (Dio 50,10; Tac. arm. II 49). Die Zeitgenossen bekamen durch das Nebeneinander der mit so unterschiedli­ chem Aufwand errichteten Tempel ein differenziertes Bild von der Bedeutung der einzelnen Gottheiten. Unübersehbar dominierten die neuen Kultbauten, die Augustus für seine Götter errichtet hatte. Die Größe der Bauten stand für die Größe der Götter (Ovid, Fasti V 553). Aber durch die Vielzahl der kleinen archaischen Kulte, die jetzt zwischen den großen Heiligtümern wieder aufmerksame Pflege erfuhren, wurde die erneuerte Religion auch klar erkennbar an die Tradition des alten Staates gebunden. Die

neue pietas konnte sich mit der Götterfurcht der Alten messen. Das neue Rom aber übertraf in seiner Pracht alles Frühere bei weitem. Simplicitas rudis antefait nunc aurea Roma est et domiti magnas possidet orbis opes. „Rohe Einfachheit herrschte früher, jetzt ist die Stadt voller Gold, denn sie besitzt die riesigen Schätze der unterworfenen Welt“ (Ovid, Ars am. Ill 113 f.).

N e u a r t i g e B il d p r o g r a m m e

Das große, über einen Zeitraum von fast 40 Jahren durchgeführte Tempelbau­ programm stellte die leitenden Architekten und Künstler ständig vor Gestaltungs- und Organisationsprobleme, wie sie bis dahin nur in Einzelfällen, z.B. beim großen Bauprogramm der pergamenischen Könige, aufgetreten waren. Der von den Auftraggebern geforderte Reichtum an Bildschmuck und Materialien und die oft weitläufigen Areale, die in kurzer Zeit ausgestattet werden mußten, verlangten nicht nur eine umfassende Raumorganisation, sondern auch wohl­ überlegte Bild- und Dekorationsprogramme. Wie sollte man die langen Säulen­ hallen der Heiligtümer des Apollo und Mars sinnreich und - so forderte es der Princeps für seine eigenen Bauten - auch erzieherisch mit Bildschmuck ausstat­ ten; wie die vielen neuen Tempelfassaden so schmücken, daß Tradition und Gegenwartsbezug gleicherweise zum Ausdruck kamen; wie die Innenräume der Tempelcellae und die neuen Kultbilder mit dem übrigen Programm verbinden? Der Anlaß des Baus, die mit der Tempelgottheit verbundenen Götter, der Bezug dieser Götter zum erneuerten Staat und natürlich zum Princeps, das alles mußte bedacht werden. Eine Vorstellung von dem dichten Bildergeflecht einer augusteischen Tempel­ fassade gibt das Münzbild des Concordiatempels (Abb.90). Über der Giebelmitte

90. Sesterz, Rom 36 n.Chr. Concordiatempel am Forum Romanum. Die neuen Tempel waren mit zahlreichen programmatisch auf­ einander bezogenen Skulpturen verziert.

116

91. Sog. Ara Grimani. Augusteische Schmuckbasis mit dionysischen Motiven. Charakteristisch sind die zahlreichen und sorgfältig gearbeiteten Ornamente.

stehen drei eng miteinander verschlungene Gestalten, wahrscheinlich Concordia mit zwei verwandten, auch kultisch miteinander verbundenen Gottheiten wie Pax/Salus oder Securitas/Fortuna. Natürlich war auch die Umarmung der drei Gottheiten ein sprechendes Zeichen. Die waffentragenden Gestalten und Tro­ phäen der Seitenakrotere stellen einen Bezug zum Bauherrn her, dessen Triumph den Anlaß zum Neubau gegeben hatte. Dazu kamen die auf der Münze nicht dargestellten Giebelfiguren, von denen aber die sinnbildhafte Zusammenstellung der Gottheiten im Giebel des Mars-Ultor-Tempels eine Vorstellung vermitteln kann (s. Abb. 150). Auch auf den Treppenwangen stehen zwei beziehungsreiche Statuen, ein Hercules und ein Mercurius. Der eine versinnbildlicht die Sicherheit (z.B. der Straßen), der andere den Wohlstand, den das neue Regime gebracht hat. Dabei waren nun aber die Künstler in ihren Auswahlmöglichkeiten erheblich eingeschränkt. Wir werden sehen, daß nur vergleichsweise wenige mythische Gestalten und Geschichten Eingang in den neuen Staatsmythos fanden. Auch die Zurückhaltung des Princeps und seine anspruchslosen Ehrenzeichen zogen enge Grenzen. Dazu kam die Festlegung auf eine ruhige, statische Kunstsprache und zumindest zu Beginn sogar auf klassische und archaische Stilformen (vgl. S. 240). 117

G roße Bereiche traditioneller Herrscherikonographie waren offenbar wegen ihrer „asianischen“ Manier verpönt. So gibt es in der augusteischen Kunst kaum eine Schlachtdarstellung und auch keine Herrscherverherrlichung durch vielfigurige und bewegungsreiche Handlungsbilder. Verglichen mit den phantastischen M öglichkeiten, die sich etwa dem Meister des Pergamonaltares geboten hatten, waren die Spielräume, in denen sich die augusteischen Künstler bei ihren Bilder­ findungen zu bewegen hauen, sehr eng. Sie konnten lediglich die verschiedenen Zeichen miteinander kombinieren und suggestiv überhöhen, würdevolle Personi­ fikationen erfinden und mit entsprechenden Attributen ausstatten oder weihe­ volle Andachtsbilder und Götterstatuen in archaistischem oder klassizistischem Stil entwerfen; wirklich frei aber w aren sie an den öffentlichen Bauten eigentlich n ur im O rnam ent. Und hier entfalten sie denn auch einen durch keinerlei Tradi­ tion und K anon gezügelten Reichtum. Das gilt nicht nur für die überbordende B auornam entik (vgl. z.B. Abb.203), sondern für alle Teile der beweglichen Aus­ stattung. So sind sogar die Statuen- und W eihgeschenkbasen mit w ahren K aska­ den von Schmuckbändern verziert (Abb.91). Die Betrachter der neuen H eiligtüm er w urden auf eine bis dahin unbekannte Weise angesprochen. Nie zuvor hatten sie sich so vielen einheitlich konzipierten Bilderfolgen gegenübergesehen. Die didaktischen Gegenüberstellungen, die ständigen W iederholungen und Kom binationen der nicht sehr zahlreichen neuen Zeichen, die B etonungen und Inszenierungen der Fassaden, Statuen und Bilder führten auch den nicht Gebildeten in das Lesen der Bildprogram m e ein. Die entscheidenden Aussagen w aren einfach. Vor allem aber: Sie w urden bei jed er Gelegenheit, sei es beim G ötterfest oder im T heater, in Bild und W ort w ie­ derholt. Selbst das so reiche Program m des A ugustusforum s (A bb.92, s. Abb. 149)

konzentrierte sich auf wenige Bilder. Ovids Beschreibung des Neubaus gibt in Blickführung und Auswahl eine Vorstellung von der Rezeption der Bilderfolgen, wie man sie wohl für einen weiteren Kreis von Besuchern annehmen darf. „Gewaltig ist Mars und gewaltig sein Tempel. Anders hätte er in der Stadt sei­ nes Sohnes Romulus auch nicht wohnen dürfen. Der Bau wäre ein selbst der Gigantenkämpfe würdiges Siegesmal. Mars (Gradivus) mag von hier aus künftig wilde Kriege entfachen, wenn uns ein Frevler im Osten reizt oder einer im Westen nach seinem Joch verlangt [damit sind die auf dem Forum stattfindenden Staatsakte bei der profectio der Feldherrn gemeint]. Der Waffengewaltige [Mars] blickt zum Tempelgiebel und freut sich, daß die unbesiegten Götter die höchste Stelle einnehmen (s. Abb. 150). An den Eingängen sieht er Waffen aller Art aus all den Ländern, die sein Soldat [Augustus] besiegt hat. Auf der einen Seite erblickt er Aeneas mit seiner teueren Last und um ihn die vielen Ahnen des julischen Hau­ ses; auf der anderen Romulus, den Sohn der Ilia, mit den Waffen des von ihm eigenhändig besiegten Feindes und die Statuen der großen Römer, mit den Ruh­ mestiteln ihrer Taten. Er blickt zum Tempel auf und liest don den Namen Augu­ stus'. Da erscheint ihm das Monument noch gewaltiger“ (FastiV 533ff.). Bei einer solchen Prosaübersetzung geht natürlich die suggestive Wirkung der Verse verloren. Der Text zeigt, wie selbstverständlich Architektur und Bilderfol­ gen mit den entsprechenden Staatsakten, wie spezifische Bilder mit allgemeinen Erwartungen und Schlagwörtern verbunden wurden. So vielschichtig und viel­ deutig einzelne Zeichen, so elitär die archaistischen und klassizistischen Stilfor­ men mancher Bilder waren: Die Botschaften, auf die es ankam, konnte jeder ver­ stehen, und daß die monumentale Devotion des Herrschers letztlich als Zeugnis seiner eigenen Größe angesehen wurde, war nicht nur Herrscherlob des Ovid.

F est u n d R itu a l

Was für den Mars-Ultor-Tempel überliefert ist, gilt für alle Tempel. Es waren keine stummen Monumente, sie lebten und entfalteten ihre Wirkung durch die mit ihnen verbundenen Feste, vor allem durch die dies natales. Nach und nach wurden immer mehr dieser Stiftungs- und Gründungsfeste der Heiligtümer auf Gedenktage für den Princeps oder wichtige Ereignisse seines Hauses gelegt. Neue Heiligtümer weihte man nur noch an Festtagen des Kaiserhauses ein, und nicht wenige der alten Gründungstage wurden auf solche verlegt. Aufgrund der in verschiedenen Städten Italiens gefundenen marmornen Kalenderinschriften und der fasti des Ovid haben wir eine hinreichende Vorstellung vom Ablauf des Festjahres in der frühen Kaiserzeit in Rom und in den Städten der westlichen Provinzen. Es wurde völlig beherrscht von den Gedenktagen, Bitt- und Dankfei­ ern fürs Kaiserhaus. Besonders um die höchsten Festtage des Augustus häuften sich die Götterfeste, auf seinen Geburtstag z.B. hatte man nicht weniger als sie­ ben von ihnen gelegt. Um wichtige Tage bildeten sich mehrere Feiertage, die oft 119

93. Silberbecher (Skyphos), spätaugusteisch. Opferszene beim Auszug des Tiberius (vgl. Abb. 181). Aus Boscoreale bei Pompeji.

zu Ferien, angefüllt mit Theater- und Zirkusspielen, auswuchsen. Die Zeitgenos­ sen durchlebten das Jahr also in einem sich stets wiederholenden Rhythmus reli­ giös-dynastischer Feste, die voll von Bilderlebnissen waren. An jedem der Götter­ feste fanden Rituale statt. Priester und Opfertiere zogen in feierlicher Prozession zum Tempel. Die Opferdarstellungen betonten seit jeher die vorgeschriebene Zahl, Art und Schönheit der Opfertiere. Aber während auf den älteren Bildern die Tiere ruhig neben dem Altar standen (s. Abb. 10 a), wurde jetzt gerne der Augenblick der Tötung des Tieres dargestellt. Auf einem der Reliefs der sog. Ara Pietatis (s. Abb. 86) wird der prächtige Stier zum Opfer bereitgehalten. Auf einem der Becher von Boscoreale (Abb.93) holt der Opferdiener (popa) mit mächtigem Schwung zum Schlag aus. Hinter der neuen Ikonographie steht das dramatische Erlebnis des Tötungsrituals, das immer wieder emotionelle Kräfte freizusetzen vermag. Die Künstler intensivierten dies, indem sie den Augenblick des Schlags darstellten und die Szene geradezu bedrängend in den Vordergrund des Bildes rückten. Die völlig freigestellte Tempelfassade unmittelbar daneben gewinnt durch diese Komposition einen gesteigerten Symbolcharakter, leuchtet gleichsam auf beim Vollzug des Opfers. Die enge Verbindung von Ritual und architektoni­ schem Rahmen bildete eine entscheidende Voraussetzung für die suggestive Wir­ kung der aurea templa. Das gilt auch für die Innenräume der Tempel, die mit den aufwendigsten Materialien kunstvoll ausgestattet waren (Abb. 94). Wegen der hier aufgestellten kostbaren Weihgeschenke hielt man sie gewöhnlich verschlossen. An den dies natales aber wurden die Tempeltüren weit geöffnet, bei besonders feierlichen Bitt­ opfern (supplicationes) sogar in allen Heiligtümern der Stadt gleichzeitig. Durch 120

die offenen Türen konnte man dann auf das Kuitbild blicken (s. Abb.90). Wer eintrat, erlebte eine Fülle von Bildern aus unmittelbarer Nähe, nicht nur das Kukbild, sondern auch kostbare und kunstvolle Votive und geschichtsträchtige Erin­ nerungsstücke. Der Concordiatempel z.B. beherbergte ein ganzes Museum von Skulpturen, die Tiberius gesammelt hatte. Im Marstempel standen die einst von Crassus an die Parther verlorenen römischen Feldzeichen neben den kolossalen

94. Rom, Apollo-Iempe! des C. Sosius. Rekonstruktion der reichen Innenarchitektur.

121

95. Metope mit Bukranion, von der Porticus Gai et Luci Caesaris (?) am Forum Romanum. Überall sah man jetzt suggestiv gestaltete pietas-Zeichen.

Götterbildern in der Apsis. Die Seltenheit der Öffnung dieser ,Schatzhäuser‘ stei­ gerte natürlich Neugier und Schaulust. In einer nicht von Bildern überfluteten Zeit müssen diese religiösen Rituale in einer für uns nicht mehr nachvollziehbaren Weise bewegende Ereignisse ge­ wesen sein. Von besonderen Feiern, wie der Eröffnung des saeculum aureum 17 v.Chr., als der Princeps selbst magische Beschwörungsformeln sprach und seltsame archaische Opferriten ausführte, erzählte man noch jahrelang. Sonst hätten die Münzmeister solche Szenen nicht auf das von ihnen geprägte Geld gesetzt (s. Abb. 134). Bei dieser zentralen Bedeutung von Opfer und Ritual im täglichen Leben wun­ dert es einen nicht, daß die entsprechenden Zeichen die neue Bildersprache gera­ dezu beherrschten. Es gibt kaum ein Monument oder Gebäude, unter dessen Bildschmuck man nicht Schädel der Opfertiere, Opferschalen, Priesterattribute oder mit Binden umwundene Girlanden fände, selbst wenn es keinerlei sakralen Charakter hatte. Die an Opfer gemahnenden Zeichen, die in der Vergangenheit oft nur noch als konventionelle Dekorationselemente gedient hatten, wurden jetzt zu bedeutungsvollen Symbolen der neuen pietas. Die Künstler waren bemüht, ihnen durch neue Formen eine noch intensivere Wirkung zu verleihen. Besonders deutlich wird das an den Bukranien. Bisher hatte man meist reale Tierköpfe dargestellt, jetzt zeigen die Künstler das sehr viel suggestivere bleiche 122

96. Rom, Ara Pacis Augustae 13-9 v. Chr. Innenseite der marmornen Altarumhcgung mit Gir­ lande, Bukranien, Binden und Opferschalen (vgl. Abb. 126).

Gebein der Rinderschädel. Auf den Metopen der Vorhalle der Basilica Aemilia fasziniert das subtil geschichtete Knochengefüge, die reizvolle Ornamentierung und die dunkle Leere der Augenhöhlen der Bukranien. Eine überdimensionierte Binde intensiviert den sakralen Charakter (Abb.95). Auf der Innenseite der Ara Pacis wird auf einen mit Balken und Brettern gezimmerten heiligen Bezirk angespielt (Abb. 96). Aber die Wirklichkeit ist dabei so sehr ins suggestive Bild übersetzt, daß die Bukranien wie Symbole auf dem lee­ ren Grund zu schweben scheinen, obwohl sie doch schwere Girlanden zu tragen haben, die ihrerseits durch flatternde Binden und zeichenhafte Opferschalen in engen Bezug zur Opferfeier gesetzt sind. Die Girlanden enthalten überdies hier wie anderswo eine eigene Aussage: Verschiedenste Früchte, die gar nicht gleich­ zeitig reifen können, sind als Bilder der Fülle und des Segens zusammengebun­ den. Auch die bestimmten Gottheiten heiligen Bäume und Pflanzen wurden allent­ halben bald bedeutungsvoll, bald spielerisch ins Bild gesetzt. Auf einer besonders kunstvoll gearbeiteten Basis sind Zweige der Weißpappel mit geradezu ritueller Sorgfalt ausgebreitet, und das bleiche Bukranion darüber gewinnt dank seiner Isolierung deiktische Ausdruckskraft (Abb.97). Die Wirkung solcher Pietaszeichen beruhte auf ihrer tausendfachen Wieder­ holung und auf dem engen Zusammenhang zwischen Bild und erlebtem Ritual. 123

97. Marmorbasis für eine Statue, aus einem kleinen Herculesheiligtum am Tiber, augusteisch. Blattwerk und Tierschädel evozieren das Opferritual.

Was uns im nachhinein ornamental und dekorativ erscheinen mag, war damals neu und gewann seine Bedeutung in der emotionalen Aufbruchstimmung einer neuen Zeit. Die hohen Priesterschaften Bei den Götterfesten und Opfern spielten natürlich die seit 29 v. Chr. von Augu­ stus neu geordneten bzw. neu begründeten Priesterschaften eine zentrale Rolle. Man konnte sie an ihren z.T. altertümlichen Trachten und Attributen erkennen und unterscheiden, so etwa die flamines an ihren Lederkappen mit metallener Spitze (apex) und an ihren langhaarigen Wollmänteln (Abb.98), oder die X V viri sacrisfaciundis, die vor allem den Apollokult besorgten, an ihrem nur eine Schul­ ter bedeckenden Gewand (Abb.99a). Nach den wenigen erhaltenen Darstellun­ gen scheint es, daß bei der religiösen Restauration, was die Ritualtrachten anlangt, ein ebenso milder Archaismus waltete wie bei den detaillierten Vor­ schriften für die Lebensweise der einzelnen hohen Priester: genug, um das Alter der Priesterschaften zu betonen, aber Vermeidung all dessen, was für die Amts­ träger zu umständlich gewesen wäre (vgl. Tacitus, ann. 4,16). Die alten Kulttänze aber mußten ausgeführt, die z.T. bereits ganz unverständlichen Lieder gesungen werden. 124

98. Rom, Ara Pacis Augustae. Erzpriesterschaft der flamines. Detail aus dem Prozessionszug der Südseite, vgl. Abb. 100.

Am besten sind wir über die Riten der Arvalbrüder informiert. Diese von Augustus neu belebte Priesterschaft hatte seit alters die bäuerliche Fruchtbar­ keitsgöttin Dea Dia verehrt. Auch jetzt führten die Brüder ein paarmal im Jahr entsprechende altertümliche Zeremonien durch, reichten z.B. beim Festmahl Früchte und Ähren herum, besprachen sie feierlich und versammelten sich im hei­ ligen Hain der Göttin, weit vor der Stadt. Ihre Hauptaufgabe aber bestand jetzt in Fürbitten und Opfern für das Herrscherhaus. Bei allen Zusammenkünften wurde penibel Protokoll geführt und selbst die kleinste und selbstverständlichste Handlung des Rituals mit größter Genauigkeit verzeichnet. Nach archaischer Vorstellung garantierte dies die religiöse Gültigkeit der Akte und band die Kai­ sergebete zugleich an die ältesten Traditionen. Die Arvalbrüder trugen offenbar bei bestimmten Anlässen einfache Ährenkränze. Das gemahnte an die Fruchtbar­ keit der Felder, wofür die hohen Herren beteten. Aber die Zeitgenossen werden, wenn Augustus mit diesem Kranz als Arvalbrüder auftrat, eher an seine Verdien­ ste um die Getreideversorgung Roms gedacht haben. Es hatte deshalb seinen guten Sinn, wenn die Arvalbrüder vor allem für ihn beteten; denn er war es ja, dem man letztlich das Korn verdankte. Die Mitgliedschaft in den Priesterschaften war entsprechend dem Rang des jeweiligen Kollegiums bestimmten sozialen Gruppen zugeordnet. Die höchsten Priesterämter und Bruderschaften blieben natürlich dem Adel und vor allem dem 125

99. Augusteische Dreifußbasis, a) Quindecimvir sacris faciundis beim Opfer umrahmt von Lorbeerbäumchen. Auf den schmalen Zwischenfeldern Pflanzen­ kandelaber, verbunden mit dem Motiv der trinkenden Vögel, b) Apollinischer Dreifuß mit Rabe und Ranken, c) Ährenkranz mit Adler. An der Basis Sphin­ gen.

Uradel, den Patriziern, Vorbehalten. Zu solchen aber konnte Augustus Männer seiner Wahl ernennen. Da es sehr viel weniger Plätze in den hohen Priesterschaf ten als Sitze im Senat gab, wurde die Zugehörigkeit zu einem oder mehreren von ihnen zum Ausdruck höchsten Ranges. Es gab Leute, die sich umbrachten, weil ihnen ein solches Priesteramt entzogen oder vorenthalten worden war (Tac. arm. 6,40). Die öffentlichen Auftritte der Priesterschaften und besonders die mit dem Amt verbundenen Vorrechte, wie die Ehrensitze im Theater, vergegenwärtigten den Status der Priester immer wieder vor der ganzen Gesellschaft (vgl. Lucan. 1 584 ff.). Daran hat man auch bei der Betrachtung der Ara Pacis Augustae zu denken, die 13-9 v.Chr. vom Senat zu Ehren des aus Gallien und Spanien gesund heimge­ kehrten Augustus errichtet worden ist. An den Außenseiten der Marmorumhe126

99 b, c

gungen des Altars ist auf zwei langen Reliefbildern eine feierliche Prozession dar­ gestellt (Abb. 100 a, b). Zwei Drittel der Bildfelder sind den Mitgliedern der vier wichtigsten Priesterkollegien (pontifices, augures, X V viri sacrisfaciundis, VII viri epulonum) und den vier Erzpriestern (flamines) Vorbehalten. Augustus und Agrippa flankieren die flamines. Ihre Gestalten erscheinen in der dicht gedräng­ ten Figurenfolge auf den ersten Blick kaum herausgehoben. Aber während die meisten Teilnehmer des Opferzuges nur bekränzt sind, haben sie, wie zwei Togati auf der Nordseite, die toga über den Kopf gezogen und sind so als die wichtigsten Priester gekennzeichnet. Erst der aufmerksame Betrachter sieht, daß bei Augu­ stus die meisten Liktoren stehen, daß die Prozession um ihn zu stocken scheint, daß die Begleiter einen Kreis um ihn bilden und daß er selbst etwas größer darge­ stellt ist als die anderen - obwohl er doch in Wirklichkeit von kleinem Wuchs war und deshalb hohe Schuhe trug. Es entsprach einer charakteristischen Neuerung der augusteischen Staatsreli­ gion, daß man das jährliche Opfer an die Pax Augusta nicht einem einzelnen Kollegium, sondern den Beamten und hohen Priesterschaften einschließlich der vestalischen Jungfrauen gemeinsam übertrug (Res Gestae 12). Früher hatten die einzelnen Priesterschaften nur die ihnen speziell zukommenden Kultfunktionen wahrgenommen, dabei aber z.T. erheblichen politischen Einfluß ausüben kön­ nen, vor allem durch Zeichendeutung und Befragung der sibyllinischen Bücher in Entscheidungssituationen. Unter Augustus aber traten die Kollegien immer häufiger gemeinsam auf. Das schuf eindrucksvolle Bilder, die vergessen ließen, daß die vereinigten Sakralfunktionäre jetzt nur noch zu beten, aber kaum mehr etwas zu sagen hatten. Die schlimmen omina (Vorzeichen) blieben aus, die gereinigten sibyllinischen Bücher lagen wohlverwahrt unter dem Kultbild des palatinischen Apollo, und vor den Feldzügen holte der Princeps selbst die natürlich stets günsti127

100. Rom, Ara Pacis Augustae, Südseite, a) Zug der Priesterschaft, links Gruppe um Augu­ stus, rechts die flamines, b) wie Abb. 100a: Hier flamines, Agrippa mit verhülltem Haupt, hin­ ter ihm Mitglieder des Kaiserhauses.

gen auguria ein (Abb. 101). In seiner Hand war der Augurstab (lituus) mehr als nur Bezeichnung des Priesteramtes, er führte ihn als eine Art Mittler zwischen Göttern und Menschen (s. Abb. 182). Die verhüllten Häupter der zelebrierenden Priester auf der Ara Pacis zeigen, daß die Zeremonien bereits begonnen haben. Eine Frau im Hintergrund gebietet Schweigen. Die dichte Reihung der auf gleiche Weise in die Toga gehüllten from­ men Gestalten bringt Gleichheit und Einigkeit zum Ausdruck. Der Stil der Dar­ stellung - in Komposition und Reliefgebung an klassischen Vorbildern orientiert - hebt den Vorgang über den aktuellen Anlaß hinaus ins Zeitlose. Nicht alle Dar­ gestellten waren am Tage der Dedikation in Rom anwesend. Es kam dem Senat als Auftraggeber auch nicht auf Erkennbarkeit des einzelnen, sondern auf die Gliederung der Priestergruppen als solche an. Bezeichnenderweise sind nur die wichtigsten Männer durch Bildniszüge aus­ gezeichnet (s. Abb. 98). Die meisten haben ,ideale* Gesichter, die sie ihres Namens berauben! Die Gestalten stehen für die Ämter, nicht für die zufälligen Amtsinhaber. Ämterkonkurrenz und Selbstverherrlichung haben zugunsten der gemeinsamen Aufgabe zurückzutreten. Im Dienst der erneuerten pietas löst sich das Problem der Rangordnung und Macht von selbst. Der historische Augenblick wird zum Leitbild für eine ewige Ordnung. Dem Zug der Priester folgt auf beiden Seiten der Altarumhegung die Familie des Princeps, auch sie bekränzt und mit Lorbeerzweigen in der Hand. Hängt 128

lOOb

w .1 —

*» % »

S

Ä

Ä

Ä

der Ara Pacis einen torques (vgl. Abb. 169, 170).

129

102 a. Teil eines Frieses (?), wahrscheinlich aus der Porticus Octaviae. Sakralgegenstände zwi­ schen Bukranien mit Binden.

doch von ihrem Bestand das Heil des Staates ab - „auf daß das Haus, das den Frieden gewährleistet, ewig dauere“, beteten die Priester (Ovid, F a sti I 721). Die Frauen tragen einfache Gewänder, die zum Teil in der Art klassischer Statuen drapiert sind. Zwischen ihnen erscheint - durch die Feldherrntracht hervorgeho­ ben - Drusus, der damals im Norden im Feld stand. Im Vordergrund aber sieht man die Kinder des Kaiserhauses, die Garanten der Zukunft, wie sie sich an ihren Eltern festhalten! In der scheinbar lockeren Reihung verbirgt sich eine konse­ quente Ordnung. Kinder und Eltern der kaiserlichen Familie sind, soweit man sie benennen kann, entsprechend der Nähe zum Thron aufgereiht (vgl. Abb. 169, 170). Diese Opferprozession der Ara Pacis war eine überaus reflektierte Idealpro­ jektion des erneuerten Staates - entworfen wohlgemerkt nicht im Auftrag des Augustus, sondern des Senates zu dessen und des neuen Staates Ehren. Wir haben hier in gewisserWeise eine Selbstdarstellung der erneuerten obersten Füh­ rungsschicht vor uns und sehen, wie sehr diese sich mit dem neuen Zustand zumindest nach außen hin identifizierte. Wie vieles bei dieser Schau zurechtge­ rückt war, was alles verschwiegen wurde, wie sehr das Artifizielle des Stils Aus­ druck einer Maskerade - oder wie sehr die Vision Wunschbild - war, das alles sei dahingestellt. Aber so überhöht die politische Wirklichkeit hier auch erscheint, vielen Zeitgenossen wird das Bild nicht so realitätsfern erschienen sein wie uns. Denn die Bevölkerung Roms erlebte ja immer wieder die entsprechenden rituel­ len Aufzüge und hatte in all den Jahren gelernt, daß Macht, Staatsamt, Senatsge­ schäft und selbst militärischer Erfolg nicht das wichtigste waren, sondern die Ver­ ehrung der Götter - und damit verbunden das Wohl des Herrscherhauses. Dieselbe Vorstellung liegt einem Stilleben-Fries zugrunde, der von einem Repräsentationsbau im oder bei der Porticus Octaviae stammen muß (Abb. 102 a, b). Wie auf der Ara Pacis die Mitglieder der obersten Priesterschaft, so sind hier ihre Symbole in Form von Attributen und Geräten gemeinsam dargestellt: der lituus (Krummstab) der augures, die Kappe mit dem apex der flamines, acerra 130

(Weihrauchkästchen) und Spendekanne durch die Lorbeerzweige auf die XVviri sacris faciundis bezogen, das simpuvium (Schöpfkelle) der pontifices, die patera (Opferschale) der VII viri epulonum. Daneben sieht man die Geräte der Kult­ handlung (das Handtuch und den Weihwedel, aspergillum), die Schlachtinstru­ mente der Opferdiener (Beil, Dolch, Messer) und besonders zeichenhaft heraus­ gehoben wieder Bukranien und Kandelaber. Nicht nur die systematische Aufrei­ hung der sakralen Gegenstände ist neu, diese befinden sich auch in befremdlicher Gesellschaft: sie sind unter Bug- und Heckteile von Schiffen, unter Steuerruder und Anker gemischt! Von diesen klar auf den Sieg bei Actium weisenden Schiffs-

102b. Detail. Anker, Schiffsbug mit rostra, Steuerruder. Die Vermischung von Opfergeräten und Waffen wies auf den Zusammenhang von religio und Sieg hin.

131

teilen sind nun aber mehrere eindeutig als zu den Siegern gehörig gekennzeich­ net, und zwar durch Götterköpfe und die römische Wölfin. Der Sinn der kunst­ vollen Zusammenstellung ist eindeutig. Die Überlegenheit der Sieger von Actium war die Folge ihrer Götterfurcht gewesen. Überall flattern die heiligen Binden über Waffen und Kultgeräten: pietas und virtus sind die Fundamente des erneuer­ ten Staates. Der Fries ist ein schönes Beispiel dafür, wie reizvoll die Monotonie der Bot­ schaft dem Betrachter durch kunstvolle Kompositionen und hohe Qualität der Ausführung vermittelt wurde. Wiederholung und ästhetische Eingängigkeit spiel­ ten bei der Verbreitung und Verinnerlichung der neuen Zeichen eine entschei­ dende Rolle, machten keinen geringen Teil ihrer Macht aus.

Priesteramt und sozialer Status Der Princeps selbst formte sich zum eindrucksvollsten Exemplum der Frömmig­ keit. Er war Mitglied der vier wichtigsten Priesterkollegien und de facto auch oberster Priester, lange bevor er das Amt des pontifex maximus 12 v. Chr. über­ nehmen konnte. So rühmt es ein Münzmeister mittels der vier Attribute (Abb. 103 a), so stellt er es selbst heraus. „Ich war pontifex maximus, augur, gehörte zu den Kollegien der X V viri sacris faciundis und der Vllviri epulones, war Arvalbruder und sodalis Titius und fetialis (Res Gestae 7). An seiner überall zur Schau gestellten Frömmigkeit konnte jedermann erken­ nen, daß der Princeps im Vollzug der religiösen Dienste seine höchste Aufgabe und Ehre sah. Spätestens seit der Saecularfeier des Jahres 17 v.Chr., wahrschein­ lich aber schon in den zwanziger Jahren, gab Augustus offenbar auch zu erken­ nen, daß er sich künftig in den zu seinen Ehren errichteten Statuen am liebsten als opfernder und betender Togatus dargestellt sähe. Es ist erstaunlich, wie viele der

103. a) Denar des C.Antistius Vetus, Rom 16 v.Chr. Die Sakralgeräte bezeichnen die vier wichtigsten Priesterschaften, deren Mitglied Augustus war. b-c) Denar des C. Marius, Rom 13 v.Chr. Porträt des Augustus mit lituus, Augustusstatue mit verhülltem Haupt und simpu­ vium.

132

Augustusbildnisse auf den Münzen (Abb. 103 b, c) und in den Statuen den Prin­ ceps zu seinen Lebzeiten in der toga mit verhülltem Haupt zeigen (Abb. 104). Selbst in Griechenland und Kleinasien, wo man mit dieser Form von Herrscher­ bild sicher wenig anzufangen wußte, wurden nicht selten Statuen dieses Schemas aufgestellt. Man hat das Selbstverständnis des frommen Princeps also weithin beachtet bzw. die Möglichkeit, den Princeps in dieser zurückhaltenden Form zu ehren, gerne aufgegriffen. Die neue Form der Ehrenstatue paßte vorzüglich zur veränderten politischen

104. Statue des Augustus in der toga mit verhülltem Haupt. Der weite Schnitt der kaiserlichen toga wurde modebildend, vgl. Abb. 129, 330.

Situation. Sie klammerte die prekäre Frage nach dem Verhältnis von Verfassung und tatsächlicher Macht einfach aus. Die neuen Togastatuen standen in schärf­ stem Kontrast zu den auftrumpfenden nackten Statuen aus der Zeit vor der ,Rückgabe des Staates“. Das bescheidene Bild des opfernden Togatus verdeckte im übrigen aber keines­ wegs die in Augustus wirkenden göttlichen Kräfte. Das zeigen die Statuetten sei­ nes Genius, die bald in Hunderten von privaten und öffentlichen Ädikulä verehrt wurden. Auch sie waren als Togati mit verhülltem Haupt dargestellt (s. Abb. 110). So hatte man schon früher an den Familienschreinen den Genius des paterfami­ lias verehrt. Was lag näher, als den väterlichen Herrscher in derselben Form zu verehren. Im Jahre 2. v.Chr. verliehen Senat und Volk denn auch dem Einundsechzigjährigen aus Anlaß der Einweihung des Augustusforums feierlich den Titel pater patriae {Res Gestae 35). Das Beispiel des Augustus machte Schule. Für Prinzen, Aristokraten, Honora­ tioren der Städte, für Freigelassene, ja sogar für hervorragende Sklaven wurde

105. Statue eines lupercm. Diese Priester waren beim archaischen Ritual nur mit einem Lendenschurz bekleidet und hielten eine Geißel aus Ziegenleder in der Hand. 134

die Darstellung als Opferer zur maßgebenden Form für Ehrung und Selbstdar­ stellung. Wozu immer man künftig ein Modell brauchte, ahmte man den Kaiser und seine Familie nach. Die neue Herrschaftsform begann sich auszuwirken. Die Pyramide der Gesell­ schaft hat jetzt eine allen sichtbare Spitze. Der Kaiser und seine Familie werden zum verbindlichen Vorbild für alle Lebensbereiche, für die moralischen Werte ebenso wie für die Haarmoden. Und das gilt nicht nur für die Oberschicht, son­ dern für die ganze Gesellschaft. Die Tüchtigsten aller Stände begannen sich also nach religiösen Ämtern zu drängen. Denn alle fanden in den neuen oder erneuerten Kultfunktionen Mög­ lichkeiten, sich selbst darzustellen und sich dabei gleichzeitig mit dem neuen Staat zu identifizieren. Der Princeps brauchte nur noch zu mäßigen und die reli­ giösen Aufgaben zu verteilen. Den Rittern zum Beispiel ließ er den alten, aber bedeutungslos gewordenen Kult der Luperealien zuweisen. Bei dem ursprünglich dem Schutz und der Vermehrung der Herden geltenden Ritual wurde ein Hund getötet, und es gab einen Springtanz der nur mit einem Schurz bekleideten Priester (luperci)rund um den Palatin, wobei Frauen mit einer aus Ziegenfell geschnittenen Peitsche geschlagen wurden. Man versteht, daß die­ ses archaische Fruchtbarkeitsritual in der großstädtischen Umgebung leicht ins Komische geriet. Augustus verbot deshalb verständlicherweise die Anwesenheit von Halbwüchsigen bei der Begehung. Aber selbst hier brachte das Priesteramt soziale Anerkennung. Erst vor kurzem hat man Ehrenstatuen von luperci aus der frühen Kaiserzeit nachweisen können, bei denen sich klassisch stilisierte Nackt­ heit, Lendenschurz und Ziegenfell-Geißel zu einem selbst für einen klassizisti­ schen Ästheten akzeptablen Bild verbinden (Abb. 105). Angesehene Freigelassene (liberti) fanden in den kleinen Heiligtümern ihrer Handwerkerkollegien, vor allem aber als magistri der Compitalkulte in den von Augustus als neue Verwaltungseinheiten geschaffenen 265 vici (Stadtbezirke)

106. Compitum Acili. Beispiel einer Larenkapelle. Rekonstruktion der kleinen Ädikula.

135

107. Compitum Acili. Marmorgebälk, auf dem Architrav die Namen der Stifter.

Roms, Aufgabe und Anerkennung (7 v. Chr.). Der Kult der einzelnen vici hatte früher nur den Laren gegolten, alten bäuerlichen Schutzgeistern, die man jetzt tanzend mit dem Füllhorn in der Hand darstellte und paarweise als Laren der Stadtteile verehrte. Zwischen diesen aber standen bald überall die Togastatuetten des Genius Augusti, dem diese Kulte jetzt vor allem galten. War er doch der eigentliche Schützer und Erhalter der Stadt! Augustus hatte die Voraussetzung für die Erneuerung und Systematisierung dieser Larenkulte nicht nur durch seine Verwaltungsreform geschaffen. Er hatte durch den Neubau des zentralen Laren­ tempels auf der Velia wahrscheinlich auch ein konkretes Muster an die Hand gegeben und damit die Errichtung der neuen Larenkulte an den zentralen Stra ßenkreuzungen der neuen vici wohl auch angeregt. Die Realisierung der Adikulä und Kulte aber war wieder einzig und allein Sache der Bewohner des jeweiligen Stadtteils, vor allem der von diesen für jeweils ein Jahr gewählten vier magistri und vier ministri. Zu welchen Leistungen sich dabei vor allem die magistri einzel­ ner compita aufschwangen, zeigen die aufwendig dekorierten Marmorteile des 5 v.Chr. errichteten Compitum Acili (Abb. 106), das in der Nähe der späteren Maxentius-Basilika gefunden wurde. Auf dem Architrav des kleinen Tempelchens nennen sich die magistri stolz als Stifter (Abb. 107). Die magistri der ersten Jahre stifteten offenbar in der Regel auch die Altäre und benutzten diese Gelegenheit, sich selbst als fromme Opferer ins Bild zu bringen. Auf dem Larenaltar des Vicus Aescletus (2 n.Chr.) im Konservatorenpalast sind die vier magistri sogar auf der Schauseite dargestellt, und zwar im Augenblick des Opfers (Abb. 108). Unter den Klängen eines Flötenspielers gießen sie gleichzeitig ihre Opferschale über dem Altar aus. Stier und Eber stehen bereit, wobei der 136

108. Larenaltar vom vicus Aescletus: Dargesteüt sind die vier vicomagistri beim gemeinsamen Opfer. 109. Larenaltar. Kulteinrichtung, Übergabe der beiden Larenstatuetten durch Augustus (?) an die ministri des compitum. Hinter Augustus wahrscheinlich die Prinzen.

Bildhauer die Opfertiere zugunsten der Opfernden in fast grotesker Weise ver­ kleinert hat. Ein Liktor weist auf die pseudomagistrale Würde des Magisteramtes hin. Bei ihren kultischen Verrichtungen durften die magistri einen solchen Amts­ diener mitführen, während den Preator sechs, den Konsul und den Princeps aber zwölf begleiteten. Als ministri dienten in den gleichen Kultstätten auserwählte, verdiente Sklaven. Auch ihnen gab das Amt des Ministranten eine öffentliche Rolle und einen Status in der Gesellschaft ihres Stadtteils, die z. B. bei den Prozessionen aus Anlaß der Kaiserfeste vor aller Augen manifest wurden (Abb. 110). Auch sie stifteten infol­ gedessen Weihgeschenke und Altäre in den Larenkapellen. Auf einem dieser Altäre sieht man drei ministri in bescheidener Größe und in Sklaventracht ehr­ fürchtig die Kultstatuetten der beiden Laren aus den Händen eines erheblich grö­ ßer dargestellten Togatus entgegennehmen (Abb. 109). Wahrscheinlich haben wir es dabei mit keinem geringeren als Augustus selbst zu tun, der von den beiden Prinzen Gaius und Lucius Caesar begleitet wird. Auch die Tatsache, daß nur die beiden Larenstatuetten, nicht aber die Genius Augusti-Statuette überreicht wird, spricht für diese Deutung. Er konnte ja nicht die Statuette seines eigenen Genius überreichen! 137

110. Ausschnitt eines Reliefs mit großer Opferprozession, ministri eines Larenheiligtums tra gen die Statuetten der beiden Laren und des genius Augusti. Frühe Kaiserzeit.

Selbst die Sklaven also können beitragen zur p ieta s der neuen Zeit, selbst ihre Sklaventracht gewinnt öffentliches Ansehen beim heiligen Dienst. Wie sehr der Umgang des Princeps mit der p leb s v o n demonstrativer und erzie­ herisch gedachter p ie ta s bestimmt war, zeigen seine Reaktionen auf die ihm zuteil gewordenen Ehren und auf die Verehrung seines Genius in den Larenkapellen. Seine Antwort bestand immer wieder in neuen Akten und Zeichen der Devotion. Seit er 28 v.Chr. seine silbernen Ehrenstatuen einschmelzen und dafür goldene Dreifüße für Apollo hatte aufstellen lassen, überbot er alle anderen als Stifter von Weihegaben und Kultbildern. Es entwickelte sich dabei ein geradezu archaisch anmutendes System von Gaben und Gegengaben, die sich ausschließlich in Bil­ dern realisierten.

Ein gutes Beispiel dafür sind die Neujahrsgeschenke-. Die Vertreter der drei Stände (o r d in e s ) warfen jedes Jahr ein Geldstück in den Lacus Curtius auf dem Forum, der in augusteischer Zeit freilich nur noch ein ausgetrocknetes Wasser­ becken war. Sie erfüllten damit ein stets erneuertes Gelübde für die Gesundheit des Augustus. Ebenso brachten sie ihm am 1. Januar, auch wenn er abwesend war, ein Neujahrsgeschenk dar. Mit diesem aber kaufte er dann immer die kostbarsten Götterbilder und stellte sie jeweils in einem Stadtteil-Heiligtum (lùcatim) auf, sc beispielsweise den Apollo Sandalariüs und den lupiter Tragoedus (Sueton, Aug

138

57). Einige Basen solcher Statuen sind erhalten und bezeugen Votive des Princeps für Mercurius, Vulcanus und die Lares Publici. Man darf vermuten, daß es solche Götterbilder gleichermaßen in öffentlichen Heiligtümern, Stadtteil-Tempelchen und auch an Kultstätten von Handwerkerkollegien gab. Im Museo Capitolino steht ein augusteischer Votivaltar, auf dem wahrschein­ lich die Übergabe einer Minervastatue an die ministri eines Kollegialkuites der Zimmerleute durch Augustus selbst zu sehen ist (Abb. 111). Der Princeps über­ ragt die in ihrer Sklaventracht angetretenen ministri um mehr als ein Drittel. Auf der gegenüberliegenden Seite wird vor derselben Statue von einem der magistri ein Opfer dargebracht. Auf der Schmalseite sieht man Arbeitsgeräte der Zimmer­ leute, Sägen und Äxte, aber auch Helme, weil die Mitglieder des Kollegiums zugleich bei der Feuerwehr dienten. Unter diese Berufsabzeichen jedoch sind größer als diese und im Stilleben herausgehoben - Gegenstände verschiedener Kulte gemischt: ein lituus, ein galerus mit apex und ein großes Opfermesser. Wie bei dem oben besprochenen Fries (s. Abb. 102) sind sie nicht auf einen konkreten Kultzusammenhang zu beziehen, haben auch nichts mit dem Minervakult des Kollegiums zu tun, sondern müssen als allgemeine Pietas-Symbole verstanden werden: Auch die Tätigkeit der Handwerker gewinnt erst im Rahmen der Reli­ gion ihren Wert. Das Beispiel ist typisch. Ein Handwerkerkollegium richtet, von der allgemei­ nen Pietas-Mentalität ergriffen, einen neuen Kollegialkult ein. Der Princeps stif-

111. Votivakar aus dem Heiligtum eines collegium von Zimmerleuten. Übergabe einer Minervastatue durch Augustus an die ministri des collegium.

tet das Kultbild oder eine Weihestatue ins kleine Heiligtum. Die magistri oder ministri antworten durch die Dedikation eines Votivaltars oder auch einer weite­ ren Götterstatue. Dabei handelte es sich dann häufig um Personifikationen politi­ scher Werte wie Concordia, Pax, Securitas etc. Fast immer sind diese Gottheiten mit dem Prädikat augustus oder augusta versehen und damit deutlich als Ehrun­ gen für den Princeps gekennzeichnet. Von dem mehrfach als magister eines Larenheiligtums fungierenden N. Lucius Hermeros Aequitas z.B. kennen wir nicht weniger als drei Statuenweihungen an Venus Augusta (Abb. 112), an M er­ curius Augustus und an Hercules. Der religiöse Austausch ermöglichte also einen direkten Verkehr zwischen Herrscher und plebs, an dem die aufstrebenden M än­ ner der unteren Schichten und selbst die Sklaven teilhaben konnten. Früher waren die Stadtteil- und Kollegialkulte nicht selten Unruheherde gewesen. Noch 22 v.Chr. hatte Augustus mit Verboten reagiert. Seit 7 v. Chr. aber wurden die erneuerten Kultvereine zu Zentren der sich in religiösen Formen abspielenden Kommunikation zwischen Herrscher und Volk. Die Compitalkulte an Straßenkreuzungen oder Plätzen der einzelnen Stadtteile standen im Mittel­ punkt des gesellschaftlichen Lebens der jeweiligen Einwohnerschaft. Ritual und Fest boten auch hier einen geeigneten Rahmen für die intensive W irkung der Bil­ der und Zeichen.

140

2. Publica magnificentia „Nun habe ich aber bemerkt, daß Du Dich nicht nur um das allgemeine Wohl und die Staatsverwaltung, sondern auch um die Zweckmäßigkeit der öffentli­ chen Bauten kümmerst, weil der Staat durch Dich nicht nur um Provinzen bereichert werden soll, sondern auch um öffentliche Gebäude, deren Würde und Großartigkeit der Majestät des Reiches entsprechen . . . Da ich mich Dir wegen dieser Wohltat, die mich zeitlebens von N ot befreit, verpflichtet fühle, habe ich begonnen, diese Bücher für Dich zu schreiben. Denn ich sah, wie viel Du schon gebaut hast, derzeit baust und wie Du Dich auch künftig um die öffentlichen und privaten Bauten kümmern wirst, damit sie von der Größe Deiner Taten bei der Nachwelt Zeugnis ablegen.“ (Aus Vitruvs Vorrede zu seinen zehn Büchern de architectura) „Das römische Volk haßt privaten Luxus, liebt aber den Aufwand und Glanz bei öffentlichen Bauten (publica magnificentia) “, so hatte einst Cicero das Wunsch­ bild alter Norm verkündigt (Mur,: 76), während die Zeitgenossen gerade das Gegenteil erlebten: eine dürftige Selbstdarstellung des Staates und exzessiv zur Schau gestellten privaten Reichtum (vgl. S.25ff.). Das Problem war durch die Schlagwörter der spätrepublikanischen Kulturkritik in hohem Maße emotional besetzt. Der Princeps mußte auch hier handeln, aber wie? Jedermann sah, daß sich im ,wiederhergestellten Staat1 nur die Namen der Besitzer der Stadtpaläste mit ihren riesigen Atrien und der weitläufigen Parkanlagen und Villen an den Abhängen der Hügel geändert hatten, die man noch immer euphemistisch und archaisierend horti (Gärten) nannte. Es waren natürlich gerade die wichtigsten Helfer des Augustus, die in seinen Diensten zu gewaltigen Besitztümern gekom­ men waren und in Rom fürstliche Haushalte unterhielten. Es gab Damen, deren Schmuck viele Millionen Sesterzen wert war. An eine Änderung der Besitzver­ hältnisse war nicht zu denken. Aber der Princeps konnte glanzvolle Freizeitbauten für das Volk errichten und gleichzeitig symbolisch Zeichen gegen die Unmoral der privata luxuria setzen. Die schüchternen sumptus-Gesetze, mit denen er die Höhe der Aufwendungen für Gastmähler festzulegen oder gar den Kleiderluxus der Frauen einzuschrän­ ken versuchte, waren natürlich wirkungslos und dienten nur der Imagepflege des Regimes. Einige Aktionen und Zeichen im Stadtbild aber scheinen tiefen Ein­ druck gemacht zu haben.

D er Princeps statuiert Exempla gegen den privaten Luxus Im Jahre 15 v. Chr. starb der aus einer Freigelassenenfamilie stammende, zum Ritter avancierte Vedius Pollio und vermachte dem Princeps, wie es jetzt üblich wurde, einen Teil seines gewaltigen Vermögens, darunter seinen Stadtpalast, mit 141

der Auflage, ein prächtiges Gebäude fürs römische Volk zu errichten. Vedius hatte Augustus in früheren Jahren u. a. als Finanzexperte bei der wirtschaftlichen Reorganisation Kleinasiens gute Dienste geleistet. Doch er war ein dunkler Ehrenmann mit denkbar schlechtem Ruf. Man munkelte sogar, er werfe Sklaven zur Bestrafung lebendig seinen Muränen als Futter vor. Sein Stadtpalast in der dichtbesiedelten Subura (Esquilin), nach Ovid „größer als manche kleine Stadt“, war eine provokative Zurschaustellung privater luxuria. Hier bot sich eine vor­ zügliche Gelegenheit, ein weithin sichtbares Exempel zu statuieren. Der ganze Palast wurde dem Erdboden gleichgemacht und dann „dem Volk zurückgege­ ben“ : Livia und Tiberius errichteten an derselben Stelle die prächtige Porticus Liviae (7 v.Chr.), der Name des lasterhaften Vedius Pollio aber sollte dem Ver­ gessen anheimfallen. „So führt man das Amt des Censors, so schafft man exem­ pla“ kommentiert Ovid (FastiVI 642). Auf einem Fragment der Forma Urbis (einem marmornen Stadtplan aus dem 3.Jh. n.Chr.) ist die Porticus Liviae dargestellt (Abb. 113). Das riesige Geviert von ca. 115x75m liegt mitten in einem unregelmäßig gewachsenen alten Straßen­ netz. Man gewinnt hier einen Eindruck vom Ausmaß und von der provozieren­ den Lage des Vediuspalastes und sieht, wie rücksichtslos er sich über eine Gasse gesetzt und mit einer Ecke in eine Durchgangsstraße gedrängt hatte. Die Porti­ cus Liviae besetzte zwar den ganzen zur Verfügung stehenden Bauplatz des Vediuspalastes, aber der Architekt des Kaiserhauses griff nicht ins bestehende Straßensystem ein. Der Stadtteil behielt sein altes Gesicht. Der Glanz der publica magnificentia war hier ganz nach innen gewandt. Anderer Art, aber nicht weniger wirkungsvoll war das Exempel, das Augustus mit den vier Säulen aus dem Atrium des M.Aemilius Scaurus statuierte. Die besonders hohen und kostbaren Säulen hatte Scaurus einst eigens aus Griechen­ land herbeigeschafft, um sie als Aedil im Jahre 58 v.Chr. in der mit Kunstwerken überfüllten Bühnenfront seines berühmt gewordenen ephemeren Holztheaters als Wahlwerbung zur Schau zu stellen (Plin. n.h. 17,5-6; 36,6). Dann aber hatte er sie in seinem Palast verbaut. Auch hier ließ der Princeps einen Teil des Gebäu­ des einreißen und gab die symbolträchtigen Säulen dem Volk zurück, indem er sie in der Bühnenfront des Marcellustheaters aufrichtete, wo sie dem Volk von nun an als Prunkstück und Mahnmal ständig vor Augen standen (Asc. in Scaur. 45). Die Porticus Liviae muß für die Bewohner der Subura ein besonders reizvoller Platz gewesen sein, wenn sie aus der Dunkelheit ihrer engen Wohnungen und aus dem Gewirr der winkligen schmalen Straßen in die glanzvollen, mit Kunstwer­ ken gefüllten Säulenhallen traten und die Helligkeit und gute Luft der Gärten, die Brunnen und Weinlauben genießen konnten. Alle früheren Anlagen dieser Art waren weitab auf dem Marsfeld beim Circus Flaminius gelegen, jetzt ver­ schaffte das Herrscherhaus auch der plebs Genüsse, wie sie bislang nur die Rei­ chen gekannt hatten. Wie die älteren Portiken diente auch die Porticus Liviae der Selbstdarstellung der Stifter. Aber diese hatte jetzt einen neuen Stil, war exempla142

j f Fragmenten der Forma Urbis (3.Jh. n.Chr.). Das rie 3- Rom, Porticus Liviae. Grundriß au

V?1 Gebäude ^ äu d V Terhob rh ob ‘sieh dem“ Baugrund des von Augustus abgerissenen Palastes de steh auf dem Ba_D-edius Pollio, mitten in der verwinkelten Altstadt

143

risch und erzieherisch: Livia dedizierte in dem Freizeitbau ein Heiligtum der Concordia. Es wurde sinnträchtig am Festtag der Muttergottheit M ater Matuta eingeweiht. Anders als auf dem Forum sollte Concordia hier als eine Gottheit des Familienglücks, die Kaiserfamilie aber als Vorbild einträchtigen Ehelebens ver­ ehrt werden. In der späteren Kaiserzeit werden dann die jungen Hochzeitspaare vor Statuengruppen des Herrscherpaares opfern, das sich in der Gestalt von Mars und Venus umarmt (s. Abb. 154).

Villenglückßirs Volk „Augustus verschönerte die Stadt, deren Bild in keiner Weise der Größe und Würde des Reiches entsprach und die zudem ständig von Überschwemmungen und Feuersbrünsten heimgesucht wurde, in so umfassender Weise, daß er sich zu Recht rühmen konnte, er hinterlasse eine Stadt, die er als Backsteinstadt über­ nommen habe, als Marmorstadt“ (Sueton, Aug. 28). Neben den neuen Tempeln waren es vor allem die großen Freizeitbauten, die Rom ein völlig neues Gesicht gaben. Während sich Augustus den Bau der Heilig­ tümer selbst vorbehielt, ließ er sich hier nicht nur von den Familienangehörigen, sondern auch von seinen Freunden unterstützen. Der wichtigste Helfer war Agrippa, der mit seiner einzigartigen Loyalität auch auf diesem Feld bereit war, die Rolle des zweiten zu übernehmen. Er stellte sein Organisationsgenie und sein riesiges Vermögen ganz in den Dienst der Stadterneuerung. In den Jahren nach Actium ließ er den demagogischen Proklamationen des Jahres 33 v. Chr. (S.72) Tat auf Tat folgen. Zunächst wurde die gesamte Wasserversorgung neu organi­ siert. Gewaltige Wassermassen flössen bald in den reparierten und neuen Aquä­ dukten in die Stadt und füllten, über 130 Wasserkastelle verteilt, die 700 Schöpfbecken, die laut Plinius damals neu gebaut worden sind (Plin. n.b. 36,121 ; 31,41. Front, ac. 9). Die mächtigen Bögen der Aquädukte setzten markante Zeichen und vergegenwärtigten zusammen mit hunderten von neuen Springbrunnen überall den Segen des frischen Quellwassers in der dumpfen Enge der Großstadt. N atür­ lich ergriffen die Reichen diese Gelegenheit, sich private Anschlüsse in ihre H äu­ ser legen zu lassen. Die 19 v. Chr. eingeweihte neue Aqua Virgo diente vor allem der Speisung der von Agrippa gestifteten Thermen auf dem westlichen Marsfeld beim Pantheon (Abb. 114). Es waren dies die ersten öffentlichen Thermen Roms. Gemessen an den späteren Kaiserthermen nehmen sich die Warmwasser- und Warmlufträume noch bescheiden aus. Mit den weitläufigen Gärten, dem als Schwimmbecken (natatio) dienenden Kunstsee (Stagnum Agrippae) und den Sportanlagen erin­ nerte das Ganze wohl noch sehr an die Gymnasien der griechischen Städte. Daß dies trotz der anderen Bezeichnung auch erwünscht war, zeigt die Tatsache, daß Agrippa den Schaber des Lysipp gleichsam als Wahrzeichen vor dem Hauptge­ bäude aufstellen ließ. Damit war ein weiteres Defizit im Stadtbild Roms behoben. 144

Die Thermen lagen in der Mitte der Monumenta Agrippae. Nach Osten hin schlossen sich die Saepta Iulia, im Norden das Pantheon an. Im Osten jenseits der Via Lata (heute Via dei Corso) lagen der Campus Agrippae, ein Park, der für seine schönen Lorbeerbäume berühmt war, sowie die nach Agrippas Schwester benannte Porticus Vipsania; im Westen, zusammen mit der Villa des Agrippa, Rennställe und ein Trainingsplatz für die Pferde. Alle diese Bauten und Anlagen

114. Rom, Marsfeld zur Zeit des Augustus.

145

konnte Agrippa auf seinem eigenen Grund und Boden errichten. Das meiste davon hatte früher dem Pompeius und Antonius gehört! Das riesige Freizeitareal vor den Mauern bot sich wie eine Villa fürs Volk dar. Jedenfalls konnte die Menge hier all das genießen, was den sprichwörtlichen Vil­ lenluxus ausmachte: Parks, Spazierwege entlang von Wasserläufen (euripus), warme Bäder, Sportanlagen und überall verstreut eine Fülle von griechischen Kunstwerken. Schon seine Wasserleitungen und Springbrunnen hatte Agrippa mit Säulen und Statuen (darunter die berühmte Hydra am Forum) geschmückt (Plin. 36,121). Er entsprach damit der programmatischen Rede „über die Not­ wendigkeit der öffentlichen Aufstellung aller [griechischen] Bilder und Statuen“, die er schon 33 v. Chr. gehalten hatte. Plinius, der die Rede noch kannte, nennt sie „großartig und des besten Bürgers würdig“ und stellt einen klaren Zusammen­ hang mit den bisherigen exilia der Kunstwerke in den Villen der Reichen her (Plin. 35,26). Das war ein Reizwort der spätrepublikanischen Kulturkritik gewe­ sen. Der Princeps und seine Helfer setzten ostentativ Zeichen dagegen. Von einer systematischen Enteignung privaten Kunstbesitzes konnte natürlich keine Rede sein, es kam vielmehr auf die demagogische Wirkung einzelner großer Gesten an. Entscheidend war dabei nicht, daß jetzt mehr Kunstwerke als je zuvor öffentlich zugänglich gemacht wurden, sondern daß dies programmatisch geschah. Der neue Stil fand offensichtlich Anklang. Das Volk fühlte sich wirklich als Besitzer der berühmten Werke. Das zeigte sich beim (erfolgreichen) Protest der plebs gegen Tiberius, der versucht hatte, den Schaber des Lysipp in seinen Palast brin­ gen zu lassen (Plin. 34,62). Im Zentrum der Bauten des Agrippa lag das ursprüngliche Pantheon, der Vor­ läuferbau des hadrianischen, und lenkte die Blicke auch hier im Freizeitareal auf den Herrscher. Hellenistischen Traditionen folgend war das Pantheon für den Kult des Herrscherhauses und dessen Schutzgötter bestimmt. Und ursprünglich sollte die Statue des Augustus sogar mitten unter denen seiner Schutzgötter in der Tempelcella selbst aufgestellt werden. Entsprechend seinem neuen Stil verlangte Augustus aber nach der ,Wende‘ von 27 v.Chr. eine Änderung. Seine Statue durfte jetzt nicht mehr neben den Götterbildern stehen, Agrippa mußte sie in der Vorhalle neben seiner eigenen aufstellen (Cass. Dio 53,27,2). Aber diese Geste änderte letztlich nichts an der Funktion des Baues. Wahrscheinlich war der Gie­ bel ebenso wie der des späteren Pantheon mit einer vom Adler des Jupiter gehal­ tenen corona civica geschmückt (vgl. Abb. 77). Unmittelbar neben dem Pantheon lagen die Saepta, das Gebäude mit dem größten umbauten Raum in ganz Rom. Es war ein schon von Caesar geplantes Wahllokal für die plebs, das Agrippa jetzt zusammen mit seinen eigenen Bauten ausführte (Abb. 114). Der Wahlplatz wurde von zwei 300 m langen marmornen Säulenhallen und einem 95 m breiten Gebäude für die Stimmauszählung (diribi­ torium) gerahmt. Während das Volk immer seltener und schon bald gar nicht mehr zu den Urnen gerufen wurde, war ihm in diesem Gebäude ein riesiges Symbol seiner 146

Würde entstanden. In Wirklichkeit diente die Saepta künftig meist für Gladiato­ renkämpfe und Seeschlachten. Aber man nutzte sie auch gerne für spektakuläre Begegnungen des Volkes mit dem Kaiserhaus. Tiberius z. B. wurde hier nach sei­ nen Siegen über die Illyrer begeistert empfangen. Die Saepta wurden, wie viele der anderen Portiken, von Händlern aller Art als Bazar benutzt und waren zu allen Tageszeiten voll von Müßiggängern. Auch hier konnten sie berühmte Kunstwerke sehen. Agrippa hatte u.a. zwei hellenistische Statuengruppen aufstellen lassen, den Kentauren Chiron mit seinem Schüler Achill und Pan, der dem jungen Olympos das Spiel auf der Syrinx beibringt (Plin. n. h. 36,29). Vielleicht bezogen sich die Lehrer-Schüler-Gruppen auf Schul­ unterricht, der sicher auch im Bereich der Saepta stattgefunden hat. Daß Agrippa in Sachen Kunst keine strengen Moralprinzipien befolgte und der Sinnlichkeit nicht abhold war, bezeugt die homoerotische Gruppe von Pan und Olympos (Abb. 115). Auf seine eigenen Verdienste spielte Agrippa nur sehr zurückhaltend an. Die eine der langen Säulenhallen war mit einem Gemäldezyklus des Argonautenzu­ ges geschmückt. Darin lag ebenso wie im Namen der Basilica Neptuni ein Hin­ weis auf seine Leistungen als Admiral, für die ihm Augustus schon nach Naulochoi eine mit Schiffsschnäbeln verzierte corona rostrata verliehen hatte (s. Abb. 168 a). Es ist aber bezeichnend, daß Agrippa den Bau nicht mit seinem eige­ nen Namen versah, sondern als Saepta Iulia einweihte (26 v.Chr.).

115. Pan mit Olympos oder Daphnis. Kaiserzeitliche Marmor­ kopie nach dem einst in der Saepta Iulia aufgestellten hellenistischen Original. Hier nach einer Zeich­ nung des N. Poussin (um 1620).

147

Auch die Weltkarte, die im Auftrag des Agrippa erarbeitet worden war und die Augustus später in der Porticus Vipsania anbringen ließ (Plin. n.h. 3,17), diente der Unterhaltung der flanierenden Menge. Sie sollte dem Volk eine Vorstellung seines Reiches geben, das Selbstbewußtsein des principis terrarum populi (Liv. praef.) stärken. Man denke nur an die wirkungsvollen Marmorkarten des Impe­ rium Romanum, die Mussolini auf den römischen Ruinen entlang der ehemali­ gen Via dei Impero hat anbringen lassen! Nahe den ehrwürdigen Stätten des Forum Romanum hatte Augustus schon 20 v.Chr. im Zusammenhang mit seinem Straßenbauprogramm einen vergoldeten Meilenstein (Miliarum aureum) als Symbol für Rom als Mittelpunkt der Welt geschaffen. Selbst beim Getreideempfang erinnerte Agrippa das Herrenvolk noch an seine Würde. Die erst vor kurzem durch genauere Studien rekonstruierten Horrea Agrippiana hinter dem Forum sind zwar nur in Travertin gebaut, aber mit ausge­ sprochen würdevollem Dekor, sogar mit korinthischen Säulen versehen. - Keiner hat mehr und systematischer für die publica magnificentia gewirkt als Agrippa (Sen. de ben. III, 32,4). Nach seinem Tod konnte man allein für den Unterhalt der Wasserleitungen einen wohlorganisierten Bautrupp von 240 Mann in den Staats­ dienst übernehmen, den er bis dahin aus eigenen Mitteln bezahlt hatte (Frontin, de aquis 116).

Die Präsenz der kaiserlichen Familie im Stadtbild „Einige Bauten ließ er auch im Namen anderer errichten, z. B. seiner Enkel, sei­ ner Frau, seiner Schwester, so die Porticus Gaii et Luci Caesaris (auf dem Forum), die Porticus der Livia und die der Octavia, das Theater des Marcellus“ (Sueton, Aug. 29). Nur Augustus konnte sich in Sachen publica magnificentia mit Agrippa verglei­ chen. Aber seine Freizeitbauten hatten einen anderen, direkteren politischen Bezug. Er vollendete die großen Bauten Caesars (Basilica Iulia, Forum Iulium), erneuerte mit großem Aufwand das Pompeiustheater und kleinere Bauten wie die Porticus Octavia, legte die Parkanlagen bei seinem Mausoleum an, ließ (im heu-

116. Rom, Solarium Augusti, um 10 v.Chr. Rekonstruktion E .Buchner. Am Geburtstag des Augustus wies der Schauen des Obelisken auf die Mitte der Ara Pacis Augustae.

148

117. Obelisk vor dem Palazzo Montecitorio in Rom. Der Obelisk war von Augustus aus Ägypten entführt und als Gnomon der gewaltigen Son­ nenuhr verwendet worden.

eigen Trastevere) einen Kunstsee inmitten des Nemus Caesarum für Naumachien ausheben, bezahlte das neue Marktgebäude auf dem Esquilin, das Macellum Liviae, und vieles andere mehr (Res Gestae 19-21). Nördlich der Agrippabauten lag, vermutlich in Verbindung mit den Park­ anlagen beim Mausoleum, das riesige 10 v. Chr. eingeweihte Solarium Augusti (Abb. 116). Nie ist eine größere Sonnenuhr gebaut worden. Als Zeiger (gnomon) diente ein aus Ägypten herbeigeschaffter 30 m hoher Obelisk, der heute vor dem Palazzo Montecitorio steht (Abb. 117). Einst warf er seine Schatten auf ein weit­ läufiges in Bronzelinien und -buchstaben ausgelegtes Liniensystem, das wohl gleichermaßen als Uhr und Kalender diente. Die Inschrift auf dem Sockel des Obelisken erinnerte wieder an den damals schon 20 Jahre zurückliegenden Sieg „über Ägypten“. Der Obelisk war aber bezeichnenderweise zugleich auch wieder eine Weihung an Sol. Am Geburtstag des Augustus wies der gnomon sinnträchtig auf die Mitte der nahegelegenen Ara Pacis Augustae: In der Konstellation der Gestirne seiner Geburtsstunde war die Friedensherrschaft schon festgelegt gewe­ sen, „als Friedensbringer geboren“ - natus ad pacem. Die Sonnenuhr war ein

118. Rom, Portiken und Tempel beim Marcellustheater. Nach Fragmenten der Forma Urbis.

prächtiges Monument, und man kann sich vorstellen, was für ein Vergnügen es machte, auf dem riesigen Liniennetz herumzuspazieren. Auch an die vielen Ein­ wohner und Besucher Roms aus dem Osten hatte man übrigens gedacht und sich weitläufig gegeben: die Inschriften waren auch in Griechisch ausgelegt. Südlich von den Agrippabauten über dem Circus Flaminius lagen nebeneinan­ der die Tempel und Portiken der Triumphatoren aus dem 2.Jh. v.Chr. (Abb. 118). Durch Erneuerungen und Übernahmen trugen künftig auch sie das ihrige zum Lob des Herrscherhauses bei. Das Andenken an ihre republikanischen Stifter verflüchtigte sich dabei weitgehend. Die Porticus Octavia z.B. war 168 v.Chr. von Cn. Octavius nach seinem Seesieg über den Makedonenkönig Perseus errich­ tet worden. Augustus erneuerte den seiner kostbaren Bronzekapitelle wegen berühmten Bau. Es wird ihm nicht schwergefallen sein, hier auf die Nennung sei­ nes Namens zu verzichten (Res Gestae 19). Der Bau trug ihn ja schon. Außerdem stellte er in den erneuerten Hallen die von ihm in den illyrischen Kriegen von den Dalmatinern wiedergewonnenen Feldzeichen auf! Die 147 v.Chr. vom Makedonensieger Q .Caecilius Metellus um die Tempel für Juppiter Stator und Juno Regina gebaute Porticus Metelli aber mußte ganz einer neuen Porticus Octaviae weichen. Augustus finanzierte den Bau zu Ehren seiner Schwester, die hier später zum Andenken an ihren 23 v. Chr. verstorbenen Sohn Marcellus eine schola mit Bibliothek stiftete. Augustus hatte den jungen Mann mit seiner einzigen Tochter Iulia verheiratet und seit 29 v. Chr. als poten­ tiellen Erben präsentiert. Später errichtete er ein Theater zu seinen Ehren. Durch diese Übernahme wurden natürlich auch die schon von Metellus gestif­ teten berühmten Kunstwerke des Baues in die Zusammenhänge der neuen Bil­ dersprache gerückt: Die Venus- und Erosstatuen der klassischen Meister wiesen jetzt ebenso wie das berühmte vielfigurige Reitermonument Lysipps mit Alexan­ der und seinen 25 Gefährten auf Augustus hin. Hatte dieser nicht sogar Alexan­ ders Siegel geführt, stellt er nicht in seinen Monumenten immer wieder Bilder und Andenken an den großen Makedonen auf? Das Beispiel der Porticus Metelli/Octaviae war sicher nur eines von vielen. Es gab inzwischen kaum ein Wasser mehr, das nicht auf die Mühlen des Augustus floß. Applaus und Ordnung. Das Theater als Ort der Begegnung von Princeps und Volk In unmittelbarer Nähe der Portiken aber entstanden zwei neue Theater. Das Marcellustheater des Augustus mit ca. 12-15 000 Sitzen (Abb. 119) und das etwas kleinere Theater des jüngeren Baibus. Zusammen mit dem renovierten Pompeiustheater fanden also mindestens 40 000 Menschen Platz, wenn bei besonde­ ren Anlässen auf allen drei Bühnen gleichzeitig gespielt wurde. Dazu kamen in unmittelbarer Umgebung zwei weitere neue Spielorte: die Saepta und das 151

Amphitheater des Statilius Taurus. Im Laufe von 15 Jahren war im Marsfeld ein wahres Kulturzentrum entstanden. Anders als der Senat der Republik fürchtete sich Augustus nicht vor der im Theater sitzenden Bürgerschaft. Im Gegenteil, er suchte die Begegnung. Begrü­ ßung und Applaus waren Ausdruck des allgemeinen Konsenses und einprägsame Bilder der Bestätigung seines Wirkens. Selbst die gelegentlichen Proteste gegen einzelne Maßnahmen, wie die der Ritter gegen die finanziellen Restriktionen der Ehegesetze (9 n.Chr.) oder die bereits erwähnte Empörung wegen der Entfer­ nung des „Schabers“ waren wohl ein nicht unerwünschtes Ventil. Sie machten den angeblichen .Dialog' zwischen Herrscher und Volk anschaulich. Man hat mit Recht gesagt, daß die politischen Meinungsäußerungen im Theater der Kaiser­ zeit in gewisser Weise an die Stelle von Volksversammlungen und Wahlen traten und dem Prinzipat in symbolischer Form eine Art plebiszitäre Legitimierung ein­ brachten. Die Menge freute sich, wenn der Herrscher sich gemeinsam mit ihr vergnügte und selbst den ermüdendsten Darstellungen mit sichtbarem Interesse folgte, ja sich sogar entschuldigen ließ, wenn er nicht kommen konnte. Caesar hatte nebenher die Post erledigt. Zur publica magnificentia gehörten auch die Spiele. „Alle seine Vorgänger übertraf er durch Anzahl, Vielfalt und den Glanz (magnificentia) der Spiele“ (Sueton, Aug. 43). Man unterschied zwischen den jährlich sich wiederholenden Spielen, die Bestandteil des religiösen Kalenders waren, und den außerordentli­ chen Spielen. Zur Zeit des Augustus zählte man 67 ordentliche Spieltage im Jahr. Ihre Ausrichtung oblag den Beamten, die dabei zu den öffentlichen Mitteln bis zum Dreifachen aus eigener Kasse zuschießen durften. Augustus nahm den weni­ ger Vermögenden nicht selten die Kosten ab. In seinem Tatenbericht rühmte er sich u.a., achtmal Gladiatorenspiele mit insgesamt 10 000 Kämpfern und 26mal Tierhetzen mit insgesamt 3500 erlegten Tieren gegeben zu haben (Res Gestae 22 f.). Das waren zusammen mit den Pferderennen im Circus die beliebtesten Spiele. Diese Zahlen täuschen indes leicht darüber hinweg, daß Augustus diesen Massenvergnügungen gegenüber im Vergleich zu späteren Kaisern eher zurück­ haltend war. Trajan z. B. hat aus einem einzigen Anlaß mehr geboten als Augustus in seiner über 40jährigen Regierungszeit! Es fällt auch auf, daß sich unter den vielen öffentlichen Bauten des Augustus kein großes steinernes Amphitheater befindet. Das kleine Amphitheater des Statilius Taurus stammt aus der frühen Zeit und gehört offensichtlich nicht zum augusteischen Programm. Erst der sonst so sparsame Vespasian baute das Kolloseum für die Massenvergnügungen der Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen. Aber diese Zurückhaltung galt offenbar nur in Rom. Bei der Planung augusteischer coloniae wie z.B. im spanischen Emerita Augusta w a r ein Amphitheater von Anfang an vorgesehen. Bei bestimmten Anlässen jedoch zog der Princeps alle Register. Zur Einwei­ hung des Augustusforums und Mars-Ultor-Tempels veranstaltete er z.B. Circus­ spiele mit 260 zu erlegenden Löwen, gab das Trojaspiel auf dem Forum unter Beteiligung des Prinzen Agrippa Postumus, dazu Gladiatorenkämpfe in den 152

119. Rom, Marcellustheater, Modell. Im Zentrum des Bühnenprospektes ließ Augustus die griechischen Säulen aus dem Haus des Scaurus (S. 142) aufstellen.

Saepta und eine Jagd auf 36 Krokodile im Circus Flaminius (Cass. Dio 55, 10). In der eigens zu diesem Zweck ausgehobenen riesigen Naumachia jenseits des Tiber ließ er die Schlacht der Athener gegen die Perser bei Salamis mit insgesamt 3000 Kämpfern und 30 schweren und vielen kleinen Schiffen zur Erinnerung an seinen Sieg bei Actium aufführen. Bei solchen, ideologisch wichtigen Staatsfeiern scheute der Princeps keine Ausgabe, um „die Herzen und Augen des römischen Volkes mit unvergeßlichen Bildern zu erfüllen“ (Veil. Pat. II 100,2). Sonst aber förderte er vor allem das Theater, dem neben seiner Funktion als Ort der Begegnung von Princeps und Volk auch eine wichtige kulturelle und erzieherische Rolle zugedacht war. Das neue Rom brauchte schon deshalb prunkvolle Theater, weil Theater und Bühne in den griechischen Städten, vor allem aber im Athen der klassischen Zeit, eine so große Rolle gespielt hatten: Ohne Theater blieb der neue Anspruch Roms, auch kulturelles Zentrum des Rei­ ches zu sein, unglaubhaft. Auch hinter der Förderung des Theaters stand das große Anliegen, es den Griechen gleichzutun. Die zwei großen griechischen Ath­ letenspiele gehören ebenfalls in diesen Zusammenhang. Augustus rühmte sich ihrer sogar in den Res Gestae (22), obwohl sie doch noch weniger als das Theater den Sitten der Vorfahren entsprachen! Wir wissen, daß Werke der loyalen augusteischen Dichter in den Theatern Roms aufgeführt wurden oder zum Vortrag kamen, daß Augustus bestimmte Bühnenwerke wie den Thyestes des Varius hoch prämierte (1 Million Sesterzen) und daß Vergil vom Publikum gefeiert wurde. Wie interessant wäre es, einen der 153

Spielpläne zu kennen und zu erfahren, wie weit die neuen Mytheninterpretatio­ nen der Dramen ,politisiert* waren. Dieser große Bereich der Bildersprache aber ist fast vollständig verlorengegangen. Sicher ist, daß der gewünschte kulturelle Höhenflug in diesem Bereich nicht lange dauerte, daß bald die Burleske und vor allem die Pantomime die Bühnen beherrschten. Die neuen Theater spielten aber auch für die Konsolidierung der Gesell­ schaftsordnung eine nicht geringe Rolle, denn hier konnte sich das römische Volk in seiner sozialen Gliederung selbst erleben. Der Theaterbesuch führte jedem sei­ nen Platz in der Gesellschaft immer wieder sinnfällig vor Augen. Schon im 2.Jh. v. Chr. hatte der Senat zunächst sich selbst die untersten Zuschauerreihen bzw. die Orchestra, später den Rittern den nächsten Rang reserviert. Auch diskriminierende Plätze gab es bereits in der späten Republik. Cicero (Phil 2,44) berichtet von einer Abteilung, in der die Bankrotteure sitzen mußten. Hier knüpfte Augustus mit seiner lex lulia theatralis an. Sie enthielt offenbar eine differenziertere Sitz- und Rangordnung, die gleicherweise Ehrun­ gen und Diskriminierungen vorsah. In der Orchestra saßen die Senatoren, unter ihnen herausgehoben die Priester und Magistrate. Dann folgten die Ritter mit einem Zensus von mindestens 400000 Sesterzen. Nach diesen im breiten Mittel­ feld die freien römischen Bürger, nach tribus geordnet wie bei der Getreidevertei­ lung: panem et circenses. Ganz hinten hatten Nichtbürger, Frauen und Sklaven Platz zu nehmen, soweit ihnen der Besuch des Theaters überhaupt erlaubt war. Leider sind die Einzelheiten unvollständig und unklar überliefert. Aber wir wis­ sen z.B., daß Soldaten vom Volk getrennt saßen, daß die Knaben eigene Reihen neben ihren Erziehern hatten und daß die Ehegesetze bessere Plätze für Verhei­ ratete und Kinderreiche und zeitweise sogar Theaterverbot für hartnäckige Jung­ gesellen vorsahen. Auch die Handwerkerkollegien scheinen eigene Abteilungen gehabt zu haben. Bei der enormen gesellschaftlichen Bedeutung der Spiele betrafen solche Her­ aushebungen und Diskriminierungen, betraf solches Zusammen- oder Getrennt­ sitzen den Kern der bürgerlichen Identität. Die starke Differenzierung der Sitz­ ordnung, Überwachung und gegenseitige Kontrolle durch die Betroffenen erleichterten die Durchführung der Bestimmungen. Da der Princeps auch bei anderen Anlässen, etwa bei seinen Einladungen zum Gastmahl strikt auf den gesellschaftlichen Rang achtete, indem er u.a. nie einen Freigelassenen zum Essen einlud, andererseits aber jeder Rang seine eigenen Aufgaben und Würden zugeteilt bekam und die Chance des langsamen Aufstiegs durchaus bestand, wurde die strenge pyramidale Struktur der Gesellschaft von ihren Mitgliedern weitgehend akzeptiert. Das Erlebnis der Gemeinschaft bei Ritual und Fest för­ derte den Prozeß der Verinnerlichung dieser Ordnung sicher erheblich. Selbst die Architektur der Theater trug zur Verdeutlichung und Einprägung der sozialen Schichtung bei (s. Abb.255). Bei den vielen Neu- und Umbauten wurden die verschiedenen Ränge klarer voneinander abgeteilt als bisher, und zwar nicht nur optisch. Auch die kunstvollen Substruktionen, auf denen die halb154

kreisförmige cavea (Zuschauerraum) lag, traten jetzt in den Dienst der sozialen Ordnung. Wie die augusteischen Theater vielerorts zeigen, nutzte man das System der gewölbten Gänge und Treppen nicht nur für den reibungslosen Zuund Abfluß der Zuschauermassen, sondern auch für das Sortieren nach dem gesellschaftlichen Rang, so daß das einfache Volk, dessen Sitze ganz oben waren, erst gar nicht mit den .besseren1 Leuten in Kontakt zu kommen brauchte, nicht anders als in den Opernhäusern des Bürgertums im 19. Jahrhundert. Zwei Gene­ rationen später wird dieses logistische System dann im Kolosseum seine höchste Vollendung erreichen (Abb. 120).

120. Rom, Kolosseum, nach 70 n.Chr. begonnen. Durch ein ausgeklügeltes System von Gän­ gen und Treppen werden die Besucher römischer Theater und Amphitheater auf ihre nach sozialen Kriterien festgelegten Plätze geleitet,

155

Wie die Sitzordnung im Theater zeigt, änderte sich an der pyramidalen Schichtung der römischen Gesellschaft (Abb. 121) nichts durch die Einführung der Monarchie. Im Gegenteil, die Standesgrenzen verfestigten sich unter Augu­ stus wieder. Wirtschaftliche Grundlage des Reichtums blieb der Grundbesitz, der Ackerbau war nach wie vor die entscheidende Produktionsform. Voraussetzung zur Zugehörigkeit zu den drei ordines, aus denen die Oberschicht bestand, Sena­ toren, Ritter und Führungsschicht der Städte (decuriones), war ein bestimmtes Vermögen. Augustus schenkte Senatoren gelegentlich sogar die fehlenden Sum­ men, um die Kontinuität des höchsten Standes zu sichern. Aber Reichtum war nicht alles. Ebenso wichtig blieben Herkunft und Ansehen (dignitas). Das aristo­ kratische Prinzip blieb erhalten, die römische „Revolution“ stand unter konserva­ tiven Zeichen. Die Grenzen zwischen Ober- und Unterschicht, zwischen den Angehörigen der drei ordines und dem Rest der Bevölkerung, waren für die gesellschaftliche dignitas entscheidend - nicht aber für den Wohlstand. Unfreie Geburt schloß selbst bei großem Reichtum den Zugang zu staatlichen und städtischen Ämtern und damit zu einem der ordines aus. Selbst die reichen Freigelassenen saßen des­ halb im Theater auf den hintersten Rängen. Ein Aufstieg von der Unter- in die Oberschicht in nur einer Generation war fast unmöglich. Aber den Söhnen und

121. Die pyramidale Struktur der römischen Gesellschaft zur Kaiserzeit. Modell G.AIföldy 19X4, das allerdings erst den entwickelten Zustand der hohen Kaiserzeit erfaßt.

Enkeln eines erfolgreichen Sklaven konnte es gelingen, dafür war dann aber Reichtum die Voraussetzung. Die Monarchie konsolidierte zwar die alten Standesgrenzen, schuf aber auch neue Ventile für soziale Spannungen und öffnete neue Möglichkeiten zum Auf­ stieg, die einen allmählichen gesellschaftlichen Wandel herbeiführten. Die Verteilung der alten und neuen Priesterämter und die mit diesen verbun­ dene Herrscherverehrung sind ein gutes Beispiel für die direkten Bindungen aller Schichten an den Kaiser. Vor allem gilt dies für die jeweils herausragenden Män­ ner. Ihre Aufgaben im Dienst des Herrschers fühnen zu sozialer Anerkennung und schufen Möglichkeiten des Aufstiegs. Die Ritter fanden verantwortungsvolle Ämter in der Reichsverwaltung und im Heer und konnten so in den Senat auf­ steigen. Auch die decuriones der Städte konnten durch entsprechende Leistungen in ihren Gemeinden auf sich aufmerksam machen und nicht selten Zugang zu Ämtern und Senat finden, dessen Zusammensetzung sich im Laufe des ersten Jahrhunderts n.Chr. kontinuierlich zunächst zugunsten der Italiker, später der Provinzialen veränderte. Die kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen rangierten natürlich weit über ihren Standesgenossen. Sie sind vergleichbar mit den reichen Freigelassenen in den Städten, die sich als Augustales (Mitglieder von Kaiserpriesterschaften) - also wieder mittels der Kaiserverehrung - als neue Gesellschafts­ schicht zwischen decuriones und populus etablieren konnten. Wir werden noch sehen, wie sich diese nach Aufstieg strebenden Gruppen in den Monumenten manifestierten und wieviel sie zur Verbreitung der neuen Bildersprache beitrugen.

Stadtbild und Ideologie Die großen Theater setzten markante Akzente im Stadtbild des augusteischen Rom. Für die Besucher aber boten sowohl das Marcellus- wie das Baibustheater eine Gelegenheit, pietas und publica magnificentia der erneuerten Stadt in beson­ ders eindrucksvoller Weise zu erleben. Das Halbrund der beiden Zuschauer­ räume war so angelegt, daß die Theaterbesucher während der Pausen aus den Arkadengängen auf eine einzigartige Stadtlandschaft blickten, die nur aus mar­ mornen Heiligtümern und aufwendigen Freizeitbauten bestand (Abb. 122). Vom Marcellustheater aus sah man auf die erneuerten Portiken des 2.Jh. v.Chr. mit ihren Tempeln und Gärten, auf den Circus Flaminius mit seinen Ehrenmonu­ menten, auf den neuen Apollontempel des Sosius und den der Bellona, die zum Greifen nahe an die Arkaden heranreichten. Sogar zum Tempel des Jupiter Capi­ tolinus konnte man hinaufblicken. Aus den Umgängen des Baibustheaters aber sah man auf die vier Tempel der Area Sacra am heutigen Largo Argentina. Das waren .Stadtbilder ‘ nach dem Herzen des Princeps. In Strabos Beschreibung des spätaugusteischen Rom nimmt die Schilderung des Marsfeldes bezeichnenderweise mehr als zwei Drittel des gesamten Textes 157

122. Rom, südliches Marsfeld. Tempel mit Portiken neben dem Marcellustheater, davor lag der Circus Flaminius (vgl. Abb. 118).

ein. Die marmornen Bauten der Vergnügungsstadt beeindruckten den Zeitgenos­ sen aus dem Osten mehr als die Fora, die neuen Tempel, das Capitol und selbst der Palatin. „Schon die Größe des Marsfeldes [gemeint ist sein nördlicher Teil] ist bewun­ derungswürdig. Sie erlaubt gleichzeitig ohne gegenseitige Behinderung Wagen­ rennen und alle anderen Arten von Pferdesport. Daneben sieht man Scharen von Ringern, Ball- und Reifenspielern. Kunstwerke schmücken alle Wege, die Gärten grünen und blühen zu allen Jahreszeiten, und der Kranz der Hügel, die sich bis zum Tiber hinziehen, schafft eine einzigartige Stadtlandschaft, so daß sich das Auge an dem Bild nicht satt sehen kann. Daneben liegt eine zweite Ebene [das südliche Marsfeld], die von zahlreichen, in einem Halbkreis angeordneten Portiken, heiligen Hainen, drei Theatern, einem Amphitheater und den aufwen­ digsten Tempeln gesäumt wird. Alles liegt hier so gedrängt nebeneinander, daß einem die übrige Stadt wie ein Anhängsel erscheint“ (Strabo V 3,8). Strabo sah das neue Rom des Augustus, als die meisten Bauten bereits voll­ endet waren. Die Zeitgenossen aber erlebten sein Entstehen. In Vergils Beschrei­ bung der Bautätigkeit in Didos Königsstadt Karthago spiegelt sich das Erlebnis des Aufbruchs und der Hoffnung, das von den in den zwanziger Jahren überall in Rom entstehenden Neubauten ausging (Aen. I 418vff.). Wie in einem Bienen­ staat wirkten alle zusammen; wohin man blickte, sah man die fleißigen H and­ werker. Die programmatische Forderung, die Majestät des Reiches müsse sich in

großartigen öffentlichen Bauten widerspiegeln (Vitruv, praef), erfüllte sich vor aller Augen. Wer die Baupolitik der Nationalsozialisten und Faschisten erlebt hat, weiß, daß man die emotionale Wirkung von Baugerüsten kaum überschätzen kann. Trotz seiner Marmortempel und der aufwendigen Vergnügungsbauten ist das neue Rom aber keine hellenistische Stadt geworden. Caesar hatte das zwar gewollt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man den Tiber umgeleitet und auf dem so erweiterten Marsfeld eine rational geplante Rasterstadt mit recht­ winkligem Straßensystem und gleich großen insulae geschaffen. Von einem riesi­ gen, an den Rücken des Capitols gelehnten Theater aus hätte man die wohlorga­ nisierte Neustadt überblicken können (Sueton, Div. Iul. 44). Später hat Nero noch einmal von Ähnlichem geträumt. Anders Augustus: Radikale Eingriffe und Neuerungen widersprachen den Leitmotiven seines Handelns. Die pietas gebot Ehrfurcht vor den alten Kultplätzen, der politische Stil Respektierung des Privat­ besitzes, die Wertewelt der Vorfahren (mores maiorum) aber verlangte Einfach­ heit der Wohnungsquartiere. Deshalb blieb das Straßensystem an vielen Stellen unverändert. Winklige Stra­ ßen und Gassen, in Jahrhunderten im Wildwuchs entstanden, prägen auch noch auf einem Stadtplan aus dem 3.Jh. n.Chr. das Bild der dicht besiedelten alten Stadtteile (s. Abb. 113). Der Princeps aber ordnete und gliederte auch hier, freilich auf andere Art und Weise. Die Stadt wurde in 14 Regionen und 265 vic't (Stadtbezirke) eingeteilt. Jeder vicus bekam eine von den Einwohnern gewählte Selbstverwaltung, die aus jenen magistri und ministri gebildet wurde, von denen im Zusammenhang mit Larenkult und Herrscherverehrung oben schon die Rede war. Sie nahmen auch kleinere Sicherheitsaufgaben wahr, halfen bei der Feuerwehr, garantierten Ruhe und Ordnung und überwachten die von Augustus erlassenen Bauvorschriften. Die Häuser durften nicht höher als 70 Fuß (ca. 21 m) gebaut werden, auch die Dicke der tragenden Mauern und Ähnliches waren festgelegt. Das Hauptübel in den alten Wohnquartieren waren die Feuersbrünste und Überschwemmungen. Der Princeps versuchte auch hier, Abhilfe zu schaffen. Er reformierte das Löschwesen zweimal und befestigte die Tiberufer. Ordnung und Sicherheit, auch was die Zuverlässigkeit der Getreideversorgung, die jetzt auf genaueren Unterlagen beruhte, anlangte, wirkten sich positiv auf die .Lebensqua­ lität' in den Stadtbezirken aus. Die Compitalkulte der vici mit ihren Frühjahrs­ und Sommerfesten entwickelten sich zu gesellschaftlichen Treffpunkten und Nachbarschaften, was natürlich auch die gegenseitige Überwachung erleichterte. Alle diese Maßnahmen trugen zweifellos zu einer erheblichen Verbesserung der Lebensbedingungen bei, aber sie änderten nichts am einfachen und altertüm­ lichen Bild der Wohnbezirke. Strabo hatte recht: Was die ästhetische Erschei­ nung anlangt, wirkte die altmodische Wohnstadt tatsächlich wie ein Anhängsel des neuen marmornen Rom. Wie sehr dies der ideologischen Leitlinie des Re­ gimes entsprach, zeigt die große Umfassungsmauer des Augustusforums, ein ein159

123. Rom, Augustusforum. Die Umfassungsmauer (Höhe ca. 30 m) schützte den Bau vor Feuer und markierte zugleich eine symbolische Grenze. L. Rossini um 1810.

zigartiges Monument, das zu Recht immer wieder das Staunen der Nachwelt erregt hat (Abb. 123). Noch heute kann man sehen, wie diese riesige, aus schön behauenen Tuffblöcken kunstvoll geschichtete, z.T. 33 m hohe Mauer selbst das Dach des Mars-Ultor-Tempels übertraf. Von den Straßen und Häusern der Sub­ ura her konnte man keinerlei Einblick in die prachtvollen Marmorbauten des Forum gewinnen. Während die Mauer vom Innern des Forum aus kaum bemerk­ bar war, ragte sie über den Wohnhäusern in ihrer ganzen monumentalen Steilheit auf. Natürlich hatte die Mauer einen praktischen Zweck. Sie sollte das kostbare Heiligtum vor den häufigen Feuersbrünsten der Subura schützen. Aber die monumentale, altertümlich gefügte Form gab ihr darüber hinaus im Stadtbild auch einen unübersehbaren Symbolcharakter. Die Mauer betonte die Grenze zwischen der Einfachheit der Wohnquartiere und der maiestas und magnificentia der Tempel und öffentlichen Bauten. Noch in einer anderen Hinsicht konnte der Zeitgenosse in dieser Mauer ein Zeichen sehen. Ihr unregelmäßiger Verlauf mit Knicken und Schrägen demonstrierte die peinlich genaue Respektierung des Privatbesitzes durch Augustus. „Er ließ sein Forum kleiner als ursprünglich beabsichtigt bauen, weil er es nicht wagte, die Eigentümer der angrenzenden Häuser zu enteignen“ (Sueton, Aug. 56). Natürlich hätte der Princeps die entsprechenden Grundstücke leicht bekom160

men können. Aber auch hier ging es darum, zu zeigen, daß er selbst sich den Gesetzen ebenso unterwarf, wie er es von seinen Mitbürgern verlangte. Blickt man zurück auf das Rom der späten Republik, so grenzt die Verwand­ lung der Stadt im Leben einer einzigen Generation ans Wunderbare. Vielleicht hat nichts so unmittelbar überzeugt und auf die allgemeine Mentalität eingewirkt wie die hier geschaffenen Fakten. Die exemplarische Wirkung auf die Römer­ städte in der ganzen westlichen Reichshälfte führte zu hunderten neuer Stadt­ bilder, in denen die römische Kultur zum erstenmal visuelle Gestalt annahm (S.304).

3 . M o r e s M a io r u m

Einfachheit und Bedürfnislosigkeit, harte Erziehung, Sittenstrenge, Ordnung und Unterordnung in Familie und Staat, Fleiß, Tapferkeit und Aufopferungsbe­ reitschaft, das waren die Tugenden, die in Rom seit Beginn der Hellenisierung unter dem Schlagwon mores maiorum beschworen wurden - während man sich in Wirklichkeit immer schneller von dieser Wertewelt einer archaischen Gesellschaft entfernte. Dabei hatte sich die Vorstellung von der Notwendigkeit einer morali­ schen Erneuerung verselbständigt: ohne die Rückkehr zu den Tugenden der Vor­ fahren keine innere Gesundung des Staates. So oft die Welt solche Apelle schon gehört hatte und so vage, wirklichkeitsfern und kurzlebig sie zu sein pflegen, ihre emotionale Schubkraft ist nicht selten erstaunlich groß. Sie gehören zum festen Repertoire der ewigen Hoffnung auf eine ,neue Welt“. Sittengesetze „O Zeiten voller Unmoral! Zuerst habt ihr die Ehe, das Haus und das Geschlecht befleckt. Jetzt fließt aus dieser Quelle der Unheilstrom auf Vaterland und Volk“, so jammerte Horaz (carm. 3,6) noch 29 v.Chr. Die Sittenlosigkeit galt neben der Gottlosigkeit als Hauptübel der Vergangenheit, als Grund für den Verfall. Augu­ stus glaubte, er könne auch auf diesem Gebiet einen Gesinnungswandel herbei­ führen und mittels Bestrafung und Belohnung sogar die Sexualmoral verbessern und die Römer der oberen Stände zur Zeugung von mehr Kindern veranlassen. Der erste (gescheiterte) Versuch einer entsprechenden Gesetzgebung stand bezeichnenderweise in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Pietasprogramm der Jahre 29/28 v.Chr. Die berühmten Ehe- und Moralgesetze des Jahres 18 v.Chr. aber bereiteten die Säkularfeier des darauffolgenden Jahres ideologisch vor und waren von einer rigorosen Säuberung des Senates begleitet. Augustus maß also diesen leges luliae, die unter anderem die strafrechtliche Verfolgung des Ehebruchs (!), scharfe Sanktionen gegen Unverheiratete vor allem im Erbrecht 161

124. Rom, Ara Pacis. Antonia minor mit Drusus maior und ihren Kindern, dahinter weitere Mitglieder des Kaiserhauses. b zw . P räm ien u n d V o rr ec h te fü r K in d e r r e ic h e v o r sa h e n , e in e z e n tr a le B e d e u tu n g in seinem E rn eu eru n g sp ro g ra m m zu .

Werbung mit Bildern auf diesem Feld w ar schwierig. D er Princeps selbst tat, was er konnte. Bis ins hohe Alter suchte er nach wirkungsvollen exempla. „Er scheute sich nicht, dem Senat eine Rede des Censors Q. Metellus aus dem Jahre 131 v.Chr. ,Über die Hebung der Geburtenziffer' vorzulesen, wie wenn sie soeben geschrieben worden wäre“ (Liv. Per. 59. Suet. Aug. 89). Eine gebärfreu­ dige Sklavin bekam eine Statue gesetzt. Einen steinalten Greis aus Faesulae ließ man mit allen seinen 61 Nachkommen feierlich aufs Kapitol ziehen, dort opfern und veröffentlichte das Ereignis sogar in den acta, dem Staatsanzeiger (Plin. n. h. VII 60). Noch 9 n.Chr., als die Ritter im Theater gegen die inzwischen bereits gemilderten Ehegesetze vor allem wegen der mit ihnen verbundenen steuerlichen Sanktionen protestierten, „ließ er [Augustus] die Kinder des Germanicus kom­ men, nahm die einen auf seine eigenen Arme, ließ die anderen auf dem Schoß ihres Vaters sitzen und forderte mit Handzeichen und Blick dazu auf, sich den jungen Mann zum Beispiel zu nehmen“ (Sueton, Aug. 34). Auch die befreundeten Dichter wurden um Mithilfe angegangen. Sie sollten zeigen, wie eng der Anbruch besserer Zeiten an die Voraussetzung einer verbes162

serten Moral geknüpft war. Man meint den trockenen Versen des Horaz die U nlust anzumerken, mit denen sie gedrechselt wurden.

„Jetzt weidet der Stier sicher auf den Feldern. Ceres nährt die Fluren, gibt glückliche Ernten. Die Schiffe fliegen übers befriedete Meer. Die Treue scheut sich vor Schuld. Das reine Haus wird nicht mehr vom Ehebruch befleckt. Sitte und Gesetz zähmten der schmutzigen Gier Lust. Die Mütter rühmen sich ehelicher Kinder. Strafe folgt der Schuld auf dem Fuß“ (Horaz, carm. 4,5). Im Gegensatz zu den Programmen der religiösen Erneuerung und der publica magnificentia waren die Sittengesetze und die sie begleitenden Mahnungen und Aufforderungen natürlich zum Scheitern verurteilt. Vor allem der Kindersegen blieb trotz der immer positiver werdenden Mentalität aus. Diejenigen, an die der Princeps hauptsächlich gedacht hatte, schüttelten die Köpfe. Es gab manch wit­ zige Bemerkung, und Leute wie Ovid konnten der Versuchung zu entsprechen­ den Anzüglichkeiten nicht widerstehen. Im Grunde paßten diese massiven Regle­ mentierungen und Einmischungen auch nicht in den Stil des neuen Regimes. Augustus war hier Gefangener seines eigenen Sendungsbewußtseins, seiner Vor­ stellung einer inneren Erneuerung. Es ist ein merkwürdiges Bild, den kühl berechnenden Realisten als nimmermüden Sittenprediger zu sehen, der bei jeder Gelegenheit nachahmenswerte Beispiele, die er aus alten Schriften exzerpiert hat, vorliest und selbst an seine Provinzgouverneure verschickt (Sueton, Aug. 89). Weil er sich mit diesem Programm so identifiziert hatte und dabei so erfolglos blieb, reagierte er auch so unmenschlich gegen seine Tochter Julia und seine Enkelin gleichen Namens. Der lockere Lebenswandel der beiden, die sich wie

125. Glasmedaillon für Metallfassung. Tiberius oder Drusus minor mit zwei Prinzen. Auf diesen militärischen Orden wurde gerne auf die Nachkommen des Kaiserhauses hingewiesen.

163

Ovid zur dionysischen Jeunesse dorée Roms hingezogen fühlten und im Stadt­ klatsch von sich reden machten, traf ihn an seiner schwächsten Stelle. Beide wur­ den verbannt, und Augustus lehnte bis zu seinem Tode jede Versöhnung ab. Auch den bildenden Künstlern, die sich des Leitmotivs der religiösen Erneue­ rung so willig angenommen hatten, fiel scheinbar nichts Rechtes zu diesen The­ men ein. Natürlich stellte man an der Ara Pacis die Kinder des Kaiserhauses in den Vordergrund (Abb. 124) - nur leider gab es nicht viele davon -, im Heer wur­ den später Glasmedaillons mit den Prinzen und ihren Kindern als Auszeichnun­ gen verteilt (Abb. 125) und ähnliches mehr. Aber das alles hängt eher mit der Pro­ pagierung der Dynastie zusammen. Doch dieser Eindruck trügt. Die Themen ,Ehemoral“ und ,Kinderreichtum“ konnten von den Künstlern zwar nicht direkt umgesetzt werden, aber in subli­ mierter Form fanden sie, wie wir sehen werden, Eingang in die bald darauf über­ all auftauchenden Glücksvisionen vom „Goldenen Zeitalter“.

Der Princeps als Vorbild Augustus selbst aber stilisierte sich zum größten exemplum und warb durch seine Lebensweise und seine Auftritte fortwährend für die mores maiorum. Wenn irgendwo, so mußten Bild und Wirklichkeit bei ihm selbst übereinstimmen (Veil. Pat. 2,126,5). Bei seinen Auftritten in der Öffentlichkeit bestachen sein schlichter und würdiger Stil, vom Gang bis zur Ausdrucksweise, sein leutseliger Verkehr auch mit den Einfachsten, seine Ehrerbietung den Senatoren gegenüber, seine Disziplin und Selbstbeherrschung. Besucher konnten berichten, wie einfach und altväterlich bescheiden seine Wohnräume waren. Man erzählte sich, daß er ganz wie die Alten - selbst den letzten Goldteller hatte einschmelzen lassen, man wußte, daß er keinen Wert auf Luxusvillen legte - doch hatte er sich immerhin ganz Capri als Refugium reserviert. Man ließ die Leute auch wissen, daß der Stoff seiner einfach geschnittenen und in den Standeszeichen zurückhaltenden toga von seiner Frau und seiner Enkelin eigenhändig gewoben worden war trotz der Hundertschaften kaiserlicher Sklaven. Zurückhaltung und Einfachheit kennzeichnen den Stil des Princeps auch in bezug auf die ihm zuteil werdenden Ehrungen. Zumindest seit ca. 20 v. Chr. waren fast alle für ihn errichteten Monumente religiöser Art bzw. hatten den Charakter von Votiven. In den Bauten ist der neue Stil besonders eklatant. Die Ara Pacis Augustae (Abb. 126) wiederholte in ihren bescheidenen Dimensionen die Maße des Zwölfgötteraltares auf der Athener Agora (5.Jh. v.Chr.). Die Ara Fortunae Reducis (Abb. 127 a) und andere später errichtete Altäre werden eher kleiner gewesen sein. Und diese Altäre sind die größten der nach der ,Wende“von Senat und Volk zu Ehren des Augustus errichteten Monumente! Welch ein Gegensatz zum Zeusaltar in Pergamon und zur auftrumpfenden Selbstverherrli­ chung, die der Divi filius selbst in den dreißiger Jahren betrieben hatte. 164

126. Rom, Ara Pacis Augustae 13-9 v.Chr. Der eigentliche Altar befindet sich im Innern der Marmorumhegung.

Die Zurückhaltung des Augustus und sein ständiger Hinweis auf die mores maiorum mag dem einen oder anderen der Senatoren eine gewisse Beruhigung gewesen sein, zumal es nicht an Zeichen dafür fehlte, daß es auch künftig für sie noch Möglichkeiten der Selbstverwirklichung und der Ruhmgewinnung neben dem Princeps in der res publica restituta geben würde. So konnten die jungen Adligen seit 19 v.Chr. als Münzmeister wieder Namen und Bildzeichen ihrer Familie auf die Münzen setzen. Der Praetor L. Naevius Surdinus durfte sogar mit einer riesigen Inschrift mitten auf dem Forum daran erinnern, daß er das neue Pflaster bezahlt hatte. Der verarmte M. Aemilius Lepidus hatte - mit einem Zuschuß des Princeps - die alte Basilica der Aemilier auf dem Forum erneuern können (Dio Cass. 54,24), und Baibus der Jüngere hatte sogar noch einen Tri­ umph feiern und aus den Beutegeldern ein Theater bauen dürfen wie der Prin­ ceps selbst. Der Mann ohne Ahnen aus Spanien war freilich keine Konkurrenz. Wen wunderte es, daß sich die so Respektierten mit entsprechenden Verbeugun­ gen revanchierten. Aemilius Lepidus ließ u.a. unterworfene Barbaren in kostba­ rem bunten Marmor in seiner Basilica aufstellen, die an die Siege des Kaisers erinnerten, und die Münzmeister ehrten Augustus meist auf Vorder- und Rück­ seite ihrer Prägungen. Einer von ihnen applaudierte sogar den neuen Sittengesetzen, indem er die unkeusche Vestalin Tarpeia, die Rom um ihrer Liebe zum feindlichen Sabinerkö­ nig willen verraten hatte, darstellen ließ, wie sie von den feindlichen Schilden begraben wird (Abb. 127b). Der Münzmeister hatte das exemplum übrigens nicht 165

127. a) Denar des Q.Rustius 19v.Chr. Altar der Fortuna Redux, errichtet aus Anlaß der glücklichen Rückkehr des Augustus aus dem Osten, b) Denar des P. Petronius Turpilianus, Rom 16 v.Chr. Die unkeusche Vestalin Tarpeia wird lebendigen Leibes mit Schilden begraben. Das Bild erinnert im Zusammenhang mit der Sittengesetzgebung des Augustus an die mores maiorum.

erfunden. Es scheint damals auch im Dichterkreis des Maecenas zur Sprache gekommen zu sein. Jedenfalls widmete ausgerechnet Properz der unglücklichen Vestalin eine ganze Elegie (4,4) und interpretierte die Geschichte dabei entspre­ chend ihrer neuen Funktion explizit als Beispiel dafür, wohin es führt, wenn Reli­ gion und Moral mißachtet werden. Wahrscheinlich entstand in den Jahren um das Saecularfest auch ein neues Bildnis des Augustus (Abb. 128). Die Veränderungen sind für unsere Augen nur

166

geringfügig, enthalten aber doch eine interessante Aussage. An die Stelle der klassizistischen Formen des Kunstgesichtes der Zeit um 27 v.Chr. (s. Abb. 83) tra­ ten wohl in Anlehnung an das Octavianporträt (s. Abb. 33) wieder physiognomisch schärfer erfaßte Züge. Die strenge polykletische Haarordnung wurde zugunsten einer wirklichkeitsnaheren Haarstilisierung aufgegeben. Aber die Alterslosigkeit blieb unangetastet, obwohl Augustus inzwischen auf die fünfzig zuging. Das revidierte Porträt wurde indes nur vereinzelt rezipiert. Die Werkstät­ ten benutzten den vertrauten Typus weiter, das ästhetisch überhöhte Bild des ewig Jugendlichen hatte sich bereits damals vor die Wirklichkeit des kränkelnden und alternden Mannes geschoben. Man muß den Wunsch nach einem zurückhaltenden Bildnis im Kontext des Verzichts auf die pathetischen Bilder und des Aufkommens der neuen Ehrensta­ tue mit verhülltem Haupt sehen. Die handgewobene toga des Princeps selbst war ein Bekenntnis zur Tradition, ein Versprechen, die res publica zu respektieren und von seiten derer, die solche Statuen stifteten, auch ein Ausdruck dieser Erwartungen.

Toga und Stola Augustus erreichte es, daß die toga für alle Römer zu einer Art Staatskleid und zum Symbol der rechten Gesinnung wurde, das seine Träger bei bestimmten Anlässen an ihre Würde erinnern sollte. Horaz ging sogar so weit, die toga in einem Atemzug mit den sakralen Unterpfändern des Reiches zu nennen (carm. 3,5,10f.). In der späten Republik war die toga in Schnitt und Umwurf kaum vom griechi­ schen Mantel zu unterscheiden gewesen (s. Abb. 10 a). Jetzt kamen, wahrschein­ lich angeregt durch Augustus und die Exponenten des Regimes, immer stoff­ reichere Formen in Mode, die kompliziertere Drapierungen und eine neue Tragweise (mit sinus und balteus) erforderten (s. Abb. 104). Das ergab ein weit wirkungsvolleres Bild, war aber lästig beim Anziehen und Tragen. Im Laufe der Jahre entwickelten die Künstler geradezu didaktische Muster der korrekten Trageweise. Sie zwangen der Stoffülle eine ästhetische Struktur auf, hinter deren Faltenspiel der Körper des Trägers ganz verschwand (Abb. 129, 130) : Die symbo­ lische Bedeutung wird jetzt wichtiger als die wirklichkeitsnahe Erfassung des Körpers. Die Freigelassenen förderten diesen Modetrend schon früh, wie ihre Grab­ reliefs zeigen. Für sie war die toga das Zeichen des mühsam errungenen Bürger­ rechts, des Inbegriffs ihres Lebenserfolges. Aber allgemein scheint man das unbe­ queme und so schnell verschmutzende weiße Staatskleid ungern angezogen zu haben. Augustus mußte nachhelfen. „Er bemühte sich, auch die Tracht und die Art des Auftretens der Vorfahren in der Öffentlichkeit wieder zu Ehren zu bringen. Als er in einer Volksversammlung 167

129. Statue eines der führenden Männer von Formia. Eine neue stoffreiche Form der toga kommt in Mode. 130. Statue eines Mannes mit „Senatorenschuhen“. Er weist zwei wächserne Ahnenbildnisse vor. Wahrscheinlich handelt es sich um einen homo novus.

eine Menge Leute in den dunklen Alltagsmänteln sah, regte er sich auf und rief aus :,Schau das sind die Römer, die Herren der Welt, das Volk in der toga' (Ver­ gil, Aen. I 282). Er wies daraufhin die Ädilen an, auf dem Forum und in dessen Nähe keinen mehr zu dulden, der nicht den Mantel abgelegt hatte und die toga trug“ (Sueton, Aug. 40). Dasselbe galt für das Theater (Sueton, Aug. 44). Der Princeps wollte, daß wenigstens bei bestimmten feierlichen Gelegenheiten das äußere Erscheinungs­ bild des Staatsvolkes nicht allzuweit hinter der Vision des Dichters zurückblieb. In der Folge muß der Anblick der weißen togati im Theater und in der Volksver­ sammlung ein stolzes Bild geboten haben. Die Rückwirkung auf das Selbstgefühl der einzelnen kann nicht ausgeblieben sein. Die Verordnung zum Tragen der toga 168

131. Statue mit stola, dem lan­ gen Überkleid mit Schulter­ trägern, das die verheiratete Römerin kennzeichnen und ,schützen‘sollte,vgl.Abb.253.

war nur eine unter vielen Maßnahmen. Gleichzeitig verstärkten z. B. Bevorrechti­ gungen der Einwohner mit dem vollen Bürgerrecht beim Theaterbesuch, beim Empfang der Geldspenden und bei der Kornverteilung das stolze Bewußtsein der Zugehörigkeit zum populus Romanus. Zur neuen Ordnung gehörte freilich auch, daß die Empfängerlisten reduziert und die Berechtigung genau geregelt wurde. Der Fall der Kleiderverordnung bietet im übrigen ein außerordentlich lehrrei­ ches Beispiel für die vielfältigen Interaktionen, die zur Herausbildung einzelner Elemente der neuen Bildersprache geführt haben: Der Dichter schuf in seinem nationalen Epos ein suggestives Bild; dies führte zum irritierenden Vergleich mit der Wirklichkeit und provozierte in diesem Falle sogar unmittelbar politisches Handeln von seiten des Augustus. Meist wird der Prozeß sehr viel komplexer, werden die Anregungen banaler, die Zwischenstufen zahlreicher gewesen sein. Auch die verheiratete Römerin der Oberschicht sollte dem Geiste der neuen Sittlichkeit entsprechend ein Ehrenkleid tragen. Es war die stola, ein langes, ärmelloses Überkleid mit schmalen Schulterträgern, dem man wahrscheinlich den sozialen Stand der Matrone, ähnlich wie bei der toga praetexta, dank einge­ webter Streifen ablesen konnte. Bei weiblichen Statuen und Porträtbüsten der frühen Kaiserzeit (Abb. 131) wird dieses Ehrenkleid häufig dargestellt, gelegentlich zusammen mit einer ins Haar geflochtenen Wollbinde (vitta). Durch Bemalung hob es sich einst noch 169

deutlicher von tunica und Mantel ab. Die stola wurde im Zusammenhang mit der Sittengesetzgebung geradezu zum Synonym für weibliche Tugend und Scham. Für die würdigen Matronen bedeutete die stola indes nicht nur eine Ehre, son­ dern auch „Schutz vor Belästigungen“. Ovid, der sich später zerknirscht als der „Lehrer des häßlichen Ehebruchs“ (obsceni doctor adulterii, Ovid, trist. II 212) bezichtigte, trieb seinen amüsanten Spott mit dem zu solch hehrer Bedeutung aufgestiegenen Kleidungsstück. Schon die Eingangsverse seiner „Liebeskunst“ sind voller ironischer Anspielungen auf die sich in vitta und Stola konkretisierende offizielle Moral. „Weg mit euch Binden (vittae), ihr zarten Zeichen der Scham; weg mit dir stola, die du bis zu den Füßen hinabreichst. Ich will die gefahrlose Liebe, den erlaubten Diebstahl besingen!“ Es wird den hoch gestellten Damen schwer genug gefallen sein, ihre üppigen kölschen Gewänder aus durchsichtigem Stoff gegen die flach fallende, hemd­ artige stola zu vertauschen. Nun mußten sie sich von Ovid auch noch sagen las­ sen, daß sie wegen der neuen Sittengesetze nicht mehr für die Ratschläge in Sachen Liebeskunst in Frage kamen. Denn für amouröse Abenteuer hatte sich der junge Mann - so Ovid - an nicht legal Verheiratete aus der Unterschicht, an junge Freigelassene, Sklavinnen oder an Nichtrömerinnen zu halten. Ovid wird nicht der einzige gewesen sein, der diese praktische Folgerung aus den neuen Moralgesetzen zog.

V. Die mythische Überhöhung des neuen Staates Nach zehn Jahren religiöser und moralischer Erneuerung begannen die überall sichtbaren Bauten und Bilder, die Opfer und Feste ihre Überredungskraft zu ent­ falten. Die Zuversicht in die Dauerhaftigkeit des wiederhergestellten Staates und das Vertrauen in seinen Lenker wuchsen allenthalben. Umsturzversuche waren gescheitert, die Sieghaftigkeit des Augustus hatte sich gegen Kantabrer und Parther bewährt, der innere Friede sich als stabil erwiesen. Jeder konnte die Erfolge des neuen Regimes am eigenen Leibe erfahren. Jetzt war die Zeit gekommen, der positiven Stimmung dauerhaften Ausdruck zu geben. Der neue Staat brauchte Bilder, die die Wirklichkeit überhöhen und den Glückszustand der Gegenwart beschwören konnten. Er brauchte einen Mythos, Freilich konnten Augustus und seine Helfer das nicht so umfassend formulie­ ren und auch nicht als System konzipieren. Gleichwohl entstand im Laufe seiner Regierungszeit so etwas wie ein neuer Staatsmythos. Die einzelnen Elemente stammen aus sehr verschiedenen Vorstellungsbereichen, die nur in der Person des Augustus ihren Zusammenhalt fanden. Wieder kam das Ganze durch einzelne Initiativen in Gang, die teils vom Princeps teils von seinen Verehrern ausgingen. Dabei ergab sich aus einem immer dichter werdenden Geflecht von Interaktionen nach und nach ein als solches nie geplantes .System1. Der neue Staatsmythos wurde auch nirgends als kohärentes gedankliches Konzept festgeschrieben. Er gewann seine Gestalt vor allem in Bildern.

1. A u r e a A e ta s

Augustus selbst konnte sich zunächst noch an dem von ihm vorgeschriebenen Handlungsrahmen orientieren. Seit langem phantasierte man ja über den bevor­ stehenden Beginn eines neuen saturnisch glücklichen Zeitalters. Die Vorausset­ zungen dafür waren jetzt erfüllt. Götter und Gestirne hatten den lange verheiße­ nen Staatsmann gesandt und das Römervolk hatte sich unter dessen Leitung selbst gereinigt und erneuert. Für das Jahr 17 v. Chr. war wieder ein Komet ange­ sagt - wie damals nach Caesars Tod. Was lag für Augustus näher, als das neue Zeitalter jetzt einfach für angebrochen zu erklären. Für die Zeit vom 30. Mai bis 3. Juni 17 v.Chr. wurde ein großes Saecularfest angekündigt. Das letzte hatte man angeblich vor 136 Jahren während des Krieges gegen die Karthager gefeiert. Es wird für das Priesterkollegium der quindecimviri sacris faciundis nicht leicht gewesen sein, den politisch so günstigen Zeitpunkt auch mathematisch und theo­ logisch zu begründen. 171

Das Goldene Zeitalter w ird eröffnet Es ist faszinierend, wie systematisch die Öffentlichkeit darauf vorbereitet wurde: erst durch die Tilgung der Partherschmach, dann durch die Reinigung des Sena­ tes, schließlich durch die Sittengesetzgebung des Jahres 18 v. Chr. Konsequent wurden die Leitmotive virtus, mos maiorum und Kindersegen in das Festpro­ gramm und in die daraus entwickelten Bilder eingebracht. Dank der glücklicher­ weise erhaltenen Inschrift des Festprotokolls und des überlieferten offiziellen Festgedichtes des Horaz (carmen saeculare) gewinnen wir einen guten Einblick in Planung und Zusammenwirken der am Fest Beteiligten. Die Priesterschaft der X V viri sacrisfaciundis arbeitete unter dem Vorsitz von Augustus und Agrippa die Richtlinien aus. Die beiden hatten sich für das Jahr 17 zu diesem Zweck eigens zu magistri des collegium wählen lassen. C.Ateius Capito, ein Spezialist für Sakral­ recht, setzte diese in ein umfangreiches Festritual um. Sicher hat er dabei häufig die Bücher des Varro benutzt. Das Programm bestand aus längeren Vorbereitun­ gen, dem eigentlichen dreitägigen Fest und anschließenden mehrtägigen Spielen aller Art. Herolde in altertümlicher Tracht verkündeten schon Monate vorher „ein Fest, wie es bislang niemand gesehen hat und niemand je wieder sehen wird“ (Suet. Claud 21). Im Festjahr geprägte Münzen (Abb. 132) zeigen diese Festboten auf der Rück­ seite, auf der Vorderseite aber den verjüngten Kopf des vergöttlichten Caesar mit einem Lorbeerkranz und über diesem das Zeichen des für den Sommer des Jahres erwarteten Kometen als deutliche Erinnerung an das sidus lulium und die Ereig­ nisse vor 27 Jahren, als der junge Octavian zum erstenmal in der Öffentlichkeit aufgetreten war. Aber während damals das Bildnis Octavians dem seines Adop­ tivvaters angeglichen worden war, ist es jetzt umgekehrt! Ausgewählte Gruppen der Bevölkerung hatten das Zeremoniell einzuüben. Kurz vor Beginn der Feiern verteilten die quindecimviri, darunter der Princeps selbst, die Sühne- und Reinigungsmittel (suffimenta), unter anderem Schwefel, Erdpech und Fackeln, mittels derer jedermann sich in privatem Ritual zu reinigen

132. Denar des M.Sanquinius, Rom 17 v.Chr. a) Divus Julius mit sidus lulium. b) Festbote in archaisierendem Aufzug mit riesigem Heroldstab.

172

133. Aureus des L. Mescinius Rufus, Rom 16 v.Chr. Augustus verteilt vor der Saecularfeier per­ sönlich die suffimenta (Reinigungsmittel). 134. Denar des C.Antistius Vetus, Rom 16 v.Chr. Erinnerung an den legendären Vertrag mit den Gabini: Schweineopfer nach archaischem Ritual.

hatte. Die feierliche Szene, an der Augustus selbst stundenlang unermüdlich mit­ wirkte, machte offenbar großen Eindruck. Ein Münzmeister des folgenden Jah­ res erinnerte daran (Abb. 133). Am Tag vor dem Fest nahmen die Priester auf dem Aventin feierlich die Erstlingsfrüchte, Korn, Bohnen etc. vom Volk entgegen (als hätte man es noch mit den Bauern von einst und nicht mit völlig entwurzelten Großstädtern zu tun), die dann während der Feier wieder verteilt wurden. Auch am eigentlichen Ritual war die Bevölkerung unmittelbar beteiligt. Selbst die nach den neuen Gesetzen von Theater und Festen ausgenommenen Unverheirateten durften kommen, propter religionem, - „mit Rücksicht auf die Religion“, wie der Princeps verlautbaren ließ. Das Fest selbst war eine Abfolge von großartigen bildhaften Inszenierungen, die an verschiedenen Heiligtümern und Kultplätzen aufgeführt wurden. Die Leitmotive von Zeremoniell und carmen saeculare zeigen, daß es in den z.T. uralt anmutenden Ritualen nicht mehr wie bei früheren Saecularfesten um die Versöh­ nung der unterirdischen Götter, sondern um die Beschwörung von Fruchtbarkeit und Heil, d. h. um die kultische Überhöhung der neuen Sittlichkeit und des neuen Staates ging. In drei nächtlichen Zeremonien wurde den Moiren, den Eileithyien und der Terra Mater geopfert. In der ersten Nacht bekamen die Schicksalsgöttin­ nen 9 Schafe und 9 Ziegen. Augustus rezitierte dabei ein mit archaischen Wen­ dungen durchsetztes Gebet für imperium und maiestas des Römervolkes, für Heil, Sieg und Gesundheit von Volk und Legionen, für die Mehrung des Reiches, für die Priesterschaften und endlich ausdrücklich auch für sich selbst, sein Haus und seine Familie. In den beiden folgenden Nächten wurden die Eileithyien als Geburtshelferinnen und die Terra Mater als Göttin der Fruchtbarkeit angerufen. Dieser opferte Augustus sodann eigenhändig eine trächtige Sau. Wer dabei war, vergaß die Szene nicht! Eine dieser archaischen Opfer-Schlachtszenen erschien dann auch auf einer der nächsten Münzserien (Abb. 134). Die lichten Inszenierungen am Tage waren kaum weniger eindrucksvoll als 173

diese Nachtszenen. Hier galten die Opfer auf dem Capitol am ersten Tag Jupiter, am zweiten Juno Regina, am dritten Tag dann Apollo, Diana und Latona auf dem Palatin. Auch hier brachten Augustus und Agrippa die Opfer dar, 2 Ochsen für Jupiter, 2 Kühe für Juno und Kuchen für Apollo und Diana. Chöre von 110 ausgewählten Matronen und je 3 mal 7 weißgekleideten Knaben und Mädchen spielten bei den Ritualen eine zentrale Rolle. Die Mütter erflehten u. a. von Juno Segen für Staat und Familie, die Kinder in ihren weißen Festkleidern sangen vor dem Tempel des palatinischen Apoll das von Horaz gedichtete carmen saeculare. Phöbus und du, Herrin des Walds, Diana, Du, des Himmels leuchtende Zier, verehrt auf Ewig, gebt uns, was wir erflehn in dieser Heiligen Stunde, Da, Sibyllas Spruche getreu, erkorne Mädchen und unschuldige Knaben allen Göttern, die da schirmen die sieben Hügel, Singen ein Loblied. Nährer Sol, der du mit dem Strahlenwagen Bringst den Tag und nimmst, in dem steten Wechsel Ewig gleich, mögst Größeres als die Stadt du Nimmer erblicken! Die du sanft zum Lichte die reife Frucht führst, Eileithyia oder Lucina oder, Wenn du also willst, Genitalis, komm und Schirme die Mütter! Göttin, laß uns Kinder erblühn und gib dem Spruch der Väter über den Bund des Weibes Froh Gedeihn und über des Kindersegens Ehegesetze, Daß nach elf Jahrzehnten, wenn dann der Kreis der Zeit erfüllt, dir sicher Gesang und Spiele Sich erneun, drei festliche Tage, gleich viel Volkreiche Nächte. Und ihr, wahrheitssingende Schwestern, Parcen, Wie ihr einmal spracht und der Dinge Ausgang Unverrückt einst zeige - verknüpft der Zukunft Glück mit Vergangnem: Reich an Vieh und Früchten soll Mutter Erde Mit der Ähre kränzen der Ceres Stirne; 174

'35. Rom, Ara Pacis. Die Friedensgöttin Pax, Detail von Abb. 136.

175

Jovis Luft und heilsames Naß erquickte Nährend das Wachstum! Mild und huldvoll lege den Bogen nieder, Gott Apoll, und höre das Flehn der Knaben! Luna, du, zweihörnige Sternenfürstin, Höre die Mädchen! Seid ihr Romas Gründer und war es Trojas Kriegerschaft, die eurem Geheiß gehorsam Stadt und Herd einst ließ und zum Tuskerstrand fuhr Sicheren Laufes, Der gefahrlos mitten durch Trojas Flammen Freien Weg der fromme Aeneas bahnte Nach der Heimat Fall, um ihr mehr zu geben, Als sie zurückließ: O, so gebt, ihr Götter, gelehrger Jugend Reinen Sinn und Ruhe dem stillen Alter, Gebt Gedeihn und Kinder und alles Schöne Romulus’ Volke! Und wofür euch opfert die weißen Stiere Venus’ und Anchises’ erlauchter Sprößling, Das erlang’ er, Sieger dem Gegner, schonend Gegen Besiegte; Seinem Arm, allmächtig zu Land und Meer, und Albas Beilen beugt sich nun scheu der Meder; Skythen, jüngst noch trotzig, und Inder holen Seine Bescheide; Und schon wagt auch Frieden und Treu und Ehre Und der Vorzeit Zucht und vergeßne Tugend Sich zurück; glückspendend erscheint mit vollem Horne der Segen. Der die Zukunft schaut und im Glanz des Bogens Strahlt, der neun Camenen erkorner Liebling, Dessen Kunst heilbringend des Leibes kranke Glieder erleichtert, Phöbus läßt, wenn zum Palatin er huldvoll Niederschaut, Roms Macht und das Glück Italiens Auf ein neu Jahrhundert von Jahr zu Jahr stets Schöner erblühen; 176

Die da thront auf Algidus’ Höhen und dem Aventin, Diana, vernimmt der Fünfzehn Flehn und leiht ein gnädiges Ohr der Kinder Frommem Gebete. Daß dies Jovis Wille und aller Götter, Nehm’ ich heim als frohe, gewisse Hoffnung, Ich, Apollos Lob und Dianens kundig Singender Festchor. Die Themen und Bilder des Liedes nahmen Bezug auf die Rituale, denen man in den letzten Tagen beigewohnt hatte. Und die Teilnehmer konnten die aufgerufe­ nen Bilder von Apollo und Diana und von den mit ihnen verschmelzenden Gestirnsgottheiten Sol und Luna überall im Tempelareal wiederfinden. In der Cella des Tempels lagen wahrscheinlich schon damals die vom collegium der X V viri neu redigierten sibyllinischen Bücher, geborgen in zwei goldenen Behäl­ tern unter der Kultbildgruppe, auf der die kauernde Sibylle an die zukunfts­ sichernde Bedeutung der Weissagungen gemahnte (s. Abb. 186). Die Zukunfts­ hoffnung des Staates aber, die Kinder, waren in Gestalt der rührenden kleinen Sänger leibhaftig gegenwärtig. Hier griff eines ins andere. Es war ein auf alle Sinne einwirkendes ,Gesamtkunstwerk', das auch eine Vorstellung von verlore­ nen Festritualen gibt. Fruchtbarkeit und Fülle Im Laufe der nächsten Jahre entstanden an den unterschiedlichsten Monumenten neuartige Bilder des Segens und der Fülle. Hier stand wie beim Ritual des Saecularfestes die Beschwörung der Fruchtbarkeit in der Natur - und natürlich beson­ ders bei den Menschen - im Mittelpunkt! Sowenig die Gesellschaft bereit gewe­ sen war, das politische Programm der moralischen Erneuerung direkt aufzuneh­ men und in Kindersegen umzusetzen, so anfällig war sie für Visionen der aurea aetas. Das Peuplierungsprogramm scheiterte, aber im Bild wurde das durch Gesetz verordnete Kinderzeugen sublimiert und aufgehoben. Der Vorgang ist zukunftsweisend: Ob politische Aktionen des Herrschers gelingen oder scheitern wird zweitrangig, die Bilder eines dauerhaften Glückszustandes schieben sich wohltätig vor die Realitäten. Die früheste und reichhaltigste Komposition dieser Art ist im sog. Tellusrelief der Ara Pacis Augustae (Abb. 136) erhalten, deren Pro­ gramm eine Senatskommission bestellt und gebilligt hat. Eine mütterliche Gottheit in klassisch stilisiertem Gewand sitzt würdevoll auf einem Felsen. Sie hält zwei spielende Säuglinge in ihrem Arm, die nach ihrer Brust verlangen. In ihrem Schoß liegen Früchte, im Haar trägt sie einen Kranz aus Ähren und Mohn. Auch hinter ihr wachsen - feierlich herausgehoben Ähren, Mohn und andere Pflanzen auf. Körper, Gewand und Haltung der Frau 177

sollten im Betrachter offensichtlich vielfältige Assoziationen hervorrufen. Aber ganz gleich, ob man nun beim Anblick dieser mütterlichen Gottheit mehr an die Venusikonographie (Gewandmotiv), an Ceres (Schleier, Ährenkranz) oder an die Erdgöttin Tellus (Felsensitz, Umgebung) dachte, man verstand jedenfalls sogleich, daß dieser Gottheit Fruchtbarkeit und allgemeines Gedeihen verdankt wurden. Die vieldeutige eklektische Ikonographie entspricht den kumulativen Beschwörungen gleichartiger Gottheiten bei den augusteischen Dichtern. Sie ist auch charakteristisch für die neuen Personifikationen der augusteischen Reli­ gion, die keinen tradierten Mythos mehr hatten. In der traditionellen Götteriko­ nographie konnte eine bestimmte Haltung, z.B. Demeters Sitzen auf der Erde, Kleidung oder Attribut, beim Betrachter den ganzen Mythos evozieren. Die neuen Gottheiten aber verkörpern keine mythischen Gestalten mehr, sondern Werte und Kräfte, die nur mit Attributen umschrieben werden können. Das gilt für alle Personifikationen der römischen Kunst. Im Falle unserer Mutter- oder Naturgottheit wird ein besonders reiches Repertoire aufgeboten. Die synthetische Gestalt ist von einem landschaftlichen Beiwerk umgeben, das ihr Wirken zeigen soll. Unter dem Sitz der Göttin hat der Künstler in sehr viel kleinerem Maßstab gleichsam kommentierend ein ruhendes Rind und ein weidendes Schaf als Zeichen für das Gedeihen der Herden und das Glück bäuerlichen Lebens dargestellt. Zu ihren Seiten aber sieht man zwei der klassisch griechischen Ikonographie entnommene aurae. Es sind dies die zwil­ lingshaften Verkörperungen der Meer- und Landwinde. Die aura des Landes fliegt auf einem Schwan über einem schilfbewachsenen Wasserlauf, symbolisiert durch ein umgestürztes Gefäß. Die aura des Meeres aber sitzt auf einem dienst­ fertigen Meerungeheuer. Sogar ein solches Wesen ist in der neuen Zeit zahm geworden. Die aurae bringen Regen und günstiges Wetter, befördern Fruchtbar­ keit und glückliches Gedeihen und sind deshalb eng mit der Göttin verbunden, zu der sie verehrungsvoll aufschauen. Der Künstler hat keine landschaftliche Szene­ rie, sondern einen symbolischen Bildraum geschaffen, dessen Motive einzeln abgelesen werden sollten und deshalb beliebig vergrößert oder verkleinert darge­ stellt werden können. Im Gegensatz zu den Tieren sind die wenigen Pflanzen überdimensioniert. Die Ähren wachsen wie ein Wunder vor den Augen der Göttin auf. Unter dem Schwan Apolls steht der Lorbeer, und selbst das Schilf wird in diesem Kontext zum bedeutungsschwangeren Zeichen für lebenspendende Feuchtigkeit. Wir haben es mit einer Art Andachtsbild zu tun, dessen einzelne Bildchiffren im Betrachter vielfältige Assoziationen erwecken. Das Memorieren der Qualitäten der Gottheit soll zur Verehrung ihres - und des Augustus - Wirkens führen. Um die Benennung der Göttin ist viel gerätselt worden. Es lassen sich treffende Dichterzitate für Tellus, Venus, Italia und Pax anführen. Aber da dieselben Motive bei denselben Dichtern für verschiedene mythische und symbolische Gestalten verwendet werden und da das Bild absichtsvoll verschiedene Glücks178

136. Ara Pacis. Pax mit Sinnbildern der Fruchtbarkeit. Die Pax ist sowohl der Erdgöttin Tellus als auch der Fruchtbarkeit spendenden Venus angeglichen.

und Segenschiffren zusammenbindet, ist der Beweis für die richtige Benennung aus dem Bild selbst nicht zu führen. Am meisten spricht wohl für Pax Augusta, vor allem weil das Bild die Ara Pacis schmückt und ihm als Pendant Roma auf einem Waffenhügel thronend gegenübergestellt war. Der Betrachter sollte die beiden Bilder zusammen lesen und sehen, wie die Segnungen des Friedens durch die wiedererstarkte virtus der römischen Waffen gewonnen und gesichert waren. Abstrakter ist derselbe Bezug auf einem Altar in Karthago dargestellt (s. Abb.247). In einem anderen Zusammenhang kann die Göttin mit Säuglingen und Früchten durchaus Tellus, Italia oder Ceres meinen. Auf dem Panzer der Statue von Prima Porta z.B. (Abb. 137) wird sie durch das Liegen und durch den Kompositionszusammenhang eindeutig als Erdgöttin gekennzeichnet. Zugleich versinnbildlicht sie natürlich auch dort Frieden und Fülle der neuen Zeit; nur sind die Symbole ihres Wirkens in einem Füllhorn zusammengedrängt. Ebenso verhält es sich mit der Göttin auf der Gemma Augustea (s. Abb. 182). Welche Mutter­ gottheit in augusteischer Zeit auch dargestellt wird, alle verkörpern dieselben Werte. So symbolträchtig das Pax-Bild ist, so viele Assoziationen es aufzurufen ver­ mag, dank seiner zusammengesetzten Komposition war es gleichwohl einfach zu lesen, zumal den Zeitgenossen einzelne Bildchiffren seit langem vertraut bzw. andere anläßlich der Säkularfeiern nachhaltig eingeprägt worden waren. Das 179

137. Die Erdgöttin Tellus mit Füllhorn und Kindern trägt einen Ährenkranz. Detail der Panzer­ statue Abb. 148 a.

glücklich weidende Rind und die deiktisch hervorgehobenen Ähren waren schon auf Münzen von 27/26 v.Chr. als Friedensversprechungen erschienen (s. Abb. 36c). Eine der Strophen des carmen saeculare liest sich wie eine dichte­ rische Paraphrase des Bildes, als ob Horaz und der Bildhauer sich abgesprochen hätten : „Fruchtbar, voll von Pferden und Früchten möge die Mutter Erde sein. Mit Ähren soll Ceres sie bekränzen Jupiters Luft und seine gesunden Quellen Mögen die Keime sprießen lassen.“ Kein Zweifel, die Leitmotive der Bildervision stammen aus dem engsten Berater­ kreis um Augustus und hängen unmittelbar mit dem Programm des Saecu lar­ festes zusammen. Aber während die Beschwörung der Fruchtbarkeit im carmen saeculare ganz vom politischen Willen diktiert ist, der seinerseits konkrete Verwirklichung for­ derte (Verse 17-20) und direkt auf die Ehegesetze verwies, gelingt dem Bildhauer eine eingängige Verbindung der Motive. Das Thema des Kindersegens wird zwar in das Zentrum der Komposition gerückt, ist aber eingebettet in eine allgemeine Segensvision mit allen vertrauten Chiffren. Die politische Mahnung des Princeps wurde in ein ästhetisch ansprechendes Bild umgesetzt, mit dessen Gehalt sich jeder identifizieren konnte. Die der Muttergöttin zugeordneten Bildchiffren zeigen, wie die ganze Natur von derselben paradiesischen Fruchtbarkeit erfüllt ist. Sie waren den Zeitgenos180

138a-c. Drei Reliefs von einem Brunnen in Praeneste, frühe Kaiserzeit. Symbolische Bilder für Fruchtbarkeit und Friede in der Natur, a) Wildschwein, b-c) Löwin und Schaf.

sen in ihrem symbolischen Gehalt offenbar so vertraut, daß man sie in den ver­ schiedenartigsten Zusammenhängen auch abgekürzt pars pro toto verwenden oder zitieren konnte. Ein schönes Beispiel dafür bieten drei konkave Reliefs, die einen öffentlichen Brunnen in Praeneste schmückten. Der Qualität nach zu uneilen stammen sie aus einer der führenden Werkstätten Roms (Abb. 138 a-c). Mutterglück und Kindersegen werden hier am Beispiel von Tieren vorgeführt. Auf jedem Relief säugt ein Muttertier seine Jungen, wobei die Tiergruppe jeweils mit einer Quelle (dem Wasserauslaß des Brunnens) verbunden ist. Wie beim Paxrelief wird der symbolische Charakter durch eine neuartige Komposition betont. 181

138b, c Die Tiergruppen erscheinen einerseits ganz in sich geschlossen, andererseits aber trotz der Höhlen in den Vordergrund gerückt. Darüber aber wird durch bedeu­ tungsvoll vergrößerte Bildchiffren auf andere Leitmotive angespielt: Uber dem borstigen Wildschwein erscheint das Eichenlaub des Princeps neben dem Frucht­ barkeitsmotiv des Schilfs (Abb. 138 a), über der Löwin (Abb. 138 b) der Lorbeer und ein reich geschmücktes, mit Opfergaben versehenes ländliches Heiligtum mit Altar und Weihrelief. Über dem Schaf aber künden Hirtentasche und Stall vom Glück des einfachen Lebens der Landleute (Abb. 138 c), wobei der Künstler die Wirklichkeitsferne dieser Bukolik ungewollt dadurch bloßlegt, daß er die Mau­ ern des Schafstalls aus Marmorquadem geschichtet darstellt, als handle es sich um eines der neuen Tempelchen Roms! Dank dem allgemeinen Charakter der Zeichen konnten also selbst diese fried­ lichen Tierszenen zu Kündern des Mythos der neuen Zeit werden. Ob man die Sinnbilder des Mutterglücks mit Zeichen der pietas, mit einem Lob der Einfach­ heit des Hirtenlebens oder mit einer Augustus-Referenz verband, immer stellte sich ein richtiger Zusammenhang her. Und da dieselben oder äquivalente Zeichen in verschiedenen Zusammenhängen benutzt wurden, gingen die programmati­ schen Leitmotive auch für die assoziierenden Betrachter zwangsläufig immer wieder ineinander über. So konnten etwa die symbolischen Ähren für die Fruchtbarkeit der Felder, für die Arvalbrüderschaft (vgl. S. 125), für den Frieden (s. Abb. 36c), und auch für die Getreideversorgung durch den Princeps stehen. Weite Assoziationshorizonte, allgemeine Bedeutungsträchtigkeit der einzelnen Zeichen, aber vergleichsweise vage Aussagen im konkreten Einzelfall sind cha­ rakteristisch für diesen Bereich der augusteischen Bildersprache. 182

139 a. Vögel und Tiere in einer feuchten Schilfwiese. Durch Isolierung und Vergrößerung ein­ zelner Elemente wird dem Betrachter die symbolische Bedeutung des Bildes bewußt gemacht. Frühkaiserzeitliches Relief aus Falerii.

Selbst ein scheinbar harmloses Pflanzenbild wie das Relief aus Falerii (Abb. 139 a) weist durch die schulmeisterlich lehrhafte Art seiner Komposition und durch Zusammenstellungen verschiedenartiger, so in der Natur nie zusam­ men gedeihender Pflanzen, eindeutig über sich hinaus. Die Pflanzen sind spiegelbildlich angeordnet und sprießen isoliert aus der Erde, so daß man geradezu gezwungen ist, sie einzeln zu betrachten. Ähren und Mohn sind auch hier vergrößert wiedergegeben. Wasservögel verstärken die Aus­ sage des Schilfes : Die Erde ist getränkt von Quellen, überall wächst und sprießt

139b. Detail mit Vogel, der seine Jungen nährt, vgl. Abb. 112.

183

140. Ara Pacis Augustae. Ausschnitt aus einem der Rankenbilder. Die Fülle der Natur ist in streng symmetrischer Ordnung dargestellt.

es. Im Zentrum des Bildes aber finden wir wieder einen spielerisch angebrachten Hinweis auf Fruchtbarkeit und Kinderaufzucht (Abb. 139 b): Drei hungrige Schwalben werden von ihren treusorgenden Eltern gefüttert. Selbst bei diesem so genrehaft und unbeschwert wirkenden Vogelmotiv handelt es sich also keines­ wegs um eine spontane, von der politischen Kunst unabhängige Erfindung.

Die paradiesischen Ranken Im Zusammenhang mit der Programmatik des saeculum aureum gewann auch das alte Schmuckmotiv der Ranke einen neuen, konkreteren Sinngehalt. Die Ranken gehören zu den am häufigsten benutzten Chiffren der neuen Bildersprache. Es gibt kaum einen frühkaiserzeitlichen Bau, an dem sie nicht zu finden wären. Im so durchdachten Bildprogramm der Ara Pacis nehmen sie zusammen mit den Girlanden sogar mehr als die Hälfte der gesamten Bildfläche der Altarumhegung ein (Abb. 140). An den Außenseiten wachsen die Ranken aus breiten Akanthuskelchen zu baumartigen Gebilden auf, die immer wieder neue Zweige aussenden, so daß sich das Auge in einer endlosen Folge von unüberschaubarer Vielfalt verliert. Frucht­ barkeit und Fülle sind hier unmittelbar ins Bild gesetzt. Dies teilt sich dem Betrachter allerdings nur mit, wenn er nahe ans Bild herantritt, auf einen Aus­ schnitt blickt und dort die Einzelheiten verfolgt (Abb. 141). Lappige Blätter, ver184

141. Detail mit klein proportionierten Tieren, u. a. einer Schlange, die ein Vogelnest beschleicht.

schiedenartigste Blüten und Früchte realer und phantastischer Pflanzen, sogar krabbelndes Getier, rücken die wachsende Vegetation in greifbare Nähe. Tritt er aber zurück und nimmt das Ganze der Rankenbilder in den Blick, so sieht er sich einer bis ins kleinste durchorganisierten Ordnung gegenüber. Trotz kleiner Variationen folgen die Rankenbilder und -friese einem genau berechneten spiegelbildlichen Kompositionssystem. So üppig die Pflanzen wuchern und die Blüten aufbrechen, jede Rankenwindung, ja jede Blüte und jedes Blau haben ihren genau festgelegten Ort. Es ist irritierend zu sehen, daß ausgerechnet an einem Sinnbild für das üppige Wachstum der Natur exemplarisch Ordnung demonstriert wird. Kommt in diesem befremdlichen Phänomen eine ästhetisch verinnerlichte, geradezu neurotisch wirkende Sehnsucht der augusteischen Zeit nach Ordnung und Gesetz zum Ausdruck? Die symbolische Verwendung der Ranke hat eine lange Tradition. Schon auf unteritalischen Vasen des 4.Jh. v.Chr. wurden Rankenspiralen mit dem aus der Erde auftauchenden Kopf der Fruchtbarkeitsgöttin verbunden. Auch an den frü­ hesten Bauten des Augustus waren die Ranken bereits mehr als ein beliebiges Schmuckmotiv. Auf einem Fries des Caesartempels am Forum wachsen die Victo­ rien aus den Ranken auf und an der Tür des Apollotempels wurzeln sie, wie wir sahen, in den Becken der Dreifüße (s. S. 92). Aber diese frühaugusteischen Ranken haben noch die abstrakten klassischen Spiralformen. Erst jetzt im Zusammenhang mit der Fruchtbarkeitsprogrammatik werden Zweige und Blätter in wirklichkeitsnaher Weise als Gewächse dargestellt, bestimmen die lappigen Blätter und die großen, aufbrechenden Blüten den

LSä

142. Relief mit zwei Gebälkträgerinnen in klassischem Stil. Dazwischen die Per­ sonifikation eines unterworfenen Landes, hinter der ein Pflanzenschaft auf­ wächst. Frühe Kaiserzeit (Inschrift neuzeitlich). G e sa m te in d r u c k . D ie a u g u ste isc h e n K ü n s tle r v e r su c h te n a u c h h ier, d e n S in n g e ­ h a lt d u rch fo r m a le V e r ä n d e r u n g e n z u b e to n e n . Z u d ie se n N e u e r u n g e n g e h ö r t d ie K o m b in a tio n v o n p h a n ta s tis c h e n u n d w ir k ­ lic h e n G e w ä c h s e n . W e n n je t z t a u s A k a n th u s z w e ig e n T r a u b e n , A r a z e e n u n d P a l­ m e tte n w a c h s e n , w e n n E fe u u n d L o r b e e r z w is c h e n d e n s c h w e r e n V o lu t e n r a n k t, w e n n G ir la n d e n m it v e r s c h ie d e n a r tig e n F r ü c h te n b e h ä n g e n sin d , d a n n s o ll d a m it a u f d ie p a r a d ie s isc h e n Z u s tä n d e d e r n e u e n W e lt z e it h in g e w ie s e n w e r d e n (v g l. V e r g ils 4 .E c lo g e ) . D a ß d ie R a n k e als S in n b ild d e s

saeculum aureum z u

v e r s t e h e n w a r , le r n t e n d ie

Z e itg e n o s s e n z u d e m d u r c h v ie le s p r e c h e n d e K o m b in a t io n e n . A u f e in e m R e l i e f in N e a p e l w ä c h s t d e r R a n k e n b a u m h in te r d e r P e r s o n if ik a t io n e in e s b e s i e g t u n d g e d e m ü t ig t am

B o d e n s it z e n d e n V o lk e s a u f (A b b . 1 4 2 ) , e in e f a s t p o e t is c h e

U m s c h r e ib u n g d e s u r a lte n M o t t o s d e r S ta r k e n : N u r m ilitä r is c h e Ü b e r le g e n h e it fü h r t z u d e n S e g n u n g e n d e s F r ie d e n s . D e n s e lb e n G e d a n k e n b r in g e n a u f d e r P a n z e r s t a t u e in C h e r c h e l z w e i K e n t a u ­ ren in g a n z a n d e r e r W e is e z u m A u s d r u c k (s. A b b , 1 7 8 ) . E in S e e - K e n t a u r m it S te u e r r u d e r e r in n e r t a n d ie S c h la c h t v o n A c t iu m , e in L a n d - K e n t a u r a b e r - d e s ­ s e n K ö r p e r in e in R a n k e n g e s c h li n g e a u s lä u f t - h ä lt e in F ü llh o r n in d e r H a n d . A u c h a n d e r A r a P a c is f e h l t e e s n ic h t a n e in e m k o n k r e t e n i k o n o g r a p h i s c h e n H i n ­ w e is a u f d a s

saeculum aureum. A u f

d e n B lü t e n s t e n g e ln s i t z e n d ie S c h w ä n e A p o llo s

- „ s c h o n b e g in n t d ie F r ie d e n s h e r r s c h a ft A p o l l o s “ -

iam regnat Apollo

(V e r g . ec/.

I V 1 0 ). D i e K ü n s tle r in s z e n ie r e n e in w a h r e s M y s t e r iu m u m R a n k e n u n d B lü t e n .

Auf Terrakottaplatten wird der Rankenbaum sogar wie ein Kultgegenstand besungen und verehrt (Abb. 143). Die Ranken waren für die augusteischen Künstler natürlich auch ein überaus dankbares Motiv. Ob Fries, Kassette oder Türumrahmung, überall ließ sich eine Ranke anbringen, auch auf den ungünstigsten Bildfeldern fanden sie noch Platz. Selbst auf dem Schuhwerk von Götter- und Panzerstatuen konnte sie die Frucht­ barkeit und Wohlfahrt der neuen Zeit verkünden. Sie inspirierte die Künstler aber auch wie keine andere Bildchiffre zu phantasievollen Kompositionen. Vor allem in Arbeiten für den privaten Bereich schufen sie wahre Wunder­ werke der Phantasie. So sind die Ranken auf einem großen Silber-Krater (Abb. 144) in ihrer streng symmetrischen Komposition zwar durchaus den Staats­ denkmälern verpflichtet - sie wachsen sogar aus den Flügeln eines martialischen Greifenpaares - und die flügellosen Putten entstammen natürlich der Fruchtbar­ keitsprogrammatik, aber durch den grotesken Eifer, mit dem sich diese dicken

143. T ö n ern e V erk leid u n gsp latte, au gu steisch . Z w e i archaisch stilisierte K u ltd ien erin n en zu S eiten ein e s R an k en b au n ies.

187

144. Augusteischer Silberkrater aus dem Hildesheimer Schatzfund. Beispiel für die spielerische Verwendung von offiziellen Bildmotiven im privaten Bereich.

Säuglinge auf den fadendünnen Zweigen bewegen, Fische fangen und gar mit dem Dreizack auf Krebse einstechen, entsteht eine heitere Kunstwell. Ähnliche Manierismen findet man auch in der Wandmalerei. Erfindungsreichtum und spielerische Leichtigkeit konnten die augusteischen Künstler offenbar erst richtig entfalten, wenn sie nicht zu ernster Bedeutungsträchtigkeit verpflichtet waren. In solchen Werken und weniger an der zwar formvollendeten, aber didaktisch trokkenen Ara Pacis bietet die augusteische Kunst jedenfalls für unsere heutigen Augen ihr Bestes. Sieg und Frieden Der sogenannte Parthersieg fiel bereits in das Jahr 20 v.Chr. Da seine ideologi­ sche Überhöhung aber in engem Zusammenhang mit der Eröffnung des saeculum aureum steht, wollen wir die entsprechenden Bilder erst jetzt betrachten. Dem

Ereignis wurde im Kreis um Augustus eine besondere Bedeutung beigemessen. Einerseits galt es als Voraussetzung für den Beginn des Goldenen Zeitalters, andererseits konkretisierte sich in seiner Verherrlichung zum ersten Mal eine neue Art von Siegesvorstellung, die im Herrscher den immerwährenden Sieger und den Erhalter des vollkommenen Weltzustandes sah. Seit alters hatten sich die Götter Roms in den gerechten“ Kriegen engagiert. Ein großer Sieg war immer ein Zeichen dafür, daß die Beziehungen zwischen der res publica und ihren Göttern gut waren. Eine Niederlage dagegen zeigte reli­ giöse Versäumnisse an. Durch Opfer und Reinigung mußten dann die Götter ver­ söhnt werden. Dieses archaische Denken ließ sich durchaus mit den ganz anders­ artigen hellenistischen Vorstellungen vom Gottmenschentum verbinden. Für die Griechen offenbarten sich die Götter in den konkreten Taten der großen Männer. Im Gegensatz zur römischen Tradition hing alles von den in diesen wirksamen Götterkräften ab. Aber Siege wurden hier wie dort als unmittelbare göttliche Manifestationen erfahren. In der augusteischen Ideologie spielen die Siege eine besondere Rolle. Sie ,beweisen' nicht nur wie bei den hellenistischen Königen und bei den Großen der späten Republik Götternähe und Einzigartigkeit des Augustus, sondern zeigen im Kontext der erneuerten Religion auch die wiedergewonnene Übereinstim­ mung des gereinigten Staates mit seinen Göttern an. Jeder neue Sieg wurde des­ halb zwangsläufig zu einer Bestätigung des Herrschers. Der Zusammenhang von pietas und Sieg war schon nach Actium betont wor­ den (s. Abb. 102). Zehn Jahre danach wurde der Parthersieg als säkulares Ereignis und als Beweis für die innere Gesundung des Staates gefeiert. Er eignete sich dazu vorzüglich, besser als die blutige und langwierige Niederwerfung der Kantabrer in Spanien, die bezeichnenderweise keinen Widerhall in der Bildkunst gefunden hat. Nicht jeder Sieg brauchte gefeiert zu werden. Es kam nicht so sehr auf ein Memorieren jedes einzelnen Erfolges, als darauf an, den Zusammenhang zwischen Sieg, Religion, Staatsordnung und allgemeinem Glück zu zeigen. Seit der Mitte der 20er Jahre wurden die Römer auf einen neuen Partherfeldzug vorbereitet. Die Dichter geben eine Vorstellung von den dabei verbreiteten Parolen: Die Römer sollten sich an die Schmach des Jahres 53 v. Chr. erinnern, als Crassus Feldzeichen und Legionsadler verloren hatte und auch an die Kriegs­ gefangenen, die angeblich immer noch nicht zurückkehren konnten. Ohne die Wiederherstellung der römischen Waffenehre sei die Wiederherstellung des Staa­ tes unvollkommen. In den sihyllinischen Büchern hatte man sogar Hinweise dafür gefunden, daß das Goldene Zeitalter erst anbrechen könne, wenn der Parther besiegt sei. Caesar war vor seinem Aufbruch in den Osten ermordet worden, Antonius hatte sich als unfähig erwiesen. Augustus dagegen würde wie weiland Alexander in den Osten ziehen und beweisen, daß die erneuerte römische virtus der Tapferkeit der Vorfahren würdig zur Seite gestellt werden könne. Die Aktion selbst verlief dann ganz unspektakulär. Nach Drohungen und Truppenaufmarsch kam man auf diplomatischem Wege zu einem Abkommen. 189

Der Partherkönig Phraates gab die Feldzeichen heraus, ließ angeblich immer noch zurückgehaltene Kriegsgefangene frei und schickte später auch einige sei­ ner Frauen und Kinder zum Zeichen seiner Anerkennung der römischen Vor­ herrschaft und seines künftigen Wohlverhaltens als Geiseln nach Rom. Anders als nach der Schlacht von Actium hielt sich Augustus diesmal völlig zurück. Er verzichtete sogar auf den vom Senat bereits beschlossenen Triumph. Lediglich die wiedergewonnenen Feldzeichen und Legionsadler stellte er öffent­ lich zur Schau, dies allerdings sehr wirkungsvoll in einem eilends erbauten, dem rächenden Mars (Mars Ultor) geweihten Rundtempelchen. Zahlreiche Münzen zeigen den Rundtempel mit den signa und einer Marsstatue in archaistischem Stil (Abb. 145). Der Bauplatz auf dem Capitol war meisterhaft gewählt. Einerseits wurden die signa so als Votiv für Jupiter präsentiert, andererseits veranschaulich­ ten sie unübersehbar die Selbsteinschätzung des Siegers. Das Tempelchen lag nämlich in unmittelbarer Nähe zweier eng mit Augustus verbundenen Heiligtü­ mer, des von Romulus geweihten und von Augustus wiederaufgebauten Tempels des Jupiter Feretrius und des erst vier Jahre zuvor von ihm errichteten Tempels des Jupiter Tonans (S. 110, 114). Letzterer erinnerte daran, wie Jupiter selbst den Parthersieger durch einen Blitz als Auserwählten bezeichnet hatte. Im Tempel des Jupiter Feretrius aber standen die einst von Romulus und Marcellus eigenhändig erbeuteten Waffen (spolia opima), mit denen die wiedergewonnenen Feldzeichen jetzt konkurrierten. Wie gut das verstanden wurde, zeigt eine Münzserie, in der der neue Marstempel und die archaistische Marsstatue mit den signa zusammen mit dem Tempel des Jupiter Tonans erscheinen (s. Abb. 89). Die gesamte übrige Partherprogrammatik entfaltete sich in Form von Ehrun­ gen für Augustus. Der Senat ging voran, und zwar mit traditionellen Triumphbil­ dern. Augustus hatte zwar verzichtet, aber das hinderte die Väter nicht, ihm direkt neben dem Tempel des Divus Julius einen weiteren Bogen zu errichten

145. Die Rückgabe der Feldzeichen durch die Parther wurde in zahlreichen Münzbildern gefei­ ert. a) Cistophor, Pergamon 19 v.Chr. Rundtempelchen für Mars Ultor auf dem Capitol in Rom. b) Denar 17 v Chr. Archaistische Kultstatue des Mars Ultor mit den zurückgewonnenen signa.

190

146. a) Aureus, Spanien 19/18 v.Chr. Bogenmonument für den Parthersieger Augustus, b) Denar des M. Durmius, Rom 19 v. Chr. Kniender Parther die Feldzeichen darbietend.

(Cass. Dio 54,8), auf dem Parther dargestellt waren, wie sie dem Sieger die signa darreichen (Abb. 146a). Das vom Senat propagierte Bild des demütigen Parthers war nach dem Herzen der Römer. Die Münzmeister setzten einen kniend die signa überreichenden Parther auf ihre in großen Mengen geprägten Denare (Abb. 146b). Horaz ver­ kündete, Phraates habe „kniefällig Recht und Herrschaft Caesars angenommen“ (epist. I 12,27). Selbst auf ihren Fingerringen trugen die Leute das schmeichel­ hafte Bild. Auf einer Glaspaste (Abb. 147) sind die knienden Barbaren besonders sinnfällig mit der kaiserlichen Victoria auf dem Globus verbunden. Am Ende machte sich Augustus in seinem „Rechenschaftsbericht“ selbst das schöne Bild zu eigen: „Die Parther zwang ich, Beute und Feldzeichen dreier römischer Heere zurückzugeben und dabei demütig bittend um die Freundschaft des römischen Volkes nachzusuchen“ (Res Gestael9). Der kniende Barbar blieb auch künftig eine außerordentlich erfolgreiche Bild­ formel und prägte weitgehend die Vorstellung der Römer von ihrem Verhältnis zu den an den Grenzen des Imperiums wohnenden Völkern: Nachdem sie Roms Macht kennengelernt hatten, sollten sie die Herrscher verehren und um amicitia bitten. Sehr eindrucksvoll kommt das auf einem der beiden Silberbecher aus Boscoreale zum Ausdruck (s. Abb. 180b).

147. Zwei Parther knien mit erhobenen Feldzeichen vor der Victoria des Augustus. Abdruck einer Glaspaste.

191

Im Gegensatz zur späteren Kaiserzeit ist der Krieg selbst aber kein Thema der augusteischen Künstler. Auf die überaus harten und langwierigen Kämpfe in Spa­ nien, Illyrien und Germanien wurde nirgends hingewiesen. Die suggestiven Bil­ der des gesicherten Friedens halfen, diese Kriege aus dem Bewußtsein zu ver­ drängen. Mit Sarkasmus konstatiert Tacitus {arm. I 10,4) später den Kontrast zwischen dem Schein der Bilder und der Wirklichkeit des Alltags: pacem sine dubio. . . verum cruentam - „Zweifellos herrschte Friede - aber ein grausamer.“ Trotz der weitgehenden Übereinstimmung der Parther-Motive in den ver­ schiedenen Medien gab es offenbar keine ,von oben“ erlassenen Richtlinien. Nie­ mand hinderte die Münzmeister des Jahres 19 v. Chr., den Parthersieger mit Dio­ nysos zu vergleichen und ihn gar auf einem Elefantenwagen seinen Triumph feiern zu lassen. Daß die Dionysos-Identifikation nach den Erfahrungen mit Antonius nicht mehr passend war, liegt auf der Hand. Sie wird später dann auch nicht mehr wiederholt. Die Selbstkontrolle derer, denen das Herrscherlob zufiel, funktionierte auch ohne Reglementierung. Die reichste Ausgestaltung des Partherthemas überliefert die berühmte Pan­ zerstatue des Augustus aus der Villa der Livia bei Prima Porta (Abb. 148 a, b). Es handelt sich um die Marmorkopie einer Bronzestatue, die in den Jahren unmit­ telbar nach dem Parthersieg entstanden sein muß. Das ergibt sich aus dem engen Zusammenhang zwischen den Bildern des Panzerreliefs und den Motiven des carmen saeculare des Horaz. Der Auftraggeber (Senat?) oderseine Berater gehör­ ten also zum engeren Führungszirkel. Daß die Statue das Wohlwollen der kaiser­ lichen Familie fand, zeigt der Fundort der Marmorkopie. Zu einer Zeit, da Augustus selbst noch stärker als zuvor Zurückhaltung übte, ließ der Auftraggeber der Statue ihn als strahlenden Sieger feiern und zögerte auch nicht, unverhüllt auf seine göttliche Abstammung hinzuweisen. In der Lin­ ken hielt Augustus die Lanze, in der Rechten vielleicht die wiedergewonnenen signa. Im Verzicht auf irdisches Schuhwerk darf man eine Reminiszenz an Göt­ ter- und Heroenbilder sehen, und der auf einem Delphin reitende Eros deutet zweifellos auf die Ahnfrau Venus hin. Man hat sogar in den Gesichtszügen des Erosknaben ein Porträt des 20 v. Chr. geborenen Enkels C. Caesars sehen wollen, was den interpretatorischen Witz vielleicht doch zu weit treibt. Nicht nur das Bildnis des Augustus, der ganze Statuenkörper ist in den klassischen Formen der griechischen Kunst des 5.Jh. v.Chr. gebildet, um die Gestalt des Siegers in eine höhere Sphäre zu heben (vgl. S. 248). Die Panzerreliefs aber zeigen die neue Auffassung des Sieges (Abb. 148 b). Im Zentrum der Komposition übergibt der Partherkönig Legionsadler und Feld­ zeichen an eine in militärischer Haltung angetretene Person, in der man einen Repräsentanten der römischen Legionen, wenn nicht sogar Mars Ultor zu sehen hat. Der durchaus sachlich geschilderte historische Vorgang erscheint hier aber als Mittelpunkt eines Himmel und Erde umfassenden Bildes. Rechts und links sit­ zen zwei trauernde weibliche Gestalten. Sie verkörpern Völkerschaften, die von den Römern völlig unterworfen (mit leerer Schwertscheide) oder nur botmäßig 192

gemacht (mit Schwert) worden sind. Es liegt nahe, in der durch Drachentrom­ pete und Eberstandarte gekennzeichneten Frau die Verkörperung keltischer Völ­ ker im Westen zu sehen, in der gedemütigten, aber nicht entwaffneten Gestalt dagegen die Personifikation der tributpflichtig gemachten und zum Grenzschutz verpflichteten Völker im Osten oder in Germanien. Das entspräche dem knappen Résumé der Erfolgsmeldungen jener Jahre in einem der „Briefe“ des Horaz:

148 b. Detail des Panzers der Statue mil umfassender Darstellung der neuen Siegesideologie.

„Damit du über die Entwicklung der römischen Dinge auf dem laufenden bleibst. Der Kantabrer liegt durch die virtus Agrippas, der Armenier durch die des Clau­ dius Nero (Tiberius) am Boden. Auf seinen Knien hat Phraates Recht und Herr­ schaft Caesars akzeptiert. Die goldene Fülle (aurea copia) schüttet ihre Früchte aus vollem Horn über Italien aus“ (epist. I 12,25-29). Auch auf dem Panzerrelief wird der Parthersieg als Vollendung eines voll­ kommenen Weltzustandes gefeiert. Unter der Mittelszene lagert die Erdgöttin 194

(s. Abb. 137). Ihre Attribute entsprechen denen der Pax auf der Ara Pacis weitge­ hend. Wie diese steht auch sie für die aurea copia des Goldenen Zeitalters. Auf diesen Zusammenhang wird auch durch Apollo und Diana hingewiesen, die in griechischer Ikonographie auf einem Greif bzw. einer Hindin reitend erscheinen. Die beiden sind - wie bei den augusteischen Dichtern und beim Saecularfest unmittelbar auf die Gestirnsgottheiten über der Mittelgruppe bezogen. Über Apollo erscheint der Sonnengott Sol auf seinem Wagen, über Diana die Mond­ göttin Luna; zwischen beiden breitet Caelus das Himmelszelt aus. Von Luna ist nur der Oberkörper zu sehen, sie wird verdeckt bzw. überstrahlt von der Flügel­ gestalt der Morgenröte (aurora), die aus ihrer Kanne den Tau ausgießt. Der Künstler hat Luna mittels einer großen Fackel als noctiluca oder lucifera (Horaz s.u.) gekennzeichnet. Die Fackel betont absichtsvoll den Bezug zu Diana, die neben ihrem Köcher, ganz gegen die Regel, ebenfalls eine Fackel trägt. Auch in der Kultbildgruppe des Apollotempels hielt Diana die Fackel. Dabei geht es wahrscheinlich um eine spezifische in diesen Jahren im Vordergrund stehende Qualität der miteinander verquickten Göttinnen Luna und Diana. „Besingt wie es sich gebührt den Sohn der Leto (Apollo), besingt Luna, die Leuchte der Nacht, mit ihrer Fackel. Sie, die uns die Früchte gibt und den eiligen Lauf der Monate zur Reife (bzw. zur Geburt hin) lenkt.“ (Horaz, carm. IV 6,37-40) Auch dieses Leitmotiv des Saecularfestes fehlt also nicht auf dem Siegesbild. Die Gestirnsgottheiten versinnbildlichen mit ihrem Auf- und Niedersteigen ewige Dauer. Sie betonen zusammen mit Himmelsgott und Erdgöttin den kosmi­ schen Charakter, den Raum und Zeit hier haben. Die beiden Sphingen auf den Schulterklappen des Panzers sitzen wie Wächter über dieser Welt, zeigen an, daß die lange erwartete neue Weltzeit jetzt eingetreten ist. Der Parthersieg wird also als Voraussetzung und zugleich als Folge des saeculum aureum gefeiert. Aus dem einmaligen historischen Ereignis wird ein exemplarisches Geschehen der neuen Heilsgeschichte, in dem die Götter bzw. die Gestirne den Ablauf garantieren, ohne noch eingreifen zu müssen. Der ehrfürchtig zum römischen Adler aufblikkende Parther ist bezeichnenderweise die einzig handelnde Figur. Der Princeps, der dieses neuartige Siegesbild auf seinem Panzer trägt, wird als Sachwalter von Vorsehung und Götterwillen verstanden. Es kommt jetzt nicht mehr auf glanzvolle Taten an. Der Göttersproß garantiert die Ordnung der Welt durch seine bloße Existenz. Dank seiner Ahnen verkörpert sich in ihm das Ein­ vernehmen zwischen Staat und Göttern. Trotz des charismatischen Anspruches, der in dieser Panzerstatue zum Ausdruck kommt, steht sie nicht im Widerspruch zu den vielen Togastatuen mit verhülltem Haupt. Die Sieghaftigkeit des Augustus braucht sich nicht in immer neuen spektakulären persönlichen Leistungen im Kampf zu bewähren, sie ist die Folge seiner engen Verbundenheit mit den Göt-

tern und deshalb eine permanente Qualität. Die späteren Siegesbilder werden zeigen, wie schnell sich diese neue Vorstellung in der Bildersprache zu einem festen Topos verfestigt hat (s. Abb. 178).

2 . M y th o s - G e s c h ic h te - G e g e n w a r t

So positiv sich den Römern die Gegenwart in den Bildern vom saeculum aureum und von den gottgegebenen Siegen darbot, so sehr das marmorne Rom zugun­ sten des neuen Herrschers sprach - es gab auch eine große Vergangenheit. Augu­ stus war 27 v. Chr. als Wiederhersteller, nicht als Neuerer angetreten. Wo immer möglich berief er sich auf die Vorfahren. Auch der neue Staat und die beherr­ schende Rolle, die er in ihm spielte, verlangten nach einer Rechtfertigung aus der Vergangenheit. Die großen Aristokratenfamilien nährten ihr Selbstverständnis aus der alten, für sie freien res publica. Sie hätten im neuen Zustand nur zu gerne eine vorübergehende Ausnahmesituation gesehen, wie es sie in der römischen Geschichte ja immer wieder gegeben hatte. Dieser Tradition galt es etwas ent­ gegenzusetzen. Die Vergangenheit mußte auch um der Zukunft willen in den Mythos der neuen Zeit einbezogen werden. Im Jahre der Saecularfeier 17 v.Chr. hatte die Augustustochter Julia, sie war nach dem Tod des Marcellus mit Agrippa verheiratet worden, einen zweiten Knaben geboren. Der Princeps adoptierte den Säugling und seinen drei Jahre älteren Bruder noch im gleichen Jahr. Die beiden Knaben Gaius und Lucius tru­ gen jetzt den stolzen Namen C aesar, A u g u s ti f iliu s , D i v i I u li n epos. Nachdem der neue Staat eingerichtet war, galt es, seine Dauer zu sichern. Die Legitimierung der Herrschaft einer Julierdynastie spielt eine entscheidende Rolle bei der Ausbil­ dung des neuen Staatsmythos. Nicht zufällig erscheint das Bild des vergöttlichten Caesar mit dem sidu s lu liu m 17 v.Chr. nach langen Jahren zum ersten Mal wie­ der auf einer Münze (s. Abb, 132 a).

Vom Familienmytbos zum Staatsmythos Als der Divi Filius den Kampf um sein Erbe antrat, hatte er sich den Familien­ mythos der Julier zu eigen gemacht und seine Zugehörigkeit zum Haus des Aeneas wirkungsvoll propagiert (s. Abb. 27 b). Dann aber war er als Heilbringer ganz in der Rolle des Apollo-Schützlings aufgegangen, ohne jede Einbindung in die römische Geschichte. Erst mit der Propagierung der Enkel als Nachfolger wurde der Familienmythos dann wieder wichtig. Aber jetzt ging es nicht mehr um persönliches Auftrumpfen wie damals in der Konkurrenz mit Antonius. Inzwi­ schen hatte Vergil - von Augustus bedrängt - die Aeneis geschrieben (29-19 v. Chr.) und darin dem Mythos von Venus, dem Untergang Trojas und den Irrfahr­ ten des Aeneas eine umfassende Deutung gegeben, in der nicht nur die künftige 196

149. Rom, Augustusforum. Grundriß mit Rekonstruktion des Statuenprogramms. Der südliche Teil des Platzes ist noch nicht ausgegraben.

Herrschaft der Julier, sondern die ganze Geschichte Roms als eine vom Schick­ sal vorherbestimmte Heilsgeschichte eingeschlossen war. In der Aeneis wird die Zeit des Augustus in Form von Visionen eingeblendet und vom Mythos her als die künftige Verwirklichung einer umfassenden Weltordnung gefeiert. Dank der suggestiven Kraft seiner Bilder hatte Vergil ein Nationalepos geschaffen, das in jeder Hinsicht geeignet war, das Selbstbewußtsein der Römer zu stärken. Wie beim Tempelbau und bei der publica magnificentia spielte auch bei der Rezeption der Aeneis durch das römische Publikum der Blick auf die kulturelle Überlegenheit der Griechen eine große Rolle. Properz hatte schon 26 v. Chr. nach der Rezitation weniger Gesänge geschrieben, das Werk werde Homers Ilias übertreffen (II 34,64f.). Der Ruhm, den Vergil schon zu seinen Lebzeiten genoß, 197

zeigt die Bereitschaft der Zeitgenossen, sich mit einem solchen nationalen Mythos zu identifizieren. Tacitus berichtet, wie sich „das Volk selbst, als es im Theater seine Verse hörte, in seiner Gesamtheit erhoben und den zufällig anwe­ senden Dichter gefeiert hat wie Augustus selbst“ (dial. 13). Nicht weniger eindringlich war die Sprache der Bauten und Statuen. Das Monument, in dem der neue Staatsmythos am umfassendsten propagiert wurde, ist das Augustusforum (Abb. 149). Octavian hatte bereits in der Schlacht gegen die Caesarmörder bei Philippi einen Tempel für Mars Ultor gelobt (42 v.Chr.). Aber erst 40 Jahre später konnte das neue Heiligtum eingeweiht werden. Inzwi­ schen hatte sich Mars ein zweites Mal als Rächer bewährt, diesmal gegen die Parther. Die wiedergewonnenen signa fanden deshalb in der Cella des neuen Tempels ihren endgültigen Aufstellungsort. Es war gut, daß man nach diesem identitätsstiftenden Erfolg und den Großtaten der augusteischen Feldherrn und Heere das Thema Bürgerkrieg vergessen konnte. Der Bau ist von Augustus auf privatem Terrain (in privato solo) aus den Beute­ geldern errichtet worden. Anders als bei der Panzerstatue aus Prima Porta und bei der Ara Pacis ist er hier selbst der Stifter. Wie 26 Jahre vorher im Apolloheilig­ tum, so spricht er auch im Bildprogramm des Augustusforums selbst. Den Visio­ nen Vergils folgend werden Mythos und Geschichte aufeinander bezogen und als Heilsgeschehen gedeutet. Dabei ist der Blick aber - anders als im Epos - von der Gegenwart auf die Vergangenheit zurückgerichtet. Forum und Tempel waren als Repräsentationszentrum des neuen Staates konzipiert, dessen Ausstattung erzie­ herisch wirken sollte. Entsprechend seinem politischen Stil vermied Augustus dabei jede Form direkter Selbstdarstellung. Zwar konnten, ja mußten die Zeitge­ nossen nach all dem Herrscherlob der letzten 30 Jahre überall Andeutungen und Sinnbezüge sehen. Aber selbst ein Augustusgegner hätte sich wohl schwer getan, in dem Programm Beweise für unziemliche Selbstverherrlichung zu finden. Auch auf dem Augustusforum blieb, wie wir sehen werden, das direkte Kaiserlob dem Senat Vorbehalten. Venus und Mars Der mythologische Teil des Bildprogramms des Augustusforum besteht aus weni­ gen Gestalten und enthält kaum neue Elemente. Das entscheidende war die Ver­ bindung zweier Mythenkreise, des Trojamythos und der Romulussage. Nach einer schon von Vergil favorisierten Version der Gründungssage Roms haue Mars die Königstochter Rhea Silvia aus Alba Longa verführt und war zum Vater der Zwillinge Romulus und Remus und zum Ahnherrn der Römer geworden. Rhea Silvia aber stammte angeblich aus dem trojanischen Geschlecht des Aeneas, konnte also in den Familienstammbaum des Augustus eingegliedert werden. Des­ halb nennen sie die augusteischen Dichter auch nach Troja = Ilion meist Ilia. So werden Venus und Mars, wenn auch mit verschiedenen Partnern, zu Stamm­ eltern der Römer (was Ovid wieder zu einer ironischen Anspielung auf die Ehe198

150. Giebel des Mars Ultor Tempels. Detail des Reliefs Abb. 86. Die strenge Reihung der Figu­ ren entspricht dem abstrakten Charakter ihrer Botschaft. Die Gestalten gewinnen ihren Zusam­ menhalt nur durch ihren gemeinsamen Bezug auf Augustus.

gesetze verführte). Gemeinsam wachten die beiden künftig über ihre Schützlinge. Mars garantiert die virtus, Venus gewährt Fruchtbarkeit und Fülle. Der Familien­ mythos der Julier wird so zum zentralen Element des neuen Staatsmythos. Des­ halb mußte die Statue der Liebesgöttin jetzt wo immer möglich neben der des Kriegsgottes stehen, wodurch aber zwangsläufig auch an die verstohlene Liebes­ geschichte der beiden im griechischen Mythos erinnert wurde. Doch die augu­ steischen Mytheninterpreten versuchten, die Klippe zu umschiffen, indem sie diese Liebe als Präfiguration für die auserwählte Stellung der Julier im Marsvolk der Römer deuteten. Vor der Schlacht bei Actium hatte Octavian seine Ahnfrau noch als verführeri­ sche Schönheit auf seine Münzen setzen lassen (s. Abb. 27 c). Im Giebel des MarsUltor-Tempels (Abb. 150) aber steht sie ihrer neuen Rolle entsprechend hoheits­ voll im Mantel und mit dem Szepter in der Hand neben dem Kriegsgott. Auch in der Tempelcella war ihre Statue eng mit der des Mars verbunden, wozu Ovid fri­ vol bemerkte, der Ehemann, gemeint ist Vulcan, habe draußen vor der Tür war­ ten müssen (