Aufbruch aus der Zwischenstadt: Urbanisierung durch Migration und Nutzungsmischung 9783839443651

A plead for the revision of »in-between cities«: Based on the living conditions in suburbs, the contributions included i

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Aufbruch aus der Zwischenstadt: Urbanisierung durch Migration und Nutzungsmischung
 9783839443651

Table of contents :
Inhalt
Einführung
Prolog: Aufbruch aus der Zwischenstadt. Zur Planungspraxis der Mischung
Der Umbau der Zwischenstadt
Wo man ankommt – die „Arrival City“ Offenbach am Main
Stadt der Vielfalt, Stadt in Bewegung. Ankunftsstadt Offenbach am Main
Sozialräume und Integration von Zugewanderten in Kaiserslautern
Vom Problem zum Potenzial? Zuwanderung als Ansatz der Stadtpolitik in Bremen
Perspektiven einer produktiven Stadt
Ausblick auf eine selbstgenerierte Stadt. Über Grauzonen zur Verhandlung neuer Möglichkeitsräume
Stadtentwicklung und Migration
Autorenverzeichnis
Abbildungsnachweis
Impressum

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Aufbruch aus der Zwischenstadt Urbanisierung durch Migration und Nutzungsmischung Klaus Schäfer (Hg.)

Einführung | 4 Klaus Schäfer, Herausgeber Prolog: Aufbruch aus der Zwischenstadt. Zur Planungspraxis der Mischung | 12 Andreas Feldtkeller Der Umbau der Zwischenstadt | 20 Doug Saunders Wo man ankommt – die „Arrival City“ Offenbach am Main | 40 Kai Vöckler Stadt der Vielfalt, Stadt in Bewegung. Ankunftsstadt Offenbach am Main | 62 Matthias Schulze-Böing Sozialräume und Integration von Zugewanderten in Kaiserslautern | 84 Annette Spellerberg, Lutz Eichholz Vom Problem zum Potenzial? Zuwanderung als Ansatz der Stadtpolitik in Bremen | 110 Manfred Kühn Perspektiven einer produktiven Stadt | 150 Dieter Läpple Ausblick auf eine selbstgenerierte Stadt. Über Grauzonen zur Verhandlung neuer Möglichkeitsräume | 176 Rainer Hehl Stadtentwicklung und Migration | 192 Klaus Schäfer

Autorenverzeichnis, Abbildungsnachweis, Impressum | 216

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Spielplatz hinter der Mauer, Neuplanung „Fünf Morgen Dahlem Urban Village“, Berlin 2015

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Klaus Schäfer

Einführung

Der vorliegende Sammelband „Aufbruch aus der Zwischenstadt“ versteht sich als ein Plädoyer zur Revision der gegenwärtigen Stadtentwicklung. Es gilt, die Art und Weise andauernden Stadtwachstums im Sinne eines fortschreitenden Flächenverbrauchs und die Organisation in einem Nebeneinander der Nutzungen zu überwinden. Dieses Moratorium sollte mit einer Reorganisation der suburbanen Zonen – der sogenannten Zwischenstadt – verbunden sein. „Aufbruch“ bedeutet, sich über einen Zustand hinwegzusetzen, sich von einem lähmenden Pragmatismus zu lösen, der einer Organisation der städtischen Gesellschaft schon lange entgegensteht. So ließe sich der Titel auch in „Aufbruch in die Zwischenstadt“ wenden. Stadtentwicklung sollte nur dort betrieben werden, wo städtische Nutzungen bereits verortet sind – also Flächen besetzt wurden. Ein damit verbundenes Gebot der Nachhaltigkeit, Grenzen zu setzen, geht mit einer Idealvorstellung für den Landschaftsschutz und einem sinnvollen Umgang mit Siedlungsflächen einher.

Zwischenstadt, das Mantra des Ortlosen Schaut man mit einem größeren Abstand auf die Randlagen der urbanen Zentren – die Zwischenstadt, der suburbane Raum, die Peripherie –, entsteht in der Analyse das Bild städtischer Auslagerungen von unbestimmten Quantitäten. Verschiedene Phänomene folgen aufeinander, stets im System des Eigennutzes, also einer Funktion und Nutzungskategorie, organisiert. Hier liegt die Bilanz der als notwendig erachteten stadtplanerischen Einzelschritte, die auf der Ebene eines

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Flächennutzungsplanes1 ihre Logik erweisen. Diese Notwendigkeit wird aus einer an Konfliktvermeidung orientierten Stadtpolitik wieder und wieder abgeleitet. In der Feinanalyse, aus der Nähe betrachtet, entsteht ein völlig anderes Bild. Es erscheint in großen und kleineren Rhythmen, chaotisch im Grenzraum, dann in lähmender Homogenität, die sich wieder abrupt zerfasert. Dies geschieht trotz aller gestalterischen Anstrengungen, die im Hinblick auf Einzelphänomene unternommen werden. Der Anthropologe Marc Augé 2 stellt in seiner Analyse städtischer Strukturen, bezogen auf die menschliche Tätigkeit, zwei Wahrnehmungsmuster als Phänomene gegenüber: „Orte“ und „Nicht-Orte“. Sein Ausgangspunkt ist die räumliche Einordnung alltäglicher sozialer Beziehungen in einen urbanen Kontext. Zur ersten Gruppe gehören die Orte, die einer Handlung nicht zuletzt in Verbindung mit dem umgebenden Raum einen Sinn verleihen, zumeist vorstellbar als klassisch-urbane Situation. Zur zweiten Gruppe zählen Gegebenheiten eines suburbanen Zwischenraums, deren oft vordringliche Dynamiken bestimmte eindimensionale Formen der Kommunikation erlauben und andere eher ausschließen. Karl Schlögel3 erscheint in seiner zivilisationsgeschichtlichen Betrachtung „Im Raume lesen wir die Zeit“ diese mittlerweile prominente Gegenüberstellung Augés zu starr. Er differenziert nach der potenziellen Energie in „heiße Orte“ und „kalte Orte“,4 wobei er mit Orten der Reibung und Orten des Stillstands ebenso Situationen menschlicher Begegnung beschreibt. Da es heute den Komfort des grenzenlosen Raumes vergangener Besiedlungsschübe nach außen bei uns nicht mehr gibt, gerinnen die Agglomerationsräume und schieben sich zu einem gewandelten Bild zusammen: Der suburbane Raum ist mittlerweile das Ergebnis unserer eigenen „informellen Entwicklung“. Wir entdecken in der Vollendung aller Planungen ein Bild, das stadtplanerisch nicht intendiert war: eine nutzungsgemischte, dennoch ungeplante Gemengelage – aus großer Distanz gemischt, vor Ort separiert. Inselhaft ist jede Fläche nach einer eigenen möglichst homogenen Nutzungskategorie entwickelt, die an eine andere Kategorie über einen Zaun oder eine Straße grenzt. Mittlerweile werden sogar Palisaden um Nutzungen errichtet, die man als störend deklariert, wie etwa um Spielplätze, Schulen oder gar Wohnheime. Diese Barrieren trennen nicht bloß, sie

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stigmatisieren! Ein Basketballfeld hinter einer Lärmschutzwand lässt die Jugendlichen, die sich dahinter vergnügen, als bedrohlich erscheinen. Die Planung hat sich daran gewöhnt, sukzessiv Funktionen zu verorten, so wie sie gerade von der Politik gefordert werden, und sie entwickelt fortlaufend Strategien, diese Funktionen voneinander abzugrenzen. Daraus ist ein Patchwork entstanden, worin wir zwar alle städtischen Funktionen wiederfinden, doch so angeordnet, dass sich keine urbane Synergie einstellt: Nicht resilient, nicht nachhaltig, nicht variabel, Flächeneinheiten in den Kategorien von Investitionsplanungen.

Migration Nicht nur im Fall der Großsiedlungen ist die Migration in der „Zwischenstadt“ schon lange angekommen. Am Beispiel der Großsiedlung Slotervaart in Amsterdam5 lässt sich im Sinne unseres Plädoyers für eine Urbanisierung der Zwischenstadt nachvollziehen, wie sich so ein Umbau gestalten lässt. Eine zukünftige Stadtentwicklung kann nicht losgelöst vom Thema Migration betrachtet werden. Die Heimstätte vieler Migrantinnen wie Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund ist eine Facette der bisherigen Einseitigkeit der Zwischenstadt. Mit der Anerkennung dieser Realität ist aber auch schon ein notwendiger Impuls zur Veränderung gegeben. Eine Zielsetzung unseres Buches ist, aufzuzeigen, wie sehr das Thema Migration auch Beispiele für eine positive Wandlungsfähigkeit und intakte soziale Mechanismen liefert zur Veränderung, Aneignung und Transformation von bestehenden Stadtstrukturen. Demgegenüber stehen die Beispiele des Scheiterns, einer verfehlten Stadtentwicklung – ein Scheitern, das letztendlich die gesamte Stadtgesellschaft betrifft. Persönlich kann ich mich noch sehr gut an die weißen kleinen Gehöfte im Abstand von jeweils etwa hundert Metern erinnern, die sich an den Ausfallstraßen und Landstraßen zahlreicher münsterländischer Ortschaften meiner Kindertage in den 1960er Jahren aufreihten. Oder an die Ansammlungen von Wohnzeilen in kleineren und größeren Gruppen, immer weiß, mit leichter Cremetönung, sittsam auf

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einer großen Wiese am Rand einer alten Straße, der Graben daneben, die Teppichklopfstangen im Zwischenraum. Diese Erinnerung an die baulichen Wurzeln der Migrationskultur unserer Tage, die der Flüchtlingssiedlungen, ist die an die Anfänge einer breiten Suburbanisierung der Nachkriegszeit: „Die Einheimischen der BRD hielten sich de facto getrennt von den Flüchtlingen: Neubau separater Flüchtlingsviertel und getrennte soziale Netzwerke.“6 Heute sind diese Gebäude überformt, als Serienprodukt nicht mehr erkennbar. Statt Hühnern finden sich drei PKW vor der Tür, ringsumher Einfamilienhäuser oder Gewerbeflächen, die Gräben sind zugeschüttet, die Straßen schnurgerade und verbreitert. Sind die Überformungen ausgeblieben, wohnen in diesen Häusern mitunter wieder Zuwanderer, die als einzelne Gestalten mit dem Rad oder zu Fuß auf der Grasnarbe balancierend dem rasenden Verkehr ausweichen, wenn es in der Stadt etwas zu besorgen gilt.

Alt und Neu Alfred Döblin 7 vergleicht 1924 die Stadt mit einem Korallenstock und stellt dieser Lebensform ihre Unabänderlichkeit anheim, an der es prinzipiell nichts zu ändern gibt, ob ihrer schlichten Menschlichkeit, in ihren Schwächen und Stärken. Dieser Unabänderlichkeit, dem „Hauptort der Gruppe Mensch“, wurde in der Nachkriegszeit, teilweise auch schon davor, entschieden von der Stadtplanung entgegengearbeitet, um von der historischen Kontinuität der Stadtentwicklung abzurücken. Heute bleibt ihr vom Kampf gegen industrielle Verschmutzung und Zentralgewalt als Aufgabe, bestimmte gesellschaftliche Rechte zu verteidigen wie das Recht auf sozialen Abstand, das Recht auf Wahrung des Transits, die Lärmverordnung und der Immissionsschutz. Der architektonisch-konzeptionelle Gewinn, sich von der Stadt als gemeinsamer Form zu lösen, oft auch im Kampf gegen Dunkelheit, Schmutz und Obrigkeitsdenken, war der des freien Objekts für jegliche Funktion, die Ästhetik der seriellen Produktion und die künstlerische Komposition. Wir sind nun in einer Phase der Stadtentwicklung angekommen, in der das „Recht auf Stadt“ nicht mehr gewährleistet werden kann. Nur eine gewisse Schicht kann sich das Leben in der Stadt noch leisten. Der

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Stadtplaner Andreas Feldtkeller8 erhebt in Diskussionen um eine zukunftsgerechte Stadtplanung gerne die plausibel klingende Forderung, man solle wählen können zwischen den zwei Modellen, einem Leben in enger Nachbarschaft aller Nutzungen in der Stadt und einem Leben in der durchgrünten Siedlung oder dem Einfamilienhaus vor der Stadt. – Nach einer Kunstpause konstatiert er deutlich, dass bei uns seit 60 Jahren nur ein Modell davon neu gebaut wird.

Zu den Beiträgen dieses Buches Nach dem Prolog von Andreas Feldtkeller, der sechs Grundsatzpositionen einer zukünftigen Stadtentwicklung im suburbanen Raum postuliert, wenden wir uns zunächst dem Umgang mit der Migration in bestehenden Stadtquartieren zu. Der Autor Doug Saunders weist zunächst auf die drängenden gesellschaftlichen Fragen hin, die sich aus eindimensionalen Nutzungsfeldern im Zusammenhang mit dem Thema Migration ergeben. Er beleuchtet die negativen Folgen suburbaner Wohnquartiere mit hohem Migrationsanteil, analysiert einzelne Barrieren der sozialen Integration und weist auf die städtebaulichen Möglichkeiten hin, gesellschaftliche Hürden zu überwinden. Sein Beitrag schließt mit der Beschreibung von Projekten, bei denen eine Verstädterung der Peripherie zur deutlichen Verbesserung der Perspektiven auf eine gelingende Integration führt. Zwei sich ergänzende Beiträge beziehen sich auf die Stadt Offenbach, die als positives Beispiel einer „Arrival City“ im deutschen Pavillon der Architekturbiennale in Venedig 2016 präsentiert wurde. Der Urbanist Kai Vöckler untersucht den Zusammenhang von Stadtstruktur und dem Gelingen von Integration. Gerade im Vergleich von vorstädtischen und innerstädtischen Orten kommt er dabei zu sehr differenzierten Ergebnissen für diese Stadt am Main. Der Soziologe Matthias Schulze-Böing, Leiter des Amtes für Arbeitsförderung, Statistik und Integration in einer Behörde „der kurzen Wege“ (O-Ton), beschreibt die Frage der Zuwanderung aus der Perspektive der Stadtverwaltung. Zunächst befragt er sehr grundsätzlich die demografischen Aspekte, die sich für eine „Ankunftsstadt“ ergeben, und macht die Belastungen deutlich, bevor er Bausteine für ein Integrationsmanagement entwickelt.

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Annette Spellerberg und Lutz Eichholz untersuchen für die Stadt Kaiserslautern aus soziologischer Sicht anhand von Fallbeispielen das Verhältnis von Zuwanderung, Integration und Mehrheitsgesellschaft ausgewählter Stadtteile. Dabei geht es ihnen um den spezifischen Zusammenhang von Milieu und städtebaulicher Ordnung der erforschten Quartiere. Der Stadt- und Regionalplaner Manfred Kühn verschafft uns zunächst einen Überblick zum gegenwärtigen Untersuchungsstand, der Planungspolitik der Städte, und zur Diskussion des Umgangs mit Migration in Deutschland und bei den europäischen Nachbarn. An seinem Fallbeispiel Bremen können wir ein Vorbild erkennen, wie wertvoll und mühsam es sein kann, wenn kommunale Zuwanderungspolitik zunächst den Menschen – den Flüchtling – in den Vordergrund stellt und daraus eine Wachstumsstrategie für die ganze Stadt entwickelt. Vertiefend zu den Thesen von Andreas Feldtkeller im Prolog folgen die Beiträge aus der Perspektive der Stadtentwicklung, die wir unmittelbar mit dem Thema der Zuwanderung verbunden sehen, die sich aber auch als grundsätzliche Positionen zur Fortentwicklung der urbanen Zentren in Deutschland verstehen. Der Stadtforscher Dieter Läpple zeigt den Paradigmenwechsel auf, aus dem heraus sich das mögliche Nutzungsspektrum der Städte gegenwärtig wieder erweitern lässt, und mehr noch, was aus einer einseitigen Entwicklungsgeschichte aufgrund veränderter Rahmenbedingungen, aber auch aus der Erkenntnis von Irrtümern und aktuellen Erfahrungen für die Stadtentwicklung gelernt werden kann. Nutzungsmischung bedeutet hier explizit, die Produktion wieder in die Städte zu holen: Neuartige intelligente Produktionswege und -techniken, die Stadt der kurzen Wege, Nachhaltigkeit und der direkte Weg zur Selbstständigkeit, Hilfe zur Selbsthilfe, können durch eine urbane Dichte in Übereinstimmung gebracht werden. Der Beitrag stellt erfolgreiche Modelle und Initiativen vor und gibt einen Überblick, wie weit nicht nur die technischen Möglichkeiten von Stadtentwicklung gereift sind. Es wird auch deutlich, wie sehr sich diese Prozesse durch eine gewandelte Vorstellung vom Leben in der Stadt zusätzlich dynamisieren lassen – ein Muster, das sich durchaus auf künftige Schwerpunkte ausgewählter Orte der Peripherie übertragen ließe. Rainer Hehl als Stadtplaner und Architekt stellt eine informelle Stadtentwicklung in den Vergleich zur formalen Stadtplanung. Dabei

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geht es keineswegs um die Verklärung ungesteuerter Prozesse des Stadtwachstums, sondern darum, eine „generische Produktion“ von Stadt mit den Vorteilen einer „selbstbestimmten Informalität“ zu verbinden. Inwieweit kann es das Ziel von Stadtplanung sein, prozesshafte Entwicklungen zu ermöglichen? Baugruppen oder andere gemeinschaftliche Organisationsformen tragen den Geist offener Prozesse innerhalb der Stadtentwicklung, so Rainer Hehl, derzeit bereits in sich, da sie inhaltlich auf Aneignung und Selbstentfaltung ausgerichtet sind.

Anmerkungen 1

Der Flächennutzungsplan (FNP) dient als gesetzlich verankerte Grundlage, um Nutzungen für eine Gemeinde oder Stadtfläche festzulegen. Der Übersichtlichkeit wegen sind diese Pläne sehr grob und reichen vom Maßstab 1:10.000 bis 1:50.000. 2 Marc Augé: Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, München 1992. 3 Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit, München 2003. 4 Ebda., S. 292. 5 Siehe den Beitrag im vorliegenden Band: Doug Saunders: Der Umbau der Zwischenstadt. 6 Dirk Hoerder: Geschichte der Deutschen Migration, München 2010, S. 103 über die Siedlungspolitik der 1950er in Deutschland. 7 Alfred Döblin: Der Geist des naturalistischen Zeitalters. In: Schriften zu Ästhetik, Poetik und Literatur (Erschienen 1924), Freiburg im Breisgau 1963, S. 86 8 Andreas Feldtkeller: folgender Prolog, S. 13–20 im vorliegenden Band.

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Andreas Feldtkeller

Prolog: Aufbruch aus der Zwischenstadt. Zur Planungspraxis der Mischung

1 Einschneidende Veränderungen in Demografie und Beschäftigungsformen haben landesweit einen Trend „zurück in die Stadt“ ausgelöst. Nicht mehr das Einfamilienhaus auf der grünen Wiese ist das bevorzugte Wunschobjekt, sondern die Wohnung in Städten, die durch gut ausgestattete „Innenstädte“ attraktiv sind. Tatsächlich hat nach der jahrzehntelangen Stadtflucht des 20. Jahrhunderts niemand mehr mit einer solchen Entwicklung gerechnet. Plötzlich steigt „in der Stadt“ die Nachfrage nach Wohnraum und mit ihr der Preis des Baulands und des Wohnens. Weniger gut Betuchte werden an den Rand gedrängt und fühlen sich ungerecht behandelt. Die Stadtplanung wundert sich, dass sich durch Innenverdichtung, also einen Bauboom „in der Stadt“, die entstandenen Probleme nicht lösen lassen. Ihre Ursache liegt ja auch nicht allein in der wachsenden Nachfrage in den angesagten Schwarm-, Universitäts- und Großstädten, sondern vor allem in einer Kurzsichtigkeit der Stadtplanung während der zurückliegenden Jahrzehnte. Man glaubte, im Umland der Städte mit einem Siedlungswachstum ohne neue nutzungsgemischte Kerne, sozusagen ohne die jeweils dazugehörende neue „Innenstadt“, auskommen zu können. An dem unnötig wachsenden Verkehrs- und Pendleraufkommen, das auf diese Weise entstehen musste, scheitert nun am Ende der „funktionalistisch“ konzipierte Städtebau. 2 Der Fehler bei dieser Art von Stadtentwicklung liegt in dem intellektuellen Konstrukt einer Vorstellung von Stadt, bei der durch die Trennung von Wohnen und Arbeiten die wirtschaftliche Verwertbarkeit der Stadt gesteigert und zugleich alle vermeintlichen (!) Unannehm-

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lichkeiten der städtischen Lebensform ausgeschaltet werden sollen. Nicht nur in der viel zitierten „Charta von Athen“, sondern auch bei dem Bauhauslehrer Ludwig Hilberseimer bestand dabei die Illusion, man könne die so entstehende funktionalistische Siedlungsstruktur am Ende auch räumlich noch so organisieren, dass die notwendigen Alltagsbeziehungen mit kurzen Wegen erledigt werden können. Die aufkommende Massenmotorisierung allerdings hat dieses „Konstrukt“ mit ihrem überbordenden (und nicht nur stadt-, sondern zugleich auch naturzerstörenden) Verkehr ad absurdum geführt. Leider hat die Ungerechtigkeit, die mit dem jetzt einsetzenden Trend „zurück in die Stadt“ heraufbeschworen wird, bisher nicht dazu beigetragen, den Irrtum, der mit dem intellektuellen Konstrukt des „Trennungsprinzips“ verbunden ist, zu erkennen und zu bereinigen. Kein Wunder, wurde doch dieses Konstrukt schon in den 1960er Jahren mit der Baunutzungsverordnung (BNVO) in eine bundesamtliche Verwaltungsvorschrift gegossen und damit zu einem verbindlichen und scheinbar unverzichtbaren Werkzeug des planerischen Handelns gemacht. 3 Damit gerät in Vergessenheit, wie sich die Menschen in verstädterten Gesellschaften in zwei Gruppen aufteilen, was ihre präferierte Lebensform betrifft. Schon im Jahr 1450 bemerkte Leon Battista Alberti in seiner Planungstheorie, dass eine Gruppe an ihrem Wohnstandort vom Umtrieb des Alltags verschont bleiben will, während eine zweite Gruppe Wert darauf legt, im Alltag alles, was man täglich braucht, leicht erreichen zu können, auch wenn dann Arm und Reich in derselben Straße zusammen lebt. Was wir auch schon wieder vergessen: Irgendwann nach dem Fall der Berliner Mauer gab es tatsächlich eine Zeit, in der man sich auf diese Grunderkenntnis zurückbesonnen hat. Beispielhaft dafür stehen etwa der Nationalbericht der Bundesregierung zur Konferenz HABITAT II (Nationalbericht 1996) oder die Studie „Zukunft Stadt 2000“ von 1993 mit der Feststellung: „Städte der funktionalen Trennung und damit hohen Dominanz des Autoverkehrs sind heute meist Städte für starke Nutzer mit durchschnittlichen oder normalen Bedürfnissen. Schwache Nutzer, insbesondere Kinder, Jugendliche, ältere Menschen, alleinstehende Frauen mit Kindern, Nutzer mit atypischen Lebensgewohnheiten oder Angehörige von Minderheiten sto-

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ßen auf Hindernisse, Risiken oder gar Bedrohungen. (...) Hohe Dichte und Nutzungsmischung können dazu beitragen, Sicherheit und Kontrolle, Kontakt und Anregung zu schaffen und zu stärken“ (Bundesministerium für Raumordnung usw. 1993, S. 15 ff.). 4 Die „Zwischenstadt“, publizistisch ab 1997 in der Reihe der „Bauwelt Fundamente“ erfolgreich verbreitet, bietet nicht nur eine erneute Bestätigung des städtebaulichen Funktionalismus; sie wehrt ganz ausdrücklich die Funktionsmischung als Mittel der Stadtgestaltung ab, wenngleich sie von Soziologen wie Hartmut Häußermann noch 1998 als soziales Bindemittel geschildert wurde: „Die komplexen, funktional und sozial vielfältig verflochtenen innerstädtischen Gebiete, die nach dem Baualter durchaus in sich gemischt sein können, sind für Zuwanderer und Einkommensschwache das ideale Gelände, um die vollkommene Abhängigkeit von Sozialtransfers zu vermeiden“ (Häußermann 1998, S. 168). Die Folgejahre haben die Thematik der Nutzungsmischung in den seither populär gewordenen Funktionalismus der Zwischenstadt eingeordnet: zum einen, indem man sie auf eine Form qualifizierten Wohnens reduziert (soziale Mischung, Mischung aus Wohnen, Versorgen und Freizeit), zum andern, indem man für Gewerbebranchen, die sich für die Mischung hätten nutzen lassen, neue Sonderformen des Gewerbegebiets (Büro-, Shopping-, Freizeit- und Technologieparks) anwendet, die dazu führen, dass kleinräumig und auf Gleichrangigkeit von Wohnen und Arbeiten angelegte Mischgebiete angesichts der „hochdifferenzierten Erfordernisse des Bodenmarkts“ kaum noch eigene und faire Chancen haben. Es erscheint nun „vielleicht als unvermeidlich, gleichwohl als Chance einer städtischen Kulturpolitik ernst zu nehmen, dass Urbanität auch inszeniert werden muss“ (Sieverts 2000, S. 198 f.). 5 Mit einer solchen Einordnung der Mischungsthematik in die Zwischenstadt werden wesentliche gesellschaftliche Ziele der Stadtentwicklung verfehlt. Wo die unmittelbare räumliche Verknüpfung von Wohnen mit unterschiedlichsten Gewerbetypen, Produktionsbranchen und Dienstleistungen verloren geht, leiden ganz besonders jene

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alltäglichen Funktionen, die auf kurze Wege angewiesen sind, wie a) die leichte Zugänglichkeit zu Erwerbsarbeit ganz allgemein, b) die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und c) die selbstverständliche Integration von Zugewanderten. Dass dies wichtige Funktionen von Stadtquartieren mit sozialem Sinngehalt sind (siehe z. B. Werlen 1997, S. 294 ff.,) kommt ja inzwischen auch nur noch ausnahmsweise in der Öffentlichkeit zur Sprache. Greifen wir als ganz aktuelles Beispiel die Auseinandersetzung um das Gelingen der Integration bei wachsender Zuwanderung heraus. Barbara John und Philipp Martin schreiben in der FAZ: „Die Frage, wie Flüchtlinge in Deutschland integriert werden können, wird die vielleicht wichtigste in diesem Jahr – dabei ist die Antwort eigentlich ganz einfach: Am besten und am schnellsten durch einen Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt. Hier bekommen sie, was sich die meisten wünschen: ein eigenes Einkommen, Aufstiegsmöglichkeiten, intensive Sprachpraxis, Qualifizierungskurse am Abend, Unternehmen, die sich einsetzen für ein besseres Aufenthaltsrecht, Anerkennung durch die einheimische Wohnbevölkerung, die sie als Beitragszahler in die Sozialsysteme wahrnimmt und nicht als Profiteure des Systems“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. 01. 2017). Wo für solch naheliegende Antworten vitale Kieze in den Agglomerationen, die auf den demografischen und ökonomischen Wandel reagieren und aus dem Teufelskreis der steigenden Kosten in den Schwarmstädten ausbrechen, nicht zur Verfügung stehen, verfehlt die künftige Stadtentwicklung das Ziel der Weltoffenheit der Quartiere und ihrer Selbstwirksamkeit bei Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, bei dem Recht auf Arbeit für alle und beim gesellschaftlichen Zusammenhalt. 6 Der Aufbruch aus der Zwischenstadt kann eigentlich nur in einem Konsens bestehen, wonach funktional effiziente Nutzungsmischung und das Trennungsprinzip als zwei gegensätzlich ausgerichtete Modelle im Mosaik eines Ganzen zu betrachten sind. Effiziente Nutzungsmischung entsteht, wo Wohnen vor allem mit Arbeiten kleinräumig und gleichrangig verknüpft ist, auch mit Gewerbehöfen und Gewerbegebäuden in nahräumlichem Wechsel. Entscheidend ist dabei im Detail jeweils die direkte Anbindung der Nutzungen an das Netz öffentli-

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cher Räume mit städtebaulich wirksamen Arrangements (Patterns), die Stadtraum und alltägliches Handeln verbinden (Steffen 2004, S. 137 ff.). Die Agglomerationen der Ballungsgebiete bestehen inzwischen zu 80 bis 90 Prozent aus Gebieten, denen das eigene kompakte Mischgebiet, sozusagen die eigene „vitale Innenstadt“, fehlt. Deshalb bedürfen Konzepte wie etwa das „Leitkonzept – Stadt und Region der kurzen Wege“ des Umweltbundesamts (Umweltbundesamt 2011) eindeutiger Umsetzungsstrategien, die zu einem Umbau der Siedlungs- und Verkehrsstruktur führen, mittels deren sie im Wettbewerb mit den attraktiven Städten bestehen, diese entlasten und insgesamt für mehr Gleichheit der Lebensqualität innerhalb der Regionen sorgen können. Das Thema heißt Nachurbanisierung! Eine entscheidende Voraussetzung dabei ist der längst fällige Einbau entsprechender Regelungen in das Planungsrecht mit einer entsprechenden Ausrichtung der Städtebauförderung. 2013 hat die Politik in die Formulierung der maßgeblichen Ziele der städtebaulichen Entwicklung (BauGB § 1, Abs. 5) folgenden Satz eingefügt: „Hierzu soll die städtebauliche Entwicklung vorrangig durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgen.“ Dieser Satz hätte schon damals eigentlich heißen müssen: „Hierzu soll die städtebauliche Entwicklung vorrangig durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgen, die in ihrer Struktur zugleich auf Vermeidung und Verringerung von Verkehr ausgerichtet sind.“ Hier zeigt sich einmal mehr: Politisch beliebt sind bei uns stets Formulierungen, in denen alle für die soziale Gerechtigkeit wichtigen Forderungen in den Bereich des Optionalen verbannt sind (in diesem Fall in BauBG § 1, Abs. 6 mit der leicht „wegzuwägenden“ Nr. 9). Solange dies so bleibt, kann der Aufbruch aus der Zwischenstadt nur im Widerstand gegen den Mainstream gelingen.

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Literatur Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Bericht der Kommission Zukunft Stadt 2000, Bonn-Bad Godesberg 1993. Bundesstiftung Baukultur, Baukulturbericht 2014/15, Potsdam 2015, S. 62 ff. Deutsches Institut für Urbanistik (Difu), Grundlagenforschung zur Baugebietstypologie der Baunutzungsverordnung. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, Köln/Berlin 2014. Feldtkeller, Andreas: Zur Alltagstauglichkeit unserer Städte – Wechselwirkungen zwischen Städtebau und täglichem Handeln, Berlin 2012. Häußermann, Hartmut: Zuwanderung und die Zukunft der Stadt. Neue ethnisch-kulturelle Konflikte durch die Entstehung einer neuen ethnischen „underclass“? In: Heitmeyer, Wilhelm et al. (Hrsg.), Die Krise der Städte, Frankfurt am Main 1998, S. 168. Heitmeyer, Wilhelm et al. (Hrsg.): Die Krise der Städte – Analysen zu den Folgen desintegrativer Stadtentwicklung für das ethnisch-kulturelle Zusammenleben, Frankfurt am Main 1998. Institut Arbeit und Technik Gelsenkirchen (Hrsg.): Endbericht Forschungsvorhaben Produktion zurück ins Quartier? Gelsenkirchen/Dortmund 2017. Läpple, Dieter: Produktion zurück in die Stadt. Ein Plädoyer. In: Stadtbauwelt 211, 2016, S. 23–29. Läpple, Dieter/Walter, Gerd: Im Stadtteil arbeiten. Beschäftigungswirkungen wohnungsnaher Betriebe, Hamburg 2000. Nationalbericht der Bundesregierung zur Konferenz HABITAT II (1996, Auszug). In: Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt. Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung“. Abschlussbericht, Bundestagsdrucksache 13/11200, Berlin 1998. Sieverts, Thomas: Die „Zwischenstadt“ als Feld metropolitaner Kultur, Eine neue Aufgabe. In: Keller, Ursula (Hrsg.): Perspektiven metropolitaner Kultur, Frankfurt am Main 2000, S. 193–224. Steffen, Gabriele et al.: Integration und Nutzungsvielfalt im Stadtquartier, Stuttgart/Berlin 2004.

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Umweltbundesamt (Hrsg.): Leitkonzept – Stadt und Region der kurzen Wege. Gutachten im Kontext der Biodiversitätsstrategie, Dessau-Roßlau 2011. Werlen, Bruno: Gesellschaft, Handlung und Raum, Stuttgart 1997.

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Funktionale Leere, Beispiel Slotervaart, Amsterdam

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Doug Saunders

Der Umbau der Zwischenstadt

Stadtplaner und Architekten sollten ihr Augenmerk dringend auf eine der größten und dennoch nicht genügend beachteten Herausforderungen des einundzwanzigsten Jahrhunderts richten – auf die Frage, wie in den städtischen Randgebieten soziale Mobilität geschaffen werden kann. Die gravierendsten Probleme gesellschaftlicher Exklusion, wirtschaftlicher Isolation und gescheiterter Integration bei Neuankömmlingen von heute finden sich nicht mehr in den engen Slums und Arbeitervierteln der Innenstädte, sondern in der urbanen Peripherie – in den Vorstädten mit Hochhäusern und Grünanlagen, den Banlieues und den Großwohnsiedlungen am Stadtring, den System-Plattenbau- und HLM-Bezirken, den Trabantenstädten und den zwischen Autobahnkreuzen eingeschlossenen sogenannten „cities without cities“, den abgeschnittenen Wohnarchipelen der Zwischenstadt. Diese geringer verdichteten und weniger vernetzten Bezirke werden zunehmend zu den Orten, an denen sich Menschen mit Migrationshintergrund niederlassen, traditionell ausgegrenzte Minderheiten untergebracht sind und wo sich die Armut konzentriert. Hier ist die in den prekärsten wirtschaftlichen Verhältnissen lebende Stadtbevölkerung anzutreffen, die aber auch den größten Spielraum und die höchste Bereitschaft für einen generationenübergreifenden Austausch besitzt. Im Grunde sind die Hürden, die ihr entgegenstehen, häufig baulicher Natur, und ich bin davon überzeugt, dass diese Räume durch intelligente Gestaltung und planerische Eingriffe besser funktionieren können. Darin liegt im Kern die Herausforderung, vor die uns entleerte Räume stellen. Die neuen „arrival cities“ am Stadtrand sind durchsetzt von

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baulicher und funktionaler Leere. Es handelt sich teils tatsächlich um Zwischenräume – begrünte oder baumbestandene Flächen zwischen Wohntürmen, die auf Architektenzeichnungen immer so ansprechend aussehen, aber auf die Ansässigen bedrohlich und abschreckend wirken und zudem die gesellschaftliche und wirtschaftliche Anbindung behindern. Dazu tragen weite und mitunter gefährliche Wege zwischen der Wohnung und den Verkehrsmitteln bei, Pufferzonen, die über das Fehlen von Versorgung und öffentlichem Treiben hinwegtäuschen. Es ist ein Mangel an gesellschaftlichem Leben, der durch ein soziales und institutionelles Vakuum entsteht: durch fehlende Investitionen in die für Inklusion und Mobilität wichtigen Einrichtungen, in gute Schulen und Bibliotheken, einladende Einkaufsstraßen und Kulturviertel, in Kliniken, eine lokal angesiedelte Polizeiwache und in den Nahverkehr – also die Faktoren, die einen scheiternden Randbezirk in einen Anziehungspunkt und Zufluchtsort verwandeln. Fragt man Menschen aus Randgruppen wie Zugewanderte und andere Minderheiten, was ihren sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg und den ihrer Kinder behindert habe, erhält man am häufigsten eine Aufzählung von Defiziten: fehlende öffentliche Einrichtungen, fehlende Chancen und Investitionen und – verhindert durch leere Zonen und unbestimmte Areale – jegliche räumliche oder wirtschaftliche Anbindung an das weitere Stadtgebiet mit seinen ökonomischen und administrativen Einrichtungen. Lässt sich die Lebensqualität der Menschen erhöhen, wenn man die Gestaltung der Umgebung, in der sie leben, verändert? Können wir damit ihren beruflichen Unternehmungen zu mehr Erfolg verhelfen und die Ausbildung und Integration ihrer Kinder sichern? Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass wir durch gezielte Eingriffe zur Umgestaltung der Architektur und der städtebaulichen Planung eines Bezirks sowie durch Veränderung der Mischung von Institutionen, Einrichtungen, infrastrukturellen Angeboten und Dienstleistungen den Entwicklungen eine ganz andere Richtung geben können, sowohl innerhalb eines Stadtteils als auch zwischen verschiedenen Bezirken. So lassen sich Hindernisse beseitigen, die einer erfolgreichen Sozialentwicklung im Weg stehen. Diese Perspektive wird manchmal „spatial determinism“ oder „environmental determinism“ genannt, allerdings bietet die deutsche Sprache dafür ein nützlicheres Kompositum: Bau-

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kultur. Mit diesem Begriff werden inzwischen nicht nur die übergeordneten Interessen menschlicher Gemeinschaften bezeichnet, die sich im Kontext der Gebäude bilden und von ihnen geprägt werden, sondern auch das baulicher Gestaltung innewohnende Vermögen, Gemeinschaften und Lebensverläufe zu beeinflussen.

Die Ankunftsstadt auf Messers Schneide In meiner Arbeit habe ich mich auf die Stadtbezirke, in denen sich Menschen zuerst ansiedeln, wenn sie in eine neue Stadt kommen, konzentriert. Ich nenne sie „arrival cities“ – Ankunftsstädte. Es sind die Städte innerhalb von Städten, die durch die Vernetzung von Zugewanderten mit ähnlichem Hintergrund entstehen. Diese Migrantinnen und Migranten schaffen sich eigenständige Netzwerke innerhalb eines ihnen vertrauten geografischen Terrains, eines Viertels, von ein paar Straßenzügen, eines Stadtgebiets, das man sich mit anderen Gruppen von Neuankömmlingen teilt. Es ist ein Bereich, in dem sich die neu Zugewanderten gegenseitig unterstützen, der sie enger miteinander verbindet. Die Netzwerke der Ankunftsstadt sind eine Verbindung zum Herkunftsort der Zugewanderten, ermöglichen ihnen zugleich aber, wenn die Ankunftsstadt gut funktioniert, einen Zugang zur Ökonomie, Kultur, Bildung und dem politischen Leben der etablierten Stadt. Diese Bezirke werden von Zugewanderten dazu genutzt, sich soziales Kapital, Realkapital in Form von gegenseitigen Darlehen, einen Wissensschatz und politische sowie kulturelle Strukturen aufzubauen, die sie sowohl miteinander als auch mit der restlichen Stadt, ihrer Wirtschaft und dem Gemeinwesen verbinden. Mit anderen Worten dienen diese Viertel Zuwanderungsgemeinschaften als wichtigste Brücke der Integration. Ich vertrete die Auffassung, dass Integration – ein häufig etwas nebulöser und widersprüchlicher Begriff, der immer wieder zu erhitzten Debatten über die Haltung einer landesweiten Politik führt – vollkommen auf kommunaler Ebene stattfindet, in Abhängigkeit zur Urbanität. Integration vollzieht sich, indem Neuankömmlinge die urbanen Ressourcen in ihrer Umgebung nutzen, um zu einem Teil des Stadtlebens und der nationalen Gemeinschaft zu werden. Für die Städte stellt sich dann aber die Frage, wie sie

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Neuankömmlinge am besten dazu befähigen, sich hinsichtlich Ökonomie, Bildung und Kultur zu integrieren. Damit ist nicht gemeint, sie von oben zu integrieren, wie man staatlicherseits gerne glaubt, sondern es müssen Bedingungen geschaffen werden, unter denen sie sich selbst integrieren können. Anders gesagt, das Ziel von Politikern, Entscheidungsträgern und Planern sollte meiner Meinung nach sein, die Hindernisse zur Selbstintegration aus dem Weg zu räumen. Im Folgenden hoffe ich deshalb veranschaulichen zu können, dass Gestaltung, Planung und politische Maßnahmen auf der kommunalen Ebene sehr häufig über Erfolg oder Scheitern der Integration von Zugewanderten, Geflüchteten und anderen Stadtbewohnern in prekären Verhältnissen entscheiden.

Stadträume als Vehikel der Integration

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Motive und Vorbilder für einen Umbau der Zwischenstadt Um zu verstehen, wie Stadträume als Vehikel der Integration – und genauso als eingebaute Hindernisse – wirken können, muss man wissen, wie Neuankömmlinge ihre neue Heimat in der Stadt einschätzen und auswählen. Bei ihrer Ankunft in einem neuen Land suchen Immigrantinnen und Immigranten zuallererst nach einer Wohnung. Und da die meisten Zugewanderten, selbst die, die in ihren Herkunftsländern der Mittelschicht entstammen, zunächst über ein unterdurchschnittliches Einkommen und sehr wenige Kontakte verfügen, landen sie gewöhnlich anfangs auf der untersten Stufe der urbanen Leiter. Wenn Einwanderer nach einem bestimmten Ort suchen, um sich niederzulassen oder umzusiedeln, falls ihre erste Ansiedelung von staatlichen Behörden bestimmt wurde, halten sie fast immer nach drei Dingen Ausschau: Erstens nach einem Ort, an dem das Wohnen, ganz gleich, ob zur Miete oder in Form von Wohneigentum, für Neuankömmlinge bezahlbar ist, wo also die Wohnkosten vergleichsweise geringer sind als im Durchschnitt der Stadt. Zweitens muss es ein Ort sein, von dem sie wissen, dass es dort Beschäftigungsmöglichkeiten und wirtschaftliche Chancen gibt – auf Jobs, die zu ihren Fähigkeiten passen und die ihnen offenstehen, Gelegenheiten zum Betreiben eines Kleingewerbes oder zumindest eine Verkehrsanbindung, die sie zu Orten bringt, wo dies möglich ist. Drittens wird nach einem Ort gesucht, an dem es Netzwerke bereits ansässiger Zugewanderter aus demselben Land, derselben Region oder Kultur gibt, die ihnen beim Niederlassen und bei der Integration helfen und ihnen Arbeit und finanzielle Unterstützung bieten können. Der zweite und der dritte Punkt spielen immer eine wichtigere Rolle als der erste. Einwandererfamilien würden auch Wohnorte wählen, die eigentlich unbezahlbar sind, wenn sie wüssten, dass sich ihnen dort wirtschaftliche Chancen bieten und es bereits ethno-linguistische Netzwerke gibt. Doch bilden sich Ankunftsstädte eher in Bezirken, in denen die Wohnkosten vergleichsweise gering sind, unabhängig davon, ob es sich dabei um sozialen Wohnraum, Genossenschaftswohnungen, Mietwohnungen auf dem freien Markt oder um Wohneigentum handelt. Doch vollzieht sich die Ansiedlung von Einwanderinnen und Einwanderern in Ankunftsstädten fast nie als ein direkter, unmittelbarer

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oder einseitiger Transfer von intakten Familien aus einem „sendenden“ in ein „empfangendes“ Land. Typischerweise siedeln sich zunächst einzelne Familienmitglieder in einem Ankunftsstadt-Bezirk an. Häufig teilen sie sich die Unterkunft mit Menschen aus demselben Dorf oder Gebiet, die vor ihnen angekommen sind, und sind bei der Suche nach Arbeit, Darlehen oder anderer Unterstützung auf deren Hilfe angewiesen. Aus dieser prekären Situation heraus unterstützen sie die „sendende“ Gemeinschaft zunächst mit Geld. Später, wenn bescheidener Erfolg eintritt und ein Wechsel zu verlässlicheren Formen der Unterbringung innerhalb der Ankunftsstadt möglich ist, holen sie schrittweise weitere Familienmitglieder nach. Im Zuge dessen bilden sich Netzwerke gegenseitiger Unterstützung sowohl in den „sendenden“ als auch in den „empfangenden“ Gemeinschaften; diese Netzwerke unterhalten einen ständigen wechselseitigen Transfer von Geld, Menschen, Darlehen und Wissen. Es kann Jahre und mitunter Jahrzehnte dauern, bis eine Familie vollständig „eingewandert“ ist. Wenn Zugewanderte sich erst einmal in diesen wachsenden Ankunftsstadt-Vierteln niedergelassen haben, versuchen sie, die nächste Sprosse der urbanen Leiter zu erklimmen. Sie suchen eine Arbeitsstelle oder, heutzutage wahrscheinlicher, etwas aus der Palette an Beschäftigungsverhältnissen, die Sozialwissenschaftler die „Portfolios der Armen“1 nennen – Kombinationen von Anstellung und Handel, sowohl im Rahmen informeller als auch formeller Jobs, Arbeit in der „Gig-Economy“, kurz- und längerfristige Verträge und Arbeitsvereinbarungen. Möglicherweise gründen sie ein Kleinunternehmen – vielleicht einen Laden oder ein Restaurant, einen Handwerksbetrieb, ein Import-Export-Geschäft oder sie bieten eine Dienstleistung an. Sie suchen eine Schule, die der nächsten Generation, sei sie noch im Ausland oder bereits vor Ort geboren, eine weiterführende Bildung ermöglicht. Sie bemühen sich um Anschluss an das politische System der Stadt und später um die volle Staatsbürgerschaft. Sie orientieren sich an einer Verkehrsanbindung, die Zugang zur Innenstadt und zu den Kunden und Arbeitgebern der Innenstadt gewährleistet. Die Ankunftsstadt-Bezirke sind zwar reich an Ressourcen, insbesondere an billigem Wohnraum, und bieten sich so als unterste Sprosse auf der urbanen Leiter an. Doch die Ressourcen der zweiten und dritten Leitersprosse fehlen dort häufig – ganz besonders, wenn sie an der urbanen Peripherie liegen.

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Um zu verstehen, warum Ankunftsstadt-Viertel Gefahr laufen, zu scheitern – gemeint ist, wie sie dazu führen können, dass ganze Generationen von Neuankömmlingen durch den fehlenden Zugang zu den Instrumenten ökonomischer und sozialer Mobilität in der Falle sitzen –, lohnt es sich, sie auf Hürden und Hindernisse zu untersuchen, die einem Erfolg im Weg stehen können. Im Rahmen eines längeren Forschungsprojekts zusammen mit der Weltbank und der Bertelsmann-Stiftung zu den Umständen, die die urbane Integration von Migrantinnen und Migranten verhindern, habe ich Kategorien entwickelt, mit deren Hilfe sich die vier bedeutendsten Gruppen von Integrationshürden, gegen die politische Maßnahmen ergriffen werden können, differenzieren lassen. Diese sind: – Bauliche Hürden aufgrund von Defiziten im Wohnungsbau, in der Stadt- und der Verkehrsplanung. Schlüsselthemen sind hier die notwendige Anhebung der Bevölkerungsdichte, der Anzahl der Anlässe zu Begegnungen, der Vielfalt und Nutzungsflexibilität sowie der Zugang zum Ankunftsstadt-Bezirk, sowohl für Verbraucher als auch für Arbeitnehmer. – Institutionelle Hürden aufgrund von Defiziten in der Schulbildung, aber auch bei den sozialen Diensten, zur lokalen Sicherheit, dem Gesundheitswesen, dem Wohnungsamt und den kommunalen Ressourcen wie Bibliotheken, Kinderbetreuungseinrichtungen und Jugendzentren. – Ökonomische Hürden bezüglich lokaler Arbeitsmöglichkeiten auf verschiedenen Niveaus, des Rechts, angestellt zu werden, der Möglichkeit, ein legales Unternehmen in der Nachbarschaft zu gründen, attraktiver Standorte für Läden, Geschäfte, Restaurants und Produktionsstätten für ansässige Betreiber sowie des Zugangs zu regulären Bankdienstleistungen und legalen Darlehen. – Staatsbürgerliche Hürden hinsichtlich der Teilhabe an kommunaler und politischer Vertretung, beim Erwerb von Wohnraum, beim Besuch weiterführender Bildungseinrichtungen für die Kinder, in die Gemeinschaft zu investieren, beim Niederlassungsrecht, bei der Einbürgerung, dem Wahlrecht und dem Recht, für ein politisches Amt zu kandidieren.

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Zwar konzentriere ich mich in diesem Beitrag auf die baulichen Hürden, doch manifestieren sich auch viele Probleme aus den anderen Gruppen – den institutionellen, ökonomischen und staatsbürgerlichen – in den baulichen Defiziten. Gemeint sind fehlende spezifische Gebäude und Zentren, fehlende Räumlichkeiten, in denen Geschäfte, Bildung, Politik und bürgerliches Leben stattfinden können oder fehlende Verkehrs- und Kommunikationsmittel, um die Gemeinschaften der Neuankömmlinge an diese Institutionen und die der etablierten „Kernstadt“ anzubinden. In den allermeisten Fällen lässt sich die „Hürde“ als etwas Materielles identifizieren, das der gebauten Umgebung der Gemeinschaft fehlt und sich somit stadtplanerisch lösen ließe. Im zwanzigsten Jahrhundert waren die preisgünstigen, innerstädtischen Einwanderungsbezirke in den postindustriellen Zentren zahlreicher westlicher Städte von vornherein wenigstens rudimentär mit vielen dieser Mittel und Institutionen ausgestattet. Diese „ethnischen“ Bezirke befanden sich zudem in unmittelbarer Nähe der innerstädtischen Infrastruktur und wiesen zugleich eine erhebliche Siedlungsdichte bei intensivem Austausch von Beziehungen und vielseitiger Flächennutzung auf, alles Faktoren, die eine rasche Integration erleichtern. Bezirke wie East London, die Lower East Side von New York, Belleville in Paris und Kreuzberg in Berlin waren heruntergekommen, hatten einen schlechten Ruf und galten als gewalttätig, aber durch ihre zentrale Lage, ihre Verdichtung wie auch ihre Entstehungsgeschichte waren sie mit vielen der Ressourcen gesegnet, die zum Erfolg nötig waren: mit kostengünstigem Wohnraum, den sonst niemand wollte, hoher Bevölkerungsdichte und informeller oder lax gehandhabter Flächennutzung und -regulierung. Dazu kamen Standorte direkt neben den etablierten Mittelstandsgegenden, die für einen steten Strom kaufkräftiger Kundschaft sorgten. Doch sind diese Innenstadtbezirke in den letzten Jahrzehnten ihrem eigenen Erfolg zum Opfer gefallen. Mittlerweile arriviert, sind sie für die etablierte Mittelschicht attraktiv geworden und damit häufig unerschwinglich für ärmere Bewohnerinnen und Bewohner. Obwohl dieser auch als Gentrifizierung bekannte Prozess für die Einwanderungsfamilien, die überproportional häufig Wohn- und Geschäftshäuser in diesen Bezirken erworben haben und daher von der Immobilienwert-

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steigerung profitieren, von großem Vorteil ist, sind diese Viertel neuen Einwanderungsgenerationen mit geringem Einkommen versperrt. Infolgedessen hat sich das Gravitationszentrum für Neuankömmlinge zunehmend an den Stadtrand verschoben. Die moderne Ankunftsstadt an der Peripherie wird durch drei makroökonomische Faktoren eingeschränkt, die gegenüber den letzten Jahrzehnten zusätzliche Hürden zur Integration aufstellen. Der erste Faktor liegt, wie oben bereits erwähnt, in der Suburbanisierung von Einwanderung; der zweite in der Inflation des Immobilienmarktes in den meisten westlichen Städten, die den Erwerb von Wohneigentum erschwert – für viele Einwanderungsgruppen ein traditionelles Vehikel ökonomischer Integration. Und der dritte Faktor ist die Informalisierung des Arbeitsmarktes, was bedeutet, dass der langfristig ausgeübte Vollzeitjob in der Produktion – von jeher Dreh- und Angelpunkt erfolgreicher Zuwanderung – weitaus weniger verbreitet ist. Stattdessen verlegen sich Immigrantinnen und Immigranten zunehmend auf verschiedene Kurz- oder Langzeitjobs im formalen oder informellen Arbeitsmarkt, gründen Kleinunternehmen bzw. handeln mit Waren, arbeiten in der „Gig-Economy“ und in Akkordarbeit, die „Portfolios der Armen“. Auch wenn diese Portfolios ein Jahreseinkommen einbringen können, das mit dem der alten Vollzeitarbeitsplätze in der Produktion vergleichbar ist, geschieht dies unter willkürlicheren, prekäreren und riskanteren Bedingungen. Diese drei Entwicklungstendenzen – die Suburbanisierung von Einwanderung und Armut, der unerschwingliche Wohnraum in der Stadt und die Fragmentierung des Arbeitsmarktes – laufen alle in der inneren Peripherie der Großstädte zusammen und schaffen Räume, in denen es häufig schwer ist, neu anzufangen, generationsübergreifende gesellschaftliche Entwicklung zu erreichen oder der Armut und Ausgrenzung zu entrinnen. Gerade hier können Interventionen am ehesten greifen – durch strategische, planerische oder bauliche Maßnahmen. Eine zielgerichtete Strategie, die vorhandene Hindernisse zur Integration aus dem Weg räumt, einen leeren Raum füllt oder fehlende Einrichtungen ergänzt, kann Krisen noch vor ihrer Entstehung verhindern. Schon eine einma-

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lige Maßnahme zur Überwindung eines erkannten Integrationshindernisses kann – selbst bei zunächst hohem finanziellen Einsatz – helfen, in den folgenden Jahrzehnten enorme Kosten durch den Abbau der Abhängigkeit von Sozialdiensten und Sozialhilfe, bei Polizeiarbeit oder Sanierung zu vermeiden.

Hindernisse aus dem Weg räumen durch Gestaltung: Drei Lösungsansätze Wie erkennt man Integrationshindernisse in einem Randbezirk? Es lohnt sich, einen Grundsatz im Hinterkopf zu behalten: Genau die Eigenschaft, die einen Stadtbezirk zum idealen Ort macht, eine Ankunftsstadt zu werden – nämlich die Eigenschaft, die dazu geführt hat, dass die Wohnkosten unter dem Durchschnitt der Stadt liegen –, ist dieselbe, die ihn später möglicherweise ins Wanken bringt und zur Falle werden lässt. Manchmal sind die Wohnkosten in diesen Bezirken geringer, weil sie weit von der bestehenden städtischen Ökonomie entfernt liegen, verkehrstechnisch schlecht angebunden und somit isoliert sind. Oft haben sie einen schlechten Ruf, es herrscht dort Gewalt oder sie fühlen sich, insbesondere für die dort lebenden Frauen wegen dunkler Freiflächen zwischen den Wohneinheiten, gefährlich an. Mitunter fehlen wichtige öffentliche Einrichtungen oder gute Schulen. Manchmal ist die Bevölkerungsdichte so gering, dass sich dort keine Binnenmärkte und Netzwerke bilden können. Eine praktische Herangehensweise sollte man dabei berücksichtigen: Fragen Sie die Bewohner. Sprechen Sie mit den Immigrantinnen und Immigranten und den ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen dieser Gemeinschaften darüber, welche Wege sie anfangs eingeschlagen, was sie sich von ihrer Wohngegend versprochen haben und welche Erwartungen sie bei der Ankunft an ihre Zukunft und die ihrer Kinder hatten. Und fragen Sie sie, welche Faktoren ihren Hoffnungen gegenwärtig im Weg stehen. Die von ihnen aufgeführten Hindernisse sind häufig ganz konkret – und es sind Probleme, die durch planerische und gestalterische Eingriffe zu lösen sind. Werfen wir einen Blick auf einige Beispiele für solche Eingriffe, die von Stadtplanern, Architekten und Entscheidungsträgern mit Einfluss auf die Bebauung und die Infra-

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struktur von Stadträumen konkret in Betracht gezogen werden können. Drei Kategorien von Maßnahmen werden hier im Folgenden fokussiert betrachtet.

Eingriffe, die die Bebauung und die räumliche Anordnung verändern, um die Dichte und den Austausch von Beziehungen zu erhöhen sowie die funktionale und soziale Mischung zu verbessern Kaum ein Eingriff in die Bebauung zur Beeinflussung der sozialen Entwicklung von Wohnbezirken war wohl so ehrgeizig wie die Jahrzehnte andauernden und über 200.000 gegenwärtige und potenzielle Bewohner betreffenden Stadterneuerungsprojekte in den nordwestlichen Amsterdamer Bezirken Slotervaart und Overtoomse Veld. Diese Bezirke der inneren Vorstadt mit ihren Wohnanlagen und Gartenstädten der Nachkriegszeit dienten seit den 1960er Jahren einer marokkanisch- und türkischstämmigen Bevölkerung als Ankunftsstadt-Plattform. Nachdem ein junger dort geborener Bewohner marokkanischer Abstammung 2004 einen terroristischen Anschlag verübte und so eine nationale Krise auslöste, wurde von den zuständigen Stellen – darunter auch der Amsterdamer Bürgermeister – eingeräumt, dass die Gestaltung und Konzeption der Wohngegend maßgeblich zur sozialen Isolation und zum Abstieg unter den Generationen beitrug, der den Nordwesten von Amsterdam zu weiten Teilen prägte. Eine Bandbreite von Projekten der für den größten Teil des Wohnraums zuständigen Wohnungsbaugenossenschaften sollte die Bevölkerungsdichte drastisch erhöhen, trennende leere Flächen beleben und sie stattdessen zu gesellschaftlichen und gewerblichen Anlaufpunkten machen. Standorte für Unternehmen, Handel und Industrie sollten in die Wohngegenden integriert sowie Barrieren entfernt werden, die diese Viertel von den etablierten Handelszentren isolierten. Daneben fanden aber auch wichtige Eingriffe zur Verbesserung der Schulen und anderer öffentlicher Einrichtungen statt. An einigen Stellen wurden die Gartenstadt-Wohnhäuser mit ihren ausgedehnten Grün- und Waldflächen zwischen den niedrigen Gebäu-

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den abgerissen und durch dicht stehende, acht- bis zehnstöckige Wohnhäuser entlang des vorhandenen Straßengevierts ersetzt. Die darin zum Gehweg orientierten Läden und Restaurants im Erdgeschoss sollten die unternehmerische Initiative von Zugewanderten fördern – eine räumlich-funktionale Nachahmung erfolgreicher städtischer Immigrationsquartiere. In anderen Fällen blieben die niedrigen Wohnhäuser unangetastet, aber die Leerräume dazwischen wurden bebaut mit zusätzlichen Wohngebäuden, Bibliotheken oder „Stadthäusern“ für öffentliche Einrichtungen, um Interaktion anzuziehen, statt sie zu unterbinden. Und schließlich wurden trostlose Betonplätze mit der Ansiedlung von Gewerbe, Gastronomie und Bildungseinrichtungen belebt.

Nachverdichtung und Funktionsanreicherung, Slotervaart, Amsterdam (Paul de Ruiter Architects)

Ein wesentlicher Bestandteil dieses Großprojekts war die Hinzufügung von vielen Wohneinheiten für die Mittelschicht. Die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner wurde vielerorts vervierfacht und meistens waren zwei Drittel der neuen Wohneinheiten vergleichsweise teure Eigentumswohnungen. Ihr Verkaufspreis war darauf angelegt, sowohl einen Teil der Kosten der Neugestaltung zu decken als auch eine besse-

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re soziale und das Einkommen betreffende Durchmischung der Bewohnerschaft zu erreichen. Dieses Preiskonzept hat viele „weiße“ Menschen der Mittelschicht angelockt, typischerweise junge Paare aus dem Zentrum Amsterdams. Doch daneben wurden sehr viele dieser teureren Wohnungen von Familien mit migrantischen Wurzeln erworben, die als Angestellte oder Geschäftsleute erfolgreich waren und sich beim Aufstieg in die Mittelschicht eher für das eigene Viertel entscheiden als für einen anderen Ort – ein bedeutsamer Wandel, der der sozialen Stabilität und der Qualität der Schulen des Bezirks zugutekommt. Anders ausgedrückt, hat der räumliche Eingriff eine neue Mittelschicht unter Zuwanderungsfamilien innerhalb des Bezirks geschaffen. Wenigen Städten stehen die Mittel für so große räumliche Veränderungen zur Verfügung. Aber es gibt auch strategische Werkzeuge, die Akteure auf dem Wohnungsmarkt animieren können, Hürden für die Inklusion und Integration aus dem Weg zu räumen. Eine typische Form der Unterbringung von Zugewanderten im 21. Jahrhundert in Toronto waren die „Slab-Farm“-Bezirke mit Mietwohnungen in Appartement-Hochhäusern aus der Nachkriegszeit. Dabei handelt es sich um Gebäude mit 20 bis 25 Geschossen, die durch Grünflächen voneinander getrennt sind – mehr als 2.000 solcher Gebäude stehen in vielen der inneren und äußeren Vororte Torontos. Sie wurden für Menschen gebaut, die mit dem Auto zu ihren Arbeitsplätzen in der Industrie pendeln, und weisen als reine Wohngebiete eine sehr niedrige Bevölkerungsdichte auf, was den städtischen Zusammenhalt und die Anbindung verhindert. Die Stadtverwaltung von Toronto fasste 2014 einen einzigartigen Beschluss, der unter der Bezeichnung „tower renewal“, also Wohnturm-Erneuerung, bekannt ist. Den Eigentümern dieser Gebäude wurde erlaubt, ohne Planfeststellungsbeschluss oder Überprüfung neue Bauwerke auf den Freiflächen zwischen den Wohntürmen zu errichten. So sollten belebte Bereiche mit Läden, Restaurants, Dienstleistungsbetrieben und gegebenenfalls niedrigen Hofhäusern entstehen und damit im Idealfall eine ausreichende Dichte erreicht werden, um die sinnvolle Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr zu begründen. Mit dieser politischen Initiative soll die städtische Verdichtung und eine intensivere Nutzungsmischung älterer Wohnsiedlungen für Bauträger finanziell attraktiv gemacht werden.

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Nachträgliche Qualifizierung öffentlicher Räume, Mexico-City (Architektinnen: Rozana Montiel, Alin W. Wallach)

In einem viel kleineren und präziseren Maßstab erfolgen die Eingriffe der mexikanischen Architektin Rozana Montiel innerhalb Siedlungen des kommunalen Wohnungsbaus in Mexiko-City. Viele der riesigen, eher flachen Sozialwohnungsbauten der Stadt sind von abweisenden Höfen zwischen den Gebäuden gekennzeichnet, die prädestiniert sind, zu Schauplätzen von Kleinkriminalität und Bandenaktivitäten zu werden. Die Ansässigen, insbesondere Frauen und Kinder, sind dadurch eingeschränkt und isoliert. Gleichzeitig werden damit produktivere Unternehmen abgeschreckt, was zum Wertverfall der Häuser führt, die üblicherweise den darin Wohnenden gehören. Montiels Büro arbeitet mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der Wohnungen zusammen und gestaltet und baut unterschiedlich genutzte Räume, um in diesen Karrees Kinderbetreuungseinrichtungen, Freiluftbibliotheken, Läden und Dienstleistungen, Kinos und Freizeit- oder Bildungsangebote anzusiedeln – häufig direkt nebeneinander. Dadurch entstehen attraktive Orte, die – statt abzuschrecken und die dort lebenden Menschen einzuschränken – dazu ermutigen, Gewerbe

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zu betreiben, zu spielen, zu lernen und sich gemeinsam um die Immobilien und öffentlichen Flächen zu kümmern. Bewohner der betreffenden Häuser haben mir erzählt, dass die Eingriffe den Wert ihrer Immobilien erhöht, ihre Geschäftsaussichten verbessert hätten und so die Wohnanlagen zu funktionierenden Quartieren umgewandelt worden seien.

Eingriffe zur Erweiterung oder Verbesserung der Verkehrsverbindung an die Kernstadt und zur Bildung von Anziehungspunkten Allein eine enger getaktete Buslinie, eine U-Bahn-Station oder eine S-Bahn-Anbindung kann die Entwicklung eines Ankunftsstadt-Viertels an der Peripherie schon enorm fördern, indem es sowohl den Ansässigen den Zugang zu Arbeitsstellen in der Kernstadt erleichtert und damit die Zeiten der Abwesenheit reduziert, während die Kinder unbeaufsichtigt sind, als auch den Menschen aus der Innenstadt Zugang zu den Angeboten und Geschäften des Viertels am Stadtrand ermöglicht. Aber am erfolgreichsten und umwälzendsten sind verkehrsplanerische Eingriffe, wenn sie die Attraktivität und Anziehungskraft eines Viertels durch eigene Verkehrsknotenpunkte erhöhen. Ein herausragendes Beispiel dafür sind die zwischen 1999 und 2007 vorgenommenen Maßnahmen in Nou Barris. Hier, an der östlichen Peripherie von Barcelona, gab es mehrere weitläufige Wohnbezirke, größtenteils Hochhäuser mit Wohnungen für Zehntausende Menschen, überwiegend mit Migrationshintergrund. Bis zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts waren die Wohnhäuser in dieser Gegend räumlich und gesellschaftlich durch beängstigende Freiflächen und Schluchten voneinander isoliert, was gemeinschaftliches Engagement und Vernetzung verhinderte. Zugleich waren sie aber wegen der großen Entfernungen, die sich mit dem öffentlichen Nahverkehr nur schlecht überwinden ließen, auch von der übrigen Stadt abgeschnitten. Durch eine Reihe groß angelegter Maßnahmen entstanden Nahverkehrsverbindungen in Form von großen Metrostationen und mehreren Schnellbuslinien auf eigens dafür angelegten Ringstraßen sowie große öffentliche Parks, unter anderem der Parque Central de Nou Barris, die zweitgrößte Grünfläche der Stadt. Der wichtigste Effekt die-

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ser Maßnahmen war jedoch, dass die Parks damit an den Nahverkehr angebunden und die bis dahin abweisenden Zwischenräume in Hauptanziehungspunkte verwandelt wurden. Das brachte die sehr unterschiedlichen Bewohnerinnen und Bewohner des Bezirks zusammen und machte gleichzeitig seine von Zugewanderten geführten Gewerbe, seine Kulturveranstaltungen und das Stadtgefüge selbst zu einem Anziehungspunkt für ganz Barcelona. Als Resultat erlebte dieser Bezirk eine Art Renaissance und verwandelte sich von einem Viertel, von dem auch Immigranten rasch fortwollten, zu einer Gegend, die die junge Bevölkerung Barcelonas dazu animiert, sich dort niederzulassen und ein Teil dieser Gemeinschaft zu werden. Ähnliche auf den Nahverkehr konzentrierte Maßnahmen finden sich zum Beispiel im südlichen Amsterdamer Viertel Bijlmermeer und hatten ebenfalls einschneidende Veränderungen zur Folge. Dabei handelt es sich um einen einst sozial benachteiligten Bezirk mit von Zugewanderten bewohnten Hochhäusern des öffentlichen Wohnungsbaus, der inzwischen dadurch, dass er zum Verkehrsknotenpunkt geworden ist, wesentlich gewonnen hat. Die Gegenden Lower Lea Valley und Stratford-upon-Thames in East London wandelten sich durch groß angelegte Verkehrsanbindungen für die Olympischen Spiele in London von 2012 und durch die damit verbundenen Wohn-, Einkaufs- und Gewerbemöglichkeiten ebenfalls von einer Außenseitergegend zu zentralen Anlaufpunkten.

Maßnahmen, die Räume und Einrichtungen schaffen, deren Nutzung und Funktion von der Gemeinschaft bestimmt werden Viele Hürden für Teilhabe und Eingliederung – insbesondere in der urbanen Peripherie – werden dadurch erzeugt, dass Randgruppen keine Kontrolle über die Nutzung und die Gestaltung ihrer Umgebung oder über die Einrichtungen, die in dieser Umgebung zu finden sind, haben. Zu den erfolgreichsten Interventionen gehören solche, die auf einfache Weise den Ansässigen ihre persönlich kontrollierbaren Räume überantworten und ihnen Einrichtungen sowie Mittel und Verfügungsgewalten zugestehen, die sie brauchen, um ihr eigenes kollektives Schicksal in die Hand zu nehmen.

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Auf der elementarsten Ebene lässt sich dies an den architektonischen und stadtplanerischen Ideen des renommierten Architekten Alejandro Aravena nachvollziehen, der für das Quinta-Monroy-Wohnungsbauprojekt im Norden Chiles Hunderte eng nebeneinanderstehende, unfertige Häuser in Holztafelbauweise konstruiert hat, ohne Fassadenverkleidung, aber dafür angebunden an die moderne Energie-, Wasser- und Dateninfrastruktur, was unterschiedliche Nutzungen ermöglicht. Von den vom Land in die Stadt Zugewanderten, die diesen Bezirk bevölkerten, wurde erwartet, dass sie die Häuser mit eigenen Materialien „fertigstellen“ und die Gebäude in Eigenregie erweitern. Außerdem konnten sie selbst entscheiden, wie Gemeinschaftsflächen genutzt werden sollten. Das Resultat nach nur zwei Jahren war die Art von eigenwilliger und blühender Gemeinschaft, die man gewöhnlich eher in älteren historischen Bezirken der Innenstadt findet und in der ein starkes Gefühl von Zusammengehörigkeit vorherrscht. Solch eine nur zur Hälfte geplante, durch die Bewohnerschaft gesteuerte Bebauung lässt sich durchaus auch in höher entwickelten Ländern nachahmen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Südstadt von Tübingen in Süddeutschland, ein zunächst vornehmlich von Zugewanderten bewohnter Bezirk um eine ehemalige Militärkaserne. Dieses Areal verwandelte sich unter der Leitung des Stadtplaners Andreas Feldtkeller in ein verdichtetes, vier- bis fünfgeschossiges Viertel, dessen Gebäude und öffentliche Plätze zumeist keine festgelegte Nutzung haben und so für Wohnungen, Läden, Restaurants und kleine Produktionsstätten genutzt werden können. Dadurch konnte ein typisches Immigrantenunternehmertum florieren sowie eine gut gemischte Bewohnerschaft mit unterschiedlichen kulturellen und ökonomischen Hintergründen entstehen, was den Bezirk zu einer Attraktion für Einwohnerinnen und Einwohner der gesamten Stadt macht – alles unter der Regie der im Viertel lebenden Menschen. Auf jeden Fall sollten diese durch die Ansässigen gesteuerten Eingriffe in ihre Umgebung idealerweise mit der Organisation von öffentlichen Trägern einhergehen – Schulen, Wirtschaftsverbänden und, sehr wichtig, Sicherheitsbehörden –, die zumindest stellenweise der Teilhabe aus der Gemeinschaft der marginalisierten Gruppen und ihrer Nachkommen unterliegt, welche in diesen Bezirken dominieren. Dies wür-

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de sie dazu befähigen, sowohl die Nutzung und zukünftige Entwicklung ihrer Umgebung als auch die Form und den Zweck wichtiger lokaler städtischer Einrichtungen selbst zu steuern. Der Standort dieser Einrichtungen und die räumliche Gestaltung sind hier absolut essentiell für ihren Erfolg. Diese Selbstregulierung könnte dann eine maßgebliche Rolle dabei spielen, eine unter prekären Umständen und in Abhängigkeit lebende Bevölkerungsgruppe zu einem aufstrebenden neuen Teil des kulturellen, ökonomischen und politischen Stadtgefüges zu machen.

Wohnviertel im Kontext von Lebensläufen sehen Bürgermeister und andere Kommunalbeamte verzweifeln häufig angesichts des Schicksals sozial benachteiligter Randbezirke, die in generationsübergreifender Armut versinken und ins gesellschaftliche Abseits geraten. Diese Bezirke erscheinen von außen betrachtet wie Krebsgeschwüre an den Rändern der Stadt. Doch sollte das Chaos und das Unvorhersehbare in diesen Bezirken von den Kommunalbeamten und Planern eher als Vorteil statt als Belastung gesehen werden. Mit einem geschickten Eingriff lassen sich diese Viertel einbinden, in das Stadtgefüge integrieren und als Ausflugsziele bewerben. Gibt es eine Straße mit Geschäften und Restaurants von armen Immigrantinnen und Immigranten ohne Hinweisschilder in der offiziellen Landessprache? Werben Sie dafür. Schaffen Sie einfache Zufahrtswege dahin. Stellen Sie Schilder auf. Wenn ein Randbezirk keinen Mittelpunkt und keinen Zusammenhalt hat, wenn er zur sozioökonomischen Falle wird, ist die Lösung häufig die, ihn zu einem Zielgebiet zu machen, damit Menschen genau dort hinkommen wollen. Wenn Städte Geld dafür ausgeben, Menschen vor dem Betreten eines Bezirks zu warnen, anstatt sie dorthin einzuladen, dann wird dies zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Die Menschen, die dort leben, bekommen nicht die Chance, sich mit der bestehenden Stadt zu vernetzen, und werden zu einem Problem, das man doch gerade vermeiden wollte. Diese Menschen sind sich über die Hindernisse, die ihrer eigenen Teilhabe und Integration im Weg stehen, im Klaren. Man muss ihnen nur zuhören und diese Hindernisse beseitigen.

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Der Schlüssel zum Erkennen dieser Hindernisse liegt darin, Städte nicht länger als eine Ansammlung von Zellen voller Leute zu betrachten, als Ziffern in einer Statistiktabelle. Stattdessen müssen wir Städte als eine Ansammlung von Lebensläufen begreifen. Migrantinnen und Migranten sehen ihr Leben nicht als Fixpunkte, sondern als eine Reihe gepunkteter Linien. Diese Linien führen von einem weit entfernten Dorf, einer fernen Stadt oder einem Kriegsschauplatz zu einem hinsichtlich Wirtschaft, Bildung, Konsum und Politik gefestigten Stadtleben; und in der Vorstellung eines Neuankömmlings – oder eines ausgegrenzten Einwohners – führt diese Linie weiter zur vollständigen Inklusion, im Sinne von Teilhabe und Anteilnahme. Wenn es uns gelingt, diesen gepunkteten Linien zu folgen, mit den Migrantinnen und Migranten zu sprechen und herauszufinden, wohin diese Linien führen, und wenn wir die Hindernisse schon im Vorfeld aus dem Weg räumen, dann können wir Migration von einem Unglück und einer Bedrohung in eine echte Chance verwandeln, neue prosperierende Gemeinschaften zu schaffen, die die Zukunft unserer Städte gestalten und verbessern werden. Übersetzung: Moira Colmant

Anmerkung 1

Stuart Rutherford/Jonathan Morduch/Daryl Collins: Portfolios of the Poor. How the World’s Poor Live on $2 a Day, Princeton 2009 (Anm. der Redak.)

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Blick auf Offenbach am Main, das mit Frankfurt raumstrukturell eng verbunden ist. Frankfurt liegt in dieser Ansicht unterhalb des Mains.

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Kai Vöckler

Wo man ankommt – die „Arrival City“ Offenbach am Main

Mit der Entwicklung der modernen Transporttechnologien und Kommunikationsmedien ist seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert ein weltweites Städtesystem entstanden, über das die Waren- und Wissens-, Material- und Menschenströme zusammengeführt und verteilt werden. Entsprechend nehmen die Städte nicht nur eine Schlüsselstellung in der Weltwirtschaft ein, sondern sind zugleich die Orte, wo auch die sozialen Herausforderungen dieses Austauschs mit der Welt bewältigt werden müssen: Die Migrationsströme haben sich in den vergangenen Jahrzehnten erheblich intensiviert und weltweit ausgeweitet.1 Am Beispiel der Stadt Offenbach in der global positionierten Metropolregion Rhein-Main soll die Funktion einer deutschen „Arrival City“ (Doug Saunders) in diesem Gefüge skizziert und der Frage nachgegangen werden, welche Rolle spezifische Baustrukturen und Siedlungstypologien bei der Integration von Zuwanderern haben.2

I. Die kleine globale Stadt Offenbach Offenbach am Main: Die ehemalige Residenzstadt und der einstmalige Industriestandort, dem in den 1970er Jahren fast vollständig die Lederwaren- und Maschinenbauindustrie weggebrochen ist, versucht bis heute, eine neue wirtschaftliche Perspektive innerhalb der ökonomisch prosperierenden Metropolregion Rhein-Main zu finden. Offenbach befindet sich raumstrukturell in unmittelbarer Nachbarschaft eines „Global Players“, des Finanz- und Handelszentrums Frankfurt am Main – das erhöht seine Attraktivität als Standort für Dienstleistungsunternehmen innerhalb der Metropolregion Rhein-Main. Die Metro-

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polregion ist ein Knotenpunkt internationaler Finanz-, Waren- und Personenströme. Finanzdienstleistungen, Beratung, Logistik, Medien und Softwareentwicklung bilden den Schwerpunkt der Branchenstruktur. Über 70 Prozent der Arbeitsplätze finden sich im Dienstleistungssektor. Darauf, dass die Region global positioniert ist, verweist die hohe Anzahl von weltweit ausgerichteten Entscheidungs- und Vertriebszentralen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Flughafen als größter Arbeitgeber der Region und drittgrößter Flughafen Europas. Was weniger bekannt ist: Der Flughafen Frankfurt ist im Cargobereich der größte Flughafen Europas, hier werden täglich 6.000 Tonnen Luftfracht umgeschlagen. Er fungiert zusammen mit dem Hamburger Hafen als „Global Hub“ für die Exportnation Deutschland. Der Logistikbereich wird besonders stark durch den Flughafen Frankfurt und die zentrale Anbindung an das Autobahn- und Eisenbahnnetz begünstigt. Entsprechend nimmt in Deutschland die Metropolregion RheinMain eine Schlüsselstellung in der globalen Vernetzung von Ökonomie und Wissen ein. Die Region steht aber auch vor der Aufgabe, nicht nur global mit Spitzenleistungen hervorzustechen, sondern diese in die Region zurück zu vermitteln. Dabei trifft sie auf neue Herausforderungen: Wie garantiert sie ihre Zukunftsfähigkeit? Dies betrifft vor allem die Frage, wie eine hochqualifizierte Ausbildung zu garantieren ist, damit die Region für Zuwanderer in allen Berufsfeldern attraktiv bleibt. Zuwanderung und Integration sind für eine wachsende Metropolregion zentrale Aufgaben – hier erfüllt Offenbach in der Metropolregion eine wichtige Funktion. Allerdings ist Offenbach geprägt von einer tiefgehenden ökonomischen Umstrukturierung. Die direkt an Frankfurts Osten angrenzende Stadt mit ihren etwa 120.000 Einwohnern hat wahrscheinlich am härtesten in der Region mit dem Deindustrialisierungsprozess zu kämpfen: Lange Zeit Standort für die Lederverarbeitung, für Chemie und Metallindustrie, setzte ab den 1970er Jahren ein Auflösungsprozess dieser klassischen Industrien ein – wesentlich bedingt durch konkurrierende Billigimporte einerseits und Abwanderung der Unternehmen in Niedriglohnländer andererseits. Den fortschreitenden Deindustrialisierungsprozess versucht die Stadt mit der gezielten Ansiedlung hochwertiger Dienstleistungsökonomien zu kompensieren. Trotzdem bildet die Stadt das „Wachstumsschlusslicht“ innerhalb

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Vogelsberg Kreis Kreis Fulda

Kreis Gießen Kreis LimburgWeilburg Wetteraukreis

RheingauTaunus-Kreis Wiesbaden

Hochtaunuskreis

Main-KinzigKreis Frankfurt

MainTaunusKreis

Kreis Kreis

Kreis Mainz MainzBingen

Kreis GroßGerau Darmstadt

Kreis AlzeyWorms

Worms

Kreis Bergstraße

Kreis DarmstadtDieburg

Kreis Miltenberg

Odenwaldkreis

Kernstädte der Region (Kreisfreie Städte) Einflugschneisen des Flughafen Frankfurt Flughafen Frankfurt

Die global positionierte Metropolregion Rhein-Main mit den Kernstädten Frankfurt, Offenbach, Darmstadt, Mainz und Wiesbaden. Sie fungiert mit dem Flughafen Frankfurt als „Global Hub“ für die Exportnation Deutschland und ist Standort zahlreicher Zentralen international operierender Unternehmen. © Vöckler / Grafik: Nikolas Brückmann, Yuriy Matveev, INK

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Hessens, wie eine Studie der IHK Offenbach zur wirtschaftlichen Entwicklung 2012 konstatierte.3 Zudem weist Offenbach die höchste Arbeitslosenrate der Region auf. Teil dieser Entwicklung ist, dass begünstigt durch niedrige Wohnmieten, die in den widrigen Umweltverhältnissen (Fluglärm) begründet sind, in Offenbach ein hoher Anteil von Einwohnern zu finden ist, die sich dem „Dienstleistungsproletariat“ zuordnen lassen4 – also Beschäftigten im Niedriglohnsektor, gering qualifiziert, oft mit Migrationshintergrund. Die Arbeit dieser Gepäcklader, Paketzusteller und Kassenfrauen hat nichts mit hochqualifizierten Tätigkeiten zu tun, sie basiert wesentlich auf körperlichem Verschleiß und bietet so gut wie keine Aufstiegschancen. Trotzdem ist es für Zuwanderer mit niedrigem Bildungshintergrund und einer geringen beruflichen Qualifikation attraktiv, nach Offenbach zu kommen. Das wird unmittelbar deutlich, wenn man durch die Offenbacher Innenstadt flaniert: Es springt einem unmittelbar die „bunte Mischung“ der Passanten ins Auge, die aus aller Herren Länder zu stammen scheinen. Und der Schein trügt nicht, denn wenn man länger verweilt, stellt man fest, dass tatsächlich viele der Offenbacher, denen man im alltäglichen Leben begegnet, von der Kassenfrau im Supermarkt bis zum behandelnden Facharzt, oftmals familiäre Bindungen über Deutschland hinaus haben. Offenbach ist die internationalste Stadt Deutschlands – sie hat den höchsten Anteil von ausländischen Staatsbürgern in Deutschland und ist die erste deutsche Kommune, in der die Mehrheit der Einwohner Migrationshintergrund hat. Genauer: 60,9 Prozent der Einwohner Offenbachs haben einen Migrationshintergrund und der Anteil der Bevölkerung ohne deutsche Staatsbürgerschaft beträgt 37,1 Prozent, wie es die kommunale Statistik zum März 2017 ausgewiesen hat.5 Beide Faktoren prägen stark die Außenwahrnehmung der Stadt: Offenbach gilt als die Stadt der Migranten, als rau und hart. Offensichtlich ist die globale Metropolregion Rhein-Main nicht nur auf den Zuzug von Spitzenkräften und hochqualifizierten Fachleuten, sondern auch auf die geringqualifizierten Arbeitskräfte angewiesen, nicht zuletzt auch auf die Arbeitskraft der illegal Beschäftigten, die zu deutlich geringeren Löhnen arbeiten. Offenbach ist zu einem Auffangbecken eben dieser Zuwanderer geworden und im Laufe der Jahrzehn-

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Vogelsberg Kreis Kreis Fulda

Kreis Gießen Kreis LimburgWeilburg

Wetteraukreis Hochtaunuskreis

RheingauTaunus-Kreis

Main-KinzigKreis Frankfurt

MainTaunusKreis

Wiesbaden

Kreis GroßGerau

Kreis Mainz MainzBingen

Offenbach Kreis Offenbach

Darmstadt

Kreis AlzeyWorms

Worms

Kreis Bergstraße

Kreis DarmstadtDieburg

Kreis Aschaffenburg Aschaffenburg

Kreis Miltenberg

Odenwaldkreis

Ausländeranteil 2015 > 20 % 15–20 % 10–15 % < 10 %

Die Ankunftsbezirke der Metropolregion Rhein-Main konzentrieren sich entlang des alten Industriegürtels. © Vöckler und Schulze-Böing / Grafik: Nikolas Brückmann, Yuriy Matveev, INK

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te hat dies das Stadtbild und Image der Stadt geprägt. Oftmals mit Negativbewertungen wie „Ausländerghetto“ oder „Bronx des RheinMain-Gebiets“ belegt, leistet sie eine herausragende Arbeit für die Region als Ankunftsstadt, als einer „Arrival City“. Der Wissenschaftsjournalist Doug Saunders hat in seinem gleichnamigen Buch mit den liebgewordenen Klischees über die Ankunftsstädte, den sogenannten Slums außereuropäischer Großstädte, aber auch der westeuropäischen Armenviertel aufgeräumt: dass diese Orte bewohnt von Verlierern oder soziale Sackgassen seien.6 Basierend auf dem Weltentwicklungsbericht der Weltbank 2009 und eigenen Recherchen kommt Saunders zu dem Schluss, dass es sich dabei vielmehr um Transiträume handele, die mit hoher Effizienz Zuwanderer in die Aufnahmegesellschaft integrieren. Dass diese Gebiete wirtschaftlich abgekoppelt und dauerhaft als Armutsgebiete wahrgenommen werden, resultiert für ihn wesentlich daraus, dass die erfolgreich angekommenen Migranten, denen der berufliche Aufstieg gelungen ist, diese Gebiete wieder verlassen, um den nächsten Zuwanderern Platz zu machen. Obwohl es dazu keine Untersuchungen und nur wenige aussagefähige Zahlen gibt, lässt sich dies strukturell auch auf Offenbach übertragen, das eine ebensolche Integrationsarbeit leistet.7 In den durch die Einwanderung stark belasteten Stadtvierteln werden durch eine intensive kommunale Betreuung Lebenschancen für die dortigen Bewohner generiert, aber gerade die Erfolgreichen unter ihnen ziehen fort in die „besseren“ Stadtviertel oder Nachbarkommunen.8 Empirisch lässt sich die These von Saunders für Offenbach bislang noch nicht belegen. Sie deckt sich aber mit den Erkenntnissen, die aus der alltäglichen Integrationsarbeit der Kommune gewonnen wurden. 9

II. Wie muss ein Ankunftsviertel gebaut sein? Doug Saunders hat mit seiner Untersuchung zur Funktion der Ankunftsbezirke und Ankunftsstädte (Arrival Cities) als Orte der Erstintegration und als Basis für den sozialen Aufstieg einen wichtigen Beitrag zur Diskussion um die sogenannten „Ausländerviertel“ geleistet. Dass diese als Integrationsmotoren fungieren, die immer wieder neue

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Über ein Drittel der Einwohner Offenbachs sind Ausländer. Die Verbundenheit mit dem Herkunftsland wird, wie hier zur Fußballweltmeisterschaft, auch im Straßenbild sichtbar.

Zuwanderer erfolgreich integrieren, die wiederum bei einer Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse ihren Lebensmittelpunkt in die „besseren Gegenden“ verlagern, ist auch Folge der Stigmatisierung der Orte der Erstintegration als „Ghettos“.10 Verglichen mit anderen Städten in Deutschland und insbesondere mit anderen westeuropäischen Städten hat Offenbach ein gut funktionierendes Gemeinwesen. Von „Ghettos“ und „No-Go-Areas“ kann überhaupt keine Rede sein: Die Stadt ist ausgesprochen friedlich, die Kriminalität bewegt sich im Mittelfeld der deutschen Großstädte (bei konstant sinkender Kriminalitätsrate in Deutschland) und die Einwohner aus aller Herren Ländern müssen miteinander und auf Deutsch klarkommen – es gibt keine dominierende ethnische Gruppe und entsprechend auch keine ethnischen Enklaven, sogenannte „Ghettos“.11

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Saunders Untersuchung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Ankunftsbezirke und Ankunftsstädte bilden über Familiennetzwerke Brücken zwischen dem Herkunftsort und dem Ankunftsviertel, der Austausch hat sich nicht zuletzt auch durch die immer kostengünstigeren Reisemöglichkeiten intensiviert. Zuwanderer konzentrieren sich in den Städten, da sie die Netzwerke von Migranten mit ähnlichen kulturellen und sozialen Hintergründen suchen, die ihnen beim Zurechtfinden in der unvertrauten Umgebung helfen und die ein Stück „Heimat“ und damit Sicherheit bieten. So bilden sie auch den Zugang für die „Nachrücker“, weshalb sich Zuwanderer zumeist in bestimmten Stadtvierteln konzentrieren, zugleich bilden diese aber auch die Sprungbretter für den sozialen Aufstieg. Sie sind daher auch Durchgangsstationen, bedingt durch den Wegzug der Aufsteiger in die besseren Viertel. Saunders hat dabei eine sehr angelsächsische Sichtweise: Sozialer Aufstieg drückt sich für ihn in der Bildung von Wohn- und Geschäftseigentum ebenso wie über Bildungsaufstiege aus. Letzteres trifft mit Sicherheit auch auf die Offenbacher Situation zu, wo die Kommune erhebliche Anstrengungen im Bildungsbereich (in der Kopplung mit den entsprechenden Bundes- und Landesförderprogrammen und in intensiver Absprache mit den verantwortlichen Landesbehörden) unternimmt, um die Integration von Zuwanderern zu fördern. Die Bildung von Wohneigentum spielt dagegen in Deutschland (und in Offenbach) eher eine untergeordnete Rolle, knapp die Hälfte der Deutschen wohnt zur Miete – sicherlich auch Folge des hohen Mieterschutzes in Deutschland.12 So kommt aber auch dem sozialen Wohnungsbau eine wichtige Rolle bei der Integration von Zuwanderern zu, insbesondere von denjenigen, die aufgrund ihrer Ausbildung (oder mangels Anerkennung der Bildungsabschlüsse) nur im Niedriglohnsektor Zugang zum Arbeitsmarkt finden und entsprechend bezahlbaren Wohnraum benötigen. Saunders geht auf das spezifisch sozialstaatliche Modell der Integration in Deutschland nicht ein. In Deutschland wird der Verknüpfung von sozialen, bildungsbezogenen und wesentlich auch kulturellen Integrationsmaßnahmen sehr viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt als in den klassischen Einwanderungsländern (man kann das auch kritisch als Folge der Umgehung der Staatsbürgerrechtsproblematik sehen). Nichtsdestotrotz hat Saunders die Augen für die wichtige Funktion der Ankunftsstädte und Ankunftsbezirke bei der Erstintegration auch in Deutschland geöffnet.

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Welchen Einfluss hat die Baustruktur auf die Integration? Wesentlich für die erfolgreiche Integration ist für Saunders eine hohe Nutzungsdichte, verbunden mit einer stark gemischten Nutzung. Geringe physische und soziale Dichte ist für ihn „der Feind der Integration“.13 Saunders kritisiert Großsiedlungen (mit hohem Anteil von Migranten) in Vorstädten wie Paris-Evry, dem Zentrum der Banlieue-Krawalle von 2005, oder Amsterdam-Slotervaart: Die physische und soziale Dichte ist seiner Meinung nach zu gering für Netzwerke, er spricht ihnen generell ab, dass sich dort ein Gemeinschaftsleben und eine gelingende Integration entwickeln kann. Die Reduktion auf die Wohnfunktion verhinderte gewerbliche Nutzungen (die ihre Kundschaft im eigenen Milieu findet, die sogenannten „ethnischen Ökonomien“). Die Isolation der Häuser und fehlende Höfe ohne entwicklungsfähige Erdgeschosszonen hemmen Existenzgründungen und damit den Aufbau von eigenen Läden und Werkstätten. Die periphere Randlage verhindere den Anschluss an das Stadtzentrum und damit den sozialen wie kulturellen Austausch und eine erfolgreiche Integration.14 Allerdings ist Saunders’ Argumentation nicht widerspruchsfrei, worauf bereits der Stadt- und Regionalsoziologe Rainer Neef in seiner Rezension von Saunders’ Publikation hingewiesen hat.15 So wird Parla bei Madrid als positives Beispiel einer erfolgreichen Ankunftsstadt angeführt, das baustrukturell den französischen Sozialwohnungssiedlungen in Bauweise, randstädtischer Lage und monofunktionaler Ausrichtung sehr ähnlich ist. Dass Parla so viel besser funktioniert als die französischen Pendants, erklärt Saunders aber auch damit, dass die Stadtverwaltung frühzeitig erkannte, dass hier eine Ankunftsstadt entstand, und entsprechende Maßnahmen ergriff.16 Dies dürfte tatsächlich der Schlüssel zum Verständnis sein: Die kommunale Aufmerksamkeit, die auf die Zuwanderung und die stadträumliche Konzentration mit einem Integrationsmanagement reagiert und die Integration als Querschnittsaufgabe in der Verwaltung organisiert, hat sicherlich einen sehr viel größeren Einfluss auf den Erfolg der Integration als die Baustruktur. Dies trifft auch auf Offenbach zu, wo Stadtpolitik und Stadtverwaltung bereits sehr früh erkannten, dass sie sich umfassend den Aufgaben der Integrationsarbeit stellen müssen, die in einem übergreifenden kommunalen Integrationsmanagement zusammengeführt werden und alle Politikfelder einbeziehen.17 Dass die kommunale Arbeit dabei wesentlich auch von den nationalstaatlichen Rahmen-

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bedingungen beeinflusst ist (wie beispielsweise die rechtliche Stellung von Zuwanderern definiert ist), ist dabei mitzudenken. Aber die Integration erfolgt vor Ort, dort, wo die Menschen leben. Zur Aufmerksamkeitsthese tritt eine Sorgfaltsthese: Wenn Hauseigentümer und Wohnbauverwaltungen die Gebäude vernachlässigen, tritt zumeist Verwahrlosung und damit einhergehend Vandalismus auf und löst so eine Abwertung des Gebäudes und Quartiers aus, wie die Wohnverwaltungen und auch die Quartiersmanager in Gesprächen immer wieder betonen. Das betrifft gründerzeitliche Blockstrukturen ebenso wie Siedlungen im Geschosswohnungsbau. Allerdings ist hier auch Differenzierung geboten: Diese als „Broken-Windows-Theorie“ bekannte Theorie, die einen ursächlichen Zusammenhang von Unordnung (physical disorder) und abweichenden Verhaltensweisen (social disorder) behauptet und daraus einen Anstieg von Kriminalität ableitet, hat sich wissenschaftlich als nicht haltbar erwiesen.18 Allerdings bestätigen die verschiedenen Untersuchungen, dass leerstehende und baufällige Gebäude ebenso wie herumliegender Müll oder Graffitis als Anzeichen von Unordnung abweichendes Sozialverhalten legitimieren und Vandalismus verstärken können. Die Unordnung verunsichert die dortige Bevölkerung und kann Kriminalitätsfurcht auslösen (auch wenn diese nicht den Fakten entspricht).19 Dies hat wiederum Einfluss auf das Mobilitätsverhalten, es kann bei Teilen der Bevölkerung (die es sich leisten können) zu Wegzügen führen bzw. auch Zuzüge verhindern.20 Einkommensschwache und stark migrantisch geprägte Stadtviertel weisen eine größere Fluktuation auf, was nachbarschaftliche Bindungen erschwert und damit auch die soziale Kontrolle schwächt. Das trifft auch auf Offenbach zu, das die höchste Fluktuationsrate aller deutschen Großstädte hat. 21 Und diese ist nochmals erheblich höher in den stark migrantisch geprägten Stadtvierteln Offenbachs (mit über 50 Prozent nichtdeutscher Bevölkerung), wo um die 20 Prozent an Zu- und Wegzügen jährlich verzeichnet werden – rein rechnerisch würde sich in diesen Stadtteilen die Wohnbevölkerung innerhalb von 5 Jahren austauschen, faktisch gibt es Bewohner, die eine große Lebensspanne dort verbringen und andere, die sich nur für wenige Monate anmelden, wozu vermutlich auch die Pendelmigranten gehö-

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ren. Das erschwert soziale Interaktionen zwischen den unterschiedlichen Bewohnergruppen und zeitigt auch Nebeneffekte, wie beispielsweise zahlreich auftretende Sperrmüllhaufen bedingt durch häufige Mieterwechsel, da die Wegziehenden oftmals nicht die ordnungsgemäße Entsorgung veranlassen. Hier reagiert die Stadt sehr schnell, diesen Phänomenen wird große Aufmerksamkeit gezollt: Das Quartiersmanagement erfasst entsprechende Missstände und meldet diese weiter, so dass umgehend eine Beseitigung veranlasst wird. Auf diese Weise wird von städtischer Seite der Verwahrlosung und den damit verbundenen Ängsten begegnet. Allerdings tritt ein weiterer Schwächungsfaktor bei sozial belasteten Stadtvierteln hinzu. Da die Mietrenditen aus der Sicht der (privaten) Hauseigentümer zu gering sind, führt dies zumeist zu einem Sanierungsstau bei den Gebäuden. Hinzu kommt, dass viele Eigentümer kein Interesse an Sanierungsleistungen haben, wenn die Investitionen nicht durch deutliche Mietsteigerungen bei Neuvermietungen entsprechende Erträge erbringen (gewinnträchtige Mietsteigerungen sind nur bei Neuvermietungen möglich, da Sanierungsleistungen nur sehr eingeschränkt auf die bestehenden Mietverhältnisse umgelegt werden können). Das setzt wiederum voraus, dass man einkommensstarke Mieter gewinnt, was in entsprechend als „Assi-Viertel“ oder „Ausländerghetto“ stigmatisierten Stadtvierteln als sehr schwierig eingeschätzt wird und entsprechend bei den Eigentümern zu einem sehr zögerlichen Investitionsverhalten führt. Hinzu kommen noch einzelne Hauseigentümer, die bevorzugt an Empfänger von sozialen Transferleistungen („Hartz IV“) vermieten. Das Geschäftsmodell ist attraktiv, weil die Miete von der Kommune bezahlt (und garantiert) ist, zugleich aber die Pflege des Hauses vernachlässigt werden kann und die Kosten eingespart werden, ohne dass man große Beschwerden der Mieterschaft oder deren Wegzug befürchten muss. Infolgedessen findet sich in diesen Quartieren oftmals eine vernachlässigte Bausubstanz, auch wenn die Kommune im Rahmen ihrer Möglichkeiten Verwahrlosungstendenzen bekämpft. Armut und Migration konzentrieren sich stadtstrukturell in deutschen Großstädten vornehmlich in den innenstadtnahen Arbeiterquartieren (im Altbaubestand) oder aber in den Randlagen, zumeist in den Nachkriegsbauten des sozialen Wohnungsbaus. Dieses Entwicklungsmuster findet sich auch in Offenbach.22 Wurden die Flüchtlinge

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und Vertriebenen nach Kriegsende einerseits bei den Bewohnern im Altbaubestand einquartiert (die seinerzeit zur „Opferbereitschaft“ aufgerufen waren) und andererseits in neuerrichteten Siedlungen in Randlage, zumeist Zeilenbauten, untergebracht, fanden sich die seit dem Ende der 1950er Jahre zuziehenden zunächst fast ausschließlich männlichen „Gastarbeiter“ zuerst in speziell eingerichteten Sammelunterkünften auf dem Werksgelände wieder. Erst später verlegten sie ihren Wohnort in die umliegenden Stadtquartiere (begleitet vom Familiennachzug) – dies waren in Offenbach wesentlich die innerstädtischen Quartiere sowie das Nordend, wo sich auch die Fabrikanlagen der Lederwaren- und Maschinenbauindustrie befanden. Diese Quartiere sind geprägt durch gründerzeitliche Baustrukturen mit Blockrandbebauung, kleinteiligen Gewerbestrukturen im Erdgeschoss und in den Hinterhöfen. Sie weisen heute den höchsten Anteil von Nichtdeutschen (um die 50 Prozent) auf. Hier scheint sich Saunders’ These zu bestätigen: Die Baustrukturen bieten optimale Möglichkeiten der Integration und Entfaltung, was sich in der Vielfalt eben auch migrationsspezifischer Unternehmen vom Lebensmittelhändler über die Autoreparaturwerkstatt bis zum Friseur zeigt. Dass die gründerzeitlichen Stadtquartiere mit ihrer Nutzungsmischung von Wohnen und Gewerbe und ihrer hohen Einwohner- und Bebauungsdichte sehr leistungsfähige Stadtbausteine darstellen, ist bekannt. Sie zeichnen sich durch Vielfalt und Lebendigkeit des städtischen Lebens aus, sind aber auch oftmals, wie gezeigt, von sozialen Belastungen geprägt. Inwieweit diese Baustrukturen soziale und kommunikative Beziehungen befördern, ist strittig. Sie erleichtern aber sicherlich soziale Interaktionen. Die Intensität eines „Sich-Verhaltens“ mit- und zueinander, des Austauschs einander zunächst Fremder, ist auch abhängig von der Einwohnerdichte. Eine hohe Einwohnerdichte und damit einen sozialräumlich bedingten intensiveren Austausch haben aber auch Großsiedlungen. Daher erscheint es wichtig, sich auch Offenbachs Großwohnsiedlung Lauterborn anzuschauen. Unter Großsiedlungen werden üblicherweise Siedlungen der 1920er bis 1980er Jahre des mehrgeschossigen Mietwohnungsbaus (zumeist städtischer oder landeseigener Wohnbaugesellschaften oder Wohnbaugenossenschaften) mit mehr als 1.000 Einwohnern verstanden, die in Deutschland etwa 10 Prozent des

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Der „Offenbach Block“. Das englische Planungsbüro URBED analysierte einen prototypischen Block im Offenbacher Nordend und empfahl, diese Baustruktur als Stadtbaustein weiter zu nutzen. Die kleingewerblichen Nutzungsmöglichkeiten bieten gute Entfaltungsmöglichkeiten für migrantisch geprägte Unternehmen. © URBED, 2015

Wohnungsbestands ausmachen und zumeist vergleichsweise günstige Mieten aufweisen (die Wohnungen wurden in den meisten Fällen den renditeorientierten Prinzipien des privaten Grundbesitzes entzogen).23 Die allgemeine Wahrnehmung der Großsiedlungen hat aber mit der Wirklichkeit oft wenig zu tun – das trifft auch auf Offenbachs Großwohnsiedlung Lauterborn zu.24 Die auf Ackerflächen am Stadtrand errichtete Großsiedlung wurde in den 1960er Jahren geplant und zu Beginn der 1970er Jahre fertiggestellt. Das Leitbild der aufgelockerten Stadt ist deutlich ablesbar: optimale Verkehrsführung, weite öffentliche Grünflächen zwischen Zeilenbauten und Hochhäusern (sowie fünf Atriumhäusern als Modellbauten von Egon Eiermann). Dazu gibt es ein Einkaufszentrum (2009 zur Einkaufspassage umgebaut),

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öffentliche Parkplätze sowie drei Schulen, zwei Kindertagesstätten und ein Jugendzentrum. Am Rande des Stadtteils finden sich weiterhin niedrige private Reihenhäuser sowie in kleinerer Zahl Einfamilienhäuser aus dieser Zeit, dazu kommen die ab den 1980er Jahren errichteten Ergänzungsbauten wie weitere Apartment- und Reihenhäuser. Die Zeilen- und Hochbauten in der Parklandschaft orientieren sich zur Sonne, in den ausgedehnten Grünzonen finden sich die Spielplätze neben Schulen und Kindergärten. Die Kinder können diese zumeist zu Fuß erreichen, ohne dabei Straßen überqueren zu müssen. Der Besucher findet dort ein sehr grünes, sauberes und wenig aufregendes Stadtviertel, das tagsüber als Folge der dominierenden Wohnfunktion kaum belebt ist. Hier verlief die Zuwanderung von Nichtdeutschen zeitversetzt: Waren die Erstbezieher zunächst sehr homogen, zumeist junge deutsche Familien, setzte in den 1980er Jahren ein vermehrter Zuzug von ausländischen Migranten ein. Von den im Stadtbezirk Lauterborn wohnenden etwa 12.000 Einwohnern haben heute 66,4 Prozent Migrationshintergrund, im Vergleich mit den innerstädtischen Stadtquartieren, die einen Anteil von zwischen 72 bis knapp 79 Prozent aufweisen, liegt der Anteil von Einwohnern mit Migrationshintergrund (dies umfasst Nichtdeutsche und deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund) also etwas darunter.25 Der Anteil von Nichtdeutschen ist aber in Lauterborn mit etwa einem Drittel deutlich geringer (innerstädtisch fast die Hälfte), die Fluktuationsrate fällt ebenso deutlich niedriger aus. Dass der Anteil von Nichtdeutschen mit der Fluktuationsrate korreliert, erscheint sinnfällig, da diese ja auch nur über eine befristete Aufenthaltsgenehmigung verfügen. Lauterborn galt in den 1990er Jahren als „Brennpunkt“, es gab Probleme mit Vandalismus, worauf die Stadt, aber auch die Anwohner reagierten. Tatsächlich war es zu besorgniserregenden Sachbeschädigungen gekommen, noch heute erzählt man sich von „Kanaldeckeln, die durch die Ladenfenster der Einkaufspassage geworfen wurden“. Entsprechend führte dies zu Leerständen im Einkaufszentrum. Es formierte sich eine Bürgerinitiative („Besser leben in Lauterborn“). Der Architekt Arthur Mähner des international tätigen Offenbacher Architekturbüros Novotny Mähner (N+M) kaufte einen Großteil des Gebäudekomplexes auf und baute es zu einer Einkaufspassage um. Die städtische Wohnbauge-

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Die Großwohnsiedlung Lauterborn in Offenbach mit ihren typischen weitläufigen Grünflächen und der dominierenden Wohnfunktion hat erfolgreich die Integration von Migranten bewältigt und ist heute ein gut angenommener Wohnort.

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sellschaft kümmerte sich um die Vermarktung der Ladenflächen und es wurde eine Videoüberwachung am zentralen Platz vor der Einkaufspassage installiert. Zudem wurde ein Stadtteilbüro eingerichtet, das sich mit dem Quartiersmanagement vor Ort intensiv um die Vernetzung der Bewohner und insbesondere um den Austausch zwischen den zumeist herkunftsdeutschen Erstbeziehern und den meistenteils migrantischen Zugezogenen bemüht, aber auch schnell auf Missstände wie „wilden Müll“ oder Graffitis reagiert und deren Beseitigung veranlasst. Die Mischung aus aktiver Ansprache von Einwohnern, Förderung von sozialen Interaktionen, aber auch die konsequente Anwendung des Ordnungsrechts hat dazu geführt, dass die wesentlichen Missstände beseitigt wurden und mittlerweile (wieder) eine hohe Zufriedenheit bei den Bewohnern mit den Lebensverhältnissen im Stadtteil herrscht, soweit sich das durch Gespräche mit Bewohnern und den Aussagen des damit befassten Quartiersmanagements ableiten lässt.26 Das Beispiel Offenbach-Lauterborn bestätigt, dass es weniger den Baustrukturen, sondern eher der Aufmerksamkeit der Stadtverwaltung und der Sorgfalt der Hauseigentümer, aber auch einem bürgerschaftlichen Engagement geschuldet ist, wenn Missstände behoben und Fehlentwicklungen korrigiert werden und insgesamt ein gut funktionierendes Stadtviertel die Aufgabe der Integration von Migranten erfolgreich bewältigt. Allerdings wird oftmals ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt: Einen großen Einfluss auf das Mobilitäts- wie auch das Investitionsverhalten übt das Bild des Stadtquartiers in seinem doppeldeutigen Sinne aus – einerseits, was den tatsächlichen Anschein angeht (vernachlässigte Bausubstanz, herumliegender Müll etc.), also wie es sich den Bewohnern (und Besuchern) darbietet, aber andererseits auch, was die Wahrnehmung von „außen“, das Image des Stadtquartiers angeht bzw. was oftmals über die mediale Vermittlung und ohne Kenntnis des Ortes die (kollektiv geteilte) Vorstellung prägt. Kurz: Neben den wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen kann ein Negativimage weitaus mehr das Mobilitätsverhalten beeinflussen als die Baustrukturen. Denn gerade auch die dort Lebenden sehen sich mit einer „schlechten Adresse“ konfrontiert, was die Motivation erhöht, bei einer Verbesserung der eigenen Lebensverhältnisse zu einem anderen Ort zu wechseln. Die soziale Realität wird eben auch durch (kollektiv geteilte) Vorstellungen

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vermittelt und gestaltet. Medial verstärkte, skandalisierende Bezeichnungen als „Ausländerghetto“ oder „Assi-Viertel“ mit ihrer Betonung ethnischer oder sozialer Unterschiede verschärfen die Wahrnehmung von „Andersheit“, begleitet von negativen Folgen für Vertrauen und Kooperation auch bei den dort Lebenden – das gilt gleichermaßen für Altbauviertel wie Großsiedlungen mit hohem Anteil von ausländischen Migranten bzw. sozialer Armut. Der Grundgedanke der Großwohnsiedlungen, qualitativ hochwertige Wohnungen für Menschen zu schaffen, die nur eine eingeschränkte Wahlfreiheit am Immobilienmarkt haben, ist angesichts des Mangels an bezahlbarem Wohnraum in der Metropolregion Rhein-Main (wie auch in Offenbach) als sehr positiv zu bewerten und wird durchaus auch von den Bewohnern so gesehen. Positiv ist gerade bei den Großwohnsiedlungen hervorzuheben, dass diese größtenteils im Besitz von Genossenschaften und öffentlichen Wohngesellschaften sind und daher ihre Investitionen in den Baubestand (Pflege und Sanierung, aber auch Erweiterung) weniger an der Renditesteigerung (wie bei den privaten Hauseigentümern), sondern am sozialen Zusammenhalt und der Zufriedenheit der Bewohner nicht nur des Einzelgebäudes, sondern der Siedlung insgesamt orientiert. Das hat auch zur Folge, dass derzeitig eine Großsiedlung wie Lauterborn einen sehr viel gepflegteren Eindruck hinterlässt als die Offenbacher Innenstadtviertel, wo es immer wieder einzelne Bauten in augenfällig schlechtem bis sogar verwahrlostem Zustand zu verzeichnen gibt. Auch wenn die Kleinteiligkeit und Nutzungsmischung in den innerstädtischen Altbauvierteln die Bildung von Interaktionsräumen unterschiedlicher und voneinander unabhängiger Bewohnergruppen eher erleichtern als die stärker monofunktional auf das Wohnen ausgerichteten Großsiedlungen, so ist es weniger den Baustrukturen als vielmehr der sozialräumlichen Dichte, der Aufmerksamkeit der Kommune (Verwaltung und Politik), der Sorgfalt der Hauseigentümer und auch einem zivilgesellschaftlichen Engagement der Betroffenen (über Vereine, Nachbarschaftsinitiativen und andere Interessenvertretungen sowohl der Alteingesessenen wie der Zugezogenen) geschuldet, ob die Integration einer hohen Anzahl von Fremden und ein gutes Zusammenleben gelingen.

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Anmerkungen 1

Vgl. OECD, UN-DESA: World Migration in Figures, Oktober 2013. Von 1990 bis 2013 ist der Migrantenbestand in den Industrieländern von 82,3 Mill. auf 135,6 Mill. gestiegen. Im Zeitraum 20002010 wuchs der weltweite Migrantenbestand doppelt so schnell wie im vorhergehenden Jahrzehnt. https://www.oecd.org/els/mig/ GERMAN.pdf (letzter Zugriff: 03. 09. 2017). 2 Ausführlich zu Offenbach in Kai Vöckler: Offenbach ist anders. Die kleine globale Stadt, das Fremdsein und die Kunst, Berlin 2017. Der erste Abschnitt ist daraus gekürzt entnommen. 3 Studie „Zukunftsperspektiven für die Region Offenbach am Main“. IHK Offenbach am Main, März 2012, S. 2. 4 Vgl. zum Begriff und zur Entstehung eines Dienstleistungsproletariats in Deutschland Friederike Bahl/Philipp Staab: Das Dienstleistungsproletariat. Theorie auf kaltem Entzug. In: Mittelweg 36, 19, 2010, S. 66–93. Ausführlich dazu: Friederike Bahl: Lebensmodelle in der Dienstleistungsgesellschaft, Hamburg 2014 und Philipp Staab: Macht und Herrschaft in der Servicewelt, Hamburg 2014. 5 Amt für Arbeitsförderung, Statistik und Integration, Stadt Offenbach am Main. Statistischer Vierteljahresbericht I / 2017. 6 Vgl. Doug Saunders: Arrival City. Über alle Grenzen hinweg ziehen Millionen Menschen vom Land in die Städte. Von ihnen hängt unsere Zukunft ab, München 2011. 7 Zur Integrationsarbeit in Offenbach vgl. Matthias Schulze-Böing: Wie schaffen wir das? Integration als Herausforderung für Städte. In: Nachrichtendienst des deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e. V. – NDV (96), 8, 2016, S. 351–357. Download: https://www.google.de/?gws_rd=ssl#q=schulze-böing+wie+schaffen+wir+das (letzter Zugriff: 01. 05. 2017). 8 Vgl. dazu das Interview des Verfassers mit dem Leiter des Amts für Arbeitsförderung, Statistik und Integration, Matthias Schulze-Böing, als Katalogbeitrag zur Ausstellung „Making Heimat. Germany, Arrival Country“ (Deutscher Pavillon, Architekturbiennale Venedig 2016): Matthias Schulze-Böing: Interview. Im Gespräch mit Kai Vöckler. In: Peter Cachola Schmal/Oliver Elser/Anna Scheuermann (Hg.): Making Heimat. Germany, Arrival Country, Ostfildern 2016, S. 248–261.

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9 Dass mit zunehmender Integration und sozialem Aufstieg Migranten die Räume der Erstintegration („Ausländerviertel“) wieder verlassen, konnte von dem Migrationsforscher Friedrich Heckmann für den Nürnberger Süden empirisch bestätigt werden. 10 Dass sich das vermeintliche Negativimage der Migrantenstadt Offenbach eher als positives Alleinstellungsmerkmal betrachten lässt, befanden die Kuratoren des deutschen Beitrags zur 15. Internationalen Architekturausstellung in Venedig 2016. Im Deutschen Pavillon wurde die Ausstellung „Making Heimat. Germany, Arrival Country“ gezeigt, die Deutschland als Einwanderungsland thematisierte – mit einem eigenen Raum zu Offenbach. Unter dem Titel „Offenbach is almost all right (Offenbach ist ganz okay)“ wurde Offenbach als die Stadt in Deutschland präsentiert, die auf herausragende Weise Migranten aus aller Welt aufnimmt und erfolgreich integriert. Verantwortlich für die Ausstellung war das Deutsche Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt mit seinem Direktor Peter Cachola Schmal und dem DAM-Kuratoren Oliver Elser und Anna Scheuermann, beraten von Doug Saunders und dem Verfasser. 11 Ausführlich dazu in Vöckler: Offenbach ist anders, a. a. O, S. 60–67; 210–217. Zur missverständlichen Übertragung des Ghettobegriffs, wie er im US-amerikanischen Kontext zur Bezeichnung von Stadtvierteln mit einer nahezu ausschließlich afroamerikanischen Einwohnerschaft verwendet wird, auf europäische Stadtviertel mit hohem Ausländeranteil, vgl. Loïc Wacquant: Ghettos and Anti-Ghettos. An Anatomy of the New Urban Poverty. In: Thesis Eleven, 94, 2008, S. 113–118. 12 Eurostat, Juni 2016. http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:Distribution_of_population_by_tenure_status,_2014_(%25_of_population)_YB16-de.png (letzter Zugriff: 03.09.2017). 13 Saunders hat in einem Interview seine Thesen wie folgt zusammengefasst: „Ein wichtiges Argument, sich in einem bestimmten Stadtteil niederzulassen, sind die geringen Wohnkosten. Außerdem ist ein Ankunftsviertel typischerweise ein Ort, an dem sich Zuwanderer mit Menschen vernetzen können, die einen ähnlichen kulturellen und sozialen Hintergrund haben. Das ist kein Ghetto. Der Austausch mit Gleichgesinnten hilft, Fuß zu fassen

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und neu zu beginnen. […] Die Stadtplaner sollten Zuwanderern ermöglichen, sich wirtschaftlich zu betätigen, etwa indem bei Neubauten auf Platz für Geschäfte im Erdgeschoss geachtet wird. Zudem ist eine dichte Bebauung wichtig. Geringe Dichte ist der Feind der Integration. In dünnbesiedelten Vierteln fehlen Kunden und Kontakte.“ In: „Migration ist eine Chance, kein Risiko“. Doug Saunders im Gespräch mit Rainer Schulze. Rhein-Main-Zeitung, regionale Beilage der FAZ vom 27. 05. 2016. Sehr eindrucksvoll, von Saunders jedoch nicht erwähnt, thematisiert dies bereits der französische Film „Hass“ von 1995, in dem einige Jugendliche eine „Expedition“ aus der Banlieue in das unbekannte Stadtzentrum unternehmen. Mathieu Kassovitz: „Hass“ („La haine“), F 1995. Rainer Neef: Rezension zu Doug Saunders: Arrival City. In: socialnet Rezensionen, 06.07.2012, https://www.socialnet.de/ rezensionen/13285.php (letzter Zugriff 03. 09. 2017). Vgl. Saunders, Arrival City, a. a. O., S. 415; 421. Vgl. Matthias Schulze-Böing: Wie schaffen wir das? Integration als Herausforderung für Städte. In: Nachrichtendienst des deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e. V. – NDV (96), 8, 2016, S. 351–357. Vgl. James Q. Wilson/George L. Kelling: Broken Windows. The Police and Neighborhood Safety. In: The Atlantic Monthly, März 1982. Download unter https://www.theatlantic.com/magazine/ archive/1982/03/broken-windows/304465 (letzter Zugriff 01.11.2017). In den 1990er Jahren diente die Broken-Windows-Theorie als Begründung für die Einführung einer Null-Toleranz-Politik der New Yorker Polizei. Vgl. dazu Dieter Hermann/Christian Laue: Vom „Broken-Windows-Ansatz“ zu einer lebensstilorientierten ökologischen Kriminalitätstheorie. In: Soziale Probleme, 14,2, 2003, S. 107–136. Vgl. Marc Keuschnigg/Tobias Wolbring: Physical Disorder, Social Capital, and Norm Violation. Three field experiments on the Broken Windows Theory. In: Rationality and Society, 27,1, 2015, S. 96–126. Aus der Untersuchung lässt sich ableiten, dass zerbrochene Fensterscheiben oder herumliegender Müll zwar weitere kleinere Regelverstöße provozieren können, aber nicht zwangsläufig zu kriminellen Handlungen wie Diebstahl, Raub oder Mord

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führen. Eine Abwärtsspirale, wie in der Broken-Windows-Theorie prognostiziert, lasse sich daher wissenschaftlich nicht belegen, wie die Autoren festhalten. Allerdings gibt es hierzu nach meiner Kenntnis keine empirisch belastbaren Erkenntnisse unter deutschen Verhältnissen. 2013 betrug die Fluktuationsrate in Offenbach 10,8 Prozent, der bundesdeutsche Medianwert kreisfreier Städte lag bei 6,4 Prozent. Vgl. Jürgen Eichenauer: Migration und historisches Erbe in Offenbach am Main am Beispiel von ausgewählten Bauten. In: Denkmalpflege & Kulturgeschichte, 1, 2017, S. 5 –11. Vgl. Deutsches Institut für Urbanistik, Kompetenzzentrum Großsiedlungen e. V. (Difu): Auszug aus der Studie: Weiterentwicklung großer Wohnsiedlungen, 2014. http://web.gdw.de/uploads/ pdf/Pressemeldungen/PM_01–15_Anhang_grosseWohnsiedlungen_final.pdf (letzter Zugriff 10. 11. 2017). Vgl. den Eintrag des Stadt- und Regionalsoziologen Carsten Keller auf der Webseite der Bundeszentrale für Politische Bildung (BPB): Problemviertel? Imageproduktion und soziale Benachteiligung städtischer Quartiere. http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/ gangsterlaeufer/202834/problemviertel-image-und-benachteiligung (letzter Zugriff 10. 11. 2017). Vgl. Sozialbericht der Stadt Offenbach am Main 2015, S. 27. https:// www.offenbach.de/medien/bindata/of/dir-11/sozialplanung/ Sozialbericht-2015_Final.pdf (letzter Zugriff 10. 11. 2017). Was hier an Offenbach-Lauterborn beschrieben wird, lässt sich auch auf andere Großsiedlungen übertragen, beispielsweise auf die Neue Vahr in Bremen, seinerzeit die größte Wohnsiedlung Westdeutschlands. Vgl. Florian Heilmeyer: Vahrdammt, ich lieb dich. Von Vahraonen und anderen Wortspielen. In: Kai Vöckler/ Andreas Denk (Hg.): In der Zukunft leben! Die Prägung der Stadt durch den Nachkriegsstädtebau, Berlin 2009, S. 121–130.

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Offenbach-Hills, Stadtmitte

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Matthias Schulze-Böing

Stadt der Vielfalt, Stadt in Bewegung. Ankunftsstadt Offenbach am Main

I. Städte sind Zentren für Immigration Die Integration von Zuwanderern und Flüchtlingen ist für die gesamte Gesellschaft eine besondere Herausforderung. Die Städte haben dabei eine spezielle Bedeutung, denn ein großer Teil der Immigrationsströme richtet sich dorthin (IOM 2016). Zugleich gelten Städte als die Ebene im gesellschaftlichen Gefüge, die ein besonderes Potenzial für die Bewältigung der mit der massenhaften Immigration verbundenen Herausforderungen haben. Durch den Bestseller „Arrival City“ des kanadischen Journalisten Doug Saunders erhielt dieser Sachverhalt vor einigen Jahren ein einprägsames und anschlussfähiges Label (Saunders 2011). Er beschreibt, wie die weltweite Realität von Migration das Gesicht von Städten verändert, wie sich durch Migration neue Formen der Stadt-Land-Beziehung über große räumliche Distanzen herausbilden (zwischen dem Dorf im Herkunftsland und dem „Dorf in der Stadt“ bzw. der ethnischen Gemeinschaft in der Ankunftsstadt), wie sich durch Migration aber auch neue Springquellen von Wohlstand und wirtschaftlicher Entwicklung herausbilden. Saunders blendet die problematischen Aspekte von Immigration in den Städten, die Probleme sozialer Belastungen, die Risiken residentieller Segregation (der Wohnbevölkerung) und kultureller Fremdheit zwischen Stadtgesellschaft und Neuankömmlingen nicht aus, gibt aber all diesen Phänomenen eine positive, an manchen Stellen zuweilen aber sehr optimistische, vielleicht auch zu optimistische Wendung. Wie man auch immer zu einzelnen Thesen von Saunders steht, er hat die Unverzichtbarkeit des Potenzials von Städten für eine produkti-

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ve Gestaltung von Migrationsprozessen in sehr eindrucksvoller Weise in den Fokus gerückt. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel im Herbst 2015 in Bezug auf die Integration von Hunderttausenden von Flüchtlingen festgestellt hat: „Wir schaffen das!“, stellt man inzwischen eher die Frage: „Wie schaffen wir das?“ – Wenn wir es überhaupt schaffen, so muss man Saunders wohl verstehen, dann nur in den Städten, den „Arrival Cities“ – wenn sie denn funktionieren und einen Modus finden, mit Immigrationumzugehen und Integration zu „produzieren“.

II. Immigration in den Städten – Chancen und Herausforderungen Wirtschaft und Arbeit Immigration ist für Städte wie für die Gesellschaft insgesamt mit Chancen verbunden, aber ganz offenkundig auch mit Herausforderungen und Belastungen, die man im Auge behalten muss. Als Vorteil kann sicher gelten, dass Immigration in aller Regel ein Stimulus für wirtschaftliches Wachstum ist. Es kommen neue Arbeitskräfte, auch wenn sie nicht immer sofort einsetzbar sind, weil sie erst qualifiziert werden müssen. Mit den Migranten kommen zudem neue Konsumenten, die die Nachfrage für die örtliche Wirtschaft stärken. Zudem haben Immigranten oft auch unternehmerisches Potenzial, das für die lokale Wirtschaft nützlich sein kann. Ethnische und kulturelle Vielfalt kann eine Stadt als Wirtschaftsstandort stärken. Immigranten bilden nicht nur soziale, sondern auch wirtschaftliche Brücken zwischen Ankunfts- und Herkunftsregion. Finanzielle Rücküberweisungen von Migranten in das Heimatland etwa haben in vielen Herkunftsländern volkswirtschaftlich große Bedeutung. Ethnische und soziale Vielfalt wird als besonderes Potenzial für die Steigerung der Anpassungsfähigkeit und Resilienz der Gesellschaft, für wirtschaftliches Wachstum und kulturellen Reichtum gewertet. So zählt Richard Florida (Florida 2002) in seinem bekannten Buch über die „kreative Klasse“ Vielfalt und Toleranz zu den drei wesentlichen Treibern von Innovation und Wachstum in Städten.1

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Schließlich können Immigranten auch die demografische Struktur von Städten verbessern, sofern der Anteil von jungen Menschen und solchen im erwerbsfähigen Alter bei den Immigranten stärker ist als in der Aufnahmegesellschaft. Nach den Daten des Statistischen Bundesamtes lag das Durchschnittsalter im Jahr 2015 bei den Deutschen bei 45 Jahren, bei den Nicht-Deutschen dagegen bei 37,4 Jahren.2 Die Städte mit besonders hohem Ausländeranteil, wie Frankfurt und Offenbach, sind in der Tendenz auch Städte mit einem besonders niedrigen Durchschnittsalter.3 Allerdings sind auch die Belastungsfaktoren zu sehen. Immigration erzeugt zusätzlichen Druck auf regionale Wohnungs- und Arbeitsmärkte. Darüber hinaus sind die Quoten der Armutsgefährdeten bei den Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland erheblich höher als bei Menschen ohne Migrationshintergrund. Die Daten des Mikrozensus ergeben für das Jahr 2015 Werte von 27,7 bzw. 12,5 Prozent. Im Vergleich von Ausländern und Deutschen sind die Unterschiede mit 33,7 bzw. 13,8 Prozent noch deutlicher.4 Hohe Sozialausgaben können Verteilungskonflikte in den Kommunen verschärfen, wenn etwa, wie in vielen Städten mit wirtschaftlichen Strukturproblemen, Infrastrukturinvestitionen unterbleiben müssen, weil aufgrund hoher Pflichtausgaben im Sozialbereich keine Haushaltspielräume mehr vorhanden sind.

Segregation Schließlich stellt die Herausbildung ethnisch segregierter Stadtviertel eine Gefährdung für den sozialen Zusammenhalt in der Stadt dar. Es ist in der Stadtforschung umstritten, wie Segregation zu beurteilen ist. Dem Leitbild der durchmischten Stadt, für das Segregation ein ernstes Problem der Stadtentwicklung ist, halten zum Beispiel Häußermann und Siebel (2001) und sehr pointiert auch Doug Saunders entgegen, dass dieses Leitbild nicht nur unrealistisch, sondern auch repressiv sei, da es die natürliche Selbstorganisation ethnischer Gemeinschaften in Sozialräumen den Normen der Mehrheitskultur unterordne. Ethnische Netzwerke und Cluster, die sich in segregierten Quartieren ausbil-

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den und reproduzieren, könnten dagegen wichtige Katalysatorfunktion für die Integration von Immigranten haben. Deshalb sei das Leitbild des gemischten Viertels zugunsten der Akzeptanz von Vielfalt und Heterogenität im städtischen Raum aufzugeben.5 In der Perspektive der europäischen Städte gibt es jedoch nach wie vor gute Gründe, am Leitbild der sozial durchmischten Stadt festzuhalten. Ethnische Segregation wird zwar nie ganz zu verhindern sein, da es nur wenige Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Wohnsitzwahl von Bürgern gibt und auch der private Wohnungsmarkt nicht punktgenau gesteuert werden kann. Aber durch eine ausgewogene Stadtentwicklungspolitik kann ihr ebenso entgegengewirkt werden wie durch eine integrationsorientierte Belegungspolitik öffentlicher Wohnungseigentümer. Die europäischen Städte wie die europäischen Gesellschaften insgesamt leben davon, dass sie nicht zersplittern, sondern ein möglichst hohes Maß von sozialem Zusammenhalt über verschiedene Gruppen und Kulturen hinweg erhalten. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit hoch segregierten Quartieren in Europa von Neukölln bis Molenbeek erscheint mir die These, dass Integration und Segregation zwanglos miteinander vereinbar seien, leichtfertig, wenn nicht sogar gefährlich zu sein. Das für solidarische Gesellschaften notwendige „soziale Kapital“ (Putnam 2007; Panth 2010) kann nicht entstehen und erhalten werden, wenn sich ethnische Gruppen in parallelen Netzwerken und Lebenswelten abschotten. Ethnische Segregation muss deshalb ganz klar als Problem und Gefahr erkannt werden. Ruud Koopmans (2017, 112–150) hat in seinen international vergleichenden Untersuchungen sehr überzeugend dargelegt, dass diese auf gesellschaftlicher wie auf lokaler Ebene nicht nur Integration verhindert, sondern auch die Lebenschancen der betroffenen Immigranten deutlich schmälert. „Multikulturalismus“ im Sinne des fraglosen Akzeptierens unterschiedlicher ethnischer Kulturen und des Verzichts auf ein Mindestmaß kultureller Anpassung schadet, wie Koopmans zeigt, nicht zuletzt den Immigranten, auch wenn er ihren Interessen auf kurze Sicht vermeintlich entgegenkommt. Multikulturalismus ist, so gesehen, nicht Ausdruck von Respekt gegenüber den Kulturen der Immigranten, sondern von Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Schicksal in der Aufnahmegesellschaft. Ethnische und soziale Segregation erscheinen gleichermaßen problematisch. Soziale Brennpunkte, in denen arme Kinder von armen

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Erwachsenen, wenn man so will, „lernen, wie man arm bleibt“, nutzen weder der Gesellschaft noch den Armen selbst. Ethnisch segregierte Viertel, in denen Immigranten ihr Leben weitgehend ohne Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft führen können, in denen sie die kulturellen Praktiken der Herkunftsländer weitgehend beibehalten und sich in der Sprache des Herkunftslandes verständigen können, mögen zunächst einmal der einfachere Weg sein und Konflikte vermeiden. Ließe man Segregation unter dem nur scheinbar wohlwollenden Prinzip multikultureller Toleranz ungehindert verfestigen, würde man die Benachteiligung und Ausgrenzung von Immigranten festschreiben. Gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht nur dort, wo es Gemeinsamkeiten gibt, wo übergreifende soziale Normen respektiert werden. Soziales Lernen funktioniert, so die sozial-kognitive Lerntheorie,6 nur dort, wo es auch Vorbilder für Aufstieg und Erfolg gibt.

Fluktuation Wenn wir uns konkreter der Situation von Ankunftsbezirken und Ankunftsstädten zuwenden, ist es wichtig, nicht nur auf ihre besonderen Sozialstrukturen, sondern auch auf Aspekte von Bevölkerungsbewegung und Wanderungsdynamik zu achten. Ankunftsstädte sind Eingangspforten zu Ländern und Regionen, Drehscheiben mit Verteilerfunktion („Gateway Cities“). In diesem Sinne haben sie bestimmte Funktionen in der Organisation von Zuwanderungsprozessen. Mit der Immigration verbundene Probleme und Aufgaben sind hier konzentriert, aber nicht im Sinne eines verfestigten Bestandes, sondern im Sinne eines sich durch Fluktuation, Zuwanderung und Abwanderung permanent reproduzierenden Problemzusammenhangs. Es macht einen großen Unterschied, ob bestimmte Adressaten kommunaler Politik sich dauerhaft in einem sozialen Raum aufhalten oder ob sie in schneller Folge kommen und gehen. Der Kontakt zwischen Kommune und bestimmten Gruppen wird zur Episode in einer Wanderungsbiografie. Langfristige Perspektiven sozialer Ko-Produktion, die ja vielen sozialpädagogischen Integrationskonzepten unterliegen, sind dann möglicherweise gar nicht umsetzbar. Die kommunalen Dienste werden bei einer Fluktuation pro rata stärker in Anspruch genommen und belastet als bei einer stabilen

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Bevölkerung. Bewegungsvorgänge sind, betriebswirtschaftlich gesprochen, in stärkerem Maße „Aufwandstreiber“ als Bestandsfälle. Der Aufwand pro Einwohner steigt mit einer hohen Umschlagsquote, einfach weil die Neuaufnahme und Abmeldung von Fällen für die Verwaltung des Bestands besonders arbeitsintensiv ist. Das gilt für das Meldewesen der Kommune, für soziale Dienstleistungsorganisationen, für die Arbeitsverwaltung, für fast alle Lebensbereiche. Auch Quartiere sind durch hohe Bevölkerungsfluktuation besonders belastet. Nicht nur, weil es dadurch schwieriger wird, stabile Hausgemeinschaften und Nachbarschaften zu bilden, sondern auch, weil mit fast jedem Umzug ein Sperrmüllhaufen vor dem Haus erzeugt und der öffentliche Raum besonders in Anspruch genommen wird. Ankunftsstädte begleiten in der Regel die besonders kritischen Phasen der Immigration, in denen besonders hohe Aufwendungen erforderlich und die potenziellen Vorteile der Immigration noch wenig wirksam sind. Zuwanderer sind gerade in den ersten Phasen des Lebens im Aufnahmeland in besonderem Maße von Arbeitslosigkeit bedroht und auf soziale Transferleistungen angewiesen. Weil Sprachkenntnisse und Assimilierung an die Kultur des Aufnahmelandes kurz nach der Zuwanderung naturgemäß noch gering sind, ist der Betreuungsbedarf durch Sozialarbeit und Beratungsdienste in dieser Phase besonders hoch. Wenn man Integrationspolitik als soziales Investment begreift, müssen Ankunftsstädte besonders viel investieren. Ob die Erträge aus diesen Investitionen jedoch auch bei diesen Städten anfallen, bleibt ungewiss. Haben Immigranten die ersten Phasen der Integration durchlaufen und sich im Erfolgsfall in Arbeitsmarkt und Gesellschaft etabliert, wandern sie oft aus den Ankunftsbezirken und -städten wieder ab. Es gibt also eine Inkongruenz zwischen Aufwänden und Erträgen. Ankunftsstädte produzieren in Form gelungener Integration eine Art „öffentliches Gut“, das der Wirtschaft und Gesellschaft der Aufnahmeregion und des Aufnahmelandes zugutekommt. Sie sind aber oft nur in deutlich geringerem Maße an deren Erträgen beteiligt. Zuwanderer werden integriert und ziehen weiter. Es kommen neue Zuwanderer. Bei ihnen fängt man wieder von vorne an. Darin besteht, wenn man so will, ein „tragisches Moment“ der Ankunftsstadt. So wichtig sie für das Gelingen von Integration und Zuwanderung in gesamtgesellschaftlicher Perspektive sind, so unwahrscheinlich ist es,

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dass die Investitionen für Integration sowohl in finanzieller Hinsicht (erhöhtes Steueraufkommen durch integrierte Migranten) als auch in sozialer Hinsicht (integrierte Migranten, die sich für das Gemeinwesen engagieren und zur Stabilität von Quartieren beitragen) entsprechende Erträge auslösen. Dazu kommt, dass die Funktion von Ankunftsstädten in den vorhandenen Mechanismen des kommunalen Finanzausgleichs kaum berücksichtigt wird. Es stellen sich dann natürlich die Fragen, ob Integration vor Ort finanzierbar ist, wie robust die Institutionen für die Verarbeitung dieser hohen Belastung sind, nicht zuletzt aber auch, ob die „soziale Tragfähigkeit“ der Stadtgesellschaft für die Anforderungen einer Ankunftsstadt dauerhaft gegeben ist.

III. Offenbach am Main – „Arrival City“ Hoher Migrantenanteil, hoher sozialer Problemdruck Offenbach am Main, zurzeit knapp über 134.000 Einwohner, schnell wachsend, eine der Kernstädte der Metropole Frankfurt/Rhein-Main und eine der 30 „Schwarmstädte“ Deutschlands,7 verkörpert das, was Doug Saunders „Arrival City“ genannt hat, in geradezu idealtypischer Weise. Offenbach ist in Deutschland die Stadt mit der größten ethnischen Vielfalt, dem höchsten Ausländeranteil (z. Zt. ca. 35 Prozent) und dem höchsten Anteil von Bürgern mit Migrationshintergrund (z. Zt. knapp 60 Prozent).8 Weitere Merkmale einer Ankunftsstadt: eine hohe Bevölkerungsfluktuation (auch hier mit elf Prozent pro Jahr eine der höchsten Raten in Deutschland),9 hohe Bevölkerungsdichte, bauliche Dichte im Innenstadtbereich mit einem engen Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe, sehr lebendige, aber auch herausfordernde Quartiersstrukturen und – nicht zuletzt – eine hohe Dichte sozialer Probleme, eine SGB-II-Quote von knapp 17 Prozent und eine Arbeitslosenquote von knapp neun Prozent. Die SGB-II der Nicht-Deutschen liegt mit 20,2 Prozent deutlich über dem Durchschnitt.10 Bezeichnend für den Charakter als Ankunftsstadt ist auch die Wanderungsbilanz. In den Jahren 2010 bis 2015 kamen fast die Hälfte (49 Prozent) der Zuzüge aus dem Ausland. Demgegenüber gingen nur 36,3 Prozent der Wegzüge ins Ausland. Die Wanderungsbilanz der Aus-

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länder, die aus dem Ausland zuziehen, ist im betrachteten Zeitraum sehr deutlich positiv, während die Wanderungsbilanz der Ausländer im Zuzug aus dem Inland ausgeglichen, teilweise sogar negativ ist.11

4000 3260 3000 2443 1901

2000

1981

2149

1546 1000 495 0 -117

-175 -497

-166 -375

-440 -735

-1000

-1092 -1406 -2000 2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

Wanderungsbilanz Ausland Wanderungsbilanz Inland Einwohnerregister der Stadt Offenbach am Main, eigene Berechnungen

2015

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Sozialräumliche und ethnische Differenzierung Für die Beurteilung der Situation Offenbachs sind zwei Perspektiven wichtig. Zum einen ist Offenbach sehr eng mit der Region Frankfurt/ Rhein-Main verflochten, der internationalsten Stadtagglomeration in Deutschland mit dem höchsten Anteil von Migranten an der Bevölkerung, auch wenn man über Offenbach hinausschaut. Die Städte Frankfurt und Offenbach sind zusammengenommen gewissermaßen die „Innenstadt der Region“, in der sich Zuwanderungsprozesse konzentrieren. Zum anderen weisen innerhalb von Offenbach die Innenstadtbezirke noch einmal besonders hohe Migrationsanteile bis zu 80 Prozent der Bevölkerung auf. Die statistisch messbare Segregation, also die räumliche Ungleichverteilung, liegt, bezogen auf die ausländische Bevölkerung insgesamt, bei einem Wert von 21,1 Prozent, bei einzelnen Bevölkerungsgruppen, etwa den Bulgaren, Rumänen und Griechen mit knapp 40, 28 und 30 Prozent jedoch deutlich höher. Für die Türken, die größte Einzelgruppe der Nicht-Deutschen, weist der Segregationsindex mit gut 11 Prozent einen deutlich unterdurchschnittlichen Wert auf.12 Schaut man sich die Wanderungsbewegung der Bevölkerung genauer an, so wird erkennbar, dass die Fluktuationsquote bei den Nicht-Deutschen im Jahr 2016 mit gut 18 Prozent mehr als dreimal so hoch ist wie bei den Deutschen, wo sie 5,7 Prozent betrug. Wenn man den Blick noch etwas schärfer stellt, werden auch unter den NichtDeut-schen erhebliche Unterschiede sichtbar – eine Bandbreite von über 50 Prozent etwa bei den Afghanen und bis zu unter sechs Prozent bei den Türken. Auch im Zeitverlauf schwanken die Fluktuationsquoten recht stark. Die Gruppe der jeweils letzten Welle der Immigration weist in aller Regel die höchsten Bewegungsanteile auf. Mit der Etablierung in der Bevölkerungsstruktur nimmt die Fluktuation ab.13 Wenn man sich die Fluktuation in der innerstädtischen räumlichen Differenzierung anschaut, überrascht es nicht, dass die Innenstadtteile mit Fluktuationsquoten zwischen 13 und über 20 Prozent besonders betroffen sind.

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Arm, aber effektiv? Offenbach ist im Hinblick auf soziale Aufgaben besonders belastet, was sich auch in einer chronisch angespannten Finanzlage mit hohen Haushaltsdefiziten und einem hohen Verschuldungsstand niederschlägt. Die bestehenden Mechanismen des kommunalen Finanzausgleichs tragen der Sondersituation der Ankunftsstadt nicht Rechnung. Die unvollkommene Konnexität bei der Finanzierung der Umsetzung von Bundesgesetzen, etwa dem SGB-II, ist, wie für alle Städte mit hohen Sozialbelastungen, auch für die Stadt Offenbach mit Benachteiligung verbunden.14 Gleichwohl gilt die Stadt als positives Referenzmodell für ein (einigermaßen) gelingendes Zusammenleben in kultureller Vielfalt und für erfolgreiche Integration. Auf der internationalen Architekturbiennale in Venedig 2016 zum Beispiel wurde Offenbach im deutschen Pavillon als prototypische Ankunftsstadt und „almost all right“ ausführlich gewürdigt, was in der Folge sogar zu einem regelrechten „Offenbach-Hype“ geführt hat. Aber auch unabhängig davon gilt die Integrationspolitik als modellhaft.15 Als ein im Hinblick auf Integration günstiger Faktor kann die Tatsache angesehen werden, dass sich die Immigrantenbevölkerung in Offenbach über eine relativ große Zahl von Nationalitäten und ethnischen Gruppen verteilt, also keine große Konzentration einzelner ethnischer Gruppen aufweist.16 Das kann der Bildung geschlossener Milieus entgegenwirken, insofern „kritische Massen“ für die Bildung solcher Milieus nicht erreicht werden und dies die Notwendigkeit erhöht, sich im Alltag über die deutsche Sprache als gemeinsamen sprachlichen Nenner zu verständigen und eben nicht vorwiegend in der Herkunftssprache. Das ist sicher noch keine schlüssig belegbare Theorie, aber eine zumindest durch die kommunale Erfahrung sehr plausible These. Interessant ist eine Betrachtung der Verteilung der „Milieus“ auf der Basis der Typologie des Sinus-Instituts. Hier zeigt sich gegenüber der Durchschnittsverteilung in Deutschland ein deutlich stärkeres Gewicht der Milieus der „Experimentalisten“, der „Konsum-Hedonisten“ und der „Expeditiven“, also Milieus, die von Menschen in Orientierungs- und Findungsprozessen geprägt sind. Stark unterrepräsentiert ist dagegen das Milieu der „bürgerlichen Mitte“ (Halenberg 2017). Die

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Stadt bemüht sich, die Milieuanalyse in die Sozialraumbeobachtung zu integrieren. Diese Analysen versprechen nähere Aufschlüsse über Handlungspotenziale der einzelnen Bevölkerungsgruppen, aber auch Erkenntnisse darüber, wie kommunales Handeln in verschiedenen Politikbereichen, auch in der Integrationspolitik, Bevölkerungsgruppen effektiver adressieren und in Dialog- und Entscheidungsprozesse einbeziehen kann.

IV. Integration als Querschnittsaufgabe – Bausteine für ein ganzheitliches kommunales Integrationsmanagement Offenbach möchte sich erklärtermaßen nicht auf die Rolle einer Ankunftsstadt beschränken. Es will stärker als bisher auch „Bleibe-Stadt“ werden. Ziel ist, die Stadt so zu entwickeln, dass sie in größerem Maße als bisher auch für einkommensstärkere und im Arbeitsmarkt stabil verankerte Gruppen als Wohnstandort interessant wird. Damit sollen auch für Aufsteiger unter den Immigranten mehr Perspektiven innerhalb der Stadt geschaffen werden. In einem umfangreichen, 2016 abgeschlossenen Masterplan-Prozess wurde dafür ein langfristiger Orientierungsrahmen geschaffen.17 Wichtig ist, dass Integrationspolitik in einer Stadt dieser Art ein Querschnittsthema durch alle Politikfelder hinweg darstellt. Es gibt kaum eine kommunale Aufgabe, kaum einen Fachbereich, der sich nicht in irgendeiner Form mit Themen der Integration befassen muss. Besonders wichtige Politikfelder sind natürlich Arbeit, Bildung, Wohnen und das Zusammenleben in den Quartieren. Auch das wirtschaftliche Potenzial der Immigranten gilt es früh und konsequent zu fördern. In einer integrierten kommunalen Strategie befindet sich Integration also im Fokus sehr unterschiedlicher Handlungsfelder, sowohl explizit als auch implizit. Wenn kommunales Handeln in diesen Handlungsfeldern Defizite aufweist, wird Integration behindert. Umgekehrt fördert gute lokale Arbeitsmarkt-, Bildungs-, Stadtentwicklungs- und Ordnungspolitik Integration, auch wenn sie sich nicht explizit als Integrationspolitik versteht. Zuweilen ist es sogar klug, den Integrationsaspekt nicht allzu sehr in den Vordergrund zu rücken, um Vorbehalten, Verteilungskonflikten u. ä. erst gar keinen Raum zu geben.

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Wesentliche Handlungsfelder einer so verstandenen Integrationspolitik sind die Bildungspolitik, die Stadt- und Quartiersentwicklung, die Kooperation der lokalen, auch migrantischen, Zivilgesellschaft, Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik und, nicht zuletzt, eine entschiedene Politik für Ordnung und Sicherheit in der Stadt und ihren Quartieren. Wie wird das konkret umgesetzt? – Das Konzept „Bildungskoordination“: Mit Hilfe von Förderprogrammen des Bundes wie „Lernende Region“ und „Lernen vor Ort“ wurden Konzepte zur Integration der verschiedenen Bildungsbereiche entlang von kritischen Übergängen im Bildungssystem entwickelt und implementiert, etwa von der vorschulischen Erziehung in die Schule, zwischen Schulsystemen, zwischen Schule und Beruf. Dazu gehören eine fortlaufende Koordination der relevanten Bildungsakteure in der Stadt und ein systematisches Bildungsmonitoring. – Strategien der sozialen Stadtentwicklung und Quartiersentwicklung wurden im Zusammenhang mit dem Programm der „Sozialen Stadt“ entwickelt und implementiert. Dazu gehört als zentraler Bestandteil auch der Aufbau eines Quartiersmanagements in sozial belasteten Stadtteilen. Dieses Quartiersmanagement konnte auch über die Planungsgebiete dieses Förderprogramms hinaus eingeführt und zeitlich über die Förderphase des Programms hinaus verstetigt werden. Das Leitbild einer gemischten und sozial ausgewogenen Bewohnerstruktur wurde darüber hinaus in den wohnungspolitischen Leitlinien der Stadt verankert. – Für das Ziel eines konstruktiven Zusammenlebens verschiedener Kulturen wurde bereits vor über zehn Jahren ein erstes Integrationskonzept für die Stadt entwickelt, das im Jahr 2014 fortgeschrieben wurde. Die Stadt sieht aber auch eine konsequente Ordnungs- und Sicherheitspolitik als Teil der Förderung des Zusammenlebens. Dafür gibt es ein sehr konsequentes Vorgehen gegen Sozialmissbrauch, irreguläre Arbeit und Ausbeutung im Wohnungsmarkt, verbunden mit einer effektiven Behördenkooperation auch über die Grenzen der Kommunalverwaltung hinaus.

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Die Förderung von zivilgesellschaftlichen Organisationen im Bereich der Migrationsbevölkerung (sog. „Migrantenselbstorganisation“) bildet einen weiteren Aufgabenbereich dieses Arbeitsschwerpunktes. – Dass gelingende soziale Integration sehr viel mit der Integration in den Arbeitsmarkt zu tun hat, ist selbstverständlich. Die Stadt Offenbach hat dafür im Jahr 2012 das örtliche Jobcenter kommunalisiert und als Teil einer übergreifenden sozialen Entwicklungspolitik aufgestellt. Trotz hoher Zuwanderung konnte die Arbeitslosigkeit und die Quote der von Transferleistungen des Sozialgesetzbuches II („Hartz 4“) im Zeitverlauf deutlich reduziert werden (Stadt Offenbach 2017). Die Beschäftigungsquote von Ausländern liegt inzwischen mit knapp 54 Prozent um 11 Prozent über dem bundesweiten Durchschnitt von 43 Prozent (Bundesagentur für Arbeit 2017). In der Migrationsbevölkerung gibt es zudem unternehmerische Potenziale, die genutzt werden können. Mit einer ausdifferenzierten Gründungsförderung mobilisiert die Stadt dieses wirtschaftliche Potenzial. Der Aufbau einer selbststständigen unternehmerischen Existenz kann zur nachhaltigen Integration in Erwerbsarbeit führen, in einem gewissen Umfang durchaus auch als Alternative zur abhängigen Beschäftigung im allgemeinen Arbeitsmarkt. Darüber hinaus tragen Existenzgründungen auch zur Vitalisierung der lokalen Ökonomie von Quartieren und zur Dynamik des Wirtschaftsstandortes insgesamt bei. Die Stadt Offenbach weist gemessen an der Relation von Unternehmensgründungen und Erwerbsbevölkerung seit Jahren die höchste Gründungsrate unter allen deutschen Städten und Landkreisen auf (IfM Bonn 2017). Die Kommune fördert die Gründungsdynamik u. a. mit einer bereits im Jahr 2002 gestarteten Initiative „Gründerstadt Offenbach“, in der auch die IHK und das Handwerk, die in der Stadt angesiedelte Hochschule für Gestaltung und private Unternehmen mitwirken. Mit dem ersten kommunalen Mikrokreditfonds in Deutschland („Ostpol-Kredit“) wurde eine innovative Finanzierungsalternative zu klassischen Bankkrediten geschaffen, die vor allem für Kleinunternehmen und Kleingründungen genutzt wird. Innerhalb der breit angesetzten Gründungsförderung der Kommune ist die Förderung der Kreativwirtschaft zu einem besonderen

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Fokus der Standortpolitik geworden. Auch in diesem Bereich gibt es viele Unternehmensprojekte von Migranten, auch wenn sie hier keine besondere Zielgruppe der Förderung darstellen.18

Offenbach will „Bleibe-Stadt“ werden

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Alle diese strategischen Handlungsfelder leben von einer guten internen und externen Vernetzung der Stadtverwaltung. Es gibt zu allen Themenbereichen Netzwerke, in denen Verwaltungsakteure mit Akteuren externer Behörden und Akteuren der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Dazu gehören die Kammern und Verbände, Schulen, Arbeitsagenturen, Polizei, nicht zuletzt aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie Ausländervereine, Kirchen, Moscheevereine, soziale Träger und bürgerschaftliche Initiativen. Ein wirksames Netzwerkmanagement ist insofern ein zentraler Erfolgsfaktor. Paradoxerweise ist es gerade die chronische Finanzknappheit der Kommune, die diesen Netzwerkansatz unterstützt. Es ist wichtig, zu kooperieren, um Ressourcen zu „poolen“, gemeinschaftliche Problemlösungen zu realisieren und so etwas wie kommunale Ko-Produktion von Verwaltung und den Adressaten ihres Handelns umzusetzen. Die relative Überschaubarkeit einer Stadt mit 134.000 Einwohnern und einer schlanken Verwaltung tun ein Übriges, um Netzwerke zu stimulieren und produktiv zu machen.

Ankunftsstadt Offenbach am Main, Krafftstraße

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V. Immigration in den Städten – was bleibt zu tun? In den Städten bündeln sich die positiven Effekte, aber auch die Probleme und Herausforderungen der Immigration wie im Brennglas. Das gilt vor allem in den „Arrival Cities“, die Doug Saunders im Auge hat, Städte mit hohen Immigrantenanteilen, mit hoher Fluktuation, mit Bildungsrückständen, Arbeitslosigkeit, Armut und sozialem Handlungsbedarf. Städte sind (und waren schon immer!) Ankunftsorte, Relaisstationen von Mobilität, Orte der Vielfalt, aber auch Labore für soziale Experimente, Arenen der Austragung von Konflikten und der Aushandlung von Interessen. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Prozesse nicht geräuschlos, ohne Konflikte und Belastungen ablaufen. Wenn sie den Herausforderungen der Immigration gerecht werden wollen, müssen Städte investieren, in Wohnen, in Bildung, in Arbeit, in die Entwicklung der besonders von Immigration betroffenen Quartiere, in soziale Arbeit und Infrastruktur. Nur dann wird trotz hohem Zuwanderungsdruck der soziale Frieden im notwendigen Maß gesichert werden können – vor allem dann, wenn die Ressourcen knapp sind, wie sehr oft bei Städten mit hohen Armutsquoten, hohem Bevölkerungsumschlag und hohem Bedarf an sozialen Transferleistungen. Ankunftsstädte stellen Übergangsräume dar, in denen Menschen erste Station in der Region oder in der Stadt machen, dort erste Schritte der Integration absolvieren. Dann aber, wenn diese Integrationsschritte im günstigen Fall erfolgreich verlaufen sind, etwa über Spracherwerb, Arbeitssuche, Verbesserung des Einkommens, wandern sie oft weiter, in Bezirke mit geringerer Immigrantendichte und geringeren sozialen Belastungen, ins Umland oder auch in andere Regionen. Die Ankunftsstädte und -bezirke übernehmen für das Ganze der Gesellschaft eine besondere Aufgabe. Erfüllen sie diese gut, nutzt es der gesamten Gesellschaft. Wenn man so will, ist eine Gesellschaft geradezu auf funktionierende Ankunftsbezirke angewiesen, wenn Integration insgesamt gelingen soll. Dabei gibt es jedoch oft eine Inkongruenz von Aufwänden und Erträgen. Die Ankunftsbezirke sind durch Immigration hoch belastet. Dort müssen besondere soziale Investitionen getätigt und der soziale Stress von Immigration bearbeitet werden. Der Ertrag dieser Anstrengungen fällt jedoch dann außerhalb des Bezirks an, wenn erfolgreiche

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Immigranten den Bezirk wieder verlassen und das im Integrationsprozess aufgebaute individuelle und soziale Kapital an anderer Stelle einsetzen. Im Sinne von nachhaltiger Stadtentwicklung erscheint eine gewisse Balance sowohl in der Bevölkerungsstruktur als auch im Verhältnis von „Bewegung“ und „Bestand“ unverzichtbar. Ankunftsstädte sind jedoch sehr stark von Ungleichgewichten geprägt. Das kann auf der einen Seite sicher Potenziale von gesellschaftlichen Integrationsprozessen, auch von sozialen und kulturellen Innovationen freisetzen. Es kann aber auch die Stabilität des Systems Stadt infrage stellen und zur Überforderung von Institutionen und von Stadtgesellschaften insgesamt führen. Ankunftsstadt zu sein, birgt also immer auch das Risiko von funktionaler Desintegration – und sei es nur, dass aufgrund der hohen Aufwände für soziale Maßnahmen der kommunale Haushalt chronisch defizitär wird und die Schulden steigen. Aber auch jenseits von finanziellen Überlegungen braucht jede Stadt soziale Ausgleichsmechanismen, stabile und wirtschaftlich integrierte Bevölkerungsschichten, „soziales Kapital“ und eine Kultur, in der gemeinsame Werte hinreichend stark gelebt werden, um der Integration von Immigranten ein soziales Fundament zu bieten. Es ist deshalb auch Aufgabe der Ankunftsstädte, durch eine geeignete Stadtentwicklungspolitik für eine bessere Balance von Ankunftsprozessen und einem stabilen Bevölkerungsbestand zu sorgen. Dazu gehören attraktive und sozial gemischte Quartiere ebenso wie die Verhinderung ethnischer Segregation.

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Anmerkungen 1 2 3

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Florida spricht von den drei magischen „T“ – Technologie, Talent und Toleranz. Statistisches Bundesamt (www.destatis.de): Bevölkerungsfortschreibung auf Basis des Zensus. Eine Auswertung des Zusammenhangs von Durchschnittsalter und Ausländeranteil 2014 in der Regionaldatenbank INKAR des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung BBSR ergibt ein Korrelationsmaß r von 0,61 (www.inkar.de). Statistisches Bundesamt (www.destatis.de). Siehe auch Siebel (2012), S. 68–69 sowie Saunders (2011) und Cervan-Gil (2016). Siehe dazu den Wikipedia-Eintrag „Sozial-kognitive Lerntheorie“; letzter Zugriff 07. 03. 2018. Vgl. Radecki u. a. (2016). „Eine ‚Schwarmstadt‘ definiert sich dadurch, dass die Altersklasse ‚20 bis 34‘ ihren Anteil an der Bevölkerung in den Jahren 2008 bis 2013 erhöht hat – während viele Gegenden die massenhafte Abwanderung dieser Kohorte beklagen“, (Radecki u. a. 2016, S. 3). Bevölkerungsfortschreibung der Stadt Offenbach. Quelle: Datenbank INKAR des Bundesinstituts für Bau-, Stadtund Raumforschung BBSR (www.inkar.de). SGB-II – Sozialgesetzbuch, zweites Buch, Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die SGB-II-Quote wird als Anteil der leistungsberechtigten Personen an der Bevölkerung im Alter von 0 bis 64 Jahren errechnet. Datenquelle: Stadt Offenbach (2017) sowie die Daten der Kommunalstatistik: Stadt Offenbach am Main, Amt für Arbeitsförderung, Statistik und Integration. http://www.offenbach.de/rathaus/stadtinfo/offenbach-in-zahlen/statistikveroeffentlichung.php; zum deutschlandweiten Vergleich: Daten der Datenbank INKAR des BBSR für das Jahr 2014 – www.inkar.de. Quelle: Halenberg (2017). Der Segregationsindex misst die Ungleichverteilung eines bestimmten Merkmals, hier der Bevölkerung bestimmter Nationalitäten in den Bezirken der Stadt. Der Wert von 1 bzw. 100 Prozent würde einer vollständigen Ungleichverteilung entsprechen (alle Personen mit dem Merkmal „a“ wohnen im Stadtteil „A“,

83

13 14

15 16

17 18

alle mit dem Merkmal „b“ im Stadtteil „B“), der Wert von 0 einer vollständig gleichmäßigen Verteilung (die Anteile der Personen mit den Merkmalen „a“ und „b“ sind in allen Stadtteilen gleich groß). Dazu näher Schulze-Böing (2017). Der Segregationsindexwert für die Stadt Offenbach weist für die meisten Ausländergruppen in den letzten fünf Jahren deutlich rückläufige Werte auf. Interkommunale Vergleiche der Segregation sind schwierig, da die zugrunde liegende Bezirksgliederung nicht einheitlich ist. Gabriele Sturm weist als Mittelwert der residentiellen Segregation der am Programm der innerstädtischen Raumbeobachtung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Jahr 2005 beteiligten Bezirke einen Index von 24,9 aus (Sturm 2007). Siehe dazu näher Schulze-Böing (2017 und 2017a). Siehe dazu die jährlich neu aufgelegten Haushaltssicherungskonzepte der Stadt mit umfangreichen Belegen zum Zusammenhang von Sozialstruktur, Immigration und Finanzbelastung. Diese sind im Internetangebot der Stadt Offenbach veröffentlicht, siehe www.offenbach.de. Siehe dazu Schmal u. a. (2016) sowie Bither u. a. (2016). So hat die stärkste Gruppe der Nicht-Deutschen, die Türken, an allen Nicht-Deutschen einen Anteil von etwa 12 Prozent. In Köln und einigen Ruhrgebietsstädten haben Türken dagegen Anteile von 20 bis fast 30 Prozent an den Ausländern. Dazu näher Schulze-Böing (2017). Siehe: https://www.offenbach.de/leben-in-of/planen-bauenwohnen/Masterplan_Offenbach/masterplan-ergebnis.php. Zu allen hier erwähnten Handlungsfeldern der Entwicklungsstrategie der Stadt finden sich unter den entsprechenden Stichworten umfangreiche Materialien im Internetangebot der Stadt (www. offenbach.de). Sie sind von dort herunterladbar. Zur Gründerinitiative der Stadt siehe auch www.gruenderstadt-offenbach.de; zur Arbeit des kommunalen Jobcenters siehe www.mainarbeit-offenbach.de.

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Erzhütten / Wiesenthalerhof, Kaiserslautern

85

Annette Spellerberg, Lutz Eichholz

Sozialräume und Integration von Zugewanderten in Kaiserslautern

1. Einleitung Dieser Beitrag nimmt als Fallbeispiel eine kleine Großstadt zum Ausgangspunkt, um das Zusammenleben von Migranten/innen und Mehrheitsgesellschaft in verschiedenen Stadtteilen zu untersuchen. Ziel des Beitrags ist es, am Beispiel von Kaiserslautern herauszuarbeiten, inwieweit die unterschiedlich geprägten Stadträume spezifische Integrationsbedingungen bieten. Im Ergebnis zeigt sich, dass eine privilegierte soziale Lage der Bewohner/innen nicht mit erhöhten nahräumlichen Kontaktchancen einhergeht und dass das Zusammenleben von Zugewanderten und Deutschen in den Interviews nur eine untergeordnete Rolle für die Bewertung der Stadtteile spielt. Im ersten Teil der Studie werden zentrale Forschungsergebnisse zur Bedeutung verschiedener Stadtquartiere für die Vergesellschaftung der Bewohner/innen skizziert, bevor auf das Untersuchungsgebiet, die Stadt Kaiserslautern, genauer eingegangen wird. Es werden sowohl amtliche demografische Daten und Entwicklungstrends präsentiert als auch Ergebnisse aus qualitativen Interviews dargestellt. Im Kontext des Projektes „Integration findet Stadt – im Dialog zum Erfolg“, das im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik von 2017 bis 2019 gefördert wird, wurden in sechs Stadtgebieten 26 Interviews durchgeführt, die hier als Grundlage dienen. Im letzten Abschnitt werden förderliche und hemmende Integrationsbedingungen in den jeweiligen Stadtteilen zusammenfassend erörtert.

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2. Ausgewählte Forschungsergebnisse: Sozial- und Siedlungsräume in ihrer Bedeutung für die Integration von Migrantinnen und Migranten Dem Wohnumfeld wird große Bedeutung für die Integration von Zuwandernden zugedacht (Böhme 2015; Friedrichs 2014; Gesemann/ Roth 2015; Hanhörster 2014; ILS 2016; Saunders 2011). Migrantinnen und Migranten leben häufig in Großstädten und dort in Stadtteilen mit niedrigen Prestigewerten und überdurchschnittlichen Armutsquoten. Ein Indikator für die Identifizierung von förderungsbedürftigen Gebieten im Städtebauförderprogramm „Soziale Stadt“ ist der Migrantenanteil, woraus folgt, dass diese Stadtteile häufig als defizitär wahrgenommen werden. Die kleinräumige und empirische Perspektive auf die Integration in Stadtquartieren kann mit den Begriffen des sozialen Kapitals und der Kontexteffekte zusammengefasst werden, die in der stadtsoziologischen Forschung lange Tradition haben. Die sogenannte Kontakthypothese besagt, dass eine Minderheit eher akzeptiert wird, wenn die Mehrheit sich ihr aussetzen muss (Friedrichs 2013 und 2008; Farwick 2014; Hanhörster 2014). Allerdings wurde auch herausgefunden, dass bei der deutlichen Zunahme einer Minderheit diese als stärkere Konkurrenz wahrgenommen wird und auf Ablehnung stoßen kann. Eine wahrgenommene kulturelle Bedrohung hat für die Akzeptanz von Fremden dabei größere Bedeutung als ökonomische Bedrohungsszenarien (Brader u. a. 2008). Muslime etwa stellen derzeit den größten Anteil der geflüchteten Menschen (SVR-Stiftung 2016), werden aber sehr skeptisch betrachtet. Lokale Gemeinschaften von Zugewanderten vermitteln soziale Unterstützung, sind jedoch abhängig von der Erreichbarkeit anderer Migranten/innen. Aus diesem Grund siedeln sich Migranten/innen am ehesten in den Kommunen an, in denen bereits Familienangehörige, Bekannte oder Angehörige der gleichen Nationalität bzw. Ethnie wohnen. Neben der Wanderung zu den Arbeits- und Ausbildungsplätzen sind die familiären bzw. sozialen Netze und die Verkehrsverbindungen in das Heimatland als ursächliche Faktoren für die Wohnstandortwahl bekannt. Diese sich selbst verstärkenden Effekte führen auch zu einer Polarisierung der Bevölkerungsentwicklung in städtischen und ländlichen Räumen.

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In der Außenwahrnehmung wird häufig eine enge Beziehung zwischen lokalen Netzwerken, sozialer Integration, kultureller Identität und (mangelnder) Identifikation mit der Mehrheitsgesellschaft vermutet. Doug Saunders’ „Arrival City“ (2011) beschreibt sehr differenziert, unter welchen räumlichen Bedingungen Integration am ehesten gelingt. Eine gelungene Ankunft seit den 1960er Jahren wurde dem Autor zufolge in deutschen Städten durch die Vernachlässigung wichtiger Aufgabenfelder in der Einwanderungspolitik erschwert, da diese zum einen von einem befristeten Aufenthalt in Deutschland ausging und damit die Notwendigkeit zur Schaffung von günstigeren Integrationsbedingungen übersah. Zum anderen ist es z. B. für viele türkische Bewohner auch in zweiter oder dritter Generation nach wie vor schwierig, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen (was häufig auch bedeutet, die türkische aufgeben zu müssen). Damit sind die wirtschaftlichen und auch sozialen Möglichkeiten in Deutschland eingeschränkt und das Gefühl der Ankunft und Zugehörigkeit bleibt aus. Unsere komplexe, global vernetzte Gesellschaft wird daher auch als „super-diversity“ charakterisiert, in der der Aufenthaltstitel und Bürgerstatus neue Dimensionen sozialer Ungleichheit bilden (Vertovic 2007). In diesem Beitrag möchten wir am Beispiel von Kaiserslautern darüber informieren, wie soziale Netzwerke in den verschiedenen Stadtteilen von Zugewanderten und Alteingesessenen wahrgenommen werden. Es stellt sich die Frage, ob die Stadtgebiete, in denen die Menschen wohnen, relevant für die soziale Integration sind und welche Rolle der öffentliche Raum dabei einnimmt (vgl. Dangschat/Alisch 2012).

3. Kaiserslautern Kaiserslautern ist durch einen sozio-ökonomischen Strukturwandel geprägt, von einer Industriestadt hin zu einem neuen Branchenmix, bei dem maßgeblich Dienstleistungen und Hightech zur Wirtschaftsleistung beitragen (71 % der Bruttowertschöpfung im Dienstleistungsbereich, 29 % im produzierenden Gewerbe). Die Auto- und Automobilzulieferindustrie, die chemische Industrie, IT/Medien, Logistik, Maschinenbau und Nutzfahrzeugtechnologie gehören zu den Kernbranchen der Stadt (Stadtverwaltung Kaiserslautern 2017b). Träger des

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Strukturwandels sind die Technische Universität, die Hochschule Kaiserslautern, die Forschungsinstitute sowie das Westpfalz-Klinikum, von denen Impulse zur Differenzierung der Arbeitsplätze und Ansiedlung neuer Betriebe ausgehen. Kaiserslautern wird als kleine Großstadt kategorisiert. Die Stadt wies im Februar 2017 eine Einwohnerzahl von 100.548 Personen auf (Stadtverwaltung Kaiserslautern 2017 c). Aufgrund von internationaler Migration verlief die Bevölkerungsentwicklung seit 2014 wieder in positiver Richtung.

3.1 Anteil der Ausländer/innen in Kaiserslautern Anfang 2017 hatten 16 % der Bevölkerung Kaiserslauterns eine ausländische Staatsbürgerschaft (15.548 einwohnermelderechtlich erfasste Personen). Die folgende Tabelle 1 (S. 89) zeigt die Veränderung der Anzahl der Zugewanderten aus ausgewählten Nationen. Das stärkste Wachstum ist bei der Gruppe der Bulgaren zu erkennen, deren Anzahl sich in den letzten fünf Jahren verdreifacht hat. Zusammen mit den Syrern, Rumänen und Afghanen, die in den Jahren 2000 und 2012 von der Stadt Kaiserslautern nur unter „Sonstige“ erfasst wurden, gehören sie aktuell zu den Nationen, die die meisten neuen Einwohner/innen der Stadt stellen. Bei den Polen, Rumänen und Bulgaren sind die Gründe für den starken Zuzug die EU-Osterweiterung I (2004) und II (2007), während der Zuzug der Syrer und Afghanen mit den langjährigen kriegerischen Auseinandersetzungen in den Ländern zu erklären ist. Neben diesen Zuwächsen nimmt auch die Anzahl derjenigen Migranten wieder zu, die die ausländische Bevölkerung Kaiserslauterns seit Jahren geprägt haben. Die Zahl der Einwohner aus den südeuropäischen Ländern sowie den USA hat nach einem Rückgang zwischen 2000 und 2012 im Jahre 2017 wieder zugenommen. Der jüngste Anstieg bei den Italienern und Portugiesen ist mit der anhaltenden Wirtschaftskrise in diesen Ländern in Verbindung zu bringen. Inder und Chinesen stellen zwar nur einen geringen Anteil der Bevölkerung in Kaiserslautern (538 Inder, 535 Chinesen), dieser ist aber in den letzten Jahren stetig gestiegen. Ihre Wohnstandortwahl im Stadtteil Lämmchesberg/Uniwohnstadt weist darauf hin, dass der Zuwachs mit der Technischen Universität und den Forschungsinstituten zusammenhängt.

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Tabelle 1: Veränderungen der ausländischen Bevölkerung nach ausgewählten Nationen 2000, 2012 und 2017

1400

1200

1000

800

600

400

200

Po S rt yre ug r ie se T n Am ür k er en ik a Ita ne lie r ni er Po Bu len lg Ru are m n än en In Ch de in r es e Ru n s Fr s an en zo Af se gh n a K Se am ne n rb en M eru a /M ro ne o n kk r te an n e er gr in er

0

2000 2012 2017

Stadtverwaltung Kaiserslautern (2017a). Bei Syrern, Rumänen, Indern und Afghanen waren nur Daten aus dem Jahr 2017 vorhanden. Eigene Darstellung und eigene Berechnung

90

Kamerun, Marokko, Serbien und Montenegro sind Nationen, deren Anteil in Kaiserslautern abnimmt. Gerade bei den Serben und Montenegrinern ist ein bemerkenswerter Rückgang zu erkennen. Im Jahr 2000 stellten sie noch gut 400 Einwohner; im Jahr 2017 ist dieser Anteil auf 128 gefallen. Ein Grund für den Rückgang dieser Nationalitäten sind ihre gesunkenen Asylchancen (vgl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2016).

3.2 Segregationsindices für Kaiserslautern Der Anteil der Ausländer/innen in Kaiserslautern variiert von Stadtteil zu Stadtteil deutlich, vor allem aber zwischen der Kernstadt und den eingemeindeten Ortsbezirken. Während der Durchschnittsanteil der Ausländer/innen in den Ortsbezirken bei 8 % liegt, ist er in der Kernstadt mehr als doppelt so hoch (18 %). Vier Stadtteile weisen einen hohen Ausländeranteil auf: Am inneren Stadtrand befindet sich Lämmchesberg/Uniwohnstadt in der Nähe zur Technischen Universität und den Forschungseinrichtungen. Drei innerstädtische Stadtteile sind von den Gastarbeiternationen geprägt, die seit den 1960er Jahren für das Nähmaschinenwerk Pfaff, die Textilindustrie und die Opel-Werke angeworben wurden. Zur Beschreibung von sozialräumlichen Differenzierungen ist der Segregationsindex (SI) ein bewährtes Messverfahren. Der SI misst die räumlich ungleiche Verteilung einer Bevölkerungsgruppe gegenüber der restlichen Bevölkerung. Je höher der Wert des SI ist, umso größer ist die relative Ungleichverteilung der untersuchten Bevölkerungsgruppe im Raum (Friedrichs 1980; Häußermann/Siebel 2004). In der folgenden Tabelle 2 sind die Segregationsindices für Ausländer und zugleich der Segregationsindex für Arbeitssuchende ablesbar. Der letztgenannte Indikator weist auf soziale Ungleichheiten und die Verteilung der ärmeren Bevölkerungsgruppen in Kaiserslautern hin. Es fällt auf, dass in Kaiserslautern die Segregation nach sozialem Status deutlich höher liegt als nach dem Kriterium der ausländischen Staatsangehörigkeit. Der SI der Arbeitssuchenden ist mit 26,6 relativ hoch, der von Ausländer/innen liegt bei niedrigen 14,5 und zeigt, dass sie sich räumlich nicht stark konzentrieren. Besonders beachtenswert ist, dass der SI für die Ausländer/innen in Kaisers-

91

lautern im Jahr 2012 noch bei 18,8 lag (Stadtverwaltung Kaiserslautern 2013). Es besteht also eine Tendenz hin zu einer geringeren räumlichen Segregation. Bei der Untersuchung des SI nach ausgewählten Nationen (Tabelle. 2) sind im Gegensatz zur Gesamtgruppe der Ausländer/ innen deutlich höhere Werte zu finden. Am höchsten ist die räumliche Konzentration bei Indern, Afghanen, Chinesen, Portugiesen und Bulgaren.

Tabelle 2: Segregationsindex ausgewählter Nationalitäten, Ausländer/innen insgesamt und Arbeitsuchender insgesamt, Stand Juni 2016/Februar 2017

60,0

49,1

50,0

35,8 32,6

40,0

26,6

30,0 20,0

14,5

20,2

14,0

37,5 40,1

33,0

29,4 14,6

16,2

10,0

Po Sy rt r ug er ie se Tü n Am r k er en ik an Ita er lie ne r Po l Bu en lg Ru are m n än en In Ch de in r Af ese gh n an en

Ar Au be slä its nd uc er he nd e

0,0

Stadtverwaltung Kaiserslautern (2017a), Stadtverwaltung Kaiserslautern (2016). Eigene Darstellung und eigene Berechnung

92

Abbildung 1: Gesamtanteil Ausländer in der Kernstadt Kaiserslauterns und Aufteilung nach bevölkerungsstärksten Nationalitäten

Syrer 9,2 %

Türken 6,4 %

Amerikaner 5,9 % Afghanen Polen 7,1 % 6,9 %

Portugiesen 20,6 % Syrer 17,9 %

Russen 7,5 %

Türken 12,7 %

Syrer 6,6 %

Syrer 7,7 %

Portugiesen 7,4 %

Italiener 14,6 %

Türken 9%

Portugiesen 8,6 %

Innenstadt Nord/ Kaiserberg 13,5 %

Grübentälchen/ Volkspark 14,9 %

Kaiserslautern West 15,6 % Innenstadt West/ Kotten 20,5 %

Innenstadt Ost 19 %

Innenstadt Südwest 23,3 %

Betzenberg 15,6 %

Bännjerrück/Karl Pfaff Siedlung 14,4 % Lämmchesberg/ Universitätwohnstadt 17,8 %

Türken Syrer 8,5 % 7,4 % Bulgaren 23,8 %

Inder 8,7 %

Amerikaner 8,4 %

Inder 15 %

Chinesen 12,5 %

Italiener 6,9 %

Syrer 34,7 %

Polen 16,7 %

Polen 5,6 %

Stadtverwaltung Kaiserslautern (2017a). Eigene Darstellung und eigene Berechnung

Bulgaren 10,8 %

93

Werden die größten Nationengruppen aus Tabelle 1 (S. 89)mit dem Segregationsindex nach Nationen aus Tabelle 2 (S. 91) verglichen, ist gut erkennbar, in welchen Stadtteilen die überdurchschnittlich stark segregierten Nationen ihre Wohnsitze haben. So wohnen 43 % der Bulgaren in Innenstadt Ost und Bännjerrück/Karl Pfaff Siedlung, 40 % der Portugiesen in Innenstadt Ost/Kotten und über 50 % aller Afghanen Kaiserslauterns in Grübentälchen/Volkspark und Kaiserslautern West. Bei den Indern ist der Wert am höchsten: Knapp die Hälfte (48 % ) wohnt in nur einem Stadtteil, nämlich Lämmchesberg/Uniwohnstadt. In allen Stadtteilen ist der Anteil ausländischer Arbeitsuchender in Hartz IV (SGB II) höher als bei Deutschen. Besonders auffällig und alarmierend sind die hohen Werte und zugleich die Unterschiede in Kaiserslautern West (6 % der deutschen, 11 % der ausländischen Bevölkerung) und Betzenberg (5 % der deutschen, 11 % der ausländischen Bevölkerung). In der Gesamtstadt lag der Durchschnitt der arbeitsuchenden SGBII-Empfänger im September 2016 bei 4 %. Auch wenn der Segregationsindex vergleichsweise niedrig liegt, so ist doch teilweise eine spezifische Verteilung von Ausländern auf unterprivilegierte Stadtteile erkennbar. Im folgenden Abschnitt geht es um die Einschätzungen von Deutschen und Migrantinnen und Migranten zum Zusammenleben in diesen und zwei weiteren Stadtteilen: KL West, Betzenberg, die privilegierte Gegend Lämmchesberg/Uniwohnstadt und der Ortsteil Erzhütten/Wiesenthalerhof, der durch eine Flüchtlingsunterkunft zeitweise einen deutlich gewachsenen Ausländeranteil aufwies.

4. Sozialräume und nahräumliche Integration Im Rahmen des Projektes „Integration findet Stadt – Im Dialog zum Erfolg“ wurden im Sommer 2017 qualitative (mündliche) Leitfadeninterviews in ausgewählten Stadtteilen Kaiserslauterns durchgeführt. Da die nahräumliche Integration die einheimische und zugewanderte Bevölkerung betrifft, wurden Migranten und Nicht-Migranten in die Befragung aufgenommen. Das zentrale Kriterium für die Auswahl war die jeweils größte Ausländergruppe im Stadtteil. Zusätzlich sollten die Interviewpartner/innen nach sozio-demografischen Merkmalen streuen, d. h. es sollten Männer und Frauen mit und ohne Migrations-

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hintergrund und aus verschiedenen sozialen Schichten (Bildung, Einkommen, Alter und Erwerbstätigkeit) zu Wort kommen. Um die unterschiedlichen Interviewpartner zu erreichen, wurden verschiedene Zugangsmöglichkeiten genutzt. Mit Hilfe von Mitarbeitern der sozialen Einrichtungen Kaiserslauterns (ASZ, Mehrgenerationenhaus), Straßenkontakten (Cafés, Einkaufsläden und öffentlichen Treffpunkten) sowie durch Vermittlung von Kontakten durch die Interviewten kamen die Gespräche zustande. Bei der Kontaktaufnahme wurden klassische Formen wie Anrufe, Ansprechen im öffentlichen Raum oder E-Mails ähnlich häufig wie neuere Formen wie WhatsAppoder Facebook-Nachrichten genutzt. Von den 26 Teilnehmer/innen waren 13 männlich und 13 weiblich. Mindestens in Teilzeit erwerbstätig waren 15, sechs erwerbslos, drei in Pension und zwei in Ausbildung. Auch bei den Bildungsabschlüssen konnte mit den Teilnehmer/innen ein breites Spektrum abgedeckt werden. Zwölf Teilnehmer/innen verfügten über einen Hochschulabschluss (Bachelor bis Doktor), fünf über die allgemeine Hochschulreife, fünf über einen Realschulabschluss und drei über einen Hauptschulabschluss. Die Altersspanne reichte von 20 bis 79 Jahren, bei einem Durchschnittsalter von 45 Jahren. Auf die Frage nach der Einschätzung des persönlichen Einkommens ordneten es zehn als gut, sieben als zufriedenstellend und neun als zu niedrig ein. Die Haushaltsgröße lag im Durchschnitt bei 2,2 Personen. Der größte Unterschied zwischen Migranten und Deutschen betraf die Wohndauer. Die Befragten mit Migrationshintergrund wohnten im Durchschnitt vier Jahre in ihrem derzeitigen Stadtteil, die deutschen zwölf Jahre. Ähnlich große Unterschiede gab es bei der Wohndauer in der Stadt (ohne Migrationshintergrund 35, Migranten sieben Jahre). Der Gesprächsleitfaden gliederte sich in folgende Themenbereiche: Gründe für die Wahl des Wohnstandortes, nachbarschaftliche Beziehungen, Wahrnehmung der sozialen Lage der Bewohner/innen, Sicherheit und Sicherheitsempfinden, Stärken und Schwächen des Quartiers, Alltags- und Freizeitverhalten, Zusammenleben in Kaiserslautern, Kontakt zu Migranten/Deutschen und Zufriedenheit mit Kaiserslautern. Die Interviews wurden zumeist in den Privatwohnungen der Teilnehmer/innen geführt, um einen Eindruck von der Wohnung und der Wohngegend zu bekommen. Vier Interviews wurden auf Englisch durchgeführt und zwei mit Hilfe von einer Übersetzerin. Alle

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anderen Teilnehmer sprachen gut genug Deutsch, um das Interview in dieser Sprache durchzuführen. Die Dauer der Interviews reichte von acht Minuten bis über eine Stunde. Im Durchschnitt nahmen sich die Teilnehmer/innen 20 Minuten Zeit für das Gespräch.

Stadtteil Betzenberg, Kaiserslautern

4.1 Betzenberg Der Stadtteil Betzenberg ist im Hinblick auf die Altersstruktur der Bewohnerschaft der zweitälteste von Kaiserslautern. Die Bebauung ist geprägt von mehrstöckigen Wohnblöcken aus den 1960er Jahren. Mit 18,6 % ist die Arbeitslosenquote in Betzenberg am zweithöchsten in Kaiserslautern. Eine weitere Besonderheit ist die hohe SGB II - Quote bei Ausländern.

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Übersicht 1: Betzenberg

Räumliche Merkmale

Ausgewählte statistische

Größte Ausländergruppen

Merkmale Dominiert von

15,6 % Ausländer

Syrer (164)

Wohnhochhäusern

18,6 % erwerbslos

Polen (79)

10,5 % Ausländer in SGB II

Bulgaren (51)

(Deutsche: 4,7 % )

Kontakte zu anderen Bewohner/innen von Betzenberg waren bei den vier Befragten zumindest sporadisch vorhanden. Gerade der am kürzesten in Deutschland wohnende Befragte erzählte, dass die Nachbarn ihn positiv willkommen geheißen haben. Freundschaftlicher oder über kurze Begegnungen hinausgehender Kontakt ist aber nicht erkennbar. Im Folgenden werden Auszüge der Interviews angeführt. Die Namen der Interviewpartner bleiben ungenannt. Die Angaben zu Zitatbeginn bezeichnen jeweils das Geschlecht (W/M), das Alter, den Erwerbsstatus und Migrationshintergrund. W, Ende 40 (erwerbslos, ohne Migrationshintergrund): […] großartig Gespräche gibt es in dem Haus nicht. Das ist dann eher drumherum, wo die Freunde und Bekannten wohnen. Alle Befragten gaben an, soziale Kontakte außerhalb des Stadtteils zu unterhalten. Diese verteilten sich über die gesamte Stadt, was nicht als negativ wahrgenommen wurde. Die beiden älteren, weniger mobilen Teilnehmerinnen der Studie ließen einfließen, dass ein tiefergehender Kontakt im unmittelbaren Wohnumfeld gewünscht wäre. Die beiden älteren Befragten hatten zwar weniger soziale Kontakte und Treffpunkte als die beiden jüngeren aus Betzenberg, waren aber auch nicht an den Nahraum gebunden. Gründe für die Wahl des Wohnstandortes sind die relativ preiswerten Wohnungen und die gute Erreichbarkeit der Innenstadt bei einem Wohnstandort, der als „Leben im Grünen“ bezeichnet wurde. Ein eventuell negatives Image des Quartiers wurde von keinem der Befragten erwähnt.

97

W, Mitte 30 (selbstständig, iranischer Migrationshintergrund): But generally I like it and I find these people really nice. Nothing bad happend to me in three years. Die gute Bewertung durch die Bewohner/innen für einen Stadtteil, der gesamtstädtisch eine weit überdurchschnittliche Anzahl von Transferleistungsempfängern aufweist, zeigt sich in allen 26 geführten Interviews. Auf die Frage, ob es in Kaiserslautern Orte gebe, die nicht gemocht werden, erwähnte nur eine Befragte den Stadtteil Betzenberg. Im Gegenzug wurden die Gebiete „Kalkofen“ und einzelne Straßen von Kaiserslautern West häufig genannt. Dies zeigt, dass auch in der Außenwahrnehmung der Stadtteil Betzenberg zumindest neutral wahrgenommen wird. Bei dem für einen Stadtteil der Kernstadt unterdurchschnittlichen Ausländeranteil von 16 % ist zu beachten, dass er 2008 mit 9 % noch deutlich niedriger lag und dass gleichzeitig von einem gefühlten „Niedergang“ berichtet wird. Dieser zeichnet sich nach Aussagen der Interviewten durch mehr Müll, eine generelle Verwahrlosung und eine distanzierte Bewohnerschaft aus. Gründe sahen die Befragten dafür in vielen neuen Bewohner/innen, die die „Regeln“ des Zusammenlebens anders auslegten. W, Mitte 30 (selbstständig, iranischer Migrationshintergrund): […] nowadays many refugees and foreign people settle down in Betzenberg. Sometimes because of that I see it become a little dirtier, so that’s a little concern that they have also to learn. If they are living here in Germany they have to take care of these rules.

98

Lämmchesberg/Uniwohnstadt, Kaiserslautern

4.2 Lämmchesberg/Uniwohnstadt Lämmchesberg/Uniwohnstadt ist ein Stadtteil, der stark von der Technischen Universität und den sie umgebenden Forschungsinstituten geprägt ist. Sowohl die deutschen als auch die ausländischen Bewohner/innen haben häufig einen Bezug zu diesen Instituten. Die im Quartier am stärksten repräsentierten Nationen (Inder und Chinesen) sind vorwiegend gekommen, um an der Universität bzw. den Forschungsinstitutionen zu studieren oder zu arbeiten. Die Gründe für ihre Wohnstandortwahl hängen größtenteils mit ihrem Arbeitsplatz oder Studienort zusammen.

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Übersicht 2: Lämmchesberg/Uniwohnstadt

Räumliche Merkmale

Geprägt von Einfamilienhäusern mit Gärten und Blockbebauung

Ausgewählte statistische

Größte Ausländer-

Merkmale

gruppen

15,7 % Ausländer

Inder (256)

3,9 % erwerbslos 44,4 % unter 30 Jahren

Chinesen (212) Polen (94)

Die vielen Akademiker/innen und Studierenden sorgen für eine sehr niedrige Arbeitslosigkeit und einen hohen Anteil der jüngeren Bevölkerungsgruppen. Mit ihren Einkommen sind alle Interviewten zufrieden. Sprachbarrieren im Alltag sind weniger vorhanden, da Englisch als Zweitsprache von großen Teilen der Bevölkerung akzeptiert und praktiziert wird. Trotzdem ist der Kontakt zwischen den Bewohnern nicht sehr stark ausgeprägt. Als Gründe dafür werden wenig Leben auf den Straßen, die hohe Fluktuation bei Studierenden und mangelnde Treffpunkte angegeben. M, Ende 40 (angestellt, kein Migrationshintergrund): Sind halt meistens Studenten. Die ziehen halt auf und ab, und die sind halt mehr so, die leben in den Tag hinein, würde ich sagen. […] Es ist nicht so, dass hier die Wahnsinnskontakte entstehen würden. M, Ende 30 (angestellt, chinesischer Migrationshintergrund): My thing is, it’s a pity, it’s Lämmchesberg, almost empty, like for most of the time […]. Auch wenn das mangelnde Leben auf den Straßen die Kontaktaufnahme miteinander erschwert, genießen die Bewohner/innen die Ruhe. Aufgrund des – nach Aussagen der Befragten – eher häuslichen Lebensstils im Quartier wird der Wunsch nach Kontakt als schwer realisierbar eingeschätzt. Dies liegt auch an den vielen privaten Gärten und kaum vorhandenen Gemeinschaftseinrichtungen, die mit einer geringen Frequenz im öffentlichen Raum einhergehen. Sorgen, dass bei gesundheitlichen Problemen oder Unfällen im Alltag niemand mitbe-

100

kommt, wenn Hilfe benötigt wird, wurden von zwei Befragten explizit geäußert. M, Anfang 30 (angestellt, indischer Migrationshintergrund): […] as an immigrant I am alone, then I would need somebody to respond in case of emergency […]. M, Ende 40 (angestellt, kein Migrationshintergrund): Ich könnte hier in der Wohnung zum Beispiel umkippen, und da wär kein Mensch da. […] Dann kommt der […] nicht mehr auf die Arbeit, hockt da irgendwo, ist längst verwest. Genau das ist das Problem, was ich hab, eigentlich, weil kein Mensch nach mir guckt. Der Tagesablauf der Befragten ist stark durch die Arbeit strukturiert. Freizeit wird fast ausschließlich in der eigenen Wohnung oder außerhalb des Stadtteiles verbracht. Die Nähe zur Innenstadt und die stärkere Mobilität der statushohen Bevölkerung verstärken die geringe Frequenz von Fußgängern in den öffentlichen Räumen. M, Ende 40 (angestellt, kein Migrationshintergrund): Ich bin ein typischer Junggeselle. Typischer Single. Ich komm dann heim. Dann bin ich müd. Dann spiel ich Computer. Fernsehgucken. Dann leg ich mich ins Bett. Trotz der genannten Defizite von Lämmchesberg/Uniwohnstadt wohnen die Bewohner gerne und freiwillig in dem Stadtteil. Der Wohnort wurde gezielt wegen der Nähe zum Arbeitsort und dem Wohnen mit Personen ähnlichen Lebensstils in der Nachbarschaft ausgesucht. Wegzüge sind bei den Teilnehmern nicht geplant, die mobilen Forschungsbeschäftigten wissen aber selten, wie lange sie noch am gleichen Wohnstandort bleiben können.

4.3 Kaiserslautern West Kaiserslautern West ist der ökonomisch schwächste Stadtteil von Kaiserslautern. Die Arbeitslosenquote lag Anfang 2017 immerhin bei 21,6 % . Neben einer relativ alten Bevölkerung findet sich ein starker

101

Bevölkerungsrückgang um 8,4 % in den Jahren 2005–2015, der nun durch den neuen Zuzug ausgeglichen wird.

Kaiserslautern West

Übersicht 3: Kaiserslautern West

Räumliche Merkmale

Ausgewählte statistische

Größte Ausländergruppen

Merkmale Dominiert von Wohnzeilen,

15,6 % Ausländer

Syrer (194)

die teilweise stark sanie-

21,6 % erwerbslos

Russen (81)

11,4 % Ausländer in SGB II

Portugiesen (80)

rungsbedürftig sind

(Deutsche: 7,1 % )

Die ökonomische Schwäche und der defizitäre bauliche Zustand des Quartiers wird auch in den Darstellungen der Interviewpartner/innen aus Kaiserslautern West hervorgehoben. Die Wohnungswahl wurde

102

von allen als pragmatisch dargestellt. Die gute und günstige Verfügbarkeit der Wohnungen war wichtiger als Lage und Zustand der Wohnungen. W, Mitte 30 (angestellt, ohne Migrationshintergrund): Also, wir haben lange gesucht, und das war im Prinzip das Angebot, was am ehesten in unser Budget gepasst hat und das erfüllt hat, was wir uns vorgestellt haben. […] Es war nicht die Lage. W, Anfang 60 (arbeitsuchend, ohne Migrationshintergrund): Billig. [Nachfrage nach mehr Gründen?] Nur billig. Das Bild der Bewohner des Stadtteils über Kaiserslautern West wird von Erzählungen über Ereignisse wie Einbrüche oder körperlich ausgeführte Streitigkeiten, dem generellen Image und eigenen Erfahrungen mit Bewohnern geprägt. Dies führt zu einer durchweg negativen Einschätzung, die teils mit drastischen Worten wie „aggressiv“ oder „asozial“ dargestellt wird. M, Anfang 20 (in Ausbildung, russischer Migrationshintergrund): Wie man sich KL West halt vorstellt. Es sind halt sehr viele Leute, die sehr asozial sind. Die ökonomisch bessergestellten Interviewten, die theoretisch wegziehen könnten, beklagen sich vor allen über das Image des Stadtteils. Gerade der Ruf des Viertels kann sich stigmatisierend auf die Bewohner auswirken und dazu führen, dass sie einen Wegzug in Betracht ziehen. Für Bewohner, die es schwerer haben, eine Arbeit zu finden, kommt mit der schlechten Adresse daher ein weiterer erschwerender Faktor dazu (Häußermann/Siebel 2004, 170). W, Mitte 30 (angestellt, ohne Migrationshintergrund): Der Ruf. Also, tatsächlich ist der Ruf das Schlimmste. Das hier Wohnen, also, eigentlich fühlen wir uns hier wohl und das ist gut, aber immer, wenn man sagt, wir wohnen in der Feuerbachstraße, dann wird schon das Gesicht etwas verzogen, obwohl es keinen Grund dafür gibt.

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Vergleichsweise positiv wird der unmittelbare Nahraum der Bewohner/innen dargestellt, während die größten Probleme auf die Nachbarstraßen bezogen werden. Die eigene Wohnumgebung wird jeweils als „gerade noch in Ordnung“ eingeschätzt. Einzig Störungen durch Lärm merken die Interviewten in ihrem direkten Umfeld an. W, Anfang 20 (geringfügig beschäftigt, ohne Migrationshintergrund): Also, in der Feuerbachstraße, da wohnen wirklich noch soziale Menschen, das muss ich auch sagen. Die einen gepflegten Haushalt haben. Aber von der Slevogtstraße kann man das nicht sagen. Der Bezug auf andere Gebiete des Stadtteils, in denen es noch schlimmer sei, ist ein Versuch, in der Außendarstellung den eigenen Straßenzug des Quartiers als positiv erscheinen zu lassen. Dieses von den Bewohnern nach außen getragene schlechte Image schafft jedoch langfristige Probleme, denen schwer entgegenzutreten ist (Burgdorf 2016). Die Lage von KL West, etwas außerhalb der Kernstadt und durch eine vielbefahrene Straße vom Rest der Stadt abgegrenzt, wird nur von einem Interviewten mit PKW als zufriedenstellend beschrieben. Die schlechte Anbindung macht die Versorgung gerade für immobile Bewohner/innen jedoch mühsam. M, Anfang 20 (in Ausbildung, russischer Migrationshintergrund): […] die Busverbindung ist relativ schlecht am Wochenende, weil ich kein Auto hab. Nachbarschaftlicher Kontakt ist bei allen Studienteilnehmer/innen vorhanden. Dieser ist aber nicht sehr ausgeprägt und beschränkt sich auf kurze zufällige Begegnungen mit unmittelbaren Nachbarn. Wünsche nach mehr nachbarschaftlichem Kontakt sind zwar vorhanden, die Bewohner/innen des Stadtteils werden aber als zu „anders“ eingeschätzt, um Kontakte zu vertiefen. M, Anfang 20 (in Ausbildung, russischer Migrationshintergrund): Unwichtig. [Nachfrage, ob Nachbarn in einer anderen Gegend wichtiger wären?] Ja, sicher, es geht jetzt halt um die Nachbarn, die ich jetzt habe.

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Es wird berichtet, dass Türen mit doppelten Schlössern gesichert werden und sich „keine Frau in dem Viertel“ (W, Anfang 20) sicher fühle. Diese Angst kann einen großen Einfluss auf das soziale Miteinander im Viertel haben. Wenn bei neuen Kontakten am Anfang Skepsis und Angst überwiegt, ist es schwer, diese Hürde zu überwinden. Neue Kontakte in der Umgebung oder ein ausgeprägtes Nachbarschaftsverhältnis werden erschwert. W, Anfang 60 (arbeitsuchend, ohne Migrationshintergrund): Ist schon so oft eingebrochen worden in den Keller bei uns, ich schließ meine Tür immer ab, auch tagsüber. Abschließend kann gesagt werden, dass die Interviewten in Kaiserslautern West viele Probleme skizzieren, sich aber trotzdem mit dem Wohnen im Stadtteil arrangieren. Der Wunsch nach mehr Sicherheit und einer baulichen Aufwertung zeigt, dass die Bewohner, die einen Wegzug planen, im Stadtteil gehalten werden könnten. Das Zusammenleben zwischen Deutschen und Migrant/innen wird gegenüber den genannten Problemen kaum thematisiert.

Erzhütten/Wiesenthalerhof, Kaiserslautern

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4.4 Erzhütten/Wiesenthalerhof Kaiserslautern Erzhütten/Wiesenthalerhof ist ein dörflich strukturierter Ortsbezirk, in dem sich für einen kurzen Zeitraum eine Flüchtlingsunterkunft befand, die mittlerweile wieder geschlossen ist. Die statistischen Merkmale von Erzhütten/Wiesenthalerhof sind für einen Kaiserslauterner Ortsbezirk relativ durchschnittlich mit einem niedrigen Ausländeranteil und einer niedrigen Arbeitslosenquote. Bei dem Ausländeranteil ist zu beachten, dass dieser im Jahr 2016 durch die Flüchtlingsunterkunft höher lag.

Übersicht 4: Erzhütten/Wiesenthalerhof Räumliche Merkmale

Ausgewählte statistische

Größte Ausländergruppen

Merkmale Einfamilienhäuser mit

5,9 % Ausländer

Polen (20)

Garten

3,1 % erwerbslos

USA (19)

-9,4 % Bev. 2005–2015

Frankreich (10)

Die Flüchtlingsunterkunft wurde nicht als Problem oder negative Veränderung eingeschätzt. Die Befragten haben sich entweder nicht mit ihr befasst und sie auch nicht einschneidend wahrgenommen oder erklärten sich hilfsbereit den Flüchtlingen gegenüber. Die Schließung der Unterkunft wird in den Gesprächen nicht erwähnt. Sie hat und hatte, trotz des kurzzeitigen starken Anstiegs des Ausländeranteils, keine das Stadtviertel prägende Relevanz. M, Mitte 50 (selbstständig, ohne Migrationshintergrund): Für die Flüchtlinge haben wir ja ein bisschen geholfen. Sammeln und so. Ein freundliches bis freundschaftliches Verhältnis zu den anderen Bewohnern des Quartiers ist bei allen Interviewten vorhanden. Dies wird auch als Grund für die Zufriedenheit mit dem Wohnstandort genannt. Die Bewohner/innen mit Migrationshintergrund versuchen, sich in das gemeinschaftliche Leben im Ortsteil einzufinden. Die Mitglied-

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schaft in Vereinen und die Teilnahme bei nachbarschaftlichen Veranstaltungen ist für die Interviewten selbstverständlich und die Kontakte mit Deutschen sind ausgeprägt. W, Mitte 50 (angestellt, brasilianischer Migrationshintergrund): […] ich bin bei der Feuerwehr. Das Leben und Zusammenleben in Erzhütte/Wiesenthalerhof stellten alle Befragten als sehr zufriedenstellend dar. Gründe dafür sind die gute Nachbarschaft, die mindestens als ausreichend empfundenen Einkommen und die freiwillige Wahl des Ortsbezirks als Wohnstandort. Die dauerhaft dort wohnenden Migranten sind ähnlich gut eingebunden wie die deutschen Einwohner/innen und berichten fast gleich über den Ortsbezirk.

5. Zusammenfassung und Fazit Die durchgeführten Interviews geben einen vielfältigen Eindruck der Bewohner/innen mit und ohne Migrationshintergrund im Hinblick auf ihre Stadtquartiere Kaiserslauterns, die jeweils einen Anteil von 16 % Ausländern aufweisen (mit Ausnahme von Erzhütten). Erwartungsgemäß wurden die Gebiete mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an Arbeitssuchenden und denen, die wirtschaftlich privilegierter sind, von den Bewohner/innen ganz unterschiedlich bewertet. Zudem werden die beiden eher wohlhabenden Gebiete Lämmchesberg/Uniwohngebiet und Erzhütten, die durch Einfamilienhäuser geprägt sind, für das Zusammenleben von Migranten und Deutschen uneinheitlich beurteilt. Während Lämmchesberg baulich, infrastrukturell und sozialstrukturell wenig Anknüpfungspunkte bietet, ist das eher dörfliche Erzhütten mit seinen Vereinsstrukturen besser geeignet für soziale Interaktionen. Der Stadtteil Lämmchesberg/Uniwohngebiet wird als „sehr ruhig“ beschrieben, wobei gerade Migranten das Leben im öffentlichen Raum vermissen. Die Bewohner/innen in Einfamilienhäusern können den geringen Kontakt im öffentlichen Raum durch einen Austausch mit den direkten Nachbarn ausgleichen (z. B. angrenzende Gärten). Die häufig in Apartments wohnenden neu hinzugezogenen Migranten können diese Gelegenheit nicht nutzen. Die

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Hilfsbereitschaft im Stadtteil Erzhütten gegenüber den Flüchtlingen ist in der ganzen Stadt bekannt geworden, und der Kontakt von Migranten zu Deutschen ist ausgeprägt, obwohl die Wohndauer auch hier nicht länger ist als im Uniwohngebiet und das Wohnen im Eigenheim vorherrscht. Einzig genannter Nachteil von „Erzhütten“ ist die fehlende Anbindung an die Kernstadt. In Kaiserslautern West werden die Bewohner/innen von den Interviewten in drastischen Worten abwertend beschrieben. Die Wahl der Wohnung ist oftmals nicht freiwillig erfolgt, und der nachbarschaftliche Kontakt wird als weniger wichtig oder nicht tiefgehend bezeichnet. Das Image des Quartiers ist für die Befragten ein Problem, Wünsche nach einer baulichen Aufwertung der Hochhäuser sind vorhanden. Im Stadtteil Betzenberg, der ebenfalls Hochhäuser umfasst, fällt allen Interviewten eine negative Veränderung der Bevölkerung, der Sauberkeit und des Kontaktes der Bewohner/innen in den letzten Jahren auf. Wünsche nach mehr Kontakt zu Deutschen werden von Seiten der interviewten Migranten geäußert, aber nicht nur die kulturellen, sondern auch die Altersunterschiede zwischen Zugezogenen und Deutschen sind vergleichsweise groß. Betzenberg ist jedoch nicht in dem Maße von Stigmatisierung betroffen wie KL-West. Für jeden Stadtteil ergibt sich somit anhand der Daten und der Interviews ein individuelles Profil. Die oben erwähnten Kontexteffekte, die einen Einfluss der sozialen Lagen auf die Integrationschancen von Migranten/innen nahelegen, sind in den Interviews nicht eindeutig zu identifizieren. Die soziale Schichtzugehörigkeit der Bewohner/innen ist schon wegen mangelnder Kontakte kaum zu spüren (Lämmchesberg/Uniwohnstadt), indifferent (Betzenberg) oder stigmatisierend (KL-West). In Erzhütten/ Wiesenthalerhof spielt eher die Siedlungsstruktur und die lange Wohndauer der Einheimischen eine positive Rolle für soziale Interaktionen. Einzelne Ethnien, Kulturen oder Nationen wurden in den Interviews nicht positiv oder negativ herausgestellt. Für die Wahrnehmung der Migranten durch Nicht-Migranten ist eher das Einhalten von Regeln im und vor dem öffentlichen Raum relevant. Treffpunkte in den Quartieren, Straßen und Plätzen werden ebenfalls nicht als Raum für soziales Handeln erwähnt, Kontakte ergeben sich eher aufgrund von guten nachbarschaftlichen Situationen.

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Die Stadtquartiere wirken somit unterschiedlich auf soziale Vernetzungschancen, spielen bislang aber kaum eine aktive Rolle bei der nahräumlichen Integration. Hier kann Stadtpolitik ansetzen, um dem häufig geäußerten Wunsch nach höherer Kontaktintensität im Wohngebiet nachzukommen.

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Plan von Bremen, 1914

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Manfred Kühn

Vom Problem zum Potenzial? Zuwanderung als Ansatz der Stadtpolitik in Bremen

Zuwanderung ist derzeit ein kontrovers diskutiertes Thema in Deutschland und Europa. Während der Verlust nationalstaatlicher Kontrolle über die Zuwanderung ein wesentlicher Grund für den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien und nationalistischer Politiken in vielen Ländern sowie auch ein wichtiges Motiv für die Brexit-Entscheidung in Großbritannien war, wird seitens der Wirtschaft und der Europäischen Kommission die Notwendigkeit von Einwanderung betont und der steigende Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte in der Wissensgesellschaft als „Kampf um die besten Köpfe“ beschworen. Der folgende Beitrag geht der Leitfrage nach, inwieweit ein Perspektivenwechsel auf Zuwanderung vom Problem zur Ressource in der Praxis der Regenerierungspolitik von Städten erfolgt, und untersucht diese Frage am Beispiel der Freien Hansestadt Bremen.

1. Regenerierung von Städten: Begriff und Prozesse In der europäischen und angelsächsischen Stadtforschung hat sich seit den 1990er Jahren für die Analyse von Erneuerungsstrategien von Städten in einer Strukturkrise der Leitbegriff „Urban Regeneration“ weitgehend etabliert (Roberts/Sykes 2000; Couch/Fraser/Percy 2002; Tallon 2010). In der deutschsprachigen Stadtforschung hat sich der Begriff „Regenerierung“ dagegen bisher kaum durchgesetzt. Die anwendungsorientierte Stadtforschung verwendet seit den 1970er Jahren vielmehr den Begriff der „Stadterneuerung“, der auch in der Praxis der Städtebauförderung verankert ist. Außerdem beschreibt der Begriff „Stadtumbau“ seit etwa der Jahrtausendwende den städtebaulichen

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Umgang mit Schrumpfungsprozessen. In einer frühen Begriffsbestimmung von „Regenerierung“ im Kontext schrumpfender Städte Ostdeutschlands wird darunter eine positive Intentionalität verstanden und damit die normative Vorstellung einer „Erholung“ und „Erstarkung“ des komplexen Systems Stadt verbunden (Keim 2001). Um eine solche Normativität im Forschungsansatz zu vermeiden, beziehen wir uns auf das lateinische Stammwort regenerare – das sich als „von Neuem hervorbringen“ übersetzen lässt. In den Mittelpunkt werden damit Erneuerungsprozesse in den Städten gestellt. Der Zuzug neuer Bewohner, die Entstehung neuer Arbeitsplätze, die physische Erneuerung leerstehender Gebäude oder die neue Nutzung von Brachflächen lassen sich wertneutraler erfassen als normativ gefärbte Begriffe wie „Erholung“ oder „Erstarkung“. Als konzeptioneller Ansatz bezieht sich die Regenerierung von Städten auf die Bewältigung von lokalen Strukturkrisen und den damit einhergehenden Schrumpfungsprozessen (Plöger/Kohlhaas-Weber 2013). In den meisten Fällen handelt es sich dabei um alte Industriestädte, die durch Deindustrialisierung in eine soziale, ökonomische, städtebauliche und finanzielle Krise geraten sind. Von Arbeitslosigkeit und sozialer Verarmung betroffen sind dabei besonders die Geringqualifizierten und Arbeiterschichten, da der postindustrielle Strukturwandel im Übergang in die Wissensgesellschaft mit höheren Anforderungen an das Qualifizierungsniveau verbunden ist. Die Forschungen zur „Reurbanisierung“ (Brake/Herfert 2011) zeigen, dass es einer Reihe von Großstädten in Europa und Deutschland tatsächlich gelungen ist, nach einer Phase der Schrumpfung und des Niedergangs eine neue Wachstumsphase der Bevölkerung und Wirtschaft zu erreichen. In Europa gelten Manchester, Liverpool und Sheffield in England, Bilbao in Spanien sowie Leipzig und Bremen in Deutschland als Beispiele für die sogenannten „Phönix-Städte“ (Power/Plöger/Winkler 2010).

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2. Zuwanderung: vom Problem zum Potenzial? Im Mittelpunkt des Beitrages stehen Zuwanderungsprozesse von neuer Wohnbevölkerung als Form der Regenerierung von Städten. Diese Schwerpunktsetzung hat folgende Gründe: – Zur Stabilisierung ihrer Bevölkerungszahlen sind Großstädte in Europa bei niedrigen Geburtenraten unter dem Reproduktionsniveau auf Zuwanderungen angewiesen. Ohne Zuwanderungen schrumpfen die Städte (Häußermann/Oswald 1997). – Viele Regenerierungspolitiken und strategische Projekte der Stadtentwicklung setzen auf die Zuwanderung von hochqualifizierten, akademisch gebildeten, „kreativen“ und sozial bessergestellten Gruppen wie z. B. Studierende, Akademiker, Young Urban Professionals oder Mittelschichtsfamilien und tragen damit zur Gentrifizierung bei (Porter/Shaw 2008; Tallon 2013). – Durch die aktuelle Flüchtlingskrise wird die Zuwanderung in die Städte durch eine große Zahl von Asylbewerbern und Geflüchteten aus Krisen- und Kriegsgebieten geprägt. Deren Unterbringung stellt viele Kommunen vor große Herausforderungen. Die Flüchtlingspolitik der EU und Deutschlands ist derzeit ein hochgradig kontroverses und politisiertes Thema. – Zuwanderungen, die zur Regenerierung der Städte beitragen, setzen eine Integration der Migranten in die Arbeits- und Wohnungsmärkte sowie eine Teilhabe an den Bildungs-, Kultur- und Politiksystemen voraus (Häußermann/Läpple/Siebel 2008). – In der Migrationsforschung wird vielfach ein Perspektivenwechsel auf Zuwanderung gefordert. Anstelle einer problemorientierten Sicht, welche nur die Probleme und Defizite der Integration von Ausländern und Migranten betont, wird eine potenzialorientierte Sicht gefordert, die Zuwanderung als Ressource der Stadtentwicklung betrachtet (Yildiz/Mattausch 2009; Nuissl/ Schmiz 2015).

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Potenziale der Zuwanderung für die Stadtentwicklung werden von der Migrationsforschung vor allem in folgenden Punkten gesehen: – Zuwanderungen tragen zur Verringerung der demografischen Alterung und des Bevölkerungsschwundes sowie zur Abdeckung des Fachkräftebedarfs der Wirtschaft bei (Gans 2014). – Die migrantische Ökonomie leistet einen Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen in den Städten durch einen hohen Anteil von Selbstständigen. Viele Unternehmensgründungen in Großstädten erfolgen durch Personen mit Migrationshintergrund (Hillmann 2011). – Durch kleingewerbliche Dienstleistungsgeschäfte verbessern Migranten die Nahversorgung in Städten und tragen so zur Belebung von oftmals sozial marginalisierten Stadtquartieren bei (Glick Schiller/Caglar 2013; Nuissl/Schmiz 2015). – Die durch internationale Zuwanderungen bedingte Vielfalt der Bevölkerung lässt sich im Standortwettbewerb von Großstädten nutzen, um mit dem Image einer weltoffenen Metropole zu werben (Yildiz/Mattausch 2009). Beispielsweise wirbt die Metropole Toronto mit dem Slogan „diversity our strength“ und der ethno-kulturellen Vielfalt von Migrantenvierteln (Ipsen/Weichler 2009). In der Zusammenschau von Regenerierungs- und Migrationsforschung besteht insbesondere ein Forschungsdefizit in der Frage, inwieweit der eingeforderte Perspektivenwechsel auf Zuwanderung vom Problem zur Ressource in der Praxis der Regenerierungspolitiken von Großstädten in Deutschland und Europa vollzogen wird. Dabei sind besonders die Großstädte zweiter Ordnung wenig erforscht, die nicht die Größe und die kosmopolitische Bevölkerung von internationalen Metropolen (wie z. B. London, Paris, Berlin, Amsterdam) aufweisen.

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3. Planungspolitiken in Städten Mit dem Ansatz der Planungspolitiken werden die Disziplinen der Planungs- und Politikforschung stärker miteinander verbunden (Haus/ Heinelt 2004). Planung als Teil der Stadtverwaltung wird dabei als politischer Prozess verstanden (Kühn 2017). Dabei wird die politisch-administrative Steuerung der Städte zunehmend durch Formen der Bürgerbeteiligung und der Partnerschaften mit Wirtschaftsunternehmen erweitert. Diese Kooperationsformen zwischen öffentlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren stehen im Mittelpunkt der Urban Governance-Forschung (Pierre 2011). Die Planungspolitiken von Großstädten stellen in der Regel kein kohärentes Handlungssystem dar, sondern werden durch verschiedene politische Programme und in verschiedenen administrativen Ressorts bearbeitet. Zur Bewältigung des Strukturwandels schrumpfender Städte haben sich vielerorts ressortübergreifende Ansätze der strategischen Stadtplanung etabliert, die langfristige Leitbilder und Visionen zur Entwicklung der Stadt mit kurzfristigen „Schlüsselprojekten“ kombinieren und neue Governance-Formen zwischen Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Bürgern entwickeln (Brake 2000; Kühn/Fischer 2010). Im Folgenden werden Stadtentwicklungs- und Zuwanderungspolitiken zunächst als eigene Handlungsfelder der Städte dargestellt und anschließend im Hinblick auf gemeinsame Schnittfelder analysiert.

3.1 Stadtentwicklungspolitiken: Wachstumskoalitionen Die Planungspolitiken zur Regenerierung von Städten in Europa zielen in vielen Fällen auf ein erneutes Wachstum von Bevölkerung und Wirtschaft, um Schrumpfungs- und Strukturkrisen zu bewältigen. Schrumpfung wird von der Planungspolitik der Städte – anders als von Teilen der Stadtforschung gefordert (Häußermann/Läpple/Siebel 2008; Bernt et al. 2013) – meist nicht als ein neues Entwicklungsparadigma akzeptiert. Stattdessen setzen insbesondere die Akteure aus der Stadtpolitik ihre Hoffnungen auf neue Wachstumsimpulse. Theoretische Grundlagen für die ausgeprägte Wachstumsorientierung der Stadtpolitiken liefern die US-amerikanische Urban Regime-Theorie,

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welche Großstädte als „growth machines“ (Mossberger/Stoker 2001) charakterisiert, und die europäische Urban Governance-Forschung, welche zur Beschreibung der Wachstumskoalitionen aus Politik und Wirtschaft den Typ der „Progrowth Governance“ (Pierre 2011) benennt.

3.2 Zuwanderungspolitiken: Integrationskonzepte Zuwanderung wird in den Städten bisher vor allem im Handlungsfeld der Integrationspolitik bearbeitet. Dies liegt vor allem daran, dass Städte keine eigene Einwanderungspolitik betreiben können, sondern von staatlichen Migrationsregimen abhängig sind (Häußermann/Oswald 1997). Auf dem Feld der Zuwanderungspolitik haben die Städte kaum kommunale Handlungsspielräume, da eine ausgeprägte Mehrebenen-Verflechtung zwischen EU, Bund, Ländern und Kommunen besteht (Häußermann/Läpple/Siebel 2008; Bommes 2009). Die kommunale Planungspolitik kann die Zuwanderung in die Städte nicht direkt steuern, sondern setzt bei den bereits Zugewanderten an und zielt auf deren Integration. Dabei geht es um die strukturelle Integration von Migranten in die Arbeits- und Wohnungsmärkte sowie in das Bildungssystem, die politisch-rechtliche Integration (Wahlen, Partizipation), die kulturelle Integration (Sprache, Werte, Einstellungen, Lebensstile) und die soziale Integration (Gesemann/Roth 2009). Durch den wachsenden Anteil internationaler Migranten in den Städten, die zunehmende Akzeptanz von Zuwanderung auf der Bundesebene und die Förderanreize des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ haben viele Städte in Deutschland inzwischen kommunale Integrationskonzepte entwickelt. Dadurch bildet sich eine kommunale Integrationspolitik als ressortübergreifende Querschnittsaufgabe heraus, welche einzelne Maßnahmen im Rahmen eines Gesamtkonzeptes bündelt (Gesemann/Roth 2009; Gestring 2014). Vorliegende Studien zu kommunalen Integrationskonzepten von deutschen Großstädten stellen einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel in den Programmatiken fest. Indem viele Leitbilder in diesen Konzepten eine „Stadt der Vielfalt“ propagieren, wird Migration nicht mehr als (Integrations-)Problem, sondern als zu nutzendes Potenzial

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der Städte dargestellt (Pütz/Rodatz 2013). Offen bleibt jedoch bisher, inwieweit diese Programmatiken auch in der Praxis umgesetzt werden. So weisen Studien zur Wohnungspolitik auf erhebliche Widersprüche und Ambivalenzen im Umgang mit Zuwanderung hin. Einerseits werben viele Großstädte heute mit „Vielfalt“ und bedienen sich dabei einer „Multikulti-Rhetorik“, andererseits wird die ethnische Segregation von Migrantenvierteln in den Städten als Zeichen der sozialen Desintegration wahrgenommen. Migrantenviertel werden teilweise als „Ghettos“ oder „Parallelgesellschaften“ stigmatisiert und durch eine Politik unter dem „Mantra der Mischung“ (Münch 2014) bekämpft.

3.3 Wachstums- und Integrationsregime in deutschen Städten Schließlich stellt sich die Frage, welche Verknüpfungen es zwischen den Handlungsfeldern der Regenerierungs- und Integrationspolitik von Städten gibt. Nach Häußermann ist die Praxis der Stadtpolitik in Deutschland durch ein „duales Regime“ aus Wachstums- und Integrationspolitiken (Häußermann 2006) gekennzeichnet. Das „Wachstumsregime“ besteht aus Wachstumskoalitionen aus Politik und Wirtschaft und zielt zur Bewältigung des Strukturwandels auf die Erschließung neuer Investitionen, auf Festivals, auf „Hightech“, den Zuzug hochqualifizierter Arbeitskräfte in den kreativen Dienstleistungsberufen und bevorzugt die Aufwertung der Innenstädte (ebda.). Demgegenüber besteht das „Integrationsregime“ aus Akteuren der Sozialverwaltung, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Bürgerinitiativen und der Stadtplanung. Diese vertreten die Interessen der sozial benachteiligten Stadtteile, die oft stigmatisiert und marginalisiert werden. Das Integrationsregime stützt sich vor allem auf Förderprogramme von EU, Bund und Ländern und sorgt dafür, dass die sozial benachteiligten Stadtteile nicht politisch abgehängt werden. Während das neoliberale Wachstumsregime nur die wettbewerbsfähigen Teile der Stadt entwickelt, arbeitet das Integrationsregime einer sozialen und räumlichen Exklusion entgegen (Häußermann 2006). Nach diesem Befund besteht also eine Arbeitsteilung zwischen beiden Regimen, die sich auch in verschiedenen stadträumlichen Handlungs-

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schwerpunkten zeigt. Gestring nimmt an, dass das Integrationsregime dem Wachstumsregime „systematisch untergeordnet“ und nur selektiv für ökonomische Effekte und das Stadtmarketing in Anspruch genommen wird (Gestring 2014, 232). Zur konzeptionellen Verknüpfung von Stadtentwicklungs- und Migrationspolitiken liegen bisher nur wenige Forschungsergebnisse vor. Berding untersucht in einer empirischen Studie, wie sich das Themenfeld „Migration“ in Stadtentwicklungskonzepten deutscher Großstädte niederschlägt, und zeigt den insgesamt nur relativ geringen Stellenwert von Migration in den Konzepten auf (Berding 2008). Auch wenn die Bevölkerungsentwicklung darin einen großen Raum einnimmt und Bevölkerungsrückgänge entsprechend problematisiert werden, ist eine aktive Zuwanderungspolitik bisher kein Thema in den Konzepten (ebda., 204).

4. Fallstudie Bremen Bremen und Bremerhaven bilden als Zwei-Städte-Staat ein Bundesland. Die folgende Fallstudie geht nicht auf das Land Bremen, sondern auf die Entwicklung der Stadtgemeinde Bremen ein. Mit heute etwa 550.000 Einwohnern ist Bremen die elftgrößte deutsche Stadt und etwa gleich groß wie Leipzig, welche den zehnten Platz innehat. Im 13. und 14. Jahrhundert erlebte Bremen als Handels- und Hansestadt eine erste Blütezeit. 1358 trat Bremen der Hanse bei. Zwischen 1405 und 1409 entstand das Bremer Rathaus, um den Marktplatz siedelten sich reiche Kaufleute an. 1646 wurde Bremen als freie Reichsstadt anerkannt und 1806 zum souveränen Freistaat erklärt. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dominierten Kaufleute, Reeder, Handwerker und Händler das Wirtschaftsleben der Stadt. Auf der Basis des Hafenhandels und der industriellen Verarbeitung der angelandeten Handelsgüter (u. a. Lebensmittel, Kaffee, Kohle und Stahl) stiegen mehrere Bremer Unternehmen zu Weltfirmen auf. Der für die Handelsstadt Bremen lebensnotwendige Anschluss zum Meer wurde durch die Versandung der Weser gefährdet. Daraufhin kam es 1827 zur Gründung von Bremerhaven als vorgelagertem Handelshafen. Außerdem wurde

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die Unterweser für große Überseeschiffe bis nach Bremen vertieft. In Bremen wurden der Frei-, Holz- und Fabrikhafen, der Überseehafen und der Getreidehafen ausgebaut (1885–1897). Durch die Intensivierung des Welthandels in den bremischen Häfen, die Gründung des Schiffbaubetriebs AG Weser, das lukrative Geschäft der Reederei Norddeutsche Lloyd mit der millionenfachen Auswanderung nach Übersee und den Bau des Hauptbahnhofs 1889 boomte Bremen in der Gründerzeit. Gleichzeitig siedelten sich viele Industriebetriebe an. Zu den bedeutendsten gehörten neben der Werft AG Weser (1872) ein Stahlwerk, mehrere Mühlen und Ölfabriken sowie die Kaffee-Handels-AG (Rohmeyer 2010).

Blumenthal

Burglesum

Blockland Häfen

Gröpelingen

Borgfeld Horn-Lehe

Seehausen Walle Strom 1. Woltmershausen 2. Östliche Vorstadt 3. Findorff

1. Huchting

3. Schwachhausen Mitte 2.

Neustadt Obervieland

Oberneuland Vahr Osterhotz

Hemelingen

Stadtteile der Stadt Bremen, Vorlage image-maps.de

Mit der Industrialisierung setzte in Bremen ein starkes Einwohnerwachstum ein. Im Jahr 1875 wurde Bremen mit 100.000 Einwohnern zum ersten Mal Großstadt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

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wuchs die Bevölkerung – bis auf die Zeit der beiden Weltkriege – kontinuierlich. In der Gründerzeit des späten 19. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre hinein entstanden in Bremen viele neue Stadtteile in verdichteter Reihenhausbauweise und Blockrandbebauung. Das „Bremer Haus“ zielte als sozialreformerisches Projekt auch auf die Wohneigentumsbildung der unteren Schichten. Die Stadt Bremen reagierte auf das Bevölkerungswachstum außerdem mit der Eingemeindung von Umlandgemeinden. 1939 lebten in Bremen bereits 431.000 Menschen. Im Zweiten Weltkrieg wurden 62 Prozent des Stadtgebietes und 90 Prozent der Häfen zerstört. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelten sich viele Flüchtlinge und Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten an. Mit dem Wiederaufbau erlebten die Häfen im Bremen in der Zeit des westdeutschen „Wirtschaftswunders“ eine neue Blütezeit. In den 1960er Jahren herrschte Vollbeschäftigung, viele Gastarbeiter wurden aus südeuropäischen Ländern und der Türkei angeworben. 1957 wurde mit dem Bau der Großwohnsiedlung Neue Vahr begonnen. 1969 erreichte die Einwohnerzahl der Stadt mit 607.000 ihren vorläufigen Höchststand. Im Jahr 1971 wurde die Universität Bremen eröffnet und bis 1977 entstand die Großwohnsiedlung Osterholz-Tenever – zwei Großprojekte des modernen Städtebaus am Stadtrand.

Die Krise der Hafenwirtschaft und Werftindustrie Als Hafen- und Handelsstadt war Bremen seit den 1970er Jahren von einer wirtschaftlichen Strukturkrise infolge der Globalisierung betroffen. Mit dem Bau des Container-Terminals in Bremerhaven verlagerte sich bereits in den 1970er Jahren ein großer Teil der Hafenwirtschaft an die Unterweser. Die Strukturkrise gipfelte in der Schließung von zwei großen Schiffbauunternehmen: der AG Weser im Jahr 1983 und der Bremer Vulkan AG im Jahr 1997. Die innerstädtischen Häfen verloren daraufhin – bis auf den Holz- und Fabrikhafen – ihre Funktion. Der Überseehafen wurde 1991 geschlossen und 1998 zugeschüttet; auf seiner Fläche wurde ein Großmarkt errichtet. Die Strukturkrise entstand in Bremen nicht nur durch die Schließung der Werften und die damit einhergehende Deindustrialisierung, sondern auch durch den rückläufigen Handels- und Verkehrssektor, der in der Nachkriegszeit in Bremen etwa ebenso viele Arbeitsplätze bereitgestellt hatte wie die

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Industrie (Statistisches Landesamt 2005). Beide Faktoren zusammen führten zur wirtschaftlichen Strukturschwäche und hohen Arbeitslosigkeit in Bremen, von der sich die Stadt bis heute nicht vollständig erholt hat. Zwar hat auch in Bremen seit den 1990er Jahren der Dienstleistungssektor den Industriesektor in seiner Bedeutung für die Wertschöpfung abgelöst, doch in der Entwicklung des Finanzbereichs und der unternehmensbezogenen Dienstleistungen bleibt der Strukturwandel von Bremen noch unter dem Bundesdurchschnitt zurück (ebda.). Die Stadt Bremen steht bis heute für den besonderen Typ von „Hafenstädten ohne Hafen“ in Europa, die sich durch den Strukturwandel neu erfinden müssen (Warsewa 2010, 386).

Gröpelingen um 1970, Nachbarschaft zur Schiffswerft

122

Demografische Entwicklung In den 1970er und 1980er Jahren ging die Bevölkerungszahl der Stadt Bremen stark zurück. Diese Einwohnerverluste entstanden einerseits durch arbeitsmarktbedingte Abwanderungen als Folge der Strukturkrise. Andererseits bildete auch die verstärkte Abwanderung von Familien in das Umland und die damit einhergehende Suburbanisierung in der „Zwischenstadt“ eine weitere Ursache für den Bevölkerungsrückgang der Stadt Bremen. In den 1990er und 2000er Jahren blieb die Zahl der Einwohner Bremens bei leichten Schwankungen insgesamt relativ stabil. Zwischen den Jahren 2012 und 2015 ist die Einwohnerzahl der Hansestadt wieder angestiegen. Im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten fällt dieser Einwohnerzuwachs jedoch unterdurchschnittlich aus. Im Jahr 2014 hat die Einwohnerzahl erst wieder den Stand von 1990 erreicht.

Tabelle 1: Einwohnerentwicklung der Stadt Bremen 1990 bis 2015 Jahr

1990

2000

2002

2004

2006

2008

2010

2012

2014 2015

551

539

542

545

547

547

547

546

551

557

-1.257 -1.259 -1.755 -1.563 -1.314 -1.263 -1.446 -1.411

-771

-969

Einwohner in 1.000 (gerundet) Natürliches Saldo Wanderungssaldo

8.149

332

3.792

2.635

2.374

848

1.092

3.514 3.392 6.244

Infosystem Bremen, eigene Zusammenstellung

Die Tabelle oben zeigt, dass das Bevölkerungswachstum Bremens ausschließlich auf einem positiven Wanderungssaldo basiert. Da das

123

natürliche Saldo durch Geburtendefizite negativ ist, wächst Bremen nur durch Zuwanderung. Es ergibt sich in der Summe ein kontinuierlich positives jährliches Wanderungssaldo, da im Zeitraum 2005 bis 2015 die Zahl der Zuzüge in allen Jahren die Zahl der Fortzüge übersteigt. Die Zuwanderungsgewinne tragen in Bremen zu einem absoluten Wachstum der Wohnbevölkerung seit 2012 um ca. 12.000 Menschen bei.

Zuwanderung Bremen weist seit der Nachkriegszeit eine für viele westdeutsche Großstädte typische Migrationsgeschichte auf. Im Hinblick auf Zuwanderung aus dem Ausland lassen sich in der Nachkriegsgeschichte von Bremen vier Phasen und Zuwanderergruppen unterscheiden (nach: Schwarzer 2012b; Stolle 2015): – 1945–1950: Als Folge des Zweiten Weltkriegs kamen etwa 38.000 Heimatvertriebene aus den ehemals deutschen Ostgebieten (Ostpreußen, Posen und Pommern) nach Bremen und siedelten sich an. – 1955–1973: In dieser Phase erfolgte die Anwerbung von Gastarbeitern durch die großen Werften (AG Weser, Bremer Vulkan AG, Rickmers-Werft) und die Fischindustrie. In der Zeit des „Wirtschaftswunders“ wurden auch gering qualifizierte Arbeitskräfte vor allem aus Italien, Griechenland, Spanien und der Türkei angeworben. Einschließlich des Familiennachzugs wanderten etwa 20.000 Gastarbeiter in die Stadt ein. – 1973–1989: Die dritte Phase der Einwanderung war zunächst durch einen Anwerbungsstopp auf Bundesebene als Folge der Ölkrise gekennzeichnet. Dennoch setzte sich die Zuwanderung nach Bremen auf niedrigerem Niveau fort, u. a. durch die Familienzusammenführung der Gastarbeiter. Daneben kamen auch Spätaussiedler aus Osteuropa. – 1990–2015: In der vierten Phase der Zuwanderung seit 1990 stieg nach dem Fall der innerdeutschen Grenze die Zahl der Aussiedler, aber auch der Asylbewerber und Flüchtlinge stark an. In den Jahren 1993 bis 2012 kamen etwa 13.600 Spätaussiedler als deutsche Staatsbürger nach Bremen. Seit 2011 steigt die Zahl der

124

Asylbewerber deutlich an. Diese Gruppen werden nach politischen Kriterien verteilt und ziehen nicht aufgrund von Bildungs-, Wohn- oder Arbeitsangeboten in die Stadt. Folgende Tabelle 2 zeigt, dass die Zahl der Zuzüge nach Bremen seit 2007 jährlich zunimmt. Die Wanderungsgewinne gehen zu etwa zwei Dritteln auf die Zuwanderung aus Deutschland (Binnenwanderung) und zu einem Drittel aus dem Ausland zurück. Im Zeitraum von 2005 bis 2015 stagniert die Zahl der Zuwanderungen aus Deutschland. Demgegenüber hat im gleichen Zeitraum die Zuwanderung aus dem Ausland deutlich zugenommen, die Zahl der zugewanderten Ausländer hat sich verdoppelt. Etwa die Hälfte der internationalen Migranten kommt aus der EU. In den letzten Jahren kommen die meisten Zuwanderer aus Polen, Bulgarien und Spanien.

Tabelle 2: Zuzüge nach Bremen 2005 bis 2014

Zuzüge (absolut)

2005

2007

2009

2011

2013

2014

24.136

23.777

26.741

27.587

29.266

30.062

18.301

17.942

19.924

19.329

19.556

18.487

Ausland

5.468

5.835

6.817

8.258

9.710

11.575

davon aus der EU

2.512

3.114

3.357

3.979

5.336

5.910

3.307

3.188

2.211

2.801

3.610

5.060

Insgesamt davon aus Deutschland davon aus dem

Asylbewerber und Flüchtlinge

Infosystem Bremen, eigene Zusammenstellung

125

Der Zuwachs von Migranten aus dem Ausland innerhalb des letzten Jahrzehnts verstärkt die internationale Vielfalt der Bremer Bevölkerung. 1961 lag der Ausländeranteil in Bremen noch bei einem Prozent, heute beträgt der Anteil der ausländischen Bevölkerung 13 Prozent (Bundesdurchschnitt: 7,7 Prozent). Der Anteil der Einwohner mit Migrationshintergrund – d.h. Migranten aus dem Ausland der ersten und zweiten Generation – liegt bei 30 Prozent und ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen (Senatorin für Soziales 2015, 85). Die arbeitsmarktbedingte Zuwanderung nach Bremen ist im Zeitraum 2005 bis 2014 gewachsen. Dies spiegelt die Zunahme der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Bremen wider (vgl. die Tabelle S. 128), die dem positiven Bundestrend folgt, jedoch in Bremen unterdurchschnittlich ausfällt (Senatorin für Soziales 2015, 88). Die Zuziehenden in der arbeitenden Altersgruppe kommen zu zwei Dritteln aus Deutschland, zu einem Drittel aus dem Ausland. Die Zahl der ausbildungsbedingten Zuwanderung der 18- bis 25-Jährigen stagniert seit 2011. Während in den letzten Jahren etwas mehr Auszubildende und Studierende aus dem Ausland kommen, geht die Binnenmigration junger Menschen aus Deutschland nach Bremen zurück. Bei den 25- bis 30-jährigen Berufsanfängern ist dagegen eine leicht wachsende Zuwanderung aus dem In- und Ausland zu erkennen. Tabelle 3 auf Seite 126 zeigt, dass die Stadt Bremen die größten Wanderungsüberschüsse in den Altersgruppen der 18- bis 25-Jährigen sowie der unter 18-Jährigen aufweist. Die negative Wanderungsbilanz, die in der Altersgruppe der 25- bis 30-Jährigen zeitweise vorhanden war, hat sich in den letzten Jahren ausgeglichen und weist sogar wieder deutliche Wanderungsgewinne auf. Auch in der Gruppe der 30- bis 50-Jährigen gelingt es der Stadt Bremen wieder besser, die Menschen im Erwerbsalter in der Stadt zu halten.

126

Tabelle 3: Wanderungssalden nach Altersgruppen in Bremen

Wanderungsbilanz

2005

2008

2011

2014

2015

-54

-182

212

679

2.661

18-25-Jährige

3.115

2.801

2.648

2.631

2.930

25-30-Jährige

511

-261

-4

304

455

30-50-Jährige

-583

-1.137

-217

-74

397

50-65-Jährige

-151

-62

162

135

87

Über 65-Jährige

-377

-311

-235

-283

-286

Unter 18-Jährige

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Bildung, Hochschulen und Studierende Die Stadt Bremen ist Sitz einer Vielzahl von Universitäten, Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Insgesamt leben heute etwa 35.000 Studierende in der Stadt. Die größte akademische Einrichtung ist die Universität Bremen mit derzeit ca. 18.900 Studierenden (Statistisches Landesamt 2016). Sie ist seit 2012 als eine der elf ersten Exzellenzuniversitäten in Deutschland anerkannt. Seit den 1990er Jahren wurde die Universität Bremen zu einer naturwissenschaftlich-technologisch geprägten Hochschule umstrukturiert. Der Universitätscampus mit einem Gebäudebestand aus den 1970er Jahren liegt am Stadtrand. Auf dem Gelände befindet sich auch der Bremer Technologiepark, der dem Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft dienen soll. Mit mehreren Tausend Beschäftigten ist dies einer der größten Technologieparks in Deutschland. Daneben gibt es die Hochschule Bremen (8.800 Studierende), die private Jacobs

127

University Bremen gGmbH (1.100 Studierende), die Hochschule für Künste (860 Studierende), die Hochschule für Öffentliche Verwaltung (400 Studierende) sowie zwei kleine private Fachhochschulen. Außerdem haben einige außeruniversitäre Forschungseinrichtungen mit maritimen Forschungsschwerpunkten ihren Sitz in Bremen. Diese akademischen Einrichtungen ziehen junge und qualifizierte Menschen aus Deutschland und dem Ausland an (vgl. folgende Tabelle).

Tabelle 4: Studierende in der Stadt Bremen (ohne Hochschule Bremerhaven)

Wintersemester

2004/5 2006/7 2008/9 2010/11 2012/13

2013/14

2015/16

Zahl der Studierenden

32.283

27.850

27.857

27.747

31.291

31.380

33.103

k.A.

5.150

4.751

4.460

4.521

k.A.

5.130

davon Ausländer/-innen

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Beschäftigung, Qualifikation und Arbeitslosigkeit Bremen ist seit dem Niedergang des Hafens und der Werftindustrie durch eine wirtschaftliche Strukturschwäche und strukturell hohe Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Deindustrialisierung und rückläufiger Welthandel haben große Teile der früheren Arbeiterschaft, besonders die gering qualifizierten Arbeitskräfte, in die Arbeitslosigkeit geführt. Diese liegt in Bremen dauerhaft über dem Bundesdurchschnitt und dem Durchschnitt vergleichbar großer Städte. Es besteht ein hoher Sockel verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit, der bei 44 Prozent liegt (Senatorin für Soziales 2015, 94). Die Arbeitslosenquote liegt dabei bei Ausländern – d. h. Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit – mehr als doppelt so hoch wie bei Deutschen (Schwarzer 2012b, 78).

128

Folgende Tabelle 5 zeigt, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten am Arbeitsort in der Stadtgemeinde Bremen in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gewachsen ist. Von den mehr als 260.000 Beschäftigten in Bremen pendeln über 110.000 Arbeitnehmer täglich aus Niedersachsen und den anderen Bundesländern in die Stadt (Statistisches Landesamt 2016, 22).

Tabelle 5: Entwicklung der SV-Beschäftigung und Arbeitslosigkeit in der Stadt Bremen

2005

2007

2009

2011

2013

2014

2015

SV-Beschäftigte am Arbeitsort

227.983 234.340 236.878 244.130 249.968 256.173 260.385

davon Ausländer/ innen Arbeitslosenquote

13.560

14.693

15.112

16.745

18.170

19.373

22.002

15,4

11,5

11,1

10,6

10,4

10,1

10,1

k.A.

k.A.

22,9

23,3

22,7

22,4

24,0

davon Ausländer/ innen

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Ein Indikator für den Strukturwandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft ist der Anteil der hochqualifizierten Beschäftigten mit einem Hochschulabschluss. Der Arbeitsmarkt in der Wissensgesellschaft ist zunehmend gespalten in eine starke Nachfrage nach hoch qualifizierten Arbeitskräften, während die Nachfrage nach gering qualifizierten Arbeitskräften stagniert. Die folgende Tabelle 6 zeigt den Anteil der Hochqualifizierten im Vergleich zwischen Bremen (Land) und Leipzig. Es wird deutlich, dass im Zeitraum von 2005 bis 2014 in

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beiden Städten das Qualifikationsniveau der Beschäftigten steigt. Allerdings liegt das Qualifikationsniveau von Bremen weit unter dem von Leipzig. Dies zeigt, dass die Hafenstädte Bremen und Bremerhaven den postindustriellen Strukturwandel bis heute weniger bewältigt haben als Leipzig und dass im Ausbau des Dienstleistungsbereichs nach wie vor Beschäftigungsdefizite bestehen. Eine weitere Erklärung für das geringere Qualifikationsniveau Bremens ist der höhere Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Beinahe die Hälfte aller Erwerbsfähigen mit Migrationshintergrund in Bremen hat keinen anerkannten Berufsabschluss (Schwarzer 2012b, 80). Das vergleichsweise geringe Qualifikationsniveau der Arbeitnehmer in Bremen hat auch eine sozialpolitische Bedeutung. Denn bei den gering qualifizierten Arbeitskräften besteht ein deutlich höheres Armutsrisiko (Senatorin für Soziales 2015, 142). Dies wiederum belastet die Finanzen der Stadt, weil soziale Transferleistungen wahrscheinlicher werden.

Tabelle 6: Anteil Hochqualifizierter am Arbeitsort

Anteil Hochqualifizierter am

2005

2007

2009

2011

2013

2014

6,9

7,8

9,0

9,5

10,8

12,1

16,7

18,3

19,1

19,3

19,9

19,2

Arbeitsort in % Bremen (Land) Leipzig

Infosystem Bremen, Statistische Jahrbücher Stadt Leipzig, eigene Zusammenstellung

Stadtentwicklungspolitiken in Bremen Im Folgenden werden die Stadtentwicklungspolitiken der Stadt Bremen im Hinblick auf die Regenerierungsziele nach der Strukturkrise beschrieben. Für die Stadtentwicklungspolitik ist in Bremen das

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Senatsressort für Umwelt, Bau und Verkehr zuständig, für die Integrationspolitik das Senatsressort für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport. Da der Bremer Oberbürgermeister keine Weisungsbefugnisse gegenüber den Ressorts hat und die Senatoren direkt gewählt werden, können die einzelnen Ressorts in der Bremer Stadtpolitik relativ stark autonom handeln. Ressortübergreifende Ansätze der integrierten Stadtentwicklung werden insbesondere in der Senatskanzlei entwickelt. In parteipolitischer Hinsicht ist Bremen seit der Nachkriegszeit kontinuierlich durch sozialdemokratische Mehrheiten geprägt, die SPD regierte teilweise in Koalitionen mit FDP und CDU. Seit 2007 wird Bremen durch eine rot-grüne Koalition regiert. Für die vorliegende Studie wurden planungspolitische Dokumente, Konzepte und Prozesse der Stadtentwicklung im Zeitraum von 2009 bis 2016 ausgewertet. Außerdem wurden acht Experteninterviews durchgeführt, transkribiert und ausgewertet. Das Land Bremen ist aufgrund seiner hohen Verschuldung und Haushaltsnotlage eines der finanzschwächsten Bundesländer. Bremen hat die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller deutschen Bundesländer: Aktuell kommen auf jeden Einwohner über 30.000 € Schulden (Statistisches Landesamt 2016). Die Verschuldung ist zum Teil durch den Status als Stadtstaat und die hohe Zahl von Einpendlern aus Niedersachsen zu erklären, die in Bremen keine Steuern zahlen. Die Strategien zur demografischen, städtebaulichen und sozioökonomischen Erneuerung beziehen sich in Bremen im Kern auf den Strukturwandel von der Hafen- und Industriestadt zu einer dienstleistungs- und wissensbasierten Stadt. Der sozioökonomische Strukturwandel spiegelt sich in städtebaulichen Projekten wie dem Technologiepark Universität, der Airport-Stadt, dem Science Center Bremen-Nord und der Überseestadt wider. Als neue Wachstumsbranchen gelten in Bremen die Luftund Raumfahrt, Umwelt- und Energietechnik, Automobilbau, Handel, Nahrungs- und Genussmittel, Tourismus sowie unternehmensbezogene Dienstleistungen.

131

Bremen 2020: Das Leitbild der Stadtentwicklung Das wichtigste programmatische Instrument zur Steuerung der Stadtentwicklung stellt das Leitbild „Bremen 2020“ dar. In den Jahren 2008 bis 2009 wurde es auf der Grundlage eines öffentlichen Bürgerbeteiligungsprozesses ressortübergreifend erarbeitet. Das Leitbild mit dem Titel: „Bremen 2020: lebenswert – urban – vernetzt“ benennt in verschiedenen Bereichen Ziele und Handlungsfelder, die bis zum Jahr 2020 erreicht und umgesetzt werden sollen (Senator für Umwelt 2009). Beschlossen wurde es vom Senat als gemeinsamer Orientierungsrahmen. Das Leitbild geht im Kapitel zum demografischen Wandel noch von einer „stabilen“ Einwohnerentwicklung bis 2020 aus (ebda., 20) und geht in diesem Zusammenhang auch explizit auf die Zuwanderung ein. Unter der Überschrift „Zuwanderung als Herausforderung und Chance“ heißt es: „Die Bremer Bevölkerung wächst, weil es Wanderungsgewinne aus den übrigen Teilen Deutschlands und dem Ausland gibt. Ohne die Ankunft von Fremden würde die Stadtbevölkerung schrumpfen. (…) Die Zuwanderung bedeutet eine große Chance für urbane Attraktivität, kulturelle und wirtschaftliche Prosperität. Sie ist von der ständigen Herausforderung begleitet, bleibende Fremde zu integrieren. Dazu gehören eine positive Einstellung zur Zuwanderung, dazu gehören aber auch fördernde Maßnahmen, wie sie im Integrationskonzept des Senats beschrieben sind.“ (ebda., 21). Weiter heißt es im Leitbild, dass Bremen in der globalen Wissensgesellschaft verstärkt auf die Zuwanderung von jungen und hoch qualifizierten Fach- und Führungskräften angewiesen ist. Durch Universitäten, Forschungseinrichtungen und den Transfer in die Wirtschaft soll Bremen „im Wettbewerb der Städte um junge, qualifizierte Menschen“ erfolgreich bestehen (ebda., 30). In diesem Zusammenhang werden städtebauliche Projekte wie der Technologiepark Universität, der Science Park, die Airport-Stadt und Überseestadt genannt. Im Weiteren wird auf das Projekt Überseestadt eingegangen, da es das größte und bedeutendste Projekt der Stadtentwicklung in Bremen in den letzten Jahrzehnten ist und zugleich in räumlicher Nachbarschaft mit dem Viertel Gröpelingen liegt, das besonders durch einen hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund geprägt ist.

132

Das Projekt Überseestadt Die Überseestadt ist ein städtebauliches Großprojekt zur Revitalisierung der brachgefallenen Hafengebiete in Bremen (Rohmeyer 2010). Aus den industriell genutzten Flächen der ehemaligen Überseehäfen soll ein neuer Stadtteil entstehen, der dreimal so groß ist wie die Bremer Innenstadt. Es handelt sich um eines der flächengrößten Städtebauprojekte in Europa. Mit einer Fläche von 288 Hektar und einer Länge von 3,5 Kilometern ist es größer als die Docklands in London und die Hafencity in Hamburg. Das langfristig angelegte Projekt wurde bereits Ende der 1990er Jahre initiiert und soll bis 2025 realisiert werden.

Modell der Überseestadt

Planerische Grundlage bildet die „Entwicklungskonzeption zur Umstrukturierung der Alten Hafenreviere in Bremen“, die vom Senat im Jahr 2000 beschlossen wurde. Als städtebauliche Konkretisierung wurde im Jahr 2003 der „Masterplan Überseestadt Bremen“ vorgelegt. Als wesentliche Entwicklungsziele wurden die Erhaltung bestehender Arbeitsplätze und die Schaffung von ca. 10.000 neuen Arbeitsplätzen durch den Wandel zu einem modernen Dienstleistungs- und Gewerbestandort definiert (Rohmeyer 2010). Entwicklungsträger ist die Überseestadt GmbH, eine Tochter der Bremer Investitions-Gesellschaft. In dem Projekt bestand von Anfang an eine klare Aufgabentei-

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lung zwischen öffentlichen und privaten Akteuren: Die öffentliche Hand finanziert über ein Sondervermögen die Erschließung des Gebietes und die Gestaltung des öffentlichen Raumes, während Umbau, Neubau und Vermarktung der Gebäude durch private Investoren erfolgen (Lutzky/Russ 2005). Der Senat hat den auf dem Gebiet bereits ansässigen gewerblich-industriellen Unternehmen (u. a. Kelloggs, Roland-Mühle) von Anfang an einen Bestandsschutz garantiert, sie werden deshalb in die neue Überseestadt integriert. Im Jahr 2016 beschloss der Kellogs-Konzern allerdings kurzfristig, seinen Standort in der Bremer Überseestadt im Jahr 2017 aufzugeben. Insgesamt entsteht in der Überseestadt nicht nur eine Mischung von alten und neuen Gebäuden, sondern es wird auch eine Nutzungsmischung zwischen Gewerbe, Freizeitgestaltung, Kultur und Wohnen angestrebt. Die ehemaligen Speicher sowie umgebauten Lagergebäude werden für Büros und Dienstleistungen genutzt. In den sanierten Speicher XI sind u. a. das Hafenmuseum, die Speicherbühne sowie die Hochschule für Künste Bremen mit den Fachbereichen Freie Kunst und Design eingezogen.

Speicher XI mit Hafenmuseum und Hochschule für Künste Bremen

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Zu Beginn des Projektes Überseestadt stand die wirtschaftliche Restrukturierung der Hafengebiete im Vordergrund, deshalb wird das Projekt bis heute durch das Wirtschaftsressort (Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen) gesteuert. Die Funktion des Wohnens hat in der Überseestadt erst im Laufe der Projektentwicklung an Bedeutung gewonnen, da anfangs Konflikte durch Immissionen aus den bestehenden Gewerbebetrieben befürchtet wurden (Rohmeyer 2010, 64). Der Masterplan sah neue Wohnquartiere zunächst nur auf fünf Prozent des Gebiets vor. Attraktive Wohnstandorte entstehen heute vor allem durch die Wasserlage an den alten Hafenbecken. Die Überseestadt ist damit ein Projekt der Vermarktung hochwertiger Wasserlagen (water front development). Als hochwertigste Wohnlage wurde die „Hafenkante“ entlang des Europahafens durch eine Investorengemeinschaft planerisch entwickelt und realisiert. Der Europahafen soll sich zu einer maritimen Meile mit einer Promenade und einer Marina entwickeln. Die „Hafenkante“ ist neben der Ansiedlung von Dienstleistungsunternehmen und Büros auch durch teure Miet- und Eigentumswohnungen gekennzeichnet.

Die Hafenkante in der Überseestadt

Die Zielgruppen der Bewohner des Projekts Hafenkante richteten sich zunächst an Junge Urbane und Best Ager, indem eine Kombination

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von Wohnen und Arbeiten in Lofts angeboten wurde. Eine Studie zur Überseestadt aus dem Jahr 2010 hat gezeigt, dass damit eine Zuwanderung nach Bremen von außen nur sehr begrenzt erreicht werden konnte, wohingegen die Mieter und Käufer der neuen Wohnungen zu zwei Dritteln bereits in Bremen ansässig waren (Rohmeyer 2010, 92). In den letzten Jahren wurden in der zweiten Reihe auch Wohnungen im mittleren Preissegment für Familien errichtet. Die Wohnungsbaugesellschaft wurde vom Senat durch einen Beschluss im Jahr 2012 verpflichtet, 25 Prozent der Wohnungen im sozialen Wohnungsbau anzubieten. Die Marcuskaje in der Überseestadt ist das erste Projekt, das danach verwirklicht wurde. Die Zahl der geplanten Bewohner in der Überseestadt soll von insgesamt ca. 3.500 auf ca. 7.000 steigen.

Die „Wachsende Stadt“ als politisches Ziel War im Leitbild der Stadtentwicklung noch von einer „Stabilität der Einwohnerzahl“ (Senator für Umwelt 2009, 3) die Rede, so ist seit 2015 in Bremen die wachsende Stadt wieder ein politisches Ziel. Im Koalitionsvertrag von 2015 der rot-grünen Regierung heißt es: „Bremen ist eine wachsende Stadt im Zentrum der Metropolregion Nordwest. Wir wollen, dass Bremen zukünftig auf dem Niveau vergleichbarer Großstädte weiterwächst“ (Koalitionsvertrag SPD/BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN 2015). Der Senat hat die Ressorts gebeten, Ziele und Indikatoren für eine Gesamtstrategie „Wachsende Stadt“ zu entwickeln. Da sich die staatliche Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern an den Einwohnerzahlen orientiert, hält der Bremer Senat zur Konsolidierung der Finanzen ein Bevölkerungswachstum für erforderlich. In einem Beschluss für die Haushalte 2016 und 2017 wird die „Gewinnung neuer Einwohner und die Verhinderung von (Umland-)Abwanderungen in beiden bremischen Städten“ gefordert (Senatorin für Finanzen 2015, 33). Damit verfolgt auch die rot-grüne Stadtregierung eine Wachstumspolitik. Das politische Ziel der „wachsenden Stadt“ wird vor allem durch die Wohnungsbaustrategie der Senatsverwaltung unterstützt, die einen jährlichen Neubau von 1.400 Wohneinheiten vorsieht (Senator für Umwelt 2010). Grundlage dafür war ein Gutachten, das als eine Zielgruppe für neue Bewohner in Bremen die Rückkehrer aus den Um-

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landgemeinden im benachbarten Bundesland Niedersachsen setzt. Eine wesentliche Zielgruppe der Bremer Stadtpolitik für die Zuwanderung stellen damit die Familien und Pendler aus dem niedersächsischen Umland dar. Indem die Stadt Bremen verstärkt Wohnungen anbietet, soll eine weitere Suburbanisierung verhindert werden. Die Bremer Wohnungsbaustrategie war demnach zunächst stark auf regionale und nationale Zuwanderer ausgerichtet, weniger auf internationale Migranten. Dies änderte sich mit der Flüchtlingskrise. Um dem gestiegenen Wohnraumbedarf durch die Flüchtlinge gerecht zu werden, hat der Senat beschlossen, das jährliche Ausbauziel von 1.400 Wohneinheiten für die Jahre 2016 und 2017 nochmals um 1.000 Wohneinheiten zu steigern.

Umgang mit internationaler Migration: Integrationspolitiken Wie in vielen Großstädten Deutschlands üblich, wird in Bremen die internationale Migration im Handlungsfeld der Integrationspolitik adressiert. Dabei geht es nicht um die Anwerbung von Migranten, sondern um deren nachholende Integration. Hierfür zuständig ist in Bremen das Referat für Integrationspolitik bei der Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport (im Folgenden kurz: Sozialressort). Mit dem Regierungsantritt des Bremer Senats ist ein Teil der Zuständigkeit in die Senatskanzlei gewechselt. Die Stabstelle „Regionale Kooperation und ressortübergreifende Steuerung“ ist nun für die Koordinierung der Flüchtlingspolitik zuständig. Integration ist damit auch zur Chefsache geworden. Insgesamt lässt sich in der Bremer Stadtpolitik eine hohe Offenheit für Migrantinnen und Migranten erkennen. Ein Indiz hierfür ist, dass die Bremer Bürgerschaft den höchsten Anteil von Abgeordneten mit Migrationshintergrund in allen Bundesländern aufweist (Schwarzer 2012c, 124).

Integrationskonzepte Bereits im Jahr 2000 wurde das erste und im Jahr 2003 das zweite Integrationskonzept erarbeitet. Damals war Bremen ein Vorreiter in Deutschland. Das dritte Integrationskonzept wurde parallel zum Nati-

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onalen Integrationsplan entwickelt und im Jahr 2008 verabschiedet. Nach der Landtagswahl im Jahr 2011 wurde von der rot-grünen Landesregierung das neue Amt einer „Staatsrätin für Integration“ geschaffen, außerdem wurde der ehrenamtlich tätige „Bremer Rat für Integration“ mit einer Geschäftsstelle aufgewertet. Da die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge in der Stadt seit 2013 deutlich angestiegen ist, wurden in den Jahren 2013 und 2014 Gesamtkonzepte für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen erstellt. Die Zuwanderung von Flüchtlingen wird darin als Teil der Gesamtzuwanderung betrachtet, durch die Bremen wächst (Senatorin für Soziales 2014, 5). Damit werden konzeptionelle Verbindungen zwischen den Stadtentwicklungs- und Migrationspolitiken hergestellt. Unklar bleibt allerdings, wie sich der unsichere Aufenthaltsstatus vieler Geflüchteter auf die längerfristige Entwicklung der Einwohnerzahlen auswirken wird. Um eine möglichst schnelle Integration der Flüchtlinge in den bremischen Wohnungsmarkt zu erreichen, wurde 2013 die Wohnpflicht für Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften aufgehoben. Ziel der Politik war es, nach dem dreimonatigen Aufenthalt in einem Übergangswohnheim den Flüchtlingen nach Möglichkeit eigene Wohnungen anzubieten. Die Zahl der in Wohnungen vermittelten Flüchtlinge hat in den Jahren 2014 und 2015 deutlich zugenommen (Stolle 2015, 88). Außerdem hat der Bremer Senat einzelne Erleichterungen für Flüchtlinge wie die Aufhebung der Residenzpflicht und die Einführung einer Gesundheitskarte beschlossen.

Mobiles Übergangswohnheim für Flüchtlinge, Überseetor

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Zuwanderung von Flüchtlingen Im Jahr 2016 hat der Senat aufgrund der starken Zuwanderung von Flüchtlingen im Zuge der europäischen Migrationskrise das vierte Integrationskonzept beschlossen (Senatskanzlei 2016). Das Konzept ging davon aus, dass in den Jahren 2016 und 2017 die Nettozuwanderung in die Stadtgemeinde Bremen etwa 20.000 Flüchtlinge betragen werde. Im Vorwort des Konzepts wird die Zuwanderung von Flüchtlingen mit dem Ziel der wachsenden Stadt verbunden: „Zuwanderung ist auch als große Chance für Bremen zu werten: Bremen wächst und wird weiter spürbar wachsen. Die vom Senat verfolgte Strategie von Bremen als wachsender Stadt wird in den nächsten Jahren in ganz besonderer Weise durch die Entwicklung der Flüchtlingszahlen unterstützt“ (Senatskanzlei 2016, 1). Im Integrationskonzept wird auch auf die finanziellen Vorteile für Bremen als Bundesland in Haushaltsnotlage hingewiesen: Eine Erhöhung der Einwohnerzahlen durch Flüchtlinge führe durch den bundesstaatlichen Finanzausgleich im Land Bremen zu Einnahmesteigerungen (ebda., 9). Zur Unterbringung der Flüchtlinge wurden Übergangswohnheime zum Teil als Containersiedlungen errichtet. Eine provisorische Notlösung stellte auch der Bau von mehreren Zeltlagern im Jahr 2015 dar. Das Konzept stellt fest, dass die Zuwanderung von Flüchtlingen vor allem in Quartieren mit preiswertem Wohnraum stattfindet (ebda., 8). Als Maßnahme, um den durch die Zuwanderung ausgelösten zusätzlichen Bedarf an Wohnraum zu decken, enthält das Integrationskonzept die Forderung nach einem Sofortprogramm zum Wohnungsbau „im preislimitierten Segment“ (ebda., 27). Im Dezember 2015 hat der Senat ein solches Sofortprogramm beschlossen. In der Beschlussfassung heißt es: „Der Senat verfolgt eine Strategie der wachsenden Stadt. In den nächsten Jahren wird das Wachstum in ganz besonderem Maß durch Zuwanderung geprägt sein. (...) Um die durch die Zuwanderung ausgelöste erhebliche zusätzliche Nachfrage an Wohnraum zu decken, werden in einem zusätzlichen Sofortprogramm die Voraussetzungen zur Errichtung von weiteren mindestens 5.500 Wohneinheiten geschaffen“ (Senator für Umwelt 2015). Neben der Errichtung von 2.000 zusätzlichen Wohneinheiten sieht der Beschluss die Errichtung von 3.500 Plätzen in kurzfristig zu errichtenden Wohnmodulbauten vor.

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Stadträumliche Schwerpunkte des Wohnungsbaus sollen die Überseestadt und Bremen-Nord bilden. Erste Bauprojekte hierfür sind derzeit angelaufen.

Verbindung von Stadtentwicklungs- und Migrationspolitiken Welche strategischen Verknüpfungen gibt es in Bremen zwischen der Stadtentwicklungs- und der Migrationspolitik? Aufgrund unserer Analysen lassen sich vor allem drei Punkte benennen. Wachstumspolitik durch Zuwanderung von Flüchtlingen Das Leitbild der Stadtentwicklung von 2009 betont die Chancen der Zuwanderung für die urbane Attraktivität sowie die kulturell und wirtschaftliche Prosperität für die Stadt. In den Texten des Leitbildes wird allerdings deutlich, dass Bremen vor allem „im Wettbewerb der Städte um junge, qualifizierte Menschen“ erfolgreich sein will. Das Leitbild beschreibt gleichzeitig die Herausforderung, bleibende Fremde zu integrieren. Dies erfordere eine „positive Einstellung zur Zuwanderung“. Diese positive Einstellung in der Stadtpolitik lässt sich auch gegenüber der Migrantengruppe der Flüchtlinge und Asylbewerber erkennen – trotz aller Probleme und Lasten, die deren Unterbringung und Versorgung mit sich bringt. Durch den besonderen Status von Bremen als Bundesland (mit Bremerhaven) wird der Zuzug von Flüchtlingen als fiskalpolitische Chance betrachtet, um die Haushaltslage zu verbessern. Das durch die Senatskanzlei erarbeitete Integrationskonzept von 2016 stellt einen direkten Bezug zum politischen Ziel der wachsenden Stadt her. Das Integrationskonzept wurde im Senat ressortübergreifend beschlossen, was die Relevanz des Themas in allen Fachressorts zeigt. Flüchtlinge gelten in Bremen nicht zuletzt deshalb als willkommen, da über das Einwohnerwachstum die Haushaltslage der Stadt verbessert werden kann. Neben den humanitären Motiven ist dadurch auch ein instrumenteller Umgang mit Flüchtlingen erkennbar. Der Bremer Westen: Konzepte gegen soziale Ungleichheiten Für den Bremer Westen mit den Stadtteilen Gröpelingen und Walle (zu der die Überseestadt administrativ gehört) wurden seit 2012 verschiedene Planungskonzepte erarbeitet, deren Ziel es ist, soziale Ungleich-

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heiten abzubauen. Der Bremer Westen wurde von der Stadtpolitik ausgewählt, weil er ein „von sozialer Ungleichheit besonders betroffener Teilraum“ (Leitbild AG 2012) in Bremen ist. In einem Handlungskonzept der Leitbild-Arbeitsgruppe wird der Bremer Westen als „Stadtraum im Umbruch“ beschrieben (Leitbild AG 2012, 11). In einem Beschluss wurde das Ziel formuliert, „die Stadtteile des Bremer Westens sowie der Gesamtstadt nicht auseinanderdriften zu lassen“ (Senator für Umwelt/Senatorin für Bildung 2014). Während die Überseestadt als „ein insgesamt herausragendes Projekt der Bremischen Wirtschaftsund Stadtentwicklungspolitik“ beschrieben wird, gilt Gröpelingen als Stadtteil mit hoher Arbeitslosigkeit, Armut und einem Migrantenanteil, der sich „von der allgemeinen Entwicklung der Stadt deutlich abkoppelt“ (ebda., 6). Als zentrales Problem werden in diesem Konzept die divergierenden Dynamiken zwischen Überseestadt und Gröpelingen beschrieben, die durch ein „dichtes Nebeneinander von Problemzonen und Entwicklungsräumen“ geprägt seien. Das Konzept wurde zwei Jahre später durch ein projektorientiertes Handlungsprogramm für den Bremer Westen (Senator für Umwelt/Senatorin für Bildung 2014) konkretisiert. Als Ziel soll ein Perspektivenwechsel auf die sozialen Problemgebiete erreicht werden (ebda., 17). Dazu sollte eine „Stadtentwicklungsagentur West“ befristet eingerichtet werden. Das Projekt wurde von den Ressorts Bauen und Bildung gemeinsam getragen und als ein Ansatz zur „integrierten Stadtentwicklung“ verstanden, mit dem das Leitbild „Bremen 2020“ in einem Teilraum der Stadt umgesetzt wird. Allerdings wurden das ambitionierte Handlungskonzept und das Handlungsprogramm für den Bremer Westen im Jahr 2015 wieder eingestellt. Als Begründung für die Einstellung der Konzepte werden von einem Interviewpartner die Finanznot der Stadt sowie der mehrfache Wechsel in der Leitung der Stadtbaudirektion genannt. Ankunftsquartiere für Migranten Ein Ziel der Stadtentwicklungspolitik in Bremen ist es, die soziale Segregation zwischen armen und reichen Quartieren zugunsten einer sozialen Mischung abzubauen und die ethnische Segregation nicht weiter zu verschärfen. Die Herausbildung von Ankunftsquartieren, in denen sich Menschen mit Migrationshintergrund konzentrieren, wird in Bremen von politischer Seite nicht unterstützt, da sich in diesen Gebieten zugleich soziale Problemlagen wie Armut, Arbeitslosigkeit und

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Bildungsferne überlagern. Während die Großwohnsiedlung Tenever als erfolgreiches Beispiel für die soziale Stabilisierung und soziale Mischung eines Migrantenquartiers gilt, ist Gröpelingen in Bremen als ein Armutsquartier stigmatisiert, in dem viele Migranten mit Integrationsproblemen leben. Da Zuwanderer aus dem Ausland hier relativ preisgünstigen Wohnraum finden und herkunftsspezifische Netzwerke existieren, verstärkt sich der Migrationsanteil in der Bevölkerung. Da sich in diesem Stadtteil soziale Problemlagen mit der Zuwanderung von eher armen Migranten überlagern, wurde in Bremen das Konzept der „Arrival Cities“ (Saunders 2011) bisher nur von Akteuren aus dem Viertel aufgegriffen. Die Herausbildung von Einwanderungsquartieren wird deshalb von der Stadtpolitik in Bremen (noch) nicht akzeptiert.

5. Fazit Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus der Fallstudie Bremen für die Regenerierung von Städten durch Zuwanderung ziehen? Begrenzte Steuerbarkeit der Zuwanderung durch Städte Trotz des politischen Ziels der „wachsenden Stadt“ gibt es in Bremen – wie in den meisten deutschen Großstädten – bisher keine explizite Strategie, um Zuwanderung zu erzielen. Dies ist auch dadurch begründet, dass die Zuwanderung insgesamt eine Größe der Stadtentwicklung darstellt, die durch die Stadtpolitik kaum gesteuert werden kann. Insbesondere die Zuweisung von Flüchtlingen und Asylbewerbern erfolgt durch das nationalstaatliche Migrationsregime, das u. a. die Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel regelt. Wie das Leitbild der Stadtentwicklung zeigt, wünscht sich die Stadtpolitik in Bremen – wie in anderen Großstädten auch – vor allem junge und qualifizierte Zuwanderer aus kreativen Dienstleistungsberufen. Auch bei diesen Gruppen gibt es keine direkten Steuerungsmöglichkeiten durch die Stadt. Studierende werden in erster Linie durch die Studienangebote der Universitäten und Fachhochschulen angezogen, die wiederum in der Trägerschaft des Landes liegen. Durch den Landesstatus von Bremen haben die Akteure in der Stadt – im Unterschied zu anderen Universitätsstädten – hier größere Handlungsspielräume, die durch die

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kommunale Finanznot jedoch wieder eingeschränkt werden. Die Anwerbung hochqualifizierter Arbeitskräfte ist primär eine Aufgabe für die privaten Unternehmen, um ihren Fachkräftebedarf zu decken. Die lokale Stadtpolitik kann nur indirekt die Bedingungen für die Zuwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland verbessern, etwa indem verstärkt internationale Schulen angeboten werden. Zielgruppen der Zuwanderung Aus den verschiedenen Handlungsansätzen der Stadtpolitik von Bremen lassen sich drei Zielgruppen unterscheiden, deren Zuwanderung als Potenzial der Stadtentwicklung betrachtet wird: Pendler und Familien aus dem Umland. Durch die Suburbanisierung in den vergangenen Jahrzehnten ist die Zahl der Einpendler in Bremen relativ hoch, die in Bremen zwar arbeiten, aber nicht wohnen und die ihre Steuern daher in den Nachbargemeinden zahlen. Die neuen Wohnungsbauprogramme zielen vor allem auf diese Rückkehrer aus der „Zwischenstadt“. Die Wohnungspolitik von Bremen ist damit primär auf regionale Binnenzuwanderung aus Niedersachsen und anderen Bundesländern ausgerichtet. Studierende. Bremen ist durch seine Hochschulangebote für Studierende durchaus attraktiv. Jährlich ziehen etwa 6.000 neue Studierende in die Stadt. Probleme lassen sich in der Bremer Stadtpolitik vor allem in der unzureichenden Fähigkeit benennen, die Studierenden nach ihrem Studienabschluss in der Stadt zu halten. Hochqualifizierte Fachkräfte. Die dritte Zielgruppe für Zuwanderung besteht in hochqualifizierten Arbeitskräften in den Bereichen Forschung und Entwicklung sowie in Hightech-Unternehmen und „kreativen“ Dienstleistungsberufen. Diese Zielgruppe wird vor allem im Leitbild Bremen 2020 adressiert. Auch viele Wohnungsangebote in der Überseestadt zielen auf diese Klientel. Demgegenüber ist die Gruppe der Flüchtlinge und Asylbewerber nicht im eigentlichen Sinne eine Zielgruppe der Stadtpolitik, da deren Verteilung durch das staatliche Migrationsregime geregelt wird. Die Stadt Bremen nutzt diese Zuwanderergruppe jedoch strategisch, um das Ziel der wachsenden Stadt zu erreichen. Seit dem starken Zustrom von Flüchtlingen seit 2015 werden für diese Gruppen eigene Integrationskonzepte erarbeitet. Diese Konzepte setzen bei den bereits Zuge-

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wanderten an und zielen darauf, diese Gruppen in die Wohn- und Arbeitsmärkte zu integrieren. Da viele Flüchtlinge arm und auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind sowie die Bleibeperspektive in vielen Fällen unklar ist, werden die Potenziale der „Armutszuwanderung“ zur Regenerierung der Stadt von einigen Akteuren infrage gestellt. In dieser Sichtweise trägt nicht jeder Zuwanderer zur Regenerierung der Stadt bei. Vielmehr belasten arme und gering qualifizierte Zuwanderer die ohnehin arme Stadt. Eine gewinnbringende Verbindung von Armutszuwanderern mit der Regenerierung der Stadt setzt demnach nicht nur deren Zuzug, sondern auch deren erfolgreiche Integration in den Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie eine längerfristige Bleibeperspektive voraus. Eine lokale Zuwanderungspolitik besteht in Bremen bisher weniger im Hinblick auf ein aktives Anwerben von Migranten, sondern im Management der Integration der bereits Zugewanderten. Die Integrationspolitik ist im Hinblick auf die Steuerung der Zuwanderung mehr durch ein reaktives als ein proaktives Handeln gekennzeichnet. Im Unterschied zum Befund eines „dualen Regimes“ (Häußermann 2006) wird in Bremen das Wachstumsregime durchaus mit dem Integrationsregime verbunden, indem Flüchtlinge zum Einwohnerzuwachs und damit zum Finanzzuwachs beitragen. Damit wird das Integrationsregime vom Wachstumsregime „selektiv in Dienst genommen“ (Gestring 2014, 323). Darüber hinaus steuert die Stadtpolitik indirekt die Zuwanderung, indem sie durch ihre Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Wohnungsbaupolitik entsprechende Studienplätze, Arbeitsplätze und Wohnraum anbietet. Zuwanderung als Ansatz zur Regenerierung von Städten? „Regenerierung“ im Sinne einer städtebaulichen und sozioökonomischen Erneuerung wird in der Hafenstadt Bremen von den Akteuren in erster Linie auf die Restrukturierung der Hafengebiete bezogen. Mit der Überseestadt wird die klassische Strategie eines Großprojektes verfolgt. Die Stadtentwicklungspolitik in Bremen ist dabei heute wieder am Ziel einer wachsenden Stadt orientiert. Das gewünschte Bevölkerungswachstum kann nur durch Zuwanderung erreicht werden. Dennoch gibt es in Bremen bisher keine explizite Zuwanderungsstrategie, die Zuwanderungsbedarfe bestimmen, einzelne Zielgruppen im

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Hinblick auf Fachkräftebedarfe definieren, ein weltoffenes Image zur Attraktion ausländischer Migranten kreieren und die Potenziale der vorhandenen Zuwanderer für die Ziele der Stadtentwicklung fördern würde. Das Stadtentwicklungsressort in Bremen ist vor allem auf das Ziel der „wachsenden Stadt“ orientiert, um die Haushaltskrise der Stadt zu lösen. Dazu wurden auch mehrere Wohnungsneubauprogramme initiiert. Ziel der Neubauprogramme ist es, Arbeitspendler und Familien aus dem Umland in Bremen anzuziehen. Der Blick auf Migration ist in Bremen damit bisher eher auf die regionale Ebene, weniger auf die internationale Ebene gerichtet, obwohl der größte Zuwachs der Zuwanderung (nicht die absoluten Zahlen) heute aus dem Ausland kommt. Durch die Wohnungsbaupolitik hat Bremen jedenfalls durchaus lokale Spielräume zur Lenkung der Zuwanderung aus dem In- und Ausland. Besonders im Bremer Westen besteht ein sozialräumliches Nebeneinander von urbaner Regenerierung in der Überseestadt und Migration in Gröpelingen. Das frühere Arbeiterquartier wird heute als Migrantenquartier in der Praxis eher als Problem denn als Potenzial der Stadtentwicklung wahrgenommen. Die Idee von Ankunftsquartieren wird zwar von einigen Akteuren im Quartier verfolgt, findet aber noch keine Akzeptanz in der Politik. Ein in der Migrationsforschung geforderter Perspektivenwechsel auf Zuwanderung vom Problem zur Ressource erfolgt in der Praxis der Stadtpolitik von Bremen nur sehr bedingt und nur bei einzelnen Akteuren, da die mit der internationalen Migration verbundenen sozialen Problemlagen und Integrationsdefizite die Wahrnehmung dominieren. „Regenerierung“ wird in der Stadtentwicklungspolitik von Bremen durch ein klassisches Großprojekt praktiziert, das einen Großteil der knappen Ressourcen absorbiert. Alternative Regenerierungsstrategien der Förderung kleinteiligerer Projekte und Existenzgründungen auch von Migranten auf Quartiersebene werden in der Stadtentwicklungspolitik bisher noch kaum verfolgt. Dabei würde die Überseestadt genug freie Flächen bieten, um in der „Hafenstadt ohne Hafen“ (Warsewa 2010) neue maritime Siedlungen zu bauen, die im Stil des Bremer Hauses durch eine Nutzungsmischung von Wohnen und Arbeiten günstige Bedingungen für das Kleingewerbe selbstständiger Migranten ermöglichen würden.

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Weltgewerbehof, Wilhelmsburg, IBA Hamburg 2013 (dalpiaz + giannetti architektenpartnerschaft)

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Dieter Läpple

Perspektiven einer produktiven Stadt

1. Der Mythos einer postindustriellen Entwicklungsperspektive Beschleunigt durch die Megatrends der Globalisierung und Digitalisierung vollzog sich in den letzten Jahrzehnten eine tiefgreifende Wandlung der ökonomischen Basis der Städte. In der Folge dieses Strukturwandels haben die Städte ihre Rolle als Zentren industrieller Produktion weitgehend verloren. In vielen Städten vollzog sich ein ausgeprägter Deindustrialisierungsprozess, der eine wesentliche Ursache für Ausmaß und Form der in den Städten konzentrierten Arbeitslosigkeit ist. Mit der Transformation der traditionellen Industriesysteme, basierend auf Massenproduktionsvorteilen der großen Fabrikanlagen und Großraumbüros, haben sich neue Formen einer wissens- und kulturbasierten Ökonomie herausgebildet, die sich vor allem auf intellektuelle Arbeit, menschliche Kreativität, soziale Interaktion und Vernetzung stützen. Diese neuen Bereiche der städtischen Ökonomie bilden eine wesentliche Basis für die Neubewertung der Städte (siehe Läpple 2004). Die Entwicklung der Ökonomie der Stadt – so scheint es – ist geprägt durch einen allgemeinen Tertiarisierungsprozess, der in der Tradition von Jean Fourastié und Daniel Bell als Prozess der Herausbildung einer Dienstleistungsgesellschaft beschrieben und von vielen Autoren als ein unumkehrbarer säkularer Trend charakterisiert wird. So betonen die beiden Ökonomen Reuter und Zinn die zentrale Rolle der Tertiarisierung für den Arbeitsmarkt wie folgt: „Die empirischen und theoretischen Befunde deuten darauf hin, dass Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang zukünftig nur noch im Dienstleistungssektor zu schaffen

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sind“ (Reuter/Zinn 2011, 466). Und der in Berlin lehrende Harvard-Ökonom Burda fordert einen Abschied von der Vorstellung, „dass das wirtschaftliche Überleben eines Landes eine produzierende Industrie voraussetzt“ (Burda 1997, 820). Seiner Ansicht nach muss sich jedes Land den Herausforderungen der „postindustrielle[n] Gesellschaft“ stellen und deren Potenziale als „Jobmaschine“ nutzen. Auch in der Stadtdiskussion dominierten in den letzten Jahrzehnten Theorien mit einem sehr ausgeprägten postindustriellen Bias. Dies gilt beispielsweise für die Global City-Hypothese, die von einer räumlichen Entkopplung von Industrie und Dienstleistungen ausgeht und die Konzentration von strategischen Dienstleistungen in den Global Cities im komplementären Zusammenhang mit einer ausgelagerten und transnational organisierten industriellen Produktion sieht. Auch in dem Konzept der Creative City von Richard Florida haben Industrie und materielle Produktion keine Bedeutung mehr für die kreative Stadt. Und Ed Glaeser, der gegenwärtig einflussreichste Stadtökonom, schrieb vor einige Zeit: „The shift away from heavy industry has been the salvation of urban America. For while the decline in urban manufacturing has been unavoidable, the growth of high-skill industries has enabled many cities to prosper. Unsurprisingly, cities that depend on manufacturing have tended to decline“ (Glaeser 1996, 2). Die in der Stadtdiskussion sehr verbreitete Hypothese einer postindustriellen Stadt beinhaltet letztlich – explizit oder implizit – die Vorstellung, dass das Verschwinden von Industrie, Manufakturen und Handwerk aus unseren Städten in der Folge einer Kulturalisierung und Digitalisierung der Ökonomie nicht aufzuhalten sei. Die Theorie einer postindustriellen Gesellschaft geht vor allem zurück auf Daniel Bell, der in seinem Buch „The Coming of Post-Industrial Society“ (Bell 1999 [1973]) die These eines Übergangs von der Industriegesellschaft zur postindustriellen Gesellschaft entwickelt hat. Diese beiden historischen Entwicklungsphasen definiert er wie folgt: „Industrial societies (…) are goods-producing societies. (…) The world has become technical and rationalized. (…) The post-industrial society is based on services. Hence, it is a game between persons“ (ebd., 126 f.). In dieser eindeutigen Polarisierung ist dies eine folgenschwere Definition. Angesichts der veränderten Beschäftigungsstruktur scheint diese

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Definition eine gewisse Plausibilität zu haben, aber sie verweist nicht nur die Industrie, sondern die gesamte materielle Produktion in den Status des Unzeitgemäßen. Daniel Bell hatte mit seinem Konzept der postindustriellen Gesellschaft einen ungewöhnlich starken politischen Einfluss u. a. im Weißen Haus bei Bill Clinton sowie bei Margret Thatcher und Tony Blair. Im Vorwort zu der Neuauflage seines Buches von 1999 schreibt er stolz: „Even the President of the United States uses the term post-industrial“ (ebd., X). Nach Bells Einschätzung betrachten bereits alle politischen Führer der westlichen Welt „their societies to be ‚post-industrial‘“. Jetzt stelle sich – so Bell – für den Rest der Welt die Frage, „how to make the transition to the post-industrial state“ (ebd.). Wo dann die von Jahr zu Jahr anschwellende Warenflut produziert werden soll, bleibt bei dieser Zukunftsvision ein Rätsel. Ist es tatsächlich so, dass Industrie und produzierendes Gewerbe keine Zukunft mehr haben in unseren Städten, dass also die Zukunft urbaner Arbeitswelten nur noch in den Dienstleistungen, insbesondere denen der Wissensökonomie und der Kultur- und Kreativwirtschaft auf der einen Seite und den gering entlohnten und meist prekären Beschäftigungen in Bereichen wie Gastronomie, Einzelhandel, Reinigung oder Bewachung auf der anderen Seite zu suchen sind? Richtig ist, dass sich in den hochentwickelten Ländern wie Deutschland oder den USA ein Wandel von der Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft vollzogen hat, in dem Sinne, dass die gesellschaftliche Bedeutung der Industrie, insbesondere die Beschäftigung im industriellen Bereich, stark zurückgegangen ist. Nicht haltbar erscheint allerdings die These, dass die Industrie ökonomisch ihre Bedeutung verloren habe. Der Wandel von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft erfolgte nicht primär durch eine Ablösung oder eine Substitution der Industrie durch Dienstleistungen, sondern in hohem Maße durch eine Transformation, die zu neuen Verflechtungsund Bedingungszusammenhängen von Industrie und Dienstleistungen geführt hat. Von vielen Autoren wird eine leistungsfähige industrielle Basis als eine wesentliche Voraussetzung für das starke Wachstum der unternehmensorientierten Dienstleistungen gesehen. Das

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Verhältnis von Industrie und den dynamischen unternehmensorientierten Dienstleistungen ist also durch Komplementarität und nicht durch Substitution gekennzeichnet. Gilt dieser komplementäre Bedingungszusammenhang auch für Städte? In einer vergleichenden Studie zur urbanen Beschäftigungsdynamik in deutschen Stadtregionen stellen die beiden Arbeitsmarktforscher Dathe und Schmid auf Stadtregionsebene ausgeprägte Wirkungszusammenhänge zwischen hochwertigen Dienstleistungen und Industrie (in der Form von sog. „Service-Manufacturing-Links“) fest und kommen zu der Einschätzung, dass für die Wirtschafts- bzw. Innovationsstärke einer Region die Wechselwirkung zwischen wissensintensiven Industrie- und Dienstleistungszweigen von überragender Bedeutung ist (siehe Dathe/Schmid 2001, 60; vgl. dazu auch Läpple 2007). Ein Forscherteam des DIW kommt in einer neueren Studie zum Zusammenhang von Industrie und industrienahen Dienstleistungen (den sie als „Netzwerk Industrie“ charakterisieren) zu der Einschätzung, dass das verarbeitende Gewerbe zusammen mit dem industrienahen Dienstleistungsgewerbe eine tragende Säule des wirtschaftlichen Wachstums in Deutschland ist. „Dies gilt – so die DIW-Forscher – nicht zuletzt auch für Verdichtungsräume, die aufgrund ihrer Standorteigenschaften günstige Voraussetzungen für einen modernen und innovativen Industrieverbund („Netzwerk Industrie“) potenziell bieten können“ (Eickelpasch et al. 2017, 107). Es bleibt festzustellen: Zumindest in Deutschland und einigen anderen Ländern ist die Industrie nicht aus den Städten verschwunden, sondern ist nach wie vor eine tragende Säule der Stadtökonomie. Mit der oben skizzierten Transformation der traditionellen Industriesysteme haben sich jedoch neue, zum Teil auch überregionale und internationale Netzwerkstrukturen herausgebildet, die geprägt sind durch komplementäre Beziehungen zwischen industriellen Funktionen und wissens- und kulturbasierten Dienstleistungen. Gerade in der stark exportorientierten und wissensbasierten Industrie wurde von Unternehmen darauf geachtet, eine kritische industrielle Basis in den Städten zu sichern, um innovationsfähig zu bleiben und sich die Produktionskompetenz zu erhalten. Ein Forscherkollektiv, das die Rolle der Industrie in der neuen städtischen Ökonomie untersucht hat, formu-

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liert diesen Zusammenhang wie folgt: „The argument is that manufacturing cannot and should not be de-linked from typically urban ‚knowledge-based‘ activities such as design and R&D. Or to put it more strongly, a manufacturing base is a necessary condition to develop and expand R&D and other high-level services“ (Van Winden et al. 2011, 2). Mit der Transformation der ökonomischen Basis der Städte bilden sich – zumindest in den erfolgreichen Städten – Innovationsökologien heraus, in denen der materiellen Produktion eine zentrale Bedeutung zukommt. Ganz anders sah die Entwicklung beispielsweise in den USA und den US-amerikanischen Städten aus. Trotz früher Warnungen vor dem Mythos und den Gefahren einer postindustriellen Ökonomie (siehe Cohen/Zysman 1987) vollzog sich in den USA ein Strukturwandel, der tatsächlich sehr stark auf eine Substitution der Industrie durch Dienstleistungen ausgerichtet war. Angesichts der zunehmenden Billigkonkurrenz durch Schwellenländer im Bereich der industriellen Produktion setzte man die Hoffnung auf eine „Blaupausen-Ökonomie“. Die Konkurrenzposition sollte gestärkt werden, indem man versuchte, auf der Technologieleiter nach oben zu klettern und durch eine Konzentration auf Forschung und Entwicklung das Produktionswissen für eine globalisierte Ökonomie gewissermaßen zu monopolisieren. Die Produktion, insbesondere die einfache Massenproduktion, sollte dagegen den Billiglohnländern überlassen werden. Sehr schnell wurde deutlich, dass diese Form einer Dienstleistungsökonomie mit einer starken Zunahme der Einkommensspreizung verbunden ist. Außerdem zeigte sich bald eine starke räumliche Entkopplung der Beschäftigungsdynamik von den tradierten Wohnorten der Industriearbeiter. Während die stark expandierenden hochwertigen Dienstleistungen und die Technologieentwicklung sich vor allem in ex-urbanen Industrieparks ansiedelten, verschwand die industrielle Arbeit in den inneren Bereichen der großen Städte. In seiner Studie „When Work Disappears“ hat William J. Wilson die Folgen dieser Entwicklung, von der vor allem Afroamerikaner betroffen waren, sehr anschaulich untersucht und dargestellt: „The lack of low-skilled manual work in the inner city is linked to poverty, crime, family dissolution and the social life of neighborhoods“ (Wilson 1998, iii).

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In einem Rückblick aus heutiger Sicht benennt der amerikanische Politologe Francis Fukuyama die Probleme der postindustriellen Entwicklungsstrategie der USA wie folgt: „Wir dachten, der Globalisierung nur Herr werden zu können, indem wir gar nichts mehr produzieren und lieber Dienstleistungen anbieten“ (Fukuyama 2012, 86). Als Folge dieser Entwicklung klafft heute die Einkommensschere in den USA so weit auseinander wie nie zuvor. Inzwischen ist vor allem die traditionelle weiße Mittelklasse von diesem radikalen Strukturwandel betroffen. Die Branchen der verarbeitenden Industrie, über die früher immer genügend Leute den Einzug in die Mittelklasse geschafft haben, sind – so Fukuyama – längst in asiatischer Hand. Auch der Nobelpreisträger Paul Krugman thematisiert die destruktiven sozialen Auswirkungen des amerikanischen Entwicklungsmodells. Mit einem Verweis auf die Studien von William J. Wilson spricht er vom „sozialen Kollaps“ der weißen Arbeiterklasse als Folge einer mangelnden ökonomischen Perspektive (Krugman 2016). Und viele politische Kommentatoren betonen, dass die deklassierte weiße Arbeiterklasse das Wählerpotenzial Donald Trumps sei, der in seinen Wahlkämpfen versprochen hat, durch einen neuen Protektionismus die alten Industrien wieder zurück in die USA zu holen und im Augenblick dabei ist, mit dieser Strategie einen weltweiten Handelskrieg auszulösen. Auf das wohl gravierendste Problem einer postindustriellen Entwicklung verweisen die beiden Harvard-Professoren Pisano und Shih (2009): die zunehmende Erosion der Innovationsfähigkeit der Ökonomie. Die Strategie, immer mehr Fertigungsfunktionen in asiatische Länder zu verlagern und die wichtigen Forschungs-, Entwicklungsund Entwurfskompetenzen in den USA halten zu wollen, ging nicht auf. Den asiatischen „Lohnfertigern“ ist es über die Jahre gelungen, durch den Aufbau eigener Forschungs- und Entwicklungskompetenzen, nicht zuletzt mit massiver staatlicher Unterstützung, immer größere Bereiche der industriellen Wertschöpfungskette zu kontrollieren. Heute haben die USA nicht nur die Fähigkeit verloren, anspruchsvolle High-Tech-Produkte zu produzieren, sondern verlieren zunehmend auch ihre Kompetenz und Konkurrenzfähigkeit bei der Entwicklung und dem Entwurf komplexer industrieller Produkte.

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Es erscheint wie eine Ironie der Geschichte: Nachdem Deutschland mit dem Verweis auf den fortgeschrittenen Tertiarisierungsprozess in den USA lange Zeit als Nachzügler im Strukturwandel kritisiert wurde, wird gegenwärtig in den USA eine breite Diskussion über die Möglichkeiten einer Reindustrialisierung geführt. Dabei nimmt Deutschland mit seiner international bisher noch relativ erfolgreichen Industrie implizit die Rolle eines Vorbilds ein.

2. „Möglichkeitsfenster“, die Produktion wieder zurück in die Stadt zu bringen? 1 Ist die Rückkehr der Produktion in die Stadt eine realistische Option? Eine solche Rückkehr könnte ermöglicht und erleichtert werden durch sich abzeichnende Veränderungen in der globalen Ökonomie, ein sich veränderndes Konsumentenverhalten sowie durch die Notwendigkeit einer Dekarbonisierung der Wirtschaft. Galten Globalisierung und neue Technologien lange Zeit als unaufhaltsame Kräfte eines Strukturwandels, der verbunden war mit einer Verlagerung von Industriearbeitsplätzen ins Ausland, so scheint sich gegenwärtig ein neues Möglichkeitsfenster („window of opportunity“) für alternative Handlungsansätze zu öffnen. Der Konkurrenzvorteil von Billiglohnländern wird immer brüchiger und die Billigproduzenten richten ihre Produktion inzwischen stärker auf die Binnenentwicklung ihrer Ökonomien aus. Die Globalisierung der Ökonomie scheint an Dynamik zu verlieren. Es ist inzwischen die Rede vom „Peak Global Trade“, also der These, dass der Welthandel seinen historischen Gipfel überschritten habe. Während früher der Welthandel etwa doppelt so schnell gewachsen ist wie die Produktion, entwickelt sich heute der Welthandel nur noch so stark wie die Weltwirtschaftsleistung. Die neuen Technologien, die früher die Globalisierung in ihrer Dynamik verstärkt haben, könnten mit dem Aufkommen des 3-D-Druckes die globalen Warenströme ausdünnen. Der Hamburger Ökonom Straubhaar spricht in diesem Zusammenhang von einer „Zeitenwende“, die uns zwingt, neu über die Globalisierung nachzudenken. Viele Aktivitäten, die früher aus Kostengründen ins Ausland verlagert wurden, könnten zurückkommen. In ihrem Buch: „The Smartest Places on

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Earth“ vertreten Van Agtmael und Bakker die These, dass nach Jahrzehnten einer Dominanz der Billigproduktion nun die Qualität von Produkten an Bedeutung gewinnt. „The rising demand for smart products of all kind will require the sharing of brain-power in development and smart-manufacturing methods in the making“ (Van Agtmael/Bakker 2016, 254). Die Stadt sei der Ort für die geforderte Form von offenen Innovationen und für ein „sharing of brain-power“ zur Produktion von „smarten“ Produkten. Gleichzeitig entwickelt sich angesichts der skandalösen Arbeitsverhältnisse und der umweltbelastenden Produktionsmethoden der globalen Billigproduktion eine zunehmende Nachfrage nach fair und umweltgerecht produzierten Produkten. Immer mehr Leute wollen lokale Produkte kaufen. Sie wollen wissen, wer ihre Produkte wie und mit welchen Materialien produziert. Sie sind auf der Suche nach Qualität und individueller spezieller Ästhetik. Dies führt zu neuen Nischenmärkten beispielsweise bei Textilien, Schuhen oder Nahrungsmitteln. Auch hier bietet die Stadt mit ihren differenzierten Käufergruppen, ihrer räumlich konzentrierten Kaufkraft und ihren vielfältigen Kooperationsmöglichkeiten große Potenziale für neue Formen einer nachhaltigen, kundenspezifischen Produktion. Dekarbonisierung der Ökonomie ist einer der Hauptpfeiler des Klimaschutzes und eine der großen Herausforderungen dieses Jahrhunderts. Auf dem G7-Gipfel 2015 wurde vereinbart, die Weltwirtschaft bis 2100 vollständig zu dekarbonisieren. Eine zentrale Rolle nimmt dabei der Umstieg von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energien ein, die die Möglichkeit eröffnen, Energieproduktion zu dezentralisieren und eng mit dem Energiekonsum zu verbinden. Damit werden wichtige Handlungskorridore für eine Rückverlagerung der Produktion in die Stadt und Stadtquartiere eröffnet. Ein weiterer Handlungsansatz für eine Dekarbonisierung der Ökonomie ergibt sich durch die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen und kultivierbaren Baumaterialien. Einen radikalen Paradigmenwechsel für das zukünftige Bauen in der Stadt durch kultivierbare Baumaterialien skizzieren Dirk Hebel und Felix Heisel (2017). Bisher sind unsere Städte gewaltige Müll- und „Entropie“-Maschinen. Mit der Auslagerung der materiellen Produktion, ohne sich um

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die Probleme der Ressourcen und der Entsorgung von Abfall und Emissionen kümmern zu müssen, wird der ökologische Fußabdruck der „postindustriellen“ Stadt immer größer. Es werden Abfälle produziert, die sich zu einem „Paralleluniversum“ zu unserer Warenwelt entwickelt haben. Diese Abfälle sind ein Stoff, der in „gewaltigen Strömen unaufhörlich um den Globus fließt, für den es Handelsagenturen gibt und Börsen, Spekulationen, Schwarzmärkte und Termingeschäfte“ (Smoltczyk 2018, 59). Durch die Weigerung Chinas, weiterhin unsere Abfallmassen zu importieren, ist die scheinbar „intakte Welt des deutschen Müllwesens“ (ebd.) in ein Chaos gestürzt worden. Damit eröffnet sich die große Chance, zu begreifen, dass Müll kein Abfall, sondern ein großes Rohstoffpotenzial ist und dass man die bisher linear ausgerichteten Stadtökonomien zunehmend in Kreislaufökonomien transformieren muss und kann. Auch dies birgt ein großes Potenzial, die Stadt nicht nur als einen Ort des Konsums (und der Abfallproduktion) zu sehen, sondern als einen Ort einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft und damit auch wieder der Produktion zu gestalten. Wie auch immer die verschiedenen kurz skizzierten Entwicklungen einzuschätzen sind, so wird doch deutlich, dass sich gegenwärtig durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Wirkkräfte und Einflussfaktoren Entwicklungen andeuten oder bereits abzeichnen, die neue Optionen für die Städte eröffnen.

3. Perspektiven einer produktiven Stadt – mögliche Wege aus der postindustriellen Sackgasse (1) „Service-Manufacturing-Links“, „smart factories“ und 3-D-Drucker In den meisten Städten gibt es trotz Deindustrialisierung immer noch eine kritische industrielle Basis, die – zumindest in den erfolgreichen Städten – eingebunden ist in sogenannte „Service-ManufacturingLinks“, also ein Verflechtungs- und Wirkungsgefüge zwischen wissensintensiven Industrie- und Dienstleistungsfunktionen, das das DIW als „Netzwerk Industrie“ charakterisiert. Die Transformation der tradierten, auf Massenproduktion ausgerichteten Industrie in eine neue, stadtverträgliche Netzwerkökonomie ist allerdings noch längst nicht abgeschlossen. Hier bieten sich durch die Weiterentwicklung der

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Produktionstechnik und vor allem der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien interessante Gestaltungsoptionen für die Stärkung von Produktionsstandorten in den Städten. Entscheidend sind dabei nicht zuletzt die konsequente Reduktion der Emissionsbelastungen und die Einbindung in stadtverträgliche Logistiksysteme. Aber auch eine effizientere Nutzung von Gewerbe- und Industrieflächen durch neue flächensparende städtebauliche und architektonische Konzepte wie die Stapelung von Funktionen ist eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt der Industrie im städtischen Raum. Gefordert ist eine neue städtische Industriearchitektur, die nicht nur eine Integration von Produktion und Dienstleistungen in flächensparender Weise ermöglicht, sondern diese neuen industriellen Anlagen auch intelligent in den Stadtraum einbindet und die Produktion sichtbar macht. Es geht jedoch nicht nur um die Transformation und den Erhalt der bestehenden industriellen Produktion. Heute lassen sich dank neuer Technologien auch wieder neue Fabriken mitten in der Stadt ansiedeln. Beispielhaft ist hierfür die neu gebaute Produktionsstätte der mittelständischen Firma Wittenstein in Fellbach direkt neben einer Passivhaussiedlung und in der Nähe einer S-Bahnstation. Dieses „Schaufensterprojekt“ der „Industrie 4.0“ (eine Anwendungsform des „Internets der Dinge“) soll zeigen – so die Selbstdarstellung der Firma Wittenstein –, wie „eine mitdenkende, vernetzte Produktion der Zukunft einmal aussehen und vor allen Dingen funktionieren wird“. Diese neue Fabrik ist jedoch zugleich ein Modellprojekt einer neuen Form stadtverträglicher Produktion, das deutlich macht, dass urbane Standorte auch für die Industrie Wettbewerbsvorteile bieten: Zugang zu einem Pool hochqualifizierter Fachkräfte, räumliche Nähe zu Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen und Kooperationspartnern sowie die Verfügbarkeit entwickelter logistischer Systeme. Dieses Modellprojekt zeigt, dass die Rückkehr der Produktion in die Stadt eine realistische Option ist, allerdings verdeutlicht es auch, dass dazu die industrielle Produktion neu erfunden werden muss. „Manufacturing will not so much ‚return‘, then, as be reinvented“, formulieren auch Van Agtmael und Bakker in ihrer Studie über „smart manufacturing“ (2016).

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Eine der spektakulärsten Möglichkeiten eröffnen gegenwärtig die industriellen 3-D-Drucker, also die neuen „additiven Fertigungsmethoden“ auf digitaler Basis. Die Anwendungen scheinen kaum begrenzt: passgenaue Hörgeräte, Zahnkronen, Prothesen, Maschinenteile, Automobilersatzteile aus Plastik, Aluminium, Stahl, Titan, Glas oder Keramik. Selbst der „Druck“ von Häusern wird inzwischen getestet. Die Erwartungen und Spekulationen sind groß. So wird insbesondere die Rückverlagerung der globalisierten Produktion an die Orte des Konsums prognostiziert. Der multinationale Konzern Adidas, der seine Sportschuhe seit Jahren in Asien produzieren lässt, will Teile der Produktion zurück nach Deutschland holen durch den Bau einer „Speedfactory“, die aus einer Kombination aus „Industrie 4.0“ und der 3-D-Drucker-Technologie besteht. Genau genommen ist es keine Rückverlagerung der bestehenden Massenproduktion, sondern die Neuerfindung eines Produktionssystems, durch das kleine Stückzahlen zeitgenau nach individuellem Bedarf und qualitativ besser produziert werden können. In Zukunft soll diese kundenspezifische Produktion dahin gehen, wo der Verbraucher mit seinen individuellen Wünschen ist. Ziel von Adidas ist es, ein globales Netzwerk digitalisierter Fertigung in Städten rund um den Globus aufzubauen. Parallel zu diesen High-Tech-Strategien, wo „Handwerk durch Ingenieurskunst“ ersetzt wird, sehen wir aber auch eine Renaissance des Handwerks, zum Beispiel in städtischen Manufakturen, die ihre Produktion (u. a. Schuhe, Kleidung oder Nahrungsmittel) auf eine Kundschaft ausrichten, die nachhaltig produzierte und dauerhafte Produkte kaufen möchten. Die Fragen, die sich angesichts dieser neuen Entwicklungen im Bereich der urbanen Produktion aufdrängen, sind – neben der Frage nach dem möglichen Realitätsgehalt dieser Trends und Projekte – vor allem die Arbeitsplatzfrage2 und die nach dem Beitrag dieser Projekte zu einem ökologischen Umbau der Stadt und einer Dekarbonisierung der Ökonomie. Unter dieser Perspektive ist es sinnvoll, sich nicht nur von den „neuen Ökonomien“ faszinieren zu lassen, so interessant die Entwicklungen auch sind. In unseren urbanen Arbeitswelten finden sich neben wissenschafts- und kulturbasierten Bereichen auch vielfältige „alte“, zum Teil persistente, zum Teil erodierende oder in hybrider Überlagerung

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sich erneuernde Arbeits- und Produktionsformen, die eine zentrale Rolle spielen könnten bei der Schaffung und Stabilisierung niedrigschwelliger Arbeitsperpektiven und nachhaltiger Produktionskonzepte. Die folgenden Ausführungen werden fokussiert auf zwei sich inhaltlich überlagernde Diskursstränge, den deutschen Diskurs über die „lokale Ökonomien“ und den amerikanischen Diskurs über „Urban Manufacturing“. In beiden Diskursen geht es – mit unterschiedlichen Gewichtungen und Ausrichtungen – um die Fragen der Stärkung lokal eingebetteter Ökonomien und einer Erhöhung der Diversität der städtischen Ökonomie durch eine Reintegration von Produktionsfunktionen. Gemeinsames Ziel ist es, die soziale Struktur der Städte zu stabilisieren, durch eine Stärkung lokaler Kreisläufe Stadtökonomien robuster zu machen gegen die Turbulenzen des Weltmarktes und des Finanzsystems und postfossile Produktionsperspektiven zu eröffnen.

(2) Lokal eingebettete Ökonomien – Hoffnungsträger für die Quartiere? Die persistente Arbeitslosigkeit und ihre Konzentration in benachteiligten Stadteilen haben dazu geführt, dass über „lokale Ökonomie“ neu nachgedacht wird. Wenn Arbeitslosigkeit und Armut sich in bestimmten Stadträumen so hartnäckig behaupten, liegt es nahe – auch unter Bedingungen einer global ausgerichteten Ökonomie –, zu fragen, ob und wie über die Förderung des lokalen Gewerbes die Beschäftigungs- und Lebensperspektiven der Menschen im Stadtteil verbessert und damit der sozialen Spaltung der Stadtgesellschaft entgegengewirkt werden kann. Die Stadtteil- und Quartiersbetriebe der lokalen Ökonomie bieten wohnungsnahe Arbeits-, Ausbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur sozialen Integration und Sozialisation vor Ort. Mit ihren überwiegend auf den Lebensalltag ausgerichteten Produktions-, Dienstleistungsund Wohlfahrtsangeboten prägen sie die Versorgungsqualität, Nutzungsvielfalt und urbane Kultur von Stadtteilen. Der Bereich der lokalen Ökonomie umfasst das breite Spektrum „wohnungsnaher“ Klein- und Kleinstbetriebe des produzierenden und-

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Ein Beispiel für Urban Manufacturing: New Lab, Brooklyn Navy Yard, New York (Marvel Architects)

reparierenden Handwerks, des Einzelhandels, des Gesundheitswesens, der Gastronomie sowie anderer Bereiche der sozialen, haushaltsund unternehmensorientierten Dienstleistungen. Die Bandbreite dieser Betriebe reicht also vom tradierten Handwerk und Betrieben der Migrantenökonomie über Alternativbetriebe bis hin zum Alleinunternehmer der „New Economy“. Mit dem Begriff der „lokalen Ökonomie“ werden somit sehr unterschiedliche sozialökonomische Phänomene bezeichnet, deren Abgrenzung gegenüber „nicht-lokalen“ Bereichen der Stadtökonomie kaum möglich ist. Viele dieser Betriebe werden trotz ihrer lokalen

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Orientierung in vielfältiger Weise von überregionalen und teilweise auch von globalen Bezügen beeinflusst. In diesem Sinne wäre es weniger missverständlich, statt von einer – wie immer abzugrenzenden – „lokalen Ökonomie“ von einer lokal verankerten oder lokal eingebetteten Ökonomie zu sprechen (Läpple/Walter 2003 und Läpple 2013). Für die lokal eingebettete Ökonomie ist der Stadtteil kein neutraler Standort, sondern er bildet ein Wirkungsfeld, das mit vielfältigen Synergien oder auch möglichen Entwicklungsblockaden verbunden ist. Vereinfacht könnte man sagen: Die lokalen Ökonomien haben eine zentrale Bedeutung für die Lebens- und Arbeitsqualität des Stadtteils, zugleich sind die lokalen Ökonomien vom Stadtteil abhängig. In benachteiligten Stadtteilen ist manchmal das Potenzial für die Entwicklung einer lokal verankerten Ökonomie schon so weit ausgedünnt und ist der Druck einer verfestigten Arbeitslosigkeit so groß, dass nur noch die Perspektive der Förderung einer staatlich alimentierten sozialen Ökonomie (z. B. über die Verknüpfung von Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen) möglich ist. Entscheidend ist jedoch, dass auch in solch schwierigen Situationen versucht wird, beschäftigungspolitische Brücken zum „Ersten Arbeitsmarkt“ und vor allem Übergänge aus dem Quartier in die umliegenden Stadtteile zu bauen. Mit solchen Brückenstrategien muss versucht werden, zu verhindern, dass die benachteiligten Stadtteile noch mehr isoliert werden und sich bestehende ökonomische Segmentierungen und soziale Ausgrenzungen lokal verfestigen. Im Wesentlichen geht es darum, Übergänge zu ermöglichen und zu erleichtern: aus der Schule in den Beruf, aus geförderten Arbeitsverhältnissen in den ersten Arbeitsmarkt, aus den begrenzten Bezügen der Nachbarschaft in den größeren Einzugsbereich der Stadt und Region. Es gibt keine geschlossene Vision, die den richtigen Weg für eine Stärkung lokal eingebetteter Ökonomien weisen könnte. Wichtig ist eine Sensibilität für die Möglichkeiten lokaler Entwicklungsstrategien, ein Aufspüren und eine gute Einschätzung der lokalen Potenziale sowie intelligente Vernetzungen. Es kommt darauf an, Projekte zu entwickeln, die Anregungen geben zum Anders-Machen, die Lernprozesse stimulieren und die die lokale sozialökonomische Vielfalt und die Handlungsoptionen erhöhen. Entscheidend ist jedoch ein klares poli-

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tisches Commitment der Stadt, für derartige Zukunftsinvestitionen die nötigen Ressourcen bereitzustellen. Der Bereich der lokal verankerten Ökonomien darf nicht nur dem Markt überlassen bleiben, und es genügt auch nicht, dieses Feld der traditionellen Wirtschaftsförderung zu überlassen. Erfolgreich ist nur eine fokussierte Förderung, die sich auf die sozialen und kulturellen Kontexte der verschiedenen Arbeitswelten der lokal eingebetteten Ökonomie einlässt. Zugleich bedarf es einer Verzahnung von Politikfeldern durch die Verknüpfung von stadtentwicklungs-, arbeitsmarkt-, wirtschafts- und bildungspolitischen Handlungsansätzen – also sogenannter Crossover-Strategien. Zur Verstetigung der Förderung bedarf es im Stadtteil verankerter Governance-Strukturen mit engagierten „Kümmerern“, die möglichst aufsuchende Beratung und Betreuung „aus einer Hand“ anbieten. Es kann sehr sinnvoll sein, dazu stadtteilbezogene Entwicklungsagenturen zu schaffen. Ein weiterer sinnvoller Ansatz zur Stärkung von Problemlösungen vor Ort könnte der Aufbau quartiersbezogener Verund Entsorgungsbetriebe auf mittelständischer Basis sein. Durch die Verfügbarkeit neuer, intelligenter Technologien ist dies eine sehr realistische Perspektive, für die es auch schon tragfähige Modelllösungen gibt. Eine Schlüsselfrage ist und bleibt jedoch die Bereitstellung bezahlbarer Gewerberäume im Stadtteil. Dies kann in Form von Ladenlokalen in Erdgeschosszonen, Gewerbehöfen oder traditionellen Werkstätten erfolgen. Modellhaft kann hier auf den im Rahmen der IBA Hamburg entwickelten „Weltgewerbehof“ verwiesen werden. Dieser Gewerbehof für die lokale Ökonomie ist eine innovative Interpretation des traditionellen Konzeptes eines Gewerbehofs in einem „Ankunfts-Stadtteil“ mit seiner kosmopolitischen Bewohnerschaft. Er ist eine gelungene Form städtischer Nutzungsmischung, die Möglichkeiten eröffnet, Arbeit und stadtverträgliche Produktion zurück in den Stadtteil zu bringen. Mit seinen günstigen Mieten bietet dieses Projekt Existenzgründern und bestehenden Klein- und Kleinstbetrieben die Möglichkeit, in ihrem lokalen Umfeld eine neue Lebensperspektive aufzubauen. Und er bietet der spezifischen Kultur der Selbstständigkeit von Migranten eine produktive Entfaltungsmöglichkeit. Gleichzeitig stärkt er die Versorgungsqualität des Stadtteils.

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Diese anspruchsvollen Aufgaben einer Förderung von Stadtteil und Quartiersbetrieben in benachteiligten Stadtteilen erfordern Ressourcen. Diese sind als Zukunftsinvestitionen zu betrachten, die auf mittlere Sicht eine „Stadt-Dividende“ erbringen im Sinne einer Stärkung des sozialen Zusammenhangs und einer ökonomischen Revitalisierung.

(3) „Urban Manufacturing“, „Green Industries“ and „Maker Movement“ – Beiträge zur „nächsten Ökonomie“ der Stadt In den amerikanischen Städten, die von den skizzierten Problemen einer postindustriellen Ökonomie in potenzierter Weise betroffen sind, wurde die ökonomische und soziale Bedeutung der Industrie und der materiellen Produktion wiederentdeckt. Seit einigen Jahren gibt es eine breite Diskussion über Möglichkeiten und Perspektiven „urbaner Produktion“ oder „urban manufacturing“. Dieses neue Politikfeld ist eingebettet in die Diskussion über die Entwicklung der „next economy“ der Städte: einer Ökonomie, die nicht mehr getrieben sein soll von Konsum und Schulden, sondern fokussiert auf Produktion und getrieben durch Innovationen; einer Ökonomie also, die vielfältige Beschäftigungsmöglichkeiten für unterschiedliche Qualifikationsniveaus bietet und damit auch wieder Aufstiegsmöglichkeiten in die Mittelklasse eröffnet. Als Beispiele für erfolgreiche „urbane Produktion“ gelten die städtischen Netzwerke der Mode- und Bekleidungsbranchen in New York, der Biotech-Unternehmen in Boston oder der Nahrungsmittelwirtschaft in Los Angeles. Diese neuen Formen der urbanen Produktion sind nicht mehr zu vergleichen mit den „Schornsteinindustrien“ der Vergangenheit oder den Fabriken des Fordismus. Sie bestehen aus einem Mix aus Klein- und Mittelbetrieben, die mit ihrer kundenspezifischen, vielfach artisanalen Produktion auf lokale Nachfrage ausgerichtet sind. Auf ein wichtiges Entwicklungsfeld der urbanen Produktion haben Ron Shiffman mit seiner Forschungsgruppe (Shiffman et al. 2001) und Saskia Sassen (2006) hingewiesen: die Rolle der urbanen Manufakturen als „stille Partner“ der Kreativwirtschaft. Hier kehrt sich die tradi-

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tionelle Beziehung zwischen materieller Produktion und Dienstleistungen um. Historisch entwickelten sich die produktionsorientierten Dienstleistungen entsprechend den Bedürfnissen des verarbeitenden Gewerbes oder der Industrie, heute übernehmen oft die kreativen Dienstleistungen die treibende Rolle. So benötigt beispielsweise die Kulturwirtschaft des Theaters oder der Musicals Kulissen und Kostüme. Fernsehstudios beschäftigen für das hochauflösende Fernsehen (HDTV) riesige Handwerksateliers, in denen die Ausstattungen für die Fernsehproduktion in Präzisionsarbeit erstellt werden. Die Produktdesigner brauchen handwerklich qualifizierte Produzenten für die Herstellung von Prototypen und für die eigentliche materielle Realisierung ihrer Entwürfe. Weitere wichtige Stimuli und Potenziale für die Entwicklung urbaner Manufakturen ergeben sich – wie bereits angedeutet – aus der ökologischen Wende und den Versuchen, eine postfossile Gesellschaft aufzubauen. Insbesondere die Möglichkeiten, die Energieproduktion unter Einsatz von „Smart Grids“ zu dezentralisieren und enger mit den Orten der Energiekonsumption zu verbinden, eröffnen Beschäftigungsperspektiven für die Stadt und die Stadtteile. Ein interessantes Beispiel ist das Brooklyn Microgrid-Projekt, wo die sogenannte „Blockchain-Technologie“ eingesetzt wird, für die direkte Vermarktung von Solarenergie an Nachbarn (vgl. PwC 2016). Ein sehr wichtiges Handlungsfeld ist auch die energetische Sanierung („Retrofitting“) von Wohngebäuden, die zu einer Stimulierung der Quartiersökonomie genutzt werden kann. In den USA gibt es inzwischen mit der »Urban Manufacturing Alliance« (http://urbanmfg.org/) eine nationale Initiative, die versucht, die bisherigen Erfahrungen in der Form von best practice-Beispielen einem immer breiteren Kreis von Städten und Stadtteilgruppen zugängig zu machen. Es scheint so, als sei in den professionellen Milieus der Stadtplanung und Stadtpolitik der amerikanischen Großstädte ein Paradigmenwechsel in Gang, der zu einer Revision postindustrieller Stadtpolitik führen könnte. Dabei ist allen klar, dass es keinen Weg zurück zu den „glory days“ der amerikanischen Industrie gibt: „Manufacturing may never occupy the dominant position it once had in our economy, but a healthy manufacturing sector providing high-quality

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Kongress der UMA in der Stadt Somerville, USA, 2017 (Urban Manufacturing Alliance: Herstellen, Anpassen und Integrieren)

employment opportunities in the 21st century.“ Die Zukunft wird auch weniger in der traditionellen Großindustrie gesehen als in den urbanen Manufakturen: „[I]nnovation and growth are more likely to come from small, urban manufacturing networks, whose locations and density enable them to respond rapidly to the changing needs of markets, whether local, regional, or global“ (Byron/Mistry 2011, 46). Außerordentlich interessant ist die FabLab-Bewegung, eine nichtprofitorientierte Makerhood-Bewegung, die sich der 3-D-Drucker-Technologie bedient und ihre Erfahrungen in der Form von Open Source-Initiativen im Netz allen frei zugängig macht. In einer Zeit, in der sich durch den Siegeszug der Digitalisierung alles in Virtualität aufzulösen scheint, ermöglicht die digital gesteuerte Technik des 3-D-Druckens (oder des „Rapid Prototyping“) die Rückkehr der materiellen Produktion ins tägliche Leben. Die Fabrication Laboratories sind vernetzte Kleinwerkstätten, die aus computergesteuerten Modellierungs- und

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Produktionswerkzeugen wie Laserschneidern, Fräsmaschinen, 3-DDruckern etc. bestehen. Diese Mischung aus Computer und Minifabrik spuckt fertige Produkte nach individuellen Entwürfen aus und soll in Zukunft eine Dezentralisierung der Produktion an die Orte des Konsums ermöglichen. Das Motto dieser Open Source- und Makerhood-Bewegung ist: „Der Stadtteil ist unsere Fabrik.“ Wie auch immer diese euphorischen Visionen einzuschätzen sind, entscheidend ist eine neue Sensibilität und ein Interesse für materielle Produktion verbunden mit einer erstaunlichen Begeisterung für Materialität und das Machen, nicht nur bei Intellektuellen und einer Internet-Bohème, sondern auch bei Stadtteilgruppen und Jugendlichen. Es könnte eine Bewegung entstehen, die – in Verbindung mit anderen Wandlungsprozessen – tatsächlich Produktion wieder zurück in die Stadt bringen könnte.

„Jemand arbeitet Vollzeit, eine andere Halbzeit.“ Ann Peeters (Koordinatorin Fablab Brüssel, film still YouTube: „Fablab brussels“) über die Flexibilität der Arbeitsbedingungen in der Werkstatt

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4. Resümee In unseren Städten sind wir immer noch mit der problematischen Tendenz einer funktionalen Ausdünnung städtischer Räume konfrontiert. Nicht zuletzt als Folge einer Stadterneuerungspolitik, die vor allem auf störungsfreies Wohnen und flüssigen Verkehr ausgerichtet war, wurden und werden immer noch Mittel- und Kleinbetriebe des Handwerks, des verarbeitenden Gewerbes, des traditionellen Handels oder der Migrantenökonomie aus dem städtischen Geflecht hinausgedrängt. Durch diese Entwicklung wurden viele Stadträume reduziert auf monofunktionales Wohnen, Konsum und Unterhaltung sowie auf monofunktionale Arbeitswelten. Trotz verbaler Bekenntnisse zu einem Mehr an funktionaler Nutzungsmischung führen der aktuelle hohe Problemdruck auf dem Wohnungsmarkt und die damit verbundenen sozialen und politischen Konflikte in den meisten Städten zu einer Verengung der Stadtentwicklung auf eine weitgehend quantitativ ausgerichtete Wohnungspolitik. Entgegen allen professionellen Einsichten, dass die neuen urbanen Strukturen nicht mehr bestimmt sein dürfen durch funktionale Entmischung, Spezialisierung und Vereinheitlichung, sondern Vielfalt und eine Reintegration städtischer Funktionen gefragt sind, drohen monofunktionale Siedlungen statt städtischer Quartiere zu entstehen. Durch die unerwartete Einwanderungswelle von Hunderttausenden Menschen aus den Krisengebieten des Mittleren Ostens und Afrikas, die in Deutschland Schutz und Asyl suchen, hat sich die Wohnungsfrage in den Städten weiter zugespitzt. Aber auch bei der Flüchtlingsfrage gilt: Die Wohnungsfrage – so schwierig sie aktuell sein mag – darf nicht isoliert werden von anderen Funktionsbereichen des städtischen Lebens. Vor allem müssen Wohnen und Arbeiten in vielfältiger Weise verknüpft werden. Denn in einer auf Erwerbsarbeit ausgerichteten Gesellschaft ist die Teilhabe am Arbeitsleben letztlich entscheidend für gelingende Integration. Oder wie es der kanadische Migrationsforscher Hansen formuliert: „Immigration works where Immigrants work“ (vgl. Hansen 2016, 204). Natürlich brauchen die Menschen eine menschenwürdige Behausung und Bildungsangebote zum Spracher-

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werb. Der Problemlage entsprechend wäre es jedoch dringend geboten, mit „Crossover-Strategien“ Wohnungs-, Qualifikations- und Arbeitsmarktfragen zu verknüpfen. Wichtig wäre vor allem, den Menschen „eine Stimme zu geben“ und sie aktiv an der Gestaltung ihres neuen Lebens, insbesondere ihrer Unterbringung und ihrer städtischen Umwelt, teilhaben zu lassen. So bietet beispielsweise die betreute Mitarbeit auf Baustellen die direkteste Möglichkeit zur Verbesserung ihrer Wohnsituation und einer ersten Orientierung auf berufliche Perspektiven. Zugleich können solche Projekte der „Hilfe zur Selbsthilfe“ wesentlich zur Entwicklung funktionierender Nachbarschaften beitragen. Nach dem historischen Fehler, den Wohnungsbau über lange Zeit sträflich zu vernachlässigen, droht nun durch kurzatmige, monofunktionale Lösungsversuche ein zweiter, wahrscheinlich noch viel folgenreicherer Fehler. Denn die lange Lebensdauer von Gebäuden und urbanen Infrastrukturen führt zu Pfadabhängigkeiten, die auf lange Sicht schwierig zu ändern sind. Dabei sind wir inzwischen mit urbanen Arbeitswelten konfrontiert, in denen sich die traditionellen funktionalen, räumlichen und zeitlichen Trennungen der Sphären der Arbeit, des Wohnens und der Freizeit auflösen. Gefragt sind also urbane Strukturen, die diesen neuen Wohn- und Arbeitsformen entsprechen und die – angesichts der starken Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit – eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen (siehe dazu Läpple/Mückenberger/Oßenbrügge 2010). So drängend die Wohnungsfrage ist, alle Lösungsversuche müssen sich im Sinne ihrer Nachhaltigkeit der Herausforderung stellen: Wohnen und mehr... , d. h. der Einbettung des Wohnens in multifunktionale urbane Kontexte – entgegen dem immer noch geltenden Trennungsgrundsatz des Planungs- und Immissionsschutzrechts und entgegen den ökonomischen Interessen der Bauwirtschaft, die bauen möchte, was sie schon immer gebaut hat. Entscheidend ist vor allem die elementare Einsicht – die zugleich eine Grundprämisse einer produktiven Stadt ist –, dass materielle Produktion, auch in ihrer industriellen Form, eine notwendige Basis der Stadt bleibt und eine wesentliche Voraussetzung ist für die Entwicklung einer postfossilen Ökonomie.

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Ich bin überzeugt, dass es gute Gründe gibt, sich ernsthaft mit neuen Formen der materiellen Produktion in der Stadt zu beschäftigen. Die moderne Industrie und urbanen Manufakturen bieten ein breites Spektrum an Qualifikationen und sind nicht nur stadtverträglich, sondern stadtaffin. Es lohnt sich, über neue Verknüpfungen und Kooperationen von Dienstleistungen, Industrie, Kreativwirtschaft, urbanen Manufakturen, FabLabs, lokalen und migrantischen Ökonomien nachzudenken. Gefordert ist ein Paradigmenwechsel mit einer deutlichen Abkehr von postindustriellen Entwicklungskonzepten und einer monofunktional ausgerichteten Stadtplanung. Das Konzept einer produktiven Stadt erscheint mir – bei aller Vorläufigkeit der Ideen – eine sinnvolle Zukunftsoption zu sein, die nachhaltige und inklusive Perspektiven eröffnen kann. Die möglichen Konturen eines Konzepts einer produktiven Stadt lassen sich mit den folgenden Stichworten skizzenhaft andeuten: Die produktive Stadt basiert auf der elementaren Einsicht in die Materialität des Städtischen und damit auf einer überfälligen „materiellen Wende“ in der Stadtdiskussion; sie ist ausgerichtet auf eine Überwindung funktionaler Trennung und einer funktionalen Ausdünnung der Stadt; sie verabschiedet sich mit aller Entschiedenheit von der „Entweder-Oder-Welt“ der Nachkriegsmoderne und stellt sich der schwierigen Herausforderung, sich auf die komplexen „Sowohl-als-auch-Wirklichkeiten“ unserer Städte einzulassen, sie in ihrer Vielfalt und ihrer Diversität zu stärken und ihre Widersprüchlichkeit zu akzeptieren; sie wird getrieben von der next economy (Netzwerkökonomie), einer Dekarbonisierung der Ökonomie und offenen Innovations-Ökosystemen; sie ist eine inklusive Stadt, die ein komplexes Mosaik unterschiedlicher Arbeitswelten, Wohnlandschaften und Lernarenen bietet; sie benötigt offene Möglichkeitsräume für unvorhersehbare Zukünfte und Experimentierorte für problemgetriebene Innovationen.

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Anmerkungen 1

2

Die folgenden Ausführungen stützen sich teilweise auf Gedanken, die bereits in zwei früheren Publikationen entwickelt wurden (siehe dazu Läpple 2013 und Läpple 2016). Nicht thematisiert werden soll hier die gegenwärtig viel diskutierte Frage, wie viele Arbeitsplätze durch eine Digitalisierung der Wirtschaft und den Einsatz von Robotern vernichtet werden. Es sei hier nur auf den klugen Artikel von David Autor (2015) verwiesen mit dem Titel: „Why are there still so many jobs? The history and future of workplace automation“.

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Favela Paraisópolis im Stadtteil Morumbi, São Paulo

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Rainer Hehl

Ausblick auf eine selbstgenerierte Stadt. Über Grauzonen zur Verhandlung neuer Möglichkeitsräume

Wie viel Kontrolle braucht die Stadt? Nach aktuellen Schätzungen sollen bis 2050 zwei Drittel der Menschheit in Städten leben – die Hälfte der Stadtbevölkerung wird bis dahin in ungeplanten Verhältnissen wohnen, in informellen Siedlungen und unkontrolliert wachsenden Ballungsgebieten, die abseits offizieller Planung von den Bewohnern selbst generiert werden. Städtische Informalität steht der offiziellen Produktion von Stadt gegenüber, die vom Markt und von Planungsbehörden gesteuert wird und zum großen Teil aus generischen und standardisierten Wohnmodellen besteht. Informalität und generische Produktion stellen nicht nur die komplementären Mechanismen für die Entwicklung zukünftiger Städte, an der Dichotomie dieser Entwicklungsmodelle wird auch deutlich, welchen Transformationsprozessen die Stadt des 21. Jahrhunderts unterliegt und nach welchen Gesetzmäßigkeiten und Praktiken städtische Lebensräume entstehen. Mit dem Eintritt ins urbane Zeitalter sollte daher neu hinterfragt werden, welches Stadtsystem diesen Anforderungen gesellschaftlicher Transformationen entspricht. Wie kann die zunehmende Komplexität bewältigt werden, wenn die Produktion von Stadt immer mehr von Abläufen bestimmt wird, die sich der institutionellen Planung entziehen? Mit welchen Instrumenten kann einer unvorhersehbaren Dynamik unterschiedlicher städtischer Realitäten Rechnung getragen werden? Wie lassen sich angesichts der Unkontrollierbarkeit städtischer Prozesse Wirtschaftlichkeit, Energieeffizienz und soziale Gerechtigkeit realisieren? Mit welchen Strategien können gleichzeitig widersprüchliche Interessen verfolgt werden und welchen Einfluss haben Planer auf die zukünftige Stadtgestalt?

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Was für viele Bewohner westlicher Industrienationen noch in ferner Zukunft liegt, ist in weiten Teilen der Erde schon zur Alltagsrealität geworden. Während sich die Debatten zur Zukunft der Stadt in den entwickelten Nationen hauptsächlich um die Optimierung städtischer Abläufe, Energieeffizienz und die Anwendung neuer Technologien drehen, wird die Frage der Transformationsfähigkeit urbaner Verhältnisse und die Offenheit gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen selten thematisiert. Entgegen dem Optimierungsdruck, der die Diskurse zur Stadtentwicklung derzeit noch weitgehend beherrscht und der auf dem Versprechen beruht, dass die sogenannte „Smart City“, die komplett durchorganisierte und kontrollierbare Stadt, bald schon das Leben in den Städten beherrscht, werden urbane Systeme im 21. Jahrhundert wohl vor allem von Unvollständigkeit und Widersprüchlichkeit geprägt sein. Nach der Darstellung der Soziologin und Stadttheoretikerin Saskia Sassen ist es gerade die Mischung aus Komplexität und Unvollständigkeit, die Städte widerstandsfähiger macht als vollständig formalisierte Systeme.1 Dass es gerade die Lücken im System sind, die eine Anpassung an veränderliche Umstände ermöglichen und damit für eine dauerhafte Stabilität sorgen, scheint aus der Sicht der Systemtheorie offensichtlich – im Hinblick auf die Umwälzungen, die der zukünftigen Stadtrealität bevorstehen, erweist sich die Unvollständigkeit und Anpassungsfähigkeit geradezu als unabdingbare Voraussetzung für die Bewältigung komplexer Problemstellungen. Die wuchernden Megastädte des globalen Südens mit ihren unkontrollierbaren informellen Stadtgebieten stellen einen lebenden Beweis dafür dar, dass die Metropolen des 21. Jahrhunderts nicht in erster Linie durch intelligente Technologien zukunftsfähig gemacht werden, sondern durch die Möglichkeit, diversen Lebensmodellen und Praktiken Raum zu bieten. Wie sehr die Zukunft der Städte von der Transformationsfähigkeit in Abhängigkeit steht, lässt sich nicht zuletzt auch an der Tatsache festmachen, dass die Geschwindigkeit gesellschaftlicher Veränderungen in vielen Bereichen die Trägheit und Langwierigkeit planerischer Prozesse übersteigt. Was in der Stadtsoziologie mit dem Begriff „spacing out“ bezeichnet wird, beschreibt die Tatsache, dass beim Versuch, neue Verhältnisse zu kartografieren, die Wandelbarkeit urbaner Verhältnisse sich immer wieder einer genauen Darstellung der aktuellen

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Situation entzieht. Wie kann Planung gedacht werden, wenn sie einer Aktualisierung gesellschaftlicher Realitäten hinterherhinkt?2 Während der modernistische Planungsansatz auf der Vorstellung beruht, dass der zunehmenden Komplexität durch die Setzung von vorbestimmten Lebensmodellen gegengesteuert werden sollte und damit auch die Subjektivierung der Stadtbewohner klaren Profilen und Standards unterworfen wird, steht die ungeplante, informelle Stadt für das Laisser-faire-Prinzip, für die Ermächtigung und Eigenbestimmung der Bewohner. Ist die Vorstellung einer dynamischen und wandelbaren Stadtgestalt besser geeignet, um auf die Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen zu reagieren? Muss der modernistische Ansatz zugunsten einer flexiblen Entwicklungslogik und der Offenheit gegenüber alternativen Zukunftsperspektiven revidiert werden?

Systemische versus selbstbestimmte Informalität Es ist nicht überraschend, dass informelles Wachstum in vielen Städten des globalen Südens zum integralen Bestandteil einer globalen Ökonomie avancierte, die von der neoliberalen Verwertungslogik und den Interessen einer kapitalkräftigen Elite dominiert wird. Während sich städtische Produktion heute in erster Linie auf makroökonomische Interessen konzentriert, bestehende Machtverhältnisse konsolidiert und damit auch der räumlichen Fragmentierung und sozialen Segregation Vorschub leistet, bildet demgegenüber die informelle Stadt die Grauzone und Parallelwelt, in der Prozesse stattfinden, die vom System nicht absorbiert werden können. Wenn mittlerweile weltweit ein Drittel der städtischen Bevölkerung in informellen und ungeplanten Verhältnissen wohnt und diese Zahl bis 2050 auf die Hälfte steigen wird, kann Informalität nicht mehr als Randerscheinung betrachtet werden. Mit der Erkenntnis, dass informelle Praktiken in vielen Gegenden zur Alltagsrealität, zum vorherrschenden „way of life“, geworden sind, stellt sich vielmehr die Frage, wie Selbstorganisation und unkontrolliertes Wachstum konstruktiv für die Entwicklung der Städte genutzt werden können. Unter welchen Rahmenbedingungen können informelle Prozesse die Eigendynamik und Wandlungsfähigkeit städtischer Prozesse fördern? Mit welchem Umgang kann die

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Kontrolle über städtische Entwicklungen in gewissem Maße aufgegeben werden? Wie viel Offenheit braucht die Stadt? Auch wenn sich diese Fragestellungen deutlicher an den urbanen Transformationen des globalen Südens festmachen lassen, gewinnt der Umgang mit städtischer Informalität und die Revidierung modernistischer Planungsansätze in den entwickelten Industrienationen immer mehr an Relevanz. Dabei geht es weniger um die Vorstellung, dass sich an den Rändern der Städte informelle Siedlungen und illegale Auffanglager für Geflüchtete oder Asylsuchende bilden. Informalisierung hat mittlerweile auch Gebiete erreicht, die üblicherweise nicht mit den Bildern unkontrolliert wuchernder Städte in Verbindung gebracht werden. Auch wenn die Bedeutung informeller Praktiken noch nicht in unser Bewusstsein vorgedrungen ist, sind viele Bereiche bereits maßgeblich davon geprägt. Kann beispielsweise dem Bedarf an Personal für pflegebedürftige Menschen in Deutschland überhaupt noch nachgekommen werden ohne die billigen informellen Arbeitskräfte, die zumeist aus osteuropäischen Ländern importiert werden, in dieser Grauzone zwischen Informalität und Illegalität in Anspruch zu nehmen? Zur Klärung, welche Rolle städtischer Informalität in unserem Kontext zukünftig zukommen sollte, wird es hilfreich sein, die unterschiedlichen Aspekte, die sich hinter der Bezeichnung verbergen, genauer zu bestimmen. Die Bezeichnung „informeller Sektor“ wurde zum ersten Mal 1971 von dem Anthropologen Keith Hart bei der Untersuchung unregulierter Arbeitsverhältnisse von Migranten in Ghana eingeführt. Die ILO (International Labour Organization) übernahm den Begriff 1972 im Rahmen einer Studie über den Einfluss informeller Kleingewerbe auf den Arbeitsmarkt in Kenia.3 In der Nachfolge wurden intensive Debatten geführt, wie und in welchen Bereichen die Bezeichnung verwendet werden sollte. Während die gängige Definition den informellen Sektor als Schattenwirtschaft begreift und sich auf die marginale Position illegaler Arbeitsverhältnisse konzentriert, die vom formalen Jobmarkt ausgeschlossen sind, bezieht sich eine weitreichendere Deutung des Begriffes auf systembedingte Aspekte informeller Arbeit und deren fundamentale Rolle innerhalb des neoliberalen Wirt-

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schaftssystems zur Reduzierung von Lohnkosten und damit auch zur Gewinnmaximierung im Rahmen kapitalistischer Wertschöpfung. Erst seit den 1990er Jahren hatte der Begriff Einzug in den Stadtdiskurs erhalten und bezeichnet seither nur unscharf Lebensverhältnisse, die jenseits des formalen Wohnungsmarkts von den Bewohnern selbst geschaffen werden. Das weite Spektrum städtischer Informalität reicht von illegal erbauten Behausungen über prekäre Wohnsiedlungen bis hin zu unterschiedlichsten Formen von Stadtproduktion, die ohne Einwirken übergeordneter Planungsinstanzen durch Selbstorganisation generiert werden. Viele informelle Siedlungen, die ursprünglich unter illegalen Verhältnissen errichtet wurden, sind mittlerweile zum offiziellen Teil der Stadt geworden. Andererseits lassen sich nicht alle Slums und prekären Wohnsiedlungen auf informelle Prozesse zurückführen. Ob nun Informalität im Sinne von illegalen, illegitimen oder einfach nur selbstbestimmten Handlungspraktiken verstanden wird, hängt vom jeweiligen Kontext ab und kann nicht pauschalisiert werden. Selbst wenn als gemeinsamer Nenner die Nichtbeachtung formaler Bestimmungen zugrunde liegt, sollte in jedem einzelnen Fall geklärt werden, welcher besonderen Funktion informelle Praktiken unterliegen. Während informelles Handeln sich in vielen Fällen aus der Alternativlosigkeit und aus den limitierten Möglichkeiten eines gegebenen Systems ergibt, kann die Rolle von Informalität sowohl im Sinne einer Beschränkung als auch der Erweiterung von Möglichkeitsräumen gedeutet werden. Informelles Handeln aus Zwang kann in der Folge durchaus zu einer proaktiven Haltung der Aneignung und Selbstbestimmung führen – die beiden Haltungen lassen sich daher in vielen Fällen nicht voneinander trennen. Eine Unterscheidung von informellen Praktiken, die sich aus Alternativlosigkeit ergeben, und denen, die neue Möglichkeitsräume herstellen, macht dennoch Sinn, weil die Voraussetzungen für die Verhandlung städtischer Produktion in beiden Fällen unterschiedlich gelagert sind. In der Folge wird der Begriff der städtischen Informalität in Hinsicht auf eine Erweiterung von Handlungsräumen und Praktiken der Aneignung untersucht. Damit soll auch klargestellt werden, dass sich die Konzentration auf eine produktive Rolle informeller Stadtentwicklung nicht verallgemeinern lässt. Es ist offensichtlich, dass prekäre

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Wohnverhältnisse weltweit keinen Vorbildcharakter haben sollten. Einer Romantisierung informeller Stadtentwicklung sollte demnach auch mit Entschiedenheit entgegengewirkt werden. Nichtsdestotrotz können wir von informellen Handlungspraktiken, wie sie im globalen Süden schon zur Alltagsrealität gehören, lernen – ein Süd-Nord-Transfer wird sich auch deshalb als brauchbar erweisen, weil dadurch der Dominanz westlicher Wissensproduktion entgegengewirkt werden kann.

Möglichkeitsräume zur Selbstbestimmung Was die Favela-Bewohnerin von der Besitzerin einer Apartmentwohnung im Stadtteil Morumbi in São Paulo unterscheidet, lässt sich nicht nur an Einkommensverhältnissen festmachen. Menschen, die in informellen Verhältnissen aufwachsen, sind einer anderen Art von Sozialisierungsprozessen ausgesetzt als Stadtbewohner, die durch formale Rahmenbedingungen geprägt werden. Soziale Beziehungen, materielle Absicherung, Zugehörigkeit zu lokalen Milieus, aber auch die Rollenverteilung innerhalb von sozialen Gruppen und Arbeitsverhältnissen tragen entscheidend zur Produktion von Subjektivität bei. Wenn standardisierte Apartments auf die spezifischen Bedürfnisse der mittleren und oberen Bevölkerungsschichten zugeschnitten sind, werden damit auch Subjektivierungsprozesse vorausgesetzt, die sich auf individuelle Freiheitsrechte berufen und auf formale Codes und gesellschaftliche Normierung gestützt sind. Demgegenüber müssen sich Bewohnerinnen und Bewohner informeller Stadtgebiete aufgrund von mangelndem oder unzureichendem Zugang zum formalen System andere Sicherheiten einholen. Ihre Rolle ist daher weniger im Sinne von individuellen Subjekten definiert – die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen, familiäre Verbindungen, kulturelle Gepflogenheiten und die Teilnahme an alltäglichen kollektiven Praktiken üben hier einen größeren Einfluss darauf aus, wie sich Subjektivität bildet und nach welchen Vorstellungen Nachbarschaft, Öffentlichkeit und urbane Kultur entwickelt werden. Blickt man aus der Perspektive von Subjektivierungsprozessen auf das Phänomen städtischer Informalität, so lassen sich auch große Unter-

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schiede erkennen, was die Rollenverteilung innerhalb gesellschaftlicher Konstellationen betrifft. Während im formalen Kontext Regeln und Gesetze durch übergeordnete Instanzen festgelegt werden, müssen Abmachungen, Übereinkünfte und Verträge in informellen Stadtgebieten von den Bewohnern selbst ausgemacht und immer wieder neu verhandelt werden. Mit der Feststellung, dass informelle Stadtproduktion ein anderes Verhältnis zur zwischenmenschlichen Interaktion bedingt, wird die Aushandlung von Räumen und die Aktualisierung sozialer Beziehungen zum wesentlichen Faktor bei der Ausbildung städtischer Gemeinschaften. Auch wenn die informelle Stadt nicht per se mehr Offenheit für soziale Diversität, kulturelle Durchmischung und Gendervielfalt verspricht, bietet sie dennoch potenzielle Freiräume, in denen unterschiedliche Interessen und Widersprüche Platz finden können.

Grenzlinie Paraisópolis, Morumbi, São Paulo 2009

Es ist deshalb kein Zufall, dass neue Formen der Partizipation an städtischen Prozessen, wie sie heutzutage in zunehmendem Maße im entwickelten Kontext zu beobachten sind, oft in Zusammenhang mit in-

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formellen Praktiken gebracht werden. Auch wenn die Beteiligung an der Entwicklung und Erstellung von Gebäuden und Stadtquartieren innerhalb von formalen Rahmenbedingungen stattfindet, so haben Verhandlungspraktiken von Baugruppen und gemeinschaftlich organisierten Trägerschaften mit Bewohnervereinigungen von informellen Siedlungen gemeinsam, dass die Aushandlung von spezifischen Bedürfnissen und damit auch der Gebrauchswert der Stadt im Vordergrund steht. Wo können vorhandene Freiräume gemeinsam genutzt werden? Wie kann zwischen privaten und kollektiven Interessen vermittelt werden? Wo bleiben Spielräume für Selbstbestimmung und Aneignung? In welcher Art von Stadt wollen wir gemeinsam wohnen? Es liegt wohl an der Natur informeller Verhältnisse, dass Subjektivierung als flexibler Prozess verstanden werden muss. Die Organisation und Erschaffung von selbstgenerierten Stadtquartieren entzieht sich daher auch prinzipiell den gängigen Regeln einer spekulativen Verwertung städtischer Ressourcen. Während spekulatives Handeln auf die Antizipation einer als wahrscheinlich geltenden Zukunft abzielt und daraus Gewinn schöpfen will, setzt informelles Handeln auf die Möglichkeiten innerhalb einer gegebenen Situation und entzieht sich damit grundsätzlich einer projizierten Zukunft. Mit der Konzentration auf Aktualisierung und spontane Intervention beruht die Stärke informeller Praktiken in erster Linie auf der Tatsache, dass aktives Handeln der Verhandlung vorangestellt wird. Wenn wir nach dem Motto „first act – then negotiate“ vorgehen, wird auch sichergestellt, dass es bei der Ausbildung von Gemeinschaften nicht nur um die endlose Ausdifferenzierung von privaten Interessen geht, sondern um die Erschaffung von Lebensräumen, die sich nach konkreten Bedürfnissen und lokalen Gegebenheiten richtet. Sobald Realitäten situativ aus der aktiven Beteiligung der Bewohner geschaffen werden, kann städtischer Raum als Verhandlungsbasis und zugleich als Akteur verstanden werden, der Möglichkeitsräume für selbstbestimmtes Handeln bietet.

Recht auf Aneignung Bei der Übertragung informeller Praktiken auf die Rahmenbedingungen formaler Stadtentwicklung stellt sich die Frage, wo sich im Rahmen formaler Ökonomien mit festgeschriebenen Zonierungs- und

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Bebauungsplänen überhaupt noch Freiräume anbieten und welche Bevölkerungsgruppen sich diese Freiräume aktiv aneignen können. Die grundlegenden Probleme, die sich bei der Verteilung von städtischen Ressourcen ergeben, lassen sich auf den Umgang mit dem Grund und Boden zurückführen. An der Bodenfrage entscheidet sich nicht nur, wer Zugang zur Produktion von städtischen Räumen erhält. Über die Mechanismen, wie über Baugrund verfügt wird, lässt sich auch feststellen, inwiefern Bodenverteilung auf öffentliche oder private Interessen ausgerichtet ist. Spielräume zur Schaffung von Grauzonen, die auf Flexibilität und Eigeninitiative der Bewohner angelegt sind, müssen daher grundsätzlich über die Möglichkeiten der Einflussnahme auf den Zugang zum Grund und Boden bestimmt werden. Da sich das deutsche Bodenrecht im Wesentlichen auf privatwirtschaftliche Verwertung stützt, steht die Art und Weise, wie mit der wichtigsten städtischen Ressource umgegangen wird, primär in Abhängigkeit von der Funktionsweise des Marktes. Die immobilienwirtschaftliche Verwertungskette führt derzeit bekanntlich zu einer Wertsteigerung, die nicht nur das Bauen immer teurer macht, sondern den Zugang zu Wohnraum für Einwohner mit niedrigem Einkommen erheblich erschwert. Wenn die Gewinnmargen für Entwickler und Bauträger derzeit bei 10 bis 15 % liegen, wird damit auch festgelegt, dass die Stadt bei jedem Schritt zwischen Eigentümer, Zwischenerwerber und Enderwerber um eben diese 10 bis 15 % teurer wird. Solange die Wertsteigerung anhält, werden Freiräume immer weiter an die Stadtränder verdrängt. Wird damit selbstbestimmte Stadtaneignung nur noch in der Peripherie und in abgelegenen Lagen möglich sein? Es scheint, als wäre Aneignung von Stadtraum über den formalen Markt nur noch für die oberen Einkommenssegmente erreichbar. Wozu das führt, zeigen neue Bebauungsgebiete, in denen Grundstücke mit Basiserschließung an private Bauträger vergeben werden, die diese wiederum an individuelle Eigentümer verkaufen. Wenn jeder private Besitzer sein Einfamilienhaus nach eigenen Vorstellungen entwickelt, führt das zu einer Form von Wildwuchs, die sich jeglichem städtebaulichen Anspruch entzieht. Der Vergleich zwischen informell wuchernden Städten und dem generischen Wachstum, das von den Marktmechanismen generiert wird, ist durchaus angebracht. Informelles Stadtwachstum kann in beiden Fällen als Ausdruck individueller Aneig-

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nung verstanden werden. Wenn aber der Zugang zur Stadt, soziale Gerechtigkeit und die Ausbildung von städtischen Gemeinschaften mit Prozessen der Aneignung in Verbindung gebracht werden, so kann wohl dieser informelle Wildwuchs von Einfamilienhaussiedlungen eher als Gegenbild einer nachhaltigen Stadtentwicklung identifiziert werden. Je stärker das Baugeschehen innerhalb des formalen Marktes von privaten Interessen bestimmt wird, desto mehr wird der Schaffung von Möglichkeitsräumen jegliche Basis entzogen. Mit der Feststellung, dass Informalität erst durch kollektive Verhandlungsprozesse produktive Formen annehmen kann, bleibt als Aneignungsstrategie innerhalb formaler Systeme nur noch die Generierung von alternativen Stadträumen durch selbstorganisierte Trägergruppen. Bei den Baugruppen und Genossenschaften, die Selbstbeteiligung, Partizipation und eigenverantwortliches Handeln zum Grundprinzip erklärt haben, wird städtische Produktion als demokratische Basisarbeit zur Aushandlung privater und kollektiver Interessen definiert. Innerhalb klar definierter räumlicher Grenzen und mithilfe von Regelwerken für gemeinschaftliches Handeln können so neue Freiräume entwickelt werden, die sich der konventionellen Verwertungslogik entziehen. Dass die von Baugruppen und Genossenschaften entwickelten Baugebiete häufig informelle Züge annehmen, ist auch in der Tatsache begründet, dass selbstbestimmtes Handeln nur effektiv möglich wird, wenn die Determiniertheit und Kontrolle über Raumprogramme zu einem gewissen Grade aufgehoben wird. Die sogenannten „Optionsräume“, die bei vielen gemeinschaftlich angelegten Bauprojekten die Möglichkeit einer unvorhergesehenen Raumnutzung garantieren sollen, stehen nicht zuletzt auch für eine Haltung, die der Wandelbarkeit gesellschaftlicher Verhältnisse mehr Platz einräumt. Dass Aneignung und selbstbestimmtes Handeln Regeln und Rahmenbedingungen braucht, um einen Mehrwert für die Gemeinschaft zu erzeugen, lässt sich auch an neuen Organisationsformen im genossenschaftlichen Wohnungsbau festmachen. Unter dem Leitbild der „systemischen Konsensierung“ wird beispielsweise in schweizerischen Wohngenossenschaften das Handeln dem Verhandeln vorangestellt. Optionsräume können demnach einfach genutzt werden, solange es keine Mehrzahl an Gegenstimmen gibt.

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Die Mitgestaltung von städtischen Räumen lässt sich mittlerweile auf unterschiedliche Maßstäbe der Stadtproduktion übertragen. Wenn sich diverse Genossenschaften und selbstorganisierte Gruppen zu Mietshäusersyndikaten und anderen übergeordneten Vereinigungen zusammenfinden, um gemeinsame Interessen zu vertreten, entfalten alternative Entwicklungsmodelle erst ihr politisches Potenzial. Informelles Handeln wird demnach in Form von Selbstbeteiligungsprozessen ausgetragen, die sich zwar der marktwirtschaftlichen Entwicklungslogik entziehen, aber dennoch allgemeingültige Spielregeln beachten. Dabei werden oft auch die Grenzen selbstorganisierter Entwicklungsmodelle sichtbar. Die Konkurrenzfähigkeit gemeinschaftlich ausgehandelter Raumproduktion wird durch langwierige Verhandlungsprozesse beeinträchtigt und schlussendlich auch durch die begrenzten Möglichkeiten für kapitalintensive Investitionen eingeschränkt. Daher wäre es umso notwendiger, Selbstorganisation und Eigenbeteiligung vonseiten der Planungspolitik zu stärken. Die Instrumente, die dafür zur Verfügung stehen, sind vielfältig und reichen von steuerlichen Vorteilen über die Vergabe von Grundstücken bis hin zur aktiven Förderung von Projekten, die sich der spekulativen Logik privatwirtschaftlicher Verwertung entziehen. Inwieweit gewisse Formen der Trägerinformalität von staatlicher Seite anerkannt oder unterstützt werden können, hängt wiederum von den Kapazitäten selbstorganisierter Gruppen ab, aktive Netzwerke zu bilden, um eigenverantwortliches Handeln zu mobilisieren. Je mehr Mitgestaltung an der städtischen Produktion ermöglicht wird, desto mehr Verantwortung muss im Gegenzug von der Zivilgesellschaft übernommen werden. Die Aufgabe von Kontrolle steht damit in Abhängigkeit von der Ausbildung neuer Formen städtischer Kultur. Das Recht auf Aneignung sollte sich demnach nicht nur auf den Zugang zu städtischen Ressourcen beschränken – damit der Umgang mit diesen Ressourcen auch im Sinne einer nachhaltigen und sozial gerechten Entwicklung erfolgt, muss die Aneignung und Aushandlung von Stadträumen durch Subjektivierungsprozesse gestützt werden, bei denen ein Bewusstsein für alternative Formen der Stadt- und Baukultur entwickelt wird. Mit der Forderung nach einem Recht auf Aneignung sollte daher immer auch das Ziel verfolgt werden, einen Nährboden für den Abgleich zwischen individuellen Bedürfnissen und kollektiven Interessen herzustellen.

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Makeshift Cities Bei der Übertragung informeller Praktiken auf den Kontext formal gesteuerter Stadtsysteme wird deutlich, dass Informalität ohne die Ausbildung von kollektiven Handlungspraktiken keinen produktiven Beitrag zur Stadtgestaltung leisten wird. Ein Vergleich zwischen der informellen Dynamik, die mittlerweile weite Teile der städtischen Produktion im globalen Süden bestimmt, und den Transformationsprozessen, die formal gesteuerte Stadtsysteme in Zukunft erwarten, ist daher nur begrenzt möglich. Wenn es darum gehen soll, der Mitgestaltung der Zivilgesellschaft an der städtischen Produktion eine größere Rolle zukommen zu lassen, so setzt das die Bereitschaft der Stadtbevölkerung voraus, sich auf neue Verhältnisse einzulassen und die städtische Realität als offenen Prozess anzuerkennen. Dass für die Bewohner in den informellen Siedlungen die Offenheit für Transformation zur existentiellen Grunderfahrung gehört, hängt mit dem improvisierten und provisorischen Charakter ihrer Wohnsituation zusammen. Die Zwänge und Regeln, denen sie unterworfen sind, um sich das Leben sichern zu können, sind dabei in den meisten Fällen stärker als die Rahmenbedingungen, die in entwickelten Bereichen durch formale Systeme vorgegeben werden. Was wir von der städtischen Informalität lernen können, liegt daher weniger im Bereich des Umgangs mit städtischen Ressourcen als vielmehr in der Fähigkeit, Komplexität durch die Förderung von selbstbestimmtem Handeln zu bewältigen. Die Schaffung von Möglichkeitsräumen lässt sich damit auch nicht einfach nur durch die Deregulierung bestehender Rahmenbedingungen bewirken – zur Mobilisierung einer aktiven Bewohnerschaft, die sich auch auf die Aushandlung neuer städtischer Verhältnisse einlässt, müssen Verhältnisse geschaffen werden, die der Veränderbarkeit und Erneuerung eine aktive Rolle zukommen lassen. Es wäre daher angebracht, den Begriff der städtischen Informalität durch ein Vokabular zu ersetzen, das dem Transformationspotenzial eigenmächtiger Handlungsweisen Rechnung trägt. Damit könnte der Schwerpunkt der Debatte über städtische Informalität von einer systembedingten und zwanghaften Informalisierung auf neue Formen der Stadtaneignung verlagert werden. Was hinter den Bildern von Arrival Cities und spontan errichteten Siedlungen mitschwingt, ist die Vorstellung, dass Informalität als Übergang von unstabilen zu konsolidierten Stadtsystemen gedacht

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werden sollte. Wenn wir jedoch Aneignung als „Makeshift Practices“, als Handlungsweisen ansehen, die zwischen unterschiedlichen, oft widersprüchlichen Systemen vermitteln, wäre es angebracht, konsolidierte Systeme in einem gewissen Grade zu destabilisieren, um das Potenzial für einen systemischen Wandel freizulegen. „Makeshift Cities“ wären demnach Orte, bei denen nicht das Ankommen, das heißt: die Integration in bestehende Systeme auf dem Programm steht, sondern das Weiterkommen und das Einlassen auf eine Zukunft, die durch aktive Beteiligung entwickelt und gestaltet wird. Der eingangs zitierten These, dass Veränderung und Erneuerung nur durch die Unvollständigkeit von Systemen möglich sein wird, kommt damit eine weitere Bedeutung zu. Wenn nicht das Ankommen, sondern die Transformation zum Ziel städtischer Entwicklungspolitik erklärt wird, müssen Möglichkeitsräume für alternative Handlungspraktiken bereitgestellt werden, die einen aktiven Dialog mit den formalen Rahmenbedingungen eingehen. Entgegen der Vorstellung, dass städtischer Informalität abseits offizieller Entwicklungsgebiete ein Platz eingeräumt werden sollte, verspricht die Integration informeller Praktiken innerhalb formaler Planungsprozesse mehr Potenziale, um transformativen Prozessen Raum zu bieten. Wie können jedoch informelle Handlungsmuster innerhalb einer offiziellen Planung eingeführt werden, wenn diese den Rahmenvorgaben der vorherrschenden Stadtökonomie widersprechen? Mit dem Anliegen, die Wohnbedingungen in informellen Siedlungen zu verbessern, wurde in Brasilien in den 1990er Jahren ein Planungsinstrument eingeführt, das es erst möglich machte, Eingriffe in unkontrolliert gewachsenen Stadtsystemen vorzunehmen, ohne die bestehende soziale Struktur zu beeinträchtigen. Erneuerungsmaßnahmen im Bestand informeller Siedlungen waren zuvor allein schon deshalb undenkbar, weil die Verbesserung des bestehenden Wohnumfelds nicht unter Anwendung formaler Bestimmungen bezüglich Sicherheit und baulichen Standards durchgeführt werden konnte. Mit der Einführung von ZEIS (zonas especiais de interesse social) – Sonderzonen für soziale Interessen – wurden gewisse Bereiche im Rahmen von Zonierungsplänen zu besonderen Entwicklungsgebieten erklärt, in denen bestehende Gesetzgebungen von den Behörden aufgehoben werden können. Die Errichtung dieser Sonderzonen hatte nicht nur neue Strategien zum Upgrading von prekären Siedlungsformen er-

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möglicht – durch die Aufhebung von gewissen Standards wurde eine Neuverhandlung von Regelwerken in Gang gebracht, die auch ein erweitertes Bewusstsein für die erhaltenswerten Qualitäten informeller Siedlungsformen herstellen konnte.

links: ZEIS, São Paulo 2016 rechts: Straßenführung und Parzellierung, ZEIS Rosa Selvagem, Recife 2005 aus „Streets as Tools for Urban Transformation in Slums: A Street-Led Approach to Citywide Slum Upgrading“, United Nations Human Settlements, Programme 2012

Mit der Verschränkung von informeller Logik und planerischen Eingriffen konnten Grauzonen geschaffen werden, die sowohl von planerischen Vorgaben als auch von spontaner Aneignung bestimmt werden. Während die Versorgung mit grundlegender Infrastruktur und die Bereitstellung von städtischen Einrichtungen durch die öffentliche Hand erfolgt, bleiben Freiräume erhalten, die eine ständige Anpassung räumlicher Strukturen an soziale Prozesse ermöglichen. Durch Interventionen vonseiten öffentlicher Behörden werden die Bewohner mit den Vorgaben formaler Planung konfrontiert und damit auch ein Verständnis für öffentliche Anliegen vermittelt, die über den Maßstab der Quartierentwicklung hinausreichen und ein Bewusstsein für zivilgesellschaftliche Verantwortung schaffen. Im Gegenzug werden Planungsbehörden einer Handlungslogik ausgesetzt, die sich nicht an einer vorgegebenen Leitplanung festmachen lässt und von der Eigendynamik selbstorganisierter Gruppen getragen wird. Im Schnittbereich zwischen top-down und bottom-up werden Potenziale freige-

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setzt, die sich aus der Interaktion unterschiedlicher Systeme ergeben. Wäre eine gesonderte Behandlung von Entwicklungsgebieten, die von öffentlichen Trägern ausgeschrieben werden und die die Spielräume für eine Beteiligung der Bewohnerschaft erweitern, nicht auch eine Möglichkeit, informellen Handlungspraktiken innerhalb formaler Planungsprozesse mehr Platz einzuräumen? Die Errichtung von Sonderzonen, in denen nach anderen Regeln gestaltet werden kann, würde ermöglichen, bestehende Entwicklungsmuster einer alternativen Stadtproduktion gegenüberzustellen, ohne die Spielregeln offizieller Planung komplett zu ändern oder aufzuheben. Je nachdem, welche Interessen in diesen Sonderzonen im Vordergrund stehen, könnte die Aneignung neuer städtischer Realitäten jeweils unter anderen Vorzeichen erfolgen und so als Testlauf für eine Weiterentwicklung und Transformation bestehender Verhältnisse dienen. Die Stadt, die von den Bewohnern selbst generiert wird, könnte nicht nur wichtige Impulse für eine Neuausrichtung der Planungspolitik auslösen – durch die Verhandlung scheinbar unvereinbarer Systeme könnten auch die Voraussetzungen geschaffen werden, eine städtische Kultur der Vielfalt und Mitgestaltung in den Köpfen der Planer und der Stadtbewohner zu verankern.

Anmerkungen 1

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Sassen, Saskia (2015): Who owns our cities – and why this urban takeover should concern us all. In: The Guardian, 24. November 2015: „A city is a complex but incomplete system: in this mix lies the capacity of cities across histories and geographies to outlive far more powerful, but fully formalised, systems – from large corporations to national governments“. Simone, Abdoumaliq (2011): The Politics of Urban Intersection: Materials, Affect, Bodies. In: Bridge, G./Watson, S. (Hrsg.): The New Blackwell Companion to the City, Malden, Mass, S. 357–366. ILO: Employment, incomes and equality. A strategy for increasing productive employment in Kenya, Geneva 1972.

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Stadtteilfest, Französisches Viertel, Tübingen

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Klaus Schäfer

Stadtentwicklung und Migration

Mit dem Thema der Migration verbunden, so wie sie im positiven Sinne im Buch „Arrival City“1 von Doug Saunders beschrieben wird, ist der Gewinn von ökonomischer Selbstständigkeit ein evidenter Bestandteil einer – raschen und gelingenden – Integration. Die Möglichkeit von Eigentumsbildung, das Interesse an selbstbestimmtem Handeln und die mitgebrachte Beharrlichkeit wirken als Motor für Identifikation, Initiative und Gestaltungswillen. Diese Faktoren sind nicht zuletzt ein Beitrag für die Gesellschaft insgesamt.2 Die Stadt ist der Ort der Integration. Wie sich denken lässt, sind hierfür auch strukturelle Eigenschaften und Erfordernisse des Stadtgefüges mitverantwortlich. Schließlich kann man dieses Phänomen als eine Qualität des „Städtischen“ betrachten, worin nicht nur ein gesellschaftliches Vehikel der Integration steckt, sondern sich ein grundlegendes Symptom offenbart. Dies gilt zwar nicht nur für das Thema Immigration, macht aber an diesem Punkt die Abhängigkeit von der gegebenen Stadtstruktur als Schlüssel zum selbstständigen Handeln überdeutlich. Die Aspekte der Migration unterstreichen hier die gesellschaftsrelevante Seite von Stadtentwicklung. Ankommen und sich niederlassen, dies könnte als eine historische Grundeigenschaft der Stadt an sich beschrieben werden. Darin liegt ein Gründungsmythos des Städtischen.

Stadtgeschichte ist Migrationsgeschichte Historisch ist das Thema der Migration auf vielerlei Ebenen ein Anliegen der Stadtentwicklung. In der Städtebaugeschichte finden sich beispielsweise die Zähringerstädte,3 die schon bei ihrer Gründung im

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Mittelalter auf Zuwanderung fußten. „Migration war für Städte des Mittelalters lebensnotwendig.“4 Hierauf gründete der Fortschritt, der Reichtum und das Wissen. Die französischen Religionsflüchtlinge des 16. und 17. Jahrhunderts, die Hugenotten, brachten einen vollständigen Katalog an Bautypologien für ihre neuen Stadtteile mit, vom einfachen Wohnhaus und dem Schulgebäude über die Manufaktur bis zur Kirche, dies bis zur detailliert festgelegten Architektur, Parzellengröße und Straßenquerschnitt.5 Für die Stadt Kassel schufen sich die hugenottischen Zuwanderer planmäßig jenes städtebauliche Ensemble um den Friedrichs- und Königsplatz, das man heute bisweilen fälschlich, trotz des Namens „Oberneustadt“, für den historischen Kern Kassels hält, der im Zweiten Weltkrieg verloren ging. Einst neben dem mittelalterlichen Nukleus der Stadt errichtet, ersetzt die Oberneustadt für Kassel identifikatorisch, was man nach dem Krieg im Duktus der durchgrünten Stadtlandschaft erneuerte. Ähnlich verhält es sich mit dem Berliner Scheunenviertel, das, durch jüdische Migrantinnen und Migranten im 18. Jahrhundert zu einem Stadtviertel geformt, heute die Rolle eines mit wichtigen Identifikationsmerkmalen besetzten Quartieres erfüllt und ein verloren gegangenes Zentrum ersetzt. Die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts wäre ohne das „Zuwanderungsgebiet“ Europas im Deutschen Reich wohl in einem geringeren Maße verlaufen.6 Das sind die baulichen Zeugnisse großer Schübe einer Zuwanderung, doch Migration war und ist ein anhaltender kontinuierlicher Prozess, der durchweg auf die Stadtentwicklung einwirkt. Mit der Geschichte des Städtischen als einer gesellschaftlichen und darauf räumlich abgestimmten Evolution unserer bürgerlichen Gesellschaft, in ihrem Jahrhunderte überdauernden Gegenüber aus Öffentlichem und Privatem, ist das Thema der Migration fest verbunden. Diese Geschichte einer Emanzipation hätte ohne den großen Anteil einer Immigration nicht so stattfinden können.7 Und umgekehrt war die Emigration ebenfalls selbstverständlicher Teil einer urbanen Dynamik über Jahrhunderte. „Deutschland ist, wie alle europäischen Gesellschaften, immer eine plurale Gesellschaft gewesen, Auswanderung hat die regionalen Gesellschaften genauso verändert wie Einwanderung.“8 Zudem war es, wie Dirk Hoerder in seiner Untersuchung zur Migration in Deutschland zeigt, schon immer die städtische Gesellschaft,

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die Integration ermöglichen konnte im Unterschied zur agrarischen Gemeinschaft, die sich beständig damit schwertat, das Fremde zu akzeptieren: „Da die Einwanderer wirtschaftliche Teilhabe anstrebten, kam es in der Mehrzahl der stadtgerichteten Wanderung zur Akkulturation im Verlauf einer Generation, während agrarische Enklavenbildung Selbstsegregation begünstigte.“9 Mehr noch, impliziter kultureller Segregationsdruck provoziere die Rekonstruktion landsmannschaftlicher und verwandtschaftlicher Beziehungen10 unter den Zuwanderern bis in unsere Tage.

Migration, ein blinder Fleck der Gesellschaft Die Deutsche Geschichte ist spätesten seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts von der „Verleugnung der Leistung durch Migration“11 geprägt und noch immer bestehen starke Ressentiments gegenüber einer Zuwanderung. Im Vergleich der historischen Perspektiven der einzelnen Epochen führt Hoerder aus, inwiefern die überwiegende Mehrzahl der Migranten damals wie heute die seit den 1870er Jahren nationalistisch geforderte Assimilation weder leisten wollte noch konnte. Ortsveränderung und damit Veränderung des Sozialraumes erfordere, dessen seien sich auch die Migranten selbst bewusst, Veränderung ihrer Lebensformen durch schrittweise Akkulturationsprozesse. Dies sei auch ihr eigenes Ziel. Um den Rahmen für ihre Lebenspläne zu erweitern, wählten sie neue Gesellschaften. Nationale Eingrenzung und rassistische Ausgrenzung erschwerten diese Zugehörigkeiten jedoch.12 1978 wird Heinz Kühn zum ersten Ausländerbeauftragten durch die Bundesregierung berufen und erklärt in dem aus seinem Amt entstandenem Memorandum13 Deutschland de facto zu einem Einwanderungsland. Das Kühn-Memorandum wurde von der Politik ignoriert und der noch in der Ära Kohl vertretene Standpunkt, Deutschland sei kein Einwanderungsland, „bedeutete in der Praxis, dass Politik und Gesetzgeber auf diese Entwicklung nicht mit staatlichem Handeln in gesamtgesellschaftlicher Perspektive reagierten.“14 Diese Verweigerungshaltung forciert die mitunter kritisierte Segregation innerhalb der Communitys: „Integration war kein Thema, da die BRD das nationalistische Rotationsprinzip (der Gastarbeiter, Anm. d. Verf.) des Kai-

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serreichs wiederbelebt hatte. (…) Alle gesellschaftlichen Kräfte hatten Arbeitskräfte im Blick, nicht Menschen mit eigenen Lebenszielen.“15

Revitalisierung oder Erhalt der Innenstädte durch Migration Der Visumszwang für Türken bedeutet laut Hoerder weitere Ausgrenzung. Dem stehe das Eingliederungsverhalten der intern vielfältigen Gruppe durch die häufige Gründung kleiner und mittlerer Betriebe und verbreiteten Hausbesitz gegenüber. Zuwanderung bedeute für jede Gesellschaft neben Arbeitskräften auch einen Zuwachs an alltagskulturellen und literarisch-künstlerischen Optionen, so Hoerder, der Deutschland als ein faktisches Einwanderungsland beschreibt.16 Am Beispiel der Keupstraße in Köln Mülheim lässt sich nachvollziehen, wie sehr Zuwanderung, Ankommen und gesellschaftlicher Aufstieg mit der Geschichte eines Stadtraumes verbunden sein können.17 Dieses Kölner Viertel zeigte, inwieweit „Zuwanderung für die Entwicklung und Modernisierung der Städte ein konstitutives Element“ bedeutet, das „keine in sich geschlossene Parallelwelt darstellt, sondern ein recht differenziertes und mobilitätsgeprägtes Quartier, das sich noch nicht einmal als kulturelles Cluster oder herkunftsbestimmtes Milieu, sondern in seiner postmodernen Inszenierung längst als ‚Vorbote‘ der Globalisierung erwiesen hat.“18 Der deindustrielle Wandel in den 1970er und 1980er Jahren ließ die letzte Bewohnergeneration der Keupstraße19 in Mülheim zunächst perspektivlos zurück. Die Revitalisierung des Stadtteils glückte infolgedessen durch das eigenständige Handeln der Einwohner mit meist türkischen Wurzeln, woraus beispielsweise 800 Arbeitsplätze generiert wurden.20 An der Keupstraße lässt sich ablesen, welche strukturellen Voraussetzungen für einen lebendigen Wandel – ohne notwendigen stadtplanerischen Eingriff – als Potenzial bereits vorliegen müssen: Eine ideale – vorhandene – städtische Nutzungsmischung aus Nahversorgung, Dienstleistung, Produktion, Geschäftslokalen und Wohnen, aufbauend auf einer überwiegend kleinteiligen Organisation, parzelliert mit hoher baulicher Dichte in einer funktionierenden, mit anderen Worten: stimulierenden Nachbarschaft in einem städtischen Quartier. In der Summe dessen liegt das Reservoir einer lokalen Ökonomie. Ein

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vergleichbarer „Selbstbildungsprozess“ hätte hier als geplante Insel oder getrennt in einzelne Nutzungsbereiche nicht stattfinden können. Darüber hinausgehend lässt sich konstatieren, dass dieser Prozess weder verordnet noch planstabmäßig erzeugt werden kann. Er kann aber zugelassen oder, auch das ist leider vorstellbar, verhindert werden. Das urbane Treiben in der Mülheimer Keupstraße gilt mittlerweile als ein touristischer Magnet der Stadt Köln. Zuwanderer spielen schon lang eine bedeutende Rolle in bestimmten merkantilen Bereichen, sie prägten lokale Milieus und deren Erscheinungsbilder,21 heißt es dann auch in einem Bericht der Fachkommission Städtebau in Bayern, und weiter: „Migrantenökonomien habe eine beachtenswerte volkswirtschaftliche Bedeutung entwickelt. Etwa 280.000 Ausländer sind in Deutschland (2006!)22 als Unternehmer tätig (…). Durch die „Randökonomien“ werden in bestimmten Innenstadtlagen oftmals Lücken im Produktions- und Dienstleistungssektor gefüllt und dadurch ein Funktionieren des Quartiers gesichert.“ Der öffentliche Raum – die Plätze, die Grünanlagen, das Wohnumfeld – werden zudem von den Zuwanderern intensiver genutzt als von der einheimischen Bevölkerung, was in der Studie23 auch auf die beengten Wohnverhältnisse zurückgeführt wird. Und als weitere Bestätigung des Exempels Keupstraße lässt sich Folgendes anführen: „Durch die Abnahme der Integrationsmöglichkeiten über den Arbeitsmarkt wächst die Bedeutung des Quartiers, engeren Lebensumfeldes und der Wohnung als sozialräumliche Basis für Integration. Vielfältige und nutzungsgemischte Innenstädte begünstigen das Neben- und Miteinander unterschiedlicher Kulturen, Lebensstile, Bewohnergruppen und Nationalitäten.“24 Wiederholt wird hier deutlich, wie die gesellschaftliche Integrationsfähigkeit erst aus einer kleinteiligen Stadtstruktur und der engen Nachbarschaft verschiedener Nutzungen entsteht. Im Folgenden wird in der Studie hervorgehoben, wie nachhaltig diese Voraussetzungen eine Segregation verhindern: „Grundlage dazu sollte ein Leitbild sein, das es den Migranten ermöglicht, ihre Potenziale unter Beibehaltung ihrer ethnischen, kulturellen und religiösen Identität in die Mehrheitsgesellschaft unter Akzeptanz deren Leitfunktion einzubringen.“25 Unter der Auflistung wesentlicher Handlungsfelder folgt hieraus die Empfehlung aus der Studie zur Entwicklung der Innenstädte, die mit diesem Buch auf den nötigen Umbau einzelner geeigneter Stadt-

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felder im suburbanen Raum übertragen werden sollen: „(…) die Erhaltung und Förderung kleinteiliger Nutzungsmischung, Bestandspflege bestehender Betriebe, Unterstützung von Existenzgründungen durch die Schaffung stadt-räumlicher Rahmenbedingungen, Förderung merkantiler Strukturen (z. B. Märkte) und Berücksichtigung ethnischer Ökonomien, um die ökonomische Chancengleichheit zu verbessern.“26

Ein Beispiel des Städtebaus: Tübingen, Französisches Viertel und Loretto-Areal Schon 1992 wurde ein Wettbewerb um eine ehemalige Kaserne in zwei Kilometern Entfernung zum Stadtkern, im suburbanen Weichbild der Stadt Tübingen ausgeschrieben. Eine Studierendengruppe, die ebenfalls zu dem Wettbewerb zugelassen war, gewann diesen mit der Adaption einer klassischen Blockrandbebauung.27 Der Entwurf sah vor, große Teile der vorhandenen Bebauung zu erhalten und auch die übersichtliche Geometrie der Militäranlage aufzunehmen. Infolgedessen wird nicht nur das stadträumliche Bild eines urbanen Gefüges entwickelt, sondern auch ein stadtplanerisches Konzept28 für eine kleinteilige gemischte Nutzungsstruktur. Stadtplanung und Politik agierten hier Hand in Hand; auch dann noch, als sich starker Widerstand gegen den gängigen Finanzierungsweg seitens der Immobilienwirtschaft einstellte. Aus dieser Not wurde eine partizipative Tugend geboren, indem zum ersten Mal in Deutschland flächendeckend Baugruppen oder Baugemeinschaften zur Finanzierung herangezogen wurden, um einen komplett neuen Stadtteil zu errichten. Der städtebauliche Entwurf wurde mit Parzellengrößen entwickelt, die auf die finanziellen Möglichkeiten einzelner Baugemeinschaften abgestimmt waren. Dabei wurden sowohl soziale Träger für den geförderten Wohnungsbau als auch Träger von Genossenschaftsmodellen integriert. Hervorgehoben werden muss an dieser Stelle, dass es andernorts gerade die vorgeblichen Muster für investorengerechte Größen sind, die eine Parzellierung ausschließen. Über die Argumentation für den sozialen Wohnungsbau und genossenschaftliche Projekte, die eine Wohnanlage, einen ganzen Block oder gar ein ganzes Viertel beanspruchen, wird das Thema der Maßstäblichkeit der Architektur über-

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lassen. So wird hier in der Regel das Modell einer kleinteiligen Stadtentwicklung mit dem einer vermeintlich sozialgerechten Bebauung ausgehebelt. Leider beschränkt sich dann oft die Nutzung ebenso einförmig auf reine Wohntypologien.

Alltag auf der Straße, Französisches Viertel, Tübingen

Vielen Verfahren der Stadtentwicklung geht im politischen Raum ein Bekenntnis zu identitätsbildenden Maßstäben und zur Nutzungsmischung aus Wohnen und Arbeiten voraus. In Tübingen wurde all dies im Einklang mit dem damaligen Planungsrecht umgesetzt. Hierbei beschränkt sich weder das Arbeiten allein auf Gewerbe in Wohnfolgeeinrichtungen noch die Nutzungsmischung darauf, unterschiedliche Wohnformen zu kombinieren. Im Französischen Viertel und im Loretto-Areal haben alle Erdgeschosse eine Gewerbenutzung, zudem findet sich produzierendes Gewerbe, ja sogar in Verbindung mit darüberliegenden Wohnungen. Das Quartier verfügt über eine hohe städtische Dichte.29 Im Französischen Viertel leben etwa 2.400 Einwohner, insgesamt gibt es 700 Arbeitsplätze, 150 Betriebstätten und 400 Studenten leben allein in den Wohnheimen. Es gibt einen überdurchschnittlich

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hohen Kinderanteil, viele Initiativen und auch kulturelle Einrichtungen mit stadtweiter Bedeutung. Und tatsächlich stellt sich dieser neue Stadtteil „der kurzen We30 ge“ schon seit seiner Fertigstellung als sozial gemischtes‚ „gewöhnliches“ Quartier heraus, in dem beispielsweise bei Sonnenschein die Mittagsgäste vor den Cafés oder Restaurants sitzen. Anfangs lag hier der Migrationsanteil überproportional hoch bei 30 %, möglicherweise aufgrund der randstädtischen Lage des Quartiers. Heute hat er sich auf das durchschnittliche Tübinger Niveau von 15 % eingependelt. Wahrscheinlich nicht zuletzt wegen seiner derzeitigen Beliebtheit steht das Gebiet unter erheblichem Gentrifizierungsdruck. Der Soziologe Jens Dangschat äußert sich wie folgt zum Konzept des Stadtteils: „Die Tübinger Anti-These ist: Wir müssen der Stadt wieder zumuten, Integrationsmaschine zu sein“; der Stadtplanung falle daher die Rolle zu, das städtische Zusammenleben wieder räumlich zu organisieren.31 Das Tübinger Beispiel zeigt, dass es sehr wohl gelingen kann, im suburbanen Raum eine städtische Setzung herzustellen. Wir sehen eine Transformation der Zwischenstadt, die der ganzen Stadtgesellschaft dazu dient, auch in einem neuen Viertel zueinander zu finden: ein profaner Stadtteil mit den Qualitäten eines normalen Innenstadtlebens im Gewand zeitgenössischer Architektur. Hier entwickelte sich sogar das Ideal einer gestaltvollen Grenze zur freien Natur, um somit auch die Landschaft gegenüber der Stadt zu formen.

Ein Beispiel der Architektur Im Grunde ist es nicht unbedingt eine vorwiegend architektonische Frage, die sich aus dem Zusammenhang von Stadtentwicklung und dem Thema Migration ergibt. Aber was, wenn wir von einem Neuanfang ausgehen wollen, dessen Qualitäten ebenso gut sein sollen wie jene Teile der Stadt, die gerade so beliebt sind? Nichts anderes bedeutet es, als dass aus dem Zusammenwirken der Häuser in der traditionellen Stadt Möglichkeiten für ein Leben entstehen, von denen der Migrant ebenso profitiert wie sein alteingesessener Nachbar. Das Ermöglichen von eigenständigem Handeln, so hier die These, wird von einer kleinteiligen nutzungsgemischten Stadtstruktur befördert. Eigenständiges Handeln ergibt sich aus den vorhandenen Potenzialen, das sind

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Anteile in der Stadt, die umnutzungsfähig sind, also nicht unbedingt für immer und ewig festgelegt. Umbau, Ausbau, Ab- und Aufbau; es sind die Nischen, die nicht so groß sind, dass sie als Brachen den Zusammenhang zerstören, gewissermaßen die „informellen“ Anteile in unseren Städten, die Fehlstellen, die entstehen dürfen, ohne dass der Sinn des Ganzen verloren geht. Eigenständiges Handeln bedeutet, die Chancen, die sich aus einem Ort ergeben können, wahrzunehmen. Das kann die leere Garage im Hinterhof sein, die Bereitschaft, sich mit jemandem zusammenzutun, den man auf der Straße antrifft, oder der Tipp aus der Nachbarschaft. Hierzu braucht es ein Initial, das etwas auslöst oder in Bewegung setzt. Aus unserer deutschen Alltagserfahrung ist es leider eher vorstellbar, welche Form von Architektur diese, nennen wir es „Selbstbildung“, verhindert. Man hat sich an die abschließende Homogenität von neuer Architektur gewöhnt, die Gebäude, die sich nur auf sich selbst beziehen, oftmals durch ihren Ausdruck und ebenso durch ihre Nutzung.

Quartier Quinta Monroy, 2003–06, Iquique, Chile (ELEMENTAL Alejandro Aravena)

Architektur kann dieses Initial der Selbstbildung unmittelbar in sich tragen, was gemeinhin der Struktur nach eine städtebauliche Aufgabe ist. Die ELEMENTAL-Häuser von Alejandro Aravena32 erzeugen einen spontanen Eindruck der Improvisation. Diese Ästhetik des Unfertigen springt einen geradezu an. Dabei ist die Kraft der Rohbauten das Eine und die Schönheit und Vielfalt der Überformung im Gebrauch das Andere. Beachtlich ist, wie sich diese Haustypologie zu einem kollektiven Raum formen lässt. Man sieht den Häusern ob ihres findigen

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Verdichtungsstrategie und Nutzungsmischung

Charakters nach, dass der Rückraum auf der Parzelle manchmal ein wenig dürftig für kommende Nutzungen ausfällt. Geradezu heiter wirken die Bilder und Collagen von Estudio Teddy Cruz + Fonna Forman,33 hinter denen eine Umnutzungs- und Verdichtungsstrategie für suburbane Räume an der mexikanisch-US-amerika-

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nischen Grenze steht. In einem Austausch von Dienstleistungen, Baumaterial und kulturellen Gütern soll die gegenseitige Auflösung von Defiziten der angrenzenden Gemeinden dazu genutzt werden, eine nachhaltigere Besiedlung entlang der Grenze zu erzeugen. Cruz + Forman beschäftigten sich auf vielfache Weise mit einer Überwindung der sehr eindimensionalen Verhältnisse von Eigentum und den Folgen von Nutzungsbeschränkungen der amerikanischen Vorstädte. Sie werden modellartig transformiert zu einer kleinteiligen, nutzungsgemischten, städtischen Lebensform mit ausgeprägt partizipativen Elementen. Erstaunlich ist bei den Beispielen, neben ihrem partizipatorischen Grundgeist, die Nähe zur „informellen Siedlung“ in einem von Migration geprägten Gebiet. Eigentlich bestehen beide Modelle, das realisierte Projekt von Aravena und die mehr konzeptionellen Ansätze von Cruz + Forman, daraus, bestimmte Vorteile informeller Strukturen beizubehalten und gewissermaßen zu zähmen. Sie setzen etwas in Wert, was vorher nur aus Kartons oder Kanistern (Bidonvilles) bestand, erweitert um den positiven urbanen Gehalt eines eben nicht funktionsgetrennten „sauberen“ Siedlungsgefüges. Das Unperfekte wird hier architektonisch interpretiert zu einer Kunst der Improvisation in einer demonstrativ lebensfrohen Ästhetik.

Das Informelle ist die Parzelle Die geeignete Grundlage des Städtischen ist eine parzellierte Eigentumsstruktur des Bodens. Ihr Aufbau darf nicht zu grob sein und sollte heterogene direkt benachbarte Nutzungen ermöglichen. Die Netzgröße dieser Struktur entscheidet über die unmittelbare Teilhabe am Eigentum an der Stadt. Intendiert im Netzwerk der parzellierten Stadt, und wahrscheinlich auch ein Grund, warum diese „gleichberechtigte Form“ mit der Städtebaugeschichte entstand, ist die Fähigkeit zur inneren Erneuerung als einem sukzessiven Prozess. Dies ist gleichsam die Anpassung an sich ändernde Nutzerbedürfnisse über Jahrzehnte und Jahrhunderte aus den Interessen des einzelnen Stückes Stadt, dem Flurstück. Diese strukturelle Prozessfähigkeit ist nicht unbedingt auf eine Steuerung durch stadtplanerische Eingriffe – von oben – angewiesen.

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Die Anzahl der Parzellen in unseren Innenstädten hat sich enorm verringert, damit hat auch die Zahl der Eigentümer am städtischen Grund abgenommen. Demzufolge haben sich die Nutzungsinteressen und die Zuständigkeiten für ihre Planung verschoben. An dieser Stelle wird angenommen, dass sich die Verbindung zwischen Eigeninteresse an der Nutzung auf einem Grundstück und seiner Verwertung dadurch ebenfalls stark verändert. Die Tendenz, und das ist keine leere Formel, wird die einer Entkopplung von lokalen und kommerziellen Interessen sein. Eine Kapitalisierung des Eigentums in ein Unternehmen entfernt den Ort der Nutzung zusätzlich von den Entscheidungen, die darüber gefällt werden. Der Mangel an Vielfältigkeit auf der einen Seite steht möglicherweise sogar einem Zuviel an Interessen auf Verwertungsseite gegenüber. Es gibt keine Zwangsläufigkeit in unserer Gesellschaft, dass das Eigentum an Grundstücken und ihre Anzahl konzentriert werden müsste! Ebenso kann es politischer Wille sein, große Stadtfelder gemäß einem städtebaulichen Konzept und kommunalen Belangen einzeln an verantwortlich – auch das lässt sich lenken – Handelnde zu veräußern. Die gegenwärtig oftmals in Diskussionen gestellte Frage zur Teilhabe an der Stadtentwicklung: „Wem gehört die Stadt?“, dürfte eine ihrer Ursachen auch im hier beschriebenen Verlust der Verbindung von Eigentum und Besitz an den Flächen der Stadt haben. Was sind die geeigneten Beteiligungsmöglichkeiten und wie werden die Mitwirkungsrechte an die Bürger vergeben? Eigentum erzeugt wahrscheinlich die direkteste Verbindung zu einem Ort und wenn die Hürden dazu nicht zu hoch sind, kann die Beziehung aus Identifikation und Teilhabe fruchtbringend für die Gestaltung der Stadt sein. Ein kleinparzelliertes Stadtgefüge weist in seiner Unabhängigkeit Verwandtschaften zur „informellen Stadt“34 auf. Das betrifft eine wünschenswerte Variabilität in der Nutzung, eine direkte Verbindung zwischen Baugrund und Eigentümer, eine gewisse Unabhängigkeit von stadtplanerischer Steuerung und Fürsorge und im Ergebnis eine Mannigfaltigkeit35 des Quartiers in seiner Erscheinung und Kultur. Unweigerlich entsteht aus diesen Automatismen des Eigentums die räumliche Differenzierung zwischen privatem und öffentlichem Raum. Die Parzelle, das Grundstück oder Flurstück ist über die Geschichte der Städte allgemein eine der resistentesten Erscheinungen. Diese Grenze der Einhegung vom Öffentlichem oder dem Privaten, je

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nach Perspektive der Betrachtung, ist oftmals älter als die Häuser, die sie markieren. Eine parzellierte Blockrandbebauung erlaubt aus einer relativen Abgeschlossenheit „ungeklärte“ Nutzungen zum Vorteil eines städtischen Kaleidoskops. Das Unvorhergesehene, das Verborgene, benötigt gewissermaßen ein anarchisches Potenzial aus einem geeigneten Grundgerüst heraus. Private unbebaute Höfe, temporäre Architektur, fliegende Bauten, das Ephemere, heute ein Spielplatz, morgen Tomatenstauden, gestern ein Parkplatz. Der Gegensatz des zivilen Äußeren zum öffentlichen Raum in der Architektur gegenüber einer sekundären Architektur im Hof braucht die private Parzelle. Diese Vorstellung ist etwas aus der Mode gekommen, aufgerieben zwischen investorengerechten Baufeldern, genossenschaftlichen Wohnhöfen, gesamtheitlichen Stellplatzanlagen, Gemeinschaftsgrün, planungsgerechten Nutzungsfeldern; einer Liste, die sich beliebig verlängern ließe. Deutlich wird, wie sehr Eigentumslenkung und Planung dabei merkantilen Erwägungen folgen, die sich nach Clustergrößen bemessen lassen. Kritikwürdig ist die Distanz zwischen dem Ort und dem Umfeld einer Entscheidung und dem Ort, dem Quartier, das mit diesen Entscheidungen leben wird. Das Tagesgeschäft der Stadtpolitik ist es, weiterhin Parzellen zu investorengerechten Marktsegmenten zusammenzulegen. Während eine parzellierte Bebauung noch als kleinbürgerlich, nicht mehr marktkonform und schon gar nicht stellplatztauglich erscheint, stellt sich mit dem Aufkommen neuer Eigentumsmodelle in der städtischen Gesellschaft ein Bedeutungswandel ein. Die anhaltende Rückbesinnung auf urbane Werte geht einher mit dem Entstehen von Baugemeinschaften oder Baugruppen, die bei der Nachfrage nach städtischem Grund leider bis jetzt noch hintenanstehen müssen. Mit diesem Modell gelingt es, wieder eine Verbindung zwischen Verantwortung, Identifikation und direkter Beteiligung an der Stadt herzustellen. Eine Brücke zur genossenschaftlichen Selbstorganisation wird gleichfalls geschlagen. Zudem ist hier der Schritt zur Integration, auch durch Erwerb oder andere kleinmaßstäbliche Beteiligungsformen an Gewerbe und Handel, sehr naheliegend. Demzufolge sei hier auf eine Untersuchung von Bettina Reimann zum Thema Wohneigentumsbildung von Haushalten mit Migrationshintergrund verwiesen.36 Reimann weist auf die vielfältigen Chancen für die Stadtentwicklung hin:

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„Positive Effekte zwischen Eigentumserwerb und Quartiersentwicklung sind vor allem in solchen Quartieren festzustellen, die Entwicklungsbedarf haben, als benachteiligt eingestuft werden oder um eine Zukunftsperspektive ringen.“ Und als Handlungsempfehlung folgt aus dieser Untersuchung zur Gesamtstrategie für Stadtentwicklung, Wohnen und Integration: „Das Thema der Wohneigentumsbildung von Personen mit Migrationshintergrund und quartiersbezogene Strategien zur Wohneigentumsförderung sollten in eine Gesamtstrategie der integrierten Stadtentwicklung eingebettet sein. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Themenfelder Wohnen und Integration miteinander verknüpft sowie in einen Quartiersbezug gebracht werden.“37 Und weiter die Empfehlung: „Insbesondere in benachteiligten Quartieren können durch Eigenheimneubau bzw. den Erwerb von Bestandsimmobilien Stabilisierungseffekte und neue Wohnqualitäten geschaffen werden. Vorsichtige städtebauliche Aufwertungen, die auch bessere Wohnangebote in den benachteiligten Quartieren schaffen, sind daher zu unterstützen.“38 So könnte verhindert werden, dass finanziell bessergestellte Haushalte – auch mit Migrationshintergrund – das Quartier verließen, wenn sie ihre Wohnsituation verbessern wollten, heißt es in der Projektstudie.

Tübingen – Avantgarde der deutschen Stadtentwicklung (?) Schon legendär, dennoch immer noch von ihren Alleinstellungsmerkmalen getragen, sind die Viertel der Tübinger Südstadt, das Loretto Areal und das Französische Viertel. Gegenwärtig lässt sich in Tübingen ein weiterer wichtiger Entwicklungsschritt zukünftiger Stadtentwicklung studieren. Die Stadtverwaltung bewirbt und unterstützt ein Modell, das Baugemeinschaften mit dem Thema der Migration verbindet: „Ziel des städtischen Projektes ist es, von 2017 bis 2020 zusammen mit der Tübinger Einwohnerschaft die Voraussetzungen für ein gelingendes Miteinander von einheimischen und geflüchteten Menschen zu gestalten.“39 Anhand von Bewerbungsprofilen für geplante Projekte und die damit verbundene Vergabe von Grundstücken an Baugemeinschaften wird proaktiv von der Stadt um Konzepte geworben, die ein

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Integrationsmodell verfolgen. Nicht zuletzt argumentiert die Stadtplanung für dieses Modell auch mit dem Gewinn für den Stadtraum: „Die menschenwürdige, integrationsunterstützende und stadtentwicklungspolitisch sinnvolle Unterbringung dieser Menschen ist eine große gesellschaftliche und planerische Herausforderung. Die Stadtverwaltung möchte Geflüchtete an möglichst kleinteiligen und integrierten Standorten unterbringen.“ Für die sogenannte „Anschlussunterbringung“40 sucht die Stadt nach Wohnraummöglichkeiten für eine Großzahl von Flüchtlingen und arbeitet dabei an einem Modell, das einer kontinuierlichen Zuwanderung angemessen erscheint. Im Fokus steht das Leitmotiv, sowohl für die einheimische Bevölkerung als auch für die Migrantinnen und Migranten sozial verträglich zu sein und eine Zukunftsaussicht für die Stadtentwicklung insgesamt herzustellen. Der Stadt Tübingen ist dabei wichtig, eine Bleibeperspektive für die Zugewanderten zu erzeugen. Die Zielgruppen der angestoßenen Vorhaben sind neben den Baugemeinschaften auch die Genossenschaften, Bauträger oder sonstige Projektträger. Unter den Projekten gibt es temporäre Wohnformen, Konzepte zur Selbsthilfe, zum Mitbauen, Kombinationen mit Werkstätten und eine klassische Nutzungsmischung aus Wohnen und Gewerbe. Spannend ist die Überlegung, inwieweit dieses fortschrittliche Quartier der Südstadt, das Französische Viertel, aus seinen Qualitäten heraus für Tübingen kreative Maßstäbe einer Stadtentwicklung setzt. Darin, dass manche Initiative zugunsten der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Südstadt selbst gekommen ist, offenbart sich eine kulturelle Haltung seitens der Bewohner. Noch entscheidender aber ist: Der Aufbau des Quartiers, in seiner Einheit aus städtebaulicher Struktur und sozialen Komponenten, erzeugt möglicherweise ein Selbstverständnis dafür, wie man in dieser Stadt konstruktiv Stadtentwicklung betreibt. Hier werden Werte vermittelt, Urbanität auch als Brücke zur Integration zu betrachten und zu planen. Somit erscheint das Französische Viertel als ein Baukastenmodell zumindest für die Entwicklung von Tübingen insgesamt.

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Fremd sein in der Fremde „Die Stadt ist eine Siedlungsform, die die Begegnung einander fremder Menschen wahrscheinlich macht,“ schreibt der Soziologe Richard Sennett in „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens“41 zum Wesen der städtischen Gesellschaft. Er wird dabei jeglichen Bürger im öffentlichen Raum, der hier zum Begegnungsraum wird, im Sinn haben und nicht vorzugsweise den Fremden als Zuwanderer. Ein elementarer Wert des öffentlichen Raumes für die Gesellschaft wird mit diesem gerne zitierten Satz hervorgehoben, beschreibt er doch den Status im öffentlichen Raum in der Stadt rechtlich als den eines freien Menschen, denn jeder darf fremd sein. Es geht um die Möglichkeit, einander im anonymen Raum zu begegnen, und die gegebene Anonymität stellt sich als ein gesellschaftlicher Gewinn heraus (Georg Simmel),42 weil sie die Unabhängigkeit des Einzelnen gewährleistet. Städtisch wird der Raum durch dieses Faktum der Kommunikation und durch eine bauliche Dichte, so auch Sennett. Die Dichte entsteht auf zweierlei Weise: Aus einer Vielzahl sich überkreuzender Bezüge durch verschiedene Nutzungen im Privaten der Häuser hinter den Fassaden und aus der Verbindung dieser Fassaden über den Verkehrsraum. Man verkehrt gesellschaftlich über den öffentlichen Raum. Die Häuser und ihre Grundstücke müssen einerseits das Private herstellen und die Vielzahl an Nutzungen ermöglichen. Der öffentliche Raum wird so zur Folie des Gleichen unter Gleichen, die bis zu einem gewissen Grade einem jeden Unauffälligkeit gewährt. Für den Migranten ist diese Gleichheit das Geschenk einer ersten Integration. Das „blasierte“43 Desinteresse des Städters an der Gesellschaft erklärt uns der Soziologe Simmel als einen Selbstschutz des Menschen in der Menge der Anderen, oszillierend zwischen Toleranz und Ignoranz. Für manchen Migranten kann hierin eine existenzielle Notwendigkeit liegen. Zwar wird der Flüchtling dadurch auf sich selbst geworfen, doch birgt gerade diese Neutralität in sich einen Schutzcharakter, die alles Weitere, was ihm widerfährt, mit seinen eigenen Handlungen verbindet. Die Struktur des Privaten, wenn sie eine urbane Dichte und Raumfigur aufweist, schafft auch auf bauliche Weise Rückzugsräume. Dichte erbringt schon rein numerisch eine Anzahl von Möglichkeiten, unterzukommen. Eine geschlossene Stadtfassade schützt einerseits das Pri-

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vate im Haus und hinter dem Haus, andererseits erzeugt sie im Nebeneinander der Adressierungen eine relative Neutralität. Auf einer anderen Ebene ermöglicht die städtische Gesellschaft, auf sehr konstruktive Weise mit dem Fremden und mit dem Fremdsein umzugehen. Die Begegnungen mit fremden Einflüssen sind alltäglich. Die Stadt wird hierbei zum Erfahrungsraum, an den Gewinnen durch Migration beteiligt zu werden. Der hierfür eingesetzte Begriff der Akkulturation meint, dass kulturelle Integration eine Wechselwirkung erzeugt. Im Geben durch die Mehrheitsgesellschaft steckt immer auch ein Nehmen von neuen Einflüssen. Das ist der subtile Anteil; vorteilhafter sieht es aus, wenn es um direkte kulturelle, politische oder wirtschaftliche Erweiterungen und Beiträge geht, die von den Immigranten erwartet, d. h. abgerufen werden. „Zuwanderer stehen für die Vernetzung in die Welt.“44 Das ist ein weiterer Gewinn durch den Fremden in der Stadt, die Verbindung in die Fremde: das globale Netzwerk, das die Migrantin und der Migrant mit sich bringen, die Beziehung zu der alten Heimat in die – mögliche – neue Heimat. Die Wissenschaft der Ethnografie, in ihrem Studium ferner Gesellschaften, historisch wie geografisch, erteilt uns diese fruchtbare Lektion,45 gemäß Claude Lévi-Strauss, dass nur Gesellschaften, die mit dem Fremden in Kontakt stehen, voranschreiten können. Sehr wohl gibt es eine der Menschheit innewohnende Gefahr, vor der auch Hochkulturen nicht gefeit sind, im Glauben an die eigene Unabhängigkeit, sich zu isolieren und die ihr eigene „natürliche Möglichkeit“ des Fortschritts zu verlieren.46

Der Reiz des Fremden in der Stadt Auch darum geht es in Sennetts Aussage. Das Fremde selbst wird zum Potenzial einer persönlichen kulturellen Erweiterung durch Begegnung in der Stadt und mit der Stadt. Es ist da, in der Nähe, strahlt seinen Charme aus, weckt unseren Lebensgeist, es ist möglich, es zieht an und es stößt ab, das Fremde demonstriert eine vage Ahnung von Grenzüberschreitung. Das macht das städtische Leben mit dem Fremden ebenfalls aus, menschliche Neugierde am Fremden. Sie lässt sich sogar potenzieren mit dem Großstädtischen in seinem metropolitanen Geist.

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Dirk Hoerders47 Exempel von der Volkstracht der Hamburger Marktfrauen48 bezeugt, wie wenig sich Heimat und Fremde auseinanderhalten lassen. Sehen wir durch den Zeitgeist oder sind unsere Betrachtungen schon Teil der Kulturgeschichte? Die farbige Pracht der traditionellen Gewänder geht zurück auf ein Tuch, das durch englische Handelsbeziehungen von Indien nach Europa und über die Hamburger Handelsbeziehungen nach England kam. Es begeisterte die Tuchhändler in Hamburg ebenso wie die Bäuerinnen, die ihre Waren auf den Markt trugen. Sie nahmen die Stoffe für ihre – angeblich schon immer so getragene – Kleidung auf, die zudem über Generationen immer farbiger wurde. Bei einer Exkursion auf der Suche nach der „Arrival City“ Offenbach war ich selbst der „Fremde“, der Straßen, Plätze und Hinterhöfe durchstreifte. Mein erster Besuch in dieser Stadt vor 30 Jahren endete brutal unter Fußgängerbrücken und Türmen aus Wasch- und Sichtbeton. Mit meinem Fahrrad kämpfte ich im rauen Stadtverkehr ums Überleben und kehrte unverzüglich zum idyllischen Mainufer zurück. Vieles davon fand ich jetzt nicht wieder, jedoch der grobe Charme eines von der Moderne überformten Stadtkerns ist geblieben. Auf meinen Spaziergängen entdeckte ich das „Rosmarin“ zwischen Markt- und Wilhelmsplatz im „kleinen Biergrund“, das Restaurant von Mohamed El-A. mit österreichischer Küche. Der Wirt, mit ägyptischen Wurzeln, war stolz auf seine Stadt Offenbach und ihre Würdigung durch die Architekturbiennale.49 Sein Lokal gibt es schon seit fünf Jahren. Die Liebe zur österreichischen Küche hat ihm sein Vater als Küchenchef in Hurghada mitgegeben, bevor er sich selbst zu einer Kochausbildung in Wien aufmachte. Er berichtete mir von seinen eher unfreiwilligen alljährlichen Reisen ans Rote Meer, des Ehefriedens willen, und das auch noch im Sommer, von seinem Leben in seiner Heimatstadt Offenbach. Er klagte keineswegs über den nicht endenden Herbstregen, der mich in seinem Lokal festhielt, nur über die Preise auf dem Offenbacher Wochenmarkt, auf dem sich Migranten weder als Kunden noch als Händler zeigten.

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Warum ist Riace Stadtbaukunst? Stadtplanung, wenn sie zu einer nachhaltigen Sinnstiftung beiträgt, kann als eine Kunst betrachtet werden, in diesem Falle eine gesellschaftliche Kunst im Gefüge – räumlich und sozial – einer Stadt. Eine wahre Geschichte unserer Tage, die Botschaft von Riace in Süditalien, beginnt vor 20 Jahren. 1998 strandete an der Küste des ionischen Meeres unterhalb der Stadt ein Flüchtlingsboot mit 300 Kurden. Riace, ein kleiner Ort über dem Meer mit mittelalterlich-städtischem Gefüge, hatte zu diesem Zeitpunkt schon lange weit mehr als die Hälfte seiner Einwohner verloren. Vor dem Kriege emigrierten sie entweder nach Amerika oder Australien, später nach Norditalien oder Deutschland. So blieben etwa 800 überwiegend ältere Einwohner zurück in dieser kargen Region Kalabriens. Angeführt von ihrem Dorflehrer Domenico Luciano50 entschlossen sich die Bürger Riaces, die Flüchtlinge aus dem Boot in ihrem Ort aufzunehmen. Sie bekamen

Benvenuti a Riace, dove i migranti hanno risollevato l’economia (Willkommen in Riace, wo die Migranten die Wirtschaft wiederbelebt haben), Bilduntertitelung im Corriere della Sera, Italien

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Unterkunft in den leer stehenden Häusern des Städtchens. Weitere Migranten wurden aufgenommen. Der Plan war, gemeinsam zu leben und zu arbeiten. Luciano gründete den Verein Città Futura, der ein eigenständiges lokales Wirtschaftssystem aus kleinen Betrieben, gar mit eigener Währung, ermöglicht. Fortan wurde Riace zu einer Durchgangsstation für viele Migranten, entweder als Ausgangspunkt für andere Ziele auf dem europäischen Festland, als Fluchtpunkt vor Vertreibung aus weniger freundlichen Nachbarschaften oder als Ort, an dem man sich niederlassen kann, trotz schwieriger lokaler Ökonomie. Mittlerweile hat der Ort einen offiziellen Modellstatus für eine sinnvolle Eingliederung51 von Zuwanderern erhalten. Andere Gemeinden haben dieses Modell, das der Regierung in Rom nicht nur wegen der geringeren Kosten wertvoll erscheint, bereits übernommen. Die „Civitas“ ist eben nicht nur der Raum, sondern auch die Gesellschaft, die den Raum belebt. Nicht immer stellt sich der Sinn einer Civitas so deutlich heraus wie in Riace – trägt sie doch etwas Wesentliches in sich, worüber jede städtische Gemeinde verfügen sollte. Über Riace liegt der Geist eines gesellschaftlichen Gesamtkunstwerkes. Sicher kann man den Eindruck, den dieses Städtchen macht, nicht davon trennen, dass er auf der Basis eines mittelalterlich geprägten Stadtkörpers entsteht. Oder doch? Was unterscheidet diesen Ort von einem Flüchtlingslager aus Containern? Wieder wird am Beispiel einer Stadt deutlich, wie schon an anderer Stelle im Buch erwähnt, dass der Gewinn, den die Zuwanderer davon haben, eine Zuflucht zu finden, allen Beteiligten zu einem Vorteil verhilft. Hier geschieht dies sogar in mehrfacher Hinsicht: Riace erhält als Gemeinde aller Bewohner wieder einen Inhalt, der verloren schien, und der Sinn einer bestimmten städtischen Form – im räumlich-physischen Sinne – wird deutlich. Stadtbaukunst bedeutet, einen Raum sinnstiftend zu beleben. Das soziale Gefüge ist der Mehrwert seiner Form. So wird aus Städtebau Stadtbaukunst im originären Sinne.

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Doug Saunders: Arrival City, München 2011. Bertelsmann Stiftung: Studie 11. 8. 2016: Migrantenunternehmen sind Jobmotor für Deutschland. Wolfgang Braunfels: Abendländische Stadtbaukunst, Köln 1976. Dirk Hoerder: Geschichte der Deutschen Migration, München 2010, S. 24. Willi Stubenvoll: Die deutschen Hugenottenstädte, Frankfurt a. M. 1990, S. 129 f. Dirk Hoerder, 2010, S. 56 (Industrialisierung): Innerhalb von West- und Zentraleuropa wurde das Deutsche Reich in den 1880er Jahren zum wichtigsten Zuwanderungsgebiet. Dirk Hoerder, 2010, S. 21 (Mittelalter) „ … Untersuchungen zeigen, dass nur wenige Familien über mehr als drei Generationen an einem Ort nachzuweisen sind“. Ebda., S. 120 (Vergleichende Perspektiven). Ebda., S. 31 (Mittelalter). Ebda., S. 109 (Ausländische Arbeitnehmer in der BRD). Ebda., S. 91 (Deutsche Diaspora?). Ebda., S. 122 (Vergleichende Perspektiven). Vollständiger Titel des Kühn-Memorandums: Stand und Weiterentwicklung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in der Bundesrepublik Deutschland von 1978. In: Homepage der Bundesregierung (7.3.2018). Dirk Hoerder, 2010, S. 105 (Faktisch ein Einwanderungsland). Ebda., S. 107 (Ausländische Arbeitnehmer in der BRD). Ebda., S. 110 (Faktisch ein Einwanderungsland). Geschichtswerkstatt Mülheim: Dokumentation der Initiative auf eigener Homepage (7. 3. 2018). Wolf-Dietrich Bukow/Erol Yildiz: Urbaner Wandel durch Migration am Beispiel eines Einwanderungsquartiers in Köln Mülheim: Die Keupstraße, Heinrich-Böll-Stiftung, Migrationspolitisches Portal (7. 3. 2018). Am Mittwoch, den 9. Juni 2004 erfolgte ein Anschlag auf das Leben der Menschen in der Straße vor einem Friseursalon, der mittlerweile der terroristischen Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zugeschrieben werden konnte.

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20 Wolf-Dietrich Bukow/Erol Yildiz, 2018. 21 Entwicklung der Innenstädte II – Karin Sandeck: Bericht der Fachkommission Städtebau, Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, Sachgebiet IIC6 Städtebauförderung, 2006. 22 Eine Studie der Bertelsmann Stiftung, veröffentlicht 2016, wonach sich im Jahr 2014 die Anzahl Selbstständiger mit Migrationshintergrund auf 705.000 gesteigert hat, von ursprünglich 576.000 für 2005, wobei eine wesentliche Nachricht in den Medien die sich daraus ergebenden Arbeitsplatzsteigerung auf fast 1,3 Millionen war. 23 Karin Sandeck, 2006. 24 Ebda. 25 Ebda. 26 Ebda. 27 Daraus ging das Büro LEHEN drei (Martin Feketics, Leonhard Schenk, Matthias Schuster) in Stuttgart hervor. 28 In Fachkreisen wird die Umsetzung des Quartiers wesentlich mit Andreas Feldtkeller verbunden, Leiter des Stadtsanierungsamtes Tübingen 1972–1997. 29 240 Einwohner pro Hektar bei insgesamt 10 Hektar Siedlungsfläche für das Französische Viertel. 30 So lautet die stolze Werbebotschaft auf dem Bauschild seit 1995: „Hier entsteht die Stadt der kurzen Wege – Arbeitsplätze – Wohnungen – Infrastruktur“. 31 Jens S. Dangschat: Ein Kommentar. In: Andreas Feldtkeller (Hrsg.): Städtebau, Vielfalt und Integration, Stuttgart 2001, S. 216. 32 Das Büro-Kollektiv ELEMENTAL um den Architekten Alejandro Aravena, Santiago, Chile. – Siehe hierzu den Beitrag von D. Saunders im vorliegenden Buch, S. 20–39 33 Studien für Tijuana/San Diego. Teddy Cruz betreibt mit seiner Partnerin Fonna Forman das Büro Estudio Teddy Cruz + Fonna Forman. 34 Siehe hierzu den Beitrag von Rainer Hehl, S. 176–191 35 Jane Jacobs: Tod und Leben großer amerikanischer Städte, Berlin 1963. 36 Bettina Reimann: DIFU-Untersuchung, Präambel zum Forschungsbericht, 2014.

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37 Bettina Reimann: Wohneigentum als Chance für Stadtentwicklung und Integration, bearbeitet von Dr. Bettina Reimann (Projektleitung). In: DIFU, 2014, S. 87. 38 Ebda., S. 88. 39 Homepage der Stadt Tübingen unter der Rubrik „Bauen und Wohnen“, zum Thema „Wohnen und Flüchtlinge“, hier der Punkt: „Nachbarschaft und Vielfalt“. Sämtliche Projekte, die eine öffentliche Förderung erhalten oder durch öffentliche Vergabe unterstützt wurden, sind auf dieser Internet-Plattform ausführlich dokumentiert. 40 Die Anschlussunterbringung erfolgt, wenn Flüchtlinge den ersten Schritt der Unterbringung in Deutschland zumeist in Aufnahmelagern durchlaufen haben, d. h. wenn die Verantwortung vom Land und Landkreis an die Kommune übergeht. 41 Richard Sennett: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt a. M. 1986, S. 61. 42 Georg Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben, 1903. 43 Ebda. 44 Die Soziologin Martina Löw in der Süddeutschen Zeitung (7. 2. 2018): „Vom Glück, ein Mannheimer zu sein“. 45 Claude Lévi-Strauss: Vortrag über die Ethnografie als revolutionäre Wissenschaft, Paris 1937. Von Montaigne zu Montaigne, Frankfurt a. M. , 2018, S. 63 f. 46 Ebda. 47 Dirk Hoerder, Historiker und Sozialforscher, widmete zahlreiche Veröffentlichungen dem Thema Migration. 48 Dirk Hoerder in seinem Vortrag: Distinctive and connecting identifications: regionality, in-migration, emigration. American Historical Association, Washington D. C., Januar 2018. 49 Making Heimat. Germany Arrival Country. Thema der 15. Architekturbiennale im Deutschen Pavillon. 2016. 50 Domenico Luciano, Bürgermeister von Riace seit 2004, erhielt 2017 den Dresdner Friedenspreis. 51 Unter dem Namen „accoglienza diffusa“, aus: Regina Kerner: Flüchtlinge im italienischen Riace. Das Dorf des Willkommens, Berliner Zeitung 29. 9. 2015.

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Autorenverzeichnis Lutz Eichholz ist seit 2017 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Stadtsoziologie der TU Kaiserslautern. Im Rahmen von Forschungsprojekten arbeitet er u. a. zu Migration, Integration und Lebenswirklichkeit Geflüchteter. Dipl.-Ing. Andreas Feldtkeller ist Architekt und Stadtplaner. 1972 bis 1997 leitete er das Stadtsanierungsamt der Stadt Tübingen (Altstadtsanierung, Konversionsmaßnahme Französisches Viertel). Er veröffentlichte Bücher und arbeitete an verschiedenen Forschungsprojekten mit. Dr. Rainer Hehl ist Architekt und Stadtforscher und unterrichtet derzeit als Gastprofessor an der TU Berlin und an der Yokohama National University, Graduate School of Architecture. In seiner Doktorarbeit erforschte er Urbanisierungsstrategien für informelle Siedlungsgebiete mit Fallstudien in Brasilien. Dr. Manfred Kühn ist Senior Researcher und stellvertretender Leiter der Forschungsabteilung „Regenerierung von Städten“ am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) Erkner sowie Mitglied der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL). Seine Schwerpunkte sind Zuwanderungsstrategien von Städten, Peripherisierung, Planungstheorien, Klein- und Mittelstädte. Prof. Dr. Dieter Läpple ist Emeritus für Internationale Stadtforschung an der HafenCity Universität Hamburg. Er leitete das Institut für Stadtökonomie an der TU Hamburg, lehrte und forschte u. a. in Berlin, Amsterdam, Paris, Aix-en-Provence/Marseille und Leiden und ist Advisor des Urban Age-Progamms der London School of Economics.

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Doug Saunders wurde für seine Reportagen und Kolumnen bislang viermal mit dem National Newspaper Award ausgezeichnet, dem kanadischen Pendant des Pulitzers. Sein von der Presse hoch gelobtes Buch „Arrival City“ (2011) wurde für renommierte Sachbuchpreise nominiert und gewann den Donner Prize. Prof. Klaus Schäfer, Architekt, Stadtplaner und Bauingenieur, Inhaber des Lehrstuhls für Städtebau an der Hochschule Bremen, betreibt seit 2006 das Institut der Stadtbaukunst (www.stadtbaukunst.org). Er erhielt den Deutschen Städtebaupreis, den DIFA-Award für das Berliner Tiergarten-Dreieck 2002 und nahm teil an der documenta urbana Labor 2007. Prof. Dr. Annette Spellerberg bekleidet seit 2008 den Lehrstuhl für Stadtsoziologie an der TU Kaiserslautern. Ihre Schwerpunkte sind Wohnsoziologie, demografischer Wandel, sozialräumliche Differenzierungen, Nachbarschaften, neue Wohnformen, Lebensstilforschung und empirische Methoden. Dr. Matthias Schulze-Böing studierte in Frankfurt a. M. und Berlin Soziologie, Volkswirtschaft und Philosophie. Er ist Leiter des Amtes für Arbeitsförderung, Statistik und Integration der Stadt Offenbach a. M. sowie Geschäftsführer des Jobcenters MainArbeit. Prof. Dr. Kai Vöckler, Urbanist und Publizist in Offenbach a. M., ist Gründungsmitglied von Archis Interventions. Seit 2010 bekleidet er die Stiftungsprofessur für Kreativität im urbanen Kontext an der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach. Er ist Sprecher des LOEWE-Forschungsschwerpunkts Infrastruktur – Design – Gesellschaft (2018–2021).

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Abbildungsnachweis Titelbild: Straße und Hof Offenbach, Collage © Klaus Schäfer Einführung S. 4 © Klaus Schäfer Der Umbau der Zwischenstadt S. 20, © Isabel Nabuurs S. 24 © Doug Saunders S. 32 © Paul de Ruiter Architects S. 34 © Rozana Montiel, Alin W. Wallach Wo man ankommt – die „Arrival City“ Offenbach am Main S. 40, S. 47, S. 55 © Kai Vöckler Stadt der Vielfalt, Stadt in Bewegung. S. 62, S. 76, S. 77 © Matthias Schulze-Böing Sozialräume und Integration von Zugewanderten in Kaiserslautern S. 84, S. 95, S. 98, S. 101, S. 104 © Annette Spellerberg, Lutz Eichholz Vom Problem zum Potenzial? Zuwanderung als Ansatz der Stadtpolitik in Bremen S. 110 © Staats- und Universitätsbibliothek Bremen S. 121 © Cover – Noch mehr Döntjes und Klönschnack, Geschichtswerkstatt Gröpelingen e. V., 2010 S. 132 © WFB/Archisurf S. 133, S. 134, S. 137 © Klaus Schäfer Perspektiven einer produktiven Stadt S. 150 © IBA Hamburg/Martin Kunze S. 163 © David Sundberg S. 168 © Robert Clark S. 169 © Fablab Brussels Ausblick auf eine selbstgenerierte Stadt. Über Grauzonen zur Verhandlung neuer Möglichkeitsräume S. 176 © Stadtverwaltung São Paulo S. 183 © Tuca Vieira Stadtentwicklung und Migration. S. 192 © Andreas Feldtkeller S. 199 © Klaus Schäfer S. 201 © ELEMENTAL Alejandro Aravena S. 202 © Estudio Teddy Cruz + Fonna Forman S. 2 1 1 © Nicola Zolin

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Die Publikation wurde gefördert durch den F&E-Fonds der Hochschule Bremen

und der Hans Sauer Stiftung

Impressum © 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Lektorat und Korrektorat: Eltje Böttcher, Laatzen Übersetzung: Moira Colmant, Text: Der Umbau der Zwischenstadt. Gestaltung und Satz: doppelpunkt Kommunikationsdesign, Berlin Schrift: TheAntiquaB Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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