Aufsätze zur arabischen Rezeption der griechischen Medizin und Naturwissenschaft 1614518440, 9781614518440, 9781614518457, 9781614519461

Die griechische Medizin und Naturwissenschaften der Antike haben einen starken und nachhaltigen Einfluss auf die mittela

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Aufsätze zur arabischen Rezeption der griechischen Medizin und Naturwissenschaft
 1614518440, 9781614518440, 9781614518457, 9781614519461

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
I. MEDIZINGESCHICHTE
Die arabische Überlieferung der hippokratischen Schrift „De superfetatione“ (aus: Sudhoffs Archiv 58, 1974, 254–275)
Zwei spätantike Kommentare zu der hippokratischen Schrift „De morbis muliebribus“ (aus: Medizinhistorisches Journal 12, 1977, 245–262)
Galens Kommentar zu der Schrift De aere aquis locis (aus: Corpus Hippocraticum. Colloque de Mons Septembre 1975. Éditions Universitaires de Mons, Série Sciences Humaines IV, Mons 1977, 353–365)
Neues zu den diätetischen Schriften des Rufus von Ephesos (aus: Medizinhistorisches Journal 9, 1974, 23–40)
Die Schrift des Rufus „De infantium curatione“ und das Problem der Autorenlemmata in den „Collectiones medicae“ des Oreibasios (aus: Medizinhistorisches Journal 10, 1975, 165–190)
Die Krankengeschichten des Rufus von Ephesos (aus: Akten des VII. Kongresses für Arabistik und Islamwissenschaft, Göttingen, 15.–22. August 1974 [Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil.-Hist. Klasse, Dritte Folge Nr. 98, 1976], 364–371)
Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus von Ephesos (aus: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt, Teil II: Principat, Bd. 37, 2, Berlin-New York 1994, 1293–1349)
Die Schrift des Badīġūras über die Ersatzdrogen (aus: Der Islam 50, 1973, 230–248)
Der Werwolf. Ein griechisches Sagenmotiv in arabischer Verkleidung (aus: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 68, 1976, 171–184)
Yūḥannā ibn Sarābiyūn Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte seiner Werke (aus: Medizinhistorisches Journal 6, 1971, 278–296)
Zum Dispensatorium des Sābūr ibn Sahl [zusammen mit Rainer Degen] (aus: Die Welt des Orients 7, 1974, 241?258)
Ein Fragment des Kitāb al-Malakī von al-Maǧūsī (aus: Der Islam 52, 1975, 109–111)
Die Taḏkira des ibn as-Suwaidī, eine wichtige Quelle zur Geschichte der griechisch-arabischen Medizin und Magie (aus: Der Islam 54, 1977, 33–65)
II. ALCHEMIE UND MAGIE
Al-Kīmiyāʾ (aus: Encyclopaedia of Islam, New Edition, Vol. V, Leiden 1986, 110–115)
Al-Iksīr (aus: Encyclopaedia of Islam, New Edition, Vol. III, Leiden 1971, 1087–1088)
Al-Kibrīt (aus: Encyclopaedia of Islam, New Edition, Vol. V, Leiden 1986, 88–90)
Al-Qily (aus: Encyclopaedia of Islam, New Edition, Vol. V, Leiden 1986, 107)
Al-Ḫāṣṣa (aus: Encyclopaedia of Islam, New Edition, Vol. IV, Leiden 1978, 1097-1098)
Kleopatra in einer arabischen alchemistischen Disputation (aus: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 63?64, 1972, 158?175)
Ḫālid ibn Yazīd und die Alchemie: Eine Legende (aus: Der Islam 55, 1978, 181–218)
Die arabische Überlieferung der Kyranis des Hermes Trismegistos (aus: Proceedings of the VIth Congress of Arabic and Islamic Studies, Visby-Stockholm 1972 [Kungl. Vitterhets Historie och Antikvitets Akademiens Handlinger, Filologiskfilosofiska serien 15], Stockholm-Leiden 1975, 196–200)
III. GESTEINSKUNDE
Der literarische Hintergrund des Steinbuches des Aristoteles (aus: IV Congresso de Estudos Árabes e Islâmicos, Coimbra- Lisboa, 1 a 8 de setembro de 1968, Actas, Leiden 1971, 291–299)
Das Steinbuch des Xenokrates von Ephesos (aus: Medizinhistorisches Journal 7, 1972, 49–64)
Neues zum Steinbuch des Xenokrates (aus: Medizinhistorisches Journal 8, 1973, 59–76)
Xenokrates (aus: Pauly-Wissowa, Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft, Supplementband 14, München 1974, Sp. 974–977)
Edelsteine als Antidota
Ein Kapitel aus dem Giftbuch des ibn al-Mubārak (aus: Janus 61, 1974, 73–89)
INDIZES
Personennamen
Griechische Begriffe
Arabische und persische Begriffe
Griechische Buchtitel
Arabische Buchtitel
Lateinische Buchtitel
Arabische Handschriften

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Manfred Ullmann Aufsätze zur arabischen Rezeption der griechischen Medizin und Naturwissenschaft

Scientia Graeco-Arabica herausgegeben von Marwan Rashed

Band 15

De Gruyter

Manfred Ullmann

Aufsätze zur arabischen Rezeption der griechischen Medizin und Naturwissenschaft Herausgegeben von

Rüdiger Arnzen

De Gruyter

ISBN 978-1-61451-844-0 e-ISBN (PDF) 978-1-61451-845-7 e-ISBN (EPUB) 978-1-61451-946-1 ISSN 1868-7172 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter Inc., Boston/Berlin Printing: CPI books GmbH, Leck ∞ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort In dem vorliegenden Band sind 26 Aufsätze und Artikel zusammengefaßt, die ich zwischen 1971 und 1994 in verschiedenen Zeitschriften, in Kongreßakten und Sammelwerken veröffentlicht hatte. Sie haben die Tradition der griechischarabischen Wissenschaften zum Thema und bilden somit eine geschlossene Gruppe, die sich deutlich von meinen lexikalischen, grammatischen und auf die arabische Literatur bezogenen Arbeiten abhebt. Die Aufsätze sind nicht photomechanisch reproduziert, sondern mittels Scan, OCR und anschließender digitaler Textbearbeitung in einen Neusatz überführt worden. Dabei sind frühere Druckfehler berichtigt und kleine redaktionelle Änderungen vorgenommen worden. Die wichtigsten Arbeiten, die nach Erscheinen der Aufsätze zu den jeweiligen Themen veröffentlicht worden sind, sind in den jedem Aufsatz angefügten „Nachträgen“ bzw. „Addenda“ verzeichnet. Die Randpaginierung verweist auf die Seitenzählung der Originale. Neu sind die Indizes auf S. 447‒461, die den Inhalt des Bandes, so hoffe ich, leicht und umfassend erschließen werden. Zu danken habe ich den Herausgebern und Verlagen der verschiedenen Zeitschriften, die die Erlaubnis zum Abdruck der Aufsätze erteilt haben, Herrn Prof. Dr. Marwan Rashed für seine Bereitschaft, diesen Band in die von ihm herausgegebene Reihe „Scientia Graeco-Arabica“ zu übernehmen, sowie dem Verlag deGruyter. Mein besonderer und bleibender Dank gilt Herrn Kollegen Rüdiger Arnzen. Er hatte den Plan gefaßt, meine Aufsätze zusammenzufassen und zu publizieren, er hat mit den verschiedenen Verlagen wegen der Abdrucklizenzen verhandelt und Prof. Rashed und den Verlag deGruyter für die Publikation gewonnen, und er hat sehr viel Zeit und Mühe auf die Gestaltung des Bandes und die Umsetzung auf das neue Druckformat verwendet. Da beim Scannen der griechischen und lateinisch transkribierten arabischen Texte noch viele Fehler aufgetreten sind, kam seine Arbeit teilweise einem Neusatz gleich. Herr Arnzen hat all diese Arbeiten sachkundig, selbstlos, mit peinlicher Genauigkeit und einem ungewöhnlichen Engagement ausgeführt. Tübingen, im März 2016

Manfred Ullmann

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V X

I. MEDIZINGESCHICHTE Die arabische Überlieferung der hippokratischen Schrift „De superfetatione“ (aus: Sudhoffs Archiv 58, 1974, 254‒275). . . . . . . . . . . .

3

Zwei spätantike Kommentare zu der hippokratischen Schrift „De morbis muliebribus“ (aus: Medizinhistorisches Journal 12, 1977, 245‒262) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

Galens Kommentar zu der Schrift De aere aquis locis (aus: Corpus Hippocraticum. Colloque de Mons Septembre 1975. Éditions Universitaires de Mons, Série Sciences Humaines IV, Mons 1977, 353‒365) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Neues zu den diätetischen Schriften des Rufus von Ephesos (aus: Medizinhistorisches Journal 9, 1974, 23‒40) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

Die Schrift des Rufus „De infantium curatione“ und das Problem der Autorenlemmata in den „Collectiones medicae“ des Oreibasios (aus: Medizinhistorisches Journal 10, 1975, 165‒190) . . . . . . . . . .

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Die Krankengeschichten des Rufus von Ephesos (aus: Akten des VII. Kongresses für Arabistik und Islamwissenschaft, Göttingen, 15.‒22. August 1974 [Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil.-Hist. Klasse, Dritte Folge Nr. 98, 1976], 364‒371) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus von Ephesos (aus: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt, Teil II: Principat, Bd. 37, 2, Berlin-New York 1994, 1293‒1349) . . . . . . . . . . . 116 Die Schrift des Badīġūras über die Ersatzdrogen (aus: Der Islam 50, 1973, 230‒248) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

VIII

Inhaltsverzeichnis

Der Werwolf. Ein griechisches Sagenmotiv in arabischer Verkleidung (aus: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 68, 1976, 171‒184) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Yūḥannā ibn Sarābiyūn. Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte seiner Werke (aus: Medizinhistorisches Journal 6, 1971, 278‒296) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Zum Dispensatorium des Sābūr ibn Sahl [zusammen mit Rainer Degen] (aus: Die Welt des Orients 7, 1974, 241‒258) . . . . . . . . . 233 Ein Fragment des Kitāb al-Malakī von al-Maǧūsī (aus: Der Islam 52, 1975, 109‒111) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Die Taḏkira des ibn as-Suwaidī, eine wichtige Quelle zur Geschichte der griechisch-arabischen Medizin und Magie (aus: Der Islam 54, 1977, 33‒65) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 II. ALCHEMIE UND MAGIE Al-Kīmiyāʾ (aus: Encyclopaedia of Islam, New Edition, Vol. V, Leiden 1986, 110‒115) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Al-Iksīr (aus: Encyclopaedia of Islam, New Edition, Vol. III, Leiden 1971, 1087‒1088) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

307

Al-Kibrīt (aus: Encyclopaedia of Islam, New Edition, Vol. V, Leiden 1986, 88‒90) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Al-Qily (aus: Encyclopaedia of Islam, New Edition, Vol. V, Leiden 1986, 107). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Al-Ḫāṣṣa (aus: Encyclopaedia of Islam, New Edition, Vol. IV, Leiden 1978, 1097-1098) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 Kleopatra in einer arabischen alchemistischen Disputation (aus: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 63‒64, 1972, 158‒175) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Ḫālid ibn Yazīd und die Alchemie : Eine Legende (aus: Der Islam 55, 1978, 181‒218) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Die arabische Überlieferung der Kyranis des Hermes Trismegistos (aus: Proceedings of the VIth Congress of Arabic and Islamic Studies, Visby-Stockholm 1972 [Kungl. Vitterhets Historie och Antikvitets Akademiens Handlinger, Filologiskfilosofiska serien 15], Stockholm-Leiden 1975, 196‒200) . . . . . . . . . . . 371

Inhaltsverzeichnis

IX

III. GESTEINSKUNDE Der literarische Hintergrund des Steinbuches des Aristoteles (aus: IV Congresso de Estudos Árabes e Islâmicos, CoimbraLisboa, 1 a 8 de setembro de 1968, Actas, Leiden 1971, 291‒299) . . . . . . . 379 Das Steinbuch des Xenokrates von Ephesos (aus: Medizinhistorisches Journal 7, 1972, 49‒64) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Neues zum Steinbuch des Xenokrates (aus: Medizinhistorisches Journal 8, 1973, 59‒76) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Xenokrates (aus: Pauly-Wissowa, Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft, Supplementband 14, München 1974, Sp. 974‒977) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 Edelsteine als Antidota. Ein Kapitel aus dem Giftbuch des ibn al‑Mubārak (aus: Janus 61, 1974, 73‒89) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 INDIZES Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Griechische Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arabische und persische Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Griechische Buchtitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arabische Buchtitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lateinische Buchtitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arabische Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

447 451 452 455 456 458 458

Abkürzungsverzeichnis Die Quellen und die Literatur sind im folgenden nach den Ausgaben und mit den Abkürzungen zitiert, die im Wörterbuch der Klassischen Arabischen Sprache (WKAS, s. dort das Literaturverzeichnis Band II, Teil 4, p. 2265‒2328) und in meinem Buch Die Medizin im Islam (Handbuch der Orientalistik, hsgb. von Bertold Spuler, Erste Abt., Erg. Bd. VI, 1. Abschnitt, Leiden/Köln 1970) verwendet sind. Für einige häufig zitierte Nachschlagewerke und Reihen werden folgende Abkürzungen benutzt: Corpus Medicorum Graecorum, ed. Academiae Berolinensis, Havniensis, Lipsiensis, Lipsiae et Berolini 1908 ff. 2 Encyclopaedia of Islam. New Edition, Bd. I‒XII, Glossar- und EI Indexbände, Leiden 1960‒2006. Carl Brockelmann, Geschichte der arabischen Litteratur, Zweite GAL Auflage, Bd. I.II, Leiden 1943.49; Supplementbände I‒III, Leiden 1937‒1942. Fuat Sezgin, Geschichte des arabischen Schrifttums, Bd. I ff., Leiden GAS 1967 ff. GCAL Georg Graf, Geschichte der christlichen arabischen Literatur, Bd. I‒V (Studi e Testi 118. 133. 146. 147. 172), Rom 1944‒1953. Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, RE neue Bearbeitung unter Mitwirkung zahlreicher Fachgenossen hsgb. von Georg Wissowa, Bd. I ff., Stuttgart 1893 ff., Supplementbände I ff., Stuttgart 1903 ff. WKAS Wörterbuch der Klassischen Arabischen Sprache, hsgb. durch die Deutsche Morgenländische Gesellschaft, bearbeitet von Manfred Ullmann, Bd. I (Kāf), Wiesbaden 1970; Bd. II, Teil 1‒4 (Lām), Wiesbaden 1983‒2009. CMG

I. Medizingeschichte

Die arabische Überlieferung der hippokratischen Schrift „De superfetatione“ * Der Titel der Schrift Περὶ ἐπικυήσιος wird allein durch den ersten Abschnitt (§ 1 Littré = §§ 1‒3 Lienau) gerechtfertigt: Nur in ihm ist von der „Überfruchtung“ die Rede, d. h. von der Empfängnis, die bei bereits bestehender Schwangerschaft erfolgt. Die Paragraphen 2‒12 (= §§ 4‒20 Lienau) handeln über Geburtshilfe; darauf werden in etwas loserer Folge Fragen der Schwangerschaftshygiene, der Zwillingsbildung, der Empfängnis, der Sterilität und der Geschlechtsbestimmung (§ 31 Littré = § 56 Lienau) erörtert. Den Beschluß (§§ 32‒43 Littré = §§ 57‒82 Lienau) bilden Rezepturen für Heilmittel, die in Form von Scheideneinlagen, Pessaren und dergleichen angewendet werden. Fast die Hälfte der Schrift ist aus Bruchstücken zusammengefügt, die der großen Abhandlung Περὶ ἀφόρων (Littré VIII 408‒463) entnommen sind. Einige weitere Parallelen bestehen mit dem ersten Buch von Περὶ γυναικείων (Littré VIII 1‒233) und mit der Schrift Περὶ γυναικείης φύσιος (Littré VII 310‒431)1. Daneben gibt es aber auch Passagen, die sich nicht an anderer Stelle des Corpus Hippocraticum finden. Dennoch kann die Schrift „De superfetatione“ im ganzen als Exzerpt aus anderen gynäkologischen Schriften bezeichnet werden. Ihr Verfasser ist nicht bekannt2. Sie dürfte etwa um die Mitte des 4. Jahrhunderts vor Chr. niedergeschrieben bzw. kompiliert worden sein. Eine genaue Datierung ist nicht möglich, da die Schrift in der Antike nirgends erwähnt wird und da die inhaltlichen Übereinstimmungen mit einigen Passagen in den „Epidemien“ sowie in Aristoteles’ „De generatione _______________ *

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Die Quellen sind im folgenden nach den Ausgaben und mit den Abkürzungen zitiert, die im „Wörterbuch der Klassischen Arabischen Sprache“ und in meinem Buch „Die Medizin im Islam“ (Handbuch der Orientalistik, Erste Abteilung, Ergänzungsband VI, erster Abschnitt), Leiden/Köln 1970, verwendet sind. Herrn Dr. Gotthard Strohmaier, Berlin, der mir eine Kopie der Istanbuler Handschrift der arabischen Übersetzung von De superfet. vermittelt hat, möchte ich sehr herzlich danken. Mein Dank gilt auch Herrn Dr. Wolfgang Haase, Tübingen, für einige freundliche Hinweise. S. im einzelnen Lienau, p. 66* ff. Daß Leophanes oder Mantias (s. Ernst Kind, RE XIV 1, 1930, Sp. 1257) als Verfasser in Frage kämen, sind Vermutungen, die sich nicht erhärten ließen.

4

Medizingeschichte

animalium“ und „Historia animalium“ keine direkte Abhängigkeit dieser Schriften untereinander beweisen. 255 In der heute noch maßgeblichen griechischen Ausgabe der Werke des Hippokrates von Émile Littré findet sich die Schrift Περὶ ἐπικυήσιος im achten Band3. Bei der Herstellung des Textes konnte sich Littré nur auf die neun Pariser Handschriften stützen; außerdem hat er die Varianten aus den Ausgaben von Foes4 und Mack5 verzeichnet. Die Pariser Handschriften repräsentieren nun aber nur einen Teil der Überlieferung; sie sind zudem, da sie ausnahmslos dem 14. und 15. Jahrhundert angehören6, sehr jung. Heute existieren von der Schrift noch 23 Handschriften, und da die eine von ihnen, der Vaticanus graecus 276, den Traktat zweimal enthält, ist er also insgesamt 24mal handschriftlich bezeugt7. Die gegenseitige Abhängigkeit dieser Handschriften hat Cay-Diederich Lienau, der jüngst eine Neuedition geliefert hat8, in minutiösen Untersuchungen bestimmt. Danach hängen alle Handschriften vom Marcianus Venetus 269 (saec. XI) [Sigle M], dem Vaticanus graecus 276, fol. 119a‒122b (saec. XII) [Sigle Va] und dem Vat. graec. 276, fol. 184b‒187b [Sigle Vb] ab. Vb und M gehören eng zusammen und sind gemeinsam von Va abzusetzen, so daß die Überlieferung sich auf zwei Textgruppen reduziert. Zu diesen handschriftlichen Textzeugen treten vier kleine, bisher unveröffentlichte Papyrusfragmente aus Antinoopolis in Ägypten hinzu. Der Papyrus stammt aus dem 6. Jahrhundert und bietet, soweit sich aus den kurzen Fragmenten ersehen läßt, einen Überlieferungszustand, der noch vor dem des Archetypus von Va Vb M liegt. Schließlich konnte Lienau für die Herstellung seines 256 Textes auch die arabische Übersetzung benutzen, die Gotthard Strohmaier für ihn ins Deutsche übersetzt hatte. Lienau faßt sein Urteil über die Stellung der _______________ 3

4

5 6 7 8

Œuvres complètes d’Hippocrate, Paris 1853, p. 472‒509. Die Schrift ist wenig später auch von Ermerins ediert worden: Hippocratis et aliorum medicorum veterum reliquiae. Edidit Franciscus Zacharias Ermerins, Vol. II, Trajecti ad Rhenum 1862, p. 797‒817. Die Hippokrates-Ausgabe von W. H. S. Jones und E. T. Withington (The Loeb Classical Library), London-Cambridge, Mass., Vol. I‒IV, 1923 ff., enthält unseren Text nicht. Magni Hippocratis medicorum omnium facile principis opera omnia quae extant in VIII sectiones ex Erotiani mente distributa, nunc recens latina interpretatione et annotationibus illustrata, Anutio Foesio Mediomatrico medico authore. Francofurti apud Andreae Wecheli haeredes, 1595 Fol. (Nachdrucke 1621, 1624, 1645 und Genf 1657). Bei Foes ist De superfet. die 20. Schrift. Τὰ Ἱπποκράτους ἅπαντα . . . studio et opera Stephani Mackii, Viennae 1743, 2 Vol. Fol. Der Parisinus graecus 2146 ist sogar erst im 16. Jahrhundert geschrieben. Diels Handschriften I p. 31. Cay-Diederich Lienau: Die hippokratische Schrift Περὶ ἐπικυήσιος / De superfetatione. Ausgabe und kritische Bemerkungen. Diss. Kiel 1963, maschinenschriftlich. Die Ausgabe soll noch im Corpus Medicorum Graecorum erscheinen.

Hippokrates’ „De superfetatione“ in arab. Überlieferung

5

arabischen Übersetzung in der Gesamtüberlieferung mit folgenden Worten zusammen (p. 43* f.): „Die Übereinstimmung von Ar Va gegen Vb M, von Ar Vb M gegen Va und die Tatsache, daß Ar an manchen Stellen den sicher richtigen Text gegen Va Vb M bietet, läßt darauf schließen, daß dem Übersetzer ins Arabische (bzw. Syrische) ein griechischer Text vorlag, der vor dem Archetypus von Va Vb M anzusetzen ist. Einige Fehler von Ar und Va Vb M, wie 14, 3 καύσιος (Kauterisation Ar), deuten darauf hin, daß Ar aus dem gleichen Überlieferungszweig wie der Archetypus der griechischen Handschriften stammt. Vermutlich hat es also nur eine Handschrift von Superf. in der Spätantike gegeben. Das Verhältnis von Ar zum Papyrus ist leider auf Grund des gebotenen Materials nicht zu bestimmen“. Die arabische Übersetzung trägt den Titel Kitāb Ḥabal ʿalā ḥabal („Eine Empfängnis über einer Empfängnis“)9. Sie ist allein in der Handschrift Istanbul, Aya Sofya 3632, fol. 94 b bis 102 b, erhalten geblieben. Die Handschrift ist undatiert. Ritter und Walzer10 setzen sie in das 7./13. Jahrhundert, doch kann diese Datierung nicht als gesichert gelten. Der Zustand des Textes ist außerordentlich schlecht. Nach einem offenbar langen Überlieferungsweg bietet er sich durch viele leichte und grobe Verschreibungen, durch Lücken und Dittographien stark entstellt dar. Auf Grund dieser Handschrift ist der arabische Text kürzlich von John Nicholas Mattock ediert und ins Englische übersetzt worden11. In Anbetracht 257 des schlechten Überlieferungszustandes ist diese Edition eine Leistung, die Anerkennung verdient. Durch geschickte Konjekturen hat der Herausgeber den Text nicht selten verbessern und herstellen können. Als Randpaginierung ist die Folienzählung der Handschrift eingetragen. Man muß jedoch jede dieser _______________ 9

Der Titel lautet nicht: Kitāb Ḥabl ʿalā ḥabl, wie Mattock schreibt, denn das hieße: „Ein Strick über einem Strick“. Bei ʿArīb im K. Ḫalq al-ǧanīn p. 49, 3 ist der Titel einmal auch in der Form K. Ḥaml ʿalā ḥaml angeführt. Der Übersetzer von Aristoteles’ „De generatione animalium“ verwendet den Ausdruck ḥaml baʿda l-ḥaml [al-awwal] (773 a 33 ff./160, 1 ff.), und bei b. Maimūn Ḥayaw. 57, 1 ff. heißt es: wa-qad taḥbalu l-marʾatu ḥamlan ʿalā ḥamlin (zu Arist. Hist. anim. 585 a 8‒10). In der arabischen Übersetzung der Placita philosophorum ist der Begriff der Überfruchtung (V 10, 3 = p. 224, 11 Daiber/p. 176, 8 Badawī) durch ḥabal baʿda ḥabal ausgedrückt, doch liegt hier das Wort ἐπισύλληψις, nicht ἐπικύησις, zugrunde. Ibn Sīnā (Qānūn I 574 paen.) verwendet ḥabal ʿalā ḥabal. 10 Helmut Ritter und Richard Walzer: Arabische Übersetzungen griechischer Ärzte in Stambuler Bibliotheken. In: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., 26, 1934, S. 839. 11 Kitāb Buqrāṭ fī Ḥabl ʿalā ḥabl (Hippocrates: On Superfoetation). Edited and translated with Introduction, Notes and Glossary by J. N. Mattock (Arabic Technical and Scientific Texts, Volume 3). Cambridge 1968.

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Medizingeschichte

Zahlen um eins vermindern, denn der Text läuft nicht von fol. 95 b bis 103 b, sondern von fol. 94 b bis 102 b12. In der englischen Übersetzung, deren Ungenauigkeiten beträchtlich sind, ist die Paragraphenzählung der Littréschen Edition übernommen. Doch muß auch hier von § 14 an jede Zahl geändert werden. Da § 14 Littré (=§ 22 Lienau) im Arabischen ausgefallen ist, müssen Mattocks Nummern 14‒42 in 15‒43 umgewandelt werden. Mattock hat Littrés Text zur Grundlage seiner Untersuchungen gemacht. Von Lienaus Neuedition, die bisher nur maschinenschriftlich vervielfältigt ist, konnte er schwerlich etwas wissen. Daß Littrés Text aber nicht länger philologischen Ansprüchen genügen kann, ist nach dem oben Gesagten klar. So bedürfen manche der Feststellungen Mattocks, die sich auf den griechischen Text beziehen, der Korrektur. Doch daraus kann dem Editor billigerweise kein Vorwurf gemacht werden. Bedenklich jedoch ist das Verfahren, das er angewendet hat, um das Verhältnis der arabischen Übersetzung zum griechischen Text zu beleuchten: Er konfrontiert den arabischen Text mit der französischen Übersetzung Littrés. Selbst wenn eine Übersetzung völlig korrekt ist und durch Wörtlichkeit der Originalsprache möglichst nahezukommen versucht, sind doch sprachliche Verschiebungen unvermeidlich. Denn der Umfang der Wortbedeutungen und der Bedeutungsfunktionen der Syntagmata ist in verschiedenen Sprachen sehr oft verschieden, und so mußte denn Mattocks Methode den Leser in die Irre führen. Das sollen die folgenden Beispiele zeigen: Wenn es arab. p. 7, 7 heißt: fa-iḏā ntafaḫati s-surratu fa-ṣārat miṯla l‑maʿidati „Wenn sich der Nabel aufbläht und wie ein Magen wird“, und wenn dem Littrés „Si le cordon devient emphysémateux comme le col“ entgegengesetzt wird, so gewinnt man den Eindruck, daß der Araber falsch übersetzt habe. Indes ist dies nicht der Fall. Das Arabische entspricht genau dem griechischen καὶ ἢν ὁ ὀμφαλὸς ἐμφυσῆται ὥσπερ στόμαχος. Wenn es im Arabischen heißt (4, 4): wa-yanbaġī an yakūna ẓufuru ibhāmika ṭawīlan „dein Daumennagel muß lang sein“, und wenn dem Littrés „Le pouce est, pour ce besoin, armé d’un 258 ferrement“ entgegengestellt wird, so muß man eine beträchtliche Diskrepanz des griechischen und arabischen Textes annehmen. Das Arabische ist indes keine schlechte Übersetzung von ἔχειν δὲ χρὴ πρὸς τὰ τοιαῦτα καὶ ὄνυχα ἐπὶ τοῦ μεγάλου δακτύλου. Nur hat der Araber die terminologische Bedeutung von ὄνυξ als eines am Finger befestigten chirurgischen Instrumentes nicht erfaßt. Der Grund des Mißverständnisses ist aber aus der französischen Übersetzung nicht zu ersehen. Wenn es schließlich im Arabischen (2, 6) heißt: wa_______________ 12 So in der mir vorliegenden Photokopie. Ritter und Walzer geben allerdings 95 b bis 103 b an.

Hippokrates’ „De superfetatione“ in arab. Überlieferung

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iḏā ʿāša l-ǧanīnu „wenn der Fetus lebt“ und dem Littrés „quand l’enfant naît non viable“ entgegengestellt wird, muß der Leser annehmen, daß der Araber hier falsch übersetzt und den Sinn in sein Gegenteil verkehrt habe. Die Negation οὐ (bzw. μή) ist jedoch, wie schon Littré bemerkt, nur Konjektur der Herausgeber seit Cornarius und nicht aus den griechischen Handschriften zu belegen. Kurzum, es führt nicht zum Ziele, den französischen Text zu nehmen, um an ihm den Abstand der arabischen Übersetzung vom griechischen Original zu demonstrieren. Die arabische Übersetzung ist, wie erwähnt, nur in einem schlechten Unicum überliefert. Für die Textherstellung ist es daher von größter Bedeutung, die Nebenüberlieferung, d. h. die Passagen aus dem Kitāb Ḥabal ʿalā ḥabal, die in der späteren Literatur zitiert sind, zu sondieren. Von den Bibliographen sind dabei keine Hinweise zu erhalten: Die Schrift wird nur von ibn abī Uṣaibiʿa (I 33, 1) und Ḥāǧǧī Ḫalīfa (V p. 72 nr. 10039) erwähnt, der hier offensichtlich, wie das auch bei anderen Titeln hippokratischer Schriften der Fall ist, nur ibn abī Uṣaibiʿa ausschreibt. Das älteste Zeugnis für unsere Schrift liefert das K. al-Ḥāwī des Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī (gest. um 311/923). In einem längeren, zusammenhängenden Abschnitt13 hat er aphorismenartig eine Anzahl knapper Kernsätze aus dem K. Ḥabal ʿalā ḥabal zusammengestellt. Für die Beurteilung des Wertes, der diesen Zitaten als Textzeugen zukommt, ist es aber wichtig, zu wissen, daß ar-Rāzī seine Quellen meist nicht wörtlich zitiert, sondern daß er sich mit gekürzten und summarischen Inhaltsangaben begnügt14. Er geht sogar so weit, Ausdrücke, die ihm nicht geläufig sind, in seine eigene Terminologie umzusetzen: Das šaʿīr abyaḍ (24, 2) lautende Äquivalent für πτισάνη erscheint bei ihm als māʾ aš-šaʿīr. So stark auch die Zitate im K. al-Ḥāwī von der arabischen Originalübersetzung der Schrift De superfet. abweichen, so wäre es doch falsch, 259 eine zweite, unabhängige Übersetzung anzunehmen, aus der ar-Rāzī geschöpft haben könnte15. Mehrfach ist De superfet. im K. Ḫalq al-ǧanīn wa-tadbīr al-ḥabālā wa-lmaulūdīn des ʿArīb ibn Saʿīd zitiert, das zwischen 350 und 360/961 und 970 verfaßt worden ist16. Die Zitate stehen meist unter der Überschrift Kitāb Ḥabal _______________ 13 Bd. 9, Ḥaidarābād 1379/1960, p. 106, 4 ‒ 107, 14. 14 Fuat Sezgins Behauptung (Geschichte des arabischen Schrifttums Bd. III. Leiden 1970. S. 72), daß ar-Rāzī seine Quellen wörtlich zitiere, ist nicht richtig. 15 Rāzī Ḥāwī 9, 91, 12 f. steht noch ein Zitat aus dem Kitāb al-Ḥabal li-Abuqrāṭ, das aber nicht aus De superfet., sondern aus De victu (Bd. VI 500, 7 Littré) stammt. 16 ʿArib ibn Saʿid al-Katib al-Qurtʾubi, Le Livre de la génération du fœtus et le traitement des femmes enceintes et des nouveau-nés, publié, traduit et annoté par Henri Jahier et Abdelkader Noureddine (Publications de la faculté mixte de médecine et de pharmacie

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ʿalā ḥabal, einmal unter dem Titel Kitāb Ḥaml ʿalā ḥaml. Die Passage p. 44, 3‒6 ist anonym zitiert. In zwei Passagen (p. 40, 19 f. und 51, 3‒5) lautet das Autorenlemma nicht Hippokrates, sondern Galen. Ob dieser Irrtum dem Autor oder den Kopisten anzulasten ist, kann nicht entschieden werden, da das K. Ḫalq al-ǧanīn handschriftlich nur als Unicum erhalten ist17. Im Gegensatz zu ar-Rāzī zitiert ʿArīb seine Quelle in genauem Wortlaut. Seinen Zitaten kommt daher als Textzeugen ein hoher Wert zu. Ohne Quellenangabe ist ein Abschnitt aus De superfet. bei al-Azraq ausgeschrieben18. Der Text lautet: Wa-ammā mautu l-ǧanīni fa-yadullu ʿalaihi taḥarruku šaiʾin fī l-ǧaufi ka-l-ḥaǧari yantaqilu min ǧānibin ilā ǧānibin ḫuṣūṣan iḏā ḍṭaǧaʿati l-marʾatu ʿalā ǧanbihā wa-tabrudu s-surratu wa-qad kānat ḥārratan wayabrudu ṯ-ṯadyu wa-rubba-mā sālat ruṭūbātun muntinatun wa-taġūru ʿainu lḥublā ilā ʿumqin wa-yakūnu bayāḍu ʿainaihā kamidan wa-tabyaḍḍu l-uḏunu waṭarafu l-anfi maʿa ḥumrati š-šafati. Dieser Text ist ein Referat aus den §§ 10, 16 und 17 Littré (= §§ 18, 25 und 26 Lienau). Zu beachten ist allerdings, daß die in §§ 16 und 17 genannten Merkmale bei Hippokrates auf Schwangerschaft deuten, bei al-Azraq auf den Tod des Fetus. Daraus ist zu entnehmen, daß alAzraq sein Wissen nicht unmittelbar aus der Schrift des Hippokrates geschöpft hat, sondern daß zwischen dieser und der Darstellung des Azraq eine längere Tradition liegt, in der die Dinge derart entstellt wurden. 260 In der folgenden Konkordanz sind die Parallelstellen aus der Nebenüberlieferung zusammengetragen: Mattock 1, 9‒13 6, 4‒8 6, 4‒9 6, 11 f. 6, 11‒13 7, 1‒5 7, 1 f. 7, 3‒5 7, 9 f. 7, 11‒13

= = = = = = = = = =

Ḥāwī 9, 106, 4‒7 Azraq Tashīl 132, 17‒19 Ḥāwī 9, 106, 8‒10 Ḥāwī 9, 106, 10 f. ʿArīb 44, 7 f. Ḥāwī 9, 106, 11‒13 ʿArīb 49, 3 f. ʿArīb 51, 3‒5 Ḥāwī 9, 106, 13 ʿArīb 28, 15‒17

_______________ d’Alger III), Alger 1375/1956. Vgl. auch GAL I 236; Ullmann Medizin 139 f.; GAS III 302. 17 Auskunft könnte allenfalls seine hebräische Version geben. 18 K. Tashīl al-manāfiʿ fī ṭ-ṭibb wa-l-ḥikam li-Ibrāhīm ibn ʿAbd ar-Raḥmān ibn abī Bakr alAzraq, Kairo 1304, p. 132, 17‒20. Zum Autor vgl. GAL S II 170 und Ullmann Medizin 188.

Hippokrates’ „De superfetatione“ in arab. Überlieferung Mattock 7, 11‒8, 3 7, 12 f. 7 ult.‒8, 4 8, 2‒8 8, 9 f. 8, 9 f. 8, 11‒13 8, 11‒13 8, 14‒9, 1 9, 2‒4 9, 5 f. 9, 7 f. 9, 7 f. 9, 9 f. 14, 2 f. 14, 8‒10 15, 2‒12 16, 12 17, 5 f. 17, 8 f. 17, 10‒18, 1 18, 2‒4 24, 1 f.

= = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = =

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Azraq Tashīl 132, 19‒20 Ḥāwī 9, 106, 14 ʿArīb 44, 3‒6 Ḥāwī 9, 106, 14‒18 Ḥāwī 9, 106, 18 f. ʿArīb 40, 19 f. Ḥāwī 9, 106 paen. ʿArīb 25, 6 f. ʿArīb 19, 17‒19 ʿArīb 19, 6‒8 Ḥāwī 9, 106 paen. f. Ḥāwī 9, 106 ult.‒107, 2 ʿArīb 19, 9 f. ʿArīb 28, 18 f. Ḥāwī 9, 171, 15 f. Ḥāwī 9, 107, 5 f. Ḥāwī 9, 107, 2‒5 Ḥāwī 9, 107, 6 f. Ḥāwī 9, 107, 8 Ḥāwī 9, 107, 9 f. Ḥāwī 9, 107, 10‒12 Ḥāwī 9, 107, 12 f. Ḥāwī 9, 107, 13 f.

Die Ausbeute ist nicht sehr reich, doch sind die Zitate immerhin wichtig genug: sie gestatten, den Text in mehreren Fällen zu emendieren, und sie liefern Kriterien zur Beurteilung der Handschrift. Mattock hatte die sprach- 261 lichen Anomalien des handschriftlichen Textes wohl bemerkt. Seite III der Einleitung führt er eine Reihe von Beispielen an. Da aber die Handschrift ein Unicum ist, glaubte er, daß es unmöglich sei, zu entscheiden, ob diese Anomalien dem Übersetzer oder den Schreibern zur Last zu legen seien. Um nichts zu präjudizieren, hat er sie fast alle in der Edition beibehalten. Die Entscheidung kann jedoch nicht zweifelhaft sein. Denn erstens lassen diejenigen Passagen der Handschrift, in denen korrektes Arabisch herrscht, erkennen, daß der Übersetzer durchaus nach den Regeln zu schreiben wußte. Und zweitens weist die Nebenüberlieferung, insbesondere die bei ʿArīb, dort fast stets die korrekten Formen auf, wo die Handschrift fehlerhaft ist. Die Fehler und Anomalien des Textes sind also Ü b e r l i e f e r u n g s s c h ä d e n , nicht Ausdruck der Sprache des Übersetzers. Demzufolge ist der Editor berechtigt und verpflichtet, in den Text einzugreifen und ihn auch dort nach den Regeln der

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Grammatik herzustellen, wo die Nebenüberlieferung ihm keine Parallele bietet19. Die folgenden Ausführungen enthalten Berichtigungen und Verbesserungsvorschläge, die, wie ich hoffe, dazu beitragen können, den von Mattock edierten Text besser zu verstehen und zu beurteilen. Obwohl die Stellen, an denen der Text der Berichtigung bedarf, sehr zahlreich sind, schien es mir doch nicht angebracht, die Schrift neu zu edieren. Denn auch jetzt noch bleiben nicht wenige Stellen dunkel und verworren. Ich bekenne, daß ich nicht alles verstanden habe. Man kann daher nur hoffen, daß die Zukunft weitere Handschriften oder Zitate ans Licht bringen wird, die die Grundlage für eine Neuedition bilden können. In der folgenden Liste habe ich aus der Nebenüberlieferung nur die wichtigen Varianten berücksichtigt. Sie alle zu verzeichnen wird Aufgabe eines künftigen Editors sein. Auf die Rückschlüsse, die aus dem arabischen Text für die griechische Überlieferung zu ziehen sind, bin ich im allgemeinen nicht eingegangen. Diese Arbeit hatte Strohmaier seinerzeit für Lienau getan, und ihre Ergebnisse sind im Apparat der Lienauschen Edition verwertet. Die folgenden Zitate beziehen sich auf die Seiten- und Zeilenzahlen der Edition von Mattock; nach dem schrägen Strich folgen die Seiten- und Zeilenzahlen Littrés, denen in Klammern die Paragrapheneinteilung Lienaus angefügt ist. 1,5/476,3 (§ 1): Statt fī iḥdā ǧānibayi r-raḥimi lies fī aḥadi ǧānibayi r-raḥimi 262 (in Übereinstimmung mit 6, 7). 1, 6/476, 3 (§ 1): Statt ḥabilat ḥabalan āḫara ist wa-ḥabilat ḥabalan āḫara herzustellen. Die Apodosis lautet lam yaʿiš. 1, 12/476, 10 (§ 3): Die Worte fa-innahū yuwallidu ḥtirāqan sind zu streichen. Sie haben keine Entsprechung im Griechischen und sind überdies syntaktisch fehl am Platz. Wahrscheinlich stellen sie eine in den Text geratene Glosse dar. 1, 13/476, 11 (§ 3): Das arabische fa-innahū yantafiḫu wa-yaʿfanu läßt auf eine griechische Variante οἰδέει καὶ κατασήπεται schließen. 2, 6/478, 1 (§ 6): Wie in den erhaltenen griechischen Handschriften, so fehlte auch in der Vorlage des arabischen Übersetzers die Negation, die Cornarius und Littré durch οὐ, Lienau durch μή aus zwingenden Gründen ergänzen. Wa-iḏā ʿāša l-ǧanīnu entspricht genau ὁκόταν γόνιμον γένηται τὸ παιδίον. Die volle Ausbildung der Nägel ist Zeichen der Reife und Lebensfähigkeit des Kindes. 2, 6/478, 1 f. (§ 6): Die Kongruenz ṣāra laḥmu aṭrāfi l-aṣābiʿi yaʿlū l-aẓfāra ist herzustellen. 2, 8/478, 4 (§ 7): Der arabische Übersetzer hat πρῶτον = badʾan zum vorausgehenden Nebensatz gezogen. 2,10/478,5 (§ 7): Statt dafaʿnāhā lies dafaʿnāhumā. _______________ 19 Daß ein Übersetzer durchaus korrektes Arabisch schreiben konnte, hat jetzt auch Gotthard Strohmaier: Galen über die Verschiedenheit der homoiomeren Körperteile (CMG, Suppl. Orient. III). Berlin 1970. S. 23, festgestellt.

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2, 11/478, 6 (§ 7): Die Worte ẓaharati r-riǧlāni dafaʿnāhumā ilā dāḫilin fa-in sind als Dittographie zu streichen. 2, 12/478, 7 (§ 7): Statt kiltaihimā lies kiltāhumā. 2, 14/478, 8 f. (§ 7): Das arabische bi-mā laisa lahā rīḥun läßt auf eine griechische Variante ὀδμὴν δὲ μὴ ἐχέτω τὸ πυρίημα schließen. 3, 10/478, ‒3 (§ 10): Zu lesen ist: wa-qad ḫaraǧat riglāhu (bzw. riǧlā l-ǧanīni) ilā ḫilāfin „nachdem sich die Füße in die entgegengesetzte Richtung gedreht haben“, in Übereinstimmung mit ἐπὶ πόδας φερομένου τοῦ ἐμβρύου. 4, 1/480, 3 (§ 11): Lies: fa-in māta l-ǧanīnu dāḫilan. 4,2/480,5 (§ 11) und 4,5/480,8 (§ 12): Aus Gründen der Kongruenz ist statt yadaika zu lesen: yadaka. Im Griechischen steht im ersten Fall τὴν χεῖρα, im zweiten Fall τὰς χεῖρας. Vgl. auch den Singular yadaka 4, 6. 4, 3/480, 6 (§ 11): Statt al-maḫnaqa ist mit der Handschrift fol. 95 b 14 al-ʿunuqa zu lesen. Auch sonst ist in der Übersetzungsliteratur ʿunuqun das Äquivalent für τράχηλος, vgl. Buqrāṭ Taqdima 81, 9/207, 11; Arṭāmīd. Ruʾyā I 34/81, 5; Matth. 18, 6/p. 31, ‒ 6 Levin; Ǧālīnūs Tiryāq Fīsun 235, 2/35, 9. Dagegen ist τράχηλος mit raqabatun wiedergegeben bei Buqrāṭ Tadbīr 130, 8/ 25, 4; Buqrāṭ Fuṣūl IV 35/p. 33, ‒ 4. 4, 4/480, 7 (§ 12): Mattocks Konjektur wayanbaġī an yakūna ẓufuru ibhāmika ṭawīlan ist plausibel. Die Handschrift fol. 95 b, ‒5 hat allerdings ‫ ان ﯨﻄﻔﻮ ا ﺎﻣﻚ ﻃﻮﻳﻼ‬, was möglicherweise an tuẓfira ibhāmaka ṭawīlan zu interpretieren ist („daß du an deinem Daumen den Nagel lang wachsen läßt“). Der Araber hat den Satz ἔχειν δὲ χρὴ πρὸς τὰ τοιαῦτα καὶ ὄνυχα ἐπὶ τοῦ μεγάλου δακτύλου somit dem Wortlaut nach richtig übersetzt, jedoch hat er die terminologische Bedeutung von ὄνυξ „am Finger befestigtes chirur- 263 gisches Instrument“ nicht erkannt. Daraus ist ihm kaum ein Vorwurf zu machen, denn in dieser Bedeutung ist ὄνυξ sonst anscheinend nur noch in Galens Hippokrates-Glossar zu belegen (Bd. XIX 107, 2 Kühn). Dort ist von dem „eisernen Nagel“ (σιδηροῦς ὄνυξ) die Rede, den man zur Embryotomie brauche. 4, 4/480, 8 (§ 12): Statt taqdiru lies fa-taqdira. 4, 10 f./480, 16 f. (§ 13): Die Konjekturen li-kai tanǧaḏiba l-mašīmatu bi-ṯiqli l-ǧanīni wa-lā taʿnaf ʿalaihā bi-l-ǧaḏbi bal taǧaḏḏab (?) ruwaidan dürften im Blick auf das Griechische ξυνεπισπᾶται und ἀποσπασθέν richtig sein. Auch 5, 2/480 paen. (§ 14) ist ἐπισπᾶται τὸ ἔμβρυον τὸν ὀμφαλόν mit ǧaḏaba l-ǧanīnu s-surrata übersetzt. Das arabische al-mašīmatu läßt vermuten, daß nach ξυνεπισπᾶται ein τὸ χόριον zu ergänzen ist. 4, 11 f./480, 17 (§ 13): Die Worte wa-huwa waramu l-mirrati l-ḥamrāʾi „das ist die aus der roten Galle resultierende Geschwulst“ sind eine Glosse, die offensichtlich nicht vom Übersetzer, sondern von späterer Hand stammt. Der Übersetzer gibt nämlich den Begriff der „gelben Galle“ p. 21,9 mit al-mirratu ṣ-ṣafrāʾu wieder. 4 paen./480, 18 (§ 14): ḥattā ist zu streichen. Zu lesen ist: ṣūfan kaṯīran ǧadīdan yulabbadu awwalan „viel neue Wolle, die zuerst zusammengeballt wird“. 5, 1/480, ‒3 (§ 14): Statt fīhimā lies minhumā (wie in Zeile 2). 5, 2/480, ‒3 (§ 14): Wenn nicht wa-baṭuʾā ilā asfala zu lesen ist (was unwahrscheinlich

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ist), sind die Worte ilā asfala nach baṭīʾan zu streichen. 5, 12/482, 9 (§ 16): Lies: fī-mā waṣafnā ānifan. 6, 1/482, 13 (§ 17): In der Handschrift des arabischen Übersetzers muß πρῶτον μὲν οἰδίσκεται αὐτή (= ἡ μήτρη) gestanden haben, eine Variante, die den nachfolgenden Subjektwechsel ṯumma yaʿfanu l-ǧanīnu notwendig machte. 6, 2/482, 14 (§ 17): Lies: wa-yaǧrī ilā l-farǧi. 6, 8/482, ‒4 (§ 18): Lies mit Rāzī Ḥāwī 9, 106, 9: al-marāqqu ḥaula s-surrati (der Gesamtausdruck entspricht τὸ ἦτρον). Im Glossar p. 69 ist das Wort versehentlich unter der Wurzel mrq eingereiht. 6, 11 ff./482 ult. ff. (§ 19): Der Text lautet bei ʿArīb Ǧanīn 44, 7 f.: aiyumā mraʾatin ṭuliqat fa-nazzafat daman kaṯīran qabla ḫurūǧi l-ǧanīni wa-kāna ḏālika šadīdan fa-innahū yutaḫawwafu ʿalā l-ǧanīni an yaḫruǧa mayyitan au yamūta qabla ḫurūǧihī. Dabei ist der Ausdruck qabla ḫurūǧihī, ein Nachwirkungsfehler von qabla ḫurūǧi l-ǧanīni, in baʿda ḫurūǧihī (entspricht οὐ βιώσιμον) zu berichtigen. Im übrigen scheint mir der Text ʿArībs besser als der der Handschrift zu sein. 6 ult./484, 3 (§ 20): Das arabische tastawī setzt griech. εὐθύς anstelle des überlieferten ἐγγύς voraus. 7, 1/484, 5 (§ 21): Das arabische fa-ǧāmaʿahā zauǧuhā kaṯīran läßt vermuten, daß in der Vorlage des Übersetzers ἢν λαγνεύηται (ohne Negation) gestanden hat. 264 7, 2/484, 6 (§ 21): Statt al-wilādatu lies al-wilādu, aus Gründen der Kongruenz, in Übereinstimmung mit dem sonstigen Sprachgebrauch (s. Glossar p. 76) und mit dem Zitat ʿArīb Ǧanīn 49, 4. Wilādun auch bei Buqrāṭ Fuṣūl V 55/p. 49, 6 und fast immer bei Arisṭ. Kaun -ḥayaw., s. Glossar p. 285 f. Auch in Buqrāṭ Ahwiya hat die ältere Textfassung vornehmlich wilādun, das die jüngere Fassung durch wilādatun ersetzt, s. Gloss. 7, 4/484, 10 (§ 23): Die Handschrift fol. 96 b, ‒5 läßt nicht klar erkennen, ob bi-š-šiddati oder bi-l-mašaqqati zu lesen ist. 7, 5/484, 12 (§ 23): Statt yanbaġī lies wa-yanbaġī. 7, 6/484, 13 (§ 23): Lies māʾan wa-ʿasalan. 7, 11/484, 18 (§ 25): Der Text ist vermutlich mit ʿArīb Ǧanīn 28, 15 zu lesen: in tamma ḥamlu l-marʾati wa-aradta an taʿlamahū, in Übereinstimmung mit κυέουσαν γυναῖκα, ἢν μὴ ἄλλως γινώσκῃς. 7, 13/484, ‒4 (§ 25): Statt mutaġayyiran lies mutaġayyirun. ʿArīb Ǧanīn 28, 16 hat die Variante yataġayyaru. 7 ult. ff./484, ‒3 ff. (§ 26): Der mit dem Griechischen besser übereinstimmende Text bei ʿArīb Ǧanīn 44, 3 ff. lautet: wa-in ḥamalati l-marʾatu wa-kānat ʿaināhā ġāʾirataini wa-waǧhuhā wa-ǧasaduhā wa-qadamāhā muntafiḫatan wa-kānat kallaḏīna qad ġalaba ʿalaihimu l-balġamu l-abyaḍu wa-kānat uḏunāhā baidāwaini wa-ṭarafu anfihā abyaḍa wa-šafatāhā ḫaḍrāwaini fa-innahā immā an talida ǧanīnan mayyitan wa-immā marīḍan ṯumma yamūtu... 8, 3 f./486, 1 f. (§ 26): Das arabische fa-innahā immā an talida ǧanīnahā mayyitan wa-immā marīḍan mudnifan bestätigt Lienaus Text: αὗται ἢ τεθνηκότα τίκτουσιν ἢ ζῶντα πονηρά, gegen Littré. 8, 5/ 486, 3 (§ 26): Statt māʾīyan lies māʾīyun. 8, 7/486, 5 (§ 26): Statt ṭayyiban lies ṭayyibatan. 8, 8/486, 6 (§ 26): Lies (mit Rāzī Ḥāwī 9, 106, 17 f.): fa-innahū taḥmarru awwalan aṭrāfu unūfihinna wa-taḥsunu alwānuhunna.

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8, 9/486, 7 (§ 27): Der Text ʿArīb Ǧanīn 40, 19 lautet: ayyumā mraʾatini štahat akla ṭ-ṭīni awi l-faḥmi fa-akalathu. Das entspricht dem griechischen γῆν . . . ἢ ἄνθρακας besser, dagegen ist das ḥāmil der Handschrift die genaue Wiedergabe von κυισκομένη. 8, 10 f./486, 8 ff. (§ 27 f.): Der Paragraph 18 Littré = 27 Lienau endet arabisch mit den Worten laṣiqa ḏālika bi-raʾsi l-ǧanīni. Diesen schließt sich in der Handschrift fol. 97 a, ‒5 folgender Satz an: innamā yuʿrafu l-ǧanīnu fa-yrṣʿ blwn bi-hāḏihi l-ʿalāmāti llatī ana ḏākiruhā. Abgesehen von den beiden Wörtern in der Mitte, die ich nicht deuten kann, heißt dies: „Der Fetus kann durch diese Kennzeichen, die ich im folgenden erwähnen werde, erkannt werden“. Das ist sachlich eine passende Überleitung zu den folgenden Paragraphen. Der Satz könnte allenfalls auf die Worte σημεῖον ἀπὸ τοιούτων zurückgehen, die der Übersetzer dann aus dem Zusammenhang gerissen und mißverstanden haben müßte. Der § 19 Littré = 28 Lienau beginnt, dem Grie- 265 chischen genau entsprechend, im Arabischen mit den Worten yanbaġī an tanẓura . . . 8, 12/486, 10 (§ 28): Lies mit ʿArīb Ǧanīn 25,6: ilā ṯadyayi l-marʾati. 8, 13/486, 10 (§ 28): Sehr wahrscheinlich ist mit Rāzī Ḥāwī 9, 106 paen. zu lesen: aṯ-ṯadyu l-aʿẓamu. Der zweite Teil des § 19 ist in der arabischen Handschrift wegen Homoioteleuton [aṯ-ṯadyu l-aʿẓamu = μαζὸς μέζων] ausgefallen. 8, 14/486, 14 (§ 29): Statt bi-farzūǧatin lies in Übereinstimmung mit dem sonstigen Sprachgebrauch und mit ʿArīb Ǧanīn 19, 17 bi-farzaǧatin. Das wāw ist bloß Schreibfehler, eine Buchstabeninterpolation. 8, 15/486, 15 (§ 29): Lies mit der Handschrift und mit ʿArīb Ǧanīn 19, 18 wa-taṣrīru l-asnāni. Zum II. Stamm in der Bedeutung „Zähne knirschen“ vgl. Dozy Suppl. I 826 a. Ebenso heißt es Buqrāṭ Taqdima 82, 4/208, 9: taṣrīru l-asnāni (für ὀδόντας δὲ πρίειν). 8, 15/486,15 (§ 29): Das arabische fa-aṣābahā . . . sadarun „es befällt sie Schwindel“ setzt eine griechische Variante καὶ σκοτοδινέηται statt καὶ σκορδινέηται voraus. Tatsächlich hat Steril., das hier die Quelle für Superfet. ist, σκοτοδινῆται. Das sdd bei ʿArīb Ǧanīn 19, 18 ist in sadarun zu emendieren. 8, 15 f./486 paen. (§ 29): Lies mit ʿArīb Ǧanīn 19, 18: yuraǧǧā lahā l-ḥabalu. 9, 2‒4/486 ult.‒488, 3 (§ 30): Mit Hilfe des Zitates bei ʿArīb Ǧanīn 19, 6‒8 ist der Text folgendermaßen herzustellen: iḏā saminati l-marʾatu simanan mufriṭan [Var. musrifan ʿArīb] muǧāwizan li-l-ḥaddi wa-mtalaʾat balġaman [fa-innahā] lā talidu wa-lā taḥbalu [Var. taḥmilu] wa-iḏā kāna s-simanu ṭabīʿīyan ḥabilat ḥīnaʾiḏin in lam yaḥul bainahā wa-baina ḏālika šaiʾun wa-lam taʿriḍ lahā ʿillatun uḫrā. In der Handschrift fol. 97 b 3 ist anstelle von yaḥul ein freier Platz gelassen. 9, 5 f./488, 4 f. (§ 31): Die Parallele Rāzī Ḥāwī 9, 106 paen. f. lautet: al-ǧawārī llawātī lā yaṭmaṯna min ṣiġarihinna lā taǧḏibu arḥāmuhunna ǧaḏban qawīyan. 9, 8/488, 6 (§ 32): ʿArīb Ǧanīn 19, 9 f. hat die Var. fa-yanbaġī an yuqṭaʿa lahā l‑ʿurūqu. 9, 8/488, 7 (§ 32): Statt min yadihā wa-riǧlihā lies mit ʿArīb Ǧanīn 19, 10 und Rāzī Ḥāwī 9, 107, 1 f.: min yadaihā wa-riǧlaihā, in genauerer

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Übereinstimmung mit ἀπὸ τῶν χειρῶν καὶ τῶν σκελέων. 9, 10/488, 8 (§ 33): Statt fī aidīhā lies fī yadaihā. 9, 11/ 488, 10 (§ 33): Statt fa-wāfaqa baʿḍahum lies: wāfaqa baʿḍahunna. 9, 15/488, 16 (§ 34): Lies wa-taṭmaʾinnu (mit yāʾ als Träger des Hamza). 10, 1/488, 18 (§ 34): Das arabische wa-qad layyanati l-fatīlata bin‑nāri wa-lā tulayyin kaṯīran setzt, wie Mattock richtig vermutet hat, einen griechischen Text μαλθάξασα πρὸς πῦρ καὶ [bzw. ἀλλὰ] μὴ λίαν voraus. Man könnte versucht sein, den griechischen Text nach dem arabischen zu emen266 dieren, wenn nicht die Parallele, d. h. die Quelle, in Steril. § 219 ἢ πρὸς ἥλιον hätte. 10, 4/488, ‒3 (§ 34): Lies fa-lam tunaqqa baʿdu (Apokopat). 10, 6/488 ult. (§ 35): Der Passus fa-innahā lā tartafiʿu rāʾiḥatuhū ilā raʾsihā entspricht dem griechischen οὐδέποτε ὀζέσει. Die folgenden Worte οὔτε καθαιρομένη οὔτ’ ἄλλως• οὐδ’ ἢν κυεούσῃ προσθῇς, οὐδ’ οὕτως ὀζέσει haben im Arabischen keine Entsprechung. Sie sind entweder in der Handschrift, aus der der Araber übersetzt hat, wegen Homoioteleuton ausgefallen, oder der Araber selbst hat sie übersprungen. 10, 10/490, 4 (§ 37): Das arabische wa-l-yašrabi r-raǧulu šarāban ṣirfan läßt vermuten, daß der Übersetzer das griechische ὁ δὲ ἀνὴρ ἀθώρηκτος ohne α-privativum gelesen und dann im Sinne von θωρηχθείς interpretiert hat. 11, 1/490, 8 f. (§ 37): Die Emendation wa-nazalat ilā l-farǧi ist schon deshalb nicht möglich, weil al-manīyu masc. ist. Zu lesen ist: wa-taraṭṭaba l-farǧu in Übereinstimmung mit καὶ γένηται ὑγρή. 11, 2/490, 9 (§ 37): Lies fa-l-taʾti (Apokopat). 11, 3/490, 10 (§ 38): mirāran ist m. E. zu streichen, da es keinen Sinn ergibt und keine Entsprechung im Griechischen hat. 11, 5/490, 12 (§ 38): Die Worte fī waqtin wāḥidin fī šahraini sind als Dittographie zu Zeile 3 zu streichen. 11, 11/492, 1 (§ 39): Statt li-yakūna ist jedenfalls wa-l-yakun zu lesen, vgl. Zeile 13. 11, 12/492, 1 (§ 39): Lies: wa-mina l-ʿasali kaṯīrun. 11, 13/492, 2 (§ 39): Wenn die Stelle wirklich besagt: „und miß sie ab“, dann ist statt waakilhā zu lesen: wa-kilhā, s. WKAS I 504 b 11 ff. 12, 2/492, 8 (§ 40): Die Handschrift hat deutlich al-maḥrūṯa. Vgl. auch die Stellen: Maǧūsī Malakī II 129, 9 f.; b. Maimūn ʿUqqār nr. 223; b. ‑Baiṭār Ǧāmiʿ I 58, ‒3; 59, 2. 21 f. 12, 2/492, 8 (§ 40): Lies: wa-kulla mā yanfuḫu l-baṭna (kulla mā ist getrennt zu schreiben). 12, 4 f./492, 11 (§ 40): Lies: wa-tastacmil . . . mā yulayyinu. Eine Konstruktion ʿml X c. bi- r. ist nicht zu belegen. 12,6/492,12 (§ 40): Lies: wa-ṭamaṯat. 12, 7/492, 14 (§ 41): Der Text ist m. E. zu emendieren: min baʿdi mā talidu au tusqiṭu, in Übereinstimmung mit ἢ μετὰ τὸν τόκον ἢ ἐκ διαφθορῆς. Die Verschreibung ist durch das Schriftbild ‫ ﺗﻠﻘﺎوﺗﺴﻘﻂ‬, wie die Handschrift fol. 98 b 7 hat, zustandegekommen. 12, 8/492, 15f. (§ 41): Der handschriftliche Text fol. 98 b 8 ist so nicht in Ordnung. Ich halte die Athetierung des zweiten lam für richtig, würde dann aber folgendermaßen lesen: wa-lam takuni l-middatu fī mauḍiʿin taṣilu ilā l-ḫurūǧi „und wenn der Eiter sich nicht an einer Stelle befindet, von der er zum Austritt gelangen kann“. 12, 9/492, 16 (§ 41): Zu

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lesen ist: mīlan yusammā bi-l-qāṯāṭīri „eine Katheter genannte Sonde“. Vgl. die folgenden Belege für das Wort: Rāzī, Maq. fī l-Ḥaṣā fī l-kulā wa-l-maṯāna, ed. P. de Koning, Leiden 1896, p. 52, 2; Bar Bahlūl 843 paen.; 1049, 10; Maǧūsī Malakī I 380, 24; II 483, 13 ff.; Zahrāwī Taṣrīf XXX 276, 19; 278, 4 ff.; b. Sīnā Qānūn I 541, 16; 546, ‒7 ff.; b. Buṭlān Daʿwa 10, 8 f.; b.-Ḥaššāʾ Mufīd nr. 267 756 (cf. Dozy Suppl. I 130 b). 12, 10/492, 17 (§ 41): Statt wa-lam lies lam. 12, 10 f./492, 17 (§ 41): lam taḥtaǧ ilā l-kaiyi setzt griechisch voraus: ἧσσον γὰρ δέοι καύσιος. Das in allen griechischen Handschriften überlieferte δοκέοι konnte Lienau auf Grund des Arabischen in δέοι emendieren. Die Lesart καύσιος weisen das Arabische und die griechischen Handschriften gemeinsam auf. Die Lesart κλύσιος bei Littré und Lienau ist sinnvolle Konjektur. 12, 12/492, 18 (§ 42): An-nafal kann nicht richtig sein. Nafal ist eine Sammelbezeichnung, unter der verschiedene Leguminosen verstanden werden, wohl Medicago-Arten, vielleicht Lucerne. Vgl. b. -Baiṭār Ǧāmiʿ IV 182, ‒9 ff. und Schweinfurth passim. Das Wort kommt übrigens schon in der frühislamischen Poesie vor, s. Quṭāmī 1, 22; 15, 8. Nafal ist aber keinesfalls mit τιθυμαλλίς gleichzusetzen. Im hiesigen Kontext verbietet sich diese Identifizierung auch deshalb, weil das Äquivalent für τιθυμαλλίς = šubrumun später genannt wird. Statt fī n-nafali (die Handschrift läßt das Wort unpunktiert) ist zu lesen: fī lbaqli. Der Ausdruck stammt aus Dioskurides (II 60/p. 146, 5 ff.), wo κάμπαι ἐπὶ τῶν λαχάνων durch qāmbay al-mutawallidatu fī l-baqli wiedergegeben ist. Bei Arisṭ. Kaun -ḥayaw. 758 b 9. 29/ 121, 5. 23 sind die κάμπαι durch ad-dūdu llaḏī yatawalladu fī (sic l. statt mina) l-buqūli übersetzt, an der Stelle 759 a 2/122, 4 entspricht κάμπη einfach dūdu l-baqli. Auch bei ibn al-Baiṭār (Ǧāmiʿ II 119, ‒5) tragen diese Raupen den Namen dūdu l-baqli. Des weiteren ist statt allatī takūnu calā t-tanawwumi mit der Handschrift fol. 98 b 12 zu lesen: allatī takūnu ʿalā š-šubrumi, entsprechend . . . τὰς ἀπὸ τῆς τιθυμαλλίδος. Der Ausdruck šubrum kommt in der arabischen Dioskurides-Übersetzung nicht vor, aber b. -Baiṭār III 51, 12 ff. setzt šubrum mit πιτύουσα Diosk. IV 165 gleich, die zu den τιθυμαλλίς-Arten gerechnet wird. Zu šubrum vgl. noch die folgenden Stellen: Lis. 12, 318 a 2 f. = ʿAntara App. 19, 16; ʿĀmir al-Muḥāribī, in Muf. nr. 91, 2; b. Duraid Ištiqāq 329, 13, cf. Nih. II 202, 18, Wens. Conc. III 58, 60 ff.; Aġ. 19, 153, ‒5; Aṣm. Nabāt 27, 3; a. Zaid Nabāt 7, 2 ff.; ʿAlī b. Rabban Firdaus 416, 15 f.; b. Sīnā Qānūn I 259, 3 ff.; b. -ʿAwwām Filāḥa II 387, 14; Qazw. ʿAǧāʾib 287, ‒9 ff. 13, 1/492, ‒4 (§ 42): Das arabische ḥattā yanzila l‑ġiḏāʾu setzt einen griechischen Wortlaut ὅκως ἂν ἡ φορβὴ ἐκρυῇ voraus. 13, 2/492, ‒4 (§ 42): Statt allatī lies allaḏī. 13, 3/ 492, ‒ 3 (§ 42): Statt al-ǧuʿalāt ist al-ǧiʿlān zu lesen, so auch Zeile 4. 13, 4/492 paen. (§ 42): Statt qadru ubūlūsaini lies mit der Handschrift fol. 98 b, ‒5 zinatu ubūlūsaini. 13, 6/494, 1 (§ 42): wa-yakūnu ist zu streichen. 13,9 f./494, 4 f. (§ 43): Der arabische Text setzt

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268 einen griechischen Wortlaut καὶ ἄτεκνος ἐοῦσα καὶ μὴ κυήσασα voraus. 13, 10/ 494, 6 (§ 43): Die Konjektur munḍammun ist sicher richtig, vgl. die Parallelen: Buqrāṭ Fuṣūl V 51/p. 48, 11 f. inna fama r-raḥimi mina l-marʾati l-ḥāmili yakūnu munḍamman (für ὁκόσαι ἐν γαστρὶ ἔχουσι, τουτέων τὸ στόμα τῶν ὑστερέων ξυμμέμυκεν). Buqrāṭ Ahwiya 64, 2/85, 3 wa-ʿunuqu l-maṯānati ġairu munḍammin (für μηδὲ ὁ στόμαχος τῆς κύστιος ξυμπέφρακται λίην). 13, 10/494, 6 (§ 43): Statt bi-mustawī lies bi-mustawin. 14, 2/494, 10 (§ 43): Statt au qad yaḥsunu ṭ-ṭamṯu lies mit Rāzī Ḥāwī 9, 171, 15: au qad yuḥtabasu ṭ-ṭamṯu, in Übereinstimmung mit ταύτῃσι τὰ ἐπιμήνια οὐ φαίνεται. Im Anschluß daran ist in der arabischen Handschrift offenbar ein größeres Stück ausgefallen. 14, 4/494, 16 (§ 44): Lies: wa-iḏā kāna amlasa. 14, 9/496, 2 (§ 46): Statt qad nuqqiya ist vielleicht mit der Handschrift mutanaqqiyan zu lesen. 15, 1/496, 4 (§ 46): Der Wortlaut bi-māʾi ṭabīḫi š-šarbīni ist eine glückliche Konjektur, die dem griechischen κυπαρίσσου ῥινήματα in etwa entspricht. Šarbīn ist in der arabischen Literatur die Bezeichnung für eine nicht fest umrissene Gruppe von Nadelhölzern; es kann für Juniperus oxycedrus L. oder Cupressus horizontalis Gord. oder auch bestimmte Pinienarten stehen. Vgl. b. -Baiṭār Ǧāmiʿ III 60, 16 ff., Löw Flora III 26‒33, Meyerhof zu b. Maimūn ʿUqqār nr. 341. In der Dioskurides-Übersetzung (I 77/p. 80, 8 ff.) ist κέδρος mit šarbīn wiedergegeben, wohingegen κυπάρισσος mit sarw gleichgesetzt ist (I 74/p. 78, 11 ff.). Es muß aber festgehalten werden, daß in De superfet. die Handschrift fol. 99 a, ‒5 statt aš-šarbīn deutlich aš-šūnīz hat und daß derselbe Schreibfehler auch fol. 100 a ult. und b, ‒5 steht. 15, 5/496, 9 (§ 47): Die Handschrift scheint mir eher die Lesart fī dawāʾin yulayyinu zu stützen, vgl. auch šabyāran yulayyinu 21, 4. 15,6/496, 11 (§ 47): Statt wa-li-yakūn lies wa-l-yakun. 15, 7/496, 13 (§ 48): Lies laṭīfan, vgl. 16, 1. 15, 10 f./496, 16 f. (§ 49): Zu lesen ist: wa-l-yakun ṭaʿāmuhā ǧirāʾa l-kilābi l-baḥrīyati wa-ḏā l-arbaʿati wa-arbaʿīna r-riǧli l-baḥrīya. 15 ult./496, 17 (§ 49): Das arabische yuṭbaḫu bi-šarābin ḥulwin erlaubte Lienau, den Text ἐν οἴνῳ ἑφθὸν γλυκεῖ herzustellen. 16, 5/498, 2 (§ 51): Lies wa-in ṭamaṯat fa-šaiʾan qalīlan. 16, 11/498, 13 (§ 52): Der Text wa-daḫḫinhu (sc. fama r-raḥimi) aiḍan bi-duḫanin mulayyinatin bedarf keiner Emendation. Er entspricht sinngemäß dem griechischen ὰπὸ θυμιητῶν τε φαρμάκων καὶ μαλθακτηρίων. 17, 1/498, 16 (§ 53): Statt al-adwiyata l-mulayyinata lies al-adwiyata l‑layyinata. 17, 1/498, 16 (§ 53) lies: tuṯannī. 17, 2/498, 18 (§ 53): Statt wataldaġuhā lies wa-talḏaʿuhā (für καὶ δάκνει). In der Handschrift ist das Wort 269 unpunktiert; ladaġa ist das Stechen, Beißen einer Schlange oder eines Insektes, laḏaʿa dagegen das Stechen, Brennen, Beißen von Drogen, Feuer, körperlichen oder seelischen Schmerzen, vgl. Ǧālīnūs Ṭīmāwus 20, 7; Ǧālīnūs Yaraqān, Ms. Berlin 6232, fol. 24 a; Rūfus Yaraqān, ib. fol. 31 a; Diyūsq. Ḥaš. 24, 16; 92, 16; 151, 16; 193, 1; 234,5; Ḥunain ʿAin 167, 12; Qusṭā b. Lūqā, K. Iḫtilāf an-nās,

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ed. Paul Sbath, ΒΙΕ 23, 1941, 126, 13; Rāzī Ḥāwī 11, 7, 4; ʿIqd III 397, 20 / (Amīn) VI 327, 17; ʿAlī b. ʿĪsā Taḏkira 213, 7; 373, 5; ʿAbd -Laṭīf Ifāda 13 a 5; b. -Aḥnaf nr. 350, 2; 477, 3. 17, 3/498, 18 (§ 53): Zu lesen ist zweifellos: wahayyiʾhā. 17, 4/498, 19 (§ 53): Zu lesen ist: wa-ḏālika an tuǧaffifahā watuḥassinahā fa-iḏā ǧaffat wa-ḥasunat qabilati l-manīya qubūlan ǧayyidan. ḫašunat hat im Griechischen keine Parallele, dagegen entspricht ḥasunat dem griech. καλῶς ἔχοντα. Vgl. auch hier 10, 9/490, 3 (§ 37): fa-iḏā nuqqiyat wa-ḥasunat ḥāluhā für ὅταν δὲ δοκέῃ καλῶς ἔχειν. 17, 5/498, ‒4 (§ 54): aš-šaḥm ist als offensichtliche Dittographie zu streichen. Der Ausdruck li-kaṯrati šaḥmi raḥimihā setzt eine griechische Lesart ὑπὸ πιμελῆς τῆς μήτρης voraus. 17, 7/498 ult. (§ 55): Der Satz fa-yakūna l-ʿilāǧu fī zamāni r-rabīʿi ist im Arabischen noch zum vorhergehenden Paragraphen zu ziehen, wie das Wort al-ʿilāǧu, das mit dem Ausdruck an tuʿālaǧa korrespondiert, beweist. Der arabische Text setzt griechisch ὥρη δ’ ἐαρινὴ ἀρίστη (mit Ausfall von κυήσιος) oder ὥρη δ’ ἐαρινὴ ἀρίστη θεραπείης voraus. 18, 1/500, 3 (§ 55): Lies mit Rāzī Ḥāwī 9, 107, 11: alaġḏiyatu s-sarīʿatu n-naḍǧi. Vgl. auch Buqrāṭ Ahwiya 67, 2. 18, 1/500, 3 (§ 55): Der Ausdruck al-aġḏiyatu l-ǧayyidatu l-amšāǧi ist nicht mit „well-mixed foods“ zu übersetzen, sondern mit „Nahrungsmittel, die die Säftemischung des Körpers günstig beeinflussen“ bzw. „die eine gute Säftemischung erzeugen“. In den „Simplicia“ des Galen XI 885, 10 Kühn/ b. -Baiṭār Ǧāmiʿ I 134, ‒6 heißt es z. B. θέρμος: ġiḏāʾuhū yuwallidu ḫilṭan ġalīẓan. Zum Ausdruck amšāǧ vgl. Ps. Ǧālīnūs Aṣābīʿ 144 paen.; b. -Ḫaṭīb Muqniʿa 5, ‒4 (dazu Dozy Suppl. II 594 a). Statt al-ǧayyidatu l-amšāǧi hat ar-Rāzī al-ǧayyidatu l-ḫalṭi. 18, 3/500, 6 (§ 56): Statt yaʾtīhā lies yaʾtihā (Apokopat). 18, 7 f./500, 13 (§ 57): Statt awi l-kunduri lies au bi-l-kunduri in Parallele zu den anderen Präpositionen. 18, 12/500, 19 (§ 58): Die Konjektur bi-zirnīḫin scheint mir trotz des ziemlich stark abweichenden Schriftzuges der Handschrift richtig zu sein. Denn unter dem Namen σανδαράκη ist bei den antiken Autoren (Aristoteles, Dioskurides, Plinius usw.) das natürliche rote Schwefelarsen, Realgar (AsS) beschrieben. Erst später ist der Name auf das Koniferenharz (arab. sandarūs) übertragen worden, s. Alexander Tschirch: Handbuch der Pharmakognosie. Bd. I. Leipzig 1909. S. 1070 und Karsten-Weber-Stahl: Lehrbuch der Pharmakognosie. 9. Auflage. 270 Stuttgart 1962. S. 595 f. 19, 4/502, 2 (§ 59): Das arabische ʿuṣārata farāsiyūn setzt griechisch πρασίου χυλόν „Saft von Andorn“ (Marrubium vulgare L.) voraus, s. die Var. 1 im Apparat der Edition Littré. Πράσον dagegen ist 24,2/506,19 (§ 77) mit kurrāṯ übersetzt. Die gleiche Unterscheidung findet sich in der Dioskurides-Übersetzung, wo πράσιον mit barāsiyun (III 105/p. 287, 17 ff.) und πράσον mit kurrāṯ (II 149/p. 208, 3 ff.) wiedergegeben ist. Farāsiyūn (für πράσιον) auch bei Ps. Diyūsq. Sumūm 22, 10/b. -Baiṭār II 44, 12, Ǧālīnūs Mufr. XII 71, 10/b. -Baiṭār I 112, 6 und Ǧālīnūs Yaraqān fol. 25 b. Vgl. dagegen

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Baulus VII 3 (p. 254, 16)/b. -Baiṭār IV 62, 13, wo bizr al-kurrāṯ das Äquivalent für τὸ σπέρμα τοῦ πράσου ist. Mattocks Glossar p. 60 und 102 ist demgemäß zu berichtigen. 19, 5/502, 3 (§ 59): Der arabische Text ist hier offensichtlich in Unordnung geraten. Die einzelnen Drogen sind hier in anderer Reihenfolge angeführt. Zwischen kammūnan und au ist in der Handschrift eine größere Lücke gelassen, die den Ausfall von etwa zwei Wörtern kenntlich macht. In dieser Lücke dürfte die arabische Entsprechung von καὶ ἔλαιον χλιερόν gestanden haben. Andererseits sind die Worte au rātīnaǧ zu streichen. Der arabische Text dürfte also folgendermaßen zu rekonstruieren sein: wa-tašrab aiḍan kammūnan wa-zaitan fātiran au min rātīnaǧ ilḫ. Vgl. die parallele Stelle 24, 10/508, 3 (§ 80): ὕδατι χλιερῷ = māʾan fātiran, und vgl. ferner Diyūsq. Ḥaš. II 82/p. 171, 14 und Rūfus Yaraqān fol. 29 a. 19, 7/502, 6 (§ 60): Lies hier und im folgenden ǧuzʾan. 19, 9/502, 8 f. (§ 60): Statt qad ṣabaġahā lies qad ṣabaġathā, in Übereinstimmung mit βάψασα δὲ τὸ ῥάκος κτλ. 19, 10 ff./502, 11 ff. (§ 61): Lies: wa-šarāban abyaḍa . . . wa-murran wa-kunduran . . . ǧuzʾan usw. 20, 3/ 502, 15 (§ 62): Zu lesen ist wahrscheinlich: [ṯumma] taduqquhā. 20, 5/502, 17 (§ 62/63): Infolge Haplographie des Wortes οἶνος ist hier der Satz τὸ βόλβιον . . . ἐν οἴνῳ λευκῷ ausgefallen. Es ist aber schwerlich zu ermitteln, ob diese Haplographie im griechischen oder arabischen Text vorgekommen ist. 20, 7/ 502, 21 (§ 64): Statt wa-ʿǧinhā ist wa-ʿǧinhumā zu lesen, cf. Zeile 9. 20, 9/502, ‒3 (§ 65): Lies qiṯṯāʾ al-ḥimār (Druckfehler). 20, 9/502, ‒3 (§ 65) und im folgenden lies: ǧuzʾan. 21, 2/504, 3 (§ 66): Da κυκλάμινος an sechs anderen Stellen dieser Schrift (s. Glossar) richtig mit baḫūr Maryam wiedergegeben ist, ist zweifellos auch an dieser Stelle zu lesen: bi-ʿuṣārati baḫūri Maryama. Das handschriftliche bi-ʿuṣārati arṭamīsiyā ist Überlieferungsfehler, nicht Übersetzungsfehler, wie Mattock im Glossar p. 27 vermerkt. Zur Identifikation von κυκλάμινος mit baḫūr Maryam vgl. noch b. Maimūn ʿUqqār nr. 55 und b. 271 ‑Baiṭār I 84, 4 ff., der Diosk. II 164/p. 217, ‒5 ff. zitiert. 21, 4/504, 5 (§ 67): Zu lesen ist: yulayyinu wa-yunaqqī. 21, 4 f./504, 5 f. (§ 67): Lies: wa-naṭrūnan wabaḫūra Maryama wa-kammūnan. 21, 7/504, 7 (§ 67): Statt wa-ʿǧinhā lies waʿǧinhumā, vgl. Zeile 10. 21, 8 f./504, 9 (§ 68): Der arabische Text in kaṯurati l‑mirratu ṣ-ṣafrāʾu fī r-raḥimi „wenn [zu] viel gelbe Galle im Uterus ist“ stimmt mit dem Wortlaut der Handschrift Vb ὅταν χολῶσιν αἱ μῆτραι überein. Lienau hat sich für diese Lesart entschieden und die Lesart χαλῶσιν der Handschriften Va und M abgelehnt, die in Littrés Text steht. 21, 10/504, 10 (§ 68): Lies: wa-min baḫūri Maryama ǧuzʾan. Entsprechend ist Zeile 12/11 in ǧuzʾan zu berichtigen. 21 ult./504, 12 (§ 69): Die griechische Überlieferung hat übereinstimmend φλοιοπλάσας, was Lienau in φλοιῷ πλάσας emendiert. Das arabische wa-ʿǧinhumā bi-šarābin setzt jedoch οἴνῳ πλάσας voraus. 21 ult./504, 13 (§ 69/ 70): Zwischen wa-ṣnaʿ šabyāran und min baḫūri Maryama ist eine Lücke,

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in der der Anfang des neuen Rezeptes gestanden haben muß. Nach dem Zusammenhang ist der Text etwa folgendermaßen zu ergänzen: wa-ṣnaʿ šabyāran min baḫūri Maryama ilḫ. Die Ergänzung fa-ḫuḏ wird allein schon durch den Akkusativ in 22,1/504,15 (min kulli wāḥidin ǧuzʾan) gefordert. 22, 5/504, 17 (§ 71): Statt ḫalīqatin ist mit der Handschrift fol. 101 b 3 zu lesen: ḫalīʿatin. Die Passage bedeutet also: „oder mit einem abgelegten sauberen Leinenlappen“. Zu ḫalaʿa in der Bedeutung „(ein Kleidungsstück) ablegen, ausziehen“ vgl. folgende Stellen: Ḥam. 817 v. 3/IV 365, 3/Marzq. nr. 870, 1 = Nöld. Del. 63, 16; b. -Ṭiqṭaqā Faḫrī 342, 1. 22,5/504, 18 (§ 71) und im folgenden lies: ǧuzʾan. 22, 6/504, 19 (§ 71): Es ist zweifellos wa-mina z-zirnīḫi zu lesen. Der Schriftzug des Manuskriptes fol. 101 b 4 läßt deutlich die Verschreibung erkennen. Vgl. auch 18, 12. 22, 7/504, 19 (§ 71): Lies wa-duqqahā. 22, 8/504, ‒4 (§ 72): Der arab. Text ist hier ganz verderbt. Hinter wa-in ʿaraḍa sind offenbar einige Worte ausgefallen, etwa: wa-in ʿaraḍa li-l-ʿaḏrāʾi ḥtibāsu ṭ-ṭamṯi oder ähnlich. Das folgende Wort ist auf jeden Fall mirra zu lesen, entsprechend χολᾷ „sie leidet an zu viel Galle“. Die englische Übersetzung „if the woman suffers pain“ geht offenbar von einer Lesung li-l-marʾati aus. 22, 11/506, 1 (§ 72): Entsprechend dem griech. Text ὅταν δ’ ἀπολίπωσι (sc. αἱ μῆτραι), πεινῇ καὶ διψῇ ist nach wa-ḫtilāṭu l-ʿaqli etwa folgendes zu ergänzen: wa-in raǧaʿat ilā mauḍiʿihā ʿaraḍa lahā ǧūʿun. 22, 11/506, 2 (§ 72): Statt īfiyālus hat die Handschrift, allerdings unpunktiert, ībiyālus. 23, 1/506, 6 (§ 73): Statt ǧarratan lies mit der Handschrift fol. 101 b 10 ǧamratan. Das entspricht auch dem griechischen καὶ ἐπὶ τὸ πῦρ ἐπιβάλλων. 23,9/506,12 (§ 75): Statt istarḫā raḥimuhā lies 272 istarḫat raḥimuhā (vgl. die vorausgehende Zeile). 23, 9/506,13 (§ 75): Statt bil‑aġḏāʾi ist zu lesen bi-l-aġḏiyati. In der Handschrift steht nicht das Alif almamdūda, sondern ein yāʾ [ ‫] اىﻻﻋﺪى‬, und dieses kann leicht aus der Endung ‑īyatun verschrieben sein. Und das ist hier der Fall. Beweis dafür sind die Stellen 8, 7 ; 17, 9. 11 und 18, 1, in denen übereinstimmend der Plural aġḏiyatun steht. 23, 12/506, 14 (§ 76): Statt wa-sḥaqhumā lies wa-sḥaqhā. 23, 13/506, 15 (§ 76): ḥanẓal kommt in diesem Traktat dreimal vor: 12, 1/492, 7 (§ 39) ist es die Wiedergabe von κολοκυνθίς, 21, 10/504, 9 (§ 68) ist es die Wiedergabe von σικύη. Wenn hier min qušūri l-ḥanẓali steht, so hat der Übersetzer in seinem griechischen Text offenbar σικύης ὄστρακον (statt σηπίης ὄστρακον) vor sich gehabt und aus dieser sinnlosen Wortverbindung das beste zu machen versucht. Ein Mißverständnis scheint ausgeschlossen, da er an anderer Stelle (25, 3/508, 8/§ 81) ὄστρακον σηπίης annähernd richtig mit ḫazafu sulaḥfātin übersetzt hat. 23, 13/506, 16 (§ 76): In Kongruenz mit qušūr ist wa-sḥaqhā zu lesen. 24, 2/506, 18 (§ 77): Lies šaʿīran abyaḍa. 24, 3/506, ‒5 (§ 77): Orthographisch ist an yataharraʾa mit Alif als Träger des Hamza. 24, 3/506, ‒5 f.

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(§ 77): Wenn der Wortlaut ṯumma tašraba minhu šarāban kaṯīran richtig ist, so setzt das einen griechischen Text ῥοφείτω τοῦτο ὡς πλεῖστον voraus. 24, 4 f./ 506, ‒3 (§ 78): Die Akkusative sind herzustellen: an taʾḫuḏa naṭrūnan wakammūnan wa-tīnan aswada ilḫ. 24, 6/506 ult. (§ 78): In Übereinstimmung mit dem sonstigen Sprachgebrauch ist statt wa-taḥtamilahū wohl auch hier zu lesen: wa-murhā an taḥtamilahū. 24, 11/508, 5 (§ 80): Lies ǧuzʾan. 25, 1/508, 6 (§ 80): Die Emendation ist fehl am Platz. Zu lesen ist mit der Handschrift: waraqu d-dafnīdi. Bei Arṭāmīd. Ruʾyā II 25/p. 258, 15 steht für δάφνη ebenfalls der Ausdruck šaǧaru d-dafnīdi, vgl. M. Ullmann: Die Welt des Islams. N.S. 13 (1971), 210. Diese Form geht auf syrisch dap̄nīḏīn zurück, das seinerseits aus δαφνίδιον umschrieben ist, s. Löw Aram. Pflanzennamen nr. 241, Brock. Lex. Syr. 162 b. 25, 3/508, 8 (§ 81): Lies fa-duqqahumā. 25, 7/508, 9 (§ 82): Lies: šarāban. Offen sind bis heute die Fragen, wer der arabische Übersetzer von De superfet. war und ob diese Schrift direkt aus dem Griechischen oder mittelbar aus dem Syrischen übersetzt worden ist. Mattock (Einleitung p. II) nimmt eine griechisch-arabische Übertragung an. Da der Text, soviel ich sehe, frei von Syriazismen ist, mag dies richtig sein. In der genauen Umschrift der griechischen Pflanzennamen ist zudem wohl ein Indiz für eine unmittelbare 273 griechische Vorlage zu sehen. Aber ein Übersetzer ist weder in der Handschrift, noch in der Nebenüberlieferung, noch bei den Bibliographen genannt. Ihn zu ermitteln würde die onomasiologische Untersuchung vieler medizinischer Texte vielleicht gestatten. Das würde aber eine eigene Arbeit erfordern, die nach Lage der Dinge heute noch kaum geleistet werden kann. Die Beschreibung der sprachlichen Eigentümlichkeiten des Textes, wie sie der Herausgeber p. III zu geben versucht hat, hat zu keinem Ergebnis geführt. Denn es ist oben gezeigt worden, daß zwischen der Sprache der Handschrift und der Sprache des Übersetzers unterschieden werden muß, weil der handschriftliche Text durch die Überlieferung verderbt worden ist. Fast alle Erscheinungen, die Mattock nennt, sind Überlieferungsschäden. Das gilt für den unterschiedslosen Gebrauch der Kasus, der Genera, der Numeri und der Modi ebenso wie für die einzelnen Wörter. Schreibfehler sind ṯady für ṯadyai und farzūǧa für farzaǧa; aġḏāʾ ist vom Herausgeber aus dem Schriftbild falsch abstrahiert. Es bleibt nur der Plural amyāhun „Wasser“ (zu māʾun), aber diese Form ist im Mittelarabischen ganz geläufig. Neben amyāh kommt amyāʾ vor. Beide Formen sind weder phonetisch noch paläographisch klar zu trennen, und so hat bisweilen die eine Handschrift eines Werkes amyāh, die andere amyāʾ. Man vgl. Muqd. Taqāsīm 151, 18; b. -Faqīh Buldān 235, 15; Dimašqī Nuḫba 200, 14; 211, 14; b. -ʿAwwām Filāḥa I 137, 3; Vocabulista 249, 4; Nöld. NBsS 168; Blau Chr. Arab. p. 228 § 116.

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Nur eine relative Bestimmung ist möglich: Der Übersetzer hat allem Anschein nach die arabische Version der Materia medica des Dioskurides gekannt, die Iṣṭifān ibn Basīl angefertigt hat20. Dies ist aus folgenden Übereinstimmungen zu schließen : πευκέδανον θαψίη ἐλατήριον λωτός ἄννησον ἠπίαλος πυρετός κάμπας σταφὶς ἀγρίη κύμινον αἰθιοπικόν

Hipp. 18, 10: dawāʾun yudʿā būqādanūn 19, 1 f.: dawāʾun yudʿā ṯāfsiyā 3, 2 f.: bi-dawāʾin yudʿā alāṭīriyūn21 18, 7: šaǧaratun tudʿā lūṭūs 13, 5: anīsūn 22, 11: ḥummā tudʿā ībiyālus 12, 11: dawābbu takūnu fī l‑baqli yuqālu lahā qanbas 21 paen. : zabīb al-ǧabal 15, 9: kammūnun karmānīyun

Diosk. 274, ‒9: fūqādānun 559, 9: ṯābsiyā 356, 18: alāṭīriyūn 114, 12: lūṭūs 22 266, 7: anīsūn 335, ‒5: al-ḥummā llatī yuqālu lahā ībiyālus 146, 5: qāmbay almutawallidatu fī l-baqli 358, 1: az-zabīb al-ǧabalī 267, 2: al-kammūnu l‑karmānīyu

Die drei letzten Beispiele sind beweiskräftig: Daß der Übersetzer von De superfet. den bloßen Ausdruck κάμπας (Akk.) durch „Tiere, die auf den [Küchen-]Kräutern vorkommen und die man qanbas nennt“ wiedergibt, ist nur zu verstehen, weil der erweiterte Ausdruck κάμπαι ἐπὶ τῶν λαχάνων bei Dioskurides durch „qāmbay, die auf den [Küchen-] Kräutern entstehen“ übersetzt ist. Während in der binären Pflanzennomenklatur das Äquivalent für ἄγριος sonst immer barrī ist23, ist die σταφὶς ἀγρία in beiden Texten mit az_______________ 20 Vgl. zu dieser Version Manfred Ullmann, Untersuchungen zur arabischen Überlieferung der Materia medica des Dioskurides, Wiesbaden 2009, S. 21‒58. 21 An anderer Stelle, Buqrāṭ Ḥabal 20, 9/502, ‒3 (§ 65), ist ἐλατήριον aber richtig durch ʿuṣārat qiṯṯāʾ al-ḥimār „der Saft der Springgurke“, Ecballium elaterium Rich., wiedergegeben. 22 Diosk. IV 100 λωτὸς ὁ ἐν τοῖς παραδείσοις φυόμενος ist arab. 350, 7 mit lūṭūs wa-huwa l-ḥandaqūqā identifiziert, aber IV 113/351, 1 ist λωτὸς ὁ ἐν Αἰγύπτῳ γεννώμενος wiederum nur mit lūṭūs allaḏī yakūnu bi-Miṣra wiedergegeben. 23 S. Manfred Ullmann: Die Natur- und Geheimwissenschaften im Islam (Handbuch der Orientalistik, Ergänzungsband VI, zweiter Abschnitt). Leiden/Köln 1972, S. 90.

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zabīb al-ǧabalī wiedergegeben. Und daß für κύμινον αἰθιοπικόν im Arabischen „Kümmel aus Kermān“ (vgl. WKAS I 365 b 20 ff.) steht, ist nicht einfach eine Fehlübersetzung, wie Mattock p. 66 meint, sondern es erklärt sich dadurch, daß der Übersetzer von De superfet. den arabischen Dioskuridestext benutzt hat. 275 Durch dieses Abhängigkeitsverhältnis läßt sich das Datum der Übersetzung von De superfet. noch nicht genau bestimmen. Aber das eine läßt sich doch sagen: Da der Übersetzer von De superfet. die Dioskurides-Übersetzung benutzt hat, kann er nicht vor Ḥunain gelebt haben, wie Mattock p. II und Sezgin, GAS III 42 vermuten24. Summary De superfetatione, one of the minor treatises of the Corpus Hippocraticum, was translated into Arabic during the 9th century A. D., along with numerous other Greek medical texts. This translation, badly preserved in only one manuscript, was published in Cambridge in 1968. The present paper discusses the secondary transmission of this treatise. It has thus become possible to suggest numerous emendations to the Arabic text and to date the translation more precisely as a work done after the completion of the Arabic version of the Materia medica by Dioscurides.

Nachträge Dieter Irmer, Zur arabischen Überlieferung von De superfetatione, in: Sudhoffs Archiv 63, 1979, 1‒24; Gotthard Strohmaier, Der arabische Hippokrates. Bemerkungen zu einem Aufsatz von Dieter Irmer, ib. 64, 1980, 234‒ 249. Zu S. 5 Anm. 9: In der arabischen Übersetzung der Historia animalium (ed. Badawī, al-Kuwait 1977, p. 473, 3 f.) lautet der Text: fa-ammā n-nisāʾu farubba-mā ʿaliqna baʿda l-ḥamli l-awwali.

_______________ 24 Das Manuskript dieses Aufsatzes ist 1972 abgeschlossen worden. Inzwischen ist die neue Ausgabe des griechischen Textes im Druck erschienen: Hippokrates, Über Nachempfängnis, Geburtshilfe und Schwangerschaftsleiden. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Cay Lienau (Corpus Medicorum Graecorum I 2,2), Berlin 1973.

Zwei spätantike Kommentare zu der hippokratischen Schrift „De morbis muliebribus“ Das Werk Περὶ γυναικείων (sc. νούσων) ist die umfangreichste der frauenheilkundlichen Schriften des Corpus hippocraticum. Seine zwei etwa gleich großen Teile bildeten ursprünglich keine Einheit, aber das Problem liegt nicht in der Buchgrenze, sondern in der Schichtung der disparaten Materialien, aus denen das Gesamtwerk kompiliert wurde1. In weitem Ausgriff ist im ersten Buch über die Dysmenorrhöe gehandelt (Kap. 1‒9), sodann werden die Ursachen, die eine Empfängnis verhindern (Kap. 10‒24), Fragen der Schwangerschaft (Kap. 25‒34), Ursachen der Retention des Wochenflusses und der Nachgeburt (Kap. 35‒48), Krankheiten der Gebärmutter (Kap. 49‒67), Fragen der pathologischen Geburt (Kap. 68‒70), die sogenannte Molenschwangerschaft2 [ἡ τῆς μύλης κύησις] (Kap. 71) und die Bildung der Milch (Kap. 73) diskutiert. Es folgt ein umfangreicher Teil über Medikamente (Kap. 74‒91), die für die erwähnten Leiden taugen. Die Schlußkapitel 92‒109 – sicher unecht – enthalten ein Sammelsurium von Vorschriften, die mit dem Thema der Frauenleiden nichts gemein haben. Das zweite Buch handelt über viele verschiedene Ausflüsse aus der Gebärmutter (Kap. 1‒13 = 110‒122 Littré3), über die Wanderungen der Gebärmutter im Körper und ihre gewöhnlichen Lageveränderungen einschließlich des Prolapses (Kap. 14‒45 = 123‒ 154 Littré) sowie über andere Krankheiten dieses Organs (Kap. 46‒75 = 155‒ 184 Littré). Den Beschluß (Kap. 76‒103 = 185‒212 Littré) bilden wieder die verschiedensten Heilmittel. _______________ 1

2 3

Vgl. Helga Trapp, Die hippokratische Schrift De natura muliebri. Ausgabe und textkritischer Kommentar, Diss. Hamburg 1967, p. 24‒59; Hermann Grensemann, Knidische Medizin, Teil I: Die Testimonien zur ältesten knidischen Lehre und Analysen knidischer Schriften im Corpus Hippocraticum (Ars medica, II. Abteilung, Band 4,1), Berlin-New York 1975, p. 78‒82. Paul Diepgen, Die Frauenheilkunde der Alten Welt (Handbuch der Gynäkologie, 3. Auflage, hrsg. von W. Stoeckel, Zwölfter Band, Erster Teil: Geschichte der Frauenheilkunde I), München 1937, p. 227 f. (im folgenden: „Diepgen Frauenheilkunde“). Littré hatte die Schriften De muliebribus I und II und De sterilibus als ein zusammenhängendes Werk betrachtet und die Kapitel demgemäß von 1‒249 durchgezählt.

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In seiner Geschichte des arabischen Schrifttums 4 hat Fuat Sezgin nun behauptet, daß es eine arabische Übersetzung der Schrift De morbis muliebribus gegeben habe. Dazu ist zunächst festzustellen, daß weder eine Handschrift noch ein Fragment erhalten ist und daß bisher in der arabischen Literatur kein einziges Zitat nachgewiesen werden konnte. Auch in den Bibliographien findet sich kein selbständiges Testimonium: Weder Ḥunain, noch ibn an-Nadīm (Fihrist 246 288, 7‒22), noch Barhebraeus (Muḫtaṣar Taʾrīḫ ad-duwal 85, 9‒13) gedenken der Schrift. Allein im Rahmen von Pinakes wird auch des Kitāb Auǧāʿ an-nisāʾ (so der arabische Titel) Erwähnung getan. Als frühester gibt der Historiker al-Yaʿqūbī in seinem um 872 verfaßten Geschichtswerk einen Pinax von zehn hippokratischen Schriften, die unter vielen anderen berühmt seien, und als neunten Titel nennt er das Kitāb Auǧāʿ an-nisāʾ 5. Im 11. Jahrhundert vermittelt uns der ägyptische Arzt ʿAlī ibn Riḍwān6 zwei Pinakes. Den einen, den er seiner Abhandlung fī t-Taṭarruq bi-ṭṭibb ilā s-saʿāda eingefügt hat, hat er seinem Zeitgenossen abū l-Faraǧ Yaḥyā ibn Saʿīd zu verdanken, der ihn aus dem Griechischen übersetzt hat. Es ist eine Liste von 55 Titeln, in der als nr. 50 das Kitāb ʿIlal an-nisāʾ aufgeführt ist7. Der zweite Pinax findet sich inmitten einer Sammlung von Kommentaren und Anmerkungen, die ibn Riḍwān zu verschiedenen hippokratischen Schriften gemacht hat und die in der Handschrift Cambridge Dd 12.1 erhalten ist8. Auf fol. 50 b heißt es dort: Tasmiyat kutub Abuqrāṭ wa-tartīb qirāʾatihā ʿalā raʾy Ǧālīnūs; wa-ḫtiyāruhū minhā ṯnā ʿašara kitāban „Titel und Reihenfolge der Lektüre der Bücher des Hippokrates nach der Empfehlung des Galen; seine Auswahl aus ihnen beträgt zwölf Bücher“. Dort ist das Kitāb Auǧāʿ an-nisāʾ als siebtes nach dem Kitāb al-Amrāḍ al-ḥādda = Περὶ διαίτης ὀξέων (nr. 6) und vor dem Kitāb al-Amrāḍ al-wāfida = Ἐπιδημίαι (nr. 8) aufgeführt. Diesen Zwölferkanon überliefert auch ibn abī Uṣaibiʿa (Bd. I 31, 11‒32, 23). Er zählt die Bücher in derselben Reihenfolge auf, fügt aber jedem Titel eine kurze Inhaltsangabe hinzu. Sie lautet hier beim K. Auǧāʿ an-nisāʾ: „Das Buch über die Leiden der Frauen, [bestehend aus] zwei Abhandlungen (maqālatān). Sein Inhalt ist zunächst die Bestimmung der Krankheiten, die eine Frau aus _______________ 4 5 6 7 8

Band III, Leiden 1970, p. 41 f. (im folgenden: „GAS“). Ibn Wādhih qui dicitur al-Jaʿqubī, Historiae, Pars prior, ed. M. Th. Houtsma, Lugduni Batavorum 1883, p. 107, 6. Joseph Schacht, Art. Ibn Riḍwān, in: The Encyclopedia of Islam, New Edition, Vol. III 906 f. Franz Rosenthal, An Eleventh-Century List of the Works of Hippocrates, in : Journal of the History of Medicine and Allied Sciences 28, 1973, 156‒165. Ich bin dem Keeper of Oriental Manuscripts an der Universitätsbibliothek Cambridge für die Anfertigung eines Mikrofilms der Handschrift zu Dank verpflichtet.

Zwei Kommentare zu Hippokrates’ „De morbis muliebribus“

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Gründen der Retention der Menses (iḥtibās aṭ-ṭamṯ) und der Menorrhagie (nazīf aṭ-ṭamṯ) treffen, darauf die Erwähnung der häufig vorkommenden Krankheiten, die während und nach der Schwangerschaft auftreten“9. Dieser Zwölferkanon gilt als spät, da er bisher nur aus dem Werk des ibn abī Uṣaibiʿa 247 bekannt war, der 1270 gestorben ist10. Man hatte aber nicht beachtet, daß sich bei ibn abī Uṣaibiʿa gelegentlich Galen in der ersten Person zu Wort meldet, indem er zu der Echtheitsfrage bestimmter Bücher Stellung nimmt. So heißt es z. B. bei den Epidemien (nr. 8): „. . . und Galen sagt: ,Ich und andere Erklärer (innī wa-ġairī mina l-mufassirīn) wissen, daß die Bücher 4, 5 und 7 dieses Werkes gefälscht sind und nicht zu den Äußerungen des Hippokrates gehören‘ usw.“11. Nachdem wir nun gesehen haben, daß ibn Riḍwān den Zwölferkanon Galen zuschreibt und daß die Inhaltsangaben der Bücher bei ibn abī Uṣaibiʿa zum Teil die wörtlichen Äußerungen Galens wiedergeben, kann kaum mehr ein Zweifel bestehen, daß wir es hier mit Exzerpten oder Adaptationen der galenischen Schrift Περὶ τῶν γνησίων καὶ νόθων Ἱπποκράτους συγγραμμάτων zu tun haben, die Isḥāq ibn Ḥunain ins Arabische übersetzt hat12. Ihr griechisches Original ist verloren, aber das wenige, was aus Galens Werk selbst für diese Schrift zu erschließen ist, hatte schon gelehrt, daß Galen die hippokratischen Schriften Stück für Stück kurz beschrieben hatte13, in ebendieser Weise, wie es bei ibn abī Uṣaibiʿa zu lesen ist. Dieser Nachweis ist entscheidend: Ibn abī Uṣaibiʿa hat den Pinax der zwölf Hippocratica mitsamt den Inhaltsangaben in Galens Schrift vorgefunden und _______________ 9

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b. a. Uṣ. I 31 ult.‒32, 2. Martin Klamroth, Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 40, 1886, 194 hatte versucht, diese Angaben mit dem Inhalt der Schrift De muliebribus zur Deckung zu bringen. Er vermutete, daß die erste Maqāla, von der hier die Rede ist, mit den Kapiteln 1‒24, die zweite Maqāla mit den Kapiteln 25‒73 des ersten Buches zu identifizieren sei. Ich glaube nicht, daß er damit recht hat, denn die „zwei Maqālāt“ deuten ganz offensichtlich auf die zwei Bücher des griechischen Textes. Auch besagt die Tatsache, daß die Heilmittel mit Schweigen übergangen sind, nicht, daß eine um das letzte Drittel (= Kap. 74‒109) verkürzte Textfassung des ersten Buches gemeint ist, wie Klamroth (ibidem) schreibt. Eine derart summarische Inhaltsangabe kann m. E. so nicht strapaziert werden. Οwsei Temkin, Geschichte des Hippokratismus im ausgehenden Altertum, in: Kyklos 4, 1932, 75 f. (im folgenden: „Temkin Hippokratismus“). b. a. Uṣ. I 32, 6 f. Vgl. Galen, De difficultate respirationis III 1 (= Bd. VII 891, 1 ff. Kühn): τό γε μὴν πέμπτον τε καὶ ἕβδομον τῶν Ἐπιδημιῶν οὐκ ἄν τίς μοι δοκεῖ τῆς Ἱπποκράτους γνώμης οἰκεῖα ἀξιῶσαι, κατ’ ἐμὴν δὲ γνώμην οὐδὲ τὸ τέταρτον. Ḥunain ibn Isḥāq, Über die syrischen und arabischen Galen-Übersetzungen, zum ersten Mal herausgegeben und übersetzt von Gotthelf Bergsträsser (Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes 17,2), Leipzig 1925, nr. 104. Johannes Mewaldt, Galenos über echte und unechte Hippocratica, in: Hermes 44, 1909, 111‒134.

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reproduziert. Seine Erwähnung und Beschreibung des Kitāb Auǧāʿ an-nisāʾ besagt also nicht, daß er eine arabische Übersetzung dieses Werkes gesehen hat14. Schließlich ist die hippokratische Schrift auch noch bei dem osmanischen Polyhistor Ḥāǧǧī Ḫalīfa (gest. 1657) erwähnt (ḤḪ I p. 491 nr. 1471 ed. Flügel). Aber diese Notiz ist ebenfalls kein unabhängiges Zeugnis, ist sie doch aus ibn abī Uṣaibiʿa (I 31 ult.‒32, 2) ausgezogen15. Es gibt in der arabischen Literatur also nur fünf bibliographische Hinweise auf die Schrift De morbis muliebribus (und diese sind nicht einmal alle vonein248 ander unabhängig). Keiner dieser Hinweise basiert auf einem arabischen Exemplar der Schrift, sondern alle stehen lediglich im Rahmen vorgegebener Schriftenverzeichnisse. Das bedeutet, daß es kein Zeugnis für die Existenz einer arabischen Übersetzung von De muliebribus gibt: weder eine Handschrift, noch ein Zitat, noch ein Testimonium. D a s B u c h i s t – so darf mit Sicherheit gesagt werden – n i cht i n s A ra b i s c h e ü ber s et z t w or den16. Überhaupt hat die Schrift De muliebribus nicht die Beachtung gefunden, die andere Schriften des Corpus hippocraticum erfahren haben. Von einem _______________ 14 Albert Dietrich, Medicinalia arabica. Studien über arabische medizinische Handschriften in türkischen und syrischen Bibliotheken (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Kl., Dritte Folge, Nr. 66), Göttingen 1966 (im folgenden: „Dietrich Medicinalia"), p. 241 Anm. 1, vermutet, daß die von ibn abī Uṣaibiʿa I 34, 10 genannte Schrift über die Behandlung der Amenorrhöe (Maqāla fī ʿIlāǧ iḥtibās aṭ-ṭamṯ) mit dem ersten Buch der Schrift De muliebribus identisch sei. Das ist jedoch falsch, denn ibn abī Uṣaibiʿa führt diesen Titel nicht unter den Schriften des Hippokrates, sondern unter denen des Rufus von Ephesos auf. 15 Vgl. Moritz Steinschneider, Die arabischen Übersetzungen aus dem Griechischen, Neudruck Graz 1960, p. (299) [im folgenden: „Steinschneider Arab. Übs.“]. 16 Diese Tatsache ist für die arabische Hippokratestradition höchst bezeichnend. Die Araber haben selbst große, zentrale Werke wie die Aphorismen, De natura hominis, De officina medici oder De aere aquis locis nur dadurch kennengelernt, daß Galens Kommentare (die ja die hippokratischen Lemmata vollständig enthalten) übersetzt wurden. Wenn es dann trotzdem arabische Handschriften gibt, die nur die hippokratischen Grundtexte enthalten, so handelt es sich um Exzerpierungen und sekundäre Tradierungen der Lemmata der Kommentare. Hippokrates kam zu den Arabern, so kann man überspitzt formulieren, im Schlepptau Galens. Wenn eine kleine Schrift wie De superfetatione unabhängig übersetzt wurde, so war das fast ein Zufall (Manfred Ullmann, Die arabische Überlieferung der hippokratischen Schrift „De superfetatione“, oben, p. 3‒22). Die viel bedeutenderen gynäkologischen Schriften De natura muliebri, De sterilibus, De septimestri partu und De muliebribus blieben dagegen den Arabern vorenthalten. Zur arabischen Hippokratesüberlieferung vgl. im übrigen: Steinschneider Arab. Übs. p. (298)‒(318); Manfred Ullmann, Die Medizin im Islam (Handbuch der Orientalistik, hrsg. von Bertold Spuler, Erste Abteilung, Ergänzungsband 6, 1. Abschnitt), Leiden / Köln 1970, p. 25‒35 (im folgenden: „Medizin im Islam“); GAS III 23‒47.

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Kommentar weiß man erst aus dem 16. Jahrhundert17. Auch Galen, der so viele andere Schriften des Hippokrates kommentiert hat18, hat De muliebribus nicht erklärt. Um so mehr ist man überrascht zu sehen, daß in drei arabischen Quellen von einem „Kommentar des Galen zu der Schrift über die Frauenleiden von Hippokrates“ die Rede ist: Der große jüdische Philosoph Moses Maimonides (gest. 1204)19, ein hervorragender Kenner Galens20, zitiert im 16. Kapitel seiner Aphorismen ein dutzendmal den Kommentar Galens zum Buche über die Frauenleiden (šarḥuhū liAuǧāʿ an-nisāʾ). Obwohl die Aphorismen schon wiederholt ausgebeutet wurden21, 249 ist diese Tatsache bisher fast gänzlich unbeachtet geblieben22. Das zweite Zeugnis liefert uns ibn abī Uṣaibiʿa, der am Ende seines Galenartikels (I 102, 14 f.) folgendes konstatiert: „Wir haben viele von den Büchern Galens und von denen, die ihm zugeschrieben sind, in der Übersetzung Ḥunain ibn Isḥāq’s und _______________ 17 Mauricii Cordaei Rhemi in Librum priorem Hippocratis Coi de muliebribus Commentarius, zuerst erschienen Paris 1585. Gedruckt auch in dem Sammelband: Gynaeciorum sive De mulierum tum communibus, tum gravidarum, parientium, et puerperarum affectibus et morbis, Libri Graecorum, Arabum, Latinorum veterum et recentium quotquot extant . . . opera et studio Israelis Spachii, Argentinae 1597, p. 492‒744. Der Verfasser, Maurice de la Corde aus Rheims, war ein Schüler von Louis Duret, vgl. Hermanni Conringii In universam artem medicam singulasque eius partes introductio, Helmestadii 1687, p. 109; Christian Wilhelm Kestner, Medicinisches Gelehrten = Lexicon, Jena 1740, p. 218. 18 Vgl. Johannes Ilberg, Über die Schriftstellerei des Klaudios Galenos, in: Rheinisches Museum für Philologie 44, 1889, 229 ff. (Nachdruck Darmstadt 1974 [Libelli Bd. 314] p. 23 ff.). 19 Georges Vajda, Art. Ibn Maymūn, in: The Encyclopedia of Islam, New Edition, Vol. III 876‒878. 20 Maimonides hat nicht nur das Kitāb al-Fuṣūl geschrieben, das einen großen und höchst wichtigen Zitatenschatz aus Galens Werken bietet, sondern auch den Kanon der sechzehn Schriften in kompendiöser Form bearbeitet, s. b. a. Uṣ. II 117, ‒3 und Medizin im Islam 169. 21 Über Maimonides als Arzt ist von judaistischer Seite viel geschrieben worden, vgl. Fred Rosner, Maimonides the Physician: a bibliography, in: Bull. Hist. Med. 43, 1969, 221‒235, von arabistischer Seite dagegen fast nichts. Vgl. noch besonders: Süssmann Muntner, Galenus’ Books listed by Maimonides in his Aphorisms, in: Homenaje a Millás-Vallicrosa, Vol. II, Barcelona 1956, p. 126 nr. 58. Die englische Übersetzung: The Medical Aphorisms of Moses Maimonides, Translated and Edited by Fred Rosner and Suessman Muntner (Studies in Judaica Vol. 3), Vol. I. II, New York 1970, 1971 [Second Printing 1973] enthält unzählige Mißverständnisse und Fehler, die bei einer Benutzung des arabischen Urtextes hätten vermieden werden können. Ich habe Xerokopien der arabischen Handschrift Leiden 1344 (= Cod. 128,1 Golius) benutzt, die mir Dr. P. Sj. van Koningsveld freundlicherweise angefertigt hat. 22 Diese Zitate sind weder in meinem Buch über die Medizin im Islam noch im III. Band der GAS von Sezgin erwähnt.

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anderer gefunden, die in dem vorerwähnten Buche Ḥunains23 überhaupt nicht aufgeführt sind. Dazu gehören: Der Kommentar zum Buche des Hippokrates über die Frauenleiden, [der] eine Abhandlung [umfaßt]; der Kommentar zum Buche des Hippokrates De septimanis usw.“24. Ibn abī Uṣaibiʿa sagt mit diesen Worten nicht mehr, als daß er einen Kommentar zu De muliebribus kenne, der von Galen stamme oder pseudogalenisch sei. Aus seiner Angabe, daß diese und die folgenden Schriften „von Ḥunain und anderen“ ins Arabische übersetzt worden seien, ist für den Übersetzer des Kommentars überhaupt nichts zu gewinnen25. Die dritte Quelle schließlich ist ein Traktat des bereits oben genannten ʿAlī ibn Riḍwān. Er findet sich in derselben Handschrift, die den Zwölferkanon der hippokratischen Werke enthält26, und ist folgendermaßen überschrieben: Taʿālīq ʿAlī ibn Riḍwān li-fawāʾid min kitāb Auǧāʿ an-nisāʾ liBuqrāṭ tafsīr Ǧālīnūs wa-ġairihī „Die Adnotationen des ʿAlī ibn Riḍwān zu Lehrsätzen aus dem Buch der Frauenleiden des Hippokrates (mit dem) Kommentar des Galen und eines anderen Autors“. Der Text, der in der Handschrift 15 Folia = 28 Seiten27 einnimmt, erscheint bei der ersten Lektüre ganz ungegliedert. Er enthält teils apodiktische, aus dem Zusammenhang 250 gerissene Lehrsätze, teils begründende Erläuterungen, dazu eine Anzahl sachlicher Wiederholungen. Um ihn analysieren zu können, habe ich ihn in 116 Paragraphen eingeteilt und damit ein Bezugssystem geschaffen, das eine vorläufige Orientierung erlaubt. Setzt man nun die 116 Paragraphen der Adnotationen des ibn Riḍwān zum hippokratischen Grundtext in Beziehung, so ergibt sich folgendes Bild: Die §§ 1‒10 sind aphoristische Lehrsätze, die dem Kommentar vorgeschaltet sind. Die §§ 11‒51 begleiten den hippokratischen Text fortlaufend vom 1. bis zum 11. Kapitel des I. Buches. Mit § 52 springt die Darstellung _______________ 23 Damit meint ibn abī Uṣaibiʿa die erste Redaktion der Schrift über die syrischen und arabischen Galenübersetzungen, die Ḥunain im Alter von 48 Jahren niedergeschrieben hat (Ms. Aya Sofya 3590, vgl. Gotthelf Bergsträsser, Neue Materialien zu Ḥunain ibn Isḥāq’s Galenbibliographie, Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes, 19,2, Leipzig 1932). 24 Vgl. Max Meyerhof, Über echte und unechte Schriften Galens, nach arabischen Quellen, in: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Berlin 1928, p. 542. 25 Sezgin, der sich an zwei Stellen (GAS III 41 f. und 124 nr. 85) auf ibn abī Uṣaibiʿa’s Notiz bezieht, hat den Sachverhalt falsch dargestellt. Zum einen ist seine Behauptung, daß schon al-Yaʿqūbī eine Übersetzung der Schrift De muliebribus kannte, unzutreffend (s. oben). Zum anderen verschweigt Sezgin, daß ibn abī Uṣaibiʿa sagt: bi-naql Ḥunain wa-ġairihī, daß also neben Ḥunain auch ein anderer Übersetzer in Frage kommt. 26 Ms. Cambridge Dd 12.1, fol. 112 b 2 ‒ 127 a ult. 27 Die Folia 126 b und 127 b sind unbeschrieben geblieben.

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zum 2. Kapitel zurück, um dann mit § 116 wieder im 11. Kapitel zu enden. Damit wird klar, was ibn Riḍwān meint, wenn er in der Überschrift sagt: „. . . (mit dem) Kommentar des Galen und eines anderen Autors“. Er will nicht sagen, daß er einen Kommentar vorgefunden habe, in dem neben Galenischem auch die Gedanken eines anderen Arztes zu finden seien, sondern er will sagen, daß es zwei verschiedene Texte gebe: Einen Kommentar des Galen (der den §§ 1‒51 zugrundeliegt) und einen zweiten Kommentar, der von einem anderen Autor stammt (und den §§ 52‒116 entspricht). Daß sich dies so verhält, wird durch Maimonides bestätigt, der zu Beginn des 24. Kapitels seiner Aphorismen (fol. 118 b 17‒ult.) folgendes schreibt: „Das Buch der Frauenleiden von Hippokrates; Ḥunain hat es übersetzt, und Galen hat es kommentiert28. Ich fand nun einen Anhang (ziyāda) zu diesem Buch, dessen Übersetzung nicht von Ḥunain und dessen Kommentierung nicht von Galen stammt. Im Kommentar zu jenem Anhang findet man merkwürdige Dinge. Zum Beispiel sagt der Verfasser: ,Porphyrios berichtet, daß sich in Sizilien eine große Sonnenfinsternis ereignet hatte und daß es in jenem Jahre vorkam, daß die Frauen mißgestaltete Kinder mit zwei Köpfen gebaren, und daß es bei einigen Frauen dazu kam, daß sie auf dem Wege des Erbrechens aus dem Munde menstruierten‘. In jenem Anhang heißt es ferner, daß die Gebärmutter das Menstruationsblut durch feine Adern zum After weiterschickt, daß sich die Adern dort öffnen und daß dies dann die Menstruation ersetzt“29. Dieser Passus findet sich mit geringen sprachlichen Abweichungen auch bei ibn Riḍwān (fol. 121 a paen.‒b 5). Er bildet dort die §§ 70 und 71, gehört also in den zweiten Kommentar. Die zehn anderen Textteile dagegen, die Maimonides „aus dem Kommentar des Galen“ mitteilt, entsprechen den §§ 3, 5, 6, 13, 20, 21, 29, 40, 43 und 51 bei ibn Riḍwān, stehen also in dem ersten, auch von 251 ibn Riḍwān als „galenisch“ bezeichneten Kommentar. Es gab demnach, so können wir unsere Untersuchung vorläufig zusammenfassen, zwei Kommentare zu De muliebribus, die auf das Thema der Menstruation und der Retention der Menses beschränkt waren, in denen, noch genauer _______________ 28 In der Leidener Handschrift lautet der Text: Kitāb Auǧāʿ an-nisāʾ li-Abuqrāṭ aḫraǧahū Ḥunain wa-šaraḥahū Ǧālīnūs. Das ist eine etwas saloppe und nicht ganz logische Formulierung von Maimonides, ein Hysteron proteron, denn er will offenbar sagen, daß Ḥunain den Kommentar Galens zu dem Buch des Hippokrates über die Frauenleiden übersetzt habe. Vielleicht ist der Text in wa-qad šaraḥahū Ǧālīnūs zu emendieren, was bedeuten würde: „Ḥunain hat es übersetzt, nachdem Galen es kommentiert hatte“. In keinem Fall aber ist dieser Satz ein Beweis für die Existenz einer arabischen Übersetzung des hippokratischen Grundwerkes. 29 Vgl. Hipp. De muliebribus I 2 (Bd. VIII 20 ult. ff. Littré) : τρέπεται (sc. τὰ καταμήνια) δὲ καὶ ἐς ἔμετον. ἔστιν ἧσι καὶ κατὰ τὴν ἕδρην.

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gesagt, nur die ersten elf Kapitel des I. Buches der hippokratischen Schrift erklärt waren30. Damit wird der Umstand verständlich, daß ibn abī Uṣaibiʿa (I 102, 15) davon spricht, „Galens Kommentar zum Buch des Hippokrates über die Frauenleiden“ sei ein Monobiblon (maqāla wāḥida). Da das Grundwerk des Hippokrates aus zwei dicken Büchern besteht, worüber ibn abī Uṣaibiʿa ja genau unterrichtet ist (I 32, 1), müßte der Kommentar auch mindestens zwei Bücher umfassen, wenn er das ganze Werk begleiten würde. In Wirklichkeit war aber nur der Anfang des I. Buches herausgeschnitten, und somit kann der Kommentar natürlicherweise nur ein Monobiblon sein. Bevor wir im folgenden die beiden Werke näher betrachten, müssen wir noch kurz zwei Fragen erörtern: 1. Sind die Kommentare von Griechen oder Arabern verfaßt? Die Frage ist leicht und eindeutig zu beantworten. Da das Grundwerk des Hippokrates nicht ins Arabische übersetzt worden ist, können Araber es auch nicht kommentiert haben. Daß die Autoren griechisch geschrieben haben, beweisen im übrigen die Zitate aus Hesiod und Porphyrios zur Genüge (s. unten). Maimonides hat somit völlig recht, wenn er von „Übersetzungen“ spricht. Ob auch seine Mitteilung richtig ist, Ḥunain sei der Übersetzer des Kommentars des Galen gewesen, bleibt vorerst freilich ungewiß. 2. Wie verhalten sich die Adnotationen des ibn Riḍwān zu den antiken Kommentaren? Diese sind ja nicht in ihrer originalen Gestalt, sondern nur in ihrer Verquickung mit jenen Glossen überliefert, und nirgends ist die Grenze zwischen dem, was die Kommentatoren geschrieben haben, und dem, was von ibn Riḍwān stammt, genau bezeichnet. Aber die Diktion gibt an einigen Stellen Aufschluß: In § 49 heißt es z. B. im Anschluß an die Stelle I 11 κωλύουσι γὰρ λαμβάνειν ἐν γαστρί (Bd. VIII 44, 9 Littré): „Manchmal wird die Empfängnis auch durch eine starke Menstruation und Menorrhagie verhindert, weil dies die Gebärmutter mager macht und austrocknet, aber manchmal wird die Empfängnis auch durch eine zu schwache Menstruation verhindert, weil aus ihren Resten in der Gebärmutter üble Schlacken entstehen. Aus diesen beiden 252 Umständen ist zu entnehmen, daß der Arzt sich nach der Periode der Frau _______________ 30 Es ist vielleicht kein Zufall, daß beide Kommentare sich auf denselben Teilausschnitt aus der hippokratischen Schrift beziehen. Kann man daraus schließen, daß De muliebribus I 1‒11 in der Spätantike noch (oder auch) als gesonderte literarische Einheit tradiert wurde? Es sei daran erinnert, daß Hermann Grensemann in seinem oben Anm. 1 zitierten Buch die These vertritt, daß die Kapitel De mul. I 1‒9 (zusammen mit anderen Teilen dieser Schrift) einer besonderen „Schicht C“ angehören, deren Autor nicht die knidische Lehre wiedergibt. Aber diese Schicht C ist in das Gesamtwerk natürlich schon früh und nicht erst in spätalexandrinischer Zeit integriert worden.

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erkundigen muß, ob sie sich nämlich in ihrem natürlichen Gleichmaß befindet . . . oder ob sie schwächer oder stärker ist . . . usw.“ Es scheint, daß dieser zweite Satz: fahimta ʿanhumā annahū yanbaġī li-ṭ-ṭabībi an yasʾala ʿan ṭamṯi lmarʾati ilḫ. ibn Riḍwān’s Glosse ist. In § 78 heißt es: „Bisweilen stellen sich auf Grund des Blutes, das in der Gebärmutter reteniert ist, die Anzeichen der Schwangerschaft ein, so daß die Frau meint, sie sei schwanger, und manchmal tritt damit gleichzeitig ein Wind im Bauche auf, und dann meint sie, es sei die Bewegung des Embryos. Dieser Mann widerspricht Galen und anderen Interpreten (mufassirūn), denn diese sagen: Das in der Gebärmutter angesammelte Menstruationsblut, das eine Schwangerschaft vermuten läßt, hat keine Bewegung, und das Fehlen der Bewegung ist ein unterscheidendes Merkmal gegenüber dem Embryo mit seiner Bewegung. Er hingegen sagt, daß bisweilen eine Bewegung spürbar wird auf Grund eines Windes, der in der Gebärmutter aus dem retenierten Blut entsteht“. Hier ist unzweifelhaft, daß sich mit dem Satz „Dieser Mann widerspricht Galen . . .“ ibn Riḍwān zu Worte meldet. In anderen Fällen ist die Grenze allerdings nicht leicht zu bestimmen. Angesichts dieser Unsicherheit sind aber die zwölf Parallelen aus den Aphorismen des Maimonides, der ja unmittelbar die Kommentare, nicht ibn Riḍwān’s Bearbeitung, zitiert, besonders hilfreich: Ein Vergleich zeigt, daß der Text in beiden Quellen fast überall identisch ist. Das bedeutet, daß ibn Riḍwān seine Adnotationes auf ein Minimum beschränkt hat und daß wir davon ausgehen können, daß in den Texten der Cambridger Handschrift hauptsächlich die antiken Kommentare reproduziert sind31.

Der Kommentar des Galen Der Text beginnt auf fol. 113 a 3 mit folgenden Worten: „Die Adnotationen (taʿālīq) des ʿAlī ibn Riḍwān zu Lehrsätzen (fawāʾid) aus dem Buch der Frauenleiden des Hippokrates [mit dem] Kommentar des Galen. (1) Wenn die Entleerung der Menses im rechten Maße vor sich geht, so ist es das, was der Gesundheit entspricht; ist die Entleerung gering oder stark, so ist das der Ausdruck einer Krankheit32. (2) Wenn die Menses im rechten Maße erfolgen, so ist die Gebärmutter gesund und zur Aufnahme des Samens und zur _______________ 31 Allerdings scheint ibn Riḍwān seine Vorlage etwas gekürzt zu haben, denn unter den zwölf Zitaten des Maimonides findet sich eines (fol. 85 b ult. ‒ 86 a 3), das nicht bei ibn Riḍwān steht. 32 Vgl. Hipp. Aphor. V 57 / ed. Τytler p. 49, 8 ff.

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Empfängnis bereit. (3) Wenn die Milch verhalten wird oder wenn ihre Entstehung in den Brüsten nicht sicher erfolgt, so kündet das eine Krankheit an. Wenn die Milch hingegen fließt und reichlich ist, so ist das ein Indiz dafür, daß die Natur der Brüste ausgeglichen ist und imstande ist, ihre Funktionen 253 auszuüben33. (4) Die Organe, die nur die Frauen, aber nicht die Männer haben, sind die Gebärmutter, die Vulva und die Brüste. Die Funktionen der Gebärmutter sind das Festhalten des Samens, die Gestaltung des Foetus, die Wehen und die Geburt; die Funktion der Brüste ist die Erzeugung der Milch. (5) Die Schlacken sammeln sich in den Körpern der Frauen mehr an, weil sie stillesitzen, müßig sind und die Anstrengung und Bewegung meiden. [Die Schlacken im Blute sind bald mehr, bald weniger]34. Und diese Schlacken gibt die Natur an die Adern, die mit der Gebärmutter in Verbindung stehen, ab; so sammeln sie sich dort. Auch hat die Gebärmutter von Natur aus eine Kraft, die diese Schlacken anzieht35. (6) Die Retention der Menses rührt entweder daher, daß die Adern und die Gebärmutter nicht stark genug sind, sie anzuziehen; oder sie rührt von einer Verstopfung in den Mündungen der Adern her; oder sie kommt daher, daß sich der Muttermund zusammengezogen hat. Dann sammeln sich die Menses in der Gebärmutter an, und daraus entstehen schwere Krankheiten36. (7) Wenn die Menses nicht laufen, werden die Schlacken im Blute hin- und hergeschoben. Dann verfaulen sie, und infolge ihres Verfaulens flammen heftige Fieber auf, oder es zeigen sich andere sehr schwere Symptome, und manchmal sind sie die Ursache des Zugrundegehens. (8) Die Menstruation ist die Entleerung der Schlacken des Blutes, die in den Körpern der Frauen entstehen. Die Natur hat sie in gleichmäßige Perioden eingeteilt, (so daß) diese Schlacken in jedem Monat entleert werden. (9) Es _______________ 33 Entspricht Maimonides fol. 86 a 17‒19. 34 Offenbar Glosse von ibn Riḍwān, denn dieser Satz fehlt in der Parallele bei Maimonides fol. 84 a, ‒3 ff. 35 Daß die ungenügende körperliche Bewegung der Frau eine der Ursachen der Menstruation sei, ist ausgedrückt bei: Hipp. De mul. I 1 (Bd. VIII 14, 5 ff. Littré); Soran. Gynaec. I 27, 3 (p. 17, 30 ff. Ilberg); Galen, De venae sectione adversus Erasistratum 5 (Bd. XI 164, 4 ff. Kühn). 36 Zur Sache vgl. Galen, In Hipp. Aphor. Comment. V 57 (Bd. XVII Β 854 Kühn). Der § 6 findet sich etwas gekürzt auch bei Maimonides fol. 83 b ult. ff. Maimonides nimmt dazu mit folgenden Worten Stellung: „Die Ursachen, die er anführt, beziehen sich lediglich auf den Apparat, wobei vorausgesetzt ist, daß das Menstruationsblut vorhanden ist. Er hat hier nicht die Ursachen im Auge, die mit dem Blut [selbst] zusammenhängen, d. h. die Quantität des Blutes, wenn sie sehr gering ist. Denn dann ist das Menstruationsblut überhaupt nicht vorhanden. Deswegen sagt er auch ,Verhaltung des Menstruationsblutes‘ (iḥtibās dam aṭ-ṭamṯ) und nicht , Ausbleiben der Menstruation‘ (inqiṭāʿ aṭ-ṭamṯ)“.

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gehört zum Nutzen der Menstruation, daß sie den Foetus ernährt und daß sie die Körper der Frauen reinigt. (10) Von dem Dichter Hesiod37 wird berichtet, daß er einen Vers gemacht und in ihm folgenden Gedanken ausgedrückt habe: ,Gott hat viel Schweiß vor die Tugend gesetzt‘. Damit will er sagen, daß die Tugend nur durch viel Mühe und harte Plage erlangt wird.38“ Nach diesen sehr allgemeinen Lehrsätzen knüpft der Kommentator mit 254 § 11 an den ersten Satz der hippokratischen Schrift an. Dieser lautet: „Ich behaupte, daß eine kinderlose Frau durch die Regel (ἀπὸ τῶν καταμηνίων) schwerer und rascher leidet als eine Frau, welche geboren hat. Sobald nämlich eine Frau geboren hat, bieten bei ihr die Venen (τὰ φλέβια) einen besseren Durchfluß für die Regel39“. Dazu der Kommentator: (11) „Die Adern, in denen die Menses bei einer Frau, die nicht geboren hat, fließen, sind enger als die einer Frau, die schon geboren hat. Dies ist deshalb so, weil sich die Adern, in denen die Menses fließen, im Zustande der Schwangerschaft ausweiten, da ja der Foetus ernährt werden muß und da er zu seiner Entwicklung Materien benötigt, die er sich durch diese Adern beschafft.“ In dieser Weise setzt sich der Text fort. Der Kommentar besteht also aus einem Resümee bzw. einer Paraphrase des hippokratischen Textes sowie erklärenden Zusätzen. Daß diese Schrift ein Pseudepigraphon ist, bedarf keines Beweises. Galen schreibt nicht so apodiktisch und knapp, und hätte er das Werk De muliebribus kommentiert, so müßte es ein Zeugnis in seinen Autobibliographien oder ein Selbstzitat in seinem umfangreichen Œuvre oder ein Zitat bei Oreibasios oder einem anderen späteren Arzt geben. Ibn Riḍwān und Maimonides haben die Autorschaft Galens akzeptiert, aber wenn der letztere explizit auch keinen Zweifel äußert, so hat er doch zwei Unstimmigkeiten aufmerksam registriert: _______________ 37 In der Cambridger Handschrift ist der Name durch ʾsyrwdws (Isīrūdūs) mit Ausnahme des r korrekt wiedergegeben. 38 Τῆς δ’ ἀρετῆς ἱδρῶτα θεοὶ προπάροιθεν ἔθηκαν Hesiod. Opera et dies 289, arab. inna llāha ṣayyara l-ʿaraqa l-kaṯīra amāma l-faḍīlati. Diese Wiedergabe ist viel konziser und genauer als in den Nawādir falsafīya, die Isḥāq ibn Ḥunain übersetzt haben soll (Ms. Köprülü 1608, fol. 5 a 6 f.), wo der Satz lautet: ammā ṭ-ṭarīqu llaḏī yuʾaddī ilā l-ḫairi faṭarīqun muʿwirun ṣaʿbu l-masāliki mutʿibun muʿarriqun ḍayyiqun und wo Hesiods Name zu ʾsmwds entstellt ist. Vgl. Jörg Kraemer, Arabische Homerverse, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 106, 1956, 297. Zu Isḥāq ibn Ḥunain als Übersetzer der Sammlung s. Dimitri Gutas, Greek Wisdom Literature in Arabic Translation. A Study of the Graeco-Arabic Gnomologia (American Oriental Series Vol. 60), New Haven, Conn. 1975, p. 43 und 48 f. 39 De muliebribus I 1 (Bd. VIII 10, 2 ff. Littré); Übersetzung von Robert Fuchs, Hippokrates, Sämmtliche Werke, Dritter Band, München 1900, p. 391 f.

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Im 25. Kapitel seiner Aphorismen, in welchem er die Zweifel, die ihm an einigen Stellen der Schriften Galens gekommen sind, zusammengefaßt und diskutiert hat, schreibt er folgendes (Ms. Leiden 1344, fol. 128 a 11‒b 8): „An einer Anzahl von Stellen sagt er (sc. Galen), daß die männlichen Lebewesen wärmer und trockener als die weiblichen seien. Diesem [Theorem] entsprechend ist auch das Lehrgebäude bei den Prinzipien der gesamten [ärztlichen] Kunst errichtet. Er beweist diese Frage und erklärt sie hinreichend lang im zweiten Buch der Schrift Über den Samen40. Aber in seinem Kommentar zu dem Buch des Hippokrates über die Frauenleiden sagt er, daß das schnelle Trunkenwerden der Frauen darauf deute, daß in ihnen eine zusätzliche Wärme sei, zu der die Feuchtigkeit ihrer Körper hinzutrete. Dies bestätigten die Menses, die jeden Monat aus ihren Körpern fließen, weil dort, wo viel Blut sei, auch viel Wärme sei. So weit der Text41. Wenn er (damit) 255 sagen will, daß die grundlegenden Organe der Frau kälter und feuchter als die der Männer seien und daß das Blut bei den Frauen in größerer Menge vorhanden sei, so ist auch das problematisch, da doch die Adern der Männer weiter sind. Hinzu kommt, daß jenes erste Urteil in seiner Vergleichung des weiblichen Wesens jedweder Art mit dem männlichen Wesen generellen Charakter hat. Ferner: Wie kann man aus der Menge der Schlacken der Frauen auf die Menge des Blutes schließen? Mir scheint daher, daß er [Galen] diese Darstellung [des Sachverhaltes] bei einem anderen, früheren Autor gefunden hat, vielleicht bei Hippokrates42, vielleicht bei einem der Kommentatoren von dessen Büchern, und daß er sie dann übernommen hat, als er diesen Kommentar verfaßte. Er wird gedacht haben, es sei [so] korrekt, weil er entweder die Ausführungen des Aristoteles über diesen Punkt damals [noch] nicht kannte, oder er hatte sie gesehen, erinnerte sich ihrer aber nicht, als er dieses Buch [d. h. De muliebribus] kommentierte. Vernimm denn den Wortlaut der Ausführungen des Aristoteles über diese Vorstellung, wie er im 18. Buche des Tierbuches steht43: ,Die bei den weiblichen Lebewesen vorhandene Wärme _______________ 40 Galen, De semine II 4 (Kühn IV 624, 1 ff.): ὑγρότερον μὲν οὖν τὸ θῆλυ καὶ ψυχρότερον, θερμότερον δὲ καὶ ξηρότερον τὸ ἄρρεν. 41 Entspricht dem § 13 bei ibn Riḍwān. 42 Tatsächlich bezieht sich der Kommentar auf De mul. I 1 gegen Ende (Bd. VIII 12, 21 f. Littré), wo es heißt: θερμότερον γὰρ τὸ αἷμα ἔχει ἡ γυνή, καὶ διὰ τοῦτο θερμοτέρη ἐστὶ τοῦ ἀνδρός. 43 Die Araber haben die Schriften Historia animalium (10 Bücher), De partibus animalium (4 Bücher) und De generatione animalium (5 Bücher) als ein einheitliches, neunzehn Teile umfassendes Werk gekannt. Das 18. Buch entspricht also dem 4. Buch von De generatione animalium. Es handelt sich um die Stelle 765 b 16 ff., jedoch ist der arabische

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ist schwach. Einige Leute jedoch nehmen das Gegenteil an, d. h., daß das Blut beim Weibchen in größerer Menge vorhanden ist als beim Männchen. Aus diesem Grunde glauben sie, daß das Weibchen wärmer sei als das Männchen, und zwar [glauben sie das] wegen der Ausstoßung des Menstruationsblutes – das Blut ist ja warm, und dasjenige Wesen, in dem mehr Blut ist, muß [infolgedessen] wärmer sein. Sie wähnen, daß dieses Accidens (d. h. die Menses) nur wegen des außerordentlichen Übermaßes an Blut und Wärme auftrete. Sie glauben auch, daß es möglich sei, daß das Blut vollständig in dieser Form (d. h. als Menstruation) auftrete, und sie begnügen sich dabei mit der Feststellung, daß sie [die Menses] feucht sind und die Farbe des Blutes haben; sie wissen aber nicht, daß das reine, in seinem Saft gute Blut an den Menses nur einen geringen Anteil hat, denn das Menstruationsblut ist als ganzes genommen eben nicht rein.‘ Dies ist der Wortlaut der Ausführungen des Aristoteles an der dortigen Stelle, und das ist das Richtige, und genau so äußert sich Galen in allen seinen Schriften.“ An einer zweiten Stelle (fol. 84 b paen.‒85 a 3) zitiert Maimonides die §§ 21 und 29 des Kommentars, die folgendermaßen lauten: „Die durch die Gebärmutter bewirkte Erstickung tritt ein, wenn die Menses stocken und sich 256 die Gebärmutter und die Adern, die zu ihr und ihren Bändern44 führen, angefüllt und ausgedehnt haben. Dann streckt sich die Gebärmutter nach oben und drückt auf das Zwerchfell, so daß Atemnot auftritt. Bisweilen drückt sie auch auf den Magen und verursacht ihm einen heftigen Schmerz. Manchmal drückt sie auch auf die Organe, die am Rückgrat liegen und verursacht ihnen einen heftigen Schmerz.“ In diesen Paragraphen ist also von dem „hysterischen Erstickungsanfall“ (ὑστερικὴ πνίξ, iḫtināq ar-raḥim) die Rede45, einem Symptom, das durch die Wanderung der Gebärmutter in der Bauchhöhle ausgelöst wird. Diese Theorie, die am deutlichsten in De muliebribus I 2, 7 und 32 ausgeführt ist, wurde auch von Platon (Timaios 91 Β C) vertreten, der die Gebärmutter ein „Lebewesen“ (ζῷον) nennt. Galen aber lehnt diese Lehre strikt ab. Das wußte auch Maimonides, denn er schreibt (fol. 85 a 3‒5): „Der Grund dieser Krankheit ist in der überwiegenden Zahl der Fälle der Umstand, _______________ Text, den Maimonides zitiert, grundverschieden von dem, den Brugman ediert hat, s. Aristotle, Generation of Animals. The Arabic Translation commonly ascribed to Yaḥyâ ibn al-Biṭrîq, edited with Introduction and Glossary by Jan Brugman and H. J. Drossaart Lulofs (Publication of the ‘De Goeje Fund’ Nr. 23), Leiden 1971, p. 139, 2 ff. Ein Vergleich beider Versionen könnte Licht auf die Übersetzerfrage werfen. 44 Arab. ribāṭāt. Zu den anatomischen Vorstellungen von den Uterusbändern (ligamenta) in der Antike s. Diepgen Frauenheilkunde p. 134 f. 45 Diepgen Frauenheilkunde p. 232.

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daß der Same der Frau46 stockt und dort verdirbt. Dies erklärt er hinreichend lang im letzten Buch der Schrift De locis affectis47.“ Auch hier also bemerkt Maimonides den Widerspruch, aber er kann sich nicht entschließen, die Echtheit des Kommentars anzufechten. Der Rahmen dieser Untersuchung erlaubt es nicht, die Frage nach der Schulrichtung des Kommentars im einzelnen weiter zu verfolgen. Die meisten Erklärungen sind Gemeingut des späteren Galenismus; einiges wenige findet sich bei Soran wieder, dessen Werk über die Frauenheilkunde die Spätantike und das Mittelalter beherrscht hat. Man sollte daher denken, daß Sorans Lehren auch in diesem Kommentar deutlichere Spuren hinterlassen hätten. Das ist nicht der Fall. Es dominieren humoralpathologische Vorstellungen. Zwar ist an sechs Stellen der Begriff tamaddud (= τάσις) verwendet (§§ 21, 32, 33, 40, 44, 45), aber er steht nirgends im Sinne der Lehre von den Spannungsund Erschlaffungszuständen, die Soran als Methodiker verficht48. Die Anerkennung der Theorie von den Wanderungen der Gebärmutter und von der warmen Natur des Weibes zeigt, daß der Kommentator einen konservativen Hippokratismus vertritt. Unsere Schrift trägt alle Kennzeichen, die die Kommentatorenpraxis der Alexandriner vom 4. bis zum 7. Jahrhundert charakterisieren49. 257 Noch ein Hinweis: Albert Dietrich hat eine Handschrift aus Manisa beschrieben50, die unter anderem eine recht umfangreiche Schrift (58 Folia) enthält, welche den Titel trägt: Kitāb Abuqrāṭ fī ʿIlāǧ auǧāʿ an-nisāʾ waʿilalihinna mimmā fassarahū Hirmis al-ḥakīm wa-Ǧālīnūs „Das Buch des Hippokrates über die Behandlung der Leiden und Krankheiten der Frauen, soweit es der Weise Hermes und Galen kommentiert haben“. Nach der Inhaltsangabe scheinen keine Beziehungen zwischen dieser Schrift und unserem Kommentar zu bestehen. Es ist zu hoffen, daß die Handschrift einmal zugänglich wird. Dann wird sich herausstellen, ob der Verfasser nicht doch vielleicht den Kommentar gekannt und benutzt hat. _______________ 46 Arab. manī al-marʾa. Vgl. W. Gerlach, Das Problem des ,weiblichen Samens‘ in der antiken und mittelalterlichen Medizin, in: Sudhoffs Archiv 30, 1937‒38, 177‒193. 47 Galen, De locis affectis VI 5 (Bd. VIII 417, 3 ff. Kühn); vgl. auch Ps. Galen, In Hipp. De humoribus comment. I 19 (Bd. XVI 179 f. Kühn). 48 Theodor Meyer-Steineg, Das medizinische System der Methodiker, eine Vorstudie zu Caelius Aurelianus „De morbis acutis et chronicis“ (Jenaer medizin-historische Beiträge Heft 7/8), Jena 1916, p. 23 und passim. 49 Temkin Hippokratismus p. 46. 50 Dietrich Medicinalia p. 241 f.

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Der Kommentar des Asklepios Der Text des ibn Riḍwān springt, wie bereits erwähnt, mit § 52 zurück zum zweiten Kapitel der hippokratischen Schrift; es beginnt hier also der andere Kommentar. Nach § 79 heißt es auf fol. 122 b 5 ganz unvermittelt: Tammat taʿālīq al-ǧuzʾ aṯ-ṯānī tafsīr Asqlabiyūs taʿālīq al-ǧuzʾ aṯ-ṯāliṯ „[Hiermit] sind die Adnotationen zum zweiten Teil zu Ende. Der Kommentar des Asklepios. Die Adnotationen zum dritten Teil“. Darauf setzt sich der Text in genau der gleichen Weise wie zuvor fort. Diese kleine redaktionelle Notiz gibt uns Auskunft über die Gliederung des Werkes und über seinen Verfasser. Zunächst zur Einteilung: Zwischen dem „zweiten“ und „dritten“ Teil, von denen ibn Riḍwān spricht, liegt insofern eine Zäsur, als der § 79 (der den zweiten Teil beschließt) das Ende des 3. hippokratischen Kapitels markiert und der § 80 (mit dem der dritte Teil beginnt) auf den Anfang des 4. hippokratischen Kapitels Bezug nimmt. Es scheint also, daß die „Teile“ des Kommentars den Kapiteln des Grundwerkes entsprochen haben. Da jedoch das erste Kapitel des Hippokrates in diesem Kommentar unberücksichtigt geblieben ist, hat sich die Zählung um eins verschoben, so daß der 1. Teil des Kommentars mit dem 2. Kapitel des Hippokrates korrespondiert, der 2. Teil mit dem 3. Kapitel usw. Daraus ergibt sich für das Werk folgende Übersicht: Hipp. De mul. I Kapitel

Teil

2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

ibn Riḍwān Taʿālīq Paragraphen 52‒71 72‒79 80‒84 85‒88 89‒92 93‒96 97‒101 102‒116

Zu den Kapiteln 7 und 10 des Grundwerkes fehlt ein entsprechender Kom- 258 mentar. Vielleicht hat ibn Riḍwān hier gekürzt, vielleicht waren diese Kapitel aber schon von dem griechischen Kommentator übergangen worden. In diesem Fall hätte der Kommentar nicht zehn, sondern nur acht Teile umfaßt. Diese Frage kann vorerst nicht entschieden werden.

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Wer ist nun aber der Verfasser? Asklepios ist der Name des Gottes der Heilkunst. Man mag also zunächst denken, daß die Schrift den Pseudepigrapha zuzurechnen sei. Wir erinnern uns auch, daß in arabischen Quellen die Namen Asklepios und Asklepiades oft verwechselt werden. Abū l-Ḥasan ʿAlī ibn Yūsuf al-Qifṭī (gest. 1248) sagt sogar ausdrücklich, daß „Asklepiades“ nur eine Nebenform von „Asklepios“ sei51. Und Asklepiades war ja der bekannte Arzt des ersten vorchristlichen Jahrhunderts, der in Rom gewirkt und der hippokratischen Humorallehre solidarpathologische Theorien entgegengesetzt hat. Es ist aber nicht nötig, eine falsche Zuschreibung oder einen Irrtum vorauszusetzen, um zu einer Erklärung zu gelangen. Die Dinge liegen viel einfacher, denn „Asklepios“ ist in der Spätantike, zwar nicht häufig, aber doch in einigen Fällen, als nomen proprium historischer Persönlichkeiten belegt. Da ist ein neuplatonischer Philosoph, ein Schüler des Ammonios Hermeiou (lehrte um 550 in Alexandrien), der einen Kommentar zu den Büchern A‒Z der Metaphysik des Aristoteles geschrieben hat52, und dieser Asklepios hatte einen Kommilitonen und Namensvetter, der später Lehrer der Medizin wurde. Von ihm sagt der Aristoteleserklärer: Ἀσκληπιὸς ὁ τῆς ἰατρικῆς τέχνης διδάσκαλος ὁ σὺν ἡμῖν ἐνδιατρίψας τοῖς μαθήμασιν53. Dieses biographische Zeugnis wird durch eine sachliche Notiz ergänzt, die sich an sehr abgelegener Stelle findet: Ein griechischer Codex des Escorial enthält einen fragmentarischen und anonymen Kommentar zu den Aphorismen des Hippokrates, dessen Autor möglicherweise Stephanos von Athen (um 600 n. Chr.?) oder Meletios war. Einige Passagen dieses Kommentars sind von dem Königsberger Mediziner Friedrich Reinhold Dietz veröffentlicht worden, und zwar in den Anmerkungen zu seiner Ausgabe der Scholien des Theophilos Protospatharios und des Damaskios zu den Aphorismen des Hippokrates54. In diesem anonymen Kommentar des Escorial heißt es nun an einer Stelle, daß Asklepios, der Kommentator des Hippokrates, die Werke des Hippokrates aus den Werken des Hippokrates erkläre (d. h. eine immanente Textinterpretation _______________ 51 Ibn al-Qifṭī’s Taʾrīḫ al-hukamāʾ, ed. Julius Lippert, Leipzig 1903, p. 8, 7 f. 52 Asclepii in Aristotelis Metaphysicorum Libros A‒Z Commentaria, edidit Michael Hayduck (Commentaria in Aristotelem Graeca VI 2), Berolini 1888. Vgl. auch Alfred Gercke, RE 2,2 (1896) Sp. 1697 nr. 5. 53 Asclepii Commentaria . . . p. 143, 31 f. [zu Metaphysik 995 b 20]. Vgl. auch J. Freudenthal, RE 2,2 (1896) Sp. 1697 f., nr. 6. 54 Apollonii Citiensis, Stephani, Palladii, Theophili, Meletii, Damascii, Joannis, aliorum scholia in Hippocratem et Galenum primum graece edidit Fridericus Reinholdus Dietz, Vol. II, Königsberg 1834, p. 236 ff.

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pflege): ὁ μέντοι Ἀσκληπιὸς ὁ ὑπομνηματιστὴς τοῦ Ἱπποκράτους ἐκ τῶν 259 Ἱπποκράτους τὰ Ἱπποκράτους ἐξηγούμενος55. An einer zweiten Stelle ist nur von „dem Exegeten“ (ὁ ἐξηγητής) die Rede, aber Dietz hält es für möglich, daß auch dort Asklepios gemeint sei56. Dieser Exeget sagt, eine Frau solle, wenn sie einer kalten Gebärmutter wegen kinderlos bleibe, einem warmen Manne gegeben werden, wenn sie eine feuchte Gebärmutter habe, einem trockenen Manne. Das ist eine Stellungnahme zu dem Aphorismus V 62: ὁκόσαι ψυχρὰς καὶ πυκνὰς τὰς μήτρας ἔχουσιν, οὐ κυΐσκουσιν, steht also im Zusammenhang eines Kommentars zu den Aphorismen. Aber die Stelle beweist, daß der Exeget auch mit gynäkologischen Fragen vertraut war. Mag nun „der Exeget“ und „Asklepios“ identisch sein oder nicht, auf jeden Fall steht nichts im Wege, in diesem den Kommentator der Schrift De muliebribus und zugleich den Ammoniosschüler wiederzufinden. Er gehört dann in die zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts. Max Wellmann57, der sich auf eine Stelle im 9. Kapitel von Galens Schrift De morborum differentiis58 beruft, möchte unseren Asklepios allerdings zeitlich vor Galen einordnen. Aber das ist unmöglich. Denn wenn Galen dort sagt, Asklepios habe den schwerkranken Nikomachos aus Smyrna geheilt, so meint er nicht einen historischen Arzt, sondern den Gott. Zu der Herkunft unseres Autors aus der neuplatonischen Philosophie stimmt nun auch der Umstand, daß er in § 70 den Porphyrios zitiert, jenen in Rom wirkenden Neuplatoniker, der im Jahre 234 nach Chr. in Tyros geboren und zwischen 301 und 305 gestorben ist59. Porphyrios habe berichtet, so sagt Asklepios, daß in Sizilien die Frauen nach einer großen Sonnenfinsternis mißgestaltete Kinder mit zwei Köpfen zur Welt gebracht hätten60. Ich kann dieses Zitat in den erhaltenen Werken des Porphyrios nicht nachweisen, sehe aber keinen Grund, an seiner Echtheit zu zweifeln. Denn Porphyrios hat auch eine Schrift über die Frage, wie die Embryonen beseelt werden61, verfaßt, und er ist auch der Autor einer Einführung in die Apotelesmatik des Ptolemaios, die ein Buch umfaßt62, sowie eines zweiten astrologischen Werkes in drei _______________ 55 56 57 58 59 60 61

Dietz II p. 458 Anm. 2. Dietz II p. 478 Anm. 3. RE 2,2 (1896) Sp. 1698, nr. 8. Bd. VI 869, 5‒7 Kühn. Rudolf Beutler, RE 22,1 (1953), Sp. 275‒313. Vgl. oben, p. 29. Die neuplatonische, fälschlich dem Galen zugeschriebene Schrift Πρὸς Γαῦρον περὶ τοῦ πῶς ἐμψυχοῦται τὰ ἔμβρυα aus der Pariser Handschrift zum ersten Male herausgegeben von Karl Kalbfleisch (Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Phil.-hist. Kl. 1895, I). 62 Griechisch und lateinisch gedruckt in dem Sammelband: In Claudii Ptolemaei Quadripartitum enarrator ignoti nominis, quem tamen Proclum fuisse quidam existimant. Item

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260 Büchern [Εἰσαγωγὴ ἀστρονομουμένων ἐν βιβλίοις τρισί], das vom Verfasser der Suda genannt wird63. Porphyrios’ Interesse an embryologischen und astrologischen Fragen ist damit hinreichend bezeugt, und in diesen Themenkreis fügt sich das neue Fragment nahtlos ein. Bei der Frage nach der Person des Asklepios darf schließlich eine Quelle nicht unerwähnt bleiben, deren Nachrichten allerdings aus dem Rahmen fallen: Es ist die griechisch verlorene Ärztegeschichte eines Johannes Grammatikos, dessen Identität ungeklärt ist. Von ihr sind Fragmente bei arabischen Autoren erhalten, und sie ist außerdem von Isḥāq ibn Ḥunain bearbeitet worden64. Johannes nennt acht berühmte Ärzte der Vorzeit, nämlich Asklepios den Ersten, Ġūrus, Mīnas, Parmenides, den Arzt Platon, Asklepios den Zweiten, Hippokrates und Galen65. Ihre Chronologie ist phantastisch66, werden doch zwischen dem Auftreten des Asklepios I. und der Lebenszeit Galens rund 5500 Jahre angesetzt. Allein vom Tode Platons bis zum Auftreten des Asklepios II. sollen 1420 Jahre verstrichen sein, und in dieser Periode hätten Milon von Agrigent, der Arzt Themistios, der alte Andromachos, der erste Herakleides und manche anderen gelebt. Asklepios II. habe die alten Theorien geprüft und sich für die Schule Platons entschieden67. Dieses Durcheinander von Namen und Jahreszahlen ist gewiß abenteuerlich, aber vielleicht hat bei dem zweiten Asklepios, dem Platoniker (!), die Erinnerung an den Verfasser unseres Kommentars Pate gestanden. Bevor wir die Frage nach der Schulrichtung des Asklepioskommentars weiterverfolgen, sollen einige Beispiele aus ihm mitgeteilt werden, damit wir einen Eindruck von dem Zuschnitt der Schrift gewinnen. Zu Beginn (fol. 119 a 3 ff.) nimmt Asklepios zu den Lehren des 2. Kapitels Stellung, in dem von den Folgen der Retention der Menses die Rede ist. Zu der Stelle οὐρήσει τε πουλὺ παχύ68 heißt es: (52) „Wenn die Menses verhalten werden und das Blut nach oben zurückkehrt und wenn ein Teil von ihm zur Leber gelangt und mit dem Urin ausfließt, kommt der Urin reichlich und dick heraus.“ Nach _______________

63 64 65 66 67 68

Porphyrii philosophi introductio in Ptolemaei opus de effectibus astrorum. Praeterea Hermetis philosophi de revolutionibus nativitatum libri duo, incerto interprete, Basileae 1559, p. 181‒204. Suidae Lexicon, ed. Ada Adler, Pars IV, Lipsiae 1935, p. 178, 30. Medizin im Islam 228 f. Franz Rosenthal, Isḥâq b. Ḥunayn’s Taʾrīḫ al-aṭibbâʾ, in: Oriens 7, 1954, p. 65, 1 f. und 75; b. a. Uṣ. I 22, 5 ff. Friedrich W. Zimmermann, The Chronology of Isḥāq ibn Ḥunayn’s Taʾrīḫ al-aṭibbāʾ, in: Arabica 21, 1974, 324‒330. Rosenthal a. a. O. p. 67, 8 ff.; 77; b. a. Uṣ. I 23, 20 ff. p. 16, 11 Littré.

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dreimonatiger Amenorrhöe bestehen die Leiden in Erstickungsanfällen, Fieber, Frösteln und Hüftschmerzen (πνίξ, πῦρ, φρίκη und ὀσφύος ἄλγημα)69, nach dem vierten Monat wird die Frau unter anderem mit den Zähnen knirschen (βρύξει τοὺς ὀδόντας)70. Der Kommentator paraphrasiert dies folgendermaßen: (54) „Aus der Beschaffenheit der Schlacken entstehen bisweilen viele Krankheiten: bald Erstickung, bald Fieber, bald Schüttelfrost (qušaʿrīra), bald heftige Kälte, bald Ausscheidung von dickem und vielem Urin, 261 bald Zähneknirschen (ṣarīr), bald etwas anderes.“ Im sechsten Monat aber wird es keine Heilung mehr geben (ἐν δὲ τοῖσιν ἕκτοισιν ἤδη ἀνίητος ἔσται)71. Der Kommentator sagt: (60) „Wenn die Menses sechs Monate stocken und der Frau gravierende Krankheiten zugestoßen sind, ist es nicht möglich, daß sie mit dem Leben davonkommt, denn die Krankheitsmaterie (al-mādda) ist zu viel, so daß die Natur ihrer nicht mehr Herr wird. Es versteht sich, daß statt sechs Monaten sechs Menstruationsperioden (sitt ṭamaṯāt) gemeint sind.72“ Hippokrates schreibt, daß die Gebärmutter einen knurrenden Ton von sich geben wird (βορβορύξουσιν αἱ μῆτραι)73. Der Kommentator meint dazu: (64) „Das Rumpeln (al-qarqara) ist ein Wind (rīḥ), der sich mit der Feuchtigkeit der Gebärmutter bewegt. Er gelangt zu keiner Zeit [selbst] zu irgendeinem Organ, sondern er sendet üble Dämpfe zu den Organen usw.“ Zuletzt wird der Leib aufgetrieben, die Beine schwellen über die Maßen an, ebenso die Unterschenkel und die Füße, und der Tod naht74. Der Kommentator erklärt diese Erscheinungen so: (65) „Als Folge der Retention der Menses kann Wassersucht (istisqāʾ) auftreten, nämlich dann, wenn von dem in der Gebärmutter angesammelten Blut viele Dämpfe zur Leber aufsteigen; dann wird die natürliche Wärme, die sich in ihr befindet, erstickt. Ist ihre Wärme erstickt, so kann ihre Kraft, die das Blut bereitet, ihre Wirkung nicht mehr ausüben. Anstelle des Blutes entstehen dann wäßrige Schlacken. Die Organe befördern diese in den Raum, der zwischen dem Bauchfell (ṣifāq al-baṭn) und den Gedärmen liegt. Daraus ensteht dann die Wassersucht, und die beiden Beine schwellen an, weil sie von der Quelle der eingepflanzten Wärme (maʿdin al-ḥarāra al-ġarīzīya) entfernt sind.“ Dieser Abschnitt ist insofern interessant, als er einen Krankheitsprozeß schildert und genau erklärt, der bei Soran nur angedeutet ist. Soran sagt, _______________ 69 70 71 72 73 74

p. 16, 4 ff. Littré. p. 16, 13 Littré. p. 16, 16 f. Littré. Der letzte Satz ist wohl eine Glosse von ibn Riḍwān. p. 16 ult. f. Littré. p. 18, 12 ff. Littré.

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daß eine an der „Mole“ erkrankte Frau durch A b k ü h l u n g d e r L e b e r wassersüchtig werden könne: ἔσθ’ ὅτε δὲ προϊόντος τοῦ χρόνου καὶ καταψυχομένου τοῦ ἥπατος καὶ ὕδρωψ ἐπιγίνεται75. Auf Soran deutet auch der § 92: „Wenn eine Frau anfängt, fett zu werden, so vermindern sich ihre Menses, denn das Blut wird zur Ernährung des Körpers verwendet; auch wird ihre Hautfarbe wegen der Menge des in ihr befindlichen Blutes schön.“ Das ist eine fast wörtliche Wiedergabe des Satzes: καταπιμέλοις μὲν γὰρ καὶ παχείαις ὀλιγώτερον, ὡς ἂν τῆς ὕλης διὰ τὴν εὐτροφίαν τοῦ συγκρίματος ἀναλισκομένης76. 262 Finden sich, so fragen wir, vielleicht im Asklepioskommentar Gedanken der methodischen Schule, da der Verfasser doch offenbar Soran gekannt und benutzt hat? Auch hier wird man diese Frage, wie beim pseudogalenischen Kommentar, verneinen müssen. Zwar ist in den §§ 58, 64 und 72 von tamaddud (= τάσις) die Rede, aber wiederum scheint der Begriff nicht im Sinne der Methodiker verwendet worden zu sein. Der § 72 lautet z. B.: „Die Gebärmutter hat in jeder Richtung Bänder und Adern. Wenn nun die Menses reteniert werden und dabei der Bauch schmerzt, so deutet dies auf die Spannung der zwischen ihm und der Gebärmutter liegenden Teile; schmerzen die Oberschenkel, so deutet dies auf die Spannung der zwischen beiden liegenden Teile; schmerzt die Hüfte, so deutet dies auf die Spannung der dazwischen liegenden Teile.“77 Diese „Spannung“ ist wohl nur als ein schmerzhafter Muskelkrampf, nicht als „status strictus“ zu verstehen. Im Anschluß an das 11. hippokratische Kapitel (= Bd. VIII 44 paen. ff. Littré) handelt Asklepios von § 107 an eingehend über die Räucherungen der Gebärmutter. Er folgt ganz den Ausführungen des Hippokrates; bei Soran dagegen „zeigen die Räucherungen einen noch energischeren Rückgang in der Häufigkeit der Applikation als die Spülungen“78. Der Kommentar des Asklepios verfolgt also eine eng an den Grundtext angelehnte Interpretation, die ihre Materialien aus dem Galenismus späterer Zeit bezieht, dabei eklektisch, aber durchaus auch soranisches Gut berücksichtigt. Damit unterscheidet er sich in seiner Tendenz nicht wesentlich von dem pseudogalenischen Kommentar, mit dem er den alexandrinischen Ursprung gemeinsam hat. Vielleicht war in ihm mehr von wunderbaren _______________ 75 76 77 78

Soran. Gynaec. III 37, 2 (p. 117, 13‒15 Ilberg). Soran. Gynaec. I 22, 5 (p. 15, 13 ff. Ilberg). Es ist die Erklärung der Passage Bd. VIII 22, 5 ff. Littré. Diepgen Frauenheilkunde p. 259.

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Erscheinungen, von Paradoxa und von magischen Dingen die Rede als in jenem79. Beide Texte aber lehren uns die „Geschichte des Hippokratismus im ausgehenden Altertum80“ genauer verstehen.

Nachträge Zu S. 26: Ǧālīnūs fī šarḥihī li-Auǧāʿ an-nisāʾ ist mit dem Lehrsatz: man kāna l‑qaiʾu yashulu ʿalaihi fa-l-yakun qabla ṭ-ṭaʿāmi li-yunaqqiya badanahū mina l‑balġami zitiert bei Ṣalāḥ ad-Dīn b. Yūsuf, K. Nūr al-ʿuyūn, ar-Riyāḍ 1987, p. 138, 3 f. (entspricht dem § 51 in Ms. Cambridge fol. 118 b 15 f.). Zu S. 30 Anm. 30: Hippokratische Gynäkologie. Die gynäkologischen Texte des Autors C. Nach den pseudo-hippokratischen Schriften De muliebribus I, II und De sterilibus herausgegeben und übersetzt von Hermann Grensemann, Wiesbaden 1982. Zu S. 39 Anm. 61: Porphyry. To Gaurus On How Embryos are Ensouled and On What is in Our Power, Translated by James Wilberding (Ancient Commentators on Aristotle), London-New York 2011.

_______________ 79 Vgl. das Zeugnis des Maimonides, oben, p. 29. 80 So der Titel der in der Fußnote 10 zitierten Arbeit von Owsei Temkin. Vgl. zum Thema auch Hellmut Flashar, Beiträge zur spätantiken Hippokratesdeutung, in: Hermes 90, 1962, 402‒418. Es sei ferner daran erinnert, daß Hans Hinrich Biesterfeldt in Beirut ein Fragment des Kommentars des Palladios zu den Aphorismen des Hippokrates entdeckt hat.

Galens Kommentar zu der Schrift De aere aquis locis Galen hat, wie er in seinem Pinax bezeugt, einen Kommentar zu der hippokratischen Schrift De aere aquis locis geschrieben, der drei Bücher umfaßt hat1. Das Werk ist in seinem griechischen Urtext verloren, aber vor kurzem ist eine Handschrift seiner arabischen Übersetzung bekanntgeworden, die im folgenden kurz vorgestellt werden soll. Damit wir die Bedeutung dieser Entdeckung beurteilen können, müssen wir zunächst einen Blick in die Überlieferungsgeschichte werfen. Der einzige griechisch schreibende Autor, der Galens Kommentar zitiert, ist Oreibasios. In seinen für Julianos Apostata verfaßten Συναγωγαί finden sich, wie Johannes Ilberg und Hans Diller2 nachgewiesen haben, wenigstens vier (vielleicht fünf) Passagen, die aus dem Kommentar stammen (vgl. unten p. 54 f.). Im neunten Jahrhundert ist das Werk dann von dem Nestorianer Ḥunain ibn Isḥāq3 ins Syrische übersetzt worden, und diese syrische Version hat Ḥunains Neffe Ḥubaiš ibn al-Ḥasan al-Aʿsam weiter ins Arabische übertragen. Die s y r i s c h e Fassung ist ebenso wie die griechische handschriftlich verloren. 354 Ein Reflex von ihr findet sich allenfalls im Kitāb Firdaus al-ḥikma, einem arabischen medizinischen Kompendium, das ʿAlī ibn Rabban aṭ-Ṭabarī im Jahre 850 vollendet hat4. Auch von der a r a b i s c h e n Version hatte man bisher nur indirekt Kenntnis. Zunächst ist da eine reiche Nebenüberlieferung, aus der zu ersehen ist, daß das Werk weit verbreitet war. Es wurde von folgenden Autoren zitiert: _______________ 1

2 3 4

Claudii Galeni Pergameni Scripta minora, Vol. II, ed. Iwan von Müller, Lipsiae 1891, p. 112, 25 und 113, 11 f. Vgl. auch Johannes Ilberg, Ueber die Schriftstellerei des Klaudios Galenos I, in Rheinisches Museum für Philologie, N.F. 44, 1889, 237. Hans Diller, Die Überlieferung der hippokratischen Schrift Περὶ ἀέρων ὑδάτων τόπων (Philologus, Supplementband 23, Heft 3), Leipzig 1932, p. 155 ff. Gestorben 873. Vgl. Gotthard Strohmaier, in The Encyclopaedia of Islam, New Edition, Vol. III, Leiden-London 1 9 7 1 , 578‒581. Firdausu’l-Ḥikmat or Paradise of Wisdom of ʿAli b. Rabban-al-Ṭabari. Edited by M. Z. Siddiqi, Berlin 1928, p. 541, 10‒12.

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1. Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī (Rhazes), lebte in Bagdad, gestorben um 923. K. al-Ḥāwī, Hyderabad-Deccan 1955‒1971, Bd. 4, 92; 5, 45; 6, 61; 169; 235; 274; 7, 220; 2275; 249; 280; 295; 311; 312; 9, 86; 151; 166; 10, 97; 139; 276; 326; 11, 70; 13, 127; 14, 23; 15, 182‒201; 16, 125. 2. (Pseudo-)Ṯābit ibn Qurra, K. aḏ-Ḏaḫīra, verfaßt im 10. Jhdt. im ʿIrāq (?), ed. Georges Sobhy, Cairo 1928, p. 2, 6; 74, 22; 107, 3. 3. Abū ʿAlī ibn Sīnā (Avicenna), lebte in Buḫārā, Ǧurǧān, Hamaḏān, gest. 1037. K. al-Qānūn, Druck Būlāq 1294, Vol. I, 84 ff. (vgl. Diller Überlieferung, p. 106 ff.). 4. ʿAlī ibn Riḍwān, lebte in Kairo, gest. 1068. Taʿālīq min K. al-Buldān wal-miyāh wa-l-ahwiya li-Abuqrāṭ, tafsīr Ǧālīnūs, Ms. Cambridge University Library Dd. 12. 1, fol. 36 a 10‒50 a ult. 5. Mūsā ibn ʿUbaid Allāh ibn Maimūn (Maimonides), lebte in Cordoba und Ägypten, gest. 1204. K. al-Fuṣūl, Ms. Leiden 1344 (= Cod. 128, 1 Gol.), fol. 12 b; 14 a; b; 53 b; 78 a; 113 a; 126 a. 6. Yāqūt ar-Rūmī, lebte in Syrien und im Osten der islamischen Welt, bereiste auch Ägypten, gest. 1229. K. Muʿǧam al-buldān, Geographisches Wörterbuch, ed. Ferdinand Wüstenfeld, Bd. I, Leipzig 1866, p. 63, 11 / ed. Beirut 1955, I p. 54 b 4. 7. ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, lebte in Bagdad, Damaskus, Kairo, gest. 1231. K. al-Ifāda wa-l-iʿtibār, Facsimile-Druck des Autographs udT. „The Eastern Key“ von John A. und Ivy E. Videan, London 1965, p. 176, 1‒3. 8. Ǧalāl ad-Dīn as-Suyūṭī, lebte in Ägypten, gest. 1505. Kommentar zu seinem Kitāb Rašf az-zulāl min as-siḥr al-ḥalāl, s. Nuits de noces ou comment humer le doux breuvage de la magie licite, traduction intégrale par René R. Khawam, Paris 1972, p. 99 f. Sodann gibt es eine h e b r ä i s c h e Übersetzung, die Salomon ben Nathan 355 Hameati im Jahre 1299 auf der Grundlage des arabischen Textes angefertigt hat. Sie ist in einer einzigen, unvollständigen Handschrift in Oxford erhalten6. Schließlich kennt man noch eine l a t e i n i s c h e Version. Sie ist das Werk eines jüdischen Arztes namens Moses Alatino und ist in der 7. Juntina der Werke Galens vom Jahre 1600 sowie in der Hippokrates-Ausgabe von René _______________ 5 6

Dieses Zitat haben Daremberg-Ruelle, Œuvres de Rufus d’Ephèse, Paris 1879, p. 495 irrtümlich als Rufusfragment nr. 249 gedruckt. Ms. Bodl. Oppenheim Add. Fol. 18, 1 (Fol. 1‒18) [saec. XV], s. Adolf Neubauer, Catalogue of the Hebrew Manuscripts in the Bodleian Library (Catalogi Codd. Mss. Bibliothecae Bodleianae Pars XII), Oxford 1886, p. 712 f., nr. 2083. Der Text bricht schon mit den Worten τοῖσι δὲ πρεσβύτησιν ἥκιστα (48, 12 Diller) ab. Es ist also weniger als die Hälfte des Buches erhalten.

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Chartier7 gedruckt. Das Verhältnis der lateinischen zur hebräischen Version ist noch nicht genau bestimmt worden. Moritz Steinschneider war der Meinung, daß die lateinische Übersetzung aus der hebräischen hervorgegangen sei8, indes spricht doch manches dafür, daß Moses Alatino direkt aus dem Arabischen übersetzt hat. Wie dem auch sei: Galens Kommentar war bisher nur in einer höchst mangelhaften Gestalt greifbar, d. h. in Texten, die den Endpunkt einer langen Entwicklung markieren. Ilberg, der die Bedeutung des Kommentars erkannt hatte, konnte immer nur die lateinische Version benutzen9. Ein Stück des hebräischen Textes ist von David Heinrich Müller ediert und übersetzt10 und von H. J. Kraus abermals übersetzt worden11. Außerdem gibt es eine handschriftliche Übersetzung des gesamten hebräischen Textes von Franz Pfaff, die Diller für seine Edition des hippokratischen Grundtextes12 benutzen konnte. Daß der arabische Text, der die Vorlage der hebräischen und lateinischen Version gebildet hat, handschriftlich vollständig erhalten ist, wurde 1971 bekannt, als Fuat Sezgin den dritten Band seiner Geschichte des arabischen Schrift356 tums (s. Anm. 8) veröffentlichte. Auf die Wichtigkeit dieser Entdeckung habe ich in der Zeitschrift Mundus 7, 1971, 336 f. hingewiesen, und vor kurzem gelang es mir, durch die freundliche Vermittlung meines Kairoer Kollegen Prof. Dr. As-Saiyid Yaʿqūb Bakr einen Mikrofilm der arabischen Handschrift zu erhalten. Ich möchte Herrn Bakr auch an dieser Stelle meinen wärmsten Dank für seine Hilfe aussprechen. Galens Kommentar zu De aere bildet das zweite Stück einer Sammelhandschrift (maǧmūʿa), die aus dem Besitz von Aḥmad Ṭalʿat Bey (geb. 1859, gest. 1927), einem unter dem Khediven ʿAbbās Ḥilmī (reg. 1892‒1914) tätigen Ministerialbeamten13, stammt. Die Handschrift wird heute in der ägyptischen Nationalbibliothek (Dār al-kutub al-miṣrīya) unter der Signatur „Ṭalʿat 550 ṭibb“ aufbewahrt. Sie enthält nach einem flüchtigen, von junger Hand angefertigten Inhaltsverzeichnis die folgende Werke : _______________ 7 8 9 10 11 12 13

Magni Hippocratis Coi et Claudii Galeni opera, Vol. VI, Lutetiae Parisiorum 1679, p. 187 ff. Moritz Steinschneider, Die hebräischen Uebersetzungen des Mittelalters und die Juden als Dolmetscher, Berlin 1893 (Neudruck Graz 1956), p. 663 f., danach Fuat Sezgin, Geschichte des arabischen Schrifttums, Bd. III, Leiden 1970 [erschienen 1971], p. 37 und 124. Vgl. Diller, Überlieferung, p. 111. Archiv für Geschichte der Philosophie 24, 1911, 325‒334. Rheinisches Museum für Philologie, N.F. 95, 1952, 218‒220. Hippokrates, Über die Umwelt, herausgegeben und übersetzt von Hans Diller (CMG I, 1, 2), Berlin 1970. Alle folgenden Zitate beziehen sich auf diese Ausgabe. Ḫair ad-Dīn az-Ziriklī, Al-Aʿlām I, 2. Druck, Beirut 1969, p. 137.

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1. Fol. 1‒28 a: Galens Kommentar zu De victus ratione in morbis acutis, Teil II. 2. Fol. 28 b 1‒102 b 8: Galens Kommentar zu De aere. 3. Fol. 102 b 9‒103 b: Asmāʾ ar-riyāḥ wa-maʿrifat hubūb kull wāḥid min nāḥiyatihā. 4. Fol. 104‒113: Galen, De anatomia mortuorum. 5. Fol. 114‒152: Galens Kommentar zu De victus ratione in morbis acutis, Teil III. 6. Fol. 152‒159: K. Ḥunain fī l-Laban. 7. Fol. 159‒160: Ḏikr al-auzān ʿalā raʾy al-aṭibbāʾ fī Anṭākiya. 8. Fol. 160‒162: Ḏikr al-auzān wa-l-makāyīl min Kunnāš Yūḥannā ibn Sarābiyūn. 9. Fol. 162‒165: Tarǧam (?) kitāb Abuqrāṭ allaḏī (?) . . . Demselben Inhaltsverzeichnis ist auch der Name des Kopisten Muḥammad ibn Isḥāq ibn Ibrāhīm al-Ḥasanī (?) aṭ-Ṭabāṭabāʾī und das Datum der Abschrift 887 Hiǧra (= 1483 nach Chr.) zu entnehmen. Auf Grund der mir vorliegenden nicht sehr deutlichen Photokopie der Folia 28‒103 des Manuskriptes ist es nicht möglich, eine genaue kodikologische Beschreibung zu geben. Immerhin kann folgendes gesagt werden : Die Handschrift scheint im allgemeinen gut erhalten zu sein. Das Papier hat jedoch durch Feuchtigkeit gelitten. Viele Seiten sind mit großen Stockflecken überzogen. Gelegentlich (z. B. fol. 50 a Mitte) ist die Schrift dadurch 357 nahezu unleserlich geworden. Das Papier ist an der Heftung mehrfach ausgebessert. Die Kolumne umfaßt 21 Zeilen. Die Schrift ist ein klares, etwas eckiges Nasḫī. Die Kapitelüberschriften (Rubra ?) sind später mit einer nach rechts liegenden Schrift eingetragen worden, wobei eine dicke Feder verwendet wurde. Die Kopie ist nicht sehr sorgfältig ausgeführt worden. Denn beim Kollationieren der Abschrift mit der Vorlage (oder einem weiteren Manuskript) mußte der Text oft berichtigt werden. Dabei sind Dittographien gestrichen und fehlende Wörter oder Satzteile am Rande nachgetragen worden. Die Schrift auf den Rändern ähnelt stark derjenigen, die für die Überschriften verwendet wurde. Aber es sieht doch nicht so aus, daß der Kopist selbst die Kollation durchgeführt hat. Bisweilen ist der Text auch in der Kolumne verbessert worden, indem ein falsches Wort mit dicker Tinte überschrieben wurde. Die Lesbarkeit der betreffenden Wörter hat dadurch ziemlich gelitten. Incipit fol. 28 b 1 ff.: „Im Namen des gnädigen und barmherzigen Gottes. Herr, machs leicht und gut! Der erste Traktat (maqāla) des Kommentars des Galen zum Buche des Hippokrates über die Lüfte, Zeiten, Gewässer und

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Örtlichkeiten. Übersetzung (iḫrāǧ) des Ḥunain ibn Isḥāq aus dem Griechischen ins Syrische und Übersetzung des Ḥubaiš ibn (sic) al-Aʿsam aus dem Syrischen ins Arabische. Das erste Kapitel über die Benennung des Buches und über die Darlegung seines Themas usw.“ Explicit fol. 102 a 8‒102 b 8: „Hippokrates sagt: Die Naturen und Gestalten sind stark entgegengesetzt und unterscheiden sich voneinander, und zwar sind es die, die wir erwähnt haben. Willst du dich über die übrigen Naturen auslassen, so such sie auf Grund dieser zu bestimmen, denn dann wirst du keine schlechte Analogie und Bestimmung machen14. Galen sagt: Wir finden, daß eine Natur trockener ist als eine andere trockene Natur, daß eine Natur feuchter ist als eine andere feuchte Natur, daß eine Natur wärmer ist als eine andere warme Natur und daß eine Natur kälter ist als eine andere kalte Natur. Daher erfordert der Umstand, daß Hippokrates die einander entgegengesetzten Naturen als einen vielfachen Unterschied festgelegt hat, den Analogieschluß aus ihnen. Er sagt über die restlichen Naturen etwas Ähnliches 358 und (er sagt), wie viel sie unterhalb der Quantität der Naturen liegen, die wir erwähnt haben, weil es in jeder Natur Dinge gibt, die kein Ende haben. Diejenigen Dinge nun, die zwischen den beiden Extremen liegen, kannst du nicht im einzelnen und Stück für Stück kennen. Derjenige jedoch, der die Kraft der beiden Extreme in Erfahrung gebracht hat und (nun) gewisse Dinge betrachten will, dem obliegt es, an ihnen zu bestimmen, wieweit jene Dinge von den beiden Extremen abweichen, und über dieses sich dann auszulassen. Denn wir können durch eine wohlbegründete Bestimmung die Kraft des gewünschten Dinges finden, so Gott — er ist erhaben — es will, denn er verleiht Erfolg. Zu Ende ist der vierte Traktat des Kommentars des Galen zum Buche des Hippokrates über die Gewässer, die Lüfte, die Zeiten und die Örtlichkeiten. Preis sei Gott usw.“ Als Anhang folgt auf fol. 102 b 9‒103 b ult. noch ein kleines Stück über die Namen der Winde, das offenbar aus der Scholienliteratur stammt. Die griechischen Bezeichnungen sind zumeist nur transkribiert. Es bedeuten also nwṭs: νότος, ʾbylwṭs: ἀπηλιώτης, dʾfwrs: ζέφυρος, ʾywrs: εὖρος, ly[b]s: λίψ, qyqʾs: καικίας usw. Der Dichter Homer, so heißt es zum Schluß, nenne die Winde gewöhnlich nur hwrs: οὖρος und [b]wryʾs: βορέης. Hippokrates fasse im Epidemienbuche alle Winde unter den Begriffen bwryʾ: βόρεια und nwtyʾ: νότια zusammen, im Buche über die Lüfte und Gewässer teile er sie dagegen in vier Teile ein. Mit dieser arabischen Handschrift steht jetzt der Text des Kommentars in einer älteren und zuverlässigeren Überlieferungsstufe zur Verfügung als es _______________ 14 Entspricht 82, 13‒15 Diller.

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bisher der Fall war. Manches von dem, was auf der Basis der hebräischen oder lateinischen Version erarbeitet worden ist, wird damit hinfällig, anderes wird überraschend bestätigt; im ganzen vermittelt die arabische Handschrift eine Fülle neuer Erkenntnisse. Exempli causa sollen an dieser Stelle einige Punkte kurz erörtert werden.

I. In der Titelei der Handschrift fol. 28 b 3 f. ist gesagt, daß Ḥunain ibn Isḥāq den Kommentar aus dem Griechischen ins Syrische und daß Ḥubaiš al-Aʿsam ihn aus dem Syrischen ins Arabische übersetzt habe. Diese Nachricht stimmt mit dem überein, was Ḥunain in seiner Bibliographie der Galenübersetzungen berichtet. Er selbst habe, so sagt er dort, den Kommentar für Salmawaih (ibn Bunān) ins Syrische übertragen, und Ḥubaiš habe ihn für Muḥammad ibn 359 Mūsā ins Arabische übersetzt15. Diese Notizen geben aller Wahrscheinlichkeit nach den richtigen Sachverhalt wieder, denn stilistische und andere Indizien sprechen dafür, daß die arabische Version aus der Feder des Ḥubaiš stammt. Ḥubaiš war einer der weniger begabten Übersetzer aus der „Schule Ḥunains“, und das zeigt sich auch an den schwerfälligen und bisweilen unklaren Formulierungen im Kommentar. Nun spricht Ḥunain aber an derselben Stelle seiner Galenbibliographie davon, daß er selbst den „Text der Worte des Hippokrates“ für Muḥammad ibn Mūsā ins Arabische übersetzt habe, und da das Grundwerk des Hippokrates in den arabischen Handschriften Istanbul Aya Sofya 3572, 3632, 4838 und Escorial 857, 5 Renaud erhalten ist und da diese Handschriften Ḥunain als Übersetzer nennen, lag es nahe, in ihnen tatsächlich das Werk Ḥunains zu suchen. So hat denn auch Diller in der Praefatio seiner Ausgabe p. 10 konstatiert: „Facta est versio arabica ab interprete doctissimo Ḥunain ibn Isḥāq“, und er hat für diese Handschriften die Sigle „Ḥun.“ gewählt. Vergleicht man aber den arabischen Text der Constantinopolitani und des Scorialensis16 mit dem Text der Lemmata des arabischen Galenkommentars (Cahirensis Ṭalʿat 550 ṭibb), so zeigt sich, daß sie identisch sind. Die Constantinopolitani bieten also nicht den Text einer unabhängigen Übersetzung des hippokratischen Grundwerkes, sondern einen Text, der durch sekundäre Exzerpierung _______________ 15 Ḥunain ibn Isḥāq, Über die syrischen und arabischen Galen-Übersetzungen, hsgb. und übersetzt von Gotthelf Bergsträsser (AKM 17, 2), Leipzig 1925, arab. p. 43, 8 ff., dt. p. 35 (nr. 99). 16 Ediert von John N. Mattock und Malcolm C. Lyons: Hippocrates, On Endemic Diseases [Airs, Waters and Places] (Arabic Technical and Scientific Texts, 5), Cambridge 1969.

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der Lemmata aus dem arabischen Kommentar Galens zustandegekommen ist. Eine derartige gesonderte Tradierung der Lemmata ist für die arabische Hippokrates-Überlieferung überhaupt charakteristisch. Auf die gleiche Weise sind die arabischen Texte der Schriften De natura hominis, De officina medici und De victus ratione in morbis acutis zusammengestellt worden17. In unserem Fall bedeutet dies, daß in Dillers Ausgabe überall „Ḥub.“ statt „Ḥun.“ zu lesen ist. Das ist nur eine Formalität, aber wichtig ist der folgende Umstand: „Ḥun.“ steht für die Constantinopolitani, „Gal.“ für die hebräische Version 360 von Galens Kommentar. Bei der Lektüre des Apparates fällt nun auf, daß „Ḥun.“ und „Gal.“ weitgehend dieselben Varianten und Auslassungen bieten. Das kann auch gar nicht anders sein, denn es liegen ja nicht zwei verschiedene Quellen vor, sondern nur eine einzige Quelle18. Es kommt aber noch etwas anderes hinzu: Vergleicht man die Angaben, die Diller nach „Ḥun.“ und „Gal.“ gemacht hat, mit dem Cahirensis und dem Scorialensis, so zeigt sich, daß der Apparat in vielen Punkten zu berichtigen ist. Denn die Constantinopolitani bieten den Text in einer jüngeren, überarbeiteten und zum Teil verwilderten Form. Dafür nur wenige Beispiele: Zu 36, 25 f. bemerkt Diller, daß die Worte ἐκ πετρέων — σκληρὰ γὰρ ἀνάγκη εἶναι — ἢ in Ḥun. und im Lemma der hebräischen Übersetzung ausgelassen seien. Das trifft für die Constantinopolitani zu, aber sowohl im Cahirensis fol. 49 a 14 wie im Scorialensis (Mattock-Lyons, p. 57, 7 f.) lautet der Text: „Zu den schlechten Gewässern, die den Gewässern, welche wir erwähnt haben, folgen, gehören die Gewässer der aus einigen Felsen entspringenden Quellen — denn diese sind notwendig hart — sowie der aus warmem Erdreich entspringenden Quellen“. Zu der Stelle 44, 18 ὁκόσων μὲν ἥ τε κοιλίη εὔροός τε καὶ ὑγιηρή ἐστι steht im Apparat, Ḥun. habe „leicht“ statt ὑγιηρή. Aber die ursprüngliche Formulierung des Übersetzers Ḥubaiš ist im Cahirensis fol. 57 a 16 erhalten: wa-man kāna baṭnuhū layyinan sahilan ṣaḥīḥan „Wesssen Bauch weich und leicht und gesund ist“. Die anderen Handschriften bieten den Text verkürzt: Der Scorialensis hat nur „leicht und gesund“ (Mattock-Lyons, p. 85, 2), die Constantinopolitani haben nur „weich und leicht“. Aber das bedeutet nicht, daß „weich“ dem εὔροος und „leicht“ dem ὑγιηρή entspricht, sondern „leicht _______________ 17 Vgl. Gotthard Strohmaier, in Arabica 21, 1974, 321. 18 Diller hatte das durchaus gesehen (vgl. seinen Aufsatz: Nochmals: Überlieferung und Text der Schrift von der Umwelt, in Festschrift Ernst Kapp zum 70. Geburtstag am 21. Januar 1958, Hamburg 1958, p. 33 oben), hatte jedoch keine Konsequenzen daraus gezogen, wie die Gestaltung seines Apparates und die Praefatio zur Edition p. 10 zeigen.

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und weich“ ist die Wiedergabe von εὔροος mittels Hendiadyoin, und „gesund“ ist ausgefallen. Zu der Stelle 48, 18 ζώειν λεπτά τε ἐόντα καὶ ἀσθενέα καὶ νοσώδεα ist aus Ḥun. die Variante „leben schwach wegen ihrer Krankheit“ angegeben. Der Cahirensis fol. 67 b 8 f. hat jedoch mit dem Griechischen völlig übereinstimmend: an yaʿīšū mahāzīla bi-suqmin wa-maraḍin „sie leben abgemagert in Siechtum und Krankheit“. Das Wort bi-suqmin „in Siechtum“ ist in den Con- 361 stantinopolitani zu li-suqmin „wegen Siechtums“ verschrieben. Der Scorialensis hat, sachlich mit dem Cahirensis übereinstimmend: yaʿīšūna mahāzīla masqūmīna. Zur der Stelle 58, 26 διὰ τὴν ὁμιλίην τῶν ἀνθρώπων steht im Apparat: „mit anderen Menschen Ḥun. (leg. ἄλλων ante ἀνθρώπων ?)“. Aber die Constantinopolitani (Mattock-Lyons, p. 129, 13) und der Cahirensis fol. 81 a 3 haben: wa-ḫtilāṭihim bi-ġairihim mina n-nāsi wa-l-umami „und wegen ihrer Vermischung mit anderen Menschen und Völkern“. Das ist eine Paraphrase des ursprünglichen Wortlautes, der im Scorialensis erhalten ist: li-ḫtilāṭihim bi-nnāsi „wegen ihrer Vermischung mit den Menschen“. Dillers Konjektur wird also durch den arabischen Text nicht gestützt. Zu 36, 3 f.: Der Satz ἐς γὰρ τὸν σπλῆνα αἱ σάρκες ξυντήκονται, διὸ καὶ ἰσχνοί εἰσιν lautet im Arabischen fol. 46 a 16 f.: „und zwar deshalb, weil das meiste Fleisch zur Milz gelangt, und dies geschieht infolge der Verderbnis des Blutes“. Im Apparat hatte der Herausgeber die Frage gestellt, ob der zweite Satz vielleicht aus Galens Kommentar stamme. Aber der Cahirensis zeigt eindeutig, daß er noch zum Lemma gehört. Zu 68, 18 f. finden sich im Arabischen nach ὥρης καταστάσει drei weitere Sätze, von denen der Herausgeber vermutete, sie könnten vielleicht aus dem Kommentar stammen. Im Cahirensis fol. 86 a 15 ff. stehen diese Sätze aber unzweifelhaft als Lemmata. Zu der Stelle 70, 17 τά τε θήλεα θαυμαστὸν οἷον ῥoικά ἐστι τὰ εἴδεα καὶ βλαδέα merkt der Herausgeber an, Ḥun. habe hier den Wortlaut „und ihre Väter (!) haben auch schwache Füße (?)“. Aber das ābāʾahum „ihre Väter“ ist eine Korruptele der Constantinopolitani und des Cahirensis fol. 87 a ult. für ināṯahum, wie der Scorialensis richtig hat. Zu lesen ist also : wa-inna ināṯahum yakunna ṣukkan aiḍan „und ihre Weiber haben auch wacklige Knie“.

II. Der arabische Text des Kommentars begleitet die hippokratische Schrift fortlaufend vom Anfang bis zum Ende. Damit ist die Frage, die Diller (Überlieferung p. 119 ff.) auf Grund von Indizien zu beantworten versucht

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hatte, positiv entschieden: Galen hat auch die zweite Hälfte des Werkes (Kap. 12‒24 = p. 54, 4 ff.), in der die ethnographischen Fragen behandelt sind, kommentiert. Sein Kommentar war nach seinem Selbstzeugnis in drei Bücher 362 eingeteilt, und auch Ḥunain hat diese Einteilung vorgefunden. Im Cahirensis jedoch ist der Kommentar auf vier Bücher (maqālāt) aufgeteilt: Buch I umfaßt 10 Kapitel, von denen das erste das Prooemium Galens enthält. Die arabischen Kapitel 2‒10 entsprechen den Kapiteln 1‒6 der herkömmlichen Einteilung des griechischen Textes (p. 24‒34, 15). Buch II umfaßt 5 Kapitel, die den griechischen Kapiteln 7‒9 (p. 34, 16‒46, 15) entsprechen; das III. Buch besteht aus 11 Kapiteln, die den griechischen Kapiteln 10 und 11 (p. 46, 16‒54, 3) entsprechen, und das IV. Buch enthält 8 Kapitel, die den Kapiteln 12‒24 (p. 54, 4‒82, 15) entsprechen. Es ist nicht bekannt, wann und von wem diese andere Einteilung, die auch die Constantinopolitani und der Scorialensis aufweisen, gemacht wurde. Vielleicht geht sie schon auf die Antike zurück. Denn in der Parallelüberlieferung von Ḥunains Galen-Bibliographie, die ibn abī Uṣaibiʿa19 bietet, steht der Satz: „Der Kommentar zum Buch der Luft, des Wassers und der Wohnorte von Hippokrates. Auch diesen hat er (wie den zu De officina medici) in drei Bücher eingeteilt. Wir haben aber festgestellt, daß einige Kopien dieses Kommentars auch in vier Bücher eingeteilt sind. Das erstere jedoch ist das Zuverlässige“.

III. Der Titel Περὶ ἀέρων ὑδάτων τόπων ist schon in der Antike mit mancherlei Variationen zitiert worden. Die modernen Philologen haben dieses Problem mehrfach diskutiert. Es sei nur an die Ausführungen von Iwan von Müller20 und Hans Diller21 erinnert. Im Prooemium zu seinem Kommentar (Buch I, Kap. 1) liefert uns Galen neues interessantes Material zu dieser Frage22. Es heißt dort (fol. 28 b 6 ff.): Galen sagt: Dieses Buch wird je nach Überlegung und Mutmaßung mit vielen Titeln bezeichnet. Manche Leute schreiben seinen Titel: „Über die Orte und die Lüfte und die Gewässer“, andere schreiben dies: „Über die Gewässer _______________ 19 Ibn abi Useibia, herausgegeben von August Müller, Kairo-Königsberg 1882‒84, Bd. I, p. 99, 15‒17. 20 Galeni Scripta minora, Vol. II, Lipsiae 1891, Praefatio, p. xlvi f. 21 Diller, Überlieferung, p. 175 ff. 22 Auf dieselbe Frage kommt Galen noch einmal im Prooemium zum IV. Buche (fol. 75 a 1‒76 a 12) zurück.

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und die Lüfte und die Orte“, wieder andere schreiben: „Über die Orte und die Gewässer und die Lüfte“, andere schreiben: „Über die Lüfte und die Gewässer 363 (sic l. ?) und die Orte“, und abermals andere schreiben: „Über die Gewässer und die Orte und die Lüfte“. Bei meinem Leben! Manchmal haben drei Dinge Verwandlungen und und mehrfache Umkehrungen, deren Erklärung mehrdeutig ist. Andere wiederum [tilgen] das Nomen „die Lüfte“ und fügen anstelle der „Lüfte“ „die Zeiten“ ein; so haben es Dioskurides und Platon gemacht, aber auch diese beiden stimmen in der Erklärung der Nomina nicht überein. Denn Dioskurides stellt „die Zeiten“ voran und macht sie zum Ersten, dann läßt er ihnen die „Orte“ folgen und macht sie zum Zweiten, und diesen läßt er die „Gewässer“ folgen. Er gibt dem Buch demnach den Titel: „Die Zeiten und die Orte und die Gewässer“23. Artemidoros hingegen formuliert den Titel: „Über die Gewässer und die Zeiten und die Orte“. Was Rufus betrifft, so formuliert er den Titel: „Über die Zeiten und die Orte und die Gewässer“24. Andere schließlich verwenden die restlichen (möglichen) Umkehrungen; jedoch formulieren sie den Titel des Buches nach Maßgabe der sechs Umkehrungen. Dann gibt es welche, die dem Titel nur zwei Nomina geben. Einige schreiben ihn also: „Über die Orte und die Lüfte“, andere schreiben ihn „Über die Lüfte und die Orte“25. Schließlich gibt es Leute, die ihn mit drei Nomina benennen und anderen widersprechen. Sie schreiben also: „Über die Lüfte und die Orte und die Gewässer“ und kehren das ebenfalls gemäß jenen [fol. 29 a] sechs Umkehrungen um26. Vielleicht hatte Hippokrates diesem Buch gar keinen Titel aufgeschrieben, oder er hatte ihn zu _______________ 23 Περὶ ὡρῶν καὶ τόπων καὶ ὑδάτων, belegt im Codex Marcianus von Galens Hippokrates-Glossar, s. Ioannes Ilberg, De Galeni vocum hippocraticarum glossario, in Commentationes Philologae quibus Ottoni Ribbeckio praeceptori inlustri sexagesimum aetatis . . . decimum annum exactum congratulantur discipuli Lipsienses, Lipsiae 1888, p. 345. Vgl. auch Diller, Überlieferung, p. 176, Anm. 227. 24 Das würde mit dem dioskurideischen Titel übereinstimmen. Vielleicht ist für Rufus die Reihenfolge „die Zeiten und die Gewässer und die Orte“ anzusetzen? Zur Frage, wieweit Rufus die Schrift De aere benutzt hat, vgl. Diller, Überlieferung, p. 144‒146. Ein Kommentar des Rufus zu De aere, von dem auch Johannes Ilberg, Rufus von Ephesos, ein griechischer Arzt in trajanischer Zeit (Abhandlungen der sächsischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 41, 1930, nr. 1), p. 40, spricht, ist durch arRāzī allerdings nicht bezeugt. Diese Behauptung beruht auf einem Irrtum Darembergs und Ruelles, die eine Stelle aus Galens Kommentar zu De aere als Rufus-Fragment nr. 249 abgedruckt haben, s. oben Anm. 5. 25 Zwei Nomina verwendet Erotian, jedoch lautet bei ihm der Titel περὶ τόπων καὶ ὡρῶν, s. Erotiani vocum hippocraticarum collectio cum fragmentis, recensuit Ernst Nachmanson (Collectio scriptorum veterum Upsaliensis), Gotoburgi 1918, p. 9, 11. 26 Das wären also weitere Modifikationen der oben aufgeführten Titelformen.

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364 seinen Lebzeiten niemandem mitgeteilt; vielleicht hatte er aber auch den Titel geschrieben, aber wir haben ihn nicht mehr vorgefunden. Wenn nun jemand mit mir einer Meinung ist bezüglich des Wortlautes des Titels dieses Buches, so werde ich es nicht wie meine Vorgänger machen, die ohne Autopsie und Nachforschung schrieben, was ihnen in den Sinn kam. Ich werde mich vielmehr bei diesem Buch an das halten, was ich auch bei anderen Problemen zu tun gewohnt bin . . . Auf Grund von Betrachtungen über die Anlage und die Thematik des Buches schlägt Galen dann folgende Formulierung des Titels vor (fol. 29 b 5): „Die Wohnstätten und die Wässer und die Lüfte und die Orte“ (al-manāzil wa-l-miyāh wa-l-ahwiya wa-l-mawāḍiʿ). Das stimmt weitgehend überein mit der Formulierung, die er in seiner Schrift De propriis libris empfohlen hatte: . . . περὶ τόπων, ἀέρων, ὑδάτων, ὃ ἐγὼ περὶ οἰκήσεων καὶ ὑδάτων καὶ ὡρῶν καὶ χωρῶν ἐπιγεγράφθαι φημὶ δεῖν27.

IV. Wie hier im Prooemium, so weist Galen auch sonst gelegentlich auf die Kommentatoren und ihre Erklärungen oder auf die Editoren Dioskurides und Artemidoros Kapiton und die von ihnen bevorzugten Lesarten hin. Diese Notizen geben Aufschlüsse über die Geschichte des Textes in der Antike, Aufschlüsse, die umso wertvoller sind, als man bei derartigen Fragen bisher nur die Schriften des Rufus und Galen und das Hippokrateslexikon des Erotian zur Verfügung hatte. Dafür nur ein Beispiel: Zu der Stelle 36, 1 f.: καὶ τὰς γαστέρας σκληράς τε καὶ λεπτὰς καὶ θερμάς hatte Diller nach der hebräischen Version des Kommentars für θερμάς die Variante: „es wird auch gesagt: aufgebläht“ notiert. Die arabische Version bestätigt dies, aber sie nennt zusätzlich die Quelle für diese Variante (fol. 46 a 10): inna Diyusqūrīdūs ǧaʿala makāna l-ḥārrati muntafiḫatan „Dioskurides setzt ‘aufgebläht’ an die Stelle von ‘warm’“.

V. Bereits oben war darauf hingewiesen worden, daß Ilberg und Diller (Überlieferung, p. 155 ff.) einige Passagen in den Collectiones medicae des Orei365 basios als Zitate aus Galens Kommentar zu De aere identifiziert hatten. Bei _______________ 27 Galeni Scripta minora, Vol. II, ed. Iwan von Müller, Lipsiae 1891, p. 112, 25 ff.

Galens Kommentar zu De aere aquis locis

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ihrer Beweisführung hatten sie sich auf den vielfach entstellten lateinischen Text stützen müssen. Der arabische Text, der den Oreibasios-Passagen viel genauer als der lateinische entspricht, bestätigt nun die Schlußfolgerungen der beiden Gelehrten aufs beste. Es entsprechen sich: Coll. med. V, 1, 5‒7 (Bd. I, 112, 5‒18 Raeder) — Cahir. fol. 54 b 15 ff. Coll. med. V, 16 (Bd. I, 130, 9‒15 Raeder) — fol. 55 b 18 ff. Coll. med. IX, 10 (Bd. II, 11, 30‒12, 5 Raeder) — fol. 32 a 13 ff. Coll. med. IX, 7, 1‒3 (Bd. II, 9, 27‒10, 8 Raeder) — fol. 31 b 16 ff. *

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An diesen fünf Punkten, die ich hier kurz gestreift habe, dürfte deutlich geworden sein, daß die arabische Version des galenischen Kommentars ganz neues Licht auf die Schrift De aere aquis locis wirft, ja, daß sie ganz allgemein der Hippokratesforschung neue Impulse geben kann. Es ist zu hoffen, daß die Edition, die Gotthard Strohmaier für das Corpus Medicorum Graecorum plant, trotz der Schwierigkeiten und des Umfanges des Textes in nicht zu ferner Zeit erscheinen kann.

Nachträge Sergio Noja, Un nuovo anello nella trasmissione della cultura classica attraverso l’Islàm : il manoscritto arabo del commentario di Galeno ai libri περὶ τόπων καὶ ἀέρων καὶ ὑδάτων di Ippocrate, in : Schede Medievali 6‒7, 1984, pp. 42‒51. Luca Montecchi, Appunti per un’edizione diplomatica delle traduzione araba del commentario di Galeno al Περὶ ἀέρων ὑδάτων τόπων d’Ippocrate, in : Autori classici in lingue del vicino e medio oriente, edd. G. Fiaccadori et M. Pavan, Roma 1990, pp. 179‒187. Jacques Jouanna, Remarques sur la tradition arabe du commentaire de Galien aux traites Hippocratiques des Airs, eaux, lieux et du Serment, in: Galeno : Obra, pensamiento e influencia, ed. J. A. López Férez, Madrid 1991, pp. 235‒251. Gotthard Strohmaier, La question de l’influence du climat dans la pensée arabe et le nouveau commentaire de Galien sur le traité Hippocratique des Airs,

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Medizingeschichte eaux, lieux, in : Orientalia Lovaniensia Analecta 79, Leuven-Paris 1997, pp. 209‒216.

Gotthard Strohmaier, Der arabische Galenkommentar als indirekter Textzeuge zu Hippokrates, De aere aquis locis, in : Ärzte und ihre Interpreten, hsgb. von Carl Werner Müller u. a., München-Leipzig 2006, pp. 233‒244. Gotthard Strohmaier, Galen the Pagan and Ḥunayn the Christian : Specific Transformations in the Commentaries on Airs, Waters, Places and the Epidemics, in : Epidemics in Context : Greek Commentaries on Hippocrates in the Arabic Tradition, edited by Peter E. Pormann (Scientia Graeco-Arabica Bd. VIII), Berlin-Boston 2012, pp. 171‒184.

Neues zu den diätetischen Schriften des Rufus von Ephesos Die uneingeschränkte Anerkennung, die das literarische Werk Galens in der Spätantike und im Mittelalter gefunden hat, hatte zur Folge, daß die Schriften manch eines seiner Vorgänger vernachlässigt und nicht mehr abgeschrieben wurden und so schließlich verlorengingen. Dieses Schicksal haben auch die meisten Bücher des Rufus teilen müssen. Ihr Verlust ist umso mehr zu bedauern, als ihr Autor ein bedeutender Denker, ein nüchterner und verantwortungsbewußter Arzt und eine durch ihre Bescheidenheit besonders sympathische Persönlichkeit war. Max Wellmann1 nennt ihn „einen der wenigen wirklich selbständigen Ärzte der nachchristlichen Zeit“, und Johannes Ilberg2 klagt: „Wie manche langatmige Abhandlung Galens, der sich in unerfreulicher, ermüdender Polemik nicht genugtun kann, würden wir gegen seine [des Rufus] verlorenen Werke gern eintauschen.“3 In der Tat: Hätte man noch alles, was Rufus geschrieben hat, so würde man Galens Leistungen besser beurteilen können und wohl in anderem Lichte sehen müssen4. So aber sind es nur wenige Schriften, dazu viele Fragmente — ein noch weithin unaufgeräumter Trümmerhaufen —, die Auskunft über das Denken und Wirken des Arztes aus der Zeit Trajans geben. _______________ 1 2

3 4

Zur Geschichte der Medicin im Altertum, in: Hermes 47, 1912, p. 4. Rufus von Ephesos, ein griechischer Arzt in trajanischer Zeit, in: Abhandlungen der sächsischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, 41, 1930, nr. 1 (im folgenden mit „Ilberg Rufus“ zitiert), p. 50. Vgl. auch das sehr positive Urteil von Hans Gossen, Pauly-Wissowa, RE 1 A 1 (1914), Sp. 1208. Wellmann, Hermes 47, 1912, p. 12‒17, versucht nachzuweisen, daß Galen von Rufus stark abhängig war und daß Rufus Galen an Gelehrsamkeit weit überragt hat. Mit Bezug auf die Melancholie urteilt Hellmut Flashar, Melancholie und Melancholiker in den medizinischen Theorien der Antike, Berlin 1966 (im folgenden: „Flashar Melancholie“), p. 104, daß Galens Abhandlung über diese Krankheit durch die des Rufus weit in den Schatten gestellt wurde.

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Vier Bücher sind in ihrem griechischen Gewand vollständig erhalten5: Es sind die Schriften Über die Benennung der Körperteile des Menschen (Περὶ ὀνομασίας τῶν κατὰ ἄνθρωπον μορίων), Die Fragen des Arztes an den Kranken (die arabische Formulierung fī-mā yanbaġī li-ṭ-ṭabīb an yasʾala ʿanhu l-ʿalīl läßt vermuten, daß der nicht überlieferte Titel Τί δεῖ τὸν ἰατρὸν ἐρωτᾶν τὸν νοσοῦντα gelautet hatte)6, die Schrift Über Nieren- und Blasenleiden (Περὶ τῶν ἐν νεφροῖς καὶ κύστει παθῶν) sowie die Schrift Über Satyriasmus und Samenfluß (Περὶ σατυριασμοῦ καὶ γονορροίας). Eine fünfte Abhandlung Über Gelenkkrankheiten (Περὶ τῶν κατὰ ἄρθρα νοσημάτων) existiert nur in einer lateinischen Übersetzung des 6. Jahrhunderts7, und eine um das 9. Jahrhundert angefertigte arabische Übertragung hat uns sechstens die Schrift Über die Gelbsucht (Περὶ ἰκτέρου) erhalten8. Von allen anderen Werken besitzen wir nur Fragmente und Testimonien, die Galen, Aetios von Amida und Paulos von Aigina, vor allem aber Oreibasios zu verdanken sind. Hinzu kommt — nicht weniger wichtig — die orientalische Tradition. Um das 9. Jahrhundert sind einige Dutzend Schriften des Rufus ins Arabische übersetzt worden, von denen aber, soweit wir heute wissen, nur die Abhandlung über die Gelbsucht handschriftlich (in einem Unicum) erhalten ist. Von allen anderen Übersetzungen wissen wir nur durch die Pinakes des ibn an-Nadīm (schrieb 377/987) und des ibn abī Uṣaibiʿa (gest. 668/1270) und durch die Fragmente, die uns die Zitierfreudigkeit der arabischen Autoren erhalten hat. Allein der um 313/925 gestorbene Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī beruft sich in seinem Kitāb al-Ḥāwī einige _______________ 5

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Vgl. Oeuvres de Rufus d’Éphèse, texte collationné sur les manuscrits, traduit pour la première fois en français, avec une introduction. Publication commencée par Charles Daremberg, continuée et terminée par Charles-Émile Ruelle, Paris 1879 (im folgenden: „Daremberg-Ruelle“). Rufus von Ephesos, Die Fragen des Arztes an den Kranken. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Hans Gärtner (CMG Suppl. IV), Berlin 1962. Hans Gärtner, Τήρησις τοῦ ἕλκους. Ein Nachtrag zu Rufus von Ephesos, CMG Suppl. IV, 41, 10 f., in: Hermes 94, 1966, p. 251 f. Der griechische Text allein ist auch in der Bibliotheca Teubneriana erschienen: Rufus Ephesius, Quaestiones medicinales, edidit H. Gärtner, Leipzig 1970. Henning Mørland, Rufus de Podagra (Symbolae Osloenses Fasc. Suppl. VI), Osloae 1933. Manfred Ullmann, Die Medizin im Islam (Handbuch der Orientalistik, Abt. 1, Ergbd. 6, hrsg. von Bertold Spuler, 1. Abschnitt), Leiden/Köln 1970 (im folgenden: „Medizin im Islam“), p. 73, nr. 6. Die Behauptung von Fuat Sezgin, Geschichte des arabischen Schrifttums („GAS“), Bd. III, Leiden 1970, p. 66, nr. 22, daß von dieser Rufus-Schrift nur ein Fragment in der pseudo-galenischen Schrift über die Gelbsucht erhalten sei, ist unrichtig. Ebenso entspricht Sezgins Behauptung: „Schon Ḥunain b. Isḥāq wußte, daß der Verfasser der pseudo-galenischen Schrift den Traktat des Rufus benutzt hatte“, in nichts dem, was Ḥunain in seiner Schrift fī Ḏikr al-kutub allatī lam yaḏkurhā Ǧālīnūs fī fihrist kutubihī (AKM 19, 2, 1932, p. 89) schreibt.

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hundert Male auf Rufus9. Diese Zitate werden durch die Texte, die Qusṭā ibn Lūqā, Isḥāq ibn ʿImrān10, ibn al-Ǧazzār11, al-Baladī12, Miskawaih, ibn Sīnā, ibn al-Mubārak, ibn al-Muṭrān, ibn al-Baiṭār13 und andere ausgezogen haben, aufs glücklichste ergänzt14. All diese Materialien bedürfen noch der kritischen Sichtung und Edition. Daß ihre Ausbeutung lohnt, werden — wie ich hoffe — auch die folgenden Ausführungen zeigen, in denen einiges von dem, was jüngst edierte Texte und Funde in Handschriften zutage gefördert haben, veröffentlicht werden soll.

* Bei allen vier im folgenden behandelten Schriften stellt sich eine Frage immer aufs neue: das Problem der Authentizität der Büchertitel. Das Problem läßt sich folgendermaßen skizzieren: Oreibasios z. B. gibt seinen Exzerpten aus den Werken des Rufus meistens Überschriften. In Coll. med. I 40 (Bd. I 20, 14 Raeder) heißt es: Ἐκ τῶν Ῥούφου. Περὶ σύκων, in VIII 21 (Bd. I 267, 17 f.): Ἐκ τῶν Ῥούφου. ἐκ τῶν Πρὸς Ποταμωνιανὸν περὶ ἐμέτων, in den Libri incerti 38 (Bd. IV 136, 1 Raeder): Ἐκ τῶν Ῥούφου. Περὶ κομιδῆς παιδίου, ebendort 25 (Bd. IV 117, 26): Περὶ ἀφροδισίων. Ἐκ τῶν Ῥούφου, ebendort 18 (Bd. IV 106, 30): Ἐκ τῶν Ῥούφου. Περὶ παρθένων διαίτης, und ebendort 20 (Bd. IV 109, 25): Ἐκ τῶν Ῥούφου. Δίαιτα γυναικῶν. Hat Oreibasios damit nun die ursprünglichen B ü c h e rtitel des Rufus reproduziert, oder beziehen sich diese Angaben nur auf K a p i t e l überschriften größerer Werke (was bedeuten würde, daß die Herkunft dieser Stücke aus einem bestimmten Werk des Rufus kaum mehr festzustellen ist)? Glücklicherweise findet sich in der Suda [unter Ρ 241] ein kleiner Pinax, der — wenigstens teilweise — eine Kontrolle ermöglicht15. Dort heißt es, daß es von Rufus eine _______________ 9

10 11 12 13 14 15

Daremberg und Ruelle (p. 453‒548) haben aus dem lateinischen Continens 375 Fragmente zusammengetragen. Manches davon muß ausgeschieden werden, da es nicht von Rufus ist; anderes kommt hinzu; alles muß an der inzwischen vollständig vorliegenden arabischen Edition überprüft werden. Eine Bearbeitung der Fragmente allein auf Grund der lateinischen Version (wie es Sergio Alleori, Giovanni Gentili, Il trattato «Della medicina popolare» di Rufo d’Efeso [Frammenti e citazioni], in: Pagine di storia della medicina 15, 5, 1971, p. 38‒63 gemacht haben) ist nicht anzuraten. Flashar Melancholie, p. 84‒104. Daremberg-Ruelle, p. 582‒596. Vgl. Medizin im Islam, p. 345, Nachtrag zu p. 74. Daremberg-Ruelle p. 648‒651. Vgl. noch die Zusammenstellungen Medizin im Islam, p. 71‒76; GAS III 64‒68. Suidae Lexicon, edidit Ada Adler (Lexicographi Graeci Vol. I), Pars IV, Lipsiae 1935, p. 301 f.

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Medizingeschichte

Menge Bücher (βιβλία πλεῖστα) gebe, aber nur neun Titel werden mitgeteilt. Es sind dies: Περὶ διαίτης (5 Bücher), Περὶ διαίτης πλεόντων (1 Buch), Περὶ τραυματικῶν φαρμάκων (1 Buch), Περὶ τραυματισμοῦ ἄρθρων (1 Buch), Περὶ σύκων (1 Buch), Περὶ τῆς ἀρχαίας ἰατρικῆς (1 Buch), Περὶ γάλακτος (1 Buch), Περὶ οἴνου (1 Buch), Περὶ μέλιτος (1 Buch)16.

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Nun hat Max Wellmann17 die Titel der Suda und die des Oreibasios verglichen. Er glaubte dabei feststellen zu können, daß die Schrift Περὶ διαίτης ein großes fünfbändiges Werk gewesen sei, dem die Titel Περὶ σύκων, Περὶ οἴνου, Περὶ μέλιτος, Περὶ γάλακτος und Περὶ διαίτης πλεόντων als Kapitel angehört hätten. Hans Gossen war wenig später unabhängig von Wellmann zu der gleichen Ansicht gekommen18, und auch Johannes Ilberg19 äußerte sich im gleichen Sinne. Die Einhelligkeit dieser Meinungen überrascht umso mehr, als Carl Fredrich schon viel früher, im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen zu der hippokratischen Schrift Περὶ διαίτης20, das Richtige gesehen hatte. Er hatte festgestellt, daß einst eine Vielzahl diätetischer Schriften kursierte und daß Ärzte wie Diokles von Karystos, Athenaios aus Attalia, Mnesitheos, Dieuches und Rufus auch sehr spezielle diätetische Fragen in Monographien behandelt hatten. Um nun die Frage der Schriften des Rufus mit einiger Sicherheit zu klären, ist es notwendig, Eigenart und Zuverlässigkeit der Zitierweise der späteren Autoren, denen wir die Fragmente und Nachrichten über Rufus verdanken, in jedem einzelnen Fall zu untersuchen: _______________ 16 Die Aufstellung umfaßt also nur Bücher der Diätetik und Heilmittellehre. Es fehlen die anatomischen, prognostischen, diagnostischen, therapeutischen und hygienischen Schriften ganz. Ebenso fehlen die bekannten pathologischen Schriften. Der einzige pathologische Titel Περὶ τραυματισμοῦ ἄρθρων ist sonst nicht überliefert. 17 Hermes 47, 1912, p. 4‒6. 18 RE 1 A 1 (1914), Sp. 1210, nr. 13. So auch Sergio Alleori und Giovanni Gentili, Pagine di storia della medicina 15, 5, 1971, p. 44, die Gossens Ausführungen allerdings nur kopiert haben. 19 Ilberg Rufus, p. 36 f. und 47. 20 Carl Fredrich, Hippokratische Untersuchungen (Philologische Untersuchungen, hrsg. von A. Kiessling und U. von Wilamowitz-Moellendorff, Heft 15), Berlin 1899, p. 201.

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Wenn G a l e n im Prooemium des 6. Buches seines Werkes über die einfachen Heilmittel (Bd. XI 796, 3 Kühn) davon spricht, daß Rufus ἐν τοῖς θεραπευτικοῖς βιβλίοις viele Heilmittel beschrieben habe, so ist das nur ein allgemeiner Hinweis auf eine Gruppe von Schriften. Sicher Unrecht hat Gossen21, der in den θεραπευτικὰ βιβλία einen eigenen W e r k t i t e l sieht. Bei den Ο r e i b a s i o s -Exzerpten lehrt ein Vergleich der Überschriften mit den in den Pinakes und bei arabischen Autoren genannten Titeln, daß diese Überschriften meistens die authentischen Büchertitel des Rufus wiedergeben. Ähnliches gilt für die Titel der zahlreichen Fragmente bei a r - R ā z ī . Wohl kommen hier Divergenzen in der Formulierung vor. Für die Schrift über die Nieren- und Blasenleiden z. B. liefert ar-Rāzī gleich einen ganzen Fächer von Titeln: Kitāb Waǧaʿ al-ḫāṣira (8, 218, 1; 10, 83, 9), Kitāb Auǧāʿ al-ḫāṣira (8, 196, ‒3), Kitāb Waǧaʿ al-ḫāṣira wa-l-kulā wa-l-ḥiǧāra fīhā (10, 79, 5), Kitāb Waǧaʿ al-kulā (10, 64, 4), Kitāb al-Ḫāṣira (10, 88 paen.; 19, 146, 7), Kitāb alḤaṣā wa-waǧaʿ al-ḫāṣira (19, 152, 9)22. Aber diese Divergenzen machen nur die ursprüngliche Formulierung des Titels der arabischen Übersetzung zweifelhaft; sie tangieren nicht die Frage der Einheit der Monographie. Ich glaube daher, daß auch die meisten anderen der von ar-Rāzī zitierten Titel auf eine bestimmte Monographie zielen. Sicher scheint mir dies in den Fällen, in denen die Titel auch anderweitig bezeugt sind. Ist ar-Rāzī die einzige Quelle, so mag man zweifeln. Denn ein analoger Fall mahnt hier zur Vorsicht. Ich meine das Kitāb al-Maʿida („das Buch über den Magen“) von Alexander, das ar-Rāzī mehrfach zitiert. Die Formulierung läßt eine Monographie vermuten, indes stammen diese Zitate doch nur aus dem 7. Buch der Θεραπευτικά des Alexander von Tralleis23. Einen hohen Wert scheinen mir die P i n a k e s zu besitzen. Ich halte die Titel der Suda für authentisch, denn sie werden zum größeren Teil durch die unabhängigen arabischen Pinakes und durch arabische Zitate bestätigt. Die Tatsache, daß Rufus ein größeres Werk Περὶ διαίτης in fünf Büchern geschrieben hat, schließt nicht aus, daß er spezielle diätetische Fragen in gesonderten kleinen Abhandlungen traktiert hat. _______________ 21 RE 1 A 1 (1914), Sp. 1211, nr. 18. 22 Zu ihnen treten noch die Formen Kitāb ʿIlal al-kulā wa-l-maṯāna bei ibn an-Nadīm (Fihr. 291, ‒3) und Maqāla fī Adwiyat ʿilal al-kulā wa-l-maṯāna bei ibn abī Uṣaibiʿa (I 34, 7). Sezgin, GAS III 66, nr. 7 und 8, schließt aus den divergierenden Titeln fälschlich auf zwei verschiedene Schriften. Die Stelle Rāzī Ḥāwī 19, 146, 7 entspricht Daremberg-Ruelle p. 21, 7 ff. 23 Vgl. Manfred Ullmann, Die Natur- und Geheimwissenschaften im Islam (Handbuch der Orientalistik, Abt. 1, Ergbd. 6, hrsg. von Bertold Spuler, 2. Abschnitt), Leiden/Köln 1972, p. 457, Nachtrag zu p. 85.

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Das ältere der beiden arabischen Schriftenverzeichnisse ist das des 377/987 verfaßten Fihrist24. Ibn an-Nadīm nennt 42 Titel, und es spricht alles dafür, daß dieser Pinax nicht aus dem Griechischen übersetzt worden ist, sondern daß ibn an-Nadīm ihn selbst (eventuell mit Hilfe seiner Gewährsmänner) auf Grund der arabischen Übersetzungen zusammengestellt hat. Ibn abī Uṣaibiʿa hat den Pinax des ibn an-Nadīm weitgehend wörtlich und in derselben Reihenfolge übernommen25, hat ihn aber dann um 16 Titel ergänzt. Seine Zusätze umfassen einwandfrei bezeugte Titel wie Die Fragen des Arztes an den Kranken oder Über die Aufzucht der Kinder. Ob er alle diese 16 Bücher selbst gesehen hat, ist allerdings fraglich. Den Titel der Abhandlung Über den Kauf von Sklaven mag er z. B. nur den Zitaten bei ar-Rāzī (Ḥāwī 3, 29 paen.; 31, ‒3) oder ibn al-Muṭrān (Bustān fol. 4 b 11) entnommen haben. Ebenso ist es möglich, daß er von der Schrift Über die Aufzucht der Kinder nur durch die Exzerpte des Rāzī und des Baladī oder gar nur durch die arabische OreibasiosÜbersetzung wußte. In diesem Falle würde ein Teil der Zusätze des ibn abī Uṣaibiʿa ihren Charakter als unabhängiges Zeugnis für eine bestimmte Schrift des Rufus ebenso einbüßen wie die Titel, die er aus dem Fihrist abgeschrieben hat. Wir werden also gut tun, uns dieser Problematik bei der Untersuchung der folgenden vier Schriften bewußt zu bleiben.

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Die Nachrichten über die drei ersten Schriften verdanken wir Qusṭā ibn Lūqā26. Qusṭās philosophische, mathematische und medizinische Abhandlungen zeigen ihn als ausgezeichneten und geistreichen Gelehrten. Seine Sprachkenntnisse verschafften ihm einen unmittelbaren Zugang zu den Werken der griechischen Autoren, so daß er von den arabischen Übersetzungen unabhängig war, sofern er nur griechische Manuskripte besaß. Vieles hat er dann selbst ins Arabische übersetzt, aber wenn er Platon, Aristoteles, Galen oder Rufus nennt, ist es immer möglich, daß er aus dem griechischen Originaltext zitiert. Mit den Schriften des Rufus war er gut vertraut. Das bezeugt er selbst in seinem Κ. ʿIlal iḫtilāf an-nās fī aḫlāqihim wa-siyarihim wa-šahawātihim wa-ḫtiyārātihim27. Er verurteilt dort die Homosexualität mit Berufung auf Rufus, den er einen _______________ 24 Fihrist 291, 16‒292, 2. 25 b. a. Uṣ. I 33 paen. ‒ 34, 16; übersetzt von Max Meyerhof, bei Ilberg Rufus, p. 43‒45. 26 Gest. 300 / 912. Vgl. GAL I 204; S I 365 f.; GCAL II 30‒32; GAS III 270‒274; Medizin im Islam, p. 126‒128. 27 Le livre des caractères de Qosṭâ ibn Loûqâ, par Paul Sbath, in: Bulletin de l’Institut d’Égypte 23, 1941, p. 134, 11 ff., franz. übs. p. 163, 3 ff.

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„führenden Arzt“ (raǧulan min ruʾasāʾi l-aṭibbāʾi) nennt. Rufus sei, so sagt er, neben Hippokrates einer der vorgalenischen Ärzte, deren Bücher er gelesen habe (wa-huwa aḥadu man qaraʾnā kutubahū mina l-aṭibbāʾi llaḏīna kānū qabla Ǧālīnūsa siwā Buqrāṭa). Unter diesen Umständen kommt dem Zeugnis des Qusṭā für die beiden im folgenden unter A und Β behandelten Schriften ein hoher Wert zu. A. Über das Aussetzen der Atmung bei Männern Unter den sechzehn Titeln, die ibn abī Uṣaibiʿa im Schriftenverzeichnis des Rufus zusätzlich zu denen des ibn an-Nadīm bringt, findet sich eine Maqāla fī An yaʿriḍ li-r-riǧāl inqiṭāʿ at-tanaffus28. Max Meyerhof, bei Ilberg p. 45, nr. 50, hatte diesen Titel richtig übersetzt: Eine Abhandlung darüber, daß den Männern die (plötzliche) Unterbrechung der Atmung zustößt. Jedoch hat Ilberg in dem abschließenden Schriftenverzeichnis p. 47 ff. daraus in unstatthafter Verkürzung und Verallgemeinerung Die Atemnot (p. 49, 6) gemacht. Worum es sich bei dieser Schrift nun tatsächlich handelt, ist aus der Abhandlung des Qusṭā ibn Lūqā über den Geschlechtsverkehr zu ersehen, die er für Muḥammad ibn Aḥmad, den Sekretär des Protopatrikios29, geschrieben hat30. Im 7. Kapitel der ersten Maqāla dieser Schrift handelt Qusṭā über die Gesundheitsschäden, die aus der sexuellen Abstinenz resultieren können. Nachdem er (p. 40, 3 ff.) Platon zitiert hat, der die Menschen, in deren Körpern sich viel Same bildet, mit Bäumen verglichen habe, die die Menge ihrer Früchte nicht mehr tragen können31, führt er folgendes aus: In den Körpern der Frauen, die keinen _______________ 28 b. a. Uṣ. I 34, 14. 29 Arab. biṭrīq al-baṭāriqa. Es ist der Titel des πρωτοπατρίκιος, der gewissermaßen der Senior oder Doyen der ἱερὰ τάξις τῶν ἐντίμων πατρικίων war, s. John Bagnell Βury, The Imperial Administrative System in the Ninth Century With a Revised Text of The Kletorologion of Philotheos (The British Academy Supplemental Papers I), London 1911 (Nachdruck New York 1958), p. 27 f. [freundlicher Hinweis von Herrn Prof. Dr. Dr. Alexander Böhlig]. Ḥaidar hat den Titel fälschlich mit „Oberpatriarch“ übersetzt. 30 Gauss Haydar [Ġauṯ Ḥaidar], Kitāb fī l-bāh wa-mā yuḥtāǧu ilaihi min tadbīr al-badan fī stiʿmālihi des Qusṭā Ibn Lūqā. 1. Abhandlung (Das Buch über die Kohabitation und die für ihre Ausübung notwendigen körperlichen Voraussetzungen), Edition, Übertragung und Bearbeitung des arabischen Textes auf der Grundlage der Handschrift der Universitätsbibliothek Istanbul Nr. 243 [lies: 242], Diss. Erlangen 1973. 31 Timaios 86 C 3, entspr. Galeni Compendium Timaei Platonis, edd. Paulus Kraus et Richardus Walzer (Plato Arabus Vol. I), Londinii 1951, p. 31 paen. ff. (cap. XXIII). Aber Qusṭā zitiert wahrscheinlich nur nach Galens Referat in De locis affectis VI cap. 5 (Bd. VIII 418, 2 f. Kühn): ὧν τὸ σῶμα δένδροις ὁ Πλάτων εἴκαζε πολυκαρποτέροις τοῦ συμμέτρου.

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Geschlechtsverkehr haben, staue sich der Same; dieser verfaule dann und bilde einen üblen, tödlichen Dampf (buḫār radīʾ qattāl). Die Atmung setze aus, so daß der Eindruck entsteht, die Frau sei tot. Dies passiere aber nur, wenn der Dampf kalt sei. Dann nämlich kühle er das Herz, so daß die Atemluft, die sonst die Funktion der Kühlung des Herzens hat, nicht mehr benötigt werde. Infolgedessen stelle die Lunge ihre Bewegung ein, und die Frau sei scheintot. Das Herz höre indes nicht gänzlich auf zu schlagen. Nachdem Qusṭā dargelegt hat, wie man mit Hilfe eines Wasserbechers oder einer Flaumfeder prüfen kann, ob in dem Patienten noch Leben sei32, fährt er fort (p. 42 ult. ff.): „Einige Ärzte der früheren Zeit berichten, daß dergleichen auch bei Männern vorkommen könne, derart, daß ein Mann eine Zeitlang atemlos sei aus ebender Ursache, die ich bei den Frauen selbst erwähnt habe. Rufus, der zu den Leuten von Ephesos gehört, hat zu diesem Thema eine gesonderte Abhandlung (maqāla mufrada) geschrieben, in der er erklärt hat, daß diese Erkrankung [bzw. Ursache] beim Mann vorkommt“. B. Über die Lebensweise der Jungfrauen

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Das bisher über diese Schrift Bekannte stammt aus einer etwas dunklen Quelle, nämlich dem Codex Parisinus gr. 2237. Diese Handschrift enthält eine Kompilation aus den Werken des Oreibasios und Aetios, die ein Unbekannter zusammengestellt hat. Die Oreibasios-Stücke gehen auf die Συναγωγαί zurück; da die Συναγωγαί aber nur unvollständig erhalten sind, läßt sich nicht sagen, welchen Teilen des Riesenwerkes diese Stücke einst entnommen worden sind33. Raeder hat sie daher im vierten Bande seiner Edition unter dem Sammeltitel Libri incerti veröffentlicht (p. 71‒180). Es handelt sich um 63 Kapitel, die ebenso wie die genau zu lokalisierenden Teile der Collectiones medicae, wichtige Exzerpte aus den Schriften des Rufus enthalten. Das 18. Kapitel (p. 106, 30‒109, 15 Raeder) ist überschrieben: Ἐκ τῶν Ῥούφου. Περὶ παρθένων διαίτης. Sein Inhalt ist folgender34: Die Mädchen, die ungebührlich lange Jungfrauen bleiben, verfallen in viele Krankheiten, die meist durch Überfüllung (πλησμονή) verursacht werden. Deshalb muß man sie rechtzeitig verheiraten. Ist dies nicht möglich, so muß man ihrer Lebensweise besondere Aufmerksamkeit widmen, ihnen leichte Kost verabreichen, ihnen körperliche Übungen abverlangen, sie _______________ 32 Beide Methoden bei Galen De locis affectis VI cap. 5 (Bd. VIII 415, 6 ff. Kühn). 33 Vgl. Johannes Raeder, Oribasii Collectionum medicarum reliquiae volumen IV (CMG VI 2,2), Lipsiae et Berolini 1933, Praefatio p. V‒VII. 34 Vgl. das Resümee bei Daremberg-Ruelle, p. 301, nr. 23.

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tanzen und singen lassen, ihnen kaltes Wasser zu trinken geben. Man muß auch auf den Beginn der Menses achten und diesen durch geeignete Maßnahmen einen geregelten Verlauf sichern (§§ 18‒32). Die von Wellmann, Gossen und Ilberg erörterte Frage, ob das Stück Περὶ παρθένων διαίτης eine Monographie oder ein Kapitel aus der großen Schrift Περὶ διαίτης sei, läßt sich nun aus der arabischen Überlieferung mit vollkommener Klarheit beantworten. Zum einen führt ibn an-Nadīm35 die Schrift im Pinax des Rufus mit den Worten an: Kitāb fī l-Abkār, maqāla „Ein Buch über die Jungfrauen, Monobiblon“. Zum anderen haben wir das Zeugnis des Qusṭā ibn Lūqā. Nachdem dieser in der oben zitierten Abhandlung über den Geschlechtsverkehr die Schrift des Rufus über das Aussetzen der Atmung bei den Männern erwähnt hat, bringt er drei Beispiele, die er dem 6. Buch von Galens Werk De locis affectis entnommen hat: Die Geschichte von Diogenes, der masturbierte36, den Bericht von dem Manne, der aus Treue zu seiner verstorbenen Frau keine andere Frau mehr berührte37, und die Geschichte von der Witwe, die durch ein Pessar zur Wollust und Ausscheidung des Samens gelangte38. Danach schreibt Qusṭā (p. 46, 7 ff.): „Ich las einmal eine Abhandlung eines Mannes aus der Gruppe der antiken Ärzte, in der er auf die Verheiratung der jungfräulichen Mädchen dringt. Er schildert die Schäden, die dadurch entstehen, daß sich viele von ihnen des Geschlechtsverkehrs enthalten, in ähnlicher Weise, wie Galen und Rufus es getan haben. Von Rufus gibt es auch eine gesonderte Abhandlung (maqāla mufrada) mit dem Titel Die Jungfrauen (al-Abkār), [in der] er darauf dringt, sie zu verheiraten, und [in der] er die Maßnahmen (tadābīr) beschreibt, mit denen sie behandelt werden müssen, wenn sie sich gegen die Ehe auflehnen und der Askese, der Unterdrückung der Begierden, der Hinwendung zu Gott und der Absonderung im Dienste für ihn den Vorzug geben, wie es im Mönchtum geschieht, das die Christen heutzutage praktizieren“. Die durch Oreibasios bewahrten griechischen Passagen und das Testimonium des Qusṭā decken sich also weitgehend. Damit ist auch erwiesen, daß der Titel Kitāb fī l-Abkār mit ein Buch über die Jungfrauen zu übersetzen ist, nicht über die Erstgebärenden, wie Max Meyerhof, bei Ilberg, Rufus p. 44 und Anm. 5, vermutet hatte.

_______________ 35 36 37 38

Fihrist 291, 24, daraus entnommen von b. a. Uṣ. I 34, 6. De locis affectis VI cap. 5 (Bd. VIII 419, 6 ff. Kühn). Ib. (p. 418, 8 ff. Kühn). Ib. (p. 420, 5 ff. Kühn).

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Medizingeschichte C. Über den Wein

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Wellmann, Gossen und Ilberg hatten dem Rufus eine eigene Schrift über den Wein abgesprochen, obwohl in der Suda ein Titel Περὶ οἴνου als Monobiblon angeführt ist. Ihnen schien die Quellenangabe des Oreibasios39 entscheidend zu sein, der bekennt, er habe, was er über den Wein mitteilt, aus dem Buch des Rufus Περὶ διαίτης ἢ Περὶ πομάτων ἐν τῷ β [sic lege pro ιβ] λόγῳ genommen. Die Notiz des Oreibasios ist sicherlich richtig, und es ist selbstverständlich, daß Rufus in seinem großen Buch Περὶ διαίτης auch des Weines gedacht hat. Das schließt aber nicht aus, daß er das Thema „Wein“ ein zweites Mal, nun in einer Monographie, gründlicher und ausführlicher behandelt hat. Und diese Monographie meint der Verfasser der Suda. Denn seine Nachricht wird durch drei unabhängige Zeugnisse bestätigt: Ibn an-Nadīm40 nennt das Kitāb Istiʿmāl aš-šarāb, maqāla „das Buch über den Gebrauch des Weins, Monobiblon“, ar-Rāzī zitiert das Kitāb aš-Šarāb „das Buch des Weins“, und ar-Raqīq al-Qairawānī teilt nicht nur eine lange Passage aus dem Kitāb aš-Šarāb mit, sondern gibt auch dessen Übersetzer an: Es war Qusṭā ibn Lūqā. Nach allem, was im vorausgehenden über Qusṭās Vertrautheit mit dem Schrifttum des Rufus gesagt worden ist, sollte man auch diese Nachricht nicht in Zweifel ziehen. Will man aber noch einen weiteren Beweis für die Existenz einer Monographie, so braucht man nur das arabische Fragment nr. I zu lesen41. Man sieht sofort, daß einzelne aus dem Oreibasios-Fragment (d. h. aus der rufischen Schrift Περὶ διαίτης) schon bekannte Gedanken hier wiederkehren, man wird aber gleichzeitig gewahr, daß Rufus nun sein Thema in einen größeren Rahmen gestellt hat und viele neue Gesichtspunkte zur Sprache bringt. Jetzt hat er in den §§ 15‒17 Gedanken aus den Kapiteln 7 und 8 der hippokratischen Schrift De aere aquis locis verarbeitet; er flicht in den §§ 22‒24 eine kulturhistorische Bemerkung über die Trinksitten der Perser und Griechen ein, und dergleichen mehr. Der ganze Zuschnitt der Darstellung läßt erkennen, daß hier eine eigene in sich abgeschlossene Schrift vorgelegen hat. Die drei arabischen Fragmente lehren aber noch etwas Neues. Sie zeigen nämlich, daß Oreibasios das, was er in seinen sogenannten Euporista42 über den Wein zu sagen hat, ebenfalls dem Rufus verdankt. Die weitgehenden Übereinstimmungen zwischen den arabischen Texten und dem Text der Euporista, auf die im folgenden in den Fußnoten hingewiesen ist, lassen vermuten, daß _______________ 39 40 41 42

Orib. Coll. med. V 7 (Bd. I 126, 24 f. Raeder). Fihrist 291, 19, davon abhängig b. a. Uṣ. I 34, 3. Dieses Fragment hat Josef van Ess entdeckt. Orib. Ad Eunap. I 12 (p. 328, 33‒329, 15 Raeder).

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Oreibasios diesmal die Schrift Περὶ οἴνου ausgeschrieben hat. Auch dies also wieder ein Fall, bei dem sich die griechische und die arabische Überlieferung gegenseitig erhellen. Das bedeutendste Stück ist die lange Passage, die abū Isḥāq Ibrāhīm ibn alQāsim, genannt ar-Raqīq an-Nadīm al-Qairawānī, in seinem Κ. Quṭb as-surūr fī auṣāf al-ḫumūr mitteilt. Das Buch ist ein großes Adab-Werk, in dem alle Aspekte des Weins abgehandelt sind. In vielen Anekdoten und Gedichten sind die Vorzüge und Nachteile des Weins vorgestellt; sein Verbot durch das religiöse Gesetz ist diskutiert, und die Sitten, nach denen sich Trinker und Schenken richten sollen, sind beschrieben. Ein besonderes Kapitel trägt die Überschrift: „Nutzen und Schaden des Weins nach den Lehren der Philosophen.“ Es ist hauptsächlich aus griechischen Materialien aufgebaut: ArRaqīq zitiert Yaḥyā ibn Māsawaih (p. 225, 2 ff.), Rufus, Galen (p. 233, 3 ff. = De aliment. facult. III 39, 3 u. 4 [p. 383, 1 ff. Helmr.]), Isḥāq ibn ʿImrān (p. 233 paen. ff.), Hippokrates (p. 236, 5 ff. = De diaeta, Bd. VI 554, 15 ff. Littré), Dioskurides (p. 236, 8 ff. = Mat. med. V 6 [Bd. III p. 5, 12 ff. Wellmann, p. 376, 9 ff. Dubler]), Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī, Ḥunain ibn Isḥāqs K. al-Karma (p. 256, 7 ff., eine Bearbeitung von Galen, De aliment. facult. II 9), Aristoteles (p. 256, 10 ff., 258 ult. ff.), Platon (p. 257, 11 ff.), einen Iṣṭifān aus Edessa (p. 258, 1 ff.) und — höchst überraschend — mehrere griechische Dichter, deren Namen aber nicht zu entziffern sind. Man fragt sich, woher ar-Raqīq, dieser Literat und Historiker, der im Jahre 388/998 in diplomatischer Mission nach Ägypten zu al-Ḥākim gereist war, all jene Quellen kannte, und ist versucht, einer Vermutung Raum zu geben. Vielleicht hatte er, als er sein Weinbuch schrieb, den alten ibn al-Ǧazzār43 aufgesucht und sich von ihm jene griechischen Bücher ausgeliehen. Denn wer anders als ibn al-Ǧazzār konnte damals in Qairawān solche seltenen Bücher sein Eigen nennen? Das Kitāb Quṭb as-surūr ist 1969 in Damaskus von Aḥmad al-Ǧundī unzureichend herausgegeben worden. Al-Ǧundī hat lediglich die Handschrift des Britischen Museums Or. 3628 (= Suppl. 1109) benutzt und die sieben weiteren von Brockelmann44 nachgewiesenen Handschriften unberücksichtigt gelassen. Ein Teil dieser Handschriften ist allerdings fragmentarisch und enthält das hier interessierende Stück nicht. Der Berolinensis 8324 (= Lbg. 230) beginnt erst mit dem bāb al-iqlāl wa-l-ikṯār min aš-šurb, die beiden Gothani 2124 (= arab. 428; Stz. Kah. 628) und 2125 (= Möll. 608; Stz. Hal. 342) enthalten nur den zweiten Teil des Werkes. Durch die Freundlichkeit der _______________ 43 Ibn al-Ǧazzār ist im Jahre 369 / 979‒980 gestorben. 44 GAL I 155; S I 252.

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Verwaltung der österreichischen Nationalbibliothek erhielt ich jedoch eine Kopie des Vindobonensis 35845, so daß ich wenigstens eine weitere Handschrift kollationieren konnte. Es stellte sich heraus, daß ihr Text eng mit dem der Londoner Handschrift verwandt ist; sie konnte daher zur Klärung der problematischen Stellen nur wenig beitragen. 33

F r a g m e n t n r . I. Quelle: Raqīq Quṭb p. 227, 5‒233, 2. Aus dem Buch des Rufus über den Wein. Übersetzung von Qusṭā ibn Lūqā. Er sagt: (1) Der Wein verdaut die Speise vortrefflich und verstärkt ihre Substanz. Diese Wirkung wird aber nur durch die Wärme erzielt. Denn es gibt nichts, was die Wärme so sehr fördert und anfacht wie der Wein, da (iḏ) er von Natur auf sie speziell abgestimmt ist46. (2) Wenn du zwei Männer gleichzeitig zu Tische lädst und dem einen Wasser, dem anderen Wein vorsetzt [228], so wirst du zwischen beiden hinsichtlich des Ausmaßes der Wärme einen großen Unterschied finden. (3) Und wenn die Speise im Magen und in den übrigen Organen des Körpers gut verdaut wird, so hat dies einen ganz erheblichen Einfluß auf die Erhaltung der körperlichen Gesundheit. (4) Da nun der Wein beides, die eingepflanzte Wärme47 und das Blut, vermehrt, wird die Hautfarbe, wenn man ihn trinkt, strahlender und schöner. (5) Wir sind aber der Ansicht, daß die Eigenschaft des Weins, zu kräftigen und zu nähren, nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele zugute kommt. Denn man kann leicht merken, daß einem Weintrinker die Arbeit schnell und leicht von der Hand geht, ohne daß ihn Erschöpfung oder Ermüdung befällt. Ebenso wird er, wenn (iḏā) er im Kriege Wein bekommt, mutig (Ms. ǧarīʾan) in seiner Seele und kräftig in seinen Gliedern48. (6) Im übrigen brauchen die Wirkungen des Weins auf die Seele, nämlich das Entzücken, die Freude, die Heiterkeit, die Lebhaftigkeit, die Umstimmung der Traurigkeit und das Vergessen der Sorgen, nicht erwähnt _______________ 45 Vgl. Gustav Flügel, Katalog Bd. I, Wien 1865, p. 329. 46 Zu Fragment I 1 vgl. Rufus bei Orib. Coll. med. V 7,1 (Bd. I 126, 27 ff.): οἶνος γὰρ δύναται ἀνάψαι μὲν τὸ θερμόν, ἰσχύος δ’ ἐμπλῆσαι τὸ σῶμα, πέψαι δὲ τὴν τροφὴν δι’ ὅλων. Zu Fragment Ι 1 und 4 vgl. Orib. ad Eunap. I 12,1 (p. 328, 35 ff. Raeder): ὁ τοίνυν οἶνος ἀναζωπυρεῖ μὲν τὸ ἐν ἡμῖν θερμόν, καὶ διὰ τοῦτο αἱ πέψεις ἀμείνους γίνονται καὶ τὸ αἷμα χρηστόν, τήν τε τροφὴν διάγει πανταχοῦ πόριμος ὤν. 47 Arab. al-ḥarāra al-ġarīzīya, entspricht τὸ ἔμφυτον θερμόν. Zum Begriff vgl. Galen, De simpl. med. V 9 (Bd. XI 731, 2 ff. Kühn). 48 Zu Fragment I 5 vgl. Rufus bei Orib. Coll. med. V 7,2 (Bd. I 126, 31 f. Raeder): δύναται δ’ οἶνος καὶ τῇ ψυχῇ διάθεσίν τινα παρασχεῖν.

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zu werden, denn das weiß jeder. (7) Aber es gehört zu seinen wunderbaren besonderen Eigenschaften, daß er den Menschen insgesamt zuträglich ist, in jedem Lebensalter, zu allen [Jahres-]Zeiten und an allen Orten. (8) Den Kleinkindern und Kindern soll man geben, so viel sie vertragen können; den Heranwachsenden, den jungen Männern und den im besten Mannesalter Stehenden mehr als das [229]; was aber die Greise betrifft, so gibt es nichts, was ihr Wohlbefinden und ihre körperliche Gesundheit mehr fördern würde als der Wein, haben sie doch ein starkes Bedürfnis nach dem, was sie wärmt. (9) Die Kinder bedürfen einer Sache, deren Wärme für sie vorteilhaft ist, da die Wärme in ihnen noch nicht das volle Maß erreicht hat. (10) Wer aber die Jugend vollendet hat, dem ist der Wein angemessen, da dieser ihr ähnlich ist und durch seine Substanz ihre Substanz vermehrt. (11) Das gleiche gilt für die Zeiten. Wir haben nämlich noch nicht erlebt, daß ein Arzt es freistellt, ihn im Sommer zu trinken, ihn im Winter aber verbietet, daß er ihn im Herbst zu nehmen anrät, ihn aber im Frühling nicht zuläßt, es sei denn, daß solche Verordnung ein Zuviel oder Zuwenig, eine größere oder kleinere Menge betrifft, aus Gründen der Vorsicht und der Vorbeugung. (12) Die Bewohner der kalten Länder brauchen ihn schließlich zur Erwärmung, die der warmen Länder zur Befeuchtung, da die große Körperwärme sie austrocknet. (13) Der Wein kann dem, der einen Heißhunger49 hat, das Essen ersetzen, ißt er doch fortwährend, ohne satt zu werden. Gibt man ihm aber Wein zu trinken, so verhilft er ihm zur Sättigung und nimmt ihm den Hunger. (14) Auch den übermäßig starken Durst, den kein Wasser löscht [230], kann der mit Wasser gemischte Wein löschen. (15) Er nimmt auch dem Wasser die Härte. Ebenso findet sich, wenn das Wasser schlecht ist, nichts, das wirkungsvoller wäre, die schlechte Qualität und Verdorbenheit des Wassers zu verbessern, als der Wein50. (16) Desgleichen gibt es für die Menschen, die in Sümpfen und an feuchten, fauligen Orten mit schlechtem Wasser wohnen, nichts Nützlicheres, als daß sie ihr Wasser mit Wein mischen und dann trinken, und das gilt auch für die, deren Wasser salzig ist oder schädliche Bestandteile enthält, die es verderben. (17) Was nun die kalten Wässer und die Schneewässer betrifft, so sind sie sehr schädlich, wenn sie allein getrunken werden, ohne mit Wein vermischt worden zu sein. Denn sie rufen das Platzen der Adern der Brust, Blutspeien, Bauchschmerzen, Krämpfe, Atemnot und Lähmung hervor. Hat aber der Wein sie mit seiner Wärme durchsetzt, so wehrt er ihrer Schädlichkeit, ganz abgesehen davon, daß er ihren Wohlgeschmack verbessert. (18) Wenn indes ein Mann zu viel Wein trinkt, mehr als er vertragen kann, so macht das notwendig sein Urteil fehlerhaft _______________ 49 Arab. aš-šahwa al-kalbīya, entspricht κυνώδης ὄρεξις, s. WKAS I 312 b 40 ff.; 574 a 39 ff. 50 Vgl. Hipp. De aere 7 (p. 61, 14 f. Heiberg).

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und seinen Körper schwach; er begeht schändliche Taten, und keiner, der Zeuge seines Zustandes wird, kann ihn loben. (19) Das viele und ständige Trinken des Weins erzeugt im Körper viele Krankheiten, z. B. das Leiden, das unter den Bezeichnungen „Melancholie“ und „schwarzgallige Wahnvorstellungen“51 bekannt ist [231]. Es hat auch Herzklopfen, Verwirrung des Verstandes, Verlust der Manneskraft und Schwund des Geldes zur Folge. Trinkt man aber den Wein mit Maßen, nicht zu wenig und nicht zu viel, so ist das zu loben. (20) Der Weintrinker muß Seele und Leib beobachten: Kommen ihm sein Urteilsvermögen und Denken, die Bewegungen und die Kraft seines Körpers fremd vor, so läßt er das Trinken besser sein und fährt nicht bis zum Rausch damit fort. (21) Die Trunkenheit entsteht nämlich durch rohe, unreife Dämpfe, die zum Gehirn emporsteigen und es verschleiern — so wie die Wolken die Sonne verschleiern —, also zwischen den Menschen und seinen Verstand treten. (22) Die Perser pflegten bei Disputationen, Beratungen und Unterhandlungen zu trinken, wenn sie sich ein Urteil bilden und eine Maßnahme beschließen wollten. (23) Die Griechen hingegen bedienen sich des Weins [nur], wenn sie die Laute schlagen, singen und Gedichte rezitieren, damit sie erkennen können, wie weit ihr Denken, ihr Unterscheidungsvermögen und ihre Körperkräfte noch intakt sind. (24) Denn wer von ihnen Wein trinkt, legt es nicht darauf an, seinen Verstand zu verlieren und seinen Körper zu zerrütten, sondern er trinkt ihn in dem Maße, wie er den Durst löscht, wie er Entzücken und Freude hervorruft, die Sorgen vertreibt und die Traurigkeit vergessen läßt. (25) Hält man es so mit dem Wein, so kann der Körper aus ihm großen Nutzen ziehen, denn unter diesen Umständen reinigt er die Harnblase, säubert [232] er die Adern, läßt reifen, was roh und unreif ist, verdaut es dann und löst es in einen guten, lobenswerten Saft auf. (26) Der Weintrinker muß sich aber, wenn er ihn trinkt, vor einem Zustand hüten, in dem er dummes Zeug redet52 und nicht mehr in der Lage ist, das auszuüben, was Gott in seinen Gesetzen fordert, oder daß er nach Hause gehen will, aber nicht den Weg dorthin findet, bei bösen Folgen bezüglich chronischer Krankheiten und zum Tode führender Leiden. (27) Er muß in warmem Wasser baden, sich aber hüten, zu lange im Bade zu bleiben, denn das löst den Körper auf, schädigt ihn und schadet dem Kopfe53. (28) Doch viele Menschen sind der Ansicht, daß das lange Verweilen im Bade und das starke Schweißtreiben die Adern säubert, so daß dies zu einem starken Trinken verhelfe. (29) Das ist _______________ 51 Arab. al-wasāwis as-saudāwīya. 52 Arab. nach Ms. Wien: wa-yanbaġī an yatawaqqā fī šurbihī ʿan ḥālin yabluġu bihī ḫaṭala l‑maqāli. 53 Ms. Wien: li-annahū yuḥallilu l-badana wa-yaḍurruhū wa-yuḍirru bi-r-raʾsi.

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aber das Schädlichste, was ein Weintrinker tun kann. (30) Nötig ist, den Wein nicht schnell und hastig, sondern gemächlich, ruhig und langsam zu trinken, ohne sich [gleichzeitig] mit einem Geschäft, einem Gang oder dergleichen abzumühen. (31) Die Weintrinker dürfen ihr Essen auch nicht in einer einzigen Mahlzeit zu sich nehmen54, denn [in diesem Fall] müssen sie viel essen. Wenn dagegen jemand ein leichtes Frühstück einnimmt und es beim Abendessen vervollständigt, so wird ihm dies beim Trinken hilfreich sein und ihm mehr zu trinken ermöglichen. (32) Das [zum Wein gereichte] Knusperwerk55 aber bleibt [233] unverdaut im Magen und erzeugt Winde und Kopfschmerz. Nimmt er (der Trinker) ein wenig davon zu sich, so macht es das [weitere] Weintrinken nötig und öffnet den Appetit. Fragment nr. II. Quelle: Rāzī Ḥāwī 21, 90, 12‒91, 11. Der Text wurde mit Hilfe der bei Daremberg-Ruelle p. 548 abgedruckten lateinischen Version (= Fragment nr. 492) hergestellt. Rufus in dem Buch des Weins: (1) Es gibt Wein, der im dritten [Grade] erwärmt, während eine andere Sorte die Körper kühlt56. (2) Der schwarze57 hat viel Nährstoff, besonders, wenn er einen süßen Geschmack hat und der Herbheit58 ermangelt. Er erwärmt nicht sehr, es sei denn, er hat einen bitteren Beigeschmack. Der schwarze Wein, der in den kalten Ländern entsteht, hat wenig Wärme. (3) Der weiße hat wenig Nährstoff; er besitzt keinen Duft und schadet dem Kopf nicht. [Denn] je mehr der Wein duftet, desto mehr pocht er und desto schneller steigt er zu Kopfe. (4) Am meisten erwärmt der gelbe, leuchtende Wein, besonders, wenn er einen bitteren Beigeschmack hat. (5) Alter Wein dringt besonders stark durch und treibt den Urin59. (6) Der Körper gewinnt aus dem Wein schnell Kraft und Stärke; er durchdringt die Nahrung, wäscht die Adern, fördert die Verdauung, _______________ 54 Viele Griechen der klassischen Zeit nahmen nur eine Mahlzeit am Tage ein, einige frühstückten zusätzlich, vgl. Hipp. De prisca med. 10 (Bd. I 592 Littré = p. 42, 17 ff. Heiberg). 55 Arab. an-nuql, entspricht τὸ τράγημα. Vgl. die in der Anm. 64 zitierte Oreibasios-Stelle. 56 Zu Fragment II 1 vgl., was Rufus De diaeta, bei Orib. Coll. med. V 9,1 (Bd. I 127, 22 f. Raeder) über den eingekochten Most sagt: τὸ δὲ σίραιον δύναμιν ἔχει θερμᾶναι μέν, ἀλλ’ οὐκ ἴσα οἴνῳ, ὥστε τινὶ καὶ ψύχειν ἔδοξεν. 57 Entspricht οἶνος μέλας, Rufus De renum morbis 5 (p. 33, 5 Daremberg-Ruelle). 58 Wörtlich: „des Zusammenziehens“. 59 Zu Fragment II 5 vgl. Orib. Ad Eunap. I 12,1 (p. 328, 37 Raeder): ὁ οἶνος ... πανταχοῦ πόριμος ὤν.

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beschleunigt die Umwandlung der Nahrung in Blut, heilt den Heißhunger, die grobe Kolik, die Ophthalmie und den Wahnsinn60. (7) Aber wer [zu] viel Wein trinkt, bekommt davon Apoplexie61. (8) Nicht trinken darf ihn, wer Fieber, eine Geschwulst, Kopfweh, ein Geschwür oder verdorbene Säfte hat. (9) Wer aber viel Wein trinken will, der darf sich an diesem Tage körperlich nicht sehr anstrengen. Wenn er dies nämlich tut, stellt sich bei ihm nach dem Essen Trägheit und Erschlaffung ein, so daß er bald einschläft62. (10) Besonders groß ist die Schädlichkeit der Trunkenheit für die schwachen Körper. Er vertreibt auch die Heftigkeit des Wassers(?).

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Zu § 6 vgl. eine ähnliche Stelle in Rufus’ Buch Πρὸς ἰδιώτας bei Rāzī Ḥāwī 21, 91, 12‒14 (= Fragm. nr. 493 Daremberg-Ruelle): Und er lehrt im Buch für die Laien: Der Wein mehrt und bewegt die eingepflanzte Wärme; deshalb wird die Verdauung kräftiger und das Blut besser. Trinkt man wenig von ihm, so verträgt man ein reichliches Essen leichter. Er läßt die Rekonvaleszenten und die Geschlagenen zunehmen und erweckt den Appetit zum Essen63. F r a g m e n t n r . I I I. Quelle: Rāzī Ḥāwī 23, 1, 104, 1‒10. Bei der Herstellung des Textes bin ich vorzugsweise den Handschriften Β und F gefolgt. Berücksichtigt wurde auch die lateinische Version, d. h. das Fragment nr. 375 bei Daremberg-Ruelle p. 527 sowie die knapper formulierte Doublette Rāzī Ḥāwī 23, 1, 71 ult.‒72, 5 (= Fragm. nr. 369 bei Daremberg-Ruelle p. 526). Rufus im Buch des Weins: (1) Wer sich nach dem Essen hinsetzen und den ganzen Tag trinken will, der soll sich vor dem Essen körperlich nicht übermäßig anstrengen. Denn die Anstrengung ermüdet ihn, beschwert ihn und macht ihn schläfrig, wenn er ißt. (2) Wer aber schlafen will, der soll sich vor dem Essen abplagen. Er soll auch vor dem Essen etwas zu sich nehmen, was den Urin treibt, z. Β. Sellerie und dergleichen. (3) Und er soll überhaupt an jenem Tage, an dem er trinken will, nur wenig essen, denn das wird sich am nächsten Morgen als zuträglicher und _______________ 60 Zu Fragment II 6 vgl. die Anmerkung zu Fragment I 1. 61 Zu Fragment II 7 vgl. Rufus bei Orib. Coll. med. V 7,6 (Bd. I 127, 8 Raeder): καὶ γὰρ ἀπόπληκτον εἰκὸς γενέσθαι. 62 Zu Fragment II 9 vgl. Rufus bei Orib. Coll. med. V 7,5 (Bd. I 127, 5 f. Raeder): πρῶτον μὲν γὰρ ἀκρατὲς τὸ σῶμα γίνεται τῷ μεθύοντι, ἔπειτα δ’ ὑπνῶδες. 63 Vgl. dazu Orib. Ad Eunap. I 12,1 (p. 328, 38 f. Raeder): διὸ καὶ τοὺς ἐκ νόσων ἰσχνωθέντας εὐτροφεῖς ἀπεργάζεται ποιεῖ γὰρ καὶ ὀρεκτικοὺς τροφῶν.

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gesünder für seinen Körper herausstellen64. (4) Und wenn sein Körper schwach ist, so soll er die Trunkenheit vermeiden. Denn Trunkenheit ist schlecht, besonders bei den schwachen Körpern. (5) Wenn er aber zufällig viel trinkt bei gleichzeitig starkem Essen, so soll er den Schaden, der daraus resultieren kann, durch Erbrechen abwenden. (6) Und wenn er sich bereitfindet, nach dem Erbrechen Honigwasser zu trinken und es auch zu erbrechen, so ist das gut. Er soll danach den Mund mit Wasser und Essig ausspülen und das Gesicht mit kaltem Wasser waschen65. D. Über die Lebensweise der Reisenden Ibn an-Nadīm66 nennt ein Kitāb fī Tadbīr al-musāfir, maqāla „ein Buch über die Diät des Reisenden, Monobiblon“. Nach der Suda67 hat Rufus Περὶ διαίτης πλεόντων, ebenfalls als Monobiblon, geschrieben. Beide Titel beziehen sich offenbar nicht auf dasselbe Werk, sondern es gab zwei verschiedene Bücher. Denn schon in der hippokratischen Schrift Περὶ διαίτης (Buch III) cap. 68 (Bd. VI 594, 5 ff. Littré) sind beide Themenkreise erwähnt. Der Verfasser schreibt dieses Kapitel für diejenigen, die Landreisen (ὁδοιπορίη) unternehmen wie für die, die ihren Lebensunterhalt auf See (θαλασσουργίη) suchen. Ebenso hat Oreibasios der ὁδοιποροῦσι δίαιτα (nach Diokles) und der πλωιζομένων δίαιτα (nach Dieuches) je ein eigenes Kapitel eingeräumt68. Man darf daher wohl annehmen, daß auch Rufus beide Themen in gesonderten Schriften behandelt hat. Der Zufall hat jedoch gewollt, daß der Verfasser der Suda nur die Schrift über die S e e reisenden notiert hat, während dem arabischen Bibliographen nur das Buch über die L a n d reisenden bekanntgeworden war. Außer dem Titel war aber bisher von dem Buch über die Lebensweise des Reisenden nichts bekannt. Nun hat kürzlich Fuat Sezgin69 die Ansicht geäußert, daß das Buch des Rufus v i e l l e i c h t von ibn al-Ǧazzār benutzt worden sei, als dieser sein K. Zād al-musāfir schrieb. Sezgin verweist dabei auf die Passagen, _______________ 64 Zu Fragment III 3 vgl. Orib. Ad Eunap. I 12,4 (p. 329, 7 ff. Raeder): κωθωνιζόμενος δέ τις τῆς μὲν ἄλλης τροφῆς μὴ ἄγαν ἐμπιπλάσθω, πίνων δ’ ἐν τῷ μεταξὺ κράμβην ἑφθὴν ἐσθιέτω καὶ τραγημάτων γευέσθω, καὶ μᾶλλον τῶν ἀμυγδαλῶν‧ ταῦτα γὰρ καὶ τὰς κεφαλαλγίας κουφίζει. 65 Zu Fragment III 6 vgl. Οrib. Ad Eunap. I 12,3 (p. 329, 6 f. Raeder): κάλλιον δ’ ἐπὶ τούτοις καὶ ἐμεῖν μελικράτου προσλαβόντας, ὡς μηδὲ μικρὸν ὑπ’ αὐτοῦ βλαβῆναι. 66 Fihrist 291, 24, davon abhängig b. a. Uṣ. I 34, 6. 67 P 241 (Bd. IV 301, 34 Adler). 68 Orib. Synopsis ad Eust. V 31 und 33 (Bd. III 166, 5 und 167, 18 Raeder). 69 GAS III 66, nr. 21.

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die Daremberg und Ruelle p. 582‒596 nach der mittelgriechischen Übersetzung des Zād al-musāfir ediert haben. Auf Seite 305 seiner Geschichte wiederholt Sezgin seine Ansicht, mit dem Unterschied allerdings, daß er jetzt die Abhängigkeit ibn al-Ǧazzārs von Rufus für w a h r s c h e i n l i c h hält. Es ist leicht zu sehen, was Sezgin zu dieser Vermutung gebracht hat. In beiden Titeln kommt das Wort al-musāfir „der Reisende“ vor. Sezgin glaubt demnach, daß Rufus und ibn al-Ǧazzār das gleiche Thema abgehandelt hätten und daß der Araber dabei die Schrift des Griechen benutzt habe. Sieht man genauer zu, so stellen sich die Dinge ganz anders dar: Rufus’ Buch Die Lebensweise des Reisenden handelt über die besonderen Vorkehrungen, die der Mensch zu treffen hat, wenn er sich auf Reisen befindet. Der Titel zeigt hier den Inhalt an. Der Titel von ibn al-Ǧazzārs Buch: Zād al-musāfir wa-qūt al-ḥāḍir „Der Proviant des Reisenden und die Nahrung des Seßhaften“ ist dagegen reine Rhetorik, eine figura per merismum70, die nichts anderes besagt, als daß das Buch für j e d e r m a n n gedacht ist. Der Zād al-musāfir ist ein Lehrbuch der allgemeinen Medizin, das knapp und übersichtlich geschrieben ist, damit man es auch auf einer Reise bequem mit sich führen kann und damit man an ihm einen Leitfaden habe für den Fall, daß kein Arzt zu finden ist. Daß nun tatsächlich keine Beziehungen zwischen dem Buch des Rufus und dem des ibn al-Ǧazzār bestehen, beweist der Inhalt der Zitate. Die RufusStellen bei ibn al-Ǧazzār handeln über den Nutzen des Geschlechtsverkehrs bei Melancholie71, darüber, daß der Wein die Furcht vertreibt und die Seele aufheitert, und schließlich über die sich in den Schwämmen findenden Steine, die die Blasensteine auflösen können72. Das alles hat mit dem Thema der „Lebensweise des Reisenden“ nichts zu tun. Nachdem der Weg, den Sezgin gewiesen hat, in eine Fata morgana gemündet ist, wird es nötig, nach dem Buch des Rufus andernorts zu fahnden. Die Suche führt zum K. al-Munqiḏ min al-halaka fī dafʿ maḍārr as-samāʾim almuhlika, jenem umfassenden Giftbuch, das al-Ḥusain ibn abī Ṯaʿlab ibn alMubārak im Jahre 488/1095 geschrieben hat73. Dort findet sich, Ms. Chester Beatty 3795, fol. 120 (arab. 113) a 1 ff., folgendes Fragment74: _______________ 70 Vgl. August Fischer, Ausdrücke per merismum im Arabischen, in: Streitberg-Festgabe, hrsg. von der Direktion der vereinigten sprachwissenschaftlichen Institute an der Universität Leipzig, Leipzig 1924, p. 46‒58. 71 Vgl. Flashar Melancholie, p. 102. 72 Vgl. Diosk. Mat. med. V 144: λίθοι οἱ ἐν τοῖς σπόγγοις εὑρισκόμενοι σὺν οἴνῳ ποθέντες τοὺς ἐν κύστει λίθους θρύπτουσιν. 73 Medizin im Islam, p. 337 und 349. 74 Mein verbindlicher Dank gilt dem arabistischen Bibliothekar der Chester Beatty Library, Herrn David James, der diese Passage für mich aus der Handschrift 3795 kopiert und die Handschrift 4525 kollationiert hat.

Neues zu den diätetischen Schriften des Rufus

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Wa-ḏakara Rūfusu fī kitābihi l-kabīri fī tadbīri l-musāfirīna, qāla: (1) yanbaġī liman kāna musāfiran fī arḍin kaṯīrati d-dabībi an yaʿtamida ʿalā masḥi badanihī ǧamīʿihī bi-duhni wardin wa-šamʿin abyaḍa. (2) wa-in kāna z-zamānu bāridan wa-l-waqtu šitāʾan fa-l-yamraḫi l-badana ǧamīʿahū bi-duhni ḫīrīyin au zanbaqin qad uḏība fīhi šamʿun wa-šaiʾun yasīrun mina l-qinnati ṣ-ṣāfiyati au yaḫliṭu maʿa d-duhni wa-š-šamʿi šaiʾan min burādati qarni l-ayyili wa-yufʿalu ḏālika min kaṯrati rawāʾiḥi l-qinnati fa-innahū nāfiʿun in šāʾa llāhu. (3) wa-man yudabbaru bi-hāḏā t-tadbīri amina min maḍarrati sāʾiri l-ḥayyāti wa-l-ʿaqāribi wa-mā šākala ḏālika in šāʾa llāhu. Rufus lehrt in seinem großen Buch über die Lebensführung der Reisenden: (1) Wer in einem Lande, in dem es viele Kriechtiere gibt, reist, muß sich daran machen, seinen ganzen Körper mit Rosenöl und weißem Wachs zu salben. (2) Und wenn kaltes Wetter herrscht und es Winterszeit ist, so soll er den ganzen Körper mit Levkojenöl oder Jasminöl, in dem Wachs und ein wenig von reinem Galbanum75 aufgelöst sind, einreiben; er kann auch mit dem Öl und Wachs etwas von den Spänen des Hirschhorns vermengen. Dies macht man wegen des starken Geruches des Galbanum. Es hilft, so Gott will. (3) Und wer so behandelt wird, ist auch vor dem Schaden der übrigen Schlangen, Skorpione und ihresgleichen sicher, so Gott will76. Eine zweite Stelle sei hier angefügt, bei der der Werktitel nicht mitgeteilt ist. Dem Inhalt nach könnte sie sehr wohl zum Buch über die Lebensweise der Reisenden gehören. Sie steht im 6. Kapitel des K. Dafʿ maḍārr al-abdān bi-arḍ Miṣr von ʿAlī ibn Riḍwān77. ʿAlīs Buch ist bisher nicht veröffentlicht. Ich zitiere daher nach dem K. al-Mawāʿiẓ wa-l-iʿtibār bi-ḏikr al-ḫiṭaṭ wa-l-āṯār des Taqī ad-Dīn Aḥmad ibn ʿAlī al-Maqrīzī, Bd. II, Kairo 1324, p. 144 ult.‒145, 2, wo ʿAlīs Buch exzerpiert ist: Wa-qad qāla Rūfusu: iḏā daḫalta madīnatan fa-raʾaitahā ḍayyiqata l-aziqqati murtafiʿata l-bināʾi fa-hrub minhā li-annahā wabīʾatun. arāda anna l-buḫāra lā yanḥallu minhā ka-mā yanbaġī li-ḍīqi l-aziqqati wa-rtifāʿi l-bināʾi. Rufus hat gesagt: „Wenn du eine Stadt betrittst und siehst, daß sie enge Gassen und hohe Gebäude hat, so fliehe aus ihr, denn sie ist verseucht“. ʿAlī ibn Riḍwān kommentiert diesen Satz mit den Worten: „Er meint, daß der _______________ 75 Arab. qinna ist die Wiedergabe von χαλβάνη, s. Diosk. Mat. med. III 83 (Bd. II 99, 8 ff. Wellmann/p. 279, 16 Dubler). 76 Ob der Paragraph 3 zum Rufuszitat gehört oder resümierender Zusatz des ibn alMubārak ist, vermag ich nicht zu sagen. 77 Vgl. Medizin im Islam, p. 159.

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Dunst sich nicht von ihr auflöst, wie es nötig wäre, eben wegen der Engigkeit ihrer Gassen und der Höhe ihrer Gebäude.“78

Nachträge Zu S. 58 Anm. 8: Die Schrift des Rufus von Ephesos über die Gelbsucht in arabischer u. lateinischer Übersetzung, hrsg. von Manfred Ullmann (Abh. d. Akad. d. Wiss. in Göttingen, Phil.-Hist. Klasse, Dritte Folge, Nr. 138), Göttingen 1983. Zu S. 67: Beim Tode ibn al-Ǧazzār’s fand man in seinem Haus ein Vermögen von 24.000 Dīnār und 25 Zentner (qinṭār) an medizinischen und anderen Büchern, s. Sulaimān ibn Ḥassān ibn Ǧulǧul, K. Ṭabaqāt al-aṭibbāʾ, ed. Fuʾād Sayyid, Le Caire 1955, p. 90, 1 f. Zu S. 68: Das Fragment nr. I steht bei ʿAlī Nūr ad-Dīn al-Masʿūdī, K. alMuḫtār min Quṭb as-surūr, ed. ʿAbd al-Ḥafīẓ Manṣūr, Tūnis 1976, p. 327, 15‒330, 11. Rainer Degen hat festgestellt, daß bei Muḥammad ibn Aḥmad at-Tamīmī, K. al-Muršid, Ms. Brit. Mus. 9010, fol. 36 a 1‒40 b 5, eine ausführlichere und genauere Fassung des Fragmentes I erhalten ist. Es heißt dort: fa-inna Qusṭā bna Lūqā ḏakara fī tafsīrihī risālata l-ḥakīmi Rūfusa llatī waḍaʿahā fī ḏikri faḍāʾili š-šarābi l-muskiri wa-afʿālihi l-maḥmūdati faqāla ʿan qauli Rūfusa: inna faḍāʾila š-šarābi wa-manāfiʿahū kaṯīratun ilḫ. ― Mehrere Passagen aus der Schrift des Rufus sind auch zitiert bei Aḥmad ibn Ibrāhīm ibn al-Ǧazzār, K. Zād al-musāfir Bd. I Kap. 20 (ed. Muḥammad as-Suwīsī u. ar-Rāḍī al-Ǧāzī, Tūnis 1986, p. 83, 13 ff.), entspricht der mittelgriechischen Übersetzung bei Daremberg-Ruelle p. 582 f. ― Die §§ 22 und 23 sind zitiert bei Isḥāq ibn Sulaimān al-Isrāʾīlī, K. al-Aġḏiya, ed. Muḥammad aṣ-Ṣabbāḥ, Bairūt 1992, p. 624, 19 ff. ― Vgl. auch Dimitri Gutas, Avicenna and the Aristotelian Tradition (Isl. Philosophy and Theology Vol. IV), Leiden etc. 1988, p. 184‒187; Alexander Sideras, in: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt, Teil II: Principat, Bd. 37, 2, Berlin-New York 1994, p. 1187 f.; Peter E. Pormann, Rufus of Ephesus, On Melancholy (Sapere Band XII), Tübingen 2008, Index p. 324 s. v. wine. Zu S. 75: Zu dem Zitat aus ʿAlī ibn Riḍwān vgl. Michael W. Dols, Medieval Islamic Medicine. Ibn Riḍwān’s Treatise “On the Prevention of Bodily Ills in Egypt”, translated, Berkeley-Los Angeles-London 1984, p. 105; arab. Text p. 14, 18 ff. _______________ 78 Die Stelle ist (etwas abweichend) übersetzt von Max Meyerhof, in: Sitzungsberichte der Physikalisch-Medizinischen Sozietät zu Erlangen 54‒55, 1922‒23, p. 204.

Die Schrift des Rufus „De infantium curatione“ und das Problem der Autorenlemmata in den „Collectiones medicae“ des Oreibasios Rufus von Ephesos hat eine Schrift über Säuglingspflege und Kinderkrankheiten verfaßt. Sie ist jedoch handschriftlich nicht erhalten, und weder Soran, der Landsmann und Zeitgenosse des Rufus, der sich im zweiten Buche seines Werkes über die Frauenkrankheiten eingehend mit der Säuglingspflege befaßt hat1, noch ein anderer zeitgenössischer Autor erwähnt sie. Auch bei Galen suchen wir vergebens nach einem Zeugnis für die Schrift. Erst die byzantinischen und arabischen Mediziner geben uns Auskunft. Wenn wir im folgenden den Schicksalen des Buches durch die Jahrtausende hindurch nachspüren, so tun wir das zum einen, um die recht verwickelten überlieferungsgeschichtlichen Fragen zu klären, zum anderen — und das ist das Wichtigere —, um Kriterien zur Beurteilung des Wertes der Fragmente zu gewinnen, die heute aus recht verschiedenartigen Quellen wieder zusammengetragen werden können. Mit seinen Collectiones medicae hatte Oreibasios im Auftrag des Kaisers Julianos ein Werk geschaffen, in dem er vereinigt hatte, was ihm bei den besten medizinischen Schriftstellern das jeweils Trefflichste zu sein schien2. Die Collectiones sind somit in allererster Linie eine Exzerptensammlung, und dadurch sind sie zu einer außerordentlich wichtigen Quelle geworden, ohne die wir von vielen hellenistischen und kaiserzeitlichen Ärzten wenig oder nichts wüßten. Oreibasios hat auch die Schrift des Rufus über die Säuglingspflege in Händen gehabt und ausgeschrieben, und damit ist er der älteste Zeuge für sie. Ihm verdanken wir auch die Kenntnis des Titels. Er lautete Περὶ κομιδῆς παιδίου3. So jedenfalls ist das 38. [20.] Kapitel der sogenannten Libri incerti4 _______________ 1 2 3

Sorani Gynaeciorum libri IV, ed. Joannes Ilberg (CMG IV), Lipsiae et Berolini 1927, p. 57‒93. Owsei Temkin, Byzantine Medicine: Tradition and Empiricism, in: Dumbarton Oaks Papers 16 (1962), p. 98, deutsche Übs. in: Antike Medizin, hsgb. von Hellmut Flashar (Wege der Forschung 221), Darmstadt 1971, 438. Im Arabischen lautet der Titel fī Tarbiyat al-aṭfāl (s. unten), aber es ist nicht zu ent-

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Medizingeschichte

überschrieben, das einzige Kapitel, das durch Nennung des Autors und Titels sich zweifelsfrei als Exzerpt aus unserer Schrift zu erkennen gibt5. In der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts lebte Paulos von Aigina. Man kennt ihn vor allem als Verfasser einer sieben Bücher enthaltenden Kompila166 tion6, die auf weite Strecken hin mit der Synopsis ad Eustathium des Oreibasios übereinstimmt. Paulos hat noch andere Bücher geschrieben, aber diese sind bisher nicht hinreichend erforscht7. Zu den noch unbekannten Büchern gehört auch eine Schrift Über die Hygiene und Therapie des Kindes. Sie wurde ins Arabische übersetzt, und diese Übersetzung wurde im 10. Jahrhundert von alBaladī8 exzerpiert, der uns auf diese Weise eine Anzahl Fragmente erhalten hat9. Aus einem dieser Fragmente geht hervor, daß Paulos die dasselbe Thema behandelnde Schrift des Rufus gekannt und benutzt hat (s. unten Fragment nr. III b). Paulos hat wahrscheinlich miterlebt, wie Alexandrien im Jahre 642 von den Arabern erobert wurde. Wie lange er dann noch unter muslimischer Herrschaft verblieben ist, was aus seinen Büchern geworden ist — wir wissen es nicht. Aber es muß später im Orient noch ein griechisches Exemplar der Schrift des Rufus gegeben haben. Vielleicht stammte es aus Paulos’ Nachlaß, vielleicht haben es erst die arabischen Übersetzer des 9. Jahrhunderts in Byzanz gekauft. Darüber kann man nur Vermutungen anstellen. Aber gewiß _______________

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scheiden, ob dieser Plural auf einen Titel Περὶ κομιδῆς παιδίων zurückgeht oder eine eigenständige Umbildung des Übersetzers ist. Zu diesen s. unten p. 81 f. Oribasii Collectionum medicarum reliquiae IV, ed. Joannes Raeder (CMG VI 2, 2), Lipsiae et Berolini 1933, p. 136. Paulus Aegineta, ed. I. L. Heiberg, Pars I.II (CMG IX), Lipsiae et Berolini 1921. 1924. Hermann Diels, Die Handschriften der antiken Ärzte, II. Teil (Abh. d. Preuß. Ak. der Wiss., phil.-hist. Klasse, 1906, Abh. I), p. 78‒81; Hans Diller, RE 18, 4 (1949), Sp. 2386‒2397 (nr. 23); Manfred Ullmann, Die Natur- und Geheimwissenschaften im Islam (Handbuch der Orientalistik, hsgb. von Bertold Spuler, Erste Abteilung, Ergänzungsband VI, 2. Abschnitt), Leiden / Köln 1972 (im folgenden: „Naturwissenschaften im Islam“), p. 457 f. und 462 f. Zu diesem Autor s. weiter unten. Al-Baladī zitiert diese Schrift unter dem Stichwort: Faulus fī kitābihī fī Tadbīr al-aṭfāl wa-tarbiyatihim. Daneben zitiert er oft auch das Hauptwerk des Paulos mit den Worten: Faulus fī Kunnāšihī. Diese letzteren Passagen lassen sich alle im Griechischen nachweisen. Wie zu erwarten, stimmen die Angaben der kinderheilkundlichen Schrift inhaltlich mit den einschlägigen Kapiteln des Hauptwerkes im wesentlichen überein, jene bietet aber darüber hinaus noch weiteres Material oder präzisiert schon bekanntes: Das Rezept zum Beispiel, das im Hauptwerk III 51 (Bd. I 263, 7‒9 Heiberg) anonym steht, findet sich auch in der kinderheilkundlichen Schrift, dort aber bekennt Paulos, daß es von Kriton (dem Leibarzte Trajans) stamme. Ich gedenke, dieses paulinische Buch in einer späteren Studie zu behandeln.

Die Schrift des Rufus „De infantium curatione“

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ist, daß eine arabische Version angefertigt wurde — und das geschah vermutlich in Bagdad im 9. Jahrhundert. Heute ist diese Version, wie das griechische Original, in ihrer Gänze verloren, aber Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī und al-Baladī hatten sie noch in Händen, denn sie zitieren sie. Beide Autoren sind voneinander unabhängig; jeder überliefert eine Anzahl Passagen, die der andere nicht bringt. Aber auch der Wert der Zitate ist jeweils verschieden. Ar‑Rāzī resümiert nur seine Quelle, ja bisweilen kürzt er so stark, daß der Sinn beeinträchtigt wird10. Er hatte nicht die Absicht gehabt, einen wortgetreuen Zitatenschatz zu schaffen, sondern er hatte nur knappe Notizen gemacht, die Rohmaterial für seine Bücher sein sollten. Es fragt sich, ob es in 167 seinem Sinne war, daß diese Zettelkästen nach seinem Tode von seinen Schülern als Buch unter dem Titel Kitāb al-Ḥāwī veröffentlicht wurden. In diesem riesigen Ḥāwī findet sich die Schrift des Rufus nun achtmal zitiert. Fünfmal heißt der Titel Tadbīr al-aṭfāl (Die Diät der Kinder), zweimal Tarbiyat al-aṭfāl (Das Aufziehen der Kinder), einmal nur al-Aṭfāl (Die Kinder). Aber die Zahl ist nicht entscheidend. Der ursprüngliche Titel der arabischen Übersetzung war sicherlich Tarbiyat al-aṭfāl, denn diese Form entspricht genau dem durch Oreibasios überlieferten Titel Περὶ κομιδῆς παιδίου (bzw. παιδίων), und alBaladī, der im Gegensatz zu ar-Rāzī im hohen Grade wörtlich zitiert, kennt ausschließlich den Titel Tarbiyat al-aṭfāl. Einem Titel Tadbīr al-aṭfāl müßte griechisch Περὶ διαίτης παιδίων zugrundeliegen. Über abū l-ʿAbbās Aḥmad ibn Muḥammad ibn Yaḥyā al-Baladī weiß man nur wenig. Er war, so belehrt uns ibn abī Uṣaibiʿa11, einer der besten Schüler des Aḥmad ibn abī l-Ašʿaṯ; ihm hat er jahrelang als Assistent zur Seite gestanden, und später ist er in den Dienst des ägyptischen Wezirs abū l-Faraǧ Yaʿqūb ibn Yūsuf ibn Killis12 getreten. Er hat also in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts gelebt13. Al-Baladī schrieb — es ist der einzige bekannte Titel — das _______________ 10 Daß ar-Rāzī nicht in extenso zitiert hat, sondern Satzteile und ganze Paragraphen ausgelassen hat, haben schon Daremberg-Ruelle in ihrer Rufusausgabe (s. unten Anm. 27), Préface p. XLIX, völlig richtig festgestellt. Die Behauptung von Fuat Sezgin, Geschichte des arabischen Schrifttums (im folgenden: „GAS“) III, Leiden 1970, p. 72, arRāzī habe die Gepflogenheit, wörtlich zu zitieren, ist unrichtig. Vgl. auch Manfred Ullmann, Die arabische Überlieferung der hippokratischen Schrift „De superfetatione“, oben, p. 7 Anm. 14. 11 K. ʿUyūn al-anbāʾ, ed. August Müller, Kairo 1882, Bd. I 247, 13‒18. 12 Marius Canard, The Encyclopaedia of Islam, New Edition III, Leiden/London 1971, 840 f. 13 René Dagorn, Al Baladi: un médecin obstétricien et pédiatre à l’époque des premiers Fatimides du Caire, in: MIDEO 9 (1967), 73‒118; Manfred Ullmann, Die Medizin im Islam (Handbuch der Orientalistik, hsgb. von Bertold Spuler, Erste Abteilung, Ergänzungsband VI, 1. Abschnitt), Leiden / Köln 1970 (im folgenden: „Medizin im Islam“), p. 146 f.; 347; GAS III 318.

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Medizingeschichte

Kitāb Tadbīr al-ḥabālā wa-l-aṭfāl 14, ein großes Werk in drei Teilen über Schwangerschaft und Geburtshilfe, Säuglingspflege und Kinderkrankheiten. Wie viele arabische medizinische Bücher, so ist auch dieses Werk zum guten Teil nur aus älteren Schriftstellern kompiliert. Wir sind dem Autor dankbar, 168 daß er nicht originell sein wollte, denn auf diese Weise hat er uns nicht nur die interessanten Passagen aus der Schrift des Paulos über die Kinderhygiene, auf die ich oben schon hingewiesen habe, sondern auch 22 unmittelbare Zitate aus Rufus erhalten15. Anders als ar-Rāzī hat al-Baladī seine Quelle viel genauer, ja weithin wörtlich exzerpiert. Das läßt sich an den Texten leicht beweisen, die sowohl bei al-Baladī als auch bei Oreibasios vorkommen. Al-Baladī’s Buch ist sehr systematisch aufgebaut: In der ersten Maqāla handelt er in 57 Kapiteln über Embryologie und Geburtshilfe, in der zweiten Maqāla in 48 Kapiteln über Säuglingspflege, und in der dritten Maqāla in 61 Kapiteln über die Kinderkrankheiten16. Aber den Rufus zitiert al-Baladī zum erstenmal in Maqāla II Kap. 38. Das erlaubt es uns, auf den von Rufus behandelten Themenkreis rückzuschließen: Rufus hatte in seiner Schrift Περὶ κομιδῆς παιδίου, wie es ja auch der Titel anzeigt, die Fragen der Schwangerschaft und Geburtshilfe ausgeschlossen und nur die Säuglingspflege und die Kinderkrankheiten berücksichtigt. Über das Thema „Schwangerschaft“ hatte er sich in anderen Schriften geäußert: Die eine kennt ibn abī Uṣaibiʿa I 34, 15 _______________ 14 Bisher sind sechs Handschriften dieses Werkes bekannt geworden: Der Gothanus 1975, der hier zitiert ist, sowie je eine Handschrift in Kairo (Dār al-kutub 1803 ṭibb), London (Royal College of Physicians nr. 8), Bankipore, Karachi und Kalkutta (s. Medizin im Islam 147, GAS III 318, V 414). Der Gothanus ist unvollständig. Er beginnt erst mitten im 18. Kapitel der I. Maqāla und endet schon mitten im 59. Kapitel der III. Maqāla. Außerdem fehlt nach fol. 101 und 109 je ein Blatt, so daß auch die Kapitel 17/18 und 27 der III. Maqāla unvollständig sind. Auf fol. 140 (in Maq. III 45) wird die zierliche Schrift des ersten Teils durch die plumpe und eckige Schrift eines anderen Kopisten abgelöst, der von medizinischen Dingen offenbar nichts verstand und den ohnehin schon schlecht überlieferten Text zusätzlich noch entstellt hat. Herr Dr. Friedrich W. Zimmermann hatte die Freundlichkeit, einige problematische Passagen des Gothanus mit der Handschrift des Royal College of Physicians zu kollationieren. Diese Handschrift ist eine Kopie des Cahirensis 1803, die im Jahre 1936 für Dr. Roy Dobbin, den Chefarzt der gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses al-Qaṣr al-ʿAinī, angefertigt wurde. Der Cahirensis/ Londinensis und der Gothanus haben viele gemeinsame Fehler, gehören also demselben Überlieferungszweig an (auch die von Fuʾād Saiyid, Fihrist al-maḫṭūṭāt. Našra bi-l-maḫṭūṭāt allatī qtanathā d-Dār min sanat 1936‒1955, Bd. I, Kairo 1380/1961 verzeichnete Handschrift 3110 l ist nur eine junge Kopie der Handschrift 1803). 15 Sechs Zitate kommen als Doubletten vor. 16 Vgl. auch die Inhaltsangabe bei Dagorn p. 93‒113.

Die Schrift des Rufus „De infantium curatione“

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unter dem Titel Maqāla fī Tadbīr al-ḥabālā17, die andere war Περὶ μὴ κυϊσκομένων θεραπείας, μονόβιβλον18 benannt, und auch diese ist zu den Arabern als Kitāb ʿIlāǧ allawātī lā yaḥbalna, maqāla (Die Behandlung derer, die nicht schwanger werden, Monobiblon)19 gelangt. Der Umstand, daß Schwangerschaftsprobleme in der Schrift De infantium curatione nicht mitbehandelt sind, ist also in Rechnung zu stellen, wenn wir unten zu entscheiden versuchen, ob einzelne Kapitel der Collectiones medicae des Oreibasios ebendieser rufinischen Schrift zuzuordnen oder von ihr abzutrennen sind. In der arabischen Literatur begegnen wir der Schrift des Rufus dann nur noch einmal bei ibn abī Uṣaibiʿa (gest. 1270). In seinem unschätzbaren Werk über die Biographien der Ärzte hat er dem Rufus einen Abschnitt gewidmet20, der fast nur aus einer Bibliographie besteht. Dort führt ibn abī Uṣaibiʿa, über ibn an-Nadīm hinausgehend, auch die Maqāla fī Tarbiyat al-aṭfāl an21. Aber er wird das Buch kaum noch selbst in Händen gehabt haben. Es scheint vielmehr, daß er den Titel nur dem Werke des Baladī entnommen hat22. Niemand ver- 169 mag zu sagen, ob die vollständige arabische Übersetzung zu ibn abī Uṣaibiʿa’s Zeit noch existiert hat oder ob sie damals schon verschollen war. So ist es auch mit den Collectiones medicae des Oreibasios. Ihr griechischer Text ist im Mittelalter zu zwei Dritteln untergegangen, und auch die Teile über die Kinderhygiene mußten bis in den Anfang des vorigen Jahrhunderts als verloren gelten. Damit war auch der einzige griechische Zeuge für die rufinische Schrift dahin. Ihre Wiederentdeckung durch die Philologie und Medizingeschichte geschah nicht auf einmal; es war ein nur langsam voranschreitender Prozeß, der sich über 140 Jahre erstreckte. Zunächst hatte der Königsberger Gelehrte Friedrich Reinhold Dietz entdeckt, daß der Codex Parisinus graecus 2237 neben Schriftteilen von Aetios, Nikolaos Myrepsos und Hippokrates auch Passagen von Oreibasios enthält und daß diese Passagen den bis dahin verlorenen Teilen der Collectiones medicae zuzurechnen sind. Seine Mitteilung über _______________ 17 Der Titel hängt vielleicht zusammen mit dem kleinen Abschnitt Περὶ κυήσεως bei Orib. Coll. med. Libr. inc. 19 [3] (Bd. IV 109, 16‒24 Raeder), vgl. Johannes Ilberg, Rufus von Ephesos, ein griechischer Arzt in trajanischer Zeit, in: Abhandlungen der sächsischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, 41 (1930), nr. 1 (im folgenden: „Ilberg Rufus“), p. 29 unten. 18 Scholion zu Orib. Coll. med. Libr. inc. 14, 2 (Bd. IV 102 Raeder), vgl. Ilberg Rufus p. 48. Zum Wert dieser Scholien vgl. Karl Deichgräber, Gnomon 9 (1933), 600‒607. 19 Fihrist 291, 19 f. = b. a. Uṣ. I 34, 3. 20 b. a. Uṣ. I 33, 29‒34, 16. 21 b. a. Uṣ. I 34, 12. 22 Vgl. auch Manfred Ullmann, Neues zu den diätetischen Schriften des Rufus von Ephesos, oben, p. 62.

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diesen Fund war mehr als knapp23, aber sie genügte, um Bussemaker und Daremberg aufmerksam zu machen, die in ihrer großen Oreibasiosausgabe nun zum erstenmal diese wichtigen Textteile veröffentlichen konnten24. Dabei haben sie sieben Kapitel dem XXI., neun weitere Kapitel dem XXII. Buche zugewiesen, den Hauptteil aber, den sie nicht lokalisieren konnten, unter der Rubrik Livres incertains zusammengefaßt. Hans Raeder, der die Neuausgabe des Oreibasios für das Corpus Medicorum Graecorum übernommen hatte, war jedoch von der Richtigkeit der Textaufteilung Bussemakers und Darembergs nicht überzeugt. Daher hat er alle aus dem Codex Parisinus 2237 stammenden Passagen als libri incerti bezeichnet und folglich eine andere Kapitelzählung eingeführt. Da nun aber die ältere Literatur bis zu Ilberg an der Ausgabe Bussemaker-Daremberg orientiert ist und ich im folgenden immer wieder auf diese Literatur rekurrieren muß, zitiere ich die Kapitel nach der Numerierung Raeders, setze aber in eckigen Klammern die Zählung Bussemakers und Darembergs hinzu. In diesen libri incerti finden sich nun25 in loser Folge eine Anzahl Kapitel über Samen, Schwangerschaft, Diätetik, Geschlechtsverkehr, Säuglingspflege, Wahl der Amme, Qualität der Milch, Diätetik des Jugendalters und Kinderkrankheiten, die Galen, Athenaios, Aristoteles, Rufus, Antyllos, Diokles [von Karystos], Mnesitheos von Kyzikos und Mnesitheos von Athen zugeschrieben 170 sind, zum Teil aber auch keine Autorenlemmata tragen. Diese ungezeichneten Kapitel hat man nach herrschender Meinung nicht als anonym zu betrachten, sondern demjenigen Autor zuzuschlagen, der in einem vorausgehenden Kapitel zuletzt genannt war26. Indes waren sich Bussemaker und Daremberg darüber im klaren, daß diese Rechnung nicht immer aufgeht. Sie haben daher in den Anmerkungen gelegentlich ihre Zweifel an der Autorschaft Galens geäußert, wenn dieser genannt war, oder Argumente für die Zuschreibung eines bestimmten Kapitels an Rufus vorgetragen, wenn dieser nicht genannt war. Diese Kritik hatte Konsequenzen für die Rufus-Ausgabe, die Daremberg und Ruelle zusammengestellt hatten27. Die Herausgeber nahmen also aus den libri _______________ 23 Galeni De dissectione musculorum et De consuetudine libri, Graece edidit Fridericus Reinhold Dietz, Lipsiae 1832, Praefatio p. IX. 24 Œuvres d’Oribase, Texte grec, en grande partie inédit, collationné sur les manuscrits, traduit pour la première fois en français, par Cats Bussemaker et Charles Daremberg (im folgenden: „Bussemaker-Daremberg“), Tome III, Paris 1858, Préface p. I‒III. 25 Ed. Bussemaker-Daremberg III 40 ff.; ed. Raeder IV 90 ff. 26 Zu dieser „Regel der Persistenz des Autors“ s. Heinrich Otto Schröder, RE Suppl.bd. VII (1940), Sp. 805. 27 Œuvres de Rufus d’Éphèse, texte collationné sur les manuscrits, traduit pour la première fois en français, avec une introduction. Publication commencée par Charles Daremberg,

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incerti nicht nur das Kap. 38 [20] auf, das das Autorenlemma „Rufus“ trägt, sondern auch solche Kapitel, die sie als rufinisch erschlossen hatten. Dabei gingen sie zum Teil über Darembergs frühere Feststellungen hinaus, zum Teil blieben sie dahinter zurück. So sprechen sie in der Rufus-Ausgabe p. 302 Anm. 1 die Vermutung aus, daß die Kapitel 29 [12], 31 [13] und 30 [14] ebenso dem Rufus zuzuschreiben seien wie das Kap. 22 [6]. Außerdem konnten Daremberg und Ruelle einige Fragmente aus der Schrift des Rufus veröffentlichen, die sie der durch Faraǧ ibn Sālim angefertigten lateinischen Übersetzung des K. alḤāwī von ar-Rāzī (Continens des Rhazes)28 entnommen hatten. Aber wenn die Herausgeber auch weitreichende Schlüsse bezüglich der Autorschaft des Rufus gezogen hatten, so waren sie sich andererseits doch nicht darüber im klaren, daß sie es mit einer selbständigen Schrift über Säuglingspflege zu tun hatten. Denn in der Préface p. XXXIV nr. 15 meinten sie, daß Du régime des enfants nur ein Teil des großen, fünf Bücher umfassenden Werkes Du régime (d. h. Περὶ διαίτης) sei. Das Für und Wider der Zuweisung der Oreibasios-Kapitel zu der Schrift des Rufus über die Säuglingspflege hatte dann auch Ilberg (Rufus p. 29 f.) erwogen. Seine Argumente werden unten noch einmal kritisch geprüft. Bald darauf hat Hans Raeder mit dem IV. Band seiner Oreibasios-Ausgabe (1933) den [vorläufig] maßgeblichen Text vorgelegt, aber in der Frage der Autorenlemmata hat er keinen Fortschritt gegenüber Bussemaker-Daremberg erzielt29. In den folgenden dreißig Jahren scheint sich niemand für unsere Schrift interessiert zu haben. Erst 1965 hat Franz Rosenthal wieder auf sie aufmerk- 171 sam gemacht. Damals war die monströse arabische Editio princeps des Kitāb al-Ḥāwī im Erscheinen begriffen30, und aus diesem Werk hatte Rosenthal, unter Benutzung der bei Daremberg-Ruelle abgedruckten lateinischen Parallelüberlieferung, vier Zitate aus der Schrift des Rufus in deutscher Übersetzung veröffentlicht31. Wenig später hat René Dagorn in seinem Aufsatz (vgl. Anm. _______________

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continuée et terminée par Charles-Émile Ruelle, Paris 1879 (im folgenden: „DarembergRuelle“), p. 301‒303. Die durch Oreibasios vermittelten Fragmente sind nicht noch einmal griechisch abgedruckt, sondern nur französisch resümiert. Sie zitieren den Druck Venedig 1509. Wie schon Bussemaker und Daremberg, so hat auch Raeder lediglich bei dem Kap. 26 [10], das in der Handschrift kein Autorenlemma trägt, ,,ἐκ τῶν Γαληνοῦ“ ergänzt, da dieses Kapitel nachweislich aus Galen, De sanitate tuenda VI 14 (Bd. VI 443‒445 Kühn) stammt. Kitābu’ l Ḥāwī fi’ ṭ-ṭibb (Continens of Rhazes), Part I‒XXIII 2, Hyderabad-Deccan 1955‒1971. Franz Rosenthal, Das Fortleben der Antike im Islam (Die Bibliothek des Morgenlandes), Zürich und Stuttgart 1965, 273 f.

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13, p. 90) auf die Rufuszitate hingewiesen, die al-Baladī’s K. al-Ḥabālā enthält, und der Schreiber dieser Zeilen hat 1970, noch in Unkenntnis der Arbeit Dagorns, bei einer Durchsicht der Handschrift Gotha 1975 diese Zitate ebenfalls gesammelt32. In der kurz darauf erschienenen Geschichte des arabischen Schrifttums von Fuat Sezgin sind dagegen nur die im K. al-Ḥāwī erhaltenen Fragmente verzeichnet33.

* Im folgenden sollen nun die arabischen Passagen vorgelegt und kurz kommentiert werden. Ich biete sie lediglich in einer deutschen Übersetzung, bitte den Leser aber, sich der folgenden Probleme bewußt zu bleiben: Die deutsche Version geht von einem Text aus, der aus den Fragmenten al-Baladī’s und ar‑Rāzī’s rekonstruiert wurde. Von manchen Textteilen kommen bei beiden Autoren Doubletten vor, die jeweils etwas differieren. Bei den Fragmenten ar‑Rāzī’s habe ich auch die lateinische Version konsultiert, und bei allen Fragmenten habe ich den Oreibasios-Text, soweit vorhanden, verglichen. Es würde aber den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen, wenn ich von meinen textkritischen Überlegungen in jedem einzelnen Fall Rechenschaft geben würde. Daher sind in den Kommentaren nur die wichtigsten der die Textgestalt betreffenden Fragen behandelt. Auch der rekonstruierte Text ist nur fragmentarisch. Es scheint, daß wir von der ursprünglichen arabischen Übersetzung nicht einmal die Hälfte zurückgewonnen haben. Diese Texte sind dennoch eine höchst wertvolle Bereicherung unserer bisherigen Kenntnisse: Sie setzen uns in Stand, zum Abschluß das Problem der Authentizität der Autorenlemmata bei Oreibasios zu diskutieren und klarzustellen, welche Kapitel dieses Sammelwerkes aus der Schrift De infantium curatione genommen wurden, und sie geben darüber hinaus wichtige Einblicke in die Gedankenwelt und Darstellungsweise des Rufus. Insgesamt konnte ich neunzehn Textstücke zusammentragen. Bei ihrer Anordnung habe ich mich von den folgenden Gesichtspunkten leiten lassen: Zwölf Fragmente kommen ganz oder teilweise auch bei Oreibasios vor, bei 172 dem sie auf vier Kapitel (31 [13], 38 [20], 42 [24] und 43 [25]) verteilt sind. Ganz offensichtlich hat Oreibasios innerhalb eines jeden Kapitels die T e x t folge seiner Quelle beibehalten; aber die einzelnen Kapitel mußte er zum Teil neu ordnen, da er ja, was das Gebiet der Säuglingspflege angeht, acht verschiedene Autoren ausgeschrieben hat. Die K a p i t e l folge des Oreibasios konnte also für die Rekonstruktion der Schrift des Rufus nicht unbedingt maßgeblich sein. _______________ 32 Medizin im Islam p. 345 zu Seite 74. 33 GAS III 65 nr. 4.

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Al-Baladī beginnt die III. Abhandlung seines Buches mit einem Kapitel, in dem er ganz allgemein die möglichen Kinderkrankheiten bespricht. Dabei zitiert er fol. 82 b 6 ‒ 83 a 16 hintereinander sieben Passagen von Rufus (vier davon sind in ausführlicherer Form in den späteren Kapiteln abermals angezogen). Die Abfolge dieser sieben Textteile entspricht der Einteilung der rufinischen Schrift, denn sie deckt sich völlig mit der Textfolge, die in den Kapiteln 42 [24] und 43 [25] des Oreibasios herrscht. Nur der erste Passus (fol. 82 b 6‒9) hat keine Parallele bei Oreibasios. Er mußte daher als Fragment nr. II den Oreibasiosstücken vorangestellt werden. Es sind dann noch fünf Fragmente verblieben, die nicht so genau lokalisiert werden können. Man darf aber wohl annehmen, daß Rufus in der Thematik seiner Schrift die Entwicklung des Kindes von der Geburt an fortschreitend begleitet und daß er die Krankheiten nach jenem beliebten Schema „a capite ad calcem“ geordnet hat. Eine solche Gliederung liegt auch der erwähnten Schrift des Paulos sowie den arabischen kinderheilkundlichen Büchern des Baladī, ibn al-Ǧazzār und ʿArīb zugrunde, die sich eng an antike Vorbilder anschließen. Dementsprechend habe ich das Fragment über die Auflösung der geronnenen Milch, das im Zusammenhang der Diät der Amme steht, an den Anfang gestellt (nr. I), die Texte über Ohren- und Augenleiden als Fragmente XII und XIII, die Unterdrückung der Milch als Fragment XIV und das Blutspeien als Fragment XVIII gezählt.

I. Q u e l l e n : Rāzī Ḥāwī 7, 273, 2 f.; 19, 372, 4‒6; 410, 5 f.; 414, 6‒9; DarembergRuelle Fragm. nr. 232, 1; 385; 387. P a r a l l .: Orib. Coll. med. Libr. inc. 31 [13], 13 (Bd. IV 123, 1‒4 Raeder). Rufus sagt in seinem Buch über das Aufziehen der Kinder: Die [wilde] Minze löst die Milch auf, so daß sie Wasser wird. Deshalb gibt man den [ausgepreßten] Saft von ihr dem zu trinken, in dessen Magen die Milch geronnen ist, weil sie sie sofort auflöst. [Oder gib ihm Asant zu trinken, denn der löst sie sofort auf]. K o m m e n t a r : Der arabische Text stimmt mit der Oreibasiospassage sachlich völlig überein. Ḥabaq ist im allgemeinen eine Bezeichnung für das großblättrige Basilienkraut, steht aber auch, wie hier, für verschiedene MinzeArten, insbesondere für Mentha silvestris L., s. Immanuel Löw, Die Flora der Juden (Veröffentlichungen der Alexander Kohut Memorial Foundation Bd. II), II, Wien und Leipzig 1924, 67 f. Auch Diosc. Mat. med. III 34, 2 (Bd. II 46, 7 f. Wellmann) kennt dieselbe Wirkung: γάλα ἀτύρωτον φυλάσσει. Im lateinischen Fragment nr. 387 steht caseus, was auf einer Fehllesung ǧubn des Wortes ḥabaq beruht. Aber der arabische Druck hat an dieser Stelle (Ḥāwī 19,

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414, 9) nicht ḥabaq, sondern ḥiltīt = Asa foetida L., und dasselbe Wort kommt auch 7, 273, 2 f. und 19, 372, 5 vor. Das könnte aus einem alten Schreibfehler entstanden sein, aber nach Diosc. Mat. med. III 80, 5 (Bd. II 96, 13 Wellmann) hat auch das σίλφιον die Eigenschaft, gegen die geronnene Milch zu helfen. (Die Frage, ob das σίλφιον tatsächlich mit Asa foetida zu identifizieren ist34, kann hier ausgeklammert werden, da die arabischen Übersetzer des 9. Jahrhunderts diese Gleichung vollzogen haben und da nur dieser historische Kenntnisstand für uns von Belang ist, s. die arabische Dioskuridesübersetzung, ed. Dubler, 276, 13 und b. -Baiṭār Ǧāmiʿ II 27, 3 ff.). Auch Galen, De simpl. med. VIII 15, 12 (Bd. XII 91, 2 Kühn) und 18, 16 (123, 12) hebt die zerteilende und auflösende Kraft des σίλφιον, insbesondere des ὀπὸς Κυρηναῖος, hervor, und dasselbe weiß auch Rufus, denn er verschreibt das Mittel gegen koaguliertes Blut in der Harnblase, s. De renum et vesicae morbis 9, 1 (Daremberg-Ruelle p. 43, 2). Es ist also möglich, daß die Asa foetida in den Rāzī-Stellen auf Rufus zurückgeht; Oreibasios, der nur die Minze nennt, hätte den Rufus hier dann nicht vollständig exzerpiert.

II. Q u e l l e : Baladī Ḥabālā III 1 (fol. 82 b 6‒9). Rufus sagt in seinem Buch über das Aufziehen der Kinder: Im Temperament der Kinder liegt eine Hitzigkeit (ḥumayyā), die ihnen schaden kann. Manchmal befällt sie davon ein heftiges Leiden, Schwachsinn und so etwas wie Wahnsinn. Manchmal widerfährt dies dem Kinde auch nach der [Über-]Sättigung durch Speise und Trank.

III a. Q u e l l e n : Baladī Ḥabālā III 1 (fol. 82 b 9‒83 a 6); III 51 (fol. 144 b ult. ‒ 145 a paen.). P a r a l l .: Orib. Coll. med. Libr. inc. 42 [24], 1‒5 (Bd. IV 148, 17 ‒ 149, 4 Raeder). Rufus sagt: (1) Bisweilen kommen auf der Haut eines Kindes Geschwüre vor, die von der schlechten Qualität der Milch und von der ungenügenden Verdauung ihrer Mägen [Plural!] herrühren. (2) Manchmal haftet ihm dies noch von seinem Aufenthalt im Uterus seiner Mutter an. (3) Wenn nun so etwas erscheint, sollte sich die Amme darüber freuen, denn dadurch werden große _______________ 34 Friedrich August Flückiger, Pharmakognosie des Pflanzenreiches, 3. Aufl., Berlin 1891, p. 61; George Karsten, Ulrich Weber, Egon Stahl, Lehrbuch der Pharmakognosie für Hochschulen, 9. Auflage, Stuttgart 1962, p. 583.

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Krankheiten, die im Inneren des Körpers steckten, aufgelöst. Würden diese [drinnen] bleiben, so müßte man fürchten, daß dem Kinde dadurch ein Unheil 174 zustößt. (4) Es muß aber mit aller Sorgfalt behandelt werden, bis der Ausschlag erlischt. Darauf wird es behandelt durch Bäder mit Wasser, in dem ein wenig von der Myrte oder den Zweigen des Mastixbaumes oder Rosen und Rosenöl gekocht wurde. Es wird mit Rosenöl eingeölt und mit einer aus Bleiweiß hergestellten Salbe eingerieben. (5) Zu Beginn der Krankheit35 muß es behandelt werden durch häufiges Baden in warmem Wasser, dem keines der Dinge, die ich erwähnt habe, beigemischt wurde. (6) Darauf wird es in Wasser gebadet, dem etwas Natron zugesetzt wurde, damit jene Feuchtigkeit getrocknet wird. (7) Dies also ist die Behandlung der Geschwüre, die auf der Haut eines Kindes erscheinen. (8) Es ist [aber] auch nötig, daß die Nahrung der Amme richtig ist, beim Essen sowohl wie beim Trinken: Sie soll sich nicht damit vollstopfen, soll aber auch nichts weglassen, was sie braucht. Denn die Übersättigung verdirbt den Magen, und die Unterernährung macht die Milch gallig. Diese beiden Extreme stehen also im Widerstreit.

III b. Q u e l l e : Baladī Ḥabālā III 52 (fol. 146 b 6‒147 a 13). P a r a l l .: Orib. Coll. med. Libr. inc. 42 [24], 1‒4 (Bd. IV 148, 17‒28 Raeder). Paulos zitiert in seinem Buche einen Passus von Rufus, der folgenden Wortlaut hat: Rufus sagt: (1) Ich habe dir, 36, mitgeteilt, daß dem Kinde, wenn es mit schlechter Nahrung ernährt wird, verschiedene Krankheiten zustoßen, zum Beispiel Hautausschläge, Pickel und feuchte Geschwüre an der Oberfläche des Körpers sowie die Geschwülste, die man Bubonen (ṭāʿūn) nennt. (2) Wenn diese auftreten, muß es mit Salz und dergleichen behandelt werden, weil dies scharf ist. (3) Dann bade sie [Plural !] in Wasser, in dem Rosen und Linsen gekocht wurden. (4) Wenn du aber ein Mittel brauchst, das eine stärker adstringierende Wirkung als dieses hat, so wende Wasser an, in dem Myrten und Granatapfelrinden gekocht wurden. (5) Wenn es an bösen Geschwüren leidet, so mach einen Umschlag darum mit dem Saft der Endivie und des großen Wegerichs mit etwas Brot oder Mehl und Portulak und Wasser, in dem getrocknete Rosen mit Steinklee und Kostus gekocht wurden. (6) Zerreibe auch Bleiglätte und Alaun mit Essig oder mit Myrtenöl und Rosenöl und streiche dies darauf. _______________ 35 Var.: Zu Beginn der Behandlung. 36 Nicht zu entzifferndes Wort, vielleicht der Name des Adressaten der Schrift im Vokativ.

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K o m m e n t a r : Dieses Fragment ist allem Anschein nach eine Doublette zu III a, die al-Baladī aber nicht als solche erkannt hat, da der Inhalt der Passage durch Paulos von Aigina ziemlich stark umgestaltet wurde. Auch die Übersetzung der Schrift des Paulos ins Arabische mag an einigen weiteren Veränderungen Schuld sein. Die Ausschläge werden aber übereinstimmend auf schlechte Ernährung zurückgeführt, und in beiden Texten werden dem Badewasser Rosen zugesetzt. Das ψιμύθιον ist in III a 4 richtig mit isfīḏāǧ, in 175 III b 6 etwas abweichend mit murdāsanǧ wiedergegeben. Letzteres ist bei Diosc. Mat. med. V 87 (Bd. III 57, 15 Wellmann = p. 411, 16 Dubler) das Äquivalent für λιθάργυρος. Oreibasios, Coll. med. XLIV 14 (Bd. III 131, 31‒ 132, 18 Raeder) bringt einen Abschnitt über die Bubonen nach Rufus, der, wie der Scholiast schreibt, aus der Schrift Περὶ τῶν ἐκτὸς παθῶν stammen soll (vgl. Ilberg Rufus 30). Rufus unterscheidet dort die gewöhnlichen, ungefährlichen und die pestilenzialischen Bubonen. Die erstere Art ist für unser Fragment vorauszusetzen, aber inhaltlich bestehen keine Übereinstimmungen.

IV. Q u e l l e : Baladī Ḥabālā III 1 (fol. 83 a 6‒9). P a r a l l . : Orib. Coll. med. Libr. inc. 42 [24], 6‒7 (Bd. IV 149, 4‒8 Raeder). Darauf sagt er : Es ist nötig, daß sich die Amme sorgsam um das leichte Wachsen der Zähne kümmert, weil in jener Zeit Spasmen, Fieber, Geschwulst des Zahnfleisches, Erbrechen, Durchfall, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Schmutz im Auge und starker Speichelfluß auftreten können. K o m m e n t a r : Der arabische Text weicht nur in einer Kleinigkeit von dem Oreibasiosexzerpt ab: Statt „Schmutz im Auge und starker Speichelfluß“, wasaḫ al-ʿain wa-kaṯrat al-buzāq, hat Oreibasios: καὶ δακρύει καὶ πτύει ὕφαιμον. Der Übersetzer hat σπασμοί mit tafazzuʿ übersetzt, ähnlich wie in Fragm. VIII 5, wo fazaʿ für σπασμοί steht.

V. Q u e l l e n : Baladī Ḥabālā III 1 (fol. 83 a 9‒12) [nur § 1] und III 17 (fol. 101 a 2‒11) [§§ 1‒4]. P a r a l l .: Orib. Coll. med. Libr. inc. 42 [24], 8 (Bd. IV 149, 8‒ 10 Raeder) [nur § 1]. Rufus sagt in seinem Buch über das Aufziehen der Kinder, und dies sind seine Ausführungen im genauen Wortlaut: (1) Der Starrkrampf (kuzāz)37 ist eine _______________ 37 WKAS I 564 a 13 ff.

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böse Sache, wenn er nach dem Fieber auftritt. Die dicken Kinder, denen das Wachsen der Zähne Beschwerden macht, gehen schnell zugrunde, wenn bei ihnen ein Starrkrampf nach dem Fieber auftritt. (2) Diese Art des Krampfes (tašannuǧ) ist es, die die Kinder häufig wegen der Feuchtigkeit, Weichheit und Schwäche ihres Temperamentes und ihrer Organe, wegen der Schwäche ihrer Gehirne, wegen der Feuchtigkeit ihrer Nahrungsmittel und wegen ihres vielen Milchsaugens befällt. Denn ihre Verdauung kann die Speisen, die sie zu sich nehmen, noch nicht im vollen Umfang bewältigen. (3) Der Krampf, der ohne Fieber auftritt und sich auch nicht während der Fieberanfälle zeigt, ist gutartig, und man braucht seinetwegen keine große Furcht zu haben. (4) Aber der unmittelbar nach dem Fieber oder gleichzeitig mit ihm auftritt, von dem habt ihr 176 vernommen, was Rufus über ihn gesagt hat. K o m m e n t a r : An al-Baladī’s Absicht, die Lehre des Rufus im genauen Wortlaut (fa-hāḏā qauluhū bi-lafẓihī) zu zitieren, ist nicht zu zweifeln, aber die Frage, ob das Zitat mit § 1 oder § 3 endet, kann nicht ganz leicht entschieden werden (§ 4 ist eindeutig das Resümee des Baladī). Da in III 1 in einem nicht unterbrochenen Kontext nur § 1 vorkommt und da auch dem Oreibasiosexzerpt (§ 8) nur der § 1 entspricht, nehme ich an, daß die §§ 2 und 3 Zusätze von al-Baladī sind. Andernfalls müßte man annehmen, daß Oreibasios den Text des Rufus hier stark gekürzt hat, aber für diese Annahme liegt kein plausibler Grund vor. Der griechische und arabische Text differieren wiederum in Kleinigkeiten: Oreibasios spricht vom Krampf (σπασμός) beim Fieber oder einem Geschwür bzw. einer Wunde (ἐπὶ πυρετῷ ἢ ἕλκει), der Araber nur vom Fieber; andererseits sind die „dicken“ Kinder (aṣ-ṣibyān as-simān) im Griechischen nicht erwähnt. Daß der Ausdruck „beim Fieber“ arabisch mit „nach dem Fieber“ wiedergegeben ist, ist nur eine Frage der Interpretation von ἐπί.

VI. Q u e l l e : Baladī Ḥabālā III 1 (fol. 83 a 12 f.). P a r a l l .: Orib. Coll. med. Libr. inc. 42 [24], 12. Und er sagt: Wenn das Wachsen der Zähne in den fällt, bereitet es Beschwerden. Es ruft Geschwüre im Zahnfleisch hervor und löst Erbrechen und Durchfall aus. K o m m e n t a r : Die Passage handelt vom Einfluß der Jahreszeiten auf die Dentition. Da der Ausdruck „. . . bereitet es Beschwerden“, kāna muʾḏiyan, dem griechischen ἐπαχθῶς entspricht, muß man annehmen, daß in der Lacuna aš-šitāʾ „Winter“ gestanden hat. Allerdings müßte man dann nach muʾḏiyan eine weitere Lacuna ansetzen, da die folgenden Symptome nach dem Oreibasiostext im Sommer auftreten.

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VII. Q u e l l e n : Baladī Ḥabālā III 32 (fol. 116 b 12‒15) und III 47 (fol. 141 a 14‒ b 3). P a r a l l .: Orib. Coll. med. Libr. inc. 42 [24], 13‒14 (Bd. IV 149, 23‒28 Raeder). Rufus sagt: (1) Wenn das Kind in die Zeit gekommen ist, in der die Zähne wachsen, muß man dafür sorgen, daß es in warmem Wasser gebadet und daß seine Nahrung vermindert wird. (2) Hat es langandauernden Durchfall, so soll sein Bauch umwickelt werden, bis jener Durchfall abklingt, zum Beispiel mit einem Kümmelwickel in Wolle, mit Anis und mit Selleriesamen. (3) Auch Rosensamen ist ebenso geeignet. 177 K o m m e n t a r : Die Handschrift Paris 2237 der Collectiones medicae hat ἄνηθον „Dill“, aber es muß auch Handschriften mit der Lesart ἄνησον „Anis“ gegeben haben, denn die Parallelüberlieferung in der Synopsis ad Eustathium V 9, 3 (p. 156, 26 Raeder) hat ἄνησον. Da der Originaltext von Rufus, nach der arabischen Übersetzung zu urteilen, ἄνησον hatte, ist dieser Lesart der Vorzug zu geben. Sachlich wäre beides möglich, denn Dioskurides (Mat. med. III 56 und 58 [Bd. II 69, 8 ff. Wellmann]) schreibt beiden Drogen die Wirkung: κοιλίαν ἵστησι zu.

VIII. Q u e l l e n : Baladī Ḥabālā III 32 (fol. 116 b paen. ‒ 117 a 2) und III 48 (fol. 142 a 6‒10). P a r a l l .: Orib. Coll. med. Libr. inc. 42 [24], 15‒16 (Bd. IV 149, 31‒ 150, 3 Raeder). Rufus sagt: (1) Wenn der Bauch, besonders bei den Kindern, stark verstopft ist, muß er mit gekochtem Honig erweicht werden, den man zu Suppositorien formt, (2) oder mit zerriebenem Basilienkraut, das mit Honig verknetet und ebenfalls zu einem Suppositorium gemacht wird. (3) Das genügt völlig, um jeden Tag etwas von den Schlacken herauszubringen. (4) Zu jener Zeit muß man auch die Amme zu geeignetem Essen und Trinken und zu einer Diät, die einen weichen Stuhlgang befördert, anhalten. (5) Sie soll sich um das Wohl des Kindes kümmern und ganz besonders aufpassen, daß ihm weder ein Krampf noch ein Ungemach widerfährt. K o m m e n t a r : Die arabischen Texte und der Oreibasiostext stimmen fast völlig überein. Der § 2 findet sich bei al-Baladī nur im Kapitel 48, die §§ 3 und 5 nur im Kapitel 32. Al-Baladī hat seine Quelle also jeweils etwas anders exzerpiert, aber der Oreibasiostext, der hier vollständig ist, gestattet es, die einzelnen Sätze in der richtigen Reihenfolge aneinanderzufügen. Das Wort

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ḥabaq „Basilienkraut“ ist noch durch die Glosse wa-huwa raiḥān erklärt. Man beachte, daß in § 5 fazaʿ für σπασμοί steht, ähnlich wie oben in Fragment IV tafazzuʿ.

IX. Q u e l l e n : Baladī Ḥabālā III 1 (fol. 83 a 14 f.) [nur § 1]; III 30 (fol. 114 a 7‒ b 4) [§§ 1‒8]; Rāzī Ḥāwī 3, 201, 9‒14 [§§ 2, 6‒8]; Daremberg-Ruelle Fragm. nr. 177 und 179, 7.8. P a r a l l . : Orib. Coll. med. Libr. inc. 43 [25], 1‒4 (Bd. IV 150, 12‒27 Raeder) [§§ 1‒8]. Rufus sagt: (1) Bisweilen bekommen die Kinder Geschwüre, die in ihren Mündern aufbrechen. Die Farbe von einigen ist weiß, von anderen rot, von abermals anderen schwarz, so als seien sie Narben einer Verbrennung. (2) Diejenigen von ihnen, die dieser Beschreibung entsprechend schwarz sind, sind für den Patienten perniziös (wabāl); sie brechen häufig bei den Kindern unter den Ägyptern aus, und deshalb wird diese Krankheit „die ägyptischen Geschwüre“ (al-qurūḥ al-miṣrīya) genannt. (3) Manchmal tritt dieses Geschwür nach einem langandauernden Fieber auf, aber auch das Fieber kann nach dem 178 Ausbruch des Geschwürs auftreten. (4) Zuweilen stellen sich dabei auch Starrkrampf (kuzāz), Störung der Sinneswahrnehmung, Atemnot und Mühe, den Hals zu bewegen, ein; das Auge verdreht sich, das Verderben greift auf die Lunge über, und das Kind geht zugrunde. (5) Was nun das Heilmittel für diese Krankheit angeht, so werde ich die Therapie beschreiben, die für so etwas richtig ist. (6) Behandle es (das Kind) also mit zerriebenen Iriswurzeln samt etwas Honig, und blase die Iris auch im getrockneten Zustand in den Mund des Kindes, denn das ist geeignet. (7) Auch trockene Rosenblätter, Safranblüten, ein wenig Myrrhe, Galläpfel, Weihrauch und die Rinden des Weihrauch[baumes], all das ist, für sich und in zusammengesetzter Form, nützlich und geeignet, wenn damit die Geschwüre behandelt werden, samt etwas Honig. (8) Es ist auch angebracht, dem Kinde, nachdem es mit diesem Mittel behandelt worden ist, Honig einzuflößen, der mit lauwarmem Wasser und mit dem [ausgepreßten] Saft süßer Granatäpfel vermischt wurde. K o m m e n t a r : Thema des Fragments sind die Aphthen. Die Texte des Oreibasios und Baladī (III 30) stimmen fast völlig überein. Die Bemerkung von Rufus, daß die Behandlung der schwierigen Fälle dem Arzte überlassen bleiben müsse, daß aber auch die Amme im kleinen helfen könne (Orib. § 3), ist im Arabischen verwischt. Die Mittel, die bei Oreibasios der Amme empfohlen werden, sollen bei al-Baladī offenbar vom Arzt angewendet werden, denn es steht der Imperativus masc. (§ 6: fa-ʿāliǧhu). Diese Unschärfe ist

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vermutlich schon dem Übersetzer anzulasten. Ar-Rāzī’s Text ist wieder nur summarisch, aber an zwei Stellen hat er die Übersetzung genauer exzerpiert als al-Baladī: In § 6 hat er wa-qalīlu [sic lege] murrin für καὶ ὀλίγον σμύρνης (Baladī nur: wa-l-murru) und fa-inna hāḏihī mufradatan wa-murakkabatan nāfiʿatun für ὁμοῦ τε καὶ ἰδίᾳ ἕκαστον (Baladī nur: fa-inna hāḏā kullahū nāfiʿun).

X. Q u e l l e n : Baladī Ḥabālā III 1 (fol. 83 a 15 f.) und III 55 (fol. 150 a 14 ‒ paen.). P a r a l l .: Orib. Coll. med. Libr. inc. 43 [25], 5 (Bd. IV 150, 27 f. Raeder). Rufus sagt: Das Brennen und die Feuchtigkeit, die an beiden Schenkeln des Kindes auftreten, werden behandelt mit Zypergras (suʿd), Myrte (ās) und Rosen nebst einer kleinen Menge Aromata. K o m m e n t a r : ἐκτρίμματα ist mit dem Hendiadyoin al-iḥtirāq wa-r-ruṭūba nicht sehr geschickt übersetzt.

XI. Q u e l l e n : Baladī Ḥabālā III 22 (fol. 106 b 9 ‒ paen.); Rāzī Ḥāwī 3, 55 paen.‒ 56, 2; Daremberg-Ruelle Fragm. nr. 165. P a r a l l .: Orib. Coll. med. Libr. inc. 43 [25], 6‒7 (Bd. IV 150, 28‒151, 3 Raeder). 179 Rufus sagt: (1) Die Feuchtigkeit der Ohren der Kinder muß man mit einer Wollflocke behandeln, die mit etwas Alaun getränkt ist und in die Ohren des Kindes gesteckt wird, oder mit altem Wein (nabīḏ) oder Honig und ägyptischen Bohnen. (2) [Mit dem Ausdruck „ägyptische Bohnen“ (bāqillā miṣrī) meint er Lupinen (turmus). Das war jedenfalls, wie ich berichten kann, die Ansicht unserer Lehrer]. Rufus sagt: (3) Die Feuchtigkeit tritt in den Ohren der Kinder wegen des vielen Milchsaugens auf; deswegen glauben viele Ärzte, daß die Milch, die in ihren Ohren ist, Eiter sei. (4) Wenn man nun das Kind daran hindert, sich an der Milch ganz satt zu trinken, dann weicht die Feuchtigkeit der Ohren von ihm, und man hat, was man will. K o m m e n t a r : Bāqillā miṣrī, griechisch κύαμος Αἰγύπτιος, ist der Same der Nymphaeacee Nelumbium speciosum Willd., vgl. Diosc. Mat. med. II 106 (Bd. I 180, 8 ff. Wellmann/p. 184, 12 Dubler). Daß der arabische Ausdruck auch als Synonym für turmus (θέρμος) verstanden wurde, geht aus einer Glosse ibn alBaiṭārs (Ǧāmiʿ I 78, 26) hervor, der sagt: „Wer behauptet, die ägyptische Bohne sei die Lupine, befindet sich im Irrtum“.

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XII. Q u e l l e : Baladī Ḥabālā III 23 (fol. 108 b 3‒4). Rufus sagt: Tritt im Ohr eines Kindes eine Geschwulst auf, so tröpfele in sein Ohr Eiweiß mit der Milch einer Frau oder Regenwürmer (ḫarāṭīn) und Rosenöl. K o m m e n t a r : Die Milch einer Frau wurde offizinell vielfach verwendet, vgl. Diosc. Mat. med. II 70, 6 (Bd. I 145, 12 ff. Wellmann) und die dort verzeichneten Parallelen, ferner WKAS II 162 a 17 ff. Als Heilmittel gegen Ohrenleiden wird sie von verschiedenen Autoren empfohlen, s. die Zusammenstellung bei Rāzī Ḥāwī 3, 35, 4; 40, 2.9; 41, 20; 45, 3.8; 48, 16; 51, 5 (auch dort oft zusammen mit Eiweiß). Ar-Rāzī überliefert auch zwei Rufusstellen: Bei der einen (Ḥāwī 3, 52, 7 f. = Daremberg-Ruelle Fragm. nr. 164) ist der Buchtitel nicht genannt: „Rufus: Wenn man die Galle des Stiers mit der Milch einer Frau oder der Milch einer Ziege vermischt und sie in das Ohr träufelt, aus dem Eiter fließt, so heilt sie es“. Die zweite Stelle (Ḥāwī 3, 42, 18‒43, 2 = Daremberg-Ruelle Fragm. nr. 159, 2) stammt aus der Pragmatie Πρὸς τοὺς ἰδιώτας38: „Rufus an die Laien: Wir tröpfeln in das Ohr zu Beginn der Schmerzen Rosenöl oder lau erwärmten Wein mit Öl oder den [ausgepreßten] Saft von Rosen oder den [ausgepreßten] Saft des (kleinen) Tausendgüldenkrautes39 oder den Absud der Schlangenhaut mit Rosenöl, oder das Tier, das unter den Wasser- 180 krügen lebt, und zwar wird es in Öl gekocht und hineingetröpfelt, oder den [ausgepreßten] Saft des Wermuts mit Rosenöl“. Während Rufus hier an feuchten Stellen lebende Würmer oder Asseln empfiehlt, spricht er in der Schrift über die Säuglingspflege von „Regenwürmern“, γῆς ἔντερα. Diese werden in der zeitgenössischen Medizin in gekochtem oder fein zerriebenem Zustand gerne gegen Ohrenschmerzen und Geschwülste angewendet, vgl.: Diosc. Mat. med. II 67 (Bd. I 142, 12 ff. Wellmann); Antyllus De extern. sympt. remediis, bei Orib. Coll. med. X 35, 2 (Bd. II 74, 25 Raeder); Galen, De theriaca ad Pisonem 9 (Bd. XIV 242, 18 f. Kühn); idem, De simpl. med. XI 1, 42 (Bd. XII 363, 3 ff. Kühn); Paulus Aegin. VII 3 (Bd. II 204, 24 f. Heiberg). _______________ 38 Zu dieser vgl. Ilberg Rufus 41 f. und Sergio Alleori, Giovanni Gentili, Il trattato „Della medicina popolare“ di Rufo d’Efeso (Frammenti e citazioni), in: Pagine di storia della medicina 15, 5 (1971), p. 52, nr. 12. 39 Griech. κενταύρειον τὸ λεπτὸν ἢ μικρόν, Diosc. Mat. med. III 7 (Bd. II 12, 3 ff. Wellmann).

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XIII. Q u e l l e : Baladī Ḥabālā III 20 (fol. 105 b 4 f.). Rufus sagt: Wenn im Auge des Kindes ein Leukom (bayāḍ) auftritt, so tröpfele den Saft des Nachtschattens hinein. Das hilft. K o m m e n t a r : Die Behandlung des Leukoms erörtern: Galen, De compos. med. sec. loc. IV 7.8 (Bd. XII 737, 5 ff. und 801, 4 ff. Kühn); idem, De remediis parab. I 5 (Bd. XIV 349, 9 ff. Kühn); Orib. ad Eunap. IV 24 (p. 447, 18 ff. Raeder); Paulus Aegin. III 22, 24 (Bd. I 181, 9 ff. Heiberg) und besonders ausführlich Aetius Amid. VII 39‒42 (Bd. II 290, 13 ff. Olivieri), wo auch eigens des bei Kleinkindern auftretenden Leukoms gedacht ist (p. 293, 3 ff.). Aber keiner dieser Autoren empfiehlt den Nachtschatten (Solanum nigrum L.). Lediglich Diosc. Mat. med. IV 70, 2 (Bd. II 229, 11 ff. Wellmann) nennt den Saft des στρύχνον κηπαῖον als Bestandteil von Kollyrien.

XIV. Q u e l l e : Rāzī Ḥāwī 7, 6, 9‒11; Daremberg-Ruelle Fragm. nr. 244 und 245. Rufus in der „Diät der Kinder“. Er sagt: (1) Bei den Frauen, die durch Einnahme von Drogen zu erreichen suchen, daß die Milch versiegt, werden die Brüste verdorben und hart, so daß man bei ihnen einen Einschnitt machen muß. (2) Das Basilienkraut (bāḏarūǧ) läßt die Milch der Ziegen versiegen, wenn sie es auf der Weide fressen. K o m m e n t a r : § 2 ist nach Wortlaut und Inhalt problematisch. Der Text der lateinischen Version weicht von dem des arabischen Druckes erheblich ab: Ruffus de regimine infantium dixit quod si illinitio facta fuerit mamillae caprae de ozimo foliorum latorum trito, incidit lac ipsius. Zudem konstatiert Diosc. Mat. med. II 141, 1 (Bd. I 211, 1 f. Wellmann) die entgegengesetzte Wirkung der Droge: ὤκιμον γάλακτος προκλητικόν. Hier bleiben also einige Fragen offen. Zum „großblättrigen Basilienkraut“ (Ocimum basilicum L.) vgl. auch Fragm. nr. XVIII.

181 XV. Q u e l l e : Baladī Ḥabālā II 38 (fol. 73 b 10‒12). In Maqāla II Kap. 38 spricht al-Baladī über den Zeitpunkt der Entwöhnung des Kindes und zitiert im Laufe seiner Darlegungen Hipp. Aphor. II 51 (Bd. IV 484, 9 ff. Littré). Unmittelbar daran anschließend fährt er fort: „Und seine erste Nahrung soll aus gut durchbackenem Brot bestehen, das in Honigwasser

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oder in Milch oder in Wein eingeweicht wurde. Dann füttere sie [Plural !] danach mit Brot allein und gib ihnen bisweilen Wasser, bisweilen Wein zu trinken, wie Rufus sagt. Galen indes vertritt die Ansicht, daß die Babies und Kinder überhaupt keinen Wein zu trinken bekommen dürfen. Wir werden das, was beide Autoren darüber zu sagen haben, nachher in einem eigenen Kapitel zitieren.“ K o m m e n t a r : Die Passage gehört nicht zu den Fragmenten im engeren Sinne, sondern sie ist nur ein Testimonium, das der Vollständigkeit halber aber nicht fortgelassen werden sollte.

XVI. Q u e l l e : Baladī Ḥabālā II 44 (fol. 76 a 8‒b 8). P a r a l l .: Orib. Coll. med. Libr. inc. 38 [20], 18 und 19 (Bd. IV 137, 23‒32 Raeder) [nur §§ 6‒8]. Rufus sagt: (1) Ich werde nun meine Meinung sagen und werde schreiben, was ich weiß: Die Wärme der Kinder ist, gemessen an ihrer Feuchtigkeit, nicht groß. Man kann dies aus der Schlaffheit, Schwäche und Mattheit ihrer Körper und aus der Schwäche ihrer Stimmen schließen. (2) Denn dies alles tritt nicht bei Menschen auf, in denen die Wärme dominiert, sondern nur bei Personen von kalter Konstitution. (3) Die Wärme aber stärkt und festigt den Körper und hält den Verstand und die Einsicht zusammen. (4) Es ist also klar, daß die Kinder viel Kälte in sich bergen, denn ihre Farbe ist weiß, ihre Haare sind dünn, sie lassen viel Urin, und ihre Gelenke sind zart. (5) Wenn nun einer sagt, wegen ihrer Begierden und ihrer blonden Haare40 dominiere die Wärme in ihnen, so soll er doch einmal gründlich nachdenken und einen Vergleich anstellen zwischen der Natur der Farben der Leute, die in den Provinzen des byzantinischen Reiches wohnen, welche auf griechisch Pontos heißen, und der Natur der Bewohner Ägyptens, und ebenso soll er die Art der Leute, die auf griechisch Kārāṭun (?) genannt werden, mit der Art vergleichen, . Dann nämlich wird er wissen, daß sie mehr Wärme in ihren Körpern haben als andere. (6) Ich sage nun: Die Wärme in den Kindern entsteht und nimmt zu nach Maßgabe der Ernährung ihrer Körper, bis sie bei Beginn ihrer Dentition das Gleichmaß und Ziel erreicht. Das ist leicht ersichtlich aus der großen Kraft ihres Wachstums. (7) Wenn nun einer sagt: „Ein Philosoph befiehlt, man solle den Kindern Wasser zu trinken geben“, so kann ich dessen 182 Meinung nicht akzeptieren, denn die Wahrheit ist mir lieber als etwas anderes. (8) Und wenn einer sagt: „Es ist nicht angebracht, Feuer auf Feuer zu _______________ 40 Wörtlich: „wegen der Röte ihrer Haare“.

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werfen, man muß vielmehr Kaltes mit dem Warmen mischen“, so sage ich: „Der Wein ist für die Kinder durchaus passend nach Maßgabe der Schwäche ihrer Körper.“ K o m m e n t a r : Die arabische Passage ist ausführlicher als die Darstellung bei Oreibasios 38 [20], 18 und 19, der die §§ 1‒5 ausgelassen hat. Die in beiden Sprachen erhaltenen §§ 6‒8 differieren etwas, sowohl in der Wortwahl wie auch in der Art der Darbietung: Dem diskursiven Text des Oreibasios steht die dialektische arabische Form („wenn nun einer sagt . . . so sage ich . . .“) gegenüber. Rufus nennt den Namen des Philosophen nicht, läßt aber durch das Bekenntnis: „die Wahrheit ist mir lieber als etwas anderes“ (bzw. οὐδὲ . . . πεισθησόμεθα μᾶλλόνπερ ἢ τῷ ἀληθεῖ λόγῳ) keinen Zweifel daran, daß er Platon meint.41 Der Ausspruch hat eine interessante Entwicklung genommen, die bei Platon beginnt. In der Politeia (X 595 C) äußert er sich über Homer mit den Worten: „Aber nie darf uns ein Mensch mehr gelten als die Wahrheit“ (ἀλλ’ οὐ γὰρ πρό γε τῆς ἀληθείας τιμητέος ἀνήρ), und im Phaidon (91 B, C) läßt er Sokrates zu Simmias und Kebes sagen: „Ihr aber, wenn ihr mir folgen wollt, kümmert euch wenig um den Sokrates, sondern weit mehr um die Wahrheit“42 (σμικρὸν φροντίσαντες Σωκράτους, τῆς δὲ ἀληθείας πολὺ μᾶλλον). Diese Äußerungen sind der Hintergrund für die Stelle der Nikomachischen Ethik (I 4, 1096 a 14‒17), wo Aristoteles im Blick auf Platons Ideenlehre erklärt, man müsse um der Wahrheit willen auch die persönliche Verbindung preisgeben können (ἀμφοῖν γὰρ ὄντων φίλοιν ὅσιον προτιμᾶν τὴν ἀλήθειαν), und auf diese Stelle beziehen sich wiederum die Kommentatoren Eustratios (μετ’ εὐλαβείας ἀντεπιχειρεῖ τῷ Πλάτωνι)43 und – mit einer Wendung auf Sokrates – Ammonios (φίλος μὲν Σωκράτης, ἀλλὰ φιλτέρα ἡ ἀλήθεια)44. Späte Reflexe finden sich bei Luther45 und Cervantes46. Es ist somit ersichtlich, daß _______________ 41 Das Folgende basiert auf Auskünften, die ich meinen Tübinger Kollegen Κοnrad Gaiser und Wolfgang Haase verdanke. 42 Übersetzung Schleiermacher. 43 Eustratius, In Eth. Nicom., in: Eustratii et Michaelis et anonyma in Ethica Nicomachea Commentaria, ed. Gustavus Heylbut (Commentaria in Aristotelem Graeca 20), Berolini 1892, p. 42, 2. 44 Ammonii Vita Aristotelis, in: Diogenis Laertii de clarorum philosophorum vitis ..., rec. C. Gabriel Cobet, Parisiis 1862, Vol. II, p. 10, 42 f. 45 Amicus Plato, Amicus Socrates, sed praehonoranda veritas: Luther, De servo arbitrio (1525), ed. A. Freitag, in: D. Martin Luthers Werke, Kritische Gesamtausgabe, 18. Band, Weimar 1908, p. 610, 10 f. 46 Don Quijote schreibt in einem Brief an Sancho Panza: „Pues, en fin en fin, tengo de cumplir antes con mi profesión que con su gusto, conforme a lo que suele decirse: Amicus Plato,

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die Stellungnahme des Rufus ein wichtiges Glied in der Kette der Entwicklung jener Maxime zu einem geflügelten Wort gewesen ist. Rufus’ Kritik setzt an den Nomoi (II 666 A) an, wo Platon den Kindern den Weingenuß untersagt: ἆρ’ οὐ νομοθετήσομεν πρῶτον μὲν τοὺς παῖδας μέχρι ἐτῶν ὀκτωκαίδεκα τὸ παράπαν οἴνου μὴ γεύεσθαι, διδάσκοντες ὡς οὐ χρὴ πῦρ ἐπὶ πῦρ ὀχετεύειν εἴς τε τὸ σῶμα καὶ τὴν ψυχήν, πρὶν ἐπὶ τοὺς πόνους ἐγχειρεῖν πορεύεσθαι. Diese Stelle diente den Medizinern offenbar als locus classicus für die Diskussion um den Weingenuß. Galen47 zitiert sie, um sich Platon voll und ganz anzuschließen: Kindern sei der Wein verboten, da ihre Natur warm und blutvoll sei, Greisen dagegen sei er nützlich, denn deren Natur ist blutarm und kalt. Im gleichen Sinne äußert er sich in seiner Schrift über die Hygiene48. Daß Rufus eine andere Meinung hatte, wissen wir schon aus seiner Schrift De vino (I 8.9)49. Er sagt dort, daß man Kleinkindern und Kindern so viel Wein geben solle, wie sie vertragen können, denn die Kinder bedürfen des Weines, da die Wärme in ihnen noch nicht das volle Maß erreicht hat. An anderer Stelle (Orib. Coll. med. Libr. inc. 31 [13], 10) sagt Rufus, daß die Amme starken Weingenuß vermeiden soll, daß der Wein aber, mit Maßen getrunken, für die Amme wie für das Kind gut sei.

XVII. Q u e l l e : Baladī Ḥabālā II 39 (fol. 74 a 3‒12). P a r a l l .: Orib. Coll. med. Libr. inc. 38 [20], 21 (Bd. IV 137, 35‒39 Raeder) [nur § 2]. Rufus sagt: (1) Ich lobe das Volk, das man auf griechisch „die Lakedaimonier“50 nennt, weil sie den Kindern nicht bis zur vollen Sättigung zu essen _______________

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sed magis amica veritas“: El Ingenioso Hidalgo Don Quijote de la Mancha de Miguel de Cervantes Saavedra, Nueva edición crítica ... por Francisco Rodríguez Marín, Tomo VII, Madrid 1948, p. 154. Galen, Quod animi mores corporis temperamenta sequantur 10 (Bd. IV 808, 13 ff. Kühn = Scripta minora II, ed. Iwan Mueller, Lipsiae 1891, 67, 22 ff./arab. Übs. ed. Hans Hinrich Biesterfeldt [Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes 40,4], Wiesbaden 1973, p. 35, 12 ff.). Galen, De sanit. tuenda I 11 (Bd. VI 54, 8 ff. Kühn = p. 25, 31 ff. Koch). Die ganze Passage bildet den Inhalt des Kap. II 42 (fol. 75 a 4‒b 14) bei Baladī Ḥabālā. Daran anschließend bei al-Baladī als Kap. II 43 (fol. 75 b 14‒76 a 6) die Passage De sanit. tuenda I 11, 8‒9 (= p. 26, 20 ff. Koch). Manfred Ullmann, op. cit., oben, p. 69. Arabisch: al-Qadamūnīyūn. Die erste Silbe des griechischen Wortes ist als arabischer Artikel gedeutet worden, wie das auch bei al-Iskandar = Ἀλέξανδρος und anderen Wörtern der Fall ist. Vgl. zu diesen Bildungen Rudolf Geyer, Zwei Gedichte von al‑ʾAʿšâ. I. Mâ bukâʾu (SBWA, phil.-hist. Kl., 149), Wien 1905, p. 118 Anm. 3. In der

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geben. Dadurch nämlich werden ihre Gestalten groß und ihre Körper ebenmäßig, und es trifft sie kein Unglück, seien es Spasmen, Trübsinn, Angst, Schmerz am Herzen oder etwas anderes. (2) Wenn du nun möchtest, daß ein Kind lang wird, eine schöne Haut und eine gerade Gestalt bekommt und nicht in sich zusammengezogen bleibt, so vermeide die Übersättigung und richte 184 dich nach der Lehre der Lakedaimonier und nach den Eigenschaften, die man bei ihnen beobachten kann. Denn wenn ein Kind voll und gesättigt ist, schläft es augenblicks viel und wird schlaff, es bekommt eine Aufblähung im Bauch und Winde und läßt wäßrigen Urin. (3) Dies sind die Ausführungen des Rufus im genauen Wortlaut. K o m m e n t a r : Die Ziele der spartanischen Ernährung sind von [Ps.] Xenophon, De republica Lacedaemoniorum II 6 (p. 71 f. Haase) und Plutarch, Lycurgus 17, 4.5 beschrieben und erklärt worden. Interessant ist die Stelle bei Plutarch, der von den Kindern der Lakedaimonier sagt51: „Denn ihr Mahl ist kärglich, damit sie gezwungen werden, selber durch List und Wagemut dem Mangel abzuhelfen. Dies ist das Hauptziel der knappen Ernährung; ein zweites Ziel soll das Wachstum des Körpers sein. Denn er geht in die Länge, wenn der Lebensgeist (τὸ πνεῦμα) nicht zu sehr aufgehalten wird und viel zu tun hat, weil er von der Menge der Nahrung in die Tiefe und Breite gepreßt wird, sondern dank seiner Leichtigkeit emporsteigen kann, so daß der Körper ungehemmt und leicht wächst. Eben dies, so scheint es, macht auch die Menschen schön. Denn die schlanken und hageren Konstitutionen (αἱ ἰσχναὶ καὶ διάκενοι ἕξεις) fügen sich leichter der Durchgliederung (διάρθρωσις), die fülligen und wohlgenährten widerstreben ihr . . .“ – Es ist nicht ausgeschlossen, daß Rufus seine Information aus Plutarchs Werk genommen hat, aber wahrscheinlich haben beide unabhängig voneinander aus einer heute verlorenen hellenistischen Quelle geschöpft. Plutarch hat keine Bedenken, vom Pneuma als der eigentlichen Ursache des Größenwachstums zu sprechen, Rufus hingegen, der als Dogmatiker in hippokratischer Tradition und somit in Opposition zu den Pneumatikern steht, verschweigt das Pneuma, muß damit freilich auch auf eine Erklärung des Kausalzusammenhanges zwischen Ernährung und Wachstum verzichten. _______________ arabischen Übersetzung von Galen, Quod animi mores . . . sind die Λακεδαιμόνιοι (p. 69, 20 Müller) dagegen durch ahl Lāqadamūnīya (p. 36, 15 Biesterfeldt) wiedergegeben. 51 Deutsche Übersetzung von Konrat Ziegler, Plutarch, Große Griechen und Römer (Die Bibliothek der Alten Welt), Bd. I, Zürich und Stuttgart 1954, p. 148 f.

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XVIII. Q u e l l e : Rāzī Ḥāwī 4, 65, 10 f.; Daremberg-Ruelle Fragm. nr. 185. Rufus in seinem Buch über das Aufziehen der Kinder. Er sagt: Wenn du einem, der Blut speit, den [ausgepreßten] Saft des Basilienkrautes verabreichst, so läßt es dies bei ihm sogleich aufhören. K o m m e n t a r : Im Fragment nr. XIV war dem großblättrigen Basilienkraut (bāḏarūǧ, Ocimum basilicum L.) die Eigenschaft, die Milch zum Versiegen zu bringen, zugeschrieben, hier soll es in ähnlicher Wirkung das Blutspeien beenden. Von dieser Eigenschaft weiß allerdings Diosc. Mat. med. II 141 (Bd. I 211, 1 ff. Wellmann) nichts. Ilberg (Rufus p. 26 Anm. 3) hatte auf Grund der nicht eindeutigen lateinischen Übersetzung vermutet, daß das Fragment aus der großen Schrift Περὶ διαίτης stamme. Das ist schwerlich richtig. Nach der Sichtung der arabischen Fragmente sind wir nun imstande, das 185 Problem der Autorenlemmata bei Oreibasios noch einmal zusammenfassend zu erörtern und die Argumente zu prüfen, die die früheren Forscher vorgetragen haben. Die Problematik ist nicht auf die Collectiones medicae des Oreibasios beschränkt, sondern sie ergibt sich bei allen Kompilationen. Ein besonders krasses Beispiel bilden die für Konstantinos VII. Porphyrogennetos hergestellten sogenannten Geoponica52, in denen die Autorennamen den einzelnen Kapiteln oft ganz willkürlich beigesetzt sind53. Daß solche Lemmata bei Abschriften verrutschen können, hat Curt Wachsmuth54 am Beispiel des byzantinischen Florilegiums Parallela gezeigt, und erst jüngst hat Alexander Sideras auf die Unzuverlässigkeit der Autorenlemmata in der medizinischen Sammlung des Aetios von Amida aufmerksam gemacht55. Daß wir uns auch bei den Libri incerti des Oreibasios auf unsicherem Boden bewegen, wird sofort klar, wenn man bedenkt, daß es für diese Bücher der Collectiones nur ein handschriftliches Unicum gibt, das noch dazu erst aus dem 14. Jahrhundert stammt. _______________ 52 Herausgegeben von Henricus Beckh unter dem irreführenden Titel: Geoponica sive Cassiani Bassi scholastici de re rustica eclogae, Lipsiae 1895. 53 Wilhelm Gemoll, Untersuchungen über die Quellen, den Verfasser und die Abfassungszeit der Geoponica, Berlin 1883, 228; Eugen Oder, Beiträge zur Geschichte der Landwirtschaft bei den Griechen I, in: Rheinisches Museum N. F. 45 (1890), 62‒66; Naturwissenschaften im Islam 431. 54 Studien zu den griechischen Florilegien, Berlin 1882, p. 108. 55 Byzantinische Zeitschrift 67 (1974), 129.

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Gäbe es einen zweiten Textzeugen, so hätten wir vielleicht einen ganz anderen Befund. Diese Vermutung wird durch einen Blick in das kinderheilkundliche Buch des im Jahre 979 oder 980 gestorbenen ibn al-Ǧazzār56 genährt. Ibn alǦazzār beruft sich im Laufe seiner Darlegungen immer wieder auf Hippokrates, Galen und andere Autoren, aber er verschweigt seine Hauptquelle, die er nicht nur weithin unverändert ausgeschrieben hat, sondern der er auch einen großen Teil seiner „Galenzitate“ verdankt. Wie eine Prüfung des Inhaltes des K. Siyāsat aṣ-ṣibyān nun beweist, war diese seine Hauptquelle nichts anderes als das große Sammelwerk des Oreibasios. Von der arabischen Oreibasiosübersetzung mußten also im 10. Jahrhundert in al-Qairawān zumindest die Teile noch vorhanden gewesen sein, die wir heute nur noch als die Libri incerti kennen! Diese Tatsache eröffnet eine weite Perspektive für den Oreibasiostext überhaupt. Sollte aus den noch großenteils unerforschten arabischen Handschriftenschätzen einmal ein Manuskript des Oreibasios ans Licht kommen, so würde es möglich werden, die Libri incerti im Gesamtwerk zu lokalisieren, ganz abgesehen davon, daß man verlorenes Gut wiedergewönne. Das muß die 186 Zukunft erweisen, aber schon die Auszüge, die ibn al-Ǧazzār gemacht hat, sind für die Frage der Autorenlemmata wichtig genug. Im ersten Kapitel (p. 66 f.) spricht ibn al-Ǧazzār nämlich über die Entwöhnung des Kindes und die erste feste Nahrung, die es bekommen soll. Alles das ist aus den §§ 24, 22, 9 und 21 des 38. [20.] Kapitels der Libri incerti abgeschrieben, das durch die griechische Überschrift und die arabischen Fragmente nr. XVI und XVII eindeutig als rufinisch erwiesen ist. Aber ibn al-Ǧazzār schreibt hier an drei Stellen: „Galen hat gesagt . . .“. Das kann nur bedeuten, daß dieses Oreibasioskapitel in der arabischen Version und vielleicht schon in der griechischen Handschrift, die ihr zugrunde lag, das falsche Autorenlemma „Aus den Werken Galens“ (ἐκ τῶν Γαληνοῦ) trug, man müßte denn annehmen, ibn al-Ǧazzār habe bewußt gefälscht. Das aber ist wenig wahrscheinlich, denn er zitiert an anderen Stellen durchaus korrekt57. Ein Textvergleich soll diese Verhältnisse demonstrieren:

_______________ 56 Kitāb Siyāsat aṣ-ṣibyān wa-tadbīrihim, ed. Muḥammad al-Ḥabīb al-Hīla, Tunis 1968. Zu einer Handschrift in der königlichen Bibliothek in Rabat s. GAS V 413. 57 Zum Beispiel: p. 65, 9‒66, 4 Zitat aus Galeni Comment. in Hipp. vel Polybi opus de salubri victus ratione 23 (Bd. XV 209, 10 ff. Kühn); p. 78, 9‒79, 2 Zitat aus Galen, De simpl. med. temp. ac fac. V 21 (Bd. XI 771, 10‒ult. Kühn); p. 87, 8 ff. Zitate aus Hipp. Aphor. III 24‒27.

Die Schrift des Rufus „De infantium curatione“ Orib. Libr. inc. 38 [20], 21 Ἐκ τῶν Ῥούφου· εἰ δὲ θέλοις τὸν παῖδα ἐν φύσει τῇ αὑτοῦ μήκιστον γίνεσθαι καὶ ὀρθότατον,

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b. -Ǧazzār Ṣibyān 67, 7‒9 wa-qāla Ǧālīnūsu iḏā aradta an yakūna ṣ-ṣabīyu ṭawīlan mustaqīman mustawiya l-qāmati

Baladī Ḥabālā II 39 qāla Rūfusu fa-in aḥbabta an yakūna ṣ‑ṣabīyu ṭawīlan ḥasana l‑ǧildi mustaqīma l-qāmati laisa bimunǧaḏibin μὴ ἐμπιπλῇς. fa-ḥfaẓhu mina š-šibaʿi wa- fa-ttaqi kaṯrata l-imtilāʾi mina l-aġḏiyati š-šibaʿi wa-qtadi bi-qauli l‑Qadamūnīyūna [sic] wa-mā tarāhu mina l‑aʿrāḍi fīhim εἰ δέ που λαθόντα fa-innahū iḏā mtalaʾa fa-inna ṣ-ṣabīya iḏā πληρωθείη, ὑπνωδέστερά mtalaʾa wa-šabiʿa τε εὐθὺς γίνεται καὶ hāǧa bihi n-naumu l-kaṯīru yukṯiru n-nauma min νωθρότερα, z-zāʾidu fa-kāna ʿāǧizan sāʿatihī wa-yastarḫī kasūlan καὶ ὄγκος ἐν γαστρὶ yantafiḫu baṭnuhū wa-taʿriḍu lahū fī ἔνεστι καὶ φῦσα. fa-yamtaliʾu rīḥan baṭnihī riyāḥun Diese Darlegungen werden genügen, um klar zu machen, wie schwankend der Boden ist, auf dem wir uns bewegen. Dieser Problematik eingedenk, soll im folgenden untersucht werden, welche Kapitel des Oreibasios der Schrift des Rufus De infantium curatione zuzurechnen sind. Für das Kap. 29 [12], das περὶ παιδοτροφίας überschrieben ist, hielt Ilberg (Rufus p. 30) die Autorschaft des Rufus für unwahrscheinlich, weil in ihm zum Teil dieselben Dinge besprochen werden wie im Kap. 38 [20]. Tatsächlich stam- 187 men zwei längere Abschnitte dieses Kapitels aus Galen, De sanit. tuenda I 7 (Bd. VI 32 f. Kühn = p. 16, 24 ff. Koch). Auch ibn al-Ǧazzār, der p. 60, 5 die Passage Orib. 29 [12], 2 (Bd. IV 120, 18 ff. Raeder) ausgeschrieben hat, setzt richtig das Lemma „Galen“. Da es zudem keine Übereinstimmungen zwischen diesem Kapitel und den arabischen Rufusfragmenten gibt, kann man mit großer Sicherheit sagen, daß Rufus als Autor nicht in Frage kommt. Das Kap. 31 [13], περὶ ἐκλογῆς τιτθῆς, wollte Ilberg „eher für Rufinisch halten“. Das Kapitel trägt kein Autorenlemma, aber schon BussemakerDaremberg p. 695 hatten starke Bedenken gegen seine Zuweisung an Galen angemeldet, dem es gehören müßte, wenn die Regel der „Persistenz des Autors“ gölte. In Wirklichkeit war das Kapitel von Anfang an anonym. Das läßt auch

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ibn al-Ǧazzār erkennen, der es im 4. Kapitel (p. 75‒77) seines Buches mehrfach ausgeschrieben hat, aber nirgends einen Autor nennt. Eine positive Entscheidung für Rufus ermöglicht nun das arabische Fragment nr. I, in dem der § 13 dieses Kapitels unter der Überschrift „Rufus sagt in seinem Buch über das Aufziehen der Kinder“ wörtlich wiederkehrt. Obwohl das nur einer von 34 Paragraphen ist, habe ich keine Bedenken, das ganze Kapitel dem Rufus zuzuschreiben. Ilberg fährt dann fort: „Der Ursprung des im Parisinus am Rande nachgetragenen Kapitelchens 30 [14] περὶ τῆς τροφοῦ, das sich an Kap. 31 [13] anzuschließen scheint, aber kurz vorher darin Erwähntes aufs neue vorbringt (129, 5), so daß wir einen neuen Verfasser zu hören meinen, bleibt unbestimmt.“ – Da keine Übereinstimmung mit einem arabischen Fragment besteht, das Kapitel 31 [13] aber rufinisch ist, kann dieser kleine Text mit einiger Wahrscheinlichkeit als nicht von Rufus stammend bezeichnet werden. Das über die Schwangerschaft, Σημεῖα συλλήψεως καὶ περὶ διαίτης, handelnde Kapitel 22 [6] hatte Daremberg dem Rufus zugeschrieben. Dementsprechend findet sich ein französisches Resümee dieses Kapitels in der Rufusausgabe p. 302, nr. 25. Das Kap. trägt das Autorenlemma ἐκ τῶν Γαληνοῦ, aber Ilberg (p. 29 Anm. 4) weist auf die zahlreichen Hiate hin, die eine Verfasserschaft Galens ausschließen. Tatsächlich findet sich in dem erhaltenen Œuvre Galens auch keine Parallele. Indes ist, wie Ilberg feststellt, auch kein schlüssiger Beweis für Rufus geliefert58. Da es nun keine Übereinstimmungen zwischen diesem Kapitel und den arabischen Fragmenten gibt, bleibt die Frage offen. Man kann nur folgendes feststellen: Sollte das Kapitel von Rufus sein, so kann es doch nicht zur Schrift De infantium curatione gehören, denn es liegt außerhalb ihrer Thematik. 188 Dasselbe gilt für die Kapitel 19 [3], περὶ κυήσεως, 20 [4], δίαιτα γυναικῶν, und 25 [9], περὶ ἀφροδισίων. Sie tragen das Autorenlemma Rufus und sind nicht umstritten, gehören aber wegen ihrer Thematik nicht zur Schrift De infantium curatione. Das Kap. 42 [24] περὶ τῶν παιδικῶν ἐξανθημάτων folgt einem Exzerpt aus Athenaios. Da es keine eigene Autorenangabe hat, entsteht zunächst der Eindruck, es stamme ebenfalls aus Athenaios. Indessen hatten schon Bussemaker und Daremberg p. 698 auf Grund stilistischer Beobachtungen starke Zweifel an einer Verfasserschaft des Athenaios geäußert und statt dessen Rufus als Autor angenommen. Daß Daremberg und Ruelle dann dieses Kapitel nicht in ihre Rufusausgabe übernommen haben (es fehlt dort p. 303), ist wohl nur eine _______________ 58 Man vgl. aber die Argumente, die Bussemaker-Daremberg Bd. III p. 694 für Rufus anführen.

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Folge der Flüchtigkeit, mit der dieser Band zusammengestellt wurde, nicht Ausdruck einer Revision ihres Urteils. Wilhelm Crönert59 hat sich, ebenfalls auf Grund stilistischer Erwägungen, dem Urteil Bussemakers und Darembergs im vollen Umfang angeschlossen, und auch Ilberg (p. 30) stimmte ihnen zu. Den schlüssigen Beweis für die Richtigkeit dieser Vermutungen liefern nun die arabischen Fragmente nr. III-VIII. Es bleibt noch das Kap. 43 [25] πρὸς ἄφθας παιδίου. Es trägt das Autorenlemma ἐκ τῶν Γαληνοῦ, aber Bussemaker und Daremberg (p. 698) hatten die Richtigkeit dieser Angabe aus stilistischen Erwägungen bezweifelt. Ilberg (p. 30) bestätigte dann, daß Galen wegen der Hiate als Autor unmöglich in Frage komme. Das Kapitel sei, so sagte er, wahrscheinlich von Rufus, da in ihm das ἕλκος Αἰγύπτιον erwähnt werde, das durch Rhazes (Fragm. nr. 177 Daremberg-Ruelle, dort ulceratio aegyptiana) als von Rufus beschrieben bezeugt ist. Wieder ist es nun die arabische Überlieferung, die mit den Fragmenten nr. IX‒XI den schlüssigen Beweis für die Richtigkeit dieser Vermutungen erbringt. Das Lemma ἐκ τῶν Γαληνοῦ ist einfach verrutscht. Es gehört nicht zu Kap. 43 [25], sondern zu 44 [26], denn dieses letztere stammt tatsächlich aus der Ars medica 6 (Bd. I 320 ff. Kühn). Die Schrift De infantium curatione läßt sich somit folgendermaßen rekonstruieren: ______________________________________________________________ Num. Arab. Inhalt Orib. Baladī Rāzī cur. nr. ______________________________________________________________ 1 2

I

3 4

II

5

IIIa

Eigenschaften der Amme, ihre Diät Auflösung geronnener Milch

Diät der Amme Hitzigkeit des kindlichen Temperamentes Hautausschläge

31 [13], 1‒12 31 [13], 13

7, 273, 2 f.; 19, 372, 4‒6; 410, 5 f.; 414, 6‒9

31 [13], 14‒34

42 [24], 1‒5

III 1 (fol. 82 b 6‒9) III 1 (82 b 9 ‒ 83 a 6); III 51

_______________ 59 Wilhelm Crönert, Sprachliches zu griechischen Ärzten, in: Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete 2 (1903), 477 f.

189

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Medizingeschichte

______________________________________________________________ Num. Arab. Inhalt Orib. Baladī Rāzī cur. nr. ______________________________________________________________ 6 7

IIIb IV

Hautausschläge Dentition

42 [24], 1‒4 42 [24], 6‒7

8

V

Dentition

42 [24], 8

VI

Dentition Dentition

42 [24], 9‒11 42 [24], 12 42 [24], 13‒14 42 [24], 15‒16 42 [24], 17‒19

9 10 11 12 13

VII VIII

14

IX

Dentition Verstopfung Spasmen, am Daumen Lutschen Aphthen

15

X

Wundliegen

43 [25], 5

16

XI

feuchte Ohren

43 [25], 6‒7

17 18 19 20 21 22

XII XIII XIV

23 24 25 26 27

XVI

28

XVIII

Geschwulst der Ohren Leukom Milch Versiegenlassen Baden etc. Wein für Kinder geringe Körperwärme der Kinder Empfehlung des Weines Schwäche des Kindes Sitte der Lakedaimonier Größenwachstum Entwöhnung, Sitzen, Vermeidung des Erschreckens Blutspeien

XV XVI

XVII XVII

43 [25], 1‒4

III 52 III 1 (83 a 6‒9) III 1 (83 a 9 ‒12); III 17 III 1 (83 a 12‒13 III 32; III 47 III 32; III 48

III 1 (83 a 14 3, 201, 9‒14 ‒15); III 30 III 1 (83 a 15 ‒16); III 55 III 22 3, 55 paen. ‒ 56, 2 III 23 III 20 7, 6, 9‒11

38 [20], 1‒17 II 38 II 44 38 [20], 18‒19 38 [20], 20 38 [20], 21 38 [20], 22‒28

II 44 II 39 II 39

4, 65, 10 f.

*

Die Schrift des Rufus „De infantium curatione“

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Es ist seit geraumer Zeit bekannt, daß die Galenforschung der arabischen Überlieferung nicht mehr entraten kann. Unsere Ausführungen hier haben vielleicht deutlich gemacht, daß dasselbe auch für Rufus gilt. Nur wenn man die antike Tradition ebenso berücksichtigt wie die orientalische und mittelalterlich-lateinische Überlieferung, kann man hoffen, neue Einsichten und genauere Resultate zu gewinnen. Die Schrift De infantium curatione bestätigt und ergänzt, was wir bisher von Rufus wissen. „Rufus spricht von sich gewöhnlich in der ersten Person des Singular, wobei besonders οἶδα zu bemerken ist; oft redet er den Leserkreis 190 an, benutzt aber dabei nur die zweite Person des Singular.“60 Diese Stileigentümlichkeiten gelten auch für unsere Schrift; selbst im fremdsprachlichen Gewand sind sie noch klar zu erkennen61. Man weiß aus anderen Schriften, daß Rufus mit seinem medizinischen Universalismus kulturgeschichtliche Interessen verband62. Auch das bestätigt die arabische Tradition: In der Schrift De vino spricht er von den unterschiedlichen Trinksitten der Perser und Griechen63, und hier rühmt er die spartanische Erziehung64. Mit all dem tritt jetzt die Gestalt des Rufus aus den Schatten der Geschichte deutlicher hervor, und es scheint, daß es einmal möglich sein wird, sein Werk gerechter zu würdigen und die entscheidende Frage, was Galen ihm verdankt, zu beantworten.

Nachträge Zu S. 78 Anm. 9: Peter E. Pormann, The Greek and Arabic Fragments of Paul of Aegina’s Therapy of Children. M. Phil. thesis, University of Oxford 1999. Zu S. 80 Anm. 14: Eine unzureichende Edition des K. Tadbīr al-ḥabālā ist von Maḥmūd al-Ḥāǧǧ Qāsim Muḥammad, Bagdad 1980, veröffentlicht worden. _______________ 60 Ib. p. 475 f. Vgl. auch Ilberg Rufus 28 mit Bezug auf die Schrift Περὶ καθαρτηρίων. 61 Vgl. die Fragmente I; III b 3‒6; IX 5.6; XVI 1.6.8; XVII 1.2. 62 Vgl. Karl Deichgräber, Hippokrates’ De humoribus in der Geschichte der griechischen Medizin (AWL, Abh. d. geistes- und sozialwiss. Kl. 1972, Nr. 14), Wiesbaden 1972, p. 37 (Zu Seite 35 sei bemerkt, daß das Fragment nr. 437 bei Daremberg-Ruelle nicht von Rufus ist, sondern aus Galen, De bonis malisque sucis 6, 7 [p. 412, 25 f. Helmreich] stammt). 63 Manfred Ullmann, op. cit., oben, p. 70 (§ 22‒24). 64 Fragment nr. XVII.

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Medizingeschichte

Zu S. 87 Anm. 36: Nach dem Bagdader Druck p. 314, ‒3 ist in § 1 ānifan „im vorausgehenden“ zu lesen. In § 5 hat der Druck in der Lacuna wa-l-milḥ „und Salz“. Zu S. 89, Fragm. VI: Im Druck Bagdad p. 227, 5 steht in der Lacuna ṣaifan „in den Sommer“. Zu S. 91: Fragm. IX § 2 ist zitiert bei Rāzī Ḥāwī 22, 322 a. Zu S. 92, Fragm. XI § 3: Nach dem Druck Bagdad p. 262 ult. lautet der Text: anna l-qaiḥa llaḏī fī āḏānihim huwa labanun „daß der Eiter, der in ihren Ohren ist, Milch sei“. Zu S. 96 f.: Vgl. Leonardo Tarán, Amicus Plato sed magis amica veritas. From Plato and Aristotle to Cervantes, in: Antike und Abendland 30, 1984, 93‒124, insbes. pp. 115‒118. Zu S. 99: Fragm. XVIII steht auch bei ibn al-Baiṭār, K. al-Muġnī, Ms. Brit. Mus. Or. 2408, fol. 155 a 5 f. Zu S. 103 f.: Zum Inhalt der Schrift De infantium curatione vgl. Alexander Sideras, in: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt, Teil II: Principat, Bd. 37, 2. Teilband, hsgb. von Wolfgang Haase, Berlin-New York 1994, pp. 1174‒1180.

Die Krankengeschichten des Rufus von Ephesos Rufus von Ephesos gehört in die Zeit Trajans. Von seinen Lebensumständen ist wenig bekannt, von seinen Schriften ist das meiste verloren. Doch genügen die Reste, um seine Bedeutung erkennen oder doch wenigstens erahnen zu lassen. Er war, so viel ist sicher, ein verantwortungsbewußter Arzt, ein selbständiger Denker, ein bescheidener Mensch. Die Geschichte indes hat die Prätensionen und den Wortschwall honoriert. So kam es, daß Galens Werk den Sieg davontrug1 und daß die Schriften des Rufus in Vergessenheit gerieten. Das ist um so bedauerlicher, als die Bücher des Rufus in manchem bedeutender waren als die Galens.2 Auch ist gewiß, daß einige Gedanken, die als Galens Eigentum gelten, schon von Rufus vorgebildet waren.3 Unter diesen Umständen wird die Erforschung des rufinischen Schrifttums zu einer medizinhistorischen Aufgabe, deren Wichtigkeit nicht leicht überschätzt werden kann. Indes sind heute die meisten Bücher des Rufus, wie gesagt, verloren. _______________ 1 2

3

Ich bin mir bewußt, daß der Erfolg der galenischen Medizin vor allem andere Ursachen hatte. Vgl. Owsei Temkin, Galenism. Rise and Decline of a Medical Philosophy, Ithaca and London 1973. Hellmut Flashar, Melancholie und Melancholiker in den medizinischen Theorien der Antike, Berlin 1966, p. 104 und 135, kommt zu dem Schluß, daß Galens Abhandlung über die Melancholie hinter der des Rufus über dasselbe Leiden weit zurückgeblieben ist. Für die Bedeutung des Rufus spricht auch, daß sein Buch De renum et vesicae morbis (über den Umweg eines Exzerptors [Philagrios?]) vom Verfasser der pseudo-galenischen Schrift De affectuum renibus insidentium dignotione et curatione (Kühn XIX 643‒698) ausgeschrieben worden ist, s. Alexander Sideras, Textkritische Beiträge zur Schrift des Rufus von Ephesos ,De renum et vesicae morbis‘ (Akademie der Wissenschaften und der Literatur [Mainz], Abh. d. geistes- und sozialwiss. Klasse, 1971, Nr. 3), Wiesbaden 1971. Georg Harig, Bestimmung der Intensität im medizinischen System Galens (Akademie der Wissenschaften der DDR, Schriften zur Geschichte und Kultur der Antike 11), Berlin 1974, nimmt an, daß die Lehre von den vier Wirkungsgraden der Pharmaka, die bislang als originell galenisch galt, bereits eine dogmatisch-pneumatische Tradition hatte (p. 146). Diese Annahme scheint sich durch ein bei Rāzī Ḥāwī 21, 90, 12 ff. erhaltenes Fragment aus dem „Buche über den Wein“ von Rufus zu bestätigen. Dort sagt Rufus: yabluġu [š-šarābu] mina l-isḫāni ṯ-ṯāliṯata „es gibt Wein, der hinsichtlich der Erwärmung den dritten Grad erreicht“. Vgl. meinen Aufsatz : „Neues zu den diätetischen Schriften des Rufus von Ephesos“, oben, p. 71, Fragment Nr. II 1.

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Medizingeschichte

Im 9. Jahrhundert war das noch nicht der Fall. Die christlichen Übersetzer in Bagdad, die das ganze Corpus Hippocraticum und Corpus Galenianum den Arabern vermittelt hatten, haben auch viele Schriften von Rufus übertragen. 365 Im Jahre 987 zählt ibn an-Nadīm 42 Titel auf,4 im 13. Jh. kennt ibn abī Uṣaibiʿa 58 Titel.5 Aber auch die arabischen Ärzte haben im Laufe der Zeit das meiste untergehen lassen. So hat uns der Orient neben hunderten von Zitaten nur zwei Stücke handschriftlich vollständig überliefert. Das eine ist das Buch über die Gelbsucht, Περὶ ἰκτέρου,6 das andere soll im folgenden vorgestellt werden. Es findet sich im Codex Huntingtonianus 461.7 Diese Handschrift war bisher der Aufmerksamkeit der Arabisten entgangen — kein Wunder, läßt doch die Beschreibung im Katalog des Johannes Uri nichts von ihrem reichen Inhalt erkennen.8 Das in dieser Handschrift erhaltene Buch trägt den Titel Kitāb al-Fuṣūl al-muhimma fī ṭibb al-aʾimma, sein Autor soll ibn Sarābiyūn ibn Ibrāhīm gewesen sein. Aber das Titelblatt (fol. 2), das diese Angabe enthält, ist von späterer Hand ergänzt. Daher bleibt es unklar, ob der Name authentisch ist; auch ist es bisher nicht gelungen, den Verfasser zu identifizieren.9 Ein bedeutender Mann war er sicherlich nicht: Sein Werk ist eine ganz und gar unoriginelle Kompilation. Vieles hat er aus dem Ḥāwī des Rāzī,10 aus dem Qānūn des ibn Sīnā und aus den Muʿālaǧāt al-buqrāṭīya des Aḥmad ibn Muḥammad aṭ-Ṭabarī abgeschrieben. Außerdem hat er — und das gibt seiner Kompilation ihren besonderen Wert — einige alte und seltene Schriften in vollem Wortlaut übernommen. Wir finden unter anderen den Traktat des Ḥunain ibn Isḥāq über die Zahnheilkunde (foll. 52 a paen.‒63 a 4), die Abhandlung des Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī über die Kolik (foll. 151 b, ‒3 bis 172 b 15), die Schrift des ibn Sīnā über die Herzkrankheiten (foll. 91 a 2‒118 a 15) sowie ein längeres Exzerpt aus der Schrift des Qusṭā ibn Lūqā über die _______________ 4 5

Fihrist, pp. 291, 16‒292, 2. b. a. Uṣ. I 33 paen.‒34, 16. Ibn abī Uṣaibiʿa hat diese Bücher sicher nicht alle aus Autopsie gekannt. Die meisten Titel hat er aus dem Fihrist übernommen, einige hat er möglicherweise nur aus den Lemmata des Kitāb al-Ḥāwī abgeschrieben. 6 Codex Berolinensis 6232 (Or. oct. 104, fol. 25‒31), vgl. Manfred Ullmann, Die Medizin im Islam (Handbuch der Orientalistik, hrsg. von Bertold Spuler, Erg. bd. 6, 1. Abschnitt), Leiden / Köln 1970, p. 73. 7 Fol. 38 b 11‒50 a 17. Mein Dank gilt dem Keeper of Oriental Books an der Bodleian Library, der mir freundlicherweise einen Film dieses Codex hat anfertigen lassen. 8 Bibliothecae Bodleianae Codicum Manuscriptorum Orientalium . . . Catalogus . . . a Joanne Uri confectus, Pars prima, Oxonii 1787, p. 140, Nr. 598. 9 Vgl. unten, p. 231. 10 Da der Text der Oxforder Handschrift im ganzen nicht schlecht ist, kann aus ihm der Ḥaidarābāder Druck des Kitāb al-Ḥāwī an zahlreichen Stellen verbessert werden.

Die Krankengeschichten des Rufus

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Verhütung des Schnupfens (foll. 80 b 9‒81 a 8). Der wohl interessanteste Text steht im 9. Abschnitt. Er ist folgendermaßen überschrieben: „Beispiele und ins einzelne gehende Behandlungsmethoden von Rufus und anderen antiken und modernen Ärzten“ (al-amṯila wa-l-muʿālaǧāt al-ǧuzʾīya li-Rūfus wa-ġairihī li-lqudamāʾ wa-l-muḥdaṯīn). Dieses Stück enthält 21 klinische Berichte.11 Daß indes ein Teil dieser Berichte auch von anderen Ärzten stamme, wie die Überschrift behauptet, muß bezweifelt werden. Mit den „a n d e r e n Ärzten“, von 366 denen da die Rede ist, sind offensichtlich nur die Kollegen des Rufus gemeint, die Rufus in mehreren dieser Krankengeschichten auftreten läßt.12 Und wenn es heißt „andere antike und m o d e r n e Ärzte“, so ist das ein Versehen des Kompilators (oder eines Kopisten), dem die beliebte figura per merismum in die Feder geflossen ist. Denn die ganze Sammlung ist eine Einheit, wie die systematische Anordnung der Krankengeschichten, ihre Verknüpfung untereinander und bestimmte sprachliche Formulierungen13 erkennen lassen. Nun wissen aber weder die griechischen Quellen noch die arabischen Bibliographen irgend etwas davon, daß Rufus ein Buch geschrieben habe, das ausschließlich klinische Berichte enthält. Wir müssen daher die Frage nach der Echtheit des Textes stellen, und diese Frage wollen wir in zwei Schritten zu beantworten versuchen. 1. Zunächst soll erörtert werden, ob der Text arabischen oder griechischen Urprungs ist. Liest man die Berichte, so fallen sofort die langen Perioden und Schachtelsätze auf.14 Es sind syntaktische Fügungen, die im Arabischen sonst nicht begegnen, die im Griechischen dagegen nicht ungewöhnlich sind. In diesen Geschichten wird sodann eine beachtliche Zahl einfacher Heilmittel genannt. Alle diese Drogen sind aus der Antike bekannt. Sie finden sich bei Dioskurides und Galen. Aber es kommt keine der vielen Drogen indischen Ursprungs vor, die die arabischen Ärzte schon seit dem 9. Jh. so gerne verschreiben.15 Schließlich wird in der 20. Krankengeschichte Erasistratos genannt. Es geht dort um eine schwere Diphtherie (ḫunāq), die als unheilbar galt. Nur Erasistratos, so _______________ 11 In der Geschichte Nr. 15 sind zwei Patienten vorgestellt, so daß die Sammlung eigentlich 22 Krankengeschichten umfaßt. 12 Vgl. 8, 1; 9, 5; 10, 5. 17; 17 und 20 passim. In Nr. 4 tritt Rufus überhaupt nicht selbst auf, sondern er erstattet nur über die Maßnahmen zweier anderer Ärzte Bericht. 13 Eine wörtliche Rede des Rufus kehrt in fast derselben Formulierung in 6, 8; 19, 3 und 21, 4 wieder. 14 Vgl. 9, 6. 7. 24; 11, 12; 14, 6; 16, 6‒7; 17, 5; 18, 9; 21, 18. 15 Zum Beispiel ʿAlī ibn Rabban in seinem Firdaus al-ḥikma.

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Medizingeschichte

sagt unser Autor, habe einmal gesehen, daß ein Mann mit dem Leben davonkam, und dessen Rettung sei durch einen Aderlaß geschehen. Nun ist es sicher, daß die Schriften des Erasistratos von Keos nicht ins Arabische übersetzt worden sind.16 Ein Araber konnte den Erasistratos also nicht unmittelbar zitieren; er konnte nur das von ihm wissen, was Galen, Rufus, Oreibasios und andere über ihn mitteilen. Aber der Diphtheriefall ist ein n e u e s Erasistratosfragment, das sich weder bei Galen noch bei einem anderen antiken Arzt findet.16a Damit ist eindeutig erwiesen, daß der Autor dieses Krankenjournals kein Araber gewesen sein kann. 2. Daß nun unter den vielen griechischen Ärzten gerade R u f u s der Autor war, wird durch sprachliche wie sachliche Kriterien bestätigt: 367 Aus den erhaltenen Werken des Rufus wissen wir, daß er in seine theoretischen Erörterungen zur Illustration bisweilen Krankengeschichten eingeflochten hat. Solche Berichte leitet er des öfteren mit der Wendung οἶδα γοῦν τινα ein.17 Dieselbe Formel findet sich zu Anfang der arabischen Berichte Nr. 2 und 3: wa-aʿrifu insānan āḫara. Wenn Rufus seinen ärztlichen Rat erteilt, so sagt er κελεύω.18 Im Arabischen heißt es wiederholt: amartu (z. B. 1, 8. 12; 2, 16). Die Ausdrücke waqaʿa fī l-qaulanǧ ,,er fiel in die Kolik“ (1, 3) und waqaʿa fī l-ḥummā ,,er fiel in das Fieber“ (1, 12) könnten als Lehnübersetzungen aus dem Griechischen erklärt werden: Bei Rufus, Περὶ ἀποσκημμάτων,19 heißt es: εἰς δυσεντερίαν ἐμπεσών. Auch der Tempuswechsel, der die Geschichten des Rufus lebendig macht, kehrt im Arabischen wieder. Im Bericht vom Ringkämpfer Myron20 heißt es: εἶπε . . . ἤγαγεν . . . ἐπιπίπτει, bei der Kopfverletzung des Samiers21 lesen wir: τραῦμα μὲν οὐδὲν ἔσχεν . . . ἄφωνος δὲ γίγνεται, und im Arabischen heißt es zum Beispiel: fa-raʾaitu an lā afʿala bihī šaiʾan fī ḏālika l-waqti siwā an usaḫḫina raʾsahū . . . fa-yatawahhamu annī aḍrartu bihī.22 Rufus teilt manchmal das Lebensalter des Patienten mit. Ὁ δὲ νεανίσκος ὁ Μιλήσιος ἦν μὲν ἀμφὶ ἔτη δύο καὶ εἴκοσιν heißt es in Περὶ _______________ 16 Ullmann Medizin p. 69; GAS III 53 f. 16a Nach mündlicher Auskunft von Prof. Dr. Heinrich von Staden. 17 Hans Gärtner, Rufus von Ephesos, Die Fragen des Arztes an den Kranken, herausgegeben, übersetzt und erläutert (CMG, Suppl. IV), Berlin 1962, p. 92 Anm. 2. 18 Z. B. Περὶ ἀφροδισίων, bei Orib. Coll. med. 6, 38, 25 (Bd. I 191, 29 Raeder); Quaest. med. 48 (p. 40, 18 Gärtner); De renum morbis 14 (p. 57, 9 Daremberg-Ruelle). 19 Bei Orib. Coll. med. 45, 30, 52 (Bd. III 195, 22 Raeder). 20 Quaest. med. 29f. (p. 34, 18 ff. Gärtner). 21 Quaest. med. 57f. (p. 42, 15 ff. Gärtner). 22 So 14, 4‒5. Weitere Beispiele dieser Art: 1, 2‒3; 3, 5‒6; 10, 2‒3. 13‒14.

Die Krankengeschichten des Rufus

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ἀφροδισίων.23 Entsprechende Altersangaben finden sich in dem arabischen Text an sechs Stellen.24 Aus anderen Fragmenten ist bekannt, daß Rufus eine geradlinige Relation zwischen fortschreitendem Lebensalter und der Disposition zur Melancholie annahm.25 Dem entspricht es genau, wenn es in der arabischen Geschichte Nr. 3 heißt: „Es sammelte sich nun in dem Patienten eine schwarzgallige Krankheitsmaterie an, zu der Zeit, in der das Lebensalter die Melancholie ohnehin schon zu erzeugen pflegt — ich meine: in der Zeit des Abstieges“ (ähnlich Geschichte Nr. 16, 7). Die aus solchen Einzelheiten gewonnenen Indizien werden durch allgemeine Beobachtungen nur bestätigt. In den arabischen Berichten dominieren diätetische Maßnahmen. Die Betonung der Diätetik ist aber das Kennzeichen der dogmatischen Richtung des Rufus.26 In der Geschichte Nr. 18 fragt Rufus den Patienten, ob er die Hitze in dem Gelenk zugleich mit dem Schmerz spüre oder ob er sie eine Stunde nach dem Auftreten des Schmerzes empfinde; er will ferner wissen, wie sich der Schmerz ausbreite. Die anderen Ärzte, die den 368 Kranken zuvor behandelt hatten, hatten gleich drauflos ordiniert, ohne Fragen zu stellen. Aber Rufus hat ja das wundervolle Buch über die „Fragen des Arztes an den Kranken“ geschrieben, und so wissen wir, welche Bedeutung er dieser diagnostischen Methode beigemessen hat.27 Schließlich sind die arabisch erhaltenen Krankengeschichten ohne besonderes Eigenlob erzählt. Daß Rufus sachlich und bescheiden referiert und sich dadurch von der Arroganz Galens vorteilhaft unterscheidet, hatten schon die griechisch erhaltenen klinischen Berichte gezeigt.28 Diese Objektivität wird in der arabischen Geschichte Nr. 19 besonders deutlich, wo der Autor den Fehlschlag seiner Therapie, eines bis zur Ohnmacht durchgeführten Aderlasses, eingesteht, und in Nr. 20, wo er einem Kollegen rät, diesen Fehler zu vermeiden.29 _______________ 23 24 25 26

Bei Orib. Coll. med. 6, 38, 28 (Bd. I 192, 9 Raeder). 1, 1; 4, 1; 7, 2; 10, 1; 15, 1; 16, 1. Flashar, Melancholie p. 97 f. Johannes Ilberg, Rufus von Ephesos, ein griechischer Arzt in trajanischer Zeit (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., 41 [1930], Nr. 1), p. 15. 27 Ähnliche Fragen in 17, 5‒7 und 19, 6. 28 Vgl. Ilberg, Rufus, p. 15, Anm. 1; Gärtner, p. 98 und passim. 29 Nr. 19, 4, dazu 20, 4. Dieser Freimut, eine irrige Diagnose oder den Mißerfolg einer Kur zu bekennen, war den hippokratischen Ärzten eigen, vgl. Περὶ ἄρθρων ἐμβολῆς 47 (Littré IV 212, 4 f.) und Ἐπιδημίαι V 27 (Littré V 226, 10 f.). Galen freilich mochte sich nicht dazu herablassen. Man lese die Krankengeschichten, aus denen er seine Schrift Περὶ τοῦ προγιγνώσκειν πρὸς Ἐπιγένην (Kühn XIV 599‒673) zusammengestellt hat: ein Zeugnis sich überschlagenden Selbstlobes. Vgl. dazu Johannes Ilberg, „Aus Galens Praxis. Ein Kulturbild aus der römischen Kaiserzeit“, Neue Jahrbücher für das klassische

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Medizingeschichte

Die pseudoepigraphische Literatur war gewiß groß, und auch im Bereich der Medizin gab es viele Fälschungen. Aber man hat auf die berühmten Namen des Hippokrates und Galen gefälscht. Daß man dem Rufus eine Schrift beigelegt hätte, ist ganz unwahrscheinlich, denn damit hätte man ihr kaum einen größeren Erfolg verschaffen können. Somit scheint es mir sicher, daß diese 21 Krankengeschichten tatsächlich von Rufus stammen, wie der Titel es verheißt. Doch lassen wir den Autor selbst zu Worte kommen! Als Beispiel sei die 16. Geschichte vorgetragen: Die Geschichte einer Epilepsie, die ihren Anfang vom Magen her nahm. (1) Ein Mann pflegte an Sitzungen teilzunehmen, während dieser lange zu sitzen und daher seine Nahrung später als zur rechten Zeit einzunehmen. Er gehörte zu den Vierzigjährigen und hatte ein heißes Temperament. (2) Nun sammelte sich in seinem Magen ein grober Saft an. (3) Da stellte sich bei ihm zunächst ein Schwindelgefühl ein, wenn sich seine Nahrung[saufnahme] verzögerte. Danach, als der Saft scharf geworden war und verbrannte, befiel ihn Kurzatmigkeit. Schließlich endete die Sache bei ihm mit der Epilepsie. 369 (4) Da gab ihm ein Arzt die Hiera, die mit Koloquintenmark hergestellt wird, denn er hielt die Krankheit für eine p h l e g m a t i s c h e Epilepsie. (5) Nun befiel ihn Zittern und eine schwere Ruhelosigkeit, und sein Krankheit[szustand] wurde ernst. (6) Als er mich dann kommen ließ und ich die Bewegung seiner Augen und die Spuren der Angst und Melancholie sah, (7) und weil sein Temperament heiß war und die Säfte verbrannte, und weil sein Lebensalter das Alter des Abstieges war und seine Lebensführung (Diät) einen groben Saft erzeugte — wenn er grob ist, so ist es ja die Regel, daß er einem schwarzgalligen Saft Vorschub leistet — und wegen seines Zitterns und seiner häufigen Ruhelosigkeit meinte ich, daß es ein verbrannter Saft sei. (8) Als dies sich mir bestätigte, gab ich Anweisung, er möge römischen Weizen (χόνδρος) nehmen, und zwar solle er ihn kalt nehmen. Sobald er ihn genommen hatte, kam er sichtlich zur Ruhe. (9) Nachdem er aus dem Magen abgesunken war, gab ich ihm Ziegen(? oder Kuh-)Schenkel, ebenfalls mit römischem Weizen gekocht. Da wurde es mit ihm noch besser. _______________ Altertum, Geschichte und deutsche Literatur und für Pädagogik 15 (1905), pp. 284‒293, abgedruckt in: Antike Medizin, hrsg. von Hellmut Flashar (Wege der Forschung Bd. 221), Darmstadt 1971, pp. 374‒385.

Die Krankengeschichten des Rufus

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(10) Am nächsten Morgen weichte ich gut durchgebackenes Weißbrot und Hefe in warmem Wasser ein und reichte es ihm. (11) Da kehrte ihm sein Verstand zurück, und die Symptome der Epilepsie, das Stechen und Zittern fielen von ihm ab. (12) Weil ihn indes jedesmal, wenn er sein Essen zu spät einnahm, ein Stechen im Magen, ein Schwindelgefühl und ein Speichel[-fluß] befiel, gewann ich die Überzeugung, daß er eine Entleerung nötig habe und mit der Ausgleichung des Saftes nicht genug habe. (13) Und weil der Saft, wenn er schlecht ist, sich die Nahrung anverwandelt, gab ich ihm Oxymel und Ptisane und danach Oxymel allein, danach dann mit dem Absud der Poleiminze und des Sellerie, drei Tage lang. (14) Am vierten Tage gab ich ihm eine Hiera mit dem Absud des Epithymum und der Poleiminze und machte ihm ein Klistier. (15) Auf seinen Kopf applizierte ich Weinessig, Rosenöl sowie Preßsaft von Minze und Myrte, um ihn zu stärken, ohne ihn zu erwärmen oder zu kühlen. (16) Da wurde er hinreichend entleert, und grobes, schwarzes Zeug ging von ihm mit viel Phlegma ab. (17) Darauf ernährte ich ihn mit den erwähnten Nahrungsmitteln und gab ihm leichten, gemischten Wein zu trinken. (18) Auch danach hatte er, wenn er das Essen zu spät bekam, immer reichlich Speichelfluß und Kurzatmigkeit, und ein Schwindelgefühl ereilte ihn. (19) Nun stärkte ich seinen Magen, verschrieb ihm eine feuchte Diät, und 370 verdünnte die [Krankheits-]Materie mit den erwähnten Mitteln. (20) Ein zweites Mal entleerte ich ihn mit Hiera Pikra und dem Absud des Epithymum und Absinth, und diese Maßnahme wandte ich mehrere Male an. (21) Wir fangen also zunächst an und stärken ihn; dann befeuchten wir ihn und gleichen die Schärfe seines Saftes (χυμός) aus; dann verdünnen wir ihn, ohne starkes Erhitzen; dann entleeren wir ihn danach. (22) Wir verfuhren dementsprechend fünfzig Tage lang. Da schwand die Krankheit vollständig. (23) Ich wies ihn nun an, er möge die Nahrung[saufnahme] hinfort nicht [mehr] verschieben, er solle vielmehr zur Essenszeit in warmes Wasser eingeweichtes Brot zu sich nehmen und sich zur Abendzeit mit dem ernähren, was er gewohnt sei. (24) Sein Leben lang suchte ihn kein Anfall mehr heim.30 _______________ 30 Es würde zu weit führen, hier auf die in den Krankengeschichten zum Ausdruck kommenden nosologischen Konzeptionen näher einzugehen. Man beachte aber, daß in dieser 16. Geschichte ein Krankheitsprozeß geschildert ist, der von einem groben Saft

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Medizingeschichte

So weit also Rufus. Es bleibt nun noch eine Frage: Wie ist die Sammlung zustande gekommen? Hat ein späterer Kompilator die in den verschiedenen Schriften des Rufus verstreuten Krankengeschichten ausgezogen und zu einem neuen Buch vereinigt? Oder hat Rufus selbst ein Krankenjournal nach dem Vorbild des dritten Buches der „Epidemien“ des Hippokrates angelegt? Ich glaube, daß das letztere der Fall ist. Denn die bisher bekannten rufinischen Krankengeschichten sind meist kurz und summarisch. Das entspricht ihrem 371 Zweck, theoretische Erörterungen zu illustrieren. Bei den arabischen Stücken aber wird der Verlauf der Krankheit von Tag zu Tag ausführlich beschrieben. Es sind Journale, eine eigene literarische Form. Hinzu kommt, daß kein einziger der 21 Berichte aus den anderen Büchern des Rufus bekannt ist. Hätte ein Kompilator die Schriften des Rufus exzerpiert, so sollten doch wenigstens zwei oder drei der schon bekannten Geschichten in der arabischen Sammlung wieder auftauchen! Man wird also nicht allzu weit fehlgehen, wenn man annimmt, daß in den arabischen Krankengeschichten die Übersetzung einer selbständigen, bisher unbekannten Schrift des Rufus vorliegt.

_______________ im Magen über einen schwarzgalligen Saft (ḫilṭ saudāwī in § 7) zur Melancholie und schließlich zur Epilepsie führt. Dazu paßt, daß (nach dem Zeugnis des Isḥāq ibn ʿImrān, Maq. fī l-Mālanḫūliyā, Ms. München 805, foll. 89 b ult. f. und 96 b 9) Rufus sich hauptsächlich mit der „epigastrischen“ bzw. „hypochondrischen“ Art (al-ʿilla aššarāsīfīya) der Melancholie beschäftigt hat, d. h. mit einer Melancholie, die im Bereich des Magens zu lokalisieren ist oder mit Magenbeschwerden einhergeht. Die Wechselbeziehungen zwischen Melancholie und Epilepsie sind bei Hipp. Epid. VI 8, 31 (Littré V 354 f.) klar definiert: οἱ μελαγχολικοὶ καὶ ἐπιλημπτικοὶ εἰώθασι γίνεσθαι ὡς ἐπὶ τὸ πουλύ, καὶ οἱ ἐπίλημπτοι μελαγχολικοί· τουτέων δὲ ἑκάτερον μᾶλλον γίνεται, ἐφ’ ὁπότερα ἂν ῥέψῃ τὸ ἀρρώστημα, ἢν μὲν ἐς τὸ σῶμα, ἐπίλημπτοι, ἢν δὲ ἐπὶ τὴν διάνοιαν, μελαγχολικοί. Zum Thema „Melancholie—Epilepsie“ vgl. auch Owsei Temkin, The Falling Sickness. A History of Epilepsy from the Greeks to the Beginnings of Modern Neurology, 2Baltimore and London 1971, pp. 21, 35, 54 f. — Daß Epilepsie auf einem Übermaß an Phlegma beruht (§ 4), ist eine im Altertum geläufige Vorstellung, vgl. Temkin, ib., pp. 4 und 53 f. (Hipp., De morbo sacro), 56 (Praxagoras und Diokles), 59 (Aretaios von Kappadokien) und 70 f. (Galen). — Die in den § § 1 0 und 23 erwähnte Diät verschreibt auch Galen (De locis affectis V 6 = Bd. VIII 340, 7 f. Kühn) einem zwanzigjährigen Epileptiker, dessen Krankheit vom Magenmund ausging und von der Galle herrührte: τρίτης δ’ ὥρας ἢ τετάρτης ἄρτον ἐπιμελῶς ἐσκευασμένον προσφέρεσθαι. Möglicherweise hat Galen sich die Erfahrungen des Rufus zu eigen gemacht.

Die Krankengeschichten des Rufus

115

Nachträge Rufus von Ephesos, Krankenjournale. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Manfred Ullmann, Wiesbaden 1978. Fridolf Kudlien, A new testimony for Erasistratus?, in: Clio Medica 15, 1981, 137‒142. Alexander Sideras, Rufus von Ephesos und sein Werk im Rahmen der antiken Medizin, in: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt, Teil II: Principat, Bd. 37, 2. Teilband, hsgb. von Wolfgang Haase, Berlin-New York 1994, pp. 1077‒1253, insbes. pp. 1168‒1170. Henrike Thomssen u. Christian Probst, Die Medizin des Rufus von Ephesos, ib. pp. 1254‒1292. Rufus of Ephesus, On Melancholy, edited by Peter E. Pormann (Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam Religionemque pertinentia Bd. XII), Tübingen 2008, insbes. pp. 64‒73.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus von Ephesos Inhalt Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Problem der Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Daremberg und die Rufuszitate im Continens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . — Falsche Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . — Das Problem der Hippokrateskommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Fragen des Arztes an den Kranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Gelbsucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der Gedächtnisverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Melancholie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Das Hauptwerk über die Diätetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Der Wein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Die Milch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Die Säuglingspflege und die Kinderkrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Drei weitere Schriften zur Diätetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Die Gifte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Die Krankenjournale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Pseudepigrapha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

116 118 121 126 128 132 133 135 142 143 144 146 165 167 168 173 174 177

Abkürzungsverzeichnis Aet. Amid. b. -Baiṭār Ǧāmiʿ

CMG

Aetii Amideni Libri medicinales I‒IV, ed. Alexander Olivieri (CMG VIII), Vol. Ι.II, Lipsiae et Berolini 1935.50 Kitāb al-Ǧāmiʿ li-mufradāt al-adwiya wa-l-aġḏiya li-abī Muḥammad ʿAbd Allāh ibn Aḥmad ibn al-Baiṭār, Bd. I‒IV, Būlāq 1291 Corpus Medicorum Graecorum, ed. Academiae Berolinensis, Havniensis, Lipsiensis, Lipsiae et Berolini 1908 ff.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus Continens D.-R.

117

Continens des Rhazes, Sammlung der Rufusfragmente bei 1294 D.-R. p. 453‒548 (nr. 120‒494) Œuvres de Rufus d’Éphèse, publication commencée par Charles Daremberg, continuée et terminée par CharlesÉmile Ruelle, Paris 1879

Fihrist

Kitāb al-Fihrist li-b. an-Nadīm, ed. Gustav Flügel, Bd. I.II, Leipzig 1871.72 / ed. Riḍā Taǧaddud, Teheran 1971

Flashar Melancholie

Hellmut Flashar, Melancholie und Melancholiker in den medizinischen Theorien der Antike, Berlin 1966

Gärtner

Hans Gärtner, Rufus von Ephesos, Die Fragen des Arztes an den Kranken (CMG, Suppl. IV), Berlin 1962

GAL

Carl Brockelmann, Geschichte der arabischen Litteratur, Zweite Auflage, Bd. I.II, Leiden 1943.49; Supplementbände I‒III, Leiden 1937‒1942

GAS

Fuat Sezgin, Geschichte des arabischen Schrifttums, Bd. I ff., Leiden 1967 ff.

Gossen

Hans Gossen, Art. Rufus (18), Pauly-Wissowa 1 A 1 (1914), 1207‒1212

Ḥāwī

Kitāb al-Ḥāwī fī ṭ-ṭibb li-abī Bakr Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī, Bd. 1‒23, Hyderabad 1374/1955‒1390/ 1970 (2. Auflage Bd. 1 ff., Hyderabad 1394/1974 ff.)

Ilberg

Johannes Ilberg, Rufus von Ephesos, ein griechischer Arzt in trajanischer Zeit (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., 41, 1930, Nr. 1), Leipzig 1930

Kudlien

Fridolf Kudlien, Art. Rufus of Ephesus, in: Charles Coulston Gillispie, Dictionary of Scientific Biography, Vol. XI, New York 1975, p. 601‒603

Med. hist. J.

Medizinhistorisches Journal, Hildesheim

Orib. Coll. med.

Oribasii Collectionum medicarum reliquiae, Vol. I‒IV, ed. Joannes Raeder (CMG VI 1.2), Lipsiae et Berolini 1928‒33

Orib. Euporista

Oribasii Libri ad Eunapium, ed. Joannes Raeder (CMG VI 3), Lipsiae et Berolini 1926, p. 315‒498

Orib. Synopsis

Oribasii Synopsis ad Eustathium, ed. Joannes Raeder (CMG VI 3), Lipsiae et Berolini 1926, p. 1‒313

Rufus De ictero

Die Schrift des Rufus von Ephesos über die Gelbsucht in arabischer und lateinischer Übersetzung, hsgb. von Manfred Ullmann (Abh. der Akad. d. Wiss. in Göttingen, phil.-hist. Kl., Dritte Folge, Nr. 138), Göttingen 1983

118

Medizingeschichte

Rufus De renum morbis

Rufus Quaestiones

b. Sīnā Qānūn Ullmann Medizin

1295

b. a. Uṣ.

Wellmann WKAS

Rufus von Ephesos, Über die Nieren- und Blasenleiden, hsgb. und übs. von Alexander Sideras (CMG III 1), Berlin 1977 Rufus von Ephesos, Die Fragen des Arztes an den Kranken, hsgb., übs. und erläutert von Hans Gärtner (CMG Suppl. IV), Berlin 1962 Kitāb al-Qānūn fī ṭ-ṭibb li-abī ʿAlī ibn Sīnā, Bd. I.II, Romae 1593 / Bd. I‒III, Būlāq 1294 Manfred Ullmann, Die Medizin im Islam (Handbuch der Orientalistik, hsgb. von Bertold Spuler, Erste Abteilung, Ergänzungsband 6, 1. Abschnitt), Leiden/Köln 1970 Kitāb ʿUyūn al-anbāʾ fī ṭabaqāt al-aṭibbāʾ li-Muwaffaq adDīn Aḥmad ibn al-Qāsim al-maʿrūf bi-b. abī Uṣaibiʿa, ed. August Müller, Bd. I.II, Kairo-Königsberg 1882‒84 Max Wellmann, Zur Geschichte der Medicin im Altertum III, Hermes 47, 1912, 1‒17 Wörterbuch der Klassischen Arabischen Sprache. Unter Mitwirkung der Akademien der Wissenschaften in Göttingen, Heidelberg und München und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz hsgb. durch die Deutsche Morgenländische Gesellschaft, Bd. I, Wiesbaden 1970, Bd. II 1, ib. 1983, Bd. II 2, ib. 1991

I. Das Problem der Überlieferung Galen hat das medizinische Wissen der Antike zusammengefaßt, in ein System gebracht, es philosophisch untermauert. Er hat seine Lehren mit Überzeugung in einem außerordentlich umfangreichen Œuvre dargestellt, das im Laufe der Jahrhunderte universelle Geltung erlangt hat1. Diese Dominanz hatte zur Folge, daß die Bücher vieler seiner Vorgänger nicht mehr abgeschrieben und tradiert wurden und somit verlorengingen. Dieses Schicksal haben auch die meisten Schriften des Rufus von Ephesos teilen müssen. Über Rufus’ Lebensumstände ist fast nichts bekannt. Weder das Geburtsdatum noch das Jahr des Todes sind überliefert. In der ‛Suda’ heißt es, er sei γεγονὼς ἐπὶ Τραϊανοῦ σὺν Κρίτωνι. Galen erwähnt Rufus mehrfach; er rechnet ihn unter die νεώτεροι _______________ 1

Owsei Temkin, Galenism. Rise and Decline of a Medical Philosophy, Ithaca and London 1973.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus

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ἰατροί2. Der Wert eines Testimoniums des Damokrates3 ist umstritten4. Der dort genannte Rufus muß nicht der Ephesier sein. Daher läßt sich nicht viel mehr sagen, als daß Rufus um 100 nach Chr. gelebt haben mag. Fehlen auch die äußeren Daten, so sagen seine Schriften umso mehr über die Persönlichkeit, den Geist und den Rang ihres Autors aus. Allerdings sind nur wenige Werke in griechischer Sprache unversehrt erhalten geblieben. Da ist zunächst ein Buch zur Pathologie, die Schrift über die Nieren- und Blasenleiden, ‛Περὶ τῶν ἐν νεφροῖς καὶ κύστει παθῶν’5. Eine weitere Schrift, ‛Περὶ σατυριασμοῦ καὶ γονορροίας’6, handelt über exzessive sexuelle Erregbar- 1296 keit. Die Schrift ‛Περὶ ὀνομασίας τῶν τοῦ ἀνθρώπου [Var. τῶν κατὰ ἄνθρωπον] μορίων’7 ist ein wichtiges Zeugnis für die Entwicklung der anatomischen Nomenklatur. Pollux hat sie als Quelle für sein Lexikon verwertet. Für den heutigen Leser besonders eindrucksvoll ist ein Handbuch der Anamnesetechnik, die sogenannten ‛Ἰατρικὰ ἐρωτήματα’8. Alles übrige ist nur fragmentarisch oder in Gestalt von Exzerpten und Zitaten erhalten. Die meisten und wertvollsten Exzerpte liefern uns die byzantinischen Kompilatoren, allen voran Oreibasios9 und Aetios von Amida10. Manche Titel sind umstritten, _______________ 2 3 4 5

6 7 8

9

Galen, De atra bile 1 (Bd. V 105, 7 Kühn). Galen, De antidotis II 2 (Bd. XIV 119, 1 Kühn). Kudlien 602 a. Edd. D.-R. p. 1‒63; Rufus von Ephesos über die Nieren- und Blasenleiden, hsgb. und übs. von Alexander Sideras (CMG III 1), Berlin 1977; A. Sideras, Textkritische Beiträge zur Schrift des Rufus von Ephesos De renum et vesicae morbis (Akademie der Wiss. u. d. Literatur Mainz, Abhandl. der geistes- und sozialwiss. Klasse 1971, Nr. 3), Wiesbaden 1971; Ders., Aetius und Oribasius. Ihre gemeinsamen Exzerpte aus der Schrift des Rufus ‛Über die Nieren- und Blasenleiden’ und ihr Abhängigkeitsverhältnis, Byzantinische Zeitschrift 67, 1974, 110‒130. D.-R. p. 64‒84. Edd. D.-R. p. 133‒167; Georg Kowalski, Rufi Ephesii ‛De corporis humani partium appellationibus’, maschinenschr. Diss. Göttingen 1960; Ilberg 7‒12; A. Bravo-García, Lexica medica, in: Helmantica 35, 1984, 369‒390. D.-R. p. 195‒218; Rufus von Ephesos. Die Fragen des Arztes an den Kranken, herausgegeben, übersetzt und erläutert von Hans Gärtner (CMG, Suppl. IV), Berlin 1962; Hans Gärtner, Τήρησις τοῦ ἕλκους. Ein Nachtrag zu Rufus von Ephesos, CMG Suppl. IV, 41, 10 f., Hermes 94, 1966, 251‒252; Rufus Ephesius, Quaestiones medicinales, ed. Hans Gärtner (Bibliotheca Teubneriana), Leipzig 1970; Fridolf Kudlien, Wie erkannten die antiken Ärzte einen Simulanten?, Das Altertum 7, 1961, 226‒233, insbes. p. 230 f.; Giovanni Gentili, ‛L’interrogatorio del malato’ secondo Rufo d’Efeso, Rivista di Storia della Medicina 13, 1969, 80‒97; Gotthard Strohmaier, Zur Parasitologie in der antiken Medizin, Acta congressus internationalis XXIV historiae artis medicinae (25-31 Augusti 1974), Budapest 1976, 1253‒1255. Französisch resümiert bei D.-R. p. 297‒310.

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Medizingeschichte

andere sind nur durch spätere Autoren bezeugt, aber vom Inhalt dieser Bücher ist wenig oder nichts bekannt. Zum Beispiel gibt Galen im Prooemium zum VI. Buche seines großen Werkes ‛De simplicium medicamentorum temperamentis ac facultatibus’ eine Übersicht über die pharmakognostische Literatur. Neben Pamphilos, Xenokrates von Aphrodisias, Dioskurides, Herakleides von Tarent, Krateuas und anderen erwähnt er auch Rufus: καὶ μὲν δὴ καὶ Ῥούφῳ τῷ Ἐφεσίῳ πολλὰ μὲν κἀν τοῖς θεραπευτικοῖς βιβλίοις γέγραπται φάρμακα, καὶ περὶ βοτανῶν δὲ δι’ ἑξαμέτρων ἐπῶν σύγκειται τέτταρα . . .11. Von diesem vier Bücher umfassenden Lehrgedicht sind nur acht Verse erhalten, in denen Rufus über eine Ladanum-Art spricht, die man im Lande der Erember findet12. Unter diesen Umständen kommt den Übersetzungen ein besonderer Wert zu. Die Schrift ‛Περὶ τῶν κατὰ ἄρθρα νοσημάτων’ ist im 6. Jhdt. in Ravenna ins Lateinische übersetzt worden13. Diese Version entstammt derselben Schule, aus der die lateinische Oreibasios-Übersetzung hervorgegangen ist. Eine 1297 weitere Schrift, die Abhandlung über die Gelbsucht, ‛Περὶ ἰκτέρου’, ist in der ersten Hälfte des 14. Jhdts., wahrscheinlich in Neapel, von Nicolaus von Regium nach einem griechischen Mutilus ins Lateinische übersetzt worden (s. unten Kap. IV). Aber auch die Übersetzer, die im 9. Jhdt. in Bagdad mehr als hundert Werke Galens ins Syrische und Arabische übertragen haben14, sind an Rufus nicht vorbeigegangen. Damals war Rufus durch Galen noch keineswegs verdrängt. Arabische Ärzte, allen voran Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī, zitieren wenigstens ein Dutzend seiner Schriften. Außerdem hat Muḥammad ibn Isḥāq an-Nadīm, ein Bagdader Buchhändler, im Jahre 987 eine umfangreiche Bibliographie, das ‛Kitāb al-Fihrist’, zusammengestellt, in der er unter Rufus’ Namen 42 Titel aufführt. Drei Jahrhunderte später hat ibn abī _______________ 10 Teilweise ediert und übersetzt bei D.-R. p. 311‒388. 11 Bd. XI 796, 2‒5 Kühn. 12 Galen, De comp. med. sec. loc. I 1 (Bd. XII 425, 6 ff. Kühn), abgedruckt bei D.-R. p. 292 f. 13 D.-R. p. 249‒290; Henning Mørland, Rufus De podagra (Symbolae Osloenses Fasc. Supplet. VI), Osloae 1933; R. Baltar Veloso, Notas críticas a Celso y Rufo de Efeso, Estudios Clásicos 18, 1974, 419‒425. 14 Gotthelf Bergsträsser, Ḥunain ibn Isḥāq, Über die syrischen und arabischen GalenÜbersetzungen (Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes 17 No. 2), Leipzig 1925; Rainer Degen, Galen im Syrischen: Eine Übersicht über die syrische Überlieferung der Werke Galens, in: Galen: Problems and Prospects. A Collection of Papers submitted at the 1979 Cambridge Conference, ed. Vivian Nutton, London 1981, 131‒166.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus

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Uṣaibiʿa15 diese Liste um 16 Titel erweitern können. Zwar dürfte er nur die wenigsten dieser Werke noch aus Autopsie gekannt haben; dennoch ist sein Pinax der vielleicht wichtigste Leitfaden, den man bei der Bestimmung der Schriften des Rufus zu konsultieren hat. Von all diesen arabischen Versionen ist, soweit wir heute wissen, nur eine einzige handschriftlich erhalten geblieben. Die übrigen kennen wir aus Zitaten, deren Wert recht verschieden ist, je nachdem, ob der Autor wörtlich zitiert oder ob er den Inhalt seiner Quelle nur resümiert hat. Bei der Auswertung dieser Zitate ist es also nötig, vieles über ihr literarisches Umfeld zu wissen.

II. Daremberg und die Rufuszitate im Continens Den wichtigsten Beitrag zur Kenntnis der Werke des Rufus hat im 19. Jahrhundert Charles-Victor Daremberg geleistet. Daremberg ist am 14. April 1817 in Dijon geboren. 1841 wurde er mit einer Arbeit über Galen zum Doktor der Medizin promoviert, 1844 erhielt er die Stelle eines Bibliothekars an der Académie de Médecine, und 1850 wechselte er an die Bibliothèque Mazarine über. Seit 1846 hielt er am Collège de France Vorlesungen über Medizingeschichte, 1870 wurde er Professor für Geschichte der Medizin und Chirurgie an der medizinischen Fakultät. Im Alter von 55 Jahren ist er am 24. Oktober 1872 in Mesnil-le-Roy gestorben16. Durch Handschriftenstudien, nicht nur in Paris, sondern auch auf Reisen 1298 in Deutschland, Belgien, England und Italien, hatte sich Daremberg eine einzigartige Kenntnis der Werke griechischer und lateinischer Ärzte erworben. Unter seinen zahlreichen Veröffentlichungen und Editionen nimmt die _______________ 15 Gest. 1270; GAL I 325; S I 560. 16 Nouvelle Biographie Générale, publiée par Hoefer, Tome 13, Paris 1855, Sp. 108‒110; Heinrich Haeser, Berliner Klinische Wochenschrift 9, 1872, 570; C. E. Daniels, in: W. Haberling, F. Hübotter, H. Vierordt, Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker, Bd. II, Berlin-Wien 1930, p. 183 f.; Valeriu L. Bologa, Une lettre de Charles Daremberg à Fr. R. Seligmann, Janus 34, 1930, 129‒131; Maurice Genty et Geneviève Nicole-Genty, Les incunables de l’Académie de Médecine, in: La Presse médicale 63, 1955, 1316‒1318; Maurice Genty, Documents sur Charles Daremberg, Le Progrès médical 86, 1958, 147‒153; Walter Artelt, Die Salernoforschung im 17., 18. und 19. Jahrhundert, Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin 40, 1956, 211‒230, insbes. p. 219 ff.; Ch. Coury et Th. Vetter, A propos du centenaire de la Chaire d’Histoire de la Médecine et de la Chirurgie à la Faculté de Médecine de Paris, in: Histoire des Sciences Médicales 4, 1970, 87‒99. Für bibliographische Angaben zur Vita Darembergs bin ich Herrn Prof. Dr. Gerhard Fichtner, Tübingen, sehr zu Dank verpflichtet.

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Medizingeschichte

Oreibasios-Ausgabe einen hervorragenden Platz ein. Früh schon hat Daremberg auch den Plan einer Gesamtausgabe der Schriften des Rufus gehegt. In einem auf den 8. Februar 1862 datierten Empfehlungsschreiben rühmt Émile Littré Darembergs große Fähigkeiten. Er schreibt unter anderem: « Rufus, un peu antérieur à Galien, et qui fut aussi de grand renom, ne nous est arrivé qu’incomplet et mutilé. M. Daremberg, par une étude minutieuse des manuscrits et par une lecture attentive des médecins grecs et a r a b e s , a singulièrement corrigé et enrichi son auteur; et un Rufus véritablement nouveau est sous presse et va bientôt paraître »17. Daß Daremberg nicht nur die griechische Tradition berücksichtigt, sondern auch die arabische Nebenüberlieferung miteinbezogen hat, ist Zeugnis für den Weitblick dieses Mannes. Hier hat ein klassischer Philologe und Mediziner zum erstenmal die Bedeutung der orientalischen Tradition erkannt, ein halbes Jahrhundert vor Max Simon und Gotthelf Bergsträsser, die 1906 und 1914 durch ihre Galeneditionen deutlich gemacht haben, daß eine systematische Erschließung arabischer Quellen es ermöglicht, vieles für die antike Medizingeschichte zurückzugewinnen. Neben dem ‛Kitāb al-Ǧāmiʿ’ des ibn al-Baiṭār und dem ‛Kitāb Zād al-musāfir’ des ibn al-Ǧazzār war es vor allem das ‛Kitāb al-Ḥāwī’ des Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī, das gründlich ausgebeutet wurde. So weitblickend der Plan war, so wenig glücklich war seine Durchführung. Daremberg konnte nicht auf den arabischen Text zurückgreifen. Er wußte, daß die Bibliothèque Nationale in Paris eine (allerdings unvollständige) Handschrift des ‛Kitāb al-Ḥāwī’ besaß, und durch Lucien Leclerc hatte er erfahren, daß in der Biblioteca San Lorenzo del Escorial eine ‛vollständigere’ Kopie aufbewahrt wurde18, aber unter den gegebenen Umständen war es Daremberg nicht möglich, den arabischen Text zu benutzen. Er mußte auf die lateinische Version zurückgreifen, die Faraǧ ibn Sālim (Faragut) aus Agrigent im 13. Jhdt. 1299 angefertigt hatte und die als „der Continens des Rhazes“ bekannt ist19. Der ‛Continens’ ist mehrfach gedruckt worden. Die Editio princeps ist in zwei Foliobänden in Brescia 1486 (per Jacobum Britannicum) erschienen. Sie bietet den Text in der fortlaufenden Folge des arabischen Originals in 25 Büchern. _______________ 17 Henry E. Sigerist, Emile Littré über Charles Daremberg, Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin 23, 1930, 382‒384. 18 Tatsächlich bieten die Escorial-Handschriften (es handelt sich um die Bände nr. 806‒ 818 und 854—856) den fast vollständigen Text, vgl. Les manuscrits arabes de l’Escurial, décrits d’après les notes de Hartwig Derenbourg, revues et complétées par H. P. J. Renaud, Tome II, Fascicule 2: médecine et histoire naturelle (Publications de l’École Nationale des Langues Orientales Vivantes, VIe série, Vol. V), Paris 1941. 19 Moritz Steinschneider, Die europäischen Übersetzungen aus dem Arabischen bis Mitte des 17. Jahrhunderts, Neudruck Graz 1956, Teil I, p. 14 f., nr. 39.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus

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Unglücklicherweise hat Daremberg die Ausgabe Venedig 1509 (per Bonetum Locatellum) benutzt, in der der Stoff umgestellt und in 37 Bücher eingeteilt ist20. Die Anordnung nach anderen Sachgebieten macht es heute sehr schwer, die jeweiligen Textstücke im arabischen Original zu lokalisieren. Die Arbeit, das riesige Werk zu exzerpieren, hat Daremberg im wesentlichen Hilfskräften überlassen21. Die Ausbeute war bedeutend. Charles-Émile Ruelle, der nach Darembergs Tod die ‛Œuvres de Rufus’ abgeschlossen und zum Druck befördert hat, gibt an, daß « trois cent soixante-dix-sept » längere oder kürzere Textstücke aus dem ‛Continens’ stammen22. Es handelt sich um die Fragmente nr. 120‒494, also um insgesamt 375 Nummern. Hier muß ein Wort zu der Eigenart des ‛Kitāb al-Ḥāwī’ gesagt werden. Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī hatte bei seinem Tode, der etwa im Jahre 925 erfolgt ist, eine riesige Sammlung von Zitaten aus griechischen, syrischen, indischen und arabischen Ärzten hinterlassen, ein Rohmaterial, das ihm offensichtlich zur Grundlage seiner Schriftstellerei gedient hat. Nur selten hat er seine Quellen wörtlich exzerpiert. Meist hat er gerafft, resümiert, gelegentlich bis zur Unkenntlichkeit gekürzt. Nach seinem Tode haben seine Schüler diese moles indigesta als Buch publiziert, und trotz seiner Formlosigkeit und seines ungefügen Umfanges hat es Erfolg gehabt. Noch heute gibt es zahlreiche arabische Handschriften. Ist also der Inhalt der Quellen schon durch ar-Rāzī selbst stark reduziert worden, so sind die Texte durch die lateinische Übersetzung noch weiter beeinträchtigt worden. Die Mängel und Schwächen der mittelalterlichen lateinischen Übersetzungen aus dem Arabischen sind heute bekannt23. Es herrscht das Verbum-e-verbo-Prinzip; Präpositionen, die als Rektionen arabischer Verben eine nur syntaktische Funktion haben, sind mit übersetzt (yadullu ʿalā l-mauti: significat super mortem), und arabische Wörter, die dem Übersetzer unbekannt waren, sind einfach transkribiert. Diese Methodik erlaubt es heute dem Philologen, Rückschlüsse auf den arabischen Urtext zu ziehen, sie macht aber andererseits die lateinische Version als solche zu einem teilweise ganz unverständlichen Kauderwelsch. Es ist somit klar, daß man die Rufus-Fragmente aus dem ‛Continens’ immer nur zusammen mit den _______________ 20 Ludwig Choulant, Handbuch der Bücherkunde für die ältere Medicin, Zweite Auflage, Leipzig 1841, p. 343. 21 D.-R. p. 486 Anm. 1. 22 D.-R. Préface p. XLIX. 23 Vgl. etwa: Ilona Opelt, Zur Übersetzungstechnik des Gerhard von Cremona, Glotta 38, 1959‒1960, 135‒170; Paul Kunitzsch, Der Almagest. Die Syntaxis Mathematica des Claudius Ptolemäus in arabisch-lateinischer Überlieferung, Wiesbaden 1974, p. 83‒112; Pieter Leendert Schoonheim, Aristotle’s Meteorology in the Arabico-Latin Tradition, Leiden-Boston-Köln 2000, p. XX‒XXVIII.

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1300 arabischen Ausgangstexten benutzen kann, durch die allein erklärt wird, was im Lateinischen toter Buchstabe, Fehler oder Mißverständnis ist24. Glücklicherweise ist der arabische Text heute leicht zugänglich. Er wurde in 23 Bänden in Hyderabad im Verlauf der Jahre 1955 bis 1971 gedruckt25. Obwohl in den späteren Bänden zum Teil umfangreiche Fußnoten angebracht sind, ist die Ausgabe alles andere als eine kritische Edition. Nur wenig erfährt man über die Handschriften. Neben dem Scorialensis (s. oben Anm. 18) sind gelegentlich eine Handschrift der Muslimischen Universität Aligarh (Sigle ʿain), eine Handschrift des Nationalmuseums in New Delhi (Sigle šīn) und die sog. Āšuftah- (Sigle fāʾ) und Phulwārī-Manuskripte (Sigle dāl) berücksichtigt, aber ohne Konsequenz. Der Text ist sehr fehlerhaft. Da die indischen Herausgeber keine Griechischkenntnisse besaßen, sind die vielen Exzerpte aus Rufus, Galen, Oreibasios, Paulos von Aigina, Alexander von Tralleis usw. nicht nachgewiesen, und griechische Namen und Wörter sind teilweise stark entstellt. Oft ist die richtige Lesart in die Fußnote verbannt, die falsche in den Text aufgenommen26. Bei den zahlreichen Textdoubletten fehlen die Querverweise, und auf den Luxus von Indizes hat man gleich ganz verzichtet. Trotz dieser gravierenden Mängel ist der Hyderabader Druck des ‛Ḥāwī’ wichtig und zur Beurteilung der lateinischen Rufusfragmente unentbehrlich. Das soll an sechs Punkten demonstriert werden. 1. Durch n i c h t ü b e r s e t z t e a r a b i s c h e W ö r t e r und Korruptelen ist der lateinische Text zum Teil unverständlich: Fragm. nr. 131: baros steht für baraṣ „Lepra“. Nr. 141: soda steht für ṣudāʿ „[halbseitiger] Kopfschmerz“ und suic für sawīq „Schleimsuppe“. Nr. 176: culla steht für qulāʿ „Aphthen“. Nr. 182, 3: in naganig steht für fī n-naġāniġ „in den Kehlen“. Nr. 194: hayda accidit ex thogma steht für al-haiḍa taʿriḍu min tuḫam „Der Brechdurchfall tritt infolge von Verdauungsstörungen auf“. Nr. 208, 7: mirac steht für al-marāqqu „die Weichen“, „der Unterbauch“. Nr. 235: caro friathit steht für laḥm al-fawāḫit „das Fleisch der Ringeltauben“27. Nr. 284, 1: ... cum toto eo quod accidit. Morahikin interficit velociter nisi maturetur et emanet steht für wa-ǧullu mā yaʿriḍu li_______________ 24 Vgl. Sergio Alleori, Giovanni Gentili, Il trattato „Della medicina popolare” di Rufo d'Efeso (Frammenti e citazioni), Pagine di storia della medicina 15,5, 1971, 38‒63. Die Verfasser haben lediglich die lateinischen Fragmente bei D.-R. berücksichtigt. Dieses Verfahren ist methodisch nicht zu rechtfertigen. 25 Abū Bakr Muḥammad b. Zakariyya ar-Rāzī, Kitābu’ l Ḥāwī fi’ ṭ-ṭibb (Continens of Rhazes), published by the Dāiratu’ l-Maʿārif-il-Osmānia (Osmania Oriental Publications Bureau), Hyderabad-Deccan, India. Von der zweiten Auflage sind 1974 Band 1 und 1976 Band 2 erschienen. 26 Vgl. Manfred Ullmann, Der Islam 46, 1970, 114. 27 D.-R. Index p. 662: « Friarith, oiseau! »

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l‑murāhiqīn. wa-yaqtulu sarīʿan in lam yataqayyaḥ wa-yasil „und hauptsächlich widerfährt sie (die Entzündung) den in der Pubertät Stehenden. Sie führt schnell zum Tode, wenn sie nicht eitert und fließt“. Das lateinische cum toto erklärt sich aus einer falschen Lesung des Wortes ǧull als kull; der Satz ist falsch interpungiert und durch das Fremdwort vollends sinnlos geworden. Vgl. 1301 das Original: μάλιστα δὲ περὶ ἥβην . . . καταλαμβάνει ἡ νόσος. ἀποκτείνει διὰ ταχέων, εἰ μὴ οὐρήσειαν πολλὰ πυώδη28. Nr. 337: meri steht für al-marīʾ „die Speiseröhre“. Nr. 361, 2: bothor steht für buṯūr „Pickel, Pusteln“. Nr. 430: badurugi steht für bāḏarūǧ „Basilienkraut“. Nr. 470: geri steht für ǧirrīy „Aal“. In nr. 391 ist von gallina die Rede. Aber nicht Hühnerfleisch ist gemeint, sondern gallina ist die verderbte Umschrift des arabischen Wortes ġāliya, das ein aus Moschus, Ambra und Behenöl hergestelltes Parfüm bezeichnet. Neben arabischen Fremdwörtern kommen V e r u n s t a l t u n g e n l a t e i n i s c h e r W ö r t e r vor, die den Leser vor nicht geringere Rätsel stellen. In nr. 121 steht cum serapino. Es muß cum sagapeno heißen. Nr. 133, 1: Der Herausgeber bemerkt, daß das Wort pionia nicht bei Du Cange vorkomme. Es ist die Paeonia officinalis. Nr. 323: Auch den Ausdruck cum oleo percoporum hat der Herausgeber vergebens bei Du Cange gesucht. Im Arabischen (Ḥāwī 11, 262, 13) steht maʿa duhn al-mišmiš „mit dem Öl der Aprikose“. Demnach ist einfach cum oleo praecoquium zu lesen. 2. Die lateinischen Fragmente enthalten zahlreiche Ü b e r s e t z u n g s f e h l e r , die auf einer falschen Lesung arabischer Wörter oder auf ungenügender Kenntnis der Syntax beruhen. In Fragm. nr. 378 (übrigens einem Stück aus Galen!) heißt es: Senescentes laudabiliores sunt aliis hominibus ad exequendum abstinentiam cibi. „Lobenswert“ setzt arabisch aḥmadu voraus, aber der Text lautet richtig (Ḥāwī 23, 1, 108, 5): aḥmalu n-nāsi li-l-imsāki ʿani l-ġiḏāʾi l-mašāyiḫu „Die Menschen, die es am ehesten ertragen können, sich der Nahrung zu enthalten, sind die Greise“. Im Fragm. nr. 231 heißt es: etiam cibaria grossa magis acetosa facit quam lac, scilicet labor. Dagegen Ḥāwī 7, 272 ult.: fa-inna t-taʿaba yuḥammiḍu l-aṭʿimata l-ġalīẓata faḍlan ʿani l-labani „denn die Anstrengung macht selbst grobe Speisen [im Magen] sauer, ganz zu schweigen von der Milch“. 3. Im arabischen ‛Ḥāwī’ gibt es eine Anzahl Rufuspassagen, die bei D.-R. fehlen. Das ist möglicherweise auf Einbußen zurückzuführen, die der Text des ‛Continens’ bei der thematischen Umarbeitung in der Ausgabe 1509 erfahren haben könnte. Möglich ist auch, daß Darembergs Famuli eine Anzahl Stellen übersehen haben. Umgekehrt gibt es aber auch im ‛Continens’ Rufus-Stücke, _______________ 28 Rufus De renum morbis 6, 2 (p. 134, 14 ff. Sideras).

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die im ‛Ḥāwī’ nicht nachzuweisen sind. Das mag zum Teil daran liegen, daß die Hyderabader Edition in den Bänden 9 und 10 erhebliche Lacunen aufweist. Aber es erklärt sicher nicht alles. 4. Gelegentlich differieren die Q u e l l e n a n g a b e n . Im Fragm. nr. 333 heißt es: Dixerunt Oribasius et Ruffus; aber im Ḥāwī 14, 43, 5 ff. heißt es: „Oreibasios und Paulos [von Aigina]“. Im Fragm. nr. 365 heißt es: Ruffus in libro ejus ad vulgus (ilā l-ʿawāmm), im Ḥāwī 23, 1, 53 paen. aber „Rufus in seinem Buch über das Bad“ (fī l-ḥammām). 1302

5. Manchmal sind die Texte oder die Qu ell enangabe n unv oll s tändig. Im Fragm. nr. 238, 9 ist nur der Anfang der Passage mitgeteilt. Im Ḥāwī 8, 72, 1‒3 steht das vollständige Zitat. Im Fragm. nr. 193 ist nur die Hälfte des Textes mitgeteilt (vgl. dagegen Ḥāwī 5, 188, 2 f.). In den Fragm. nr. 130 und 169 heißt es nur: Ruffus dixit. Im Ḥāwī 1, 135, 9 und 3, 83 paen. ist gesagt, daß die Zitate aus Rufus’ Schrift ‛Πρὸς τοὺς ἰδιώτας’ stammen29. Ebenso ist im Fragm. nr. 223 nicht gesagt, daß es dem Buch der Gifte entnommen ist. 6. Eine nicht geringe Anzahl der Fragmente s t a m m t g a r n i c h t v o n R u f u s . Ruelle hatte einige Passagen, die Daremberg aufgenommen hatte, aus Pietät mit abgedruckt, jedoch in eckige Klammern gesetzt, um kenntlich zu machen, daß er sie nicht für rufinisch halte. So ist er bei allen Abschnitten verfahren, die mit „dico“ eingeleitet sind und die, wie er richtig gesehen hatte (p. 455 Anm. 2), ar-Rāzī’s persönliche Stellungnahmen wiedergeben. Aber es gibt andere Textstücke, die von keinem der beiden Herausgeber beargwöhnt worden sind: Fragm. nr. 121 stammt entweder aus dem ‛Kitāb at-Taḏkira’ des ʿAbdūs ibn Zaid30 oder, nach dem Ḥāwī 1, 45, 8 f./ 274, 12 f., aus den ‛Libri sex de morborum causis et symptomatibus’ von Galen31. Fragm. nr. 254, 2 und 3 stammt aus dem „Buch über die chronischen Krankheiten“ des Archigenes von Apamea (daher: „in passionibus diuturnis“). Nr. 255 stammt aus einem anonymen ‛Kitāb al-Ǧāmiʿ’ (Ḥāwī 7, 302 ult.). Nr. 258,4 stammt aus der ‛Taḏkira’ des ʿAbdūs ibn Zaid (Ḥāwī 8, 190, 7 ff.). Von nr. 159 gehören nur § 1 und die Hälfte des § 2 zu Rufus. Der rufinische Text endet mit den Worten cum oleo rosato. Von Zeile 18 an ist der Autor ein gewisser Isḥāq. — Falsche Folgerungen Es konnte nicht ausbleiben, daß ein Gelehrter, der des Arabischen unkundig war und somit keine Möglichkeit hatte, die Fehler zu erkennen, aus den _______________ 29 Daher fehlen die beiden Textstücke bei Alleori und Gentili (s. oben Anm. 24). 30 Ullmann Medizin 302. 31 ib. 42.

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lateinischen Fragmenten Schlüsse zog, die nicht berechtigt waren und die das Rufus-Bild verfälscht haben. Gossen (nr. 29) behauptet, Rufus habe eine „‛Ἰατρικὴ διήγησις’ in mindestens sechs Büchern“ verfaßt, wofür er sich auf Rhazes fol. 438 (Fragm. nr. 344) beruft. Aber ein Titel ‛Ἰατρικὴ διήγησις’ ist nirgends überliefert. Es ist eine von Gossen stammende Rückübersetzung des Wortes „Expositio“ in der Quellenangabe des Rhazes. Dort nämlich heißt es: „In quarto capitulo de Expositione libri sexti“. Nach ar-Rāzī’s Zitiergewohnheit bezeichnet diese Überschrift aber nichts anderes als den Kommentar (Expositio!) des G a l e n zu den Epidemien des Hippokrates, und tatsächlich findet sich das, was im Fragm. nr. 344 über den Schweiß gesagt ist, im sechsten Buche des Epidemienkommentares wieder32. Unter nr. 13 behauptet Gossen, Rufus habe im Rahmen seines Werkes 1303 ‛Περὶ διαίτης’ über Pökelfleisch geschrieben, wobei er sich auf Rhazes fol. 501 (Fragm. nr. 391) beruft. Dort heißt es: In cibo alicon dixit etc., und der Herausgeber bemerkt dazu: „sc. ἁλυκῶν“. Im arabischen Text jedoch (Bd. 23, 2, 170, 10 f.) ist überhaupt nicht von Rufus die Rede. Dort heißt es: Min kitāb (Var. kunnāš) ġarīb, qāla ilḫ. Das ist nicht ganz eindeutig zu interpretieren, aber wahrscheinlich heißt es: „Aus einem fremden33 Buche; er sagt usw.“ Dieses „fremde Buch“ wird auch sonst von ar-Rāzī zitiert, vgl. Ḥāwī 9, 133, 4; 11, 50, 11; 16, 88, 13. Bisher ist es noch nicht gelungen, es zu identifizieren. Wir müssen es zunächst als das Werk eines Anonymus hinnehmen. Ein weiteres dieser Zitate ist von Daremberg fälschlich als Rufus-Fragment nr. 343 übernommen worden, und dort heißt das Stichwort ganz richtig: In libro alieno. Und so ist auch im Fragm. nr. 391 statt In cibo alicon zu lesen. Gossen (nr. 26) führt einen Titel „Περὶ πυρετῶν in mindestens 11 Büchern“ an, mit Verweis auf Rhazes fol. 395 (Fragm. nr. 334). Aber schon Ruelle hatte diese Passage in eckige Klammern gesetzt, mit der Bemerkung, daß sie eher Oreibasios zuzuschreiben sei, der in dem vorangehenden Fragm. nr. 333 zusammen mit Rufus als Autor genannt ist. Allein im arabischen Ḥāwī 14, 43, 5 steht nicht: Dixerunt Oribasius et Ruffus, sondern „Oreibasios und Paulos“, so daß schon die Zuweisung des Fragmentes nr. 333 an Rufus äußerst fragwürdig ist. Fragm. nr. 334 schließt nun aber an das vorhergehende überhaupt nicht an, so daß das „Dixit“ weder auf Oreibasios, noch auf Paulos, noch auf Rufus bezogen werden kann. Im arabischen Text (Bd. 14, 47, 13) heißt es ebenfalls nur: „Er sagt“, aber damit wird offenbar ein Passus aus dem ‛Kitāb ad-Dalāʾil’ _______________ 32 Vgl. Galeni in Hippocratis Epidemiarum librum VI commentaria I‒VIII, edd. Ernst Wenkebach et Franz Pfaff, editio altera (CMG V 10,2,2), Berolini 1956, p. 408 f., 449, 451. 33 Bzw. „sonderbaren“ oder „schwerverständlichen“.

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fortgeführt. Die Abschnitte 2‒4 (Dixit: in tertiana non pura etc.) entsprechen Ḥāwī 14, 48, 9 ff., dort aber stehen sie im Zusammenhang eines Exzerptes aus der Synopse von Galens Therapeutik für Glaukon34. Der fünfte Abschnitt (entspr. Ḥāwī 14, 50, 8 ff.) stammt von al-Ḫūz, womit keine Ärztin35, sondern eine Gruppe von Ärzten aus Ḫūzistān gemeint ist36. Und der entscheidende sechste Paragraph, der mit den Worten: In XI° Tractatu dixit: In febribus accidentibus ex putrefactione humorum etc. beginnt (entspr. Ḥāwī 14, 64, 7 ff.), bezieht sich auf Galens ‛Methodus medendi’ Buch XI (Bd. X 734 ff. Kühn). Damit entfällt jede Grundlage für die Annahme, es habe ein rufinisches Buch „Περὶ πυρετῶν in mindestens 11 Büchern“ gegeben. Ein Meer des Irrtums also. Aber nicht die arabische Quelle ist chaotisch; vielmehr ist das Chaos durch die unsachgemäße Wiedergabe und Auswertung der Quelle heraufbeschworen worden. Um weiterem Unheil zu steuern, sei wenigstens vorläufig eine Liste der Fragmente bei D.-R. gegeben, die nachweislich nicht von Rufus stammen: Nrr. 121; 163; 167; 168, 2‒3; 169, 4‒8; 178, 2‒10; 208, 8; 249; 254, 2‒3; 255; 258, 4; 260; 295; 298; 334; 343; 344; 346; 364; 378; 383, 2‒3; 384; 389; 391; 393; 395; 407; 409; 428, 11; 437; 442; 468, 4; 469; 470. 1304 ‒ Das Problem der Hippokrateskommentare Auch die Frage der Hippokrateskommentare des Rufus erscheint bei einer Nachprüfung der Exzerpte aus dem ‛Continens’ in einem anderen Licht. Daß sich Rufus mit der Hippokratesexegese befaßt hat, ist durch Galen bezeugt. Im dritten Kapitel seiner Schrift ‛Περὶ τῆς τάξεως τῶν ἰδίων βιβλίων’ zählt er eine Anzahl von Hippokrateserklärern auf, darunter auch Rufus von Ephesos und Sabinos37, aber er gibt nicht an, zu welchen Schriften sie Kommentare geschrieben haben. Allgemein wird angenommen, daß Rufus die Werke ‛Ἐπιδημίαι’, ‛Περὶ ἀέρων ὑδάτων τόπων’, ‛Ἀφορισμοί’, ‛Περὶ χυμῶν' und ‛Προρρητικόν’ kommentiert habe38. Daß ein Epidemienkommentar existiert hat, steht außer Zweifel. Schon Ilberg (p. 40) hatte davon bei Galen „deutliche Spuren“ gefunden. Damit meinte er die Abschnitte 31 und 66 im sechsten Buch von Galens Kommentar39. An der ersten Stelle erwähnt Galen mehrere Interpretationen des Begriffes αἱ διαδέξιες τῶν ὑποχονδρίων; er sagt, daß den ersten _______________ 34 35 36 37 38 39

Zu dieser Synopse vgl. Ullmann Medizin p. 66. GAS III 184 f. Vgl. die Formulierung al-Ḫūz qāṭibatan Ḥāwī 9, 26, 16; 21, 45, 4; 70 paen. Claudii Galeni Pergameni Scripta minora II, ed. Iwan Müller, Leipzig 1891, p. 87. Wellmann p. 9; Gossen nr. 32‒36; Ilberg p. 40 f. Bd. XVII A 956 f. und 993 Kühn, entspr. p. 93 und 114 bei Wenkebach-Pfaff.

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Satz die alten Exegeten und Rufus kannten, die zweite Möglichkeit die Anhänger des Sabinos und des Dioskorides, die dritte die Anhänger des Lykos. An der anderen Stelle sagt Galen, daß die erwähnten Milzleiden denen weniger zustoßen, die vom Kopf her einen Schnupfen haben. Den Grund dafür gebe sowohl Rufus wie auch Sabinos an: das Blut werde durch den Schnupfen gereinigt. Dank der arabischen Übersetzung von Galens Epidemienkommentar, die Franz Pfaff ins Deutsche übertragen hat, können wir Ilbergs Feststellung heute präzisieren. In Galens Kommentar finden sich nicht nur „deutliche Spuren“, sondern umfangreiche Passagen aus Rufus’ Kommentar, die Galen wörtlich ausgeschrieben hat, oft mit Angabe des Anfangs und Endes des Zitates. Galen betont, daß sich Rufus der Kürze befleißigt habe40. Wenn er von Rufus schlechthin spreche, sagt Galen, so meine er stets Rufus von Ephesos, nicht etwa den Juden Rufus von Samaria, der sich ebenfalls mit der Hippokratesexegese beschäftigt habe41. Aber das Fragm. nr. 389 aus dem ‛Continens’, das Gossen (nr. 34) und Ilberg (p. 40) ebenfalls dem Kommentar des Rufus zuweisen, ist zu streichen. Es lautet: In epidemia dixit: Qui patitur calvitiem si novo utitur coitu, bonum sequetur modum, quia humectabitur exinde corpus ipsius. Dixit: Cerebrum patientis calvitiem siccum est; et similiter pellis imminens super craneum. Diese lateinische Fassung ist nicht ganz klar. Der arabische Text (Ḥāwī 23, 1, 326, 4‒7) lautet: Afīḏīmiyā: matā amsaka man badaʾa bihi ṣ-ṣalaʿu ʿani l-ǧimāʿi kāna ǧayyidan 1305 li-anna badanahū yuraṭṭabu; qāla: ad-dimāġu mina l-aṣlaʿi yābisun wa-kaḏālika l-ǧildu llaḏī fauqa l-qiḥfi. „Epidemien. Wenn derjenige, bei dem die Kahlköpfigkeit anfängt, sich des Beischlafs enthält, so ist das gut, weil sein Körper befeuchtet wird. Er sagt [ferner]: Das Gehirn des Kahlköpfigen ist trocken, und ebenso die Haut, die auf der Hirnschale sitzt“. Das ist nun kein Rufusfragment, sondern eine Stelle aus G a l e n s Epidemienkommentar. Die Passage ist allerdings nicht eindeutig zu lokalisieren. Von φαλακρότης ist mehrfach die Rede, und wahrscheinlich ist Galens IV. Kommentar zu Epid. II (Wenkebach-Pfaff p. 351, 8 ff.) oder Galens III. Kommentar _______________ 40 Galeni in Hippocratis Epidemiarum librum VI commentaria I‒VIII, edd. Ernst Wenkebach et Franz Pfaff (s. Anm. 32), p. 291, 22 und p. 419, 23. 41 ib. p. 413, 33 ff.; Süssmann Muntner, Rufus of Samaria, a Jewish medical author of the I‒II century, Israel Medical Journal 17, 1958, 273‒275.

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zu Epid. VI (Wenkebach-Pfaff p. 124 ff.) gemeint. Es gibt somit keinen Anhaltspunkt dafür, daß Rufus’ Epidemienkommentar ins Arabische übersetzt worden ist. Ilberg (p. 40) schreibt, daß Rhazes aus Rufus’ E x e g e s e d e s B u c h e s ‛ Ü b e r L u f t , W a s s e r u n d Ö r t l i c h k e i t e n ’ ein Fragment über Wassersucht zitiere. Es ist die nr. 249 D.-R. (entspr. Ḥāwī 7, 227, 8 f.). Im Arabischen heißt es aber ohne Autorenangabe lediglich: aṯ-ṯāniya min al-Ahwiya wa-lbuldān, „Das zweite Buch aus den Lüften und Ländern“, was nach der Zitierweise des Rāzī nur bedeuten kann, daß es sich um G a l e n s Kommentar handelt. Daß dem so ist, beweist der Inhalt. Er lautet: „Wenn der Durchfall häufig auftritt, nimmt die Körperwärme ab, und es zeigt sich eine Wassersucht deshalb“. Die folgenden Worte, die Daremberg und Ruelle nach der lateinischen Version zusätzlich abgedruckt haben, sind eine Stellungnahme ar-Rāzī’s. Der galenische Satz aber findet sich in ähnlicher Formulierung in der Handschrift der arabischen Übersetzung von Galens Kommentar42. Damit entfällt jede Grundlage für die Annahme, daß Rufus einen Kommentar zu ‛De aere’ geschrieben habe. Der Titel nr. 32 in Gossens Liste ist zu streichen. Mit dem A p h o r i s m e n k o m m e n t a r steht es nicht besser. Ilberg (p. 40) schreibt: „Nach Stephanos von Athen bestand er aus vier Büchern“. Aber was sagt die Quelle wirklich aus? Es handelt sich um das Prooemium des Stephanos von Athen zu den Scholien, die Theophilos Protospatharios und Damaskios zu den Aphorismen des Hippokrates verfaßt haben. In diesem Prooemium heißt es: Ὅτι γνήσιον Ἱπποκράτους τὸ σύγγραμμα, ἐμαρτύρησαν Ῥοῦφός τε καὶ Ῥουφῖνος, καὶ Σωρανὸς καὶ Πέλωψ καὶ Γαληνός, und etwas weiter unten: Ἰστέον ὅτι ὁ μὲν Σωρανὸς εἰς τρία τμήματα διεῖλε τοῦτο τὸ βιβλίον, ὁ δὲ Ῥοῦφος εἰς τέσσαρα, ὁ δὲ Γαληνὸς εἰς ἑπτὰ ᾧπερ καὶ πειθόμεθα43. 1306 Diesen Stellen ist lediglich zu entnehmen, daß Rufus die Aphorismen gekannt hat, allenfalls noch, daß er an ihrer Überlieferung redaktionell beteiligt war. Aber daß er einen Kommentar in vier Büchern geschrieben hat, ist nicht gesagt. Sind aber nicht im ‛Continens’ Fragmente von diesem Kommentar erhalten? Fragm. nr. 364 D.-R. trägt die Überschrift: In quinto capitulo aphorismorum dixit . . . Der Passus stammt aber nicht von Rufus, sondern aus Galens _______________ 42 Ms. Kairo Ṭalʿat 550 ṭibb, fol. 47 a 10. Vgl. Manfred Ullmann, Galens Kommentar zu der Schrift ‛De aere aquis locis’, oben, p. 44‒56. 43 Fridericus Reinholdus Dietz, Apollonii Citiensis, Stephani, Palladii, Theophili, Meletii, Damascii, Joannis aliorum Scholia in Hippocratem et Galenum, Vol. II, Königsberg 1834, p. 238 ult. ff. und 239, 23 ff.

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Aphorismenkommentar; die Sache wird dadurch noch komplizierter, daß der Kopist nur das Lemma, nicht die Exegese mitgeteilt hat. Vgl. Ḥāwī 23, 1, 11, 2 ff. und Galen. In Hipp. Aph. comment. V 27 (Bd. XVII Β 816 Kühn). Auch die zweite Stelle, Fragm. nr. 378, ist nicht von Rufus, sondern von Galen. Der arabische Text steht Ḥāwī 23, 1, 108, 5 ff., der griechische Text In Hipp. Aph. comment. I 13 (Bd. XVII Β 402 Kühn). Durch dieses Fragment nr. 378 war schon Wellmann (p. 16 f.) irregeführt worden. Die Übereinstimmung der Inhalte hatte ihn folgern lassen, daß Galen in seiner Hippokratesexegese von Rufus stark abhängig sei. Tatsächlich hat Wellmann nicht Galen mit Rufus, sondern Galen mit Galen verglichen! Aber auch weiterführende Mutmaßungen von Ruelle sind hinfällig. Er hatte angenommen, daß die mit dem Stichwort De amphorismis eingeleiteten Passagen, die den Fragmenten nr. 214 und 215 folgen, aus dem Kommentar des Rufus stammen (D.-R. p. 485 mit Anm. 1 und 2). Aber auch dabei handelt es sich in Wahrheit um Galens Aphorismenkommentar. Damit sind alle Zeugnisse hinfällig geworden. Nichts spricht dafür, daß Rufus die Aphorismen kommentiert hat. In seinem K o m m e n t a r z u ‛ Π ε ρ ὶ χ υ μ ῶ ν ’ diskutiert Galen die Bedeutung des Wortes ἔρριψις. Zunächst führt er die Meinungen der παλαιοὶ καὶ νεώτεροι τοῦ Ἱπποκράτους ἐξηγηταί an. Er nennt Glaukias, Herakleides von Tarent und Zeuxis, um dann fortzufahren: Ῥοῦφος δὲ ὁ Ἐφέσιος καὶ Σαβῖνος ἐκ τῶν νεωτέρων μὴ τοῦτο εἶναι τὴν ἔρριψίν φασιν, ἀλλά τι δεινότερον, τουτέστι νεκρῶδές τι σύμπτωμα κτλ.44 Das scheint ein eindeutiges Indiz für einen Kommentar zu sein, aber die Gräzistik hat sich nur skeptisch und hypothetisch geäußert. Deichgräber schreibt: „Rufus hat De hum. gekannt, die Lehren der Schrift gern aufgenommen. Hat er keinen Kommentar zu De hum. geschrieben, so können wir manche seiner Sätze als Ersatz ansehen. Sollte er, was ihm ein Leichtes gewesen wäre, einen Kommentar geschrieben haben, so kennen wir seine Haltung zu Hippokrates gut genug, um sagen zu können, daß er sich aufs beste bemüht hätte, die Bedeutung dieser Schrift ins rechte Licht zu stellen“45. Dem sei hinzugefügt, daß in arabischen Quellen ein solcher Kommentar nicht erwähnt ist. In der arabischen Literatur ebenfalls unbekannt ist Rufus’ K o m m e n t a r z u m ‛ Π ρ ο ρ ρ η τ ι κ ό ν ’. Durch Galen ist er aber eindeutig bezeugt, denn in seinem eigenen Kommentar zu dieser hippokratischen Schrift zitiert Galen _______________ 44 Galen, In Hipp. Hum. comment. I 24 (Bd. XVI 196, 5 ff. Kühn). 45 Karl Deichgräber, Hippokrates’ De humoribus in der Geschichte der griechischen Medizin (Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Abhandl. d. geistes- und sozialwiss. Kl. 1972, Nr. 14), Wiesbaden 1972, p. 37.

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1307 wörtlich eine Stelle aus Rufus, der sich kritisch mit Zeuxis auseinandergesetzt hat46. Nachdem das Gebäude, das auf tönernen Fundamenten gestanden hatte, eingerissen ist, kann ein Neubau errichtet werden. Dabei soll gezeigt werden, was die arabische Tradition, kritisch befragt und behutsam ausgebeutet, zu leisten vermag.

III. Die Fragen des Arztes an den Kranken Die „Fragen des Arztes an den Kranken“ stehen heute in der ausgezeichneten Edition von Gärtner (s. p. 119 Anm. 8) zur Verfügung. Das Büchlein ist in zwei Handschriften, einem Parisinus und einem Vindobonensis, beide aus dem 15. Jhdt., überliefert. Schon Gärtner hatte vermutet, daß der Titel ‛Ἰατρικὰ ἐρωτήματα’ in dieser Form nicht original sei. Er habe etwa ‛Πῶς χρὴ τὸν νοσοῦντα ἐρωτᾶν’ oder ‛Περὶ τῶν τοῦ ἰατροῦ ἐρωτημάτων’ lauten können. Einen Anhaltspunkt liefert ibn abī Uṣaibiʿa, der im Schriftenverzeichnis des Rufus unter den Titeln, die er über ibn an-Nadīm hinaus kennt, eine ‛Maqāla fī Mā yanbaġī li-ṭ-ṭabīb an yasʾala ʿanhu l-ʿalīl’ aufführt47. In der genauen Rückübersetzung wäre ein Titel ‛Τί δεῖ τὸν ἰατρὸν ἐρωτᾶν τὸν νοσοῦντα’ zu erwarten. Außer der Titelangabe bei ibn abī Uṣaibiʿa gibt es kein unmittelbares Zeugnis für die Existenz einer arabischen Übersetzung der rufinischen Schrift. Jedoch hat im 9. Jhdt. Isḥāq ibn ʿAlī ar-Ruhāwī ein Werk über die Standeskunde und Ethik der Ärzte, das Kitāb Adab aṭ-ṭabīb’48, verfaßt, dessen siebtes Kapitel überschrieben ist: fī-mā yanbaġī li-ṭ-ṭabīb an yasʾala ʿanhu l-marīḍa waġairahū mimman yatawallā ḫidmatahū „Über das, wonach der Arzt den Kranken und andere Personen, die ihn pflegen, fragen muß“49. Rufus ist hier nicht mit Namen genannt, aber inhaltliche Übereinstimmungen legen die Vermutung nahe, daß ar-Ruhāwī die Schrift des Rufus gekannt hat. Ar-Ruhāwī rät zum Beispiel, nach Art, Umfang und Zeit der Nahrungsaufnahme des Patienten zu fragen, ob er ein Medikament verabreicht bekommen habe usw. Ein ortsfremder Arzt, der die Lage, Luft und Gewässer der Stadt nicht kennt, _______________ 46 Galen, In Hipp. Praedictionum Librum I comment. II 58 (Bd. XVI 636, 7 ff. Kühn) / II 23 (p. 73, 9 ff. Diels). 47 b. a. Uṣ. I 34, 11 f. 48 Ullmann Medizin 223 f. 49 The Conduct of the Physician by Al-Ruhāwī, Facs. ed. Frankfurt 1985, p. 134, 3‒139, 12.

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solle sich bei den Einheimischen danach erkundigen, bevor er seine Therapie beginne. Bei Kriegsverletzungen solle er fragen, ob die Pfeile vergiftet gewesen seien und dgl. Das alles hatte auch Rufus empfohlen (§§ 36 ff., 52 ff., 63 ff.). Am Ende des Kapitels erklärt ar-Ruhāwī, daß er sich hier kurzgefaßt habe, daß er aber das Problem der Fragen, ihrer Arten und ihrer richtigen Aufeinanderfolge in einer selbständigen Abhandlung (fī maqāla mufrada) ausführlich dar- 1308 gestellt habe. Wäre diese Schrift noch erhalten, so könnten wir sicherlich Genaueres über das Fortleben der ‛Ἐρωτήματα’ des Rufus in den Ländern des Islams sagen.

IV. Die Gelbsucht Von der Schrift über die Gelbsucht war bis vor kurzem nur das bekannt, was Aetios von Amida im 17. und 18. Kapitel des X. Buches seiner ‛Tetrabiblos’ mitteilt. Beide Kapitel haben den Icterus zum Gegenstand, und in der Überschrift des 17. Kapitels ist gesagt, daß die Ausführungen ἐκ τῶν Ῥούφου καὶ Γαληνοῦ stammen. Aber zwischen rufinischem und galenischem Gedankengut zu scheiden war nicht möglich. Da Olivieris Ausgabe für das Corpus Medicorum Graecorum nur bis zum VIII. Buch gediehen ist50, steht der Text der Gelbsuchtkapitel bisher nur in der unzureichenden Wiedergabe zweier Codices Parisini zur Verfügung, die Daremberg und Ruelle p. 377‒388 abgedruckt haben. Die Lösung der Frage, welche Passagen in diesen Kapiteln nun für Rufus zu reklamieren sind, hat der Codex Berolinensis Or. oct. 104 (Ahlwardt nr. 6232) ermöglicht. Dieser auf das Jahr 1290 datierte arabische Codex enthält fünf kleine medizinische Traktate, darunter den ‛Qaul Rūfus fī l-Yaraqān’, „Die Lehre des Rufus über die Gelbsucht“. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine integrale arabische Übersetzung der ursprünglichen Schrift, sondern um eine Epitome, in der aber glücklicherweise die Reihenfolge des Originals genau bewahrt ist. Die Kenntnis dieses arabischen Textes hat es außerdem ermöglicht, ein lateinisches Pseudepigraphon zu identifizieren: Die älteren lateinischen Galenausgaben enthalten unter den spurii libri zumeist auch den „Galeno ascriptus Liber de Cura icteri“ 51. Es ist in Wirklichkeit die Gelbsuchtschrift des Rufus, _______________ 50 Antonio Garzya, Problèmes relatifs à l’édition des livres IX‒XVI du Tétrabiblon d’Aétios d’Amida, Revue des Études Anciennes 86, 1984, 245‒257. 51 Galeni Opera omnia, ed. Diomedes Bonardus, Venetiis 1490, s. Richard J. Durling, A chronological census of Renaissance editions and translations of Galen, Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 24, 1961, p. 284.

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aber Nicolaus von Regium, der sie aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt hat, hatte einen Codex acephalus vor sich. Mit dem Anfang waren auch der Autorenname und der Titel verlorengegangen. So wurde der Text Galen zugeschrieben und der Titel aus dem Incipit erschlossen. Dieses Incipit, in Wahrheit der § 14 des Textes, lautet: Ad ycteri curam prima quidem duo sunt maxime necessaria voithemata, scilicet flebotomia et purgatio. Es ist aus dem Satz πρῶτον μέν ἐστι δύο τὰ μέγιστα βοηθήματα, φλεβοτομία καὶ κάθαρσις übersetzt, den Aetios zitiert. 1309 Mit der arabischen Kurzfassung und der lateinischen, am Anfang defekten, sonst aber vollständigen Übersetzung waren nun zwei Textzeugen zur Hand, mit deren Hilfe die rufinischen Sätze aus den beiden Gelbsuchtkapiteln des Aetios isoliert werden konnten. Dabei ließen sich 19 längere oder kürzere Fragmente feststellen. Zwar ist in keiner der drei Sprachen der Text des Rufus unversehrt erhalten; nimmt man aber alle drei Versionen zusammen, so hat man ihn so gut wie vollständig wiedergewonnen. Damit können folgende Aussagen gemacht werden: Die Schrift des Rufus war eine Monographie, nicht Teil eines größeren Werkes, wie Gossen (nr. 24) angenommen hatte. Ihr Titel hat aller Wahrscheinlichkeit nach ‛Περὶ ἰκτέρου’ gelautet. Sie ist klar und übersichtlich geschrieben und in fünf Hauptabschnitte gegliedert. Im ersten Abschnitt (§§ 1‒13) ist die Krankheit definiert. Es gibt einen hepatogenen und einen splenogenen Icterus. Bei der ersten Art sind der Urin, das Gesicht und die Skleren der Augen durch Galle gefärbt, bei der zweiten Art treten Verdauungsbeschwerden auf; die Farbe des Stuhls wird hell, die Farbe des Urins und der Haut sehr dunkel. Juckreiz, Appetitlosigkeit und Aversion gegen Süßigkeiten sind Symptome, die beiden Arten gemeinsam sind. Mit dieser Dichotomie steht Rufus ganz in hippokratischer Tradition52. Galen dagegen differenziert viel stärker. Er kennt letztlich sechs Arten der Gelbsucht: 1. Durch Obstruktion des Gallenganges kann ein „Stauungsicterus“ entstehen53. 2. Gelbsucht kann in der Krisis akuter Krankheiten auftreten. 3. Gelbsucht kann die Folge einer Dyskrasie sein, die die Funktion der Leber beeinträchtigt. 4. Der Biß eines giftigen Tieres kann eine Gelbsucht verursachen. 5. Ist die „anziehende Kraft“ der Gallenblase geschwächt, so vermag sie die Galle nicht mehr aus der Leber abzuziehen, was einen Icterus zur Folge hat. 6. Auch eine schlecht funktionierende Milz kann die Ursache für einen Icterus sein. _______________ 52 Vgl. Hipp. Epid. II 1, 10 (Bd. V 82, 5‒7 Littré); Hipp. De morbis II 38. 39 (Bd. VII 54, 1 ff. Littré). 53 Ein solcher Obstruktionsicterus ist auch in der pseudo-rufinischen Schrift ‛Περὶ ἀνατομῆς τῶν τοῦ ἀνθρώπου μορίων’ beschrieben (p. 176, 4‒9 D.-R.).

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Im zweiten Abschnitt (§§ 14‒39) spricht Rufus über die Therapie. Neben dem Abführen des Stuhls und dem Aderlaß werden verschiedene Heilmittel empfohlen. Dann folgen im dritten Abschnitt (§§ 40‒50) Ratschläge für eine geeignete Lebensweise: Umschläge, Fußmärsche und der Besuch des Bades sind angezeigt. Im vierten Teil (§§ 51‒67) sind die für den Patienten geeigneten Nahrungsmittel aufgeführt, und zuletzt (§§ 68‒77) folgt ein Katalog von Maßnahmen, die bei langandauernder Erkrankung oder bei Komplikationen angewendet werden sollen54.

V. Der Gedächtnisverlust Das Problem des Gedächtnisverlustes hat die antiken Ärzte offenbar wenig beschäftigt55. Als Galen einen Patienten zu behandeln hatte, der sein Gedächtnis verloren hatte, war er ratlos. Er erklärt, er kenne weder einen Lehrer, der dieses Leiden schon einmal kuriert habe, noch habe er in der älteren Literatur etwas darüber gefunden, bis er schließlich auf ein Büchlein des Archigenes von Apamea gestoßen sei. Es ist ein Brief, in dem Archigenes dem Marsos Rat erteilt, wie er das verlorene Gedächtnis seines Vaters wiederherstellen könne56. Galen teilt drei Exzerpte aus dem Brief im Wortlaut mit57 und referiert den Inhalt des übrigen mit sarkastischer Kritik: Sein Wunsch, zu erfahren, welche Diathese der Krankheit zugrundeliege, sei nicht erfüllt worden. Daher stellt Galen selbst Überlegungen an; er sucht zu bestimmen, in welcher Weise _______________ 54 Die Schrift des Rufus von Ephesos über die Gelbsucht in arabischer und lateinischer Übersetzung, herausgegeben von Manfred Ullmann (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Klasse, Dritte Folge, Nr. 138), Göttingen 1983. Vgl. dazu die Rezensionen: Vivian Nutton, Medical History, October 1984, p. 446 f.; John Scarborough, Isis 76, 1985, 118; Ursula Weisser, Der Islam 62, 1985, 369‒371; Jozef Brams, Scriptorium (Revue internationale des Études relatives aux Manuscrits) 1985/2, 177 (nr. 596); M. D. Grmek, History and Philosophy of the Life Sciences 7, 1985, 337. 55 J. B. Friedreich, Versuch einer Literärgeschichte der Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten. Von den ältesten Zeiten bis zum 19. Jahrhundert, Würzburg 1830; Hermann Siebeck, Geschichte der Psychologie, Erster Theil, erste Abtheilung: Die Psychologie vor Aristoteles, Gotha 1880; zweite Abtheilung: Die Psychologie von Aristoteles bis zu Thomas von Aquino, Gotha 1884; J. L. Heiberg, Geisteskrankheiten im klassischen Altertum, Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie 86, 1927, 1 ff. 56 Galen, De loc. aff. III 5 (Bd. VIII 147, 14‒160, 7 Kühn). 57 De loc. aff. III 5 (Bd. VIII 150, 10‒15; 153, 8‒10; 154, 7‒9 Kühn); vgl. Max Wellmann, Die pneumatische Schule bis auf Archigenes in ihrer Entwickelung dargestellt (Philologische Untersuchungen, hsgb. von A. Kiessling und U. von Wilamowitz-Moellendorff, 14. Heft), Berlin 1895, p. 48.

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Feuchtigkeit, Trockenheit, Wärme und Kälte das Gehirn affizieren58. Von einer Schrift des Rufus über diesen Gegenstand weiß er nichts. Wieder ist es, wie bei dem Buch über die Gelbsucht, Aetios von Amida, der den Titel und einige Exzerpte vermittelt, und wieder hat er Rufus und Galen zusammengefügt. Das 23. Kapitel des VI. Buches der ‛Tetrabiblos’ trägt die Überschrift ‛Περὶ μνήμης ἀπολωλυίας (Var. ἀπωλείας nach Cod. Athous Λαύρας 718), ἐκ τῶν Ῥούφου καὶ Γαληνοῦ’59. Die Titelform „Über das verlorene Gedächtnis“ bzw. „Über den Verlust des Gedächtnisses“ ist vermutlich richtig, denn der Inhalt zeigt, daß es eine Schrift zur Pathologie war. Ibn anNadīm schreibt: ‛Kitāb fī ḏ-Ḏikr, maqāla’60 „Ein Buch über das Gedächtnis, Monobiblon“. Ibn abī Uṣaibiʿa gibt statt dessen an: ‛Maqāla fī l-Ḥifẓ’ „Eine Abhandlung über die Gedächtniskraft“. Vielleicht hat er dieses Synonym dem ‛Ḥāwī’ des Rāzī entnommen, bei dem unter der Überschrift ‛Min qaul Rūfus 1311 fī l-Ḥifẓ’ „Aus der Lehre des Rufus über die Gedächtniskraft“ der entscheidende Textabschnitt steht61. Zurück zu Aetios. Die galenischen Passagen stammen aus den beiden erwähnten Kapiteln der Schrift ‛De locis affectis’. Schon Daremberg und Ruelle hatten diese Textteile ausgesondert, indem sie sie in Anführungsstriche gesetzt hatten, aber den Passus VIII 162, 10‒163, 2 (Kühn) hatten sie ebenso wie Ilberg übersehen, dessen Angaben (p. 36 Anm. 1) noch zusätzlich durch Druckfehler entstellt sind. Daher folgt hier zunächst die korrekte Zusammenfassung der Entsprechungen: Aet. (Olivieri) 1. 160, 15‒20 2. 160, 26‒161, 2 3. 161, 2‒8 4. 161, 8‒16

Galen. De loc. aff. (Kühn) III 6 (Bd. VIII 160, 13‒161, 2) III 6 (Bd. VIII 162, 10‒163, 2) III 7 (Bd. VIII 164, 15‒165, 4) III 7 (Bd. VIII 165, 13‒166, 5)

Zwischen der ersten und zweiten Passage sind sieben Zeilen eingeschoben, die sachlich einen Übergang zwischen beiden Textabschnitten bilden. Im 1. Passus spricht Galen davon, daß oft das Gedächtnis (μνήμη) und der Verstand (λογισμός) zugleich verlorengehen, wie das beim Lethargos und den Betäubungszuständen (τὰ καρώδη πάθη) der Fall sei. Die Therapie — so heißt es nun _______________ 58 De loc. aff. III 6 und 7 (Bd. VIII 160, 8‒168, 14 Kühn); Übs. von Charles Daremberg, Œuvres anatomiques, physiologiques et médicales de Galien, Tome II, Paris 1856, 554‒558. 59 D.-R. p. 363‒371 (Fragm. nr. 75); Ed. A. Olivieri, Bd. II p. 160, 15‒163, 30. 60 Fihrist 291 paen. / (Tǧd.) 350, 15. 61 Rāzī Ḥāwī 1, 94, 3‒95, 11 / (2. Aufl.) 156, 12‒159, 9 (dazu 1, 93, 17/156, 7); D.-R. p. 459 f. (Fragm. nr. 129).

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weiter ‒ solle, wenn diese Krankheiten noch andauern, entsprechend dem zuvor Erwähnten erfolgen. Seien diese Krankheiten abgeklungen, jedoch gleichzeitig in Gedächtnisschwund übergegangen, so müsse man die dominierende Qualität bestimmen. Der nun folgende 2. galenische Passus spricht von den Auswirkungen der Feuchtigkeit, Trockenheit und Kälte. Es ist leicht zu sehen, daß das Zwischenstück von Aetios stammt, der auf diese Weise geschickt einen Zusammenhang zwischen dem ersten und zweiten Galenzitat hergestellt hat. Im 4. Passus erzählt Galen die Geschichte eines Gelehrten und eines Weinbauern, die beide ihr Gedächtnis verloren hatten62. All dies steht wie das Vorhergehende noch im Zeichen der Beseitigung der Dyskrasien durch den Ausgleich des Trockenen mit dem Feuchten und dergleichen. Dann fährt der Text fort: Τούτων προσδιωρισμένων, τῆς θεραπείας ἐχώμεθα „Nachdem wir dies klargestellt haben, wollen wir uns der Therapie zuwenden“63. Auch dies ist wieder eindeutig eine redaktionelle Notiz von Aetios. Im folgenden aber werden nun verschiedene Fälle aufgezählt, bei denen Gedächtnisverlust auftreten kann, und in diesem Verlauf sind sieben Passagen durch ar-Rāzī als rufinisch bezeugt: 1. Aet. 161, 23‒162, 3 (= § 1) 2. Aet. 162, 5‒7 (= § 2) 3. Aet. 162, 23‒24 (= § 26) 1312 4. Aet. 163, 1‒4 (= § 27) 5. Aet. 163, 5‒9 (= § 19) 6. Aet. 163, 11‒20 (= §§ 20‒24) 7. Aet. 163, 24‒25 (= § 10). Bei einer achten Stelle (p. 162, 16 f. Olivieri) zitiert Aetios den Rufus ausdrücklich. Von den in den Zwischenteilen genannten Heilmitteln steht bei Galen nichts. Daraus folgt, daß der erste Teil des Kapitels 23 (bis ὠφελεῖτο, p. 161, 16) von Galen, der ganze zweite Teil (von εἰ μὲν ἐπὶ καθάρσεσι an, p. 161, 17) von Rufus stammt. Aber Rufus hatte, wie das Stück im ‛Ḥāwī’ lehrt, auch noch weitere Gesichtspunkte zur Sprache gebracht, die Aetios übergangen hat. Außerdem scheint Aetios die Anordnung der Schrift des Rufus geändert zu haben64. Daher soll im folgenden der Text aus dem ‛Ḥāwī’ übersetzt und mit den Exzerpten des Aetios konfrontiert werden. _______________ 62 Bd. VIII 165, 17 ff. Kühn. 63 Aet. Amid. VI 23 (p. 161, 16 f. Olivieri). 64 Zu den Eigenarten und Mängeln der Exzerpierungsweise des Aetios vgl. auch Fridolf Kudlien, Untersuchungen zu Aretaios von Kappadokien (Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Abh. d. geistes- und sozialwiss. Kl. 1963, Nr. 11), Wiesbaden 1964, p. 1169 f., 1186.

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Rāzī Ḥāwī 1, 94, 3‒95, 11/ 2156, 12‒ 159, 9: Aus der Lehre des Rufus über die Gedächtniskraft. (1) Die Vergeßlichkeit, die bei sonst gesundem Körper auftritt, ist ein Hinweis auf Epilepsie und Apoplexie.

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(2) Daher müssen sie [die Patienten] erwärmt werden und eine leichte Diät einhalten; es muß ihnen Honigwasser zu trinken gegeben werden; denn eine gute Verdauung ist gut für das Gedächtnis. (3) Trunkenheit, Übersättigung und das Wehen des südlichen Windes und alles, was den Kopf anfüllt, ist schlecht dafür. (4) Das trockene Temperament ist am geeignetsten für das Gedächtnis, aber das kalte ist nicht zuträglich. (5) Daher sollte das Temperament des Patienten, dessen Gedächtnis du schärfen willst, Schritt für Schritt dem Warmen und Trockenen angeglichen werden, aber nicht übermäßig, wodurch du ihn nur krankmachen würdest. (6) Man darf die Feuchtigkeit nicht zu sehr austrocknen, sondern nur in dem Maße, daß ihre Überschüsse vermindert werden. (7) Denn wenn die Feuchtigkeit zu stark reduziert (?) wird und im Körper nur noch wenig vorhanden ist,

Aet. Amid. VI 23 Περὶ μνήμης ἀπολωλυίας. Ἐκ τῶν Ῥούφου καὶ Γαληνοῦ. (Aet. p. 161, 23 ff.): Ὅσοις δὲ αἰφνίδιον ἐκλείποι ἡ μνήμη, τὰ δ’ ἄλλα ὑγιαίνειν δοκοῦσιν, ἐπὶ τούτων προσδοκᾶν δεῖ ἐπιληψίαν ἐπιγίγνεσθαι ἢ πάρεσιν ἢ καὶ ἀποπληξίαν ἢ καὶ ὅλως μέγα τι εὕροις ἐπ’ αὐτῶν κακόν. (Aet. p. 162, 5 ff.): κωλύει δὲ τὰ εἰρημένα νοσήματα πρῶτον μὲν ἡ λεπτύνουσα καὶ τμητικὴ δίαιτα, ἔπειτα δὲ καὶ καθάρσεις ἁρμόδιοι καὶ τὰ παραπλήσια.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus folgt diesem Zustand die Kälte des Temperamentes65, und dies ist für das Gedächtnis nicht zuträglich. (8) Wenn nun das Temperament der Kinder auch feucht ist, so verhilft ihnen doch zu einem trefflichen Gedächtnis der Umstand, daß ihr Denken [noch] frei von Beschäftigungen und von der eifrigen Hingabe an das Studium ist, denn die Hingabe an das Studium wird ihre Temperamente austrocknen. (9) Jedoch ist ihr Gedächtnis [noch] nicht wie das der Männer gefestigt. (10) Du darfst auch demjenigen, dessen Gedächtnis du schärfen willst, keine starken körperlichen Übungen abverlangen, [vor allem] keine Übung, die den Kopf anstrengt, (11) denn die starke körperliche Übung veranlaßt einen, viel Speise und Nahrung zu sich zu nehmen, wegen der Menge dessen, was sich vom Körper auflöst. (12) Die andere [d. h. die geistige Übung] erzeugt Feuchtigkeiten, die in den Kopf strömen. (13) Das Laufen aber und das Bewegen der Hände und dergleichen ist gut für ihn. (14) Hingegen ist das Waschen mit Wasser, sei es warm oder kalt, unzuträglich, (15) und zwar deshalb, weil das kalte [Wasser] den Körper erstarren läßt und die Sinne schädigt,

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(Aet. p. 163, 24 f.): ἀπεψίαν δὲ καὶ κόπον φυλακτέον παντάπασι τῶν τε ἄλλων σωμάτων καὶ μάλιστα τῆς κεφαλῆς καὶ αὐτῆς τῆς διανοίας.

_______________ 65 Statt bard al-mizāǧ hat Faragut offenbar fälschlich yubs al-mizāǧ gelesen, denn er übersetzt: siccitas complexionis.

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(16) während das warme [Wasser] die Nerven erschlaffen läßt und das Denken66 schwächt. (17) Zuträglich ist ihm im allgemeinen eine [die Säfte] verdünnende Diät (18) und daß er, wenn er übersättigt ist, es wieder erbricht und danach zwei Tage lang leichte Nahrung zu sich nimmt.

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(19) Er soll auch einschläfernde Nahrungsmittel fortlassen, wie Lattich, Mohn und die Dinge, von denen viel Dampf aufsteigt, wie Knoblauch, Zwiebel und Kohl67, es sei denn, er nimmt geringe Mengen von diesen.

(Aet. p. 163, 5 ff.): λαχάνων δὲ ὡς ἐπίπαν τῶν ψυχόντων πάντων ἀποχὴ ἔστω . . . τῆς δὲ δριμυτέρας ὕλης ἐκ διαστημάτων προσαγέσθω, οἷον σκόρδα θύμβρα ὀρίγανα γλήχων καὶ ῥαφανίδες.

(20) Das Trinken von Wein im rechten Maß ist besser als das Trinken von Wasser, weil der Wein im rechten Maß genossen die Seele erfreut und ihr Weisheit zukommen läßt, ihr eine schöne Bewegung und Erinnerung vermittelt und dem Betreffenden dazu verhilft, Sachverhalte schnell zu verstehen und sich zu erinnern, nachdem er vergessen hatte.

(Aet. p. 163, 11 ff.): οἶνος δὲ τούτοις ἁρμόδιος λευκὸς καὶ λεπτὸς καὶ μὴ πάνυ παλαιός· τῇ γὰρ μετρίᾳ θερμότητι ἄλλα τε δύναται οὐκ ὀλίγα καὶ ψυχὴν ἀνθρώπου ἡμερῶσαι καὶ πρὸς σοφίαν οἰκείαν ἐργάσασθαι, κίνησίν τινα αὐτῇ διδοὺς ἐμμελῆ καὶ καθεστηκυῖαν.

(21) Viel Wasser zu trinken ist dagegen schlecht, weil dieses kühlt und feucht macht, und das ist gerade das, was einen leicht vergessen läßt.

(Aet. p. 163, 15 ff.): πολυποσία δὲ ὕδατος καὶ πολλῷ μᾶλλον οἴνου, παντὸς κάκιστον· ὑγραίνει γὰρ σφόδρα τὴν κεφαλήν. ἡ δὲ ὑγρότης ἡ πλείστη ἐστὶν ἐπιλησμονεστάτη.

(22) Der Patient soll am Tage nicht viel schlafen, besonders dann nicht, wenn der Bauch voll ist.

ὕπνος σύμμετρος ἔστω, καὶ μὴ ἐπὶ πλησμονῇ παραλαμβανέσθω.

_______________ 66 Statt aḏ-ḏikr lies al-fikr „das Denken“. So auch Faragut: cogitatio. 67 Statt karanb hat Faragut kurrāṯ gelesen, denn er übersetzt mit porrum.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus (23) Überhaupt ist das viele Schlafen in dieser Hinsicht schlecht, denn es beschwert und macht träge. (24) Aber auch übermäßig langes Wachliegen und exzessive Kohabitation befördern die Vergeßlichkeit und lösen feste Gedankengänge auf. (25) Die Gewohnheit des Studiums ist dagegen eine treffliche Hilfe, denn das gibt der Seele das Erinnerungsvermögen wieder. (26) Nimmt man Späne von Elfenbein ein, so unterstützen sie das Gedächtnis68,

(27) ebenso das Abführen mit Springgurke, das Gurgeln und das Niesen, das das Phlegma abzieht.

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(Aet. p. 163, 18 ff.): ἀφροδισίων δὲ σπανιωτάτη ἡ χρῆσις ἔστω· οὔτε γὰρ τῇ ὅλῃ ὑγείᾳ λυσιτελεῖ, οὔτε τοῖς τῆς ψυχῆς λογισμοῖς, ἀλλὰ καὶ ἀθυμίαν ἐμποιεῖ.

(Aet. p. 162, 23 ff.): πεπίστευται δὲ μετὰ τὴν τῆς ἱερᾶς κάθαρσιν καὶ τὸ τοῦ ἐλέφαντος ῥίνισμα τῇ μνήμῃ βοηθεῖν πινόμενον ὅσον κοχλιάρια ¯β μετὰ μελικράτου. (Aet. p. 163, 1 ff.): ὠφέλιμα δὲ καὶ τὰ δι’ ἐλλεβόρου λευκοῦ καὶ καστορίου πταρμικὰ προσαγόμενα ταῖς ῥισὶ μετὰ τὰς κενώσεις, καὶ τὰ ἔρρινα προσαγόμενα ταῖς ῥισὶ καὶ ἀποφλεγματισμοί.

Zu einer genauen Herstellung des arabischen Textes und zur Rekonstruktion der Schrift des Rufus stehen außer diesem Abschnitt im ‛Ḥāwī’ noch je zwei kleinere Fragmente bei Sarābiyūn ibn Ibrāhīm, Kitāb al-Fuṣūl almuhimma, Ms. Bodl. Hunt. 461, fol. 14 a, ‒3 bis b 5 und fol. 15 b 11 f., sowie bei ibn al-Baiṭār, Kitāb al-Muġnī fī l-adwiya al-mufrada, Ms. Bodl. Hunt. 85, fol. 16 b 12—14 und 17 a 1 f., zur Verfügung. Diese hängen wahrscheinlich vom ‛Ḥāwī’ ab. Bedeutsam aber ist die anonyme Darstellung, die Avicenna in seinem ‛Canon’69 gibt. Er nennt Rufus’ Namen nicht, spricht jedoch von baʿḍ al-mutaqaddimīn „einem früheren [d. h. ‛antiken’] Autor“. Inhaltlich bestehen _______________ 68 Arab.: Wa-nušāratu l-ʿāǧi iḏā šuribat tuʿīnu ʿalā l-ḥifẓi. Der Satz kehrt auch Ḥāwī 1, 93, 17/156, 7 wieder, dort in der Form: Rūfus: nušāratu l-ʿāǧi tazīdu fī ḥifẓi ṣ-ṣiḥḥati „Späne von Elfenbein fördern die Erhaltung der Gesundheit“, was sicher eine Korruptele ist. 69 b. Sīnā Qānūn I 311, 28‒45 / (Būlāq) II 62, 10‒ult.

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weitgehende Übereinstimmungen mit dem ‛Ḥāwī’; es gibt jedoch auch zusätzliche Materialien, so daß anzunehmen ist, Avicenna selbst habe die Schrift des Rufus noch gesehen.

VI. Die Melancholie

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Der Verlust des Werkes ‛Περὶ μελαγχολίας’ ist besonders schmerzlich, da es möglicherweise die beste Schrift war, die die Antike zum Thema der Melancholie hervorgebracht hat. Galen rühmt die Bedeutung der Werkes, und Flashar hat in einer sorgfältigen Studie die Hauptgedanken des Rufus herausgearbeitet und ihren Platz in der Entwicklung des medizinischen Denkens bestimmt70. Flashar hatte nicht nur die drei Exzerpte aus der ‛Tetrabiblos’ des Aetios ausgewertet71, sondern auch etwa 25 Fragmente geprüft, die im ‛Ḥāwī’ des Rāzī stehen. Außerdem hatte er mehrere wertvolle Zitate und Testimonien zu seiner Verfügung, die Isḥāq ibn ʿImrān72 in seiner ‛Maqāla fī l‑Mālanḫūliyā’ und Constantinus Africanus in der lateinischen Übersetzung bzw. Bearbeitung dieser Schrift vermittelt haben73. Heute, mehr als zwanzig Jahre nach Erscheinen der Studie von Flashar, können noch einige weitere arabische Fragmente benannt werden. Vgl.: Yaʿqūb al-Kaskarī, Kunnāš, Ms. Aya Sofya 3716, Facs. Ed. Frankfurt 1985, fol. 124 b 8 ff.; Miskawaih, Maqāla fī l-Laḏḏāt wa-l-ālām, ed. Mohammed Arkoun, Bulletin d’Études Orientales 17, 1961‒62, 65, ‒6 f.; b. -Baiṭār Ǧāmiʿ I 61, ‒3; Sarābiyūn ibn Ibrāhīm, Kitāb al-Fuṣūl al-muhimma, Ms. Bodl. Hunt. 461, fol. 38 b, ‒5 ff.; b. Sīnā Qānūn I 313, 21 / II 65 ult. ff.; Muḥammad ibn ʿAlī ibn ʿAbd Allāh at-Tawahhumī, Kitāb al-Wāḍiḥ ad-dalīl fī mudāwāt al-ʿalīl, Ms. Chester Beatty 4012, fol. 13 a 10 ff. Die systematische Sammlung und Auswertung aller griechischen und arabischen Fragmente ist ein Desiderat. Zur Vervollständigung des Bildes sind aber auch die Stellen aus anderen Schriften des Rufus zu berücksichtigen, an denen er über die Melancholie spricht. Es sind dies vor allem der § 4 der _______________ 70 Hellmut Flashar, Melancholie und Melancholiker in den medizinischen Theorien der Antike, Berlin 1966, p. 84‒104. 71 Aet. Amid. VI 9 und 10 (Bd. II 143, 17‒145, 4; 146, 24‒28; 151, 9‒20 Olivieri) = D.R. Fragm. nr. 70‒72. 72 Gest. um 905; Ullmann Medizin 125. 73 Isḥāq ibn ʿImrān, Maqāla fī l-Mālīḫūliyā (Abhandlung über die Melancholie) und Constantini Africani Libri duo de Melancholia, hsgb. von Karl Garbers, Hamburg 1977. Zum Inhalt der Schrift des Isḥāq vgl. auch Manfred Ullmann, Islamic Medicine (Islamic Surveys 11), Edinburgh 1978, 72‒79.

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‛Quaestiones medicae’74 sowie die klinischen Fälle nr. 1‒5 und 16 in den ‛Krankenjournalen’ (s. Abschnitt XIII)75. In der arabischen Übersetzung trägt das Werk den Titel ‛Kitāb al-Mālanḫūliyā’ oder ‛Kitāb al-Mirra as-saudāʾ’. Es hat, wie ibn an-Nadīm76 und Isḥāq ibn ʿImrān bezeugen, zwei Bücher umfaßt. Im ersten war von den Ursachen und Symptomen der Krankheit, im zweiten von der Therapie die Rede. Rufus hat nur über e i n e Erscheinungsform der Melancholie geschrieben, die sogenannte ‛epigastrische’ oder ‛hypochondrische’ Erkrankung (al-ʿilla aššarāsīfīya). Galen hat dagegen drei Formen unterschieden. Für die Inhalte sei auf Flashars Buch verwiesen. Zu den Symptomen sei hier lediglich ergänzend 1317 erwähnt, daß der ‛Sprachfehler’ der Melancholiker nicht im Ersatz des s durch t besteht77. Sie artikulieren vielmehr den interdentalen Spiranten ṯ. Mit anderen Worten: Die Kranken lispeln78.

VII. Das Hauptwerk über die Diätetik Im medizinischen Denken des Rufus hat die Diätetik eine große Rolle gespielt. Es geht dabei um die Frage der rechten Lebensführung im weitesten Sinne, um Arbeit und Muße, Essen und Trinken, Bewegung und Ruhe, Geschlechtsverkehr und Enthaltsamkeit, Schlaf und Wachen, Freude und Trauer. Alles muß aufeinander abgestimmt sein, die maßvolle Ausgewogenheit garantiert Gesundheit, Harmonie, Einklang des Menschen mit sich und der Welt79. Die Diaita ist somit eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Erhaltung der Gesundheit; sie kann aber auch entscheidend zur Therapie der Krankheiten beitragen. Rufus hat über diätetische Fragen in einem großen, zusammenfassenden Werk sowie in zahlreichen kleineren Spezialschriften gehandelt. Das große Werk, ‛Περὶ διαίτης’, hat nach der ‛Suda’ fünf Bücher umfaßt80. Die arabischen Pinakes kennen vom ‛Kitāb at-Tadbīr’ allerdings nur zwei Bücher (maqālatān)81. Die Fragmente sind weit verstreut. Der Hauptzeuge ist Oreibasios, und _______________ 74 75 76 77 78

Dazu Gärtners Kommentar p. 52 f. Vgl. dazu den Kommentar p. 118‒120. Fihrist 291, 21 / (Tǧd.) 350, 10 = b. a. Uṣ. I 33 paen. Gärtner p. 53; Flashar p. 96. Rāzī Ḥāwī 1, 76, 8 / (2. Aufl.) 124, 2 = Fragm. nr. 127, 20 D.-R. Vgl. auch WKAS II 191 b 9 ff. 79 Ludwig Edelstein, Antike Diätetik, in: Die Antike 7, 1931, 255‒270. 80 ‛Suda’ Ρ 241 (Bd. IV 301, 33 Adler). 81 Fihrist 291, 22 / (Tǧd.) 350, 11 = b. a. Uṣ. I 34, 4.

144

Medizingeschichte

noch im 11. Jhdt. ist Rufus von Symeon Seth ausgeschrieben worden82. Die arabische Übersetzung ist handschriftlich verloren, aber zahlreiche Zitate bieten einen Ersatz. In seinem Buch über die Nahrungsmittel beruft sich Ḥunain ibn Isḥāq etwa dreißigmal auf Rufus. Im ‛Ḥāwī’ finden sich mindestens fünfzig Stellen83. Weiteres haben ibn Samaǧūn84 und ibn al-Baiṭār85 bewahrt. Alle diese Bruchstücke harren noch einer kritischen Bearbeitung und Auswertung.

VIII. Der Wein

1318

Obwohl in der ‛Suda’ ein Titel ‛Περὶ οἴνου’ als Monobiblon genannt ist, hatten Wellmann (p. 5), Gossen (nr. 13) und Ilberg (p. 38) angenommen, daß die Ausführungen des Rufus über den Wein dem zweiten Buche des großen Werkes ‛Περὶ διαίτης’ zuzuordnen seien, aus dem Oreibasios86 einen Abschnitt über den Wein nach Rufus zitiert. Sicher ist die Quellenangabe des Oreibasios richtig, aber Rufus hat den Wein nicht nur in seinem Werk ‛Περὶ διαίτης’ behandelt, sondern ihm auch eine Spezialschrift gewidmet, und diese meint der Verfasser der ‛Suda’. Denn seine Nachricht wird durch drei unabhängige arabische Zeugnisse bestätigt: Ibn an-Nadīm führt in Rufus’ Schriftenverzeichnis als die nr. 9 das ‛Kitāb Istiʿmāl aš-šarāb, maqāla’87, „das Buch über den Gebrauch des Weins, Monobiblon“ auf, ar-Rāzī zitiert an zwei Stellen seines ‛Ḥāwī’88 das ‛Kitāb aš-Šarāb’, „das Buch des Weins“, und abū Isḥāq Ibrāhīm ibn al-Qāsim, genannt ar-Raqīq an-Nadīm al-Qairawānī (2. Hälfte des 10. Jhdts.), hat seinem ‛Kitāb Quṭb as-surūr fī auṣāf al-ḫumūr’ drei kleine _______________ 82 Vgl. die Zusammenstellung der Fragmente bei Wellmann p. 5 Anm. 1 und Ilberg p. 26. 83 Im folgenden Verzeichnis sind die mir bekannten Zitate aus dem Hyderabader Druck des Ḥāwī nach Band und Seite zusammengestellt. In Klammern sind, soweit ich sie auffinden konnte, die entsprechenden Nummern der Fragmente bei D.-R. angegeben: Ḥāwī I 162 (nr. 135); 182 (137); XV 211 (336); XX 145 (475); 169 (430); 206 (471); 217 (405); 325 (494); 362 (403); 388 (467); 429 (430); 434 (456); 449 (404); 516 (458); 533 (476 und 477); 538 (450); 564 (463); 568; XXI 11 (440); 45; 60 (468); 64 (433); 75 (483‒ 485); 148 (464); 156 (489); 205; 219 (478, 480 und 481); 249 (462); 286 (444); 291 (442); 310; 324; 349 (482); 352 (445); 363 (491); 374 (410); 381 (438); 386 (473 und 474); 400 (408); 434 (452); 464 (435); 523 (411); 588 (465 und 466); XXIII 1, 74 (374). 84 GAS VII 376. 85 b. -Baiṭār Ǧāmiʿ I 152, 17; II 59, 11; 66, 18; 164, 9; IV 78, 15. 86 Orib. Coll. med. V 7 (Bd. I 126, 24 ff. Raeder). 87 Fihrist 291, 19 / (Tǧd.) 350, 8 f. 88 Ḥāwī 21, 90, 12 ff. (D.-R. Fragm. nr. 492); 23, 1, 104, 1 ff. (D.-R. nr. 375).

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus

145

Sätze sowie eine lange Passage aus dem ‛Kitāb aš-Šarāb’ des Rufus einverleibt89, ja er kennt sogar den Übersetzer der Schrift: Es war Qusṭā ibn Lūqā (gest. 912), ein sprachkundiger und geistreicher Gelehrter, der über philosophische, mathematische und medizinische Themen geschrieben hat90. Schließlich gibt es einen weiteren Zeugen für die Verbreitung der Schrift des Rufus unter den Arabern, nämlich Isḥāq ibn Sulaimān al-Isrāʾīlī. Dieser hat ein großes Werk über die Nahrungsmittel verfaßt, das ‛Kitāb al-Aġḏiya’91, das mit einem Kapitel über den Wein schließt92. Neben Galen, Hippokrates und Dioskurides nennt Isḥāq zweimal Rufus mit Namen; nur den Titel des Buches erwähnt er nicht. Aber manche seiner Ausführungen sind einfach Amplifikationen oder Paraphrasen des rufinischen Textes. Rufus sagt z. Β. (Fragm. I § 2): „Wenn du zwei Männern die gleiche Nahrung vorsetzt und dem einen 1319 Wasser, dem anderen Wein zu trinken gibst, so wirst du zwischen beiden hinsichtlich des Ausmaßes der Wärme einen großen Unterschied finden“. Bei Isḥāq (fol. 208 a 20 ff.) ist der Satz folgendermaßen formuliert: „Wenn ein Mensch sich an zwei Männer wenden würde, die hinsichtlich der Kraft, des Alters, des Temperamentes und der Gewohnheit gleichgeartet sind, wenn er beiden die gleiche Nahrung vorsetzen würde, zur selben Zeit und im selben Klima, wenn er dann den einen auffordern würde, Wein zu trinken, den anderen aber nur Wasser trinken ließe, so fände er zwischen beiden hinsichtlich der guten Verdauung und der Kraft der ‛eingepflanzten Wärme’ eine weite Diskrepanz, denn er findet diese Dinge beim Weintrinker kräftiger und besser, beim Wassertrinker schwächer und rauher. So sagt Rufus“. _______________ 89 Ar-Raqīq al-Qairawānī, Kitāb Quṭb as-surūr, ed. Aḥmad al-Ǧundī, Damaskus 1969, p. 227, 5‒233, 2 / ed. ʿAbd al-Ḥafīẓ Manṣūr, Tunis 1976, p. 327, 15‒330, 11. 90 Georg Graf, Geschichte der christlich arabischen Literatur II 30‒32; Ullmann Medizin 126‒128; Martin Pelster, Die Abhandlung des Qusṭā ibn Lūqā über die Länge und Kürze des Lebens und die Physiognomie der Langlebigen, Diss. Mainz 1985; Hartmut Fähndrich, Abhandlung über die Ansteckung von Qusṭā ibn Lūqā (Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes 48,2), Stuttgart 1987. 91 Ullmann Medizin 200. 92 Ms. Madrid, Biblioteca Nacional 557 (neu 5686), fol. 208 a 5 ff. Ich verdanke Kopien einiger Folia dieser Handschrift der Freundlichkeit von Herrn Prof. Dr. Rainer Degen, München. Thesaurus sanitatis de victus salubris ratione ... sive De dietis universalibus et particularibus Libri II. Ab Isaaco Iudaeo Salomonis Arabiae Regis adoptivo filio lingua arabica conscripti, et nunc primum latinitate donati, Opera Jo. Posthii, Antverpiae 1607, p. 568‒605.

146

Medizingeschichte

Die Inhalte der Schrift ‛Περὶ οἴνου’ können hier nicht im einzelnen dargestellt werden93. Es sei nur erwähnt, daß Rufus in Fragm. I §§ 15‒17 Gedanken aus der hippokratischen Schrift ‛De aere aquis locis’ wiederaufgenommen hat, daß er in §§ 22‒24 über die unterschiedlichen Trinksitten der Perser und Griechen spricht, und daß er in §§ 8 und 9 rät, auch Kleinkindern und Kindern Wein zu geben, so viel sie vertragen können, weil die natürliche Wärme in ihnen noch nicht das volle Maß erreicht habe. Diese letztere Maßnahme verteidigt Rufus in seinem Buch ‛Περὶ κομιδῆς παιδίου’ ausdrücklich. Die arabischen Textstücke ermöglichen es nun aber auch, die Quellen, die Oreibasios verwertet hat, genauer zu bestimmen. Daß er in den ‛Collectiones’ nach seinem eigenen Zeugnis das zweite Buch der Schrift ‛Περὶ διαίτης’ ausgeschrieben hat, war schon erwähnt worden. Aber Oreibasios bringt auch in seinen sog. ‛Euporista’ einen kleinen Abschnitt über den Wein94, gibt dort aber, der Anlage des Buches entsprechend, keine Quelle an. Vergleicht man diesen Abschnitt nun mit den arabischen Fragmenten, so ergeben sich Übereinstimmungen, die nicht zufällig sein können. Man darf daher annehmen, daß Oreibasios in den ‛Euporista’ die Schrift ‛Περὶ οἴνου’ benutzt hat. Obwohl er den Gegenstand nur summarisch behandelt und also die rufinische Schrift nicht durchweg wörtlich zitiert hat, lassen sich einige Sätze oder Satzteile isolieren, in denen der originale Wortlaut des Rufus bewahrt ist.

IX. Die Milch Ungeklärt war bisher die Frage, ob Rufus eine Monographie über die Milch 1320 verfaßt hat. Zwar ist in dem kleinen Pinax in der ‛Suda’ an siebter Stelle ein Titel ‛Περὶ γάλακτος βιβλίον ᾱ’95 genannt, aber Gossen (nr. 13) und Ilberg (p. 37) waren der Meinung, daß diese Angabe „ungenau“ sei und daß es sich dabei nicht um ein selbständiges Buch, sondern um einen Teil des fünfbändigen Werkes ‛Περὶ διαίτης’ handele, dem u. a. Oreibasios das Kapitel über das Trinken der Milch entnommen hat. Die Quellenangabe bei Oreibasios ist nun in der Tat so präzise, daß an der Herkunft dieses Stückes nicht zu zweifeln ist. Sie lautet: _______________ 93 Die arabischen Fragmente sind deutsch übersetzt bei Manfred Ullmann, Neues zu den diätetischen Schriften des Rufus von Ephesos, oben, p. 66‒73. 94 Orib. ad Eunapium I 12 (p. 328, 33‒329, 15 Raeder). 95 ‛Suda’ Ρ 241 (Bd. IV 302, 1 Adler).

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus

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Ἐκ τῶν Ῥούφου, περὶ γαλακτοποσίας· κεῖται ἐν τῷ λόγῳ τῷ περὶ διαίτης πέμπτῳ ἐν τοῖς μέσοις τοῦ λόγου96. Wenn nun Gossen und Ilberg mit ihrer Vermutung recht hätten, so müßten auch die umfangreichen Passagen über die Milch, die Aetios nach Rufus mitteilt, aus dem Werk ‛Περὶ διαίτης’ stammen97. Wie die arabische Überlieferung lehrt, ist dies jedoch nicht der Fall. Zwar gibt es bei arabischen Medizinern Zitate, die mit den Worten Rūfus fī šurb al-laban „Rufus über das Trinken der Milch“ eingeleitet werden. Das wichtigste dieser Stücke findet sich bei Ḥunain ibn Isḥāq, ‛Kitāb al-Aġḏiya’, Ms. Ḫudābuḫš 2142, fol. 105 a paen. ‒ 106 a 898. Sein Inhalt stimmt mit den Kapiteln ‛περὶ γαλακτοποσίας’ in den ‛Collectiones medicae’ des Oreibasios (II 61)99 und in der ‛Synopsis ad Eustathium’ (IV 40)100 überein. Wie ein Textvergleich lehrt, hat Ḥunain nicht die Kurzfassung, sondern das Hauptwerk des Oreibasios als Quelle benutzt. Kürzere Zitate unter dem Stichwort šurb allaban „das Trinken der Milch“ (auch fälschlich ‛Kitāb Šurb al-laban’) gibt es ferner bei ar-Rāzī101 und bei Muḥammad ibn Yūsuf, ‛Kitāb al-Ḥarāra alġarīzīya’102. Auch diese Stellen stimmen inhaltlich mit dem Oreibasios-Kapitel überein; sie sind demnach entweder direkt der arabischen Oreibasios-Übersetzung oder mittelbar Ḥunains ‛Kitāb al-Aġḏiya’ entnommen. Letztlich gehen sie auf Rufus’ Werk ‛Περὶ διαίτης’ zurück; sie können also nicht als Zeugen für eine selbständige Schrift ‛Περὶ γάλακτος’ dienen. Aber es gibt andere Stellen, die die Existenz einer solchen Monographie beweisen: Zum einen bezeichnen auch die arabischen Bibliographen, nicht minder genau als es der Verfasser der ‛Suda’ tut, den Titel als Monobiblon: ‛Kitāb al-Laban, maqāla’103. Zum anderen gibt es eine Anzahl von Zitaten bei verschiedenen Autoren, deren Lemmata ‛Rūfus fī Kitāb al-Laban’ „Rufus im _______________ 96 Orib. Coll. med. II 61 (Bd. I 59, 6 ff. Raeder), vgl. auch D.-R. p. 297 nr. 8. 97 Aet. Amid. II 86‒103 (Bd. I 180, 5‒189, 22 Olivieri); stark gekürzt zuvor abgedruckt bei D.-R. p. 314‒317 (Fragm. nr. 57‒59). 98 Eine Abschrift dieser Passage verdanke ich der Freundlichkeit von Herrn Prof. Dr. Rainer Degen, München. 99 Bd. I 59, 6 ff. Raeder. 100 Bd. III 148, 15 ff. Raeder. 101 Ḥāwī 6, 58, 11 f.; 7, 272 paen. ff.; 23, 1, 72, 6 und 104, 11 f. 102 Ms. Göttingen arab. 291. 8° s.v. laban. Zum Autor vgl. GAL S II 592 nr. 1; 1031 nr. 41. 103 Ibn an-Nadīm, Fihrist 291, 23 / (Tǧd.) 350, 12; b. a. Uṣ. I 34, 6.

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Medizingeschichte

1321 Buch der Milch“104 oder ‛Rūfus fī Maqālatihī fī l-Albān’ „Rufus in seiner Abhandlung über die Milcharten“105 lauten. Unter diesen Zitaten findet sich nun ein langer Passus bei ar-Rāzī, der bisher unbeachtet geblieben ist, weil er unter den lateinischen Fragmenten in der Ausgabe von Daremberg und Ruelle fehlt. Er bietet den Schlüssel zur Lösung des Problems, denn trotz aller Kürzungen und Entstellungen ist es ein vollständiger Abriß der Schrift ‛Περὶ γάλακτος’, d. h. ihrer arabischen Übersetzung, des ‛Kitāb al-Laban’106. Vergleicht man ihn mit den entsprechenden Kapiteln in der ‛Tetrabiblos’ des Aetios, so ergeben sich im Aufbau und Inhalt so viele Übereinstimmungen, daß die Schrift des Rufus in allen wesentlichen Stücken rekonstruiert werden kann. Die Überschrift des Aetios ‛Ἐκ τῶν Ῥούφου καὶ Γαληνοῦ περὶ γάλακτος’ ist somit folgendermaßen zu verstehen: Aetios hat für die Kapitel 86‒103 des zweiten Buches drei Quellen gehabt: Die Schrift des Rufus ‛Περὶ γάλακτος’ sowie die großen Werke Galens ‛Περὶ κράσεως καὶ δυνάμεως τῶν ἁπλῶν φαρμάκων’ (Buch Χ 2, 7) und ‛Περὶ τροφῶν δυνάμεων’ (Buch III 14). Seiner Kompilatorenmanier entsprechend hat Aetios bald das eine, bald das andere dieser Bücher ausgeschrieben, so daß keines in fortlaufendem Kontext wiederkehrt. Gelegentlich nennt er die Autoren, denen er verpflichtet ist, expressis verbis: Rufus auf p. 180, 13, Galen auf p. 184, 14; 185, 11; 187, 5; 188, 1.7 und 189, 7.16. Der Herausgeber Olivieri hat ein übriges getan und die einzelnen Passagen in ‛De simpl. med. temp. ac fac.’ und ‛De alim. facult.’ lokalisiert. Die verbleibenden Textstücke sind dann im wesentlichen rufinisches Gut, d. h. sie stammen aus Rufus’ Schrift ‛Περὶ γάλακτος’. Diese komplizierten Überlieferungsverhältnisse sollen in dem folgenden Schema veranschaulicht werden.

_______________ 104 z. B. Ḥāwī 1, 102 ult. ff.; 21, 440, 3 ff.; 467, 11; b. -Baiṭār Ǧāmiʿ IV 98, 17 f. 22 f.; 99, 3; ibn Samaǧūn, s. Fuat Sezgin, GAS VII p. 376, Nachträge zu III 66 nr. 15. 105 Yaʿqūb al-Kaskarī, al-Kunnāš, Facs. ed. Frankfurt 1985, fol. 161 b, ‒4. 106 Ḥāwī 21, 2, 440, 3‒447, 7. Daraus abgeschrieben b. -Baiṭār Ǧāmiʿ IV 96, 28‒97, 26 (s.v. laban), 132, 22‒ult. (s.v. māʾ al-ǧubn) und I 158, 14‒17 (s.v. ǧubn). Da ibn al-Baiṭār eine andere und zum Teil bessere handschriftliche Vorlage gehabt hat als die Hyderabader Editoren, kann der Text des ‛Ḥāwī’ in manchen Punkten nach dem ‛Ǧāmiʿ ’ verbessert werden.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus

149

A.D. 100

1322 Rufus Περὶ διαίτης

Rufus Περὶ γάλακτος

Darin enthalten als mittlerer Teil des 5. Buches: περὶ γαλακτοποσίας

360

Orib. Coll. med. II 61

550

Aet. Amid. II 86‒103: Ἐκ τῶν Ῥούφου καὶ Γαληνοῦ περὶ γάλακτος

850

Ḥunain Orib. Coll. med. Aġḏiya versio arabica

Rufus De diaeta versio arabica

Rufus De lacte versio arabica

900

Rāzī Ḥāwī udT. Rūfus, šurb al-laban

Rāzī Ḥāwī udT. Rūfus, K. at-Tadbīr

Rāzī Ḥāwī udT. Rūfus, K. al-Laban

1230

b. al-Baiṭār, Ǧāmiʿ

Der folgenden Textrekonstruktion müssen noch einige Worte voraus- 1321 geschickt werden. Ar-Rāzī gibt zwar ein vollständiges Exposé der Schrift des Rufus, jedoch kürzt er stark, wie er es bei fast all seinen Exzerpten im ‛Ḥāwī’ tut. Zum Teil läßt er Wörter, Sätze oder ganze Passagen aus, zum Teil resümiert er seine Quelle mit knappen Worten. Ein Mißverständnis, wie es in § 36 vorliegt, muß nicht zu Lasten des (unbekannten) Übersetzers gehen, sondern es kann das Resultat von ar-Rāzī’s rigorosem Telegrammstil sein. An zwei Stellen (§§ 15 und 53) war es möglich, den Text dadurch zu ergänzen, daß Sätze interpoliert wurden, die in anderen Teilen des ‛Ḥāwī’ überliefert sind107. _______________ 107 Interpolationen sind in der folgenden Synopse unter Angabe der Quellen in eckige Klammern gesetzt.

150

Medizingeschichte

Daß auch Aetios größere Abschnitte der rufinischen Schrift übersprungen hat, ist schon oben gesagt worden. Seine Darlegungen in Kap. 93 (p. 183, 3 ff. Olivieri) handeln über das γαλακτοποτεῖν; hier hat er stark gekürzt, wie die 1323 wesentlich längeren Texte bei ar-Rāzī zeigen (§§ 54‒79). Die fehlenden Sätze habe ich aus dem Kapitel ‛περὶ γαλακτοποσίας’ des Oreibasios genommen und interpoliert. Das schien gerechtfertigt, nachdem sich herausgestellt hatte, daß in Teilbereichen beide Schriften des Rufus, ‛Περὶ διαίτης’ und ‛Περὶ γάλακτος’, denselben Inhalt haben, wie es ja auch natürlich ist. Aber offenbar ist das Thema „Milch“ in ‛Περὶ διαίτης’ nur beiläufig unter dem Gesichtspunkt, wie man sie einnehmen soll und welche Wirkungen sie hat, erwähnt. ‛Περὶ γάλακτος’ ist dagegen eine systematische Monographie, in der alle Milcharten unter verschiedensten Aspekten beschrieben sind und in der auch der Molke und des Käses gedacht ist. Rāzī Ḥāwī 21, 440, 3‒447, 7: Rufus sagt im Buch der Milch:

Aet. Amid. II 86‒103 (Bd. I p. 180, 5‒189, 22 Olivieri): Ἐκ τῶν Ῥούφου καὶ Γαληνοῦ περὶ γάλακτος:

(1) Die Milch ist verschieden gemäß der Verschiedenheit der Tiere nach Art, Alter, Erscheinungsbild (saḥna), Futter, körperlicher Anstrengung, nach dem zeitlichen Abstand vom Werfen, nach ihrer Zubereitung und Substanz. (2) Hinzu kommt noch der Unterschied, [cf. Galen. De simpl. med. X 2, 7 daß die Milch sowohl Heilmittel als (Bd. XII 263, 12 ff. Kühn) = Aet. p. auch Nahrungsmittel sein kann. 180, 5 f.: διττὴν ἔχει τὸ γάλα χρείαν, τὴν μὲν ἑτέραν ὡς τροφήν, τὴν δὲ ἑτέραν ὡς φάρμακον] (3) Und auch dies ist verschieden gemäß der Körper(konstitution der Menschen). Denn es gibt Menschen, die es nicht belastet, wenn sie nur wenig trinken; wenn sie aber viel trinken, so ist das Gegenteil der Fall. Er sagt: (4) Die Milch der Kamele ist die dünn- (Aet. p. 180, 16‒18): ὑγρότατον δὲ ste Milchart; sie sinkt aus dem Magen καὶ λεπτότατον καὶ ἥκιστα λιπαρὸν am langsamsten herab, obwohl die wäss- τὸ τῆς καμήλου, διαχωρεῖ δὲ ἧσσον rige Substanz in ihr beträchtlich ist. καίτοι ὀρρὸν πλεῖστον ἔχον.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus Dies ist durch Erfahrung gesichert. (5) Die Milch der Schafe ist die dickste Milchart; sie ergibt den meisten Käse; sie sinkt langsam herab; sie entzündet den Bauch. (6) Die Milch der Pferdestuten und Eselinnen sinkt am schnellsten herab.

(7) Die Milch der Kühe hat eine treffliche Nährkraft, führt aber ein wenig ab. (8) Die Ziegenmilch führt schwächer ab als die Kuhmilch. In den übrigen Belangen ist ihr Nutzen mäßig. (9) Die Milch der Schweine ist schon einmal gegen Schwindsucht verabreicht worden108. Wer sie aber ständig zu sich nimmt, in dem erzeugt sie [weißen] Aussatz (waḍaḥ). (10) Die Milch der Frauen kann man ins Auge träufeln. Der Schwindsüchtige soll sie an der Brust trinken, so wie das Baby saugt; dann macht sie fett und heilt alsbald die Geschwüre, die in der Lunge sind.

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ἀλλ’ οὕτως ὦπται τοῖς πειράσασιν ἔκπαλαι. (Aet. p. 180, 22 f.): τὸ δὲ τοῦ προβάτου παχύτερον τούτου. (Aet. p. 181, 2 f.): ταῦτ’ ἄρα καὶ εἰς 1324 διαχώρησιν οὐκ ἀγαθόν, καὶ καυσῶδες τῇ κοιλίᾳ. (Aet. ρ. 180, 18‒21): τὸ δὲ ἵππειον διαχωρητικώτερον, ὁμοίως δὲ καὶ τὸ ὄνειον· ἥκιστα δὲ τοῦτο μετέχει τοῦ λιπαροῦ χυμοῦ, διὸ καὶ σπανίως ἐτυρώθη τινὶ κατὰ γαστέρα. (Aet. p. 180, 15 f.): τὸ μὲν γὰρ τῶν βοῶν παχύτατόν ἐστι καὶ λιπαρώτατον, θρέψαι τε καὶ τὰ μόρια ὑπελθεῖν ἀγαθόν. (Aet. p. 180, 21 f.): αἴγειον δὲ σύμμετρον τῇ συστάσει καὶ καθῆραι μὲν ἀσθενέστερον βοείου, τὰ δ’ ἄλλα ἐπιεικῶς χρηστὸν καὶ θρέψαι ἱκανόν. (Aet. p. 180, 24‒181, 2): τὸ δὲ τῆς ὑὸς παχύτατόν ἐστιν, ὡς μηδὲ πιτύας δεῖσθαι εἰς τὸ πήγνυσθαι, καὶ ὀρρὸν ἀποκρίνειν βραχὺν καὶ ἕψοντι τάχιστα συνίσταται. (Aet. p. 180, 23 f.): λεύκας δὲ ὑπὸ τῷ δέρματι ποιεῖν εἴωθεν, εἴ τις συνεχῶς αὐτὸ προσφέροιτο. [cf. Diosc. Mat. med. II 70, 6 (Bd. Ι 145, 12 ff. Wellm.): τὸ δὲ τῆς γυναικὸς γάλα . . . ὠφελεῖ δὲ θηλαζόμενον στομάχου δῆξιν καὶ φθίσιν . . . ἐνστάζεται τοῖς ἐκ πληγῆς αἱμαχθεῖσιν ὀφθαλμοῖς . . .]

_______________ 108 Var. „Mit der Schweinemilch pflegte ich die Schwindsucht zu heilen“: b. -Baiṭār Ǧāmiʿ IV 99, 3.

152

Medizingeschichte

(11) Kriterien zur Beurteilung der (Aet. p. 181, 4 f.): Περὶ διαφορᾶς Milch. γάλακτος ἀπὸ τῆς ἕξεως τῶν ζῴων. δῆλον δέ που ὅτι πᾶν ὑγιεινὸν ἱερεῖον κάλλιον ἂν παρέχοι γάλα τοῦ νοσοῦντος. (12) Man kann aus der Gesundheit und (Aet. p. 181, 6‒8): τὰς δὲ νόσους 1325 Krankheit des Tieres auf die Milch τῶν ζῴων συλλογίζεσθαι δυνατόν, schließen nach den Anzeichen, die sich λεπτότητι τοῦ δέρματος κατανοῶν anbieten: Die dünne Haut, die Spär- καὶ μαδαρότητι καὶ φύμασι καὶ lichkeit und das Ausfallen der Haare λειχῆσι καὶ ψώραις καὶ ἀσιτίαις. sowie die Verweigerung des Futters weisen darauf hin, daß es krank ist. (13) Man muß sich also vor der Milch eines kranken Tieres hüten, es sei denn, man beabsichtigt eine Purgierung. Denn diese Milch sinkt besonders schnell hinab. (14) Die Milch eines gesunden Tieres ist sehr nahrhaft und wohlschmeckend. (15) [Rāzī Ḥāwī 21, 467, 11: Rufus im (Aet. p. 181, 8 f.): καὶ τὰ μελάντερα Buch der Milch: Das Fleisch eines τῶν ἀλόγων ὡς ἐπίπαν ἰσχυρότερα, schwarzen Tieres ist leichter als das ὥσπερ τὰ κρέα αὐτῶν δηλοῖ ἡδύeines weißen.] Die Milch eines weißen τερα ὄντα, τὰ δὲ λευκὰ ἀσθενέστεTieres ist schwach, ist es — ich meine ρα. das weiße Tier — doch selbst schwächlich. Ein schwarzes (Tier) ist stets kräftiger und besser in der Lage, den Wechsel der (Jahres-)Zeiten zu ertragen. Seine Milch ist wertvoller; sie sinkt langsamer herab. Die Milch eines weißen Tieres sinkt schneller herab. (16) Die Milch nach Maßgabe der Jah- (Aet. p. 181, 10): Περὶ τῆς ἀπὸ τῶν reszeit. ὡρῶν τοῦ ἔτους διαφορᾶς τοῦ γάλακτος. (17) Im Frühling ist die Milch feuchter (Aet. p. 181, 11 f.): κατὰ δὲ τὰς und dünner. ὥρας τοῦ ἔτους ὑγρότατον μέν ἐστι καὶ λεπτότατον τὸ ἐαρινόν, τουτέστι τὸ μετὰ τὴν κύησιν.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus (18) Im Sommer ist sie dichter und viel trockener, denn die Vegetation ist zu diesem Zeitpunkt trockener als zur Frühlingszeit. Aus diesem Grunde ist die Milch fetter und dicker, denn das (Futter), das die Tiere fressen, wird gut verdaut.

(19) Die Milch nach Maßgabe der Weide. Er sagt:

(20) Ein Tier, das in Sümpfen und Wiesen weidet, hat feuchtere Milch.

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(Aet. p. 181, 12‒14): παχύνεται δὲ κατὰ βραχὺ προιόντι τῷ χρόνῳ ὡς κατὰ μέσον τὸ θέρος ξηρότερον καὶ παχύτερον γίγνεσθαι.

(Aet. p. 181, 14): ἐπῄνηται δὲ τὸ θερινὸν ὡς εὐπεπτότερον καὶ εὔοσμον. (Aet. p. 181, 15‒17): Περὶ τῆς ἀπὸ τῆς νομῆς διαφορᾶς τοῦ γάλακτος. καὶ παρὰ τὴν νομὴν δὲ διαφορὰ πλείστη ἐν τῷ γάλακτι εὑρίσκεται. πόαν γὰρ σιτεῖται μὲν ἄλλα ἄλλην. (Aet. p. 181, 17 f.): καὶ ἡ μὲν χλωρὰ πόα καὶ ἡ παρὰ τὰ ὕδατα ὑγρότερον καὶ ἐλάχιστον τὸ γάλα παρασκευάζει, (Aet. p. 181, 18 f.): ἡ δὲ σκληροτέρα καὶ ὀρεινὴ ἐπιτήδειος εἰς γάλακτος χρηστοῦ καὶ πολλοῦ γένεσιν.

(21) Ein Tier, das auf Felsen und Bergen weidet, hat trockenere und wärmere Milch. (22) Weidet es in den Sümpfen, so löst (seine Milch) den Bauch leichter. (23) (Aet. p. 181, 19‒21): τὰ μὲν γὰρ στύφοντα πάντα χορτάσματα στρυφνὸν παρέχει τὸ γάλα καὶ σταλτικόν, (24) Die Milch aber, die entsteht, wenn (Aet. p. 181, 21 f.): τὰ δὲ δριμέα abführende Heilpflanzen gefressen wer- καὶ μάλιστα καθαίροντα, ὥσπερ ἡ den, hat abführende Wirkung. σκαμμωνία καὶ ὁ ἐλλέβορος καὶ τιθύμαλλοι, ταρακτικόν, κύτισος δὲ λιπαρὸν καὶ γλυκύ. (25) Die Milch gemäß dem Alter: (Aet. p. 181, 23): Περὶ τῆς ἡλικίας διαφορᾶς γάλακτος. (26) Die beste Milch liefert das voll aus- (Aet. p. 181, 23‒25): παρὰ δὲ τὰς gewachsene Tier. Die Milch des jungen ἡλικίας τῶν ἀκμαζόντων ζῴων τὸ Tieres ist recht feucht; die Milch des γάλα κάλλιστον, τῶν δὲ νέων ὑγρόaltersschwachen ist trocken. τερον, τῶν δὲ πρεσβυτέρων ξηρότερον.

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Medizingeschichte

(27) Die Milch gemäß der körperlichen Übung: Die Milch eines Tieres, das sich viel anstrengt, ist dünn und leicht verdaulich; und so auch umgekehrt. (28) Die Milch gemäß dem Geschmack und der Substanz: (29) Die saure, dünne, dichte und salzige Milch ist schlecht. Die süße Milch, die eine gleichmäßig dichte Konsistenz hat, ist dagegen gut.

[cf. Galen. De simpl. med. X 2, 7 (Bd. XII 264, 1 ff. Kühn) = Aet. p. 180, 7‒9: τὸ τοίνυν ὑγιεινότατον γάλα . . . καθαρόν ἐστι καὶ εἰλικρινές, οὔτε πικρότητος οὔτ’ ὀξύτητος οὔθ’ ἁλυκότητος οὔτε δριμύτητος οὔτε δυσωδίας μετέχον . . .]

1327 (30) Die beste Molke ist die dünne. (31) Die Milch gemäß der Trächtigkeitsdauer. Er sagt: (32) Die Milch eines Tieres, dessen Tragzeit größer oder geringer als die des Menschen ist, ist für den Menschen schlecht. (Ist die Tragzeit) ebenmäßig, so ist (die Milch) bekömmlich. (33) Deshalb ist die Kuhmilch am bekömmlichsten. (34) Die Milch zusammengenommen. (Aet. p. 182, 4‒7): τὰ δὲ ἀγαθὰ τοῦ Zusammenfassend sagt er, daß die Milch γάλακτος λέλεκται καὶ τοῖς ἔμπροeinen befriedigenden Nährwert hat. σθεν ἰατροῖς, ὑπαγωγὴ μετρία γαστρὸς εὐχυμία τε καὶ θρέψις, (35) Sie erzeugt weiches, feuchtes καὶ τὴν μὲν σάρκα πεφθὲν χρηστοFleisch, bringt die stechenden Säfte ins τέραν ἀποδείκνυσιν, ὅσοι δὲ χυμοὶ Gleichgewicht und entleert sie zum Teil. δακνώδεις ἔνεισιν ἐκκαθαίρει. (36) Sie nützt dem, dem etwas Scharfes (Aet. p. 182, 7 f.): ὅθεν καὶ δυσ(ḥādd) zu trinken gegeben oder als Kli- ουριῶντι καὶ διαχωροῦντι δριμὺ οὐ stier verabreicht worden ist. μόνον πιεῖν συμφέρει, ἀλλὰ καὶ ἐγχεῖν κάτωθεν. (37) Ist in der Gebärmutter ein stechender Schmerz und macht man mit Milch ein Klistier, so nützt es.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus (38) Getrunken nützt sie gegen die Geschwüre in der Lunge, in den Gedärmen, den Nieren und der Gebärmutter, gegen Abszesse, Pusteln und sonstige Rauhigkeiten.

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(Aet. p. 182, 13‒16): πρὸς μὲν οὖν τὰ ἕλκη τοῦ πνεύμονος καὶ τῶν ἐντέρων καὶ ὅσα ἐν νεφροῖς καὶ κύστει καὶ μήτρᾳ, ἐξανθήμασί τε καὶ δοθιῆσι καὶ τοῖς ἄλλοις τραχυσμοῖς τῆς ἐπιφανείας πινόμενον ἁρμοδιώτατον. (Aet. p. 182, 16‒19): καὶ πρὸς τοὺς κανθαρίδας πιόντας ἢ βούπρηστιν καὶ ὅλως πρὸς τὰ σήποντα καὶ ἑλκοῦντα φάρμακα καὶ πρὸς δὲ τὸν ὑοσκύαμον ὥς τι καὶ ἀντιφάρμακον. αὐτίκα γὰρ καὶ ἐμφρονεστέρους ποιεῖ τοὺς πάσχοντας.

(39) Sie nützt gegen die Einnahme von Kanthariden und ganz allgemein gegen Drogen, die Geschwüre verursachen und ätzen. (40) Sie wirkt dem Bilsenkraut entgegen und gibt denen, denen es verabreicht wurde, den Verstand auf der Stelle zurück. (41) Sie hilft gegen Geschwülste, die in (Aet. p. 182, 19‒22): πρὸς δὲ τὰς 1328 der Kehle auftreten, τοῦ φαρυγγέθρου ἑλκώσεις ὅσαι γίγνονται καὶ ἐπ’ ἄλλαις μὲν πολλαῖς αἰτίαις καὶ συνάγχαις καὶ τοῖς τὸ ἐφήμερον λαβοῦσιν mag man sie trinken oder mit ihr ἀνακογχυλίζεσθαι συμφέρει. gurgeln, (42) und sie hilft denen, deren Körper (Aet. p. 182, 22 f.): πινόμενον δὲ trocken und spröde sind, μεγάλως ὠφελεῖ τοὺς ἀτρόφους καὶ τοὺς ξηροτέρους sowie denen, die eine Krankheit in den Hypochondrien haben, die man nicht so leicht wieder loswird. καὶ δυσανακομίστους. (43) Er sagt: Jedoch der Milzkranke und Leberleidende, wer an Herzklopfen, Blähungen, Obstruktionen, an Schwere im Kopf, an Dunkelheit und Schwäche des Augenlichtes, an Nachtblindheit, an Fiebern und Blutsturz leidet, denen ist die Milch schädlich. (44) Ebenso (schadet sie) dem, der dampfig oder sauer aufstoßen muß. Wem aber diese beiden Eigentümlichkeiten nicht zustoßen, dem gib sie zu trinken!

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Medizingeschichte

(45) Die Milch gemäß den Lebensaltern: (46) Was die Kinder anbetrifft, so sollen sie sie trinken bis zum Zeitpunkt, an dem Haare auf der Scham wachsen. (47) Dann sollen sie sie lassen, insbesondere die, die eine hitzige Natur haben, denn sie gerinnt in ihren Mägen zu Käse. Sie erzeugt Trübsinn und Unruhe in jedem Magen, der ein warmes Temperament hat. (48) Den Kindern nützt sie aber, weil sie sie feucht macht und ihr Wachstum befördert. (49) Nicht zuträglich ist sie jedoch dem, der seine Jugend vollendet hat, weil die Wärme in ihm dominiert. 1329 (50) Nach Überschreitung der Lebensmitte ist sie (wieder) gut, weil sie Feuchtigkeit spendet, die Säfte ins Gleichgewicht bringt und das Jucken lindert, das an den Körpern der Greise auftritt. (51) Hüte dich, sie Leuten zu geben, die ein warmes Temperament haben und an Fieberhitze leiden109, denn sie verwandelt sich in ihnen zu Galle, bläht die Eingeweide auf und erzeugt Kopfschmerzen und ein Schweregefühl im Kopf. (52) Sie schadet dem Augenlicht, wenn sie nicht gut verdaut wird, denn sobald sie in einen Magen, in dem ein Schaden vorliegt, gelangt, sympathisiert mit ihm der Kopf. _______________ 109 Var. „die ein heißes Gewerbe ausüben und in warmen Ländern leben“: b. -Baiṭār Ǧāmiʿ IV 97, 13.

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[Rāzī Ḥāwī 1, 102 ult.‒103, 2/173, 1‒3: Rufus im Buch der Milch: (53) Die Plethora des Bauches schadet dem Kopf sehr. Dies weiß man aus der Tatsache, daß Erbrechen, Schlaf und Verdauung den Katzenjammer (nach der Trunkenheit) lindern und das Gehirn davon befreien.] (54) (Aet. p. 183, 3): Περὶ τρόπου καὶ καιροῦ χρήσεως καὶ μέτρου. (55) Wenn nun (ein Mensch) Milch zu (Aet. p. 183, 3‒5): κεφάλαιον δὲ sich genommen hat, so soll er alle παντὶ τῷ βουλομένῳ γαλακτοποτεῖν (anderen) Speisen und Getränke lassen, τῶν ἄλλων σιτίων καὶ ποτῶν ἀπέχεbis die Milch nach unten herabge- σθαι, μέχρις ἂν πεφθῇ τε καὶ διαχωsunken ist. ρηθῇ. (56) Denn wenn sich etwas, und sei es (Aet. p. 183, 5‒7): εἰ γὰρ μὴ προauch nur wenig, mit ihr vermengt, ver- πεφθέντος αὐτοῦ τροφὴν ἑτέραν τις dirbt es, und es verdirbt zugleich diese προσφέρηται, ἀνάγκη αὐτό τε διαMilch. φθαρῆναι, συνδιαφθαρῆναί τε καὶ τὸ προσαρθέν. (57) In dieser Weise verwenden sie die Hirten, und daher sind ihre Körper gut genährt. (58) Man muß die Milch morgens ein- (Aet. p. 183, 7 f.): ἄμεινον δὲ ἕωθεν 1330 nehmen, und man soll nichts darauf πίνειν νεόβδαλτον essen, bis sie verdaut ist, (59) und man soll sich danach vor einer καὶ τῶν πλειόνων πόνων τηνικαῦτα ἀφαιρεῖν, Anstrengung hüten, denn diese macht die Milch klumpig [Orib. Coll. med. II 61, 2: ὅτι πονοῦσιν ἀνάγκη ὀξύνεσθαι.] und sauer. Macht doch die Anstrengung zuweilen selbst starke Speisen sauer und klumpig, um wieviel mehr die Milch! (60) Ausruhen ist fernerhin sehr gut, (Aet. p. 183, 8 f.): ἡσυχῇ δὲ βαδίζειν nachdem er (der Trinkende) wach ge- καὶ μεταξὺ ἀγρύπνως ἀναπαύεσθαι. blieben ist. (61) Dies also bietet am ehesten die (Aet. p. 183, 9‒11): οὕτως γὰρ ποιGewähr dafür, daß die Mich hinabsinkt οῦντι τὸ ποθὲν διαχωρεῖ

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Medizingeschichte

συνεξάγον ἑαυτῷ καὶ τὰ ἄχρηστα. beim ersten Mal, wo er sie zu sich δεῖται δέ, εἴπερ τι καὶ ἄλλο, διαgenommen hat, und dies ist für sie (?) χωρῆσαι τὸ πρῶτον ληφθέν. notwendig. (62) Wenn nun das hinabgesunken ist, (Aet. p. 183, 11 f.): διαχωρήσαντος was er zuerst von ihr genommen hat, δέ, ἄλλο πίνειν, καί, τούτου διαχωkann er von ihr einen weiteren Teil ρήσαντος, ἄλλο πίνειν. nehmen. Ist auch dies hinabgesunken, nimmt er (wieder) etwas. Er sagt: (63) Beim ersten Eintritt treibt die (Aet. p. 183, 12‒14): καταρχὰς μὲν Milch nur das heraus, was in den Ge- οὖν διαχωρεῖ καθαῖρον χρηστῶς därmen ist. οὐκ ἐκ τοῦ ὅλου ὄγκου, ἀλλ’ ὅσα ἐν τῇ κοιλίᾳ καὶ ἐντέροις ἔνεστι καὶ τοῖς πλησιάζουσι μέρεσι, (64) Darauf, wenn er beim Trinken fer- (Aet. p. 183, 14‒16): μετὰ δὲ ταῦτα nerhin verweilt, tritt sie in die Venen ἀναφέρεται ἤδη εἰς τὰς φλέβας καὶ ein; sie übt eine treffliche Nährkraft τρέφει κάλλιστα aus und bringt den Inhalt der Venen ins Gleichgewicht. (65) Sie löst den Bauch nicht, sondern καὶ οὐκέτι διαχωρεῖ, ἀλλὰ καθίστησι hält ihn zusammen. τὴν γαστέρα. (66)

(Aet. p. 183, 16 f.): μέτριον δὲ τὸ προσφερόμενον ὁρίζειν ἐπὶ πάντων ἀδύνατον, ὥσπερ οὐδὲ σιτία ἢ ποτά, ἀλλ’ ὡς ἂν εὐφόρως φέρῃ.

1331 (67) Wer die Milch zur Lösung (des Bauches) haben will, nimmt von ihr ein großes Maß. Wer sie zur Ernährung und Befeuchtung haben will, soll ein geringeres Maß nehmen. Doch niemals soll die Milch ihm schwer (im Magen) liegen.

[Orib. Coll. med. II 61, 4‒5: εἰς μὲν οὖν διαχώρησιν πίνοντι οὐκ ἂν εἴη καὶ τὸ πλεῖον ἄκαιρον· εἰς δὲ θρέψιν ἔτι προθυμούμενον ἀπέχεσθαι, ὅτι τὰ μὲν πολλὰ ἔργον σκέψαι.

(68) Zusammenfassend sagt er: Nützlich ist das Milchtrinken bei den chronischen Krankheiten in der Brust, beim Husten und beim Speien des Eiters (midda).

μάλιστα δὲ τοῖς κατὰ θώρακα νοσήμασι τοῖς χρονίοις καὶ βηχώδεσιν ἠδὲ ἐπὶ πτύσεσι πυωδῶν ἡ μακροτέρα προσφορὰ τοῦ γάλακτος προσφέρει.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus (69) Man darf die Milch aber nicht ständig nehmen, sondern man muß Intervalle machen. (70) Sie ist auch sehr gut gegen Geschwüre in der Lunge und gegen Schwindsucht (hulās). (71) Trinkt man die Milch gegen die stechenden Säfte und die Schlacken in den Venen, so soll Honig mit ihr vermischt werden, denn dadurch wird sie besser, und sie sinkt schneller herab. (72)

(73) Manchmal führt sie auch ab, wenn Salz mit ihr vermischt wird. (74) Trinkt man die Milch gegen blutigen Durchfall und die Schlacken und die Krankheiten des Leerdarms (aṣ-ṣāʾim) und gegen das, was in den Magen fließt, so trink sie gekocht! (75) Zunächst wird sie behutsam und gelinde gekocht, bis ein Teil schwindet.

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διαλείποντα δ’ ἕνα χρόνον πάλιν προσφέρεσθαι.]

(Aet. p. 183, 17‒20): πρὸς δὲ τοὺς δάκνοντας χυμοὺς καὶ μάλιστα τοὺς ἐμπεπλασμένους πίνειν συμφέρει μετ’ ὀλίγου μέλιτος καὶ γὰρ χρησιμώτερον καὶ ῥυπτικώτερον καὶ διαχωρητικώτερον γίγνεται. (Aet. p. 183, 20 f.): μίσγειν δὲ καὶ σιραίου καὶ οἴνου γλυκέος· εὐστομαχώτερον γὰρ τοῦτο. (Aet. p. 183, 21 f.): διαχωρητικώτερον δὲ καὶ τὸ ἁλῶν προσλαβόν, ἀλλ’ ἀτερπέστερον. [Orib. Coll. med. II 61, 7‒10: ταῖς δὲ δυσεντερίαις καὶ τοῖς χολώδεσι ῥεύμασι καὶ ὅλως τοῖς κατὰ νῆστιν πονηρευομένοις, καὶ ὅσαι συντήξεις ἐπὶ γαστέρα συννεύουσιν, ἑψῶντα διδόναι τοῦ γάλακτος. ἑψεῖν δὲ τὸ μὲν πρῶτον ἡσυχῇ καὶ ἐπ’ ὀλίγον, ὡς μέρος μέν τι διαχωρῆσαι, μέρος δέ τι ἐπισχεθῆναι, μετὰ δ’ ἔτι μᾶλλον καὶ μᾶλλον ἑψεῖν, φυλασσόμενον μήτε κατακαίειν μήτε τυρὸν ἢ ὀρρὸν ἐξ αὐτοῦ ποιεῖν . . .

Darauf wird sie mehr gekocht. (76) Man muß sich aber hüten, daß sie zu Käse wird, oder daß sich das Wasser von ihr abscheidet, oder daß sie verbrennt. (77) Dies geschieht dadurch, daß sie κινεῖν δὲ νάρθηκι λείῳ καὶ λεπτῷ, gekocht und mit einem Feigenholz bewegt wird.

(78) Das, was sich am Rande des Kes- καὶ ἤν τι ἐφίζῃ τοῖς χείλεσι τοῦ ἐχίsels ansammelt, wird mit etwas ent- νου, καὶ τοῦτο σπόγγῳ καθαίρειν. fernt, wodurch es aufgesogen wird.

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πολλάκις γὰρ ἐνθένδε καὶ τὸ ὅλον διεφθάρη. (79) Die Milch wird also nach dieser ἕψει οὖν, ὡς εἴρηται, τὸ γάλα, μέχρι Vorschrift gekocht, bis sie dick ist. παχύ τε ὁμαλῶς καὶ γλυκύτερον τοῦ ὠμοῦ γένηται.] (80) Denn dann macht sie den Bauch fest, hilft gegen die Geschwüre in den Därmen und stärkt den Bauch. (81) Man kann sie auch mit Kiesel- (Aet. p. 184, 27 f.): τὸ δὲ διὰ τῶν steinen kochen, wie bekannt ist. κοχλάκων σκευάζεται οὕτως . . . (82) Die Molke. (Aet. p. 185, 11): Περὶ ὀρροῦ γάλακτος. Er sagt: Sie wird dem verabreicht, der kräftig abgeführt werden muß. (83) Man fertigt sie nach folgender (Aet. p. 185, 19‒28): σκευάζειν δὲ Vorschrift an: , jedoch wird sie bald mit Sauer- τρὶς ὀξυμέλιτι ἢ μελικράτῳ· οὕτως honig, bald mit Wein, bald mit Honig- γὰρ ποιοῦντι διακριθήσεται παραwasser besprengt, je nach Bedarf. χρῆμα ὁ τυρὸς τοῦ ὀρροῦ. διακριθέντος δὲ διήθει τὸν ὀρρὸν διὰ ῥάκους. (Aet. p. 185, 28‒186, 5): ὅπου μὲν 1333 (86) Wenn aber die (Säfte-)Mischung phlegmatisch ist, besprengen wir sie οὖν παχέα καὶ φλεγματώδη περιττώματα ὑπολάβῃς πλεονάζειν, ὀξυμέλιmit Sauerhonig. τι ἐπίρραινε·

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(88) Manchmal kann die Molke dem Schwachen und Ausgezehrten nützen. (89) Beim ersten Mal wird Salz darunter gemischt.

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ὅπου δὲ δριμέα καὶ χολώδη μελικράτῳ. καὶ καθιέντες δὲ ἐν τῇ λοπάδι μετὰ τὸ δὶς ἢ τρὶς ζέσαι τὸ γάλα ἀγγεῖον ὕδωρ ἔχον ψυχρότατον, ἐργαζόμεθα τὴν σχίσιν. χρῆσθαι δὲ τῷ ὀρρῷ ἐπὶ τῶν ἀσθενῶν καὶ δεινῶς ἀποσίτων. χρὴ δὲ τῷ πρώτῳ πινομένῳ ὀρρῷ ἁλῶν ὑπομίσγειν. ὅταν δὲ ἄρξηται καθαίρεσθαι δίδου χωρὶς ἁλῶν, καὶ τοῦτο ποίει ἐκ διαλειμμάτων τινῶν παρέχων, μέχρις ἱκανῶς καθαρθείη. (Aet. p. 186, 5‒17): τὸ δὲ πλῆθος στοχάζεσθαι πρὸς δύναμιν, οὐ μὴν μέγα τι διαμαρτήσει καὶ πλέον διδούς· ὡς ἐπίπαν δὲ ἔστω τὸ πινόμενον πλῆθος μέχρι κοτυλῶν ε̄ .

(90) Wenn aber abführende Heilpflanzen dazugenommen werden, so muß ihr Betrag genau bestimmt werden. Denn die Gefahr dabei ist groß, wenn das Maß zu reichlich ausfällt. Salz alleine jedoch bringt keine Gefahr mit sich. (91) τρόπος μὲν σκευασίας τοῦ ὀρροῦ εἷς οὗτος· οἱ δὲ περὶ Καρίαν οὕτω σκευάζουσι· (92) Er sagt: Die mit Saflor angesetzte κνίκου τὸ σπέρμα κόψαντες τούτῳ (Molke) ist stark110 im Abführen. τὸ γάλα πηγνύουσι καὶ ἰσχυρὸν τὸν ὀρρὸν ἀποδεικνύουσιν, (93) Kocht man sie, nachdem man sie εἶτα διηθήσαντες ἐπιμιγνύουσι τῷ bereitet hat, und tut man Salz hinein, so ὀρρῷ ἁλῶν ἢ θαλάσσης καὶ πάλιν führt sie kräftig ab. Wer ein Abführ- ἕψοντες παρέχουσι. καθαίρει μὲν mittel braucht, aber keine Medikamen- οὖν ἰσχυρῶς· te verträgt, der bekommt sie mit Salz oder Meereswasser verabreicht; dann führt sie bei ihm eine tüchtige Entleerung herbei. (94) πιεῖν δὲ πάντων ἐστὶ τοῦτο ἀτερπέστερον. ὅλως δὲ αἱ μακραὶ ἑψήσεις φαρμακωδέστερον τὸν ὀρρὸν παρασκευάζουσι. _______________ 110 Var. „sanft“: b. -Baiṭār Ǧāmiʿ IV 132, 26.

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1334 (95) Man mischt in die Molke auch πρὸς μὲν οὖν τοὺς δεομένους ἰσχυThymus (ḥāšā) ροτέρας κενώσεως θύμου λειοτάτου ὅσον δρχ. γ̄ ἢ ¯δ δίδου σὺν τῷ ὀρρῷ ἐν τῇ πρώτῃ πόσει· εἰ δὲ ἔτι μᾶλλον βούλοιο καθᾶραι ἐπίθυμον κόψας und Flachsseide (afiṯīmūn). σήσας δίδου ὁμοίως δρχ. γ̄. (96) Bisweilen wird auch Springgurke (qiṯṯāʾ al-ḥimār) unter sie gemischt, wodurch sie kräftig wird. (97) (Aet. p. 186, 17‒27): φυλάσσεσθαι δὴ δεῖ τὰ φαρμακώδη ἐφ’ ὧν οὐ μέγα τί ἐστι τὸ λυποῦν. (98) τῷ μὲν οὖν ἁπλουστέρῳ ἐσκευασμένῳ ὀρρῷ κεχρῆσθαι δεῖ ἐπὶ τῶν μαλακῶν σωμάτων καὶ ἐφ’ ὧν κενῶσαι καὶ διαπλῦναι μόνα τὰ κατὰ γαστέρα καὶ ἔντερα βουλόμεθα (99) Man kann sie auch verabreichen, καὶ ἐφ’ ὧν ἑλκοῦται τὸ ἔντερον ὑπὸ wenn man fürchten muß, daß in den τῶν τυχόντων καθαρτηρίων, Gedärmen ein Geschwür entsteht, (100) daß galliger Stuhl sie wundmacht, καὶ ἐφ’ ὧν χολώδη ἄκρατα ἐνοχλεῖ τὴν γαστέρα (101) καὶ ἐφ’ ὧν τεινεσμώδεις προθυμίαι γίγνονται (102) ferner bei den Geschwüren der καὶ ἐφ’ ὧν ἑλκοῦσθαι κίνδυνος Nieren und der Harnblase. νεφροὺς ἢ κύστιν (103) ἢ μήτραν καὶ ἐπὶ τῶν ἀτρόφων μὲν καὶ λεπτῶν δεομένων δὲ καθάρσεως. (104) μάλιστα δὲ πάντων κεχρῆσθαι δεῖ τῷ ὀρρῷ ἐπὶ τῶν ἀσθενῆ τὸν στόμαχον κεκτημένων δεομένων δὲ καθάρσεως. (105) In diesen Fällen darf aber kein τούτοις πᾶσι προσάγειν χρὴ Salz in die Molke getan werden. τὸν ὀρρὸν μήτε ἁλῶν μήτε ἑτέρου τινὸς μίσγοντα φαρμακώδους. (106) Ferner auch gegen Brennen beim Wasserlassen.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus (107)

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(Aet. p. 186, 27‒30): καὶ παιδίῳ δὲ καὶ γυναικὶ καὶ πρεσβύτῃ ἀκίνδυνόν ἐστι τοῦτον τὸν ὀρρὸν διδόναι

(108) Man braucht sich auch nicht zu καὶ ἐν τοῖς ὑπὸ κύνα καύμασιν 1335 scheuen, sie im Sommer bei großer ἀδεές, καίτοι τηνικαῦτα αἱ ἄλλαι Hitze zu nehmen, so wie man sich φαρμακεῖαι ὕποπτοι πεφύκασι. (sonst) vor den abführenden Medikamenten hüten muß. (109) Die stark abführende Molke (Aet. p. 186, 30‒187, 2): τῷ δὲ nützt ἰσχυροτέρῳ ὀρρῷ χρῶτό τις ἂν πρὸς τὰ γενναιοτέρων φαρμάκων δεόμενα gegen die Abszesse, gegen die Pusteln σώματα καὶ πάθη, μάλιστα πρὸς τὰ von blaßgrauer Farbe, gegen die Aus- χρόνια ἐξανθήματα καὶ τοὺς πελιδscheidungen der schlechten Säfte, die νοὺς ἰόνθους καὶ τὰς ὑπὸ τὸ δέρμα sich unter der Haut angesammelt haben, τῶν χυμῶν κακίας, οἷον λέπρας καὶ gegen die frischen und alten bösartigen τὰ ὅμοια καὶ πρὸς τὰ παλαιὰ δὲ ἕλκη Geschwüre, gegen den bösen Grind, καὶ τὰ θηριώδη καὶ τοὺς ἀχῶρας τῆς gegen die ins Auge strömenden Mate- κεφαλῆς καὶ τὰ παραπλήσια, καὶ ἐπὶ rien, ὀφθαλμῶν συνεχῶς ῥευματιζομένων gegen die (Krätze der) Lider und gegen καὶ πρὸς τὰς ψώρας τῶν βλεφάρων die rötlich-schwarzen Flecken (im Ge- καὶ τὰς ἐφήλεις τοῦ προσώπου. sicht); (110) ferner bei den chronischen, (Aet. p. 187, 2‒4): χρῶτο δὲ ἄν τις langandauernden Fiebern und bei den καὶ ἐν περιόδοις τῶν πυρετῶν μα(Patienten), bei denen man Wasser- κραῖς, καὶ ἐφ’ ὧν ὑδέρῳ περιπεσεῖν sucht befürchten muß. κίνδυνος ἐκ νόσων ἐπήρτηται. (111) καὶ περὶ μὲν τοῦ ὀρροῦ ἱκανὰ καὶ ταῦτα. (112) Er sagt: (Aet. p. 188, 12‒15): Περὶ τυροῦ. Der Käse erzeugt Phlegma, entzündet τυροὶ πάντες . . . δύσπεπτοι ὀξυρεγden Bauch, erzeugt Durst und ruft sau- μιώδεις τε καὶ φύσης ὑποπιμπλάντες res Aufstoßen hervor. τὴν γαστέρα, καὶ διαχωρῆσαι πονηροὶ καὶ φλεγματώδεις καὶ καυσώδεις τῇ κοιλίᾳ. (113) Wenn er aber verdaut wird, ist seine Nährkraft groß. (114) Der auf Feuer bereitete (Käse) ist besser als der mit Lab angesetzte,

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(115) der junge ist besser als der alte,

(Aet. p. 188, 29‒189, 1): τῶν δὲ ἄλλων τυρῶν ὁ νέος τοῦ παλαιοῦ βελτίων . . . (116) und der geröstete besser als der (Aet. p. 189, 4): καὶ ὁ ὠπτημένος τοῦ rohe. ὠμοῦ. 1336 (117) Alle seine Sorten aber sind (Aet. p. 189, 5): πάντες γε μὴν κακοί. schlecht und schädlich. (118) Die feuchte Sorte führt ab

(Aet. p. 189, 17‒19): ὁ δὲ πρόσφατος τυρὸς καὶ ὑγρὸς δοκεῖ ὥσπερ τι μέγα προσβοηθεῖν καὶ τοῖς τὴν λιund hilft, wenn man Bleiglätte (murdā- θάργυρον ποιοῦσιν, εἴ τις παρὰ τὴν sanǧ) eingenommen hat. δίαιταν αὐτὸν προσφέροιτο. Die sachliche Auswertung des rekonstruierten Textes und seine Einordnung in die diätetische Literatur der Antike wird Aufgabe des Medizinhistorikers sein. Vieles ist Gemeingut der Ärzte seit den Hippokratikern, vgl. etwa den Aphorismus V 64. Sachliche Übereinstimmungen bestehen auch mit Rufus’ Schrift ‛De renum morbis’ 2, 22 f. (p. 106, 4 ff. Sideras). Eine merkwürdige Divergenz zwischen der arabischen und der griechischen Überlieferung tritt in § 77 zutage. Oreibasios und Aetios sagen übereinstimmend, man solle die Milch mit einem dünnen νάρθηξ umrühren, also mit dem Stengel des „Gemeinen Steckenkrautes“, der Umbellifere Ferula communis L. Im Arabischen ist dagegen von einem Zweig des Feigenbaumes die Rede, und dies hat nicht nur seine Parallele bei Dioskurides: αἱ δὲ κράδαι (sc. τῆς ἀγρίας συκῆς) . . . καὶ τὸ γάλα δὲ λυτικώτερον ἐν τῇ ἑψήσει κινούμενον αὐταῖς ἀντὶ σπάθης παρασκευάζουσιν111, sondern es ist als rufinische Lehre auch in einer anderen Schrift des Rāzī bezeugt: „Rufus erwähnt, daß zu den Mitteln, Fleisch zu garen und zu zerkochen, folgendes gehört: Man kocht es mit saurem Essig oder mit Borax oder mit Wachs oder mit Glasstücken. Die Zweige des Feigenbaumes tun dies auch. Deshalb ordnet er an, daß die Rührlöffel für die Kochtöpfe aus den Zweigen des Feigenbaumes sein sollen, denn diese beschleunigen das Garwerden“112. _______________ 111 Diosc. Mat. med. I 128, 5 (Bd. I 119, 7 ff. Wellm.). 112 Ed. Rosa Kuhne, El Sirr ṣināʿat al-ṭibb de abū Bakr Muḥammad b. Zakariyyāʾ al-Rāzī, in: Al-Qanṭara 3, 1982, p. 375 (§ 4.04), Traducción ib. 5, 1984, p. 265. Die Passage steht auch bei aš-Šaqūrī, s. Dozy Suppl. I 277 a.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus

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X. Die Säuglingspflege und die Kinderkrankheiten Rufus hat eine Schrift über Säuglingspflege und Kinderkrankheiten verfaßt, deren Titel ‛Περὶ κομιδῆς παιδίου (oder παιδίων)’ gelautet hat, wie wir aus der Überschrift des 38. Kapitels der sog. ‛Libri incerti’ (eines nicht genau zu lokalisierenden Teiles der ‛Collectiones medicae’ des Oreibasios) wissen. Man 1337 hat diese Ausführungen früher für einen Teil des Buches ‛Περὶ διαίτης’ gehalten113. Die arabische Überlieferung läßt jedoch keinen Zweifel daran, daß es eine selbständige Abhandlung war. Sie ist vermutlich im 9. Jhdt. ins Arabische übersetzt worden, aber diese Übersetzung, das ‛Kitāb Tarbiyat alaṭfāl’, ist heute verloren. Erhalten sind jedoch 8 Exzerpte im ‛Ḥāwī’ des Rāzī und 22 Textstücke im ‛Kitāb Tadbīr al-ḥabālā wa-l-aṭfāl’, einem großen Werk über Schwangerschaft, Geburtshilfe und Kinderkrankheiten, das abū l-ʿAbbās Aḥmad ibn Muḥammad ibn Yaḥyā al-Baladī in der zweiten Hälfte des 10. Jhdts. in Ägypten verfaßt hat114. Nach Abzug der Doubletten verbleiben 19 Textstücke, mit denen nicht einmal die Hälfte der ursprünglichen arabischen Übersetzung zurückgewonnen ist. Diese Fragmente leisten dennoch eine entscheidende Hilfe bei der Rekonstruktion der Schrift des Rufus. Oreibasios hat, wie gesagt, die Schrift ‛Περὶ κομιδῆς παιδίου’ ausgeschrieben. Völlig korrekt trägt das 38. Kapitel der ‛Libri incerti’ die Überschrift Ἐκ τῶν Ῥούφου. Περὶ κομιδῆς παιδίου. Aber die Überschriften und Autorenlemmata sind bei allen Kompilationen eine Crux. Sie sind gegen Überlieferungsschäden besonders anfällig, sie können vertauscht werden, ausfallen, von Kopisten falsch restituiert werden. Die byzantinischen Geoponica und Florilegien bieten dafür ebenso krasse Beispiele wie die Exzerpte aus dem lateinischen ‛Continens’, die oben p. 121 ff. sondiert worden sind. Bringt man nun die drei Überlieferungsstränge des Oreibasios, des Rāzī und des Baladī in einen Zusammenhang, so lassen sie sich ineinanderfügen und verzahnen. Einige Stücke sind bei allen drei Autoren bezeugt, andere nur bei zweien, wieder andere nur bei einem Autor. Dabei stellt sich heraus, daß Oreibasios die Schrift des Rufus nicht nur im 38. Kapitel ausgeschrieben hat, sondern auch im 31. und 42. Kapitel, bei denen kein Autor angegeben ist, sowie im 43. Kapitel, wo es in dem Codex Parisinus 2237 aus dem 14. Jhdt., der ja Unicum ist, fälschlich heißt: Ἐκ τῶν Γαληνοῦ. Damit konnten _______________ 113 Daremberg-Ruelle, Préface p. XXXIV nr. 15; Gossen nr. 13; Ilberg p. 38. 114 Kitāb Tadbīr al-ḥabālā usw., ed. Maḥmūd al-Ḥāǧǧ Qāsim Muḥammad, Bagdad 1980. Vgl. zu dieser Ausgabe Ursula Weisser, Zeugung, Vererbung und pränatale Entwicklung in der Medizin des arabisch-islamischen Mittelalters, Erlangen 1983, 23‒25.

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Medizingeschichte

Vermutungen, die schon Daremberg, Crönert115 und Ilberg (p. 29 f.) geäußert hatten, zur Gewißheit erhoben werden116. Das Problem der Vertauschung der Autorennamen hat schon Ḥunain ibn Isḥāq in seiner ganzen Tragweite gesehen. Da er gerade auch die Schriften des Rufus im Auge hat, sei seine Stellungnahme hier wiedergegeben:

1338

„Wir haben noch andere Bücher gefunden, die mit Galens Namen gekennzeichnet sind, aber nicht von ihm stammen. Es ist vielmehr so, daß einige davon aus Exzerpten bestehen, die andere Leute aus seinen Äußerungen gemacht und die sie dann zu [neuen] Büchern zusammengestellt haben. Bei anderen handelt es sich um Bücher, die ein Autor aus der Zeit vor Galen niedergeschrieben hat und die dann im nachhinein mit Galens Namen versehen wurden. Vielleicht wollte der Fälscher sich damit brüsten, daß er viele Bücher Galens besitze, die kein anderer vorweisen kann. Vielleicht ist es auch der Kritiklosigkeit zuzuschreiben, die ja bei Dummköpfen unausrottbar ist: Wenn die nämlich in ein und demselben Buch eine Anzahl Abhandlungen finden und im Incipit der ersten Abhandlung den Namen eines bestimmten Mannes lesen, dann meinen sie, die restlichen Abhandlungen müßten auch von diesem Manne stammen. Aus diesem Grunde finden wir viele von den Abhandlungen des Rufus in vielen Handschriften mit dem Namen Galens bezeichnet, z. Β. eine Abhandlung über die Gelbsucht“117. In der Schrift ‛Περὶ οἴνου’ (s. Kap. VIII) hatte Rufus empfohlen, Kindern und Kleinkindern in Maßen Wein zu geben, da die natürliche Wärme in ihnen noch nicht voll entwickelt sei. Dieselbe Anschauung vertritt er in der Schrift ‛Περὶ κομιδῆς παιδίου’ (Fragm. nr. XVI); hier aber sieht er sich gezwungen, seine Meinung gegen die Autorität Platons zu verteidigen, der in den ‛Nomoi’ den Kindern den Weingenuß bis zum 18. Lebensjahr untersagt hat. Die Stelle hat einige Bedeutung für die Verbreitung der Maxime „Amicus Plato, magis amica veritas“118. _______________ 115 Wilhelm Crönert, Sprachliches zu griechischen Ärzten, Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete 2, 1903, 477 f. 116 Manfred Ullmann, Die Schrift des Rufus ‛De infantium curatione’ und das Problem der Autorenlemmata in den ‛Collectiones medicae’ des Oreibasios, oben, p. 77‒106. 117 b. a. Uṣ. I 101, 15‒22; Übs. von Max Meyerhof, Über echte und unechte Schriften Galens, nach arabischen Quellen, Sitzungsber. der Preußischen Akademie d. Wiss., phil.-hist. Kl., Berlin 1928, p. 539; Übs. auch bei Gotthelf Bergsträsser, Neue Materialien zu Ḥunain ibn Isḥāq’s Galenbibliographie (AKM 19,2), Leipzig 1932, p. 95 f. 118 Leonardo Tarán, Amicus Plato sed magis amica veritas. From Plato and Aristotle to Cervantes, Antike und Abendland 30, 1984, 93‒124.

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XI. Drei weitere Schriften zur Diätetik Drei weitere diätetische Schriften sind durch arabische Autoren als Monographien bezeugt119. Die eine hat den Titel ‛Maqāla fī An yaʿriḍ li-r-riǧāl inqiṭāʿ at-tanaffus’120, „Darüber, daß Männern das Aussetzen der Atmung zustößt“. Qusṭā ibn Lūqā, der diese Abhandlung in zweien seiner Schriften erwähnt, erklärt zugleich, was die Ursache dieser Erscheinung ist: Infolge sexueller Abstinenz könne sich der Samen stauen; er verfaule dann und bilde einen üblen Dampf, der, wenn er kalt sei, das Herz kühle. Die Atemluft, die sonst die Kühlung des Herzens besorge, werde nicht mehr benötigt, so daß die 1339 Lunge ihre Bewegung einstelle und ein Scheintod eintrete121. Die zweite Schrift ist das ‛Kitāb fī l-Abkār, maqāla’ „Das Buch über die Jungfrauen, Monobiblon“. Ibn an-Nadīm gibt den Titel in dieser Form an122, und Qusṭā ibn Lūqā betont ebenfalls, daß es eine „gesonderte Abhandlung“ (maqāla mufrada) sei. Seinen Ausführungen zufolge hat sich ihr Inhalt mit dem gedeckt, was Oreibasios in dem Kapital ‛Ἐκ τῶν Ῥούφου. Περὶ παρθένων διαίτης’ mitteilt123. Die dritte Schrift schließlich ist das ‛Kitāb fī Tadbīr al-musāfir, maqāla’ „Das Buch über die Diät des Reisenden, Monobiblon“124. Nach der ‛Suda’125 hat Rufus ‛Περὶ διαίτης πλεόντων’, ebenfalls in Form eines Monobiblon, geschrieben. Da bei anderen Schriftstellern die Diaita der Landreisenden und der Seefahrer jeweils gesondert abgehandelt ist, läßt sich vermuten, daß auch Rufus jedes der beiden Themen in besonderen Schriften behandelt hat. Ein Fragment aus dem „großen Buch des Rufus über die Lebensführung der Reisenden“ hat ibn al-Mubārak (s. p. 169 f.) bewahrt. In ihm ist davon die Rede, daß man sich durch Einreiben mit Rosenöl, Wachs und anderen Drogen gegen Kriechtiere, Schlangen und Skorpione schützen könne126. _______________ 119 Vgl. dagegen Gossen nr. 24. 120 b. a. Uṣ. I 34, 14. 121 Qusṭā ibn Lūqā, Kitāb fī l-Bāh wa-mā yuḥtāǧu ilaihi min tadbīr al-badan, ed. Gauss Haydar, Diss. Erlangen 1973, p. 40 ff.; Qusṭā ibn Lūqā, Kitāb fī l-Bāh, ed. Najdat Ali Barhoum, Diss. Erlangen 1974, p. 26, 9; M. Ullmann, oben, p. 63 f. 122 Fihrist 291, 24 / (Tǧd.) 350, 12 = b. a. Uṣ. I 34, 6. 123 Orib. Coll. med. Libr. inc. 18 (Bd. IV 106, 30‒109, 15 Raeder); M. Ullmann, oben, p. 64 f. 124 Fihrist 291, 24 / (Tǧd.) 350, 13 = b. a. Uṣ. I 34, 6. 125 Ρ 241 (Bd. IV 301, 34 Adler). 126 M. Ullmann, oben, p. 73‒76.

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Medizingeschichte

XII. Die Gifte Arabischen Quellen zufolge hat Rufus auch ein Buch über Gifte geschrieben. Ibn an-Nadīm nennt es im Pinax des Rufus an 28. Stelle: ‛Kitāb al-Adwiya alqātila, maqāla’ „Das Buch über die tödlichen Drogen, Monobiblon“127. Daraus hat Gossen (nr. 15) einen Titel ‛Περὶ φαρμάκων τοξικῶν’, Ilberg (p. 44) einen Titel ‛Περὶ θανασίμων φαρμάκων’ rekonstruiert. Aber griechisch überliefert sind diese Titel nicht. Ibn an-Nadīm kennt, als nr. 13, noch eine weitere Schrift: ‛Kitāb at-Tiryāq, maqāla’ „Das Buch über den Theriak, Monobiblon“128. Ibn abī Uṣaibiʿa hat diese Angabe nicht übernommen; vielleicht war er der Meinung, beide Titel seien auf dasselbe Buch zu beziehen. Dazu ist ein Passus in der Galenvita zu vergleichen, die al-Mubaššir ibn Fātik überliefert hat: 1340

„Galen erwähnt, daß zu den Dingen, die ihm verbrannt waren, auch das Buch des Rufus ‛über die Theriaks und Gifte und die Behandlung der Vergifteten und die Zusammensetzung der Heilmittel nach Maßgabe der Krankheit und der Zeit’ gehörte; und er hat es so hochgeschätzt, daß er es auf weißen Brokat mit schwarzer Seide geschrieben129 und dafür eine große Summe ausgegeben hat“130. Nun ist gerade in diese Vita allerlei Legendäres eingedrungen, und auch diese Passage ist nicht leicht zu deuten. Von dem Verlust seiner Bücher durch Feuersbrünste in Rom spricht Galen selbst mehrfach131, aber ein Buch des Rufus ist dort nicht erwähnt. Außerdem ist der Titel sehr lang, und es scheint, daß der Sache nach eher zwei Bücher gemeint sein müssen. Die „Zusammensetzung der Heilmittel nach Maßgabe der Krankheit und der Zeit“ wäre ein Thema für sich, wie es ja auch Galen in seinem Werk ‛Περὶ συνθέσεως φαρμάκων τῶν κατὰ τόπους’ gesondert behandelt hat. Aber trotz der Übertreibungen und Ausschmückungen ist die Stelle wichtig. Die Galenvita bei al-Mubaššir ist nicht von Arabern erfunden, sondern aus dem Griechischen übersetzt worden. _______________ 127 128 129 130

Fihrist 291, 25 / (Tǧd.) 350, 12 f. = b. a. Uṣ. I 34, 7. Fihrist 291, 20 f. / (Tǧd.) 350, 9 f. D. h. wohl „gestickt“? Abū l-Wafāʾ al-Mubaššir ibn Fātik, Kitāb Muḫtār al-ḥikam wa-maḥāsin al-kalim, ed. ʿAbd ar-Raḥmān Badawī, Madrid 1958, 292, 3‒5 (übersetzt von Franz Rosenthal, Das Fortleben der Antike im Islam, Zürich und Stuttgart 1965, p. 56); Muḥammad ibn Maḥmūd aš-Šahrazūrī, Kitāb Rauḍat al-afrāḥ wa-nuzhat al-arwāḥ, ed. Ḫūršīd Aḥmad, Bd. I, Hyderabad 1976, 344, 8‒11; b. a. Uṣ. I 85, 6‒8. 131 Johannes Ilberg, Ueber die Schriftstellerei des Klaudios Galenos I, Rheinisches Museum für Philologie N.F. 44, 1889, 216 (Nachdruck Libelli Bd. 314, Darmstadt 1974, p. 10).

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Wenn in ihr das Giftbuch des Rufus derart hervorgehoben wird, so kann man daraus schließen, daß dieses Buch in der Spätantike eine gewisse Berühmtheit gehabt haben muß. Fragmente gibt es in mehreren arabischen Quellen. Die älteste ist wieder der ‛Ḥāwī’ des Rāzī. Es heißt dort: „Rufus über die Gifte (oder: im Buch der Gifte): Die besondere Wirkung der Purgierwinde (ἡ σκαμμωνία), des Brennesselsamens und des Saftes der Springgurke besteht darin, daß sie den Körper reinigen und austrocknen“132. An anderen Stellen ist von Giften die Rede, ohne daß ein Werktitel genannt ist: „Blut und Milch, die [im Magen] koaguliert sind, werden durch Essig aufgelöst“133. In einer langen Liste sind dreißig Drogen genannt, die zumeist gegen das giftige Gewürm (al-hawāmm) helfen sollen134. Zu dieser Liste gibt es eine Doublette135, in der nur der § 2 dem Rufus zugeschrieben ist, während die 1341 meisten anderen Angaben auf Dioskurides zurückgeführt sind, in dessen ‛Materia medica’ diese Angaben zum Teil tatsächlich nachzuweisen sind. Maßnahmen gegen den Biß der Tarantel werden nach „Rufus und Galen“ mitgeteilt136, und gegen den Stich der Hornviper (al-muqarrana = ὁ κεράστης) wird ein Umschlag aus Zedernharz (κεδρία) mit Salz verordnet137. Die Quelle, die uns die umfangreichsten Exzerpte liefert, ist das ‛Kitāb alMunqiḏ min al-halaka fī dafʿ maḍārr as-samāʾim al-muhlika’, das al-Ḥusain ibn abī Ṯaʿlab ibn al-Mubārak im Jahre 1095 für al-Mufaḍḍal ibn abī l-Barakāt ibn al-Walīd, den Minister der Sayyida Ḥurra, geschrieben hat138. Ich zähle nach der Handschrift Chester Beatty 4525 siebzehn mit dem Namen des Rufus gezeichnete Textstücke, in denen folgende Themen behandelt sind: Blätter der _______________ 132 Ḥāwī 6, 135, 4 f. (D.-R. nr. 223 ohne Angabe des Werktitels). Inhaltlich stimmt die Lehre überein mit Rufus De ictero § 22. 133 Ḥāwī 19, 409, 5 (D.-R. nr. 386, wo der Text jedoch mit anderen Stücken kontaminiert ist). Vgl. Orib. Coll. med. Eclogae medicamentorum 130 (Bd. IV 297, 15 ff. Raeder): γάλα ἐμπυτιασθὲν . . . πνιγμὸν ἐμποιεῖ θρομβούμενον· βοηθεῖ δὲ πινομένη πυτία πολλάκις μετ’ ὄξους κτλ. 134 Ḥāwī 19, 291, 5‒294, 3 (bei D.-R. nr. 381 sind nur die ersten sechs Mittel abgedruckt). 135 Ḥāwī 19, 306, 11‒311, 5. 136 Ḥāwī 19, 260, 13 ff. (D.-R. nr. 382). 137 Ḥāwī 19, 394, 11 ff. = 399 ult.ff. (D.-R. nr. 383). 138 Zu Autor und Werk vgl. Manfred Ullmann, Edelsteine als Antidota. Ein Kapitel aus dem Giftbuch des ibn al-Mubārak, unten, p. 430‒446.

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Raute und Minze gegen tödliche Gifte (Maq. I cap. 29); schwarze Rosinen mit frischer Milch gegen scharfe, brennende Gifte (ib.); Seehase [λαγωὸς θαλάσσιος = Aplysia depilans L.] (II 1, 15); qarṭasīs [?] (II 1, 17); Vertreibung der Schlangen (III 3); Drachenschlange, Hornviper (III 4); Tarantel (III 27); Hornisse (III 28); Biene (III 29); Salamander (III 31); Biß des tollwütigen Hundes (III 34); Biß des Hundes, der keine Tollwut hat (III 35); Biß des Menschen (III 36); Biß des Tigers oder Leoparden (III 37); Biß der Spitzmaus [μυγαλῆ] (III 42); Biß der Maus oder Ratte (III 44); Biß des Seehundes (III 48 und 49). Die Eigenart und der Wert der arabischen Fragmente können nach den Abschnitten über den tollen Hund und die Hydrophobie beurteilt werden. Der Passus aus dem ‛Ḥāwī’139, den Daremberg und Ruelle übergangen haben, hat folgenden Wortlaut:

1342

„Rufus: (1) Die beiden Ohren des Hundes hängen ständig schlaff herab; er kann nicht stillsitzen, sondern läuft dauernd umher. (2) Der von ihm Gebissene hat unterschiedliche, verworrene Träume. (3) Das Zwerchfell [?] der Patienten zuckt; der Durst ist heftig; sie sind mürrisch und fürchten sich; ihre Stimmen sind heiser. (4) Danach zeigt sich bei ihnen die Furcht vor dem Wasser. (5) Er [der Patient] macht Fortschritte oder Rückschritte, je nachdem, ob die Dominanz der schwarzen Galle in seinem Körper fern oder nah ist. (6) Sie fürchten sich vor dem Wasser, weil die Natur infolge der Trockenheit umgeschlagen ist; darum scheint es ihnen, im Sinne einer Gegenwirkung140, daß das Wasser für sie todbringend sei. (7) Drum verordne ihnen, bevor es so weit kommt, das Bad oder das Sitzbad, Feuchtigkeit spendende Nahrungsmittel, Öle, [mit Wasser] gemischten Wein, Klistiere, die die schwarze Galle abführen, dann solche, die Feuchtigkeit spenden, und laß sie zu allererst zur Ader. (8) Bring es mit List zuwege, daß Wasser in ihre Leiber gelangt, ohne daß sie es merken. (9) Und dies ist ein erprobtes Heilmittel: (10) Man nimmt Kanthariden mit abgeschnittenen Köpfen und Flügeln usw.“ Der § 6 wird durch Avicenna (gest. 1037) bestätigt141. Er schreibt: „Einer sagt — es scheint, daß es Rufus ist: ‛Der Patient fürchtet sich nur deshalb vor dem Wasser und wälzt sich nur deshalb im Staube, weil die Trockenheit seines Temperamentes ganz stark geworden ist. Daher hat er einen Widerwillen gegen das dem Temperament Entgegenwirkende und _______________ 139 Ḥāwī 19, 429, 3 ff. 140 Vielleicht: „als Paradoxon“? 141 b. Sīnā Qānūn II 142, 16‒18 / (Būlāq) III 250, 1‒3.

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eine Vorliebe für das Übereinstimmende’. Das aber ist eine Lehre, mit der ich mich nicht befreunden kann. Denn die Hinneigung zu dem, was mit dem fremden Temperament übereinstimmt, ist etwas, für das es keine Grundlage gibt“. Der zweite Abschnitt steht im ‛Kitāb al-Munqiḏ’ des ibn al-Mubārak142: „Rufus sagt: (1) Die Hydrophobie kann bei dem, den ein toller Hund gebissen hat, im siebten Monat und am 42. Tage und in sechs Monaten und im siebten (?) Monat143 und bis zum Ende eines Jahres und der Vollendung des (Mond-)Zyklus auftreten. (2) Man darf nicht darauf vertrauen, daß der Gebissene unversehrt bleibt und mit dem Leben davonkommt, wenn er nicht mit folgenden Indikatoren untersucht wird: (3) Einer besteht darin, daß geschälte Haselnüsse genommen und fein zerstoßen werden und daß damit die Wunde verbunden wird, einen Tag und eine Nacht lang. Am nächsten Morgen wird es abgelöst und einem Huhn oder einem Hahn hingestreut. (4) Wenn sie es fressen und das Huhn unversehrt bleibt und nicht stirbt, so ist der Gebissene schon so gut wie genesen und gerettet, und du kannst sicher sein, daß er keine Hydrophobie bekommt. (5) Sterben aber das Huhn oder der Hahn, oder fressen sie es gar nicht, so wisse, daß das Gift in den Körper des Gebissenen eingedrungen ist. (6) Dann ist es nötig, daß die Wunde erweitert und in der vorerwähnten Weise behandelt wird. (7) Es ist auch notwendig, daß der Patient im Zeitpunkt des Bisses mit folgender Probe untersucht wird, damit du weißt, ob der Hund, der gebissen hat, tollwütig ist oder nicht: (8) Man nimmt Brot, bestreicht es mit dem Blut der Bißwunde, und wirft es einem Hunde vor. Frißt der Hund es, so stammt der Biß von einem Hunde ohne Tollwut; frißt er es nicht, so wisse, daß es ein tollwütiger Hund war“. Sondiert man die möglichen Quellen, so scheiden die Kapitel περὶ λυσσο- 1343 δήκτων in den erhaltenen Büchern des Oreibasios144 aus, da dort nur Rezepte oder allgemeine therapeutische Hinweise gegeben sind. Dagegen beruft sich Aetios auf Rufus und Poseidonios145, und auch Paulos von Aigina146 nennt _______________ 142 b. -Mubārak Munqiḏ III 34 (Ms. Chester Beatty 4525, fol. 90 a 15‒90 b 1). 143 Dittographie? In der Schrift ‛Περὶ ἰοβόλων’ des Pseudo-Dioskurides heißt es, daß die Zeit des Ausbruchs der Hydrophobie nicht genau bestimmt werden könne. Meist zeige sie sich bis zum 40. Tag, bei einigen nach einem halben Jahr, bei anderen nach einem Jahr. Es wird auch berichtet, daß einige erst nach sieben Jahren erkrankten: Pedanii Dioscoridis Anazarbei Tomus secundus, ed. Curtius Sprengel, Lipsiae 1830, p. 64. 144 Orib. Coll. med. Eclogae medicamentorum 117 (Bd. IV 291, 1 ff. Raeder) und Orib. Synopsis VIII 12 (p. 251, 12 ff. Raeder). 145 Aet. Amid. VI 24 (Bd. II 163, 31 ff. Olivieri); D.-R. Fragm. nr. 76 (p. 371‒375). Ruelle,

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Medizingeschichte

gleich zu Anfang seines Tollwutkapitels den Namen des Rufus. Daß diese Autorenangabe richtig ist, beweist der Vergleich des arabischen Fragmentes mit den griechischen Texten, von denen hier der des Paulos wiedergegeben sei147: ἀρκτέον οὖν τῆς θεραπείας ἐντεῦθεν. ἀλλ’ ἐπεὶ πολλάκις ἐκ τοῦ μὴ συστῆναι τέως τὸ ὑδροφοβικὸν πάθος ὡς τὰ πολλὰ γὰρ περὶ τὴν τεσσαρακοστὴν ἡμέραν εἴωθεν ἐνσκήπτειν, τισὶ δὲ καὶ μετὰ ἓξ μῆνας, ἱστόρηται δέ τισι καὶ μετὰ ἑπτὰ συστῆναι τινὲς οἰηθέντες μὴ λυττᾶν τὸν κύνα τὸν δακόντα, συνουλῶσαί τε σπουδάσαντες τὸ ἕλκος, αὐτοὶ τοῦ πάθους αἴτιοι κατέστησαν, τῇδε τῇ δοκιμασίᾳ χρησάμενος εὑρήσεις πότερον λυττῶντος εἴη τὸ δῆγμα ἢ οὔ. κάρυα βασιλικὰ λειοτριβήσας ἐπιμελῶς κατάπλασσε τὸ ἕλκος, τῇ δὲ ἑξῆς λαβὼν αὐτὰ παράθες εἰς βρῶσιν ἀλέκτορι ἢ ἀλεκτορίδι‧ καὶ τὸ μὲν πρῶτον οὐχ ἅψεται· εἰ δὲ ὑπὸ λιμοῦ πιεσθὲν φάγοι, σκόπησον· εἰ γὰρ μὴ λυττῶν εἴη ὁ δακὼν κύων, ζήσεται τὸ ὀρνίθιον, εἰ δὲ λυττῶν, τῇ ἐπιούσῃ τεθνήξεται· καὶ τότε πρὸς ἀναστόμωσιν ἐπείγου τοῦ ἕλκους. πάλιν δὲ μετ’ ὀλίγας ἡμέρας τῇ δοκιμασίᾳ κέχρησο‧ κἀπειδὰν μὴ ἀποθάνῃ τὸ ὀρνίθιον, τηνικαῦτα τὸ ἕλκος εἰς οὐλὴν ἄγε ὡς ἀπηλλαγμένου κινδύνου τοῦ κάμνοντος. ταύτην μὲν οὖν τὴν δοκιμασίαν Ὀρειβάσιος παραδίδωσιν. Paulos hat also von Oreibasios abgeschrieben, aber Oreibasios, dessen Ausführungen in den verlorenen Teilen der ‛Collectiones’ standen, gibt wieder, was Rufus gelehrt hat. Die Autorschaft des Rufus an diesem Stück scheint somit gesichert zu sein, zumal der Inhalt im grundsätzlichen mit den Ausführungen über die Tollwut übereinstimmt, die Rufus in den ‛Quaestiones medicae’ (§§ 46‒49) gemacht hat148. Aber es stellt sich die Frage, ob diese Sätze aus dem „Giftbuch“ stammen oder aus dem ‛Kitāb fī l-ʿIlla allatī yaʿriḍu maʿahā l-fazaʿ min al-māʾ, maqāla’, „dem Buch über die Krankheit, mit der zusammen die Hydrophobie auftritt, Monobiblon“, das ibn an-Nadīm als 2. Titel im Pinax des Rufus nennt149. Die Existenz einer solchen Spezialschrift braucht nicht bezweifelt zu werden, aber 1344 es wäre doch merkwürdig, wenn ibn al-Mubārak sechzehnmal das allgemeine Giftbuch und nur einmal die Spezialschrift über die Hydrophobie herangezogen hätte. Das Giftbuch war in arabischen Ländern verbreitet; von der _______________

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der willkürlich noch „Galen“ in die Quellenangabe eingefügt hat, bezweifelt, daß Rufus als Autor in Frage komme, aber seine Gründe scheinen mir nicht stichhaltig zu sein. Paulus Aeg. V 3 (Bd. II 8, 17 ff. Heiberg); D.-R. Fragm. 118 (p. 447‒452). Bd. II 8, 25 ff. Heiberg / D.-R. p. 448, 5 ff. Vgl. dazu auch Gärtners Kommentar p. 86‒93. Fihrist 291, 16 f. / (Tǧd.) 350, 6 = b. a. Uṣ. I 33 ult. f.

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Schrift über die Hydrophobie wissen wir dagegen lediglich durch das Testimonium des ibn an-Nadīm, und es ist nicht wahrscheinlich, daß ibn alMubārak diese Schrift gekannt haben sollte. Nimmt man alle Fragmente, die ar-Rāzī, ibn Sīnā und ibn al-Mubārak bewahrt haben, zusammen, so läßt sich der Charakter des Giftbuches des Rufus ziemlich genau skizzieren: Rufus hatte über die Generalia der Vergiftungen und ihre Therapie geschrieben und dann nicht nur die Pflanzengifte, sondern auch die tierischen Gifte, d. h. die Insektenstiche, die Schlangen- und Hundebisse, behandelt.

XIII. Die Krankenjournale Die arabische Literatur hat uns einen weiteren Text bewahrt, von dem in griechischen Quellen überhaupt nichts bekannt ist und den auch die arabischen Bibliographen nicht erwähnen. Es ist eine Sammlung von einundzwanzig klinischen Berichten. Sie finden sich im ‛Kitāb al-Fuṣūl al-muhimma fī ṭibb alaʾimma’ eines sonst unbekannten Autors namens Sarābiyūn ibn Ibrāhīm. Diese ‛Fuṣūl’ sind nur in einem Unicum, dem Huntingtonianus 461 der Bibliotheca Bodleiana, erhalten, aber sie sind in dieser Handschrift nicht einmal vollständig. Der Text bricht im 26. Kapitel ab. Ursprünglich hat das Buch 43 Kapitel umfaßt, wie aus dem Inhaltsverzeichnis am Anfang des Codex zu ersehen ist. Die ‛Fuṣūl’ sind eine unoriginelle Kompilation. Sie bekommen ihren Wert jedoch vor allem dadurch, daß der Autor einige alte Abhandlungen im vollen Wortlaut übernommen hat. Sarābiyūn hat auch Schriften von Rufus gekannt: Im 42. Kapitel handelt er unter anderem über „Hygiene und was damit zusammenhängt, nämlich die Krankheiten der Kinder und die Diät der Greise nach dem Buch des Rufus“150. Das ist eine gut bezeugte Quelle, denn eine ‛Maqāla fī Tadbīr aš-šaiḫūḫa’ von Rufus, eine „Abhandlung über die Diät im Greisenalter“, nennt ibn abī Uṣaibiʿa (I 34, 9), und diese Abhandlung hatte auch Ḥunain ibn Isḥāq vor Augen, als er in syrischer Sprache ein „Buch über die Diät der Greise“ schrieb151. Das 9. Kapitel hat Sarābiyūn folgendermaßen überschrieben: „Beispiele und partikuläre Behandlungsmethoden von Rufus und anderen antiken und modernen Ärzten“. Es enthält einundzwanzig klinische Berichte, Fälle von _______________ 150 Tadbīr aṣ-ṣiḥḥa wa-mā yatbaʿu ḏālika min amrāḍ aṣ-ṣibyān wa-tadbīr al-mašāyiḫ min Kitāb Rūfus: fol. 5 a 3 f. 151 b. a. Uṣ. Ι 323, 13 ff.

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Medizingeschichte

Melancholie, Phrenitis, Lethargie, Epilepsie, Paralyse, Gelenkschmerzen und 1345 Angina152. Der Herausgeber dieses Stückes hat auf Grund von literarischen, sprachlichen und sachlichen Indizien den Nachweis zu führen versucht, daß diese Berichte eine Einheit bilden und daß außer Rufus kein anderer Arzt als Autor in Frage kommt. Die Kritik hat ihm, zum Teil mit Vorbehalten, zugestimmt153. Kudlien hat die Echtheit der Sammlung strikt in Abrede gestellt. Seine Einwände gründen sich jedoch nur auf den Schlußsatz der 20. Krankengeschichte154. Es ist zu hoffen, daß Gräzisten und Medizinhistoriker sich in Zukunft des Textes annehmen und bei einer kritischen Beurteilung auch den Inhalt der übrigen Teile berücksichtigen.

XIV. Pseudepigrapha Die ‛Σύνοψις περὶ σφυγμῶν’, die Daremberg und Ruelle p. 219‒232 abgedruckt haben, ist eigentlich ein anonymer Text. Der Schreiber der einen Handschrift, des Laurentianus LXXV 7 (14. Jhdt.), hatte in einer Vorbemerkung lediglich eine Vermutung über ihren möglichen Autor geäußert: νομίζω δὲ αὐτὸ οὐκ εἶναι Γαληνοῦ, ἀλλὰ Ῥούφου τοῦ Ἐφεσίου. Gossen (nr. 8) hatte die Autorschaft des Rufus „wohl als gesichert“ betrachtet. Nach Ilbergs Untersuchungen (p. 22‒24) kommt Rufus von Ephesos jedoch nicht in Frage. Fridolf Kudlien führt den Titel zweimal als echte Schrift an155, einmal bezeichnet er die Echtheit als fragwürdig156. Der Schreiber dieser Zeilen hält Ilbergs Argumente für stichhaltig. Wir haben es demnach mit einer Schrift zu tun, die erst im 14. Jhdt. durch die erwähnte Kopistennotiz in die Kategorie der Pseudepigrapha geraten ist. Einige Jahrhunderte früher ist eine Kompilation dem Rufus zugeschrieben worden, in der die Anatomie der inneren Organe und des Knochengerüstes gelehrt wird. Sie ist unter den Titeln ‛Περὶ ἀνατομῆς τῶν τοῦ ἀνθρώπου μορίων’ und ‛Περὶ ὀστῶν’ gedruckt157. Ilberg hat ihre komplizierte Überlieferungsgeschichte aufgeklärt und ihre Unechtheit bestätigt. _______________ 152 Rufus von Ephesos, Krankenjournale, herausgegeben, übersetzt und erläutert von Manfred Ullmann, Wiesbaden 1978. 153 Vgl. die Rezensionen: Gotthard Strohmaier, Gnomon 52, 1980, 317‒320; Vivian Nutton, Journal of Hellenic Studies 100, 1980, 229; Karl Holubar, WZKM 72, 1980, 200. 154 Fridolf Kudlien, Clio medica 14, 1979, 148 f.; Ders., A new testimony for Erasistratus?, Clio medica 15, 1981, 137‒142. 155 Lexikon der Alten Welt, Zürich und Stuttgart 1965, Sp. 2678; Der kleine Pauly Bd. IV, München 1972, Sp. 1467 f. 156 Dictionary of Scientific Biography Vol. XI, New York 1975, p. 602 b. 157 D.-R. p. 168‒194.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus

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Aber auch im arabischen Raum kamen falsche Zuschreibungen vor, ein 1346 Indiz für das hohe Ansehen, das der Name des Rufus schon bald nach der Zeit der Übersetzungen, d. h. nach dem 9. Jahrhundert, gewonnen hatte. Die Echtheit der Schrift ‛Περὶ ἰκτέρου’ steht außer Frage (s. Kap. IV). Aber in der Mitte des 10. Jhdts. zitiert abū l-Ḥasan Aḥmad ibn Muḥammad aṭṬabarī at-Turunǧī in seinem ‛Kitāb al-Muʿālaǧāt al-buqrāṭīya’ im Zusammenhang mit seinen Erörterungen der Gelbsucht viermal Rufus. Keines dieser Zitate findet sich in der echten Schrift, soweit sie durch Aetios, die arabische Epitome und die lateinische Version des Nicolaus bekannt ist. Auch inhaltlich kann keine Beziehung zu dem historischen Rufus von Ephesos hergestellt werden. Die Lehren sind zum Teil absonderlich: Der Gelbsuchtpatient soll kleine Felsenfische lebendig hinunterschlucken. Manche Drogen, die dort empfohlen sind, waren den Griechen noch unbekannt; ihre Namen weisen in den iranisch-indischen Raum. Daher ist anzunehmen, daß bestimmte, die Gelbsucht betreffende Lehren und Medikationen fälschlich unter Rufus’ Namen verbreitet waren158. Auch das G i f t b u c h des Rufus (s. Kap. XII) muß ein gewisses Renommee gehabt haben, denn in drei Fällen wird Rufus mit Berichten über Gifte in Verbindung gebracht, die nicht von ihm stammen können. Da ist zunächst Šaraf az-Zamān Ṭāhir al-Marwazī (um 1085), der in seinem bedeutenden und originellen Tierbuch, dem ‛Kitāb Ṭabāʾiʿ al-ḥayawānāt’, folgendes berichtet159: „Von dem großen Rufus wird erzählt, daß er auf einer seiner Reisen in eine weite Einöde geriet und in ihr einen Aussichtspunkt benötigte. Er stieg auf eine Erhebung und fing an, das unter ihm liegende Gelände zu betrachten. Da gewahrte er auf einmal eine Drachenschlange (ṯuʿbān, δράκων) und ein Wiesel, die an jenem Platze aufeinandergetroffen waren und sich einen erbitterten Kampf lieferten. Immer, wenn das Wiesel den Mut verlor oder infolge eines Bisses der Drachenschlange schwach wurde, rannte es zum Abhang eines dort befindlichen Berges und holte sich etwas von dessen Kräutern; dann kehrte seine Kraft zurück; der Schaden, den es erlitten hatte, schwand, und es nahm den Kampf mit der Schlange wieder auf. Nachdem Rufus dies mehrfach bei ihm beobachtet hatte, stieg er von der Erhebung herab und folgte dem Wiesel. Da gewahrte er, daß dieses zu _______________ 158 M. Ullmann (s. Anm. 54), p. 83‒87. 159 Ediert und übersetzt von Samuel Miklos Stern, Some Fragments of Galen’s On Dispositions (Περὶ ἠθῶν) in Arabic, Classical Quarterly 50, 1956, 100 ult.‒101, 8, abgedruckt in: S. M. Stern, Medieval Arabic and Hebrew Thought, edited by F. W. Zimmermann, London 1983, Teil III.

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Medizingeschichte

Lorbeerbäumen seine Zuflucht nahm, sich von ihren Beeren holte, wodurch es seine Kraft wiedergewann. Aus diesem Umstand erkannte er, daß Lorbeerfrüchte ein Heilmittel gegen Schlangengifte sind, und er machte sie zu einem der Hauptbestandteile des Theriaks“. 1347 Das ist vermutlich eine Anspielung auf die ἱερὰ Ῥούφου, deren Rezept Aetios160 und arabische Ärzte161 mitteilen. Aber Lorbeerfrüchte gibt es darin nicht. Zudem läßt der anekdotische Zuschnitt der Erzählung erkennen, daß wir es mit einem Phantasieprodukt zu tun haben. Eine zweite Stelle findet sich im ‛Canon’ des Avicenna162: „Rufus hat berichtet, daß bisweilen ein Mädchen mit Gift ernährt wird, damit durch sie die Könige, die ihr beiwohnen, getötet werden, und daß ihr Temperament einen so gewaltigen Grad [an Gift] erreicht, daß ihr Speichel ein Tier töten kann und daß [infolgedessen] die Hühner sich ihrem Speichel nicht nähern“. Das ist ein Reflex der berühmten ‛Sage vom Giftmädchen’, die nach den weitausgreifenden Untersuchungen von Wilhelm Hertz indischen Ursprungs ist163. Sie findet sich, nun aber ohne den Namen des Rufus, auch in manchen anderen arabischen Quellen, bei ʿAlī ibn Rabban, Šānāq, ibn Waḥšīya, ar-Rāzī, alQazwīnī, Pseudo-Aristoteles und in der ‛Turba philosophorum’164. In dem ‛Handbuch hellenistischer Magie’, dem ‛Kitāb Ġāyat al-ḥakīm’ des Pseudo-Maǧrīṭī (in der lateinischen Übersetzung unter dem Titel ‛Picatrix’ bekannt), werden in der 3. Abhandlung eine Anzahl teuflischer Rezepturen mitgeteilt. Die eine lautet: „Ein weiteres Kompositum, das dadurch den Tod bringt, daß die Glieder sich auflösen und verderben: Man nimmt so viele gefleckte Sumpffrösche wie möglich, dann bohrt man in ihre Mäuler schmutzige, schon verrostete Eisenstäbe gleich Bratspießen und läßt sie unten wieder heraustreten. Drauf werden sie mit den Köpfen nach unten aufgestellt, während unter _______________ 160 Aet. Amid. III 115 (Bd. I 305, 11 ff. Olivieri), übersetzt bei Flashar, Melancholie 103. 161 Ḥāwī 1, 137 ult.; 147 paen.; Ps. Ṯābit Ḏaḫīra 11, 4 ff.; b. Sīnā Qānūn II 197, 1 ff. / (Būlāq) III 342, 28 ff.; b. a. l-Bayān Dustūr 33, 3 ff. 162 b. Sīnā Qānūn II 120, 20 ff. / (Būlāq) III 219, 9 ff., daraus übernommen von ʿAlī ibn Aḥmad ibn ʿAlī ibn Hubal, Kitāb al-Muḫtārāt fī ṭ-ṭibb, Bd. IV, Hyderabad 1362, 156, 20 ff. 163 Wilhelm Hertz, Die Sage vom Giftmädchen, Abhandlungen der Bayerischen Akademie, phil.-hist. Kl., 20, 1893, nr. 1, abgedruckt in: Ders., Gesammelte Abhandlungen, hsgb. von Friedrich von der Leyen, Stuttgart und Berlin 1905, p. 156‒277. 164 Einzelnachweise bei Ullmann Medizin 322 und Sezgin GAS III 189 f.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus

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diesen Tieren, direkt vor ihren Mäulern, Auffangschalen aus Blei stehen, in die die ölige Flüssigkeit, die sie absondern, hineinfließt. Wenn dieses Öl sich nun bis zum Ende angesammelt hat und nichts mehr herabtropft, so ist es unübertrefflich. Und wisse, daß das, was davon zuletzt heruntergetropft ist, die größte Wirkung hat und außerordentlichen Schaden verursacht. Der erste, der dieses Kompositum hergestellt hat, war Rufus, und er erkannte seine entsetzliche Wirkung“165.

XV. Zusammenfassung Die arabische Literatur hat viele und reiche Materialien aus den Werken des Rufus von Ephesos bewahrt. Sie haben einen hohen Wert, wenn sie auch zumeist fragmentarisch überliefert sind. Schon heute ist vieles bekannt, aber es ist zu erwarten, daß aus den noch großenteils unerforschten Handschriftenschätzen weitere Bruchstücke ans Licht treten werden. Alles, auch das schon Bekannte, muß noch kritisch gesichtet werden. Aber diese Arbeit wird nur dann wirklich erfolgreich durchgeführt werden können, wenn die griechische, syrische, arabische und lateinische Überlieferung gleichzeitig berücksichtigt wird. Die Forschung muß heute zusammenfassen und vereinigen, was die Geschichte im Laufe zweier Jahrtausende über Griechenland, Byzanz, die islamischen Länder, Spanien und Italien verstreut hat. Im vorausgegangenen ist an einigen Beispielen gezeigt worden, wie verschollene Werke rekonstruiert werden können. Weitere, lohnende Themen bieten die Schriften ‛Περὶ διαίτης’, ‛Πρὸς τοὺς ἰδιώτας’, ‛Περὶ ἀφροδισίων’, ‛Περὶ καθαρτηρίων’, ‛Über den Kauf der Sklaven’, ‛Über die Paeonia officinalis’, ‛Über das Bad’ und ‛Über die Abmagerung des Fetten’. Ist einmal die philologische Arbeit geleistet, so wird auch der Medizinhistoriker in der Lage sein, die Bedeutung des Rufus genauer zu bestimmen. Schon auf Grund der wenigen erhaltenen Schriften sind in der Vergangenheit Urteile gefällt worden, die seine Persönlichkeit in einem sehr freundlichen Licht erscheinen lassen. Wilamowitz hatte ihn „einen auffällig frischen Schriftsteller“166, Wellmann „einen _______________ 165 Kitāb Ġāyat al-ḥakīm al-mansūb ilā abī l-Qāsim Maslama ibn Aḥmad al-Maǧrīṭī, ed. Hellmut Ritter (Studien der Bibliothek Warburg 12), Leipzig-Berlin 1933, 276, 13‒19; ‛Picatrix’. Das Ziel des Weisen von Pseudo-Maǧrīṭī, translated into German from the Arabic by Hellmut Ritter and Martin Plessner (Studies of the Warburg Institute Vol. 27), London 1962, p. 284; ‛Picatrix’. The Latin version of the Ghāyat Al-Ḥakīm, edited by David Pingree (Studies of the Warburg Institute Vol. 39), London 1986, p. 166. 166 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Die griechische Literatur des Altertums, in: Die Kultur der Gegenwart, hsgb. von Paul Hinneberg, Teil I, Abteilung VIII, Berlin und Leipzig 1905, p. 175.

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der wenigen wirklich selbständigen Ärzte der nachchristlichen Zeit“ genannt167. Ilberg (p. 50) klagt: „Wie manche langatmige Abhandlung Galens, der sich in unerfreulicher, ermüdender Polemik nicht genugtun kann, würden wir gegen seine [des Rufus] verlorenen Werke gern eintauschen“. Rufus’ „zurückhaltende, vornehme, urbane“ Wesensart hatte auch Deichgräber beobachtet168. Und Kudlien urteilt zusammenfassend, „daß Rufus ein selbständiger Hippokratiker von hohem Rang und einer der bedeutendsten Ärzte unmittelbar vor Galenos war“169. Aber wichtiger noch als solche Werturteile sind Sachfragen. Es wird darauf ankommen, Rufus’ Position in der Entwicklung des medizinischen Denkens der Kaiserzeit zu bestimmen. Insbesondere muß dann die Frage des Verhältnisses von Galen zu Rufus erneut gestellt werden. Deichgräber hatte es als sicher angenommen, „daß Galen die Schriften des Rufus, mit oder ohne Zitat, oft verwertet hat“170. Sollte sich dies bestätigen, so wäre auch unser Galenbild in manchen Punkten zu revidieren. 1349 Rufus war ein Mann von medizinischem Universalismus, der, wie sein Schriftenverzeichnis lehrt, fast alle pathologischen Fragen behandelt und besonderes Gewicht auf diätetische Maßnahmen gelegt hat. Er hatte starke kulturhistorische Interessen, wie manch einer Bemerkung zu entnehmen ist, die er in seine Darlegungen eingeflochten hat. Im Gegensatz zu Galen haben ihn aber übergreifende philosophische Fragen anscheinend nicht interessiert. Er war weniger spekulativ eingestellt, dafür den Tatsachen näher. Das tut in unseren Augen seinen Leistungen als Arzt keinen Abbruch, aber das Mittelalter hat der philosophisch begründeten Systematik Galens den Vorzug gegeben.

Nachträge Alexander Sideras, Rufus von Ephesos und sein Werk im Rahmen der antiken Medizin, in: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt, Teil II: Principat, Bd. 37, 2. Teilband, hsgb. von Wolfgang Haase, Berlin-New York 1994, p. 1077‒1253. Henrike Thomssen u. Christian Probst, Die Medizin des Rufus von Ephesos, ib. p. 1254‒1292. _______________ 167 168 169 170

Wellmann p. 4. Deichgräber De humoribus (s. Anm. 45) p. 36. Fridolf Kudlien, Der kleine Pauly Bd. IV, München 1972, Sp. 1468. De humoribus p. 59.

Die arabische Überlieferung der Schriften des Rufus

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Matthias Wernhard, Die syrischen Fragmente des Rufus von Ephesos. Edition, Übersetzung, Kommentar. Magisterarbeit der Fakultät 12, Ludwig-Maximilians-Universität München, 1997. Zu S. 142 Nr. VI: Vgl. Rufus of Ephesus, On Melancholy, edited by Peter E. Pormann, Tübingen 2008 (dazu: G. Strohmaier, in: Gnomon 82, 2010, 686‒690, und O. Kahl, in: Journal of Semitic Studies 55, 1, 2010, 278‒280). Zu S. 145 Anm. 92: Arabische Edition: Isḥāq ibn Sulaimān, Kitāb al-Aġḏiya wal-adwiya, ed. Muḥammad aṣ-Ṣabbāḥ, Bairūt 1412/1992, p. 606, 15 ff.; 624, 19 ff. Vivian Nutton, Art. Rhuphos von Ephesos, in: Der Neue Pauly, Bd. 10, Stuttgart-Weimar 2001, Sp. 1156‒1158.

Die Schrift des Badīġūras über die Ersatzdrogen* In der Antike und im Mittelalter dürfte der Apotheker oft nicht imstande gewesen sein, alle Drogen vorrätig zu halten oder zu beschaffen, die der Arzt von Fall zu Fall verschreiben mochte. Er mußte dann seine Zuflucht zu Surrogaten nehmen, also eine Droge finden, die die gleiche oder ähnliche Wirkung wie die vom Arzt verordnete hat1. Damit er nicht nach Gutdünken und aufs Geratewohl verfahre, gab man ihm schon früh Bücher über Ersatzdrogen in die Hand. Es waren zumeist kleine und anspruchslose Listen: Alphabetisch geordnet sind die Drogen in der pseudo-galenischen Schrift Περὶ ἀντεμβαλλομένων2, deren arabische Übersetzung nach Ṣalāḥ ad-Dīn al-Munaǧǧid3 in der Handschrift Selim Ağa 883,3 erhalten ist. Paulos von Aigina hat diese Schrift exzerpiert. Im 25. Kapitel des siebten Buches seines Kompendiums4 zählt er, mit Berufung auf Galen, 219 Ersatzdrogen auf. Durch die Übersetzung des Buches des Paulos sind dann die pseudo-galenischen Succedanea ein zweites Mal zu den Arabern gelangt. Diese begnügten sich aber nicht mit den übersetzten Schriften, sondern verfaßten selbst mehrere Ersatzdrogenlisten (Kutub Abdāl al-adwiya). Man kennt Māsarǧawaih, Muḥammad ibn Zakarīyāʾ arRāzī, ibn al-Ǧazzār und andere Ärzte als Verfasser solcher Schriften5, aber keine war bisher durch den Druck zugänglich gemacht. _______________ *

1 2 3 4 5

Der Aufsatz ist zugleich eine Rezension des in der Anmerkung 6 genannten Buches. Die Quellen und die Literatur sind im folgenden nach den Ausgaben und mit den Abkürzungen zitiert, die im „Wörterbuch der Klassischen Arabischen Sprache“ und in meinem Buch „Die Medizin im Islam“ (Handbuch der Orientalistik, Erste Abteilung, Ergänzungsband VI, 1. Abschnitt), Leiden/ Köln 1970, verwendet sind. — Sehr herzlich möchte ich Herrn Dr. Werner Sundermann, Berlin, für wertvolle Hinweise und besonders für seine Erklärung des Namens Badīġūras danken, die unten p. 185 mitgeteilt ist. Zum Problem s. Alexander Tschirch, Handbuch der Pharmakognosie, Bd. I 1, Leipzig 1909, p. 18−23. Kühn XIX 721−747. RIMA 5, 1959, p. 286. Ed. I. L. Heiberg, CMG IX 2, Lipsiae et Berolini 1924, p. 401−408. Ullmann Medizin 293 f.

Badīġūras über die Ersatzdrogen

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Nun ist soeben ein Büchlein aus der Feder des 1970 verstorbenen New 231 Yorker Wissenschaftshistorikers Martin Levey5a veröffentlicht worden6, in dem drei Ersatzdrogenlisten ins Englische übersetzt sind. Zum ersten Traktat dieses Büchleins, d. h. zur Liste des Badīġūras, sollen im folgenden einige weiterführende Gedanken vorgetragen werden. In den Handschriften ist der Titel des Traktates mit Kitāb fī Abdāl aladwiya al-mufrada wa-l-ašǧār wa-ṣ-ṣumūġ wa-ṭ-ṭīn „Die Ersatzstoffe der einfachen Heilmittel, der Bäume, Harze und Erden“ angegeben. Ob er ursprünglich ist oder später, aus dem Inhalt und der Einleitung des Buches abgeleitet, hinzugesetzt worden ist, muß dahingestellt bleiben. Die Schrift beschränkt sich also auf die e i n f a c h e n Heilmittel. Dem widerspricht auch nicht die Tatsache, daß sie in den Lemmata nr. IV 19 sukk und nr. III 36 karkarūhin zwei z u s a m m e n g e s e t z t e Mittel enthält. Denn beide Mittel werden auch sonst den einfachen Heilmitteln zugerechnet: das erstere (sukk) hat in ibn alBaiṭār’s K. al-Ǧāmiʿ li-l-mufradāt Aufnahme gefunden, das zweite steht in der Liste der Simplicia im K. al-Ḥāwī von ar-Rāzī (Bd. 21, 350 ult. ff. [nr. 710]). In Badīġūras’ Buch sind 163 Drogen behandelt, die auf fünf Rubriken aufgeteilt sind. Da Levey die Stichwörter in jeder Rubrik von neuem gezählt hat — was unpraktisch ist —, muß man, um Verwechslungen auszuschließen, jede Droge mit einer römischen Zahl (für die Rubrik) und der arabischen Zahl, die ihr Levey gegeben hat, zitieren. In der I. Rubrik sind, um das Prinzip des ,,Ersatzes“ zu erläutern, die Päonie, der Safran und die Zimtrinde behandelt. In der II. folgen die Drogen, die die Bäume liefern (32 Stück), in der III. die kleinen Kräuter (38 Stück), in der IV. die großen Kräuter, Stauden und Sträucher (46 Stück) und in der V. die Gummiharze und Mineralien (44 Stück). Bei jeder Droge ist zunächst in Stichworten angegeben, welche spezifische Wirkung (ḫāṣṣīya) sie hat. Bei II 29 heißt es z. B.: ḫāṣṣīyatuhū qaṭʿ šahwat al-ǧimāʿ „ihre spezifische Wirkung liegt in der Unterdrückung des 232 Geschlechtstriebes.7 Dann werden eine, zwei oder drei Ersatzdrogen genannt, _______________ 5a Vgl. den Nachruf von Ε. Η. Thomson: Martin Levey, 1913−1970, in: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences 26, 1971, 444 f. 6 Martin Levey, Substitute Drugs in Early Arabic Medicine, with special reference to the texts of Māsarjawaih, al-Rāzī, and Pythagoras (Veröffentlichungen der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie, Neue Folge, begründet von Georg Edmund Dann, herausgegeben von Wolfgang-Hagen Hein, Bd. 37), Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft MBH, Stuttgart 1971, 102 Seiten, DM 18.−. 7 Diese kurzen Hinweise stimmen inhaltlich weitgehend überein mit den Angaben, die ʿAlī b. Rabban in seinen Drogenlisten (Firdaus p. 400, 19 ff.) macht. Auch ʿAlī verwendet, wie es im Badīġūras-Text der Fall ist, vorwiegend die p e r s i s c h e n Ausdrücke.

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Medizingeschichte

immer mit dem Bemerken, welche Menge von ihnen im Verhältnis zu der fehlenden Droge zu nehmen sei. Inhaltlich bestehen zwischen dem BadīġūrasTraktat und der pseudo-galenischen Schrift über die Succedanea keine näheren Beziehungen. Der Übersetzer des Textes soll, wie zu Beginn und am Ende der Handschriften angegeben ist, abū Zaid Ḥunain ibn Isḥāq8 gewesen sein. Vergleicht man aber die Drogennamen des Badīġūras-Textes mit denen der arabischen Dioskurides-Übersetzung9 und der „Zehn Abhandlungen über das Auge“10, so stellt sich heraus, daß sie sehr verschieden sind. Das soll an fünf Beispielen demonstriert werden: III 25 ist die ,,Weiße Zaunrübe“, die Cucurbitacee Bryonia alba L., mit ihrem persischen Namen hazār ǧašān genannt. In der Dioskurides-Übersetzung ist dagegen für ἄμπελος λευκή der Ausdruck karma baiḍāʾ gewählt, s. Diosk. IV 182/p. 368, −9 ff. Dubler und WKAS I 561 b 40 ff. III 29 kommt die „Schmerwurz“, die Dioscoreacee Tamus communis L. vor. Aber nicht das Wort karma saudāʾ, die Lehnübersetzung aus ἄμπελος μέλαινα (s. Diosk. IV 183/p. 369, −6 ff., WKAS I 562 a 4 ff.) ist verwendet, sondern das persische Wort šast-bidāz. Es begegnet sonst in vielfach entstellter Form, z. B. šašbīdār, šašpiyāz, šašfiyāz, s. ʿAlī b. Rabban Firdaus 452, 24 (dazu Schmucker Materia nr. 428), Muwaffaq Abniya 158, Löw Aram. Pflanzennamen p. 91. Auch die in den Wörterbüchern (s. Vullers II 428 b) gegebene Form šašbandān ist offenbar unrichtig. Daß der zweite Konsonant nicht š, sondern s gelautet hat, wird durch die Schreibung mit ṣād (šaṣt-bidān) bei Bar Bahlūl 178, −3 und 423, 2 bestätigt. Persisch šast heißt „sechzig“, und bidāz ist ein älteres Synonym zu neupers. gudāz „verflüssigend, auftauend, verdauend“10a. Nach demselben Muster ist der syrische Name der Pflanze pāšar štīn gebildet (s. Bar Bahlūl 233 191, 14; 1296, 1; 1645, 1; Brockelmann Lex. Syr. 614 b), der auch in arabischer Transkription als fāšaršittīn erscheint (vgl. Maǧūsī Malakī II 104, 17 ff.; b. Sīnā Qānūn I 237, 33 ff.; b. Maimūn ʿUqqār nr. 313; b. -Baiṭār Ǧāmiʿ III 154, −5 ff.; Dozy Suppl. II 269 a). IV 36 ist der „Flohkrautsame“, d. h. der Same von Plantago psyllium L., genannt. Dabei ist das Wort isfiyūš (aus pers. asp-gōš, s. Vullers I 90 b) verwendet, _______________ 8 9

Gest. um 262/875, vgl. Ullmann Medizin p. 115−119; GAS III 247−256. Die Materia medica des Dioskurides ist von Iṣṭifān ibn Basīl übersetzt und von Ḥunain verbessert worden; sie bietet also die Drogennamen, die Ḥunain gebilligt oder geprägt hat. 10 The Book of the Ten Treatises on the Eye ascribed to Hunain ibn Ishaq, ed. Max Meyerhof, Cairo 1928. 10a Diese Etymologie hat Theodor Nöldeke auf dem Rande seines Exemplars des Vullers’schen Lexicons notiert.

Badīġūras über die Ersatzdrogen

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wohingegen in der Dioskurides-Übersetzung ψύλλιον mit bizr qaṭūnā (Diosk. IV 69/p. 336, 1 ff.) wiedergegeben ist, und ebenso ist bizr qaṭūnā bei Ḥunain ʿAin 154, 9 und 155, 10 gebraucht. IV 37 ist für den „Gemeinen Seidelbast“, die Thymelaeacee Daphne mezereum L., der obsolete persische Ausdruck haft barg (s. Vullers II 1457 a Mitte) verwendet. In der Dioskurides-Übersetzung ist (IV 171/ p. 366, 11 ff.) χαμελαία dagegen mit māzariyūn wiedergegeben. IV 40 ist der „Schwarze Nachtschatten“, die Solanacee Solanum nigrum L., mit seiner persischen Bezeichnung rūbāh-turbak (Vullers II 64 a) aufgeführt, während Diosk. IV 70/p. 336, 14 στρύχνον κηπαῖον mit ʿinab aṯ-ṯaʿlab albustānī wiedergegeben ist. Auch im Kitāb al-ʿAin 154, 9 und 181, 14 verwendet Ḥunain ʿinab aṯ-ṯaʿlab. Solche Differenzen schließen die Möglichkeit, daß Ḥunain den Text übersetzt hat, aus. Ihm, dem berühmtesten der Übersetzer, ist ja mehr als ein Buch zugeschrieben worden, das nicht aus seiner Feder stammt11, und daß ihm auch diese Ersatzdrogenliste fälschlich zugewiesen ist, darauf deutet der Umstand, daß Ḥunain hier als „Israelit“ bezeichnet ist12. Hätte Ḥunain die Übersetzung selbst mit seinem Namen signiert, so hätte er sich natürlich nicht Isrāʾīlī genannt. Dagegen ist es gut denkbar, daß ein Fälscher über Ḥunains Religionsgemeinschaft nicht genau Bescheid wußte. Ganz allgemein ist ja zu beobachten, daß die Übersetzervermerke in den Titeleien und Kolophonen der Handschriften noch unzuverlässiger sind als die Nachrichten der Bibliographen, die den Badīġūras-Text im übrigen nicht verzeichnet haben. Was die fünf angeführten Beispiele schon erkennen ließen, wird durch die Prüfung des ganzen Textes bestätigt: In ihm sind zum weitaus größten Teil p e r s i s c h e Pflanzennamen verwendet. Daraus aber läßt sich nur schließen, daß der Text aus dem Persischen, d. h. aus dem Pahlawi, übersetzt wurde. Welchen Grund hätte der Übersetzer gehabt, persische Namen zu wählen, wenn er eine 234 griechische oder syrische Vorlage gehabt hätte? So aber hat er, der von Haus aus Iraner gewesen sein wird, die Pflanzennamen der Ausgangssprache beibehalten. Vielleicht kannte er die arabischen Äquivalente nicht, vielleicht hatte er Schwierigkeiten, die Drogen überhaupt zu identifizieren, vielleicht glaubte er aber auch voraussetzen zu dürfen, daß den arabischen Drogisten und Ärzten, besonders den im ʿIrāq lebenden, die persischen Ausdrücke geläufig waren. So behielt er sie bei (wie ja auch Iṣṭifān und Ḥunain die griechischen Drogennamen, die sie nicht kannten, unübersetzt gelassen, d. h. einfach transkribiert hatten). _______________ 11 Daß Ḥunain die Übersetzungen anderer zugeschrieben wurden, hatte schon ibn anNadīm (Fihrist 289, 15 f.) bemerkt. 12 Martin Plessner, in: Islamica 4, 1931, 546.

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Für die Entstehung des Textes in Persien liefert auch sein Inhalt Indizien: Schon Leclerc13 hatte erkannt, daß in ihm nicht wenige Drogen vorkommen, die aus dem Osten stammen und die den Griechen noch unbekannt waren. Er machte auf zwölf Drogen aufmerksam: 1. 2. 3. 4.

Die Frucht der Euphorbiacee Phyllanthus emblica L. (pers. āmulag, II 21). „Andahiman“ (II 10). Die unidentifizierte, aus Kermān stammende Substanz (III 34). Die Pandanacee Pandanus odoratissimus L. (II 4), vgl. WKAS I 10 a 11 ff. 5. „Sadrouân“ (V 19). 6. Die Betelblätter, Folia Piperis betle L. (II 16). 7. Die Sterculariacee Helicteres isora L. (II 29). 8. Die Meliacee Melia azedarach L. (II 11). 9. Die indischen Drogen „Bell, Sell et Fell“ (IV 39). 10. Die Myrobalanen, d.h. die Früchte der Combretacee Terminalia chebula Retz. (II 19). 11. Die Zitwerwurzel, d. h. das Rhizom der Zingiberacee Curcuma zedoaria Roscoe (III 32). 12. Der Arekasame, d.h. der Same der Palme Areca catechu L. (V 17). Diese Aufstellung könnte man noch erweitern. Man könnte z. B. noch den Galgant (III 33) hinzufügen, der von Alpinia officinarum Hance stammt, einer Zingiberacee, die auf Hainan, Leitschon, in Indien und Thailand wächst. Aber auch so ist schon klar, daß Leveys Annahme, der Text sei aus dem Griechischen übersetzt, nicht richtig sein kann. Nimmt man dagegen eine Übersetzung aus dem Persischen an, so läßt sich 235 auch der merkwürdige Name des Verfassers Badīġūras erklären. Über ihn ist viel gerätselt worden14. Die Ähnlichkeit dieser Namensform mit dem griechischen Namen Pythagoras drängte sich immer wieder auf, indes lautet der Name des vorsokratischen Philosophen in arabischen Quellen sonst immer Fīṯāġūras bzw. Fūṯāġūras15. Levey ist in seinem Büchlein über die „Substitute Drugs“ sogar so weit gegangen, zu verschweigen, daß der Verfasser der Ersatzdrogenliste arabisch Badīġūras heißt. Er spricht, die Identität problemlos voraussetzend, nur von „Pythagoras“. Wenn diese Gleichsetzung stimmt — und ich glaube in der Tat, daß sie richtig ist —, so bleibt aber die Aufgabe, zu erklären, wie aus Πυθαγόρας ein Badīġūras werden konnte. _______________ 13 Lucien Leclerc, Histoire de la médecine arabe, Tome I, Paris 1876, p. 268. 14 Vgl. Steinschneider Arab. Übs. p. (44)−(46); Ullmann Medizin 292 f.; GAS III 20−22. 15 Franz Rosenthal, EI 2 II 929−930.

Badīġūras über die Ersatzdrogen

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Eine — wie ich meine — überzeugende Erklärung hat mir Herr Dr. Werner Sundermann, Berlin, brieflich mitgeteilt. Ich darf sie im folgenden wiedergeben: „Der Name Pythagoras ist in den erhaltenen Pahlawi-Texten nicht belegt. Wenn man aber aus vielfältigen syrischen Wiedergaben folgern darf, daß Πυθαγόρας etwa als *Pīθagoras in das sasanidische Iran gelangte, so erscheint es denkbar, daß der Wortanfang in Angleichung an viele mit pā̌δi- < pā̌ti- beginnende mittelpersische Wörter zu *paδī̌- verändert wurde. Ein solches Wort konnte gemäß der historischen Orthographie des Pahlawi kaum anders als sLXEtp geschrieben werden, in der der sprachlichen Wirklichkeit des Frühneupersischen näheren arabischen Schrift aber ‫ ﺑﺬﻳﻐﻮﺭﺱ‬oder, Lazard16 zufolge, seltener ‫( ﺑﺪﻳﻐﻮﺭﺱ‬für neupers. *Ρaδī̌ γō̌ras oder *Ρaδī̌ γū̌ras, in späterer Aussprache *Padīγūras, arabisiert Badīġūras). Die ungewöhnliche Wiedergabe des griechischen θ durch arabisch ‫ ﺩ‬und die Metathese der Vokale der beiden Anfangssilben ließen sich auf Grund dieser Annahme erklären“. Sind die bis hierher gemachten Feststellungen und Ableitungen richtig, so haben wir also eine in Persien entstandene, von einem Manne griechischer Herkunft namens Pythagoras verfaßte Drogenliste vor uns. Im ganzen dürfte dann Leclerc recht haben, der vor fast hundert Jahren festgestellt hat: „Nous inclinerions à voir dans Badigoras un homonyme de l’illustre philosophe, que les événements auraient conduit, comme plusieurs autres, à la cour du roi de Perse, ou bien à Djondisabour, où il aurait pu prendre connaissance de tant de substances exotiques, dont on ne rencontre pas la mention dans Paul d’Égine“. 236 Eine Tätigkeit griechischer Ärzte in Persien war nichts Ungewöhnliches. Das wohl bekannteste Beispiel bildet Ktesias von Knidos, der Leibarzt des Artaxerxes II. Mnemon (reg. 405−359)17. Unser Pythagoras dürfte aber viel später gelebt haben. Barhebraeus berichtet, daß Aurelian (270−275) dem persischen Großkönig Šāpūr I. eine seiner Töchter zur Frau gab und dabei auch griechische Ärzte mitschickte, die die hippokratische Heilkunde im Osten ausbreiteten18. Die antiken Quellen wissen allerdings von einer solchen diplomatischen Heirat nichts19, aber die Gründung der Stadt Gondēšāpūr, von der Barhebraeus an derselben Stelle spricht, ist sicher mit griechischen Ärzten in Zusammenhang zu bringen. Den Pythagoras der Drogenliste zu identifizieren dürfte indes vergebens sein. Neunzehn (bzw. zwanzig) verschiedene Träger dieses _______________ 16 Gilbert Lazard, La langue des plus anciens monuments de la prose persane, Paris 1963, p. 143 f. 17 F. Jacoby, Art. Ktesias von Knidos, in: RE 11,2 (1922), Sp. 2032−2073; F. W. König, Die Persika des Ktesias von Knidos (Archiv für Orientforschung, Beiheft 18), Graz 1972. 18 b. -ʿIbrī Duwal 129, 9 ff.; Zauzanī Muntaḫabāt 133, 12. 19 RE 5,1 (1903), Sp. 1355.

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Medizingeschichte

Namens sind bei Pauly-Wissowa aufgeführt. Darunter befindet sich auch ein Arzt, der nach Diogenes Laertios VIII 1, 47 über „Brüche“ (d. h. Hernien) geschrieben haben soll. Hinzu kommt ein in der Realencyclopaedie nicht genannter Arzt Pythagoras aus Alexandrien, der ein Buch über Uroskopie verfaßt hat20. Die Frage, ob diese beiden identisch sind, ist ebensowenig zu entscheiden wie die, ob der in Persien lebende Emigrant mit einem von ihnen in Verbindung gebracht werden muß. Nur eines glaube ich mit einiger Sicherheit sagen zu können: Der Name Pythagoras war nicht selten, und daher besteht kein Grund, den Verfasser der Drogenliste als „Pseudo-Pythagoras“ zu bezeichnen, wie es Hellmut Ritter und Richard Walzer21 getan haben. Man braucht mit anderen Worten nicht anzunehmen, daß diese Schrift ein Pseudepigraphon ist, das dem Philosophen aus Kroton fälschlich beigelegt war. *

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Die Überlieferungsgeschichte des Textes Seiner englischen Übersetzung hat Levey nur eine Handschrift zugrundegelegt; die weitere Überlieferung hat er unberücksichtigt gelassen. Daß diese Basis zu schmal war, zeigen die vielen Verbesserungen, die an der Übersetzung vorzunehmen sind. Es ist daher notwendig, zunächst einen Blick auf die Überlieferungsgeschichte der Drogenliste zu werfen. Soweit bis heute bekannt, sind zwei Handschriften erhalten. Die eine ist der von Levey benutzte Codex Aya Sofya 4838, fol. 184 b−196 b, der vom 17. Ǧumādā II 656/21. Juni 1258 datiert ist22, die andere der Codex Aya Sofya 3572, fol. 43 b−57 a23, der undatiert ist. Diesen handschriftlichen Zeugen tritt nun aber eine überaus reiche Nebenüberlieferung an die Seite, die zu beachten deshalb so wichtig ist, weil sie bis in das Ende des 3. Jhdts. der Hiǧra, d. h. bis in den Anfang des 10. Jhdts. unserer Zeitrechnung hinabreicht und weil sie uns zahlreiche Varianten bewahrt hat, denen zum Teil eine größere Authentie zukommt als den Lesarten, die Levey bietet. Erst die vielen Zitate bei späteren Autoren versetzen uns in die Lage, einen einigermaßen gesicherten Text herzustellen. _______________ 20 Von dieser Schrift sind zwei Exzerpte bei Rāzī Ḥāwī 19, 98, 6 ff. und 234, 4 ff. erhalten. 21 Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl. 26, 1934, p. 825. 22 Beschrieben von Ritter-Walzer Arab. Übs. p. 825. 23 Beschrieben von Martin Plessner, Islamica 4, 1931, 546 und Ritter-Walzer ib.

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Der älteste Exzerptor war anscheinend Isḥāq ibn ʿImrān24. Er hat bei der Abfassung seines Drogenbuches25 die Schrift des Badīġūras benutzt, ohne seine Quelle zu nennen. Da Isḥāq’s Buch verloren ist, können wir seine anonymen Badīġūras-Exzerpte nur bei ibn al-Baiṭār nachweisen, der Isḥāq’s Buch ausgeschrieben hat26. Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī hat Badīġūras’ Buch bei mindestens zwei Gelegenheiten geplündert: Bei der Materialsammlung für sein K. alḤāwī27 hat er sich vornehmlich darauf beschränkt, aus Badīġūras die Angaben über die spezifische Wirkung der Drogen abzuschreiben; es sind also meist ganz kurze Notizen, ohne Angabe der Ersatzdrogen28. Zum anderen hat er 238 Badīġūras bei der Niederschrift seines K. al-Abdāl benutzt, das durch Levey jetzt in englischer Übersetzung zugänglich gemacht wurde (p. 47−62). Ar-Rāzī hat seinen Traktat aus mehreren Schriften zusammengestellt. Er beteuert einleitend, daß sein Buch besser sein werde als die einschlägigen Bücher oder Listen des Ḥunain29, Galen, Oreibasios und Paulos. Im Text zitiert er dann neben ibn Māsawaih, Paulos, Galen, Māsarǧawaih und Dioskurides auch zweimal Badīġūras mit Namen (p. 54, 59). Vergleicht man aber den Badīġūras-Text mit dem des Rāzī, so zeigt sich, daß ar-Rāzī an fast allen Stellen, an denen er keinen Gewährsmann nennt, den Badīġūras mehr oder weniger wörtlich abgeschrieben hat. Badīġūras war somit überhaupt seine wichtigste Quelle, und ar-Rāzī’s Buch ist im Grunde nur ein nach dem Abgad-Alphabet umgearbeiteter Abklatsch des Badīġūras-Textes. _______________ 24 Ullmann Medizin p. 125, 265; GAS ΙII 266 f. 25 Der Titel lautete offenbar K. al-Adwiya al-mufrada, wie bei b. a. Uṣ. II 36, 22 f. angegeben ist. Sezgins Vermutung (GAS ΙII 267), daß der Titel K. al-ʿUnṣur wa-ttamām gelautet habe, scheint mir nicht richtig zu sein. 26 b. -Baiṭār Ǧāmiʿ I 127, 2 f.; 171, 3; II 80, 4 f; 154, 11; III 95, 16; 168, 1 ff.; IV 38, 1; 175, 6 f.; 187 paen. f. 27 Zu den zahlreichen Zitaten, die bei Ullmann Medizin p. 293 Anm. 4 und Sezgin GAS III 22 zusammengetragen sind, kommt ein Dutzend weiterer Stellen, welche im 21. Band des Ḥāwī mit leichter Mühe zu finden sind. 28 Im Ḥaidarābāder Druck bzw. in den ihm zugrundeliegenden Handschriften sind die Autorenlemmata mehrfach verrutscht (vgl. dazu Curt Wachsmuth, Studien zu den griechischen Florilegien, Berlin 1882, p. 108), so daß dann der Name Badīġūras dem Zitat folgt, nicht, wie es richtig wäre, vorangeht. Dies ist auch bei der Stelle Ḥāwī 6, 193, 7 f. der Fall. Dort muß es heißen: Badīġūras: aṭ-ṭarāṯīṯ ḫāṣṣatuhū ʿaql aṭ-ṭabīʿa. − Qāla Baulus: aṭ-ṭarāṯīṯ qawīy ǧiddan li-l-ishāl. Sezgins Behauptung (GAS III 21), daß Badīġūras den Paulos zitiere, daß Badīġūras somit im 7. Jhdt. nach Chr. gelebt haben müsse, ist also unrichtig. 29 Ich weiß nicht, welche Schrift gemeint sein könnte. Bei ibn abī Uṣaibiʿa ist im Pinax des Ḥunain kein K. al-Abdāl aufgeführt.

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Medizingeschichte

Auch Muḥammad ibn Aḥmad at-Tamīmī30 hat in seinem K. al-Muršid den Badīġūras ausgeschrieben. In dem fragmentarischen Codex Parisinus 2870, 1 (= Ancien fonds 1088, fol. 1−128) habe ich drei Zitate nachweisen können (fol. 57 b, −4; 104 b 11; 107 a 6). At-Tamīmī’s Zeitgenosse Aḥmad ibn Ibrāhīm ibn abī Ḫālid al-Ǧazzār zitiert in seinem Drogenbuch, dem K. al-Iʿtimād, ebenfalls häufig den Badīġūras31. Man darf annehmen, daß er das auch in seiner Spezialschrift über die Ersatzdrogen, dem K. Abdāl al-caqāqīr, getan hat, das in den Handschriften Escorial 896, 5 und Kairo, Dār al-kutub 5636 ṭibb32 erhalten ist. Ibn Sīnā gibt bei vielen der Heilmittel, die er im zweiten Buch seines Qānūn 239 diskutiert33, die Ersatzdrogen an. Eine Prüfung des Inhaltes dieser Passagen lehrt, daß er zwei Schriften benutzt hat: das Abdāl-Buch des Badīġūras34 und das des Rāzī35. Da er aber seine Quellen nie nennt, ist es nicht immer mit Sicherheit zu bestimmen, ob er den Badīġūras direkt oder über den Umweg des Rāzī ausgeschrieben hat. Jedenfalls haben sich im Qānūn beide Überlieferungsströme wieder vermischt, und was dort über Ersatzdrogen zu lesen ist, ist nichts anderes als die Weisheit des Badīġūras. Ein solches Zusammenfließen verschiedener Überlieferungsströme, die doch nur einer Quelle entstammen, ist dann noch einmal in ibn al-Baiṭār's K. al-Ǧāmiʿ zu beobachten. Er zitiert unsere Ersatzdrogenliste 39 Mal unmittelbar unter dem Autorennamen „Badīġūras“. Aber aus Badīġūras stammt auch, was er an neun Stellen nach Isḥāq ibn ʿImrān zitiert (s. oben p. 187). Und schließlich führt er an 26 Stellen36 auch das K. al-Abdāl des Rāzī an, dessen Materialien zum größeren Teil ja auch nur aus Badīġūras abgeschrieben sind. Genug mit diesen Beispielen. Sie ließen sich bei einer Durchsicht weiterer Drogenbücher sicher leicht vermehren, aber auch so ist schon deutlich _______________ 30 Gest. 370/980, s. Ullmann Medizin 269 f.; GAS III 317 f., 340. 31 Vgl. Lothar Volger, Der Liber fiduciae de simplicibus medicinis des Ibn al-Jazzār in der Übersetzung von Stephanus de Saragossa, übertragen aus der Handschrift München Cod. lat. 253, Diss. München 1941, p. 10, 13, 15, 20, 21, 22, 41, 42, 48, 56, 58, 62, 64, 71, 72, 77, 78. 32 Munaǧǧid Maṣādir p. 254. 33 Hier zitiert nach der Ed. Romae 1593, Bd. I 124, −4 ff. In der Ed. Būlāq 1294 findet sich der Passus Bd. I 243, 13 ff. 34 b. Sīnā Qānūn I 126, 2 f.; 131, −3; 132, 28; 139, −6; 140, 10 f. 23; 141, 11.28; 146, 17 f.; 147, 35; 157, 12.26 f.; 162, 24; 165, 14 f.; 166, −8 f.; 169, 16 f.; 172, 9 f.; 173, 5; 183, 13 f.; 190 paen.; 191, 9.20; 200, 15; 219, 22; 220, 32 f. 36; 256, 27 f.; 270, 22; 279, 17. 35 Zum Beispiel b. Sīnā Qānūn I 199, 6; 215, 27; 229, −7; 237, 31 f.; 243, 17; 246, 6; 271, 19 f.; 279, 8. 36 b. -Baiṭār Ǧāmiʿ I 24, 13; 51, 26; 71, −3 f.; 79 ult.; 86, 26; 111, 23 f.; 119, 3 f.; 122, 8 f.; 160, 2. ult.; 163, −3 f.; 175, 10; II 85, 5; 87, 1; 91, 18; 94, 3; 134, 2; 158, 19; 159, 3 f.; 160, 17; 161 paen.; 163, −6; III 48, −4; IV 51, 2; 110, 18; 204, 16.

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geworden, daß die Schrift des Badīġūras besonders beliebt war und eine ganz unerhörte Nachwirkung gehabt hat. Sie ist also nicht nur in den beiden Istanbuler Handschriften erhalten, sondern noch viele weitere Male durch die Nebenüberlieferung reproduziert. Damit sind wir imstande, die philologischen und sachlichen Probleme, die der Text aufwirft, mit hinreichender Sicherheit zu lösen. Die folgenden Bemerkungen zu Leveys Übersetzung stützen sich allein auf die Zitate37. Sie werden, wie ich hoffe, nicht nur helfen, den englischen Text zu verstehen, sondern sie sollen auch einer späteren Edition die Wege ebnen. *

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Ι 2: Beim Safran fehlt zu Anfang die Wirkungsweise. Aber Rāzī Ḥāwī 5, 240 99 paen. hat sie erhalten: az-zaʿfarān dābiġ li-l-maʿida hāḍim li-ṭ-ṭaʿām. b. Sīnā Qānūn Ι 169, 16 f. gibt als Ersatzstoffe an: badaluhū miṯlu waznihī qusṭ wa-rubʿ waznihī qušūr as-salīḫa. II 2: Die Überlieferung ist hier uneinheitlich. Die von Levey benutzte Handschrift hat offenbar ebenso wie Rāzī Ḥāwī 1, 96, 2 ḥabb al-balasān, d. h. den Samen des Balsambaumes, der Burseracee Commiphora opobalsamum Engl. (vgl. Löw Flora I 299 ff.). In der Liste des Rāzī (Levey p. 54 und b. -Baiṭār Ǧāmiʿ I 80, 1 f., vgl. auch b. Sīnā Qānūn Ι 139, −6) heißt das Stichwort dagegen ḥabb al-bān. Dies ist der Same der Moringa aptera Gaertn., griechisch βάλανος μυρεψική, lat. glans unguentaria (s. Löw Flora II 124). II 4: Levey übersetzt „coconut“. In der Parallele b. -Baiṭār I 109, 13 f. steht duhn al-bān al-fāʾiq „hervorragendes Öl der Behennuß“. duhn al-bān entspricht τὸ βαλάνινον bei Diosk. I 34/p. 40, 7 ff. Es ist das Öl der Samen der Moringa aptera Gaertn. (= Oleum Behen). II 10: Die Übersetzung „A Plant Called Mint“ ist mir unerklärlich. In Anm. 25 umschreibt Levey den Namen mit Idāsmān und verweist auf Wellmanns Dioskurides-Ausgabe III p. 156. Aber nicht Bd. III p. 156, sondern Buch III nr. 156 (= Bd. II p. 163) ist gemeint, nämlich der Artikel ἀνδρόσαιμον. Dies ist aus der Anmerkung 264 zu ersehen, denn ar-Rāzī hat den Artikel II 10 in sein K. al-Abdāl (p. 49) übernommen. Bei Rāzī Ḥāwī 20, 44, 7 (nr. 48) ist der Pflanzenname mit andāmīmān, bei b. -Baiṭār I 62, 13 (und Leclerc nr. 164) mit andāhīmān umschrieben, al-Ġāfiqī/Barhebr. nr. 99 haben īḏmāmīḏ, Vullers I 147 schreibt īdimāmīd, Muwaffaq p. 33 īdāmīd. Die Droge zu identifizieren war mir nicht möglich. _______________ 37 Die Istanbuler Handschriften habe ich nicht einsehen können.

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Medizingeschichte

II 12: Nach Leveys Glossar p. 79 b hat für die Orange hier der Ausdruck šaǧarat al-burtuqāl gestanden. Ich bezweifle, daß dies ursprünglich so war. Die Nebenüberlieferung Rāzī Ḥāwī 20, 594, 3 f. hat jedenfalls den Ausdruck zarrīn-diraḫt (dazu ʿAlī b. Rabban Firdaus 404, 5, Vullers II 133 a, Siggel WB 40 a). II 13: Der Text bei b. -Baiṭār I 111, 24 f. lautet: wa-badal ǧaft al-ballūṭ iḏā ʿadima waznuhū min al-ās wa-niṣf waznihī qišr al-ballūṭ wa-niṣf waznihī wardan bi-aqmāʿihī „das Substitut für die Schale der Eichel38, wenn sie fehlt, ist Myrte 241 im selben Gewicht, Eichenrinde im selben Gewicht und Rosen mit ihren Kelchen39 im halben Gewicht“. Aber der Liber fiduciae des ibn al-Ǧazzār (p. 41 Volger) hat wie Levey: Badiorus dixit: pro scofis ponitur pondus suum mirte et suum pondus corticum maligranati. II 14: Bei der Platane, dulb, fehlt hier die Angabe über die Wirkungsweise. Eine Angabe über die Qualität findet sich aber bei b. -Ǧazzār Iʿtimād (Volger) p. 13: Bedigoras dixit, lignum istud, id est dulb, est frigidum et humidum, non excedens multum temperamentum. II 15: Bei dem Samen der Esche (Fraxinus excelsior L.), arab. lisān al-ʿaṣāfīr, ist die Überlieferung uneinheitlich. Vgl. b. -Baiṭār IV 109, 7 f.: Badīġūras: nāfiʿ min al-ḫafaqān. ġairuhū (sic!): wa-badaluhū waznuhū ǧauz bū muqaššar wa-niṣf waznihī bahman aḥmar. Vgl. dazu b. Sīnā Qānūn I 141, 11: bahman: badaluhū miṯluhū tūdarī wa-niṣf waznihī lisān al-ʿaṣāfīr. Dagegen b. Sīnā ib. 200, 15: lisān al-ʿaṣāfīr: badaluhū ǧauz muqaššar wa-waraqat tūdarī aḥmar. II 23: Vgl. die Parallele bei b. -Ǧazzār Iʿtimād (Volger) p. 21: De naramusa (für nārmušk): proprium est ei subtiliare humores (sic l. pro mores) et dixit Badiorus: pro eo ponitur in equali pondere ciminum carmeni tertiam sui ponderis costi maris (sic l. pro marci, für arab. qusṭ baḥrī). II 28: Die Parallele Rāzī Ḥāwī 21, 267, 11 hat al-qaṣab an-nabaṭī. II 29 gibt Levey „Cuscuta“ an. Aber im Arabischen steht nicht, wie man daraus rückschließend annehmen sollte, kašūṯ (s. WKAS I 204 b 29 ff.), sondern, wie die Parallelstellen bei Rāzī Ḥāwī 21, 360, 1 f. und b. -Baiṭār IV 71 ult. beweisen, das im Schriftbild ähnliche kašt bar kašt (aus pers. gašt bar gašt, s. Vullers II 1007 a, Muwaffaq Abniya 210, 5, b. Sīnā Qānūn I 192, 17 ff., b. Hubal Muḫtārāt II 111, 14 ff.). kašt bar kašt aber ist nach Achundow die Sterculariacee Helicteres isora L. _______________ 38 ǧaft al-ballūṭ ist vielleicht genauer das Häutchen zwischen Schale und Kern der Eichel. So erklärt Bar Bahlūl 477 ult. f. den syrischen Ausdruck gawwāṯā. Vgl. auch 383, 16 und 397, 22; ʿAlī b. Rabban Firdaus 403, −3 f. (dazu Schmucker Materia nr. 199); b. Sīnā Qānūn I 153, 29; WGAÜ 339 s.v. τὸ κέλυφος. 39 Also Flores Rosae cum calycibus.

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II 31: Statt „caper fruit“ hat die Parallele b. -Baiṭār III 95, 15 al-kammūn „Kreuzkümmel“, Cuminum cyminum L. Bei b. -Ǧazzār Iʿtimād (Volger) p. 42 heißt es: pro eo ponitur iuniperus in duplo. II 32 hat Levey „Mushroom“ angesetzt. Durch die Register und durch die Parallelen Rāzī Abdāl p. 55, Rāzī Ḥāwī 4, 54 ult. f. und b. -Baiṭār III 101, 12 f. kann man erfahren, daß der arabische Text ṭarāṯīṯ hat. Ṭurṯūṯ, meist im Plural ṭarāṯīṯ gebraucht, ist der Malteserschwamm, Cynomorium coccineum L., eine chlorophyllfreie, rotbraune, parasitische Pflanze im Mittelmeergebiet, die sich auf Wurzeln verschiedener Pflanzen (Salzpflanzen der Meeresküste und der Salzsteppen) mittels Haustorien ansetzt (s. Richard Wettstein, Handbuch der 242 systematischen Botanik, 4. Aufl., Leipzig u. Wien 1935, p. 651). Belege: Dīwān Ǧarīr I 152, 12/(Ṭāhā) 282, 2 = Ḥam. 165, 10 Freytag; Maidānī Amṯāl Ι 380, 5 = Freytag Prov. 16, 24 (II p. 35); b. -Aṯīr Nihāya III 34, 9; b. Duraid Dīwān p. 63, 3; Qālī Amālī II 175, 12/173, 11; Dīnaw. Nabāt 77, 7; ʿAlī b. Rabban Firdaus 404, −4; Rāzī Ḥāwī 6, 185, 9; 11, 78, 5; 16, 221 ult.; Ps. Ṯābit Ḏaḫīra 176, −4; b. -Ǧazzār Ṣibyān 120, 4; Maǧūsī Malakī II 408 paen.; b. Sīnā Qānūn I 183, 9 ff.; b. -Ḥaššāʾ Mufīd nr. 579; b. a. l-Bayān Dustūr 42, 9; b. Maimūn ʿUqqār nr. 174. — In der Parallelüberlieferung bei b. -Baiṭār III 101, 12 f. ist der Text umfangreicher. Er lautet dort: Badīġūras: ḫāṣṣat at-ṭarāṯīṯ ḥabs addam wa-ʿaql al-baṭn wa-badaluhū niṣf waznihī qišr al-baiḍ muḥraqan wa-ṯulṯā waznihī qurṭ wa-suds waznihī ʿafṣ wa-ʿušr waznihī ṣamġ. Diese Erweiterung findet sich auch bei b. Sīnā Qānūn I 183, 14 und in ar-Rāzī’s K. al-Abdāl, s. Levey p. 55 s. v. Cynomorium. III 2 gibt Levey „Lily“ an. Man muß also annehmen, daß der arabische Text sūsan hat. Durch die Register, in denen noch „genauer“ „Azure lily“ steht, findet man, daß im arabischen Text an dieser Stelle sūs steht, und sūs wird durch die Parallele Rāzī Ḥāwī 21, 70, 11 bestätigt. Sūs aber ist das Süßholz, d. h. die Wurzel der Papilionacee Glycyrrhiza glabra L. Schon der Übersetzer des Dioskurides hatte γλυκύρριζα (III 5 Wellmann) richtig mit sūs identifiziert; nur haben, um die Verwirrung voll zu machen, Dubler und Terés in ihrer Edition p. 240, 21 ff. sūsan gedruckt. Das richtige sūs steht bei b. ‑Baiṭār III 42, 8 ff. Vgl. auch WGAÜ 182; S I 246. III 4: tanqiyat al-maʿida wa-taqwiyat al-kabid hat auch b. -Baiṭār IV 188, 22; b. Sīnā Qānūn I 165, 14f. und das Fragment einer andalusischen Pharmakopöe Ms. Berlin 6436 (= We. 1169), fol. 12 a 9 haben dagegen nafʿ al-kabid wa-ṭṭiḥāl. Statt “two-thirds its weight of Chinese rhubarb” haben b. -Baiṭār und b. Sīnā wa-ṯulṯ waznihī [min ar-rāwand aṣ-ṣīnī]. III 6: Statt „sarcocol“ (arab. anzarūt) hat die Nebenüberlieferung bei b. Sīnā Qānūn I 172, 10: fulful. III 8: Bei b. Sīnā Qānūn I 147, 35 andere Maßangaben: badaluhū afiṯīmūn wa-niṣf waznihī milḥ hindī.

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III 12: Rāzī Ḥāwī 20, 525, 7 f. hat die Variante: ar-rāwand aṣ-ṣīnī ḫāṣṣatuhu n-nafʿ min ḍuʿf al-qalb wa-l-maʿida wa-l-kabid. III 15: In der Parallelüberlieferung sind andere Gewichte angegeben. Bei b. -Baiṭār I 24, 15: asārūn badaluhū waznuhū wa-niṣf waznihī waǧǧ wa-suds waznihī 243 ḥamāmā. Bei Ǧildakī Durra 70 b 7 f.: badal al-asārūn ṯulṯuhū waǧǧ wa-sudsuhū ḥamāmā, dazu der Zusatz: wa-ʿinda ʿadamihī māš. III 16: āḏaryūn (mpers. *ādur-gōn, s. MacKenzie Pahlavi Dict. 5, npers. āḏar-gūn, Vullers I 24 a) ist nicht „peony“, sondern die Komposite Calendula officinalis L., dt. „Ringelblume“, deren Blüten, wie bei Badīġūras indiziert, tatsächlich zur Wundbehandlung und als Abortivum verwendet werden (s. Karsten-Weber-Stahl p. 353 f.). Die Ranunculacee Paeonia officinalis L., dt. „Pfingstrose“, ist dagegen unter I 1 genannt. Im Text steht dort auch richtig fāwāniyā. III 18: Vgl. die andere Gewichtsangabe bei b. -Ǧazzār Iʿtimād (Volger) p. 71: De hermodactili. Dixit Badiorus: pro eo ponitur pondus suum foliorum alchanne et pondus suum bdellii. Aber b. Sīnā Qānūn I 220, 32 f. wie bei Levey. III 22: Levey übs.: “. . is useful to relax the sinews”. Der Text b. -Baiṭār II 85 ult. hat aber: an-nafʿ min istirḫāʾ al-ʿaṣab „ist von Nutzen g e g e n die Schlaffheit der Nerven [bzw. Sehnen]“, und dasselbe lehrt auch b. Sīnā Qānūn I 157, 22. Statt “two-thirds its weight of Aristolochia” hat b. Sīnā ib. Z. 26: ṯamarat al-yanbūt ṯulṯai waznihī. III 24: Statt kabar al-yahūd „Jewish caper“ ist offenbar kufr al-yahūd „Judenpech“ zu lesen, s. WKAS I 265 a 13 ff. Statt „yellow fluid“ lies „dropsy“. Zu al-māʾ al-aṣfar „Wassersucht“ s. Lutz Richter-Bernburg, Eine arabische Version der pseudogalenischen Schrift De Theriaca ad Pisonem, Diss. Göttingen 1969, p. 123. Ferner WGAÜ 696 ff. s. vv. ὑδεριάω, ὑδρωπιάω, ὕδρωψ. III 30: Vgl. b. -Ǧazzār Iʿtimād (Volger) p. 62: Badiorus dixit: pro darameig (entstellt aus arab. darūnaǧ) ponitur pondus suum zeduarii et due partes ponderis sui gariofili. Dem entspricht die Maßangabe bei b. Sīnā Qānūn I 157, 12: waṯulṯāhu qaranful. III 33: Wie aus der Nebenüberlieferung Isḥāq b. ʿImrān (bei b. -Baiṭār II 80, 4 f.) und Rāzī Abdāl p. 62, 1 zu ersehen ist, ist hier der Galgant, d. h. das Rhizom der Zingiberacee Alpinia officinarum Hance, pers. ḫūlinǧān (Vullers I 758 a) genannt. III 34: Den Namen und die Droge kann ich nicht bestimmen. Levey liest aqdar. Ibn Sīnā Qānūn I 139, 9 f. hat den Anfang des Artikels aus Badīġūras abgeschrieben. Er lautet dort: andar. al-māhīya: huwa dawāʾ karmānī ḫāṣṣīyatuhū tazkiyat al-ḥifẓ wa-ḏ-ḏakāʾ. Ebenfalls aus Badīġūras abgeschrieben hat arRāzī in seinen Abdāl (Levey p. 49). Nach der Anm. 266 steht in der Handschrift award. Aber natürlich hat ar-Rāzī für dieses Heilmittel aus Kermān

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keinen Berbernamen verwendet; daher ist seine Identifizierung mit „Sumac“ falsch. III 35 handelt nicht von der „Horse-Mint“, der Labiate Mentha sylvestris L., sondern von der „Pfefferwurzel“, Radix Piperis longi. Das Stichwort heißt 244 fulfulmūya (aus sanskrit pippalīmūla, pers. pilpil-mūya, s. Vullers I 370 a). Vgl. auch b. Sīnā Qānūn I 237, 10 ff. und Schmucker Materia nr. 540. Den Passus zitiert Isḥāq b. ʿImrān bei b. -Baiṭār III 168, 1−3: yanfaʿu min al-qaulanǧ wa-nniqris wa-sāʾir al-auǧāʿ al-kāʾina min al-burūda wa-badaluhū iḏā ʿadima waznuhū min an-nārmušk wa-ṯulṯā waznihī min as-sūrinǧān wa-ṯulṯ waznihī min alqurṭum al-muqaššar. Die gleichen Gewichtsangaben finden sich in der Parallele b. -Ǧazzār Iʿtimād (Volger) p. 72: Badiorus dixit: pro eo ponitur pondus suum naremusi, id est maligranati silvestris, et due partes hermodactili et tertia pars seminis croci silvestris. III 36: Der Text hat karkarūhin, also ein Elektuarium (s. Vullers II 820 b). Levey hat es mit karkarhin, der Composite Anthemis pyrethrum L. (= Anacyclus pyrethrum DC) „Pellitory of Spain“ verwechselt. Letzteres wird in diesem Text mit ʿāqir qarḥā wiedergegeben, s. II 30. In der Parallelüberlieferung Rāzī Ḥāwī 21, 350, 13 f. ist der Name des Elektuariums zu krwkrdhn entstellt. Statt „epilepsy“ heißt es dort fāliǧ „Hemiplegie“. IV 6: In der Anm. 99 ist der Drogenname mit karwān angegeben. Zu lesen ist kizwān, s. Vullers II 830 b. Es ist die Labiate Melissa officinalis L., zu deutsch „Zitronenmelisse“. Auch Rāzī Ḥāwī 21, 370, 7 f., wo die Stelle anonym zitiert ist, hat fälschlich krwān. Statt dafʿ al-hamm „Vertreibung der Sorge“ (so auch b. -Baiṭār IV 70, −3) hat ar-Rāzī dafʿ al-hawāmm „Vertreibung des Ungeziefers“. IV 11: Was man sich unter “The Exudation of a Tree Which Contains a Resin” vorzustellen hat, wird niemand leicht erraten. Es handelt sich um Indigo, den Saft der Leguminose Indigofera tinctoria L., mittelpers. nīlag, s. Vullers II 1392 b, arab. daraus nīlaǧ. Die Identifizierung ergibt sich klar aus der Nebenüberlieferung: Isḥāq b. ʿImrān, bei b. -Baiṭār IV 187 paen. f.: badaluhū iḏā ʿadima waznuhū min daqīq aš-šaʿīr wa-ṯulṯuhū min māmīṯāʾ, sowie b. ‑Ǧazzār Iʿtimād (Volger) p. 20: De nyleg. Badiorus dixit: stipes sua constringit sanguinem et valet apostematibus calidis, pro eo ponitur pondus suum de farina ordei et due partes unius ponderis memithee. IV 15: Die Überlieferung bei der Polypodiacee Adiantum capillus Veneris L., pers. barsiyāwušān, arab. kuzburat al-biʾr (s. WKAS I 564 b 5 ff.) ist ganz uneinheitlich. Die Passage ist im K. al-Abdāl des Rāzī zitiert, s. b. -Baiṭār I 86, −8f. Dort heißt es: badaluhū waznuhū min zahr al-banafsaǧ wa-niṣf waznihī min aṣl as-sūsan. Levey p. 50 übersetzt: “half its weight of violet and the leaf and root of the licorice plant”. Anstelle von sūsan „Lilie“ stand also sūs „Süßholz“ in

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245 seinem Text. Das anonyme Zitat bei b. Sīnā Qānūn I 146, 17 f. lautet wieder etwas anders: waznuhū banafsaǧ maʿa niṣf waznihī rubb as-sūs. IV 18: Statt „storax“ muß es „Weihrauch“ heißen. Levey hat lubān ḏakar mit lubnā verwechselt. IV 24: Zu lesen ist mūrd-isfaram (aus pers. mōrd, MacKenzie Pahlavi Dict. 56, Vullers II 1226 a, und mpers. sprahm, MacKenzie 76, npers. isparġam „duftendes Kraut“, Vullers I 90 a). Es ist die „wilde Myrte“, vgl. ʿAlī b. Rabban Firdaus 402, 14 f. (dazu Schmucker Materia nr. 745); Rāzī Ḥāwī 21, 578, 12 ff. (nr. 846); b. Sīnā Qānūn I 211, 19 ff.; b. -Baiṭār IV 169, 5 ff. (= Leclerc nr. 2187); Bar Bahlūl 1041, −3f. IV 30: Statt “half its weight of seseli” hat b. -Baiṭār IV 80, −5 waznuhū min as-sāsāliyūs. IV 31: Statt “double its weight of hart’s tongue fern” hat b. -Baiṭār IV 81, 16 f. nur waznuhū min as-sqūlufandriyūn. IV 42: Es handelt sich um die Solanacee Physalis alkekengi L., arab. kākanǧ. Vgl. die Parallele b. -Ǧazzār Iʿtimād (Volger) p. 48: Badiorus dixit: pro eo ponitur pondus suum seminis cucumeris et pondus suum succus pinus. V 6: Beim Galbanum (pers. bārzad, arab. qinna), einem Umbelliferenharz, das hauptsächlich von Ferula galbaniflua Boiss. et Buhse gewonnen wird, schwankt die Überlieferung stark: Isḥāq b. ʿImrān, bei b. -Baiṭār IV 38, 1 : wabadal al-qinna waznuhā min as-sakbīnaǧ wa-niṣf waznihā min ṣamġ al-ǧāwašīr. Ibn -Ǧazzār Iʿtimād (Volger) p. 56: Badiorus dixit: pro eo ponitur pondus suum et semen (sic !) de opopanaco. V 17: Levey übersetzt: “Its effect is useful for wounds of the body and eyes and is a styptic”. Der Text bei b. -Baiṭār II 25, 3 f. lautet aber: an-nafʿ min alaurām ar-raḫwa wa-l-ḥārra (sic l.) wa-n-nuffāḫāt fī l-ǧasad wa-qaṭʿ ad-dam „ist von Nutzen gegen die weichen und heißen Geschwülste, gegen Bläschen am Körper und stillt die Blutung“. Die Ersatzdrogen gibt b. Sīnā Qānūn I 173, 5 (nach Rāzī Abdāl p. 55, 1 ff.) folgendermaßen an: badaluhū waznuhū fīlzahraǧ wa-waznuhū maǧmūʿ fulful wa-ṣandal mutasāwiyain. V 19 setzt Levey mit „Black Medicine“ an. Die Anm. 157 belehrt uns, daß im Text „Siyāh-dāwarān“ steht, wozu der Verfasser bemerkt: “Should possibly read siyāh-dārū, “black remedy”, some kind of oxymel”. Das ist zweifellos 246 unrichtig40. Siyāh-dāwarān erscheint im Arabischen meist entstellt und verkürzt in der Form sādarwān. Muḥammad ibn Aḥmad at-Tamīmī gibt in seinem K. _______________ 40 Auch Schmucker Materia nr. 411 unzutreffend. Bar Bahlūl 616, 15 hat siyāh-dāwarān, gibt aber in der unklaren und verderbten Glosse eine ganz andere Inhaltsbestimmung (dazu Paul de Lagarde, Gesammelte Abhandlungen, Leipzig 1866, 38 nr. 95). Auf p. 59 ult. hat die Edition des Bar Bahlūl siyā-dawarān, auf p. 452, 24 sāḏarwān.

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al-Muršid 41 eine genaue Beschreibung dieses Stoffes. Sie ist reproduziert bei b. -Baiṭār III 3, 5 ff. (Leclerc nr. 1152) und Nuwairī Nihāya 11, 317, 1−4 und von Eilhard Wiedemann, SPMSE 48−49, 1916−17, 22 (= Beiträge XLIX) = Wiedemann Aufsätze II 236, übersetzt worden. Danach ist es eine schwarze, der Gagatkohle ähnliche Masse, die sich in den Hohlräumen der Wurzeln alter Wallnußbäume (Juglans regia L.) bildet. Die Badīġūras-Stelle ist zitiert bei Rāzī Ḥāwī 21, 47, 4, b. -Baiṭār III 3, 19 und anonym bei b. Sīnā Qānūn I 220, −7 (badaluhū fīlzahraǧ waznuhū wa-ṯulṯ uṣūl al-qaṣab). V 22: Statt „ceruse“ ist vermutlich „spinach“ zu lesen. Der Text hat, wie es scheint, isfānāḫ, nicht isfīḏāǧ. V 23: al-māʾ al-aṣfar ist nicht „yellow water“, sondern „dropsy“, s. Bemerkung zu III 24. V 24 Anm. 162: Die Übersetzung von turāb al-qaiʾ durch „arsenic“ ist unrichtig. Turāb al-qaiʾ ist „Artischockengummi“, s. b. -Baiṭār I 137, −3 f., IV 87, 18, Nuwairī Nihāya 11, 311, 8, Freytag I 188 a, Siggel WB 23 a. Auffällig ist nur, daß Badīġūras sich nicht darüber im klaren war, daß kankarzad (zu diesem s. WKAS I 397 b 20 ff.) und turāb al-qaiʾ Synonyme sind. Er gibt hier also keine Ersatzdroge, sondern dasselbe Mittel an. V 25 ist nicht das „compound remedy“ gemeint, wie in der Anmerkung gesagt ist, sondern die einfache Substanz lakk bzw. lukk, der Stocklack (Rohschellack). Es handelt sich um ein Sekret der Lackschildlaus, Coccus lacca Kerr, die auf Schleicheria trijuga, Zizyphus jujuba und anderen Zizyphus-Arten, Croton aromaticus, Croton lacciferus, Butea frondosa, Ficus religiosa, Ficus indica usw. lebt und kultiviert wird. Der Saft junger Zweige dieser Bäume wird von den Larven zu einer lackartigen Substanz umgearbeitet42. Vgl. ʿAlī b. Rabban Firdaus 305, −5; Tamīmī Muršid, Ms. Paris 2870, 1, fol. 14 a, −5 ff.; Tauḥīdī Imtāʿ II 108, 7; b. Sīnā Qānūn I 199, 14; b. -Baiṭār IV 110, 7 ff.; b. -Quff Ǧirāḥa I 259, −6 ff. Das Wort stammt aus altindisch lākṣā, prakrit lakkhā, s. J. Scheftelowitz, in: Zeitschrift für Buddhismus 7, 1926, 283. Vgl. auch WKAS II 1241 b 6 ff. V 27: kamāšīr ist nicht Opoponax, sondern wahrscheinlich das Gummi von Athamanta macedonica Spreng., das dem Opoponax nur ähnelt, s. WKAS I 576 247 b 19 ff. Es ist also „Macedonian parsley“ einzusetzen. V 32: Statt bloßem „salt“ hat die Parallele bei Tamīmī Muršid fol. 57 b, −4 f. milḥ andarānī. _______________ 41 Ullmann Medizin 269 f. 42 Heinz A. Hoppe, Drogenkunde. Handbuch der pflanzlichen und tierischen Rohstoffe, 7. Auflage, Hamburg 1958, p. 983.

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V 33: Vgl. b. -Ǧazzār Iʿtimād (Volger) p. 87: Badiorus dixit: amixatir (entstellt aus anuxatir für arab. an-nūšādir) liquefacit et subtiliat et dividit, pro eo ponitur pondus suum aluminis et pondus suum nitri et pondus suum sal gemme. V 39: Statt „dross of iron“ hat die Parallele Tamīmī Muršid fol. 104 b 11 tūbāl an-nuḥās! V 44: „Stone Called Shell“, dazu die Anmerkung 185: “Shanj is Persian. It is the shell frequently used for glazing”. Wie die Nebenüberlieferung im Liber fiduciae des ibn al-Ǧazzār (Volger p. 22) beweist, ist nicht šanǧ, sondern šabaǧ (bzw. sabaǧ) zu lesen. Die dortige Beschreibung des Steines, seine Herkunft aus dem Orient und aus Indien, seine Verwendung als Augenheilmittel, besonders bei cataracta incipiens, stimmt genau mit der Beschreibung des Steins im Steinbuch des Aristoteles und in den von ihm abhängenden Quellen überein (vgl. Ps. Arisṭ. Aḥǧār 107, 9, dazu Ruska p. 55 f.; b. -Baiṭār III 4, 17; Qazw. ʿAǧāʾib 228, 9 ff.). Sabaǧ ist in der lateinischen Handschrift des Liber fiduciae (München 253) zu ebeig entstellt. Es heißt dort: Item dixit Badiorus: quando volueris ponere in alcofolis (für al-kuḥl, Plur. al-akḥāl, „Augenpulver“) et non habueris, ponitur pro eo spuma marina in quadruplo. Die Substanz sabaǧ ist höchstwahrscheinlich der „Gagat“, eine bituminöse Braunkohle, die sich drechseln und polieren läßt und die als Schmuck unter der Bezeichnung „Jett“ bekannt ist. Es ist offenbar nicht der Obsidian, wie Siggel Wörterbuch 82 a im Anschluß an Clément-Mullet angibt43. Der Übersetzer der Materia medica des Dioskurides hat allerdings ὁ γαγάτης λίθος nicht mit sabaǧ wiedergegeben, sondern nur mit ġāġāṭis umschrieben (Diosk. I 73/p. 78, 1; V 128/p. 434, 10 ff.)44. Zu sabaǧ vgl. noch die folgenden Stellen: An-Naẓẓām, bei Ǧāḥiẓ Ḥayaw. V 3, 12/8, 6 (dazu ZDMG 64, 1910, 385 Anm. 1); 17, 16/47, 13; Fihrist 312, 14; Muqaddasī Taqāsīm 326, 6; Waššāʾ Muwaššā 127, 20 f.; Azdī Ḥikāya 30, 17; 248 Ṯaʿāl. Laṭāʾif 118, 3; Bīrūnī Ǧawāhir 199, 9 ff.; Ps. Maǧrīṭī Ġāya 402, 9; Maʿarrī Siqṭ 1576 v. 20; Ṣafī ad-Dīn al-Ḥillī, Dīwān (Bairūt 1962) 257, −4; Dimašqī Nuḫba 70, 2; 83, 8 ff.; Nuwairī Nihāya 11, 317, 1; Akfānī Ǧawāhir (ed. Anastase) 84, 5. Das Wort ist aus dem mittelpersischen šabag (MacKenzie Pahlavi Dict. 78, neupers. šaba, Vullers II 409 a) übernommen, s. schon Ǧawāl. Muʿarrab 82, 8/183, 8. Die Badīġūras-Handschriften haben noch die dem Persischen _______________ 43 Auch in meinem Buch „Die Natur- und Geheimwissenschaften im Islam“ (Handbuch der Orientalistik, Ergänzungsband VI, 2. Abschnitt), Leiden/Köln 1972, p. 113, 131 und 132 ist „Gagat“ statt „Obsidian“ zu lesen. 44 Auch in dem K. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā des Hermes, Ms. Bodl. arab. d. 221, fol. 28 b 15, ist γαγάτης nur mit aġāġāṭis umschrieben, und auch Bar Bahlūl (863, 14 ff., 970, 22 f.) und der von ihm zitierte Masīḥ ad-Dimišqī verwenden nur das Wort ġāġāṭīs.

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genau entsprechende Lautform šabaǧ (mit šīn), und genauso ist in dem wertvollen alten Hermeticum fī Manāfiʿ al-aḥǧār wa-ḫawāṣṣ al-ašyāʾ Ms. Bodl. d. 221, fol. 32 b 9 punktiert.

Nachträge Zu S. 182 Anm. 9: Daß Ḥunain die von Iṣṭifān ibn Basīl angefertigte arabische Übersetzung der Materia medica des Dioskurides verbessert habe, trifft nicht zu. Vgl. M. Ullmann, Untersuchungen zur arabischen Überlieferung der Materia medica des Dioskurides, Wiesbaden 2009, p. 50‒58. Dessen ungeachtet ist die hier getroffene Feststellung, daß Ḥunain die Schrift des Badīġūras n i c h t übersetzt hat, richtig. Die Termini karma baiḍāʾ, karma saudāʾ, bizr qaṭūnā, māzariyūn und ʿinab aṯ-ṯaʿlab sind auch durch andere Übersetzungen Ḥunains bezeugt, vgl. WGAÜ 101; S II 350; 668; 729. Zu S. 184: Zu den zwölf den Griechen unbekannten Drogen vgl. die entsprechenden Stichwörter bei Albert Dietrich, Die Ergänzung Ibn Ǧulǧul’s zur Materia medica des Dioskurides (AAWG, Phil.-Hist. Kl., Dritte Folge Nr. 202), Göttingen 1993. Zu S. 194 nr. V 19: Zu siyāh-dāwarān bzw. siyāh-dāruwān vgl. Anton Spitaler, Philologica, Wiesbaden 1998, p. 494; Albert Dietrich, Dioscurides Triumphans, Göttingen 1988, p. 121 Anm. 5.

Der Werwolf Ein griechisches Sagenmotiv in arabischer Verkleidung* „Mit Chatrab“, so schreibt Josef von Görres in seinem Werk Die christliche Mystik1, „bezeichnen die Araber ein Wasserflohähnliches, über die Wässer hinlaufendes Thier.“ Was hat es mit dieser Notiz auf sich? Wir stellen zunächst fest, daß Chatrab nur eine ungeschickte Umschrift des Wortes quṭrub ist, und fragen den Lisān al-ʿarab des ibn Manẓūr al-Ifrīqī (gest. 711/1311). Ibn Manẓūr beginnt das Lemma qṭrb2 mit der folgenden Erklärung: „Der quṭrub ist ein kleines Tier, das in der Zeit des Heidentums vorkam. Man behauptet, daß es überhaupt keine Ruhe hat. Auch sagt man, es laufe tagsüber ohne Pause herum.“ Nun wird es etwas bunt: „Der quṭrub ist der Dumme (al-ǧāhil), der seine Dummheit nicht verhehlen kann; es ist der Tor (as-safīh). Ṯaʿlab (gest. 291/904) sagt, der quṭrub sei der Flinke (al-ḫafīf).“ Wenn Ṯaʿlab aber dazu die Redensart der Beduinen inna-mā anta quṭrubu lailin „du bist ein rechter Nachtquṭrub“ anführt, so ist das, meint ibn Manẓūr, ein Indiz dafür, daß al-quṭrub ein Tierchen sei, kein Adjektiv, wie Ṯaʿlab behauptet3. Zum Schluß, nach einigen Anekdoten und Versen, läßt ibn Manẓūr seine Erklärungen wie Hammerschläge niederprasseln: „Der quṭrub ist der männliche Wüstendämon (ḏakar alġīlān). Der quṭrub ist ein männliches Exemplar des Hexengeschlechtes (ḏakar 172 as-saʿālī). Der quṭrub ist der Welpe des Hundes. Der quṭrub ist der dreiste Räuber. Der quṭrub ist ein Vogel. Der quṭrub ist ein Schakalwolf, dem die _______________ *

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Die Quellen sind im folgenden nach den Ausgaben und mit den Abkürzungen zitiert, die im Wörterbuch der Klassischen Arabischen Sprache (WKAS) verwendet werden. Herzlich danken möchte ich Herrn Prof. Fritz Meier, Basel, der mir zum Thema des Werwolfs viele wertvolle Hinweise gegeben hat, sowie Herrn Dozenten Rainer Degen, Marburg, der mir zu der aramäischen Etymologie des Wortes quṭrub Auskunft erteilt hat. Bd. III, Regensburg 1840, p. 268. Lis. 2, 176, ‒4 / 1, 683 a 10 ff. Ibn Manẓūr bezieht sich hier auf Ṯaʿlab Maǧālis 446, 2.

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Haare ausgefallen sind. Der quṭrub ist der Feigling, mag er auch klug sein. Der quṭrub ist der, der infolge einer Geistesstörung (lamam) oder bei einem Zweikampf zu Boden stürzt. Wa-llāhu aʿlam.“ Wer glaubt, daß die Araber mit diesem schönen Feuerwerk ihr Pulver schon verschossen hätten, muß sich eines Schlechteren belehren lassen: ,,Der quṭrub hat die Gestalt einer Katze“, sagt al-Masʿūdī4. „Der quṭrub ist eine Maus, ein Schakalwolf, dem die Haare ausgefallen sind, ein Tor (as-safīh) und eine Art der Melancholie“, so tönt es aus ad-Damīrī’s Munde5. „Man kann sagen: ,in ihm ist ein quṭrub‘, d.h. ,er ist verrückt‘ (bihī ǧunūn)“, weiß ibn Duraid (gest. 321/933) zu berichten6. Al-Marzubānī (gest. 384/994), der sich auf Ṯaʿlab beruft, belehrt uns folgendermaßen: „Der quṭrub ist ein kleines Tier, das viele Bewegungen ausführt; es ist die Grille (ṣarrār)7.“ Aḥmad ibn ʿAbd alMuʾmin aš-Šarīšī (gest. 619/1222) weiß in seinem Kommentar zur Maqāma al-Ǧalabīya (nr. 46) des Ḥarīrī wieder etwas anderes: „Der quṭrub ist ein kleines, geisterhaftes Tier (duwaibba ǧinnīya), das bei Nacht umgeht und sich auf den Menschen kniet, der dadurch eine drückende Last empfindet. Die Araber nennen es Alp (naidulān, kābūs, ǧāṯūm usw.)8.“ Schließlich sagt der Šarīf al-Idrīsī (gest. 560/1166) in seinem Drogenbuch9: „Der quṭrub ist ein kleines Tier, das bei Nacht leuchtet, als wäre es ein Feuerbrand“10, und zuletzt, da wir schon bei einem Pharmazeuten sind, wollen wir noch ibn Sīnā fragen11. Der quṭrub, so sagt er, sei ein Tierchen, das auf der Oberfläche des Wassers vorkomme und dem verschiedenartige ungeordnete Bewegungen eigen seien; jede Stunde tauche und fliehe es, um dann wieder zum Vorschein zu kommen12. Damit sind wir nun endlich bei der Quelle angelangt, aus der Görres seinen 173 „Wasserfloh“ gefischt hat, und damit haben wir zugleich den Schlüssel zu dem ganzen Problem in der Hand. _______________ 4 5 6 7 8 9

Mas. Murūǧ III 321, 2 (§ 1204). Damīrī Ḥayāt II 302 paen. Ǧamh. IIΙ 307 b 5 f. Marzb. Muqtabas 174, 6. Šarīšī ŠMaq. II 385 paen. ff. Zu diesem vgl. Manfred Ullmann, Die Medizin im Islam (Handbuch der Orientalistik, hsgb. von B. Spuler, Erste Abt., Erg.bd. VI, 1. Abschnitt), Leiden/Köln 1970, p. 277 f. 10 Zitiert bei b. -Baiṭār Ǧāmiʿ III 12, 12. 11 b. Sīnā Qānūn I 316, l / II 71, 22 f. 12 Der in vielem von ibn Sīnā abhängige abū l-Ḥasan ʿAlī ibn Aḥmad ibn Hubal (Muḫtārāt III 48, 18 f.) weiß es noch etwas anders: „Der quṭrub ist ein Tierchen in der Gestalt einer Ameise, so lang wie zwei [seiner] Beine. Es läuft über das Wasser und führt ohne Ordnung schnelle Bewegungen aus“.

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Ibn Sīnā nämlich bringt diese (und andere) Erklärungen im Zusammenhang eines Krankheitsbildes, das er al-quṭrub nennt13. Das sei eine Art der Melancholie, die vornehmlich im Februar (šubāṭ) auftrete. Der Kranke meide die Gesellschaft der Lebenden und suche nachts die Gräber auf, halte sich tagsüber aber verborgen. Dabei verweile er an keinem Ort länger als eine Stunde, sondern streife ziellos umher, er blicke finster drein und sei in Trübsinn versunken. Seine Gesichtsfarbe sei gelb, die Zunge trocken, an seinen Beinen habe er Wunden, die nicht verheilen. Denn er stolpere ständig und schlage sich die Füße wund, oder ein Hund beiße ihn. Die Augen seien tränenlos und eingesunken. Ähnlich hatten schon ʿAlī ibn al-ʿAbbās al-Maǧūsī und abū l-Qāsim Ḫalaf ibn al-ʿAbbās az-Zahrāwī14 diese Krankheit beschrieben. Nach al-Maǧūsī’s Darstellung15 ahmt der Kranke die Hähne nach und schreit wie diese, oder er ahmt die Hunde nach und bellt wie sie. Er besucht nachts die Friedhöfe und verweilt dort bis zum Anbruch des Morgens. Seine Farbe sei gelb, die Augen seien dunkel, trocken, eingesunken, der Mund entbehre des Speichels, der Kranke dürste viel. An seinen Beinen brächen Wunden und Geschwüre auf, ebenso im Gesicht, denn er stolpere oft und stürze vornüber. An seinen Beinen seien die Spuren der Hundebisse zu sehen. Kaum einer, der an dieser Krankheit leidet, werde wieder gesund. Sie sei im übrigen erblich16. Wir kennen diese Krankheit aus der griechischen Medizin. Hippokrates und Galen allerdings wissen noch nichts von ihr, aber die byzantinischen Autoren beschreiben sie, in fast allen Einzelheiten mit al-Maǧūsī und ibn Sīnā 174 übereinstimmend. Es ist die L y k a n t h r o p i e , über die Oreibasios17, Aetios von Amida18, Paulos von Aigina19, ein gewisser Sikamios20, Michael Psellos21, _______________ 13 b. Sīnā Qānūn I 315, 44 / II 71, 10 ff. 14 K. at-Taṣrīf, Ms. Chester Beatty 4009, fol. 110 b‒111 a. Ich verdanke die Abschrift dieses Passus der Freundlichkeit von Herrn David James. 15 Maǧūsī Malakī I 333 ult. ff. 16 Die Darstellung bei b. Hubal Muḫtārāt III 48, 16‒49, 12 vereinigt Elemente aus alMaǧūsī’s und ibn Sīnā’s Bericht. 17 Oribasii Synopsis ad Eustathium VIII 9, ed. Joannes Raeder (CMG VI 3), Lipsiae et Berolini 1926, p. 250, 10 ff. 18 Aetii Amideni Libri medicinales, Liber VI 11, ed. Alexander Olivieri (CMG VIII 2), Lipsiae et Berolini 1950, p. 151, 21 ff. 19 Paulus Aegineta III 16, ed. I. L. Heiberg (CMG IX 1), Lipsiae et Berolini 1921, p. 159, 19 ff. 20 Sicamii Aetii Libellus de Melancholia, in: Claudii Galeni Opera omnia, ed. Carolus Gottlob Kühn, Vol. 19, Lipsiae 1830, p. 719 f. 21 Pselli Carmen De re medica, ed. Julius Ludovicus Ideler, Physici et medici graeci minores, Vol. I, Berolini 1841, p. 227, vss. 837‒841.

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Johannes Aktuarios22 und ein Anonymus23 im Anschluß an die Melancholie gehandelt haben. Nun läßt sich ziemlich genau sagen, wer von diesen Autoren den arabischen Ärzten als Quelle gedient hat. Aetios und der von ihm abhängige Sikamios, nicht aber Oreibasios, Paulos und die jüngeren Byzantiner, sprechen davon, daß die Krankheit κατὰ τὸν Φευρουάριον auftrete, und das berichten auch az-Zahrāwī und ibn Sīnā. Zur Therapie empfehlen nur Aetios und Sikamios die διὰ τῆς κολοκυνθίδος ἱερὰ Ῥούφου ἢ Ἀρχιγένους ἢ Ἰούστου. Bei al-Maǧūsī24 sind es der iyāraǧ al-Lūġāḏiyā und der iyāraǧ Rūfus, bei ibn Sīnā ist es der iyāraǧ Arkāġānīs. Dagegen ist keines dieser „Heiligmittel“ bei Oreibasios und Paulos erwähnt. Man darf daher wohl annehmen, daß al-Maǧūsī, azZahrāwī und ibn Sīnā dieselbe griechische Quelle benutzt haben und daß diese Quelle entweder das Werk des Aetios selbst oder eine von ihm abhängige uns unbekannte Kompilation in griechischer oder arabischer Sprache gewesen war. Das Büchlein des Sikamios kommt aus chronologischen Gründen dafür aber kaum in Frage25. Wenn al-Maǧūsī schließlich davon spricht, daß die Kranken H ä h n e nachahmen (was keiner der byzantinischen Autoren berichtet), so hat er diese Notiz wahrscheinlich Galens Werk De locis affectis26 entnommen. Galen allerdings rechnet das Nachahmen der Hähne zu den Symptomen der gewöhnlichen Melancholie. Αl-Maǧūsī jedoch hat, wie es scheint, diese Einzel- 175 heit aus Galens Kontext herausgelöst und dem Krankheitsbild der Lykanthropie angegliedert. Ihm als einem des Griechischen unkundigen Autor war nicht mehr klar, daß ein Mensch, der sich wie ein H a h n aufführt, nicht an einer Krankheit leiden kann, die ihren Namen vom W o l f e hat27. Die Lykanthropie ist zuerst von Markellos von Side beschrieben worden, einem Arzt, der zur Zeit des Antoninus lebte und 42 Bücher Ἰατρικά in Hexametern verfaßt hat28. Zwar sind die Autorenlemmata des Aetios — denn _______________ 22 23 24 25

Joannis Actuarii De diagnosi Liber I 35, bei Ideler Vol. II, Berolini 1842, p. 387, 34 ff. Ideler ib. p. 282. Maǧūsī Malakī II 267, 24 f. Diese Feststellung ist von einiger Bedeutung, da bisher über die arabische Überlieferung des Aetios nur sehr wenig bekannt ist, vgl. Ullmann Medizin p. 84 f.; 326; 334 f.; GAS III 164 f. 26 De locis affectis III 10 (Bd. VIII 190, 4 ff. Kühn). 27 Die Darstellung des Maǧūsī war, wie schon Röscher (s. Anm. 28) p. 18 vermutet hatte, die Quelle für Vinzenz von Beauvais, Speculum sapientiae 15, 59, wo es heißt: Est et quaedam melancholiae species, quam qui patitur galli canisve similitudinem habere sibi videtur, unde ut gallus clamat, vel ut canis latrat. Nocte ad monumenta egreditur ibique usque ad diem moratur. talis nunquam sanatur, haec passio a parentibus haereditatur. 28 Wilhelm Heinrich Röscher, Das von der „Kynanthropie“ handelnde Fragment des Marcellus von Side (Abhandlungen der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, phil.-hist. Classe, Bd. 17, 3), Leipzig 1896; Ulrich von Wilamowitz-

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diesem verdanken wir die Quellenangabe — oft unzuverlässig29, hier aber verdient er Vertrauen, denn in der Suda [unter M 205] heißt es ausdrücklich, daß Μάρκελλος Σιδήτης in seinen medizinischen Büchern auch über den Lykanthropos, d. h. den Werwolf30, gehandelt habe31. Daß gerade Markellos es gewesen ist, der eine im Volke verbreitete Vorstellung aus dem Bereich des Zauberwesens in die wissenschaftliche Medizin übernommen hat, ist sehr gut zu verstehen, nachdem Max Wellmann auf die Beziehungen dieses Arztes zur Magie hermetischer Färbung aufmerksam gemacht hat32. Wir wissen heute, daß sich in der Vorstellung vom Werwolf abnorme oder krankhafte mensch176 liche Wünsche und Triebe objektiviert haben. Markellos, der von Sigmund Freud noch nichts wußte, scheint dennoch das Pathologische am Phänomen des Werwolfes geahnt zu haben, und es war dann ganz folgerichtig, daß er die Lykanthropie der Melancholie zugerechnet hat, die ja ein Sammelbegriff für verschiedene Geisteskrankheiten war33. Das Motiv der Verwandlung von Menschen in Wölfe klingt bereits in der Odyssee (X 212) an: Eurylochos findet mit seinen Gefährten Bergwölfe (λύκοι ὀρέστεροι) und Löwen, die Kirke durch böse Kräuter verzaubert hatte. Aber die eigentliche Werwolfsage ist in Arkadien beheimatet. Pausanias (VIII 2) berichtet, daß Lykaon, der Sohn des Pelasgos, der der erste König von Arkadien war, in einen Wolf verwandelt wurde, als er auf dem Altar ein Menschenkind opferte34. Plinius erzählt, daß ein Mann aus dem Geschlecht des Anthos, wenn er einen See in Arkadien durchschwimme, zu einem Wolf werde. Nach neun Jahren könne er seine Menschengestalt wiedererlangen, wenn er sich in dieser Zeit an keinem Menschen vergriffen habe35. Von den Neuren, einem skythischen Geschlecht, das etwa in der Bukowina ansässig war, berichtet Herodot, daß jeder Stammesangehörige einmal im Jahre für _______________

29 30 31 32 33 34 35

Moellendorff, Marcellus von Side (Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, 1928), Berlin 1928, p. 3‒30; Wilhelm Kroll, Art. Markellos von Side, RE 14, 2 (1930) 1496‒1498. Vgl. zuletzt: Alexander Sideras, Byzantinische Zeitschrift 67, 1974, 129 unten. Wer heißt „Mann“ und entspricht etymologisch dem lateinischen vir. Suidae Lexicon, ed. Ada Adler, Pars III, Lipsiae 1933, p. 326, 1‒3. Max Wellmann, Marcellus von Side als Arzt und die Koiraniden des Hermes Trismegistos (Philologus Supplementband 27, Heft 2), Leipzig 1934. Zur Melancholie wurden auch euphorische und manische Erregungszustände gerechnet, vgl. Hellmut Flashar, Melancholie und Melancholiker in den medizinischen Theorien der Antike, Berlin 1966. Pausanias Description of Greece, with an English Translation by W. H. S. Jones (The Loeb Classical Library), Vol. III, London ‒ Cambridge, Mass. 1966, p. 350 ff. Bei anderen Autoren ist die Sage unterschiedlich ausgestaltet. Plinius Nat. hist. VIII 81.

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wenige Tage in einen Wolf verwandelt, hernach aber wieder zum Menschen werde36. Solche Werwolfsagen finden sich, wie Wilhelm Hertz und andere festgestellt haben37, vorzugsweise bei den Griechen, Römern, Kelten, Germanen und Slawen, sie sind den Indern, Iranern und Semiten hingegen fremd. Aber die Hellenisierung hat dieses Sagenmotiv nun auch in den Orient getragen, 177 und wir wollen versuchen, seine Spuren bei den Arabern zu verfolgen. Zunächst zur Etymologie und Bedeutung des Wortes quṭrub. Rudolf Geyer38 hatte angenommen, daß die erste Silbe des Wortes λυκάνθρωπος von den Arabern als Artikel aufgefaßt, daß al-quṭrub demnach analog zu Ἀλέξανδρος/ al-Iskandar, λιμήν/al-mīnā usw. gebildet worden sei. Das ist schwerlich richtig, denn dann müßte al-quṭrub unmittelbar auf λυκάνθρωπος zurückgehen. Das arabische Wort hat aber in qanṭropos eine syrische Vorstufe, wie schon Georg Hoffmann39 und Rubens Duval40 nachgewiesen haben41. Bereits im Syrischen ist die erste Silbe apokopiert, und ebenso findet sich dort bereits die regelwidrige — wenn auch nicht ganz ungewöhnliche — Wiedergabe des griechischen θ durch ṭ. Qanṭropos ist von den Arabern dann zu quṭrub weiterentwickelt worden, wobei die noch erinnerte ursprüngliche Wortbedeutung die Angleichung an ein Morphem befördert haben mag, das für viele Tiernamen gilt, z. Β. furʿul ,,junge Hyäne“, qunfuḏ „Igel“, ǧundub „Heuschrecke“. Auf diesem Hintergrund wird nun auch verständlich, wie die Menge der eingangs zitierten Wortbedeutungen zustande gekommen ist. Eine derartige Polysemie ist natürlich Unfug, und es ist offenkundig, daß die Philologen fabuliert haben. Aber in den meisten ihrer Angaben steckt doch ein Körnchen Wahrheit, eine Bedeutungskomponente, die ein Element des alten Werwolfglaubens bewahrt hat. So ist es mit dem Tier, das „ruhelos umherläuft“, oder mit dem Wesen, das „bei Nacht umgeht“, so werden der „männliche Wüstendämon“, der „Alp“, der ,,Schakalwolf, dem die Haare ausfallen“ und der „Welpe _______________ 36 Herodot Hist. IV cap. 105. 37 Wilhelm Hertz, Der Werwolf. Beitrag zur Sagengeschichte, Stuttgart 1862; Kurt Sprengel, Aelteste Spuren der Wolfswuth in der griechischen Mythologie, in: Beiträge zur Geschichte der Medicin Ersten Bandes zweites Stück, Halle 1795, 3‒72; Friedrich Gottlieb Welcker, Lykanthropie ein Aberglaube und eine Krankheit, in: Kleine Schriften III, Bonn 1850, p. 157‒184; Wilhelm Kroll, Art. Lykanthropie, RE Suppl. 7 (1940), Sp. 423‒426. 38 Zwei Gedichte von al-ʾAʿšâ. I. Mâ bukâʾu (SBWA, phil.-hist. Klasse, 149), Wien 1905, p. 118 Anm. 3. 39 ZDMG 32, 1878, 748 Anm. 1, danach Fraenkel Aram. FW 286. 40 Origine grecque du mot arabe Ḳoṭrob, in: JA 8. Série, 19, 1892, 156‒159. 41 Duval hatte allerdings das griechische Etymon in κυνάνθρωπος gesucht (so auch Anton Schall, Studien über griechische Fremdwörter im Syrischen, Darmstadt 1960, p. 228, der die Form qanṭropos mit haplologischer Silbenellipse erklärt), aber schon Karl Vollers, ZDMG 51, 1897, p. 301 (nr. 130), hat sich für λυκάνθρωπος ausgesprochen.

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des Hundes“ verständlich, und so begreifen wir schließlich, daß der quṭrub als einer, „der infolge einer Geistesstörung zu Boden stürzt“, ja schlicht als „Dummerjan“ und „Tor“ gedeutet werden konnte. 178 In all diesen Fällen ist al-quṭrub durchaus richtig als Konkretum aufgefaßt, aber bei al-Maǧūsī und ibn Sīnā ist dasselbe Wort als Abstraktum verwendet, als Bezeichnung einer Krankheit. Sie sagen: huwa nauʿun mina l-mālanḫūliyā. Diese Bedeutungsverschiebung ist absolut ungewöhnlich. Sie ist nicht mit einem Fall wie „Grund“ zu vergleichen, denn hier ist das Konkretum („Boden“) infolge metaphorischer Verwendung zu dem Abstraktum („Ursache“) geworden. Nirgends sonst wird der Patient und die Krankheit, an der er leidet, mit demselben Wort bezeichnet. Man erwartet, daß al-Maǧūsī und ibn Sīnā dāʾ alquṭrub gesagt hätten, wofür sie in dāʾ aṯ-ṯaʿlab (ἀλωπεκία), dāʾ al-ḥayya (ὀφίασις), dāʾ al-fīl (ἐλεφαντίασις) und dāʾ al-asad (λεοντίασις) treffliche Vorbilder gehabt hätten42. Dieser Bedeutungswandel ist nur zu erklären, wenn man die griechische Quelle konsultiert. Die einzelnen Kapitel im sechsten Buch des Aetios tragen als Überschrift fast stets den Krankheitsnamen. Es heißt: περὶ μανίας, περὶ μελαγχολίας, περὶ ἐπιληψίας usw. Dementsprechend heißt es in Olivieris Ausgabe auch περὶ λυκανθρωπίας, aber die Handschriftengruppe ω43 hat statt dessen περὶ λυκανθρώπου, und diese Variante hat der arabische Übersetzer in seiner Handschrift vorgefunden und korrekt mit fī l-quṭrub übersetzt. AlMaǧūsī und ibn Sīnā, die die arabische Übersetzung benutzt und in den vorausgehenden und nachfolgenden Begriffen al-māniyā, al-mālanḫūliyā, aṣṣarʿ usw. Krankheitsnamen, also Abstrakta, vorgefunden haben, konnten nicht anders als annehmen, daß dasselbe auch bei al-quṭrub der Fall sei44. So viel zur Form und Bedeutung des Wortes. *

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Nicht genau zu bestimmen ist der Zeitpunkt, an dem der Werwolf in der arabischen Literatur auftaucht. In der Poesie des Heidentums und der Umaiyadenzeit scheint der quṭrub noch nicht vorzukommen. Könnte man der 179 Überlieferung trauen, so wäre ʿAbd Allāh ibn Masʿūd (gest. 32/652‒3)45 der _______________ 42 Eine Bildung dāʾ al-quṭrub hätte auch in griech. λυκάνθρωπος νόσος seine Parallele gehabt. 43 Vgl. Olivieri Vol. I, Praefatio p. XIII, der diese Handschriften als Codices deteriores bezeichnet. 44 Das Beispiel quṭrub erlaubt es somit, nicht nur die Quelle Aetios, sondern sogar die griechische Handschriftengruppe zu bestimmen, der die Vorlage des arabischen Übersetzers angehört hat. 45 J. C. Vadet, EI 2 III 873‒875 s. v. Ibn Masʿūd.

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erste, der das Wort verwendet. Er nämlich soll gedroht haben: „Ich will nicht erleben, daß einer von euch bei Nacht ein Leichnam, bei Tag ein Werwolf ist!“ (lā aʿrifanna aḥadakum ǧīfata lailin quṭruba nahārin)46. Aber der Bericht ist schwerlich echt. Sein Vorbild war offenbar eine Formulierung, die als Ausspruch Sībawaih’s (gest. zwischen 177 und 194/793 und 809) bezeugt ist. Muḥammad ibn al-Mustanīr (gest. 206/821‒2) hatte die Angewohnheit, schon in aller Herrgottsfrühe zu Sībawaih zu kommen, und Sībawaih, ungehalten, doch nicht ohne Laune, hatte ihn dann einmal an der Tür mit den Worten „Du bist doch ein richtiger Nacht-Werwolf“ (mā anta illā quṭrubu lailin) begrüßt47. Seither trägt Muḥammad ibn al-Mustanīr den Spitznamen Quṭrub48. Arabisch wohlgemerkt Quṭrubun ohne Artikel! Das Wort ist hier also nicht als Appellativ, sondern als Nomen proprium (wie Muḥammadun) gebraucht worden. Anders in einem zeitgenössischen Gedicht des Clownerien liebenden abū Dulāma (gest. 160/776‒7 oder später), das er vor al-Manṣūr rezitiert und in dem er ohne Zartgefühl seine eigene Mutter verunglimpft hat: mahzūlatu l‑laḥyaini man yarahā yaqul: abṣartu ġūlan au ḫayāla l-quṭrubi49. ,,Sie ist hohlwangig. Wer sie sieht, sagt: Ich habe einen Wüstendämon oder das Gespenst eines Werwolfs erblickt.“ Nicht zu datieren ist ein anonymer ironischer Einzelvers, ein Sarīʿ: ka- 180 annahum ʿĀdun ḥulūman iḏā ṭāša mina l-ǧahli l-qaṭārību50 „Sie sind so besonnen, daß man sie das Volk ʿĀd nennen könnte, wenn die Werwölfe in ihrer Torheit ziellos umherstreifen“51. _______________ 46 Ḥamza Durra I 234, 9 f.; Zam. Mustaqṣā I 169, 9; Fāʾiq II 177, 16 / (Bǧ.) 360, 4; Nih. III 263, 10 ff.; Šarīšī ŠMaq. II 431, ‒6; Damīrī Ḥayāt II 302 ult. (nach Ādam b. a. Iyās al-ʿAsqalānī). Bei Marzb. Muqtabas 174, 7 f. ist der Spruch fälschlich dem Propheten Muḥammad in den Mund gelegt. Er wird im allgemeinen gedeutet: Niemand soll sich in weltlichen Geschäften so rastlos abplagen, daß er nachts wie ein Toter schläft. 47 Fihrist 53, 1 f.; Marzb. Muqtabas 174, 4; b. -Anb. Nuzha 91, 4 f.; b. Ḫall. Wafayāt II 494, 31; Lis. 2, 177, 8 / 1, 683 b 7 f.; Abulfedae Annales Muslemici arabice et latine, opera et studiis Jo. Jacobii Reiskii, Tomus II, Hafniae 1790, p. 140, 1‒3 (dazu die Anm. m auf p. 142‒144, die aber nur die arabische Lexikographenweisheit bringt). 48 Die Anekdote ist hübsch. Aber ich argwöhne, sie sei erfunden worden, um einen anstößigen Tatbestand zu kaschieren. Muḥammad ibn al-Mustanīr wurden homosexuelle Neigungen vorgeworfen, und wenn diese Anschuldigung zu Recht besteht, so könnte darin der Anlaß für den Namen Quṭrub liegen. Vgl. unten, p. 206, den Bericht des Muḥammad ibn Ẓafar. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß das Wort quṭrub bei den Arabern erst in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts mit Sicherheit belegt ist. 49 Aġ. 9, 133, 5 / 10, 259, 6. 50 Ṯaʿlab Maǧālis 446, 1 = Lis. 2, 177, 2 / 1, 683 a 21. 51 Das ī in al-qaṭārību ist nur aus metrischen Gründen gelängt. Ein Singular quṭrūbun, den die Lexikographen als Nebenform zu quṭrubun angeben, hat nie existiert. Er ist lediglich aus diesem Vers erschlossen.

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Ebenfalls anonym und nicht zu datieren ist ein Vers, in dem ein denominiertes Verb vorkommt: iḏā ḏāqahā ḏū l-ḥilmi minhum taqaṭraba52 „Wenn das ein besonnener Mann von ihnen kostet, wird er zum Werwolf“53. Hier ist auch ein Sprichwort zu verzeichnen, das in verschiedenen Varianten kursiert: asharu min quṭrubin54, asʿā min quṭrubin55 oder aǧwalu min quṭrubin56, alles Ausdrücke, die die Ruhelosigkeit und den Wandertrieb des Werwolfes apostrophieren. Die letzte Form greift al-Ḥarīrī in der 49. Maqāma (as-Sāsānīya) auf, indem er sagt: fa-kun aǧwala min quṭrubin wa-asrā min ǧundubin57. Al-Masʿūdī (gest. 345/956) aber hat mit dem quṭrub eine ganz andere Vorstellung verbunden. Er berichtet nach Autoren wie Wahb ibn Munabbih, ibn Isḥāq usw., daß Gott den Dämon (al-ǧānn) aus dem Feuer des Glutwindes (samūm) geschaffen habe58, daß er dann aus dem Dämon dessen Weib geschaffen habe, so wie Eva aus Adam herausgenommen worden sei, daß sie, nachdem der Dämon ihr beigewohnt, 31 Eier gelegt habe. Aus einem dieser Eier sei eine quṭruba geschlüpft, und diese sei die Mutter der quṭrubs (umm alqaṭāriba) geworden. Ein quṭrub habe die Gestalt einer Katze59. 181 Eine spätere Erzählung, die wir Muḥammad ibn ʿAbd Allāh ibn Ẓafar (gest. 565/1169 oder später) verdanken, gleicht den vielen Werwolfgeschichten, die im europäischen Mittelalter kursierten: Der quṭrub sei ein Tier, das in Oberägypten vorkomme und sich dem zeige, der einsame Wege gehe. Einem tapferen Manne gelinge es wohl, sich des Tieres zu erwehren, sonst aber lasse es nicht ab, bis es den Menschen vergewaltigt habe. Habe es ihm dann beigewohnt, so werde der Anus des Opfers von Würmern zerfressen, und der Tod sei die Folge. Man pflege also den, der eine Begegnung mit dem quṭrub gehabt habe, zu fragen, ob an ihm ein Koitus vollzogen oder ob ihm nur ein Schrecken eingejagt worden sei. Bejahe er das erstere, so gäbe man ihn auf. Im anderen Falle würde er beschwichtigt und ärztlich betreut60. Hier _______________ 52 53 54 55 56 57

Lis. 2, 177, 9 / 1, 683 b 11. Oder: „gebärdet er sich wie ein Werwolf“. Die Erklärung ḥarraka raʾsahū ist geraten. Ḥamza Durra I 234, 6 (nr. 327); Freytag Prov. 12, 137 (I p. 643). Ḥamza ib. Z. 8; Zam. Mustaqṣā I 169, 8 (nr. 689); Šarīšī ŠMaq. II 431, ‒7. Freytag Prov. 5, 169 (I p. 329). Al-Ḥarīrī verwendet das Wort quṭrub noch ein zweites Mal in der 46. Maqāma (alǦalabīya), ed. de Sacy 611, 3. 58 Qurʾān 15, 27. 59 Mas. Murūǧ III 319, 3 ff. Dieselbe Geschichte mit anderen Worten bei abū Ḥāmid alĠarnāṭī, K. Tuḥfat al-albāb, ed. Gabriel Ferrand, in: JA 207, 1925, p. 51, 4 ff. 60 Šarīšī ŠMaq. II 431, ‒3 ff.; etwas knapper bei Damīrī Ḥayāt II 302, ‒6 ff. Dieselbe Geschichte erzählen al-Masʿūdī (Murūǧ III 319, 4 ff.) und al-Qazwīnī (ʿAǧāʾib 371, 3 ff.), aber bei ihnen handelt es sich nicht um den quṭrub, sondern um den ʿudār, eine

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ist unverkennbar der Lustmörder geschildert, den man sich im 16. und 17. Jahrhundert in Europa, zu einer Zeit, in der die Naivität der Menschen durch psychologische Erwägungen noch nicht getrübt war, nur als Werwolf vorstellen konnte61. Das Wort quṭrub ist schließlich noch in der Verbindung sirāǧ al-quṭrub „die Lampe des Werwolfs“ bezeugt, einer Lehnübersetzung aus dem syrischen šrāḡā ḏ-qanṭropos. Es ist ein Pflanzenname, mit dem bald die Lysimachia (λυσιμάχειος)62, bald die Lychnis63, meist aber die Alraune, d. h. die Mandragorawurzel64, bezeichnet wird. Unsere Untersuchung des Wortes quṭrub hat einmal mehr gezeigt, daß die 182 Wortforschung mit den Sachwissenschaften aller Art, mit der Medizin wie mit der Volkskunde, Mythologie und Religionsgeschichte, Hand in Hand gehen muß, wenn sie hinreichend gesicherte Ergebnisse erzielen will. ,,Wörter und Sachen“ ist der Titel einer Zeitschrift, deren Herausgeber diesen methodischen Ansatz zu ihrem Programm gemacht haben65. Die Richtigkeit und Fruchtbarkeit dieser Methode bedarf eigentlich keiner Bestätigung. Dennoch erscheint es nicht überflüssig, zwei Dinge, die das Beispiel quṭrub gelehrt hat, ins Gedächtnis zu rufen. Das eine betrifft die Problematik der arabischen Lexikographie. Es dürfte klar geworden sein, daß die Worterklärungen des ibn Manẓūr und all seiner _______________

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andere Dämonenart, die im Yemen, in der Tihāma und in Oberägypten vorkommen soll. Vermutlich wurde diese Schauermär ursprünglich vom ʿudār erzählt und erst sekundär auf den quṭrub übertragen. Zum ʿudār (bisweilen zu ġaddār, ġarrār entstellt) vgl. noch: Ǧāḥiẓ Ḥayaw. VII 53, 5 / 178, 6; Ǧāḥiẓ Biġāl 130, 6 / Ras. (Hārūn) II 370, 1; Iṣṭaḫrī Masālik 26, 14 f.; b. Ḥauqal Masālik 33, 13 / 39, 14 ff.; b. -Faqīh Buldān 37, 12 f.; Hamd. Ǧaz. 128, 9; 154, 14; 256, 10; Yāqūt Iršād V 19, 15 ff.; Ḫafāǧī Šifāʾ 140, 18 ff. Ferner das Sprichwort alwaṭu min ʿudārin bei b. -Faqīh Buldān 37, 14 und Zam. Mustaqṣā I 355, 8 (nr. 1531), cf. WKAS II 1773 b 24 ff. Vgl. die Belege bei Wilhelm Hertz, Der Werwolf, Stuttgart 1862, p. 77 ff. Rāzī Ḥāwī 21, 47, 7 ff. (nr. 455) und 409, 10 (nr. 752) mit Berufung auf Galen, De simpl. med. VII 11, 21 (Bd. XII 64, 12 ff. Kühn). Vgl. auch Bd. 22, 340 b 6. b. Sīnā Qānūn I 220, 6 / 381 paen. ff. mit Berufung auf Diosc. Mat. med. III 100 und 101 (Bd. II 111, 15 ff. Wellmann / 285, 18 ff. Dubler). Muḥammad ibn Aḥmad at-Tamīmī, K. al-Muršid, und andere Autoren, bei b. al-Baiṭār Ǧāmiʿ III 10, 27‒12, 20; b. Waḥšīya, Κ. al-Filāḥa, bei Ps. Maǧrīṭī Ġāya 357, 11, übersetzt von Ritter-Plessner p. 372 mit „Lampe des Spukgeistes“, vgl. dazu die Anm. 4 zitierte Literatur; ferner Dozy Suppl. I 645 b und Eilhard Wiedemann, Beiträge XXVI (SPMSE 43, 1911, 209 Anm. 1) = Wiedemann Aufsätze I 752 Anm. 1 (dort mit „Lampe des Dämons, Leuchtkäfers“ übersetzt). Wörter und Sachen. Kulturhistorische Zeitschrift für Sprach- und Sachforschung, hsgb. von Rudolf Meringer, Wilhelm Meyer-Lübke, Jooseppi Jul. Mikkola, Rudolf Much, Matthias Murko, Bd. I ff., Heidelberg 1909 ff.

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Kollegen oft nicht das Papier wert sind, auf das sie gedruckt sind. Daß Lane all diese chaotischen Bedeutungsangaben mit umständlicher Genauigkeit wiedergegeben hat66, entsprach seinem Konzept, und man würde die Situation, in der sich die Forschung im vorigen Jahrhundert befand, falsch einschätzen, wenn man es Lane zum Vorwurf machen würde, daß er die arabischen Lexika nachgeahmt hat. Aber wenn von Lane’s Werk heute noch gesagt wird: ,,It is difficult to conceive a better dictionary in the accuracy of its definitions, and the fullness of its examples“67, so spiegelt dieses Urteil dasselbe Problembewußtsein, das die Herausgeber arabischer Texte besitzen, die ihre Editionen mit Fußnoten verzieren, in denen die Worterklärungen des Lisān al-ʿarab reproduziert sind. Die arabische Wortforschung — und das ist der zweite Punkt — sollte in Zukunft auch den kulturellen und sprachlichen Hintergrund des Griechen183 tums genauer berücksichtigen. Denn die Hellenisierung hat den Orient stärker durchdrungen, als man gemeinhin annimmt. Daß die mathematischen, medizinischen, philosophischen, alchemistischen, geographischen und astrologischen Werke der Griechen in großer Zahl übersetzt worden sind, weiß jeder. Aber daneben fließt ein reicher Strom zum Teil nichtliterarischer Überlieferung, durch den Erzählstoffe, volkskundliche Motive und sogar Redewendungen zu den Arabern gekommen sind. Muḥammad ibn ʿAbd Allāh al-Iskāfī68 kennt die Geschichte des Trojanischen Pferdes; die Abenteuer des Odysseus sind in der Erzählung von Sindbad dem Seefahrer wiederholt, und auch sonst stößt man in der Sammlung von Tausendundeiner Nacht auf eine Fülle hellenistischer Motive69. Die Ballade von den Kranichen des Ibykus hat at-Tauḥīdī70, die von der Bürgschaft Yāqūt ar-Rūmī71 nacherzählt, und die Fabel vom Fuchs und den Weintrauben kann man bei Ḥamza al-Iṣbahānī72 lesen73. Die Redensart _______________ 66 Lane 2543 b, c. 67 John A. Haywood, Arabic Lexicography, its History, and its Place in the General History of Lexicography, Second Edition, Leiden 1965, p. 125. 68 Iskāfī Luṭf 27, 1‒28, 11, vgl. Franz Rosenthal, JAOS 81, 1961, 11 f. 69 Vgl. das Kapitel: Griechenland in Tausendundeiner Nacht, bei Gustav Edmund von Grunebaum, Der Islam im Mittelalter (Die Bibliothek des Morgenlandes), Zürich und Stuttgart 1963, p. 376‒405. Zur Geschichte von Qamar az-Zamān und der Frau des Juweliers vgl. Konrad Gaiser, Eine neu erschlossene Menander-Komödie und ihre literaturgeschichtliche Stellung, in: Poetica 1, 1967, 436‒461. Vieles ist auch durch den Alexanderroman vermittelt worden, vgl. Fritz Meier, Das Volk der Riemenbeinler, in: Festschrift für Wilhelm Eilers. Ein Dokument der internationalen Forschung, Wiesbaden 1967, p. 341‒367. 70 Tauḥīdī Imtāʿ II 153 paen. ff. 71 Yāqūt Buldān III 794, 6 / IV 199 a 19 ff. (s. v. al-Ġarīyān). 72 Ḥamza Durra I 319, 10 ff. Vgl. auch Carl Brockelmann, Fabel und Tiermärchen in der älteren arabischen Literatur, in: Islamica 2, 1926, 96‒128.

Der Werwolf

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kataba ʿalā l-māʾi74 verrät das Vorbild des εἰς ὕδωρ γράφειν75, und das Sprichwort labanu ṭ-ṭairi, mit dem man eine schwierige oder unmögliche Sache kennzeichnet, ist die Übersetzung des aristophaneischen ὀρνίθων γάλα76. In den Zusammenhang dieser volkstümlichen Traditionen muß man auch den Werwolf einordnen. Es scheint, daß das Motiv und das Wort in der zweiten 184 Hälfte des 8. Jahrhunderts auf nichtliterarischem Wege zu den Arabern gekommen sind. Die ursprüngliche Wortbedeutung muß auch später noch bekanntgewesen sein, da der Übersetzer der medizinischen Enzyklopädie des Aetios von Amida77 den λυκάνθρωπος korrekt mit al-quṭrub wiedergibt, aber nebenher läuft ein Prozeß, durch den der Werwolf in die islamische Dämonenwelt integriert wird. Er bleibt dort aber eine Randerscheinung und gewinnt nicht die Popularität, die die Gestalten der Ǧinnen, Ġūle, ʿIfrīte und Šaiṭāne stets hatten.

_______________ 73 Zu weiterem vgl. P. Loosen, ZS 10, 1935, 50 f. 74 Marzb. Muqtabas 128 paen.; b. Buṭlān Daʿwa 27, 10; Ṯaʿāl. Tamṯīl 163, 6. 75 Manfred Ullmann, Die arabische Überlieferung der sogenannten Menandersentenzen (AKM 34, 1), Wiesbaden 1961, p. 20 (nr. 26). 76 Vgl. aṯ-Ṯaʿālibī, im WKAS II 160 b 2 ff. 77 Al-Bīrūnī (Ǧawāhir 100, 2 f.) sagt, daß abū l-Ḫair das Werk des Aetios ins Arabische übersetzt habe. Daß al-Bīrūnī damit den 331 / 942 geborenen al-Ḥasan ibn Suwār (= ibn al-Ḫammār), den Schüler des Yaḥyā ibn ʿAdī, gemeint hat, ist nicht ganz unwahrscheinlich. Denn die Lykanthropie wird, wie wir gesehen haben, in der medizinischen Literatur erst von der zweiten Hälfte des 10. Jhdts. an (al-Maǧūsī, az-Zahrāwī, ibn Sīnā) behandelt. Daß sie im Glossar bei Rāzī Ḥāwī 22, 327 b 4 (quṭrub: hayaǧānun bi-llaili fī l-maqābiri) erwähnt wird, hat einen anderen Grund. Die Quelle ist hier nicht die arabische Aetios-Übersetzung, sondern die (syrische ?) glossographische Literatur (zu dieser vgl. mein Buch über die Medizin 235 f.). — N a c h t r ä g e : Der Bericht des Paulos von Aigina über die Lykanthropie (s. oben Anm. 19) ist, wie ich leider zu spät sehe, bei Rāzī Ḥāwī 1, 205 paen. ‒ 206, 7 und 222, 5‒ult. zitiert. — Das Wort quṭrub kommt noch in einer fabrizierten Urǧūza vor, die fälschlich dem Imraʾ al-Qais zugeschrieben ist. Die Urǧūza ist von einem unbekannten Scholiasten im Anhang der Dīwānrezension des abū l-Ḥasan ʿAlī ibn ʿAbd Allāh ibn Sinān aṭ-Ṭūsī überliefert, s. Imrlq. (Ibr.) 76, 36. Dort heißt es vom Löwen, er sei „wie ein vergewaltigender Werwolf, habe das Gesicht voll wirrer Haare und sei staubbedeckt“ (ka-l-quṭrubi l-bāġī aġammu aġbaru). — Dr. Degen macht freundlicherweise noch auf den Aufsatz von Eva H. Guggenheimer und H. Guggenheimer, Notes on the Talmudic Dictionary: Gandropos — Qantropos, in: Lešonénu. A Journal for the Study of the Hebrew Language and Cognate Subjects 35, 1971, 207‒210, aufmerksam.

Yūḥannā ibn Sarābiyūn Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte seiner Werke Vom Ende des achten bis in den Anfang des zehnten Jahrhunderts wurde ‒ hauptsächlich in Bagdad ‒ eine sehr große Zahl medizinischer Schriften aus dem Syrischen ins Arabische übersetzt. Die meisten dieser Bücher stammten von Galen, Rufus, Philagrios und anderen spätantiken Ärzten: sie waren zuvor aus dem Griechischen ins Syrische übertragen worden. Zu diesen Übersetzungen gesellen sich einige wenige Schriften von syrischen Ärzten. Man kennt die Namen von Sargīs von Rēšʿainā (Theodosiopolis, gest. 536), Šlēmōn, Šemʿōn de-Ṭaibūṯā und Ayyōḇ Urhāyā (Hiob von Edessa, gest. nach 832), aber ihre Schriften sind sowohl in ihrer syrischen Originalsprache wie in ihren arabischen Versionen zum größten Teil untergegangen.1 Auch die syrischen Texte der beiden Handbücher (syr. kunnāšā) des Yōḥannān bar Serāp̄yōn sind verschollen, aber ihre arabischen, lateinischen und hebräischen Übersetzungen haben die Jahrhunderte überdauert. Sie sind somit die wohl wichtigsten Zeugen für die syrische Medizin jener Epoche. Gleichwohl sind sie von der modernen Forschung nur wenig beachtet worden, und manches von dem, was über sie geschrieben wurde, bedarf der Korrektur. In der Zeitschrift Le Muséon, Bd. 55, 1942, p. 139‒142, hatte Curt Peters einen Aufsatz unter dem Titel „Joḥannan b. Serapion“ veröffentlicht, in dem er die Angaben, die Anton Baumstark2 und Carl Brockelmann3 über diesen Arzt gemacht hatten, zu ergänzen und zu berichtigen suchte. Eine knappe Darstellung habe ich in meinem Buch4 gegeben, und jüngst hat Fuat Sezgin5 das ihm bekannte Material zusammengestellt. Im folgenden sollen die Ergebnisse _______________ 1 2 3 4 5

Vgl. Manfred Ullmann, Die Medizin im Islam (Handbuch der Orientalistik, Ergänzungsband VI, Erster Abschnitt), Leiden/Köln 1970, p. 100‒103; Fuat Sezgin, Geschichte des arabischen Schrifttums, Bd. III, Leiden 1970 [erschienen 1971], p. 172‒186. Geschichte der syrischen Literatur, Bonn 1922, p. 231. Geschichte der arabischen Litteratur, 2. Auflage, Bd. I, Leiden 1943, p. 233 und Supplement-Bd. I, Leiden 1937, p. 417. Ullmann Medizin p. 102 f. GAS III 240‒242.

Yūḥannā ibn Sarābiyūn

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einiger Untersuchungen über die zeitliche Einordnung und die handschriftliche Überlieferung der beiden Werke des Syrers vorgetragen werden. An Hand einer Textprobe sollen sodann der Charakter und die Quellen des „Kleinen Handbuches“ aufgezeigt werden.

I. Aus syrischen Quellen ist über Yōḥannān bar Serāp̄yōn, soweit wir bis heute wissen, nichts bekannt. Der früheste arabische Biograph, der ihn erwähnt, ist 279 ibn an-Nadīm6. Nur wenig mehr weiß al-Qifṭī zu berichten7, und ibn abī Uṣaibiʿa8 hat die Nachrichten beider Autoren zusammengefaßt. Die Araber nennen ihn Yūḥannā (bzw. Yaḥyā) ibn Sarābiyūn (bzw. Sarāfiyūn), und diese arabisierte Namensform soll, da sie sich eingebürgert hat, auch im folgenden verwendet werden. Nach ibn an-Nadīm hat er zu Beginn der ʿAbbāsidenzeit (fī ṣadr ad-daula) gelebt. Dazu stimmt eine Notiz bei alQifṭī9, der zufolge der Kalife Mūsā al-Hādī (reg. 169‒170/785‒786) in seiner Todeskrankheit Yūḥannā’s Bruder Dāwūd konsultiert hat. Aber schon Lucien Leclerc10 hatte festgestellt, daß Yūḥannā ibn Sarābiyūn in seinem „Kleinen Handbuch“ Autoren wie Yūḥannā ibn Māsawaih, Ḥunain ibn Isḥāq, Salmawaih ibn Bunān und Ǧibrīl ibn Buḫtīšūʿ zitiert, daß er also nicht vor der zweiten Hälfte des 9.Jhdts. geschrieben haben kann. Diese Zitate kann man kaum als spätere Interpolationen betrachten. Daß Yūḥannā ins 9. Jhdt. zu setzen ist, wird nun auch durch eine Stelle im K. Tadbīr al-ḥabālā wa-l-aṭfāl des Aḥmad ibn Muḥammad ibn Yaḥyā al-Baladī11 bestätigt. Al-Baladī beruft sich dort nämlich auf den „zweiten Teil des Dispensatoriums (aqrābāḏīn) des Sābūr in der Überarbeitung (iṣlāḥ) des Yūḥannā ibn Sarābiyūn“12. Sābūr ibn Sahl aber ist im Jahre 255/869 gestorben13. _______________ 6 7 8 9 10 11 12

Fihrist 303, 3; 296, 7‒9 Flügel. Zauzanī Muntaḫabāt 111, 14 f.; 380, 5‒8; 431, 6‒8 Lippert. b. a. Uṣ. I 109, 17‒22 Müller. Zauzanī Muntaḫabāt 431, 6‒8. Histoire de la médecine arabe Vol. I, Paris 1876, p. 113‒117. Ms. Gotha 1975, Maq. III, Bāb 8. Zwei Handschriften dieser Überarbeitung hat jetzt Sezgin, GAS III 186, nachgewiesen. Sezgins Behauptung, daß Sābūr die Schrift aus dem Syrischen übersetzt habe, ist jedoch schwerlich richtig. 13 Hermann Lehmann hatte in OLZ 32, 1929, 869‒870 erklärt, daß das Handbuch des Yūḥannā ibn Sarābiyūn seinen Untersuchungen zufolge „um 873“ abgefaßt sei und daß er diese Datierung ausführlich in seinem Buch über Nikolaos Myrepsos begründen

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Der Irrtum der Bibliographen ist m. E. folgendermaßen zu erklären. Der Arzt Dāwūd ibn Sarābiyūn lebte tatsächlich am Anfang der ʿAbbāsidenherrschaft. Eine seiner Sklavinnen soll, wie Ǧibrīl ibn Buḫtīšūʿ (gest. 212/827) nicht ohne Malice erzählt, den Analphabeten Māsawaih geheiratet haben, und aus dieser Verbindung soll der bekannte Arzt Yūḥannā ibn Māsawaih hervorgegangen sein14. Die Geschichte mag wahr oder erfunden sein ‒ auf jeden Fall ist Dāwūd durch sie als ein (älterer) Zeitgenosse des Ǧibrīl bezeugt. Daher dürfte auch der Bericht, daß Dāwūd ibn Sarābiyūn den Hādī behandelt hat, alt und authentisch sein. Als dann in der ersten Hälfte des 10. Jhdts. die Bücher des Yūḥannā ibn Sarābiyūn ins Arabische übersetzt wurden, man aber nichts Näheres über die Lebensumstände des Autors wußte, lag es nicht fern, anzunehmen, daß Dāwūd und Yūḥannā Brüder seien, trugen doch ihre Väter 280 den gleichen Namen. Der Bericht über den Arzt des Hādī konnte also mit einer entsprechenden Glosse ausgeschmückt werden. Und ibn an-Nadīm, der diesen erweiterten Bericht gekannt haben wird, hat daraus geschlossen, daß Yūḥannā ibn Sarābiyūn zu Beginn der ʿAbbāsidenzeit gelebt hat. Ob Sarābiyūn, jener Arzt aus Bāǧarmā15, der im selben Zusammenhang erwähnt wird, nun der Vater des Dāwūd oder der des Yūḥannā war, ist nicht mehr festzustellen. Jedenfalls sind Dāwūd und Yūḥannā durch hundert Jahre getrennt16.

II. Nach ibn an-Nadīm’s Aussage hat Yūḥannā alle seine Werke in syrischer Sprache verfaßt. Zwei Bücher, die beide ins Arabische übersetzt wurden, nennt er besonders. Das eine ist das „Große medizinische Handbuch“ (al-Kunnāš alkabīr). Es soll zwölf Maqālāt umfaßt haben. Dieses Buch ist in der Istanbuler _______________ werde. Leider ist das Buch über Nikolaos nicht erschienen. Zu Hermann Lehmann (1895‒1969) vgl. Gotthard Strohmaier, in: Medizinhistorisches Journal 5, 1970, 201. 14 Yūsuf ibn Ibrāhīm ibn ad-Dāya, K. Aḫbār al-aṭibbāʾ bei b. a. Uṣ. I 174, ‒3 bis 175, 3. 15 Ein Ort in der Nähe von ar-Raqqa, s. Yāqūt Buldān I 454, 1 f. Wüstenfeld. 16 Fuat Sezgin, GAS III 228 f., hat den Wert der Autorenlemmata im Ḥaidarābāder Druck des K. al-Ḥāwī überschätzt. Aus dem Lemma „Sarābiyūn“ kann man kein Werk des Arztes aus Bāǧarmā erschließen. Alles, was ar-Rāzī unter „Sarābiyūn“ und „ibn Sarābiyūn“ zitiert, stammt gleicherweise aus dem Kunnāš des Yūḥannā. Auch ist Sezgins Vermutung, der Liber Serapionis de simplicibus medicinis (gedruckt Lyon 1525 und oft) könnte den Mann aus Bāǧarmā zum Autor haben, unzutreffend (vgl. Ullmann Medizin p. 283 f.).

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Handschrift Aya Sofya 3716 erhalten, einem Kodex von 286 Folia17, der im Jahre 597/1201 geschrieben worden ist. In dieser Handschrift umfaßt das Werk jedoch, anders als ibn an-Nadīm berichtet, dreizehn Maqālāt18. Das andere, das „Kleine medizinische Handbuch“ (al-Kunnāš aṣ-ṣaġīr) besteht aus sieben Maqālāt. Es ist nach ibn abī Uṣaibiʿa dasjenige der beiden Bücher, das allgemein bekannt (mašhūr) war. Im Jahre 318/930 habe es der Sekretär Mūsā ibn Ibrāhīm al-Ḥadīṯī für den Arzt abū l-Ḥasan ibn Nafīs ins Arabische übersetzt. Diese Übertragung sei stilistisch besser als diejenige, die al-Ḥasan ibn Bahlūl al-Awānī aṭ-Ṭīrhānī angefertigt habe. Auch abū Bišr Mattā ibn Yūnus al-Qunnāʾī habe das Buch übersetzt. Über al-Ḥadīṯī ist nichts Näheres bekannt. Al-Ḥasan (bzw. abū l-Ḥasan) ibn Bahlūl ist der Glossograph, der Verfasser des syrisch-arabischen Lexikons19, der auch die Meteorologie des Theophrast aus dem Syrischen ins Arabische übersetzt hat20. Auch von dem im Jahre 328/940 gestorbenen Logiker abū Bišr 281 ist bekannt, daß er mehrere Werke aus dem Syrischen ins Arabische übersetzt hat. Zu seinen Arbeiten gehört z. B. die Übersetzung der Poetik des Aristoteles21. Der Kreis der Personen, die sich um die Weitergabe des „Kleinen Handbuches“ verdient gemacht haben, ist somit ziemlich gut bestimmt, aber die Überlieferungsgeschichte des arabischen Textes ist noch weithin ungeklärt. Es sind mehrere fragmentarische Handschriften erhalten (s. unten), und außerdem ist „ibn Sarābiyūn“ sehr oft von späteren Medizinern zitiert worden22. Die _______________ 17 Nicht nur fol. l a‒3 a, wie GAS III 241 falsch angegeben ist. 18 s. Helmut Ritter und Richard Walzer, Arabische Übersetzungen griechischer Ärzte in Stambuler Bibliotheken, in: Sitz.ber. Preuß. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl., 26, 1934, p. 831. Eine zweite Handschrift hat sich nach Paul Sbath, Al-Fihris (Catalogue de manuscrits arabes), première partie: ouvrages des auteurs antérieurs au XVIIe siècle, Le Caire 1938, p. 71, nr. 582, in der Privatbibliothek des Aleppiner Arztes as-Saiyid Bakrī Zbeidi befunden. Über die Beschaffenheit der Handschrift und ihren Verbleib ist nichts bekannt, und auch ein Kunnāš muḫtaṣar des Yūḥannā, den Sbath unter nr. 583 verzeichnet hat, ist nicht zu verifizieren. 19 Lexicon Syriacum auctore Hassano Bar Bahlule, ed. Ruben Duval, Vol. I-III, Paris 1901. 20 Gotthelf Bergsträsser, Neue meteorologische Fragmente des Theophrast, Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., 1918, Abh. 9, p. 9 f.; Toufic Fahd, La divination arabe, Leiden 1966, p. 225 unten. 21 GAL I 207; S I 370; Wolfhart Heinrichs, Arabische Dichtung und griechische Poetik (Beiruter Texte und Studien Bd. 8), Beirut 1969, p. 118 ff. 22 Solche Zitate finden sich im K. al-Ḥāwī des Rāzī, in der Ḏaḫīra des Ps. Ṯābit, im Bustān al-aṭibbāʾ des ibn al-Muṭrān, im K. al-Ǧāmiʿ des ibn al-Baiṭār, im Minhāǧ addukkān des Kūhīn al-ʿAṭṭār und im Aqrābāḏīn des Qalānisī; sie sind zusammengestellt bei Ullmann Medizin p. 102 f. und Sezgin GAS III 229 und 241 f. Weiteres in folgenden Quellen: Ps. Ṯābit Ḏaḫīra 61, 19 ff.; Baladī Ḥabālā, Ms. Gotha 1975, Maq. I,

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Frage, welcher der drei Übersetzungen die Fragmente jeweils zuzurechnen sind und ob sie dem großen oder kleinen Handbuch entstammen, ist bisher nicht sicher zu entscheiden. Nur so viel ist klar, daß die Zitate im K. al-Ḥāwī nicht der Übersetzung des Ḥadīṯī entnommen sein können, wenn immer ibn abī Uṣaibiʿa’s Mitteilung, nach der diese Übersetzung im Jahre 318/930 gefertigt wurde, den wahren Sachverhalt wiedergibt. Die Escorial-Handschrift bietet, wie ein dem Titel folgender Vermerk besagt, die Übersetzung des Mūsā ibn Ibrāhīm al-Ḥadīṯī mit Hinzufügungen des ibn Bahlūl23. Das reimt sich schlecht mit dem Urteil des ibn abī Uṣaibiʿa, wonach die Übersetzung des Ḥadīṯī stilistisch besser sei als die des ibn Bahlūl. Es ließe sich allenfalls denken, daß ein späterer Bearbeiter beide Übersetzungen kollationiert und dabei einen Mischtext hergestellt hat. Vielleicht ist in dem Ḥarrānier abū lḤasan Ṯābit ibn Ibrāhīm ibn Zahrūn ein solcher Bearbeiter zu sehen. Ṯābit 282 war der Onkel (ʿamm) des abū Isḥāq Ibrāhīm ibn Hilāl aṣ-Ṣābiʾ24 und hat, wie ibn an-Nadīm25 weiß, „einige Maqālāt des Buches des Yūḥannā ibn Sarābiyūn verbessert (aṣlaḥa)“.25a Wie dem auch sei, der Umstand, daß drei Übersetzer und wenigstens ein Bearbeiter am Werke waren, beweist die große Wertschätzung, deren sich ibn Sarābiyūn’s Buch erfreute. Dafür gibt es auch direkte Zeugnisse: Der Verfasser des K. ad-Ḏaḫīra (das gemeinhin dem Ṯābit ibn Qurra zugeschrieben wird) empfiehlt, in Fragen der Kinderhygiene und Kinderkrankheiten das „kleine Buch, die Kurzfassung des Buches des ibn Sarābiyūn“ zu konsultieren26. In der _______________ Bāb 32; Maq. III, Bāb 3; 22; 54; b. Samaǧūn, K. al-Ǧāmiʿ, s. GAS III 316; a. l-ʿAlāʾ Zuhr, K. al-Ḫawāṣṣ (vgl. seine Quellenliste zu Anfang des Buches, bei Gustav Flügel, Die arabischen, persischen und türkischen Handschriften der K.-K. Hofbibliothek zu Wien, Bd. II, Wien 1865, p. 528; Muḥammad ibn ʿAlī ibn ʿAbd Allāh al-Masūrī at-Tawahhumī, K. al-Wāḍiḥ ad-dalīl fī mudāwāt al-ʿalīl, Ms. Chester Beatty 4012, fol. 3 b paen.; 8 b 18; 12 a 15; 14 b, ‒5; 24 b ult. und oft. Nach ibn abī Uṣaibiʿa’s Angabe (I 318, 18) soll außerdem ein großer Teil der Materialien des K. al-Fāḫir des (Ps.) Rāzī dem Kunnāš des ibn Sarābiyūn entnommen sein. Nur indirekt über den Umweg des Ḥāwī ist ibn Sarābiyūn zitiert bei Lisān ad-Dīn ibn al-Ḫaṭīb, K. ʿAmal man ṭabba li-man ḥabba, ed. Conchita Vázquez y Romeo, Salamanca 1970 (maschinenschriftlich) und bei ʿAbd alLaṭīf, Maq. fī Diyābīṭā, Ms. Bursa, Hüseyin Çelebi 823, § 64‒69. 23 Leclerc Histoire I 117. 24 Dieser ist 313/925 geboren und 384/994 gestorben, s. GAL S I 153. 25 Fihr. 303, 3 = Zauzanī Muntaḫabāt 111, 14 f. 25a Noch im Ende des 18. Jhdts. soll ein Arzt namens Yaḥyā ibn Ǧamāl ad-Dīn al-Ḥīrī aus Aleppo einen Auszug aus dem Kunnāš des ibn Sarābiyūn angefertigt haben. Das Autograph vom Jahre 1198/1784 soll sich in einer Privatbibliothek in Aleppo befinden, s. GAS III 241. 26 Ps. Ṯābit Ḏaḫīra, ed. G. Sobhy, Cairo 1928, p. 6, 1.

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Einleitung zu seinem K. al-Malakī hebt ʿAlī ibn al-ʿAbbās al-Maǧūsī hervor, daß ibn Sarābiyūn gründlich über die Therapie der Krankheiten gehandelt habe; er rügt aber das Fehlen der Chirurgie und die mangelnde Ordnung der Anlage des Buches. Auch zählt er rund fünfzig Krankheiten auf, die man in Yūḥannā’s Buch vergebens suche27. Im 7./13. Jhdt. behauptete dann ʿAbd alLaṭīf ibn Yūsuf al-Baġdādī in seinem K. an-Naṣīḥatain, der Kunnāš des ibn Sarābiyūn sei die beste medizinische Kompilation, die ein moderner Autor geschrieben habe28. Im 12. Jhdt. hat Gerhard von Cremona das „Kleine Handbuch“ ins Lateinische übersetzt29. Diese Übersetzung übertrug Mōšē ben Maṣliaḥ weiter ins Hebräische30. Ein zweiter lateinischer Text, der von Andreas Alpagus Bellunensis31 herrührt, ist vermutlich keine selbständige Neuübertragung aus arabischer Vorlage, sondern eine Überarbeitung der Version des Gerhard32.

III. Die arabischen Handschriften des „Kleinen Handbuches“ Die Bibliothek des Escorial besaß früher vier Handschriften33. Zwei von ihnen umfaßten das gesamte Werk (nr. 370, geschrieben 665/1267, und nr. 372, ge- 283 schrieben 629/1232), in der dritten waren Maqāla 1 bis 6 und der Anfang von Maqāla 7 enthalten (nr. 373), und die vierte Handschrift (nr. 371, geschrieben 593/1197) bot nur die siebte Maqāla, d.h. das Dispensatorium. Bei dem großen _______________ 27 K. Kāmil aṣ-ṣināʿa aṭ-ṭibbīya (= al-Kitāb al-Malakī) li-ʿAlī ibn al-ʿAbbās al-Maǧūsī, Bd. I, Būlāq 1294, p. 4, 5‒29, übersetzt bei Ullmann Medizin p. 142 f. 28 s. Samuel Miklos Stern, A Collection of Treatises by ʿAbd al-Laṭīf al-Baghdādī, in: Islamic Studies 1,1, 1962, p. 62. 29 Editio princeps: Practica Jo. Serapionis dicta breviarium. Impressum Venetiis mandato et expensis nobilis viri domini Octaviani Scoti Livis Modoetiensis per Bonetum Locatellum Bergomensem, 17. kal’. Januarias 1497. Zu dieser Ausgabe vgl. Heinrich Schipperges, Die Assimilation der arabischen Medizin durch das lateinische Mittelalter (Sudhoffs Archiv, Beihefte, Heft 3), Wiesbaden 1964, p. 97 f. 30 Diese Superversion ist erhalten in Ms. Bodl. nr. 2087, vgl. Adolf Neubauer, Catalogue of the Hebrew Manuscripts in the Bodleian Library and in the College Libraries of Oxford, Oxford 1886, col. 714. 31 Vgl. Francesca Lucchetta, Il medico e filosofo bellunese Andrea Alpago (✝ 1522), traduttore di Avicenna, Padova 1964. 32 Vgl. Peters p. 142. 33 Nemesio Morata, Un catálogo de los fondos árabes primitivos de el Escorial, in: AlAndalus 2, 1934, 87‒181, besonders p. 138 f., übs. p. 174 f.

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Brande des Escorial im Jahre 1671 sind diese Manuskripte vernichtet worden. Übriggeblieben sind zwei kleine Fragmente. 1. Das eine enthält den Anfang des Werkes mit dem Inhaltsverzeichnis der ersten Maqāla und den ersten drei Kapiteln über die Kopfkrankheiten: Ms. Esc. 818,4 Renaud (= 814,7 Casiri), fol. 129a‒135b, beschrieben bei Casiri Bibliotheca Vol. I p. 261 und L. Leclerc, Histoire I 11734. 2. Das andere Fragment umfaßt nur ein Blatt: Ms. Esc. 852,2 Renaud (847 Casiri), fol. 3935. Es enthält die Beschreibung der Nieren- und Blasenerkrankungen, muß also, wenn es wirklich zu ibn Sarābiyūn gehört, aus den Kapiteln 12-22 der vierten Maqāla stammen. 3. Ein Fragment ist auch die Handschrift Paris 2918,7 (= Ancien fonds 1056, fol. 155‒170). Sie enthält das Ende der dritten und den Anfang der vierten Maqāla. 4. Die Handschrift Leiden 2817 (= Cod. 2070), beschrieben bei de JongdeGoeje Catal. Vol. V p. 322 und P. Voorhoeve Handlist p. 164, enthält nur die siebte Maqāla36. 5. Das bedeutendste Fragment, die Handschrift nr. 19891 fonds général (= Cat. doc. civ. or. nr. 75) der Bibliothèque Royale de Belgique in Brüssel, ist bisher fast unbeachtet geblieben. Sie ist weder von Brockelmann, noch von Peters, noch von Graf37, noch in meinem Buch über die Medizin im Islam erwähnt worden. Sezgin, GAS III 241, rechnet sie fälschlich zum „Großen Kunnāš“. Über diese Handschrift sei folgendes mitgeteilt: K o d i k o l o g i e : Rotbrauner Ledereinband. Format: 23,2 • 16,5 cm. Schriftspiegel: 18,1 • 11,3 cm. Altes, bräunliches Papier. Außenränder zum Teil beschädigt (Wurmfraß), auf den Innenrändern Wasserflecken. Braune Tinte. Sehr sorgfältig ausgeführte, voll punktierte magribinische Schrift. Wenige _______________ 34 Das Fragment ist natürlich undatiert. Das von Sezgin, GAS III 241, angegebene Datum 637/1239 bezieht sich auf einen ganz anderen Teil der Sammelhandschrift. Einige Auskünfte zu diesen und den folgenden bibliographischen Angaben verdanke ich der Freundlichkeit der Herren Rainer Degen, Werner Diem, Walter W. Müller und Stefan Wild. 35 Auch dieses Blatt ist undatiert. Das bei Sezgin zu lesende Datum 575/1179 bezieht sich auf einen anderen Teil der Handschrift. 36 Bei Sezgin, GAS III 241, ist diese Handschrift fälschlich als ein Manuskript des „Großen Kunnāš“ verzeichnet. 37 Georg Graf, Geschichte der christlichen arabischen Literatur, Bd. II (Studi e Testi 133), Città del Vaticano 1947, p. 131.

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Vokalzeichen. Überschriften mit derselben braunen Tinte dick ausgeführt. Die Handschrift hat eine zwiefache Seitenzählung. Die F o l i i e r u n g ist auf den V e r s oseiten angegeben; die Handschrift endet mit fol. 171. Daneben läuft auf den Rekto- und Versoseiten noch eine P a g i n i e r u n g . Bei beiden Zählungen sind arabische Zahlen benutzt. Die Handschrift ist verbunden, wie Pieter Voorhoeve, der sie am 5.5.1952 284 eingesehen hatte, festgestellt hat. Auf fol. 19 folgt 56, darauf 47‒55, darauf 20. Fol. 57 schließt unmittelbar an fol. 46 an. Die Handschrift umfaßt die fünfte bis siebte Maqāla. Maqāla V beginnt fol. 1 b, Maq. VI beginnt fol. 29 a, Maq. VII beginnt fol. 46 b. Incipit fol. 1b: Bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm wa-bi-ṣ-ṣalāti wa-t-taslīm calā nabīyihi l-karīm. Al-maqālatu l-ḫāmisatu min Kunnāši Yuḥannā (sic vokal.) bni Sarāfiyūna wa-hiya sabʿatun wa-ṯalāṯūna bāban. a. Fī l-ʿilali l-ʿāriḍati fī ǧildati lwaǧhi. b. Fī l-qūbāʾi wa-cilāǧihā. ǧ. Fī l-baraṣi wa-ʿilāǧihī ilḫ. Die siebte Maqāla endet auf fol. 171 a mit dem 37. Kapitel, in dem die Medizinalmaße und -gewichte erklärt sind38. Explicit: Ad-daraḫmīyu sittu ubūlū, wa-ubūlū ṯalāṯatu qarārīṭa, wa-l-qīrāṭu arbaʿu šaʿīrātin, wa-ṯ-ṯalāṯu ubūlū tisʿatu qarārīṭa, wa-l-quwāṯūsu ūqīyatun wa-niṣfun in šāʾa llāhu taʿālā. Darauf folgt der Kolophon: Tammati l-maqālatu s-sābiʿatu wa-bi-tamāmihā tamma ǧamīʿu kitābi Yuḥannā bni Sarāfiyūna bi-ḥamdi llāhi wa-ḥusni ʿaunihī wa-taʾyīdihī wa-naṣrihī wa-l-ḥamdu li-llāhi rabbi l-ʿālamīna kamā huwa ahluhū wa-mustaḥiqquhū lā rabba ġairuhū wa-ṣallā llāhu ʿalā ǧamīʿi anbiyāʾihī warusulihī wa-auliyāʾihī wa-raḍiya llāhu ʿani t-tābiʿīna lahum bi-iḥsānin ilā yaumi ddīn. Kāna l-farāġu minhu fī t-tāsiʿi ʿašara li-šahri Rabīʿi l-awwali sanata sittīna wa-sittimiʾatin. Die Abschrift ist also am 19. Rabīʿ I 660 = 12. Februar 1262 beendet worden. Auf dem hinteren Umschlag des Einbandes findet sich eine französische Notiz des Käufers, dessen Unterschrift unleserlich ist. Er erklärt, die Handschrift 588 Jahre nach ihrer Niederschrift, d.h. also im Jahre 1850, von einem alten Imām der Großen Moschee in Algier gekauft zu haben.

IV. Vom arabischen Text des „Kleinen Handbuches“ ist bisher noch kein Stück veröffentlicht worden. Es sollen daher im folgenden als Specimina die Kapitel _______________ 38 Diesen Abschnitt hat ibn Sīnā in seinen Qānūn, ed. Romae 1593, II p. 267 paen. ff. /ed. Būlāq 1294, III, p. 441, 12 ff. übernommen.

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21 und 22 der fünften Maqāla, die über die Giftschlangen handeln, aus der Brüsseler Handschrift39 ediert werden. Sie sind, wie sich erweisen wird, in vieler Hinsicht aufschlußreich: sie lassen Rückschlüsse auf die Quellen zu, die Yūḥannā verarbeitet hat, sie geben Einblick in seine Arbeits- und Darstellungsweise und lassen den sprachlichen Charakter der arabischen Übersetzung erkennen. Dem arabischen Text ist die lateinische Version des Gerhard von Cremona gegenübergestellt40. Ein Vergleich beider Texte ermöglicht es, die Genauigkeit der Übersetzung zu beurteilen. 285 (1) fī nahši l-afāʿī ḏ-ḏukūri wa-l-ināṯi.

(1) De morsu viperarum masculinarum et feminarum.

(2) allaḏīna tanhašuhumu l-afāʿī wamā ašbahahā mina l-hawāmmi ḏawāti s-sammi yatbaʿu ḏālika lwaǧaʿu awwalan fī nafsi l-mauḍiʿi lmanhūši ṯumma yadibbu l-waǧaʿu fī l-badani kullihī

(2) In illis quos mordent vipere et que eis sunt similia ex reptilibus habentibus venenum sequitur illud dolor in primis in ipso loco morso deinde perambulat dolor in corpore toto.

(3) wa-yaẓharu fī l-mauḍiʿi ṯaqbāni mutaqāribāni yaǧrī minhumā damun wa-ruṭūbatun ṣadīdīyatun duhnīyatun

(3) Et apparent in loco duo foramina propinqua ex quibus currit sanguis et humiditas virulenta oleagina.

(4) wa-hāḏihī ka-mā yuqālu hiya šarru sammi l-hawāmmi

(4) Et hoc sicut dicitur est deterius venenum reptilium.

(5) wa-yatbaʿu ḏālika aiḍan tahayyuǧun fī mauḍiʿi n-nahšati māʾilun ilā l-ḫuḍrati wa-ḫuḍratu sāʾiri l-badani wa-ṣiġaru n-nafasi

(5) Et sequitur illud etiam excitatio que accidit in loco puncto declivis ad viriditatem, et viriditas reliqui corporis et parvitas anhelitus.

(6) wa-rubbamā ʿaraḍa li-qaumin qaḏfun mirrīyun wa-ʿusru baulin wafī nafsi l-mauḍiʿi tanaffuṭun ka-mā yaʿriḍu mini ḥtirāqi n-nāri

(6) Et fortasse accidit quibusdam vomitus colericus et difficultas urine et in ipso loco fiunt vesice sicut accidit ex adustione ignis.

_______________ 39 Fol. 17 b (= Seite 33), Zeile 6 von unten ff. 40 Venedig 1497, fol. 43 b, col. b 44 ff. / Lyon 1525, fol. 52 b, col. b unten ff.

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(7) wa-yurǧā an yabraʾū, wayataḫallaṣu llaḏīna talsaʿuhumu lafāʿī l-ināṯu bi-ġairi ṣuʿūbatin akṯara mimman tanhašuhumu ḏ-ḏukūru

(7) Et sperantur ut sanentur et evadant illi quos mordent vipere femine absque difficultate plus quam illi quos mordent masculi.

(8) wa-min hāʾulāʾi l-manhūšīna man dabbarahu l-aṭibbāʾu aiḍan bi-laġḏiyati l-muwāfiqati wa-l-adwiyati n-nāfiʿati ʿalā mā yuʿānīhi

(8) Et ex illis morsis etiam sunt quos regunt medici cum medicinis convenientibus et cibis iuvantibus secundum quod videtur eis et quod comparant ex vehementia.

(9) ʿalā annahū lau ṣabara l-malsūʿu ʿalā hāḏā lam yaḥtaǧ ilā ʿilāǧātin uḫara

(9) Et fortius iuvamentum est in comestione alliorum est enim curatio fortis valde et potus vini puri donec si tolerat morsus super hoc non indiget curationibus aliis.

(10) wa-yaʾkulūna aiḍani l-kurrāṯa wa-l-baṣala wa-qaumun uṭʿimū ḍafādiʿa maṭbūḫatan isfīḏabāǧan

(10) Et comedunt etiam porros et cepas. Et quidam cibantur ranis decoctis isfidhabegi.

(11) wa-akṯaru manfaʿatan min hāḏā tiryāqu l-afāʿī ṭ-ṭarīyu minhu ḫāṣṣatani l-ḥadīṯu

(11) Et plus iuvamentum quam hoc est tyriaca de viperis que recens est ex ea proprie nova.

(12) wa-mimmā yanfaʿu aiḍan hāḏā d-dawāʾu manfaʿatan ʿaǧībatan

(12) Et ex eis que conferunt etiam est hoc medicamen.

(13) dawāʾun li-Urībāsiyūsa yanfaʿu li-nahši l-afāʿī manfaʿatan ʿaǧībatan: anīsūnun wa-fulfulun min kulli wāḥidin arbaʿatu darāhima salīḫatun wa-qišru z-zarāwandi l-mudaḥraǧi wa-ǧundibādastarun min kulli wāḥidin dirhamun yusḥaqu bimaibuḫtaǧin wa-yuqarraṣu miṯla tturmusi wa-yuʿṭā minhu ʿalā qadri lqūwati

(13) Medicamen urnemesuis conferens morsui viperarum iuvamentum mirabile: anisi et piperis omnium ana drachm. IV. et cassielignee et corticis aristologie rotunde et castorei omnium ana drachm. I. teratur et conficiatur cum rob et fiant forme similes lupinis et detur ex eo secundum quantitatem virtutis.

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(14) āḫaru min kitābi Lūqūsa: murrun wa-ǧundibādastarun wazarāwandun wa-zirnīḫun aḥmaru wa-fulfulun min kulli wāḥidin dirhamun bizru š-šibiṯṯi dirhamun yusḥaqu bi-maibuḫtaǧin wa-yuʿṭā ʿalā ṣ-ṣifati l-ūlā, ġāyatun fī l-ʿamali ʿaǧībun

(14) Aliud ex libro luce: mirre et castorei et aristologie et arsenici rubei et piperis omnium ana drachm. I. seminis aneti drachm. I. teratur et conficiatur cum careno et detur secundum modum primum.

(15) fī llaḏīna talsaʿuhumu lhawāmmu ḏawātu s-sammi watanhašuhum ʿalā l-ʿumūmi

(15) De illis quos mordent reptilia habentia venenum et quos pungunt secundum communitatem.

(16) man lusiʿa au nuhiša mina lhawāmmi ḏawāti s-sammi yaǧibu an yumaṣṣa min sāʿatihī wa-yakūna llaḏī yamaṣṣu ʿalā r-rīqi lam yaġtaḏi baʿdu wa-yatamaḍmaḍa awwalan biḫamrin wa-duhnin

(16) Qui mordetur aut pungitur ex reptilibus habentibus venenum oportet ut sugatur statim. Et sit ille qui sugit eum ieiunus qui nondum sit cibatus. Et colluat os in primis cum oleo rosato et vino.

(17) wa-baʿda ḏālika in kāna l-ʿuḍwu mumkinan fa-ḍaʿ ʿalā l-mauḍiʿi miḥǧamatan fīhā lahabun kaṯīrun wa-tušraṭu l-mawāḍiʿu l-qarībatu mina n-nahši aiḍan wa-tumaṣṣu

(17) Et post illud si membro est possibile ponatur super membrum ventosa in qua sit flamma multa et scarificentur loca proppinqua puncture et sugantur.

(18) wa-ḏālika anna s-samma nafsahū yanǧaḏibu bi-nǧiḏābi d-dami war-rīḥi

(18) Quod est quia venenum ipsum attrahitur cum attractione sanguinis et ventositatis.

(19) fa-ammā l-lahabu fa-li-kai tulahhaba l-aǧzāʾu l-mutafarriǧatu lmaftūḥatu wa-taḥtariqa

(19) Flamma autem ut inflammentur partes expanse aperte et adurantur.

(20) wa-rubbamā quṭiʿa ḏālika lmauḍiʿu l-manhūšu in kāna lḥayawānu llaḏī nahaša ḫabīṯan qattālan ka-d-dassāsi wa-huwa ḥaiyatun lā tasmaʿu wa-l-ḥaiyati lmuqarranati wa-l-afāʿī š-šabīhati bihāḏihī

(20) Et fortasse inciditur illud membrum punctum, si animal quod punxit est malignum perniciosum, sicut dipsas, et est serpens qui non audit et serpens cornutus et laboriosus et vipere similes istis,

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(21) ka-mā ḫabbara Ǧālīnūsu l-fāḍilu ʿani l-karrāmi llaḏī nahašathu l-afʿā ḥaiṯu qāla innahū lammā nuhiša wanaẓara ilā l-afʿā wa-ʿarafahā qaṭaʿa iṣbaʿahu l-manhūšata bi-l-minǧali min sāʿatihī wa-taḫallaṣa min ḫaṭarin ʿaẓīmin

(21) sicut narrat galienus optimus de vinitore quem momordit vipera ubi dixit quia cum morsus fuit aspexit viperam et cognovit eam incisit digitum suum morsum cum falcastro statim et evasit ex timore magno.

(22) fa-in bādara s-sammu wa-nbaṯṯa fī sāʾiri l-badani aḫraǧnā d-dama min waqtihī wa-ḫāṣṣatan in kāna hunāka mtilāʾun

(22) Quod si incipit venenum et profluit in reliquum corpus extrahemus sanguinem statim et proprie si est illic repletio.

(23) wa-yuʿṭā baʿda l-ġiḏāʾi fulfulan wa-ṯūman maʿa ṭilāʾin qawīyin ṣulbin yašrabuhū ṣirfan ilḫ.

(23) Et detur post cibum etiam allium cum vino forti duro et bibant ipsum purum etc.

Die Diktion des Übersetzers ist schwerfällig. Man spürt, wie er mit dem Ausdruck gerungen hat und wie sehr er bemüht war, das fremdsprachliche Original im Arabischen genau nachzubilden. Um der Genauigkeit zu genügen, setzt er sich z. B. in den §§ 11 und 12 über die übliche arabische Wortstellung hinweg. Ungewöhnlich ist die Verwendung des Adjektivs ṣulbun zur Kennzeichnung des „starken, kräftigen“ Weins (§ 23). Dem Syrischen nachgeahmt ist der Gebrauch von min zur Kennzeichnung des Täters beim Passiv: man lusiʿa au nuhiša mina l-hawāmmi heißt es in § 16. Im Arabischen verstößt diese Konstruktion gegen die Norm, im Syrischen ist sie üblich (s. Theodor Nöldeke, Kurzgefaßte syrische Grammatik, 2. Auflage, Leipzig 1898, § 249 D). Der Satz dürfte im Syrischen etwa gelautet haben: man deṯdḇeṣ au deṯnkeṯ men ḥallūṭā. Und Gerhard hat seinerseits das Arabische sklavisch nachgeahmt, denn 288 er übersetzt: qui mordetur aut pungitur ex reptilibus41. Ob der Ausdruck fī nafsi lmauḍiʿi (§ 2, 6), der korrekt fī l-mauḍiʿi nafsihī lauten müßte, auf syrischen Einfluß zurückgeht oder nur einer mittelarabischen Gewohnheit entspricht, kann ich nicht entscheiden. Den frühesten Beleg für diese Konstruktion kenne ich aus Ṭabarī’s Taʾrīḫ I 13, 12 f. Dort ist ein Ḥadīṯ überliefert, in dem der _______________ 41 Die besondere Worttreue Gerhards ist schon mehrfach konstatiert worden, vgl. Ilona Opelt, Zur Übersetzungstechnik des Gerhard von Cremona, in: Glotta 38, 1960, 135‒170.

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Prophet gesagt haben soll: buʿiṯtu fī nafsi s-sāʿati. Im modernen Hocharabisch ist die Konstruktion üblich. Bei Hans Wehr, Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart, p. 875b f. sind folgende Wendungen verzeichnet: fī nafsi l-amri „in Wirklichkeit“, fī nafsi l-wāqiʿi id., nafsu š-šaiʾi „das Ding selbst“. Einige Textstellen sind problematisch und zum Teil als Überlieferungsschäden zu beurteilen, andere bedürfen der Erklärung. Ich weise auf folgendes besonders hin: § 5: Die Handschrift hat deutlich tahayyuǧ „Erregung“, und so hat auch Gerhard gelesen, denn er übersetzt das Wort mit excitatio. Das Richtige ist aber zweifellos tahabbuǧ „Schwellung“. § 8 : Statt ʿalā mā yuʿānīhi hat Gerhard offenbar ʿalā mā yuʿāyinuhū gelesen. § 10: isfīdabāǧun (aus mittelpers. spēdbāg) ist ein Gericht aus Fleisch, Zwiebeln, Öl und Quark, s. ʿAlī b. Rabban Firdaus 260, 7; Ps. Ǧālīnūs, K. Asrār an-nisāʾ, Janus 55, 1968, 210; Rāzī Ḥāwī 10, 191, 8; 209, 8; Ǧābir b. Ḥaiyān Sumūm fol. 169a paen.; Ps. Ṯābit Ḏaḫīra 24, 11; 82, ‒4; Maǧūsī Malakī II 223, 9. 11; b. Sīnā Qānūn I 550, 14; Nuwairī Nihāya 12, 145, 8; 146,3; aš-Šakūrī, K. adDūsanṭāriya, Ms. Leiden fol. 192 a (vgl. Dozy Suppl. I 22 b); ʿAbd al-Laṭīf, Maq. fī Diyābīṭā, Ms. Bursa, Hüseyin Çelebi 823, fol. 143 a 1; Dietrich Drogenhandel 39 Anm. 116. § 13: Gerhard hat den Namen des Oreibasios nicht erkannt. Das Rezept findet sich nicht in der Synopsis ad Eustathium; ein ähnliches Rezept steht bei Galen, Περὶ ἀντιδότων, cap. 14 (= Kühn XIV 184,13‒17). maibuḫtaǧun (aus mittelpers. may und poḫtag, s. Vullers II 1246a und Dozy Suppl. II 626b) ist [mit bestimmten Medikamenten versetzter] Traubensirup. Belege: Diosk. I 26/ p. 33,16 (für ὁ γλυκύς [sc. οἶνος]); Ǧāḥiẓ Bayān I 209 ult./ II 168, 12; ʿAlī b. Rabban Firdaus 145, 21. 22; Isḥāq b. ʿImrān, Maq. fī l-Mālanḫūliyā, Ms. München 805, fol. 112 b 2; Rāzī Ḥāwī 10, 47, 6; 182, 9; Rāzī (de Koning) 20, 7; Ps. Ṯābit Ḏaḫīra 21, 1; 69, 19; 111, 2. 11. 12; Aġ. 7, 23, 16/275, 3; Muwaffaq Abniya 122, 3; 174 paen.; b. -Ǧazzār, K. Siyāsat aṣ-ṣibyān, ed. Muḥammad alḤabīb al-Hīla, Tunis 1968, p. 113, 7; 129, 10; b. ‑Baiṭār Ǧāmiʿ I 169, 11; IV 173, 10 f.

289 § 14: Der Makedonier Lykos war Arzt im zweiten Jhdt. nach Christus, s. Friedrich Kind, RE 13,2 (1927), Sp. 2408‒2417 (nr. 52). Seine Schriften sind nur indirekt durch Galen bekannt, der des öfteren auf ihn Bezug nimmt und gegen ihn polemisiert. Das vorliegende Rezept konnte ich in den Schriften

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Galens nicht nachweisen. Es ist dennoch unwahrscheinlich, daß ibn Sarābiyūn eine Schrift des Lykos unmittelbar benutzt hat. § 16: Zu tamaḍmaḍa in der Bedeutung „den Mund ausspülen“ vgl. Buḫārī Ṣaḥīḥ I 49, 13. § 20: al-muqarrana, entspricht ὁ κεράστης, ist Konjektur. Im Ms. steht: almuʿarsānatu. Vielleicht ein syrisches Wort? Statt dassās hat Gerhard dibsās = διψάς gelesen. Diese Schlange heißt sonst durch Lehnübersetzung al-muʿaṭṭiša, s. Ullmann Medizin 335‒341. Nach Wehr, Arab. Wörterbuch 253 a ist dassās die Giftschlange Eryx iaculus. Naǧīb ad-Dīn as-Samarqandī erwähnt im Giftkapitel seines K. al-Asbāb wa-l-ʿalāmāt die Schlange ad-dassāsa, „die sich in den Sand eingräbt und in ihm wie ein Fisch im Wasser schwimmt“, s. Ullmann Medizin p. 339. — ḥaiyatun lā tasmaʿu, d. h. „eine Schlange, die gegen Beschwörungen immun ist“. § 21: Die Passage ist der Schrift des Galen De locis affectis III 11 (Bd. VIII 197 ult. ‒ 198,5 Kühn) entnommen. Sie lautet dort:

Καὶ μέντοι γε καὶ ἄλλον ἐθεασάμην ἄγροικον, ὅλον τὸν δάκτυλον ὑπὸ ἐχίδνης δηχθέντα, δρεπάνῳ μέν, ὃ τότ’ εἶχεν, ἦν γὰρ ἀμπελουργός, ἀπὸ τῆς ὑστάτης διαρθρώσεως ἀποτεμόντα τὸ δεδηγμένον μέρος, ἄνευ δὲ πόσεως φαρμάκου διασωθέντα, τοῦ δακτύλου κατουλωθέντος ὑπὸ τῶν συνηθῶν φαρμάκων. § 23: Für ṭilāʾun „Wein“ gibt b. Sīnā Qānūn II 268, 19 f. / III 442, 5 f. folgende Definition: aṭ-ṭilāʾu yuttaḫaḏu bi-an yutraka l-ʿinabu fī karmihī baʿda an yanḍaǧa zamānan yasīran au yuqṭaʿa l-ʿinabu n-naḍīǧu fa-yušammasa ṯumma yuʿṣara wa-yuṭbaḫa.

V. Die Nebenüberlieferung Der hier wiedergegebene Text aus dem Buch des ibn Sarābiyūn ist zum größeren Teil auch im K. al-Ḥāwī des Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī42 überliefert. Wie wichtig diese Nebenüberlieferung ist, ist schon oben in § 9 _______________ 42 Gest. 313/925; GAL I 233 ff.; S I 417 ff.; Ullmann Medizin p. 128‒136; GAS III 274‒294.

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deutlich geworden, wo die Brüsseler Handschrift eine Lücke aufweist, der Text aber nach Ḥāwī 19, 404, 3 f. ergänzt werden konnte. Im folgenden sind den Passagen der Brüsseler Handschrift die Exzerpte ar-Rāzī’s gegenübergestellt: §2 §3 §5 290 § 6 §9 § 10 § 11 § 2‒11 § 13 § 16 § 17 § 18 § 20 § 22 § 23

= = = = = = = = = = = = = = =

Ḥāwī 19, 403, 12 f. Ḥāwī 19, 403, 13 ‒ 404, 2 Ḥāwī 19, 404, 2 f. Ḥāwī 19, 404, 3 Ḥāwī 19, 404, 3‒5 Ḥāwī 19, 404, 5 Ḥāwī 19, 404, 6 Ḥāwī 19, 391, 12 ‒ 392, 3 Ḥāwī 19, 392, 4‒7; 404, 7‒10 Ḥāwī 19, 284, 6 f.; 319, 11 Ḥāwī 19, 284, 7 f.; 319, 11 f. Ḥāwī 19, 284, 8 f. Ḥāwī 19, 284, 9; 319, 12 f. Ḥāwī 19, 284, 9 f.; 319, 13 Ḥāwī 19, 284, 10 f.; 319, 13 f.

Nun hatte ar-Rāzī die Gewohnheit, seine Quellen nicht wörtlich zu zitieren, sondern deren Texte zu raffen und zum Teil anders zu formulieren43. Dieser Umstand mindert ganz allgemein etwas den Wert, den das K. al-Ḥāwī für die Wiederherstellung alter oder verlorener Schriften hat. Auch die Zitate aus „ibn Sarābiyūn“ weisen eine Anzahl Abweichungen auf, die nicht alte Überlieferungsvarianten, sondern bewußte und willkürliche Änderungen ar-Rāzī’s sein dürften. Bisweilen ersetzt ar-Rāzī unpräzise Wörter durch die üblichen oder durch ihm geläufige Termini. In § 5 schreibt er z. B. ḍīqu n-nafasi statt ṣiġaru n-nafasi. Aber er tauscht auch ohne Not einzelne Wörter aus: In § 2 schreibt er badʾan statt awwalan44 und fī l-ǧasadi statt fī l-badani, in § 3 ersetzt er ṯaqbāni mutaqāribāni durch ṯuqbatāni ġairu mutabāʿidataini. Solche Änderungen erscheinen geringfügig, und da die Texte in der Hauptsache doch übereinstimmen, sollte man annehmen, daß ar-Rāzī dieselbe Übersetzung ausgeschrieben hat, die uns in der Brüsseler Handschrift erhalten ist. _______________ 43 Die Behauptung Sezgins, GAS III 72, daß ar-Rāzī die Gepflogenheit habe, seine Quellen wörtlich zu zitieren, ist unrichtig. 44 awwalan ist allerdings nachklassisch für awwalu, s. Theodor Nöldeke's Belegwörterbuch zur klassischen arabischen Sprache, bearbeitet und herausgegeben von Jörg Kraemer, Berlin 1952, p. 52 b, aber ar-Rāzī hat den Text sicher nicht aus sprachpuristischen Gründen geändert.

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Das Bild ändert sich jedoch, wenn man die folgenden Varianten betrachtet: Das Rezept des Oreibasios (§ 13) führt ar-Rāzī zweimal an, p. 392, 4‒7 und p. 404, 7‒10. Dabei weicht die Dosierung vom handschriftlichen Text ab. Bei arRāzī heißt es: anīsūnun uksūbāfunun (ὀξύβαφον) fulfulun arbaʿatu daraḫmīyātin. Statt des ʿalā qadri l-qūwati der Handschrift hat ar-Rāzī an der ersten Stelle qadru l-ǧauzati, an der zweiten Stelle bāqillātun. In § 16 ist eine andere Vorschrift gegeben. Nach der Handschrift soll der, der die Bißwunde aussaugt, nüchternen Magens sein und noch nicht gegessen haben; nach ar-Rāzī dagegen soll er gegessen haben (wa-l-yakuni llaḏī yamaṣṣu qad ṭaʿima). Auf Seite 391,12 bis 392,3 hat ar-Rāzī den Inhalt der §§ 2‒11 folgender- 291 maßen zusammengefaßt: Sarābiyūn: man nahašahū ufʿuwānun (Var. afʿan) ḏakarun yakūnu fī mauḍiʿi n-nahšati ṯuqbatāni mutaqāribatāni wa-iḏā kānat unṯā arbaʿu ṯuqabin wa-aḍarru mā takūnu n-nahšatu iḏā waqaʿat bi-ǧāʾiʿin ammā iḏā waqaʿat bi-šabʿāna au bi-sakrāna fa-innahū aqallu ḍararan wa-aʿẓamu ʿilāǧihī tiryāqu l-afāʿī l-ḥadīṯu. „Wen eine männliche Viper beißt, (bei dem) entstehen an der Bißstelle zwei nahe beieinander liegende Löcher. War sie weiblich, so (sind es) vier Löcher. Den größten Schaden richtet der Biß an, wenn er einen Hungrigen trifft. Trifft er einen Satten oder Betrunkenen, so ist er nicht so schädlich. Die beste Therapie ist der frisch bereitete Viperntheriak.“ Dieses Resümee enthält ganz neue Gesichtspunkte, die im handschriftlichen Text fehlen. Es muß daher mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß ar-Rāzī den Großen Kunnāš benutzt hat oder daß er bald den Kleinen, bald den Großen Kunnāš zitiert. Klarheit in dieser Frage kann erst eine Prüfung der Handschrift Aya Sofya 3716 geben.

VI. Parallelen Einzelne Teile des hier besprochenen Textes über die Symptome und die Therapie der Vipernbisse sind noch in anderen medizinischen Werken zu lesen. Die Erzählung vom Weingärtner in § 21 findet sich auch im „syrischen Medizinbuch“45. Der Autor, den Carl Brockelmann (ZDMG 68, 1914, 187) mit Recht einen Plagiator genannt hat, hat sie wörtlich aus Galens Werk De locis affectis abgeschrieben. Er hat dabei die Ich-Form der Erzählung Galens _______________ 45 E. A. Wallis Budge, Syrian Anatomy, Pathology and Therapeutics or „The Book of Medicines“, London etc. 1913, Vol. I. Introduction. Syriac Text, p. 27. Vol. II. English Translation and Index, p. 25.

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beibehalten, so daß der Eindruck entsteht, er selbst, der Syrer, habe die Begebenheit erlebt46. Im 9./15. Jhdt. schrieb Ibrāhīm ibn ʿAbd ar-Raḥmān ibn abī Bakr al-Azraq sein K. Tashīl al-manāfiʿ. Er hatte seine Quellen ohne Sorgfalt ausgewählt, und was er von antiken Ärzten berichtet, ist durch jahrhundertelange Überlieferung und wohl auch durch seine eigene Nachlässigkeit vielfach entstellt47. Die folgende, Seite 176,15‒20 zu lesende Passage ist dennoch sehr aufschlußreich, denn in ihr ist wiederum Galen als Quelle genannt: qultu: wa-mimmā waqaftu ʿalaihi fī ġairi l-kitābaini48 fī ʿilāǧi l-ladġati fa-man ladaġathu au lasaʿathu ʿaqrabun fa-l-yubādir ilā qaṭʿi l-ʿuḍwi in kāna d-dābbu ḫabīṯan wa‑ḏālika bi-an yakūna d-dābbu qātilan bi-manzilati l-afāʿī wa-l-ḥayyāti 292 l-muqarranati iḏā kāna l-ʿuḍwu mimmā yumkinu qaṭʿuhū. Fa-inna Ǧālīnūsa ḏakara anna raǧulan yaʿmalu fī karmin fa-ladaġathu afʿan fī iṣbaʿihī fa-ʿalima annahā afʿan fa-qaṭaʿa iṣbaʿahū bi-minǧalin fī yadihī fa-naǧā mina l-mauti wain lam yakuni d-dābbu ḫabīṯan fa-yuḍammadu mauḍiʿu n-nahši bi-l-baṣali lmadqūqi awi ṯ-ṯūmi awi l-milḥi au baʿari māʿizin. Wa-ḏakara Ǧālīnūsu an lā šaiʾa ka-l-ʿasali wa-s-samni iḏā šariba minhu l-malsūʿu šaiʾan kaṯīran wa-yanbaġī an yumaṣṣa mauḍiʿu n-nahši bi-l-maḥāǧimi li-yuǧḏaba s-sammu. Der vorletzte Satz, in welchem „Galen“ die unübertreffliche Wirkung des Honigs und der Butter rühmt, ist in keiner der anderen Quellen zu lesen, und somit kann es als sicher gelten, daß al-Azraq von diesen unabhängig ist. Das Rezept in § 13 teilt auch al-Maǧūsī (Malakī II 223, ‒3 ff.) mit, allerdings ohne den Namen des Oreibasios zu nennen. Al-Maǧūsī ist aber weder von ibn Sarābiyūn noch von ar-Rāzī abhängig, denn er verschreibt vom Anis und Pfeffer je vier Drachmen und schließt mit der Dosis: wa-yuʿṭā minhu miqdāru bāqillātin au akṯaru wa-aqallu bi-ḥasabi l-qūwati. Eine vierte Parallele zu den beiden Kapiteln des ibn Sarābiyūn findet sich im K. al-Qānūn des ibn Sīnā. Die einzelnen Passagen verteilen sich folgendermaßen: § 1‒7 = Qānūn II 137, ‒3 bis 138, 4 / III 243, 18‒26 §9 = Qānūn II 138, 8 f. / III 243, ‒4 f. § 11 = Qānūn II 138, 6 / III 243, 28 _______________ 46 In Verkennung dieses Umstandes folgert Sezgin, GAS III 177, daß der Verfasser des „syrischen Medizinbuches“ in Alexandrien gelebt habe und daß das Buch erst griechisch geschrieben und dann ins Syrische übersetzt worden sei. 47 Manche Fehler dürften auch durch den sehr schlechten Druck Kairo 1304 (vgl. GAL S II 170) verursacht worden sein. 48 D. h. nicht in seinen beiden Hauptquellen, dem K. Šifāʾ al-aǧsām des Muḥammad ibn abī l-Ġaiṯ al-Kirmānī und dem K. ar-Raḥma des Muḥammad aṣ-Ṣanaubarī.

Yūḥannā ibn Sarābiyūn § 13 § 14

227

= Qānūn II 138, 10‒12 / III 243 ult. ‒ 244, 2 = Qānūn II 138, 12 f./ III 244, 2 f.

Zum Vergleich sei die erste dieser Passagen mitgeteilt: Šarru l-afāʿī wa-ttanānīni ḏukūratuhā wa-ammā l-ināṯu fa-innahā aslamu wa-lasʿu l-unṯā yuʿrafu bi-wuǧūdi maġāriza akṯara min nābaini fī l-ǧihati llatī ʿuḍḍa bihā wa-yaḫruǧu fī awwali l-amri min mauḍiʿi n-nābaini awi l-anyābi damun ṯumma ṣadīdun ġusālīyun wa-rubbamā btadaʾa māʾīyan ṯumma zaitīyan ṯumma zinǧārīyan qadi staḥāla ilā ǧauhari s-sammi wa-launihī wa-yauǧaʿu l-mauḍiʿu ṯumma yadibbu waǧaʿuhū ṯumma yaẓharu waramun ḥārrun aḥmaru ḏū buṯūrin kaṯīratin wanuffāṭātin ka-ḥarqi n-nāri wa-rubbamā fašā ṯumma yaḫḍarru ḏālika l-waramu fī qurbi l-lasʿati wa-yaǧiffu l-famu wa-yaʿriḍu fī l-aḥšāʾi ltihābun wa-fī l-badani ḥummā maʿa nāfiḍin ṯumma ʿaraqun bāridun wa-fasādu launin ilā l-ḫuḍrati watahayyaǧa duwārun wa-tawāturu nafasin wa-ṣiġaruhū wa-ġaṯyun wa-fuwāqun wa-rubbamā qāʾa ḫilṭan mirrīyan wa-yaʿsuru l-baulu wa-yaṯqulu r-raʾsu warubbamā urʿifa wa-yaẓharu ṯiqlun fī ṣ-ṣulbi ṯumma ʿaraqun bāridun wa-riʿdatun šadīdatun wa-ġašyun wa-akṯaru mā yahliku fī ṯalāṯati ayyāmin wa-rubbamā baqiya ilā s-sābiʿi. Der Vergleich lehrt folgendes: Es bestehen inhaltliche Übereinstimmungen zwischen dem Text des Qānūn und den Exzerpten im K. al-Ḥāwī, wobei diese 293 Quellen gleichzeitig vom Text der Brüsseler Handschrift des ibn Sarābiyūn abweichen. Ar-Rāzī und ibn Sīnā erwähnen beide den Umstand, daß der Biß der weiblichen Viper mehr als zwei Löcher verursacht. Ar-Rāzī nennt ausdrücklich v ier Löcher, während ibn Sīnā unbestimmter von m ehr a l s zw e i Löchern spricht, genau wie Galen in seiner Schrift De Theriaca ad Pisonem (Bd. XIV 265, 7‒9 Kühn / p. 76, 8 ff. Richter-Bernburg), der diese Lehre auf Nikander von Kolophon zurückführt. In § 13, dem Rezept des Oreibasios, findet sich eine weitere Übereinstimmung zwischen ar-Rāzī und ibn Sīnā (die übrigens beide den Namen des Oreibasios nicht erwähnen). Beide schreiben vom Anis ein Oxybaphon vor, und beide verabreichen als Dosis des Ganzen eine ǧauza (Nuß). Es ergeben sich damit drei Möglichkeiten: Ibn Sīnā hat entweder aus arRāzī abgeschrieben, oder aus ar-Rāzī’s mutmaßlicher Quelle, dem Großen Kunnāš des ibn Sarābiyūn, oder aus ibn Sarābiyūn’s Quelle. Die erste Möglichkeit braucht nicht ernstlich in Betracht gezogen zu werden, denn die Unterschiede zwischen ar-Rāzī und ibn Sīnā sind größer als die Übereinstimmungen. Auch die zweite Möglichkeit muß m. E. ausscheiden, denn ibn Sīnā hat im weiteren Kontext viel mehr und ganz anderes Material als ibn Sarābiyūn. Dagegen ist es sehr wohl möglich, daß ibn Sarābiyūn und

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Medizingeschichte

ibn Sīnā eine gemeinsame Quelle benutzt haben. Wenn es nun gelingt, die Quelle des ibn Sīnā festzustellen, so ist damit zugleich die Quelle ermittelt, aus der ibn Sarābiyūn an dieser Stelle geschöpft hat. Eine der wichtigsten Quellen, die ibn Sīnā in seinem Giftkapitel benutzt hat, ist das pseudo-galenische Giftbuch. Ich kann hier nur kurz zusammenfassend referieren und muß mir eine ins einzelne gehende Beweisführung für später vorbehalten. Nur so viel sei gesagt: Die Stellen, die ar-Rāzī unter dem Stichwort K. as-Sumūm al-mansūb ilā Ǧālīnūs zitiert49, finden sich in nahezu wörtlich derselben Formulierung im Giftkapitel des ibn Sīnā wieder, der jedoch — wie er es meistens tut — seine Quelle nicht nennt. Nur einmal, Bd. II 147, 8 ff. / III 258, 13 ff., bei seinen Ausführungen über zwölf Giftspinnen, erwähnt er Galen. Da aber diese Giftspinnen im Corpus Galenianum nicht vorkommen, ist dieser Abschnitt aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls dem pseudo-galenischen Giftbuch entnommen. Über die griechische Schrift, der ibn Sīnā seinen großen Abschnitt über die Schlangenbisse (p. 133, 4 ff. / 240, 24 ff.) entnommen hat, habe ich in meinem Buch50 Untersuchungen angestellt. Ich war zu dem Ergebnis gekommen, daß diese Schrift aufs engste mit dem Buch Περὶ ἰοβόλων ζῴων des Philumenos verwandt gewesen sein muß, und glaube jetzt sagen zu können, daß es eben294 falls das pseudo-galenische Giftbuch war. Dieses war offenbar eine umfassende Kompilation, in die neben anderen Quellen das Buch des Philumenos zum größten Teil übergegangen ist. Und auf dem Hintergrund dieses Kontextes scheint die Annahme einigermaßen gerechtfertigt, daß auch diese allgemeinen Regeln über Vipernbisse, wie sie ibn Sarābiyūn und ibn Sīnā lehren, dem pseudo-galenischen Giftbuch entstammen. Die Abhängigkeitsverhältnisse können graphisch folgendermaßen dargestellt werden:

_______________ 49 s. Ullmann Medizin p. 61. Sezgin, GAS III 121, ist im Irrtum, wenn er glaubt, daß diese Zitate aus der Schrift De Theriaca ad Pamphilianum stammen. Ar-Rāzī’s Exzerpte und der Text bei Kühn XIV 295—310 stimmen in nichts überein. 50 Die Medizin im Islam p. 334‒337.

Yūḥannā ibn Sarābiyūn

Ps. Galen De venenis versio syr.

Galen De loc. aff. versio syr.

b. Sarābiyūn

Ps. Galen De venenis versio arab.

229

kunnāš kabīr

kunnāš ṣaġīr

versio arab.

versio arab.

Syrisches Medizinbuch

Galen De loc. aff. versio arab.

Rāzī Ḥāwī b. Sīnā Qānūn Buch IV Fann 6

Azraq Tashīl

VII. Zuletzt noch sechs Hinweise, die Irrtümer beseitigen und Mißverständnissen vorbeugen sollen: 1. In seiner „Geschichte des arabischen Schrifttums“ Bd. III p. 242 führt Sezgin unter nr. 4 das Dispensatorium (aqrābāḏīn) des Yūḥannā ibn Sarābiyūn als eine eigenständige Schrift auf. In Wirklichkeit entstammen die Stellen, die arRāzī unter diesem Titel zitiert, der siebten Maqāla des Kleinen Kunnāš. Zum Beweis nur ein Beispiel: Rāzī Ḥāwī 7, 170, 12-14:

Practica Ioannis Serapionis, Tractatus VII cap. 16 (= Druck Lyon 1525, fol. 77 b, col. a):

Aqrābāḏīnu Sarābiyūna: li-lyaraqāni muǧarrabun: saqmūniyā arbaʿatu darāhima halīlaǧun sittatu

Medicina alia solutiva ad ycteritiam mirabilis valde. Rp. scamonee drachm. IV, mirobalanorum citrinorum

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Medizingeschichte

darāhima ʿuṣāratu ġāfitin dirhamāni yunḫalu baʿda d-daqqi; aš-šurbatu dirhamāni bi-māʾi lhindibāʾi wa-sukkarin.

drachm. VI, succi eupatorii drachm. II, terantur et cribellentur et detur potio ex ea drachm. II cum aqua endivie et zuccaro.

295 2. An derselben Stelle erwähnt Sezgin unter nr. 3 einen weiteren Buchtitel, das K. fī ʿAšr maqālāt li-Ǧālīnūs. Es erscheint jedoch höchst problematisch, aus der nicht ganz klaren Textstelle in den Rasāʾil aṭ-ṭibbīya des abū Sahl Bišr ibn Yaʿqūb ibn Isḥāq as-Siǧzī (s. Dietrich Medicinalia p. 67, 13 ff.) abzuleiten, daß Yūḥannā ein Buch mit diesem Titel geschrieben habe. Was soll im übrigen der Titel „Das Buch über zehn Traktate von Galen“ bedeuten? 3. Das K. ʿAǧāʾib al-aqālīm as-sabʿa ist eine in der ersten Hälfte des 4./10. Jhdts. niedergeschriebene Neubearbeitung des K. Ṣūrat al-arḍ des Muḥammad ibn Mūsā al-Ḫuwārizmī. Es ist in zwei Handschriften des Britischen Museums Cod. 23379 Add. und Cod. Or. 489651 erhalten. Als Autor dieses Buches gilt S u h r ā b , ein Mann, über den nichts bekannt ist und dessen Name sogar als Pseudonym verdächtigt wurde. Der Autorenname wird aber auch mit ibn S a r ā b i y ū n angegeben, und es scheint, als ob hier einfach eine Verwechslung der Namensformen vorliegt. Ganz irreführend aber ist es, wenn S. Maqbul Ahmad in der Encyclopedia of Islam2 III 929 seinen Artikel unter die Überschrift „Ibn Sarābiyūn , Suhrāb“ stellt, denn das kann nach der Gepflogenheit dieses Werkes nur bedeuten, daß der Autor „Suhrāb ibn Sarābiyūn“ heiße52. Auf jeden Fall ist festzuhalten, daß der Verfasser des K. ʿAǧāʾib al-aqālīm nicht mit dem Verfasser der medizinischen Werke identisch ist53. 4. Das K. al-Aḥǧār des Pseudo-Aristoteles soll, wie in der Pariser Handschrift 277254 vermerkt ist, von Lūqā ibn Isrāfiyūn ins Arabische übersetzt worden _______________ 51 s. A Descriptive List of the Arabic Manuscripts Acquired by the Trustees of the British Museum since 1894, compiled by Alexander George Ellis and Edward Edwards, London 1912, p. 37. 52 Vgl. Hans von Mžik, Das Kitāb ʿAǧāʾib al-Aḳālīm as-Sabʿa des Suhrāb, nach dem handschriftlichen Unikum des Britischen Museums in London / Cod. 23 379 Add. / Bibliothek arabischer Historiker und Geographen Bd. V, Leipzig 1930; GAL I 227; S I 406; Hubert Daunicht, Der Osten nach der Erdkarte al-Ḫuwārizmīs. Beiträge zur Historischen Geographie und Geschichte Asiens. Bd. I: Rekonstruktion der Karte, Interpretation der Karte: Südasien (Bonner Orientalistische Studien, Neue Serie, hrsg. von Otto Spies, Bd. 19), Bonn 1968, p. 35 ff. 53 Nebenbei sei bemerkt, daß die Encyclopedia of Islam keinen Artikel über den letzteren enthält. 54 Julius Ruska, Das Steinbuch des Aristoteles, mit literargeschichtlichen Untersuchungen nach

Yūḥannā ibn Sarābiyūn

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sein. Dieser angebliche Übersetzer ist nicht mit dem Mediziner identisch. Die Frage, ob L ū q ā i b n I s r ā f i y ū n historisch ist oder ob dieser Name nur eine Fiktion ist, kann zur Stunde noch nicht mit Sicherheit entschieden werden. 5. Der Liber de simplicibus medicinis, der um 1290 von Abraham Tortuosiensis und Simon Januensis ins Lateinische übersetzt worden ist, soll Serapion zum Autor haben. Da der Autor aber aus bestimmten Gründen nicht mit unserem Yūḥannā ibn Sarābiyūn identisch sein kann, nahm man bislang einen Verfasser 296 „ibn Sarābiyūn Junior“ an, der um 1070 gelebt haben soll (s. GAL S I 887). Ich glaube in meinem Buch „Die Medizin im Islam“ p. 283 f. den Nachweis geführt zu haben, daß ein solcher „ibn Sarābiyūn Junior“ nicht existiert hat, daß der Liber de simplicibus medicinis vielmehr dem Yūḥannā ibn Sarābiyūn fälschlich zugeschrieben wurde. 6. Die Handschrift Oxford Uri I nr. 598 (= Hunt. 461, foll. 202) enthält ein 43 Fuṣūl umfassendes medizinisches Buch mit dem Titel Kitāb al-Fuṣūl almuhimma fī ṭibb al-aʾimma, das nach Angabe des Katalogs von Sarābiyūn ibn Ibrāhīm verfaßt worden sein soll. Mir ist über den Autor und das Werk nichts Näheres bekannt, aber die Annahme von Curt Peters (Le Muséon 55, 1942, 142), der das K. al-Fuṣūl dem „ibn Sarābiyūn Junior“ zuschreiben wollte, dürfte nach dem vorher Gesagten ebensowenig zutreffen wie die Vermutungen von Wüstenfeld55 und Leclerc (Histoire I 116), die in dem alten Yūḥannā ibn Sarābiyūn den Autor sahen.

Nachträge Zu S. 211: Vgl. Peter E. Pormann, Yūḥannā ibn Sarābiyūn: Further Studies into the Transmission of his Works, in: Arabic Sciences and Philosophy 14, 2004, 233‒262. Zu S. 212 f.: Die Handschrift Aya Sofya 3716 enthält nicht den Kunnāš alkabīr des ibn Sarābiyūn, sondern ein Kompendium von Yaʿqūb al-Kaskarī, s. Peter E. Pormann, Theory and Practice in the Early Hospitals in Baghdad — Al-Kaskarī on Rabies and Melancholy, in: ZGAIW 15, 2002/03, 197‒248. Zu S. 218‒220: Die §§ 1‒14 einschließlich der Rezepte des Oreibasios und Lykos entsprechen genau dem griechischen Text bei Paulus Aegineta V 13, _______________ der arabischen Handschrift der Bibliothèque Nationale herausgegeben und übersetzt, Heidelberg 1912. 55 Ferdinand Wüstenfeld, Geschichte der arabischen Aerzte und Naturforscher. Nach den Quellen bearbeitet, Göttingen 1840, p. 49.

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Medizingeschichte

1‒4 (Bd. II p. 16, 1‒17, 8 Heiberg). Vgl. Peter E. Pormann, The Oriental Tradition of Paul of Aegina’s Pragmateia (Studies in Ancient Medicine Vol. 29), Leiden-Boston 2004, 20‒46. Zu S. 230: Die Stelle bei abū Sahl Bišr ibn Yaʿqūb lautet: ṯumma waǧadtu Yūḥannā qad nasaḫa ḏālika d-dawāʾa min Kitāb ʿAšr maqālāt li-Ǧālīnūs. Bei diesem Werk handelt es sich um die Schrift De compositione medicamentorum secundum locos des Galen. Zu S. 231: Zum K. al-Fuṣūl al-muhimma in Codex Huntingtonianus 461 der Bodleian Library vgl. M. Ullmann, Rufus von Ephesos, Krankenjournale, Wiesbaden 1978, p. 11 ff.

Zum Dispensatorium des Sābūr ibn Sahl In der „Geschichte des arabischen Schrifttums“ von Fuat Sezgin1, Bd. III, Leiden 1970, 186, findet sich in dem Kapitel, das den syrischen, ins Arabische übersetzten Schriften gewidmet ist, folgender Abschnitt: Ein weiteres anonymes syrisches medizinisches Buch. Ein syrisches medizinisches Buch wurde udT. K. fī Ṣanʿat al-adwiya al-murakkaba al-muḫtāra al-muʿtamad ʿalaihā fī l-ʿilāǧ wa-l-māristān von Sābūr b. Sahl (st. 255/869) ins Arabische übersetzt und von Yūḥannā ibn Sarābiyūn korrigiert und bearbeitet. Das Buch besteht aus 25 Kapiteln; es ist sehr interessant und aufschlußreich für die Untersuchung der syrischen (vielleicht syrisch-persischen) Schule in der Zeit kurz vor dem Islam und in der frühislamischen Zeit. Ibn Sarābiyūn verweist an einigen Stellen auf Werke arabischer Ärzte, z. B. des abū ṭ-Ṭaiyib Zakarīyāʾ b. Naṣr. Hss.: Teheran, Malik 4573/40 (20 ff., 1096 H.), Teheran, Sanā 3258/20 (56 ff., 11. Jh. H.).

Diese in der Tat höchst interessante Notiz hat uns zu einer näheren Untersuchung des Sachverhaltes veranlaßt. Dabei stellte sich heraus, daß von einer Übersetzung aus dem Syrischen1a keine Rede sein kann, daß die Handschrift Teheran Sanā 3258,202 vielmehr eine späte Rezension des Dispensatoriums (arab. aqrābāḏīn) des Sābūr ibn Sahl enthält. Von Sābūrs Buch, dessen Bedeutung der mittelalterliche Gelehrte ibn abī Uṣaibiʿa3 ebenso hervorhebt wie der moderne Medizinhistoriker Max Meyerhof 4, ist bisher nur sehr wenig bekannt. Daher sollen im folgenden die Ergebnisse, die die Untersuchung einiger handschriftlicher und gedruckter Quellen erbracht hat, vorgetragen werden. _______________ 1 Im folgenden als „GAS“ zitiert. 1a Eine Übersicht über die in syrischer Sprache erhaltenen medizinischen Werke findet man bei Rainer Degen, Ein Corpus Medicorum Syriacorum, in: Medizinhistorisches Journal 7, 1972, 114‒122. Einige Nachträge dazu werden in derselben Zeitschrift erscheinen. 2 Wir möchten dem Direktor der Bibliothek, Herrn K. Jahandari, für die freundliche Liberalität, mit der er uns eine Kopie dieser Handschrift zur Verfügung gestellt hat, unseren verbindlichen Dank sagen. 3 K. ʿUyūn al-anbāʾ, ed. August Müller, Kairo - Königsberg 1882‒1884, Bd. I 160, 19 und 161, 19. 4 Vgl. Aldo Mieli, La science arabe et son rôle dans l’évolution scientifique mondiale, Leiden 1938, 282.

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Die älteste Quelle, die auf Sābūrs Dispensatorium Bezug nimmt, ist das K. 242 al-Ḥāwī des um 311/923 gestorbenen Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī5. Aus ihm ist zu erfahren, daß das Dispensatorium in drei Fassungen im Umlauf war. Die große Fassung zitiert ar-Rāzī unter dem Titel Aqrābāḏīn Sābūr alkabīr6, die mittlere Fassung unter dem Titel Aqrābāḏīn Sābūr al-ausaṭ7. Dementsprechend muß es auch eine kleine Fassung gegeben haben, aber ein ausdrücklich so gekennzeichneter Titel ist nicht überliefert. Schließlich verwendet ar-Rāzī mehrfach nur das Autorenlemma Sābūr [ibn Sahl] (z. B. Ḥāwī 3, 119, 11 usw.). Welcher der drei Versionen diese Stellen zuzurechnen sind, war bisher nicht auszumachen. In seinem im Jahre 377/987 verfaßten Fihrist8 teilt ibn an-Nadīm9 mit, daß Sābūr ibn Sahl außer einem Buch über die Kräfte der Nahrungsmittel eben jenes Dispensatorium geschrieben habe, das 22 Kapitel umfaßt habe und nach dem man in den Krankenhäusern und Drogistenläden verfahre. Zur Person sagt ibn an-Nadīm, daß Sābūr Christ gewesen sei, daß er eine Stellung am Krankenhaus in Gondēšāpūr bekleidet habe und daß er am Montag, dem 21. Ḏū l-Ḥiǧǧa des Jahres 255 [= 2. Dezember 869] gestorben sei. Ibn abī Uṣaibiʿa10 berichtet des weiteren, daß al-Mutawakkil und die folgenden Kalifen die Dienste Sābūrs in Anspruch genommen hätten. Sein ,,großes berühmtes Dispensatorium“ habe 17 Kapitel gezählt. Den Worten ibn an-Nadīms, daß in den Krankenhäusern und Drogistenläden nach ihm verfahren werde, fügt ibn abī Uṣaibiʿa, nun fast dreihundert Jahre später, hinzu: „insbesondere vor Erscheinen des Dispensatoriums des Amīn ad-Daula ibn at-Tilmīḏ“11. Das ist alles, was die biographischen und bibliographischen Quellen über Sābūr zu sagen wissen. Es ist dürftig genug und bietet keine Grundlage für die etwas ausschmückenden modernen Darstellungen, nach denen Sābūr der _______________ 5

GAL I 233 ff.; S I 417 ff.; Manfred Ullmann, Die Medizin im Islam (Handbuch der Orientalistik, hrsg. von Bertold Spuler, Erste Abteilung, Ergänzungsband VI, 1. Abschnitt), Leiden/Köln 1970, 128 ff. (im folgenden als „Medizin im Islam“ zitiert); GAS III 274 ff. 6 Rāzī Ḥāwī 2, 219, 8; 10, 238, 9; 11, 176, 7; auch bei Alcoati, Ms. Esc. 894,2, fol. 8 b. 7 Rāzī Ḥāwī 7, 220, 4; 11, 21, 12. Sezgin, GAS III 244, macht daraus einen „mittleren Sohn des Sābūr“. 8 Ed. Flügel 297, 9‒13. Davon abhängig Zauzanī Muntaḫabāt, ed. J. Lippert, 207, 3‒8 und Barhebraeus, Muḫtaṣar taʾrīḫ ad-duwal, ed. Ṣāliḥānī, 255, 13‒17. 9 Vgl. jetzt: Rudolf Sellheim, Das Todesdatum des Ibn an-Nadīm, in: Israel Oriental Studies 2, 1972, 428‒432. 10 b. a. Uṣ. I 161, 15‒22. 11 Ibn at-Tilmīḏ ist um die Mitte des 6./12. Jh.s gestorben, vgl. Medizin im Islam 163 und 306.

Zum Dispensatorium des Sābūr ibn Sahl

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„Direktor“ des Krankenhauses in Gondēšāpūr12 und sein Dispensatorium „the first of its kind in Islam“13 gewesen sein soll. Sicher war es eines der ersten, aber die Frage der Priorität kann so nicht beantwortet werden, nachdem im 243 Firdaus al-ḥikma des ʿAlī ibn Rabban14, in dem von ar-Rāzī zitierten Aqrābāḏīn al-qadīm15 und in Ḥunains Dispensatorium gewichtige Vorläufer für Sābūr gegeben sind. Daß die einschlägigen Schriften des Kindī16 wenigstens gleichzeitig mit Sābūrs Schrift erschienen sind, sei ebenfalls zu bedenken gegeben. Glücklicherweise sind von Sābūrs Dispensatorium einige Handschriften auf uns gekommen. Sezgin, GAS III 244, der Kitāb al-Aqrābāḏīn mit ,,Buch der Gegengifte“ falsch übersetzt, verweist auf zwei Handschriften in Privatbesitz: auf die von Ṣalāḥ ad-Dīn al-Munaǧǧid17 bekanntgemachte Handschrift nr. 4234 aus der Bibliothek des Ḥusain Āġā Malik in Teheran (datiert 734/1334) und auf die von Sbath18 verzeichnete Handschrift Mānūk in Aleppo. Uns sind nur die Handschriften Teheran Sanā 3258,20 und München 808,2 zugänglich, die beide späte Überarbeitungen des Buches präsentieren. Sie sind sowohl für das ursprüngliche Werk wie für seine Textgeschichte höchst aufschlußreich. Der Monacensis ist in der in der Fußnote 13 zitierten Arbeit von Sami Hamarneh kurz gewürdigt worden. Beide Handschriften sollen im folgenden näher untersucht werden. M s . M ü n c h e n a r a b. 8 0 8 , 2 (fol. 2 b 20‒21 a ult.). Zwischen fol. 10 und 11 sind ein oder zwei Blätter verlorengegangen. Infolgedessen fehlen der Schluß des 7. Kapitels über die safūfāt, das ganze 8. Kapitel über die akḥāl und der Anfang des 9. Kapitels über die marāhim. Format: 25 x 18, 7 cm; Schriftspiegel: 18, 4 x 13, 5 cm, 32‒35 Zeilen. Klares, dickes, unelegantes Nasḫī, oft keine diakritischen Punkte, unvokalisiert; zum Schluß (fol. 20 b) werden die Schrift flüchtig und die Zeilen unregelmäßig. Randglossen von verschiedenen Händen. Die Handschrift ist auf den 8. Ramaḍān 741 [= 26. Februar 1341] datiert. _______________ 12 Ibn an-Nadīm nennt ihn ṣāḥib al-bīmāristān, ibn abī Uṣaibiʿa mulāzim li-l-bīmāristān (vgl. WKAS II 577 b 14 ff.). 13 Vgl. Sami Hamarneh, Sābūr’s abridged formulary, the first of its kind in Islam, in: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin 45, 1961, 247‒260. 14 Ed. M. Z. Siddiqi, Berlin 1928, 449, 6‒500 ult. 15 Rāzī Ḥāwī 1, 111, ‒3; 2, 141, 10; 4, 177, 4; 6, 126, 10; 8, 144, 13; 9, 186, 1; 10, 169, 2; 11, 13, 13; 14, 1; 55, 5; 19, 242, 13; 393, 5; 422, 8. 16 Vgl. Medizin im Islam 299‒302. 17 Revue de l’Institut des Manuscrits Arabes 6, 1960, 74. 18 Paul Sbath, Al-Fihris (Catalogue de manuscrits arabes), première partie, Le Caire 1938, 46 nr. 348.

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Medizingeschichte

Titel fol. 2 b 20: Aqrābāḏīn Sābūr ʿalā nusḫat al-bīmāristān al-ʿaḍudī. (Z. 21) Muḫtaṣar min Aqrābāḏīn Sābūr fī taʾlīf al-adwiya sittata ʿašara bāban. Darauf folgt das Inhaltsverzeichnis der 16 Kapitel. Sie umfassen folgende Konfektionen19: 1. aqrāṣ fol. 3 a 1 ff. 2. laʿūqāt fol. 4 b 8 ff. 3. ašriba und rubūbāt fol. 5 b 16 ff. 4. adhān fol. 7 b 22 ff. 244 5. ḍimādāt fol. 9 a 1 ff. 6. ḥuqan fol. 9 b 23 ff. 7. safūfāt fol. 10 b 4 ff. (Ende fehlt). 8. akḥāl (fehlt). 9. marāhim (Anfang fehlt). 10. ǧawārišnāt fol. 11 a 19 ff. 11. iyāraǧāt fol. 13 a 22 ff. 12. maṭbūḫāt und ḥubūb mushila fol. 14 a 8 ff. 13. murabbayāt fol. 15 b 9 ff. 14. ṣanʿat at-tiryāq fol. 16 b, ‒3 ff. 15. adwiyat al-asnān wa-l-ǧild fol. 17 a 20 ff. 16. manāfiʿ aʿḍāʾ al-ḥayawān fol. 18 b 12 ff. Incipit fol. 3 a 1 ff.: Al-bāb al-awwal fī ṣanʿat al-aqrāṣ. Ṣifat qurṣ aṭ-ṭabāšīr bit-taranǧubīn an-nāfiʿ min al-ʿaṭaš wa-l-ḥummayāt al-ḥārra wa-l-i[. . .]āl; ṭabāšīr arbaʿat darāhim našā dirham ilḫ. Explicit fol. 21 b unten: . . . min aṣ-ṣabir wa-l-fulful wa-dār fulful wa-nušādir min kull wāḥid dirham yunʿamu masḥūquhū wa-yuṭraḥu fīhi wa-kulla-mā ʿatuqa ǧāda wa-yuktaḥalu bihī nāfiʿ in šāʾa llāhu taʿālā. M s . T e h e r a n S a n ā 3 2 5 8 . Große Maǧmūʿa aus dem 11./17. Jh., die vor allem Schriften von Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī enthält20. Format: 27, 6 x 16, 7 cm; Schriftspiegel: 20 x 9, 5 cm; 22 Zeilen. Die Handschrift ist paginiert (nicht foliiert). Unser Dispensatorium, das 20. Stück der Handschrift, beginnt p. 243 und endet p. 348, 10. Nach p. 251 sind zwei Seiten, nach p. 260 und p. 261 je eine Seite ungezählt geblieben. Das Werk umfaßt also 110 _______________ 19 Die arabischen Bezeichnungen sind im folgenden unübersetzt gelassen, da sie zum Teil nur in umständlichen Beschreibungen genau bestimmt werden können. Zu ihrer Bedeutung vgl. Medizin im Islam 295‒299. 20 Vgl. Muḥammad Taqī Dāniš-Pažūh, in: Bulletin de la Bibliothèque Centrale de l’Université de Tehran concernant des articles sur les manuscrits orientaux, 2, 1962, 246.

Zum Dispensatorium des Sābūr ibn Sahl

237

Seiten. Klares, feines, deutliches, unvokalisiertes Nasḫī. Ein eigenes Titelblatt oder ein eigentlicher Titel fehlt. Incipit p. 243, 1: Bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm. Hāḏā kitāb fī ṣanʿat aladwiya al-murakkaba al-muḫtāra al-muṣannafa al-muʿtamad ʿalaihā fī l-ʿilāǧ wal-māristānāt. Tarǧamat Šāpūr ibn Sahl min al-lisān as-suryānī ilā l-lisān al-ʿarabī wa-iṣlāḥ Yūḥannā ibn Sarābiyūn wa-ǧumlat abwābihī ḫamsa wa-ʿišrūna bāban. Darauf folgt das Inhaltsverzeichnis (s. unten). Explicit p. 348: . . . wa-in šuriḥa s-saraṭān wa-wuḍiʿa ʿalā lasʿ al-ʿaqārib nafaʿa ḏālika. Tamma l-kitāb wa-l-ḥamdu li-llāhi ʿalā nabīyinā Muḥammadin wa-ālihi ṭ-ṭāhirīn. Tamma. Bei aller Schönheit der Schrift ist der Text durch viele Schreibfehler und Irrtümer entstellt. Trotzdem ist zu erkennen, daß der Teheraner Text stilistisch besser redigiert ist als der Münchner. Charakteristisch für den Teheraner Codex ist die Abkürzung mkd für min kulli wāḥidin. Zu diesen beiden Handschriften tritt als dritter Textzeuge das Aqrābāḏīn, 245 das die zehnte Maqāla des II. Teiles des K. al-Malakī von ʿAlī ibn al-ʿAbbās alMaǧūsī füllt21. Al-Maǧūsī nennt seine Quelle nicht, aber ein Vergleich der 10. Maqāla mit der Teheraner Handschrift lehrt, daß beide Texte in der Anordnung wie im Inhalt weitgehend übereinstimmen. Hier die Inhaltsverzeichnisse: Teh 1. Prolegomena p. 243, ‒5 ff. 2. Notwendigkeit der zus.ges. Mittel p. 245, ‒4 ff. 3. Allgem. Grundsätze für zus.ges. Mittel p. 247, 15 ff. 4. Quantität der einfachen in den zus.ges. Mitteln p. 248, 2 ff.

5. tiryāqāt u. maʿǧūnāt p. 248 ult. ff.

_______________ 21 Druck Būlāq 1294, Bd. II 516, ‒8 bis 607, ‒5.

Mlk 1. Notwendigkeit der zus.ges. Mittel p. 517

2. Quantität der einfachen in den zus.ges. Mitteln p. 520 3. Qualität der einfachen in den zus.ges. Mitteln p. 522 4. tiryāqāt p. 526 5. Nutzen u. Prüfung der Theriaks p. 531 6. Dauer der Haltbarkeit der Theriaks p. 533

238

Medizingeschichte Teh (Forts.)

6. maʿǧūnāt mushila u. iyāraǧāt p. 283 paen. ff. 7. maṭbūḫāt p. 287, 7 ff. 8. adwiya mushila p. 289, 11 ff. 9. ḥubūb p. 292, 15 ff. 10. fatāʾil p. 302, 15 ff. 11. adwiyat al-qaiʾ p. 303, 10 ff. 12. laʿūqāt p. 303, ‒6 ff. 13. aqrāṣ p. 306, 3 ff. 14. ǧawārišnāt u. safūfāt p. 313, 16 ff. 15. ḍimādāt p. 318, 6 ff. 16. adhān p. 323, 5 ff. 17. ašriba u. rubūb p. 326, 8 ff.

Mlk (Forts.) 7. tiryāq al-arbaʿa und andere maʿǧūnāt p. 534 8. maʿǧūnāt mushila p. 547 9. maṭbūḫāt mushila u. naqūʿāt p. 550 10. adwiya mushila p. 554 11. ḥubūb p. 555 12. ḥuqan wa-fatāʾil p. 562 13. adwiyat al-qaiʾ p. 566 14. laʿūqāt p. 566 15. aqrāṣ p. 568 16. ǧawārišnāt p. 572 17. safūfāt p. 578 18. aḍmida p. 580 19. adhān p. 585 20. ašriba u. rubūb p. 588 21. anbaǧāt u. murabbayāt p. 593

18. ḥuqan p. 336, 3 ff. 19. ašriba (fehlt)22

246

20. 21. 22. 23.

ġarāġir u. ḏarūrāt p. 338, ‒6 ff. marāhim p. 339, 11 ff. ʿilāǧ ar-ruʿāf p. 341, 5 ff. sanūnāt u. adwiyat al-ǧild p. 341, 14 ff.

22. 23. 24. 25. 26. 27.

akḥāl p. 595 šiyāfāt p. 598 ḏarūrāt p. 600 marāhim p. 600 adwiyat ar-ruʿāf p. 603 sanūnāt u. ġarāġir p. 604

28. adwiyat as-simna p. 606 29. adwiyat al-ǧild p. 606 30. adwiyat qaṭʿ šahwat aṭ-ṭīn p. 607 24. murabbayāt p. 344, 12 ff. 25. manāfiʿ aʿḍāʾ al-ḥayawān p. 345, ‒5 ff. _______________ 22 Als Kapitel 19 so im Inhaltsverzeichnis 243, 13. Tatsächlich fehlt es im Text, was nicht überrascht, da die ašriba schon in Kapitel 17 mitbehandelt sind.

Zum Dispensatorium des Sābūr ibn Sahl

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Einen weiteren Beweis für die Abhängigkeit al-Maǧūsīs von Sābūr liefern die Rezepte, die ar-Rāzī unter dem Lemma „Sābūr“ anführt23. Dabei ist zu beachten, daß ar-Rāzī selten wörtlich zitiert24. Meistens gibt er seine Quellen nur stichwortartig wieder. Daher dürfte al-Maǧūsīs Wortlaut dem Original Sābūrs am ehesten entsprechen: Rāzī Ḥāwī 11, 47, 14 ff.

Mlk II 565, ‒6 ff.

wa-li-Sābūr. Fatīla tumsiku d-dam al-ǧārī min al-maqʿada: kundur wa-murr wa-afyūn wazaʿfarān yuʿǧanu bi-māʾ lisān alḥamal wa-yuḥtamalu.

Fatīla li-ḥabs ad-dam min al-maqʿada wa-tanfaʿu min az-zaḥīr: yuʾḫaḏu murr ṣāfin wa-afyūn wa-kundur ḏakar wa-zaʿfarān bi-s-sawīya yudaqqu wa-yunḫalu wa-yuʿǧanu bi-māʾ alkuzbura wa-yuballaṭu wa-yakūnu fīhā ḫaiṭ wa-yutaḥammalu bihā fa-innahā nāfiʿa ǧiddan li-z-zaḥīr.

āḫar:

šiyāfa uḫrā li-ḥabs ad-dam min almaqʿada: yuʾḫaḏu murr wa-aqāqiyā wa-bizr albanǧ wa-ṣamġ ʿarabī wa-aruzz fārisī maqlūw bi-s-sawīya tuǧmaʿu hāḏihi l‑adwiya masḥūqa manḫūla wa-tuʿǧanu bi-māʾ al-ās ar-raṭb wa-tuballaṭu watustaʿmalu ʿind al-ḥāǧa.

murr wa-qāqiyā ṣamġ bizr banǧ yuʿmalu ballūṭa.

Diese Abhängigkeit al-Maǧūsīs von Sābūr überrascht durchaus nicht. Denn man muß sich vergegenwärtigen, daß die Verfasser der großen medizinischen Enzyklopädien (ar-Rāzī, al-Maǧūsī oder ibn Sīnā) ihr Material nur zu einem sehr geringen Teil aus eigener Erfahrung gewonnen haben. Meist sind sie Vorbildern verpflichtet, die sie oft kaum verändert ihren großen Summen einverleibt haben. Schaut man sich nun nach vergleichbaren Dispensatorien 247 um, so kommt für al-Maǧūsī kaum etwas anderes als Sābūrs Werk in Betracht: Ḥunains Dispensatorium war bereits eine der Quellenschriften des Sābūr (s. unten p. 243 f.). Wenn al-Maǧūsī den Ḥunain zitiert25, so kann das bedeuten, daß er indirekt aus Sābūr abschreibt. Hat er diese Rezepte aber Ḥunains Werk entnommen, so beweist gerade die ausdrückliche Quellenangabe _______________ 23 Vgl. hier p. 234. 24 Die Behauptung Sezgins, GAS III 72, daß ar-Rāzī die Gepflogenheit habe, seine Quellen wörtlich zu zitieren, ist in dieser Verallgemeinerung unrichtig. 25 Mlk II 540, 4 ff.; 569 paen. ff.; 579, 18 ff.; 580, 8 ff.

240

Medizingeschichte

an diesen vier Stellen, daß er die große Masse seines Materials eben n i c h t Ḥunain verdankt. Al-Kindīs Iḫtiyārāt waren viel knapper und dürftiger; ar-Rāzīs Buch kommt nicht in Betracht, da es κατὰ τόπους angeordnet ist, und die Schrift des Saʿīd ibn ʿAbd ar-Raḥmān war damals wohl nur in Spanien verbreitet. Das große Dispensatorium in der siebten Maqāla des Kunnāš des Yūḥannā ibn Sarābiyūn ist mit seinen 37 Kapiteln ganz anders eingerichtet. Selbstverständlich stimmt es bei dem Material, das allen Dispensatorien gemeinsam ist, auch mit dem K. al-Malakī überein26, aber in vielen Punkten lassen sich entscheidende Divergenzen nachweisen27. Sieht man nun vom K. at-Taḏkira des ʿAbdūs ibn Zaid ab, von dem man sich, da lediglich Fragmente erhalten sind28, nur schlecht ein Bild machen kann29, so bleibt als Quelle für al-Maǧūsī ganz offensichtlich nur das Werk des Sābūr, das im ʿIrāq verbreitet war, wo es wenig später auch für die Zwecke des von ʿAḍud ad-Daula gegründeten Hospitals bearbeitet wurde. Mit dem K. al-Malakī (Mlk), der Teheraner (Teh) und Münchner (Mon) Handschrift haben wir drei verschiedene Bearbeitungen des Dispensatoriums des Sābūr vor uns. Ihre Gemeinsamkeiten lassen Schlüsse auf die Einrichtung und den Bestand des u r s p r ü n g l i c h e n Werkes zu. Danach ist es sicher, daß Sābūrs Buch κατὰ γένη geordnet war, die Heilmittel also nach der Art ihrer Konfektion anbot, nicht nach Maßgabe der Krankheiten, für die sie taugen. Der Monacensis, ausdrücklich als Muḫtaṣar „Kurzfassung“ vorgestellt, beginnt unmittelbar mit dem Kapitel über die Pastillen (aqrāṣ). Sābūrs Text wird aber wie Teh und Mlk einige einleitende Kapitel gehabt haben, in denen die Prinzipien der Zusammensetzung der Heilmittel erörtert waren. Die Abfolge der Kapitel dürfte im großen und ganzen der von Teh und Mlk entsprochen, ihre 248 Anzahl über zwanzig gelegen haben. Ibn an-Nadīm nennt 22 Kapitel, Teh hat 25, Mlk 30. Wenn ibn abī Uṣaibiʿa von 17 Kapiteln spricht, so muß man _______________ 26 Zum Beispiel beim τροχίσκος ὁ ἀστήρ, dessen Rezept bei Paulos Aigin. VII 12, 2, Aetios Amid. IX 10 und als qurṣ al-kaukab in vielen arabischen medizinischen Werken wiederholt wird, s. WKAS I 447 a 21 ff. 27 Sezgin, GAS III 230, erklärt, daß Sābūrs Vater Sahl al-Kausaǧ auch ein Aqrābāḏīn geschrieben habe, das spätere Generationen hoch eingeschätzt hätten. Ein solches Dispensatorium hat jedoch nie existiert. Sezgins Angabe beruht auf einer Fehlinterpretation der Stelle b. a. Uṣ. I 160, 19. Auch Ḫair ad-Dīn az-Ziriklī, al-Aʿlām. Qāmūs tarāǧim li-ašhur ar-riǧāl wa-n-nisāʾ, Bairūt 1969, Vol. III 209, hat die Stelle falsch aufgefaßt. 28 Vgl. Medizin im Islam 302; GAS III 264 f. 29 Nach ar-Rāzīs Zitaten hat es den Anschein, daß die Taḏkira κατὰ τόπους angeordnet war.

Zum Dispensatorium des Sābūr ibn Sahl

241

fragen, ob er das ursprüngliche Werk und nicht irgendeine Kurzfassung gesehen hat. In Teh fehlen die Augenheilmittel (akḥāl, šiyāfāt, entspr. κολλούρια, ξηροκολλύρια). Da aber Mon und Mlk beide ein oder zwei Kapitel dafür reserviert haben, wird auch Sābūr selbst über Augenpulver gehandelt haben. Sicher scheint auch, daß der Text des Sābūr mit dem in Mon wie in Teh am Schluß stehenden, inhaltlich in beiden Handschriften völlig übereinstimmenden Kapitel über die okkulten Wirkungen der Organe und Sekrete der Tiere endete. Es ist ein Thema, das durch Xenokrates von Aphrodisias und seine Schrift Περὶ τῆς ἀπὸ τῶν ζῴων ὠφελείας in der antiken Medizin verbreitet wurde und das in den arabischen und persischen kutub Ḫawāṣṣ al-ḥayawān und kutub Manāfiʿ al-ḥayawān30 eine sehr große Nachwirkung gehabt hat31. In einem Dispensatorium sind diese Dinge eigentlich fehl am Platz. Ungewöhnlich ist ihr Vorkommen aber nicht, denn das Thema war bei den Ärzten beliebt, und noch Muḥammad ibn Bahrām al-Qalānisī schließt sein im Jahre 590/1194 geschriebenes Dispensatorium mit einem Kapitel über solche magischen Heilmittel32. Al-Maǧūsī aber, der seinen Stoff sehr klar und konsequent anordnet33, wird es vernachlässigt haben, weil es nicht in diesen Zusammenhang paßt. Das Kapitel beginnt: ʿAlī b. Rabban 420, 4 ff.

qāla ʾṭrwmyns (Var. ʾykzwmyns) al-failasūf: inna šaʿar al-insān iḏā bulla bi-l-ḫall wa-wuḍiʿa ʿalā ʿaḍḍat al-kalb barraʾa min sāʿatihī.

Teh p. 345, ‒5 ff.

Mon fol. 18 b 12 ff.

Al-bāb al-ḫāmis wa-lʿišrūn fī manāfiʿ aʿḍāʾ alḥayawān wa-mā yanǧalibu minhā. qāla baʿḍ al-falāsifa:

Al-bāb as-sādis ʿašar fī manāfiʿ aʿḍāʾ alḥayawānāt.

inna šaʿar al-insān iḏā uḥriqa ṯumma bulla bi-lḫall wa-wuḍiʿa ʿalā ʿaḍḍat al-kalb al-kalib yanfaʿu min sāʿatihī.

šaʿar al-insān iḏā ḥuriqa ṯumma bulla bi-l-ḫall wayūḍaʿu ʿalā ʿaḍḍat al-kalb nafaʿa min sāʿatihī.

qāla baʿḍ al-aṭibbāʾ:

_______________ 30 Wenn Sezgin, GAS III 347, glaubt, daß in diesen Büchern die aristotelische Tierkunde tradiert wurde, so ist er im Irrtum. 31 Vgl. Fridolf Kudlien, RE, 2. Reihe, Bd. IX A 2 (1967), Sp. 1529‒1531 (nr. 8); Manfred Ullmann, Die Natur- und Geheimwissenschaften im Islam (Handbuch der Orientalistik, hrsg. von Bertold Spuler, Erste Abteilung, Erg.bd. VI, 2. Abschnitt), Leiden/Köln 1972, 10 f. (im folgenden als „Naturwissenschaften im Islam“ zitiert). 32 Medizin im Islam 307; Naturwissenschaften im Islam 411. 33 Vgl. Paul Diepgen, Frau und Frauenheilkunde in der Kultur des Mittelalters, Stuttgart 1963, 33.

242

249

Medizingeschichte

ʿAlī b. Rabban (Forts.)

Teh (Forts.)

Mon (Forts.)

wa-qāla Diyāsqūrīdūs inna l-buzāq yanfaʿu min ladġ al-hawāmm. wa-iḏā šuriba laban almarʾa maʿ aš-šarāb au al-ʿasal fattata ḥaṣāt almaṯāna. wa-baul al-insān yanfaʿu ... min ǧamīʿ al-hawāmm al-qātila ... wa-yaǧḏibu s-samm min ʿaḍḍat alkalb iḏā ṣubba ʿalaihā. iḏā ʿulliqa ʿaẓm al-insān ʿalā ṣāḥib al-ḥummā nafaʿa min ḥummā r-ribʿ nafʿan bayyinan.

wa-buṣāq al-insān yanfaʿu min lasʿ alhawāmm. wa-laban an-nisāʾ iḏā šuriba maʿ aš-šarāb au maʿ al-ʿasal fattata lḥaṣāt fī l-maṯāna. baul al-insān yanfaʿu min ladġ ǧamīʿ alḥayawān al-qātila waʿaḍḍat al-kalb al-kalib iḏā ṣubba ʿalaihā. wa- iḏā ʿulliqa ʿaẓm alinsān ʿalā man bihī ḥummā r-ribʿ nafaʿahū nafʿan bayyinan in šāʾ Allāh taʿālā.

wa-buṣaq al-insān yanfaʿu min ladġ alhawāmm. wa-laban an-nisāʾ iḏā šuriba maʿ šarāb au maʿ al-ʿasal fattata ḥaṣā lmaṯāna. wa-baul al-insān yanfaʿu min ǧamīʿ ladġ alhawāmm al-qātila wamin ʿaḍḍat al-kalb iḏā ṣubba ʿalaihi. wa- iḏā ʿulliqa ʿaẓm alinsān ʿalā man bihi lḥummā r-ribʿ nafaʿahū nafʿan ǧayyidan.

Der weitere Text ist in dieser Weise durchweg und fortlaufend identisch34 bis zum Schluß von Teh (s. oben p. 236 f.). Mon fährt mit einigen weiteren ḫawāṣṣ, die auch im Firdaus al-ḥikma vorkommen („verbrannte Frösche stillen Nasenbluten“ usw.), fort. Dann folgt ein Sammelsurium: Mittel, die die Empfängnis verhüten und die Vagina verengen (fol. 19 b 5, nach ibn Sīnā), einige ǧawārišnāt, akḥāl, ḥubūb, Abführmittel, Salben, der tiryāq al-baršaʿṯā (fol. 20 b 9 ff.)35, Sauerhonig, Pastillen und Pillen. All diese Dinge sind offensichtlich wahllos von späterer Hand nachgetragen. Zeigt schon die beim Exzerpieren bewahrte Reihenfolge, daß Sābūr hier von ʿAlī b. Rabban abgeschrieben hat, so sind die beiden in diesem Kapitel zitierten Dioskuridesstellen besonders aufschlußreich. Sami Hamarneh (p. 250 f.) hatte diese Stellen gesehen und daraus geschlossen, daß Sābūr sein Dispensatorium n a c h dem Erscheinen der arabischen, durch Iṣṭifān ibn Basīl besorgten Dioskurides-Übersetzung verfaßt habe36. Aber ein Textvergleich _______________ 34 Nur die Glosse des abū ṭ-Ṭayyib [Zakarīyāʾ ibn Naṣr] in Teh 347, 12 f. fehlt in Mon. 35 Vgl. Albert Dietrich, Medicinalia arabica (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Kl., 3. Folge, Nr. 66), Göttingen 1966, 152 Anm. 2. 36 Ed.: La ,Materia médica‘ de Dioscórides. Transmisión medieval y renacentista, por César Ε. Dubler y Elίas Terés, Vol. II, Tetuán y Barcelona 1952‒1957. Die Ausgabe umfaßt nur die Bücher I‒V, nicht die Bücher VI und VII. Sezgins Angabe, GAS III 60, ist falsch.

Zum Dispensatorium des Sābūr ibn Sahl

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lehrt, daß Sābūr nicht die Iṣṭifān-Version, sondern das Firdaus al-ḥikma ausgeschrieben hat: Diosk. II 69 μύας τοὺς κατοικιδίους ἀνασχισθέντας σκορπιοπλήκτοις ὠφελίμως ἐπιτίθεσθαι ὁμολογεῖται. ʿAlī b. Rabban 430, 13 f. Qāla Diyāsqūrīdūs: in wuḍiʿa l-faʾra mašqūqatan ʿalā lasʿ al-ʿaqrab nafaʿa nafʿan bayyinan. Diosk. II 78 ἡ δὲ ταυρεία [χολὴ] . . . ἀποθεραπεύει . . . πυορροοῦντα . . . ὦτα καὶ τὰς ἐπ’ αὐτῶν ῥήξεις σὺν γάλακτι αἰγείῳ ἢ γυναικείῳ ἐνσταζομένη. πρὸς δὲ συριγμοὺς σὺν πράσου χυλῷ [ποιεῖ]. ʿAlī b. Rabban 422, 6 f. s.v. manāfiʿ aʿḍāʾ al-baqar wa-qāla Diyāsqūrīdūs: inna l-marāra waḥdahā iḏā quṭṭira fī l-uḏun nafaʿa min ad-dawī wa-ṭ-ṭanīn.

Diyūsq. Ḥaš. p. 149, 7 ff. = b. -Baiṭār Ǧāmiʿ III 153, 23 f. ittafaqa n-nās ʿalā annahū iḏā šuqqa wa-wuḍiʿa ʿalā lasʿat al-ʿaqrab nafaʿa minhā nafʿan bayyinan. Sābūr, Mon fol. 19 a 6 Diyūsqūrīdus: in wuḍiʿat al-faʾra mašqūqatan ʿalā lasʿ al-ʿaqrab nafaʿat nafʿan bayyinan. Diyūsq. Ḥaš. p. 165, ‒4 = b. -Baiṭār Ǧāmiʿ I 106, 17 f. fa-iḏā ḫuliṭat bi-laban ʿanz au laban imraʾa wa-quṭṭirat fī l-āḏān allatī yasīlu minhā l-qaiḥ au ʿaraḍa lahā nḫirāq wa-ǧirāḥ abraʾathā. wa-qad tuḫlaṭu bi-māʾ al-kurrāṯ li-ṭanīn aluḏun. Sābūr, Mon. fol. 18 b 22 = Teh p. 346, 7 wa-qāla Diyūsqūrīdus: in quṭṭira min marārat al-baqar fī l-uḏun nafaʿa min ad-dawī wa-ṭ-ṭanīn.

Damit ist erwiesen, daß Sābūrs Dispensatorium n a c h 850, dem Erscheinungsjahr des Firdaus al-ḥikma, verfaßt wurde. In Mon ist auf fol. 11 a 2. 15 und 18 a 3 Galen zitiert, fol. 11 b, ‒3 und 12 a 22 sind zwei Mittel als ,,persisch“ (dawāʾ fārisī), auf fol. 12 a 2. 11 zwei weitere als ,,byzantinisch“ (dawāʾ rūmī) bezeichnet. Das könnte alles dem ursprünglichen Kern des Werkes zugehören. Ein Klistier gegen Dysenterie (ḥuqna li-

250

244

Medizingeschichte

s‑saḥǧ, fol. 10 a 15 ff.)37 und eine Salbe gegen Warzen (ṭilāʾ li-ṯ-ṯaʾālīl, fol. 17 b 18 f.) sind dem Dispensatorium des Ḥ u n a i n i b n I s ḥ ā q entnommen. In Teh ist Ḥunain 23mal zitiert38, in Mlk viermal39. Aber außer diesen vier Stellen bringt al-Maǧūsī noch viele weitere Rezepte, die auf Ḥunain zurückgehen, nur hat er dann den Namen Ḥunains unterdrückt. Man vergleiche die folgenden Passagen: Mlk II 553, 12 ff. Ṣifat naqūʿ yushilu l-māʾ al-aṣfar: yuʾḫaḏu turbid abyaḍ wa-uṣūl as-sausan al-asmānǧūnī wa-zarāwand ṭawīl wasakbīnaǧ wa-ṣaʿtar fārisī wa-waraq alġāfit wa-ḥašīš al-afsintīn wa-ḥanẓal wauššaq wa-ǧāwašīr wa-bizr al-karafs wabizr ar-rāzyānaǧ wa-anīsūn bi-s-sawīya tuǧmaʿu hāḏihi l-adwiya marḍūḍatan wa-tunqaʿu fī šarāb raiḥānī au bi-nabīḏ zabīb wa-ʿasal wa-yuṣaffā wa-yušrabu bi-qadr al-ḥāǧa. 251

Mlk II 558, 10 ff. Ṣifat ḥabb as-sūrinǧān an-nāfiʿ min auǧāʿ al-mafāṣil wa-n-niqris: yuʾḫaḏu qanṭāriyūn daqīq ḫamsat darāhim turbid abyaḍ sabʿat darāhim sūrinǧān miʾat dirham sakbīnaǧ arbaʿat darāhim ʿāqirqarḥā dirhamān ṣabir usqūṭurī sittat darāhim šaḥm al-ḥanẓal wa-ġārīqūn wa-fūh min kull wāḥid ṯalāṯat darāhim yudaqqu l-ǧamīʿ wayunḫalu wa-yuʿǧanu bi-māʾ al-kurrāṯ wa-yuʿmalu ḥabban miṯl al-fulful wayuǧaffafu fī ẓ-ẓill.

Teh p. 288, 15 ff. Ṣifat naqūʿ yushilu l-māʾ al-aṣfar liḤunain ibn Isḥāq ǧayyid muǧarrab ʿaǧīb al-fiʿl: yuʾḫaḏu uṣūl as-sausan alasmānǧūnī turbid zarāwand ṭawīl sakbīnaǧ ṣaʿtar fārisī waraq al-ġāfit ḥašīš al-afsintīn ḥanẓal uššaq ḫiyār šanbar bizr al-karafs aǧzāʾ siwāʾ yunqaʿu bi-šarāb au zabīb wa-ʿasal wa-yuṣaffā minhu bi-qadr al-ḥāǧa. Teh p. 297, ‒6 ff. Ṣifat ḥabb as-sūrinǧān li-Ḥunain: yuʾḫaḏu qanṭāriyūn daqīq ḫamsat dirham turbid sabʿat dirham sūrinǧān ṯalāṯa sakbīnaǧ arbaʿa ʿāqirqarḥā ṯalāṯa ṣabir sitta ǧundbīdastar ṯalāṯa yudaqqu wayunḫalu wa-yuʿǧanu bi-māʾ al-karanb wa-yuḥabbabu.

_______________ 37 Es findet sich in ähnlicher Formulierung Mlk II 565, 1 ff. und Teh 337, 14 ff. 38 Seite 288, 11. 15; 291, 10; 292, 12; 293, ‒4; 297, ‒6; 300, 2. 12. ult.; 307, 1; 308 paen.; 311, ‒5; 316, 6; 317, 3; 320, 1; 327, 7; 328 paen.; 331, 11; 337, 7; 339, 16; 340, 9. ‒4; 342, 2. 39 Mlk II 540, 4; 569 paen.; 579, 18; 580, 8.

Zum Dispensatorium des Sābūr ibn Sahl Mlk (Forts.) aš-šurba min dirhamain wa-niṣf ilā ṯalāṯat darāhim.

245

Teh (Forts.) aš-šurba dirhamain wa-niṣf bi-māʾ ḥārr.

Da sich die Rezepte aus Ḥunains Dispensatorium (anonym oder unter seinem Namen) übereinstimmend in allen drei Versionen (Mon, Teh, Mlk) wiederfinden, ist der Schluß, daß diese Rezepte schon zum alten Bestand des Werkes des Sābūr gehört haben, wohl berechtigt. Ḥunains Buch darf daher als eine der Quellenschriften des Sābūr angesehen werden. Zum ursprünglichen Bestand gehörte wahrscheinlich auch ein Zitat aus Hippokrates’ Schrift Περὶ διαίτης ὀξέων. Wie die folgende Synopse beweist, ist es nicht der von Lyons herausgegebenen Version40 entnommen: Hipp. (ed. Kühlewein I p. 120, 16 ff.)

ἢν δὲ ὑπὸ φρένας ᾖ τὸ ἄλγημα, ἐς δὲ τὴν κληῖδα μὴ σημαίνῃ, μαλθάσσειν χρὴ τὴν κοιλίην ἢ μέλανι ἐλλεβόρῳ ἢ πεπλίῳ,

μέλανι μὲν δαῦκος ἢ σέσελι ἢ κύμινον ἢ ἄνησον

Ed. Lyons p. 14, 16 ff.

Teh p. 246, 15 ff. ka-mā qāla Buqrāṭ fī kitābihī fī tadbīr al-amrāḍ al-ḥādda ḥaiṯu qāla: fa-in kāna l-waǧaʿ asfala min al-ḥiǧāb wa-lam yakun ṣāḥibuhū yuḥissu bihī ilā t-tarquwa yanbaġī an tulayyina l‑baṭn bi-ḫarbaq aswad wadauqū wa-huwa bizr alǧazar al-barrī

fa-in kānat al-ʿilla min dūn al-ḥiǧāb wa-lam yatarāqa l-waǧaʿ ilā t-tarquwa fa-yanbaġī an tulayyina ṭ‑ṭabīʿa immā bi-šurb al-ḫarbaq al-aswad wa-immā bišurb ad-dawāʾ almusammā ifafliyun baʿda an yuḫlaṭa wa-bizr al-karafs albi-l-ḫarbaq ǧabalī wa-immā bizr al-ǧazar albarrī wa-immā sāsālī wa-immā kammūn waau kammūn au anīsūn immā anīsūn

_______________ 40 Kitāb Tadbīr al-amrāḍ al-ḥādda li-Buqrāṭ (Hippocrates: Regimen in Acute Diseases), edited and translated with Introduction, Notes and Glossary by Malcolm C. Lyons (Arabic Technical and Scientific Texts Vol. I), Cambridge 1966. — Die Frage, ob Ḥunain ibn Isḥāq oder ʿĪsā ibn Yaḥyā der Übersetzer dieses Textes war, ist bisher nicht geklärt.

252

246

Medizingeschichte

Hipp. (Forts.) ἢ ἄλλο τι τῶν εὐωδέων μίσγοντα,

Ed. Lyons (Forts.) wa-immā ġair ḏālik min al-adwiya al-ʿiṭrīya

πεπλίῳ δὲ ὀπὸν σιλφίου. wa-ammā d-dawāʾ almusammā ifafliyun faḫliṭ bihī ḥiltītan.

Teh (Forts.) au ġair ḏālik min aladwiya aṭ-ṭayyibat arrawāʾiḥ wa-yuḫlaṭu maʿa bizr alḫass al-barrī wa-laban šaǧar al-anǧudān.

Al-Maǧūsī hat dieses Zitat stark gekürzt. Es lautet bei ihm (II 519, 4 f.): . . . bi-manzilat mā ḫalaṭa Abuqrāṭ bi-l-ḫarbaq al-aswad ad-dauqū wa-huwa bizr al-karafs al-ǧabalī. Aber die Verwendung der Wörter dauqū und al-karafs alǧabalī, die beide nicht in Lyons’ Version vorkommen, zeigt, daß al-Maǧūsī und Teh aus gemeinsamer Quelle geschöpft haben. In Teh ist an vier Stellen41 ein Autor namens abū ṭ-Ṭayyib Zakarīyāʾ ibn Naṣr zitiert, den weder ibn an-Nadīm, noch al-Qifṭī, noch ibn abī Uṣaibiʿa kennen. Das eine seiner Rezepte (p. 275, 2 ff.), das angeblich von den Indern stammt, ein Absud (ṭabīḫ) aus einer weiblichen hinkenden Hyäne (ḍabuʿa ʿarǧāʾ) — er soll gegen den Abortus und die Frauenleiden helfen —, kehrt anonym auch im Qānūn des ibn Sīnā wieder42, ein weiteres Rezept steht auch bei alMaǧūsī: Mlk II 569, 20 ff. Ṣifat aqrāṣ aṭ-ṭabāšīr li-bn Naṣr: yuʾḫaḏu ward ṯamāniyat darāhim bizr al-ḥummāḍ sittat darāhim ṭabāšīr arbaʿat darāhim našā wa-ṣamġ ʿarabī min kull wāḥid ṯalāṯat darāhim zaʿfarān dirham yuʿǧanu bi-māʾ al-ward wa-yuqarraṣu min miṯqāl wa-yustaʿmalu ʿind al-ḥāǧa.

Teh p. 308, 13 ff. Qāla abū ṭ-Ṭayyib Zakarīyāʾ ibn Naṣr: hāḏihi ḫtartuhā wa-ǧarrabtuhā: yuʾḫaḏu ward aḥmar ṯalāṯat dirham bizr al-ḥummāḍ sittat dirham ṭabāšīr arbaʿat dirham našā ṣamġ ʿarabī ṯalāṯa ṯalāṯa zaʿfarān dirham yuǧmaʿu masḥūquhū wa-yuʿǧanu wa-yuqarraṣu wa-yuǧaffafu.

Obwohl Mlk und Teh auch hier wieder zusammengehen, ist es doch nicht sicher, daß diese vier Zitate schon im Grundwerk Sābūrs standen. Denn die _______________ 41 Seite 255, 7; 275, 2; 308, 13; 347, 12. 42 Ed. Romae 1593, Bd. II 192, 27 ff., deutsch übersetzt bei Joseph von Sontheimer, Zusammengesetzte Heilmittel der Araber. Nach dem fünften Buch des Canons von Ebn Sina aus dem Arabischen übersetzt, Freiburg im Br. 1845, 52.

Zum Dispensatorium des Sābūr ibn Sahl

247

Glosse des abū ṭ-Ṭayyib in Teh p. 347, 12 f. fehlt in Mon43, d. h. in einem sonst zwischen Teh und Mon völlig übereinstimmenden Zusammenhang. So 253 bietet nur al-Maǧūsīs Zitat einen Terminus ante quem für die Lebenszeit des Zakarīyāʾ ibn Naṣr. Sezgins Behauptung (GAS III 186), daß Yūḥannā ibn Sarābiyūn es gewesen sei, der den Zakarīyāʾ zitiert, ist aber aus der Luft gegriffen. Wenden wir uns nun der T e h e r a n e r H a n d s c h r i f t zu! Sie beginnt, ohne eigentlichen Titel, mit den Worten: „Dies ist ein Buch über die Herstellung der zusammengesetzten, ausgewählten, nach Kategorien geordneten Heilmittel, auf die man sich bei der Therapie und in den Krankenhäusern stützt44. Übersetzung des Šāpūr ibn Sahl aus der syrischen Sprache in die arabische Sprache und Verbesserung des Yūḥannā ibn Sarābiyūn.“ Daß in dieser Handschrift das Dispensatorium des Sābūr ibn Sahl vorliegt, geht nicht nur aus dieser Überschrift hervor, sondern es war schon oben durch die wechselseitigen Vergleiche mit Mon und Mlk klar erwiesen worden. Einen zusätzlichen Beweis liefert die Notiz, daß Yūḥannā ibn Sarābiyūn, jener Arzt aus dem 9. Jh., der durch seinen Kunnāš berühmt geworden ist45, Sābūrs Schrift verbessert habe. Denn diese Notiz wird durch Aḥmad ibn Muḥammad ibn Yaḥyā alBaladī46 bestätigt, der in seinem K. Tadbīr al-ḥabālā wa-l-aṭfāl im 8. Kapitel der dritten Maqāla auf eben jene Verbesserung Bezug nimmt: Baladī, Ms. Gotha 1975, fol. 90 a, ‒3 ff. Fī ḏikr mā yanfaʿu bi-ḫāṣṣatihī min alfazaʿ wa-mā wuṣifa fī aqrābāḏīn Sābūr an-nusḫa aṯ-ṯāniya iṣlāḥ Yūḥannā ibn Sarābiyūn: innahū yanfaʿu min at-tafazzuʿ biḫāṣṣīya anna ʿain aḏ-ḏiʾb al-yumnā iḏā uḫiḏat wa-ǧuffifat wa-ʿulliqat ʿalā ṭ-ṭifl lam yafzaʿ

Teh p. 347, 2 ff.

wa-in uḫiḏat ʿain aḏ-ḏiʾb al-yumnā wa-ǧuffifat wa-ʿulliqat ʿalā ṭ-ṭifl lam yafzaʿ

_______________ 43 Vgl. oben p. 242 Anm. 34. 44 Vgl. die Formulierung bei ibn an-Nadīm Fihrist 297, 11. 45 Vgl. Manfred Ullmann, Yūḥannā ibn Sarābiyūn. Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte seiner Werke, oben, pp. 210‒232. 46 Lebte in der zweiten Hālfte des 4./10. Jh.s, s. René Dagorn, Al Baladi: un médecin obstétricien et pédiatre à l’époque des premiers Fatimides du Caire, in: MIDEO 9, 1967, 73‒118; Medizin im Islam 146 f.; GAS III 318.

248

Medizingeschichte

Baladī (Forts.) wa-ka-ḏālika lisānuhū wa-ǧilduhū.

Teh (Forts.) wa-ka-ḏālika lisānuhū au šaiʾ min ǧildihī 47.

Al-Baladī spricht, wie man gesehen hat, nicht von einer Ü b e r s e t z u n g , sondern schlicht von „Dispensatorium des Sābūr“. Und das ist das Richtige. 254 Denn von einer Übersetzung aus dem Syrischen47a wissen die Quellen nichts, und im übrigen wird diese Möglichkeit ausgeschlossen durch den oben erbrachten Nachweis, daß Sābūr bereits arabische Autoren wie ʿAlī ibn Rabban, Ḥunain ibn Isḥāq und andere ausgeschrieben hat. Das tarǧamat min al-lisān assuryānī ilā l-lisān al-ʿarabī ist das Produkt der Phantasie eines Bearbeiters, der nicht vor dem 12. Jh. gelebt haben kann (s. unten p. 250). Was ist nun aber unter dem „i ṣ l ā ḥ Y ū ḥ a n n ā i b n S a r ā b i y ū n“ zu verstehen? Yūḥannās Name erscheint in Teh nur an sechs Stellen48, und immer sind es nur knappe sprachliche oder sachliche Glossen. Beim Mithridaticum (p. 269, 11) heißt es z. B.: ,,Ibn Sarābiyūn sagt: Das, was Mithridates zusammengestellt hat, wird mit einem Ausdruck benannt, der abgeleitet ist von der Tatsache, daß es den vom Tode errettet, der es einnimmt“. Bei der Erwähnung des Opiums (p. 261, 2) liest man: „Yūḥannā ibn Sarābiyūn sagt: Jedes Heilmittel, sei es eine Pastille oder etwas anderes, dessen Ingredienz Opium ist, darf erst nach sechs Monaten angewendet werden, damit die (volle) Kraft des Opiums gebrochen ist.“ Bei der Absinth-Latwerge (maʿǧūn) bemerkt ibn Sarābiyūn, daß dieses Rezept mit dem der Absinth-Pastillen (aqrāṣ) identisch sei, nur daß die Latwerge mit H o n i g bereitet werde. Die entsprechende Pastille wird denn auch nach seinem Kunnāš mit W a s s e r bereitet: _______________ 47 Diese Notiz steht in Teh im 25. Kapitel; sie stammt aus ʿAlī b. Rabban Firdaus 429, 3 f. und findet sich ebenfalls Mon fol. 19 a 3 f. 47a Franz Altheim und Ruth Stiehl, Die Araber in der alten Welt, Zweiter Band, Berlin 1965, 17‒23, haben die Auffassung vertreten, daß das Aqrābāḏīn des Sābūr die arabische Bearbeitung einer mittelpersischen Schrift (die ihrerseits auf einem griechischen Text des Demokrit beruhe) sei. Die Unhaltbarkeit dieser These hat Gotthard Strohmaier, Ein Arzneitrank des Demokrit?, in: Philologus 116, 1972, 142‒145, erwiesen. Der šarāb Dīmuqrāṭīs, um den es sich dabei handelt und auf den az-Zauzanī (Muntaḫabāt 181, 10‒14) anspielt, stand tatsächlich im Dispensatorium des Sābūr, vgl. Teh p. 331, 14 ff. = Mlk II 591, 17 ff. 48 Vgl. p. 258, ‒3; 261, 2; 272, 9; 273, ‒3; 274, 16 und 269, 11.

Zum Dispensatorium des Sābūr ibn Sahl Practica Jo. Serapionis, Lyon 1525, fol. 82 b, col. b

trocisci de absinthio . . . Rp. absinthii et anisi et assari et seminis apii et amigdalarum amararum excorticatarum omnium equales partes terantur et conficiantur cum aqua et fiant trocisci.

249

Teh p. 272, 8 f. Ṣifat al-maʿǧūn al-afsintīn an-nāfiʿ min bard al-maʿida. Qāla Yūḥannā: hāḏihī ṣifat aqrāṣ alafsintīn illā annahā tuʿǧanu bi-l-ʿasal. yuʾḫaḏu anīsūn bizr al-karafs asārūn afsintīn rūmī lauz muqaššar min alqišrain aǧzāʾ mutasāwiya wa-yuǧmaʿu ka-mā huwa l-maḏkūr alʿasal li-l-wāḥid ṯalāṯa.

Ibn Sarābiyūns Bearbeitung bestand demnach nur in einer vorsichtigen und knappen Glossierung des Sābūr’schen Textes. Die Teheraner Handschrift präsentiert Sābūrs Dispensatorium nun aber 255 nicht in der bloßen Bearbeitung durch ibn Sarābiyūn, sondern in einer z w e i t e n S t u f e d e r Ü b e r a r b e i t u n g. Der Redaktor gibt nämlich zu Beginn des 16. Kapitels (p. 323, 5 ff.) eine lange Aufzählung von Ölen (duhn al-ḫalūq, duhn al-ḫall, duhn al-ward, duhn al-qarʿ, duhn an-nīlūfar usw., insgesamt 41 Sorten) und erklärt dann: ,,Diese Öle kommen alle im Minhāǧ vor. In dieser (meiner) Schrift habe ich nur das aufgeschrieben, was nicht in ihm (dem Minhāǧ) steht.“ Genauso geht es am Anfang des 17. Kapitels (p. 326, 8 ff.). Hier zählt der Bearbeiter 21 Getränke auf (šarāb al-banafsaǧ, šarāb alʿunnāb, šarāb an-nīlūfar, šarāb al-ward usw.) und sagt dann: ,,Alle diese Getränke stehen im Minhāǧ. Hier habe ich nur aufgeschrieben, was dort nicht vorkommt.“ Es gibt nun zwei Werke über Heilmittel, die den Titel Minhāǧ tragen. Das eine ist das K. Minhāǧ al-bayān des Yaḥyā ibn ʿĪsā ibn Ǧazla (gest. 493/1100)49, das andere ist das K. Minhāǧ ad-dukkān, das abū l-Munā ibn abī Naṣr al-Kūhīn al-ʿAṭṭār im Jahre 658/1260 verfaßt hat. Herr P. Sj. van Koningsveld hatte nun die Liebenswürdigkeit, auf unsere Bitte hin den Minhāǧ al-bayān in der Leidener Handschrift 1335 (= Cod. Or. 576 Warner) mit dem Minhāǧ addukkān, Druck Būlāq 1287/1870, zu vergleichen. Dabei konnte er feststellen, daß alle die in Teh genannten Öle und Getränke im Minhāǧ al-bayān vorkommen, daß sie dort sogar fast stets in derselben Reihenfolge stehen, daß dagegen im Minhāǧ ad-dukkān die meisten dieser Mittel fehlen50. _______________ 49 Medizin im Islam 160, 274. 50 Wir möchten Herrn van Koningsveld für seine Mühe auch hier noch einmal verbindlichst danken.

250

Medizingeschichte

Ibn Ǧazla hatte seinen Minhāǧ n a c h seinem K. Taqwīm al-abdān verfaßt, die er beide dem Kalifen al-Muqtadī bi-amr Allāh (reg. 467‒487/1075‒1094) gewidmet hat. Die Abfassungszeit des Minhāǧ wird daher erst gegen Ende des 11. Jh.s anzusetzen sein. Wenn der Redaktor von Teh nun eine große Zahl von Ölen und Getränken übergeht, mit dem Hinweis, daß sie im Minhāǧ behandelt seien, so setzt er voraus, daß dieses Werk in aller Hände ist. Tatsächlich war es außerordentlich verbreitet51. Bis es aber diese Verbreitung erreicht hatte, mußten wenigstens einige Jahrzehnte ins Land gegangen sein. Das bedeutet, daß die Teheraner Redaktion des Sābūr’schen Dispensatoriums frühestens in der Mitte des 12. Jh.s erfolgt sein konnte. Hat der Redaktor einerseits im Hinblick auf das K. Minhāǧ al-bayān gekürzt, so hat er andererseits doch auch erweitert. Im Kapitel über die Getränke heißt es: 256

Practica Jo. Serapionis, Lyon 1525, fol. 89 a, col. b

sumatur acetositas citri et mundetur ex granis suis et ponatur in vas vitreum viride et exprimatur et coletur cum panno lini spisso et dimittatur donec clarificetur bene etc.

Teh p. 332, 8 ff. Ilā hāhunā l-ašriba min al-aqrābāḏīn wa-llaḏī min baʿd ḏālika mulḥaq min almaqāla as-sābiʿa min Kunnāš Yūḥannā ibn Sarāfiyūn: šarāb ʿuṣārat al-utruǧǧ: ḥummāḍ al-utruǧǧ al-munaqqā min ḥabbihī wa-ǧʿalhu fī iǧǧāna ḫaḍrāʾ waʿṣirhu wa-ṣaffihī bi-ḫirqat kattān naẓīfa wa-daʿhu ḥattā yuṣaffā ilḫ.

Die Zitierweise zeigt, daß dieses Stück nicht der glossierenden Bearbeitung des Yūḥannā selbst entstammt, sondern spätere Hinzufügung ist. Darauf deutet auch die Tatsache, daß der Name hier ibn Sarāfiyūn (mit f ) geschrieben ist, während Yūḥannā sich an den oben genannten Stellen selbst als ibn Sarābiyūn (mit b) einführt. Eine Pastille gegen schwere Dysenterie, Diarrhöe und Geschwüre in den Eingeweiden (p. 309, 15 ff.) und eine Salbe gegen Räude (p. 342 paen. ff.) wird nach Yūḥannā ibn Yūsuf ibn Yūḥannā zitiert. Damit wird schwerlich der im Fihrist 282, 19 ff. = Zauzanī Muntaḫabāt 380, 1 ff. genannte Priester Yūḥannā ibn Yūsuf ibn al-Ḥāriṯ ibn al-Biṭrīq gemeint sein, denn dieser hat nur über Geometrie geschrieben51a. _______________ 51 Allein GAL I 485, S I 888 und Medizin im Islam 274 sind rund 70 Handschriften verzeichnet. 51a Vgl. Heinrich Suter, Die Mathematiker und Astronomen der Araber und ihre Werke, Leipzig 1900, p. 60 nr. 131.

Zum Dispensatorium des Sābūr ibn Sahl

251

Schließlich nimmt der Redaktor von Teh (p. 278, ‒3 ff.) noch auf das K. alIḫtiyārāt des Yaʿqūb ibn Isḥāq al-Kindī Bezug. Er teilt das Rezept des nōšdārū51b genannten Elektuariums mit51c, zitiert es aber nicht direkt nach alKindī, sondern mittelbar nach dem K. al-Ḥāwī. D e r M o n a c e n s i s. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Formulierung des Titels: ,,Das Dispensatorium des Sābūr auf Grund des Exemplars des Krankenhauses des ʿAḍud.“52 Und in der zweiten Zeile: „Eine Kurzfassung des Dispensatoriums des Sābūr, das die Zusammensetzung der Heilmittel betrifft. Sechzehn Kapitel.“ Das kann unseres Erachtens nur so interpretiert werden, daß das Buch des Sābūr bei der Redaktion durch die 257 Ärzte des Hospitals gekürzt wurde, daß es aber in der Form, in der es in Mon vorliegt, eine ungekürzte Abschrift der im Hospital verwendeten Fassung ist. Bei der Redaktion in Bagdad ist aber nicht nur gestrichen worden, sondern auch vieles hinzugekommen. Dennoch ist das Buch in dieser Umarbeitung jedenfalls wesentlich kürzer als es das Original des Sābūr gewesen war53. Die Spuren der Überarbeitung sind leicht zu verfolgen: Zehn Rezepte sind mit der Marke: ʿaḍudī („am Krankenhaus des ʿAḍud ad-Daula verwendet“) gekennzeichnet54, zweimal ist die Note: al-bīmāristān („Krankenhaus“) hinzugefügt55. Einmal (fol. 4 b 1) ist auf den ṣāḥib al-Malakī, d. h. auf ʿAlī ibn al-ʿAbbās alMaǧūsī, Bezug genommen. Das Rezept für einen Umschlag (ḍimād) gegen Durchfall und Erbrechen ist fol. 9 a 13 ff. nach abū l-Ḥasan Ṯābit ibn Ibrāhīm mitgeteilt. Das ist nicht der berühmte Ṯābit ibn Qurra, wie Hamarneh p. 256 behauptet, sondern der viel jüngere abū l-Ḥasan Ṯābit ibn Ibrāhīm ibn Zahrūn al-Ḥarrānī, der am 11. Ḏū l-Qaʿda 365 [= 12. Juli 976] in Bagdad gestorben ist und der einige Maqālāt des Kunnāš des Yūḥannā ibn Sarābiyūn bearbeitet hat56. Fol. 17 b, ‒5 ff. ist ein Mittel zum Schwarzfärben der Haare auf ibn abī _______________ 51b Vullers II 1370 a. 51c Martin Levey, The Medical Formulary or Aqrābādhīn of al-Kindī, translated with a study of its materia medica, Madison und London 1966, p. 32‒35, nr. 3. 52 Das von ʿAḍud ad-Daula gegründete, auf der Westseite des Tigris gelegene Krankenhaus wurde 372/982 vollendet und beim Mongolensturm 1258 zerstört, s. Douglas Morton Dunlop, EI 2 I 1223 f. s.v. Bīmāristān; Heribert Busse, Chalif und Großkönig. Die Buyiden im Iraq (945‒1055) (Beiruter Texte und Studien Band 6), Beirut 1969, 530‒532. 53 Teh und Mlk sind etwa fünf- bis sechsmal so umfangreich wie Mon. 54 Mon fol. 4 b 19; 9 a 2. 4; 10 a 6. ‒6; 10 b 21; 14 b, ‒5; 17 a 22. ‒8; 17 b, ‒8. 55 Mon fol. 4 b 4 f.; 14 b 10. 56 Vgl. b. a. Uṣ. I 227, 4‒230, 9.

252

Medizingeschichte

l-Ašʿaṯ zurückgeführt57, und fol. 12 b 6 ff. ist bei einem für die Leber und den schwachen Magen geeigneten Medikament aš-šaiḫ abū l-Faraǧ zitiert. Schließlich heißt es bei zwei Mitteln (fol. 4 b 4 f. und 17 a, ‒6), daß Hārūn sie komponiert (rakkaba bzw. allafa) habe58. Zwei dieser Ärzte, al-Maǧūsī und Ṯābit ibn Ibrāhīm, standen in ʿAḍud adDaulas Diensten. Ṯābit ist 976, ibn abī l-Ašʿaṯ 970 gestorben, und auch alMaǧūsī hat wahrscheinlich die Vollendung des Krankenhauses im Jahre 982 nicht mehr erlebt. Diese Ärzte kommen natürlich nicht als Redaktoren des Dispensatoriums in Betracht, aber es ist gut zu verstehen, daß sich der Redaktor auf die Werke dieser Autoren, die kurz vor ihm in Bagdad gewirkt hatten, bezieht. Mit dem Šaiḫ abū l-Faraǧ könnte sehr wohl abū l-Faraǧ ʿAbd Allāh ibn aṭ-Ṭayyib gemeint sein, der am Krankenhaus des ʿAḍud ad-Daula tätig war und im Jahre 435/1043 gestorben ist59. Daß er nicht mit seinem Namen, sondern ehrfurchtsvoll mit seiner Kunya und dem Titel Šaiḫ angesprochen wird, ist ein Indiz dafür, daß der Redaktor ein jüngerer Kollege von ihm war, der ihn noch zu seinen Lebzeiten zitierte. Dann hätte die Überarbeitung des Dispensatoriums in der ersten Hälfte des 5./11. Jh.s stattgefunden. 258

Kehren wir zum Ausgangspunkt unserer Untersuchung zurück, zu Sezgins Darstellung in der GAS III 186. Was Sezgin über die Teheraner Handschrift mitteilt, gibt Anlaß zu zwei grundsätzlichen Überlegungen: 1. Welchen historischen Wert haben die Übersetzervermerke in den Überschriften und Kolophonen arabischer Handschriften? Diese Frage ist natürlich nicht generell, sondern nur von Fall zu Fall nach Prüfung des gesamten Inhaltes der betreffenden Schrift, ihrer Sprache und ihres Umkreises zu beantworten59a. Aber die Erfahrung lehrt — und sie hat sich auch hier an der Teheraner Handschrift des Dispensatoriums des Sābūr bestätigt —, daß auf solche Vermerke häufig kein Verlaß ist, daß oft von späterer Hand willkürliche Zuschreibungen gemacht und Überlieferungslegenden gebildet wurden. Wer solchen Übersetzungsvermerken blind Vertrauen schenkt und danach die Geschichte der arabischen Wissenschaften datiert, muß notwendig in die Irre gehen. _______________ 57 58 59 59a

Gest. 360/970, s. Medizin im Islam 138 f., GAS III 301 f. Wer mit diesem Hārūn gemeint sein könnte, ist uns nicht bekannt. Medizin im Islam 156 f. Gerhard Endress hat in seinem Buch: Proclus Arabus. Zwanzig Abschnitte aus der Institutio Theologica in arabischer Übersetzung (Beiruter Texte und Studien Band 10), Wiesbaden 1973, in methodisch hervorragender Weise gezeigt, welche Wege man beschreiten und welche Untersuchungen man anstellen muß, wenn man einen Übersetzer mit hinreichender Sicherheit bestimmen will.

Zum Dispensatorium des Sābūr ibn Sahl

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2. Die zweite Frage betrifft eine Hypothese Sezgins, die das Konzept seines Buches und seine Anschauungen von der Entwicklung der arabischen Wissenschaften wesentlich mitbestimmt, eine Modellvorstellung, nach der er das Tatsachenmaterial immer wieder beurteilt und einordnet. Es ist seine Überzeugung, daß ,,die Zeit kurz vor dem Islam“ eine große Zahl bedeutender Werke der Hermetik, der Alchemie, Gesteinskunde und Landwirtschaft hervorgebracht habe60. Daß diese Hypothese für die verschiedenen Hermetika, die Turba philosophorum und die nabatäische Landwirtschaft nicht taugt, hat Martin Plessner61 mit genügender Deutlichkeit konstatiert. Auch das Teheraner Dispensatorium, das, wie unsere Untersuchung gezeigt hat, nicht vor dem 12. Jh. niedergeschrieben wurde, kann nun nicht länger für diese Hypothese bemüht werden. Damit drängt sich die bedrückende Frage auf, welchen Sinn und Zweck es überhaupt hat, Hypothesen zu bilden, wenn nicht zuvor die Texte selbst befragt und sorgfältig studiert sind62.

Nachträge Die Handschrift B e r l i n o r . o c t . 1 8 3 9 ist ediert von Oliver Kahl, Sābūr ibn Sahl, Dispensatorium parvum [Al-Aqrābādhīn al-Ṣaghīr] (Islamic Philosophy, Theology and Science Vol. 16), Leiden - New York - Köln 1994. Sābūr ibn Sahl, The Small Dispensatory, translated from the Arabic together with a Study and Glossaries by O. Kahl (Isl. Philos., Theol. and Science Vol. 53), Leiden - Boston 2003. Dazu die Rezension von M. Ullmann, in: Die Welt des Orients 34, 2004, 233‒235. Die Handschrift M ü n c h e n 8 0 8 , 2 ist ediert von O. Kahl, Sābūr ibn Sahl’s Dispensatory in the Recension of the ʿAḍudī Hospital (Isl. Philos., Theol. and Science Vol. 78), Leiden - Boston 2009. Vgl. auch: O. Kahl, A Note on Sābūr ibn Sahl, in: Journal of Semitic Studies 44, 1999, 245‒249 (betrifft das Gedicht Buḥturī 861). _______________ 60 GAS IV 18; 27; 38; 64; 67; 85; 92 f.; 101; 103; 105; 328 und passim. 61 Ambix 19, 1972, 209‒215. 62 Nach Abschluß der Arbeit erhielten wir durch die freundliche Vermittlung von Herrn Prof. Dr. Fariborz Moattar, Isfahan, einen Film der Teheraner Handschrift Malik 4234. Wir möchten Herrn Moattar sowie Herrn Ahmad Soheili Ḫonsari, dem Leiter der Bibliothek Ḥāǧǧī Ḥusain Āġā Malik, unseren aufrichtigen und verbindlichen Dank für ihre Mühe und ihr Entgegenkommen sagen. Über diese Handschrift werden wir in einer späteren Studie berichten.

Ein Fragment des Kitāb al-Malakī von al-Maǧūsī Die Bibliothek der Université Saint-Joseph in Beirut hat im Jahre 1905 eine arabische Handschrift erworben, die die Signatur 643 erhalten hat. Louis Cheikho hat sie im Catalogue raisonné des manuscrits de la Bibliothèque Orientale unter Nr. 322 beschrieben1 und von ihr die folgenden kodikologischen Daten mitgeteilt: „Papier fort, un peu jaunâtre; reliure forte en peau brune et papier de couleur. Hauteur 23 cm.; largeur 16 cm.; 141 pp., à 15 lignes. Ecriture nasḫî soignée; encre noire. XVIIIe siècle. (N° de cote 643)“. Als Titel gibt Cheikho an: Tadbīr aṣ-ṣiḥḥa bi-l-irtiyāḍ wa-l-aġḏiya, bemerkt jedoch dazu: „Ce titre est supposé, l'ouvrage étant mutilé, au commencement et à la fin“. Ein Mikrofilm, den mir der Direktor der Bibliothèque Orientale, Herr Dr. John J. Williams, freundlichst anfertigen ließ, versetzte mich jetzt in die Lage, die Handschrift kennenzulernen. Es stellte sich heraus, daß sie ein Fragment der großen medizinischen Enzyklopädie des ʿAlī ibn al-ʿAbbās al-Maǧūsī ist, jenes „königlichen Buches“, das einige Ärzte sogar dem Qānūn des ibn Sīnā vorzogen und das zweimal ins Lateinische übersetzt worden ist: im 11. Jhdt. durch Constantinus Africanus und ein Jahrhundert später durch Stephanus von Pisa (bzw. Antiochien)2. Der Text der Beiruter Handschrift beginnt im 8. Kapitel der 5. Maqāla des ersten Teiles mit den Worten: . . .] al-ǧihati bāridun yābisun wa-ḏālika li-buʿdi mamarri š-šamsi ʿan hāḏā l-mauḍiʿi ilḫ.3 Er endet in derselben Maqāla mit dem Schluß des 29. Kapitels, das über das Trinkwasser handelt: . . . wa-yuqālu: inna _______________ 1 2

3

Mélanges de l’Université Saint-Joseph 8, 1922, p. 428. Vgl. Manfred Ullmann, Die Medizin im Islam (Handbuch der Orientalistik, herausgegeben von Bertold Spuler, Erste Abteilung, Ergänzungsband 6, 1. Abschnitt), Leiden/ Köln 1970, p. 140‒146; Fuat Sezgin, Geschichte des arabischen Schrifttums Bd. III, Leiden 1970 (erschienen 1971), p. 320‒322. Entspricht Druck Būlāq I 163, 27.

Ein Fragment des Kitāb al-Malakī von al-Maǧūsī

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rukkāba l-baḥri iḏā ʿadimū l-māʾa l-ʿaḏba ṣāʿadū māʾa l-baḥri bi-l-qarʿi wa-lanābīqi llatī yataṣāʿadu4 fīhā l-māwardu. fa-hāḏihī ṣifatu l-māʾi wa-anwāʿihī faʿlam ḏālika. Es folgt noch der Anfang der Überschrift des 30. Kapitels: Al-bābu 110 ṯ-ṯalāṯūna [ . . . . , dem als Kustos die Worte fī anwāʿi l-anbiḏati beigeschrieben sind5. Der arabische Text des Kitāb al-Malakī ist bisher nur einmal veröffentlicht worden: Es ist der bald hundert Jahre alte, imposante, im übrigen unkritische Druck Būlāq 1294 (1877), der zwei Bände mit insgesamt 1042 Seiten umfaßt6. Gegenüber dem Druck weist die Beiruter Handschrift einige Fehler auf, die zumeist durch die Flüchtigkeit des oder der Kopisten zustandegekommen sind: Būlāq 178, ‒6: 197, ‒10: 197, ‒5: 197, ‒3: 198, 8:

šifāʾi ʿinda fanāʾi l-libaʾi al-labanu l-mutawallidu mina d-dami ruṭṭiba mizāǧuhū wa-in kāna

Beirut šaiʾan ʿinda fanāʾi l-labani ad-damu l-mutawallidu mina l-labani deest wa-in

Häufiger sind die Fälle, in denen der Druck fehlerhaft ist, wohingegen die Handschrift den richtigen oder besseren Text zu bieten hat: Būlāq 179, 10: 179, 14: 197, 9: 197, 13: 197, 20: 197, ‒11: 197, ‒7: 198, 1: 198, 8:

wa-l-laḥmi l-ḥaulīyi mina ḍ-ḍaʾni min hāḏā l-mauḍiʿi al-ǧubnīyu wa-ka-ḏālika lahā wa-illā baʿda l-aulādi labanuhā kāna fī aḥšāʾihī ḫalṭun ḥābisan lahā

Beirut wa-laḥmi l-ḥaulīyi mina ḍ-ḍaʾni fī hāḏā l-mauḍiʿi al-ǧauharu l-ǧubnīyu wa-li-ḏālika li-hāʾulāʾi baʿda l-wilādi labanuhū kāna fī aḥšāʾihī ġilaẓun ḥābisan lahū

_______________ 4 5 6

Dafür Druck Būlāq: taṣā ʿada. Entspricht Druck Būlāq I 203, 25. Edward Granville Browne, La médecine arabe, ed. française par H. P. J. Renaud, Paris 1933, p. 61, hat ausgerechnet, daß das Werk 400000 Wörter enthält. Seinem Urteil, daß der Būlāqer Druck „une excellente édition‟ sei, kann ich nicht zustimmen.

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Medizingeschichte

Es ist also zu sehen, daß der Berytensis einer verhältnismäßig guten Tradition entstammt. Das wird man auch bei der Beurteilung der zahlreichen Stellen zu bedenken haben, in denen bloß Varianten vorliegen, der Text also weder im Druck noch in der Handschrift sprachlich fehlerhaft ist. Auch für solche Varianten seien einige Beispiele gegeben: Būlāq 178, ‒5: 179, 6: 179, 9: 197, 3:

111

bi-hāḏā t-tadbīri l-mulaṭṭifi wa-l-baiḍi l-mašwīyi min ġawāʾilihā wa-huwa l-ʿasalu, wa-l-ḫuškanǧubīnu nauʿun mina l-ʿasali 197, 4: bi-l-ǧumlati 197, 5: ašaddu bardan 197, 6: wa-d-dasamu 197, 16: ʿalā l-iʿtidāli 197, 17 f.: li-annahū aqallu dusūmatan min labani l-baqari wa-aqallu taǧbīnan wa-akṯaru dusūmatan min labani l-maʿzi wa-akṯaru taǧbīnan 197, 19: yanfaʿu li-aṣḥābi d-diqqi 197, 21: fa-inna d-dama 197, ‒9: yazīdu ʿalā 197, ‒8: akala nabātan yushilu 197, ‒6: fa-yakūnu l-labanu ḥābisan li-ṭ-ṭabīʿati 197 paen.: wa-lā yanbaġī 197 ult.: bihim 198, 1 f.: yaǧidu . . . rīḥan 198, 3: laṣiqa 198, 4: kāna l-ġāliba ʿalā birāzihi l-marāru 198, 5: haḍmuhū 198, 6: fī l-kulā 198, 6: ḥattā taḏhaba 198, 7: al-māʾīyatu

Beirut bi-t-tadbīri l-laṭīfi wa-l-baiḍi l-muštaddi min ġawāʾilihā wa-ʿawāqibihā miṯla l-ʿasali wa-l-ḫuškankuwīni fī l-ǧumlati akṯaru bardan wa-d-dasamīyatu ʿalā ʿtidālin li-annahū aqallu dusūmatan min labani l-baqari wa-akṯaru ǧubnan min labani l-maʿzi

yanfaʿu aṣḥāba d-diqqi li-anna d-dama yazīdu ʿan akala nabātan-mā yushilu fa-yakūnu l-labanu ḥīnaʾiḏin ḥābisan li-l-baṭni. wa-laisa yanbaġī ṯamma taḥduṯu . . . riyāḥun iltaṣaqa kāna l-ġāliba ʿalaihi l-marāru haḍmuhū wa-nḥidāruhū fī l-kulā wa-l-maṯānati ḥattā yaḏhaba ʿanhu māʾīyatuhū

Ein Fragment des Kitāb al-Malakī von al-Maǧūsī

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Diese wenigen Beispiele mögen genügen. Sie zeigen drastisch die Kalamität, in der sich der Philologe und Medizinhistoriker befindet, der mit dem alten Būlāqer Druck arbeiten muß; sie lehren ferner, daß selbst eine so junge Handschrift wie die Beiruter nützliche Dienste zur Herstellung des Textes leisten kann. Sollte eine Neuausgabe des Kitāb al-Malakī, wie sie Albert Dietrich mit Recht gefordert hat7, einmal in Angriff genommen werden, so muß bei der Recensio der Handschriften auch der hier identifizierte Berytensis geprüft werden.

Nachtrag Die Handschrift Istanbul Üniversite Kütüphanesi A. Y. 6375 ist von F. Sezgin im Facsimile, Frankfurt a. M. 1985, veröffentlicht worden. Der Textteil des Berytensis steht dort Bd. I 186, 21 ‒ 233, 12.

_______________ 7

Albert Dietrich, Medicinalia Arabica. Studien über arabische medizinische Handschriften in türkischen und syrischen Bibliotheken (Abh. d. Akad. d. Wiss. Göttingen, phil.-hist. Kl., Dritte Folge, Nr. 66), Göttingen 1966, p. 61.

Die Taḏkira des ibn as-Suwaidī, eine wichtige Quelle zur Geschichte der griechisch-arabischen Medizin und Magie† Die Universitätsbibliothek Tübingen besitzt eine arabische Handschrift (Signatur Ma VI 77), die weder den Namen des Verfassers noch einen Titel trägt. Weisweiler hat sie in seinem Katalog genau beschrieben1, hat sie aber nicht identifizieren können. Es ist, wie ein Vergleich mit der Epitome des Imām aš-Šaʿrānī 2 beweist, das Kitāb at-Taḏkira al-hādiya wa-ḏ-ḏaḫīra alkāfiya3 des ʿIzz ad-Dīn abū Isḥāq Ibrāhīm ibn Muḥammad ibn Ṭarḫān, der unter dem Namen ibn as-Suwaidī bekannt ist4. In dem starken, 257 Folia _______________ †

1 2 3

4

Die Quellen und die Literatur sind im folgenden nach den Ausgaben und mit den Abkürzungen zitiert, die im Wörterbuch der Klassischen Arabischen Sprache (WKAS) und in meinem Buch Die Medizin im Islam (Handbuch der Orientalistik, hsgb. von Bertold Spuler, Erste Abt., Erg. Bd. VI, 1. Abschnitt, Leiden / Köln 1970) verwendet sind. Max Weisweiler, Universitätsbibliothek Tübingen. Verzeichnis der arabischen Handschriften II, Leipzig 1930, p. 28 f. (nr. 76). Gedruckt in margine des K. Kāmil aṣ-ṣināʿa aṭ-ṭibbīya von ʿAlī b. al-ʿAbbās al-Maǧūsī, Būlāq 1294 [1877]. So der Titel bei b. a. Uṣ. II 267, ‒5 f. und ḤḪ II p. 270, nr. 2857 (cf. auch p. 259 f., nr. 2810). Der Epitomator aš-Šaʿrānī, bei Maǧūsī Malakī II 496, spricht vom Kitāb atTaḏkira al-mufīda wa-ḏ-ḏaḫīra al-ḥamīda, die Pariser Handschriften 3001 und 3002 (Ancien fonds 1024 und 1034) haben ebenfalls at-Taḏkira al-mufīda, im Kolophon der Handschrift Bankipore IV 97 heißt es: Taḏkirat (sic) as-Suwaidīya wa-ḏ-ḏaḫīra alḥamīdīya, und ḤḪ III p. 329, nr. 5788 gibt Ḏaḫīrat (sic) al-kāfiya an. Lucien Leclerc, Histoire de la médecine arabe, Paris 1876, Vol. II 202, schließt aus dieser abweichenden Formulierung fälschlich auf ,,un autre ouvrage de Soueidy“. Sein Vater stammte aus as-Suwaidāʾ, einem Orte am westlichen Rande des Ḥaurāngebirges, rund 100 km südlich von Damaskus. Ibrāhīm ist 600/1204 in Damaskus geboren. Er war Arzt an dem von Nūr ad-Dīn ibn Zangī gegründeten Hospital, er praktizierte ferner an dem am Bāb al-Barīd gelegenen Hospital, machte ärztliche Visiten bei den in der Zitadelle residierenden Gouverneuren und erteilte Unterricht an der Madrasa ad-Daḫwārīya, einer medizinischen Akademie, die am 15. Januar 1231, kurz nach dem Tode des Muhaḏḏib ad-Dīn ʿAbd ar-Raḥīm ibn ʿAlī ad-Daḫwār, eingeweiht worden war (vgl. Max Meyerhof, in: Quellen und Studien zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Medizin 4, 1935, 45). Ibn as-Suwaidī ist im Šaʿbān

Die Taḏkira des ibn as-Suwaidī

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zählenden Band der Tübinger Bibliothek liegt aber nur der zweite Teil des 34 Werkes vor. Auf den Folia 1 b und 2 a hat eine spätere Hand ein Verzeichnis aller 122 Kapitel, die dieser zweite Teil beinhaltet, eingetragen. Der eigentliche Text beginnt fol. 2 b mit der Basmala und dem Kapitel al-adwiyatu l-munaqqiyatu li-r-raḥimi baʿda n-nifāsi „Die Medikamente, die den Uterus nach der Niederkunft reinigen“5. Darauf heißt es (die Paragraphenzählung ist von mir): (1) ḥabb balasān. yunaqqī dama n-nifāsi šurban wa-ḥamūlan: ibn Buṭlān. (2) mušk-tarāmušīʿ. yunaqqī dama n-nifāsi šurban wa-ḥamūlan: Diyusqūrīdas wa-r-Rāzī wa-bnu Hubal. (3) qaiṣūm. ʿuṣāratuhū wa-murrun iḏā ḥamalathu lmarʾatu baʿda n-nifāsi farzaǧatan naqqā r-raḥima: ʿan aš-Šarīf. (4) fāwāniyā. iḏā uḫiḏa min aṣlihī qadru lauzatin šurban naqqā dama n-nifāsi: Diyusqūrīdas wa-rRāzī wa-Isḥāq ibn Ḥunain wa-bnu Hubal wa-l-Mālaqī. wa-ka-ḏālika yafʿalu ḥabbuhū iḏā šuriba: Isḥāq ibn Ḥunain. (5) tīn. yudaqqu nāʿiman ḥattā kal-marhami wa-yuḫlaṭu bi-ṣafāri baiḍatin nīyatin wa-yuḥmalu farzaǧatan fainnahā tunaqqī r-raḥima: ibn Hubal. (6) wa-laban at-tīn bi-ṣafāri l-baiḍi n-nīyi yuḥmalu farzaǧatan fa-yunaqqī r-raḥima baʿda n-nifāsi: at-Tamīmī wa-sSamarqandī. (7) zarāwand ṭawīl. yunaqqī n-nifāsa šurban wa-ḥamūlan: ar-Rāzī wa-bnu Hubal wa-Yaḥyā bnu Saʿīd wa-bnu Riḍwān. wa-qīla: zarāwand ṭawīl wa-fulful yunaqqī n-nafsāʾa min dami n-nifāsi šurban: ar-Rāzī wa-Diyusqūrīdas wa-l-Ġāfiqī wa-l-Muhandis wa-bnu Ṣihārbaḫt wa-Amīn ad-Daula. (8) murr. yunaqqī r-raḥima baʿda n-nifāsi tanqiyatan bāliġatan: at-Tamīmī ilḫ. (1) Balsambaumsame. Reinigt das Blut der Entbindung, oral und als Zäpfchen: ibn Buṭlān. (2) Dost. Reinigt das Blut der Entbindung, oral und als Zäpfchen: Dioskurides und ar-Rāzī und ibn Hubal. (3) Eberraute. Wenn die Frau nach der Entbindung den ausgepreßten Saft davon und Myrrhe als Pessar trägt, reinigt es den Uterus: nach dem Šarīf6. (4) Päonie. Nimmt man von ihrer Wurzel das Maß einer Mandel oral ein, so reinigt sie das Blut der Entbindung: Dioskurides und ar-Rāzī und Isḥāq ibn Ḥunain und ibn Hubal und al-Mālaqī7. Genauso wirkt ihr Same, wenn man ihn einnimmt: Isḥāq ibn Ḥunain. (5) Feige. Wird gründlich zerstoßen, bis sie wie eine Salbe wird, wird 35 mit dem Dotter eines rohen Eies vermengt und als Pessar getragen. Das reinigt den Uterus: ibn Hubal. (6) Der Saft der Feige. Wird mit dem Dotter von rohen Eiern als Pessar getragen und reinigt dann den Uterus nach der _______________

5 6 7

690/August 1291 gestorben. Vgl. b. a. Uṣ. II 266, 9 bis 267, ‒4; Kutubī Fawāt I 54 paen. ff. (nr. 27); b. al-ʿImād, K. Šaḏarāt aḏ-ḏahab fī aḫbār man ḏahab, Bd. V, 1351/1932, p. 411, 10‒15. Es entspricht der Epitome des Šaʿrānī, bei Maǧūsī Malakī II 68, 16 ff. Der Geograph al-Idrīsī, s. Medizin im Islam 277 f. Das ist ibn al-Baiṭār, s. Medizin im Islam 280 ff.

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Medizingeschichte

Entbindung: at-Tamīmī und as-Samarqandī. (7) Osterluzei (Aristolochia longa L.). Reinigt die Entbindung, oral und als Zäpfchen: ar-Rāzī und ibn Hubal und Yaḥyā ibn Saʿīd8 und ibn Riḍwān. Es heißt auch: Osterluzei und Pfeffer reinigt die Wöchnerin vom Blut der Entbindung, oral: ar-Rāzī und Dioskurides und al-Ġāfiqī und der Geometer und ibn Ṣihārbaḫt und Amīn ad-Daula9. (8) Myrrhe. Reinigt den Uterus nach der Entbindung ganz gehörig: atTamīmī etc.

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Und in diesem Stile geht es fort, über Hunderte und aber Hunderte von Seiten. Droge folgt auf Droge; die Indikation ist auf ein Minimum reduziert; alle Theorie ist beseitigt; es wird weder die Dosis genannt, noch wird eine Begründung für die Wirkung gegeben; nur die Form, in der die Droge verabreicht wird, ist mitgeteilt: ,,oral, als Zäpfchen, als Umschlag usw.“. Am Schluß jeder Notiz werden die Autoritäten aufgezählt, die solches gelehrt haben. Dabei denkt ibn as-Suwaidī natürlich nicht historisch: Wenn er in § 2 Dioskurides, ar-Rāzī und ibn Hubal als gleichberechtigte Quellen nennt, so weiß er nicht, daß die beiden Araber unmittelbar oder mittelbar von Dioskurides abhängig sind. Seine Nachricht ist also nicht durch drei Autoren beglaubigt, sondern nur durch einen. Und schließlich gelingt dem Verfasser bei seinem Telegrammstil weder grammatische noch begriffliche Sauberkeit: Daß die Wöchnerin vom Blut der Entbindung und daß der Uterus nach der Entbindung gereinigt werden soll, ist dasselbe, wie wenn das Blut der Entbindung oder gar die Entbindung selbst gereinigt werden soll. Ibn as-Suwaidī’s Methode, ein Buch zu machen, ist vielleicht etwas trocken, oder, geradeheraus gesagt, reichlich stupide, sie wird aber durch das Verfahren der Epitomatoren aš-Šaʿrānī und al-Qauṣūnī noch übertroffen. Diesen war die Taḏkira viel zu dick, und da der große Umfang des Werkes vor allem durch die endlosen Autorenangaben bedingt ist, muß man die Namen der Gewährsleute streichen. Hinweg mit dem unnützen Ballast! Was übrigbleibt, ist nun zwar nicht mehr nachprüfbar, und der letzte Rest der Wissenschaftlichkeit ist damit perdu, aber der Leser soll gefälligst glauben, was ašŠaʿrānī und seine Mitstreiter sagen. Und er tut es auch, denn der Erfolg, der dem Grundwerk des ibn as-Suwaidī versagt war, ist den Kurzfassungen in reichem Maße beschieden worden: Sie wurden oft abgeschrieben und sogar mehrfach gedruckt10. _______________ 8 Abū l-Faraǧ Yaḥyā ibn Saʿīd ibn Yaḥyā, s. b. a. Uṣ. I 239, 6‒18. 9 Das ist ibn at-Tilmīḏ, s. Medizin im Islam 163 f., 306, 312. 10 Zu den verschiedenen Fassungen vgl. GAL I 493; S I 900; A. G. Ellis, Catalogue of Arabic Books in the British Museum, Vol. I, London 1894, p. 732.

Die Taḏkira des ibn as-Suwaidī

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Die Anlage der Taḏkira ist ebenso typisch wie es die späteren Schicksale des Buches sind: So wurde im 13. Jhdt. kompiliert, so konnte man im 16. Jhdt. und später auf die Autoritätsgläubigkeit rechnen. Typisch ist auch die Thematik. Fern aller akademischen Gelehrsamkeit kommt der Autor populären Bedürfnissen weit entgegen. Es gibt ein Kapitel über Kinder, die nicht rechtzeitig laufen lernen (fol. 43 b), ein anderes über Ermüdungserscheinungen (56 b), ein weiteres über Erfrierungen (taṯalluǧ, 64 a). Wir lesen von schmerzstillenden Mitteln (60 b), von Räude und Jucken (67 b), erfahren, wie man Pfeilspitzen extrahiert (141 b), wie ein Ausgepeitschter behandelt werden muß (143 b) und was man gegen wundgelaufene Füße tun kann (148 b). Die Mittel zum Fettmachen (154 a) sind angesichts des Schönheitsideals der orientalischen Frau wichtig, für die Gesundheit zuträglicher sind aber die Mittel zum Abmagern (158 a)11. Wer zu stark schwitzt (159 a) und an Achselgeruch (160 b) leidet, dem kann geholfen werden. Überhaupt gibt es viele Kapitel über Kosmetik, Haarpflege und die Behandlung der Hautkrankheiten. Dann weiß der Autor Rat gegen die Bisse und Stiche von Schlangen, Skorpionen, tollen Hunden, Taranteln, Wespen usw. (190 a), gegen die inneren Vergiftungen (204 b), die durch Kanthariden, Bleiglätte, Giftpilze, den Seehasen12, durch Hyoskyamos, Akonit usw. erfolgen, und er kennt natürlich Mittel, die das Ungeziefer vertreiben (210 b). Schließlich kommt der Leser fol. 215 a zu dem Kapitel Nukat wa-fawāʾid ġarība ǧalīla, in dem alle medizinischen und physikalischen Wunderwirkungen in krausem Durcheinander vereint sind: Mittel, durch die das Fleisch beim Kochen schneller gar wird, neben Drogen, die die Empfängnis befördern. Natürlich spielen in diesem Zauberkreis die Steine eine große Rolle: Wenn man den Mondstein (ḥaǧar al-qamar) an einen 37 unfruchtbaren Baum hängt, trägt er reiche Früchte13. Wer den Adlerstein (iktamakt = ḥaǧar al-ʿuqāb) in einem Disput oder Kampf bei sich hat, obsiegt14. Macht man vom mineralischen Bezoarstein einen Messergriff, so fängt dieser an zu schwitzen, wenn man ihn in die Nähe von vergiftetem Essen bringt15. Dann gibt es noch ein Kapitel über Liebeszauber (231 b), eines über _______________ 11 Das Problem ist schon von Rufus von Ephesos in einer Monographie behandelt worden, s. Medizin im Islam p. 75 nr. 24. Das Kapitel in der Taḏkira enthält auch tatsächlich ein Rufuszitat. 12 Al-arnab al-baḥrī = λαγωὸς θαλάσσιος, die Nacktschnecke Aplysia depilans L., vgl. Otto Keller, Die antike Tierwelt II, Leipzig 1913, p. 544 f., Gossen-Steier, RE 2 A 1 (1921), Sp. 596 f. (nr. 39). 13 Fol. 216 b 10 f., nach Diosc. Mat. med. V 141 (Bd. III 100, 10 Wellmann): δοκεῖ δὲ καὶ δένδρεσι προστεθεὶς καρπογόνος εἶναι, und anderen Autoren. 14 Fol. 217 b 16 ff., nach aš-Šarīf und al-Bulġārī. 15 Fol. 226 b paen. f., nach [Muḥammad ibn Aḥmad] at-Tamīmī. Vgl. dazu Manfred

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Fleckenentfernung aus Kleidern (233 b)16, und zuletzt ein langes Kapitel völlig ungeordneter Aphorismen (fuṣūl mufīda, fol. 241 b ff.). Es sei dem Leser (und dem Schreiber dieser Zeilen) gestattet, sich über ibn as-Suwaidī’s mangelnde Gestaltungskraft zu mokieren, aber den Inhalt seines Buches müssen wir doch ernst nehmen. Denn durch die Taḏkira wird einmal mehr bewiesen, welch große Rolle die Magie im Denken des Mittelalters gespielt hat — nicht allein bei der breiten Masse, sondern auch bei gebildeten Ärzten und Naturwissenschaftlern —, und es wird hier zugleich deutlich, mit welcher Zähigkeit sich alte griechische und hellenistische Weisheiten, seien es medizinische Lehren oder Zauberriten, über viele Jahrhunderte hinweg unverändert erhalten haben. Mit dieser Feststellung ist nun aber zugleich die Frage aufgeworfen, ob alle diese Zitate ibn as-Suwaidī’s auch zuverlässig sind. Konnte dem Verfasser bei seinem wahllosen Exzerpieren und Zusammenraffen nicht manches durcheinandergeraten sein? Mußte er nicht kürzen und redigieren, wenn er für ein und dieselbe Indikation zwei, drei, ja bisweilen sieben Autoritäten nennt? Konnten sich in diese ungeheure Masse von Notizen nicht Erfindungen und Fälschungen einschleichen? Hat der Verfasser vielleicht einmal eine Quelle nach dem Gedächtnis oder aufs Geratewohl angegeben? Solche Fragen lassen sich nicht von der Hand weisen. Wir müssen daher, wo es möglich ist, ibn as-Suwaidī’s Angaben nachprüfen, und greifen dabei zunächst die eingangs zitierte Passage wieder auf. Zu § 2: Diosc. Mat. med. III 31 (Bd. II 40, 14 Wellmann): γλήχων . . . ποθεῖσα δὲ ἔμμηνα καὶ δεύτερα καὶ ἔμβρυα ἄγει (ähnlich δίκταμνον III 32), arab. Diyūsq. Ḥaš. p. 253, 18 f. = b. -Baiṭār Ǧāmiʿ III 170, 15: iḏā šuriba adarra ṭ-ṭamṯa wa-aḥdara l-mašīmata wa-aḫraǧa l-aǧinnata (entsprechend die Stelle δίκταμνον p. 254, 10). — Rāzī Ḥāwī 21, 578, 5‒7 (nach Diosk.): innahū yaṭraḥu l-aǧinnata l-mautā bi-š-šarābi wa-t-tadḫīni bihī wa-l-iḥtimāli . . . wayuḥdiru dama n-nafsāʾi. — b. Hubal Muḫtārāt II 124, 15 f.: wa-yuḥdiru dama nnifāsi wa-yuḫriǧu l-aǧinnata šurban wa-ḥamūlan wa-baḫūran. Zu § 4: Diosc. Mat. med. III 140 (Bd. II 150, 4 f.): γλυκυσίδη . . . δίδοται δὲ ἡ ῥίζα γυναιξὶν ἐκ τοκετοῦ μὴ καθαιρομέναις καὶ καταμήνια ἄγει μέγεθος ἀμυγδάλου πινομένη, arab. Diyūsq. Ḥaš. p. 301, 14 ff.: wa-qad yusqā min aṣlihī miqdāru lauzatin li-n-nisāʾi llawātī lam tustanẓaf abdānuhunna mina l-fuḍūli fī _______________ Ullmann, Edelsteine als Antidota. Ein Kapitel aus dem Giftbuch des ibn al-Mubārak, unten, pp. 435 und 439 f. 16 In diesem Kapitel hat sogar aš-Šaʿrānī die Lust verloren, weiterzuschreiben. Das Ende seiner Epitome, bei Maǧūsī Malakī II 495 ult., entspricht in der Tübinger Handschrift fol. 236 b 2. Der Text der Handschrift geht noch über 40 Seiten (= 20 Folia) weiter.

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waqti n-nifāsi fa-yunaqqīhinna bi-idrāri ṭ-ṭamṯi. — Inhaltlich in allem Wesentlichen übereinstimmend: b. -Baiṭār Ǧāmiʿ III 152, 13 ff. mit Zitaten aus Galen, De simpl. med. VI 3, 10 (Bd. XI 858 ult. ff. Kühn) und Diosc. III 140. — b. Hubal Muḫtārāt II 160, 11: wa-aṣluhū yunaqqī n-nifāsa. Zu § 5: b. Hubal Muḫtārāt II 189 ult. f.: wa-iḏā ḥtumila maʿa ṣufrati l-baiḍi naqqā r-raḥima wa-adarra ṭ-ṭamṯa. Zu § 7: b. Hubal ib. 74, 17 f.: zarāwand ṭawīl . . . wa-maʿa fulfulin wamurrin yunaqqī n-nafsāʾa wa-yudirru ṭ-ṭamṯa wa-yuḫriǧu l-ǧanīna wa-ini ḥtamalathu l-marʾatu faʿala ḏālika. Um sicherzugehen, machen wir einige weitere Stichproben: Taḏkira fol. 225 a ult.‒225 b 2: al-adwiyatu llatī taridu ʿalā l-badani min dāḫilihī yusammūnahā l-aṭibbāʾu l-adwiyata l-muqābilata li-l-adwāʾi: Ǧālīnūs. „Die Ärzte nennen die Mittel, die von innen an den Körper gelangen, Antidota: Galen“. Galen, De antidot. I 1 (Bd. IV 1, 2‒4 Kühn): τὰς ἰωμένας τὰ πάθη δυνάμεις οὐκ ἔξωθεν ἐπιτιθεμένας, ἀλλ’ εἴσω τοῦ σώματος λαμβανομένας ἀντιδότους ὀνομάζουσιν οἱ ἰατροί. Taḏkira fol. 185 b 10‒12: liḥyatu ḏakari l-māʿizi yuqaṣṣu minhā šaʿarāni wayušaddu fī ḫirqati kattānin wa-yuʿallaqu ʿalā ṣāḥibi ḥummā r-ribʿi fa-innahū yabraʾu: al-Iskandar wa-bnu Māsawaih wa-r-Rāzī wa-l-Madāʾinī. „Vom Bart der männlichen Ziege werden zwei Haare abgeschnitten, in ein Leinenläppchen gebunden und dem an Quartanfieber Leidenden umgehängt; dann wird er gesund: Alexander und ibn Māsawaih und ar-Rāzī und al-Madāʾinī17“. Alex. Trall. I 437: λέγουσι καὶ ἐκ τῆς γένυος τοῦ τράγου εἴ τις λαβὼν τρίχας περιάψει τῷ πάσχοντι, θαυμαστῶς θεραπεύειν δύνασθαι τεταρταῖον. Taḏkira fol. 231 b 9‒12: man naẓara ilā zahri l-ḫiṭmīyati wa-huwa ʿalā šaǧaratihī wa-dāra ḥaula šaǧaratihī ḫamsa daurātin wa-qīla sabʿa daurātin zāla hammuhū wa-fariḥa qalbuhū wa-ṭābat nafsuhū wa-anārat arwāḥuhū: ibn Waḥšīya fī l-Filāḥa an-nabaṭīya. „Wer die noch am Baume hängende Blüte des Eibischs ansieht und den Baum fünfmal, nach anderen siebenmal, umkreist, dessen Sorgen schwinden, sein Herz wird leicht, seine Stimmung bessert sich und sein Geist sprüht: ibn Waḥšīya in der nabatäischen Landwirtschaft“. Ps. Maǧrīṭī Ġāya 356, 4 f. (übs. Ritter-Plessner p. 371): wa-min al-Filāḥa: annaẓaru ilā wardi šaǧarati l-ḫiṭmīyi yufarriḥu n-nafsa wa-yuzīlu l-hamma waḏālika bi-d-dawarāni ḥaula š-šaǧarati min kulli ǧihatin wa-n-naẓari ilā wardihā. Taḏkira fol. 233 a 5‒7: ḥaǧaru l-yašmi man ḥamalahū maʿahū kāna manṣūran ʿalā ḫaṣmihī ġāliban lahū: Arisṭū wa-abū r-Raiḥān al-Bīrūnī. wa-mulūku _______________ 17 Abū l-Ḥasan ʿAlī ibn Muḥammad ibn Šuʿaib al-Madāʾinī, Verfasser eines Buches über die in der Natur wirkenden okkulten Krāfte, s. Naturwissenschaften im Islam 410 und GAS III 378 f.

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l‑mašriqi yattaḫiḏūna minhu manāṭiqa wa-ḥilyatan li-silāḥihim. „Wer den Jaspis bei sich trägt, besiegt und überwältigt seinen Feind: Aristoteles und abū r‑Raiḥān al-Bīrūnī. Die Könige des Ostens verwenden ihn zu Gürteln und zum Schmuck ihrer Waffe“. Bīrūnī Ǧawāhir 198, 7‒9: wa-qīla inna l-yašma au ǧinsan minhu yusammā ḥaǧara l-ġalabati wa-min aǧlihī ḥallā t-Turku suyūfahum wa-surūǧahum wa-manāṭiqahum bihī ḥirṣan ʿalā naili l-ġalabati fī l-qirāʿi wa-ṣṣirāʿi. Taḏkira fol. 49 a 11 f.: ḫabaṯu l-ḥadīdi yanfaʿu mina l-aurāmi l-ḥārrati ḍimādan: ibn Sīnā wa-l-Mālaqī. „Die Eisenschlacke nützt gegen heiße Geschwülste, als Umschlag: ibn Sīnā und al-Mālaqī“. b. Sīnā Qānūn I 275, 1: ḫabaṯu l-ḥadīdi yuḥallilu l-aurāma l-ḥārrata. b. -Baiṭār Ǧāmiʿ II 48, 4 (nach ibn Sīnā). Taḏkira fol. 8 b ult. f.: wa-in ḍuriba ǧaufu l-ḥāmili bi-aṣli l-barbārīsi ṯalāṯa ḍarabātin bi-rifqin ġairi muʾlimin asqaṭat: ibn Hubal. „Wenn der Bauch der Schwangeren mit der Wurzel der Berberitze dreimal sachte geschlagen wird, ohne daß es weh tut, verliert sie das Kind: ibn Hubal“. b. Hubal Muḫtārāt II 25, 4 f.: wa-yuqālu inna aṣla šaǧarati l-anbarbārīsi iḏā ḍuriba bihī baṭnu l-ḥāmili au luṭiḫa bihī asqaṭa l-ǧanīna. Taḏkira fol. 55 b 13‒15: ḥaǧaru l-marmari š-šaffāfu l-maǧlūbu mina lMauṣili iḏā suḥiqa wa-ḫuliṭa bi-r-rātīnaǧi wa-z-zifti layyana l-aurāma ṣ-ṣulbata ḍimādan: al-Mālaqī. „Wenn der durchsichtige Marmorstein, der aus Mossul importiert wird, zerrieben und mit Harz und Pech vermischt wird, macht er die harten Geschwülste weich, als Umschlag: al-Mālaqī“. b. -Baiṭār Ǧāmiʿ IV 153, 14 f.: iḏā uḥriqa hāḏā l-ḥaǧaru wa-ḫuliṭa bi-r-rātīnaǧi wa-z-zifti ḥallala l‑aurāma ṣ-ṣulbata. Der Satz stammt aus Diosc. Mat. med. V 135 (Bd. III 98, 11 f.): λίθος ἀλαβαστρίτης ὁ καλούμενος ὄνυξ ἀναλημφθεὶς κεκαυμένος ῥητίνῃ ἢ πίσσῃ διαφορεῖ σκληρίας. Taḏkira fol. 220 b 6 ff. ist die Sage vom Schwan mitgeteilt, der im Angesicht des Todes seinen ergreifenden Gesang anstimmt18. Der Name des Vogels ist nur mit qqns (also κύκνος) angegeben, als Quellen für den Bericht nennt ibn as-Suwaidī: Ibnu Sīnā fī bābi t-tawālīdi wa-t-tawalludi min Kitābi š-Šifāʾi wa-kaḏālika ḏakarahū Auḥadu z-zamāni fī kitābihi llaḏī sammāhu l-Muʿtabara fī l-bābi l-maḏkūri. Tatsächlich steht der Bericht bei abū l-Barakāt Hibat Allāh ibn ʿAlī ibn Malkā al-Baġdādī, K. al-Muʿtabar, Bd. II, Ḥaidarābād 1358/1939, p. 266, 22 ff. Taḏkira fol. 214 b 2 f.: in buḫḫira l-karmu awi z-zarʿu bi-šaʿari mraʾatin lam yudawwid: Afrīqānus fī l-Filāḥa ar-rūmīya. „Wenn der Weinstock oder die Saat mit den Haaren einer Frau geräuchert wird, so bleibt er von Würmern _______________ 18 Zuerst bei Platon, Phaidon c. 35, p. 85 A, B. Vgl. Otto Keller, Die antike Tierwelt II, Leipzig 1913, p. 213 ff.; Hans Gossen, RE 2 A 1 (1921), Sp. 785 ff.

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verschont. Afrikanos in der byzantinischen Landwirtschaft“. Dem entsprechen die Ausführungen in den Geoponica II 18 und XIII, in denen, zum Teil nach Ἀφρικανός, zahlreiche Mittel genannt sind, die die Saaten vor Ungeziefer schützen. Es gibt nun freilich auch Zitate, die sich nicht verifizieren lassen. So heißt es z. B. fol. 12 a, ‒4: lablāb abyaḍ. zahruhū yuḫriǧu l-ǧanīna ḥamūlan: ibn Hubal. „Weißer Efeu (?). Seine Blüte treibt den Foetus heraus, als Zäpfchen: ibn Hubal“. Aber in den Muḫtārāt dieses Autors (II 119, 19 ff.) steht nichts dergleichen, und überhaupt scheint es eine Species lablāb abyaḍ gar nicht zu geben19. Hier mag die handschriftliche Überlieferung fehlerhaft sein, oder ibn as-Suwaidī ist einem Irrtum erlegen. Aber von solchen Einzelfällen abgesehen ist das Ergebnis unserer Nachprüfung erstaunlich positiv ausgefallen. Natürlich schwankt der Grad der Wörtlichkeit der Zitate: Wo ibn as-Suwaidī mehrere Quellen zitiert, ist die Worttreue geringer als dort, wo er nur einen Autor ausschreibt. Im ersteren Falle mußte er notwendig redaktionell eingreifen, und auch sonst hat er gelegentlich den Wortlaut geändert. Der Inhalt ist aber durchweg sehr getreu referiert. Damit erschließt sich uns in seinem Werk ein ungeheuer wertvoller Zitatenschatz: Es gibt kaum einen Autor auf dem Felde der griechischen und arabischen Medizin und dem der Geheimwissenschaften, den ibn as-Suwaidī nicht zitiert. Aš-Šaʿrānī20 spricht von annähernd vierhundert Autoren. Das ist sicher übertrieben, und Lucien 41 Leclerc21 wird eher Recht haben, der ungefähr hundertundfünfzig Gewährsmänner gezählt hat. Wir finden darunter viele griechische Ärzte, neben Hippokrates, Galen und Dioskurides auch Rufus (fol. 4 a 5.17; 6 b 11; 148 b 14; 158 a, ‒5; 172 b 4; 186 b 4; 243 b 4; 246 b 6; 255 b 2 und oft), Oreibasios (9 a, ‒7), Paulos von Aigina (3 b 15; 4 a, ‒4; 6 a ult.) und Magnos (11 a 10; 32 a 11). Wichtig sind die Stellen aus der pseudoaristotelischen Landwirtschaft (137 b 13; 183 a 1)22. Die frühen arabischen Ärzte sind sehr stark vertreten, z. B. ʿĪsā ibn Ṣihārbaḫt23 und Isḥāq ibn Ḥunain. Dann finden wir auch jüngere Autoren genannt, von deren Schriften man sonst wenig weiß, zum Beispiel Dūnaš ibn Tamīm (3 b 11)24, al-Bālisī (7 a, ‒7)25, ʿAlī ibn al-Ḥusain al-Bulġārī (45 a 13)26 _______________ 19 20 21 22 23 24 25 26

Vgl. WKAS II 93 b 42 ff. Bei Maǧūsī Malakī II 497, 3. Leclerc Médecine II 200. Dazu Naturwissenschaften im Islam 429. Medizin im Islam 264; GAS III 243. Medizin im Islam 266. ib. 266. ib. 278.

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und Rašīd ad-Dīn ibn aṣ-Ṣūrī (6 a 15)27. Solche Zitate können, wenn die handschriftliche Überlieferung spärlich oder unsicher ist — wie es bei dem Drogenbuch des Bulġārī oder dem fol. 231 b 3 f. ausgeschriebenen Dispensatorium des Saʿīd ibn ʿAbd Rabbihī28 der Fall ist — Kriterien sein, mit denen die Echtheit der Werke überprüft werden kann. Von dem bekannten Historiker abū l-Faraǧ Yaḥyā ibn Saʿīd ibn Yaḥyā al-Anṭākī, dem Verfasser des K. Taʾrīḫ aḏ-ḏail, ist in der Literatur überhaupt kein medizinischer Titel überliefert29. Umso wichtiger sind die zahlreichen Fragmente, die wir ibn as-Suwaidī zu verdanken haben (3 b 13; 4 a 10; 6 b 1; 13 a 5; 47 a 6 etc.). Mehrfach (3 b 11 usw.) ist ibn as-Samḥ, das ist der im Jahre 426/1035 gestorbene Mathematiker abū l-Qāsim Aṣbaġ ibn Muḥammad ibn as-Samḥ al-Ġarnāṭī, zitiert. Diese Stellen erscheinen als besonders interessant, da vor kurzem behauptet worden ist, daß ibn as-Samḥ ein medizinisches Buch verfaßt haben soll, das in einer jungen Handschrift in der Maktaba al-Aḥmadīya in Tunis unter nr. 5370 erhalten ist30. Wie es dem Charakter der Taḏkira entspricht, begegnen uns auf fast jeder Seite die Autoren der Sympathiebücher, jener Schriften, in denen die okkulten Wirkungen der Steine, Pflanzen und tierischen Substanzen beschrieben sind31: Demokrates (5 a 6), ʿĪsā ibn ʿAlī (5 a 4; b 10), al-Madāʾinī (3 b 15; 5 b, ‒3; 6 b 5; 10 b, ‒4) und ʿUbaid Allāh ibn Ǧibrīl (4 b 11; 5 a 5; b 9; 7 a ult.; 10 a 2). Auch das anonyme Kitāb al-Ḫawāṣṣ (4 b 5; 5 b 3.7 und oft) ist dazuzurechnen. Schließlich kommen Namen vor, die sonst in der medizinischen Literatur überhaupt nicht belegt sind, zum Beispiel al-Muhandis, ,,der Geometer“ (2 b 13. ult.; 3 b 8; 4 a 11; b 4. ult.; 5 a 2; 6 a 3.9; b paen.; 7 a 7 usw.) und Usquf Buṣrā, ,,der Bischof von Bostra“ (3 a 5; 5 a 13; 10 a, ‒4; 14 a 8; 40 a 11 usw.). Bostra, seit Diokletian Hauptstadt der Provinz Arabia, war Sitz melchitischer _______________ 27 ib. 280. 28 Sami Hamarneh, Index of Manuscripts on Medicine, Pharmacy, and Allied Sciences in the Ẓâhirîyah Library, Damascus 1969, 236‒241; Medizin im Islam 303; GAS III 300 f. 29 Vgl. b. a. Uṣ. I 239, 6‒18; Marius Canard, EI 2 I 516; GAL I 148; S I 228; GCAL II 49‒51; GAS I 338, nr. 45. Erhalten ist jedoch ein Pinax von 55 hippokratischen Schriften, den Yaḥyā für ʿAlī ibn Riḍwān ins Arabische übersetzt hat, s. Franz Rosenthal, An Eleventh-Century List of the Works of Hippocrates, in: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences 28, 1973, 156‒165. Sezgin, GAS III 251, erwähnt eine Handschrift in Rabat, die einen Kommentar des Yaḥyā zu den Masāʾil des Ḥunain enthalten soll. Aber diese Nachricht ist unsicher, zumal das Κ. al-Iršād li-maṣāliḥ al-anfus wa-l-aǧsād, das in demselben Handschriftenband vorhanden sein soll, sicher nicht von Yaḥyā stammt, wie Sezgin behauptet, sondern von ibn Ǧumaiʿ (s. Medizin im Islam 164). 30 GAS V 356. 31 Zu dieser Literatur vgl. Naturwissenschaften im Islam 21; 28; 402‒416.

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Bischöfe, die dem Patriarchat von Antiochien unterstellt waren32. Da ibn as‑Suwaidī den Bischof nicht mit Namen nennt, meint er wohl den zeitgenössischen Bischof. Die Verhältnisse im Ḥaurān waren ihm ja vertraut, stammte doch sein Vater aus as-Suwaidāʾ. Ich breche hier ab, um die Aufzählung nicht ins Ungemessene fortzuführen, stelle aber noch eine weitere Frage: Hat ibn as-Suwaidī die Bücher der Autoren, die er nennt, alle selbst eingesehen, oder hat er es wie sein Lehrer ibn al-Baiṭār gemacht? Auch dieser beruft sich auf eine große Zahl alter Ärzte, hat die Zitate aber zum guten Teil anderen Sammelwerken, insbesondere dem Ḥāwī des Rāzī und den Mufradāt des Ġāfiqī, entnommen. Wenn auch ibn asSuwaidī nur mittelbar zitieren würde, so verlöre sein Werk insoweit erheblich an Wert, als die Zwischenquellen zugänglich sind oder werden. Es liegt in der Natur komplizierter überlieferungsgeschichtlicher Probleme, daß diese Frage nicht eindeutig mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. In einer Anzahl von Fällen scheint mir ibn as-Suwaidī einer „collector-source“ verpflichtet zu sein, so z. B. fol. 243 b 2‒4: man bāla baulan aswadan33 bi-lā 43 maraḍin maʿa waǧaʿin kāna au bi-lā waǧaʿin fa-innahū sa-yatawalladu fī kulāhu ḥaṣātun baʿda zamānin yasīrin wa-ḫāṣṣatan in kāna šaiḫan fa-l-yubādir bi-aḫḏi ladwiyati l-mudirrati: Rūfus. Dieses Rufus-Zitat könnte auf Rāzī Ḥāwī 10, 109, 15 ff. (Daremberg-Ruelle Fragm. nr. 286) zurückgehen, obwohl die Formulierung sowohl im Ḥaidarābāder Druck (bi-lā maraḍin wa-lā waǧaʿin kāna yabūluhū) als auch in der lateinischen Version (absque morbo et dolore) etwas abweicht. Größer sind die Divergenzen in der folgenden Passage (fol. 5 a 6 f.): salḫ al-ḥayya: iḏā buḫḫirati l-muṭallaqatu bi-salḫi l-ḥayyati bi-qamʿin aḫraǧa lmašīmata sarīʿan: Dimuqrāṭīs wa-l-Mālaqī. ,,Die Schlangenhaut. Wird die Kreißende vermittels eines Trichters mit der Haut der Schlange geräuchert, so treibt diese die Placenta flugs heraus: Demokrates und al-Mālaqī“. Bei ibn alBaiṭār (Ǧāmiʿ III 28, 9 f.) lautet die Passage: Dīmuqrāṭīs: iḏā buḫḫirat (bihī) mraʾatun qad raǧaʿat mašīmatuhā au māta waladuhā fī baṭnihā alqat mā fī baṭnihā; muǧarrab. Ob ibn as-Suwaidī hier nur den Text ibn al-Baiṭār’s umformuliert hat oder ob er auch die Originalquelle eingesehen hat, wird man erst mit Sicherheit sagen können, wenn die arabische Demokrates [Demokritos‑] Tradition aufgearbeitet ist34. _______________ 32 Armand Abel, Art. Boṣrā, EI 2 I 1275‒1277; GCAL I 11 f. 33 Zu diesem Vulgarismus bei ibn as-Suwaidī s. Albert Dietrich, Mélanges d’Islamologie. Volume dédié à la mémoire de Armand Abel, Leiden 1974, 93. 34 Naturwissenschaften im Islam 402 f. Für die Sammlung der Fragmente dieses Sympathiebuches dürfte gerade ibn as-Suwaidī’s Taḏkira ergiebig sein.

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Aber selbst wenn ein Teil der Lehren unseres Buches mittelbar zitiert ist, so ist der größere Teil doch ohne Zweifel aus den Primärquellen gezogen. Ibn as-Suwaidī beruft sich auf zahlreiche Autoren, die sonst nicht oder selten begegnen, er hat eine solche Fülle von Material, das in keinem der großen Sammelwerke steht, daß man annehmen muß, die Kompilation sei überwiegend seine eigene Leistung. Diese Überlegungen und Feststellungen haben, so denke ich, zur Genüge gezeigt, daß die Taḏkira eine außerordentlich wichtige Quelle für die Geschichte der Medizin und Magie ist. Eine Edition des Werkes scheint mir dennoch nicht vordringlich zu sein. Dabei würde Arbeit und Druckerschwärze auch an vieles verschwendet werden müssen, was nicht lohnt: Die Zitate aus Dioskurides, ibn Sīnā und ibn Hubal sind entbehrlich; zwar sind die Drucke dieser Texte höchst mangelhaft, aber die handschriftliche und sekundäre Überlieferung ist so reich, daß auch ohne ibn as-Suwaidī’s Zitate zuverlässige Editionen hergestellt werden können. Es gilt also, den Weizen von der Spreu zu trennen, man muß das Werk mit gezielten Fragestellungen konsultieren. Ich habe das in einigen Punkten getan und habe dabei Stoff gewonnen, durch den aktuelle Probleme in neues Licht gestellt und frühere Arbeiten weitergeführt werden konnten. Die Ergebnisse seien im folgenden an Hand von acht Fällen kurz referiert.

I. Malcolm C. Lyons und John N. Mattock haben in jüngster Zeit in der Reihe „Arabic Technical and Scientific Texts“ eine Anzahl hippokratischer Schriften in arabischer Übersetzung herausgegeben35. Damit ist die Erforschung der Übersetzungsperiode des 9. Jhdts. einen Schritt vorangekommen, aber es wird noch viel Arbeit geleistet werden müssen, bis die Geschichte des Hippokratismus in der islamischen Welt geschrieben werden kann. Dabei wird man den Aphorismen besondere Aufmerksamkeit schenken müssen: Seit dem Altertum nehmen sie einen hervorragenden Platz im Corpus hippocraticum ein36, und diesen Rang haben sie auch bei den arabischen Ärzten behauptet: Immer _______________ 35 Vgl. dazu Manfred Ullmann, Die arabische Überlieferung der hippokratischen Schrift „De superfetatione“, oben, p. 3‒22. 36 Ernst Nachmanson, Zum Nachleben der Aphorismen, in: Quellen und Studien zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Medizin 3, 1933, 300‒315. Weiteres in dem Band Antike Medizin, hsgb. von Hellmut Flashar (Wege der Forschung Bd. 221), Darmstadt 1971, p. 489 ff.

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wieder sind sie zitiert und ausgeschrieben worden, und die Liste der Kommentatoren ist lang37. Es ist sicher kein Zufall gewesen, daß die Aphorismen das erste Stück der ins Arabische übersetzten griechischen medizinischen Literatur waren, das gedruckt wurde. Schon 1832 hat Tytler den Text ediert38. In den beiden Handschriften, die er benutzt hat, ist, wie überhaupt in den meisten Handschriften, Ḥunain ibn Isḥāq als Übersetzer angegeben. Diese Zuschreibung wurde allgemein akzeptiert39, der schlüssige Beweis für ihre Richtigkeit ist allerdings noch nie erbracht worden. Nun sollte man die Übersetzerangaben in den Titeleien und Kolophonen der Handschriften stets mit Skepsis betrachten, insbesondere, nachdem sich herausgestellt hat, daß der Name 45 Ḥunains mit Vorliebe dann eingesetzt wurde, wenn man den Übersetzer nicht kannte (genauso ist es später bei den lateinischen Übersetzungen mit dem Namen Gerhards von Cremona gemacht worden). Aber im Falle der von Tytler herausgegebenen Aphorismen kann man doch Sicherheit gewinnen. Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī zitiert nämlich in seinem K. al-Ḥāwī 40 eine Anzahl Aphorismen aus dem VI. Buch (beginnend mit Aphor. 22, endend mit Aphor. 60). Ein Vergleich zeigt, daß ar-Rāzī’s Wortlaut mit dem von Tytler edierten Text übereinstimmt, nur hat ar-Rāzī seiner Gewohnheit gemäß einige Ausdrücke umformuliert41. Aber die Aphorismen stehen dort nicht allein; sie werden stets von Galens Kommentar begleitet. Kann man nun annehmen, daß ar-Rāzī das Grundwerk und den Kommentar jeweils gesondert ausgeschrieben hat, daß er ständig von der einen zur anderen Handschrift gesprungen ist? Das wäre sehr merkwürdig. Es spricht vielmehr alles dafür, daß er die ganze zusammenhängende Passage aus Galens Kommentar abgeschrieben hat, der ja in den Lemmata den gesamten hippokratischen Text enthält. Der von Tytler edierte Text und die Lemmata des arabischen Galenkommentars sind also identisch; die arabischen Aphorismenhandschriften gehen nicht auf eine eigene Übersetzung des Grundwerkes zurück, sondern sie beruhen auf einer Exzerpierung und gesonderten _______________ 37 Steinschneider Arab. Übs. p. (305); Franz Rosenthal, „Life is Short, the Art is Long“: Arabic Commentaries on the First Hippocratic Aphorism, in: Bulletin of the History of Medicine 40, 1966, 226‒245. 38 The Aphorisms of Hippocrates, Translated into Arabic. By Honain ben Ishak, physician to the caliph Motawukkul, ed. John Tytler, Calcutta 1832. 39 Gotthelf Bergsträsser, Ḥunain ibn Isḥāḳ und seine Schule, Leiden 1913, p. 11 f. 40 Rāzī Ḥāwī 11, 108, 11‒114, 5. 41 Zum Beispiel nr. 29 lā yuṣībuhā n-niqrisu Tytler: lā tunaqrasu Rāzī; nr. 30 fī l-mubāḍaʿati Tytler: fī muǧāmaʿati n-nisāʾi Rāzī.

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Tradierung der Lemmata des Kommentars42. Die arabische Übersetzung des Kommentars aber ist das Werk Ḥunains, wie er es selbst auf das genaueste schildert: ,,Aḥmad ibn Muḥammad, bekannt unter dem Namen ibn al-Mudabbir, hatte mich gebeten, den Kommentar für ihn zu übersetzen. Da übersetzte ich davon ein Buch43 ins Arabische. Dann aber gab er mir Weisung, ich möge mit der Übersetzung eines weiteren Buches warten, bis er jenes Buch gelesen hätte, das ich schon übersetzt hatte. Aber der Mann kam nicht dazu, und so wurde die Übersetzung des Werkes abgebrochen44. Als dann aber Muḥammad ibn Mūsā45 jenes Buch zu sehen bekam, bat er mich, das Werk zu vollenden. So übersetzte ich es also bis zum Ende46“. Nach diesem Selbstzeugnis ist es so gut wie sicher, daß der von Tytler edierte Text aus Ḥunains Feder stammt. Nun weiß man seit Erscheinen des Geschichtswerkes des Yaʿqūbī47 und eines Aufsatzes von Martin Klamroth48, daß es noch einen anderen arabischen Text der Aphorismen gegeben hat. Al-Yaʿqūbī nämlich teilt49 siebenundfünfzig taʿālīm mit (sie entsprechen 63 Aphorismen), die in der Wortwahl und in der Formulierung mit Ḥunains Übersetzung nicht übereinstimmen. Man weiß nicht, ob diese zweite Version älter oder jünger als die Ḥunains ist50, aber _______________ 42 Eine Exzerpierung und sekundäre Tradierung der Lemmata eines Kommentars ist keine Seltenheit. Auch die arabischen Texte der hippokratischen Schriften De natura hominis, ed. Mattock und Lyons, Cambridge 1968 (s. Gotthard Strohmaier, OLZ 68, 1973, 371 Anm. 1), De officina medici, ed. Lyons 1968 und De aere aquis locis, ed. Mattock und Lyons 1969, stammen alle aus Galens Kommentaren. Der Kommentar zu De aere ist in der Handschrift der Dār al-kutub in Kairo, Ṭalʿat 550 ṭibb, fol. 28 b 1‒102 b 8, erhalten. Ich verdanke eine Kopie dieser Handschrift der Liebenswürdigkeit von Herrn Prof. Dr. As-Sayyid Yaʿqūb Bakr. 43 Der Kommentar umfaßt, wie das Grundwerk, sieben Bücher. 44 Hier wird deutlich, daß Übersetzungen nur angefertigt wurden, wenn der Auftraggeber bezahlte. 45 Abū Ǧaʿfar Muḥammad ibn Mūsā ibn Šākir, der bekannte Mathematiker, gest. 259/873. 46 Ḥunain Mā turǧima, arab. p. 40, 9‒14, dt. p. 33. 47 Ed. M. Th. Houtsma, Leiden 1883. 48 ZDMG 40, 1896, 196 ff. 49 Ed. Houtsma, Bd. I 107, 11‒116, 2; ed. as-Sayyid Muḥammad Ṣādiq Baḥr al-ʿUlūm, Naǧaf 1384/1964, Teil I, p. 81, 9‒87 paen. 50 Der Terminus ante quem ist 259/872, das Jahr der Abfassung des Taʾrīḫ. Man beachte in diesem Zusammenhang, daß bereits al-Ǧāḥiẓ in seinem vor dem Jahre 233/847 vollendeten Kitāb al-Ḥayawān von den Aphorismen des Hippokrates weiß (ed. ʿAbd as-Salām Muḥammad Hārūn, Bd. I, 2. Aufl., Kairo 1965, p. 102, 5 f.), aber aus al-Ǧāḥiẓ’ Worten geht nicht hervor, ob er wirklich eine Übersetzung gesehen hat.

Die Taḏkira des ibn as-Suwaidī

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ihre Herkunft ist soeben durch Hans Hinrich Biesterfeldt aufgeklärt worden. Biesterfeldt hat nämlich in einer Beiruter Handschrift ein Fragment der arabischen Version des Aphorismenkommentars des Palladios51 entdeckt, und ein Vergleich der Lemmata des Kommentars mit den Zitaten al-Yaʿqūbī’s hat ihm gezeigt, daß beider Wortlaut identisch ist52. Der „Aphorismus“ ist in der Handschrift wie bei al-Yaʿqūbī mit taʿlīm53 bezeichnet, hier wie dort sind dieselben Aphorismen übersprungen (es folgen aufeinander: I 1, 4, 11, 12, 14, 16 + 17, 20 usw.). Diese Auswahl ist also nicht erst von al-Yaʿqūbī getroffen worden, wie Klamroth angenommen hatte, sondern schon von Palladios, und 47 was al-Yaʿqūbī mitteilt, sind wiederum nur die Lemmata eines Kommentars, die er exzerpiert hat. Diese Sachlage findet in dem Traktat über die Melancholie von Isḥāq ibn ʿImrān, der (vor dem Jahre 296/909) in al-Qairawān auf grausame Weise zu Tode gekommen ist, eine vollkommene Bestätigung. Isḥāq zitiert dort (Ms. München 805, fol. 100 b 2‒4) den Aphorismus VI 53, dessen verschiedene Fassungen folgendermaßen lauten: Hipp. Aphor. VI 53 αἱ παραφροσύναι αἱ μὲν μετὰ γέλωτος γινόμεναι, ἀσφαλέστεραι· αἱ δὲ μετὰ σπουδῆς, ἐπισφαλέστεραι. Yaʿqūbī I 115, 4‒6: ḏahābu l-ʿaqli llaḏī yaʾtī ḍ-ḍaḥiku maʿahū yūṯaqu bihī wa-ḏahābu l-ʿaqli maʿa l-ḥuzni wa-l-ʿubūsi lā yūṯaqu bihī

Ḥunain p. 58 ult. ff.: mā kāna mini ḫtilāṭi ḏ-ḏihni maʿa ḍaḥikin fa-huwa aslamu wa-mā kāna maʿa hammin wa-ḥuznin fa-huwa ašaddu ḫaṭaran b. ʿImrān Mālanḫūliyā: inna ḏahāba l-ʿaqli llaḏī yaʾtī bi-ḍḍaḥiki yūṯaqu bihī wa-llaḏī yaʾtī bi-lḥuzni (sic l.) wa-l-ʿubūsi lā yūṯaqu bihī 54

Man sieht, daß Isḥāqs und al-Yaʿqūbī’s Texte übereinstimmen. Aber Isḥāq hat den Aphorismus nicht al-Yaʿqūbī’s Geschichtswerk, sondern dem Kommentar des Palladios entnommen, den er wenige Zeilen später ausdrücklich zitiert: wa-l-qāʾilu li-ḏālika Balādiyūsu l-Iskandarānīyu fī tafsīrihī li-kitābi lFuṣūli. _______________ 51 Medizin im Islam 83; GAS III 161 f. 52 Ich möchte Herrn Biesterfeldt für seine freundlichen Mitteilungen und die Abschrift der einschlägigen Passagen auch hier noch einmal herzlich danken. 53 Zugrunde liegt vermutlich der Ausdruck μάθημα. 54 Bei ʿAlī b. Rabban Firdaus 140, 7 f. lautet der Aphorismus: iḏā kāna ṣ-ṣarʿu maʿa ḍaḥikin wa-našāṭin fa-innahū arǧā min an yakūna maʿa l-faraqi wa-l-ġammi.

272

Medizingeschichte

Ein dritter Überlieferungsstrang ist in dem 850 vollendeten Paradies der Weisheit des ʿAlī ibn Rabban aṭ-Ṭabarī zu greifen. Aṭ-Ṭabarī zitiert die Aphorismen sehr oft55, und wenn man diese Stellen mit den entsprechenden Passagen bei Palladios [al-Yaʿqūbī] und Ḥunain vergleicht, so sieht man, daß man eine von diesen beiden Versionen unabhängige Überlieferung vor sich hat. Dafür nur ein Beispiel: Hipp. Aphor. VII 31 ὁκόσοισι πυρέσσουσιν ἐν τοῖσιν οὔροισι κριμνώδεες αἱ ὑποστάσιες γίνονται, μακρὴν τὴν ἀρρωστίην σημαίνουσιν. 48

Ḥunain p. 62, 6‒8: man kānat bihī ḥummā fa-kāna yarsubu fī baulihī ṯuflun šabīhun bi-ssawīqi l-ǧarīši fa-ḏālika yadullu ʿalā anna maraḍahū yaṭūlu

ʿAlī b. Rabban 297, 4‒7: man kāna bihī ḥummā wa-kāna fī baulihī ṯuflun rāsibun fī l-qārūrati ġalīẓun šabīhun bi-s-sawīqi dalla ḏālika ʿalā ṭūli l-maraḍi Yaʿqūbī I 115, 9‒11: man kānat bihī ḥummā wa-kāna bibaulihī ṯuflun ġalīẓun šabīhun bi-dašīši ṭ‑ṭaḥīni fa-ḏālika dalīlun ʿalā anna maraḍahū yaṭūlu

Es wäre aber falsch, aus dieser Divergenz auf eine dritte Übersetzung zu schließen, die ʿAlī ibn Rabban ausgeschrieben hätte. Viel wahrscheinlicher ist es, daß er aus einer syrischen Vorlage nur diejenigen Aphorismen übersetzt oder frei adaptiert hat, die er für sein Buch benötigte. Auch bei anderen Quellenschriften ist ʿAlī so verfahren, was hier jedoch nicht weiter ausgeführt werden kann. Ähnlich liegen die Dinge im Falle des Qusṭā ibn Lūqā. In seiner für abū lḤasan Muḥammad ibn Aḥmad, den Sekretär des Protopatrikios abū Ġānim alʿAbbās ibn Sinbāṭ verfaßten Schrift über Sexualhygiene56 zitiert er die Aphorismen V 38 und 39. Die folgende Übersicht macht klar, daß Qusṭā weder den Ḥunain-Text noch den Palladios [al-Yaʿqūbī]-Text ausgeschrieben hat. Hipp. Aphor. V 39 ἢν γυνὴ μὴ κύουσα, μηδὲ τετοκυῖα, γάλα ἔχῃ, ταύτῃ τὰ καταμήνια ἐκλέλοιπεν.

Qusṭā: wa-iḏā darra l-labanu fī ṯ-ṯadyi min ġairi ḥamlin dalla ḏālika ʿalā ḥtibāsi ṭ-ṭamṯi

_______________ 55 Vgl. Theodore Withington’s Nachweise im Appendix 2 der Ausgabe von M. Z. Siddiqi, Berlin 1928. 56 Teiled.: Ġauṯ Ḥaidar, Diss. Erlangen 1973, p. 36, 4 f. Vgl. auch WKAS II 157 a 19‒27.

Die Taḏkira des ibn as-Suwaidī Ḥunain p. 46 ult. f.: iḏā kānati l-marʾatu laisat biḥāmilin au lam takun waladat ṯumma kāna lahā labanun faṭamṯuhā qadi rtafaʿa

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Yaʿqūbī I 113, 17 f.: ayyumā mraʾatin laisat bi-ḥublā wa-lā murḍiʿatin wa-taǧidu fī ṯadyaihā labanan fa-ḏālika dalīlun ʿalā anna dama ṭamṯihā qadi nqaṭaʿa

Geht Qusṭā’s Zitat auf eine weitere Übersetzung zurück? Mitnichten! Qusṭā war in der griechischen medizinischen Literatur sehr belesen57, und es ist durchaus möglich, ja wahrscheinlich, daß er eine griechische Handschrift der Aphorismen besessen hat oder einsehen konnte. Dann war es für ihn das Nächstliegende, auf den Urtext zu rekurrieren und nur die Aphorismen zu über- 49 setzen, die er für seinen Zusammenhang gerade brauchte. Mit solchen Ad-hoc-Übersetzungen einzelner Lehrsätze oder größerer Abschnitte muß man also rechnen, vorausgesetzt, der Autor war des Syrischen oder Griechischen mächtig und damit von den arabischen Versionen unabhängig. Ibn as-Suwaidī konnte aber sicherlich nur Arabisch. Wenn wir nun bei ihm eine Anzahl Aphorismen in einem bisher unbekannten Wortlaut finden, so stellt sich die Frage nach ihrer Herkunft. Der Palladioskommentar scheidet als Quelle aus. Ibn as-Suwaidī nämlich teilt die Aphorismen II 41, IV 27, V 57, VI 13, 29 + 30, 43, 44, 49, VII 29 und 35 mit. Palladios aber hatte nur eine Auswahl aus den Aphorismen kommentiert, eben jene 57 taʿālīm, die alYaʿqūbī mitteilt58, und keine der Nummern ibn as-Suwaidī’s kommt in Palladios’ Auswahl vor59. Auch das Paradies der Weisheit des ʿAlī ibn Rabban kann nicht ibn as-Suwaidī’s Quelle gewesen sein, denn dort sind die Aphorismen wieder völlig anders formuliert (s. unten). Es bleibt somit die Frage, wie sich die Zitate in der Taḏkira zu Ḥunains Version verhalten. Vergleichen wir die folgenden Stellen: Hipp. Aphor. IV 28

Ḥunain p. 32, ‒3 ff.:

ὁκόσοισι χολώδεα τὰ διαχωρήματα, κωφώσιος γενομένης παύεται, καὶ ὁκόσοισι

man kāna bihi ḫtilāfu marārin fa-aṣābahū ṣamamuni nqaṭaʿa ʿanhu ḍālika l-iḫtilāfu

Taḏkira 248 b 2f.: man kāna bihi ṣamamun fa-ʿaraḍa lahū mirratun ṣafrāʾu zāla ʿinda ḏālika ṣ-ṣamamu wa-man kāna

_______________ 57 S. oben, p. 62 f. 58 Die Beiruter Handschrift bricht schon mit dem 11. taʿlīm = dem Aphorismus II 19 (?) ab. 59 ZDMG 40, 1896, 197.

274

Medizingeschichte

Hipp. Aphor. IV 28 (Forts.) Ḥunain p. 32, ‒3 ff. (Forts.) κώφωσις, χολωδέων γενομένων παύεται.

wa-man kāna bihī ṣamamun fa-ḥadaṯa bihi ḫtilāfu marārin ḏahaba ʿanhu ṣ-ṣamamu

bihi ḫtilāfu mirratin ṣafrāʾa fa-aṣābahū ṣamamuni nqaṭaʿa ʿanhu tilka lmirratu ṣ-ṣafrāʾu

Ḥunain p. 56, 7 ff.:

Taḏkira 245 a 12 f.:

γυνὴ οὐ ποδαγριᾷ, ἢν μὴ τὰ καταμήνια αὐτέῃ ἐκλίπῃ. παῖς οὐ ποδαγριᾷ πρὸ τοῦ ἀφροδισιασμοῦ.

al-marʾatu lā yuṣībuhā n-niqrisu illā an yanqaṭiʿa ṭamṯuhā. alġulāmu lā yuṣībuhu nniqrisu qabla an yabtadiʾa fī l-mubāḍaʿati

wa-lā tatanaqrasu mraʾatun illā baʿda nqiṭāʿi ṭamṯihā. wa-lā yatanaqrasu ġulāmun qabla liḥtilāmi60.

Hipp. Aphor. VI 44

Ḥunain p. 57 paen. ff.:

Taḏkira 244 b 14 ff.:

ὁκόσοισιν ἐκ στραγγουρίης εἰλεοὶ γίνονται, ἐν ἑπτὰ ἡμέρῃσιν ἀπόλλυνται, ἢν μὴ, πυρετοῦ ἐπιγενομένου, ἅλις τὸ οὖρον ῥυῇ.

man ḥadaṯa bihī min taqṭīri l-bauli l-qaulanǧu l-maʿrūfu biīlāwus fa-innahū yamūtu fī sabʿati ayyāmin illā an taḥduṯa bihī ḥummā fa-yaǧriya minhu baulun kaṯīrun

man kāna bihī taqṭīru lbauli fa-tabiʿahū qaulanǧun ṣaʿbun šadīdun halaka lisabʿati ayyāmin in lam tatbaʿ ḏālika ḥummā fataḥulla ʿusra l-bauli

Hipp. Aphor. VI 49

Ḥunain p. 58, 8 f.:

Taḏkira 245 a 10 f.:

ὁκόσα ποδαγρικὰ νουσήματα γίνεται, ταῦτα ἀποφλεγμήναντα ἐν τεσσαράκοντα ἡμέρῃσιν ἀποκαθίσταται.

mā kāna mina l-amrāḍi min ṭarīqi n-niqrisi wakāna maʿahū waramun ḥārrun fa-inna waramahū yaskunu fī arbaʿīna yauman

auǧāʿu n-niqrisi kulluhā liarbaʿīna yauman yaḏhabu waramuhā wa-taʿūdu ilā ḥāli ṣ-ṣiḥḥati

Hipp. Aphor. VI 29 + 30

50

Taḏkira 248 b 2f. (Forts.)

_______________ 60 ʿAlī b. Rabban Firdaus 136, 16 f.: inna n-nisāʾa wa-ṣ-ṣibyāna lā yuṣībuhum ṣalaʿun wa-lā niqrisun illā an yanqaṭiʿa ṭamṯu l-marʾati.

Die Taḏkira des ibn as-Suwaidī

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Hipp. Aphor. VII 35

Ḥunain p. 62, ‒3 f.:

Taḏkira 244 a 9 f.:

ὁκόσοισι δὲ λιπαρὴ ἡ ἐπίστασις καὶ ἀθρόη, τουτέοισι νεφριτικὰ ὀξέα σημαίνει.

man ruʾiya fauqa baulihī dasamun ǧumlatan dalla ḏālika ʿalā anna fī kulāhu ʿillatan ḥāddatan

man kāna bauluhū zaitīyan wa-ǧāʾa baġtatan dalla ʿalā maraḍin ḥāddin fī l-kulyataini61.

Diese Beispiele legen die Annahme nahe, daß ibn as-Suwaidī eine bisher unbekannte, von Ḥunains Version unabhängige Übersetzung ausgeschrieben 51 hat. Dafür spricht vor allem auch das ἀθρόη in VII 35, das bei ibn as-Suwaidī t e m p o r a l mit wa-ǧāʾa baġtatan ,,er kommt auf einmal, plötzlich“, bei Ḥunain q u a n t i t a t i v durch ǧumlatan „in Menge“ wiedergegeben ist. Das kann nicht durch Umformulierung ein und derselben arabischen Übersetzung erklärt werden, zumal beide Ausdrücke mögliche Interpretationen des griechischen Wortes sind. Mit der Annahme einer dritten Übersetzung ist dennoch, so scheint mir, einige Vorsicht geboten. Vergleicht man etwa den Aphorismus VI 29 im K. alḤāwī 11, 110, 2, so sieht man, daß er dort in einer Mischform zwischen dem Text Ḥunains und dem ibn as-Suwaidī’s vorkommt: al-marʾatu lā tanaqrasu illā an yanqaṭiʿa ṭamṯuhā. Ar-Rāzī hat aber nur Ḥunains Text nach eigenem Ermessen umformuliert. Ähnliches könnten auch arabische Bearbeiter oder Kommentatoren mit Ḥunains Text gemacht haben, und ibn as-Suwaidī könnte einen solchen überarbeiteten Text vor sich gehabt haben. Schließlich gibt es in der Taḏkira auch einige Aphorismen, die weitgehend mit Ḥunains Version übereinstimmen, zum Beispiel: Hipp. Aphor. V 58

Ḥunain p. 49, ‒4:

Taḏkira 244 b 12 ff.:

ἐπὶ ἀρχῷ φλεγμαίνοντι, καὶ ὑστέρῃ φλεγμαινούσῃ, στραγγουρίη ἐπιγίνεται, καὶ ἐπὶ νεφροῖσιν ἐμπύοισι στραγγουρίη ἐπιγίνεται.

idā ʿaraḍa fī ṭarafi dduburi au fī r-raḥimi waramun tabiʿahū taqṭīru l-bauli wa-kaḏālika iḏā taqayyaḥati l-kulā tabiʿa ḏālika taqṭīru l-bauli

iḏā ḥadaṯa fī ṭarafi d‑duburi awi r-raḥimi waramun tabiʿahū taqṭīru l-bauli wa-iḏā taqayyaḥati l-kulā tabiʿahū taqṭīru lbauli

_______________ 61 ʿAlī b. Rabban Firdaus 258, 18 f.: iḏā kāna l-baulu dasiman sarīʿa l-ḫurūǧi dalla ʿalā anna l-ḥarārata ġālibatun fīhā fa-hiya tuḏību šaḥma l-kulyati.

276

Medizingeschichte

Es ist denkbar, daß ibn as-Suwaidī bei dem wahllosen Zusammenraffen seines Zitatenschatzes sowohl die Übersetzung Ḥunains als auch einen weiteren Aphorismentext ausgeschrieben hat. Dieser zweite Text könnte aus einer Überarbeitung der Ḥunain’schen Version hervorgegangen, er könnte aber auch eine unabhängige Übersetzung gewesen sein. Diese Fragen sind heute noch nicht zu entscheiden; sie zeigen jedoch, wie vielschichtig und kompliziert die Probleme der arabischen Hippokratestradition sind.

II.

52

Die Frage der Bestimmung einer älteren und einer jüngeren Übersetzung stellt sich auch bei dem Werk, das nächst der Materia medica des Dioskurides die arabische drogenkundliche Literatur am nachhaltigsten beeinflußt hat: bei Galens Buch De simplicium medicamentorum temperamentis ac facultatibus. In seiner an ʿAlī ibn Yaḥyā gerichteten Risāla erklärt Ḥunain, daß Ḥubaiš das Buch für Aḥmad ibn Mūsā ins Arabische übersetzt habe62. Es gab aber auch eine ältere Übersetzung von al-Biṭrīq63, die Ḥunain nicht erwähnt, die jedoch von späteren Drogisten gelegentlich zitiert wird64. Bisher sind nun aber weder die arabischen Handschriften des galenischen Werkes noch die zahlreichen Passagen geprüft worden, die die arabischen Ärzte ausgeschrieben haben, und daher weiß man nicht, wie alle diese Texte auf die beiden Übersetzer zu verteilen sind. Eine besonders reiche Nebenüberlieferung bietet ibn al-Baiṭār: Er hat die Bücher 6‒11 praktisch vollständig in sein K. al-Ǧāmiʿ übernommen65, und er hat, so scheint es, beide Übersetzungen gekannt. Wenn er an sechs Stellen66 gewisse Besonderheiten der Übersetzung al-Biṭrīq’s hervorhebt, so meint man zunächst, daß er die vielen hundert weiteren Stellen der Übersetzung des Ḥubaiš entnommen habe. Von Ḥubaiš’s Übersetzung darf man ja annehmen, daß sie, da sie jünger ist, die Version des Biṭrīq abgelöst hat und in späterer Zeit am leichtesten zugänglich war. Aber die Dinge sind viel komplizierter, wie ein Blick in die Taḏkira lehrt. Ibn as-Suwaidī zitiert dort (fol. 84 a 2 f.) folgende Stelle: anāġālis. yulḥimu _______________ 62 Ḥunain Mā turǧima p. 30, 7 (nr. 53). 63 Mit diesem Namen könnte allerdings auch sein Sohn Yaḥyā ibn al-Biṭrīq gemeint sein, vgl. Gerhard Endress, in: Oriens 23‒24, 1970‒71, 499. 64 Medizin im Islam 47 f.; GAS III 109 f. 65 Insgesamt nennt ibn al-Baiṭār das Werk De simpl. med. temp. ac fac. 745 Mal. Einige Stellen zitiert er indirekt nach al-Ġāfiqī, ibn Ǧumaiʿ usw.; gelegentlich nimmt er nur zu Galen Stellung, ohne den Text zu extensieren. 66 b. -Baiṭār Ǧāmiʿ I 53, ‒7; III 41, 13; 74, 24; 143, 7; IV 48, ‒6; 113, 9.

Die Taḏkira des ibn as-Suwaidī

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l‑ǧirāḥa ṭ-ṭarīyata bi-damihā: Ǧālīnūs wa-Urībāsiyus wa-l-Mālaqī. Das stammt aus De simpl. med. VI 1, 39 (Bd. XI 829, 1 ff. Kühn), wo Galen von zwei Arten der ἀναγαλλίς spricht: καὶ καθόλου φάναι ξηραντικὴν ἔχουσι δύναμιν ἄδηκτον, ὅθεν καὶ τραύματα κολλῶσι 67. Bei ibn al-Baiṭār (I 63, 8) lautet der Text anders: wa-bi-l-ǧumlati fa-qūwatuhumā qūwatun tuǧaffifu min ġairi an talḏaʿa wa-liḏālika ṣārā yudmilāni l-ǧirāḥāti. Aber die Version des Ḥubaiš ist doch wohl diejenige, die ibn as-Suwaidī ausgeschrieben hat, denn der charakteristische Ausdruck, die Wunden seien ,,frisch in ihrem Blute“ (ṭarīya bi-damihā), kommt auch in einer anderen Schrift vor, die Ḥubaiš übersetzt hat: οἷον τὴν ἀλόην . . . δύναμιν ἔχειν . . . τραυμάτων ἐναίμων κολλητικὴν . . . ἑλκῶν ἐπουλωτικήν

inna li-ṣ-ṣabiri . . . qūwatan mul- 53 ḥimatan li-l-ǧirāḥāti ṭ-ṭarīyati llatī bidamihā wa-qūwatan ḫātimatan li-lqurūḥi 68.

Demnach haben wir bei ibn al-Baiṭār auch dann mit Zitaten aus der alten Übersetzung des Biṭrīq zu rechnen, wenn diese nicht eigens als solche gekennzeichnet sind, ja es ist sogar möglich, daß er hauptsächlich die alte Version ausgeschrieben hat. Daß Galens Werk in den arabischen Ländern in zwiefacher Gestalt überliefert wurde, soll noch an einem weiteren Beispiel, das ibn al-Ǧazzār in seiner kinderheilkundlichen Schrift anführt, demonstriert werden: De simpl. med. V 21 (Bd. XI 771, 10‒15) συμμέτρου μὲν γὰρ τῷ ζῴῳ θερμότητος τὸ αἷμα μετέχει, πλείονος δὲ ἢ κατὰ τὸ μέτρον ἡ ξανθὴ χολὴ καθάπερ τὸ φλέγμα ψυχρότητος.

b. -Baiṭār Ǧāmiʿ IV 93, 3‒6 wa-qāla fī l-ḫāmisati mina l-Adwiyati l-mufradati: al-labanu lahū ḥarāratun fātiratun anqaṣu mina d-dami biqalīlin li-anna d-dama muʿtadilu l-ḥarārati waṣ-ṣafrāʾa muǧāwizatu lḥarārati ʿani l-iʿtidāli wa-l-balġama muǧāwizu l-iʿtidāli ilā l-burūdati.

b. -Ǧazzār Ṣibyān 78, 9‒ult. wa-qad qāla Ǧālīnūsu: inna ḥarārata mā fī lḥayawāni mina d-dami muʿtadilatun fa-ammā ḥarāratu l-mirrati ṣṣafrāʾi fa-mufriṭatun waammā l-balġamu fabāridun.

_______________ 67 Die Stelle ist wiederaufgenommen bei Orib. ad Eunap. II 1 A 40 (Bd. III 351, 32 Raeder). In den Collectiones medicae des Oreibasios (XV 1, 1, 60 = Bd. II 243, 22 Raeder) fehlt gerade dieser Satz. 68 Galens Traktat ‘Daß die Kräfte der Seele den Mischungen des Körpers folgen’ in arabischer Übersetzung, hsgb. von Hans Hinrich Biesterfeldt (AKM 40,4), Wiesbaden 1973, arab. p. 10, 19 f., dt. p. 21 unten.

278 De simpl. med. V 21 (Bd. XI 771, 10‒15) (Forts.) ἐν τῷ μέσῳ δ’ ἐστὶ φλέγματός τε καὶ αἵματος ὅσον ἐπὶ τῇ θερμότητι τὸ γάλα, οὐ μὴν ἶσόν γε ἀφέστηκεν ἑκατέρου, ἀλλ’ ἔστιν πορρώτερον μὲν τοῦ φλέγματος, ἐγγύτερον δὲ τοῦ αἵματος. 54

Medizingeschichte b. -Baiṭār Ǧāmiʿ IV 93, 3‒6 (Forts.) fa-ammā l-labanu fahuwa fī ḥarāratihī baina l-balġami wa-d-dami bal huwa ilā d-dami aqrabu wa-ʿani l-balġami abʿadu.

b. -Ǧazzār Ṣibyān 78, 9‒ult. (Forts.) fa-ammā l-labanu fabaina l-balġami wabaina d-dami mutawassiṭun wa-laisa buʿduhū min kilaihimā bi-wasaṭin sawāʾin lākinnahū baʿīdun mina l-balġami qarībun mina d-dami.

Diese knappen Hinweise müssen genügen. Sie sollen auf Möglichkeiten aufmerksam machen, das Werk eines der ältesten arabischen Übersetzer zu rekonstruieren. Damit könnte in der so heftig umstrittenen Frage der Datierung der griechisch-arabischen Übersetzungsperiode festerer Boden gewonnen werden69.

III. Von der Magie der Steine war schon oben mehrfach die Rede. Wo immer die Geburt erleichtert, das Fieber gelindert, ein Sieg erfochten, die Liebe gewonnen werden soll, sind die Steine zur Hand. Medizin und Zauber sind in diesen Praktiken unlöslich vereint, und was das islamische Mittelalter hier geglaubt hat, ist aus dem Hellenismus ererbt. Neben Dioskurides, dem Physiologos und den Koiraniden hat der Λιθογνώμων des Xenokrates eine dominierende Rolle bei der Vermittlung dieser Gedanken gespielt. Xenokrates hat im ersten Jhdt. nach Chr. gelebt, sein Buch ist verschollen, aber Plinius und Origenes kannten es noch. Auch die arabischen Übersetzer des 9. Jhdts. hatten es noch in Händen, und wenn die arabische Version auch ebenso verloren ist wie das griechische Original, so sind doch eine Reihe von Exzerpten erhalten geblieben: Der Anonymus Oxoniensis, Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī, Muḥammad ibn Aḥmad at-Tamīmī, ibn al-Mubārak, al-Ġāfiqī und ibn alBaiṭār überliefern unter Xenokrates’ Namen insgesamt 14 Fragmente70. Zwei weitere können wir ibn as-Suwaidīs Taḏkira entnehmen: _______________ 69 Casimir Petraitis, The Arabic Version of Aristotle’s Meteorology (Recherches publiées sous la direction de l’Institut de Lettres Orientales de Beyrouth, Série I, t. 39), Beyrouth 1967, 32‒65; Manfred Ullmann, in: Der Islam 46, 1970, 106‒111; Gerhard Endress, in: Oriens 23‒24, 1970‒71, 497‒509. 70 Vgl. Manfred Ullmann, Das Steinbuch des Xenokrates von Ephesos, unten, p. 387‒404; ders., Neues zum Steinbuch des Xenokrates, unten, p. 405‒425; ders., Art. Xenokrates, unten, p. 426‒429.

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Das XV. steht fol. 227 a 1 f.: ʿain al-hirr. wa-huwa min anwāʿi l-yāqūti man masakahū bi-yadihi l-yusrā wa-qarrabahū min ṣadri l-ġaḍbāni sakkana ġaḍabahū: Kasanūqarāṭīs. ,,Das Katzenauge. Das ist eine der Arten des Hyazinths. Wenn man es in der linken Hand hält und es der Brust eines zornigen Mannes nähert, so besänftigt es dessen Zorn: Xenokrates“. Die Virtus ist ganz im Sinne dessen, was Xenokrates sonst lehrt, aber das „Katzenauge“ ist ein Problem. Die arabischen Nachrichten über die ʿain al-hirr gehen alle auf atTīfāšī (gest. 651/1253) zurück71, und at-Tīfāšī bemerkt, daß dieser Stein erst 55 jüngst aufgetaucht zu sein scheint, denn er habe ihn in den Steinbüchern nicht gefunden. Es wäre nun denkbar, daß das ,,Katzenauge“ doch schon bei Xenokrates vorkam, in einer Quelle also, die at-Tīfāšī meines Wissens nicht gekannt hat. Die ʿain al-hirr könnte eine Lehnübersetzung von αἰλούρου ὀφθαλμός sein, aber ein solcher Ausdruck ist griechisch als Steinname nicht belegt72. Damit ist freilich nichts bewiesen. Der Vergleich liegt nahe, und ein αἰλούρου ὀφθαλμός kann doch irgendwo in der umfangreichen, heute verlorenen griechischen Zauberliteratur vorgekommen sein. Aber auch eine andere Möglichkeit ist denkbar: Ibn as-Suwaidī fand bei Xenokrates einen Steinnamen, der aus dem Griechischen umschrieben war, er fand also ein Buchstabengebilde vor, das er auf seine Weise deutete und mit dem ihm aus at-Tīfāšī’s Buch bekannten „Katzenauge“ zu Recht oder zu Unrecht identifizierte. Die Frage muß zunächst offenbleiben. Ähnlich ist es mit dem XVI. Fragment (fol. 227 a 2): banafš. man taḫattama bihī kāna muẓaffaran manṣūran: Kasanūqarāṭīs. „Wer den banafš in einem Ring trägt, dem wird Erfolg und Sieg verliehen: Xenokrates“. Auch der banafš (oder banfaš) war bisher nur aus at-Tīfāšī73 und den von ihm abhängigen Quellen bekannt74. Die Deutungen Granat, Amethyst, Hyazinth oder Zirkon _______________ 71 Vgl. Alfred Siggel, Katalog der arabischen alchemistischen Handschriften Deutschlands. Handschriften der ehemals herzoglichen Bibliothek zu Gotha, Berlin 1950, p. 97. Von atTīfāšī abhängig Dimašqī Nuḫba 65, ‒3 bis 66, 4, Qalq. Ṣubḥ II 100, ‒3, Ġuzūlī Maṭāliʿ (s. Naturwissenschaften im Islam 134), al-Akfānī (s. Eilhard Wiedemann, Übersetzung des Werkes von Ibn al Akfānī über Mineralogie [= Beiträge 30], in: SPMSE 44, 1912, 216 = Wiedemann Aufsätze I 840). Vgl. auch Dozy Suppl. II 198 a. 72 Thesaurus Graecae Linguae, ab Henrico Stephano constructus, edd. Carolus Benedictus Hase, Lud. de Sinner, Theobaldus Fix, Vol. I, Parisiis 1831, 969; Passow’s Wörterbuch der griechischen Sprache, neu bearbeitet von Wilhelm Crönert, Göttingen 1912, p. 151; Liddell-Scott 38; 1278. Als Pflanzenname kommt der Ausdruck αἰλούρου ὀφθαλμός (Synonym zu ἀναγαλλὶς ἡ κυανῆ) jedoch in der späteren Überarbeitung der Materia medica des Dioskurides (II 178, Bd. I 247, 13 Wellmann) sowie bei Plinius Nat. hist. XXV 145 (a nostris felis oculus vocatur) vor. 73 Vgl. A. Siggel, a.a.O. 74 Vgl. unten p. 281.

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Medizingeschichte

sind bloße Verlegenheitslösungen75. Auch hier muß man sich vorerst mit einem non liquet bescheiden.

IV.

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Der Geist, der im Lithognomon des Xenokrates weht, bestimmt auch die Lehren einer anderen Autorität. Ihr Name ist ‫ﺃﻏﺴﻄﺲ‬. Das ist offensichtlich griechisch, aber kaum mit bekannten Namen wie Ἄγητος oder Ἀγάστροφος oder Ἐγεσταῖος oder Αὔγουστος zu identifizieren. Vielleicht liegt hier nur das als Nomen proprium verwendete Adjektiv ἀγαστός ,,bewunderungswürdig“, ,,lobenswert“ vor. Dann hätten wir schwerlich den historischen Verfasser eines Buches vor uns, sondern eher eine fiktive Autorität, der man ein Buch zuschrieb. Die Pseudepigrapha sind ja in diesem Bereich fast die Regel, und gerade in hermetischen Texten begegnen wir immer wieder Namen ähnlichen Zuschnittes, so auch im K. Ḫawāṣṣ al-aḥǧār wa-nuqūšihā, das ich in meinem Buch ,,Naturwissenschaften im Islam“ p. 418 nach der Berliner Handschrift 6216 (= Wetzstein II 1208) vorgestellt habe. Eine andere Rezension derselben Schrift ist im Bodleianus d. 221, fol. 13 a‒31 a, erhalten76, und dort begegnen wir diesem Agastos, wie wir ihn provisorisch nennen wollen, an zwei Stellen: I. Fol. 13a 12 f. (s.v. durr): wa-qāla ʾġsṭs: innahū yaḥfaẓu mina t-tawābiʿi wali-ḏālika yuʿallaqu ʿalā l-aṭfāli wa-n-nisāʾi. ,,Agastos sagt: Die Perle bietet Schutz gegen die [weiblichen] Dämonen. Deshalb hängt man sie den Frauen und Kindern um“. II. Fol. 17 b 6 ff. (s.v. ʿaqīq): wa-zaʿama ʾġsṭs annahū man naqaša ʿalaihi ṣūrata fīniqs bi-ṭāliʿi l-ḥūti aʿānahū ḏālika ʿalā ṣaidi s-samaki wa-lam yanǧalib ʿanhu minhu šaiʾun iḏā kāna ṣaiduhū bi-hāḏā ṭ-ṭāliʿi aiḍan. „Agastos behauptet: Wer unter dem Aszendenten der Fische in einen Karneol das Bild des Phönix schneidet, dem hilft dies beim Fischfang, und nicht der geringste Fisch kann sich ihm entziehen, wenn der Fang gleichfalls unter diesem Aszendenten stattfindet“. Diese beiden Nachrichten über Agastos werden nun durch ibn as-Suwaidī aufs trefflichste ergänzt. Er liefert uns sieben weitere Fragmente: III. Taḏkira fol. 106 a paen. f.: zumurrud. in suḥiqa wa-šuriba bi-māʾin nafaʿa mina l-ǧuḏāmi: ʾġsṭs wa-bnu Wāfid. ,,Smaragd. Wenn er zerrieben und mit Wasser eingenommen wird, hilft er gegen die Elephantiasis: Agastos und ibn _______________ 75 Eilhard Wiedemann, Beiträge 30, in: SPMSE 44, 1912, 217 = Wiedemann Aufsätze I 841 (vgl. auch p. 833, 837, 849); Siggel WB 78 a. 76 Vgl. dazu unten, p. 405‒408.

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Wāfid“. Die Vorschrift stimmt inhaltlich mit Xenokrates Fragm. VII 1 überein, s. unten, p. 400. IV. Taḏkira fol. 211 a 17 ff.: ḥaǧar ġāġāṭīs. wa-huwa l-ḥaǧaru l-aswadu lmaǧlūbu min ʿAḏrāʾa wa-hiya min qurā Dimašqa l-maḥrūsati iḏā buḫḫira bihī 57 ṭarada l-hawāmma: ibn Samaǧūn wa-ʿAbd al-Laṭīf wa-Diyusqūrīdas wa-lMālaqī wa-r-Rāzī wa-t-Tiflīsī wa-l-Ḫawāṣṣ wa-ʾġsṭs. „Der Gagatstein. [Das ist der schwarze Stein, den man aus ʿAḏrāʾ, einem Dorfe bei Damaskus, holt]77. Räuchert man damit, so vertreibt er das Ungeziefer: ibn Samaǧūn und ʿAbd alLaṭīf und Dioskurides und al-Mālaqī und ar-Rāzī und at-Tiflīsī und das Sympathiebuch und Agastos“. Vgl. Diosc. Mat. med. V 128 (Bd. III 96, 5): διώκει δὲ καὶ ἑρπετὰ θυμιαθείς. Stimmt überein mit Xenokrates-Fragm. X 5, s. unten, p. 414 f. V. Taḏkira fol. 227 a 3 f.: ḥaǧar ġāġāṭīs. wa-huwa l-ḥaǧaru l-aswadu lmustaʿmalu fī r-ruḫāmi (?) bi-Dimašqa l-maḥrūsati man ḥamala minhu qiṭʿatan ḏahaba ʿanhu s-siḥru: ʾġsṭs. ,,Der Gagatstein [Das ist der schwarze Stein, der in Damaskus angewendet wird]78. Wer ein Stück davon trägt, von dem weicht der Zauber: Agastos“. Auf welche Weise man mit dem Gagat einen Zauber lösen kann, ist bei Xenokrates, Fragment X 10, ausführlich beschrieben, s. unten, p. 414 f. VI. Taḏkira fol. 227 a 6: yaṣb. man labisahū au ḥamalahū auqaʿahū fī l-ʿišqi: ʾġsṭs. ,,Jaspis. Wer ihn [als Ringstein] oder sonstwie trägt, den stürzt er in die Liebe: Agastos“. Bei Xenokrates Fragm. XII 4 (unten, p. 417 f.) heißt es, daß der Jaspis ,,bei dem, der ihn trägt, die Lust zum Beischlaf und die Bewegungen der Liebe erregt“. VII. Taḏkira fol. 232 b 13 f.: sandarūs. man ḥamala minhu qiṭʿatan kāna maḥbūban ilā n-nāsi wa-ilā ahlihī: ʾġsṭs wa-l-Ḫawāṣṣ. ,,Realgar (σανδαράχη). Wer ein Stück davon trägt, ist bei den Leuten und bei seiner Familie beliebt: Agastos und das Sympathiebuch“. Im K. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā, Ms. Bodl. d. 221, fol. 22 a paen. f., heißt es vom sandarūs: wa-ḫāṣṣīyatuhū fī-mā ḏakara kaṯīrun mina l-falāsifati anna lābisahū yakūnu maḥbūban maʿšūqan muwaqqaran fī ahlihī wa-millatihī wa-ġairihim. VIII. Taḏkira fol. 232 b 14 f.: ḥaǧar banafš. iḏā labisathu mraʾatun aksabahā ḥusnan fī aʿyuni r-riǧāli: ʾġsṭs wa-l-Ḫawāṣṣ. ,,Der Banafš-Stein. Wenn eine Frau ihn [als Ringstein] trägt, verschafft er ihr in den Augen der Männer Schönheit: Agastos und das Sympathiebuch“. IX. Taḏkira fol. 79 a 3 f.: ḏahab ḫāliṣ. yuġsalu l-akilatu bi-naṭrūnin marrātin wa-yuḏarru ʿalaihā suḥālatu ḏ-ḏahabi fa-yanfaʿu minhā: ʾġsṭs wa-r-Rāzī. ,,Reines _______________ 77 Offenbar Zusatz von ibn as-Suwaidī. Vgl. Yāqūt Buldān III 625, 12 / IV 91 b 3 ff. 78 Wiederum Zusatz von ibn as-Suwaidī.

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Gold. Man wäscht die Gangräne mehrere Male mit Natron und streut auf sie die Feilspäne des Goldes; dann hilft es dagegen: Agastos und ar-Rāzī“. Die Schrift, die unter dem Namen des Agastos ging, bekommt also schon Konturen. Es war ein Steinbuch, das die Verwandtschaft mit dem Lithognomon des Xenokrates nicht verleugnen kann, und es scheint, daß mit ihm ein weiteres Stück jener ausufernden hellenistischen „hermetischen“ Zauberliteratur zurückgewonnen ist.

V. In dem Agastos-Fragment nr. II hatte die Zauberhandlung auch eine astrologische Komponente. Solche astrologischen Motivationen sind im Steinbuch des ʿUṭārid ibn Muḥammad al-Ḥāsib die Regel. Der Autor lebte im 3./9. Jhdt., sein Werk ist ein Exponent des Zaubers, der mit Gemmen bewirkt wird, die unter siderischen Aspekten geschnitten werden sollen79. Wenn die dringend erwünschte Edition dieses auch für die Ikonographie der Planetengötter wichtigen Buches gemacht wird, so kann auch unsere Taḏkira gute Dienste leisten. Dafür nur ein Beispiel: Fol. 240 a 10 ff.: ḥaǧar al-mās. man ʿallaqahū ʿalaihi sakkana ʿanhu l-maġaṣa wa-qawwā maʿidatahū wa-nafaʿa min fasādihā: ʿUṭārid ibn Muḥammad. ḥaǧar az-zumurrud. man ʿallaqahū ʿalaihi wa-l-qamaru fī burǧi l-mīzāni lam yara ḥāmiluhū manāman mufziʿan wa-lā yaḥlum bi-ḥulmi sauʾin: ʿUṭārid ibn Muḥammad, ilḫ.

VI. Ibn an-Nadīm, ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī und der Anonymus Berolinensis 6197 zitieren einen ,,Naturphilosophen“ namens ‫ﻧﻴﻄﻮﺍﻟﻴﺲ‬, der über die okkulten Wirkungen der Steine und tierischen Substanzen Bescheid wußte. Der Name, zweifellos griechisch, ist bisher unerklärt geblieben80, aber die Variante ‫ﺳﻄﻮﺍﻟﻴﺲ‬ der Handschrift C des Fihrist81 verdient besondere Beachtung, denn genauso ist der Name in der Tübinger Handschrift der Taḏkira geschrieben, meist sogar sorgfältig mit Muhmal-Zeichen auf dem Sīn. Ich verzichte auf einen weiteren Deutungsversuch, teile aber die neuen Fragmente mit, damit man sich ein genaueres Bild von der Schriftstellerei dieses Autors machen kann: _______________ 79 Vgl. Naturwissenschaften im Islam 422‒424, dazu 121 f., 124, 140, 316, 407; GAS V 254. 80 Zu den Identifizierungsversuchen vgl. Naturwissenschaften im Islam 16 f. 81 Ed. Flügel, Bd. II p. 118.

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I. Taḏkira fol. 140 a 15 f.: ṭāwūs. ʿiẓāmuhā muḥraqatan maʿǧūnatan bi-ḫallin 59 tubriʾu l-kalafa wa-n-namaša ḍimādan: aš-Šarīf wa-Sṭwʾlys wa-l-Madāʾinī. „Pfau. Seine Knochen, verbrannt und mit Essig verknetet, heilen die braunen Flecken und Sommersprossen, als Umschlag: Der Šarīf und Sṭwʾlys und alMadāʾinī“. II. Taḏkira fol. 185 a 17 f.: qarn al-ḥayya al-muqarrana. iḏā ʿulliqa ʿalā ṣāḥibi ḥummā r-ribʿi bariʾa: Sṭwʾlys wa-l-Madāʾinī. „Das Horn der gehörnten Schlange. Hängt man es einem an Quartanfieber Leidenden um, so wird er gesund: Sṭwʾlys und al-Madāʾinī“. Al-ḥayya al-muqarrana ist Lehnübersetzung von ὁ κεράστης, die Hornviper (Cerastes cornutus Forsk.), s. Gossen-Steier, RE 2 A 1 (1921), Sp. 544—546 und Medizin im Islam 336. Bei ʿAlī b. Rabban Firdaus 441, 11 f. heißt es ganz ähnlich: wa-iḏā ʿulliqa qarnu l-ḥayyati ʿalā man bihī ḥummā l-ġibbi qalaʿahā bi-iḏni llāhi. III. Taḏkira fol. 214 a, ‒3: ġazāl qarnuhū. iḏā buḫḫira bihi l-manzilu ṭurida lhawāmmu: Sṭwʾlys wa-l-Madāʾinī. „Das Horn der Gazelle. Räuchert man damit das Haus, so wird das Ungeziefer vertrieben: Sṭwʾlys und al-Madāʾinī“. Vgl. Diosc. Mat. med. II 59 (Bd. I 139, 12): ἐλάφου κέρας . . . ὠμὸν δὲ θυμιαθὲν ἑρπετὰ διώκει. IV. Taḏkira fol. 212 b, ‒4 f.: ḥāfir baġl. in buḫḫira l-manzilu bi-ḥāfiri baġlin ṭurida minhu l-faʾru: Sṭwʾlys wa-l-Madāʾinī wa-Mahrārīs. „Der Huf eines Maultiers. Wenn ein Haus mit dem Hufe eines Maultiers geräuchert wird, werden die Mäuse aus ihm vertrieben: Sṭwʾlys und al-Madāʾinī und Mahrārīs82“. V. Taḏkira fol. 212 b ult.: kammūn. iḏā buḫḫira l-manzilu bi-kammūnin lam yabqa fīhi baqquhū: Sṭwʾlys. „Kümmel. Wenn das Haus mit Kümmel geräuchert wird, bleiben die Wanzen nicht drin: Sṭwʾlys“. VI. Taḏkira fol. 212 a 13 f.: kundus. iḏā buḫḫira bihi l-manzilu haraba ḏḏubābu: Sṭwʾlys wa-l-Madāʾinī. „Niesgarbe83. Wenn damit das Haus geräuchert wird, fliehen die Fliegen: Sṭwʾlys wa-l-Madāʾinī“. Solche und ähnliche Anweisungen zur Vertreibung des Ungeziefers (ṭard al-hawāmm) finden sich in der arabischen Literatur nicht selten, man vgl.: ʿAlī b. Rabban Firdaus 524, 20 ff.; b. Qut. ʿUyūn II 100, 1‒10; Ǧābir b. Ḥayyān, K. al-Ḫamsīn (s. Kraus Jābir II 66 Anm. 7; 67 Anm. 9), wiederaufgenommen bei Ps. Maǧrīṭī Ġāya 399, 1‒5 (Übs. Ritter-Plessner p. 405); Rāzī Ḥāwī 19, 320, 5‒333 ult.; b. Sīnā Qānūn II 134, 38 ff.; María Concepción Vázquez de Benito, 60 El manuscrito Νο XXX de la Colecciόn Gayangos (fols. 1‒98), Madrid-Barcelona _______________ 82 Zu Mahrārīs s. Naturwissenschaften im Islam 177 f. und 406. 83 Achillea ptarmica L., oder auch Seifenkraut (Saponaria officinalis L.) oder verschiedene Gypsophila-Arten, s. WKAS I 379 a 27 ff.

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1974, arab. p. 58, 14 ff.; 64, ‒8 ff. Es könnte sein, daß mit der Schrift des Sṭwʾlys jetzt eine der Quellen für diese Lehren greifbar wird.

VII.

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Mehrfach ist in der Taḏkira ‫ ﺍﻛﺴﻴﻨﻮﺱ‬zitiert. Auch das muß ein griechischer Name sein, wie die Endung und das ξ erkennen lassen. Man könnte an Ἄξεινος oder Ξένος denken, vielleicht auch an Ἀλεξῖνος84; dabei könnte, wie bei Ἀλέξανδρος, die erste Silbe des griechischen Namens als arabischer Artikel aufgefaßt und dann elidiert worden sein (hier aber, im Gegensatz zu alIskandar, ohne Metathese). Der Name ‫ ﺍﻛﺴﻴﻨﻮﺱ‬kommt auch im K. Iʿtilāl alqulūb des 327/938 gestorbenen abū Bakr Muḥammad ibn Ǧaʿfar al-Ḫarāʾiṭī85 vor. Al-Ḫarāʾiṭī berichtet, daß der ,,Hermes der Hermesse“ die Tochter des Königs ʾksynws liebte und dabei den Verstand verloren habe86. Da dieser König in hermetischem Zusammenhang auftritt und da das, was unser Alexinos — so sei er provisorisch genannt — lehrt, in die Bezirke der hellenistischen Magie gehört, ist es möglich, daß dieselbe Person gemeint ist. Im Anonymus Berolinensis 6197 ist ,,das große Tierbuch“ (K. al-Ḥayawān al-kabīr) des Alexinos (hier und bei ibn al-ʿAwwām ist der Name ohne Alif, also ‫ﻛﺴﻴﻨﻮﺱ‬, geschrieben) zitiert. Alexinos berichtet dort von der zwischen dem Dornensperling (αἴγιθος, arab. naqašān, ʿuṣfūr aš-šauk) und dem Esel herrschenden Feindschaft. Die Geschichte ist aus Aristoteles, Hist. anim. 609 a 31 ff., bekannt: αἰγίθῳ δὲ καὶ ὄνῳ πόλεμος διὰ τὸ παριόντα τὸν ὄνον κνήθεσθαι εἰς τὰς ἀκάνθας τὰ ἕλκη· διά τε οὖν τοῦτο, κἂν ὀγκήσηται, ἐκβάλλει τὰ ᾠὰ καὶ τοὺς νεοττούς· φοβούμενοι γὰρ ἐκπίπτουσιν· ὁ δὲ διὰ τὴν βλάβην ταύτην κολάπτει ἐπιπετόμενος τὰ ἕλκη αὐτοῦ. Während aber Aristoteles diesen ,,Krieg“ rational erklärt87, ist bei Alexinos eine übernatürliche ,,Antipathie“ am Werk: Schon das Brähen des Esels allein läßt die Eier des Vogels verderben88. Fragen der Antipathie hat Alexinos auch in seinem Landwirtschaftsbuch erörtert, dessen arabische Version abū ʿUmar ibn Ḥaǧǧāǧ oft benutzt _______________ 84 85 86 87

Vgl. Alexinos aus Elis, Philosoph der megarischen Schule, 4. Jhdt. vor Chr. GAL S I 250. Muġulṭāʾī Wāḍiḥ 44, 4‒9. So auch ibn Sīnā im K. aš-Šifāʾ, s. Auicenne perhypatetici philosophi . . . opera . . . De animalibus . . . Venetiis 1508, Liber VIII, cap. III (fol. 38 a): et passeres pugnant cum asino, quia asini comedunt spinas in quibus nidificant illi passeres, et quia asinus confricat ad illas spinas, et cadunt eius ova et pulli eius. et quando asinus rudit spine moventur, et cadunt ova, et propter ista passer sibilat super faciem asini cum videt ipsum. et cum asinus habet vulnus venit ille passer et pungit pica sua asinum in vulnere ut recedat a loco sui nidi. Ebenso Damīrī Ḥayāt II 140, 22 ff. 88 Vgl. Naturwissenschaften im Islam 17.

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hat89. Dort heißt es zum Beispiel: lā šaiʾa aḍarru ʿalā l-karmi wa-lā akṯaru lahū ʿadāwatan mina l-kurunbi90. „Es gibt nichts, was dem Weinstock mehr schaden könnte und was in einer größeren Antipathie gegen ihn stünde als der Kohl“, eine berühmte Virtus, auf die schon in den pseudoaristotelischen Problemata physica (III 17) angespielt ist und die möglicherweise einen ägyptischen Ursprung hat91. Neben rein landwirtschaftlichen Sachfragen wie Bodenbeschaffenheit usw. interessiert sich Alexinos für das Wunderbare, τὸ θαυμαστόν, τὸ παράδοξον: qāla Kasīnūs fī kitābihi l-muʾallafi fī l-filāḥati: inna Qrwrʾnṭws raʾā karmatan urkiba fīhā zaitūnun fī baʿḍi l-bilādi fa-akala min ṯamarihā fa-waǧada fīhā maṭʿama z-zaitūni wa-maṭʿama l-ʿinabi92. ,,Alexinos sagt in seinem über die Landwirtschaft handelnden Buche: Qrwrʾnṭws sah einmal in einer Ortschaft einen Weinstock, dem eine Olive aufgepfropft war. Als er von seiner Frucht aß, fand er in ihr den Geschmack der Olive und den der Weinbeere vereint“. Der Landwirtschaft könnte auch das Folgende angehören: Taḏkira fol. 218 b 4 f.: ṭarfāʾ. ramāduhā iḏā ḫuliṭa fī l-ḥinṭati baqiyat sinīnan (sic) kaṯīratan lam tusawwis: Iksīnūs wa-l-Madāʾinī. ,,Tamariske. Wenn man ihre Asche unter den Weizen mischt, hält er sich viele Jahre, ohne von Würmern zerfressen zu werden: Alexinos und al-Madāʾinī93“. Taḏkira fol. 138 a 5‒7: wa-ʿuṣārat as-silq. iḏā ǧuffifat wa-suḥiqat wa-ǧuʿilat baʿda ḏālika ʿalā l-waǧhi kabūsan94 nafaʿat mina l-kalafi wa-n-namaši wa-ka- 62 ḏālika in ṭuliya l-waǧhu bi-ʿuṣāratin ṭarīyatin: Iksīnūs wa-l-Madāʾinī. „Der ausgepreßte Saft der Mangoldrübe. Wenn man ihn eintrocknen läßt, zerreibt und danach als Druckverband auf das Gesicht aufträgt, nützt er gegen die braunen Flecken und die Sommersprossen. Genauso ist es, wenn das Gesicht mit frischem Saft eingerieben wird: Alexinos und al-Madāʾinī“. Dazu gibt es eine Parallele in der „byzantinischen Landwirtschaft“ des Kassianos, bei b. ‑Baiṭār Ǧāmiʿ III 26, ‒6: wa-in ṭuliya ʿaṣīruhū ʿalā l-kalafi aḏhabahū. Es ist also nicht ausgeschlossen, daß diese kosmetischen Dinge ihren Platz in dem Landwirtschaftsbuch hatten, aber vielleicht ist für dieses und die folgenden Fragmente auch eine medizinische Schrift vorauszusetzen: _______________ 89 Vgl. die Zitate in der Filāḥa des ibn al-ʿAwwām, zusammengestellt: Naturwissenschaften im Islam p. 436 f. 90 b. -ʿAwwām Filāḥa I 555, 3. 91 Aristoteles. Problemata physica, übersetzt von Hellmut Flashar (Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 19), Darmstadt 1962, p. 446. Weitere Nachweise: Naturwissenschaften im Islam 399. 92 b. -ʿAwwām Filāḥa I 419, 2 ff. 93 Die Asche des Holzes der μυρίκη erwähnt auch Diosc. Mat. med. I 87 (Bd. I 82, 18). 94 Vgl. WKAS I 540 b 33 ff.

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Taḏkira fol. 176 b 12 f.: duhn al-ās. yanfaʿu mina l-ḥazāzi wa-l-ibriyati: Iksīnūs wa-l-Madāʾinī. „Myrtenöl. Nützt gegen den bösen Grind und die Kopfkleie: Alexinos und al-Madāʾinī“. Vgl. Diosc. Mat. med. I 39 (Bd. I 40, 12): μυρσίνινον ποιεῖ πρὸς ἀχῶρας, πίτυρα κτλ. Taḏkira fol. 176 b 13: ḫardal wa-ʿasal. yubriʾu l-ḥazāza wa-l-ibriyata ḍimādan: Iksīnūs wa-l-Madāʾinī. ,,Senf und Honig. Heilt den bösen Grind und die Kopfkleie, als Umschlag: Alexinos und al-Madāʾinī“. Taḏkira fol. 99 b 11 f.: ḫardal. yudaqqu wa-yuʿǧanu bi-šarābin ʿatīqin wayuḍammadu bihimā d-damāmīlu wa-l-ḫurāǧātu fa-yunḍiǧuhā sarīʿan: Iksīnūs wal-Madāʾinī. ,,Senf. Wird zerstoßen und mit altem Wein verknetet. Damit wird ein Umschlag um die Geschwüre und Abszesse gemacht; so läßt er sie schnell reifen: Alexinos und al-Madāʾinī“.

VIII.

63

“You should rub your head with strong spirits of sugar, Caesar. That will make it grow”, sagt Kleopatra. So ist es historisch nicht verbürgt, aber Bernard Shaw95 hat die alte pseudepigraphische Literatur auf seiner Seite: Die Κοσμητικά der Kleopatra96 enthielten unter anderem Mittel zur Förderung des Haarwuchses. Doch nicht immer und überall sind Haare erwünscht, und auch daran hat die Königin gedacht, wie wir aus der Taḏkira fol. 182 a 5‒7 erfahren: Zirnīḫ aḥmar97. yusḥaqu ka-l-ġubāri wa-yuʿǧanu bi-ʿuṣārati waraqi l-banǧi laḫḍari wa-luṭiḫa bihi l-makānu llaḏī nutifa minhu š-šaʿaru fa-innahū lā yuʿāwidu nabātahū: Qalāwubaṭra wa-t-Tamīmī wa-bnu l-Ǧazzār wa-l-Madāʾinī. ,,Rotes Arsen (Realgar). Wird staubfein zerrieben und mit dem ausgepreßten Saft der grünen Blätter des Bilsenkrautes verknetet. Damit wird die Stelle eingeschmiert, an der man die Haare ausgezupft hat; so werden dort keine Haare wieder wachsen: Kleopatra und at-Tamīmī und ibn al-Ǧazzār und alMadāʾinī“. Die antike Kosmetik umfaßt auch das weite Feld der Hautkrankheiten98, und natürlich ist dabei der Sommersprossen und Pigmentfehler gedacht, wie wir schon bei den Alexinosfragmenten gesehen haben: _______________ 95 Three Plays for Puritans . . . Caesar and Cleopatra (Works, Vol. 17), London 1952, p. 134, dazu die Bemerkungen von Gilbert Murray, p. 194. 96 Zu den griechischen und arabischen Fragmenten dieses Buches s. Manfred Ullmann, Kleopatra in einer arabischen alchemistischen Disputation, unten, p. 318 f. Weiteres im K. aṣ-Ṣaidana des Bīrūnī, s. die persische Version, edd. Manūčihr Sotūdeh u. Īraǧ Afšār (High Council of Culture and Arts 12), 1352/1974, p. 86, 11 f. 97 Wohl für ἀρσενικὸν χρυσίζον, vgl. Kriton, bei Galen XII 453, 14 Kühn. 98 Vgl. Galen, De compos. medic. sec. locos I 2 (Bd. XII 434, 3 ff. Kühn).

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Taḏkira 140 b 5‒7: martak wa-qalb maḥlab wa-zaʿfarān wa-qusṭ murr. yuʿǧanu bi-labani ḥimāratin wa-yuṭlā bihi l-kalafu wa-n-namašu fa-yubriʾuhū: Qīlāwubaṭra. ,,Bleiglätte und das Herz von Weichselkirschen und Safran und bittere Kostwurz. Wird mit der Milch einer Eselin verknetet; damit werden die braunen Flecken und die Sommersprossen eingerieben; so heilt es sie: Kleopatra“. Taḏkira fol. 140 b 11 f.: ṣamġ ʿarabī. yuḥallu bi-ḫallin wa-yuṭlā bihi l-kalafu wa-n-namašu fa-yubriʾuhū: Qīlāwubaṭra. ,,Gummi arabicum. Wird in Essig aufgelöst. Damit werden die braunen Flecken und die Sommersprossen eingerieben; so heilt es sie: Kleopatra“. Die Kosmetik dient der Liebe. Daher kennt Kleopatra auch die Geheimnisse des Geschlechtsverkehrs99, und bei den unerwünschten Folgen weiß sie ebenfalls Rat (fol. 6 b 4 f.): ǧāwašīr. iḏā ʿumila minhu fatīlatun waḥumilat fī l-farǧi aḫraǧati l-ǧanīna: ibn al-Ǧazzār wa-t-Tamīmī wa-Qīlāwubaṭra wa-l-Madāʾinī wa-bnu Buṭlān wa-bnu Wāfid. „Opoponax. Wenn man daraus ein Zäpfchen macht und dies in der Scheide trägt, treibt es den Foetus heraus: ibn al-Ǧazzār und at-Tamīmī und Kleopatra und al-Madāʾinī und ibn Buṭlān und ibn Wāfid“. Diese Lehre hat eine griechische Parallele, vgl. Diosc. Mat. med. III 48, 5 (Bd. II 63, 11 f.): ἡ ῥίζα δὲ ξυσθεῖσα καὶ προστεθεῖσα μήτρᾳ ἄγει ἔμβρυα. Daran läßt sich ablesen, wie diese Pseudepigrapha gewachsen und gewuchert sind. Eine Sammlung der Kleopatra-Fragmente könnte als Lehrstück dienen, 64 und es wäre nicht ohne Reiz, zu verfolgen, wie der Name der geheimnisvollen Königin bis ins späte islamische Mittelalter hinein die Menschen fasziniert hat. *

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Der Schlag, den die Aufklärung dem magischen Denken versetzt hat, war vernichtend. Es ist, als schäme sich die gebildete Menschheit noch heute ihrer einstigen Irrationalität, als verdränge sie diesen Teil ihrer Vergangenheit aus ihrem Bewußtsein. Denn wie anders ließe sich erklären, daß unsere Gelehrten die Geschichte der Magie und des Zauberwesens vernachlässigen, daß sie dagegen mit Eifer die philosophischen und theologischen Systeme der Antike und des Mittelalters erforschen, die doch ebenso abgetan sind wie der Glaube an die okkulten Kräfte der Natur. Allerdings ist der theoretische Unterbau bei den Steinen und Haarwuchsmitteln verhältnismäßig flach. Daher erscheinen uns die Lehren des Xenokrates, des Agastos, der Kleopatra als naiv. Aber es _______________ 99 S. unten, p. 320 f.

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Medizingeschichte

besteht kein Grund, sie zu belächeln. Viele der besten Köpfe des Mittelalters nahmen sie ernst. Sie standen zur Magie nicht anders als zu jeder anderen Wissenschaft100, und die Wirkung dieser Lehren auf die breite Masse war enorm. Will man also ein adäquates Bild vom Denken, vom Glauben, von der Bewußtseinslage der Menschen, von den ihre Handlungen bestimmenden Antrieben gewinnen, so kann man die Magie nicht ignorieren. Ihre Aktualität für den Historiker ist evident. Das islamische Zauberwesen schimmert in tausend Facetten, und fast überall lassen sich hellenistische und spätantike Ursprünge erkennen. Man kann das verifizieren, da nicht weniges in griechischen Quellen, bei Dioskurides, bei Timotheos von Gaza, in den Geoponica, im Physiologos, in den Koiraniden, bewahrt ist. Aber das Erhaltene ist nur die Spitze eines Eisberges. Hier, wie bei vielen Werken Galens, haben die arabischen Übersetzer gerettet, was im griechischen Gewande später untergegangen ist. Wir haben im vorausgehenden versucht, Wege zu weisen, wie einige dieser Schriften rekonstruiert werden können. Diese Forschungen sind auch für den Gräzisten aktuell. Die Magie greift in das Leben des Menschen ein; mit ihr können Gesundheit und Krankheit beeinflußt werden. Viele Ärzte wußten das, andere leugneten es, die Haltung der meisten war ambivalent. Das merkwürdige HellDunkel, jenes unvermittelte Nebeneinander von denkendem Verstand und Wunderglauben, ist ein Charakteristikum vieler arabischer Medizinbücher. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür bildet die Taḏkira, in der ibn asSuwaidī in der stumpfsinnigsten Weise höchst wertvolle Stoffe zusammengetragen hat. Wenn Ḥāǧǧī Ḫalīfa101 von diesem Buche sagt: lā yastaġnī ṭālibu ʿilmi ṭ-ṭibbi ʿan muṭālaʿatihī „für den Medizinstudenten ist es unerläßlich, es durchzuarbeiten“, so meinen wir, daß das Buch diesen Anspruch schwerlich mit Recht erheben konnte, solange sein Inhalt aktuelle Medizin war. Für den heutigen Medizinhistoriker jedoch gilt Ḥāǧǧī Ḫalīfa’s Urteil in vollem Maße.

_______________ 100 Norbert Henrichs, Scientia magica, in: Der Wissenschaftsbegriff. Historische und systematische Untersuchungen, hsgb. von Alwin Diemer (Studien zur Wissenschaftstheorie Bd. 4), Meisenheim am Glan 1970, p. 30‒46; Martin Plessner, in: Der Islam 51, 1974, 176 f. 101 II p. 260, nr. 2810.

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Nachträge Zu S. 270‒273, nr. I : Der Kommentar des Palladios zu den Aphorismen des Hippokrates ist wahrscheinlich von al-Biṭrīq, dem Vater des Yaḥyā ibn alBiṭrīq, ins Arabische übersetzt worden. Vgl. Hinrich Biesterfeldt, Palladius on the Hippocratic Aphorisms, in : The Libraries of the Neoplatonists, ed. Cristina D’Ancona, Leiden-Boston 2007, 385‒397. Zu S. 276‒278, nr. II : Zu der alten, von al-Biṭrīq übersetzten Version der Schrift De simpl. med. temp. ac fac. vgl. M. Ullmann, Wörterbuch zu den griechisch-arabischen Übersetzungen des 9. Jahrhunderts, Wiesbaden 2002, pp. 15‒48; Supplement Band I, ib. 2006, pp. 15‒21; Supplement Band II, ib. 2007, p. 17 f. Dort ist auch nachgewiesen, daß die jüngere Version nicht von Ḥubaiš ibn al-Ḥasan, sondern von Ḥunain ibn Isḥāq angefertigt worden ist. Zu S. 279 f. und 281 (nr. VIII) : Zum banafš vgl. Fabian Käs, Die Mineralien in der arabischen Pharmakognosie, Teil 1, Wiesbaden 2010, p. 324 f. Zu S. 279 Anm. 71 : In dem Druck des K. Azhār al-afkār von at-Tīfāšī, edd. Muḥammad Yūsuf Ḥasan und Maḥmūd Basyūnī Ḫafāǧī, Kairo 1977, steht der Abschnitt über die ʿain al-hirr auf pp. 112‒116. Der banafš (Anm. 73) steht dort p. 98 f. Zu S. 284 Anm. 87 : Arabischer Text : Ibn Sīnā, K. aš-Šifāʾ ‒ aṭ-Ṭabīʿīyāt ‒ alḤayawān, ed. Ibrāhīm Madkūr, Kairo 1390/1970, p. 113, 3‒6. Zu S. 286 Anm. 96 : Vgl. Abū’l-Rayhān al-Bīrūnī, Kitāb al-Saydana fi’l-Tibb, ed. ʿAbbās Zaryāb, Tehran 1991, pp. 151, 1; 190, 14 f.; 247, 7 ff.; 250, ‒4; 270 ult. ff.; 271, 12 f.; 332, 6 ff.; 401, 9 f.; 454, 5 ff.; 463, 14 ff.; 538, 14. Zu weiteren der Kleopatra zugeschriebenen Lehren vgl. Die Risāla fī l-Ḫawāṣṣ des Ibn al-Ǧazzār, hsgb. von Fabian Käs (AKM 79), Wiesbaden 2012, Index p. 119 f.

II. Alchemie und Magie

Al-Kīmiyāʾ Al-kīmiyāʾ, alchemy. The word is derived from Syriac kīmīyā which in its turn goes back to Greek χυμεία/χημεία “the art of casting or alloying metals” (see Liddell-Scott, Greek-English Lexicon, 2013). The Arabs believed that al-kīmiyāʾ was a loanword from Persian (Ibn Durayd, al-Ǧawālīqī), from Hebrew (alAkfānī) or from Greek and had the meaning of “artifice and acuteness” (al-ḥīla wa-l-ḥiḏq, according to al-Ḫafāǧī) or “solution and division” (al-taḥlīl wa-ltafrīq, according to Ibn Sallūm, 11th/17th century). As synonyms of al-kīmiyāʾ were used al-ṣanʿa (for ποίησις), al-ṣanʿa al-ilāhiyya (for ἡ θεία τέχνη), ʿilm al‑ṣināʿa, al-ḥikma, al-ʿamal al-aʿẓam (for τὸ μέγα ἔργον) etc. In abbreviation alchemy is also called al-kāf, which serves also as pseudonym (see WKAS, i, 439b 110b 29 ff.). The Arabs have defined alchemy more than once. Its task is to make gold and silver without falling back upon the corresponding ores (ṣanʿat al-ḏahab wa-l-fiḍḍa min ġayr maʿādinihā, Ibn al-Nadīm, Fihrist, 351); it should lend colourings to the metals which they did not have before (Ǧābir b. Ḥayyān, Textes choisis, ed. P. Kraus, Paris 1935, 141), and it should alter the specific qualities (ḫawāṣṣ) of the mineral substances so that gold and silver can be obtained through certain artifices (ḥiyal: Ġazālī, Tahāfut, ed. M. Bouyges, Beirut 1927, 270); through alchemy harm and poverty are done away with (Iḫwān al-Ṣafāʾ, Beirut 1957, iv, 286, 305). The theme of alchemy is therefore the transmutation of base metals into precious ones. And thus certain limitations are given: petrology and mineralogy do not belong to alchemy in the strict sense, although the alchemist must of course have an exact knowledge of minerals (as well as of animal and vegetable substances). In the same way, fabrication of glass and falsification of precious stones (see the Papyrus Graecus Holmiensis, ed. O. Lagercrantz, Uppsala 1913) belong no more to alchemy than metallurgical activities like extracting iron, gold and silver from their ores, so precisely and impressively described by al-Hamdānī (K. alǦawharatayn, ed. C. Toll, Uppsala 1968). Nor does the technical chemistry of the craftsmen, namely the manufacture of tints, colours and perfumes, come within the field of alchemy. The title Kīmiyāʾ al-ʿiṭr (ed. K. Garbers, Leipzig 1948) which al-Kindī gives to his book on the falsification of perfumes is as

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metaphorical as the Kīmiyāʾ al-saʿāda with which the mystics entitled their writings (see WKAS, i, 515 b). Finally, it should be mentioned that the notion of “pharmaceutical chemistry” did not exist in the Islamic Middle Ages. The often very complicated “compound medicines” (al-adwiya al-murakkaba) are prepared by the physician or the apothecary according to Galen’s work De compositione medicamentorum or to the many Aqrābāḏīnāt composed by the Arabs. There were of course points of contact between the various professions: the metallurgists and perfumers worked with the same instruments and appliances as the alchemists. Some of the latter also excelled in the related sciences, like Muḥammad b. Zakariyyāʾ al-Rāzī, who classified the minerals. Alchemy, however, the art of transmuting metals, has to be singled out from the other more technically orientated professions because of its theoretical foundations. Alchemy originated among the Greeks. In order to prevent misunderstandings, it should be mentioned that the fourth book of Aristotle’s Meteorology (the genuineness of which is disputed) is neither a writing about chemistry in the modern sense of the word nor was it a starting-point for alchemy. It discusses only the primary qualities as causes of all changes in nature (see J. Düring, Aristotle’s chemical treatise Meteorologica, Book IV, Göteborg 1944; H. Happ, Der chemische Traktat des Aristoteles, Meteorologie IV, in Synusia, Festgabe W. Schadewaldt, Pfullingen 1965, 289‒322). Ca. 200 B. C. Bolus of Mendes knew certain techniques of colouring, and such techniques, combined with neo-Platonic, gnostic and hermetic ideas (Stoic philosophy seems also to have had some influence) helped alchemy to assert itself in Egypt (H. Diels, Antike Technik, 2, Leipzig-Berlin 1920, 121‒54). From the period between the 2nd and 3rd centuries A. D. (see F. Sherwood Taylor, The Origins of Greek Alchemy, in 111a Ambix 1 [1937], 30‒47; J. Lindsay, The Origins of Alchemy in Graeco-Roman Egypt, London 1970) date a number of writings disseminated under the names of Hermes, Thoth, Agathodaimon, Cleopatra, Moses, Solomon, Mary, Jesus, Democritus (or Democrates), Zarathustra, Ostanes etc. At the beginning of the 4th century these pseudographs are joined by the writings of Zosimus of Panopolis (= Aḫmīm), the genuineness of which is better vouched for. In the 6th century the neo-Platonic philosopher Olympiodorus and emperor Heraclius wrote also on alchemy. A not inconsiderable amount of these Greek writings were translated into Arabic, but we have no exact information about times and places of these translations. It seems however that the first were made towards the end of the 2nd/8th century and that the greater part of these writings came to the Arabs in the 3rd/9th century (D. M. Dunlop, in JRAS [1974], 6 ff., makes it clear that the assertion according to which a work of Zosimus was translated into Arabic already in 38/659, is false). It is possible that in some cases there

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may have been intermediary translations in Syriac (for Syrian alchemy, see R. Duval in M. Berthelot, La Chimie au moyen age, ii, Paris 1893), but it is not clear whether Ḥunayn b. Isḥāq and his pupils took part in the work of these translations. Most of the Greek writings have only been preserved in a very poor and fragmentary way. The oldest codex is Marcianus 299 dating from the 11th century (see M. Berthelot and Ch. E. Ruelle, Collection des anciens alchimistes grecs, i‒iii, Paris 1887‒8; J. Bidez, F. Cumont et alii, Catalogue des manuscrits alchimiques grecs, i ff., Brussels 1927 ff.). Since the Arabic translations are thus two hundred years older, and the Arabs at that period still knew an essentially greater amount of Greek writings than we do at present, the oriental tradition is of the greatest importance. It is certain that the study of Arabic alchemical literature will bring to light Greek works which have been lost in their original language. Unfortunately, Arabic alchemistic literature has remained until now still a moles indigesta. Very many manuscripts have been preserved, but only an extremely small part of their contents has been disclosed through catalogues or published. Consequently, it is not yet possible to sketch out a history of Arabic alchemy. In particular, the beginnings of this science in the 2nd/8th and 3rd/9th centuries are still largely wrapped in darkness. It may however be stated that already in the period in which the Corpus Gabirianum (end of the 3rd/9th ― beginning of the 4th/10th centuries) and the works of Muḥammad b. Zakariyyāʾ al-Rāzī were compiled, an important literature must have come into being, whose authors might have been Greek, Egyptian, Jewish, Christian, Persian or Indian wise men and philosophers. This pseudographic literature uses to a great extent the same names that served early Greek alchemy as designations. Some writings are in fact translations of Greek works; others were composed directly in Arabic but are imitations of Greek examples. It should however not be assumed that all sentences of Greek wise men, quoted by the Arabs, are taken from specific writings which are ascribed to these wise men. It seems rather that some of them originate only from doxographical collective works. Nevertheless, a great number of Greek notions are found in these writings. The etyma of the terms al-kīmiyāʾ, al-ṣanʿa al-ilāhiyya etc. have already been mentioned above. The metals are called al-aǧsād, corresponding to τὰ σώματα, quicksilver and sulphur are al-arwāḥ τὰ πνεύματα. Elixir, al-iksīr is the loan- 111b word τὸ ξηρίον, the distilling apparatuses al-uṯāl and al-anbīq are derived from τὸ αἰθάλιον and ὁ ἄμβιξ, the processes tabyīḍ, taswīd, tašmīʿ, taṣdiʾa etc. are adaptations from λεύκωσις, μέλανσις, ἐγκήρωσις, ἴωσις. In the same way a number of pseudonyms are imitations of Greek models, e.g. ziʾbaq šarqī from ὑδράργυρος ἀνατολική, zabad al-qamar from ἀφροσέληνον, kibrīta lā taḥtariq

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from θεῖον ἄκαυστον and laban al-ʿaḏrāʾ from γάλα παρθενικόν (for other pseudonyms formed with laban, see WKAS, ii, 164 a 25 ff.). To these are added whole theorems: al-ṭabīʿa tafraḥ bi-l-ṭabīʿa is the innumerably repeated ἡ φύσις τῇ φύσει τέρπεται, and lam tafʿal al-ṭabīʿa šayʾan bāṭilan lā fāʾidata lahū corresponds to ἡ φύσις οὐδὲν ποιεῖ μάτην. All this shows without any doubt the origin of Arabic alchemy. We thus possess a great number of Arabic writings, fragments and quotations in which our attention is caught by the names of Pythagoras, Archelaus, Socrates, Plato, Aristotle, Porphyrius, Galen, Democritus, Zosimus and Theosebeia, Secundus “the silent philosopher” and many others. Often Hermes Trismegistus is mentioned, who in the opinion of the alchemists was the first to speak about alchemy (ʿilm al-ṣanʿa, see Fihrist, 351). The writings attributed to him, al-Risāla al-falakiyya al-kubrā, Risālat al-Sirr, Tadbīr Hirmis al-Harāmisa, al-Ḏaḫīra al-iskandariyya, etc. have introductions in which in a legendary way is described how these texts were found in temples, caves and sepulchral vaults. The “Emerald table”, a brief text full of symbols, was considered to be the key to the ultimate secrets of nature (see J. Ruska, Tabula smaragdina. Ein Beitrag zur Geschichte der hermetischen Literatur, Heidelberg 1926; M. Plessner, Neue Materialien zur Geschichte der Tabula Smaragdina, in Islam 16 [1927], 77‒113). Sentences by Hermes are to be found in almost every Arabic alchemistic work (see e. g. H. E. Stapleton, G. L. Lewis, F. Sherwood Taylor, The Sayings of Hermes Quoted in the Māʾ al-Waraqī of Ibn Umail, in Ambix 3 [1949], 69‒90). Apollonius of Tyana is considered to be the intermediary of the hermetic wisdom. Under his name a big commentary on the “Emerald table”, the so-called Kitāb Sirr al-ḫalīqa, an allegorical book on the seven metals, the Kitāb al-Aṣnām al-sabʿa, and other writings were disseminated. Agathodaimon is also associated with Hermes. In the Risālat alḤaḏar he communicates before his death to his pupils the secret of alchemy. Finally they are joined by Cleopatra (see M. Ullmann, Kleopatra in einer arabischen alchemistischen Disputation, below, p. 318‒333). Mary the Jewess, the Persian wise men Ǧāmāsf and Ostanes, Mani, an Indian called Biyūn, Adam, Moses, Korah (Qārūn) and many others, whose writings and sentences became known to the Arabs at a relatively early period. This largely still uninvestigated complex of the pseudographs was enlarged by the Arabs since the 3rd/9th and 4th/10th centuries and rendered even more opaque by stamping as alchemists the Umayyad prince Ḫālid b. Yazīd, the son-in-law of the Prophet ʿAlī b. Abī Ṭālib, the Imām Ǧaʿfar al-Ṣādiq and the mystics al-Ḥasan al-Baṣrī, Sufyān al-Ṯawrī, Ḏū l-Nūn al-Miṣrī and Abū l-Qāsim al-Ǧunayd. The alleged writings and doctrines of all these Greek, Persian, Jewish and Arabic authorities form the groundwork for the two large alchemistic corpora

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which came into being at the turn of the 3rd/9th and the 4th/10th centuries, namely the Corpus Gabirianum and the writings of Muḥammad b. Zakariyyāʾ al-Rāzī (the mutual relation of these two cycles has been discussed by J. Ruska 112a and K. Garbers, Vorschriften zur Herstellung von scharfen Wässern bei Ǧābir and Rāzī, in Islam 25 [1939], 1‒34). Ǧābir b. Ḥayyān, who may have died ca. 196/812, is considered to be the author of the first work. Meanwhile, P. Kraus has proved that these writings cannot have originated before the second half of the 3rd/9th century and that a team of authors must be supposed (for this problem see also F. Rex, in Islam 49 [1972], 305‒10; idem, in Deutsche Orientalistik am Beispiel Tübingens, Tübingen 1974, 86‒8). Accordingly, the writings of the so-called Ibn Waḥšiyya and the Muṣḥaf al-ǧamāʿa, whose Latin translation carries the title Turba philosophorum, may have originated at the turn of the century. In the Turba a congress of alchemists is pictured, in which Pythagoras takes the chair and Archelaus records the minutes, while nine preSocratic philosophers present their doctrines (J. Ruska, Turba philosophorum. Ein Beitrag zur Geschichte der Alchemie, Berlin 1931; M. Plessner, The Place of the Turba Philosophorum in the Development of Alchemy, in Isis 45 [1954], 331‒8; idem, Vorsokratische Philosophie und griechische Alchemie in arabisch-lateinischer Überlieferung. Studien über Text, Herkunft und Charakter der Turba Philosophorum, ed. F. Klein-Franke, Wiesbaden 1975). In the 4th/10th century Muḥammad b. Umayl was outstanding with writings of a hermetic-allegorical character, followed in the 5th/11th century by Muḥammad b. ʿAbd al-Malik alKāṯī, pseudo-Maǧrīṭī with the K. Rutbat al-ḥakīm and Muḥammad b. Bišrūn. In the 6th/12th century the most important alchemists were the poet and statesman al-Ḥusayn b. ʿAlī al-Ṭuġrāʾī and the preacher in Fās, ʿAlī b. Mūsā, called Ibn Arfaʿ Raʾs. Around the middle of the 7th/13th century, Abū l-Qāsim alSīmāwī (Book of Knowledge Acquired Concerning the Cultivation of Gold by Abu ’l-Qāsim Muḥammad Ibn Aḥmad al-ʿIrāqī, ed. E. J. Holmyard, Paris 1923) worked in ʿIrāq, and in the 8th/14th century the Egyptian Aydamir b. ʿAlī alǦildakī produced an unprecedented number of books in which he summarised and commented upon everything which had been written before him on alchemy and magic. In the following period a number of authors still further appear who are of importance partly as compilers, partly as producers of brief original writings, like al-Iznīqī (= ʿAlī Čelebī), al-Maṣmūdī, Bel Muġūš alMaġribī and others. In the second half of the 11th/17th century Ṣāliḥ b. Naṣr Allāh b. Sallūm, the court physician of sultan Meḥemmet IV (1058‒99/ 1648‒87), tried to introduce into Arabic medicine the chemical concepts of Paracelsus, which gave the alchemists the chance to set about new ways. They did not however avail themselves of these; on the contrary, they continued until recent times the ancient fruitless search for the “philosopher’s stone”

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(G. Salman, Archives Marocaines 7 [1906], 451 ff.; C. Snouck Hurgronje, Mekka, ii, The Hague 1889, 215, Engl. tr. J. H. Monahan, Leiden-London 1931, 162 ff.; E. W. Lane, The Manners and Customs of the Modern Egyptians, ch. xii; C. Barbier de Meynard, L’Alchimiste, comédie en dialecte turc azeri, in JA, 8e serie, 7 [1886], 5‒66; Osman Nevres, in O. Rescher, Beiträge zur arabischen Poesie, iv/2, Istanbul, n.d., 92 ff.). In the Middle Ages Arabic works were translated into Latin. We have in Latin versions the Tabula smaragdina, the Tabula chemica, the Practica Mariae prophetissae, the Liber de compositione alchemiae of Morienus (translated by 112b Robert of Chester in 1144; partly translated by J. W. von Goethe, Die Schriften zu den Naturwissenschaften, Part 1, Vol. vi: Zur Farbenlehre, Historischer Teil, revised by D. Kuhn, Weimar 1957, 131 ff. Part 2, Vol. vi: Ergänzungen und Erklärungen, Weimar 1959, 439‒41), the Liber secretorum alchemiae of Calid, the Liber de septuaginta and the Liber misericordiae of Geber (E. Darmstaedter, Eine lateinische Übersetzung des grösseren Kitâb alraḥma, in Sudhoffs Archiv 17 [1925], 181‒97) and many other works (see M. Steinschneider, Die europäischen Übersetzungen aus dem Arabischen bis Mitte des 17. Jahrhunderts, repr. Graz 1956, passim). It was not the Greek writings, but these Arabic ones which prepared the way for western alchemy (J. Ruska, Das Buch der Alaune und Salze. Ein Grundwerk der spätlateinischen Alchemie, Berlin 1935, 11). Thus they introduced a process which leads via Arnald of Villanova, the Latin “Geber” and Paracelsus to Robert Boyle (1627‒91), Joseph Black (1728‒99), Joseph Priestley (1733‒1804), Antoine Laurent Lavoisier (1743‒94) and finally to the miracle of modern chemistry. But they also gave important impulses to European cultural history; it may suffice to mention Jakob Böhme, the Rosicrucians, Novalis and Goethe (see R. D. Gray, Goethe, the Alchemist. A Study of Alchemical Symbolism in Goethe’s Literary and Scientific Works, Cambridge 1952). This concise historical survey makes it clear that Arabic alchemy holds a key-position in the development of chemical thinking as a whole. However, in glaring contrast to its importance, it has been regrettably neglected by research until now. Most of what historians of science have written on the Arabic alchemists is second-hand, based on obsolescent literature and disfigured by gross errors. A vast and fertile field lies here open to research; access to it, however, is not easy. Alchemy is an extraordinary complex phenomenon which combines many divergent trends. Muḥammad b. Zakariyyāʾ al-Rāzī in his K. al-Asrār exerted himself in particular to build up a sober system. The Ǧābir-writings contain concepts of the Ismāʿīliyya which came into existence ca. 263/877. The authors introduce also into their thinking magical, arithmological, astrological and

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biological reflections. The hermetic writings and those of Ibn Umayl are marked by gnosis, others are coloured by strong mysticism. So it becomes understandable that Ibn al-ʿArabī (Futūḥāt, ii, 357) can indicate alchemy as a “natural, spiritual, divine science” (ʿilm ṭabīʿī rūḥānī ilāhī). As a whole, it was a natural philosophy which aimed not only at teaching the transmutation of the metals, but also at the whole connection of the world. For many scientists, however, the effort to refine matter was inseparable from purification of the soul. The alchemists expressed their insight in theoretical discourses, and also in allegorical stories, myths, visions and poems (Pseudo-Ḫālid b. Yazīd, Ibn Umayl, Ibn Arfaʿ Raʾs). In order to protect themselves against prosecution by orthodoxy or against competitors, they used pseudonyms and availed themselves of obscure, encoded expressions. All this renders the writings apparently abstruse. It was therefore bound to happen that the “Aufklärer” counted the history of alchemy among the Geschichte der menschlichen Narrheit (J. C. Adelung, Leipzig 1785‒9), and even in the first edition of the Encyclopaedia of Islām E. Wiedemann still remarked: “Often it cannot be understood how reasonable beings could have written such things”. Only the science of religion and depth-psychology have smoothed the way for a more justified and significant explanation of alchemy. J. Evola, C. G. Jung and M. Eliade in particular 113a have rightly shown how alchemy is dominated by mythical, mystical and gnostic ways of thinking. There remains, however, the task of decoding the Arabic texts through exact historical-philological studies, and thus laying foundations which will no longer permit rash conclusions and approximate assertions. Until now it has not been possible to say much about the theoretical foundations of Arabic alchemy, and even this little only incidentally. The way theories are built up differs considerably from one author to the other, and even in the corpus of writings known under the name of Ǧābir b. Ḥayyān and thus claiming unity, they show quite varying concepts. Hence only a few basic notions can be given here, which cannot be generally applied. Transmutation is possible because the various sorts (anwāʿ) of metals form only one single species (ǧins). They are differentiated only in accidents (aʿrāḍ) which can be proper (ḏātiyya) or occasional (ʿaraḍiyya). The accidents, however, are not stable but changeable, as can be seen in nature. Indeed, the metals grow in the bowels of the earth over long periods. In a sort of maturation process they change from base into precious metals until finally they become gold. According to some scientists, this conversion comes about under the influence of the stars. The alchemist is able to hasten this process in his retorts and to achieve by his skill in one day that for which Nature needs a thousand

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years. The literature gives hundreds, even thousands of recipes for making gold. Basically three methods can be distinguished: 1. The first method is based on the quicksilver-sulphur theory. In quicksilver water and earth are present, sulphur contains fire and air and thus both substances together hold the four elements. When the particles of sulphur and quicksilver are mixed and enter into a close compound, the heat generates a process of maturation and cooking which result in the various kinds of metals. If the quicksilver is clean and the sulphur pure, if the quantities (maqādīr) of both substances stand in ideal relation to one another and if the heat has the right degree (iʿtidāl), pure gold (ḏahab ibrīz, ὄβρυζον) comes into being. If before maturation coldness enters, then silver originates; if dryness, then red copper. The more disturbing factors enter, the more low-grade the metals become: thus originate tin (raṣāṣ qalaʿī), iron (ḥadīd aswad), plumbago (usrub) and antimony (kuḥl) (see Iḫwān al-Ṣafāʾ, Beirut 1957, ii, 106 ff.; Qazwīnī, ʿAǧāʾib, 204 ff.). The alchemist, then, exerts himself to imitate nature. He tries to discover how much sulphur and how much quicksilver is contained in gold and how great the heat must be to bring about the maturation process. If he succeeds in establishing these conditions, he is able to synthesise gold. It should perhaps be added that “quicksilver” and “sulphur” did not necessarily mean for the alchemists the chemical elements Hg and S, but that by these terms they understood rather the basic principles of fluidity and inflammability (they speak of ziʾbaq raǧrāǧ and kibrīt muḥtariq). 2. The second method is based on the doctrine of the relations of quantities (ʿilm al-mawāzīn) propagated by the authors of the Corpus Gabirianum. The alchemist tries to establish the mutual relation of the metals according to volume and weight (ḥaǧm wa-wazn) and to construct on the ground of these 113b data a body with corresponding volume and weight (for details of these strongly speculative doctrines, see P. Kraus, Jābir b. Ḥayyān, ii, Cairo 1942, 187‒303, ch. “La théorie de la balance”). 3. The most important and most recommended method, however, consists in projecting an elixir (see M. Ullmann, Al-Iksīr, below, p. 307‒309). An elixir can be made from mineral, but also from vegetable and animal matter. It is thrown upon a base metal which precedingly has been transposed into the passive (or black i. e. without any quality) condition; it permeates it like yeast pervades dough, and transmutes it into gold which is more valuable than mineral gold. All these theories were based on premises which could neither be proved nor refuted. Therefore no real progress could be recorded in the dispute of the Muslim scientists about the possibilities of alchemy. It was significant that among the arguments advanced against the alchemists the reference to the de

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facto failure of all endeavours played only a small part. The alchemists admitted the difficulty of their undertaking, but emphasised that it must be possible to rediscover the secret of making gold, undoubtedly known to the wise men of old. The dispute was above all enacted in the theoretical field. Philosophical and theological arguments were put forward and conclusions based on analogy were often drawn. ʿAmr b. Baḥr al-Ǧāḥiẓ’s standpoint towards alchemy is not completely unequivocal. He is sceptical, but poses the question whether once in five thousand years it could be possible to make gold, when the various factors, like the quality of the elements, the right period, the correct position of the stars etc. would coincide accidentally (K. al-Ḥayawān, iii, 374 ff.). It seems paradoxical to him that it is possible to make glass from sand, but that it is impossible to transmute brass and quicksilver into gold and silver, although quicksilver more resembles molten silver than sand does pharaonic glass. Yaʿqūb b. Isḥāq al-Kindī composed the K. Ibṭāl daʿwā l-muddaʿīn ṣanʿat alḏahab wa-l-fiḍḍa min ġayr maʿādinihā, a refutation of those who pretended to be able to win gold and silver otherwise than from ore. According to him mankind is unable to achieve acts which are reserved to nature. This polemic writing was immediately contested by Muḥammad b. Zakariyyāʾ al-Rāzī. Al-Fārābī (d. 339/950) was of the opinion that transmutation of metals is possible because, according to Aristotle’s stonebook, the various sorts (anwāʿ) of the metals belong to only one single species (ǧins). But it was indeed extraordinarily hard to realise the transmutation, and a thorough study of logic, mathematics and natural sciences was a prerequisite. The alchemistic texts were rightly veiled by pseudonyms and symbols, because otherwise, anybody might be able to find out the secret of making gold, and gold would become useless as means of payment. This economic argument was repeated again and again by later authors (E. Wiedemann, Journal für praktische Chemie 184 [1907], 115‒23; A. Sayılı, Fârâbî’nin simyanın lüzûmu hakkındaki risâlesi, in Türk Tarih Kurumu, Belleten 15 [1951], 65‒79). The geographer al-Hamdānī (d. 334/945) worked with obvious analogies taken from metallurgy, of which he possessed a thorough knowledge. In the same way as iron and steel could reach various degrees of good quality and pureness through metallurgy, i. e. through the skill of man, in the same way man is able to make in an artificial way gold that otherwise maturates in a natural way in the bowels of the earth (K. al-Ǧawharatayn, ed. C. Toll, Uppsala 114a 1968, ch. xxxvi). But the very assertion that man is able to imitate nature was contested peremptorily by Abū Ḥayyān al-Tawḥīdī and Abū ʿAlī b. Sīnā: the alchemists were only able to make something that externally resembles the precious

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metals, but the senses do not perceive specific differences (fuṣūl) in the metals after the alchemistic operations, but only attributes and accidents (lawāzim, ʿawāriḍ); the substance (ǧawhar) of the base metals remains untouched (E. J. Holmyard and D. C. Mandeville, Avicennae de congelatione et conglutinatione lapidum, Paris 1927, 85 f.; Ibn Sīnā, K. al-Šifāʾ, al-Ṭabīʿiyyāt, V, ed. A. Muntaṣir et alii, Cairo 1385/1965, 22 f.; G. C. Anawati, Avicenne et l’alchimie, in Convegno internazionale 9‒15 April 1969 [Accademia Nazionale dei Lincei, Atti 13], Rome 1971, 285‒341). Because of these utterances, Ibn Sīnā became the target for the polemics of all later alchemists, in particular of al-Ḥusayn b. ʿAlī al-Ṭuġrāʾī and Aydamir b. ʿAlī al-Ǧildakī. With his K. Ḥaqāʾiq al-istišhād, written in 505/1112, al-Ṭuġrāʾī produced the most important writing in defence of alchemy. He meets Ibn Sīnā’s objection by stating that the alchemistic processes do not absolutely create a new differentia specifica (faṣl), but that through them matter is only prepared to take in the differentia specifica which is granted to it by the Creator. AlṬuġrāʾī’s argumentation thus takes account of the front of orthodox theologians, whose criticism found a mouth-piece in Ibn Ḥazm al-Andalusī, Ibn Taymiyya and the latter’s pupil Ibn Qayyim al-Ǧawziyya (d. 750/1349). The latter’s K. Miftāḥ dār al-saʿāda contains a polemic of 200 pages against all secret sciences, especially astrology (see C. A. Nallino, Raccolta, v, 33 f.). Like Ibn Sīnā, he is of the opinion that the alchemists only keep up appearances, but are in fact unable to make real gold and silver. The economic argument adduced by al-Fārābī to justify the disguise of the alchemistic writings is used by Ibn Qayyim al-Ǧawziyya to refute alchemy itself: if man were able to make gold and silver, the economic order of the world, created by God, would collapse. Gold would lose its value if it were available in abundance. The social order would also be destroyed because nobody would be willing any more to be the slave of a master (J. W. Livingston, Ibn Qayyim al-Jawziyyah: A Fourteenth Century Defence against Astrological Divination and Alchemical Transmutation, in JAOS 91 [1971], 96‒103). Ibn Ḫaldūn also shows himself an adversary of alchemy, which in his opinion is in fact only a kind of magic (siḥr). With regard to Ibn Sīnā and alṬuġrāʾī his point of view is even somewhat more differentiated, without however alleging essentially new arguments (see G. C. Anawati, La réfutation de l’alchimie par Ibn Ḫaldūn, in Mélanges d’Islamologie, Vol. mém. A. Abel, Leiden 1974, 6‒17). For this kind of polemic literature see also Abū l-Barakāt Hibat Allāh b. Malkā, K. al-Muʿtabar, ii, Hyderabad 1358, 231‒6; Faḫr al-Dīn al-Rāzī, K. al-Mabāḥiṯ al-mašriqiyya, ii, Hyderabad 1343, 214‒18; ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī (A. Dietrich, NAWG, i [1964], no. 2, p. 106); Muḥammad b.

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Ibrāhīm al-Dimašqī, K. Nuḫbat al-dahr, ed. Mehren, 58‒61; Ḫalīl b. Aybak alṢafadī, K. al-Ġayṯ al-musaǧǧam, i, Cairo 1305/1887, 9‒13. The theoretical expositions and speculations of the alchemists were partly complete in themselves, and partly completed by experiments in the laboratory. The experiences gained in such experiments gave again rise to new writings 114b and theories. It is probable that alchemy had a greater part in the development of experimental science than medicine, pharmacology, physics and astronomy (see L. Thorndike, A History of Magic and Experimental Science, i‒viii, LondonNew York 1923‒58). An important experimental achievement was the oxidation of quicksilver which had been exposed continuously to a very slow fire over forty days. Pseudo-Maǧrīṭī describes the process in his K. Rutbat alḥakīm and emphasizes that the weight of the matter was the same before and after the experiment (E. J. Holmyard, Makers of Chemistry, Oxford 1931, 78). The furnishing of a chemical laboratory is very impressively pictured by Ibn Šuhayd (382‒426/992‒1035) (see J. Dickie, in al-Andalus 29 [1964], 243‒310). There were many apparatuses: the uṯāl (Latin aludel), used to distil and to sublimate, the qarʿ (cucurbit), a receiver over which was placed an alembic (alanbīq), melting-pots (būtaq, pl. bawātiq), kilns (tannūr, pl. tanānīr, Latin athannor) to generate high temperatures, phials (qinnīna), casseroles (qidr, ṭinǧīr), pans (sukurruǧa) and mortars (hāwūn). Many apparatus are named after their alleged inventors, like attūn Fīṯāġūras, the “oven of Pythagoras”, the biʾr Zūsim, the “pit of Zosimos” and the ḥammām Māriya, the bainmarie (see A. Siggel, Verzeichnis der Apparate und Geräte, die in arabischen alchemistischen Handschriften vorkommen, in Deutsche Ak. d. Wiss. zu Berlin, Institut für Orientforschung, no. 1, Berlin 1950, 91‒100; E. J. Holmyard, Alchemical Equipment, in Ch. Singer et alii, A History of Technology, ii, Oxford 1956, 731‒52). With such apparatus, vessels and ovens the procedures (tadābīr), i.e. certain chemical processes, were achieved. The methods of these procedures were essentially the same as those of Greek alchemy, and most of the Arabic termini technici are translations of Greek notions. The “solution” (taḥlīl, λύσις) of a matter is achieved by water, acids or lyes; the “putrefaction” (taʿfīn, σῆψις) is a process of decomposition furthered by water. Distillation and sublimation are indicated with taṣʿīd and taqṭīr, calcination with taklīs. A substance is consolidated and fixed by taǧmīd and taʿqīd. “Blanching” (tabyīḍ, λεύκωσις) indicates the making of silver, “reddening” (taḥmīr) the making of gold. Many alchemists, however, use these and many other expressions only symbolically or in a completely different meaning for fear that they might reveal their secret. Thus the understanding of alchemical texts is made extraordinarily difficult. Since the alchemists were obliged from the earliest times to keep their esoteric knowledge secret (see Papyrus Leidensis, ed. C. Leemans, Leiden 1843,

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i, 10, 9: ἐν ἀποκρύφῳ ἔχε ὡς μεγαλομυστήριον, μηδένα δίδασκε), they used innumerable “pseudonyms”, not only for the processes but also for the matters and elixirs. The same matter was often indicated with dozens of different names, and conversely, one and the same name was used to design different matters. These pseudonyms also have a Greek tradition. Thus the names of the planets serve as designations of the metals: al-šams is gold, al-qamar is silver, al-mirrīḫ is iron, etc. Certain words contain the characteristics of a matter: al-farrār “the fugitive” is quicksilver, al-ašqar “the reddish” is copper. Often names of animals are used: al-ʿuqāb “the eagle” may designate salammoniac, al-ʿaqrab “the scorpion” and ʿunuq al-ḥayya “the snake-neck” can stand for sulphur, ṭāwūs al-barbā “the peacock of the Egyptian temple” for 115a copper. The meaning of such pseudonyms varied from one author to the other and from one workshop to the other; they had no general validity. The first endeavours to solve this lexical problem were undertaken by the Arabs themselves: they composed glossaries or added to bigger theoretical works lists in which the meaning of the pseudonyms was explained. But the value of these lists is small. Only careful critical editions and competent lexicographical revisions of the sources may enable us to travel further in this thorny field, but in not a few cases it will probably be impossible to uncover now the original meaning of the alchemical recipes.

Further reading: Besides the works cited in the article: the older literature is given by E. Wiedemann, EI1, s. v. al-Kīmiyāʾ. K. Frick, Einführung in die alchemiegeschichtliche Literatur, in Sudhoffs Archiv 45 (1961), 147‒63. Catalogue des manuscrits alchimiques grecs, published under the direction of J. Bidez, F. Cumont e.a., i ff., Brussels 1927 ff. A. Siggel, Katalog der arabischen alchemistischen Handschriften Deutschlands (Berlin, Gotha, Dresden, Göttingen, Leipzig, Munich), 3 parts, Berlin 1949‒56. idem, Decknamen in der arabischen alchemistischen Literatur, Berlin 1951. M. Ullmann, Katalog der arabischen alchemistischen Handschriften der Chester Beatty Library, Part i, Wiesbaden 1974; Part ii (Wörterverzeichnis), ib. 1976. M. Steinschneider, Die arabischen Übersetzungen aus dem Griechischen, in ZDMG, 50 (1896), 356‒66, repr. Graz 1960, 232‒42. J. Ruska, Sal ammoniacus, Nušādir und Salmiak, in Sitzungsber. der Heidelberger Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Kl. (1923), 5. Abhandlung.

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idem, Alchemy in Islam, in Islamic Culture 11 (1937), 30‒6. idem, Neue Beiträge zur Geschichte der Chemie, in Quellen und Studien zur Geschichte der Naturwiss. u. d. Medizin 8 (1942), 305‒434. J. W. Fück, The Arabic Literature on Alchemy According to an-Nadīm (A.D. 987). A translation of the tenth discourse of the Book of the Catalogue (al-Fihrist) with introduction and commentary, in Ambix 4 (1951), 81‒144. A. Abel, Précisions sur la méthode fondamentale des alchimistes arabes, in Atti del terzo congresso di studi arabi e islamici, Ravello 1966, Napoli 1967, 1‒5. idem, De l’alchimie arabe à l’alchimie occidentale, in Convegno internazionale 9‒15 Aprile 1969 (Accademia Nazionale dei Lincei, Atti 13), Rome 1971, 251‒83. E. O. von Lippmann, Entstehung und Ausbreitung der Alchemie, i‒ii, Berlin 1919, 1931, iii, Weinheim 1954. W. Ganzenmüller, Die Alchemie im Mittelalter, Paderborn 1938. E. J. Holmyard, Alchemy (Pelican Books A 348), Harmondsworth 1957, 21968. E. E. Ploss, H. Roosen-Runge, H. Schipperges, H. Buntz, Alchimia, Ideologie und Technologie, Munich 1970. P. Kraus, Jābir b. Ḥayyān. Contribution à l’histoire des idées scientifiques dans l’Islam, i‒ii (MIE, Tome 44, 45), Cairo 1942‒3. F. Rex, Zur Theorie der Naturprozesse in der früharabischen Wissenschaft: Das Kitāb al-Iḫrāǧ, übersetzt und erklärt; ein Beitrag zum alchemistischen Weltbild der Ǧābir-Schriften (8./10. Jahrhundert n. Chr.), Wiesbaden 1975. idem, Quecksilber, in Gmelins Handbuch der anorganischen Chemie, 8th ed., fascicule 1, no. 34, Weinheim 1960. Sezgin, GAS, iv, 1‒299; v, 416‒26 (on which see M. Plessner, Ambix 19 [1972], 209‒215). M. Ullmann, Die Natur- und Geheimwissenschaften im Islam (Handbuch der Orientalistik, Erg.bd. vi/2), Leiden/Cologne 1972, 145‒270. idem, WKAS, i, 512‒16.

Addenda H. W. Schütt, Auf der Suche nach dem Stein der Weisen. Die Geschichte der Alchemie, München 2000. U. Weisser, Das „Buch über das Geheimnis der Schöpfung“ von Pseudo-Apollonios von Tyana (Ars Medica III 2), Berlin-New York 1980.

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U. Rudolph, Christliche Theologie und vorsokratische Lehren in der Turba philosophorum, in: Oriens 32, 1990, 97‒123. I. Vereno, Studien zum ältesten alchemistischen Schrifttum. Auf der Grundlage zweier erstmals edierter arabischer Hermetica (Islamkundl. Unters. Bd. 155), Berlin 1992 (on which see U. Sezgin, in: Zeitschrift für Geschichte der arabischislamischen Wissenschaften 12, 1998, 350‒367). G. Leube, Die Rezepte der Freiburger alchemistischen Handschrift des ʿAbd alǦabbār al-Hamaḏānī (Islamkundl. Unters. Bd. 315), Berlin 2013. M. Martelli, The Four Books of Pseudo-Democritus (Sources of Alchemy and Chemistry, vol. 1 = Ambix 60, Suppl. 1), Leeds 2013.

Al-Iksīr The elixir (from Greek τὸ ξηρίον, pl. akāsīr, also iksīrāt, e.g., Masʿūdī, Murūǧ, VIII, 175, 6; Yaʿqūbī, I, 106 ult.), originally the term for externally applied drypowder or sprinkling-powder used in medicine. Thus, for example, Yūḥannā b. Māsawayh, in his Kitāb Daġal al-ʿayn, lists under the ophthalmic remedies six different elixirs (akāsīr; see Isl., VI [1916], 252 f.). By the Arabic word iksīrīn, which is derived from the Syriac ksīrīn, an eye-powder is meant in alRāzī (Kitāb al-Ḥāwī, Ḥaydarābād 1374/1955, II, 21) and in ʿAlī b. al-ʿAbbās alMaǧūsī (al-Kitāb al-Malakī, Būlāq 1294, II, 284 f.), whilst in Pseudo-Ṯābit b. Qurra (Kitāb al-Ḏaḫīra, ed. G. Sobhy, Cairo 1928, 46, 141‒3) a sprinklingpowder for the treatment of wounds is indicated. By an early date the name al-iksīr was transferred to the substance with which the alchemists believed it possible to effect the transformation of base metals into precious ones. Iksīr al-kīmiyāʾ (Ǧāḥiẓ, Tarbīʿ, ed. Ch. Pellat, 39, 7), iksīr al-ṣanʿa (Masʿūdī, Aḫbār al-zamān, Cairo 1357/1938, 113, 115), or iksīr alfalāsifa (Ǧildakī, Kitāb al-Anwār) are mentioned, and the name is explained by a naive etymology: the substance is called al-iksīr because it breaks down (kasara) the inferior form and changes it into a perfect one (thus Ǧildakī; cf. also Pseudo-Maǧrīṭī, Ġāya, ed. H. Ritter, 8, and Yāqūt, Udabāʾ, IV, 170). Usually, however, the alchemists use pseudonyms for the elixir, such as ḥaǧar al-falāsifa (λίθος τῶν φιλοσόφων), ḥaǧar al-ḥukamāʾ, al-ḥaǧar al-mukarram (Ibn Ḫaldūn, Muqaddima, III, 229; Rosenthal, III, 268), al-ḥaǧar al-karīm (ibid., 203, Rosenthal, III, 240), al-ḥaǧar al-aʿẓam, al-ḥaǧar allaḏī laysa bi-ḥaǧar (λίθος ὃς οὐ λίθος), al-bayḍa, al-kibrīt al-aḥmar (Bīrūnī, Ǧamāhir, Ḥaydarābād 1355, 104). Al-Ǧildakī (Kitāb Ġāyat al-surūr, ms. Berlin 4183, fol. 100 b) even says of it that the perfect elixir is the homunculus of the philosophers and the child of wisdom (al-iksīr al-tāmm allaḏī huwa insān al-falāsifa wa-mawlūd al-ḥikma). The elixirs are called al-iksīr al-aḥmar or al-iksīr al-abyaḍ according to whether they produce gold or silver. The manufacture of the elixir is the central theme of Muslim alchemy. According to the authors of the Corpus Gabirianum, the elixir can be manufactured not only from mineral, but also from vegetable and animal substances. The elixirs produced from animal substances, e.g., from the marrow, blood,

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hair, bone, urine and semen of lions, snakes, foxes etc., are even the best. One may also combine animal, vegetable and mineral substances and thus obtain different sorts of elixir. The production of the elixirs is done on the basis of fractional distillation whereby, after the most complicated processes, the four elements and the four basic qualities are released so that they can then work together on the base metal (cf. P. Kraus, Jābir ibn Ḥayyān, II, Cairo 1942, 4‒18). In general, however, the working of the elixir is described as follows: the elixir is projected onto the inert or molten substance (ἐπιβολή, ṭarḥ, ilqāʾ), which it penetrates like yeast (ζύμη, ḫamīra) through dough, or like poison through the body. It is, therefore, also called "Poison of the Poisons" (Ǧābir, Textes choisis, ed. P. Kraus, Paris-Cairo 1935, 71; cf. also Pseudo-Maǧrīṭī, Ġāya, ed. Ritter, 7). After it has reduced the metal into the original substance (alsawād), it produces at the right moment, which can also be established astrologically, the change of metals (μεταβολή, qalb, taqlīb, naql) and produces a type of gold which is more precious than the natural one (ašraf min al-maʿdinī). 1088a One dirham of the perfect elixir can transform 100, 1,000, or even 40,000 dirhams of base metal into gold. Al-Akfānī (Kitāb Iršād al-qāṣid, ed. A. Sprenger, Calcutta 1849, 76 ff.) gives an interesting systematization of the elixirs into the esoteric (ǧawwānī) and the exoteric (barrānī). Eventually the elixir served the mystics as a symbol of the divine truth which changed an unbeliever into a believer (Kleinere Schriften des Ibn al-ʿArabī, ed. H. S. Nyberg, Leiden 1919, 219, 3 ff.). With the translation of the Arabic alchemistic writings into Latin, the theories of the elixir spread to the West, and Albert the Great, d. 1280, speaks de quodam elixyr alkymico quo metalla convertuntur (Liber de animalibus, ed. H. Stadler, Münster 1921, II, 1562). The notion of the elixir then returned from the field of alchemy to that of medicine: the elixir developed into the panacea, into the life prolonging agent, and eventually became more and more integrated into the pharmacopoeia (see P. Diepgen, Das Elixier, die köstlichste der Arzneien, Ingelheim 1951).

Further reading: E. O. von Lippmann, Entstehung und Ausbreitung der Alchemie, vols. I and II (Berlin 1919, 1931), vol. III (Weinheim 1954), indices. E. J. Holmyard, Kitāb al-ʿilm al-muktasab fī zirāʿat al-ḏahab, by Abu 'l-Ḳāsim Muḥammad b. Aḥmad al-ʿIrāḳī, Paris 1923, index. Pseudo-Ǧaʿfar al-Ṣādiq, Risāla fī ʿilm al-ṣināʿa wa-l-ḥaǧar al-mukarram, ed. with German trans. by J. Ruska, Arabische Alchemisten, II, Heidelberg 1924, 65‒113.

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J. Ruska, Al-Rāzī’s Buch Geheimnis der Geheimnisse, in German trans. (Quellen u. Studien zur Geschichte der Naturwiss. u. der Med., VI), Berlin 1937, passim. P. Kraus, Jābir ibn Ḥayyān, vols. I and II (Mem. prés. à l’Inst. d’Egypte, XLIV, XLV), Cairo 1943, 1942, indices. A. Siggel, Decknamen in der arabischen alchem. Literatur, Berlin 1951, 30‒2. Pseudo-Ibn Sīnā, Risālat al-Iksīr, ed. A. Ateş, in Türkiyat Mecmuası, X (1953), 27‒54.

Addenda M. Ullmann, Katalog der arabischen alchemistischen Handschriften der Chester Beatty Library, Teil II, Wiesbaden 1976, p. 4 f. WKAS II 1182 a 13 ff.; 1226 a 2 ff. (zu ilqāʾ al-iksīr ʿalā l-fiḍḍa).

Al-Kibrīt Al-kibrīt, sulphur. The Arabic term is derived from Akkadian kuprītu through Aramaic ku/eḇrīṯā. The Arabs knew both sedimentary and volcanic brimstone. Muḥammad b. Aḥmad al-Tamīmī, K. al-Muršid, Ms. Paris 2870, f. 20 a, mentions a place 89a where “white” brimstone was to be found on the shore of the Dead Sea and in the neighbourhood of Jerusalem (see also Muqaddasī, 184), in fact the deposits of brimstone to be found in clay, mixed with gypsum and calcium carbide, on the right bank of the river Jordan at a mile from the Dead Sea (see C. Hintze, Handbuch der Mineralogie, i/1, Leipzig 1904, 68 ff.). Abū Dulaf al-Ḫazraǧī (alRisāla al-ṯāniya, ed. V. Minorsky, Cairo 1955, 22, tr. 54‒5, ed. P. Bulgakov, Moscow 1960, 34) mentions already a sulphur spring on Mount Damāwand around which brimstone had crystalised, and this volcano showed immense deposits of brimstone. The same author (ibid., 43 = Yāqūt, ii, 619) knows also the sulphur springs of Dawraq in Ḫūzistān. In general, four sorts of brimstone are distinguished: yellow, white, black and red (see WKAS, i, 536). Muḥammad b. Zakariyyāʾ al-Rāzī, K. al-Asrār (ed. M. T. Dāniš-Pažūh, Tehran 1964, 3), however, differentiates these even further into 1. pure, massive, yellow brimstone; 2. pure, granular, yellow brimstone; 3. white, ivory-coloured brimstone; 4. white brimstone mixed with soil; 5. black brimstone, adulterated with stones; and 6. red brimstone. Descriptions like kibrīt qāniʾ “bright red brimstone”, kibrīt ḏahabī “golden brimstone”, kibrīt ḏakar “male brimstone”, kibrīt baḥrī “brimstone of the sea”, kibrīt nahrī “brimstone of the river”, etc. are also found. These descriptions indicate the various modifications and qualities: brimstone deposited by springs is mostly fine-grained and yellow-white; elementary brimstone is often contaminated with bitumen, selenium and arsenic. These various descriptions, however, were of course not used by the Arabs to indicate a strict classification. A special case was the “red brimstone” (al-kibrīt al-aḥmar). According to Aristotle’s Stone-book (ed. J. Ruska, Heidelberg 1912, no. 26, p. 161 = Ibn alBayṭār, K. al-Ǧāmiʿ, iv, 49) it shines by night over a distance of many parasangs, as long as it is left in its place of occurence. Others maintained that red brimstone was a mineral to be found in the valley of the ants, marched

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through by Solomon (Ibn Samaǧūn, in Ibn al-Bayṭār loc. cit.). These are fairytales. Al-Rāzī (K. al-Asrār, loc. cit.) knew already that “red brimstone” does not exist as a mineral, and this scepticism was wide-spread. Al-Ǧāḥiẓ (Risāla fī lǦidd wa-l-hazl, ed. P. Kraus, Cairo 1943, 93; ed. Hārūn, Cairo 1964, i, 271) remarks that “red brimstone” is easier to be found than a trustworthy friend, and the caliph al-Muʿtaḍid bi-llāh (279‒89/892‒902) said that two things exist only in name: the phoenix (ʿanqāʾ muġrib) and al-kibrīt al-aḥmar (Bīrūnī, Ǧamāhir, 154). In this sense is also to be understood al-Maydānī’s proverb “more costly than red brimstone” (see Freytag, Arabum proverbia, 18, 220 [vol. ii, 149]) and Bilawhar’s saying (ed. D. Gimaret, Beirut 1971, 33) that his merchandise is better than red brimstone. The solution to this enigma is that al-kibrīt al-aḥmar is a pseudonym for the elixir, by means of which silver can be changed into gold (Bīrūnī, Ǧamāhir, 103, WKAS, i, 536 a 25‒b 2). The position of brimstone in the mineral system has been determined more than once: in Aristotle’s Stone-book, compounds of brimstone and arsenic form one group together with salts and boraxes, without a fixed classification. The authors of the Corpus Gabirianum (3rd‒4th/9th‒10th centuries) counted red, yellow, black and white brimstone, together with orpiment, realgar, quicksilver, camphor and ammonia among the “spirits” (al-arwāḥ, τὰ πνεύματα), as opposed by the “metallic bodies” (al-aǧsām) and the “mineral bodies” (al-aǧsād). Ibn Sīnā (K. al-Šifāʾ, al-Ṭabīʿiyyāt, v, ed. Madkūr, Cairo 1965, 20‒2) divides all 89b minerals into four classes: the stones (al-aḥǧār), the salts (al-amlāḥ), the fusible bodies (al-ḏāʾibāt) and the brimstone-like ones (al-kabārīt). Brimstone has become here a general notion indicating those substances in which wateriness has been combined with earthiness and airiness and which have then been consolidated by cold. According to al-Qazwīnī, ʿAǧāʾib, 243, ‒5, brimstone, together with quicksilver, pitch, naphtha etc. belongs to the viscous substances (al-aǧsām al-duhniyya). Already in the Middle Ages brimstone was an important mineral raw material. It was for instance used in bleaching. Thus the “brimstone of the river” (al-kibrīt al-nahrī) was also called kibrīt al-qaṣṣārīn, the “brimstone of the bleachers” (Galen, K. al-Adwiya al-mawǧūda bi-kull makān, in Ibn al-Bayṭār, iv, 49, below). Together with bitumen, fats, oil, etc., brimstone was a component part of Greek fire [nafṭ], and from the 7th/13th century onwards it was used with salpetre and charcoal, to make gunpowder. Brimstone was also widely used in medicine. According to Dioscurides (Mat. med., v, 107; Arabic tr. ed. C. E. Dubler, Tetuán-Barcelona 1952‒7, 423) brimstone avails against a cough, against pus that is stuck in the chest, and against asthma. If a woman is fumigated with brimstone, she will have a miscarriage.

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Alchemie und Magie

Leprosy, cutaneous eruptions and other skin diseases are treated with brimstone, which, if mixed with natron, dissipates itching. Finally, brimstone avails against the stings of poisonous animals, against jaundice, cold, sweat, podagra, ear-ache and deafness. The same indications are found in Galen, De simpl. med. temp. ac fac., ix, 3, 9 (Vol. xii, 217, Kühn; Arabic tr. in Ibn al-Bayṭār, iv, 50); ʿAlī b. Rabban al-Ṭabarī, K. Firdaws al-ḥikma, 112, 224, 271, 322, 324, 407 (cf. W. Schmucker, Die pflanzliche und mineralische Materia medica im Firdaus al-Ḥikma des Ṭabarī, Bonn 1969, 380‒2), Yaʿqūb b. Isḥāq al-Kindī (cf. The medical formulary of al-Kindī, ed. M. Levey, Milwaukee 1966, fols. 95 b, 101 b, 133 b), al-Rāzī, K. al-Ḥāwī, xvii, 55, and Ibn Sīnā, Qānūn, Rome 1593, i, 191. The dawāʾ al-kibrīt is one of the important electuaries. It equals theriac and avails against fever, cough, asthma, tetanus, dropsy, against stings of poisonous animals etc. (ʿAlī b. Rabban 445; al-Maǧūsī, K. al-Malakī, ii, 536; Ibn Sīnā, Qānūn, ii, 191). The curative property of sulphurous water is often praised: Abū Dulaf alḪazraǧī (op. cit., ed. Minorsky, 12, tr. 43, ed. Bulgakov, 21, Yāqūt, ii, 317) mentions the sulphurous springs in the neighbourhood of Ḥulwān in ʿIrāq, which avail against manifold diseases. According to Aristotle’s Stone-book (no. 26, pp. 113, 162) bathing in sulphurous springs is good for open wounds, tumours, itching, scabies and fever. Baths in sulphurous water avail also against trembling (irtiʿāš) (Philagrios, in Rāzī, Ḥāwī, i, 44, see Galen, De tremore et palpitatione, vii, 600, Kühn). Finally, sulphurous water is curative of articular pains (Rufus, in Rāzī, Ḥāwī, xi, 199), hemiplegia (fāliǧ, ʿAlī b. Rabban, Firdaws, 197) and elephantiasis (ǧuḏām, ibid.). To the many palliatives which were recommended for expelling vermin from houses there are always included fumigations with sulphur (Rāzī, Ḥāwī, xix, 320‒33), which was also used in magic as an ingredient of talismans (Pseudo-Maǧrīṭī, Ġāyat al-ḥakīm, 243‒6, German tr. by Ritter and Plessner, London 1962, 254‒8). Sulphur played a prominent part in alchemy (see al-kīmiyāʾ). Distillation of 90a sulphur and the action of sulphurous vapour on metals gave occasion to many observations and conjectures. Since sulphur is liberated in the distillation of most materials, it was believed to be a fundamental part of all minerals. In particular, it was assumed that the metals consisted of quicksilver and brimstone. If the parts of both materials are in an ideal ratio to each other, gold originates (see Dimašqī, Nuḫba, 50 ff.). Sulphur is therefore also called “the mother of gold” (umm al-ḏahab, see K. al-Kanz, ms. Berlin 4191, fol. 51 a). The alchemists invented many pseudonyms for sulphur, like “the yellow, red or white bride” (al-ʿarūs al-ṣafrāʾ, etc.), “the red soil” (al-turba al-ḥamrāʾ), “the colouring spirit” (al-rūḥ al-ṣābiġ), “the saffron” (al-zaʿfarān), “the divine

Al-Kibrīt

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secret” (al-sirr al-ilāhī). The breath-taking smell of burning brimstone gave it the name “the suffocater” (al-ḫannāq). Because brimstone combines quicksilver, it was also called “the fetter of the volatile” (qayd al-ʿābiq). Conversely, the term kibrīt was also used in various combinations as pseudonym of other substances, e. g. kibrīta lā taḥtariq “incombustible sulphur” (see M. Ullmann, Kleopatra in einer arabischen alchemistischen Disputation, below, p. 327) designates the elixir of gold. (For the problem of the pseudonyms, see J. Ruska and E. Wiedemann, Alchemistische Decknamen. Beiträge LXVII, in SPMSE, lvi‒ lvii [1924‒5], 20‒33 = E. Wiedemann, Aufsätze, ii, 599‒612; A. Siggel, Decknamen in der arab. alchem. Literatur, Berlin 1951).

Further reading: P. Ramdohr, H. Strunz, Klockmann’s Lehrbuch der Mineralogie, Stuttgart 1967, 397 ff. J. Ruska, Das Steinbuch des Aristoteles, Heidelberg 1912, No. 26. idem, Quellen und Studien zur Geschichte der Naturwiss. und d. Medizin, 1937. Rāzī, K. al-Ḥāwī, xxi/1, Hyderabad 1968, 343‒6, No. 703. Ibn al-Bayṭār, K. al-Ǧāmiʿ, iv, 49 f. D. Goltz, Studien zur Geschichte der Mineralnamen in Pharmazie, Chemie und Medizin von den Anfängen bis Paracelsus, Wiesbaden 1972, index. M. Ullmann, Die Natur- und Geheimwissenschaften im Islam, Leiden-Cologne 1972, 140‒4. idem, Katalog der arabischen alchemistischen Handschriften der Chester Beatty Library, ii, Wiesbaden 1976, 89 s. v. kibrīt. idem, WKAS, i, 28, 535‒7.

Addendum F. Käs, Die Mineralien in der arabischen Pharmakognosie, Teil 2, Wiesbaden 2010, 917‒924.

Al-Qily Al-qily, also al-qilā, according to Abū l-Ḥasan al-Liḥyānī also al-qilw (see alDīnawarī, The Book of Plants, ed. B. Lewin, Wiesbaden 1974, 170, § 643); the word is derived from aramaic qelyā), potash, potassium carbonate [K2CO3], but also soda, sodium carbonate [Na2CO3] (both materials were not clearly distinguished, therefore the Arabic term is kept in what follows.) Al-qily thus indicates the salt which is won from the ashes of alkaline plants, but is also confusingly used for the ashes themselves and the lye. As synonyms are given šabb al-ʿuṣfur and šabb al-asākifa (Ibn Maymūn, Šarḥ asmāʾ al-ʿuqqār, ed. M. Meyerhof, Cairo 1940, no. 345). The plants or families of plants rimṯ (Haloxylon articulatum Cav.) and ḥamḍ (Chenopodiaceae) serve as the standard plants employed. According to Abū Ḥanīfa al-Dīnawarī (op. cit. 104, § 411 = Lisān al-ʿArab, s.v. q-l-y = Ibn al-Bayṭār, Ǧāmiʿ, IV, 31) the best potash is won from al-ḥuruḍ (Arthroenemum c. q. Seidlitzia), the so-called “potash of the dyers” (qily al-ṣabbāġīn). The other sorts sufficed for the fabrication of glass. The extraction of qily is concisely but accurately described by al-Layṯ, the editor of the K. al-ʿAyn of al-Ḫalīl b. Aḥmad al-Farāhīdī (d. ca. 170/786): the plants al-ġadā (Arthroenemum c. q. Salicornia) and al-rimṯ are burnt while green; the ashes are slaked with water which then consolidates into qily (see al‑Azharī, K. Tahḏīb al-luġa IX 297 b 4 ff.). Qily is used for various purposes: in the absence of soap (ṣābūn), clothes are washed with it (see Lisān al-ʿArab; Yāqūt, iii, 465). Chemists used it to manufacture pungent lyes (Muḥammad b. Zakariyyāʾ al-Rāzī, K. al-Asrār, ed. M. T. Dāniš-Pažūh, Tehran 1964, 76, 108 f.; J. Ruska and K. Garbers, Vorschriften zur Herstellung von scharfen Wässern bei Ǧābir und Rāzī, in Islam 25 [1939], 1‒34). A prominent part is played by al-qily in the manufacture of glass. It is melted together with sand and magnesia and thus produces the “substance of glass” (ǧawhar al-zuǧāǧ, Masʿūdī, Murūǧ, ii, 407, § 816). Above all, it happens that the glass easily absorbs the various colorations (see Dimašqī, Nuḫbat aldahr, ed. Mehren, 80; J. Ruska, Das Buch der Alaune und Salze. Ein Grundwerk der spätlateinischen Alchemie, Berlin 1935). Because of its biting, burning and purifying effect al-qily is used in medicine to treat skin diseases like vitiligo (bahaq), leprosy (baraṣ), scabies (ǧarab) and

Al-Qily

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also wounds and sores (ǧirāḥ, qurūḥ). Morbid growths are also etched with it (Masīḥ al-Dimašqī, who lived in the time of Hārūn al-Rašīd, in Ibn al-Bayṭār, iv, 31; ʿAlī b. Rabban al-Ṭabarī, Firdaws al-ḥikma, Berlin 1928, 322; PseudoṮābit b. Qurra, K. al-Ḏaḫīra, ed. G. Sobhy, Cairo 1928, 114; Ibn Sīnā, Qānūn, Rome 1593, i, 248; The Medical Formulary of al-Samarqandī, ed. M. Levey and N. al-Khaledy, Philadelphia 1967, 148; Qazwīnī, ʿAǧāʾib, 233). Some people apply al-qily and vinegar on scorpion stings (Ibn Qutayba, ʿUyūn, ii, 102).

Further reading: E. Wiedemann, EI 1, s.v. al-Ḳily. idem, Aufsätze zur arabischen Wissenschaftsgeschichte, Hildesheim 1970, index, 825. E. Seidel, in Islam 1 (1910), 258. I. Löw, Die Flora der Juden, Vienna-Leipzig 1928, i, 635‒50. A. Steiger and J. J. Hess, Soda, in Vox Romanica 2 (1937), 53‒76. W. Schmucker, Die pflanzliche und mineralische Materia Medica im Firdaus alḤikma des Ṭabarī, Bonn 1969, 358 f. (no. 594). D. Goltz, Studien zur Geschichte der Mineralnamen in Pharmazie, Chemie und Medizin von den Anfängen bis Paracelsus, Wiesbaden 1972, 234‒8, and index. M. Ullmann, Katalog der arabischen alchemistischen Handschriften der Chester Beatty Library, ii, Wiesbaden 1976, 87, s.v. qily.

Addendum F. Käs, Die Mineralien in der arabischen Pharmakognosie, Teil 2, Wiesbaden 2010, 905‒908.

Al-Ḫāṣṣa Ḫāṣṣa, plur. ḫawāṣṣ, also ḫāṣṣiyya, plur. ḫāṣṣiyyāt, “sympathetic quality” is a recurring theme in magic and occult sciences indicating the unaccountable, esoteric forces in animate and inanimate Nature. The conception that everywhere in Nature such forces are active or can be activated, developed during the Hellenistic period. It was believed that all objects were in relation to one another through sympathy and antipathy ―as is evident in the mysterious forces of the magnet― and that diseases could be caused and cured, good and ill fortune be brought about as a result of the relations of these tensions. Unlike peripatetic philosophy, this way of thinking renounces a rational explanation of phenomena. It was voiced in the Φυσικά of Bolos of Mendes (ca. 200 B.C.), the Λιθογνώμων of Xenocrates (see M. Ullmann, Das Steinbuch des Xenokrates von Ephesos, below, p. 387‒404; idem, Neues zum Steinbuch des Xenokrates, below, p. 405‒425), the Cyranides and other hermetic treatises, in the Book of Animals of Timotheos of Gaza and in the books of agriculture. These views also entered into medical and pharmacological literature (see Galen, viii, 421; xi, 823: xii, 192 Kühn; Dioscorides, passim) and gained a theoretical foundation in the Neoplatonic doctrine of the graded structure of the world. The translation of the above-mentioned Greek works carried the doctrine of the occult qualities of Nature to the Arabs, among whom it found an extraordinarily fertile soil and called forth an extensive literature. Muḥammad b. Zakariyyāʾ al-Rāzī, “Ǧābir b. Ḥayyān”, Ibn al-Ǧazzār, Abū l-ʿAlāʾ Zuhr, ʿAlī b. Aydamir al-Ǧildakī and others wrote books with the title Ḫawāṣṣ al-ašyāʾ (or the like). Furthermore, there is hardly any Islamic work on the natural sciences in which the ḫawāṣṣ are not treated at greater or shorter length. The Books of stones by Aristotle and Tīfāšī, the Books of animals by Ibn Abī l-Ḥawāfir and Damīrī, the Books of plants by ibn Waḥšiyya, the Books of poisons by Ibn alBiṭrīq and Ibn al-Mubārak, the encyclopaedias of Qazwīnī and Nuwayrī and the manual of medicine by ʿAlī b. Rabban al-Ṭabarī, are all full of information on the most remarkable effects of “sympathy”.

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Finally, abstract entities were also believed to possess mysterious forces: al- 1098a Būnī, al-Ǧīlī, al-Nadrumī and others wrote about the ḫawāṣṣ of letters and numbers, of the names of Allāh and of the verses of the Qurʾān.

Further reading: P. Kraus, Jābir b. Ḥayyān, ii (MIE 45), Cairo 1942, 61‒95. H. Ritter and M. Plessner, Picatrix, London 1962, passim. M. Ullmann, Die Natur- und Geheimwissenschaften im Islam (HO, Erg. Bd. VI/2), Leiden 1972, 393‒416, see Index s.v. ḫawāṣṣ.

Addendum F. Käs, Die Risāla fī l-Ḫawāṣṣ des Ibn al-Ǧazzār. Die arabische Vorlage des Albertus Magnus zugeschriebenen Traktats De mirabilibus mundi (AKM 79), Wiesbaden 2012.

Kleopatra in einer arabischen alchemistischen Disputation Die Gestalt der Kleopatra VII., der berühmten Tochter des Ptolemaios XI. Neos Dionysos Auletes, hat zu allen Zeiten die Gedanken und die Phantasie der Menschen stark beschäftigt. Ihre blendende Schönheit, der erotische Zauber, mit dem sie Caesar und Antonius in ihren Bann schlug, ihre Bildung, ihr Geist, die ränkevolle Politik, durch die sie das Römische Reich gefährdete, schließlich ihr geheimnisvoller Selbstmord — all dies mußte dazu beitragen, daß sich um die historischen Nachrichten über sie ein Kranz von Legenden legte. Wie sehr in der Spätantike Wahrheit und Legende vermischt waren, läßt sich an den Berichten der arabischen Historiker ablesen. Die Araber mögen selbst zur Ausschmückung der Geschichte beigetragen haben; im wesentlichen aber spiegeln sie wider, was ihnen griechische Quellen überliefert hatten. Berichte über Kleopatra sind in folgenden Quellen zu finden: Maḥbūb al-Manbiǧī (Agapios von Mabbug), K. al-ʿUnwān al-mukallal bi-faḍāʾil al-ḥikma, ed. L. Cheikho (CSCO, Script. ar., ser. III, Tom. 5), Beryti-Parisiis-Lipsiae 1912, S. 128 paen. ff.; Saʿīd b. al-Biṭrīq (Eutychios), K. at-Taʾrīḫ al-maǧmūʿ ʿalā t-taḥqīq wa-t-taṣdīq, ed. L. Cheikho (CSCO, Script. ar., ser. III, Tom. 6. 7), Bd. I, Beyrouth 1906, S. 86, 15 ff.; Bd. II, Beyrouth 1909, S. 79, 7 ff.; ʿAlī b. al-Ḥusain al-Masʿūdī, K. Murūǧ aḏ-ḏahab wa-maʿādin al-ǧauhar, edd. C. Barbier de Meynard et Pavet de Courteille, Paris 1861 ff., Tome II, S. 285, 10 ff.; ders., K. at-Tanbīh wa-l-išrāf, ed. M. J. de Goeje (BGA 8), Lugduni Batavorum 1894, S. 111 paen. ff.; 114, 14 f.; 121 ult.; 124, 15 ff.; 129, 14; 130, 2; PseudoMasʿūdī, K. Aḫbār az-zamān, ed. ʿAbd Allāh aṣ-Ṣāwī, Kairo 1357/1938, S. 70, ‒4; ʿUmar b. Muḥammad al-Kindī at-Tuǧībī, K. Faḍāʾil Miṣr, ed. J. Østrup, in: D. K. D. Vidensk. Selsk. Forh. 1896, Nr. 4, S. 192 Anm. u; Sulaimān b. Ḥassān b. Ǧulǧul, K. Ṭabaqāt al-aṭibbāʾ wa-l-ḥukamāʾ, ed. F. Sayyid (Publications de l’Institut Français d’Archéologie Orientale du Caire, Textes et Traductions d’Auteurs Orientaux, Tome X), Le Caire 1955, S. 34, 7; 38, 12; Abū r-Raiḥān al-Bīrūnī, K. al-Ǧamāhir fī maʿrifat alǧawāhir, Ḥaidarābād 1355, S. 40, ‒3 ff.; Abū l-Wafāʾ al-Mubaššir b. Fātik, K. Muḫtār alḥikam wa-maḥāsin al-kalim, ed. ʿAbd ar-Raḥmān Badawī, Madrid 1958, S. 289, 9 f.; 159 Abū l-Qāsim Ṣāʿid b. Aḥmad al-Andalusī, K. Ṭabaqāt al-umam, ed. L. Cheikho, Bairūt 1912, S. 30, 14; Yāqūt b. ʿAbd Allāh ar-Rūmī, K. Muʿǧam al-buldān, ed. F. Wüstenfeld, Leipzig 1866 ff., Bd. I, 262, 6 (s. v. al-Iskandarīya al-ʿuẓmā); 378, 10 f. (s.v. al-Andalus); Muḥammad b. ʿAlī az-Zauzanī, K. al-Muntaḫabāt al-multaqaṭāt min kitāb Iḫbār al-

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ʿulamāʾ bi-aḫbār al-ḥukamāʾ li-Ǧamāl ad-Dīn al-Qifṭī, ed. J. Lippert, Leipzig 1903, S. 96, 13 ff.; 259, 12 ff.; Ibn abī Uṣaibiʿa, K. ʿUyūn al-anbāʾ fī ṭabaqāt al-aṭibbāʾ, ed. A. Müller, Kairo-Königsberg 1882‒1884, Bd. I, S. 35, ‒3 f.; 82, 14; Bd. II, S. 135, 2 f.; Abū l-Faraǧ b. al-ʿIbrī (Barhebraeus), K. Muḫtaṣar taʾrīḫ ad-duwal, ed. A. Ṣāliḥānī, Bairūt 1890, S. 105 paen. ff.; Šams ad-Dīn abū ʿAbd Allāh Muḥammad ad-Dimašqī, Κ. Nuḫbat ad-dahr fī ʿaǧāʾib al-barr wa-l-baḥr, ed. M. A. F. Mehren, Saint-Pétersbourg 1866, S. 258, 3 ff.; Aḥmad b. ʿAbd al-Wahhāb an-Nuwairī, K. Nihāyat al-arab fī funūn al-adab, Kairo 1347/1929 ff., Bd. 1, S. 353, 1; Bd. 15, 254, 13 ff.; al-Ḥasan b. ʿUmar b. Ḥabīb, Κ. Ǧuhainat al-aḫbār fī ḏikr mulūk al-amṣār, s. Hellmut Ritter, Oriens 3, 1950, 79 f.; Ǧaʿfar b. Muḥammad al-Baitī al-ʿAlawī as-Saqqāf, K. Mawāsim al-adab wa-āṯār al-ʿaǧam wa-l-ʿarab, Kairo 1326, Bd. II, S. 261, 7 ff. Der Bericht über den Selbstmord, den Kleopatra mit Hilfe einer Giftschlange verübt haben soll, ist den Arabern durch die Übersetzung von Galens Schrift De Theriaca ad Pisonem VIII (= Bd. XIV 235 ff. Kühn) vermittelt worden. Ed. des arabischen Textes: Lutz Richter-Bernburg, Eine arabische Version der pseudogalenischen Schrift De Theriaca ad Pisonem, Diss. Göttingen 1969, S. 36, 1‒37 ult. Auf S. 141‒144 gibt Richter-Bernburg eine knappe Übersicht über die arabischen historischen Nachrichten über Kleopatra. Auch die arabische Übersetzung des Kompendiums des Paulos von Aigina (ed. I. L. Heiberg, CMG IX 2, Lipsiae et Berolini 1924, S. 20, 21 ff.) ließ einen Bericht über Kleopatras Selbstmord zu den Arabern gelangen.

Die mit orientalischer Weisheit begabte, von Geheimnissen umgebene Königin galt schon in der Antike als die Autorin einiger medizinischer, magischer und alchemistischer Schriften. Zu dieser pseudepigraphischen Literatur gehören die Κοσμητικά1, von denen nur einige Fragmente erhalten sind. Galen zitiert diese Abhandlung dreimal in seinem Werk Περὶ συνθέσεως φαρμάκων mit Rezepten gegen Alopezie, zur Förderung des Haarwuchses und gegen den bösen Grind2, und auch Paulos von Aigina (III 2) teilt 18 Rezepte zum Kräuseln und Färben der Haare nach Kleopatra mit3. Die Κοσμητικά enthielten auch einen Abschnitt über Medizinalmaße und ‑gewichte; er ist im Zusammenhang mit anderen metrologischen Fragmenten am Schluß der Werke Galens über- 160 liefert4. Daß die Kosmetik der Kleopatra auch ins Arabische übersetzt worden ist, beweist ein Zitat im K. al-Iʿtimād des Aḥmad ibn Ibrāhīm ibn abī Ḫālid al_______________ 1

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Hermann Usener, in: Rheinisches Museum für Philologie 28, 1873, S. 412‒417; Handbuch der Geschichte der Medizin, begr. von Theodor Puschmann, hrsg. von Max Neuburger und Julius Pagel, Bd. I, Jena 1902, S. 321. Galen, De compositione medicamentorum secundum locos, ed. C. G. Kühn, Bd. XII, S. 403, 15 ff.; 432, 12 ff.; 492, 6 ff. Ed. I. L. Heiberg (CMG IX 1), Lipsiae et Berolini 1921, S. 132‒134. Ed.: Metrologicorum scriptorum reliquiae. Collegit recensuit partim nunc primum edidit Fridericus Hultsch, Vol. I quo scriptores graeci continentur, Lipsiae 1864, S. 108‒129 (Einleitung); S. 233‒236.

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Ǧazzār (gest. 369/980). Ibn al-Ǧazzār beruft sich dort auf Eliobatra in libro de ornatu faciei5. Auch die sieben weiteren Stellen, an denen dort Kleopatra erwähnt wird (S. 24, 27, 28, 36, 53, 54, 55) sowie ein Zitat im K. al-Ǧāmiʿ limufradāt al-adwiya wa-l-aġḏiya des ibn al-Baiṭār6 dürften der „Kosmetik“ entstammen. Kleopatra gilt des weiteren als die Autorin einer Schrift über Frauenkrankheiten, deren Titel vielleicht Γενέσια gelautet hat7. Gedruckt sind davon nur Auszüge in der Harmonia gynaeciorum, sive de morbis muliebribus liber: ex Prisciano, Cleopatra, Moschione, libro matricis dicto, et Theodoro Prisciano collectus, im Rahmen eines alten Sammelbandes über Frauenkrankheiten8. Des öfteren wird in arabischen Quellen ein Buch der Kleopatra genannt, in dem von Sexualia und Aphrodisiaca die Rede ist. Noch läßt sich nicht entscheiden, ob es sich dabei um eine eigene Schrift handelt oder ob jene Zitate Bruchstücke aus den Κοσμητικά oder den Γενέσια sind (für eine arabische Übersetzung der Γενέσια gibt es bisher keine Indizien). Ibn al-Ǧazzār zitiert in seinem K. al-Ḫawāṣṣ das „Buch der Kleopatra“, in dem Maultierurin zur 161 Verhütung der Schwangerschaft und zur Sicherung der Treue empfohlen werde9, und in seiner (nur lateinisch zugänglichen) Schrift De physicis ligaturis erklärt Qusṭā ibn Lūqā (gest. 300/912) unter Berufung auf das „Buch der Kleopatra“, daß das Einschmieren des ganzen Körpers mit Krähengalle und Sesamöl als Aphrodisiacum wirke10. Im K. Durrat al-ġawwāṣ des Aidamur ibn ʿAlī al-Ǧildakī heißt es: „Kleopatra sagt in ihrem Buch: Wenn ein Mann Myrrhe in Öl zerreibt und damit seinen Daumen einschmiert, kann er den _______________ 5

Lothar Volger, Der Liber fiduciae de simplicibus medicinis des Ibn al-Jazzār in der Übersetzung von Stephanus von Saragossa. Übertragen aus der Handschrift München Cod. lat. 253, Diss. Berlin 1941 (= Texte und Untersuchungen zur Geschichte der Naturwissenschaften 6, Würzburg-Aumühle 1941), S. 33. 6 Ed. Būlāq 1291, Bd. IV, S. 53, 12 f. 7 Puschmann Geschichte I 321; Hermann Diels, Die Handschriften der antiken Ärzte, II. Teil (Abhandl. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 1906, Abh. I), S. 23. 8 Gynaeciorum sive de mulierum tum communibus, tum gravidarum, parientium, et puerperarum affectibus et morbis, libri Graecorum, Arabum, Latinorum veterum et recentium quotquot extant, partim nunc primum editi . . . Opera et studio Israelis Spachii, Argentinae (Sumptibus Lazari Zetzneri) 1597, S. 27‒41. Vgl. auch: Skevos G. Zervos, War Cleopatra von Aegypten eine Ärztin?, in: Janus 7, 1902, S. 83‒88. 9 Moritz Steinschneider, Zur Pseudepigraphischen Literatur insbesondere der geheimen Wissenschaften des Mittelalters. Aus hebräischen und arabischen Quellen (No. 3 der ersten Sammlung der „Wissenschaftlichen Blätter aus der Veitel Heine Ephraim’schen Lehranstalt [Beth ha-Midrasch]“ in Berlin), Berlin 1862, S. 59 f. 10 S. Lynn Thorndike, A History of Magic and Experimental Science during the first thirteen centuries of our era, Vol. I, London-New York 1923, S. 655.

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Beischlaf ausüben, solange er will11“. Und schließlich ist auch in dem pseudoplatonischen K. an-Nawāmīs, dessen lateinische Bearbeitung den Titel Liber activarum institutionum trägt, Kleopatras Buch über die sexuellen Wunder zitiert12. In der Sammlung der griechischen Alchemisten kommt Kleopatra mehrmals zu Wort. Einige der ihr zugeschriebenen Lehren enthält das aus dem Zusammenhang gerissene Fragment, das Περὶ τῆς θείας καὶ ἱερᾶς τέχνης τῶν φιλοσόφων überschrieben ist13. Ferner sind Abbildungen von alchemistischen Geräten und Symbolen im Codex Marcianus 299 mit der Überschrift Κλεοπάτρης χρυσοποιία versehen14. Die wichtigsten Stücke aber sind der Dialog zwischen Komarios und Kleopatra und das Lehrgespräch der Kleopatra mit den Philosophen. Beide Texte sind unvollständig überliefert und dann fälschlich verschmolzen worden. Als einheitliches Stück sind sie von Berthelot und Ruelle unter der Überschrift Κομαρίου φιλοσόφου ἀρχιερέως διδάσκοντος τὴν Κλεοπάτραν τὴν θείαν καὶ ἱερὰν τέχνην τοῦ λίθου τῆς φιλοσοφίας herausgegeben worden15. Später hat Reitzenstein den Text untersucht und erneut 162 ediert. Es gelang ihm, die Lacune in der handschriftlichen Überlieferung nachzuweisen und so die beiden Stücke, d. h. die Κομαρίου φιλοσόφου διάλεξις πρὸς Κλεοπάτραν und den Διάλογος φιλοσόφων καὶ Κλεοπάτρας, zu scheiden16. Reitzensteins Emendationen sind dann wieder von Lagercrantz kritisiert worden17. Hier kann auf diese philologischen Einzelheiten nicht näher eingegangen werden. Es ist lediglich festzuhalten, daß die mit dem Namen der Kleopatra verbundenen griechischen alchemistischen Texte nur bruchstückhaft und schlecht überliefert sind18. Zugleich darf damit die Frage gestellt werden, _______________ 11 Ms. Berlin 4186, fol. 115 a, ‒6 f. 12 Dorothea Waley Singer, Alchemical Texts Bearing the Name of Plato, in: Ambix 2, 1946, S. 122. 13 Collection des anciens alchimistes grecs, publiée par Marcellin Berthelot, avec la collaboration de Charles-Émile Ruelle, Vol. I—III, Paris 1887 bis 1888, S. 315, 18‒318, 6, übs. S. 302‒304. 14 Berthelot Coll. Introduction S. 132. 15 Berthelot Coll. 289, 13‒299, 14, übs. ib. III 278‒287. 16 Richard Reitzenstein, Zur Geschichte der Alchemie und des Mystizismus, in: Nachrichten von der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, phil.-hist. Kl., 1919, S. 1‒37. 17 Otto Lagercrantz, Über das Verhältnis des Codex Parisinus 2327 (= A) zum Codex Marcianus 299 (= M), in: Catalogue des Manuscrits Alchimiques Grecs II, Bruxelles 1927, S. 341‒358. 18 Zu diesen Texten vgl. noch die folgende Literatur: Ingeborg Hammer-Jensen, Die älteste Alchymie (Det Kgl. Danske Videnskabernes Selskab. Historisk-filologiske Meddelelser IV 2), Köbenhavn 1921, S. 6‒52; Edmund Oskar von Lippmann, Entstehung und Ausbreitung der Alchemie, Bd. I, Berlin 1919, S. 50‒53; Bd. II, Berlin 1931, S. 32‒34;

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ob nicht vielleicht die arabische Alchemie einen Paralleltext zu bieten hat. In diesem Falle könnte die orientalische Tradition auch hier, wie es bei vielen medizinischen Texten geschehen ist, Licht in das Dunkel bringen. Tatsächlich wissen die Araber, daß Kleopatra auch in Sachen der Alchemie eine Autorität war. Sie wird als solche von al-Masʿūdī19 und von Pseudo-Ḫālid ibn Yazīd20 genannt. Mehr noch: Ibn an-Nadīm verzeichnet unter den alchemistischen Schriften das Kitāb Qalūbaṭra al-malika21. Diese Notiz scheint jetzt einen konkreten Inhalt zu bekommen, denn der Text einer Disputation zwischen Kleopatra und einer Gruppe von Gelehrten ist in einer arabischen Quelle erhalten. 163 Der ägyptische Alchemist Aidamur ibn ʿAlī al-Ǧildakī (gest. 743/1342)22 erklärt in seinem Šarḥ Kitāb aš-Šams al-akbar23 das „große Buch der Sonne“ des Balīnās, d. h. des Pseudo-Apollonios von Tyana24. Balīnās berichtet in seiner Schrift, daß er im Traum den „Sohn der Sonne“ gesehen habe, ein mit Gold und Edelsteinen geschmücktes Idol, das in allegorischer Rede das Geheimnis der Darstellung des Goldelixiers enthüllt habe. Zur Bekräftigung der Wahrheit der Visionen des Balīnās führt al-Ǧildakī nun im zweiten Teil seines Kommentars die Disputation der „Kleopatra, der Königin von Samannūd25“ an, die sie mit ihren Schülern gehalten hat, welche sich „am Tage ihres Festes“ bei ihr versammelt hatten. Es ist hier von Schülern (talāmīḏ) die Rede, aber diese erweisen sich als bereits fertige Gelehrte, die auch der Kleopatra etwas zu sagen haben. Die Disputation ist also nicht das Protokoll einer Prüfung, sondern ein Gespräch mit wechselseitiger Belehrung. Dieselbe Disputation findet sich auch in der Handschrift Chester Beatty 4025 (fol. 38 b‒47 a). Es handelt sich bei diesem Manuskript um das Autograph eines bisher unbekannten Mannes namens Ḥasan Aġā Sirdār, der im _______________

19 20 21 22 23 24 25

ders. in: Essays on the History of Medicine, presented to Karl Sudhoff, Zürich 1924, S. 90‒93; C. A. Browne, in: Ambix 3, 1948, S. 21‒25. Mas. Murūǧ VIII 176, 1 (§ 3311). Julius Ruska, Ein dem Chālid ibn Jazīd zugeschriebenes Verzeichnis der Propheten, Philosophen und Frauen, die sich mit Alchemie befaßten, in: Der Islam 18, 1929, S. 295, Nr. 4. Fihrist 354, 17 Flügel; Übs. Johann W. Fück, The Arabic Literature on Alchemy according to an-Nadīm (A. D. 987), in: Ambix 4, 1951, S. 94, Nr. 14. Vgl. Brockelmann, GAL II 138 f.; S I 171 f.; Eric John Holmyard, Aidamir al-Jildakī, in: Iraq 4, 1937, S. 47‒53. Ms. Berlin 4188 (= Landberg 1007), fol. 20‒54. Vgl. Martin Plessner, EI 2 I 994 f. (s. v. Balīnūs). Samannūd ist das alte Σεβέννυτος, kopt. Djebennūti, s. Hermann Kees, Pauly-Wissowa 2 A 1 (1921), Sp. 958‒960; Gaston Wiet, EI1 IV 238 f. (s. v. Semennūd); Yāqūt Buldān III 145, 20/254 b 7 ff.

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Jahre 1095/1684 in Daǧirǧā in Oberägypten26 geschrieben hat. Der Band umfaßt fünfzehn Traktate, zum Teil Kommentare und Glossen zu älteren Schriften, zum Teil eigenständige Abhandlungen. Einer dieser Traktate ist der Kommentar des Ḥasan Aġā zu der erwähnten Disputation, jedoch tritt hier nicht Kleopatra, sondern Maria auf. Auch Maria ist in der Alchemie keine Unbekannte27. In einem griechischen 164 Fragment stellt sie sich als dem Geschlechte Abrahams angehörend vor28, und sicher haben jüdisch-gnostische Kreise in ihr die Schwester des Moses gesehen. Die spätere Legende hat sie mit Maria, der Mutter Jesu, konfundiert, die in den Evangelien der Gnostiker eine Rolle spielt und als Autorität in Fragen der Magie und Alchemie galt. Im Islam wiederum wurde die Alchemistin Maria zu ,,Maria der Koptin“. Mit ihr ist die Sklavin gemeint, die der Muqauqis von Alexandrien dem Propheten Muḥammad als Geschenk gesandt hatte. Doch ein anderer Bericht versetzt die Koptin Maria in eine spätere Zeit: Sie habe den Kalifen al-Maʾmūn im Jahre 217/832 in ihrem Dorfe in Ägypten bewirtet und für ihn Sand in Gold verwandelt29. Al-Ǧildakī aber greift offenbar wieder auf eine ältere Tradition zurück. Er spricht stets von der „Hebräerin Maria, der Tochter des Königs Sabaʾ“. „Maria" ist also nichts als ein Name, ein Name für eine jener Figuren ohne historischen Hintergrund, die in der Alchemie so häufig als angebliche Autoren pseudepigraphischer Schriften begegnen. Marias Lehren sind in griechischer Sprache nur in dürftigen Auszügen bei Zosimos und Olympiodor erhalten geblieben. Im Arabischen gibt es mehrere Traktate unter ihrem Namen. Davon sei nur die Risālat at-Tāǧ wa-ḫilqat almaulūd genannt, die Holmyard bekanntgemacht hat30. Ibn an-Nadīm31 erwähnt das Kitāb Māriya al-Qibṭīya maʿa l-ḥukamāʾ ḥīna ǧtamaʿū ilaihā. Man kann diesem Titel nur entnehmen, daß das Buch Gespräche zwischen Maria und den Weisen, die sich bei ihr versammelt hatten, enthalten hatte. Sollte es sich _______________ 26 Yāqūt Buldān II 551, 6/440 b 10 ff. 27 John Ferguson, Bibliotheca Chemica: A Catalogue of the Alchemical, Chemical and Pharmaceutical Books in the Collection of the late James Young of Kelly and Durris, Vol. II, Glasgow 1906, S. 77 f.; Lippmann Entstehung I S. 46‒50; II, S. 142; Hammer-Jensen Alchymie S. 55‒69; F. Sherwood Taylor, A Survey of Greek Alchemy, in: Journal of Hellenic Studies 50, 1930, S. 116; Paul Kraus, Jābir ibn Ḥayyān. Contribution à l’histoire des idées scientifiques dans l’Islam, Vol. II: Jābir et la science grecque (Mémoires présentés à l’Institut d’Egypte, Tome 45), Le Caire 1942, S. 43 Anm. 1. 28 Berthelot Coll. 103, 5 f. 29 Ar-Rašīd b. az-Zubair, K. aḏ-Ḏaḫāʾir wa-t-tuḥaf, ed. Muḥammad Ḥamīd Allāh, Kuwait 1959, § 119 (S. 102, 1‒105, 9). 30 Eric John Holmyard, An Alchemical Tract Ascribed to Mary the Copt, in: Archeion 8, 1927, S. 161‒167. 31 Fihrist 354, 14 Flügel; Übs. Fück S. 94, Nr. 2.

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vielleicht um jene Disputation handeln, die uns Ḥasan Aġā Sirdār noch im 17. Jahrhundert durch seinen Kommentar erhalten hat? Und damit stellt sich die Frage, welcher der beiden Frauen die Priorität zukommt. Ist die Disputation ursprünglich unter Kleopatras Namen oder unter dem der Maria verbreitet gewesen? Aber weder der Text, noch die Traditionsgeschichte erlauben es, diese Frage zu entscheiden. Ḥasan Aġā ist zwar 350 Jahre jünger als al-Ǧildakī, aber er kann doch eine ältere und zuverlässigere Quelle benutzt haben als 165 dieser. Und weiter: Wenn die Notiz des Fihrist tatsächlich auf den in der Chester Beatty-Handschrift erhaltenen Text zu beziehen ist, so ist damit nur gesagt, daß dieser Text im Jahre 987 bereits in einer Version zirkulierte, in der Maria seine Heldin war. Ursprünglich kann deshalb doch Kleopatra an ihrer Stelle gestanden haben, und im übrigen hat derselbe ibn an-Nadīm, wie oben gezeigt, ja auch das Buch der Kleopatra verzeichnet. Die Frage nach der Priorität der Kleopatra oder der Maria muß daher fürs erste unbeantwortet bleiben. Wenden wir uns dem Text selbst zu! Er stellt uns vor neue Probleme. Die Berliner und die Dubliner Handschrift bieten nämlich zwei verschiedene Rezensionen. Sie unterscheiden sich nicht nur durch die Vertauschung der Namen der Kleopatra und der Maria, sondern auch hinsichtlich des Umfanges des Textes. Die Berliner Handschrift enthält eine längere Rezension. Unglücklicherweise ist sie defekt. Der Text hat ungefähr nach dem ersten Viertel (fol. 41 b) eine Lücke, deren Umfang nicht genau zu bestimmen ist. Die Chester Beatty-Handschrift ist der Repräsentant einer kürzeren Rezension, die aber vollständig zu sein scheint. Durch sie kann die Lücke der Berliner Handschrift zum Teil ausgefüllt werden, aber der genaue Anschluß fehlt. Erst gegen Ende der Disputation stimmen beide Texte wieder überein. Der mittlere, nur in der Berliner Handschrift erhaltene Abschnitt bleibt also vorerst fragmentarisch und dunkel. Trotzdem läßt sich der Inhalt des ganzen Stückes etwa folgendermaßen skizzieren: Die Disputation zerfällt in zwei Teile. Der erste Teil enthält 42 Fragen, in denen sich die Königin nach der Bedeutung bestimmter Bezeichnungen für den „Stein des Goldes“, d. h. das Elixier, erkundigt. Wir haben also einen Katalog alchemistischer Decknamen vor uns, eine willkommene neue Quelle, die geeignet erscheint, ein wenig mehr Licht in das Dunkel dieses außerordentlich problematischen und schwierigen Wortfeldes zu bringen32. Unser Text unterscheidet sich jedoch von den üblichen Listen, in denen die Decknamen durch Synonyme oder die Angabe ihrer eigentlichen Bedeutung erklärt werden. In jenen Listen heißt es z. Β., daß al-ʿuqāb „der Adler“ Salmiak _______________ 32 Zur Problematik vgl. Martin Plessner, Oriens 7, 1954, S. 368‒373.

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bedeute, daß al-mirrīḫ „der Mars“ das Eisen sei. Anders in unserem Text. Hier ist von vornherein klargestellt, daß alle Decknamen Bezeichnungen für das Goldelixier, den ḥaǧar aḏ-ḏahab, sind. Die Fragerin wünscht nur zu wissen, wie 166 die Bezeichnungen zustande gekommen seien, wie sie zu erklären seien. Der Text hat folgenden Wortlaut: Die durch Weisheit ausgezeichnete Königin sagte zu ihren Schülern, als sie sich bei ihr am Tage ihres Festes versammelt hatten: 1. „Was hat euch veranlaßt, den Stein des Goldes den e d l e n S t e i n (alḥaǧar al-karīm) zu nennen?“ Sie antworteten: ,,Weil er aus einer edlen Mine hervorgeht33.“ 2. Drauf sagte die Königin zu ihren Schülern: „Und warum nennt ihr ihn K u p f e r (nuḥās)?“ Sie sagten: „Weil er beim (alchemistischen) Prozeß in den Farben des Kupfers erglänzt. Allerdings nennen wir jeden beeinträchtigten Körper ,Kupfer‘, so wie wir jeden reinen Körper ,Gold‘ nennen, auch wenn es kein Gold ist34.“ 3. Drauf die Königin: „Und warum nennt ihr ihn E i s e n (ḥadīd)?“ Sie erwiderten: „Weil er, wenn er erstarrt, die Farbe des Eisens annimmt35.“ 4. Sie frug: „Warum nennt ihr ihn S i l b e r (waraq)?“ Sie sagten: „Weil er, wenn er mit dem Zusammengesetzten vermischt wird, weiß wie die Farbe des Silbers wird.“ 5. Sie frug: „Warum nennt ihr ihn B l e i (abār)?“ Sie sagten: „Weil er nach der Synthese zu feuchtem Wasser gleich dem Blei wird.“ 6. Nun sprach die Königin zu den Gelehrten: „Und warum nennt ihr ihn S c h w a r z b l e i (raṣāṣ)?“ Sie antworteten: „Weil in ihm bei Beginn der Synthese das Summen und die Natur (kiyān) des Schwarzbleis ist.“ 7. Sie frug: „Warum nennt ihr ihn M e e r e s s t e i n (ḥaǧar baḥrī)?“ Sie antworteten: „Weil er sich im (alchemistischen) Prozeß wandelt, bis er zu einem leichten Geist wird, der wie das Meer fließt, nach einer Schwere und Härte, in der er sich anfänglich zusammen mit zahlreichen anderen Steinen befand.“ 8. Drauf die Königin: „Warum nennt ihr ihn P y r i t e s (būrīṭīs)?“ Sie sagten: „Weil sein Anfang und seine Vollendung im Feuer liegen. In ihm existiert er und aus ihm entsteht er. Er ist feurig vom Feuer. Und da der Pyrites 167 vom Feuer kommt, nennen sie ihn (den Stein des Goldes) danach36.“ _______________ 33 Zu al-ḥaǧar al-mukarram vgl. WKAS I 562 a 29‒36. 34 Zu χαλκός als Deckname vgl. Berthelot Coll. 16, 12; 18, 18; 120, 5. Zur Interpretation vgl.: χρυσός, ὅλαι αἱ ψωμαὶ καὶ τὰ μέταλλά εἰσι τὰ ξανθωθέντα καὶ τελειωθέντα Berthelot Coll. 16, 7 f. 35 Zu σίδηρος als Deckname vgl. Berthelot Coll. 13, 23. 36 Zu πυρίτης als Deckname vgl. Berthelot Coll. 11, 11; 12, 15; 120, 3; 197, 6.

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9. Nun frug die Königin ihre Schüler: „Warum wird er E t e s i o s (aṭīs[iy]ūs) genannt?“ Sie sagten: „Weil es der Stein ist, der in jedem Jahr entsteht37.“ 10. Sie frug weiter: „Warum aber nennt ihr ihn s c h w a r z e W o l l e (ṣūf aswad)?“ Sie antworteten: „Weil er beim Herauskommen aus dem (Wasser des) Schwefel(s) zunächst aufquillt, und weil er schwarz ist.“ 11. Sie sagte: „Warum wird er r o t e r H y a z i n t h (yāqūta ḥamrāʾ) genannt?“ Sie erwiderten : „Weil die Röte, die von ihm ausgeht, edler und schöner als der Hyazinth ist.“ 12. Sie frug: „Warum wird er S m a r a g d (zumurrud) genannt?“ Sie sagten: „Weil er zuweilen (Var. Chester Beatty: „auf einer Stufe des Prozesses“) das Grün des Smaragdes annimmt.“ 13. Sie sagte: „Warum wird er mit den Namen der E r d a r t e n (bi-asmāʾ al-atriba) bezeichnet?“ Sie antworteten: „Weil er am Beginn der Kochung zu Erde (turāb) wird38.“ 14. Sie frug: „Warum nennt ihr ihn r o t e n L e h m (maġara ḥamrāʾ)?“ Sie antworteten: „Weil er im Prozeß (Var. Chester Beatty: „zu Beginn der Rotfärbung“) als roter Lehm herauskommt.“ 15. Sie frug: „Und warum nennt ihr ihn g e l b e n L e h m (maġara ṣafrāʾ)?“ Sie sagten: „Weil er zu etwas dem gelben Lehm Ähnlichen wird.“ 16. Sie sagte: „Warum nennt ihr ihn šaḥīra?“ Sie sagten: „Weil aus ihm trockener Staub herauskommt39.“ 168 17. Sie frug: „Warum wird er V i t r i o l (qalqand) genannt?“ Sie antworteten: „Weil ihm das Blitzen des Vitriols zu eigen ist40.“ _______________ 37 Zu [λίθος] ἐτήσιος als Deckname vgl. Berthelot Coll. 7, 9; 18, 3; 120, 3; 197, 16. 38 γῆ (mit verschiedenen Attributen) wird oft als Deckname verwendet, s. Berthelot Coll. 6, 15 ff.; 18, 8 ff. 39 Ibn Ǧulǧul (zitiert bei b. -Baiṭār Ǧāmiʿ IV 157, 21 f.) und ibn al-Ḥaššāʾ im K. Mufīd alʿulūm definieren die šaḥīra als eine Mischung aus gebranntem Ton und Salz, die zur Läuterung des Goldes verwendet werde, s. Reinhard Dozy, Lettre à M. Fleischer contenant des remarques critiques et explicatives sur le texte d’al-Makkari, Leyde 1871, S. 225. Ḥasan Aġā erklärt šaḥīra als ein Mineral in den Bergen, das in den Farben gelb, weiß und grün vorkommt. Er versteht unter šaḥīra also ein Vitriol. Als eine Vitriolart (vielleicht Schusterschwärze oder Bestandteil der Tinte?) ist die šaḥīra auch bei folgenden Autoren genannt: Ibn Sīnā, K. al-Qānūn fī ṭ-ṭibb, Romae 1593, Bd. I 167, 20 (s. v. zāǧ); al-Ġāfiqī bei b. -Baiṭār Ǧāmiʿ III 60, 1‒3; Dimašqī Nuḫba 80, ‒4, vgl. dazu Eilhard Wiedemann, Zur Chemie bei den Arabern (= Beiträge XXIV), in: SPMSE 43, 1911, S. 97 (abgedruckt bei Wiedemann, Aufsätze zur arabischen Wissenschaftsgeschichte I, Hildesheim 1970, S. 714). Ibn al-Baiṭār selbst setzt in seinem K. al-Ǧāmiʿ (II 148, ‒3 ff.) šaḥīra mit μίσυ gleich, das Dioskurides (V 100 Wellmann / S. 419, 18 ff. Dubler) beschreibt. Mit der vagen Erklärung purificare ist šaḥīra im arabisch-lateinischen Index des Vocabulista in Arabico, ed. C. Schiaparelli, Firenze 1871, S. 123 b 6, verzeichnet. 40 Zu χάλκανθος als Deckname vgl. Berthelot Coll. 16, 4; 19, 1. Zur Bedeutung und

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18. Darauf sagte sie: „Warum wird er S t e r n (naǧm) und s c h n e e i g e E r d e (arḍ ṯalǧīya) genannt?“ Sie entgegneten: „Weil er wie die Sterne und der Schnee glänzt.“ 19. Sie fuhr fort: „Warum wird er A l a u n (šabb) genannt?“ Sie erklärten: „Weil der Alaun zur Färbung unseres Werkes dient.“ 20. Sie frug: „Und warum wird er A r s e n (zirnīḫ) und A r s e n s u l f i d (zandarīḫ) genannt?“ Sie antworteten: „Weil er den edlen Körper verbrennt, so wie das Arsen und das Arsensulfid das gemeine Kupfer und Silber (nuḥās alʿāmma wa-waraquhum) verbrennen41.“ 21. Sie sagte: „Warum wird er r o t e r S c h w e f e l (al-kibrīt al-aḥmar) genannt?“ Sie erwiderten: „Wegen seiner großen Bedeutung; es gibt nämlich nichts Erhabeneres als den roten Schwefel42.“ 22. Es sprach die Königin Kleopatra, die Herrin ihrer Zeitgenossen, zu ihren Schülern, den Gelehrten: „Warum nennt ihr den edlen Stein des Goldes u n v e r b r e n n b a r e n S c h w e f e l (kibrīta lā taḥtariq)?“ Sie antworteten: „Weil das Feuer die verschiedenen Schwefelsorten (al-kabārīt) frißt, so daß von ihnen nichts übrigbleibt. Dieser aber verbrennt nicht vermöge seiner Macht 169 über das Feuer. Daher geht von ihm im Feuer nichts verloren43.“ 23. Da sprach die Königin zu den Gelehrten: „Warum wird der edle Stein E s s i g (ḫall) genannt?“ Sie sagten: „Weil er zugleich kalt und heiß ist. Er zersetzt nämlich die Körper, so wie der Essig bei der Erwärmung die Steine zersetzt44.“ 24. Die Königin sprach: „Warum wird er M i l c h (laban) genannt?“ Sie antworteten: „Weil er weiß ist. Und wenn er gekocht wird, wird er dick, wie die Milch beim Kochen dick wird. Und genauso, wie die Milch die Nahrung eines jeden Kindes und Tieres ist, so ist auch unser Wasser die Nahrung des Körpers45.“ 25. Drauf sagte Kleopatra zu den Weisen: „Warum wird der edle Stein Ö l (duhn) genannt?“ Sie entgegneten: „Weil das Öl, wenn es der Wärme ausgesetzt wird, in den Körper eindringt46.“ _______________

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Etymologie von qalqand s. Lutz Richter-Bernburg, Eine arabische Version der pseudogalenischen Schrift De Theriaca ad Pisonem, Diss. Göttingen 1969, S. 175‒178. Vgl. den Ausdruck ἄργυρος κοινός bei Berthelot Coll. 19, 5. Ein griechisches Äquivalent für den „roten Schwefel“ ist mir nicht bekannt. Häufig ist dagegen der Ausdruck θεῖον λευκόν als Deckname für viele verschiedene Substanzen, s. Berthelot Coll. 7, 20 ff. Im Arabischen ist al-kibrīt al-aḥmar ein ganz gewöhnlicher Deckname für das Elixier, s. WKAS I 28 a 40 ff.; 536 a 25 ff. In der Chester Beatty-Handschrift fehlt der § 22. kibrīta lā taḥtariq ist Lehnübersetzung aus θεῖον ἄκαυστον, s. Berthelot Coll. 8, 7; 390, 12 ff. Zu ὄξος als Deckname vgl. Berthelot Coll. 12, 5; 19, 17; 21, 18. Zu γάλα als Deckname vgl. Berthelot Coll. 6, 14. 19. Zu ἔλαιον als Deckname vgl. Berthelot Coll. 7, 6.

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26. Drauf sprach die Königin Kleopatra zu ihren Schülern, den Gelehrten: „Warum wird der edle Stein U r i n (baul) genannt?“ Sie sagten: „Weil alle Färber die kostbaren Farben mit Hilfe von Urin herstellen47.“ 27. Sie frug: „Warum wird er W a s s e r d e s K o r n e s (māʾ al-ḥabb) genannt?“ Sie antworteten: „Weil er verborgen ist und drinnen in der Tiefe des Körpers sitzt, so wie das Wasser des Kornes in seinem Inneren verborgen ist.“ 28. Drauf frug sie: „Und warum wird er W a s s e r d e s N i l e s (māʾ anNīl) genannt?“ Sie antworteten: „Weil der Nil, wenn er schwillt, die Saaten befruchtet. Dann gibt es viele Früchte, und der Segen zieht ein. So auch unser Wasser: Wenn es in den (alchemistischen) Prozeß eintritt, wird es ganz und gar ein Gutes.“ 29. Sie sagte: „Warum wird er M i l c h d e s B a u m e s (laban aš-šaǧara) 170 genannt?“ Sie antworteten: „Weil die Milch des Baumes in ihm verborgen ist, so daß man sie nicht sehen kann. So auch ihr Wasser48 in ihrem Stein.“ 30. Drauf sagte sie: ,,Warum wird er M e e r (baḥr) genannt?“ Sie sagten: „Weil er, wie das Meer, Gutes und Segen reichlich spendet. Die Wissenschaft von ihm (d. h. vom Stein des Goldes) bringt nämlich die Perlen der Weisheit hervor, so wie das Meer die kostbaren Perlen ausstößt.“ 31. Drauf frug sie: ,,Warum wird er W e i n (ḫamr) genannt?“ Sie antworteten: „Weil der Wein, wenn er feucht ist, weiß ist. Trocknet er ein, so wird er rot. So ist es auch mit unserem Wasser.“ 32. Drauf sagte sie: „Warum wird er M i l c h e i n e r F r a u , d i e e i n e n K n a b e n g e b o r e n h a t (laban imraʾa waladat ḏakaran) genannt?“ Sie erklärten: „Weil er die Nahrung des männlichen Körpers ist, den seine Mutter geboren hat.“ 33. Sie sagte: „Und warum wird er M i l c h d e r H ü n d i n (laban al-kalba) genannt?“ Sie antworteten: „Weil sie (die Milch) trotz ihrer geringen Menge viele Welpen ernährt. So ernährt auch eine geringe Menge unseres Wassers eine große Menge von den Körpern49.“ 34. Drauf sprach sie: „Warum wird er W a s s e r d e r T e r e b i n t h e (māʾ al-buṭm) und L e i n ö l (zait al-kattān) genannt?“ Sie sagten: „Weil alle Maler nur dadurch ihre Malerei verschönen und die Farben ihrer Gemälde schön herausbringen können, daß sie sie mit diesen beiden Ölen firnissen. Sie müssen gemischt werden, und mit ihnen müssen die Bilder auf den Tafeln und _______________ 47 οὖρον ἀφθόρου ist ein häufig gebrauchter Deckname, vgl. Berthelot Coll. 338, 14. Nach § 26 bricht der Decknamenkatalog in der Berliner Handschrift ab. Das folgende ist nur in der Chester Beatty-Handschrift überliefert. 48 Das heißt: das Wasser der Alchemisten. 49 Laban al-kalba ist Lehnübersetzung aus κυνόγαλον, s. Berthelot Coll. 338, 15.

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Gemälden eingeschmiert werden. So taugt unser Werk auch nur durch unser Wasser50.“ 35. Sie sagte: „Warum wird er R e t t i c h ö l (duhn al-fuǧl) genannt?“ Sie antworteten: „Weil das Rettichöl in der ersten Zeit nach dem Auspressen stinkend und roh ist. Doch je mehr die Zeit vergeht, desto klarer wird seine Farbe und desto angenehmer werden sein Geruch und Geschmack51.“ 36. Sie sagte: „Und warum wird er R h i z i n u s ö l (duhn al-ḫirwaʿ) genannt?“ Sie erwiderten: „Weil es heiß ist und die Körper von ihren Krank- 171 heiten und die Seelen von ihren Sorgen heilt52.“ 37. Drauf frug sie: „Warum wird er B a l s a m ö l (duhn al-balasān) genannt?“ Sie antworteten: „Weil es jeden Körper, in dem die Kraft der Kälte vorherrscht, erwärmt und in Ordnung bringt. So bringt auch unser Wasser alle Erze, in die es eindringt, in Ordnung; auch setzt es ihre Primärqualitäten (ṭabāʾiʿ) ins Gleichmaß53.“ 38. Darauf sagte sie: „Warum nennt ihr ihn W e i n (ḫamr) und G r a n a t a p f e l - und F e i g e n g e i s t (nabīḏ ar-rummān wa-t-tīn)?“ Sie antworteten: „Weil diese Getränke die Seele zufrieden stimmen, den Körper ernähren, den Charakter verbessern und überhaupt die Seelen und die Körper stärken.“ 39. Dann sagte sie: „Warum wird er ‫ ﺍﺗﺎﻟﻴﻪ‬genannt?“ Sie antworteten: „Weil er der Geist des Wassers ist; er geht aus der Feuchtigkeit hervor, und der Ursprung der Feuchtigkeit ist spirituell54.“ 40. Da sagte sie: „Ja, aber warum wird das Weiße rot und das Rote weiß genannt?“ Sie entgegneten: „Weil das Rote geweißt wird und das Weiße gerötet wird. Daher wurden sie so bezeichnet.“ 41. Drauf frug sie: „Und warum wird er die M a g n e s i a d e r G l a s m a c h e r (maġnīsiyā z-zaǧǧāǧīn) genannt?“ Sie antworteten: „Weil, wenn wir ihn mischen, aus ihm eine gewaltige Schwärze herauskommt, wie es bei der Magnesia der Fall ist, wenn sie gewaschen wird.“ 42. Darauf sagte sie: „Warum wird er z w e i K ü k e n (farḫān) genannt?“ Sie antworteten: „Weil er anfangs aus zwei Dingen zusammengesetzt ist, dann _______________ 50 Die Handschrift hat fälschlich māʾ al-baṭn. Zu duhn al-buṭm vgl. b. -Baiṭār Ǧāmiʿ II 113, 7 ff. 51 Duhn al-fuǧl ist Dioskurides I 37 Wellmann / S. 41, 1 ff. Dubler die Wiedergabe von τὸ ῥαφάνινον. 52 Zu κίκινον ἔλαιον in einer Decknamenliste vgl. Berthelot Coll. 10, 1 f. 53 Duhn al-balasān ist Dioskurides I 19 Wellmann / S. 27, ‒5 ff. Dubler die Wiedergabe von ὀποβάλσαμον. Vgl.: ὀπὸς πάντων δένδρων καὶ βοτανῶν ἐστιν ὕδωρ θεῖον καὶ ὑδράργυρος Berthelot Coll. I 12, 6. Die außerordentlich stark erwärmende Kraft des Balsamöls hebt Dioskurides hervor. 54 Der arabische Schriftzug stellt offenbar die Umschrift eines griechischen Wortes dar.

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aus vieren, dann aus vielen. Genauso besteht das Warme aus zwei Küken; diese erzeugen zwei weitere Küken, so daß es vier sind; dann erzeugen die vier vier weitere, so daß es acht sind; und so fahren sie fort, sich zu vermehren.“ Diese Decknamenliste läßt eine genauere Ordnung vermissen. Nur wenige Bezeichnungen sind zu Gruppen zusammengefaßt: Die Namen der Metalle in 172 § 2—6, die Edelsteine in § 11 und 12, die Erden in § 13—15, die Vitriole und ähnlichen Chemikalien in § 16, 17, 19 und 20, schließlich die Pflanzenöle in § 34—37. Manche dieser Decknamen sind bekannt. Al-ḥaǧar al-karīm (§ 1) und al-kibrīt al-aḥmar (§ 21) sind ganz gewöhnliche Bezeichnungen für das Elixier. Weitere Ausdrücke sind zwar bekannt, sie werden sonst aber in anderer Bedeutung gebraucht. So wird die „Milch der Hündin“ (hier § 33) in einer Decknamenliste im K. al-Burhān des Ǧildakī als Äquivalent für zirnīḫ „Arsen“ angeführt55. Die meisten dieser 44 Decknamen aber sind bisher überhaupt unbekannt, d. h. sie sind noch nicht in den Listen von Ruska/Wiedemann56 und Siggel57 erfaßt. Wie groß ihr Geltungsbereich war, ist schwer zu sagen. Vielleicht sind einige sonst nie gebraucht und nur ad hoc gebildet worden. Wahrscheinlich aber hatten diese Ausdrücke schon eine längere Tradition. Als man ihren Sinn nicht mehr verstand, erhielten sie in diesem literarischen Stück eine sekundäre Ausdeutung. Werfen wir noch einen Blick auf den zweiten Teil der Disputation58! Nachdem die Königin die Antworten der Gelehrten gelobt hatte, fordert sie sie auf, das Geheimnis der Alchemie zu enthüllen. Die Schüler sagen, man müsse den trefflichsten, nützlichsten, schönsten Körper (d. h. Metall) nehmen, den weder die Erde angreift noch der Schwefel zerstört und der sich nicht dazu herabläßt, sich mit den Sklaven (ʿabīd) zu vermischen59. Doch die Königin gibt sich mit dieser Antwort nicht zufrieden; sie beharrt auf einer unverschlüsselten Erklärung. Nach einigem Zögern antworten drum die Gelehrten (fol. 45 a, ‒3 ff.): „Wer sich mit dieser Sache befassen will, muß, wenn er das Feuchte und Trockene und das Warme und Kalte zusammengebracht hat, danach streben, daß die erste Stufe heißes, weißes, schillerndes Wasser wird. Die Sonne _______________ 55 S. Alfred Siggel, Decknamen in der arabischen alchemistischen Literatur (Deutsche Akad. d. Wiss. zu Berlin, Institut für Orientforschung, Veröffentlichung Nr. 5), Berlin 1951, S. 21, 8. Siggel möchte zirniḫ in ziʾbaq „Quecksilber" emendieren. 56 Julius Ruska und Eilhard Wiedemann, Alchemistische Decknamen (= Beiträge LXVII), in: SPMSE 56‒57, 1924‒25, S. 17‒36 (abgedruckt in: Wiedemann Aufsätze II S. 596‒615). 57 S. Anm. 55. 58 Ms. Chester Beatty 4025, fol. 45 a 1 ff. 59 Der Ausdruck ʿabd bildet auch Bestandteil mehrerer Decknamen, s. Siggel Decknamen S. 45.

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mit ihrer Hitze verwandelt daraufhin das Weiße in einen marmorfarbigen 173 Körper, dann treibt sie aus ihm eine rotbraune Farbe heraus, dann eine safranartige, dann eine karmesinrote Farbe, zuletzt die Farbe des königlichen Purpurs.“ Sofort aber beteuern die Gelehrten, daß sie das Geheimnis nur preisgegeben hätten, weil die Königin sie gedrängt habe, und sie beschwören sie, Stillschweigen zu bewahren. Die Königin gibt daraufhin Anweisungen, das Feuer bei der rechten, mäßigen Stärke zu halten. Andernfalls würden die Schüler die „Körper“ verbrennen und die „Geister“ entweichen lassen, so daß die Körper tot zurückblieben und das Werk verdorben sei. Des weiteren (fol. 46 b, 1 ff.) empfiehlt sie, das Gleichmaß der vier Grundqualitäten Wärme und Kälte, Feuchtigkeit und „Luftigkeit“ zu beachten, damit die Erschaffung des „Eies“ (al-baiḍa) gelinge. Das Feuer müsse anfänglich schwach sein, damit sich die vier Grundqualitäten vermischen könnten und die „Geister“ es lernen könnten, dem Feuer zu widerstehen. Die Schüler mögen sich auch nicht schrecken lassen durch den häßlichen Anblick, der sich ihnen biete. Die vier Grundqualitäten wandelten sich von Fall zu Fall: sie würden grob, schmutzig und schwarz. Aber durch das Feuer entstehe aus dem Schmutz und der Schwärze das Heil, der Glanz und die Klarheit. Was die Königin lehrt, bleibt ebenso änigmatisch wie das, was die Schüler gesagt haben. Wir erfahren nichts Konkretes, nur einige allgemeine und untypische Dinge. Die Mischung der vier Grundqualitäten im Gleichmaß, die Beachtung des sanften Feuers, die Erschaffung des Eies, der Farbenwechsel der Metalle, die Reduktion zum „Schwarzen“ als Voraussetzung für die Metallverwandlung und die Ermahnung zur Geheimhaltung, all das sind Motive, die in der griechischen sowohl wie in der arabischen Alchemie immer wiederkehren. Ihre Allgemeinheit vereitelt den Versuch, sie bei einem bestimmten Autor zu lokalisieren. Der hellenistische Charakter dieses Textes steht außer Frage. Wo stammt er her? Ist er aus dem Griechischen übersetzt oder ist er unter Verwendung griechischer Begriffe und Motive erst in arabischer Sprache konzipiert worden? Auf Grund des bis heute vorliegenden, fragmentarischen Materials ist diese Frage mit Sicherheit weder nach der einen noch nach der anderen Seite hin zu entscheiden. Sicher ist nur, daß der arabische Kleopatra-Dialog mit den erhaltenen griechischen Bruchstücken, die unter Kleopatras Namen laufen, n ic ht zusammenhängt. Aber es ist nicht ausgeschlossen, daß es in griechischer 174 Sprache noch andere alchemistische Kleopatra-Traktate gegeben hatte, die die Vorlage des arabischen Stückes gewesen sein könnten. Für einen griechischen Ursprung des Textes ließen sich einige Argumente anführen: so der Umstand, daß die meisten der in ihm enthaltenen Decknamen

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sonst im Arabischen nicht nachzuweisen sind, ferner die Bezeichnung der Kleopatra als der „Königin von Samannūd“ (Sebennytos), schließlich die Lehnübersetzungen aus dem Griechischen (kibrīta lā taḥtariq in § 22, laban al-kalba in § 33, duhn al-ḫirwaʿ in § 36) und die griechischen Fremdwörter (πυρίτης in § 8, ἐτήσιος in § 9, der unidentifizierte Ausdruck in § 39). Man mag besonders darauf hinweisen, daß die Interpretationen der drei griechischen Wörter die Kenntnis ihrer Grundbedeutung voraussetze, daß also ein griechisch schreibender Autor anzunehmen sei. Ich möchte dennoch glauben, daß der arabische Text in arabischer Sprache konzipiert wurde, daß er also nicht der Übersetzungsliteratur angehört. Ausdrücke wie kibrīta lā taḥtariq und ḥaǧar aṭīsiyūs stehen nicht so allein. Sie kehren z. Β. auch im Kratesbuch und in anderen Schriften wieder60, gehören also zum festen Bestand von Begriffen, über die ein arabischer Alchemist im 9. oder 10. Jahrhundert verfügen konnte. Überhaupt ist die Kleopatra-Disputation meiner Meinung nach analog zu anderen zeitgenössischen alchemistischen Schriften zu beurteilen, die ebenfalls arabische Autoren haben, auch wenn sie griechischen Weisen zugeschrieben sind. Das Kratesbuch habe ich bereits genannt. Andere dieser Pseudepigrapha tragen in ihren Titeln die Namen von Platon, Aristoteles, Demokrit, Hermes, Apollonios von Tyana, Agathodaimon 175 und Ostanes. Der Kleopatra-Dialog läßt sich meines Erachtens am leichtesten in jene Literatur einordnen, die nach der Zeit entstanden ist, in der griechische alchemistische Schriften übersetzt worden sind. Durch die Übersetzungen hatten die Autoren jener späteren Literatur Kenntnis von den griechischen Namen und Begriffen; Charakter und Zuschnitt der griechischen Schriften waren ihnen vertraut. Und nach diesen Modellen haben sie ihre eigenen Traktate entworfen.

_______________ 60 Marcellin Berthelot, La Chimie au moyen âge, Tome III: L’alchimie arabe, avec la collaboration de M. Octave Houdas, Paris 1893, S. 9, 8; 25, 10 f.; 44, 3; WKAS I 537 a 7 ff. Zu der Rolle, die Kleopatra in der Alchemie spielt, vgl. jetzt Fuat Sezgin, Geschichte des arabischen Schrifttums IV, Leiden 1971, S. 70. — Historische Nachrichten über Kleopatra finden sich auch in folgenden Quellen: Abū Maʿšar al-Balḫī, Κ. al-Ulūf, zitiert bei Ḥamza al-Iṣbahānī, Κ. Taʾrīḫ sinī mulūk al-arḍ, ed. J. M. Ε. Gottwaldt, Petropoli-Lipsiae 1846, S. 80, 10; Abū r-Raiḥān al-Bīrūnī, K. al-Qānūn al-Masʿūdī Bd. I, Ḥaidarābād 1373/1954, S. 158, 1 ff.; ʿIzz ad-Dīn ibn al-Aṯīr, Κ. al-Kāmil fī t-taʾrīḫ, ed. C. J. Tornberg, Vol. I, Lugduni Batavorum 1867, S. 206, ‒6 ff.; 231, 6 ff.; Ibn Ḫaldūn, K. al-ʿIbar, Bairūt 1956, Bd. II, Index S. 1213.

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Nachträge Zu S. 322 f.: Zum Autograph des Ḥasan Aġā Sirdār vgl. M. Ullmann, Katalog der arabischen alchemistischen Handschriften der Chester Beatty Library, Teil I, Wiesbaden 1974, p. 37‒61. Zu S. 326 nr. 16: Zur šaḥīra vgl. Fabian Käs, Die Mineralien in der arabischen Pharmakognosie, Teil 2, Wiesbaden 2010, p. 623‒629. Zu S. 327 nr. 24: Zu laban als alchemistischem Decknamen s. WKAS II 164 a 25 ff. Zu S. 328 nr. 32: Lehnübersetzung aus γάλα ἀρρενοτόκου γυναικός, s. Diosc. Mat. med. V 84, 3 Wellmann / p. 410, –5 Dubler.

Ḫālid ibn Yazīd und die Alchemie: Eine Legende We must keep in mind the fact that ideas are the result of the entire material and cultural structure of a given period. They are linked up and interwoven with the general philosophy of the time, and nobody can think beyond the framework of his world.1

Die Leser der Zeitschrift „Saeculum“ sind kürzlich mit dem Problem des „Frühstadiums der arabischen Aneignung antiken Gutes“ vertraut gemacht worden2. Der Verfasser jenes Aufsatzes, Paul Kunitzsch, hat ein heißes Eisen angerührt. Denn die Hellenisierung der islamischen Welt, um die es bei diesem Problem geht, war ein historisches Ereignis ersten Ranges, ein Prozeß, der die Kultur der islamischen Länder aufs tiefste umgestaltet und geprägt hat, ein Prozeß, der auch auf das Abendland zurückgewirkt und den Wissenschaften des europäischen Mittelalters ganz neue Impulse gegeben hat. Die außerordentliche Bedeutung des Themas ist damit klar, und es ist selbstverständlich, daß der Historiker nach den Anfängen und Ursprüngen fragen muß, wenn er zur Erkenntnis des Wesens eines historischen Prozesses vordringen will. Im vorliegenden Fall aber stößt die Frage nach den Anfängen in einen dunklen Raum. Die Übersetzungen griechischer Werke ins Arabische, die im 9. Jhdt. nach Chr., der Hauptepoche der Hellenisierung, angefertigt wurden, sind durch erhaltene Handschriften und durch Testimonien zeitgenössischer Autoren reich bezeugt. Hier haben wir festen Boden unter den Füßen. Was aber vor dem Jahre 800 geschehen ist, ist schlecht dokumentiert. Die Fakten sind spärlich, die Nachrichten der Historiker und Bibliographen widersprüchlich, und so ist es kein Wunder, daß das Problem des „Frühstadiums der 182 arabischen Aneignung antiken Gutes“ die Köpfe seit je erhitzt und den Scheuern der Wissenschaft eine reiche Ernte an Hypothesen eingebracht hat. Und daß jüngst wieder einmal jemand seine Hypothesen zu Tatsachen stilisieren wollte, wird nur den befremden, der die menschliche Natur nicht kennt. _______________ 1 2

Henry E. Sigerist, A History of Medicine, Vol. I: Primitive and Archaic Medicine, New York 1951, p. 10 f. Saeculum 26, 1975, 268‒282.

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Bei dieser Lage der Dinge ist man dankbar, daß Paul Kunitzsch einen ausgewogenen Überblick über das „Frühstadium“ gegeben und behutsam und vorsichtig argumentiert hat. Er hat das Vorläufige seiner Bestandsaufnahme betont und hat mehrfach darauf hingewiesen, daß es auf die Klärung von Detailfragen ankomme, bevor man zu größeren Synthesen und Wertungen vordringen könne3. Vor allem müßten die alten, angeblich vor dem Jahre 800 übersetzten oder verfaßten Texte ediert und erschlossen werden, und dann gelte es abzuwarten, was sie an interner Evidenz erbrächten4. Da aber diese Texte bisher nicht veröffentlicht sind und da die Detailforschung noch kaum geleistet ist, war auch Kunitzsch zumeist auf Indizien angewiesen, so daß seine Darstellung sich hauptsächlich im Kreise von Meinungen und Vermutungen bewegt. Mir scheint, daß er die Möglichkeit früher Datierungen zu optimistisch gesehen hat, und ich glaube, daß die Tradition der Hermetik, der Astrologie und der Alchemie, jener Wissenschaften also, die von der Forschung besonders vernachlässigt worden sind, nicht wesentlich früher stattgefunden hat als die der Medizin und Philosophie. Insbesondere muß man das Datum II. Rabīʿ 38/September 658, das Jahr, in dem eine alchemistische Schrift des Zosimos von Panopolis ins Arabische übersetzt worden sein soll5, eliminieren. Dieses Datum steht lediglich in einer Handschrift des 15. Jhdts.; es ist nicht mehr als „a disconnected note“ und hat, wie Douglas Morton Dunlop richtig festgestellt hat, „all the appearance of a late gloss of no particular authority“6. Aber auch die Berichte über die alchemistischen Ambitionen des Ḫālid ibn Yazīd, des im Jahre 85/704 gestorbenen Prinzen aus dem Hause der Umaiyaden7, müssen ins Reich der Fabel verwiesen werden, und der Klärung dieses Problems sollen die folgenden Seiten gewidmet sein. An diesem einen Punkte also soll hier jene Detailforschung geleistet werden, die allein weiterführen kann, und wir müssen den Leser bitten, uns auf dem dornigen Wege der Kritik disparater arabischer Quellen zu folgen. *

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Daß Ḫālid ibn Yazīd, der Enkel Muʿāwiya’s, sich mit Alchemie beschäftigt 183 habe, berichten schon lateinische Schriften des Mittelalters, und diese Nachricht wurde bestätigt, als im 19. Jahrhundert das Kitāb al-Aġānī, der Fihrist des _______________ 3 4 5 6 7

Ibid. p. 270 Mitte. Ibid. p. 276 f. Ibid. p. 276. Journal of the Royal Asiatic Society 1974, p. 64 f. Kunitzsch p. 277.

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ibn an-Nadīm, das biographische Lexikon des ibn Ḫallikān und das Geschichtswerk des ibn aṭ-Ṭiqṭaqā in Europa bekannt wurden. So galt es denn allgemein als historisches Faktum, daß Ḫālid ein Adept war, bis Julius Ruska 1924 eine Arbeit veröffentlichte8, in der er alle jene Schriften untersucht hatte, die unter Ḫālids Namen arabisch oder lateinisch kursieren. Er war zu dem Ergebnis gekommen, daß diese Schriften — es handelt sich um das Firdaus al-ḥikma, das Krates-Buch, die Risāla fī ṣ-Ṣanʿa aš-šarīfa wa-ḫawāṣṣihā (Ms. Rāmpūr 16,2), die in Rāmpūr 16,3 erhaltene Risāla, die Morienus-Legende9, den Liber secretorum alchemiae und den Liber trium verborum — ausnahmslos Fälschungen sind. Nachdem inzwischen viele neue Quellen ans Licht gekommen sind, sind Ruska’s Untersuchungen heute in vielen Einzelheiten überholt. Nicht überholt ist sein Gesamtergebnis, denn alles, was inzwischen bekanntgeworden ist, bestätigt Ruska’s Erkenntnis, daß jene Schriften nicht von Ḫālid stammen können. Man kann also Ruska’s scharfen Blick und sein unbestechliches Urteil nur bewundern. Er hatte diese Schriften erstmals ernsthaft und konsequent mit philologisch-historischer Methode untersucht und auf diese Weise ihre Unechtheit erwiesen10. Aber wenn auch die Schriften nicht von Ḫālid stammten, so blieb doch — wie Ruska glaubte — immerhin die Möglichkeit, daß die Nachrichten der arabischen Historiker über Ḫālids alchemistische Ambitionen einen wahren Kern enthielten. Und daher urteilte er p. 50 zusammenfassend: „So läßt sich die Nachricht von Chālids alchemistischer Liebhaberei weder beweisen noch sicher widerlegen“. 184 Ruska’s wohlabgewogene, behutsame Stellungnahme ist nicht Gemeingut der Wissenschaft geworden. Die Ansichten sind nach wie vor geteilt, wie an drei Äußerungen aus jüngster Zeit gezeigt werden soll: Mit Bezug auf die Umaiyadenzeit sagt Gustave Edmund von Grunebaum: “. . . the orientation of the leading circles was toward Byzantium; at least in the sense that it was from _______________ 8

Julius Ruska, Arabische Alchemisten I. Chālid ibn Jazīd ibn Muʿāwija (Heidelberger Akten der von-Portheim-Stiftung 6), Heidelberg 1924. 9 Die Calid-Morienus-Geschichte ist zum Teil von Goethe übersetzt worden, s. J. W. von Goethe, Die Schriften zu den Naturwissenschaften, Abt. I, Bd. 6, Zur Farbenlehre, Historischer Teil, bearbeitet von Dorothea Kuhn, Weimar 1957, p. 131 f. Erläuterungen dazu im Band „Ergänzungen und Erklärungen“, Abt. II, Bd. 6, Weimar 1959, p. 439‒441. Lateinische Neuausgabe und englische Übersetzung: Lee Stavenhagen, A Testament of Alchemy, being the revelations of Morienus, ancient adept and hermit of Jerusalem, to Khalid ibn Yazid ibn Muʿawiyya, king of the Arabs, of the divine secrets of the magisterium and accomplishment of the alchemical art. Edited and translated from the oldest manuscripts, with commentary, Hanover, New Hampshire, 1974. 10 Daß Leute, die die Methoden der Philologie und Geschichtswissenschaft ignorieren, auch noch nach Ruska’s Veröffentlichung an der Echtheit der Ḫālid-Schriften festhielten, braucht uns hier nicht zu beschäftigen.

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the Byzantine tradition that architecture and the arts drew inspiration and technicians; that it was a Hellenized version of alchemy which became, perhaps soon followed by medicine, the first natural science evoking the concern of a Muslim prince (Khālid b. Yazīd, d. ca. 704) and offered the first material to be translated into Arabic . . .”11. In der Encyclopaedia Judaica12 schreibt Bernard Suler: “Khalid b. Jasikhi (Calid Hebraeus) was an Arabian Jew and writer. He was revered by the Arab alchemists, who considered him to be the first alchemist of the Arabic period”. Und Martin Plessner äußerte sich folgendermaßen: “There is no doubt that Khālid b. Yazīd, a grandson of the first Umayyad Caliph Muʿāwiya (661‒80), showed scientific inclinations, and had a special interest in alchemy, though the true facts are lost in an impenetrable thicket of legends, and the alchemist texts handed down under Khālid’s name are all pseudepigraphia”13. Allerdings sagt Plessner nicht, warum Ḫālids alchemistische Interessen „keinem Zweifel“ unterliegen und warum das Dickicht der Legenden „undurchdringlich“ sei. Es zu durchdringen ist in der Tat schwierig, aber doch nicht unmöglich: man muß zu diesem Zweck die Quellen zusammenstellen, analysieren und sie einer historischen Kritik unterziehen. Wir wollen das hier tun und dabei nach einem genauen methodischen Plan verfahren, der folgendermaßen umrissen sei: 1. Das Problem der Unechtheit der unter Ḫālids Namen gehenden Schriften wird nicht wieder aufgerollt. Es ist durch Ruska definitiv gelöst. Ruska’s Argumenten könnte manches hinzugefügt werden, aber das Ergebnis bliebe das gleiche14. Diese Schriften scheiden also als historische Quellen aus. 2. Die übrigen Quellen werden in chronologischer Abfolge zusammenge- 185 stellt, ihr Inhalt wird in Stichworten skizziert. 3. Die Quellen werden auf ihre Abhängigkeit und Zuverlässigkeit geprüft. 4. Auf Grund der danach verbleibenden relevanten Quellen wollen wir versuchen, die Tatsachen aus dem persönlichen und politischen Leben Ḫālids zu sichern. Da vieles in Form von Anekdoten mitgeteilt ist, die ein literarisches Klischee, einen Topos oder eine bestimmte Ausgestaltung zu einer Pointe erkennen lassen, ist aus ihnen oft kein historisches Faktum abzulesen. Wohl aber verraten diese Anekdoten einen bezeichnenden Charakterzug, den Ḫālid tatsächlich oder in den Augen seiner Zeitgenossen besessen hat. _______________ 11 G. E. von Grunebaum, The Sources of Islamic Civilization, in: Der Islam 46, 1970, 31. 12 Bd. II, Jerusalem 1971, Sp. 547. 13 Martin Plessner, The Natural Sciences and Medicine, in: The Legacy of Islam, Second Edition, edited by the late Joseph Schacht with C. E. Bosworth, Oxford 1974, p. 428. 14 Nur die alchemistischen Gedichte (Dīwān Firdaus al-ḥikma), von denen Ruska noch so gut wie nichts kannte, sollen unten im Zusammenhang mit der Sammlung der echten Gedichte Ḫālids beurteilt werden.

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Ḫālid gilt nicht nur als Förderer der okkulten Wissenschaften und der Medizin, sondern auch als Traditionarier und als Dichter. Wir werden daher 5. seine Ḥadīṯ-Kenntnisse und 6. seine dichterischen Fähigkeiten untersuchen, um uns dann 7. der Frage zuzuwenden, was die Quellen denn nun tatsächlich über seine alchemistischen Fähigkeiten aussagen.

Die historischen Quellen 1. Hišām ibn Muḥammad al-Kalbī (gest. 204/819?), K. Ǧamharat an-nasab, Das genealogische Werk, ed. W. Caskel, Bd. I, Leiden 1966, Tafel 8: Ḫālid im Stammbaum der Umaiyaden. 2. Muḥammad ibn Saʿd (gest. 239/845), K. aṭ-Ṭabaqāt al-kabīr, Bd. V, ed. K. V. Zetterstéen, Leiden 1905, p. 28, 2‒30, 9: Marwān ibn al-Ḥakam soll bei der Übernahme des Kalifats Ḫālids Mutter heiraten. Ḫālid soll Thronfolger werden und das Emirat von Ḥimṣ bekommen. Marwān bestimmt seine eigenen Söhne zu Thronfolgern, beleidigt Ḫālid und wird von Ḫālids Mutter erstickt. P. 168, 10‒169, 1: Ḫālid und ʿAmr ibn Saʿīd ibn al-ʿĀṣ fragen sich, ob sie ʿAbd al-Malik ibn Marwān Gefolgschaft leisten sollen, nachdem ihnen das Kalifat entgangen ist. P. 212, 2‒8: Ḫālid kauft den ʿIkrima. 3. Muṣʿab ibn ʿAbd Allāh az-Zubairī (gest. 236/851), K. Nasab Quraiš, ed. Évariste Lévi-Provençal (Ḏaḫāʾir al-ʿarab 11), Kairo 1953, p. 128, 12 ff.: Die Söhne des Yazīd ibn Muʿāwiya, die Parteinahme Ḫālids für die Banū Kalb, die Söhne und Enkel Ḫālids. 4. Abū ʿAmr Ḫalīfa ibn Ḫayyāt al-ʿUṣfurī (gest. 240/854), K. at-Taʾrīḫ, ed. Akram Ḍiyāʾ al-ʿUmarī, Bagdad 1386/1967, Bd. I, p. 255, 6 ff.: Die Einwohner von al-Ǧābiya und die Umaiyaden huldigen dem Marwān und nach ihm dem Ḫālid ibn Yazīd am 15. Ḏū l-Qaʿda 64/5. Juli 684. 186 5. Abū Ǧaʿfar Muḥammad ibn Ḥabīb (gest. 246/860), Κ. al-Muḥabbar, ed. Ilse Lichtenstädter, Ḥaidarābād 1361/1942, p. 59, 2 f.; 67, 11 ff. und 445, 13 f.: Drei kurze Notizen über Ḫālids Frauen. 6. Id., K. al-Munammaq fī aḫbār Quraiš, ed. Ḫūršīd Aḥmad Fāriq, Ḥaidarābād 1384/1964, p. 491, 9 ff.: Ḫālids Schabernack mit dem schwachsinnigen Muʿāwiya ibn Marwān und mit Bakkār ibn ʿAbd al-Malik. P. 523, 3 ff.: Ḫālids Schwert. 7. ʿAmr ibn Baḥr al-Ǧāḥiẓ (gest. 255/869), K. al-Bayān wa-t-tabyīn, Bd. I, Kairo 1311, p. 126, 9‒11 / ed. ʿAbd as-Salām Muḥammad Hārūn, Bd. I, Kairo 1367/1948, p. 328, 1 f.: In einer langen Liste der redegewandten Männer und guten Stilisten wird auch Ḫālid ibn Yazīd genannt. Er sei „ein Redner und Dichter gewesen, seine Sprache sei korrekt gewesen, er habe ein universelles

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Wissen, treffliches Urteil und große Bildung besessen, und er sei der erste gewesen, der die Bücher der Sternkunde, der Medizin und Alchemie übersetzt hat [bzw. übersetzen ließ].“ 8. Id., K. al-Ḥayawān, ed. ʿAbd as-Salām Muḥammad Hārūn, Bd. I, 2. Auflage, Kairo 1384/1965, p. 76, 7 f.: Al-Ǧāḥiẓ spricht über die Schwierigkeiten einer adäquaten Übersetzung und schließt mit der rhetorischen Frage: „Wann war schon ibn al-Biṭrīq, ibn Nāʿima, ibn Qurra usw. wie Aristoteles, und wann war Ḫālid wie Platon?“ Ob diese Notiz aber auf Ḫālid ibn Yazīd zu beziehen ist, ist fraglich. 9. Muḥammad ibn Ismāʿīl al-Buḫārī (gest. 256/870), K. at-Taʾrīḫ al-kabīr, ed. Muḥammad ʿAbd al-Muʿīd Ḫān, Bd. II 1, 2. Aufl., Ḥaidarābād 1382/1963, p. 181 (nr. 613): Kurzer, durch Überlieferungsschäden verstümmelter Abschnitt, in dem Ḫālid als Traditionarier gewürdigt ist. 10. Al-Ḥasan ibn al-Ḥusain as-Sukkarī (gest. 275/888), Rezension des Dīwāns des Aḫṭal auf Grund der Überlieferung des Muḥammad ibn Ḥabīb, ed. Faḫr ad-Dīn al-Qabāwa, Bd. I. II, Aleppo 1971‒72, Gedicht nr. 4: Lob der Gastfreiheit eines Mannes namens Ḫālid (der von den Rezensenten mit Ḫālid ibn Yazīd gleichgesetzt ist). Gedicht nr. 84: Kurze Elegie auf Yazīd, der von seinem Sohn Ḫālid bestattet wurde. 11. ʿAbd Allāh ibn Muslim ibn Qutaiba (gest. 276/889), K. al-Maʿārif, ed. Ṯarwat ʿUkkāša, Kairo 1960, p. 221, 6: Ramla war mit Ḫālid verheiratet. P. 351, 16 ff.: Die Kinder Yazīds. P. 354, 3 f.: Marwān beleidigt den Ḫālid und wird von Ḫālids Mutter ermordet. P. 455, 12 ff.: ʿAlī ibn ʿAbd Allāh ibn ʿAbbās verkauft den Sklaven ʿIkrima an Ḫālid um 4000 Dīnāre. 12. Id., Κ. ʿUyūn al-aḫbār, Bd. I, Kairo 1343/1925, p. 199, 1‒7: Anekdote 187 über die Münzprägung (identisch mit Balāḏ. Futūḥ 240, 4 ff.). 13. Ps. ʿAbd Allāh ibn Muslim ibn Qutaiba, K. al-Imāma wa-s-siyāsa (= Taʾrīḫ al-ḫulafāʾ), ed. Ṭāhā Muḥammad az-Zainī, Bd. II, Kairo 1387/1967, p. 13, 13 ff.: Ḫālid bezeichnet den Regierungsantritt Marwāns als abgekartetes Spiel. Marwāns Freunde raten ihm, Ḫālids Mutter zu heiraten, um Ḫālids Widerstand zu brechen. Als Ḫālid die Waffen, die er Marwān für die Expedition nach Ägypten geliehen hatte, zurückforderte, beleidigte Marwān ihn aufs gröbste. Ḫālids Mutter erstickt den Marwān. 14. Aḥmad ibn Yaḥyā ibn Ǧābir al-Balāḏurī (gest. 279/892), K. Ansāb alašrāf, Vol. IV B, ed. Max Schloessinger, Jerusalem 1938, Vol. V, ed. S. D. F. Goitein, Jerusalem 1936, Vol. XI, ed. Wilhelm Ahlwardt, Greifswald 1883. Ḫālid ist an zahlreichen Stellen erwähnt, s. die Indizes und vgl. vor allem die folgenden Passagen: IV Β 65, 19‒71 ult.: Wichtiger, umfassender biographischer Artikel. P. 137, 16 ff.: Nachfolge Marwāns. Vol. V p. 128, 13‒129, 13: Nachfolge Muʿāwiya’s II. P. 132, 18‒135, 6: Nachfolge Muʿāwiya’s II. P. 145,

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5 ff.: Marwān beleidigt Ḫālid und wird von Ḫālids Mutter erstickt. P. 150, 1 ff.: Marwān sichert dem ʿAbd al-Malik die Thronfolge. P. 157 ult. ff. und 159, 10 ff.: Marwān beleidigt den Ḫālid und wird umgebracht. Bd. XI p. 153, 12 f.: Ḫālid heiratet ʿĀʾiša bint ʿAbd al-Malik ibn Marwān. P. 224, 13 ff.: Ḫālid ibn Yazīd und Rauḥ ibn Zinbāʿ sterben im selben Jahr („das Jahr der Könige“). 15. Id., K. Futūḥ al-buldān, ed. M. J. de Goeje, Lugduni Batavorum 1866, p. 240, 4 ff.: Ḫālid rät dem ʿAbd al-Malik, eigene Münzen zu prägen, damit er von den Byzantinern unabhängig werde. 16. Abū Ḥanīfa Aḥmad ibn Dāwūd ad-Dīnawarī (gest. 282/895), K. alAḫbār aṭ-ṭiwāl, ed. Vladimir Guirgass, Leiden 1888 / edd. ʿAbd al-Munʿim ʿĀmir und Ǧamāl ad-Dīn aš-Šayyāl, Kairo 1960, p. 272, 5/261, 10 ff.; 294, 3/ 285, 17 ff.; 328, 8/324 ult. ff: Episoden aus dem Leben Ḫālids, die sich nicht oder nur mit wesentlich anderen Zügen bei al-Balāḏurī usw. finden. 17. Aḥmad ibn abī Yaʿqūb ibn Ǧaʿfar, genannt al-Yaʿqūbī (gest. 284/897), K. at-Taʾrīḫ (verfaßt ca. 267/881), ed. M. Th. Houtsma, Bd. II, Leiden 1883, p. 301, 10: Ḫālid ist unter den Söhnen Yazīds aufgezählt. P. 304, 14 ff.: Rivalität zwischen Marwān und Ḫālid nach Muʿāwiya’s II. Tod. Auf Marwān sollen Ḫālid und ʿAmr ibn Saʿīd folgen. P. 306 paen. ff.: Marwān beleidigt den Ḫālid und wird von Ḫālids Mutter mit vergifteter Milch umgebracht bzw. unter Kissen erstickt. 188 18. Abū l-ʿAbbās Muḥammad ibn Yazīd al-Mubarrad (gest. 285/898), K. al-Kāmil, ed. William Wright, Leipzig 1864, p. 196, 10‒198, 12: Ḫālids drei Frauen; Ḫālids Anzeige, daß al-Ḥaǧǧāǧ ibn Yūsuf die Tochter des ʿAbd Allāh ibn Ǧaʿfar geheiratet hat. P. 189, 14‒190 ult.: Ḫālids Beschwerde bei ʿAbd alMalik wegen der Pferde. 19. Abū Ṭāhir Ismāʿīl ibn Aḥmad ibn Ziyādat Allāh at-Tuǧībī al-Barqī, Kommentar zu der von den Ḫālidīyān getroffenen Auswahl aus den Gedichten des Baššār ibn Burd, ed. as-Sayyid Muḥammad Badr ad-Dīn al-ʿAlawī, Aligarh 1934, p. 149, 13‒151, 8: Bericht über die romantische Liebe Ḫālids zu Ramla nach abū l-ʿAbbās Muḥammad ibn Yazīd al-Mubarrad (der Bericht stammt aber nicht aus dem Kāmil). 20. Ps. abū Tammām, Naqāʾiḍ Ǧarīr wa-l-Aḫṭal, ed. A. Salhani, Beyrouth 1922: In der historischen Einleitung, in der die Ereignisse vom Tode Muʿāwiya’s II. bis zur Schlacht von Marǧ Rāhiṭ berichtet werden, ist auch der Rivalität zwischen Ḫālid und Marwān gedacht (p. 13, 5; 15, 3; 16, 2; 17, 1). Gehuldigt wurde dem Marwān, aber nach ihm sollten Ḫālid ibn Yazīd und dann ʿAmr ibn Saʿīd ibn al-ʿĀṣ Kalifen werden. 21. Abū ʿAlī Aḥmad ibn ʿUmar ibn Rusta (vor 301/914), K. al-Aʿlāq annafīsa, Teil 7, ed. M. J. de Goeje (BGA VII), Leiden 1892, p. 210, 10: Ḫālid ibn Yazīd trägt gemeinsam mit anderen die Kunya abū Hāšim.

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22. Abū Ǧaʿfar Muḥammad ibn Ǧarīr aṭ-Ṭabarī (gest. 309/921), K. Taʾrīḫ ar-rusul wa-l-mulūk, ed. M. J. de Goeje und andere, Leiden 1879 ff. Zahlreiche Stellen, s. Index und vgl. besonders: II 1, 429, 3 f.: Die Söhne Yazīds. P. 469, 9‒477, 3: Regierungsantritt Marwāns und Rivalität mit Ḫālid. P. 482, 10: Marwān heiratet Ḫālids Mutter. P. 577, 2 ff.: Marwān beleidigt Ḫālid und wird von Ḫālids Mutter erstickt. II 2, 804, 8: In der Schlacht gegen Muṣʿab im Jahre 71/690‒691 befehligt Ḫālid den linken Flügel. III 4, 2483, 12: Ḫālid kauft den ʿIkrima von ʿAlī ibn ʿAbd Allāh ibn al-ʿAbbās. 23. Ibn ʿAbd Rabbihī (gest. 328/939‒940), K. al-ʿIqd al-farīd: Eine Anzahl Anekdoten, s. Index; vgl. vor allem Bd. II 314, 26 ff./IV 393, 20 ff.: Im Rahmen der Fitna des ibn az-Zubair wird der Regierungsantritt Marwāns und der Ausschluß Ḫālids vom Kalifat dargestellt. 24. ʿAlī ibn al-Ḥusain ibn ʿAlī al-Masʿūdī (gest. 345/956), K. at-Tanbīh wal-išrāf, ed. M. J. de Goeje (BGA VIII), Leiden 1894, p. 307, 11‒308, 9: Regierungsantritt Marwāns, Parteienbildung für Ḫālid ibn Yazīd, Kompromiss, daß 189 Ḫālid und dann ʿAmr ibn Saʿīd al-Ašdaq seine Nachfolger werden sollten. 25. Id., K. Murūǧ aḏ-ḏahab wa-maʿādin al-ǧauhar, ed. C. Barbier de Meynard, Tome VIII, Paris 1874, p. 176, 1‒6 (§ 3311): Kurze Erwähnung Ḫālids als Alchemist und Mitteilung dreier Verse aus einem seiner alchemistischen Gedichte. 26. Abū l-Faraǧ al-Iṣfahānī (gest. 356/966), K. al-Aġānī, Bd. 16, 87, 25‒92, 3/ 17, 340, 1‒350, 5: Wichtiger Artikel, in dem die einzelnen Anekdoten sorgfältig mit Isnāden versehen sind. Ḫālid wird als Alchemist erwähnt. Anlaß der Aufnahme Ḫālids in das K. al-Aġānī war seine romantische Liebe zu Ramla bint az-Zubair ibn al-ʿAwwām. 27. Ibn an-Nadīm, K. al-Fihrist (verfaßt 377/987), ed. Gustav Flügel, Leipzig 1871‒72, p. 242, 8 ff.: Ḫālid wurde „der Gelehrte aus der Familie Marwāns (!)“ genannt. Er zog griechische Philosophen aus Ägypten an sich, die er alchemistische Bücher aus dem Griechischen und Koptischen ins Arabische übersetzen ließ. P. 244, 2: Iṣṭifān al-Qadīm übersetzte für Ḫālid alchemistische und andere Bücher. P. 354, 3 ff.: Ḫālid war der erste, der medizinische, sternkundliche und alchemistische Bücher übersetzen ließ. Ḫālid bezeugt selbst, daß die Beschäftigung mit der Alchemie für ihn ein Ersatz für das entgangene Kalifat war. Er soll die Chemie mit Erfolg betrieben haben. Er schrieb Abhandlungen und Gedichte über Chemie. 28. Abū Ḥayyān at-Tauḥīdī (gest. 414/1024), K. al-Imtāʿ wa-l-muʾānasa, edd. Aḥmad Amīn und Aḥmad az-Zain, Bd. III, Kairo 1944, p. 178, 11 ff.: Wortwechsel zwischen Ḫālid und al-Ḥaǧǧāǧ. 29. Abū Manṣūr ʿAbd al-Malik ibn Muḥammad aṯ-Ṯaʿālibī (gest. 429/ 1037), K. Ṯimār al-qulūb fī l-muḍāf wa-l-mansūb, ed. Muḥammad abū l-Faḍl

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Ibrāhīm, Kairo 1384/1965, p. 290, 3‒10 (nr. 436): Erwähnung der drei Frauen Ḫālids. 30. Id., K. Laṭāʾif al-maʿārif, ed. P. de Jong, Leiden 1867, p. 53 ult.‒54, 4: Ḫālids Frauen. 31. Abū r-Raiḥān al-Bīrūnī (gest. 440/1048), K. al-Āṯār al-bāqiya ʿan alqurūn al-ḫāliya, ed. Eduard Sachau, Leipzig 1878, p. 302, 17‒19 (übs. Sachau p. 300): Ḫālid war der erste der islamischen Philosophen, ja man sagt sogar, daß sein Wissen zu dem gehöre, was Daniel aus der Schatzhöhle geholt habe, derselben Höhle, in der Adam sein Wissen deponiert habe. Drei MuzdawiǧVerse über die Chronologie der Hiǧra. 32. Ps. Maǧrīṭī (um 442/1050), K. Rutbat al-ḥakīm wa-mudḫal at-taʿlīm, Ms. Chester Beatty 5234, 2, p. 103, 10‒104, 12, abgedruckt bei Manfred Ullmann, Katalog der arabischen alchemistischen Handschriften der Chester 190 Beatty Library, Teil I, Wiesbaden 1974, p. 206 f.: Kurzer Abschnitt, in dem die Filiation der arabischen Alchemisten in völliger chronologischer Verwirrung angegeben ist. Ḫālid ibn Yazīd ist der erste arabische Philosoph gewesen, der sich mit Alchemie beschäftigt hat. Auf ihn sind gefolgt: Muḥammad ibn Zaid aus der Familie des ʿAlī ibn abī Ṭālib, ibn Waḥšīya, ibn Uḏun al-ḥimār aus der Familie des ʿAlī ibn abī Ṭālib, Ǧaʿfar aṣ-Ṣādiq, der Lehrer des Ǧābir ibn Ḥayyān. Alle diese Späteren haben die Methode des Ḫālid ibn Yazīd befolgt. 33. Abū l-Qāsim Ṣāʿid ibn Aḥmad al-Andalusī (gest. 462/1069‒70), K. Ṭabaqāt al-umam, ed. Louis Cheikho, Bairūt 1912, p. 48, 2‒4: Ḫālid verstand sich auf die Medizin und Alchemie. Er schrieb alchemistische Abhandlungen und Gedichte, die seine vortrefflichen Kenntnisse bezeugen. 34. Al-Qāḍī ar-Rašīd ibn az-Zubair (5./11. Jhdt.), K. aḏ-Ḏaḫāʾir wa-t-tuḥaf, ed. Muḥammad Ḥamīd Allāh, Kuwait 1959, p. 9, 10‒10, 5 (§ 8): Ḫālid hat seine alchemistischen und anderen Kenntnisse einem Buch entnommen, das der Kaiser von China Ḫālids Großvater Muʿāwiya als diplomatisches Geschenk übersandt hatte. 35. Anonymus (5./11. Jhdt.), K. Taʾrīḫ al-ḫulafāʾ, Fascimile-Edition P. A. Grjaznevič u.a., Moskau 1967, fol. 93 a 7: Die Kinder Yazīds. Fol. 93 b 11 ff.: Ḫālid spricht das Totengebet für seinen Bruder Muʿāwiya II. im Ǧumādā I 64/Dezember 683 oder Januar 684. Fol. 95 a ult. ff.: Ḫālid und ʿAbd Allāh ibn Yazīd werden wegen ihrer Jugend nicht als Kalifen gewünscht. Fol. 96 a 7 ff.: Marwān beleidigt den Ḫālid und wird von Ḫālids Mutter erstickt. Fol. 120 a 11: Ḫālid befehligt in der Schlacht gegen Muṣʿab im Jahre 70/689‒690 den linken Flügel. 36. Abū l-Qāsim ʿAlī ibn al-Ḥasan ibn ʿAsākir (gest. 571/1176), K. atTaʾrīḫ al-kabīr, ed. ʿAbd al-Qādir Efendi Badrān, Bd. V, Damaskus 1332/1913, p. 116, 22‒120, 25: Lange Vita.

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37. Muḥammad ibn ʿAlī ibn Muḥammad, genannt ibn al-ʿImrānī (gest. um 580/1185), K. al-Inbāʾ fī taʾrīḫ al-ḫulafāʾ, ed. Qāsim as-Sāmarrāʾī (Publications of the Netherlands Institute of Archaeology and Arabic Studies in Cairo 1), Leiden 1973, p. 49, 13 ff.: Ḫālid wird von Marwān beleidigt, woraufhin Ḫālids Mutter den Marwān erstickt. 38. Yāqūt ar-Rūmī (gest. 626/1229), K. Muʿǧam al-buldān, ed. Ferdinand Wüstenfeld, Leipzig 1867‒68 / Beirut 1956, Bd. II 336, 17/303 b 16 ff.: Ḫālid hat die Zitadelle in Ḥimṣ erbaut. Bd. III 402, 6/414 a 22 ff.: Die Ortschaft aṣṢafwānīya in der Nähe von Damaskus hat Ḫālid gehört. 39. Id., K. Iršād al-arīb ilā maʿrifat al-adīb, ed. D. S. Margoliouth, Bd. IV, 191 London 1927, p. 165, 12‒169, 4 (nr. 55) / ed. Aḥmad Farīd Rifāʿī Bd. XI, Kairo 1355/1936, p. 35, 11‒42, 12 (nr. 8): Ausführliche Vita Ḫālids. 40. ʿIzz ad-Dīn ʿAlī ibn abī l-Karam ibn al-Aṯīr (gest. 630/1232), K. alKāmil fī t-taʾrīḫ, ed. Carolus Johannes Tornberg, Bd. IV, Leiden 1870; Bd. V, 1871: Ḫālid ist an elf Stellen genannt, s. Index und vgl. vor allem IV 120, 13‒ 123, 12: Rivalität zwischen Marwān und Ḫālid. 158, 5 ff.: Marwāns Tod. 41. Id., K. Usd al-ġāba fī maʿrifat aṣ-ṣaḥāba, Bd. II, Kairo 1285, p. 105, 19‒ 23: Nachweis, daß Ḫālid die Tradition über den Eintritt ins Paradies nicht von Muḥammad gehört hat. 42. Šams ad-Dīn Muḥammad ibn Maḥmūd aš-Šahrazūrī (7./13. Jhdt.), K. Rauḍat al-afrāḥ wa-nuzhat al-arwāḥ, Ms. Berlin 10056 (= Lbg. 430), fol. 55 b 8: Ḫālid hat die Medizin von Johannes Grammatikos gelernt. 43. Aḥmad ibn Muḥammad ibn Ḫallikān (gest. 681/1282), K. Wafayāt alaʿyān wa-anbāʾ abnāʾ az-zamān, Kairo 1310, Bd. I, 168, 25‒169, 16: Ḫālids Kenntnisse in der Chemie und Medizin. Verweis auf seine alchemistischen Sendschreiben und Gedichte. Affaire mit Ramla. Ḫālid beschwert sich bei ʿAbd al-Malik wegen der Übergriffe des Kronprinzen. 44. Muḥammad ibn ʿAlī ibn Ṭabāṭabā, genannt ibn aṭ-Ṭiqṭaqā, K. al-Faḫrī fī l-ādāb as-sulṭānīya wa-d-duwal al-islāmīya (verfaßt 701/1301), ed. Wilhelm Ahlwardt, Gotha 1860, p. 143, 10‒144, 14: Bericht über das Kalifat Marwāns und über seinen Konkurrenten Ḫālid. Ḫālids Mutter erstickt Marwān unter Kissen. 45. ʿIzz ad-Dīn Aidamir ibn ʿAlī al-Ǧildakī (gest. 743/1342), K. Ġāyat assurūr fī šarḥ aš-Šuḏūr, Teil II, Ms. Berlin 4183 (= Ms. Or. qu. 115), fol. 119 b 5 ff., abgedruckt bei Alfred Siggel, Katalog der arabischen alchemistischen Handschriften Deutschlands. Handschriften der öffentlichen wissenschaftlichen Bibliothek (früher Staatsbibliothek Berlin), Berlin 1949, p. 36, 12‒37, 10: Ḫālid sollte am 13. Rabīʿ I 64/10. November 683 seinem Vater Yazīd im Kalifat nachfolgen, aber statt seiner kam Muʿāwiya II. an die Reihe. Ḫālid hat sich mit Wissenschaft und Philosophie (ḥikma wa-falsafa) schon zu Lebzeiten

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seines Großvaters Muʿāwiya beschäftigt und dies auch in der Regierungszeit seines Vaters Yazīd beibehalten. Zusammen mit Maslama ibn ʿAbd al-Malik ibn Marwān hat er Konstantinopel belagert und dabei viele griechische Bücher erhalten. In seiner Jugend, noch zu Lebzeiten seines Großvaters Muʿāwiya, hat 192 er bei Maryānus, der in einem Kloster bei Damaskus lebte, praktische Studien getrieben, und zwar zehn Jahre lang. Ḫālid hat in Damaskus in der Umaiyadenmoschee und auf den Mauern Talismane errichtet. Auf sein Betreiben sind aus Byzanz Bücher über Philosophie, Weisheit (ḥikma), Medizin, Geometrie, Sternkunde, Mechanik usw. nach Syrien gebracht worden. Er selbst hat viele Bücher über verschiedene Wissensgebiete verfaßt, von denen das Firdaus das beste ist. 46. Šams ad-Dīn Muḥammad ibn Aḥmad aḏ-Ḏahabī (gest. 748/1348), K. Taʾrīḫ al-islām wa-ṭabaqāt al-mašāhīr wa-l-aʿlām, Bd. II, Kairo 1368/1948, p. 364, 20 ff.: ʿUbaid Allāh ibn Ziyād, Marwān und die Umaiyaden huldigten nach dem Tode Muʿāwiya’s II. am 15. Ḏū l-Qaʿda 64/5. Juli 684 dem Ḫālid (die Nachricht geht auf az-Zubair ibn al-Ḫarīt [Ḫurait ?] nach abū Labīd zurück). P. 366, 2 f.: Erst nach dem Ende der Schlacht von Marǧ Rāhiṭ zu Beginn des Jahres 65/August 684 huldigten die meisten Syrer dem Marwān, der nach neun Monaten starb und seinem Sohn ʿAbd al-Malik die Herrschaft überließ15. P. 368, 3 ff.: Marwān heiratet Ḫālids Mutter und bestimmt Ḫālid und danach den ʿAmr ibn Saʿīd al-Ašdaq als Thronfolger, hält diese Zusage aber nicht ein. Bd. III p. 74, 8 ff.: Marwān beleidigt Ḫālid und wird von Ḫālids Mutter erstickt. P. 91, 5: Ḫālid hat Traditionen von seinem Vater Yazīd übernommen. P. 240, 9: Ḫālid starb im Jahre 90/708‒709. P. 246, 13‒247, 11: Vita Ḫālids. Er überlieferte von seinem Vater und von Diḥya al-Kalbī. Er war ein frommer Mann und hat Weisheitssprüche geprägt. Er starb im Jahre 90, nach anderen 84/703, nach anderen 85/704. 47. Abū Muḥammad ʿAbd Allāh ibn Asʿad al-Yāfiʿī (gest. 768/1367), K. Mirʾāt al-ǧanān wa-ʿibrat al-yaqẓān, Bd. I, Ḥaidarābād 1337, p. 176, 7‒177, 6: Ḫālid starb 85/704. Die Vita und die Anekdoten sind vollständig aus ibn Ḫallikān übernommen. 48. Abū l-Fidāʾ Ismāʿīl ibn ʿUmar ibn Kaṯīr (gest. 774/1373), K. al-Bidāya wa-n-nihāya, Bd. VIII, Kairo 1351/1932, p. 236, 23: Ḫālid war, wie man sagt, im Besitz des Geheimnisses der Alchemie. P. 240, 4 ff.: Marwān, nicht Ḫālid, wird Kalif. Bd. IX, Kairo 1351/1932, p. 80, 7‒24: Ḫālids Vita. Er fastete an den muslimischen, jüdischen und christlichen Feiertagen, d. h. von Freitag bis Sonntag. Er sollte nach Marwān Kalif werden, jedoch das schlug fehl. War _______________ 15 Bd. III 70 paen. heißt es, daß dem Marwān nach dem Tode des Muʿāwiya ibn Yazīd gehuldigt wurde.

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Emir von Ḥimṣ. Haßte den Ḥaǧǧāǧ ibn Yūsuf. Starb im Jahre 90/708‒709, nach anderen 84/703, was aber falsch ist. 49. ʿAbd ar-Raḥmān ibn Muḥammad ibn Ḫaldūn (gest. 808/1406), Al- 193 Muqaddima, ed. E. Quatremère, Bd. III, Paris 1858, p. 193, 10 ff./p. 229 f. Rosenthal: Ḫālid kann nichts mit Alchemie zu tun gehabt haben, da er in der Zeit vor der Übersetzung der wissenschaftlichen Werke gelebt hat. 50. Id., K. al-ʿIbar wa-dīwān al-mubtadaʾ wa-l-ḫabar, Bd. III, Bairūt 1967, p. 100, 9: Ḫālid rät dem ʿAbd al-Malik, eigene Münzen zu prägen. 51. Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī (gest. 852/1448), K. al-Iṣāba fī tamyīz aṣ-ṣaḥāba (Bibl. Indica 20), Vol. I, Calcutta 1856, p. 966, 6 ff. (nr. 2350): Diskussion des Ḥadīṯes über den Eintritt ins Paradies. Nachweis, daß Ḫālid ihn von Umāma (und nicht Umāma von Ḫālid) gehört hat. 52. Id., K. Tahḏīb at-tahḏīb, Vol. III, Ḥaidarābād 1325, p. 128, 10‒129, 4 (nr. 234): Kurzer Artikel über Ḫālid und seine Bedeutung als Traditionarier mit Rückgriffen auf abū Ḥātim, az-Zubair ibn Bakkār, abū l-Faraǧ al-Iṣfahānī, ibn Ḥibbān al-Bustī, al-ʿAskarī und aḏ-Ḏahabī. 53. Bel-Muġūš al-Maġribī (um 936/1530), Ris. fī ṣ-Ṣanʿa al-ilāhīya, Ms. Chester Beatty 4501, fol. 2 b, ‒3 ff., abgedruckt bei Ullmann Katal. Chester Beatty I, 1974, p. 104, 8 ff.: Der Ursprung der Alchemie wird auf göttliche Offenbarung zurückgeführt, die Adam zuteilgeworden sei. Dann werden nach dem Schema der διαδοχαὶ φιλοσόφων eine lange Reihe von Propheten und Gelehrten aufgezählt, die die Alchemie einer auf den anderen vererbt haben. Ḫālid ibn Yazīd tritt in dieser Reihe zwischen ʿAlī ibn abī Ṭālib und Ǧaʿfar aṣṢādiq auf. 54. Ḥāǧǧī Ḫalīfa (gest. 1067/1657), K. Kašf aẓ-ẓunūn, Bd. V 280, 1 ff. (nr. 10996) / II 1531, 6: Der erste Muslim, der sich mit Alchemie beschäftigt und alchemistische Bücher geschrieben hat, war Ḫālid ibn Yazīd. Zu seinen Schülern gehörte Ǧābir ibn Ḥayyān16.

Quellenkritik Zunächst erledigen sich die jüngeren Quellen, die nur ältere uns erhaltene Quellen reproduzieren: Der Anonymus Grjaznevič (nr. 35) und ibn al-Aṯīr (nr. 40) sind von aṭ-Ṭabarī abhängig, Yāqūt (nr. 39) ist fast völlig von ibn ʿAsākir abhängig, al-Yāfiʿī (nr. 47) hat nur den ibn Ḫallikān ausgeschrieben. Sodann scheiden offenkundige Märchen und Phantastereien aus. Die Berichte des _______________ 16 Vgl. Paul Kraus, Jābir ibn Ḥayyān. Contribution à l’histoire des idées scientifiques dans l’Islam, Vol. I, Le Caire 1943, p. XLI.

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Rašīd ibn az-Zubair (nr. 34) und des Bīrūnī (nr. 31) kommen als Quellen also nicht in Betracht. Unberücksichtigt bleiben auch die Berichte des Ps. Maǧrīṭī 194 (nr. 32), des Ǧildakī (nr. 45) und des Bel-Muġūš (nr. 53), dreier Autoren, die nur alchemistische Geschichtsklitterungen bieten. Die detaillierten Kenntnisse, die al-Ǧildakī über Ḫālids Leben und Tätigkeit besitzt, scheinen frappant; da aber zwischen Ḫālid und al-Ǧildakī mehr als 600 Jahre liegen und der letztere weder eine Quelle noch einen Gewährsmann zu nennen vermag, da seine Nachrichten zudem mit denen der alten Historiker nicht konvergieren, ist ihre Nichtigkeit evident. Schließlich — und das ist für die Verfechter der Alchemie Ḫālids besonders schmerzlich — muß auch der Fihrist unberücksichtigt bleiben. Denn ibn an-Nadīms Berichte über Ḫālids Lebensumstände sind aus den in der Mitte des 10. Jhdts. schon existierenden Pseudepigrapha abstrahiert. Der Satz Fihrist 354, 5 f. ist offensichtlich aus Ǧāḥiẓ Bayān (Hārūn) I 328, 1 f. übernommen; die daran anschließende rührende Geschichte, daß Ḫālid, nachdem ihm das Kalifat entgangen war, in der Alchemie eine Ersatzbeschäftigung (ʿiwaḍ) gefunden habe und daß er diese Kunst nur aus altruistischen Motiven (Fihrist 354, 6 ff.) betrieben habe, kommt bei keinem der früheren Historiker vor. Sie ist Legende ebenso wie die Nachricht, daß er die Übersetzungen veranlaßt habe. Und wenn ibn Ḫallikān von dem Mönch Maryānus als dem Lehrer Ḫālids spricht17, so hat er das nur aus der MaryānusSchrift erschlossen, jenem Pseudepigraphon, das er im selben Atemzug nennt. Es bleiben damit im wesentlichen die Historiker des 9. Jhdts. übrig: Ibn Saʿd, az-Zubairī, Ḫalīfa ibn Ḫayyāṭ, Muḥammad ibn Ḥabīb, ibn Qutaiba, alBalāḏurī, ad-Dīnawarī, al-Yaʿqūbī und al-Mubarrad. Hinzu kommen aus dem 10. Jhdt. aṭ-Ṭabarī mit seiner Weltgeschichte und abū l-Faraǧ al-Iṣfahānī mit seinem K. al-Aġānī, beides Quellen, die durch die Angabe der Isnāde besonders wertvoll sind. Die in den Isnāden genannten Personen sind es letztlich, die die Überlieferungslücke schließen müssen, die zwischen dem Tode Ḫālids im Jahre 85/704 und den ersten schriftlichen Nachrichten liegt. Sie müssen einen Zeitraum von mehr als hundert Jahren oder drei Generationen überbrücken.

Ḫālids Leben und politisches Wirken Ḫālid, mit der Kunya abū Hāšim, war einer der Söhne des Kalifen Yazīd ibn Muʿāwiya (reg. 60—64/680—683) und dessen Gemahlin Fāḫita bint abī Hāšim ibn ʿUtba ibn Rabīʿa, die wegen ihrer geringen Körpergröße den Spitznamen 195 Ḥabba („das Korn“) bekommen hatte. Das Ehepaar hatte vier Söhne: Muʿāwiya (den späteren Kalifen Muʿāwiya II.), Ḫālid, ʿAbd Allāh al-akbar und _______________ 17 b. Ḫall. Wafayāt I 168, 27.

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abū Sufyān18. Ḫālids Geburtsjahr ist nicht überliefert, es kann jedoch mit einiger Sicherheit erschlossen werden. Denn Ḫālids älterer Bruder Muʿāwiya ist im Jahre 43/663‒664 geboren19. Bei dessen Tode im Jahre 64/684 war Ḫālid noch ein junger Bursche, und diese seine Jugend war einer der Gründe, warum er nicht zum Kalifen gewählt wurde. Die Quellen nennen ihn zu diesem Zeitpunkt einen ġulām, gelegentlich, dann aber karikierend, ein ṣabīy „Kind“. Ad-Dīnawarī ist der einzige, der Ḫālids Alter zu nennen weiß: Während der Regierungszeit Marwāns, d. h. in den Jahren 64‒65/684‒685, sei er ein Bursche von sieben Jahren gewesen (wa-huwa ġulāmun min abnāʾi sabʿi sinīna)20. Aber das ist sicherlich ein Überlieferungsfehler für sabʿa ʿašrata sanatan, zumal mit ġulām nicht ein siebenjähriges Kind, wohl aber ein halbwüchsiger Bursche bezeichnet wird. Daß ein solcher gemeint ist, zeigt auch der Kontext: Ḫālid sei nämlich in einer Weise einhergegangen, die Marwān mißfiel, so daß er ihn deswegen zu tadeln Anlaß sah21. Aber nur ein Jüngling bewegt sich affektiert und stolzierend-angeberisch, während ein siebenjähriges Kind in seliger Selbstvergessenheit harmonisch läuft. Demnach wäre Ḫālid etwa im Jahre 48/668 geboren, ein Datum, das gut zu dem Geburtsjahr seines älteren Bruders Muʿāwiya paßt. Der junge Ḫālid tritt in das Rampenlicht der Politik, als sein Bruder Muʿāwiya II. im Jahre 64/684 stirbt, ohne seine Nachfolge geregelt zu haben. Es ist die Zeit der syrischen Wirren und des sich ankündigenden zweiten Bürgerkrieges22. Nun waren die Meinungen über die Person des künftigen Kalifen geteilt. Eine Partei, deren Wortführer Yazīds Oheim (von Mutters Seite) Ḥassān ibn Mālik ibn Baḥdal war, favorisierte Ḫālid, eine andere Partei unter ʿAbd Allāh ibn ʿIḍāh al-Ašʿarī sprach sich für Marwān ibn al-Ḥakam aus. Alle Berichte betonen, daß Ḫālid und ʿAbd Allāh, die beiden Söhne Yazīds, wegen ihrer großen Jugend nicht gewünscht wurden. Fa-innahumā ḥadīṯatun 196 asnānuhumā heißt es bei aṭ-Ṭabarī; sie werden hāḏāni l-ġulāmāni genannt, und _______________ 18 19 20 21

Zubairī Quraiš 128, 12 f.; Balāḏ. Ansāb IV Β 4, 7 ff.; 61, 19 ff. Ḏahabī Taʾrīḫ III 83, 5. Dīnaw. Aḫbār 294, 6 / 285, 20. Der „affektierte Gang“ ist vielleicht nur ein literarischer Topos zum Ausdruck der Abneigung. Al-Ḥaǧǧāǧ sagte mit Bezug auf ʿAbd ar-Raḥmān ibn Muḥammad ibn alAšʿaṯ, den er trotz seines Mißtrauens im Jahre 80/699 zum Statthalter von Sīstān gemacht hatte: unẓur ilā mišyatihī wa-llāhi la-hamamtu an aḍriba ʿunuqahū „sieh dir seine Art zu gehen an! Bei Gott, ich habe schon daran gedacht, ihn köpfen zu lassen“: Ṭab. Taʾrīḫ II 2, 1043, 10. 22 Balāḏ. Ansāb V 132‒135; 143 f.; Julius Wellhausen, Das arabische Reich und sein Sturz, Berlin 1902, p. 106; Gernot Rotter, Die Umayyaden und der zweite Bürgerkrieg (680‒ 692), Wiesbaden 1982, Index.

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gelegentlich taucht, mit Bezug auf Ḫālid, der Ausdruck ṣabīy „Kind“ auf. Das ist nicht so sehr eine Altersangabe als vielmehr ein Hinweis auf die mangelnde Reife seiner Persönlichkeit. In diesem Zusammenhang ist eine Anekdote aufschlußreich, die die Charaktere der beiden Prätendenten beleuchtet. Eine Delegation unter Führung des ʿAbd Allāh ibn ʿIḍāh fand Ḫālid am frühen Morgen noch schlafend, Marwān dagegen gerüstet, bereit zum Aufbruch und bei der Lektüre des Korans23. Der historische Gehalt der Anekdote ist klar: Ḫālid war nicht nur zu jung, er war eine Schlafmütze, ein Mann ohne Tatkraft, politisch ohne Bedeutung. In Erkenntnis der mangelnden politischen Potenz, die auch im späteren Leben Ḫālids immer wieder klar hervortritt, lenkte Ḥassān ibn Mālik ibn Baḥdal ein und stimmte der Nominierung Marwāns zu. Man einigte sich auf einen Kompromiß: Marwān sollte Kalif werden unter der Bedingung, daß nach ihm Ḫālid ibn Yazīd und nach diesem ʿAmr ibn Saʿīd ibn al-ʿĀṣ al-Ašdaq das Kalifat bekämen. Der letztere sollte für die Zwischenzeit das Emirat von Damaskus erhalten, Ḫālid das von Ḥimṣ24. Außerdem wurde vereinbart, daß Marwān die Witwe Yazīds, Fāḫita, heiraten sollte, ein Schachzug, durch den Ḫālid unter die Vormundschaft (ḥiǧr) Marwāns geriet und durch den gleichzeitig die Anhänger Muʿāwiya's für Marwān gewonnen werden sollten25. Bald aber überzeugte sich auch Marwān von der politischen Unfähigkeit des designierten Kalifen (walīy al-ʿahd): Nach seiner Rückkehr aus Ägypten sicherte er seinem Sohn ʿAbd al-Malik die Nachfolge26. Ḫālids Reaktion auf diesen Bruch des Versprechens spiegelt sich nun wieder nur in einer Anekdote, die in den verschiedenen Quellen recht verschiedene Ausformungen erhalten hat: Ḫālid habe den Marwān an seine Zusage erinnert, worauf Marwān ihn in aller Öffentlichkeit aufs gröbste beleidigte. Als Ḫālid sich bei seiner Mutter (er war immer noch ein Muttersöhnchen!) darüber beklagte, versprach sie ihm Rache. Während Marwān schlief, erstickt sie ihn mit einem Kopfkissen. Es wird auch berichtet, daß sie ihn mit vergifteter Milch um197 gebracht habe27. Aber der Tod Marwāns im Jahre 65/684‒685 dürfte in Wirklichkeit ganz andere Ursachen gehabt haben. Vermutlich ist er an der Pest gestorben28. _______________ 23 Balāḏ. Ansāb V 128 paen. ff. 24 b. Saʿd Ṭabaqāt V 29, 1 ff.; Ḫalīfa b. Ḫayyāṭ Taʾrīḫ I 255, 6 ff.; Balāḏ. Ansāb V 135, 3 f.; Yaʿqūbī Taʾrīḫ II 304 ult. ff.; Ṭab. Taʾrīḫ II 1, 476, 11 ff.; Mas. Tanbīh 308, 8 f. 25 b. Saʿd Ṭabaqāt V 28, 2 ff; Balāḏ. Ansāb V 141, 11 ff.; 156, 9 ff.; Ṭab. Taʾrīḫ II 1, 482, 10 ff. 26 Balāḏ. Ansāb V 150, 16 ff. 27 b. Saʿd Ṭabaqāt V 29, 16 ff.; b. Qut. Maʿārif 354, 3 f.; Balāḏ. Ansāb V 145, 5 ff.; 158, 1 ff.; 159, 9 ff.; Ṭab. Taʾrīḫ II 1, 577, 2 ff.; ʿIqd II 316, 11 ff./ (Amīn) IV 397, 17 ff. usw. 28 Michael W. Dols, Plague in Early Islamic History, in: JAOS 94, 1974, 380.

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Der Übergang der Regierung von Marwān auf ʿAbd al-Malik scheint sich dann vollzogen zu haben, ohne daß Ḫālid überhaupt noch ins Gespräch kam oder selbst seine Ansprüche auf das Kalifat anmeldete. Jedenfalls reden die Quellen davon nicht mehr. Offensichtlich hatte Ḫālid seine politischen Ambitionen begraben. Von einer anfangs bestehenden gewissen Reserve zwischen ʿAbd al-Malik ibn Marwān und Ḫālid berichtet nur ibn Saʿd29. Ḫālid ibn Yazīd und ʿAmr ibn Saʿīd ibn al-ʿĀṣ erörtern dort die Frage, ob sie dem ʿAbd al-Malik Gefolgschaft leisten sollen, nachdem ihnen das Kalifat entgangen war. Im übrigen aber scheint das Verhältnis zwischen Ḫālid und ʿAbd al-Malik gar nicht schlecht gewesen zu sein, ja es scheint sich im Laufe der Zeit zu einer rechten Freundschaft und Vertraulichkeit entwickelt zu haben. Wiederum sind die Anekdoten aufschlußreich. Was sich liebt, neckt sich: In zwei Fällen stiftet Ḫālid den Muʿāwiya ibn Marwān, den etwas schwachsinnigen Bruder des Kalifen, zu einer Dummheit an, beidesmal, um den Kalifen anzuführen und aufzuziehen, um einen Ulk in Szene zu setzen. Und ʿAbd al-Malik durchschaut auch prompt, wer der Anstifter war, und kann sich des Lachens nicht enthalten30. Auch als Ḫālid bei ʿAbd al-Malik wegen der Übergriffe des Kronprinzen al-Walīd, die sich dieser mit den Pferden seines Bruders ʿAbd Allāh ibn Yazīd erlaubt hatte, protestiert, löst sich die Auseinandersetzung in ein geistreiches Wortgeplänkel, in eine mehr liebenswürdige Neckerei auf31. Im übrigen gibt es genug Zeugnisse für das gute Einvernehmen, das zwischen ʿAbd al-Malik und Ḫālid herrschte. Im Sommer 71‒72/691 beteiligte sich Ḫālid mit den Kalbiten an der Schlacht, die ʿAbd al-Malik um Qarqīsiyāʾ (das alte Circesium) führte, das von den Qaisiten unter Zufar ibn al-Ḥāriṯ ge- 198 halten wurde32. Ḫālid scheint sogar einer der Berater ʿAbd al-Maliks gewesen zu sein. Er riet ihm, eigene Münzen zu prägen33 und gab sein Urteil über die Gefahr des Aufstandes des ʿAbd ar-Raḥmān ibn al-Ašʿaṯ ab, der dem Kalifen brieflich gemeldet wurde34. Schließlich heiratete Ḫālid ʿAbd al-Maliks Tochter ʿĀʾiša, wurde also der Schwiegersohn des Kalifen35, und dieser dichtete später aus Anlaß des Todes des Umaiya ibn ʿAbd Allāh, Ḫālid und Rauḥ ibn Zinbāʿ eine Elegie36. Direkt bezeugt wird das gute Verhältnis durch al-Mubarrad37, _______________ 29 b. Saʿd Ṭabaqāt V 168, 10 ff. 30 Es heißt: fa-ġalaba ʿalā ʿAbdi l-Maliki ḍ-ḍaḥiku: b. Ḥabīb Munammaq 491, 9 ff.; Balāḏ. Ansāb V 165, 19 ff.; Aġ. 16, 91, 20 / 17, 349, 3 ff. 31 Balāḏ. Ansāb IV Β 67, 19 ff.; Mubarrad Kāmil 189, 14 ff.; Aġ. 16, 91, 4 / 17, 347, 13 ff. 32 Balāḏ. Ansāb V 301 paen. ff. 33 b. Qut. ʿUyūn I 199, 1 ff.; Balāḏ. Futūḥ 240, 4 ff. 34 Balāḏ. Ansāb XI 337, 12 ff.; Ṭab. Taʾrīḫ II 2, 1059, 12 ff.; III 1, 24, 9 ff. 35 Balāḏ. Ansāb XI 153, 12 f. 36 ib. 225, 3 ff.

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der sagt: wa-kāna [sc. Ḫālidun] ʿaẓīma l-qadri ʿinda ʿAbdi l-Maliki bni Marwāna „Ḫālid genoß bei ʿAbd al-Malik eine hohe Wertschätzung“. Aber dieses Urteil mag aus der dort folgenden romantischen Geschichte der Liebe Ḫālids zu Ramla herausgesponnen sein, in der ʿAbd al-Malik als Brautwerber fungiert. Ḫālids Verhältnis zu al-Ḥaǧǧāǧ ibn Yūsuf, dem mächtigen Statthalter der Umaiyaden im ʿIrāq, war jedoch sehr gespannt, was wiederum aus einer Anzahl von Anekdoten herauszulesen ist38. Einmal macht al-Ḥaǧǧāǧ dem Ḫālid Vorwürfe wegen seiner Heirat mit Ramla39, und Ḫālid rächte sich, indem er dem ʿAbd al-Malik anzeigte, daß al-Ḥaǧǧāǧ die Hāšimitin bint ʿAbd Allāh ibn Ǧaʿfar geheiratet hatte40. ʿAbd al-Malik verlangte darauf die Scheidung, und al-Ḥaǧǧāǧ mußte seine Frau zähneknirschend entlassen41. Wir haben also eine Fülle von Erzählungen und Anekdoten vor uns, bei denen man Zweifel haben muß, ob sie sich in allen Einzelheiten so abgespielt haben. Ihr wesentlicher historischer Gehalt aber ist klar: Alle zeigen den Ḫālid als einen Mann ohne Ambitionen, ohne Machtwillen, und ohne Instinkt für Politik. Er war ein Privatmann, der das bequeme Leben genoß, das ihm seine Stellung als Prinz und das Emirat von Ḥimṣ gewährten. In Ḥimṣ ließ er eine Moschee bauen, wobei er vierhundert Sklaven beschäftigte, die er nach Vollendung des Baus zur Belohnung freiließ42. Auch die Zitadelle (al-qaṣr) 199 dieser Stadt soll Ḫālid errichtet haben, und ebendort soll sich auch sein Grab befinden43. Der Ort aṣ-Ṣafwānīya in der Umgebung von Damaskus soll ebenfalls dem Ḫālid gehört haben44. Die Frauen scheinen in Ḫālids Leben eine große Rolle gespielt zu haben. Seine Gattinnen waren alle von hoher Abkunft45. Daß er durch die Heirat mit ʿĀʾiša bint ʿAbd al-Malik ibn Marwān der Schwiegersohn des Kalifen wurde46, ist oben schon erwähnt worden. Die Quellen nennen drei weitere Ehefrauen: Umm Kulṯūm bint ʿAbd Allāh ibn Ǧaʿfar ibn abī Ṭālib, an die er das Gedicht nr. 2 (s. unten) richtete, Āmina bint Saʿīd ibn al-ʿĀṣ ibn Umaiya, von der er sich wieder scheiden ließ (s. Gedichte nr. 4 und 5) und Ramla bint az-Zubair ibn al-ʿAwwām ibn Ḫuwailid. Die Ehe mit der letzteren mußte unter den _______________ 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46

Bei Baššār Muḫtār 150, 2. Balāḏ. Ansāb XI 183, 10 ff.; 187, 15 ff.; ʿIqd III 9, 14 ff. / (Amīn) V 19 paen. ff. Balāḏ. Ansāb IV Β 66, 17 ff.; Aġ. 16, 89, 2 / 17, 343, 6 ff. ʿIqd III 292, 25 / (Amīn) VI 122, 2 ff. Mubarrad Kāmil 197, 18 ff. Balāḏ. Ansāb IV Β 69, 8 f. Yāqūt Buldān II 336, 17 / 303 b 16 ff. ib. III 402, 6 / 414 a 22 ff. Es heißt: nisāʾun hunna šarafu man hunna minhu, Mubarrad Kāmil 196, 10. Balāḏ. Ansāb XI 153, 12 f.; b. Ḥabīb Muḥabbar 59, 2 f.

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herrschenden politischen Verhältnissen naturgemäß Anlaß zu Gerede und Klatsch geben. Ramla war zuvor die Frau des ʿUṯmān ibn ʿAbd Allāh ibn Ḥakīm ibn Ḥizām47, dem sie den ʿAbd Allāh ibn ʿUṯmān geboren hatte. Dieser ʿAbd Allāh wurde der Gatte der Sukaina bint al-Ḥusain ibn ʿAlī48. Die Liebesaffaire mit Ramla wird immer wieder erzählt, bisweilen in recht romantischer Ausgestaltung: Ḫālid machte in dem Jahre, in dem al-Ḥaǧǧāǧ den ʿAbd Allāh ibn az-Zubair tötete (d.h. im Jahre 73/692), die Wallfahrt nach Mekka und lernte dort Ramla kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick, und Ḫālid ließ sich durch sie zu einem Gedicht inspirieren, das ihm einen eigenen Artikel im K. al-Aġānī verschaffte (s. unten Gedicht nr. 1). Die Brautwerbung war eine Art Burleske. Ḫālid war, wie seine Mutter Fāḫita, klein von Gestalt und wurde deshalb zunächst abgewiesen. Da umgab er sich mit lauter kleinen Männern und setzte einen hohen Hut (qalansuwa) auf. Die optische Täuschung verschaffte ihm dann das Jawort49. Die Anekdote besagt wohl nur, daß Ḫālid nicht recht ernst zu nehmen war. Auch in dieser Liebe bewies Ḫālid sich wieder als ein Mann ohne politischen Instinkt. Er mußte sich von al-Ḥaǧǧāǧ grobe Vorwürfe gefallen lassen, in der Situation des Bürgerkrieges ausgerechnet die leibliche Schwester des Muṣʿab ibn az-Zubair gefreit zu haben. Ḫālid antwortete dem Ḥaǧǧāǧ heftig und wies pedantisch nach, daß diese Verbindung keineswegs eine Mesalliance sei. Das gespannte Verhältnis zwischen 200 Ḫālid und al-Ḥaǧǧāǧ wurde dadurch nicht besser. Außer mit seinen Ehefrauen verkehrte Ḫālid mit den Sklavinnen seines Hauses. Nach az-Zubairī50 hatte er sechs Söhne: Saʿīd, Yazīd, Ḥarb, ʿUtba, ʿAbd Allāh und abū Sufyān. Die vier letzteren stammten von Sklavinnen (ummahāt aulād). Das Todesdatum Ḫālids steht nicht genau fest. Ein Teil der Quellen nennt das Jahr 85/704, andere sprechen vom Jahre 90/708‒709. Das erstere Datum hat die größere Wahrscheinlichkeit für sich, denn erstens heißt es bei alBalāḏurī51, daß Ḫālid in den Tagen des ʿAbd al-Malik ibn Marwān gestorben sei, und zweitens wird berichtet, daß Ḫālid und Rauḥ ibn Zinbāʿ al-Ǧuḏāmī in ein und demselben Jahre gestorben seien, ein Jahr, daß daher auch „das Jahr der Könige“ (ʿām al-mulūk) genannt wurde52. Rauḥ ibn Zinbāʿ aber ist im Jahre 84/703 gestorben. Für das spätere Datum spricht eine Notiz bei ad-Dīnawarī. _______________ 47 48 49 50 51 52

Balāḏ. Ansāb IV Β 67, 10; b. Ḥabīb Muḥabbar 67, 11 ff. Aġ. 16, 88, 28 / 17, 342, 18 ff. Balāḏ. Ansāb IV Β 69, 11 f. Zubairī Nasab 130, 14 ff. Balāḏ. Ansāb IV Β 69, 12 f. Balāḏ. Ansāb XI 224, 13 f.

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Danach hat ʿAbd al-Malik ibn Marwān im Jahre 86/705 an seinem Sterbebett die Banū Umaiya versammelt, unter ihnen Ḫālid ibn Yazīd und ʿAbd Allāh ibn Yazīd ibn Muʿāwiya, und von ihnen Loyalität zu seinem Sohn al-Walīd verlangt53. Indes fällt alles, was ad-Dīnawarī über Ḫālid berichtet, etwas aus dem Rahmen, den die übrigen Historiker abgesteckt haben, und da adDīnawarī keine Isnāde oder Quellen angibt, bleibt der Wert seiner Nachrichten ungewiß. Mir scheint daher das Datum 85/704 das Richtige zu sein. Ḫālid wäre demnach nur 36 Jahre alt geworden.

Ḫālids Rolle als Traditionarier In den späteren Riǧāl-Werken, bei ibn ʿAsākir54, ibn al-Aṯīr55 und ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī56, wird auch Ḫālid ibn Yazīd ibn Muʿāwiya unter den Traditionariern aufgezählt. Diese Autoren berufen sich dabei zum Teil auf ältere Schriftsteller, z. B. auf ibn Ḥibbān al-Bustī57, auf al-Baihaqī, al-Ḫaṭīb al-Baġdādī und al-ʿAskarī. Die älteste diesbezügliche Quelle ist anscheinend das K. at-Taʾrīḫ 201 al-kabīr des Buḫārī (s. oben die Quellenliste nr. 9), aber der kurze Abschnitt, der sich dort befindet, ist durch Überlieferungsschäden so verstümmelt, daß ihm praktisch nichts entnommen werden kann. Ḫālids Stellung wird nun folgendermaßen umrissen: Er habe von seinem Vater Yazīd und von Diḥya ibn Ḫalīfa al-Kalbī Traditionen übernommen, und von Ḫālid hätten abū Bakr Muḥammad ibn Muslim ibn ʿUbaid Allāh az-Zuhrī58 und andere gelernt. Im 15. Jhdt. weiß ibn Ḥaǧar diese „anderen" mit Namen zu nennen: Es seien (außer az-Zuhrī) Raǧāʾ ibn Ḥaiwa, ʿAlī ibn Rabāḥ und ʿUbaid Allāh ibn alʿAbbās (nach anderen al-ʿAbbās ibn ʿUbaid Allāh ibn al-ʿAbbās) gewesen59. Nun ist Diḥya jedoch unter dem Kalifat des Muʿāwiya, etwa im Jahre 50/670, gestorben60, Ḫālid aber ist ungefähr 48/668 geboren. Er kann demnach nicht von Diḥya gehört haben, wie übrigens schon aḏ-Ḏahabī festgestellt hat61. Fragt man nach den Inhalten, so reduziert sich Ḫālids Ḥadīṯgelehrsamkeit auf zwei Traditionen: Die eine betrifft die (übrigens fragwürdige) Reise, die _______________ 53 54 55 56 57 58 59 60 61

Dīnaw. Aḫbār 328, 8 / 324 ult. ff. Bd. V 116, ‒6 ff., daraus abgeschrieben hat Yāqūt Iršād IV 165, 17‒166, 1. Usd al-ġāba II, Kairo 1285, p. 105, 19‒23. Iṣāba I (Bibl. Ind. 20), Calcutta 1856, p. 966, 6 ff. (nr. 2350). b. Ḥaǧar Tahḏīb III 129, 3. Gest. 124/742, s. GAL I 65; S I 102; GAS I 280‒283. b. Ḥaǧar Tahḏīb III 128, 11 ff. Vgl. Henri Lammens-Charles Pellat, EI 2 II 274 f. (s. v. Diḥya). Wa-qāla ḏ-Ḏahabīyu: lam yalqa [sc. Ḫālidun] Diḥyata l-Kalbīya, s. b. Ḥaǧar Tahḏīb III 129, 4.

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Diḥya im Auftrage Muḥammads zu Herakleios unternommen hatte. Dieser Ḥadīṯ kann nach dem oben Gesagten nicht mit Ḫālid in Verbindung gebracht werden. Mit dem zweiten Ḥadīṯ steht es nicht viel besser: Hier soll abū Umāma den Ḫālid gefragt haben, welchen Ausspruch er vom Propheten gehört habe, und Ḫālid habe folgenden Spruch rezitiert: „Wahrhaftig, ihr alle werdet ins Paradies kommen, mit Ausnahme derer, die sich in wilder Flucht von Gott trennen, so wie ein Kamel seinem Besitzer durchgeht“62. So die Filiation nach ʿAbdān (oder einem anderen), der von Saʿīd ibn abī Hilāl abhängig ist, welcher sich seinerseits auf ʿAlī ibn Ḫālid beruft. Aber schon die islamische Kritik hat bemerkt, daß Ḫālid den Propheten nicht gehört haben kann und daß man den Isnād anders zu verstehen habe: Nicht abū Umāma habe den Ḫālid, sondern Ḫālid den abū Umāma gefragt63. Selbst wenn es sich so verhalten hat, so wird Ḫālid dadurch doch noch nicht zu einem Ḥadīṯgelehrten. Daß er auch auf diesem Felde nur ein Dilettant geblieben ist, daß niemand seine Unterweisung suchte, zeigt wiederum eine 202 Anekdote: „Wenn er keinen fand, dem er Traditionen vermitteln konnte, so erzählte er sie seinen Sklavinnen, setzte aber hinzu: ‘Ich weiß wohl, daß ihr damit nichts anfangen könnt’“64. Und ein zweiter Bericht ist nicht weniger aufschlußreich: Ḫālid soll sich lange in Schweigen gehüllt haben, bis einer seiner Klienten zu ihm sagte: „Ich sehe, daß die Leute sich in Dinge versenken, die du doch viel besser weißt als sie. Aber du schweigst“. Da sagte Ḫālid: „Ich habe mich um die Suche nach Ḥadīṯen und Wissenschaft (al-aḥādīṯ wa-l-ʿilm) bemüht und habe das Richtige gefunden. Wenn ich es publiziere, muß ich fürchten, daß sie es [mir] wegschnappen (l. an yaḫṭifūhu)“65. Ein Geheimniskrämer also, ein Mensch von kleinlicher Eifersucht.

Ḫālid als Dichter Im folgenden sind die erhaltenen Verse zusammengestellt:

I. An Ramla bint az-Zubair ibn al-ʿAwwām gerichtetes Liebesgedicht. 1. a-laisa yazīdu s-sairu fī kulli lailatin wa-fī kulli yaumin min aḥibbatinā qurbā 2. aḥinnu ilā binti z-Zubairi wa-qad ʿalat binā l-ʿīsu ḫarqan min Tihāmata au naqbā _______________ 62 A-lā kullukum yadḫulu l-ǧannata illā man šarada ʿalā llāhi širāda l-baʿīri ʿalā ahlihī b. Ḥanbal Musnad V 258, 20 ff., vgl. auch Nih. II 211, 23. 63 b. -Aṯīr, Usd al-ġāba II 105, 19‒23; b. Ḥaǧar Iṣāba I 966, 6 ff. (nr. 2350). 64 b. ʿAsākir V 117, 8 f. 65 Balāḏ. Ansāb IV Β 65 ult. ff.

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3. iḏā nazalat arḍan taḥabbaba ahluhā ilainā wa-in kānat manāziluhā ḥarbā 4. wa-in nazalat māʾan wa-in kāna qablahā malīḥan waǧadnā māʾahū bāridan ʿaḏbā 5. taǧūlu ḫalāḫīlu n-nisāʾi wa-lā arā li-Ramlata ḫalḫālan yaǧūlu wa-lā qulbā 6. aqillū ʿalaiya l-lauma fīhā fa-innanī taḫayyartuhā minhum Zubairīyatan qalbā 7. uḥibbu banī l-ʿAwwāmi ṭurran li-ḥubbihā wa-min ḥubbihā aḥbabtu aḫwālahā Kalbā 8. fa-in tuslimī nuslim wa-in tatanaṣṣarī taḫuṭṭu riǧālun baina aʿyunihim ṣulbā 1 a. ḫalīlaiya mā min sāʿatin taḏkurānihā mina d-dahri illā miṭtumā ʿanniya l-karbā Q u e l l e n : 1‒8: Aġ. 16, 89, 15‒23 / 17, 344, 2‒10. 1‒7: Yāqūt Iršād IV 168, 9‒ 203 15/XI 41, 2‒ult. 7, 6, 8, 5: Balāḏ. Ansāb IV Β 66, 13‒16. 6: Balāḏ. Ansāb IV Β 67, 11.13. 5, 7, 8: Aġ. 16, 87, 26‒28 / 17, 340, 2‒4. 5‒8: Mubarrad Kāmil 197, 12‒16. 5: Schol. Baššār Muḫtār 149, 14. 1, 1a, 7, 5, 8: Schol. Baššār Muḫtār 151, 1‒5. 5, 7: b. Qut. Maʿārif 221, 8 f.; b. Ḫall. Wafayāt I 168, 30 f.; Ḥuṣrī Zahr I 393, 8 f. Varianten: 1. as-sairu Aġ., Yāq. : aš-šauqu Baššār Muḫt.; min aḥibbatinā Aġ.,Yāq. : lī ḥabībatanā Baššār Muḫt. 2. ʿalat : ʿadat Yāq. (Kairo). 3. taḥabbaba ahluhā : tuḥabbibu ahlahā Yāq. (Kairo). 5. taǧūlu ḫalāḫīlu n-nisāʾi wa-lā arā Aġ., Yāq., Mubarrad, Balāḏ., b. Ḫall., Baššār Muḫt. 151 : yaǧūlu wišāḥāhā wa-lastu bi-wāǧidin Baššār Muḫt. 149. 6. aqillū ʿalaiya l-lauma fīhā fa-innanī taḫayyartuhā minhum Aġ., Yāq. : wa-lā tukṯirū fīhā ḍ-ḍiǧāǧa fa-innanī tanaḫḫaltuhā ʿamdan Balāḏ. 66, 14 : [wa-] lammā raʾaitu l-ʿitqa fīhā mubayyanan tanaḫḫaltuhā minhum Balāḏ. 67, 11 : taḫayyartuhā min sirri qaumin karīmatan muwassaṭatan fīhim Balāḏ. 67, 13 : fa-lā tukṯirū fīhā l-malāma fa-innanī taḫayyartuhā minhum Mubarrad. 7. wa-min ḥubbihā Aġ. 16, 89, Yāq., Balāḏ. : wa-min aǧlihā b. Qut., Aġ. 16, 87, Mubarrad, Baššār Muḫt., b. Ḫall., Ḥuṣrī; ṭurran li-ḥubbihā Aġ. et cet. : min aǧli ḥubbihā b. Ḫall. 8. taḫuṭṭu Aġ. : yaḫuṭṭu Balāḏ. : yuʿalliq Mubarrad; nuslim Aġ., Balāḏ. : uslim Mubarrad, Baššār Muḫt. 1. Führt uns denn die Reise in jeder Nacht und an jedem Tage nicht näher an unsere Geliebten heran? 2. Ich sehne mich nach der Tochter des Zubair, nachdem uns die hellgelben Kamele über eine Wüste in der Tihāma oder einen Bergpfad getragen haben. 3. Wenn sie sich in einem Lande niederläßt, gewinnen wir auch dessen Einwohner lieb, selbst wenn deren Wohnstätten Kriegsgebiet sind. 4. Läßt sie sich an einem Wasserloche nieder, so finden wir,

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daß sein Wasser kühl und süß ist, auch wenn es vor ihrer Ankunft salzig war. 5. Es kreisen die Knöchelspangen der anderen Frauen, aber an Ramla sehe ich keine Knöchelspange, die kreist, und keinen Armreif. 6. Tadelt mich doch ihretwegen nicht so viel ! Ich habe sie nun einmal aus ihrer (der Zubairiden) Mitte erwählt, und ihr Herz schlägt für die Zubairiden. 7. Ich liebe die Banū l‑ʿAwwām allesamt, weil ich Ramla liebe, und aus Liebe zu ihr liebe ich ihre Oheime, die [Banū] Kalb. 8. Bekennst du [Ramla] dich zum Islam, so tun wir das auch; wirst du Christin, so machen Männer vor ihren Augen [die Zeichen der] Kreuze. 1 a. Meine beiden Freunde! Könnt ihr euch je an eine Stunde 204 erinnern, in der ihr den Kummer nicht von mir genommen hättet?66

II. An Umm Kulṯūm bint ʿAbd Allāh ibn Ǧaʿfar ibn abī Ṭālib gerichtetes Liebesgedicht. 1. atatnā bihā duhmu l-biġāli wa-šuhbuhā ʿafīfata aḫlāqin karīmata ʿunṣurī 2. muqābalatan baina n-nabīyi Muḥammadin wa-baina ʿAlīyin ḏī l-faḫāri wa-Ǧaʿfarī 3. manāfīyatan ǧādat bi-ḫāliṣi wuddihā li-ʿabda-manāfīyin aġarra mušahharī Q u e l l e n : 1‒3: Balāḏ. Ansāb IV Β 66, 8‒10 ; Aġ. 16, 90, 26‒28 / 17, 347, 2‒4. 3, 2: Balāḏ. Ansāb IV Β 66, 4 f. Varianten: 1. atatnā Balāḏ. : ǧāʾat Aġ.; ʿafīfata aḫlāqin karīmata ʿunṣurin Balāḏ. : muqannaʿatan fī ǧaufi ḥidǧin muḫaddarin Aġ. 2. muqābalatan Balāḏ. 66, 9, Aġ. : muṭahharatan Balāḏ. 66,5; wa-baina ʿAlīyin ḏī l-faḫāri wa-Ǧaʿfarin Balāḏ. 66, 9 : wa-baina ʿAlīyin wa-l-ḥawārī wa-Ǧaʿfarin Aġ. : wa-baina š-šahīdi ḏī l-ǧanāḥaini Ǧaʿfarin Balāḏ. 66, 5. 3. ǧādat bi-ḫāliṣi wuddihā Balāḏ. 66, 10, Aġ. : ġarrāʾu ǧādat bi-wuddihā Balāḏ. 66, 4. 1. Die schwarzen und grauen Maultiere haben sie zu uns gebracht, eine Frau von keuschem Charakter und edler Rasse, 2. eine, die Aufnahme gefunden hat zwischen dem Propheten Muḥammad und dem ruhmreichen ʿAlī und Ǧaʿfar, 3. eine von den [ʿAbd] Manāf, die ihre reine Liebe einem glänzenden, weithin berühmten Manne vom Stamme ʿAbd Manāf gewährt. _______________ 66 Vers 8 wird als untergeschoben und unecht bezeichnet, aber für dieses Verdikt ist lediglich sein anstößiger Inhalt maßgeblich gewesen. Zum Motiv der Konversion zu den Ungläubigen bei abū Nuwās vgl. G. Schoeler, Der Islam 55, 1978, 338 v. 2.

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III. Liebesgedicht. 1. saraḥtu safāhatī wa-araḥtu ḥilmī wa-fīya ʿalā taḥallumiya ʿtirāḍū 2. ʿalā annī uǧību iḏā daʿatnī ilā ḥāǧātihā l-ḥadaqu l-mirāḍū Q u e l l e n : Balāḏ. Ansāb IV Β 69, 6 f.; Ḥuṣrī Zahr (ʿIqd in margine) I 51, 10‒13/(Biǧāwī) I 54 paen. f.; b. Kaṯīr Bidāya VIII 138, 25 f. Bei al-Ḥuṣrī und ibn Kaṯīr sind die Verse Muʿāwiya zugeschrieben. 205 V a r i a n t e n : 1. saraḥtu safāhatī wa- Balāḏ. : ṣaramtu safāhatī wa- b. Kaṯīr : saʾimtu ġawāyatī fa- Ḥuṣrī; taḥallumī Balāḏ. : taḥammulī Ḥuṣrī, b. Kaṯīr. 2. ilā ḥāǧātihā Balāḏ. : ḏawātu d-dalli wa- Ḥuṣrī. 1. Morgens habe ich meine Torheit auf die Weide geschickt, abends habe ich meine Besonnenheit heimgeholt, doch ich spürte in mir eine Auflehnung gegen meine Besonnenheit. 2. Gleichwohl werde ich Folge leisten, wenn mich die kranken Pupillen67 zu dem, was ihnen Not macht, rufen.

IV. Epigramm anläßlich der Scheidung von Āmina bint Saʿīd. 1. wallaitu Āminata ṭ-ṭalāqa karīmatan ʿindī wa-lam yakbur ʿalaiya ṭalāquhā 2. wa-la-aqṭaʿanna ḥibāla uḫrā baʿdahā yauman iḏā lam tastaqim aḫlāquhā Q u e l l e : Balāḏ. Ansāb IV Β 70 paen. f. 1. Ich ließ Āmina, einer Frau, die mir teuer war, die Scheidung übermitteln, aber die Scheidung von ihr wurde mir [jetzt] nicht schwer. 2. Ich werde, nachdem sie fort ist, eines Tages auch das Band zu einer anderen durchtrennen, wenn deren Charakter nicht aufrecht ist.

V. Epigramm anläßlich seiner Scheidung von Āmina bint Saʿīd und deren Heirat mit al-Walīd ibn ʿAbd al-Malik (der im zweiten Vers angesprochen ist). 1. kaʿābun abūhā ḏū l-ʿimāmati wa-bnuhū wa-ʿUṯmānu mā akfāʾuhā bi-kaṯīrī 2. fa-in tastafidhā wa-l-ḫilāfata tanqalib bi-afḍali ʿilqai minbarin wa-sarīrī _______________ 67 Das heißt: die Frauen mit dem matten, liebeskranken Blick.

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Q u e l l e n : 1, 2: Balāḏ. Ansāb IV Β 70, 18 f.; Mubarrad Kāmil 196, 16 f.; b. ‑Ǧarrāḥ ʿAmr 59, 7 f. 1: Ǧāḥiẓ Bayān II 78, 22/III 99, 12; Ṯaʿāl. Ṯimār 290, 5; b. ‑Aṯīr Muraṣṣaʿ lin. 2472; Maidānī Amṯāl I 166, 23. Das Gedicht ist von ibn alǦarrāḥ dem ʿAmr ibn Miḫlāt al-Kalbī, von al-Maidānī dem ʿAmr ibn Saʿīd alAšdaq zugeschrieben. Bei ibn al-Aṯīr ist es anonym überliefert. Varianten: 206 1. kaʿābun Balāḏ., Ǧāḥiẓ : fatātun Mubarrad, b. -Ǧarrāḥ, Ṯaʿāl., b. -Aṯīr, Maidānī; al-ʿimāmati Balāḏ., Maidānī : ʿimāmatin b. -Aṯīr : al-ʿiṣābati Ǧāḥiẓ, Mubarrad, b. -Ǧarrāḥ, Ṯaʿāl.; wa-bnuhū wa-ʿUṯmānu Balāḏ., Mubarrad, Ǧāḥiẓ, b. -Ǧarrāḥ : minhumū wa-Marwānu b. -Aṯīr : wa-bnuhū aḫūhā faMaidānī, Ṯaʿāl. 2. tastafidhā Balāḏ. : taftalithā Mubarrad, b. -Ǧarrāḥ; bi-afḍali Balāḏ. : biakrami Mubarrad, b. -Ǧarrāḥ. 1. Eine vollbusige Frau; ihr Vater, dessen Sohn und ʿUṯmān tragen den Turban; Männer, die ihr ebenbürtig sind, gibt es nicht viele. 2. Wenn du sie und das Kalifat gewinnst, kannst du dich mit den beiden kostbarsten Dingen, die Kanzel und Bett zu bieten haben, davonmachen.

VI. Epigramm über sein Schwert „al-Ġamr“. 1. wa-manzilatin lā yaʾmanu l-qaumu bi-ḍ-ḍuḥā wa-lā bi-l-ʿašīyi min ǧawānibihā ǧanbā 2. qaṭaʿtu bihā mustabṭinan taḥta raiṭatī wa-fauqa qamīṣī l-ġamra ḏā šuṭabin ʿaḍbā Q u e l l e : b. Ḥabīb Munammaq 523, 4 f. 1. Wie manche Stätte, an der die Leute weder morgens noch abends von irgendeiner Seite her sicher sind, 2. habe ich mit ihr (d.h. mit meiner Kamelin) durchquert, indem ich unter meinem Überwurf und über meinem Hemd „alĠamr“ an den Leib drückte, ein scharfes Schwert mit Ziselierungen.

VII. Zeitkritisches Epigramm. 1. arā zamanan ṯaʿālibuhū qiyāmun ʿalā l-ašrāfi taḫṭiru ka-l-usūdī 2. wa-kāna ṯ-ṯaʿlabu ḍ-ḍabbāḥu yarḍā bi-mā yariṯu l-kilābu mina ṣ-ṣuyūdī

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Q u e l l e : Balāḏ. Ansāb IV Β 69, 3 f. 1. Ich bin Zeuge einer Zeit, in der die Füchse über den Vornehmen stehen und sich stolz wie Löwen wiegen. 2. War doch früher der keuchende Fuchs mit den Resten der Jagdbeute zufrieden, die die Hunde erben.

VIII.

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Gegen abū Bakr ibn Yazīd ibn Muʿāwiya gerichtete Satire. samīnu l-baṭni min māli l-yatāmā raḫīyu l-bāli mahzūlu ṣ-ṣadīqī Q u e l l e : Balāḏ. Ansāb IV Β 73, 15. Fettleibig vom Geld der Waisen, schlaffen Gemütes, ausgezehrt, wenn’s Freunde gilt.

IX. Gegen abū Ǧahl (gemeint ist Ḥarb ibn ʿAbd Allāh ibn Yazīd ibn Muʿāwiya oder ʿAbd Allāh ibn Sulaimān ibn Yazīd ibn Muʿāwiya) gerichtete Satire. fa-qaddim abā Bakrin li-kulli ʿaẓīmatin wa-qaddim abā Ǧahlin li-laqmi ṯ-ṯarāʾidī Q u e l l e : Balāḏ. Ansāb IV Β 73, 17. So schick denn abū Bakr voraus, wenn es um irgendeine Großtat geht, aber schick abū Ǧahl voraus, wenn es darum geht, die Brotsuppe zu verzehren.

X. Satire. 1. daʿū l-ḥukma laisa l-ḥukmu fīkum banī stihā wa-lākinnahū fī l-ġurri min āli Ġālibī 2. banī Murratin a-lā tarauna ilaihimū tusāqu ḥukūmātu l-kirāmi l-manāǧibī Q u e l l e : Balāḏ. Ansāb IV Β 70, 4‒7. 1. Laßt das Urteilen! Unter euch, Söhne ihres Arsches, gibt es kein Urteilsvermögen. Das gibt es nur bei den strahlenden Männern aus Ġālibs Familie. 2. Banū Murra! Seht ihr denn nicht, daß die Streitsachen der edlen und vornehmen Leute vor s i e gebracht werden?

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XI. Askese und Seelenheil. 1. in sarraka š-šarafu l-ʿaẓīmu maʿa l-ġinā wa-takūnu yauma ašaddi ḫaufin wāʾilā 2. yauma l-ḥisābi iḏā n-nufūsu tafāḍalat fī l-wazni iḏ ġabaṭa l-aḫaffu ṯ-ṯāqilā 3. fa-ʿmal li-mā baʿda l-mamāti wa-lā takun ʿan ḥaẓẓi nafsika fī ḥayātika ġāfilā Q u e l l e : Yāqūt Iršād IV 168, 17‒ult./XI 42, 2‒7. 1. Wenn du Freude an hoher Ehre und an Reichtum hast und am Tage einer schrecklichen Furcht eine Zuflucht suchst, 2. nämlich am Tage der Abrechnung, wenn die Seelen sich gegenseitig den Vorrang streitig machen, während sie gewogen werden, da denn der Leichtere den Schwereren beneidet, 3. dann handle im Blick auf das, was nach dem Tode kommt, und vernachlässige das Heil deiner Seele nicht, solange du noch lebst.

XII. Resignation und Todesahnung. 1. qaṣru l-ǧadīdi bilan wa-qaṣru l-ʿaiši fī d-dunyā nqiṭāʿuh 2. man nāla fī d-dunyā matāʿan ṯumma ṭāla bihī matāʿuh 3. am ayyu muntafiʿin bi-šaiʾin ṯumma dāma bihi ntifāʿuh 4. am ayyu šaʿbin ḏī ltiʾāmin lam yušattithu nṣidāʿuh 5. wa-l-awwalu l-māḍī llaḏī ḥaqqun ʿalā l-bāqī ttibāʿuh 6. qad qāla fī amṯālihī yakfīka min šarrin samāʿuh Q u e l l e : Balāḏ. Ansāb IV Β 71, 17‒22. 1. Das Ziel des Neuen ist Verfall, und das Ziel des Lebens in dieser Welt ist sein Erlöschen. 2. Welcher Mensch, der in dieser Welt einen Genuß erlangt, kann sich dieses Genusses lange erfreuen? 3. Oder welcher Mensch, der aus einer Sache Gewinn zieht, hat diesen Gewinn auf Dauer? 4. Oder welchen Volksstamm, der in Eintracht zusammensteht, zerteilt nicht seine Spaltung? 5. Der erste, der dahingeht, ist derjenige, dem der Übriggebliebene folgen muß. 6. In seinen Sprichwörtern hat er gesagt: ‘Es ist schlimm genug, daß du Böses hören mußt’.

XIII. Resignation und Todesahnung. 1. hal anta muntafiʿun bi-ʿilmika marratan wa-l-ʿilmu nāfiʿ 2. wa-mina l-mušīri ʿalaika bi-r-raʾyi l-musaddadi anta sāmiʿ

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3. al-mautu ḥauḍun lā maḥālata fīhi kullu l-ḫalqi šāriʿ 4. wa-mina t-tuqā fa-zraʿ fa-innaka ḥāṣidun mā anta zāriʿ Q u e l l e : ʿIqd I 206, 24‒27 / (Amīn) II 232, 11‒14. 1. Kannst du [auch nur] einmal aus deinem Wissen Nutzen ziehen? — Wissen ist doch nützlich! 2. Und hörst du [je] auf den, der dir einen wohldurchdachten 209 Rat gibt? 3. Der Tod ist eine Zisterne, aus der die ganze Schöpfung unweigerlich trinken muß. 4. Gottesfurcht solltest du säen! Denn du wirst ernten, was du säst.

XIV. Todesahnung. 1. a-taʿǧabu an kunta ḏā niʿmatin wa-annaka fīhā šarīfun mahībū 2. fa-kam warada l-mauta min nāʿimin wa-ḥubbu l-ḥayāti ilaihi ʿaǧībū 3. aǧāba l-manīyata lammā daʿat wa-karhan yuǧību lahā man yuǧībū 4. saqathu ḏanūban mina-nfāsihā wa-yuḏḫaru li-l-ḥayyi minhā ḏanūbū Q u e l l e : Yāqūt Iršād IV 168, 4‒7 / XI 40, 7‒ult. 1. Wunderst du dich, daß du im Wohlstand lebst und daß du dabei achtbar bist und geehrt wirst? 2. Aber wie viele, die sorgenfrei lebten, mußten schon dem Tode entgegengehen, und er staunt nur darüber, daß man das Leben liebt. 3. Sie mußten dem Todesgeschick gehorchen, als es rief, und wer ihm gehorcht, tut es wider Willen. 4. Es hat ihm von seinem Odem einen ganzen Eimer voll eingeflößt, und für den Lebenden ist ein weiterer Eimer davon aufgespart. Es sind also nur 14 Gedichte mit insgesamt 43 Versen erhalten. Von diesen sind aber noch mehrere Gedichte (nr. 1, 2, 3, 5, 6 und 12) in ihrer Echtheit nicht gesichert. Das ist nicht eben viel. Auch die Philologen des 9. Jhdts. werden nicht viel mehr Verse gekannt haben, denn niemand scheint es der Mühe wert gefunden zu haben, Ḫālids Gedichte in einem Dīwān zu sammeln. Daß Ḫālid Aufnahme in das Kitāb al-Aġānī gefunden hat, hat er offensichtlich nur dem einen Gedicht mit dem populären Vers taǧūlu ḫalāḫīlu n-nisāʾi . . . (nr. 1, 5) zu verdanken, das der romantischen und politisch brisanten Liebesaffaire mit Ramla entsprungen ist. Thematisch verteilen sich die Gedichte auf Erotik, Satire und Weltflucht; sie stehen also ganz im Rahmen dessen, was die Zeit hervorgebracht hat. Aber in ihrer Qualität sind sie nicht mit der Poesie des ʿUmar ibn abī Rabīʿa oder des Ǧarīr zu vergleichen. Ḫālid konnte wohl ein paar nette Verse machen, aber ein Dichter war er mitnichten. Alles ist konventionell; vieles mutet hausbacken an; wir finden keinen wahrhaft poetischen Zug, keinen originellen Vergleich, keine einzige Qaṣīde.

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Vergleichen wir mit diesen echten Versen Ḫālids nun den Dīwān Firdaus al-ḥikma! Er ist noch nicht ediert, aber eine ganze Anzahl dieser Gedichte ist jetzt im Rahmen des Muktasab des Sīmāwī68 und im Chester-Beatty-Katalog69 210 zugänglich. Wir können uns hier auf die Wiedergabe eines einzigen Gedichtes beschränken: 1. fa-tafruquhā wa-taʿziluhā bi-rifqin wa-taqsimu faḍlata r-rūḥi l-ʿatīdī 2. ʿalā sittin ṯalāṯun kāmilātun fa-ḏālika buġyatu š-šahmi l-murīdī 3. fa-yusḥaqu ǧismuhā fīhā bi-ḥiḏqin tuqaddiruhū mina l-māʾi l-ǧadīdī 4. wa-turǧiʿuhā ʿalaihi ʿalā ttiʾādin wa-taṭbuḫuhā wa-tuzʿiǧu bi-ṣ-ṣuʿūdī 5. ka-ḏālika sabʿatun lā naqṣa fīhā turā ka-d-damʿi yusbalu fī l-ḫudūdī 6. wa-tuṣʿidu sabʿatan min baʿdi hāḏā bi-nīrānin baṭīʾāti l-ḫumūdī 7. wa-taʿziluhā wa-tuqṭiruhunna sabʿan ka-asyāfin sulilna mina l-ġumūdī 8. wa-tuḫriǧu min ramādi l-ǧismi kilsan bi-nīrānin šadīdāti l-wuqūdī 9. tarāhu mulammaʿa l-ǧanabāti baḍḍan bi-taušiyatin ka-taušiyati l-burūdī 10. yusammā š-šabba wa-l-ḥurqūṣa fa-fham kalāman ṣuġtuhū laka fī l-qaṣīdī 11. fa-Ḏūmuqrāṭu yadʿūhū ḥusāman wa-Māriyatu daʿathu bi-l-qaʾūdī 12. bihī ṣubiġa l-miyāhu fa-kun ʿalīman fa-tuṣʿidahunna bi-l-ʿazmi š-šadīdī70 1. Dann zertrennst du es und sonderst es behutsam ab und teilst den Rest des vorbereiteten „Geistes“71. 2. Auf sechs [kommen] drei vollständige: dies ist das Begehren des scharfsinnigen Adepten. 3. Dann wird ihr „Körper“ in ihm mit Geschick zerrieben, wobei du ihm von dem „neuen Wasser“ das Maß erteilst. 4. Du führst es darüber mit Bedächtigkeit zurück, du kochst es und treibst es beim Hinaufsteigen hinaus. 5. Auf diese Weise sind sieben — nicht eines von ihnen weniger —, die wie Tränen aussehen, welche über die Wangen vergossen werden. 6. Danach treibst du sieben mit Feuerbränden, die langsam verlöschen, hinaus 7. und sonderst sie ab und läßt sie siebenmal tröpfeln, wie Schwerter, die aus den Scheiden gezogen wurden, 8. und holst aus der Asche des „Körpers“ durch heftig lodernde Feuerbrände einen Kalk heraus. 9. Man _______________ 68 Vgl. die Stellen bei Manfred Ullmann, Die Natur- und Geheimwissenschaften im Islam, Leiden/Köln 1972, p. 194 Anm. 1. 69 Manfred Ullmann, Katalog der arabischen alchemistischen Handschriften der Chester Beatty Library, Teil I, Wiesbaden 1974, Index p. 229. 70 Kitāb al-ʿIlm al-muktasab fī zirāʿat adh-dhahab. Book of Knowledge Acquired Concerning the Cultivation of Gold by Abu ’l-Qāsim Muḥammad ibn Aḥmad al-ʿIrāqī. The Arabic Text edited with a translation and introduction by Eric John Holmyard, Paris 1923, arab. p. 43, 10‒paen. 71 Mit „Geist“ und mit dem in den Versen 3 und 8 genannten „Körper“, Lehnübersetzungen aus πνεῦμα und σῶμα, werden flüchtige Substanzen wie Quecksilber und Schwefel bzw. das Metall bezeichnet, s. Ullmann Naturwissenschaften p. 149.

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211 sieht, daß er glänzende Seiten und eine zarte Haut hat, mit einer Verzierung gleich der von Gewändern. 10. Man nennt ihn „Alaun“ und „Stechfliege“72. Versteh denn eine Rede, die ich als Gedicht für dich gestaltet habe! 11. Demokritos73 aber nennt ihn „schneidendes Schwert“, und Maria74 nennt ihn „gehorsames Pferd“. 12. Durch ihn werden die Wässer gefärbt. So sei denn wohl unterrichtet, damit du sie mit fester Entschlossenheit hinauftreiben kannst. Es bedarf keines Beweises, daß zwischen diesem Lehrgedicht und den vorausgegangenen Gedichten kein Zusammenhang besteht. Ja man kann ruhig einen Schritt weiter gehen und diese alchemistischen Gedichte mit der Poesie der Zeitgenossen Ḫālids, also etwa der des Farazdaq, des Ǧarīr oder des Aḫṭal, vergleichen, und wieder ist sofort klar, daß diese alchemistischen Reimereien überhaupt nicht im 7. Jhdt. entstanden sein können. Stammten sie wirklich aus dem 7. Jhdt., so wäre zu fragen, warum die Grammatiker, die Lexikographen und Adabschriftsteller an diesen merkwürdigen Gedichten, die so viele seltene Wörter enthalten, vorbeigegangen sind. Kein einziger Vers von „Ḫālid ibn Yazīd“ ist in den Schawāhid-Indices, kein einziger im Index des Lisān al-ʿarab nachgewiesen. Solche Lehrgedichte konnten frühestens im Ende des 9. Jhdts. entstanden sein. Vermutlich stammen sie jedoch erst aus dem Anfang des 10. Jhdts.

Ḫālid und die Wissenschaften Schon bei den Historikern des 9. Jhdts. gilt Ḫālid ganz allgemein als Mann der Wissenschaft. Kāna Ḫālidun yūṣafu bi-l-ʿilmi wa-yaqūlu š-šiʿra „dem Ḫālid wurde die [Beschäftigung mit der] Wissenschaft nachgerühmt; er machte auch Gedichte“, lautete das Urteil des Zubairī, das die Späteren immer wiederholen75. ʿIlm kann hier vielleicht prägnant im Sinne von „Traditionswissenschaft, Ḥadīṯ“ verstanden werden, da es im Zusammenhang mit dem šiʿr, der Poesie, _______________ 72 Beide Ausdrücke sind Decknamen, vgl. den anonymen Vers yusammā š-šabba wa-lḥurqūṣa ramzan wa-yud ʿā bi-s-sināni wa-bi-l-ḥusāmī bei Ullmann Katal. Ch. Β. Ι p. 186, 10. Der ḥurqūṣ ist ein Insekt, das die Mädchen zur Zeit des arabischen Heidentums für ihre Defloration verantwortlich gemacht haben, s. Ḥamza Durra II 556, 5 und Eugen Mittwoch, Abergläubische Vorstellungen und Bräuche der alten Araber nach Ḥamza alIsbahānī, Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen Bd. 16, Abteilung II, Berlin 1913, p. 3 u. 8. 73 Zu den alchemistischen Schriften des Pseudo-Demokritos vgl. Ullmann, Naturwissenschaften p. 159 f. 74 Zur Alchemistin Maria vgl. ibid. p. 181‒183. 75 Zubairī Quraiš 129, 4 = Aġ. 16, 88, 6 / 17, 341, 9 = b. ʿAsākir V 117, 5 f. = b. Ḥaǧar Tahḏīb III 128, 14.

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der anderen Domäne Ḫālids, genannt ist. Aber ibn Qutaiba weitet den Begriff schon aus: kāna min aʿlami Quraišin bi-funūni l-ʿilmi wa-kāna yaqūlu š-šiʿra „er 212 war in den [verschiedenen] Sparten der Wissenschaft einer der gelehrtesten Quraišiten; auch machte er Gedichte“76. Ähnlich formuliert ibn ʿAbd Rabbihī: kāna ʿāliman kaṯīra d-dirāsati li-l-kutubi wa-rubba-mā qāla š-šiʿra „er war gelehrt, studierte die Bücher eingehend, und manchmal dichtete er“77, während der Anonymus Grjaznevič noch allgemeiner sagt: kāna ḏā ʿilmin wa-ḥikmatin wa-taǧribatin wa-raʾyin „er besaß Wissen, Weisheit, Erfahrung und Urteil“78. Etwas Konkretes ist solchen Aussagen freilich nicht zu entnehmen. Auf dem Hintergrund der voraufgegangenen Untersuchungen, in denen sich die Aktivitäten Ḫālids auf den Feldern der Traditionswissenschaft und Dichtung als recht bescheiden (um nicht zu sagen: bedeutungslos) herausgestellt hatten, enthüllen sie sich als Übertreibungen. Eine wissenschaftliche Kapazität war Ḫālid nicht, und in einem Selbstzeugnis bringt er dies auch klar zum Ausdruck: kuntu maʿnīyan bi-l-kutubi wa-mā ana mina l-ʿulamāʾi wa-lā mina lǧuhhāli „Ich habe mich für Bücher interessiert, gehöre aber weder zu den Gelehrten, noch zu den ganz Unwissenden“79. Zwar ist dieser Ausspruch sicherlich historisch nicht echt. Er bildet nämlich den Refrain einer stark stilisierten Anekdote, nach der Ḫālid eine Disputation mit einem christlichen Abt mit Ehren bestand80. Aber der Erzähler der Anekdote hat dennoch den Nagel auf den Kopf getroffen: Besser hätte er Ḫālids Dilettantismus nicht zum Ausdruck bringen können. Wie steht es nun mit der A l c h e m i e ? Auch dort, wo Ḫālid als Mann der Wissenschaft apostrophiert wurde, ist von der Alchemie zumeist keine Rede. Überhaupt wissen die meisten Quellen des 9. Jhdts. nichts davon. Nur alǦāḥiẓ und al-Balāḏurī und im 10. Jhdt. aṭ-Ṭabarī, al-Masʿūdī, abū l-Faraǧ alIṣfahānī und ibn an-Nadīm bringen Ḫālid mit der Alchemie in Verbindung, und von den späteren Autoren sind es nur wenige, die von der Alchemie reden. Prüft man nun alle diese Stellen auf ihren Gehalt, so lassen sich zwei Gruppen herausschälen: Die e r s t e Gruppe bilden allgemeine Formulierungen, die die jeweiligen Autoren selbst gewählt haben, um die Wirksamkeit Ḫālids zu umreißen oder 213 um Ḫālids Biographie einzuleiten. Solche Formulierungen gehören zum Stil der biographischen Lexika aller Zeiten; sie sind auch heute in allen Nach_______________ 76 77 78 79 80

b. Qut. Maʿārif 352, 1 f. ʿIqd I 206, 22 / 232, 9 f. Anonymus, Taʾrīḫ al-ḫulafāʾ fol.93 a 7 f. b. ʿAsākir V 117, 7 f. = Yāqūt Iršād IV 166, 2. Nach ʿUrwa ibn Ruwaim, bei al-Ḫaṭīb al-Baġdādī, zitiert von b. ʿAsākir V 117, 10 ff.

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schlagewerken üblich. Al-Ǧāḥiẓ führt also in seiner langen Liste der Redegewaltigen und guten Stilisten auch den Ḫālid auf: wa-kāna Ḫālidu bnu Yazīda bni Muʿāwiyata ḫaṭīban šāʿiran wa-faṣīḥan ǧāmiʿan wa-ǧayyida r-raʾyi kaṯīra l-adabi wa-kāna awwala man tarǧama kutuba n-nuǧūmi wa-ṭ-ṭibbi wal‑kīmiyāʾi. „Ḫālid war ein Rhetor und Dichter; er war klar und bündig im Ausdruck, besaß ein hervorragendes Urteil und eine umfassende Bildung; er war der erste, der die Bücher der Sternkunde, der Medizin und Alchemie übersetzen ließ“81. Al-Balāḏurī sagt zu Anfang der Biographie, die er dem Ḫālid gewidmet hat: Ammā Ḫālidu bnu Yazīda ... fa-kāna šāʿiran yanẓuru fī lkīmiyāʾi wa-n-nuǧūmi wa-ġairihimā mina l-ʿulūmi. „Was Ḫālid betrifft, so war er ein Dichter; er stellte Betrachtungen über die Chemie, die Sterne und andere Wissenschaften an“82. Bei aṭ-Ṭabarī heißt es mit einer gewissen Reserve: wakāna yuqālu: innahū aṣāba ʿamala l-kīmiyāʾi. „Man sagt: es gelang ihm, die Chemie zu praktizieren“83. Und abū l-Faraǧ drückt sich folgendermaßen aus: Wa-kāna qad šaġala nafsahū bi-ṭalabi l-kīmiyāʾi fa-afnā bi-ḏālika ʿumrahū waasqaṭa nafsahū. „Er beschäftigte sich mit dem Studium der Chemie, vergeudete damit sein Leben und brachte sich selbst zu Fall“84. Yāqūt ar-Rūmī sagt: Kāna min riǧālāti Quraišini l-mutamayyizīna bi-l-faṣāḥati wa-s-samāḥati wa-quwwati l-ʿāriḍati ʿallāmatan ḫabīran bi-ṭ-ṭibbi wa-l-kīmiyāʾi šāʿiran. „Er war einer der Männer des Stammes Quraiš, die sich durch Sprachreinheit, Großmut und Beredsamkeit ausgezeichnet hatten; er war hochgelehrt, hatte Kenntnisse in der Medizin und Alchemie und war ein Dichter“85. Bei ibn Ḫallikān heißt es folgendermaßen: Kāna min aʿlami Quraišin bi-funūni l-ʿilmi wa-lahū kalāmun fī ṣanʿati l-kīmiyāʾi wa-ṭ-ṭibbi wa-kāna baṣīran bi-hāḏaini l-ʿilmaini mutqinan lahumā. „Er war in den [verschiedenen] Sparten der Wissenschaft einer der gelehrtesten Quraišiten; er hat sich über die Kunst der Alchemie und über die Medizin geäußert; er besaß tiefe Einsichten in diesen beiden Wissenschaften und beherrschte sie vollkommen“86. Ibn al-Aṯīr sagt: yuqālu: innahu l-bāḥiṯu 214 ʿalā l-kīmiyāʾi wa-lā yaṣiḥḥu ḏālika li-aḥadin. „Er erforschte die Chemie — das gelingt aber keinem“87. Es kommt — das sei der Klarheit halber noch einmal hervorgehoben — nicht darauf an, zu zeigen, ob diese Autoren eine Beschäftigung Ḫālids mit der Alchemie behauptet oder in Abrede gestellt haben. Es sollte nur gezeigt _______________ 81 82 83 84 85 86 87

Ǧāḥiẓ Bayān I 126, 9 / 328, 1 f. Balāḏ. Ansāb IV Β 65, 20. Ṭab. Taʾrīḫ II 1, 429, 3 f. Aġ. 16, 88, 3 / 17, 341, 4 f. = Ṭāšk. Miftāḥ I 281, 9. Yāqūt Iršād IV 165, 13‒15 / XI 35, 12 ff. b. Ḫall. Wafayāt I 168, 26 ff. b. -Aṯīr Kāmil IV 104, 6 f.

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werden, daß alle diese Stellungnahmen anders formuliert sind, daß sie also aus der Feder des jeweiligen Autors stammen, daß sie das Resümee seiner Kenntnisse über Ḫālid sind und daß diesen Formulierungen also k e i n e i g e n e r Quellenwert zukommt. Erst mit der z w e i t e n Gruppe der Berichte kommen wir auf die Quelle, und diese Berichte reduzieren sich auf einen einzigen Topos, von dem es drei Versionen gibt: Der Kern dieses Topos ist eine Verhöhnung Ḫālids mit dem Inhalt, ihm sei das Kalifat entrissen worden und seine Mutter habe eine Kohabitation dulden müssen, eine Anspielung auf die Ereignisse des Jahres 64/684, in dem Marwān die Regierung übernahm und Fāḫita, die Witwe Yazīds, ehelichte. Diese Geschichte lautet in der ersten Version: Beim Kampf um Qarqīsiyāʾ kämpfte Ḫālid inmitten der Klienten Muʿāwiya’s und brachte die Belagerten in schwere Bedrängnis. Sein Kampfesmut wurde aber gebrochen, als ein Mann von den Banū Kilāb ihm die folgenden Raǧazverse entgegenschleuderte: mā ḏā btiġāʾu Ḫālidin wa-hammuhū iḏ suliba l-mulka wa-nīkat ummuhū „Was kann Ḫālid schon begehren und vorhaben, nachdem ihm die Herrschaft geraubt wurde und seine Mutter gefickt worden ist?!“88 Nach der zweiten Version, ebenfalls von al-Balāḏurī und ohne Isnād überliefert, sind diese Worte in folgendem Zusammenhang gefallen: „Ḫālid sagte zu einem Quraišiten: ‘Aus niedriger Gesinnung hast du dich mit einer Geringfügigkeit zufriedengegeben’. Der antwortete: ‘Niedriger als ich ist der gesinnt, dessen Mutter gefickt wurde, dem das Kalifat entrissen wurde und dem die Muße gegeben wurde, die Alchemie zu praktizieren, durch die er doch nichts erreicht’“89. Bei der dritten Version sind diese Worte in den Mund des Muḥammad ibn ʿAmr ibn Saʿīd ibn al-ʿĀṣ gelegt, der bei seiner Tante Āmina, Ḫālids Frau, einen Besuch macht. Ḫālid empfängt ihn mit den ungeschickten Worten: „Alle, die aus dem Ḥiǧāz kommen, finden es bei uns schöner als in Medina“. Muḥammad, im Glauben, Ḫālid verbinde mit diesen Worten eine persönliche 215 Anspielung, entgegnet grob und anzüglich: „Warum sollten sie auch nicht, da doch schon einmal Leute aus Medina auf dem Rücken wassertragender Kamele gekommen sind, deine Mutter gefickt haben90, dir die Herrschaft entrissen haben und dir die Muße verschafft haben, Ḥadīṯ zu studieren, Bücher zu lesen und das zu erstreben, was man nicht erreichen kann“. _______________ 88 Balāḏ. Ansāb V 301 ult. ff. 89 Balāḏ. Ansāb IV Β 68, 14 f. 90 Fuat Sezgin, Geschichte des arabischen Schrifttums, Bd. IV, Leiden 1971, p. 5, übersetzt euphemistisch, jedoch falsch: „(sie) haben deine Mutter geheiratet“.

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Entscheidend ist der Schlußsatz, dessen Formulierung genau beachtet werden muß: Bei al-Balāḏurī, der sich auf al-Madāʾinī91 beruft, lautet er: liṭalabi mā lā yuqdaru ʿalaihi yaʿnī l-kīmiyāʾa92. Ibn ʿAbd Rabbihī, der keine Quelle angibt, formuliert: li-muʿālaǧati mā lā taqdiru ʿalaihi yaʿnī l-kīmiyāʾa wakāna yaʿmaluhā93. Und bei abū l-Faraǧ heißt die Stelle: li-ʿamali l-kīmiyāʾi llaḏī lā taqdiru ʿalaihi 94. Nun ist abū l-Faraǧ der einzige, der einen genauen Isnād angibt. Danach sei dieser Bericht über folgende Männer gelaufen: 1. Maṭar, ein Klient des Yazīd ibn ʿAbd al-Malik. 2. ʿAbd Allāh ibn Muslim al-Qurašī. 3. al-Madāʾinī 4. Aḥmad ibn al-Ḥāriṯ al-Ḫarrāz. 5. Muḥammad ibn al-ʿAbbās al-Yazīdī. 6. abū l-Faraǧ al-Iṣfahānī. Aber selbst wenn diese Traditionarierkette stimmt, so bedeutet das doch nicht, daß auch die Formulierung des Wortlautes im Κ. al-Aġānī die ursprüngliche und authentische Fassung ist. Vergleicht man die drei Formulierungen, so ist — aus inneren Gründen — klar, daß der Wortlaut des Balāḏurī (bzw. ibn ʿAbd Rabbihī) der ursprüngliche ist. Es hieß also anfänglich nur: „ . . . und das zu erstreben, was man nicht erreichen kann“. Diesem Satz, der ja in ganz verschiedenem Sinne gedeutet werden kann, hat man später ein Interpretament hinzugesetzt: yaʿnī l-kīmiyāʾa. Und als dann der Bericht selbst und das Interpretament verschmolzen wurden — ein Überlieferungszustand, wie er uns im K. al-Aġānī begegnet —, war der Weg frei, um Ḫālid zu einem Alchemisten zu machen. Wir müssen den Prozeß der Legendenbildung noch einmal nachzeichnen und dabei die Chronologie berücksichtigen: Zunächst ist festzuhalten, daß der 216 e i n z i g e historische Bericht, in dem Ḫālid im Zusammenhang mit der Alchemie genannt wird, eben jene anzüglichen Worte sind, mit denen Muḥammad ibn ʿAmr ibn Saʿīd dem Ḫālid geantwortet hat. Die Historizität der Geschichte selbst unterliegt schon den größten Zweifeln, da ein entscheidendes Element dieser Erzählung, nämlich die Worte: „sie haben deine Mutter gefickt und dir die Herrschaft entrissen“, noch im Rahmen zweier anderer Erzählungen wiederkehrt. Selbst wenn man davon absieht, so bleibt die Tatsache bestehen, daß die Invektive des Muḥammad ibn ʿAmr ursprünglich mit den Worten endete: „ . . . und das zu erstreben, was man nicht erreichen kann“. Was Muḥammad mit ihnen gemeint hat, ob er auf fruchtlose politische Hoffnungen oder zwecklose persönliche Bestrebungen angespielt hat, kann man nicht wissen. Daß dieser _______________ 91 Gernot Rotter, Zur Überlieferung einiger historischer Werke Madāʾinīs in Ṭabarīs Annalen, in: Oriens 23‒24, 1970‒71, 103‒133. Al-Madāʾinī ist um 228 / 842‒843 gestorben. 92 Balāḏ. Ansāb IV Β 71, 5. 93 ʿIqd II 142, 9 / (Amīn) IV 24, 9 ff. 94 Aġ. 16, 90, 6 f. / 17, 345, 12.

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Satz aber im Sinne von „Alchemie“ gedeutet werden konnte, setzt bereits eine kritische Reflexion über die Alchemie voraus. Das Interpretament yaʿnī lkīmiyāʾa konnte also nicht vor dem Anfang des 9. Jhdts. hinzugesetzt werden. Daß eine Formel mā lā yuqdaru ʿalaihi Assoziationen zur Alchemie hervorrief, ist nicht verwunderlich, wenn man etwa den Vers des ibn ar-Rūmī (gest. 282/895) vergleicht: . . . ka-l-kīmiyāʾi llatī qālū wa-lam tuṣab ,,. . . wie die Alchemie, deren Existenz man behauptet, die aber nicht getroffen wird“95. Ob dieses mā lā yuqdaru ʿalaihi nun der einzige Ausgangspunkt war, das einzige Moment, dessentwegen Ḫālid zum Alchemisten stilisiert wurde, wissen wir nicht. Wohl möglich, daß andere Faktoren hinzutraten. So etwas deutet ibn Ḫaldūn an, wenn er feststellt, daß Ḫālid diese Kunst unter den sozialen Bedingungen des Beduinentums nicht hat ausüben können, und daß es nur möglich sei, daß der Enkel Muʿāwiya’s mit einem anderen Ḫālid ibn Yazīd verwechselt wurde, der nun tatsächlich ein Alchemist (min ahli l-madāriki ṣṣināʿīyati) war96. Ein solcher Namensvetter bietet sich in Ḫālid ibn Yazīd, dem Klienten der Muhallabiten, an, der durch seinen Geiz ein ungeheures Vermögen angesammelt hatte. Auf dem Sterbebett macht er seinem Sohn ein Vermächtnis. Er erklärt, daß solch Vermögen nur durch Seehandel, den Staatsdienst oder durch die Chemie des Goldes und Silbers erworben werden könne. Er sei darin Meister gewesen, und habe es verstanden, das Elixier zu „brechen“97. Nachdem Ḫālid, der Enkel des Muʿāwiya, nun aber einmal mit der Alchemie 217 in Verbindung gebracht worden war, konnte sich in der ersten Hälfte des 9. Jhdts. dann auch die Legende herausbilden, Ḫālid habe für die Übersetzung der alchemistischen, medizinischen und sternkundlichen Bücher Sorge getragen. Sie ist durch das Κ. al-Bayān wa-t-tabyīn des Ǧāḥiẓ bezeugt, das vor dem Jahre 240/855 verfaßt worden ist98. Im Laufe des 9. Jhdts. dürfte das Interpretament yaʿnī l-kīmiyāʾa dann mit dem Text verschmolzen worden sein, wie die Formulierungen bei al-Balāḏurī99 und im Κ. al-Aġānī erkennen lassen. Nachdem nun Ḫālid als Alchemist galt, konnten die Pseudepigrapha auf seinen Namen gestellt werden. Diese Schriften und Gedichte dürften im Ende des 9. und in der ersten Hälfte des 10. Jhdts. verfaßt worden sein, in derselben Zeit, in der so viele andere arabische Pseudepigrapha, auch das Corpus Gabirianum, niedergeschrieben worden sind. Ibn an-Nadīm hat diese Schriften bereits gekannt _______________ 95 96 97 98

b. -Rūmī (Kīl.) 371, 6 / (Naṣṣār) I nr. 273,3 = ʿAbbāsī Maʿāhid I 109 ult. b. Ḫaldūn Muqaddima III 193, 10 ff. / p. 299 f. Rosenthal. Ǧāḥiẓ Buḫalāʾ 49, 14 f. / 47, 18 f. (übs. Pellat p. 67) = Yāqūt Iršād IV 170, 7 f. Vgl. Charles Pellat, Arabica 3, 1956, 153, nr. 32. Der Passus Ǧāḥiẓ Bayān I 126, 9 ff./ 328, 1 f. stimmt fast wörtlich überein mit der Stelle Fihrist 354, 5 f. Ibn an-Nadīm dürfte hier den Ǧāḥiẓ ausgeschrieben haben. 99 Balāḏ. Ansāb IV Β 68, 15.

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und hat die Legendenbildung kräftig gefördert, indem er die alchemistischen Aktivitäten Ḫālids, von denen diese Schriften reden, als historische Tatsachen nahm und weiter tradierte. Daß Ḫālid schließlich nicht nur die Alchemie, sondern auch die Medizin und Astrologie (und manche anderen Wissenschaften) gefördert haben soll, ist nichts als eine Übertreibung, eine bekannte Erscheinung der Agglutination und Aufbauschung von Nachrichten. Die Medizin und die Astrologie schwimmen hier nur im Kielwasser der Alchemie. Nicht einmal ibn abī Uṣaibiʿa weiß irgendetwas von Ḫālid zu sagen. Hätte Ḫālid medizinische Bücher übersetzen lassen, so hätte dies, da er selbst ja nicht als Arzt praktizierte, nur Sinn gehabt, wenn er Ärzte um sich versammelt und eine Schule ins Leben gerufen hätte. Aber kein arabischer Arzt bekennt sich zu Ḫālid ibn Yazīd als seinem Lehrer oder Mäzen, und keine Spur oder Nachwirkung bezeugt die Existenz von Übersetzungen aus dem 7. Jhdt. Die Hellenisierung der islamischen Länder ist eine der wenigen wirklich großen und folgeschweren historischen Bewegungen unserer Welt gewesen. Derartige Bewegungen werden nicht von Einzelpersonen ausgelöst und getragen, sondern es müssen viele Faktoren politischer, gesellschaftlicher, geistiger und kultureller Art zusammentreffen, um eine solche Bewegung zu erzeu218 gen100. Die einzelnen Persönlichkeiten sind nur die Exponenten einer breiten, vielfach unterschwelligen Stimmung und Strömung. Sie können allenfalls die Richtung des Stromes beeinflussen und dem historischen Geschehen Akzente verleihen. Die Hellenisierung des Islams kündigte sich im Ausgang des 8. Jhdts. an und kam im 9. Jhdt. zum vollen Durchbruch. Erst zu diesem Zeitpunkt waren die historischen Voraussetzungen gegeben, arbeiteten Kalifen, Minister, Literaten und Übersetzer, Philosophen und Mathematiker an demselben großen Werk zusammen. Und da soll ein einzelner Mann schon 100 oder 130 Jahre zuvor dasselbe gewollt und betrieben haben? Nimmermehr! Gibt es nicht aber Genies, die ihrer Zeit voraus sind? Vielleicht. Aber Ḫālid ibn Yazīd war kein Genie, sondern ein Mensch der plattesten Mittelmäßigkeit: in der Politik ohne Fortune, als Dichter und Traditionarier ein Dilettant, als Mensch ein skurriler Kerl, und allenfalls ein Frauenheld.

_______________ 100 Vgl. Dimitri Gutas, Greek Thought, Arabic Culture. The Graeco-Arabic Translation Movement in Baghdad and Early ʿAbbāsid Society (2nd‒4th/8th‒10th centuries), London and New York 1998.

Ḫālid ibn Yazīd und die Alchemie

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Nachträge Zu S. 338 ff.: Weitere Quellen zu Ḫālid ibn Yazīd : 9 a. Az-Zubair b. Bakkār (gest. 256/870), K. al-Aḫbār al-Muwaffaqīyāt, ed. Sāmī Makkī al-ʿĀnī, Baġdād 1972, p. 467 paen. ff.; 622, 14 ff. 14 a. Al-Balāḏurī (gest. 279/892), K. Ansāb al-ašrāf, Bd. III, ed. ʿAbd alʿAzīz ad-Dūrī, Bairūt 1978, p. 74, 12 ff.; 85, 15 ff.; Bd. IV A, edd. M. Schloessinger u. M. J. Kister, Jerusalem 1971, p. 231, 8 ff. 15 a. Aḥmad b. a. Ṭāhir Ṭaifūr (gest. 280/893), K. al-Manṯūr wa-lmanẓūm, Bd. 11 (Balāġāt an-nisāʾ), Bairūt 1972, p. 179, 2 ff. 18 a. Al-Mubarrad (gest. 285/898), K. at-Taʿāzī wa-l-marāṯī, ed. Muḥammad ad-Dībāǧī, Damaskus 1976, p. 124, 6 ff. 19 a. Aḥmad b. Yaḥyā Ṯaʿlab (gest. 291/904), K. al-Maǧālis, ed. ʿAbd asSalām Muḥammad Hārūn, Bd. II, Kairo 1949, p. 511, ‒3 ff. 25 a. Muntaḫab Ṣiwān al-ḥikma (4./10. Jhdt.), ed. ʿAbd ar-Raḥmān Badawī, Tihrān 1974, p. 276, 8 f./ed. D. M. Dunlop, The Hague-Paris 1979, p. 111, 1 f. 27 a. Abū Hilāl al-ʿAskarī (gest. nach 400/1010), K. al-Awāʾil, edd. Muḥammad al-Miṣrī u. Walīd Qaṣṣāb, Damaskus 1975, Bd. I, p. 366, 7 ff.; 368, 8 ff.; Bd. II, p. 145, 5 ff. 33 a. ʿAbd al-Qāhir al-Ǧurǧānī (gest. 471/1078), K. Dalāʾil al-Iʿǧāz, Kairo 1331, p. 113, 13 f. 35 a. Muḥammad ibn al-Ḥasan b. Ḥamdūn (gest. 562/1166), K. at-Taḏkira fī s-siyāsa wa-l-ādāb al-malakīya, ed. Iḥsān ʿAbbās, Bd. I, Bairūt 1983, p. 261 ult. ff. (§ 680). 35 b. Ẓahīr ad-Dīn ʿAlī b. Zaid al-Baihaqī (gest. 565/1169), Taʾrīḫ ḥukamāʾ al-islām, ed. Muḥammad Kurd ʿAlī, Damaskus 1946, p. 40, 8. 36 a. Ibn ʿAsākir (gest. 571/1176), Taʾrīḫ Dimašq, Ms. Damaskus, Ẓāhirīya 5, fol. 288 b 5‒292 b 12. 44 a. Aḥmad b. ʿAbd al-Wahhāb an-Nuwairī (gest. 732/1332), K. Nihāyat al-arab, Bd. 21, ed. ʿAlī Muḥammad al-Biǧāwī, Kairo 1976, p. 96, 5 ff.; 129, 4 ff.; 223 paen. ff. 46 a. Ḫalīl b. Aibak aṣ-Ṣafadī (gest. 764/1363), K. al-Wāfī bi-l-wafayāt, Bd. 13, ed. Muḥammad al-Ḥuǧairī, Wiesbaden 1984, p. 270, 7 ff. (nr. 328).

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Zu S. 355 : Einige Verse des Gedichtes nr. I werden auch anderen Dichtern zugeschrieben, s. die Anmerkungen zu Baṣrī Ḥam. II 228, 3 ff./ (Ǧamāl) nr. 1167 und Aidamur Durr III 112 ult. et in margine. Gedicht nr. II: Bei Ǧāḥiẓ Biġāl 123, 5 ff./Ras. (Hārūn) II 360, 10 ff. sind die drei Verse dem Yazīd b. Muʿāwiya zugeschrieben. Zu S. 356 : Gedicht nr. III: Wie bei al-Ḥuṣrī und ibn Kaṯīr sind die beiden Verse auch bei Rāġib Muḥāḍarāt II 73, ‒4 f./(Bt.) III 128 ult. f., b. Dāwūd Zahra (Smr.) 90, ‒4 f. und b. Rašīq ʿUmda I 35, 11 f. dem Muʿāwiya zugeschrieben. Zu S. 357 : Gedicht nr. V: Die Verse sind bei Ḥamza Durra 123, 2 f. und Aidamur Durr IV 169, 7 dem ʿAmr ibn Saʿīd al-Ašdaq zugeschrieben. Gedicht nr. VI: Die beiden Verse sind bei Ḥaǧarī Taʿlīqāt I p. 251, 11 ff. (§ 443) dem Mūsā ibn ʿĪsā al-Lubainī zugeschrieben. Zu S. 359 : Gedicht nr. XII: Die Verse sind bei Tauḥīdī Baṣāʾir III 485 paen. ff./(Qḍ.) 54, 3 ff. (§ 145) dem Yazīd b. Muʿāwiya zugeschrieben. Sie stehen auch im Dīwān des Pseudo-ʿAlī ibn abī Ṭālib, Būlāq 1251, p. 38 ult.‒39, 5/ Lithographie 1900, p. 67 paen.‒68, 4. Keines dieser vierzehn Gedichte ist in den Dīwān des abū l-Haiṯam Ḫālid ibn Yazīd al-Kātib at-Tamīmī (gest. 269/883), ed. Albert Arazi, Paris 1990, interpoliert worden. Vgl. auch J. C. Vadet, Revue des Études Islamiques 47, 1979, 280 f.; Fāḍil Ḫalīl Ibrāhīm, Ḫālid ibn Yazīd. Sīratuhū wa-htimāmātuhu l-ʿilmīya. Dirāsa fī l-ʿulūm ʿind al-ʿArab, Baġdād 1984. Es gab auch einen Wesīr abū ʿAbd Allāh Ḫālid ibn Yazīd al-Kīmiyāʾī al-Faraḍī, gegen den ibn Šuhaid polemisiert, s. b. Bassām Ḏaḫīra I 1, 183, 13 / (ʿAbbās) 217, 5 ff.

Die arabische Überlieferung der Kyranis des Hermes Trismegistos Die Frage nach der Herkunft der arabischen Hermetik ist scheinbar leicht zu beantworten: Daß sie von den Griechen, genauer gesagt, aus der Spätantike stammt, dafür gibt es genügend Indizien. Der Name Hirmis ist aus Ἑρμῆς umschrieben, das Attribut al-muṯallaṯ bi-l-ḥikma ist eine — allerdings etwas entstellte — Übersetzung des griechischen Wortes τρισμέγιστος, und die Funktionen des Hermes sind bei den Arabern wie bei den Griechen dieselben: Er ist der Erfinder aller Künste und Wissenschaften; er hat die Lehre von den Sternen und Zahlen begründet, er kennt die Gifte, er ist der Herr der Alchemie und Glasmacherkunst. Auch die Medizin ist sein Feld, weshalb Asklepios bei den Griechen wie bei den Arabern als sein Schüler gilt. Schließlich ist die Überzeugung, daß das höchste Wissen nicht durch Vernunft, durch Begriffe und allgemeine notwendige Sätze, sondern durch Intuition, durch Offenbarung und mystische Schauung zu erlangen sei, ein gemeinsames Charakteristikum der arabischen wie der griechischen Hermetik. Diese und andere Übereinstimmungen lassen nicht daran zweifeln, daß die arabische Hermetik aus der griechischen hervorgegangen ist. Sie gehört also zu jenem großen Strom der Überlieferung, der auch die griechische Philosophie, Astronomie und Medizin in der Zeit vom 8. bis zum 10. Jhdt. zu den Arabern getragen hat. Aber während bei der Medizin und Philosophie die unmittelbaren Verbindungsglieder, d. h. die übersetzten Texte, in reicher Fülle nachzuweisen sind, kannte man bisher eigentlich keinen hermetischen Traktat, der sowohl in griechischer wie in arabischer Version erhalten ist. Zu dem griechischen Corpus hermeticum, das nach der ersten Schrift auch Ποιμάνδρης genannt wird, gibt es im Arabischen keine direkte Entsprechung, und umgekehrt ließen sich das Kitāb al-Maḫzūn, das K. al-Isṭamāḫīs, das K. ʿArḍ miftāḥ an-nuǧūm, die Risāla al-Falakīya al-kubrā usw.1 noch nicht im Griechischen nachweisen. Dieses Problem hat Martin Plessner in seinem _______________ 1

Zu den arabischen hermetischen Schriften vergleiche: Fuat Sezgin, GAS IV 31‒44; Manfred Ullmann, Die Natur- und Geheimwissenschaften im Islam (Handbuch der Orientalistik, Erste Abteilung, Ergänzungsband VI, 2. Abschnitt), Leiden / Köln 1972, p. 165 ff., 289 ff., 374 ff.

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Alchemie und Magie

Aufsatz ,,Hermes Trismegistus and Arab Science“, in den Studia Islamica Bd. 2, 1954, angesprochen. Er stellte fest: „. . . Unfortunately, only in a very few cases up to now have quotations from Hermetica in classical languages been traced in the Arabic writings ascribed to Hermes or derived from him, and not a single Hermeticum as a whole has been preserved in both languages.“ 197 Wenn es inhaltliche Übereinstimmungen etwa zwischen dem Corpus hermeticum und den Ǧābirschriften gibt, wie Armand Abel in seinem jüngst erschienenen Aufsatz De l’alchimie arabe à l’alchimie occidentale2 aufzuzeigen versucht hat, so sind diese Entsprechungen doch nur recht allgemein, und man wird mit Sicherheit nur so viel behaupten können, daß solche arabischen Passagen in der allgemeinen Überlieferung des der Gnosis und dem Okkultismus verhafteten spätantiken Denkens stehen. Es bleibt also nach wie vor die Aufgabe, das missing link, einen in beiden Sprachen erhaltenen Text, nachzuweisen. Dieser Aufgabe wollen wir uns mit den folgenden Ausführungen entledigen. Der griechische Text ist eine Schrift des hermétisme populaire, eine Bezeichnung, die Festugière für die astrologischen, alchemistischen und magischen Schriften gewählt hat. Die Schrift umfaßt vier Bücher und ist unter dem Titel „die Kyraniden“ (bzw. „die Koiraniden“) bekannt. Max Wellmann hat in seiner posthum erschienenen Arbeit „Marcellus von Side und die Koiraniden des Hermes Trismegistos“ (1934)3 die Geschichte dieses Zaubertextes aufgeklärt, und die Ergebnisse seiner Untersuchungen, die Festugière fast unverändert übernommen hat4, sollen im folgenden kurz referiert werden. Buch I unterscheidet sich von den Büchern II bis IV nach Inhalt, Anlage und Quellen erheblich. Buch I handelt vom Zauber mit Pflanzen, Vögeln, Steinen und Fischen, von der wunderbaren Heilung der Krankheiten, aber auch — völlig amoralisch — vom Krankmachen und Schaden Stiften. Es enthält entsprechend der Anzahl der Buchstaben des griechischen Alphabetes 24 Kapitel. Unter jedem Buchstaben ist eine Pflanze, ein Vogel, ein Stein und ein Fisch genannt, deren Namen mit diesem Buchstaben beginnen. Neben vielen anderen Zauberlehren findet sich immer auch eine Anweisung nach folgendem mehr oder minder variierten Schema: Man solle in den Stein das Bild des Vogels schneiden, der unter seinen Füßen das Wassertier hält. Darauf solle man einen Teil der Pflanze, auch wohl das Herz des Vogels, mit dem Stein zu einem _______________ 2 3 4

Accademia Nazionale dei Lincei, Fondazione Alessandro Volta. Atti dei convegni 13: Convegno internazionale 9-15 Aprile 1969, Roma 1971, pp. 251‒283. Philologus, Supplementband 27, Heft 2. André M. J. Festugière, La révélation d’Hermès trismégiste (Études Bibliques 31), Vol. I, 2. éd., Paris 1950, pp. 201‒216.

Die Kyranis des Hermes Trismegistos

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Siegelring zusammenschließen. Die vier schon durch den gleichen Anfangsbuchstaben sympathisierenden Wesen und Gegenstände vereinigen nun ihre Einzelkräfte zur harmonischen Gesamtwirkung, und so entsteht ein zauberkräftiges Amulett. So viel zu Buch I. In den Büchern II‒IV sind Organe und Sekrete von Tieren zu wunderbaren sympathetischen Kuren empfohlen. Dabei handelt Buch II von den vierfüßigen Tieren, Buch III von den Vögeln, und Buch IV von den Fischen. Innerhalb der einzelnen Bücher sind die Tiere alphabetisch angeordnet. Buch I trägt den Titel Κυρανίς. Es ist so nach dem angeblichen Verfasser Κυρανός benannt, der als König der Perser ausgegeben ist, demnach also wohl stillschweigend mit Kyros gleichgesetzt wurde. Der Titel der Bücher II‒IV lautete ursprünglich Βίβλος ἰατρικὴ σύντομος τοῦ τρισμεγίστου Ἑρμοῦ. Ein byzantinischer Redaktor, der Buch I mit den Büchern II bis IV vereinigt hat, 198 hat nun den Titel des ersten Buches auf die ganze Sammlung übertragen, die seither unter der Bezeichnung Κυρανίδες bekannt ist. Dabei ist noch folgendes zu beachten: Von der Κυρανίς (also Buch I) gab es zwei Rezensionen. Die eine galt, wie gesagt, als das Werk des Kyranos, die andere war von einem gewissen Harpokration signiert. In der uns vorliegenden Sammlung der Bücher I‒IV sind nun beide Rezensionen des ersten Buches ineinandergearbeitet. Die Nahtstellen sind durch redaktionelle Bemerkungen markiert. In Kyranis A 20 heißt es z. Β.: Ὁ μὲν Κυρανὸς καὶ Ἁρποκρατίων ἕως τοῦ παρόντος ὡμοφώνησαν. ὅθεν δὲ ὁ Κυρανὸς μεταλλάσσων λέγει. Wir wollen uns dieser Umstände erinnern, wenn wir jetzt die arabische Übersetzung der Kyranis betrachten. Die Bibliotheca Bodleiana hat im Jahre 1954 auf einer Auktion des Hauses Sotheby eine arabische Handschrift erworben, die jetzt die Signatur d. 221 trägt. Beeston hat sie 1962 im 7. Bande des Bodleian Library Record beschrieben. Es ist ein durch Feuchtigkeit, Wurmfraß und den Verlust mehrerer Blätter arg beschädigter Codex, der eine Anzahl hermetischer Traktate enthält, die zum Teil auch aus anderen arabischen Handschriften bekannt sind. Ein Unicum aber ist der Traktat auf den Folia 64‒75. Beeston hat ihn knapp, aber so präzise beschrieben, daß es nun nicht mehr schwierig war, ihn zu identifizieren. Es ist die Kyranis, deren griechische Textgestalt im folgenden mit der arabischen Fassung verglichen werden soll. Der arabische Titel lautet: Kitāb Ḫuranīs fīmā takallama bihī fī l-arbaʿa waʿišrīna ḥarfan wa-ḫawāṣṣihā wa-manāfiʿihā. Der griechische Text beginnt mit einem langen Prolog, in dem, typisch für viele Hermetika, erzählt wird, wie die Schrift aufgefunden wurde: αὕτη ἡ βίβλος συριακοῖς ἐγκεχαραγμένη γράμμασιν ἐν στήλῃ σιδερᾷ. Im Arabischen heißt es: innā waǧadnā sāriyatan min ḥadīdin . . . fa-ftataḥnāhā fa-waǧadnā fī dāḫilihā kitāban wuḍiʿa ʿalā l-lisāni s-suryānīyi

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Alchemie und Magie

fa-aḫraǧtuhū ilā l-lisāni l-yūnānīyi. Der Bericht der Auffindung mag Legende sein. Daß die Kyranis in Syrien entstanden ist, ist dennoch wohl möglich. Es heißt z. B. in Δ 5: εἶδον δὲ τὴν ἱστορίαν ταύτην ἐν τοῖς παραθαλασσίοις τόποις τῆς Συρίας καὶ τῆς Ἀσσυρίων χώρας, was der Araber mit den Worten wa-huwa min fiʿli s-suryānīyīna wa-sunanihim resümiert. Wir hätten, wenn sich die syrische Herkunft des Textes bestätigt, hier einen Text orientalischer Magie vor uns, der spätestens im 2. oder 3. Jhdt. nach Christus ins Griechische übersetzt worden ist (die Datierung ergibt sich aus der Lebenszeit des Redaktors Harpokration) und der dann bei der Übersetzung ins Arabische in den Orient zurückgeflossen ist. Die Vorlage der arabischen Version war nun aber weder die Kyranos-Version, noch die Harpokration-Version, sondern es war der Mischtext, der auch in den meisten griechischen Handschriften erhalten ist. Denn die arabische Übersetzung enthält Materialien aus beiden Rezensionen. 199 Im übrigen ist der arabische Text kürzer und knapper formuliert als der griechische. Während das Kapitel Ω im Arabischen fast vollständig wiederkehrt, ist das Kapitel Δ auf die Hälfte geschrumpft. Bisweilen finden sich Varianten zum griechischen Text: In Ω 31 ist vom Magneten (= ὁ μάγνης) die Rede. Im Arabischen steht statt dessen ḥaǧar al-mās, also „Diamant“. Manchmal ist im Arabischen der Name des Vogels, der zu dem betreffenden Buchstaben gehört, unterdrückt und statt dessen ein Synonym angegeben, das mit einem ganz anderen Buchstaben beginnt. So ist z. Β. unter Γ nicht ὁ γλαῦκος (eine Nebenform zu ἡ γλαῦξ) „die Eule“, sondern statt dessen ὁ νυκτικόραξ „der Nachtrabe“ genannt. Einige Ungenauigkeiten sind den mangelhaften Kenntnissen des Übersetzers in der griechischen Mythologie anzulasten: Unter Ν ist der Stein νεμεσίτης beschrieben, in den das Bild der Νέμεσις zu schneiden ist. Daß die Νέμεσις die Göttin der ausgleichenden Gerechtigkeit, der Vergeltung, die Göttin der dem Glücke des Unwürdigen folgenden Rache ist, war dem Übersetzer anscheinend unbekannt. Er schreibt: wa-naqqiš fīhi ṣūrata ǧāriyatin šabīhatin bi-z-Zuharati. Die griechischen Pflanzen-, Fisch- und Steinnamen sind transkribiert und bisweilen übersetzt. Manchmal ist auch ihr arabisches Äquivalent angegeben. Unter Ψ ist das „Flohkraut“, ψύλλιος, genannt, das mit bṣlṣ umschrieben und mit bizr qaṭūnā erklärt ist. Ὁ ὠκυτόκιος λίθος ist der „Gebärstein“. Der Übersetzer nimmt auf die bekannte Legende Bezug, indem er erklärt: wa-huwa min ǧinsi l-ḥaǧari llaḏī iḏā ḥarraktahū kāna fī dāḫilihī šaiʾun. Zusätze sind auch jene Stellen, an denen die Pflanzennamen durch die g a l e n i s c h e n Synonyme erklärt sind. Wir lesen, daß Galen die φρύνη σέλινον genannt habe, daß er den κιναίδιος mit dem Namen περιστερεών

Die Kyranis des Hermes Trismegistos

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bezeichnet habe, und daß die γλυκυσίδη bei Galen šaǧarat aṣ-ṣalīb 5 heiße. Hier ist ganz offensichtlich auf Galens Werk über die einfachen Heilmittel, Περὶ κράσεως καὶ δυνάμεως τῶν ἁπλῶν φαρμάκων, Bezug genommen, und zwar, wie die letzte Stelle zeigt, auf eine seiner arabischen Versionen. Die eine hat alBiṭrīq angefertigt, die andere Ḥunain ibn Ιsḥāq6. Wenn diese Zusätze von Übersetzer stammen und nicht spätere Interpolationen sind, so bedeutet das, daß die Kyranis entweder in der zweiten Hälfte des 8. oder in der zweiten Hälfte des 9. Jhdts. ins Arabische übersetzt wurde. Jünger ist sie auf keinen Fall, denn den Paragraphen Ω 14 zitiert bereits ar-Rāzī in seinem K. al-Ḥāwī (Bd. 10, 143, 2 f.). Damit ist für die Kyranis der überhaupt älteste Textzeuge gewonnen, denn die lateinische Version ist im Jahre 1169 in Konstantinopel angefertigt worden7, und die ältesten griechischen Handschriften sind ein Parisinus vom Jahre 1272 und ein Marcianus vom Jahre 1377. Der griechische Text, den Ruelle8 im Jahre 1898 gedruckt hat, ist wiederholt als unzureichend kritisiert, seine erneute Herausgabe dringend gefordert worden9. Wenn eine neue Edition einmal gemacht wird, so wird sich vermutlich auch der arabische Text als nützlich erweisen.10

_______________ 5 6

Zu ʿūd aṣ-ṣalīb vgl. ibn al-Baiṭār, K. al-Ǧāmiʿ, Būlāq 1291, Bd. III 143, ‒8 f. Vgl. Manfred Ullmann, Wörterbuch zu den griechisch-arabischen Übersetzungen des 9. Jahrhunderts, Wiesbaden 2002, pp. 28‒48. 7 Louis Delatte, Textes latins et vieux français relatifs aux Cyranides (Bibliothèque de la Faculté de Philosophie et Lettres de l’Université de Liège, Fascicule 93), Liège - Paris 1942, p. 5. 8 Bei Fernand de Mély, Les lapidaires de l’antiquité et du Moyen Age, Tome II, Paris 1898. 9 R. Ganszyniec, in: Byzantinisch-neugriechische Jahrbücher 1, 1920, 353; Wellmann Marcellus p. 1 f.; p. 9. 10 Herr Prof. Dr. Dr. Wilhelm Eilers macht mich freundlichst darauf aufmerksam, daß die Nemesis in einer Statue in Rhamnos unter dem Gewande der Aphrodite dargestellt war (vgl. auch H. Herter, Pauly-Wissowa, RE Bd. 16,2 [1935], 2348 ff., 2370). Die Umschreibung der Nemesis durch „ein der Aphrodite ähnliches Mädchen“ ist also doch wohl nicht ganz abwegig.

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Nachträge Neuausgabe des griechischen Textes: Dimitris Kaimakis, Die Kyraniden (Beiträge zur Klassischen Philologie, hsgb. von E. Heitsch u. a., Heft 76), Meisenheim am Glan 1976. Vgl. auch Klaus Alpers, Untersuchungen zum griechischen Physiologus und den Kyraniden, in: Vestigiae Bibliae. Jahrbuch des Deutschen Bibel-Archivs Hamburg 6, 1984, 13‒87. Edition des arabischen Textes: Isabel Toral-Niehoff, Kitāb Ǧiranīs. Die arabische Übersetzung der ersten Kyranis des Hermes Trismegistos und die griechischen Parallelen herausgegeben, übersetzt und kommentiert (Quellen und Forschungen zur Antiken Welt, Band 43), München 2004.

III. Gesteinskunde

Der literarische Hintergrund des Steinbuches des Aristoteles Unter der großen Zahl der pseudoaristotelischen Schriften, die uns in der philosophischen, populärethischen, naturkundlichen und magischen Literatur der Spätantike und des Mittelalters begegnen, nimmt das «Steinbuch des Aristoteles» einen hervorragenden Platz ein. Seine Bedeutung liegt vor allem in der Tatsache, daß es eine der ältesten gesteinskundlichen Schriften der Araber ist und daß es die gesamte spätere Steinliteratur auf das nachhaltigste beeinflußt hat. Diese Nachwirkung ist nicht nur daran abzulesen, daß das «Steinbuch» immer wieder wörtlich und unter Aristoteles’ Namen zitiert wird, sondern sie erweist sich auch in dem eigentümlichen magischen Gepräge, das der islamischen Steinliteratur eigen ist und das zum guten Teil ein Erbe des pseudoaristotelischen Buches ist. Das Steinbuch hat zudem weit bis in den Westen ausgestrahlt und beispielsweise in den Libri quinque de mineralibus des Albertus Magnus (gest. 1280)1 seine deutliche Spur hinterlassen. Das Steinbuch hat eine außerordentlich verwickelte Überlieferungsgeschichte und teilt somit das Schicksal anderer pseudepigraphischer Schriften wie des Liber de plantis und des Secretum secretorum. Es ist vielfach überarbeitet, erweitert und durch Interpolationen entstellt worden, so daß man streng genommen nicht vom d e m Steinbuch des Aristoteles, sondern nur von d e n verschiedenen R e z e n s i o n e n des Steinbuchs reden kann. Auch der von Julius Ruska nach der im Jahre 1329 geschriebenen Pariser Handschrift 2772 292 herausgegebene arabische Text2 kann nicht als die unverfälschte Originalfassung gelten. Der Fassung des Codex Parisinus steht die arabisch-lateinische Übersetzung des Codex Leodiensis 77 (saec. XIV) nahe, die Valentin Rose im Jahre 1875 herausgegeben hat3, doch beruht letztere auf einem arabischen Text, der _______________ 1 2 3

Gedruckt Köln 1569; Albertus Magnus, Book of Minerals, translated by Dorothy Wyckoff; Douglas M. Dunlop, Arabic Science in the West, Karachi ο. J., p. 71 ff. Julius Ruska, Das Steinbuch des Aristoteles, mit literargeschichtlichen Untersuchungen... herausgegeben und übersetzt, Heidelberg 1912 (vgl. dazu C. F. Seybold, ZDMG 68, 1914, 606‒625). Valentin Rose, Aristoteles de lapidibus und Arnoldus Saxo, in: Zeitschrift für deutsches

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Gesteinskunde

von einem Alchemisten überarbeitet wurde und durch Interpolationen etwa auf das Doppelte des Parisinus angewachsen ist. Eine zweite, unabhängige Übersetzung, in dem Codex Montispessulensis 277 (saec. XV) erhalten und ebenfalls von Rose ediert4, entspricht dagegen mehr der arabisch-hebräischen Übersetzung (Codd. Monacensis et Parisinus), die noch nicht veröffentlicht ist. Außer dem Codex Parisinus 2772, der Ruska im Jahre 1912 als einziger arabischer Textzeuge zur Verfügung stand, sind inzwischen noch weitere arabische Handschriften bekannt geworden: Auf eine Kairener Handschrift (Taimūr, ṭabīʿīyāt 60), die der durch die hebräische Übersetzung repräsentierten Rezension nahesteht, hat Paul Kraus aufmerksam gemacht5. Die Sammlung Sbath6 enthält eine weitere Handschrift, die Vaticana ein Fragment7, und Hellmut Ritter hat in der Handschrift Aya Sofya 3610 den Text einer späten Überarbeitung nachweisen können8. Um aber das Rankenwerk der arabischen Überlieferung ganz überblicken zu können, ist es notwendig, außer den handschriftlichen Textzeugen auch die Nebenüberlieferung zu berücksichtigen, d. h. die Passagen aus dem Steinbuch, die spätere Autoren zitieren. Bereits Ruska hatte die 112 Zitate geprüft, die al-Qazwīnī (gest. 1283) in seiner Kosmographie anführt, und hatte dabei festgestellt, daß al-Qazwīnī eine Rezension des Steinbuches ausgeschrieben hat, in der 28 Steine enthalten waren, die in keiner der anderen Rezensionen nachzuweisen sind. Weitere 293 Zitate sind nun in breiter Streuung über die gesteinskundliche, pharmakognostische, alchemistische und schöngeistige Literatur verteilt: Wir finden das Steinbuch des Aristoteles schon bei ibn Qutaiba (gest. 889) zitiert, im Kitāb aḏḎaḫāʾir wat-t-tuḥaf des Qāḍī ar-Rašīd ibn az-Zubair (11. Jhdt.), bei al-Masʿūdī (gest. 956), al-Qalqašandī (gest. 1418), al-Ġuzūlī (gest. 1412), al-Ibšīhī (gest. um 1446), bei dem Geographen al-Hamdānī (gest. 945), bei dem Kosmographen ad-Dimašqī (geschrieben nach 1324), bei dem Arzt Qusṭā ibn Lūqā (gest. um 912), bei den Pharmakognosten abū Manṣūr Muwaffaq (schrieb vor 975), Muḥammad at-Tamīmī (gest. 980), ibn al-Ǧazzār (gest. um 980), ibn al-Baiṭār _______________

4 5 6 7 8

Alterthum 18 (N. F. 6), 1875, 349‒382. Der Text ist auch bei Ruska p. 183‒208 abgedruckt. Ib. pp. 384‒397. Kraus, Jābir II 76 Anm. 1. Fihris 2655, s. GCAL II 132. Giorgio Levi della Vida, Elenco dei manoscritti arabi islamici della Biblioteca Vaticana (Studi e Testi 67), Città del Vaticano 1935, nr. 938, 17. Hellmut Ritter, Orientalische Steinbücher, in: Istanbuler Mitteilungen, hsgb. von der Abteilung Istanbul des Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches 3, 1935, p. 2, nr. 1.

Das Steinbuch des Aristoteles

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(gest. 1248), Ps. Serapion (13. Jhdt.), bei den Alchemisten Ǧābir ibn Ḥaiyān (9.‒10. Jhdt.), Muḥammad ibn Umail at-Tamīmī (gest. um 960), al-Ǧildakī (gest. 1342) und natürlich bei den Lapidaristen Aḥmad ibn Yūsuf at-Tīfāšī (gest. 1253), as-Suwaidī (gest. 1292), al-Akfānī (gest. 1348), um nur einige zu nennen. Eine Prüfung des Inhaltes der Zitate ergibt, daß sie Vorlagen entnommen sind, die bald dieser, bald jener Rezension entsprechen, und so entfaltet das Steinbuch ein breites Spektrum der Überlieferung, ein Knäuel vielfach verschlungener Fäden, das erst durch eine synoptische Edition entwirrt werden kann. Ich darf voraussetzen, daß der Inhalt des Steinbuches bekannt ist, und kann mich daher mit einigen skizzenhaften Andeutungen begnügen. Je nach dem Umfang der verschiedenen Rezensionen sind in ihm 70 bis 120 Gesteinsarten beschrieben, die, wenn auch lose, zu bestimmten Gruppen zusammengefaßt sind. Es sind dies die Edelsteine, die Schwefel- und Arsenikverbindungen, die Salze und Borake, die Metalle und Metallverbindungen, die Magnetsteine, die im Inneren von Tieren entstandenen Steine, die sog. Farbenzaubersteine und die Steine, die mit der Alexandersage in Verbindung gebracht sind. Wie dieser Überblick erkennen läßt, werden den «Steinen» (al-aḥǧār) alle Substanzen zugezählt, die nicht in die Naturreiche der Tiere und Pflanzen fallen, also auch die Metalle, die Perlen, die Glasflüsse, Elemente sowohl als Sulfide, Oxide, Karbonate, Nitrate, Silikate usw. Das Steinbuch des Aristoteles faßt somit alles zusammen, was wir heute unter Mineralogie, Petrographie, Kristallographie und Metallurgie klassifizieren würden, Ausdrücke, die aber vermieden werden müssen, da die Wissenschaften, die mit ihnen bezeichnet werden, im islamischen Mittelalter weder dem Begriff noch der Sache nach vorhanden waren. Zu diesen realen Substanzen gesellen sich nun aber im Steinbuch des Aristoteles eine Fülle fabelhafter, nicht existenter Steine, Produkte der Phantasie und der Folklore. Und beiden, den realen und imaginären Steinen, sind durch- 294 weg magische Wirkungen eigen: Der Smaragd verhindert die Epilepsie und läßt die Augen der Schlangen ausfließen9; der Karneol stillt die Menorrhagie; der Onyx bereitet böse Träume; der Bezoarstein hilft gegen Gifte aller Art; der Barqī erweckt rasendes Verlangen nach Geschlechtsverkehr, und ein anderer Stein verhindert das Wiehern der Pferde. Wir befinden uns hier in den Bezirken einer Naturanschauung, die bis in den frühen Hellenismus zurückreicht, die durch Neupythagoreismus verbreitet wurde und die der Spätantike und dem Mittelalter ihr Gepräge gibt: Die Naturgegenstände besitzen eine φυσικὴ δύναμις, eine okkulte Virtus (arab. ḫāṣṣa), die nicht _______________ 9

Ps.-Maǧrīṭī, Ġāyat al-ḥakīm, ed. H. Ritter, 397, 3 f.; Paul Kraus, Jābir b. Ḥayyān II 74 Anm. 1.

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Gesteinskunde

rational aufgeklärt, sondern nur empirisch festgestellt werden kann. Solche Virtutes bilden die Voraussetzung dafür, daß die Dinge der Natur durch Sympathie und Antipathie aufeinander bezogen sind, daß sie, sich fördernd oder vernichtend, aufeinander einwirken. Die Lehre von den okkulten Eigenschaften der Dinge ist im zweiten Jahrhundert vor Chr. durch die Schriften des Mendesiers Bolos Demokritos10 propagiert worden, und sie bestimmt das Bild der ganzen späten naturkundlichen Literatur. Plinius (gest. 79 nach Chr.), der Physiologus, Aelian (um 130 nach Chr.), Dioskurides (gest. um 80 nach Chr.) und die Geoponiker bewegen sich mehr oder minder im selben Milieu. Mit der Nennung dieser Quellen haben wir aber nicht mehr getan, als den allgemeinen Rahmen abgesteckt, den geistesgeschichtlichen Hintergrund aufgezeigt, aus dem das Steinbuch des Aristoteles entstehen konnte. Es lassen sich dabei durchaus genaue Entsprechungen nachweisen: Die Fabel vom «indischen Stein», der auf den Leib des Wassersüchtigen gelegt wird und alles Wasser aus ihm saugt, so daß der Kranke geheilt wird, oder die Geschichte vom Gebärstein, den der Geier aus Indien holt und der die Eigenschaft hat, dem Weibchen das Eierlegen zu erleichtern, ist ebenso Bestandteil des Physiologus wie des Steinbuches. Aber der Nachweis dieser Übereinstimmungen bedeutet doch nicht, daß der Physiologus die unmittelbare Quelle des Steinbuches gewesen ist, denn diese Motive sind Gemeingut der ganzen spätantiken naturkundlichen Literatur. 295

Die Frage, die uns nun hier beschäftigen soll, lautet, ob es nicht doch gelingt, für das Steinbuch oder für Teile desselben unmittelbare Quellen namhaft zu machen. Der berühmte, im Jahre 1248 gestorbene Botaniker ibn al-Baiṭār zitiert in seinem Kitāb al-Ǧāmiʿ li-mufradāt al-adwiya wa-l-aġḏiya mehrfach eine anonyme Schrift unter dem Titel Kitāb al-Aḥǧār. Ruska hatte einige dieser Zitate entdeckt und festgestellt, daß sie inhaltlich eng mit dem Steinbuch des Aristoteles verwandt sind, allerdings in einigen Punkten von diesem auch abweichen. Die Übereinstimmungen verleiteten Ruska zu dem Schluß, daß mit dem K. al-Aḥǧār die pseudoaristotelische Schrift gemeint sei, die Divergenzen ließen ihn andererseits vermuten11, daß es sich bei dem K. al-Aḥǧār um _______________ 10 Max Wellmann, Die Physika des Bolos Demokritos und der Magier Anaxilaos aus Larissa, in: Abhandlungen der Preussischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, 1928, nr. 7. 11 Ruska Steinbuch, p. 150 Anm.

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eine späte, in Spanien erfolgte Textbearbeitung des Aristotelesbuches handele. Bei einer genauen Quellenanalyse des Heilmittelbuches des ibn al-Baiṭār stellte sich jetzt heraus, daß das K. al-Aḥǧār dort zehnmal zitiert ist12. Eines dieser Zitate steht unter dem Stichwort «Diamant», arab. mās. Es heißt dort, daß es vom Diamanten vier Arten gebe: die indische, die makedonische, die eiserne und die zyprische, und bei der zyprischen wird gesagt, daß sie weiß wie Silber sei, daß jedoch der weise ‫ ﺳﻮﻃﺎﻓﺲ‬diese Art nicht zu den Diamanten rechne, weil das Feuer sie angreife. Diese Passage, die, wie sich herausstellen wird, einen Schlüssel zur Quellenfrage des Steinbuches anbietet, ist bisher von der Forschung in ihrer Bedeutung nicht erkannt worden. Josef von Sontheimer hat in seiner deutschen Übersetzung des ibn al-Baiṭār den Namen, den ich hier nur arabisch gegeben habe, mit «Suthafis» umschrieben13, und Lucien Leclerc14 hat in seiner französischen Übersetzung diesen Namen einfach als «Theophrast» gedeutet, von dem ja bekanntlich eine kleine Schrift Περὶ λίθων erhalten ist. Hinter dem arabischen Schriftzug verbirgt sich jedoch kein anderer als Σώτακος. Wer aber ist Sotakos? Sotakos hat im Ausgang des 4. oder zu Anfang des 3. Jahrhunderts vor Chr. gelebt und hat ein Steinbuch verfaßt, von dem bisher nur acht Fragmente bzw. Zitate bekannt waren: Eines in den Ἱστορίαι θαυμάσιαι des Apollonios (2. Jhdt. vor Chr.) und sieben in der Naturalis Historia des Plinius, Kapitel 36 und 37. Aus diesen Stellen geht hervor, daß Sotakos genaue, 296 über Theophrast hinausreichende Kenntnisse der Mineralien besaß, daß er sich um ihre Klassifizierung bemühte, meist vier Unterarten nannte und daß er besonders ihre Verwendung in Medizin und Magie angab. Besonders charakteristisch für die Berichte des Sotakos sind die detaillierten Nachrichten über die geographische Herkunft der Steine. Viele Örtlichkeiten in Griechenland, Zypern, wohl auch Äthiopien, mag er aus eigener Anschauung gekannt haben. Und genau dies sind die Merkmale, die den Bericht über den Diamanten kennzeichnen, wie er im K. al-Aḥǧār gegeben wird. Da nun, wie wir gesehen haben, sich der Autor des K. al-Aḥǧār auf Sotakos beruft, ergibt sich ein neuer und zwar entscheidender Gesichtspunkt für die Beurteilung des Verhältnisses des K. al-Aḥǧār zum Steinbuch des Aristoteles. Das K. al-Aḥǧār verrät durch dieses Zitat einen engen Rapport zur antiken Literatur. Es kann also nicht, wie Ruska vermutet hatte, ein spätes, in Spanien entstandenes Derivat des arabischen Aristotelesbuches sein; es muß vielmehr eine Quellenschrift desselben gewesen sein. _______________ 12 Ed. Būlāq 1291, Bd. II 12, 26; 117 ult.; 160, 21; III 96, 2; 172, 14; IV 127, 1; 150, 12.14; 152, 22; 167, ‒7. 13 Bd. II 467 oben. 14 Unter nr. 2064.

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Nun ist es sehr unwahrscheinlich, daß das Buch des Sotakos in der Spätantike noch erreichbar war oder gar ins Arabische übersetzt worden ist, und wir müssen daher weiter fragen, durch wessen Vermittlung der Verfasser des K. al-Aḥǧār Kenntnis von Sotakos hatte. Wie Max Wellmann 1935 in seiner Arbeit über «Die Stein- und Gemmenbücher der Antike»15 gezeigt hat, ist die Schrift des Sotakos von anderen Lapidaristen benutzt worden, und es ist sehr wahrscheinlich, daß sie auch von Xenokrates ausgeschrieben wurde, wenn irgend man die fragmentarischen Nachrichten der antiken Überlieferung zu einem einheitlichen Bilde zusammenfügen kann. Xenokrates von Ephesos hat in der Kaiserzeit, um 70 nach Chr., gelebt. Sein Λιθογνώμων, in dem die Steine alphabetisch angeordnet waren, wurde zum maßgeblichen Steinbuch der Spätantike, ist aber heute verloren. Wir haben von ihm nur indirekt Kenntnis durch spätere Autoren, die ihn als Quelle benutzt oder verarbeitet haben. Es handelt sich dabei um Plinius, dessen Gemmenkatalog Buch 37, 139‒185 auf Xenokrates beruht, um Origenes, gest. 251 (bzw. seinen Übersetzer Hieronymus, gest. 420), bei dem Xenokrates dreimal zitiert ist, um Michael Psellos (gest. 1079) mit seiner 297 kleinen Schrift Περὶ λίθων δυνάμεων und um den byzantinischen Dichter Meliteniotes, der im 13./14. Jahrhundert gelebt hat und die Gemmen in seinem allegorischen Gedicht Εἰς τὴν σωφροσύνην behandelt hat. Nicht bekannt war aber bisher die Tatsache, daß der Lithognomon des Xenokrates auch ins Arabische übersetzt worden ist. Zwar schweigen sich die bibliographischen Quellen, ibn an-Nadīm, al-Qifṭī, ibn abī Uṣaibiʿa, aus, aber aus der Literatur konnte ich bisher acht Fragmente des Steinbuches des Xenokrates zusammentragen. Eines steht im Kitāb al-Ḥāwī des Rāzī unter dem Lemma «Eisenrost» (ṣadaʾ al-ḥadīd)16, drei weitere finden sich im Kitāb al-Muršid des Muḥammad ibn Aḥmad at-Tamīmī unter den Lemmata «Smaragd» (zumurrud), «Hämatit» (šādanaǧ), «Mahā-stein»17, eines ist in der Heilmittellehre des Ġāfiqī unter dem «Adlerstein» zu finden, und abermals drei weitere stehen im K. al-Ǧāmiʿ des ibn al-Baiṭār unter den Stichworten «Adlerstein» (iktamakt), «koptischer Stein» (ḥaǧar qibṭī) und «Mahā-stein»18. Diese arabischen Bruchstücke treten also als sehr wertvolle Ergänzungen neben die griechisch erhaltenen Fragmente, und sie setzen den klassischen Philologen in Stand, sich von dem xenokra_______________ 15 Quellen und Studien zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Medizin 4, 1935, 426‒489. 16 Ed. Ḥaidarābād Bd. 17, 63, 4 f. 17 Ms. Paris 2870,1 (Ancien fonds 1088), fol. 98 a; 106 a; 116 a. 18 Ed. Būlāq 1291, Bd. Ι 51 ult.; II 7, 9; IV 167 ult.

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teischen Steinbuch ein genaueres Bild zu machen als ihm dies bisher möglich war. Um nun aber die für unser Thema wichtige Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Bericht des Xenokrates und dem des Sotakos zu klären, sei hier der Abschnitt über den Adlerstein in Übersetzung vorgetragen. Der Xenokratestext findet sich bei al-Ġāfiqī und im Anschluß an diesen bei ibn al-Baiṭār. Ihm sei der Sotakostext gegenübergestellt, der, wie oben erwähnt, nur in der lateinischen Bearbeitung des Plinius, Kap. 36, 149 f., greifbar ist: Xenokrates sagt: Von dem ἀετίτης genannten Stein gibt es vier Arten, die eine ist die jemenitische, die zweite die zyprische (das ist die männliche Art), die dritte ist aus Libyen, die vierte aus Antiochien. Die jemenitische Art ähnelt in ihrer Größe einem Gallapfel, sie ist schwarz und leicht und trägt in ihrem Inneren einen harten Stein. Die zyprische Art ähnelt der jemenitischen, ist jedoch breiter und etwas in die Länge gestreckt. Bisweilen hat sie auch die Form einer Eichel. Auch diese trägt in ihrem Inneren einen Stein, manchmal auch Sand oder Kies. Sie ist sehr weich und läßt sich mit den Fingern zerreiben. Die aus Libyen kommende Art ist klein und weich und wie Sand gefärbt. In ihrem Inneren trägt sie einen weißen, zarten Stein, der schnell zerbröselt. Die antiochenische Art, die man am Strand findet, ähnelt dem Sand und ist weiß und rund.

Aetitae lapides ex argumento nominis magnam famam habent... genera eorum quattuor.

...qui in Arabia nascatur, durum, gallae similem aut subrutilum, in alvo habentem durum lapidem. tertius in Cypro invenitur colore illis in Africa nascentibus similis, amplior tamen atque dilatatus; ceteris enim globosa facies. habet in alvo harenam iucundam et lapillos. ipse tam mollis ut etiam digitis frietur. in Africa nascentem pusillum ac mollem, intra se velut in alvo habentem argillam suavem, candidam. quarti generis Taphiusius appellatur, nascens iuxta Leucada in Taphiusa, qui locus est dextra navigantibus ex Ithaca Leucadem. invenitur in fluminibus candidus ac rotundus.

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Diese Konfrontierung des bei ibn al-Baiṭār überlieferten Xenokratestextes und des bei Plinius überlieferten Sotakostextes läßt die Identität der Inhalte klar erkennen. Die kleinen Variationen, z. B. der Ersatz von Taphiusa durch Antiochien, erklären sich durch die langen und unterschiedlichen Überlieferungswege. Als Ergebnis aber dürfen wir festhalten, daß Xenokrates das Steinbuch des Sotakos in weiten Passagen ausgeschrieben hat, zum Teil unter namentlicher Nennung seines Gewährsmannes, zum Teil, wie hier im Bericht vom Adlerstein, auch ohne Sotakos zu erwähnen. Wenn wir nun das vorhin angeschnittene Problem wiederaufnehmen und fragen, auf welchem Wege der Verfasser des K. al-Aḥǧār Kenntnis von Sotakos hatte, so kann die Antwort nur lauten: durch die arabische Übersetzung des Λιθογνώμων des Xenokrates. Somit läßt sich folgende Überlieferungskette rekonstruieren: Das Steinbuch des Aristoteles, oder zumindest ein Teil desselben, beruht auf dem anonymen K. al-Aḥǧār. Dessen Autor wiederum hat die 299 arabische Übersetzung des Λιθογνώμων des Xenokrates ausgeschrieben, und Xenokrates seinerseits ist wenigstens teilweise von Sotakos abhängig. Trifft diese These zu, so darf man umgekehrt folgern, daß das Buch des Xenokrates nun nicht nur in den antiken Fragmenten bei Plinius, Origenes usw. und in den acht neuen arabischen Fragmenten bei ar-Rāzī, at-Tamīmī usw. erhalten ist, sondern daß wir einen größeren Teil seines Inhaltes auch im K. al-Aḥǧār und im Steinbuch des Aristoteles wiederfinden, auch wenn dort der Name des Xenokrates verschwiegen wird.

Nachträge Zum Steinbuch des Aristoteles vgl. M. Ullmann, Die Natur- und Geheimwissenschaften p. 105‒110; F. Sezgin, GAS IV 103 nr. 11; Fabian Käs, Die Mineralien in der arabischen Pharmakognosie, Teil 1, Wiesbaden 2010, p. 5‒7.

Das Steinbuch des Xenokrates von Ephesos* Im 36. und 37. Buch seiner Naturalis historia hat Plinius Secundus bekanntlich die Steine und Edelsteine behandelt. Unter den Autoren, auf die er sich dabei gestützt hat, nennt er auch einen Xenocrates Zenonis1. Diesen Sohn des Zenon meint er ganz offensichtlich, wenn er 37,25 den Xenocrates Ephesius zitiert oder wenn er an anderen Stellen desselben Buches sich schlicht auf Xenocrates beruft, ohne dessen Namen näher zu kennzeichnen. Und wenn Plinius (37,37) von Xenocrates spricht, qui de his nuperrime scripsit vivitque adhuc, so darf man daraus schließen, daß Xenokrates aus Ephesos, der Sohn des Zenon, sein Steinbuch in neronischer Zeit verfaßt und daß er im Jahre 77 noch gelebt hat. Diese spärlichen Nachrichten aus Plinius wurden durch ein wichtiges Fragment vermehrt, als Franz Buecheler2 nachwies, daß Origenes (185‒253) in seinem Kommentar zu Psalm 119,127 Ξενοκράτους Λιθογνώμων zitiert und daß dieses Zitat auch im Kommentar des Ambrosius (340‒397) zur selben Stelle wiederkehrt3. Jetzt war also der Titel des Buches bekannt! Im Jahre 1907 veröffentlichte dann Max Wellmann seinen Aufsatz über Xenokrates aus Aphrodisias4, jenen Schriftsteller, der die Organe, Sekrete und Exkrete der Tiere und Menschen als Heilmittel empfohlen hatte und gegen den Galen mehrfach polemisiert. Wellmann behauptete nun (p. 629), daß der Aphrodisier Xenokrates auch über p f l a n z l i c h e Heilmittel geschrieben habe (Zitate seien bei Plinius in den Büchern 20‒27 zu finden) und daß er dazu auch der Autor des S t e i n b u c h e s sei, das Plinius im 37. Buch zitiert. Denn die Gegenstände aller drei Naturreiche seien in diesen Zitaten mit denselben magisch-medizinischen Eigenschaften ausgestattet gedacht. Die Tatsache, daß Plinius (37,25) den Steinbuchautor ausdrücklich als Xenocrates _______________ * 1 2

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Für einige freundliche Hinweise bin ich Herrn Dr. Wolfgang Haase, Tübingen, sehr zu Dank verpflichtet. Siehe das Inhaltsverzeichnis des 1. Buches. Franz Buecheler, Zwei Gewährsmänner des Plinius, in: Rheinisches Museum für Philologie, N. F. 40, 1885, 304‒307 = Buecheler, Kleine Schriften, III. Band, Leipzig-Berlin 1930, 63‒66. Migne Patrol. lat. XV col. 1438. Max Wellmann, Xenokrates aus Aphrodisias, in: Hermes 42, 1907, 614‒629.

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Ephesius bezeichnet, steht dieser Theorie nun allerdings entgegen. Wellmann sah das Problem, erklärte damals aber nur apodiktisch, daß der Ephesier mit dem Aphrodisier nichts zu tun habe und „daß der Λιθογνώμων ein Werk des Aphrodisiers Xenokrates, des Sohnes des Zenon“, sei. In seiner posthum erschienenen Arbeit „Die Stein- und Gemmenbücher der Antike“5 kam Wellmann noch einmal auf die Frage zurück. Er vertrat jetzt die Ansicht (p. 435 f.), daß es z w e i Steinbuchautoren namens Xenokrates gegeben habe: der Aphrodisier sei der Autor des Λιθογνώμων, der Ephesier (bei Plinius 37,25 und 27 zitiert) sei ein älterer Schriftsteller5a. Im Verlauf der Arbeit untersucht Wellmann dann die Fragmente des Λιθογνώμων, die bei späteren Autoren namentlich erhalten sind oder die als xenokrateisch erschlossen werden können. Dem schon von Buecheler nachgewiesenen Zitat bei Origenes bzw. Ambrosius konnte Wellmann (p. 428 ff.) noch eine Stelle über den Diamanten hinzufügen, die Hieronymus (347‒419 oder 420) in seinen Kommentar zu Amos 3,76 aufgenommen hat. Bei einer weiteren Stelle über die Perlen, die sich anonym in Origenes’ Kommentar zu Matthäus 13, 45 f.7 findet, schloß Wellmann (p. 430‒433), daß sie aus Xenokrates’ Steinbuch stamme. Damit dürfte er recht haben, denn den gleichen Schluß zog unabhängig von ihm und mit anderen Argumenten Werner Jaeger8. Wellmann versuchte dann weiter nachzuweisen, daß auch die Darstellungen über Steine bei Michael Psellos9 und bei dem Dichter Meliteniotes10 (13./14. Jh.) von Xenokrates abhängig seien. Seine weit ausgreifende, auf vielen Hypothesen und Kombinationen beruhende Untersuchung ist nicht immer überzeugend; sie macht _______________ 5

Max Wellmann, Die Stein- und Gemmenbücher der Antike, in: Quellen und Studien zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Medizin 4, 1935, 426‒489. 5a Auch Wilhelm Kroll, RE 21, 1 (1951), Sp. 407 und D. E. Eichholz in seiner ΡliniusAusgabe Bd. X (The Loeb Classical Library), London-Cambridge, Mass. 1962, p. 182 Anm. a, schließen sich der Meinung Wellmanns an. 6 Migne Patrol. lat. XXV col. 1073; S. Hieronymi Presbyteri Opera, Pars I, Opera exegetica 6: Commentarii in prophetas minores, ed. M. Adriaen (Corpus Christianorum, Series Latina LXXVI), Turnholti 1969, p. 318 f. 7 Migne Patrol. graec. XIII col. 848 f.; Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte, hg. von der Kirchenväter-Commission der Preuß. Akad. d. Wiss., Origenes, Zehnter Band, ed. Erich Klostermann, Leipzig 1935, p. 6 ff. 8 Vernerus Jaeger, Studia Pliniana et Ambrosiana ad Xenocratem Ephesium emendandum, in: Mélanges de philologie, de littérature et d’histoire anciennes offerts à Jules Marouzeau, Paris 1948, p. 297‒302 = Jaeger, Scripta Minora II, Roma 1960, p. 389‒394. 9 Edd.: Julius Ludovicus Ideler, Physici et medici graeci minores, Vol. I, Berolini 1841, p. 244‒247; Les lapidaires de l’antiquité et du moyen âge, par Fernand de Mély, avec la collaboration de Charles-Émile Ruelle, Tome II, Paris 1898, p. 201‒204. 10 Der Abschnitt über die Steine Vs. 1115‒1197 ist ediert bei de Mély Lapidaires II 205‒208.

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jedoch zumindest die ganze Schwierigkeit und Problematik deutlich, mit der der Forscher konfrontiert ist, wenn er dieses nur in so spärlichen Zeugnissen erhaltene Steinbuch des Xenokrates rekonstruieren will. In jüngster Zeit haben sich Konrat Ziegler und Fridolf Kudlien noch einmal kurz zu diesem Buch geäußert. Der erstere11 resümiert mit knappen Worten, was aus Plinius über Xenokrates von Ephesos zu sagen ist12. Kudlien13 betont mit Recht, daß die Fragmente des Steinbuches dem Xenokrates von Ephesos, dem Sohn des Zenon, zuzuweisen seien und daß dieser nichts mit dem Arzt aus Aphrodisias, der über sympathetische Heilmittel aus dem Tierreich geschrieben hat, identisch sei. Die Diskussion in den Kreisen der klassischen Altertumswissenschaft scheint mit diesen Feststellungen zu einem vorläufigen Abschluß gekommen zu sein. Da die griechischen und lateinischen Quellen nun einmal keinen weiteren Aufschluß geben, kann ein Fortschritt in der Frage des Λιθογνώμων von gräzistischer Seite auch kaum noch erwartet werden. Es ist wieder einmal die arabische Überlieferung, die weiterhilft. Die arabischen Biographen und Bibliographen wissen von Xenokrates allerdings nur wenig. Ibn an-Nadīm und al-Qifṭī nennen seinen Namen nicht. Al-Mubaššir ibn Fātik p. 127 ult. (vgl. auch p. 181, 4) und nach ihm ibn abī Uṣaibiʿa14 berichten, daß Xenokrates ein Schüler Platons und sein Nachfolger als Leiter der Akademie in Athen gewesen sei. Doch ibn abī Uṣaibiʿa kennt nicht nur den Philosophen: Unter den Ärzten, die in der Zeit zwischen Hippokrates und Galen gelebt haben, zählt er auch Iksānuqrāṭis wa-Afrūdīs auf15. Es ist leicht zu sehen, daß hier nicht z w e i Ärzte genannt sind, sondern daß das zweite Wort vielmehr al-Afrūdīsī „der Aphrodisier“ zu lesen ist. Wenig später (p. 36, 1), wo ibn abī Uṣaibiʿa die Liste der zwischen Hippokrates und Galen einzuordnenden Ärzte fortführt, nennt er noch einmal den Namen Kasānūqrāṭis, diesmal ohne Herkunftsbezeichnung. Möglich, daß er den Aphrodisier versehentlich zweimal erwähnt hat; aber es ist ebensogut möglich, daß jetzt der Ephesier gemeint ist. Entscheiden läßt sich die Frage nicht, denn in beiden Fällen sind keine Schriften genannt. Da das Steinbuch in der bibliographischen Literatur nicht erwähnt ist und da auch keine Handschrift erhalten ist, waren sich die Orientalisten der Tatsache, daß es ins Arabische übersetzt worden ist, lange nicht bewußt. _______________ 11 12 13 14 15

RE IX A 2 (1967), Sp. 1529, nr. 7. Es deckt sich mit dem in diesem Aufsatz eingangs Festgestellten. RE IX A 2 (1967), Sp. 1531, nr. 8. Kitāb ʿUyūn al-anbāʾ I 50, ‒6 Müller. b. a. Uṣ. I 35, 1 f.

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Zunächst wurde man auf Xenokrates aufmerksam durch die Stellen, die ibn alBaiṭār zitiert. Unter dem Stichwort „Blut“ (dam)16 steht ein langes Zitat aus Galens Buch De simplicium medicamentorum temperamentis ac facultatibus X 217, und innerhalb dieses Zitates ist Xenokrates zitiert18. Joseph von Sontheimer19, der Bd. I p. 425 die Passage übersetzt hat, hat richtig erkannt, daß hier der von Galen, Alexander von Tralleis und Aetios zitierte Arzt aus Aphrodisias gemeint ist20. Daß an den drei Stellen, an denen das Steinbuch zitiert ist, der Autorenname ebenfalls „Xenokrates“ lautet, ist ihm entgangen. Denn Bd. I p. 74 (beim Adlerstein) schreibt er „Kosufakrâthes“, Bd. I p. 284 (beim ägyptischen Stein) schreibt er „Kasufaratis“, und Bd. II p. 534 (beim Kristall) schreibt er „Kasuferates“. Drei Jahrzehnte später konnte Moritz Steinschneider21 diese Namen identifizieren. Mit Recht lehnte er die Konjektur Ferdinand Wüstenfelds ab, der „Hippokrates“ statt „Xenokrates“ lesen wollte22, aber daß sich der Steinbuchautor von dem mit den tierischen Heilmitteln arbeitenden Arzte aus Aphrodisias unterscheidet, wußte auch Steinschneider nicht. Dieses Problem erörterte auch der französische Übersetzer des ibn al-Baiṭār, Lucien Leclerc, nicht. Er gab lediglich seiner Meinung Ausdruck, qu’il s’agit du Xénocrates de Pline23. Es vergingen wieder drei Jahrzehnte, bis Julius Ruska in einer Anmerkung zu seiner Ausgabe des pseudo-aristotelischen Steinbuches die vorsichtige Frage stellte: „Alġāfiḳī beruft sich nach Ibn al-Baiṭār (Leclerc I p. 122) auf Xenokrates als Gewährsmann; sollten ihm noch Reste des Gemmenlexikons vorgelegen haben?“24 Diese Ġāfiqī-Stelle diskutierten auch Max Meyerhof und Georges P. Sobhy in ihrer Ausgabe des Barhebraeus25. In dem dort genannten Autor sahen _______________ 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25

b. -Baiṭār Ǧāmiʿ II 96, 3 ff. Bd. XII 253, 9 ff. Kühn. Bd. XII 261, 5 Kühn, entspr. b. -Baiṭār Ǧāmiʿ II 96, 15. Joseph von Sontheimer, Zusammenstellung einfacher Heil- und Nahrungsmittel von Ebn Baithar. Aus dem Arabischen übersezt, Bd. I. II, Stuttgart 1840. 1842. Sontheimer Bd. II p. 781. Moritz Steinschneider, Die toxikologischen Schriften der Araber bis Ende des XII. Jahrhunderts, in: Virchows Archiv für pathologische Anatomie 52, 1871, p. 363 unter nr. 17. Die Stelle b. -Baiṭār Ǧāmiʿ III 153, 9, die Steinschneider ebenfalls diskutiert, ist zu streichen, denn dort steht Demokrates (= Demokritos), nicht Xenokrates. Lucien Leclerc, Traité des simples par Ibn el-Beithar, Notices et Extraits des manuscrits de la Bibliothèque Nationale, Tome 26, 1, Paris 1883, p. 342, nr. 2183. Julius Ruska, Das Steinbuch des Aristoteles. Mit literargeschichtlichen Untersuchungen herausgegeben und übersetzt, Heidelberg 1912, p. 18 Anm. 1. Max Meyerhof and George P. Sobhy, The Abridged Version of "The Book of Simple Drugs" of Ahmad ibn Muhammad al-Ghâfiqî by Gregorius abu ’l-Farag (Barhebraeus), Fasc. I, Cairo 1932, p. 217‒221 (nr. 108).

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sie Xenokrates von Aphrodisias. Wenig später bezog sich Wellmann auf Ruska’s Notiz26. Er meinte, die Tatsache, daß al-Ġāfiqī im 12. Jh. sich auf Xenokrates berufen konnte, erkläre sich daraus, daß der Λιθογνώμων zu dieser Zeit noch in Konstantinopel existiert habe27. Wieder vergingen Jahrzehnte, ohne daß die Spuren weiterverfolgt wurden. Erst 1968 hat sich der Verfasser in einem Vortrag in Coimbra28 wieder zu Xenokrates geäußert. Er vertrat die Ansicht, daß das Steinbuch des Sotakos29, der Λιθογνώμων des Xenokrates, das arabische anonyme Kitāb al-Aḥǧār und das Steinbuch des Pseudo-Aristoteles in einer fortlaufenden Überlieferungskette stünden. Sodann hat der Verfasser in seinem Buche über die Natur- und Geheimwissenschaften kurz auf die arabische Xenokratesüberlieferung hingewiesen.30 Die dort nachgewiesenen Fragmente konnte er, als er im September 1971 in Dublin arabische Handschriften studierte, um zwei weitere Stücke vermehren. Diese Materialien sollen im folgenden ediert, übersetzt und kurz kommentiert werden.

Ι. Ἀετίτης λίθος. Q u e l l e : Aḥmad ibn Muḥammad al-Ġāfiqī, bei ʿAbd Allāh ibn Aḥmad ibn alBaiṭār, K. al-Ǧāmiʿ li-mufradāt al-adwiya wa-l-aġḏiya, Bd. I, Būlāq 1291, p. 51 paen. bis 52, 12, vgl. al-Ġāfiqī, The Abridged Version of „The Book of Simple Drugs“, Fasc. I, Cairo 1932, nr. 108, Übs. p. 218 f.: Qāla Kasanūqarāṭīsu: (1) inna l-ḥaǧara l-musammā aʾāṭīṭasa arbaʿatu anwāʿin aḥaduhā l-yamānīyu wa-ṯ-ṯānī l-qubrusīyu wa-huwa ḏ-ḏakaru minhā wa-ṯ-ṯāliṯu min Lūbiyata wa-r-rābiʿu min Īṭāliyata. (2) fa-ammā l-yamānīyu fa-innahū šabīhun fī ʿiẓamihī bi-l-ʿafṣati aswadu ḫafīfun yaḥmilu fī dāḫilihī ḥaǧaran ǧāsiyan. (3) wa-l-qubrusīyu šabīhun bi-l-yamānīyi illā annahū aʿraḍu wa-ilā ṭ-ṭūli mā huwa wa-rubbamā wuǧida ka-haiʾati l-ballūṭi wa-huwa aiḍan yaḥmilu ḥaǧaran fī dāḫilihī wa-rubbamā ḥamala ramlan au ḥaṣan wa-huwa layyinun ǧiddan _______________ 26 Wellmann Steinbücher p. 447. 27 Diese Folgerung ist allerdings historisch falsch. 28 Manfred Ullmann, Der literarische Hintergrund des pseudo-aristotelischen Steinbuches, erschienen in den Actas do IV. Congresso de Estudos Arabes e Islâmicos, CoimbraLisboa, vgl. oben, p. 379‒386. 29 Sotakos hat im Ausgang des 4. oder zu Anfang des 3. Jahrhunderts vor Chr. gelebt. Von seinem Buch Περὶ λίθων waren bisher nur Fragmente in Gestalt von Zitaten bei Apollonios und Plinius bekannt, vgl. Franz Susemihl, Geschichte der griechischen Litteratur in der Alexandrinerzeit, Bd. I, Leipzig 1891, p. 860 f. 30 Manfred Ullmann, Die Natur- und Geheimwissenschaften im Islam (Handbuch der Orientalistik, Erste Abteilung, Ergänzungsband VI, Zweiter Abschnitt), Leiden-Köln 1972, p. 98‒100.

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yanfariku bi-l-aṣābiʿi. (4) wa-ammā l-maǧlūbu min Lūbiyata fa-innahū ṣaġīrun layyinun launuhū ka-launi r-ramli yaḥmilu fī dāḫilihī ḥaǧaran abyaḍa laṭīfan yatafattatu sarīʿan. (5) wa-ammā llaḏī bi-Īṭāliyata l-mauǧūdu ʿinda s-sāḥili fainnahū yušbihu r-ramla wa-huwa abyaḍu mudawwarun. (6) wa-n-nusūru taḥmiluhū ilā aukārihā tauqiyatan li-firāḫihā wa-li-ḏālika summiya aʾāṭīṭasa wa-tafsīruhu n-nasrīyu. (7) wa-ḫāṣṣatuhū annahū nāfiʿun litashīli l-wilādati yuʿallaqu fī ǧildi adīmin wa-yušaddu ʿalā s-sāqi l-yusrā. (8) wayusḥaqu aiḍan wa-yuṭraḥu fī labani n-nisāʾi wa-tuġmasu fīhi ṣūfatun wataḥmiluhā l-marʾatu llatī lā taḥbalu fa-taḥbalu bi-iḏni llāhi taʿālā. (9) wa-yurbaṭu aiḍan bi-ḫaiṭin aḥmara wa-yuʿallaqu ʿalā l-ḥawāmili fa-yanfaʿuhunna wayamnaʿu maʿa ḏālika l-isqāṭa wa-ḫurūǧa l-aǧinnati qabla kamālihā. (10) wayuǧʿalu fī ǧildi ḫarūfin rāʾiḥatuhū ḏakīyatun wa-yulzamu l-ʿānata wa-l-ḥaqwaini ilā waqti l-wilādati fa-iḏā kāna ḥīnu t-tamaḫḫuḍi wa-ṭ-ṭalqi yuḥādu bihī ʿani lmarʾati fa-innahū in turika bi-ḥālihi nṣadaʿati l-marʾatu fī l-wilādati. (11) wa-kaḏā yaṣluḥu li-sāʾiri l-ḥayawāni.

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Xenokrates sagt: (1) Von dem ἀετίτης genannten Stein gibt es vier Arten. Die eine ist die jemenitische, die zweite die zyprische — das ist die männliche Art —, die dritte ist aus Libyen, die vierte aus Italien. (2) Die jemenitische ähnelt in ihrer Größe einem Gallapfel, sie ist schwarz und leicht und trägt in ihrem Inneren einen harten Stein. (3) Die zyprische ähnelt der jemenitischen, ist jedoch breiter und etwas in die Länge gestreckt. Bisweilen findet man sie auch in der Form einer Eichel. Auch diese trägt in ihrem Inneren einen Stein, manchmal auch Sand oder Kies. Sie ist sehr weich und läßt sich mit den Fingern zerreiben. (4) Die aus Libyen gebrachte Art ist klein und weich und wie Sand gefärbt. In ihrem Inneren trägt sie einen weißen, zarten Stein, der schnell zerbröselt. (5) Die italienische, die man am Strand findet, ähnelt dem Sand; sie ist weiß und rund. (6) Die Adler bringen den Stein in ihre Nester zum Schutze ihrer Jungen. Deshalb wird er ἀετίτης genannt, d. h. der zum Adler Gehörende. (7) Seine sympathetische Eigenschaft besteht darin, daß er die Geburt erleichtert: Man muß ihn in ein Stück Leder tun und um den linken Schenkel binden. (8) Man kann ihn auch zerreiben und in Frauenmilch schütten. Darein wird ein Wollebausch getunkt, den die Frau, die nicht empfängt, bei sich tragen muß, so wird sie schwanger werden, mit Gottes Erlaubnis. (9) Man kann den Stein auch mit einem roten Faden festbinden und den Schwangeren umhängen. Dann hilft er ihnen und verhindert außerdem den Abortus und das Herauskommen der Föten vor ihrer Vollendung. (10) Man kann ihn auch in das stark duftende Leder eines Lammes tun und dies an die Scham und die Lenden heften, bis die Zeit der Geburt herannaht. Wenn aber der Zeitpunkt des

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Gebärens und der Wehen gekommen ist, muß er von der Frau entfernt werden, denn wenn er in seiner Lage belassen wird, wird die Frau bei der Geburt zerspalten. (11) In der gleichen Weise taugt der Stein auch für die anderen Lebewesen. K o m m e n t a r : Α. Α. Βarb31 weist den assyrischen Ursprung der berühmten Legende von dem „schwangeren Stein“ bzw. dem „Adlerstein“ nach und gibt Hinweise auf ältere Monographien und jüngere Literatur. Der arabische Bericht hat seine genaue Parallele bei Plinius 36, 149‒15132. Dort ist der Name des Xenokrates allerdings nicht genannt. Der Text lautet: (149) Aëtitae lapides ex argumento nominis magnam famam habent . . . genera eorum quattuor: . . . qui in Arabia nascatur, durum, gallae similem aut subrutilum, in alvo habentem durum lapidem. (150) tertius in Cypro invenitur colore illis in Africa nascentibus similis, amplior tamen atque dilatatus; ceteris enim globosa facies. habet in alvo harenam iucundam et lapillos, ipse tam mollis ut etiam digitis frietur. (149) in Africa nascentem pusillum ac mollem, intra se velut in alvo habentem argillam suavem, candidam. (150) quarti generis Taphiusius appellatur, nascens iuxta Leucada in Taphiusa, qui locus est dextra navigantibus ex Ithaca Leucadem. invenitur in fluminibus candidus ac rotundus. (151) aëtitae gravidis adalligati mulieribus vel quadripedibus pelliculis sacrificatorum animalium continent partus, non nisi parturiant removendi; alioqui volvae excidunt. sed nisi parturientibus auferantur, omnino non pariant. Zahlreiche arabische Quellen, in denen der „Adlerstein“ erwähnt ist, hat Paul Kraus33 zusammengestellt. Kraus erklärt dort auch den merkwürdigen Namen aktamakt: Das Wort ἀετίτης sei danach in einer mittelpersischen Quelle nur umschrieben worden, durch Fehler eines Kopisten sei dieser Schriftzug entstellt, bei der Übersetzung ins Arabische sei dann das Wort als aktamakt umschrieben worden. Mit al-Ġāfiqī habe ich in § 1 und 5 Īṭāliya „Italien“ statt Anṭākiya „Antiochien“ geschrieben. Letzteres steht zwar im Text des ibn al-Baiṭār, und auch Dāwūd ibn ʿUmar al-Anṭākī34 hat so gelesen, denn er spricht davon, daß der Stein in seiner Heimat Antiochien zu finden sei, daß er ihn jedoch nie gesehen habe. Italien liegt zwar für den von Ithaka nach Leukas Segelnden links, aber _______________ 31 A. A. Barb, Birds and Medical Magic. I. The Eagle-Stone, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 13, 1950, 316‒318. 32 Vgl. auch Plinius 30, 130: lapis aëtites in aquilae repertus nido custodit partus contra omnes abortuum insidias. 33 Paul Kraus, Jābir ibn Ḥayyān. Contribution à l’histoire des idées scientifiques dans l’Islam, Vol. II, Le Caire 1942, p. 72 Anm. 2. 34 K. Taḏkirat ulī l-albāb, Bd. I, Kairo 1329, p. 51, 3 ff.

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auf jeden Fall viel näher als Antiochien. Es ist gut denkbar, daß der Übersetzer, der den Text ins Arabische gebracht hat, mit Taphiusa aber natürlich keine Vorstellung verbinden konnte, den Namen Taphiusa durch Italien ersetzt hat. Zu den §§ 6‒10 vgl. die Darstellung des Aetios von Amida II 3235.

II. Λίθος Αἰγύπτιος. Q u e l l e : b. al-Baiṭār Ǧāmiʿ II 7, 9‒11: Ḥaǧarun qibṭīyun. Kasanūqarāṭīsu: mina n-nāsi man yusammīhi mūrūqtīsa waminhum man yusammīhi ġālāksiyūsa wa-yusammīhi Qibṭu Miṣra ūṯunata. huwa mauǧūdun ʿindahum kaṯīran wa-yustaʿmalu fī tabyīḍi ṯ-ṯiyābi wa-huwa ḥaǧarun aḫḍaru kamidun layyinun saḫīfun. Koptischer Stein. Xenokrates: Einige Leute nennen ihn μόροχθος, andere γαλαξίας; die Kopten Ägyptens nennen ihn ὀθόννα. Er ist häufig bei ihnen zu finden und wird zur Weißung der Kleider verwendet. Es ist ein grüner, fahlgrauer, leichter, poröser Stein. K o m m e n t a r : Das Fragment berührt sich eng mit Dioskurides V 134 Wellmann/p. 435, 15 ff. Dubler: λίθος μόροχθος, ὃν ἔνιοι γαλαξίαν ἢ λευκογραφίδα ἐκάλεσαν, ἐν Αἰγύπτῳ γεννᾶται, ᾧ καὶ οἱ ὀθονιοποιοὶ πρὸς λεύκανσιν τῶν ὀθονίων χρῶνται, μαλακῷ καὶ εὐανέτῳ ὄντι. Der Druck des ibn al-Baiṭār hat wʾnh, Leclerc las ʾwnh. Meine Emendation ūṯuna[tu] berücksichtigt das griechische ὀθόννα (zu diesem vgl. Diosk. II 182 Wellmann/p. 234, 9‒11 Dubler).

III. Αἱματίτης. Q u e l l e : Muḥammad ibn Aḥmad at-Tamīmī, Κ. al-Muršid fī ǧawāhir alaġḏiya wa-quwā l-mufradāt min al-adwiya, Ms. Paris 2870,1 (= Ancien fonds 1088), fol. 106 a 8 bis 106 b 12: 56

Wa-qāla fīhi Kasanūqarāṭīsu: (1) aš-šāḏanaǧu nāfiʿun min ǧirāḥi l-ʿaini wa-min qaraḥātihā iḏā quṭṭira fīhā maʿa zībaqi l-baiḍi. (2) wa-in suḥiqa ḥattā yaṣīra miṯla l-habāʾi wa-suqiya minhu li-n-nisāʾi llawātī bihinna nazfu l-arḥāmi yusqā minhu waznu miṯqālin bi-māʾi lisāni l-ḥamali fa-innahū yanfaʿuhunna wa-yaqṭaʿu nnazfa ʿanhunna. (3) wa-qad yaqṭaʿu aiḍan nafṯa d-dami l-kāʾina mini nfiǧāri ʿirqin min ʿurūqi ṣ-ṣadri iḏā suqiya minhu miṯqālun bi-māʾi lisāni l-ḥamali ʿalā mā ḏakarnā qablu fa-innahū yaqṭaʿuhū wa-yuzīluhū sawāʾan kāna min ʿurūqin fī _______________ 35 Ed. A. Olivieri (CMG VIII,1), Bd. I, Leipzig-Berlin 1935, p. 166.

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ṣ‑ṣadri au min ʿurūqin fī r-riʾati. (4) wa-qad yusqā minhu li-man bihī usru l-bauli wa-huwa li-ḥiǧāratin fī l-maṯānati waznu ḫamsati darāhima bi-duhni l-fuǧli fayufattitu l-ḥaṣā wa-yuḫriǧuhū fī l-bauli wa-in ḍummida bihī ʿalā s-surrati wa-mā taḥta s-surrati nafaʿa aiḍan mina l-usri. (5) wa-yusqā minhu min ladġi l-ḥayyāti wa-l-afāʿī waznu miṯqālin bi-šarābin ṣirfin fa-yanfaʿu. (6) wa-yumsaḥu minhu ʿalā l-bawāsīri ẓ-ẓāhirati wa-yuʿallaqu li-l-bāṭinati ʿalā l-faḫiḏi l-yumnā fa-yanfaʿu ṣāḥibahā wa-ka-ḏālika in suḥiqa maʿa miṯlihī sūrinǧānan wa-ʿuǧina l-ǧamīʿu biyasīrin mina s-samni wa-tuḥummila bihī fī quṭnatin fī l-maqʿadati fa-innahū yanfaʿu mina l-bawāsīri l-bāṭinati wa-yubriʾuhā wa-yuzīluhā. (7) wa-qad yuḥallu n-nauʿu minhā l-amlasu wa-huwa ḏ-ḏakaru ʿalā misannin bi-māʾi l-kuzburati rraṭbati au bi-māʾi lisāni l-ḥamali wa-yuṭlā ʿalā l-ḥumrati wa-l-aurāmi l-ḥārrati ṣṣafrāwīyati bi-rīšatin fa-yanfaʿu minhā wa-yufšīhā. (8) wa-qad yuttaḫaḏu mina lǧinsi minhā ḏ-ḏakari l-amlasi masānnu li-yusanna ʿalaihā l-ḥadīdu ʿinda ʿilali lʿainaini wa-yulṭaḫu l-ʿaināni wa- bi-mā yanḥallu bainahumā fa-yanfaʿu nafʿan bayyinan. (9) wa-yuḥakku aiḍani ḏ-ḏakaru minhā ʿalā l-misanni wayulṭaḫu bi-mā yanḥallu minhu l-māširā wa-l-ḥumratu wa-ǧamīʿu l-aurāmi ddamawīyati fa-yuḥalliluhā wa-yufšīhā wa-yanfaʿu minhā. (10) wa-ka-ḏālika fiʿluhū fī aurāmi l-ʿainaini wa-armādihā d-damawīyati iḏā ḥukka wa- bihi l-aǧfānu wa-quṭṭira fīhā bi-zībaqi l-baiḍi au bi-labani ummi ǧāriyatin. (11) wa-lmuḫtāru minhu mā kāna mušbaʿa l-ḥumrati mustawiya l-aǧzāʾi lā ʿirqa fīhi wa-lā wasaḫa. Xenokrates lehrt über ihn: (1) Der Blutstein hilft gegen die Wunden und Geschwüre des Auges, wenn man ihn mit dem Quecksilber (?) des Eies hineinträufelt. (2) Zerreibt man ihn, bis er wie Staub wird, und flößt man davon den Frauen, die an Blutfluß aus der Gebärmutter leiden, das Maß eines Miṯqāl’s zusammen mit dem Saft des Wegerichs ein, so hilft er ihnen und bringt den Blutfluß zum Stillstand. (3) Er bringt auch das Blutspeien zum Stillstand, das von einer geplatzten Ader in der Brust herrührt, wenn man von ihm ein Miṯqāl zusammen mit dem Saft des Wegerichs verabreicht, genau so, wie wir es zuvor erwähnt haben. Er bringt nämlich das Blutspeien zum Stillstand und beseitigt es, ganz gleich, ob es von Adern in der Brust oder von Adern in der Lunge herrührt. (4) Man kann von ihm auch demjenigen, der an Harnverhaltung leidet, welche von Steinen in der Blase herrührt, das Maß von fünf Drachmen zusammen mit Rettichöl eingeben. Dann zerbröselt er die Steine und treibt sie beim Urinieren heraus. Macht man mit ihm einen Umschlag am Nabel und unterhalb des Nabels, so hilft er auch gegen die [Harn-]Verhaltung. (5) Man gibt von ihm auch gegen den Biß der Schlangen und Vipern das Maß eines Miṯqāl’s mit reinem Wein ein; das hilft. (6) Man reibt mit ihm auch die ä u ß e r e n Hämorrhoiden ein; für die i n n e r e n hängt man ihn um den

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rechten Schenkel, dann hilft er dem Patienten. Wenn man ihn desgleichen mit derselben Quantität Colchicum syriacum zerreibt und das Ganze mit ein wenig Butter zerknetet und dann in einer Baumwollflocke im After trägt, so hilft er gegen die inneren Hämorrhoiden, heilt sie aus und läßt sie verschwinden. (7) Die glatte, d. h. die männliche, Art des Blutsteins kann man auf einem Schleifstein mit dem Saft von feuchtem Koriander oder mit dem Saft des Wegerichs auflösen; dann schmiert man sie mit einer Feder auf das Erysipel und auf die heißen, gelbgalligen Geschwülste; das hilft und vertreibt sie. (8) Man stellt auch aus der männlichen, glatten Art Schleifsteine her, damit das Eisen auf ihnen geschliffen werde bei den Erkrankungen der Augen, und die beiden Augen werden eingeschmiert und mit dem, was sich zwischen ihnen auflöst; das nützt ganz offenkundig. (9) Man zerschabt auch den männlichen Blutstein auf einem Schleifstein. Mit dem, was sich von ihm auflöst, schmiert man die Rose, das Erysipel und alle Blutgeschwüre ein. Er löst sie dann auf, vertreibt sie und hilft gegen sie. (10) Genauso ist seine Wirkung bei den Geschwülsten und den blutigen Ophthalmien der Augen, wenn er zerschabt wird und wenn mit ihm die Lider werden und wenn er in sie geträufelt wird zusammen mit dem Quecksilber (?) des Eies oder mit der Milch der Mutter eines Mädchens. (11) Zu bevorzugen ist der Blutstein, der von gesättigtem Rot und von ebenmäßigen Bestandteilen ist, in dem es keine Ader und keine Verunreinigung gibt. K o m m e n t a r : Zu § 1 und 10: die Handschrift hat an beiden Stellen deutlich zībaq al-baiḍ „Quecksilber des Eies“. Möglicherweise ist dies eine metaphorische Bezeichnung für das Eiweiß, denn daß dies gemeint ist, geht aus den Parallelen Galen, De simplicium medicamentorum temperamentis ac facultatibus IX 2, 2 (= Bd. XII 195 ult. Kühn)/b. al-Baiṭār Ǧāmiʿ III 49, 10 und Qazw. ʿAǧāʾib 228, ‒4 hervor, in denen bayāḍ al-baiḍ steht. Eine Lesung zanbaq albaiḍ scheint mir kaum möglich zu sein. Vgl. auch Jutta Schönfeld, Über die Steine, Freiburg 1976, p. 164, und Ibn at-Tilmīḏ, Aqrābāḏīn, ed. Oliver Kahl, Leiden-Boston 2007, nr. 298; 379. Die Inhalte der §§ 1‒5 sind von Plinius (36,145) in derselben Reihenfolge resümiert: haematites . . . oculis cruore suffusis mire convenit. sistit profluvia mulierum potus. bibunt et qui sanguinem reiecerunt cum suco Punici mali. et in vesicae vitiis efficax bibitur. et in vino contra serpentium ictus. Zu § 1 vgl. noch Dioskurides V 126, 1 Wellmann/p. 433, 8‒10 Dubler: δύναμιν δὲ ἔχει . . . σμηκτικὴν οὐλῶν τῶν ἐν ὀφθαλμοῖς καὶ τραχωμάτων σὺν μέλιτι. §§ 2, 3, 5: miṯqāl entspricht bisweilen dem griechischen δραχμή. Zur Gewichtsbestimmung s. Walther Hinz, Islamische Maße und Gewichte umgerechnet

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ins metrische System (Handbuch der Orientalistik, Ergänzungsband I 1), Leiden 58 1955, p. 1 ff. Zu § 5 vgl. die Paraphrase zu den pseudo-orphischen Λιθικά36, p. 152, 9 f.: καὶ μετὰ ὕδατος πινόμενον κατὰ τῶν ἰοβόλων πάντων ἀντιφάρμακον προφυλακτικὸν γίνεσθαι. Zu § 7: Die Zerreibung des Blutsteins auf dem Schleifstein empfiehlt auch Galen, De simplicium medicamentorum temperamentis IX 2, 2 (= Bd. XII 196, 6 ff.), arabischer Text bei ibn al-Baiṭār Ǧāmiʿ III 49, 15. Zu § 8 vgl. Dioskurides V 126, 2 Wellmann/p. 433, 12 f. Dubler: γίνεται δὲ καὶ κολλούρια καὶ ἀκόνια ἐξ αὐτοῦ πρὸς τὰ ἐν ὀφθαλμοῖς πάθη ἐπιτήδεια. Zu § 9: māširā „Rose“ ist Fremdwort aus syrisch māšrā, s. Carl Brockelmann, Lexicon syriacum 408 a und Adalbert Merx, Proben der syrischen Übersetzung von Galenus’ Schrift über die einfachen Heilmittel, in: ZDMG 39, 1885, 241 b, ‒4 und 250 ult. Arabische Belege: Ps. Ṯābit Ḏaḫīra 83, 15; 133, 9 f.; 134, 18 ff.; Ṭab. Taʾrīḫ III 4, 2288 ult. ‒ 2289, 2 (Jahr 301); b. -Aṯīr Kāmil 8, 389, 10 Tornberg (Jahr 346); Maǧūsī Malakī II 252, 23. Zu § 10 vgl. die Paraphrase zu den pseudo-orphischen Λιθικά, ed. Abel, p. 152, 5‒7: λίθος ὁ αἱματίτης . . . τοῦτον εἰς πᾶσαν ὀφθαλμίαν ὠφελιμώτατον εἶναι λέγουσι κερασθέντα μετὰ μέλιτος εἴτε γάλακτος. Ferner Dioskurides V 126, 1 Wellmann/p. 433, 10 f. Dubler: σὺν δὲ γάλακτι γυναικείῳ πρὸς ὀφθαλμίας καὶ ῥήξεις καὶ ὑφαίμους ὀφθαλμούς. Zu § 11 vgl. Dioskurides V 126, 1 Wellmann/p. 433, 5‒8 Dubler: αἱματίτης δὲ λίθος ἄριστός ἐστιν ὁ εὐθρυβὴς μὲν ὡς ἐν ἑαυτῷ, σκληρὸς δὲ καὶ κατακορὴς ὁμαλῶς, ἀνεπίμικτος ῥυπαρίας τινὸς ἢ διαζωμάτων.

IV. Ἰὸς σιδήρου. Q u e l l e n : Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī, Κ. al-Ḥāwī fī ṭ-ṭibb, Bd. 17, Ḥaidarābād 1964, p. 63, 4 f. = Bd. 23,2, Ḥaidarābād 1970, p. 58, 7: Min kitābi Kasānūqarāṭisa fī l-ḥiǧāri (Var. fī l-aḥǧāri): ṣadaʾu l-ḥadīdi maʿa duhni wardin ǧayyidun li-d-dāḥisi ǧiddan. Aus dem ,Buch der Steine‘ des Xenokrates: Eisenrost mit Rosenöl ist sehr gut gegen das Nagelgeschwür. K o m m e n t a r : Vgl. Dioskurides V 80 Wellmann/p. 408, 5 ff. Dubler: ἰὸς σιδήρου . . . πρός τε παρωνυχίας . . . εὔχρηστος καὶ κονδυλώματα. Plinius 34,153: robigo . . . item ad scabiem, paronychia digitorum et pterygia in linteolis. _______________ 36 Orphei Lithica. Accedit Damigeron de lapidibus. Recensuit Eugenius Abel, Berolini 1881.

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V. Κρύσταλλος. Q u e l l e : Tamīmī Muršid fol. 116 a 12 bis paen.: 59

Wa-zaʿama Kasanūqarāṭīsu anna l-mahā yustaḫraǧu mina l-baḥri l-aḫḍari wahuwa ḥaǧarun abyaḍu ṣāfin šadīdu š-šufūfi ḥattā inna šuʿāʿa š-šamsi matā ṣāfaḥahū wa-ṣādamahū wa-nʿakasa ʿanhu fa-waqaʿa ʿalā baʿḍi l-ašyāʾi n-nāʿimati ka-lquṭni l-layyini awi l-ḥurāqi awi l-ḫiraqi l-kattāni n-nāʿimati s-saudāʾi (sic) wa-ʿalā ḥurāqati l-ʿūdi warraṯa fī hāḏihi l-ašyāʾi nāran muḥriqatan li-l-waqti. Xenokrates erwähnt, daß der Krystall aus dem indischen Ozean geholt wird. Es ist ein weißer, klarer Stein von ausgezeichneter Durchsichtigkeit. Dies hat zur Folge, daß die Strahlen der Sonne, wenn sie ihn berühren, auf ihn treffen und von ihm abgelenkt werden und dann auf einen zarten Gegenstand fallen wie weiche Baumwolle, Zunder, dünne, schwarze Leinenlappen oder auf Zündwerk aus Holz, daß sie dann in diesen Gegenständen augenblicks ein loderndes Feuer entfachen. K o m m e n t a r : Die Eigenschaft des Krystalls, durch die Strahlen der Sonne Feuer zu entfachen, ist oft erwähnt, vgl. besonders die Paraphrase zu den pseudo-orphischen Λιθικά, ed. Abel, p. 138 f.: Λίθος κρύσταλλος . . . ὠνόμασται μὲν ἀπὸ τῆς κρυσταλλοειδοῦς καὶ διαυγοῦς ὄψεως. ἔχει δὲ φυσικὰς ἐνεργείας τοιαύτας. εἴ τις αὐτὸν ἐπάνω θείη κατὰ ξηρῶν δᾴδων ἢ καὶ ἄλλης τινὸς ὕλης εὐπρήστου καὶ ταχέως ἀντιλαμβανομένης πυρός, ὁ δὲ ἥλιος ἐξ ἐναντίας αὐτὸν ταῖς ἀκτῖσι περιαστράψαι, πρῶτον μὲν ὀλίγην τινὰ καὶ οὗτος ἀκτῖνα πρὸς τὴν παρακειμένην ὕλην ἐκπέμπει. ἔπειτα καὶ καπνὸν ἐγείρει. μετὰ δὲ τοῦτο καὶ φλόγα πολλήν. Plinius hat im Abschnitt über den Krystall (37, 23 ff.) den Xenocrates Ephesius dreimal zitiert, aber keine der drei Stellen stimmt mit der arabischen Passage überein. Lediglich 37,28 heißt es, ohne daß Xenokrates genannt ist: invenio apud medicos, quae sint urenda corporum, non aliter utilius uri putari quam crystallina pila adversis opposita solis radiis. In der Rezension des pseudo-aristotelischen Steinbuches, die im Codex Leodiensis 77 erhalten ist, steht eine Passage, die im Parisinus 2772 fehlt. Sie lautet: Bonitas huius lapidis est: quod quando exponitur soli rotundatus ut radii solares penetrent ipsum erit ignis ab eo. Vgl. auch Qazw. ʿAǧāʾib 212, 16‒18: wa-iḏā qābala lbillauru š-šamsa wa-udniyat minhu ḫirqatun saudāʾu au quṭnatun taʾḫuḏu fīhā nnāru. At-Tamīmī läßt auf das Xenokrateszitat einen Abschnitt über die Fundstätten des besten und klarsten Krystalls auf bestimmten Inseln im chinesischen und indischen Meere folgen. Dieser Abschnitt ist überschrieben: waḏakara āḫarūna mina l-falāsifati „andere Philosophen berichten“. Es heißt darin weiter, daß der Krystall die Eigenschaft habe, gegen das Zittern und

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Beben (al-irtiʿāš wa-r-riʿda) zu helfen, daß er gut sei gegen die Auszehrung (sill), die die Kinder befällt, und daß er die Milch reichlich fließen lasse, wenn er fein zerrieben und mit Wasser auf die Brüste der stillenden Frauen aufgetragen werde. Darauf wird (fol. 116 b 5‒7) „der Juwelenkenner Theophrast“37 zitiert, nach dessen Lehre der Krystall, wenn er in heißes Bocksblut getan wird, schmelze und sich auflöse38. Ibn al-Baiṭār (Ǧāmiʿ IV 167 ult. bis 60 168, 2) hat diesen Abschnitt resümiert. Allerdings ist ihm dabei ein Autorenlemma verrutscht39. Denn die Wirkung des Krystalls gegen Zittern und Beben, gegen Schwindsucht und gegen den zu geringen Milchfluß erwähnt er als eine Lehre des Xenokrates, während er den Bericht vom Bocksblut richtig dem Theophrast zuschreibt. Diese Stelle bei ibn al-Baiṭār ist also k e i n weiteres Xenokrateszitat!

VI. Σμάραγδος. Q u e l l e : al-Ḥusain ibn abī Ṯaʿlab ibn al-Mubārak, K. al-Munqiḏ min alhalaka fī dafʿ maḍārr as-samāʾim al-muhlika, Ms. Chester Beatty 4525, fol. 24 b, ‒6 bis paen., s. v. zumurrud (= Maqāla I, Bāb 26): Wa-ka-ḏālika ḏakara Kasānūqarāṭīsu annahū waǧada naʿta z-zumurrudi fī haikali Asqalībiyūsa bi-annahū yanfaʿu mina s-samāʾimi l-murakkabati llatī yurādu bi-tarkībihā halāku l-anfusi wa-mufāraqatuhā li-l-abdāni wa-annahū yanšufu s-samma wa-yaġūṣu ʿalaihi ḥaiṯu nafaḏa wa-tabaddada wa-fašā waannahū yuḥallilu s-samma min ẓāhiri l-badani bi-l-ʿaraqi wa-min bāṭinihī bi-lbauli wa-inna fiʿlahū lā yakādu an yafʿalahū siwāhu mina l-ǧawāhiri wa-inna lmustaʿmala minhu fī l-ʿilāǧi mā štaddat ḫuḍratuhū wa-ṣafā launuhū wa-šaffa ǧauharuhū fa-huwa n-nāfiʿu mimmā yustaʿmalu in šāʾa llāhu. So berichtet auch Xenokrates, daß er die Beschreibung des Smaragds im Tempel des Asklepios fand. Danach nützt er gegen die zusammengesetzten Gifte, durch deren Zusammensetzung man das Verderben der Seelen und ihre Trennung von den Körpern erreichen will. Er saugt nämlich das Gift auf und taucht nach ihm, wohin immer es gedrungen ist und wohin es sich zerstreut und verteilt hat. Er löst das Gift von der Außenseite des Körpers durch Schwitzen und vom Inneren durch Urinieren. Kaum ein anderer Edelstein hat _______________ 37 Es handelt sich um ein Zitat aus dem Steinbuch des Pseudo-Theophrast, s. Ullmann Natur- und Geheimwissenschaften p. 111 f. 38 Sonst heißt es, daß Bocksblut den Diamanten bezwingt, s. unten p. 402. 39 Zu dem aus den Kompilationen bekannten „Herunterrutschen oder Hinaufziehen von Lemmaten“ vgl. Curt Wachsmuth, Studien zu den griechischen Florilegien, Berlin 1882, p. 108.

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die gleiche Wirkung wie er. In der Heilbehandlung verwendet man denjenigen Smaragd, der dunkelgrün, von klarer Farbe und von durchsichtiger Substanz ist. Der nützt dann gegen die Krankheit, gegen die er angewendet wird, so Gott will.

VII. Σμάραγδος. Q u e l l e : Tamīmī Muršid fol. 98 a ult. bis 98 b 14:

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Wa-qāla Kasanūqarāṭīsu: (1) min ḫāṣṣīyati z-zumurrudi l-aḫḍari s-silqīyi ṣ-ṣāfī š‑šaffāfi an yubriʾa mina l-ǧarabi wa-l-baraṣi wa-l-ǧuḏāmi iḏā suqiya bi-l-ḫalli ṯ‑ṯiqqīfi wa-ṭuliya ʿalaihi. (2) fa-in suqiya wa-rubbiba bi-l-mihrāsi bi-samnin au bilabanin ḥalībin fa-innahū yubriʾu ḥarqa n-nāri l-kāʾina bi-n-nāri au bi-l-māʾi l‑muġlā. (3) wa-qad yanfaʿu min dāʾi ṯ-ṯaʿlabi iḏā ḥukka wa-ṭuliya ʿalaihi. (4) waka-ḏālika in ḥukka wa-ṭuliya ʿalā l-ḫanāzīri abraʾahā. (5) wa-in ḥukka bi-l-māʾi wa-musiḥa ḏālika l-māʾu ʿalā l-ǧabīni wa-ʿalā ṣ-ṣudġaini sakkana ṣ-ṣudāʿa waazālahū. (6) wa-azāla auǧāʿa r-raʾsi l-kāʾinata mina l-ḥarārati wa-min abḫirati l‑mirrati ṣ‑ṣafrāʾi. (7) wa-qad yanfaʿu n-nisāʾa mina d-dāʾi l-musammā ḫanaqa l‑arḥāmi. (8) wa-yanfaʿu min aʿlāli l-maʿidati wa-ḍarabānihā iḏā ʿulliqa ʿalaihā minhu ḥaǧarun wa-musiḥat bihī fī n-nahāri marrātin. (9) wa-in suqiya l-maldūġu bi-l-afʿā min saḥīqi ḥaǧari z-zumurrudi wazna ṯamānī šaʿīrātin masḥūqan bi-māʾi t-tuffāḥi l-ḥāmiḍi kāna fī ḏālika šifāʾuhū. (10) wa-in suḥiqat furāqatu ḥaǧari z‑zumurrudi l-aḫḍari l-kaṯīri l-māʾi wa-ṣuwwilat bi-l-māʾi taṣwīla l-aḥǧāri waǧuffifat ṯumma udḫilat fī aḫlāṭi akḥāli l-ǧalāʾi ǧalati l-bayāḍa l-ḥādiṯa fī l-ʿaini min āṯāri l-qaraḥāti wa-l-ġašāwata wa-qawwati n-nūra l-bāṣira wa-aḥaddathu waqawwat ʿaḍalāti l-ʿaini wa-ṭabaqātihā wa-manaʿat mini nṣibābi l-mawāddi ilaihā wa-min ḥudūṯi r-ramadi bihā. Xenokrates lehrt: (1) Zu den sympathetischen Eigenschaften des grünen, mangoldrübenfarbigen, reinen, durchsichtigen Smaragdes gehört, daß er die Räude, die Lepra und die Elephantiasis heilt, wenn er mit sehr scharfem Weinessig verabreicht und über sie40 gestrichen wird. (2) Wird er zerrieben und im Mörser mit [zerlassener] Butter oder mit [frischer] Milch angedickt, so heilt er die Brandwunden, die durch Feuer oder durch kochendes Wasser verursacht wurden. (3) Er kann auch gegen die Alopezie helfen, wenn er zerschabt und auf sie geschmiert wird. (4) Desgleichen, wenn er zerschabt und auf die Skrofulose geschmiert wird, heilt er sie. (5) Wenn er mit Wasser zerschabt wird und wenn mit jenem Wasser die Stirn und die Schläfen eingerieben werden, so lindert und beseitigt er den Kopfschmerz. (6) Er beseitigt auch die _______________ 40 Die Krätze usw., d. h. über die erkrankten Hautstellen.

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Kopfschmerzen, die infolge von Hitze und von den Dämpfen der gelben Galle entstehen. (7) Er hilft auch den Frauen gegen die Krankheit, die „Erstickung der Gebärmutter“ genannt wird. (8) Er nützt auch gegen die Krankheiten und gegen das Klopfen des Magens, wenn auf ihn ein Stein davon gehängt wird und wenn er (d.h. der Magen) mit ihm mehrmals am Tage eingerieben wird. (9) Gibt man dem von der Viper Gebissenen zerriebenen Smaragdstein, der mit saurem Apfelsaft zerrieben ist, im Maße von acht Gerstenkörnern ein, so liegt darin seine Heilung. (10) Wenn man die Splitter des grünen, stark brillierenden Smaragdsteines zerreibt und mit Wasser wäscht — so wie man Steine wäscht —, dann trocknet und zu den Bestandteilen der Kollyrien der Reinigung hinzutut, so beseitigen sie das Leukom, das im Auge infolge der Narben der Geschwüre entsteht, sowie den Schleier, kräftigen und schärfen die Sehkraft, kräftigen auch die Muskeln und Häute des Auges und verhindern es, daß sich (Krankheits-)Materie in das Auge ergießt und daß Ophthalmie in ihm entsteht. K o m m e n t a r : Zu § 1: Bei ibn al-Baiṭār Ǧāmiʿ II 167, 8 heißt es: az-zabarǧadu 62 nāfiʿun mina l-ǧuḏāmi in šuribat ḥukākatuhū (nach dem Steinbuch des Aristoteles sind zabarǧad Chrysolith und zumurrud Smaragd identisch). Als azzumurrud as-silqī wird bei Muḥammad ibn Ibrāhīm ibn Sāʿid al-Anṣārī alAkfānī, K. Nuḫab aḏ-ḏaḫāʾir fī aḥwāl al-ǧawāhir, ed. P. Anastase-Marie de St.Élie, Le Caire-Bagdad 1939, p. 52, 1, eine bestimmte Art des Smaragds bezeichnet. Die Stelle ist übersetzt von Eilhard Wiedemann, Beiträge 30, in: SPMSE 44, 1912, p. 223, abgedruckt: Wiedemann, Aufsätze zur arabischen Wissenschaftsgeschichte I, Hildesheim-New York 1970, p. 847. Zu § 9: Die Wirkung des Smaragds gegen Gifte und gegen den Biß giftiger Tiere wird oft gerühmt, vgl. folgende Quellen: Masʿūdī Murūǧ III 46, 8 ff.; Ps. Arisṭ. Aḥǧār 98, ‒4 ff. = b. -Baiṭār Ǧāmiʿ II 167, 2 ff.; Qazw. ʿAǧāʾib 227, 14 ff.; Akfānī Ǧawāhir 52, 2 ff. Zu § 10: zumurrud. . . . wa-man admana n-naẓara ilaihi aḏhaba l-kalāla ʿan baṣarihī Ps. Arisṭ. Aḥǧār 99, 1 = b. -Baiṭār Ǧāmiʿ II 167, 5.

VIII. Ὑάκινθος. Q u e l l e : b. -Mubārak Munqiḏ, Ms. Chester Beatty 4525, fol. 25 a, ‒5 bis paen., s. v. al-yāqūt al-aḥmar (= Maqāla I, Bāb 26): Wa-ḏakara Kasānūqarāṭīsu annahū mani ttaḫaḏa mina l-yāqūti l-aḥmari ḫarazatan wa-waḍaʿahā fī l-fami fī maǧlisin amina ḏālika l-yauma wāḍiʿuhā fī famihī mina š-šarābi l-masmūmi wa-lam yaʿmal fī ǧismi man hiya fī famihī šaiʾun mina s-samāʾimi fī š-šarābi wa-lau šariba ǧamīʿa mā yuʿṭā wa-huwa āminun min an yuġtāla bi-šaiʾin mina s-samāʾimi in šāʾa llāhu.

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Xenokrates berichtet: Wer eine Gemme des roten Hyazinthes nimmt und sie bei einer gesellschaftlichen Veranstaltung in den Mund steckt, der ist an jenem Tage vor vergiftetem Wein sicher: Auf den Körper desjenigen, in dessen Munde sie ist, könnte kein dem Wein beigemischtes Gift einwirken, selbst wenn er alles tränke, was ihm vorgesetzt wird. Er ist sicher davor, daß er durch irgendein Gift meuchlings ermordet wird, so Gott will. K o m m e n t a r : Al-Akfānī (Ǧawāhir p. 11, 6 f.) berichtet nach ibn Sīnā: inna ḫāṣṣīyatahū fī t-tafrīḥi wa-taqwiyati l-qalbi wa-muqāwamati s-sumūmi ʿaẓīmatun. „Die sympathetische Wirkung des Hyazinths hinsichtlich der Aufheiterung, der Herzstärkung und der Bekämpfung der Gifte ist gewaltig“. *

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Es sind also bisher acht Fragmente der arabischen Übersetzung des Λιθογνώμων nachgewiesen, bei denen Xenokrates namentlich genannt ist. Wie oft aber schreiben spätere arabische Autoren aus den Büchern ihrer Vorgänger ab, ohne ihre Quelle zu nennen! Man darf daher vermuten, daß in der arabischen Literatur über Steine noch weitere, anonyme Zitate aus dem Λιθογνώμων zu finden sind. Gibt es außerarabische Kriterien, so kann die Zuweisung eines arabischen Stückes an Xenokrates mit einiger Wahrscheinlichkeit erfolgen. Ich nenne ein Beispiel: Nachdem al-Qazwīnī in seiner Kosmographie bei seinem Bericht über den Diamanten zunächst Aristoteles und Avicenna zitiert hat, fährt er fort41: „E i n a n d e r e r A u t o r berichtet: Zu den wunderbaren Eigenschaften des Diamanten gehört folgendes: Wenn man mit dem Hammer auf den Amboß schlägt, dringt der Diamant entweder in den Hammer oder den Amboß ein. Schlägt man den Diamanten aber mit Schwarzblei, zerbricht er sofort. Wenn man ihn in Bocksblut wirft und dem Feuer nähert, schmilzt er“. Daß dieser „andere Autor“ wahrscheinlich Xenokrates ist, ergibt sich aus dem Zitat, das Hieronymus in seinen Kommentar zu Amos 3,7 42 aufgenommen hat. Es lautet: transeamus ad anagogen, de Xenocrate, qui scribit super lapidum gemmarumque naturis, pauca verba ponentes: „adamas sui nominis lapis est, quem Latine indomitum possumus appellare, eo quod nulli cedat materiae nec ferro quidem, nam si ponatur super incudem et gravi ictu feriatur mallei, antea incus et malleus vulnus accipiunt quam adamas conteratur . . . hic lapis durissimus et indomabilis solo hircorum cruore dissolvitur et missus in calidum sanguinem perdit fortitudinem suam“. _______________ 41 Qazw. ʿAǧāʾib 237, 7‒9. 42 Migne Patrol. lat. XXV col. 1073.

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Durch solche Vergleiche mag künftige Forschung noch manches eruieren. Wenn die These, die ich in meinem Vortrag in Coimbra formuliert habe, richtig ist, muß man bei dem anonymen Kitāb al-Aḥǧār und beim pseudoaristotelischen Steinbuch mit weiteren xenokrateischen Materialien rechnen. Insbesondere muß man dann auch diejenigen arabischen Texte, in denen Sotakos genannt ist, dem Λιθογνώμων des Xenokrates zuzählen. Fünf verschiedene Autoren haben die acht Fragmente vermittelt: ar-Rāzī, ibn al-Mubārak, at-Tamīmī, al-Ġāfiqī und ibn al-Baiṭār. Zumindest vier dieser Autoren sind voneinander unabhängig: Das Fragment I dürfte ibn al-Baiṭār von al-Ġāfiqī übernommen haben, bei Fragment V hat ibn al-Baiṭār von atTamīmī abgeschrieben, bei Fragment II ist nicht bekannt, ob ibn al-Baiṭār direkt aus Xenokrates geschöpft hat oder wieder einem Mittelsmann verpflichtet ist. Wie dem auch sei: Die breite Streuung der Zitate beweist, daß es eine arabische Übersetzung des Λιθογνώμων gegeben hat. Fragment IV ist das älteste arabische Zitat. Ar-Rāzī, der es vermittelt hat, ist um 311/923 gestorben, sein K. al-Ḥāwī, jene große Exzerptensammlung, ist im Laufe seines Lebens herangewachsen. Die arabische Übersetzung des Λιθογνώμων ist daher wahrscheinlich ins 9. Jh. zu datieren, in die Zeit Ḥunains und seiner Schüler. Die Person des Übersetzers ist aber nicht bekannt. Aus sprachlichen Kriterien auf einen bestimmten Übersetzer zu schließen, erlauben die Fragmente nicht, zu- 64 mal man fragen muß, ob die Kompilatoren den xenokrateischen Text wörtlich oder nur dem Sinne nach zitiert haben. Besonders enge, bis in die Formulierungen reichende Übereinstimmungen konnten zwischen den Fragmenten II, III 1, 8, 10, 11 und IV und der Materia medica des Dioskurides festgestellt werden. Man darf wohl annehmen, daß Abhängigkeit vorliegt, aber in welcher Richtung ist die Entlehnung erfolgt? Xenokrates und Dioskurides waren Zeitgenossen und Landsleute; sie konnten wohl voneinander wissen. Indizien dafür, daß Xenokrates den Dioskurides benutzt hat, scheinen mir in folgendem zu liegen: Dioskurides zitiert rund zwanzig Autoritäten, nennt aber nie den Namen des Xenokrates. Außerdem sind Angaben über die beste Qualität einer Droge, wie wir sie in Fragment III 11 finden, für Dioskurides ganz charakteristisch. Einen wichtigen Einblick in den Aufbau des Λιθογνώμων gewährt uns Fragment I. Der Bericht über den Adlerstein spiegelt in seinem ersten Teil (§§ 1‒5) genau die Angaben des Sotakos, des eigentlichen Fachschriftstellers des 3. Jh. vor Chr., wider. Für Sotakos ist die detaillierte Angabe des Fundortes (Afrika, Arabien, Taphiusa, Zypern) charakteristisch, ferner die Unterscheidung einer männlichen und weiblichen Abart. Der zweite Teil des Berichtes hat deutlich ein anderes Gepräge (§§ 6‒11). Hier gibt es nur e i n e Art des Steins. Er soll die Geburt erleichtern und die Fehlgeburt verhindern.

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Der Adler holt ihn zum Schutze seiner Eier in sein Nest. Diese Angaben entstammen einer Tradition, zu der, nach Wellmann43, Zoroaster, Bolos Demokritos, Pamphilos, Juba, Aelius Promotus, Anatolios und Horapollon gehören. Bei Xenokrates sind demnach die Tradition des Sotakos und die des Zoroaster/Bolos zusammengeflossen. Das Beispiel des Λιθογνώμων lehrt eindrucksvoll, wie die griechischen und lateinischen Fragmente die arabische Überlieferung erklären und erhellen können. Aber auch umgekehrt lassen die arabischen Stücke die antiken Texte in neuem Licht erscheinen: Durch die arabischen Fragmente III § 1‒5 und I sind die anonymen Passagen Plinius 36,145 und 149‒151 jetzt als xenokrateisch erwiesen. Überhaupt läßt sich nun der Charakter des Λιθογνώμων deutlicher bestimmen. Es war ein Buch, in dem die wunderbaren Eigenschaften und die magisch-therapeutische Verwendung der Steine erklärt waren. Will der klassische Philologe das Steinbuch rekonstruieren, so kann er sich jetzt auf festerem Boden bewegen.

_______________ 43 Wellmann Steinbücher p. 467 ff.

Neues zum Steinbuch des Xenokrates‡ Nachdem meine Arbeit Das Steinbuch des Xenokrates von Ephesos (s. den vorangehenden Beitrag) abgeschlossen und gedruckt war, erhielt ich durch die Freundlichkeit des Keeper of Oriental Books an der Bodleian Library einen Mikrofilm der Handschrift Arab. d. 221. Die Bodleiana hatte diese Handschrift im Jahre 1954 auf einer Auktion des Hauses Sotheby in London erworben. Der Codex, der heute noch 83 Folia zählt, hat durch Feuchtigkeit, Wurmfraß, durch Abnutzung und mutwillige Beschädigungen arg gelitten. Er enthält ein Dutzend Traktate oder Exzerpte, die alle hermetischer Art sind1. Auf den Folia 13 a bis 31 a findet sich eine Schrift, deren Beginn fehlt. Ihr Titel ist jedoch aus dem Kolophon auf fol. 31 a zu ersehen, in dem es heißt: Tamma Kitābu l-Aḥǧāri wa-nuqūšihā wa-ḫawātimihā wa-nuḥūtiha2 li-Hirmisa c alā t-tamāmi wa-l-kamāli. Es handelt sich also um das Buch der Steine, ihrer Bilder, Siegel und Charaktere von Hermes. In ihm sind 41 Steine3 beschrieben, die zum guten Teil nur mit ihren griechischen Namen (in arabischer Transkription) benannt sind. Die Darstellung folgt im wesentlichen drei Modellen: Zunächst wird die Natur des Steines beschrieben. Dabei ist von seinen Unterarten die Rede, von seinen Farben, Fundstätten und seinen sympathetischen Eigenschaften, die ihn zum Zauber und zur medizinischen Verwendung geeignet machen. Das zweite Modell sieht vor, daß unter bestimmten astralen Voraussetzungen Bilder von Menschen und Tieren in den Stein geschnitten werden. Schöne Illustrationen veranschaulichen den Wortlaut der Beschreibungen. In einen Ring gefaßt wirkt solch ein Stein als Amulett, das Sieg über die Feinde verleiht, Ansehen vor dem König oder Richter schafft, die Liebe der Frauen sichert usw. _______________ ‡

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Für wertvolle Hinweise und Anregungen möchte ich den Herren Dres. Hartmut G. Blersch und Wolfgang Haase, Tübingen, verbindlichst danken. Vgl. Alfred F. L. Beeston, An Arabic Hermetic Manuscript, in: The Bodleian Library Record Vol. 7, nr. 1, June 1962, p. 11−23. Das arabische Wort ist zu nuḥūrihā verschrieben. Ursprünglich waren es vielleicht einige mehr, denn die Handschrift ist ja nicht unversehrt erhalten.

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Eine drittes Modell findet sich an vier Stellen. An diesen wird der Leser angewiesen, nach der aus Buch I der Kyraniden4 bekannten Methode ein Amulett aus einem Stein, einem Fisch, einem Vogel und einem Kraut herzustellen, wobei in den Ringstein bestimmte Bilder zu schneiden sind. Eines dieser Amulette (fol. 23 a, ‒4 ff.) wird schlicht auf „Hermes“ zurückgeführt. Es ist dasjenige, das in der Kyranis unter Σ beschrieben ist5. Sein Inhalt ist identisch, sein Wortlaut aber völlig verschieden von dem der arabischen Übersetzung der Kyranis, die in derselben Handschrift auf fol. 64 a‒75 b (vgl. insbesondere fol. 66 b 14 ff.) erhalten ist6. Das zweite Amulett (fol. 20 a 8 ff.) steht unter der Überschrift: wa-ḏakara Hirmis fī Muṣḥaf Arḫāʾīqī „Hermes berichtet in der Ἀρχαϊκὴ βίβλος“, das dritte Amulett (fol. 20 b 10 ff.) ist dem Muṣḥaf Farbānūs entnommen, und als Quelle für das vierte Amulett (fol. 16 a 6 ff.) ist ein gewisser Ṭūfūlus genannt. Da diese letzten drei Amulette nicht in der Kyranis nachzuweisen sind, muß man annehmen, daß es einst einen größeren Schriftenkreis ähnlichen Charakters gegeben hat7. Ebenso auffällig wie die Illustrationen ist die Geheimschrift, die der Autor oder Schreiber gelegentlich gebraucht, um einzelne Begriffe und Wörter zu verschlüsseln, die aber nur im Abschnitt über den zabarǧad 8 in größeren Zusammenhängen verwendet ist. Sie ist mit keinem der bekannten orientalischen Alphabete in Verbindung zu bringen, ist also ad hoc erfunden. Sie läßt sich aber leicht entziffern, da jedem Zeichen konsequent ein arabischer Konsonant entspricht. Der Schreiber oder ein Benutzer der Handschrift hat zudem den Geheimzeichen in den meisten Fällen die arabischen Entsprechungen schon beigeschrieben. Daß H e r m e s hier als Autor angegeben ist, steht mit dem Inhalt der Schrift nicht ganz im Einklang. Sie ist nämlich eine Kompilation aus verschiedenen Quellen: Rund zwanzig Autoritäten sind genannt9, und Hermes ist _______________ 4

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Griechische Edition von Charles-Émile Ruelle, bei Fernand de Mély, Les lapidaires de l’antiquité et du moyen âge, Tome II, Paris 1898, p. 1−50. Vgl. auch André M. J. Festugière, La révélation d'Hermès trismégiste (Études Bibliques 31), Vol. I, 2. éd., Paris 1950, p. 201−216. de Mély II p. 37 nr. 13. Vgl. dazu meinen auf dem 6. Kongress für arabische und islamische Studien in Stockholm 1972 gehaltenen Vortrag: „Die arabische Überlieferung der Kyranis des Hermes Trismegistos“ (s. oben, p. 371‒376). Über die Ἀρχαϊκὴ βίβλος ist einiges aus griechischen und arabischen Quellen bekannt, vgl. Festugière Révélation a.a.O. und mein Buch Die Natur- und Geheimwissenschaften im Islam (Handbuch der Orientalistik, Ergänzungsband VI, 2. Abschnitt), Leiden/Köln 1972, p. 166 und 423 f. (im folgenden als „Naturwissenschaften im Islam“ zitiert). Zu diesem Stein s. unten p. 418‒421. Die Namen dieser Autoritäten stimmen zum guten Teil überein mit denen, die der

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nur eine von ihnen. Allerdings ist er der bei weitem am häufigsten zitierte Autor10, und das wird der Grund gewesen sein, warum ihm im Kolophon (und sicher auch auf dem verlorenen Titelblatt) die ganze Schrift beigelegt wurde11. Dreimal ist Abulīnūs zitiert, womit sicher A p o l l o n i o s von Tyana gemeint ist. Achtmal lesen wir den Namen des A r i s t o t e l e s . Es sind Passagen aus dem Steinbuch12, aber dieses ist, wie ein Textvergleich lehrt, auch noch an vier 61 weiteren Stellen anonym zitiert13. Die guten Varianten lassen erkennen, daß der Kompilator unserer Schrift eine bessere und sicher ältere Rezension des berühmten Pseudepigraphons ausgeschrieben hat, als sie in dem von Ruska herausgegebenen Parisinus 2772 erhalten ist. Schließlich ist sieben Mal der Name X e n o k r a t e s genannt. Sechs dieser Stellen sind ganz neue Fragmente, die ich bei der Niederschrift meines älteren Aufsatzes noch nicht kannte. Die Stelle über den Kristall (fol. 20 a paen.) war mir schon aus at-Tamīmī’s Kitāb al-Muršid bekannt (Fragment nr. V). Der Bericht über den Adlerstein (Fragment nr. I) kehrt auch im Bodleianus wieder (fol. 29 a, ‒5 ff.), nur ist er hier anonym. Schließlich ist der Passus über den μόροχθος, der durch ibn alBaiṭār als xenokrateisch erwiesen ist (Fragment nr. II), auf fol. 24 b 17 ff. des Bodleianus nach Hermes zitiert. Wir stehen also vor einer Fülle neuen Materials, das unsere Kenntnis des Steinbuches wesentlich erweitert, das uns allerdings auch zwingt, einige frühere Feststellungen zu revidieren oder zu präzisieren. Zur Beurteilung des Wertes, den das K. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā für die Xenokrates-Überlieferung hat, muß zunächst die Frage nach der Zeit seiner Abfassung gestellt werden. Es ist zweifellos ein alter Text. Schon Muḥammad ibn Aḥmad at-Tamīmī (gest. 370/980) hat ihn benutzt, wie sogleich bei der Diskussion um den Passus über den Kristall gezeigt werden soll. Wie schon erwähnt, sind viele Steine einfach mit ihren griechischen Namen genannt. Die Nähe zur Epoche der Übersetzungen, d. h. zum 8.‒10. Jhdt., ist hier offenkundig. Auch die guten Lesarten zum Steinbuch des Aristoteles weisen in eine _______________

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Verfasser des K. al-Hādīṭūs in seiner Quellenliste aufführt, s. Ms. Bodl. d. 221, fol. 53 b, −4 ff. Ich habe 28 Stellen gezählt. Wenn ich im folgenden von dem „Steinbuch des Hermes“ rede, so meine ich stets die im K. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā zitierte Quelle. Das K. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā selbst bezeichne ich als die Schrift eines A n o n y m u s . Das Steinbuch des Aristoteles, mit literargeschichtlichen Untersuchungen nach der arabischen Handschrift der Bibliothèque Nationale herausgegeben und übersetzt von Julius Ruska, Heidelberg 1912. Fol. 13 b 9 (s.v. karak) = Ruska nr. 23; fol. 16 b 6 (s.v. ʿaqīq) = Ruska nr. 5; fol. 19 b 8 (s. ν. biǧādī) = Ruska nr. 4; fol. 26 a 11 (s. v. sunbāḏaǧ) = Ruska nr. 10.

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frühe Zeit. Für das Alter des Textes spricht schließlich, daß die in ihm zitierten Bücher nicht mit Kitāb, sondern mit Muṣḥaf bezeichnet sind14: Der Muṣḥaf Arḫāʾīqī (= Ἀρχαϊκὴ βίβλος) war schon oben erwähnt worden, vier weitere Maṣāḥif sind fol. 19 a, ‒5, 19 b 13, 20 b 10 und 21 b 12 genannt. Eine solche Terminologie ist vor allem bei Übersetzungen alchemistischer Texte, die am Ende des 8. Jhdts. angefertigt wurden, zu beobachten: Ein ZosimosTraktat wird mit Muṣḥaf aṣ-Ṣuwar, Lehren des Theodoros mit Muṣḥaf alḤayāt, ein Buch des Ostanes mit Muṣḥaf Usṭānis bezeichnet15. Und schließlich sind in einem byzantinischen Landwirtschaftsbuch, das im Jahre 179/795 ins Arabische übersetzt worden sein soll, die Kapitel mit muṣḥaf bezeichnet16. Im K. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā sind also hermetische Schriften, die um die Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert übersetzt wurden, verarbeitet. Das Buch selbst ist dann vermutlich im 9. Jahrhundert von einem Araber kompiliert worden. Das bedeutet, daß das K. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā einen zeitlichen Vorrang vor den fünf anderen Quellen hat, die uns die bisher bekannten Xenokrates-Fragmente vermittelt haben: Ar-Rāzī ist um 311/923, at-Tamīmī 370/980 gestorben, ibn al-Mubārak hat sein K. al-Munqiḏ 488/1095 im Yemen verfaßt, al-Ġāfiqī lebte in der ersten Hälfte des 6./12. Jahrhunderts in Spanien, und ibn al-Baiṭār ist im Jahre 646/1248 gestorben. Diesem zeitlichen Vorrang entspricht die gute Qualität des Textes. Wie unten p. 411 f. gezeigt werden wird, hat der Bodleianus in mehreren Fällen bessere Lesarten als die übrigen Quellen.

* Der Bodleianus ist nun aber nicht der einzige Textzeuge für das K. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā. Es gibt von ihm noch andere Handschriften und Exzerpte, die jedoch verschiedene Rezensionen repräsentieren. 1 a. Unter dem Titel K. Ḫawāṣṣ al-aḥǧār wa-nuqūšihā enthält der Berolinensis Wetzstein II 120817 eine nur 21 Kapitel umfassende Rezension. Sie hat nur 14 _______________ 14 Muṣḥaf, ein Lehnwort aus dem Äthiopischen, wird sonst nur zur Bezeichnung des heiligen Buches, d. h. des Korans, gebraucht, s. Siegmund Fraenkel, Die aramäischen Fremdwörter im Arabischen, Leiden 1886, p. 248, Theodor Nöldeke, Neue Beiträge zur semitischen Sprachwissenschaft, Straßburg 1910, p. 49 f. und Arent Jan Wensinck, Enzyklopaedie des Islam III 807 s. v. Muṣḥaf (J. Burton, EI 2 VII 668 f.). 15 Zu weiteren Beispielen s. Naturwissenschaften im Islam 113, 161, 185, 190 f., 213 ff., 380, 420. 16 Vgl. Paul Sbath, L’Ouvrage géoponique d’Anatolius de Bérytos (IVe siècle), in: Bulletin de l’Institut d’Égypte 13, 1931, 50. 17 Beschrieben bei Wilhelm Ahlwardt, Die Handschriften-Verzeichnisse der Königlichen

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Steine mit der Rezension des Bodleianus gemeinsam, aber die Steine erscheinen hier in einer völlig anderen Reihenfolge. Zusätzlich hat der Berolinensis den Malachit, den Magneten und den Lasurstein sowie die Metalle Gold, Silber und Kupfer. Außerdem ist dem Berolinensis ein Kapitel „Was die edelsten Steine, nämlich den Hyazinth, die Perle und den Smaragd, verdirbt“ vorgeschaltet. Im Berolinensis sind weitgehend dieselben Gewährsmänner zitiert wie im Bodleianus, auffälligerweise fehlt in ihm aber der Name des Xenokrates18. 1 b. Der Istanbuler Codex Vehbi 149419 enthält dieselbe Rezension des Steinbuches wie der Berolinensis, nur lautet der Titel hier etwas abweichend K. Manāfiʿ al-aḥǧār wa-l-ǧawāhir. 1 c. Eine persische Übersetzung derselben Rezension ist in der Handschrift 63 Teheran Dānišgāh nr. 1354, 1 erhalten20. 2. Das Bernsteinkapitel des Bodleianus fol. 22 b 16‒23 a 10 (es fehlt in der Rezension des Berolinensis) hat Aḥmad ibn Yūsuf at-Tīfāšī21 in seinem K. Ruǧūʿ aš-šaiḫ ilā ṣibāh fī l-qūwa ʿalā l-bāh ausgeschrieben22. Auch die bei atTīfāšī genannten Autoritäten Ǧurǧīs und Mīdūs kommen schon im Bodleianus vor. 3. Ibn al-Baiṭār zitiert an zehn Stellen seines großen Handbuches der Pharmakognosie, des K. al-Ǧāmiʿ li-mufradāt al-adwiya wa-l-aġḏiya, ein anonymes K. _______________

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Bibliothek zu Berlin, 17. Band, Berlin 1893, p. 491 nr. 6216; Alfred Siggel, Katalog der arabischen alchemistischen Handschriften Deutschlands. Handschriften der öffentlichen wissenschaftlichen Bibliothek (früher Staatsbibliothek Berlin) (Veröffentlichung des Instituts für Orientforschung der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin), Berlin 1949, p. 135 f.; Fuat Sezgin, Geschichte des arabischen Schrifttums, Band IV, Leiden 1971, 39f.; Naturwissenschaften im Islam p. 418. Die Handschrift ist defekt: einige Blätter fehlen, andere sind verbunden. Sie ist undatiert. Daß die Abschrift im Jahre 1000/1591 gefertigt worden sei, ist nur eine Vermutung von Ahlwardt. Daher sind die Angaben bei Siggel und Sezgin falsch. Ich muß mich bei dieser Feststellung auf Notizen stützen, die ich mir vor Jahren bei einer Durchsicht der Handschrift gemacht hatte. Sie nachzuprüfen ist nicht möglich, da die Handschriften der Preußischen Staatsbibliothek im gegenwärtigen Zeitpunkt in Berlin unzugänglich sind. Beschrieben von Hellmut Ritter, Orientalische Steinbücher, in: Istanbuler Mitteilungen, hrsg. von der Abteilung Istanbul des Archäologischen Institutes des Deutschen Reiches, 3, 1935, p. 3 nr. 4. Muḥammad Taqī Dāniš-Pažūh, Fihrist-i Kitābḫāna-i markazī-i dānišgāh-i Tihrān, Bd. 8 (Intišārāt-i Dānišgāh-i Tihrān 665), Tihrān 1339/1961, p. 46−49. Gest. 651/1253; GAL I 495 / S I 904. Druck Būlāq 1309, p. 42, 1 ff. Vgl. Medizin im Islam p. 196 f. und Naturwissenschaften im Islam p. 425.

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al-Aḥǧār23. Es erweist sich nun, daß ibn al-Baiṭār mit diesem Titel unser Hermetikon meint. Fünf dieser Exzerpte stimmen mit den entsprechenden Passagen im Bodleianus überein, die Stelle über den Malachit (II 117 ult.) hat ihre Parallele im 7. Kapitel des Berolinensis, während die Passagen über das Arsenik (zirnīḫ) und den Markasit zum Teil mit dem Steinbuch des Aristoteles übereinstimmen. Es hat also den Anschein, daß das Buch, welches ibn al-Baiṭār ausgeschrieben hat, einer dritten Rezension angehört hat, die weder mit dem Bodleianus noch mit dem Berolinensis völlig übereinstimmte. 4. Auch Aḥmad ibn Muḥammad at-Tamīmī hat bei der Niederschrift seines K. al-Muršid das K. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā benutzt. Zumindest das Kapitel über den Kristall (fol. 116 a 12 ff.) entstammt dem K. al-Aḥǧār. Zu den Divergenzen vgl. die Tabelle auf p. 411 f.

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Dieser Exkurs zur Überlieferungsgeschichte des K. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā war notwendig, denn dadurch sind wir in die Lage versetzt, die Frage der Zuverlässigkeit der Autorenlemmata besser zu beurteilen. Ich nenne einige Fälle, in denen die Lemmata divergieren: Was ibn al-Baiṭār (Ǧāmiʿ II 7, 9 ff. = Fragment nr. II) über den μόροχθος nach Xenokrates berichtet, ist im Bodleianus fol. 24 b 17‒ult. nach Hermes zitiert. Fol. 30 a 10 ff. des Bodleianus ist eine Passage über den Gagat dem Hermes zugeschrieben. Sie ist identisch mit dem, was fol. 28 b 15 ff. nach Xenokrates über den Gagat gesagt ist. Daß der Gagat im selben Buche in zwei verschiedenen Kapiteln behandelt ist, liegt daran, daß der Name des Steines fol. 28 b aġāġāṭis, fol. 30 a falsch aġāṭāṭis geschrieben ist. Das gibt uns zugleich den Schlüssel zum Verständnis des Problems an die Hand: Der anonyme arabische Kompilator des K. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā hatte unter anderen Quellen auch den Λιθογνώμων des Xenokrates und das Steinbuch des Hermes benutzt. Aber der Λιθογνώμων war auch eine der Quellen des Hermesbuches, so daß wir im Kitāb al-Aḥǧār wa-nuqūšihā xenokrateische Materialien aus direkter und indirekter Quelle haben. Mit anderen Worten: Die Divergenz der Autorenlemmata erklärt sich aus der Identität der Materialien verschiedener Bücher24. _______________ 23 Naturwissenschaften im Islam p. 108. 24 Genauso liegen die Dinge in den Fällen, in denen dieselben Aussagen einmal dem H e r m e s , zum anderen dem A r i s t o t e l e s zugeschrieben sind: Fol. 19 a 4−10 des Bodleianus ist eine Passage über die verschiedenen Farben des Bezoarsteins nach H e r m e s zitiert. Sie stimmt überein mit dem Steinbuch des A r i s t o t e l e s (Ruska) nr. 8 (p. 105, 5−11). Die Stelle Bodl. 19 b 11 ff., in der es heißt: „Aristoteles und Hermes berichten zusammen“ entspricht der zweiten Hälfte des § 4 bei Ruska. Auch

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Ganz anders aber stellen sich die Dinge bei Fragment V (Kristall) dar. Bei diesem liegt nur eine Quelle zugrunde, nämlich das Κ. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā. Wenn hier die innerhalb des Kapitels genannten Autoritäten divergieren, so kann das nur daran liegen, daß die Lemmata durch Überlieferungsschäden verrutscht sind. Zunächst wird meine p. 403 ausgesprochene Vermutung, daß ibn al-Baiṭār diese Passage von at-Tamīmī abgeschrieben habe, durch den Bodleianus widerlegt. Es ist vielmehr so, daß at-Tamīmī’s und ibn al-Baiṭār’s gemeinsame Quelle das Κ. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā war. Alle weiteren Feststellungen werden nun aber dadurch erschwert, daß jeder eine andere Rezension ausgeschrieben hat, daß aber keine mit dem Bodleianus genau übereinstimmt. Wir haben also mit dem Bodleianus und den Exzerpten des ibn al-Baiṭār und des Tamīmī den Bericht des K. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā über den Kristall nunmehr in drei Fassungen vor uns: jede Fassung gibt die einzelnen Teile des Berichtes in anderer Reihenfolge, mit Zusätzen oder Streichungen, mit kleinen Varianten in der Formulierung und mit Divergenzen bezüglich der Autorenlemmata wieder. Das sei in der folgenden Tabelle, in der die Reihenfolge der Paragraphen im Bodleianus zugrundegelegt ist, demonstriert: ___________________________________________________________________ Ms. Bodl. b.-Baiṭār at-Tamīmī d. 221 ___________________________________________________________________ Kristall ist eine Art Glas; wird in seiner Mine zusammen mit Magnesia gefunden.

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§ 1 K. al-Aḥǧār

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Wird im Indischen Ozean gefunden. § 1 anonym § 2 K. al-Aḥǧār

§ 1 Xenokrates

Es ist ein weißer, strahlender Stein.

§ 2 anonym § 4 K. al-Aḥǧār

§ 2 Xenokrates

Wird bisweilen auch in Oberägypten gefunden.

§ 3 Xenokrates

§ 5 andere Philosophen

Aus ihm werden glasartige Gefäße hergestellt.

§ 4 Xenokrates

__

__

Eine Art kann gedrechselt, eine andere gefärbt werden.

§ 5 Xenokrates

__

__

§ 3 K. al-Aḥǧār

_______________ hieraus kann man nur entnehmen, daß das pseudo-aristotelische und das hermetische Steinbuch zum Teil inhaltlich identisch waren. Vgl. dazu Naturwissenschaften im Islam p. 109.

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Gesteinskunde

___________________________________________________________________ Ms. Bodl. b.-Baiṭār at-Tamīmī d. 221 ___________________________________________________________________ Nützt gegen Zittern und Beben, ge- § 6 Xenogen die Auszehrung der Kinder, gekrates gen den spärlichen Milchfluß, wenn die Brüste damit bestrichen werden. Nützt gegen schwere Träume. § 7 Xenokrates Heißes Bocksblut löst ihn auf. §8 Durwāsṭurus Die erste Art ist der billaur. __ Lenkt man die Strahlen der Sonne § 9 Aristodurch diesen Stein auf einen schwarteles zen Lappen, so fängt er Feuer. Will man auf diese Weise Feuer __ anzünden, so muß man sich sputen. Der beste und klarste Kristall wird __ auf Inseln im indischen und chinesischen Meer gefunden. Es gibt auch eine weniger schöne, § 10 Aristodafür härtere Art, die wie Salz ist. teles Sie gibt, mit Eisen zusammengeschlagen, Feuer. Die Diener der Könige benutzen sie § 11 Aristozum Feuerschlagen. teles Sie nützt gegen Sprechbehinderung, § 12 Hermes wenn sie zerrieben und mit Essig, Salz, Myrrhe, Safran, Salmiak und Honig vermischt wird und wenn die Zunge damit bestrichen wird.

§ 9 Xenokrates

__

§ 6 andere Philosophen

__

§ 10 Duwāwasṭūs § 6 K. al-Aḥǧār § 7 K. al-Aḥǧār

§ 7 Dūrawāsṭus

§ 8 K. al-Aḥǧār

__

__

§ 5 K. al-Aḥǧār

__ § 11 Hermes

__ § 3 Xenokrates

§ 4 andere Philosophen __

__ __

___________________________________________________________________ Da der Bodleianus nach dem oben Gesagten gute und zuverlässige Lesarten bewahrt hat, neige ich zu der Ansicht, daß auch auf seine Autorenlemmata mehr Verlaß ist als auf die der anderen beiden Quellen. Das würde bedeuten, daß der § 6 über das Zittern und Beben usw., den ich in der älteren Arbeit p. 399 dem Xenokrates abgesprochen hatte, doch ihm gehört.

Neues zum Steinbuch des Xenokrates

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Varianten und Berichtigungen zu den bereits veröffentlichten Fragmenten Zu Fragment I: Die Beschreibung des ἀετίτης findet sich im Bodleianus fol. 29 a 14 ff. anonym. Die Handschrift weist die folgenden wesentlichen Varianten und Ergänzungen auf: § 1: wa-r-rābiʿu mṭʾfyws, zweifellos zu lesen: min Ṭāfiyūsa. Der arabische Text hatte also tatsächlich ursprünglich Taphiusa, das erst später durch Italia oder Antiochia ersetzt wurde. Auf § 1 folgt § 4 (libysche Art), dann § 2 (jemenitische Art). § 3: Statt al-ballūṭi: al-ballūṭati. Statt yaḥmilu ḥaǧaran fī dāḫilihī: yaḥmilu 66 ḥaǧaran sādiǧan ġaira abyaḍa „sie trägt einen unscheinbaren, nicht weißen Stein“. Statt yanfariku: yufraku. § 5: Statt wa-ammā llaḏī bi-Īṭāliyata: wa-ammā ṭ-ṭāfiyūsu (l. aṭ-ṭāfiyūsīyu). § 6: Auf an-nasrīyu folgt: wa-minhu ḏakarun wa-unṯā „von ihm gibt es eine männliche und eine weibliche Art“. § 7: Statt fī ǧildi adīmin: fī ǧildi ayyilin „in das Leder eines Hirsches“. § 9: Statt wa-yuʿallaqu ʿalā l-ḥawāmili: wa-yuḥmalu ʿalā l-ʿawāqiri „und den unfruchtbaren Frauen zu tragen geben“. Statt qabla kamālihā: qabla t-takāmuli. § 10: Statt rāʾiḥatuhū: rīḥatuhū. Der zweite Teil des § 10 lautet: fa-iḏā kāna ḥīnu t-tamaḫḫuḍi li-ṭ-ṭalqi yuḥallu ʿani l-marʾati fī l-wilādati. Darauf folgt § 11: wa-ka-ḏālika yaṣluḥu li-ǧamīʿi l-ḥayawānāti. Darauf folgt: yulbasu li-tauqiyati abdānihā nāfiʿun aiḍan fī l-mulūki. (12) wa-nāfiʿun li-s-siḥri fa-iḏā tawahhama aḥadun annahū masḥūrun fa-l-yadʿu l-fāʿila ilā ġadāʾihī wa-yaǧʿali l-ḥaǧara ʿalā lḫuwāni maʿa ṭ-ṭaʿāmi fa-ǧamīʿu man ḥaḍara yaʾkulu wa-l-murību lā yatanāwalu šaiʾan li-anna qūwata l-ḥaǧari fa-iḏā nuḥḥiya l-ḥaǧaru ʿani l-ḫuwāni fainnahū yanālu ṭ-ṭaʿāma. (11) In der gleichen Weise taugt der Stein für alle Lebewesen; man läßt ihn tragen zum Schutze ihrer Körper; [er ist] auch nützlich bei den Königen. (12) Und er nützt gegen den Zauber. Wenn nämlich einer argwöhnt, er sei verzaubert, so soll er den Täter zum Frühstück einladen und den Stein zusammen mit dem Essen auf den Tisch legen. Alle Anwesenden werden dann essen, aber der Verdächtige wird nichts zu sich nehmen, denn die Kraft des Steines . Wenn der Stein jedoch vom Tisch geräumt wird, dann wird er Essen nehmen. Zu Fragment II: Der Inhalt dieses Fragmentes kehrt im Bodleianus an zwei Stellen wieder: fol. 24 b 17 ff. unter dem Stichwort μόροχθος (nach Hermes) und fol. 30 a 6 f. unter dem Stichwort γαλαξίας (anonym). Die erste Stelle lautet: Naʿtu

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Gesteinskunde

mūrūqṯusa (in der Handschrift marzūqīs vokalisiert). Qāla Hirmisu: Hāḏā ḥaǧarun yusammīhi Qibṭu Miṣra ʾwyh wa-huwa yūǧadu ʿindahum kaṯīran wahuwa ḥaǧarun aḫḍaru mušrabun launuhū miṯlu launi l-kurrāṯi. „ ... Es ist ein grün-gesättigter Stein, dessen Farbe der Farbe des Porree gleicht“. Vgl. dazu Plinius 37, 173: morochthos, colore porracea. Die zweite Stelle lautet: Naʿtu ġālāksiyāsa. Hāḏā l-ḥaǧaru yakūnu bi-Miṣra yattaḫiḏuhu l-ḥākatu li-tabyīḍi ṯṯiyābi layyinun saḫīfun kamidun fī launihī ilā l-ḫuḍrati. Auch bei b. -Baiṭār Ǧāmiʿ II 7, 11 ist saḫīfun „von lockerer Struktur“ zu lesen. Vgl. dazu Aristoteles, De generatione animalium 782 a 26.34/p. 183, 1.8 Brugman, wo saḫīfun das Äquivalent für griech. μανός ist.

Neue Fragmente

67 ΙΧ. Ἄστριον.

Q u e l l e : Κ. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā, Ms. Bodl. arab. d. 221, fol. 28 b 8−10: Naʿtu asṭriyūn, wa-maʿnāhu l-kaukabīyu. Qāla Kasanūqarāṭīsu: (1) hāḏā ḥaǧarun yakūnu taḥta manābiti l-mahā mauǧūdun fī maʿādinihī. (2) wa-huwa bahīyun fī launihī abyaḍu illā annahū dūna l-mahā. (3) wa-ḫāṣṣīyatuhū anna lābisahū yakūnu muwaqqan mina l-āfāti. Die Beschreibung des ἄστριον. Das bedeutet „der Sternenartige“. Xenokrates lehrt: (1) Das ist ein Stein, der unter den Entstehungsstätten des Kristalls vorkommt, er wird in dessen Minen gefunden. (2) Er ist in seiner Farbe strahlend und weiß, reicht an den Kristall aber nicht heran. (3) Seine sympathetische Eigenschaft besteht darin, daß sein Träger vor Unglücksfällen geschützt ist. K o m m e n t a r : Vgl. Plinius 37, 132: Similiter candida est quae vocatur astrion, crystallo propinqua . . . Χ. Γαγάτης. Q u e l l e : Ms. Bodl., fol. 28 b 15−29 a 6: Naʿtu aġāġāṭis. Qāla Kasanūqarāṭīsu: (1) hāḏā ḥaǧarun aswadu l-launi yaṣluḥu fī l-ʿilāǧāti wa-huwa ʿarīḍun fī ǧirmihī ḫafīfun. (2) yūǧadu fī Ġalāṭiyata wa-ʿalā sawāḥili Siqillīyata wa-š-Šaʾmi. (3) multahibun fī n-nāri ġaira annahū iḏā štaʿala ṭafiʾa bi-māʾin ʿindaka. (4) wa-l-ǧayyidu minhu mā kāna yaštaʿilu sarīʿan wa-rāʾiḥatuhū rāʾiḥatu l-ǧamri. (5) wa-ḫāṣṣīyatuhū an yanfiya ǧamīʿa l-ḥayawāni l-munsābi miṯla l-ḥayyāti wa-mā ašbahahā. (6) nāfiʿun min ʿilali [fol. 29 a] larḥāmi wa-iḏā šamma rāʾiḥatahu l-muʿtarā taḥarrakat ʿalaihi. (7) fa-in uṭʿima minhu madrūmun ʿalā laḥmi ḥimārin mašwīyin abraʾahū ḏālika. (8) wa-yanfaʿu aiḍan mina t-taʿabi wa-waǧaʿi r-rukbataini malṭūḫan bi-ḫallin. (9) wa-yuʿmalu minhu ašyāfun yuktaḥalu bihī yaǧlū l-baṣara. (10) wa-ḫāṣṣīyatuhū annahū yaḏhabu

Neues zum Steinbuch des Xenokrates

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bi-s-siḥri fa-in tawahhama aḥadun annahū masḥūrun fa-l-yuʿalliqi l-ḥaǧara bisikkīnin ḏāti ḥaddaini wa-l-yanṭaliq wa-huwa māsikuhū ilā nahrin au ilā baḥrin fa-yaʾḫuḏu qaḍīban min zaitūnin yabulluhū bi-l-māʾi wa-yaruššu ʿalā ǧasadihī bihī ṯumma yulqī l-ḥaǧara fī wasaṭi l-māʾi wa-yarǧiʿu ilā manzilihī ġaira multafitin fainnahū yaḏhabu ʿanhu bi-kulli siḥrin. Die Beschreibung des Gagates. Xenokrates lehrt: (1) Dies ist ein Stein von schwarzer Farbe, der zu Heilzwecken taugt; er ist breit in seinem Volumen und leicht. (2) Man findet ihn in Galatien und an den Gestaden Siziliens und Syriens. (3) Er flammt im Feuer auf, erlischt jedoch in bei dir befindlichem Wasser, wenn er sich entzündet hat. (4) Gut ist die Sorte, die sich schnell entzündet und die den Geruch von (glühenden) Kohlen hat. (5) Seine sympathetische Eigenschaft besteht darin, daß er alle kriechenden Tiere wie die Schlangen und ihresgleichen vertreibt. (6) Er nützt gegen die Leiden der Gebärmutter. Und wenn seinen Geruch ein an Schüttelfrösten Leidender 68 riecht, dann wird er (d. h. der Fieberschauer; arabisch zu sub-intelligieren alʿurawāʾu) bei ihm entfacht. (7) Wenn man einem an Zahnausfall Leidenden von ihm zu essen gibt zusammen mit geröstetem Eselsfleisch, so heilt ihn dies. (8) Er hilft auch gegen Erschöpfung und gegen Schmerzen in den Knien, mit Essig eingeschmiert. (9) Man kann aus ihm auch ein Kollyrium herstellen, mit dem man die Augen behandelt und das den Blick klar macht. (10) Seine sympathetische Eigenschaft besteht darin, daß er den Zauber hinwegnimmt. Wenn nämlich einer argwöhnt, er sei verzaubert, so soll er den Stein an einem zweischneidigen Messer aufhängen und sich, während er es [bzw. ihn] hält, schleunigst zu einem Fluß oder einem Meere begeben. Dann nimmt er einen Ölzweig, netzt ihn mit Wasser und sprengt dies auf seinen Körper. Darauf wirft er den Stein in die Mitte des Wassers und kehrt nach Hause zurück, ohne sich umzusehen. So entfernt er [der Stein] allen Zauber von ihm. K o m m e n t a r : Der erste Teil des Fragmentes stimmt weitgehend mit antiken Berichten überein: Zu § 1 vgl. die Paraphrase zu den pseudo-orphischen Lithika, ed. Eugenius Abel, Berolini 1881, p. 147, 6 (zu Vers 474 ff.): ἐστὶ δὲ τὴν μὲν χροιὰν αἰθαλώδης ὡς τέφρα, τὴν δὲ θέαν οὐ μέγας, ἀλλὰ πλατύς. Diosk. V 128: μέλας δὲ κοινῶς ὑπάρχει καὶ αὐχμηρός, ἔτι δὲ πλακώδης καὶ κοῦφος ἄγαν. Zu §§ 3 u. 4 vgl. die Paraphrase zu d. ps.orph. Lithika p. 147, 7 f.: ἀνάπτεται δὲ ταχέως ὥσπερ ἡ πεύκη καὶ βαρεῖαν ἀποπέμπει πνοὴν ὡσπερεὶ ἀσφάλτου. Diosk. V 128: τοῦ δὲ γαγάτου προκριτέον τὸν ταχέως ἐξαπτόμενον καὶ ἀσφαλτίζοντα ἐν τῇ ὀσμῇ. Zu § 5 vgl. die Paraphr. zu d. ps.orph. Lithika p. 147, 5: καπνιζομένου φεύγειν αὐτοῦ τὴν πνοὴν τὰ ἰοβόλα πάντα. Damigeron De lapidibus, ed. Abel, p. 179, 16 f. (nr. XX): et succensus omnes angues et viperas et serpentes effugat ex

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loco. Geoponica 15, 1, 32 (ed. Henricus Beckh, Lipsiae 1895, p. 436): ἡ γαγάτης λίθος θυμιωμένη τὰ ἑρπετὰ διώκει. Zu § 6 vgl. die Paraphrase zu d. ps.orph. Lithika p. 147, 10 f.: καὶ γυναῖκας δὲ νόσους κρυφίους ἰᾶσθαι. Zu § 8 vgl. Galen, De simpl. med. temp. ac facultatibus IX 2, 10 (Bd. XII 203, 13 f. Kühn): ἐχρησάμην δ’ αὐτοῖς εἰς ἐμφυσήματα χρόνια κατὰ γόνυ γινόμενα δυσθεράπευτα. Das Κ. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā hat zum Gagat-Abschnitt noch zwei Doubletten: Fol. 30 a 9−13: Naʿtu aġāṭāṭis. Qāla Hirmisu: (1) hāḏā l-ḥaǧaru aḥmaru llauni ʿarīḍun fī ǧismihī ḫafīfun. (2) yūǧadu fī Ġalāṭiyata wa-ʿalā sawāḥili Siqillīyata wa-š-Šaʾmi. (3) yaltahibu fī n-nāri ġaira annahū iḏā ṭafiʾa raǧaʿa ilā kiyānihī. (4) wa-nafaʿa iḏā suḥiqa wa-suqiya mina l-ǧuḏāmi wa-mina l-ʿilali llatī takūnu fī l-ǧaufi. (5) yuṭfiʾu l-aurāma wa-l-ḥumrata wa-d-dama (sic). Die Beschreibung des Gagates. Hermes lehrt: (1) Dieser Stein ist von roter Farbe, breit in seinem Körper und leicht. (2) Man findet ihn in Galatien und an den Gestaden Siziliens und Syriens. (3) Er flammt im Feuer auf, kehrt jedoch, wenn er erlischt, zu seiner Natur zurück. (4) Wenn er zerrieben und eingeflößt wird, nützt er gegen die Elephantiasis und gegen die Krankheiten, die im Bauch entstehen. (5) Er löscht die Geschwülste, das Erysipel und das Blut (?) aus. Fol. 31 a 3−6: Naʿtu l-ḥaǧari l-ʾywʾn. Qāla Hirmisu: (1) hāḏā l-ḥaǧaru aswadu fī launihī. (2) yūǧadu bi-nahri Siqillīyata l-baldati. (3) yuḥraqu bi-l-māʾi wa-yuṭfaʾu bi-z-zaiti. (4) munaffin li-ǧamīʿi l-ḥayawāni l-munsābi. (5) wa-yanfaʿu min auǧāʿi r-raḥimi wa-yuʿallaqu ʿalā l-muʿtaraina fa-yanfaʿuhum. (6) waqūwatuhū ka-qūwati l-ḥaǧari l-ġalāṭīyi. Die Beschreibung des -Steines. Hermes lehrt: (1) Dieser Stein ist in seiner Farbe schwarz. (2) Man findet ihn im Fluß der Stadt Sizilien. (3) Man kann ihn durch Wasser verbrennen und durch Öl auslöschen. (4) Er vertreibt alle kriechenden Tiere. (5) Er nützt auch gegen die Schmerzen der Gebärmutter; er kann auch den an Schüttelfrösten Leidenden umgehängt werden, so hilft er ihnen. (6) Seine Kraft gleicht der des galatischen Steins. Zu § 3 vgl. Plinius 36, 141: mirumque, accenditur aqua, oleo restinguitur. Ganz ähnlich Solinus, Collectanea rerum memorabilium 22, 11 (ed. Th. Mommsen, 2 Berlin 1895, 102). XI. Ἡλιοτρόπιον. Q u e l l e : Ms. Bodl., fol. 31 a 10−14: Naʿtu tābiʿi š-šamsi. Qāla Kasanūqarāṭīsu: (1) hāḏā l-ḥaǧaru yakūnu fī Qubrusa wa-Lūbiyata wa-arḍi n-Nūbati launuhū launu z-zumurrudi. (2) wainnamā summiya tābiʿa š-šamsi li-annahū iḏā nuqiʿa fī ǧāmi fiḍḍatin wa-ǧuʿila fī š-

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šamsi launuhū ka-launi ḥumrati d-dami. (3) yanfī l-āfāti mina s-siḥri wamā yabdū mina l-aʿdāʾi. (4) wa-yuǧʿalu taḥta raʾsi n-nāʾimi fa-taḥsunu aḥlāmuhū wa-taṣduqu wa-lā yalḥaquhū ḍararun wa-lā fazaʿun fī naumihī. (5) wa-yuʾallifu baina l-usrati. Die Beschreibung des der Sonne Folgenden. Xenokrates lehrt: (1) Dieser Stein kommt in Zypern, Libyen und Nubien vor; seine Farbe ist die des Smaragds. (2) Man nennt ihn „den der Sonne Folgenden“, weil er, wenn er in einer silbernen Schale in Wasser gelegt und in die Sonne gestellt wird, seine Farbe wie die Farbe der Röte des Blutes . (3) Er vertreibt das Übel, sei es Zauber oder seien es Feinde, die erscheinen. (4) Man kann ihn auch unter den Kopf eines Schlafenden legen; dann hat er schöne und wahre Träume, ihn befällt weder Schaden noch Angst in seinem Schlaf. (5) Auch stiftet er Einigkeit in der Familie. K o m m e n t a r : Die erste Hälfte des Fragmentes berührt sich eng mit antiken Berichten, vgl. Plinius 37, 165: Heliotropium nascitur in Aethiopia, Africa, Cypro, porraceo colore, sanguineis venis distincta. Causa nominis, quoniam deiecta in vas aquae fulgorem solis accidentem repercussu sanguineo mutat, maxime 70 Aethiopica. Damigeron De lapidibus p. 165 (nr. II): Heliotropius lapis nascitur in Aethiopia et Cypro et Libya. Est autem colore smaragdino, sanguinis habens venas. Appellatur autem Heliotropius eo quod vertit solem. Missus enim in pelvem argenteam aqua plenam et positam contra solem, vertit eum et facit quasi sanguineum et obscurum. XII. Ἴασπις. Q u e l l e : Ms. Bodl., fol. 23 b 15−24 a 2: Naʿtu l-yaṣbi. Qāla Kasanūqarāṭīsu: (1) mina l-yaṣbi mā huwa hindīyun waminhu mā huwa qubrusīyun wa-aḥaduhumā launuhū baina l-ḫuḍrati wa-s-sawādi wa-l-āḫaru zumurrudīyun. (2) wa-minhu mā yušbihu l-mahā wa-minhu mā huwa ṭayyibu r-rāʾiḥati wa-minhu mā rāʾiḥatuhū ka-d-duḫāni wa-minhu mā fīhi šaiʾun launuhū abyaḍu wa-minhu mā yaḍribu ilā launi r-ramādi. (3) fa-ammā lqubrusīyu fa-innahū min ǧamīʿi li-mā taḥallā bihi n-nisāʾu. (4) waḫāṣṣatuhū annahū yuhayyiǧu ǧimāʿa man [fol. 24 a] labisahū wa-yuhayyiǧu ḥarakāti l-ʿišqi. (5) wa-huwa māniʿun ṯaqīlatin yūḍaʿu taḥta raʾsi nnāʾimi. (6) wa-huwa aiḍan li-suhūlati l-wilādati iḏā ʿulliqa ʿalā l-marʾati. Die Beschreibung des Jaspis. Xenokrates lehrt: (1) Vom Jaspis gibt es eine indische und eine zyprische Art; die Farbe der einen von beiden liegt zwischen Grün und Schwarz, die andere ist smaragdfarbig. (2) Eine weitere Art ähnelt dem Kristall; eine andere ist wohlriechend; dann gibt es eine, deren Geruch wie Rauch ist, eine weitere, in der sich eine Sache von weißer Farbe befindet, schließlich eine, die zur Farbe der Asche tendiert. (3) Was aber die

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zyprische betrifft, so ist sie von allen , weil die Frauen sich mit ihr schmücken. (4) Seine sympathetische Eigenschaft besteht darin, daß er bei dem, der ihn trägt, die Lust zum Beischlaf und die Bewegungen der Libido erregt. (5) Er verhindert schwere Träume, wenn er unter den Kopf des Schlafenden gelegt wird. (6) Er dient auch zu einer leichten Geburt, wenn er der Frau umgehängt wird. K o m m e n t a r : Plinius 37, 115‒118 berichtet über viele Varietäten des Jaspis. Übereinstimmend mit dem arabischen Fragment erklärt er: plurimae ferunt eam gentes, smaragdo similem Indi, Cypros duram glaucoque pingui . . . multae species . . . aut crystallo similes . . . et velut fumo infecta, quae capnias vocatur. Zu § 2 vgl. Diosk. V 142: λίθος ἴασπις‧ ὁ μέν τίς ἐστι σμαραγδίζων, ὁ δὲ κρυσταλλοειδής . . . ὁ δὲ ἀερίζων, ὁ δὲ καπνίας ὡσπερεὶ κεκαπνισμένος, ὁ δέ τις διαφύσεις ἔχων διαλεύκους. Zu §§ 5 u. 6 ibid.: δοκοῦσι δὲ πάντες εἶναι φυλακτήρια περίαπτα καὶ ὠκυτόκια μηρῷ περιαπτόμενα. XIII. Κοράλλιον.

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Q u e l l e : Ms. Bodl., fol. 18 b 1−3 (s.v. qrl): Qāla Kasanūqarāṭīsu: in suḥiqa hāḏā l-ḥaǧaru wa-ṭuliya bihī dāʾu ṯ-ṯaʿlabi nafaʿahū manfaʿatan bayyinatan. Xenokrates lehrt: Wenn dieser Stein zerrieben wird und wenn damit die Alopezie eingerieben wird, so hilft er dem Kranken ganz offensichtlich. XIV. Τοπάζιον Q u e l l e : Ms. Bodl., fol. 14 b 1−8: Ḥaǧaru . Qāla Kasanūqarāṭīsu: (1) az-zabarǧadu aṣnāfun Ṣaʿīd Miṣra wa-minhu l-iṭrāġlāḏīṭīyu wa-minhu mā yūǧadu biQubrusa wa-minhu l-miṣrīyi aḫḍaru ʿamīqun walaunu l-hindīyi ilā ṣ-ṣufrati wa-l-iṭrāġlāḏīṭīyi ilā s-sawādi. (3) yulbasu maʿa ḏḏahabi li-zīnati n-nisāʾi. (4) wa-ḫāṣṣīyatuhū an yuwaqqiya lābisahū mina l-aḏāʾi wa-yaǧluba ilaihi s-surūra. (5) wa-man naqaša ʿalaihi ka-haiʾati s-safīnati walabisahū fī l-binṣiri mina l-yadi l-yusrā kāna nāfiʿan mina l-ǧuḏāmi. (6) nāfiʿan li-lwilādati yurbaṭu ʿalā l-baṭni bi-ḫirqatin. Xenokrates lehrt: (1) Vom Topas gibt es Arten: Oberägypten, die troglodytische, die, welche in Zypern gefunden wird, und die der ägyptischen ist grün und tief; die Farbe der indischen tendiert zum Gelben, die der troglodytischen zum Schwarzen. (3) Er wird zusammen mit Gold zum Schmucke der Frauen getragen. (4) Seine sympathetische Eigenschaft besteht darin, daß er seinen Träger vor Schaden

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behütet und ihm Freude bringt. (5) Wer in ihn etwas wie ein Schiff graviert und ihn am Ringfinger der linken Hand trägt, [dem] nützt er gegen die Elephantiasis. (6) Er ist [auch] nützlich für die Geburt, indem er in einem Lappen auf den Bauch gebunden wird. K o m m e n t a r : Die Bedeutung des Wortes zabarǧad ist problematisch. Etymologisch stammt zabarǧad aus aramäisch zmaragdā (mit Nebenformen, s. Brockelmann, Lex. Syr. 200 a, b), das seinerseits aus griechisch σμάραγδος entlehnt ist. Das griechische Wort hat aber noch einen zweiten Weg genommen: Es kam ins Mittelpersische als uzumburd25, von wo es als zumurrud weiter zu den Arabern gelangte26. Die Erinnerung an den gemeinsamen Ursprung beider Wörter aus σμάραγδος ist im Steinbuch des Aristoteles und in den von ihm abhängenden Schriften lebendig, denn dort werden zabarǧad und zumurrud als identisch betrachtet27. Während zumurrud in der modernen Literatur allgemein mit „Smaragd“ wiedergegeben wird, wird zabarǧad ganz verschieden übersetzt: Georg Wilhelm Freytag, Lexicon Arabico-Latinum, Tomus II, Halis Saxonum 1833, p. 222 b gibt, unter Berufung auf al-Fīrūzābādī, Golius, Niebuhr und de Sacy folgende Bedeutungen an: Gemma smaragdo 72 similis venetoque colore praeditus. Chrysolithus, vulgo topasius antiquis dicitur. M. Clément-Mullet, Essai sur la minéralogie arabe, in: Journal Asiatique 6. sér., tome 11, 1868, p. 64−81 identifiziert zabarǧad mit béryl, und nach ihm teilt auch Alfred Siggel, Arabisch-Deutsches Wörterbuch der Stoffe aus den drei Naturreichen, Berlin 1950, p. 81 a die Bedeutung: eine Smaragd-Art, bes. Beryll mit. Für die Übersetzung Smaragd haben sich Theodor Nöldeke, Beiträge zur Kenntnis der Poesie der alten Araber, Hannover 1864, p. 127, Ludwig Abel, Die sieben Muʿallaḳât, Berlin 1891, p. 87, und Eilhard Wiedemann, Über die Milchstraße bei den Arabern (= Beiträge 74), in: Sitzungsberichte der PhysikalischMedizinischen Sozietät zu Erlangen 58−59, 1926−27, p. 360 = Wiedemann Aufsätze II 674, entschieden. Letzterer gibt in Klammern noch die Bedeutung Chrysocoll an. Chrysolith verwenden Edward William Lane, An Arabic-English Lexicon, Vol. I 3, 1867, p. 1212 a, Hans Wehr, Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart, Leipzig 1952, Bd. I, 338 a, Hellmut Ritter in seiner Ǧurǧānī-Übersetzung bei den Versen nr. 154 und 172 sowie Albert Dietrich, Art. al-Dahnadj, in: The Encyclopaedia of Islam, New Edition II 93 b _______________ 25 D. N. MacKenzie, A Concise Pahlavi Dictionary, London 1971, p. 85. 26 Siegmund Fraenkel, Die aramäischen Fremdwörter im Arabischen, Leiden 1886, p. 61 und Theodor Nöldeke, Neue Beiträge zur semitischen Sprachwissenschaft, Straßburg 1910, p. 41. 27 b. -Baiṭār Ǧāmiʿ II 166, —5 ff.; Eilhard Wiedemann, Zur Mineralogie im Islam (= Beiträge 30), in: Sitzungsberichte der Physikalisch-Medizinischen Sozietät zu Erlangen 44, 1912, 225 = Wiedemann Aufsätze I 849.

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2. Die Wörterbücher von Belot und Hava stellen Chrysolith und Topas zur Auswahl, nachdem schon Antonio Raineri in seinem Tīfāšī-Buch, Friedrich Dieterici in den Schriften der Lauteren Brüder und Alfred Guillaume, The Life of Muhammad, London etc. 1955, p. 30 Topas gebraucht hatten. Demgegenüber erklärte Julius Ruska, Das Steinbuch des Aristoteles, Heidelberg 1912, p. 134 Anm. 1 kategorisch: „Die Übersetzung von zabarǧad durch Topas ist auf alle Fälle falsch“. Die vorgenannten Identifizierungen leiden nun zum Teil an einer methodischen Schwäche. Die mineralogisch interessierten Autoren wie Clément-Mullet, Ruska oder Wiedemann hatten versucht, auf Grund der in den Steinbüchern gegebenen Beschreibungen, das Wort zabarǧad mit einer bestimmten mineralogischen Spezies zu identifizieren, d. h. festzustellen, ob zabarǧad die Bezeichnung für Beryll = Be3Al2Si6O18, Smaragd (der nur ein durch Chrom grün gefärbter Edelberyll ist), Chrysolith = (Mg, Fe)2 [SiO4] oder Topas = Al2 [F2 | SiO4] sei. Aber eindeutige Begriffsbestimmungen, die erst die moderne chemische Analyse und Kristallographie ermöglicht haben, gab es im Mittelalter nicht. Unter der Bezeichnung zabarǧad dürften zu verschiedenen Zeiten und in den verschiedenen Ländern des Islams sehr verschiedene Steine gehandelt worden sein, ja sogar bei einzelnen Individuen dürfte der Sprachgebrauch, je nach dem Stand der Kenntnisse, ziemlich geschwankt haben. Daß mehrere Bezeichnungen als Synonyme für dieselbe Spezies betrachtet und gebraucht wurden, beweist schon das Steinbuch des Aristoteles, in dem zumurrud und zabarǧad identifiziert sind. Umgekehrt wird es sehr oft vorgekommen sein, daß unter einem Namen verschiedene Spezies subsumiert wurden. Denn den Tausenden von Mineralien stand nur eine kleine Zahl von Wörtern gegenüber: Im Steinbuch des Aristoteles in der Rezension des Parisinus sind 72, bei al-Bīrūnī 48, bei al-Qazwīnī rund 160 und bei al-Akfānī nur 13 „Steine“ beschrieben. Auch hier war es erst die moderne Wissenschaft, die durch künstliche Wortbildungen die Kluft zwischen dem Reichtum der Natur und der Armut der Benennungen überbrücken konnte. In Anbetracht dieser Umstände kann das Wort zabarǧad im Prinzip weder inhaltlich genau bestimmt noch übersetzt werden. Verwendet man trotzdem Äquivalente wie Beryll, Chrysolith usw., so muß man sich darüber im klaren sein, daß damit lediglich vage Namensgleichungen ausgesprochen, aber nur sehr bedingt Sachidentifikationen gegeben sind28. Auch bei der hier versuchten Gleichsetzung von zabarǧad mit τοπάζιον handelt es sich lediglich um die _______________ 28 Vgl. auch die Ausführungen von Otto Rossbach, RE VII 1 (1910), 1114 f., der die Frage, wieweit sich die antiken Namen der Edelsteine und Halbedelsteine bis heute gehalten haben, sehr skeptisch beurteilt.

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Entsprechung von Namen. Die Ansatzpunkte sind spärlich, so daß ich nicht sicher bin, damit das Richtige getroffen zu haben. Die im arabischen Text genannte „ägyptische“ Art könnte dem in der Gegend von Theben gefundenen Topas entsprechen, der, nach Ambrosius29, von Xenokrates beschrieben wurde. Plinius (37, 109) berichtet darüber nach recentissimi auctores, zu denen Xenokrates ja zu zählen ist. Die „troglodytische“ Varietät des arabischen Textes könnte mit dem antiken Bericht, wonach die Troglodyten den Stein auf der Insel Topazos gefunden und an arabische Händler verkauft haben, zu verbinden sein30. Gewisse Anklänge an § 3 finden sich auch bei dem Bischof von Poitiers Hilarius (geb. um 315, gest. 367), der in seinem Tractatus super psalmos31 die Berichte des Xenokrates und anderer über den Topas anonym resümiert: Et idcirco nihil habet sexus uterque pretiosius, dum viri posse omnia auro volunt, mulieres vero per gemmas fieri se existimant pulchriores. Daß aber in der griechischen Vorlage unseres Textes wirklich τοπάζιον gestanden hat, ist mit diesen spärlichen Indizien noch nicht bewiesen. Aber Ruskas Behauptung, daß die Gleichsetzung von zabarǧad mit Topas „auf alle Fälle falsch“ sei, ist so doch nicht aufrechtzuerhalten.

* Die neu gefundenen Fragmente bereichern unsere Kenntnis des Steinbuches des Xenokrates in erfreulicher Weise. Sie lassen den Charakter seiner Schriftstellerei wiederum klarer hervortreten. Auch hier sind von einem Stein bis- 74 weilen vier oder mehr Unterarten aufgezählt, wobei Galatien, Sizilien, Syrien, Zypern, Libyen, Nubien, Indien, Oberägypten und das Land der Troglodyten als ihre Ursprungsländer genannt sind. Typisch sind die Empfehlungen, die Steine zu magischen und medizinischen Zwecken zu verwenden, die meist im zweiten Teil der einzelnen Kapitel unter der Formel: „Seine sympathetische Eigenschaft32 besteht in . . .“ gegeben werden. Durch die nur im K. al-Aḥǧār _______________ 29 Sancti Ambrosii Opera, pars quinta: Expositio Psalmi CXVIII, rec. M. Petschenig (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Vol. 62), Vindobonae-Lipsiae 1913, p. 373 f. 30 Ambrosius ib. und Plinius 37, 107 f. 31 S. Hilarii Episcopi Pictaviensis Tractatus super psalmos, rec. Antonius Zingerle (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Vol. 22), Pragae-Vindobonae-Lipsiae 1891, p. 504. 32 Als griechische Äquivalente kommen etwa ἰδιότης, φυσικὴ δύναμις, ἔμφυτος δύναμις, συμπάθεια φυσική oder ἐνέργεια φυσική in Frage, vgl. Naturwissenschaften im Islam p. 395.

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wa-nuqūšihā überlieferten Passagen I 12 (ἀετίτης), Χ 10 (γαγάτης) und XI 3 (ἡλιοτρόπιον) ist noch ein neues Element hinzugekommen: Die Macht der Steine, einen Zauber zu lösen oder einen Zauberer zu entlarven. Diese Lehren scheinen alte, vielleicht orientalische Praktiken widerzuspiegeln. Daß all diese Dinge über den Hellenismus vermittelt wurden, steht außer Frage. Ob aber der Wortlaut des Xenokrates in den arabischen Fragmenten getreu bewahrt wurde oder ob wir in ihnen Adaptationen oder Paraphrasen vor uns haben, ist nicht gewiß. Die untereinander divergierenden Lesarten der arabischen Quellen, die mehr oder minder großen Unterschiede zwischen den arabischen und antiken Texten müssen skeptisch stimmen. Vielleicht bringt die Zukunft weitere Fragmente oder gar eine arabische Handschrift ans Licht, die dann zu weiteren Erkenntnissen verhelfen. Noch ein Wort zur Frage des Titels der Schrift. Sie ist nicht ganz so eindeutig zu beantworten, wie ich es dem Beitrag Das Steinbuch des Xenokrates (oben, p. 387) dargestellt hatte. Origenes spricht zwar davon, daß er den Bericht über das Topazion ἐν τῷ ἐπιγεγραμμένῳ Ξενοκράτους Λιθογνώμωνι gefunden habe. Aber der Parallelbericht des Ambrosius33 lautet folgendermaßen: Nunc de topazio lapide exprimamus historiam. De quo invenimus scriptum in historia Xenocratis, qui scripsit quasi lithognomonem, nasci eum vel inveniri etc. Daraus hatte Moritz Haupt34 den Schluß ziehen wollen, daß Xenokrates kein eigentliches Steinbuch geschrieben, sondern nur vieles über Steine im Rahmen eines größeren Geschichtswerkes berichtet habe. Ar-Rāzī aber sagt (im Fragment IV) ganz klar: min kitābi Kasānūqarāṭisa fī l-aḥǧāri „aus dem Buch des Xenokrates über die Steine“. Daher wird man doch ein eigenes Steinbuch anzunehmen und das Wort historia bei Ambrosius im Sinne einer „(Natur)Kunde“ zu verstehen haben. Das quasi lithognomonem würde dann auch nicht unbedingt die Form des Titels Λιθογνώμων zweifelhaft machen; Ambrosius könnte so geschrieben haben, um auf die sicher nicht gewöhnliche Verwendung des Wortes γνώμων35 in dieser Verbindung hinzuweisen.

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Exkurs Auf Seite 406 f. und in der Anmerkung 11 wurde erwähnt, daß ein Steinbuch des Hermes eine der Quellen des K. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā war. Nun ist eine Schrift mit dem Titel Muṣḥaf Hirmis al-Harāmisa fī l-Aḥǧār (Das Buch des _______________ 33 Ambrosius, a.a.O. 34 Hermes 1, 1866, 34−36 = Mauricii Hauptii Opuscula, Vol. III Lipsiae 1876, p. 328−330. 35 Liddell-Scott, A Greek-English Lexicon, p. 354 f.

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Hermes der Hermesse über die Steine) in den Handschriften Oxford Marsh 45236 und Universitätsbibliothek Cambridge Dd. 4. 28, 3 (fol. 100 a−119 b)37 erhalten. Über ihren Inhalt war bisher nichts bekannt. Da sie mit dem hier diskutierten Schrifttum eng verwandt, mit der erwähnten hermetischen Quelle aber nicht identisch ist, soll sie wenigstens kurz vorgestellt werden. Sie beginnt mit den Worten: „Dies ist das Buch des Weisen Hermes, d. h. des Hermes der Hermesse, und zwar handelt es sich um das zweite Buch, in dem er die Beschreibung der Arten, der Fundstätten und des Nutzens der Steine in klarer Ausdeutung niedergelegt hat. Er erwähnt in ihm ferner eine Anzahl von Tempeln (barābī) mit ihren besonderen Eigenarten“. Darauf folgt die für so viele Hermetika typische Auffindungslegende38: „Der zuverlässige Übersetzer (nāqil) dieses Buches berichtet, daß es am Kopfe des Hermes in einer Höhle in Esne39 gefunden wurde, und zwar lag Hermes auf einem Steinbett. Ihn umgab eine Drachenschlange (ṯuʿbān) aus Kupfer, auf deren Kopf die Kunst der Sonne40, auf deren Schwanz die Kunst des Mondes41 niedergeschrieben war“. Dann werden die Tempel von Iḫmīm42, Koptos43, Dendera44 und Edfu45 erwähnt, und die 57 Steine, die in diesen Tempeln verwahrt sind, werden im folgenden beschrieben. Ihre Namen sind (in der Cambridger Handschrift) Buchstabengebilde, die kaum zu identifizieren sind. Viele enden auf -ṭs, was griechisch -της entspricht, so daß der Eindruck entsteht, es handele sich um griechische Steinnamen in arabischer Transkription. Der _______________ 36 Bibliothecae Bodleianae Codicum Manuscriptorum Catalogus, a Joanne Uri confectus, Pars prima, Oxonii 1787, p. 115, nr. 448, 3 (es handelt sich um ein von Jacobus Golius geschriebenes Manuskript). 37 Edward Granville Browne, A Handlist of the Muḥammadan Manuscripts, including all those written in the Arabic character, preserved in the Library of the University of Cambridge, Cambridge 1900, nr. 1055. 38 Zu solchen Legenden vgl. Naturwissenschaften im Islam Index p. 493. 39 Stadt in Oberägypten, griech. Latonpolis, mit einem aus ptolemäischer Zeit stammenden Tempel. 40 D. h. die Alchemie des Goldes. 41 D. h. die Alchemie des Silbers. 42 Stadt in Oberägypten, griech. Chemnis, später Panopolis. Der Tempel wurde im 14. Jhdt. zerstört, vgl. Gaston Wiet, The Encyclopaedia of Islam, New Edition I 330 s.v. Akhmīm. 43 Stadt am Ostufer des Nils nördlich von Theben, mit Tempelresten aus griechischer und römischer Zeit. 44 Griech. Tentyris, mit Hathortempel aus der Zeit der letzten Ptolemäer. 45 Griech. Apollonospolis megale, mit sehr gut erhaltenem Horustempel aus ptolemäischer Zeit.

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4. Stein ist als μόροχθος zu entziffern, und tatsächlich stimmt auch die Beschreibung, nach der er im Nil vorkomme, bei den Kopten bekannt sei, ein sattes Grün und die Farbe des Porree habe, mit seinen bekannten Charakteristika überein (s. oben, p. 414). Der 7. Stein ist σκορπίος46 zu lesen, was durch die Erklärung ḥaǧar al-ʿaqrab „Stein des Skorpions“ bestätigt wird. Daß in dieser Schrift griechische Materialien enthalten sind, zeigt auch die Erwähnung „Kappadokiens“ als Ursprungsland des 2. Steins. Aber von einer integralen Übersetzung des Textes, wie es die Fundlegende glauben machen will, kann doch nicht die Rede sein, denn bei anderen Steinen sind Ṭabaristān, Kermān, Sarandīb (= Ceylon), das Land der Türken, der Sūdān und Orte in Ägypten wie Esne und Illahūn als Fundstätten genannt. Das Aussehen der Steine ist knapp nach Farbe, Punkten und Adern, nach ihrer runden oder länglichen Form beschrieben. Ihr Pulver, oft mit einem Pflanzensaft oder einer Tiergalle vermischt, dient zur Kur von Hautflechte und Skrofulose, von Gelbsucht, Krebs, Quartanfieber, von Skorpionenstich und Schlangenbiß, ja sogar zur Heilung des Wahnsinns. Die Steine dienen auch zur Lösung des Zaubers und zu Zauberhandlungen. Beim 14. Stein heißt es z. B.: „Macht man aus ihm die Statuette einer Gazelle und hängt eine Frau sich diese um die Lenden, so bekommt sie den Koitus nicht satt, auch wenn tausend Männer ihr beiwohnen würden“. Auf hellenistisches Gut gehen die Anweisungen zum Gravieren der Steine zurück, wobei bald Geheimbuchstaben (arab. qalafṭīrīyāt, aus griech. χαρακτῆρες), bald Bilder von Personen und Tieren vorgeschrieben sind. Das Bild des Jupiter, der auf einem Adler reitet, in seiner Hand einen Speer hält und auf seinem Haupt einen Turban trägt, hier beim 50. Stein empfohlen, ist auch im K. al-Aḥǧār wa-nuqūšihā47, im Buch des Priesters Būdašīr über die Beschreibung der „Planetensteine“48 und in den Steinbüchern des Pseudo-Ḥunain und ʿUṭārid49 überliefert.

Nachträge Zu S. 405: Ein Fragment des Kitāb al-Aḥǧār wa-nuqūšihā wa-ḫawātimihā wanuǧūrihā ist in Ms. Tonk nr. 2142, fol. 100 a‒104 b, erhalten, s. Hans Daiber, New Manuscript Findings from Indian Libraries, in: Manuscripts of the Middle East 1, 1986, 39 f. (nr. 157). _______________ 46 47 48 49

Vgl. die Paraphrase zu den pseudo-orphischen Lithika p. 147, 16 f. Bodleianus arab. d. 221, fol. 21 b (beim Kristall). Bodleianus arab. d. 221, fol. 35 b. Naturwissenschaften im Islam p. 418 Anm. 2.

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Zu S. 408 und Anm. 14: Zum Begriff muṣḥaf vgl. auch M. Ullmann, Katalog der arab. alchem. Handschriften der Chester Beatty Library, Teil II: Wörterverzeichnis, Wiesbaden 1976, p. 59. Zu S. 418‒421: Zum zabarǧad vgl. Fabian Käs, Die Mineralien in der arabischen Pharmakognosie, Teil 2, Wiesbaden 2010, p. 646‒649; zum zumurrud ib. p. 665‒669.

Xenokrates Autor eines Buches über Steine, von dem Fragmente in Form von Zitaten bei folgenden Autoren erhalten sind: Plin. n. h. XXXVI 197. XXXVII 25. 27. 37. 40. 173. Origenes, Kommentar zu der Stelle διὰ τοῦτο ἠγάπησα τὰς ἐντολάς σου ὑπὲρ χρυσίον καὶ τοπάζιον Psalm 118 (119) ν. 127. Ambrosius, Kommentar zur selben Stelle (Migne L. XV col. 1438 = Opera, pars V, ed. M. Petschenig [CSEL 62], p. 373 f.). Anonym bei Hilarius, Tractatus super psalmos zur selben Stelle, Migne L. IX col. 612 f. = ed. Α. Ζingerle (CSEL 22), p. 504. Hieronymus, Kommentar zu Amos 3, 7 (Migne L. XXV col. 1073 = Opera, pars I, Commentarii in prophetas minores, ed. M. Adriaen [Corpus Christianorum, Ser. lat. 76], Turnholti 1969, p. 318 f.) zitiert eine Passage über den Diamanten nach Xenokrates. Eine Stelle über die Perlen, die Origenes in seinem Kommentar zu Matthäus 13, 45 f. anonym zitiert (Migne G. XIII col. 848 f. = Origenes Bd. X, ed. E. Klostermann, Leipzig 1935, p. 6 ff.), konnte als xenokrateisch erschlossen werden (s. M. Wellmann Die Stein- und Gemmenbücher der Antike, Quellen u. Stud. z. Gesch. der Naturwiss. u. d. Med. IV [1935] 430‒433 und W. Jaeger Mél. Marouzeau, Paris 1948, p. 297‒302 = Scripta minora II, Roma 1960, 389‒394). F. Atenstädt Herm. LVII (1922) 233 ff. suchte nachzuweisen, daß das Steinbuch des X. auch in der pseudoplutarchischen Schrift Περὶ ποταμῶν καὶ ὀρῶν ἐπωνυμίας ausgeschrieben sei. Die am weitesten reichenden Schlüsse zog M. Wellmann a. O. p. 426‒489. Er glaubte nachweisen zu können, daß der ganze alphabetische Gemmenkatalog bei Plin. n. h. XXXVII 139‒185 auf X. zurückgehe und daß die Steine im Buche des X. dementsprechend ebenfalls alphabetisch angeordnet gewesen seien. Er nahm weiter an, daß auch die Darstellungen über Steine bei Michael Psellos (ed. J. L. Ideler Physici et medici graeci minores, Vol. I, Berolini 1841, 244‒247. Ch.-É. Ruelle, bei F. de Mély Les lapidaires de l’antiquité et du moyen âge II, Paris 1898, 201‒204) und im Gedicht Εἰς τὴν σωφροσύνην des Meliteniotes (13./14. Jhdt., ed. bei de Mély II 205‒208) von X. abhängig seien. Schließlich hat K. W. Wirbelauer Antike Lapidarien, Diss. Berlin 1937, 14 ff., auch bei Epiphanius, De duodecim gemmis, Materialien aus X. wiederfinden wollen.

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Das Steinbuch des X. ist, vermutlich zu Beginn des 9. Jhdts., ins Arabische übersetzt worden, vgl. M. Ullmann Die Natur- und Geheimwissenschaften im Islam (Handbuch d. Orientalistik, 1. Abt., Erg.bd. VI, 2. Abschnitt), Leiden/ Köln 1972, 98‒100; ders. Medizinhistorisches Journal VII (1972) 49‒64 (= 975 oben, p. 387‒404). Der vollständige arabische Text ist, wie der griechische, verloren, aber wenigstens 14 zum Teil umfangreiche Fragmente sind in Zitaten erhalten geblieben. Sie finden sich in folgenden Werken: 1. In dem anonymen Kitāb al-Aḥǧār wa-nuqūšihā (etwa 9. Jhdt.), Ms. Bodl. arab. d. 221 (über ἀετίτης, ἄστριον, γαγάτης, ἡλιοτρόπιον, ἴασπις, κοράλλιον, κρύσταλλος, τοπάζιον). 2. Im Kitāb al-Ḥāwī des Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī (Continens des Rhazes), gest. um 923 (über ἰὸς σιδήρου). 3. Im Kitāb al-Muršid des Muḥammad ibn Aḥmad at-Tamīmī, gest. 980, Ms. Paris 2870, 1 (über αἱματίτης, κρύσταλλος, σμάραγδος). 4. Im Kitāb al-Munqiḏ des Jemeniten alḤusain ibn abī Ṯaʿlab ibn al-Mubārak, schrieb 1095, Ms. Chester Beatty 4525 (über σμάραγδος, ὑάκινθος). 5. Im Kitāb al-Adwiya des Aḥmad ibn Muḥammad al-Ġāfiqī, lebte erste Hälfte des 12. Jhdts. bei Cordoba (über ἀετίτης). 6. Im Kitāb Ǧāmiʿ al-mufradāt des ʿAbd Allāh ibn Aḥmad ibn al-Baiṭār aus Malaga, gest. 1248 (über ἀετίτης und λίθος Αἰγύπτιος = μόροχθος = γαλαξίας). Die arabische Überlieferung hat nicht nur viel Material wieder ans Licht gebracht, das in antiken Quellen fehlt, sondern sie hat auch die bei Plin. n. h. XXXVI 145 und 149‒151 anonym zitierten Passagen über den Hämatit und Aetit als xenokrateisch erweisen können. Die Identität des Autors ist nicht mit letzter Gewißheit zu ermitteln. Plinius gibt im I. Buch einen Xenocrates Zenonis als Quelle für die Bücher XXXIV, XXXV und XXXVII an, einen Xenocrates Ephesius als Quelle für die über Botanik handelnden Bücher XII und XIII. Da er aber XXXVII 25 und 27 den Xenocrates Ephesius als Gewährsmann für Nachrichten über Bergkristall zitiert, scheint es, daß diese Angaben zu kombinieren sind und daß in X., dem Sohn des Zenon, aus Ephesos, der Verfasser des Steinbuches zu sehen ist. Wenn Plin. n. h. XXXVII 37 des weiteren von Xenocrates spricht, qui de his nuperrime scripsit vivitque adhuc, so darf man daraus schließen, daß X. dieses Buch in neronischer Zeit verfaßt hat und daß er im J. 77 noch am Leben war. Diese von F. Buecheler Rh. Mus. N. F. XL (1885) 304‒307 = Buecheler Kl. Schr. III, Leipzig-Berlin 1930, 63‒66, W. Jaeger Mél. Marouzeau, Paris 1948, 297‒302, Κ. Ζiegler o. Bd. IX A S. 1529 Nr. 7 und F. Kudlien ebd. S. 1531 Nr. 8 vertretene Identifikation ist von M. Wellmann Herm. XLII (1907) 614‒629 und in der Arbeit über die Stein- und Gemmenbücher (1935) bestritten worden, der in dem Steinbuchautor den von Galen (XI 793) und Artemidor (Oneirocr. IV 22 ) zitierten Xenokrates von Aphrodisias wiederzuerkennen glaubte. Mit gewissen Vorbehalten ist ihm darin F. Atenstädt a. O. 240 ff. gefolgt, und auch

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Wirbelauer a. O. bekannte sich zu Wellmanns Ansicht. Diese These zwingt jedoch zu der Annahme, daß Plinius zwei Steinbuchautoren namens Xenokrates ausgeschrieben hätte, nämlich seinen Zeitgenossen, den Aphrodisier, und einen älteren Schriftsteller, den Ephesier. Das ist im ganzen aber unwahrscheinlich. Den Titel des Werkes nennt Origenes in seinem Kommentar zu Psalm 118 976 (119) v. 127. Er erklärt, die Nachricht über den Topas ἐν τῷ ἐπιγεγραμμένῳ Ξενοκράτους Λιθογνώμονι gefunden zu haben (vgl. Buecheler a. Ο.). Weniger eindeutig äußert sich Ambrosius in seinem Kommentar zur selben Stelle, indem er sagt, der Bericht über den Topas stünde in historia Xenocratis, qui scripsit quasi lithognomonem. M. Haupt Herm. I (1866) 34‒36 = Opuscula, Vol. III, Lipsiae 1876, 328‒330, hatte daraus den Schluß ziehen wollen, daß X. kein eigentliches Steinbuch geschrieben, sondern nur vieles über Steine im Rahmen eines größeren Geschichtswerkes berichtet habe. Da jedoch Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar‑Rāzī (s. oben) ausdrücklich von Kitāb Kasānūqarāṭis fī l-aḥǧār „dem Buch des Xenokrates über die Steine“ spricht, wird man doch ein eigenes Steinbuch anzunehmen und das Wort historia bei Ambrosius im Sinne einer „Kunde“, eines „Berichtes“ zu verstehen haben. Nach den in antiken und arabischen Schriften erhaltenen Fragmenten lassen sich Inhalt und Charakter des Steinbuches des X. gut beurteilen. In ihm war zunächst die Natur jedes Steines beschrieben, wobei oft vier oder mehr Unterarten genannt waren, die sich je nach ihrer geographischen Herkunft unterscheiden. Als Ursprungsländer sind Italien, Spanien, Sizilien, Zypern, Galatien, Skythien, Numidien, Libyen, Ägypten, Nubien, Arabien, Syrien, Indien, auch einzelne Gebirge und Orte wie die Alpen oder Taphiusa erwähnt. Gelegentlich sind Unterarten eines Steins als „männlich“ und „weiblich“ bezeichnet. Die äußere Beschreibung erstreckt sich auf Farbe, Form, Gewicht und Konsistenz. Selten ist von der handwerklichen Verwendung eines Steins die Rede: der λίθος Αἰγύπτιος z. Β. dient dem Weißfärben der Kleider. Aber die wunderbaren physikalischen Eigenschaften werden genau referiert: Sonnenstrahlen, durch den Kristall gelenkt, entflammen Zunder; der Gagat läßt sich mit Wasser in Brand setzen und mit Öl wieder löschen; der Diamant widersteht jedem Material, sogar dem Eisen, nur das Bocksblut löst ihn auf. Viel Platz nimmt die Erörterung der medizinischen Wirkungen der Steine ein: Der Adlerstein, um den linken Schenkel gebunden, erleichtert die Geburt; der Blutstein stillt die Blutungen, löst die Blasensteine auf, hilft gegen Schlangenbiß, gegen Rose, Erysipel und alle Blutgeschwüre; der Smaragd wirkt gegen die Gifte, heilt Räude, Lepra, Elephantiasis, Alopezie, Skrofulose usw.; ein Kollyrium aus Gagat macht den Blick klar, und wer eine Gemme des roten Hyazinths im Munde hält, kann vergifteten Wein trinken, ohne Schaden zu

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nehmen. Schließlich kann man die Steine zum Zauber verwenden: Das ἄστριον schützt seinen Träger vor Unglück; der Gagat vertreibt alle Kriechtiere und Schlangen; das Heliotrop, unter den Kopf eines Schlafenden gelegt, verursacht wahre und schöne Träume, und der Jaspis erweckt die Lust zum Beischlaf. Einige Steine können aber auch zur Lösung eines Zaubers dienen: Vom Gagat heißt es (arab. Frg. nr. X 10): „Wenn einer argwöhnt, er sei verzaubert, so soll er den Stein an einem zweischneidigen Messer aufhängen und sich, während er es hält, schleunigst zu einem Fluß oder Meere begeben. Dann soll er einen Ölzweig nehmen, ihn mit Wasser netzen und dies auf seinen 977 Körper sprengen. Dann soll er den Stein in die Mitte des Wassers werfen und nach Hause zurückkehren, ohne sich umzusehen. So entfernt der Stein allen Zauber von ihm.“ Viele dieser Nachrichten sind auch aus der sonstigen einschlägigen Literatur bekannt. Parallelen finden sich bei Plinius, im V. Buch der Materia medica des Dioskurides, bei Galen De simpl. med. temp. ac fac. Buch IX, in der Paraphrase zu den pseudo-orphischen Λιθικά und bei Damigeron, De lapidibus (ed. E. Abel, Berolini 1881). Unter den Quellen des X. lassen sich vielleicht Dioskurides und wahrscheinlich Sotakos (s. F. Kind o. Bd. III Α S. 1211) namhaft machen. Für die magischen Dinge wollte Wellmann (a. O. 467 ff.) eine Tradition verantwortlich machen, zu der Zoroaster, Bolos Demokritos, Pamphilos, Juba, Aelius Promotus, Anatolios und Horapollon gehören. F. Atenstädt a. O. 243 rechnete auch Nikias, Demostratos und Archelaos zu X.’ Gewährsmännern.

Edelsteine als Antidota Ein Kapitel aus dem Giftbuch des ibn al-Mubārak∗ Der hohe Wert der Edelsteine, ihr Farbenspiel und Feuer und die Symmetrie ihrer Kristalle haben die Menschen zu allen Zeiten fasziniert. Durch die seltene Pracht bezaubert, glaubte der Mensch, daß den Steinen ein Zauber innewohne, der geheimnisvoll und unerklärlich wirke. Man konnte sich also der Steine bedienen, um Dinge zu erreichen, die sich sonst dem Zugriff der Menschen entziehen, man konnte mit ihnen Krankheiten heilen und besonders Gifte bekämpfen, die schleichend und recht eigentlich unerklärlich den Körper zerstören. Manche Steine besitzen aber auch eine Kraft, die nachzuweisen ist: Der Magnet zieht das Eisen, der Bernstein die Spreu an. Solche Wirkungen sind nicht anzuzweifeln, aber sie müssen noch unerklärt bleiben. Thales von Milet spricht davon, daß auch die unbelebten Dinge „Seelen“ (ψυχαί) haben, und später nennt man die okkulte Kraft φυσικὴ δύναμις, ἔμφυτος δύναμις, ἐνέργεια φυσική oder συμπάθεια φυσική.1 Und nun fällt beides zusammen : Die reale Erfahrung unerklärbarer Kräfte und der Glaube an die Magie neutraler Steine. Wenn Sotakos nun oder Xenokrates von Ephesos, wenn die Orphiker oder Neupythagoreer über Steine berichten, so ist kein Stein, der nicht Liebe stiftet, Zwietracht sät, Macht verleiht oder Krankheiten heilt. Die Araber folgen auch hierin ihren griechischen Lehrmeistern. Die okkulten Kräfte heißen bei ihnen ḫawāṣṣ, und nicht nur Steine besitzen solche Eigenschaften, sondern auch Tiere und Pflanzen, Buchstaben und Koranverse. Das ganze Universum ist mit einem dicht geknüpften Netz geheimnisvoller _______________ ∗

1

Die in den Fußnoten genannten arabischen Quellen sind mit den Abkürzungen und nach den Ausgaben zitiert, die im Wörterbuch der Klassischen Arabischen Sprache (WKAS) gebraucht werden. — Für einige freundliche Hinweise möchte ich Herrn Professor Dr. Viktor Schwartz, Tübingen, herzlich danken. Vgl. Manfred Ullmann, Die Natur- und Geheimwissenschaften im Islam (Handbuch der Orientalistik, hsgb. von Bertold Spuler, Erste Abteilung, Ergänzungsband VI, 2. Abschnitt), Leiden/Köln 1972, p. 395 (im folgenden mit „Naturwissenschaften im Islam“ zitiert).

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Fäden durchzogen; die Dinge wirken durch Sympathie und Antipathie aufeinander ein. Auch die Ärzte, sonst sehr rationalistisch ausgerichtet, können sich diesem Glauben nicht ganz verschließen. Wie schon Dioskurides und mehr noch Alexander von Tralleis, so empfehlen auch ʿAlī ibn Rabban aṭṬabarī und Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī gelegentlich magische Mittel 74 und Kuren, und wieder sind es vornehmlich die Steine, die zu diesem Ende taugen. Vor allem sind es die Giftbücher, in denen die ḫawāṣṣ eine Rolle spielen. Es gibt viele Giftbücher2, aber eines der umfangreichsten und zugleich am wenigsten bekannten ist das Kitāb al-Munqiḏ min al-halaka fī dafʿ maḍārr as-samāʾim al-muhlika, das al-Ḥusain ibn abī Ṯaʿlab ibn al-Mubārak im Jahre 488/1095 verfaßt hat. Ibn al-Mubārak muß im Yemen gelebt haben, denn das Giftbuch ist dem Mufaḍḍal ibn abī l-Barakāt ibn al-Walīd al-Ḥimyarī, dem Herrn von at-Taʿkar, gewidmet. Als nach dem Tode des Ṣulaiḥiden al-Mukarram Aḥmad (reg. 473‒484/1080‒1091) dessen Gemahlin as-Saiyida Ḥurra (Arwā) die Regierung übernahm, wurde al-Mufaḍḍal ihr Minister. Es gelang ihm, sich eine große Machtfülle zu sichern, in einem Maße, daß auch die Königin ihm in allem willfahrte. Al-Mufaḍḍal ist im Ramaḍān 504/März 1111 gestorben. Nach dem Bericht einiger Leute hat er Selbstmord verübt, indem er seinen Gift enthaltenden Siegelring aussaugte3. Wenn diese Art des Selbstmordes historisches Faktum ist, so läßt sich denken, daß al-Mufaḍḍal sich das Gift mit Hilfe ibn al-Mubāraks oder durch die Lektüre seines Buches verschafft hat. Das Kitāb al-Munqiḏ umfaßt drei Maqālāt mit zusammen 135 Kapiteln, in denen alles, was man damals über Gifte und giftige Tiere wußte, zusammengetragen ist. Es ist kein originelles Werk, sondern eine Kompilation, ein Zitatenschatz. Das mindert seinen Wert nicht, denn der Autor hat uns durch seine Zitierfreudigkeit viele Fragmente aus alten Schriften übermittelt, von denen wir sonst wenig oder nichts wüßten. Immer wieder lesen wir Namen wie Galen, Rufus, Dioskurides, Archigenes, Philagrios, Paulos, Theophrast, Demokrates, Aratos, Aṭhūrusfus, dazu Namen von Arabern wie al-Kindī, ibn al-Biṭrīq und Ḥunain. In der Textprobe, die im folgenden vorgestellt werden soll, kommen noch andere Autoren zu Wort. Sind nun alle diese Zitate _______________ 2 3

Vgl. Moritz Steinschneider, Die toxikologischen Schriften der Araber bis Ende XII. Jahrhunderts, in: Virchows Archiv 52, 1871, 340‒375 und 467‒503, Nachdruck Hildesheim 1971. Vgl. Yaman, its Early Mediaeval History, by Najm ad-Din ʿOmarah al-Hakami..., The Original Texts, with Translation and Notes by Henry Cassels Kay, London 1892, arab. p. 37, 4‒40, 10, engl. p. 49‒54 etc., s. Index. Arab. Text auch: Taʾrīḫ al-Yaman li-lfaqīh al-adīb Naǧm ad-Dīn ʿUmāra b. a. l-Ḥasan ʿAlī al-Ḥakamī, ed. Ḥasan Sulaimān Maḥmūd, Kairo o. J. [um 1960], p. 70, 3‒73, 8.

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authentisch? Hat ibn al-Mubārak die Bücher, die er nennt, alle selbst eingesehen und getreulich ausgeschrieben? Oder ist er Sekundärquellen verpflichtet, oder hat er nur dem Sinne nach zitiert, hat er sich bisweilen geirrt oder die Lemmata durcheinandergeworfen? Liest man den Text, so drängen sich einem solche Fragen auf. Sicher gab es, insbesondere unter den Pseudepigrapha, viel mehr Bücher, als wir heute kennen und als in Handschriften erhalten sind. Daß bei den Arabern einstmals Schriften über die sympathetischen Eigenschaften der Steine kursierten, die Platon und Theophrast verfaßt haben sollen, ist nicht anzuzweifeln. Es ist auch nicht befremdlich, wenn das, was Platon und Demokrates im Abschnitt über den Bezoarstein zu sagen wissen, auch in der einen oder anderen Rezension des „Steinbuches des Aristoteles“ wiederkehrt. Denn diese ganze Literatur ist ja aufs engste verwandt, und alle diese Pseudepigrapha gehen letztlich auf dieselben Quellen zurück. Wenn jedoch immer wieder Dioskurides genannt ist, diese Stellen aber weder in der Materia medica, noch in den pseudodioskurideischen Schriften De venenis und De simplicibus (= Περὶ εὐπορίστων) aufzufinden sind, so muß das bedenklich stimmen. Hier wird also die künftige Forschung einsetzen müssen und von Fall zu Fall die Quellen zu verifizieren haben. Aber daß das Kitāb al-Munqiḏ eine solche Untersuchung lohnt und daß seine Edition höchst wünschenswert ist, wird der folgende Text erkennen lassen. Die Übersetzung dieses Textstückes — es ist der erste Teil des 26. Kapitels der 1. Maqāla — beruht auf der alten Handschrift Chester Beatty 4525, fol. 23 a 9‒26 b 2, und der jüngeren Handschrift Paris, Bibliothèque Nationale 65624. Der Parisinus ist nach europäischer Weise foliiert, d. h. die Zählung beginnt mit dem Ende und endet mit dem Anfang des Buches. Unser Abschnitt steht somit auf den Folia 162 b 6‒155 b 5. Um einen Eindruck vom Charakter der Schriftstellerei des ibn al-Mubārak zu geben, habe ich den Text vollständig übersetzt und auch dort nichts gestrichen, wo der Verfasser weitschweifig ist und sich Wiederholungen gestattet hat. *

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Der Verfasser lehrt: Es gibt mineralische Substanzen, die viele wunderbare Wirkungen und hervorstechende, unerhörte Eigenschaften besitzen. Durch diese Substanzen, d. h. durch ihre sympathetischen Eigenschaften und durch _______________ 4

Ich möchte den Herren Kollegen David James und Gérard Troupeau für die freundliche Besorgung von Kopien dieser Passagen meinen herzlichen Dank sagen.

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ihre natürlichen Kräfte, die in ihnen angelegt sind, kann man sich gegen einverleibte Gifte und gegen den Stich giftiger Tiere helfen. Das gleiche gilt von vielen tierischen Organen und von vielen Wurzeln und Zweigen der Pflanzen. In den meisten dieser Gegenstände sind nun Dinge, die mit Hilfe ihrer natürlichen, untrennbar mit ihnen verbundenen Eigenschaften wirken; einige aber wirken mit Hilfe einer ihnen aufgepflanzten Kraft. Nachdem ich mich von der Wahrheit dieses Sachverhaltes überzeugt hatte, glaubte ich, in diesem meinem Buche alles das nicht unerwähnt lassen zu dürfen, wovon der 76 Nutzen allgemein anerkannt ist und dessen Vorzüglichkeit alle Weisen der Völker einhellig bestätigt haben, seien es nun Inder, Perser, Byzantiner oder alle die, die nach ihnen kamen, wie die Weisen der Araber und die trefflichen Männer, die sich ernsthaft um die Forschung, Untersuchung, Nachprüfung und das Sammeln von Erfahrung bemüht haben. Ich werde davon nun das schildern, was bekannt und von bewährtem Nutzen ist und was mit seiner sympathetischen Eigenschaft nach Erfahrung und Prüfung gesichert ist, werde aber die Dinge weglassen, die die Mehrzahl der Menschen nicht kennt, weil der Zugang zu ihnen verborgen ist und weil sie selten vorkommen, werde mich also jetzt anschicken, das zu erwähnen, was allbekannt und nützlich und leicht zu verifizieren ist. Gott aber bitte ich, er möge mir seine Hilfe auf dem Wege zur rechten Erkenntnis verleihen. Die sympathetischen Eigenschaften des Bezoarsteins5. Aristoteles lehrt in seinem Buch, das unter dem Titel Das Buch der Beschreibung der sympathetischen5Eigenschaften der Steine6 bekannt ist: [fol. 23 b] Der Bezoar_______________ 5

Bezoarsteine sind steinartige Konkretionen, die sich aus Haaren oder Pflanzenfasern im Magen und Darmkanal von Pferden und manchen Widerkäuern (auch Ziegen) bilden und beachtliche Größen erreichen können. Vgl. Carl Otto Harz, Beiträge zur Kenntnis der Pflanzenbezoare des Pferdes und des Rindes (Sonderabdruck aus der Zeitschrift des Allgemeinen Österreichischen Apotheker-Vereines, Nr. 11 und 12, 1876), Wien 1876. Über die Herkunft und Entstehung der Bezoarsteine waren bei den Arabern phantastische Berichte im Umlauf. Einige hielten sie für konkretisierten Tau, andere für Absonderungen der Augen, wieder andere glaubten, daß sie im Herzen entstünden, und manche betrachteten sie als Gallensteine. Vgl. dazu Hermann Fühner, Bezoarsteine, in: Janus 6, 1901, 317‒321; 351‒356. Daß der „orientalische Bezoar“ ein Gallenstein [und zwar der Gallenstein der Bezoarziege, Capra aegagrus Gm.] sei, behaupten auch Julius Ruska und Martin Plessner, The Encyclopaedia of Islam, New Edition, I (1960), 1155 f. (s.v. Bāzahr), wobei sie sich auf Wöhler berufen. Aber das ist falsch. Friedrich Wöhler, Über die Lithofellinsäure, in: Annalen der Chemie und Pharmacie 41, 1842, 150‒155, hatte lediglich eine Konkretion untersucht, deren Ursprung unbekannt war. Er schloß auf Grund der chemischen Analyse, daß es ein Gallenstein

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stein wird in der Sprache der Griechen hwlʾktrh7 genannt, und das bedeutet: „der das Gift vertreibt“. Dieser Stein ist von hohem Wert und gewaltigem Nutzen. In seiner Wirkung kommt ihm keine mineralische Substanz gleich. Er hat die Eigenschaft, gegen alle Arten von zusammengesetzten, aus Tieren, Pflanzen und Mineralien hergestellten Giften zu helfen. Er hilft auch gegen das Gift eines jeden Tieres, das ein tödliches Gift besitzt, seien es Vipern, Schlangen, Skorpione oder ähnliche Tiere. Von dieser Substanz muß man denen, die ein verderbenbringendes Gift verabreicht bekommen haben oder die von einer Viper gebissen wurden, das Gewicht von zwölf Gerstenkörnern, was einem sechstel Miṯqāl8 entspricht, geben. Entweder muß man den Bezoarstein zerreiben und mit kaltem Wasser anrühren oder mit einer Feile zerfeilen und zerraspeln und mit kaltem Wasser verabreichen. Dabei ist es nötig, daß er angewendet wird, bevor das Gift eingeflößt ist und sich [im Körper] verteilt hat, denn dann rettet er das Leben des Vergifteten und treibt die verborgenen Gifte durch Sickern und Schwitzen in denkbar kurzer Zeit heraus, so Gott will. _______________

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sei, und meinte, dieser sei möglicherweise als Bezoar betrachtet und aufbewahrt worden. Vgl. zu Wöhlers Untersuchungen auch E. Jünger und A. Klages, Zur Kenntnis der Lithofellinsäure, in: Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 28 (Bd. III), 1895, p. 3045‒3049. Zu den verschiedenen früher in der Pharmazie verwendeten Bezoarsteinen vgl. die in der Handschrift Paris 6205 erhaltene Risāla fī Ḫawāṣṣ al-bādzahr sowie Nicolas Lemery, Dictionaire ou traité universel des drogues simples, 3. éd., Amsterdam 1716, p. 79 f. Das Wort Bezoar geht auf das mittelpersische pādzahr „Gegengift“ zurück, s. David Neil MacKenzie, A Concise Pahlavi Dictionary, London 1971, p. 63, Karl Lokotsch, Etymologisches Wörterbuch der europäischen Wörter orientalischen Ursprungs (Indogermanische Bibliothek, Erste Abteilung, II. Reihe, Bd. 3), Heidelberg 1927, nr. 1605, Enno Littmann, Morgenländische Wörter im Deutschen, 2. Auflage, Tübingen 1924, p. 81. Kitāb Naʿt ḫawāṣṣ al-aḥǧār. Es handelt sich um das „Steinbuch des Aristoteles“, jenes bekannte Pseudepigraphon, das Julius Ruska, Heidelberg 1912, nach dem Parisinus 2772 (saec. XIV) herausgegeben hat. Vgl. Naturwissenschaften im Islam 105‒110. Das hiesige Exzerpt (bei Ruska nr. 8) stimmt mit dem Text der Pariser Handschrift nur in zwei Sätzen überein. So nach der Handschrift Chester Beatty. Der Parisinus hat hwlʾktr, der Bodleianus arab. d. 221, fol. 19 a 2, in dem das Steinbuch des Aristoteles zitiert ist, hat ʾyʾhwlʾkrh. Das könnte als ἰοφυλακτήριον gedeutet werden; da der Bezoarstein den älteren Griechen aber nicht bekannt war, ist es natürlich auch möglich, daß der Schriftzug bloß eine Mystifikation ist. Ein Miṯqāl beträgt etwa 4,5 Gramm (der Wert wird in den einzelnen Ländern verschieden bestimmt), vgl. Walther Hinz, Islamische Maße und Gewichte umgerechnet ins metrische System (Handbuch der Orientalistik, hsgb. von Bertold Spuler, Ergänzungsband I, Heft 1), Leiden 1955, p. 1‒8. Ein „Gerstenkorn“ (šaʿīra) beträgt etwa 0,05 Gramm, s. ib. p. 34.

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Platon lehrt in seinem unter dem Titel Summe der sympathetischen Eigenschaften bekannten Buch9: Der Bezoarstein saugt das Gift auf, sammelt es ein, treibt es aus den Arterien heraus und reinigt das Blut von ihm ganz wunderbar. Kein Edelstein ist ihm gleich. Er rettet von allen verderbenbringenden Giften, 77 wenn man ihn sofort anwendet, bevor das Gift sich verteilt und ausgebreitet hat. Er hilft auch, so Gott will, gegen die Stiche der Tiere, die ein vernichtendes Gift tragen, in einer Weise, deren Wirkung gelobt wird. Dieser Stein hat viele [Unter]Arten: Es gibt den Gelben, den Grauen, den grün Getränkten, den weiß Getränkten und den mit schwarzen und dunklen Punkten Getüpfelten. Der beste von allen ist der von reinem Gelb, dann folgt der Graue, dann der grün Getränkte. Was diesen drei genannten Farben dann folgt, ist von geringerer Qualität als das Vorerwähnte, doch geht seine Wirkung nicht gänzlich verloren; sie wird nur schwächer gegenüber der Kraft des jeweils Vorhergehenden. Man importiert den Stein von vielen Plätzen: aus China, von den Bergen Indiens, aus dem Osten. Die besten sind aber die, die von den Bergen der Türken und aus Ḫurāsān herbeigeschafft werden. Und Aristoteles sagt: Wenn man vom Bezoar einen Ringstein macht, den Ring trägt und dauernd anbehält, so können die Gifte ihre Wirkung auf den Körper des Trägers so gut wie nicht ausüben. Wenn einer seine Hand, an der sich der Ringstein befindet, in ein Gefäß steckt, in dem eine Speise oder ein Getränk ist, dem sich irgendein Gift beigemischt hat, so mildert der Stein die Schärfe jenes Giftes und bricht seine Kraft, so daß der Essende oder Trinkende gegen seine ungestüme Stärke gefeit ist. Auch können die Bisse der Vipern und die Stiche der Skorpione dem, der den Ringstein trägt, nicht das antun, was sie im Körper dessen anrichten, der ihn nicht trägt. Theophrastos sagt in seinem Abriß, der unter dem Titel Das Buch der sympathetischen Eigenschaften10 bekannt ist: Der Bezoarstein hilft gegen alle _______________ 9

Dieses Zitat gibt nur den Inhalt des Steinbuches des Aristoteles, ed. Ruska, nr. 8, wieder. Die Farben und die Herkunftsländer entsprechen im wesentlichen der Darstellung bei Ruska. Eine pseudo-platonische Schrift mit dem Titel Kitāb Ǧāmiʿ al-ḫawāṣṣ war bisher nicht bekannt (vgl. Naturwissenschaften im Islam p. 364 f.), doch sei daran erinnert, daß eine Handschrift der persischen Version eines Steinbuches (ǧawāhir-nāme) von Platon in Tiflis erhalten ist, s. Ts. A. Abuladze, R.V. Gvaramia and M. G. Mamatsashvili, Catalogue of the Arabic, Turkish and Persian Manuscripts in the Kekelidze Institute of the Manuscripts, Georgian Academy of Sciences (The K Collection), Tbilisi 1969, p. 161, nr. PK 162/201. Außerdem ist im Kitāb Hirmis fī Manāfiʿ al-aḥǧār wa-ḫawāṣṣ al-ašyāʾ, Ms. Bodl. d. 221, fol. 32 b 8 f. Aflāṭūn fī Muṣḥafihi l-Ǧāmiʿ zitiert, mit der Nachricht, daß der Gagat (sabaǧ) gegen Gangrän nütze. Vgl. auch die Platonzitate weiter unten. 10 Arab. kitābuhu l-muḫtaṣar al-maʿrūf bi-Kitāb al-Ḫawāṣṣ. Theophrast hat bekanntlich zwei Werke über Steine geschrieben (s. Otto Regenbogen, Pauly-Wissowa, RE Suppl.

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eingeflößten Gifte und gegen den Biß der Drachen11, Vipern und Schlangen. Wenn von ihm das Gewicht von acht Gerstenkörnern abgeschabt wird und wenn diese Späne auf die Stelle gestreut werden [fol. 24 a], wo eine durch eine vergiftete Eisenspitze aufgerissene Ader ist, so hilft er dem Verwundeten und rettet mit Gottes Erlaubnis sein Leben vor dem Untergang. Das gleiche ist der Fall, wenn er zerrieben und auf eine durch Vipern und Drachen verursachte Bißwunde gestreut wird: auch dann hilft er mit Gottes Erlaubnis aufs beste. Demokrates12 sagt: Folgendes gehört zu den sympathetischen Eigenschaften des Bezoarsteins: Reibt man von ihm das Gewicht zweier Gerstenkörner ab und träufelt man dies in die Kehlen der Vipern, so sterben sie alsbald. Ebenso wird, wenn man ihn am Stachel des Skorpions entlangstreicht, dessen Wirkung zunichte und dessen Gift abgeschwächt. Dies also sind die sympathetischen Eigenschaften (des Bezoarsteins), die in diesem meinem Buche erwähnt werden sollten. Seiner nützlichen Eigenschaften _______________ bd. VII, 1940, Sp. 1415 f.). Aber nicht diese sind hier zitiert; vielmehr ist ein Pseudepigraphon über die okkulten Wirkungen der Steine gemeint, das auch ar-Rāzī, alBaladī, at-Tīfāšī und andere arabische Autoren kennen (s. Naturwissenschaften im Islam p. 111 f.). 11 Arab. ṯuʿbān, Plur. ṯaʿābīn. Das Wort wird zur Bezeichnung einer großen, dicken Schlange gebraucht. Es ist sicher vergebliche Mühe, den in den älteren Texten erwähnten ṯuʿbān mit einer bestimmten Spezies zu identifizieren (zur Problematik vgl. auch Hans Gossen, Die Tiernamen in Älians 17 Büchern Περὶ ζῴων, in: Quellen und Studien zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Medizin 4, 1935, 317 nr. 160 und 161). Nach Forskål soll es Coluber guttatus sein. Vgl. folgende Stellen: Qurʾān 7, 107/ 104 = 26, 32/31; b. Duraid Ištiqāq 319, 3 (s.v. ḥmṭ); Ǧālīnūs Aḫlāq, bei al-Marwazī, K. Ṭabāʾiʿ al-ḥayawān, ed. S. M. Stern, in: The Classical Quarterly 50, 1956, p. 99, nr. 5, 9; in Kyranis D ist δράκων mit ṯuʿbān wiedergegeben, s. Ms. Bodl. arab. d. 221, fol. 72 b 2; Muṣḥaf Hirmis al-Harāmisa fī l-Aḥǧār, s. Med. hist. J. 8, 1973, 75; Ǧāḥiẓ Ḥayaw. I 14, ‒5/28, 11; 119 paen./251, 5; III 103, ‒5/333, 9; 162, 4/514, 11; IV 13, 5/39, 5; 42, 2/121, 6; 43, 15/125, 8; 76, 4/226, 7; 99, 6/297, 1; VII 10, 9/23, 10; b. Qut. ʿUyūn II 96, 5; Bar Bahlūl 951, 21; a. Dulaf Ris. ṯān. 39, 4; Iḫwān -ṣafāʾ II 267, 1 ff.; Mas. Murūǧ III 46, 7; Ṯaʿāl. Laṭāʾif 98, 2; 124, 8; Qazw. ʿAǧāʾib 430, 12 ff.; 432, 12; 440, 12; 447, 25; Damīrī Ḥayāt I 214, 14; Nuwairī Nihāya I 370, 6; X 136 paen.; XI 317, 7. 12 Wahrscheinlich ist hier die arabische Übersetzung oder Bearbeitung des Sympathiebuches des Bolos Demokritos von Mendes (um 200 vor Chr.) zitiert. Vgl. dazu Max Wellmann, Die Physika des Bolos Demokritos und der Magier Anaxilaos von Larissa, Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., 1928, nr. 7. Die beiden hier beschriebenen Wirkungen des Bezoars sind mit ganz ähnlichen Worten in der Rezension des Steinbuches des Aristoteles, die ibn al-Baiṭār (Ǧāmiʿ I 82, 1 f./Leclerc nr. 230) ausgeschrieben hat, erwähnt. In der von Ruska herausgegebenen arabischen Version ist ihrer nicht gedacht, aber die erste findet sich auch in der lateinischen Version des Codex Leodiensis 77: et si ex isto pulvere pondus duorum granorum ordei ponatur in ore serpentis extinguit illum.

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sind sehr viele. Ich habe mich aber darauf beschränkt, nur das Notwendigste zu erwähnen. Gott in seiner Gnade und Ehre läßt das Rechte gelingen. Die sympathetischen Eigenschaften des Smaragds (zumurrud) und Berylls (zabarǧad)13. Aristoteles lehrt in seinem Buch, das unter dem Titel Das Buch der Beschreibung der sympathetischen Eigenschaften der Steine und Edelsteine bekannt ist: Der Smaragd kommt hinsichtlich seiner Gattung und seiner sympathetischen Eigenschaft dem Bezoarstein nahe, und die Natur des grünen, klar anzuschauenden Smaragds ähnelt der Natur des Bezoars, auch kommt seine Wirkung hinsichtlich des Nutzens gegen alle Arten von Giften der des Bezoars gleich. Der leuchtende, klare Beryll kommt der Natur beider Steine gleich. Er und der Smaragd sind die beiden Gefährten des Bezoars, jedoch besitzt der Beryll nicht ganz das Gleichmaß (der Mischung) des Bezoars und Smaragds; er tendiert vielmehr zur Trockenheit. Deshalb ist seine Substanz durchsichtig und seine Farbe klar. Hinsichtlich des Nutzens gegen starke Gifte und gegen die Gifte der gifttragenden Tiere steht er unter ihnen beiden. Aristoteles sagt: Die Besonderheit des Smaragds ist der Nutzen gegen alle Arten von tödlichen Giften. Die Dosis, die man im Notfall anwenden muß, bevor sich das Gift im Körper des Vergifteten oder Gebissenen verteilt hat, beträgt zwölf Gerstenkörner. Man muß ihn mit kaltem Wasser anwenden und mit Kandiszucker (as-sukkar aṭ-ṭabarzad) oder mit Wabenhonig oder mit [mit Wasser] gemischtem Wein. Oder aber man zerreibt acht Qīrāṭ14 vom Beryll und verabreicht es dem Erkrankten, dem ein verderbenbringendes Gift eingeflößt wurde; dann erhält und rettet es sein Leben, mit Gottes Erlaubnis. Demokrates sagt: Alle Smaragde, die ein kräftiges Grün und eine klare Farbe besitzen und deren Schmelz und Glanz augenfällig sind, taugen zur Therapie. _______________ 13 Nach dem Steinbuch des Aristoteles (nr. 2), nach den Iḫwān -ṣafāʾ II 117 ult. und nach Bīrūnī Ǧawāhir 160, 14 sind zumurrud und zabarǧad Synonyme für ein und denselben Stein. Das trifft den sprachgeschichtlichen Sachverhalt, denn beide Wörter sind aus σμάραγδος entstanden: Die erste Form geht auf das mittelpersische uzumburd, die zweite auf das aramäische zmaragdā zurück. Was aber die Autoren, die mit zumurrud und zabarǧad verschiedene Steine bezeichnen, unter dem letzteren wirklich verstanden haben, ist ungewiß. Die Lexika geben bald Smaragd, bald Beryll, bald Topas, bald Chrysolith als Bedeutung an (vgl. Manfred Ullmann, in: Medizinhistorisches Journal 8, 1973, 71‒73 = oben, p. 418‒421). Hier habe ich mich für die Übersetzung „Beryll“ entschieden, da der Smaragd nur ein durch Chrom gefärbter Edelberyll ist. Damit ist am ehesten der nahen Verwandtschaft der Steine Ausdruck verliehen, von der der vorliegende Text spricht. 14 Aus griechisch κεράτιον, etwa 0,2 Gramm, vgl. Hinz Maße p. 27.

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Die trüben und matten kann man jedoch nicht gebrauchen. Der Wert des Smaragds besteht darin, daß er den Menschen das Leben rettet, die infolge von eingeflößten Giften oder von den Stichen der verderbenbringendes Gift tragenden Tiere mit dem Tode ringen. Er bewirkt dies durch eine starke Kraft und eine wunderbare sympathetische Eigenschaft, die in ihn eingepflanzt wurde. Er [Demokrates] meint auch, daß der Beryll dem Smaragd an Nutzen nachstehe; er werde aber genauso angewendet. Seine Wirkung komme der des Smaragds und des Bezoarsteins nahe. Theophrastos lehrt: Wer einen Smaragd als Ringstein oder in einer Halskette trägt [fol. 24 b], ist vor dem schlimmsten Schaden aller Gifte sicher; die Gifte wirken dann auf seinen Körper weniger als auf den Körper eines anderen. Manchmal wird er, allein dadurch, daß er ihn trägt, vor dem schlimmsten Schaden der meisten Gifte bewahrt und gerettet, mit Gottes Erlaubnis. Daher dürfen die gewaltigen Könige und die großen, erhabenen Sultane es nie unterlassen, den Smaragd als Ringstein zu tragen und ihn in ihren Armspangen und Halsketten bei sich zu haben. So tragen ihn denn auch die indischen Könige, die ihn mehr verehren und würdigen als den roten Hyazinth, ohne Unterlaß. Die Brahmanen und Priester — das sind die Vorsteher der Häuser des Gottesdienstes — bezeugen keinem Edelstein ihre Reverenz, wenn sie ihn sehen, außer dem Smaragd, und sie sagen: Wenn man seinen Blick lange auf ihn heftet, stärkt er das Herz und den Blick und schärft die Sehkraft. Sie sagen auch: Er ist’s, der die Seelen vor dem Verderben rettet. Die Gottesdiener und die Könige der Inder verehren ihn, halten ihn wert, benützen ihn und tragen ihn stets bei sich, weil er erhabene Eigenschaften und wunderbare Kräfte hat, die gegen die vernichtenden, verderbenbringenden Gifte helfen. Ich habe mich also darauf beschränkt, nur einiges wenige von dem wiederzugeben, was über die nützlichen Eigenschaften dieser beiden Steine berichtet wird, denn ich sagte ja zuvor, ich wolle mich der Kürze und Prägnanz befleißigen. Gott aber sorgt für das Gelingen. Alle, die Bücher über die sympathetischen Eigenschaften geschrieben haben, erwähnen übereinstimmend folgendes: Wenn die Eichelvipern15, die zu _______________ 15 Arab. al-afāʿī l-ballūṭīya. Die ballūṭīya (Lehnübersetzung aus ὁ δρυΐνας) ist auch in folgenden arabischen Quellen erwähnt: Ǧābir b. Ḥ. Sumūm fol. 68 a 2; b. Sīnā Qānūn II 139, 22; Ps. Maǧrīṭī Ġāya 397, 3; Samarqandī Asbāb und Šīrāzī Ḥāwī, s. Manfred Ullmann, Die Medizin im Islam (Handbuch der Orientalistik, hsgb. von Bertold Spuler, Erste Abteilung, Ergänzungsband VI, 1. Abschnitt), Leiden/Köln 1970, p. 339, 341 (im folgenden mit „Medizin im Islam“ zitiert); Anṭākī Taḏkira I 48, 23; Anṭākī Nuzha III 166, 1.

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den gefährlichsten Vipernarten gehören, den rohen (ḫām) Smaragd, der nicht poliert ist, sehen, fließen ihnen die Augen aus16. Der weise Demokrates lehrt: Wer den glänzenden Smaragd als Ringstein oder ein großes Stück von ihm in einer Halskette trägt, ist vor dem Schaden der Gifte der Tiere sicher. Ihre Wirkung auf seinen Körper ist, wenn sie ihn beißen, wie die Wirkung des Bisses eines Tieres, das nur ein schwaches Gift besitzt. Ist ein Smaragd nicht zur Hand, so kann der Beryll verwendet werden, denn er wirkt wie jener, ist er doch sein Gefährte und stammt er doch aus seiner 80 Mine; seine Kraft und sympathetische Eigenschaft sind nur geringer. Der große Platon lehrt: Wenn der Smaragd zerrieben und dem verabreicht wird, dem ein tödliches Gift eingeflößt wurde oder den eine Viper gebissen hat, so saugt er das Gift auf und reinigt es aus den Organen heraus und taucht nach ihm, wohin immer es sich verteilt, zerstreut und hinbegeben hat. Seine Wirkung ist dabei gleich der des Bezoarsteins, und seine Kraft und sympathetische Eigenschaft stehen ihm um fast nichts nach. So berichtet auch Xenokrates17, daß er die Beschreibung des Smaragds im Tempel des Asklepios fand. Danach nützt er gegen die zusammengesetzten Gifte, durch deren Zusammensetzung man das Verderben der Seelen und ihre Trennung von den Körpern erreichen will. Er saugt nämlich das Gift auf und taucht nach ihm, wohin immer es gedrungen ist und wohin es sich zerstreut und verteilt hat. Er löst das Gift von der Außenseite des Körpers durch Schwitzen und vom Inneren durch Urinieren. Kaum ein anderer Edelstein hat die gleiche Wirkung wie er. In der Heilbehandlung verwendet man denjenigen Smaragd, der dunkelgrün, von klarer Farbe und von durchsichtiger Substanz ist. Der nützt dann gegen die Krankheit, gegen die er angewendet wird, so Gott will. Das Rhinozeroshorn18. Ich sage: Vom „Rhinozeroshorn“ gibt es zwei Arten: Die eine ist mineralisch. Sie wird aus dem äußersten Winkel18Ḫurāsāns und aus dem Fernen Osten _______________ 16 Dies wird tatsächlich von vielen Autoren berichtet, s. Naturwissenschaften im Islam p. 399. 17 Xenokrates, der Sohn des Zenon, aus Ephesos, war der Verfasser eines Steinbuches, das den Titel Lithognomon trug. Von diesem Werk sind Fragmente bei Plinius, Origenes und anderen antiken Autoren erhalten. Hier ist die arabische Übersetzung des Lithognomon zitiert, vgl. Manfred Ullmann, Das Steinbuch des Xenokrates von Ephesos, in: Medizinhistorisches Journal 7, 1972, 49‒64 (oben p. 387‒404); ders., Neues zum Steinbuch des Xenokrates, ib. 8, 1973, 59‒76 (oben p. 405‒425). 18 Persisch/arabisch ḫutū[w]. Vgl. folgende Belege: Muḥammad ibn al-ʿAbbās al-Ḫuššakī, K. al-ʿIṭr, bei Nuwairī Nihāya 12, 4, 12‒5, 2, übs. von Eilhard Wiedemann, Über von den Arabern benutzte Drogen (Beiträge XLIX), in: SPMSE 48‒49, 1916‒17, p. 27 =

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importiert. Die andere ist animalisch [fol. 25 a]. Sie wird von den Bergen Tibets19 importiert, das sind die Berge, die zwischen China, Indien und Ḫurāsān liegen. Dieser Stein nun — ich meine das Rhinozeroshorn — ist von großem Nutzen und hohem Wert. Er besitzt wunderbare sympathetische Eigenschaften und unerhörte Wirkungen, durch die er sich von den übrigen Steinen abhebt. Wenn man nämlich aus ihm den Griff eines Messers verfertigt oder einen Löffel oder den Stiel eines Gerätes, das man in die Hand nimmt, so gehört folgendes zu seinen wunderbaren sympathetischen Eigenschaften: Bringt man ihn in die Nähe eines Gefäßes, in dem eine Speise oder ein Getränk ist, dann fängt der Griff, wenn jenes Essen oder Getränk vergiftet ist, an, in der Hand zu schwitzen und feucht zu werden. Dies spürt, wer ihn anfaßt, und dann kann er sich jenes Essens enthalten. Auch das animalische Rhinozeroshorn schwitzt, wenn es irgendein Gift riecht, viel Wasser aus und sondert eine Feuchtigkeit in der Hand seines Benutzers ab. Demokrates berichtet: Wenn man vom Rhinozeroshorn ein Gerät verfertigt, mit dem man das Essen umrührt, z. B. einen Löffel oder einen Quirl oder eine Kelle, und wenn man damit ein vergiftetes Essen umrührt, so nimmt es dem Gift die Schärfe und schwächt seine Kraft ab, so daß es dem, der das Essen zu sich nimmt, nicht mehr viel schaden kann. Es ist aber dennoch besser, vergiftetes Essen zu meiden. Buzurǧmihr al-Fārisī, der persische Weise20, lehrt: Im Rhinozeroshorn sitzt eine Kraft, die zu allen Giften im selben Verhältnis steht wie der Sieger zu seinem Widersacher. Deswegen machen die Könige der Perser und Byzantiner aus ihm Griffe und Geräte. Sie haben es stets bei sich, wenn ihr Essen aufgetragen wird, damit sie mit seiner Hilfe herausfinden, was davon vergiftet _______________ Wiedemann Aufsätze II 241; Iṣṭaḫrī Masālik 289, 1; b. Ḥauqal Masālik 337, 14/ 465, 12; b. -Faqīh Buldān 255, 5; 329, 9; Bīrūnī Ǧawāhir 175, 13; 208, 4‒210, 14 (die Bīrūnī-Stellen sind übersetzt von E. Wiedemann, Der Islam 2, 1911, 353 und 354); Ṯaʿāl. Laṭāʾif 128, 8‒11; Akfānī Ǧawāhir (ed. Anastase) p. 79, 2 ff., übs. von E. Wiedemann, Zur Mineralogie im Islam (= Beiträge XXX), in: SPMSE 44, 1912, p. 228 f. = Wiedemann Aufsätze I 852 f.; al-Ġaffārī, K. Yāqūtat al-maḫāzin, s. Wiedemann, Der Islam 2, 1911, 357 und Wiedemann Aufsätze I 834. Ferner folgende Literatur: Vullers Lexicon Persico-Latinum I 659 a; Werner Reinhart, Zur Identifizierung von „al Chutww“, in: Der Islam 3, 1912, 184; Julius Ruska, Noch einmal Chutww, in: Der Islam 4, 1913, 163 f.; J. Ruska, Arabic and Chinese Trade in Walrus and Narwhal Ivory, in: Der Islam 5, 1914, 239. Der „Stein“ ῥινόκερως ist auch Kyranis (de Mely) p. 36, 5 genannt. Die arabische Übersetzung (Ms. Bodl. arab. d. 221, fol. 71 a 2) hat aber nicht den Ausdruck ḫutūw, sondern nur die Umschrift rynqrṣ. 19 Arab. ǧibāl at-Tubbat, s. Yāqūt Buldān I 817, 19 ff./II 10 a 22 ff. 20 Legendärer Minister des Ḫosrau I. Anōšarwān, s. Arthur Christensen, La légende du sage Buzurjmihr, in: Acta Orientalia 8, 1930, 81‒128; Henri Massé, EI 2 I 1358 f. (s.v.).

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ist, und aus den Vorteilen Nutzen ziehen, die über es berichtet werden, besonders aus den wunderbaren sympathetischen Eigenschaften. Darum darf weder König noch Sultan es versäumen, es zu sich zu nehmen, damit er sicher sein kann, nicht meuchlings ermordet zu werden, so Gott will. Der rote Hyazinth. Theophrastos und Demokrates und alle Erklärer der Bücher der Griechen lehren: Der speziell dem roten Hyazinth eigene Wert besteht im Nutzen gegen die Pestkrankheiten (ṭawāʿīn) und Seuchen (aubiʾa). Wer sich ihn nämlich um den Hals hängt oder die reine rote Art als Ringstein trägt zu der Zeit, in der die Luft verdirbt und die Pest und die Seuche auftreten, der ist dadurch vor dem Übel dieses Ereignisses sicher. Denn dies ist seine sympathetische Eigenschaft, durch die er sich allein vor anderen Steinen auszeichnet21. Sie erinnern auch daran, daß er gegen die Gifte hilft, die dadurch den Tod hervorrufen, daß sie das Blut gerinnen lassen und das Herzblut verderben. Wenn man nämlich von ihm acht Qīrāṭ zerschabt und dies mit starkem, reinem Wein oder mit heißem Wasser und Wabenhonig trinkt, hilft er gegen die Gifte, die den Tod hervorrufen, indem sie die [Körper-]Wärme auslöschen und das Blut gerinnen lassen. Und zwar muß man ihn schleunigst anwenden, bevor die Wärme ausgegangen und erloschen ist.22 Und Xenokrates23 berichtet: Wer eine Gemme des roten Hyazinthes nimmt und sie bei einer gesellschaftlichen Veranstaltung in den Mund steckt, der ist an jenem Tage vor vergiftetem Wein sicher: Auf den Körper desjenigen, in dessen Munde sie ist, könnte kein dem Wein beigemischtes Gift einwirken, 82 selbst wenn er alles tränke, was ihm vorgesetzt wird. Er ist sicher davor, daß er durch irgend ein Gift meuchlings ermordet wird, so Gott will. Und Balīnūs von Antiochien24 berichtet: Wenn man etwas vom roten Hyazinth abschabt und dies auf die Stelle streut, die durch eine vergiftete Eisenspitze aufgerissen wurde, bindet es das Gift an sich, zieht es vermöge einer wunderbaren Kraft bis zur Öffnung [fol. 25 b] der Wunde heraus und rettet den Verwundeten vom Tode, mit Gottes Erlaubnis. _______________ 21 Vom Schutz, den der rote Hyazinth gegen die Pest gewährt, ist auch im Steinbuch des Aristoteles (nr. 3) die Rede. Vgl. auch b. -Baiṭār Ǧāmiʿ IV 202, 9 f. 22 Daß der Hyazinth das Gerinnen des Blutes verhindert, berichtet auch ibn Māsawaih, bei Muḥammad b. Zakarīyāʾ ar-Rāzī, K. al-Ḫawāṣṣ, s. b. -Baiṭār Ǧāmiʿ IV 202, 11. 23 Vgl. oben, p. 401 f., nr. VIII. 24 Der Name des Antiocheners ist in beiden Handschriften mit Balīnūs bezeichnet, aber es ist unwahrscheinlich, daß Apollonius von Tyana gemeint ist. In anderen Quellen, in denen dieses Steinbuch zitiert ist, lautet der Name des Autors Libānūs, Liṯāliyūs, Ilyās, Dīmānus oder Yāqūs, vgl. Naturwissenschaften im Islam p. 100.

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Der Diamant. Aristoteles, sein Schüler Theophrastos und Dioskurides25 lehren: Wenn vom Diamanten ein großes Stück im Gewicht eines Miṯqāls bis zu 18 Qīrāṭ vorhanden ist und zu einem Ringstein gemacht oder in einer Kette getragen wird, so lindert es dem, der es trägt, alle Bauchschmerzen, die infolge eines verabreichten Giftes auftreten, auch läßt es die Schmerzen des Herzens und das heftige, quälende Leibschneiden verschwinden. Denn es ist seine besondere Eigenschaft, daß sich bei seinem Träger kaum je Herzschmerzen, Leibschneiden oder Druck auf dem Herzen einstellen. Außer dieser hat er keine weiteren sympathetischen Wirkungen bezüglich der Gifte. Der Malachit.

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Aristoteles26 sagt im großen Buch der Steine: Vom Malachit gibt es viele Arten, und seine Farben sind verschieden. Die beste, wirksamste und wertvollste Art ist die, die bunt und von pfauenartiger Farbe ist. Sie zeigt dem Betrachter bei jeder Bewegung eine Farbe vom Grünen bis zum Roten und Pfauenartigen. Er lehrt ferner: Dieser Stein vereinigt in sich zahlreiche verschiedene und einander entgegengesetzte sympathetische Eigenschaften; er kann nämlich Nutzen und Schaden stiften. Zu seinem Nutzen gehört folgendes: Wer Splitter oder Späne von ihm im Gewicht von acht Qīrāṭ zu sich nimmt, den heilt er von einem eingeflößten Gift, welches den Körper erkalten läßt, er löst das im Herzen geronnene Blut auf und hilft gegen jedes Tier, das ein kaltes Gift hat, zum Beispiel das Gift des Skorpions, oder gegen den Biß der Haustiere oder der Sumpfschlangen, und lindert den daraus entstandenen Schmerz. In dieser Hinsicht besitzt er eine lobenswerte Wirkung. Überhaupt ist dieser Stein nützlich und heilsam für den, der ihn anwendet, nachdem er ein Gift eingeflößt oder verabreicht bekommen hat. Er widersetzt sich den meisten Arten der kalten Gifte, die das Blut gerinnen lassen. Macht aber einer, der gesunden Leibes und völlig frei von Giften ist, von ihm Gebrauch, so schadet er ihm, er ruft in seiner Lunge Geschwüre hervor, macht ihn krank und wirkt wie ein _______________ 25 In der Materia medica des Dioskurides gibt es überhaupt keinen Artikel über den Diamanten. Im Steinbuch des Aristoteles, ed. Ruska, ist von den hier erwähnten Wirkungen nicht die Rede, auch die Parallelüberlieferungen bei ibn al-Baiṭār und alQazwīnī haben nichts dergleichen. Nach einem anonymen Autor berichtet al-Qazwīnī (ʿAǧāʾib 237, 9 f.), daß der Diamant gegen Leibschneiden und verdorbenen Magen gut sei. 26 Die Darstellung deckt sich im wesentlichen mit dem Passus nr. 7 im Steinbuch des Aristoteles.

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Gift. Er hat noch viele andere Wirkungen, die wir aber nicht zu erwähnen brauchen, verfolgen wir doch die Absicht, darzustellen, was nützlich ist und was den Schaden eines Krankheitserregers abwehrt. So viel also von den wunderbaren Naturen und sympathetischen Eigenschaften dieses Steins! Der Magnetstein. Das ist ein bekannter, berühmter Stein; er kann vielfachen Nutzen stiften; ich werde davon berichten, was für dieses mein Buch in Frage kommt. Aristoteles27 sagt in seinem Buch, das unter dem Titel Die Beschreibung der Steine bekannt ist: Wenn man vom Magnetstein einem durch das Gift des Eisens — sei es durch eine Wunde oder durch Einflößen — Vergifteten das Gewicht von sechs Qīrāṭ in zerriebener Form und mit heißem Wasser und Honig vermischt verabreicht, so hilft ihm das und heilt ihn. Und zwar bringt der Magnetstein Heilung bei den zusammengesetzten Giften, deren Grundstoff Eisen ist, z. B. bei kalziniertem Eisen, gelöstem Eisen, Eisenoxyd28 und dergleichen. Dioskurides29 lehrt: Wenn der Magnetstein zerrieben und auf eine durch ein vergiftetes Eisen verursachte Wunde gestreut wird, so hilft er dagegen; er verhindert, daß das Gift in den Körper gelangt, und zieht es zur Öffnung der Wunde heraus und nützt darin in wunderbarer Weise. Demokrates berichtet: Wer fürchtet, ein Eisen könne vergiftet sein, der soll es immer wieder an einem Magnetstein reiben und polieren, denn das Gift, mit dem das Eisen getränkt worden ist, löst sich auf, seine Schärfe schwindet, seine Kraft erlahmt, ja, seine Wirkung [fol. 26 a] wird sogar gänzlich zunichte. Deshalb raten auch alle persischen und byzantinischen Weisen, daß der Koch, der Tischbereiter oder der Türhüter einen großen Magnetstein an einer Kette trage, an dem er das Messer entlangstreichen soll in dem Augenblick, in dem der König es ergreifen will, um das Fleisch, die Frucht oder sonst etwas zu zerschneiden, das er essen will. Denn dadurch sind sie vor dem Unheil der tödlichen Gifte sicher, deren Grundstoff Eisen ist, mit Gottes Erlaubnis. Darum mußt du Sorge tragen, den Magnetstein bereitzuhalten und alle eisernen Gegenstände mit ihm zu bestreichen. Denn sein diesbezüglicher 84 Wert ist weitbekannt, so Gott will. _______________ 27 Entspricht der Schlußnotiz im 15. Abschnitt des Steinbuches des Aristoteles. 28 Arab. zinǧār al-ḥadīd. Entspricht bei Diosk. Mat. med. V 80 (Bd. III 52, 17 Wellmann/ p. 408, 3 Dubler) ἰὸς σιδήρου. 29 Dieser Dioskurides-Abschnitt fehlt in der Chester Beatty-Handschrift. In der Materia medica V 130 (Bd. III p. 96, 13 ff. Wellmann) steht nichts dergleichen.

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Das Gold. Theophrastos und Dioskurides30 lehren: Wer von den Spänen des mineralischen Goldes, das (noch) nicht ins Feuer gebracht wurde, das Maß von vier Qīrāṭ mit starkem, schwerem Wein oder mit heißem Wasser und Honig zu sich nimmt, dem bringt dies Nutzen und Heilung, wenn ihm ein kaltes Gift eingegeben wurde, bei dem das Herzblut gerinnt. Das nützt auch gegen jedes Gift, das heftiges Herzklopfen und Herzschmerzen hervorruft. Nimmt es einer ein, den eine durstmachende Sandviper31 gebissen hat, so hilft es. Ebenso hilft es ganz offenkundig gegen den Skorpionenstich, wenn es eingegeben wird und wenn mit ihm die Stelle des Stiches bestrichen wird. Das Silber. Balīnūs erwähnt in seinem unter dem Titel Das Buch der Wunder32 bekannten Werk folgendes: Verabreicht man Feilspäne des weißen, reinen mineralischen Silbers dem, den eine durstmachende Viper (afʿan muʿaṭṭiša) gestochen oder eine Blutviper33 gebissen hat, so kommt ihm das zu Hilfe. Anzuwenden sind davon acht Qīrāṭ mit Wein, der mit warmem Wasser gemischt ist. Wenn man außerdem aus dem mineralischen Silber eine große Kugel (ḫaraza) macht und damit über die Stelle des Vipernbisses hinstreicht, so hilft das. Im gleichen Sinne äußert sich Dioskurides34: Streicht man mit reinem Silber über den Stich der fliegenden und schleppenden Skorpione35, so hilft das. Und wenn von den _______________ 30 Der Passus über das Gold findet sich nicht in der Materia medica des Dioskurides. 31 Arab. af ʿan ramlīya muʿaṭṭiša ist die arabische Wiedergabe von ἡ διψάς, s. Medizin im Islam p. 336. Nach Lutz Richter-Bernburg, Eine arabische Version der pseudogalenischen Schrift De Theriaca ad Pisonem, Diss. Göttingen 1969, p. 138, ist es wahrscheinlich die Avicennaviper (Cerastes vipera L.). Bei Aelian Περὶ ζῴων VI 51 ist ἀμμοβάτης eines der Synonyme, die für διψάς angegeben werden. 32 Arab. Kitāb al-ʿAǧāʾib. Balīnūs, d. i. Apollonios von Tyana, gilt den Arabern als der Vermittler der hermetischen Weisheit; in der Talismankunst und in allen okkulten Wissenschaften ist er eine hohe Autorität. Ein Buch mit dem Titel K. al-ʿAǧāʾib wird jedoch von ihm sonst nicht überliefert, s. Martin Plessner, EI 2 I 994 f., Naturwissenschaften im Islam 378‒381 und GAS IV 77‒91. Die Pariser Handschrift hat statt Balīnūs fälschlich Ǧālīnūs, also Galen. 33 Arab. af ʿan damawīya, vielleicht Wiedergabe von αἱμόρρους. 34 In den pseudo-dioskurideischen Schriften Περὶ ἰοβόλων cap. 23 und Περὶ εὐπορίστων II cap. 126 u. 127, steht nichts davon, daß Silber gegen Skorpionenbiß nütze. 35 Arab. al-ʿaqārib aṭ-ṭayyāra wa-l-ǧarrāra. Zwei Skorpionarten. Zur ersten vgl.: Ǧāḥiẓ Ḥayaw. II 86, 16/237, 6; V 124 ult./413, 3; VII 16, 18/45, 10; Damīrī Ḥayāt II 163, 15. Fliegende Skorpione gibt es jedoch nicht. Die ǧarrāra soll eine kleine, sehr gefährliche Skorpionenart von blaßgelber Farbe sein. Ǧarrāra soll sie angeblich deshalb heißen,

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Silberspänen acht Qīrāṭ verabreicht werden, so kommt das dem Gestochenen zunutze, so Gott will. Die Perle. Der Verfasser sagt: Die Perle habe ich nicht deshalb an den Schluß gestellt, weil ich bei der Niederschrift keine Ordnung halten konnte36, sondern deshalb, weil ich zunächst alle die Dinge behandeln wollte, die eine starke Wirkung und einen mannigfachen Nutzen bei der Bekämpfung des Schadens der tödlichen Gifte haben. Das ihm jeweils Nahekommende habe ich dann folgen lassen. Erasistratos (?, arab.: ʾrsṭrʾṭs) sagt: Nimmt man die klare, reine Perle zu sich, so trägt sie, wie gut bekannt ist, dazu bei, die kranken Herzen zu stärken, denen 85 eine der Ursachen zugestoßen ist, welche ihr natürliches, ihr ihnen gemäßes Temperament (mizāǧuhā l-ḫāṣṣu bihā) beeinträchtigen. Theophrastos sagt: Zerreibt man die klare, reine Perle und verabreicht man davon ein halbes Miṯqāl mit reinem, starkem Wein, so hilft sie gegen die tödlichen Gifte, die einem eingegeben wurden, und beseitigt die meisten Symptome der Gifte, z. B. Herzklopfen, Ohnmacht, Druck auf dem Herzen (ʿaṣr al-qalb) und heftigen Schmerz am Herzen. Er sagt ferner: Zu ihren spezifischen Eigenschaften, durch die sie sich allein auszeichnet, gehört, daß sie dem Vergifteten oder Gestochenen in denkbar kurzer Zeit das Bewußtsein wiedergibt. Sie verdünnt auch das Blut37, das durch die Verderbnis der todbringenden Gifte, die sich mit ihm vermischt hatten, geronnen war, sie klärt es _______________ weil sie den „Schwanz“ nicht in die Höhe hebt, sondern schleppen läßt, vgl. die folgenden Stellen: Ǧāḥiẓ Ḥayaw. II 49, 1/136, 8 f.; III 103, ‒4/333, 9; 110, 1/352 paen. f.; IV 48, 7/ 142, 4 ff.; 72 paen./217, 6; 73, ‒3/219 ult. ff.; 76, 4/226, 6 f.; 99, 6/297, 2; 105, 12/318, 3 f.; V 109, 7/360, 3 ff.; 110, 14/363, 5 ff; 120, 17/397 ult. f.; VI 7, 17/23, 1; Ǧāḥiẓ Tarbīʿ 94, 15/§ 22; Iḫwān -ṣafāʾ II 267, 4; Ḫuwārizmī Mafātīḥ 158, 8 f.; Iṣṭaḫrī Masālik 92, ‒4 ff.; b. Ḫurrad. Masālik 170, 15 f.; Ṯaʿāl. Laṭāʾif 107, 15 ff.; Qazw. Āṯār 102, ‒5 f. (s.v. al-Ahwāz); 148, 9 (s.v. ʿAskar Mukram); Yāqūt Buldān I 412 ult./286 a 18 ff. (s.v. al-Ahwāz); III 631, 10/ IV 95 a 20 (s.v. al-ʿIrāq); Damīrī Ḥayāt I 238, 27 ff. (s.v. al-ǧarrāra); II 163, 12 ff. (s.v. al-ʿaqrab); Maǧūsī Malakī I 4, 21; II 225, 15 ff.; b. Sīnā Qānūn (Bulaq 1294) III 257, 17 ff.; b. Ǧumaiʿ, Maq. fī l-Līmūn, bei b. ‑Baiṭār Ǧāmiʿ IV 119, 7 ff.; Lis. 5, 200, 18/4, 130 b 12 ff. Vgl. auch Eilhard Wiedemann, in: Archiv für die Geschichte der Naturwissenschaft und der Technik 5, 1915, p. 65 Anm. 1; ders., Beiträge 53, in: SPMSE 48‒49, 1916‒17, 276 = Wiedemann Aufsätze II 362. Es war bisher nicht möglich, die ǧarrāra zu identifizieren. 36 Die Steinbücher des Ps. Aristoteles, des ibn Māsawaih und at-Tīfāšī beginnen mit dem Kapitel „Perle“. 37 Vgl. Maǧūsī Malakī II 133, 20 etc., WKAS II 701 b 40 ff.

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und befreit es [fol. 26 b] von den schädlichen Bestandteilen der Gifte, die seine natürliche Beschaffenheit verändert hatten. So viel mit Gottes Erlaubnis — er ist erhaben. Was ich vom Nutzen der mineralischen Substanzen berichtet habe, dürfte dem genügen, der darüber nachdenkt und danach handelt.

Nachträge Zu S. 432 und S. 442‒444, Anm. 25, 29, 30, 34: Die Dioskurides-Zitate stammen wahrscheinlich aus dem pseudo-dioskurideischen Steinbuch, von dem es auch eine lateinische Version (vgl. Fernand de Mély, Les lapidaires de l’antiquité et du moyen âge, Paris 1902, vol. I 179‒183; Lynn Thorndike, A History of Magic and Experimental Science, Vol. I, London-New York 1923, 611) und eine mittelgriechische Übersetzung (vgl. Kraus Jābir II 74 Anm. 1) gibt. Zu S. 433‒437: Zum Bezoar vgl. Fabian Käs, Die Mineralien in der arabischen Pharmakognosie, Teil 1, Wiesbaden 2010, 299‒306. Zu S. 436, Anm. 11: Zum ṯuʿbān vgl. M. Ullmann, Das Schlangenbuch des Hermes Trismegistos, Wiesbaden 1994, 120‒131. Zu S. 444: Die ǧarrāra ist durch Matt E. Braunwalder als Hemiscorpius lepturus identifiziert worden, vgl. M. Ullmann, Paralipomena, Wiesbaden 2015, 187‒195.

Index der Personennamen ʿAbd Allāh b. Masʿūd 204 f. ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī 45; 215 ʿAbdūs b. Zaid 126; 240 Abel, Armand 372 Aetios von Āmida 133 f.; 136‒142; 147‒164; 171; 176; 200; 204; 209 Agastos 280‒282 Alexander von Tralleis 61 Alexinos 284‒286 ʿAlī b. Rabban aṭ-Ṭabarī 44; 243; 24847; 27154; 272 f.; 27460; 27561 ʿAlī b. Riḍwān 24 f.; 28‒33; 45; 75 f. Alpago, Andrea 215 Ammonios 96 Archigenes von Apamea 135 ʿArīb b. Saʿīd al-Qurṭubī 59; 7 f.; 12 f.; 85 Aristoteles 34 f.; 96; 230 f.; 284 f.; 379‒386; 407; 433‒445 Artemidoros Kapiton 53 f. Asklepios 37‒43 Avicenna → b. Sīnā al-Azraq, Ibrāhīm 8; 226 Badīġūras 180‒197 b. Bahlūl al-Awānī 213 f. b. al-Baiṭār 188; 276‒278; 382‒386; 390; 403; 409 f. al-Baladī, Aḥmad b. Muḥ. 78‒104; 165; 211; 247 f. Balīnūs 441; 444 Bergsträsser, Gotthelf 122

Biesterfeldt, Hans Hinrich 4380; 271; 27768; 289 a. Bišr Mattā b. Yūnus 213 al-Biṭrīq 276‒278; 289; 375 Bolos Demokritos 382; 43612 Bussemaker, Cats 82; 101‒103 Buzurǧmihr 440 f. Constantinus Africanus 142 Crönert, Wilhelm 103; 166 Daremberg, Charles-Victor 58‒103; 121‒131; 133; 166 Dāwūd b. Sarābiyūn 211 f. Degen, Rainer 76; 14592; 198*; 20977; 233‒253 Deichgräber, Karl 131; 178 Demokrates 267; 436‒441; 443 Demokritos 361 f.; 382; 39022; 404 Dietrich, Albert 36; 257 Dietz, Friedrich Reinhold 38 f.; 81 Diller, Hans 44; 46; 50‒54 Dioskurides 53 f.; 403; 442‒444; 446 a. Dulāma Zand b. al-Ǧaun 205 Dūnaš b. Tamīm 265 Duval, Rubens 203 Eilers, Wilhelm 37510 Erasistratos 109 f.; 445 Erotian 5325; 54

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Indizes

al-Fārābī 301 Faraǧ b. Sālim (Faragut) 83; 122‒131 Festugière, André M. J. 372 Fichtner, Gerhard 12116 Flashar, Hellmut 4380; 574; 1072; 142 Fredrich, Carl 60 Gaiser, Konrad 9641; 20869 Galen 31‒36; 44‒56; 57; 61; 77; 95; 97; 100‒102; 105; 107; 11129; 118; 120 f.; 127‒131; 133‒137; 142 f.; 148; 166; 168 f.; 172145; 178; 180; 182; 187; 201; 210; 221‒223; 225‒229; 243; 269; 276‒278; 374 f. Gärtner, Hans 586 Gerhard von Cremona 215; 218‒223 Geyer, Rudolf 203 Görres, Josef von 198 f. Gossen, Hans 60 f.; 65 f.; 127‒130; 134; 146 f.; 174 Grensemann, Hermann 231; 3030; 43 Grunebaum, Gustave Edmund von 336 f. Gutas, Dimitri 76 Ǧābir b. Ḥayyān 297 b. Ǧazla, Yaḥyā 249 b. al-Ǧazzār 67; 73 f.; 76; 100‒102; 122; 180; 188; 190; 277 f.; 289; 316 f.; 319 f. al-Ǧildakī, Aidamur 322‒332 Haase, Wolfgang 3*; 9641; 387 Harpokration 373 f.

Hermes Trismegistos 296; 371‒376; 405 ff. Herodot 202 f. Hertz, Wilhelm 176; 203 Hesiod 33 Hiob von Edessa 210 Hippokrates 3‒56; 128‒132; 245 f.; 268‒276 Hoffmann, Georg 203 Homer 48; 96; 202 al-Ḥadīṯī, Mūsā b. Ibrāhīm 213 f. Ḥasan Aġā Sirdār 322 f. Ḥubaiš al-Aʿsam 44; 48‒50; 276 f. Ḥunain b. Isḥāq 29 f.; 44; 48 f.; 52; 108; 144; 147; 166; 173; 182 f.; 187; 197; 211; 235; 239 f.; 244 f.; 269‒277; 289; 295; 375 Ḫālid b. Yazīd al-Faraḍī 370 Ḫālid b. Yazīd maulā l-Mahālibati 367 Ḫālid b. Yazīd b. Muʿāwiya 296; 334‒370 Ḫālid b. Yazīd at-Tamīmī 370 Ilberg, Johannes 44; 46; 57; 60; 63; 65 f.; 83; 101‒103; 128‒131; 146 f.; 166; 174; 178 Irmer, Dieter 22 Isḥāq b. Ḥunain 25; 3338; 40 Isḥāq b. ʿImrān 142; 187; 271 Isḥāq b. Sulaimān al-Isrāʾīlī 145 Iṣṭifān b. Basīl 197 James, David 20014; 4324 Johannes Aktuarios 201 Johannes Grammatikos 40 Jouanna, Jacques 55

Index der Personennamen Kahl, Oliver 253 Käs, Fabian 289 al-Kindī, Yaʿqūb b. Isḥāq 240; 251; 293 f.; 301 Klamroth, Martin 259; 270 f. Kleopatra 286 f.; 296; 318‒333 Koningsveld, P. Sj. van 249 Kraus, Paul 297; 380; 393 Ktesias von Knidos 185 Kudlien, Fridolf 115; 174; 178; 389 al-Kūhīn al-ʿAṭṭār 249 Kunitzsch, Paul 334 f. Kyranos 373 Lane, Edward William 208 Leclerc, Lucien 184 f.; 211; 265; 383; 390 Lehmann, Hermann 21113 Levey, Martin 181‒196 Lienau, Cay 4‒22 Littré, Émile 4; 23; 122 Lūqā b. Isrāfiyūn 230 f. Lykos 220 f. Lyons, Malcolm C. 4916 al-Maǧūsī, ʿAlī b. al-ʿAbbās 200; 204; 215; 226; 237‒251; 254‒257 Maimonides, Moses 27; 29‒33; 35 f.; 45 Maria (Alchemistin) 323 f.; 361 f. Markellos von Side 201 f. al-Marwazī, Ṭāhir 175 f. Māsarǧawaih 180 al-Masʿūdī 206 Mattock, John Nicholas 5‒22; 4916; 268 Meier, Fritz 198*; 20869 Meyerhof, Max 63; 65; 233 Montecchi, Luca 55 Moses Alatino 45

449

Mōšē ben Maṣliaḥ 215 b. al-Mubārak, al-Ḥusain 74 f.; 169‒173; 430‒446 Müller, Iwan von 52 b. an-Nadīm 62; 65; 73; 120; 234 Nicolaus von Regium 134 Noja, Sergio 55 Nöldeke, Theodor 18210a Nutton, Vivian 179 Oreibasios 44; 54 f.; 58‒61; 64; 66 f.; 73; 77‒105; 143 f.; 146‒150; 165; 171 f.; 187; 200 f.; 219; 222; 225; 227 Palladios 4380; 271; 289 Paulos von Aigina 78; 87 f.; 171 f.; 180; 185; 187; 200 f.; 20977 Pausanias 202 Peters, Curt 210; 231 Pfaff, Franz 46; 129 Philumenos 228 Platon 35; 53; 63; 67; 96 f.; 435; 439 Plessner, Martin 253; 337; 371 f. Plinius der Ältere 202; 383‒387; 393; 396 f.; 398; 416 ff. Plutarch 98 Pormann, Peter E. 76; 179; 231 f. Porphyrios 29 f.; 39 f. Probst, Christian 178 Psellos, Michael 200 Pseudo-Maǧrīṭī 176 f. Pythagoras 184‒186 al-Qalānisī, Muḥ. 241 Qusṭā b. Lūqā 62‒66; 68; 108 f.; 145; 272 f.; 320 Quṭrub, Muḥ. b. al-Mustanīr 205

450

Indizes

Raeder, Hans 82 f. ar-Raqīq al-Qairawānī 66‒71 ar-Rāzī, Muḥ. b. Zakarīyāʾ 7‒9; 45; 58 f.; 61; 79‒104; 108; 120; 122‒132; 136‒142; 148‒164; 180; 187 ff.; 223; 234; 236; 239 f.; 267; 269; 294 f.; 297 f.; 301; 310 f.; 314; 316; 375; 403 Ritter, Hellmut 5; 186; 319; 380 Rosenthal, Franz 247; 83 Ruelle, Charles-Émile 58‒103; 123‒130; 133 Rufus von Ephesos 53; 57‒179; 312; 26111; 265; 267 Rufus von Samaria 129 ar-Ruhāwī, Isḥāq b. ʿAlī 132 Ruska, Julius 336 f.; 379 f.; 390 Sābūr b. Sahl 233‒253 Salomon ben Nathan Hameati 45 b. as-Samḥ al-Ġarnāṭī 266 Sarābiyūn b. Ibrāhīm 173 b. Sarābiyūn, Yūḥannā → Yūḥannā b. Sarābiyūn Sergios von Rēšʿainā 210 Sezgin, Fuat 714; 24; 2825; 46; 588; 6122; 73 f.; 7910; 84; 12835; 18725.28; 210; 21112; 21216; 216; 22443; 22646; 22849; 229 f.; 233; 2347; 235; 23924; 24027; 24130; 24236; 247; 252 f.; 257; 26629; 36590 Sībawaih 205 Sideras, Alexander 76; 99; 178 Sikamios 200 f. Simon, Max 122 b. Sīnā (Avicenna) 45; 108; 141 f.; 170 f.; 176; 188; 199 f.; 204; 21738; 226 f.; 301 f. Sokrates 96

Sontheimer, Josef von 383; 390 Soran 36; 41 f.; 77 Sotakos 383‒386; 391; 403 Staden, Heinrich von 11016a Steinschneider, Moritz 46 Strohmaier, Gotthard 3*; 4; 1019; 22; 5017; 55 f.; 24847a Sundermann, Werner 180*; 185 b. as-Suwaidī, Ibrāhīm 258‒289 as-Suyūṭī 45 Symeon Seth 144 aš-Šaʿrānī, ʿAbd al-Wahhāb 258 ff. at-Tamīmī, Muḥ. b. Aḥmad 188 Tarán, Leonardo 106 Temkin, Owsei 2510; 4380 Theophrast 399; 435 f.; 438; 441 f.; 444‒446 Thomssen, Henrike 178 Toral-Niehoff, Isabel 376 Trapp, Helga 231 Tytler, John 269 Ṯābit b. Ibrāhīm 251 Ṯābit b. Qurra 45 aṭ-Ṭabarī at-Turunǧī 175 aṭ-Ṭabarī → ʿAlī b. Rabban Ṭāhir al-Marwazī 175 f. b. a. Uṣaibiʿa 25‒27; 62 f.; 81; 120 f.; 213 f.; 389 ʿUṭārid b. Muḥ. 282 Walzer, Richard 5; 186 Wellmann, Max 39; 57; 60; 65 f.; 131; 177 f.; 202; 372; 38210; 384; 387 f.; 391; 404; 426 f.; 429 Wernhard, Matthias 179

Index der griechischen Begriffe Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 177; 20128 Xenokrates von Aphrodisias 241; 387‒391 Xenokrates von Ephesos 278‒280; 384‒429; 439; 441 Xenophon 98 Yaḥyā b. Saʿīd al-Anṭākī 266 Yāqūt ar-Rūmī 45

451

Yūḥannā b. Sarābiyūn 210‒233; 240; 247‒249 Yūḥannā b. Yūsuf 250 az-Zahrāwī, a. l-Qāsim 200 Zakarīyāʾ b. Naṣr 246 Zimmermann, Friedrich 8014 Zosimos von Panopolis 335 b. Ẓafar, Muḥ. b. ʿAbd Allāh 206

Index der griechischen Begriffe ἀδάμας 402 ἀετίτης 385; 391‒394 αἴγιθος 284 αἰλούρου ὀφθαλμός 279 αἱματίτης 394‒397 ἄνησον 90 ἄστριον 414 ἄφθαι 91 f. γαγάτης 196; 414‒416 γάλα ἀρρενοτόκου γυναικός 333 γῆς ἔντερα 93

κάμπαι 15; 21 κεράστης 169; 220; 223; 226; 283 κοράλλιον 418 κρύσταλλος 398 f. κύαμος Αἰγύπτιος 92 κύκνος 264 κυνώδης ὄρεξις 6949 λαγωὸς θαλάσσιος 170; 26112 λίθος ἀετίτης 385; 391‒394 λίθος Αἰγύπτιος 394 λυκάνθρωπος 200‒209

ἐκτρίμματα 92 ἔμφυτον θερμόν 6847 ἐτήσιος 32637

μυγαλῆ 170

ἡλιοτρόπιον 416 f.

ὄνυξ 6; 11 ὄρεξις κυνώδης 6949

νάρθηξ 164

θεῖον ἄκαυστον 32743 πνὶξ ὑστερική 35; 41 ἴασπις 417 f. ἰὸς σιδήρου 397

σμάραγδος 399‒401

452

Indizes

σπασμός 88 f.; 91 στρύχνον κημαῖον 94

ὑάκινθος 401 f. ὑστερικὴ πνίξ 35; 41

τάσις 36; 42 τοπάζιον 418 τράγημα 7155; 7364

χαλβάνη 7575 χυμεία 293 ὤκιμον 94

Index der arabischen und persischen Begriffe abār 325 āḏaryūn 192 arḍ ṯalǧīya 327 isfīḏāǧ 88 isfīḏabāǧ 222 isfiyūš 182 iktamakt 261; 384‒386; 393 al-iksīr 307‒309 umm aḏ-ḏahab 312 āmulaǧ 184 anzarūt 191 bādzahr 433‒437 bāḏarūǧ 94; 99; 125 bārzad 194 bāqillā miṣrī 92 baḥr 328 baḫūr Maryam 18 barbārīs 264 barsiyāwušān 193 bizr qaṭūnā 183; 374 biṭrīq al-baṭāriqa 6329 baql 15; 21 al-ballūṭīya 43815 banafš 279; 281; 289 būrīṭīs 325 baul 328

bayāḍ 94; 400 f. tābiʿ aš-šams 416 f. turāb 326 turāb al-qaiʾ 195 tūbāl an-nuḥās 196 tīn 164 ṯuʿbān 175; 43611; 446 taṯalluǧ 261 ǧāṯūm 199 al-ǧarrāra 44435; 446 ǧaft al-ballūṭ 19038 ḥāšā 162 ḥabb al-bān 189 ḥabb al-balasān 189 ḥabaq 85; 91 ḥabal ʿalā ḥabal 59 al-ḥaǧar al-baḥrī 325 ḥaǧar al-falāsifa 307 al-ḥaǧar al-qibṭī 384; 394 ḥaǧar al-qamar 261 al-ḥaǧar al-karīm 325 ḥadīd 325 al-ḥarāra al-ġarīzīya 41; 6847

Index der arabischen und persischen Begriffe maḥrūṯ 14 al-iḥtirāq wa-r-ruṭūba 92 ḥurqūṣ 36272 ḥiltīt 86 ḥumaiyā 86 ḫutūw 43918 ḫarāṭīn 93 al-ḫāṣṣa 316 f.; 381; 430 ff. ḫall 327 ḫalaʿa 19 ḫamr 328 f. ḫunāq 109 iḫtināq ar-raḥim 35 ḫūlinǧān 192 darūnaǧ 192 ad-dassās 220; 223 dafnīd 20 dulb 190 duhn 327 duhn al-balasān 329 duhn al-ḫirwaʿ 329 duhn al-fuǧl 329 dahnaǧ 442 f. dāʾ al-asad 204 dāʾ aṯ-ṯaʿlab 204 dāʾ al-ḥayya 204 dāʾ al-fīl 204 dūd al-baql 15 ḏahab 444 raṣāṣ 325 al-arnab al-baḥrī 26112 rūbāh-turbak 183 ziʾbaq al-baiḍ 396 az-ziʾbaq aš-šarqī 295

453

zabarǧad 401; 406; 418‒421; 425; 437‒439 zirnīḫ 327 zarrīn-diraḫt 190 zumurrud 326; 399‒401; 419‒421; 425; 437‒439 zinǧār al-ḥadīd 44328 zandarīḫ 327 zait al-kattān 328 sabaǧ 196 f. sirāǧ al-quṭrub 207 istisqāʾ 41 sukk 181 sandarūs 281 sūs 191 siyāh-dāwarān 194; 197 šāḏanaǧ 384; 394‒397 šabb 327 šubrum 15 šaḥīra 326; 333 šarbīn 16 šast-bidāz 182 tašannuǧ 89 aš-šahwa al-kalbīya 6949 muṣḥaf 408; 425 ṣadaʾ al-ḥadīd 384; 397 ṣarīr 41 taṣrīr 13 aṣ-ṣanʿa al-ilāhīya 293 ṣūf aswad 326 ṣāʾim 159 ṭāwūs al-barbā 304 ṭarāṯīṯ 191 ṭāʿūn 87 ṭilāʾ 221; 223 ṭamṯ 25

454 ẓufur 11 ʿudār 20660 al-ʿarūs aṣ-ṣafrāʾ 312 al-muʿarsāna 223 ʿuṣfūr aš-šauk 284 al-muʿaṭṭiša 44431 al-ʿilla aš-šarāsīfīya 143 taʿlīm 271 ʿinab aṯ-ṯaʿlab 94; 183 ʿunuq 11 ʿunuq al-ḥayya 304 ʿain al-hirr 279; 289 fātir 18 farāsiyūn 17 farḫān (Dual) 329 f. fazaʿ 91 tafazzuʿ 88 fulfulmūya 193 qāṯāṭīr 15 al-qurūḥ al-miṣrīya 91 qurṣ al-kaukab 24026 al-muqarrana 169; 220; 223; 226; 283 qušaʿrīra 41 quṭrub 198‒209 qulāʿ 91 f. qalqand 326 qily 314 f. qinna 7575 kākanǧ 194 kibrīt 310‒313 al-kibrīt al-aḥmar 307; 310 f.; 327 kibrīta lā taḥtariq 327; 332 kābūs 199 kataba ʿalā l-māʾ 209 kurrāṯ 17 f.

Indizes karkarūhin 181; 193 al-karma al-baiḍāʾ 182 al-karma as-saudāʾ 182 kuzāz 88; 91 kizwān 193 kašt bar kašt 190 kufr al-Yahūd 192 kamāšīr 195 kankarzad 195 kaukabī 414 al-kīmiyāʾ 293‒306 laban 327 laban aš-šaǧara 328 laban aṭ-ṭair 209 laban al-ʿaḏrāʾ 296 laban al-kalba 328; 330 laban imraʾa waladat ḏakaran 328; 333 lubān ḏakar 194 laḏaʿa 16 f. lisān al-ʿaṣāfīr 190 lakk 195 māzaryūn 183 al-mās 282; 374; 383; 402; 442 mādda 41 midda 158 tamaddud 36; 42 murdāsanǧ 88; 164 amšāǧ 17 māširā 397 maġara ḥamrāʾ 326 maġara ṣafrāʾ 326 maġnāṭīs 443 maġnīsiyā z-zaǧǧāǧīn 329 manīy al-marʾa 3646 mahan 398 f. mūrd-isfaram 194 māʾ al-buṭm 328

Index der griechischen Buchtitel māʾ al-ḥabb 328 al-māʾ al-aṣfar 192 māʾ an-Nīl 328 amyāh 20 maibuḫtaǧ 222 nārmušk 190 nabīḏ ar-rummān 329 naǧm 327 nuḥās 325; 327 naidulān 199 nazīf aṭ-ṭamṯ 25 naqašān 284 nuql 7155 nīlaǧ 193

hazār-ǧašān 182 haft barg 183 hulās 159 hawāmm 169; 193 waraq 325 al-wasāwis as-saudāwīya 7051 waḍaḥ 151 waqaʿa fī l-ḥummā 110 wilād 12 yāqūt 401 f.; 441 yāqūta ḥamrāʾ 326 yašm 263 f. yaṣb 281; 417 f.

Index der griechischen Buchtitel Ἀρχαϊκὴ βίβλος 4067 Ἀφορισμοί (Hipp.) 268‒276 Γενέσια (Kleopatra) 320 Κοσμητικά (Kleopatra) 286 f.; 319 f. Κυρανίδες 371‒376 Λιθογνώμων (Xenokrates) 278‒280; 384‒429 Περὶ ἀέρων ὑδάτων τόπων (Hipp.) 44‒56 Περὶ ἀνατομῆς τῶν τοῦ ἀνθρώπου μορίων (Rufus) 174 Περὶ ἀντεμβαλλομένων (Galen) 180 Περὶ ἀφόρων (Hipp.) 3 Περὶ γάλακτος (Rufus) 146‒164 Περὶ γυναικείης φύσιος (Hipp.) 3 Περὶ γυναικείων (Hipp.) 3; 23‒43 Περὶ διαίτης (Rufus) 143 f. Περὶ διαίτης ὀξέων (Hipp.) 245 f. Περὶ ἐπικυήσιος (Hipp.) 3‒22 Περὶ ἰκτέρου (Rufus) 58; 133‒135 Περὶ ἰοβόλων (Ps. Diosc.) 171143 Περὶ ἰοβόλων ζῴων (Philumenos) 228

455

456

Indizes

Περὶ κομιδῆς παιδίου (Rufus) 77‒106; 165 f. Περὶ κράσεως καὶ δυνάμεως τῶν ἁπλῶν φαρμάκων (Galen) 276‒278; 289 Περὶ μελαγχολίας (Rufus) 142 f. Περὶ μὴ κυϊσκομένων θεραπείας (Rufus) 81 Περὶ μνήμης ἀπολωλυίας (Rufus) 136 Περὶ οἴνου (Rufus) 66‒73; 97; 105; 144‒146 Περὶ ὀνομασίας τῶν κατὰ ἄνθρωπον μορίων (Rufus) 58; 119 Περὶ ὀστῶν (Rufus) 174 Περὶ παρθένων διαίτης (Rufus) 64 f. Περὶ σατυριασμοῦ καὶ γονορροίας (Rufus) 58; 119 Περὶ τῆς ἀπὸ τῶν ζῴων ὠφελείας (Xenokrates) 241 Περὶ τῶν γνησίων καὶ νόθων Ἱπποκράτους συγγραμμάτων (Galen) 25 Περὶ τῶν ἐν νεφροῖς καὶ κύστει παθῶν (Rufus) 58; 119 Περὶ τῶν κατὰ ἄρθρα νοσημάτων (Rufus) 58; 120 Πρὸς τοὺς ἰδιώτας (Rufus) 72; 93; 12424 Σύνοψις περὶ σφυγμῶν (Rufus) 174 Τί δεῖ τὸν ἰατρὸν ἐρωτᾶν τὸν νοσοῦντα (Rufus) 58; 119; 132 f.; 172

Index der arabischen Buchtitel K. al-Abdāl (Rāzī) 187 f. K. Abdāl al-adwiya al-mufrada (Badīġūras) 181‒197 K. Abdāl al-ʿaqāqīr (b. al-Ǧazzār) 188 K. fī l-Abkār (Rufus) 64 f.; 167 K. Adab aṭ-ṭabīb (Ruhāwī) 132 K. al-Adwiya al-qātila (Rufus) 168‒173 K. ʿAǧāʾib al-aqālīm as-sabʿa (Suhrāb) 230 K. al-Ahwiya wa-l-buldān (Hipp.) 44‒56 K. al-Aḥǧār (Ps. Arist.) 230 f.; 379‒386; 433‒445 K. al-Amṯila wa-l-muʿālaǧāt (Rufus) 107‒115; 173 f. Maq. fī An yaʿriḍ li-r-riǧāl inqiṭāʿ at-tanaffus (Rufus) 63 f.; 167 K. fī ʿAšr maqālāt (Galen) 230; 232 K. Auǧāʿ an-nisāʾ (Hipp.) 23‒43 K. fī ḏ-Ḏikr (Rufus) 136 K. Firdaus al-ḥikma (Ḫālid b. Yazīd) 361 K. Firdaus al-ḥikma (Ṭabarī) 44; 241‒243; 272 K. al-Fuṣūl (Hipp.) 268‒276

Index der arabischen Buchtitel K. al-Fuṣūl al-muhimma (Sarābiyūn) 173; 231 K. Ġāyat al-ḥakīm (Ps. Maǧrīṭī) 176 f. K. Ḥabal ʿalā ḥabal (Hipp.) 3‒22 K. al-Ḥāwī (Rāzī) 7‒9; 45; 58 f.; 71 ff.; 79‒106; 121‒132; 136‒142; 144; 148‒164; 169‒173; 229 Maq. fī l-Ḥifẓ (Rufus) 136 K. Ḫalq al-ǧanīn (ʿArīb) 7‒9 K. ʿIlāǧ allawātī lā yaḥbalna (Rufus) 81 K. fī l-ʿIlla allatī yaʿriḍu maʿahā l-fazaʿ min al-māʾ (Rufus) 172 K. al-Iʿtimād (b. al-Ǧazzār) 188 al-Kunnāš al-kabīr (b. Sarābiyūn) 212 f.; 229 al-Kunnāš aṣ-ṣaġīr (b. Sarābiyūn) 213‒232 K. al-Laban (Rufus) 146‒164 K. al-Malakī (Maǧūsī) 237‒251; 254‒257 Maq. fī l-Mālanḫūliyā (Isḥāq b. ʿImrān) 113 f.30; 142 K. al-Mālanḫūliyā (Rufus) 142 f. K. Minhāǧ al-bayān (b. Ǧazla) 249 f. K. Minhāǧ ad-dukkān (Kūhīn) 249 K. al-Mirra as-saudāʾ (Rufus) 142 f. K. al-Muʿālaǧāt al-buqrāṭīya (Ṭabarī) 175 K. al-Munqiḏ min al-halaka (b. al-Mubārak) 74; 169‒173; 431‒446 K. al-Muršid (Tamīmī) 188 Muṣḥaf al-ǧamāʿa 297 Muṣḥaf Hirmis fī l-aḥǧār 422‒424 K. al-Qānūn fī ṭ-ṭibb (b. Sīnā) 141 f.; 189‒195; 226 f. al-Qaul fī l-yaraqān (Rufus) 133‒135 K. Quṭb as-surūr (Raqīq) 67 K. Siyāsat aṣ-ṣibyān (b. al-Ǧazzār) 100 K. as-Sumūm (Ps. Galen) 228 f. K. aš-Šarāb (Rufus) 144‒146 Šarḥ K. aš-Šams al-akbar (Ǧildakī) 322‒332 K. at-Tadbīr (Rufus) 143 f. K. Tadbīr al-amrāḍ al-ḥādda (Hipp.) 245 f. K. fī Tadbīr al-aṭfāl (Paulos) 78 f. Maq. fī Tadbīr al-ḥabālā (Rufus) 81 K. Tadbīr al-ḥabālā wa-l-aṭfāl (Baladī) 80 ff.; 247 f. K. fī Tadbīr al-musāfir (Rufus) 73‒76; 167 Maq. fī Tadbīr aš-šaiḫūḫa (Rufus) 173 K. at-Taḏkira al-hādiya (b. as-Suwaidī) 258‒289 Tafsīr li-K. al-Ahwiya wa-l-buldān (Galen) 44‒56; 130

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K. Tarbiyat al-aṭfāl (Rufus) 77‒106; 165 f. K. Tashīl al-manāfiʿ (Azraq) 8; 229 K. at-Tiryāq (Rufus) 168‒173 K. Ṭabāʾiʿ al-ḥayawānāt (Marwazī) 175 f. K. fī l-Yaraqān (Rufus) 133‒135

Index der lateinischen Buchtitel Collectiones medicae (Oreibasios) 77‒105 Continens (Rhazes) 121‒131 De aere aquis locis (Hipp.) 44‒56 De cura icteri (Galen) 133 f. De generatione animalium (Arist.) 3443 De infantium curatione (Rufus) 77‒106; 165 f. De locis affectis (Galen) 36; 229 De morbis muliebribus (Hipp.) 23‒43 De semine (Galen) 34 De superfetatione (Hipp.) 3‒22 Geoponica 99; 265 Picatrix 176 f. Practica Ioannis Serapionis 218‒230 Turba philosophorum 297; 306

Index der arabischen Handschriften

Bankipore: Ḫudābuḫš 2142 (Ḥunain Aġḏiya) 147 Beirut: Université Saint-Joseph 643 (Maǧūsī Malakī) 254‒257 Berlin: Ahlw. 4188 [Landb. 1007] (Ǧildakī Šarḥ) 322

Index der arabischen Handschriften Ahlw. 6197 [Spr. 1926] (Anon.) 284 Ahlw. 6216 [Wetzstein II 1208] (Ḫawāṣṣ al-aḥǧār) 280; 408 f. Ahlw. 6232 [Or. oct. 104] (Rūfus Yaraqān) 1086; 133‒135 Or. oct. 1839 (Sābūr Aqrābāḏīn) 253 Brüssel: Bibl. Royale 19891 (b. Sarābiyūn Kunnāš) 216‒223 Cambridge: Univ. bibl. Dd 4.28, 3 (Hirmis Aḥǧār) 423 f. Univ. bibl. Dd 12.1 (b. Riḍwān Taʿālīq) 24 ff.; 28 Dublin: Chester Beatty 3795 (b. al-Mubārak Munqiḏ) 74 f. Chester Beatty 4009 (Zahrāwī Taṣrīf) 20014 Chester Beatty 4012 (Tawahhumī Wāḍiḥ) 142; 21422 Chester Beatty 4025 (Sirdār) 322 f. Chester Beatty 4525 (b. al-Mubārak Munqiḏ) 169‒173; 432‒446 Escorial: Renaud 818, 4 (b. Sarābiyūn Kunnāš) 216 Renaud 852, 2 (b. Sarābiyūn Kunnāš) 216 Renaud 857, 5 (Buqrāṭ Ahwiya) 49 Renaud 896, 5 (b. al-Ǧazzār Abdāl) 188 Gotha: Ms. 1975 (Baladī Ḥabālā) 8014 Göttingen: Univ. bibl. arab. 291 (b. Yūsuf Ḥarāra) 147102 Istanbul: Aya Sofya 3572, fol. 1 b ‒ 31 a (Buqrāṭ Ahwiya) 49 fol. 43 b ‒ 57 a (Badīġūras Abdāl) 186 Aya Sofya 3632, fol. 44 a ‒ 60 a (Buqrāṭ Ahwiya) 49 fol. 94 b ‒ 102 b (Buqrāṭ Ḥabal) 5 Aya Sofya 3716 (Kaskarī Kunnāš) 213; 231 Aya Sofya 4838, fol. 30 b ‒ 54 a (Buqrāṭ Ahwiya) 49 fol. 184 b ‒ 196 b (Badīġūras Abdāl) 186 Köprülü 1608 (Nawādir) 3338

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Indizes Üniversite A. Y. 6375 (Maǧūsī Malakī) 257 Vehbi 1494 (Manāfiʿ al-aḥǧār) 409

Kairo: Dār al-kutub, Ṭalʿat 550 ṭibb (Ǧālīnūs TAhwiya) 46‒55 Dār al-kutub 5636 ṭibb (b. al-Ǧazzār Abdāl) 188 Leiden: Rijksuniv. 1335 [Cod. Or. 576 Warner] (b. Ǧazla Minhāǧ) 249 Rijksuniv. 1344 [Cod. Or. 128, 1 Golius] (b. Maimūn Fuṣūl) 2721; 34 Rijksuniv. 2817 [Cod. 2070] (b. Sarābiyūn Kunnāš) 216 London: Brit. Libr. Or. 2408 (b. al-Baiṭār Muġnī) 106 Madrid: Bibl. Nac. 557 [neu 5686] (Isrāʾīlī Aġḏiya) 14592 Manisa: Kitapsaray 1815 (Buqrāṭ ʿIlāǧ) 36 München: Aumer 805 (Isḥāq Mālanḫūliyā) 11430; 271 Aumer 808, 2 (Sābūr Aqrābāḏīn) 235 f.; 251‒253 Oxford: Bodl., Huntington 85 (b. al-Baiṭār Muġnī) 141 Bodl., Huntington 461 (Rūfus Amṯila) 108‒115; 173 f.; 231 f. Bodl., Marsh 452 (Hirmis Aḥǧār) 423 f. Bodl. d. 221 (Ḫawāṣṣ al-aḥǧār) 280; 373‒376; 405‒422 Paris: Bibl. Nat. 2772 (Ps. Arisṭ. Aḥǧār) 230 f.; 379 Bibl. Nat. 2870, 1 (Tamīmī Muršid) 188 Bibl. Nat. 2918, 7 (b. Sarābiyūn Kunnāš) 216 Bibl. Nat. 6562 (b. al-Mubārak Munqiḏ) 432‒446 Teheran: Malik 4234 (Sābūr Aqrābāḏīn) 25362 Sanā 3258, 20 (Sābūr Aqrābāḏīn) 233‒253

Index der arabischen Handschriften Tübingen: Univ. bibl. Ma VI 77 (b. as-Suwaidī Taḏkira) 258‒288 Wien: Staatsbibl. arab. 358 (Raqīq Quṭb) 68

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