Aufstieg und Abstieg der Seele: Diesseitigkeit und Jenseitigkeit in Plotins Ethik der Sorge 9783666252907, 9783525252901

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Aufstieg und Abstieg der Seele: Diesseitigkeit und Jenseitigkeit in Plotins Ethik der Sorge
 9783666252907, 9783525252901

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Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben

Herausgegeben von Albrecht Dihle, Siegmar Dçpp, Dorothea Frede, Hans-Joachim Gehrke, Hugh Lloyd-Jones, Gnther Patzig, Christoph Riedweg, Gisela Striker Band 180

Vandenhoeck & Ruprecht

Euree Song

Aufstieg und Abstieg der Seele Diesseitigkeit und Jenseitigkeit in Plotins Ethik der Sorge

Vandenhoeck & Ruprecht

Verantwortliche Herausgeberin: Dorothea Frede

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-25290-1 Hypomnemata ISSN 0085 – 1671 Umschlagabbildung: »Athena encouraging Heracles«, immagine anfora di Psiax. Per concessione dei Civici Musei d’Arte e Storia di Brescia.

 2009 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile drfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages çffentlich zugnglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung fr Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck und Bindung: a Hubert & Co, Gçttingen Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier.

Behold that great Plotinus swim, Buffeted by such seas; Bland Rhadamanthus beckons him, But the Golden Race looks dim, Salt blood blocks his eyes. Scattered on the level grass Or winding through the grove Plato there and Minos pass, There stately Pythagoras And all the choir of Love. – W.B. Yeats, The Delphic Oracle upon Plotinus

vh|mor c±q 5ny he_ou woqoO Vstatai. – Platon, Phaidros 247a 7

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Aufgabe der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . 1.2 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Plotin als Platon ohne Sokrates? . . . . . . 1.2.2 Gnosis ohne Tugend? . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Angleichung an Gott: Eine Ethik der Flucht? 1.2.4 Warum die Rckkehr in die Welt? . . . . . 1.3 These: Eine Ethik der Sorge . . . . . . . . . . . . 1.4 Methode und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . .

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11 11 13 13 18 24 28 30 33

2 Der Aufstieg der Seele: Die Sorge um sich selbst . . . . . . . . . . . 2.1 Eine Ethik des Glcks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die sokratische Sorge um das Selbst . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Tugend als Selbstvervollkommnung . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Die Tugend als Vervollkommnung der Vernunft . . . . . . 2.3.2 Der Hçhenflug der geistigen Erkenntnis . . . . . . . . . . 2.4 Der Aufstieg zum Selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Das Leben der Seele als Selbstbewegung . . . . . . . . . . 2.4.2 Die geistige Erkenntnis als Selbstverwirklichung der Seele

37 37 40 46 46 50 52 53 55

3 Das vollkommene Leben . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Das Glck als das Gute fr den Menschen . . . 3.2 Die Homonymie des guten Lebens . . . . . . . 3.2.1 Die Homonymie des Lebens . . . . . . . 3.2.2 Die Homonymie des Guten . . . . . . . 3.3 Das vollkommene, wahre und wirkliche Leben

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61 62 67 67 69 71

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4 Das selbstgengsame Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die Autarkie des Tugendmenschen . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Plotins Verteidigung der Autarkie-These . . . . . . . . . . . 4.2.1 Der Ringkampf mit dem Schicksal: Was wir eigentlich wollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Das Laternenlicht im Sturm: Was wir eigentlich sind . 4.2.3 Die schlaflose Weisheit: Was wir eigentlich kçnnen . . 4.3 Das Gefhl des Tugendmenschen . . . . . . . . . . . . . . .

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9

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8

Inhalt

5 Der Abstieg der Seele: Die Sorge um andere . . . . . . . . 5.1 Die providentielle Sorge der Seele um den Kçrper . . 5.2 Das Gesetz der Natur: Eine teleologische Perspektive 5.3 Die natrliche Sorge . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 95 . 95 . 98 . 102

6 Das gerechte Leben . . . . . . 6.1 Das Recht der Natur . . . 6.2 Das Gesetz der Vorsehung 6.3 Der Ort des Bçsen . . . . . 6.4 Die Kunst der Vorsehung .

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7 Das freie Leben . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Die menschliche Verantwortung . . . . 7.1.1 Die Schuld liegt beim Whlenden 7.1.2 Schicksal und Freiheit . . . . . . 7.2 Die Selbstbestimmung des Menschen . 7.2.1 Das, was bei uns liegt . . . . . . 7.2.2 Die Tugend ist herrenlos . . . . . 7.2.3 Der Wille zum Guten . . . . . . . 7.3 Das freie Prinzip des Menschen . . . .

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Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I Plotin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A Gesamtausgaben, bersetzungen und Kommentare B Einzelausgaben, bersetzungen und Kommentare . II Ausgaben, bersetzungen anderer antiken Autoren . . . III Sekundrliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist eine berarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 2007/2008 vom Fachbereich Philosophie und Geschichtswissenschaft der Universitt Hamburg angenommen wurde. Mein Dank gilt vor allem meiner Lehrerin Frau Prof. Dr. Dorothea Frede (Hamburg) fr ihre Ermutigung und Untersttzung, ohne welche diese Arbeit nicht zustande gekom men wre. Auch meinem Lehrer Herrn Prof. Dr. Dominic J. O’Meara (Freiburg/ Schweiz) bin ich fr zahlreiche Anregungen und Hinweise zutiefst dankbar. Herzlich danken mçchte ich darber hinaus Herrn Prof. Dr. Christoph Horn (Bonn) fr ertragreiche Gesprche ber einzelne Aspekte dieser Arbeit, die er mit mir whrend meines Forschungsaufenthaltes in Gießen und Bonn gefhrt hat. Fr die geduldige Korrektur meines deutschen Ausdrucks bin ich meinen deutschen und helvetischen Philosophenfreunden Herrn Dr. Burkhard Reis, Frau Dr. Anja Burghardt, Frau Dr. Julia Fischell, Herrn Dr. Damian Caluori, Frau Dr. Marlise Colloud, Frau Monika Kneubhler und Herrn Christoph Stritt zu Dank verpflichtet. An dieser Stelle mçchte ich den Herausgebern der Hypomnemata, die meine Arbeit in diese Reihe aufgenommen haben, meinen Dank aussprechen. Besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Albrecht Dihle fr seine wohlwollende Zustimmung. Ich danke herzlich Frau Dr. Ulrike Blech beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Gçttingen fr ihre gewissenhafte Kooperation. Ebenfalls danke ich dem Fonds fr Altertumswissenschaft in Zrich und dem Institute of Humanities an der Seoul National University fr einen großzgigen Druckkostenzuschuss. Bedanken mçchte ich mich ferner bei der KonradAdenauer-Stiftung fr die Gewhrung eines Promotionsstipendiums. Zu guter Letzt darf ich von Herzen meinen Eltern und allen meinen Freunden danken, die mir durch all diese Lehrjahre hindurch persçnlich beigestanden haben. Seoul, Mrz 2009

Euree Song

1. Einleitung 1.1 Aufgabe der Untersuchung In der Philosophie Plotins wird kein anderer Bereich so kontrovers diskutiert wie die Ethik. Die Debatte entzndet sich bereits bei der Frage, ob Plotin berhaupt ber eine Ethik verfgt, eine Frage, die wiederum auf eine tiefer gehende Frage zielt, nmlich die, was Ethik eigentlich sein sollte. In der vorliegenden Arbeit wird nun ein Versuch unternommen, eine Ethik der Sorge bei Plotin nachzuweisen, wobei mit »Sorge« nicht Bekmmernis, sondern Frsorge gemeint ist.1 Dieser Versuch mag bei vielen auf große Skepsis stoßen. Denn nach wie vor herrscht die Meinung vor, dass Plotin sich ganz und gar dem inneren Aufstieg zum jenseitigen Gott verschreibt, was, wenn es zutrfe, eine Abkehr vom Diesseits, ein Desinteresse an allen ußeren und menschlichen Angelegenheiten nach sich zçge. Von einem derart weltabgewandten Philosophen wre, wenn berhaupt, eine »Ethik der Flucht« zu erwarten, in der die Sorge um diese Welt und die Mitmenschen keinen Platz htte.2 So bliebe nur noch eine Ethik der Sorge um die jenseitige Glckseligkeit der eigenen Person brig. Die Annahme einer derart egozentrischen und jenseitsorientierten Ethik Plotins hat in der Forschung fr Irritationen und Kontroversen gesorgt. Hierfr ist symptomatisch, dass Dillon dem sptantiken Weisen Plotin nicht einmal eine ethische Theorie zuerkennen will: »If we feel that an ethical theory should include an element of concern for others for their own sake, then, I think, Plotinus cannot be said to have an ethical theory.«3 Besonders umstritten ist die Frage, ob und inwiefern Plotins ethische Reflexion ber das »Leben auf der Flucht«, selbst wenn ihr der Titel »ethische Theorie« eingerumt wird, mit seiner eigenen ethischen Praxis, dokumentiert in Porphyrios’ Vita Plotini (VP), in Einklang gebracht werden kann. Er wird dort als ein menschenfreundlicher, praktisch gewandter Denker portrtiert, der nicht in der abgeschiedenen Wste, sondern im urbanen Zentrum des Rçmischen

1 Zum zweideutigen Ausdruck »Sorge« siehe Schnabl, S. 16 f.; Kranz, S. 1086. 2 So z. B. Henry, S. 124: »Im Streben nach Glckseligkeit in der Suche nach Gott hat die Gesellschaft keinen Platz. Der Weise ist eine Monade, grundstzlich ohne jede Beziehung zu jeder anderen Monade. Es besteht keine Solidaritt von Mensch zu Mensch, weder im Guten noch im Bçsen.« Theiler (Vorbereitung, S. 124 f.) spricht von der plotinischen »Hinterweltsethik« und behauptet, eine »Ethik der Tat« bzw. eine Ethik der Lebensgestaltung, die Gebote oder Verbote aufstellt, kçnne es bei Plotin nicht geben. 3 Dillon, Ethic, S. 331 ff.

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1. Einleitung

Reichs »çffentlich« wirkt.4 Hervorzuheben ist ferner sein politischer Plan, eine Stadt namens »Platonopolis« zu grnden.5 Kann Plotin seine Lebensweise auf der Grundlage seiner philosophischen berlegungen rechtfertigen? Wie sollte seine Rechtfertigung aussehen? Wie verhlt sie sich zu eben jener »Ethik der Flucht«? Oder haben wir es bloß mit einer »trçstlichen Inkonsequenz« zwischen Theorie und Praxis zu tun, wie Jonas zu Ehren Plotins bemerkt?6 In der vorliegenden Untersuchung stellen wir uns die Aufgabe, aus dem Corpus Plotinianum eine ethische Theorie herauszuarbeiten, welche Plotins Lebensfhrung gerade in ihrer Weltzugewandtheit erklren kann, wobei das Konzept der Sorge um die Welt als Angelpunkt unserer Ausfhrungen dient. Zugleich gilt unser Bemhen der Suche nach einer bergreifenden Betrachtungsweise, welche die Kluft zwischen zweierlei Arten von Stellungnahmen zur Welt bei Plotin, nmlich zwischen solchen, die eine Weltflucht, und solchen, die eine Weltbejahung ausdrcken, zu berbrcken ermçglicht. Dabei soll der paradoxe Charakter seiner Ethik nicht verschwiegen oder gar verwischt, sondern vielmehr in der ihm eigenen Schrfe gefasst und dargelegt werden. Auf diese Weise kçnnen wir unserem Philosophen gerecht werden, wenn er, wie Pohlenz meint, ein Philosoph ist, »der berall Probleme sieht und jede Schwierigkeit mit Mitteln des Denkens bis in die letzten Konsequenzen verfolgt«.7 Zu diesem Zweck scheint es angebracht, vorweg das Problemfeld der plotinischen Ethik aus der Vogelperspektive zu betrachten. Wir wollen hier allerdings keinen umfassenden berblick ber Plotins Ethik in der ganzen Breite ihrer Themen geben. Vielmehr werden wir uns darauf beschrnken, einige grundlegende, insbesondere systematisch signifikante Aspekte seiner Ethik hervorzuheben, und daran zeigen, wie aus jenem Feld das in dieser Arbeit zu behandelnde Forschungsproblem erwchst.

4 Der Platoniker Longin bezeugt, dass Plotin und sein Schler Amelius in Rom »çffentlich wirken (dglosie}omter)« (VP 20, 32). Dazu vgl. Goulet-Caz, S. 231 – 257, bes. S. 244 ff. 5 VP 12. 6 Jonas, Gnosis II, S. 280, Anm. 14. Auch McGroarty, Commentary, xviii: »Therefore it is not clear to me how Plotinus the philosopher can be reconciled with Plotinus the man, as he appears in Porphyry’s Life. […] If we are to regard Plotinus as a Spoudaios, it may be that we have to accept that he did not always preach what he practiced.« 7 Pohlenz, Stoa, S. 389.

1.2 Problemstellung

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1.2 Problemstellung 1.2.1 Plotin als Platon ohne Sokrates? In Plotin sieht Augustinus einen »wiederauferstandenen« Platon. Dabei hebt der Kirchenvater den »platonischen Philosophen« von den Akademikern ab.8 Plotin zhlt nmlich nach dem antiken Sprachgebrauch zu den »Platonikern«, die sich nach der Auflçsung der skeptischen Akademie an der Wiederherstellung der wahren Lehre Platons versuchen.9 Unter diesen dogmatischen Nachfolgern Platons zieht Proklos wiederum eine Trennungslinie zwischen »allen neueren Platonikern, die mit Plotin beginnen« und »den Alten«.10 Demnach markiert Plotin einen Wendepunkt vom alten zum neuen Platonismus.11 Was ist es, das Plotin zu einer solch epochenbildenden Figur machen soll? Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass Proklos in der Platonischen Theologie Plotin und seine Nachfolger als »Exegeten der platonischen Epoptie, die uns ber das Gçttliche die heiligste Auslegung ermittelten« bezeichnet (I 1, 16 f.).12 Von daher ist es naheliegend anzunehmen, dass 8 Contra Academicos III 18: »in Plotino, qui Platonicus philosophus ita ejus similis judicatus est, […] in hoc ille [Plato] revixisse putandus sit.«; De civitate dei VIII 12: » recentiores tamen philosophi nobilissimi quibus Plato sectandus placuit, noluerint se dici Peripateticos aut Academicos, sed Platonicos. Ex quibus sunt valde nobilitati Graeci Plotinus, Iamblichus, Porphyrius«. 9 Zur Unterscheidung zwischen »Platonici« und »Academici« siehe Glucker, S. 206 ff. 10 Proklos, In Tim. II 88, 12 – 13: t_m d³ meyt´qym oR !p¹ Pkyt¸mou p²mter Pkatymijo¸. Dazu vgl. Dillon, Self-Definition, S. 69. Vgl. Simplikios, De Caelo, VII 564, 13: oR d³ me¾teqoi t_m Pkatymij_m vikosºvym. ber Hypatia von Alexandria (†415) schreibt der Kirchenhistoriker Sokrates Scholastikos in der Historia ecclesiastica, dass sie »die platonische, von Plotin herkommende Schule bernommen hat (tμm d³ Pkatymijμm !p¹ Pkyt¸mou jatacol´mgm diatqibμm diad´nashai: VII 15, 4 – 5)«. Dazu vgl. Glucker, S. 151 f. Dillon (Middle, S. 27) macht darauf aufmerksam, dass die Mittelplatoniker ihre Bewegung nicht auf einen einzelnen zurckfhrten, wie die Neuplatoniker auf Plotin. 11 In der Tat ist die Bezeichnung »Neuplatonismus«, wie Zintzen (Neuplatonismus, S. VIII) bemerkt, »modern und kann irrefhrend wirken«, denn »die Neuplatoniker selbst haben sich nicht als Erneurer der Lehre Platons verstanden, sondern als ihre rechten Bewahrer«. Auch Schwyzer , Zweifache Sicht, S. 87. Halfwassen (Plotin, S. 12 ff.) weist darauf hin, dass die Bezeichnung unter dem Einfluss des Philosophiehistorikers Jakob Brucker im 18. Jahrhundert entstand, der den »Neuplatonismus« von der genuinen Philosophie Platons unterscheiden wollte. M. Frede (Numenius, S.1040) hlt die Unterscheidung zwischen Mittelplatonikern und Neuplatonikern fr »knstlich«, denn »Plotin bedeutet keinen radikalen Neubeginn und wird auch von den spteren Platonikern nicht als solcher betrachtet«. In Wirklichkeit sehen die spteren Platoniker (vgl. Anm. 3) in Plotin einen durchaus bedeutsamen Neubeginn. Vgl. Baltes, Rezension, S. 655 f; Whittaker, S. 277 f. 12 Im Symposion lsst Platon Diotima in Ausdrcken der Mysteriensprachen auf die letzte Stufe beim Aufstieg zum Schçnen hinweisen, nmlich auf »die vollkommene, epoptische Stufe (t± … t´kea ja· 1poptija, 210a)«. Zur Mysterienterminologie der Diotimarede siehe Riedweg, S. 2 ff. Zu den antiken Mysterien siehe Burkert, Mysterien; ders., Religion, S. 413 ff.; Kloft, S. 8 ff.

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1. Einleitung

es Plotins theologisches Profil ist, das von epochaler Bedeutung ist.13 In der Tat entwickelt sich der von Plotin ausgehende Platonismus zu einem Kern heidnischer Religiositt und versucht »dem Erlçsungsbedrfnis des Zeitalters«14 nachzukommen, was allerdings Plotin nicht daran hindert, auch viele Theologen des aufkommenden Christentums zu inspirieren. Charakteristisch fr Plotins Theologie ist, dass sich das Gçttliche als Ganzes in drei unterschiedliche Stufen gliedert, nmlich in das Eine oder das Gute, den Geist und die Seele, wobei diese Stufenfolge des Gçttlichen eine Hierarchie der Ursachen fr die Welt darstellt. Also geht es in dieser so genannten »Drei-Hypostasen-Lehre« um eine metaphysische Prinzipienlehre im Hinblick auf die tiologische Analyse der Welt.15 Insofern ist seine Theologie eigentlich eine Metaphysik. Auffallend ist, dass Plotin das hçchste Prinzip, d. h. das Gute, auch »Eines« nennt. Dabei bedient er sich der pythagoreischen Manier, Prinzipien durch Zahlen zu symbolisieren.16 Im Hinblick darauf erwhnt er auch die pythagoreisierende »ungeschriebene Lehre«.17 Dazu ist zu bemerken, dass sich sptestens seit Eudoros von Alexandrien im 1. Jh. v. Chr. ein pythagoreisierender Platonismus etabliert hat, der die altakademische Verbindung zwi13 Dçrrie (Platonica, S. 389) zufolge liegt das Neue, das Plotin herbeifhrte, in der systematischen Durchfhrung der theologischen Anstze. Vgl. ders. Besprechung, S. 285: »Es war, als wrde aus alten Steinen ein neuer Tempel errichtet.« 14 Gadamer, Plotin, S. 408. Kritischer Zeller, Grundriss, S. 396: »Denn mag man auch in dem philosophischen System Plotins noch den letzten Aufschwung antiken Denkens bewundern, es trgt doch […] die Spuren des beginnenden Verfalls schon deutlich genug an sich, die sich bei seinen Nachfolgern mehren und vertiefen […]. Nachdem einmal die griechische Philosophie diese Selbstentmannung an sich vollzogen hat, sinkt sie ermattet in die Arme der Religion.« Allerdings ist zu betonen, dass Plotin, wie Dihle (Kaiserzeit, S. 381) feststellt, anders als viele seiner Nachfolger nie der »Versuchung« erlegen ist, »den letzten Schritt zur Vollkommenheit von einem Rckgriff auf bernatrliche Offenbarung oder kultische Handlung zu erwarten«. Zum Zeitalter Plotins allgemein vgl. Edwards. 15 Dazu vgl. Dçrrie, Hypostasenlehre. Zur hierarchischen Ordnung der Wirklichkeit bei Plotin vgl. O’Meara, Hierarchical Ordering, S. 66 – 81; Lovejoy, S. 61 – 66. 16 Vgl. V 5 [32] 6, 26 – 30: »Auch sein Name ›Eines (6m)‹ will nur die Aufhebung der Vielheit; weshalb es denn auch die Pythagoreer untereinander symbolisch (sulbokij_r) als Apollon bezeichneten, mit der Negation des Vielen. Ist dagegen das Eine eine Setzung (h´sir), der Name wie das dadurch Bezeichnete, so wrde es dadurch undeutlicher bezeichnet, als wenn ihm berhaupt keinen Namen beilegte«. Zum Ursprung des neuplatonischen »Einen« siehe Dodds, One, bes. 136 ff. Plotin glaubt, dass die Idee des Guten in Platons Politeia mit dem Einen der ersten Hypothese des Parmenides gleichzusetzen ist. Zur Gleichsetzung des Guten selbst mit dem Einen selbst vgl. Arist. Metaph. N 4, 1091b 13 ff. Dazu ausfhrlich vgl. Halfwassen, Aufstieg zum Einen. 17 V 1 [10] 9, 28 – 32: »Diejenigen von den Alten, die sich ihrerseits wieder eng an die Aussagen des Pythagoras und seiner Nachfolger und des Pherekydes angeschlossen haben, haben an der hier dargestellten Natur [sc. das Eine] festgehalten; aber nur einige unter ihnen haben eigene argumentative Darstellungen dazu ausgearbeitet, whrend andere es nicht argumentativ darzustellen, sondern nur in ungeschriebenen Gesprchen zu zeigen pflegten oder generell darauf verzichteten.« ber Platons pythagoreisierende Prinzipienlehre berichtet Arist. Metaph. A 6, 987b 11 – 988a 17.

1.2 Problemstellung

15

schen Platon und Pythagoras wieder zur Geltung bringt.18 Plotin soll nach seinem Zeitgenossen Longin auf diesem Gebiet der pythagoreischen und platonischen Prinzipienlehre Hervorragendes geleistet haben.19 Gleichwohl beansprucht Plotin dabei keine Originalitt fr sich, sondern beruft sich auf Platons Schriften20 : Somit hat Platon gewusst, dass aus dem Guten der Geist und aus dem Geist die Seele hervorgeht. Diese Lehren sind also nicht neu, nicht jetzt erst, sondern schon lngst, wenn auch nicht explizit (lμ !mapeptal´myr) gesagt, und unsere jetzigen Lehren stellen sich nur dar, als Auslegung jener alten, und die Tatsache, dass diese Lehren alt sind, erhrten sie aus dem Zeugnis von Platons eigenen Schriften.

Dass Plotin sich im Bereich der metaphysischen Prinzipienlehre auszeichnet, heißt freilich noch nicht, dass seine Philosophie auf die Metaphysik reduziert wre. Allerdings beobachtet Halfwassen, dass sich Plotins Neuplatonismus »ganz« auf Platons Metaphysik konzentriere; »dessen praktische Philosophie tritt dahinter zurck«.21 Theiler urteilt, dass Plotin »ein Plato dimidiatus, ein Plato ohne Politik« sei. Dem fgt er hinzu, dass bei Plotin »das eigentlich Sokratische«, d. h. die »ethische Unterweisung« fehle.22 hnlich urteilt Wieland, dass es bei Plotin »die gesamte Staats- und Rechtsphilosophie Platons und der grçßte Teil seiner Ethik und seiner Handlungstheorie« fehle23 und schließt sich Brçcker an, der Plotins Neuplatonismus als »Platonismus ohne

18 Dillon, Eudoros; ders., Mittelplatonismus, S. 16 ff. 19 VP 20, 71 – 76: »Jener hat die pythagoreischen und platonischen Prinzipien, wie es scheint, zu einer klareren Auslegung erhoben als seine Vorgnger, denn keine Schriften des Numenios, Kronios, Moderatos oder Thrasyll reichen auch nur von ferne an die Genauigkeit der Arbeiten des Plotin ber diese Sachen.« M. Frede (Numenius, S. 1075) ußert sich ber Longins Einschtzung affirmativ und schließt seinen Numenios-Artikel mit einer Wrdigung ab, die allerdings an Plotin gerichtet ist. Er sagt, »daß Plotin sich weniger durch die vorphilosophische Weisheit der alten Vçlker als durch abstrakte philosophische berlegungen leiten ließ und sich dabei auf seine eigene Beobachtung der Gegebenheiten des menschlichen Bewusstseins sttzte, deren Kraft und Schrfe wir immer wieder nur bewundern kçnnen«. Es sei angemerkt, dass Moderatos zwar Neupythagoreer, doch kein Platoniker ist. Dazu vgl. Dillon, Orthodoxy, S. 119 f. 20 V 1 [10] 8, 9 – 14. Zu Plotins Rckgriff auf die Geschichte der Philosophie in V 1 [10] siehe Graeser, Die drei ursprnglichen Wesenheiten, S. 224 ff.; Krmer, Ursprung, S. 295, 367. Halfwassen (Aufstieg, S. 589) betrachtet zu Unrecht unsere Stelle als ausdrckliche Berufung Plotins auf die ungeschriebene Prinzipienlehre der Alten Akademie und ihre Vermittlung durch mndliche Schultradition. Dazu kritisch auch Szlezk, Rezension, S. 589. Auf die Kontroverse ber Platons »ungeschriebene Lehre« kann hier nicht eingegangen werden. Die Hauptvertreter der »Tbinger Schule« sind Krmer, Gaiser, Reale und Szlezk. Zur kritischen Diskussion siehe Wieland; Ferber ; D. Frede, Mndlichkeit; Mann, bes. in Bezug auf die Prinzipienlehre vgl. 385 ff. 21 Halfwassen, Plotin, S. 13. 22 Theiler, Forschungen, S. 126. 23 Wieland, Plotin, S. 366: »Was von Platon bleibt, wenn man das sokratische Element seines Denkens gleichsam subtrahiert, das kann man an Hand der Schriften Plotins allerdings deutlich erkennen.«

16

1. Einleitung

Sokrates« bezeichnet.24 Kurzum: Plotin sei ein Platon ohne Sokrates. Hat Sokrates als Ahnherr der Ethik die Philosophie vom Himmel auf die Erde heruntergeholt,25 so scheint Plotin sie umgekehrt von der Erde weg zum Himmel hinauf getragen zu haben, allerdings nicht als Physiker, sondern vielmehr als Metaphysiker. Das Bild eines solch unsokratischen Metaphysikers passt gut zu dem nach wie vor verbreiteten Bild von Plotin als weltabgewandtem Mystiker, der sich fernab der menschlichen Angelegenheit ganz und gar der Suche nach dem Gçttlichen widmet.26 Plotins »Konzentration auf ontologisch-theologische Fragen« kçnnte nmlich, wie Mnnlein-Robert glaubt, »die Reduktion seiner Kontakte zur Welt« erklren.27 Aufgrund dieser weltabgewandten Gottessuche schreibt Jonas Plotin eine gnostische Ethik der »Entweltlichung« zu.28 Dillon urteilt schließlich, dass Plotin einen einer ethischen Theorie unwrdigen »Standpunkt« (stance) vertritt, nmlich »an uncompromisingly self-centered and otherworldly one«.29 Ein derartiges Plotinbild erscheint jedoch paradox, sobald sein eigenes Leben ans Licht gebracht wird. Nach Porphyrios’ Vita Plotini fhrte Plotin kein einsames Einsiedlerleben: Er wohnte in Rom in einem Haus immer voll von Jungen und Mdchen, die unter seiner Vormundschaft standen. Die Abrechnungen, die ihm von ihren Betreuern abgelegt wurden, wurden von ihm akribisch verwaltet. Zudem wusste er seinen Mitmenschen in den alltglichen Geschften frsorgend zur Seite zu stehen. Seine Schule war keine geschlossene Gesellschaft, sondern eine offene Bildungssttte fr Mann und Frau unterschiedlicher Herkunft.Er nahm ferner die Rolle als Schlichter in politischen Streitigkeiten wahr (VP 9). Außerdem plante er, wie erwhnt, eine Stadt namens Platonopolis zu grnden, deren Brger »nach den Gesetzen Platons« leben sollten (VP 12).30 24 So Brçcker. Vgl. Tigerstedt, S. 7: »What this Platonism entirely lacked was the Socratic, aporetic element in Plato for which these philosophers and theologians had no use.« Erler (Hilfe der Gçtter 389 ff.) macht hingegen auf sokratische Elemente, u. a. das »dialogische« Element, das Element der Aufforderung zur Selbsterkenntnis, und nicht zuletzt das »politische« Elemente bei Plotin und den spteren Platonikern aufmerksam. Dazu vgl. Beierwaltes, Sokratischer Impuls. 25 Vgl. Cic. Tusc. 5, 10: »Socrates autem primus philosophiam devocavit e caelo et in urbibus conclocavit et in domus etiam introduxit et coegit de vita et moribus rebusque bonis et malis quaerere. « Zur sokratischen Wende in der Philosophie vgl. Wolf, Suche, S. 15 ff. 26 Beierwaltes (Mystik, S. 10) hlt »Mystik« fr einen wesentlichen Aspekt plotinischen Denkens, sofern »es –wie jede Form von Mystik – vom Menschen fordert, dieser solle mit dem Prinzip oder dem Ursprung des Ganzen, also des Seins insgesamt, eins werden«. Dennoch stellt er fest, dass Plotins Mystik nicht zu einem »Solipsismus« und einer »dem sozialen und politischen Bezgen sich entziehenden Esoterik« fhrt (S. 32). Zu Plotins Mystik vgl. Bussanich, Mystical Elements; P. Hadot, Mystique plotinienne. 27 Mnnlein-Robert, S. 588. 28 Jonas, Gnosis II, S. 270, 284. Vgl. S. 229. 29 Dillon, Ethic, S. 331 ff. 30 Es lsst sich allerdings nicht genau ausmachen, was mit »den Gesetzen Platons« gemeint ist. Es bleibt offen, ob Plotin Platons letztes Werk Gesetze vor Auge hat, oder eher die Gesetze des

1.2 Problemstellung

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Im Licht dessen erscheint Plotin nicht mehr ein »gnzlich unpolitischer Mann«, wie Harder meint. Was den Platonopolis-Plan angeht, will Harder allerdings darin nur noch den »Wunsch nach einer philosophischen Einsiedelei« sehen. Entsprechend betrachtet er Platonopolis als »eine Art mçnchische Siedlung, […] wo er [sc. Plotin] mit seinen Schlern im platonischen Stil leben wollte«.31 Dieser Interpretationslinie folgend vergleicht Mnnlein-Robert Plotin mit den frhen christlichen Anachoreten, indem sie besonders darauf aufmerksam macht, dass Plotin sich nach Platonopolis mit seinen Freunden »zurckziehen« (!mawoq¶seim: VP 12, 9) wollte. In ihren Augen verrt Plotins Vorhaben »eine durchaus radikale, dem Zeitgeist des spten dritten Jahrhunderts wie den Vorstellungen Platons inhrente Tendenz, sich aus dem çffentlichen Leben zurckzuziehen.«32 Zwar ist der Vita Plotini kein konkreter Masterplan der Platonopolis zu entnehmen, doch bietet die Schrift keinen sicheren Anhaltspunkt fr die Annahme, dass Plotin radikal mit der Welt brechen wolle und somit auf der Seite der christlichen Anachoreten stehe, die im »Zeitalter der Angst« dieser Welt den Rcken kehren wollten.33 Außerdem ist schwer vorstellbar, wie ein mçnchisches Leben »nach den Gesetzen Platons« aussehen wrde. Wollen wir aus den »Gesetzen Platons« etwa die Regel des Hl. Benedikt machen? Jonas spricht, wie schon erwhnt, von einer »trçstlichen Inkonsequenz« zwischen Theorie und Praxis.34 Demnach wrde sich Plotin in einer ethischen Praxis ben ohne die dazugehçrige theoretische Reflexion. Oder er htte einen ethischen Standpunkt, der seinem Leben sogar widerspricht. Dagegen ist zweierlei ins Feld zu fhren. Zum einen ist die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis schwer mit Plotins eigener Konzeption der Ethik zu vereinbaren, der zufolge die Ethik nicht nur einen theoretischen, sondern auch einen praktischen Aspekt einschließt, wobei die ethische Praxis in der konkreten Umsetzung der ethischen Theorie besteht. Bei Plotin ist die ethische Praxis als Teil der Ethik, und zwar als eine gelebte Ethik, in die Philosophie integriert, welche insgesamt aus Ethik, Physik und Dialektik besteht.35 Zum anderen kritisiert Plotin im Rahmen seiner antignostischen Polemik eine Theorie ohne Praxis, und zwar die Erkenntnis des »Schçnen« ohne entsprechende Hand-

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Idealstaats in der Politeia. Zu dieser Frage siehe Halfwassen, Plotin, S. 25; O’Meara Platonopolis, S. 16. Zu Platons Gesetzen vgl. Neschke-Henschke, Nomoi; Laks. Harder, Plotin, S. 8. Mnnlein-Robert, S. 587 – 588. Anm. 31. Dodds, Angst, S. 131, Anm. 76: Platonopolis htte »gewiss eher einem christlichen Kloster gehnelt als dem platonischen Idealstaat«. Jonas, Gnosis II, S. 280, Anm. 14. Vgl. I 3 [20] 6, 5 – 7. Zur Einteilung der Philosophie in der Antike vgl. P. Hadot, Einteilung, besonders zum Verhltnis von Logik und Dialektik siehe S. 427 f.; M. Frede, Logik, S. 24 ff. Zum philosophischen Unterricht in der Kaiserzeit vgl. I. Hadot; Goulet-Caz, S. 277 ff. Zur »gelebten« Philospohie vgl. P. Hadot, Philosophie als Lebensform, S.164 ff., ders. Philosophie antique, S. 227 – 264.

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1. Einleitung

lung. Pointiert formuliert er, dass derjenige, der bereits im Besitz der »Erkenntnis« (cm_sir) ist, im Verfolgen des Erkannten schon hier richtig handeln und auch die Dinge hier unten »berichtigen« (jatoqhoOm) msse.36 Beide Punkte zeigen eher, dass Plotin die bereinstimmung zwischen Theorie und Praxis nicht nur selber anstrebt, sondern auch von anderen verlangt. Angesichts dessen ist Vorsicht geboten, vorschnell seine Position als inkonsequent abzutun. Es empfiehlt sich vielmehr, diejenigen theoretischen Elemente bei Plotin ausfindig zu machen, die uns ermçglichen kçnnten, seine Lebenspraxis zu erklren. 1.2.2 Gnosis ohne Tugend?37 Es scheint allerdings aussichtslos zu sein, Plotins Leben mit einer Ethik des kompromisslos weltabgewandten und egozentrischen Weisen in Einklang zu bringen. In der Tat kann Plotin eine solche Ethik keineswegs vertreten, ohne dabei sich selbst zu widersprechen. Hierfr ist von Bedeutung, dass Plotin in Enn. II 9 [33] Gegen die Gnostiker seinen Gegnern gerade die Weltabgewandtheit und den Egoismus vorwirft.38 Plotin zufolge haben die Gnostiker alles Richtige an ihrer Lehre aus den Alten, insbesondere aus Platon entnommen und »mit verschiedenen vçllig unpassenden Zustzen versehen« (6, 55 – 57). Zu diesen zhlt er u. a. die Schmhung dieser Welt, den Tadel am Lenker der Welt (6, 38 f.).39 Als praktische Konsequenz der gnostischen Weltablehnung weist er ihren unmoralischen Egoismus nach: [Die gnostische Lehre] achtet alle hier gltigen Gesetze gering und zieht die Tugend, wie sie seit Beginn aller Zeit offen zutage liegt, und die hiesige Besonnenheit ins Lcherliche (offenbar darum, weil hier keinesfalls das Vorhandensein von etwas Schçnem zu erkennen sein soll); so hebt sie also die Besonnenheit auf und ebenso die Gerechtigkeit, die den Charakteren angeboren ist und durch Lehre und bung vervollkommnet wird, und berhaupt alles, wodurch ein Mensch tugendhaft (spouda?or) werden kann. Sodass fr sie also nur die Lust brig bleibt und nur das, was sich auf sie selbst bezieht, was nicht mit anderen Menschen gemeinsam ist und was ausschließlich mit dem eigenen Bedarf zu tun hat – es sei denn, jemand ist von Natur aus besser als die besagten Lehren –; fr sie ist ja nichts von dem Hiesigen schçn, sondern nur irgendetwas anderes, was sie einmal anstreben werden.40 36 II 9 [33] 15, 22 – 24. 37 Fr eine ausfhrlichere Version siehe Song, Gnostiker. 38 Schniewind unterstreicht, dass Plotins Ethik in der Forschung als »une thique lististe et aristocratique« kritisiert wird, eine Ethik, die Plotin gerade den Gnostikern vorwirft (S. 13). Plotins Kritik am gnostischen Elitismus schließt freilich nicht aus, dass er eine andere Art Elitismus, etwa im Sinne einer »Geistesaristokratie«, vertreten kann, was mir der Fall zu sein scheint. Vgl. I 4 [46] 8, 21 – 22. 39 Dazu vgl. Alt, Gnosis, S. 11 f. 40 II 9 [33] 15, 10 – 22.

1.2 Problemstellung

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Hier wirft Plotin den Gnostikern nicht bloß »moralische Indifferenz«, sondern eine offensive »Missachtung aller moralischen Normen« vor.41 Dabei ist nicht zu bersehen, dass er sich mit der Gnosis in ihrer radikalsten Form auseinandersetzt, die allein das dortige Schçne anerkennt und somit das hiesige Schçne berhaupt nicht gelten lsst. Nach einer derartigen Gnosis ist das moralische Schçne, das Plotin in Tugenden und Gesetzen erblickt, mit jenem Schçnen inkommensurabel. Aus der Missachtung alles Schçnen dieser Welt schließt Plotin auf eine hedonistische und egoistische Lebensfhrung. Der Vorwurf des Hedonismus gegen die Gnostiker wird in der Forschung unter dem Stichwort »Libertinismus« diskutiert. Ob der gnostische Libertinismus jemals praktiziert wurde, bleibt jedoch umstritten.42 Rudolph ußert sich gegenber unserer Stelle ganz kritisch: »Seine [sc. Plotins] moralische Verunglimpfung, die den christlichen Hresiologen entspricht, zeugt von wenig Verstndnis gegenber einem anderen Ethos als dem klassisch-griechischen. Eine libertinistische Haltung der Gnostiker lsst sich damit keinesfalls belegen.«43 Es mag sein, dass es in der Geschichte noch keinen gnostischen libertin gab. Das ndert aber nichts daran, dass Libertinismus als eine mçgliche logische Konsequenz des gnostischen Amoralismus bzw. Antinomismus besteht.44 Nicht ohne Ironie verweist Plotin auf die Mçglichkeit einer »trçstlichen Inkonsequenz«, die darin besteht, dass ein Gnostiker von seiner eigenen Anlage her besser als die gnostische Lehre ist, sodass er der egoistischen Ausschweifung nicht verfllt. An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass Plotin den Gnostiker als hedonistischen Egoisten ausdrcklich dem »tugendhaften« (spoudaios) Menschen gegenberstellt. So lsst sich letzterer vom Egoismusverdacht befreien. Auf dieses Thema kommen wir spter zurck. Gegen die unmoralischen Gnostiker argumentiert Plotin, dass man ohne Tugend berhaupt nicht auf »das Dortige« hin in Bewegung gesetzt werden kann. Nun verweist er darauf, dass die Gnostiker keine Lehre (logos) von der Tugend haben, was ihren Anspruch auf Gotteserkenntnis (gnsis) unglaubwrdig macht:

41 So Jonas, Botschaft, S. 321. 42 Jonas unterscheidet zwei alternative Lebensformen der Gnostiker: i) Askese im Sinne der Abstinenz; ii) Ausschweifung. Dabei weist er darauf hin, dass beide Alternativen, so gegenstzlich sie auch erscheinen mçgen, vom gleichen Grundgedanken getragen sind, und zwar vom Antinomismus (s. Botschaft, S. 327). Puech bemerkt: »l’amoralisme gnostique […] aboutit tout aussi bien un rigorisme asctique qu’au libertinage« (S. 186 f). Zum umstrittenen »gnostischen Libertinismus« vgl. Jonas, Botschaft, S. 321 ff; Markschies, S. 16 f.; Rudolph, Gnosis, S. 261 ff.; Schmidt, S. 14 ff. 43 Rudolph bei Jonas, Gnosis II, S. 244, Anm. 36. Rudolph, S. 234 – 251, gibt einen berblick ber den Stand der Forschung ber das Verhltnis zwischen Plotin und Gnosis. Dazu vgl. Puech; Roloff; Elsas; Armstrong, Gnosis, S. 109 ff.; O’Meara, Making; Igal (S. 234 – 251); Frchtel, Weltflucht; Alt, Gnosis; Katz (Plotin als »a Gnostic manqu«: S. 289, 297). 44 Auch Tornau, Plotin, S. 401, Anm. 67.

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1. Einleitung

Die Vorschrift »Schau auf Gott« hilft jedenfalls nicht weiter, wenn nicht auch gelehrt wird, wie man schaut. Was spricht denn dagegen – kçnnte hier jemand einwenden –, zu schauen und sich trotzdem keiner einzigen Lust zu enthalten oder in seinem Zorn unbeherrscht zu sein, so, dass man sich zwar immer an das Wort »Gott« erinnert, aber im Griff von smtlichen Leidenschaften ist und keinen Versuch macht, irgendeine von ihnen loszuwerden? Folgendes: Tugend, die auf ihr Ziel hin fortschreitet und, verbunden mit Einsicht, in die Seele eingeht, lsst Gott sehen; aber Gott, wenn man ohne wahre Tugend von ihm spricht, ist nur ein Wort.45

Plotin deutet darauf hin, dass mit dem Fehlen der Tugendlehre der Gnosis der Boden entzogen ist. Dabei glaubt er, dass man keinen anderen Zugang zur Gotteserkenntnis als Tugend besitzt. Zu unterstreichen ist, dass die wahre Tugend mit der Einsicht (phronÞsis) verbunden ist.46 Fr die Erlangung der wahren Tugend ist daher die Lehre (logos) erforderlich. Im Lichte der gnostischen Heilslehre aber erscheint das Desinteresse an der Tugendlehre geradezu folgerichtig. Denn die Gnostiker sind davon berzeugt, dass sie schon von Natur aus erlçst sind. Ihre soteriologische »Erkenntnis« ist nicht rational zu erschließen. Sie ist kein Verdienst der Vernunft, sondern ein Gnadengeschenk Gottes.47 Gnosis ist in dieser Hinsicht, wie Aland formuliert, »Offenbarungsreligion und keine verwilderte Philosophie«.48 Plotin verweist allerdings darauf, dass eine solche Heilslehre an die menschliche Selbstgeflligkeit appelliert: Und wenn ein bislang demtiger, bescheidener Privatmann zu hçren bekommt: ›Du bist der Sohn Gottes; die anderen, die du immer bewundert hast, sind es nicht und ebenso wenig das, was man seit den Vorvtern traditionell verehrt; aber du bist sogar besser als der Himmel, ohne dass du dich anstrengen musst‹, und andere dazu noch Beifall schreien?49

Der gnostische Heilsautomatismus macht also all die ethischen Anstrenungen berflssig, in der Theorie wie in der Praxis. Plotin ist hingegen der Ansicht, dass man »durch Natur und Bemhungen« (v¼sesi ja· 1pileke¸air) zur Gottesschau gelangen kann (18, 33 – 35). 45 II 9 [33] 15, 32 – 40. 46 Hier scheint Plotin auf Platons Unterscheidung im Phaidon zwischen der wahren Tugend, die ohne Einsicht nicht existiert, und »der Tugend, welche die Menge Tugend nennt«. Letztere beruht auf Gewohnheit und bung (82a 11-b 2), ist wie ein Schattenbild, bisweilen sklavisch (69b 6 – 7). Auch in der Politeia VII kontrastiert Platon die wahre Tugend mit »den anderen Tugenden der Seele, wie man sie zu nennen pflegt« (518e 1 – 2). 47 Markschies, S. 11; Jonas, Botschaft, S. 59 ff.; Rudolph, Religionswissenschaft, S. 21: »Der bernatrliche Charakter dieser Gnosis drckt sich vor allem dadurch aus, dass er geschenkt oder ›offenbart‹ wird, sei es durch Boten oder Gesandte, die im Auftrag des wahren Gottes handeln, oder sei es schon durch die berlieferte Form des ›Mythos‹, das heißt der heiligen Erzhlung von den Vorgngen der ›Urzeit‹ und ›Endzeit‹«. 48 Aland, Was ist Gnosis?, S. 58. 49 II 9 [33] 9, 55 – 60.

1.2 Problemstellung

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Gegen den gnostischen Elitismus vertritt Plotin den Standpunkt, dass die Gottesschau nicht allein dem auserwhlten Volk vorenthalten, sondern im Prinzip jedem offen steht.50 Hierzu ist der Hinweis auf Plotins Aussage in Enn. I [6] angebracht, der zufolge man zur Gottesschau gleichsam das »geistige Auge« çffnen muss, das zwar jeder besitzt, von dem aber nur wenige Gebrauch machen.51 Dabei setzt er das alte Erkenntnisprinzip »Gleiches durch Gleiches« voraus: Kein Auge kçnnte je die Sonne sehen, wre es nicht sonnenhaft. So sieht auch keine Seele das Schçne, welche nicht schçn geworden ist. Es werde also einer zuerst ganz gotthnlich, und ganz schçn, wer Gott und das Schçne schauen will.52

In Anlehnung an die »Diotima-Rede« in Platons Symposion 210 – 211 schildert Plotin den Aufstieg von der sinnlichen Schçnheit ber die nicht-sinnlichen Schçnheiten wie die der Seele und der Wissenschaft zum Schçnen selbst.53 Zu betonen ist, dass auch das sinnlich-kçrperliche Schçne eine Stufe der Leiter des Schçnen darstellt, die vom hiesigen Schçnen zum dortigen Schçnen hinauffhrt, letzten Endes bis zu dem »Quell und Ursprung« alles Schçnen, nmlich dem Guten, d. h. Gott. Der Aufstieg mndet also in der Gottesschau.54 Wichtig ist, dass Gott bei Plotin »Quell und Ursprung« alles Schçnen ist, wohingegen Gott bei den Gnostikern sich in der Verneinung und Aufhebung des hiesigen Schçnen offenbart. Plotins jenseitiger Gott ist zwar außerweltlich, aber nicht wie der fremde Gott der Gnostiker gegenweltlich.55 Angesichts dieses grundstzlichen Unterschieds ist unplausibel, dass Plotins Gott »die Pseudomorphose des ›neuen und unbekannten Gottes‹ der Gnosis« sei.56 Verfehlt scheint auch die Rede von einer »plotinischen Gnosis«57 zu sein, die den »einsamen Gipfel« der Transformation der mythologischen Gnosis zur philosophischen Mystik in der Sptantike darstelle.58

50 So auch Tornau, Plotin, S. 395. In Bezug auf den Elitismus der Gnostiker stellt Rudolph fest, dass der Gnostiker sich »als Teil des ›auserwhlten Geschlechts‹ versteht, das als eine Art Elite gegenber dem bloßen ›Irdisch-gesinnten‹ den engen Zusammenhang von Welt, Mensch und Erlçsung begriffen hat« (Religionsgeschichte, S. 21). 51 I 6 [1] 8, 25 – 27. Vgl. Plat. Resp. 533d. Zum »Auge des Geistes« bei Plotin vgl. Phillips; D. Frede (Augen) bietet eine ›skularisierte‹ Deutung der Metapher »Auge des Geistes« bei Platon. 52 I 6 [1] 9, 30 – 34. Vgl. VI 9 [9] 11, 31 – 32. 53 Ausfhrlicher vgl. VI 7 [38] Kap. 31 – 35. Zu Diotimas Aufweg zum Schçnen vgl. D. Frede, Augen, S. 100 ff. 54 I 6 [1] 1, 20: 1pib²hqô aqt` wq¾lemoi (= Plat. Symp. 211c 3); 9, 41 f. Von einem vçlligen Verzicht auf die kçrperlich-sinnliche Schçnheit kann nicht die Rede sein. Dazu vgl. Armstrong, Tradition; ders., Beauty ; ders. Divine Enhancement; O’Meara, Beaut. 55 Vgl. Jonas, Botschaft, S. 298: »Der gnostische Gott ist nicht nur außerweltlich und berweltlich, sondern in einem ußersten Sinn zugleich gegenweltlich« (hervorgehoben vom Autor). 56 Jonas Gnosis I, S. 251. Anders Dodds, One; Halfwassen, Aufstieg, bes. S. 23 ff. 57 Jonas, Gnosis I, S. 206. 58 Jonas, Gnosis II, S. 251

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1. Einleitung

An dieser Stelle sei ein kurzer Blick auf eine prototypische Form des gnostischen Mythos angebracht.59 Die Schçpfung dieser Welt geht nach den Gnostikern auf eine Krise in der gçttlichen Welt zurck. Unser Kosmos ist ein Werk eines bçsen Demiurgen und seiner Helfer, der Planetenengel. Um diese katastrophale Schçpfung rckgngig zu machen, unternimmt der erste und unbekannte Gott eine Rettungsaktion, indem er ohne Wissen des Demiurgen den Menschen mit einer gçttlichen Substanz ausstattet, die »Pneuma« oder »Funke« heißt, und dem Menschen ermçglicht, sich dem Werk des niederen Schçpfers zu widersetzen und in das »Lichtreich« des hçchsten Gottes (zurck)zukehren, wobei die ganze Heilsgeschichte mit der Auflçsung des Kosmos zum Ende kommt. In Enn. II 9 [33] bezeichnet Plotin einen derartigen gnostischen Mythos als ein »Schauerdrama der Schrecknisse«, das denjenigen Menschen Furcht einjagt, »die keine Erfahrung mit rationalen Erklrungen haben und nichts von einer auf Bildung beruhenden, wohl gestimmten Erkenntnis (gnsis) gehçrt haben« (13, 7 – 10). Besonders bezichtigt er die Gnostiker der Verzerrung und Verschlechterung der Lehren in Platons Timaios.60 Jonas glaubt allerdings hinter dieser ausgesprochenen Polemik gegen die Gnostiker gerade eine verdeckte Affinitt zur Gnosis zu sehen. In Bezug auf Plotins griechisches Ethos der Weltbejahung sagt er wie folgt: »Aber wir tun dem Pathos dieser Weltbejahung kein Unrecht, wenn wir an ihm eine gewisse Anstrengung bemerken, die nicht allein der Abwehr der gegnerischen Weltkritik entstammt, sondern auch der Bewltigung der ungeheuren Spannweite, die sein eigenes System offen hielt.«61 Als »die systembildende Kraft« des plotinischen Platonismus identifiziert Jonas die Gnosis.62 Gewiss ist bei Plotin eine gewissermaßen angestrengte Weltbejahung zu beobachten. Gleichwohl ist zu bezweifeln, dass hinter dieser Anstrengung eine gnostische Weltablehnung steckt. Meiner Auffassung nach lsst sich seine ambivalente Stellung zur Welt eher auf eine systematische Spannung inner59 Die folgende Darstellung der Gnosis hlt sich an Jonas, Gnosis II, S. 328 – 346 (Typologische und historische Abgrenzung des Phnomens der Gnosis); ders. Botschaft, S. 69 – 74; Rudolph Religioinswissenschaft, S. 3 – 33. Die 1945 in Nag Hammadi/gypten gefundenen gnostischen Originaldokumenten in koptischer Sprache bringen ein differenzierteres Bild der Gnosis ans Licht. Zur Fundgeschichte der Nag Hammadi-Codices siehe Rudolph, Gnosis, S. 40 – 58. 60 II 9 [33] 6, 14 f. Vgl. Armstrong, Dualism; Igal; O’Meara, Making. 61 Jonas, Gnosis II, S. 256. 62 Jonas, Gnosis II, S. 174. Vgl. S. 258: »seine metaphysische Folie […] ist gnostische Stufenmetaphysik.« Vgl. Jonas, Gnosis I, S. 46, der die Frage stellt, »von welchem eigenen Mittelpunkt her Plato hier ergriffen wurde, ja ob nicht sogar letzten Endes Gnosis, transformierter gnostischer Mythos, den innersten Impuls hergegeben hat«. Hier bemerken wir jedoch eher an Jonas eine Anstrengung, Plotins Platonismus in den gnostischen Rahmen hineinzwingen. An dieser Stelle halten wir es fr ratsam, Puechs Bemerkung zu folgen: »Il serait, d’ailleurs, curieux et fructueux, non point d’aller jusqu’ confondre; comme le fait H. Jonas, la philosophie de Plotin avec une gnose, mais de tenter de la prendre et de la comprehendre, en poussant l’interprtation l’extr me, la mani re d’un syst me gnostique« (S. 184).

1.2 Problemstellung

23

halb der platonischen Philosophie zurckfhren. Der springende Punkt scheint darin zu bestehen, dass unser Kosmos fr den Platoniker Plotin zwar die bestmçgliche Schçpfung, jedoch letztlich nur ein Abbild oder eine Imitation des wahren Kosmos darstellt: »Und wenn es [sc. dieses All], als Imitation, nicht das Dortige ist, so ist das ganz natrlich: Andernfalls wre es ja keine Imitation mehr« (8, 16 – 18).Dennoch lsst er die hnlichkeit zwischen dem hiesigen Abbild und dem dortigen Urbild sowie die Abhngigkeit des Hiesigen vom Dortigen nicht außer Acht und behauptet, dass in diesem Kosmos nichts von dem ausgelassen ist, was in einem »schçnen natrlichen Abbild« (jakμm eQjºma vusijμm) enthalten sein kçnne (8, 18 f.). Freilich ist unsere »wahre Heimat« nach Plotin jene geistige Welt.63 Entsprechend sind unsere Seelen zu den »Auslndern« (n´mour) in dieser sinnlichen Welt zu zhlen.64 Dennoch ist diese Welt in Plotins Augen keine derart ungastliche Fremde, wie die Gnostiker meinen. Um den Unterschied zwischen seiner Haltung zu dieser Welt und der weltablehnenden »Daseinshaltung« der Gnostiker65 zu verdeutlichen, fhrt er die Metapher zweier Weltbewohner an: Aber das wre so hnlich, wie wenn zwei Menschen dasselbe schçne Haus bewohnten, und der eine wrde die Bauweise und den, der es gebaut hat, kritisieren, aber nichtsdestoweniger in dem Haus bleiben, whrend der andere, statt zu kritisieren, dem, der es gebaut hat, eine hçchst kunstvolle Leistung zuerkennen und abwarten wrde, bis der Zeitpunkt da ist, zu dem er sich verabschieden wird, wo er nicht mehr auf ein Haus angewiesen sein wird; und nun wrde der erstere meinen, er sei klger und besser darauf vorbereitet, hinauszugehen, weil er anzugeben weiß, dass die Wnde aus unbeseelten Steinen und Hçlzern bestehen und hinter dem wahren Wohnort weit zurckbleiben, ohne zu begreifen, dass er sich nur dadurch hervorhebt, dass er das Unvermeidliche nicht ertrgt – wenn es nicht berhaupt so ist, dass er fr sich in Anspruch nimmt, unzufrieden zu sein, aber im stillen an der Schçnheit der Steine hngt (!cap_m).66

Hier appelliert Plotin an die Erfahrung der Schçnheit dieser Welt, durch welche die Empfindung der Liebe hervorgerufen wird.67 Subtil unterstellt er den Gnostikern, den selbst proklamierten Welthassern, eine verdeckte Liebeserfahrung mit dieser Welt. Im Gegensatz zu den Gnostikern, die »das Unvermeidliche« nicht ertragen wollen, pldiert er an anderer Stelle dafr, ohne Murren und »mit Milde« (pq²yr) zu ertragen, was vom Lauf des Ganzen her notwendig ist.68 Dieser milde Blick auf die Welt beruht auf seinem komplexen Weltverstndnis, wie wir spter nher sehen werden. 63 64 65 66 67 68

I 6 [1] 8, 16 f. Dazu vgl. O’Meara, Heimkehr. VI 3 [44] 1, 26 – 28. Jonas, Gnosis I, S. 12 ff., 140 ff. Vgl. Brox, 301 f., 312 f. II 9 [33] 18, 4 – 14. Dazu vgl. Armstrong, Divine Enhancement, bes. S. 69 f. II 9 [33] 9, 72 – 74.

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1. Einleitung

1.2.3 Angleichung an Gott: Eine Ethik der Flucht? Plotins kosmischer Optimismus speist sich auch aus der berzeugung, dass man schon hier dem Dortigen gemß leben kann.69 Insofern bedeutet die Jenseitsorientierung bei Plotin nicht die Leugnung des Diesseits, sondern eher die Leitung des Lebens im Diesseits mit Blick auf das jenseitige Ideal. Aus dieser Perspektive vertritt Plotin seine Ethik der Flucht, wobei er sich auf Platon beruft:»Als Flucht bezeichnet er [sc. Platon] nicht das Fortgehen von der Erde, sondern noch auf Erden weilend ›gerecht und fromm zu sein, mit Einsicht verbunden‹; was er meint, ist also: Man soll die Schlechtigkeit fliehen.«70 Diese Zuflucht zur Tugend bezeichnet Plotin, nochmals im Gefolge Platons, als »Angleichung an Gott«.71 In diesem Zusammenhang stellt Plotin eine Theorie der Tugendgrade auf, welche die Stufenwege zur Gottesschau aufzeigt, wobei die Stufen der Tugenden eine fortschreitende Angleichung der menschlichen Seele an Gott bilden. Die progressive Vergçttlichung stellt eine aufsteigende Bewegung der Seele dar, die sich in der Schau bzw. Einswerdung mit dem hçchsten Gott, nmlich dem Guten selbst, vollendet.72 Emphatisch konstatiert Plotin, dass »der grçßte und ußerste Wettkampf der Seelen« um dieser hçchsten Schau willen geschieht.73 Und fr deren Erlangung msse man »Kçnigsherrschaft und Amtsgewalt ber die ganze Erde, das Meer und den Himmel hingeben, sofern man dadurch, dass man sie hinter sich ließe und ber sie hinwegshe, sich zu jenem hinwenden und es erblicken kçnnte«.Wer jenen zu Gesicht bekommen wolle, msse dafr sorgen, dass man ihm hnlich sei. Auch beim Schauen werde man jenem hnlich, der allen Dingen die Schçnheit gebe, und somit seine Liebhaber schçn und liebenswert mache. In dieser Schau liege »das Leben der Gçtter und der gçttlichen, glcklichen Menschen«, welches »ein Leben frei von Lust am Hiesigen«, schließlich »Flucht des Einsamen zum Einsamen« bedeute.74 Angesichts dieser Beschreibung kann man durchaus von einer Ethik der Flucht sprechen. Plotin fhrt seine Aufforderung zur Weltflucht auf Platons Lehre zurck. Interessanterweise vertritt er die Ansicht, dass auch die gnostische Weltflucht platonischen Ursprungs ist. Er behauptet, dass die Gnostiker alles Richtige an ihrer Lehre aus Platon entnommen haben. Als richtige Lehrmeinungen der Gnostiker nennt er »die Unsterblichkeit der Seele, die 69 II 9 [33] 8, 45. 70 I 8 [51] 6, 10 – 12; Vgl. Plat. Theat. 176a 8–b 2. 71 I 2 [19] 1, 3 – 4. Zum Thema Angleichung an Gott siehe Merki; Annas, Old and New, Kap. 3 (zu Plotin vgl. 66 ff.); Sedley, Godlikeness; O’Meara, Platonopolis, S. 31 – 39; Schibli, S. 118 – 128. 72 Vgl. Dillon, Grades of Virtue; O’Meara, Vie politique; ders. Platonopolis, S. 40 ff.; Vorwerk, Virtue S. 39 ff. 73 I 6 [1] 7, 25 – 39. Vgl. Plat. Phaedr. 247b 5 f. 74 VI 9 [9] 11, 45 – 51.

1.2 Problemstellung

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geistig erkennbare Welt, den ersten Gott, dass die Seele den Umgang mit dem Kçrper fliehen muss, ihre Trennung von ihm und die Flucht vom Werden ins Sein« mit der Bemerkung: »Das alles steht ja bei Platon.«75 Dennoch unterstellt er damit Platon keineswegs eine vçllige Weltablehnung wie die gnostische. Denn er rechnet »die Schmhung der Welt« der Gnostiker zu den »ungehçrigen Zustzen« der platonischen Lehre.76 Also ist Plotins Ethik der Flucht nicht mit der gnostischen Ethik der Entweltlichung zu verwechseln. Trotz der Aufforderung zur einsamen Weltflucht erscheint Plotins Ethik nicht absolut weltlos oder einsam, sobald man in Betracht zieht, dass die so genannten »politischen«, d. h. brgerlichen Tugenden als die erste Stufe der Tugendleiter in den Gesamtprozess der Vergçttlichung integriert sind.77 In Enn. I 2 [19] ber die Tugenden unterscheidet Plotin im Ganzen zwei Stufen von Tugenden, nmlich »kleinere« und »grçßere« Tugenden, wobei die kleineren im praktischen Bereich, die grçßeren hingegen im theoretischen Bereich anzusiedeln sind. Die kleineren, die auch als »brgerliche« Tugenden bezeichnet werden, entsprechen den platonischen Kardinaltugenden in Politeia IV 430c. Der Stufenweg fhrt dann ber die »Reinigungen«, die sich in Platons Phaidon 82a von der »demotischen und brgerlichen« Tugend abheben, zu den »grçßeren« Tugenden, deren Vorbilder im gçttlichen Geist zu finden sind.78 An dieser Stelle ist zweierlei zu bemerken. Zum einen sind die Vorbilder der Tugenden keine Tugenden. Sie liegen »vor« (pq¹) der Tugend. So ist z. B. die Gerechtigkeit, die sich im Geist befindet, keine Tugend, sondern das Vorbild fr die Gerechtigkeit der Seele.79 Dieser Gedanke erklrt sich dadurch, dass die Tugend der optimale Zustand eines Wesens ist, weshalb sie nur demjenigen Wesen zukommt, dessen Zustand gut oder schlecht sein kann.80 Folglich kann ein vollkommenes Wesen wie der gçttliche Geist keine Tugend besitzen, weil es sich gar nicht in einem solchen Zustand befinden kann. Die Idee der Gerechtigkeit z. B. ist nach Plotin kein Zustand des Geistes, sondern »seine Aktivitt und das, was er ist« ((Em´qceia aqtoO ja· f 1stim).81 75 76 77 78

II 9 [33] 6, 38 – 42. II 9 [33] 6, 55 – 59. Dazu vgl. Alt, Gnosis, S. 11 f. Gegen Harder, H-B-T I b, S. 560 f. I 2 [19] Kap. 3. Auf dieser Grundlage entwickelt Porphyrios in den Sentenzen (p. 32. Lamberz) eine Theorie der Tugendgrade, wonach die Tugenden in vier Stufen aufgeteilt werden: (1) politische; (2) kathartische; (3) theoretische; (4) archetypische. Diesbezglich bemerkt Harder (H-B-T I b, S. 560), dass Porphyrios »teils aus Missverstndnis des Textes, teils aus schematischem Systemtrieb« aus Plotins Darlegung eine ganze Stufenfolge gemacht habe. Iamblichos arbeitet diese Theorie noch weiter aus, indem er drei weitere Grade hinzufgt und somit zu sieben Graden der Tugenden gelangt: (1) natrlich; (2) ethisch; (3) politisch; (4) kathartisch; (5) theoretisch; (6) archetypisch; (7) hieratisch. Dazu vgl. O’Meara, Platonopolis, S. 44 ff. 79 I 2 [19] 7, 1 – 3. 80 Vgl. I 2 [19] 4, 13: »Sie [sc. die Seele] ist nmlich von Natur auf beide Seiten hin angelegt (p´vuje c±q 1pû %lvy).« 81 I 2 [19] 6, 15. Vgl. 3, 19 f.

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1. Einleitung

Zum anderen sind die grçßeren Tugenden hier nicht kathartisch,82 obwohl Plotin in Enn. I 6 [1] Kap. 6 unter Berufung auf Platons Phaidon 67 – 69 eine Lehre von den kathartischen Tugenden entwickelt. In Enn. I 2 [19] nehmen die »Reinigungen« eher eine Zwischenstufe zwischen den beiden Tugenden ein: »Wendet sie [sc. die Seele] sich denn nach der Reinigung hin? Nein, nach der Reinigung ist sie hingewandt. Das ist also ihre Tugend? Nein, erst das, was die Hinwendung ihr bringt. Und was ist das? Schau« (4, 16 – 19). Zu bedenken ist, dass die »Reinigungen« der Seele mit Bezug auf den Kçrper definiert werden – es sind ja die Reinigungen von den kçrperlichen Einflssen –, die grçßeren, theoretischen Tugenden hingegen ohne Bezug auf den Kçrper, sondern nur mit Bezug auf den Geist.83 Im Hinblick auf Plotins Theorie der Grade der Tugend bemerkt Harder, dass die brgerlichen Tugenden »auf eine untere Stufe herabgedrckt, ja fast eliminiert« werden. Dem fgt er hinzu: »Die neue Haltung kennt nur noch Tugenden, die auf ihren Trger selbst bezogen sind, nicht auf die Mitmenschen.«84 Darin erblickt er einen »Frontwechsel der Ethik« in der Antike. Auch Dillon sieht in dieser Theorie einen Neubeginn der antiken Ethik: »What Plotinus has done in this tractate, it seems to me, is to set out, perhaps for the first time in a coherent way, an ethics for the world-renouncing sage of later Platonism.«85 ber die Verbindung zwischen den »brgerlichen« und den hçheren Tugenden kommentiert Dillon: »Such a connexion is certainly assumed, but it is not worked out.« Fr Harder und Dillon liefert die Schrift ber die Tugenden Belege fr Plotins Ethik der Selbstbezogenheit und Weltabgewandtheit. Es ist nicht zu bestreiten, dass die hçhere Stufe von Tugenden bei Plotin eine selbstbezogene und weltabgewandte Haltung zeigt. Der Stufenweg der Tugend stellt unbestreitbar eine aufsteigende Annherung der Seele an Gott dar, der ber dieser Welt erhaben ist. Dennoch integriert Plotin in diesen Prozess der Angleichung an Gott die politische bzw. soziale Dimension des menschlichen Lebens. Die »brgerlichen« Tugenden stellen nmlich nicht bloß eine Vorstufe der Angleichung an Gott dar, sondern deren erste Etappe. Plotin weist darauf hin, dass die brgerlichen Tugenden der Seele Grenze und

82 Anders Harder, H-B-T I b, S. 560: »Die hçheren [sc. grçßeren] sind kathartisch, berufen auf Reinigung.« Vgl. I 2 [19] 4, 1 – 9 (bers. Harder): »Nun fragt sich, ob die Reinigung zusammenfllt mit dieser hçheren Tugend, oder ob die Reinigung vorangeht und die Tugend aus ihr folgt; und ob im Gereinigtwerden oder im Gereinigtsein die Tugend unvollkommen ist; im vollen Gereinigtsein erreicht sie erst gewissermaßen ihr Ziel und Ende. Dies Gereinigtsein seinerseits ist nun aber nur die Entfernung alles Widrigen, das Gute aber noch etwas anderes. Wenn aber in der Seele vor der Unreinheit das Gute war, dann gengt doch die Reinigung? Gewiß, die Reinigung gengt dann; aber das, was sie brig lßt, ist dann das Gute, nicht die Reinigung.« 83 I 2 [19] 3, 10 – 19; 6, 12 – 13; 23 – 27. 84 H-B-T I b, 560 f. Jonas (Gnosis II, 264) zitiert Harders Urteil zustimmend. 85 Dillon, Ethic, S. 101.

1.2 Problemstellung

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Maß verleihen und sie somit dem Gott als Maß hnlich machen.86 Diese Tugenden sind zwar innerhalb der plotinischen scala virtutis untergeordnet, aber nicht eliminiert. Zum Erweis der »Herabdrckung« der brgerlichen Tugenden bei Plotin verweist Harder noch auf Enn. VI 3 [44], wo die »praktischen« Tugenden den »reinigenden« Tugenden untergeordnet sind. Bei nherem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass Plotin die praktischen Tugenden zu wertschtzen weiss: Sie verwirklichen nmlich hier das Schçne (t¹ jak_r), welches nicht bloß ein Notwendiges (!macja?om), sondern vielmehr ein Vorzuziehendes (pqogco¼lemom) ist (16, 27 – 31).87 Ferner stellt Plotin in Enn. I 2 [19] explizit eine Verbindung zwischen den kleineren Tugenden und den grçßeren Tugenden her : »Wer also die grçßeren Tugenden hat, hat notwendigerweise potenziell auch die kleineren; wer aber die kleineren hat, besitzt nicht notwendig auch die grçßeren« (7, 10 – 12). Plotin zufolge verfgt derjenige, der die grçßeren Tugenden besitzt, ber die kleineren Tugenden »wenigstens durch Wissen« (eQd¶sei ce),88 die er dann je nach Umstnden in die Tat umsetzt. Dabei handelt er nicht bloß nach den praktischen Regeln, welche die »brgerliche« Tugend gewçhnlich fordert, sondern bereits nach den »grçßeren Prinzipien (le¸four !qw±r) bzw. Maßstben (l´tqa)« (7, 20 – 22). Von daher ist anzunehmen, dass die grçßeren Tugenden dem Handelnden Grundstze liefern. Zu beachten ist, dass die Handlungen gemß den »grçßeren« Prinzipien und Maßstben zwar die Handlungen gemß der brgerlichen Tugend bersteigen, doch nicht aufheben kçnnen, sofern die »grçßeren« Tugenden notwendigerweise potenziell die »kleineren« implizieren. Dafr spricht auch, dass Plotin dem gereinigten Menschen die richtige Handlung (jatºqhysir) zuschreibt. Der reine Mensch macht also keinen moralischen Fehler ("laqt¸a).89 Daher ist plausibel, dass der reine Mensch auch die praktischen Tugenden besitzt. Da nun derjenige Mensch, der die grçßeren Tugenden besitzt, bereits gereinigt ist, so besitzt er auch die richtige Handlung und die kleineren Tugenden. Zur Bekrftigung dieser Deutung ist Plotins Erçrterung der Beziehung zwischen der theoretischen und der praktischen Weisheit heranzuziehen. In Enn. I 3 [20] ber die Dialektik wird behauptet, dass die theoretische Weisheit (sophia) der praktischen Weisheit bzw. Einsicht (phronÞsis) alle formalen (vgl.

86 I 2 [19] 2, 13 – 20. 87 Vergleichbar mit dem stoischen Begriff des »pqogcl]ma« (vgl. SVF III 280, DLVII 105 – 7). Dazu siehe Kidd, S. 159 f. 88 Harder bersetzt ce mit »nur«. 89 I 2 [19] 6, 1 – 2. Plotin greift hier wohl auf die stoische Unterscheidung von jatoqh¾la und "laqt¶la zurck. jatoqh¾la bezeichnet in der Stoa das richtig vollbrachte Handeln, d. h. das Handeln, das aufgrund der Tugend des Handelnden vollzogen wird, whrend ein "laqt¶la aufgrund des Lasters des Handelnden zustande kommt (vgl. SVF III 501 f.). Dazu vgl. Kidd, S. 156 f.; Long, Stoic Studies, S. 210 f.

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1. Einleitung

!¼kyr) Prinzipien zu ihrem Gebrauch darbietet.90 Dabei betont er die Wichtigkeit der sophia fr die anderen Tugenden: Ohne die theoretische Weisheit bleiben die anderen Tugenden einschließlich der praktischen Weisheit nur »unvollendet und mangelhaft« (6, 14 – 15). So sagt er ausdrcklich, dass die theoretische Weisheit die ethischen Dispositionen (Ehg) zur Vollendung fhrt. Daraus ergibt sich, dass sich die praktischen Tugenden als Vollendung der ethischen Haltung auf die theoretische Weisheit sttzen. Entsprechend schreibt er in Enn. I 4 [46] dem Weisen ausgezeichnete Charakterdispositionen wie z. B. Tapferkeit zu: »Hat er aber noch Angst vor irgendetwas, so ist er noch nicht vollendet in der Tugend, sondern auf halbem Weg«.91 Aufgrund des bisher Dargestellten ist festzustellen, dass dem plotinischen Weisen (sophos) nicht nur die theoretischen Tugenden, sondern auch die praktischen Tugenden innewohnen. Ein derartiger Weiser ist der plotinische Spoudaios, der das Tugendideal verkçrpert. Dieses Idealbild passt gut zu jener Aussage, dass derjenige, der bereits im Besitz der Erkenntnis ist, im Verfolgen des Erkannten schon hier richtig handeln und die Dinge hier unten berichtigen muss. Die Erkenntnis bzw. die theoretische Weisheit bei Plotin widerspricht nicht der richtigen Handlung bzw. der praktischen Tugend,92 sondern im Gegenteil: Die theoretische Weisheit begrndet die Richtigkeit der Handlung. Diesbezglich sei noch darauf hingewiesen, dass Plotin die moralische Autonomie des Weisen vertritt, die gerade auf dem Wissen beruht, warum die richtige Meinung und die entsprechende Handlung richtig sind (diºti aqh_r).93 Zur Rechtfertigung der Meinung oder Handlung muss man sich auf die Prinzipien bzw. Maßstbe berufen, die letzten Endes von der theoretischen Weisheit her kommen.

1.2.4 Warum die Rckkehr in die Welt? Nun ist daran zu erinnern, dass Plotin den tugendhaften (spoudaios) Menschen den Gnostikern ohne Tugend entgegenstellt, indem er diesen besonders den Egoismus vorwirft: Sie interessieren sich nur dafr, »was sich auf sie selbst bezieht, was nicht mit anderen Menschen gemeinsam ist und was aus90 I 3 [20] 6, 12 – 14. Plotin zufolge erfordern die einzelnen ethischen Tugenden je nach Handlungsbereich spezifische berlegungen, whrend die praktische Einsicht (phronÞsis) eine allgemeine Reflexion (1pikocislºr) darber darstellt, »ob die anderen Tugenden aufeinander folgen, und ob man jetzt noch warten soll mit Handeln oder ein andermal handeln soll oder ob berhaupt etwas anderes besser ist« (6, 10 – 12). Freilich besitzt die theoretische Weisheit (sophia) einen noch hçheren Allgemeinheitsgrad als die praktische Einsicht. Dazu vgl. O’Meara, Platonopolis, S. 136 f.; Smith, Practical, S. 231 f. Zum Verhltnis von sov¸a und vqom¶sir bei Aristoteles vgl. EN VI 8, 1141b 14 f . Dazu vgl. Wolf, Aristoteles, S. 154 – 161. Plotin hlt nicht immer an der terminologischen Unterscheidung zwischen sov¸a und vq|mgsir fest. 91 I 4 [46] 15, 15 – 16: oq t´keor pq¹r !qet¶m, !kk± Flis¼r tir 5stai. 92 Gegen Jonas, Gnosis II, S. 269 ff. 93 Vgl. VI 8 [39] 3, 5 – 8. Ausfhrlich dazu siehe unten 7. 2.

1.2 Problemstellung

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schließlich mit dem eigenen Bedarf zu tun hat« (t¹ peq· aqto»r ja· t¹ oq joim¹m pq¹r %kkour !mhq¾pour ja· t¹ t/r wqe¸ar lºmom).94 Daraufhin stellt sich die Frage: Was ist das Gemeinsame, welches die Menschen miteinander verbinden soll? Wie konzipiert Plotin selbst das gemeinsame Leben mit anderen Menschen? Bezeichnenderweise behauptet Plotin, dass sich der tugendhafte Mensch bzw. Tugendmensch um seinen Kçrper und seine Mitmenschen kmmert, ohne dabei sich selbst zu vernachlssigen. Also trgt der plotinische Tugendmensch eine doppelte Sorge, nmlich die Sorge um sich selbst und die Sorge um andere.95 Eine derartige Lebensweise scheint das Modell gewesen zu sein, welche sich in dem von Porphyrios idealisierten Leben Plotins widerspiegelt: »Er war eben zugleich bei sich selber und bei den anderen.«96 Man kann allerdings den Eindruck nicht unterdrcken, dass sich die Sorge des plotinischen Tugendmenschen um die anderen weniger in den çffentlichen Bereichen entfaltet, als vielmehr in den privaten Sphren. Selbst die »brgerlichen« Tugenden, die der Tugendmensch praktizieren muss, scheinen wenig mit der res publica zu tun haben. Denn sie bestehen im Kern in der Mßigung der Affekte und schaffen somit die Ordnung (taxis) und das Einverstndnis (homologia) innerhalb der dreiteiligen Seele in Gemeinschaft mit dem Kçrper.97 Es geht also um eine innere Politik der Seele, die nicht zum gemeinsamen Geschft mit anderen gehçrt, sondern eher zum individuellen. Wie ist dann sein Vorwurf gegen die egoistischen Gnostiker zu erklren? Warum kmmert sich der plotinische Spoudaios berhaupt um die anderen? Die Problemlage wird dadurch noch erschwert, dass Plotin offenbar glaubt, dass der Tugendmensch sich um die anderen kmmern muss. Hierfr ist eine Stelle aus Enn. VI 9 [9] heranzuziehen. Dort fordert er zunchst zum inneren Aufstieg zum Guten durch Lçsung von allem ußeren auf. Danach folgt jedoch die Forderung der Rckkehr in die Welt: Und wenn man mit ihm [sc. dem Guten] zusammen gewesen ist und quasi genug Umgang mit ihm gehabt hat, muss man zurckkommen und, falls mçglich, noch jemand anders von dem dortigen Zusammensein erzhlen. Vielleicht hatte Minos so etwas erlebt, und deshalb ging von ihm die Rede, er habe mit Zeus trautes Gesprch gepflogen; und indem er sich daran erinnerte, gab er als Abbilder davon seine Ge94 II 9 [33] 15, 18 – 20. 95 Vgl. Rist, Road, S. 158, 167; Bussanich, Invulnerability, S. 180 f.; Schniewind, S. 200 f. 96 VP 8, 19. Vgl. VP 9. Gegen McGroarty, Commentary, xvii- xviii: »It may indeed be the case that the spoudaios engages with his fellow men because his ethical activity is guided by principle from Nous, but Plotinus does not tell us this in Ennead I. 4 [46] where one might expect him to do so. Indeed he does not tell us this specifically anywhere in the Enneads […] If we are to regard Plotinus as a Spoudaios, it may be that we have to accept that he did not always preach what he practised.« In seiner frheren Arbeit sah McGroarty (Eudaimonia, S. 113) die Lage offensichtlich anders: »The wise man is guided by higher principles and his virtue, as practiced in society, is guided by those principles: this is the real nature of civic virtue (t/r pokitij/r B oqs_a, Enn. I. 2. 3. 3.)«. 97 I 2 [19] 1, 16 – 21; 1, 46 – 50; 2, 13 – 20. Vgl. Plat. Resp. 434c 8.

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1. Einleitung

setze, weil ihn die Berhrung durch das Gçttliche so erfllte, dass daraus seine Gesetzgebung entstand. Oder vielleicht hielt man98 das Politische fr seiner nicht wrdig und wollte immer oben bleiben (!e· 1h´kei l´meim %my); eine Empfindung, die auch jemand haben kann, der viel gesehen hat.99

Die plotinische Flucht des Alleinigen zum Alleinigen endet nicht im »absoluten Solipsismus« und Schweigen.100 Plotin verlangt von demjenigen, der zum Zusammensein mit dem Guten gelangt ist, die Rckkehr in die Welt und, wenn mçglich, die Mitteilung seiner Erfahrung. An dieser Stelle stellen sich folgende Fragen: Warum muss jener zurckkommen? Was heißt hier »muss« (de?)? Soll jener dazu gezwungen werden, die politische Aufgabe zu bernehmen? Plotins Vermutung, dass einer, der viel gesehen hat, lieber immer oben bleiben will, erinnert an die Philosophen in Platons Politeia, welche nicht gerne Politik betreiben wollen.101 Dort argumentiert Sokrates dafr, dass die in seiner Kallipolis ausgebildeten Philosophen fr die anderen und fr die ganze Stadt Sorge tragen mssen: Also zurck in die Hçhle!102 Hat Plotin seinerseits Argumente fr den Abstieg in diese Welt zu bieten? Wenn ja, dann welche?103 Dieser Fragestellung gilt das Hauptaugenmerk der vorliegenden Untersuchung.

1.3 These: Eine Ethik der Sorge Meine These lautet, dass Plotin nicht nur ber eine Ethik des Aufstiegs, sondern ebenso ber eine Ethik des Abstiegs verfgt. Seine Ethik des Aufstiegs lsst sich in die Tradition der sokratischen Sorge um sich selbst einordnen. Er stellt nmlich den Aufstieg der Seele zum Gçttlichen als Aufstieg zum Selbst dar. Am Ziel angelangt, soll die Seele nichts anderes als sich selbst finden.104 98 Mit O’Meara (Philosopher-king, S. 281, Anm. 10), Harder, Brhier und Igal nehme ich an, dass es hier nicht mehr um Minos geht. Anders in den bersetzungen von Armstrong, P. Hadot und Tornau. 99 VI 9 [9] 7, 21 – 28. Dazu vgl. O’Meara, Introduction, S. 108 ff.; ders. Philosopher-king, bes. S. 281 ff.; Smith, Practical, S. 234. 100 Gegen Jonas, Gnosis II, S. 288. 101 Plat. Resp. VII 519c 7-d 1 (bers. Schleiermacher): »Uns also, als den Grndern der Stadt, sprach ich, liegt ob, die trefflichsten Naturen unter unseren Bewohnern zu nçtigen, dass sie zu jener Kenntnis zu gelangen suchen, welche wir im vorigen als die grçßte aufstellten, nmlich das Gute zu sehen und die Reise aufwrts dahin anzutreten; aber wenn sie dort oben zur Genge geschaut haben, darf man ihnen nicht erlauben, was ihnen jetzt erlaubt wird […]. Dort zu bleiben, sprach ich, und nicht wieder zurckkehren zu wollen zu jenen Gefangenen, noch Anteil zu nehmen an ihren Mhseligkeiten und Ehrbezeugungen, mçgen diese nun geringfgig sein oder bedeutend.« 102 Plat. Resp. VII 520a. Ausfhrlich dazu vgl. Mahoney ; Scholz, S. 98 ff.; Szaif, Aletheia, S. 163 f.; D. Frede, bermensch, S. 260 f. 103 Skeptisch O’Meara, Philosopher-king, S. 282: »In Plotinus, the grounds of the obligation to communicate the One, to legislate in the image of the divine, are not specified.« 104 IV 7 [2] 10, 14 – 5; VI 9 [9]11, 38 – 40. Ausfhrlich dazu siehe unten 2. 4.

1.3 These: Eine Ethik der Sorge

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Der ganze Prozess der Vergçttlichung bedeutet fr die Seele streng genommen die Suche nach einem besseren Selbst. Eine derartige Selbstsuche impliziert freilich eine Selbstverbesserung, die schließlich in der Selbstvervollkommnung aufgeht. In der Vervollkommnung des Selbst liegt gerade das letzte und wrdigste Ziel des menschlichen Strebens, nmlich das Glck (eudaimonia).105 In diese Konzeption des Glcks als Selbstvervollkommnung ist Plotins Lehre der Tugendgrade eingebettet. Unter diesem Gesichtspunkt ist Plotins Ethik des Aufstiegs in die eudmonistische Tradition der antiken Ethik einzuordnen. Plotins Ethik erschçpft sich jedoch keineswegs in der Ethik der Selbstvervollkommnung, die im inneren Aufstieg zum Gott besteht.106 Seine Konzeption der providentiellen Sorge um andere, integraler Teil seiner umfassenden Lehre von der Vorsehung (pronoia: lat. providentia), erçffnet eine Perspektive der Ethik des Abstiegs, welche durch Angleichung an die wohlwollende und selbstmitteilende Gottheit die Vervollkommnung der Welt im Ganzen zum Ziel hat. Unter diesem Aspekt erweist seine Ethik des Abstiegs sich als eine »Ethik des Gebens«, die sich auf seine Metaphysik des selbst mitteilenden Guten sttzt.107 Hinsichtlich der wohlwollenden Selbstmitteilung ist Plotins Ethik des Abstiegs wiederum an die sokratische Philanthropie108 zurckzubinden, die in der philosophischen Aufklrung der Mitmenschen zum Ausdruck kommt. Als philosophischer Seelsorger fr die anderen profiliert Plotin sich besonders in seiner engagierten Widerlegung der Gnostiker.109 Plotins Lehre von der Vorsehung fçrdert zudem einen signifikanten Aspekt seiner Ethik zutage: Die Vorsehung gewhrleistet die moralische Struktur der Welt, wobei sie mit einem Prinzip der distributiven Gerechtigkeit operiert. Auf diese moralische und gerechte Ordnung der Welt fhrt er das menschliche Rechtswesen zurck. Mit einem normativen Begriff vom »Gesetz der Vorsehung« ausgerstet, verteidigt Plotin gegen den gnostischen Antinomismus die juridische institutionalisierte Sanktionspraxis innerhalb der menschlichen Gesellschaft, sofern jene Praxis mit der allgemeinen Rechtsordnung bereinstimmt. Auf diese Weise trgt Plotins Ethik der doppelten Sorge des Menschen Rechnung, nmlich der Sorge um sich selbst und der Sorge um andere. Diese doppelte Sorge fusst in der doppelten Natur der menschlichen Seele, insbesondere in ihrem doppelten Vermçgen (dynamis). Zu verwirklichen hat sie nicht nur das Vermçgen zum geistigen Aufstieg ins Jenseits, sondern genauso 105 Vgl. I 4 [46] 6, 10 – 13. 106 Gegen Theiler, Forschungen, S. 159. 107 So O’Meara, Introduction, S. 108 f.; der. Philosopher-king, S. 282 f. Vgl. Rist, Road, S. 167. Zum Thema »bonum est diffusivum sui« siehe Kremer, S. 994 – 1032. 108 Dazu vgl. Song, Philanthropie. 109 Plotin gibt auch seinen Mitarbeitern den Auftrag, gnostische Schriften zu widerlegen (VP 16). Außerdem fhrt er gegen die aberglubische Wahrsagekunst (cemehkiak|cor), die man heute »Astrologie« nennt, ins Feld (VP 15, 21 – 26).

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1. Einleitung

ein zweites, auf das Diesseits gerichtetes Vermçgen. Es gehçrt nmlich auch zu ihrer naturgemßen Aufgabe, die sinnliche Welt zu ordnen, zu verwalten und zu regieren, und zwar nach dem geistigen Vorbild. Der Auf- und Abstieg der Seele grndet also in ihrer »amphibischen« Natur.110 Wichtig ist, dass eine derartige Natur der Seele in die umfassende Natur im Sinne der Gesamtwirklichkeit eingebettet ist, die teleologisch ausgerichtet ist. Die plotinische »Natur« schafft also nichts umsonst. Plotins universale Teleologie der Natur bietet schließlich die Mçglichkeit, die innere Zweckmßigkeit der Seele in die zweckmßige Gesamtordnung des Universums einzubinden, die insgesamt auf das Gute hin gerichtet ist. Der Abstieg der Seele ist gleichsam einem »Gesetz der Natur« eingeschrieben, welches das Gemeinwohl der ganzen Natur gewhrleistet. In ein derartiges Gesetz der Natur ist wiederum das Gesetz der Vorsehung einzugliedern, welches eine wohlwollende und gerechte Weltordnung aufrechterhlt. Wichtig ist, dass sich das Gesetz der Vorsehung bei Plotin als das Gesetz der Vernunft erweist, dessen obligatorischer Charakter mitnichten der moralischen Autonomie der Individuen widerspricht. Die Gerechtigkeit und berhaupt die Moral ist demnach nichts, was der menschlichen Natur nur von außen aufgezwungen wre. Plotins Begriff der Freiheit hebt vielmehr den Aspekt der Selbstverpflichtung der Individuen qua Vernunftwesen hervor. Er propagiert durchaus keinen blinden Gehorsam gegenber dem Gesetz der gçttlichen Vorsehung. Entsprechend fhrt seine Ethik nicht zum passiven Quietivismus.111 Ganz im Gegenteil pldiert sie fr den aktiven Gebrauch der eigenen Vernunft, getragen vom »Willen zum Guten«. Damit fordert sie letztlich zu nichts anderem als zur Angleichung an die gçttliche Vernunft der Welt auf, welche als kosmischer Gesetzgeber und Politiker in der Kosmopolis wirkt. Trotz dieser politischen Dimension der Ethik Plotins wre es jedoch eine bertreibung, aus dem plotinischen Spoudaios einen platonischen Philosophen-kçnig machen zu wollen. Denn der Tugendmensch Plotins wird sich grundtzlich fr die theoretische Lebensweise entscheiden, nicht fr die geschftige Lebensweise eines Politikers.112 Dennoch ist der plotinische Tugendmensch, insofern er kein weltabgewandter Eremit, sondern ein Kosmo110 IV 8 [6] 4, 1 – 3, 31 – 35. Zur doppelten Funktion der Seele vgl. Caluori. 111 Gegen Jonas, Gnosis II, S. 284 ff. 112 In dieser Hinsicht rckt sein Tugendmensch vielmehr in die Nhe des Sokrates, der es sich laut Platon erklrtermaßen versagte, »Politik zu betreiben« (t± pokijtij± pq²tteim) (Plat. Apol. 31d). Im dortigen Zusammenhang behauptet Sokrates sogar, wer wirklich fr die Gerechtigkeit kmpfen wolle, msse unbedingt als Privatmann auftreten, nicht als Politiker (32a). Sokrates ist dennoch kein unpolitischer Mensch. Denn er weiss seinen athenischen Mitbrgern politische Ratschlge zu geben (32b). Paradoxerweise sagt Sokrates im Gorgias, dass er alleine in seiner Zeit echte Politik mit Hilfe der wahren politischen Kunst betreibe (521d 6 – 8). In der wahren Politik gehe es um die Sorge um die Seele. In dieser Hinsicht kann Plotin m. E. durchaus als Politiker bezeichnet werden. Dazu Neschke-Henschke, Nomoi, S. 38 f.; Scholz, S. 86 ff.

1.4 Methode und Aufbau der Arbeit

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polit ist, seiner politischen Verpflichtungen in dieser Welt nicht enthoben. Die Einsicht in die Ordnung der Gesamtwirklichkeit und die Erkenntnis seiner eigenen Natur geben ihm gute Grnde und Motive fr die bewusste Rckkehr in diese Welt.

1.4 Methode und Aufbau der Arbeit Das Hauptanliegen der vorliegenden Arbeit liegt darin, ein zuverlssiges Gesamtprofil der Ethik Plotins zu skizzieren, ber welches in der bisherigen Forschung noch keine Einigkeit besteht. So gilt unser Bemhen vor allem der Vermittlung des plotinischen Systems, welche eine Grundlage fr eine detailliertere und differenziertere Diskussion bereiten kann. Denn manches Wesentliche fr das Verstndnis seiner Ethik – insbesondere Teleologie, Konzeptionen des Gesetzes, des Rechts, der Vorsehung – scheint in der Forschung bersehen, oder zumindest nicht angemessen gedeutet worden zu sein. Beabsichtigt ist daher kein fortlaufender Kommentar zu einer »ethisch« relevanten Einzelschrift. Ohne eine solche richtungsweisende Perspektive verliert man sich leicht im Detail und kann schwer den Gegenstand der Analyse richtig im Gesamtkontext der plotinischen Ethik situieren. Ferner luft die vorschnelle Verallgemeinerung der vereinzelten Interpretation aufgrund einer Schrift bzw. einiger Schriften Gefahr, die Gesamtkonturen der plotinischen Ethik zu verzerren. Denn Plotin scheint mir in verschiedenen Schriften verschiedene Aspekte ein und derselben Sache zu betonen. Um ein ausgewogenes Gesamtbild seiner Ethik zu gewinnen, sollte man sich nicht auf einen Aspekt beschrnken, zumal dieser mit einem anderen in Konflikt zu stehen scheint. Vielmehr gilt es, sich mit dem angenommenen Konflikt zu konfrontieren, indem man die sachlichen Schwierigkeiten feststellt und dann zu lçsen sucht. Zwei Grundpfeiler der plotinischen Ethik sind nach unserer vorbereitenden Feldforschung erkennbar : (i) die weltabgewandte Ethik der Sorge um sich selbst; (ii) die weltzugewandte Ethik der Sorge um andere. Zur Vermeidung einer einseitigen Interpretation muss man diesen beiden Konzeptionen Rechnung tragen, ohne dabei geistige Anstrengung zu scheuen. Wir wollen aufzeigen, dass Plotin trotz einer systematischen Spannung innerhalb seiner Ethik eine kohrente Theorie vertritt. Unser systematisch angelegtes Unterfangen bleibt allerdings im bescheidenen Rahmen. Angestrebt wird keine erschçpfende Behandlung relevanter Textstellen. Wir werden bewusst einige Stellen auswhlen, die in unseren Augen zur Schrfung der Kontur der plotinischen Theorie beitragen kçnnen. Die systematischen Zusammenhnge seiner Theorie lassen sich besser vor dem historischen Hintergrund erhellen. So beziehen wir gelegentlich andere antike Philosophen, auf welche sich Plotin beruft oder mit welchen er sich auseinandersetzt, in die Erçrterung mit ein. Anstelle einer ausfhrlichen und

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1. Einleitung

unparteiischen Behandlung der gegnerischen Positionen beschrnke ich mich jedoch darauf, Plotins Kritikpunkte darzulegen, insofern dies zum besseren Verstndnis seiner Ethik dient. Der Aufbau der folgenden Untersuchung widerspiegelt den Doppelcharakter von Plotins Ethik der Sorge, die auf der zweifachen Selbstbewegung der menschlichen Seele beruht, nmlich einmal auf der aufsteigenden und sodann auf der absteigenden Bewegung. Im zweiten Kapitel wird zunchst die aufsteigende Bewegung der Seele bei Plotin mit der sokratischen Sorge um das Selbst in Verbindung gebracht, wobei sich Plotins Ethik des Aufstiegs als eine Ethik des Glcks (eudaimonia) erweist. Es wird gezeigt, dass die »sokratische« Ethik der Selbstsorge bei Plotin die Konzeption des Glcks als Selbstverwirklichung voraussetzt, wobei die Selbstverwirklichung der Seele in der geistigen Erkenntnis (einschließlich der Schau des Guten) besteht. Anschließend versuchen wir im dritten und vierten Kapitel, Plotins Ethik des Glcks in die eudmonistische Tradition der antiken Ethik genauer einzuordnen. Auf der einen Seite ist festzustellen, dass Plotin mit seinem theoretischen Lebensideal eine grçßere Nhe zu Platon und Aristoteles als zu den Stoikern und Epikureern zeigt, wobei er allerdings in seinen Auseinandersetzungen mit Aristoteles’ Kritik an der platonischen Idee des Guten als Erbe Platons hervortritt. Auf der anderen Seite wird gezeigt, dass sich Plotin mit seiner These der Autarkie des Tugendmenschen (Spoudaios) auf die Seite der Stoiker stellt, die gegen die Aristoteliker behaupten, dass die Tugend allein zum Glck genge. Der plotinische Spoudaios, der das plotinische Tugendideal verkçrpert, trgt rigoristische Zge, bleibt aber nicht ohne ruhige Freude und Freundschaft, was Plotins Versuch der Integration des Epikureismus anzuzeigen scheint. Im fnften Kapitel wenden wir uns dann der »absteigenden« Bewegung der Seele zu, in deren Rahmen die Sorge um andere vollzogen wird. Das Hauptanliegen besteht darin, die providentielle Sorge der Seele um den Kçrper bei Plotin vor dem Hintergrund seiner universalen Teleologie zu beleuchten, die sich in seiner Rede vom »Gesetz der Natur« manifestiert. Auf der Grundlage dieser Beleuchtung versuchen wir im sechsten Kapitel, die ethischen und politischen Implikationen der kosmischen Konzeption der Vorsehung als Garant der rationalen und gerechten Ordnung der Welt herauszuarbeiten. Unumgnglich ist in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Ort des Bçsen in dieser wohlgeordneten Welt. Hinzu kommt das Problem der menschlichen Verantwortung innerhalb einer durch die gçttliche Vorsehung bestimmte Weltordnung, dem das siebte Kapitel gewidmet sein wird. Mit Hinblick darauf wird auf Plotins Auffassung der Freiheit als moralischer Selbstbestimmung einzugehen sein. Zum Schluss der Arbeit kommen wir zur Frage nach der Notwendigkeit der Rckkehr in die Welt zurck. Dort wird Plotins Antwort zusammengefasst und ausgewertet. Mit einer ausblickenden Reflexion zur philosophischen

1.4 Methode und Aufbau der Arbeit

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Bedeutung von Plotins metaphysischem Weltentwurf fr seine Ethik schließen wir unsere Untersuchung. Als Text benutze ich die als Editio minor bezeichnete Oxfordausgabe von P. Henry und H.-R. Schwyzer (H-S2) mit gelegentlicher Heranziehung der Editio maior (H-S1). Der Text wird in der blichen Form zitiert. »IV 8 [6] 1,1« z. B. bedeutet: 1. Zeile des 1. Kapitels der 8. Schrift in der 4. Enneade [= 6. Schrift nach der chronologischen Reihenfolge]. In der bersetzung folge ich, wenn nicht anders vermerkt, Harder oder Tornau mit leichten Modifikationen.

2. Der Aufstieg der Seele: Die Sorge um sich selbst 2.1 Eine Ethik des Glcks In der Antike herrscht eine eudmonistische Ethik, wonach das Glck bzw. das gute Leben (eudaimonia) das Ziel des Lebens darstellt.1 Diese eudmonistische Ethik der Antike erfreut sich in den letzten Jahrzehnten einer Art Renaissance, da sie eine umfassende Theorie vom guten Leben bietet, »die weder so eng auf die Begrndung moralischer Normen und Werte beschrnkt ist wie die Pflichtenethik seit der Aufklrung, noch auf die Lçsung moralischer Dilemmata wie die analytische Philosophie«.2 Allerdings ist kaum die Rede davon, dass auch Plotin ein Eudmonist ist, sofern er das Glck als Lebensziel ansieht. Das Schweigen der Forschung zu diesem Punkt scheint vor allem daran zu liegen, dass das Glck, das bei Plotin ein »immanentes Gut« von einem geistigen Wesen darstellt, im Schatten des »transzendenten Guten« steht, und zwar des Guten selbst. Hinzu kommt, dass auch das Gute selbst bei Plotin in gewissem Sinne als das hçchste Ziel allen Strebens gilt. So behauptet er mit Platon, dass »das Ziel der Reise« im Guten selbst liege.3 Plotin spricht jedoch auch von Ziel in einem anderen Sinne. In Enn. I 4 [46] ber das Glck sagt er, dass man jenes Gute selbst haben muss, um gerade »das Ziel« zu erreichen: »So fordert auch Platon sehr treffend, man msse das Gute von dort droben herholen und wer weise und glcklich sein wolle, msse zu jenem Guten hinblicken und jenem sich angleichen und gemß jenem leben. Dies allein muss er haben zur Erreichung des Zieles« (16, 10 – 13). Hierbei ist angedeutet, dass das Ziel darin besteht, weise und glcklich zu sein. Auch in Enn. II 9 [33] Gegen die Gnostiker ist von einem Ziel die Rede, wo Plotin aufgrund der Zielbestimmung zwei Schulrichtungen unterscheidet: Die eine setzt die kçrperliche Lust als Ziel, die andere aber whlt das Schçne im Sinne der Tugend. Dabei scheint Plotin auf die Ethik-Debatte in hellenistischer Zeit anzuspielen, in der sich eben der Terminus »das Ziel« (to telos) im Sinne des 1 Alle antiken Philosophen – die Kyrenaiker ausgenommen, welche anstelle der eudaimonia die Lust als Ziel des Lebens erklren – sind Eudmonisten, obgleich sie sich nicht darin einig sind, worin die eudaimonia besteht. So sind auch die Epikureer Eudmonisten, da sie die eudaimonia als Lebensziel nicht in Frage stellen, obwohl sie die eudaimonia letztlich in der Lust erblicken. Vgl. Annas, Happiness, S. 32; Balaud, Eudaimonia, S. 9 ff. 2 So D. Frede, Glck und Glas, S. 1. Dazu vgl. dies. Aktualitt; Striker, 169 ff.; Tugendhat, Ethik; ders. Moral. 3 I 3 [20] 1, 15 – 18; I 6 [1] 7, 1 – 6; I 7 [54] 1, 22; VI 9 [9] 11, 41 – 45. Vgl. Plat. Resp. 532e 3: t´kor t/r poqe¸ar.

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2. Der Aufstieg der Seele: Die Sorge um sich selbst

Lebensziels etabliert hat.4 Im Rahmen dieser etwas vereinfachenden Dichotomie schließt er sich der Richtung an, die das Schçne anstrebt,5 ordnet seine gnostischen Gegner hingegen in die hedonistische Richtung ein. Wenn nun in Rechnung gezogen wird, dass die Gleichsetzung von Lebensziel und Glck in der Antike als Gemeinplatz gilt, so lsst sich Plotins Position dahingehend rekonstruieren, dass das Ziel des Lebens im Glck liegt, welches auf dem Schçnen im Sinne der Tugend beruht. Demnach ist Plotins Ethik in die sokratische Tradition innerhalb des antiken Eudmonismus einzuordnen, der sich auch Platon und die Stoiker verpflichten. An dieser Stelle sei jedoch bemerkt, dass Glck bei Plotin nicht immer ein und dasselbe bedeutet. Glck heißt im engen Sinne das vollkommene Leben, welches er in der geistigen Aktivitt erblickt. Es umfasst allerdings im weiten Sinne das tugendhafte Leben und darber hinaus den so genannten »Aufstieg« zum gçttlichen Geist, und sogar den zum absoluten Guten.6 Sofern das absolute Gute jenseits des Lebens liegt, bersteigt der Aufstieg zum ihm eigentlich die Grenze des Glcks im Sinne des guten Lebens. Dennoch will Plotin das Erreichen jenes »Ziels der Reise« nicht außerhalb des glcklichen Lebens wissen. So liegt die Vermutung nahe, dass er jenes Endziel des Aufstiegs etwa als Gipfelpunkt des glcklichen Lebens betrachtet. Um den Umfang des Glcksbegriffes richtig zu messen, muss man jeweils den einschlgigen Kontext beachten. Zur Annherung an Plotins Ethik des Glcks empfiehlt es sich, einen kurzen Blick auf den allgemeinen Rahmen des antiken Eudmonismus zu werfen. Zuerst ist zu bercksichtigen, dass die antiken Eudmonisten nach einer objektiven Antwort auf die Frage nach dem Glck suchen. Als eudaimn gilt ursprnglich derjenige, »dem die Gçtter wohlgesonnen sind, dessen Leben ›floriert‹, und zwar nicht allein im spirituellen Sinn, sondern auch in der ganz und gar weltlichen Bedeutung des Erfolgs«.7 Demnach ist ein Mensch nicht dadurch glcklich, dass er sich glcklich fhlt, sondern dadurch, dass es ihm tatschlich gut geht, d. h. dass er wirklich gut lebt. So verstanden hngt das Glck weder vom subjektiven Gefhl noch von der persçnlichen Prferenz ab.8 In dieser Hinsicht ist bedenklich, dass das Wort »Glck«, mit dem wir das griechische Wort eudaimonia wiedergegeben haben, im Deutschen weniger das objektive Wohlergehen, als die subjektive Zufriedenheit bedeutet.9 Inso4 5 6 7 8

II 9 [33] 15, 4 – 6. Vgl. Long / Sedley, S. 398 f. Anders Tornau, Plotin, S. 31. VI 9 [9] 11, 41 – 51. D. Frede, Aktualitt, S. 139 f. Vgl. Horn, Lebenskunst, S. 108 ff. Vgl. Nach Long (Stoic Studies, S. 181) drckt eudaimn im Griechischen nicht wie »happy« im modernen Englisch »transient moods or satisfactions« aus. Er weist jedoch darauf hin, dass die Grieschen den eudaimn fr eine Person hielten, die subjektiv mit ihrem Leben zufrieden sei. 9 Vgl. Wolf, Suche, S. 46.

2.1 Eine Ethik des Glcks

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fern ist die bersetzung mit »Glck« irrefhrend und unglcklich, da Glck im Deutschen das Gefhlsmoment miteinschließt. Zudem bezeichnet »Glck« den gnstigen Zufall – wie im Ausdruck von »Glck haben« –, wohingegen eudaimonia im Griechischen sich von eutychia im Sinne des gnstigen Zufalls unterscheidet.10 Von daher ist es kein Wunder, dass manche Autoren das Wort eudaimonia lieber unbersetzt lassen wollen, weil die bersetzungen zustzliche Aspekte oder eine etwas verschobene Bedeutung mit sich bringen.11 Dennoch halten wir einen bersetzungsversuch insofern fr vorteilhaft, als wir durch Vergleich mit dem antiken Begriffsverstndnis unser alltgliches Vorverstndnis hnlicher Begriffe distanzierter und differenzierter betrachten kçnnen. In der vorliegenden Arbeit ist mit »Glck« durchgehend das objektive Wohlergehen gemeint, sofern es fr die eudaimonia steht. Um den Inhalt des Glcks objektiv zu bestimmen, rekurrieren die antiken Eudmonisten vor allem auf die allgemeine Natur des Menschen. Denn sie gehen davon aus, dass das Glck auf der Tugend im Sinne der Vollendung der menschlichen Natur beruht. Tugend (aretÞ) bezeichnet im Griechischen ursprnglich jeden optimalen Zustand bzw. jede hervorragende Leistung. Wie das bekannte »Ergon-Argument« zeigt, orientieren sich die Eudmonisten in der Frage nach dem Glck im Sinne des guten Lebens daran, ob der Mensch seine naturgemße Aufgabe oder Funktion (ergon) auf gute Weise erfllt.12 Es kommt nun darauf an, worin die naturgemße oder wesenseigene Funktion des Menschen liegt. Gerade in diesen Zusammenhang fgt sich das Thema der Selbsterkenntnis des Menschen ein. Um das Profil von Plotin als Eudmonisten zu schrfen, soll im Folgenden zunchst seine Aufforderung zur Selbsterkenntnis mit der sokratischen Sorge um das Selbst in Verbindung gebracht werden, wobei das Glck als Selbstvervollkommnung aufzufassen ist, welche die Sorge um das Selbst zum Ziel hat. Anknpfend daran wird Plotins Begriff der Tugend als Vervollkommnung der Vernunft erçrtert. Auf dieser Grundlage versuchen wir zum Schluss, Plotins rtselhaftes Konzept vom »Aufstieg zum Selbst« zu erschließen, welches das Erreichen des Lebensziels bedeutet.

10 Diese Unterscheidung besagt jedoch nicht, dass in den Augen der Griechen die eudaimonia nichts mit der eutychia zu tun htte. Wolf (Suche, S. 47) zufolge war »das griechische Lebensgefhl« gerade von der Grunderfahrung geprgt, dass das menschliche Glck den Wechselfllen des Schicksals bzw. des Zufalls ausgesetzt ist. Balaud (Eudaimonia, S. 11 f.) weist ferner darauf hin, dass das Wort eudaimonia selbst »un certain rapport au divin et au destin […] et un rappost de nature favorable (eu-daimonia)« nahelegt. 11 Vgl. Wolf, Aristoteles, S. 19. 12 Zum Ergon-Argument bei Platon und Aristoteles siehe Buddensiek, S. 104 ff.

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2. Der Aufstieg der Seele: Die Sorge um sich selbst

2.2 Die sokratische Sorge um das Selbst In Enn. I 4 [46] ber das Glck stellt Plotin die Behauptung auf, dass der glckliche Mensch ein Weiser sei. Sein glcklicher Weiser erweckt in der Tat den Eindruck, nicht von dieser Welt zu sein. Ihm wird eben der Mensch dieser Welt, der das konventionelle Glcksideal darstellt, gegenbergestellt: Der Mensch dieser Welt mçge schçn sein und groß und reich und Herrscher ber alle Menschen, denn er gehçrt diesem Ort an. Man missgçnne ihm solchen Besitz nicht, er ist doch damit betrogen. Was aber den Weisen betrifft, so werden diese Dinge ihm vielleicht von vornherein gar nicht zuteil, wenn aber doch, so wird er sie von sich aus einschrnken, wenn er um sich selbst sorgt (eUpeq artoO j¶detai). So wird er durch Sorglosigkeit (!leke¸ô) die Vorzge des Leibes mindern und welken lassen. Die mter wird er ablegen.13

Hiernach verkçrpert eben ein asketischer und weltabgewandter Weiser das plotinische Glcksideal. Interessant ist, dass Plotin die jenseitige Haltung des glcklichen Weisen auf die Sorge um sich selbst zurckfhrt. Daher liegt die Vermutung nahe, dass dieses paradox erscheinende Bild des glcklichen Weisen doch eine Reminiszenz an Sokrates sein kçnnte. Denn dieser war bekanntlich hsslich, arm und politisch machtlos. Zudem zeichnete er sich gerade durch seine Geringschtzung des materiellen Besitzes und durch seine Sorglosigkeit gegenber den kçrperlichen Bedrfnissen aus.14 Diese Lebensfhrung beruht auf seiner berzeugung, dass das Gut, worauf es im menschlichen Leben eigentlich ankommt, nicht die gemeinhin erwnschten Gter wie Geld, Macht, Ehre, Gesundheit und Schçnheit usw. sind, sondern das Gutsein des eigenen Selbst. Die sokratische Sorge um das Selbst fordert also eine radikale Revision der konventionellen Glcksvorstellung. Daher ist es plausibel anzunehmen, dass Plotin, so wie Platon und die Stoiker, in der Person des Sokrates das Ideal des glcklichen Menschen erblickt. So ist wohl kein Zufall, dass Plotin in seiner Schule in Rom nicht nur Platons, sondern auch Sokrates’ Geburtstag feierlich begangen hat. Wenn unsere Annahme richtig ist, dann kommt es bei der Interpretation der plotinischen Ethik der Sorge darauf an, wie Plotin die sokratische Sorge um das Selbst aufgefasst, und ob und inwieweit er sie entwickelt oder przisiert hat. Also ist im Folgenden auf die sokratische Selbstsorge bei Plotin nher einzugehen. Davor sei allerdings eines vorbemerkt: Die sokratische Sorge um sich selbst muss nicht zwangslufig die Sorge um andere ausschließen. Dies demonstriert gerade Sokrates’ eigene philosophische Praxis, die er vor Gericht 13 I 4 [46] 14, 14 – 20. 14 Vgl. D. Frede, Phaidon, S. 5, Anm. 6. Vgl. Plat. Sym. 219d-221b, Xenoph. Mem. I 6, 2. Hier lasse ich das Problem des Verhltnisses zwischen dem platonischen und dem historischen Sokrates beiseite. Dazu siehe Vlastos, Socrates, S. 45 ff.; Taylor, S. 34 ff.

2.2 Die sokratische Sorge um das Selbst

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zu verteidigen hatte. In der Apologie legt Platon folgende Rede in Sokrates’ Munde: »Ich wollte ja einen jeden von euch dazu bringen, sich nicht eher um irgendetwas von dem Seinigen zu kmmern, als bis er sich um sich selbst gesorgt htte, nmlich darum, mçglichst gut und vernnftig zu werden« (36c 4 – 7). Der Philosoph sorgt sich also um seine Mitmenschen, damit diese sich um sich selbst sorgen. Bei dieser philosophischen Sorge fr andere handelt es sich nicht um eine selbstlose Hingabe, sondern vielmehr um eine selbstbehauptende aufklrerische Philanthropie. Mit einem schroffen Schema »entweder Egoismus oder Altruismus« wird man der sokratischen Sorge also nicht gerecht. Wir werden spter auf die Frage nher eingehen, wie Plotin das Verhltnis der Sorge um sich selbst zu der Sorge um andere versteht. Fr unseren Zweck empfiehlt es sich, den (pseudo-)platonischen Dialog Alkibiades I in Betracht zu ziehen, der dem Thema »Sorge um sich selbst« gewidmet ist.15 Die Behandlung des Themas im Alkibiades I ist mit der bei Plotin in vielfacher Hinsicht vergleichbar, wobei schon die terminologische hnlichkeit ins Auge springt, wie wir noch sehen werden. In unserem Dialog ermahnt Sokrates seinen politisch ambitiçsen Freund zur Sorge um sich selbst (t¹ 2autoO 1pileke?shai: 127e) und zur Pflege des Selbst (art¹m heqape¼ei: 131b), wobei sich die Seele als das gemeinte Selbst erweist. So rt er Alkibiades, sich vor allem um die eigene Seele und deren Tugend zu kmmern, indem er argumentiert, dass man ohne Tugend weder sich selbst noch andere Mitmenschen noch den Staat glcklich machen kann (134b-c). Auf diese Art und Weise ldt Sokrates seinen Freund zu einem gemeinsamen Unternehmen zur Selbstsorge und Seelenpflege ein. Insofern ist die sokratische Sorge um sich selbst keine einsame Beschftigung des egoistischen Individuums mit sich selbst. Eine derartige Auffassung der Selbstsorge bzw. Seelenpflege drfte hinter der anti-gnostischen Polemik Plotins stehen, wenn dieser kritisiert, dass die Gnostiker keine Lehre der Tugend htten und versumten zu sagen, »wie die Seele gepflegt und gereinigt wird«.16 Was Plotins eigene Praxis der Seelentherapie betrifft, so lsst sich Folgendes beobachten: Zunchst diagnostiziert Plotin bei der menschlichen Seele die Selbstvergessenheit und -verkennung, welche dazu fhrt, dass die Seele immer »etwas Anderes bewundert und ihm nachjagt«.17 Aufgrund dieser Diagnose erklrt Plotin seine Absicht, durch sein Schreiben der Seele des Lesers zu Selbsterkenntnis zu verhelfen, indem er sie daran erinnert, »wie hoch sie ihrer Herkunft und ihrem Werte nach steht«.18 Bemerkenswert ist, dass Plotin seine Untersuchung ber die Seele als Befolgung des delphischen Spruchs betrachtet: »Also folgen wir wohl, wenn wir 15 Zur Frage der Echtheit des Alkibiades I vgl. Denyer, S. 14 – 26. Dieser Dialog gilt in der Antike als echt und dient in den neuplatonischen Schulen als Einfhrung in die platonische Philosophie. Dazu vgl. Beierwaltes, Selbsterkenntnis, S. 92 f. 16 II 9 [33] 15, 32. 17 V 1 [10] 1, 12 – 14. 18 V 1 [10] 1, 27 – 28.

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2. Der Aufstieg der Seele: Die Sorge um sich selbst

darber, was die Seele ist, unsere berprfung anstellen, dem Gebot des Gottes, der gebietet, uns selbst zu erkennen.«19 Diese Betrachtungsweise bringt uns wieder zum Alkibiades I zurck. Dort sagt Sokrates nmlich: »Wer gebietet, selbst zu erkennen, befiehlt uns also die Seele zu erkennen« (130e 8 – 9). Dabei wird der delphische Spruch »Erkenne dich selbst« ausdrcklich mit der sokratischen Sorge um das Selbst verknpft, wobei allerdings dem menschlichen Selbst eine Gçttlichkeit zugesprochen wird (132c-d). Somit ist das Gebot nicht mehr »une invitation se conna tre mortel et non dieu«, wie es ursprnglich heißt.20 Auf die Frage, was das Selbst des Menschen ist, gibt Plotin in Enn. IV 7 [2] die folgende Antwort: »Nun steht aber das Eigentlichste (juqi¾tatom) und der Mensch selbst, wenn es dies wirklich ist, im Verhltnis von Form zu Materie zum Leibe oder im Verhltnis von Benutzer zu Werkzeug: Auf beide Weise aber ist dies Selbst (aqtºr) die Seele« (1, 22 – 25). Diese Antwort erinnert frappierend an folgende Punkte im Alkibiades I: (1) Es gebe bei uns nichts »Eigentlicheres« (juqi¾teqom: 130d 5 – 6) als die Seele; (2) Die Seele sei der Mensch selbst oder das Selbst des Menschen21; (3) Der Mensch wird von dem unterschieden, wessen der Mensch sich bedient. Folglich ist der Mensch nicht sein Kçrper, dessen der Mensch sich gleichsam wie eines Werkzeugs bedient. In diesem Zusammenhang unterscheidet Sokrates den Menschen selbst von dem »Seinigen«, d. h. demjenigen, was ihm gehçrt, wie z. B. seinem Auge (129d 11-e 8). Diese Unterscheidung ist nun vergleichbar mit der Unterscheidung zwischen »wir« und »unser«, die Plotin in Enn. IV 4 [28] einfhrt. Danach ist unser Kçrper nicht wir selbst, sondern lediglich etwas, das von uns abhngig und an uns angeknpft ist. »Wir« seien aber, so Plotin, »nach dem Eigentlichen« (jat± t¹ j¼qiom: 18, 15) zu benennen. Auf diese Art und Weise fhrt Plotin den Terminus »Wir« (Ble?r) ein, um das Selbst des Menschen zu bezeichnen.Dabei geht es um ein individuelles, kein kollektives Selbst. Diesbezglich sei angemerkt, dass im Griechischen das Pronomen der ersten Person Plural »wir« (hÞmeis) im Sinne der ersten Person Singular »ich« (eg) gebraucht werden kann.22 19 IV 3 [27] 1, 8 – 10. Vgl. V 1 [10] 1, 30 – 34, I 1 [53] 13, 1 – 3. Vgl. Alex. Aphr. De an. 1, 3 f. Zum delphischen Spruch siehe Courcelle, S. 15 (zum Alkibiades I), S. 83 – 87 (zu Plotin). Dazu vgl. Beierwaltes, Selbsterkenntnis, S. 77 ff.; Hazebroucq, S. 114 ff.; Ham, S. 15 ff.; O’Daly, S. 7 ff. 20 Vgl. Courcelle, S. 12, 15. 21 Sokrates argumentiert, dass der Mensch nicht das Kombinierte in diesem Sinne sein kann, sofern der Mensch den Kçrper beherrschen soll. Denn das Kombinierte aus Seele und Kçrper kann deswegen nicht ber den Kçrper herrschen, weil einer seiner Teile (d. h. der Kçrper) nicht mitherrscht. Der Kçrper soll ja nicht herrschen, sondern beherrscht werden. Die Mçglichkeit der Selbstbeherrschung des Kçrpers kommt bei Sokrates nicht in Frage. Daraus zieht er die Schlussfolgerung, dass der Mensch nichts anderes als die Seele ist (130c 3 f.). Vgl. Denyer, S. 215 ff. 22 Vgl. Oehler, Subjektivitt, S. 174: »Der Begriff des Ich als philosophischer Begriff wird in der antiken Philosophie erst bei Plotin Terminus.« So schon bei Stenzel. Zum Begriff »Wir« bei Plotin siehe ausfhrlich O’Daly, bes. S. 20 ff.; Remes, Self, bes. S. 9 f., 30 f.

2.2 Die sokratische Sorge um das Selbst

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Zu beachten ist, dass Plotin eine differenziertere Seelenlehre im Sinn hat, wonach unser Kçrper bereits eine Art von Seele besitzt, die vom Wir verschieden ist. Das Wir ist, wie er eindeutig feststellt, eine »andere« Seele (18, 10 – 11). Aufgrund dieser Feststellung ermahnt Plotin uns dazu, uns von unserem beseelten Kçrper zu trennen, d. h. distanzieren. In Enn. II 3 [52] scheint Plotin jene »andere« Seele mit dem Selbst des Menschen gleichzusetzen. Zuerst bestimmt er das »Selbst« als »gerade das, was wir in Wahrheit sind« (fpeq 1sl³m jatû !k¶heiam Ble?r : 9, 14 – 15). Auf dieser Grundlage stellt er fest: »Jeder [sc. Mensch] ist zweifach, teils ist er das Kombinierte, teils ist er sein Selbst« (Ditt¹r c±q 6jastor, b l³m t¹ sumalvºteqºm ti, b d³ aqtºr : 9, 30 – 31). Schließlich identifiziert er das Selbst mit einer hçheren Seele, welche »außerhalb des Kçrpers weilt« (9, 32). An dieser Stelle ist zu bemerken, dass das Kombinierte unser beseelter Kçrper ist, d. h. ein Kçrper, dem eine niedere Seele einwohnt. Im Unterschied dazu umfasst das Kombinierte im Alkibiades I den ganzen Menschen und schließt keinen Teil der Seele aus (130a 9).23 Aufgrund des bisher Gesagten ist zu konstatieren, dass Plotin bei seiner Suche nach dem Selbst des Menschen eine einfache Dichotomie von Seele und Kçrper verlassen hat und von einem komplexen Verhltnis von Seele und Kçrper ausgeht. Daraus ergibt sich eine komplexe Anthropologie, mit der sich Plotin in seiner vorletzten Schrift Enn. I 1 [53] befasst.24 In dieser Schrift ber die Frage, was das Tier und was der Mensch ist versucht Plotin eigentlich, Unterschiede zwischen Tier und Mensch innerhalb des Menschen herauszustellen. Zur Veranschaulichung bedient er sich des Bildes des doppelten Menschen in Platons Politeia, dem zufolge der Mensch als Ganzes ein Lebewesen darstellt, dessen oberer Bereich der Mensch, dessen unterer Bereich aber »das lçwenartige und berhaupt das bunte Tier« ist.25 Im Hinblick darauf erwhnt er die Zweideutigkeit des Terminus »Wir«: »Das Wir ist also etwas Zweifaches – entweder wird das wilde Tier mit dazu gerechnet, oder es ist nur das, was bereits ber diesem steht. Und das wilde Tier ist der 23 Tornau (S. 428, Anm. 19) zufolge ist das sumalvºteqom als »seit Plat. Alkib. 130a gngiger Terminus fr das Lebewesen als Kombination von Kçrper und Seele.« Im Timaios 87e 5 ff. bezieht das sumalvºteqom sich auf »das, was wir Lebewesen (f`om) nennen«, und zwar auf fkom t¹ f`om (87d 6. Vgl. 89d 2: toO joimoO f]ou). Dabei handelt es sich um eine Kombination von Seele und Kçrper, wobei der Seele nicht nur Zorn oder Begierde, sondern auch Lernen, Untersuchen, Meinen oder geistiges Erkennen zukommen. Platon spricht nmlich von der Mçglichkeit, dass ein mchtiger Kçrper mit einem schwachen Verstand (di²moia) verwachsen ist (Ti. 88a 8). Allerdings folgt Plotin in dieser Terminologie nicht immer Platon. Er fasst zumindest in zwei Schriften II 3 [52] und I 1[53] das sumalvºteqom enger, so dass das Kombinierte nicht die hçhere, ursprngliche Seele einschließt. Dazu vgl. De Vogel, bes. S. 152 ff.; Emilsson, SensePerception, S. 31. 24 Vgl. Ppin, Ides, S. 96: »L’anthropologie plotinienne semble s’opposer celle de l’Alcibiade comme la complexit de la recherche la simplicit du catchisme«. Ausfhrlich zur Anthropologie Plotins vgl. Armstrong, Person; De Vogel. 25 I 1 [53] 7, 18 – 21. Vgl. Plat. Resp. 588c 7, 590a 9-b 1.

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2. Der Aufstieg der Seele: Die Sorge um sich selbst

belebte Kçrper« (10, 5 – 7). Was ist aber das Wir, das ber dem wilden Tier steht? Plotins Antwort lsst sich der folgenden Aussage entnehmen: »Da nun der ›Mensch‹ mit der rationalen Seele zusammenfllt, so sind, wenn wir berlegen, ›wir‹ es, die berlegen, weil die berlegungen Aktivitten der Seele sind« (7, 21 – 24).26 Diese Stelle legt die Annahme nahe, dass das gesuchte Wir, das der »innere« Mensch in Platons Fabelwesen ist,27 sich schließlich als die rationale Seele erweist. Wenn dieses gefundene Wir mit dem Wir im Sinne des wahren Wortes identisch ist, welches in Enn. II 3 [52] als »Selbst« bezeichnet wird, so ergibt sich, dass die rationale Seele das Selbst des Menschen ausmacht. Allerdings ist darauf aufmerksam zu machen, dass Plotin in Enn. I 1 [53] die rationale Seele nicht vorbehaltlos mit dem »wahren« Menschen gleichzusetzen scheint. Denn er sagt, dass der obere Bereich des erwhnten Fabelwesens »beinahe« (swedºm) der wahre Mensch sei (7, 20). Dies besagt, dass der Mensch, der sich im oberen Bereich jenes Fabelwesens ansiedelt, nicht mit dem wahren Menschen identisch ist. Worauf will Plotin mit dieser subtilen Unterscheidung hinaus? Um seine Pointe zu begreifen, mssen wir zuerst klren, was er berhaupt unter »dem wahren Menschen« versteht. Hierfr ist der folgende Text heranzuziehen: Der wahre Mensch ist dagegen etwas anderes [als der belebte Kçrper], er ist von all dem [Affekt] rein und besitzt die im geistigen Erkennen liegenden Tugenden, diejenigen also, die ihren Standort in der sich vom Kçrper trennenden Seele selbst haben, einer Seele, die sich vom Kçrper bereits trennt und getrennt ist, auch wenn sie noch hier ist.28

Hiernach erweist der wahre Mensch sich als eine Seele, die sich durch die Reinheit von allen Affekten und die intellektuellen Tugenden auszeichnet. Zieht man in Erwgung, dass unsere rationale Seele nicht immer so rein und einsichtig ist, so gewinnt Plotins Unterscheidung zwischen dem wahren Menschen und der rationalen Seele ihre Plausibilitt. Nun wird der wahre Mensch als Seele dargestellt, »die sich vom Kçrper bereits trennt und getrennt ist«. Was heißt hier »Trennung«? Dass nicht von »Trennung« im Sinne des physischen Todes die Rede sein kann, geht daraus hervor, dass jene Seele sich vom Kçrper trennt und getrennt ist, »auch wenn sie noch hier ist«. Hier bernimmt Plotin m. E. die platonische Redeweise, wo es um eine »Reinigung« (katharsis) der Seele durch Philosophie von den kçrperlichen Einflssen geht.29 So ist es naheliegend anzunehmen, dass der Mensch, und zwar die rationale Seele, durch diese philosophische Trennung 26 Sumdqºlou c±q emtor toO !mhq¾pou t0 kocij0 xuw0, ftam kocif¾leha, Ble?r kocifºleha t` to»r kocislo»r xuw/r eWmai 1meqc¶lata. 27 I 1 [53]10, 15. Vgl. Plat. Resp. 589a7. 28 I 1 [53] 10, 7 – 10 (nach Tornau). Vgl. Plat. Resp. 518e 1 f. 29 Plat. Phaed. 64a-68b. Dazu vgl. D. Frede, Phaidon, S. 13 – 19.

2.2 Die sokratische Sorge um das Selbst

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vom Kçrper zum wahren Menschen wird. Der wahre Mensch ist also die rationale Seele in Reinform. Allerdings fordert Plotin bei der Reinigung nicht nur die Trennung vom Kçrper, sondern vom »Hinzugesetzten insgesamt«. Als Zusatz gilt neben dem Kçrper »die andere Art von Seele« (%kko xuw/r eWdor) mitsamt ihren »schrecklichen« Affekten.30 Die zustzliche Seele ist also Trger der irrationalen Affekte. Die reine, rationale Seele erhlt jene irrationale Seele gerade durch Verbindung mit dem Kçrper. Die Irrationalitt der menschlichen Seele wird also auf ihre Gemeinschaft mit dem Kçrper zurckgefhrt.31 Hier stellt sich die Frage: Worin besteht die Reinigung der rationalen Seele, wenn diese berhaupt kein Trger der irrationalen Affekte ist? Wie kann man von der Reinigung der rationalen Seele sinnvoll sprechen, wenn sie berhaupt nicht befleckt wird? In Enn. III 6 [26] stellt Plotin selber diese Frage und gibt die folgende Antwort: »Nun, Reinigung wrde heißen, sie [sc. die Seele] allein zu belassen, ohne Verkehr mit anderen Dingen, ohne dass sie auf anderes hinblickt oder ihr fremde Meinungen hegt« (5, 15 – 17). In Bezug darauf legt er die Auffassung nahe, dass die rationale Seele vor ihrem Eintritt in diese sinnlichkçrperliche Welt als eine »einfache« Seele existiert hat, die nur auf sich bezogen, leidenschaftsfrei, selbstgengsam, fehlerlos war und diejenige Ttigkeit ausgebt hat, die mit ihr von Natur aus verwandt (sulvu÷) ist.32 Hier in der sinnlich-kçrperlichen Welt ist sie hingegen nicht mehr allein, sondern verbunden mit anderen Dingen, beeinflusst durch Affekte, auch auf anderes bezogen. Sie nimmt also die ußeren Gegenstnde wahr, indem sie sich des Kçrpers wie eines Werkzeugs bedient. Aufgrund dieser Wahrnehmung bildet sie Meinungen ber die sinnliche Welt. Plotin betrachtet diese auf die sinnliche Welt bezogene Meinungen als etwas der Natur der Seele Fremdes. Demnach muss die rationale Seele sich von diesen fremden Meinungen fernhalten, um ihre ursprngliche Reinheit wiederzuerlangen. Entsprechend formuliert Plotin in Enn. V 1 [10] seine Auffassung der »Trennung« wie folgt: Auch die Aufforderung zur Trennung ist nicht im rumlichen Sinne gemeint, weil er [der berlegende Seelenteil] schon von Natur aus abgetrennt ist, vielmehr ohne

30 I 1 [53] 12, 9; 18 – 20. Diesbezglich beruft Plotin sich in Enn. II 3 [52] auf Platons Timaios (69c 5-d 3): »Im Timaios verleiht der Schçpfer den Ursprung (!qw¶) der Seele, dagegen erst die am Himmel wandernden Gçtter geben die ungeheuren und notwendigen Affekte, Zorn, Begierde, Lust und Unlust, und es ist eine andere Form von Seele, aus welcher diese Affekte kommen« (9, 6 – 10). 31 I 1 [53] 4, 1 – 4. 32 I 1 [53] 2, 6 – 9. Worin diese naturverwandte Ttigkeit der einfachen Seele besteht, geht nicht unmittelbar aus dem Text hervor. Da allerdings die getrennte Seele die im geistigen Erkennen liegenden Tugenden besitzt (10, 7 f.), so liegt die Annahme nahe, dass die einfache Seele die geistige Erkenntnis ausbt.

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2. Der Aufstieg der Seele: Die Sorge um sich selbst

Neigung nach unten und frei von sinnlichen Vorstellungen zu sein und seinem Kçrper gegenber fremd zu werden.33

Bei der »Trennung« kommt es Plotin auf die Distanzierung von SinnlichKçrperlichen, d. h. eigentlich auf die Entfremdung vom Fremden an. Durch diese Trennung befreit die rationale Seele sich von der Fremdherrschaft, die durch Unvernunft und Sinnlichkeit gekennzeichnet werden kann, und kehrt somit schließlich zu ihrem vernnftigen und geistig erkennenden Selbst wieder zurck. So verwirklicht sie sich zum wahren Menschen, »auch wenn sie noch hier ist«. Also muss die rationale Seele des Menschen, die den inneren Menschen darstellt, ihre wahre Natur zurckgewinnen, um dem Titel des wahren Menschen gerecht zu werden. Dafr muss sie sich um ihre eigentmlichen Tugenden bemhen. In dieser Hinsicht erweist sich der wahre Mensch als eine Aufgabe fr die rationale Seele.

2.3 Die Tugend als Selbstvervollkommnung 2.3.1 Die Tugend als Vervollkommnung der Vernunft Im vorigen Kapitel haben wir festgestellt, dass das Selbst des Menschen bei Plotin nichts anderes als die rationale Seele ist. Folglich besteht die Sorge um das Selbst darin, dass der Mensch seine rationale Seele pflegt, damit sie besser wird. Wenn der »wahre Mensch« eine Aufgabe fr die rationale Seele darstellt, wobei der »wahre Mensch« die im geistigen Erkennen liegenden Tugenden besitzt, so besteht die Sorge um das Selbst letztlich im Bemhen um jene geistigen Tugenden. Im Hinblick darauf verdient eine Definition der Tugend Aufmerksamkeit, die Plotin in Enn. I 4 [46] ber das Glck einfhrt: Tugend als Vervollkommnung (teke¸ysir) der Vernunft.34 Diese Definition passt gut zum funk33 V 1 [10] 10, 24 – 27. In diesem Kontext erwhnt Plotin den berlegenden Geist (moOr d³ b l³m kocifºlemor : 12 – 13) und identifiziert ihn mit dem berlegenden Seelenteil. Er macht klar, dass dieser Geist der Seele zu seiner eigentlichen Ttigkeit keines kçrperlichen Werkzeugs bedarf und nicht mit dem Kçrper vermischt ist, und in diesem Sinne »außerhalb allen Orts« liegt, sofern die Ortsverbundenheit als Indikator der kçrperlichen Existenz gilt (10, 18 – 21). In Enn. I 1 [53] argumentiert Plotin, dass die Seele und der Kçrper voneinander »getrennt« sein mssen, sofern die Seele, gleichsam eine Handwerkerin, sich des Kçrpers bedient. Nun ist der menschliche Kçrper ein lebendiges Werkzeug. Er ist nmlich bereits beseelt. Daher unterscheidet Plotin zwei Arten von Seelen: »Die eine Art von Seele ist getrennt, die das Sichbedienende ist, whrend die andere – auf welche Weise auch immer – mit dem Kçrper vermischt (lelicl´mom) ist und wie dieser den Rang desjenigen einnimmt, dessen sich die erstere bedient« (3, 21 – 23). 34 I 4 [46] 2, 42 – 43: B teke¸ysir aqtoO [sc. kocoO], Fm val³m !qetμm eWmai.

2.3 Die Tugend als Selbstvervollkommnung

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tionalen Begriff der Tugend in der antiken Ethik. Wie schon gesagt, bezeichnet das griechische Wort !qet¶, welches traditionell mit »Tugend« bersetzt wird, generell die Tauglichkeit fr eine bestimmte Funktion bzw. Aufgabe (5qcom). Daher kann man auch von der Tugend des Messers sprechen, insofern es gut schneidet. bertrgt man diesen Begriff der Tugend auf den Menschen, so kommt man zu dem Ergebnis, dass die Tugend des Menschen in der optimalen Ausfhrung seiner eigenen Aufgabe besteht. Nun kommt es darauf an, was die Aufgabe des Menschen ist. Wenn Plotin die Tugend als Vervollkommnung der Vernunft definiert, so erblickt er die Aufgabe des Menschen offenbar in der Ttigkeit der Vernunft. Harder spricht allerdings Plotin diese Definition der Tugend ab, obwohl Plotin selbst diese Bestimmung ausdrcklich vertritt (vgl. val³m).35 Harder kommentiert: »Plotinisch ist diese Definition nicht, sie widerspricht schon durch das Entwicklungsmotiv seiner Grundanschauung, vgl. z. B. IV 7 [2] 83, 6 ff.; I 2 [19] 6, 14.«36 Die beiden Stellen, die er als Beleg anfhrt, sprechen aber nicht gegen jene Definition der Tugend: (1) Zu Enn. IV 7 [2] 83 : Harder verbindet das Wort teke¸ysir offenbar mit der stoischen Evolutionstheorie, der zufolge aus »dem Geringeren« »das Bessere« entsteht, wie etwa aus der Natur die Seele, aus dieser wiederum der Geist. Diese Theorie lehnt Plotin tatschlich ab. Auch in Enn. V 9 [5] besttigt er diese Position: »Denn keineswegs bringt die Seele, wie man glaubt, wenn sie zur Reife gelangt ist, den Geist hervor (xuwμ moOm tekeyhe?sa cemmø)« (4, 4). Daraus folgt jedoch nicht, dass er bei der Seele jede Art von Entwicklung oder Reifeprozess ausgeschlossen htte. Sonst wre die Erziehung der Seele, die das Hauptanliegen der Philosophie ausmacht, zwecklos. Wozu denn dann all die Sorge um die Seele? Entscheidend ist, dass Plotin selbst explizit von der Vervollkommnung der Seele spricht: Wie ein Vater sein Kind zuvor in einem unvollkommenen Zustand zeuge und dann durch Erziehung zu einem erwachsenen Menschen mache, so fhre auch der Geist die Seele zur Vervollkommnung.37 (2) Zu I 2 [19] 6, 14 f.: Plotin sagt, dass Weisheit und Einsicht zweifach sind, einmal im Geist, und dann in der Seele, wobei sie im Geist nicht Tugenden, in der Seele aber Tugenden sind. Als seelische Tugenden bestehen Weisheit und Einsicht nur in der vollen Entwicklung, d. h. Vervollkommnung der Seele. Bemerkenswert ist, dass die Bestimmung der Tugend als Vervoll-kommnung der Vernunft in lateinischer Version auch bei Cicero vorkommt: (a)

35 Beutler und Theiler (H-B-T Vb, S. 317 – 8) weisen aber auf die Mçglichkeit hin, dass der Text korrupt sein kçnnte: Die nderung von val³m (Z. 43) zu vat³ ist mçglich. Um sich Plotins Ansicht unvoreingenommen zu nhern, sollte man allerdings vom berlieferten Text ausgehen. Daher versuche ich, eine plausible Position Plotins herauszuarbeiten, ohne dabei seinen Text zu korrigieren. 36 H-B-T Vb. S. 317. 37 V 9 [5] 4, 8 – 12.

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2. Der Aufstieg der Seele: Die Sorge um sich selbst

rationis enim perfectio est virtus (4, 35)38 ; (b) virtus, quae rationis absolutio definitur (5, 38). Die Definition der Tugend (a) wird im Kontext der Kritik am Rigorismus der stoischen Ethik eingefhrt. Cicero kritisiert, dass die Stoiker die Vollkommenheit des Menschen nur in jener geistigen Tugend erblicken (4, 37). Zwar stimmt Cicero mit den Stoikern in der Sonderstellung der Tugend der Vernunft als dem hçchsten Gut fr den Menschen berein, doch argumentiert er gegen die Stoiker, dass sich der Mensch um der Vollkommenheit willen nicht nur um die Seele, sondern auch um den Kçrper sorgen soll. Gerade in diesem Kontext unterstellt er den Stoikern die Tugend als perfectio rationis. So wird man leicht versucht anzunehmen, dass die Definition der Tugend als perfectio rationis stoisch ist.39 Gegen diese Annahme spricht jedoch, dass Cicero, der als Vertreter der »alten« (akademisch-peripatetischen) Philosophie der »neuen« (stoischen) Philosophie entgegentritt, die Bestimmung der Tugend als absolutio rationis (b) zur Tugendlehre der Alten rechnet. Daher ist eher plausibel, dass die Bestimmung der Tugend als Vervollkommnung der Vernunft sowohl von den Stoikern als auch von den »alten« Philosophen gemeinhin akzeptiert wurde. Plotin drfte auf diesen alten gemeinsamen Topos zurckgegriffen haben. Wenden wir uns dem einschlgigen Text in Enn. I 4 [46] zu. Wie wir gesehen haben, schreibt Plotin das Glck nur dem guten Leben par excellence zu.40 Also stimmt er denjenigen Philosophen zu, die das Glck weder der Pflanze noch dem vernunftlosen Tier, sondern nur dem »vernnftigen« Tier zuerkennen. Er fragt nun diese Philosophen, warum sie das Glck dem vernnftigen Tier vorbehalten: Fgt ihr »vernnftig« vielleicht deswegen hinzu, weil die Vernunft eher findig (eql¶wamom) und leichter »die primren naturgemßen Dinge« (t± pq_ta jat± v¼sim) erspren und verschaffen kann? […] Dann wre die Vernunft eine Dienerin (rpouqc¹r) und nicht um ihrer selbst willen gewhlt (aRqet¹r) und ebenso wenig ihre Vervollkommnung, die wir Tugend nennen. Wollt ihr aber behaupten, dass sie ihren Rang (t¹ t¸liom) nicht einnimmt um »der primren naturgemßen Dinge« willen, sondern um ihrer selbst willen willkommen zu heißen ist, dann msst ihr angeben, was sie denn fr eine Funktion hat, was ihre Natur ist, und was sie vollkommen macht.41

Hier geht Plotin dialektisch vor, indem er ausgehend von den Annahmen der Gesprchspartner argumentiert. Angesichts des stoischen Terminus »die primren naturgemßen Dinge«, der elementare natrliche Bedrfnisse be38 Bei Seneca, Epist. 76, 9 – 10 (SVF III 200a) findet sich eine hnliche Formulierung: »haec ratio perfecta virtus vocatur eademque honestum est.« 39 Diogenes Laertios berliefert eine stoische Bestimmung der Tugend, die der in Frage stehenden Definition nahekommt, nmlich »die natrliche Vollkommenheit eines vernnftigen Wesens als eines vernnftigen Wesens« (DL VII 94). 40 Fr Plotins Argument siehe unten 3.2.1. 41 I 4 [46] 2, 35 – 46.

2.3 Die Tugend als Selbstvervollkommnung

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zeichnet, ist anzunehmen, dass Plotins Gesprchspartner die Stoiker sind.42 Zuerst stimmt Plotin mit den Stoikern darin berein, dass die Leistung der Vernunft fr das Glck relevant ist. (a) Nimmt man nun an, dass die Vernunft wegen der Tchtigkeit zur Befriedigung der elementaren natrlichen Bedrfnisse glcksrelevant ist, kommt man zu dem Schluss, dass die Vernunft dem Glck als Mittel zu einem Zweck dient, der in der Befriedigung der elementaren natrlichen Bedrfnisse besteht. Daraus folgert Plotin: »Dann mssten auch die vernunftlosen Lebewesen das Glck erlangen, falls sie ohne Vernunft durch Naturanlage (v¼sei) auf ›die primren naturgemßen Dinge‹ trfen« (2, 38 – 41). Tatschlich sind die vernunftlosen Lebewesen imstande, durch ihren Instinkt – manchmal in beraus geschickter Weise – ihre elementaren natrlichen Bedrfnisse zu befriedigen. Falls dies aber zutrifft, kann man das Glck nicht mehr dem vernnftigen Lebewesen allein zuschreiben. (b) Nimmt man dagegen an, dass die Vernunft um ihrer selbst willen gewhlt werden kann, so muss man zugeben, dass die Vernunft nicht um der primren naturgemßen Dinge willen willkommen geheißen wird. Wenn es sich in der Bestimmung der Tugend als Vervollkommnung der Vernunft um einen Gemeinplatz handelt, dann mssen die Stoiker zugeben, dass die Vervollkommnung der Vernunft um ihrer selbst willen willkommen zu heißen ist. Nun fragt Plotin die Stoiker, welche Aufgabe und Natur die Vernunft hat, was sie zur Vollkommenheit bringt. Dabei schließt er die Mçglichkeit aus, dass die Betrachtung (heyq¸a) der »primren natrlichen Dinge« die Vernunft vollkommen macht (2, 43 f.).In der Tat geht er davon aus, dass die Gegenstnde der Betrachtung, welche die Vernunft vollkommen macht, »jener geistigen Natur« (1je¸m, t0 moeqø v¼sei) angehçren, deren Existenz die Physikalisten wie die Stoiker ablehnen (vgl. 3, 34). Fr Plotin besteht die Tugend als Vervollkommnung der Vernunft in der Betrachtung der unkçrperlichen, geistigen Gegenstnde. Er ist also davon berzeugt, dass man ohne Annahme jener geistigen Natur nicht erklren kann, worin das gute Leben des vernnftigen Wesens besteht: So mssen wir denn diese Denker, ehe sie nicht eine Natur auffinden, die hçher ist als die Dinge, bei denen sie heute noch stehen bleiben, ruhig dort stehen lassen, wo sie zu verweilen wnschen. Sie geben keine Lçsung der Frage, worin das gute Leben besteht fr die Wesen, die dazu fhig sind.43

42 Nach den Stoikern hat jedes Lebewesen von Geburt an eine affirmative Einstellung zu sich selbst. Diese als »Zueignung« (oQje¸ysir) bezeichnete Haltung der Selbstliebe lsst ein Lebewesen nach dem streben, was seiner Natur gemß ist. Dazu vgl. Pembroke; Lee. Zu den primren, d. h. elementaren naturgemßen Dingen gehçren Gesundheit, kçrperliche Unversehrtheit, Schmerzlosigkeit usw. Vgl. DLVII 85 – 86; SVF III 178 – 189; Cic. fin. 3, 16; 5, 18. Vgl. Forschner, S. 145; Kidd, S. 155; Striker, S. 281 – 297. 43 I 4 [46] 2, 52 – 55.

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2. Der Aufstieg der Seele: Die Sorge um sich selbst

2.3.2 Der Hçhenflug der geistigen Erkenntnis Die Tugend als Vervollkommnung der Vernunft, die in der Betrachtung der geistigen Gegenstnde besteht, stellt bei Plotin den Vollendungszustand des Menschen dar. In einer kurzen Schrift Enn. V 9 [5] unterscheidet Plotin nach der Vollendungsstufe drei Arten von Menschen, wobei er diese humorvoll mit drei Arten von Vçgeln vergleicht. Interessant ist, dass er damit auf drei Philosophenschulen anzuspielen scheint, nmlich (1) mit der ersten Stufe auf die Epikureer, (2) mit der zweiten auf die Stoiker und schließlich (3) mit der dritten auf die Platoniker (und evtl. Aristoteliker): (1) Alle Menschen gebrauchen von Geburt an die Sinne vor dem Geist und treffen notwendigerweise zuerst auf das Sinnliche. Manche nun bleiben ihr ganzes Leben hindurch hier stehen, sie halten das Sinnliche fr das Erste und Letzte, das Angenehme und das Schmerzliche, welches im Sinnlichen ist, bedeutet ihnen das Gute und das bel, und so halten sie es fr genug, ihr Leben zu verbringen, indem sie jenem nachjagen und dies von sich fernhalten; die von ihnen Anspruch auf Vernunft erheben, nennen das sogar Weisheit. Sie gleichen schweren Vçgeln, die zu viel von der Erde aufgenommen haben und schwer geworden sind, und nun nicht in die Hçhe fliegen kçnnen, obgleich sie Flgel von der Natur bekommen haben. (2) Andere erheben sich zwar ein kleines Stck ber die niedere Welt, indem der hçhere Teil ihrer Seele sie vom Angenehmen zum Schçnerem hintreibt; aber da sie nicht imstande sind, das Obere zu erblicken, so gleiten sie, weil sie nichts andere haben, wo sie Stand gewinnen kçnnen, mit ihrem Wort »Tugend«, das sie im Munde fhren, hinab zum praktischen Handeln, d. h. zur Auswahl der unteren Dinge, ber die sich hinauszuheben sie zunchst unternommen haben. (3) Eine dritte Art sind gçttliche Menschen, die von strkerer Kraft sind und ein schrferes Auge haben, daher sehen sie wie Fernsichtige den Glanz dort oben und heben sich dort hinauf, gleichsam ber die Wolken und den Dunst der irdischen Welt hinweg und verbleiben dort in der Hçhe, achten das Irdische alles gering und erquicken sich an jenem Ort, welcher der wahre und ihnen angestammte ist, so wie ein Mensch, der nach langer Irrfahrt in seine von guten Gesetzen regierte Heimat zurckkehrt.44

44 V 9 [5] 1. Dazu vgl. O’Meara, Epicurus Neoplatonicus. Vgl. Aristoteles’ Einteilung der Lebensweisen in drei Arten: 1) die hedonistische, 2) die praktische bzw. politische und 3) die theoretische Art (EN I 5, 1096b 14 – 1096a 5). Rudolph bei Jonas (Gnosis II, S. 250) vergleicht diese Einteilung der Menschen in drei Stufen mit der gnostischen Einteilung: »die nur dem ›Sinnlichen‹, ußeren hingegebenen (gnostisch: die ›Hyliker‹ oder ›Choiker‹), diejenigen, die sich etwas darber erheben und vom ›besseren Teil ihrer Seele‹ getrieben werden (gnostisch: die ›Psychiker‹) und die ›3. Klasse‹, die ›gottbegnadeten Menschen‹, die ›das Irdische alles gering achten‹ und ›Wolken und Dunst der irdischen Welt‹ hinter sich lassen (gnostisch: die ›Pneumatiker‹)«. In Anm 56 behauptet er ferner, dass der »innere Mensch« dem »Pneumatiker« entspricht.

2.3 Die Tugend als Selbstvervollkommnung

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Hier geht Plotin davon aus, dass alle Menschen von Natur aus mit dem Geist45 ausgestattet sind – wie alle Vçgel mit den Flgeln –, obwohl sie mit ihren geistigen Flgeln nicht gleich hochfliegen kçnnen. Weder die Epikureer noch die Stoiker schaffen den Hçhenflug des Geistes. Dieser Hçhenflug kann nach Plotin nur demjenigen Menschen gelingen, der »von seiner Haltung her wirklich und ursprnglich ein Philosoph« ist (2, 2 – 3). Dieser Philosoph kann ber die sinnliche Erkenntnis hinauswachsen und ber die Grenze der handlungsbezogenen »Tugend« hinausgelangen. An anderer Stelle ordnet Plotin die praktische Tugend der theoretischen Tugend unter, entsprechend dazu den praktischen Menschen dem theoretischen Menschen.46 Damit bekennt er sich entschieden zu einem theoretischen Lebensideal, obwohl dieses die praktische Tugend nicht ausschließt. Im unserem Text scheint Plotin die »Tugend« bei der Stoa als praktische Tugend zu begreifen, die in der »Auswahl der unteren Dinge« ausgebt wird. »Auswahl« (1jkoc¶) ist ein Terminus, der relativ spt zu einem Schlsselbegriff der stoischen Ethik wurde, als Diogenes von Babylon (ca. 230-ca. 150 v. Chr.) und Antipater von Tarsos (ca. 200 – 129 v. Chr.) ihn in ihre TelosFormel aufgenommen hatten. Nach ihrer Formel liegt das Ziel des Lebens in der »rationalen Einstellung in der Auswahl dessen, was naturgemß ist«.47 Aufgrund dessen ist zu vermuten, dass die von Plotin erwhnten »niederen Dinge« zu dem gehçren, was bei den Stoikern als naturgemß gilt. Nun sind die naturgemßen Dinge (t± jat± v¼sim) nach den Stoikern weder gut noch schlecht, sondern »indifferent (!di²voqa)«.48 An dieser Stelle fragt man sich, ob das Ziel des Lebens bei der Stoa in der Erlangung solcher indifferenter Dinge liegt. Dazu sagen die Stoiker aber Nein. Zur Erklrung wird der stoische Weise, der sich am Ziel des Lebens befindet, mit demjenigen Bogenschtzen verglichen, dem es nicht auf das Treffen, sondern allein auf die richtige Ausfhrung seiner Kunst ankommt, nmlich auf die richtige Art und Weise des Schießens. Dieser Vergleich besagt, dass es in der stoischen Tugend um die kunstgerechte Praxis der Auswahl selbst, nicht um das Ergebnis der Praxis geht. Bei der Auswahl kommt es auf die Anwendung und Ausfhrung der Rationalitt selbst an.49 Angesichts der knappen Bemerkung kçnnen wir nicht wissen, wie Plotin »Auswahl« verstanden hat. Doch drfen wir davon auszugehen, dass Plotin die Tugend in der rationalen Auswahl nicht als die Tugend ansieht, die er als Vervollkommnung der Vernunft definiert, sofern die Auswahl auf die »niederen« Dinge bezogen ist. Denn die gesuchte Tugend liegt in der Betrachtung

45 Zum Verhltnis zwischen der Vernunft und dem Geist siehe unten 2. 4. 2 und 7. 2. 2. 46 I 1 [53] 12, 35 – 39. 47 Vgl. SVF III Diogenes 44 – 46; Antipater 57 – 58. Dazu ausfhrlich vgl. Striker, S. 300 ff.; Long / Sedley, S. 407 ff. 48 Zum Begriff der »naturgemßen Dinge« siehe Kidd, bes. S. 155 ff.; Long, Telos, S. 65 f. 49 Vgl. SVF III 18 (= Cic. fin III 22). Dazu vgl. Striker, 305 ff.

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2. Der Aufstieg der Seele: Die Sorge um sich selbst

der »hçheren« Dinge. Der wirkliche Philosoph richtet seinen geistigen Blick dorthin, hinauf in die Hçhe. Allerdings sagt Plotin nicht, dass man zu diesem Hçhenflug der geistigen Erkenntnis gar keine sinnlichen Erfahrungen bruchte. Das obige Bild des Hçhenflugs legt eher ein Entwicklungsmodell der menschlichen Erkenntnis nahe. Dass das sinnliche Schçne als Leiter dienen kann,50 die zum geistigen Schçnen hinauffhrt, deutet m. E. darauf hin, dass die Erkenntnis des Sinnlichen nicht unbedingt die Erkenntnis des Geistigen behindern muss, sondern im Gegenteil auch fçrdern kann. Sicher ist nicht zu leugnen, dass Plotin als getreuer Platoniker den Gebrauch der Sinne herabsetzt. Das liegt aber im Grunde an der Aufwertung der geistigen Erkenntnis. Hierzu sei angemerkt, dass die »hçheren« Dinge keineswegs irgendwo etwa an einem berhimmlischen Ort anzusiedeln wren. Es geht vielmehr um die Hochschtzung der nicht-sinnlichen Gegenstnde der Erkenntnis, welche die idealen Formen der sinnlichen Gegenstnde darstellen. Man sollte sich also von der rumlichen Darstellung der Metapher nicht irrefhren lassen. Plotin versichert, dass die so genannte »geistige Welt« keine rumliche Ausdehnung hat und in diesem Sinne »außerhalb allen Orts« liegt.51

2.4 Der Aufstieg zum Selbst Die sokratische Sorge um sich selbst ist eine Sorge um die Seele und deren Tugend. Die Tugend, die aber das wahre Selbst des Menschen auszeichnet, liegt nach Plotin im geistigen Erkennen. Diese geistige Tugend stellt die Vervollkommnung der Vernunft, d. h. die Selbstvollendung des Menschen als rationales Wesen dar. Auf dieser Grundlage sind wir nun in der Lage, einen rtselhaften Ausdruck zu verstehen, nmlich »Aufstieg zum Selbst«. In Enn. IV 7 [2] beschreibt Plotin die geistige Erkenntnis nicht nur als Aufstieg zum Gçttlichen und Ewigen, d. h. zum geistigen Kosmos, sondern auch als Aufstieg zu sich selbst.52 Zur Erklrung dieser Beschreibung schlagen wir vor, bei Plotin zwei Konzepte unterschiedlicher Herkunft herauszugreifen und miteinander zu verknpfen, nmlich einerseits (1) das platonische Konzept der Selbstbewegung und andererseits (2) das aristotelische Konzept der Selbstverwirklichung. Der Kern des Vorschlags liegt in der Behauptung, dass das Leben der Seele eine selbstverwirklichende Bewegung ist, wobei die geistige Erkenntnis die hçchste Form des Lebens darstellt. Der Aufstieg der Seele zu sich selbst bedeutet demnach die Selbstbewegung der Seele zur Verwirklichung ihres hçchsten Vermçgens. 50 I 6 [1] 1, 20. 51 V 1 [10] 10, 19 – 21. 52 IV 7 [2] 10, 14: ftam 1v( 2autμm !m´kh,.

2.4 Der Aufstieg zum Selbst

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2.4.1 Das Leben der Seele als Selbstbewegung In Enn. IV 7 [2] stellt Plotin die Seele als Prinzip der Bewegung dar, welches jedem Kçrper Bewegung verleiht. Zu beachten ist, dass die Seele den Kçrper bewegt, whrend sie sich von selbst bewegt (aqtμ d³ 1n 2aut/r jimoul´mg). Unmittelbar nach dieser Feststellung kommt Plotin auf die Seele als Prinzip des Lebens zu sprechen, wobei er behauptet, dass die Seele dem beseelten Kçrper das Leben verleiht, whrend sie es von sich aus hat und niemals verliert (oupote !pºkkusim), weil sie es von sich selber hat (9, 6 – 9). In Enn. III 6 [26] scheint Plotin die Bewegung der Seele ohne weiteres mit dem Leben der Seele gleichzusetzen, wobei er bemerkt, dass die Seele sich selbst bewegt (3, 22 f.). Im Hinblick auf die Auffassung des Lebens der Seele als Selbstbewegung scheint er auf Platons Phaidros 245 c 5 – 9 zurckzugreifen. Im Rahmen des Beweises fr die Unsterblichkeit der Seele wird dort die Seele als das sich von selbst Bewegende eingefhrt: Seele insgesamt ist unsterblich. Denn das stets Bewegte (t¹ !eij¸mgtom)53 ist unsterblich; was aber anderes bewegt und selbst von anderem bewegt wird, insofern es ein Aufhçren der Bewegung hat, hat auch ein Aufhçren des Lebens. Allein also das sich selbst Bewegende (t¹ art¹ jimoOm), weil es nie sich selbst verlsst (oqj !poke?pom 2autº), wird auch nie aufhçren, bewegt zu sein, sondern auch allem, was sonst bewegt wird, ist dieses [Selbst-Bewegende] Quelle und Anfang der Bewegung (pgcμ ja· !qwμ jim¶seyr) (bers. Schleiermacher).

Platon legt hier eine Verbindung zwischen Leben und Selbstbewegung nahe. Zu unterstreichen ist, dass das sich selbst Bewegende »nie sich selbst verlsst« (Phaidr. 245c 8). Auf dieses Platonwort greift Plotin in Enn. V 1 [10] zurck, wo er die demiurgische Funktion der Seele zur Sprache bringt: Alles, was Seele ist, besinne sich somit zuallererst darauf, dass sie es ist, die alle Lebewesen geschaffen hat, indem sie ihnen Leben eingehaucht hat – die, welche die Erde nhrt und das Meer, die in der Luft sind und die gçttlichen Gestirne, die am Himmel sind –; sie ist es, die die Sonne gemacht hat, sie, die diesen gewaltigen Himmel geschaffen hat; sie hat ihm seine Ordnung gegeben, sie bewirkt seine regelmßige Bewegung im Kreis. Das kann sie nur, weil ihre Natur verschieden ist von allem, was sie ordnet, was sie bewegt und was sie leben lsst; und sie ist notwendigerweise wertvoller als das, weil dieses entsteht und vergeht, wenn die Seele es verlsst oder mit Leben versorgt, wohingegen sie selbst immer ist, dadurch, dass sie sich selber nie verlsst (t` lμ !poke¸peim 2aut¶m).54

Hiernach verliert die Seele sich selbst nicht, sondern erhlt sich vielmehr selbst bei ihrer Bewegung. Auf diese selbst-erhaltende Bewegung der Seele 53 In Enn. V 1 [10] 12, 5 bezeichnet Plotin die Seele als »das stets Bewegte« (t¹ !eij¸mgtom). 54 V 1 [10] 2, 1 – 9.

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2. Der Aufstieg der Seele: Die Sorge um sich selbst

fhrt Plotin die Erhaltung und Ordnung der kçrperlichen Welt zurck. In diesem Zusammenhang betont Plotin, dass die Natur der Seele von ihrem geschaffenen Werk verschieden ist. Diesbezglich ist zu bemerken, dass Plotin mit einem speziellen Begriff des Kçrpers operiert, wonach der Kçrper allein nicht zur Selbsterhaltung und -organisation fhig ist. Diese Unfhigkeit wird auf seine unbestndige Natur zurckgefhrt. Unter diesem Gesichtspunkt verknpft Plotin den Seele-Kçrper-Dualismus mit der platonischen Dichotomie von Sein und Werden.55 Er vertritt nmlich die These, dass alles Kçrperliche fr sich genommen niemals ist, sondern immer wird. Anders ausdrckt: »Alle kçrperliche Natur bleibt nicht, sondern fließt.«56 Der Mensch, begriffen als kçrperliches Lebewesen, kann daher nicht ewig leben. Plotin glaubt jedoch, dass der unkçrperliche Teil des Menschen, d. h. die Seele unsterblich ist. Die Seele ist ihm zufolge das »Selbst« des Menschen, das »auf immer bleibt«.57 Es scheint mir kein bloßer Zufall zu sein, dass die Seele als das »Selbst« (autos) des Menschen bei allerlei Vernderung des Menschen »gleich« (autos) bleibt, es sei denn, wenn dieser aufhçrt, ein Mensch zu sein. Also gewhrt die Seele die Identitt des Menschen. Diese Identitt betrachtet Plotin als eine unentbehrliche Bedingung fr die seelischen Aktivitten wie z. B. die Erinnerung.58 In Enn. III 6 [26] kommt Plotin auf die Selbstidentitt der Seele selbst zu sprechen. Dabei macht er deutlich, dass das Leben der Seele eine selbst-erhaltende Selbstbewegung ist: Und wenn wir von der Seele sagen, sie bewege sich in Begierden, in Gedanken, in Vorstellungen, so meinen wir nicht, dass sie erschttert werde, indem sie dies tut, sondern dass diese Bewegungen von ihr ausgehen. Denn auch wenn wir ihr Leben Bewegung nennen, so geben wir ihr damit keine Vernderung, sondern in der Aktivitt jedes einzelnen ihrer Teile besteht ihr naturgemßes Leben, welches die Seele nicht verwandelt (oqj 1nist÷sa). Somit drfen wir zusammenfassen: Wenn wir zugeben, dass die Aktivitten, die Lebensakte und Strebungen der Seele keine Vernderungen sind, dass die Erinnerungen nicht in sie eingeprgte Formen, die Vorstellungen nicht gleichsam Abdrcke wie in Wachs sind, so mssen wir auch zuge-

55 IV 7 [2] 85, 47 – 9, 5: »Denn alles Kçrperliche darf man Werden nennen, nicht Sein, werdend und vergehend, niemals aber wahrhaft seiend; nur durch Teilhabe am Seienden wird es erhalten, soweit es denn daran teilhaben kann. Die andere Wesenheit aber, die von sich selbst das Sein hat, sie ist all das wahrhaft Seiende, welches nicht entsteht noch vergeht; sonst msste alles andere vergehen und wrde nicht wieder entstehen kçnnen, wenn das dahin ist, das allem [sc. Wesen] Erhaltung gewhrt, dem Andern wie insbesondere diesem All, welches durch die Seele erhalten und geordnet wird.« Vgl. Plat. Soph. 248a 11; Tim. 28a 3 – 4. 56 IV 7 [2] 8, 45: Oq c±q l´mei, !kk± Ne? B s¾lator v¼sir p÷sa. Hier scheint Plotin sich an jene herakliteische Auffassung vom Fluss alles Kçrperlichen anzuschließen, an der nach dem Bericht des Aristoteles Platon festgehalten haben soll. Vgl. Arist. Metaph. A 6, 987a 32-b 1. 57 IV 7 [2] 1, 1 – 4; 24 – 25. 58 IV 7 [2] 5, 16 – 24.

2.4 Der Aufstieg zum Selbst

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ben, dass berall bei smtlichen genannten Affektionen und Bewegungen die Seele sich gleich bleibt nach Substrat und Wesen (t` rpojeil´m\ ja· t0 oqs¸ô).59

Festzustellen ist, dass Plotin die Selbstbewegung der Seele nicht als Wesenswandel, der nichts anderes als Selbstvernichtung bedeutet, begreift, sondern als Wesensvollzug, und zwar als eine Selbstverwirklichung, die in der Bettigung der eigenen Vermçgen besteht. Dabei wird das platonische Konzept der Selbstbewegung anhand des aristotelischen Begriffspaars von dynamis und energeia umgeschrieben. Dies gilt auch fr die geistige Erkenntnis der Seele, wie wir im Folgenden nher sehen werden.

2.4.2 Die geistige Erkenntnis als Selbstverwirklichung der Seele In Enn. III 6 [26] 2, 46 f. stellt Plotin das geistige Erkennen (to noein)60 der Seele als eine selbst-erhaltende Aktivitt dar, bei der ein bergang aus der Potenzialitt (dynamis) in die Aktualitt (energeia) stattfindet: »Denn allgemein gilt von den Aktivitten der immateriellen Dinge, dass sie sich ohne Mitvernderung des Subjekts vollziehen; die Dinge wrden ja sonst vernichtet, doch vielmehr bleiben sie.«61 Zur Verdeutlichung vergleicht Plotin das geistige Erkennen mit dem Sehen: Denn wie das Sehvermçgen (exir),62 ob es nun der Potenzialitt nach oder der Aktualitt nach vollzieht, in seinem Wesen dasselbe bleibt, die Aktualisierung dabei aber keine Vernderung bedeutet, sondern es zu dem heran schreitet, was es hat und von ihm weiß und affektionslos (!pah_r) erkennt, ebenso verhlt sich auch der berlegende Seelenteil (t¹ kocifºlemom) zum Geist: er sieht – er ist ja eben das Vermçgen zum geistig Erkennen (B d¼malir toO moe?m toOto) –, ohne dass in ihm ein Abdruck entstnde, sondern er hat, was er sieht.63

Wichtig ist, dass das geistige Erkennen so wie das Sehen zur affektionslosen Erkenntnis gehçrt, die in der Aktualisierung des Erkenntnisvermçgens besteht.64 Diese Aktualisierung ist Plotin zufolge keine Vernderung (alloisis) 59 III 6 [26] 3, 22 – 32. 60 In Enn. IV 7 [2] 8, 2 – 6 charakterisiert Plotin das geistige Erkennen als »Erfassen ohne Kçrper« (t¹ %meu s¾lator !mtikalb²meshai) im Vergleich zur Wahrnehmung als »Erfassen vermittels des Kçrpers« (t¹ di± s¾lator jatakalb²meim). 61 III 6 [26] 2, 49 – 51: gOkyr c±q aR 1m´qceiai t_m !¼kym oq sumakkoioul´mym c¸momtai· C vhaqe?em %m· !kk± pok» l÷kkom lemºmtym. Was aber die materiellen Dinge angeht, kann die Aktualisierung zur Vernichtung des Potenziellen fhren. Vgl. 1, 17 f. 62 Harder bersetzt exir mit »Sehen«, d. h. Sehakt. Es handelt sich jedoch eher um das Sehvermçgen als Akteur des Sehens. 63 III 6 [26] 2, 34 – 40. Vgl. II 5 [25] 2, 15 f. Arist. Phys. 190a 10 – 11; De an. II 5, 417b 3 – 7; 429b 6 – 10. 64 Vgl. VI 1 [42] 20, 26 – 32: »In welchem Sinne soll der Lernende etwas erleiden, wenn die Aktivitten eines Tuenden in ihn eingehen? […] Es kann ja nicht darin bestehen, dass er selbst

56

2. Der Aufstieg der Seele: Die Sorge um sich selbst

am Wesen.65 So bleibt das Sehvermçgen in seinem eigenen Wesen, gleichgltig, ob es der Potenzialitt nach oder der Aktualitt nach ist. Aktuell ist das Sehvermçgen, wenn es gerade etwas sieht. Potenziell ist es aber, wenn es nichts sieht, so z. B. beim Schlafen.66 Hier stehen die Begriffe dynamis (Potenzialitt) und energeia (Aktualitt) fr zwei Seinsweisen eines Wesens. Bemerkenswert ist, dass Plotin das Wort dynamis nicht nur im Sinne der Potenzialitt als einer Seinsmodalitt gebraucht, sondern auch im Sinne der Potenz, d. h. des Vermçgens zum Tun (d¼malir jat± t¹ poe?m).67 Fr das Vermçgen zum geistigen Erkennen (d¼malir toO moe?m) bedeutet der bergang von der Potenzialitt zur Aktualitt gerade die Aktualisierung der Potenz, d. h. die Verwirklichung des Vermçgens. Dabei bleibt das Wesen des Vermçgens erhalten. In dieser Hinsicht ist das geistige Erkennen eine selbst-erhaltende Aktivitt des Erkenntnisvermçgens. Als Vermçgen zum geistigen Erkennen der Seele identifiziert Plotin den rationalen bzw. berlegenden Teil (to logizomenon). Zu beachten ist, dass er das geistige Erkennen vom berlegen unterscheidet.68 Er beschreibt den bergang vom geistigen Erkennen zum berlegen als einen Abstieg.69 Damit deutet er an, dass das geistige Erkennen die »hçhere« Ttigkeit des rationalen Seelenteils ist als das berlegen.70 Daher liegt die Annahme nahe, dass der rationale Seelenteil sowohl zum geistigen Erkennen wie auch zum berlegen in der Lage ist, ohne dabei sein Wesen zu verndern. Plotin nennt den rationalen Seelenteil »den Geist der Seele«. Von diesem unterscheidet er »den Geist selbst«, der kein Teil der Seele ist.71 Der Geist selbst funktioniert ferner ganz anders als unser Geist, d. h. der Geist der Seele: (1) Jener Geist entspricht nicht unserem Geist, der erst aus Vorderstzen sich mit Inhalt fllt, der Gesagtes aufzufassen vermag, der Schlsse zieht und die Folge untersucht, als kçnnte er aus der Folge das Seiende in den Blick bekommen – das Seiende, das er also vorher gar nicht besaß, sondern er war, bevor er es erkannte, leer, obgleich er doch Geist war.72

65 66 67 68 69 70

71

72

nicht aktiv wre; denn das Lernen gleicht sowenig wie das Sehen dem Geschlagenwerden, es besteht in der Erfassung und Erkenntnis.« Vgl. VI 3 [44] 21, 46 – 47: »Vernderung ist eine Form der Bewegung, welche das Ding aus seinem Sein herausfhrt (1jstatij¶ tir owsa j¸mgsir).« Arist. De An. II 5, 417a 10 – 11. II 5 [25] 1, 24 – 26. Vgl. V 3 [49] 15, 32 – 35, Arist. Metaph. H 1, 1046a 19 f. Vgl. V 1 [10] 3, 12 – 15; 11, 1 – 7. IV 8 [6] 1, 7 – 8. Im Liniengleichnis in der Politeia (VI 511d6-e2) stellt auch Platon die geistige Erkenntnis (mºgsir) als die hçchste Erkenntnisform der Seele dar, die sich direkt auf die Ideen bezieht. Dabei unterscheidet er diese geistige Erkenntnis von einer anderen Form der Erkenntnis, nmlich dem diskursiven Verstand (di²moia). I 1 [53] 8, 1 – 6. Vgl. V 1 [10] 3, 13. In Enn. V 3 [49] bezeichnet Plotin den Geist selbst als »unvermischt« (2, 22), »rein« (3, 21 – 22; 6, 39) und »wahr« (6, 28). Der Ausdruck »Geist der Seele« findet sich auch bei Aristoteles (De an. III 4, 429a 22). I 8 [51] 2, 9 – 15.

2.4 Der Aufstieg zum Selbst

57

(2) Denn der Geist [selbst] erfasst die Dinge nicht so, als htte er sie nicht oder msste sie erst erwerben oder doch, weil sie ihm gerade nicht zu Hand sind, erst diskursiv durchlaufen; das alles sind Zustnde der Seele, whrend er still in sich selbst steht und dabei auf einmal alles Seiende ist.73

Zusammengefasst: Der Geist selbst denkt weder inferenziell noch diskursiv, um etwas zu erkennen, wie es bei unserem Geist der Fall ist, sondern erkennt direkt alles auf einmal.74 Seine Erkenntnisweise wird von Plotin damit erklrt, dass er reine Aktualitt ist: Denn der Geist schreitet nicht aus der Potenzialitt, die in seiner Fhigkeit zu erkennen bestnde, zur Aktualitt des Erkennens – dann wrde er einen anderen, hçheren Geist voraussetzen, welcher nicht aus der Potenzialitt heraus denkt –, sondern in ihm ist bereits das Ganze. Denn das Potenzielle verlangt nach einem anderen, Hinzutretenden, um in die Aktualitt berfhrt zu werden, damit es zu etwas Aktuellem werden kçnnte.75

Beim Erkennen jenes Geistes gibt es also keinen bergang von der Potenzialitt zur Aktualitt. Im Unterschied dazu findet beim geistigen Erkennen der Seele, wie wir schon gesehen haben, der bergang von der Potenzialitt zur Aktualitt des Erkenntnisvermçgens statt. Dies zeigt, dass der Geist der Seele nicht reine Aktualitt ist. Das obige Zitat lsst ferner darauf schließen, dass der Geist der Seele, sofern er ein potenzieller Geist ist, von einem aktuellen Geist in die Aktualitt berfhrt werden muss.76 Wenn allerdings Letzterer nicht von sich aus aktuell ist, dann muss er seinerseits von einem anderen Geist aktualisiert werden. Also setzt die geistige Erkenntnis der Seele letztlich einen von sich aus aktuellen Geist voraus.77 Dieser ist der Geist selbst, der auch »der gçttliche Geist« heißt. Interessant ist, dass Plotin den gçttlichen Geist mit einem Vater vergleicht, der ein Kind aufzieht, das er als ein Unvollkommenes erzeugt hat.78 Plotin przisiert das unvollkommene Erzeugnis des gçttlichen Geistes als Vernunft der Seele, die nachdenkt (diamoo¼lemom).79 Die Erziehung der Seele involviert offenbar – pace Harder – einen Entwicklungsprozess. Worin besteht aber die 73 V 9 [5] 7, 9 – 12. 74 Zur Unterscheidung zwischen dem diskursiven und dem nicht-diskursiven bzw. intuitiven Denken bei Plotin vgl. Emilsson, Intellect, bes. S. 176 – 213; bei Platon und Aristoteles vgl. Oehler, Lehre. 75 II 5 [25] 3, 25 – 30. Vgl. V 9 [5] 7, 9. 76 Zur Potenzialitt der Seele gegenber dem Geist siehe V 9 [5] 5, 24 – 26. 77 Vgl. V 9 [5] 4, 7 – 10: »Deshalb muss man das Erste als in Aktualitt befindlich ansetzen und als autark und vollendet, das Unvollendete dagegen als spter von ihm kommend, welches aber vollendet wird von eben den Wesenheiten, die es hervorgebracht haben, die wie ein Vater der Vollendung zufhren, was sie zunchst unvollendet hervorbrachten.« 78 V 1 [10] 3, 12 – 15. 79 V 1 [10] 7, 42 – 43: Vgl. 6, 46 – 47: »Nun ist die Vernunft (kºcor) der Seele nur dunkel, denn sie ist gleichsam nur ein Nachbild des Geistes, und darum muss sie auf den Geist blicken.«

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2. Der Aufstieg der Seele: Die Sorge um sich selbst

Reife (teke¸ysir) der Seele? Es liegt auf der Hand, dass die erwachsene Seele das tut, was ihr Vater tut. Daraus ergibt sich, dass die Seele geistig erkennt, wenn sie reif, d. h. vollkommen, ist. Nun sagt Plotin, dass die Seele geistig erkenne, wenn sie den gçttlichen Geist »sehe«. Dabei stellt er jenen Geist als »Form« dar, die Seele hingegen als Materie, die jene Form aufnimmt.80 Damit deutet er an, dass sich die Seele beim geistigen Erkennen gegenber dem Geist rezeptiv verhlt. Heißt das dann, dass die Seele dabei rein passiv ist? Seine Antwort fllt negativ aus. Er konstatiert den aktiven Aspekt der geistigen Erkenntnis der Seele: Denn wenn sie auf den Geist hinblickt, besitzt sie das, was sie erkennt und worin sie aktiv ist, von innen her und als ihr Eigenes. Und als Aktivitten der Seele darf man ausschließlich das bezeichnen, was auf geistig erkennende Weise und aus ihr selbst heraus (oUjohem) stattfindet; alles Geringere hingegen kommt von woanders und ist nur eine passiver Zustand der entsprechend verfassten Seele.81

Plotin besteht also darauf, dass das geistige Erkennen der Seele keine Affektion ist, sondern die Aktivitt des Erkenntnisvermçgens. Um diesen Punkt zu beleuchten, sollte man Plotins Diskusssion ber dynamis und energeia in II 5 [25] ber das Potenzielle und das Aktuelle bercksichtigen. Dort unterscheidet er, hnlich wie Aristoteles in De Anima II 5, zwei Stufen des Vermçgens (dynamis), nmlich (1) die bloße Eignung; (2) die bereits entwickelte Disposition.82 Dementsprechend lassen sich beim potenziell Wissenden zwei Stufen unterscheiden: (Stufe I) derjenige Wissende, der das fr das Wissen geeignete Vermçgen hat; (Stufe II) derjenige Wissende, der das Vermçgen dazu ausgebildet hat, aber nicht gerade ausbt. Folglich ist der Ungelehrte (wie z. B. der Analphabet) potenziell wissend, sofern seine Seele fr das Wissen geeignet ist (1pitgde¸yr 5wousa, 2, 22) (Stufe I). Er ist aber ausschließlich potenziell wissend, whrend der Gelehrte (in Grammatik) auch aktuell wissend ist, sofern er das (grammatikalische) Wissen besitzt (Stufe II). Von diesen beiden unterscheidet sich wiederum der aktuell Wissende im eigentlichen Sinne, d. h. derjenige, der sein Wissen gerade anwendet (Stufe III). Hier lassen sich zwei Stufen der Verwirklichung bzw. Aktualisierung (energeia) erkennen: Die erste besteht in der Ausbildung des Vermçgens, die zweite in der Ausbung des ausgebildeten Vermçgens. Durch die erste Aktualisierung erhlt das Vermçgen eine Form (2, 28 f.).83 Diese Form stellt bei

80 V 1 [10] 3, 22 – 23. Die Seele wird als »das Aufnehmende« (t¹ dewºlemom) und als »Materie des Geistes« (B moO vkg) bezeichnet. 81 V 1 [10] 3, 16 – 20. 82 II 5 [25] 2, 19 – 26; 33 – 35. Vgl. Arist. De An. II 5, 417a 21 – 30. Dazu vgl. Narbonne, Plotin, S. 92 – 96. Zur aristotelischen Konzeption der Dynamis vgl. Liske, S. 173 ff.; Burnyeat. 83 Alexander von Aphrodisias identifiziert den potenziellen Geist, den wir bei der Geburt haben, mit einem materiehaften Geist, der durch Unterweisung und Gewçhnung die Form erhlt und somit zur Vollendung kommt. Der so entstandene Geist ist die Form, Disposition und Vollen-

2.4 Der Aufstieg zum Selbst

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Plotin eine Art Aktualitt fr das Vermçgen als Materie dar. Aktualitt im eigentlicheren Sinne (juqi¾teqom: 31) ist nun die Aktivitt des geformten Vermçgens, also gerade das, was dieses Vermçgen selbst tut. Das geistige Erkennen gehçrt zu einer solchen Selbstbettigung. In dieser Hinsicht ist das geistige Erkennen keine Wesensvernderung, sondern vielmehr »die Vervollkommnung (teke¸ysir) des Wesens«,84 oder um es mit Aristoteles zu sagen, »ein Heranwachsen in sich selbst und zur eigenen Vollendung« (eQr art¹ c±q B 1p¸dosir ja· eQr 1mtek´weiam).85 Aus dem bisher Dargelegten erweist die geistige Erkenntnis der Seele sich als Selbstverwirklichung bzw. -vervollkommnung. Aus diesem Blickwinkel lsst sich der Aufstieg der Seele zum Geist als Aufstieg zum Selbst verstehen. Dass die Seele beim Aufstieg zum gçttlichen Geist zu sich selbst aufsteigt, besagt nicht, dass der gçttliche Geist das Selbst der Seele ausmachen wrde.86 Dagegen spricht eben, dass das geistige Erkenne der Seele eine selbst-erhaltende Aktivitt ist. Beim Aufstieg zum gçttlichen Geist, der nach Plotin in der »Konzentration auf die Angleichung an das Gçttliche« besteht,87 behlt die Seele ihre Selbstidentitt als Seele. Durch die Intellektualisierung verliert die Seele nicht ihr Wesen als Seele – denn sie verlsst sich selbst nie –, sondern sie wird erst dadurch »wirklich« (emtyr) Seele.88 Gewiss spricht Plotin davon, dass die Seele durch das Erkennen des Geistes mit diesem identisch wird. So sagt er, der Geist der Seele erkenne bei jenem Aufstieg schließlich »all die Dinge im geistigen Kosmos,89 wobei er selbst auch seinerseits zu einem geistigen, lichthaften Kosmos wird, erleuchtet von der Wahrheit, die von dem ›Guten‹ kommt, welches ber allen geistigen Wesen strahlt«.90 Allerdings meint Plotin damit, dass das Erkennende mit dem Erkannten durch »Aneignung« (oQje¸ysir) ein und dasselbe wird. Diese auf Aneignung beruhende Identitt unterscheidet er von der auf Wesen (oqs¸a) beruhenden Identitt: »So ist beim Geist beides [sc. das Erkennende und das Erkannte] bereits eins, und zwar nicht durch Aneignung wie noch bei der besten Seele, sondern durch Wesen, d. h. darum, dass Sein und Erkennen dasselbe ist (taqt¹m t¹ eWmai ja· t¹ moe?m). Denn hier ist nicht mehr das eine eins und das andere etwas anderes.«91 Nun ruft Plotin dazu auf, nicht nur zum Geist, sondern darber hinaus zum Guten aufzusteigen. Das Endziel des Aufstiegs ist das Gute. Er stellt nicht nur

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dung des materiehaften Geistes. Vgl. De An. 81, 22 – 82, 3. Dazu vgl. Hager, Geist, bes. S. 184 – 187. Von Geist im Sinne der Disposition (hexis) spricht Plotin in Enn. I 1 [53] 8, 1 – 3. VI 7 [38] 40, 5 – 10. Arist. De An. II 5, 417b 6 – 7. Anders Beierwaltes, Selbst, bes. S. 84 – 122. IV 7 [2] 10, 39 – 40. I 6 [1] 6, 16 – 18. Zur Geschichte des Terminus »geistiger Kosmos« siehe Runia, bes. bei Plotin, S. 165 ff. IV 7 [2] 10, 34 – 37. Vgl. Plat. Resp. 508d 5. III 8 [30] 8, 6 – 9. Vgl. Parm. fr. B3 DK.

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2. Der Aufstieg der Seele: Die Sorge um sich selbst

den Aufstieg zum Geist, sondern auch den zum Guten als Aufstieg zum Selbst dar.92 Damit deutet er an, dass die gesamte Aufstiegsbewegung der Seele nicht bloß eine selbst-erhaltende, sondern vielmehr eine selbst-erhçhende Bewegung ist, nmlich die Verwirklichung der besseren Mçglichkeit des Selbst. Hierbei ist er der Ansicht, dass die bessere Seele die eigentlichere ist. Unter diesem Aspekt ist das eigentliche Selbst eine Aufgabe. Aber es ist auch eine Gabe, sofern es nicht als etwas Neues zu schaffen, sondern als etwas schon Vorhandenes aufzufinden ist. Zum Schluss sei darauf hingewiesen, dass die so genannten drei Hypostasen bei Plotin allesamt Prinzipien des Lebens sind, die in einer hierarchischen Ordnung stehen. So wird die Seele von Plotin, wie wir gesehen haben, als Ursprung des Lebens fr den Kçrper dargestellt, der Geist als »Quell und Ursprung (pgcμ ja· !qw¶)« des Lebens fr die Seele93 und schließlich das Gute als »Quell und Ursprung« des Lebens fr den Geist.94 Folglich quillt die gesamte Aktivitt des Lebens aus dem Guten hervor wie aus einer Urquelle. Dabei betrachtet Plotin alle Lebensstufen insgesamt »wie ein Leben, das sich in die Weite erstreckt, jeder der hintereinanderliegenden Abschnitte ist ein anderer, das Ganze aber ist ein in sich Zusammenhngendes«.95

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VI 9 [9] 11, 35 – 39. II 5 [25] 3, 38 – 40. Vgl. Plat. Phaedr. 245c 9. III 8 [30] 10, 3 – 5; VI 7 [38] 23, 19 – 21; VI 9 [9] 9, 1 – 2; 11, 30 – 32. V 2 [11] 2, 26 – 28.

3. Das vollkommene Leben Die Aufforderung zur Sorge um sich selbst bei Plotin ist als Einladung zum Glck aufzufassen, welches in seinen Augen in der Selbstvervollkommnung des Menschen besteht. Diese Einladung fordert allerdings Bemhen um diejenige Tugend, die den Vollendungszustand des Menschen als Menschen charakterisiert, nmlich die Vervollkommnung der Vernunft. Die Aktivitt der Vernunft ist nun eine Art von Lebensaktivitt. Das vollkommene Leben des Menschen beruht also auf dessen vollkommener Vernunft. Wie wir gesehen haben, besteht nach Plotin die Aktivitt, welche die Vernunft vervollkommnet, in der Betrachtung bzw. Erkenntnis der geistigen Gegenstnde. Daraus wird ersichtlich, dass das menschliche Glck in der theoretischen Tugend liegt. Nun stellt Plotin seinen Weisen als denjenigen dar, der die Vollendung der Tugend verkçrpert. Der plotinische Weise scheint allerdings nicht nur in der theoretischen Tugend, sondern in der ganzen Tugend vollendet zu sein. Plotin ist, wie schon erwhnt, der Auffassung, dass die theoretische Tugend die ethischen Dispositionen zur Vollendung fhre. Ohne die Weisheit blieben die anderen Tugenden »unvollendet und mangelhaft«.1 Demnach kann nur der Weise vollkommen tapfer, besonnen und gerecht sein. Das Maßgebende fr die Lebensfhrung des Weisen ist die Weisheit. So wird die praktische Tugend in eine Lebensweise eingebettet, die grundstzlich theoretisch ausgerichtet ist. Fr Plotin ist die Theoria kein Mittel zur gelungenen Praxis, sondern das Ziel, an der sich die Praxis orientiert. An dieser Stelle kçnnte man meinen, dass das vollkommene Leben des Menschen, d. h. das menschliche Glck, nicht nur die Vollendung der theoretischen Tugend, sondern auch die der praktischen Tugend umfassen sollte, wie etwa Aristoteles in der Eudemischen Ethik II 1 behauptet: »Nachdem uns aber das Glck als Gut im vollendeten Sinne galt, und es Leben im vollendeten wie auch im nichtvollendeten Sinne gibt und desgleichen Tugend – sie ist ja sowohl als Ganzes wie auch als Teil vorhanden –, […] so bedeutet Glck soviel wie Ttigsein vollendeten Lebens im Sinne vollendeter Tugend (Trefflichkeit)«.2 Demzufolge bt der Glckliche die vollendetete, d. h. vollkommene Tugend aus, die alle Teile der Tugend einschließt. Hingegen bezieht sich das menschliche Glck bei Plotin allein auf die hçchste Stufe in der Tugendleiter. Folglich besteht die Vervollkommnung des menschlichen Lebens eben in der hçchsten Tugend. Wie wir sehen werden, macht das theoretische Leben bei 1 I 3 [20] 6, 14 – 15. 2 Arist. EE 1219a 35 – 39 (bers. Dirlmeier).

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3. Das vollkommene Leben

Plotin das vollkommene, wahre und wirkliche Leben aus.3 In dieser Hinsicht kommt Plotins Auffassung der folgenden Auffassung nahe, die Aristoteles in der Nikomachischen Ethik X 7 darstellt: »Wenn das Glck Aktivitt im Sinne der Tugend ist, ist sie es mit gutem Grund im Sinne der hçchsten Tugend, und diese muss die des besten Seelenteils sein. […] die Aktivitt dieses Seelenteils im Sinne der ihm eigentmlichen Tugend muss das vollkommene Glck sein. Und dass es theoretisch ist, ist schon gesagt worden.«4 Im Folgenden werden wir Plotins enges Verstndnis des menschlichen Glcks nher analysieren, welches mit anspruchsvollen metaphysischen Voraussetzungen verknpft ist.

3.1 Das Glck als das Gute fr den Menschen Im Corpus Plotinianum sind zwei Schriften explizit dem Thema »Glck« gewidmet: Enn. I 4 [46] ber das Glck und Enn. I 5 [36] ber die Frage, ob das Glck sich in der Zeit erstreckt. Es gibt allerdings auch eine andere Schrift, die den Titel ber das Glck trgt, nmlich Enn. I 7 [54]. Von dieser Schrift berliefert Porphyrios zwei Titel: nmlich (1) Peq· eqdailom¸ar in der chronologischen Aufzhlung der Schrift (VP 6, 24) und (2) Peq· toO pq¾tou !cahoO ja· t_m %kkym !cah_m (ber das erste Gute und die anderen Gter) in der systematischen Aufzhlung (VP 24, 30). Allerdings erwhnt Plotin in Enn. I 7 [54] niemals das Wort eqdailom¸a. Dennoch hat der Titel Peq· eqdailom¸ar insofern seine Berechtigung, als die gelufige Gleichsetzung von Glck und gutem Leben gilt. Denn Plotin beschftigt sich dort mit der Frage, worin das gute Leben (fr die Seele) besteht. In der Tat befasst er sich zuerst mit einer ein wenig anders formulierten Frage: Worin liegt das Gute fr jedes Lebewesen? Seine Antwort lautet: in der »Aktivitt des Lebens gemß der Natur« (tμm jat± v}sim t/r fy/r 1m]qceiam: 1, 1 – 2). Wie der andere Titel anzeigt, unterscheidet Plotin das erste Gute von den anderen Gtern. Dabei macht er klar, dass das erste Gute, nmlich das Gute selbst, verschieden vom Guten fr etwas ist. Es gibt also auf der einen Seite das absolute Gute und auf der anderen Seite das relative Gute. Das relative Gute ist jedoch nicht mit dem subjektiven Guten zu verwechseln. Das Gute fr die Seele ist zwar verschieden vom Guten selbst, aber nichtsdestotrotz ein objektives Gut, nmlich ein Gut, welches sich auf die normative Natur der Seele bezieht. 3 hnlich Annas, Old and New, S. 69 f.: »The person with both the higher and the civic virtues will be alive to, and perform, the actions that civic virtue requires, but will not regard this as being his real life; his real life, in which he strives to become like God and achieve intellectual grasp of the world of Being, is lived on a different level, which accompanies the so-called life consisting of the activity of the civic virtues.« 4 Arist. EN X 7 1177a 12 – 18.

3.1 Das Glck als das Gute fr den Menschen

63

Nun macht Plotin das relative Gute abhngig vom absoluten Guten. Ihm zufolge besteht einerseits das Gute fr jedes Einzelne in der fr sein Wesen als naturgemß vorgegebenen Aktivitt, andererseits ist das Gute selbst der »Quell und Ursprung aller naturgemßen Aktivitten, der die anderen gutgestaltig macht« (1, 15 – 16).5 Dabei wird ausgeschlossen, dass das Gute selbst irgendeine Aktivitt ist: »Da es jenseits des Seins ist, so ist es auch jenseits der Aktivitt und jenseits des Geistes und der geistigen Erkenntnis« (1, 19 – 20). Wie hier das Zitat aus Platons Sonnengleichnis (Res. 509b9) anzeigt, verknpft Plotin das Gute selbst mit der platonischen Idee des Guten. Wenig spter nennt er ausdrcklich die Sonne als paradeigma fr das Gute selbst. Diesbezglich sagt er, dass alles (p²mta)6 vom Guten selbst abhngt und nicht von diesem abgeschnitten ist, gleichsam wie das Licht von der Sonne abhngt. Zudem bemerkt Plotin, dass das Gute selbst das ist, »wonach alles strebt (ox p²mta 1v¸etai: 1, 22)«. Interessant ist, dass er dabei auf Eudoxos’ Ausdruck zurckgreift, den auch Aristoteles in der Nikomachischen Ethik in Anspruch nimmt, allerdings in einem anderen Sinne.7 Obwohl noch umstritten ist, in welchem Sinne genau Aristoteles den Ausdruck gebraucht, kann er damit nicht meinen, dass alles gemeinsam nach einem Gut strebt, was er an anderer Stelle explizit bestreitet.8 So scheint er eher der Ansicht zu sein, dass ein Gut das ist, wonach jedes strebt.9 Damit lehnt er die Auffassung ab, dass es ein Gut gibt, wonach alle Wesen streben, wie das Gute selbst bei Plotin. Es ist kaum Zufall, dass Aristoteles gerade in diesem Zusammenhang die platonische Annahme des Guten »an sich (jahû art¹)« als die Ursache (aition) fr alle Gter in Zweifel zieht.10 An dieser Stelle leitet er seine eingehende Auseinandersetzung mit der platonischen Lehre von der Idee des Guten ein. Hingegen beansprucht Plotin Eudoxos’ Ausspruch fr seine platonische Position. Er glaubt, dass es ein und dasselbe Gut gibt, nach welchem alles strebt: Alles ist auf das Gute selbst ausgerichtet. Dabei hat er ein in sich geschlossenes Ganzes vor Augen, welches auf das Gute selbst hin geordnet ist. Wie wir gesehen haben, fhrt Plotin das Gute fr jedes Einzelne auf das Gute selbst zurck. Also nimmt er anders als Aristoteles die Exisenz der Ursache fr alle Gter an. In Enn. I 4 [46] stellt Plotin das Glck als das Gute fr den Menschen dar – das Glck fr die Gottheit sei fr den Augenblick beiseite gelassen. Er be5 (meine bers.): pgcμm ja· !qwμm 1meqcei_m jat± v¼sim owsam ja· t± %kka !cahoeid/ poioOsam. Vgl. Plat. Phaedr. 245c 9. Nach Harders bersetzung bezieht sich der Ausdruck jat± v¼sim nicht auf 1meqcei_m, sondern auf !qwμm (»wesensgemßer Urgrund aller Bettigung«). 6 An dieser Stelle spricht Plotin wohlgemerkt von allem, nicht von allem Guten. Allerdings sagt er, dass alles schon etwas vom Guten hat, insofern irgendwie eines bzw. ein Einzelnes ist. Daraus folgt, dass alles Einzelne bei Plotin etwas Gutes ist. 7 Arist. EN I 1, 1094a 3; X 2, 1172b 14. 8 Arist. EE I 8, 1218a 30 ff. 9 So Wolf, Aristoteles, S. 26 f. bes. Anm. 7; dies., Ethik, S. 343 f., Anm. 3. 10 Arist. EN I 2, 1095a 26 – 28.

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3. Das vollkommene Leben

zeichnet das Glck als das dem Menschen »immanente« (1mup²qwom) Gute. Von diesem unterscheidet er das »transzendente« (1p´jeima) Gute, welches dessen »Ursache« (aUtiom) ist.11 Demnach ist das Gute, das der glckliche Mensch in sich hat, nicht das Gute selbst. Gleichwohl schließt Plotin die Mçglichkeit nicht aus, zu sagen, dass man das Gute selbst »hat«. Es kommt natrlich darauf an, was mit dem Wort »haben« gemeint ist. Dazu bemerkt er in Enn. 1 7 [54]: »Die anderen Dinge kçnnten das Gute, soweit sie es in diesem Sinne haben, in zweifacher Weise haben, einmal, indem sie ihm angeglichen sind, und ein andermal, indem sie ihre Aktivitt auf es richten.«12 In dieser Hinsicht gewinnt das transzendente Gute eine ethische Relevanz. Dieser Gedanke wird in Enn. I 4 [46] deutlich ausgedrckt: »So fordert denn auch Platon sehr treffend, man msse das Gute von dort droben herholen und wer weise und glcklich sein wolle, msse zu jenem Guten aufblicken und jenem sich angleichen und gemß jenem leben. Dies allein muss er haben zur Erreichung des Zieles.«13 Trotz der Meinungsunterschiede hinsichtlich der platonischen Annahme der Idee des Guten gehen Plotin wie Aristoteles davon aus, dass das Glck das Gute fr den Menschen ist. Wie schon gesehen, legt Plotin in Enn. 1 7 [54] fest, dass das Gute fr jedes Lebewesen in der »Aktivitt des Lebens gemß der Natur« besteht. Dabei gebraucht er den Ausdruck »gemß der Natur« (jat± v}sim) gleichbedeutend mit dem Ausdruck »eigene« (oQje_am). Demnach hngt der Inhalt des Guten fr ein Lebewesen davon ab, was seine eigene Natur ausmacht. Dahinter steht offenbar eine teleologische Annahme, wonach jedem Lebewesen eine naturgemße und wesenseigene Aufgabe vorgegeben ist. So sagt Plotin, wenn ein Lebewesen seine eigene Funktion (5qcom) nicht erflle, hinke (wyke¼ei) sein Leben (3, 2 – 3). Daraus ergibt sich, dass das Gute fr den Menschen in der Erfllung seiner naturgemßen und wesenseigenen Aufgabe besteht. In diesem sogenannten Ergon-Argument stimmt Plotin grundstzlich mit Aristoteles berein.14 Allerdings macht Plotin in diesem Zusammenhang eine einschrnkende Bemerkung: »Und wenn ein Wesen aus vielem besteht, was anderes kçnnte man sein Gutes nennen, als die wesenseigene und naturgemße Aktivitt seines besseren Teils, ohne je nachzulassen?« (1, 2 – 4) Entsprechend erblickt er das Gute des Menschen in der naturgemßen Aktivitt der Seele, wobei er davon ausgeht, dass die Seele den besseren Teil des Menschen darstellt als der Kçrper.

11 I 4 [46] 3, 31 f.; 4, 19. 12 I 7 [54] 1, 11 – 13. Auch wenn der Mensch dem Guten selbst hnlich geworden ist, ist er vom Guten selbst verschieden. Dafr fhrt Plotin das folgende Beispiel an: »Denn auch das sinnliche Haus ist nicht dasselbe (t¹ aqt¹) wie das geistige Haus, obgleich es ihm angeglichen ist (ja¸toi ¢lo¸ytai)« (I 2 [19] 1, 42 – 43). 13 I 4 [46] 16, 10 – 13. Vgl. EN I 4, 1097a 1 – 3. 14 Vgl. Aristoteles’ Ergon-Argument in EN I 6, 1097b 24 – 33.

3.1 Das Glck als das Gute fr den Menschen

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In Enn. I 4 [46] zieht Plotin ferner in Rechnung, dass selbst die Seele des Menschen aus meheren Teile besteht. Konsequenterweise lehnt er die Auffassung ab, dass alle Seelenteile relevant fr das Glck sind: Zu verlangen, dass das Glck sich so weit erstrecke wie das Lebewesen, ist lcherlich, wo doch das Glck gutes Leben ist (eqfy¸ar t/r eqdailom¸ar ousgr), welches ja nur an der Seele statt hat, da sie eine Aktivitt von ihr ist – und zwar nicht von der ganzen Seele: Denn sie liegt natrlich nicht in der vegetativen Seele – sie msste sich dann ja auch mit dem Kçrper befassen! Denn Grçße und guter Stand des Kçrpers – das ist doch nicht Glck. Auch beruht sie nicht in besonders gutem Wahrnehmen.15

Hier spricht Plotin das Glck sowohl dem vegetativen Teil als auch dem wahrnehmenden Teil ab. So ist nichts anderes zu erwarten, als dass das Glck einem Teil zukommen wird, der besser als beide Seelenteile ist. Dafr kommt nur der rationale Seelenteil in Frage, wenn die gngige Dreiteilung der Seele in einen vegetativen, einen wahrnehmenden und einen rationalen Teil analog der scala naturae am Werk ist. Fr diese Mçglichkeit spricht, dass der glckliche Mensch bei Plotin sich als der Weise erweist, was darauf hindeutet, dass die glcksrelevante Aktivitt es mit der Weisheit zu tun hat, welche die Vollkommenheit der Vernunft bezeichnet (9, 16 f.). Die so aufgefasste intellektualistische Konzeption des Glcks erinnert an die oben zitierte Stelle aus Buch X 7 der Nikomachischen Ethik. Dort heißt, dass das Glck in der Aktivitt des besten Seelenteils besteht, die sich als eine theoretische Aktivitt erweist. Diese Auffassung scheint zur folgenden Bemerkung gut zu passen, die Aristoteles im Rahmen des Ergon-Arguments in Buch I 6 macht: Das menschliche Gute bestehe in der Aktivitt gemß der Tugend, wenn es aber mehrere Tugenden gebe, dann gemß der besten und vollkommensten,16 allerdings nur dann, wenn mit der »besten und vollkommensten« Tugend Weisheit gemeint ist. Dagegen argumentiert jedoch Ackrill, dass die »beste und vollkommenste« Tugend sich nicht auf die Weisheit, sondern auf »total virtue, the combination of all virtues« beziehe.17 Damit weist er die sogenannte »monolithische« Doktrin zurck, wonach das Glck lediglich in der einzigen Aktivitt, nmlich der Theoria, liegt. Sein Argument ist aber schwer vereinbar mit der Glckskonzeption in Buch X der Nikomachischen Ethik. Wir wollen aber nicht nher auf diese Kontroverse um Aristoteles’Konzeption des Glcks eingehen. Es gengt uns die Feststellung, dass Plotins Konzeption des Glcks in die Richtung jener »monolithischen« Doktrin weist. An dieser Stelle ist zu bemerken, dass Plotin im obigen Text von der Gleichsetzung von Glck (eqdailom¸a) und gutem Leben (eqfy¸a) ausgeht, einer Gleichsetzung, die Aristoteles in der Nikomachischen Ethik als Ge15 1 4 [46] 14, 4 – 9. 16 Arist. EN I 6, 1098a 16 – 18. Dazu siehe Wolf, Aristoteles, S. 40 ff. 17 Ackrill, Eudaimonia, S. 56.

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3. Das vollkommene Leben

meinplatz einfhrt.18 Allerdings geht es nur um das gute Leben des hçchsten Seelenteils. Zur Rechtfertigung dieser Position kçnnte man das Ergon-Argument in Anspruch nehmen: Das gute Leben auf vegetativem oder sinnlichem Niveau zhlt deswegen nicht zum menschlichen Glck, weil es nicht zur eigentmlichen Aktivitt des Menschen gehçrt. Darauf basierend kçnnte man sagen, dass das Glck bei einem vernunftlosen Tier im guten Leben des wahrnehmenden Seelenteils besteht oder dass eine Pflanze glcklich sein kann, wenn ihre vegetative Seele gut funktioniert. Plotin glaubt jedoch nicht, dass ein vernunftloses Lebewesen, wie gut es auch leben mag, das Glck erreichen kann. Das gute Leben, sofern es fr das Glck relevant ist, steht ihm zufolge nicht allen Lebewesen offen. Das gute Leben in diesem privilegierten Sinne schreibt Plotin schließlich dem Menschen zu, sofern dieser das vernnftige Leben hat: »Diejenigen haben wohl recht, welche sagen, dass es [sc. das gute Leben] nur im vernnftigen Leben (1m kocij0 fy0) besteht, nicht im Leben schlechthin ("pk_r fy0), und auch wenn das Leben wahrnehmungsfhig ist.«19 Folglich schließt er die vernunftlosen Tiere und die Pflanzen aus dem guten Leben und somit dem Glck aus. Dass allerdings die vernunftlosen Lebewesen nicht einmal gut leben kçnnen, klingt schier absurd. Denn alle Lebewesen mssen ja entweder gut oder schlecht leben. Demnach kçnnen alle Lebewesen im Prinzip glcklich sein. Gerade mit diesem Problem erçffnet Plotin Enn. I 4 [46]: »Wenn wir das gute Leben (t¹ ew f/m) mit dem Glcklichsein (t¹ eqdailome?m) gleichsetzen, werden wir dann nicht auch den anderen Lebewesen Anteil daran geben?« Er weist darauf hin, dass das gute Leben, gleichgltig ob es in der guten Affektion (eqpahe_a) oder in der Erfllung der eigentmlichen Funktion liegt, nicht nur uns Menschen, sondern auch den anderen Lebewesen zukommen kann. So lebt ein Singvogel wie z. B. die Nachtigall gut, insofern er seinen »musikalischen« Gaben entsprechend singt. Ebenso fhrt ein Obstbaum entweder ein gutes Leben oder das Gegenteil, insofern er Frucht trgt oder nicht.20 Was hindert uns denn daran, ihnen das Glck zuzuerkennen, sofern sie gut leben? Himmerich zufolge handelt es sich hier um ein ad-hominem Argument, das gegen Aristoteles gerichtet ist.21 Nach seiner Interpretation will Plotin zeigen, dass Aristoteles’ Gleichsetzung von Glcklichsein und gutem Leben zu dem absurden Schluss fhrt, dass Glck nicht nur dem Menschen, sondern auch den anderen Lebewesen zuzurechnen ist, obwohl Aristoteles das Glck im eigentlichen Wortsinn keinem anderen Lebewesen außer dem Menschen (und 18 19 20 21

EN I 7, 1098a21. I 4 [46] 2, 31 – 33. Vgl. Arist. EN I 6, 1098a 3 – 4. Auch SVF III 687. I 4 [46] 1, 8 f., 23 f. Vgl. Himmerich, S. 21: »Die Gleichung eqdailome?m und ew f/m ergibt schon einen Anhaltspunkt, dass die Erçrterung ad hominem gerichtet ist: Offensichtlich bezieht sich Plotin auf Aristoteles’ Nikomachische Ethik, wo an zwei Stellen diese Gleichung vorgefunden wird, allerdings in der erweiterten Form von gut leben und sich gut verhalten (ew f/m ja· ew pq²tteim).« Vgl. Arist. EN I 1 – 2, 1095a 8 – 20; I 8, 1098b 20 f.; X 8, 1178b 8 – 28.

3.2 Die Homonymie des guten Lebens

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den Gçttern) zuerkennt.22 Nach Himmerich lehnt Plotin in Wahrheit jene Gleichsetzung ab. Es gilt jedoch, Vorsicht zu ben. Plotin richtet sein Argument offenkundig auch gegen die Hedonisten (wohl die Epikureer) und die Stoiker. Er meint nmlich, dass dasselbe Argument gelte, auch wenn das gute Leben in der Lust oder in der Seelenruhe oder im Leben gemß der Natur bestehe.23 Dazu ist noch zu bercksichtigen, dass die Gleichsetzung von glcklichem Leben und gutem Leben keine Sonderlehre des Aristoteles ist, sondern als Gemeinplatz in der antiken Ethik gilt.24 Insofern haben wir es nicht mit einem spezifisch aristotelischen Problem zu tun. Hier scheint es vielmehr darauf anzukommen, wie der Gemeinplatz zu verstehen ist. Meiner Ansicht nach ist Plotin der Auffassung, dass das Glck als das gute Leben im eigentlichen Sinne zu verstehen ist. Zur Klrung dieser Auffassung ist sein Konzept der Homonymie des guten Lebens heranzuziehen.

3.2 Die Homonymie des guten Lebens 3.2.1 Die Homonymie des Lebens Zur Annherung an Plotins Konzept der Homonymie des guten Lebens lohnt es sich, einen kurzen Blick auf das aristotelische Begriffspaar von Synonymie und Homonymie zu werfen.25 Synonym sind nach Aristoteles die Dinge (nicht die Wçrter), die den gemeinsamen Namen (emola joim¹m) und die dazu gehçrige Wesensbestimmung (kºcor t/r oqs¸ar) teilen. Man nennt beispielsweise sowohl den Menschen als auch das Rind »Lebewesen«, wobei »Lebewesen« fr Mensch und Rind in beiden Fllen die gleiche Bedeutung hat. Homonym sind hingegen die Dinge, die nur gleich benannt werden, ohne die zum Namen gehçrige Bedeutung zu teilen. Beispielsweise kçnnen der Mensch und der auf einem Bild gezeichnete Mensch zwar »Lebewesen« heißen, doch nicht im gleichen Sinne. Der Mensch auf einem Bild lebt ja nicht wie der Mensch, von dem das Portrait gemacht wurde. Allgemein gesagt, gehçrt zum 22 Arist. EN I 10, 1099b 32 – 1100a 1; X 8, 1178b 24 – 25. 23 I 4 [46] 1, 26 – 30. Die Hedonisten, die Plotin hier im Auge hat, kçnnen nicht die Kyrenaiker sein, wie Armstrong (Plotinus, S. 172 Anm. 1) andeutet. Denn die Kyrenaiker erblicken zwar das Ziel des Lebens in der Lust, aber nicht das Glck. Fr sie ist das Lebensziel nicht das Glck. Sie sind also keine Eudmonisten. Plotin richtet sein Argument jedoch an diejenigen Hedonisten, von denen er die Behauptung erwartet, dass das Glck in der Lust bestehe. Nur dann kann er ihnen sinnvollerweise die Frage stellen, was uns daran hindert, anderen Lebewesen als uns Menschen das Glck zuzuerkennen, sofern sie gut leben, d. h. Lust haben. 24 Arist. EN I 2, 1095a 19 – 20; I 7, 1098a 21. Vgl. SVF III 17. 25 Vgl. Arist. Cat. 1a 1 – 8.

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3. Das vollkommene Leben

synonymen Begriff von X definitorische Einheit, wohingegen der homonyme Begriff von X Mehrdeutigkeit aufweist. In Enn. I 4 [46] nimmt Plotin, anders als Aristoteles, den homonymen Begriff des Lebewesens an. Ihm zufolge haben verschiedene Arten von Lebewesen, wie z. B. der Mensch und das Rind, zwar den Namen »Lebewesen« gemeinsam, doch nicht im gleichen Sinne. Entsprechend spricht er von der Homonymie des Lebens: Da nun also »Leben« in vielfachem Sinne (pokkaw_r) gebraucht wird und die Unterschiede sich nach den Trgern ergeben, ob sie die Ersten im Range oder die Zweiten usf. sind, mithin »Leben« homonym (blym¼lyr) gesagt wird – brauchen wir es anders von der Pflanze, anders vom vernunftlosen Tier, […] so muss es sich analog auch mit dem Guten (t¹ ew) verhalten.26

Hiernach leben der Mensch und das Rind nicht in ein und demselben Sinne. D.h.: Der Mensch und das Rind stehen zueinander nicht in einem synonymen, sondern in einem homonymen Verhltnis. Dabei handelt es sich um eine mehrdeutige Prdikation von »leben«. Diese Homonymie des Lebens fhrt zur Homonymie des guten Lebens: »Das gute Leben« wird nicht in ein und demselben Sinne vom Menschen und vom Rind ausgesagt. Zugleich wird behauptet, dass »gut« ein mehrdeutiges Prdikat ist: »Gut« wird also vom Menschen und vom Rind in unterschiedlichem Sinne ausgesagt. Zu beachten ist, dass die Homonymie des Lebens bei Plotin mehr als ein bloßer sprachlicher Zufall ist, wie etwa zwei Menschen per accidens »Sokrates« heißen. Es handelt sich um eine bestimmte Art von Homonymie, und zwar diejenige, die mit der Rangordnung verbunden ist. Plotin nimmt nmlich eine geordnete Reihe von Leben an, in der verschiedene Arten von Leben untereinander nicht gleichrangig sind: »Arten von Leben meine ich nicht im Sinne gleichrangiger Begriffe (oqw ¢r !mtidi,qgl´mom t` kºc\), sondern in dem Sinne, wie wir ein Ding frher (pqºteqom), ein anderes spter (vsteqom) im Rang nennen« (3, 16 – 18). Gemß der Ordnung von Frher und Spter ist das Leben der Pflanze dem Leben des vernunftlosen Tiers untergeordnet, dieses wiederum dem vernnftigen Leben. So geht Plotin von einer scala vitae aus, die der scala naturae entspricht. Analog dazu ist »das Gute« (t¹ ew) unterschiedlich abgestuft. In Verbindung mit dem Leben entsteht eine Hierarchie des Guten. So ist das Gute umso besser, je hçher die betreffende Art des Lebens steht. Demnach ist das Gute fr die hçchste Art des Lebens das Beste (t¹ %qistom). Dieses kommt demjenigen Lebewesen zu, welches das Leben »in hçchstem Grad« (%cam: 3, 26) besitzt. Mit »Glck« bezeichnet Plotin dieses gute Leben im Superlativ. Damit platziert er das Glck an die Spitze der Hierarchie des guten Lebens (t¹ ew f/m). Glck ist das gute Leben par excellence. Das Glck in diesem privilegierten Sinne kommt nur den Gçttern und den vernnftigen Lebewesen zu. 26 I 4 [46] 3, 18 – 23.

3.2 Die Homonymie des guten Lebens

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Plotin hebt hervor, dass man mit der synonymen Auffassung des Lebens nicht erklren kann, warum man das vernunftlose Lebewesen aus dem Glck im Sinne des guten Lebens ausschließen soll: Wenn wir alles Leben als synonym auffassten, allen Lebewesen eine Aufnahmefhigkeit fr das Glck zugestnden, […] wrden wir somit nicht etwa dem vernnftigen Lebewesen diese Fhigkeit zuerkennen und dem vernunftlosen nicht. Denn fr beide ist Leben ein Gemeinsames (t¹ joimºm), und eben dies msste durch Empfnglichkeit fr ein und dasselbe Ding zum Glck gelangen, wenn denn das Glck in einem bestimmten Leben besteht.27

Die Pointe liegt darin, dass Leben fr die verschiedenen Lebewesen auf der scala naturae kein Gemeinsames ist. »Leben« ist in diesem Sinne kein allgemeines Prdikat. Die Rangordnung des Lebens erlaubt keine eindeutige Prdikation von »leben«. Auf diese Art und Weise begrndet Plotin anhand der aristotelischen Unterscheidung von Synonymie und Homonymie die Sonderstellung des vernnftigen Lebens in der Hierarchie des Lebens.

3.2.2 Die Homonymie des Guten Schroeder behauptet, dass Aristoteles in der Nikomachischen Ethik das Konzept der Homonymie gegen die platonische Lehre von der Idee des Guten einsetzt.28 Diesbezglich verweist er auf zwei Argumente: (1) das so genannte Kategorienargument und (2) das Argument der Reihenfolge. Zwar ist dabei von der Homonymie des Guten nicht ausdrcklich die Rede, doch laufen beide Argumente darauf hinaus, dass das Gute nicht den Dingen, die »gut« heißen, gemeinsam ist. Zu (1): Aristoteles weist darauf hin, dass das Gute in den verschiedenen Kategorien auftritt: …] »gut« wird in ebensoviel Bedeutungen ausgesagt wie ›ist‹ – es wird in der Kategorie der Substanz ausgesagt, z. B. von Gott und der Vernunft, in der Kategorie der Qualitt, z. B. von ethischen Vorzgen, in der Kategorie der Quantitt, z. B. vom richtigen Maß, in der Relation, z. B. vom Ntzlichen, in der Zeit, z. B. vom richtigen Augenblick, in der Kategorie des Ortes, z. B. vom gesunden Aufenthalt usw.29 27 I 4 [46] 3, 3 – 9. 28 Schroeder, Good Life, S. 212 – 213: »Aristotle’s criticism of the Platonic Idea of the Good consists chiefly in his denial that ›good‹ admits of universal predication. It is rather predicable in homonymous (if related) senses in the different categories. As a supplementary argument, Aristotle demonstrates that the categories can show forth a succession exhibiting that priority and posteriority that would admit only for homonymous predication of ›good‹ within the series.« Dazu vgl. Gadamer, Idee des Guten, S. 198 – 217; Flashar. Parallel zur Nikomachischen Ethik I 4 findet sich Aristoteles’ Kritik an der platonischen Idee des Guten in der Eudemischen Ethik I 8. 29 Arist. EN I 4, 1096a 23 – 28 (bers. Dirlmeier). Vgl. EE I 8, 1217b 25 – 35. Dazu vgl. Buddensiek, S. 76 ff.; Woods, S. 65 ff.

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3. Das vollkommene Leben

Aus dieser kategorialen Vielfalt schließt er, dass das Gute nicht »etwas Gemeinsames, Allgemeines und Eines« (joimºm ti jahºkou ja· 6m)30 sein kann, welches unter eine Idee fllt. Zu (2): Aristoteles bemerkt, dass die Vertreter der Ideenlehre keine Ideen solcher Dinge aufgestellt haben, bei denen sie von »Frher« und »Spter« sprechen.So gibt es z. B. keine Idee der Zahl, da die Zahlen eine geordnete Reihe bilden. Auf dieser Grundlage behauptet er, dass es auch keine »gemeinsame« Idee des Guten geben kann, weil das Gute in verschiedenen Kategorien ausgesagt wird, die eine geordnete Reihe bilden.31 Aristoteles’ Kritik an der platonischen Annahme der Idee des Guten gibt zu erkennen, wie er die Idee des Guten versteht. Er versteht sie als etwas Gemeinsames (joimºm ti), Allgemeines und Eines.32 Interessant ist, dass Plotin die platonische Idee des Guten anders auffasst. In seinen Augen geht es dabei nicht um das Gute als etwas Gemeinsames. In Enn. VI 2 [43] vertritt er die These, dass das Gute keine Gattung (genos) darstelle, die als »etwas Gemeinsames« (joimºm ti) an vielen Teilen des Seienden »sichtbar« wre (17, 2 f.).Zur Begrndung weist er darauf hin, dass alle guten Dinge eine geordnete Reihe bilden: Nun, es [sc. das Gute] ist in all diesen Teilen [des Seienden] nicht dasselbe (oq taqt|m), sondern primr und sekundr und noch spteren Ranges; denn entweder stammt das eine Gute von dem anderen, das sptere von dem frheren, oder alles Gute stammt von dem Einen Jenseitigen ab, nimmt aber unterschiedlich je nach seiner Natur daran teil. Aber wollte man es auch als Gattung ansetzen, wre es ein Spteres.33

Folglich sind alle Dingen, die »gut« heißen, nicht in ein und demselben Sinne gut. »Gut« ist also kein allgemeines eindeutiges Prdikat. Wenn man die platonische Idee des Guten so auffasst, dann sieht man, dass Aristoteles’ Platonkritik ins Leere luft. Denn nach dieser Auffassung vertritt Platon keine solche Idee des Guten, welche etwas Gemeinsames darstellen wrde.

30 Arist. EN I 4, 1096a 28. 31 Arist. EN I 4, 1096a 19 – 23. Vgl. EE I 8, 1218a 1 – 15. Woods, S. 70 ff. verweist darauf, dass Aristoteles das Argument der Reihenfolge in der EN als ein argumentum ad hominem vorbringt, wobei er darauf hinweist, dass Aristoteles die Auffassung, die er in der EN den Vertretern der Ideen zuschreibt, in der EE so einfrht, als wre sie seine eigene Ansicht. Allerdings ist unklar, ob Aristoteles der Ansicht ist, dass die Kategorien eine geordnete Reihe bilden, oder ob er eine solche Lehre nur den Vertretern der Ideen unterstellt. In letzterem Fall bt er eine Ideenlehreimmanente Kritik. Er kçnnte jedoch selbst meinen, dass die Kategorien insofern eine geordnete Reihe bilden, als die Substanz im ontologlischen Sinne frher als anderen Akzidenzien sind: »Das, was fr sich besteht, die Substanz, ist aber naturgemß frher als das, was in Bezug auf etwas ist (denn das Letztere ist wie Seitentrieb und Akzidenz des Seienden)« (EN I 4, 1096 a 20 – 22: bers. Wolf). 32 Vgl. Arist. EN I 4, 1096b 25 – 6. 33 Vgl. VI 2 [43] 17, 15 – 20. Bemerkenswert ist, dass Plotin das Gute selbst nicht als »Idee« des Guten bezeichnet.

3.3 Das vollkommene, wahre und wirkliche Leben

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An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass Plotin die Homonymie des Guten annimmt. Allerdings lehnt er eine zufllige Homonymie des Guten ab. Zur Erklrung der nicht zuflligen Homonymie des Guten zieht er drei Mçglichkeiten in Erwgung: (1) Es besteht in der geordneten Reihe des Guten ein Abhngigkeitsverhltnis zwischen Frherem und Spterem. (2) Es gibt ein Gut, von dem alle anderen Gter stammen (paM 2m¹r) und an dem alle teilnehmen (letakalb²mei), allerdings in verschiedener Weise je nach ihrer eigenen Natur. (3) Es gibt ein Gut, auf das sich alle anderen Gter beziehen (pq¹r t¹ 4m).34 Er entscheidet sich jedoch nicht deutlich fr eine Option. Es ist auch unklar, ob sich die drei Mçglichkeiten gegenseitig ausschließen. Schroeder schlgt vor, die Homonymie des Guten bei Plotin mit Hilfe der aristotelischen Auffassung von der pros-hen-Prdikation zu erklren, wobei er den von Owen eingefhrten Ausdruck »focal meaning« in Anspruch nimmt: Das Prdikat »gut« bei Plotin sei »a term predicable by focal meaning of different entities within a hierarchy«.35 Angesichts der Schwierigkeiten der Theorie des »focal meaning«36 sollten wir offenlassen, inwieweit jene Theorie auf den Fall des Guten bei Plotin anwendbar ist. Fr unseren Zweck gengt die Feststellung, dass Plotin eine nicht zufllige Homonymie des Guten postuliert, die mçglicherweise eine Art pros-hen-Beziehung aufweist. Also stellt das Gute selbst bei Plotin keine allgemeine Bedeutung dar, die allen Dingen, die »gut« heißen, gemeinsam ist. Es ist aber mçglich, dass das Gute selbst etwas ist, worauf sich alle anderen Gter beziehen. Es ist natrlich nicht zu vergessen, dass das Gute selbst bei Plotin wie bei Platon kein bloßer Allgemeinbegriff ist, sondern ein metaphysisches Prinzip, welches allen naturgemßen und wesenseigenen Aktivitten zugrunde liegt, und vermçge dessen alle guten Dinge gut sind.

3.3 Das vollkommene, wahre und wirkliche Leben Wir haben gesehen, dass Plotin nicht nur eine Homonymie des Lebens, sondern auch eine Hierarchie des Lebens annimmt. Signifikant ist, dass er die Hierarchie des Lebens durch die Homonymie von Urbild und Abbild erklrt, 34 VI 2 [43] 17, 25 – 29. Diesbezglich nennt Aristoteles in EN 1096b 27 – 8 drei Mçglichkeiten: Es gibt ein Gut, (i) von dem die anderen Gter abgeleitet werden (!vû 2m¹r); (ii) auf das sich die anderen beziehen (pq¹r 4m); (iii) alle Gter stehen zueinander im Analogieverhltnis (jatû !makoc¸am). 35 Schroeder, S. 214. 36 D. Frede (Logic, S. 340, 347 f.) nimmt mit Owen an, dass Aristoteles seine Auffassung von der pros-hen-Prdikation gendert hat. So ist »focal meaning« in seinen frheren Schriften als Homonymie aufzufassen, in den spteren jedoch eher als eine Synonymie. Beispielsweise wird in EN 1096a17 f. von der kategorialen Vieldeutigkeit der Prdikate »seiend« und »gut« die Rede, whrend in Met. C 2 1003a 33 ff. durch die pros-hen-Beziehung ein einheitlicher Begriff fr das Prdikat »seiend« gesucht wird, wobei Homonymie ausgeschlossen wird.

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3. Das vollkommene Leben

wobei er eine Art von Leben als das Urbild der anderen Arten annimmt.37 Das Urbild-Abbild-Verhltnis weist einerseits ein ontologisches Abhngigkeitsverhltnis, andererseits das Verhltnis von Wahrem zu Falschem auf: (1) Die Existenz eines Abbildes setzt die seines Urbildes voraus. Es gibt nmlich kein Abbild ohne Urbild. (2) Ein Abbild ist kein Original. Es ist nicht echt. Gleichermaßen ist das Urbild von Leben fr die anderen Arten von Leben das »wahre« Leben, whrend die Abbilder des wahren Lebens kein echtes Leben sind. Auf dieser Grundlage stellt Plotin die Behauptung auf, dass »das vollkommene, wahre und wirkliche Leben« (B teke¸a fyμ ja· B !kghimμ ja· emtyr) das Urbild fr die brigen Lebensarten sei. Letztere seien unvollkommene Abbilder (Qmd²klata) des Lebens. Er lokalisiert dieses vollkommene, wahre und wirkliche Leben »in jener geistigen Natur«.38 Eben diese ist der Gegenstand der Betrachtung, welche die Vernunft vollkommen macht. In der Betrachtung jener geistigen Natur besteht die Vervollkommenung der Vernunft, und mithin das vollkommene Leben des Menschen als eines vernnftigen Wesens. Plotin ist der Auffassung, dass der Mensch, der das vollkommene Leben besitzt, glcklich ist. Er glaubt jedoch nicht, dass das vollkommene Leben eine spezifisch menschliche Sache ist. Er geht vielmehr davon aus, dass das vollkommene Leben eigentlich den Gçttern zukommt. Dennoch will er nicht auf die Mçglichkeit verzichten, dass das vollkommene Leben auch den Menschen zukommt. Also betrachtet er das vollkommene Leben als etwas Gçttliches, an dem auch der Mensch teilnehmen kann. Damit deutet er an, dass die Vervollkommnung des menschlichen Wesens, welche in der Erfllung der wesenseigenen Funktion des Menschen besteht, letzten Endes zur Vergçttlichung fhrt. Aufgrund dessen kçnnte man sogar sagen, dass der vollkommene Mensch schon ein Gott ist. In der Tat legt Plotin der Seele, die im geistigen Kosmos aufgestiegen und diesem angeglichen ist, das folgende Wort des Empedokles in den Mund: »Heil euch! Ich aber bin unsterblicher Gott.«39 Aus dieser Perspektive kann der Mensch als potenzieller Gott betrachtet werden. Hierfr ist von großem Interesse, dass Plotin sich des Begriffspaars »potenziell« und »aktuell« bedient, um den Zustand des Menschen in Bezug auf das Glck zu beschreiben. So sagt er, dass jeder Mensch das vollkommene Leben besitze, sei es potenziell oder aktuell (C dum²lei C 1meqce¸ô 5wym), wobei der glckliche Mensch es aktuell besitze.40 Der Glckliche bei Plotin, der das vollkommene Leben, d. h. das geistige Leben aktuell besitzt, kommt dem geistig erkennenden Gott des Aristoteles in Metaphysik K nahe. An dieser Stelle ist allerdings zu bemerken, dass Plotin nicht nur die geistige Erkenntnis, sondern auch das berlegen zum vollkommenen Leben zu zhlen 37 38 39 40

I 4 [46] 3, 23. I 4 [46] 3, 33 – 37. Vgl. 2, 46 – 47. IV 7 [2] 10, 38 – 39 (=Empedocl. Fr. B 112. 4). I 4 [46] 4, 9 – 11.

3.3 Das vollkommene, wahre und wirkliche Leben

73

scheint: »Dass der Mensch das vollkommene Leben hat, da er nicht nur das wahrnehmungsfhige Leben, sondern auch das berlegen (kocisl¹m) und den wahren Geist (moOm !kghimºm) hat, ist auch anderweitig klar.«41 Hier scheint Plotin das vollkommene Leben als »das geistige Leben« im weiten Sinne aufzufassen, sofern es das berlegen einschließt. In Enn. V 3 [49] teilt Plotin das Leben der Seele in drei Arten ein, nmlich (1) das zeugende Leben, (2) das wahrnehmende Leben, (3) das geistige Leben (vgl. fyμm moeq±m: 8, 35). Nach dieser Dreiteilung des Lebens kann das berlegen dem geistigen Leben zugeordnet werden. Es ist jedoch zu bemerken, dass Plotin das erwhnte geistige Leben als »Spur des Lebens des Geistes« (Uwmor moO fy/r : 36) darstellt. Insofern ist das berlegen nicht dem » wahren und wirklichen Leben« (B !kghimμ ja· emtyr) zuzurechnen, das »in jener geistigen Natur« (1m 1je¸m, t0 moeqø v¼sei) zu finden ist.42 Hier lsst sich beobachten, dass Plotin das Adjektiv »geistig« (moeq\) nicht immer in ein und demselben Sinne gebraucht. Auch wenn das berlegen zum geistigen Leben im weiten Sinne zu zhlen ist, stellt es sicher keinen geistigen Vollendungszustand dar, welcher das vollkommene Leben im strengen Sinne reprsentieren kçnnte. Diesbezglich ist darauf hinzuweisen, dass der Tugendmensch bei Plotin das berlegen schon abgeschlossen hat und sich still und ruhig in der Betrachtung findet.43 Heißt das nicht, dass das berlegen eigentlich nichts mit dem Glck zu tun hat? Zur Beantwortung dieser Frage ist zu bercksichtigen, dass Plotin das berlegen mit »dem Streben nach der Auffindung der Einsicht und der wahren Vernunft« verknpft.44 Der berlegende sucht nmlich danach, was der Einsichtige bzw. der Vernnftige schon hat: Der berlegende gleicht einem, der Zither spielt, um Zitherkunst zu erwerben, der sich bt fr die Meisterschaft (leket_mti eQr 6nim), allgemein gesagt, einem, der lernt, um zur Erkenntnis zu gelangen […] Das bekundet auch der berlegende selbst; denn hat er gefunden, was zu tun ist, ist es mit seinem berlegen zu Ende; und er hat damit aufgehçrt, weil er zur Einsicht vorgedrungen ist.45

Aufgrund dessen kçnnen wir sagen, dass das berlegen insofern fr das Glck relevant ist, als der Mensch im Gegensatz zu den Gçttern in manchen Fllen erst berlegen muss, um zur Einsicht bzw. zur wahren Vernunft zu gelangen. In dieser Hinsicht spielt das berlegen eine wichtige Rolle fr das glckliche Leben des Menschen. Kommen wir nun zum »wahren Geist«, den Plotin mit dem berlegen zum vollkommenen Leben zhlt. Der wahre Geist kann hier parallel zum berlegen 41 42 43 44

I 4 [46] 4, 6 – 8. I 4 [46] 3, 34. III 8 [30] 6, 37: b spouda?or kekºcistai Edg. IV 4 [28] 12, 5 – 7: T¹ c±q koc¸feshai t¸ %kko #m eUg C t¹ 1v¸eshai erqe?m vqºmgsim ja· kºcom !kgh/ ja· tucw²momta [moO] toO emtor. 45 IV 4 [28] 12, 7 – 13.

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3. Das vollkommene Leben

eine geistige Aktivitt bzw. Disposition46 der Seele bezeichnen. Demnach stellen kocislºr und moOr zwei unterschiedliche Stufen der seelischen Aktivitt dar. Dieses Verstndnis passt gut zur Beschreibung des amphibischen Lebens der menschlichen Seele in Enn. IV 8 [6].47 In Bezug darauf spricht Plotin von einem Abstieg vom moOr zum kocislºr sowie von einem Aufstieg vom kocislºr zum moOr.48 Dass der Mensch den wahren Geist hat, heißt demnach nichts anderes als dass die menschliche Seele zur wahren Einsicht gelangt hat. Diese Interpretation ist jedoch nicht die einzige, die mçglich ist. Denn es ist durchaus mçglich, dass »der wahre Geist« sich nicht auf einen kognitiven Zustand, sondern auf ein erkennendes Wesen bezieht. Zur Untermauerung dieser Mçglichkeit ist darauf hinzuweisen, dass Plotin das Adjektiv »wahr« (!kghimºm) an anderen Stellen zur Kennzeichnung des Geistes selbst gebraucht.49 Gleichwohl vertritt Plotin bei dem Geist selbst ein Zusammenfallen von Erkennendem und Erkanntem und Erkennen: »Also dieses ist allesamt eins: moOr, mºgsir, t¹ mogtºm.«50 Hier ist nicht der Ort, dieser ußerst anspruchsvollen Theorie nachzugehen.51 Wichtig ist festzustellen, dass der wahre Geist hier kein geistiger Zustand der Seele ist. Ebenso wenig ist er ein Teil der menschlichen Seele.52 Dass der Mensch den wahren Geist hat, bedeutet nach dieser Interpretation, dass der Mensch »den Geist selbst« hat. In Enn. I 1 [53] sagt Plotin ausdrcklich, dass wir den Geist selbst »haben«, der »oberhalb von uns« (rpeq²my Bl_m: 8, 3) ist. Er fhrt fort: Wir haben ihn [sc. den Geist selbst] aber entweder gemeinsam oder jeder fr sich allein oder so, dass man ihn sowohl mit allen gemeinsam als auch fr sich allein hat: gemeinsam, weil er unteilbar ist und eins und berall derselbe ist; fr sich allein, weil ihn trotzdem jeder in seiner ersten Seele ganz besitzt. Mithin besitzen wir auch die Formen auf zwei Arten, in der Seele quasi entwickelt und quasi voneinander separat, im Geist dagegen alle auf einmal.53

Demnach ist es plausibel anzunehmen, dass der Gegenstand der glcklichen Betrachtung sich auf die Formen bezieht, die im Geist selbst enthalten sind. Plotin deutet darauf hin, dass wir zu jenen Formen einen inneren Zugang haben, da wir den Geist selbst in uns haben. So bemerkt er, dass wir beim geistigen Erkennen frei von Fehlern seien, da wir mit dem geistig Erkennbaren 46 47 48 49 50 51 52 53

I 1 [53] 8, 1 – 2. IV 8 [6] 4, 31 – 33. IV 8 [6] 1, 8. V3 [49] 8, 10 (t¹ !kghim¹m ja· t¹ pq~tyr); V 8 [31]1, 2 (toO !kghimoO moO); VI 2 [43]18, 13 (b !kghim¹r moOr); 21, 42 – 43 (!kghim¹m ja· pq_tom); VI 7 [38]13, 31(b !kghim¹r). V 3 [49] 5, 43. Ausfhrlich dazu siehe Halfwassen, Geist; Horn, Selbstbezglichkeit; Ham, S. 131 – 141; Emilsson, Intellect, S. 144 – 152; Khn. V 3 [49] 3, 22 – 23. McGroarty (Commentary, S. 85) identifiziert jedoch den wahren Geist mit der hçheren Seele des Menschen. I 1 [53] 8, 3 – 8. Dazu vgl. O’ Daly, S. 69 f.

3.3 Das vollkommene, wahre und wirkliche Leben

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im Geist entweder in Berhrung seien oder nicht, bzw. mit dem geistig Erkennbaren in uns (1m Bl?m).54 Auf diese Weise sind wir zum geistigen Erkennen befhigt, indem wir den Geist selbst haben: Und das geistige Erkennen ist unser in dem Sinne, dass die Seele geistig erkennend ist, und dass das geistige Erkennen ein strkeres Leben ist, sowohl wenn die Seele geistig erkennt, als auch wenn der Geist seine Aktivitt auf uns richtet. Denn auch er ist ein Teil von uns, und wir werden zu ihm aufsteigen.55

Die Auffassung, dass der Geist selbst ein Teil von uns ist, findet sich auch in Enn. I 4 [46]. Plotin nennt nmlich den Geist und den Verstand (di²moia) als das geistig Erkennende (t¹ mooOm) in uns, wobei der Verstand sich als die »den Geist umgebende Seele« erweist.56 Nun ist zu bedenken, dass der Verstand in Enn. V 3 [49] als »der Geist der Seele« bezeichnet wird, und zwar im Unterschied zum Geist selbst, der kein Teil der Seele ist.57 Daher ist es naheliegend anzunehmen, dass der Geist, der neben dem Verstand als das Erkennende in uns eingefhrt wird, eigentlich der Geist selbst ist, und zwar der reine und wahre Geist. Plotin behauptet, dass dieser Geist auch als unser gelten kçnne: Wir wollen ihn [den reinen Geist] nicht mehr zur Seele rechnen; dafr aber wollen wir den Geist als unseren (Bl´teqom) ansetzen, gewiss ist er zu unterscheiden vom Verstand und steht eine Stufe hçher, dennoch gehçrt er zu uns, auch wenn wir ihn nicht unter die Teile der Seele einrechnen drfen. Nun, er ist unser und nicht unser : wie wir ihn ja auch gebrauchen und nicht gebrauchen, whrend wir den Verstand stndig gebrauchen. Gebrauchen wir ihn, ist er unser, gebrauchen wir ihn nicht zustzlich, ist er nicht unser (ja· Bl´teqom l³m wqyl´mym, oq pqoswqyl´mym d³ oqw Bl´teqom).58

Aus diesem Zitat geht hervor, dass der Geist selbst als unser gelten kann, und zwar insofern, als wir ihn zustzlich gebrauchen. Dieser zustzliche Gebrauch des Geistes selbst besteht nach Plotin darin, »gemß jenem« (jat’1je?mom: 3, 31) zu berlegen und zu erkennen. Dabei sind wir selbst es, die berlegen und geistig erkennen. Plotin stellt klar, dass wir selbst nicht jener Geist, sondern »das Hauptstck der Seele« sind, nmlich der Verstand (di²moia, t¹ diamogtijºm). Nun weist er darauf hin, dass wir in zweifachem Sinne »gemß jenem« wirken, und zwar (i) in dem Sinne, dass jener Geist uns gleichsam »Gesetze« (m|loir) eingeschrieben hat; (ii) in dem Sinne, dass wir gleichsam von ihm 54 I 1 [53] 9, 13 – 14. 55 I 1 [53] 13, 5 – 8. 56 I 4 [46] 10, 3 f. Vgl. Z. 18: B di²moia ja· b moOr moe?. In Platons Liniengleichnis werden moOr und di²moia als kognitive Zustnde (pah¶lata, 6neir) der Seele eingefhrt, die sich auf die geistigen Gegenstnde (t± mogt²) beziehen. Genauer gesagt, hat der Geist die Ideen zum Gegenstand, whrend der Verstand sich auf die mathematischen Gegenstnde (t± lahglatij²) bezieht. 57 V 3 [49] 2, 14; 3, 20 – 22. Aristoteles gebraucht in EN VI den Ausdruck moOr manchmal fr den Verstand (di²moia, diamogtijºm). 58 V 3 [49] 3, 23 – 29.

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3. Das vollkommene Leben

»erfllt« werden (4, 2 – 4). Zu (i): »Gesetze« beziehen sich wohl auf »Regeln« (jam|sim), die der Verstand vom Geist her hat und zum Urteilen einsetzt (4, 15 – 17). So kann man sagen, dass wir »gemß jenem« wirken, indem wir gemß den Normen, die von jenem absoluten Geist herkommen, urteilen. Zu (ii): Plotin scheint sich uns als ein leeres Subjekt vorzustellen, das durch die Erkenntnis vom Objekt gefllt wird. Demnach werden wir im gewissen Sinne zum Geist, indem wir ihn erkennen: Vermçge des Geistes erkennt man dann sich selber nicht mehr als Menschen, sondern man ist ein gnzlich anderer geworden, man hat sich selber in die Hçhe entrckt, und nur das bessere Stck der Seele, welches allein zu geistiger Erkenntnis sich beflgeln vermag, zieht man mit hinauf, damit jemand die Schaunisse dort aufbewahren kann.59

Da der Verstand zur geistigen Erkenntnis befhigt ist, so ist anzunehmen, dass er »das bessere Stck der Seele« ist. Wie oben erwhnt, sind wir selbst gerade dieser Verstand, nmlich »das Hauptstck der Seele«. An dieser Stelle ist auf Plotins Bemerkung hinzuweisen, dass wir aktiv seien, wenn das geistige Erkennende aktiv sei.60 Demnach liegt die Aktivierung bzw. Aktualisierung des menschlichen Selbst in der Aktivierung des geistig Erkennenden, nmlich des Verstandes und des Geistes. Da allerdings der Geist immer schon aktiv ist, so kommt es bei der Selbstverwirklichung des Menschen eigentlich auf die geistige Aktivitt des Verstandes an. So ist das aktive oder aktualisierte Selbst des Menschen nichts anderes als der geistig erkennende Verstand. Durch die geistige Aktivitt des Verstandes, d. h. die Verwirklichung des geistigen Selbst, nimmt der Mensch am glcklichen Leben teil, welches ansonsten nur den Gçttern zukme.

59 V 3 [49] 4, 10 – 15. Plotin spielt auf den Mythos des Hçhenflugs in Platons Phaidros 246 c 1 an. 60 I 4 [46] 9, 29 – 30: B d³ toO mooOmtor 1m´qceia· ¦ste 1meqcoOmtor 1je¸mou 1meqco?lem #m Ble?r.

4. Das selbstgengsame Leben 4.1 Die Autarkie des Tugendmenschen Glcklich ist nach Plotin derjenige Mensch, der »das vollkommene Leben« aktuell besitzt. Ein derartiger Mensch ist, so Plotin, sich selbst genug. Also sucht der plotinische Glckliche nichts anderes mehr : »Was sollte er noch suchen? Ein Geringeres natrlich nicht, und zu dem hçchsten Gut (!q¸st\) ist er bereits gesellt. Also ist die Lebensweise (b_or) selbstgengsam (aqt\qjgr) fr denjenigen, der solches Leben hat.«1 Hier bezieht sich das hçchste Gut auf das Glck, das ein immanentes Gut darstellt, aber nicht auf dessen »transzendente Ursache« (t¹ d³ 1p]jeima aUtiom), nmlich das Gute selbst.2 Bezglich der Verbindung zwischen Glck und Selbstgengsamkeit ist darauf hinzuweisen, dass Aristoteles in der Nikomachischen Ethik zwei formale Kriterien fr das hçchste Gut aufstellt3 : (1) Vollkommenheit im Sinne der Selbstzweckhaftigkeit und (2) Selbstgengsamkeit. Danach stellt er das Glck als das hçchste Gut dar, insofern es sowohl vollkommen als auch selbstgengsam ist. Ihm zufolge ist das hçchste Gut in dem Sinne selbstgengsam, dass es schon allein das Leben whlenswert macht und nirgends einen Mangel hat, und somit nicht dadurch vergrçßert werden kann, dass ein anderes Gut hinzugefgt wird. Interessant ist, dass Plotin das hçchste Gut mit dem Leben im hçchsten Grad gleichsetzt. Dabei nimmt er eine Abstufung des Lebens im Sinne von »Klarheit oder Trbung« vor. Damit deutet er an, dass das hçchste Gut das »klarste« Leben ist. Wenig spter sagt er, dass das Beste unter den Seienden das wirkliche und vollkommene Leben sei.4 In diesem Zusammenhang vertritt er die Ansicht, dass das Leben im hçchsten Grad in keiner Hinsicht des Lebens ermangelt, und somit das Glcklichsein darstellt. Hier setzt er offenbar eine begriffliche Verbindung zwischen Autarkie (im Sinne der Mangellosigkeit) und Glck voraus. Nun spricht Plotin von der Selbstgengsamkeit des edlen, tugendhaften Menschen: »Und wenn er tugendhaft ist, ist er sich selbst genug in Bezug auf Glck und zum Erwerb des Guten (J#m spouda?or Ø, aqt²qjgr eQr eqdailom¸am ja· eQr jt/sim !cahoO); denn es gibt kein Gutes, das er nicht schon besitzt.«5 1 2 3 4 5

I 4 [46] 4, 21 – 23. I 4 [46] 4, 19 – 20. Arist. EN I 5, 1097a 25-b 8. I 4 [46] 3, 21 – 28. I 4 [46] 4, 23 – 25. Mit Armstrong, Brhier und Schniewind (S. 120 f.) lese ich Z. 23 nach der Editio maior (H-S1). Diese Lesart finde ich insofern vorteilhaft, als sie Plotins Position besser in

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4. Das selbstgengsame Leben

Hiernach bedarf der Tugendmensch zum Glcklichsein nichts außer seiner eigenen Qualitt. Damit scheint Plotin auf die berhmte »Autarkie-These« zurckzugreifen, die besagt, dass die Tugend allein fr ein glckliches Leben ausreicht, eine These, die im Mittelpunkt der Kontroverse zwischen den Stoikern und den Peripatetikern steht.6 Somit stellt er sich auf die Seite der Stoiker, die gegen Aristoteles und seine Nachfolger die Autarkie-These verteidigen. Bevor wir auf Plotins Version der Autarkie-These detailliert eingehen, sollten wir uns kurz dem bersetzungsproblem zuwenden. Das Adjektiv spouda?or bezeichnet ursprnglich etwas Ernsthaftes im Gegensatz zu dem, was nur spielerisch ist, oder etwas Vortreffliches, das ohne Ernst und Eifer nicht zu erreichen ist. Im Laufe der Zeit erhielt das Wort eine moralische Ausprgung, wobei es sich zunchst auf die aristokratische Heldentugend bezieht.7 Aristoteles zeigt, dass das Adjektiv spouda?or besonders mit dem Substantiv !qet¶ (Tugend) korreliert ist.8 Insofern ist Harders bersetzung mit »tugendhaft« berechtigt, obwohl diese bersetzung nicht gelufig ist. Die gngige bersetzung mit »weise« ist jedoch insofern nachteilig, als »weise« im Deutschen in der Regel fr sovºr steht. Außerdem ist sie philosophisch unfruchtbar, da sie nicht erkennen lsst, ob es im Original um den spouda?or oder um den sovºr geht. Dies gilt selbst dann, wenn die beiden Wçrter bei Plotin letztlich gleichbedeutend sind. In diesem Fall begeht man eine petitio principii. bersetzt man b spouda?or wie Armstrong mit »dem guten Menschen« (»the good man«), sieht man sich mit derselben Schwierigkeit konfrontiert. Denn fr »gut« steht im Griechischen schon ein anderes prominentes Wort, nmlich !cahºr. Aus diesen Grnden schlage ich vor, spouda?or mit »tugendhaft« bzw. »Tugendmensch« zu bersetzen. Denn diese bersetzung ist von Vorteil, da sie die Verbindung zur Tugend klar zum Ausdruck bringt. Der plotinische Tugendmensch ist sich selbst genug. Zum Glcklichsein braucht er nichts anderes mehr. Da Plotin die Auffassung vertritt, dass der Weise in der Tugend vollendet sei9, so ist anzunehmen, dass der Weise bei

6 7

8 9

die antike Diskussion der Autarkie-These einbetten lsst. Die Editio minor (H-S2) mit Harders Korrekturen und die deutsche Ausgabe mit Korrekturen von Beutler & Theiler (ja· spouda?or, Ø aqt²qjgr …) deuten auf die These hin, dass ein Mensch (Harder) bzw. ein Leben (Beutler & Theiler) tugendhaft ist, sofern er oder es sich selbst genug in Bezug auf das Glck ist. Diese These ermçglicht jedoch keine Verbindung zur Autarkie-These und lsst m. E. kein sinnvolles Argumentationsziel erkennen. Vgl. Cic. Tus. V. Vgl. Else S. 71 – 78 (ausfhrlich zur Dichotomie zwischen spoudaios und phaulos in der Antike), Schniewind, S. 29 – 47, P. Hadot, Figure du Sage. Zur bersetzung von b spouda?or bei Plotin: »le sage« (Brhier, Schniewind), »the sage« (Armstrong, Pollet), »the virtuous oder good man« (Armstrong), »der Weise«, »der Edle«, »der Ernste« (Harder), »probus«, »sapiens«, »vir virtutis« (Ficino), »the Proficient« (MacKenna), »serious man« (Ciapalo). So Arist. Cat. 10b 7 f.; EN I 7, 1098a 8 – 12; Top. 5.3. 131b. I 4 [46] 15, 15 – 6.

4.1 Die Autarkie des Tugendmenschen

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Plotin eben der Tugendmensch ist, der sich selbst genug zum Glck ist. Zur Bekrftigung dieser Annahme ist folgender Text heranzuziehen: Denken wir uns zwei Weisen; dem einen sei zu Eigen, was man »naturgemße« (jat± v¼sim) Dinge nennt, dem anderen das Gegenteil: Sollen wir beiden das gleiche Maß an Glck zusprechen? Wir werden es tun, wenn beide im gleichen Grade Weise sind (eUpeq 1p¸sgr sovo¸).10

Hier schreibt Plotin dem Weisen das Glck zu. Dabei bemisst er das Glck nur nach der Weisheit. Zugleich legt er die These nahe, dass allein die Weisheit fr das Glck ausreicht, indem er den Besitz von all den so genannten »naturgemßen Dingen« fr das Glck fr irrelevant erklrt. Also teilt er die stoische Ansicht, dass die naturgemßen Dinge keinen Beitrag zum Glck leisten. Ferner stellt er klar, dass die naturgemßen Dinge fr »die Weisheit und allgemein die Tugend« irrelevant sind, wobei er pointiert bemerkt, dass ein Mehrhaben (pkeomen¸a) solcher Dinge nicht einmal zum Ziel eines Flçtenspielers etwas beitragen kçnnte.11 Auf diese Art und Weise vertritt er die These, dass es dem Weisen zum Glck an nichts fehlen kann, eine These, die Cicero in De finibus bonorum et malorum V 84 als »Socratica, Platonis etiam« bezeichnet. Auf diese »honesta oratio« fhrt Cicero auch die stoische Autarkie-These zurck. Um Plotins Position in die antike Diskussion genauer einzuordnen, lohnt es sich, die Diskrepanz zwischen den Stoikern auf der einen Seite und Aristoteles und seinen Nachfolgern auf der anderen Seite hervorzuheben. Zunchst zu Aristoteles: Wie oben erwhnt, betrachtet Aristoteles das Glck als das hçchste Gut, welches autark ist.12 Auf die Frage, worin das Glck besteht, antwortet er einerseits, dass das Glck in der Aktivitt gemß der (hçchsten) Tugend besteht,13 andererseits, dass auch die »ußeren Gter« zum Glck nçtig sind.14 So macht er auf der einen Seite klar, dass der Weise zu seiner theoretischen Aktivitt keine ußeren Gter bençtigt, und verweist darauf, dass die ußeren Gter bisweilen ein Hindernis fr die Theoria darstellen.Auf der anderen Seite sieht er nicht darber hinweg, dass auch der Weise der

10 I 4 [46] 15, 1 – 3. 11 I 4 [46] 15, 8 – 9. 12 In der Forschung wird kontrovers diskutiert, ob das Glck bei Aristoteles ein dominantes oder ein inklusives Gut ist. Stemmer (S. 86 ff.) bietet einen kompakten berblick ber die Debatte. Dazu vgl. Ackrill, Eudaimonia, S. 339; Kenny, Eudaimonia; ders. Ethics, S. 204 ff. 13 Arist. EN X 8, 1178b 7 – 32; X 7, 1177a 13 ff. 14 Arist. EN I 9, 1099a 31-b 2: »Dennoch bedarf das Glck, wie gesagt, offenbar zustzlich auch der ußeren Gter. Denn es ist unmçglich oder [zumindest] nicht leicht, werthalfte (kalos) Handlungen ohne Hilfsmittel zu tun. Bei vielen Handlungen benutzen wir Freunde, Reichtum und politische Macht als eine Art von Werkzeugen« (bers. Wolf).

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4. Das selbstgengsame Leben

ußeren Gter bedarf, »um ein Mensch zu sein (pq¹r t¹ !mhqype¼eshai)«.15 Ein Mensch zu sein heißt fr Aristoteles auch ein politisches Wesen zu sein: Mit »autark« meinen wir nicht, was fr einen Menschen allein gengt, fr jemanden, der ein isoliertes Leben fhrt, sondern was auch fr die Eltern, Kinder, Ehefrau, allgemein fr die Freunde und Mitbrger gengt, da der Mensch seiner Natur nach in die politischen Gemeinschaft gehçrt.16

Eine solche kollektive Autarkie liegt jedoch nicht mehr in der Hand des einzelnen Menschen. In der Tat lsst Aristoteles keinen Zweifel daran, dass das menschliche Glck von den ußeren Umstnden abhngt: Ferner gibt es Dinge, deren Fehlen die Glckseligkeit trbt, wie gute Herkunft, wohlgeratene Kinder, Schçnheit; denn wer sehr hsslich aussieht oder von niedriger Herkunft oder einsam und kinderlos ist, den kann man wohl nicht glcklich nennen, nd noch weniger vielleicht den, der gnzlich schlechte Kinder oder Freunde hat oder gute, die gestorben sind.17

Im Gegensatz dazu entwickeln die Stoiker eine Theorie, wonach das Glck nicht von den ußeren Dingen, sondern nur von uns selbst abhngt. Die ußeren Gter, die in der stoischen Terminologie mit den »naturgemßen« Dingen gleichzusetzen sind, sind irrelevant oder »indifferent« (!di²voqa) fr das Glck. Sie sind nach den Stoikern berhaupt keine »Gter«. Aus ihrer Sicht ist das Schçne, und zwar die Tugend, das einzige Gut und macht allein das Glck aus. Dennoch verneinen sie nicht, dass der Weise z. B. die Gesundheit der Krankheit vorzieht. Sie begrnden diese Prferenzen damit, dass die »indifferenten« Dinge insofern einen »Wert« (!n¸a) haben kçnnen, als sie zum »naturgemßen« Leben beitragen. So unterscheiden sie zwischen den »bevorzugten« (pqogcl´ma) und den »zurckgewiesenen« (!popqogcl´ma) Dingen.18 Im Lichte dieser Gegenberstellung zeigt Plotin eine grçßere Nhe zu den Stoikern als zu Aristoteles. Plotin stimmt mit den Stoikern darin berein, dass die naturgemßen Dinge nicht zum Glck gehçren, obwohl sie gegenber den naturwidrigen Dingen vorzuziehen sind. So sagt Plotin in Enn. I 4 [46], dass der glckliche Mensch das Vorhandensein der naturgemßen Dinge wnscht (1h´kei) und das Gegenteil von sich stçßt (!pyhe?tai) (7, 1 – 3). Allerdings sind die naturgemßen Dinge nicht deswegen zu wnschen, weil sie zum Glck etwas beitragen. Sie tragen vielmehr zum Sein (t¹ eWmai) bei. Diesbezglich macht Plotin den Unterschied zwischen dem Guten und dem Notwendigen. Ihm zufolge sucht der glckliche Mensch das Notwendige zum Sein. Ob je15 Arist. EN X 8, 1178b 5 – 8. Dennoch glaubt Aristoteles, dass kein betrchtlicher Aufwand erforderlich ist, damit man glcklich wird – wenn es schon nicht mçglich ist, das Glck ganz ohne die ußeren Gter zu erreichen. Vgl. Arist. EN X 9, 1179a 1 – 4. 16 Arist. EN I 5, 1097b 8 – 11. 17 Arist. EN I 9, 1099b 2 – 6 (bers. Wolf). Vgl. DL V 30, Cic. fin. 5, 92 ff. 18 Vgl. Kidd, S. 155, 159 f.; Long, Telos, S. 65 ff.

4.1 Die Autarkie des Tugendmenschen

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mand das gesuchte Notwendige erhlt oder nicht, berhrt das gute Leben, d. h. das Glck, nicht. Das Notwendige ist also nicht mit dem Guten zu verwechseln. Damit tritt Plotin der konventionellen Glcksvorstellung entgegen, die das Glck als »einen Haufen von Gtern und notwendigen Bedrfnissen«(6, 8) darstellt: Liegt hingegen das Glck in dem Besitz des wahrhaften Guts (toO !kghimoO !cahoO) beschlossen, wie darf man dann darauf verzichten, den Blick auf eben dies und was zu ihm beitrgt, zu richten und nach seinem Maßstabe das Glck einzuschtzen (jq¸meim), und statt dessen nach jenen andern Dingen suchen, die gar nicht in das Glck einzurechnen sind?19

Zugleich weist Plotin eine defensive Glcksvorstellung zurck, wonach das Glck »im Verschontbleiben von Schmerzen, Krankheit, Missgeschick und schweren Schicksalsschlgen« besteht (6, 1 – 4). Fr ihn bedeutet »weder Lust, Gesundheit, Schmerzlosigkeit einen Zuwachs, noch deren Gegenteil, einen Verlust oder eine Minderung des Glcks« (14, 27 – 30). Was das Vorhandensein der unerwnschten Dinge betrifft, so verteidigt er gegen Aristoteles die Unerschtterlichkeit des Glcks: berhaupt aber, wenn etwas, das der Glckliche nicht wnscht (1h´kei), trotzdem vorhanden ist, so ist damit keineswegs schon ein Stck des Glcks eingebßt. Denn sonst wrde er ja an jedem einzelnen Tag schwanken und aus dem Glck herausgeworfen, z. B., wenn er ein Kind verlçre oder irgendetwas von seinem Eigentum. Und so gibt es tausend Dinge, die nicht nach seinem Wunsch (jat± cm¾lgm) ablaufen und ihn doch nicht im Geringsten im Besitz des einmal erlangten Ziels erschttern.20

Folgerichtig vertritt Plotin die Ansicht, dass das Glck nicht von den gnstigen oder widrigen Zufllen abhngt. Damit widerspricht er eindeutig der aristotelischen Position, die besagt: »Ohne die ußeren Gter, wo der Zufall die entscheidende Rolle spielt, kann man nicht glcklich sein.«21 Mit den Stoikern behauptet er, dass der Weise auch im Priamosschicksal und im Stier des Phalaris glcklich ist, wie wir bald sehen werden.22 Mit seiner These von der Autarkie des Weisen sucht Plotin das Glck außerhalb der Unsicherheit der condition humaine zu etablieren. Solange wir das Glck mit dem Besitz der ußeren Gter gleichsetzen, liefern wir unser Glck dem unabsehbaren Zufall aus. Damit machen wir unser Glck grundstzlich vom Unverfgbaren abhngig. Diese Auffassung des Glcks ist in Plotins Augen illusorisch. Er bemht sich daher um eine »realistische« Auffassung des 19 I 4 [46] 6, 4 – 7. 20 I 4 [46] 7, 8 – 14. Vgl. 4, 30 f. 21 (Arist.), MM II 8, 1206b 33 – 34. Die Echtheit der MM ist allerdings umstritten. Man kçnnte vielleicht bestreiten, dass der Zufall bei Aristoteles »die entscheidende Rolle« fr das Glck spielt. Sicher ist, dass Aristoteles den gnstigen Zufall bzw. die Schicksalsgunst fr das Glck fr notwendig hlt. Vgl. Arist. EN VII 14, 1153b 17 – 19. 22 Vgl. Arist. EN I 10, 1100a 8 – 9, SVF III 585.

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4. Das selbstgengsame Leben

Glcks, wonach dessen Verwirklichung im Prinzip bei uns liegt. Sein Evangelium besteht darin, dass es bei uns liegt, gut und glcklich zu sein, whrend alles, was nicht bei uns liegt, irrelevant fr das Glck ist. Unter den antiken Platonikern ist die Autarkie-These allerdings nicht unumstritten. So standen Plutarch und Taurus auf der Seite der Peripatetiker, whrend Alkinoos und Attikos mit den Stoikern bereinstimmten. Antiochos von Askalon, welchem sich Cicero anschließt, vertritt eine interessante Position, wonach die Weisheit allein hinreichend zum Glck ist, obwohl das Glck durch ußere Gter gesteigert werden kann. Demzufolge ist der Weise immer glcklich, aber nicht zwangslufig am glcklichsten: Alle Weisen sind glcklich, whrend einer glcklicher als ein anderer sein kann.23 Plotin vertritt eine restriktive These, welche die Steigerungsmçglichkeit des Glcks durch ußere Gter verneint.24 Trotzdem schließt er damit die Steigerungsmçglichkeit des Glcks nicht vçllig aus. In Enn. I 5 [36] hlt er nmlich eine Steigerung des Glcks durch den Fortschritt in der Tugend fr mçglich: Wenn es aber auch hier etwas wie einen Zuwachs (1p¸dosir) gibt durch die lngere Zeitdauer, derart, dass man in hçherem Maße glcklich wird, weil man zu einer hçheren Tugend aufwchst (l÷kkom eqdailome?m eQr !qetμm 1pididºmta le¸foma), so bemisst man damit das Lob des Glcks noch nicht nach der Zahl der Jahre, sondern lobt die eingetretene Steigerung in dem Augenblick, wo sie eintritt.25

Man kann eigentlich vom Zuwachs des Glcks nicht sprechen, wenn man das Glck als das hçchste Gut im strengen Sinne auffasst. Denn das Glck ist, sofern es den hçchsten Wert darstellt, nicht zu bertreffen. Nun versucht Plotin Bedingungen festszulegen, unter denen man vom wachsenden Glck sinnvoll sprechen kann. Die Frage, ob das Glck wchst, macht er davon abhngig, ob man in eine hçhere Stufe der Tugend aufsteigen kann. Wenn das Glcks von der Tugend zu bemessen ist (2, 4 – 5), wobei die Tugend selbst in unterschiedliche Grade eingeteilt ist, dann kann man von der Steigerung des Glcks sprechen. Nun nimmt Plotin die Theorie der Tugendgrade an. Insofern ist es durchaus mçglich, bei Plotin vom Zuwachs des Glcks zu sprechen.26

23 Vgl. Cic. fin. V 81, 95. 24 I 4 [46] 15, 1 – 3. 25 I 5 [36] 6, 19 – 23. Zum moralischen Fortschritt (pqojop¶) bei Plotin vgl. I 9 [16] 1, 17, bei den Stoikern vgl. Luschnat; Kidd S. 164 f. 26 In dieser Schrift geht es hauptschlich um die Frage, ob das Glck mit der Zeit zunehmen kann. Plotin geht davon aus, dass das Glck weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft, sondern gerade in diesem Augenblick, in dem man gut lebt, widerfhrt da das Leben in der Gegenwart (t¹ paq¹m) stattfindet (vgl. I 5 [36] 2, 10 – 13). So kann das Glck nicht mit der Zeit zunehmen. Dazu ausfhrlich siehe Linguitis Introduction.

4.2 Plotins Verteidigung der Autarkie-These

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4.2 Plotins Verteidigung der Autarkie-These Bei der Argumentation fr die Autarkie des Tugendmenschen in Enn. I 4 [46] setzt Plotin sich mit schwierigen Fllen auseinander. Besonders herausfordernd sind drei Extremflle, und zwar in Bezug auf (1) das Schicksal, (2) die kçrperlichen Schmerzen und (3) den Bewusstseinsverlust. Im Folgenden soll nachgezeichnet werden, wie Plotin sich konzeptuell ausrstet, um das Glck des Tugendmenschen in solchen Fllen zu verteidigen.

4.2.1 Der Ringkampf mit dem Schicksal: Was wir eigentlich wollen Im Hinblick auf das viel diskutierte Priamosschicksal sieht Plotin sich mit dem folgenden Einwand, dass der Tugendmensch mit einem solchen Schicksal nicht glcklich ist, konfrontiert: »Denn mag er solche Schicksalsschlge auch ertragen und selbst leicht tragen, sie wren doch immerhin nicht nach seinem Wollen. Das glckliche Leben aber muss nach dem Wollen (boukgt¹m) sein« (5, 7 – 9). Das Argument lsst sich wie folgt rekonstruieren: (A) Das glckliche Leben ist etwas, das man will. (B) Man will aber kein Leben, das dem Schicksal des Priamos gleichkommt. (C) Das Leben mit dem Priamosschicksal ist kein glckliches Leben.

Plotin stimmt dem Satz (A) zu. Allerdings unterscheidet er zwischen dem Wollen in (A) und dem Wollen in (B), um die Schlussfolgerung (C) zu entkrften. Zur Erluterung dieser Unterscheidung ist der folgende Passus heranzuziehen: Auf das Vorhandensein der notwendigen Dinge aber richtet sich kein Wollen (bo¼kgsir), wenn man »Wollen« im eigentlichen Sinne (juq¸yr) meint und nicht missbruchlich verwendet. Gewiss, wir wertschtzen (!nioOlem) auch das Vorhandensein dieser [notwendigen] Dinge, wie wir denn berhaupt dem bel ausweichen; und dabei ist dieses Ausweichen (1jjk¸seyr) doch nicht nach unserem Wollen (boukgt¹m); denn es wre mehr nach unserem Wollen, eines solchen Ausweichens gar nicht erst zu bedrfen.27

Hier unterscheidet Plotin zwischen dem Wollen im eigentlichen Sinne und dem Wollen im uneigentlichen Sinne. Ihm zufolge ist das Ziel, auf das sich das eigentliche Wollen richtet, weder das Vorhandensein des Notwendigen noch das Vermeiden des bels. Folglich richtet sich das eigentliche Wollen nicht darauf, dem Priamosschicksal zu entgehen. Plotins Ansicht nach wre es eher wnschenswert, dass es ein solches Schicksal berhaupt nicht gbe, sodass 27 I 4 [46] 6, 19 – 24.

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4. Das selbstgengsame Leben

sich auch das Entgehen selbst erbrigen wrde. Der springende Punkt liegt darin, dass das eigentlich Gewollte an sich »attraktiv« (1pacycºm: 6, 26) ist. Zur Verdeutlichung verweist er darauf, dass die Schmerzlosigkeit und Gesundheit an sich nicht anziehend sind: Das bezeugen diese Gter selber, solange sie vorhanden sind, z. B. Gesundheit und Schmerzlosigkeit; denn welchen Reiz haben sie dann fr uns? Gesundheit wird doch gering geachtet, solange sie vorhanden ist, und ebenso Schmerzlosigkeit. Dinge aber, welche, wenn sie vorhanden sind, nicht attraktiv sind und dem Glck nichts hinzusetzen, wenn sie aber nicht vorhanden sind, nur deswegen gesucht werden, weil ihre Abwesenheit Schmerzen bereitet, die verdienen wohl den Namen der Notwendigkeiten, nicht den der Gter. Sie sind also auch nicht dem Ziel einzurechnen, sondern auch wenn sie fehlen und ihr Gegenteil vorhanden ist, bleibt es dabei, dass das Ziel zu bewahren ist.28

Dieser Text macht deutlich, dass das Wollen im eigentlichen Sinne nicht auf das Notwendige, sondern auf das Gute abzielt.29 Das heißt, dass das Notwendige nicht das Gewollte im eigentlichen Sinne ist. Daraus ergibt sich, dass das Vermeiden des Priamosschicksals nicht zum Ziel des eigentlichen Wollens gehçrt. Das Wollen in (B) ist also nicht das Wollen im eigentlichen Sinne. Eigentlich stellt der Wille bzw. Wunsch (bo¼kgsir) bei Plotin eine Art des Strebens, d. h. eine Art des Wollens im weiten Sinne, dar, und zwar das rationale Streben, welches im Unterschied zur Begierde nicht auf das Angenehme, sondern auf das Gute gerichtet ist.30 Zu beachten ist, dass Plotin hier von dem Ziel spricht. Seit hellenistischer Zeit wird von to telos (mit dem definitiven Artikel), wie schon gesagt, terminologisch gesprochen, und zwar im Sinne eines Lebensziels, nicht im Sinne eines beliebigen Handlungsziels. Plotin nimmt an, dass es fr das menschliche Leben ein einheitliches Ziel gibt: Wenn aber das Ziel (t¹ t´kor) etwas Einheitliches (6m ti) und nicht vieles sein soll (denn sonst wrde man nicht das Ziel, sondern mehrere Ziele suchen), so gilt es, allein jenes eine zu ergreifen, welches das Letzte (5swatºm) und Wrdigste (tili¾tatom) ist, und welches die Seele trachtet, tief innen in sich einzubefassen.31

Dieses letzte und wrdigste Ziel des menschlichen Strebens ist das Glck. Plotin vertritt die Position, dass diesem Ziel nicht die notwendigen Dinge, sondern nur die Dinge, die den Namen »Gter« verdienen, zuzurechnen sind. Zwar gibt er zu, dass der Tugendmensch auch auf die notwendigen Dinge 28 I 4 [46] 6, 24 – 32. 29 Vgl. Plat. Gorg. 468c; Men. 78a; Resp. IV 437b; Arist. De an. 433a 23 ff.; SVF III 431. 30 Auf das Thema kommen wir in Kap. 7. 2. 3. zurck. Hier gengt es zu unterstreichen, dass die bo¼kgsir keinen Willen im Sinne einer rein »psychischen Energie« darstellt, die nicht auf ein bestimmtes Objekt gerichtet ist. Dazu vgl. Pohlenz, Stoa, S. 124 ff.; Wolf, Aristoteles, S. 125; Dihle; Kahn; D. Frede, Wille; M. Frede, Free Will, S. 73 ff.; Tugendhat, Wille. 31 I 4 [46] 6, 10 – 13.

4.2 Plotins Verteidigung der Autarkie-These

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»abzielt« (stowafºlemor : 16, 15), er meint damit jedoch nicht, dass die notwendigen Dinge dem Lebensziel zugehçren: »Denn die Mçglichkeit des Glcks besteht dann nicht, wenn man die Außendinge als ›Gewolltes‹ (boukgt±) bezeichnet und behauptet, der Tugendmensch wolle sie« (11, 10 – 12). Hier will Plotin die Mçglichkeit des Glcks durch Verinnerlichung des Willensziels absichern. Entsprechend behauptet er, dass der Tugendmensch seinen Willen »nach innen« (eQr t¹ eUsy) richtet (11, 16 – 17). Freilich pldiert Plotin damit keineswegs fr einen totalen Verzicht auf die notwendigen Dinge. Sie sind ja »notwendig«. Hierzu sei daran erinnert, dass der Glckliche insofern das Vorhandensein der naturgemßen Dinge will (1h´kei), als sie zum Sein – nicht zum Glck – etwas beitragen (7, 1 – 3). Dabei ist aber nicht von Wollen »im eigentlichen Sinne« die Rede. Abschließend ist zu bemerken, dass Plotins Pldoyer fr die innere Hinwendung nicht zu einem passiven Quietismus hin fhrt. Gewiss ist Plotin der Meinung, dass man dem Lauf der Dinge im All Gefolgschaft leisten muss (6peshai wq¶), weil unser All nun einmal so angelegt ist, dass solche Schicksalsschlge sich ereignen (7, 40 – 42). Dennoch ist er kein resignierter Fatalist, der glaubt, dass das Schicksal schon alles vorgegeben hat, sodass nichts mehr verhindert oder verndert werden kann. Vielmehr ruft er uns dazu auf, Schicksalsschlge abzuwehren, und zwar »nicht laienhaft, sondern wie ein großer Wettkmpfer (oXom !hkgtμm l´cam)« (8, 24 – 27). Dazu noch fordert er auf zu erkennen, dass Schicksalsschlge, mçgen sie auch » nicht erfreulich« (oqj !qesta) sein, letztlich doch nur ein »Kinderschreck« sind. Sicher ist er sich darber im Klaren, dass man sich eine solche souverne und nchterne Haltung gegenber dem Schicksal schwer aneignen kann. Fr den Tugendmenschen aber ist das, was man gewçhnlich fr schrecklich hlt, kein ernsthalftes Unteil. In der Tat ist es gerade Aufgabe der Tugend, die gewçhnliche Natur zum Besseren, Edleren hinzuleiten, hinaus ber die Stufe der Menge (8, 21 – 22). So tritt der plotinische Spoudaios, gewappnet mit der Tugend, dem nicht gewollten Schicksalsschlag mit großer Gelassenheit gegenber und lsst sich durch nichts aus der Ruhe bringen.

4.2.2 Das Laternenlicht im Sturm: Was wir eigentlich sind Plotin ist sich mit den Stoikern wie den Epikureern darin einig, dass der Tugendmensch glcklich ist, selbst wenn er im notorischen »Stier des Phalaris« zu Tode gerçstet wird. Allerdings macht Plotin daraus kein Hehl, dass sein Tugendmensch die Schmerzempfindung auf der Folterbank nicht angenehm finden wird: »Dies angenehm (Bd») zu nennen ist tçricht, mçge man es auch zweimal oder noch çfter aussprechen« (13, 7 – 8).32 Er weist jedoch darauf

32 Nach Ciceros Bericht in Tus. II 17 hat Epikur behauptet, er werde auch in jenem ehernen Stier

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hin, dass nicht der Mensch selbst, sondern sein Kçrper es ist, der dabei Schmerzen empfindet (13, 10). Dagegen kann man allerdings einwenden, dass Plotin das Wesen des Menschen zu Unrecht einseitig auf die der Seele beschrnkt: »Doch ist der Tugendmensch nicht identisch mit der entsprechend beschaffenen Seele, ohne dass die kçrperliche Natur seinem Wesen eingerechnet wrde« (5, 9 – 11). Dieser Einwand legt die Auffassung nahe, dass das Glck nicht allein im seelischen Teil des Menschen, sondern im ganzen Menschen zu suchen ist: »Andernfalls msste man den Kçrper und die Wahrnehmung des Kçrpers ganz losreißen vom ganzen Menschen auf der Suche nach der Autarkie zum Glck« (5, 22 – 24). In seiner Erwiderung lehnt Plotin eben die anthropologische Annahme ab, dass »der Mensch« aus Seele und Kçrper besteht (14, 1 – 2). Er betrachtet den Kçrper nicht als einen integralen Teil des Menschen. Was den Menschen ausmacht, ist fr ihn die Seele. Daraus ergibt sich, dass die kçrperlichen Affektionen und Wahrnehmung nicht »dem Menschen« selbst zugehçren (5, 9 f.). Also stellt er den Kçrper als etwas dem Menschen ußerliches dar. Auf dieser Grundlage behauptet er, dass die kçrperlichen Schmerzen nicht bis in »das Innere« des Menschen dringen kçnnen: »Bemitleidenswert (1keeim¹r) wird er [sc. Tugendmensch] in seinem Schmerzen keinesfalls sein, sondern der Glanz in seinem Inneren (5mdom v´ccor) ist, wie das Licht in der Laterne, wenn es draußen gewaltig strmt in Windgebraus und Unwetter« (8, 2 – 5). Der Mensch kann also glcklich sein, auch wenn der Kçrper heftige Schmerzen hat, solange sein Inneres gut ist. Der Mensch ist im eigentlichen Sinne dieses Innere. Im Hinblick darauf bemerkt Plotin, dass der Tugendmensch sich durch »die Abtrennung vom Kçrper so wie die Verachtung (jatavqºmgsir) der angeblichen Gter des Leibes« auszeichnet (14, 2 – 4).33 Denn es ist ihm angelegen, sich um sich selbst zu sorgen. Er will jedoch nicht darauf hinaus, dass der Tugendmensch seinen Kçrper und alles, was mit diesem zusammenhngt, vçllig vernachlssigen wrde. Vielmehr hlt er es fr natrlich, dass der Tugendmensch auch fr seinen Kçrper sorgt, »denn er gibt diesem, soviel die Notdurft verlangt und er zu geben vermag, er selbst ist aber ein anderer (aqt¹r d³ ¥m %kkor)« (16, 17 – 18). Zu unterstreichen ist, dass der Tugendmensch sich selbst von seinem Kçrper zu unterscheiden weiss. Trotzdem kmmert er sich um den Kçrper. Daraus ergeben sich fr den Tugendmenschen zweierlei Aufgaben: So zielen seine Aufgaben (5qca) nur zum Teil auf das Glck ab, zum anderen Teil sind sie nicht um des Zieles willen da, berhaupt nicht um seinetwillen, sondern um des Lust zu empfinden wissen und sagen: »Wie angenehm, wie wenig kmmert mich dies!« Vgl. SVF III 586. 33 Vgl. VI 7 [38] 31, 21; V 8 [31] 6, 11.

4.2 Plotins Verteidigung der Autarkie-These

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anderen willen, das mit ihm verkoppelt ist (toO pqosefeucl´mou), fr das er sorgt und das er ertrgt, solange es mçglich ist, so wie ein Musiker seine Leier versorgt, solange sie gebraucht werden kann.34

Also trgt der Tugendmensch nicht nur fr sich selbst Sorge, sondern auch fr den Kçrper als das Andere. Auffallend ist, dass Plotin hier den Kçrper des Tugendmenschen nicht bloss mit einem Werkzeug, sondern mit einem Musikinstrument, nmlich mit der Leier vergleicht. Das impliziert, dass der Tugendmensch mit einem Leierspieler vergleichbar ist. Dies erinnert an die harmonische Lenkung der Welt durch die Weltvernunft. Der Vergleich des Tugendmenschen als Leierspieler drfte dementsprechend darauf hindeuten, dass der Tugendmensch auch mit dem Kçrper verbunden ein harmonisches Leben fhrt.35 Sicher verlsst jeder Mensch seinen Kçrper, wenn »die Stunde der Natur« angekommen ist. Allerdings unterwirft Plotins Tugendmensch sich nicht unbedingt dem Gebot der Natur. Er ist sein eigener »Herr« und somit selbst befugt, darber Beschlsse zu fassen, wann er weggeht (16, 18 – 20) Ihm steht die Selbstbestimmung (t¹ aqteno¼siom) zu (8, 8 – 9). In dieser Auffassung folgt Plotin den Stoikern, die den »wohlerwogenen Freitod« (eukocor 1nacyc¶) als ein sittliches Recht des Weisen erklren.36 Zu betonen ist, dass man gute Grnde fr den Freitod haben muss (vgl. eqkºcyr : 7, 44). Es ist jedoch zu bemerken, dass der Freitod bei Plotin zwar nicht verboten ist, jedoch nur als Mittel in der Not in Frage kommt, d. h. nur in einer außergewçhnlichen Situation (1j peqist²seyr)37 zu whlen ist. Ansonsten sollen wir nach Plotin auf »die Stunde des Schicksals« warten, solange die Mçglichkeit zum »moralischen Fortschritt« (t¹ pqojºpteim) besteht.38 Auch der vollkommene Tugendmensch gebraucht seinen Kçrper weiter, solange es geht: Geht das aber nicht mehr, so vertauscht er es mit einem anderen Instrument, oder er gibt berhaupt das Leierspielen auf und unterlsst die Bettigung auf der Leier, da er jetzt ein anderes Geschft ohne Leier treibt, er lsst sie unbeachtet neben sich liegen, 34 I 4 [46] 16, 20 – 24. 35 Long (Stoic Studies, S. 221) weist darauf hin, dass Epiktet (Diss. III. 16. 5) den Leierspieler als Vorbild gebraucht, um die Figur zu illustrieren, welche »social discernment, autonomy and capacity to influence others rather than be influenced by them« besitzt. 36 Dazu vgl. Pohlenz, Stoa, S. 156. 37 I 9 [16] 1, 12 – 14. Zum stoischen Begriff der peristasis vgl. Forschner, S. 194 – 196. Die Stoiker unterscheiden zwischen jah¶jomta %meu peqist²seyr (Pflichten im Normalfall) und jah¶jomta peqistatij² (Pflicht im Notfall). Erstere liegen z. B. darin, sich um die Gesundheit zu kmmern. Im Notfall kann man aber auch das tun, was man normalerweise nicht zu tun pflegt. So kann man z. B. ein Kçrperglied preisgeben. Demnach gilt der Freitod bei den Stoikern unter Umstnden als angemessen (jah¶jom) (vgl. DL VII 130; Cic. fin. 3, 60). Der Ausdruck jah¶jomta (lat. officia), was hier mit »Pflichten« wiedergegeben ist, bedeutet eigentlich etwas, das einem Wesen zukommt (vgl. DL VII 108), d. h. etwas Angemessenes, welches allerdings nicht das moralische Richtige (vgl. jatoqh~lata) bedeutet. Zur Unterscheidung zwischen kathÞkonta und katorthmata siehe Kidd, S. 156 f., 161 ff.; Long, Stoic Studies, S. 167 ff. 38 I 9 [16] 1, 18 – 19.

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denn er singt jetzt ohne Instrument. Und doch wurde ihm nicht umsonst zunchst dies Instrument verliehen, er hat doch oft auf ihm gespielt.39

4.2.3 Die schlaflose Weisheit: Was wir eigentlich kçnnen Nun kann man meinen, dass das Schicksal den Tugendmenschen bei seinen Aktivitten hindern oder sogar ihn verhindern kann. Dagegen ist Plotin der Auffassung, dass der Tugendmensch in seinen Aktivitten keinesfalls gehemmt werde. Nur fhre er seine Aktivitten je nach Umstnden anders aus. Ferner seien seine Aktivitten unter allen Umstnden schçn: »All seine Aktivitten bleiben dennoch schçn und vielleicht um so schçner, als sie unter schwierigen Umstnden (peqistatija¸)stehen« (13, 1 – 3).40 Hier scheint Plotin nahezulegen, dass der Tugendmensch im Rahmen des Mçglichen alles schçn und richtig tut. Selbst der Tugendmensch kann nicht alles ungehindert tun. So gibt Plotin zu, dass einzelne (jahû 6jasta) theoretische Aktivitten, die konkrete Untersuchungen und Forschungen voraussetzen, gehemmt werden kçnnen. Dennoch ist er zuversichtlich, dass das »grçßte Lehrstck (l´cistom l²hgla)« dem Tugendmenschen unter allen Umstnden zur Verfgung steht (pqºweiqom). Selbst im Stier des Phalaris wird sein Tugendmensch »die Schau des universalen Guten« (t/r toO !cahoO fkou h´ar) nicht einbßen.41 Dagegen kçnnte man jedoch einwenden, dass der Tugendmensch nicht einmal seine Aktivitt ausfhren kann, wenn er sich seiner gar unbewusst ist: »Wenn er aber sich dessen nicht bewusst ist und nicht der Tugend gemß aktiv sein kann, wie soll er da glcklich sein?« (9, 10 – 11) Um das Glck des »bewusstlosen« Tugendmenschen zu retten, sttzt Plotin sich auf die psychologische Beobachtung, der zufolge der Mensch gesund oder schçn sein kann, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass er gesund oder schçn ist. Zudem argumentiert Plotin, dass die Weisheit nicht das Selbstwahrnehmen bzw. -bewusstsein (t¹ aQsh²meshai ja· paqajokouhe?m aqt`) in sich enthalten muss, indem er darauf hinweist, dass das Bewusstsein nicht dem Vermçgen der geistigen Erkenntnis, sondern dem Wahrnehmungsvermçgen zukommt.42 Zur Bekrftigung seiner Position macht er darauf aufmerksam, dass wir uns auch der Aktivitt des vegetativen Vermçgens nicht bewusst sind, obwohl es aktiv ist. In derselben Weise kann die geistige Erkenntnis uns verborgen bleiben, auch wenn das Erkenntnisvermçgen aktiv ist.

39 40 41 42

I 4 [46] 16, 24 – 30. Dazu vgl. Dillon, Singing. Vgl. I 2 [19] 7, 21; I 9 [16] 1, 13; IV 4 [28] 25, 12; IV 8 [6] 4, 19. I 4 [46] 13, 4 – 12. Vgl. Plat. Resp. 505a 2. I 4 [46] 9, 14 – 16.

4.2 Plotins Verteidigung der Autarkie-These

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Plotin untermauert seine Position mit seiner Theorie des Bewusstseins.43 Von Interesse ist der Begriff paqajoko¼hgsir, der als Gegensatz zur Bewusstlosigkeit eingefhrt wird. Nach Plotin kann man durch Krankheit und Drogen in dem Sinne das Selbstbewusstsein verlieren, dass man nicht mehr »bei sich sein« bzw. »sich selbst folgen« kann.44 Danach ist das Selbstbewusstsein als Begleitbewusstsein aufzufassen. Es ist kein Zufall, dass der Ausdruck paqajokouhe?m wçrtlich »begleiten« oder »zur Seite folgen« heißt. Im Sinne des Begleitbewusstseins wird paqajoko¼hgsir bei Plotin als Synonym von aUshgsir verwendet. Im Folgenden ist von Bewusstsein in diesem spezifischen Sinne die Rede. Nach Plotins Theorie kommt das Bewusstsein dadurch zustande, dass das Wahrnehmungsvermçgen durch eine »Widerspiegelung« die primre Aktivitt sekundr erfasst. Erfasst wird also ein »Abbild« (eUdykom) der Aktivitt, welches auch mit »Vorstellung« (vamtas¸a) bezeichnet wird. Hierzu postuliert Plotin einen Seelenbereich, der gleichsam als Spiegel fungiert. In diesem Spiegel der Seele wird auch das geistige Erkennen widergespiegelt. Das Spiegelbild wird dann »gleichsam sinnlich erkannt, wobei die Erkenntnis vorangeht, dass der Geist und der Verstand aktiv sind (oXom aQshgt_r cim¾sjetai let± t/r pqot´qar cm¾seyr, fti b moOr ja· B di²moia 1meqce?)« (10, 15 – 16). Plotin erklrt leider nicht, wie sich der Spiegelbereich der Seele zu dem Wahrnehmungsvermçgen verhlt. Bemerkenswert ist, dass der Spiegel der Seele durch die Stçrung der kçrperlichen Harmonie an seiner Funktion gehindert, und sogar »zerbrochen« werden kann. Dazu bemerkt Plotin: »Ist der Spiegel nicht vorhanden oder nicht im richtigen Zustand, so kann trotzdem dasjenige in Wirklichkeit vorhanden sein, von dem ein Abbild entstehen kçnnte« (10, 11 – 12). Folglich kann das geistige Erkennen ohne Spiegelbild, d. h. ohne begleitende Vorstellung, existieren.45 Das Erkennen als primre Aktivitt ist nmlich vom Begleitbewusstsein zu unterscheiden. In diesem Zusammenhang macht Plotin auf das interessante Phnomen aufmerksam, dass wir auch im wachen Zustand das Begleitbewusstsein von unseren Aktivitten verlieren kçnnen. Hier unterscheidet er das Begleitbewusstsein von demjenigen Bewusstseinszustand, den wir »Vigilanz« nennen wrden. Dafr fhrt er das folgende Beispiel an: »So muss sich der Lesende nicht bewusst werden, dass er liest, und am wenigsten dann, wenn er mit voller 43 Dazu vgl. Richter, S. 427; Drews, S. 233; Dodds, Tradition; Schwyzer, Bewusst; Lloyd; Warren; Blumenthal, Psychology, S. 109 ff., 140; O’ Daly, S. 20 f.; Smith. Unconsciousness; Schroeder, Synousia. Es sei angemerkt, dass Plotin keinen Terminus fr den modernen Begriff des Bewusstseins hat, sondern mehrere Wçrter, die sich auf den komplexen Bereich des Bewusstseins beziehen, wie etwa aUshgsir, paqajoko¼hgsir, s¼mesir, suma¸shgsir und nicht zuletzt xuw¶. 44 I 4 [46] 9, 1 – 4; 9, 21;10, 23 – 33; IV 4 [28] 4, 7 – 11. 45 Anders Arist. De an. III 7, 431a 16 – 17; 432a 3 – 9. De mem. 449b 31. Vgl. McGroarty, Commentary, S. 151. Zur »Vorstellung (phantasia)« siehe Emilsson, Sense-Perception, S. 108 ff.; Blumenthal, Psychology, S. 135 ff.

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4. Das selbstgengsame Leben

Anspannung liest« (10, 24 – 26). Dem fgt er hinzu, dass sich gerade »schçne« Aktivitten – sowohl theoretische wie auch praktische – ohne Begleitbewusstsein ausfhren lassen: So handelt z. B. der tapfere Mensch, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass er tapfer handelt und gemß der Tapferkeit handelt, und zwar wird er sich dessen um so weniger bewusst, je grçßer die Tapferkeit ist, gemß der er seine Aktivitt entfaltet. Darber hinaus beobachtet Plotin, dass ein Begleitbewusstsein die Aktivitten, die es begleitet, geradezu trben kann. Das Begleitbewusstsein kann nmlich die Konzentration auf die Aktivitt beeintrchtigen, und somit die Intensitt der Aktivitt schwchen. Auf dieser Grundlage behauptet er, dass der Tugendmensch, der im Schlaf liegt oder berhaupt nicht »bei sich« ist, dennoch seine wesenseigene Aktivitt fortsetzen kann (9, 20 – 23). Er meint sogar, dass der Tugendmensch in einem solchen Fall noch in hçherem Grade lebt, da »sein Leben nicht ins Bewusstsein ausgeschttet wird, sondern in sich selbst versammelt bleibt (oq jewul´mom eQr aUshgsim, !kkû 1m t` aqt` 1m 2aut` sumgcl´mom)« (10, 32 – 33).46 Die wesenseigene Aktivitt des Tugendmenschen ist nichts anderes als die Weisheit. Diese ist die Tugend des Menschen als eines geistig erkennenden Wesens. Also grndet sie ihren »Bestand« (rpºstasir) auf dem Wesen des Menschen. Der Tugendmensch ist gemß der Weisheit aktiv. Diese Aktivitt gemß der Weisheit ist eine »schlaflose Aktivitt« (%upmor 1m´qceia), die der Tugendmensch unter allen Umstnden fortsetzen kann. Daraus ergibt sich, dass der Tugendmensch glcklich ist, auch in der Bewusstlosigkeit oder im Schlaf.47

4.3 Das Gefhl des Tugendmenschen Trotz seiner unerschtterlichen Seelenruhe ist der Tugendmensch bei Plotin kein gefhlloser Denker. So wird er z. B. unter dem Tod seiner Freunde leiden. Genauer gesagt, der irrationale Teil in ihm wird darunter leiden.48 Dennoch lsst er sich nicht von seinen Gefhlen mitreißen. Denn er weiß, was der Tod bedeutet, und dass kein Mensch dem Tod entgehen kann. So ertrgt er alles, was unvermeidlich ist, geduldig und gelassen.49 Ferner ist er kein lustfeindlicher Asket. Sein Leben ist vielmehr lustvoll (Bdu). Freilich kommt es ihm nicht auf die kçrpelichen Lste (Bdom±r) an.Ebenso wenig geht es um den 46 Harder bersetzt hier das Wort aisthÞsis mit »Bewusstsein«. 47 I 4 [46] 9, 19 – 23. Gegen Arist. EN X 6, 1176a 33 – 35. Vgl. Lloyd (S. 191) verweist auf den stoischen Gemeinplatz, dass der Weise seine Tugend nicht verliert, wenn er schlft (Epiktet I xviii 21 – 23). 48 I 4 [46] 4, 32 – 6. Im Hinblick auf die Affekte der Seele stellt M. Frede (Affections, S. 95 ff.) fest, dass die platonisch-aristotelische Tradition alle Affekte bzw. Emotionen in der irrationalen Seele lokalisieren, whrend alle Affekte der stoischen Konzeption nach Affekte der Vernunft sind. 49 I 4 [46] 7, 40 – 42, II 9 [33] 13, 5 – 6.

4.3 Das Gefhl des Tugendmenschen

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Freudenberschwang (peqiwaq_ar). Seine Lust ist eine solche, »die mit der Gegenwart der Gter zusammen da ist, und nicht in Bewegungen verluft und mithin auch nichts Werdendes ist« (12, 5 – 6).50 Plotin fhrt fort: Denn die Gter sind ja bereits gegenwrtig, und der Mensch ist bei sich selbst zugegen, so ist denn diese Lust (t¹ Bd») und diese Heiterkeit ein unbewegtes Stillstehen. Heiter (Vkeyr) aber ist der Tugendmensch immerdar, sein Zustand (jat²stasir) ist ruhevoll (Fsuwor), seine Stimmung voll Zufriedenheit (!capgtμ), und keines der angeblichen bel kann sie erschttern, wenn er wirklich tugendhaft ist.51

Hier macht Plotin mçglicherweise von der epikureischen Unterscheidung zwischen »kinetischer« und »katastematischer« Lust Gebrauch.52 Mit »kinetischer« Lust bezeichnet Epikur diejenige Empfindung, die mit der Befriedigung von Bedrfnissen und der Beseitigung von Schmerzen einhergeht, mit »katastematischer« Lust hingegen diejenige, die in der Schmerzlosigkeit besteht. In dieser katastematischen Lust liegt das epikureische Ziel des Lebens.53 Im Hinblick auf die sich in der Ruhe befindende Lust scheint Plotin sich nicht nur Epikur, sondern auch Aristoteles anzuschließen. Letzterer macht auf eine Art von Lust aufmerksam, die mit jeder vollkommenen Aktivitt verbunden ist: Eine solche Lust liegt »vielmehr in der Ruhe als in der Bewegung«.54 hnlich beobachtet Plotin, dass eine besondere Form von Lust jeder vollkommenen Aktivitt, d. h. jeder ungehinderten Ausbung einer Fhigkeit, folgt, gleichsam als etwas Zustzliches (oXºm ti 1pi¢]om).55 In diesem Sinne ist auch das Leben des Geistes mit Lust verbunden. Anders als bei Epikur, der die mit der Seelenruhe verbundene Lust mit dem hçchsten Gut identifiziert, stellt die statische Lust des Tugendmenschen bei Plotin nur eine Nebenerscheinung dar, die das hçchste Gut begleitet, wie es auch bei Aristoteles der Fall ist. Lust an sich stellt bei Plotin nicht das Gute dar, sondern nur einen Affekt, den man dann hat, wenn man das Gute erlangt. Die lustvolle Seelenruhe des Tugendmenschen ist unerschtterlich. In Bezug darauf bemerkt Plotin, dass der glckliche Mensch Dinge anders als die anderen wahrnimmt: Andernfalls wre er noch nicht weise oder glcklich, wenn er nicht die Vorstellungen ber diese Dinge allesamt in sich gendert und sich gleichsam in einen ganz neuen 50 t±r sumo¼sar paqous¸ô !cah_m oqj 1m jim¶sesim ousar, oqd³ cimol´mar. Vgl. D. Frede, Phaidon, S.12, Anm. 7: »Das griechische Wort hedonÞ bedeutet jede Art positiver Gestimmtheit, also außer Lust auch Freude oder Vergngungen, so wie lypÞ nicht nur physischen Schmerz, sondern jede Art negativer Gefhle bezeichnet.« 51 I 4 [46] 12, 6 – 10. 52 So O’Meara, Epicurus Neoplatonicus, S. 87 f. Vgl. Van Riel, S. 116 f. 53 Epikur widerspricht Platon, dem zufolge die Schmerzlosigkeit nicht mit der Lust zu verwechseln ist, sofern auch ein neutraler Zustand ohne Lust und Schmerz mçglich ist. Vgl. Plat. Phileb. 43de. 54 Arist. EN VII 15, 1154b 28; X 4, 1174b 31 – 33. 55 VI 7 [38] 30, 17 f. Vgl. 26, 15 f.

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4. Das selbstgengsame Leben

Menschen gewandelt htte, der nun fest auf sich selber bauen kann, dass ihm niemals ein bel begegnen kann; und so kennt er keine Furcht vor irgendeinem Dinge. Hat er aber noch Angst vor irgendetwas, so ist er noch nicht vollendet in der Tugend, sondern erst auf halbem Wege (oq t´keor pq¹r !qet¶m, !kk± Flis¼r tir 5stai).56

Im Hinblick auf die Vollkommenheit der Tugend hebt Plotin die Reinheit des Tugendmenschen hervor. Unter diesem Aspekt unterscheidet er den Tugendmenschen vom »Gentlemen« (1pieij/ %mhqypom), der aus Gutem und Bçsem gemischt ist, und somit ein »gemischtes Leben« (lijt¹m b¸om) fhrt.57 Das gemischte Leben des Gentlemans ist es nach Plotin nicht wert, glcklich genannt zu werden, »denn es besitzt keine Grçße, weder an Wrde der Weisheit noch an Reinheit des Guten«.58 Hier liegt sicherlich ein rigoroses Tugendideal vor. Das erhabene Lebensideal Plotins hebt jedoch nicht die menschliche Gte auf.59 So ist der plotinische Tugendmensch keineswegs unfreundlich (%vikor) und undankbar oder rcksichtslos (!cm¾lym).60 Sein freundlicher und rcksichtsvoller Umgang mit den anderen ist allerdings von einem irrationalen Mitleid weit entfernt, welches Plotin mit Neid und Eifersucht als Laster der Seele betrachtet.61 Der Tugendmensch empfindet ein anderes Mitgefhl fr seine Freunde, nmlich ein vernnftiges: »Er gibt also alles, was er sich selber gçnnt, auch seinen Freunden, und ist sogar in besonderem Maße Freund, indem er nmlich dabei Vernunft bewahrt (let± toO moOm 5weim).«62 Diesbezglich ist zu bemerken, dass Plotin von der Freundschaft des »inneren Menschen« spricht, wobei er diese von der Freundschaft des Gemeinschafts-

56 I 4 [46] 15, 11 – 16. 57 I 4 [46] 16, 1 – 6. Das Wort 1pieij¶r bedeutet allgemein »billig« oder »fair«. Die Billigkeit im Sinne der Abmilderung der Strenge des Gesetzes wird in der Antike oft der genauen Gerechtigkeit (t¹ dijaiºm) gegenbergestellt (vgl. Antiphon 2213, Plat. Leg. 757e). Bei Aristoteles ist to epieikÞ jedoch das vollkommen Gerechte, das eine Verbesserung des Gesetzes darstellen kann (Arist. EN V 14, 1137 b 12 f.). Plotin scheint dem Gentleman die »mildere« Billigkeit zuzuschreiben, dem Tugendmenschen hingegen die »rigorose« Gerechtigkeit. So stellt der Tugendmensch sich viel hçhere Ansprche hinsichtlich der Tugend als der Gentleman. Anders bei Aristoteles. Dazu vgl. Horn, Epieikeia. 58 I 4 [36] 16, 7 – 9. 59 Anders Jonas (Gnosis II, S. 279), der meint, dass Plotin »die Extremform stoischer Autarkieethik in der ganzen Unmenschlichkeit ihrer Argumente« in seinem Dienst nimmt. 60 I 4 [46] 15, 22. Harder bersetzt !cm¾lym mit »undankbar«; Armstrong: »unsympathetic«; Brhier : »les sentiments de reconnaissance«. 61 I 1 [53] 10, 13 – 14. hnlich bei den Stoikern vgl. DLVII 111. Anders McGroarty, Commentary, S. xvii: »At no point are we instructed to be compassionate man that Plotinus obviously was.« Sicher befrwortet Plotin keinen Sentimentalismus, welcher auf dem irrationalen Mitleid grndet. 62 I 4 [46] 15, 23 – 25. Gegen Brhier, der den Satz wie folgt bersezt: »il se rend lui-mÞme tout ce qu’il se doit.« Hierzu merkt er zu Unrecht an: »Cet go sme est un trait commun du sage antique.« Vgl. De Vogel, S. 158: »But to make him so self-centered that the interest of ›feeling‹ for ›the other‹ would have been to totally alien to him, would be incorrect.«

4.3 Das Gefhl des Tugendmenschen

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wesens unterscheidet.63 Damit deutet er an, dass es eine Art von Freundschaft gibt, die zum rationalen Wesen des Menschen gehçrt. Allerdings ist festzuhalten, dass der plotinische Tugendmensch sein Glck auf keinem Fall von anderen abhngig macht: Wnschen mag er nmlich auch (1h´koi c±q %m ja·), dass es allen Menschen gut gehe und niemanden irgendein bel treffe; aber, auch wenn das nicht eintrifft, kann er trotzdem glcklich sein. Entgegnet man, dass ein derartiger Wunsch reinen Widersinn bedeuten wrde – denn es sei ja unmçglich, dass es kein bel gbe – nun, so gibt man klrlich uns damit Recht, die wir seinen Willen (bo¼kgsim) ganz nach innen wenden.64

63 I 1 [53] 10, 15. 64 I 4 [46] 11, 12 – 17.

5. Der Abstieg der Seele: Die Sorge um andere 5.1 Die providentielle Sorge der Seele um den Kçrper1 Als guter Platoniker hlt Plotin daran fest, dass die Seele als Prinzip der Bewegung nicht nur die anderen, sondern auch sich selbst bewegt, wie es im Phaidros 245c 7 – 9 steht. Was die Selbstbewegung der Seele betrifft, so haben wir bisher ihre Aufstiegsbewegung vom sinnlichen Kosmos zum geistigen Kosmos betrachtet, welche die Selbstvervollkommnung der Seele ausmacht. Allerdings gibt es noch eine Abstiegsbewegung, bei der die Seele zur Vervollkommnung des sinnlichen, kçrperlichen Kosmos beizutragen hat. Wichtig ist, dass Plotin den Abstieg der Seele in diesen Kosmos auf ihre eigene sorgende Natur zurckfhrt: »Die Seelen sind ja gar nicht etwa herabgekommen, weil der Kosmos nun einmal da war. Schon ehe der Kosmos da war, lag es an ihnen, dem Kosmos zu gehçren, sich um ihn zu sorgen (1pileke?shai) und ihn ins Dasein zu rufen (rvist²mai), zu durchwalten (dioije?m) und zu schaffen (poe?m).«2 Im Hinblick auf die Sorge der Seele um den Kçrper beruft Plotin sich wiederum auf Platons Phaidros 246b 6: »Und die Stelle im Phaidros ,Alle Seele kmmert sich um das Unbeseelte (xuwμ p÷sa pamt¹r 1pileke?tai toO !x¼wou)‘? Nun, was anders soll es sein, das die Natur des Kçrpers durchwaltet, formt, ordnet oder schafft, als die Seele?«3 Das Ziel dieser Sorge liegt in der Mitteilung des Guten: Denn was die unbeseelten Gegenstnde betrifft, so kommt ihnen die Gabe des Guten (toO !cahoO […] B dºsir) von einem anderen her zu; was dagegen Seele hat, bei dem sorgt das Streben dafr, dass sie sich selber darum bemht, so wie den verstorbenen Kçrpern Pflege (1pil´keia) und Sorge (j¶deusir) von den Lebenden zuteil wird, whrend die Lebenden fr sich selber Frsorge (pqomo¸a) treffen.4

Hierbei gebraucht Plotin den Ausdruck pqomo¸a ganz allgemein im Sinne der Frsorge, und zwar der wohlwollenden Sorge und Pflege. Entsprechend erblickt er die Vorsehung der Seele fr den Kçrper darin, »dem Kçrper die Mçglichkeit zum Wohl wie zum Sein zu geben« (s¾lati paq´weim tμm toO ew 1 2 3 4

Eine frhere Version ist erschienen in Song, Providentielle Sorge. III 2 [47] 7, 23 – 25. IV 3 [27] 7, 12 – 5. VI 7 [38] 26, 7 – 12. Das Wort j¶deusir bedeutet allgemein »Sorge oder Frsorge«, aber kann in diesem Kontext noch konkreter »Bestattung« bezeichnen (so Tornaus bersetzung, S. 284). Dazu vgl. LSG, S. 946.

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5. Der Abstieg der Seele: Die Sorge um andere

d¼malim ja· toO eWmai).5 Eben in diesem Sinne steht die Seele bei Plotin in einem providentiellen Verhltnis zum Kçrper. Zu dem Guten, welches die Seele dem Kçrper zuteil werden lsst, gehçrt in erster Linie das Leben.6 Als Wohltterin versorgt die Seele den Kçrper mit allem, was dieser zum Leben braucht. Eine derartige Vorsehung setzt offenbar ein ungleiches Verhltnis voraus, und zwar ein asymmetrisches Abhngigkeitsverhltnis, wonach der Kçrper ohne Seele nicht leben kann, aber nicht umgekehrt. Nun macht die Seele, wie gesagt, nicht nur den Kçrper lebendig, sondern fhrt auch ihr eigenes Leben.7 Plotin zufolge fhrt die Seele in Reinform, d. h. frei von den kçrperlichen Einflssen, ein »gçttliches« Leben, worunter er ein »gutes und einsichtiges Leben« versteht.8 Dementsprechend hlt er es fr dringend geboten, unsere Seele zu reinigen. Eine solche Reinigung bewirke den Aufstieg zum geistigen Kosmos, der nichts anderes sei als der »Aufstieg zu sich selbst«.9 Damit deutet er an, dass unsere Seele ursprnglich »da oben« hingehçrt. Darber hinaus weist Plotin darauf hin, welche Mhe es unserer Seele bereitet, fr einen mangelhaften, unvollkommenen Leib zu sorgen: »Die Leiber bedrfen mannigfacher und beschwerlicher Vorsehung (pqomo¸a), weil von außen viel Fremdes auf sie eindringt, weil sie unter dem stndigen Druck der Notdurft stehen, und weil ihre jmmerliche Gebrechlichkeit alle Hilfe erfordert.«10 Schließlich stellt er fest, dass die Gemeinschaft (joimym¸a) mit dem Kçrper fr die Seele insofern als rgernis angesehen werden kann, als sie einerseits fr das geistige Erkennen hinderlich ist, andererseits die Seele mit Lust und Schmerz so wie den anderen irrationalen Affekten erfllt,11 »weshalb denn auch der Kçrper ihre Fessel und ihr Grab heißt, und dieser Kosmos ihre Hçhle und Grotte.«12 Angesichts dieser Feststellung drngt sich die Frage nach dem Sinn und Zweck des hiesigen Lebens der Seele auf: Wozu ist die Seele hierher gekommen, anstatt in der ihr eigenen heilen Welt zu bleiben? Warum kmmert sie sich um den Kçrper? In Enn. IV 8 [6] ber den Abstieg der Seele in die Kçrperwelt liefert Plotin dafr eine teleologische Erklrung: So also kommt die Seele, ob sie gleich ein Gçttliches ist und von den oberen Rumen stammt, in den Leib, sie, ein spterer Gott im Range, schreitet hinab in diese Welt mit freigewollter Wendung (Nop0 aqtenous¸\), wegen ihrer Kraftflle sowie zum Zweck 5 6 7 8 9 10 11 12

IV 8 [6] 2, 24 – 26. I 1 [53] 4, 1 – 4. IV 7 [2] 9, 6 – 13. IV 7 [2] 10, 4 – 7. IV 7 [2] 10, 14. IV 8 [6] 2, 11 – 14. Vgl. IV 3 [27] 4, 21 – 37. IV 8 [6] 2, 42 – 53. Vgl. Plat. Phaed. 66c 2 – 4. IV 8 [6] 3, 4 – 5. Vgl. 1, 30 – 34. Empedocl. fr. B120 DK; Plat. Phaed. 62b 2 – 5; 67d 1; Resp. 514a 5.

5.1 Die providentielle Sorge der Seele um den Kçrper

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des Ordnens (josl¶sei) des unter ihr stehenden Wesens […] Sie hat ihre eigenen Krfte ans Licht gebracht und ihr Wirken und Schaffen offenbart; im Bereich des Kçrperlosen ruhend wren diese Krfte unntze (l²tgm), da sie ewig unverwirklicht blieben, und der Seele selbst bliebe unbewusst, was sie in sich trgt, wenn es nicht in Erscheinung trte, nicht aus ihr hervorginge. Denn berall bringt erst die Verwirklichung das Vermçgen zutage, welches sonst durchaus verborgen bliebe und geradezu ausgelçscht wre und nicht existent, da es niemals zu realem Sein kme (oqj owsam lgd´pote emtyr owsam).13

Es fllt auf, dass Plotin den Abstieg der Seele auf ihren Nutzen hin betrachtet. Offensichtlich ist bei dieser Betrachtung eine teleologische Perspektive am Werk, wonach alles Geschehen einem bestimmten Zweck dient. Plotins Hinweis auf den Nutzen, den die Verwirklichung der latenten Vermçgen abwirft, erinnert insbesondere an die aristotelische Teleologie der Natur (»Die Natur tut nichts umsonst.«).14 So steigt die Seele in den Kçrper ab, um ihre Krfte zur Geltung zu bringen, und zwar gemß ihrer eigenen Natur. Demnach grndet der Abstieg der Seele in der inneren Zweckmßigkeit der Seele. Zu bercksichtigen ist, dass die innere Natur der Seele ihrerseits in die teleologische Ordnung der umfassenden Natur als Gesamtwirklichkeit integriert ist: Wenn die Natur denn in diese beiden Seiten zerfllt, die geistige und die sinnliche, so ist es gewiss besser fr die Seele, im Geistigen zu weilen; allein sie muss notwendig auch am Sinnlichen teilhaben, da ihre Natur solcherart ist (toia¼tgm v¼sim e0wo¼s,); und sie darf nicht mit sich selber hadern (oqj !camajtgt´om aqtμm 2aut,), dass sie, wo nun einmal nicht alles auf der Stufe des Hçheren ist, eine Mittelstelle in der Wirklichkeit einnimmt (l´sgm t²nim 1m to?r owsim), dass sie, obgleich dem Gçttlichen zugehçrig, doch am untersten Rande des geistigen Reiches steht, und der sinnlichen Welt als ihr Grenznachbar etwas von ihrem Sein abgibt.15

Dieser Text deutet darauf hin, dass hinter der aristotelisch anmutenden Teleologie Plotins in Wahrheit eine platonische Metaphysik steckt, gemß der sich die Natur als Gesamtwirklichkeit aus den so genannten »zwei Welten« zusammensetzt. Nach dem plotinischen Entwurf der umfassenden Natur herrscht nun nicht nur zwischen der geistigen und der sinnlichen Welt, sondern auch innerhalb der geistigen Welt eine Hierarchie.16 Dabei nimmt die Seele die unterste Stufe der hierarchisch gestuften geistigen Welt ein, und befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur sinnlichen Welt. Obwohl die Seele ein geistiges Wesen ist, unterscheidet sie sich vom Geist dadurch, dass ihre Aufgabe nicht nur in der »Schau des Seienden« besteht, sondern auch in 13 IV 8 [6] 5, 24 – 35. 14 Zur Teleologie bei Aristoteles siehe Sedley, Teleology ; Cooper, Hypothetical Necessity ; D. Frede, Leib und Seele, S. 90 f.; dies, Phaidon, S. 118 f. 15 IV 8 [6] 7, 1 – 8. 16 Vgl. V 1 [10] 10, 1 – 4. Dazu vgl. O’Meara, Hierarchical.

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5. Der Abstieg der Seele: Die Sorge um andere

der providentiellen Sorge um den ihr zugehçrigen Kçrper.17 Daraus folgt, dass die Vorsehung die spezifische Aufgabe der Seele ist. Es gehçrt eben zu ihrer Natur, die sinnlich-kçrperliche Welt zu ordnen, zu verwalten und zu regieren. Diese demiurgische Funktion der Seele ist wiederum im Gesamtplan der Natur vorgesehen. Gemß einer solchen »Vorsehung« in der Natur trgt die Seele die Sorge fr den Kçrper. Nun geht Plotin noch einen Schritt weiter, indem er behauptet, dass die providentielle Sorge der Seele um den Kçrper notwendig ist. Also besteht eine Notwendigkeit der Natur dafr, dass die Seele in den Kçrper absteigt. Wie ist aber eine solche Notwendigkeit zu verstehen? Um die Notwendigkeit der Natur, die der Seele den Abstieg auferlegt, zu erlutern, fhrt Plotin den Begriff »Gesetz der Natur«18 ein, der sich fr das Verstndnis seiner Vorsehungslehre als ußerst fruchtbar erweisen wird. Denn die Vorsehung der Seele fr den Kçrper ist gleichsam diesem »Gesetz der Natur« eingeschrieben.

5.2 Das Gesetz der Natur : Eine teleologische Perspektive Um den Zugang zum Begriff »Gesetz der Natur« zu erleichtern, mçchte ich kurz den allgemeinen Zusammenhang skizzieren, in den er eingebettet ist. Als Erbe Platons ist Plotin in Enn. IV 8 [6] darum bemht, zwei divergierende Konzeptionen des Abstiegs der Seele in Platons Werken in Einklang zu bringen: Der Abstieg der Seele wird einerseits als (Haft-) Strafe fr einen Fehler (im Phaidon, Phaidros und in der Politeia19) und andererseits als gçttlicher Auftrag angesehen, eine organisatorische Funktion bei der Regierung des Universums auszufhren (im Timaios20). Bei der Bearbeitung dieses Problems befasst sich Plotin u. a. mit der Frage, ob der Abstieg der Seele in den Kçrper notwendig oder freiwillig ist. Seine Antwort lautet: Man kann durchaus ohne Widerspruch behaupten, dass der Abstieg der Seele sowohl notwendig als auch freiwillig ist. Freilich mssen die Begriffe »notwendig« und »freiwillig« jeweils in einem speziellen Sinn verstanden werden: Die »Notwendigkeit« darf hier auf keinen Fall mit einem ußerlichen Zwang verwechselt werden, und die »Freiwilligkeit« hat nichts mit einer abwgenden Wahl zu tun.21 Eine derartige Eingrenzung beider Begriffe erlaubt es Plotin schließlich zu erklren, dass es keinen Widerspruch zwischen Notwendigkeit und Freiwilligkeit gibt (5, 1 – 4). 17 IV 8 [6] 3, 21 f.; 8, 11 f. 18 Dazu vgl. Song, Loi. Zum stoischen Begriff des »Gesetzes der Natur« siehe Striker, S. 209 – 220, 248 – 261; Schofield, S. 192 f., 206 f.; Watson; Long, Stoic Studies, S. 171 f. 19 Plat. Phaed. 62b 2 – 5; 67d 1; 113d 1 – 114c 6; Phaedr. 246c 2 – 6, 248c 5 – 8, 249a 5-b 1; Resp. 619d 7. 20 Plat. Tim. 34b 8; 41a 7 – 42e 4. 21 Vgl. O’Brien, Volontaire; Thodice, S.14, Anm. 24.

5.2 Das Gesetz der Natur : Eine teleologische Perspektive

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Sein Lçsungsvorschlag kristallisiert sich dann im Begriff »Gesetz der Natur«. Betrachten wir den Schlsseltext: Denn alles, was ins Niedere hinabgeht, tut das unfreiwillig; insofern es jedoch mit eigener Bewegung (voqø ce lμm oQje¸ô) hinabgeht, wird in dem Schlechten, das ihm dabei widerfhrt, eine Strafe fr sein eigenes Tun gesehen. Da aber solches Handeln und solches Leiden nach dem Gesetz der Natur ewig notwendig ist (!macja?om !id¸yr v¼seyr mºl\), und das Wesen, das mit dem Kçrper zusammenkommt, indem es vom Oberen herabsteigt, durch seine Ankunft dem Bedrfnis eines anderen (eQr %kkou tou wqe¸am) nachkommt, widerspricht man weder der Wahrheit noch sich selbst, wenn man sagt, dass Gott es herabgeschickt hat.22

Plotin vertritt hier die Auffassung, dass die Seele zwar »mit eigener Bewegung«, doch gemß einem »Gesetz der Natur« notwendigerweise absteigt. Diesen notwendigen Abstieg der Seele gemß dem »Gesetz der Natur« verknpft er mit der gçttlichen Mission in Platons Timaios. Von daher liegt es nahe anzunehmen, dass Plotin mit dem »Gesetz der Natur« im Rahmen seiner platonischen Kosmologie operiert. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass Plotin auf die Ewigkeit der kosmischen Ordnung aufmerksam macht. Indem er den der mythischen Erzhlung im Timaios zugrunde liegenden Plan freizulegen versucht, bemerkt er wie folgt: »Die Dinge in der Natur des Ganzen […] kommen und bestehen immer auf dieselbe Art und Weise« ($ c±q 1m v¼sei 1st· t_m fkym […] t± !e· ovty cicmºlem² te ja· emta).23 Damit schlgt Plotin vor, den Timaios nicht als eine Kosmogonie ber die zeitliche Entstehung der Welt zu lesen, sondern als eine Kosmologie, welche die immerwhrende Struktur der Welt erklrt. Das »Gesetz der Natur« bezeichnet m. E. nichts anderes als diese permanente Ordnung der »Natur des Ganzen«. Als konstantes Merkmal der Natur nimmt Plotin ein allgemeines Prinzip der Produktivitt an, welches fr jede Natur, und somit fr jede Seele gilt: Ebenso durften nicht allein die Seelen existieren, ohne dass in Erscheinung tritt, was durch sie seine Existenz erhlt, wenn es wahr ist, dass es jeder Natur inhrent ist, das nach ihr Nachgeordnete hervorzubringen und sich zu entfalten (eUpeq 2j²st, v¼sei toOto 5mesti t¹ letû aqtμm poie?m ja· 1nek¸tteshai).24

Daraus kann man den Schluss ziehen, dass »das Gesetz der Natur« bei Plotin eine Notwendigkeit darstellt, welche fr die Wirkung der produktiven Natur relevant ist. Es handelt sich jedoch nicht um die Notwendigkeit im Sinne eines 22 IV 8 [6] 5, 8 – 14. 23 IV 8 [6] 4, 40 – 42 (meine bers.). Vgl. Harders bersetzung: »Nur die Darstellung nçtigt hin, das, was wesenhaft existiert im All, aus Zeugung und Schçpfung hervorgehen zu lassen, weil sie nacheinander vorfhren muss, was in Wahrheit ein stetes Nebeneinander von Sein und Werden ist.« 24 IV 8 [6] 6, 6 – 8.

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5. Der Abstieg der Seele: Die Sorge um andere

ußeren Zwangs, sondern um eine solche, die von der Natur der betreffenden Sache herrhrt, die wiederum Teil der Natur des Ganzen ist. Zu beachten ist, dass Plotin mit dem »Gesetz der Natur« nicht bloß auf Gesetzmßigkeit im Sinne von Regelmßigkeit hindeutet. Vielmehr geht es um eine zweckmßige Notwendigkeit, d. h. eine Erforderlichkeit mit Blick auf einen Zweck.25 Diesbezglich ist daran zu erinnern, dass die Seele zugunsten des bedrftigen Kçrpers absteigt, und letzten Endes dazu beitrgt, den Kosmos zu vervollkommnen. Ferner scheint der Hinweis angebracht, dass Plotin der Ansicht ist, dass alles Geschehen, nicht nur der Ab- und Aufstieg der Seelen, in der »einheitlichen« Ordnung steht.26 Von daher lsst es sich plausibel machen, dass das »Gesetz der Natur« bei Plotin eine universale Zweckmßigkeit der Natur der Dinge zum Ausdruck bringt. In dieser Hinsicht folgt er Platon. Bekanntlich entwickelt Sokrates im Phaidon, und zwar im Rahmen seiner Kritik an Anaxagoras, eine Ursachenlehre und postuliert dabei eine Zweckursache fr die Gesamtheit des Universums. Nach dieser universalen Teleologie ist alles im Kosmos auf einen letzten Zweck, d.i. »das Gute und Erforderliche« (t¹ !cah¹m ja· d´om: 99c 5) hingeordnet.27 Plotin bekennt sich nicht nur zu dieser universalen Teleologie Platons, sondern ebenso zu dem darin enthaltenen kosmologischen Optimismus, indem er sich fest davon berzeugt zeigt, dass der Kosmos im Allgemeinen gut ist: »Denn nichts hinderte eigentlich, dass alles, was es auch immer sein mag, je im Grund seines Vermçgens an der Natur des Guten Anteil erhielt« (6, 16 – 18). In Entsprechung dazu nimmt er wohlgemerkt eine wohlttige Schaffenskraft im Geistigen an, die allen geschaffenen Dingen je nach deren Vermçgen das Gute spendet. Er geht sogar so weit zu meinen, dass die ursprngliche Schaffenskraft keinem vorenthalten bleiben konnte. Mit dieser inneren Notwendigkeit der wohlttigen Schaffenskraft scheint er die Notwendigkeit der Schçpfung dieser Welt selbst zu begrnden. So behauptet er, dass die ursprngliche Schaffenskraft »nicht stehen bleiben durfte, als ob sie eine Linie um sich herum in der Missgunst gezogen htte« (oqj 5dei st/sai oXom peqicq²xamta vhºm\: 12 – 13), sondern immer weiter hinab schreiten musste, bis zur allerletzten Grenze des Mçglichen, nmlich der »Natur der Materie« (18).Dahinter steht offenbar die berzeugung, dass es gerade in der Natur des Guten liegt, Gutes zu geben, und zwar ohne Missgunst.28 Vor diesem metaphysischen Hintergrund tritt die Schçpfung der Welt als Schenkung

25 Vgl. Aristoteles’ »hypothetische Notwendigkeit«, die darin besteht, dass gewisse Bedingungen erfllt werden mssen, wenn ein Zweck erlangt werden soll. Dazu ausfhrlich vgl. Cooper, Hypothetical Necessity. 26 IV 3 [27] 12, 14 – 19. Vgl. III 3 [48] 5, 14 – 15. 27 Zu Platons Teleologie siehe D. Frede, Phaidon, S. 115 f., 156 f.; dies. Weizscker. 28 Vgl. P. Hadot, Ouranos, S. 136: »Hence the principle, bonum diffusivum sui, is the principle which, for Plotinus, explains and justifies the unfolding of the whole of reality.« Auch O’Meara, Platonopolis, S. 76: »the self-giving and self-communicating Good«.

5.2 Das Gesetz der Natur : Eine teleologische Perspektive

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(dºsir) des Guten hervor. Der sichtbare Kosmos ist fr Plotin eine »Offenbarung« (de_nir) des Geistigen »in seiner Kraft und Gte«.29 Selbst die Natur der Materie, die Plotin mit dem Bçsen selbst identifiziert, wird von der »Gnade« des Guten nicht ausgeschlossen, obwohl sie unfhig zur Aufnahme des Guten ist.30 Die Materie wird ihm zufolge nie allein gelassen, sondern von der Seele immer »beleuchtet«, d. h. im Kçrper geformt, weshalb dieser Kosmos niemals vergehen kann.31 So erklrt er in Enn. I 8 [51] ber die Frage, woher das Bçse kommt: »Das Bçse ist aber nicht nur bçse, durch Kraft und Natur des Guten, gleichsam umschlungen von schçnen Banden, wie wohl manchmal Hftlinge mit goldener Fessel gebunden werden« (15, 23 – 25). In dieser Weise gebndigt wird das Bçse in eine wohlwollende Weltordnung eingegliedert. Diese auf der Metaphysik des Guten basierende Kosmologie greift insofern auf den Schçpfungsmythos in Platons Timaios (29e1 – 3) zurck, als auch Letzterer die Gte Gottes explizit zur Ursache (aitia, 29d 7) fr die Schçpfung dieser Welt erklrt: 1) Der demiurgische Gott ist gut und ebendeshalb ohne jede Missgunst. 2) Daher wollte er, dass alles ihm selbst mçglichst hnlich werde. Es ist auffallend, dass Plotin im Paralleltext nicht das Wort »Gott« gebraucht. Vielmehr deutet er »das Herabschicken der Seele durch Gott« im Timaios als den Abstieg der Seele gemß dem »Gesetz der Natur«. Damit stellt sich die gçttliche Mission als eine natrliche Notwendigkeit heraus, wobei Letztere von der universalen Zweckmßigkeit der Natur her zu verstehen ist. In der spteren Schrift IV 3 [27] ber die Schwierigkeiten um die Seele formuliert Plotin diese naturalisierende Interpretation des im Timaios entfalteten Schçpfungsmythos noch deutlicher. Was »das Herabschicken der Seele durch Gott« betrifft, macht er schließlich den Gott, der die Seelen hinabschicken soll, ganz entbehrlich. Er behauptet nmlich, es bedrfe niemandes, der die Seele aussendet (13, 5 – 6). Der Abstieg der Seele erfolgt durch einen natrlichen Vorgang gleichsam automatisch (oXom aqtol²tyr : 7 – 8), wie z. B. auch Bartwuchs, der bei jungen Mnnern in einem bestimmten Lebensalter selbststndig einsetzt. So spricht Plotin lieber vom »Herabschicken durch ein Gesetz (mºl\ p´lpetai: 24)«. Hier bezieht sich das Gesetz auf eine feste Ordnung, welche die Inkarnation der Seele regelt. Die Regel besteht im Kern darin, dass die einzelne Seele jeweils in den Kçrper eintritt, dem sie in ihrem Zustand hnlich ist. So kann sie sich in einem Menschen oder in einem je verschiedenen Tier inkarnieren (jahû blo¸ysim t/r diah´seyr : 12, 37 – 39). Dabei betont Plotin, dass das Gesetz in jedes Wesen hineingelegt ist, welches das Gesetz befolgt.32 Von daher ist zu vermuten, dass es sich hier nicht um ein 29 IV 8 [6] 6, 23 – 25. Fr Plotins Allegorese von »Pandora« als unserem Kosmos siehe IV 3 [27] 14, 5 – 19. 30 IV 8 [6] 6, 18 – 23. Vgl. Z. 23: e0m w\qiti d|mtor. 31 Dazu vgl. O’Brien, Thodice, S. 48 f. Vgl. II 9 [33] Kap. 18 – 21 32 IV 3 [27] 13, 24 – 27.

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5. Der Abstieg der Seele: Die Sorge um andere

von außen erzwungenes Gesetz handelt. Diese Vermutung lsst sich mit der Aussage sttzen, dass die Seelen nicht unfreiwillig hinabsteigen. Die Freiwilligkeit, die Plotin der absteigenden Seele zuspricht, hat allerdings nichts mit einer reflektierten Wahl zu tun, sondern sie ist eher mit einer instinktiven Neigung, wie z. B. dem natrlichen Verlangen nach Begattung oder dem spontanen Antrieb zum guten Handeln vergleichbar.33 Die providentielle Sorge der Seele um den Kçrper ist in diese wohlwollende Ordnung der Natur eingebettet. Die Seele hat nmlich in sich eine Kraft (d¼malir), die auf das Diesseits gerichtet ist, »so wie das Licht abhngig ist von der Sonne ber ihm und doch dem, was unter ihm ist, nicht kargt mit seiner Spende (t` d³ letû aqt¹ oq vhomoOm t/r woqgc¸ar)«.34 Der Abstieg der Seele erklrt sich mit der inneren Notwendigkeit der Seele; sie muss aus ihrer Gte sich selbst den anderen mitteilen: Somit bedeutet das Herabkommen (jatekhe?m) der Seele, ihr Eintritt in die Leibeswelt, wie wir jedenfalls sagen, dass die Seele in den Kçrper tritt, nichts anderes, als dass sie dem Leibe etwas von ihrer Natur dargibt, nicht aber ihm zugehçrig wird, und ihr Fortgehen, dass der Leib in nichts mehr mit ihr Gemeinschaft hat; und es besteht fr die Teile dieses Alls eine festgesetzte Ordnung fr solche Gemeinschaft; die Seele aber, die gleichsam am unteren Rande des geistigen Bereiches steht, gewhrt ihnen viele Male Anteil an sich (didºmai 2aut/r), da sie ihnen mit ihrer Kraft nahe ist und ihr Abstand krzer ist, nach einem Gesetz der Natur dieser Art (v¼seyr t/r toia¼tgr mºl\).35

5.3 Die natrliche Sorge Das Gesetz der Natur weist eine natrliche Tendenz oder Neigung der Seele zur Sorge fr den Kçrper und die Welt auf. Zu unterstreichen ist, dass diese Neigung an sich in Plotins Augen keinen moralischen Fehler darstellt.36 Ebenso wenig ist der Abstieg der Seele in diese Welt ein Sndenfall oder gar ein Untergang. Ferner vertritt Plotin die Ansicht, dass die Frsorge fr das Untere bzw. das Andere fr das Frsorgende selbst nicht von bel sein muss. Eine Gefahr fr die frsorgende Seele besteht zwar durchaus, aber nur »sofern sie bei der Lenkung nicht ihre Sicherheit wahrt, sondern in bermßigem Eifer (pqohul¸ô pke¸omi) sich in die Tiefe hinabsenkt«.37 33 34 35 36

IV 3 [27] 13, 17 – 20. IV 8 [6] 4, 3 – 5. VI 4 [22] 16, 13 – 21. I 1 [53] 12, 24 – 26: !kk( eQ B meOsir 5kkalxir pq¹r t¹ j²ty, oqw "laqt¸a. Gegen die Gnostiker ber das Sich-Neigen (meOeim) der Seele als Schuld bzw. Fall in Enn. II 9 [33] Kap. 4 – 5 & 10 – 11. Dazu vgl. Alt, Gnosis, S. 44 – 62; Dillon, Descent. Schfer (Dilemma, S. 5 – 7) schreibt allerdings Plotin die Vorstellung von der »gefallenen« Seele aufgrund der aktiven »Schuld« zu. 37 IV 8 [6] 7, 9 – 10.

5.3 Die natrliche Sorge

103

Im Hinblick darauf differenziert Plotin zwei Modi der Sorge (epimeleia), nmlich einmal (i) eine allgemeine Sorge durch ein indirektes, tatenloses Gebieten mit kçniglicher Autoritt, und dann (ii) eine individuelle Sorge durch ein eigenhndiges Tun mit direktem Kontakt zu dem Empfnger. Danach weist er der »gçttlichen« Seele der Welt den ersten Modus zu, der menschlichen Seele hingegen den zweiten Modus.38 Er bemerkt, dass die Weltseele bei der Lenkung des Kçrpers unbeschdigt bleibt und bei der seligen Schau des Geistigen keine Behinderung erfhrt, wohingegen unsere Seelen von der geistigen Erkenntnis abgelenkt und von den irrationalen Affekten beunruhigt und betçrt werden kçnnen: »Denn das, wofr sie zu sorgen haben, ist ein Teilding, ist unvollkommen und hat rings umher viel Fremdes und viel, wonach es trachtet.«39 So kçnnen unsere Seelen sich in die Gefahr strzen, »wie bei Schiffen im Sturm der Schiffer sich noch mehr vertieft in die Frsorge seines Schiffes und unvermerkt um sich selbst nicht kmmert, sodass er leicht mit dem scheiternden Schiff hinabgerissen wird.«40 Angesichts der großen Bedrftigkeit des menschlichen Kçrpers ist die Gefahr des Schiffbruchs der menschlichen Seele sicher nicht zu unterschtzen. Dennoch ist Plotin fest davon berzeugt, dass unsere Seelen auch hier im Kçrper dazu in der Lage sind, sowohl die Affekte zu beherrschen wie auch zur seligen Schau zu gelangen – auch wenn nur »zeitweise und langsam« (paq± l´qor ja· wqºm\).41 Eindrucksvoll beschreibt er den Auf- und Abstieg der menschlichen Seele whrend des hiesigen Aufenthalts: Immer wieder, wenn ich aus dem Leib aufwache in mich selbst, lasse das andere hinter mir und trete ein in mein Selbst; sehe eine wunderbar gewaltige Schçnheit und vertraue in solchem Augenblick ganz eigentlich zum hçheren Bereich zu gehçren; verwirkliche hçchstes Leben, bin in eins mit dem Gçttlichen und auf seinem Fundament gegrndet […], wenn ich da aus dem Geist herniedersteige in das berlegen – immer wieder muss ich mich dann fragen: Wie ist dies mein jetziges Herabsteigen denn mçglich? Und wie ist einst meine Seele in den Leib geraten, die Seele, die trotz dieses Aufenthaltes im Leibe mir ihr hohes Wesen eben noch, da sie fr sich war, gezeigt hat?42

Hier spricht Plotin von einem Aufwachen der Seele in sich selbst, welches mit dem Aufstieg vom berlegen zum Geist gleichzusetzen ist. Bei diesem geis38 IV 8 [6] 2, 26 f. Vgl. II 9 [33] 7, 9 f. Plotin behauptet, dass auch die individuellen Seelen, befreit von den einzelnen Kçrpern, mit der universalen Seele bzw. der Weltseele gemeinsam das All zu lenken (sumdioije?m) vermçgen. Vgl. IV 8 [6] 4, 5 – 10; 2, 20 – 25. In dieser Schrift bleibt der Unterschied zwischen der universalen Seele und der Weltseele unklar. Dazu siehe Blumenthal, Soul; ders., Demarcation, S. 206 f. 39 IV 8 [6] 8, 20 – 22. 40 IV 3 [27] 17, 22 – 26. 41 IV 8 [6] 7, 24 – 25. 42 IV 8 [6] 1, 1 – 11. Ich bernehme Harders bersetzung, wobei ich ein Komma zwischen »wieder« und »wenn« setze. Zum Argument fr diese Interpunktion siehe O’Meara, A propos, S. 242 ff.

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5. Der Abstieg der Seele: Die Sorge um andere

tigen Erwachen wird der Kçrper als etwas ihr ußerliches erfahren. Rtselhaft fr Plotin ist allerdings weniger dieser innere Aufstieg zum Geist als vielmehr der Abstieg in das berlegen, in den Kçrper. Den Schlssel zur Lçsung scheint er im »Gesetz der Natur« gefunden zu haben: Nach dem Gesetz der Natur sorgt die Seele nicht nur fr sich selbst, sondern auch fr den Kçrper. Zwecks dieser natrlichen Sorge steigen wir aus der Ruhe der geistigen Aktivitt wieder in das geschftige berlegen ab. Das liegt wohl daran, dass wir fr unseren Kçrper durch das berlegen (1j kocisloO) sorgen.43 Aufgrund des bisher Gesagten ist festzustellen, dass Plotin von der Leibesfeindlichkeit weit entfernt ist.44 Seine Pointe liegt vielmehr darin, dass man nicht am Kçrper hngen soll. So betont er, dass wir nicht dieser Kçrper sind, obwohl er uns gehçrt, »weshalb uns auch seine Lust und Schmerz betrifft, und zwar um so mehr, je kraftloser wir sind, je weniger wir uns abtrennen, je mehr wir nur noch im Leibe das Wertvollste und den ›Menschen‹ erblicken und gleichsam in den Kçrper hinabtauchen«.45 Hier bezeichnet das Pronomen »wir«, wie schon dargelegt, das Selbst des Menschen, nmlich unsere individuelle Seele. Die Trennung vom Kçrper heißt fr unsere Seele freilich nicht die absolute Vernachlssigung des Kçrpers. Denn die Sorge um den Kçrper gehçrt zur providentiellen Natur der Seele. Und die Kunst der Vorsehung liegt eben darin, jedem das Gebhrende zu geben, damit alles zu seinem Recht kommt, wie wir noch sehen werden. Von daher ist es einleuchtend, dass der Tugendmensch bei Plotin kein extremer Asket ist: Denn er gibt seinem Leibe, soviel das Bedrfnis verlangt und er zu geben vermag (dido»r l³m to¼t\ fsa pq¹r tμm wqe¸am ja· d¼matai), er selber aber ist ein anderer […]. So werden seine Handlungen nur zum Teil auf das Glck abzielen, zum andern Teil geschehen sie nicht um des letzten Zieles willen, berhaupt nicht um seinetwillen, sondern wegen des anderen, das mit ihm verkoppelt ist, fr das er sorgt und das er ertrgt, solange es angeht, so wie der Musiker sein Instrument versorgt, solange es angeht, darauf zu spielen; geht das aber nicht mehr, so vertauscht er es mit einem anderen Instrument, oder er gibt berhaupt das Leierspielen auf und unterlsst die Bettigung auf der Leier, da er jetzt ein anderes Geschft ohne Leier treibt, er lsst sie unbeachtet neben sich liegen, denn er singt jetzt ohne Instrument. Und doch wurde ihm nicht umsonst (oq l²tgm) zunchst dies Instrument verliehen, er hat doch oft auf ihm gespielt.46

Zu beachten ist, dass der Tugendmensch dem Bedrfnis des Kçrpers nachzukommen sucht. Es ist aber noch zu przisieren: Wie weit? Offenbar bleibt der plotinische Spoudaios bei einem sehr bescheidenen Lebensbedarf. Gewiss 43 IV 8 [6] 8, 15 – 16. 44 Bods verwirft jedoch Plotin »la condamnation plotinienne du corps comme tranger l’homme« (S. 260) und »la mortification du composant sensible« (S. 259). 45 IV 4 [28] 18, 15 – 19. 46 I 4 [46] 16, 17 – 29. Harder setzt den Leib mit dem »irdischen Ich« gleich, was irrefhrend ist.

5.3 Die natrliche Sorge

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sucht er vermçge des berlegens das Notwendige (!macja?a), dessen Abwesenheit die Schmerzen bereitet. Zu diesem Notwendigen zhlt Plotin z. B. die Gesundheit.47 Doch ist er der Ansicht, dass die Gesundheit der Krankheit gegenber nicht unbedingt vorzuziehen ist: Was die Gesundheit des Kçrpers betrifft, so wird er sie bewahren, doch wnschen, nicht gnzlich ohne Erfahrung der Krankheit zu bleiben; so wird er gewiss auch ohne Erfahrung von Schmerzen bleiben wollen, sondern auch wenn sie sich nicht einstellen, wird er sie, wenn er jung ist, kennenlernen wollen.48

Hier stimmt Plotin mit den Stoikern darin berein, dass der Weise unter Umstnden eher Krankheit als Gesundheit whlen wird. Man darf ja nicht vergessen, dass der plotinische Weise um der Selbstsorge willen durch Sorglosigkeit die kçrperlichen Vorzge mindern lsst.49 Wo verluft dann die Grenze fr diese sorglose Sorge um den Kçrper und seine Bedrfnisse? Aufschluss darber gibt Plotins Antwort auf die Frage, wie weit die »Trennung« vom Kçrper mçglich ist. Wichtig ist, dass Plotin die »natrlichen« Bedrfnisse des Kçrpers in Rechnung stellt, die von den zgellosen Begierden abzugrenzen sind: »Zgellose Begierde nach Speise und Trank wird sie [sc. die Seele] selbst nicht haben, auch nicht nach Liebesgenuss, oder doch, will ich meinen, nach dem natrlichen [sc. Liebesgenuss] (eQ dû%qa, vusij_m, oWlai).«50 In Zusammenhang damit wirft Plotin die Frage auf, wie weit die »Reinigung« der Seele von den Affekten reichen soll. Dabei nimmt er an, dass es notwendige Affekte gibt: Die notwendige Lust (t±r !macja¸ar t_m Bdom_m) muss sie [sc. die Seele] wie bloße Wahrnehmungen auf sich wirken lassen und als Arznei und Abhilfe gegen Beschwerden, nur um deren Belstigung abzuwenden; die Schmerzen muss sie ausstreichen, oder ist das nicht mçglich, gelassen (pq²yr) tragen und dadurch mindern, dass sie nicht mit sich mit leidet; den Zorn muss sie mçglichst ausmerzen, wenn es angeht ganz, sonst darf sie wenigstens nicht selbst mit zornig sein, sondern das Unwillkrliche (t¹ !pqoa¸qetom) darf nur dem Kçrper angehçren, es muss aber wenig und schwach bleiben.51

Plotins Ausfhrungen erinnern an Epikurs Unterscheidung zwischen den natrlichen (vusija¸) und notwendigen (!macja?ai) Begierden und den nur 47 I 4 [46] 6, 14 – 30. An dieser Stelle unterscheidet Plotin zwischen dem Gut (!cah²) und dem Notwendigen (!macja?a). Das Gut wird an sich erstrebt, weil es reizend (1pacycºm) ist, whrend das Notwendige fr sich genommen keinen Reiz hat, doch deswegen gesucht wird, weil dessen Abwesenheit zur Anwesenheit der Schmerzen fhrt. 48 I 4 [46] 14, 21 – 23. 49 I 4 [46] 14, 17 – 20. Vgl. SVF III 191. 50 I 2 [19] 5, 17 – 19. 51 I 2 [19] 5, 7 – 14.

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5. Der Abstieg der Seele: Die Sorge um andere

natrlichen Begierden.52 Als natrlich und notwendig gelten dabei diejenigen Begierden, die eine Entlastung von Schmerzen bringen wie z. B. das Trinken bei Durst. Natrlich und nicht notwendig sind diejenigen, die lediglich Abwechslung in die Lust bringen, aber keinen Schmerz wegnehmen, z. B. luxuriçses Essen, Liebesgenuss.53 Nach Epikur sollten wir die notwendigen Begierden erfllen, ebenso die natrlichen, nur wenn sie nicht schaden.54 In diesem Punkt wird Plotin Epikur zustimmen. Der plotinische Tugendmensch kann nmlich nicht um der natrlichen Begierde willen jemandem schaden, allerdings nicht aufgrund eines epikureischen Lustkalkls, sondern seiner Tugend zuliebe. Gleichwohl scheint er ein »natrliches« Maß anzunehmen, um die Befriedigung der kçrperlichen Bedrfnisse zu regulieren. Plotin macht nmlich den Unterschied zwischen der naturgemßen (jat± v¼sim) und der naturwidrigen (paq± v¼sim) Begierde.55 Was unsere providentielle Sorge um den Kçrper bedingt, ist es aus dieser Sicht nichts anderes als die Notwendigkeit der Natur, die jedoch der Forderung der Tugend zu unterstellen gilt.

52 53 54 55

Epicur. Men. 127. Epicur. RS 29. Epicur. Sent. Vat. 17. 21. IV 4 [28] 21, 13 – 14.

6. Das gerechte Leben 6.1 Das Recht der Natur Plotins Konzept des Gesetzes der Natur erçffnet, wie gezeigt, eine Perspektive der Ethik, welche durch das Wohlwollen beim Mitteilen des Guten gekennzeichnet ist. Es impliziert aber auch eine andere signifikante Perspektive, nmlich die des Rechts bei der Verteilung des Guten. Das Gesetz der Natur gewhrleistet nicht nur eine wohlwollende, sondern auch eine gerechte Ordnung der Gesamtnatur. Der Abstieg der Seele in den Kçrper offenbart entsprechend nicht nur das Wohlwollen, sondern auch das Recht der Natur.1 Im Folgenden soll auf diesen Aspekt des Rechts eingegangen werden. Im Rahmen der entmythologierenden Lektre des Timaios in Enn. IV 3 [27] ersetzt Plotin Gott, der die Seele in den Kçrper herabschicken soll, durch ein »Gesetz«, gemß dem die Seele notwendig absteigt. Dabei vergleicht er den Abstieg der Seele mit einem Naturvorgang, wie z. B. Bartwuchs. Die gçttliche Mission der Seele erweist sich als eine natrliche Notwendigkeit, welche die regelmßige und rationale Ordnung der Natur reprsentiert. Nun stellt er diese Ordnung der Natur als eine Rechtsordnung dar. Er behauptet nmlich, dass das in der Natur herrschende Recht (B d¸jg ovtyr 1m v¼sei) die Inkarnation der Seele regle. Diesbezglich spricht er von einem unentrinnbaren »gçttlichen Gesetz« (he?or mºlor), das die Inkarnation der Seele gemß dem im Sein herrschenden Recht (paq± t/r 1m to?r owsi d¸jgr) anordnen soll.2 Bereits in Enn. IV 8 [6] fhrt Plotin unter dem Gesichtspunkt der Belohnung und Bestrafung fr Gerechte bzw. Ungerechte eine »gçttliche Satzung« (hesl` he¸\) ein, wonach den verschiedenen Seelen je nach Wrdigkeit bzw. Verdienst (jatû !n¸am) der gebhrende Kçrper zugewiesen wird.3 Dabei scheint er auf die in Platons Phaidros 248c 2 erwhnte »Satzung von Adrasteia« (heslºr )dqaste_ar) zurckzugreifen, die eben den Modus der Inkarnation der Seele festlegt. Es ist gerade in diesem Zusammenhang nicht uninteressant, dass Adrasteia – wçrtlich »Unentrinnbarkeit« – ein Epitheton von Nemesis ist, also von genau der Gçttin, in deren Zustndigkeit die distributive Gerechtigkeit fllt.4 1 Zum frhgriechischen Rechtsbegriff vgl. Hirzel, Seubert, S. 62 – 79; Balot, S. 16 – 47. Zur Debatte um die sophistische Antithese zwischen Physis und Nomos vgl. Heinimann; Horst (zu Hippias); Striker, S. 210 ff. Zur platonischen Lehre des Naturrechts vgl. Neschke-Hentschke, Droit naturel, II, bes. 1 ff. Zu Ciceros Konzeption des Naturrechts vgl. Sprute. 2 IV 3 [27] 13, 1 f.; 24, 6 – 11. 3 IV 8 [6] 5, 18 – 24. 4 Lavaud, S. 264, Anm. 79.

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6. Das gerechte Leben

Signifikant ist, dass Plotin diese »gçttliche Satzung« ber die Seelenwanderung in »das Gesetz der Natur« einbettet. Diesbezglich verdient es Beachtung, dass er die Gerechtigkeit von der Gçttin in die Welt, also in die Natur der Dinge selbst verlegt. Dabei gehçrt die Gerechtigkeit, die in der Verteilung des Guten gemß Wrdigkeit bzw. Verdienst besteht, zur ganzen Weltordnung, welche die Regel der Seelenwanderung mit einschließt. So erklrt er schließlich in Enn. III 2 [47], dass die Weltordnung selbst »wirkliche Adrasteia und wahrhaftes Recht und wunderbare Weisheit ()dq²steia emtyr ja· emtyr D¸jg ja· sov¸a haulast¶)« ist (13, 16 – 17). Dieses Bekenntnis zum Glauben an eine gerechte Ordnung der Welt bildet gerade den Kern seiner Vorsehungslehre, insbesondere seiner Theorie der Theodizee. Denn die gçttliche Vorsehung ist es, die nach Plotin Ansicht die Rechtsordnung der Welt gewhrleistet. Anstelle einer ausfhrlichen Darlegung der plotinischen Vorsehungslehre soll hier nur deren Grundzge skizziert werden:5 Plotin fhrt die gçttliche Vorsehung als Ordnungsprinzip ein, um die Wohlgeordnetheit der Welt zu erklren, die seiner Ansicht nach nicht bloß durch »Ungefhr oder Zufall« (aqtol²t\ ja· t¼w,) entstehen kann.6 In seiner Lehre von der Vorsehung in Enn. III 2 – 3 [47 – 48] geht es um diese gçttliche Vorsehung der Welt, nicht um die Vorsehung im Sinne eines Vorausdenkens bezglich der einzelnen Dinge.7 »Vorsehung« (pqomo_a) bezieht sich in diesem Kontext spezifisch auf eine Aktivitt der Vernunft der Welt, eine Aktivitt, die zwar auf das Diesseits gerichtet, doch von einem transzendenten Geist inspiriert ist. Dieser Geist verharrt zwar in seiner jenseitigen Welt, wirkt jedoch durch die Weltseele bzw. ihre Vernunft in diese Welt hinein.8 Die Vorsehung besteht in dieser Herabwirkung jener hçheren Welt auf diese niedere Welt.9 Die Gesamtordnung dieser sinnlichen Welt ist folglich auf jene geistige Welt zurckzufhren. Im Hinblick auf die Rechtsordnung der Welt ist von besonderem Interesse, dass die Vorsehung mit einem mathematischen Prinzip zu operieren scheint: 5 Vgl. Dragona-Monachou, S. 4476 – 4486; Dçrrie, Pronoia; Theiler, Forschungen, S. 46 – 103, 137 ff. 6 III 2 [47] 1, 1 – 3. Plotin leugnet nicht die Existenz von Zufall und Automaton im Bereich des Werdens. Seine Pointe liegt darin, dass diese keine Ordnungsprinzipien sind. Vgl. Arist. Metaph. A 3, 984b 14 – 5. 7 III 2 [47] 1, 10 – 15: »Vorsehung also, dabei mçge beiseite bleiben diejenige ›Vorsehung‹, die sich auf ein einzelnes Ding bezieht und eine vorgngige Erwgung darstellt, auf welche Weise die Bettigung sich vollziehen soll oder auch (bei Dingen, die nicht ausgefhrt werden sollen) nicht vollziehen soll, oder wie wir etwas bekommen oder nicht bekommen; wir haben es hier lediglich zu tun mit dem, was wir Vorsehung des Alls nennen, sie setzen wir voraus und wollen entwickeln, was aus ihr folgt.« 8 Nach der Theorie von zwei Arten von Aktivitten stellt die Vorsehung einerseits die innere Aktivitt der Weltvernunft, andererseits die ußere Aktivitt des transzendenten Geistes dar. Zur Weltvernunft bei Plotin vgl. Frchtel, Weltentwurf, S. 64 ff. Zur Entmaterialisierung des stoischen Logos vgl. Witt, S. 103 ff. 9 III 3 [48] 4, 8 – 9.

6.1 Das Recht der Natur

109

Indem nun also die Vorsehung vom Beginn bis zum Ende hinab schreitet, ist sie nicht mit gleichem Maß gleichsam nach der Zahl, sondern nach der Proportion (oqj Usg oXom jatû !qihlºm, !kk± jatû !makoc¸am), je verschieden nach dem verschiedenen Ort. So wie bei einem einzelnen Lebewesen, welches bis in das letzte Glied seinen eigenen Teil erhlt: das bessere erhlt den besseren Teil jener Wirkungskraft.10

Die Vorsehung teilt jedem das ihm Entsprechende zu. Bei dieser »providentiellen« Verteilung kommt diejenige Gerechtigkeit zum Ausdruck, die nicht in der arithmetischen Gleichheit, sondern in der proportionalen bzw. geometrischen Gleichheit besteht. Dabei handelt es sich um die distributive Gerechtigkeit. Diese gehçrt, um mit Aristoteles zu sprechen, zur »politischen Gerechtigkeit«, da sie nicht die Eigenschaft einer einzelnen Person betrifft, sondern die Struktur eines politischen Systems.11 Nun geht es in Plotins Vorsehungslehre um die Kosmopolis. Die kosmopolitische Ordnung wird nach Plotin »durch Analogie«, d. h. durch die proportionale Gleichheit, getragen.12 In dieser Perspektive der kosmischen Gerechtigkeit scheint Plotin sich der alten pythagoreischen Lehre anzuschließen, die Sokrates in Platons Gorgias aufgreift, und zwar in seiner Kritik an Kallikles, der sich zur Rechtfertigung des Rechts des Strkeren auf »das Gesetz der Natur« (483e 3) beruft: Nun sagen aber die Weisen, Kallikles, dass die Gemeinschaft und die Freundschaft Himmel und Erde, Gçtter und Menschen zusammenhalten und der Sinn fr Ordnung (josliºtgta) und die Besonnenheit und der Gerechtigkeitssinn (dijaiºtgta). Und dieses Ganze (t¹ fkom) nennen sie deshalb Kosmos, mein Freund, nicht Ordnungslosigkeit und nicht Zgellosigkeit. Du scheinst mir auf sie nicht zu achten, obwohl du doch weise bist, sondern es ist dir entgangen, dass die geometrische Gleichheit (B Qsºtgr B ceyletqijμ) sowohl unter Gçttern wie auch unter Menschen große Macht hat. Du dagegen glaubst, man msse darauf ausgehen, mehr zu haben. Du kmmerst dich ja nicht um Geometrie.13

Hier stellt »die geometrische Gleichheit« sich auch als ein moralisches Prinzip heraus, das dem gerechten Verhalten des Individuums als soziales Wesen zugrunde liegt, und zwar im Gegensatz zur pleonexia. Der gerechte Mensch will nmlich nicht mehr haben als ihm zusteht. Von diesem Gerechtigkeitssinn des einzelnen Menschen wird die soziale Gerechtigkeit getragen. Damit wird die Verbindung zwischen der Gerechtigkeit des Ganzen und der des Teils hergestellt.14

10 III 3 [48] 5, 1 – 5. 11 Arist. EN V 6, 1131a 29-b 28: die distributive Gerechtigkeit (diamelgtij¹m d¸jaiom) als Gleichheit gemß der Analogie (Entsprechung). Zur Verteilungsgerechtigkeit als »politischer« Gerechtigkeit siehe Arist. EN V 10, 1134b 18 – 1135a 15. 12 III 3 [48] 6, 28: sum´wei t± p²mta !makoc¸a. 13 Plat. Gorg. 507e 6-a 8 (bers. Dalfen). 14 Vgl. Plat. Resp. II 367e-374d. Dazu vgl. B. Williams; Hçffe.

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6. Das gerechte Leben

Die kosmische Gerechtigkeit im Sinne der proportionalen Gleichheit15 wird schließlich im X. Buch der Gesetze mit der gçttlichen Vorsehung verknpft.16 Der Gott, der sich um das All kmmert, ordnet im Blick auf die Erhaltung und Tugend des Ganzen alles derart an, dass jeder Teil erleidet und bewirkt, was ihm zukommt.17 Dieser Auffassung liegt das meritokratische Konzept der Gerechtigkeit zugrunde, das auch in der pseudo-platonischen Schrift Definitionen 411e2 zu finden ist: Gerechtigkeit bestehe in der »Disposition, jedem nach Wrdigkeit zu verteilen« (6nir diamelgtijμ toO jatû !n¸am 2j²st\).18 Plotin hlt grundstzlich an dieser platonischen Linie fest. Interessant ist, dass er allen Menschen einen Gerechtigkeitssinn zuschreibt, insofern als alle nach Recht verlangen: »An der Gerechtigkeit in ihren gegenseitigen Beziehungen haben sie [die Menschen] alle Teil; sie glauben, selbst wenn sie jemandem Unrecht tun, ein Recht dazu zu haben, weil er es verdient hat (eWmai c±q !n_our).«19 Ferner glaubt Plotin, dass die gçttliche Vorsehung fr die gerechte Ordnung der Welt durch Verteilung des Guten nach Wrdigkeit bzw. Verdienst sorgt. Auffallend ist, dass er Platons mythische, vor allem anthropomorphe Darstellung der gçttlichen Vorsehung nicht beim Wort nimmt, sondern stets bemht ist, deren rationalen Gehalt herauszuarbeiten. Fr seine Rationalisierung bzw. Naturalisierung der gçttlichen Vorsehung ist von großer Bedeutung, dass die gçttliche Vorsehung sich nach Art eines Gesetzes vollzieht. Dadurch werden von der gçttlichen Vorsehung die individuelle Zuwendung und die willkrliche Intervention eines personalen Gottes in den menschlichen Angelegenheiten ausgeschlossen.20 An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass Plotin ein unentrinnbares Recht in der Natur annimmt, welches ber allen Wesen waltet. Demnach stellt das Recht einen wesentlichen Aspekt der universalen Ordnung der Natur dar. Wie wir schon gesehen haben, gewhrt das Gesetz der Natur zwar das Mitteilen des Guten an alle Wesen, doch diese haben nicht alle dieselbe Aufnahmefhigkeit.21 Folglich nimmt jedes Wesen am Guten teil, sofern es kann. Aus entgegengesetzter Richtung betrachtet heißt das, dass das Gute jedem Wesen je nach Vermçgen bzw. Verdienst zugeteilt wird. Bei dieser Zuteilung des Guten kommt die »gçttliche« Vorsehung ans Werk mit Blick auf das Recht der Natur. Auf diese Art und Weise ist die Vorsehung an das Gesetz der Natur geknpft. 15 Vgl. Plat. Leg. VI 757b 6: »die wahrhafteste und beste Gleichheit«. 16 Dazu vgl. D. Frede, Theodicy, bes. S. 88 – 95: Kap. 2. Plato on Divine Providence in Laws X (zum platonischen Hintergrund fr die stoische Vorsehungslehre). 17 Plat. Leg. X 903b 4 – 7. 18 Dazu vgl. Neschke-Henschke, Platonisme I, S. 28. 19 III 2 [47] 9, 26 – 28. 20 Auch Zeller, Entwicklung, S. 615: »Nur werden wir freilich bei der Vorsehung nicht, im Sinne der gewçhnlichen Vorstellung, an eine persçnliche und auf ’s einzelnen gerichtete Frsorge der Gottheit denken drfen«. 21 IV 8 [6] 6, 16 – 20. Dazu vgl. Song, Loi, S. 183.

6.2 Das Gesetz der Vorsehung

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6.2 Das Gesetz der Vorsehung Nach Plotin wirkt die gçttliche Vorsehung wie gute Gesetze in einer Stadt.22 Dabei nimmt die gçttliche Vernunft der Welt die Funktion der Gesetzgeberin und Exekutive wahr : Viel eher kçnnte man die Vernunft des Alls (b kºcor toO pamt¹r) parallel setzen mit der Vernunft, welche Ordnung und Gesetz eines Staates festlegt (jºslom pºkeyr ja· mºlom). Diese Vernunft enthlt von vornherein das Wissen davon, was die Brger tun werden und warum sie es tun werden, wobei sie in Rcksicht hierauf alles verordnet und durch die Gesetze all ihre Leidenschaften und all ihr Tun mit Ehrung oder chtung verflicht (sumuva¸momtor)23, sodass alles Geschehen im Staat wie von selbst (oXom aqtol²t,) auf Einklang (eQr sulvym¸am) hinausluft.24

Aufgrund dieser Darstellung ist zu konstatieren, dass »das Gesetz der Vorsehung«25 nicht bloß »die Automatik der diesseitigen Ablufe«26, sondern eine harmonische Koordination der Dinge abzeichnet. In der plotinischen Kosmopolis ist alles Geschehen aufeinander abgestimmt, sodass Einklang entsteht. Die Vorsehung funktioniert nicht mechanisch, sondern teleologisch. Zu betonen ist, dass es dabei um eine harmonische Ordnung geht, die moralisch ausgerichtet ist. Denn es ist die moralische Ordnung der kosmischen Stadt, welche durch die ausgleichende Verteilung von Ehrung und chtung aufrechterhalten wird. In dieser Hinsicht stellt das Gesetz der Vorsehung ein Moralgesetz auf kosmischer Ebene dar. 22 Vgl. III 2 [47] 17, 87. Bei Plotin so wie bei Platon und den Stoikern herrscht die gçttliche Vorsehung nicht beliebig. Sie improvisiert auch nicht, sondern funktioniert gemß den etablierten Regeln. Dazu vgl. D. Frede, Theodicy, S. 114. 23 Dieses Verb erinnert an Platons Darstellung vom Staatsmann als kçniglichem Weber im Politikos (305e-311c). Im Mythos dieses Dialogs ist auch von der gçttlichen Frsorge des Kronos die Rede (268d-274d). 24 IV 4 [28] 39, 11 – 17. Es handelt sich hier um die Vernunft, die es mit den »umfassenden rationalen Prinzipien (kºcour peqikgptijo»r)« des Alls zu tun hat, nicht mit den »samenhaften (speqlatijo¼r) rationalen Prinzipien« (Ebd. 5 – 8). Plotin scheint dabei zwischen zwei Aspekten der Vernunft der Welt zu unterscheiden, welche sich jeweils auf die praktische Funktion und auf die produktive Funktion beziehen. Die »praktische« Vernunft, die fr die Vorsehung zustndig ist, macht er dann von der »reinen Seele« abhngig, welche sich »gemß Geist« verhlt (jat± moOm diajeil´mgr) und sich im geistigen Kosmos befindet (III 2 [47] 16, 16 f.). Letztere stellt vermutlich die »theoretische« Vernunft der Seele dar. Also scheint Plotin meiner Ansicht nach insgesamt drei Phasen der Seele zu differenzieren, die drei Ttigkeiten in Theoria, Praxis und Poesis bei Aristoteles entsprechen. Dazu vgl. Witt, S. 109 f. bes. 101 Anm. 6. Pohlenz (Stoa, S. 392) stellt fest, dass die samenhaften Prinzipen (spermatikoi logoi) bei Plotin, anders als bei den Stoikern, nicht »die der Materie inhrenten Keimkrfte des Logos« sind, sondern »die rationalen Formen, die als bildende Krfte der Seele von außen im lebendigen Organismus auf die Materie wirken«. 25 Vgl. III 2 [47] 9, 6 – 7. 26 Dçrrie, Pronoia, S. 63.

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6. Das gerechte Leben

Im Hinblick auf die ausgleichende, harmonisierende Wirkung der Vorsehung vergleicht Plotin die Vorsehung mit der Heilskraft der Natur in einem Organismus: Indessen, wenn diese bçsen Taten, welche von Menschen ausgehen oder von irgendeinem beliebigen Wesen oder unbeseelten Ding, etwas Gutes im Gefolge haben, so werden sie wieder in die Vorsehung einverleibt, dergestalt, dass allerwrts die Tugend die Obmacht hat, indem das Gefehlte gendert und zurechtgerckt wird. So ist es bei einem einzelnen Leibe, dem nach der Vorsehung seines Organismus Gesundheit verliehen wurde: Wenn er nun einen Schnitt oder berhaupt eine Verletzung erhlt, so wird die verwaltende Vernunft diese Stelle im weiteren Verlaufe wiederum zusammenfgen und zusammenschließen und so das kranke Glied heilen und zurechtrcken (Q`to ja· dioqho?to t¹ pom/sam).27

Zu unterstreichen ist, dass die Gesundheit, auf welche die Vorsehung zielt, Tugend ist. Es geht also um die moralische Gesundheit des Alls. Entsprechend hat die Vorsehung die moralische Krankheit zu heilen. Hier weitet Plotin die Analogie zwischen der Gesundheit des Kçrpers und der Tugend (als Gesundheit der Seele) auf kosmische Ebene aus. Zieht man die damit verbundene Analogie zwischen Heilkunst und Staatskunst28 in Rechnung, so kommt man zu der Auffassung, dass es sich bei der gçttlichen Vorsehung um eine politische Kunst handelt, und zwar eine natrliche Staatskunst, welche die moralische Gesundung der politischen Gemeinschaft zum Ziel hat. Der Zweck der gçttlichen Politik besteht nun darin, dass die Tugend die Oberhand gewinnt.29 Sieht man von der Natrlichkeit der kosmischen Staatskunst ab, so kann man mit Plotin die Strafen der Vorsehung mit medizinischen Maßnahmen vergleichen: Die Strafen aber sind Maßnahmen gleicher Art, wie bei der Erkrankung des Leibes die Teile teils durch Arznei zusammengezogen werden, teils entfernt oder verndert, damit durch richtige Verteilung aller Bestandteile an die gehçrige Stelle der ganze Leib gesund sei; so wird im All die Gesundheit erreicht, indem ein Teil gendert wird, ein anderer von dieser Stelle, wo er krank ist, entfernt und dorthin gestellt wird, wo er nicht krank sein kann.30

Bezeichnenderweise rechtfertigt Plotin aufgrund dieser kosmischen Bußordnung die menschlichen Strafmaßnahmen: »Was die irdischen Strafen angeht, so lassen sich die, von welchen die Schlechten zu Recht betroffen werden, passend zurckfhren auf diese Ordnung, welche die Welt nach dem Gesollten 27 III 3 [48] 5, 24 – 32. 28 Zu Platons Vergleich der Gerechtigkeit als Teil der politischen Kunst mit der Heilkunst siehe Gorg. 464b 7 – 8. 29 Vgl. III 2 [48] 9, 23 – 24: 1pijqatest]qam !qetμm poioOm.Vgl. In den Nomoi 903b 4 – 5 nennt Platon als Ziel der Sorge (epimeleia) Gottes um das All »die Erhaltung und Tugend des Ganzen«. 30 IV 4 [28] 45, 46 – 51.

6.2 Das Gesetz der Vorsehung

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bzw. Gebhrenden (jat± t¹ d´om) lenkt.«31 Hier setzt er voraus, dass die Welt so geordnet ist, wie es rechtens sein soll. Auf dieser Rechtsordnung der Welt begrndet er das hiesige Rechtswesen. Von daher ist ersichtlich, dass er gegen den gnostischen Antinomismus die Existenz der juridischen Institution und der moralischen Sanktion verteidigt: »Also, wie kann es richtig sein, einen Staat zu kritisieren, der jedem gibt, was er verdient, wo Tugend geachtet wird, Schlechtigkeit die ihr zukommende Mißachtung erfhrt.«32 Indes ist es Plotin keineswegs an einem Legitimationsversuch aller bestehenden staatlichen Institutionen gelegen. Verteidigt wird nur ein Staat, sofern er gerecht ist. Dementsprechend ist die Verfassung eines Staates mit all seinen positiven Gesetzen an der universalen Gerechtigkeit auf ihre Rechtmßigkeit hin zu prfen. Wie gesagt, ist Plotin davon berzeugt, dass diejenigen, die »das Schçne« erkennen, im Verfolgen des Erkannten die Dinge hier unten »berichtigen« (jatoqhoOm).33 Diese berzeugung macht einen kritischen, reformwilligen Geist sichtbar, der sich nicht einfach mit der Systemkonformitt zufrieden gibt. Mit diesem Geist steht Plotin auch der politisch unttigen Gnosis entgegen.34 Nun sind wir in der Lage zu verstehen, aus welcher Perspektive die Vorsehung in die ethische Diskussion in Enn. II 9 [33] Kap. 15 einbezogen wird. Betrachten wir den einschlgigen Text: Epikur hat die Vorsehung aufgehoben und schreibt nun vor, das anzustreben, was als einziges brigbleibt, die Lust und das Empfinden derselben; die vorliegende [sc. gnostische] Lehre aber ist noch draufgngerischer, sie kritisiert den Herrn der Vorsehung und die Vorsehung selber, achtet alle hier gltigen Gesetze gering und zieht die Tugend, wie sie seit Beginn aller Zeiten offen zutage liegt, und die hiesige Besonnenheit ins Lcherliche (offenbar darum, weil hier keinesfalls das Vorhandensein von etwas Schçnem zu erkennen sein soll); so hebt sie also die Besonnenheit auf und ebenso die Gerechtigkeit, die den Charakteren angeboren ist und durch Lehre und bung vervollkommnet wird, und berhaupt alles, wodurch ein Mensch tugendhaft werden kann.35

Plotin deutet an, dass die Leugnung oder die Missachtung der Vorsehung die moralische Norm dieser Welt aufhebt. Die dabei unterstellte Verbindung zwischen der Vorsehung und den hiesigen Sittengesetzen lsst sich eben dadurch erklren, dass die Vorsehung die normative Ordnung der Welt garantiert, auf welche die Moral der menschlichen Gemeinschaft zurckzufhren 31 32 33 34

IV 3 [27] 16, 1 – 3. II 9 [33] 9, 18 – 20. II 9 [33] 15, 22 – 24. Vgl. Rudolph, Religionswissenschaft, S. 28: »Radikale Weltberwindung ist der revolutionre Protest der Gnosis gegenber den beln der Welt: keine Vernderungen mehr, sondern Absage und Rckkehr ins kçnigliche Reiche der Ruhe.« 35 II 9 [33] 15, 8 – 17.

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6. Das gerechte Leben

ist. Das menschliche Sittengesetz begrndet sich also im gçttlichen Gesetz der Vorsehung. Das Gesetz der Vorsehung wirkt indes nicht nur mittels des menschlichen Gesetzes, sondern auch unmittelbar auf die Menschen: Was aber das Unrecht angeht, das die Menschen einander zufgen, so liegt die Ursache dazu vielleicht eigentlich im Trachten nach dem Guten, und wenn es ihnen an Kraft mangelt, zum Guten zu gelangen, so irren sie ab und kehren sich gegen andere Menschen. Es erhlt aber solches Unrecht seine Strafe: einmal wirkt die Bettigung des Bçsen schdigend auf die Seelen, so dann werden sie aber auch auf eine niedere Stufe versetzt; denn nimmermehr vermag ein Wesen dem zu entfliehen, was in dem Gesetz des Alls verordnet ist.36

Mit diesem unerbittlichen Gesetz des Alls greift Plotin auf die traditionelle Vorstellung von der gçttlichen Vergeltung zurck, die darauf hinausluft, dass sich das Unrecht letztlich nicht lohnt. Jeder muss schließlich seine Schuld bezahlen: Oder wre es nicht vollberechtigt, wenn der Gesetzgeber selber geschehen ließe, dass sie solches erdulden zur Strafe fr ihr trges und ppiges Leben: Die Ringpltze sind ihnen zugewiesen, sie aber in ihrer Trgheit, Weichlichkeit und Lssigkeit lassen sich selber ganz ruhig zu feisten Schflein werden, den Wçlfen zur Beute! Die anderen dagegen, die jenes verbten, haben als erste Strafe, dass sie Wçlfe sind, unglckliche Menschen. Sodann ist ihnen aber auch noch festgesetzt die Shne, die solchen Wesen gebhrt; denn es ist nicht hienieden zu Ende, indem sie nun eben als Bçsewichter sterben, sondern die frheren Handlungen haben jeweils das im Gefolge, was ihnen nach Vernunft und Natur (jat± kºcom ja· v¼sim) entspricht, die schlechten Schlechtes und die guten Gutes.37

Aus diesem Text geht deutlich hervor, dass der Gesetzgeber des Alls die Bestrafung und Belohnung nach dem Prinzip der Analogie (d. h. Proportionalitt) anordnet. Beachtenswert ist, dass diese »proportionale« Rechtsordnung fr Plotin nicht nur eine natrliche Ordnung, sondern auch eine »vernnftige« Ordnung ist. Dazu ist zu bercksichtigen, dass der Gesetzgeber des Alls eine Vernuft ist, und zwar eine gçttliche, d. h. vollkommene. Diese vollkommene Vernunft gebietet, was zu tun ist, und verbietet das Gegenteil. Wir haben es hier mit einem normativen Begriff der Vernunft zu tun. Die Proportionalitt stellt dabei einen fundamentalen Aspekt der Vernunft dar, die sich nicht bloß auf eine instrumentelle Rationalitt reduzieren lsst. Plotin erhebt die proportionale Rationalitt sogar zum tragenden Prinzip des Universums: »Alle Dinge werden zusammengehalten durch Analogie« (sum´wei t± p²mta !makoc¸a).38 Nach diesem Prinzip verhlt das Schlechte sich zum Schlechten wie das 36 III 2 [47] 4, 20 – 26. 37 III 2 [47] 8, 21 – 31. 38 III 3 [48] 6, 28.

6.2 Das Gesetz der Vorsehung

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Gute zum Guten. So steht Tugend zu Gerechtigkeit, wie auch Laster zu Ungerechtigkeit.39 Im Hinblick auf die Vergeltung der Vorsehung kçnnte man hier von einer »moralischen Verpflichtung« sprechen. Das Gesetz der Vorsehung verpflichtet uns nmlich zur moralischen Handlung. Letztere ist insofern obligatorisch, als ihr Gegenteil sanktioniert wird. Gleichwohl geht es dabei nicht bloß um einen blinden Rechtsgehorsam gegenber dem von außen auferlegten Gesetz. Denn der Gehorsam gegenber dem Gesetz der Vorsehung besteht nach Plotin gerade darin, dass man gemß der Vernunft handelt, wobei man seiner eigenen Vernunft als Lenkerin40 folgt, dies allerdings in bereinstimmung mit der Vernunft des Alls: Die Handlungen des Unbesonnenen werden vollbracht weder von der Vorsehung (rp¹ pqomo¸ar) noch nach der Vorsehung (jat± pqºmoiam); was aber der Besonnene tut, wird vollbracht nicht von der Vorsehung – da es von ihm getan wird –, wohl aber nach der Vorsehung. Denn es steht im Einklang mit der Vernunft (s}lvymom c±q t` kºc\).41

Die bereinstimmung zwischen der gçttlichen Vernunft und der menschlichen Vernunft kommt dann zustande, wenn die Vernunft des Menschen richtig funktioniert. Um die »richtige Vernunft« zu erlangen, muss der Mensch aber selbst aktiv werden. Er muss nmlich selbst berlegen, ohne sich dabei von ußeren Einflssen irrefhren zu lassen. Insofern ist sein Handeln, wenn er es gemß der richtigen Vernunft vollzieht, nicht fremdbestimmt, sondern selbstbestimmt. In diesem Zusammenhang sagt Plotin, dass unsere besten Handlungen »von uns selbst« (paM Bl_m) kommmen.42 Dabei setzt er voraus, dass die Vernunft das Selbst des Menschen darstellt. Daraus folgt, dass das, was der Mensch gemß dem Gesetz der Vorsehung tut, selbstbestimmt ist, d. h. bestimmt vom Selbst des Menschen: Wenn sie [sc. die Vorsehung] zum Beispiel zu einem Menschen kam, so hielt (tgqoOsa) sie bei ihm den wahren Menschen (t¹m %mhqypom emta) fest – das heißt den, der lebt nach dem Gesetz der Vorsehung (toOto d´ 1sti mºl\ pqomo¸ar f_mta), und das bedeutet: den, der dasjenige ausfhrt, was ihr Gesetz gebietet. Es verheißt aber dies Gesetz, dass denjenigen, die sich als gut erwiesen haben, ein gutes Leben zuteil wird und auch insknftig sie erwartet, den Bçsen aber das Gegenteil.43

Die Verheißung der gçttlichen Vorsehung besagt nichts anderes als, dass jeder fr sein Leben – ein gutes oder ein schlechtes – verantwortlich ist. Sie ist 39 III 3 [48] 6, 32. 40 Zum Vergleich der Vernunft mit dem Wagenlenker (Bm¸owor) in Platons Phaidros 246 ff. vgl. II 3 [52] 13, 16 – 18. 41 III 3 [48] 5, 46 – 49. 42 III 1 [3] 10, 10. Chappuis (S. 132 f) beobachtet in diesem Kapitel »une impressionnante surabondance de verbes d’action (pq²tteim, poe?m)«. 43 III 2 [47] 9, 5 – 10.

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6. Das gerechte Leben

eigentlich eine Ermahnung zu einer gerechten und tugendhaften Lebensfhrung. Entsprechend vertritt Plotin die Position, dass jeder sein Glck verdienen muss: »Man darf gar nicht fordern, dass denen glckliches Sein beschieden sei, die nicht getan haben, was sie dem Glck wrdig macht. Glcklich sind allein die Guten.«44 Demnach ist die Rettung eines bçsen Menschen durch andere weder wrdig noch gerecht: »Wer aber bçse ist, und dann verlangt, dass andere ihn retten, obgleich er sich selbst im Stich lsst, der betet, wie man es nicht darf; darum darf er auch nicht verlangen, dass die Gçtter ihr eigenes Leben aufgeben, ihn im Einzelnen zu lenken.«45 Die Pointe der plotinischen Lehre von der Vorsehung liegt darin, dass jeder Mensch im Grunde sich selbst retten muss. Die gute Nachricht ist dabei, dass der Rahmen dafr schon geschaffen ist. Denn die providentielle Weltordnung garantiert die Mçglichkeit der Selbstrettung des Menschen. Die Rettung besteht allerdings darin, dass der Mensch nach dem Gesetz der Vorsehung lebt. Wichtig ist, dass er von sich aus tun muss, was die Vorsehung anordnet. Ebenso tut man von sich aus das, was man Gesundheitsfçrderndes tut, und zwar nach der Anweisung (logos), die der Arzt aufgrund seiner Kunst vorschreibt. Was man aber Gesundheitswidriges tut, das tut man von sich selber aus, und man handelt damit gegen »die Vorsehung des Arztes«.46 Gerade in diesem Gehorsam gegenber der Vorsehung erblickt Plotin die Frçmmigkeit. So bezeichnet er das, was gemß der Anweisung der Vorsehung getan wird, als »den Gçttern lieb« (heo?r v¸ka)47 Die plotinische Frçmmigkeit ist jedoch von dem quietischen Ideal weit entfernt: Ja, und da darf man nicht etwa erwarten, dass Gott fr die Unkriegerischen persçnlich in den Kampf eingreife. Gerettet werden im Kampfe, und so gebietet es das Gesetz, die tapfer Streitenden und nicht die Betenden. Denn auch die Scheune bekommt voll, nicht wer betet, sondern wer das Land beackert, und gesund bleibt man auch nicht, wenn man sich nicht darum kmmert. Auch darf man nicht hadern (oqdû !camajte?m), wenn die Schlechten mehr ernten, sei es wenn sie berhaupt den Boden bestellen oder es besser tun als die anderen. Ferner, wenn die Menschen alle brigen Dinge im Leben nach ihrem eigenen Belieben behandeln, auch wenn dies Handeln nicht so verluft, wie es den Gçttern lieb ist, so ist es kindisch, gerade dies eine von den Gçttern zu verlangen, dass sie ihnen das Leben retten, zumal sie noch nicht einmal das tun, was die Gçtter ihnen zur Rettung des Lebens gebieten. Und schließlich, der Tod ist fr sie selber besser als zu leben in einem Zustand, wie ihn die Gesetze des Alls nicht wollen. Wenn das Gegenteil stattfnde und Friede und Ruhe bei aller Unvernunft und Bosheit gewahrt bliebe, wrde die Vorsehung ihr Amt nachlssig ausben, indem sie wirklich das Schlechte berhand nehmen ließe. Die 44 III 2 [47] 4, 45 – 47. 45 III 2 [47] 9, 10 – 13. 46 III 3 [48] 5, 50 – 54. Zum Vergleich des Gottes der Vorsehung mit dem Arzt vgl. Plat. Leg. X 903c 5-d 1. 47 Vgl. III 3 [48] 5, 21 – 23.

6.2 Das Gesetz der Vorsehung

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Herrschaft der Schlechten beruht eben lediglich auf der Feigheit der Beherrschten; das ist auch nur gerecht, das Gegenteil nicht.48

Hier liegt das Gesetz der Vorsehung als ein strenges Gesetz vor, welches keine Nachlssigkeit vonseiten der Menschen erlaubt. Sonst wre die Vorsehung, so Plotin, selber nachlssig. In dieser Hinsicht ist die gçttliche Vorsehung bei Plotin eine fordernde Vorsehung. Sie erhebt hohen Anspruch an die Tugend. Die Welt stellt aus dieser Sicht eine harte Schule dar. Daraus ergibt sich fr Plotin eine rigorose Ethik. An dieser Stelle ist nicht mehr zu bersehen, dass Plotins Ethik eine politische Dimension aufweist, sofern sie sich auf andere Menschen und die menschliche Gesellschaft bezieht, wie besonders der letzte Abschnitt des Textes klarmacht. Im Hinblick auf die Herrschaft der Schlechten stellt Plotin fest, dass die Mehrzahl von Menschen sich deswegen von den Schlechten beherrschen lsst, weil sie selbst nicht gut genug sind und sich nicht gegen das Leiden vorbereitet haben.49 Diesbezglich ist noch darauf hinzuweisen, dass die guten Menschen nach Plotin nicht nur sich selbst, sondern auch ihr Umfeld verbessern kçnnen.50 Diese Seite von Plotins Ethik ist oft unterschtzt worden. Ziehen wir beispielsweise Theilers Kritik an Plotins Ethik in Betracht: Die Menschheit verlangte nach einem Vatergott, der nicht als schçne Metapher einen geistigen Kosmos krçnt; sie verlangte eine Ethik, die sich nicht im inneren Aufstieg erschçpfte – denn fr den Neuplatoniker fhrt der Weg selbst ber die Tugend hinaus, und die Tugenden sind als innerliche Verhaltungen, nicht als praktische Leistungskrfte wertvoll. Es ist die vçllige Verkehrung des sokratischen Ausgangspunktes. Fr Sokrates entzndete sich das Problem der praktischen Vernunft gerade an der Rettung des Lebens in der Gemeinschaft; Plotin aber sagt: Das Vaterland kann ja von einem Schlechten gerettet werden (I 5, 10, 15).51

Gegen Theilers Kritik ist Folgendes zu bemerken: (1) Ungeachtet der Frage, welche Ethik die Menschheit wirklich verlangt, ist festzuhalten, dass Plotins Ethik sich keineswegs im inneren Aufstieg erschçpft, fr welchen die praktische Leistung der Tugend nicht wertvoll wre. Fr seine Ethik ist der Abstieg der Seele in den Kçrper und in diese Welt von großer Bedeutung, wie wir gesehen haben. Denn durch den Abstieg kann die Seele ihre providentielle Aufgabe erfllen und zugleich ihre wohlwollende Natur verwirklichen. Die individuelle Seele soll sich dabei auf die Gerechtigkeit ausrichten. Dadurch kommt ihre individuelle Vorsehung mit der universalen Vorsehung in bereinstimmung.

48 49 50 51

III 2 [47] 8, 36 – 52. III 2 [47] 8, 13 – 16. III 1 [3] 8, 18 – 20. Theiler, Forschungen, S. 159.

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6. Das gerechte Leben

(2) Gewiss ist Plotins »Vatergott«52 von einem »menschlichen« Gott entfernt, der sich persçnlich den einzelnen Menschen zuwenden wrde. Das heißt aber noch lange nicht, dass es sich dabei bloß um eine »schçne Metapher« handelt. Zeus, der Gott der Vorsehung,53 kmmert sich in der Tat um die ganze Menschheit. Denn er trgt eine universale Sorge fr die Welt, ohne dabei etwas zu vernachlssigen.54 Fr Plotin ist es weder »fromm« noch »vernnftig« zu behaupten, dass die Vorsehung berhaupt irgendwohin nicht durchdringt. Von daher ist seine Kritik an dem Elitismus der Gnostiker verstndlich, die glauben, dass es eine Vorsehung nur fr sie allein gibt. (3) Was Plotins Aussage in Enn. I 5, 10, 15 betrifft, scheint es unwahrscheinlich zu sein, dass Sokrates im Gegensatz zu Plotin prinzipiell ausschließen wrde, dass das Vaterland von einem Schlechten gerettet werden kann, was die Geschichte der Menschheit nicht selten beobachtet. Mit der in Frage stehenden Aussage will Plotin darauf hinaus, dass nicht das ußere Handeln, sondern die innere Gesinnung bzw. Einsicht fr die moralische Qualitt entscheidend ist, was durchaus »sokratisch« gekennzeichnet werden kann. (4) Plotin verneint nirgends, dass die praktische Vernunft im Grunde auf die Rettung menschlichen Lebens in einer Gemeinschaft zielt. Seine Lehre von der gçttlichen Vorsehung zeigt meiner Ansicht nach nichts anderes als seine Modellvorstellung der praktischen Vernunft auf kosmischer Ebene. Freilich ist die Gemeinschaft, der er sich verpflichtet fhlt, nicht mehr eine kleine Polis wie Athen bei Sokrates. Plotin lebt im Rçmischen Reich, wo ein kosmopolitisches Lebensgefhl herrscht. Sicher gilt fr ihn als das eigentliche Vaterland der geistige Kosmos. Es ist jedoch nicht zu vergessen, dass der sinnliche Kosmos ein schçnes Abbild vom geistigen Kosmos ist. Im Verfolgen des Schçnen selbst kann man sich sogar an der Schçnheit des sinnlichen Kosmos orientieren, welche die gçttliche Vorsehung bewerkstelligt. Plotin bietet eine hbsche Rede unseres Kosmos, welcher sich selbst als Sprçßling eines Gottes darstellt. Sie ist ein »Hohelied«, das Plotins tiefe Liebe zur Schçnheit dieses Kosmos zeigt:

52 Vgl. I 6 [1] 8, 21. In Enn. II 9 [33] 16, 7 – 9 kritisiert Plotin die Weltverachtung der Gnostiker, indem er sich auf die konventionelle, wohl auch gnostische Vorstellung vom »Vatergott« sttzt: »Denn wer Liebe (t¹ vike?m) gegen etwas hegt, empfindet auch freundlich gegen das dem Geliebten Verwandte, so gegen die Kinder, derer Vater er liebt (!capø).« 53 In Enn. IV 4 [28] 9, 1 – 3 nennt Plotin den Gott der Vorsehung »Zeus«, wobei er diesem »die kçngliche Seele und den kçniglichen Geist« zuschreibt (vgl. Phileb. 30c-d). Allerdings kann »Zeus« bei Plotin sowohl die Seele bzw. Vernunft der Welt als auch den transzendenten Geist, den er mit dem Demiurgos identifiziert, bezeichnen. Vgl. 10, 1 – 4: »Von dem weltordnenden Prinzip sprechen wir in einem doppelten Sinne, meinen einmal den Weltschçpfer damit, einmal die Seele des Alls; wenn wir somit von Zeus sprechen, beziehen wir das einmal auf den Weltschçpfer und einmal auf das weltlenkende Prinzip (t¹ BcelomoOm toO pamtºr).« 54 Vgl. III 2 [47] 6, 18 – 22; II 9 [33] 16, 14 f. Vgl. Plat. Leg. X 902e 4 – 903e1.

6.3 Der Ort des Bçsen

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Mich hat hervorgebracht ein Gott, aus seinem Hinabwirken bin ich geworden, was ich bin, vollkommen, weil ich alle Geschçpfe umfasse, mir selber ausreichend, selbstgenug und keines Dinges bedrftig; denn alle Dinge sind in mir, Pflanzen, Tiere und alle erschaffenen Wesen und Gçtter in Menge, die Scharen der Dmonen, gute Seelen und Menschen, die durch Tugend glcklich sind. […] Alle die Wesen aber in mir trachten nach dem Guten, und erlangen es ein jedes nach seinem eigenen Vermçgen (jat± d¼malim). Denn in Abhngigkeit von Jenem ist der ganze Himmel und meine gesamte Seele und die Gçtter in meinen Teilen, aber auch alle Tiere und Pflanzen und was etwa Unbeseeltes in mir vorhanden zu sein scheint. Einige Wesen nun haben anscheinend nur am Sein teil, andere auch schon am Leben, andere, die in hçherem Grade am Leben teilhaben, verfgen ber Wahrnehmung, andere wieder auf der nchsten Stufe besitzen Vernunft, die letzten endlich haben das volle Leben (p÷sam fy¶m).55

6.3 Der Ort des Bçsen Trotz seines tiefen Vertrauens in die Wohlgeordnetheit des Alls sieht Plotin nicht darber hinweg, dass etwas im All nicht ganz so »recht« ist, »sodass einige sie berhaupt leugnen, andere behaupten, die Dinge seien von einem bçsen Demiurgen hervorgebracht«.56 Die Erfahrung des Bçsen stellt fr alle Optimisten wie Plotin eine ernstzunehmende Herausforderung dar, sofern sie das Problem des Bçsen nicht bloß als ein Scheinproblem abtun, indem sie behaupten, dass es eigentlich kein Bçses gibt. Nehmen sie die Prsenz des Bçsen an, sehen sie sich aber mit der Frage konfrontiert, wie diese Annahme mit ihrer Zuversicht auf die gçttliche Vorsehung zu vereinbaren ist.57 Anzumerken ist, dass das griechische Wort jajºr, das in der Plotinforschung gewçhnlich mit dem Wort »bçse« wiedergegeben wird, nicht nur das Bçse im moralischen Sinne bezeichnet, sondern eigentlich das Schlechte im umfassenden Sinne, welches das außermoralische bel einschließt. Ich folge diesem in der Forschung blichen Gebrauch. Im Folgenden ist daher vom Bçsen im umfassenden Sinne die Rede, also nicht auf den moralischen Sinn eingeschrnkt. Plotin leugnet keineswegs die Existenz des Bçsen. Er behauptet sogar deren Notwendigkeit. Dabei greift er auf Platons Theaitet 176b zurck: »Weiterhin haben wir noch zu erwgen, wie es gemeint ist, dass das Bçse nicht untergehen kçnne, sondern mit Notwendigkeit dasein msse, wohl bei den Gçttern nicht 55 III 2 [47] 3, 20 – 38. Pohlenz (Stoa S. 392 ff.) weist auf die stoischen Einfsse auf Plotins kosmologischen Optimismus. Allerdings ist zu bedenken, dass der stoische Optimismus wiederum von Platons Timaios Anregungungen empfangen hat. Zu Platons kosmologischem Optimismus siehe D. Frede, Weizcker, S. 17 ff. 56 III 2 [47] 1, 8 – 9. Laut II 9 [33] Kap. 15 handelt es sich je um die Epikureer und die Gnostiker. 57 Schubert; O’Brien, Thodice; Sharples; Capelle.

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6. Das gerechte Leben

da sei, ewig dagegen die sterbliche Natur und die hiesige Sttte umkreise.«58 Plotin interpretiert diese Theaitet-Stelle dahingehend, dass der Himmel rein vom Bçsen ist, da er bestndig nach der Regel wandelt und ordnungsgemß umluft, sodass es dort oben keine Ungerechtigkeit noch sonst eine Bosheit gibt, wohingegen auf Erden Ungerechtigkeit und Unordnung herrschen.59 Damit ist die rtlichkeit des Bçsen abgezeichnet. Plotin beschrnkt den Wirkungsbereich des Bçsen offenbar auf den sublunaren Bereich. Daraufhin stellt sich die Frage, ob nicht dadurch der Geltungsbereich der Vorsehung mit eingeschrnkt wird. Allerdings vertritt Plotin die Ansicht, dass die Vorsehung bis ins Irdische und Menschliche reicht. Die Vorsehung erstreckt sich ber alles im All. Gleichwohl wirkt sie nicht berall in gleicher Weise, sondern unterschiedlich je nach dem Empfnger der Wirkung. Nun verteidigt Plotin seinen universalen Optimismus, indem er einerseits darauf hinweist, dass die Erde nur einen winzigen Punkt im Vergleich zum immensen Universum darstellt.60 Andererseits stellt er klar, dass die Menschen keine Gçtter, sondern Mittelwesen zwischen den Gçttern und den Tieren sind, weshalb sie sich irren kçnnen. Die guten Menschen hneln den Gçttern, die bçsen hingegen den Tieren. So empfiehlt er, lieber die guten Menschen hochzuschtzen, anstatt mit den bçsen zu hadern. In seinen Augen leuchten die Tugendmenschen am menschlichen Ort, so wie die Sterne am gçttlichen, himmlischen Ort.61 Ferner meint er, dass Menschen, die Gottes Freunde sind, die Vorsehung nicht tadeln, sondern die notwendigen Beschwerden und bel »mild« (pq²yr) ertragen.62 Trotz dieses geduldigen Blicks auf den Kosmos bleibt die Frage noch zu klren: Sollte alles in diesem Kosmos nach dem Guten streben, woher kommt dann das Bçse? Was versteht Plotin eigentlich unter »Bçsem«? Was das Wesen des Bçsen und dessen Ursprung angeht, begngt er sich im Rahmen seiner Vorsehungslehre lediglich mit einer knappen Erluterung: Allgemein gesprochen aber hat man das Bçse als Ermangel am Guten (5kkeixim toO !cahoO) zu erblicken. Notwendig aber muss hienieden ein Ermangel des Guten eintreten, denn es weilt hier in einem Andern; und dies Andere, in dem das Gute weilt, verursacht, da es vom Guten verschieden ist, das Ermangeln; denn es ist eben nicht gut. Daher es auch heißt, dass »die bel nicht vergehen«, einmal weil im Vergleich zur Natur des Guten die einen Dinge geringer sind als die anderen; sodann weil die anderen Dinge vom Guten verschieden sind, obwohl sie die Ursache ihrer Existenz im Guten suchen, aber eine derartige Beschaffenheit haben wegen ihres weiten Abstandes.63 58 59 60 61 62 63

I 8 [51] 6, 1 – 4. Vgl. I 2 [19] 1, 1 – 2. I 8 [51] 6, 4 – 8. III 2 [47] 8, 6 – 8. III 2 [47] 14, 24 – 26. II 9 [33] 13, 5 – 6. III 2 [47] 5, 25 – 32.

6.3 Der Ort des Bçsen

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Die Notwendigkeit, dass das Bçse hienieden existiert, erklrt Plotin damit, dass das Gute hier in einem Andern weilt. Auf die entscheidende Frage, worauf sich dieses »Andere« bezieht, geht Plotin in seinen Vorsehungsschriften nicht mehr ein. Die Antwort, die er in Enn. I 8 [51] ber die Frage, woher das Bçse kommt gibt, lautet: die Materie. Zur Erluterung mçchte ich im Folgenden die Grundzge seiner Konzeption des Bçsen skizzieren, ohne dabei auf kontrovers diskutierte Einzelprobleme einzugehen.64 In Enn. I 8 [51] erklrt Plotin den Begriff des Bçsen als Mangel am Guten in dem Sinne, dass das Bçse bedrftig, ermangelnd, maßlos, unbegrenzt, unbestimmt ist, whrend das Gute unbedrftig, selbstgengend, keines Dinges ermangelnd, Maß und Grenze aller Dinge ist.65 Dabei geht es um das Bçse im umfassenden Sinne, welches auch das außermoralische bel wie z. B. Krankheit, Hsslichkeit und Armut mit einschließt: Nun, Krankheit bezieht sich auf Mangel oder berfluss in den materiellen Kçrpern, welche sich Ordnung und Maß nicht fgen; Hsslichkeit auf die Materie, die von der Form nicht bewltigt ist; Armut auf Mangel und Beraubung der Dinge, deren wir bedrfen, um der Materie willen, mit der wir verknpft sind und deren Natur Bedrftigkeit (wqgslos¼mgm) ist.66

Hier ist bereits angedeutet, dass das Bçse etwas mit der Materie zu tun hat. In der Tat identifiziert Plotin die Materie mit dem Bçsen selbst, auf welches er das einzelne Bçse zurckfhrt.67 Die Materie stelle die »Natur des Bçsen« dar, die der Natur des Guten entgegengesetzt sei. Sie sei an sich schlecht und habe somit aus sich selbst nichts Gutes. Sie sei nmlich »absolute Armut« (3, 16). Die Materie ist bei Plotin jedoch kein selbstndiges Prinzip der Welt, sondern selbst vom Prinzip, d. h. vom absolut Guten abgeleitet, und zwar als das Letzte in der Ableitungsreihe.68 Das absolut Bçse markiert etwa die Schwindstufe des Guten. Aus der umgekehrten Richtung betrachtet kommt es jedoch als das Erste. Es ist also das erste Bçse, auf dem alles weitere Bçse beruht. Was das Bçse beim Menschen betrifft, so ist zu bemerken, dass Plotin das menschliche Laster (jaj¸a) als Schwche (!sh´meia) der Seele betrachtet, die durch die Anflligkeit vom Bçsen und die Unfhigkeit (!dumal¸a) zum eigenen Geschft gekennzeichnet ist.69 Dabei ist er der Auffassung, dass die Seele 64 Zum berblick ber Plotins Konzeption des Bçsen siehe O’Meara, Trait 51, S. 21 – 41. Vgl. O’Brien, Evil; Sharples; Schfer, Unde. 65 I 8 [51] 3, 12 – 16, 30 – 32; 11, 1 – 4. 66 I 8 [51] 5, 21 – 26. 67 I 8 [51] 5, 8 f. Vgl. 3, 30 f. 68 I 8 [51] 1, 18 – 20. Angesichts des metaphysischen Monismus Plotins stellt sich eine grundstzliche Frage, ob das Gute Ursache des Bçsen ist. Zu Proklos’ Kritik an der plotinischen Begriffs des absoluten Bçsen siehe O’ Meara, Bçse, ders. Metaphysics of Evil. 69 I 8 [51] 14, 1 – 13. Die bçse Seele ist nmlich »leicht anfllig und leicht in Erschtterung zu versetzen, indem sie von jedem Bçsen sich zu jedem anderen hindrngt, leicht erregt zur

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unter dem Einfluss der Materie bçse wird, und zwar durch den Kçrper (8, 1 f.). Er besteht jedoch darauf, dass die Seele nicht von sich aus bçse ist und niemals ganz bçse werden kann (4, 5 – 6). Auch in den Vorsehungsschriften vertritt Plotin diese apologetische Position. Dennoch entlastet er die menschliche Seele nicht von ihrer moralischen Verantwortung, wie wir noch sehen werden. Auffallend ist, dass er den moralischen »Fall« der Seele wie ein Abgleiten darstellt. Damit suggeriert er, dass der »Fall« der Seele kein einmaliger Sturz, sondern vielmehr ein allmhlicher Untergang ist. Dabei setzt er voraus, dass alle Lebewesen, die aus sich ber »selbstbestimmte« (aqteno¼siom) Bewegung verfgen, bald zum Besseren, bald zum Schlechteren ausschlagen.70 Das gilt auch fr die Seele. Interessant ist seine Aussage, dass schon eine winzige Kleinigkeit den Ausschlag (Nop¶) geben kann, dass die Seele vom geraden Wege abweicht.71 Daraus folgt die Mahnung: »Wenn die erste und plçtzliche Wendung zum Schlechteren nicht alsbald wettgemacht wird, so kommt eine dauernde Neigung in der Richtung des Abfalls zustande.«72 Damit scheint er vor der Schwerkraft der Gewçhnung ans Schlechte zu warnen. Merkwrdig ist, dass er nicht auf die Frage nach dem Grund fr den Ausschlag eingehen will: »Worauf aber der Ausschlag zum Schlechten zurckzufhren ist, lohnt sich wohl gar nicht zu untersuchen. Es braucht nmlich anfangs nur ein ganz geringfgiger Ausschlag gewesen zu sein, der dann, wenn er in der Richtung fortgeht, die Verfehlung immer grçßer und schwerer macht.«73 Plotin begngt sich nur mit dem Hinweis darauf, dass das Zusammensein mit dem Kçrper notwendig Begierde mit sich bringt. Damit deutet er an, dass die kçrperliche Begierde fr den »Abfall« der Seele verantwortlich ist. Also scheint er seine apologetische Position grundstzlich zu verteidigen. Dabei bleibt allerdings die Frage der Korrumpierbarkeit der Seele dahingestellt.

6.4 Die Kunst der Vorsehung Aufgrund der bisher dargestellten Theorie vom Bçsen ist festzustellen, dass es Plotin in seiner Rechtfertigung der Vorsehung eigentlich nicht darum geht, das Bçse in dieser Welt aufzuheben.74 Denn er geht davon aus, dass es das Bçse in

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Begierde, leicht gereizt zum Zorn, vorschnell im Zustimmen (sucjatah´seir), den trben Vorstellungen gern sich ergebend«. Vgl. I 2 [19] 3, 11 – 21. Vgl. Plat. Phaed. 66b 5. Zum stoischen Begriff der Zustimmung (sucjatah´sir) vgl. SVF III 171, II 974. Dazu vgl. Long / Sedley, S. 250, 322. III 2 [47] 4, 36 – 38. Vgl. 8, 10 – 11. III 3 [48] 4, 47 – 48. III 2 [47] 4, 42 – 44. III 2 [47] 4, 38 – 41. Anders Schubert, S. 77: »Zwar neigt Plotin dazu, das Bçse in einer hçheren Ordnung aufzuheben, ohne weiter nach dessen Ursprung zu fragen (vgl. [sc. III 2] 4, 38; 7, 18), aber dieser

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dieser Welt gibt, und zwar aus Notwendigkeit. Ferner ist er der Auffassung, dass die Beseitigung des Bçsen schließlich die Vorsehung selbst aufhebt: »Denn wofr sollte sie da sein? Sie kann doch weder fr sich selbst noch fr das Gute da sein. Wenn wir von der Vorsehung droben sprechen, so meinen wir ihre Beziehung zu den Dingen unten.«75 Hinsichtlich der Existenz des Bçsen in dieser Welt weist Plotin darauf hin, dass diese Welt Kçrper, und somit Materie hat. Ihm zufolge darf man bei dem »gemischten« Wesen nicht das Gutbestelltsein des Ungemischten fordern. Man darf also bei den Dingen zweiter Ordnung nicht Zustnde erster Ordnung suchen.76 Zu verteidigen gilt also das Gutbestelltsein, d. h. das Schçne (t¹ jak_r) zweiter Ordnung. Daher ist es Plotin daran gelegen zu zeigen, inwiefern es um diese Welt gut bestellt ist, in welchem Sinne die bçsen Dinge doch an der Ordnung (t²nir) teilhaben.77 Zur Klrung dieser Fragen kommt er immer wieder zu der Frage zurck, was die Vorsehung ist. In seiner Vorsehungslehre geht es letztlich darum, das Wesen der Vorsehung richtig zu verstehen. Im ersten Kapitel seiner Vorsehungsschriften stellt Plotin klar, dass die Vorsehung des Alls nicht etwa »ein Voraussehen oder berlegen Gottes« darber sein kann, auf welche Weise dieses All in der Zeit entstehen kçnnte, da das All immer gewesen ist und niemals nicht sein wird. Also kann hier von Vorsehung im herkçmmlichen Sinne, und zwar im Sinne von »vorausschauender« Sorge des personalen Gottes fr die Welt nicht die Rede sein. Vorsehung ist nach Plotin vielmehr als ein Strukturprinzip aufzufassen, welches die sinnliche und die geistige Welt miteinander verbindet, und zwar dergestalt, dass die sinnliche Welt die Innenwelt des transzendenten Geistes widerspiegelt. So besteht die Vorsehung darin, dass diese Welt dem Geist gemß ist und dass der Geist vor ihr ist, und zwar nicht der Zeit nach frher, sondern der Natur nach (v¼sei), sodass der Geist ihr Urbild ist. Der Geist ist nmlich »der wahre und erste Kosmos« und unser Kosmos ist sein Abbild.78 Die Abbildhaftigkeit impliziert allerdings eine gewisse Einbuße an Wahrhaftigkeit. So hebt Plotin hervor, dass der sinnliche Kosmos im Vergleich zum geistigen Kosmos nicht wahrhaft Einheit ist.79 Dabei geht es um die Einheit eines Ganzen, das aus Teilen besteht. Nun weist er darauf hin, dass der geistige Kosmos ein Ganzes ist, in dem die Freundschaft herrscht, da all seine Teile vollkommen und autark sind, sodass keiner dem anderen Unrecht tut. Der sinnliche Kosmos hingegen stellt keine solche ideale Gemeinschaft dar, denn

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Versuch ist erst dann gerechtfertigt, wenn alle anderen Anstrengungen zur Erklrung des Bçsen nicht zum Ziel gefhrt haben.« III 3 [48] 7, 6 – 8. III 3 [48] 6, 4 f. Zum sinnlichen Kosmos als Mischung von Materie und Form bzw. Geist und Notwendigkeit (Timaios 48a1 – 2) vgl. Schubert, S. 60 f. III 2 [47] 8, 1 f. III 2 [47] 1, 20 – 30. Vgl. VI 8 [39] 17, 1 – 12. III 2 [47] 2, 1 – 2.

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er besteht aus den unvollkommenen, bedrftigen Teilen, sodass im Ganzen nicht mehr Freundschaft allein, sondern auch Feindschaft herrscht. Signifikant ist, dass Plotin das Werk der Vorsehung darin erblickt, unserem Kosmos trotz seiner widerstreitenden Teile eine bergreifende Einheit zu gewhren. Die Vernunft des Alls erwirkt die einheitliche Fgung ins Ganze. Zusammengefasst: Im All herrscht eine harmonische Einheit, wobei die Vernunft des Alls die einheitsstiftende Rolle spielt. Dabei geht die Vernunft knstlerisch vor. Ihre Kunst gleicht der Tonkunst, die eine Harmonie in Vielheit, Verschiedenheit und Gegenstzlichkeit der Tçne entfalten lsst: Denn jeder einzelne Platz fgt sich ("ql|fomtor) dem Charakter des betreffenden, und dieser steht in Einklang (sulvyme?m) mit der Vernunft des Alls, indem diese [Vernunft] gemß dem Rechte (jat± d_jgm) sich einpasst in das Teilstck, das sie aufnehmen soll; ebenso wie die einzelne Saite an den ihr eignen passenden Platz gesetzt wird entsprechend dem Verhltnis (jat± k|com) ihres Tones, je wie es mit ihrer Fhigkeit zum Tçnen aussieht. Denn auch im All dient es nur dem Schicklichen (t¹ pq]pom) und Schçnen (t¹ jak|m), wenn jedes Wesen die Stelle erhlt, die ihm gebhrt, und wenn der, welcher schlechte Tçne erklingen lsst, in die Dunkelheit, den Tartaros versetzt wird; denn dort ist ein solches Tçnen schçn.80

In diesem Bild der kosmischen Musik folgt Plotin offensichtlich der pythagoreischen Tradition. Zu betonen ist, dass er hier geschickterweise den mathematischen Begriff des Verhltnisses (logos) benutzt, um die Funktionsweise der Vernunft (logos) des Alls zu beschreiben. Das ist eigentlich nicht berraschend, wenn man daran denkt, dass Einklang (symphnia) nach der mathematischen Harmonik ein logos, eine ratio, d. h. ein Zahlenverhltnis zwischen hohen und niedrigen Tçnen.81 Diesem Bild der harmonischen Ordnung entsprechend bedient sich Plotin der Auffassung des Schçnen als Schicklichen.82 Die Schçnheit der Welt bezieht sich auf das gesamte Verhltnis der Dinge. Nicht zu bersehen ist ferner, dass er die mathematisch-musikalische Ordnung der Welt (vgl. jat± k|com) mit der Rechtsordnung (vgl. jat± d_jgm) verknpft. Dies erinnert wiederum an den mathematische Begriff der Gerechtigkeit, und zwar den der distributiven Gerechtigkeit als proportionale Gleichheit. 80 III 2 [47] 17, 59 – 66. Vgl. 16, 41 – 45. Nach Ciceros Bericht (De natura deorum II 58) schreibt Zenon dem Weltgeist die Aufgabe der Vorsehung zu. So sorgt der Weltgeist dafr, »dass das Weltall erstens fr seine Fortdauer bestens eingerichtet ist, zweitens, dass ihm nichts fehlt, hauptschlich aber, dass es sich durch Schçnheit und jede Art von Schmuck auszeichnet« (bers. Blank-Sangmeister). In diesem Kontext spricht Zenon von der knstlerischen Ttigkeit der Natur, die hier mit dem Weltgeist gleichzusetzen ist. 81 Dazu ausfhrlich Gersh, bes. S. 202 ff. Vgl. Arist. Post. An. I 90a18 – 23. Dazu siehe Long, Stoic Studies, S. 204 – 215 (auch zum pythagoreischen Hintergrund fr den stoischen Begriff des orthos logos). 82 ber diese Auffassung bietet (Platon) Hippias I (293c 8 – 294e 10) eine sokratische Diskussion. Dazu vgl. Woodruff, S. 62 – 67.

6.4 Die Kunst der Vorsehung

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Aus dieser Perspektive hlt Plotin es fr unsinnig, dieses All wegen seiner Teile zu tadeln, ohne dabei das Gesamtbild zu bercksichtigen.83 Betrachtet man lediglich einige Stcke aus dem Ganzen herausgelçst, bersieht man den ganzen Zusammenhang. Also muss man die Teile in ihrem Bezug auf das Ganze betrachten, ob sie in Einklang mit ihm stehen und sich darin fgen. Es verwundert nicht, dass Plotin diese holistische Idee der harmonischen Einheit mit der einer organischen Einheit verknpft, wonach jedes Glied die ihm gehçrige Funktion hat, und somit zum Leben des ganzen Organismus beitrgt. Allerdings ist Zweifel darber angebracht, ob auch das Bçse zum Leben dieses Alls einen »Beitrag« leisten kann. Von einer positiven Eigenleistung des Bçsen kann jedoch nicht die Rede sein, sofern das Bçse bçse ist. Dennoch spricht Plotin vom Nutzen des Bçsen fr das All. Der springende Punkt liegt darin, dass die Vorsehung das Bçse zum guten Zweck gebrauchen kann. Im Rahmen der konomie der Vorsehung werden z. B. die vergangenen Wesen fr die Entstehung neuer Wesen genutzt. Dabei stellt das All gleichsam ein natrliches Recyclingsystem dar : »Und das ist wahrhaft große Kraft, auch das bel zum Heil wenden zu kçnnen und stark genug zu sein, das formlos Gewordene zu neuer Form zu verwenden.«84 Unter dem ethischen Gesichtspunkt kann das Laster auch »etwas Ntzliches« (ti wq¶silom) sein, 1) indem es ein abschreckendes Beispiel darbietet, oder 2) indem es die Menschen wachsam macht, ihren Geist und Verstand aufweckt, um sich dem Treiben der Bosheit entgegenzustellen, oder 3) indem es durch Gegenberstellung zu lernen bringt, wie gut die Tugend ist. Dennoch ist das Bçse nach Plotin nicht aus diesem pdagogischen Grund entstanden, sondern die Welt bedient sich des Bçsen, da es schon vorhanden ist, zum gehçrigen Zwecke (eQr d´om).85 Trotz dieser optimistischen Vision der Vorsehung gert man in große Ratlosigkeit, wenn man z. B. sieht, dass die Guten Schlechtes und die Schlechten Gutes bekommen, oder dass die Tiere einander auffressen und die Menschen sich gegenseitig nachstellen. Dies erweckt nmlich den Eindruck, dass in dieser Welt nicht das Recht, sondern das Unrecht, und nicht die Freundschaft, sondern die Feindschaft Oberhand gewinnt. Woher kommt diese ungerechte Verteilung der Gter? Wozu ist dieser erbarmungslose Krieg unter Tieren und Menschen? Auf diese Fragen geht Plotin explizit ein, wobei er jeweils bedeutsame Zugestndnisse macht. In Enn. III 2 [47] K. 6 behandelt Plotin die Tatsache, dass die Gter nicht jedem gemß seiner Wrdigkeit und Verdienst verteilt werden. Er sieht sich nmlich mit der Frage konfrontiert, warum das Naturwidrige gerade dem Guten und das Naturgemße dem Bçsen zugewiesen wird. Zunchst versucht er diese Frage mit der folgenden Frage zu erwidern: »Wenn aber das Naturgemße keine Steigerung des Glcks bedeutet, das Naturwidrige keine Min83 III 2 [47] 3, 9 f. 84 III 2 [47] 5, 23 – 25. 85 III 2 [47] 5, 16 – 23. Plat. Resp. II 380b; Plutarch, De Stoicorum repugnantiis 1040c.

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derung, was macht den Unterschied, ob so oder so verteilt wird?« (6, 5 – 8) Glaubt er dabei, dass die Vorsehung der Verteilung der natrlichen Werte gleichgltig ist? Doch ist hier Vorsicht geboten. Denn er setzt seine Bedenken fort: Ist es aber nicht ungebhrlich, dass die Schlechten Herrscher der Staaten und die Billigen (1pieije?r) ihre Knechte sind, zumal ein schlechter Herrscher die schlimmsten Gesetzwidrigkeiten (t± !mol¾tata) begehen kann? Derartiges ist nach seiner Ansicht von der »besten« Vorsehung kaum zu erwarten. Schließlich konstatiert er, dass wir es hier nicht mit derjenigen Verteilung zu tun haben, die das Angemessene, das Verhltnismßige und das der Wrde Entsprechende idealerweise realisiert (9 – 16). In Kap. 15 rumt Plotin ausdrcklich ein, dass es um diese Welt im Rahmen des Mçglichen gut bestellt ist, wobei er Platons Worte im Theaitet 176 a5 in Erinnerung ruft, dass das Bçse nicht untergehen kann (10 – 11). Das besagt, dass die Vorsehung die bestmçgliche Vorsehung ist, die trotz der Anwesenheit des Bçsen verwirklicht werden kann. Von diesem Standpunkt her versucht er den unablssigen Kriegszustand bei Tieren und Menschen zu erklren. Ausgehend davon, dass das Sterben nichts anderes als das Tauschen des Leibes ist, stellt er das gegenseitige Fressen von Tieren als »eine Wandlung der Tiere ineinander« dar. Dieses sei, so argumentiert er, weitaus besser als entstnden sie von Anfang an nicht: »Denn dann wrde eine Verçdung an Leben (1qgl¸a fy/r) eintreten« (29 – 30). Was aber das menschliche Unrecht angeht, appelliert Plotin zunchst auf die Vorstellung vom Welttheater : Und was Mord und Totschlag aller Art betrifft, Eroberung von Stdten, Plnderung, so soll man es anschauen wie auf den Gersten der Schaubhne, es ist alles nur Umstellen der Kulisse und Wechsel der Szene, und dazu gespielte Trnen und Wehklagen.86

Dem fgt er hinzu, dass der Mensch, der nur das niedere und ußere Leben zu leben versteht, nicht weiß, dass er auch in Trnen, seien sie auch ernst gemeint, nur am Spielen ist. Diese Vorstellung birgt allerdings viele Schwierigkeiten, die er in Kap. 16 anfhrt: Wenn alles nur ein Spiel wre, wie kann es berhaupt noch Bosheit geben? Wo hat noch Unrecht eine Stelle und wo Verfehlung? Wie ist dann die Absebie gegen die Gottheit mçglich? Das wre ja, als wollte ein Autor im Drama einen Schauspieler auftreten lassen, der den Autor schilt und schmht. Angesichts dieser Schwierigkeit kommt Plotin zur Wesensfrage zurck: »Wir wollen also nochmals und deutlicher darlegen, was die Vernunft ist, und dass sie aus guten Grnden eine solche ist« (16, 10 – 11). Er konstatiert, dass die Vernunft des Alls weder ungemischter Geist, d. h. Geist-selbst (aqtomoOr), noch reine Seele sei, die sich gemß Geist befindet (jat± moOm diajeil´mgr), sondern eine gewisse Art von Leben, die von den beiden abhngt. Das Leben 86 III 2 [47] 15, 43 – 47.

6.4 Die Kunst der Vorsehung

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der Vernunft vollzieht sich allerdings nicht aufs Geratewohl (eQj0: 20), sondern geradezu knstlerisch. Die Vernunft ist gleichsam wie eine Tnzerin in Bewegung, wobei die Kunst sie bewegt. Sie bewegt sich aber gemß dem ungemischten Geist und der reinen Seele. Ihre Aktivitt ist ein Abbild des ursprnglichen Denkens und Lebens, das jener Geist und jene Seele erfllt: Indem nun also diese Vernunft aus dem einen Geist und dem einen Leben herkommt, welche beide in der Flle stehen, ist sie weder ein Leben, noch irgendwie ein Geist, steht auch nicht allemal in der Flle, gibt sich auch denen, denen sie sich gibt, nicht immer als ganze und gesamte. Sondern indem sie die Teile einander entgegenstellte und bedrftig machte, hat sie Ursprung und Bestand von Kampf und Schlacht bewirkt.87

Hier geht Plotin offenbar so weit einzugestehen, dass jene Vernunft fr die Bedrftigkeit der Teile des Alls und die daraus sich ergebende Feindschaft in gewissem Sinne verantwortlich ist. Obwohl er diese Auffassung durchaus »gewagt« ansieht (vgl. 12: tetokl¶shy c±q), widerruft er sie nicht. Freilich betont er, dass die Vernunft des Alls trotz dieses Brgerkrieges im All eine bergreifende Einheit und Freundschaft schafft, wie die Handlung eines Dramas, welche viele Konflikte in einer harmonischen Einheit zusammenhlt (35 – 36). Zur Betonung der komplexen Einheit des Alls vergleicht Plotin das All mit einer Pantomime, d. h. einem Tnzer, der allein die verschiedensten Charaktere in einem Stck darstellt: So kommt es, dass es sowohl die Guten wie auch die Bçsen gibt, so wie bei einem Tnzer, der unter dem Gebot einer und derselben Kunst doch das Entgegengesetzte tanzt, und wir nennen das eine gut, das andere schlecht, und so ist es schçn ausgefhrt.88

Mit diesem Vergleich konstatiert Plotin, dass auch die Bçsen in einem durchkomponierten Kunstwerk der Vorsehung ihren richtigen Platz haben. Bei nherem Hinsehen bereitet der Pantomime-Vergleich jedoch große Schwierigkeiten. Plotin weist auf einen mçglichen Einwand hin: »Aber es gibt doch dann keine Bçsen mehr« (Ja¸toi oqd³ jajo· 5ti: 17, 12). Tatschlich deutet der Vergleich an, dass es in Wahrheit keine bçsen Personen gibt, sondern nur bçse Rollen. An dieser Stelle stellt Plotin allerdings fest, dass der Vergleich nicht die Existenz vom Bçsen aufhebt, sondern nur negiert, dass die Bçsen »von sich aus« (paqû aqt_m: 13) derart sind. Heißt das, dass die Bosheit der Bçsen nicht auf die Bçsen selbst, sondern auf die Vernunft des Alls zurckgeht? Sollten die Bçsen nicht von sich aus bçse sein, wrde der Idee der moralischen Verantwortung bei den Individuen der Boden entzogen sein. Zugleich wrde Plotins Theorie der gçttlichen Vergel87 III 2 [47] 16, 28 – 34. 88 III 2 [47] 17, 8 – 11. Zur Pantomime vgl. Reis.

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6. Das gerechte Leben

tung ihre ganze Pointe verlieren. Die Moral seiner Vorsehungslehre hieße schließlich, dass wir bloß lebendige Spielzeuge in einem gçttlichen Spiel sind. Was sonst bliebe berhaupt vom Menschen brig, als einzig Spielwerk zu sein? Was meint Plotin dann, wenn er sagt, der Mensch solle sich mit seinem ernsten Teil beim ernsten Tun ernstlich bemhen? (15, 53 – 54) Glaubt er etwa, dass der ernste Teil des Menschen, d. h. der »innere« Mensch, außerhalb des gçttlichen Spiels, und somit jenseits der Moral liegt? Mndet die plotinische Kunst der Vorsehung auf diese Art und Weise in eine amoralische sthetik des Lebens?

7. Das freie Leben 7.1 Die menschliche Verantwortung 7.1.1 Die Schuld liegt beim Whlenden Um sowohl die Kunst als auch die Moral der Vorsehung zu retten, greift Plotin in Enn. III 2 [47] Kap. 17 die Metapher des Welttheaters erneut auf, in der das Weltgeschehen als Dichtwerk, die Weltvernunft als Dichter, und die einzelne Seele als Schauspielerin dargestellt werden: Wie die Schauspieler die Maske, das Kostm, sei es Prunkrobe oder Lumpenfetzen, so erhlt die Seele ihrerseits ihr Geschick (sie erhlt es nicht beliebig (eQj0), sondern auch es gehorcht der Vernunft). Indem sie sich dies Geschick anpasst, kommt sie in Einklang und richtet sich nach dem Drama und der Vernunft des Alls aus; dann lsst sie gleichsam ertçnen ihre Handlungen und was sonst die Seele nach ihrer Eigenart (jat± tqºpom t¹m 2aut/r) vollbringt, gewissermaßen wie eine Arie […] Dabei bringt sie die gute oder schlechte Ausfhrung von sich aus (paqû aqt/r) hinein, sie ist beim Auftritt richtig aufgestellt worden und hat alles andere zugewiesen bekommen, außer ihr eigenes Sein und ihre Leistungen (wyq·r 2aut/r ja· t_m 5qcym) und dementsprechend erhlt sie nun Strafe und Ehrung.1

Der springende Punkt liegt darin, dass der Dichter des Welttheaters bei der Verteilung der Rollen von den schon vorhandenen Eigenschaften der Darsteller Gebrauch macht. Spielt eine Seele eine bçse Rolle, so ist sie schon vor dem Theaterstck von solcher Art und bringt ihre Eigenart in das Stck ein. Welche Rolle sie bekommt, hngt von ihrer Eigenart ab, obwohl diese erst im Rahmen des Dramas die konkrete Gestalt gewinnt. Die Kunst der Vorsehung zeichnet sich gerade in der geschickten »Fgung« der vorhandenen Art der Seele in die passende Rolle im Welttheater aus. Dabei ist das Prinzip der Analogie am Werk. Hier deutet Plotin darauf hin, dass die einzelne Seele fr ihr eigenes Sein und Werk verantwortlich gemacht werden kann. Letztlich will er darauf hinaus, dass die bçsen Seelen ihre moralische Verantwortlichkeit nicht auf die Weltvernunft abschieben kçnnen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, worin ihr eigenes Werk liegen soll, wieweit sie fr ihr eigenes Sein verantwortlich ist. Wenn es darauf ankme, ob die Seele ihre eigene Rolle gut oder schlecht ausfhrt, wie im Text angedeutet, dann kçnnte man durchaus den paradoxen Schluss ziehen, dass eben die bçse Seele, die ihre bçse Rolle passend, d. h. gut 1 III2 [47] 17, 35 – 53.

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7. Das freie Leben

spielt, gelobt werden msse. In diesem Punkt wenigstens scheint die Metapher zu versagen. Trotzdem macht sie deutlich genug, dass die Seele im Weltgeschehen auch eine aktive Rolle spielt. Zur Bekrftigung dieses Punkts ist darauf hinzuweisen, dass Plotin auch davon spricht, dass jeder Mensch im All den Platz einnimmt, »den er selber gewhlt hat« (dm eVketo: 25) Auf den ersten Blick scheint diese Aussage nicht dazu zu passen, dass die Vernunft des Alls jedem den ihm passenden Platz zuteilt. In Plotins Augen allerdings liegt hier kein Widerspruch vor. Aufschluss ber seine Ansicht gibt der folgende Passus: »Man kann das Vorsehende (t¹ pqomooOm) nicht dafr verantwortlich machen, was bçse Seelen tun. Die Schuld liegt beim Whlenden (aQt¸a 2kol´mou)« (18 – 20). Beim letzten Satz handelt es sich um ein Zitat aus Platons Politeia X 617e 4. Also greift Plotin hier auf den Mythos des Pamphyliers Er zurck, insbesondere auf die von einer Schicksalsgçttin Lachesis verordnete Lebenswahl (617d-618b).2 Die zentrale Idee ist die, dass die Seelen sich vor der Geburt das Modell ihres knftigen Lebens selbst whlen. In diesem Mythos sucht Platon eine Perspektive, die sowohl eine gerechte Ordnung der Welt als auch die moralische Verantwortung von Individuen garantieren kann, wobei er die traditionelle Vorstellung von den Schicksalsmchten mit einbezieht. Was nun Plotins Interpretation des Er-Mythos betrifft, so ist zweierlei bemerkenswert. Einerseits hebt Plotin die Notwendigkeit des Schicksals hervor, indem er eine etymologische Erklrung fr die drei so genannten Moiren gibt. Zunchst lsst Platon alle drei Schicksalsgçttinnen als Tçchter der »Notwendigkeit ((Am²cjg)« auftreten. »Lachesis« als diejenige, die das Los bestimmt, bezieht sich auf die Verlosung der ußeren Umstnde (t± 5ny). Mit »Klotho« – der Name ist nicht explizit erwhnt – wird angedeutet, dass alle entstandenen Dinge gleichsam miteinander versponnen sind (sucjkysh]mta). Der Name »Atropos«, d. h. die Unabwendbare, deutet darauf hin, dass alles Geschehen mit Notwendigkeit heraufgefhrt wird.3 Andererseits liefert Plotin eine allegorische Deutung fr die »Wahl«, die fr unsere Zwecke von großer Bedeutung ist: »Nun, das, was von der Wahl dort gesagt wird, soll verhllt eine allgemeine und stndige Entscheidung und Disposition der Seele andeuten.«4 Bezeichnenderweise legt er die vorgeburtliche, einmalige Lebenswahl in Platons Mythos als einen »allgemeinen und stndigen« Zustand der Seele aus. Wie diese beiden Adjektive andeuten, kann hier mit »Entscheidung« (pqoa¸qesir) nicht die Einzelentscheidung gemeint sein, die man von Fall zu Fall aufgrund der jeweiligen Abwgung trifft. Die »Entscheidung«, von der hier die Rede ist, kommt vielmehr der Lebensein-

2 Dazu vgl. Alt, Jenseitsmythen, S. 279 ff. 3 II 3 [52] 15, 9 – 12. 4 III 4 [15] 5, 2 – 4: G ja· B aVqesir 1je? B kecol´mg tμm t/r xuw/r pqoa¸qesim ja· di²hesim jahºkou ja· pamtawoO aQm¸ttetai.

7.1 Die menschliche Verantwortung

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stellung oder der moralischen Gesinnung einer Person nahe, welche die Einzelentscheidungen leitet.5 Von daher ist es verstndlich, dass Plotin die Entscheidung in diesem Kontext mit dem Charakter (Ghor) zusammenbringt.6 Daraus ergibt sich fr ihn, dass der Charakter das Leben whlt. Dies erinnert an Platons Ansicht in den Gesetzen, wonach der Charakter der Seele den Platz im All nach der Ordnung und dem Gesetz des Schicksals bestimmt.7 Also scheinen Plotin sowie Platon zu meinen, dass die moralische Eigenschaft der Person fr die Lebensweise entscheidend ist. In dieser Hinsicht kann man sagen, dass die Seele ihre Lebensrolle auf der Weltbhne selbst whlt.8 Welche Rolle die Seele zu spielen hat, hngt hauptschlich davon ab, wie beschaffen sie ist. So spielt eine Seele die bçse Rolle, weil sie bçse ist. Die Kunst der Vorsehung garantiert eben diese analogische Koordination und somit die eigenverantwortliche Lebensfhrung von Individuen. Die eigenverantwortliche Lebensfhrung von Individuen besagt freilich nicht, dass der Dichter des Alls eine beliebige Ausfhrung durch die Schauspieler zulsst. Es ist also keineswegs geboten, Schauspieler auf die Bhne zu bringen, die etwas ganz anderes sprechen, als der Dichter vorschreibt, »als wre das Drama an und fr sich noch unvollkommen«.9 Der kosmische Dichter lsst also keine leeren Stellen offen, welche die Schauspieler auszufllen htten. Denn »dann wrden die Schauspieler nicht mehr bloße Schauspieler sein, sondern sie wren ein Stck des Dichters selber, der allerdings zuvor wsste, was die anderen noch sprechen werden, wodurch er dann imstande wre, die Fortsetzung und den weiteren Verlauf des Stckes sinnvoll zu knpfen«.10 Da die Schauspieler jedoch nicht dazu in der Lage sind, den vom kosmischen Dichter gewollten Lauf der Dinge zu durchschauen, kçnnten sie die Einheit des ganzen Stcks gefhrden. An dieser Stelle fragt man sich, wie das lckenlose Drehbuch der Vorsehung mit der eigenverantwortlichen Lebensfhrung von Individuen zu vereinbaren ist. Letztere setzt nmlich die freie Wahl11 von Individuen in der jeweiligen Lebenssituation voraus, wenn es gelten sollte, dass die Schuld beim Whlen5 Vgl. Epiktets Begriff der pqoa¸qesir im Sinne der moralischen Persçnlichkeit. Pohlenz (Stoa, S. 332 ff.) weist darauf hin, dass die Prohairesis fr Epiktet eine »Vorentscheidung« ist, aber nicht den Einzelfall betrifft, sondern »die Voraussetzung fr jede Einzelentscheidung« ist, und zwar als »die feste geistige Einstellung, aus der all unser praktisches Einzeltun fließt«. Dazu vgl. Voelke, S. 153 ff.; Rist, Prohairesis, S. 197 f.; Phillips. 6 III 4 [15] 5, 7. 7 Plat. Leg. 903d 2 f.; 904c 8 f. 8 III 4 [15] 5, 15 – 19. 9 III 2 [47] 18, 8 – 9. 10 III 2 [47] 18, 11 – 13. 11 Bei Plotin ist allerdings nicht von »freier Wahl« die Rede. Denn er verknpft Freiheit nicht mit der Wahl bzw. Entscheidung, sondern mit dem Willen, und zwar dem Willen zum Guten, wie wir sehen werden. Gleichwohl verkennt er nicht, dass wir Menschen ber eine Wahlmçglichkeit zwischen Alternativen verfgen, obwohl er diese Verfgung nicht explizit als »frei« bezeichnet.

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7. Das freie Leben

den liegt. Diesem Problem widmet Plotin eine kurze dialogische berlegung: »Wenn ich darber Herr bin, mir dies oder ein anderes zu whlen? Indessen was du dir whlen wirst, ist mit in der Weltordnung befasst, denn dein Anteil am All ist kein Zwischenfall, sondern du bist mit deiner Beschaffenheit in Rechnung gestellt.«12 Hier wird die Wahlmçglichkeit des Individuums nicht bestritten, sondern im Rahmen der providentiellen Ordnung des Alls gehalten. Damit will Plotin sowohl die moralische Verantwortung des Individuums und die Vorsehung des Alls retten. Interessanterweise appelliert Plotin in diesem Zusammenhang an eine Vorstellung von der »strategischen« Vorsehung, wonach das leitende Prinzip des Alls das gesamte Geschehen wie ein geschickter Feldherr leitet, der die Handlungen wie die Leiden seiner Untergebenen und alles, was zur Stelle sein muss, wie z. B. Verpflegung und Getrnke, vorhersieht.13 In der Tat gebietet der Feldherr des Alls auch dem feindlichen Heerlager, sofern alles ihm untersteht, sodass nichts außerhalb seiner Reichweite stehen kann. Folglich rechnet er damit, was die inneren Feinde tun werden, und bezieht es in seinen Kriegsplan mit ein. Demnach wirken die Einzelwesen gemß ihrer Natur zum Guten oder Bçsen mit, doch werden ihre Natur und Werke durch eine feldherrliche Kunst in das harmonische Gefge des gesamten Geschehens mit eingefgt. Plotin vertieft sich nicht weiter in dieses faszinierende Bild der strategischen Vorsehung. Das Bild dient jedoch gengend dazu, die Mçglichkeit der moralischen Verantwortung von Einzelnen im Rahmen der einheitlichen Weltordnung plausibel zu machen. Die Idee, die Plotin mit Hilfe von bunten Bildern zu veranschaulichen versucht, ist eigentlich eine einfache Idee: »Die Vorsehung darf nicht so beschaffen sein, dass wir ein Nichts sind.«14 Diese Position begrndet er mit Rekurs auf das Wesen der Vorsehung: »Wre die Vorsehung alles und selber allein da, so wre sie keine Vorsehung mehr (denn auf was sollte sie sich dann noch richten?), sondern es wre nur noch das Gçttliche da.«15 Das Menschliche gehçrt nmlich zum Gegenstand der gçttlichen Zuwendung, die »Vorsehung« heißt. Im Hinblick auf die menschliche Verantwortung sagt Plotin ausdrcklich, dass wir nicht von der Vorsehung zu den bçsen Taten gezwungen werden. Unsere bçsen Taten sind zwar notwendige Folgeerscheinungen (!j|kouha) der Vorsehung, doch gehen sie »von uns aus« (paqû Bl_m).16 Um diese Aussage zu rechtfertigen, weist er darauf hin, dass dieselbe Helena auf verschiedene 12 III 3 [48] 3, 1 – 3:»eQ 1c½ j¼qior toO t²de 2k´shai C t²de«. )kkû $ aRq¶sei, sumt´tajtai, fti lμ 1peisºdiom t¹ s¹m t` pamt¸, !kkû Aq¸hlgsai b toiºsde. 13 III 3 [48] 2, 3 f. Das Bild vom Strategen findet sich auch bei Aristoteles in Metaphysik K 10, 1075a 14 ff., wobei der aristotelische Feldherr, d. h. der Unbewegte Beweger, sich eigentlich nicht um die Welt kmmert. 14 III 2 [47] 9, 1 – 2. 15 III 2 [47] 9, 2 – 4. 16 III 3 [48] 5, 33 – 35.

7.1 Die menschliche Verantwortung

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Menschen wie z. B. Paris oder Idomeus unterschiedlich wirkt. Die unterschiedliche Reaktion auf Helena fhrt Plotin auf die unterschiedlichen Persçnlichkeiten von Paris und Idomeus zurck. Dabei behauptet er, dass die Handlung des Unbesonnenen weder von der Vorsehung noch gemß der Vorsehung vollbracht wird, whrend das, was der Besonnene tut, zwar nicht von der Vorsehung getan wird (da es von ihm selbst getan wird), aber gemß der Vorsehung.17 Merkwrdig ist jedoch die Aussage, dass die unbesonnene Handlung nicht gemß der Vorsehung vollbracht wird. Sollten doch nicht alle Handlungen der Anordnung der Vorsehung folgen? Zur Beantwortung dieser Frage ist zu bercksichtigen, dass Plotin die Vorsehung in zwei Teile aufteilt, nmlich in einen hçheren und einen niederen. Ihm zufolge stammt die niedere Vorsehung von der hçheren, vollkommenen (teke_a) Vorsehung.18 Die hçhere Vorsehung stellt die Vorsehung im eigentlichen Sinne dar, die wohl in der Ausfhrung der Einsicht (vqºmgsir) der »gottgeflligen« Vernunft des Alls liegt.19 Die niedere Vorsehung ist vermutlich mit dem Schicksal im Sinne einer Kette von ußeren Ursachen zu identifizieren. So geschieht die Handlung des Unbesonnnen nicht in bereinstimmung mit der Vorsehung im eigentlichen Sinne, obwohl sie in der gesamten (p÷sa) Vorsehung einschließlich des Schicksals enthalten ist. Also geht Plotin offenbar von einer moralischen Ausrichtung der hçheren Vorsehung aus, mit der nur die moralische Handlung des Einzelnen in Einklang steht.20 Kommen wir zu der Aussage zurck, dass die Bçsen nicht »von sich aus« (paqû aqt_m) bçse sind.21 Diese Aussage scheint zu der oben erwhnten Aussage in Widerspruch zu stehen, dass unsere bçsen Taten »von uns aus« (paqû Bl_m) gehen. Einerseits gibt er zu, dass die bçsen Taten notwendige Folgeerscheinungen der Vorsehung sind. Andererseits bestreitet er, dass wir von der Vorsehung dazu gezwungen werden, Bçses zu tun. Zur Klrung dieser Schwierigkeit ist zunchst zu bedenken, dass Plotin nie sagt, dass alle Seelen bzw. Menschen bçse sind. Wie wir gesehen haben, ist der Himmel nach Plotin rein vom Bçsen. So seien die Sternenseelen nicht bçse. Das Bçse aber gebe es erst im sublunaren Bereich. Auch bçse Seelen. Allerdings sind diese bçsen Seelen nicht ursprnglich bçse. Sie sind infolge des Eintritts in diesen Bereich bçse geworden. In diesem Sinne kçnnte man mit Plotin sagen, dass die bçsen nicht »von sich aus« (paqû aqt_m) bçse sind. Dass Seelen bçse geworden sind, setzt wiederum voraus, dass die Seelen eigentlich bçse werden konnten. An dieser Stelle ist an die Aussage zu erinnern, dass die Seele ber die selbstbe17 III 3 [48] 5, 41 – 49. 18 III 3 [48] 4, 9 – 13. Vgl. 5, 14 f. Zur Zweiteilung der Vorsehung bei Plotin siehe Schibli, S. 129 f. Vgl. Witt, S. 110. 19 IV 4 [28] 11, 23 – 27; III 3 [48] 5, 23 – 24. 20 In Enn. IV 4 [28] 35, 31 – 37 sagt Plotin, dass die richtige Entscheidung (aqhμ pqoa¸qesir) des Einzelnen mit der Entscheidung des Alls bereinstimmt, da beide auf das Gute ausgerichtet sind. 21 III 2 [47] 17, 12 – 13.

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7. Das freie Leben

stimmte Bewegung verfgt, so dass sie bald zum Besseren, bald zum Schlechten ausschlagen kann. Diesbezglich deutet Plotin an, dass die Seelen hienieden der Gefahr der Korruption ausgesetzt wird, da die Gemeinschaft mit dem Kçrper notwendig Begierde mit sich bringt. Dabei scheint er davon auszugehen, dass sich viele Seelen korrumpieren lassen, indem sie den kçrperlichen Begierde unterliegen. Dennoch glaubt er nicht, dass alle Seelen hienieden notwendigerweise den kçrperlichen Begierden nachgeben, und somit zum Bçsen ausschlagen. Ihm zufolge gibt es Seelen, die ihre ursprngliche Reinheit bewahren. Wenn man jedoch der Tatsache Rechnung trgt, dass viele Seelen sich den kçrperlichen Einflssen unterwerfen, dann ist absehbar, dass solche Seelen bçse werden kçnnen. Dass bçse Seelen auf diese Art und Weise entstehen, kann insofern als notwendige Folge der Vorsehung betrachtet werden, als der Eintritt der einzelnen Seele in den sublunaren Bereich, in den unvollkommenen Kçrper von der Vorsehung bestimmt ist. Es handelt sich hier um die Notwendigkeit, die sich aus der allgemeinen Struktur des Alls ergibt. Denn das All enhlt einen unvollkommenen Teilbereich. Dass die Seelen sich gerade um diesen Bereich kmmern, gehçrt zum Plan der Vorsehung.22 Plotin macht jedoch deutlich, dass es dabei nicht um die Notwendigkeit im Sinne eines ußeren Zwangs geht. Ihm zufolge werden die Seelen nicht von der Vorsehung dazu gezwungen, bçse zu werden. In diesem Zusammenhang zieht er zwei Mçglichkeiten des ußeren Zwangs in Erwgung: Menschen werden bçse (1) vom Himmelslauf her oder (2) als Folge des (ersten) Prinzips. Gegen (1) behauptet er, dass der Himmelslauf nicht derart wirkt, dass nichts bei uns lge (T¹ d³ t/r voq÷r oqw ¦ste lgd³m 1vû Bl?m eWmai).23 Sonst kçnnten selbst gottlose Menschen nichts gegen die (Sternen)Gçtter tun. In Bezug auf (2) vertritt er die Auffassung, dass die Wirkungen aller Prinzipien in der Kausalkette eingeschlossen werden, wobei auch die Menschen Prinzipien sind (!qwa· d³ ja· %mhqypoi). Dass der Mensch ein »selbstndiges« (aqteno¼sior) Prinzip ist, zeigt sich in Plotins Augen gerade darin, dass der Mensch sich »aus eigener Natur« (oQje¸ô v¼sei) auf das Schçne hin bewegen kann.24 Nichtsdestotrotz liegt die selbstbestimmte Bewegung des Menschen nicht außerhalb der Kausalkette. Der Mensch ist nmlich als Ursache fr sein Tun in die Kausalkette mit einbezogen.

22 Plotin identifiziert in Enn. I 8 [51] 4 die Materie als Ursache des seelischen Bçsen. Dazu ausfhrlich vgl. O’Brien, Evil, S. 128 ff., 139 ff (am Beispiel »malicious talk«). 23 III 2 [47] 10, 12. 24 III 2 [47] 10, 18 – 19.

7.1 Die menschliche Verantwortung

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7.1.2. Schicksal und Freiheit Das Verhltnis zwischen der menschlichen Selbstbestimmung und dem kausalen Zusammenhang erçrtert Plotin in Enn. III 1 [3] ber das Schicksal im Rahmen der Ursachenlehre noch ausfhrlicher. Beachtenswert ist, dass er naturphilosophische Ursachenlehren vor allem vom ethischen Standpunkt aus beurteilt. Er lehnt nmlich diejenigen Lehren ab, welche das Bestehen der menschlichen Eigenttigkeit bedrohen. So wendet er sich zunchst gegen die Theorie, dass das Tun und Leiden der Seele auf die Atombewegung zurckzufhren ist, wobei das Prinzip der Bewegung des Menschen sich als Atome erweist: »Muss doch berhaupt unser Tun und unser Sein als Lebewesen verloren gehen, wenn wir dahin gedrngt werden, wohin jene Kçrper uns treiben, von welchen wir wie unbeseelte Kçrper gestoßen werden« (3, 27 – 29). Danach wendet Plotin sich einer Version der Schicksalslehre zu, wonach eine Seele, die das All durchwaltet, alle Teile des Alls bewegt, indem sie das Ganze fhrt, und zwar durch die von ihr ausgehende sukzessive Verflechtung der Ursachen, die als »Schicksal« (eRlaql]mg) bezeichnet wird. Diese Seele wirkt gleichsam wie das herrschende Prinzip (t¹ BcelomoOm) des einzelnen Lebewesen, welches die einzelnen Glieder z. B. die Fße in Bewegung gesetzt, indem sie das Ganze zum Laufen bringt.25 Dabei werden die einzelnen Teile des Alls nicht von sich aus (1n art_m) bewegt (2, 24 – 25). Gegen diese Theorie wendet Plotin ein, dass die bersteigerte Notwendigkeit einer derartigen Verursachung geradezu das Schicksal im Sinne der »Kette und Verflechtung der Ursachen« (t_m aQt¸ym t¹m eRql¹m ja· tμm sulpkojμm) aufhebt (4, 9 – 11).26 Denn alles geschieht dann nicht nach verschiedenen Ursachen, sondern nach einer Ursache, wobei das All zugleich das Wirkende wie das Leidende ist: »Alles ist vielmehr eins« (4, 20). Daraus zieht er die folgende Konsequenz: Dann sind wir also nicht mehr wir und haben keine eigene Wirksamkeit mehr ; wir berlegen nicht mehr selbst, sondern unsere Erwgungen sind berlegungen eines anderen; wir handeln auch nicht mehr, so wie nicht unsere Fße aufstampfen, sondern wir mit den entsprechenden Teilen unseres Organismus. In Wahrheit aber muss jeder Einzelne ein Einzelner sein, es muss Handlungen und berlegungen geben, die unsere eigenen sind, die schçnen wie die hsslichen Taten des Einzelnen mssen aus ihm als Einzelnen kommen.27 25 III 1 [3] 4, 1 – 5; 12 – 13; 22 – 24. Vgl. 2, 17 – 25; 7, 4 – 6. 26 Zur Frage der Quelle dieser Schicksalslehre siehe Armstrongs Kommentar ad loc. (Note, 1, p. 18 – 19). In Enn. III 1 [3] 2, 30 – 31 erwhnt Plotin die Auffassung des Schicksals als Verknfung (1pipkojμm) und Kette der Ursachen. Diesbezglich weist Bobzien (S. 50) darauf hin, dass die stoische – »imaginative« – etymologische Erklrung von »Schicksal (eRlaql]mg)« als »Kette der Ursachen (eRql¹r aQt¸ym)« die Standarddefinition des Schicksals bei den spteren Stoikern wird. 27 III 1 [3] 4, 20 – 28.

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7. Das freie Leben

Kritisch ußert Plotin sich daber hinaus gegenber dem astrologischen Determinismus: Die Auffassung, dass der Himmelslauf alles beherrsche, reduziere unsere menschliche Existenz gleichsam auf die Existenz eines fallenden Steins, indem sie auch das, was dem Menschen gehçrt, wie z. B. Willen, Antrieb und Schlechtigkeit auf die Bewegung oder Konstellation der Sternen zurckfhre. Dagegen besteht Plotin darauf, dass man uns Menschen das uns Eigene geben msse (5, 20 f.). Zwar gibt er zu, dass man aus der Beobachtung der Konstellation der Sternen zwar zuknftige Ereignisse vorhersagen kann, bestreitet aber, dass die Sterne die Ereignisse verursachen kçnnen, ebenso wie die Vçgel oder alle Zeichen, aufgrund derer die Seher wahrsagen, nicht Urheber davon sein kçnnen, worauf sie deuten (poigtijo· ¨m sgla_mousim).28 Außerdem argumentiert er dafr, dass die Himmelskçrper, selbst wenn man zugesteht, dass sie auf unseren Kçrper einen großen Einfluss ausben, nicht unsere innere Disposition bestimmen kçnnen, da diese unserer kçrperlichen Konstitution nicht unterliegt (douke}eim). Wer z. B. Geometer oder Wrfelspieler wird, hngt also nicht vom Himmelslauf ab.29 Schließlich zieht Plotin eine weitere Version der Schicksalslehre in Betracht. Diese Lehre nimmt ein Prinzip an, das alle Dinge miteinander verknpft (sume_qousam), whrend die einzelnen Dinge etwas von sich aus tun kçnnen. Dabei sind alle Ursachen doch im Schicksal eingeschlossen, so dass absolute Notwendigkeit herrscht. Demnach kçnnen wir eigentlich nichts anderes tun als das, was das Schicksal will: Denn unsere Vorstellungen wrden durch vorausliegende Ursachen und unsere Antriebe aufgrund der Vorstellungen entstehen und das, was bei uns liegen (t¹ 1v’Bl?m), wre dann leeres Wort. Das kommt auch keineswegs dadurch zur Geltung, dass wir eigene Antriebe haben, da ja diese Antriebe auf Grund jener vorausliegenden Ursachen sich bilden; unser Anteil wre dann gleich dem von Tieren und Suglingen, die nach blinden Antrieben sich regen, und von Wahnsinnigen. Denn auch diese haben eigene Antriebe, ja bei Gott, auch das Feuer hat Antriebe und alle Dinge, die ihrem inneren Aufbau unterworfen sind (douke}omta) und ihm entsprechend sich bewegen.30

Hier wird das Schicksal als Zusammenhang aller Ursachen aufgefasst, in dem auch das Innenleben des Menschen einbezogen ist. An dieser Stelle ist zu bemerken, dass die Stoiker eine hnliche Schicksalslehre vertreten. Um die Selbstbestimmung des Menschen zu retten, schlgt Chrysipp31 jedoch eine Theorie vor, wonach die von außen andrngende Vorstellung den Reiz fr die menschliche Motivation bildet, whrend die Hauptursache darin liegt, dass 28 29 30 31

III 1 [3] 5, 33 – 37. Vgl. III 1 [3] 6, 18 – 24; II 3 [52] 7, 1 – 16. III 1 [3] 6, 3 – 10. III 1 [3] 7, 13 – 21. Vgl. 2, 30 f. Zur folgenden Darstellung der Theorie des Chrysipps vgl. Pohlenz, Freiheit, S. 137 f., Bobzien, S. 240 ff.

7.1 Die menschliche Verantwortung

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der Mensch der gegebenen Vorstellung zustimmt oder sie ablehnt. Also reagiert der Mensch nicht automatisch auf die Vorstellung, sondern durch die Zustimmung (synkatathesis), die nur dem rationalen Wesen zukommt. Insofern sind die Antriebe des erwachsenen, gesunden Menschen von denen von Tieren, Suglingen und Wahnsinnigen zu unterscheiden. Die Zustimmung hngt nach Chrysipp vom Charakter bzw. von der inneren Disposition des Menschen ab. Zur Veranschaulichung weist er darauf hin, dass eine Walze einen ußeren Anstoß (als nchstliegende Ursache) braucht, um ins Rollen zu kommen, wobei die Hauptursache des Rollens in ihrer zylinderischen Gestalt liegt.32 Chrysipps Bild der Walze kommt allerdings dem Beispiel des Feuers nahe, welches Plotin im obigen Zitat erwhnt. Nach Alexander von Aphrodisias behautpet Chrysipp tatschlich, dass die menschlichen Handlungsantriebe von der Natur des individuellen Menschen determiniert werden, so wie das Brennen des Feuers und das Fallen des Steins von der Natur des Feuers bzw. des Steins bestimmt werden.33 Ein derartiger Vergleich ignoriert allerdings den Unterschied zwischen dem vernnftigen und dem vernunftlosen Wesen, der als Ausgangspunkt des Arguments fr die Selbstbestimmung des vernnftigen Wesens vorausgesetzt wurde. Also ist Plotins kritische Haltung nicht grundlos. Die Pointe des Vergleiches ist jedoch nur darin zu suchen, dass die menschlichen Antriebe zur Handlung hauptschlich von der Natur und der inneren Disposition des Menschen bestimmt werden. Damit will Chrysipp die innere Autonomie des Menschen gegenber der Außenwelt gesichert haben. Zu beachten ist, dass Chrysipp nicht die menschliche Selbstbestimmung gegenber der Schicksalsbestimmung sicherstellen wollte. Denn er gibt die Idee des allmchtigen und allumfassenden Schicksals nicht auf. So macht auch die innere Disposition des Menschen, welche fr die Zustimmung verantwortlich ist, einen Teil des Schicksals aus. Also kann hier nicht von einer menschlichen Freiheit vom Schicksal die Rede sein. Doch kann Chrysipp die menschliche Verantwortung fr die Handlung behaupten, sofern die Zustimmung bei uns liegt.34 Problematisch ist, dass Chrysipp zugibt, dass die Natur und der Charakter des Menschen von Erbanlage, Umwelt und Erziehung bestimmt werden. Damit deutet er letzten Endes an, dass wir Menschen fr unsere eigene Natur nicht vçllig verantwortlich sind.35 Gleichwohl schließt er nicht aus, dass wir unsere eigene Natur verbessern kçnnen. Wir kçnnen nmlich durch unsere eigene Anstrengung oder Vernachlssigung gut oder

32 Zum Bild der Walze siehe Cic. De Fato 42. 2. Dazu ausfhrlich Bobzien, S. 258 – 271. 33 Alex. Aph. De fato 13, pp. 181, 13 – 182, 8 Bruns. Dazu siehe Schibli, S. 150; D. Frede, Determinism, S. 193 f.; Long, Freedom, S. 180 f. 34 Bobzien, S. 255. 35 Cic. De fato 7 – 11. Dazu vgl. Schibli 150 f. Note 72; Pohlenz, Freiheit, S. 138; Bobzien, S. 290 – 301.

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7. Das freie Leben

schlecht werden.36 Insofern sind wir doch dafr verantwortlich, was fr ein Mensch wir sind. Plotin konstruiert nun seine Ursachenlehre derart, dass sie seiner Ethik entsprechend die Mçglichkeit der menschlichen Eigenttigkeit garantiert. Zunchst geht er davon aus, dass alles Geschehen aufgrund von Ursachen (jatû aQt¸ar) geschieht. Damit schließt er auch die ursachenlose (!ma¸tior) Bewegung der Seele aus. Er verneint ausdrcklich, dass die Seele ohne Bewegunsursache etwas tut, geschweige denn das, was sie vorher nicht zu tun pflegte.37 Im Allgemeinen wird die Seele von einem Objekt ihres Strebens bewegt, sei es von einem Gewnschten oder von einem Begehrten. Auf das Streben folgt die Wahl (2k]shai) zwischen den alternativen Handlungsoptionen, von welcher der Handlungantrieb ausgeht. Als »nchstliegende« Ursache fr die Wahl oder den Antrieb przisiert Plotin die Vorstellung, dass es dem Einzelnen gut scheint, dies zu tun (t¹ vam/mai 2j²st\ tad· poie?m).38 Dabei nimmt er die Theorie Chrysipps in Anspruch, obwohl er hier den Terminus »Zustimmung« nicht erwhnt. An anderer Stelle findet sich der Terminus jedoch. In Enn. I 8 [51] sagt er nmlich, dass die bçse Seele vorschnell Zustimmungen (sucjatah´seir) gibt, indem sie sich gern den trben Vorstellungen ergibt (14, 4 – 5). Von daher liegt es nahe anzunehmen, dass die Qualitt der Seele die Art und Weise der Zustimmung beeinflusst. In Entsprechung dazu vertritt Plotin die Auffassung, dass unsere Seele selbst fr unseren Antrieb zur Handlung verantwortlich ist. In Bezug darauf behauptet er, dass nicht nur die Weltseele, sondern auch die individuelle Seele ein Prinzip (archÞ) sei. Dem fgt er hinzu, dass die individuelle Seele eine »erstbewirkende Ursache« sei.39 Damit scheint er anzudeuten, dass unsere Seele nicht der von der Weltseele ausgehenden unverbrchlichen Kausalkette sklavisch unterworfen ist, sondern selbst eine Kausalkette initiieren kann. Anders ausgedrckt, unsere individuelle Seele ist nicht von den vorauslie36 Vgl. D. Frede, Determinism, S. 196; Long, Freedom, S. 184. Vgl. SVF III 225, DL VII 91. 37 III 1 [3] 1, 13 – 19. 38 III 1 [3] 1, 24 – 29. Zur »nchstliegenden Ursachen (jatû aQt¸ar t±r l³m pqosewe?r : Z. 25)« vgl. Chrysipps Begriff »helfende und nchstliegende Ursachen« (vgl. causis adiuvantibus et proximis, Cic. De fato 41). Dazu Long, Freedom, S. 181 ff.; D. Frede, Determinism, S. 187 – 192. 39 III 1 [3] 8, 8: pqytouqcoO aQt¸ar. Was mit diesem Ausdruck genau gemeint ist, geht nicht unmittelbar aus dem Text hervor. Armstrong bersetzt den Ausdruck mit »a cause which initiates activity«, Petit mit »une cause qui est elle-mÞme l’origine de sa propre activit«. Da Plotin hier diese »erstbewirkende Ursache« dem Produkt der Samen (1j speql\tym) gegenberstellt, so scheint er auf die zweite Version der (stoischen) Schicksalslehre (vgl. Kap. 7) zurckzugreifen. Diese Lehre postuliert auf der einen Seite die Weltseele als ein einziges Prinzip (!qw^), aus dem alles nach den samenhaften Formprinzipen (k|cour speqlatijo}r) hervorgehen (3 – 4, 6, 12), und auf der anderen Seite das Schicksal, das alle Ursachen in sich enthlt (8 – 12). Hier drfte Plotin das einzige Prinzip als die erstwirkende Ursache begriffen haben, und zwar in dem Sinne, dass diese Ursache eine Kausalkette initiiert. Er glaubt jedoch, dass es nicht nur eine einzige erstwirkende Ursache gibt, sondern viele. Die Stoiker setzen das Schicksal mit dem logos spermatikos gleich. Dazu vgl. Long, Freedom, S. 178: »The Law of cause and effect is also a law of ordered development.«

7.1 Die menschliche Verantwortung

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genden Ursachen dazu gezwungen, etwas zu tun, sondern kann von sich aus etwas bestimmmen und bewirken (in diesem Sinne als causa efficiens). In diesem Zusammhang spricht Plotin von Freiheit: Ohne Verbindung mit dem Kçrper sei die einzelne Seele vçllig Herr ber sich (juqiyt\tg aqt/r), frei (1keuh´qa) und stehe außerhalb der kosmischen Verursachung (joslij/r aQt¸ar 5ny). Lit dem Eintritt in den Kçrper hingegen habe sie sich selbst nicht mehr ganz unter Kontrolle und werde mit anderen in eine Kausalreihe eingeordnet.40 Es ist wohlbekannt, dass »Freiheit« ursprnglich ein politischer Terminus ist.41 Freiheit heißt fr die Stadt die Abwesenheit der Tyrannei, fr das Individuum das Gegenteil von Knechtschaft. Dabei handelt es sich um die Freiheit von ußeren Zwngen. Ein Mensch kann im bertragenen Sinne als »frei« bezeichnet werden, wenn er sich nicht der inneren Tyrannei unterwirft. Eine derartige Freiheit kommt der Selbstbeherrschung bzw. Selbstkontrolle nahe. So ist es kaum Zufall, dass Plotin hier Freiheit mit Selbstbeherrschung und Unabhngigkeit vom Anderen zusammenbringt. Im Hinblick auf die Selbstbeherrschung weist Plotin darauf hin, dass die Seele, die sich dem Kçrper ergibt (1mdidoOsa), dazu gezwungen wird (Am\cjastai), zu begehren, zu zrnen, in Armut beschmt, im Reichtum eitel, und, wenn mchtig, tyrannisch zu sein. Die Unterwerfung unter den Kçrper fhrt zwangslufig dazu, dass die Seele von den inneren Affekten versklavt wird. So verliert sie ihre Selbstkontrolle. Die Seele aber, die in ihrer Natur gut ist, so fhrt Plotin fort, bewahrt sich selbst auch unter solchen Umstnden. Also verliert sie sich selbst nicht.42 Plotin geht weiter, indem er sagt, dass diese gute Seele die ußeren Umstnde eher verndere als sie selbst verndert werde. Sie gebe ihnen aber gegebenenfalls auch nach, ohne dabei jedoch selbst bçse zu werden. Ihm zufolge herrscht die gute Seele nicht nur ber sich selbst, sondern auch ber die ußeren Umstnde, obwohl sie nicht herrschschtig ist. Diesbezglich sagt Plotin auch, dass die bessere Seele ber mehr Dinge herrsche, die geringere dagegen ber weniger. Allerdings macht er klar, dass viele Dinge hier unter der Fhrung des Zufalls liegen, obwohl die Seele einige Dinge beherrscht und dorthin fhrt, wohin sie will (1h]kei).43 In dieser Hinsicht kann man sagen, dass die Seele hier nicht vçllig frei ist. Kommen wir damit auf die Aussage zurck, dass die Seele ohne Verbindung mit dem Kçrper außerhalb der »kosmischen Verursachung« steht. Zunchst ist zu vermuten, dass diese Verursachung es mit dem Kçrper zu tun hat. Hierzu sei darauf hingewiesen, dass der sptere Neuplatoniker Hierokles das 40 III 1 [3] 8, 9 – 10. 41 Dazu vgl. Bobzien, S. 338, Pohlenz, Freiheit, S. 21 ff. (zur politischen Freiheit); S. 77 – 109 (zur inneren Freiheit). 42 III 1 [3] 8, 15 – 20. 43 III 1 [3] 8, 11 – 14.

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7. Das freie Leben

Schicksal als eine innerkosmische physikalische Ursache auffasst. Er setzt ein derartiges Schicksal mit »der in der Materie liegenden Vorsehung« (pq|moia 5mukor) gleich.44 Nach Graeser ist die physikalische Kausalitt bei Plotin begrifflich mit der stoischen eRlaql]mg zu verknpfen. Dazu bemerkt er, dass bei Plotin die psychische Ursache an sich »the inner-cosmic processes necessitated by physical causes« transzendiert, whrend die stoische Weltseele, welche die kosmische Ursache darstellt, eigentlich physikalisch ist.45 In unserer Schrift legt Plotin jedoch nicht fest, was das Schicksal ist. Er begngt sich mit der Festellung, dass alles aufgrund von zwei Arten von Ursachen geschieht, nmlich (1) aufgrund der Seele und (2) aufgrund der sie umgebenden Ursachen, wobei er darauf verweist, dass es Leute gibt, die das Schicksal fr eine ußere Ursache (5nyhem aUtiom) halten.46 In der spteren Schrift II 3 [52] stellt Plotin die ußere Ursache als das Schicksal dar, wobei er das Schicksal mit der Kçrperlichkeit verknpft. So sagt er, dass man ohne die hçhere Seele, die außerhalb des Kçrpers sei, unter dem Schicksal lebe (9, 27 – 31). Demnach stellt die (hçhere) Seele kein Glied des unverbrchlichen Schicksals dar. Zwar muss die Seele, solange sie in Gemeinschaft mit dem Kçrper ist, innerhalb der kosmischen Verursachung bleiben, kann aber dem Schicksal entzogen leben.47 Plotin lsst jedoch nicht außer Acht, dass die Seele von den ußeren Ursachen verndert wird, so dass sie etwas aus »blindem« Antrieb tut. Er findet allerdings, dass diese Handlung und diese Disposition der Seele nicht freiwillig ist (oqw· 2jo}siom). Freiwillig sei ihr Antrieb nur dann, wenn sie ihre eigene Vernunft rein und leidenschaftslos zur Leiterin (Bcelºma) habe. Ein solcher Antrieb sei »bei uns liegend (1v’Bl?m)«, d. h. selbstbestimmt.48 Er fhrt fort: Und dies ist das uns eigene Wirken (t¹ Bl]teqom 5qcom), welches nicht von anderswoher kommt, sondern von innen (5mdohem) aus der reinen Seele, von einem ersten Prinzip also, das leitet und Herr ist (!pû !qw/r pq¾tgr Bcoul´mgr ja· juq¸ar), und nicht aus Unwissenheit Irrtum erleidet und dem Zwang der Begierden unterliegt, die, wenn sie an sie [sc. die Seele] herankçnnen, sie treiben und zerren, und unser Tun nicht mehr Wirken sein lassen, sondern bloßes Erleiden.49 44 In Photius, Bibliotheca, Cod. 251. 20, 464a18 – 20. Dazu vgl. Schibli, S. 130, 147, 351 (Note 63). 45 Graeser, Plotinus, S. 105: »The psychic cause … transcends in itself any of the inner-cosmic processes necessitated by physical causes. In Plotinus’ System, this cause, although being itself transcendent, functions as the immanent principle of coming into being. From the conceptual point of view it equals the Stoic eRlaql]mg, which, being a stream of pmeOla, penetrates the sum of material subsistence. Yet Plotinus, who correctly regards the Stoic’s world-soul as a cosmic cause, would certainly object to any assimilation of this psychic cause with the Stoics’ pmeOla, which he took to be equivalent to physical necessity.« hnlich fasst Remes (Self, S. 183) die in Frage stehende kosmische Verursachung als »the material causal order of universe« auf. 46 III 1 [3] 10, 3, 8 – 10. 47 Dazu vgl. Pohlenz, Freiheit, S. 168. 48 III 1 [3] 9, 4 – 11. 49 III 1 [3] 9, 11 – 16.

7.2 Die Selbstbestimmung des Menschen

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Demnach handeln wir aktiv nur dann, wenn wir »von uns aus«, d. h. »gemß der richtigen Vernunft handeln«. In allen anderen Fllen werden wir, so Plotin, eigentlich daran gehindert, von uns aus zu handeln. Da sind wir eher passiv denn aktiv. Schließlich sagt er, dass die besten Handlungen von uns (paq’ Bl_m) kommen.50 Diese Auffassung der menschlichen Handlung scheint jedoch mit Plotins Theorie der menschlichen Verantwortung schwer zu vereinbaren. Denn diese Theorie soll die menschliche Verantwortlichkeit vor allem fr die bçsen, unvernnftigen Handlungen begrnden. Wie kçnnten wir fr solche Handlungen verantwortlich gemacht werden, wenn sie nicht von uns kommen? Diese Schwierigkeit lsst sich m. E. dadurch lçsen, dass unsere Selbstbestimmung bzw. Eigenttigkeit in zwei Arten oder Stufen differenziert wird. Es kommt darauf an, was unter »uns« zu verstehen ist, wenn man sagt, dass etwas von uns (paq’ Bl_m) kommt oder bei uns liegt (1v’Bl?m). Wir kçnnen uns als das rein vernnftige Selbst auffassen, aber auch als das Selbst, das die unvernnftige Seite einschließt. Dem reinen Selbst schreibt Plotin die moralische Autonomie zu, dem gemischten Selbst hingegen de moralische Verantwortung fr gute wie schlechte Handlungen. Die Selbstbestimmung im Sinne der moralischen Autonomie ist eigentlich die Bestimmung der reinen Vernunft. Im Folgenden wollen wir auf Plotins Konzeption der Selbstbestimmung als Vernunftbestimmung nher eingehen, wobei wir den Unterschied zwischen dem Aspekt der Verantwortung und dem Aspekt der Autonomie zu verdeutlichen suchen.

7.2 Die Selbstbestimmung des Menschen 7.2.1 Das, was bei uns liegt Plotins ausfhrliche Diskussion ber die Selbstbestimmung findet sich in Enn. VI 8 [39] ber das Freiwillige und das Wollen des Einen.51 Hauptaugenmerk gilt dabei dem Ausdruck »t¹ 1v’Bl?m«, der als »das, was bei uns liegt oder in unserer Macht steht« bersetzt werden kann.52 Wie aus dem Titel zu ersehen ist, wird der Begriff des Freiwilligen (t¹ 2jo}siom) auch in diese 50 II 3 [52] 10, 4 – 10. 51 Zum berlieferten Titel der Schrift VI 8 [39] Peq· toO 2jous¸ou ja· hek¶lator toO 2mor (VP 26, 18) siehe Leroux, S. 223 ff. In der Plotinforschung wird t¹ 2jo}siom oft als »freie Wille« oder »Freiheit« bersetzt, was allerdings weniger eine bersetzung als vielmehr eine Interpretaion zu sein scheint. Vgl. Harder : Der freie Wille und das Wollen des Einen; Armstrong: On Free Will and the Will of the One; Brhier : De la libert et de la volont de l’Un. Zum Forschungsstand ber die Schrift vgl. Leroux, S. 215 – 222. 52 Leroux, S. 237 f., bersetzt t¹ 1v’Bl?m als »ce qui dpend de nous« oder »autodtermination«. Vgl. Long, Freedom, S. 183, gibt zwei bersetzungen fr 1v’Bl?m: »attributable to us«, »in the power of us«.

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7. Das freie Leben

Diskussion eingebracht. Dazu werden noch die Begriffe des Selbstndigen (t¹ aqteno¼siom)53 sowie des Freien (t¹ 1ke¼heqom) mit einbezogen.54 Der Ausdruck »to ep’ hÞmin« wird von Aristoteles in der Nikomachischen Ethik im Kontext der Zurechnung und Verantwortlichkeit eingefhrt.55 Von der hellenistischen Zeit bis zur Sptantike steht »das, was bei uns liegt«, im Mittelpunkt der Debatte um die Vereinbarkeit zwischen der menschlichen Selbstbestimmung und dem kausalen Determinismus.56 In Enn. VI 8 [39] liegt das zentrale Interesse nicht in der menschlichen Selbstbestimmung, sondern in der gçttlichen Selbstbestimmung. Die Frage der gçttlichen Selbstbestimmung wird von Plotin mit der der gçttlichen »Allmacht« (t¹ p²mta d¼mashai, tμm d¼malim dμ p÷sam) verknpft (1, 3 – 8). Seine Hauptfrage liegt darin, ob die Gçtter alles vermçgen, d. h., ob alles in ihrer Macht steht. Zur Annherung an diese Frage rekurriert er zunchst auf die menschliche Selbstbestimmung. So fhrt er den Begriff to ep’ hÞmin im Eingangskapitel ein: Was nun verstehen wir, wenn wir das, was bei uns liegt, sagen, und warum untersuchen wir das? Ich glaube, da wir so umgetrieben werden in widrigen Zufllen und Zwngen und in heftigen Erschtterungen der Affekte, welche unsere Seele bedrngen, halten wir all diese Dinge fr entscheidend (j¼qia), wir unterwerfen uns ihnen, lassen uns treiben, wie sie fhren. So sind wir zu dem Zweifel gelangt, ob wir etwa gar ein Nichts sind und nichts bei uns liegt, so als liege bei uns, was wir nicht nach dem Befehl von Schicksal, Zwang oder heftiger Affekte tun, sondern nach unserem eigenen Willen, ohne dass unseren Willensußerungen irgendetwas entgegensteht. Ist dem so, dann bezieht sich der Begriff das, was bei uns liegt (B 5mmoia toO 1vû Bl?m), auf das, was unserem Willen (f t0 bouk^sei doueke}ei) unterliegt und insoweit geschieht oder nicht geschieht, als wir es jeweils wollen (paq’fsom boukghe_glem %m).57

Hier erlutert Plotin to ep’ hÞmin in Bezug auf unseren Willen. Das, was bei uns liegt oder in unserer Macht steht, ist nmlich das, was unserem eigenen Willen unterliegt. Dabei stellt er den Willen des Menschen nicht nur dem ußeren Schicksal oder Zwang, sondern auch den inneren Affekten gegenber. Damit wird der Bereich begrenzt, welches in unserer Macht steht, d. h. das, worber wir Menschen Herr sind. Das, was wir unter Kontrolle haben, ist nichts anderes als das, was nach unserem Willen geschieht.

53 54 55 56

Zum Begriff des Selbstndigen (t¹ aqteno¼siom) vgl. Leroux, S. 257 f. Dazu vgl. Remes, Self, S. 180 ff. EN III 4 – 7. Dazu siehe Wolf, Aristoteles, S. 125, 134; Rapp, S. 131 f. Dazu vgl. Bobzien, S. 2 ff., 180 – 233; D. Frede, Determinism, S. 192 – 204; Long, Freedom, S. 185 ff. 57 VI 8 [39] 1, 21 – 33.

7.2 Die Selbstbestimmung des Menschen

143

Hier scheint Plotin den Ausdruck »Wille« (boulÞsis) noch nicht als terminologisch zu gebrauchen.58 Denn er versucht in Kap. 2 gerade den Ort des selbstbestimmenden Wollens zu bestimmen. Mit diesem Zweck vor Augen geht er der folgenden Frage nach: Welchem (t_mi) soll man das, was auf uns zurckgefhrt wird (t¹ !maveqºlemom eQr Bl÷r), als bei uns liegend, zuschreiben? (2, 1 – 2) Zunchst spricht er dies den irraitonalen Antrieben ab: »Allein, weisen wir es dem Gemt (hul`) und der Begierde (1pihul_ô) zu, so wrden wir damit auch Kindern und Tieren Selbstbestimmung (t¹ 1p’aqto?r) zugestehen, ferner Wahnsinnigen, außer sich Geratenen und solchen, die unter dem Einfluss von Giften stehen und von dadurch andringenden Vorstellungen, deren sie nicht Herr sind« (2, 5 – 8). Prima facie scheint Plotin hier von Selbstbestimmung (to ep’ hÞmin) im Sinne der »Zurechnungsfhigkeit« zu sprechen, aufgrund derer man fr sein Handeln moralisch verantwortlich gemacht werden kann. Beim nheren Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass es hier nicht um die Frage der Zurechnung geht. Im Kontext der Zurechnung kommt das eph’hÞmin dem normalen erwachsenen Menschen zu. Als das Moment, das ein voll verantwortliches Handeln kennzeichnet, fhrt Aristoteles die Entscheidung bzw. den Vorsatz (pqoa_qesir) ein. Prohairesis wird als »berlegtes Streben (boukeutijμ eqenir) nach dem, was bei uns liegt« definiert.59 Dabei wird vorausgesetzt, dass es bei uns liegt, gut oder schlecht zu handeln. Plotin hingegen zçgert das eph’hÞmin »dem mit Streben verbundenen berlegen« (kocisl` let’ aq]neyr) zuzuschreiben, da das berlegen fehlgehen kann (2, 8 – 10). Dies deutet an, dass er das falsche berlegen aus dem Bereich der Selbstbestimmung ausschließen will. Schließlich schreibt er das eph’hÞmin dem Wollen zu, das in der richtigen Vernunft (1m k|c\ aqh`) liegt (3, 2 – 4). In Bezug auf die Selbstbestimmung des Wollens der richtigen Vernunft stellt Plotin noch eine zustzliche Anforderung, nmlich das Wissen (t¹ t/r 1pist^lgr): Denn wenn einer richtig meint und dementsprechend handelt, so hat er vielleicht noch nicht unbestritten das Selbstndige, es sei denn, er wisse, warum sein Meinen richtig ist (eQ lμ eQd½r diºti aqh_r), sondern er handelt dann als ein nur durch Zufall (t}w,), durch eine beliebige Vorstellung zum Gebhrenden (t¹ d´om) Geleiteter.60

58 An anderer Stelle fhrt Plotin den Willen (boulÞsis) neben den irrationalen Strebevermçgen (aqejtij\), nmlich dem Gemt und der Begierde als eine selbstndige Motivationskraft ein, nmlich als das Streben der Vernunft. Vgl. IV 4 [28] 28, 64 – 71; VI 1 [42] 12, 6 f. Dazu vgl. Cooper, Motivation. M. Frede (Affections, S. 101 f.) zufolge differenziert auch Aristoteles im Gefolge von Platon drei Strebensformen, epithymia, thymos und boulÞsis, und identifiziert boulÞsis als Begierde der Vernunft (Vgl. MM 1187 b 36 f; Top. 126 a 13). 59 EN III 5, 1113a10 – 11. Dazu vgl. Rapp, S. 121 ff.; Wolf, Ethik, S. 130. Vgl. S. 120: »Die prohairesis ist das raitonale, berlegte Wollen, und zwar das berlegte Wollen in der Weise, dass die berlegung unmittelbar handlungsbezogen ist, also fragt, was hier und jetzt zu tun gut ist.« 60 VI 8 [39] 3, 5 – 8.

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7. Das freie Leben

Seine These lautet, dass nicht derjenige, der zufllig richtig meint, sondern allein derjenige, der seine richtige Meinung rechtfertigen kann, selbstndig handeln kann. Festzustellen ist, dass Plotin den Begriff des Selbstndigen als quivalent zu dem, was bei uns liegt, einfhrt. Spter legt er ergnzend fest, dass der Begriff to ep’ hÞmin sich auf »das, was Selbstndigkeit (t¹ aqteno¼siom) besitzt und keinem anderen untersteht, sondern selbst Entscheidung (j}qiom) ber ihre Aktivitt hat« (7, 26 – 28). Zu beachten ist, dass Plotin davon ausgeht, dass die Vorstellung nicht in unserer Macht steht. Dabei meint er mit Vorstellung diejenige, die »aus den Affektionen des Kçrpers erweckt wird« (3, 11 – 12). Daraus folgert er, dass derjenige Mensch, der nach solchen Vorstellungen handelt, nicht als »selbstndiges Prinzip« handelt.61 Letztlich schreibt er die Selbstndigkeit nur demjenigen Menschen zu, der »frei von den Affektionen des Kçrpers vermçge der Aktivitten des Geistes handelt« (3, 19 – 21). Dem fgt er nun hinzu, dass die vom Geist her kommenden Prmissen (pqot²seir) wirklich »frei« (1keuh]qar) sind, und die aus dem geistigen Erkennen erweckten Bestrebungen »nicht unfreiwillig« (oqj !jous_our) (3, 22 – 24). Aufgrund dessen kann man zweierlei vermuten: Zum einen hat das richtige berlegen der Vernunft den Obersatz im praktischen Syllogismus vom Geist her. Zum anderen entspringt das richtige Streben der Vernunft dem geistigen Erkennen. Also verdankt die richtige Vernunft ihre Richtigkeit und somit die Selbstndigkeit dem Geist. Auf diese Weise fhrt Plotin die Selbstbestimmung des vernnftigen Menschen auf die Wirksamkeit des Geistes zurck.62 An dieser Stelle fragt man sich allerdings, wie die Vernunft als »selbstndig« bezeichnet werden kann, wenn sie dabei doch auf den Geist angewiesen sein muss. Offenbar betrachtet Plotin diese Angewiesenheit auf den Geist nicht als Fremdbestimmung. Das liegt wohl daran, dass er Fremdbestimmung mit ußerem Zwang verbindet, whrend er glaubt, dass die richtige Vernunft freiwillig dem Geist folgt, weil sie es fr sich selbst gut findet.63 Dafr spricht seine Aussage, dass die Seele frei sei, wenn sie vermçge des Geistes (di± moO) ungehindert zum Guten strebe (7, 1 – 2). Es scheint ihm daran gelegen zu sein, die Selbstbestimmung und Selbstndigkeit der Vernunft zu begrnden. Seine Pointe liegt wohl darin, dass die Vernunft, solange sie dem Geist folgt, von den kçrperlichen und ußerlichen Einflssen unabhngig und ungehindert ist. In

61 VI 8 [39] 3, 16 – 17. Hierzu ist daran zu erinnern, dass Plotin in Enn. III 2 [47] 10, 18 – 19 den Menschen als ein Prinzip (!qw¶) in der Ursachenkette betrachtet, wobei er »die eigene Natur« des Menschen, die den Menschen auf »das Schçne« hin bewegt, als »selbstndiges Prinzip« bezeichnet. 62 Auf dieser Grundlage schreibt Plotin die Selbstbestimmung auch den Gçttern zu, sofern sie vermçge des Geistes und nach dem geistgemßen Streben leben. Vgl. VI 8 [39] 3, 23 – 26. 63 Außerdem situiert Plotin auf seiner metaphysischen Topographie den Geist sozusagen nicht außerhalb der Vernunft, sondern in der Vernunft, nmlich in der »ersten Seele« des Menschen. Vgl. I 1 [53] 8, 3 – 6.

7.2 Die Selbstbestimmung des Menschen

145

dieser Hinsicht sttzt die Vernunft sich fr ihre Selbstbestimmung und Selbstndigkeit auf den Geist als das sichere Fundament. Es ist kein Zufall, dass Plotin in diesem Zusammenhang den Ausdruck »frei« ins Spiel bringt.64 Dabei geht es m. E. um die Freiheit im Sinne der Abwesenheit von hinderlichen und zwingenden Einflssen. Damit greift er auf die ursprngliche Bedeutung der Freiheit aus dem politischen Kontext zurck. Freiheit wird dabei negativ bestimmt, nmlich Abwesenheit von den Zwngen der Tyrannei oder der Sklaverei. In dieser Hinsicht wird sie der Fremdherrschaft bzw. Heteronomie gegenbergestellt. Daraus ergibt sich eine positive Bestimmung der Freiheit als Autonomie. Wie gesagt, ein Mensch heißt im bertragenen Sinne »frei«, wenn er sich nicht der inneren Tyrannei sklavisch unterwirft. Eine solche Freiheit kommt der Selbstbeherrschung nahe. Sie ist also eine moralische Qualitt. Trgt man hierzu der »politischen« Ordnung der menschlichen Seele Rechnung, so stellt man fest, dass die moralische Freiheit des Individuums seinerseits auf einer »gerechten« Verfassung der inneren Polis beruht, die sich in der Herrschaft der Vernunft ber die Affekte realisiert. Sie ist also von einer Anarchie oder einer Willkrherrschaft weit entfernt. Hlt man die Vernunft fr das Selbst des Menschen, so gelangen wir zu Plotins Auffassung der Freiheit als moralischer Autonomie.65 Allerdings ist nicht außer Acht zu lassen, dass die inneren Affekte des Menschen von den ußeren Umstnden beeinflusst werden kçnnen. Die menschliche Freiheit ist insofern nicht ausschließlich die Sache der Innenpolitik der Seele. Plotin ist der Meinung, dass der Mensch mehr oder weniger von den ußeren Umstnden abhngig ist, solange er einen Kçrper hat. Von daher ist wohl zu erklren, warum Plotin in Enn. III 1 [3] die Seele, die nicht mit dem Kçrper in Gemeinschaft ist, als »frei« bezeichnet. Da er dabei die Freiheit der Seele neben ihrer Selbstbeherrschung und ihrer Unabhngigkeit von der kosmischen Verursachung erwhnt, liegt die Annahme nahe, dass er unter Freiheit Selbstbestimmung im Sinne der Autonomie versteht (8, 9 f.). Diese Auffassung impliziert wiederum, dass unsere Seele, sofern sie mit dem Kçrper zusammenlebt, nicht vollkommen frei ist. Dennoch zeigt Plotin sich zuversichtlich bezglich der befreienden Macht der Tugend. Ihm zufolge ist es die Tugend, »die durch ihren Eintritt in unsere Seele die Freiheit (t¹ 1ke¼heqom) und die Selbstbestimmung (t¹ 1vû Bl?m) herstellt und uns nicht mehr Knechte der Dinge sein lsst, denen wir zuvor als Sklaven (do}kour) dienten.«66

64 Zu Plotins Konzeption der Freiheit vgl. Kristeller, S. 78 – 89; Leroux; O’Meara, Freedom; Beierwaltes, Selbst, S. 123 ff.; Halfwassen, Plotin, S. 128 – 141; ders. Freiheit, S. 476 ff. 65 Zum Vergleich mit dem kantischen Begriff der Freiheit siehe Graeser, Plotinus, S. 114. 66 VI 8 [39] 5, 32 – 34. Zur Bezeichnung der Freiheit verwendet Plotin den Ausdruck »t¹ 1ke¼heqom«, der im Deutschen »dem Freien« entspricht. Das Wort 1keuheq¸a kommt in seinen Schriften niemals vor.

146

7. Das freie Leben

7.2.2 Die Tugend ist herrenlos In Bezug auf die Befreiung der Seele durch die Tugend greift Plotin in Enn. VI 8 [39] erneut auf Platons Er-Mythos zurck, und zwar auf die Rede der »herrenlosen Tugend (t¹ !d]spotom tμm !qet¶m: 5, 31)«. Nach dem Mythos whlt jede Seele, wie bereits erwhnt, vor ihrer Einkçrperung ihr eigenes Schicksal, in dem sie dann notwendig verharren muss. Dazu macht Platon allerdings eine Ausnahme: Jeder Mensch werde von der Tugend mehr oder weniger haben, je nachdem, ob er sie ehre oder gering schtze, da die Tugend herrenlos sei.67 Damit deutet er an, dass der Erwerb oder Besitz der Tugend nicht dem Schicksalszwang unterliegt, d. h. von den ußeren Umstnden abhngt. Daraus ergibt sich fr Platon, dass die Tugend bei uns liegt. Nun schreibt Plotin der tugendhaft handelnden Seele die Selbstndigkeit und Selbstbestimmung zu. Dabei stellt er zunchst fest, dass wir nicht der Erlangung des Handlungszieles (vgl. teOnim, tuwe?m) Herr sind, whrend die schçne Art und Weise (vgl. t¹ jak_r) des Handelns bei uns liegt.68 Da die Tugend nicht auf die Handlungsfolge, sondern auf die Handlungsweise bezogen ist, kann man sagen, dass die Tugendhaftigkeit des Handelns bei uns liegt. Das wiederum besagt, dass es bei uns liegt, tugendhaft zu handeln. Dabei nimmt Plotin an, dass die Tugend in unserer Macht steht, so wie Platon das meint. Hierbei geht Plotin offenbar davon aus, dass das tugendhafte Handeln im eigentlichen Sinne der tugendhaften Disposition des Handelnden entspringt. Diesbezglich sagt er in Enn. I 5 [36], dass es die inneren Zustnde der Seele sind, die auch das Handeln erst »schçn« machen (10, 13). Er fhrt fort: »Der Einsichtige (vqºmilor) genießt auch im Handeln des Guten, nicht weil er handelt und nicht infolge der ußeren Umstnde, sondern auf Grund seines inneren Besitzes. So kçnnte die Rettung des Vaterlandes auch von einem Minderwertigen vollbracht werden« (10, 13 – 16). In Enn. VI 8 [39] stellt Plotin jedoch klar, dass das tugendhafte Handeln nicht vçllig in unserer Macht steht. Denn »wir handeln z. B. tapfer, weil Krieg ist. Da meine ich, kann die dann stattfindende Aktivitt nicht bei uns liegen, denn wenn kein Krieg eingetreten wre, wre es unmçglich gewesen, diese Aktivitt zu vollziehen« (5, 8 – 10). Dass wir berhaupt handeln, hngt von der Situation ab. Insofern ist die handlungsbezogene Tugend von der Situation abhngig. Bei jedem tugendgemßen Handeln ist die Tugend gleichsam gezwungen, so formuliert es Plotin, nach dem jeweils Vorliegenden (pq¹r t¹ pqosp?ptom) dies oder das zu tun (5, 11 – 13). Um eine solche Zwanghaftigkeit des tugendhaften Handelns zu verdeutlichen, fhrt er ein Gedankenexperiment durch, indem er die Tugend personifiziert: 67 Vgl. Plat. Resp. 617e 3 – 4. IV 4 [28] 39, 2; VI 8 [37] 5, 11 – 26. 27; 6, 5 – 6. 68 VI 8 [39] 5, 4 – 6. Dazu siehe oben 2. 3. 2 (der stoische Bogenschtzenvergleich).

7.2 Die Selbstbestimmung des Menschen

147

Denn mçchte man der Tugend selber die Wahl geben, ob sie, um in Ttigkeit zu treten, will, dass es Kriege gebe, damit sie sich tapfer zeigen kann, dass es Unrecht gebe, damit sie das Gerechte bestimme und Ordnung schaffe, und Armut, damit sie Freigebigkeit beweisen kçnne, oder ob alles wohlbestellt sein solle, dass sie sich unttig halten kçnne; dann wrde sie sich fr die Ruhe von den Ttigkeiten entscheiden, wo niemand eines von ihr kommenden Beistandes (heqape¸ar) bedrfte, so wie wohl ein Arzt wie Hippokrates wnschen mçchte, dass keiner seiner Kunst bedrfe.69

Hier geht es um eine Wahl zwischen Handeln und Ruhe vom Handeln. Die Tugend zieht zwar die Ruhe vor, kann sich aber nicht in Ruhe lassen, solange die Notwendigkeit zum Handeln besteht. Es wre eigentlich fr sie ideal, wenn sie gar nicht handeln msste. In diesem Kontext beabsichtigt Plotin, die Selbstbestimmung in den Bereich vor bzw. außerhalb des Handelns zu verlegen. Obwohl er die Selbstbestimmung nicht vçllig aus dem Bereich des Handelns ausschließt, wie wir gesehen haben, stellt er fest, dass wir im Bereich des Handelns die Selbstbestimmung nicht »in reiner Form« (jahaq_r) besitzen.70 So sucht er weiter nach einem sicheren Ort fr die menschliche Selbstbestimmung. Dennoch nimmt Plotin an, dass die »notwendigen« Handlungen zwar nicht »gewollt«, doch insofern selbstbestimmt sind, als die tugendhafte Seele selbst glaubt, so handeln zu mssen, wie sie handelt. Dabei richtet sich die Seele nicht nach den ußeren Umstnden, sondern nach ihrem inneren Handlungsprinzip: So rettet sie z. B. einen Menschen, der sich in Gefahr befindet, nicht bloß deswegen, weil er sich in Gefahr befindet, sondern deswegen, weil sie es fr richtig hlt. Sie kann ihn durchaus aufgeben, falls ihr dies gut scheint (eQ dojo? aqt0). Sie kann ihm auch gebieten, das Leben und Hab und Gut und Kinder und selbst das Vaterland aufzugeben, »da sie das Schçne ihrer selbst zum Ziel hat (sjop¹m t¹ jak¹m art/r 5wousam), nicht die Existenz des ihr Untergeordneten« (6, 14 – 18). Sie ist nur ihrem inneren Maßstab verpflichtet. Damit fhrt Plotin die Selbstbestimmung in der Handlung auf den inneren Zustand der Seele zurck, und zwar die »innere Aktivitt der Tugend«. Dabei stellt er die geistige Erkenntnis und Betrachtung als die innere Aktivitt der Tugend dar, die auf dieser inneren Theoria beruhende Praxis hingegen als die »ußere« Aktivitt der Tugend. Die Letztere ist als ein natrlicher Ausdruck der Ersteren aufzufassen.71 Nun identifiziert Plotin die innere, geistige Einsicht mit der Tugend tout court und setzt sie nachdrcklich von denjenigen Tugenden ab, die mit dem Prdikat »praktisch« modifiziert werden: »Denn diese reichen, so sagt er [sc. 69 VI 8 [39] 5, 13 – 20. 70 VI 8 [39] 5, 20 f. 71 VI 8 [39] 6, 19 – 22. In Enn. III 8 [30] stellt Plotin die Handlung und die Hervorbringen als schwache Form der Betrachtung oder ihr Nebeneffekt dar : PamtawoO dμ !meuq¶solem tμm po¸gsim ja· tμm pq÷nim C !sh´meiam heyq¸ar C paqajoko¼hgla (4, 39 – 40).

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7. Das freie Leben

Platon], in die Nhe des Kçrpers, durch Gewohnheit und bung zurechtgerckt« (6, 24 – 26).72 Die Tugend hingegen macht die Seele gleichsam zu Geist. Plotin bezeichnet diese Tugend selbst wohlgemerkt als »eine Art von Geist« (6, 22 – 23). Eben diese »geistige« Tugend identifiziert Plotin mit der »herrenlosen« Tugend in Platons Er-Mythos, denn er glaubt, dass diese Tugend keinem Herrn dient, sondern selbst souverne Herrin ist (6, 5). Er schreibt dieser Tugend den Willen zur Selbstndigkeit, Selbstbestimmung und Freiheit zu: »Die Tugend hat den Willen, auf sich selber zu bestehen, indem sie ber die Seele waltet, sodass diese eine gute Seele wird, und bis zu dieser Grenze ist sie selbst frei und macht auch die Seele frei« (6, 7 – 9). Hiernach ist die Freiheit der Seele auf die Freiheit der geistigen Tugend zurckzufhren. An dieser Stelle ist zu bemerken, dass Platon im Er-Mythos unsere freie Verfgung ber die Tugend betont. Wichtig ist, dass wir tugendhaft werden kçnnen, indem wir uns darum bemhen. Denn die herrenlose Tugend unterliegt nicht dem Schicksal, d. h. den ußeren Umstnden, sondern steht in unserer Macht. Dies besagt noch nicht, dass wir schon ber die Tugend verfgen. Im Vergleich dazu legt Plotin den Akzent auf die Herrenlosigkeit der Tugend. Er fhrt Freiheit und die Selbstbestimmung des Menschen auf den »Willen der Tugend« zurck, der seinerseits souvern (juq¸a) und selbstndig (1vû 2aut/r) ist. Dieser Wille bleibt nach Plotin auch dann selbstndig, wenn er aus Notwendigkeit etwas in Bezug auf das Außen anordnet (6, 27 – 29). Also: »Alles nun, was aus diesem Willen kommt und um seinetwillen geschieht, liegt bei uns, und was er von sich aus selbst will und ungehindert verwirklicht, das liegt vollends primr bei uns« (6, 30 – 31). Hierbei geht es um die Selbstbestimmung des Menschen, die bereits ber die befreiende Tugend verfgt. Mit anderen Worten handelt es sich um die Selbstbestimmung des tugendhaften Menschen. Nun ist zu bedenken, dass Plotin der Tugend nicht nur den souvernen Willen, sondern auch die geistige Betrachtung zuschreibt, wobei er die Tugend als »eine Art Geist« bezeichnet (5, 34). Er unterscheidet diesen Geist einerseits von der ethischen Tugend und andererseits vom »theoretischen« Geist, den er als »den ersten Geist« identifiziert (6, 32). Dies erinnert an die aristotelische Unterscheidung zwischen dem praktischen und dem theoretischen Geist.73 72 Vgl. Plat. Resp. 518d 10-e 2. 73 Interessant ist, dass Aristoteles in De anima III 9 – 10 den berlegenden Seelenteil (to logistikon) als »den so genannten Geist« bezeichnet. Dieser Geist lsst sich m. E. in zwei Teile einteilen, nmlich in einen theoretischen und einen praktischen Geist (Vgl. 432b 26 – 7, 433a14 – 6). Allerdings suggeriert der Ausdruck »der so genannte Geist« die Existenz des Geistes im wahren Sinne des Wortes. Da der hçchste Gott bei Aristoteles ein ausschließlich sich selbst erkennender Geist ist, so ist anzunehmen, dass der Geist im wahren Sinne des Wortes ein theoretischer Geist ist. In diesem Fall gibt es zwei Arten vom theoretischen Geist.

7.2 Die Selbstbestimmung des Menschen

149

In Enn. V 3 [49] erwhnt Plotin »den praktischen Geist« und stellt diesen dem »reinen« Geist gegenber, der sich ganz und gar der Betrachtung (theria) widmet (6, 35 – 42).74 Aufgrund dieser Unterscheidung ist zunchst die Vermutung naheliegend, dass die Tugend mit dem »praktischen« Geist identisch ist. In diesem Fall ist die »geistige« Tugend, die Plotin hier im Auge hat, grundstzlich praktisch ausgerichtet. Es ist allerdings zweifelhaft, ob Plotin hier die Tugend auf die praktische Weisheit einschrnken will. Denn fr ihn gilt generell der Vorrang der theoretischen Weisheit gegenber der praktischen Weisheit. Die Weisheit des Tugendmenschen besteht vorrangig und vornehmlich in der Erkenntnis des geistigen Seins. Daher scheint es mir unplausibel zu sein, dass die Tugend ausschließlich ein praktischer Geist ist. Wenn aber die Tugend sowohl den praktischen Geist als auch den theoretischen Geist darstellen soll, dann stellt sich die Frage, worin der Unterschied zwischen dem ersten und theoretischen Geist und der Tugend besteht. Mein Vorschlag wre der, dass die Tugend eben der zweite Geist ist, der nicht ausschließlich theoretisch, sondern auch praktisch ttigt ist. Die Unterscheidung zwischen dem ersten und dem zweiten Geist passt gut zu Plotins Unterscheidung zwischen dem »Geist der Seele« und dem Geist selbst bzw. dem reinen Geist, der ausschließlich theoretisch ist. Plotin identifiziert den »Geist der Seele« mit dem Verstand (dianoia), wobei er diesen als »den zweiten (de¼teqom) nach dem Geiste und Nachbild des Geistes« kennzeichnet (4, 21). Von daher ist es naheliegend anzunehmen, dass der reine Geist mit dem ersten, theoretischen Geist identisch ist, whrend sich die Tugend als »eine Art Geist« eben auf die optimale Disposition jenes zweiten Geistes bezieht. Der reine Geist ist nun kein Teil der Seele.75 Im Gegensatz zur Seele ist der reine Geist jenseits der Tugend. Denn Tugend bezeichnet die gute Disposition eines Wesens, welches auch schlecht sein kann. Jener Geist kann aber unmçglich schlecht werden. Daher hat er keine Tugend. Ebenso wenig ist er Tugend. Wenn unsere Interpretation richtig ist, dann ist der erste, theoretische Geist keine Tugend, sondern »gleichsam Vorbild« (oXom paq²deicla) der Tugend.76. Die Tugend ist »eine Art Geist«, welche die ausgezeichnete Disposition der Seele darstellt, welche jenen reinen, ersten, theoretischen Geist nachahmt.

7.2.3 Der Wille zum Guten In Enn. VI 8 [39] fhrt Plotin die Freiheit und Selbstbestimmung der menschlichen Seele auf den »Willen der Tugend« zurck. Da dieser Wille souvern und selbstndig ist, so kann er als frei bezeichnet werden. Nun wird die Selbstbestimmung im »Willen zum Guten« situiert (6, 41). Daraus ergibt 74 Dazu vgl. Oosthout, S. 114 – 119. 75 V 1 [10] 10, 13 – 19; 24 – 31; V3 [49] 2, 22; 3, 21 – 22; 6, 39; I 1 [53] 8, 1 – 6. 76 I 2 [19] 6, 17 – 18.

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7. Das freie Leben

sich, dass der freie Wille bei Plotin nicht in dem Sinne frei ist, dass er sich fr etwas Schlechtes entscheiden kann. Dieser Wille zum Guten ist auch nicht in dem Sinne frei, dass er eine beliebige Wahl zwischen verschiedenen Optionen treffen kann. Von Willensfreiheit im Sinne einer willkrlichen Wahlfreiheit kann hier nicht die Rede sein.77 Fr die Verdeutlichung dieses Punkts lohnt es sich, einen kurzen Blick auf Plotins Behandlung der Freiheit des gçttlichen Geistes zu werfen. Plotin schreibt dem gçttlichen Geist, der ewig und unvernderlich ist, die Freiheit und Selbstbestimmung im eminenten Sinne78 zu, obwohl dieser von Natur aus nicht anders handeln kann, als er tut. Anders formuliert, es liegt nicht bei ihm, nicht so zu tun (oqj 5wym 1pû aqt` t¹ lμ poie?m), wie er tut (4, 6 – 7). Selbstbestimmung im Sinne der Wahlfreiheit kann der Geist nicht haben. Angesichts dessen kçnnte man meinen, dass der Geist seiner eigenen Natur sklavisch unterliegt. Gegen diese Meinung wendet Plotin jedoch ein: »Wie kann man von ›sklavisch unterliegen‹ reden, wenn nicht erzwungen ist, einem anderen zu folgen?« (4, 10 – 12) Zu diesem Punkt weist er darauf hin, dass die Rede von Knechtschaft zwei Wesen voraussetzt, nmlich einen Knecht und seinen Herrn. Da der Geist jedoch eine einfache Natur ist, so gibt es fr ein ungleiches Machtverhltnis zwischen dem Herrn und dem Knecht keinen Platz: »Wenn sie [eine einfache Natur] nun nicht auf Grund eines anderen besteht noch in der Verfgung eines anderen steht, wie sollte sie nicht frei sein?« (4, 28 – 29)79 An dieser Stelle ist zu beachten, dass Plotin denjenigen Menschen als »frei« betrachtet, der nicht nur ungezwungen ist, sondern auch ungehindert ist, und zwar im Hinblick auf das Gute (7, 1 – 2). Der Knecht ist hingegen dazu gezwungen, »einem anderen zu folgen«, wobei er an seinem eigenen Guten gehindert wird: Knechtschaft erleidet ein Wesen, welches nicht Herr darber ist, zum Guten zu gelangen, sondern von einem anderen, strkeren Wesen, das ber ihm steht, von seinem eigenen Guten weggefhrt wird, weil es jenem dienen muss. Deshalb ist ja auch Knechtschaft (douke¸a) verwerflich, nicht wo einer nicht die Vollmacht (1nou-

77 So Halfwassen, Plotin, S. 136. Vgl. Kristeller, S. 81 f.: »Die menschliche Freiheit wird in der gemeinen moralischen Reflexion zumeist als eine Wahlfreiheit aufgefaßt. Es herrscht die Vorstellung, dass der Mensch jeweils aus einer Mehrzahl von gegebenen Mçglichkeiten des Handelns durch willkrliche berlegung eine einzige auswhlt und im Handeln verwirklicht […] Diese Auffassung der Freiheit ist fr das Verstndnis der Plotinischen Freiheitslehre gnzlich auszuschalten.« Kristeller bersieht jedoch nicht, dass Plotin die Idee (nicht den Namen) von der Entscheidungsfreiheit hat (s. 84 f.). 78 Plotin zufolge hat der gçttliche Geist die Freiheit und Selbstbestimmung oder »etwas Hçheres« (le?fom : VI 8 [39] 4, 30). 79 Nach Plotin fallen bei dem Geist Wesen, Ttigkeit und Wollen zusammen: Er hat bereits das, was er von sich aus anstrebt. Anders gesagt, sein Wollen ist immer schon erfllt. Insofern kann er nicht anders sein, als er will (VI 8 [39] 4, 37 – 40). In Kap. 6, 32 f. bringt Plotin in Bezug auf den theoretischen Geist des Menschen ein hnliches Argument vor.

7.2 Die Selbstbestimmung des Menschen

151

s¸am) hat, zum Schlechten zu gelangen, sondern wo er nicht zu seinem Guten gelangen kann, da er zu dem Guten eines anderen Wesens gefhrt wird.80

Der Text lsst darauf schließen, dass man dann frei ist, wenn man selbst Herr darber ist, zu seinem eigenen Guten zu kommen. Also geht es hier nicht um die Freiheit, etwas Beliebiges oder gar etwas Schlechtes zu tun. So stellt Plotin klar, dass man die Freiheit um des Guten willen sucht (4, 35 – 6). Freiheit besteht nmlich in der Macht, das zu tun, was man eigentlich will, nmlich das Gute. Unter diesem Gesichtspunkt erweist sich die Vollmacht zum Schlechten eigentlich als Ohnmacht. Wie Plotin sich ein vollkommen freies Wesen vorstellt, lsst sich am deutlichsten einer Stelle entnehmen, wo er eine hçchst spekulative Diskussion ber die Freiheit und Selbstbestimmung des absolut Guten liefert: Indessen, Es ist so, nicht weil Es nicht anders sein kann, sondern weil es das Beste ist, so zu sein. Denn, zum Besseren zu gelangen, hat nicht jedes Wesen die Selbstbestimmung, zum Schlechteren aber abzusteigen, wird kein Ding von einem anderen gehindert; sondern wenn es nicht absteigt, so steigt es aus Eigenem nicht hinab, nicht weil es daran gehindert wre, sondern weil es selber dasjenige ist, das nicht hinabsteigt; das Unvermçgen (t¹ !d¼matom), zum Schlechteren hinab zu steigen, bezeichnet nicht eine Unfhigkeit (!dumal¸am) des nicht Absteigenden, sondern dass das Nicht-Absteigen geschieht aus Eigenem und um seiner selbst willen. Der Umstand also, dass Jenes zu keinem andern Dinge hinabsteigt, bedeutet gerade sein Hçchstmaß an Fhigkeit; es wird nicht durch eine Notwendigkeit davon zurckgehalten, sondern ist selber die Notwendigkeit und das Gesetz der anderen Dinge.81

Hier geht Plotin davon aus, dass es unmçglich ist, dass das Gute anders ist, als es ist. Diese Unmçglichkeit zum Anderssein stellt er als Fhigkeit zum Selbstsein dar. Eben darin erblickt er die unanfechtbare Selbstbestimmung des Guten.82 Eine derartige Selbstbestimmung fhrt er wiederum mit der Notwendigkeit zusammen: Es ist nmlich notwendig, dass das Gute so bleibt, wie es ist. Wichtig ist, dass diese Notwendigkeit nicht von anderen bestimmt ist, sondern vom Guten selbst, sozusagen von innen her. Diese selbstbe80 VI 8 [39] 4, 17 – 22. 81 VI 8 [39] 10, 25 – 35. Allerdings ist zu bedenken, dass Plotin grundstzlich daran festhlt, dass man vom Guten eigentlich nichts aussagen kann. So weist er in unserer Schrift darauf hin, dass wir z. B. die Selbstndigkeit von den geringeren Wesen her auf jenes bertragen, da wir unfhig sind, zu treffen, was eigentlich von jenem ausgesagt werden msste (8, 1 – 7). Also ist seine Aussage vom Guten unter Vorbehalt der Uneigentlichkeit (oXom) zu verstehen. Dazu vgl. O’Meara, Freedom, S. 347 f.; ders., Indicible, S. 145 – 56; Halfwassen, Plotin, S. 139; Horn, Zahl, S. 322 ff. Zum aporetischen Charakter der Suche nach dem hçchsten Prinzip im Neuplatonismus siehe O’Meara, Aporetics, bes. zu Plotin S. 99 ff. 82 Dazu vgl. Halfwassen, Plotin, S. 140: »Als Selbstbestimmung hat positive Freiheit somit den Charakter seiner Selbstbeziehung. Freiheit aber ist sie fr Plotin offenbar nicht aufgrund des Beziehungscharakters dieser Selbstbeziehung, gemß der sie sich selbst in Bestimmendes und Bestimmtes unterscheidet, sondern vielmehr aufgrund der in dieser Beziehung ttigen Selbstheit, die Bestimmtendes und Bestimmtes zur Selbstbestimmung eint.«.

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7. Das freie Leben

stimmte, innere Notwendigkeit ist von der Notwendigkeit im Sinne des ußeren Zwangs zu unterscheiden. Sie ist vielmehr als Freiheit im Sinne der Autonomie, d. h. der Selbstgesetzgebung zu begreifen, wie das obige Zitat die Verbindung zwischen Notwendigkeit und Gesetz nahe legt. Auf diese Art und Weise vereint die Selbstbestimmung im Sinne der Autonomie in sich Freiheit und Notwendigkeit.83 Plotin geht noch weiter mit der Behauptung, dass das Gute nicht nur fr sich selbst, sondern auch fr andere die Notwendigkeit und das Gesetz darstelle. Hierzu ist zu bercksichtigen, dass das Gute bei Plotin als Prinzip aller Ordnung, Vernunft und Grenze gilt. Als Ordnungsprinzip ist das Gute ohne jeden Zufall oder jede Beliebigkeit (10, 11 – 2).84 So ist sein Wollen »weder unvernnftig noch beliebig (eQj0) oder wie es ihm einfllt, sondern wie es sich gebhrt (¢r 5dei)« (18, 41 – 43). Demnach will das Gute nicht das Beliebige, sondern das Gebhrende bzw. Gesollte (t¹ d´om). Nun ist das Gute gerade das Gesollte. Daraus folgt, dass das Gute nichts anderes als sich selbst will.85 Und das Gute ist das, was es will. Dies bezeugt gerade die Allmacht des Guten, des hçchsten Gottes bei Plotins, nmlich die »Allmacht, die wirklich seiner selbst Herr ist« (d¼malim p÷sam art/r emtyr juq¸am: 9, 45) Bei diesem allmchtigen Gott fallen also Sein, Wollen und Sollen zusammen. Die gçttliche Allmacht ist also keine Macht zur Willkr, sondern die Macht zum Guten, wie der folgende Text deutlich macht: Denn »Vermçgen (t¹ d¼mashai)« ist dort nicht so zu verstehen, dass es auch das Gegenteil umfasst, sondern als ein unverwandtes, unverrckbares Vermçgen, das dann im hçchsten Maße Vermçgen ist, wenn es aus dem Einen nicht hinaustritt; denn das Gegenteil zu vermçgen, gehçrt zum Unvermçgen, beim hçchsten Guten zu beharren. So muss denn auch sein Hervorbringem [sc. von sich selbst], von dem wir sprechen, ebenfalls einmalig (ûpan) sein; denn es ist schçn. Wer wollte es auch abbiegen, da es nach Gottes Willen sich vollzieht, und sein Wille ist?86

Plotins Versuch zur positiven Bestimmung der Freiheit des Guten bietet trotz all dem Vorbehalt hinsichtlich der Unaussagbarkeit des Guten eine berzeugende Idealvorstellung der Freiheit, die fr die menschliche Freiheit maßgeblich sein kann. Die Freiheit des Menschen kann demnach an der Einheit von Wollen, Sollen und Sein gemessen werden. Gewiss ist beim Menschen die Diskrepanz zwischen Wollen und Sollen einerseits, die zwischen Wollen und Sein andererseits nicht leicht zu schmlern. Plotin ist der Ansicht, dass wir Menschen, streng genommen, nicht Herr ber unser eigenes Sein sind (12, 9 – 11) Doch verneint er damit keineswegs die Mçglichkeit dieser Selbstmch83 Dazu vgl. Leroux, S. 74 f.; Beierwaltes, Freiheit, S. XXXI-XXXIV. 84 Vgl. VI 8 [39] 8, 26 ff. Dazu vgl. Beierwaltes, Norm, S. 127 f. 85 VI 8 [39] 18, 45 – 49. Plotin betont auch die einzige Art (lomaw_r) des Guten: »Jenes hat seine Einzigartigkeit aus sich selber. So ist es also dies und ist nichts anderes, sondern das, was es sein musste« (9, 13 – 14). Dazu vgl. Leroux, S. 293, 304. 86 VI 8 [39] 21, 3 – 10.

7.3 Das freie Prinzip des Menschen

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tigkeit bei den Menschen. Freiheit im Sinne der Selbstmchtigkeit ist aus seiner Sicht sicher eine hohe Leistung, fr die der Mensch erst arbeiten muss. Wer kein Sklave sein will, muss seine Freiheit verdienen. Frei ist schließlich nur derjenige, der gut ist. So werden wir frei, indem wir dem Guten, also jenem Gott hnlich werden. In dieser Hinsicht macht das Gute uns frei und kann daher mit Recht als »Befreier« (1keuheqopoiºm: 12, 19) bezeichnet werden.

7.3 Das freie Prinzip des Menschen Wie wir gesehen haben, verknpft Plotin die Freiheit mit dem Willen, aber nicht mit der Wahl. So spricht er nirgendwo explizit von einer freien Wahl. Gleichwohl diskutiert er das Phnomen der Wahlfreiheit unter dem Schlagwort to eph’hÞmin. Selbstbestimmung, fr die der Ausdruck steht, umfasst bei Plotin jedoch nicht nur die Wahl- bzw. Entscheidungsfreiheit, sondern auch die Freiheit im Sinne der Autonomie. berraschenderweise bringt Plotin den Begriff der Freiheit in die Diskussion ber das Verhltnis zwischen der menschlichen Verantwortung und der gçttlichen Vorsehung ein. Dies ist insofern berraschend, als man blicherweise das Problem der menschlichen Verantwortung mit der Wahlfreiheit verknpft. Haben wir es hier mit der Freiheit im Sinne der Wahlfreiheit zu tun? Wenn nicht, wie soll dann die Freiheit im Sinne der Autonomie zur menschlichen Verantwortung stehen? Damit wenden wir uns dem einschlgigen Text zu: Wre nmlich der Mensch ein einfaches Wesen – ich meine hier mit »einfach«: Wenn er nur das wre, als das er geschaffen ist, und sein Handeln und Leiden nur diesem Prinzip gehorchte –, so wrde eine Schuld im Sinne des Vorwurfs bei ihm wegfallen, wie bei den anderen Lebewesen. Nun aber ist der Mensch das einzige Wesen, das, sofern er schlecht ist, einem Vorwurf unterliegt; und dies vielleicht mit gutem Grund; denn er ist eben nicht nur das, als was er geschaffen ist, sondern er hat noch ein anderes Prinzip in sich, ein freies – welches freilich nicht außerhalb der Vorsehung steht und außerhalb des gesamten Weltplans.87

Hier beabsichtigt Plotin die Verantwortung des Menschen fr sein Tun, besonders fr das schlechte Tun, trotz der gçttlichen Vorsehung des Alls zu retten. Die moralische Verantwortung des Menschen begrndet er damit, dass der Mensch, anders als andere Lebewesen, ein freies Prinzip in sich hat. Leider sagt er nicht, was dieses freie Prinzip ist, und in welchem Sinne es frei ist. Er begngt sich mit ein paar sprlichen Ausknften. So bemerkt er einerseits, dass nicht alle Menschen ihr freies Prinzip gebrauchen: »Die Menschen haben also zwar noch ein anderes Prinzip, doch nicht alle gebrauchen (wq_mtai) alle 87 III 3 [48] 4, 1 – 8.

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7. Das freie Leben

[Prinzipien], die sie haben, sondern die einen jenes, die anderen das andere oder die anderen geringeren«(4, 13 – 16). Andererseits stellt er fest, dass nicht alle Menschen gemß jenem freien Prinzip leben, weil bei den Menschen nicht allein jenes Prinzip, sondern auch andere wie z. B. die Begierde »herrschen« kçnnen (4, 25 – 29). Aufgrund dieser Ausknfte ist anzunehmen, dass das freie Prinzip etwas mit der Vernunft bzw. dem Geist zu tun hat, sofern diese keinem anderen Lebewesen als dem Menschen zukommen. Zudem ist zu vermuten, dass jenes Prinzip in dem Sinne frei ist, dass es selbstndig wirkt, obzwar nicht außerhalb der Vorsehung. Plotin will ja zeigen, dass der Mensch aufgrund jenes freien Prinzips nicht bloß zum Vorsehungsprodukt gehçrt, sondern sein eigenes Werk ist, weshalb er eben die Verantwortung fr sein Handeln nicht auf die Vorsehung abschieben kann. In der Tat spricht Plotin in einem analogen Kontext vom »selbstndigen (aqteno¼siom) Prinzip«. Es handelt sich dabei um ein Prinzip, welches den Menschen auf »das Schçne« hin bewegt. Dieses Bewegungsprinzip erweist sich als »die eigene Natur« des Menschen.88 Da der dem Menschen eigene Antrieb aus der Vernunft kommt, ist naheliegend anzunehmen, dass das selbstndige Prinzip mit der Vernunft oder mit deren Antriebskraft, d. h. dem Willen, identisch ist. Diese Annahme lsst sich dadurch untermauern, dass die Vernunft neben den irrationalen Affekten im Menschen herrschen kann. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass Plotin in seiner Schrift II 5 [52] ber die Frage, ob die Sterne wirken unter Berufung auf Platons Timaios 69c 5d 3 behauptet, dass der Schçpfer uns »das Prinzip (!qw¶) der Seele« verleiht, vermçge dessen wir ber die schrecklichen und notwendigen Affekte Herr sein kçnnen. Dem fgt er hinzu, dass Gott uns in allen beln, in denen wir durch Kçrper verwickelt sind, doch »die herrenlose Tugend« gab (9, 6 – 18). Dabei setzt er das Prinzip der Seele mit der hçheren Seele gleich, die außerhalb des Kçrpers liegt, nmlich der Vernunft. Daraus kçnnen wir den Schluss ziehen, dass das herrenlose, und in diesem Sinne freie Prinzip eben die Vernunft ist. In diese Interpretationsrichtung weist auch Enn. III 1 [3] ber das Schicksal. Dort stellt Plotin die Vernunft als das leitende und herrschende Prinzip der Seele dar. Zugleich bezeichnet er den vernnftigen Antrieb als »richtig«, »leitend«, »freiwillig« und »bei uns liegend«. So liegt es nahe anzunehmen, dass gerade die Vernunft das gesuchte »freie Prinzip« ist. Da der Antrieb der Vernunft eben der Wille ist, so kann man hier vom freien Willen sprechen. Diese Interpretation lsst sich durch Plotins Aussage bekrftigen, 88 III 2 [47] 10, 18 – 19. Allerdings vertritt Plotin in III 2 [47] 4, 36 – 38 und 8, 10, wie wir schon gesehen haben, die Auffassung, dass alle Lebewesen, welche aus sich ber »selbstndige bzw. selbstbestimmte (aqteno¼siom)« Bewegung verfgen, bald zum Besseren, bald zum Schlechteren ausschlagen. An dieser Stelle gebraucht Plotin den Ausdruck aqteno¼siom im Sinne von liberum arbitrium. Dazu vgl. V 1 [10] 1, 5; IV 8 [6] 5, 26.

7.3 Das freie Prinzip des Menschen

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dass unsere Seele diesen »richtigen und leitenden Antrieb« nicht immer gebraucht (9, 7 – 9).Denn diese Aussage passt zu der oben erwhnten Auskunft, dass nicht alle Menschen das freie Prinzip gebrauchen. Hieße das aber nicht, dass nicht alle Menschen ihre Vernunft bzw. ihren Willen gebrauchen? Wie ist allerdings diese absurd klingende Schlussfolgerung zu verstehen? Hierzu sollten wir die Tatsache bercksichtigen, dass nicht alle Menschen vernnftig im wahren Sinne des Wortes sind. Ebenso kçnnen wir sagen, dass die Unvernnftigen von ihrem eigentlichen Willen nicht Gebrauch machen. Daraus kçnnen wir den Schluss ziehen, dass niemand aus freiem Willen, d. h. freiwillig schlecht handeln kann, einen Schluss, der als sokratisch gelten kann. Nun ist zu fragen, ob wir mit dieser Interpretation eine Verbindung zwischen dem freien Prinzip und der moralischen Verantwortung herstellen kçnnen. Nach Plotin ist der Mensch insofern moralisch verantwortlich, als er das freie Prinzip in sich hat. Die obige Interpretation fhrt zu der These, dass dem Menschen die moralische Verantwortlichkeit zukommt, da er die Vernunft und den Willen hat. Es scheint jedoch zweifelhaft zu sein, dass der Mensch die Vernunft im wahren Sinne des Wortes und den Willen im eigentlichen Sinne hat. Zugunsten der obigen These kann man allerdings darauf hinweisen, dass die Menschen deswegen moralisch fehlgehen, weil sie nicht vernnftig sein wollen. In dieser Hinsicht kann man sagen, dass gerade der Gebrauch der Vernunft bzw. des freien Willens moralisch geboten ist. Entsprechend kann man dafr argumentieren, dass ein Mensch sich dafr zu verantworten hat, wenn er von seinem Willen keinen richtigen Gebrauch macht. Diese Argumentation scheint insofern plausibel zu sein, als es von einem Menschen, sofern er Mensch ist, erwartet wird, vernnftig zu sein. Das Vernntigsein und das vernnftige Wollen gehçren demnach zur moralischen Forderung. Auf diese Art und Weise kann man den Willen als das freie Prinzip des Menschen mit dessen moralischer Verantwortung verknpfen, ohne dabei die Freiheit des Willens als Wahlfreiheit zu deuten. Gleichwohl legt Plotin eine gewisse Auffassung der Wahlfreiheit seiner Diskussion ber die moralische Verantwortlichkeit zugrunde, obwohl er die Wahlfreiheit nicht unter der Rubrik »Freiheit« thematisiert. So geht er im obigen Text offenkundig davon aus, dass es an uns liegt, das freie Prinzip zu gebrauchen oder nicht. Wir kçnnen das freie Prinzip gebrauchen, aber auch durchaus dessen Gebrauch unterlassen. Wenn ein Mensch sein freies Prinzip nicht gebraucht und somit unvernnftig und schlecht handelt, so kçnnen wir ihn deswegen tadeln, weil er das freie Prinzip htte gebrauchen kçnnen. Denn jenes Prinzip stand zu seiner Verfgung. Der moralische Vorwurf setzt grundstzlich voraus, dass der Mensch htte anders tun kçnnen, oder, dass er htte richtig handeln kçnnen. Wie wir schon gesehen haben, hlt Plotin an dem platonischen Satz fest, dass die Schuld beim Whlenden liegt, was auch voraussetzt, dass es einem frei steht, zwischen den Alternativen zu whlen. Die Wahl kann man aber nur da treffen, wo im Ein-

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7. Das freie Leben

zelnen Alternativen mçglich sind. Daraus folgt, dass die moralische Verantwortlichkeit die Wahlfreiheit voraussetzt. Die Wahlfreiheit setzt wiederum die Fhigkeit zur Wahl voraus. Der Mensch kann also zwischen den Handlungsalternativen whlen. Dieses Whlen ist freilich kein vçllig undeterminierter Willkrakt. Denn nach Plotin findet kein Geschehen ohne Ursache statt. ußere Ursachen ben jedoch keine zwangslufige Auswirkung auf unsere Wahl aus. Unsere Wahl wird vielmehr von unserer Beschaffenheit bestimmt. Sie ist daher ein Ausdruck unserer moralischen Persçnlichkeit. Dabei ist Plotin der Ansicht, dass wir im Grunde fr unsere eigene Persçnlichkeit verantwortlich sind. Indessen liegt auf der Hand, dass Plotin nicht gerne von der Fhigkeit zur moralisch falschen Wahl sprechen will. Dass jemand falsch whlen kann, bezeugt in seinen Augen eher die Unfhigkeit bzw. die Schwche der Person. Ebenso wenig wrde er von der Freiheit zur falschen, schlechten Wahl sprechen. Denn die Freiheit ist fr ihn um des Guten willen da. Das verneint jedoch nicht die Mçglichkeit der falschen Wahl. In diesem Fall liegt die Schuld nach Plotin beim Whlenden. Im Hinblick darauf verdient eine Stelle in Enn. VI 8 [39] unsere Beachtung. Dort stellt Plotin die Frage: »In welchem Sinne drfen wir da sagen, dass es bei uns liege, gut zu sein und dass die Tugend herrenlos sei?« (5, 30 – 31) Dabei scheint er nicht nur auf den Er-Mythos in Platons Politeia, sondern auch auf die Diskussion des Aristoteles ber to eph’hÞmin in der Nikomachischen Ethik zurckzugreifen, wo es heißt, dass die Tugend wie die Schlechtigkeit in unserer Macht stehen, und dass es bei uns liegt, ob wir gut oder schlecht sind.89 Bei beiden Stellen geht es um die moralische Verantwortlichkeit des Menschen aufgrund der Selbstbestimmung im Sinne der Wahlfreiheit (vgl. liberum arbitrium). Plotin schlgt nun die folgende Antwort vor: »Sofern wir es wollen und whlen« (C to?r ce boukghe?si ja· 2kol´moir : 5, 31 – 32). Demnach kçnnen wir gut, d. h. tugendhaft sein, sofern wir es wollen und whlen. Das impliziert allerdings nicht, dass wir immer das Gutsein wollen und whlen, sondern nur dass wir es kçnnen. Dieses »kçnnen« scheint aber nicht bloß eine Mçglichkeit, sondern vielmehr eine Fhigkeit zu bedeuten. Nach dieser Deutung sind wir nicht nur zur moralischen Wahl fhig, sondern auch zur moralisch richtigen Wahl. Die moralische Wahl ist dann richtig, wenn sie dem vernnftigen Wollen folgt. Die Ausfhrung der Fhigkeit zur richtigen Wahl kann jedoch ausbleiben. In Wirklichkeit whlen nicht alle Menschen, gut zu sein, obwohl sie dazu fhig sind. Viele unterlassen es, das Gutsein zu whlen. Mit diesem Versumnis wird man aber selbst ungerecht und unwrdig, sofern man sich als vernnftiges und moralisches Wesen betrachtet. Aus dieser Sicht kann man von »Pflicht« der Selbstverwirklichung sprechen, einer Pflicht im Sinne des Gebhrenden (to deon). Wenn nun die Selbstverpflichtung einem Menschen nicht von außen auferlegt wird, sondern aus seinem Verstndnis des Selbst als Mensch her 89 Arist. EN III 7, 1113b 6 – 14.

7.3 Das freie Prinzip des Menschen

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kommt, dann kommt ihm die Freiheit im Sinne der Autonomie zu. Diese Freiheit des einzelnen Menschen verweist allerdings auf die allgemeine Natur des Menschen, und zwar die Vernnftigkeit und Moralitt, auf welcher die Wrde sowie die Verantwortlichkeit des Menschen begrnden. Nun wollen wir auf die Aussage zurckkommen, dass das freie Prinzip des Menschen nicht außerhalb der Vorsehung steht. Damit wird angedeutet, dass die Freiheit des Menschen in die Vorsehung einzubetten ist. In der Tat ist Plotin der Auffassung, dass die Freiheit im Sinne der moralischen Autonomie bzw. Selbstbestimmmung mit der Vorsehung nicht in Widerspruch steht, sondern in bereinstimmung.90 Der Knotenpunkt, der die menschliche Selbstbestimmung mit der gçttlichen Vorsehung verbindet, ist m. E. darin zu finden, dass beide auf die Vernunft bezogen sind. Die menschliche Selbstbestimmung ist nichts anderes als Vernunftbestimmung, whrend die gçttliche Vorsehung in der Aktivitt der Vernunft der Welt liegt. Plotin scheint davon auszugehen, dass unsere Vernunft und die Weltvernunft in ihren Wesen miteinander bereinstimmen, obwohl sie sich in ihren Leistungen voneinander unterscheiden. Dabei legt er die Annahme nahe, dass die »gçttliche« Vernunft der Welt die vollkommene Vernunft darstellt, welcher die menschliche Vernunft nacheifern soll. Bemerkenswert ist, dass Plotin die Selbstbestimmung der Seele der Schicksalsbestimmung gegenberstellt: Dieser Unterschied zwischen den Seelen entsteht entweder durch die Verschiedenheit der Leiber, in die sie eingetreten waren, oder durch ihre Schicksale oder durch die Erziehung, oder sie bringen von sich selber den Unterschied mit, oder aber alle diese Grnde bzw. einige von ihnen wirken zusammen. So unterliegen einige Seelen ganz und gar der irdischen Schicksalsbestimmtheit, einige nur manchmal und gehçren manchmal sich selber, andere fgen sich ihr nur in dem, was zu erdulden notwendig ist, haben aber die Kraft, sich selber zu gehçren in allen Bettigungen, die ihnen eigentmlich sind, denn sie leben unter einer anderen, die Gesamtheit des Seienden regelnden Gesetzlichkeit und geben sich selber diesem hçheren Gebote hin (f_sai jatû %kkgm tμm t_m sulp²mtym t_m emtym molohes¸am %kk\ 2aut±r hesl` doOsai).91

Hier vertritt Plotin die Ansicht, dass die Selbstbestimmung der Seele mit der Befolgung des hçheren Gebots der alles umfassenden Gesetzlichkeit zusammenfllt, wobei er zwischen dem Schicksal und der bergeordneten Gesetzlichkeit unterscheidet. Er sagt jedoch nicht, was jene Gesetzlichkeit ist. Mein Vorschlag wre der, dass jene Gesetzlichkeit mit dem »Gesetz der Vorsehung« gleichzusetzen ist, wobei es um die Vorsehung im eigentlichen Sinne geht, welche die Aktivitt der »gesetzgeberischen« Vernunft der Welt ausmacht. Diese Vorsehung ist als die hçhere Vorsehung anzusehen, die Plotin von der unteren Vorsehung, d. h. dem Schicksal unterscheidet. 90 III 3 [48] 5, 46 f. 91 IV 3 [27] 15, 7 – 15.

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7. Das freie Leben

Abschließend ist darauf aufmerksam zu machen, dass die (hçhere) Vorsehung als Garantin der rationalen und moralischen Weltordnung »das Menschsein« bewahrt, indem sie dem Menschen dazu verhilft, ein vernnftiges und moralisches Wesen zu sein. Unter diesem Aspekt zeigt sich die Vorsehung als menschenfreundlich: Indem nun der Mensch nicht das beste aller Lebewesen ist, sondern nur einen mittleren Rang einnimmt – er hat ihn sich selber gewhlt –, wird er dennoch an dem Orte, auf dem er seine Sttte hat, von der Vorsehung nicht dem Untergang ausgeliefert, sondern immer wieder zur Hçhe hinaufgezogen mit den mannigfachen Mitteln, deren sich das Gçttliche bedient, um der Tugend das bergewicht zu verschaffen (1pijqatest´qam !qetμm poioOm). Und so hat die menschliche Gattung (t¹ !mhq¾pimom c´mor) die Eigenschaft, vernunftbegabt zu sein, nicht eingebßt, sondern, ob auch nicht im hçchsten Grade, so nimmt der Mensch doch teil an Weisheit und Geist und Kunstfertigkeit und Gerechtigkeit (an der Gerechtigkeit in ihren gegenseitigen Beziehungen haben sie alle Teil; sie glauben, selbst wenn sie jemandem Unrecht tut, ein Recht dazu zu haben, weil er es verdient hat): somit ist er insoweit ein schçnes Geschçpf, als ihm schçn (jak¹m) zu sein vergçnnt ist; und eingefgt in das Gewebe des Alls hat er das bessere Teil gegenber den anderen Lebewesen, soweit sie auf der Erde wohnen.92

In diesem Text sind zwei Dinge hervorzuheben. Zum einen schreibt Plotin die Vernnftigkeit und Moralitt dem Menschen als Gattungswesen zu. Zum anderen spricht er explizit von der Gerechtigkeit im zwischenmenschlichen Umgang. Daran zeigt sich, dass Plotins Ethik nicht auf die Ethik eines einsamen »bermenschen« zu reduzieren ist. Denn seine moralische Forderung gilt fr jeden Menschen, sofern er ein Mensch ist.93 Alle Menschen sind zum Wettkampf der Tugend eingeladen, obwohl nur wenige den Preis davon tragen.94 Seine Ethik ist offen fr alle. Zugleich setzt seine Ethik eine politische Gemeinschaft voraus. Die Moral der menschlichen Polis versucht er schließlich in der moralischen Ordnung der Kosmopolis zu begrnden, die von der gçttlichen Vorsehung aufrechterhalten wird. Diese gçttliche Vorsehung bietet sich dabei als Modell der gerechten Regierung zum Wohle der Regierten, als Modell der Frsorge fr eine harmonisch geordnete Gemeinschaft als Ganzes.

92 III 2 [47] 9, 19 – 31. Vgl. 9, 5 – 8. 93 Zu Recht bemerkt Himmerich, S. 161: »Plotin weiß selbst, dass nur wenige Menschen sich von der Verstrickung in die Welt zu lçsen vermçgen. Trotzdem stellt er sein Menschenbild als allgemeinverpflichtend hin. Wir mssen es darum als ein ideales Menschenbild annehmen, das die allgemeine Grundrichtung der Selbstverwirklichung des Menschen angibt, und diese Richtung ist allerdings auch allgemeinverpflichtend.« 94 Vgl. III 2 [47] 5, 3 – 4.

Schluss Wir kommen jetzt zu der in der Einleitung gestellten Frage zurck: Warum die Rckkehr in die Hçhle? Warum muss der plotinische Weise, nachdem er am ersehnten Ziel seines geistigen Aufstiegs angelangt ist, in diese Welt hinabsteigen? Zur Beantwortung dieser Frage haben wir versucht die Existenz einer »Ethik des Abstiegs« bei Plotin nachzuweisen. Dabei haben wir der doppelten Sorge des plotinischen Tugendmenschen (Spoudaios) unsere Aufmerksamkeit geschenkt. Daraus wurde eine zweifache Ethik der Sorge herausgestellt, nmlich einmal die weltabgewandte Ethik der Sorge um sich selbst und dann die weltzugewandte Ethik der Sorge um andere. Die Erstere entspricht nun der Ethik des Aufstiegs, die Letztere hingegen der des Abstiegs. Wir waren zugleich darum bemht, die dieser zweifachen Ethik zugrunde liegenden anthropologischen, psychologischen, kosmologischen und metaphysischen Voraussetzungen herauszuarbeiten. Als Grundlage fr die zwei Hauptrichtungen der Ethik Plotins erweist sich die zwiefache Natur der menschlichen Seele. Die doppelte Sorge der menschlichen Seele spiegelt nmlich ihr doppeltes Streben wider : Die Seele hat einerseits einen Drang zur Selbstvervollkommnung, andererseits einen Eifer zur Vervollkommnung der Welt. Die auf- und absteigende Bewegung der menschlichen Seele grndet also auf der Notwendigkeit ihrer inneren Natur. Diese innere Notwendigkeit der menschlichen Seele ist wiederum in die Notwendigkeit der gesamten Natur im Sinne der Gesamtwirklichkeit eingebettet, die Plotin mit seinem Begriff »Gesetz der Natur« zum Ausdruck bringt. Die in diesem metaphysischen Begriff implizierte teleologische Perspektive erweist sich als besonders fruchtbar fr die Erschließung seiner ethischen Position. Denn Plotins Teleologie der Natur bietet eine bergreifende Betrachtungsweise, welche in Aussicht stellt, die Diskrepanz zwischen Weltabgewandtheit und Weltzugewandtheit in der plotinischen Ethik aufzulçsen. Nach der plotinischen Teleologie hat die Seele zweierlei Vermçgen zu verwirklichen, und zwar (i) ein auf das Jenseits gerichtetes Vermçgen und (ii) ein auf das Diesseits gerichtetes Vermçgen. Zur Selbstverwirklichung muss die Seele folglich nicht nur fr sich selbst, sondern auch fr andere Sorge tragen. In dieser Hinsicht wird die Sorge um andere in die Sorge um sich selbst im weiteren Sinne integriert. Eine solche Selbstsorge ist insofern von der egoistischen Selbstbezogenheit zu unterscheiden, als sie eine wohlwollende Sorge um andere einschließt. In diesem Sinne drfen wir sagen, dass eine »altruistische« Tendenz gerade in der inneren Natur der Seele verwurzelt ist.1 Damit 1 Es sei darauf hingewiesen, dass der plotinische Kosmos als eine organische Einheit eine innere

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Schluss

erçffnet sich eine ethische Perspektive, die den gelufigen schroffen Gegensatz zwischen Egoismus und Altruismus aufheben kann. Wir wir gesehen haben, fordert Plotin ausdrcklich das »Gemeinsame«, welches die Menschen miteinander verbindet, indem er den Egoismus der Gnostiker kritisiert. Als Grundlage dieser gemeinsamen Perspektive scheint er eine wohlwollende Ordnung der Gesamtnatur zu postulieren, die auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist. Die Notwendigkeit des Abstiegs der Seele lsst sich durch diese teleologische Gesamtordnung der Natur begrnden. Trotz seiner teleologischen Erklrung des natrlichen Abstiegs der Seele gesteht Plotin ein, dass der Abstieg fr die Seele eine unwillkommene Anstrengung bedeuten kann. So hlt er es berhaupt fr nçtig zu erwhnen, dass die Seele in Bezug auf den Abstieg nicht mit sich selber hadern soll.2 Außerdem weist er auf die Mçglichkeit hin, dass einer, der gerade »viel gesehen hat«, immer oben bleiben will, indem er »das Politische« fr seiner unwrdig hlt.3 Dennoch besteht unser Philosoph auf der Notwendigkeit des Abstiegs in diese Welt. Also muss der plotinische Tugendmensch in die Hçhle zurckkehren, und sich um »das Politische« kmmern. An dieser Stelle stellt sich allerdings die Frage, ob Plotins teleologische Betrachtungsweise nicht auf die Annahme einer gespaltenen Seele des Menschen hindeutet. Strebt die Seele nicht zwei Ziele an, die letztlich nicht miteinander zu versçhnen sind? Befindet sich der plotinische Tugendmensch nicht stndig im inneren Krieg? In der Tat schreibt Plotin dem Tugendmenschen eine »Verachtung des Irdischen« zu, die mit der wohlwollenden Zuwendung zu dieser Welt schwer zu vereinbaren scheint.4 Plotins Abwertung dieser Welt liegt allerdings daran, dass diese Welt letztlich eine Imitation, d. h. ein Abbild der wahren Welt ist. Angesichts des philosophischen Ethos der Wahrheitssuche ist eigentlich nicht verwunderlich, dass Plotin sich nicht mit einem Abbild zufrieden geben will, wie schçn das Abbild auch sein mag.5 Doch hasst er das schçne Abbild nicht, sondern eher schtzt die Affinitt des hiesigen Abbildes zum dortigen Urbild hoch. Dass diese Welt gemß jener Welt geordnet ist, gehçrt zum Kern seiner Lehre der gçttlichen Vorsehung. Die systematische Bedeutung von der Vorsehungslehre Plotins fr seine Ethik ist bisher wenig gewrdigt worden. Diese Vernachlssigung in der Forschung scheint m. E. zum Teil an dem Vorurteil zu liegen, dass das Konzept

2 3 4 5

Sympatheia, ein Mitfhlen aller ihrer Teile hat (vgl. IV 4 [28] 32, 13). Diesbezglich nimmt Plotin eine innere Verwandtschaft aller Seelen unereinander an. Ferner behauptet er, dass alle Einzelteile zum Gesamtleben des Kosmos beitragen (vgl. P\mter d³ pq¹r t¹ fkom s}lvoqoi), indem sie miteinander kooperieren (vgl. sulb\kkei d³ %kko %kk\, sumeqcoOmta) (vgl. II 2 [52] 7, 11 – 26; 8, 6 – 7; 12, 24 – 27; 13, 10 – 14). IV 8 [6] 7, 1 – 8. VI 9 [9] 7, 20 – 28. VI 7 [38] 31, 21; V 8 [31] 6, 11. hnlich Remes, Self, bes. S. 22 f. Zur platonischen Wahrheitsliebe in ethischer Hinsicht vgl. Szaif, Wahrheit, S. 152 – 168.

Schluss

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der Vorsehung zu sehr der Sphre des Mythos und der Religion verhaftet ist, um in den philosophischen Diskurs eingebracht zu werden. Bei genauer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass Plotin die befrchteten mythischen, oftmals anthropomorphen Vorstellungen von der gçttlichen Vorsehung geradezu demontiert. Auch die bildhaften Ausfhrungen setzt er bewusst dafr ein, die komplexe Begrifflichkeit der Vorsehung effizient auf den Punkt zu bringen. Signifikant ist, dass die Vorsehung eine rationale und moralische Ordnung dieser Welt garantiert, nach der man sich richten kann. So kann man auch gegen das Gesetz der Vorsehung verstoßen und entsprechend dafr leiden, wie der Vergleich mit der Anweisung des Arztes zeigt. Das Gesetz der Vorsehung stellt dabei eine allgemeine Rechtsordnung dar, welche die moralische Gesundheit des Ganzen gewhrleistet. Im Einzelnen kann es freilich Zuflle geben, wie eben den, dass ein schlechter Mensch sein Vaterland rettet. Nun pldiert Plotin dafr, mit Milde zu ertragen, was vom Laufe des Ganzen her notwendig ist. Er sagt uns, weder ber uns selbst noch ber die Welt zu murren. Von daher liegt die Annahme nahe, dass der plotinische Tugendmensch geduldig die Last der Verantwortung fr diese Welt auf sich nehmen wird. Es ist eigentlich nicht anders zu erwarten, dass der Tugendmensch als Weiser diese Welt so sieht, wie sie ist. Dem ist hinzuzufgen, dass er sich darber im Klaren sein muss, dass er sich nicht lediglich nach der glcklichen Schau des Dortigen sehnt, sondern auch zum Verbesserung des Hiesigen beitragen will, und zwar nach dem dortigen Urbild, das er schon gesehen hat. Seine Einsicht in die Sache wird ihn dazu befhigen, seine gespannte Weltsicht zu ertragen und sogar zu berwinden. Seine Welt- und Selbsterkenntnis kann ihm dazu verhelfen, sein inneres Gleichgewicht zu bewahren. Er wird den unvermeidlichen Schwierigkeiten im hiesigen Leben mit Gelassenheit begegnen, da sein Weltverstndnis die Zuversicht auf eine grundstzlich wohlwollende und gerechte Ordnung der Welt bereitet. Also wird der plotinische Tugendmensch sich politisch engagieren, ohne sich darber hinwegtuschen zu lassen, dass das gesuchte Glck nicht im politischen Leben zu finden ist. Er wird nmlich sein glckliches Ziel nicht aus den Augen verlieren, die in der Schau besteht. So wird er die praktische Tugend sicherlich hinter die theoretische Tugend zurckstellen. Denn das Handeln ist fr ihn nur eine schwache Form der Betrachtung.6 Da er aber allein die idealen Vorbilder in der geistigen Welt zu sehen und sie auf die menschliche Welt zu bertragen vermag, so ist aus der teleologischen Perspektive nicht nur notwendig, sondern auch angemessen, dass er in die Politik geht. Wenn nun Plotins Platonopolis eine Stadt werden sollte, dann wre sie unter der Obhut von Philosophen gewesen. Sie htte eine richtige politische Struktur und Verwaltung gehabt, welche den Brgern das Leben »nach den Gesetzen Platons« gewhrleisten sollte. Alle Philosophen htten in die Hçhle zurck6 III 8 [30] 4, 31 – 47; 5, 21 – 5.

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Schluss

kehren mssen, um sich, wenn auch nicht immer, so doch zumindest abwechselnd, an der Regierung zu beteiligen. Platonopolis wre keine kaiserliche Institution gewesen, die den Philosophen einfach nur Muße gebracht htte. Abschließend mçchte ich mich der Frage zuwenden, ob Plotins Theorie der teleologischen und providentiellen Weltordnung berhaupt philosophisch Sinn macht. Schließlich hat sie die Gesamtordnung der Welt zum Gegenstand, die sich in ihrer Totalitt dem rationalen Zugriff entzieht. Sie ist daher im Prinzip unbeweisbar. Wozu dann eine solche Theorie? Eine mçgliche Antwort auf diese Frage wre die, dass Plotin sich um ein Weltbild bemht, welches dem Leben in dieser Welt einen Sinn gewhrt. In diese Richtung weist auch seine engagierte Kritik an den Gnostikern. Denn er legt dabei die Diagnose nahe, dass die gnostische Weltverachtung das Leben in dieser Welt aller Bedeutung beraubt, was zur widergesetzlichen und unmoralischen Lebensfhrung fhrt. Letztlich scheint er eine normative Weltordnung als Basis der Rechtfertigung der menschlichen Moral und des Rechtswesens zu postulieren. Im moralischen und gerechten Leben erblickt er schließlich die Wrde und Freiheit des Menschen als Vernunftwesen. So wagt es unser Philosoph, den menschlichen Standpunkt zu berschreiten, um die fr unser Leben sinnvolle Weltordnung zu retten. Damit geht er allerdings »ein nobles Risiko« ein – hnlich wie Sokrates im Phaidon mit seinem mythischen Entwurf einer rationalen und gerechten Weltordnung.7 Wie ein sinnvolles Leben auf Erden konkret vorzustellen ist, dafr gibt Plotin ein Beispiel mit seinem eigenen philosophischen Leben, welches nicht nur den Aufstieg ins Jenseits, sondern auch den Abstieg ins Diesseits umfasst. letab²kkom !mapa¼etai.8

7 Plat. Phaed. 114d. Dazu vgl. D. Frede, Phaidon, S. 163 f. 8 IV 8 [6] 1, 13 – 14 = Heracl. fr. B 84a DK: »Sich wandelnd ruht es aus.«

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IV. Hilfsmittel Dufour, Richard: Plotinus: A Bibliography 1950 – 2000, in: Phronesis 46 (2001), S. 235 – 411. Horn, Christoph / Rapp, Christof: Wçrterbuch der antiken Philosophie, Mnchen 2002. Sleeman, John H. / Pollet, Gilbert (Hg.): Lexicon Plotinanum, Leiden/Leuven 1980.

Register

Abbild (indalma, eidlon, eikon) 23, 71f., 89, 118, 123, 127, 160 Abstieg 30–32, 56, 74, 95–104, 107, 117, 151, 159f., 162 Adrasteia, Satzung von 107f. Affekt, Affektion (pathos) 29, 44f., 55, 58, 66, 86, 90f., 96, 103, 105, 139, 142, 144f., 154 – siehe auch Gefhl Akademiker vs. Platoniker 13f. Vgl. 16, 82. Aktualisierung, Aktualitt (energeia) 55–59, 76 Allmacht 137, 142, 152 Altruismus 41, 159f. Analogie 109, 112, 114, 129 – siehe auch Proportional Aneignung, Zueignung (oikeisis) 49, 59 Angleichung an Gott 24, 26, 31f., 59 Antinomismus 19, 31, 113 Antrieb (hormÞ) 102, 136–138, 140, 143, 154f. Aristoteles 28, 34, 39, 50, 52, 54–59, 61–72, 75, 77–81, 90–92, 97, 100, 109, 111, 132, 142 f. , 148, 156 Astrologie 31 Aufstieg 11, 13–15, 21, 24, 26, 29–31, 34, 37–39, 52, 59f., 74f., 82, 95f., 100, 103f., 117, 159, 162 Auswahl (eklogÞ) 50f. Autarkie 34, 77–83, 86 – siehe Selbstgengsamkeit Autonomie 28, 32, 87, 137, 141, 145, 152f., 157

Begierde (epithymia) 43, 45, 54, 84, 105f., 122, 134, 140, 143, 154 Beliebig 84, 111f., 129, 131, 143, 150–152 Bewusstsein 15, 83, 88–90, 97 das Bçse (to kakon) 11, 22, 34, 92, 101, 112, 114–116, 119–123, 125–127, 129–134, 138f., 141 Charakter, Ethische Dispostition (Þthos) 18, 28, 61, 113, 124, 127, 131, 137, 151 Christentum 14, 17, 19 Chrysipp 136–138 Delphischer Spruch 41f. Demiurg 22, 53, 98, 101, 118f. Egoismus 18f., 28f., 41, 159f. Einsicht (phronÞsis) 20, 24, 27f., 33, 44, 47, 73f., 96, 118, 133, 146f., 161 Entscheidung (prohairesis) 130f., 133, 143f., 150, 153 Epikur, Epikureer 34, 37, 50f., 67, 85, 91, 105f., 113, 119 Ethik 11 f. , 15–18, 20, 24–26, 29–35, 37 f. , 40, 47 f. , 51, 64, 67, 92, 107, 113, 117, 125, 135, 138, 158–160 Eudmonismus 34, 37–39, 67 – siehe auch Glck Flucht 11f., 24f., 30 Freiheit (eleuteron) 32, 34, 131, 135,137, 139, 141f., 144–146, 148–157, 162 Freitod 87

181

Register Freiwillig (hekousion) vs. Unfreiwillig (akousion) 98f., 102, 140f., 144, 154 Freundschaft (philia) 34,79f., 80, 92f., 109, 118, 120, 123–125, 127, Funktion, Aufgabe (ergon) 32, 39, 47f., 53, 64, 66, 72, 89, 98, 111, 115, 124f. 154 Frsorge 11, 16, 95, 102f., 110f., 158 – siehe auch Sorge das Gebhrende, Gesollte (to deon) 104, 107, 113, 124, 143, 152, 156 Gefhl 38, 90–92 Geist (nous) 14f., 21, 25f., 38, 46f., 50f., 55–60, 63, 73–76, 89, 91, 97, 103f., 108, 111, 113, 118, 123, 125–127, 144f., 148–150, 154, 158 – geistige Erkenntnis (noÞsis) 34, 43–46, 50, 52, 55–59, 63, 72, 74–76, 88–90, 96, 103, 144, 147 – geistige Natur/Welt 23, 25, 49, 52, 72f., 95– 97, 102, 108, 111, 117–118, 123, 161 Gemeinschaftswesen (to koinon) 92–93 Gerechtigkeit 18, 24–25, 31f., 34, 61, 92, 107–110, 112f., 115–117, 120, 124f., 130, 145, 147, 156, 158, 161f. Gesetz 16–19, 33, 50, 75f., 92, 107, 111, 114, 126, 131, 151f., 157, 161f. Gesetz der Natur 32, 34, 98–102, 104, 107–110, 159 Gesetz der Vorsehung 31f., 111, 114–117, 157, 161 Gesetzgeber 30, 32, 111, 114, 152, 157 Gesundheit 40, 49, 69, 80f., 84, 87f., 105, 112, 116, 137, 161 Glck (eudaimonia) 31, 34, 37–40, 48f., 61–69, 72f., 76–86, 88, 93, 104, 116, 125, 161 Gnade 20, 50, 101 Gnosis, Gnostiker 18–25, 28f., 31, 41, 102, 118f., 113, 160, 162

Gott 11, 16, 19–22, 24–27, 31, 42, 63, 69, 72, 96, 99, 101, 107, 110, 112, 116–120, 123, 126, 136, 148, 152–154 das Gute/ das Eine 14f., 21, 24, 26, 29–32, 34, 37f., 50, 59f., 62–65, 68–71, 77, 80f., 84, 88, 91f., 95f., 100f., 107f., 110, 114f., 119–121, 123, 125, 131–133, 144, 149f., 153, 156 – Idee des Guten 14, 34, 63f., 69f. Handlung 14f., 18, 27f., 50f., 79, 84, 99, 102, 104, 114–116, 118, 129, 132f., 135, 137f., 140–147, 150, 153–156, 161 Harmonie (harmonia, symphnia) 87, 89, 111f., 124f., 127, 132, 158 Heilkunst 112, vgl. 116, 147 (Arzt) Hierarchie 14, 60, 68f., 71, 97 Homonymie 67–69, 71 Hypostase 14, 60, 90 Indifferent (adiaphoron)

51, 80

Knechtschaft 20, 139, 145, 150, 153 das Kombinierte (to synamphoteron) 42f. Kosmopolis 32, 109, 111, 158 Kosmos 22f., 52, 59, 72, 95f., 100f., 109, 111, 117f., 120, 123f., 159f. Liebe 23, 118 Lust 18, 20, 24, 37, 45, 67, 81, 86, 90f., 96, 104–106, 113 Materie 42, 58f., 100f., 111, 121–123, 134, 140 Mensch 11, 16, 18, 22–24, 27–29, 31f., 39–42, 47f., 50–54, 61–68, 72–74, 76f., 80, 86f., 91–93, 104, 109f., 112–121, 125f., 128, 130f., 133–139, 142–148, 150, 152–158 – der innere Mensch 46, 50, 92 – der wahre Mensch 44–46, 115 Metaphysik 14–16, 22, 31, 35, 71, 97, 100f., 121, 132, 144, 159

182

Register

Mild (pras) 23, 92, 120, 161 Missgunst, Neid (phtonos) 92, 100f. Mittelplatonismus 13, 15 Moralischer Fortschritt 82, 87 Mystik 16, 21 Mythos 20, 22, 76, 101, 111, 130, 146, 148, 156, 161 Naturgemß, gemß der Natur (kata physin) 32, 39, 45, 48f., 51, 54, 62– 64, 67, 70f., 79f., 85, 106, 114, 125, 132 Neuplatonismus 13, 15, 41, 151 Notwendigkeit (anankÞ) 34, 45, 80f., 83–85, 98–102, 106–107, 119–123, 130, 132–136, 146–148, 151f., 154, 157, 159–161 Ordnung (taxis) 14, 29, 31–34, 53 f. , 60, 68 f. , 97, 99–102, 107–114, 116, 120–124, 130–132, 145, 147, 152, 158, 160–162 Platon 13–18, 20–26, 30, 32, 34, 37–41, 43–45, 53–57, 63f., 69–71, 75f., 79, 91, 95, 98–101, 107, 109–112, 115, 119, 126, 130f., 143, 146, 148, 154–156, 161 Platonopolis 12, 16f.,100, 161f. Politik 15f., 25f., 29f., 32f., 40f., 50, 79f., 109, 112f., 117, 139, 145, 158, 160f., 165, 173, 176 Potenzialitt, Kraft, Vermçgen (dynamis) 31f., 50, 52, 55f., 57–59, 88f., 96f., 100–102, 104, 109, 114, 119, 125, 142f., 151f., 157, 159 Praxis 11f., 17f., 20, 31, 40f., 51, 61, 111, 147 – siehe auch Handlung Prinzip, Ursprung (archÞ) 14–16, 21, 24, 27f., 31, 45, 53, 63, 71,95, 99, 108f., 111, 114, 118, 121, 123, 129, 132, 134–136, 138, 140, 144, 151–155, 157 – Prinzip der Bewegung 53, 95, 135, 154

– Ursprung des Lebens 53, 60 Proportional 109f., 114, 124 Rational, Vernnftig 20, 22, 34, 44–46, 51f., 56, 65, 84, 93, 107, 110f., 114, 137, 158, 161f. Vgl. 90, 92, 96, 103, 143, 154 (irrational) – siehe auch Vernunft Reinigung (katharsis) 25–27, 41, 44f., 96, 105 Schau 20f., 24, 26, 30, 34, 76, 88, 97, 103, 161 Schicksal (heimarmenÞ) 39, 81, 83–85, 87f., 130f., 133, 135–138, 140, 142, 146, 148, 157 Schmerz 49f., 81, 83–86, 91, 96, 104–106 das Schçne (to kalon) 13, 17–19, 21, 23, 27, 37f., 52, 80, 88, 90, 101, 113, 118, 123f., 134f., 144, 146f., 158, 160 Schuld 102, 114, 129–131, 153, 155f. – siehe auch Verantwortung Seele 14f., 20–26, 29–32, 34, 37, 41–48, 50, 52–67, 72–76, 84, 86, 89f., 92, 95–105, 107, 111f., 114, 117–122, 126f., 129–135, 138–149, 154f., 157, 159f. Selbst (autos) 28–31, 33f., 37, 39–44, 46, 49, 52–61, 75–80, 86f., 91, 95–97, 102–105, 115–117, 130f., 133–135, 138f., 141, 144f., 147f., 151f., 156, 159, 161 Selbstbestimmung 34, 87, 115, 122, 134–137, 140–153, 156f. – das, was bei uns liegt (to ep’ hÞmin) 141–144, 146, 156, 150 – Selbstndigkeit (autexousion) 142–146, 148, 151, 154 Selbstbewegung 34, 52–55, 95 Selbstgengsamkeit 77–79 Sokrates 13, 15f., 30–32, 34, 38, 42, 52, 68, 100, 109, 117f., 124, 155, 162

Register Sorge, Pflege (epimeleia, kÞdeusis, therapeia) 11f., 24, 29–34, 37, 39–42, 46–48, 52, 61, 86f., 95f., 98, 102–106, 112, 118, 123, 159 Spoudaios 12, 19, 28f., 32, 34, 78, 85, 104, 159 – siehe auch Tugendhaft, Tugendmensch Stoa, Stoiker 27, 34, 38, 40, 47–51, 67, 78–82, 85, 87, 90, 92, 98, 105, 108, 110f., 119, 122, 124, 135f., 138, 140, 146 Streben 11, 31, 37, 49, 63, 73, 84, 95, 120, 138, 143f., 159 Teleologie 32–34, 64, 96–98, 100, 111, 159–162 Theoria, Betrachtung 49–51, 61, 65, 72–74, 79, 97, 111, 147–149, 161 – siehe auch Schau Trennung (chrismos) 25, 43–46, 86, 104f. Tugend (aretÞ) 18–20, 24–29, 34, 37–39, 41, 44–52, 61f., 65, 69, 78–80, 82, 85, 88, 90, 92, 106, 110, 112f., 115, 117, 119, 125, 145–149, 154, 156, 158, 161 – Tugendgrade 24f., 31, 61, 82 – Tugendhaft 18f., 28f., 38, 77f., 91, 113, 116, 146–148, 156. – Tugendmensch 29, 32, 34, 73, 77–79, 83–88, 90–93, 104, 106, 120, 149, 159–161 bel 50, 83, 91–93, 102, 113, 119–121, 125, 154 – siehe auch das Bçse berlegen (logismos) 44–46, 55f., 72f., 75, 103–105, 115, 123, 135, 143f., 148, 150 Ursache (aition, aitia) 14, 63f., 77, 100f., 114, 120f., 133–140, 144f., 156

183

Vernderung (alloisis) 54–56 Verantwortung 34, 115, 122, 127, 129f., 132, 137–143, 153–157, 161 Vernunft (logos) 20, 32, 39, 46–52, 57, 61, 65, 69, 72f., 87, 90, 92, 108, 111f., 114–119, 124, 126f., 129f., 133, 140f., 143–145, 152, 154f., 157f., 162. Vgl. 19f. (Lehre), 124 (Verhltnis), 39, 112, 138 (logos spermatikos) Verstand (dianoia, dianoÞtikon) 43, 56, 75f., 89, 125, 149 Vervollkommnung, Reife (teleisis) 18, 31, 39, 46–52, 58f., 61, 72, 95, 100, 113, 159 Verwirklichung 34, 52, 55–60, 76, 82, 97, 156, 158f. – siehe auch Aktualisierung Vorsehung (pronoia) 31–34, 95 f. , 98, 102, 104, 106, 108–120, 122–129, 131–134, 140, 153 f. , 157 f. , 160–162 Vorstellung (phantasia) 46, 54, 89, 91, 122, 136–138, 143f. Wahl 98, 102, 130–132, 138, 147, 150, 153, 155f. Wahrheit 43, 59, 160 Weiser (sophos) 11, 18, 28, 40, 51, 61, 64f., 78–82, 87, 90f., 105, 109, 159, 161 Weisheit 27f., 47, 50, 61, 65, 79, 82, 88, 90, 92, 108, 149, 158 Welttheater 126, 129, 131 Werkzeug 42, 45f., 79, 87 Wesenseigen (oikeion) 39, 64, 71f., 90 Wille, Wunsch (boulÞsis) 32, 81, 83–87, 93, 105, 108, 116, 131, 136, 141–143, 148–156 das Wir (hÞmeis) 43f., 74–76, 88f., 104, 126, 128, 131–133, 136f., 146–148, 151f., 156 Wohlwollen 31, 95, 101, 107, 117, 159–161 Wrdigkeit (axia) 107f., 110, 125

184

Register

Ziel (telos) 20, 26, 30f., 37–39, 51, 61, 64, 67, 79, 81, 83–86, 91, 95, 104, 112, 123, 146f., 159–161 Zurechnung 142f.

Zustimmung (synkatathesis) 122, 137f. Zweck 32, 49, 77, 96f., 100f., 104, 112, 125