Aufarbeitung versus Allgemeines Persönlichkeitsrecht: §§ 32, 34 Stasi-Unterlagen-Gesetz [1 ed.]
 9783428531998, 9783428131990

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1185

Aufarbeitung versus Allgemeines Persönlichkeitsrecht §§ 32, 34 Stasi-Unterlagen-Gesetz Von Jeannine Drohla

Duncker & Humblot · Berlin

JEANNINE DROHLA

Aufarbeitung versus Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1185

Aufarbeitung versus Allgemeines Persönlichkeitsrecht §§ 32, 34 Stasi-Unterlagen-Gesetz

Von Jeannine Drohla

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder), hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.

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Fremddatenübernahme: L 101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13199-0 (Print) ISBN 978-3-428-53199-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-83199-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Diese Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina am 23. Mai 2008 als Inauguraldissertation vor. Erstgutachter war Prof. Dr. Heintschel von Heinegg, Zweitgutachter Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff. Sie wurde durch zwei Promotionsstipendien von der Bundesstiftung Aufarbeitung und der Lausitzer Rundschau sowie durch einen Druckkostenzuschuss von der Bundesstiftung Aufarbeitung großzügig gefördert, für die ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte. Besonderer Dank gilt ferner den Herren Prof. Dr. Heintschel von Heinegg und RA Prof. Dr. Johannes Weberling, die mir den institutionellen Weg für die Erstellung dieser Arbeit geebnet haben. Schließlich danke ich den Mitgliedern der Arbeitsgruppe „Aufarbeitung und Recht“ sowie, ganz besonders, den Herren Dr. Ingo Niemann und Thomas Starke für die konstruktiven inhaltlichen Diskussionen. Insbesondere Letztere haben mir immer wieder die Zerrissenheit der Gesellschaft bei der Beantwortung der Frage nach dem angemessenen Umgang mit den Hinterlassenschaften des Staatssicherheitsdienstes vor Augen geführt. Die vorliegende Fassung der Arbeit konnte Rechtsprechung und Literatur bis Oktober 2010 berücksichtigen. Jeannine Drohla

Inhaltsübersicht Einleitung

23

§ 1 Der Anlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

A. Der unvollendete Auftrag zur Aufarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

B. Der unklare Rechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

§ 2 Das Problem: Das Spezifische des StUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

A. Interessenverflechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

B. Umgang mit zwei Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

C. Unbestimmtheit der kollidierenden Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

D. Mangelnde Berücksichtigung des Einigungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

E. Formal-gesetzliche Gleichbehandlung verschiedener Sachverhalte . . . . .

47

F. Fehlende Kohärenz der Aufarbeitungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

§ 3 Fazit und Ausgangsthese der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

Teil 1 Einigungsvertragliche, verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Vorgaben an die §§ 32, 34 StUG

57

Kapitel 1 Dogmatische Anforderungen an den Abwägungsprozess

58

§ 1 Der fehlende Maßstab für die Güterabwägung als Einbruchstelle des Politischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

§ 2 Zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit der Güterabwägung . . . . . . .

65

§ 3 Der Maßstab der Abwägungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

A. Rechtsgutbezogene Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

B. Regelungsbezogene Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

C. Fazit: Der juristische Wert der Kriterien für die Rationalisierung der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

Zusammenfassende Thesen zu Teil 1 Kapitel 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

8

Inhaltsübersicht Kapitel 2 Bestimmung des abwägungsrelevanten Materials

§ 1 Der Rechtsauftrag zur Aufarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zum Begriff der Aufarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechtsauftrag zur Aufarbeitung nach Art. 1 ZV EV . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verfassungsauftrag zur Aufarbeitung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Rechtsauftrag zur Aufarbeitung nach Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Fazit: Aufarbeitung als einfachgesetzlicher Verfassungsschutz . . . . . . . . .

94 95 96 113 129 176 190

Zusammenfassende Thesen zu Teil 1 Kapitel 2 § 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 § 2 Die Rolle von Forschung und Medien in der Aufarbeitung . . . . . . . . . . . . A. Originäres Zugangsrecht der Medien und Forschung zu den Unterlagen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Presse- und Forschungsfreiheit in der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Überprüfungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Fazit: Verstärkende Wirkung von Forschungs- und Pressefreiheit . . . . . .

196 198 219 234 236

Zusammenfassende Thesen zu Teil 1 Kapitel 2 § 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 § 3 Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als Grenze der Aufarbeitung . . . . . A. Der persönliche Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der relevante Anknüpfungspunkt des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der Eingriff durch Herausgabe und Veröffentlichung der Stasi-Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Fazit: Höhergewichtung bei Mehrfacheingriff in den Schutzbereich . . . .

239 241 255 258 305

Zusammenfassende Thesen zu Teil 1 Kapitel 2 § 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 Teil 2 Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch den Gesetzgeber

310

Kapitel 1 Der Interessenkonflikt in der Systematik des StUG

310

§ 1 Die Hierarchie der Zielbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 § 2 Das Nachteilsverbot als Querschnittsklausel des StUG . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Kapitel 2 Die Regelung des Interessenkonflikts in den §§ 32, 34 StUG

316

§ 1 Die Lösung des Interessenkonflikts durch die einzelnen Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 A. Restriktive Zweckbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

Inhaltsübersicht

9

B. Beschränkung der Zugangsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 C. Konzept des abgestuften Persönlichkeitsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 D. Unterscheidung zwischen Herausgabe und Veröffentlichung . . . . . . . . . . 345 § 2 Das „überwiegend schutzwürdige Interesse“ als Grenze der Aufarbeitung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die erkennbar menschenrechtswidrige Informationserhebung als Indiz . . B. Kompensation der Offenheit des Tatbestandes durch Verfahrensregeln . . C. Fazit: Notwendigkeit der verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . . . .

347 348 360 364

Teil 3 Fazit für die Auslegung und Anwendung der §§ 32, 32 a, 34 StUG § 1 Herausgabe und Veröffentlichung der Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Begriff der Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Personenbezogene Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Hauptamtliche Mitarbeiter, IMs, Begünstigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen und Amtsinhaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

367 367 368 368 369 372

§ 2 Verwendungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 A. Aufarbeitung der Tätigkeit der Herrschaftsmechanismen der DDR . . . . 376 B. Zweckbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 § 3 Keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen der dort genannten Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 A. Schutzwürdige Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 B. Überwiegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 § 4 Keine erkennbare Menschenrechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 A. Menschenrechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 B. Erkennbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 § 5 Anspruchsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Definitionen/Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Keine Bewertung nach qualitativen Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Keine Differenzierung zwischen Forschung und Medien . . . . . . . . . . . . . .

390 390 391 391

§ 6 Prüfungsstufe/Beweislast/Überprüfungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 § 7 Benachrichtigungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Entscheidungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429

Inhaltsverzeichnis Einleitung

23

§ 1 Der Anlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Der unvollendete Auftrag zur Aufarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der unklare Rechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vage gesetzgeberische Regelungsvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inkonsistenz der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Verfahren zu §§ 32 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2; 34 StUG . . 2. Die Verfahren zu §§ 32 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 3; 34 StUG . . a) Vorgang Helmut Kohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorgang Gregor Gysi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26 26 28 29 31 33 34 34 38

§ 2 Das Problem: Das Spezifische des StUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Interessenverflechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Umgang mit zwei Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Unbestimmtheit der kollidierenden Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Mangelnde Berücksichtigung des Einigungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Formal-gesetzliche Gleichbehandlung verschiedener Sachverhalte . . . . . F. Fehlende Kohärenz der Aufarbeitungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39 41 43 45 46 47 50

§ 3 Fazit und Ausgangsthese der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

Teil 1 Einigungsvertragliche, verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Vorgaben an die §§ 32, 34 StUG

57

Kapitel 1 Dogmatische Anforderungen an den Abwägungsprozess

58

§ 1 Der fehlende Maßstab für die Güterabwägung als Einbruchstelle des Politischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

§ 2 Zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit der Güterabwägung . . . . . . .

65

§ 3 Der Maßstab der Abwägungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Rechtsgutbezogene Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Normenhierarchische Stellung der Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nähe zu den in der Ewigkeitsklausel geschützten Rechtsgütern . . . . III. Verfassungsnähe der einfachgesetzlich geschützten Rechtsgüter . . .

68 71 72 75 80

12

Inhaltsverzeichnis IV. Höhergewichtigkeit vorbehaltloser Rechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsgüter mit doppelter Zielrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Vermutungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. In dubio pro libertate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Im Zweifel für das Individuum oder die Gemeinschaft . . . . . . . . . B. Regelungsbezogene Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Fazit: Der juristische Wert der Kriterien für die Rationalisierung der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81 82 83 84 85 87

Zusammenfassende Thesen zu Teil 1 Kapitel 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 2 Bestimmung des abwägungsrelevanten Materials § 1 Der Rechtsauftrag zur Aufarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zum Begriff der Aufarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aufarbeitung als Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff ohne eigenständigen materiellen Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kontextbezogene Begriffserschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Elemente der Begriffsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufarbeitung als infiniter Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Gesellschaft als Subjekt der Aufarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Staat als Mittler und Gegenstand der Aufarbeitung . . . . . . . . . . . B. Rechtsauftrag zur Aufarbeitung nach Art. 1 ZV EV . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Rechtsverbindlichkeit der Zusatzvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur formellen Bindungskraft der ZV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur materiellen Reichweite der Bindungskraft der ZV . . . . . . . . . a) Historische Auslegung vs. Wortlaut der Zusatzvereinbarung . . b) Konsequenz für die Auslegung der Zusatzvereinbarung . . . . . II. Einfluss der Zusatzvereinbarung auf die Regelung der §§ 32, 34 StUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verfassungsauftrag zur Aufarbeitung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aufarbeitung und inneres Wiedervereinigungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufarbeitung und Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufarbeitung als Wiedergutmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wiedergutmachungsanspruch aus Grundrechten . . . . . . . . . . . . b) Anknüpfungspunkt der Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fürsorgepflicht der Bundesrepublik = Haftungspflicht? . . bb) Staatensukzession und retroaktive Anwendung des GG . . cc) Faktische Fortwirkung unter der Geltung des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufarbeitung als Grundrechtssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aufarbeitung und freiheitlich-demokratische Grundordnung . . . . . . .

94 95 96 97 98 99 103 104 108 111 113 117 117 120 121 126 127 129 134 142 143 144 148 148 150 152 153 156

Inhaltsverzeichnis

13

IV. Aufarbeitung und Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Legalitätsgrundsatz und Wiedergutmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsstaatssicherung durch Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Aufarbeitung und Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufarbeitung und demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . a) Transparenz der Legislative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Offenlegung mandatsausübungsrelevanter Informationen bb) Systemaufklärung als notwendige Voraussetzung für die Bewertung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Transparenz der Exekutive und Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einfluss des zunehmenden zeitlichen Abstands . . . . . . . . . . . . 2. Aufarbeitung und demokratische Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Rechtsauftrag zur Aufarbeitung nach Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Recht auf Wahrheit kraft Völkergewohnheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anerkennung als Recht auf regionaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anerkennung als Recht auf universeller Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendbarkeit auf das DDR-Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Pflicht zur Aufarbeitung nach Art. 10 EGMR, 19 IPBPR . . . . . . . . . E. Fazit: Aufarbeitung als einfachgesetzlicher Verfassungsschutz . . . . . . . . .

159 160 161 162 163 164 168 169 169 171 174 176 179 179 182 186 189 190

Zusammenfassende Thesen zu Teil 1 Kapitel 2 § 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 § 2 Die Rolle von Forschung und Medien in der Aufarbeitung . . . . . . . . . . . A. Originäres Zugangsrecht der Medien und Forschung zu den Unterlagen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Informationszugang der Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines Informationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Informationsverweigerung als Eingriff in Art. 5 Abs. 2 GG . . . . 3. Informationszugang als Ausfluss der institutionellen Garantie oder der „öffentlichen Aufgabe der Presse“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Institutionelle Garantie der Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Öffentliche Aufgabe“ der Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gewährleistungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Teilhabe an staatlichen Informationen? . . . . . . . . . . . . . . . bb) Staatliche Information als Grundvoraussetzung für Presseexistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zusammenschau mit dem Demokratieprinzip . . . . . . (2) Gewährleistung der Erfüllung des öffentlichen Auftrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Informationszugang des Forschers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Informationsverweigerung als Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Leistungs- oder Teilhaberecht an forschungsrelevanten staatlichen Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Presse- und Forschungsfreiheit in der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

196 198 199 200 202 204 207 209 211 211 212 213 214 214 215 216 219

14

Inhaltsverzeichnis I.

Informationsbezogene Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art und Weise der Informationserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wahrheitsgehalt der Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verwendungsbezogene Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verwendungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wert des verfolgten Zwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beitrag des konkreten Projekts zum erstrebten Zweck . . . . . . 2. Verwender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Überprüfungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Fazit: Verstärkende Wirkung von Forschungs- und Pressefreiheit . . . . . .

220 221 223 226 226 230 232 233 234 236

Zusammenfassende Thesen zu Teil 1 Kapitel 2 § 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 § 3 Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als Grenze der Aufarbeitung . . . . . A. Der persönliche Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausschluss von Amtsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatsschutz statt Persönlichkeitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Stand der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Theoretische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Trennbarkeit zwischen Amt und Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausschluss der Mitarbeiter des MfS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Relativierung des Schutzes von politischen Funktionsträgern . . . . . . IV. Schutz Toter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der relevante Anknüpfungspunkt des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tatsächlicher Fortsetzungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtlicher Fortsetzungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der Eingriff durch Herausgabe und Veröffentlichung der Stasi-Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dogmatische Grundlagen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . 1. Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Freie Entfaltung“ als normativer Ausgangspunkt . . . . . . . . . . b) Art. 1 Abs. 1 GG als Auslegungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erheblichkeitskriterium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelne Bestandteile des Persönlichkeitsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Recht auf Achtung der Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz privater Informationsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Amts- und funktionsbezogene Informationen . . . . . . . . . . . bb) Informationen über die zeitgeschichtliche Rolle . . . . . . . . b) Schutz der örtlich-räumlichen Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhalt der örtlich-räumlichen Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . bb) Ideeller Schutz der örtlich-räumlichen Privatsphäre? . . . . c) Schutz von Vertraulichkeitsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Recht am eigenen Wort/Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

239 241 242 243 243 246 249 252 253 254 255 256 256 258 260 260 263 265 267 270 271 276 280 280 281 282 282 284 286 288

Inhaltsverzeichnis

15

4. Recht auf Selbstdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der soziale Achtungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Totenehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schutz des Andenkens an Verstorbene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schutz des Ausbeutungsinteresses an personenbezogenen Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Verfahrensrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Resozialisierung oder das „Recht auf Vergessen“ . . . . . . . . . . D. Fazit: Höhergewichtung bei Mehrfacheingriff in den Schutzbereich . . .

290 291 292 296 298 299 300 301 302 303 305

Zusammenfassende Thesen zu Teil 1 Kapitel 2 § 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

Teil 2 Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch den Gesetzgeber

310

Kapitel 1 Der Interessenkonflikt in der Systematik des StUG

310

§ 1 Die Hierarchie der Zielbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 § 2 Das Nachteilsverbot als Querschnittsklausel des StUG . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Kapitel 2 Die Regelung des Interessenkonflikts in den §§ 32, 34 StUG § 1 Die Lösung des Interessenkonflikts durch die einzelnen Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Restriktive Zweckbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Inhaltliche Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Durchsetzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Beschränkung der Zugangsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abgestufte Zugangsberechtigung nach Informationsart . . . . . . . . . . . . II. Grundsätzliche Gleichstellung von Medien und Forschung . . . . . . . . III. Die Ausnahme: Differenzierung nach Institutionsbezug und Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Konzept des abgestuften Persönlichkeitsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Personenkategorien als Abwägungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mitarbeiter und Begünstigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Differenzierungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

316

317 317 320 322 325 325 326 327 328 329 331 332

16

Inhaltsverzeichnis aa) Kenntnis des Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorwerfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Amtsträgerschaft und Bedeutung für die Offenlegung des Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Möglichkeiten abstrakt-genereller Präzisierung? . . . . . . . . . . . . 2. Amtsträger und politische Funktionsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Personen der Zeitgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der maßgebliche Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Unterscheidung zwischen Herausgabe und Veröffentlichung . . . . . . . . . . .

§ 2 Das „überwiegend schutzwürdige Interesse“ als Grenze der Aufarbeitung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die erkennbar menschenrechtswidrige Informationserhebung als Indiz . . I. Begründung der Einbeziehung der Informationserhebung . . . . . . . . . . II. Anwendbarer Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassung der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Internationale menschenrechtliche Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . 3. Begrenzung auf „schwere Menschenrechtsverletzungen“? . . . . . . 4. Standard sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erkennbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Kompensation der Offenheit des Tatbestandes durch Verfahrensregeln . . I. Personelle Reichweite der Benachrichtigungspflicht . . . . . . . . . . . . . . II. Inhaltliche Reichweite der Benachrichtigungspflicht . . . . . . . . . . . . . . C. Fazit: Notwendigkeit der verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . . . .

332 334 337 338 340 342 344 345 347 348 349 350 353 357 358 359 359 360 362 363 364

Teil 3 Fazit für die Auslegung und Anwendung der §§ 32, 32 a, 34 StUG § 1 Herausgabe und Veröffentlichung der Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Begriff der Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Personenbezogene Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Hauptamtliche Mitarbeiter, IMs, Begünstigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Hauptamtlicher Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. IM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begünstigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Jugendsündenprivileg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen und Amtsinhaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Person der Zeitgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhaber politischer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Amtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verstorbene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

367 367 368 368 369 370 370 371 371 372 373 374 374 375

Inhaltsverzeichnis § 2 Verwendungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Aufarbeitung der Tätigkeit der Herrschaftsmechanismen der DDR . . . . I. Historische und politische Aufarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes oder anderer Herrschaftsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Zweckbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3 Keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen der dort genannten Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Schutzwürdige Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. In personeller Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. In sachlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Recht am eigenen Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Recht auf Selbstdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ehrschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Überwiegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsgutsbezogene Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regelungsbezogene Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eingriffskumulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Personaler Anteil der Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wert für die Aufarbeitung des MfS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rolle des Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wahrheitsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verwendungsstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Seriosität des Verwenders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Adressatenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Zeitablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 375 376 376 377 377 378 378 379 380 381 381 383 383 384 384 385 385 386 386 386 387 387 388 388 388 389

§ 4 Keine erkennbare Menschenrechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 A. Menschenrechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 B. Erkennbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 § 5 Anspruchsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Definitionen/Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Keine Bewertung nach qualitativen Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Keine Differenzierung zwischen Forschung und Medien . . . . . . . . . . . . . .

390 390 391 391

§ 6 Prüfungsstufe/Beweislast/Überprüfungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 § 7 Benachrichtigungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Entscheidungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429

Abkürzungsverzeichnis A. A. AAÜG AbG abgedr. Abl. a. F. AfNS AfP AG AMRK Anl. Anm. AöR Art. Az. BArchG Bay BayVBl BBG Bbg Bd. BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ Bo-Ko BSG BStU BR BRD BT BVerfG BVerfGG

Anderer Ansicht Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets Abgeordnetengesetz abgedruckt Amtsblatt alter Fassung Amt für Nationale Sicherheit Archiv für Presserecht Amtsgericht Amerikanische Menschenrechtskonvention Anlage Anmerkung Archiv des Öffentlichen Rechts Artikel Aktenzeichen Bundesarchivgesetz Bayern Bayrische Verwaltungsblätter Bundesbeamtengesetz Brandenburg Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof in Strafsachen Bundesgerichtshof in Zivilsachen Bonner Kommentar Bundessozialgericht Beauftragte für die Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR Bundesrat Bundesrepublik Deutschland Bundestag Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgerichtsgesetz

Abkürzungsverzeichnis BVerwG BZRG bzw. CDU CˇSSR CSU CuR DA DDR dergl. desgl. DöD DÖV Dok. Drs. DtZ DVBl. E ebd. EG EGBGB EMRK EuGRZ EV FAZ FDP FG FinanzG FMLN FS GBl. GBO GESTAPO GG GI GmbH GMBl. GO BT HBDtStR HBGR HBStR HRQ

Bundesverwaltungsgericht Bundeszentralregistergesetz beziehungsweise Christlich Demokratische Union Tschechoslowakische Sozialistische Republik Christlich Soziale Union Computer und Recht Deutschland Archiv Deutsche Demokratische Republik dergleichen desgleichen Der öffentliche Dienst Die öffentliche Verwaltung Dokumente Drucksache Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Entscheidungssammlung ebenda Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum BGB Europäische Menschenrechtskonvention Europäische Grundrechtszeitschrift Einigungsvertrag Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei Festgabe Finanzgericht Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional Festschrift Gesetzblatt Grundbuchordnung Geheime Staatspolizei Grundgesetz Geheimer Informant Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gemeinsames Ministerialblatt Geschäftsordnung des Bundestages Handbuch des Deutschen Staatsrechts Handbuch Grundrechte Handbuch des Staatsrechts Human Rights Quarterly

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20 Hrsg. HS HSchG HVA IAMRG IAMRK i. d. R. i. e. S. IFG i. F. v. IGH ILM IM InfAuslR inkl. IPBPR IRRC JöR JuS JZ Kan.Abt. Kap. KJ KritV KSZE LG LPG LT MfS n. F. NGO NJ NJW NJW-RR Nr. NRW NS NSDAP NVwZ NZ OLG ÖZÖR

Abkürzungsverzeichnis Herausgeber Halbsatz Haftentschädigungsgesetz Hauptverwaltung Aufklärung Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte Interamerikanische Menschenrechtskommission in dem Rahmen im engeren Sinne Informationsfreiheitsgesetz in der Fassung von Internationaler Gerichtshof International Legal Materials Inoffizieller Mitarbeiter Informationsbrief Ausländerrecht inklusive Internationaler Pakt für Bürgerliche und Politische Rechte International Review of the Red Cross Jahrbuch des Öffentlichen Rechts Juristische Schulung Juristenzeitung Kanonistische Abteilung Kapitel Kritische Justiz Kritische Vierteljahresschrift Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Landgericht Landespressegesetz Landtag Ministerium für Staatssicherheit neuer Fassung Non-governmental organisation Neue Justiz Neue Juristische Woche NJW-Rechtsprechungsreport Nummer Nordrhein-Westfalen Nationalsozialismus/Nationalsozialisten Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nürnberger Zeitung Oberlandesgericht Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht

Abkürzungsverzeichnis Parl. Rat RAF Rep. RHG Saar Sachs SED Ser. SH Sp. SPD stenograph. StGB StHG StiftungsErl StUG TAZ Thür u. a. UN Verf. VG VGH VIZ VPAG VVDtStrL VwGO WM WRV ZBR ZGB ZIP ZNR ZParl ZRP ZV

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Parlamentarischer Rat Rote Armee Fraktion Report (engl.) = hier Entscheidungssammlung Rechtshilfegesetz Saarland Sachsen Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Series (engl.) = Reihe Schleswig Holstein Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands stenographisch Strafgesetzbuch Staatshaftungsgesetz Stiftungserlass Stasi-Unterlagen-Gesetz Tageszeitung Thüringen unter anderem United Nations Verfassung Verwaltungsgericht Verfassungsgerichtshof Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht Volkspolizeiaufgabengesetz Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Wirtschafts- und Bankrecht Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift für Beamtenrecht Zivilgesetzbuch Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Rechtspolitik Zusatzvereinbarung

Einleitung Der Streit um die Herausgabe der Stasi-Unterlagen an Medien und Forschung nach den §§ 32, 34 StUG – ein Streit ohne Ende. Auch nach zahlreichen Gutachten1, allein vier Urteilen in der Rechtssache „Kohl“2 und drei Gesetzesänderungen3, zuletzt am 21. Dezember 2006, ist die Rechtslage keinesfalls klarer. Noch immer ist unklar, ob und inwieweit das Grundgesetz der Herausgabe von personenbezogenen Informationen – also Angaben über bestimmte oder bestimmbare Personen – aus den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes an Forscher und Vertretern der Medien entgegensteht. Viel wurde dazu geschrieben.4 Die Zahl der dazu abgegebenen Stellungnahmen ist nach 20 Jahren Wiedervereinigung schier unüberschaubar, die darin vertretenen Ansichten dementsprechend vielfältig. Daher mag es überraschen, dass eine Vielzahl genuin rechtlicher Probleme um die Herausgabe der Stasi-Unterlagen an Forschung und Medien bislang entweder gar keinen oder nur peripheren Eingang in die Diskussion gefunden hat. Dies betrifft die mit zunehmendem Zeitablauf immer virulenter werdende Frage nach dem Umgang mit Akten Verstorbener. Hierzu zählt aber auch die Frage, was bedeutet überhaupt Aufarbeitung. Ebenfalls bislang nicht abschließend geklärt ist die Frage, inwieweit die Herausgabe der Stasi-Unterlagen durch den Beauftragen für die Unterlagen es Staatssicherheitsdienstes der DDR5 überhaupt in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht einzugreifen vermag. Aber auch der Frage nach der Reichweite des Grundrechtsschutzes von Amtsträgern wurde bislang kaum Beachtung ge1 Rechtsgutachten im Auftrag des Verbandes Deutscher Zeitungsverleger v. M. Kloepfer (1992); Gutachten im Auftrag des Bundesinnenministeriums Ph. Kunig (2000); Gutachten im Auftrag der BStU v. K. Marxen/G. Werle (2002) sowie Gutachten im Auftrag v. H. Kohl v. E. Benda/D. C. Umbach (2004), abgedr. in: StasiAkten und das Persönlichkeitsrecht von Politikern. 2 VG Berlin, Urteil v. 4. Juli 2001, Kohl I, (unveröffentlicht); BVerwG, Urteil v. 8. März 2003, Kohl II, JZ 2002, 996 ff. = NJ 2002, 382 ff. = NJW 2002, 1815 ff.; VG Berlin, Urteil v. 17. September 2003, Kohl III, NJW 2004, 457 ff.; BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, AfP 2004, 380 = NJW 2004, 2462 = DA 2004, 770. 3 BGBl. 1991 I, S. 2272; BGBl. 1996 I, S. 2026; BGBl. 2002 I, S. 3446; BGBl. 2006 I, S. 3326. 4 Vgl. Angaben im Literaturverzeichnis. 5 Die Bezeichnung entspricht der des Gesetzes vgl. § 35 StUG. Sie wurde nach Amtsantritt v. Marianne Birthler beibehalten.

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schenkt. Gleiches gilt für die Frage, wie etwa mit Informationen über Personen, die – wie der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl – sowohl in ihrer Eigenschaft als Amtsträger, politische Funktionsträger als auch als Personen der Zeitgeschichte zugleich Ziel der Ausspionierung durch den Staatssicherheitsdienst waren, umzugehen ist. Auch die Frage nach der Reichweite des Grundrechtsschutzes von Mitarbeitern und Begünstigten des Staatssicherheitsdienstes wurde bislang gänzlich vermieden. Das Fehlen einer umfassenden dogmatischen Durchdringung dieses Themas auch zwei Jahrzehnte nach der Schaffung des ersten Stasi-UnterlagenGesetzes begründet sich in erster Linie mit der Art und Weise, in der die Diskussion um die Herausgabe der Stasi-Unterlagen geführt wurde. Anstatt sich um eine kohärente Klärung der rechtlichen Anforderungen an eine solche Herausgaberegelung zu bemühen, war die Diskussion um den heutigen § 32 StUG von Anfang an von einer eigentümlichen Verflechtung historischer, moralischer, philosophischer, politologischer, pädagogischer und soziologischer Argumente durchsetzt. Das Recht diente in dieser Diskussion oftmals nicht als Maßstab, sondern als Mantel für die Einkleidung der jeweiligen politischen Auffassung. Das Benda-Gutachten6, die vierte Entscheidung im Fall „Kohl“7 und der Beitrag des damaligen Präsidenten des Berliner Verfassungsgerichts und Sachverständigen der CDU-Fraktion im Bundestag, Sodan8, in der Festschrift zu Ehren des Richters Driehaus, der an beiden Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts in der Rechtssache „Kohl“ mitwirkte, belegen dies deutlich. Hinzu kommt, dass sich nach 20 Jahren Stasi-Unterlagen-Gesetz die Parameter merklich verschoben haben. Das öffentliche Interesse an der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes – obgleich immer noch groß9 – ist gegenüber dem öffentlichen Interesse unmittelbar nach dem Zusammenbruch des DDR-Regimes merklich verblasst.10 Auf der anderen Seite scheinen auch die Wunden der Opfer des Staatssicherheitsdienstes langsam – wenn auch nie vollständig – zu verheilen; ja zumindest scheint der mit der Zeit gewonnene Abstand zum Vergangenen die Einstellung der Opfer zum Aktenzugang Dritter verändert zu haben.11 Aber auch der zuvorderst von aktiven Politikern gegen den Aktenzugriff von Forschung und Presse angeführte Geheimnisschutz scheint mittlerweile nicht mehr dieselbe 6

E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 1. BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, BVerwGE 121, 115. 8 H. Sodan, in: Zwischen Abgabenrecht und Verfassungsrecht, S. 582. 9 Dazu sogleich § 1 A. 10 Berliner Zeitung v. 26. April 2002, S. 6. Siehe auch H. Knabe, Recht und Politik, 4 (2005), 215. 11 Vgl. auch Empfehlungen der Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ v. 15. Mai 2006, S. 7. 7

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Schlagkraft wie kurz nach der Wiedervereinigung zu besitzen, und immer häufiger wird von Mitarbeitern und Kollaborateuren des Staatssicherheitsdienstes ein Recht, nunmehr in Ruhe gelassen zu werden, beansprucht. Jedoch fehlt es auch insoweit in der Literatur bislang an Stimmen, die sich mit den Auswirkungen des Wandels dieser Umstände auf die Auslegung der §§ 32, 34 StUG befassen. Diese Lücken sollen mit dieser Arbeit geschlossen werden. Gleichwohl bedarf es auch hier einer Begrenzung. So wird auf Ausführungen zur Entstehungsgeschichte der als Stasi-Unterlagen bekannt gewordenen Dokumente verzichtet. Sie wird als bekannt vorausgesetzt.12 Ebenso wird von historischen Ausführungen zur Entstehungsgeschichte des Stasi-UnterlagenGesetzes, soweit diese keine Auswirkungen auf die bestehende Rechtslage haben, abgesehen.13 Auch soll in dieser Arbeit nicht noch einmal die vieldiskutierte rechtspolitische Frage nach dem „Ob“ der Aktenöffnung thematisiert werden.14 Vielmehr soll hier allein am Maßstab des geltenden Rechts eine praktisch handhabbare Lösung für die Bewältigung des bestehenden Interessenkonflikts zwischen dem Anliegen der Aufarbeitung einerseits und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht andererseits entwickelt werden. Jedoch sollen aus Gründen des ohnehin schon komplexen Untersuchungsgegenstandes auch zwei rechtlich relevante Eingrenzungen vorgenommen werden. So soll sich die Arbeit auf den in der Rechtspraxis umstrittensten Teil der Regelung der §§ 32, 34 StUG, und zwar auf die Herausgabe und Veröffentlichung der Unterlagen zum Zwecke der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes, konzentrieren. Nicht interessieren soll hier die ebenfalls von der Regelung erfasste Nutzung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zur politischen Bildung und zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit. Soweit es in Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen zwischen der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes und der nationalsozialistischen Vergangenheit zu Abweichungen kommt, wird darauf hingewiesen. Eine vertiefte Auseinandersetzung unterbleibt. 12 Vgl. hierzu BStU (Hrsg.), Das MfS-Handbuch, Anatomie der Staatssicherheit, Geschichte-Struktur-Methoden, www.bstu.bund.de. 13 Eine umfangreiche und lückenlose Darstellung dazu befindet sich bei S. Schumann, Vernichten oder Offenlegen? Zur Entstehung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, BStU Dok. A Nr. 1/1995. Im Übrigen sei zu den rechtswissenschaftlich relevanten Aspekten der Entstehungsgeschichte auf A. Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen auf der Grundlage des StUG, S. 29 ff. u. S. 8 f. sowie auf M. Kloepfer/G. Michael, Das Stasi-Unterlagen-Gesetz und die Pressefreiheit, S. 15–21 hingewiesen. 14 Dazu aber Stellungnahme v. L. de Maizière, Dresdner Morgenpost v. 15. September 1990; abgedr. in: S. Schumann, Anm. 13, S. 113.

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§ 1 Der Anlass Die Notwendigkeit der Klärung der rechtlichen Anforderungen an die Herausgabe der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes ist auch nach 20 Jahren Wiedervereinigung – wie das jüngste Verfahren im Fall des ehemaligen Sportmoderators Heinz-Florian Oertel v. Bundesrepublik Deutschland15 zeigt – keinesfalls obsolet: Trotz des eingangs beschriebenen Rückgangs des öffentlichen Interesses ist ein Ende der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes noch nicht in Sicht. Umso schwerer wiegen daher die mit dem vierten Urteil in der Rechtssache „Kohl“ auferlegten Einschränkungen für die mediale und publizistische Aufarbeitung durch externe Forscher.

A. Der unvollendete Auftrag zur Aufarbeitung Unbeschadet der vielfältigen Anstrengungen der BStU16, aber auch der Medien und Forschung in den vergangenen Jahren ist es bislang nur gelungen, einen im Verhältnis zum Gesamtbestand kleinen Teil der vom Staatssicherheitsdienst der DDR hinterlassenen Akten und Datenträger „aufzuarbeiten“. Von dem ursprünglich mindestens 180 km hoch geschätzten Aktenstapel17 zuzüglich zahlreicher Datenträger18, Tonträger19 und Filme ist bislang nur ein Teil des Bestandes archivarisch erschlossen worden.20 Das 15 VG Berlin, Urteil v. 29. August 2007, Oertel, VG 1 A 252.06; Vergleich vor dem OVG Berlin-Brandenburg v. 25. Februar 2010. 16 Vgl. ausführlich 8. Tätigkeitsbericht der BStU, www.bstu.bund.de. 17 Die Angaben hinsichtlich der Höhe des Aktenstapels divergieren z. T. So spricht Gauck bspw., in: Der Spiegel Nr. 1/1992, 11, von lediglich 180 km. Der 5. Tätigkeitsbericht der BStU 2001, Nr. 1.2., www.bstu.bund.de, gibt eine Aktenlänge von ca. 185 km an. Der 8. Tätigkeitsbericht der BStU 2007, Anm. 16, 3.1, hat diese Zahl nach unten korrigiert auf 159 km (gerechnet ohne die 15.515 Säcke mit zerrissenen Unterlagen). Das Plenarprotokoll 12/57 des Dt. Bundestages geht von einer Höhe von 200 km aus, TOP 3, S. 4678; 4684 f.; 4695 f.; 4720. 18 Allein die der BStU zurückgegebenen Rosenholzdateien belaufen sich auf 381 CD-Rom. Darauf finden sich rund 290000 Datensätzen der Klarnamenkartei (F 16) der HVA, rund 57400 Datensätze der Vorgangskartei (F 22) der HVA und etwa 2000 Datensätze von so genannten Statistikbögen, vgl. 6. Tätigkeitsbericht der BStU, www.bstu.bund.de, S. 18. 19 Ohne Schallplatten sind allein im Berliner Zentralarchiv 111535 Stück Anfang der 90-iger Jahre gezählt worden H. Geiger/H. Klinghardt, StUG-Kommentar (1993), Vorb. XII. 20 Erschließung bezeichnet den Arbeitsprozess zur Nutzbarmachung von Registratur- und Archivgut durch Ordnung und Verzeichnung nach archivwissenschaftlichen Grundsätzen und Methoden, vgl. 8. Tätigkeitsbericht der BStU, Anm. 16, 8.2.1. Zum Stand der Erschließung vgl. Anhänge 6 ff. Je nach Art des Schriftgutes und

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heißt aber nicht, dass diese Unterlagen aufgearbeitet wurden, wie es das Gesetz in § 1 Abs. 1 Nr. 3 StUG fordert.21 Immer wieder finden sich in den Unterlagen neue Erkenntnisse. Erst am 4. Oktober 2006 hat die Bundesbeauftragte Unterlagen zu 33 Abgeordneten des 6. Deutschen Bundestages, die bis dahin unbekannt waren, an Presse und Forschung herausgeben.22 Erst im Dezember 2006 konnte der Name desjenigen, der Günter Grass bespitzelte, entschlüsselt werden.23 Erst 2006 wurde bekannt, dass der Bürgerrechtler Robert Havemann ebenfalls als GI (Geheimer Informant) von 1956–1963 beim Staatssicherheitsdienst geführt wurde24 und erst 2011 widmet sich der brandenburgische Landtag erstmalig umfassend der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit in Brandenburg i. R. einer Enquete-Kommission. Hinzu kommt, dass in einigen Bereichen, wie der so genannten Westspionage der DDR, die für das Funktionieren der DDR-Diktatur eine ganz erhebliche Rolle spielte25, bislang wenig Kenntnisse über die Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes vorhanden sind. Ein Großteil dieser Akten wurde noch in der Auflösungsphase des MfS vernichtet. Ein Teil davon wird derzeit noch rekonstruiert. Selbst sollte die Finanzierung für die elektronische Rekonstruktion der Akten durch das Fraunhofer Institut gesichert sein, gehen Experten schätzungsweise von einer Mindestbearbeitungsdauer allein für die Zusammensetzung der Unterlagen von circa 12 Jahren aus.26 Immer noch sind die Hoffnungen, in den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes Erklärungen für das Vergangene, aber auch Warnungen für das Künftige zu finden, groß. Nach wie vor zählt die Behörde teilweise bis über 100.000 Anträge auf Akteneinsicht pro Jahr.27 Noch immer sind danach Archiv schwankt der Erschließungsstand zwischen 0 und 100%. In der Zentralstelle sind von den (nicht zerrissenen) Unterlagen der Dienststellen ca. 65%, von den zerrissenen Unterlagen ca. 5% erschlossen. Von den von der Abteilung XII (Zentrale Auskunft/Speicher) archivierten Ablagen sind nur 4% erschlossen. 21 Zum Begriff Aufarbeitung siehe unten Teil 1 Kap. 2 § 1 A. 22 NJ 2007, 13. 23 Pressespiegel BStU v. 7. Dezember 2006. 24 Pressespiegel BStU v. 3. Januar 2006. 25 H. Schwan/H. Heindrichs, Das Spinnennetz. Stasiagenten im Westen. Die geheimen Akten der Rosenholzdatei. 26 Derzeit werden die Schnipsel des nach derzeitigem Erkenntnisstand einst 16 km hohen Aktenstapels per Hand rekonstruiert. Dabei werden pro Tag ca. zehn Seiten rekonstruiert. Vgl. 6. Tätigkeitsbericht der BStU, Anm. 18, S. 16. Anders FAZ v. 6. September 2005, S. 4 ging von fünf Jahren aus. Vgl. dazu auch Reportage „Die deutsche Maschine“, Der Spiegel 32/2008, S. 44 ff. 27 Vgl. 9. Tätigkeitsbericht der BStU, S. 44. Die Außenstelle Frankfurt (Oder) verzeichnete gar das höchste Antragsvolumen 2009, Der Tagesspiegel v. 6. November 2009.

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runter eine Vielzahl von Erstanträgen. Gemessen an der Tatsache, dass in den Akten personenbezogene Informationen von 4 Millionen ehemaligen DDR-Bürgern und weiteren 2 Millionen Bundesbürgern vermutet werden28, ist auch weiterhin mit Erstanträgen zu rechnen. Bis April 2009 haben 2.588.019 Bürger Einsicht in die Akten beantragt.29 Neben diesen regulären Anträgen ist zu beobachten, dass je nach dem, ob die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zusätzliche Erkenntnisse zu tagespolitischen Ereignissen versprechen, das Forschungs- und Medieninteresse steigt.30 Insbesondere das Anfang 2007 Oscar-gekrönte Stasidrama „Das Leben der Anderen“ ließ das mediale Interesse noch einmal emporschnellen.31 Auch wenn das derzeitige Interesse an den Unterlagen gegenüber den unmittelbaren Nachwendejahren deutlich zurückgegangen ist, bleibt mit circa 1.000 Anträgen durch Medien und Forschung die Zahl der Antragsteller seit 1998 konstant.32 Vor dem Hintergrund dieser Faktenlage ist die Klärung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Herausgabe der Stasi-Unterlagen nach den §§ 32, 34 StUG auch heute noch von Relevanz.

B. Der unklare Rechtsrahmen Von Anfang an waren die rechtlichen Rahmenbedingungen des Forschungs- und Medienzugangs zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes umstritten. Dieser Streit konnte auch während des Gesetzgebungsverfahrens nicht beigelegt werden, so dass sich die beteiligten Körperschaften auf einen Formelkompromiss einigten, der im vagen Wortlaut des heutigen § 32 StUG seinen Niederschlag fand. Im Vergleich zur Intensität und zum Ausmaß der Diskussion um die Regelung der §§ 32, 34 StUG und der Zahl der gestellten Anträge auf Akteneinsicht blieb die Zahl der gegen die Behörde 28

Lintner, Plenarprotokoll 12/57, S. 4720. 9. Tätigkeitsbericht der BStU, Anlage 11. 30 So wurde etwa die Anklage der La Belle-Attentäter von 1986 oder der Tod von Papst Johannes Paul II 2005 zum Anlass genommen, um die Verbindung des Staatssicherheitsdienstes zu den Attentätern von La Belle- oder auch zum Papstattentat von 1981 anhand der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zu überprüfen. Auch nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das New Yorker World Trade Center erhofften sich der BND und der Generalbundesanwalt Informationen zum Werdegang und zu den Hintermännern mutmaßlicher Terroristen. Anlässlich der 300-Jahr-Feier der Stadt St. Petersburg wurden zahlreiche Anträge im Zusammenhang mit der Suche des MfS nach dem Bernsteinzimmer gestellt, vgl. 6. Tätigkeitsbericht der BStU, Anm. 18, S. 25. 31 Im Jahr 2006 wurde ein Anstieg der Nachfrage um 20% verzeichnet, vgl. 8. Tätigkeitsbericht der BStU, Anm. 16, Anlage 11. Insgesamt wurden 97.068 Anträge gestellt, davon 1.273 von Forschung und Medien. 32 8. Tätigkeitsbericht der BStU, Anm. 16, Anlage 11. 29

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gerichteten gerichtlichen Auseinandersetzungen mit fünf Verfahren, wovon eines noch anhängig ist, äußerst gering. Bemerkenswert ist, dass alle zu Ende geführten Verfahren sich über mehrere Instanzen erstreckten. Ein Verfahren endete vor dem Bundesverfassungsgericht. Dies zeigt bereits deutlich, welche rechtlichen Schwierigkeiten sich im Zusammenhang mit der Auslegung und Anwendung der §§ 32, 34 StUG stellen. I. Vage gesetzgeberische Regelungsvorgaben Der Gesetzgeber von 199133 fand einen Kompromiss darin, dass er zumindest bestimmte Akten mit personenbezogenen Informationen, bei denen das öffentliche Aufarbeitungsinteresse das persönliche Interesse an der Geheimhaltung der Akten überwog, vom Genehmigungserfordernis freistellte und so zumindest Presse und Forschung einen Aktenzugang zum Zwecke der politischen Bildung und der Aufarbeitung ermöglichte. Nach § 32 Abs. 1 Nr. 3, 34 StUG (i. F. v. 1996) stellte der Bundesbeauftragte folgende Unterlagen zur Verfügung: Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger in Ausübung ihres Amtes, soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind. Darüber hinaus verpflichtet §§ 32 Abs. 1 Nr. 4, 34 StUG (i. F. v. 1996) zur Herausgabe personenbezogen Informationen über Mitarbeiter und Begünstigte des Staatssicherheitsdienstes. Die Herausgabe beider Informationsarten stand jedoch unter dem Vorbehalt überwiegender schutzwürdiger Interessen der in den Unterlagen erwähnten Personen. Gleiches galt für die Veröffentlichung der besagten Informationen. Weder war aus dem Wortlaut des Gesetzes heraus klar, was mit dem Passus „soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind“ bezweckt war, noch enthielt das Gesetz Anhaltspunkte dafür, wann der Vorbehalt der überwiegenden schutzwürdigen Interessen greifen sollte. Das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls nahm die Formulierung wörtlich. Anders als die BStU war es der Ansicht, dass dieser Ausschluss nicht nur für Informationen über das Privatleben galt. Es entschied, dass sich das Herausgabeverbot von personenbezogenen Informationen Betroffener oder Dritter auch auf Informationen über die Amts- und Funktionsausübung sowie auf Informationen über die zeitgeschichtliche Rolle von Personen der Zeitgeschichte bezieht. Damit setzte das Gericht den Schutz der in § 32 Abs. 1 Nr. 3 StUG (i. F. v. 1996) genannten Opfer des Staatssicherheitsdienstes dem der übrigen Opfer gleich. Fortan sollten nun personenbezogene Informationen von Personen der Zeitgeschichte, Amtsträgern und Funktionsinhabern ebenfalls einem grundsätzlichen Herausgabeverbot unter33

BGBl. 1991 I, S. 2272 ff.

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liegen. Mit dieser Auslegung wurde die Herausgabe der Akten der in § 32 Abs. 1 Nr. 3 StUG (i. F. v. 1996) genannten Personengruppen auf offenkundige, das heißt auf Informationen, die ohnehin der Allgemeinheit bekannt bzw. zugänglich waren, beschränkt. Damit nahm das Bundesverwaltungsgericht einen Großteil der Akten unter Verschluss. Dass die „Sonder“-Regelung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes mit dieser Auslegung ihres Sinnes beraubt wurde, sahen auch die Mitglieder des Bundestages schnell ein und entschlossen sich, den besagten Passus zu streichen.34 Dennoch bereitete der nunmehr „nackte Wortlaut“ des § 32 StUG unter Opferschutzgesichtspunkten erhebliche Schwierigkeiten: Die Beschränkung des Herausgabeverbots auf überwiegende schutzwürdige Interessen sei angesichts des weit reichenden Eingriffs der Herausgabe in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen zu unbestimmt, hieß es.35 Der Gesetzgeber stieß hier jedoch schnell an die Grenzen seiner Möglichkeiten. Die in der Debatte von verschiedenen Experten vorgeschlagene Zusammenstellung eines Regelbeispielkatalogs zur Präzisierung der überwiegenden schutzwürdigen Interessen erwies sich angesichts der Komplexität der Materie und der Vielgestaltigkeit der Sachverhalte als nicht durchführbar.36 Jede weitere Präzisierung des Gesetzgebers zugunsten des Opferschutzes auf abstrakt-genereller Ebene wäre mit nicht hinnehmbaren Einschränkungen für die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes und mit einer unverhältnismäßigen Einengung der Forschungs- und Pressefreiheit verbunden gewesen, heißt es in der Begründung des Gesetzesentwurfs.37 Im Ergebnis kam die Mehrheit der Abgeordneten parteiübergreifend überein, die weitere Lösung des Interessenkonflikts zwischen Aufarbeitung und dem Opferschutz der Einzelfallentscheidung der Behörde zu überlassen und den Grundrechtsschutz der Betroffenen lediglich durch eine zusätzliche Verfahrensregelung in § 32 a StUG abzusichern. Allein die vage gesetzgeberische Formulierung, wonach bei der Interessenabwägung insbesondere zu berücksichtigen ist, „ob die Informationserhebung erkennbar auf einer Menschenrechtsverletzung beruht“, sollte dem behördlichen Beurteilungsspielraum eine Grenze setzen. Damit ergab sich folgender Gesetzeswortlaut: „Für die Forschung zum Zwecke der politischen und historischen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes sowie für Zwecke der politischen Bildung stellt der Bundesbeauftragte folgende Unterlagen zur Verfügung: 1.–2. [. . .] 34 35 36 37

BGBl. 2002 I, S. 3446 f. J. Pohl, NJ 6/2003, 296 ff. So auch R. Derksen, NVwZ 2004, 551 (552, 554). J. Rapp-Lücke, in: Geiger/Klinghardt, StUG-Kommentar, § 32 Rn. 31.

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3. Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, [. . .], oder Begünstigte des Staatssicherheitsdienstes, 4. Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger, soweit es sich um Informationen handelt, die ihre zeitgeschichtliche Rolle, Funktions- oder Amtsausübung betreffen. [. . .] Unterlagen mit personenbezogenen Daten nach den Nummern 3 und 4 dürfen nur zur Verfügung gestellt werden, soweit durch deren Verwendung keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen der dort genannten Personen beeinträchtigt werden. Bei der Abwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Informationserhebung erkennbar auf einer Menschenrechtsverletzung beruht.“

Gleiches soll dann nach den §§ 32 Abs. 3, 34 StUG für die Veröffentlichung der Unterlagen gelten. Damit unterliegt dem Tatbestand des § 32 StUG nach die Herausgabe und Verwendung von Unterlagen mit personenbezogenen Informationen der in § 32 Abs. 1 Nr. 3 u. 4 StUG genannten Personen nur zwei Beschränkungen. Erstens: die Unterlagen dürfen allein zum Zwecke der Aufarbeitung oder der politischen Bildung herausgegeben und verwendet werden. Zweitens: die Herausgabe und Verwendung der Unterlagen soll nur dann zulässig sein, wenn keine „überwiegenden schutzwürdigen Interessen beeinträchtigt werden“, wobei bei der Abwägung „insbesondere“ zu berücksichtigen ist, „ob die Informationserhebung erkennbar auf einer Menschenrechtsverletzung beruht“. Wer in welcher Situation, unter welchen Bedingungen und wann ein „überwiegendes schutzwürdiges Interesse hat“, bleibt offen. Auch die Hervorhebung der Einbeziehung der Art der Informationserhebung bringt nur wenig Fassbares; bleibt hier doch unklar, was unter einer „Menschenrechtsverletzung“ zu verstehen ist,38 an welchem Maßstab sie zu messen und auf welchen Bewertungszeitpunkt abzustellen ist – alles Fragen, die das Gesetz nicht beantwortet und die sich auch im Wege der einfachen Gesetzesanwendung nicht eindeutig beantworten lassen. II. Inkonsistenz der Rechtsprechung Eine gerichtliche Klärung dieser Fragen ist bislang nicht herbeigeführt worden: Zum einen, da es nur wenig Fallmaterial gibt39, zum anderen, da die durchentschiedenen Fälle wenig kohärent erscheinen. 38

Kritisch auch J. Pohl, Anm. 35, 296 ff. Sehr viel reicher ist die Rechtsprechung in Bezug auf Unterlassungsansprüche gegen die Behauptung der Stasi-Mitarbeit, vgl. Fall der Schauspielerin Jenny Gröllmann alias „IM Jeanne“, FAZ v. 29. April 2006, S. 44; Fall Stolpe alias „IM Sekretär“, LG Potsdam, Stolpe III, (unveröffentlicht); BGHZ, Urteil v. 16. Juni 1998, Stolpe IV, BGHZ 139, 95; BVerfG, Beschluss v. 25. Oktober 2005, Stolpe V, www.bverfg.de; Fall Gysi alias „IM Notar“, LG Hamburg, Urteil v. 24. Februar 1995, IM Notar, 320 729/94; LG Frankfurt (Oder), Urteil v. 21. Oktober 2005, Lau39

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Die Argumentation der Gerichte im Fall von Gregor Gysi stützt sich in erster Linie auf Beweis- und nicht auf Auslegungsfragen.40 Die Berufung im Fall des im Auftrag der Lausitzer Rundschau erstellten Gutachtens zur IM-Tätigkeit in deren Redaktion ist am 3. Mai 2006 zurückgenommen worden.41 Die Klage von Katharina Witt wurde ebenfalls zurückgenommen42. Aufschlussreicher sind dagegen die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss zur Auslegung der IM-Liste durch das Neue Forum.43 Dieser Beschluss bezieht sich jedoch seinem Gegenstand nach nur auf die Veröffentlichung von personenbezogenen Informationen der so im Gesetz nicht benannten Täterkategorie. Zu den schwierigen Fragen nach dem Zugang von Presse und Forschung zu den Unterlagen von Amtsträgern, politischen Funktionsträgern und Personen der Zeitgeschichte äußerte sich das Gericht nicht. Ausführungen hierzu finden sich allein in sitzer Rundschau, AfP 2006, 272 f.; LG Frankfurt a. M., Urteil v. 15. September 1994, Monika Haas I und II, (beide unveröffentlicht); OLG Frankfurt a. M., Urteil v. 18. Januar 2001, Monika Haas III, AfP 1996, 177; OLG Frankfurt a. M., Urteil v. 18. Januar 2001, Monika Haas IV, NJW-RR 1996, 1490; LG Zwickau, Urteil v. 24. März 2010, IM Schubert, 1 O 1275/08; LG Dresden, Urteil v. 4. Februar 2010, Biedermann, 3 O 2987/09 EV; LG Berlin, Urteil v. 5. Mai 2009, Kiesow I, NJ 2009, 338; KG Berlin, Urteil v. 19. Februar 2010, Kiesow II, 9 U 32/09; LG Köln, Urteil v. 21. Dezember 2007, Gazprom Germania, 28 O 446/07; LG Zwickau, Beschluss v. 6. März 2008, Ausstellung, 2 O 241/08 sowie LG München, Urteil v. 15. April 2009, Heinrich, 9 O 1277/09; KG Berlin, Urteil v. 19. Juli 2007, Grafe (unveröffentlicht). Vgl. zu den neusten Verfahren Der Spiegel 47/2008, S. 38 ff. sowie Th. Starke, AfP 2008, 254 ff. Diese Verfahren erlangen bei der Frage der Zuordnung von Personen in die eine oder andere der in § 32 StUG aufgeführten Kategorien und im Rahmen der Interessenabwägung Bedeutung. Gleiches gilt für die Entscheidungen zur Verwendung von Stasi-Unterlagen im Untersuchungsausschuss betreffend die Barschel/Pfeiffer-Affäre, AG Kiel, Beschluss v. 26. Mai 1995, Barschel/Pfeiffer I, 43 Gs 915/95; LG Kiel, Beschluss v. 9. August 1995, Barschel/ Pfeiffer II, NJW 1996, 1976. 40 LG Hamburg, Gysi I, Urteil v. 2. Dezember 1998, AfP 1999, 379; OLG Hamburg, Gysi II, Urteil v. 29. Juli 1999, AfP 1999, 91; BVerfG, Beschluss v. 17. Dezember 1999, Gysi III, BVerfGE 99, 19; VG Berlin, Urteil v. 3. Mai 2006, Gysi IV, I A 173.05. Die Pressemitteilung der BStU weist den 7. Juni 2006 als Entscheidungsdatum aus. Die Berufung dagegen wurde zurückgenommen, vgl. Pressemitteilung BStU v. 20. Mai 2008, http://www.bstu.bund.de/. 41 Zuvor LG Frankfurt (Oder), Urteil v. 21. Oktober 2005, Lausitzer Rundschau, AfP 2006, 272 f. 42 FAZ v. 28. Mai 2002, S. 4. Der zuvor eingelegte einstweilige Rechtsschutz ging zu Gunsten der Antragstellerin aus, vgl. VG Berlin, Beschluss v. 4. Februar 2002, Katharina Witt, 1-A 3/02. 43 LG Halle, Urteil v. 26. März 1993, IM-Listen I, Az. 40 439/92; OLG Naumburg, Urteil v. 25. November 1993, IM-Listen II, NJ 1994, 177 = DtZ 1994, 73; BGHZ, Urteil v. 12. Juli 1994, IM-Listen III, JZ 1995, 253; BVerfG, Beschluss v. 23. Februar 2000, IM-Listen IV, EuGRZ 2000, 243 = NJW 2000, 2413.

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den zum Fall „Kohl“44 ergangenen Entscheidungen. Insbesondere das letzte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in dieser Rechtssache hat jedoch mit seiner „verfassungskonformen“ Auslegung der Regelung mehr Fragen aufgeworfen als Lösungen gebracht. Die Rechtsprechung des Berliner Verwaltungsgerichts im vorläufig letzten Urteil zu den Klagen von Gregor Gysi aus dem Jahr 2006 passt sich in die Logik der Kohl-Rechtsprechung genausowenig ein wie die Rechtsprechung desselbigen im Fall Oertel45 2007. 1. Die Verfahren zu §§ 32 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2; 34 StUG Bemerkenswert ist, dass sich die im Zusammenhang der §§ 32, 34 StUG ergangenen Entscheidungen zunächst nur auf tatsächliche und vermeintliche inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit bezogen. Keine einzige Entscheidung erging bislang zum Zugang und zur Veröffentlichung von Unterlagen über offizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit. Erst kürzlich erging mit dem Osuch-Urteil die bislang einzige Entscheidung in Bezug auf die Herausgabe von personenbezogenen Informationen über Begünstigte der Staatssicherheit.46 Dies obgleich sich gerade beim Begünstigten die Nachweisführung noch etwas schwieriger darstellen dürfte als in Bezug auf die ersten beiden Kategorien. Der Fall der IM-Listen betrifft ausschließlich die Frage der Veröffentlichung von personenbezogenen Informationen aus den Stasi-Unterlagen. Gegenstand des Verfahrens war die Auslegung einer im Juli 1992 anonym veröffentlichten Liste durch das Neue Forum. Die unter der Überschrift „IM-Registrierungen der Bezirksverwaltung Halle und der Kreisdienststelle Halle-Neustadt des MfS 1986–1990“ veröffentlichte Liste enthielt 4500 Personen aus dem Bezirk Halle. Die auf der Liste verzeichnete Klägerin, die dort mit vermeintlichem Decknamen, Personenkennziffer und Einsatzort verzeichnet war, klagte auf Unterlassung. Das Landgericht Halle gab der Klage in vollem Umfang statt. Die vom Beklagten angestrengte Berufung und Revision hatten keinen Erfolg. Obgleich das Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtliche Defizite in der Auslegung und Anwendung des § 32 Abs. 3 Nr. 2 StUG (i. d. F. v. 1996) sah, nahm es die Beschwerde nicht zur 44 VG Berlin, Urteil v. 4. Juli 2001, Kohl I, (unveröffentlicht); BVerwG, Urteil v. 8. März 2003, Kohl II, BVerwGE 116, 104; VG Berlin, Urteil v. 17. September 2003, Kohl III, NJW 2004, 457 ff.; BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, BVerwGE 121, 115. 45 VG Berlin, Urteil v. 29. August 2007, Oertel, VG 1 A 252.06. Das Urteil ist mit dem Vergleich vom 25. Februar 2010 vor dem OVG Berlin-Brandenburg gegenstandslos geworden. 46 VG Berlin, Urteil v. 16. Dezember 2009, Osuch, 1 K 282.09.

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Entscheidung an, da es in den aufgezeigten Mängeln keine grobe Verkennung der Grundrechte sah. Im Einzelnen legte es dar, dass das Veröffentlichungsinteresse des Beklagten nicht hinreichend gewichtet wurde, der von der Klägerin beanspruchte allgemeine Persönlichkeitsschutz hingegen übergewichtet wurde. Zwar diskreditiere die Bezeichnung als IM die Klägerin in ihrer Redlichkeit, sie sei jedoch nicht an der Basis ihrer Persönlichkeit betroffen. Zum einen sei die Mitarbeit beim MfS ein Massenphänomen gewesen, zum anderen sei die Liste mit 700 Personen nur einem vergleichsweise kleinen Kreis zugänglich gewesen. Dem Beklagten des Ausgangsverfahrens hingegen sei es – wie dem Vorwort der Liste zu entnehmen war – um die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes gegangen. Dieses Anliegen stünde unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG. 2. Die Verfahren zu §§ 32 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 3; 34 StUG Auch in Bezug auf das umstrittene Zugangsrecht von Forschung und Presse zu den personenbezogenen Informationen von Amtsträgern, politischen Funktionsträgern und Personen der Zeitgeschichte sind gerichtliche Entscheidungen rar. In allen drei hierzu vorliegenden Entscheidungen sind die Kläger als Personen der Zeitgeschichte qualifiziert worden. Dem Umstand, dass Helmut Kohl und Gregor Gysi zugleich auch noch Amtsträger und politische Funktionsträger waren, wurde kaum bzw. gar keine Bedeutung beigemessen. Die Rechtssache „Kohl“ bleibt insoweit ein Einzelfall, als dass in der Rechtssache „Gysi“ jeweils Vorgänge betroffen waren, bei denen die Person mit dem DDR-System nachweislich zusammengearbeitet hat bzw. von diesem unterstützt wurde. Entscheidungen in Bezug auf den Zugang zu personenbezogenen Informationen von Personen der Zeitgeschichte, die zu dieser aus anderen als politischen Gründen wurden, fehlen bislang gänzlich. Die Frage, inwieweit die Offenlegung von personenbezogenen Informationen auch von Personen der Zeitgeschichte, die diesen Status nicht aufgrund ihrer politischen Rolle erlangten, zulässig ist, ist damit bislang in der Rechtsprechung nicht behandelt worden.47 a) Vorgang Helmut Kohl Anlass des langjährigen Rechtsstreits um die Stasi-Akten des ehemaligen Bundeskanzlers waren mehrere Anträge von Forschern und Pressevertretern auf Verwendung der Unterlagen.48 Nachdem in zwei ersten Urteilen in der Sache die Verwendung weitgehend unter Berufung auf den damaligen Ge47

Dazu unten Teil 2 Kap. 2 § 1 C. 3.

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setzeswortlaut unterbunden wurde, sah die BStU, nachdem mit dem 5. Änderungsgesetz zum Stasi-Unterlagen-Gesetz49 der einst zu einer unterschiedlichen Auslegung Anlass gebende Passus „soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind“ wegfiel, von Gesetzes wegen keinen Grund mehr, die Akten „Kohl“ der aufarbeitenden Forschung und Presse vorzuenthalten.50 Vielmehr sah sie sich sogar verpflichtet – da der Wortlaut der Regelung ihr keinen Ermessensspielraum einräumt –, Forschung und Presse die strittigen Unterlagen unter strikter Wahrung der Zweckbindung herauszugeben. Dennoch stand das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2001 weiter im Raum, so dass sich die Behörde an das Berliner Verwaltungsgericht wandte und um Feststellung bat, dass sie durch den geänderten Wortlaut des Gesetzes nunmehr nicht mehr generell gehindert sei, die Unterlagen „Kohl“ herauszugeben. Diesem Antrag der Behörde kam das Berliner Verwaltungsgericht am 17. September 200351 nach. Der Altkanzler ersuchte daraufhin im Wege der Sprungrevision das Bundesverwaltungsgericht. Genau der Senat, der bereits 2001 nach der alten Rechtslage zugunsten einer Aktensperre entschied52, urteilte nun 2004 unter Hinweis auf die weit reichenden Gefahren für die Persönlichkeitsentfaltung des Klägers: 1. Ihrem Inhalt nach unterliegen alle Informationen über Amtsträger, Inhaber politischer Funktionen und Personen der Zeitgeschichte, die nicht ausschließlich die Amts- oder Funktionstätigkeit bzw. ihre zeitgeschichtliche Rolle zum Gegenstand haben, einem absoluten Herausgabeverbot. 2. Der Art der Entstehung nach unterliegen darüber hinaus auch Tonbänder, Wortlautprotokolle, die personenbezogene Informationen über die Amts- und Funktionsausübung oder die zeitgeschichtliche Rolle einer Person zum Gegenstand haben, unabhängig davon, ob sie in direkter oder indirekter Rede erstellt worden sind, einem Herausgabeverbot. 3. Im Rahmen von Veröffentlichungen ist die Edition von personenbezogenen Informationen der in § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG genannten Personen aus den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR unzulässig. Gleiches gilt im Regelfall für das wörtliche Zitat. 4. An die Presse sowie zum Zwecke der politischen Bildung dürfen grundsätzlich keine personenbezogenen Informationen über die Amts- und Funktionsausübung sowie die zeitgeschichtliche Rolle einer Person herausgegeben werden, bei denen sich 48 Bislang sind ca. 7000 Blatt gefunden worden, von denen die BStU zunächst 2500 Blatt als herausgabefähig eingestuft hatte. 49 BGBl. I 2002, S. 3446 f. 50 Von den 7000 Blatt, die über Helmut Kohl bislang gefunden wurden, erachtete die Behörde 2500 als herausgabefähig an. 51 VG Berlin, Urteil v. 17. September 2003, Kohl III, NJW 2004, 457 ff. 52 BVerwG, Urteil v. 8. März 2003, Kohl II, BVerwGE 116, 104 ff.

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nicht sicher ausschließen lässt, dass sie aufgrund einer gegen ihn oder einen anderen gerichteten Verletzung der räumlichen Privatsphäre und/oder des Rechts am gesprochenen Wort oder durch Spionage im weitesten Sinne gewonnen wurden.

Damit hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts genau das getan, woran sich der Gesetzgeber seit 1990 aus gutem Grund gehindert sah; „ganz im Stil eines Verfassungsgerichts“53 – bloß eben ohne Kompetenz54: Er hat abstrakt-generelle Regeln zur Präzisierung der überwiegenden schutzwürdigen Interessen entwickelt. Diese sind für die Behörde in der Rechtssache „Kohl“ rechtlich bindend.55 Die faktische Bindungskraft geht jedoch weit über den Einzelfall „Kohl“ hinaus. Die Richter urteilten hier nicht über die Herausgabe der konkreten Akten des Altkanzlers – die dem Gericht gar nicht vorlagen –, sondern über die Auslegung der abstrakt-generellen Regelungen der §§ 32, 34 StUG (i. F. v. 2002). Aus Sicht der Behörde und damit auch aus der Perspektive von Forschung und Presse entfaltet das Urteil damit quasi-gesetzlichen Charakter. Legt man die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Anforderungen für die Auslegung der Regelung zugrunde, müssten die §§ 32, 34 StUG (i. F. v. 2002) wie folgt gelesen werden (Änderungen sind unterstrichen): § 32 StUG (1) Für die Forschung zum Zwecke der politischen und historischen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes sowie für Zwecke der politischen Bildung stellt der Bundesbeauftragte folgende Unterlagen zur Verfügung: [. . .] 4. Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger, soweit es sich ausschließlich um Informationen handelt, die ihre zeitgeschichtliche Rolle, Funktions- oder Amtsausübung betreffen. [. . .] Die Herausgabe von Tonbändern und Wortlautprotokollen in direkter und indirekter Rede unterbleibt. Unterlagen mit personenbezogenen Daten nach den Nummern 3 und 4 dürfen nur zur Verfügung gestellt werden, soweit durch deren Verwendung keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen der dort genannten Personen beeinträchtigt werden. Bei der Abwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Informationserhebung erkennbar auf einer Menschenrechtsverletzung beruht. Die Herausgabe von Unterlagen zum Zwecke der politischen Bildung unterbleibt, soweit sich nicht ausschließen lässt, dass die Informationen durch eine gegen die Person oder gegen einen Dritten gerichtete Verletzung der räumlichen Privatsphäre und/oder des Rechts am gesprochenen Wort gewonnen worden sind oder dass sie aus Akten oder Dateien von Organen und Behörden der Bundesrepublik 53

H. Sodan, Anm. 8, 582 (592). Das Verwerfungsmonopol der gesetzgeberischen Entscheidungen liegt beim Verfassungsgericht, Art. 100 Abs. 1 GG. 55 § 121 Abs. 1 VwGO. 54

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Deutschland einschließlich West-Berlins, westdeutschen Parteien, Wirtschaftsunternehmen oder gesellschaftlichen Organisationen stammen oder eine derartige Information zur möglichen Grundlage haben. [. . .] (3) Personenbezogene Informationen dürfen nur dann veröffentlicht werden, wenn: 1. Diese offenkundig sind, 2. es sich um Informationen handelt über – Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, [. . .]; – Begünstigte des Staatssicherheitsdienstes, 3. Es sich um Informationen handelt über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger, soweit diese ausschließlich ihre zeitgeschichtliche Rolle, Funktions- oder Amtsausübung betreffen [. . .] Durch die Veröffentlichung der in Nummer 2 und 3 genannten Personen dürfen keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen der genannten Personen beeinträchtigt werden. Bei der Abwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Informationserhebung erkennbar auf einer Menschenrechtsverletzung beruht. Die Edition von personenbezogenen Informationen der in § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG genannten Personen zu Veröffentlichungszwecken ist unzulässig. Gleiches gilt im Regelfall für das wörtliche Zitat. § 34 StUG (1) Für die Verwendung von Unterlagen durch Presse, Rundfunk und Film, deren Hilfsunternehmen und die für sie journalistisch-redaktionell tätigen Personen gelten die §§ 32 und 33 entsprechend. Abweichend davon dürfen Informationen im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG nicht herausgegeben werden, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass die sie durch eine gegen die Person oder einen Dritten gerichtete Verletzung der räumlichen Privatsphäre; des Rechts am gesprochenen Wort gewonnen worden sind oder dass sie aus Akten oder Dateien von Organen und Behörden der Bundesrepublik Deutschland einschließlich West-Berlins, westdeutschen Parteien, Wirtschaftsunternehmen oder gesellschaftlichen Organisationen stammen oder eine derartige Information zur möglichen Grundlage haben.

Abgesehen davon, dass die Leipziger Richter mit dem Urteil ohne Not weit in die Kompetenzen des Gesetzgebers eingreifen56, bringt es Einschränkungen für die Forschung, vor allem aber für die Presse mit sich. Das Regelungsziel „Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes“ droht damit vereitelt zu werden: Wie soll die Forschung aufarbeiten 56 Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung vgl. J. Drohla, DA 2004, 758 ff. Das Urteil macht deutlich, dass es nicht die Bundesbeauftragte war, die das Parlament hinterging, zur „Erosion rechtsstaatlicher Prinzipien“ beitrug und das Grundgesetz von den Füßen auf den Kopf gestellt hat – wie v. M. Kleine-Cosack, FAZ v. 11. Juli 2001, 43, behauptet. Ebenfalls einen Verstoß gegen die Gewaltenteilung konstatieren J. Lege, JURA 2005, 616 (618); C. Arndt, NJW 2004, 3157 (3159).

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können, wenn ihr die Möglichkeit zur Veröffentlichung weitestgehend genommen wird? Wie soll die Presse die öffentliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit fördern, wenn ihr der Zugang zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes von vorneherein weitgehend versperrt bleibt? Wie effektiv kann Aufarbeitung sein, wenn die Veröffentlichungen ohne wörtliche Zitate und Editionen aus den Unterlagen auskommen müssen und somit von der Realität weitgehend abstrahiert werden? Freilich, die durch das Urteil auferlegten Restriktionen entfallen, sofern der Betroffene in die Herausgabe und Veröffentlichung der Unterlagen einwilligt. Zu beachten ist dabei aber Folgendes: Auch wenn in der Praxis die Einwilligungsbereitschaft insgesamt hoch ist, so gilt dies nicht für den Kreis der Mitarbeiter und Begünstigten. Auch ist zu bedenken, dass der Kreis der lebenden Betroffenen und damit Einwilligungsfähigen sich in den nächsten Jahren noch stark verringern wird. Soweit einzelne Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts auch für diese Personengruppen Implikationen zeitigen sollten, fallen die Einschränkungen des Gerichts für Forschung und Presse besonders schwer ins Gewicht. Die Gesetzesnovelle von 2006 tastet die streitigen Passagen nicht an, sondern erweiterte nur die Zwecksetzung um die Aufarbeitung anderer Herrschaftsmechanismen der DDR. b) Vorgang Gregor Gysi Auch im ersten Verfahren im Fall von Gregor Gysi ging es ausschließlich um die Veröffentlichung von Informationen aus den Stasi-Unterlagen, hier der von ihm verfassten Berufungsschrift zum Fall des Bürgerrechtlers Robert Havemann. Der Ch.Links-Verlag hatte diese in dem von ihm verlegten Buch „Der Fall Havemann – ein Lehrstück politischer Justiz“ veröffentlicht. Der Beschwerdeführer führte gegen die Veröffentlichung nicht nur sein Allgemeines Persönlichkeitsrecht, sondern auch den Mandantenschutz an, scheiterte jedoch in allen Instanzen. Einen Verstoß gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers verneinte das Bundesverfassungsgericht mit dem Hinweis, dass er hier in seiner Funktion als Rechtsanwalt betroffen sei. Die Berufung auf den Mandantenschutz verneinte es mit dem Argument, dass es sich hierbei um ein Recht des Mandanten und nicht des Beschwerdeführers handle. Im zweiten Verfahren wehrte sich Gysi gegen die Herausgabe zusätzlicher Akten zum Fall Havemann durch die BStU an das Magazin „Der Spiegel“. Der Sache nach ging es um Gespräche zwischen Gregor Gysi und seinem Mandanten Robert Havemann zwischen Juli und Oktober 1979. Der vom „Spiegel“ eingereichte Einsichtsantrag wies als Zweck die Erforschung der

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Beziehung zwischen Staatssicherheit und Rechtsanwälten in der DDR aus. Der Kläger behauptete, dass ihn der offenbar gezielte IM-Einsatz in seinen Menschenrechten verletze und dementsprechend auch die Herausgabe von Informationen hierüber zu unterlassen sei. Die Informationserhebung sei u. a. unter „Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit“, konkret unter Verletzung des Rechts am eigenen Wort, unter Einbruch in die räumliche Privatsphäre und unter Ausnutzung des Vertrauensverhältnisses gewonnen worden. Das Berliner Verwaltungsgericht ließ es dahinstehen, ob Gysi als Rechtsanwalt in der DDR auch als Amtsträger zu qualifizieren war und beließ es bei der Feststellung, dass er zumindest Person der Zeitgeschichte gewesen sei. Interessant ist, dass es offenbar im Gegensatz zum Bundesverwaltungsgericht nicht in jeder Informationserhebung durch den Staatssicherheitsdienst eine der Herausgabe der Informationen grundsätzlich entgegenstehende Verletzung der Menschenrechte sieht und in diesem Fall auch die Erkennbarkeit „einer (sonstigen) Menschenrechtsverletzung“ verneinte. Damit setzte es sich erneut vom Bundesverwaltungsgericht ab, das die fehlende Erkennbarkeit nicht ausreichen ließ und die positive Feststellung, dass die Informationserhebung nicht auf einer Menschenrechtsverletzung beruhte, forderte.

§ 2 Das Problem: Das Spezifische des StUG Die rechtlichen Schwierigkeiten, mit denen der Gesetzgeber und die Behörde im Zusammenhang mit den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes konfrontiert waren und sind, lassen sich mit den anderer vergleichbarer Regelungen – wie den Informationszugangsgesetzen oder den Archivgesetzen – nur bedingt vergleichen. Zu Recht wurde immer wieder betont, dass Stasi-Unterlagen-Gesetz sei ein Sonder-, ein Experimentalgesetz, das sich gleich in mehrfacher Weise von sonstigen datenschutzrechtlichen Regeln absetze.57 Der in den §§ 32, 34 StUG zu lösende Zielkonflikt ließe sich nicht – so Schuppert zutreffend58 – auf das Standardproblem Pressefreiheit/ Forschungsfreiheit contra Persönlichkeitsrecht reduzieren. Das „Spezifische“ der Regelung der §§ 32, 34 StUG lässt sich dabei mit sechs Problemfeldern umreißen, die sich in sämtlichen mit der Forschungsund Medienregelung zusammenhängenden Rechtsfragen widerspiegeln: Die 57 J. Beleites, in: A. Bensussan/D. Dakowska/N. Beaupré (Hrsg.), Die Überlieferung der Diktaturen. Beiträge zum Umgang mit Archiven der Geheimpolizeien in Polen und Deutschland nach 1989, S. 81; H. Weis, in: Stern (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung, S. 90. 58 G. F. Schuppert, AfP 1992, 105 (108).

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der Regelung zugrunde liegende komplexe Interessenverflechtung; die Schwierigkeiten der juristischen Handhabung systemübergreifender Sachverhalte; die Unbestimmtheit der hinter der Regelung stehenden Rechtsgüter; die mangelnde Berücksichtigung des Einigungsvertrages; die aus der formalgesetzliche Gleichbehandlung der unterschiedlichen Informationskategorien, Verwendungsstufen und Antragstellern resultierenden Differenzierungsprobleme sowie die fehlende Kohärenz der Aufarbeitungsregelungen. Gleichwohl darf der oftmals beschworene Charakter des Stasi-UnterlagenGesetzes als Sondergesetz nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch das Stasi-Unterlagen-Gesetz als Bestandteil der deutschen Rechtsordnung an allgemein gültige Rechtskategorien anknüpft. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist ein bunter Mix aus archivrechtlich, kunsturheberrechtlich, presserechtlich, strafprozessual und datenschutzrechtlich inspirierten Normen. Dementsprechend stellen sich einige hoch umstrittene Grundsatzfragen des deutschen Rechts auch im Zusammenhang mit der Regelung der §§ 32, 34 StUG. So ist sind die aus der stetigen Erweiterung des Bundesverfassungsgerichts resultierenden dogmatischen Schwierigkeiten bei der Erfassung des sachlichen Schutzbereichs des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seiner Schranken kein Spezifikum des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Auch das Problem der so genannten fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen ist sowohl aus dem Strafprozessrecht59 als auch aus den Bodenreform-Klagen60 bekannt. Gleiches gilt für die mit dem Caroline von Monaco-Urteil61 erneut entfachte Diskussion um die Reichweite des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Personen der Zeitgeschichte, aber auch die im Zusammenhang mit dem AAÜG-Urteil62 und den Bodenreform-Klagen63 aufgekommene Frage nach der Bestandskraft des Einigungsvertrages sowie die mit den Entwicklungen auf europäischer Ebene erneut entfachte Debatte um den verfassungsrechtlichen Informationsanspruch der Öffentlichkeit gegen den Staat64. Diese Grundsatzfragen sollen in ihrer Gesamtheit in dieser Arbeit nicht noch einmal allgemein aufgerollt werden. Ziel der Arbeit ist es vielmehr, 59 BVerfG, Urteil v. 3. März 2004, Wohnraumüberwachung, BVerfGE 109, 275 (5. Leitsatz). 60 BVerfG, Urteil v. 23. April 1991, Bodenreform I, BVerfGE 84, 90; BVerfG, Urteil v. 22. November 2000, Bodenreform II, www.bverfg.de; BVerfG, Beschluss v. 6. Oktober 2000, Bodenreform III, www.bverfg.de; BVerfG, Beschluss v. 26. Oktober 2004, Bodenreform IV, www.bverfg.de. 61 BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco III, BVerfGE 101, 361. 62 BVerfG, Urteil v. 28. April 1999, AAÜG I, BVerfGE 100, 59; BVerfG, Urteil v. 28. April 1999, AAÜG II, BVerfGE 100, 104. 63 Anm. 60. 64 Dazu näher unten Teil 1 Kap. 2 § 2 A. 1.

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diese Fragen in den spezifischen Kontext der §§ 32, 34 StUG zu rücken, in dem sie allerdings aufgrund der besagten Besonderheiten eine spezielle Akzentuierung erhalten. Voraussetzung dafür aber ist, dass erst einmal das Spezifische der Regelungen erfasst wird.

A. Interessenverflechtung Spezifisch an der Regelung der §§ 32, 34 StUG ist zunächst die komplexe – für manche gar „unauflösbare“, „jedenfalls nicht bruchlos zu lösende“65 – Interessenverflechtung, die der Regelung zugrunde liegt. Diese war es schließlich, die den Gesetzgeber im Laufe der drei Gesetzesänderungen immer weiter in die Unbestimmtheit flüchten ließ. Anders als die Regelungen über den Aktenzugang nach den Archivgesetzen lassen sich die im Rahmen der §§ 32, 34 StUG zu berücksichtigenden rechtlichen Determinanten nicht allein mit der Forschungs-, der Pressefreiheit und dem individuellen Persönlichkeitsschutz erfassen. Vielmehr handelt es sich hier um einen mehrdimensionalen Interessenkonflikt: Die Unterlagen sind Beweis für die jahrzehntelange Missachtung von Grundund Bürgerrechten durch die ehemalige DDR und die Bespitzelung von 6 Millionen Deutschen. Zumindest aus grundgesetzlicher Perspektive sind sie ganz überwiegend rechtswidrig erhoben worden. Zugleich aber dokumentieren sie eine Reihe von Vorgängen, die unter Anwendung rechtsstaatlicher Methoden nie zu Tage getreten wären. Dies ist umso brisanter, da der Staatssicherheitdienst eine Vielzahl von Informationen über Organisationen und Personen sammelte, die teilweise bis heute noch aktiv am politischen Leben partizipieren, wie die Fälle Kohl66, Stolpe67, Gysi68 zeigen. 65

Bonitz, Plenarprotokoll 14/248, v. 4. Juli 2002, Anl. 12, S. 25221 f.; vgl. auch Möller, Stellungnahme vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 68 (69) und Ch. Enders, JZ 2002, 998. 66 VG Berlin, Urteil v. 4. Juli 2001, Kohl I, (unveröffentlicht); BVerwG, Urteil v. 8. März 2003, Kohl II, BVerwGE 116, 104; JZ 2002, 996 ff. = NJ 2002, 382 ff. = NJW 2002, 1815 ff.; VG Berlin, Urteil v. 17. September 2003, Kohl III, NJW 2004, 457 ff.; BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, BVerwGE 121, 115; AfP 2004, 380 = NJW 2004, 2462 = DA 2004, 770. 67 VG Berlin, Beschluss v. 19. Mai 1993, Stolpe I, SächsVBl. 1994, 40 = ThürVBl. 1993, 234; OVG Berlin, Beschluss v. 7. Juli 1997, Stolpe II, NJW 1998, 257; LG Potsdam, Stolpe III, (unveröffentlicht); BGHZ, Urteil v. 16. Juni 1998, Stolpe IV, BGHZ 139, 95; BVerfG, Beschluss v. 25. Oktober 2005, Stolpe V, www.bverfg.de. 68 LG Hamburg, Gysi I, Urteil v. 2. Dezember 1998, AfP 1999, 379; OLG Hamburg, Gysi II, Urteil v. 29. Juli 1999, AfP 1999, 91; BVerfG, Beschluss v. 17. Dezember 1999, Gysi III, BVerfGE 99, 19.

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Die Folge war ein je nach Betrachtungswinkel unterschiedlicher Anspruch an den Umgang mit den Unterlagen. Ging es für die einen in erster Linie um die Aufklärung des eigenen Schicksals, für andere um die Feststellung, inwieweit sie im System involviert waren69, lag wiederum anderen an der Aufklärung zur Absicherung des demokratischen Rechtsstaates gegen totalitäre Bestrebungen70. Wurde aus dem so genannten Täterkreis der Ruf nach der Schließung des Aktendeckels laut, mochten die Opfer mit ihren Akten allein gelassen werden, um einer „fortgesetzten Verletzung“71 ihrer Rechte zu entgehen. Andere hingegen stritten für die Offenlegung des Bestandes, sei es aus Neugier oder mit dem Argument „aus Erfahrung lernen“. Andere forderten die Unterstellung der Akten unter eine internationale Verwaltung.72 Der alte Historikerstreit über das Für und Wider der Vergangenheitsaufarbeitung flammte mit ungekannter Vehemenz wieder auf.73 Ganz zu Recht fasst der damalige Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages Motsch, die Regelung der §§ 32, 34 StUG als eine Dichotomie zwischen verschiedensten individuellen, öffentlichen, wirtschaftlichen Interessen auf.74 Den Opfern läge in erster Linie an der Wahrung oder Herstellung der Menschenwürde sowie speziell an der Beachtung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Ähnliches gilt für die Täter. Diesen Individualinteressen gegenüber stünde ein seinerseits in spezifische Einzelinteressen gegliedertes öffentliches Interesse an der Wiederherstellung des inneren Friedens, an der Bewährung des Rechts durch die Ahndung schwerer Rechtsbrüche, an der Ermöglichung 69 Insbesondere Begünstigte der Staatssicherheit dürften sich nicht ohne weiteres in einer „Täterrolle“ gesehen haben. Daher tat der Gesetzgeber auch gut daran, auf den Begriff des Täters gänzlich zu verzichten. 70 Schult (Neues Forum), Stellungnahme vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 30 (31); Strunz (Bundesvorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus), Stellungnahme vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 32 (33). 71 Von einer solchen gehen u. a. aus: G. F. Schuppert, Anm. 58, 105; Ch. Starck, VVDtStRL 51, 7 (13). 72 W. Fischer im Interview, NZ v. 22. März 1990; abgedr. in: S. Schumann, Anm. 13, S. 79 (82). 73 Ausgangspunkt hierfür war der von J. Habermas verfasste Artikel „Eine Art Schadensabwicklung. Die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung“, in: Die Zeit v. 11. Juli 1986. Darin rügt er die nach seiner Auffassung neokonservativen, die Verbrechen der NS verharmlosenden Tendenzen in der Geschichtsschreibung. Ausführlich dazu mit der Darstellung der Hauptbeteiligten dieses Streits: H. U. Wehler, Entsorgung der deutschen Vergangenheit. Ein polemisches Essay zum „Historikerstreit“. 74 R. Motsch, Betrachtungen zum StUG, in: FS Helmrich, S. 95 (100 f.). In die gleiche Richtung geht auch H.-G Kind, Deutsche Wiedervereinigung Bd. 2, Stern (Hrsg.), S. 63 (68).

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kollektiver öffentlicher Lernprozesse, an der Förderung des wechselseitigen Verständnisses von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und unterschiedlichen Erfahrungen sowie an der Gewährleistung der Forschungs- und Pressefreiheit. Diesen öffentlichen Interessen gegenüber stünden wiederum – wenn auch bislang kaum beachtet – die individuellen wirtschaftlichen Interessen an der Verwertung der in den Unterlagen gespeicherten Informationen sowohl der Ausgespähten als auch derjenigen, die sich mit der Materie publizistisch und wissenschaftlich befassen. Diese heterogenen, zum Teil auch divergierenden Interessen galt es nun unter der Herrschaft des Grundgesetzes in den Griff zu bekommen.75 In einer „politisch instrumentalisierten, moralisierenden“76 und dementsprechend emotionsgeladenen Atmosphäre war nun der Gesetzgeber durch den Einigungsvertrag77 gehalten, den Interessenausgleich im Rahmen einer einfachgesetzlichen Regelung zu finden. Das von Anfang an als „Büchse der Pandora“78 gebrandmarkte Stasi-Unterlagen-Gesetz79 war dabei ein Kompromiss, um die beschriebenen Bedürfnisse zu einem Ausgleich zu bringen.

B. Umgang mit zwei Systemen Mit dem Auftrag, den Umgang mit den Stasi-Unterlagen zu regeln, stand der Gesetzgeber vor einem zusätzlichen Problem. Er hatte unter dem Grundgesetz über den Umgang mit in einem fremden Rechtssystem produzierten Rechtssachen zu befinden. Von Anfang an verursachte dieser systemübergreifende Aspekt rechtspolitische und rechtstechnische Probleme. Einerseits konnte der Gesetzgeber die Herausgabe der personenbezogenen Informationen nicht unter Außerachtlassung ihrer Erhebung regeln. Andererseits hatte er zu berücksichtigen, dass die Informationserhebung außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes erfolgte.80 Der Gesetzgeber traf mit § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG einen Kompromiss: Bei der Entscheidung über die Herausgabe soll im Rahmen der überwiegenden schutzwürdigen Interessen insbesondere berücksichtigt werden, ob „die Informationserhebung erkennbar auf einer Menschenrechtsverletzung be75 „Die wahre Befriedung der Gesellschaft ist noch nicht erreicht. Nun soll der Rechtsstaat nachholen, was die Revolution versäumt hat“, J. Isensee, Der deutsche Rechtsstaat und sein unrechtsstaatliches Erbe, S. 91 (103). 76 So J. Isensee, ebd., 93. 77 Art. 1 Nr. 2, 3 Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag v. 18. September 1990, BGBl. II 1990, S. 1239). 78 E. Jesse, Entnazifizierung und Entstasifizierung als politisches Problem, S. 9. 79 BGBl. I 1991, S. 2272. 80 W. Jakob, NJ 2004, 568; R. Derksen, Anm. 36, 554.

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ruht“. Der Tatbestand des § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG nimmt auf zwei Handlungen Bezug – Informationserhebung und Informationsherausgabe –, die zwei völlig verschiedenen gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Systemen entspringen. Sie bilden gemeinsam die Grundlage für eine gemeinsame Rechtsfolge. Ausschließlich unter der Ägide des bundesdeutschen Rechts betrachtet, stünde der Herausgabe derartiger grundgesetzwidrig erhobener Informationen zumindest grundsätzlich ein Verwertungsverbot entgegen.81 Mehr noch, die Verwaltung wäre dem Grundgesetz nach verpflichtet, diese Unterlagen zu vernichten. Am Maßstab der zum Zeitpunkt der Informationserhebung in der DDR geübten Menschenrechtspraxis gemessen, würde diese Einschränkung nur in wenigen Einzelfällen greifen. Die vom Gesetzgeber getroffene Lösung, die bereits im Gesetzgebungsverfahren hoch umstritten war82, gar als Unterwanderung des Grundgesetzes angesehen wurde83, bereitete in der Praxis von Anbeginn erhebliche Schwierigkeiten. Sie wurde als „Fremdkörper“84 im bundesdeutschen Rechtssystem betrachtet.85 Wohl in erster Linie aus rechtsethischen Bedenken, den Menschenrechtsstandard der DDR86 zur Entscheidungsgrundlage zu erheben, tendierte die Praxis der Auslegung der Regelung immer wieder dazu, auch die Informationserhebung ex post am Maßstab des Grundgesetzes zu messen. Obgleich sich der Gesetzgeber bewusst gegen das Abstellen auf eine Grundrechtsverletzung wendete87, wurde sowohl in der Praxis der 81

BVerfG, Beschluss v. 10. Juni 2003, Telefonüberwachung, www.bverfg.de. Bei der Abstimmung seien zwei Welten aufeinandergeprallt – so Poppe. So hätten einige versucht, die langjährige Kenntnis rechtstaatlicher Normen einzubringen, während andere ihre praktischen Erfahrungen bei der Auflösung des MfS in den Vordergrund rückten, Stenograph. Berichte des BT, 57. Sitzung, 12. Wahlperiode, Bd. 159, S. 4704 A. Vgl. aber auch Bemerkungen v. W. Thierse, ebd., S. 4702 D-4703C, und A. Barbe, ebd., D-4715C. Entsprechend den unterschiedlichen Rechtstraditionen forderten die Vertreter der neuen Bundesländer immer wieder ein weites Zugriffsrecht. Die Vertreter der alten Bundesländer hingegen wollten den in ihrer Rechtsordnung erreichten Persönlichkeitsschutz nicht preisgeben. 83 Dazu bemerkte Gerster (CDU/CSU): „Wer den Rechtsstaat will, der darf bei der Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit die Grenzen des Rechtsstaates nicht überschreiten“, Stenograph. Bericht der 31. Sitzung des Dt. BT v. 14. November 1991, S. 2358; abgedr. in: K. Stoltenberg, StUG-Kommentar, 375 (389). 84 Vgl. nur der Abgeordnete Mischnick, Stenograph. Bericht der 226. Sitzung des Dt. BT v. 20. September 1990, S. 17801, 17931; abgedr. in: Dt. BT (Hrsg.), Auf dem Weg zur Deutschen Einheit, S. 333 (391 ff.). 85 Zu Recht weist die BStU Birthler darauf hin: „Das Stasi-Unterlagen-Gesetz wird nie allein aus dem in der alten Bundesrepublik gewachsenen Rechtsverständnis heraus zu erklären sein“, Zehn Jahre Stasi-Unterlagen-Gesetz – zehn Jahre BStU, in: BStU (Hrsg.), Zehn Jahre Stasi-Unterlagen-Gesetz/Zehn Jahre Aufarbeitung, S. 37. 86 Gemeint sind damit alle für die DDR seinerzeit verbindlichen Menschenrechte sowohl nationaler als auch völkerrechtlicher Art. 82

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BStU88 als auch in der gerichtlichen Praxis89 der Begriff der Menschenrechtsverletzung dem der Grundrechtsverletzung weitgehend gleichgesetzt. Diese Praxis führt zu einer einseitigen Gewichtung der Individualinteressen der in den Unterlagen erfassten Personen zu Lasten des Regelungsziels der Aufarbeitung.

C. Unbestimmtheit der kollidierenden Rechtsgüter Die unter A. und B. geschilderten, dem Regelungsgegenstand an sich immanenten Schwierigkeiten bei der Rechtssetzung schlagen aufgrund des geringen Bestimmtheitsgrades der §§ 32, 34 StUG unmittelbar auf die Ebene der Rechtsanwendung durch. Das vor dem Hintergrund des im Volkszählungs-Urteil formulierten Bestimmtheitsgebots ohnehin schon bedenkliche Bestimmtheitsdefizit in einem grundrechtsrelevanten Bereich wird durch die definitorischen, konzeptionellen und dogmatischen Unklarheiten der beiden Hauptregelungsgegenstände, Aufarbeitung und Persönlichkeitsschutz, zusätzlich potenziert.90 An einer rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Regelungsziel der Aufarbeitung fehlt es genauso wie an einer dogmatisch konsistenten Abgrenzung der einzelnen in der Rechtsprechung entwickelten Gewährleistungsbereiche des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts.91 Ohne Defi87

J. Rapp-Lücke, Anm. 37, § 32 Rn. 34. Vgl. nur Richtlinie zu den §§ 32, 34 StUG vom 29. Oktober 2004, S. 11. Zwar differenziert die Behörde zwischen Menschenrechtsverletzung und Grundgesetzverletzung. Letztendlich prüft sie die Herausgabe der Informationen am Maßstab des GG, die Informationserhebung am Maßstab der Menschenrechte. Wie sich am Beispiel des Eingriffs in die räumliche Privatsphäre zeigt, wird aber in der Praxis zwischen Informationserhebung und Informationsherausgabe nicht hinreichend differenziert. Dazu näher unten Teil 2 Kap. 2 § 2 A. 89 BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, BVerwGE 121, 115 (127). 90 Darin fordert das BVerfG im in seinem 2. Leitsatz: „Einschränkungen dieses Rechts [Allgemeines Persönlichkeitsrecht] sind nur im überwiegenden Allgemeininteresse zulässig. Sie bedürfen einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen muss“, BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1983, Volkszählung, BVerfGE 65, 1. Weiter konkretisiert das Gericht: „Ein Zwang zur Abgabe personenbezogenen Daten setzt voraus, dass der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt“, ebd., 46. 91 Vgl. BVerfG, Urteil v. 27. Juli 2005, § 33 Nds. SOG, BVerfGE 113, 348 (386): „Da bei der Abwägung der Rang des Schutzguts und die Einschätzung der Intensität der ihm drohenden Gefahr bedeutsam sind [. . .], bedarf es hinreichender Anhaltspunkte für die genaue Bestimmung des gefährdeten Guts [. . .]. Unklarheiten über das konkret gefährdete Rechtsgut bergen das Risiko in sich, dass die rechtsstaatliche Begrenzungsfunktion des Abwägungsgebots verfehlt wird.“ 88

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nition und ein gewisses Vorverständnis über das Gewicht der gegeneinander abzuwägenden Regelungsziele ist jedoch eine jede Interessenabwägung zum Scheitern verurteilt. Sie wird zum Spielball politischer Interessen und entzieht sich mangels Maßstabs jeglicher juristischer Nachprüfung. Freilich kann die Interpretation von Recht niemals frei von außerrechtlichen Erwägungen sein, knüpft doch etwa der Begriff der „Aufarbeitung“ in § 32 StUG an einen soziologischen Begriff an.92 Dennoch: Auch wenn eine Rechtsnorm wie § 32 StUG zwei an sich rechtlich undefinierte Zielsetzungen, wie das Ziel der Aufarbeitung einerseits und den Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts andererseits, miteinander in Einklang bringen bzw. zu einem Ausgleich bringen will, dann bedarf es – will das Recht seine Autorität nicht verlieren – klarer rechtlicher Vorgaben, wie der Sinngehalt der jeweiligen Zielsetzung und unter Rückgriff auf welche Methoden der Ausgleich zwischen ihnen zu ermitteln ist. Fehlt es an solchen Vorgaben und Methoden, gibt man das „Recht“ der Beliebigkeit preis. Gerade an solchen methodischen Vorgaben fehlt es in dem kasuistisch geprägten allgemeinen Persönlichkeitsschutz. Die Anfälligkeit der §§ 32, 34 StUG für eine gesinnungsorientierte Interpretation ist also nicht allein der politischen und soziologischen Brisanz, die dem Regelungsgehalt immanent ist, geschuldet. Vielmehr ist sie zugleich Ausdruck einer im Bereich der Grundrechtsdogmatik wenig kohärenten Rechtsprechung.93 Dies gilt sowohl für das in der Rechtsprechung stetig ausgedehnte und als solches in der Verfassung nicht einmal benannte Allgemeine Persönlichkeitsrecht als auch für die schier undurchschaubare Gewichtung öffentlicher Interessen gegenüber verfassungsrechtlich verbürgten, individuellen Freiheitsgarantien.

D. Mangelnde Berücksichtigung des Einigungsvertrages Die ungenügende Auseinandersetzung mit der Bedeutung und dem Gewicht des Aufarbeitungsanliegens ist ihrerseits eine Folge der mangelnden Berücksichtigung der besonderen rechtlichen Rahmenbedingungen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Im Gegensatz zu sonstigen archivrechtlichen Regelungen basiert das Stasi-Unterlagen-Gesetz auf einem spezifischen Gesetzgebungsauftrag des Einigungsvertrages.94 Infolgedessen sah der Gesetzgeber den rechtlichen Maßstab seines Tuns allein auf das Grundgesetz beschränkt. Dementsprechend fehlt es auch an einer Auseinandersetzung mit 92 93 94

Näher dazu Teil 1 Kap. 2 § 1 A. Dazu näher Teil 1 Kap. 1 § 1, Kap. 2. Vgl. Anlage I Kap. II Sachgebiet B Abschnitt II 2, BGBl. II 1990, S. 912 f.

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den rechtlichen Implikationen der einigungsvertraglichen Vorgaben auf die §§ 32, 34 StUG. Auch dies führte in der Konsequenz zu einer einseitigen Gewichtung zu Gunsten des allgemeinen Persönlichkeitsschutzes sowohl bei der Rechtssetzung als auch bei der Rechtsanwendung. Bereits 1990 schlug sich dies in der Zielsetzung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes nieder.95 Als oberstes Ziel des Stasi-Unterlagen-Gesetzes wies der Gesetzgeber nach § 1 StUG nicht mehr die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes, sondern den Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Noch in Art. 1 Nr. 3 der Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag96 hatten beide Vertragsparteien des Einigungsvertrages die politische und historische Aufarbeitung als oberste Zielsetzung postuliert. Diese fehlende Berücksichtigung des Einigungsvertrages fand in der Rechtsprechung seine Fortsetzung. Abgesehen von der Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts von 200397 blieben etwaige einigungsvertragsrechtliche Vorgaben durchweg unerwähnt.

E. Formal-gesetzliche Gleichbehandlung verschiedener Sachverhalte Ungeachtet des ohnehin schon mehrschichtigen Abwägungsvorgangs zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem öffentlichen Interesse an der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes (vgl. A., B., C., D.) bürdet der Gesetzgeber mit den §§ 32, 34 StUG der Behörde auch aus der Perspektive des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) einen hochkomplexen Abwägungsvorgang auf. Und dies gleich in mehrfacher Hinsicht: Der Tatbestand der §§ 32, 34 StUG trifft weder eine Unterscheidung zwischen „Tätern“98 im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 3; Abs. 3 Nr. 2 StUG und Opfern im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 4; Abs. 3 Nr. 3 StUG, noch trifft der Tatbestand eine Unterscheidung zwischen den einzelnen „Täter- und Opferkategorien“. Die Herausgabe der personenbezogenen Informationen ist der Veröffentlichung gleichgestellt. Auch wird zwischen den Antragsberechtigten – Forschung und Medien – in den §§ 32, 34 StUG nicht differenziert. Die unterschiedlichen Gefährdungslagen, die auf den verschiedenen Verwendungsstufen und durch den Zugriff verschiedener Akteure für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen bestehen, aber auch die 95 96 97 98

Vgl. näher dazu Teil 2 Kap. 1 § 1. BGBl. II 1990, S. 1239. VG Berlin, Urteil v. 17. September 2003, Kohl III, NJW 2004, 457 (459). Das StUG kennt den Begriff des Täters nicht.

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Schutzbedürfnisse der verschiedenen Personengruppen finden auf der Tatbestandsebene keine Berücksichtigung. Auch sie sind damit erst im Rahmen der Interessenabwägung auszutarieren. Das eigentliche Problem liegt dabei aber noch eine Stufe tiefer. Die für die Differenzierung ausschlaggebenden Kriterien sind, zumindest was die betroffenen Personengruppen in §§ 32 Abs. 1 Nr. 3 und 4, Abs. 3 Nr. 2 und 3 StUG anbelangt, unklar. Eine Differenzierung ohne sachliches Differenzierungskriterium jedoch ist Willkür. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Unterscheidung in Bezug auf den Aktenzugang zu den in § 32 StUG genannten Personenkategorien einerseits und sonstigen Personen wie folgt gerechtfertigt: Der Grund für die Differenzierung im Zugang zwischen den „Tätern“ und „Opfern“ läge darin, dass erstere das System gekannt hätten und von daher weniger schutzwürdig seinen. Sie hätten damit rechnen müssen selbst Opfer der eigenen Methoden zu werden.99 Der Grund für die Differenzierung zwischen den in § 32 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 3 StUG genannten Opfern und sonstigen Opfern, zu deren Informationen Medien und Forschung keinen Zugang haben, läge in dem erhöhten öffentlichen Interesse, was den individuellen Persönlichkeitsschutzes dieser Personen in der Regel zurücktreten lasse.100 Beide Kriterien überzeugen nicht: Zum einen erscheint die pauschale Annahme, dass man durch die Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit gleichsam Kenntnis von der eigenen Bespitzelung haben musste und damit in diese eingewilligt habe, fragwürdig. Es mag hinlänglich bekannt gewesen sein, dass die Staatssicherheit flächendeckend Personen beobachtet und ausspioniert hat, die aus welchen Gründen auch immer in den Verdacht geraten waren, gegen das System zu agieren. Dass die Staatssicherheit aber auch das Leben ihrer eigenen Mitarbeiter umfassend ausspioniert hat, war zum relevanten Zeitpunkt weniger bekannt. Soweit es also um die Herausgabe von personenbezogenen Informationen über die in § 32 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 StUG, die – genauso wie bei anderen Opfern – durch Ausspionierung gewonnen wurden, geht, läuft diese Sonderbehandlung der „Täter“ auf eine Art Sanktionierung für ein an sich damals nicht verbotenes Verhalten, und zwar der Kollaboration mit der Staatssicherheit, hinaus, ohne dass der Gesetzgeber hierzu einen Auftrag erteilt hätte oder die für eine strafrechtliche Sanktion selbstverständlichen Verfahrenssicherungen angelegt wurden. 99

VG Berlin, Urteil v. 17. September 2003, Kohl III, NJW 2004, 457 (461); BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, AfP 2004, 380 (382). 100 VG Berlin, Urteil v. 17. September 2003, Kohl III, NJW 2004, 457 (461); BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, AfP 2004, 380 (382).

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Dieses Problem wiegt besonders schwer, da sich die Behörde in der Praxis mit der Zuordnung zu einer der in § 32 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 StUG genannten Personengruppen begnügt, ohne im Einzelfall genauer die Involvierung dieser Person und daraus resultierend deren Kenntnis der Methoden nachzuprüfen.101 Auch eine Differenzierung zwischen den einzelnen Täterkategorien mit der offiziellen Mitarbeit als stärkster Form, der Involvierung und der Begünstigung als schwächste Form der Zusammenarbeit findet nicht statt.102 Eine solche Differenzierung wäre aber – legt man das oben genannte Kriterium zugrunde – gemessen an der Eingriffsintensität der Herausgabe der personenbezogenen Informationen notwendig.103 Zum anderen ist die Differenzierung in Bezug auf den Informationszugang von Medien und Forschung zu Opfern im Allgemeinen und Opfern im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 3 StUG problematisch. Richtig ist zwar, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an bestimmten Personen deren Persönlichkeitsschutz zurücktreten lassen kann. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG fordert aber mehr als ein an sich zulässiges Differenzierungskriterium. Er fordert einen sachlichen Zusammenhang zwischen dem Regelungsziel und dem Differenzierungskriterium.104 Das Differenzierungskriterium muss sich aus dem Regelungsziel ableiten lassen.105 Jede andere Differenzierung ist willkürlich. Regelungsziel der §§ 32, 34 StUG ist aber gerade nicht die Befriedigung des öffentlichen Informationsbedürfnisses, sondern die „Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes“. Hierbei handelt es sich um ein sehr spezielles öffentliches Interesse. Nur dann, wenn die Herausgabe der Unterlagen über die in § 32 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 3 StUG genannten Personen auch diesem Zweck dient, ist die Differenzierung zulässig. Dies bedarf aber – wenn man der pauschalen Annahme des § 32 StUG überhaupt folgen will – zumindest auf der Ebene der Rechtsanwendung einer genauen Prüfung. Daran fehlt es bislang in der Praxis.106

101 Richtlinie zu den §§ 32, 34 StUG v. 29. Oktober 2004, S. 12. Vgl. auch Richtlinie der BStU v. 1. März 2007, 1.2.3. 102 Ebd. 103 Je wesentlicher der Grundrechtseingriff desto höher die Anforderungen an die Differenzierung, BVerfG, Beschluss v. 14. Dezember 1994, Erbrecht, BVerfGE 91, 346 (363): Dem Gestaltungsspielraum seien umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. 104 M. Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot, S. 357. 105 M. Pechstein, Anm. 104. 106 Richtlinie zu den §§ 32, 34 StUG v. 29. Oktober 2004, S. 12.

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F. Fehlende Kohärenz der Aufarbeitungsregelungen Spezifisch an der Regelung des Zugangs zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes ist zudem, dass dieser in einem separaten Gesetz mit von allgemeinen archivrechtlichen Bestimmungen abweichenden Zugangsregeln geregelt wurde.107 Diese gesetzgeberische Entscheidung steht im starken Kontrast sowohl zum Umgang mit den Unterlagen über Parteien und sonstigen Massenorganisationen der DDR als auch zum Umgang mit den Unterlagen tragender Säulen der NS-Diktatur – wie der GESTAPO, der NSDAP –, der sich nach dem allgemeinen Bundesarchivgesetz richtet.108 Dieses Herausbrechen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes aus den allgemeinen archiv- und datenschutzrechtlichen Kodifikationen ist nicht nur unter rechtsästhetischen und rechtspolitischen Gesichtspunkten unglücklich, sondern wirft auch auf rechtlicher Ebene Schwierigkeiten auf.109 Dies betrifft zunächst das Verhältnis zwischen beiden Regelungskomplexen. Aber auch aus der Perspektive des Gleichheitssatzes wirft die Asymmetrie zwischen den Zugangsregelungen zu den Unterlagen der Staatssicherheit und zu sonstigen aufarbeitungsrelevanten Unterlagen Schwierigkeiten auf.110 Im Gegensatz zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes nach § 32 StUG dürfen nach § 5 BArchG personenbezogene Daten zu Lebzeiten dieser Person nur mit Einwilligung des Betroffenen herausgegeben werden. Ausnahmen hiervon kennt das Bundesarchivgesetz nicht, auch nicht für die „Täterkategorie“ oder für Personen der Zeitgeschichte und Amtsträger wie in § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG. Gleiches gilt nach § 4 Abs. 3 StiftungsErl für die Unterlagen von Parteien und anderen DDR-Massenorganisationen. Darüber hinaus unterliegen sämtliche personenbezogene Daten nach dem Tod des Betroffenen einer 30-jährigen Sperrfrist nach § 5 Abs. 2 BArchG, § 4 Abs. 3 S. 1 StiftungsErl. Diese Klausel wurde mit der letzten Änderung in § 32 Abs. 1 Nr. 6 StUG zwar übernommen. Sie findet aber ausdrücklich 107 In den Beratungen des StUG wurde von einem vorläufigen Charakter der Sonderverwaltung ausgegangen, Stenograph. Bericht, 638. Sitzung des BR, S. 585 ff.; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 428 (431). 108 Die Regelung in § 4 StiftungsErl, GMBl. 1992, 310, unterscheidet sich von der in § 5 BArchG nicht. 109 Vor diesem Hintergrund auch der Hinweis im Gesetzentwurf v. Bündnis 90/Die Grünen, dass die Aufarbeitung der übrigen „DDR-Bestände“ notwendig sei, um die tatsächliche Macht und den Grad gesellschaftlicher Verflechtung auszutarieren und hierfür eine kohärente Regelung „unbedingt erforderlich“ sei, BT-Drs. 12/692, Bd. 429. 110 Zum dem aus dem Gleichheitssatz fließenden Gebot der Folgerichtigkeit bei der Rechtssetzung vgl. P. Kirchhof, HBStR V, § 124 Rn. 222 f., 225, 232.

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nicht auf Personen der Zeitgeschichte, Amtsträger, Funktionsträger und Mitarbeiter und Begünstigte des MfS Anwendung. Vielmehr bestimmt sich der Zugang zu deren personenbezogenen Informationen nach den gleichen Regeln wie bei lebenden Personen, wobei im Rahmen der Abwägung der verfassungsrechtlich geschützte postmortale Persönlichkeitsschutz berücksichtigt wird.111 Im Gegensatz dazu kann nach § 5 Abs. 5 S. 4 BArchG und dem entsprechenden § 4 Abs. 3 S. 4 StiftungsErl bei Informationen über Personen der Zeitgeschichte und Amtsträger in Ausübung ihres Amtes die oben genannte Schutzfrist lediglich verkürzt werden, sofern die Interessen des Betroffenen angemessen berücksichtigt werden. Die dort gestellten Anforderungen sind strenger als die Anforderungen an die Abwägungsklausel nach § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG, der die Herausgabe der Unterlagen nur bei überwiegendem schutzwürdigen Interesse des Betroffenen verbietet. Danach reicht es für die die Herausgabe der personenbezogenen Informationen der in § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG genannten Personen aus, dass keine überwiegend schutzwürdigen Interessen des Betroffenen bestehen. Zudem besteht im Fall des § 5 Abs. 2 BArchG nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung, der in § 5 Abs. 6 BArchG und in § 4 Abs. 5 StiftungsErl von zahlreichen Ausschlussgründen flankiert wird. Dieses Ermessen geht nicht schon vollständig in der Bestimmung der Schutzwürdigkeit der Interessen des Betroffenen auf. Vielmehr spielen auch innerbehördliche Gesichtspunkte – wie der Aufwand der Beschaffung der Unterlagen – eine Rolle. Im Gegensatz dazu stellt § 32 StUG den Aktenzugang weder in das Ermessen der BStU noch vermag etwa der Verwaltungsaufwand bei der Beschaffung oder der Zustand der Unterlagen den Herausgabeanspruch auszuschließen. Demgegenüber sind die archivrechtlichen Regelungen in mehrfacher Hinsicht weiter als das Stasi-Unterlagen-Gesetz. Beschränkt sich das Zugangsrecht nach § 32 StUG allein auf Forschung und Medien, kann nach Ablauf der 30-jährigen Frist bzw. bei Verkürzung der Frist vorher jedermann nach dem Bundesarchivgesetz Einblick in personenbezogene Unterlagen nehmen. Anders als in § 32 Abs. 1 Nr. 3, 4 StUG beschränkt sich der Aktenzugang auch nicht auf den Zugang zu personenbezogenen Informationen bestimmter Personen, sondern ist umfassend. Zwar könnte man angesichts der aufgezeigten tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten, die es bei der Regelung der Verwendung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zu beachten galt112, meinen, dass es auch insoweit eines Sonderrechts bedurfte.113 Hält man jedoch die Unterla111 112

Richtlinie der BStU v. 1. März 2007, 1.4.2. Vgl. Einleitung, § 2 A., B.

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gen der Parteien und anderer Massenorganisationen der DDR dagegen, deren Zugang im Rahmen einer Sondervorschrift im Archivgesetz geregelt ist114, dann überzeugt die Differenzierung kaum. Der dem Zugang zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zugrunde liegende Interessenkonflikt unterscheidet sich nicht wesentlich von dem des Zugangs zu diesen Unterlagen. Anders als zum Zeitpunkt der Schaffung des Stasi-UnterlagenGesetz angenommen, befinden sich auch in den Unterlagen der Parteien und Massenorganisationen der DDR – wenn auch in geringerem Umfang – rechtswidrig erhobene personenbezogene Informationen.115 Diese Unterlagen sind für die Aufarbeitung der DDR-Diktatur nicht minder bedeutend.116 Im Gegenteil, bedenkt man, dass die Staatssicherheit als Schild und Schwert der SED agierte, dann ist es wenig eingängig, bei der Reichweite des Zugangs – oder anders gewendet – bei der Reichweite des Persönlichkeitsschutzes zwischen Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR und der SED zu differenzieren.117

§ 3 Fazit und Ausgangsthese der Arbeit Um die aufgezeigte komplexe Interessenlage angemessen zu bewältigen, bedarf es zunächst der Klarheit über das Regelungsziel der §§ 32, 34 StUG. Erblickt wird dieses Regelungsziel der §§ 32, 34 StUG zumeist in der Wahrung des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht einerseits und in der Gewährleistung der Presse- und Forschungsfreiheit andererseits.118 Die Betrachtung der §§ 32, 34 StUG aus diesem Blickwinkel greift jedoch zu kurz. Sie berücksichtigt die angesprochenen Besonderheiten der Regelung nicht hinrei113

So Badura, der die Sondersituation im Aufarbeitungsauftrag begründet sieht, Öffentliche Anhörung der Sachverständigen v. 27. August 1991, Stenograph. Protokoll der 12. Sitzung des Innenausschusses des Dt. BT; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 437 (439). 114 § 4 StiftungsErl, Anm. 108. 115 Die Annahme, dass der Staatssicherheit in der DDR-Diktatur eine besondere Rolle zukam, hat etwa auch in § 44 c AbgG zu einer Sonderregelung geführt. Kritisch dazu zutreffend R. Stock, ZRP 1995, 286 (288 f.); J. Weberling, DÖV 1992, 161 (163). 116 Die Sonderegelung des StUG basiert nicht zuletzt auf der ursprünglichen Verkennung des Machtgefälles zwischen dem Staatssicherheitsdienst und der SED, vgl. dazu J. Gieseke, Der Mielke-Konzern. Die Geschichte der Stasi 1945–1990, S. 147. 117 Bereits die Begründung des Gesetzesentwurfs von Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 12/692, Bd. 429, stellt dazu fest, dass auch die Aufarbeitung der übrigen „DDR-Bestände“ notwendig sei, um seine tatsächliche Macht und den Grad gesellschaftlicher Verflechtung auszutarieren. Im Übrigen wurde eine kohärente Regelung als „unbedingt erforderlich“ erachtet. 118 J. Weberling, Anm. 115, 161 (162).

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chend.119 In der Praxis führt sie – das hat das Kohl-Verfahren klar bewiesen – zu einer einseitigen „Abwägung“ zugunsten des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts.120 Anliegen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ist es ausweislich seiner Zielsetzung, „die historische, politische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes zu gewährleisten und zu fördern“121. Ein Adressat dieses Auftrags ist darin nicht benannt. Erst § 32 Abs. 1 S. 1 StUG konkretisiert: „Für die Forschung zum Zwecke der politischen und historischen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes oder der Herrschaftsmechanismen der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik oder der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone sowie für die Zwecke der politischen Bildung stellt die Bundesbeauftragte [. . .] Unterlagen zur Verfügung“. Gleiches soll nach Absatz 4 dann auch für Zwecke der politischen und historischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit gelten. Gesetzgeberisches Ziel ist also nicht die Garantie der Forschungs- und Pressefreiheit, sondern die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes und der Herrschaftsmechanismen der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Dass auch die Rolle von Forschung und Medien im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat zu berücksichtigen ist, ist selbstverständlich.122 Anderenfalls ließe sich die privilegierte Stellung von Forschung und Presse hinsichtlich des Informationszugangs gegenüber sonstigen Interessenten nicht rechtfertigen. Insofern unterscheiden sich die §§ 32, 34 StUG von den archivrechtlichen Regelungen, in denen Forschung und Presse eben keinen gegenüber jedermann durchweg privilegierten Zugang zu staatlichen Informationen genießen und bei denen eine Zweckbindung grundsätzlich nicht besteht. So dürfen nach § 5 BArchG personenbezogene Daten nur mit Einwilligung des Betroffenen herausgegeben werden. Darüber hinaus unterliegen sämtliche personenbezogene Daten nach dem Tod des Betroffenen einer 30-jährigen Sperrfrist nach § 5 Abs. 2 BArchG. Unterlagen von Personen der Zeitgeschichte und Amtsträgern in Ausübung ihres Amtes können verkürzt werden. Die Voraussetzungen sind aber strenger als in § 32 StUG. 119

Vgl. Einleitung § 2 I–VI. So bereits G. F. Schuppert, Anm. 71, 105 ff.; H. G. Kind, Anm. 74, 68 f. Vgl. oben § 2 A. 121 § 1 Abs. 1 Nr. 3 StUG. 122 Umstritten ist allerdings, welches Gewicht der Forschungs- und Pressefreiheit hier im Einzelnen zukommt. Dies hängt maßgeblich davon ab, ob man in den Art. 5 Abs. 1, 3 GG zugleich einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Zugang zu den Informationen sieht. Vgl. dazu Teil 1 Kap. 2 § 2. 120

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Erstens: die Behörde hat im Fall des § 5 Abs. 5 S. 4 BArchG ein Ermessen. Dieses Ermessen geht nicht schon vollständig in der Bestimmung der Schutzwürdigkeit der Interessen des Betroffenen auf. Vielmehr spielen auch innerbehördliche Gesichtspunkte – wie der Aufwand der Beschaffung der Unterlagen – eine Rolle. Eine solche Einschränkung kennt das Stasi-Unterlagen-Gesetz nicht. Auch wenn von Historikern, Politikwissenschaftlern und Soziologen immer wieder ins angeführt wird, dass der Zugang zu aufarbeitungsrelevanten Unterlagen nach dem Archivgesetz günstiger sei, da das Ermessen auch bei personenbezogenen Informationen zumeist zu Gunsten des Zugangs ausgeübt würde, dürfte es sich hier gegebenenfalls eher um eine der rechtlichen Prüfung bedürftige Rechtspraxis handeln123, dann um ein Argument für die rechtliche Gleichbehandlung der Unterlagen. Zweitens: Während § 32 StUG die Herausgabe der Unterlagen nur bei überwiegendem schutzwürdigen Interesse des Betroffenen verbietet, reicht es bei § 5 Abs. 5 S. 4 BArchG für ein Herausgabeverbot schon aus, dass die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen, die die Interessen des Antragstellers nicht überwiegen müssen, nicht angemessen berücksichtigt wurden. Der Hintergrund dieser Differenzierung zwischen den Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR und sonstigem Archivgut erschließt sich erst unter Berücksichtigung der besonderen, durch den Einigungsvertrag determinierten124 Interessenlage. Anders als die allgemeinen Archivgesetze hat das Stasi-Unterlagen-Gesetz nach Art. 1 Nr. 2 ZV EV einen Auftrag zu vollziehen, einen Auftrag, der über die schlichte Bewahrung des „Gedächtnisses der Nation“125 hinausgeht.126 Danach erwarten die Vertragsparteien, „dass der gesamtdeutsche Gesetzgeber die Voraussetzungen dafür schafft, dass die politische, historische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit gewährleistet bleibt.“127 123 Empfehlungen der Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ v. 15. Mai 2006, S. 7. 124 Einleitung § 2 D. 125 So die Funktionsbeschreibung von Archiven, siehe S. Simitis, in: FS für Zeidler Bd. 2, S. 1475 ff.; B. Manegold, Archivrecht, S. 23 ff. 126 Demgegenüber findet sich im Archivgesetz keine weitergehende Zielsetzung. § 1 BArchG lautet: „Das Archivgut des Bundes ist durch das Bundesarchiv auf Dauer zu sichern, nutzbar zu machen und wissenschaftlich zu verwerten.“ 127 Dabei gehen sie gem. Art. 1 Nr. 3 ZV EV davon aus, „dass ein angemessener Ausgleich zwischen der politischen, historischen und juristischen Aufarbeitung und der Sicherung der individuellen Rechte der Betroffenen und dem gebotenen Schutz des einzelnen vor unbefugter Verwertung seiner persönlichen Daten geschaffen wird.“ Im BArchG findet sich demgegenüber keine weitergehende Zielsetzung. § 1 BArchG lautet: „Das Archivgut des Bundes ist durch das Bundesarchiv auf Dauer zu sichern, nutzbar zu machen und wissenschaftlich zu verwerten.“

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Ziel der §§ 32, 34 StUG ist es mithin nicht schlechthin, das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der in den Unterlagen erwähnten Personen zu schützen.128 Ziel ist es auch nicht, dem einzelnen Forscher oder der Presse, die Realisierung ihrer individuellen grundgesetzlich verbürgten Freiheiten zu ermöglichen. Ziel der §§ 32, 34 StUG ist es – so das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 23. September 2000 –, „eine Anschauung darüber zu vermitteln, welchen Gefahren Freiheitsrechte der Bürger ausgesetzt werden können, wenn die Sicherung eines freiheitlichen Rechtsstaates außer Kraft gesetzt wird“.129 Insofern unterscheiden sich die Stasi-Unterlagen von übrigem Archivgut. Die Unterlagen sollen hier nicht nur liegen bleiben und bei Nachfrage herausgegeben werden, die Unterlagen sollen gezielt ausgewertet und die Erkenntnisse sollen der Öffentlichkeit vermittelt werden. Dies ergibt sich aus der Förderungspflicht der §§ 32 Abs. 1, 37 Abs. 1 Nr. 6 StUG, die neben dem Forschungsauftrag der Behörde nach § 37 Abs. 1 Nr. 5 StUG besteht. Mit diesem Auftrag wäre es unvereinbar, die Bearbeitung der Akten durch lange Sperrfristen – wie die des § 5 BArchG – zu verzögern. Dabei kann weder die Auswertung des Materials noch die Öffentlichkeitsarbeit in einem demokratischen Rechtsstaat allein einer Behörde zukommen.130 Nicht allein deshalb, weil die BStU kaum hinreichend ausgestattet sein dürfte, um diesen Auftrag allein zu erfüllen, nicht nur weil immer noch potentielle Verflechtungen noch aktiver Politiker mit dem Staatssicherheitsdienst aufzuarbeiten sind, sondern weil öffentliche Gewalt kontrollierbar sein muss.131 Es geht nicht an, dass der Staat für sich das Monopol zur geschichtlichen Bewertung des Staatssicherheitsdienstes in Anspruch nimmt. Auch die aus den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes gewonnenen Erkenntnisse der BStU müssen sich in irgendeiner Weise nachprüfen lassen.132 Ein exklusives Zugriffsrecht, ein Informations- oder wie es oft heißt „ein Forschungsmonopol“133 der BStU wäre mit diesen Grundsätzen unvereinbar. 128 Vgl. nur die Stellungnahmen v. Marx und Beleites vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96. 129 BVerfG, Beschluss v. 23. Februar 2000, IM Listen IV, EuGRZ 2000, 243 = NJW 2000, 2413. 130 So bereits S. Simitis, Anm. 125, S. 1476. Siehe auch E. Jesse, „Entnazifizierung“ und „Entstasifizierung“ als politisches Problem, in: Battis/Jakobs/Jesse, Vergangenheitsbewältigung durch Recht, S. 9 ff.; R. Dreier, Juristische Vergangenheitsbewältigung, S. 159 ff. 131 BVerfG, Urteil v. 2. März 1977, Öffentlichkeitsarbeit I, BVerfGE 44, 125 (139); BVerfG, Beschluss v. 23. Februar 1983, Öffentlichkeitsarbeit II, BVerfGE 63, 230 (243); BVerfG, Urteil v. 19. Juli 1966, HaushaltsG, BVerfGE 20, 56 (100). 132 So bereits J. Weberling, in: Unverhau (Hrsg.), S. 137 (140). 133 J. Weberling, Anm. 132.

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Einleitung

Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber bereits 1990 mit der Schaffung der §§ 32, 34 StUG Forschung und Presse Zugriff auf die Akten gewährt. Forschung und Presse übernehmen so gesehen eine dienende Funktion. Wie die Formulierung des § 32 Abs. 1 StUG „der Forschung und Presse zur Aufarbeitung . . .“ zeigt, wird ihnen das Zugriffsrecht nicht um ihrer selbst willen zugebilligt, vielmehr ist ihr Wirken und damit ihr Zugangsrecht zu den Unterlagen integraler Bestandteil des Rechtsauftrages zur Aufarbeitung. Wo aber bleiben dann die besondere verfassungsrechtliche Stellung der Forschung und die für den Meinungsbildungsprozess schlechthin konstituierende Bedeutung der Presse? Aufgrund des Gesagten wird klar, dass der Gegenstand ihrer Begehrlichkeit mit dem Auftrag zur Aufarbeitung steht und fällt. Denkt man diesen hinweg, hätte man es mit reinen Archivinteressen zu tun, die sich von denen eines gewöhnlichen Archivs kaum unterscheiden. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz und die auf seiner Grundlage errichtete Behörde verlören ihre Legitimation. Eines „Sonderrechts“ bedürfte es dann nicht. Vor allem aber wäre der Zugang zu diesen aus grundgesetzlicher Sicht rechtswidrig erhobenen Unterlagen gar nicht möglich. Denn ohne das Anliegen der Aufarbeitung wären die Akten zu vernichten. Ebensowenig wie ihr Grundrechtsschutz eine grundrechtsbeeinträchtigende Erhebung persönlicher Informationen rechtfertigen könnte, könnten Presse und Forschung Anspruch auf Erhalt und Nutzung einer entsprechenden Sammlung erheben.

Teil 1

Einigungsvertragliche, verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Vorgaben an die §§ 32, 34 StUG Nachdem der der Regelung der §§ 32, 34 StUG zugrunde liegende Interessenkonflikt benannt wurde, geht es im ersten Teil der Arbeit darum, die identifizierten Interessen näher zu beschreiben und sie rechtlich zu erfassen. Nur so lässt sich überhaupt bestimmen, welche dieser Interessen der Gesetzgeber inwieweit bei der Schaffung der §§ 32, 34 StUG von Rechts wegen berücksichtigen musste; welche Rechtspositionen die BStU und die mit der Überprüfung der behördlichen Entscheidungen befassten Gerichte inwieweit bei dem nach den §§ 32, 34 StUG abverlangten Abwägungsprozess zu beachten haben. Will man sich selbst nicht dem in der Einleitung zu dieser Arbeit gegen die Rechtsprechung erhobenen Vorwurf der Gesinnungsjustiz aussetzen134, dann muss der Analyse der beiden Regelungsziele zunächst ein klares dogmatisches Konzept des Abwägungsprozesses zugrunde gelegt werden.135 Nur ein solches ermöglicht es überhaupt, Untersuchungskriterien, anhand derer man die Regelungsziele und ihr Verhältnis zueinander untersuchen kann, festzulegen. Erst die Klärung der Frage, nach welchem Muster divergierende Interessen austariert werden, lässt den Schluss auf die für die Analyse der widerstreitenden Abwägungsgüter relevanten Kriterien zu. Das Ergebnis einer Abwägung hängt also nicht allein vom abwägungsrelevanten Material, sondern zunächst von den an den Abwägungsprozess gestellten Kriterien ab. Daher soll Arbeit ein dogmatisches Konzept voran gestellt werden, auf dessen Grundlage im ersten Teil die einzelnen Regelungsziele untersucht und mit Hilfe dessen im zweiten und im dritten Teil die Regelungsziele zueinander in Beziehung gesetzt werden sollen. Dabei wird davon ausgegangen, dass Grundrechte wie das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und ein öffentliches Interesse wie das an der Aufarbeitung überhaupt miteinander 134

Vgl. Einleitung, insb. § 1 B. II. Zu den Grenzen der wertfreien Wissenschaft vgl. allerdings schon plastisch M. Weber, in: Gesammelte Schriften, S. 149 f.; 500 f. 135

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

oder gegeneinander abwägbar sind. Die grundrechtstheoretische Frage nach der Abwägbarkeit von Grundrechten und öffentlichen Interessen soll hier nicht noch einmal aufgerollt werden.136 Dies auch wenn die Einschränkung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch den vermeintlich „vorgeschobenen Zweck“137 der Aufarbeitung den einen oder anderen gar an die Methoden „sozialistischer Grundrechtsinterpretation“ erinnern mag.138 Zum einen können, da die Arbeit auf Praxistauglichkeit zielt, 50 Jahren verfassungsrechtliche Abwägungspraxis nicht ignoriert werden. Zum anderen erschöpfen sich die Arbeiten derer, die gar die Abwägbarkeit von Grundrechten und öffentlichen Interessen gänzlich in Zweifel ziehen, in bloßer Kritik der Verfassungspraxis, ohne auch nur ansatzweise eine praktikable Erklärung zu bieten, wie man anders als durch Abwägung konfligierende Freiheitsräume im Einzelfall ordnet.139

Kapitel 1

Dogmatische Anforderungen an den Abwägungsprozess Der Streit um die Herausgabe der personenbezogenen Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zum Zwecke der Aufarbeitung ist – wie gezeigt140 – in erster Linie ein Streit um den Ausgleich konfligierender Interessen, zuvorderst des individuellen Interesses des von der Herausgabe und Veröffentlichung der Information Betroffenen an der Achtung seiner Persönlichkeit und dem kollektiven Interesse an der historischen und politischen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes und anderer Herrschaftsmechanismen der DDR und der sowjetischen Besatzungszone sowie der nationalsozialistischen Vergangenheit.141 136

Dazu W. Leisner, Der Abwägungsstaat, S. 157 ff. So wiederholt M. Kleine-Cosack, NJ 2002, 350 (351); ders. Stellungnahme vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 21 (23). 138 Dazu ausführlich S. Mampel, Die Sozialistische Verfassung der DDR, Art. 19, S. 536; J. Rottmann, Die Entwicklung der Grundrechte in der Verfassung der DDR, in: Rottmann/Ramm/Westen/Motsch, Die DDR im Lichte der Grundrechts- und Rechtsstaatsidee, S. 13 ff. Vgl. auch Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften (Hrsg.), Staatsrecht der DDR, S. 176 ff. 139 Zur Herleitung des Verhältnismäßigkeitserfordernis unten, Teil 1 Kap. 1 § 2. 140 Vgl. Einleitung § 2 A. 141 Zum Einfluss der Forschungs- und der Pressefreiheit auf den Abwägungsprozess siehe unten Teil 1 Kap. 2 § 2 B. 137

Kap. 1: Dogmatische Anforderungen an den Abwägungsprozess

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Sofern dieser Konflikt rechtlich auf der Tatbestandsebene nicht gelöst werden kann, ist nach einer Kollisionsregelung zu suchen. An einer absoluten Kollisionsregelung, die dem einen oder anderen Interesse den Vorrang einräumt, fehlt es. Dementsprechend stellt das Bundesverfassungsgericht im Fall „Stolpe“ zunächst fest: „Das Ergebnis dieser Abwägung lässt sich wegen der Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls nicht generell und abstrakt vorausbestimmen.“142 Jedoch erkenne das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) in Art. 2 Abs. 1 2. HS GG an, dass es mit Ausnahme seines unantastbaren Kernbereichs grundsätzlich durch andere gesetzlich geschützte Interessen eingeschränkt werden kann.143 „Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht in dem Sinne gewährleistet, dass es nur den Schrankenvorbehalt kraft Grundrechtskollision oder Grundrechtskonkurrenz kennt; vielmehr muss der Träger dieses Grundrechts [. . .] Beschränkungen hinnehmen, die im Rahmen einer Güterabwägung zum Schutze eines Allgemeininteresses gerechtfertigt erscheinen.“144

Die Grenze dieser grundsätzlichen Einschränkungsmöglichkeit bildet der allgemeine Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Verfassung gibt damit für den hinter der Regelung der §§ 32, 34 StUG stehenden Regelungskonflikt keine eindeutige Lösung vor, sondern ordnet eine verhältnismäßige Lösung an, die mittels einer Interessenabwägung (Güterabwägung) der widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden soll.145 Der Ausgangspunkt 142

BVerfG, Beschluss v. 25. Oktober 2005, Stolpe V, Rn. 30. Hieran ändert auch die Nähe zu Art. 1 Abs. 1 GG nichts, U. di Fabio, in: Maunz/Düring (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 1 Rn. 128; BVerfG, Beschluss v. 13. Januar 1981, Konkursbedingte Aussagepflichten, BVerfGE 56, 37 (42 f.); BVerfG, Beschluss v. 5. Februar 1981, Gefangenenpost III, BverfGE 57, 170 (177); BVerfG, Beschluss v. 11. April 1973, Gefangenenpost I, BVerfGE 35, 35 (39). 144 BVerwG, Kohl III, Urteil v. 17. September 2003, NJW 2004, 460. 145 Die Begriffe Güter- und Interessenabwägung werden entsprechend der Rechtspraxis im Folgenden synonym verwandt. Gemeint ist hiermit die Gewichtung von rechtlich geschützten Interessen. Differenzierungsversuche wie u. a. bei H. Schneider, Die Güterabwägung des Bundesverfassungsgerichts bei Grundrechtskonflikten, S. 126 ff. sind nicht nachvollziehbar. Der dort zitierte Beschluss des 1. Senats v. 26. Mai 1970, Kriegsdienstverweigerer II, BVerfGE 28, 243 (261) definiert den Begriff des Rechtsguts jedenfalls nicht. Der Begriff der Güter- oder Interessenabwägung im Verhältnis zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird in der Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beantwortet. Teilw. wird die Güter- oder Interessenabwägung als Unterfall der Verhältnismäßigkeit angesehen, vgl. BVerfG, Beschluss v. 29. Juli 1968, Adoption, BVerfGE 24, 119 (146); BVerfG, Beschluss v. 2. Oktober 1973, Nachnahmeversendung lebender Tiere, BVerfGE 36, 47 (64); BVerfG, Beschluss v. 8. Oktober 1974, Selbstbezichtigung, BverfGE 38, 105 (118); BVerfG, Beschluss v. 24. Mai 1977, Suchtkrankenakte, BVerfGE 44, 353 (373 ff.). Teilw. wird umgekehrt die Verhältnismäßigkeit – wie in der zitierten Entscheidung des Berliner VG – als ein Unterfall der Güter- und Interessenabwägung verstanden. 143

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

der rechtlichen Begutachtung des den §§ 32, 34 StUG zugrunde liegenden Regelungskonflikts muss also die zunächst abstrakte Frage nach dem Maßstab der Güterabwägung sein. Mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist im Rahmen der Interessenabwägung zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem mit der einschränkenden Regelung verfolgten Interesse – hier Aufarbeitung – „schlicht“ danach zu fragen, ob die mit der Aufarbeitung verbundene Einschränkung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts „verhältnismäßig“ ist.146 Das heißt, die grundrechtseinschränkende Regelung – sei sie abstrakt-genereller oder konkret-individueller Natur – muss einem legitimen Ziel dienen, sie muss geeignet (tauglich), erforderlich (notwendig) und schließlich auch noch im engeren Sinne verhältnismäßig (zumutbar/angemessen/proportional) sein.147 Während die ersten beiden Kriterien sich allein mit der eingreifenden Regelung an sich befassen – also der Legitimität des Zwecks und der Relation zwischen dem Zweck und dem Inhalt der konkreten Regelung –, geht es erst auf der Stufe der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne um die Relation zwischen dem Rechtsgut, das dem Sinn und Zweck der einschränkenden Regelung nach befördert werden soll, und dem Rechtsgut, das zur Beförderung dieses Rechtsguts eingeschränkt werden soll. Erst an dieser Stelle geht es, wenn man terminologisch genau sein will, um eine Abwägungsfrage oder anders herum um einen Güterausgleich. Daher soll im Folgenden der Begriff der Güter- und 146 Erstmals ausdrücklich erwähnt in: BVerfG, Urteil v. 3. Juni 1954, LandeswahlG NRW, BVerfGE 3, 383 (399). Als mit „verfassungsrechtlichem Rang“ ausgestattet anerkannt in: BVerfG, Beschluss v. 15. Dezember 1965, Haftverschonung, BVerfGE 19, 342 (348 f.). Ausführlich auch zur Folgerechtsprechung H. Schneider, Anm. 145. Die hier genutzte Terminologie ist der des BVerfG angepasst. Im Übrigen ist die Terminologie uneinheitlich. P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, fasst den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, womit er nur die Verhältnismäßigkeit i. e. S. meint und das Erfordernis der Geeignetheit unter dem Oberbegriff Übermaßverbot zusammen. K. Stern, StaatsR III/2, S. 761, nutzt die Begriffe Übermaßverbot und Verhältnismäßigkeit synonym; E. Grabitz, AöR 1973, 568 (571) stellt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i. e. S. den Begriff der Proportionalität gegenüber; B. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 79, beschreibt Abwägung als einen Sammelbegriff, der die verschiedenen verfassungsrechtlichen Prüfungsmomente der Zweckanalyse, der mehr oder weniger sorgfältigen Geeignetheits- und Notwendigkeitsprüfung sowie der Mindestpositionsbeachtung zusammenfasst; M. Gentz, NJW 1968, 1600, unterscheidet zwischen Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit, worunter die Erforderlichkeit und die Verhältnismäßigkeit i. e. S. fällt. M. w. N. L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 19. 147 Exemplarisch: BVerfG, Beschluss v. 10. März 1971, Doppelbesteuerung, BVerfGE 30, 292 (316 f.); BVerfG, Beschluss v. 27. Januar 1983, Versorgungsausgleich, BVerfGE 63, 88 (115); BVerfG, Beschluss v. 20. Juni 1984, Post- und Telefonkontrolle, BVerfGE 67, 157 (173); BVerfG, Beschluss v. 14. März 1989, Multiple-Choice-Verfahren, BVerfGE 80, 1 (24).

Kap. 1: Dogmatische Anforderungen an den Abwägungsprozess

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Interessenabwägung auch nur als dritte Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Verhältnismäßigkeit i. e. S.) belegt werden. Für die hier gestellte, von der konkreten Regelung der §§ 32, 34 StUG abstrakte Frage nach der verfassungsrechtlichen Ausgangslage für die Lösung des Regelungskonflikts zwischen Aufarbeitung einerseits und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht andererseits ist nur diese letzte Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung von Interesse. Erst im zweiten und dritten Teil der Arbeit, wenn es um die konkrete gesetzliche Regelung bzw. um ihre Auslegung geht, wird auf die – dies sei vorweggenommen – in Bezug auf die §§ 32, 34 StUG nicht ganz einfach zu beantwortende Frage nach der Legitimität des Zweckes sowie der Geeignetheit und Erforderlichkeit der §§ 32, 34 StUG zurückzukommen sein.148 Die Ausgangsfrage muss hier zunächst auf folgende Fragestellung beschränkt sein: Wie wird eigentlich abgewogen? Wann geht das Allgemeine Persönlichkeitsrecht dem Regelungsziel der Aufarbeitung vor, – oder umgekehrt: Wann geht das Regelungsziel der Aufarbeitung dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht vor? Oder, mit Leisner: „Wo hängt die Waage?“149

§ 1 Der fehlende Maßstab für die Güterabwägung als Einbruchstelle des Politischen Während sich die Verfolgung eines legitimen Ziels, die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Regelung noch rational fassen lassen, scheint es im Bereich der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne weitgehend an einer rationalen Fassbarkeit zu fehlen, was in der mangelnden Präzisierung durch die Rechtsprechung zum Ausdruck kommt.150 Klar ist insoweit nur, dass es sich um einen Vergleich zwischen Mittel und Zweck handelt, wobei „das durch den Eingriff in individuelle Freiheitspositionen herbeigeführte Opfer nicht außer Verhältnis zu dem für die Allgemeinheit angestrebten Nutzen stehen darf“.151 So griffig die Formel zunächst erscheinen mag, so wenig befriedigend ist sie in der Praxis.152 Auf den hier in Rede stehenden Regelungskonflikt der §§ 32, 34 StUG gemünzt hieße sie: Das mit dem Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der in den Unterlagen verzeichneten Personen verbundene Opfer dürfe nicht außer Verhältnis zum Nutzen der 148

Vgl. unten Teil 2 Kap. 2 § 1 A.; Teil 3 § 3–5. W. Leisner, Anm. 136, S. 6. 150 K. Stern, Anm. 146, S. 780. 151 K. Stern, Anm. 146, S. 782 f.; R. v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 18. 152 K. Stern, Anm. 146, S. 785. 149

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

historischen und politischen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes stehen. Abgesehen von den ohnehin schon bestehenden definitorischen Unklarheiten um das einschränkende und das einzuschränkende Rechtsgut bleibt dabei offen, wann nun eigentlich das Mittel zum Zweck außer Verhältnis steht.153 Freilich lässt sich eine abschließende Antwort nur im Einzelfall geben, kommt es doch hier gerade auf einen Vergleich zwischen den konkreten Rechtsgütern an.154 So folgert das Berliner Verwaltungsgericht in Bezug auf die §§ 32, 34 StUG: „Für den Gesetzgeber war es unmöglich, der Behörde detaillierte und auf bestimmte Konstellationen zugeschnittene Abwägungsmaßstäbe [. . .] an die Hand zu geben. [. . .] So sind im Rahmen der Abwägung bei der Gewichtung der gegenläufigen Interessen zwar unterschiedlichste Gesichtspunkte zu würdigen; da diese jedoch für jede Unterlage variieren und differenzierte Gewichtungen zur Folge haben können, konnten bestimmte einzelfallbezogene Rechtsfolgen im Vorfeld nicht abstrakt festgelegt werden.“155

Die entscheidende Frage lautet also, was sind genau diese „unterschiedlichsten Gesichtspunkte“, die bei einer Abwägung im konkreten Einzelfall eine Rolle spielen sollen; was genau sind die tertia comperantiones, mit denen auf der so genannten dritten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Zweck-Mittel-Relation gemessen werden soll. Da schon die beiden Vergleichsgrößen variabel sind, muss – soll es sich um einen „allgemeinen“ Verhältnismäßigkeitsgrundsatz handeln – der Vergleichsmaßstab ein konstanter sein.156 Nach der Auffassung von Oberle sei der Maßstab die Gerechtigkeit.157 Nach den Auffassungen von Schlink, Leisner und Müller entbehrt das Gewichten und Abwägen auf der letzten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung jedes rationalen und verbindlichen Maßstabs.158 Ihnen zufolge fehlt es also nicht nur an einem gerichtlichen Prüfungsmaßstab, 153 So auch Ch. Engel, in: W. Brugger/St. Kirste/M. Anderheiden (Hrsg.), Gemeinwohl in Deutschland, S. 103: „Auch ein halbes Jahrhundert nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes gibt es aber noch keine entwickelte Dogmatik für dieses praktisch wichtigste Tatbestandsmerkmal des Grundgesetzes.“ 154 BVerfG, Beschluss v. 25. Oktober 2005, Stolpe IV, www.bverfg.de, Rn. 30: „Das Ergebnis dieser Abwägung lässt sich wegen der Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls nicht generell und abstrakt vorausbestimmen.“ 155 VG Berlin, Kohl III, Anm. 144, 460. 156 Zutreffend M.Ch. Jakobs, DVBl. 1985, 97 (98). 157 M. Oberle, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des polizeilichen Eingriffs, S. 31. 158 F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, S. 26; W. Leisner, Anm. 136, S. 36 ff.; B. Pieroth/B. Schlink, StaatsR II, Rn. 293; B. Schlink, in: Badura/Dreier (Hrsg.), FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht Bd. II, 445 (460); ders., Anm. 146, S. 68 ff. Schlink lehnt daher die Existenz einer Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ab. Er erkennt neben den Kriterien der Geeignetheit und Erforderlichkeit nur das Kriterium der Wahrung des Mindeststandards an.

Kap. 1: Dogmatische Anforderungen an den Abwägungsprozess

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sondern auch an greifbaren Kriterien für die abwägenden gesetzgebenden Körperschaften und die Verwaltung. In der Tat ist der Versuch, der Rechtsprechung einen expliziten Katalog verbindlicher Kriterien für die letzte Stufe der Abwägungsskala zu entnehmen, zum Scheitern verurteilt. Zutreffend ist auch, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne in der Rechtsprechung mitunter nicht offen gelegt bzw. dass ein solcher abstrakter Maßstab gar nicht zugrunde gelegt wird oder dass im Extremfall die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers und der Verwaltung durch willkürliche Festsetzung des Maßstabs durch eine völlig subjektive ersetzt wird.159 So beschränkt sich das Bundesverwaltungsgericht im vierten Urteil in der Rechtssache Kohl bei der Abwägung im engeren Sinne zwischen dem Aufarbeitungsanliegen des Forschers einerseits und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers auf die lakonische Bemerkung: „Der Schutz der räumlichen Privatsphäre besitzt im freiheitlichen Rechtsstaat überragendes Gewicht. Dasselbe gilt für das Recht am gesprochenen Wort. Zu Forschungszwecken dürfte unter der Geltung des Grundgesetzes niemand belauscht oder abgehört werden [. . .].“160

Abgesehen von der Frage, warum das Bundesverwaltungsgericht hier auf die Forschung rekurriert und nicht – wie zunächst angekündigt – mit dem gesetzgeberischen Ziel der Aufarbeitung abwägt und damit bereits den Zweck des Eingriffs unzutreffend definiert, bleibt das Gericht jegliche Begründung schuldig, warum nun dem Schutz der räumlichen Privatsphäre und dem Recht am gesprochenen Wort ein „überragendes Gewicht“ zukommen soll, das mit Absolutheitsanspruch dem wie auch immer definierten Regelungsziel vorgeht. Diese Handhabung bedeutet jedoch nicht zwingend, dass es an einem solchen verfassungsrechtlich vorgegeben Maßstab fehlt. Fehlte es dem als Ausprägung eines allgemeinen verfassungsrechtlichen Rechtsgrundsatzes aufgestellten Erfordernis der Verhältnismäßigkeit (im engeren Sinne) tatsächlich an jeglicher rechtlicher Konkretisierung, dann eröffnete man damit regelmäßig Tür und Tor für eine gesinnungsorientierte Lösung von Interessenabwägungen.161 Genau genommen gibt man das Rechtskriterium der Verhältnismäßigkeit im (engeren Sinne) auf, indem man jeglichen rational 159 Umfassend zur Kritik der Abwägung, H. Schneider, Anm. 145, 22 m. w. N. in Fn. 42. 160 BVerwG, Kohl IV, Anm. 144, www.bverwg.de, Rn. 43. 161 B. Pieroth/B. Schlink, Anm. 158, Rn. 293; B. Schlink, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Anm. 158, 460; K. Stern, Anm. 146, S. 816. F. Müller, Anm. 158, S. 31, fordert eine Abkehr „von pauschalen, nur von Fall zu Fall konkretisierbaren, und damit auf einen ‚Urteilsvorbehalt‘ hinauslaufende Mißbrauchsvorbehalte, die den freiheitlich politischen und den rechtsstaatlichen Wert der Grundrechtsverbürgungen je nach ideologischer Anfälligkeit der Gerichte bis annährend Null reduzierbar machen.“

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

erfassbaren Inhalt negiert. Abwägung wird dann in der Tat zu einer „Zauberformel“162, einer „methodisch, dogmatische[n] Verlegenheit“163, einem „faule[n] Kompromiss“164, welchem es an jeglicher „regulativer Substanz“165 fehlte. Die Funktion einer rechtlichen Barriere für Grundrechtsbeschränkungen könnte sie jedenfalls nicht mehr erfüllen. Dies birgt insbesondere vor dem Hintergrund der inzwischen uferlosen Ausweitung grundrechtlicher Schutzbereiche und der stetigen Erweiterung des Eingriffsbegriffs die Gefahr eines Systembruchs in sich, sucht man doch nunmehr gerade im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein Korrektiv für die Weite des Tatbestandes.166 Die Unklarheiten in Bezug auf den Maßstab der Güterabwägung wiegen besonders schwer im Bereich der Gesetzgebung, wo anders als im Bereich der Exekutive aufgrund des hohen Abstraktionsgrades der eingreifenden Regelung auch den Kriterien der Geeignetheit und Erforderlichkeit ein der Rechtsprechung nur beschränkt zugängliches Prognosemoment inne wohnt.167 Diesen Bedenken kann auch nicht mit dem Verweis auf die zur Erhaltung der Handlungsfähigkeit des Gesetzgebers nötigen gestalterischen Freiräume begegnet werden. Denn auch der Gesetzgeber ist über Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden. Diese Bindung an exponierter Stelle des Grundgesetzes machte aber keinen Sinn, wenn man zwar durch das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit dem Gesetzgeber pro forma einen Rechtfertigungszwang für den Erlass einer grundrechtsbeschränkenden Norm auferlegte, den Maßstab dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung aber in weiten Teilen in sein Belieben stellte. Auch geht es bei der Frage nach rationalen Kriterien für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne nicht darum, dem Gesetzgeber ein starres Korsett im Sinne eines absoluten Richtmaßes anzulegen, sondern es geht mit Kloepfer um „die Idee vorhersehbarer, nachvollziehbarer und damit kontrollierbarer Verfassungsdeutung durch gestufte Subsumtionsvorgänge“168. Es geht nicht um einen statischen Maßstab, der die konkrete gesetzgeberische Entscheidung im Grundrechtsbereich ex post determiniert, sondern um die Suche 162 163 164 165

A. Arndt, NJW 1966, 869 (871). B. Schlink, Anm. 146, S. 13. W. Leisner, Anm. 136, S. 40. W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem,

S. 41. 166 W. Leisner spricht insoweit gar vom „Ende der Normen“, Anm. 136. Vgl. auch B. Pieroth/B. Schlink, Anm. 158, Rn. 293; B. Schlink, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Anm. 158, 460; F. Müller, Anm. 158, S. 87; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 310; W. Hoffmann-Riem, Der Staat 2004, 203 (230); W. Kahl, Der Staat 2004, 167 (180 f.); E.-W. Böckenförde, Der Staat 2003, 165. 167 E. Grabitz, Anm. 147, 574; K. Stern, Anm. 146, S. 777. 168 M. Kloepfer, in: Festgabe für das BVerfG II, 404 (419); zustimmend auch E. Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 485.

Kap. 1: Dogmatische Anforderungen an den Abwägungsprozess

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nach verfassungsrechtlichen Grenzen des politischen Gestaltungsspielraums. Es geht hier also nicht um Macht durch Rechtstechnik, sondern um Rechtstechnik gegen Macht. Gleiches muss erst recht für die Überprüfbarkeit von Verwaltungsentscheidungen gelten. Für sie kann nämlich auch das Argument des demokratischen Annahmeverfahrens als Garant wenn nicht verhältnismäßiger, dann zumindest gerechter Entscheidungen nicht im gleichen Maße wie für den Gesetzgeber herhalten, da es der Verwaltung an einer unmittelbaren demokratischen Legitimation gerade fehlt. Wenn teilweise nun dennoch der Grundsatz der Gewaltenteilung als Grund für die zurückhaltende Wahrnehmung der richterlichen Kontrollpflicht von Abwägungsentscheidungen der Exekutive angeführt wird, dann ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Frage der Bindungsdichte der gesetzgebenden und verwaltenden Körperschaften von der Frage, inwieweit die Einhaltung dieser Bindung kontrolliert werden kann, zu trennen ist. Zudem bezieht sich die geringere Prüfungsintensität nur auf die der Abwägungsentscheidung zugrunde liegenden tatsächlichen Annahmen und Prognosen und nicht auf die Methode des Abwägungsprozesses an sich.169 Sinn und Zweck der Zugrundelegung einer bestimmten Methode ist es gerade, eine – wenn auch auf das methodische Vorgehen beschränkte – Kontrolle über die grundrechtsbeschränkenden Aktivitäten des Staates zu ermöglichen. Damit kann bis hierhin festgehalten werden: Das Problem der rechtlichen Handhabung des Interessenkonflikts zwischen Aufarbeitung und Allgemeinem Persönlichkeitsrecht liegt nicht allein in der schweren Erfassbarkeit der beteiligten Interessen. Erschwerend hinzu tritt das allgemeine Fehlen von klaren Maßstäben für die Auflösung von Interessenkonflikten. Die Forderung nach einer Interessenabwägung ist, solange es an klaren Kriterien für den Abwägungsprozess fehlt, nicht geeignet, eine rational nachvollziehbare Auflösung von Interessenkonflikten zu gewährleisten.

§ 2 Zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit der Güterabwägung Die Suche nach den abwägungsleitenden Kriterien für die Auflösung des Interessenkonflikts zwischen Aufarbeitung und Allgemeinem Persönlichkeitsrecht ist jedoch nur dann für die hier gestellte Frage nach den rechtlichen Regelungsvorgaben von Belang, wenn die erhobene Forderung nach 169 So spricht das BVerfG selbst nur in Bezug auf Prognosen davon, dass der Abwägungsentscheidung eine politische Variable immanent ist, z. B. BVerfG, Urteil v. 1. März 1979, Arbeitnehmermitbestimmung, BVerfGE 50, 290 (332); BVerfG, Urteil v. 5. Februar 2004, Sicherungsverwahrung, BVerfGE 109, 133 (157 f.).

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

der verhältnismäßigen Lösung des Regelungskonflikts auch im engeren Sinne einer verfassungsrechtlichen Vorgabe entspräche. Unbestritten ist die Kontrollierbarkeit staatlicher Grundrechtsbegrenzung verfassungsrechtlich geboten. Die Frage ist nur, wie weit diese Kontrolle geht. Zwar ist den Kritikern darin zuzustimmen, dass das Grundgesetz ausdrücklich keine Begrenzung staatlicher Grundrechtsbeschränkungen auf verhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen vorschreibt.170 Lediglich die Aushöhlung eines Grundrechts ist nach dem Wortlaut der Verfassung verboten.171 Diese Ansicht greift jedoch zu kurz. Der Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 GG erhebt die Würde des einzelnen Menschen und nicht der Gemeinschaft zum obersten Konstitutionsprinzip.172 „Sie zu achten und zu schützen ist oberste Aufgabe aller staatlichen Gewalt“, Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG. Die Würde des Einzelnen bildet damit die Richtschnur aller staatlichen Gewalt. Sie ist Ziel und Begrenzung staatlicher Macht zugleich. Dies wird auch durch die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes bestätigt. „Die ‚Grundrechte‘ – so der SPD-Abgeordnete Schmid in der 2. Lesung des Grundgesetzes – wurden im Gegensatz zur Weimarer Verfassung an den Anfang des Ganzen gestellt, weil klar zum Ausdruck kommen sollte, daß die Rechte, derer der Einzelmensch bedarf, wenn er in Würde und Selbstachtung soll leben können, die Verfassungswirklichkeit bestimmen müssen. Letztlich ist der Staat dazu da, die äußere Ordnung zu schaffen, derer die Menschen zu einem auf der Freiheit des Einzelnen beruhenden Zusammenlebens bedürfen. Aus diesem Auftrag allein stammt letztendlich die Legitimität seiner Machtausübung.“173

Bereits frühzeitig wurde aus der Menschenwürde des Einzelnen gefolgert, dass es der ihr immanente Achtungsanspruch verbiete, den Menschen „zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt“174. Genau diese Subjektqualität würde aber prinzipiell in Frage gestellt, könnte der Staat prinzipiell unbegrenzt Freiheitsrechte, die – auch dies macht der Wortlaut des Art. 1 GG deutlich – Ausfluss der Menschenwürde sind, beschränken. 170 Zur Kritik vgl. m. w. N. U. Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 99 ff. 171 Art. 19 Abs. 2 GG. 172 BVerfG, Urteil v. 21. Juni 1977, Lebenslange Freiheitsstrafe, BVerfGE 45, 187 (227); BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1970, Abhörung, BVerfGE 30, 1 (99); BVerfG, Beschluss v. 12. November 1997, Kind als Schaden, BVerfG 96, 375 (399); BVerfG, Urteil v. 3. März 2004, Wohnraumüberwachung, BVerfGE 109, 275 (311). 173 Parl. Rat., Stenograph. Berichte, S. 171. 174 In Anlehnung an G. Dürig, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 Rn. 28, 34: BVerfG, Urteil v. 22. Februar 1956, Elfes, BVerfGE 6, 32 (36, 41); BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1970, Abhörung, BVerfGE 30, 1 (26); BVerfG, Beschluss v. 12. November 1997, Kind als Schaden, BverfG 96, 375 (399); BerlVerfGH, Beschluss 12. Januar 1993, Honecker, NJW 1993, 515.

Kap. 1: Dogmatische Anforderungen an den Abwägungsprozess

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Wo die Freiheit stärker eingeschränkt wird als das öffentliche Interesse es erfordert, wird der Mensch zum bloßen Objekt staatlichen Handelns. Dieses Spannungsfeld zwischen der Subjektgarantie und der Befugnis, individuelle Grundrechte einzuschränken, kann Art. 19 Abs. 2 GG allein nicht auflösen. Er garantiert nur einen Substanzerhalt der einzelnen Grundrechte und ist damit rechts- und nicht subjektbezogen. Wollte das Grundgesetz von Anfang an nur den Wesensgehalt der Grundrechte garantieren, dann hätte es keine Wesensgehaltsgarantie neben den Grundrechtsvorbehalten bedurft. Dann hätte es ausgereicht, den Wesensgehalt der einzelnen Grundrechte zu garantieren. Positiv gewendet folgt also auch unabhängig von der staatstheoretischen Ausgangslage aus dem Willen der verfassungsgebenden Gewalt, der in der Systematik des Grundgesetzes seinen Niederschlag gefunden hat, dass Grundrechtsbeschränkungen nur insoweit zulässig sind, als sie einen legitimen Zweck zu erfüllen geeignet sind und dieser auch nicht mit milderen, d.h. grundrechtsschonenden Mitteln erreicht werden kann. Schwieriger zu begründen ist hingegen das vom Bundesverfassungsgericht behauptete und in diesem Teil der Arbeit relevante dritte Erfordernis der Verhältnismäßigkeitsprüfung, und zwar die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Dass allein die ersten beiden Stufen noch keinen hinreichenden Schutz gegen übermäßige Einschränkungen individueller Freiheitsrechte bieten, wird schnell klar, vergegenwärtigt man sich, dass sowohl die Geeignetheit als auch die Erforderlichkeit einer Regelung von der Definition des Regelungszwecks bestimmt wird, bei dessen Festsetzung dem Gesetzgeber ein allein durch die Rahmenvorgaben der Verfassung begrenzter enormer Gestaltungsspielraum zukommt.175 Bereits hieraus folgt, dass freiheitsbeschränkende Regelungen einem weiteren Rechtfertigungserfordernis unterliegen müssen. Die Frage ist dann, wie man dieses Erfordernis definiert. Das Bundesverfassungsgericht fordert stets die Verhältnismäßigkeit zwischen dem mit Regelung verfolgten Zwecks und der mit der Reglung einhergehenden Grundrechtsbeschränkung. Es fordert also bloß Proportionalität und nicht ein Überwiegen der mit der Regelung verfolgten Belange gegenüber dem eingeschränkten Grundrecht. Übertragen auf das Bild der Waage hieße dies zumindest Gleichstand der beiden Waagschalen. Dies ist im Lichte des hier dargelegten Begründungsansatzes aus der Objektformel heraus schlüssig. Übermäßige Grundrechtsbegrenzungen werden auf diese Weise ausgeschieden. Dem Missbrauch von Schrankenvorbehalten durch Gesetzgeber und Verwaltung wird so hinreichend vorgebeugt. 175 Vgl. nur BVerfG, Beschluss v. 10. Juni 1963, Liquorentnahme, BVerfGE 16, 194 (201 f.).

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

Bis hierin relevant sind jedoch zunächst nur folgende Schlussfolgerungen: Das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne stellt ein aus den Grundrechten i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ableitbares Rechtserfordernis dar. Dieses Erfordernis muss dementsprechend abstrakt und nicht nur einzelfallbezogen greifbar sein. Für die Ausgangsfrage der Arbeit nach dem Verhältnis zwischen der im Einigungsvertrag verankerte Pflicht zur Aufarbeitung und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist daher als nächstes nach Kriterien, die den angesprochenen Abwägungsprozess im engeren Sinne lenken, zu suchen.

§ 3 Der Maßstab der Abwägungsentscheidung Obgleich es in der Literatur nicht an Arbeiten zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als „Standard-Repertoire der Grundrechtsdogmatik“176 mangelt177, ist der Versuch, Kriterien zu finden, die eine Strukturierung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erlauben, bislang nur vereinzelt unternommen worden.178 Einige wenige Ansätze finden sich lediglich in älteren Monographien bei Bettermann179, Hubmann180, Jakobs181, Oberle182 und Grabitz.183 176

K. Stern, Anm. 146, S. 817. P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht; H. Hubmann, Wertung und Abwägung im Recht; E. Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum; K.-H. Ladeur, Kritik der Abwägung in der Grundrechtsdogmatik; M.Ch. Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; ders. Anm. 156; H. Schneider, Anm. 145; E. Grabitz, Anm. 146; R. v. Krauss, Anm. 151; B. Schlink, Anm. 146; m. w. N. K. Stern, Anm. 146, S. 761 ff.; M. Gentz, Anm. 146; W. Leisner, Anm. 136; L. Hirschberg, Anm. 146; U. Langheineken, Anm. 170. 178 Auch die anderweitig in Rechtsprechung und Literatur gebrauchten Termini Angemessenheit (BVerfG, Urteil v. 9. Juni 2004, LadenschlussG, BVerfGE 111, 10 (36)) und Zumutbarkeit (BVerfG, Urteil v. 5. Februar 2004, Sicherungsverwahrung, BVerfGE 109, 133 (158)) bieten für das hier als Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne bezeichnete Tatbestandsmerkmal keine inhaltliche Präzisierung. Der Begriff der Angemessenheit bietet ohnehin keine Konkretisierung. Der in der Rechtsprechung häufig gebrauchte Begriff der Zumutbarkeit anstatt oder neben der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne suggeriert zwar sprachlich einen weiteren Abwägungsspielraum, indem er den Blick einseitig auf das eingeschränkte Rechtsgut konzentriert und nur nach der Erträglichkeit des Eingriffs in dasselbe fragt. Tatsächlich aber belegen die auszugsweise untersuchten Entscheidungen keinen Unterschied zwischen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne und der Zumutbarkeit. Auch die Zumutbarkeit wird nicht als starre Grenze begriffen, sondern letztendlich mit Blick auf das eingesetzte Mittel untersucht, so auch E. Grabitz, Anm. 146, 575; P. Lerche, Anm. 146, S. 19; R. K. Albrecht, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab. 179 K. A. Bettermann, Legislative ohne Posttarifhoheit, S. 51. 180 H. Hubmann, Anm. 177. 177

Kap. 1: Dogmatische Anforderungen an den Abwägungsprozess

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So unklar die einzelnen Kriterien sind, eines scheint festzustehen: Die zugrunde zu legenden Kriterien stellen einen Vergleichsmaßstab dar, an dem die konfligierenden Rechtsgüter gemessen werden sollen.184 Lediglich nach Schlink kommt es auf einen Vergleich nicht an. Er nimmt vielmehr einzelne Kriterien, um den genauen Sorgfaltsmaßstab, der an die Begründung der eingreifenden Regelung zu stellen ist, zu determinieren.185 Ihm zufolge fordere die stärkere Eingriffsintensität einer Regelung nicht ein „höheres“ Gemeinschaftsgut, sondern lediglich größere Verfahrenssorgfalt, d.h. eine sorgfältigere Begründung.186 Wann nun aber eine Begründung sorgfältig genug ist, um die starke Eingriffsintensität einer Regelung zu rechtfertigen, bleibt bei Schlink offen. Materielle Kriterien gibt es beim nicht. Die hier untersuchten Entscheidungen belegen das Gegenteil.187 Zumindest implizit lassen sich der Rechtsprechung zwei Arten von materiellen 181

M. Ch. Jakobs, Anm. 177. M. Oberle, Anm. 157. 183 E. Grabitz, Anm. 146, 581. 184 BVerfG, Beschluss v. 15. Mai 1995, Spionage, BVerfGE 92, 277 (327): „Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne enthält als solcher aber keine inhaltliche Aussage darüber, welche Auswirkungen und Bedingungen eines staatlichen Eingriffs in die Abwägung einzubeziehen sind und wann ein Mittel verhältnismäßig ist und wann nicht. Insoweit bedarf es einer wertenden verfassungsrechtlichen Entscheidung im Einzelfall.“ 185 B. Schlink, Anm. 146, S. 71 ff., insb. 72. 186 So auch BVerfG, Beschluss v. 7. April 1964, Schwere Eheverfehlung, BVerfGE 17, 306 (313 f.); BVerfG, Urteil v. 5. August 1966, Sammelungsgesetz, BVerfGE 20, 150 (159): „Je mehr der Eingriff elementare Äußerungsformen der menschlichen Handlungsfreiheit berührt, umso sorgfältiger müssen die zu seiner Rechtfertigung vorgebrachten Gründe gegen den grundsätzlichen Freiheitsanspruch des Bürgers abgewogen werden.“ 187 Untersuchungsgegenstand können selbstverständlich nur exemplarisch herausgegriffene Entscheidungen sein. Untersucht wurden hier zunächst die so genannten Leitentscheidungen zum Persönlichkeitsschutz: BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1958, Lüth, BVerfGE 7, 198; BVerfG, Urteil v. 16. Juli 1969, Mikrozensus, BVerfGE 27, 1; BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1970, Scheidungsakten I, BVerfGE 27, 344; BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1970, Abhörung, BVerfGE 30, 1; BVerfG, Beschluss v. 24. Februar 1971, Mephisto, BverfGE 30, 173; BVerfG, Urteil v. 5. Juni 1973, Heimliche Tonbandaufnahmen, BVerfGE 34, 238; BVerfG, Urteil v. 14. Dezember 1973, Soraya, BVerfGE 34, 269; BVerfG, Urteil v. 5. Juni 1973, Lebach, BVerfGE 35, 202; BVerfG, Beschluss v. 8. Oktober 1974, Selbstbezichtigung, BVerfG 38, 105; BVerfG, Urteil v. 25. Februar 1975, Schwangerschaftsabbruch I, BVerfGE 39, 1; BVerfG, Beschluss v. 24. Mai 1977, Suchtkrankenakten, BVerfGE 44, 355; BVerfG, Beschluss v. 11. Oktober 1978, Transsexuelle, BverfGE 49, 286; BVerfG, Beschluss v. 3. Juni 1980, Eppler, BVerfGE 54, 148; BVerfG, Beschluss v. 13. Januar 1981, Konkursbedingte Aussagepflichten, BVerfGE 56, 37; BVerfG, Beschluss v. 5. Februar 1981, Gefangenenpost II, BVerfGE 57, 170; BVerfG, Beschluss v. 8. Februar 1983, Gegendarstellung, BVerfGE 63, 131; BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1983, 182

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Vergleichskriterien entnehmen. Zum einen finden sich in den untersuchten Entscheidungen Kriterien, die den Abwägungsprozess leiten, bei denen das Ergebnis aber nur einzelfallspezifisch – d.h. in Ansehung der konkreten Regelung – festgelegt werden kann. Sie sollen hier als regelungsbezogene Abwägungskriterien bezeichnet werden. Zum zweiten lassen sich der Rechtsprechung und Literatur auch Kriterien, bei denen das Abwägungsergebnis abstrakt, d.h. losgelöst von der konkreten Regelung, durch einen bloßen Vergleich der gegeneinander abzuwägenden Rechtsgüter gewonnen wird, entnehmen. Sie sollen hier als rechtsgutbezogene Kriterien bezeichnet werden. Im Folgenden soll der Versuch einer Systematisierung der beiden Kategorien zugrunde liegenden Kriterien vorgenommen werden. Abgesehen von den rechtsgutbezogenen Kriterien, die – dies sei wiederholt – nur einige von vielen Kriterien bilden, ist Schneiders im Jahre 1977 getroffene Schlussfolgerung noch heute aktuell: „Stabile Regeln, Schemata oder Schablonen konnten“ – und können bis heute nicht – „gewonnen werden, weil das Bundesverfassungsgericht formell und materiell nicht allzu viele Konkretisierungen seiner ‚Güterabwägung‘ anbietet“.188

Volkszählung, BVerfGE 65, 1; BVerfG, Beschluss v. 6. Juni 1989, Reiten im Walde, BVerfGE 80, 137; BVerfG, Beschluss v. 14. September 1989, Tagebuch, BverfGE 80, 367; BVerfG, Beschluss v. 11. Januar 1996, Krenz, EuGRZ 1996, 73; BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1999, Caroline v. Monaco, BVerfG 101, 361; BVerfG, Beschluss v. 17. Dezember 1999, Gysi III, NJW 2000, 2416 = ZUM 2000, 316; BVerfG, Beschluss v. 31. März 2000, Caroline v. Monaco, NJW 2000, 2191; BVerfG, Beschluss v. 25. August 2000, Willy Brandt, NJW 2001, 594; BVerfG, Beschluss v. 15. März 2001, Genetischer Fingerabdruck, EuGRZ 2001, 249; BVerfG, Urteil v. 26. April 2001, Ernst August von Hannover, NJW 2001, 1921; BVerfG, Beschluss v. 9. Oktober 2002, Fernmeldegeheimnis, BverfGE 106, 28; BVerfG, Urteil v. 5. Februar 2004, Sicherungsverwahrung, BVerfG 109, 133; BVerfG, Urteil v. 3. März 2004, Wohnraumüberwachung, BVerfG 109, 275; BVerfG, Urteil v. 3. März 2004, Großer Lauschangriff, BVerfGE 109, 279; BVerfG, Urteil v. 12. April 2005, Global Positioning System, BVerfGE 112, 304; BVerfG, Urteil v. 27. Juli 2005, § 33 Nds. SOG, BVerfGE 113, 348; BVerfG, Beschluss v. 25. Oktober 2005, Stolpe, http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20051025_1bvr169698.html; BVerfG, Urteil v. 2. März 2006, Verbindungsdaten, NJW 2006, 976. 188 H. Schneider, Anm. 145, S. 243. Nicht vergessen werden darf aber in diesem Zusammenhang, dass das Bundesverfassungsgericht keine Superrevisionsinstanz ist und der einfachgerichtliche Abwägungsprozess zum Teil nur sehr kursorisch nachgeprüft wird. Es greift allenfalls einzelne Abwägungsgesichtspunkte, deren Nichtberücksichtigung durch die Instanzgerichte im Einzelfall das konkrete Ergebnis der Entscheidung beeinflusst hat, heraus, vgl. BVerfG, Beschluss v. 10. Juni 1964, Nachprüfung gerichtlicher Entscheidungen, BVerfGE 18, 35 (93); BVerfG, Beschluss v. 16. Mai 1973, Gefangenenpost II, BVerfGE 35, 311 (317): Das Bundesverfassungsgericht muss sich darauf beschränken zu prüfen, „ob die äußerste Grenze, der durch die Generalklausel eingeräumten Entscheidungsmacht im Lichte des durch sie beschränkten Grundrechts überschritten worden ist.“

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A. Rechtsgutbezogene Abwägungskriterien Bereits im Lebach-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht zunächst einen abstrakten Vergleich der abwägungsrelevanten Güter vollzogen. Die Auflösung der Spannungslage zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Straftäter und der Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk verlange „eine generelle und konkrete Abwägung der sich gegenüberstehenden Rechtsgüter“189 – so das Gericht. Das Bundesverfassungsgericht geht also davon aus, dass im Rahmen der Abwägung auch Kriterien/Charakteristika zu berücksichtigen sind, die den beteiligten Rechtsgütern an sich immanent und unabhängig vom spezifischen Regelungskonflikt sind. Ohne dies freilich immer zu betonen wurde in diesem Zusammenhang nicht selten auf den Wert- oder den Rangvergleich zwischen den beteiligten Rechtsgütern abgestellt.190 So heißt es im Lüth-Urteil: „Das Recht zur Meinungsäußerung muß zurücktreten, wenn schutzwürdige Interessen eines anderen von höherem Rang durch die Betätigung der Meinungsfreiheit verletzt würden.“191 Auch in der letzten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Rechtssache „Kohl“ tritt eine bestimmte vom Einzelfall losgelöste Wertvorstellung deutlich hervor, wenn das Gericht meint: „Der Schutz der räumlichen Privatsphäre besitzt im freiheitlichen Rechtsstaat überragendes Gewicht. Dasselbe gilt für das Recht am gesprochenen Wort. Zu Forschungszwecken dürfte unter der Geltung des Grundgesetzes niemand belauscht oder abgehört werden [. . .].“192

Die hier für die Auflösung des Interessenkonflikts zwischen Aufarbeitungsanliegen und Allgemeinem Persönlichkeitsschutz entscheidende Frage lautet also: Wie ermittelt man den Wert eines Rechtsgutes? Worauf stützt das Bundesverwaltungsgericht seine Annahme, dass der Schutz der räumlichen Privatsphäre ein das Aufarbeitungsinteresse der Allgemeinheit überragendes Gewicht hat? 189

BVerfG, Urteil v. 5. Juni 1973, Lebach, BVerfGE 35, 202 (224). Richtigerweise hätte es statt generell hier abstrakt heißen müssen. Vgl. dazu auch M. Ch. Jakobs, Anm. 177, S. 106. 190 Vgl. zuletzt ausdrücklich BVerfG, Urteil v. 27. Juli 2005, § 33 Nds. SOG, BverfGE 113, 348 (385 f.): „Da bei der Abwägung der Rang des Schutzguts und die Einschätzung der Intensität der ihm drohenden Gefahr bedeutsam sind [. . .]“; „Je gewichtiger das gefährdete Rechtsgut ist [. . .]“; „Bei einem geringen Gewicht [. . .]“. Grundlegend dazu auch BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1970, Abhörung, BVerfGE 30, 1 (18): „Der Bestand der Bundesrepublik Deutschland und ihre freiheitliche Verfassungsordnung sind ein überragendes Rechtsgut, zu dessen wirksamen Schutz Grundrechte, soweit unbedingt erforderlich, eingeschränkt werden können.“ 191 BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1958, Lüth, BVerfGE 7, 198 (224). 192 BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, NJW 2004, 2462 (2466).

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

Ausgehend davon, dass in einer Demokratie jede Gewalt als Sachwalter des Allgemeininteresses zu agieren verpflichtet ist, verbietet sich zunächst jede Zugrundelegung subjektiver Wertvorstellungen in einer Abwägungsentscheidung. Ferner folgt aus Art. 20 Abs. 3 GG die Bindung an Recht und Gesetz. Das heißt, solange und soweit sich Abwägungskriterien wie rationalisierte Wert- oder Ranghierarchien durch Auslegung der Rechtsordnung entnehmen lassen, kommt ein Rückgriff auf etwaige soziologisch-geisteswissenschaftlich begründete Werthierarchievorstellungen nicht in Betracht.193 Maßgebend kann dementsprechend allein die in der demokratisch konsentierten Rechtsordnung zum Ausdruck kommende Werthierarchie sein.194 Sonstige Rang- oder Werthierarchien finden im Wortlaut der Verfassung keine Stütze.195 Formalität ist im Rechtsstaat verbindlicher Entscheidungsfaktor. Daher kann der höhere materielle Wert nur dann eine Rolle spielen, wenn der Normgeber dies durch die Höherstellung einer Wert schützenden bzw. gewährleistenden Norm zum Ausdruck gebracht hat.196 I. Normenhierarchische Stellung der Rechtsgüter Diese Höherstellung eines Wertes findet seinen Ausdruck in der Normenhierarchie.197 Vor diesem Hintergrund ist auch die Bestrebung der Gegner und Befürworter der §§ 32, 34 StUG zu sehen, stets entweder das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zur Menschenwürde hochzustilisieren oder aber ihm andere Rechtsgüter von Verfassungsrang wie die Forschungs- und Pressefreiheit entgegenzuhalten.198 193

Zu den verschiedenen Wertbegriffen, insb. zu dem hier zugrunde gelegten rationalisierten Wertbegriff, vgl. U. di Fabio, JZ 2004, 1 (2). Die Wertung des Normgebers bestimme sowohl den Zweck, der mit dem Recht erreicht werden soll, als auch die dafür eingesetzten Mittel, vgl. Ch. Starck, in: FS für W. Geiger zum 60. Geburtstag, S. 40 (41). Kritisch in Bezug auf das Abhörurteil P. Häberle, JZ 1971, 145. 194 Vgl. auch abweichende Meinung der Richter Klein, Kirchhof und Winter zum Beschluss v. 15. Mai 1995, Spionage, BVerfGE 92, 277 (341, 350 ff.): „Gerade weil der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu seiner Anwendung der Ergänzung durch materielle Wertungsprinzipien bedarf [. . .], stellt es eine unabweisbare Begrenzung der Recht sprechenden [. . .] Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts dar, daß es die im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung abzuwägende Gesichtspunkte nicht nach eignem Gutdünken auswählt, sondern sich dabei von den in der Rechtsordnung bereits enthaltenen übergeordneten Wertungsentscheidungen für den jeweils betroffenen Rechtsbereich [. . .] leiten lässt.“ 195 M. w. N. H. Schneider, Anm. 145, S. 154. 196 F. Müller, Anm. 158, S. 60. 197 „Zumindest für die Auslegung zweifelhafter Fragen bedeutet Rangordnung gleichzeitig Wertordnung“ – so bereits A. Hensel, HBDStR Bd. 2, S. 313 (316). 198 Vgl. E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 1, S. 83, 122.

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Mit jeder Rangzuweisung einer Norm in der Normenhierarchie bringt der Verfassungsgeber/Gesetzgeber zugleich eine bestimmte Wertvorstellung zum Ausdruck. So folgert das Bundesverfassungsgericht bereits im ElfesUrteil, dass das Grundgesetz eine wertgebundene Ordnung aufgerichtet habe, die die öffentliche Gewalt begrenze: „Durch diese Ordnung soll die Eigenständigkeit, die Selbstverantwortlichkeit und die Würde des Menschen in der staatlichen Gemeinschaft gesichert werden. Die obersten Prinzipen dieser Wertordnung sind gegen Verfassungsänderungen geschützt (Art. 1, 20, 79 Abs. 3 GG).“199

Je bedeutender das Normziel, desto höher sind die Anforderungen an die Schaffung und Abänderbarkeit einer Norm, desto höher ist der Rang der Norm. Diese Abänderungsfestigkeit ist kein Selbstzweck, sondern dient dem Schutz des Normziels. Der mit der Rangzuweisung verfolgte Schutz beschränkt sich aber nicht auf den Normgeber.200 Er erstreckt sich auch auf den Normanwender. Dieser ist verpflichtet, auch den Stellenwert des Schutzgutes der Norm, der durch die Rangzuweisung seine rechtliche Absicherung erhält, zu berücksichtigen. Dementsprechend hat der Normanwender etwa im Falle einer (unechten) Kollision zwischen einem Grundrecht und einem einfachgesetzlich geschützten Rechtsgut im Rahmen der Abwägung im engeren Sinne die Bedeutung des Grundrechts besonders zu gewichten. Die Tatsache, dass ein Grundrecht – wie das Allgemeine Persönlichkeitsrecht – gerade durch den einfachen Gesetzesvorbehalt geöffnet wird, steht dieser These nicht entgegen, sondern unterstreicht diese, da in ihr gerade das sich in der systematischen Stellung des Grundrechtskataloges und dem systematischen Aufbau der grundrechtlichen Normen widerspiegelnde Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen dem zu schützenden Grundrecht und der einfachgesetzlichen Einschränkung zum Ausdruck kommt.201 Die normen199

BVerfG, Urteil v. 22. Februar 1956, Elfes, BVerfGE 6, 32 (40). BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1958, Lüth, BVerfGE 7, 198: „Dieses Wertsystem [. . .] muß als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten; Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung empfangen von ihm Richtlinien und Impulse.“ 201 Anders P. Lerche, Anm. 146, S. 32, der die These, dass Eingriffe in grundrechtliche Schutzbereiche stets tunlichst eng zu interpretieren seien, ablehnt. Vollkommen zutreffend ist zwar, dass der Verweis auf Art. 1 Abs. 3 GG für die Stützung der These nicht ausreicht. Er übersieht allerdings, dass sowohl die Historie des Grundrechtskatalogs als auch die Systematik des GG für diese Annahme streiten. Hinzu kommt, dass er in seiner am 1. Dezember 1960 abgeschlossenen Monographie nicht zwischen einfachgesetzlicher Grundrechtsbeschränkung und der Grundrechtsbeschränkung durch andere Grundrechte und verfassungsimmanente Grundrechtsbeschränkungen hinreichend differenziert. Er stützt seine Argumentation maßgeblich auf die letzte Schrankenkategorie, für die auch nach der hier vertretenen Auffassung schwerlich ein Regel-Ausnahmeverhältnis angenommen werden kann. 200

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

hierarchische Einordnung des Rechtsgutes kommt folglich gleich doppelt zum Tragen. Zum einen ist der normative Rang des zur Grundrechtsbeschränkung Anlass gebenden Interesses für die Frage, ob diese Regelung überhaupt eine grundrechtliche Norm zu beschränken vermag, von Bedeutung. Zum anderen kommt der normenhierarchischen Zuordnung auch noch einmal im Rahmen des Abwägungsprozesses Bedeutung zu. Demnach würde sich der normenhierarchisch privilegierte Status des Grundrechts durch die Aktivierung des Vorbehalts nicht aufheben. Im Sinne eines strikten Regel-Ausnahme-Verhältnis zu Gunsten des Grundrechts wird als besonderer grundrechtlicher Schutzmechanismus auf der Ebene der SchrankenSchranken der einfachgesetzlichen Beschränkung noch einmal eine erhöhte Rechtfertigungslast aufgebürdet – ohne freilich von vorneherein das normenhierarchisch niederrangige Rechtsgut zurücktreten zu lassen. Als weiterer Beleg für den Einfluss der normenhierarchischen Verortung eines Rechtsgutes auf den Abwägungsprozess mag auch die überwiegend akzeptierte Lehre von der praktischen Konkordanz202 herangezogen werden. Sie fordert im Falle einer Kollision von gleichrangigen Verfassungsgütern keine Abwägung, sondern einen schonenden Ausgleich im Sinne einer Optimierung.203 Danach unterliegt ein auf einer verfassungsrechtlichen Vorschrift basierender Eingriff in eine Verfassungsnorm niedrigeren Rechtfertigungsanforderungen als der Eingriff auf einer nur einfachgesetzlichen Grundlage. Während im ersteren Fall eine Verpflichtung zur optimalen Entfaltung auch des eingeschränkten Rechtsgutes besteht, würde im zweiten Fall die Erträglichkeit des Unterlassens des Eingriffs für das einschränkende Rechtsgut als Rechtfertigung, von einem Eingriff in das Grundrecht abzusehen, ausreichen.204 Desgleichen beruht die als Wechselwirkungslehre205 bekannte Interpretationsmethode letztendlich auf einer Hierarchievorstellung. Unter Verweis auf den besonderen Wert des eingeschränkten Rechtsgutes fordert das Bundesverfassungsgericht eine Auslegung des niederrangigen einfachen Gesetzesrechts im Lichte des eingeschränkten Grundrechts. Beschränkt man den Einfluss des Wertes der im Abwägungsprozess gegenübergestellten Rechtsgüter in dieser Weise auf die normative Werthierarchie, dann fällt der zentrale Einwand der Unberechenbarkeit gegen die Be202 BVerfG, Beschluss v. 26. Mai 1970, Kriegsdienstverweigerer II, BVerfGE 28, 243 (261); BVerfG, Urteil v. 25. Februar 1975, Schwangerschaftsabbruch I, BVerfGE 39, 1 (43); BVerfG, Beschluss v. 19. Oktober 1993, Bürgschaft, BVerfGE 89, 214 (232). 203 M. Ch. Jakobs, Anm. 177, S. 84, 131. 204 M. Ch. Jakobs, Anm. 177, S. 99; H. Schneider, Anm. 145, S. 203. 205 BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1958, Lüth, BVerfGE 7, 198 (208).

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rücksichtigung einer Werthierarchie fort. Gleiches gilt für das Anliegen Schlinks. Ihm geht es darum, gesetzgeberischen und behördlichen Gestaltungsspielraum aufrechtzuerhalten und somit eine Zementierung von Werten und Interessen zu verhindern.206 Dieses Anliegen hat aber keine Berechtigung, wenn bereits durch die Rechtsordnung eine Werthierarchie zementiert wurde, an die die Staatsgewalt über Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist. II. Nähe zu den in der Ewigkeitsklausel geschützten Rechtsgütern Über den bloßen normenhierarchischen Vergleich der beteiligten Rechtsgüter hinaus wird zum Teil eine Differenzierung in der Wertigkeit einzelner Grundrechte vorgenommen. So stellte das Bundesverfassungsrecht im LüthUrteil klar, dass die Verfassung „zugleich eine Wertrangordnung ist“207. In Ergänzung heißt es: „Das Grundgesetz ist eine wertgebundene Ordnung, die den Schutz von Freiheit und Menschenwürde als den obersten Zweck allen Rechts erkennt“208. Dieser Ansatz kam bei der Diskussion um die Regelung der §§ 32, 34 StUG immer wieder zum Vorscheinen. So wurde eine Höhergewichtung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts immer wieder mit der besonderen Nähe zur Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG, begründet,209 wohingegen von anderer Seite die Pressefreiheit mit Verweis auf deren für die freiheitliche Grundordnung konstituierenden Charakter aufgewertet wurde.210 Tatsächlich ergibt sich eine Werthierarchie bereits aus dem soeben behandelten normenhierarchischen Verständnis für das Verhältnis von Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG zu den übrigen Grundrechte. Die behauptete Grundrechtshierarchie geht aber darüber hinaus. Sie erfasst auch normenhierarchisch gleichgeordnete Grundrechte. Vor diesem Hintergrund ließe sich dann auch erklären, warum nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts schon auf abstrakter Ebene die Forschungsfreiheit hinter den für den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat überragend wichtigen Schutz der räumlichen Privatsphäre und des Rechts am eigenen Wort solle zurück206

B. Schlink, Anm. 146, S. 219 f. BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1958, Lüth, BVerfGE 7, 198 (215). 208 BVerfG, Beschluss v. 20. Dezember 1960, Kriegsdienstverweigerer I, BVerfGE 12, 45 (51). 209 Vgl. nur das Gutachten zum Kohl-Verfahren, E. Benda/C. Umbach, Anm. 198, S. 83 m. w. N. 210 Vgl. nur Stellungnahme des Geschäftsführers des Dt. Presserates, L. Tillmanns, vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 51; J. Weberling, ZRP 2002, 343 (344). 207

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stehen müssen.211 Unter Berufung auf zahlreiche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gehen Alexy212 und Dechsling213 von einer so genannten spezifischen prima-facie-Priorität bestimmter Grundrechte aus. Auch Grabitz214 meint, es könne nicht geleugnet werden, dass die Grundrechte Individualinteressen unterschiedlichen Bedeutungsgehalts repräsentierten. Darüber, wie man nun bedeutendere und damit höherwertige Grundrechte von weniger bedeutenden und damit geringwertigeren Grundrechten abgrenzt, schweigen sich die betreffenden Autoren jedoch aus. Auch bei der Suche nach Begründungsansätzen für ein „intragrundrechtliches“ Wertesystem muss das eingangs Gesagte gelten. Sie müssen sich aus dem Recht ergeben. Das heißt, sollte es sie geben, müssten sie sich positivrechtlich begründen lassen.215 Dass der Verfassungsgeber bereits mit der im Grundgesetz gewählten Reihenfolge der Grundrechte eine Werthierarchie begründen wollte, ist zweifelhaft. Abgesehen von der Platzierung der Grundrechte an den Anfang des Verfassungstextes und der Voranstellung der Menschenwürde, lässt sich den Protokollen des Herrenchiemseer Konvents sowie des Parlamentarischen Rates keine konzipierte Systematik, die den Schluss auf eine Grundrechtshierarchie zuließe, ausmachen.216 Etwaige Zuordnungen einzelner Grundrechte in physische, ideelle und wirtschaftliche oder in sittliche, kulturelle und materielle Grundrechte mögen nach der dem stetigen Wandel unterworfenen Kulturauffassung ein Rangverhältnis implizieren.217 Aus dem positiven Recht ergibt sich eine solche Hierarchie noch nicht. Insofern lässt sich zwischen einzelnen Grundrechten positivrechtlich allgemein keine Hierarchie begründen. Was sich jedoch sowohl in theoretischer Hinsicht als auch in der Praxis nachweisen lässt, ist eine Hierarchie zwischen einzelnen grundrechtlichen Gewährleistungen.218 Die in der Literatur zum Teil behaupteten Werthierarchie innerhalb der Grundrechte lässt sich demnach nur wie folgt formulieren: Je höher der Gewährleistungsgehalt eines Grundrechts in die Nähe des Art. 1 GG rückt, also je stärker, je dichter und je unmittelbarer die Bezugspunkte des geschützten Rechtsgutes zur Menschenwürde sind, je mehr Menschenwürdegehalt in einem Rechtsgut steckt, desto höher steht das Rechtsgut in der Hierarchie.219 Dieser Ansatz tritt in einzelnen Entscheidungen des Bundes211

BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, NJW 2004, 2462 (2466). R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 517. 213 R. Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 58. 214 E. Grabitz, Anm. 146, 580. 215 Vgl. dazu Teil 1 § 1 A. I. 216 Dazu im Einzelnen K. Stern, Anm. 146, S. 1832, insb. 1839. 217 So H. Hubmann, Anm. 177, S. 67. 218 Zum Unterschied zwischen Grundrecht und Gewährleistungsgehalt m. w. N. K. Stern, Anm. 146, S. 31 ff.; 1840. 212

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verfassungsgerichts deutlich hervor. So stellt das Bundesverfassungsgericht in der Lebach-Entscheidung klar: „Vielmehr gebietet der hohe Rang des Rechts auf freie Entfaltung und Achtung der Persönlichkeit, der sich aus der engen Beziehung zum höchsten Wert der Verfassung, der Menschenwürde ergibt, daß dem aus einem solchen Interesse [Aufklärung von Straftaten] erforderlich erscheinenden Eingriff ständig das Schutzgebot des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG als Korrektiv entgegengehalten wird.“220

Auch in der ersten Entscheidung zum Straftatbestand des Schwangerschaftsabbruchs stellt das Bundesverfassungsgericht heraus: Bei der deshalb erforderlichen Abwägung [zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter und dem ungeborenen Leben] „sind beide Verfassungswerte in ihrer Beziehung zur Menschenwürde als dem Mittelpunkt des Wertesystems der Verfassung“ zu sehen. Der hier zur Rangbestimmung grundrechtlicher Gewährleistungen herangezogene Vergleichsmaßstab ist die Nähe zur Menschenwürdegarantie.221 Genau dieses Konzept steht auch hinter dem Versuch von Rechtsprechung und Literatur, einzelne Grundrechte in unterschiedliche Schutzbereichszonen aufzuspalten, um so im Hinblick auf die Rechtfertigungsanforderungen von Eingriffen differenzieren zu können. Nur so lässt sich begründen, warum die Rechtsprechung zu dem Schluss kommt, dass etwa Eingriffe in Art. 2 Abs. 1 GG, sofern sie die Intimsphäre betreffen, gar nicht zulässig sein sollen, obgleich doch Art. 2 Abs. 1 GG allgemein die Zulässigkeit von Eingriffen durch den Schrankenvorbehalt anerkennt und obgleich doch umgekehrt für die Rechtfertigung von Eingriffen in die so genannte Sozialsphäre grundsätzlich das öffentliche Interesse einen „erheblichen Rang“ einnehmen soll.222 Nur so lässt sich erklären, weshalb der Eingriff in den Berufszugang nicht durch gleich schwerwiegende Gemeinschaftsgüter, sondern nur durch „besonders wichtige“223, „über219 Ähnlich A. Dietel, DVBl. 1969, 569 (575); A. Hamann, Deutsches Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 59. Sie wenden aber diese Faustregel an, um eine Hierarchie zwischen den Grundrechten (im Gegensatz zu grundrechtlichen Gewährleistungsgehalten) zu begründen. Dagegen K. Stern, Anm. 146, S. 614. 220 BVerfG, Urteil v. 5. Juni 1973, Lebach, BVerfGE 35, 202 (221). 221 M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 157. In diese Richtung geht offenbar auch D. Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 105, wenn er fordert, dass die Rechtfertigungsanforderungen mit der Intensität der Belastung der geistig-sittlichen Integrität der Person zu steigern seien. 222 BVerfG, Urteil v. 22. Februar 1956, Elfes, BVerfGE 6, 32 (41); BVerfG, Urteil v. 16. Juli 1969, Mikrozensus, BVerfGE 27, 1 (6); BVerfG, Urteil v. 5. Juni 1973, Heimliche Tonbandaufnahmen, BVerfGE 34, 238 (245 f.); BVerfGE 38, 312 (320 f.); BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1970, Scheidungsakten I, BVerfGE 27, 344 (350); BVerfG, Urteil v. 5. Juni 1973, Lebach, BVerfGE 35, 202 (220); BVerfG, Beschluss v. 14. September 1989, Tagebuch, BVerfGE 80, 367 (374); LG Bonn, Beschluss v. 20. April 2005, Aktionärsbeleidigung, AfP 2005, 402 (404).

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ragende“224 oder „überragend wichtige“225 Gemeinschaftsgüter gerechtfertigt werden kann, um als verhältnismäßig (i. e. S.) anerkannt zu werden. Wenn auch weniger prononciert tritt dieses Sphärendenken auch außerhalb des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Berufsfreiheit in der Rechtsprechung zu Tage.226 Diese Abstufung im Bedeutungsgehalt einzelner grundrechtlicher Gewährleistungen impliziert logischerweise nicht nur eine Rangordnung innerhalb eines Grundrechts, sondern eine Rangordnung zwischen den Gewährleistungen. Eine ähnliche Verhältnisgleichung lässt sich in Bezug auf die Grundsätze des Art. 20 GG nachweisen. Je dichter ein grundrechtlich geschütztes Rechtsgut oder ein anderes verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut an die durch Art. 20 GG i. V. m. 79 Abs. 3 GG geschützte freiheitlich demokratische Grundordnung rückt, je unmittelbarer der Schutz eines Rechtsgutes zum Schutz der freiheitlichen Rechtsordnung beträgt, je zwingender der Schutz eines Rechtsgutes für die Gewährleistung der von Art. 20 GG erfassten Rechtsgüter ist, desto höher steht er innerhalb dieser Subhierarchie. So findet sich in sämtlichen Entscheidungen, in denen das Rechtsgut der Pressefreiheit gegen ein anderes Rechtsgut abgewogen wurde, immer wieder der Satz: „Dem Schutz der Pressefreiheit kommt im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat ein überragendes Gewicht zu.“227 Grundlegend stellte das Bundesverfassungsgericht im Lüth-Urteil fest: Die Meinungsfreiheit sei „unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft“228; eines der „vornehmsten Rechte überhaupt“229; „für eine 223 BVerfG, Urteil v. 11. Juni 1958, Apotheken, BVerfGE 7, 377 (405); BVerfG, Beschluss v. 12. Februar 1967, Steuerbevollmächtigte, BVerfGE 21, 173 (179); BVerfG, Urteil v. 4. April 1967, Arbeitsvermittlungsmonopol I, BVerfGE 21, 245 (251); BVerfG, Beschluss v. 18. Dezember 1968, Mühlenerrichtung, BVerfGE 25, 1 (11). 224 BVerfG, Urteil v. 11. Juni 1958, Apotheken, BVerfGE 7, 377 (405 f.); BVerfG, Urteil v. 4. April 1967, Arbeitsvermittlungsmonopol II, BVerfGE 21, 261 (267). 225 BVerfG, Urteil v. 11. Juni 1958, Apotheken, BVerfGE 7, 377 (408); BVerfG, Beschluss v. 17. Dezember 1958, Mindestmilchmenge, BVerfGE 9, 39 (51); BVerfG, Beschluss v. 8. Juni 1960, Personenbeförderungsgesetz, BVerfGE 11, 168 (183, 190). 226 Zur Unterscheidung zwischen der Gewährleistung des forum internum und forum externum im sachlichen Schutzbereich der Religionsfreiheit, H. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 4 Rn. 58–61, sowie zwischen Meinungsbildung und Meinungsäußerungsfreiheit, H. Schultze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrsg.), ebd., Art. 5 Rn. 62. 227 BVerfG, 6. Oktober 1959, Berufsverbot, BVerfGE 10, 118 (121); BVerfG, Beschluss v. 20. April 1982, Kredithai, BVerfGE 60, 234 (239); BVerfG, Beschluss v. 15. November 1982, Boykott, BVerfGE 62, 230 (243); BVerfG, Beschluss v. 13. Januar 1988, Jugendgefährdende Schriften, BVerfGE 77, 346 (354). 228 BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1958, Lüth, BVerfGE 7, 198 (208).

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freiheitlich-demokratische Staatsordnung [. . .] schlechthin konstituierend“230; „in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt“.231 Aus diesem „besonderen Wertgehalt dieses Rechts“ ergebe sich dann „eine grundsätzliche Vermutung für die Freiheit“232. In ganz ähnlicher Weise wurde auch im Lebach-Urteil der Bogen zu freiheitlich-demokratischen Grundordnung gespannt: „Die Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG [. . .] ist ebenso wie die Pressefreiheit, die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung.“233

Nur da in der konkreten Entscheidung „nach dem Willen der Verfassung beide Verfassungswerte [Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Rundfunkfreiheit] essentielle Bestandteile der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ bildeten, konnte keiner „von ihnen einen grundsätzlichen Vorrang beanspruchen.“234 Daraus folgt aber zugleich, dass die enge Verbindung beider Güter mit den in Art. 79 Abs. 3 GG abgesicherten Rechtsgütern für die Gewichtung eine zentrale Rolle spielt. Die Betonung der Nähe zu den in der Ewigkeitsklausel abgesicherten Rechtsgütern ist im Übrigen nicht nur auf die Kommunikationsgrundrechte beschränkt.235 Selbstverständlich haften der Rangzuweisung grundrechtlicher Gewährleistungen am Maßstab der Menschenwürde genauso wie am Maßstab des Art. 20 GG eine Fülle von Unklarheiten an.236 So bleiben einmal die Maßstäbe selbst zu definieren. Zu klären bleibt aber auch, was genau unter einer grundrechtlichen Gewährleistung oder unter einem verfassungsrechtlichen Gemeingut zu verstehen ist. Von ihrem Konkretisierungsgrad hängt nämlich ab, wie genau die Nähe zu den durch Art. 79 Abs. 3 GG abgesicherten Rechtsgütern bestimmt werden kann. Auch ist es zutreffend, dass der Nähebestimmung selbst wiederum ein unbestimmtes Moment anhaftet. Zweifel an der Handhabbarkeit des Kriteriums der Art. 79 Abs. 3 GG-Nähe 229

BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1958, Lüth, BVerfGE 7, 198 (208). BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1958, Lüth, BVerfGE 7, 198 (208). 231 BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1958, Lüth, BVerfGE 7, 198 (208). 232 BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1958, Lüth, BVerfGE 7, 198 (208); BVerfG, Beschluss v. 31. Oktober 1984, Schwarzer Sheriff, BVerfGE 68, 226 (232). 233 BVerfG, Urteil v. 5. Juni 1973, Lebach, BVerfGE 35, 202 (221) m. w. N. 234 BVerfG, Urteil v. 5. Juni 1973, Lebach, BVerfGE 35, 202 (225); BVerfG, Beschluss v. 8. Februar 1983, Gegendarstellung, BVerfGE 63, 131 (144). 235 Zur Gewichtung des Interesses an der leistungsfähigen Strafjustiz als „Gewährleistungsbereich des Rechtsstaatsprinzips“ und dem Belang der Gesundheitsfürsorge mit ihrem „verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt im Sozialstaatsprinzip“, BVerfG, Beschluss v. 24. Mai 1977, Suchtkrankenakten, BVerfGE 44, 355 (374 f.). 236 K. Stern, Anm. 146, S. 562 f. 230

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sind insoweit berechtigt. Praktische Auswirkungen haben sie aber in erster Linie in Bezug auf Grenzfragen. Den generellen Nutzen dieses Kriteriums für die Rationalisierung des Abwägungsprozesses vermögen sie dagegen nicht in Frage zu stellen. III. Verfassungsnähe der einfachgesetzlich geschützten Rechtsgüter Die bislang vorgestellten Kriterien bieten nur einen sehr groben Maßstab für die Rang/Wertbestimmung konfligierender Rechtsgüter. Sie erlauben noch keine hinreichende Differenzierung in der Wertigkeit einzelner Rechtsgüter, etwa von Rechtsgütern die wie das Rechtsgut Aufarbeitung nach herrschender Meinung keinen Verfassungsrang haben. Sie sagen nichts aus darüber, wie viel schwerer etwa ein verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut gegenüber einem nur durch den einfachen Gesetzgeber geschützten Rechtsgut wiegt. Dies lässt sich auch nicht feststellen. Feststellen lassen sich mit den oben zugrunde gelegten Kriterien nur Relationen. Diese lassen sich – legt man den hier verfolgten normenhierarchischen Ansatz zur Wert/ Rangbestimmung im Rahmen der Abwägung zugrunde – jedoch noch weiter verfeinern. Parallel zu der im Bereich der Verfassungsgüter vorgenommenen Hierarchisierung am Maßstab der Ewigkeitsgarantie erlaubt auch das Abstellen auf die Nähe eines Rechtsgutes zu einem normenhierarchisch ranghöheren Rechtsgut eine Ausdifferenzierung in der Gewichtung. Auf diesem Gedanken basiert auch Grabitz Unterscheidung zwischen so genannten absoluten öffentlichen Interessen, also denjenigen, die in der Verfassung ihren Niederschlag gefunden haben, und relativen Interessen.237 In der Rechtsprechung tritt dieses Kriterium, was sich letztlich nur als die logische Konsequenz aus der dem Kriterium der Nähe zur Ewigkeitsklausel anhaftende Hierarchievorstellung darstellt, nur selten hervor.238 Häufig anzutreffen sind sie nur im Zusammenhang mit einfachgesetzlichen Gewährleistungen im Bereich des Presserechts.239 So folgert das Bundesverwaltungs237 E. Grabitz, Anm. 146, 578 f. Vgl. auch P. Häberle, AöR 1970, 101; C. A. v. Zeschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, S. 115 f.; F. Müller, Anm. 158, S. 89. Zustimmend H. Schneider, Anm. 145, S. 160 f. 238 Deutlich dagegen in BVerfG, Beschluss v. 16. Januar 2003, Elternausschluss, BVerfGE 107, 104 (118 f.) betreffend den Ausschluss von Eltern eines Angeklagten von der mündlichen Verhandlung: „Die Sicherung des Rechtsfriedens durch das Strafrecht ist seit jeher eine wichtige Aufgabe staatlicher Gewalt. Die Aufklärung von Straftaten, die Ermittlung des Täters, die Feststellung seiner Schuld und seiner Bestrafung wie auch der Freispruch des Unschuldigen sind wesentliche Aufgaben der Strafrechtspflege. [. . .] Strafnormen und deren Anwendung in einem rechtsstaatlichen Verfahren sind Verfassungsaufgaben.“ 239 Zum Presseinformationsanspruch vgl. unten Teil 1 Kap. 2 § 2 A. I.

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gericht in Bezug auf die Herausgabe der Stasi-Akten an die Presse zwar, dass ein verfassungsrechtlicher Informationsanspruch der Presse nicht bestünde, gleichwohl aber im Rahmen der Abwägung ihre „für die freiheitliche Demokratie überaus bedeutsame Funktion“240 zu berücksichtigen sei. IV. Höhergewichtigkeit vorbehaltloser Rechte? Immer wieder wurde bei der Diskussion um das Gewicht der Forschungsfreiheit das Argument der Vorbehaltlosigkeit in die Waagschale geworfen.241 Die fehlende Einschränkungsmöglichkeit des einfachen Gesetzgebers zeige gerade die gegenüber einschränkbaren Grundrechten herausgehobene Stellung an. Dieser Wertentscheidung müsse dann auch im Rahmen der Abwägung Rechnung getragen werden. Nach dieser Auffassung, die sich zwar typischerweise an den Grundrechten entzündet, die aber durchaus auch auf andere nicht lediglich durch normenhierarchisch gleich- oder höherrangige Schranken begrenzte Rechtsgüter übertragbar ist, ist das Vorhandensein von Schranken ein Indikator für das Gewicht des mit der Regelung geschützten Rechtsgutes. Für diese Argumentation spricht ihre Einfachheit und zunächst auch ihre dogmatische Überzeugungskraft, kommt doch genau wie im Zusammenhang mit Art. 79 Abs. 3 GG in der erhöhten Einschränkungsresistenz eine klare Wertentscheidung zum Ausdruck. In der Rechtsprechung hat diese Argumentation bislang jedoch keinen Widerhall gefunden. Dies lässt sich ohne weiteres mit dem – wie es Bettermann zutreffend nannte – „Schrankenwirrwarr“242 erklären. Das Versehen eines Grundrechts mit und ohne Vorbehalt erscheint willkürlich.243 Es ist nicht zu erklären, warum etwa die körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 1 GG im Gegensatz zur Forschungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG durch den Gesetzgeber eingeschränkt werden kann. Der Verfassungsgeber von 1948/1949 hatte eben noch keine ausgereifte Grundrechtsdogmatik vor Augen. Insbesondere beschäftigte sich der Verfassungsgeber nicht mit der Frage des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geschweige denn mit der Frage nach dem Einfluss der „Schrankensystematik“ auf den Abwägungsprozess.244

240

BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, AfP 2004, 380 (385). Vgl. I. Staff, ZRP 1993, 46 (47 f.). 242 K. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 3. Weitere Nachweise zu dieser These siehe K. Stern, Anm. 145, S. 692 (Fn. 1). 243 Nochmals betont K. Stern, Anm. 145, S. 708. 244 K. Stern, Anm. 145, S. 708. 241

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V. Rechtsgüter mit doppelter Zielrichtung Im Gegensatz zur soeben behandelten normenhierarchischen Wertermittlungsmethode, die sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Teil nur sehr fragmentarisch nachweisen lässt, wird in der Rechtsprechung nahezu durchweg eine Werterhöhung bei Rechtsgütern angenommen, die nicht nur dem Schutz um ihrer selbst Willen garantiert sind, sondern darüber hinaus auch mittelbar dem Schutz weitergehender Interessen dienen, so genannte Zweckbündel (oder plastisch Matroschka-Prinzip).245 Diesem Kriterium wird insbesondere bei der Gewichtung des Aufarbeitungsanliegens, was sich – wie bereits angedeutet246 – aus einer Vielzahl von diffusen Schutzzielen zusammensetzt, Aufmerksamkeit gewidmet werden müssen.247 Das Kriterium des Doppel- oder multifunktionalen Interessenschutzes fand seinen plastischsten Ausdruck in der auf Grimm zurückgehenden „Zwei gegen eins“-Formel, die er in Antwort auf die Kritik an der fehlenden dogmatischen Grundlage für das vom Verfassungsgericht immer wieder behauptete überragende Gewicht der Meinungsfreiheit entwickelte.248 Ausgehend von der Zielrichtung der Meinungsfreiheit, die nicht allein in der Sicherung der Handlungsfreiheit, sondern zugleich in der Aufrechterhaltung einer öffentlichen Debatte als wesentlicher Voraussetzung für die demokratische Staatsordnung dient, besitze der Schutz der Meinungsfreiheit „ein besonderes Gewicht“.249 Anders als es das Beispiel der Meinungs- und Pressefreiheit mit ihrer spezifischen Nähe zum Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1, 2 GG, Art. 79 Abs. 3 GG) nahe legt, kommt es bei dem Abwägungskriterium der doppelten oder gar multiplen Zielrichtung von Rechtsgütern nicht mehr auf die normenhierachische Zuordnung der weitergehenden Interessen an. Dies belegen insbesondere jüngere Entscheidungen des 245 Ch. Engel, Anm. 153, S. 103 ff. Wobei die hier genutzte Metapher der Matroschka insoweit einer Einschränkung bedarf, als dass es sich bei den implizit geschützten Rechtsgütern nicht zwingend um Rechtsgüter unterschiedlicher Größe handelt. 246 Vgl. Einleitung § 2 A. 247 Dazu unten Teil 1 Kap. 2 § 1 C. Allgemein zur theoretischen Begründung des Spezialfalls der so genannten interaktiven Grundrechte zur Förderung des Allgemeinwohls vgl. M. Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, S. 72 ff. 248 Grundlegend BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1958, Lüth, BverfGE 7, 198 (219), in der das Gericht dezidiert auf die weitergehende Bedeutung der Meinungsfreiheit für die öffentliche Auseinandersetzung hinwies. Auf diese Art von Doppelgewichtung weist auch E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1535) in Bezug auf die so genannten Funktionsgrundrechte („Freiheit um zu . . .“) hin. Ihre Bedeutung für die Demokratie bestimme ihr Gewicht. 249 D. Grimm, NJW 1995, 1697 (1698); ders., ZRP 1994, 276.

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Bundesverfassungsgerichts. So hatte das Bundesverfassungsgericht kürzlich die Rechtfertigung des Bayrischen Wettmonopols am Maßstab von Art. 12 GG zu untersuchen und wies zugunsten des Monopols daraufhin hin, dass die Bekämpfung der Spielsucht nicht nur dem Schutz der Gesundheit an sich diene, sondern dass darüber hinaus die Spielsucht auch schwerwiegende Folgen für die Familie und die Gemeinschaft haben könne.250 Ebenfalls von einer doppelten Zielsetzung – hier des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung – ging das Bundesverfassungsgericht anlässlich der Durchsuchung der Wohnung einer Richterin nach Hinweisen auf Verletzung des Amtsgeheimnisses aus, wenn es meint: „Ein von der Grundrechtsausübung abschreckender Effekt fremden Geheimwissens muss nicht nur im Interesse der betroffenen Einzelnen vermieden werden. Auch das Gemeinwohl wird hierdurch beeinträchtigt, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens ist.“251 VI. Vermutungsregeln Neben den unter A–D behandelten Abwägungskriterien behelfen sich Rechtssprechung und Literatur zum Teil mit Vermutungsregelung – wie in dubio pro libertate, im Zweifel für den Individualschutz, im Zweifel für die Grundrechte oder anders in dubio pro communitate. Diese unterscheiden sich insofern von den zuvor diskutierten Konstellationen, als es sich hier um Beweislastregeln, die ihrerseits erst eine Folge der Gewichtung sind, handelt. Genau von derartigen Vermutungen beherrscht war bei genauerem Hinsehen die gesamte Diskussion um den Vorrang des Allgemeinen Persönlichkeitsschutzes bei der Neufassung und Auslegung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes.252 Würde eine solche Vermutungsregel von Verfassungs wegen Platz greifen, dann wäre in der Tat zu fragen, ob die in den §§ 32, 34 StUG normierte Lastenverteilung, wonach Herausgabe und Veröffentlichung nur bei „überwiegende[n] schutzwürdige[n] Interesse[n]“ der in den Unterlagen verzeichneten Person zu versagen ist, verfassungsgemäß ist. Die behaupteten Vermutungsregelungen bestimmen im Gegensatz zu den soeben diskutierten Abwägungskriterien nicht etwa das Gewicht des einzelnen Rechtsgutes. Vielmehr sollen sie eine Aussage darüber treffen, zu Lasten und zu Gunsten welches der beiden konfligierenden Güter die Beweis250 BVerfG, Urteil v. 28. März 2006, Bayrisches Wettmonopol, www.bverfg.de, Rn. 99. 251 BVerfG, Urteil v. 2. März 2006, Verbindungsdaten, NJW 2006, 976 (979 Rn. 87). 252 Vgl. ausführlich zu diesem Streit um die Zielsetzung unten Teil 2 Kap. 1 § 1.

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last für die Höhergewichtung geht. Zwar drückt sich auch hierin eine Wertentscheidung aus. Diese macht aber anders als dies zum Teil in der Literatur kritisiert wurde, die Abwägung als solche nicht obsolet, indem sie von vorneherein einem der Rechtsgüter einen Vorrang einräumte.253 1. In dubio pro libertate Das Bundesverfassungsgericht hat bis zum Jahre 1983 immer wieder die Güterabwägung mit der Bemerkung, es bestünde eine „Freiheitsvermutung zugunsten des Bürgers“254 und daher sei „vom grundsätzlichen Vorrang der Freiheitsrechte auszugehen“255, eingeleitet.256 Ausgangspunkt hierfür waren seine Ausführungen im Lüth-Urteil: „die allgemeinen Gesetze müssen in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden, daß der besondere Wertgehalt dieses Rechts, der in der freiheitlichen Demokratie zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede [. . .] führen muss, auf jeden Fall gewahrt bleibt.“257

In späteren Entscheidungen finden sich entsprechende Formulierungen nur noch vereinzelt,258 was durchaus auch als Beleg für den von der Literatur immer wieder beobachteten Wandel im Grundrechtsverständnis des Bundesverfassungsgerichts gesehen werden kann.259 Nimmt man das Postulat vom Vorrang der Freiheit ernst, dann würde in dem Fall, in dem das mit der Regelung beförderte Interesse gleich schwer wie die Beeinträchtigung des Grundrechts wiegt, das Grundrecht zwingend Vorrang genießen. Demnach reichte bloße Verhältnismäßigkeit nicht aus. Vielmehr müsste sich streng genommen die Waage zu Gunsten des mit der Regelung beförderten Rechtsgutes neigen, damit es sich gegen das Grundrecht durchsetzt. Dieser Schluss wird aber in der Rechtsprechung nicht gezogen. Stattdessen belässt sie es für das Ergebnis der Abwägung bei der bloßen Verhältnismäßigkeitsforderung. 253

U. Häfelin, in: FS für K. Eichenberger, S. 625 (637 f.). BVerfG, Beschluss v. 7. April 1964, Schwere Eheverfehlung, BVerfGE 17, 306 (313 f.). 255 BVerfG, Beschluss v. 15. Dezember 1965, Haftverschonung, BVerfGE 19, 342 (348 f.). 256 Ein Überblick zur Diskussion findet sich bei F. Ossenbühl, DÖV 1965, 649 (657 f.). 257 BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1958, Lüth, BVerfGE 7, 198 (208). 258 BVerfG, Beschluss v. 10. Oktober 1995, Soldaten sind Mörder, BVerfGE 93, 266 (294). Das Argument greift auch W. Heintschel von Heinegg, AfP 2003, 295 (299) auf. 259 Grundlegend dazu bereits E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529. 254

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Was das Bundesverfassungsgericht mit der Formel „in dubio pro libertate“ indes meint, scheint nicht eine Vorrangregel für den Fall eines non liquet, sondern eine Beweislastregel zu sein.260 Nur in dem Fall, in dem sich Zweifel tatsächlicher Art im Hinblick auf das eine oder andere Kriterium ergeben, greift die Vermutung für die Freiheit Platz. Dies ist insbesondere bei der Einschränkung von Grundrechten durch abstrakte Gemeinwohlbelange von Bedeutung, bei denen sich Kriterien wie Nutzen und Beeinträchtigung kaum messen lassen und wo in weiten Teilen mit Prognosen gearbeitet wird. Praktisch belegen lässt sich der Einfluss dieser Freiheitsvermutung – dies sei erwähnt – jedoch kaum, geschweige denn entspricht diese Regel einer zwingenden Vorgabe des Grundgesetzes. 2. Im Zweifel für das Individuum oder die Gemeinschaft In eine ähnliche Richtung geht der hin und wieder behauptete Vorrang des Individualschutzes gegenüber dem Kollektivschutz.261 Die Behauptung des Vorrangs des Grundrechtsschutzes geht über die in-dubio-pro-libertateRegel zumindest begrifflich hinaus, da sie anders als diese neben den Freiheitsrechten auch Leistungs- und Teilhaberechte umfasst. So geht Alexy von einer prima-facie-Priorität der Grundrechte aus. Ihm zufolge zielten die Grundrechte als subjektive Rechte in erster Linie auf den Schutz individueller Freiheit und Gleichheit und nicht auf die Gewährleistung einer objektiven Werteordnung oder der Erzeugung kollektiver Güter.262 Egal ob man diesem Ansatz folgt oder nicht, er berücksichtigt nicht hinreichend, dass sich der Gemeinschaftsschutz normativ nicht allein aus den Grundrechten, sondern auch aus anderen diesen gleichgestellten Verfassungsvorschriften ergibt. Dies mag auch der Grund sein, weshalb das Bundesverfassungsgericht selbst – abgesehen von der Regel in dubio pro libertate – ein solches Vorrangverhältnis nie behauptet hat. Stattdessen gab das Gericht immer wieder zu bedenken: „Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat die Spannung Individuum-Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten.“263 260 Zum Grundsatz in dubio pro libertate als Beweislastregel H.-U. Gallwas, BayVBl. 1966, 310 (311). 261 So W. Leisner, Anm. 136, S. 153 ff.: Die „Grundidee des Grundrechtsschutzes, und zwar der einzelne Mensch ist höchster Wert, verbietet es, die Freiheit des Einzelnen auch nur im Namen der Freiheit vieler einzuschränken.“ Dagegen K. A. Bettermann, Beweislast, S. 39, der diesen Ansatz als „verkappte Theologie“ geißelt. 262 R. Alexy, Recht, Vernunft und Diskurs, S. 248.

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Jedoch lässt sich aus dieser Formel auch umgekehrt nicht etwa ein Vorrang der Gemeinschaft ableiten. Die Formel enthält – abgesehen von der generellen Begrenzung von Individualrechten – zumindest für den Abwägungsprozess keine weitergehenden Aussagen. Desgleichen lässt sich auch aus der Tatsache, dass sich das öffentliche Interesse von vorneherein schon aus seiner Bedeutung für das Allgemeinwohl heraus definiert,264 keine prima-facieHöherrangigkeit des Gemeinschaftsgutes begründen, da sich dieses lediglich daraus definiert, dass es der Allgemeinheit dient, über das für den Abwägungsprozess relevante spezifische Gewicht jedoch nichts aussagt.265 Für einen darüber hinausgehenden Vorrang der Gemeinschaft oder anders gewendet für einen allgemeinen Vorrang des Individualschutzes bietet auch der Text des Grundgesetzes keinen Beleg.266 Im Gegenteil, selbst in der Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG wird das Spannungsfeld zwischen Individual- und Gemeinschaftsschutz nicht aufgelöst. Vielmehr stehen hier Gemeinschaftsgüter – wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – der zuvörderst individualbezogenen Menschenwürde gleichberechtigt gegenüber. Zudem macht eine solche Differenzierung wenig Sinn, da auch der Individualschutz letztlich dem Kollektivschutz dient und da sich umgekehrt das Gemeinschaftsinteresse letztlich als nichts anderes als ein Konglomerat verschiedenster Individualinteressen darstellt.267 Letztendlich muss für beide Vermutungsregeln festgehalten werden, dass sich für ihre Existenz aus dem Verfassungstext keine zwingenden Anhaltspunkte ergeben. Soweit das Bundesverfassungsgericht auf derartige Vermutungen zurückgegriffen hat, mag dies womöglich Ausdruck einer rechtspolitisch motivierten Grundrechtsinterpretation denn einer zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgabe sein. Gleiches gilt entsprechend auch für die in Bezug auf die §§ 32, 34 StUG von einigen Sachverständigen behaupteten Vorrangverhältnisse. 263 Zunächst im Zusammenhang mit einer gleichheitsrechtlichen Problematik BVerfG, Beschluss v. 1. Juli 1954, Richterliche Bindung an Art. 3 GG, BVerfG 4, 1 (15 f.); BVerfG, Urteil v. 16. Juli 1969, Mikrozensus, BVerfGE 27, 1 (7); BVerfG, Beschluss v. 13. Januar 1981, Konkursbedingte Aussagepflichten, BVerfGE 56, 37 (49); zuletzt BVerfG, Urteil v. 5. Februar 2004, Sicherungsverwahrung, BVerfGE 109, 133 (151); BVerfG, Urteil v. 3. März 2004, Wohnraumüberwachung, BVerfG 109, 275 (314). 264 So die Fragestellung v. W. Leisner, Anm. 136, S. 137. 265 P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 65 f. 266 Ein Überblick zur Diskussion findet sich bei F. Ossenbühl, DÖV 1965, S. 649 (658). 267 Vgl. nur BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1958, Lüth, BVerfGE 7, 198 (219) in Bezug auf die Meinungsfreiheit: „Wenn es darum geht, daß sich in einer für das Gemeinwohl wichtigen Frage eine öffentliche Meinung bildet, müssen private [. . .] Interessen Einzelner zurücktreten.“

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B. Regelungsbezogene Abwägungskriterien Sehr viel deutlicher als die rechtsgutbezogenen Abwägungskriterien treten in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einige Abwägungsgrundsätze, die sich auf den konkreten Vergleich zwischen der einschränkenden Regelung und dem eingeschränkten Rechtsgut beziehen, zutage.268 Sie sind in der Literatur vereinzelt immer wieder aufgegriffen worden.269 Insofern bedarf es für die hier zu klärende Frage nach dem Maßstab für die Auflösung des Regelungskonflikts zwischen Aufarbeitungsanliegen und Allgemeinen Persönlichkeitsrecht nur noch einer kurzen Systematisierung der Kriterien. Die für die regelungsbezogene Abwägung maßgebenden Kriterien lassen sich zwei Kategorien zuordnen, wobei in der ersten ein Ergebnisvergleich zwischen dem mit der Regelung beförderten und dem mit ihr eingeschränkten Rechtsgut vorzunehmen ist und in der zweiten nach Verfahrensvorkehrungen zur Eindämmung oder zum Ausgleich der mit der einschränkenden Regelung verbundenen Substanzverluste am eingeschränkten Rechtsgut zu fragen ist.270 Der konkrete Ergebnisvergleich zwischen eingeschränktem und befördertem Rechtsgut stützt sich auf die Gegenüberstellung negativer und positiver Folgen für die beteiligten Rechtsgüter. Allgemein lässt sich dieser Ergebnisvergleich mit Alexy auf folgende Faustformel bringen: „Je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, umso höher muss die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein.“271 Anders ausgedrückt, „[j]e weiter ein Prinzip zurückgedrängt wird, desto größer wird die Widerstandsfähigkeit des Prinzips, also sein Gewicht, und die Stärke der gegenläufigen Gründe muß ‚überproportional‘ wachsen, damit eine Belastung in einem solchen empfindlichen Bereich gerechtfertigt werden kann.“272 Insofern wird bei der Frage der Zulässigkeit von Herausgabe 268 Ausdrücklich in Bezug auf Regelungen betreffend die Strafverfolgung und Gefahrenabwehr BVerfG, Urteil v. 27. Juli 2005, § 33 Nds. SOG, BVerfGE 113, 348 (386) m. w. N. 269 K. Stern, Anm. 146, S. 784 f.; K. A. Bettermann, Anm. 178, S. 51. 270 Keine Rolle spielt dagegen die Bewertung der dem Abwägungsprozess zugrunde liegenden Handlung. Weder kommt es darauf an, ob die Regelung ein Tun, Dulden oder Unterlassen fordert, noch kommt es – wie v. H. Hubmann, Anm. 177, S. 19, behauptet – auf den spezifischen Handlungs- bzw. Regelungsunwert an. Dieser lässt sich nicht vom Unwert der potentiellen Beeinträchtigung trennen und wird damit bereits vom Ergebnisvergleich erfasst. Auch so genannte globale Folgen für den Verfassungsstaat, die über die Entscheidung im einzelnen Konfliktfall hinausgehen, sind als Abwägungskriterium kaum nachzuweisen geschweige denn verfassungsrechtlich zu begründen. Zu dieser Forderung, K.-H. Ladeur, Anm. 177. 271 R. Alexy, Anm. 212, S. 146.

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oder/und Veröffentlichung von personenbezogenen Informationen aus den Stasi-Unterlagen allgemein und einzelfallspezifisch genau zu klären sein, welchen Nutzen die Herausgabe oder/und Veröffentlichung für die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes oder anderer Herrschaftsmechanismen der DDR oder der sowjetischen Besatzungszone hat und wie stark die Herausgabe oder/und Veröffentlichung dieser Informationen gegebenenfalls das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zu beeinträchtigen vermag.273 Zunächst muss jedoch geklärt werden, ob die Feststellung der Nichterfüllung/Beeinträchtigung und Wichtigkeit der Erfüllung weiteren Präzisierungen zugänglich sind, die das subjektive Bewertungsmoment weiter einzudämmen vermögen.274 Abgesehen von den oben dargestellten rechtsgutbezogenen Abwägungskriterien lässt sich die Wichtigkeit der Entfaltung eines Rechtsgutes nur einzelfallbezogen feststellen. Was jedoch die Feststellung der Beförderung/Erfüllung eines Rechtsgutes und die dieser korrespondierende Beeinträchtigung/Nichterfüllung eines konfligierenden Rechtsgutes anbelangt, so lassen sich der Rechtsprechung zumindest abwägungsleitende Eckpunkte entnehmen. Bei der Untersuchung der Intensität der Beeinträchtigung/Entfaltung eines Rechtsgutes kann zunächst zwischen einer sachlichen und einer zeitlichen Dimension unterschieden werden. Im Rahmen der zeitlichen Dimension spielt nicht nur die Dauer der Rechtsgutsbeeinträchtigung/Rechtsgutserfüllung eine Rolle, sondern auch der Zeitpunkt ihres jeweiligen Eintritts.275 Eng mit diesen Fragen in Zusammenhang steht der Konkretisierungsgrad der Rechtsgutsbeeinträchtigung/-verwirklichung.276 So forderte das Verfas272 L. Clérico, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit, S. 168. Vgl. nur BVerfG, Beschluss v. 24. Mai 1977, Suchtkrankenakten, BVerfGE 44, 355 (377), wo die Beschlagnahme von Suchtkrankenakten in einer Beratungsstelle zur Verfolgung von Drogendelikten für verfassungswidrig erklärt wurde, da der mit der Beschlagnahme verbundene erhebliche Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht kaum nennenswerte Beweisergebnisse versprach und das Interesse an der Strafverfolgung von Drogenkonsumenten im Vergleich zu Drogenhändlern – wie sich den unterschiedlichen Strafandrohungen des BtMG entnehmen lässt – nicht hinreichend schwer war. 273 Dazu unten Teil 1 Kap. 2 § 3 sowie Teil 3 § 3. 274 Gegen eine weitere Präzisierungsmöglichkeit R. Alexy, Anm. 212, S. 146. 275 „Je kürzer der zeitliche Abstand zur Tat und je größer das berechtigte Interesse des Fernsehpublikums an der Tat ist, desto eher ist die Ausstrahlung eines die Resozialisierung des Täters gefährdenden Dokumentarspiels zulässig“, BVerfG, Urteil v. 5. Juni 1973, Lebach, BVerfGE 35, 202 (233). 276 BVerfG, Beschluss v. 5. Februar 1981, Gefangenenpost, BVerfGE 57, 170 (177): „Je weniger konkret die Gefährdung [hier der Ordnung in der Vollzugsanstalt] ist, umso größeres Gewicht kommt der Handlungsfreiheit [hier des Untersuchungsgefangenen] zu.“

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sungsgericht vom Niedersächsischen Gesetzgeber in Bezug auf Telekommunikationsüberwachungen bei bereits begangenen Straftaten einen konkreten Tatverdacht, d.h. sichere tatsächliche Anhaltspunkte für die Beziehung zwischen der Tat und der überwachten Person.277 Desgleichen stellte es zu Gunsten eines im Maßregelvollzug Untergebrachten fest, dass diesem bzw. seinen Anwälten Einsicht in seine Krankenakten zu gewähren sei, da die dagegen angeführten bloßen „Befürchtungen [hier Sicherheitsbedenken und Persönlichkeitsrecht des Therapeuten, da Rückschlüsse auf erwartete Verhaltensweise und Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Therapeuten möglich seien], die sich nicht auf konkrete und substantiiert vorgetragene Anhaltspunkte stützen können, sondern pauschal werten und nur auf abstrakte Missbrauchsgefahren hindeuten“, den grundrechtlichen Anforderungen nicht genügen.278 Diesem starken Konkretisierungsgrad, den das Bundesverfassungsgericht den mit der Grundrechtseinschränkung beförderten Rechtsgütern abverlangt, steht ein relativ geringes Konkretisierungserfordernis der auf Seiten des Grundrechts erfolgten oder potentiellen Beeinträchtigungen gegenüber. So äußert das Gericht: „Je gewichtiger das gefährdete Rechtsgut ist und je weit reichender es durch die jeweiligen Handlungen beeinträchtigt würde oder beeinträchtigt worden ist, desto geringere Anforderungen dürfen an den Grad der Wahrscheinlichkeit gestellt werden, mit der auf eine drohende oder erfolgte Verletzung geschlossen werden kann, und desto weniger fundierend dürfen gegebenenfalls die Tatsachen sein, die auf die Gefährdung oder Verletzung des Rechtsguts schließen lassen.“279

Das höherwertige Rechtsgut wird geschont, indem hohe Anforderungen an den Konkretisierungsgrad des konfligierenden Rechtsgutes zu stellen sind und in dem der Konkretisierungsgrad der Beeinträchtigung des höherwertigen Rechtsgutes selbst nur geringen Anforderungen unterliegt. Macht man – wie das Bundesverfassungsgericht – das Konkretisierungserfordernis von Beeinträchtigung und Beförderung von der Wertigkeit des jeweils betroffenen Rechtsgutes abhängig, dann läuft dies zunächst auf die oben erörterte Frage, welches denn das höherwertige Rechtsgut ist, hinaus.280 Unabhängig davon führt das Kriterium des Konkretisierungsgrades der Rechtsgutsbeeinträchtigung/-beförderung zumindest de facto zu einer Geringergewichtung von Gemeinschaftsgütern. Der Konkretisierungsgrad einer Rechtsgutsbeeinträchtigung bzw. die Beförderung eines Rechtsgutes kann nicht losgelöst vom Rechtsgut gesehen werden. Regelmäßig wird sich bei einem abstrakteren Rechtsgut – wie der Aufarbeitung – die tatsächliche 277

BVerfG, Urteil v. 27. Juli 2005, § 33 Nds. SOG, BVerfGE 113, 348 (385). BVerfG, Beschluss v. 9. Januar 2006, Einsicht in Krankenakten, www.bverfg. de, Rn. 52. 279 BVerfG, Urteil v. 27. Juli 2005, § 33 Nds. SOG, BVerfGE 113, 348 (386). 280 Vgl. oben Teil 1 Kap. 1 § 3 A. 278

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oder potentielle Beeinträchtigung sehr viel schwerer messen lassen als Beeinträchtigungen von Individualpositionen. Beim Vergleich zwischen positiven und negativen Folgen für die widerstreitenden Rechtsgüter misst das Bundesverfassungsgericht der Existenz von Kompensations- oder Ausgleichsmechanismen, die einer übermäßigen Beanspruchung eines Rechtsgutes bereits präventiv abhelfen sollen oder zumindest zu einer Linderung der negativen Folgen für das Rechtsgut beitragen.281 Besonders im hier relevanten Bereich des Ehrschutzes und im Bereich des Datenschutzes hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder auf die Möglichkeit von Gegenmaßnahmen282, Aufklärungs- und Belehrungspflichten283 und Folgenbeseitigungspflichten284 verwiesen. All diese Aspekte werden im Zusammenhang mit der Regelung des §§ 32, 34 StUG Relevanz erlangen. So wird sich in Bezug auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht die Frage stellen, ob und gegebenenfalls wie lange tatsächlich mit einer Beeinträchtigung der freien Entfaltungsmöglichkeit durch Herausgabe oder/und Veröffentlichung der Unterlagen zu rechnen ist, wie lange und mit welcher Intensität sie an der Ehre der von der Herausgabe Betroffenen rührt.285 Umgekehrt wird auch für das Aufarbeitungsanliegen zu fragen sein, wie intensiv die Verweigerung der Herausgabe oder der Veröffentlichungsgenehmigung heute, über 20 Jahre nach dem Ende der DDR-Diktatur, nachdem eine Vielzahl von Erkenntnissen über die Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes schon vorliegt, dieses beeinträchtigt.286 Auch wird zu fragen sein, inwieweit die in § 44 StUG normierten Strafvorschriften und die in § 32 a StUG vorgesehene Informationspflicht der Behörde gegenüber den Betroffenen tatsächliche oder potentiellen Beeinträchtigungen des Allgemeinen Persönlichkeitsschutzes zu verhindern oder zu kompensieren vermögen.287

281 BVerfG, Urteil v. 12. April 2005, Global Positioning System, BVerfGE 112, 304 (319); BVerfG, Urteil v. 27. Juli 2005, § 33 Nds. SOG, BVerfGE 113, 348 (389): „Die Mängel bei der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit werden nicht durch andere Regelungen des Gesetzes beseitigt.“ 282 BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1958, Lüth, BVerfGE 7, 198 (219). 283 BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1983, Volkszählung, BVerfGE 65, 1 (59 f.). 284 BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1983, Volkszählung, BVerfGE 65, 1 (59 f.). Detailliert zur Möglichkeit der Datenabtrennung; Pflicht zur frühzeitigen Löschung und zu Anforderungen an Daten erhebende Personen bei der Volkszählung. 285 Dazu Teil 1 Kap. 2 § 3 C. 286 Dazu Teil 1 Kap. 2 § 1 A. II.; Teil 1 Kap. 1 § 1 C. 1. c); Teil 3 § 3 B. II. 9. 287 Dazu Teil 2 Kap. 2 § 2 B.

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C. Fazit: Der juristische Wert der Kriterien für die Rationalisierung der Abwägung Damit ergibt sich in Zusammenschau der unter A. und B. zusammengefassten Beobachtungen ein bunter Strauß von fixen Kriterien, die bei der Frage nach einer verfassungsmäßigen Lösung des Konflikts zwischen den individuellen Persönlichkeitsrechten und dem kollektiven Anspruch auf Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes, anderer Herrschaftsmechanismen der DDR und der sowjetischen Besatzungszone und der nationalsozialistischen Vergangenheit zu berücksichtigen sind. Es bleibt die Frage zu klären, wie sich diese Kriterien zueinander verhalten und welches Gewicht jedem einzelnen Kriterium im Rahmen der Abwägung zukommt. Allerdings muss der Versuch, eine gleichsam mathematisch-logische Erfassungsmethode für den Abwägungsvorgang, die zu einem einzigen richtigen Ergebnis führt, zu finden, scheitern.288 Es lässt sich nicht ausmachen, welches Kriterium in der Waagschale der Verhältnismäßigkeit welches Gewicht hat, zumal sich mehrere Kriterien bei einem Rechtsgut auch überschneiden können.289 Nach der hier vertretenen Auffassung lässt sich lediglich eine Aussage darüber treffen, welche Vergleichskriterien zu beachten sind. Die von Hubmann290 und Alexy291 und darauf aufbauend von Clérico292 vorgeschlagenen mathematischen Abwägungsregeln sind freilich logisch. Sie stellen aber nichts weiter als eine mathematische Umschrift der Je-desto-Formel293 dar, die keinerlei Mehrwert bietet. Sie präzisieren den Abwägungsprozess in keinerlei Weise. Zumindest Alexy und Clérico arbeiten scheinbar gänzlich ohne Konstante. Hubmann bietet zwar fixe Abwägungskriterien an. Allerdings sind diese fixen Abwägungskriterien keine Konstanten. Dies wären sie nur, wenn man annehmen würde, dass diese Kriterien a) abschließend sind und b) sich in Zahlenwerten ausdrücken lassen. Genau diesen Beweis bleibt Hubmann schuldig. Dieser Beweis lässt sich auch nicht erbringen.294 Hier hört die Logik auf. Hier fängt die Politik an. Weder lässt sich theoretisch oder/und praktisch begründen, warum nun bestimmten der hier herausgearbeiteten Kriterien der Vorzug oder Nachrang gegenüber anderen Kriterien gebühren soll. Daher beschränkt sich der juristische Wert des hier aufgestellten Kriterienkatalogs auf eine Sammlung von 288

K. Stern, Anm. 146, S. 819. So auch J. Würkner, DÖV 1992, 150 (152). 290 H. Hubmann, Anm. 177. 291 R. Alexy, Anm. 212, S. 146. 292 L. Clérico, Anm. 272, S. 147. 293 Je tiefer der Akt in ein Rechtsgut eingreift, desto höher sind die Anforderungen an die Rechfertigung des Eingriffs. Vgl. oben Teil 1 Kap. 1 § 3 B. 294 Dies sieht H. Hubmann, Anm. 177, S. 46 ff. auch. 289

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Standardkriterien, die abstrakt gesehen gleichrangig nebeneinander stehen.295 Sie alle hat der jeweilige Akteur bei der Abwägung zu berücksichtigen und aus ihrer „Quersumme“ – die sich selbstverständlich wiederum nur einzelfallbezogen ermitteln lässt – ein Ergebnis zu formulieren. Eine Art Rosinentheorie, die es dem jeweiligen Akteur überlässt, nach Belieben auf das eine oder andere Kriterium zu rekurrieren, ist indes nicht haltbar und würde den hier unternommenen Versuch der Rationalisierung des Abwägungsvorgangs ad absurdum führen. Zutreffend ist gleichwohl, dass auch hier dem jeweiligen Akteur im Hinblick auf die Relevanz und das Gewicht der einzelnen abstrakten Kriterien (= wenn man will deren Zahlenwert) im konkreten Einzelfall ein Einschätzungsspielraum bleibt. Ihn trifft dann aber die Begründungspflicht. Dass sich darüber hinaus in einer wirklichen Pattsituation, in der für alle kollidierenden Rechtsgüter gleichermaßen gewichtige Argumente sprechen, eine abstrakte Vorrangregel zu Gunsten des einen oder anderen der hier vorgestellten Kriterien der Rechtsprechung entnehmen lässt, kann nicht nachgewiesen werden.296 Hier müsste dann das Ideal der Rationalität der Rechtssicherheit – dem Verbot des non liquet – weichen.

Zusammenfassende Thesen zu Teil 1 Kapitel 1 1. Dem Streit um den Zugang zu den Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR liegt ein mehrdimensionaler Interessenkonflikt bestehend aus verschiedensten kollektiven, individuellen und wirtschaftlichen Interessen zugrunde. 2. Der hinter der Regelung der §§ 32, 34 StUG stehende Grundkonflikt ist in erster Linie ein Konflikt zwischen dem kollektiven Interesse an der Aufarbeitung der Tätigkeit des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes, der anderen Herrschaftsmechanismen der DDR und der sowjetischen Besatzungszone sowie der nationalsozialistischen Vergangenheit und dem Individualinteresse der von der Herausgabe betroffenen Personen am Schutz ihrer Persönlichkeit. 3. Es handelt sich mithin bei diesem Interessenkonflikt nicht um das klassische Spannungsfeld zwischen dem Anspruch der Presse und Forschung auf Zugang zu personenbezogenen Informationen und dem individuellen Persönlichkeitsschutz. Regelungsziel ist nicht die Garantie der Presseund Forschungsfreiheit, sondern die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes durch Forschung und Presse. 295

Ähnlich auch K. Larenz, Methodenlehre, S. 413. Eine solche Regel stellt L. Clérico, Anm. 272, S. 214 auf, ohne sie jedoch zu beweisen. 296

Kap. 1: Dogmatische Anforderungen an den Abwägungsprozess

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4. Ohne das Regelungsziel der Aufarbeitung hätte es eines sich von den allgemeinen Archivgesetzen unterscheidenden Sondergesetzes nicht bedurft. Ohne das Regelungsziel der Aufarbeitung hat die BStU keine Existenzberechtigung. Ohne das Regelungsziel der Aufarbeitung hätten die rechtswidrig erhobenen Unterlagen nicht herausgegeben werden dürfen. 5. Die Auflösung dieses Interessenkonflikts begegnet zwei grundlegenden Schwierigkeiten. Zum einen sind bereits die miteinander auszutarierenden Interessen, namentlich das Interesse an der Aufarbeitung und das Interesse am allgemeinen Persönlichkeitsschutz aufgrund ihres Abstraktionsgrades kaum greifbar. Zum anderen ist es der Staatslehre bislang nicht gelungen, rational nachvollziehbare, vom spezifischen Einzelfall unabhängige Kriterien für die Abwägung von miteinender konfligierenden Interessen zu identifizieren. 6. Ausgangspunkt für die Lösung des Interessenkonflikts muss daher die Frage nach der Existenz von abstrakten abwägungsleitenden Kriterien sein. Sie bilden den Maßstab anhand dessen das Gewicht bzw. der Wert der widerstreitenden Interessen im Abwägungsprozess bestimmt werden kann. Quelle einer derartigen Werthierarchie kann allein die Rechtsordnung sein. 7. Eine grobe Werthierarchie spiegelt der Stufenbau der Rechtsordnung wider. Je höher die das betroffene Rechtsgut schützende Norm in der Normenhierarchie steht, desto höher ist ihr Gewicht in der Waagschale, desto höher sind die Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffs. 8. Diese Werthierarchie lässt weiterhin verfeinerte Relationssätze zu, die auch eine Differenzierung in der Gewichtung von Rechtsgütern gleicher normenhierarchischer Zuordnung erlauben. Je enger, je dichter die Bezugspunkte eines Rechtsgutes zu einem verfassungsrechtlich abgesichertem Interesse sind, desto schwerer wiegt dieses Rechtsgut. Das Gewicht eines Rechtsgutes wird zudem erhöht, je dichter die Bezugspunkte zu einem der durch Art. 79 Abs. 3 GG abgesicherten Rechtsgüter sind. 9. Darüber hinaus lässt sich der Rechtsprechung die erschwerende Berücksichtigung von Rechtsgütern mit einer doppelten Zielrichtung, also Rechtsgüter die nicht allein dem Individualschutz, sondern auch dem Schutz von Gemeinschaftsinteressen dienen, in der Abwägung entnehmen. 10. Demgegenüber lässt sich für das Verhältnis zwischen Individualrechtsgütern und kollektiven Rechtsgütern aus der Verfassung kein Rangverhältnis ableiten. Auch wiegen Rechtsgüter, die den Schutz durch vorbehaltlose Rechte erfahren haben, nicht schwerer. Auch lässt sich dem Grundgesez weder eine Beweislastregel in dubio pro libertate noch eine Beweislastregel in dubio pro communitate entnehmen.

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

11. Für die weitere Untersuchung des Regelungskonflikts zwischen dem Aufarbeitungsanliegen und dem Allgemeinen Persönlichkeitsschutz folgt, dass neben der begrifflichen Klärung der beiden beteiligten Rechtsgüter auch ihr abstraktes Gewicht zu bestimmen ist. Dabei muss das Augenmerk insbesondere auf der normenhierarchischen Einordnung und der Bezugsdichte des Aufarbeitungsauftrages zu verfassungsrechtlich abgesicherten Rechtsgütern liegen.

Kapitel 2

Bestimmung des abwägungsrelevanten Materials Nachdem im ersten Kapitel der Vergleichsmaßstab, an dem die miteinander auszutarierenden Rechtsgüter zu messen sind, herausgearbeitet wurde, geht es im zweiten Kapitel darum, das kollektive Interesse an der Aufarbeitung einerseits und das individuelle Interesse am Persönlichkeitsschutz andererseits zu definieren und sodann am Maßstab der im ersten Kapitel herausgearbeiteten Kriterien zu gewichten. An dieser für die §§ 32, 34 StUG so grundlegenden Gegenüberstellung der beiden Rechtsgüter fehlt es in der Literatur bislang. Dies obgleich der Grundkonflikt zwischen Aufarbeitung und allgemeinem Persönlichkeitsschutz keinesfalls einen auf die §§ 32, 34 StUG beschränkten Einzelfall darstellt. Ob Mauerschützenprozess297, die Auseinandersetzungen um die Sonderkündigungstatbestände298, der Honecker-Prozess299 oder das KrenzUrteil300, hinter allen Fällen verbirgt sich ein und derselbe Grundkonflikt: Aufarbeitung vs. Allgemeines Persönlichkeitsrecht. 297

BVerfG, Beschluss v. 24. Oktober 1996, Mauerschützen, BVerfGE 95, 96. BVerfG, Beschluss v. 4. April 2001, MfS/AfNS, BVerfGE 103, 310; BVerfG, Beschluss v. 21. September 2000, Anwaltszulassung eines ehemaligen Strafrichters, NJ 2001, 32; BVerfG, Beschluss v. 4. Mai 1998, Richterübernahme, NJW 1998, 2592; BVerfG, Beschluss v. 13. Februar 1998, Sonderkündigungstatbestände, ZBR 1998, 352; BVerfG, Beschluss v. 1. Oktober 1997, SED-Funktionär, ZBR 1998, 168; BVerfG, Beschluss v. 21. April 1994, Hauptamtlicher Mitarbeiter, NJ 1994, 316; BVerfG, Beschluss v. 2. März 1993, Sonderkündigung, DtZ 1993, 277. 299 BVerfG, Beschluss v. 21. Januar 1991, Honecker I, NJW 1993, 915; BVerfG, Beschluss v. 11. November 1992, Honecker II, BVerfGE 87, 331; BVerfG, Beschluss v. 11. November 1992, Honecker III, BVerfGE 87, 334; BVerfG, Beschluss v. 17. Dezember 1992, Honecker IV, EuGRZ 1992, 624; VerfH Bln, Entscheidung v. 12. Januar 1993, Honecker V, NJW 1993, 515; BVerfG, Beschluss v. 14. Juli 1994, Honecker VI, BVerfGE 91, 125. 300 BVerfG, Beschluss v. 12. Januar 2000, Krenz I, NJW 2000, 1480; BVerfG, Urteil v. 24. Januar 2001, Krenz II, BVerfGE 103, 44. 298

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§ 1 Der Rechtsauftrag zur Aufarbeitung Während das Bundesverfassungsgericht in seiner ständigen Rechtsprechung immer wieder Gelegenheit hatte, zur Bedeutung, zum Gehalt, zur Reichweite und zur Begrenzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts Stellung zu nehmen, fehlt es bereits ansatzweise an einer Auseinandersetzung mit dem Rechtsauftrag zur Aufarbeitung.301 Es fehlt – wie gezeigt – nicht nur an einer rechtlichen Verortung dieses Schutzgutes. Es fehlt bereits an einer Definition der Aufarbeitung. Insofern verwundert es nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht der Bundesbeauftragten Birthler entgegenhielt, dass sie nicht einmal während des Verfahrens in der Lage gewesen sei, den Aufarbeitungszweck konkret zu umreißen.302 Literatur und Rechtspraxis behelfen sich mit dem Rückgriff auf Begrifflichkeiten wie „Gemeinwohlgrund/interesse“303, „überwiegender Gemeinwohlbelang“304, „herausragendes Interesse“305, „öffentliches Interesse“306, „Allgemeininteresse“307, „bedeutsames Gemeinwohlinteresse“308 oder gar „Nebelbegriff“309 oder „Jargonausdruck“310 – Begrifflichkeiten, die weder eine inhaltliche Präzisierung bieten noch über die Verfassungsrelevanz irgendeine Aussage treffen.311 Sie führen zu keiner Konkretisierung. Im 301 Zu Recht weist M. Kleine-Cosack, Anm. 137, 350 (351), darauf hin, dass es an einer Rechtsprechung zum Thema fehle. 302 Hierauf verweist auch Kleine-Cosack in seiner Stellungnahme vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 21 (23); ders. Anm. 137. Anzumerken bleibt, dass das Gericht die zwei von der Behörde zur Herausgabe bestimmten Aktenordner, die ihm von der Birthler-Behörde zur Verfügung gestellt wurden, auch nicht ansah. Aus ihnen hätte sich aber zumindest teilweise ergeben, wie weit die Behörde den Aufarbeitungszweck fasst. 303 Stellungnahme vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 42. 304 A. Dix, VIZ 2003, 1 (2). 305 Gesetzesentwurf Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 12/692, Bd. 429. 306 BVerwG, Urteil v. 24. Juni 2004, Kohl IV, BVerwGE 121, 115 (129). 307 § 16 Abs. 1 Gesetzesentwurf Bündnis 90/Die Grüne, BT-Drs. 12/692, Bd. 429. 308 R. Derksen, Anm. 36, 551 (553). 309 Badura, Stellungnahme v. 10. August 1991 im Innenausschuss des Dt. BT am 27. August 1991, Ausschuss-Drs. 12/14. 310 Ebd. 311 So schreibt K. Stern, Anm. 146, S. 341 (348 f.): „Der Begriff des Gemeinwohls müsse auf inhaltliche Kriterien weitgehend verzichten. Bei dem Wort Wohl handle es sich um ein Blankett, das auf eine Gesamtheit zu erfüllender Interessen hinweist. Diese umfassen die gesamte Breite möglicher Inhalte des Wünschens und entzögen sich damit notwendig jedem Versuch einer abschließenden konkreten Aufzählung. Der Begriff führe in Ermangelung einer inhaltlichen Präzisierung und damit

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Gegenteil: Aufarbeitung wird somit zum unbestimmten Rechtsbegriff im unbestimmten Rechtsbegriff. Daher darf es auch nicht verwundern, wenn Kleine-Cosack meint, das Gemeinwohl sei im Zusammenhang mit § 32 StUG nur ein „vorgeschobener Zweck“312; allenfalls sei die Aufarbeitung ein „untergeordneter Zweck“313, der sich von dem des Bundesarchivgesetzes gar nicht unterscheide. In der Konsequenz führt diese Praxis zu einem gänzlichen Zurücktreten des Aufarbeitungsanliegens zu Gunsten des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, in der schlimmstenfalls auf den vom Gesetzgeber verlangten Abwägungsvorgang ganz verzichtet wird.314 Damit sind die Rahmenpunkte für die rechtliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsauftrag zur Aufarbeitung abgesteckt: Ziel muss zunächst die Klärung des Begriffs „Aufarbeitung“ sein. In einem zweiten Schritt wird die Rechtsnatur des Aufarbeitungsauftrages näher zu beleuchten sein. Erst die Klärung dieser Vorfragen lässt eine Aussage über das Gewicht des Aufarbeitungsauftrages in der Abwägung mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht überhaupt zu.

A. Zum Begriff der Aufarbeitung „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?“ – fragte bereits Adorno in seinem gleichnamigen, 1959 erschienenen Aufsatz.315 Viel wurde hierüber reflektiert.316 Kritik geübt wurde dabei aber nicht – wie die meisten fehlenden Handhabbarkeit zu einer Abwertung dahinter stehender Güter.“ In diese Richtung geht im Ergebnis auch A. Bleckmann, in: Die Entwicklung der Allgemeininteressen aus den Grundrechten der Verfassung, S. 14, der das hinter dem Gemeinwohl stehende Kollektivinteresse auf die Grundrechte zurückführt, aber zugleich feststellt, dass das Gemeinwohl ohne inhaltliche Präzisierung, die auch nur einzelfallspezifisch vorgenommen werden kann, eine leere Hülse darstelle. Ch. Engel, Anm. 153, S. 103 ff.: „Die Figur des legitimen Ziels ist das dogmatische Einfallstor für sozialwissenschaftliche und philosophische Überlegungen.“ 312 M. Kleine-Cosack, Anm. 137, 350 (351). 313 Kleine-Cosack, Stellungnahme vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 21 (23). 314 In diese Richtung geht Bachmaier (SPD), Stellungnahme vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, 41 mit Bezug auf Unterlagen, die durch Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis oder in die Unverletzlichkeit der Wohnung entstanden sind. 315 Th. W. Adorno, Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, in: Gesammelte Schriften, Bd. 10, Kulturkritik und Gesellschaft, Eingriffe, S. 555. 316 Vgl. nur Th. W. Adorno, ebd.; J. Habermas, in: Die Moderne ein unvollendetes Projekt. Philosophisch-politische Aufsätze 1977–1992; A. Grosser, Vergangenheitsbewältigung; D. Diner (Hrsg.), Ist der Nationalsozialismus Geschichte? W. Berg, VVDtStRL 51, 46; J. Gauck, Aufarbeitung der Vergangenheit als Voraussetzung für eine gemeinsame deutsche Zukunft; B. Pampel, Politik und Zeitgeschichte, Bd.

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Autoren meinten – an der Begrifflichkeit. Vielmehr stand die Frage, ob und wie Aufarbeitung der Vergangenheit vonstatten gehen soll, im Vordergrund der Diskussion.317 Hinzu kommt, dass Aufarbeitung zumeist mit strafrechtlicher Aufarbeitung in eins gesetzt wurde.318 Die eigentliche Begriffsklärung blieb sowohl bei Adorno als auch in der sonstigen sozialwissenschaftlichen Literatur offen.319 Die Frage für das Verständnis der §§ 32, 34 StUG so entscheidende Fragen: Was bedeutet Aufarbeitung und wer arbeitet wie lange auf, blieben somit unbeantwortet. I. Aufarbeitung als Rechtsbegriff Erst mit der Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag fand der Begriff Aufarbeitung Aufnahme in das bundesrepublikanische Recht.320 Er wurde damit zum Rechtsbegriff. Der Inhalt des Begriffs blieb jedoch weiterhin unklar. Auch die rechtswissenschaftliche Diskussion beschränkte sich in der Folgezeit auf die Erörterung der rechtlichen Aspekte des „Ob“ und des „Wie“ der Aufarbeitung.321 An die Begriffsklärung wagte sich in Literatur322 und Rechtsprechung323 niemand heran. 1/2/1995, 27; J. Vergau, Aufarbeitung von Vergangenheit vor und nach 1989; H. U. Wehler, Anm. 73; B. Schünemann, in: H.-M. Pawlowski/G. Roellecke (Hrsg.), ARSP Beiheft 65 (1996), 97; H. Schulze-Fielitz, DVBl. 1991, 893; E. Klein, Die Leistungsfähigkeit des Rechtsstaates bei der Aufarbeitung, in: Materialien der Enquete-Kommission, Überwindung der Folgen der SED Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit, 13. Wahlperiode, hrsg. v. Dt. Bundestag, S. 929; B. Pieroth, VVDStRL 51, 91; H. Quaritsch, Der Staat 1992, 519; U. Battis (Hrsg.), Vergangenheitsbewältigung durch Recht; Ch. Starck, VVDStRL 51, 7. 317 Sehr deutlich kommt dies im Aufsatz v. H. G. Hockerts, Die Politische Meinung 309 (1995), 35 (39), der sich in seinem Aufsatz „Schwamm drüber?“ nicht gegen die Aufarbeitung wehrt, sondern den Sinn der strafrechtlichen Aufarbeitung bezweifelt und demgegenüber die Bedeutung anderer Aufarbeitungsmethoden herausstellt. 318 Vgl. nur B. Schünemann, Anm. 316. 319 Die einzige intensivere Auseinandersetzung mit dem Begriff findet sich bei J. Vergau, Anm. 316. 320 Darüber hinaus findet sich der Begriff Aufarbeitung in den Art. 1 Abs. 1 Nr. 3, Art. 32, 34 StUG sowie in Art. 117 der Sächsischen Verfassung. 321 Vgl. nur R. Dreier, ZG 4/93, 300 (303); W. Berg, Anm. 316; H. Schulze-Fielitz, Anm. 316; E. Klein, Anm. 316; M. Kloepfer, Verfassungsgebung als Zukunftsbewältigung aus Vergangenheitserfahrung; B. Pieroth, Anm. 316. 322 So R. Dreier in seinem Vortrag „Juristische Vergangenheitsbewältigung“, S. 10. Auch in den Diskussionen der 51. Staatsrechtslehrertagung zum Thema: „Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Vergangenheit“, VVDtStRL 51, 113 ff., wurde die Begriffsdiskussion nicht aufgegriffen. 323 BVerfG, Beschluss v. 23. September 2000, IM-Listen IV, NJW 2000, 2413 (2415) = EuGRZ 2000, 242 (245); VG Berlin, Urteil v. 17. September 2003, Kohl

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Gerade dem Begriff der Aufarbeitung kommt aber – wie gezeigt – für das Verständnis der Regelung der §§ 32, 34 StUG eine Schlüsselfunktion zu.324 Das „Ob“ und das „Wie“ der Aufarbeitung hat der Gesetzgeber zumindest in den §§ 32, 34 StUG gelöst. Dass aufgearbeitet werden soll und muss, legt § 1 Abs. 1 Nr. 3 StUG fest. Wie aufgearbeitet werden soll, und zwar u. a. durch Herausgabe der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes an Forschung und Medien, ist in den §§ 32, 34 StUG unmissverständlich klargestellt. Selbst die Frage, „was“ aufzuarbeiten ist wird in den §§ 32, 34 StUG konkretisiert: die Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes, andere Herrschaftsmechanismen der DDR und der sowjetischen Besatzungszone sowie die nationalsozialistische Vergangenheit. Was bleibt, ist die Frage: „Was bedeutet Aufarbeitung?“. Fehlt es – wie im Fall der Aufarbeitung – an einer eigenständigen juristischen Begriffsbildung durch die Rechtspraxis und lassen sich aus der rechtssystematischen Verwendung des Begriffs keine weitergehenden Schlüsse ziehen, so ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber hier den Begriff entsprechend dem gewöhnlichen Sprachgebrauch verwandt hat.325 1. Begriff ohne eigenständigen materiellen Gehalt Eine Auseinandersetzung mit dem Begriff Aufarbeitung findet sich in Wörterbüchern nur selten. Etymologische Wörterbücher kennen den Begriff nicht.326 Dies ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass der Begriff erst 1959 entstand327, zum anderen der Tatsache, dass das Wort zumeist synonym mit dem geläufigeren und nicht minder umstrittenen Begriff Vergangenheitsbewältigung verwandt wird328. Brockhaus329 unterscheidet beim III, NJW 2004, 457 (460); BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, BVerwGE 121, 115 (129 f.). 324 G. F. Schuppert, Anm. 71, 105 (106). Vgl. dazu Einleitung § 2 C. 325 Zur heuristischen Bedeutung sozialwissenschaftlicher Begriffe für das Recht, vgl. B. Schünemann, Anm. 316, 97–106. 326 Auf die etymologische Auseinandersetzung mit den Einzelbestandteilen des Begriffs „Auf“ und „Arbeit“ wird an dieser Stelle verzichtet, da sie für die hier verfolgten Zwecke nicht weiterführend ist. 327 Der Begriff geht auf den eingangserwähnten Aufsatz v. Th.W. Adorno zurück, Anm. 315. 328 So die synonyme Verwendung bei R. Dreier, Anm. 321, 300: „Vergangenheitsbewältigung [. . .] ist [. . .] Aufarbeitung“; ders. Juristische Vergangenheitsbewältigung; aber auch Stellungnahme des Parlamentarischen Staatssekretärs Lintner, Stenograph. Bericht, 633. Sitzung des BR, S. 313 ff.; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 423 (426); F. G. Schuppert, Anm. 71, 105. Ausführlich zur Begriffskritik A. Blankenagel, ZNR 1991, 67; P. Dudek, Aus Politik und Zeitgeschichte 1/2/1992, 44. „Sofern es überhaupt ein Bewältigen der Vergangenheit gibt, besteht es im

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Begriff der Aufarbeitung zwischen drei Deutungsmöglichkeiten: Erstens: Liegengebliebenes nacharbeiten, aufholen, nachholen; zweitens: Probleme gründlich erarbeiten; drittens: etwas auffrischen, neu herrichten. Der Duden330 versteht unter Aufarbeitung eine zusammenfassende Betrachtung und Erarbeitung, um sich mit etwas auseinanderzusetzen. Gemein sind diesen Definitionen zwei Elemente: eine auf ein bestimmtes in der Zukunft liegendes Ziel gerichtete Tätigkeit und ein in der Vergangenheit liegendes Ereignis oder liegender Umstand als Anlass der Tätigkeit. Unklar bleibt das Ziel331, unklar bleibt aber auch die Methode der Zielerreichung. 2. Kontextbezogene Begriffserschließung Was unter dem Begriff Aufarbeitung jeweils zu verstehen ist, welches Ziel womit erreicht werden soll, lässt sich nur aus dem Kontext seiner Verwendung herleiten.332 Dieser Kontext bestimmt sich durch den Gegenstand, durch den Umstand oder das Ereignis, das „aufgearbeitet“ werden soll. Im hier interessierenden Zusammenhang des Stasi-Unterlagen-Gesetzes geht es um zwei Gegenstände, um die Aufarbeitung der Tätigkeit der Herrschaftsmechanismen der DDR (inkl. des Staatssicherheitsdienstes) und um die nationalsozialistische Vergangenheit.333 Abstrakt geht es – ohne dass die politische Diskussion um die Qualifizierung des DDR-Systems hier noch einmal aufgegriffen werden soll334 – um die Aufarbeitung von Diktaturen und systematischen Menschenrechtsverletzungen335, also um das, was gemeinhin unter Aufarbeitung der Vergangenheit336, Vergangenheitsaufarbeitung337 Nacherzählen dessen, was sich ereignet hat“, H. Arendt, Menschen in finsteren Zeiten, S. 13 ff. 329 H. Brockhaus/G. Waring, Deutsches Wörterbuch, Bd. 1, Stichwort – Aufarbeitung. 330 Duden, Bd. 1, Stichwort – Aufarbeitung, S. 315. 331 So auch E. Klein auf der Staatsrechtslehrertagung 1991: „Für mich stellt sich eine zusätzliche Frage [. . .], nämlich die Frage des Wozu; d.h. die Frage nach der Funktion der rechtsstaatlichen Bewältigung vor-rechtstaatlicher Vergangenheit“, VVDtStRL 51, 120. 332 So auch H. Schulze-Fielitz, Anm. 316, 896; J. Vergau, Anm. 316, S. 19. 333 § 32 Abs. 1,4; 34 StUG. 334 Vgl. dazu den Artikel: Was war die DDR?, Die Zeit v. 26. Juni 2006. 335 Teilweise wird der Begriff, was für den hier vorliegenden Untersuchungsgegenstand nicht weiter von Relevanz ist, auch unabhängig von einer Diktatur allein im Kontext von systematischen Menschenrechtsverletzungen gebraucht. 336 Vgl. nur Th. W. Adorno, Anm. 315; J. Habermas, Anm. 316; J. Gauck, Anm. 316; W. Berg, Anm. 316; B. Pampel, Anm. 316; J. Vergau, Anm. 316. 337 Vgl. nur J. McAdams, DA 2003, 851; P. Häberle, Wahrheitsprobleme im Verfassungsstaat, S. 75.

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oder konkreter Aufarbeitung der vorrechtstaatlichen Vergangenheit338 verstanden wird.339 „Ziel“ sei es dabei – so der ehemalige thüringische Minister Böck anlässlich der Schlussberatungen zum Stasi-Unterlagen-Gesetz –, „das System zu entlarven, seine Wirkungsmechanismen offenzulegen.“340 In die gleiche Richtung geht Quaritsch: „Aufarbeitung soll wohl die umfassende Ermittlung und Darstellung der illegitimen Vergangenheit erbringen.“341 Beide Definitionen erschöpfen sich in der Darstellung vergangener Verhältnisse. Eine weitergehende Zielsetzung lässt sich den Ausführungen nicht entnehmen. Anders Gauck. Er sieht das dem Begriff immanente Ziel nicht nur in der Offenlegung von Tatsachen. Ziel sei es, „Wissen, Mündigkeit und Verantwortungsbereitschaft zu erzeugen“342. Auch nach Limbach haftet dem Begriff Aufarbeitung eine gewisse Zielvorstellung an. Ihrer Auffassung nach ist Aufarbeitung die Aufklärung der Öffentlichkeit über Kontrollmechanismen einer Diktatur. Darüber hinaus ziele sie auf die Verhinderung der erneuten Etablierung von Diktaturen.343 Die Offenlegung der Vergangenheit, im Sinne einer Darlegung der Fakten, ist auch hier nur Mittel zum Ziel bzw. mittelbares Ziel. Bei näherer Betrachtung ist der Unterschied im Begriffsverständnis zwischen Böck und Quaritsch einerseits und Limbach und Gauck andererseits nur scheinbarer Natur. Auch Böck und Quaritsch assoziieren mit Aufarbeitung das Ziel, einer Wiederkehr der – wie sie Quaritsch bezeichnet – illegitimen Vergangenheit entgegenzuwirken. Dies lässt sich ihren weiteren Ausführungen entnehmen. So meint Quaritsch, es ginge bei Aufarbeitung um 338 Vgl. nur B. Pieroth, Anm. 316; H. Schulze-Fielitz, Anm. 316; B. Schünemann, Anm. 316; Ch. Starck, Anm. 316. 339 Kritisch zum Bezugspunkt Vergangenheit, A. Blankenagel, Anm. 328, 68. Fest steht – so auch Blankenagel –, dass sich die Begriffe Vergangenheitsbewältigung und Vergangenheitsaufarbeitung im Sprachgebrauch stets auf einen konkreten Zeitabschnitt der Diktatur und nicht auf die Vergangenheit als Ganze beziehen. 340 Stenograph. Bericht, 638. Sitzung des BR, S. 585 ff.; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 428 (429). 341 H. Quaritsch, Anm. 316, 522. 342 Gauck, Öffentliche Anhörung der Sachverständigen v. 27. August 1991, Stenograph. Protokoll der 12. Sitzung des Innenausschusses des Dt. BT; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 437 (440). Ähnlich auch P. Häberle, Anm. 337, der die Zielrichtung des Begriffs jedoch noch abstrakter fasst. Aufarbeitung sei das „Freimachen der Wege in eine bessere verfassungsstaatliche Zukunft“. Ähnlich auch M. Birthler, 6. Tätigkeitsbericht, www.bstu.bund.de, Einleitung, S. 6: Aufarbeitung diene der Kultur des Erinnerns und damit der Festigung bzw. dem Aufbau der Zivilgesellschaft. 343 J. Limbach, in: BStU (Hrsg.), Zehn Jahre Stasi-Unterlagen-Gesetz/Zehn Jahre Aufarbeitung, S. 25 (32).

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einen „gesellschaftlichen Lernprozess“344. Böck meint später, es gelte, Nostalgikern entgegenzuwirken.345 Genau dieser Gefahr der erneuten Etablierung totalitärer Strukturen durch die Verklärung und das Vergessen des nationalsozialsozialistischen Unrechts versuchte Adorno mit dem, was er dann unter den Obergriff „Aufarbeitung“ fasste, entgegenzutreten.346 Bewusst wählte er nicht den Begriff „Vergangenheitsbewältigung“, sondern Aufarbeitung, um die eigenständige Zukunftsdimension, die er dem Umgang mit der Vergangenheit beimisst, auch sprachlich kenntlich zu machen.347 Bewusst griff er nicht auf den etablierten Begriff der Aufklärung zurück, um die dem Begriff der Aufarbeitung anhaftende eigene Zielvorstellung herauszukehren.348 Nach ihm sollte es nicht schlechthin um die Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit gehen.349 Nicht der mündige Bürger, sondern die Verhinderung einer neuen Diktatur ist das Ziel Adornos. Die Bereitstellung des Wissens um die Vergangenheit war bei ihm nur Mittel zum Zweck. Adorno hielt sie nicht für ausreichend. Er misstraute dem dem Kantschen Konzept der Aufklärung zugrunde liegenden Automatismus von Wissen und vernünftigen Entscheidungen und forderte daher mit der Aufarbeitung eine Erkenntnisleitung.350 Beide Elemente: der Vorgang des Offenlegens der totalitären Vergangenheit und das Ziel, die Wiederkehr totalitärer Strukturen zu unterbinden, finden im Begriffsverständnis der Rechtsprechung ihre Entsprechung. So dient die Aufarbeitung nach dem Listen-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 344

H. Quaritsch, Anm. 316, 522 Fn. 6. Stenograph. Bericht, 638. Sitzung des BR, S. 585 ff.; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 428 (429). 346 Th. W. Adorno, Anm. 316. 347 In diesem Sinne lehnte auch W. Thierse im Forum der Wissenschaft, Die Zeit v. 12. Dezember 2003, den Begriff ‚Vergangenheitsbewältigung‘ ab: „Ich fand immer das Wort ‚Aufarbeitung‘ treffender, weil ich damit ein bestimmtes Bild verbinde: Früher zu sparsameren Zeiten wurden Kleider aufgearbeitet. Ein altes Hemd bekam etwa einen neuen Kragen und mir scheint, diese Arbeit müssen wir immer noch mit unserer Geschichte leisten, damit wir sie als Kleid in der Gegenwart tragen können.“ 348 Zum Begriff der Aufklärung und dem ideengeschichtlichen Hintergründen vgl. E. Bahr (Hrsg.): Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen. 349 Vgl. I. Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung. Beginn des Traktats, in: J. H. Tieftrunk (Hrsg.), Immanuel Kant’s vermischte Schriften, Bd. 5: Aufklärung sei der „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Hilfe eines anderen zu bedienen“. 350 Adorno hat Aufklärung allein als nicht hinreichend, um der Gefahr der Restauration des Totalitarismus entgegenzuwirken, angesehen. Zu Adornos Kritik der Aufklärung vgl. Th. W. Adorno/M. Horkheimer, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. 345

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dazu, „eine Anschauung darüber zu vermitteln, welchen Gefahren Freiheitsrechte der Bürger ausgesetzt werden können, wenn die Sicherung eines freiheitlichen Rechtsstaates außer Kraft gesetzt wird“.351 Das Verwaltungsgericht Berlin hebt demgegenüber die Zielkomponente des Begriffs hervor: Ziel sei „die Schärfung des Bewusstseins für die von Diktaturen ausgehenden Gefahren“ und damit „die Festigung des demokratischen Bewusstseins“.352 Allein diese Zielvorstellung lag auch Adornos Überlegungen zugrunde. Im Laufe der Zeit, insbesondere im Zuge der Aufarbeitung des DDR-Unrechts, deutet sich im Sprachgebrauch teilweise allerdings eine die Zielsetzung betreffende „Erweiterung im Begriffsverständnis“ an. Zum Teil wird der Aufarbeitung neben der Sicherungsfunktion zugleich eine Wiedergutmachungsfunktion zugeschrieben.353 Zum Teil wird ihr eine Integrationsfunktion zugemessen.354 Ob es sich hierbei tatsächlich um einen Wandel im Begriffsverständnis handelt, oder ob es sich hier nicht vielmehr um verschiedene Impulse, die ebenfalls von der Aufklärung über vergangenes Unrecht ausgehen können, handelt, kann nicht abschließend beantwortet werden. Fest steht, dass in der Entstehungsgeschichte des Stasi-Unterlagen-Gesetzes alle drei Funktionen eine Rolle gespielt haben. Fest steht auch, dass zwischen Wiedergutmachung und Integration einerseits und Demokratiesicherung und Totalitarismusabwehr andererseits ein innerer Zusammenhang besteht. Dieser lässt sich auf folgende Formel bringen: Wiedergutmachung ist eine Voraussetzung für gesellschaftliche Aussöhnung von Tätern und Opfern. Gesellschaftliche Aussöhnung ist die Voraussetzung für eine stabile Gesellschaft.355 Nur in einer stabilen Gesellschaft ist Demokratie überhaupt möglich. Eine instabile Gesellschaft hingegen bietet den Nährboden für den Aufbau totalitärer Strukturen. Auch die Integration einer gespaltenen Ge351 BVerfG, Beschluss v. 23. September 2000, IM-Listen IV, NJW 2000, 2413 (2415) = EuGRZ 2000, 242 (245). 352 VG Berlin, Urteil v. 17. September 2003, Kohl III, NJW 2004, 457 (460). 353 Stellungnahme Marx vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 50 (51). 354 Grundlegend auch J. Habermas, der Adornos Anliegen der Aufarbeitung theoretisch weiter untermauerte, Anm. 316, S. 242 ff.; J. Gauck, Anm. 316; D. Grimm, KritV 1990, 148 (152); J. Vergau, Anm. 316, S. 11 ff.; A. Blankenagel, Anm. 328, 68 (81 f.); BT-Drs. 12/692, Bd. 429. Ähnlich auch Wiefelspütz, Stenograph. Bericht der 31. Sitzung des Dt. BT v. 14. November 1991, S. 2358; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 375 (392). So heißt es im Anschlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der Diktatur“: Ziel der Erinnerung sei nicht nur „niemals wieder den Irrweg einer totalitären Herrschaft zu beschreiten“. Ziel sei auch die Identitätsstiftung im vereinten Deutschland. 355 „Innere Einheit und Versöhnung gibt es nur auf der Basis der historischen Wahrheit“ – so auch G. Werle, Transodra 16, September 1997, 64 (69.).

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sellschaft ist Voraussetzung für ihre Stabilität.356 Eine Demokratie in einer zerfallenen Gesellschaft kann keinen Bestand haben. 3. Elemente der Begriffsdefinition Zusammenfassend lassen sich im Zusammenhang mit Diktaturen folgende Elemente einer Begriffsdefinition des Begriffs der (Vergangenheits-)aufarbeitung erkennen: Erstens: Aufarbeitung ist der Oberbegriff für einen gesellschaftlichen Prozess in einer post-diktatorischen Gesellschaft. Zweitens: Gegenstand dieses Prozesses ist die Offenlegung und Auseinandersetzung mit dem diktatorischen System. Drittens: Ziel dieses Prozesses ist es, die Restaurierung einer Diktatur zu verhindern und das rechtsstaatlich-demokratische System zu festigen. Integration und Wiedergutmachung sind mittelfristige Ziele dieses Prozesses. Aufarbeitung steht für die bewusste Abkehr von der Politik des Verdrängens und Vergessens als eine Alternative des Umgangs mit Diktaturen. Aufarbeitung ist zukunftsgerichtet. Sie fußt auf der Annahme von der Bedingtheit von Künftigem, Gegenwärtigem und Vergangenem. Aufarbeitung ist damit Zukunfts-(nicht Vergangenheits-)bewältigung.357 Die konkrete Methode ist vom Begriff Aufarbeitung nicht umfasst, sie wird vielmehr erst durch die Hinzufügung von Adjektiven wie „historisch“, „politisch“ und „juristisch“ näher präzisiert.358 Historische Aufarbeitung meint dabei die objektive Erfassung und Darstellung der Diktatur. Politische Aufarbeitung umschreibt demgegenüber die wertende Auseinandersetzung mit der Diktatur.359 Im Ergebnis zeigen auch die hier vorgefundenen Elemente des Aufarbeitungsbegriffs nur Konturen auf. Ein klares greifbares Bild dessen, was sich hinter dem Begriff verbirgt, ist damit noch nicht erbracht, setzt ihr Ver356

Vgl. auch. M. Wilke, DA 1995, 5 (23). Ähnlich H. Schulze-Fielitz, Anm. 316, S. 896. „Aufarbeitung [. . .] meint eine zukunftsgerichtete Vergangenheitsbewältigung.“ Auch Schröder, vgl. Protokoll der 49. Sitzung der Enquete-Kommission, in: Dt. BT (Hrsg.), Materialien der Enquetekommission, Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit, 13. Wahlperiode des Deutschen Bundestages, Bd. II, 900 sieht eine Differenzierung in der Zielsetzung. Aufarbeitung sei im Gegensatz zur bloßen Vergangenheitsbewältigung stets zukunftsgerichtet. 358 Zu weiteren Formen der Aufarbeitung vgl. M. Bock, in: M. Bock/G. C. Behrmann/C. Albrecht, Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik, S. 242; P. Dudek, Anm. 328, 47. 359 Richtlinie der BStU v. 29. November 2004. 357

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ständnis doch vielmehr das Verstehen gleichermaßen unbestimmter Begriffe wie „Gesellschaft“, „Prozess“, „Diktatur“, „Wiedergutmachung“, „Integration“, „Rechtsstaat“ und „Demokratie“ voraus, die je nachdem, welches philosophische, soziologische oder politische Konzept man zugrunde legt, unterschiedlich belegt werden. Die umfassende Begriffsklärung kann diese Arbeit nicht erbringen. Sie muss anderen Arbeiten vorbehalten bleiben. Die der weiteren Analyse zugrunde gelegten Begrifflichkeiten werden daher nur insoweit – und dies auch weitgehend ohne Rückgriff auf konzeptionelle Hintergründe – definiert, wie dies für die aufgeworfenen juristischen Probleme unabkömmlich ist. II. Aufarbeitung als infiniter Prozess Die erste an den Begriff „Aufarbeitung“ zu stellende Frage ist die nach dem Zeitraum, auf den sich der unter diesem Begriff verstandene Gesellschaftsprozess bezieht. Handelt es sich um einen Dauerzustand oder nur um einen vorübergehenden Ausnahmezustand der Gesellschaft in der Konsolidierungsphase zu einem demokratischen System? Kurzum: Hat eine Gesellschaft irgendwann einmal zu Ende aufgearbeitet oder trägt sie die Last der Vergangenheit bis in alle Ewigkeit mit sich herum?360 Hat die Aufarbeitung der DDR-Diktatur bereits ihr natürliches Ende erreicht?361 Die vom Magazin „Der Spiegel“ 2006 in Auftrag gegebene Umfrage gibt eine klare Antwort: 56% der gesamtdeutschen Bevölkerung sind der Auffassung, dass es Zeit ist, einen Schlussstrich zu ziehen.362 Wenn dies bedeutet, dass sich der hinter dem Begriff Aufarbeitung stehende Gesellschaftsprozess erledigt hat, dann spielt dies nicht nur für den Abwägungsprozess eine Rolle. Der Fortfall der Aufarbeitung berührt vielmehr auch die Existenzberechtigung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und der BStU.363 Bereits 1992 stellten das Oberlandesgericht Naumburg und der Bundesgerichtshof im Listen-Beschluss für das Jahr 1992 fest, dass die Tätigkeit 360 In diese Richtung geht auch die Frage v. K. M. Groll, Wie lange haften wir für Hitler? Zum Selbstverständnis der Deutschen heute. 361 Vgl. schon Einleitung § 1 A. 362 Der Spiegel Nr. 20 (2006), S. 40. 363 Zur Zuständigkeitsverlagerung der BStU vgl. Mitteilung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung: http://www.bundesregierung.de/nn_774/Con tent/DE/Artikel/2001-2006/2005/11/2005-11-02-aufarbeitung-der-sed-diktatur.html (Stand: 15. März 2010). Vgl. Protest des Bürgerkomitees Leipzig, Pressemitteilung v. 3. Dezember 2004, http://www.havemann-gesellschaft.de/pm_137bstu.pdf (Stand: 15. März 2010).

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der Staatssicherheit nunmehr aufgearbeitet sei und insofern keine Notwendigkeit für die Offenlegung der Namen von Mitarbeitern und Begünstigten desselben mehr bestünde: „Das [. . .] Interesse, die Strukturen des MfS offenzulegen, rechtfertigt die Veröffentlichung ebenfalls nicht. Entscheidend ist der Zeitpunkt der Auslegung. Die Struktur des Stasi-Apparates und die Ausmaße seines Informantensystems sind mittlerweile weitgehend aufgedeckt und der Öffentlichkeit bekannt. Das mag in der Umbruchphase 1989/90 noch anders gewesen sein. Angesichts der Konsolidierung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den neuen Bundesländern und des damit erreichten Kenntnisstandes bestand im Juni 1992 für eine unspezifizierte öffentliche Benennung früherer inoffizieller Mitarbeiter kein Bedarf mehr.“364

Das Bundesverfassungsgericht widersprach in diesem Fall und sah auch im Jahr 2000 noch hinreichend Aufarbeitungsbedarf.365 Dieselbe Folgerung zog das Bundesverwaltungsgericht auch noch im Jahr 2004.366 Das Oberlandesgericht Frankfurt (Oder) meinte 2005 gar, das Aufarbeitungsinteresse läge auf der Hand und müsse nicht eigens verdeutlicht werden.367 Auch das Verwaltungsgericht Meinigen forderte noch 2005 von Beamten, die vor 1975 einmal hauptamtlich für den Staatssicherheitsdienst arbeiteten, hierüber Auskunft.368 Das Landgericht Köln ging auch noch 2007 explizit von einem „erheblichen öffentlichen Interesse“ an der Aufarbeitung aus.369 Ein solches sahen auch das Landgericht Zwickau und das Landgericht München 2009 noch als gegeben an.370 Dennoch verlagerte die Bundesregierung im Jahr 2005 die Birthler-Behörde vom Geschäftsbereich des Ministeriums des Inneren in den Zuständigkeitsbereich des Beauftragten für Kultur und Medien. In der gemeinsamen Presseerklärung des damaligen Bundesinnenministers Schily und der damaligen Beauftragten für Kultur und Medien Weiss wurde diese institutionelle Umstrukturierung zunächst ausschließlich mit der Schaffung eines kohärenten, sowohl die DDR-Diktatur als auch die NS-Diktatur einbeziehen364 OLG Naumburg, Urteil v. 25. November 1993, IM-Listen II, NJ 1994, 177 (178). Bestätigt durch BGHZ, Urteil v. 12. Juli 1994, Listen-Fall II, JZ 1995, 253 (254). 365 BVerfG, Beschluss v. 23. Februar 2000, IM-Listen IV, EuGRZ 2000, 243 (245). 366 BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, BVerwGE 121, 115 (129). 367 LG Frankfurt (Oder), Urteil v. 21. Oktober 2005, Lausitzer Rundschau, AfP 2006, 272 (273). 368 VG Meiningen, Beschluss v. 4. November 2005, Hauptamtliche Mitarbeit, 627/05. 369 LG Köln, Urteil v. 21. Dezember 2007, Gazprom Germania, 28 O 446/07. 370 LG Zwickau, Beschluss v. 6. März 2008, Ausstellung, 2 O 241/08 sowie LG München, Urteil v. 15. April 2009, Heinrich, 9 O 1277/09.

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den, Aufarbeitungsverbundes, nicht etwa mit dem Ende der Aufarbeitung – wie es anschließend in der Presse aufgenommen wurde371 – begründet.372 Gleiches gilt für die Empfehlungen der von der Bundesbeauftragen für Kultur und Medien ins Leben gerufene Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ vom 15. Mai 2006, die den Grundstein für eine spätere Unterwerfung der Stasi-Unterlagen unter die allgemeinen archivrechtlichen Regelungen und damit verbunden die Auflösung der Stasi-Unterlagenbehörde legt.373 All diese Entwicklungen deuten unbestritten einen Wandel hinsichtlich des Bedeutungsgrades der Aufarbeitung der DDR-Diktatur an. Dieser indiziert aber nicht notwendigerweise eine dem Begriff der Aufarbeitung immanente Finalität. Im Gegenteil: Am Fortbestand der Aufarbeitung wird auch durch die Expertenkommission nicht gerüttelt. Es werden lediglich entsprechend dem inzwischen erreichten Kenntnisstand und damit verbunden dem sinkenden öffentlichen Interesse an der Aufarbeitung neue, effektivere Aufarbeitungsmethoden gesucht.374 In diesem Sinne stellt sie als Ausgangsbasis ihrer Empfehlungen fest: „Historische Vergegenwärtigung und die Auseinandersetzung mit den Folgen einer belastenden Vergangenheit bilden einen nie abgeschlossenen Prozeß, der in demokratisch verfaßten Gesellschaften in ständigem Fluß bleibt und kontinuierlicher Erneuerung im gesellschaftlichen Diskurs unterliegt.“375

Dass die Staatspraxis nach wie vor nicht von einem Ende der Aufarbeitung ausgeht, zeigt sich ferner daran, dass die Frist für die Überprüfungen des Öffentlichen Dienstes, die Ende des Jahres 2006 auslaufen sollte, für herausgehobene Positionen bis 2011 verlängert worden ist.376 Wenn das primäre Anliegen der (Vergangenheits-)aufarbeitung darin bestehen soll, die Gesellschaft vor dem Einholen der Vergangenheit zu bewahren, 371

Spiegel Nr. 20 (2005), S. 40 ff. Pressemitteilung der Bundesregierung v. 3. Dezember 2004, http://archiv.bun desregierung.de/bpaexport/pressemitteilung/20/755020/multi.htm (Stand: 15. März 2010). 373 Empfehlungen der Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ v. 15. Mai 2006, S. 7. In Bezug auf den „richtigen Zeitpunkt“ haben sich die Experten nicht festgelegt. Diese hänge „von der gegenwärtig nicht abschätzbaren Bedeutung der MfS-Überlieferung für die gesellschaftliche Selbstverständigung in den kommenden Jahren und von der sich durchsetzenden politischen Überzeugung“ ab. Zum Ganzen vgl. auch M. Beleites, DA 2005, 102; S. Stokar von Neuform, DA 2005, 108. 374 So ist auch die Empfehlung der Expertenkommission, ebd., S. 9 zur Errichtung eines Dokumentations- und Forschungszentrums „Diktatur und Geheimpolizei“ zur ostdeutschen und europäischen Kommunismusgeschichte zu verstehen. 375 Empfehlungen der Expertenkommission, ebd., S. 4. 376 § 20 Abs. 1 Nr. 6 i. V. m. Abs. 3 StUG. 372

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dann könne Aufarbeitung nur dauerhaft sein.377 Denn die Anfälligkeit einer Gesellschaft für Diktaturen ist latent – egal in welcher Gesellschaft – stets gegeben. Die Forderung, aus der Geschichte zu lernen – so Dudek – richte sich daher nicht nur an jene Generation, die das Unrecht erlebt, ertragen, erlitten oder gestützt hat, sondern stets auch an die nachwachsenden Generationen als Mahnung und Verpflichtung.378 Aufarbeitung sei insofern ein infiniter Prozess in der jeweiligen Neugestaltung der Generationenverhältnisse.379 Ob dem so ist – eine Frage über die sich angesichts der recht kurzen Begriffsgeschichte nur spekulieren lässt – wird sich erst in der Verwendungspraxis des Begriffs in den kommenden Generationen zeigen.380 Das StasiUnterlagen-Gesetz jedenfalls geht nicht von einer Begrenzung des Aufarbeitungsauftrages aus. Eines scheint dennoch klar zu sein: Aufarbeitung ist als Gesellschaftsprozess eng mit dem Interesse, was ihr die Öffentlichkeit entgegenbringt, verquickt. Mit zunehmendem Zeitablauf, mit zunehmender Klärung der Vergangenheit und mit zunehmender Konsolidierung der Demokratie nimmt das öffentliche Interesse an der Aufarbeitung ab.381 Hieraus kann der Gesetzgeber, möglicherweise – wie noch zu untersuchen sein wird382 – auch nur der verfassungsändernde Gesetzgeber die Konsequenzen ziehen. Das heißt aber nicht, dass sich der Begriff Aufarbeitung bereits per definitionem nur auf einen Übergangszeitraum bezieht. 377

P. Dudek, Anm. 328, 44. P. Dudek, Anm. 328, 44. So auch J. Limbach, Anm. 343, S. 32, in Bezug auf die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes: „Mit dem Abstand vieler Jahre und nach einem gelungenen Systemwechsel schwindet in der Tat die Notwendigkeit, die Demokratie vor denjenigen zu schützen, die sich mit einer Diktatur gemein gemacht haben [. . .]. Dennoch: Der Aufklärungsbedarf über die Krake Stasi besteht uneingeschränkt fort. [. . .]. Die Aufbereitung des dort angesammelten Datenmaterials – so manipuliert es im Einzelfall auch immer sein mag – dient nicht allein der Erinnerung an die Opfer der DDR-Diktatur. [. . .] Die Strukturen, Methoden und Wirkungsweise der Diktatur wie des Ministeriums für Staatssicherheit interessieren uns aber auch um der Gegenwart willen. Denn dieses Wissen ist Garant für den Fortbestand einer zivilisierten Gesellschaft. Die weiterhin zu entschlüsselnde Wirkungsweise des Staatssicherheitsdienstes als ein Instrument der Diktatur ist ein notwendiger Kontrastbezug für die freiheitlich-rechtstaatliche Demokratie.“ 379 P. Dudek, ebd., 53. 380 Für eine Endlichkeit Verfassungsberater Mangoldt in der 5. Klausurtagung zur SächsVerf, abgedr. in: Schimpff/Rühmann (Hrsg.), Die Protokolle des Verfassungsund Rechtsauschusses zur Entstehung der Verfassung des Freistaates Sachsen, S. 360, der sich gegen ein Festhalten am Aufarbeitungsziel in der Sächsischen Verfassung aussprach. 381 Klarstellend in Bezug auf die Entscheidungen der Instanzgerichte im IM-Listen-Fall: „Es ist nicht Aufgabe eines staatlichen Gerichts einen Schlussstrich unter eine Diskussion zu ziehen oder eine Debatte für beendet zu erklären“, BVerfG, Beschluss v. 23. Februar 2000, IM-Listen IV, EuGRZ 2000, 243 (245). 382 Teil 1 Kap. 2 § 1 B., C. 378

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Auf einen Übergangszeitraum beschränkt sind gleichwohl bestimmte Methoden der Aufarbeitung. Dies betrifft vor allem die historische und die juristische Aufarbeitung. Sind einmal die wesentlichen Fakten und Zusammenhänge über das Funktionieren der Diktatur zusammengetragen, sind die Folgen der Diktatur durch die Justiz so weit wie möglich wiedergutgemacht worden, dann haben Justiz und Historiker ihren Beitrag zu diesem gesellschaftlichen Prozess getan. Anders hingegen die politische Aufarbeitung. Die Möglichkeit einer wertenden Auseinandersetzung mit der Diktatur besteht immer. III. Die Gesellschaft als Subjekt der Aufarbeitung Neben dem zeitlichen Aspekt bedarf auch die Frage nach dem Subjekt, also die Frage nach demjenigen, der die Tätigkeit der Herrschaftsmechanismen der DDR aufzuarbeiten hat, der Reflektion. Verschiedentlich wurde behauptet, dass es allein die Ostdeutschen seien, die ihre Vergangenheit aufzuarbeiten hätten.383 Plastisch brachte Hans Meyer diese Auffassung auf der 51. Tagung der Deutschen Staatsrechtlehrer 1991 zum Ausdruck: „Ich habe bei dem Begriff ‚aufarbeiten‘ meine Schwierigkeiten. Ich mag ihn überhaupt nicht. Aber wenn man ihn schon mag, dann haben nicht ‚wir‘ aufzuarbeiten, sondern ‚die‘ haben aufzuarbeiten.“384

Das sahen die ostdeutschen Bürgerrechtler in Bezug auf das Stasi-Erbe genauso und forderten konsequent den Verbleib der Stasi-Akten in den neuen Bundesländern.385 Auch die Richter des Bundesverwaltungsgerichts hoben in der mündlichen Verhandlung zum vierten Kohl-Urteil wiederholt das spezifisch ostdeutsche Interesse an der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit hervor und zogen so die Relevanz der Akte „Kohl“ für den Aufarbeitungsprozess in Zweifel.386 Wenn auch weitaus weniger deutlich lässt sich diese Tendenz der Richter auch dem Urteil entnehmen. Darin heißt es: 383 Vgl. hierzu auch Feststellung in den Empfehlungen der Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ v. 15. Mai 2006, S. 4. Kritisch dazu H. Sendler, NJ 2004, 11. 384 VVDtStRL 51, 156. 385 So wurde auch das Stasi-Erbe von Seiten der Bürgerrechtlicher als rein ostdeutsches Problem betrachtet. Siehe Bemerkungen v. Diestel, in: Der Morgen v. 31. Juli 1990; abgedr. in: S. Schumann, Anm. 13, S. 97 (99 f.), aber auch v. Birthler, 27. Tagung der Volkskammer, in: Volkskammer Protokolle, 10. Wahlperiode, Bd. 29, S. 1256 (1261). 386 Einen anderen Ansatz verfolgte offenbar unbewusst das VG Berlin, Urteil v. 3. Mai 2006, Gysi IV, 1 A 173.05, Rn. 63 ff. Im Gegensatz zum BVerwG setzt es bei dem geringeren Wert von „West-Informationen“ für die Aufarbeitung, sondern an einem faktisch unterschiedlichen Menschenrechtsstandard an. Dazu Teil 2 Kap. 2 § 2 A. II.

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„Ein nachhaltiges öffentliches Interesse bestünde ‚vor allem angesichts der systematischen und umfassenden Ausforschung der eigenen Bevölkerung der DDR‘. Das öffentliche Interesse an einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes bestünde jedoch auch hinsichtlich seiner ‚Auslandsaufklärung‘, namentlich gegenüber Politik, Wirtschaftsunternehmen und gesellschaftlichen Organisationen des westlichen Teils Deutschlands.“387

Der Aufarbeitungsbegriff enthält selbst keine explizite Aussage über den Akteur. Handelt es sich jedoch bei Aufarbeitung – wie soeben festgestellt388 – um einen Gesellschaftsprozess, dann kann es nur die Gesellschaft sein, die aufarbeitet.389 Die zentrale Frage lautet damit: Wer ist diese Gesellschaft, die aufzuarbeiten hat? Der soziologische Begriff der Gesellschaft beschreibt nur allgemein das Zusammenleben von Menschen.390 Nach Luhmann ist die Gesellschaft das umfassendste aller Systeme.391 Es vereint in sich alle anderen sozialen Systeme (wie das Recht, die Massenmedien, die Wissenschaft, die Politik).392 Subjekt der Aufarbeitung ist folglich das Gemeinwesen: staatliche Institutionen, gesellschaftliche Organisationen und einzelne Bürger, Politik und Wissenschaft. Damit sind die Bestandteile der Gesellschaft beschrieben. Eine Aussage darüber, wie sich diese aufarbeitungsbedürftige Gesellschaft etwa von anderen Gesellschaften abgrenzt, ist damit noch nicht getroffen. Ähnlich wie der Begriff der Aufarbeitung erschließt sich der konkrete Inhalt des Begriffs aus dem Kontext seiner Verwendung. Wenn im Kontext der (Vergangenheits-)aufarbeitung die Rede von „Gesellschaft“ ist, dann ist damit nur die Gesellschaft gemeint, die auf den Trümmern der aufzuarbeitenden Diktatur ein neues System (politisches System, Gesellschaftssystem usw.) errichtet. Diese Zuordnung ist eingängig, stößt aber bisweilen – wie gesagt – dort an ihre Grenzen, wo wie im Fall der DDR-Diktatur nur eine Teilidentität zwischen der Gesellschaft, die die Diktatur erlebt hat, und der Gesellschaft, die ein neues System aufbaut, besteht. Richtig ist, dass es hauptsächlich die Ostdeutschen gewesen sind, die das System getragen und seinen Repressionsinstrumenten zugleich ausgesetzt waren. Zutreffend ist ferner, dass die Wiedervereinigung für die Ostdeutschen, nicht hingegen für die Westdeutschen einen umfassenden und rasanten Systemwechsel einleitete. Zustim387

BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, BVerwGE 121, 115 (129). Teil 1 Kap. 2 § 1 A. I. 3. 389 Zutreffend C.-E. Eberle, DtZ 1992, 263: Aufarbeitung sei nicht nur ein singuläre am Einzelschicksal ausgerichtete Aufgabe. 390 F. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft; N. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 1 und 2. 391 N. Luhmann, Anm. 390. 392 N. Luhmann, Anm. 390. 388

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men können wird man auch der Beobachtung, dass sich die neuen politischen und gesellschaftlichen Strukturen im Osten Deutschlands noch nicht vollständig verfestigt haben. Die (ostdeutsche) Gesellschaft ist damit noch anfällig für die Wiederbelebung der Diktatur, auch wenn man sich über die Intensität freilich streiten kann.393 Zu bedenken gilt es aber auch, dass eine bislang nicht bezifferbare Zahl von Bundesbürger das DDR-System stützte, wie die Berichte der oftmals erst kürzlich eingesetzten intra-institutionellen Untersuchungskommissionen belegen.394 Ein noch viel größerer Anteil, circa 2 Millionen Bundesbürger, sind – wie bereits eingangs erwähnt395 – selbst Opfer von Überwachungsmaßnahmen der Staatssicherheit geworden. Insofern liegen Opfer und Täter auf beiden Seiten des ehemaligen Mauerstreifens. Hinzu kommt, dass es – und das ist eine deutsche Besonderheit – nicht nur um die Aufarbeitung der DDR-Diktatur an sich geht. Es geht zugleich um die Aufarbeitung der Folgen der gesamtdeutschen NS-Diktatur und um die Folgen der deutschen Teilung, um die Schaffung einer gemeinsamen Identität und damit um die Stabilisierung Gesamtdeutschlands.396 Zu Recht bemerkt Isensee daher:397 „Die Wahrheit über die DDR geht nun das ganze deutsche Volk an, denn seit der staatlichen Wiedervereinigung ist die DDR ein integraler Teil der gesamtdeutschen Geschichte geworden, auch wenn sie in ihren realen Nachwirkungen weiterhin das Volk spaltet. Die innere Wiedervereinigung fordert Versöhnung der Gegensätze, die durch zwei totalitäre Systeme und die staatliche Teilung Deutschlands aufgerissen sind.“398

Auf normativer Ebene schlägt sich diese Ansicht in Bezug auf den Umgang mit den Stasi-Unterlagen auch im Einigungsvertrag nieder: Der Beschluss, diese Unterlagen aufzuarbeiten, war ein gesamtdeutscher Beschluss, 393

In diese Richtung auch Tiedt (SPD) in der 4. Klausurtagung zur Sächsischen Verfassung, abgedr.: in: Schimpff/Rühmann (Hrsg.), Die Protokolle des Verfassungsund Rechtsauschusses zur Entstehung der Verfassung des Freistaates Sachsen, S. 162. Vgl. auch Umfrage des Magazins „Stern“, in der sich jeder fünfte Deutsche (12% Ostdeutsche/24% Westdeutsche) die Mauer zurückwünschte, 8. September 2004, http://www.stern.de/politik/deutschland/529471.html?nv=cb (Stand: 15. März 2010). Vgl. auch M. Meckel Bezug in seinem Beitrag „Die Geschichte qualmt noch“, Frankfurter Rundschau v. 2. Juni 2006. 394 Dazu H. Schwan/H. Heindrichs, Anm. 25. 395 Einleitung § 1 A. 396 H. Schulze-Fielitz, Anm. 316, 896 (904); E. Klein, Anm. 331, 121; W. Hoffmann-Riem, VVDtStRL 51, 122. Gegen die Annahme einer geteilten Identität Ch. Starck, JZ 1990, 349 (350) mit Verweis darauf, dass Teilung von außen oktroyiert wurde. 397 H. Schulze-Fielitz, Anm. 316, 896 (904). 398 J. Isensee, Anm. 75, S. 108 f.

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an dem beide Seiten zu gleichen Teilen partizipierten.399 Ganz bewusst entschied man sich in Art. 1 Nr. 1 der ZV zum EV – entgegen der von Seiten der Bürgerrechtler der DDR favorisierten Lösung – für eine Bundesregelung und gerade nicht für eine Regelung durch die neuen Länder.400 Insofern verbietet sich im Hinblick auf die Wertigkeit des Aufarbeitungsanliegens eine pauschale Differenzierung zwischen ehemaligen DDR-Bürgern und Bundesbürgern, wie sie das Bundesverwaltungsgericht unter dem Vorzeichen der verfassungs-(hier persönlichkeitsrechts-)konformen Auslegung gefordert hat.401 Sie stellt am Maßstab des Art. 3 Abs. 1, 3 Alt. 5 GG gemessen eine ungerechtfertigte und daher verfassungswidrige Ungleichbehandlung dar. IV. Der Staat als Mittler und Gegenstand der Aufarbeitung Schließlich muss, bevor hier der Schritt in die rechtliche Analyse der Aufarbeitung getan wird, kurz auf die Frage nach der Rolle des Staates in diesem Gesellschaftsprozess eingegangen werden. Dies ist für die Analyse der §§ 32, 34 StUG insoweit von Relevanz, als dass der Staat mit der Herausgabe der Stasi-Unterlagen aktiv an diesem gesellschaftlichen Prozess partizipiert und seine (zunächst politische) Befugnis dazu aus der hinter dem Begriff „Aufarbeitung“ stehenden Idee ableitet. Wenn die hinter dem Begriff stehende Idee dagegen den Staat gar von der Partizipation ausschlösse, dann wäre zumindest eine Berufung des Gesetzgebers auf das Gemeinwohlgut „Aufarbeitung“ zur Rechtfertigung von staatlichen Eingriffen in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht unzulässig. Die Beschreibung des Eingriffsziels mit dem Begriff Aufarbeitung käme dann einer falsa demonstratio gleich. Für eine solche „Staatsfeindlichkeit“ der Aufarbeitungsidee spricht zunächst die damit verbundene Lenkungsgefahr, die insbesondere dann, wenn eine institutionelle und personelle Kontinuität der staatlichen Strukturen und damit ein der Aufarbeitung gegenläufiges Eigeninteresse der Institutionen an der Informationsunterdrückung der Vergangenheit vorliegt, besteht. Diesbezüglich ist zwischen den beiden Aspekten des Aufarbeitungsprozesses, Offenlegung und Bewertung, zu unterscheiden.402 In Bezug auf die Of399

Vgl. Art. 1 Nr. 1 ZV EV, BGBl. II 1990, S. 1239 („der gesamtdeutsche Gesetzgeber“). 400 So wird in Anlage I, Kap. II, Sachgebiet B, Abschn. II, Nr. 2, Nr. 35 Abs. 2 b), BGBl. II 1990, S. 912 explizit darauf hingewiesen: „Die vom ehemaligen Staatssicherheitsdienst der DDR rechts- und verfassungswidrig gewonnenen personenbezogenen Informationen betreffen eine Vielzahl von Bürgern aus ganz Deutschland.“ 401 Vgl. Einleitung § 1 B. II. 2. b). 402 Kritisch zur Aufarbeitung als kollektivem Zwangsakt A. Plack, Wie oft wird Hitler noch besiegt?, S. 64, wobei diese Kritik allein in Bezug auf die staatliche

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fenlegung der Vergangenheit ist die staatliche Beteiligung unproblematisch. Diesen Unterschied übersieht Lege, wenn er Aufarbeitung lediglich als eine Art Staatsräson, die an das Hobbessche Szenario: „Der Herrscher hat die Untertanen darüber zu belehren, dass sie in einem (vernunft-)gerechten Staat leben“ erinnert, betrachtet.403 Die Möglichkeit der Informationsunterdrückung oder Lenkung durch selektive Herausgabe kann ohnehin nur dort bestehen, wo der Staat – wie im hier zu untersuchenden Fall der Stasi-Unterlagen – über ein Informationsmonopol verfügt. In diesem Fall ist aber die Zivilgesellschaft auf die Kooperation des Staates angewiesen, damit die Wahrheit, die auch Lege als Wert anerkennt, herausgefunden werden kann.404 Der Staat ist insoweit zur Unterstützung der Zivilgesellschaft aus der Aufarbeitungsidee heraus verpflichtet. Problematischer zu beurteilen ist dagegen die staatliche Intervention in Bezug auf die Bewertung der Vergangenheit, insbesondere dann, wenn diese Bewertung, wie im Falle der behördeneigenen Forschung der BStU zum Teil auf unzugänglichen Informationen beruht und damit nicht von außen kontrollierbar ist.405 Dabei handelt es sich jedoch um eine Frage der Art und Weise der staatlichen Partizipation im Aufarbeitungsprozess und nicht um eine Frage, die das „Ob“ der Aufarbeitung betrifft. Für die bis hier verfolgten Zwecke reicht es, festzustellen, dass die hinter dem Begriff der Aufarbeitung stehende Idee der aktiven Involvierung staatlicher Institutionen nicht entgegensteht. Damit bleibt für die juristische Bewertung festzustellen, dass es sich bei der Aufarbeitung nicht nur um ein Gemeinwohlanliegen handelt, sondern dass dieses auch mit staatlicher Autorität gefördert werden kann und muss.

Verordnung, nicht auf die Unterstützung des Gesellschaftsprozesses trägt. Vgl. auch kritisch zur Aufarbeitung als „verordnetem Zwangsakt“ 4. Klausurtagung zur Sächsischen Verfassung, abgedr. in: Schimpff/Rühmann (Hrsg.), Die Protokolle des Verfassungs- und Rechtsauschusses zur Entstehung der Verfassung des Freistaates Sachsen, S. 161 f.; P. Dudek, Anm. 328, 44 (45); H. Quaritsch, Anm. 316, 519 (522), der davon ausgeht, dass sich die staatliche Förderung des Aufarbeitungsprozesses allgemein und zwangsweise nur in der Schule durchsetzen ließe. 403 J. Lege, Anm. 56, 616 (618). Lege übersieht offenbar, dass hier nicht die Stasi oder der Leviathan, sondern der gesamtdeutsche Gesetzgeber mit überwältigender Mehrheit in einem demokratischen Verfahren entschieden hat. 404 J. Lege, Anm. 56, 616 (618). 405 Ursprünglich sollte die historische Aufarbeitung gar vollständig der BStU vorbehalten bleiben; dazu G. F. Schuppert, Anm. 71, 105 (106). Zum Forschungsmonopol der BStU vgl. Teil 1 Kap. 2 § 2 I. A. Dieses Problem dürfte sich nunmehr mit der in § 32 Abs. 1 Nr. 7 c StUG (n. F.) eröffneten Möglichkeit des unbeschränkten Zugangs bei Abgabe einer Verpflichtungserklärung weitgehend entschärft haben.

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B. Rechtsauftrag zur Aufarbeitung nach Art. 1 ZV EV Mit Art. 1 ZV EV ist erstmals in der deutschen Geschichte das Anliegen der Aufarbeitung in einem Rechtsdokument explizit niedergelegt worden. Darin heißt es: „Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik – im Bestreben, die Durchführung und Auslegung des am 31. August 1990 in Berlin unterzeichneten Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag- sicherzustellen, in Ausfüllung des Art. 9 Abs. 3 des Einigungsvertrages – sind übereingekommen, eine Vereinbarung mit folgenden Bestimmungen zu schließen: Art. 1 Zu der Frage der weiteren Vorgehensweise hinsichtlich der vom ehemaligen Staatssicherheitsdienst der deutschen Demokratischen Republik gewonnenen personenbezogenen Informationen stellen die Regierungen der Vertragsparteien übereinstimmend fest: 1. Sie erwarten, dass der gesamtdeutsche Gesetzgeber die Grundsätze, wie sie in dem am 24. August 1990 verabschiedeten Gesetz über die Sicherung und Nutzung der personenbezogenen Daten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/ Amtes für Nationale Sicherheit zum Ausdruck kommen, umfassend berücksichtigt. 2. Sie erwarten, dass der gesamtdeutsche Gesetzgeber die Voraussetzungen dafür schafft, dass die politische, historische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit gewährleistet bleibt. 3. Sie gehen davon aus, dass ein angemessener Ausgleich zwischen – der politischen, historischen und juristischen Aufarbeitung, – der Sicherung der individuellen Rechte der Betroffenen und – dem gebotenen Schutz des einzelnen vor der unbefugten Verwendung seiner persönlichen Daten geschaffen wird. [. . .].“406

Dieser Auftrag zur Aufarbeitung bezieht sich ausweislich des zweiten Spiegelstrichs allein auf die Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes der DDR. Anders als § 32 Abs. 1, 4 StUG (n. F.) bezieht sich die Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag weder auf die Aufarbeitung der Tätigkeit an406

BGBl. II 1990, S. 1239.

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derer Herrschaftsmechanismen der DDR oder der sowjetischen Besatzungszone noch auf die des NS-Unrechts. Daher kann die Zusatzvereinbarung allenfalls für die mit der Herausgabe der Stasi-Unterlagen zum Zwecke der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes zusammenhängenden Rechtsfragen eine Rolle spielen. Folglich beziehen sich auch die nachfolgenden Ausführungen in diesem Abschnitt zum Einfluss der Zusatzvereinbarung auf den Abwägungsprozess nicht auf § 32 Abs. 4 StUG. Wie oben gezeigt407 ist die Bestimmung des Gewichts des Aufarbeitungsanliegens für die den §§ 32, 34 StUG zugrunde liegende Abwägung mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht von entscheidender Bedeutung. Für die abstrakte Gewichtung des Aufarbeitungsanliegens – auch das wurde gezeigt408 – ist der Rang der Norm, der das Aufarbeitungsinteresse schützt, von zentraler Bedeutung. Damit lautet die im folgenden Abschnitt zu klärende Frage: Welchen Rang nimmt die Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag in der deutschen Rechtsordnung ein? Diese Frage setzt jedoch voraus, dass die Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag überhaupt dem Recht zuzuordnen, sprich rechtsverbindlich ist und das Aufarbeitungsanliegen als Rechtsgut schützt.409 Sollte sich die Zusatzvereinbarung als eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Aufarbeitung darstellen, dann schließen sich hieran eine Vielzahl von komplizierten Folgefragen an. So wäre als erstes zu klären, was unter dem Rang einer Norm zu verstehen ist und wie man ihn feststellt410; ob sich der Rang auf die Zuordnung zu einer bestimmten Rechtsquelle beschränkt411 oder ob es neben dem (Rechtsquellen)-Rang auch Rangerhöhungen innerhalb derselben Rechtsquelle gibt.412 407

Vgl. Einleitung § 2 C. Vgl. Teil 1 Kap. 1 § 3 A. I., II., III. 409 Diesen Umstand übersehen offenbar M. Kloepfer/G. Michael, Anm. 13, S. 106 ff., wenn sie sogleich auf die Rangfrage rekurrieren. 410 Ob die Bindungswirkung des Gesetzgebers eine Folge des Ranges oder umgekehrt der Rang eine Folge der Bindungswirkung ist, ist ungeklärt. Dafür G. Winkler, ÖZÖR 1959/60, 514 (516); a. A. W. Antoniolli, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 82 ff. Beide beziehen sich aber nicht auf die Bindungskraft, sondern auf die darüber hinausgehende Derogationskraft der Norm. Zumindest für ein Hierarchieverhältnis innerhalb derselben formalen Normenkategorie dürfte sich der Rang ohne Blick auf die Bindungskraft der Norm kaum begründen lassen. 411 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 73 ff.; ders. in: ÖZÖR 1959/1960, 313; Ch. Starck, Rangordnung der Gesetze, S. 10; Th. Öhlinger, Der Stufenbau der Rechtsordnung, S. 9. 412 Nach Ch. Starck, Anm. 411, S. 11; C. Schmitt, Festgabe für das Reichsgericht, Bd. 1, S. 154; D. Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages unter Berücksichtigung beamtenrechtlicher Probleme, S. 52 ff.; K. Clauss, MDR 1961, 905, der von einem Vorrang sittlicher gegenüber rein technischer Normen ausgeht. In diesem Fall ergibt sich die Höherrangigkeit dementsprechend entweder aus den rechtlichen Bedingungen, von denen die Setzung dieser verschiedenen Rechtsakte 408

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Der Hintergrund ist folgender: Selbst wenn man mit der herrschenden Meinung davon ausgeht, dass Art. 45 Abs. 2 EV i. V. m. Art. 23 GG (a. F.) – egal ob als fingiertes Bundesgesetz oder als staatsrechtlicher Vertrag zwischen Bund und neuen Ländern413 – nach der Wiedervereinigung fortlebt414, so könnte sich eine Höherrangigkeit gegenüber sonstigem Gesetzesrecht aus der Abänderungsresistenz der Zusatzvereinbarung gegenüber dem Gesetzgeber ergeben. Diese Abänderungsfestigkeit müsste dann aber nachgewiesen werden. Dabei wäre zunächst zu fragen, ob sich derartige Reservatsrechte, die die Interessen der eingegliederten Bevölkerung schützen sollen, für den Einigungsvertrag im Allgemeinen ableiten lassen und ob die Zusatzvereinbarung einen solchen Spezialfall darstellt.415 Bereits in Bezug auf den ersten Punkt fehlt es an einer verfassungsrechtlichen Klärung.416 Gleiches gilt abhängig gemacht wird, oder aus der rechtlichen Kraft, insbesondere der Abänderungsfähigkeit, die ihnen vom Normgeber verliehen wird, A. Merkl, Festschrift für H. Kelsen zum 50. Geburtstag, S. 252 (276). 413 Ausführlich m. w. N. H. Wagner, Der Einigungsvertrag nach dem Beitritt, S. 30 ff. Vgl. Art. 32 WVK; R. Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 30 ff. 414 Aus dem in Art. 45 Abs. 2 EV verwandten Begriff „Bundesrecht“ folgt zunächst keine explizite Rechtsquellenzuweisung, vgl. W. Schmitt-Glaeser, Stichwort: Bundesrecht, in: H. Tilch (Hrsg.), Münchner Rechtslexikon Band I, 767. Vgl. auch die Auslegung des Begriffs in Art. 25 und 31 GG. Dazu H. Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG-Kommentar, Art. 25 Rn. 11 sowie B. Pieroth, ebd., Art. 31 Rn. 2. Die Tatsache, dass der Einigungsvertrag mit Zweidrittelmehrheit beschlossen wurde, führt allein noch nicht zum Verfassungsrang desselben, vgl. auch D. Merten, Anm. 412, S. 60. Deutlich dagegen Art. 143 GG. Dazu BVerfG, Beschluss v. 18. September 1990, Einigungsvertrag, BVerfGE 82, 316 (320 f.). 415 Die Denkschrift zum EV, BT-Drs. 11/7760, 355 (377), in der es heißt, „daß das hierdurch geschaffene Bundesrecht durch den Bundesgesetzgeber geändert werden kann“, steht als einseitige Auslegungserklärung einer Abänderungsfestigkeit nicht entgegen. Für eine Bestandskraft Ministerpräsident de Maizière: „Nur mit dem Einigungsvertrag wird die Möglichkeit eröffnet, Rechte für die Bürger der fünf neuen Länder auch für die Zeit zu wahren, wenn es den Vertragspartner DDR nicht mehr geben wird. Ein Überleitungsgesetz statt eines Einigungsvertrages [. . .] hätte diese Möglichkeit der Rechtswahrung in unverantwortlicher Weise vergeben.“, Stenograph. Niederschrift der Volkskammer der DDR v. 6. September 1990, S. 1564; abgedr. in: Dt. BT (Hrsg.), Auf dem Weg zur Deutschen Einheit, S. 160 f.; ders., Regierungserklärung v. 19. April 1990, zit. nach I. v. Münch (Hrsg.), Dokumente zur Wiedervereinigung, S. 198. Desgl. Präsidentin der Volkskammer BergmannPohl, Stenograph. Niederschrift der Volkskammer der DDR v. 6. September 1990, S. 1564 und Krause, in: Der Spiegel 1990, Heft 33, S. 25 (27). Von westdeutscher Seite Justizminister Engelhard: „Was dort einmal vereinbart worden ist, bleibt uns bis weit in die Zukunft hinein erhalten“, Protokoll des Ausschusses Dt. Einheit, 10. Sitzung v. 4. Juli 1990, S. 373 A. 416 Auf das Vorbringen der Kläger des Ausgangsverfahrens gegen das der in Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Buchst. b Satz 4 und 5 EV

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für das Völkerrecht.417 Eine Stütze für die allgemeine Existenz derartiger Reservatsrechte findet sich in der seit den Novemberverträgen von 1870418 bestehenden, später in der Reichsverfassung419 normierten und vom Bundesverfassungsgericht mehrfach als ungeschriebenen Rechtssatz bestätigten Regel, wonach mit einem untergegangen Land vertraglich vereinbarte Reservatsrechte auch nach dem Untergang fortbestehen.420 Dafür dass gerade die Zusatzvereinbarung ein solches Reservatsrecht begründen sollte, spricht die Entstehungsgeschichte der Zusatzvereinbarung, die auf massiven Druck der DDR-Bevölkerung entstand und die eine Erwiderung auf die bis dahin als Besatzermentalität wahrgenommene Verfahrensweise mit den Stasi-Unterlagen sein sollte.421 All diese Erwägungen erledigen sich – wie erwähnt –, sollte es der Zusatzvereinbarung an der rechtlichen Verbindlichkeit fehlen.

getroffenen Regelung zuwiderlaufende Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz: „Diesen Mindestgarantien komme ein erhöhter Bestandsschutz zu, weil der Vertragspartner, für dessen Angehörige sie vereinbart worden seien, mit dem Vollzug der Einheit seine Schutzfunktion gegenüber diesen Angehörigen eingebüßt habe“, ging das BVerfG in seinen Urteilen v. 28. April 1999, AAÜG I und II, BVerfGE 100, 59; 100, 104 nicht ein. 417 Offengelassen in IGH, Urteil v. 2. Dezember 1963, Case Concerning Northern Cameroons (Cameroons v. Great Britain), ICJ Rep. 1963, 15. Soweit sich aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker zumindest eine Tendenz zur Berücksichtung von Interessen des Volkes bei Gebietseingliederungen ergibt, stellt sich im hier zu behandelnden Fall die Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht der Völker im deutsch-deutschen Verhältnis überhaupt Anwendung findet. Für ein eigenständiges DDR-Volk vgl. Auffassung der DDR bis zum Verfassungsgrundsatzgesetz v. 17. Juni 1990 (GBl. DDR I 1990, 299), dazu W. Völke, DA 1974, 140 (141). A. A. BVerfG, Urteil v. 21. Oktober 1987, Teso, BVerfGE 77, 137 (151), E. Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Deutsche Frage m. w. N., S. 67 ff.; W. Seiffert, Selbstbestimmungsrecht und deutsche Vereinigung, S. 116. 418 Zu den Sonderrechten in den Verträgen mit Bayern, Hessen, Baden und Württemberg, E.R. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2 (1964), Nr. 198–205. Allerdings geht er nicht von Beitritt, sondern von der Neugliederung aus. Vgl. auch R. Wahl, Der Staat 1991, 181 (197, 203). 419 Art. 78 Abs. 2 RVerf. Der schrieb nach h. M. aber nur einen allgemeinen Rechtssatz fest, M. v. Seydel, Commentar zur Verfassungsurkunde für das Deutsche Reich, S. 419.; P. Laband, in: G. Hirth (Hrsg.), Annalen des Deutschen Reiches 1874, S. 1523. 420 BVerfG, Urteil v. 24. Februar 1954, Lippe I, BVerfGE 3, 267 (279); BVerfG, Urteil v. 28. Juli 1955, Lippe II, BVerfGE 4, 250 (267 f.); BVerfG, Urteil v. 18. Juli 1967, Coburg I, BVerfGE 22, 221 (231 ff.); BVerfG, Urteil v. 30. Januar 1973, Coburg II, BVerfGE 34, 216 (228 ff.); BVerfG, Beschluss v. 27. November 1974, Coburg III, BVerfGE 38, 231 (238 ff.); BVerfG, Urteil v. 22. September 1976, Waldeck-Pyrmont, BVerfGE 42, 345 (357 ff.). 421 Vgl. sogleich Teil 1 Kap. 2 § 1 A. II. 2. a).

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I. Zur Rechtsverbindlichkeit der Zusatzvereinbarung Teilweise wurde Art. 1 ZV EV jegliche Rechtswirkung abgesprochen.422 Dementsprechend wäre die Zusatzvereinbarung für die hier stehende Frage nach dem Regelungskonflikt zwischen Aufarbeitung und Allgemeinem Persönlichkeitsrecht zumindest rechtlich irrelevant. Teilweise wurde dem Auftrag nach Art. 1 ZV EV gar Verfassungsqualität zugesprochen mit den eingangs dargestellten Konsequenzen für die Gewichtung des Aufarbeitungsanliegens im Abwägungsprozess.423 Teilweise ging man von einer gesetzgeberischen Bindung aus, ohne freilich einen Verfassungsrang zu behaupten.424 Einer juristisch überzeugenden Begründung blieben jedoch die Vertreter aller drei Auffassungen schuldig. 1. Zur formellen Bindungskraft der ZV Die Vertreter, die die Rechtsverbindlichkeit der Zusatzvereinbarung verneinten, zogen zumeist den „bloß erwartenden“ Wortlaut der Zusatzvereinbarung heran.425 Verkannt wurde dabei – so scheint es –, dass es für die rechtliche Verbindlichkeit einer Regelung nicht allein auf den Inhalt, sondern auf die Rechtsnatur der in Rede stehenden Regelung ankommt. Auch Erwartungen können in rechtsverbindlicher Form vereinbart werden. Die 422 So heißt es vom sächsischen Vertreter im Bundesrat Geiser: „Wir verkennen nicht, daß die zitierten Empfehlungen und Erwartungen keine rechtliche Verbindlichkeit haben“; Stenograph. Bericht, 633. Sitzung des BR, S. 313 ff.; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 423. Dahingehend auch der sächsische Staatssekretär Ermisch, Stenograph. Bericht, 638. Sitzung des BR, S. 585 ff.; abgedr. in: Stoltenberg, ebd., 428 (436), K. Bonitz, Persönlichkeitsschutz im Stasi-Unterlagen-Gesetz, 219. 423 Stellungnahme des Brandenburgischen Datenschutzbeauftragten Dix vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 19: „Kernbestandteile dieses Gesetzes [haben] Verfassungsrang“. Ähnlich die Stellungnahme des Sachverständigen der CDU/CSU Fraktion, Weberling, ebd., S. 38, der in Bezug auf die Zusatzvereinbarung von „verfassungsrechtlichen Vorgaben“ spricht. 424 Gesetzesentwurf v. Bündnis 90/Die Grünen zum Ausdruck: „Bei der zu schaffenden Regelung sind die Prinzipien insbesondere aus der Zusatzvereinbarung vom 18. September 1990 [. . .] zum Einigungsvertrag zu beachten, welche der 11. Deutsche Bundestag dem gesamtdeutschen Gesetzgeber mit sehr deutlicher Mehrheit vorgegeben hat. [. . .] Die inhaltliche Festlegung im Einigungsvertrag und in der Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages bedeuten, daß der Gesetzgeber politisch und rechtlich gebunden ist“, BT-Drs. 12/692, Bd. 429. Vgl. auch A. Randelzhofer, in: Stern (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung Bd. II 2, S. 94, der von einer völkerrechtlichen Verpflichtung ausgeht. Widersprüchlich G. Trantas, Akteneinsicht und Geheimhaltung im Verwaltungsrecht, S. 417, der einerseits von einer Pflicht zur Berücksichtigung und dann von einer Pflicht zur Öffnung der Stasiarchive ausgeht. 425 Vgl. Anm. 422.

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Einkleidung einer Erwartung in die Form eines Rechtsaktes hat für sie zunächst eine politisch verstärkende Wirkung. Das Recht dient hier als Argument der Politik. Akzeptiert man diese Zweiteilung zwischen formeller und materieller Bindungskraft, dann wirkt sich der „bloß erwartende“ Charakter der Zusatzvereinbarung lediglich auf die Reichweite der Bindungskraft aus. Auf die hier in Rede stehende Frage nach der Bindungswirkung der Zusatzvereinbarung bezogen, bedeutet dies, dass zunächst die Frage nach der rechtlichen Verbindlichkeit der Zusatzvereinbarung in formeller Hinsicht zu stellen ist. Anderenfalls bedürfte die Frage, wer inwieweit durch die Zusatzvereinbarung gebunden sein kann, keiner Klärung. Handelt es sich um eine bloße politische Absichtserklärung, ist die Zusatzvereinbarung für die rechtlichen Anforderungen an das Stasi-Unterlagen-Gesetz irrelevant.426 Nicht nur die Entstehungsgeschichte, sondern auch Form und Inhalt der Zusatzvereinbarung streiten jedoch gegen eine solche Annahme. Bereits die Bezeichnung als „Zusatzvereinbarung betreffend die Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages“ deutet auf den Rechtsbindungswillen der Parteien hin. Zwar führt allein der Verweis auf den Einigungsvertrag noch nicht zwingend dazu, dass die Vereinbarung den Rechtscharakter des Einigungsvertrages teilt. Die Tatsache, dass die Parteien in Art. 7 der Zusatzvereinbarung zugleich den Zeitpunkt des Inkrafttretens festgelegt haben, spricht jedoch klar für den Rechtscharakter der Zusatzvereinbarung. Es wäre widersinnig, das in der Präambel der Vereinbarung nochmals bekräftigte Ziel der Sicherstellung der vereinbarungskonformen Auslegung der in Anlage I Kap. II, Sachgebiet B, Abschnitt II, Nr. 2427 getroffenen Regelung durch eine bloße politische Absichtsbekundung abzusichern. Dies gilt umso mehr, als dass nach Art. 6 der Vereinbarung die Bestimmungen der Vereinbarung Vorrang gegenüber den zweifelsohne rechtlich verbindlichen Vorschriften des Einigungsvertrages haben sollten. An diesem Befund ändert auch der Verweis auf andere Regelungen des Einigungsvertrages, die auf den Rechtscharakter von Zusatzvereinbarungen zum Einigungsvertrag explizit hinweisen, nichts428. Zum einen ist die expli426

Zur Abgrenzung zwischen politischen Absichtserklärungen und Verträgen vgl. W. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 119 f. 427 „Die Aufbewahrung, Nutzung und Sicherung dieser Unterlagen bedarf wegen der damit verbundenen erheblichen Eingriffe in Grundrechtspositionen einer umfassenden gesetzlichen Regelung durch den gesamtdeutschen Gesetzgeber. Die Vertragsparteien empfehlen den gesetzgebenden Körperschaften dabei die Grundsätze zu berücksichtigen, wie sie in dem von der Volkskammer am 24. August 1990 verabschiedeten Gesetz über die Sicherung und Nutzung der personenbezogenen Daten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit zum Ausdruck gekommen sind.“

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zite Inbezugnahme einer Annexbestimmung für deren Vertragscharakter nicht konstitutiv.429 Zum anderen ist die Verweisungspraxis der Vertragsparteien des Einigungsvertrages zu uneinheitlich, um darin eine Intention der Vertragsparteien erkennen zu können. Somit bleibt bis hierhin festzuhalten, dass die Zusatzvereinbarung zunächst als Teil eines völkerrechtlichen Vertrages rechtlich verbindlich war.430 An dem rechtlich verbindlichen Charakter hat sich auch mit dem Untergang der DDR als Völkerrechtssubjekt nichts geändert. Ganz gleich ob man davon ausgeht, dass der Einigungsvertrag mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik erloschen ist oder nicht431, fest steht, dass der Einigungsvertrag gemäß Art. 45 Abs. 2 EV nach dem Beitritt als Bundesrecht fortgelten soll. Damit steht der Rechtscharakter der einigungsvertraglichen Bestimmungen auch nach dem Beitritt außer Frage. Fraglich ist nur, inwieweit sich diese Fortgeltungsanordnung auch auf die Zusatzvereinbarung erstreckt. Art. 45 Abs. 2 EV erwähnt die Zusatzvereinbarungen nicht, spricht neben dem Einigungsvertrag nur von Protokollen und Anlagen. Hinzu kommt, dass die betroffenen Anlagen explizit aufgelistet sind, so dass sich die Subsumtion der Zusatzvereinbarung darunter verbietet. Auch steht der Wortlaut der Annahme, dass die Zusatzvereinbarung im Tatbestandsmerkmal Einigungsvertrag aufgeht, zunächst entgegen. Auch Protokolle und Anlagen sind Bestandteil des Einigungsvertrages. Ihrer Erwähnung hätte es dann nicht bedürft. Die Verengung des Blickwinkels auf den Wortlaut des Art. 45 Abs. 2 EV führt indes zu unsachgemäßen Ergebnissen. Die Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag wurde am 18. September 1990, also erst nach Abschluss des Einigungsvertrages, geschlossen.432 Insofern verwundert es nicht, dass sie keine Aufnahme in den Einigungsvertrag gefunden hat. Wie insbeson428 So stellt etwa Art. 41 Abs. 1 EV in Bezug auf die „Gemeinsamen Erklärung über die offenen Vermögensfragen“ klar: Diese „Erklärung [. . .] ist Bestandteil des Vertrages“. 429 Nach Art. 2 lit. a WVK bedeutet Vertrag „eine in Schriftform geschlossene und vom Völkerrecht bestimmte internationale Übereinkunft zwischen Staaten, gleichviel ob sie in einer oder in mehreren zusammengehörigen Urkunden enthalten ist und welche besondere Bezeichnung sie hat.“ 430 Zutreffend die Abgeordnete Köppe, Stenograph. Bericht der 31. Sitzung des Dt. BT v. 14. November 1991, S. 2358; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 375 (385). 431 Dazu umfassend m. w. N. H. Wagner, Anm. 413, S. 32 ff.; J. Frowein, Europa-Archiv 1990, S. 233, der den Gedanken der Fiktion der Völkerrechtssubjektivität der DDR nicht in Bezug auf den Einigungsvertrag, sondern in Bezug auf andere völkerrechtliche Vereinbarungen der DDR entwickelt. 432 Der Einigungsvertrag wurde am 31. August 1990 unterzeichnet. Das Zustimmungsgesetz des BT datiert v. 23. September 1990.

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dere Art. 4 der Zusatzvereinbarung ausdrücklich bestätigt, sollte der Einigungsvertrag mit der Zusatzvereinbarung abgeändert werden. Dass die Zusatzvereinbarung selbst keine Regelung hinsichtlich ihres Fortbestands nach dem Beitritt enthielt, steht ihrer Fortgeltung somit nicht entgegen. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Zusatzvereinbarung, die gerade als der Regelung in Anlage I Kap. II, Sachgebiet B, Abschnitt II, Nr. 2 vorrangige Auslegungsvereinbarung geschlossen wurde und deren Anwendungsbereich von vorneherein erst nach dem Beitritt der DDR eröffnet sein sollte, von Art. 45 Abs. 2 ZV EV ausgenommen sein soll. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Vertragsparteien hier die Verweisung auf den Einigungsvertrag als auch für die Fortgeltung der Auslegungsvereinbarung ausreichend erachteten. 2. Zur materiellen Reichweite der Bindungskraft der ZV Etwas schwieriger zu beurteilen ist die Frage nach der materiellen Bindungskraft, worunter hier die inhaltliche Reichweite der Bindung verstanden wird. Der Wortlaut „die Vertragsparteien erwarten“ deutet hier zunächst in die Richtung, dass die Vertragsparteien aufgrund der objektiven Sachlage lediglich von der Schaffung einer vereinbarungskonformen Regelung durch den Bundesgesetzgeber ausgehen bzw. hierauf vertrauen. Ein so verstandenes „Erwarten“ ist aber weniger als eine Bindung des Gesetzgebers.433 Der Wortlaut knüpft also einseitig an die Sichtweise der Vertragsparteien an und spricht nicht direkt von Konsequenzen für den Bundesgesetzgeber. Damit unterscheidet sich der Wortlaut der Zusatzvereinbarung von den übrigen im Einigungsvertrag genutzten Formulierungen („[e]s ist Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers“434; „wird [. . .] durch Gesetz festgelegt“435; „werden in einem Bundesgesetz geregelt“436), die unstreitig bindende Gesetzgebungsaufträge beinhalten. Was den Inhalt der zu erlassenden bereichsspezifischen Regelung anbelangt, so folgen weder aus dem Wortlaut der Zusatzvereinbarung noch aus der durch diese präzisierten Anlage I Kap. II, Sachgebiet B, Abschnitt II, Nr. 2 b S. 2 EV rechtliche Pflichten. Die §§ 1, 2 Anlage I Kap. II, Sachgebiet B, Abschnitt II, Nr. 2 b S. 2 EV enthalten lediglich Grundsätze für 433 Im Übrigen findet sich abgesehen von § 18 Abs. 4 der Protokollerklärung aller Länder über den Rundfunk im vereinten Deutschland v. 31. August 1991 – soweit ersichtlich – keine andere Vorschrift, die einen vergleichbaren Passus enthält und die hier zur Auslegung herangezogen werden könnte. 434 Art. 30 Abs. 1; 31 Abs. 1, 2, 4; 33 Abs. 1; 34 Abs. 1 EV. 435 Art. 30 Abs. 4 EV. 436 Art. 30 Abs. 5 EV.

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eine Interimsregelung, die bis zum Erlass einer Regelung durch den gesamtdeutschen Gesetzgeber gelten sollte. Sie sollten aber nicht den Willen des gesamtdeutschen Gesetzgebers in irgendeiner Weise präjudizieren. Im Übrigen enthielten sie auch gerade keinen hier zu untersuchenden kollektiven Aufarbeitungsauftrag, wie ihn später das Stasi-Unterlagen-Gesetz enthielt. Die Zusatzvereinbarung selbst beinhaltet nach ihrem Wortlaut nicht nur keine Pflicht zur Übernahme der Grundsätze des Volkskammergesetzes, sondern auch keine rechtliche Verpflichtung an den Gesetzgeber diese zu berücksichtigen. Anderenfalls ließe sich nicht erklären, weshalb Art. 1 Nr. 1 ZV EV von einer Erwartung und nicht von einer Verpflichtung, die Grundsätze des Volkskammergesetzes umfassend zu berücksichtigen, spricht. Desgleichen spricht Art. 1 Nr. 2 ZV EV lediglich von einer Erwartung, dass der Gesetzgeber die Voraussetzungen für die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes gewährleistet. Zwar könnte man annehmen, dass sich das gesetzgeberische Ermessen hier nur auf die Schaffung der Voraussetzungen durch den Gesetzgeber bezieht; dass die Gewährleistung der Aufarbeitung als solche hier nicht zur Disposition stehen sollte. Hiergegen spricht aber, dass bereits aus rechtsstaatlichen Gründen nur eine Regelung der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes mittels der Stasi-Unterlagen durch den Gesetzgeber in Frage gekommen wäre. Auch die Formulierung des Art. 1 Nr. 3 ZV EV widerlegt die Existenz einer gesetzgeberischen Verpflichtung zur Gewährleistung der Aufarbeitung. Hier „erwarten“ zwar die Vertragsparteien nicht mehr, sondern sie „gehen davon aus“, aber das nur für den Fall, dass der Gesetzgeber gewillt ist, überhaupt eine Regelung zu treffen. Im Ergebnis wendet sich der Wortlaut gegen jegliche Regelungsverpflichtungen des Gesetzgebers. a) Historische Auslegung vs. Wortlaut der Zusatzvereinbarung Die Entstehungsgeschichte der Zusatzvereinbarung streitet jedoch für ein anderes Erwartungsverständnis. Als am 14. Dezember 1989 das kurz zuvor in das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umbenannte MfS liquidiert wurde, war keinesfalls klar, dass es zu einer Offenlegung der Akten kommen würde. Selbst in den Bürgerkomitees, die kurz zuvor noch Seite an Seite gegen die Machenschaften der Staatssicherheit kämpften, war die Frage des weiteren Verfahrens mit den Akten hoch umstritten.437 Am 22. Januar 1990 fasste der Runde Tisch einen Beschluss, wonach die Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheits437 Zu den Kontroversen auch im Bürgerkomitee vgl. D. Gill/U. Schröter, Das Ministerium für Staatssicherheit, S. 187; M. Strotmann, DA 1993, 1372 (1375 f.).

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dienstes der DDR der zeitgeschichtlichen Forschung zur Verfügung gestellt werden sollten.438 Die zunächst praktizierte Offenheit wurde jedoch in der Folgezeit immer weiter eingeschränkt. Schon am 19. Februar 1990 ordnete der Runde Tisch, bestätigt durch den Ministerrat, die Vernichtung sämtlicher magnetischer Datenträger und der dazugehörigen Software an.439 Am 12. Mai 1990 forderte die Arbeitsgruppe „Recht“ des Runden Tisches die endgültige Vernichtung sämtlicher personengebundener Akten.440 Auch nach den ersten freien Volkskammerwahlen blieben die personenbezogenen Akten gesperrt. Freigegeben wurden personenbezogene Daten nur soweit sie für Rehabilitierungsverfahren und für die Strafverfolgung unabdingbar waren.441 Am 21. Juni 1990 bildete die Volkskammer einen Sonderausschuss zur Kontrolle der Auflösung des MfS/AfNS, der mit der Ausarbeitung eines Gesetzes betreffend die Sicherung und Nutzung personenbezogener Daten des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes befasst wurde.442 Noch bevor der Ausschuss einen eigenen Entwurf vorlegen konnte, brachte der Ministerrat auf Nachdruck des damaligen Innenministers Diestel eine eigene Vorlage ein.443 Ziel des Gesetzes sollte zunächst sein, eine schnelle Überprüfung möglicher Rehabilitierungsansprüche durchzuführen. Mit der Wiedervereinigung sollten die Akten dann vernichtet werden. Dies begründete Diestel, wie folgt: „Ich sehe eine Gefahr darin, wenn die DDR nicht mehr die Rechtshoheit hat, dieses Problem selber zu bearbeiten. Dann könnte ein gesamtdeutsches Parlament auf die Idee kommen, wir müssen mal sehen, was wir für 16,5 Mio. Menschen aufgenommen haben.“444

Das Gesetz enthielt keine Akteneinsichtsrechte. Es sah lediglich ein minimales Auskunftsrecht der Opfer von freiheitsentziehenden Maßnahmen oder Zwang vor. Dieser Gesetzesentwurf wurde vom Sonderausschuss grundlegend überarbeitet. Dies betraf vor allem die Zwecksetzung: Oberstes Ziel war nun die politische, historische und juristische Aufarbeitung. Dazu be438 Ergebnisse der 9. Sitzung des Rundtischgespräches am 22. Januar 1990, in: H. Herles/E. Rose (Hrsg.): Vom Runden Tisch, S. 77 (86). 439 Ergebnisse der 13. Sitzung des Rundtischgespräches am 19. Februar 1990, in: H. Herles/E. Rose, ebd., S. 162 (187 f.). Siehe dazu auch D. Gill/U. Schröter, Anm. 437, S. 187. 440 D. Gill/U. Schröter, Anm. 437, S. 244 f. 441 S. Schumann, Anm. 13, S. 8 f. 442 Zwischenbericht des Sonderausschusses zur Kontrolle und Auflösung des MfS/AfNS, 26. Tagung der Volkskammer am 20. Juli 1990, Volkskammer Protokolle, 10. Wahlperiode, Bd. 29, S. 1145. 443 Volkskammer-Drs. Nr. 165, 19. Juli 1990, 10. Wahlperiode, Bd. 35. 444 Der Morgen v. 31. Juli 1990; abgedr. in: S. Schumann, Anm. 13, S. 99 f.

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merkte der Vorsitzende des Sonderausschusses Gauck: Diese Vorlage „weist die grundsätzliche Zweckbestimmung und die grundsätzliche Richtung, nach der sich anderes unterzuordnen hat.“445 Dieser Auftrag sollte nicht nur bis zur Wiedervereinigung währen, sondern auch im gemeinsamen Deutschland Bestand haben. Daher versuchte man, sich bei der Formulierung der einzelnen Vorschriften an das bundesdeutsche Datenschutzrecht anzulehnen. Der Gesetzesentwurf fand am 24. August 1990 nahezu einstimmige Zustimmung bei den Abgeordneten der Volkskammer.446 Die Unterhändler des Einigungsvertrages lehnten die Übernahme des Gesetzes in den Einigungsvertrag jedoch ab. Die westdeutschen Unterhändler weigerten sich, da nach ihrer Ansicht das Gesetz nicht mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen war. Hinzu kam die Befürchtung, dass nun mit der Offenlegung der Akten eine Lynchstimmung entstünde, die die so genannte „friedliche Revolution“ im Nachhinein in ihr Gegenteil verkehren könnte.447 Die ablehnende Haltung bei den westdeutschen Verhandlungsführern stieß Diestel, der sich zuvor vergeblich gegen die Öffnung der Akten zur Wehr gesetzt hatte, nicht auf Widerstand.448 Die Empörung über dieses Verhandlungsergebnis kam in der Abstimmung der Volkskammer über den Einigungsvertrag klar zum Tragen. Ausgerechnet die Abgeordneten der Partei Bündnis 90/Grüne, die sich ganz überwiegend aus der DDR-Opposition rekrutierten – wie Marianne Birthler, Günther Nooke, Vera Wollenberger und Gerd Poppe – versagten dem Einigungsvertrag mit einer Enthaltung geschlossen ihre Zustimmung.449 Das Ergebnis der Verhandlungen löste jedoch nicht nur bei den ehemaligen Oppositionsführern in der DDR Entrüstung aus. Es stieß parteiübergreifend auf Kritik.450 Gegen den für die Aushandlung des Einigungsvertrages von Seiten der DDR politisch Verantwortlichen Diestel wurden schwere 445

32. Tagung der Volkskammer, in: Volkskammer Protokolle, 10. Wahlperiode, Bd. 29, S. 1452 (1453). 446 GBl. DDR I 1990, Nr. 58, S. 1419 ff. 447 Vgl. nur der Abgeordnete Mischnick, Stenograph. Bericht der 226. Sitzung des Dt. BT v. 20. September 1990, S. 17801, 17931; abgedr. in: Dt. BT (Hrsg.), Auf dem Weg zur Deutschen Einheit, S. 333 (391 ff.). 448 Zur Haltung Diestels sowie zu dem gegen ihn erhobenen, aber nie bestätigten Vorwurf der Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst vgl. 33. Tagung der Volkskammer, in: Volkskammer Protokolle, 10. Wahlperiode, Bd. 29, S. 1508 f.; 1540–1544. 449 Beschlussempfehlung des Ausschusses Deutsche Einheit (Verfassungsgesetz) v. 31. August 1991; abgedr. in: Dt. BT (Hrsg.), Auf dem Weg zur Deutschen Einheit, S. 284 (330 f.). Vgl. auch allgemein dazu Denkschrift zum Einigungsvertrag, BT Drucks 11/7760, S. 355 (377). 450 Dazu J. Reich, Will Bonn das Stasimaterial für Gesinnungsprüfung?, TAZ v. 6. September 1990.

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Vorwürfe erhoben. Unter Berufung auf ihre Souveränität und Würde beauftragte die Volkskammer mit 498 Stimmen und nur zwei Gegenstimmen den Fortbestand des Volkskammergesetzes im Wege der Nachverhandlung zu sichern.451 In der Nacht vom 30. zum 31. August 1990 kam es zu der geforderten Nachverhandlung. Ergebnis war die Regelung in der Anlage I Kap. II, Sachgebiet B, Abschnitt II, Nr. 2 b EV.452 Darin war jedoch weder die Aufarbeitung als Ziel anerkannt noch eine Übernahme des Volkskammergesetzes vorgesehen. Man sah sich nicht in der Lage eine differenzierte, den mit der Nutzung, Sicherung und Aufbewahrung verbundenen „erheblichen Eingriffen in Grundrechtspositionen“453 gerecht werdende Regelung innerhalb eines Monats zu schaffen.454 So wurde es schließlich dem Gesetzgeber anheim gestellt, ob und inwieweit er die Grundsätze des Volkskammergesetzes berücksichtigt. „Die Vertragsparteien empfehlen den gesetzgebenden Körperschaften dabei, die Grundsätze zu berücksichtigen, wie sie in dem von der Volkskammer am 24. August 1990 verabschiedeten Gesetzes über die Nutzung der personenbezogenen Daten des ehemaligen Ministeriums der Staatssicherheit/Amtes für nationale Sicherheit zum Ausdruck gekommen sind“.

Warum es aber bei einer „Empfehlung zu berücksichtigen“ blieb und keine Berücksichtigungsverpflichtung – notfalls unter Vorbehalt der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz – normiert wurde, lässt sich nicht nachvollziehen. Das nunmehr erzielte Verhandlungsergebnis wurde als erneuter Schlag gegen die erste frei gewählte Volkskammer aufgefasst.455 Um ihrem Protest 451 33. Tagung der Volkskammer, in: Volkskammer Protokolle, 10. Wahlperiode, Bd. 29, S. 1508 f.; 1540 ff. 452 BGBl. II 1990, S. 912 f.; vgl. Anm. 427. 453 Anlage I Kap. II, Sachgebiet B, Abschnitt II, Nr. 2 b S. 2 EV. 454 Ähnliche Probleme gab es auch in Bezug auf andere Regelungsbereiche des Einigungsvertrages, die man schließlich nicht als verbindlich abgeschlossene Regelung auffasste. Vgl. etwa BVerfG zu Gemeinsamen Erklärung zur Bodenreform: „Die politischen Verhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik veränderten sich mit dem Fall der Mauer im November 1989 bis hin zum Beitritt im Oktober 1990 unerwartet schnell. Es fehlte deshalb die Zeit, aber auch die volle Kenntnis der Gegebenheiten in der Deutschen Demokratischen Republik, die es ermöglicht hätten, in den ersten Absprachen zwischen den beiden deutschen Staaten, in denen vielfach Weichen für die Zukunft gestellt wurden, für die jeweils zu regelnden Aufgaben stets ausreichend differenzierte Lösungen zu finden“, BVerfG, Urteil v. 22. November 2000, Bodenreform III, www.bverfg.de, Rn. 285. 455 Vgl. nur exemplarisch Stellungnahme Reich (Bündnis 90/Die Grünen), der sein Bedauern über die Tatsache, dass die Stasi-Aktenregelung in Form einer Absichtserklärung statt in Form eines Gesetzes erfolgt ist, Beschlussempfehlung des Ausschusses Deutsche Einheit (Verfassungsgesetz) v. 31. August 1991, abgedr. in: Dt. BT (Hrsg.), Auf dem Weg zur Deutschen Einheit, S. 284 (321).

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den nötigen Nachdruck zu verleihen, wurden Unterschriften für eine Änderung der Regelung gesammelt. Am 4. September 1990 besetzten mehrere hundert Demonstranten die frühere Zentrale des MfS in der Normannenstraße. Am darauf folgenden 12. September traten die Demonstranten, nachdem der damalige Innenminister Diestel ihnen mit strafrechtlichen Konsequenzen drohte, in einen Hungerstreik ein. Sie forderten von den Regierungen erneut eine Nachbesserung des Einigungsvertrages. Die zentrale Forderung bestand darin, dass die Akten den neuen Ländern unterstellt werden sollten und dass der Auftrag zur Aufarbeitung als oberstes Ziel weiterhin garantiert wird.456 Dabei waren sich zumindest einige der Volkskammerabgeordneten der mit der Rechtsnatur der Zusatzvereinbarung als Bestandteil eines völkerrechtlichen Vertrages verknüpften Problematik bewusst. So hieß es von Bündnis 90/Grüne: „Auch das künftige Parlament sollte in dieser Sache [Umgang mit den Stasi-Unterlagen] den Willen der Volkskammer respektieren.“457 Die juristische Konstruktion eines Staatsvertrages, wobei ein Völkerrechtssubjekt wegfällt, sei mehr als zweifelhaft. Die Vereinbarungen würden dann Bundesrecht, das mit einfacher Mehrheit abgeändert werden könne. Das Interessenverhältnis stünde dann 80:20.458 Dementsprechend forderte der Volkskammer-Abgeordnete Thierse: „Auf jeden Fall gilt es im Einigungsvertrag sicherzustellen, [. . .] daß [. . .] die Intentionen des von der Volkskammer beschlossenen Gesetzes auch nach dem 3. Oktober beachtet werden, nämlich die Möglichkeit, die Akten für die historisch-politische Aufarbeitung zu nutzen.“459

Der damalige Ministerpräsident de Maizière schlug daraufhin eine nachbessernde Absprache in Form eines Briefwechsels vor.460 Da die DDR seinerzeit an den Bundesgesetzgeber nur „Erwartungen“ und keine „Verpflichtungen“ richten konnte, sprach das Schreiben auch nur von Erwartungen.461 Genau dieser Wortlaut des Briefwechsels fand im Wortlaut der Zusatzvereinbarung seine Entsprechung.462 Damit sollte den hart erkämpften Forde456 Dazu J. Reich, Anm. 450. Dementsprechend hieß es von den Abgeordneten der DSU: „Wir stimmen Anlage II nicht zu, solange der Beschluss der Volkskammer vom 24.8.1990 keine Aufnahme findet“, S. 284 (296). 457 Stenograph. Niederschrift der Volkskammer der DDR v. 13. September 1990, S. 1636, abgedr. in: Dt. BT (Hrsg.), Auf dem Weg zur Deutschen Einheit, S. 167 (216). Vgl. aber auch Stellungnahme v. Gysi, ebd., S. 284 (296). 458 Stenograph. Niederschrift der Volkskammer der DDR v. 13. September 1990, ebd., S. 167 (214). 459 Ebd., S. 167 (183). 460 34. Tagung der Volkskammer, in: Volkskammer Protokolle, 10. Wahlperiode, Bd. 29, S. 1567. 461 Interview mit Ministerpräsident a.D., L. de Maizière, April 2006. 462 Vgl. oben B.

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rungen der DDR bei der Regelung des weiteren Schicksals der Stasi-Unterlagen so nah wie möglich entsprochen werden. Was man allerdings versäumte, ist die zunächst bloß einseitige Erwartung gemeinsam in eine Verpflichtung umzuformulieren. Stattdessen „erwarten“ nun nach dem Wortlaut der Zusatzvereinbarung paradoxerweise beide Parteien eine gesetzgeberische Regelung. Nimmt man die Zusatzvereinbarung wörtlich, dann macht ihr Abschluss nur begrenzt Sinn. Sie würde sich von der nachverhandelten Regelung in der Anlage I Kap. II, Sachgebiet B, Abschnitt II, Nr. 2 nicht unterscheiden. Sie würde lediglich eine Präzisierung darstellen, die in ihrem Gewährleistungsgehalt über die ursprüngliche Regelung kaum hinausgeht. Aus der Empfehlung wäre dann eine gleichfalls nicht verpflichtende Erwartung geworden; aus der hinsichtlich der Intensität einst undefinierten Berücksichtigung wäre eine umfassende Berücksichtigung geworden, und die Grundsätze des Volkskammergesetzes wären nun in Spiegelstrich 2, 3 benannt worden. Das war aber – dies macht die Entstehungsgeschichte deutlich – mit dieser Regelung nicht gewollt. Vielmehr sollte nach dem Willen der DDR hier eine Garantie im Sinne einer Verpflichtung zur Schaffung eines Stasi-Unterlagen-Gesetzes normiert werden. Dies war nicht nur der Wunsch der DDR, sondern auch das – wenngleich widerwillige – Zugeständnis der westdeutschen Verhandlungsführer, da man nur mit einer Verpflichtung den ursprünglichen Mangel der Verbindlichkeit, der zur Nachverhandlung führte, hat beseitigen können.463 Eine halbherzige Lösung in Form eines präzisierten Begehrens wäre nach den Kontroversen für die DDR nicht in Betracht gekommen. b) Konsequenz für die Auslegung der Zusatzvereinbarung Ungeachtet der erheblichen historischen Gesichtspunkte, die für einen verbindlichen Rechtssetzungsauftrag sprechen, ist der Wortlautauslegung hier dennoch der Vorzug zu geben.464 Eine abweichende historische Auslegung vermag aus Gründen der Rechtssicherheit nur dann Platz greifen, wenn der Wortlaut eine dem Ergebnis der historischen Auslegung entsprechende Auslegung zuließe.465 Dies ist in Bezug auf die hier in Rede stehende Zusatzvereinbarung nicht der Fall. In die Erwartung der Vertragsparteien eine gesetzgeberische Verpflichtung zu lesen, käme einer Auslegung contra legem gleich. Diese Tatsache lässt sich auch nicht mit den Beson463 Zum Ablauf der anderthalbtägigen Verhandlungen B. Schmidt-Bleibtreu, Deutsche Wiedervereinigung Bd. II 2, S. 99. 464 Zum Vorrang der historischen Auslegungsmethode bei der Anwendung des DDR-Rechts, vgl. E. Herbst/H. Lühmann, Die Staatshaftungsgesetze der neuen Länder-Kommentar, S. 25. 465 K. Larenz, Methodenlehre, S. 216.

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derheiten, die sich möglicherweise bei der Auslegung aus dem Charakter als Eingliederungsvertrag ergeben – ganz gleich welche Rechtsnatur der Einigungsvertrag nach dem Beitritt inne hat466 –, überwinden. Zwar mag sich aus dem Umstand, dass die Zusatzvereinbarung als Bestandteil des Einigungsvertrages – anders als andere völkerrechtliche und staatsrechtliche Verträge – einer Nachbesserung durch die ursprünglichen Vertragsparteien entzieht, eine Pflicht zur besonderen Berücksichtigung der historischen Hintergründe ergeben.467 Des Gleichen mag man darauf verweisen, dass die Einbeziehung historischer Umstände im Einigungsvertrag auch der Ermittlung des telos468 dient, da die Vertragsparteien – sei es aus Zeitgründen, sei es aus Selbstverständlichkeit heraus – darauf verzichtet haben, den Vertragstext – insbesondere die Präambel – mit einem gesonderten Hinweis auf die ratio legis zu versehen. Dennoch kann darüber nicht der Wortlaut einer Vorschrift im Nachhinein korrigiert werden. Man wird daher den Wortlaut der Zusatzvereinbarung letztlich als ein historisches Versehen oder als Überrumpelung der DDR sehen können und von einer gesteigerten politischen Verpflichtung sprechen müssen. Aus rechtlicher Sicht bleibt es aber bei einer nicht verpflichtende Aufforderung an den Gesetzgeber zur Aufarbeitung. II. Einfluss der Zusatzvereinbarung auf die Regelung der §§ 32, 34 StUG Damit bleibt zu klären, ob und welchen Einfluss die Zusatzvereinbarung auf die Regelung der §§ 32, 34 StUG überhaupt hat. Fest steht, dass der Gesetzgeber zu einer „bereichsspezifischen Sonderregelung“ zum Umgang mit den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes verpflichtet war. Dies folgt aber nicht aus der Zusatzvereinbarung selbst, sondern ist dieser notwendigerweise vorgelagert. Die Verpflichtung zum Erlass einer Sonderregelung folgte bereits aus Anlage I Kap. II, Sachgebiet B, Abschnitt II, Nr. 2 b S. 2 EV.469 Die Form eines Sondergesetzes hingegen wurde nicht vorgeschrieben. Herausgearbeitet wurde auch, dass nach dem Wortlaut der Zusatzvereinbarung eine Rechtspflicht zur Aufarbeitung der Tätigkeit des 466

Umfassend zu den dazu existierenden Theorien H. Wagner, Anm. 413, S. 30 ff. 467 Vgl. Art. 32 WVK; R. Bernhardt, Anm. 413, S. 124 schließt es nicht aus, dass die Begleitumstände eines Vertrages unter Umständen sogar den Hauptpfeiler der Argumentation darstellen. 468 Zu den Schnittstellen zwischen historischer und teleologischer Auslegung vgl. F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 451 m. w. N. 469 Amtliche Erläuterungen zum EV Anlagen I–III, zu Anlage 2 Kap. II, Sachgebiet B, zu Abschnitt II, zu Nummer 2 b.

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Staatssicherheitsdienstes nicht besteht.470 Diese Auslegung wird auch durch die folgende Praxis bestätigt. So wurde die Zusatzvereinbarung in der Begründung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes nicht einmal erwähnt.471 Auch die Expertenkommission geht in ihren Empfehlungen von 2006 nur von einer „politischen Legitimation“472 der Behördentätigkeit aus. Auch hieß es bereits im damaligen Protest der gemeinsamen Kommission der Neuen Länder473: „Wir verkennen nicht, daß die zitierten Empfehlungen und Erwartungen keine rechtliche Verbindlichkeit haben. Aber die politische Verbindlichkeit der gemeinsam ausgesprochenen Erwartung bleibt doch gültig, auch nachdem die DDR als Vertragspartner nicht mehr existiert. Die Menschen, die sich auf diese Festlegung verlassen haben, sind ja noch da.“474

Inwieweit die in der Zusatzvereinbarung formulierte Erwartungshaltung mit der Schaffung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes eingelöst wurde475 oder mit dem Fortfall des Aufarbeitungszwecks476 nach dem Grundsatz „cessante ratione legis cessat ipsa lex“477 obsolet geworden ist oder zu werden 470

So auch Badura, Öffentliche Anhörung der Sachverständigen v. 27. August 1991, Stenograph. Protokoll der 12. Sitzung des Innenausschusses des Dt. BT, abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 437 (470). 471 Kritisch dazu BR-Mitglied Geisler (Sachsen), in: Stenograph. Bericht, 633. Sitzung des BR, S. 313 ff.; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 423. Erwähnung fand die Zusatzvereinbarung aber im Eckpunktepapier der CDU/CSU; FDP; SPD u. Bündnis 90/Die Grünen: „Es sind die rechtlichen Voraussetzungen für eine umfangreiche Aufarbeitung der Unterlagen durch die Forschung, aber auch geeignete Einrichtungen der politischen Bildung zu schaffen“, Stenograph. Protokoll, 12. Sitzung des Innenausschusses des Dt. BT, 27. August 1991, S. 2. Die Beschlussempfehlung und der dazugehörige Bericht des Innenausschusses enthalten eine identische Formulierung, vgl. BT-Drs. 12/1540, abgedr. in: K. Stoltenberg, ebd., 290. 472 Empfehlungen der Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ v. 15. Mai 2006, S. 8. 473 Öffentliche Anhörung der Sachverständigen v. 27. August 1991, Stenograph. Protokoll der 12. Sitzung des Innenausschusses des Dt. BT, abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 437 (457). 474 Geiser (BR Sachsen), Stenograph. Bericht, 633. Sitzung des BR, S. 313 ff.; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 423. In diesem Sinne auch Staatssekretär Ermisch (Sachsen): „Auch wenn die zitierten Empfehlungen und Erwartungen keine rechtliche Verbindlichkeit haben (worüber noch nachzudenken wäre), [. . .] so bleibt doch eine politische Verbindlichkeit“, Stenograph. Bericht, 638. Sitzung des BR, S. 585 ff.; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 428 (436). 475 So „Mit dem Gesetzentwurf soll diese Aufforderung umgesetzt werden“, Vorwort des gemeinsamen Gesetzentwurfs v. CDU/CSU, SPD u. FDP, BT-Drs. 12/723, Bd. 429. Desgleichen Erklärung des Parl. Staatssekretärs Lintner: Mit dem von der Bundesregierung verabschiedeten Entwurf würden die Konsequenzen aus dem Einigungsvertrag gezogen, Stenograph. Bericht, 633. Sitzung des BR, S. 313 ff.; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 423 (426). 476 Vgl. dazu Ausführungen oben Teil 1 Kap. 2 § 1 A. II.

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droht, bedarf hier keiner weiteren Nachprüfung. Diese Frage mag zwar politisch von Bedeutung sein, rechtlich ist sie jedoch für die Folgebetrachtung ohne Belang. Zurückkommend auf die Ausgangsfrage, welches Gewicht das Anliegen der Aufarbeitung bei der Abwägung mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht letztlich einnimmt, muss festgestellt werden, dass sich zumindest aus der Zusatzvereinbarung hierfür keine Implikationen ergeben. Die Zusatzvereinbarung erhebt die Aufarbeitung noch nicht zu einem geschützten Rechtsgut. Sie erkennt lediglich ein politisches Interesse daran an. Eine rechtliche Verpflichtung, das Aufarbeitungsanliegen im Abwägungsprozess zu berücksichtigen, ergibt sich aus der Zusatzvereinbarung nicht; aber eine politische.

C. Verfassungsauftrag zur Aufarbeitung? Mit Art. 117 ist die Aufarbeitung der Vergangenheit in der Sächsischen Verfassung zum Staatsziel erhoben worden.478 Die Verfassung des Freistaates Sachsen ist damit die einzige Verfassung in der Bundesrepublik, die das Ziel der Aufarbeitung explizit in den Rang des Verfassungsrechts erhebt.479 Das für die hier zu untersuchende Frage nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben an das Stasi-Unterlagen-Gesetz relevante Grundgesetz enthält keine vergleichbare Vorschrift. Dies kann auch nicht verwundern, entstanden doch zumindest der Begriff der Aufarbeitung und die damit verbundene Diskussion erst nach Schaffung des Grundgesetzes.480 Bei der Aufarbeitung 477 Danach soll ein Gesetz obsolet werden, wenn seine ratio als die „anima legis“ erreicht ist, H. Krause, Cessante causa cessat lex, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kan.Abt., 46, 1960, S. 81 ff.; K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 83. Aus der Rechtsprechung: RGZ, Urteil v. 19. April 1881, Erbschaftsvertrag, RGZE 4, 125 (127); StGH, Entsch. v. 29. Juni 1925, Staatsvertrag zwischen der Freien Hansestadt Bremen und dem Lande Preußen, RGZE 112, 21–32 (Anhang); BAG, Beschluss v. 16. März 1962, HausarbeitstagsG, BAGE 13, 1 (15). Freilich fragt sich hier schon, ob dieser Grundsatz im Lichte v. Art. 20 Abs. 2 GG noch seine Berechtigung hat. Dagegen: H. Schneider, Gesetzgebung, Rn. 559; H. Klein, in: Verantwortlichkeit und Freiheit, FS Geiger, S. 139. Zurückhaltend auch F. Bydlinski, Anm. 468, S. 375, 588 f. 478 Art. 117 Sächs Verf: „Das Land trägt im Rahmen seiner Möglichkeiten dazu bei, die Ursachen individuellen und gesellschaftlichen Versagens in der Vergangenheit abzubauen, die Folgen verletzter Menschenwürde zu mindern und die Fähigkeit zu selbstbestimmter und eigenverantwortlicher Lebensgestaltung zu stärken“. Zurückhaltend zum Staatszielcharakter B. Kunzman/M. Haas/H. Baumann-Hasske, Die Verfassung des Freistaates Sachsen, Art. 117 Rn. 1. 479 Art. 6 Abs. 3 VerfThür hebt die Notwendigkeit der Aufarbeitung nur als Schranke des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor, billigt ihr damit aber noch keinen verfassungsrechtlichen Status zu. 480 Siehe Teil 1 Kap. 2 § 1 A.

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der NS-Vergangenheit, soweit sie in den Anfangsjahren der Bundesrepublik überhaupt erfolgte481, spielte die Frage nach einem verfassungsrechtlichen Muss keine Rolle. Bei diesem Befund kann die verfassungsrechtliche Analyse des Regelungsziels Aufarbeitung jedoch nicht Halt machen. Wie gezeigt verbirgt sich hinter dem Begriff der Aufarbeitung eine multiple Zielsetzung. Diese Zielsetzung gilt es im Einzelnen aufzuschlüsseln und auf ihre verfassungsrechtlichen Bezüge hin zu untersuchen.482 Nur so kann aus der Perspektive des Verfassungsrechts ein abschließendes Urteil über die Bindungen, denen der Gesetzgeber bei der Regelung der §§ 32, 34 StUG im Hinblick auf das Regelungsziel Aufarbeitung unterlag, getroffen werden. Nur auf diese Weise kann auch das abstrakte Gewicht des Regelungsziels Aufarbeitung im Abwägungsprozess mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht bestimmt werden, das sich – wie dargelegt483 – maßgeblich nach dem normativen Rang und nach der Verfassungsnähe bestimmt. Die Feststellung der durch die verfassungsrechtlichen Bezüge der Aufarbeitung determinierten Reichweite der gesetzgeberischen Bindung muss dabei von einer zweistufigen Fragestellung geleitet werden. Lässt sich dem Grundgesetz ein allgemeiner Auftrag zur Aufarbeitung der beiden deutschen Diktaturen im Allgemeinen oder der DDR-Diktatur im Besonderen entnehmen, oder – anders formuliert – ist Aufarbeitung ein Verfassungsgut? Sollte dem so sein, ist weiter zu klären, inwieweit sich hieraus auch ein spezifischer Auftrag zur Offenlegung der Stasi-Unterlagen ergibt. Sollten sich hingegen aus der Verfassung keine Anhaltspunkte für einen solchen Verfassungsauftrag ergeben, ist stattdessen zu klären, wie nahe die Bezugspunkte der mit dem Begriff Aufarbeitung verknüpften Zielsetzungen mit dem Grundgesetz tatsächlich sind. Denn dieser Befund zeitigt – wie dargestellt484 – wiederum Rückwirkungen im Rahmen des Abwägungsprozesses; sowohl für die einfachgesetzliche Ausgestaltung als auch bei der Anwendung im konkreten Einzelfall. Ungeachtet der fehlenden expliziten Verankerung eines Rechtsauftrages zur Aufarbeitung im Grundgesetz, verwiesen verschiedene Experten anlässlich der Debatten um das Stasi-Unterlagen-Gesetz, aber auch die Rechtsprechung in Bezug auf die Relevanz der Aufarbeitung der Herrschaftsmechanismen der DDR immer wieder auf das Grundgesetz, beziehungsweise auf 481 Zum Mythos der Vergangenheitsbewältigung in Bezug auf die NS-Diktatur jüngst J. Perels, Die Zeit v. 26. Januar 2006, Feuilleton, der allerdings Aufarbeitung ausschließlich im strafrechtlichen Sinne versteht. 482 Ch. Engel, Anm. 153, S. 103 ff. zur Bedeutung von Zweckbündeln im Abwägungsprozess: „Der Verfassungsinterpret muss folglich nach allen Kräften danach trachten, das Bündel aufzuschnüren.“ 483 Teil 1 Kap. 1 § 3 A. I. 484 Teil 1 Kap. 1 § 3 A. II., III.

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die darin verankerten Rechtsgüter, und stellten so den Bezug zwischen Aufarbeitung und Grundgesetz her. So hieß es, die Offenlegung der „Stasi-Vergangenheit“ sei eine „unbedingte Voraussetzung“ für die „Entwicklung einer demokratischen Kultur des wiedervereinigten Deutschlands“485, „unabdingbare Voraussetzung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und eines jeden freien und pluralistischen Gemeinwesens“486; „Ergänzung des Opferschutzes“487; mehr noch: die Schließung der Stasi-Akten käme einer „fortgesetzten Menschenrechtsverletzung“488 gleich. Groth meint gar: „Nicht nur jede Schließung der Archive, sondern auch jede nur formale Offenhaltung ohne wirkliche Möglichkeit der umfassenden politischen, historischen und juristischen Aufarbeitung wäre ein schwerer Verfassungsverstoß“.489 Juristisch transkribiert sind damit folgende Dimensionen des Grundgesetzes angesprochen: das Wiedervereinigungsgebot, die freiheitlichdemokratische Grundordnung und der Grund- und Menschenrechtsschutz. Obzwar in zahlreichen Stellungnahmen direkt oder indirekt immer wieder der Bezug zwischen Aufarbeitung und Grundgesetz hergestellt wurde, ist der Versuch einer verfassungsrechtlichen Begründung des Aufarbeitungsauftrages nie unternommen worden. So oft die Frage des „Wie“ der Aufarbeitung aus verfassungsrechtlicher Perspektive erörtert wurde, so selten wurde die Frage nach dem verfassungsrechtlichen „Ob“ der Aufarbeitung gestellt.490 Lediglich Klein stellte auf der 51. Staatsrechtslehrertagung einmal die Frage nach dem verfassungsrechtlichen „Wozu“ der Aufarbeitung; eine Frage, die aber in der Folgediskussion nicht mehr aufgegriffen wurde.491 Nur noch ein weiteres Mal, auf der Tagung des Arbeitskreises Staats- und Verfassungsrecht im November 1991, griff Randelzhofer indirekt die Frage auf, ob es sich bei der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes durch Offenlegung der Stasi-Unterlagen nicht nur um eine philoso485 Gesetzgebungsvorschlag des Bürgerkomitees v. 10. Februar 1992, abgedr. in: Gauck, Die Stasiakten, S. 117 f. (Begründung I). 486 LG München, Urteil v. 15. April 2009, Heinrich, 9 O 1277/09. 487 Stellungnahme Marx vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 24; Stellungnahme Beleites, ebd., S. 14: „Umfassender Opferschutz wird allerdings am stärksten durch eine umfassende Aufarbeitung ermöglicht.“ 488 K. M. Groth, KJ 1991, 168 (172). 489 K. M. Groth, Anm. 488. 490 Vgl. nur die Diskussion auf der 51. Staatsrechtslehrertagung, VVDtStRL 51, 1 ff.; Dt. BT (Hrsg.), Materialien der Enquetekommission, Bd. II 1, S. 28 ff. 491 „Für mich stellt sich eine zusätzliche Frage, nämlich die Frage des Wozu; d.h. die Frage nach der Funktion der rechtsstaatliche Bewältigung der Vergangenheit. Allein die Befriedigung darüber, dass das Rechtsstaatsprinzip sich auch für die in der Vergangenheit liegenden Verhältnisse durchsetzt, kann eigentlich nicht das eigentliche Ziel sein.“, VVDtStRL 51, 120.

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phische, soziologische oder politische Notwendigkeit, sondern um eine Vorgabe der Verfassung handelt: „Ich frage mich, wie wäre es mit der Verfassungsrechtslage, wenn wir die Vereinbarung [gemeint war die Zusatzvereinbarung zum EV492] nicht hätten?“493 Jedoch blieb auch diese Frage in der fortlaufenden Diskussion unbeantwortet, so dass diese Arbeit nicht umhin kommt, die in den Stellungnahmen nur flüchtig angestrahlten verfassungsrechtlichen Bezugspunkte der Aufarbeitung auszuleuchten. Genauso wie bei der Bestimmung der Parameter für den Abwägungsprozess494 hängt auch die Beantwortung der Frage nach der verfassungsrechtlichen Verankerung der Aufarbeitung in weiten Teilen vom verfassungsrechtlichen Vorverständnis über Möglichkeiten und Grenzen der Verfassungsauslegung und, dieser Frage vorgelagert, von den Funktionen einer Verfassung ab.495 Daher muss hier – ohne dass erneut die vieldiskutierte Suche nach der richtigen Interpretationsmethode unternommen werden soll – kurz auf die Vorfrage, was sind verfassungsrechtliche Schutzgüter, eingegangen werden: Reicht es für die Qualifizierung als Verfassungsgut aus, dass bestimmte Bezüge zur Verfassung, genauer zu geschriebenen Verfassungsgütern – wie in den Stellungnahmen angedeutet496 – bestehen, oder ist hier vielmehr eine spezifische verfassungsrechtliche Absicherung des Rechtsgutes, sei es in Form eines Staatsziels wie in Art. 117 der Sächsischen Verfassung, oder gar ein Rechtssetzungsauftrag erforderlich?497 492

Vgl. Teil 1 Kap. 2 § 1 B. A. Randelzhofer, Anm. 424. 494 Vgl. Teil 1 Kap. 1. 495 So wird man mit Kelsens positivistischem Ansatz nach Sichtung des grundgesetzlichen Wortlautes sehr schnell zur Ablehnung eines Verfassungsguts „Aufarbeitung“ kommen, vgl. H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre. Dazu bereits Einleitung § 2 III. Schaut man dagegen durch die Smendsche Brille auf das Verfassungsrecht, misst man der Verfassung einen besonderen integrativen Charakter zu und erhebt das Recht zum Integrationsinstrument, wird man unter Hervorhebung der integrativen Funktion der Aufarbeitung sehr viel schneller zu einer verfassungsrechtlichen Notwendigkeit der Aufarbeitung kommen, R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht. Nach ihm ist der Sinn der Verfassung selbst, ihre Intention nicht auf Einzelheiten zu beschränken, sondern auf die Totalität des Staates und die Totalität seines Integrationsprozesses, die jene elastische, ergänzende, von aller sonstigen Rechtsauslegung weit abweichende Verfassungsauslegung nicht nur erlaubt, sondern gar fordert, S. 79. 496 Vgl. Anm. 485, 487, 488. 497 Eine verfassungsgewohnheitsrechtliche Absicherung der Aufarbeitung bedarf an dieser Stelle keiner näheren Untersuchung. Abgesehen von der Frage, ob es im Lichte des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG und des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots überhaupt Verfassungsgewohnheitsrecht geben kann, lässt sich für die Aufarbeitung der DDR-Diktatur kaum eine Rechtsüberzeugung nachweisen, vgl. auch das Fazit v. B. Fassbender, in: Randelzhofer/Tomuschat, State Responsibility and the Individual, S. 251 (253). Tatsächlich findet sich in den Debatten und in der Be493

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Reichte ein loser Bezug zu anderen verfassungsrechtlich abgesicherten Gütern allein aus, stiege nahezu jedes auch nur einfach-gesetzlich anerkannte Rechtsgut in den Rang eines verfassungsrechtlichen Rechtsgutes auf, da sich ein irgendwie gearteter verfassungsrechtlicher Bezug bei jedem Rechtsgut ausmachen lässt.498 Daher wird unter einem Verfassungsgut hier nur ein Gut verstanden, das durch verfassungsrechtliche Normen, seien es geschriebene oder ungeschriebene Normen, geschützt ist. Stellt man jedoch die Frage nach den Möglichkeiten und den methodischen Anforderungen an die Deduktion von ungeschriebenen Sätzen des Verfassungsrechts, so bleiben Staats- und Verfassungslehre weitgehend eine Antwort schuldig.499 Dies obgleich deutsche Gerichte in ihrer Rechtsprechung immer wieder auf den Wortlaut einzelner oder mehrerer verfassungsrechtlicher Normen aufbauend so nicht benannte Rechtssätze hergeleitet haben.500 gründung der Aufarbeitungsgesetze – wie den SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen, BGBl. I 1999, S. 2664, darunter das Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet, BGBl. I 1992, S. 1814, das verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz, BGBl. I 1994, S. 1311, das berufliche Rehabilitierungsgesetz, BGBl. I 1995, S. 1782, sowie dem Gesetz über die Errichtung der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, BGBl. I 1998, 1226, und dem Stasi-Unterlagen-Gesetz, BGBl. I 2003, S. 1654 – kein einziger Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber hier in Erfüllung eines verfassungsrechtlichen Aufarbeitungsauftrages oder mit dem Willen, einen solchen zu setzen, gehandelt hat. Stattdessen entsprachen all diese Legislativakte den bereichsspezifischen Vorgaben des Einigungsvertrages. Damit fehlt es an dem für die Schaffung von Gewohnheitsrecht konstitutiven Merkmal der opinio iuris. Gleiches gilt für die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechts, wobei sich hier noch zusätzlich die Frage stellt, ob überhaupt nur eine hinreichende Praxis vorliegt, die einen über einzelne Aufarbeitungspraktiken hinausgehenden Schluss auf ein verfassungsgewohnheitsrechtliches Kollektivgut Aufarbeitung zuließen. 498 Ch. Engel, Anm. 153. 499 Vgl. etwa die Arbeit v. K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen; siehe auch K. Stern, StaatsR I, aber auch die Grundlagenwerke zur Methodenlehre, K. Larenz, Anm. 295; F. Müller/R. Christensen, Juristische Methodik, Bd. I; F. Bydlinski, Anm. 468. Eine umfassende Untersuchung zum ungeschrieben Verfassungsrecht enthält die Arbeit von H. A. Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht. Aus ihr ergeben sich Abgrenzungskriterien für die Unterscheidung zwischen geschriebenem und ungeschriebenem Verfassungsrecht. Für die hier in Rede stehende Grenze zwischen ungeschriebenem Verfassungsrecht und einfachem Recht enthält sie jedoch auch keine klaren Kriterien. 500 Vgl. Recht auf informationelle Selbstbestimmung, vgl. Teil 1 Kap. 2 § 3, Anspruch auf das Existenzminimum, BVerwG, Urteil 24. Juni 1954, Existenzminimum, BVerwGE 1, 159 (161 f.). (Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage nach einem allgemeinen Anspruch auf Sicherung eines Existenzminimums bislang offengelassen, ausdrücklich BVerfG, Beschluss v. 20. Juli 1987, Fortgesetzte Berufskrankheit, BVerfGE 75, 348 (360) und nur in Einzelfällen Ansprüche zugestanden, vgl.

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Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Gewaltenteilung zwischen Gerichtsbarkeit und Gesetzgebung wird man eine solche Ergänzung des geschriebenen Verfassungsrechts praeter legem nur dann anerkennen können und müssen, wenn die Auslegung einer oder mehrerer Verfassungsnormen nur den Schluss auf die Existenz einer solchen Norm zulassen, oder anders ausgedrückt, wenn diese Norm conditio sine qua non für die explizit in der Verfassung verankerten Normen ist.501 Für die hier zu klärende Frage nach der Existenz eines Verfassungsguts Aufarbeitung bedeutet dies, dass die Aufarbeitung eine zwingende Voraussetzung für die Realisierung der inneren Wiedervereinigung oder/und des Grundrechtsschutzes oder/und der Gewährleistung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sein müsste.502 I. Aufarbeitung und inneres Wiedervereinigungsgebot Der erste Ansatz für die Frage nach der verfassungsrechtlichen Verankerung der Aufarbeitung muss aufgrund seiner Sachnähe das Wiedervereinigungsgebot sein. Ganz überwiegend wurde die Aufarbeitung der Vergangenheit als Grundlage für den erfolgreichen Einigungsprozess erachtet. So forderte Grimm bereits frühzeitig „[e]ine Integration durch gemeinsame Aufarbeitung der Vergangenheit“. Es gelte das Grundgesetz in den Köpfen und Herzen, besonders auch der Bürger des „Beitrittsgebiets“, durch eine breite öffentliche Diskussion zu verankern und den administrativ dominierBVerfG, Beschluss v. 18. Juni 1975, Waisenrente, BVerfGE 40, 121 (133)); Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, BVerfG, Urteil v. 18. Juli 2005, Europäischer Haftbefehl, www.bverfg.de, Rn. 71; BVerfG, Beschluss v. 26. Oktober 2004, Bodenreform IV, www.bverfg.de, Rn. 98. 501 In diese Richtung wohl auch Ch. Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht, S. 45 f. 502 Die hier zu behandelnde Frage nach der verfassungsrechtlichen Verankerung der Aufarbeitung wirft aber neben der Art und Weise der instrumentalen Herangehensweise an die Verfassungsinterpretation noch ein damit zusammenhängendes, aber zugleich davon zu unterscheidendes substantielles Problem auf: Wenn Aufarbeitung – wie behauptet – für die politische Kultur oder noch präziser für das Vertrauen in Verfassungswerte – wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte – conditio sine qua non ist, dann stellt sich hier konkret die allumstrittene Frage, ob nicht eine (demokratische) Verfassung als solche bereits das Ergebnis dieses Vertrauens sein sollte, oder ob diese Verfassung erst Vertrauen in diese Werte schafft bzw. diese bewahrt, sprich ob die Verfassung Rahmen gesellschaftspolitischer Steuerung oder ob sie selbst Steuerungsinstrument ist. Davon hängt maßgeblich ab, ob Aufarbeitung überhaupt eine verfassungsrechtliche Forderung sein kann oder, ob es sich hierbei nicht vielmehr um eine vor-verfassungsrechtliche – d.h. eine politische Frage – handelt.

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ten Einigungsprozess mit gemeinsamen symbolischen Gehalten zu „unterfüttern“.503 Apodiktisch formuliert heißt es bei Blankenagel: „Ohne Vergangenheit ist kollektive Identität, und ohne kollektive Identität ist Gesellschaft nicht denkbar.“504 Diesen Gedanken aufgreifend stellt die Begründung des Gesetzesentwurfs zum Stasi-Unterlagen-Gesetz von Bündnis 90/Die Grünen fest: „Der innere Friede des einzelnen und der Gesellschaft ist nur möglich, wenn bekannt ist, was mit jedem einzelnen und der Gesellschaft in den letzten 40 Jahren passiert ist“505. Kollektive Identität sei maßgeblich durch gemeinsame Erfahrungen geprägt. Das Geschichtsbewusstsein wiederum konstituiere sich „einerseits durch soziale Interaktion und gesellschaftliche Vermittlungsprozesse sowie andererseits durch die Verarbeitung jeweils eigener historischer und biographischer Erfahrungen.“506 Sie schaffe so die Grundlagen für eine Zukunftsplanung durch die Auswahl und den Rückgriff auf Traditionen.507 Die Verabschiedung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes sei insofern ein wichtiger Schritt zum Zusammenwachsen beider Teile der Bundesrepublik gewesen. Auf ostdeutscher Seite habe es zur Überwindung der Angst beigetragen, und die westdeutsche Seite habe so die Möglichkeit nachzuvollziehen, wie ein totalitäres System eine ganze Gesellschaft verkrüppeln könne.508 503 D. Grimm, Anm. 354, 148 (152). Zur identitätsstiftenden Bedeutung der Vergangenheitsbewältigung vgl. auch J. Vergau, Anm. 316, S. 11 ff. 504 A. Blankenagel, Anm. 328, 68 (81 f.). In diese Richtung auch J. Gauck, Die Zeit Nr. 16 v. 16. März 1990; abgedr. in: S. Schumann, Anm. 13, S. 89 ff. Vgl. auch grundsätzlicher S. Freud, Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten, in: Gesammelte Werke, Bd. X. 505 BT-Drs. 12/692, Bd. 429. Ähnlich auch Wiefelspütz, Stenograph. Bericht der 31. Sitzung des Dt. BT v. 14. November 1991, S. 2358; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 375 (392). 506 W. Weidenfeld/K. R. Korte, Handwörterbuch zur deutschen Einheit, S. 348 f. Unter kollektiver Identität wird hier die prinzipielle Übereinstimmung im Bewusstsein, im Verhalten und in der Willensbildung einer Gruppe, die dazu befähigt, sich mit ihr zu identifizieren, verstanden. Vgl. dazu J. Kocka, Prinzipielle Unterschiede und gemeinsame Probleme, in: Miller/Malte (Hrsg.), Erben deutscher Geschichte: DDR-BRD, S. 26 (31). 507 W. Weidenfeld/K. R. Korte, Anm. 506, S. 348 f. 508 Stenograph. Bericht der 31. Sitzung des Dt. BT v. 14. November 1991, S. 2358; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 375 (411). Desgl. Geisler: „Wer die Einheit vollenden will, [. . .] muß in den neuen Ländern Vertrauen schaffen.“ Die Menschen müssten sich vom Druck der Ungewissheit befreien, wer sie denunziert, bespitzelt oder benachteiligt hat. Das sei der ganz berechtigte Wunsch nach Wahrheit und habe nichts mit Neugierde und Sensationslust zu tun, Stenograph. Bericht, 633. Sitzung des BR, S. 313 ff.; abgedr. in: K. Stoltenberg, ebd., 423. Vgl. auch Böck (Minister Thüringen): „Dieses Gesetz ist für das Zusammenwachsen Deutschlands wichtig“, Stenograph. Bericht, 638. Sitzung des BR, S. 585 ff.; abgedr. in: K. Stoltenberg, ebd., 428 (430).

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

Dem Verfassungstext lässt sich jedoch genausowenig ein Aufarbeitungsziel wie ein Ziel zur Vollendung der inneren Einheit Deutschlands entnehmen. Das Ziel „die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden“ war jedoch Bestandteil der Präambel des bundesdeutschen Grundgesetzes bis zum 31. September 1990.509 Diesem Ziel kam nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht nur politische, sondern auch rechtliche Bedeutung zu. Danach waren alle Staatsorgane in der rechtlichen Pflicht, „die Einheit Deutschlands mit allen Kräften anzustreben“, ihre Maßnahmen danach auszurichten und insbesondere alles zu unterlassen, „was die Wiedervereinigung rechtlich hindert oder faktisch unmöglich macht“.510 Damit war auch die materielle Wiedervereinigung im Sinne eines gesellschaftlichen Zusammenwachsens gemeint. Nach dem formalen Akt der Wiedervereinigung ist dieser Auftrag aus dem Text des Grundgesetzes getilgt worden. Ob der Auftrag zur Vollendung der Wiedervereinigung mit dem Beitritt der DDR jedoch erfüllt wurde, ist damit nicht gesagt.511 Jedenfalls legt aber die Streichung aus dem Grundgesetz nahe, dass insoweit zumindest keine verfassungsrechtliche Pflicht mehr zur materiellen Vollendung der Wiedervereinigung besteht.512 Dies wäre keiner weiteren Erwähnung wert, hätte nicht das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss zur Verfolgung von DDR-Spionen ein „unmittelbar verfassungsrechtlich begründetes Strafverfolgungshindernis“513 aus dem dem Rechtsstaatsprinzip immanenten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgeleitet und dies maßgeblich mit dem Erfordernis der inneren Wiedervereinigung begründet.514 Gemessen am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 509

BGBl. I 1949, 1; BGBl. I 1990, S. 890. BVerfG, Urteil v. 17. August 1956, KPD, BVerfGE 5, 85 (1. Leitsatz); BVerfG, Beschluss v. 20. Dezember 1960, Kriegsdienstverweigerer I, BVerfGE 12, 45 (51); BVerfG, Beschluss v. 4. Juni 1973, Grundlagenvertrag, BVerfGE 35, 193 (194); BVerfG, Urteil v. 31. Juli 1973, Grundlagenvertrag, BVerfGE 36, 1 (17); ˇ SSR, BVerfGE 43, BVerfG, Beschluss v. 25. Januar 1977, Grundlagenvertrag BRD-C 203 (211); BVerfG, Beschluss v. 26. Mai 1981, V-Mann, BVerfGE 57, 250 (272); BVerfG, Beschluss v. 7. September 1987, Ehrenbezeigung für Honecker, EuGRZ 1987, 387; BVerfG, Urteil v. 21. Oktober 1987, Teso, BVerfGE 77, 137 (149); BVerfG, Beschluss v. 18. September 1990, Einigungsvertrag, BVerfG 82, 316 (322); BVerfG, Beschluss v. 5. Juni 1992, Deutsch-Polnischer Grenzvertrag, EuGRZ 1992, 306 (308); BVerfG, Urteil v. 23. April 1996, Bodenreform I, BVerfGE 84, 90 (118); BVerfG, Beschluss v. 15. Mai 1995, Spionage, BVerfGE 92, 277 (328 ff.; 357). 511 So aber E. Grabitz, in: Rechtsfragen des vereingten Deutschlands, S. 1. 512 Stellungnahme Streibl (BR/Bayern), Plenarprotokoll des BR, 618. Sitzung v. 7. September 1990, 462 A; Helm (Stellvertr. Präsident der VK), Stenograph. Niederschrift der Volkskammer der DDR v. 13. September 1990, S. 1636; abgedr. in: Dt. BT (Hrsg.), Auf dem Weg zur Deutschen Einheit, S. 167 (197). 513 BVerfG, Beschluss v. 15. Mai 1995, Spionage, BVerfGE 92, 277 (327, 355). 514 Zur Ableitung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus Art. 1 Abs. 1 GG vgl. oben Teil 1 Kap. 1 § 2. 510

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müsse – so das Gericht – „das Interesse der Bundesrepublik an der Verfolgung der gegen sie gerichteten Spionagetaten zurücktreten“.515 Die Strafverfolgung der so betroffenen DDR-Spione sei u. a. deshalb unangemessen, „weil es der Gestaltung der staatlichen Einheit entgegenwirkt, wenn die Staatsgewalt des vereinten Deutschlands gegenüber Personen, die zuvor für die DDR tätig waren, den Anspruch auf Bestrafung wegen der gegen die Bundesrepublik noch als ‚fremden‘ Staat gerichteten Spionage wie vor der Wiedervereinigung durchsetzen will.“516 Aus dieser und einer Vielzahl von anderen Entscheidungen des Gerichts (die allerdings nie das „Bewältigungskriterium“517 so deutlich herausstellten wie der Spionage-Beschluss) wurde in der Literatur der Schluss auf so genannte „Nachwirkung des Wiedervereinigungsgebots“ gezogen.518 Unklar blieb, was damit gemeint sein soll. Michael519 sprach von einem Argumentationsmuster. Desgleichen Murswieck520. Mal sprach Klein521 wie Häberle522 von einem Argumentationstopos, mal von einem „Verfassungsziel [. . .], das die Verfassungsauslegung beeinflusst“.523 Das Bundesverfassungs515

BVerfG, Beschluss v. 15. Mai 1995, Spionage, BVerfGE 92, 277 (328). BVerfG, Beschluss v. 15. Mai 1995, Spionage, BVerfGE 92, 277 (333). 517 So die Bezeichnung v. E. Klein, Anm. 316, S. 929 (992). 518 Vgl. nur beispielhaft: BVerfG, Urteil v. 24. April 1991, Warteschleife, BVerfGE 84, 133; BVerfG, Urteil v. 10. März 1992, Akademie der Wissenschaften, BVerfGE 85, 360; BVerfG, Beschluss v. 12. Mai 1992, Akademie der Landwirtschaftswissenschaften, BVerfGE 86, 81; BVerfG, Beschluss v. 2. März 1993, Verlängerung der Sonderkündigungsmöglichkeiten, DtZ 1993, 277; BVerfG, Beschluss v. 21. April 1994, Sozialauswahl (unveröffentlicht); BVerfG, Beschluss v. 21. April 1994, Hauptamtlicher Mitarbeiter, DtZ 1994, 313; BVerfG, Beschluss v. 21. Februar 1995, Volkspolizist I, BVerfGE 92, 140; BVerfG, Beschluss v. 1. Oktober 1997, SED-Funktionär, ZBR 1998, 168; BVerfG, Beschluss v. 13. Februar 1998, Verfassungsmäßigkeit der Sonderkündigungstatbestände, ZBR 1998, 352; BVerfG, Beschluss v. 4. April 2001, MfS/AfNS, BVerfGE 103, 310; BVerfG, Beschluss v. 4. Mai 1998, Richterübernahme, NJW 1998, 2592; BVerfG, Beschluss v. 21. September 2000, Anwaltszulassung, NJ 2001, 32. Eine umfassende Übersicht mit sämtlichen Entscheidungen bis Mai 1997 findet sich bei E. Klein, Anm. 316, S. 929. 519 L. Michael, AöR 1999, 583 (629). 520 D. Murswiek, Die Vereinigung Deutschlands. 521 E. Klein, Anm. 316, S. 929; desgl., in: Dt. BT (Hrsg.), Materialien der Enquetekommission, Bd. II 1, S. 33; desgl., in: Ipsen/Rengeling/Mössner/Weber (Hrsg.), Verfassungsrecht im Wandel, S. 91; desgl., in: FS zum 20jährigen Bestehen der Gesellschaft für Deutschlandforschung, S. 414. 522 P. Häberle, Perspektiven einer kulturwissenschaftlichen Transformationsforschung, FS für Mahrenholz, S. 133 (150). 523 Begriff und rechtliche Implikationen von Topoi sind kaum fassbar. So meint Th. Viehweg, Topoi sind „vielseitig verwendbare, überall annehmbare Gesichtspunkte, die im Für und Wider des Meinungsmäßigen gebraucht werden und zum Wahren hinführen können“, Topik und Jurisprudenz, S. 10. In diese Richtung geht 516

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

gericht selbst hat den Bezug zum Wiedervereinigungsgebot in keiner einzigen Entscheidung ausdrücklich gespannt.524 Vielmehr hat es mal auf „die singuläre Situation“525, mal auf „die historische Einmaligkeit der zu bewältigenden Aufgabe“526 abgestellt, um Abweichungen vom ‚normalen‘ Auslegungsergebnis bestimmter Regelungen zu treffen bzw. das Auslegungsergebnis zu untermauern. So hat es – was besonders für den hier interessierenden Konflikt zwischen Aufarbeitung und Allgemeinem Persönlichkeitsrecht von Bedeutung ist – Grundrechtseingriffe etwa mit dem Aufbau Ost als „einem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut“527 oder mit den „nicht negotiablen Vorbedingungen des Einigungsvertrages“ gerechtfertigt.528 Folglich sei der Gesetzgeber bei der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands, die ein verfassungsrechtliches Ziel und Gebot von hohem Rang darstellte, auch befugt gewesen, dem Restitutionsausschluss in Bezug auf Enteignungen zwischen 1945–1949 zuzustimmen.529 Das Verfassungsgericht ist – wie Klein in seinem Bericht an die EnqueteKommission des Deutschen Bundestages zu Recht feststellt530 – hier über die positiv-rechtliche Klärung der Verfassungslage hinausgegangen. Hier ist – wie insbesondere der Spionage-Beschluss531 zeigt – nicht mehr anhand geltender Verfassungsnormen ausgelegt worden. Hier ist das Verfassungsgericht gestalterisch tätig geworden. Hier wurde nicht mehr rational am Maßstab des geltenden Rechts argumentiert. Die Schlüsse, die das Gericht hier zog, entspringen keiner logischen Notwendigkeit, sondern der politischen Motivation des Gerichts. Ganz in diesem Sinne konstatierten die Richter Klein, Kirchhof und Winter in ihrem abweichendem Votum zum Spionage-Beschluss: „Die Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz diente unseres Erachtens dem Senat nur als Hülle für Überlegungen, die auch P. Häberle, Anm. 522, wenn er meint, dass es darum gehe, zu einer „gerechten“, gemeinwohladäquaten Entscheidung zu kommen. Vorsichtiger äußert sich F. Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 278: Der Begriff kennzeichne allenfalls die besondere Verwendungsweise einer Norm, nicht ihren Typ oder ihre Struktur. Sie sind zu unbestimmt als dass man unter sie subsumieren könnte. 524 In BVerfG, Beschluss v. 11. März 1997, Restitution, BVerfGE 95, 243 (248 f.) finden sich nur Bezüge zum EV; a. A. L. Michael, Anm. 519, 583 (576). 525 BVerfG, Beschluss v. 18. September 1990, Einigungsvertrag, BVerfG 82, 316 (321); BVerfG, Beschluss v. 5. Mai 1995, Spionage, BVerfGE 92, 277 (327). 526 BVerfG, Beschluss v. 24. Oktober 1996, Mauerschützen, EuGRZ 1996, 538 (549). 527 BVerfG, Urteil v. 10. März 1992, Akademie der Wissenschaften, BVerfGE 85, 360 (375). 528 BVerfG, Urteil v. 23. April 1996, Bodenreform I, BVerfGE 84, 90 (127). 529 BVerfG, Urteil v. 23. April 1996, Bodenreform I, BVerfGE 84, 90 (125). 530 E. Klein, Anm. 316, S. 929 (992). 531 BVerfG, Beschluss v. 15. Mai 1995, Spionage, BVerfGE 92, 277 (328 ff.).

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mit den gefestigten rechtlichen Maßstäben für die Anwendung dieses Prinzips nicht zu erfassen sind.“532 Es handle sich hierbei um eine „verfassungsrechtliche Grenzüberschreitung in das Gebiet der Politik“, sprich um eine „Einmischung in Kompetenzen des Gesetzgebers“.533 Es mag dahinstehen, ob dies zulässig war oder ob das Bundesverfassungsgericht strikt auf die Determinierung der verfassungsrechtlichen Grenzen politischen Gestaltungsspielraums festgelegt ist.534 Fest steht – und nur das ist für die hier stehende Frage nach einem Verfassungsziel „innere Wiedervereinigung“ relevant –, dass sich eben dieses Verfassungsziel aus der Fassung des Grundgesetzes von September 1990 nicht deduzieren lässt. Desgleichen handelt es sich nicht um einen Fall zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung.535 Gemessen an den von Bydlinski aufgestellten Kriterien kommt eine Rechtsfortbildung nur dann in Betracht, wenn das durch Auslegung der relevanten Normen erreichte Ergebnis unvereinbar ist mit den sonst in der Rechtsordnung anerkannten Wertungen, wenn es die offensichtlichen allgemeinen Erwartungen der Beteiligten und damit die Rechtssicherheit verletzt oder sich gemessen an den konkreten Zwecken bestimmter Rechtsinstitute oder Rechtsnormen als klar unzweckmäßig erweist.536 Genau an diesem Widerspruch der in der Rechtsordnung anerkannten Wertungen fehlt es aber hier. Es mag politisch bedauerlich sein, dass bei der Wiedervereinigung die Chance der Integration eines „inneren Wiedervereinigungsgebots“ in einer wahrlich gesamtdeutschen Verfassung als kollektiver Integrationsakt nicht wahrgenommen wurde.537 Diese Tatsache ändert aber am vorliegenden, am geltenden Recht ausgerichteten Befund nichts. 532 Abweichende Meinung der Richter Klein, Kirchhof und Winter zum Beschluss v. 15. Mai 1995, Spionage, BVerfGE 92, 277 (341). Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Deckmantel der Politik vgl. bereits oben Teil 1 Kap. 1 § 1. 533 Abweichende Meinung der Richter Klein, Kirchhof und Winter zum Beschluss v. 15. Mai 1995, Spionage, BVerfGE 92, 277 (343). 534 Zustimmend E. Klein mit Verweis auf die Integrationsfunktion der Verfassung als ungeschriebene Vorbedingung, Anm. 517, S. 929 (992) unter Berufung auf H. Krüger, Staatslehre, S. 539 f. 535 Dazu K. Stern, Anm. 499, S. 110. 536 F. Bydlinski, Anm. 468, S. 561. 537 Dazu St. Heitmann, in: FS für H. Helmrich zum 60. Geburtstag, S. 177 ff.; „Ich bin traurig, daß wir jetzt ein weiteres Mal, wie bei allen Staatszielen, über das, was alle neuen Bundesländer – ohne Rücksicht auf ihre parteipolitische Zusammensetzung – in ihre Verfassung aufgenommen haben, hinweggehen.“, H.-J. Vogel, in: Dt. BT (Hrsg.), Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in Folge der deutschen Einigung Bd. 1 Berichte und Sitzungsprotokolle, Gemeinsame Verfassungskommission 17. Sitzung, S. 759. Im Übrigen wurde auch im Rahmen der Arbeiten der Kommission für eine gesamtdeutsche Verfassung ein Art. 117 SächsVerf vergleichbares Staatsziel Aufarbeitung nicht diskutiert. Jedoch wurde bei

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In der spätestens durch die Bundestagswahlen von 1993, 1997, 2001, 2005 und 2009 auch durch die Bürger der fünf neuen Länder konsentierten Textfassung des Grundgesetzes finden sich keine Anhaltspunkte für ein inneres Wiedervereinigungsgebot. Das Fehlen eines verfassungsrechtlich abgesicherten inneren Wiedervereinigungsgebotes widerspricht den Wertungen des Grundgesetzes nicht, da das Grundgesetz – wie gezeigt – keine Wertungen hierzu trifft. Die „innere Wiedervereinigung“ wurde mit der Grundgesetzänderung im September 1990 ausgelagert und in den Grenzen des Einigungsvertrages der Politik überantwortet. Insoweit lebt das Wiedervereinigungsgebot nicht im Grundgesetz, sondern im Einigungsvertrag fort.538 Diesem liegt, wie sich den zahlreichen rechtlichen und politischen Verpflichtungen zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts – worunter hier und im folgenden Akte der DDR gemeint sind, die gegen die freilich noch zu definierenden rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen539 – entnehmen lässt,540 das Ziel der Aufarbeitung als Voraussetzung der inneren Wiedervereinigung zugrunde. Hierbei handelt es sich – wie gezeigt541– jedoch nicht um Verfassungsrecht. Die Frage, ob dieses Aufarbeitungsziel des Einigungsvertrages über die konkret normierten Aufarbeitungspflichten hinaus rechtliche Implikationen zeitigt, kann dahinstehen, da zumindest für den Umgang mit den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes mit der Zusatzvereinbarung eine Spezialregelung getroffen wurde, deren fehlende materiell-rechtliche Bindung nicht durch einen allgemeinen Grundsatz übertüncht werden kann. Selbst wenn man analog zum Wiedervereinigungsgebot eine die politischen Organe bindende verfassungsrechtliche Direktive zur Vollendung der inneren Wiedervereinigung befürwortet, ergibt sich hieraus noch nicht zwingend ein verfassungsrechtliches Gebot zur Aufarbeitung. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder klargestellt, dass den politischen Organen bei der Frage, „wie“ sie die Wiedervereinigung vollenden, ein weiter Ermessensspielraum zukomme.542 Nur dann, wenn sich das Unterlassen der Aufarbeitung als zwingendes Integrationshemmnis darstellte, der Diskussion um die Aufnahme eines Informationsanspruchs immer wieder an die Erfahrungen mit dem Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR angeknüpft. 538 P. Badura, in: HBStR VIII, § 189 Rn. 18. 539 Näher zum Problem des Maßstabs für Bewertung der Rechtsakte der DDR als Unrecht, Teil 2 Kap. 2 § 2 A. II. 540 Vgl. nur Art. 17 EV (Rehabilitierung), Art. 18 (Fortgeltung gerichtlicher Entscheidungen), Art. 19 EV (Fortgeltung von Entscheidungen der öffentlichen Verwaltung), ZV EV (Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes); Art. 20 i. V. m. Abschnitt III Abs. 5 Anlage I EV(Öffentlicher Dienst). 541 Teil 1 Kap. 2 § 1 B. I. 542 BVerfG, Urteil v. 17. August 1956, KPD, BVerfGE 5, 85 (127 f.); BVerfG, Urteil v. 31. Juli 1973, Grundlagenvertrag, BVerfGE 36, 1 (17 f.); BVerfG, Urteil v. 21. Oktober 1987, Teso, BVerfGE 77, 137 (149).

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könnte überhaupt von einer Verpflichtung gesprochen werden.543 Unternimmt man den Versuch, die Frage nach der Unabdingbarkeit der Aufarbeitung zur Herstellung der inneren Wiedervereinigung zu beantworten, fällt man wieder in die Diskussion um das „Ob“ der Aufarbeitung zurück.544 Hierzu wird man angesichts der eingangs aufgezeigten Vielschichtigkeit der Diskussion über das Für und Wider der Aufarbeitung für den deutschen Einigungsprozess sagen müssen, dass sich eine hinreichend klare Prognose über die Folgewirkungen unterlassener Aufarbeitung auf das innere Wiedervereinigungsgebot nicht treffen lässt. Das Unterlassen der Aufarbeitung steht damit jedenfalls nicht, schon gar nicht offensichtlich – so der Maßstab des Bundesverfassungsgerichts545 – zur inneren Wiedervereinigung im Widerspruch. Den weit über 50 „Aufarbeitungs“-Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes ist ohne Zweifel auch über die Bindungskraft im Einzelfall hinaus eine gewisse faktische Autorität immanent. Dieses faktische Moment reicht jedoch nicht aus, um verfassungsrechtliches Gewohnheitsrecht zu schaffen.546 In keiner einzigen Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht behauptet, einer bestimmten Rechtspflicht zur inneren Wiedervereinigung zu folgen. Vielmehr band es – wie der Spionage-Beschluss klar demonstriert547 – seine Integrationserwägungen in Verhältnismäßigkeitserwägungen im Einzelfall ein, ohne damit auf abstrakt-genereller Ebene Rechtssatzanspruch zu erheben. Insgesamt kann daher – egal, wie man das Blatt wendet – eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Aufarbeitung aus dem Gebot zur inneren Wie543 So auch in Bezug auf eine mögliche Kollision mit Art. 21 Abs. 2 GG BVerfG, Urteil v. 17. August 1956, KPD, BVerfGE 5, 85 (129); BVerfG, Urteil v. 31. Juli 1973, Grundlagenvertrag, BVerfGE 36, 1 (17) in Bezug auf die Aussagen zum Rechtsstatus Deutschlands. 544 Vgl. dazu bereits Vorwort. Das politische Verhalten zur Förderung der Wiedervereinigung mag sich später als falsch herausstellen. Das politische Verhalten sei jedoch ein „vom Verfassungsgericht mit keinem Wort zu kommentierender“ Tatbestand, vgl. BVerfG, Urteil v. 31. Juli 1973, Grundlagenvertrag, BVerfGE 36, 1 (19). 545 BVerfG, Urteil v. 21. Oktober 1987, Teso, BVerfGE 77, 137 (149). Siehe auch zur Ablehnung der von der Bundesregierung als „nicht negotiable Vorbedingung der Wiedervereinigung“ deklarierten Restitutionsregeln im Einigungsvertrag, BVerfG, Urteil v. 23. April 1996, Bodenreform I, BVerfGE 84, 90 (127). 546 Zur fraglichen Existenz von verfassungsrechtlichem Gewohnheitsrecht vgl. Vorträge und Diskussionen auf der 10. Staatsrechtslehrertagung 1952, VVDtStRL 10 (1952), 1–73. Dagegen: Ch. Tomuschat, Anm. 501, S. 45; dafür: H. A. Wolff, Anm. 499; BVerfG, Urteil v. 30. Januar 1973, Coburg II, BVerfGE 34, 216 (231); BVerfG, Urteil v. 22. September 1976, Waldeck-Pyrmont, BVerfGE 42, 345 (358). 547 BVerfG, Beschluss v. 15. Mai 1995, Spionage, BVerfGE 92, 277 (327).

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dervereinigung nicht hergeleitet werden. Auch begründet die Tatsache, dass das ursprünglich grundgesetzlich abgesicherte verfassungsrechtliche Gebot der inneren Wiedervereinigung im Einigungsvertrag fortlebt, noch keine rechtliche Höhergewichtung der einigungsvertraglichen Vorschriften.548 Wie Art. 45 Abs. 2 EV klarstellt, bleibt der Einigungsvertrag nach dem Beitritt „Bundesrecht“, worunter – so die Bundesregierung in ihrer Denkschrift zum Einigungsvertrag549 – einfaches Gesetzesrecht zu verstehen ist. Zwar ersetzt die Denkschrift der Bundesregierung als einseitige Auslegungserklärung die objektive Auslegung der Vorschrift nicht, die Frage des Ranges des Einigungsvertrages im Allgemeinen und der Zusatzvereinbarung im Speziellen kann aber – wie gezeigt550 – dahinstehen, da diese ohnehin keinen materiell-rechtlich verbindlichen Aufarbeitungsauftrag beinhalten. II. Aufarbeitung und Grundrechte Während der verfassungsrechtliche Bezug zwischen der Notwendigkeit der Aufarbeitung und dem inneren Wiedervereinigungsgebot eher unterschwellig in Literatur und Praxis zum Ausdruck kam, war der Rückgriff auf die Grund- und Menschenrechte zur Legitimation der Aufarbeitung des DDR-Unrechts häufiger anzutreffen. So hieß es gar, die Menschenrechte seien oberstes Ziel der Aufarbeitung. Die Öffnung der Stasi-Akten zum Zwecke der Aufarbeitung diene der Wiederherstellung der Menschenwürde all derer, „deren Biographie durch Subversion des MfS beeinträchtigt und deren Identitätsbildung damit sabotiert wurde“551. Der durch das Grundgesetz konstituierte Rechtsstaat könne die Vergangenheit der DDR nicht unbeachtet lassen. Erlittenes Unrecht, gröbster Verstoß gegen Rechtsgleichheit und Rechtsfrieden, verlangten nach Kompensation – so Starck552. Aber auch hier blieben die Ableitungszusammenhänge diffus. Der bloße pauschale Verweis auf die Tatsache, dass gerade das Grundgesetz unter dem Eindruck der Menschenrechtsverletzungen des Dritten Reichs geboren wurde, dass es gerade das Ziel des Herrenchiemseer Konvents war, die 548 So offenbar W. Heintschel von Heinegg, AfP 2004, 505 (507): „Dann aber ist die Aufarbeitung ein besonderes öffentliches Interesse, das mit einer im Vergleich zu Entscheidungen des einfachen Gesetzgebers erhöhten, verfassungsrechtlichen Geltungskraft ausgestattet ist“. 549 Denkschrift zum EV, BT-Drs. 11/7760, 355 (377). 550 Teil 1 Kap. 2 § 1 B. I. 551 Stellungnahme Marx vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 24. Ähnlich J. Limbach, Anm. 343, S. 25 (29): „Die Aufklärungsarbeit der Behörde ist deshalb so wichtig, weil sie die um ihre Lebenschancen betrogenen Opfer wenigstens symbolisch rehabilitiert.“ 552 Ch. Starck, VVDtStRL 51, 7 (11).

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Wiederkehr eines menschenverachtenden Systems, das die freie Entfaltung der Person und ihre individuellen Rechte mit der Überbetonung der so genannten Gemeinschaftsbezogenheit aushebelt553, zu unterbinden, mag das Zustandekommen des positiven Verfassungsgehalts klären, begründet aber nicht, warum der Verfassung das Aufarbeitungsanliegen als spezifische Form der Verfassungssicherung immanent sein soll. Daher ist es Aufgabe dieser Arbeit, zu verifizieren, ob derart zwingende rechtliche Ableitungszusammenhänge zwischen den Grund- und Menschenrechten einerseits und dem Aufarbeitungsanliegen andererseits vorliegen, die den Schluss auf eine dem Grundgesetz immanente Verpflichtung zur Aufarbeitung zulassen oder in Bezug auf die Stasi-Unterlagen gar eine Offenlegungspflicht statuieren. Den Stellungnahmen lassen sich zwei verschiedene Ansätze für die grundrechtliche Begründung des Aufarbeitungsauftrages entnehmen: den der Grundrechtssicherung (im Folgenden: präventiver Ansatz) und den der Wiedergutmachung (im Folgenden: repressiver Ansatz). 1. Aufarbeitung als Wiedergutmachung Unter Wiedergutmachung wird hier die Aufhebung oder der teilweise oder gänzliche Ausgleich eines Schadenszustandes verstanden.554 Da es sich bei der Aufarbeitung – wie gezeigt555 – um einen Gesellschaftsprozess handelt, beschränkt sich die Wiedergutmachung des Staates hier auf die Schaffung der Voraussetzungen für die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Diktatur. Die Wiedergutmachung ist ein Ziel der Aufarbeitung.556 Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Folgen des systembedingten Unrechts ist eine Form von ideeller Kompensierung des erfahrenen Un553

So verschwanden die in der Weimarer Republik verfolgten Ansätze in Schrifttum und Rechtsprechung zur rechtlichen Absicherung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Dazu heißt es bei H. Willmund, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht mit besonderer Berücksichtigung des Urheberrechts, 59 ff.: „In der Gemeinschaft ist die Person nicht nur losgelöstes Einzelwesen unter anderen Einzelnen [. . .], sondern ein Glied der Gemeinschaft selbst. Deshalb erledigen sich die früheren Bestrebungen der [. . .] Persönlichkeitsrechtsbewegung, jeder Person die weitestgehende Möglichkeit zur Verfügung über ihre private Sphäre zuzubilligen, von selbst, weil die Berücksichtigung der Gemeinschaftsinteressen neben den Einzelinteressen hier oberste Voraussetzung ist. [. . .] Das allgemeine Recht der Persönlichkeit der zum Pflichtsubjekt gewordenen Person könnte man [. . .] nur noch als ihr ‚pflichtgebundenes Dürfen‘ bezeichnen. Wie das subjektive Recht selbst ist es sozial gebunden.“ 554 Alpmann/Brockhaus (Hrsg.), Fachlexikon Recht, Stichwort: Wiedergutmachung. 555 Teil 1 Kap. 2 § 1 A. IV. 556 Teil 1 Kap. 2 § 1 A. I. 2.

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rechts.557 Die Kopplung von staatlichem und gesellschaftlichem Beitrag bei der Wiedergutmachung ist gewissermaßen das Spiegelbild zur Schadensverursachung, denn mit der Verletzung der Menschenrechte staatlicherseits ging häufig eine gesellschaftliche Stigmatisierung einher.558 Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist Aufarbeitung ein Mittel zur Beseitigung der staatlich gelenkten gesellschaftlichen Ausgrenzung, „ein Akt der öffentlichen Anerkennung, der Wiedergutmachung und der Rehabilitierung der Opfer“559. Diese ideelle Form von Wiedergutmachung ist in den Fällen des Systemunrechts, in denen nie eine volle materielle Kompensation erfolgt, von besonderer Bedeutung. Die Diskussion um die Existenz eines entsprechenden grundrechtlichen Wiedergutmachungsanspruchs erübrigte sich aber, wenn sich aus den Grundrechten schon kein Wiedergutmachungsanspruch entnehmen ließe oder aber die Bundesrepublik für das DDR-Unrecht ohnehin nicht haftbar gemacht werden könnte. a) Wiedergutmachungsanspruch aus Grundrechten Bereits die Grundannahme, dass den Grundrechten neben einem Abwehranspruch als actus contrarius zugleich auch ein Wiedergutmachungsanspruch für den Fall ihrer Verletzung inhärent ist, ist keinesfalls unbestritten.560 Zutreffend ist auch, dass sich anders als etwa Art. 6 Abs. 3 Verf Bbg., der eine unmittelbare Staatshaftung als Grundrecht normiert, und anders auch als Art. 131 WRV, der zumindest die Haftungsüberleitung zu den verfassungsrechtlichen Grundrechten zählte, dem Wortlaut des grundgesetzlichen Grundrechtskatalogs kein Reaktionsmaßstab für den Fall einer Grundrechtsverletzung entnehmen lässt.561 Auch ein teleologischer Ansatz stößt – wie alle anderen verfassungsrechtlichen Begründungsansätze des Folgenbeseitigungsanspruches – an die Grenzen seiner Begründungsfähig557 Zur sozialpsychologischen Perspektive auf das Problem K. M. Groth, Anm. 488, 168 (172 f.). 558 Vgl. auch Tagungsbericht der Fachkommission Zeitgeschichte des Herder Instituts in Bezug auf die Diktaturen im Ostblock, http://hsozkult.geschichte.hu-ber lin.de/tagungsberichte/id=297 (Stand: 15. März 2010); vgl. auch Neue Rheinische Zeitung v. 31. Januar 2006, Beitrag 29, www.nrhz.de „Erinnerung eine Brücke in die Zukunft, zur gesellschaftlichen Stigmatisierung von Wehrmachtdeserteuren“. 559 So Stellungnahme Marx vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 50 (51). 560 Umfassender Überblick zum Meinungsstand bei G. Pietzko, Der materiellrechtliche Folgenbeseitigungsanspruch, S. 59 ff. (insb. S. 65 ff.); G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 103. Spezifisch zum umfassenderen Wiedergutmachungsanspruch K. Stern, StaatsR III/1, S. 684. 561 M. Redeker, DÖV 1987, 195 (196).

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keit. Allein die Bemerkung, der Grundrechtsschutz bliebe sonst auf halber Strecke stehen,562 läuft auf einen Zirkelschluss hinaus, geht es doch hier darum, die Reichweite grundrechtlicher Gewährleistungen gerade erst festzulegen. Auch ist es eben aus diesem Grunde nicht widersprüchlich dem Einzelnen Rechtspositionen einzuräumen und mit einer Abwehrfunktion zu versehen, die Folgen eines rechtswidrigen Engriffs aber nicht zu kompensieren. Desgleichen lässt sich aus der Möglichkeit gerichtlich die Beseitigung eines grundrechtswidrigen Aktes zu verlangen noch nicht auf einen allgemeinen Wiedergutmachungsanspruch schließen, wie er erstmals von Menger563 theoretisch begründet wurde. Nach seiner Auffassung baut das Staatshaftungsrecht auf einem allgemeinen Wiedergutmachungsgrundsatz auf: „Wenn der Staat oder ein anderer Hoheitsträger durch einen Organwalter in Ausübung öffentlicher Amtstätigkeit jemanden in seiner Rechtsstellung widerrechtlich beeinträchtigt, hat er den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn die Beeinträchtigung nicht eingetreten wäre.“564 Ein solcher über die Eingriffsunterlassungs- bzw. Eingriffsbeendigungspflichten, also über den status negativus, hinausgehender Grundsatz, der nicht nur auf Beseitigung der unmittelbaren Einriffsfolgen, sondern auf Kompensation zielt, mag sich zwar mit allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen – die als solche keinen Rechtssatzcharakter haben565 – begründen lassen. Den Grundrechten als Abwehrrechten kann er hingegen nicht entnommen werden. Ohne Zweifel besitzen die Grundrechte eine Disziplinierungsfunktion. Sie sollen die öffentliche Gewalt zähmen. Dass ihnen allerdings eine doppelte Sicherung inne ist, dergestalt dass ihr Abwehrgehalt im Falle eines Fehlschlags automatisch durch einen Wiedergutmachungsanspruch substituiert wird, lässt sich normativ nicht festmachen.566 Etwas anderes könnte sich jedoch aus der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte ergeben.567 Mit dem objektiv-rechtlichen Charakter der Grundrechte begründete das Bundesverfassungsgericht neben den im Grundgesetz ausdrücklich normierten Schutzpflichten immer wieder be562 M. Redeker, Anm. 561, 195 (196); D. Röder, Die Haftungsfunktion der Grundrechte, S. 220 m. w. N. 563 Ch.-F. Menger, in: GS für W. Jellinek, S. 347. 564 Ch.-F. Menger, Anm. 563, S. 347 (350), ob er damit auch die hier interessierenden mittelbaren Folgen einer Grundrechtsverletzung umfassen wollte, ist unklar. 565 W. Brugger, JuS 1999, 625 (628). 566 A. A. ohne den hier monierten Einwand zu widerlegen D. Röder, Anm. 562, S. 275 ff. 567 Zu den unterschiedlichen Bezeichnungen für „die Verallgemeinerung des Grundrechts über die Rechtsfolge des Abwehranspruchs hinaus“, K. Stern, Anm. 560, S. 919.

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stimmte Schutz-,568 Förderungs-,569 Verfahrenseinrichtungs- und Organisationspflichten570, die über den reinen Abwehrcharakter der Grundrechte hinausgehen. Gemeinsame Argumentationsgrundlage war stets die effektive Verwirklichung der Grundrechte sowie der effektive Grundrechtsschutz; ein Argument, das – sieht man die Wiedergutmachungspflicht für Grundrechtsverletzungen zugleich vorbeugend als Abschreckung gegen den potentiellen Verletzter an – auch für eine grundrechtliche Wiedergutmachungspflicht fruchtbar gemacht werden könnte. Mehr noch, begreift man mit Sommermann571 die Grundrechte als Staatsziele oder mit Alexy572 als Optimierungsgebote, die auf größtmögliche Grundrechtsverwirklichung abzielen und damit für die maßvolle Ausgestaltung der staatlichen Ordnung Direktive sind, dann erscheint es nur konsequent aus eben dieser Optimierungsfunktion einen effektiven Grundrechtsschutz, wozu auch eine wie auch immer zu definierende kompensatorische Schutzdimension gehört, abzuleiten. So gesehen wäre Wiedergutmachung eher ein Mittel der Selbstzügelung des Souveräns, denn ein Abwehrinstrument des einzelnen Grundrechtsträgers. Jedoch ist auch hier bereits die Grundlage einer solchen Schutzpflicht bzw. eines solchen Optimierungsgebots zweifelhaft. Abgesehen davon, ob man die Grundrechte als Staatsziel573, als Grundsatz574, als Prinzip575 oder als Programmsatz576 bezeichnet, der Optimierungsansatz oder nach Redeker577 der Effektuierungsansatz muss normativ und nicht lediglich verfassungsfunktional oder staatstheoretisch begründet werden.578 Hieran fehlt es aber sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur.579 Weder kann ein allgemeines Rechtsgebot zur Optimierung der Stellung der Grundrechte 568 BVerfG, Urteil v. 5. Juni 1973, Lebach, BVerfGE 35, 202 (221) in Bezug auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht; BVerfG, Urteil v. 25. Februar 1975, Schwangerschaftsabbruch I, BVerfGE 39, 1 in Bezug auf das Recht auf Leben. 569 BVerfG, Urteil v. 5. März 1974, Umsatzsteuer, BVerfGE 36, 321 (331) für die Kunstfreiheit. 570 Die „Grundrechtsverwirklichung durch Organisation und Verfahren“ sei „eine der wichtigsten Tendenzen der neueren Grundrechtsinterpretation“, abw. Meinung Richter Simon und Heußner, BVerfG, Beschluss v. 20. Dezember 1979, MühlheimKärlich, BVerfGE 53, 69 (71). 571 K.-P. Sommermann, Anm. 499, S. 420. 572 R. Alexy, Anm. 212, S. 75. 573 K.-P. Sommermann, Anm. 499, S. 420. 574 H. Heller, Souveränität, S. 48 f. 575 R. Alexy, Anm. 212, S. 75. 576 C. Schmitt, HBDtStR II, S. 598 ff. 577 M. Redeker, Anm. 561, 195 (196). 578 „Kein Recht auf optimalen Schutz“ – so auch G. Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 259 ff. 579 So auch K. Stern, Anm. 560, S. 945.

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im Grundgesetz grammatikalisch-teleologisch über Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG noch in Analogie zu den ausdrücklich formulierten Schutzpflichten hergeleitet werden, da es insoweit an einer unbeabsichtigten Regelungslücke des Verfassungsgebers fehlt. Auch lässt sich aus den Formulierungen „unverletzlich“ und „gewährleistet“ keine Schutzpflicht konstruieren, wie sie für einige Grundrechte ausdrücklich formuliert wird.580 Selbst begreift man die Menschwürde – wie hier581 – als Ausgangspunkt sämtlicher Grundrechte, dann folgt aus der Normierung einer expliziten Schutzpflicht der Menschenwürde noch lange nicht eine allgemeine Schutzpflicht oder gar darüber hinausgehend eine Optimierungspflicht für sämtliche Grundrechte.582 Eine solche Auffassung widerspräche auch der Tatsache, dass einzelne Grundrechte – wie Art. 6 Abs. 1 GG – ausdrücklich eine solche Schutzpflicht enthalten. Aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG kann folglich nur insoweit auf eine Schutzpflicht bei anderen Grundrechten geschlossen werden, soweit es um deren Menschenwürdegehalt geht. Daran ändert auch die systematische Stellung der Grundrechte im Gefüge des Grundgesetzes nichts. Diese deutet zwar auf die Bedeutung der Grundrechte hin, sie mag sogar eine „Wertordnung“ kreieren, beschert aber keinerlei zusätzliche Rechtsfolgen, für die es auch anderweitig im Verfassungstext keinerlei Anhaltspunkte gibt. Diese Bedenken werden auch durch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zerstreut. Wie Jarass583 zu Recht beobachtet, greift das Bundesverfassungsgericht auf die durch die Grundrechte errichtete objektive Werteordnung zum Zwecke der Ableitung weitergehender Schutzpflichten zurück, wenn ihm der Schutz des Grundrechts allein durch das Abwehrrecht nicht zureichend erscheint.584 Damit legt das Gericht zwar seine Motivation offen. Diese kann aber nicht das offenkundige dogmatische Defizit kompensieren. Daher ist hier entgegen der ständigen Rechtsprechung und der herrschenden, wenngleich stets das dogmatische Defizit bemängelnden Literatur, eine allgemeine Schutzpflicht aus den Grundrechten, eine sekundäre Schutzpflicht in Form eines Wiedergutmachungsanspruchs und auch ein Wiedergutmachungsgebot aus den Grundrechten abzulehnen. Nimmt man gleichwohl ein den Grundrechten immanentes Optimierungsgebot an, muss man konsequent sein und auch eine sekundäre Pflicht zur 580 P. Unruh, Zur Dogmatik grundrechtlicher Schutzpflichten, S. 42; J. Isensee, HBStR V, S. 150. 581 Teil 1 Kap. 1 § 3 A. III. 582 Vgl. auch Ch. Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 46 (71). 583 H. D. Jarass, AöR 1985, 363 (365). 584 Zu Recht sieht K. Stern, Anm. 560, S. 970 f., in der objektiven Werteordnung das Hauptproblem der Grundrechtsdogmatik.

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Wiedergutmachung einer Grundrechtsverletzung aus den Grundrechten unweigerlich bejahen. Diese hätte die Funktion, die Folgen der Grundrechtsverletzung zu kompensieren, den Grundrechtsverletzer zu sanktionieren, potentiellen Grundrechtsverletzungen durch Abschreckung entgegenzuwirken und damit den Staat zu disziplinieren. Das Wiedergutmachungsgebot würde sich so gesehen gleichsam schützend vor das jeweilige Grundrecht stellen. Viel mehr, als dass ein repressiver Korrekturmechanismus geschaffen werden muss, bringt allerdings auch der Optimierungsansatz nicht hervor. b) Anknüpfungspunkt der Haftung Ausgangspunkt einer jeden grundrechtlichen Wiedergutmachungspflicht muss begriffsnotwendig eine zurechenbare Grundrechtsverletzung sein. Ein Zurechnungszusammenhang kann sich dabei aus der eigenen Verletzung oder aber auch aus dem Zueigenmachen der Verletzungshandlung eines Dritten begründet werden. Die Bundesregierung jedenfalls hat – abgesehen von den aus dem Einigungsvertrag fließenden Wiedergutmachungsverpflichtungen585 (und das auch nur in eingeschränktem Maße586) – eine generelle Wiedergutmachungspflicht für das DDR-Unrecht stets mit dem Argument, dass ihr die Menschenrechtsverletzungen der DDR nicht zurechenbar seien, dementsprechend ein Haftungsgrund nicht bestünde, abgelehnt.587 aa) Fürsorgepflicht der Bundesrepublik = Haftungspflicht? Diese Position mag zunächst überraschen, vergegenwärtigt man sich, das die Bundesrepublik jahrzehntelang eine Fürsorgepflicht gegenüber den DDR-Bürgern annahm. Ausgehend von der Identität mit dem Deutschen Reich und dem Fortbestand eines einheitlichen deutschen Staatsvolkes stellte das Bundesverfassungsgericht 1973 anlässlich des Grundlagenvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik fest, dass die Bundesrepublik ihre Hoheitsgewalt auf ihr Staatsterritorium begrenze, sie sich „aber auch verantwortlich für das ganze Deutschland“588 fühle. Den normativen Ansatzpunkt hierfür entnahm das Gericht der Präambel des Grundgesetzes, die explizit zur „Wahrung der staatlichen Einheit des Deutschen Volkes“ verpflichtete.589 Diese Wahrungspflicht fand 585

Vgl. schon Anm. 497. Ausführlich dazu B. Fassbender, Anm. 497, S. 256 ff. 587 B. Fassbender, Anm. 497, S. 251 (276). Gesammelte Stellungnahmen der Bundesregierung vgl. M. Schweitzer/A. Weber, HB der Völkerrechtspraxis, S. 735 ff. 588 BVerfG, Urteil v. 31. Juli 1973, Grundlagenvertrag, BVerfGE 36, 1 (16). 586

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ihre Entsprechung in der Tatsache, dass die DDR-Bürger zugleich als Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG betrachtet wurden mit der Konsequenz, dass auch ein DDR-Bürger, „wann immer er in den Schutzbereich der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gelangt[e]“590, den grundgesetzlichen Schutz der Bundesrepublik in Anspruch nehmen konnte. Auf der Grundlage dieser Fürsorgepflicht (so auch die Bezeichnung des Bundesverfassungsgerichts)591 lehnte es die Bundesrepublik etwa ab, Rechtsakte der DDR592 zu vollstrecken, die gemessen an der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland rechtswidrig waren.593 Ob aus dieser jahrzehntelang angenommenen Fürsorgepflicht zugleich eine Wiedergutmachungspflicht für Organhandeln der DDR folgt, ist fraglich. Aus der Fürsorgepflicht selbst folgt eine solche Pflicht jedenfalls nicht. Die Konstruktion der Fürsorgepflicht diente zunächst nur dazu, die mit den Rechtsakten der DDR verbundenen Einschnitte in individuelle Freiheiten nicht zu vertiefen. Bei der hier stehenden Frage nach der Wiedergutmachung geht es aber nicht mehr um die Verhinderung von aus grundgesetzlicher Perspektive rechtswidrigen Beschränkungen individueller Freiheitsräume, sondern um eine grundgesetzliche Pflicht, die materiellen und ideellen Folgen des durch die Organe der DDR verursachten Unrechts wiedergutzumachen. Diese grundlegende Unterscheidung wird bereits in einem 1966 gefällten Urteil des Bundesgerichtshofes gezogen. Schon damals wies das Gericht Schadensersatzansprüche wegen Freiheitsbeschränkungen durch die DDR („Zonenhaft“) zurück.594 Ein Anspruch auf Wiedergutmachung bestünde nicht, da weder die Verurteilung noch die Inhaftierung der Bundesrepublik Deutschland zuzurechnen sei. Zum anderen begründe das Unterlassen der Bundesrepublik gegen die Verurteilung und Inhaftierung vorzugehen, keine zurechenbare Pflichtverletzung. Zwar habe die Bundesrepublik gegenüber den Deutschen der sowjetischen Besatzungszone eine grundgesetzlich verankerte Fürsorgepflicht, mangels politischer Möglichkeiten die Verurteilung und Inhaftierung in der DDR zu unterbinden, sei ein Verstoß gegen diese jedoch im betreffenden Fall nicht auszumachen. 589

Zum Verpflichtungsgrad des Wiedervereinigungsgebots vgl. Teil 1 Kap. 2 § 1

C. I. 590

BVerfG, Urteil v. 31. Juli 1973, Grundlagenvertrag, BVerfGE 36, 1 (30). BVerfG, Urteil v. 31. Juli 1973, Grundlagenvertrag, BVerfGE 36, 1 (31). 592 Vor dem Grundlagenvertragsurteil nur als „sowjetzonale Rechtsakte“ bezeichnet, vgl. BVerfG, Beschluss v. 31. Mai 1960, HSchG, BVerfGE 11, 150 (2. Leitsatz). 593 BVerfG, Beschluss v. 31. Mai 1960, HSchG, BVerfGE 11, 150 (2. Leitsatz); BVerfG, Beschluss v. 27. März 1974, RechtsHG, BVerfGE 37, 57 (64 f.). 594 BGHZ, Urteil v. 10. Januar 1966, Zonenhaft, BGHZE 45, 46 (Leitsatz). 591

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An der Grundsatzentscheidung, dass aus der Fürsorgepflicht in Verbindung mit den Grundrechten keine sekundäre Einstandspflicht für durch DDR-Organe begangene Primärrechtsverletzungen folgt, hat die Bundesrepublik auch festgehalten. Insofern lässt sich allein aus der Fürsorgepflicht, die die Bundesrepublik gegenüber den DDR-Bürgern von Verfassungs wegen innehatte, in Verbindung mit den Grundrechten des Grundgesetzes keine Wiedergutmachungspflicht und damit erst recht keine Aufarbeitungspflicht herleiten. bb) Staatensukzession und retroaktive Anwendung des GG Ein Zurechnungszusammenhang könnte sich jedoch aus dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik ergeben, wenn dadurch ein Eintritt in die Rechtsakte der DDR bewirkt wurde. Voraussetzung dafür wäre aber nicht nur, dass die Bundesrepublik in die Organakte der DDR eingetreten ist, sondern darüber hinaus müssten die Grundrechte des Grundgesetzes retroaktiv auf diese Akte anwendbar sein. Es müsste also eine der Bundesrepublik zurechenbare Primärverletzung der Grundrechte vorliegen, damit überhaupt eine grundgesetzlicher Wiedergutmachungspflicht entstehen könnte. Hieran fehlt es bereits. Zwar sind Organhandlungen der DDR nicht schon grundsätzlich nicht der Bundesrepublik zurechenbar wie der Einigungsvertrag durch die Art. 18, 19 EV belegt.595 Das im Zusammenhang mit den 595 Anders ein Teil der Literatur, vgl. nur R. Dolzer, HBStR VIII, § 195 Rn. 32, und die Bundesregierung, vgl. Dokumente dazu bei M. Schweitzer/A. Weber, Anm. 587, S. 735 ff. Was in dieser Diskussion verwechselt worden zu sein scheint, ist die Frage nach dem „Ob“ einer Staatensukzession und die nach dem Umfang der Bindung an Rechte und Pflichten des Vorgängerstaates. Maßgebend ist allein, dass sich auf dem Territorium eines untergegangenen Staates ein anderer Staat konstituiert hat, vgl. Art. 2 Abs. 1 (b) des Wiener Übereinkommens über die Staatennachfolge in Verträge, ILM 17 (1978), 1488; Art. 1 der Prinzipien des Institut de Droit International v. 2001, http://www.idi-iil.org/idiE/resolutionsE/2001_van_01_en.PDF (Stand: 15. März 2010), wobei Art. 2 den Tatbestand der Inkorporation explizit als Fall der Sukzession benennt; ILA (Hrsg.), Rapport Final Sur La Succession En Matière Des Traités 2002, S. 2. Etwas weiter L. Oppenheim, International Law, S. 145 mit Zustimmung v. K. Bühler, in: P. M. Eisemann/M. Koskenniemi, La succession d’Etats: la codification à l’épreuve des faits, S. 191 f.: „A succession of International Persons occurs when one or more International Persons take the place of another International Person, in consequence of certain changes in the latter’s condition.“ Anders als im Erbrecht (§ 1922 Abs. 1 BGB) ist das Vorliegen einer Staatensukzession ein Fakt, den das Recht zur Kenntnis nimmt und an den das Recht Konsequenzen in Bezug auf den Umfang der Übernahme von Rechten und Pflichten knüpft, vgl. nur P. O’Connell, The Law of State Succession, S. 3. Explizit auch davon ausgehend BSG, Urteil v. 27. Januar 1999, Sozialabkommen DDR-Ungarn, BSGE 83, 224 (229).

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Stasi-Unterlagen in Rede stehende Handeln, die Informationserhebung und Aufzeichnung, ist jedoch realer Natur gewesen. In diese Realakte ist die Bundesrepublik anders als in gerichtliche Entscheidungen und Verwaltungsakte nicht eingetreten. Abgesehen davon wirkt aber auch der Eintritt in Verwaltungsakte und Gerichtsentscheidungen nur für die Zukunft.596 Eine „als ob der Nachfolgestaat die Rechtsakte erlassen hätte“-Betrachtung erfolgt indes nicht. Daher hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung Wiedergutmachungsansprüche für DDR-Unrecht zunächst mangels Anwendbarkeit der Grundrechte des Grundgesetzes zurückgewiesen.597 „Eine Pflicht der Bundesrepublik Deutschland zur Wiedergutmachung von Unrecht einer nicht an das Grundgesetz gebundenen Staatsgewalt lässt sich nicht aus einzelnen Grundrechten herleiten.“598 Dies gelte für die Wiedergutmachung von Vermögensschäden unabhängig davon, ob diese einer ausländischen Staatsgewalt oder früheren deutschen Staatsgewalten zuzurechnen sind.599 Das Grundgesetz wirke zeitlich nicht zurück.600 An dieser Auffassung hielt das Gericht jedoch nicht konsequent fest. Stattdessen entschied es andernorts mehrfach, dass auch Entschädigungsansprüche wegen Enteignungen durch die DDR durchaus auf Art. 14 GG gestützt werden könnten und bejahte damit offenbar eine retroaktive Anwendung des Grundgesetzes auf Rechtsakte der DDR-Organe bzw. der sowjetischen Besatzungsmacht.601 Ganz offensichtlich unter retroaktiver An596

R. Dolzer, Anm. 595, Rn. 37. BVerfG, Urteil v. 22. November 2000, Bodenreform III, www.bverfg.de, (1. Leitsatz, Rn. 236); BVerfG, Urteil v. 23. April 1996, Bodenreform I, BVerfGE 84, 90 (125 f.); BVerfG, Beschluss v. 3. Dezember 1969, Besatzungsschäden (West) I, BVerfGE 27, 253 (2. Leitsatz, 271 ff.); BVerfG, Beschluss v. 13. Januar 1976, Besatzungsschäden (West) II, BVerfGE 41, 126 (150 ff.). 598 BVerfG, Urteil v. 22. November 2000, Bodenreform III, www.bverfg.de, Rn. 236; BVerfG, Urteil v. 23. April 1996, Bodenreform I, BVerfGE 84, 90 (125 f.): „Die Wiedergutmachung ist nicht Ausfluß einzelner Grundrechte“; BVerfG, Urteil v. 22. November 2000, Bodenreform III, www.bverfg.de, (1. Leitsatz). „Eine Pflicht der Bundesrepublik Deutschland zur Wiedergutmachung von Vermögensschäden, die eine nicht an das Grundgesetz gebundene Staatsgewalt zu verantworten hat, lässt sich nicht aus einzelnen Grundrechten herleiten.“; siehe auch BVerfG, Beschluss v. 13. Januar 1976, Besatzungsschäden (West) II, BVerfGE 41, 126 (1. Leitsatz). 599 BVerfG, Urteil v. 22. November 2000, Bodenreform III, www.bverfg.de, Rn. 236. 600 BVerfG, Beschluss v. 26. Oktober 1977, „Vorkonstitutionelles“ Enteignungsunrecht, BVerfGE 46, 268 (288); BGHZ, Urteil v. 29. Januar 1954, Nutzungsrecht an Straßenbäumen, BGHZE 12, 189 (193). 601 BVerfG, Beschluss v. 17. Februar 1999, VermG, WM 1999, 738 (739); BVerfG, Beschluss v. 8. Oktober 1996, Ausreisegenehmigung, BVerfGE 95, 48 (58). Beide Entscheidungen stützten sich allerdings nur subsidiär auf Art. 14 GG, der im Ergebnis nicht durchgreift. 597

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wendung der grundgesetzlichen Grundrechte auf das Strafgesetzbuch der DDR kam auch der Bundesgerichtshof im Jahre 1994 zur Haftung eines Denunzianten einer geplanter „Republikflucht“.602 Wenn aber nun schon der einzelne DDR-Bürger sein Verhalten muss retroaktiv an den Grundrechten des Grundgesetz messen lassen, dann muss dies erst recht für den Staat gelten. Eine dogmatisch überzeugende Lösung blieben die Richter schuldig. Insgesamt lässt sich jedoch weder dieser Entscheidung noch anderweitig ein schlüssiger Ansatz entnehmen, der eine retroaktive Anwendung der Grundrechte des Grundgesetzes begründen könnte. cc) Faktische Fortwirkung unter der Geltung des Grundgesetzes Nach einem Teil der Literatur unter Führung von Badura603 soll es für eine Wiedergutmachungspflicht aus den Grundrechten aber gar nicht auf eine zurechenbare Primärverletzung der Grundrechte ankommen. Ihnen 602

BGHZ, Urteil v. 11. Oktober 1994, Republikflucht, BGHZE 127, 195 (205). Der Sache nach urteilte das Gericht, dass Personen, die Fluchtpläne Dritter an die Staatssicherheit verrieten, grundsätzlich nach § 330 ZGB-DDR i. V. m. Art. 232 § 10 EGBGB (Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung) für die aus der Freiheitsberaubung entstandenen Schäden haftbar gemacht werden können. Zu diesem Schluss konnte das Gericht aber nur gelangen, indem es den zur Rechtfertigung des Beklagten vorgebrachten Einwand, er sei zur Anzeige verpflichtet gewesen, nicht gelten ließen. Dies obgleich die Nichtanzeige eines Fluchtversuchs gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. 113 StGB-DDR mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren belegt werden konnte. De facto aber tauschte das Gericht mit der Ablehnung der Rechtsfertigungsgründe des StGB-DDR das Freiheitsrecht des Art. 30 Abs. 1 Verf-DDR gegen das des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG aus und gelangte nur auf diese Weise zu einer Wiedergutmachungspflicht in Form von Schadensersatz. Zur Rechtfertigung dieser Abweichung von den Rechtfertigungsgründen des StGB-DDR bemerkten die Richter: „Bei der Anwendung der Vorschriften des Rechts der ehemaligen DDR gehe es darum, für den konkreten Einzelfall solche Ergebnisse auszuschließen, die mit den Grundrechtsgarantien und den tragenden verfassungsrechtlichen Wertungen des Grundgesetzes, insbesondere dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar sind.“ Daneben stützte sich das Gericht auf den in der Endphase der DDR begründeten Wertewandel sowie auf völkerrechtliche Verpflichtungen der DDR zum Schutze der Menschenrechte. Mit anderen Worten: Der Bundesgerichtshof schob das nach Art. 232 § 10 EGBGB anzuwendende DDR-Recht im Lichte der Grundrechte des Grundgesetzes zur Seite, um dann zu einem Haftungsanspruch zu gelangen, der normalerweise weder unter DDR-Recht (in Ermangelung der Rechtswidrigkeit des Tuns) noch unter bundesrepublikanischem Recht (mangels Primärverletzung des bundesrepublikanischen Rechts, das zum gegebenen Zeitpunkt auf DDR-Bürger im Hoheitsgebiet der DDR nicht anwendbar war) bestanden hätte. Die Entscheidung lief damit klar auf einen auf die Grundrechte des Grundgesetzes gestützten Wiedergutmachungsanspruch hinaus, wobei das ZGB-DDR nur als Einkleidung diente. 603 P. Badura, DVBl. 1990, 1256 (1262).

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nach verlangten die Grundrechte nicht nur im Falle einer der Bundesrepublik zuzurechnenden Grundrechtsverletzung eine Wiedergutmachung, sondern auch dann, wenn das einer anderen Hoheitsgewalt zurechenbare, „fortwirkende“ faktische Unrecht in den Geltungsbereich des Grundgesetzes gelangt. Zwar könne nicht die primäre Verletzung am Grundgesetz gemessen werden, aber die Entscheidung der Bundesrepublik, das Unrecht nicht zu revidieren, könne angegriffen werden. Diese Pflicht ergebe sich – so Badura – aus den grundrechtsimmanenten Schutzpflichten.604 Inwieweit das Bundesverfassungsgericht in den bereits oben besprochenen abweichenden Entscheidungen dieser Auffassung gefolgt ist, bleibt in Ermangelung der richterlichen Begründung offen. Ungeachtet der ohnehin schon genannten Zweifel an der Ableitbarkeit einer allgemeinen Wiedergutmachungspflicht aus den grundrechtlichen Schutzpflichten begegnet diese Konstruktion umso schwerer wiegenden dogmatischen Bedenken.605 Eine Schutzpflicht macht nur dort Sinn, wo eine Gefahr für ein schutzbedürftiges Rechtsgut besteht und ein Schutz noch möglich ist.606 Die Verwaltungsund Gerichtsentscheidungen sind aufzuheben, sofern sie rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechen. Die tatsächlichen Eingriffe haben sich mit dem Untergang der DDR erledigt. Insofern stellt sich schon die Frage, vor welcher aktuellen Gefahr hier geschützt werden soll. Die Gefahr revisionistischer Tendenzen dürfte zu wenig greifbar sein, um hier gar eine grundrechtliche Schutzpflicht zur Aufarbeitung zu begründen. 2. Aufarbeitung als Grundrechtssicherung Das Problem der Haftungsbegründung entfiele, sieht man die Aufarbeitung als einen den Grundrechten immanenten Sicherungsmechanismus an. In diese Kerbe schlägt das Bundesverfassungsgericht, wenn es zur Gewichtung des Aufarbeitungsanliegens in § 32 StUG meint, dass „die historische Erfahrung mit der Aufarbeitung einer Diktatur und ihren Repressionsinstrumenten eine Anschauung darüber zu vermitteln [vermag], welchen Gefah604

P. Badura, Anm. 603, 1256 (1262). Dazu J. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten; P. Unruh, Anm. 580. Vgl. bereits oben Teil 1 Kap. 2 § 1 C. II. 1. a). 606 Gegenstand einer grundrechtlichen Schutzpflicht kann nur ein grundrechtlich geschütztes Gut sein. Im Hinblick auf die v. Badura, Anm. 603, anvisierten Restitutions- und Entschädigungsfälle kann bereits die Existenz des Schutzgegenstandes bezweifelt werden. Wie der Name schon sagt – handelt es sich bei der Schutzpflichtkonstruktion, um einen Schutzanspruch für bereits bestehende Grundrechtspositionen, nicht um einen Schutzgutverschaffungsanspruch. Der Eigentumsübergang erfolgte vor Inkrafttreten des Grundgesetzes, so dass sich in Bezug auf diese Konstellation schon die Frage stellt, ob überhaupt ein taugliches Schutzgut vorliegt. 605

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ren die Freiheitsrechte der Bürger ausgesetzt sein können, wenn die Sicherungen eines freiheitlichen Rechtsstaates außer Kraft gesetzt sind“.607 Auch hier stellt sich die Frage, wie weit die immer wieder behaupteten grundrechtlichen Schutzpflichten reichen. Dogmatischer Ansatzpunkt hierfür kann aus den eben genannten Gründen allein Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG sein.608 Der präventive Schutz gegen die Etablierung eines die Freiheitsrechte des Einzelnen negierenden Systems ist nichts anderes als Menschenwürdeschutz. Denn bei aller Umstrittenheit des Würdebegriffs kann kein Zweifel daran bestehen, dass die systematische Überwachung einer gesamten Gesellschaft, das Fehlen einer unabhängigen Justiz, das strafbewehrte Verbot ein Land zu verlassen – wie es für das DDR-Regime symptomatisch war – mit dem dem Grundgesetz zugrunde liegenden Menschenbild von einem selbstbestimmten Menschen nicht vereinbar ist; den Menschen gleichsam zum Spielball des Staates macht, ihn zum Objekt degradiert, die Menschenwürde eines jeden Einzelnen verletzt. Gleichwohl folgt aus dieser Tatsache allein noch keine Aufarbeitungspflicht. Ein genauerer Blick auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts609 offenbart, dass Schutzpflichten ausschließlich dann aus den Grundrechten erwuchsen, wenn die Gefahr einen hinreichenden Konkretisierungsgrad aufwies.610 Dies hat das Gericht im Kalkar-Beschluss auch ausdrücklich bestätigt. Dort heißt es: Aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG „können sich verfassungsrechtliche Schutzpflichten ergeben, die es gebieten, rechtliche Regelungen so auszugestalten, daß auch die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt bleibt. Ob [. . ..] sich eine solche Ausgestaltung von Verfassungs wegen gebietet, hängt von der Art der Nähe und dem Ausmaß möglicher Gefahren, der Art und dem Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts ab [. . .].“611 Damit wird letztendlich die konkrete Frage des verfassungsrechtlichen „Ob“ der Aufarbeitung an den Gesetzgeber zurückgereicht, dem allein – so das Gericht deutlich – die Einschätzungsprärogative in Bezug auf den Grad der Gefährdung zukomme.612 An ihm ist es folglich einzuschätzen, welche tat607 BVerfG, Beschluss v. 23. Februar 2000, IM-Listen IV, EuGRZ 2000, 243 = NJW 2000, 2413 (2415). 608 Zu den Begründungdefiziten und zum fehlenden Textbezug der Schutzpflichtlehre Teil 1 Kap. 2 § 1 C. II. 1. a). Vgl. auch H. Bethge, NJW 1982, S. 1 ff. 609 BVerfG, Urteil v. 25. Februar 1975, Schwangerschaftsabbruch I, BVerfGE 39, 1; BVerfG, Urteil v. 16. Oktober 1977, Schleyer, BVerfGE 46, 160 (164); BVerfG, Beschluss v. 8. August 1978, Kalkar, BVerfGE 49, 89 (132, 142 ff.); BVerfG, Beschluss v. 20. Dezember 1979, Mühlheim-Kärlich, BVerfGE 53, 30 (65). 610 Dies wird besonders im Bereich des staatlichen Informationshandelns deutlich, vgl. BVerwG, Urteil v. 23. Mai 1989, TM, BVerwGE 82, 77 (82 f.); VGH München, Urteil v. 4. April 1995, Universelles Leben, NVwZ 1995, 793. 611 BVerfG, Beschluss v. 8. August 1978, Kalkar, BVerfGE 49, 89 (142).

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sächlichen Gefahren für den Schutz der Freiheitsrechte von rückwärtsgerichteten Tendenzen heute noch ausgehen. Gleichwohl fragt sich, ob diese Einschränkung der staatlichen Schutzpflicht auf hinreichend manifeste Gefahrenlagen durch das Gericht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.613 Der bloße Verweis auf die mit der Erfassung auch entfernter Gefahren einhergehende Einschränkung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums bedarf seinerseits der Begründung. Zutreffend ist, dass die Annahme einer grundrechtlichen Schutzpflicht auch bei mittelbaren Gefährdungsmöglichkeiten auf eine nahezu lückenlose Bindung des Gesetzgebers hinausliefe, da sich letztlich nahezu jeder Gemeinwohlzweck auf ein Bündel von Grundrechten der einzelnen Grundrechtsberechtigten zurückführen lässt. Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum ist andererseits kein Selbstzweck. Er wird – dies kommt in Art. 1 Abs. 3 GG klar zum Ausdruck – durch die Verfassung und Grundrechte begrenzt. Gesetzgeberische Flexibilität besteht damit nur in diesen Grenzen, kann aber nicht als Argument dienen, genau die Grenzen aufzubrechen. Die in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG niedergelegte Schutzpflicht kennt keine Begrenzungen auf einen bestimmten Gefährdungsgrad für die Menschenwürde, sondern statuiert eine umfassende Pflicht, diese zu schützen. Auf die hier zu besprechende Konstellation gemünzt hieße dies, dass eine gesetzgeberische Pflicht zur Abwehr der Etablierung eines aus grundgesetzlicher Sicht Menschen entwürdigenden Regimes besteht. Das heißt aber noch nicht, dass eine Pflicht zur Aufarbeitung von Diktaturen, die sich zu ihrer Etablierung und Aufrechterhaltung aus grundgesetzlicher Sicht menschenverachtender Repressionsinstrumenten bedienten, besteht. Solange auch andere Möglichkeiten, wie etwa die Bewährung des Grundgesetzes aus sich heraus, zur Verfügung stehen, die sich als gleichermaßen effektiv zur Abwehr reaktionärer Tendenzen erweisen, kann eine Reduktion des gesetzgeberischen Ermessensspielraums auf Null und dementsprechend eine Verpflichtung zur Aufarbeitung aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG nicht angenommen werden. Ob allerdings gleichsam effektive Alternativen zur Aufarbeitung bestehen, ist wiederum eine Frage an die Politik, die es hier in dieser allein nach rechtlichen Maßstäben fragenden Arbeit nicht zu beantworten gilt.

612 BVerfG, Beschluss v. 8. August 1978, Kalkar, BVerfGE 49, 89 (132); vgl. dazu auch J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 40. 613 Auf was für eine Art der Gefahr das BVerfG abstellt, d.h. welchen Konkretisierungsgrad bzw. Wahrscheinlichkeitsgrad genau die Grundrechtsgefährdung aufweisen muss, ist den Entscheidungen nicht klar zu entnehmen.

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III. Aufarbeitung und freiheitlich-demokratische Grundordnung Eine ganz ähnliche Stoßrichtung weist auch die Begründung des Aufarbeitungsauftrags mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auf. Auch hier wird der Zweck der Aufarbeitung in der Verfassungssicherung gesehen. In diesem Sinne beschreibt die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Limbach den Aufarbeitungszweck des Stasi-UnterlagenGesetzes wie folgt: Aufarbeitung „intendiert, die Öffentlichkeit über Kontrollmechanismen einer Diktatur aufzuklären; und nicht zuletzt will es die – um die neuen Länder erweiterte – Bundesrepublik davor bewahren, dass die staatliche Macht von den Handlangern des SED-Regimes eines Tages wieder mißbraucht wird.“614 Dass dem Grundgesetz ein Abwehrmechanismus immanent ist, wird durch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts bestätigt. Eine vergleichbare, auf die Wehrhaftigkeit der Verfassung abstellende Argumentationslinie findet sich schon im Urteil zum KPD-Verbot.615 Flankiert wurde sie von der Lüth-Rechtsprechung, in der das Bundesverfassungsgericht den Aufruf Privater zum Boykott der Filme des Jud-SüßRegisseurs Harlan durch die Meinungsfreiheit rechtfertigte und sich dabei der Auffassung des Beschwerdeführers anschloss, wonach der Aufruf im Kontext mit den allgemeinen politischen Bestrebungen, sich von der Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus zu distanzieren, gesehen werden müsste.616 Noch klarer sticht dieser verfassungsimmanente Schutzmechanismus in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2004 zur Zulässigkeit einer NPD-Versammlung unter dem Motto: „Stoppt den Synagogenbau- 4 Mio. fürs Volk!“ hervor. Darin bestätigt das Gericht, „dass das Grundgesetz sich anlässlich seiner Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus für eine wehrhafte Demokratie entschieden hat“617. „In der Tat“ – so die Richter weiter – „will das Grundgesetz nationalsozialistische Bestrebungen abwehren. Zugleich schafft es rechtsstaatliche Sicherungen, deren Fehlen das menschenverachtende System geprägt haben. Dementsprechend enthält das Grundgesetz einen Auftrag zur Abwehr von Beeinträchtigungen der Grundlagen einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit Mitteln des Rechtsstaates.“618 614 615 616 617

J. Limbach, Anm. 343, S. 25 (32). BVerfG, Urteil v. 17. August 1956, KPD, BVerfGE 5, 85 (137 ff.). BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1958, Lüth, BVerfGE 7, 198 (216). BVerfG, Beschluss v. 23. Juni 2004, NPD-Versammlung, BVerfGE 111, 147

(158). 618

(158).

BVerfG, Beschluss v. 23. Juni 2004, NPD-Versammlung, BVerfGE 111, 147

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Während das Gericht in diesen Entscheidungen auf die Sicherung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung allein durch die Abwehr verfassungsfeindlicher Tendenzen abstellt, gehen einige Autoren weiter und entnehmen der Verfassung zusätzlich eine pädagogische Komponente oder – drastischer ausgedrückt – die Grundlage für eine Gesellschaftstherapie, die darauf zielt, einem wiederholten Missbrauch der Bevölkerung entgegenzuwirken.619 So meint Häberle angelehnt an Adornos philosophische Begründung der Notwendigkeit der Aufarbeitung: „Erst in langfristigen Lernprozessen und langatmigen Vorgängen kultureller Sozialisation und ihrer Speicherung im individuellen und kollektiven Gedächtnis werden Grundrechte, Demokratie [. . .] so ‚verinnerlicht‘, daß sie juristisch gelebt werden können.“620 Den gleichen Weg schlägt auch Limbach ein, wenn sie meint: „Die Bürger müssen sich in der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Missbrauch staatlicher Macht vergewissern können, an welchen Maßstäben das Verhalten der ehemaligen Machthaber und ihrer Handlanger gemessen wird. Unrecht muß als solches benannt und den Opfern Aufmerksamkeit zugekehrt werden. Der Aufbau eines Rechtsstaates kann schwerlich gelingen, wenn man die Untaten der vorausgegangenen Diktatur schlicht unter den Teppich kehrt.“621

Abgesehen von der Entscheidung zum KPD-Verbot ist auch diesen Entscheidungen und Stellungnahmen gemein, dass es an einer für die Begründung eines allgemeinen verfassungsrechtlichen Mechanismus zum Schutze der freiheitlich-demokratischen Grundordnung notwendigen normativen Grundlage fehlt. Das Grundgesetz hat das weimarsche Dilemma zwischen Freiheit und Sicherheit mit den Art. 9 Abs. 2, 18, 21 Abs. 2 GG und 26 Abs. 1 GG sektoral versucht anzugehen und den verfassungsrechtlich gebotenen Verfassungsschutz zu Gunsten eines allgemeinen Freiheitspostulats auf ein notwendiges Minimum begrenzt.622 „Aus den aufgeführten Normen des Grundgesetzes können aber keine weitergehenden Rechtsfolgen als die ausdrücklich angeordneten abgeleitet werden“623, – so die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.624 Die wehrhafte Demokratie 619 620 621 622

Dagegen R. Schröder, FAZ v. 3. Januar 1992. P. Häberle, Anm. 522, S. 133 (139). J. Limbach, Anm. 343, S. 25 (32). BVerfG, Beschluss v. 23. Juni 2004, NPD-Versammlung, BVerfGE 111, 147

(158). 623

BVerfG, Beschluss v. 23. Juni 2004, NPD-Versammlung, BVerfGE 111, 147

(158). 624 BVerfG, Beschluss v. 6. Oktober 1959, Grundrechtsverwirkung, BVerfGE 10, 118 (123); BVerfG, Beschluss v. 27. Juni 1961, Entschädigung für KPD-Mitglied, BVerfGE 13, 46 (52); BVerfG, Beschluss v. 14. Januar 1969, Propaganda pro KPD, BVerfGE 25, 44 (57 f.); BVerfG, Beschluss v. 5. September 2003, Nationalsozialistisches Gedankengut, NVwZ 2004, 90 (91).

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kann „keineswegs als umfassende Schranke von Grundrechten und Rechtsstaatserfordernissen dienen. Vielmehr verlangt Verfassungsschutz im Rechtsstaat eine konstitutionelle Abstützung, um nicht Freiheitsgebrauch und oppositionelles Verhalten zu ersticken“. Erst recht – und das haben die immer wieder gescheiterten Versuche der Einbindung der so genannten Erziehungsziele in das Grundgesetz gezeigt625 – haben die Autoren des Grundgesetzes in seiner geltenden Fassung einem solchen paternalistischen Ansatz eine Absage erteilt. Damit ist freilich die hier gestellte Frage nach einem verfassungsrechtlichen Aufarbeitungsauftrag noch nicht beantwortet. Negativ beantwortet ist hier lediglich die Frage nach einem allgemeinen verfassungsrechtlichen Sicherungsmechanismus als normative Grundlage einer wie auch immer strukturierten Aufarbeitungspflicht. Auch geht es – wie der Begriff der Aufarbeitung und der spezielle Fall der §§ 32, 34 StUG zeigt626 – nicht zwingend um einen vom Staat initiierten Prozess und damit um staatliche Erziehung, so dass die grundsätzliche Entscheidung der Verfassungsgeber gegen die verfassungsrechtliche Festlegung bestimmter Erziehungsziele einer verfassungsrechtlichen Pflicht zur Aufarbeitung nicht entgegensteht. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung als solche ist als Ausgangsbasis für die Ableitung einer Aufarbeitungspflicht jedoch zu vage. Der Eigenwert des Begriffes der freiheitlich demokratischen Grundordnung beschränkt sich bei aller Umstrittenheit auf eine abstrakte Zusammenfassung verschiedener Komponenten des Rechtsstaatsprinzips, des Demokratieprinzips sowie – teilweise behauptet – des Grundrechtskatalogs.627 So gesehen handelt es sich hierbei um die Abstraktion der Abstraktionen. In Ermangelung eines materiellen Eigenwertes des Begriffs der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht auch stets davon abgesehen, Grundrechte gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung abzuwägen.628 Stattdessen hat es direkt auf die einzelnen hinter dem Begriff der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehenden Prinzipien zurückgegriffen. Vor diesem Hintergrund soll bei der Frage nach den Bezugspunkten zwischen freiheitlich-demokratischer Grundordnung einerseits und Aufarbeitung andererseits von den einzelnen Komponenten, die dieser Begriff in sich vereint, ausgegangen werden. Das Verhältnis zwischen Aufarbeitung und Grundrechten wurde bereits oben ge625

Vgl. dazu die Staatsrechtslehrertagung von 1994, VVDtStRL 54, 7 ff. Teil 1 Kap. 2 § 1 A. III., IV. 627 § 88 Abs. 2 StGB; Regierungsentwurf zu § 35 BVerfGG, wiedergegeben bei in W. Geiger, BVerfGG-Kommentar, vor § 36 Rn. 6; E. Kaufmann, Gesammelte Schriften I, S. 515 ff.; BVerfG, Urteil v. 23. Oktober 1952, SRP, BVerfGE 2, 1 (12); BVerfG, Beschluss v. 20. Dezember 1960, Kriegsdienstverweigerer I, BVerfGE 12, 45 (51); BVerfG, Urteil v. 17. August 1956, KPD, BVerfGE 5, 85 (140). 628 K. Stern, Anm. 146, S. 575 f. 626

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klärt629, so dass es hier nur noch um die Verbindung zwischen dem Aufarbeitungsanliegen und dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip geht. IV. Aufarbeitung und Rechtsstaatsprinzip Es ist der Natur des Rechtsstaatsprinzips als Strukturprinzip immanent, dass es selbst keine expliziten Antworten auf konkrete Fragen bereithält.630 Weder soll hier nicht noch einmal der Versuch unternommen werden, das Rechtsstaatsprinzip inhaltlich zu konkretisieren, noch soll die Herleitung des so im Grundgesetz nicht benannten Prinzips noch einmal nachgezeichnet werden. Insoweit sei auf die Habilitationsschriften von Kunig und Sobota verwiesen.631 Aufgabe ist es hier, danach zu fragen, ob der Rechtsstaat für die politische Entscheidung zur Aufarbeitung nur Maßstab ist632 oder ob sich aus den allgemein anerkannten Komponenten des Rechtsstaatsprinzips zugleich auch eine Pflicht zur Aufarbeitung ergibt. Folgende Hypothesen können dabei der Diskussion entnommen werden: Die kollektive Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes sei eine Voraussetzung für Legalität633; Aufarbeitung sei eine Form der Wiedergutmachung634; Aufarbeitung sei Aufklärung635 und Aufarbeitung sei ein Gebot der Gerechtigkeit636. Damit sind folgende im Kontext des Rechtsstaatsprinzips diskutierte Komponenten angesprochen: das Legalitätsprinzip, der Wiedergutmachungsgrundsatz und die staatlichen Aufklärungspflichten. Die Berufung auf die Gerechtigkeit soll jedoch aus zwei Gründen beiseite gelassen werden. Zum einen lässt sich bereits dem ersten Anschein nach eine Pflicht zur materiellen Gerechtigkeit dem Rechtsstaatsprinzip nicht ent629

Teil 1 Kap. 2 § 1 C. I. 2. So folgert Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 481: „Von Rechtsstaat zu sprechen macht Sinn als Bezugnahme auf eine Strömung politischer Ideen über die Gestaltung des Gemeinwesens, in deren Mittelpunkt heute gleichberechtigt Verfassungs- und Gesetzesbindung einerseits, Verwirklichung von Gerechtigkeit durch effizienteres staatliches Handeln andererseits stehen“. 631 Ph. Kunig, Anm. 630, K. Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat. Vgl. dazu auch D. Buchwald, Die Prinzipien des Rechtsstaates. 632 Dazu H. Schulze-Fielitz, Anm. 316, 893. 633 R. Motsch, Anm. 74, S. 95 (100). 634 Stellungnahme Marx vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 24, 50 (51), allerdings ohne rechtliche Begründung. 635 R. Motsch, Anm. 74, S. 95 (100); Stellungnahme Marx vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 50 (51). 636 Auch Stellungnahme Marx vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 50 (51). 630

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nehmen.637 Sie lässt sich normativ nicht begründen.638 Zum zweiten greift die Frage, warum nun Aufarbeitung die gerechtere Form des Umgangs mit Systemunrecht sein soll, abgesehen von den hier aufgeführten normativen Bezügen der Aufarbeitung639, auf einen außerhalb des positiven Rechts stehenden Gerechtigkeitsbegriff aus. Sie ist damit am Maßstab des Rechts nicht abschließend zu beantworten. 1. Legalitätsgrundsatz und Wiedergutmachung Auch der Legalitätsgrundsatz kann im Ergebnis für die hier zu untersuchende Pflicht zur kollektiven Aufarbeitung nicht fruchtbar gemacht werden. Ob der Legalitätsgrundsatz auf vor-rechtsstaatliches Unrecht Anwendung findet, ist bereits fraglich. Jedenfalls ist nicht einzusehen, wie man aus dem Legalitätsprinzip, verstanden als Gebundenheit der staatlichen Macht an das Recht (Art. 20 Abs. 3 GG), zugleich eine Verpflichtung, das rechtsbrecherische System zu entlarven, konstruieren will. Die kollektive Aufarbeitung eines Unrechtsregimes640 geht gerade weiter als die bloße dem Legalitätsprinzip entspringende Pflicht zur Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes. Auch kann hier dahinstehen, ob sich eine Pflicht zur Wiedergutmachung von Amtspflichtverletzungen direkt aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt641 und ob davon auch vor-grundgesetzliche Amtspflichtverletzungen erfasst werden und wie weit die Rechtsfolgen einer solchen Amtspflichtverletzung letztlich reichen. Schließlich scheitert eine Wiedergutmachungspflicht auch hier an der fehlenden Zurechenbarkeit der Handlungen der DDR-Organe zur Bundesrepublik Deutschland.642 637 Zwar nutzte das BVerfG immer wieder die materielle Gerechtigkeit als Argumentationstopos, tatsächlich stützte sich das Gericht jedoch auf andere Gründe: BVerfG, Beschluss v. 25. Oktober 1966, nulla poena sine lege, BVerfGE 20, 323 (331) – dort Zweck des Strafens; BVerfG, Beschluss v. 19. Juli 1972, Zeugniszwang, BVerfGE 33, 367 (383) – dort funktionstüchtige Strafrechtspflege; BVerfG, Beschluss v. 25. Juli 1979, Arzthaftung, BVerfGE 52, 131 (144 f.) – dort Willkürverbot. 638 Nach Ph. Kunig, Anm. 630, Kap. 1 zu Anm. 14, gehe es dabei nicht um Verfassungsinterpretation, sondern um die Legitimierung von Bestrebungen unter dem Deckmantel des abstrakten Prinzips. 639 Teil 1 Kap. 2 § 1 C. 640 Vgl. dazu Begründung unter Teil 1 Kap. 2 § 1 C. II. 2. a). 641 Für eine unmittelbare Staatshaftung nach Art. 34 GG K. A. Bettermann, DÖV 1954, 299; ders., JZ 1961, 482 f.; H.-J. Papier, Forderungsverletzung, S. 111 f. Zustimmend auch J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar Bd. II, Art. 34 Rn. 25; H. J. Bonk, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 34 Rn. 53; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 34 Rn. 1. 642 Vgl. dazu Teil 1 Kap. 2 § 1 C. II. 1. b).

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2. Rechtsstaatssicherung durch Aufklärung Ähnlich wie in Bezug auf die Grundrechte und die freiheitlich-demokratische Grundordnung stellt sich in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip die Frage, ob sich aus ihm eine allgemeine Schutzpflicht zur Absicherung der verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen ergibt, die eine Verpflichtung zur kollektiven Aufarbeitung von Systemunrecht nach sich zieht.643 Marianne Birthler bezeichnete einst in einem Interview das Stasi-UnterlagenGesetz als „Aufklärungsgesetz“.644 Insofern liegt es nahe, den Gesetzeszweck „Aufarbeitung“ auch im Kontext des rechtsstaatlichen Transparenzprinzips zu beleuchten.645 Bei aller Umstrittenheit der konkreten Rechtsfolgen, die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben, besteht Einigkeit, dass dem Rechtstaatsprinzip die Funktion der Absicherung der materiellen Verfassungswerte zukommt.646 Es ist – auch das ist unstrittig – in erster Linie eine Anweisung an den Staat, die einzelnen materiellen Verfassungswerte abzusichern. Allein aus dieser Staatsgerichtetheit folgt allerdings noch nicht, dass das Rechtsstaatsprinzip für die Aufarbeitung von Unrechtsregimes noch keine Vorgabe enthalten kann – wie Hans Meyer647 meint. Entscheidend ist, dass das Rechtsstaatsprinzip als Rechtsprinzip keine eindeutigen Vorgaben macht. Verfassungsrechtlich abgesichert sind allein seine gleichwohl vielfältigen Ausprägungen, die im Verfassungstext ihren Ausdruck gefunden haben.648 Den Art. 19 Abs. 1 S. 2, 20 Abs. 3, 79 Abs. 1, 80 Abs. 1, 82 Abs. 1, 95 Abs. 1, 3 GG kann eine Tendenz zur staatlichen Transparenz entnommen werden, diese Transparenz bezieht sich gegenständlich aber durchweg nur auf staatliche Entscheidungen. Die Vorschriften dienen dazu, staatliches Handeln berechenbar zu machen, seine Vorhersehbarkeit zu garantieren.649 Dass der Verfassung – wie es bei Sobota650 anklingt – ein all643

Teil 1 Kap. 2 § 1 C. II., III. DA 2001, 12. 645 Vgl. auch J. Bröhmer, Transparenz als Verfassungsprinzip, S. 221 ff. 646 K. Stern, Anm. 499, S. 783. 647 Zweifelnd in Bezug auf die Aufarbeitung als rechtsstaatliches Rechtsgebot: „Normalerweise benutzen wir den Rechtsstaat als Schutzschild gegen staatliches Handeln. Hier aber wird er als Handlungsauftrag gegen irgendjemand benutzt“, VVDtStrL 51, 156. 648 Art. 19 Abs. 1 S. 2 u. 4; 20 Abs. 2 S. 2; 20 Abs. 3; 34; 79 Abs. 1 und 2; 80 Abs. 1; 82 Abs. 1; 84 Abs. 3; 85 Abs. 4; 92; 93; 95 Abs. 1 u. 3; 97; 101 Abs. 1; 103 Abs. 2, 3; 104 GG. 649 Zur Unterscheidung der verfassungsrechtlichen Vorgaben im Hinblick auf den nach eigenem Ermessen gestalteten Tätigkeitsbereich der Regierung (Öffentlichkeitsarbeit) und der Unterrichtung der Allgemeinheit über Vorgänge außerhalb dieses Bereichs (Öffentlichkeitsaufklärung), R. Gröscher, DVBl. 1990, 619 (620). 644

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gemeines Aufklärungsprinzip, was für die hier gestellte Frage nach einer verfassungsrechtlichen Grundentscheidung für die Offenlegung der staatlichen Vergangenheit fruchtbar gemacht werden könnte, zu entnehmen ist, lässt sich mit dem Verfassungstext nicht belegen. Wenn nun in diesem Zusammenhang immer wieder darauf hingewiesen wird, dass das Rechtsstaatsprinzip ablauforientiert zu interpretieren sei651; dass der Rechtsstaat – so Hoffmann-Riem652 – einen immer neuen Prozess der Gerechtigkeitsfindung intendiere und damit auf bestimmte verfassungsrechtliche Lagen – wie dem Umgang mit dem DDR – Antworten gebe; dass Rechtsstaatlichkeit im Gegensatz zu anderen Rechtsprinzipien darauf angewiesen sei, dass ein interaktiver Prozess stattfinde, indem definiert wird, was Rechtsstaatlichkeit in einer bestimmten historischen Situation ist, dann mag dies Anlass sein, die zur Erfüllung der dem Rechtsstaatsprinzip immanenten Zielvorgabe der Sicherung der materiellen Verfassungsgüter genutzten Instrumentarien zu überdenken, gegebenenfalls im Lichte dieser neuen Herausforderungen gesetzgeberisch tätig zu werden. Neue verfassungsrechtliche Rechtssätze werden damit noch nicht kreiert. Der evolutive Charakter des Rechtsstaates sowie die Rolle der Aufklärung für die instrumentale Absicherung der materiellen Verfassungswerte mögen für die politische Begründung einer Aufarbeitungspflicht im Rechtsstaat von Bedeutung sein, eine allgemeine Rechtspflicht zur Aufarbeitung der DDR- und NS-Vergangenheit entspringt dem Rechtstaatsprinzip jedoch nicht. V. Aufarbeitung und Demokratieprinzip Nicht minder häufig als für den Rechtsstaat konstitutiv wurde die Bedeutung der Aufarbeitung für die Demokratie in Deutschland herausgestellt. Gauck bezeichnete die Öffnung der Stasi-Archive gar als elementare Voraussetzung für die politische Gesundung und das Wachsen eines tragfähigen Demokratieverständnisses.653 Insofern drängt sich auch hier eine Untersuchung des Demokratieprinzips auf etwaige verfassungsrechtliche Vorgaben für die Aufarbeitung auf. Dabei ist auch hier zwischen zwei verschiedenen Ansätzen, die in der Diskussion immer wieder zum Vorscheinen kamen, zu differenzieren. In einem ersten Argumentationsstrang geht es darum, durch Aufarbeitung der persönlichen Vergangenheit heutiger politischer Akteure Transparenz zu schaffen. Der zweite Ansatz betrifft nicht die 650

K. Sobota, Anm. 631, S. 256 ohne Begründung. H. Schulze-Fielitz, Anm. 316, 893; P. Kirchhof, NJW 1996, 1497 f. 652 W. Hoffmann-Riem, VVDtStRL 51, 211. 653 J. Gauck, in: BStU (Hrsg.), Zehn Jahre Stasi-Unterlagen-Gesetz/Zehn Jahre Aufarbeitung, Vorwort. 651

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demokratische Legitimationskette und damit die verfasste Gewalt an sich, sondern ist dieser vorgelagert. Aufarbeitung wird danach – wie die Stellungnahme Gaucks andeutet – als Voraussetzung für die Schaffung einer starken Zivilgesellschaft als Basis der Demokratie gesehen. 1. Aufarbeitung und demokratische Legitimation Demokratie heißt bei aller Umstrittenheit dieses – wie ihn Schuppert nennt – „Allerweltsbegriffs“654 Volksherrschaft: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG. Die durch den Wahlakt des Volkes vermittelte Legitimation der handelnden Staatsorgane setzt die freie Willensbildung des Volkes voraus. Freie Willensbildung setzt Öffentlichkeit voraus – so das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem ersten Urteil zur Öffentlichkeitsarbeit.655 Das Öffentlichkeitserfordernis bezieht sich dabei nicht nur auf das politische Handeln, sondern auch auf die Öffentlichkeit der Handlungsträger.656 Die Wahlentscheidung setzt ein gewisses Maß an Informationen über die Persönlichkeit des Amtsträgers voraus. Sie bringen in ihr jeweiliges Amt bzw. in die Funktion, die sie ausüben, ihre Persönlichkeit ein.657 Ihre Amtsund Funktionsausübung ist von persönlichen Eigenschaften durchzogen. Loyalität, Ehrlichkeit, Unbestechlichkeit und Vertrauenswürdigkeit bilden Kernkriterien einer jeden Wahlentscheidung. Eine Persönlichkeit aber entsteht nicht erst mit der Aufnahme eines Amtes oder einer Funktion, sie ist vielmehr Ergebnis eines Entwicklungsprozesses und vielfältiger Erfahrungen. Darüber hinaus kommt es für bestimmte Ämter ganz entscheidend auf die politischen Erwartungen, die man an einen Kandidaten haben kann und damit auf dessen politische Einstellung an, die ebenfalls nicht mit einem Urknall entsteht, sondern zumindest im Regelfall gewachsen ist. Transparenz ist nach dem Grundgesetz also nicht nur der Maßstab für das heutige politische Handeln und Agieren. Transparenz – so Beleites zutreffend – muss auch der Maßstab für das Handeln heutiger Entscheidungsträger in der Vergangenheit sein.658 Dabei geht es ausgehend von der Aufarbeitungs654 655

I. Richter/G. F. Schuppert/Ch. Bumke, Casebook Verfassungsrecht, S. 286. BVerfG, Urteil v. 2. März 1977, Öffentlichkeitsarbeit I, BVerfGE 44, 125

(139). 656 So auch Schult (Neues Forum), Stellungnahme vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 30 (31). 657 Dazu sowie zu den Grenzen der Öffentlichkeit von Amts- und Funktionsträgern ausführlich Teil 1 Kap. 2 § 3 A. I., C sowie Teil 2 Kap. 2 § 1 C. I. 2., § 2. 658 Stellungnahme Beleites vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 14. Vgl. auch J. Weberling, Stellungnahme vor dem Ausschuss für Kultur und Medien v. 25. Oktober 2006, Ausschuss-Drs. 16(22)067, S. 7.

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idee nicht um eine Hetz- oder Treibjagd von Politikern, sondern um die Aufklärung über ihr politisches Engagement, ihre Glaubwürdigkeit, ihre Erfahrungen im und mit dem Staatsapparat der DDR. a) Transparenz der Legislative Dass auch das vor-amtliche Wirken bei der Auswahl von staatlichen Bediensteten eine Rolle spielen muss, ist für Auswahlentscheidungen in der nur mittelbar legitimierten Verwaltung seit eh und je anerkannt und mit Art. 33 Abs. 2 GG auch verfassungsrechtlich verankert. Damit soll bereits präventiv einem Legitimationsübertritt entgegengewirkt werden.659 Zugleich gleicht die Vorschrift die Gefahren der abgeleiteten Legitimation aus und ist damit auch Beleg für das Misstrauen des Souveräns in die Exekutive.660 Wenn aber nun schon die Exekutive durch den Souverän zum Eignungsnachweis, der auch ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung beinhaltet661, verpflichtet ist, dann muss dies erst Recht für Abgeordnete als Hauptentscheidungsträger im Staat gelten. Ihr Auswahlgremium ist das Volk. Ihm gegenüber muss also auch der Nachweis erbracht werden. Der Zusammenhang zwischen dem Wahlakt und der notwendigen Transparenz des zur Wahl Stehenden liegt auch dem bereits zitierten ersten Urteil zur Öffentlichkeitsarbeit zugrunde. Darin bekräftigt das Bundesverfassungsgericht, dass die verantwortliche Teilhabe an der politischen Willensbildung voraussetze, dass der Einzelne von den zu entscheidenden Sachfragen und Lösungsvorschlägen genügend weiß, um sie beurteilen, bewilligen oder verwerfen zu können.662 Auch wenn das Gericht selbst diesen Zusammenhang hier nur mit Blick auf bevorstehende Sachentscheidungen zog, muss Gleiches in Bezug auf die hinter den zu treffenden Sachentscheidungen stehende „politische Persönlichkeit“ des Kandidaten gelten, so auch das Bundesverfassungsgericht 1996 in Bezug auf die Überprüfung von Abgeordneten auf etwaige Verstrickungen mit dem MfS: 659

Vgl. nur § 52 Abs. 2 BBG; Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG. Th. Maunz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 33 Rn. 34. 661 Vgl. unten Teil 1 Kap. 2 § 1 C. V. 1. a). 662 BVerfG, Urteil v. 2. März 1977, Öffentlichkeitsarbeit I, BVerfGE 44, 125 (147). Anders hingegen BVerfG, Urteil v. 12. Oktober 1993, Maastricht, BVerfGE 89, 155 (185), in dem das Gericht die Transparenz der verfolgten politischen Zielvorstellung als eine „vorrechtliche Voraussetzung“ der Demokratie bezeichnet. Damit verengt das Gericht, die in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG zugrunde gelegte Volksherrschaft auf den in S. 2 geregelten Wahlakt. Das Gericht beschränkt sich aber auch hier auf Behauptungen, aus denen sich keinerlei Schlüsse für ein dogmatisches Konzept ersehen lassen. Im Übrigen darf auch hier der politische Hintergrund der Maastricht-Entscheidung nicht vergessen werden. Zu diesen widersprüchlichen Äußerungen des Gerichts auch G. Nolte, DÖV 1999, S. 363 (368). 660

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„Insbesondere muß der Bundestag in einer solchen Lage nicht davon ausgehen, daß die Wähler solche Abgeordneten ungeachtet einer möglicherweise später aufgedeckten Verstrickung gewählt haben.“663

Es wäre mit Blick auf die enge Verflechtung von Persönlichkeit und Amtsausübung vermessen, zu behaupten, dem Wahlakt lägen allein Sachentscheidungen zugrunde. Dies kann auch gar nicht sein, da sich eine Vielzahl von Sachfragen erst während der Legislaturperiode ergibt und es damit allein auf die politische Berechenbarkeit des Kandidaten ankommt. Das bedeutet nicht, dass der Kandidat zum „Gläsernen Abgeordneten“ wird, durch den der Wähler hindurchschauen können muss, bevor er zur Wahlurne schreitet.664 Entscheidend ist, ob es sich um Informationen handelt, die mit der künftigen Amtsausübung zwingend verknüpft sind, dass heißt auf diese einen nachhaltigen Einfluss haben. Freilich stellen sich diesbezüglich schwierige Definitionsprobleme, kann doch so ziemlich jede Materie, für die Gestaltung des öffentlichen Lebens als bedeutend anerkannt und damit zur Politik erhoben werden; wird doch auch die Relevanz einer Information für die spätere Amtsausübung jeweils subjektiv sehr unterschiedlich bemessen sein; kann diese Informationsforderung doch mitunter einen weitreichenden Eingriff in Grundrechte, insbesondere in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellen. Dieses Definitionsproblem ist aber kein Einwand gegen eine Offenlegungsverpflichtung an sich, sondern ein Problem ihrer spezifischen Ausgestaltung, insbesondere ihrer verfassungsimmanenten Grenzziehung. Analoge Probleme stellen sich auch in anderen Bereichen, wie etwa dem bereits erwähnten Art. 33 Abs. 2 GG. Wer bestimmt, welche Umstände und Eigenschaften die unter anderem hinter dem Eignungskriterium stehende Verfassungstreue negativ beeinflussen? Maßstab kann hier nur der freilich schwierig zu ermittelnde gesellschaftliche Konsens sein. Ob zu Recht oder zu Unrecht, der Rolle von Politikern und Amtsträgern in der Zeit der deutschen Teilung wird eine große Bedeutung zugeschrieben. Hiernach beurteilen die Wähler maßgeblich die Vertrauenswürdigkeit der Kandidaten. Dies gilt nach wie vor, wenngleich auch hier der Bedeutungsgrad im Laufe der Zeit abgenommen hat. Gerade bei den ersten freien Volkskammerwahlen wurden mehrere „Offiziere im besonderen Einsatz“ noch vom MfS in den Staatsapparat eingeschleust. Unter anderem solche Erkenntnisse gaben – so Birthler – den Ausschlag zu der gesellschaftlichen Einsicht, dass die Zukunft nur in Kenntnis der Vergangenheit gestaltet wer663

BVerfG, Beschluss v. 21. Mai 1996, Abgeordnetenüberprüfung, BVerfGE 94, 351 (Orientierungssatz 3 a). 664 Zum damit im Zusammenhang stehenden Problem der Offenlegung der Nebeneinkünfte Abgeordneter, E. R. Zivier, Recht und Politik, 3 (2005), 152.

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den kann, weil sonst die neuen demokratischen Institutionen von Beginn an unter einem schwerwiegenden Legitimationsdefizit leiden würden.665 Die Angst vor der Etablierung alter Seilschaften, aber auch die Gefahr der Erpressbarkeit spielte in den Nachwendejahren eine große Rolle.666 Die Furcht davor, dass die Träger des alten Systems heute noch reaktionäre Strömungen in staatliche Entscheidungsabläufe einbringen, ist – nimmt man die Presse als Sprachrohr der Öffentlichkeit wahr – nach wie vor groß. Nicht ohne Grund spielt die Vergangenheit von Amtsträgern und Politikern in der Presse, die sich ihrerseits am öffentlichen Interesse orientiert, bis heute eine zentrale Rolle in der Berichterstattung.667 Die Beziehung zum Staatsapparat der DDR war im krassen Gegensatz zu der Beziehung zum NS-Regime auch aus der Perspektive der Gerichte immer wieder ein entscheidender Aspekt für die Zuverlässigkeit der ordnungsgemäßen Amtsausführung.668 Unter dem Gesichtspunkt der Verfassungstreue folgerte das Bundesverfassungsgericht: Gerade die Bekleidung bestimmter Positionen in Staat und Partei könne „nach Maßgabe ihrer Herausgehobenheit und des mit ihnen verbundenen Einflusses Anhaltspunkte für eine fortbestehende innere Verbundenheit zum Herrschaftssystem der Deutschen Demokratischen Republik sein.“669 Unbeschadet der im Ergebnis sehr differenzierten Rechtsprechung des Gerichts wurde in der Rechtsprechung immer wieder deutlich: Für die nach Art. 33 Abs. 2 GG erforderliche Einzelfallprognose ist das Verhalten und die Einstellung öffentlich Bediensteter gegenüber der staatlichen Autorität sowie der Identifikationsgrad mit dem Herrschaftssystem der DDR „eine wesentliche“ Erkenntnisquelle.670 In Bezug auf die 665

M. Birthler, Anm. 85, S. 37 (42). Siehe B. Bohley in der TAZ v. 22. März 1990. 667 Vgl. Pressearchiv der BStU, www.bstu.bund.de. 668 In keiner einzigen Gerichtsentscheidung wurde die nach Art. 33 Abs. 2 GG erforderliche Eignung für die Bekleidung öffentlicher Ämter unter dem Aspekt der Kollaboration mit dem NS-Regime überprüft. Dies obgleich aufgrund der um sich greifenden „Persilschein-Korruption“ und den mit der enormen Verfahrensbelastung einhergehenden Defiziten offensichtlich war, dass die Entnazifizierung materiell mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes keineswegs erfolgreich beendet war. Dies brachte der Bundesrepublik den Vorwurf ein, mit zweierlei Maß zu messen. Zu berücksichtigen ist dabei jedoch Folgendes: Mit den Stasi-Unterlagen hat das DDRRegime akribisch dokumentierte Beweise geschaffen. An einer solchen umfassenden Dokumentation fehlte es in Bezug auf das NS-Regime. Auch hat die im Ergebnis der Sonderkündigungstatbestände im öffentlichen Dienst einsetzende Entlassungswelle die Funktionstüchtigkeit der Institutionen nicht gravierend beeinträchtigt, da Ersatzpersonal aus der alten Bundesrepublik bereitstand. Hieran fehlte es aber nach 1945. 669 BVerfG, Beschluss v. 21. Februar 1995, Volkspolizist I, BVerfGE 92, 140 (155). 670 BVerfG, Urteil v. 8. Juli 1997, Lehrerkündigung I, BVerfGE 96, 152 (165). 666

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Weiterbeschäftigung eines ehemaligen Mitarbeiters des Ministeriums für Staatssicherheit ist der Ton des Gerichts schärfer: „Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß durch eine solche Tätigkeit die Integrität des Betroffenen sowie seine innere Bereitschaft, Bürgerrechte zu respektieren und sich rechtsstaatlichen Regeln zu unterwerfen, nachhaltig in Frage gestellt wird. Darüber hinaus kann sein Verbleiben im Dienst bei der Bevölkerung Zweifel an der rechtsstaatlichen Integrität des öffentlichen Dienstes hervorrufen.“671

Welche Konsequenzen die Wählerschaft aus dem Verhältnis des Kandidaten zum DDR-Staatsapparat zieht, bleibt jedem einzelnen Wähler selbst überlassen.672 Die Entscheidung über die Wählbarkeit setzt aber jedenfalls umfassende Kenntnis über die für die Amts- oder Funktionsausübung relevanten Aktivitäten des Kandidaten voraus. Nur so kann der Wähler das Risiko einer Entfernung seines Kandidaten vom Wählerauftrag und damit dem Abschneiden der durch Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG auch über den konkreten Wahlakt hinweg garantierten Mitbestimmung entgehen. Dabei geht es letztlich um die Minimierung der mit der repräsentativen Demokratie verbundenen Risiken der Demokratiedurchbrechung. Somit ist als Zwischenergebnis festzuhalten: Das Demokratieprinzip in der Ausprägung des Art. 20 Abs. 2 S. 1, 2 GG statuiert eine objektiv-rechtliche Pflicht des Staates zur Offenlegung von Informationen über etwaige Verwicklungen von Abgeordneten mit dem Staatsapparat der DDR, sofern der Staat – wie im Falle der Stasi-Unterlagen – ein Informationsmonopol hat. Dem tragen die §§ 32 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 2, 34 StUG; 44 c Abs. 2 AbgG; §§ 20 Abs. 1 Nr. 6 b, 27 Abs. 1 Nr. 1 StUG und dementsprechend auch die behördliche Praxis – wie der Fall Gysi673 belegt – Rechnung.

671 BVerfG, Urteil v. 8. Juli 1997, Fink, BVerfGE 96, 189 (198). Mit dem Vertrauensbruch wurde auch die absolute Diskontinuität des Richterdienstes begründet, vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 1998, Richterübernahme, ZBR 1998, 395; BVerfG, Beschluss v. 2. November 2001, Volkspolizist II, DVBl. 2002, 403 (404). Insofern geht auch der v. R. Stock, Anm. 115, 286 (288) gehegte Einwand des fehlenden öffentlichen Interesses in Bezug auf § 44 b AbgG fehl. 672 Fragwürdig insofern die Stellungnahme: „Wer das eigene Volk bespitzelt und unterdrückt hat, wer es hintergangen, verraten und betrogen hat oder wer all dies zu verantworten hatte, gehört nicht in den Bundestag, auch wenn ihm das Mandat nicht entzogen werden kann.“ (BT-Plenarprotokoll, 12. Wahlperiode, 64. Sitzung vom 5. Dezember 1991, S. 5470). 673 LG Hamburg, Gysi I, Urteil v. 2. Dezember 1998, AfP 1999, 379; OLG Hamburg, Gysi II, Urteil v. 29. Juli 1999, AfP 1999, 91; BVerfG, Beschluss v. 17. Dezember 1999, Gysi III, BVerfGE 99, 19; VG Berlin, Urteil v. 3. Mai 2006, Gysi IV, 1 A 173.05.

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aa) Offenlegung mandatsausübungsrelevanter Informationen Eine Unterminierung des nach den Art. 38 Abs. 1 Alt. 2, 20 Abs. 2 S. 1 GG erforderlichen Informationsbedarfs wird man – wie bereits angedeutet674 – nur in Bezug auf die Unterdrückung von Informationen, die nach Auffassung der Allgemeinheit von grundlegender Bedeutung für den Wahlakt sind und die zur Mandatsausübung unmittelbar in einem rational nachvollziehbaren Zusammenhang stehen, annehmen können. Dabei wird man mit Blick auf den Inhalt der hier relevanten Stasi-Unterlagen folgende Differenzierung in personeller und sachlicher Hinsicht vornehmen müssen: Erstens: Zwar mag man das Verhalten gegenüber der DDR-Führung im Allgemeinen, ganz gleich ob es in der Kollaboration, Opposition oder der bloßen Gleichgültigkeit bestand, als Beleg für die Persönlichkeit eines Kandidaten sehen. Ob dies auch für die Mehrheit der Bevölkerung ein entscheidendes Wahl- bzw. Auswahlkriterien bei Abgeordneten ist, ist jedoch zweifelhaft. So wird man in personeller Hinsicht eine Offenlegungspflicht aus den Art. 38 Abs. 1 Alt. 2, 20 Abs. 2 S. 1 GG zunächst auf den Kreis der Kollaborateure beschränken müssen. Ihnen gelten in erster Linie die Bedenken der Wähler. Sofern die §§ 32 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 3, 34 Abs. 1 StUG gleichwohl die Akten von Amtsträgern und Funktionsinhabern offenlegen, ist hierin nur eine einfach-gesetzliche Ausgestaltung des Demokratieprinzips, zu sehen. Zweitens: Zwar spielt die Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst als „Schild und Schwert der Partei“ aufgrund seiner Machtstellung und der subversiven und in weiten Teilen auch am Maßstab des DDR-Rechts rechtswidrigen Methoden der Gesellschaftskontrolle675 eine exponierte Rolle. Es ist aber – wie sich nun auch dank der Aufarbeitungsarbeit der letzten 20 Jahre zeigt – ein Trugschluss das gesamte Herrschaftssystem und Unrecht allein der Staatssicherheit anzulasten.676 Daher kann sich die Offenlegungspflicht nicht auf die Mitarbeit in einer einzelnen Institution kaprizieren. Entscheidend muss sein, ob der Kandidat das DDR-System um des Systems willen gestützt hat. Ob er dabei als Mitarbeiter des MfS, als Mitglied der SED oder der Freien Deutschen Jugend agiert hat oder ob er auch ohne institutionelle Anbindung agiert hat, darf dabei keine Rolle spielen. 674

S. 141. Zur Rechtswidrigkeit eines Großteils der allumspannenden Informationserhebung vgl. Teil 2 Kap. 2 § 2 A. II. 1. 676 Dieser Trugschluss war 1990 auch der Grund, weshalb der Gesetzgeber für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes sehr viel weitergehende Einsichtsmöglichkeiten schuf als für Unterlagen anderer Massenorganisationen und staatlicher Einrichtungen, vgl. dazu bereits Einleitung § 2 F. Vor diesem Grund erklären sich auch die erweiterten Kündigungsmöglichkeiten für MfS-Mitarbeiter in Anlage I EV. 675

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bb) Systemaufklärung als notwendige Voraussetzung für die Bewertung? In sachlicher Hinsicht wird sich die objektive Offenlegungspflicht auf das spezifische Verhalten der Kandidaten begrenzen müssen. Zwar ist es argumentativ durchaus nachvollziehbar, dass sich die Kollaboration mit einem System erst bewerten lässt, wenn die Strukturen des Systems offengelegt worden sind. Gleichwohl wird man eine derart weitreichende von der Person des Abgeordneten losgelöste Offenlegungspflicht Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG nicht entnehmen können. Zumindest wird man spätestens heute, nachdem das System zwar noch nicht gänzlich aufgearbeitet wurde, aber zumindest doch die Grundstrukturen des Machtapparats, insbesondere die dichte Vernetzung von Staat und Gesellschaft und damit verbunden auch die häufige Überschneidung von Täter und Opfer bekannt sind, eine Pflicht zur Erhellung der Strukturen des Systems als Annex zu Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG nicht begründen können. Eine Volksherrschaft über die Zeugnisse der Vergangenheit kann auch mit Blick auf die systematische Einbettung in die Vorschrift über die Legitimation der staatlichen Entscheidungsprozesse nicht abgeleitet werden. Eine umfassende Pflicht zur Offenlegung des Systems ergibt sich damit aus dem Demokratieprinzip nicht. Die aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG fließende Verpflichtung bezieht sich allein auf die Gewährung des Zugangs zu Informationen über Abgeordnete, die für den Staatssicherheit tätig waren. Wie der Zugang im Einzelnen auszugestalten ist, lässt sich dem Grundgesetz indes nicht entnehmen. Weder besteht hiernach eine Pflicht aktiv die entsprechenden Informationen herauszugeben noch jedermann Zugang einzuräumen. Es reicht aus – wie in § 34 StUG – der durch das öffentliche Interesse geleiteten Presse als Mittler zwischen Staat und Gesellschaft Zugang zu gewähren. b) Transparenz der Exekutive und Judikative Fraglich ist weiter, ob eine solche Pflicht zur Offenlegung von Kollaborateuren des DDR-Regimes sich auch in Bezug auf die nur mittelbar durch das Volk legitimierte Exekutive und Judikative aus dem Grundsatz der Volkssouveränität begründen lässt. Das hinter dieser Fragestellung stehende Dilemma zwischen repräsentativer Demokratie und Kontrollverlust des Volkes als Urkeim staatlicher Gewaltausübung hat das Grundgesetz mit Art. 33 Abs. 2 GG zunächst wie folgt geregelt: Gefordert ist keine Offenlegung gegenüber dem Souverän, sondern gegenüber der Exekutive, die ihrerseits über das Parlament mittelbar an den Souverän rückgekoppelt ist. Dieser geht vielmehr von einer Übertragung der Befugnis zur Auswahl von Exekutive und Judika-

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tive aus, hat dieser aber durch die dort niedergelegten Anforderungen an die Auswahl zugleich Grenzen auferlegt. Die Frage, die sich damit verbindet, ist, ob es die Volkssouveränität fordert, dass die Einhaltung dieser Grenzen in den Auswahlentscheidungen kontrolliert werden kann, oder ob Art. 33 Abs. 2 GG insoweit ein abschließender Kontrollmechanismus ist. Damit ist zugleich die allgemeine Debatte um die verfassungsrechtliche Verankerung einer allgemeinen Informationszugangsfreiheit angesprochen.677 Wie schon die Diskussion um die rechtlichen Vorgaben an die Aufarbeitung ist auch die Diskussion um die allgemeinen Informationsansprüche von allerhand Referenzen zu verfassungsrechtlichen Gütern, insbesondere zur Demokratie geprägt. Aber auch hier ist das Defizit, dass „der genaue Konnex“678 zwischen dem Demokratieprinzip und dem daraus abgeleiteten Verfassungsrecht auf Informationen verborgen bleibt, dass unklar bleibt, warum es sich hierbei um eine zwingende Vorgabe des Demokratieprinzips und nicht schlichtweg um eine Form der Ausgestaltung beziehungsweise eine Form der Optimierung und Ergänzung des Art. 20 Abs. 1 S. 1 GG handeln soll. Für einige handelt es sich um einen „allgemeinen Transparenzgedanken“679, für andere verlangt Demokratie „eine weitestgehende Kontrollierbarkeit von Machtausübung, die durch einen allgemeinen Akteneinsichtsanspruch“680 zu gewährleisteten sei. In diesem Lichte sind auch die Informationsfreiheitsgesetze ausweislich ihrer Begründungen zu verstehen.681 So soll nach seinem § 1 das Berliner Informationsfreiheitsgesetz „die demokratische Meinungs- und Willensbildung fördern und eine Kontrolle des staatlichen Handelns [. . .] ermöglichen“682. In der Begründung des IFG-NRW heißt es gar: „Das Prinzip des freien Zugangs zu Informationen sei ein wesentlicher Bestandteil des Demokratieprinzips“683. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass dem Demokratieprinzip, konkret Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, zugleich eine Maxime „größtmöglicher Volksnähe des Staatshandelns“684 zu entnehmen ist. 677 Umfassend dazu: M. Rossi, Informationszugangsfreiheit und Verfassungsrecht. Vgl. auch die Übersicht zur Entwicklung der Informationsfreiheit in anderen Staaten und internationalen Gremien, http://www.informationsfreiheit.de/info_international/ index.htm (Stand: 15. März 2010). 678 M. Rossi, Anm. 677, S. 83. 679 St. W. H. Lodde, Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat, S. 109. 680 J. Scherer, Verwaltung und Öffentlichkeit, S. 30. 681 Die Informationsgesetze beziehen sich auf die laufende Verwaltung und finden damit auf die in dieser Arbeit zur Debatte stehenden Informationen über die vorrechtsstaatliche Vergangenheit keine Anwendung. 682 Vgl. auch M. Kloepfer und F. Schoch in ihrem Professorenentwurf für ein IFG, Informationsfreiheitsgesetz (IFG-ProfE). 683 NRW-LT-Drs. 13/1311, S. 1 f. 684 W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit der Regierung im Rechtsstaat, S. 83.

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Fraglich ist bereits, inwieweit diese Autoren bereit wären, die von ihnen angenommene Offenlegungspflicht auf die hier diskutierten Informationen, die nicht direkt das tagespolitische Geschäft betreffen, sondern auf dieses nur mittelbar Einfluss haben können, zu erstrecken. Die Weite des von ihnen genutzten Begründungsansatzes legt dies zwar nahe, konkrete Differenzierungen nach dem Inhalt der Informationen lassen sich den Stellungnahmen jedoch kaum entnehmen.685 Ungeachtet des fraglichen Anwendungsbereichs der Informationspflichten darf man angesichts des Wortlauts des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG bereits anzweifeln, dass dem Demokratieprinzip als Rechtsprinzip eine allgemeine Informationspflicht immanent ist. Dort heißt es: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Das heißt nicht: Alle Staatsgewalt muss an das Volk direkt rückgekoppelt sein. Entscheidend ist, dass ein Ableitungszusammenhang zwischen Volk und Staatsgewalt besteht. Wie dieser im Einzelnen ausgestaltet sein muss, lässt das Grundgesetz offen. Außerhalb der explizit im Grundgesetz benannten Rückkoppelungen der Staatsgewalt an das Volk (vgl. Art. 20 Abs. 2 GG, 17 GG) wird man zusätzliche Kontrollmechanismen zwar als Optimierung, nicht aber als zwingendes verfassungsrechtliches Gebot des Demokratieprinzips ansehen müssen.686 In diesem Sinne stellt auch die Begründung zum Entwurf der Südschleswigscher Wählerverband zum IFG-SH klar, Ziel sei es, „die Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf das staatliche Handeln dahingehend zu optimieren, dass ihnen eine verbesserte Argumentationsgrundlage an die Hand gegeben wird“687. Die Ausgangsfrage, ob die zuvor begründete Pflicht zur Offenlegung von Kollaborateuren des DDR-Regimes auch auf die Exekutive und Judikative ausgreift, ist damit zu verneinen. Soweit die §§ 32, 34 StUG Medien und Forschung auch zu den über sie erstellten tätigkeitsbezogenen Informationen Zugang gewährt, entspricht dies keinem Gebot des Demokratieprinzips. Es handelt sich hier lediglich um eine einfach-gesetzliche Optimierung des Demokratieprinzips. c) Einfluss des zunehmenden zeitlichen Abstands Freilich wird man auch hier die Frage stellen müssen, ob die soeben statuierte beschränkte Offenlegungspflicht für die Informationen über die Tä685 Vgl. aber auch ähnliche Bezüge in Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums des Inneren, 1971, BT-Drs. VI/3826, 62 ff. sowie in der Begründung des BArchG, BR-Drs. 371/84. 686 Vgl. so auch M. Kloepfer, HBStR II, § 35 Rn. 59; M. Rossi, Anm. 677, S. 84. 687 Https://www.datenschutzzentrum.de/informationsfreiheit/ifgessw.htm (Stand: 15. März 2010).

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

tigkeit von Abgeordneten für die Herrschaftsmechanismen der DDR im Lichte ihres Zwecks nun 20 Jahre nach dem Untergang der DDR noch Geltung beanspruchen kann, ob das an das frühere Verhalten anknüpfende Misstrauen in die verfassungskonforme Ausübung des Mandats heute noch tragen kann.688 Die Beantwortung der Frage, wie lange noch Gefahren von ehemaligen Trägern des Systems ausgehen, die gar eine verfassungsrechtliche Offenlegungsfrist begründen, kann hier nicht abschließend beantwortet werden. Es handelt sich hierbei um eine Tatfrage. Der Gesetzgeber jedenfalls sieht nach wie vor eine Überprüfung vor. Er änderte kurzer Hand die Überprüfungsfrist, die Ende 2006 auslaufen sollte, und verlängerte diese bis zum 31. Dezember 2011.689 Im Gegensatz zu den Kündigungstatbeständen der Anlage I des Einigungsvertrages betrachtete das Stasi-Unterlagen-Gesetz von Anfang an die von alten Seilschaften ausgehende Gefahr auch aus zeitlicher Perspektive. So schließt § 19 Abs. 1 S. 2 StUG von vorneherein die Zurverfügungstellung von personenbezogenen Unterlagen zu Überprüfungszwecken von öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen aus, sofern die inoffizielle Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst vor dem 31. Dezember 1975 lag. Auch das Bundesverfassungsgericht nahm sich im Zusammenhang mit den Kündigungstatbeständen zahlreicher Fälle an und betonte immer wieder den zeitlichen Abstand zu den in Rede stehenden Handlungen als einen entscheidenden Aspekt bei der Frage der heutigen Eignung von Amtsträgern und korrigierte unter Rückgriff auf diesen Aspekt zahlreiche Entscheidungen.690 So hieß es: „Persönliche Haltungen ebenso Einstellungen können sich im Laufe der Zeit ändern“691. Auch die gesellschaftliche Ächtung verliere sich mit der Zeit.692 688 Teil 1 Kap. 2 § 1 A. II. Diese Frage stellt sich unabhängig von der anfänglichen Feststellung, dass Aufarbeitung an sich einen infiniten Prozess beschreibt. Die hier gestellte Frage nach der Endlichkeit der Offenlegungspflicht für Abgeordnete bezieht sich allein auf die verfassungsrechtliche Notwendigkeit eines spezifischen Teils des Aufarbeitungsprozesses. 689 § 20 Abs. 3 StUG. Für eine Streichung der Vorschrift und unbefristete Überprüfung Stellungnahme M. Meckel, Anm. 393. Zur Kontroverse um die Neuregelung vgl. Spiegel online v. 26. Oktober 2006, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ 0,1518,444622,00.html (Stand: 15. März 2010). 690 Vgl. exemplarisch den Fall eines Lehrers, der 1981 ein Zimmer seiner Wohnung an den Staatssicherheitsdienst vermietet hatte und 1996 deshalb als ungeeignet entlassen werden sollte, BVerfG, Beschluss v. 19. März 1998, Lehrerkündigung III, ZBR 1998, 356 (357) sowie den Fall einer Lehrerin, die 1967–1968 drei Berichte für den MfS schrieb und ebenfalls 1996 gekündigt werden sollte, BVerfG, Beschluss v. 4. August 1998, Lehrerkündigung IV, ZBR 1999, 120. Desgl. BVerfG, Urteil v. 8. Juli 1997, Lehrerkündigung I, BVerfGE 96, 152 (165); BVerfG, Beschluss v. 8. Januar 1998, Lehrerkündigung II, VIZ 1999, 46.

Kap. 2: Bestimmung des abwägungsrelevanten Materials

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Jedoch ist die hier gestellte Frage nach der fortgesetzten Offenlegungspflicht für Abgeordnete von den eben besprochenen Vorschriften und Entscheidungen betreffend die Sonderkündigungstatbestände ungeachtet des gleichen Ausgangspunktes zu unterscheiden. Zum einen geht es dort nicht lediglich um die Offenlegung der Kollaboration mit dem DDR-System, sondern mit dem Verlust des Zugangs zum Beruf um weitergehende Grundrechtseingriffe. Zum anderen hebt § 20 Abs. 1 Nr. 6 StUG klar herausgehobene Position heraus und ordnet für sie auch weiterhin eine Überprüfungsmöglichkeit an.693 Ohne dass an dieser Stelle abschließend über die fortwirkende Berechtigung der Zweifel für die Eignung ehemaliger Kollaborateure für die Wahrnehmung von Mandaten entschieden wird, wird man die für die Integrität der freiheitlich-demokratischen Grundordnung von Seilschaften ausgehenden Gefahren tatsächlich als sehr viel geringer als kurz nach der Wende einstufen müssen. Inzwischen haben sich die demokratischen Strukturen auch im Osten verfestigt. Insbesondere die für die Abgeordnetenüberprüfungen ausschlaggebende Gefahr der Bestechlichkeit wird man heute als marginal einstufen müssen. Die noch zu Zeiten der letzten Volkskammer bestehende Gefahr der Unterwanderung des Parlaments, die Anlass für den Ruf nach der Offenlegung der Verbindung zwischen Staatssicherheit und Abgeordneten war, gibt es in dieser Form heute nicht mehr. Allein die Tatsache, dass auch unabhängig davon ein unbestrittenes und nach wie vor nachhaltiges öffentliches Interesse an der Aufklärung von Verwicklungen von Politikern besteht, impliziert jedoch nicht zwingend, dass eine Offenlegungspflicht auch heute noch direkt aus der Verfassung folgt. Die Verneinung einer weiterhin aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG bestehenden verfassungsrechtlichen Offenlegungspflicht hindert den Gesetzgeber jedoch nicht, auf einfach-gesetzlicher Ebene – wie in §§ 32 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2, 34 StUG – an einer solchen Offenlegung festzuhalten. Der verfassungsrechtliche Ursprung dieser Pflicht ist dann aber jedenfalls – worauf noch zu 691 BVerfG, Urteil v. 8. Juli 1997, BVG-Mitarbeiter, BVerfGE 96, 171 (187); BVerfG, Beschluss v. 21. September 1998, Amtsenthebung von Notaren, ZBR 1999, 1768 (1770). 692 BVerfG, Urteil v. 8. Juli 1997, BVG-Mitarbeiter, BVerfGE 96, 171 (188). 693 Zur Bedeutung der Stellung der individuellen Person im heutigen System vgl. BVerfG, Urteil v. 8. Juli 1997, Fink, BVerfGE 96, 189 (198); BVerfG, Urteil v. 8. Juli 1997, Lehrerkündigung I, BVerfGE 96, 152 (165). Am gleichen Tag entschied das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich des Verbleibs eines Sonderschullehrers und des Universitätspräsidenten der Humboldt-Universität im Dienst. Beiden war wegen einer früheren IM-Tätigkeit gekündigt worden. Die Kündigung des Sonderschullehrers wurde für verfassungswidrig befunden, die des Universitätspräsidenten dagegen nicht.

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

sprechen kommen sein wird694 – bei der Gewichtung der Pressefreiheit zu beachten. 2. Aufarbeitung und demokratische Kultur Zumeist wurde der Zusammenhang zwischen dem Demokratieprinzip und der Notwendigkeit der Aufarbeitung der DDR und NS-Diktatur jedoch nicht unter dem soeben angesprochenen Aspekt der Legitimation gesehen. Vielmehr wurde die Aufarbeitung der Diktaturen als Existenzvoraussetzung der Demokratie betrachtet. So hielt der Gesetzesentwurf für das Stasi-Unterlagengesetz von Bündnis 90/Die Grünen fest: „Die öffentliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der ‚Stasi-Vergangenheit‘ ist eine unbedingte Voraussetzung für die Entwicklung einer demokratischen Kultur im wiedervereinigten Deutschland“.695 Die rasante Geschwindigkeit, mit der sich die Wende, der Wechsel des politischen Systems, der Institutionen vollzog, hielt mit der existenznotwendigen Identifikation nicht immer Schritt. Eine Demokratie, die aber gerade auf Partizipation angelegt ist, setzt voraus, dass sie verstanden wird. Nur dort, wo sie verstanden wurde, kann sie sich dauerhaft etablieren. Ein System legitimiert sich nur langsam aus sich selbst heraus. Es legitimiert sich in erster Linie aus einem Systemvergleich. Dieser setzt jedoch eine Auseinandersetzung mit dem vergangenen System voraus. Nur durch eine breite Auseinandersetzung mit der DDR-Diktatur in der Öffentlichkeit ließe sich ein politisches Rechtsbewusstsein entwickeln, dessen schwache Ausprägung unpolitischen Herrschaftsformen lange genug Vorschub leistet.696 Genau diesen Ansatz verfolgte Adorno mit der Forderung nach der Aufarbeitung der NSDiktatur. „Demokratie hat nicht derart sich eingebürgert, daß sie die Menschen wirklich als eigene Sache erfahren, sich selbst als Subjekte der politischen Prozesse wissen. Sie wird als ein System unter anderen empfunden, sowie wenn man auf einer Musterkarte die Wahl zwischen Kommunismus, Demokratie, Faschismus, Monarchie hat; nicht aber als identisch mit dem Volk selber, als Ausdruck seiner Mündigkeit. Sie wird eingeschätzt nach dem Erfolg oder Mißerfolg, an dem dann auch die einzelnen Interessen partizipieren, aber nicht als Einheit des eigenen Interesses mit dem Gesamtinteresse; die parlamentarische Delegation des Volkswillens in den modernen Massenstaaten macht das auch schwer genug.“697 694

Teil 1 Kap. 2 § 2 B. BT-Drs. 12/692, Bd. 429. Vgl. auch Stellungnahme der Abgeordneten Köppe, in: Stenograph. Bericht der 31. Sitzung des Dt. BT v. 13. Juni 1991, S. 2358; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 353 (359). 696 BT-Drs. 12/692, Bd. 429. 697 Th. W. Adorno, Anm. 315, S. 555 (559). 695

Kap. 2: Bestimmung des abwägungsrelevanten Materials

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Diese fehlende Identifikation mit dem Staat, die Adorno in der Nachkriegsphase bei der (west-)deutschen Gesellschaft beobachtete, trat auch in Ostdeutschland nach dem Zusammenbruch der DDR deutlich hervor. Vielen ehemaligen DDR-Bürgern, die den größten Teil ihrer Sozialisierung in der DDR oder gar in beiden Diktaturen erfahren haben, bereitet die Wahrnehmung dieser für eine Volksherrschaft begriffsnotwendigen Identifikation mit dem Staat (nicht mit seiner Politik) nach wie vor Schwierigkeiten. Dies lässt sich ohne weiteres an Indikatoren wie politischem Engagement und dem Wahlverhalten feststellen und wird auch in Umfragen immer wieder deutlich.698 Abgesehen von der Frage, wieviel Partizipation des Volkes Demokratie fordert, lässt sich aus diesem soziologischen Befund heraus allein jedoch noch keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit der Aufarbeitung begründen. Erforderlich ist auch hier ein zwingender Ableitungszusammenhang zwischen dem verfassungsrechtlichen Normenbestand, hier dem Demokratieprinzip, und der soziokulturellen Notwendigkeit der Aufarbeitung.699 Zwar ist das Demokratieprinzip wie kaum eine andere verfassungsrechtliche Norm von der Interdependenz zwischen Staat und Zivilgesellschaft gekennzeichnet, ob das Demokratieprinzip jedoch über die institutionelle Ausgestaltung der Volksherrschaft auch die soziokulturellen Vorbedingungen der Demokratie erfasst und den Staat hier verpflichtet gesellschaftspolitisch tätig zu werden, erscheint fraglich. Ähnlich wie das Verhältnis zwischen dem Rechtsstaatsprinzip und dem Rechtsstaat besteht auch zwischen dem Demokratieprinzip und der Demokratie als Konzept keine Identität.700 Verfassungsrechtlich gewährleistet sind allein die Aspekte des Konzepts, die eine normative Entsprechung gefunden haben. Zwar sucht das Grundgesetz mit dem Sozialstaatsprinzip, dem Schulwesen, der Garantie der freien Presse, dem Petitionsrecht sowie – nicht zu vergessen – den Öffentlichkeitspflichten sektoral auch die soziokulturellen Grundbedingungen der Demokratie abzusichern und zur Partizipation anzuregen.701 Gleichwohl folgt aus dieser Zusammenschau noch keine verfassungsrechtliche Pflicht, die soziokulturellen Grundbedingungen der Demokratie schlechthin zu schaffen und zu gewährleisten. Eine Pflicht zur Anregung politischen Engagements gibt es im Grundgesetz nicht. Eine solche entspringt auch nicht Art. 20 Abs. 2 698 Vgl. etwa Wahlbeteiligung Bundestagswahl 2002: Ost: 72,8%, West: 80, 6%; Bundestagswahl 2005: Ost: 74,5%; West: 78,5%; Bundestagswahl 2009: Ost: 64,8%, West: 72,3%. 699 Dazu schon Teil 1 Kap. 2 § 1 C. 700 Zum Rechtsstaatsprinzip vgl. oben Teil I Kap. 2 § 1 C. IV. 701 Zu dem beträchtlichen Maß an Demokratie und Entwicklung derer es nach K. Stern zur Realisierung der Demokratie bedarf, Anm. 499, S. 595. Vgl. auch E. Jesse, Die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, S. 199.

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

S. 1 GG. Er eröffnet die Möglichkeit zur Mitwirkung an staatlichen Entscheidungsprozessen und verpflichtet den Staat, die für die Ausübung des konkreten Wahlakts erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Den Staat trifft jedoch nicht die Verpflichtung zur Wahl anzuregen und insoweit investigativ tätig zu werden. Vielmehr richtet das Grundgesetz an seine Bürger die Erwartung, dass sie die ihnen eröffneten Möglichkeiten demokratischer Mitwirkung wahrnehmen – so das Bundesverfassungsgericht.702 Auch wenn das Bundesverfassungsgericht für den Fall, dass „erhebliche Teile der wahlberechtigten Bevölkerung“703 von der Teilnahme an Wahlen absehen, einen Einbruch in die vom Grundgesetz geforderte demokratische Legitimation befürchtet, braucht den in dieser Extremsituation möglicherweise bestehenden Interventionspflichten des Staates nicht nachgegangen zu werden, da zu keinem Zeitpunkt in Ostdeutschland ein solcher Fall von Totalverweigerung vorlag. Selbst wenn man eine solche Situation hätte, wird sich die verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers auf das „Ob“ beschränken. Ob der Gesetzgeber einer solchen Extremsituation durch Aufarbeitung oder etwa durch Einführung einer Wahlpflicht begegnet, ist ihm letztlich anheim gestellt. Im Ergebnis bleibt auch hier festzuhalten, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit zwar ein wichtiger Beitrag für die Schaffung und dauerhafte Etablierung einer demokratischen Kultur ist, die demokratische Kultur als solche ist jedoch verfassungsrechtlich nicht geschützt. Sie wird vielmehr vom Grundgesetz vorausgesetzt. Maßnahmen zu ihrer Erhaltung sind daher dem Bereich der Rechtspolitik zuzuordnen.

D. Rechtsauftrag zur Aufarbeitung nach Völkerrecht Die Bindungen des Gesetzebers beschränken sich jedoch nicht allein auf das bislang untersuchte Verfassungsrecht. Ein abschließendes Urteil über die Vorgaben, an die der Gesetzgeber hinsichtlich der Aufarbeitung des DDR-Unrechts gebunden ist, kann nicht ohne Blick auf etwaige völkerrechtliche Vorgaben erfolgen.704 Die Frage nach völkerrechtlichen Vorgaben im Hinblick auf die Aufarbeitung von Diktaturen mag zunächst seltsam erscheinen, wurde doch eingangs 702

BVerfG, Zeugen Jehovas, Urteil v. 19. Dezember 2000, BVerfGE 102, 370

(397). 703

BVerfG, Zeugen Jehovas, Urteil v. 19. Dezember 2000, BVerfGE 102, 370

(397). 704 Art. 25 GG; Art. 59 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG, der als Auslegungssatz selbstverständlich nur in Bezug auf unechte Normenkollisionen greifen kann.

Kap. 2: Bestimmung des abwägungsrelevanten Materials

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festgestellt, dass es den Begriff „Aufarbeitung“ nur im deutschen Sprachraum gibt, er sich mithin auch einer Übersetzung entzieht.705 Entscheidend ist hier jedoch nicht die völkerrechtliche Verankerung einer Begrifflichkeit, sondern die der dahinter stehenden Idee. „Das Phänomen“, dass Diktaturen nach ihrem Untergang hinterfragt werden, dass die durch sie verursachten individuellen und gesellschaftlichen Schädigungen beendet und ausgeglichen werden, entspricht keiner neuen Forderung, auch nicht einer genuin deutschen Forderung – wie die inzwischen kaum noch aufzuhaltende Proliferation von Wahrheits-, Versöhnungskommissionen, außerordentlichen Straftribunalen, aber auch von nicht staatlichen „Aufarbeitungs“-Organisationen – zeigt.706 Im Fall der DDR-Diktatur besonders ist nur der Auseinanderfall zwischen dem Staat, der aufzuarbeiten hat, und dem Ursprung der Diktatur, ein Umstand, der – wie gezeigt707 – Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Haftungssubjekts aufwirft. Von vorneherein bei der Frage nach einer Aufarbeitungsverpflichtung kraft Völkerrecht außer Acht gelassen werden können die immer wieder bemühten Menschenrechtsverpflichtungen der DDR. Die im Kontext mit der Aufarbeitung des DDR-Regimes immer wieder gerne herangezogene KSZE-Schlussakte von Helsinki708 sowie die dazugehörigen Folgedokumente sind rechtlich nicht verbindliche politische Erklärungen.709 Die Europäische Menschenrechtskonvention710 hat für die DDR nie Verbindlichkeit erlangt.711 Ob es zum relevanten Zeitpunkt gewohnheitsrechtlich aner705 Die in der offiziellen Übersetzung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, www.bstu. bund.de, genutzte englische Übersetzung der Aufarbeitung mit dem Begriff reappraisal (= Neubewertung) trifft die im Kapitel 1 herausgearbeitete Bedeutung nicht. Sie ist bisweilen sogar missverständlich, da sie keine Zielvorgabe beinhaltet und von vorneherein von einer Falschbewertung ausgeht. Auch die in der englischsprachigen Literatur verwandte Umschreibung „coming to the terms with the past“ spiegelt den Bedeutungsgehalt des Wortes nicht wider. In ihr fehlt der Zukunftsbezug. Sie entspricht dem deutschen Begriff der Vergangenheitsbewältigung. 706 Diese Beobachtung teilt auch L. Blickford, HRQ 1999, 1097: „Over the last two decades, it has become almost axiomatic that, in order for a country to build a democratic and humanistic future, it must confront the demons of its past.“ 707 Teil 1 Kap. 2 § 1 C. II. 1. b). 708 1. August 1975, http://www.osce.org/documents/mcs/1975/08/4044_de.pdf (Stand: 15. März 2010). 709 Die Verpflichtung auf die J. Rapp-Lücke, Anm. 37, § 32 Rn. 34 in Bezug nimmt, ist daher lediglich politischer Natur. Dazu auch Th. von Lindheim, NJW 1998, 3012. 710 BGBl. II 1954, S. 14. 711 Sie wurde von der DDR als Versuch die „bürgerlich-kapitalistische Menschenrechtskonzeption“ zu etablieren aufgefasst, da sie auf soziale und kulturelle Rechte verzichtet, dazu Arbeitsgemeinschaft für Völkerrecht beim Institut für Internationale Beziehungen an der Akademie der Staats- und Rechtswissenschaft der DDR (Hrsg.),

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

kannte Menschenrechtsstandards gab, wie sie vom Bundesverfassungsgericht712 angenommen wurden, muss in Anbetracht der über den gesamten Ost-West-Konflikt hinweg fundamental divergierenden Auffassungen in der Menschenrechtspolitik selbst aus heutiger Perspektive bezweifelt werden. Die einzigen seinerzeit anwendbaren völkerrechtlichen Verpflichtungen ergaben sich aus dem Internationalen Pakt für Bürgerliche und Politische Rechte, dem die DDR 1974 beigetreten ist und der am 23. März 1976 für die DDR in Kraft trat713 sowie aus dem Übereinkommen gegen Folter und andere grausame oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafen vom 10. Dezember 1984, das am 9. Dezember 1987 für die DDR in Kraft getreten ist714. Aus ihm ergibt sich aber unabhängig von der Nachfolgefrage schon gar keine umfassende Wiedergutmachungspflicht, die hier als Grundlage einer Aufarbeitungspflicht herangezogen werden könnte.715 Völkerrecht (Lehrbuch), S. 243. Zwar hatte die Bundesrepublik die Konvention ratifiziert. Sie lehnte aber eine Zurechnung der Organhandlungen der DDR ab. „Die Bundesrepublik leugnet nicht, daß sie die Rechte und Freiheiten der Konvention allen Deutschen garantieren will, auch soweit sie etwa in der sowjetischen Besatzungszone wohnen“, BGHZ, Urteil v. 10. Januar 1966, Zonenhaft, BGHZE 45, 46 (55). „Die Bundesrepublik verfügt jedoch über keine reale Möglichkeit, um im Gebiet der sowjetischen Besatzungszone für den Schutz der Menschenrechte einzelner Bürger mit Erfolg einzutreten“. Daher habe die Bundesregierung auch „keine Garantie in dem Sinne übernommen, daß sie für Verletzungen der Grundfreiheiten und Menschenrechte in der Zone ihrerseits eine Entschädigung leisten wolle“, ebd., 56. Zwar sei es zutreffend, dass die Bundesregierung, soweit sie die Deutschen zum Durchhalten und Ausharren aufruft, sich der Deutschen, die diesem Aufruf folgen und dafür verfolgt, geschädigt und bestraft würden, anzunehmen hätte. Dabei handle es sich aber um eine politische, keine rechtliche Verpflichtung, ebd., 56. 712 BVerfG, Beschluss v. 24. Oktober 1996, Mauerschützen, http://www.servat. unibe.ch/dfr/bv095096.html (Stand: 15. März 2010), Rn. 137 spricht von der schwerwiegenden Missachtung der „in der Völkerrechtsgemeinschaft allgemein anerkannten Menschenrechte“; in Rn. 143 heißt es: „Denn ein [. . .] Rechtfertigungsgrund, der einer Durchsetzung des Verbots, die Grenze zu überschreiten, schlechthin Vorrang vor dem Lebensrecht von Menschen gibt, sei wegen offensichtlichen, unerträglichen Verstoßes [. . .] gegen völkerrechtlich geschützte Menschenrechte unwirksam.“ Der Verstoß wirke so schwer, daß er die allen Völkern gemeinsamen, auf Wert und Würde des Menschen bezogenen Rechtsüberzeugungen verletze. 713 GBl. DDR II 1976, S. 108. Zu den zahlreichen Divergenzen hinsichtlich der Auslegung der Verpflichtungen vgl. K. Ipsen, in: Dt. Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission, Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit, 13. Wahlperiode, Bd. IV 2, S. 547. 714 GBl. DDR II 1988, S. 25. 715 Aus Art. 2 Abs. 3 IPBPR ergibt sich nur die Verpflichtung, Beschwerden gegen Verletzungen des Paktes zuzulassen. Art. 41 EMRK zieht als Rechtsfolge einer Konventionsverletzung ebenfalls nur einen Anspruch auf gerechte Entschädigung nach sich.

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Zielführender für die hier interessierende Frage nach einer völkerrechtlichen Pflicht zur Offenlegung der Struktur und Funktionsweise der Diktatur ist das heute vieldiskutierte so genannte „right to the truth“716, das Recht auf Wahrheit. I. Recht auf Wahrheit kraft Völkergewohnheitsrechts Dieses „Recht“ hat zunächst als „derecho a la verdad“ im Kontext der Aufarbeitung der lateinamerikanischen Diktaturen Verbreitung gefunden. Bereits der zwischen der FMLN717 und der salvadorianischen Regierung 1992 unter der Aufsicht der Vereinten Nationen geschlossene Friedensvertrag forderte, „that the complete truth be made known“718. Der Vertrag von Oslo über die Errichtung einer Wahrheitskommission in Guatemala von 1994 nahm das „right to know“ in seine Präambel auf.719 1. Anerkennung als Recht auf regionaler Ebene Dass es sich bei diesem Recht nicht um ein naturgegebenes Recht, sondern um positives Recht handelt, bestätigte ab 1995 kontinuierlich die Interamerikanische Menschenrechtskommission. Während sie noch 1995 ein solches Recht auf die Familienangehörigen der Opfer beschränkte720, erweiterte sie dieses Recht 1998 anlässlich mehrerer Fälle, in denen die Angehörigen der unter dem Pinochet-Regime Verschwundenen gegen die chilenische Amnestiegesetzgebung Beschwerde erhoben, zu einem kollektiven Recht721: „Every society has the inalienable right to know the truth about past events, as well as the motives and circumstances in which aberrant crimes came to 716 Vgl. Menschenrechtskommission, Study on the Right to Truth, 8. Februar 2006, E/CN.4/2006/91. 717 Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional, Linksbündnis und Bürgerkriegspartei in El Salvador, Peru. 718 Mexico City Agreements, Agreement No. IV „Truth Commission“, DPI/ 1208-92615-July 1992-7M. 719 „Whereas the people of Guatemala have a right to know the whole truth concerning these events, clarification of which will help avoid a repetition of these said and painful events and strengthen the process of democratization in Guatemala“, 2. Spiegelstrich der Präambel, Agreement on the establishment of the Commission to clarify past human rights violations and acts of violence that have caused the Guatemalan population suffer v. 23. Juni 1994, ILM 36 (1997), 283. 720 IAMRK, Bericht v. 12. September 1995, Manuel Bolaños, Case 10.580, Report Nº 10/95 (Ecuador), Rn. 45–46. 721 IAMRK, Bericht v. 7. April 1998, Alfonso René Chanfeau Orayce, Cases 11.505, 11.532, 11.541, 11.546, 11.549, 11.569, 11.572, 11.573, 11.583, 11.595, 11.657, 11.705, Report Nº 25/98 (Chile).

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be committed, in order to prevent repetitions of such acts in the future“722 – begründete die Kommission ihre Auffassung. Dementsprechend wandte sich die Kommission 1999 gegen das 1993 von El Salvador erlassene Amnestiegesetz, das die Verfolgung der Bürgerkriegsverbrechen ausschloss. Sie sah in dem Erlass dieses Gesetzes eine Verletzung des Rechts der Öffentlichkeit über die Menschenrechtsverletzungen und deren Verantwortliche zu erfahren.723 Im Zusammenhang mit der nicht aufgeklärten Verfolgung der Ermordung der Rebellenarmee FMLN, hob die Kommission erneut die eigenständige kollektive Dimension des Rechts hervor: „The right to know the truth is a collective right that ensures society access to information that is essential for the workings of democratic systems.“724 Der theoretische Ansatz für die Begründung dieses Rechts entspricht dem oben zur verfassungsrechtlichen Begründung herausgearbeiteten, aber auch den in der Präambel des Osloer Abkommens angesprochenen Ansätzen. Das Gericht stützte sich repressiv auf die Wiedergutmachungsfunktion und präventiv auf die Absicherung gegen künftige Repressionen: „An important part of the right to compensation is the right of any person, and of society in general to know the full, complete and public truth about events that have occurred“.725 Weiter heißt es: „Society’s right to know all about the past must be seen not only as a means of ensuring compensation and clarification of the facts, but as means of preventing future violations.“726 Die Kommission beließ es jedoch nicht bei der theoretischen Begründung. Dogmatisch verankert sie das Kollektivrecht, was in früheren und späteren Entscheidungen nicht immer klar zum Ausdruck kam, in Art. 13 Abs. 1 der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskonvention (IAMRK)727, der „die Freiheit Informationen [. . .] in Erfahrung zu bringen“ schützt. Im gleichen Jahr schloss sich erstmalig auch der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall des verschwundenen guatemalteki722 IAMRK, Bericht v. 7. April 1998, Alfonso René Chanfeau Orayce, Cases 11.505, 11.532, 11.541, 11.546, 11.549, 11.569, 11.572, 11.573, 11.583, 11.595, 11.657, 11.705, Report Nº 25/98 (Chile), Rn. 92. 723 IAMRK, Bericht v. 27. Januar 1999, Lucio Parada Cea, Héctor Joaquín Miranda Marroquín, Fausto García Funes, Andrés Hernández Carpio, Jose Catalino Meléndez y Carlos Antonio Martínez, Case 10.480, Rep. No. 1/99 (El Salvador), Rn. 171. 724 IAMRK, Bericht v. 22. Dezember 1999, in re Ellacuria S. J. Ignacio, Rep. No. 136/99 (El Salvador), Rn. 224. 725 IAMRK, Bericht v. 22. Dezember 1999, in re Ellacuria S. J. Ignacio, Rep. No. 136/99 (El Salvador), Rn. 228. 726 IAMRK, Bericht v. 22. Dezember 1999, in re Ellacuria S. J. Ignacio, Rep. No. 136/99 (El Salvador), Rn. 228. 727 Council of Europe, Human Rights in International Law, Basic Text, (79), 4, Strasbourg 1979, S. 67.

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schen Rebellenführers Efraín Bámaca Velásquez dieser Entwicklung an.728 Ein Jahr später bestätigte er seine Auffassung in einem Fall, in dem die Verwandten der bei einer Schießerei mit der dem peruanischen Geheimdienst zugehörigen Todesschwadronen Getöteten die Verletzung der Konvention beklagten. Der Gerichtshof betonte erneut, dass dem Staat aus Art. 13 Abs. 1 IAMRK die positive Verpflichtung „to guarantee essential information and to preserve the rights of the victims, to ensure transparency in public administration and the protection of human rights“ erwachse.729 Obgleich es in beiden Fällen um den Zugang zu Informationen von Familienangehörigen ging, nimmt er umfassend Bezug auf die Ausführungen der Kommission. Diese Rechtsprechung ist von der nationalen Rechtspraxis aufgenommen worden. Schon 2002 stützte sich der kolumbianische Verfassungsgerichtshof auf das kollektive Recht auf Wahrheit.730 Inzwischen hat Kolumbien das kollektive Recht auf Wahrheit gesetzlich geregelt.731 2004 stimmte das peruanische Verfassungstribunal anlässlich der Aufarbeitung der Zwangverschleppungen durch die FMLN in diesen Kanon ein. In seiner Entscheidung im Fall Genaro Villegas Namuche erkannte es das Recht auf Wahrheit als „un nuevo derecho fundamental“ [ein neues Grundrecht] an, dass es allerdings anders als der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof nicht einem bestimmten Menschenrecht entnimmt, sondern auf eine Besonderheit der peruanischen Verfassung, und zwar auf eine menschenrechtliche Öffnungsklausel, stützt.732 Ein Jahr später erkannte der Oberste Gerichtshof Chiles das Recht auf Wahrheit als eine wesentliche Voraussetzung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit an.733 Ein Recht auf Wahrheit scheint sich nun auch mit der in Chile eingesetzten Valech-Kommission, die seit 2000 auch schrittweise die Täternamen der Pinochet-Diktatur offenlegt, durchzusetzen.734 728 IAMRG, Urteil v. 25. November 2000, Bámaca Velásquez, http://www.cor teidh.or.cr/(Stand: 15. März 2010), Rn. 197. 729 IAMRG, Urteil v. 14. März 2001, Barrios Altos, http://www.corteidh.or.cr/ (Stand: 15. März 2010), Rn. 45. 730 Verfassungsgerichtshof Kolumbien, Urteil v. 2002, Rodrigo Escobar Gil, C-580, unveröffentlicht. 731 Gesetz über Gerechtigkeit und Frieden, v. 25. Juli 2005, No. 975, Art. 7. 732 Art. 3 Verf. Peru: „La enumeración de los derechos establecidos (en el capítulo sobre derechos fundamentales) no excluye los demás que la Constitución garantiza, ni otros de naturaleza análoga o que se fundan en la dignidad del hombre, o en los principios de soberanía del pueblo, del Estado democrático de derecho y de la forma republicana de gobierno.“ 733 Oberster Gerichtshof des Volkes, Urteil v. 14. Juni 2005, Simón, Julio Héctor y otros s/privación ilegíitima de la libertad, Rol. No. 17.768, Rn. 15, 19, 50, 51. 734 Vgl. http://www.comisiontortura.cl/legislacion.html (Stand: 15. März 2010).

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2. Anerkennung als Recht auf universeller Ebene Diese regionale Entwicklung setzt sich inzwischen auf universeller Ebene fort, wobei jedoch auffällt, dass insbesondere die Stellungnahmen der UNInstitutionen hierzu weitaus deutlicher sind als die der Staaten. Bereits 1997 griff die Unterkommission der Vereinten Nationen zur Verhütung von Diskriminierungen und zum Schutze von Minderheitenrechten das Recht auf Wahrheit auf: „The right to know is also a collective right, drawing upon history to prevent violations from recurring in the future. Its corollary is a ‚duty to remember‘, which the State must assume, in order to guard against the perversions of history that go under the names of revisionism or negationism; the knowledge of the oppression it has lived through is part of a people’s national heritage and as such must be preserved.“735

Dieser zunächst als progressive Einzelansicht angesehene Bericht fand acht Jahre später Eingang in die Resolution 2005/81 der Menschenrechtskommission.736 Dort heißt es in Prinzip 2: „Every people has the inalienable right to know the truth about past events concerning the perpetration of heinous crimes and about the circumstances in which violations took place“. Schon zuvor hatten der Sicherheitsrat und die Generalversammlung der Vereinten Nationen mehrfach die Notwendigkeit der Offenlegung von Menschenrechtsverletzungen als Voraussetzung für Versöhnung und dauerhaften Frieden hervorgehoben, ohne jedoch auf ein korrespondierendes Recht abzustellen.737 Die jüngste Studie der Menschenrechtskommission zum Recht auf Wahrheit kommt zu folgendem Ergebnis: „The right to the truth about gross human rights violations [. . .] is an inalienable and autonomous right, recognized in several international treaties and instruments as well as by national, regional and international jurisprudence and numerous resolutions of intergovernmental bodies at the universal and regional levels.“738 735 Wirtschafts-und Sozialrat der Vereinten Nationen, The Administration of Justice and the Human Rights of Detainees; Question of the impunity of perpetrators of human rights violations (civil and political), Revised final report prepared by Mr. Joinet pursuant to Sub-Commission decision 1996/119, E/CN/4/Sub.2/1997/ 20/Rev. 736 E/CN.4/2005/102/Add1. Siehe auch die nachfolgenden Resolutionen des Menschenrechtsrates, Resolution 9/11 v. 18. September 2008 und Resolution 2/12 v. 1. Oktober 2009. 737 A/RES/55/118 (Menschenrechtssitutaion in Haiti); A/RES/57/105 (Humanitäre Hilfe für Timor-Leste); A/RES/57/161 (Guatemaltesische Wahrheitskommission); S/RES/1468 (2003), (Menschenrechtssituation im Kongo); S/RES/1470 (2003) (Menschenrechtslage in Sierra Leone); S/RES/1606 (2005) (Menschenrechtslage in Burundi).

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Eine vom Hohen Kommissar für Menschenrechte eingesetzte Kommission geht 2010 in ihrem Kommentar zum Recht auf Wahrheit noch weiter: „The right to the truth – sometimes called the right to know the truth – in relation to human rights violations is now widely recognized in international law. This is witnessed by the numerous acknowledgements of its existence as an autonomous right at the international level, and through State practice at the national level. [. . .] The existence of the right to the truth in international law is accepted by State practice consisting in both jurisprudential precedent and by the establishment of various truth seeking mechanisms in the period following serious human rights crises, dictatorships or armed conflicts. [. . .] The right to the truth is both a collective and an individual right.“739

Ungeachtet des eigenständigen Charakters, der diesem Recht zuerkannt wird, konstatiert die Menschenrechtskommission einen nicht näher definierten Bezug zum Rechtsstaatsprinzip (hier i. S. von rule of law), den Prinzipien der Transparenz, Verantwortlichkeit, good governance in der demokratischen Gesellschaft sowie zum Recht auf Wiedergutmachung und zur Menschenwürde.740 Wenn auch ohne Anerkennung einer rechtlichen Verankerung forderte das Europäische Parlament bereits kurz nach dem Zusammenbruch der „sozialistischen“ Diktaturen 1991 das „Recht der Völker auf Informationen über ihre Geschichte und auf Rückgabe nationaler Archive“741 ein. „Die Kenntnis der Vergangenheit bildet eine unerlässliche Vorrausetzung jeder, auch der staatlichen Identität“742 – so das Europäische Parlament in seiner Begründung. Weniger der Aspekt der staatlichen Identität, denn der Aspekt der Wiedergutmachung standen unmittelbar im Zentrum der Bemühungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen, als sie am 21. März 2006 von der Staatengemeinschaft „Access to relevant information concerning violations and reparation mechanism“743 einfordert. Im Ergebnis fordert je738 Menschenrechtskommission, Study on the Right to Truth, 8. Februar 2006, E/CN.4/2006/91, Rn. 55. 739 Working Group on Enforced or Involuntary Dissapearances, General Comment on the Right to the Truth in Relation to Enforced Disappearances. 740 Menschenrechtskommission, Study on the Right to Truth, 8. Februar 2006, E/CN.4/2006/91, Rn. 56 f. 741 Entschließung des Europäischen Parlaments v. 24. Januar 1991, ABl. EG 1991 Nr. C 48, S. 181. 742 Entschließung des Europäischen Parlaments v. 24. Januar 1991, ABl. EG 1991 Nr. C 48, S. 181. Vgl. auch Resolution v. 2. April 2009, Spiegelstrich 3, in der das Europäsische Parlament „betont, wie wichtig es ist, das Gedenken an die Vergangenheit wach zu halten, da es keine Aussöhnung ohne Wahrheit und Erinnerung geben kann“. 743 Basic Principles and Guidelines on the right to a remedy and reparation for victims of gross violation of human rights law and serious violations of international

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

doch auch diese Deklaration von der Generalversammlung eine „verfication of the facts and full and public disclosure of the truth“744. Wenngleich mit geringerer Dichte setzt sich diese Tendenz auch auf nationaler Ebene fort, wenn auch die Anerkennung als Recht oftmals nur implizit hervortritt. So wird der Wahrheit durch Offenlegung der Taten sowohl in Bezug auf den Umgang mit dem südafrikanischen Apartheidregime als auch in Bezug auf den ruandischen Genozid oberste Priorität zugemessen.745 Ein Recht auf Wahrheit findet sich expressis verbis dort jedoch nicht verankert. Es scheint, als würde Wahrheit hier als Ziel verstanden, das als solches nicht rechtlich garantiert wird. Rechtlich garantiert werden aber die Voraussetzungen, die zum Erreichen des Ziels notwendig sind, worunter in erster Linie die Publizität fällt. Teilweise wird die Offenlegung wie in den Art. 9 Abs. 1, 2746; Art. 13 Abs. 2747 und 14748 der Ruandischen Verfassung auch vorausgesetzt. Weder die dort geregelte Bekämpfung des Revisionismus noch die Wiedergutmachung sind ohne vorherige Erhellung des Unrechts möglich. Etwas deutlicher bekennen sich die nationalen Institutionen, die mit Hilfe der Vereinten Nationen errichtet wurden.749 So forderte die Bosnisch-Herzegowinische Menschenrechtskammer unter Beruhumanitarian law, Resolution der UN-Generalversammlung v. 21. März 2006, A/RES/60/147, Rn. 24. 744 Ebd., Prinzip 22 (b). 745 Promotion of National Unity and Reconciliation Act 34 of 1995, http://www.doj.gov.za/trc/legal/act9534.htm (Stand: 15. März 2010), der nach langem Streit nun in Art. 33 auch die Öffentlichkeit der Anhörungen anerkennt (Zur Rolle der Wahrheit in der Konzeption vgl. ausführlich Verfassungsgerichtshof Südafrika, Urteil v. 25. Juli 1996, AZAPO a.o. v. The President of the Republic of South Africa, CCT 17/1996, S. 17 f.). Spiegelstrich 8 der Präambel des Gesetzes zur Einbindung der Gacaca-Gerichte in die Aufarbeitung des Ruandischen Genozids: „Considerung that such offences were publicly committed before the very eyes of the population which thus must recount the facts, disclose the truth and participate in prosecuting and trying the alleged perpetrators“, Organic Law No. 40/2000 v. 26. Januar 2001, http://www.inkiko-gacaca.gov.rw/pdf/Organic%20Law%2027062 006.pdf (Stand: 15. März 2010). 746 „L’Etat Rwandais s’engage à se conformer aux principes fondamentaux suivants et à les faire respecter: (1) la lutte contre l’idéologie du génocide et toutes ses manifestations; (2) l’éradication des divisions ethniques, régionales et autres et la promotion de l’unité nationale.“ 747 „Le révisionnisme, le négationnisme et la banalisation du génocide sont punis par la loi.“ 748 „L’Etat, dans les limites de ses capacités, prend des mesures spéciales pour le bien-être des rescapés démunis à cause du génocide commis au Rwanda du 1er octobre 1990 au 31 décembre 1994, des personnes handicapées, des personnes sans ressources, des personnes âgées ainsi que d’autres personnes vulnérables.“ 749 Overview of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission Report – Report of the Truth Commission, Oktober 2004, Rn. 27.

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fung auf Art. 8 EMRK in Verbindung mit dem (zwar nicht direkt anwendbaren) Art. 32 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen die Republik Serbien auf, die Umstände des Massakers von Srebrenica und das Verschwinden von Personen aufzuklären.750 Die Frage, die sich damit hier stellt, ist, ob sich dieses so genannte Recht auf Wahrheit, zu dem der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof noch im Jahr 2000 meinte: „It is emerging as a principle of international law“751, inzwischen zu einer gewohnheitsrechtlichen Regel verfestigt hat. Ungeachtet der recht klaren Entwicklungslinie wird man auf eine gewohnheitsrechtliche Verankerung eines Rechts auf kollektive Aufarbeitung jedoch noch nicht annehmen können.752 Hierfür fehlt es nicht nur an der für die Entstehung von völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht erforderlichen allgemeinen Praxis, sondern vor allem an einer korrespondierenden Rechtsüberzeugung.753 Ohne dass hier die nicht ganz einfach zu beantwortende Frage nach dem Zeitraum, auf den sich das Recht auf Wahrheit erstrecken soll, geklärt werden muss,754 finden sich auch jüngere Fälle in der Staatenpraxis die der Annahme einer gewohnheitsrechtlichen Verankerung entgegenstehen. Ein klassisches Beispiel dafür sind sämtliche Staaten, die aus der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien hervorgegangen sind. Soweit hier eine Offenlegung der Fakten erfolgte, ging diese nahezu ausschließlich auf die Initiative der internationalen Gemeinschaft zurück. Ein Fernseh- und Radiosender, der die Tätigkeit des Jugoslawientribunals der kroatischen Bevölkerung nahe bringen sollte, wurde aufgrund 750 Menschenrechtskammer Bosnien-Herzegowina, Entscheidung v. 7. März 2003, Srebrenica Cases, No. CH/01/8365 et al., Rn. 212. 751 IAMRG, Urteil v. 25. November 2000, Bámaca Velásquez, http://www.cor teidh.or.cr/(Stand: 15. März 2010), Rn. 197. 752 So auch Y. Naqvi, IRRC Vol. 88 (2006), 245 (272 f.): „The truth about the truth is still a matter to be agreed upon“. Annehmen ließe sich ein solches Recht allenfalls im lateinamerikanischen Kontext. 753 Art. 38 Abs. 1 b IGH-Statut. Zu den Anforderungen im Einzelnen vgl. auch Th. Meron, Human Rights and Humanitarian Law as Customary Law, S. 93. 754 Die Begründungsansätze, insbesondere der demokratietheoretische Ansatz, der IAMRK deuten eine Begrenzung des Rechts auf Wahrheit auf die nahe Vergangenheit an. Gleichwohl lassen sich in der Praxis auch Beispiele – wie etwa die Bemühungen um die Einsetzung der Historikerkommission zur Aufklärung des Genozids an den Armeniern (1908–1918) zeigen – für die Offenlegung zeitlich weiter zurückliegender Repressionen entnehmen. Auch der Fall der Verfolgung von Sinti und Roma im Zweiten Weltkrieg ist seit dem Jahr 2000 Gegenstand von zahlreichen Aufarbeitungsinitiativen der Vereinten Nationen. Allerdings darf man auch hier den aktuellen Zusammenhang zu den nach wie vor bestehenden Diskriminierungen und vor allem zu den im Zusammenhang mit der seit Ende des Kosovokonflikts einsetzenden Vertreibungen der Sinti und Roma durch die Kosovoalbaner nicht außer Acht lassen.

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der äußerst geringen Einschaltquoten geschlossen. Eine nationale Aufarbeitungspraxis geht – soweit es sie überhaupt gibt – von wissenschaftlichen Institutionen und NGOs aus. Ein Blick in die Verfassungen dieser Staaten zeigt deutlich, dass nur der Verfassungsinhalt selbst Produkt der Erfahrungen mit der totalitären Vergangenheit ist.755 Vor der Einholung durch die Vergangenheit sollen allein die instrumentalen Absicherungen, insbesondere die Menschen- und Minderheitenrechte dienen. Der mit dem Begriff Aufarbeitung verbundene gesellschaftliche Lernprozess findet sich darin nicht wieder. Auch ein Blick auf die Unterstützung der von der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen initiierten Studie zum Recht auf Wahrheit belegt den mangelnden Bezug vieler Staaten hierzu. Von damals 192 Mitgliedern der Vereinten Nationen antworteten gerade elf Staaten, darunter fünf lateinamerikanische Staaten, Argentinien, Venezuela, Kolumbien, Kuba und Peru sowie Belarus, Slowenien, Georgien, Togo, Mauritius und Uruguay.756 Nur acht von ihnen waren bereit, das Recht auf Wahrheit explizit als ein „autonomous right in international law“ anzuerkennen.757 Nur drei lateinamerikanische Staaten waren der Auffassung, dass es sich um ein kollektives Recht auf Wahrheit handle.758 3. Anwendbarkeit auf das DDR-Unrecht Im Hinblick auf die hier gestellte Frage nach etwaigen völkerrechtlichen Maßstäben für den Umgang mit den Stasi-Unterlagen ist ferner zu berücksichtigen, dass das „Recht auf Wahrheit“ ungeachtet des weiten Begründungsansatzes fast ausschließlich im Kontext von massiven Menschenrechtsverletzungen und schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht angebracht wurde.759 Dies bestätigt insbesondere auch die bereits erwähnte Resolution der Generalversammlung vom Frühjahr 2006.760 Dabei ging es eher um die Auf755 Lediglich die bosnisch-herzegowinische Verfassung erinnert in der Präambel mit dem Ruf nach Versöhnung und Einheit an die Vergangenheit, www.ccbh.ba/ public/down/USTAV_BOSNE_I_HERCEGOVINE_engl.pdf (Stand: 15. März 2010). 756 Menschenrechtskommission, Study on the Right to Truth, 8. Februar 2006, E/CN.4/2006/91, Fn. 1. 757 Menschenrechtskommission, Study on the Right to Truth, 8. Februar 2006, E/CN.4/2006/91, Rn. 21. 758 Menschenrechtskommission, Study on the Right to Truth, 8. Februar 2006, E/CN.4/2006/91, Rn. 37. 759 Siehe auch Schlussfolgerungen der Menschenrechtskommission, Study on the Right to Truth, 8. Februar 2006, E/CN.4/2006/91, Rn. 55.

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deckung des konkreten Tathergangs und den konkreten Verletzungserfolg als um das mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz intendierte umfassende Aufdecken des Funktionierens einer Diktatur. Entscheidend aber ist, dass die Einbrüche in die Menschenrechtsgarantien in ihrem Umfang zwar ausgedehnt waren, die Verletzung der so genannten core principles of the international community, wie des Folterverbots oder des Verbots des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, jedoch Einzelfälle darstellten. Die DDRDiktatur und auch andere „sozialistische“ Diktaturen lassen sich, was die Qualität der Menschenrechtsverletzungen anbelangt, nicht mit dem ruandischen Genozid, dem Apartheidregime in Südafrika, dem Pinochet-Regime in Chile oder mit sonstigen der hier erwähnten südamerikanischen Militärdiktaturen, die Mord und Folter zu primären Instrumenten ihrer Politik erhoben, nicht vergleichen. Dass aber ein Zusammenhang gerade zwischen der Qualität der Menschenrechtsverletzungen für das Aufarbeitungsbedürfnis und dementsprechend für die Geschwindigkeit der Rechtsentwicklung besteht, bestätigt der Blick auf den Stand der Aufarbeitung in den anderen Ostblockstaaten. Erst recht zögerlich und gegen viele Widerstände zeigt sich jetzt 20 Jahre nach dem Fall des eisernen Vorhangs eine Bereitschaft zur Aufarbeitung. Die Aufarbeitungspraxis ist wenig kohärent und gerade in Staaten, die nicht der Europäsichen Union angehören, wie zahlreiche Staaten, die aus der Sowjetunion hervorgegangen sind, noch sehr zurückhaltend. Im Nachbarland Polen ist erst 2007 ein neues, den Zugangsvoraussetzungen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes nachgebildetes Lustrationsgesetz verabschiedet worden.761 In Ungarn beschränkt sich die Offenlegung der geheimdienstlichen Vergangenheit im Wesentlichen auf die Veröffentlichung der Agententätigkeit von Amtsträgern und Personen in herausgehobenen Stellungen im Amtsblatt Magyar Közlöny. Sonstige Informationen unterliegen entweder der Zustimmung des Betroffenen oder sind mit langen Schutzfristen belegt, oder sie unterliegen dem weitgehenden Sperre aus Sicherheitsgründen.762 Ein im Januar 2005 eingebrachter Gesetzesentwurf, der ein allgemeines Zugangsrecht vorsieht, konnte sich bislang nicht durchsetzen.763 Progressiver zeigte sich zunächst die Entwicklung in Tschechien 760 Resolution der UN-Generalversammlung v. 21. März 2006, A/RES/60/147, Rn. 24. 761 Regulations Concerning the Dissemination of Documents in Open File Reading-Rooms of the Institute of National Remembrance – Commission for the Prosecution of Crimes against the Polish Nation, Journal of Laws 2007, No. 63, Item 425. 762 Act No. III of 2003 On the Disclosure of the Secret Service Activities of the Communist Regime and on the Establishment of the Historical Archives of the Hungarian State Security.

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und der Slowakei, wo es seit 2000 beziehungsweise 2002 sogar ein Bürgerzugangsrecht zu den Akten des früheren tschechoslowakischen Geheimdienstes gibt.764 In der Slowakei konnte jedoch die Schließung des für die Aktenherausgabe zuständigen Instituts für Nationales Gedenken zum 1. Januar 2009 gerade noch verhindert werden. Ihm wurde wiederholt vorgeworfen, dass es seine soziale Funktion nicht erfülle.765 Das in Rumänien 1999 erlassene Gesetz über die Öffnung der Archive der Securitate hat in anbetracht des großzügigen Sicherheitsvorbehalts, der es dem Geheimdienst erlaubt, im Falle von Sicherheitsbedenken Akten zurückzubehalten, nicht die intendierte Aktenöffnung gebracht.766 Hinzu kommt, dass das Rumänische Verfassungsgericht das Gesetz, das den Nationalen Rat für das Studium der Securitate-Akten mit der Aufarbeitung beauftragte, 2008 für verfassungswidrig befand, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, dass sich das Gericht dabei nicht gegen das Anliegen der Aufarbeitung wandte, sondern in nachvollziehbarer Weise rechtsstaatliche Mängel im Gesetz beklagte.767 In Bulgarien, das zunächst 1997 mit dem Gesetz über die Öffnung der Akten des ehemaligen Geheimdienstes einen Verstoß in Richtung kollektive Aufarbeitung wagte, waren seit der Gesetzesänderung von 2002 wieder sämtliche Akten unter Verschluss. Erst 2006, begünstigt durch den EU Beitritt, schuf der Gesetzgeber ein neues Gesetz.768 In Russland wurden die Akten gar nicht erst geöffnet.769 763 553/2002 Coll. ACT of August 19th 2002 on Disclosure of Documents Regarding the Activity of State Security Authorities in the Period 1939–1989 and on ´ stav pamäti národa) and on Amending Founding the Nation’s Memory Institute (U Certain Acts (Nation’s Memory Act); Gesetz über „Das Institut für das Studium des totalitären Regimes und Archiv der Geheimpolizei“ (USTR) v. 1. August 2007. 764 Vgl auch zu den Überprüfungen der ranghohen Mitarbeiter der tschechischen Polizei Mitteilung v. 18. April 2007, http://www.radio.cz/de/nachrichten/90505#9 (Stand: 15. März 2010). 765 9. Tätigkeitsbericht der BStU, S. 86. 766 Gesetzes Nr. 187/1999 v. 7. Dezember 1999 – Über den Zugang der Bürger zu von der Securitate aufbewahrten Dossiers und die Enttarnung der Securitate als politische Polizei. 767 Decision No. 51 of January 31st 2008 on the objection of unconstitutionality of provisions of Law no. 187/1999 concerning one’s access to his/her own files and disclosure of the communist political police Published in the Official Gazette (Monitorul Oficial) of Romania, Part I, no. 95 of February 6th 2008. 768 Access and Disclosure of Documents and Announcing Affiliation of Bulgarian Citizens to the State Security and the Intelligence Services of the Bulgarian National Armed Services Act, State Gazette, No 102 of 19 Dec 2006. 769 Zum Zusammenhang zwischen der Kontinuität der Machthaber und der Art und Weise des Umgangs mit der Vergangenheit vgl. H. Quaritsch, Anm. 316. Die allgemeine Haltung zur Aufarbeitung in Russland spiegelt sich bereits im Kommentar v. M. Gorbatschow, Die Welt Nr. 84, Interview v. 8. August 1992, 5, wider:

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Diese Beispiele zeigen deutlich die erheblichen Divergenzen in der Art und Weise des Umgangs mit der sozialistischen Vergangenheit auf, die den Schluss auf eine allgemeine gewohnheitsrechtliche Pflicht zur Offenlegung der Diktatur nicht zulassen. II. Pflicht zur Aufarbeitung nach Art. 10 EGMR, 19 IPBPR Explizite völkervertragliche Verpflichtungen zur Aufarbeitung von Diktaturen, die in Bezug auf das DDR-Unrecht Anwendung finden könnten, gibt es nicht. Dennoch bleibt vor dem Hintergrund der Praxis der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, die die kollektive Dimension des Rechts auf Wahrheit in dem Recht „Informationen in Erfahrung zu bringen“ erblickt, zu fragen, ob der gleiche Schluss nicht auch für die für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK, 19 Abs. 2 IPBPR gezogen werden muss. Beide Artikel enthalten mit Art. 13 Abs. 1 AMRK nahezu identische Formulierungen. Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK schützt die Freiheit „Informationen ohne behördliche Eingriffe [. . .] zu empfangen“. Art. 19 Abs. 2 IPBPR schließt die Freiheit, sich „Informationen [. . .] zu beschaffen“ ein. Was Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK anbelangt, so folgt bereits das, was für Art. 19 Abs. 2 IPBPR erst aus der systematischen Auslegung folgt: Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK ist eine Empfangs-, nicht eine Zugangsfreiheit. Sie schützt vor staatlichen Eingriffen in die Informationsbeschaffung, sie verleiht hingegen keinen Zugang zu staatlichen Informationen und damit auch nicht zu den Stasi-Unterlagen. Beide Artikel zielen auf den Schutz der individuellen Kommunikation ab.770 Dies zeigt der systematische Zusammenhang zur Meinungsfreiheit. Eine Auslegung, wonach das Unterlassen der Herausgabe von staatlichen Informationen einem „staatlichen Eingriff“ im Sinne des Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK gleichkommt, lässt sich mit dem Wortlaut, der klar eine Dreieckskonstellation, in die der Staat als Dritter interveniert, vor Augen hat, nicht vereinbaren. Aus eben diesem Grund muss auch die vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte in Bezug auf das Recht auf Wahrheit ins Spiel gebrachte „dynamic interpretation“771 scheitern. Auch sie findet als Interpretations„Die Erfahrung einer Reihe von Ländern zeigt, daß derartige Recherchen [nach KGB-Spitzeln] die Lage nur verschlechtern: reizen die Menschen, stellen einige Bürger den anderen entgegen und heizen die soziale Atmosphäre noch mehr an. Die Hexenjagd ist keine Bewältigung der Vergangenheit, das ist vielmehr [. . .] die Rückkehr in die Vergangenheit – nur auf andere, neue Weise.“ 770 So auch I. Österdahl, Freedom of Information in Question, S. 139 f.; M. Rossi, Anm. 677, S. 51. 771 IAMRG, Urteil v. 25. November 2000, Bámaca Velásquez, http://www.cor teidh.or.cr/ (Stand: 15. März 2010), Rn. 197.

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methode ihre Grenze im Wortlaut.772 Insofern haben weder der Menschenrechtsausschuss noch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof diesen Artikeln bislang ein allgemeines Informationszugangsrecht entnommen.773 Soweit sie in ihrer Praxis Informationsansprüche bejaht haben, sind diese auf andere Rechte der Konventionen gestützt worden.774 Sie bezogen sich allerdings auf Fälle, in denen durch staatliche Informationstätigkeit die Realisierung eines unmittelbar drohenden Schadens für das jeweilige Recht hätte abgewehrt werden können.775 An einer solchen konkreten Gefährdungslage fehlt es hier. Die Gefahr der Einholung durch die totalitäre Vergangenheit ist zumindest in Bezug auf die Bundesrepublik nur als abstrakt zu werten.776 Eine Pflicht der Bundesrepublik zur Öffnung der Stasi-Unterlagen kann daher weder der Europäischen Menschenrechtskonvention noch dem Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte entnommen werden.

E. Fazit: Aufarbeitung als einfachgesetzlicher Verfassungsschutz Zurückkommend auf die Ausgangsfrage nach den Vorgaben, an die der Gesetzgeber in Bezug auf die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes gebunden ist, lässt sich folgendes Ergebnis formulieren: Der Einigungsvertrag selbst enthält in der Zusatzvereinbarung betreffend den Umgang mit den Stasi-Unterlagen zwar eine rechtsverbindlich vereinbarte politische Pflicht zur Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheits772

R. K. Gardiner, Treaty Interpretation, S. 145. EGMR, Urteil v. 26. März 1987, Leander v. Schweden, Ser. A, Bd. 116, 29; EGMR, Urteil v. 19. Februar 1998, Guerra u. a. v. Italien, NVwZ 1999, 57 (58). Vgl. allerdings Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, Report of the Special Rapporteur on the protection and promotion of the right to freedom of opinion and expression, Mr. Abid Hussain, E/CN.4/1999/64, Rn. 12: „that this [art. 19 ICCPR] imposes a positive obligation on States to ensure access to information, particularly with regard to information held by Government in all types of storage and retrieval systems“, wobei auch hieraus nicht klar wird, ob es sich um eine objektive Pflicht oder um ein rein subjektives Recht handelt. 774 Dies übersieht J. A. Frowein, Der Archivar 2002, 3 (20), wenn er meint: „Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat immer wieder davon gesprochen, daß in dem demokratischen System, in dem diese Konvention gilt, die Öffentlichkeit ein Recht auf Information hat. Der Zugang zu Dokumenten ist eine wesentliche Verwirklichung dieses Rechtes auf Information.“ 775 EGMR, Urteil v. 19. Februar 1998, Guerra u. a. v. Italien, NVwZ 1999, 57 (58); EGMR, Urteil v. 18. Juni 2002, Öneryildiz v. Türkei, Nr. Nr. 48939/99, http://www.corteidh.or.cr/(Stand: 15. März 2010). 776 Vgl. schon Teil 1 Kap. 2 § 1 C. II. 1., III., V. 1. c). 773

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dienstes durch die Stasi-Unterlagen. An einer rechtlich verbindlichen Verpflichtung des Gesetzgebers fehlt es jedoch. Desgleichen ist auch ungeachtet der zahlreichen Bezüge, die das Anliegen der Aufarbeitung zu verfassungsrechtlich geschützten Werten aufweist, eine umfassende verfassungsrechtliche Pflicht zur Aufarbeitung dem Grundgesetz nicht zu entnehmen. Dies erklärt sich mit der zurückhaltenden, bisweilen auch abwehrenden Haltung des Grundgesetzes, abgesehen von konkreten Gefährdungssituationen, in gesellschaftliche Prozesse einzugreifen. Aufarbeitungspflichten ergeben sich aus der Verfassung lediglich sektoral. In Bezug auf den hier vorliegenden Untersuchungsgegenstand, der sich allein auf die Frage nach der Offenlegung von personenbezogenen Informationen durch den Staat erstreckt, ergibt sich aus der Verfassung lediglich eine Aufarbeitungspflicht. Diese betrifft allein die Offenlegung der Mitarbeit und Unterstützung des DDR-Regimes durch Mandatsträger und Mandatsanwärter. Sie folgt aus der in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG anerkannten Volksherrschaft, die ohne Kenntnis von grundlegenden mandatsausübungsrelevanten Informationen – wie der Unterstützung des Staatssicherheitsdienstes – materiell nicht möglich wäre. Was die Offenlegung sonstiger personenbezogenen Informationen in den §§ 32, 34 StUG anbelangt, handelt es sich nicht um Gebote des Grundgesetzes. Aufarbeitung ist ungeachtet seiner unbestreitbaren Bezüge zu sonstigen Verfassungsgüter und seiner verfassungsschützenden Ausrichtung selbst kein Verfassungsgut. Wie bei sämtlichen anderen Aufarbeitungsvorschriften handelt es sich auch hier um eine einfach-gesetzliche Aufarbeitungspflicht, die nahezu ausschließlich auf Vorgaben (i. d. R. auch Empfehlungen) des Einigungsvertrages basiert. Diese erst mit der Wiedervereinigung einsetzende Proliferation von Aufarbeitungsvorschriften gegenüber der Rechtslage nach 1945 begründet sich wie folgt: Die Aufarbeitungsidee stammt erst aus den 60er Jahren. Erst mit den 68ern wurde Aufarbeitung zu einer Massenforderung. Erst nach der Wende wurde das Konzept in Anbetracht der nunmehr notwendigen doppelten Vergangenheitsbewältigung überhaupt gesellschaftsfähig. Hinzu kommt der fundamentale strukturelle und institutionelle Unterschied zwischen der Situation nach 1945 und der im Jahre 1990. Während die Überbleibsel der DDR-Diktatur in die Strukturen eines bereits gewachsenen demokratischen Rechtsstaats eingepasst wurden, musste sich dieser nach 1945 erst einmal konstituieren. Dabei stand zunächst die Schaffung institutioneller Voraussetzungen gegenüber der Unterstützung des schwer greifbaren langfristigen Gesellschaftsprozesses Aufarbeitung im Vordergrund. Auch durch das Völkerrecht entstehen, zumindest was das generelle „Ob“ der Aufarbeitung der DDR-Diktatur anbelangt, keine weitergehenden Bin-

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dungen.777 Das Völkervertragsrecht enthält keine entsprechenden Vorgaben. In Bezug auf das universelle Völkergewohnheitsrecht lassen sich zwar Ansätze einer Entwicklung hin zu einem kollektiven Recht auf die Offenlegung und Auseinandersetzung mit Diktaturen entnehmen. Allenfalls kann man für den lateinamerikanischen Raum von einem regionalen Gewohnheitsrecht sprechen. Darüber hinaus ergeben sich mit Blick auf den Kontext der schweren systematischen Verletzungen von Menschenrechten, in dem ein solches Recht bislang behauptet wird, große Zweifel, ob ein solches Recht dann auch für die Aufarbeitung des DDR-Unrechts fruchtbar gemacht werden könnte. Damit bleibt es dabei, dass die in §§ 1, 32, 34 StUG verankerte Pflicht zur Aufarbeitung lediglich einfach-gesetzlich verankert ist. Mit der Deklarierung des Aufarbeitungsanliegens als einfach-gesetzlich anerkanntes Rechtsgut, tritt dieses Anliegen jedoch nicht von vorneherein hinter das verfassungsrechtlich geschützte Allgemeine Persönlichkeitsrecht im Abwägungsprozess zurück. Dies schon deshalb nicht, weil eine Abwägung – wie gezeigt778 – letztendlich am Einzelfall ausgerichtet sein muss. In Bezug auf die §§ 32, 34 StUG heißt dies, dass genau zu eruieren ist, inwieweit die Herausgabe und Veröffentlichung personenbezogener Informationen der darin genannten Personengruppen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt und welche Beeinträchtigung es umgekehrt für die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes bedeutet, die Informationen nicht herauszugeben oder zu veröffentlichen. Dennoch kann aus dem bislang Gesagten bereits eine erste Voreinstellung der Waage vorgenommen werden. Dabei ist im Rahmen der abstrakten Gewichtung zu Gunsten des Regelungsziels Aufarbeitung zu berücksichtigen, dass es dichte Bezüge zu einer Vielzahl von verfassungsrechtlich abgesicherten Rechtsgütern aufweist und letztendlich ihren Schutz bezweckt.779 Weiter ist zu beachten, dass das Aufarbeitungsanliegen sowohl dem Individual- als dem Kollektivschutz dient und damit eine doppelte Zielrichtung besitzt.780 Insofern kann bereits an dieser Stelle festgestellt werden, dass Aufarbeitung weder ein „untergeordneter Zweck“781 noch ein schlichtes „Gemeinwohlinteresse“782, sondern – auch ohne bundesverfassungsrechtliche Verbürgung – ein qualifizierter Gemeinwohlbelang von erheblichem Gewicht ist. 777 Unberücksichtigt bleibt hier die Frage nach etwaigen völkerrechtlichen Grenzen der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes durch Offenlegung der Ergebnisse auslandsgerichteter Spionage. 778 Teil 1 Kap. 1 § 3 B. 779 Teil 1 Kap. 1 § 3 A. III. 780 Teil 1 Kap. 1 § 3 A. V. 781 Anm. 302, 23. 782 Stellungnahme vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 42.

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Zusammenfassende Thesen zu Teil 1 Kapitel 2 § 1 1. Der von Th. Adorno geprägte Begriff der Aufarbeitung ist dem sozialwissenschaftlichen Sprachgebrauch entlehnt und ist erst durch die Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag zum Rechtsbegriff geworden. Er umschreibt in der im Stasi-Unterlagen-Gesetz verwandten Form einen Gesellschaftsprozess, der den Übergang von einer Diktatur zu einer Demokratie kennzeichnet und der die Offenlegung und Auseinandersetzung mit dem diktatorischen Regime zum Gegenstand hat. Ziel ist die Verhinderung der Etablierung einer Diktatur. 2. Die konkrete Methode der Offenlegung und Auseinandersetzung ist vom Begriff Aufarbeitung selbst nicht erfasst. Sie wird in den §§ 32, 34 StUG erst durch die Adjektive politisch oder historisch näher definiert. Politische Aufarbeitung zielt auf wertende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, während unter historischer Aufarbeitung die objektive Erfassung und Darstellung der Diktatur verstanden wird. 3. Dieser Gesellschaftsprozess ist in Bezug auf die DDR-Diktatur nicht auf die Bürger der ehemaligen DDR beschränkt. Sofern die §§ 32, 34 StUG den Zugang zu personenbezogenen Daten zu Aufarbeitungszwecken einräumen, gilt dies für personenbezogene Informationen, die über DDR-Bürger und BRD-Bürger erhoben wurden. Dementsprechend sind diesbezügliche Unterscheidungen in der Wertigkeit einzelner Informationen in der Abwägung unzulässig. Sie widersprechen der gesetzgeberischen Intention. 4. Auch trifft der Begriff Aufarbeitung an sich keine Aussage über das Ende des Gesellschaftsprozesses. Wie lange die Akten Medien und Forschung zugänglich gemacht werden, liegt im gesetzgeberischen Ermessen. Gleichwohl können sich aus dem Zeitablauf hinsichtlich der Relevanz einzelner Informationen für die Aufarbeitung Unterschiede ergeben, die in der Abwägung zu berücksichtigen sind. 5. Einen Auftrag zur Aufarbeitung enthielt erstmals die Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen Rechtsauftrag zur Aufarbeitung, sondern um einen politischen Auftrag, der in rechtsverbindlicher Form als Bestandteil des Einigungsvertrages abgesichert wurde und damit im Range eines einfachen Gesetzes steht. Dieser politische Auftrag wurde mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz vorläufig eingelöst. 6. Ein allgemeines verfassungsrechtliches Gebot zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts – wie es etwa in der Sächsischen Landesverfassung normiert wurde – lässt sich dem Grundgesetz auch nicht implizit entnehmen, so dass

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es sich bei der Aufarbeitung um ein einfach-gesetzlich abgesichertes Rechtsgut handelt, das gegenüber dem Allgemeinem Persönlichkeitsrecht als verfassungsrechtlich geschütztem Rechtsgut nach Maßgabe der im 1. Kapitel herausgearbeiteten Leitlinie zunächst – in der abstrakten Rechtsgüterabwägung als eine Abwägungskomponente – zu gewichten ist. a) Entgegen den Folgerungen, die aus der Sonderrechtsprechung zu einigungsbedingten Fragen durch das Bundesverfassungsgerichts in der Literatur zum Teil gezogen wurden, lässt sich ein „Bewältigungsgebot“ als Fortwirkung des inneren Wiedervereinigungsgebots dem Grundgesetz nicht entnehmen. Das innere Wiedervereinigungsgebot und ein damit einhergehendes Bewältigungsgebot lebt im Einigungsvertrag fort. Für den hier interessierenden Fall der Stasi-Unterlagen ist es mit der Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag, die – wie gezeigt – im Range eines einfachen Bundesgesetzes steht, abschließend geregelt worden. b) Auch aus den Grundrechten lässt sich ein verfassungsrechtliches Schutzgut Aufarbeitung nicht entnehmen. Zwar dient die Aufarbeitung unbestritten, vor allem der Wiedergutmachung gegenüber den Opfern. Jedoch fehlt es bereits an einer allgemeinen Wiedergutmachungspflicht für Grundrechtsverletzungen. Abgesehen davon fehlt es auch an einem Anknüpfungspunkt für die Haftung. Weder lässt sich aus der Übernahme der „Fürsorgepflicht“, die das Bundesverfassungsgericht im Grundlagenvertrags-Urteil postulierte, eine Einstandspflicht für die Wiedergutmachung von DDR-Unrecht herleiten noch kommt man im Wege der Staatensukzession zu einer retroaktiven Anwendung des Grundgesetzes. Desgleichen kann auch aus den grundrechtlichen Schutzpflichten keine Aufarbeitungspflicht hergeleitet werden, da es hierfür nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer hinreichend konkreten Gefahr für die Grundrechtsbeeinträchtigung bedarf und die Gefahr der Wiedererrichtung einer Diktatur und damit einer Verletzung der Grundrechte nicht hinreichend konkret ist. c) Das im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Legalitätsprinzip ist Maßstab für das Handeln im Rechtsstaat, bietet aber keine Basis für den Umgang mit der vor-rechtsstaatlichem Vergangenheit. Ihm lässt sich auch keine allgemeine Aufklärungspflicht als Mechanismus der Selbstsicherung entnehmen, der hier für ein Aufarbeitungsgebot fruchtbar gemacht werden könnte. 7. Eine begrenzte verfassungsunmittelbare Offenlegungspflicht ergibt sich in Bezug auf die frühere Tätigkeit von aktiven Abgeordneten für den Staatssicherheitsdienst aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG. Eine freie Willensbildung im Sinne dieser Vorschrift setzt auch die Kenntnis der für die Mandatsausübung relevanten personenbezogenen Informationen über einen Abgeordneten voraus. Was hierzu gehört, ist letztlich eine außerhalb des Rechts liegende Frage, deren Beantwortung sich einerseits am Maßstab des

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jeweiligen öffentlichen Interesses und andererseits an den aus der Mitarbeit beim Staatssicherheitsdienst resultierenden Gefahren für die mandatskonforme Ausübung der Abgeordnetentätigkeit orientiert. Zumindest für die frühere Mitarbeit von aktiven Abgeordneten im Staatssicherheitsdienst wird man folglich für den Zeitraum nach der Wende eine Offenlegungspflicht bejahen müssen. Wie der Gesetzgeber diese Offenlegungspflicht ausgestaltet – ob von Amts wegen oder auf Antrag, ob durch Einräumung eines Jedermannsrechts oder durch den privilegierten Zugang von Vertretern des öffentlichen Interesses –, liegt weitgehend in seinem Ermessen. Ein spezifisches Zugangsrecht für Forschung und Medien – wie es in §§ 32, 34 StUG vorgesehen ist – ergibt sich hieraus nicht. 8. Aus völkerrechtlicher Sicht ergibt sich kein Auftrag zur allgemeinen Offenlegung der Stasi-Unterlagen. Weder ergibt sich hieraus eine Pflicht, Zugang zu staatlichen Informationen wie den in den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes enthaltenen Informationen zu gewähren aus dem Internationalen Pakt für Bürgerliche und Politische Rechte oder aus der Europäischen Menschenrechtskonvention noch aus allgemeinem Völkerrecht. Die bislang rechtsverbindlich aufgestellten Informationsgewährungspflichten beziehen sich auf unmittelbar bevorstehende Gefahren oder auf die Aufklärung von Individualschicksalen durch die unmittelbar Geschädigten oder Familienangehörigen. Ein kollektives „Recht auf Wahrheit“, also auf Offenlegung der Diktaturen, wie es für Lateinamerika völkergewohnheitsrechtlich angenommen werden kann, hat sich noch nicht auf universeller Ebene durchgesetzt. 9. Die den §§ 32, 34 StUG zugrunde liegende Entscheidung „die Herrschaftsmechanismen der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik oder der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone“ umfassend offen zu legen, ist eine einfachgesetzliche Entscheidung. Das Aufarbeitungsanliegen erhält durch seine verfassungssichernde Funktion jedoch nach Maßgabe der im ersten Kapitel des ersten Teils dieser Arbeit herausgearbeiteten Maßstäbe eine Aufwertung in der Gewichtung. Aufarbeitung ist Integrationsvoraussetzung im Wiedervereinigungsprozess, gesellschaftliche Wiedergutmachung gegenüber den Opfern und Voraussetzung für eine demokratische Kultur und steht damit im engen Zusammenhang mit dem Wiedervereinigungsgebot, den Grundrechten, dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip.

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§ 2 Die Rolle von Forschung und Medien in der Aufarbeitung Freie Forschung und freie Medien sind für die Aufarbeitung von Systemunrecht als Gesellschaftsprozess unabkömmlich.783 Ohne Medien ist die für die Aufarbeitung erforderliche informatorische Breitenwirkung nicht denkbar. Ohne Forschung ist eine objektive Darstellung der diktatorischen Vergangenheit nicht möglich. Die Rolle von Forschung und Medien bei der Aufarbeitung gewinnt ein umso höheres Gewicht, wenn – wie beim Umgang mit dem DDR-Unrecht – der justiziellen Aufarbeitung Rückwirkungsverbote, Unschuldsvermutung, Verjährung und beschränkte Kapazitäten entgegenstehen.784 Diese Schlüsselrolle von Forschung und Medien im Aufarbeitungsprozess war zumindest in Bezug auf die Stasi-Unterlagen keineswegs von Anfang an auch rechtlich anerkannt. Noch weniger als die Beteiligung der Forschung wurden die Medien bei der Regelung der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes bedacht. So sind im Einigungsvertrag weder die Forschung noch Medien als Mittler und Initiatoren der Aufarbeitung explizit benannt worden. Die Rede war nur von „politischer und historischer Aufarbeitung“.785 Während sich mit der Inbezugnahme der politischen Aufarbeitung noch kein spezieller Adressat ausmachen lässt, spricht historische Aufarbeitung zumindest indirekt die historische Forschung an. Die parteiübergreifenden Beratungen zu den Grundsätzen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes nahmen ebenfalls nur die Forschung in Bezug.786 Erstmalig findet sich die Gleichstellung von Forschung und Medien im Beschluss des Innenausschusses.787 Hintergrund dieses plötzlichen Paradigmenwechsels war der Druck der Presse, in erster Linie des Magazins „Der Spiegel“.788 Dieser 783

Zur Problematik der Einbindung des Staates in die Aufarbeitung vgl. schon Teil 1 Kap. 2 § 1 A. IV. Daher verfängt S. Simitis Argument, NJW 1995, 639, dass in Bezug auf die Stasi-Unterlagen bereits die Behörde die Meinungsbildung wahrnehme, nicht. 784 R. Motsch, Anm. 74, S. 95 ff. 785 Teil 1 Kap. 2 § 1 B. Auch das Volkskammergesetz, dessen Grundsätze nach Art. 1 Nr. 2 ZV EV zu berücksichtigen sind, sah in seinem § 10 Abs. 1 StUG-DDR, GBl. DDR 1990, S. 11419, lediglich ein Nutzungsrecht für die Forschung vor, das allerdings nicht auf die Zwecksetzung der Aufarbeitung festgelegt war. 786 Stenograph. Protokoll, 12. Sitzung des Innenausschusses des Dt. BT, 27. August 1991, S. 2; vgl. auch den Entwurf v. Bündnis 90/Die Grünen, § 16, BT-Drs. 12/692, Bd. 429; Entwurf CDU/CSU und FDP, § 26, BT-Drs. 12/723, Bd. 429. 787 BT-Drs. 12/1540; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 334 (445). 788 „Die auf Druck der Medien erfolgte Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes wird in der Öffentlichkeit als Sieg der Pressefreiheit bejubelt. Dabei besteht zum Jubeln nicht der geringste Anlaß. Nicht die Pressefreiheit hat gesiegt, sondern die

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war zwar unübersehbar von einem gewissen Enthüllungsinteresse angestoßen.789 Das Engagement der Presse hatte aber noch einen anderen Grund: die so genannten vagabundierenden Unterlagen, die die Presse in der unmittelbaren Wendezeit für mehr oder weniger viel Geld auf dem Schwarzmarkt erstanden hatte und die sie nun nach § 9 Abs. 1 StUG unter Bußgeld- bzw. im Falle der Veröffentlichung sogar unter Strafandrohung an die Behörde herauszugeben verpflichtet war.790 Mit dem Streit um die Akten des Bundeskanzlers Kohl rückten die Grundrechte der Forschungs- und der Pressefreiheit in das Zentrum der Diskussion um die Anforderungen an das Stasi-Unterlagen-Gesetz. Einige Vertreter reklamierten die Presse-, Rundfunk- und Forschungsfreiheit für ein verfassungsrechtliches Aktenzugangsrecht791 zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes. Andere entnahmen der Verfassung lediglich eine Pflicht die institutionelle Garantie von Presse, Rundfunk und Forschung im Abwägungsprozess mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu berücksichtigen, wobei wiederum unklar war, ob Ziel der Abwägung nur eine verhältnismäßige Lösung oder gar die praktische Konkordanz sein soll.792 Benda und Umbach hingegen wollten im Anschluss an Kleine-Cosack von einer verfassungsrechtlichen Vorgabe der Forschungs- und Pressefreiheit zumindest im Rahmen der Abwägung gar nichts wissen und konstatierten: „[B]eide spielen bei der Abwägung verfassungsrechtlich keine Rolle.“793 Andere argumenKommerzinteressen einiger weniger. Die Unterlagen der Stasi sind auf doppelt unzulässige Weise den Medien zugänglich gemacht worden. Sie sind unter Bruch elementarer rechtsstaatlicher Prinzipien bei der Stasi entstanden und ebenso rechtswidrig sind sie für viel Geld an Medien verhökert worden“ – so die Presseerklärung eines Abgeordneten am 14. November 1991, abgedr. in: Stern (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung Bd. II, S. 92; vgl. auch H. Kind, ebd. 789 Plastisch bringt J. Isensee, in: Stern (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung Bd. II, S. 93, die damit einhergehenden Befürchtungen auf den Punkt. Nun habe man „anstelle des Stasi-Terrors den Enthüllungsterror unserer Nachrichtenmagazine, insbesondere solcher Hamburger Provinienz“, zu fürchten. 790 Vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 3, 45 StUG. 791 Vgl. L. Tillmanns (Geschäftsführer des Dt. Presserates), vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 34: „Bei der Herausgabe von MfS-Unterlagen an Forscher und Medienvertreter kollidieren Presse-, Wissenschafts- und Informationsfreiheit.“ 792 Bei der praktischen Konkordanz handelt es sich zwar auch um eine Kollisionsregelung. Der Unterschied liegt jedoch in der Einschränkung des Ermessensbzw. Beurteilungsspielraums. Bei der praktischen Konkordanz verdichten sich die Anforderungen. Dort ist auf eine optimale, im anderen Fall nur auf eine verhältnismäßige Lösung hinzuwirken. Vgl. schon Teil 1 Kap. 1 § 3 A. I. A. A. S. Lenz, Vorbehaltlose Freiheitsrechte, S. 290. Er sieht in der praktischen Konkordanz eine in der Praxis nicht brauchbare Leerformel. 793 E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 198, S. 136 f.; Kleine-Cosack Stellungnahme vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 54 f.

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tierten vom politisch gewünschten Ergebnis aus und meinten: „Es gilt, die Fortsetzung der Arbeit der Staatssicherheit unter dem Vorzeichen der Pressefreiheit zu verhindern.“794 Damit verschob sich der Schwerpunkt der Diskussion von der Frage nach dem politischen „Ob“ der Aufarbeitung durch den Staat hin zur Frage, ob der Staat Medien und Forschung als verfassungsrechtlich geschützten gesellschaftlichen Institutionen die Aufarbeitung der Vergangenheit ermöglichen muss, indem er Zugang zu den staatlich monopolisierten Zeugnissen der Vergangenheit gewährt.

A. Originäres Zugangsrecht der Medien und Forschung zu den Unterlagen? Die hinter der Frage nach dem Medien- und Forschungszugang zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR stehende Diskussion reiht sich – wie erwähnt795 – in die breitere Diskussion um die Existenz eines verfassungsrechtlich begründeten Presse- und Forschungsinformationsanspruchs ein. Diese wurde von Mayen796, Manegold797, Jerschke798 bereits umfassend monographisch „aufgearbeitet“. Hinzu kommt, dass diese Diskussion ihrerseits vielfältige Bezüge zur aktuellen Diskussion um die Informationsansprüche aufweist, was Überschneidungen in der Argumentation mit sich bringt. Auch diesbezüglich wurden mit der Dissertationen von Lodde799, Zschiedrich800 und Krieger801 sowie der Habilitationsschrift von Rossi802 und dem Handbuch Informationsrecht von Kloepfer803 bereits die wesentlichen Argumente ausgetauscht. Die Aufgabe dieser Arbeit wird sich daher – wie bereits angekündigt804 – bewusst auf eine Zusammenfassung der Hauptargumente und die eigene Stellungnahme beschränken. 794 Presseerklärung d. damaligen Innenministers W. Schäuble am 12. November 1991. So wiedergegeben v. Lowack, vgl. Stenograph. Bericht der 31. Sitzung des Dt. BT v. 14. November 1991, S. 2358, abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 375 (402). 795 Einleitung § 2. 796 Th. Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegen den Staat. 797 B. Manegold, Anm. 125, S. 65 ff. 798 H.-U. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive und Informationsrecht der Presse, S. 168 ff. 799 St. W. H. Lodde, Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat. 800 K. Zschiedrich, Der staatsbürgerliche Informationsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. 801 K. Krieger, Das Recht des Bürgers auf behördliche Auskunft. 802 M. Rossi, Anm. 677. 803 M. Kloepfer, Informationsrecht, S. 89.

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Dabei ist jedoch eine Differenzierung zwischen Presse und Rundfunk einerseits und Forschung andererseits geboten. Ihr verfassungsrechtlicher Status gründet sich ungeachtet der gemeinsamen Zuordnung beider Freiheiten unter das Dach der „Kommunikationsverfassung“ und einem daraus möglicherweise fließenden übergreifenden Gestaltungsauftrag für eine „informationelle Grundversorgung“805 auf eine unterschiedliche Motivation, die sich auch in einer unterschiedlichen Normierung niederschlägt.806 Die weitere Betrachtung wird ergeben, ob und inwieweit sich hieraus tatsächlich signifikante Unterschiede in Bezug auf den Aktenzugang ergeben, wie es das Bundesverwaltungsgericht in der Rechtssache Kohl angenommen hat807. Eine unterschiedliche Behandlung von Forschung und Presse ergibt sich – dies sei vorangestellt – nicht bereits daraus, dass es sich bei der Forschungsfreiheit im Gegensatz zur Medienfreiheit um ein vorbehaltloses Grundrecht handelt.808 Zu Recht betonen hier Benda/Umbach809, dass die Vorbehaltlosigkeit eines Grundrechts zwar dessen Stellung unterstreicht, aber noch nicht die Reichweite und den Inhalt des Gewährleistungsbereichs determiniert.810 I. Informationszugang der Medien Die Ansatzpunkte für die Herleitung eines Presseinformationsanspruchs fassen sich wie folgt zusammen: Nach einer Auffassung folgt er bereits aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 3 GG, dem Recht „sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten“.811 Eine andere Auffassung sieht in der Nichtgewährung des Pressezugangs zu staatlichen Informationen einen direkten Eingriff in die Gewährleistung der Pressefreiheit in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Der wohl überwiegende Teil der Befürworter des Presse- und Medieninformationsanspruchs sieht in der institutionellen Garantie der Presse den dogmatischen Ausgangspunkt und leitet hieraus entweder einen Anspruch der Medien auf Teilhabe an staatlichen Informationen oder einen Anspruch auf 804

Einleitung § 2. So F. Schoch, VVDStRL 57 (1998), 160 (201). 806 Art. 5 Abs. 1 S. 2 (Pressefreiheit); Abs. 3 Alt. 2, 3 (Wissenschafts- und Forschungsfreiheit), wobei Letztere einen Unterfall der ersteren darstellt, vgl. BVerfG, Urteil v. 29. Mai 1973, Hochschule, BVerfGE 35, 79 (113). 807 Einleitung § 1 B. II. 2. a). 808 Anders offenbar J. Weberling, DVBl. 1991, 682. 809 E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 198, S. 134. 810 Zur Rolle der Vorbehaltlosigkeit in der Abwägung, vgl. Teil 1 Kap. 1 § 3 A. IV. 811 A. Bleckmann, StaatsR II – Grundrechte, S. 681; K. Krieger, Anm. 801, S. 108. 805

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Leistung der staatlichen Informationen ab. Die meisten Vertreter des institutionellen Ansatzes sind jedoch zurückhaltender und folgern hieraus nur eine objektiv-rechtliche Pflicht des Staates zur Einrichtung eines Informationszugangs der Presse. Andere wiederum sehen den Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 3, S. 2 GG nicht als hinreichend an, um derart konkrete Rechte und Pflichten abzuleiten und bemühen entweder das noch abstraktere Demokratieprinzip oder entnehmen die genannten Rechtsfolgen sogar ausschließlich demselben.812 Auf die letztere Alternative ist hier nicht mehr einzugehen. Die Ableitung eines allgemeinen Anspruchs auf Zugang zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes aus dem Demokratieprinzip wurde schon oben aufgrund der Offenheit desselben und der fehlenden Konkretisierung im Verfassungswortlaut abgelehnt.813 Welchem Ansatz man auch folgt, jedenfalls steht der Existenz eines grundgesetzlichen Presseinformationsanspruchs nicht bereits von vorneherein der ehemalige Art. 75 Abs. 1 Nr. 2 GG entgegen, wonach Bund und Länder Vorschriften zur Regelung des Pressewesens erlassen konnten. Die Grenzen dieser Vorschrift finden sich nämlich gerade in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, um dessen inhaltliche Reichweite es hier geht. Anders als das Bundesverwaltungsgericht befürchtet814, stellte sich auch nicht das Problem einer Rechtsfortbildung des Art. 5 S. 2 GG im Wege der Deduktion und eines Eingriffs in die gesetzgeberischen Kompetenzen nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 2 GG. Denn solange sich ein Recht auf Informationszugang der Presse aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG deduzieren lässt, ist der Gesetzgeber in Bezug auf abweichende Regelungen gesperrt. Die Regelung eines eigenständigen Informationsanspruchs der Presse – wie in den Pressegesetzen – ist, solange ein etwaiger verfassungsrechtlicher Anspruch nicht verkürzt wird, zulässig. Sie beantwortet aber die Frage nicht, ob aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ein Recht auf den Zugang zu Informationen der öffentlichen Hand folgt. 1. Allgemeines Informationsrecht Auch aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 3 GG ist entgegen der Auffassung von Bleckmann815 und Krieger816 kein Recht der Presse auf Zugang zu sämtlichen staatlichen Informationen zu konstruieren. Dies ergibt sich bereits aus 812

H. Lerche, in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 1601 (1603). Teil 1 Kap. 2 § 1 C. 5. a). 814 Siehe die Bedenken in BVerwG, Urteil v. 13. Dezember 1984, Akteneinsicht, BVerwGE 70, 310 (315), wo weiterhin auch auf das Problem der Rechtsunsicherheit hingewiesen wird. 815 A. Bleckmann, Anm. 811. 816 K. Krieger, Anm. 811. 813

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dem Wortlaut dieser Vorschrift, der explizit auf bereits „allgemein zugängliche Quellen“ und gerade nicht auf die allgemeine Zugänglichmachung von Informationsquellen abhebt.817 In diesem Sinne folgert auch das Bundesverfassungsgericht im Krenz-Urteil, in dem es um die Verweigerung der Fernseh- und Rundfunkübertragung des so genannten Politbüroprozesses ging, Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 3 GG umfasse ein Recht gegen den Staat auf Zugang zu Informationen, wenn diese aufgrund gesetzlicher Vorschriften zugänglich sind; ein Recht auf Eröffnung einer solchen Informationsquelle enthalte er hingegen nicht.818 Danach spielt diese Vorschrift für die hier gestellte Frage nach den rechtlichen Anforderungen an den Umgang mit den von der Behörde verwalteten nicht offenkundigen Stasi-Unterlagen keine Rolle. Die Tatsache, dass die Behörde nach dem Stasi-UnterlagenGesetz einen Aufarbeitungsauftrag hat, sie mithin nicht lediglich Verwaltungs-, sondern Informationsvermittlungsbehörde ist, begründet in keiner Weise eine Qualifizierung der Stasi-Unterlagen als „allgemein zugängliche Quelle“. Diese Heranziehung einer einfach-gesetzlichen Aufgabenzuweisung zur Interpretation einer verfassungsrechtlichen Vorgabe eben dieses Gesetzes – wie sie Engel819 vorschwebt – läuft aus normenhierarchischer Perspektive auf einen methodisch unzulässigen Zirkelschluss hinaus. Entscheidend ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, ob die Quelle technisch geeignet und bestimmt ist, einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis Informationen zu verschaffen.820 Dies ist bei den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, die sich im Besitz der BStU befinden, nicht der Fall. Besteht hiernach schon generell kein Informationsrecht, dann kommt es auch nicht mehr auf die im Schrifttum zum Teil angenommene verstärkende Wirkung der Medien- und Forschungsfreiheit an.821 Allerdings folgt umgekehrt aus einem etwaigen Spezialitätsverhältnis zwischen der Informationsfreiheit als lex specialis gegenüber der Forschungs- und Medienfreiheit auch kein Ausschluss eines verfassungsrecht817 So in Bezug auf die Stasi-Unterlagen auch explizit Gerster, Stenograph. Bericht der 31. Sitzung des Dt. BT v. 14. November 1991, S. 2358; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 375 (391). Siehe auch Stellungnahmen der Vorsitzenden der Juristischen Kommission des ARD, E.-M. Michel, und des Justiziars des ZDF, C.-E. Eberle, Protokoll zur Anhörung im Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Anlage, zu C. 1. 818 BVerfG, Urteil v. 24. Januar 2001, Krenz II, BVerfGE 103, 44 (Erster und zweiter Leitsatz). 819 A. Engel, Anm. 13, S. 258 f. 820 BVerfG, Beschluss v. 3. Oktober 1969, Leipziger Volkszeitung, BVerfGE 27, 71 (84). 821 J. Scherer, in: Kaase u. a. (Hrsg.), Datenzugang und Datenschutz, S. 92 (95).

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lich garantierten Presseinformationsanspruchs.822 Der Absolutheitsanspruch einer Norm muss unzweideutig zum Ausdruck kommen. Eine solche Sperrwirkung lässt sich weder im Wortlaut noch in der Systematik des Art. 5 GG festmachen. Unter systematischen Gesichtspunkten wird man tatsächlich sagen müssen, dass mit Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG der Grundstein der Kommunikationsordnung, die auf Informationsaustausch basiert, gelegt wird, mithin die hierin niedergelegten individualbezogenen Gewährleistungen durch die Institutionen Rundfunk, Presse und Wissenschaft verstärkt und gegebenenfalls weiter gezogen werden. Damit fehlt es an der für eine Sperrwirkung konstituierenden tatbestandlichen Identitität mit den Gewährleistungen der Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 GG und dem überschießenden Tatbestand. Vielmehr besteht genau umgekehrt ein Spezialitätsverhältnis zu Gunsten der Medien- und Forschungsfreiheit. 2. Informationsverweigerung als Eingriff in Art. 5 Abs. 2 GG Den dogmatisch kaum zu überwindenden Schwierigkeiten, die sich im Zusammenhang mit der Herleitung eines Leistungs- oder Teilhaberechts aus der institutionellen Garantie der Presse stellen823, versuchen einige Autoren aus dem Wege zu gehen, indem sie bereichspezifische Informationsansprüche auf den dogmatisch gesicherten Abwehranspruch stützen.824 Diese Konstruktion hat aber ihren Preis: Sie basiert auf einer Ausdehnung des Freiheitspostulats von einem zunächst am faktisch grundsätzlich Möglichen orientierten natürlichen Freiheitsverständnis hin zu einer zu gewährleistenden Freiheit und verschiebt damit letztlich nur die Problematik von der Leistungs- in die Abwehrdimension.825 Dahinter verbirgt sich – ohne dass dies freilich artikuliert wird – eine überspitzte liberalstaatliche Vorstellung, die nun nicht mehr allein das externe Staat-Bürger-Verhältnis erfasst, sondern die staatlichen Institutionen quasi selbst durchdringt.826 Überspitzt ist 822

Zum Meinungsstand vgl. B. Manegold, Anm. 125, S. 70. Dazu sogleich unter Teil 1 Kap. 2 § 2 A. I. 3. 824 Vgl. etwa Th. Mayen, Anm. 796, S. 134 ff., allerdings ausschließlich in Bezug auf den Forschungszugang. 825 Auf den Punkt gebracht v. G. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 205: „Die Konstruktion habe einen Beigeschmack von Tricks und Sophisterei – etwa so als mache sich die Betriebswirtschaft Gedanken über die Frage, ob und wie Gewinne sich als Verluste deuten lassen oder umgekehrt.“ 826 Zum Unterschied zwischen formeller Freiheit (liberté) und materieller Freiheit (capacité) vgl. sehr prägnant D. Murswiek, HBStR V, § 112 Rn. 26–29. Eingehend zum Freiheitsbegriff des Grundgesetzes W. Krebs, in: Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 31, S. 291 ff. 823

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dieser Ansatz deshalb, weil er die staatstheoretische Grundfrage nach der Konstruktion des Gesellschaftsvertrages827 nicht nur zugunsten der liberalen Staatstheorien entscheidet, sondern diese noch um eine weitere Dimension erweitert. Der Freiheitsanspruch des Einzelnen erstreckt sich danach mithin nicht mehr allein auf die natürliche Freiheit, also das ohne den Staat grundsätzlich Mögliche, sondern auch auf das staatlich Konstituierte, hier auf die staatlichen Archive.828 Am praktischen Beispiel veranschaulicht läuft diese Ansicht auf Folgendes hinaus: Der Zugang zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes wäre nach dieser Auffassung eine bloße Freiheitsausübung; das heißt simpel formuliert: die Presse kommt und nimmt sich die von ihr gewünschten Unterlagen. Dass es die Unterlagen ohne den Staat gar nicht gäbe, dass die Presse ohne Zutun der Behörde gar nicht an die in deren Besitz vorhandenen Unterlagen herankäme, sprich die Behörde ihr ihriges tun muss, wird nicht als „Leistung“, sondern als bloßes Gewährenlassen der Freiheitsausübung begriffen. Die erfolgte Herausgabe wäre so gesehen ein Akt der Wiederherstellung der „natürlichen“ Freiheit. Aus dieser Perspektive stellt dann auch die Nichtherausgabe der Unterlagen durch die Behörde keine „Leistungsverweigerung“, sondern einen Eingriff, dem mit einem abwehrrechtlichen Störungsbeseitigungsanspruch entgegenzutreten ist, dar.829 Diese Konstruktion, die zweifellos den Charme des Wortlautbezuges hat, will Mayen jedoch allein auf den indirekten (mittelbaren) Informationsanspruch, mit dem er sämtliche Fälle der aktiven Selbstinformation erfasst, beschränken.830 Den direkten (unmittelbaren) Informationsanspruch, bei dem der Bürger um eine Auskunft, also um staatliche Wissensvermittlung nachsucht, will er hingegen mit der herrschenden Meinung als Leistung begriffen wissen, da es hier an der für den indirekten (mittelbaren) Informationsanspruchs typischen „Genehmigungsstruktur“ der Herausgabe fehle.831 Hier eine Trennwand zu ziehen ist aber, das verdeutlicht die Stasi-UnterlagenProblematik, schwer. In der Praxis würde dies etwa bedeuten, dass ein Journalist, der eine spezifische Akte anfordert, je nachdem, ob diese vorhanden ist oder nicht, einen Anspruch aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG herleiten kann oder nicht, handelt es sich doch im letzteren Fall gerade um eine Negativauskunft. Warum nun aber der erste Fall der Aktenherausgabe, den die Mit827

Grundlegend J.-J. Rosseau, Du contrat social ou principes du droit politique. Zur Frage, ob auch staatlich geschaffene Betätigungsräume vom natürlichen Freiheitsanspruch umfasst sind, vgl. auch die Ausführungen zur Frage, inwieweit eine Amtsperson sich auf das Allgemeinen Persönlichkeitsrecht berufen kann, Teil 1 Kap. 2 § 3 A. I. 829 Th. Mayen, Anm. 796, S. 134. 830 Th. Mayen, Anm. 796, S. 135. 831 Th. Mayen, Anm. 796, S. 135. 828

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arbeiter auch nicht per Knopfdruck initiieren, sondern die das Holen aus dem Archiv, die genaue Sichtung auf zu schwärzende Passagen, gegebenenfalls die Schwärzung mit sich bringt, keine Dienstleistung sein soll, die Negativauskunft hingegen schon, ist nicht ersichtlich. Dieses Beispiel zeigt bereits das „neue“/alte Abgrenzungsproblem der Konstruktion auf. Die Konstruktion eines Informationsanspruchs aus der abwehrrechtlichen Dimension mag auf „anstaltsbenutzungsähnliche“ Konstellationen – und die hat Mayen832 auch im Blick – gut passen, für den spezifischen Fall des Zugangs zu den Stasi-Unterlagen führen sie jedoch ins dogmatische Abseits. 3. Informationszugang als Ausfluss der institutionellen Garantie oder der „öffentlichen Aufgabe der Presse“? Dreh- und Angelpunkt der von der Mehrheitsmeinung geführten Debatte um den Presseinformationsanspruch sind zwei Begrifflichkeiten: die so genannte institutionelle oder auch Institutsgarantie der Presse und deren so genannte „öffentliche Aufgabe“.833 Beide sind im Verfassungswortlaut nicht benannt. Dies deutet bereits an, wie wenig dogmatisch fundiert die Diskussion geführt wird. Die so genannte institutionelle Garantie der Presse allein oder in Kombination mit deren öffentlicher Aufgabe dient sowohl Befürwortern als auch Gegnern des Informationsanspruchs geradezu als Fundus von vermeintlichen Begründungen; ein weiterer Beleg dafür, auf welch dünnem Eis diese dogmatische Neukonstruktion steht.834 Die zentrale Frage, unter der diese Diskussion geführt wird, lautet: Folgen aus der institutionellen Garantie der Freiheit von Forschung und Presse zugleich konkrete Rechtspflichten, die über die im Verfassungswortlaut explizit niedergelegten Eingriffsunterlassungspflichten hinausgehen? Welche Rechtsfolge ergibt sich gegebenenfalls aus ihnen: ein Anspruch auf Zugang835, ein Anspruch auf einen Minimalstandard an Informationen836, eine Pflicht zur Einrichtung des Aktenzugangs837, ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Ent832

Th. Mayen, Anm. 796, S. 146 ff. Dies gilt analog für den Rundfunk. Zur Forschung vgl. sogleich Teil 1 Kap. 2 § 2 A. II. 834 So treffend schon Th. Mayen, Anm. 796, S. 111. 835 VG Düsseldorf, Beschluss v. 29. Januar 2003, Pressinformationsanspruch, Az. 1 L 269/03 (unter Berufung auf OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 1995, Informationsanspruch, NJW 1995, S. 2741 (2742) m. w. N.; dem folgend auch schon VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Juni 1998, Informationsanspruch, Az. 1 L 809/98. 836 W. Hoffmann-Riem, in: AK zum GG, Art. 5 Rn. 99; H. D. Jarass, AfP 1979, 228 (231). 837 BVerwG, Urteil v. 13. Dezember 1984, Akteneinsicht, BVerwGE 70, 310 (315): „Eine Behörde, die der Presse eine Auskunft verwehrt, obwohl der Erteilung 833

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scheidung838, lediglich eine Berücksichtigungspflicht im Rahmen der einfachgesetzlichen Zugangsgewährung oder eben gar nichts839? Den Stein ins Rollen brachte das Spiegel-Urteil840 des Bundesverfassungsgerichts. Dass die institutionellen Garantien des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG den privilegierten Zugang zu Informationen des Staates umfassen, ist seither mit wenigen Ausnahmen, darunter die Rechtssachen Kohl, ständige Rechtsprechung. In einem obiter dictum erklärte der urteilende Senat, dass der Staat – unabhängig von subjektiven Berechtigungen Einzelner – verpflichtet sei, in seiner Rechtsordnung überall dort, wo der Geltungsbereich einer Norm die Presse berühre, dem Postulat ihrer Freiheit Rechnung zu tragen. Auskunftspflichten der öffentlichen Behörden seien eine prinzipielle Folgerung hieraus.841 Der privilegierte Zugang der Medien zu staatlichen Informationen sei – so das Gericht andernorts – zugleich Kompensation fehlender Publikumsöffentlichkeit durch Medienöffentlichkeit.842 Dieser Informationsanspruch – so auch der Bundesgerichtshof843 – soll der Presse die Wahrnehmung ihrer Aufgabe im Rahmen der demokratischen Meinungs- und Willensbildung dadurch ermöglichen, dass sie umfassend und wahrheitsgetreu Informationen über Geschehnisse von öffentlichem Interesse erhält und dadurch in die Lage versetzt wird, die Öffentlichkeit entein durchgreifender Grund nicht entgegensteht, wird der ihr vom Grundgesetz auferlegten Pflicht nicht gerecht. [. . .] Der erkennende Senat ist [. . .] der Auffassung, dass die Regelung des Auskunftsanspruchs, die unter anderem eine Berücksichtigung der einer Auskunft entgegenstehenden öffentlichen oder privaten Interessen und deren Abwägung gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit erfordert, dem Gesetzgeber vorbehalten ist und bleiben muss.“ Desgl. OVG Münster, Urteil v. 23. Mai 1995, Auskunftsanspruch, NJW 1995, 2741 (2742). Siehe auch Ch. Starck, AfP 1978, 171 (173); H. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, Art. 5 Rn. 25. 838 M. Kloepfer, Anm. 686, § 35 Rn. 62. Der Verweis auf BVerwG, Urteil v. 13. Dezember 1984, Akteneinsicht, BVerwGE 70, 310 (314), unterstützt diese These aber nicht, vgl. Anm. 837. 839 So E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 1, S. 136 f.; Kleine-Cosack Stellungnahme vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 54 f. Im Anschluss daran VG Berlin, Urteil v. 17. September 2003, Kohl III, NJW 2004, 457 (459); BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, AfP 2004, 380 (384). 840 BVerfG, Urteil v. 5. August 1966, Spiegel, BVerfGE 20, 162. 841 BVerfG, Urteil v. 5. August 1966, Spiegel, BVerfGE 20, 162 (175 f.). 842 BVerfG, Urteil v. 6. März 1952, § 96 GOBT, BVerfGE 1, 144 (152). 843 BGHZ, Urteil v. 10. Februar 2005, Auskunftspflicht kommunaler Betriebe, NJW 2005, 1720. Vgl. aber auch BVerfG, Urteil v. 5. August 1966, Spiegel, BVerfGE 20, 162 (174 f.); BVerfG, Urteil v. 5. Februar 1992, WDR, BVerfGE 83, 238 (295 f.); BVerfG, Urteil v. 17. Februar 1998, Kurzberichterstattung, BVerfGE 97, 228 (257 f.); VG des Saarlandes, Urteil v. 19. Juli 1996, § 4 LPG Saar, AfP 1997, 837 (839); OVG des Saarlandes, Urteil v. 1. April 1998, § 4 LPG Saar, AfP 1998, 426 (427).

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sprechend zu unterrichten. Nur auf diese Weise könne der Staatsbürger zutreffende und umfassende Informationen über tatsächliche Vorgänge und Verhältnisse, Missstände, Meinungen und Gefahren erhalten, die ihm sonst verborgen bleiben würden, die aber Bedeutung für eine abgewogene Beurteilung der für seine Meinungsbildung essentiellen Fragen haben können. Erst diese für eine möglichst unverfälschte Erkenntnis notwendige Übersicht über Tatsachen und Meinungen, Absichten und Erklärungen ermögliche eine eigene Willensbildung und damit die Teilnahme am demokratischen Entscheidungsprozess überhaupt. Diese Aspekte hat das Bundesverfassungsgericht auch in Bezug auf den Zugang des Rundfunks zu den Gerichtsverhandlungen im Fall der ehemaligen Staatsratsvorsitzenden Honecker und Krenz deutlich herausgekehrt.844 Damit erteilt die Rechtsprechung der Auffassung von Benda/Umbach845, die meinen, dass allein die staatliche Öffentlichkeitsarbeit den fehlenden verfassungsrechtlich abgesicherten allgemeinen Zugang zu Informationen der öffentlichen Hand kompensiere; es mithin keiner verfassungsrechtlichen Absicherung eines Presseinformationsanspruches bedürfe, eine klare Absage.846 Die Auszüge zeigen aber auch, dass die Gerichte maßgeblich auf Notwendigkeitsargumente rekurrieren, der dogmatische Anknüpfungspunkt demgegenüber häufig ins Hintertreffen gerät. Auf letzteren kann aber nicht einfach verzichtet werden. Anderenfalls verwischte man die Grenzen zwischen Judikative und Legislative, indem den Gerichten eine über die Entscheidung am Maßstab der Normen hinausgehende, dem angloamerikanischen Rechtssystem vergleichbare, Entscheidungsmacht eingeräumt würde; eine Konsequenz, die das Grundgesetz aus Gründen der Vorhersehbarkeit, Transparenz und Gewaltenteilung nicht vorsieht. Im Übrigen fehlt es auch an einer klaren Kontinuität in der Rechtssprechung in Bezug auf die hier behandelte Frage nach einem verfassungsrechtlichen Informationsanspruch von Presse und Rundfunk. Daher sind hier die seitens der Rechtsprechung hervorgebrachten Argumente genau auf ihren normativen Bezug zum Grundgesetz hin zu prüfen. Dabei ist zunächst an der genauen Auseinandersetzung mit dem Inhalt und der dogmatischen Verankerung der immer wieder angeführten so genannten „öffentlichen Aufgabe“ und der institutionellen Garantie der Presse anzusetzen. 844 BVerfG, Beschluss v. 14. Juli 1994, Honecker V, BVerfGE 91, 125 (134); BVerfG, Urteil v. 24. Januar 2001, Krenz II, BVerfGE 103, 44 (59). 845 E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 1, S. 132. 846 Der v. E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 1, S. 132 zitierte Beschluss v. 23. Februar 1983, Öffentlichkeitsarbeit II, BVerfGE 63, 230 (243), stellt nur klar, dass Öffentlichkeitsarbeit zulässig und notwendig ist. Von einer Exklusivität der Öffentlichkeitsarbeit durch den Staat ist hingegen nicht die Rede.

Kap. 2: Bestimmung des abwägungsrelevanten Materials

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a) Institutionelle Garantie der Presse Es ist bereits sehr fraglich, ob sich die Presse überhaupt unter das, was für gewöhnlich unter einer institutionellen Garantie im Staatsrecht verstanden wird, fassen lässt. Ausgehend von C. Schmitts grundlegender Untersuchung werden hierunter für gewöhnlich Einrichtungen verstanden (daher zum Teil auch als Einrichtungsgarantie bezeichnet847), die erst durch das bürgerliche Recht oder das öffentliche Recht geschaffen werden.848 Die Presse hingegen wird nicht erst durch das Recht geschaffen, sie ist – genauso wie etwa die in Art. 8 GG geschützte Versammlung – ein gesellschaftlicher Befund, den das Recht anerkennt und schützt. Gleiches gilt für den Rundfunk.849 Damit aber unterscheidet sich die Presse nicht von anderen Grundrechten, gehen doch weite Teile der Literatur und die Rechtsprechung davon aus, dass allen Grundrechten neben dem subjektiven Abwehrrecht auch eine objektive Dimension innewohnt, die den Schutz des Grundrechtsgutes über die subjektive Komponente hinaus gewährleistet. Normativ wird dieser Befund bereits durch die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG getragen, die es verbietet, Grundrechte in ihrem Wesen anzutasten.850 Hierzu bedarf es keiner zusätzlichen Kategorie. Die von Herzog851 in Bezug auf die institutionelle Garantie der Presse aufgeworfene Frage, ob diese Kategorie denn überhaupt notwendig sei, ist daher mit „nein“ zu beantworten. Die Bezeichnung der Pressefreiheit als institutionelle Garantie ist insoweit eine reine Chimäre. 847

Zur Begrifflichkeit unfassend U. Mager, Einrichtungsgarantien, S. 6 ff. C. Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung, abgedr. in: Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 140. Teilweise wird in der Literatur auch ein Unterschied je nach Zugehörigkeit zum öffentlichen Recht – dann Institutionelle Garantie – oder zum bürgerlichen Recht – dann Institutsgarantie – gemacht, vgl. C. Creifelds, Rechtswörterbuch, Stichwort: Institutionelle Garantien. Ein erweitertes Verständnis der Institutsgarantien auch auf gesellschaftliche Sachverhalte brachte F. Klein, in: v. Mangoldt/Klein, Bonner GG, Bd. 1, Vorbem. zu A VI 3 b, S. 84, ins Spiel. Diese Auffassung fand jedoch kaum Gefolgschaft. Siehe G. Düring, in: Maunz/Düring, GG-Ko, Art. 1 Abs. III Rn. 98. Erst in den 60er Jahren wurde dieses umfassende Verständnis mit P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, S. 71, wieder „gesellschaftsfähig“. Vgl. auch N. Luhmann, Die Grundrechte als Institution. 849 B. Pieroth/B. Schlink, Anm. 166, Rn. 72: „Die freie Presse ist ein gesellschaftlicher Befund und weder privatrechtliches Institut noch öffentlich-rechtliche Institution.“ Zustimmend auch R. Herzog, in: Maunz/Düring, GG-Kommentar Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 12. Umfassende Nachweise bei K. Stern, Anm. 560, S. 834, insb. 839: „façon de parler“. 850 Teilweise werden die Einrichtungsgarantien als Ausfluss des Art. 19 Abs. 2 GG angesehen. Dazu U. Mager, Anm. 847, S. 400. 851 R. Herzog, in: Maunz/Düring, GG-Kommentar Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 13. 848

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Gleichwohl ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die Rechtsprechung der so genannten institutionellen Garantie der Presse Implikationen entnimmt, die weit über die Abwehr von Beeinträchtigungen des Kerngehalts der Pressefreiheit hinausgehen. In ihrer objektiven Bedeutung schütze die Pressefreiheit die „institutionelle Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung der Information bis zu deren Verbreitung“.852 Daraus folge – so das Bundesverwaltungsgericht ausführlich853 – die Pflicht des Staates, diese Aufgabe der Presse zu respektieren. Bestandteil dieser Pflicht sei auch die Erteilung von Auskünften. Ob und unter welchen Voraussetzungen allerdings im Einzelfall ein Rechtsanspruch auf Auskunft besteht, sei im Grundgesetz nicht geregelt. Dennoch sind aus dieser objektiv-rechtlichen Informationszugangsgarantie drei praktische Folgerungen gezogen worden. Erstens: Der Gesetzgeber sei zur Umsetzung; sprich zur Schaffung von Informationsansprüchen verpflichtet.854 Zweitens: Sämtliche gesetzliche Vorschriften seien im Lichte dieser objektiv-rechtlichen Garantie der Presse auszulegen.855 Drittens: Fehlen gesetzliche Vorschriften, die den Zugang zu Informationen der öffentlichen Hand regeln, dann sei die ersuchte Behörde zumindest verpflichtet, ermessensfehlerfrei über einen entsprechenden Antrag zu entscheiden.856 Was die Gerichte hier unter dem Deckmantel der so genannten institutionellen Garantie konstruieren, ist ein staatlicher Auftrag zur Optimierung der Pressetätigkeit. Damit steht man aber erneut – wie schon zuvor in Bezug auf die Diskussion um die Haftungsdimension der Grundrechte857, um die 852 BVerfG, Beschluss v. 6. Oktober 1959, Grundrechtsverwirkung, BVerfGE 10, 118 (121); BVerfG, Beschluss v. 6. Februar 1979, Kölner Volksblatt, BVerfGE 50, 234 (240); BVerfG, Beschluss v. 25. Januar 1984, Redaktionsschutz, BVerfGE 66, 116 (133); BVerwG, Urteil v. 3. August 1990, Tonbandaufzeichnung, BVerwGE 85, 283 (284); BVerfG, Beschluss v. 14. Juli 1994, Honecker V, BVerfGE 91, 125 (134); BVerfG, Beschluss v. 28. August 2000, Grundbucheinsicht, NJW 2001, 503 (504). 853 BVerwG, Urteil v. 13. Dezember 1984, Akteneinsicht, BVerwGE 70, 310 (314 f.). Bestätigt durch BVerwG, Urteil v. 3. August 1990, Tonbandaufzeichnung, BVerwGE 85, 283 (284); OVG Münster, Urteil v. 23. Mai 1995, Auskunftsanspruch, NJW 1995, 2741 (2742): „Was die Rechtsgrundlage der Informationsbeschaffung im Pressewesen angeht, so hat der erkennende Senat entschieden, daß ein Anspruch der Presse auf Informationen in seiner Ausprägung als Auskunftsanspruch gegen Behörden unmittelbar aus dem Grundgesetz nicht herzuleiten ist.“ 854 K. Stern, StaatsR IV/1, S. 1533. 855 K. Stern, Anm. 854, S. 1563; M. Bullinger, in: Löffler (Hrsg.), Presserecht Kommentar, Einl. Rn. 3. 856 BVerwG, Urteil v. 13. Dezember 1984, Akteneinsicht, BVerwGE 70, 310 (314 f.). Zustimmend I. Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. I, Art. 5 Abs. 3 Rn. 43. 857 Teil 1 Kap. 2 § 1 C. II. 1.

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Grundrechtssicherung858 oder auch allgemein um die grundrechtlichen Leistungsrechte- und Schutzpflichten – vor der allgemeinen Frage nach den Rechtsfolgen, die sich aus der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte ergeben; dem – wie Stern zutreffend meint – „eigentlichen Problem der Grundrechtsdogmatik“859. Wie bereits dargelegt860 lassen sich mit dem traditionellen Kanon der Auslegungsmethoden zumindest keine allgemeinen Optimierungspflichten aus den Grundrechten ableiten. b) „Öffentliche Aufgabe“ der Presse Auch der pauschale Verweis auf die „öffentliche Aufgabe“ der Presse, mitunter auch auf den öffentlichen Auftrag der Presse oder auf den „verfassungsrechtlich geschützten Informationsauftrag der Presse“ zur Herleitung eines Presseinformationsanspruchs vermag dogmatisch nicht zu überzeugen.861 Auch hier war das Bundesverfassungsgericht nicht zuletzt mit seiner missverständlichen Äußerung, die Presse sei „ständiges Verbindungsorgan zwischen Öffentlichkeit und Parlament“862, der Wegbereiter. Bereits terminologisch bleibt unklar, was sich hinter der so genannten „öffentlichen Aufgabe“ verbirgt; ob es sich hierbei um eine staatliche Aufgabe, die die Presse sozusagen in den aktiven Status eines pouvoir (observateur) constitué hebt,863 oder vielmehr um eine verfassungsrechtlich anerkannte gesellschaftliche Aufgabe handelt864, die ohne Zugang zu staatlichen Informationen nicht erfüllt werden kann und dementsprechend einen verfassungsrechtlichen Leistungsanspruch nach sich zieht. Der Unterschied zwischen beiden Konstruktionen besteht dabei darin, dass im ersten Fall die 858

Teil 1 Kap. 2 § 1 C. II. 2. K. Stern, Anm. 560, S. 908. Nach E.-W. Böckenförde, Der Staat 1990, 1, handelt es sich um ein „zentrales und noch nicht gelöstes Problem der Grundrechtsdogmatik“. 860 Teil 1 Kap. 2 § 1 C. II. 1. a). 861 Er basiert zumeist auf nebulösen Behauptungen. Der Kommentar zum Presserecht v. M. Löffler mag hier als Beispiel dienen. Darin heißt es, die rechtliche Anerkennung der faktischen Funktion der Presse für die Meinungsbildung in einer Demokratie legitimiere eng umgrenzte funktionsgerechte Sonderrechte. Warum nun aber die in § 3 LPG anerkannte öffentliche Aufgabe auch Bestandteil der Verfassungsgarantie sein soll und warum aus einem Auftrag nun auch noch staatliche Pflichten oder Sonderrechte für die Presse folgen sollen; welchen Inhalts diese sein sollen und warum gerade ein Presseinformationsanspruch davon umfasst sein soll, lässt sich den Ausführungen M. Bullingers, Anm. 855, Art. 3 Rn. 55, nicht entnehmen. 862 BVerfG, Urteil v. 5. August 1966, Spiegel, BVerfGE 20, 162 (174). 863 So M. Löffler/R. Ricker, Presserecht, S. 15. 864 So U. Scheuner, VVDStRL 22 (1965), 75; J. Faller, AfP 1981, 430 (432). 859

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

Presse als notwendiger Bestandteil des Staatswesens vorausgesetzt wird (status activus), während der zweite Ansatz davon ausgeht, dass die Presse nicht als Teil des Staates auftritt, sondern diesem als Bittsteller gegenübertritt (status positivus).865 Diese für die dogmatische Begründung eines Informationszugangs bedeutsame Unterscheidung kann aber schon deshalb nicht getroffen werden, weil man nach dem so genannten öffentlichen Auftrag oder der so genannten öffentlichen Aufgabe der Presse im Grundgesetz vergeblich sucht. Weder ist im Grundgesetz der der Presse zugeschriebene Kontrollauftrag noch der oben erwähnte Informationsvermittlungsauftrag explizit vorgesehen, noch kann er ihm implizit entnommen werden. Ganz im Gegensatz zu Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG, der für Parteien als aus der Gesellschaft entspringende Vereinigungen klar einen Verfassungsauftrag normiert beziehungsweise einen gesellschaftlichen Auftrag als Verfassungsauftrag anerkennt,866 enthält das Grundgesetz für die Presse keine vergleichbare Aufgabenzuweisung. Dass die Presse durch die Vermittlung von Informationen zwischen Staat und Gesellschaft eine Schlüsselrolle für das demokratische Gemeinwesen einnimmt und sich diese Informationstätigkeit demokratiefördernd, gar demokratiekonstituierend auswirkt, ist ein Befund. Aus der Wahrnehmung dieser Funktion erwächst aber noch kein Auftrag.867 Ein solcher Rechtsauftrag wächst der Presse auch nicht kraft der faktischen Wahrnehmung der Funktion oder aus einer möglicherweise bestehenden Notwendigkeit einer vierten Staatsgewalt zu.868 Der öffentliche Auftrag ist also keine rechtsdogmatische Figur, sondern die Beschreibung eines soziologischen Befundes.869 Dass dieser Befund 865 Zu den einzelnen Grundrechtsdimensionen status negativus, status positivus, status activus, vgl. G. Jellinek, Anm. 560, S. 87, 94 ff. 866 BVerfG, Beschluss v. 22. Juni 1982, CSU, BVerfGE 61, 1 (11). Selbst wenn man mit W. Henke, in: Bo-Ko, Art. 21 Rn. 56 ff., davon ausgeht, dass Art. 21 Abs. 1 GG lediglich einen deklaratorischen Charakter besitzt, ist durch Anerkennung in der Verfassung die gesellschaftliche Aufgabe in eine auch verfassungsrechtliche Aufgabe transformiert worden. 867 Zu Recht zurückhaltend und differenzierend zu diesem Begriff K. Stern, Am. 854, S. 1561. 868 In diese Richtung wohl aber W. Heintschel v. Heinegg, Anm. 258, 300. Dagegen BGHZ, Urteil v. 12. Juli 1994, IM-Listen, Rn. 49. 869 Treffend auch G. Neben, Triviale Personenberichterstattung, S. 108: „Die ‚öffentliche Aufgabe‘ ist eine Zustandsbeschreibung, nicht aber eine Legitimation für besondere Rechte und Pflichten.“ Vgl. auch Ch. Degenhardt, in: Bo-Ko, Art. 5 I, II Rn. 540 ff. „ein Gemisch aus Realitätsbeschreibung und ethischer Forderung“, „ohne eigenständigen normativen, insbesondere grundrechtlichen Gehalt“.

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nunmehr in den Einführungsbestimmungen zahlreicher Landespressegesetze rechtlich anerkannt wurde, zeitigt entgegen Bullinger für die hier interessierende Lage nach der Bundesverfassung keinerlei Konsequenzen.870 Sofern an einen soziologischen Befund Rechtsfolgen geknüpft werden sollen, bedarf es einer ausdrücklichen Anordnung, an der es im Grundgesetz sowohl im Allgemeinen als auch in Bezug auf den spezifischen Zusammenhang der Aufarbeitung der beiden deutschen Diktaturen fehlt. c) Gewährleistungsfunktion Überzeugender als die Berufung auf die vermeintliche institutionelle Garantie der Presse oder deren öffentlichen Auftrag erscheint es, den Ansatz für eine über die abwehrrechtliche Komponente des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG hinausgehende Dimension im Wortlaut der Norm zu suchen. Anders als eine Vielzahl anderer Grundrechte, insbesondere auch anders als die Meinungsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, ist es der Staatsgewalt nicht nur schlicht untersagt die Presse- und Rundfunkfreiheit zu verletzten. Vielmehr „werden“ diese Freiheiten „gewährleistet“. Daraus lässt sich schließen, dass hier zusätzlich die Grundbedingungen der Freiheitsausübung erhalten bleiben müssen, gegebenenfalls deren Erhaltung zu positiven staatlichen Handlungen verpflichtet.871 Insofern mögen sich die Rechtsfolgen der Einrichtungs-, Instituts- oder institutionellen Garantie hier ähneln: Etwas Bestehendes soll erhalten bleiben. Anknüpfungspunkt dieser Gewährleistung ist aber nicht die Pressetätigkeit oder die Aufgabe der Presse schlechthin, sondern die „Pressefreiheit“, beziehungsweise die „freie Berichterstattung“. Bei der Frage nach dem Zugang von Presse und Rundfunk zu Informationen der öffentlichen Hand geht es aber eben gerade nicht um eine schlichte Gewährleistung der realen, also auch ohne Staat bestehenden Freiheit, sondern um einen Zugewinn an Freiheit.872 aa) Teilhabe an staatlichen Informationen? Dass der Staat selbst zum Freiheitsbereich des Einzelnen gehört, dieser mithin an ihm, also auch an seinen Institutionen und Informationen, ein 870

Dazu schon Anm. 861. Vgl. insbesondere auch zur Pressesubvention M. Bullinger, HBStR VI, § 142 Rn. 53 ff. 872 So auch BVerwG, Urteil v. 3. August 1990, Tonbandaufzeichnung, BVerwGE 85, 283 (284); VG Berlin, Urteil v. 17. September 2003, Kohl III, NJW 2004, 457 (459). Zum Problem des Begriffs der natürlichen Freiheit vgl. bereits Teil 1 Kap. 2 § 2 A. I. 2. 871

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

umfassendes, über den Wahlakt hinausgehendes Teilhaberecht hat, mag aus liberalstaatlicher Perspektive zwar eine reizvolle Vorstellung sein, lässt sich aber mit dem Wortlaut der Verfassung nicht begründen. Vielmehr trennt das Grundgesetz zwischen den die Beziehung des Einzelnen zum Staat regelnden Grundrechten in seinem ersten Teil und den staatlichen Institutionen im zweiten Teil. Lediglich hier enthält das Grundgesetz drei spezifische Kopplungsnormen, Art. 20 Abs. 2 S. 2; 21 Abs. 1 S. 1, 2; 33 Abs. 2 GG, in denen die Dichotomie zwischen Staat und Gesellschaft zum Ausdruck kommt, in denen der Einzelne auch Teil der staatlichen Organisation wird, mit dieser mithin teilweise verschmilzt.873 Im Übrigen geht der Staat nicht von einer Symbiose, sondern von einer Gewährleistungssituation aus, was sich auch beim Wortlautvergleich zwischen den wenigen Leistungsrechten im Grundrechtsteil und den hier so genannten Kopplungsnormen zeigt.874 Der Zugang der Presse zu Informationen der öffentlichen Hand kann damit zumindest nicht direkt als Bestandteil der Pressefreiheit angesehen werden. bb) Staatliche Information als Grundvoraussetzung für Presseexistenz Indirekt ließe sich eine Zugangsverschaffungspflicht allein so konzipieren, dass man auch solche Aktivitäten als von der Gewährleistungspflicht erfasst sieht, die für die Ausübung der Freiheiten, etwa meinungsbildende Berichte zu verfassen, diese zu publizieren und zu verbreiten, konstitutiv sind. Hierzu zählen Informationen. Dass nun aber spezifische – hier nicht allgemein zugängliche Informationen – ebenfalls dazu gehören, lässt sich nicht ohne weiteres begründen. Der Verweis darauf, dass die Verweigerung von staatlichen Informationen sich faktisch wie ein Verbot der Politikpresse darstelle, mag rhetorisch überzeugen, inhaltlich jedoch handelt es sich um einen Kurzschluss. Ihm liegt die Annahme zugrunde, dass ohne Zugang zu staatlichen Informationen Politikpresse schlechthin nicht möglich ist. Diese Annahme kann zumindest in einem Mehrparteienstaat mit funktionierender Opposition in dieser Pauschalität nicht durchgreifen. Die Parteien sind auf das Votum der Wähler angewiesen. Von daher liegt es bereits in ihrem Inte873

Art. 12 a Abs. 1 GG ist insofern eine Besonderheit und verdankt seine Stellung auch nur dem spezifischen Regelungszusammenhang mit der Berufsfreiheit. 874 Leistungsrechte (Auszug): Art. 1 Abs. 1 GG („zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“); Art. 6 Abs. 1 GG („stehen unter Schutz“); Art. 6 Abs. 4 („Anspruch auf Schutz“); Art. 6 Abs. 5 („sind zu schaffen“); Art. 7 Abs. 4 S. 3 („sind zu erteilen“); Art. 17 („Recht, sich zu wenden“); Art. 19 Abs. 4 („steht ihm offen“). Partizipationsrechte: Art. 20 Abs. 2 S. 1 („geht aus“); Art. 21 Abs. 1 S. 1 („wirken mit“); Art. 33 Abs. 2 („hat Zugang“).

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resse, die Wählerschaft zu informieren. Darüber hinaus verpflichtet das Grundgesetz auch die Regierung an mehreren Stellen zur Rechenschaftspflicht.875 Damit ist eine Grundlage auch für die politische Presse vorhanden. Warum nun aber die Gewährleistungspflicht des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG eine Pflicht zur Optimierung der Voraussetzungen der Pressetätigkeit beinhalten soll, wird von den Vertretern dieser Auffassung nicht hinreichend deutlich gemacht.876 (1) Zusammenschau mit dem Demokratieprinzip Auch der Verweis auf die Zusammenschau der Presse- und Rundfunkfreiheit mit dem Demokratieprinzip hilft hier nicht weiter, um einen Zugang zu staatlichen Informationen zu begründen. Zunächst ist hier zu unterscheiden zwischen Demokratie als Herrschaftskonzept und dem engeren grundgesetzlichen Demokratieprinzip, das sich aus der Zusammenschau einzelner grundgesetzlich abgesicherter Demokratieelemente ergibt und insofern schon auf eine von mehreren möglichen Alternativen, Demokratie zu realisieren, festgelegt ist.877 Das Prinzip übernimmt dann nur noch eine richtungweisende Aufgabe, die im Zusammenhang mit der Auslegung der einfachgesetzlichen Konkretisierungen dieses Prinzips Relevanz erlangen kann.878 Eigenständige, von den demokratiekonkretisierenden Normen losgelöste Rechtssätze erzeugt es indes nicht. Lässt sich – wie gezeigt879 – aber schon keine allgemeine Informationspflicht aus den demokratiekonkretisierenden Normen gewinnen, so ist nicht klar, wie sich nun eine spezifische Presseinformationspflicht der öffentlichen Hand aus der Zusammenschau mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ergeben soll, der selbst nur einen Freiheitsschutz gewährleistet. Auch hier lässt sich die genaue Verbindung zwischen Demokratie und dem behaupteten Presseprivileg nicht normativ festmachen.

875 Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG (Rechenschaftspflicht der Parteien); Art. 42 S. 1 GG (Sitzungsöffentlichkeit des BT); Art. 44 S. 1 GG (Öffentlichkeit des Untersuchungsausschusses); Art. 52 Abs. 3 S. 2 GG (Sitzungsöffentlichkeit BR). Vgl. auch oben zur begrenzten Öffentlichkeitspflichten aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG. 876 Ähnlich auch die Argumentation des VG Köln, Urteil v. 18. Januar 1983, Teilhaberecht, CuR 1986, 833, wenn es in Bezug auf das parallel gelagerte Problem des Forschungsinformationsanspruchs, und zwar das Akteineinsichtsbegehren eines Gesellschaftswissenschaftlers, meint, dass die Gesellschaftswissenschaften nicht ausschließlich auf den Staat angewiesen seien. 877 K. Stern, Anm. 499, S. 589; K. Hesse, Anm. 166, Rn. 127. 878 Dazu unten zu Teil 1 Kap. 2 § 2 B. 879 Teil 1 Kap. 2 § 1 C. V. 1. b).

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

(2) Gewährleistung der Erfüllung des öffentlichen Auftrags Etwas anderes ergibt sich möglicherweise dann, wenn man die Gewährleistung nicht auf die Presse als gesellschaftliche Einrichtung an sich, sondern auf die Erfüllung der gesellschaftlichen Aufgabe der Presse bezieht und dieser Aufgabe selbst ein Optimierungsmoment im Sinne einer bestmöglichen Erfüllung der Mittlungsfunktion zwischen Staat und Gesellschaft immanent ist. Vor diesem Hintergrund ließen sich dann auch die ausführlichen Ausführungen der Rechtsprechung zur Funktion der Presse mit den daraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen ohne Verdrehung des Verfassungswortlauts mit diesem in Einklang bringen.880 Abgesehen davon, dass auch dieser Ansatz mit der Frage nach der inhaltlichen Präzisierung der gesellschaftlichen Aufgabe auf ein außerhalb des Rechts stehenden soziologischen und damit weder logisch noch empirisch eindeutig beweisbaren Zusammenhang ausgreift, beißt er sich mit dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, der nun gerade auf die Pressefreiheit und eben nicht auf die Gewährleistung der Aufgabenerfüllung durch die Presse oder ganz allgemein auf Presse abstellt. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG die öffentliche Hand weder objektiv verpflichtet, Presse- und Rundfunk Zugang zu staatlichen Informationen zu verschaffen, noch sich dieser Vorschrift ein dahingehendes subjektives Recht entnehmen lässt. Dass die Schaffung eines Presseinformationszugangs zu staatlichen Informationen aus Transparenzgründen wünschenswert ist; dass dieser am ehesten eine tatsächliche Volksherrschaft garantiere, mag ethisch überzeugen. Sie begründet aber keine verfassungsrechtliche Pflicht hierzu.881 II. Informationszugang des Forschers Ganz ähnlich sieht es im Hinblick auf den Zugang des Forschers zu Informationen der öffentlichen Hand aus. Aus grundrechtsdogmatischer Sicht unterscheiden sich die diesbezüglich ausgetauschten Argumente von der presserechtlichen Diskussion kaum.882 Eine eindeutige Stellungnahme der Rechtsprechung steht noch aus. Die Äußerung des Bundeswaltungsgerichts aus dem Jahre 1985, „[d]as Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit vermittelt 880

Vgl. Teil 1 Kap. 2 § 2 A. I. 3. Siehe auch VG Dresden, Beschluss v. 7. Mai 2009, Tillich, 5 L 42/09. 882 Für ein Recht auf Eigeninformation als Inhalt eines Störungsbeseitigungsanspruchs Th. Mayen, Anm. 796, S. 134 ff.; für eine bereichsspezifische Aktenöffentlichkeit mit Verweis auf die Bedeutung von Informationen für die Kulturstaatlichkeit und die Demokratie vgl. D. Wyduckel, DVBl. 1989, 327 (334). 881

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keinen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Akteneinsicht zu Forschungszwecken“883, bezog sich der Sache nach nur auf Akten der laufenden Verwaltung, nicht hingegen auf Archivgut wie die Stasi-Unterlagen. Ob allerdings – wie es einige Autoren andeuten884 – in Bezug auf das „Ob“ des Forschungsinformationszugangs tatsächlich ein Unterschied nach der Natur der Akten gemacht werden kann oder ob sich diese nicht lediglich auf die entgegenstehenden Interessen und damit ggf. auf die Reichweite der Zugangsberechtigung auswirkt, muss hier nicht entschieden werden, wenn sich schon von vorneherein kein Informationszugangsrecht des Forschers verfassungsrechtlich begründen lässt. 1. Informationsverweigerung als Eingriff Fest steht, dass auch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG klar ein Abwehrrecht beinhaltet, das sich gegen Eingriffe des Staates in die Forschung richtet. Es verbietet sich aber – wie gezeigt885 –, die Informationsversagung als Eingriff zu konstruieren, indem man den Freiheitsbegriff über die natürliche, reale Freiheit hinaus, ausdehnt.886 Insofern hängt auch die These vom faktischen Forschungsverbot887, das bei der Verweigerung des Zugangs zu Informationen über die der Staat ein Monopol hat, entstehen würde, schief. Sinnvollerweise verbieten lässt sich nur tatsächlich Mögliches. Der Hinweis Manegolds, dass historische Forschung gerade den „Staat“ und die „Gesellschaft“ zum Gegenstand habe, mithin von vorneherein nicht außerstaatlich sein könne, von natürlicher Freiheit schon denknotwendig nicht die Rede sein könne, vermag nicht zu überzeugen. Nach ihm impliziert der Begriff Forschung an sich bereits eine Art überschießende Tendenz, die über das natürlicherweise, also auch das ohne staatliche Mithilfe Realisierbare hinausgeht. Gegenstand der Forschungsfreiheit sei alles theoretisch Erforschbare, unabhängig davon, ob real, dass heißt nach eigener Kraft, die Möglichkeit zur Forschung besteht. Damit kommt er dann auch zu dem Ergebnis, dass durch die Verweigerung der öffentlichen Hand, staatliche Informationen herauszugeben, ein partielles Forschungsverbot entstünde. Der eigentliche Haken an dieser These ist, dass Manegolds Ausführungen eine unzutreffende An883 BVerwG, Beschluss v. 9. Oktober 1985, Akteneinsichtsrecht, BayVBl. 1986, 121 (Leitsatz); bestätigt durch BVerfG, Beschluss v. 30. Januar 1986, BPB, NJW 1986, 1243. 884 B. Manegold, Anm. 125, S. 65 f. m. w. N. 885 Teil 1 Kap. 2 § 2 A. I. 2. 886 So B. Manegold, Anm. 125, S. 98. 887 W. Schmidt-Gläser, in: Eser/Schumann (Hrsg.), Die Freiheit der Forschung, S. 86 ff.; W. Bayer, JuS 1989, 191 (193) – allerdings bauen beide auf ein Teilhaberecht auf. H. Gallwas, Der Archivar 1986, 313 ff.; W. Berg, JöR 33 (1984), 63 (90).

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

nahme zugrunde liegt. Historische Forschung wird ohne Zugang zu staatlich monopolisierten Informationen nicht unmöglich; so dass mithin der Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG entfiele. Zum einen ist der Staat durch das Grundgesetz in zahlreichen Bereichen ohnehin zur Öffentlichkeit verpflichtet.888 Zum anderen tritt der Staat ohnehin in das tägliche Leben, wird somit wahrnehmbar und kann insofern Thema zahlreicher Forschungsfragen sein.889 Die Annahme, dass der Forschungsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ein erweiterter Freiheitsbegriff zugrunde liegt, hält aber auch unter Berücksichtigung der Folgen einer Richtigkeitsüberprüfung nicht Stand: Mit dieser Auslegung würde der Staat in die Rolle des Gewährleisters gesetzt, der zur Beseitigung sämtlicher faktischer Hindernisse verpflichtet wäre, um die Erforschung von sämtlichen Fragestellungen zu ermöglichen. Hierzu würden dann nicht nur Informationen, sondern vor allem auch Mittel und Instrumente gehören, die für die Erforschung bestimmter Forschungsfragen unerlässlich sind. Wenn man sich allein den Bereich der Weltraumforschung vor Augen hält, sind die Dimensionen einer solchen Überdehnung des Freiheitsbegriffs kaum absehbar. Diesem Problem könnte auch nicht ohne weiteres mit der Errichtung von Schranken begegnet werden. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist als vorbehaltloses Grundrecht nicht „beliebig“ einschränkbar. Selbst wenn man in Bezug auf finanzträchtige Forschungsunternehmen möglicherweise auf den verfassungsrechtlich geregelten Finanzhaushalt rekurrieren könnte, führt dies zu einem mehr denn zuvor der Beliebigkeit preisgegeben Umgang mit der Forschungsfreiheit. Von daher spricht auch die teleologische Auslegung der Vorschrift gegen eine grundrechtsspezifische Erweiterung des Freiheitsbegriffs. Dementsprechend stellt die Zugangsverweigerung zu den staatlich verwahrten Stasi-Unterlagen zumindest keinen Eingriff in die Forschungsfreiheit dar, da der Zugang hierzu gerade nicht von der natürlichen Freiheit des Forschers umfasst ist. 2. Leistungs- oder Teilhaberecht an forschungsrelevanten staatlichen Informationen Mit der Gewährung des Zugangs zu den Informationen des Staatssicherheitsdienstes wird hingegen erst die tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme geschaffen. Verfassungsdogmatisch passender erscheint daher in der Tat die Konstruktion des Forschungsinformationsanspruchs als ein reines Leistungsrecht oder als ein Teilhaberecht; also als ein Recht, dessen Ausübung in den Dienst des Staates gestellt wird und zu dessen Verwirklichung 888 889

Vgl. dazu schon Ausführungen S. 144. Vgl. schon Anm. 876.

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es wiederum des Staates bedarf.890 Aber auch hier gilt das Gleiche wie für die Pressefreiheit. Es bedarf einer verfassungsrechtlichen Grundlage. Über dieses Erfordernis setzen sich aber die Autoren, die einen Forschungsinformationszugang in Gestalt eines Leistungs- oder Teilhaberechts propagieren891, hinweg. Als „Zauberhut“ dient auch hier wieder die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, namentlich das Hochschul-Urteil892, und zwar ebenso wie in der oben erwähnten Passage des Spiegel-Urteils ein obiter dictum.893 Darin folgerten die Richter, dass über die abwehrrechtliche Komponente hinaus die in Art. 5 Abs. 3 GG enthaltene Wertentscheidung die Geltungskraft des Freiheitsrechts in Richtung auf Teilhabeberechtigungen verstärke: „Das rechtfertigt sich aus der Überlegung, daß einerseits die Beteiligung am öffentlichen Leistungsangebot zunehmend zur notwendigen Voraussetzung für die Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit wird und daß anderseits nach der Konzeption des Grundgesetzes auch dem Interesse des Gemeinwesens an einem funktionierenden Wissenschaftsbetrieb am ehesten gedient wird, wenn sich die wissenschaftlich tätige Einzelpersönlichkeit schöpferisch entfalten kann. Dem einzelnen Träger des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 GG erwächst aus der Wertentscheidung ein Recht auf solche staatlichen Maßnahmen auch organisatorischer Art, die zum Schutz seines grundrechtlich gesicherten Freiraums unerlässlich sind, weil sie ihm freie wissenschaftliche Betätigung überhaupt erst ermöglichen.“894

Zutreffend ist, dass sich Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG eine Wertentscheidung zugunsten der Forschung entnehmen lässt.895 Überzeugend ist es daher, insbesondere vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 2 GG, die Gewährleistung der Forschungsfreiheit als grundsätzliche Staatsaufgabe, d.h. als Ziel und Leitlinie des Gesetzgebers und der Exekutive anzuerkennen und insofern einem Leerlauf dieses Grundrechts entgegenzuwirken.896 Dass sich aber diese grundsätzliche staatliche Aufgabe, die Freiheit der Forschung zu gewährleisten, zu einem konkreten Gesetzgebungsauftrag zur Schaffung eines Forschungsinformationsanspruchs im Allgemeinen und eines Anspruchs des Forschers auf Zugang zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes im 890

Zur Terminologie vgl. bereits Anm. 865. W. Bayer, Anm. 887, 191 (193); W. Schmitt-Glaeser, Anm. 887, S. 77 (86 ff.). 892 BVerfG, Urteil v. 29. Mai 1973, Hochschule, BVerfGE 35, 79. Ein Vorläufer war BVerfG, Beschluss v. 18. Juli 1972, NC, BVerfGE 33, 303 (331). 893 Der Sache nach ging es um die Mitbestimmungsregelungen des Niedersächsischen Gesamthochschulgesetzes vom 26. Oktober 1971 betreffend die Mitbestimmung verschiedener Gruppen an der Selbstverwaltung der niedersächsischen Hochschulen. 894 BVerfG, Urteil v. 29. Mai 1973, Hochschule, BVerfGE 35, 79 (115 f.). 895 Grundrechte als Werteordnung vgl. Teil 1 Kap. 1 § 3 A. 896 Zur Rolle der Forschungsfreiheit in der Abwägung vgl. unten Teil 1 Kap. 2 § 2 B. 891

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

Speziellen verdichten soll, lässt sich dogmatisch nicht nachvollziehen. Dies gilt umso mehr für ein subjektives, also vom Einzelnen auch einklagbares Leistungs- oder Teilhaberecht. Das Verfassungsgericht beschränkte sich im Ergebnis ausdrücklich auf die Feststellung, dass aus Art. 3 Abs. 1 GG, nicht aber aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, ein Teilhaberecht an einmal geschaffenen Ausbildungseinrichtungen erwachse. Diese Abstufung in den Rechtsfolgen verkennt Manegold, wenn er meint, die objektiv-rechtliche Gewährleistung der Forschungsfreiheit umgreife nicht nur das Einstehen für eine abstrakte Idee, und hieraus mit Verweis auf das Hochschulurteil ein subjektives Recht auf Aktenzugang bejaht.897 Auch das vom Bundesverfassungsgericht erwogene und von der Literatur auf die Stasi-Unterlagen-Problematik übertragene Monopolargument vermag diese Bedenken nicht zu zerstreuen. Danach soll das staatliche Monopol über die Stasi-Unterlagen ein Teilhaberecht des einzelnen Forschers an diesen begründen898, da anderenfalls staatsfreie Forschung in diesem Bereich schlechthin nicht mehr stattfinden könne. Staatliches Monopol und reale, d.h. natürliche, Freiheit aber schließen einander aus, so dass es hier von vorneherein nur um die Erweiterung realer Freiheit geht.899 Dies gilt umso mehr in Bezug auf die von staatlicher Stelle erstellten Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, bei denen es gerade nicht um die möglicherweise anders zu behandelnde Frage nach dem Rückerwerb natürlicher Freiheit geht. Für die Pflicht zur Freiheitserweiterung gibt es im Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG keinen Ansatz. Abgesehen davon ist sowohl die Voraussetzung des vermeintlichen staatlichen Forschungsmonopols als auch der Umfang der geforderten Zugangsberechtigung zu vage, um hieraus konkrete gesetzgeberische Pflichten, oder – wie in der zitierten Entscheidung – gar subjektive Zugangsrechte abzuleiten. Aus den abstrakten Erörterungen des Gerichts lässt sich gerade nicht konkret entnehmen, ab wann eine Forschungsverhinderung vorliegen soll.900 Reicht es aus, dass ein bestimmter Forschungsgegenstand, etwa eine bestimmte Stasi-Akte, nicht erforscht werden kann; muss ein gesamter Forschungssektor, etwa die Erforschung des Staatssicherheitsdienstes der DDR, in Not geraten; und wie weit wäre ein solcher Forschungssektor zu fassen (Diktatur-Forschung; DDR-Forschung; Erforschung der Staatssicherheit)?901 897

B. Manegold, Anm. 125, S. 68. St. König, Der Archivar 1985, 194 (198). 899 Etwas anderes mag für Universitäten gelten. Hierin sieht S.-Ch. Lenski, LKV 2004, 112 (115) den Grund, weshalb das Hochschul-Urteil in Bezug auf Archive gerade nicht anwendbar ist. 900 So auch zutreffend Th. Mayen, Anm. 796, S. 65. 901 Die Richter hatten in ihrer Entscheidung vor allem die Naturwissenschaften vor Augen, deren Erforschung unter Berücksichtigung des derzeitigen Entwicklungs898

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Ebenfalls unklar bleibt in diesem Zusammenhang, ob eine forschungsverhindernde Situation schon dann vorliegt, wenn ohne staatliche Zurverfügungstellung von Ressourcen die Erforschung erschwert wird; wenn die Erforschung also nicht objektiv, sondern nur subjektiv unmöglich ist.902 Gerade diese Unklarheiten haben daher auch in der Folgerechtsprechung zu Recht durchweg zu einer sehr zurückhaltenden Rezeption des Hochschul-Urteils und zur Verneinung eines verfassungsrechtlich begründeten Informationsanspruchs des Forschers geführt.903

B. Presse- und Forschungsfreiheit in der Abwägung Mit der Ablehnung eines originären subjektiven Rechts von Forschung und Presse auf Leistung von oder Teilhabe an staatlich verwahrten Informationen aus den Stasi-Unterlagen und der Verneinung eines Gesetzgebungsauftrages zur Einrichtung eines Zugangs aus Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 1 GG ist noch nicht gesagt, dass der grundgesetzlich garantierten Presse- und Forschungsfreiheit in der Abwägung mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach §§ 32, 34 StUG keinerlei Gewicht zukommt.904 Denn wie im ersten Kapitel herausgearbeitet, kommt es in der Abwägung nicht allein auf die normenhierarchische Verortung der sich gegenüberstehenden Rechtsgüter an. Von Bedeutung für die rechtsgutsbezogene Abwägung kann auch der enge Bezug zwischen einem einfach-gesetzlichen Rechtsgut und verfassungsrechtlichen Gewährleistungen sein.905 Die „engen Bezüge“ zur Presseund Forschungsfreiheit führen zu einer Verstärkung des einfach-gesetzlich geschützten Informationszugangsinteresses.906 Dies wird in Bezug auf den Informations- und Aktenzugang mit Ausnahme der Rechtssache Kohl907 auch durchweg in der Rechtsprechung anstandes nach ihrer Ansicht ohne die über die entsprechenden Mittel und Organisation verfügenden Universitäten nicht mehr betrieben werden kann, BVerfG, Urteil v. 29. Mai 1973, Hochschule, BVerfGE 35, 79 (115). 902 Th. Mayen, Anm. 796, S. 65. Indes ein nur untergeordnetes Problem ist die Frage nach dem Bestimmungsrecht, also wer im Einzelnen festlegt, wann ein solches Forschungshindernis besteht. Dazu B. Manegold, Anm. 125, S. 77 f. 903 VGH München, Urteil v. 13. Februar 1985, Zugang zum Stadtarchiv, NJW 1985, 1663; OVG Koblenz, Urteil v. 27. Oktober 1982, Bundesarchiv, NJW 1984, 1135; BVerwG, Beschluss v. 9. Oktober 1985, Akteneinsichtsrecht, BayVBl. 1986, 122. 904 E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 198, S. 136 f. 905 Teil 1 Kap. 1 § 3 A. III. 906 Dazu ausführlich Teil 1 Kap. 2 § 3 A. II., III. 907 VG Berlin, Urteil v. 17. September 2003, Kohl III, NJW 2004, 457 (459); BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, BVerwGE 121, 115 (134).

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

erkannt. So folgerte der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung betreffend den Zugang der Presse zu Informationen kommunaler Betriebe: „Die Vorschrift des § 4 NdsPresseG weist [. . .] enge Bezüge nicht nur zur Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, sondern auch zur Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und zu Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG auf. Hieran müssen sich die Auslegung des Art. 4 Abs. 1 NdsPresseG und insbesondere auch die Grundsätze zur Bestimmung des im konkreten Falle Auskunftsverpflichteten orientieren.“908

Auch das Bundesverfassungsgericht sah in Bezug auf die Frage nach der Reichweite des grundbuchrechtlichen Einsichtsanspruchs der Presse den Fehler der Vorinstanzen darin, dass die auch bei dem einfachgesetzlichem Akteneinsichtsanspruch nach § 12 GBO zu berücksichtigende Pflicht zur Gewichtung der Pressefreiheit nicht hinreichend beachtet wurde.909 Bereits zuvor hatte es diese Pflicht im Streit um das Recht auf Akteneinsicht eines Forschers in die Akten der Bundeszentrale für Politische Bildung bestätigt, indem es klarstellte, dass es zwar hierauf keinen verfassungsrechtlichen Anspruch gebe, dass aber bei Bescheidung das verfassungsrechtliche Gewicht der Wissenschaftsfreiheit zu beachten sei.910 Diese Berücksichtigungspflicht besteht freilich nur dort, wo auch tatsächlich ein Bezug zu den verfassungsrechtlich geschützten Aspekten der Kommunikationsordnung besteht. So erhält der Zugang zu einer Information, die schon nicht unter Art. 5 Abs. 1 S. 2, 3 GG fällt, auch keine verfassungsrechtliche Aufwertung. Die verfassungsrechtliche Aufwertung des Zugangsinteresses in der Abwägung wird nach Maßgabe der im ersten Kapitel herausgearbeiteten Abwägungsleitlinien aber umso höher, wenn es Bezüge zu Verfassungsgütern aufweist, die mit einer Ewigkeitsgarantie ausgestattet sind, oder zu so genannten Verfassungsgütern mit doppelter Zielrichtung.911 I. Informationsbezogene Abwägungskriterien Für die Feinstruktur des Abwägungsprozesses sind daher mögliche Differenzierungen in der Reichweite der Schutzwürdigkeit der Herausgabe und 908

BGHZ, Urteil v. 10. Februar 2005, Auskunftspflicht kommunaler Betriebe, NJW 2005, 1720. VerfGH Sachs, Urteil v. 14. Mai 1996, SächsPolG, Rn. 346 scheint, indem es in Bezug auf die Anonymisierung der herauszugebenden Informationen die Forschungsfreiheit nur unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten berücksichtigt, eine Abweichung zu sein. Hierzu vgl. aber bereits Anm. 178. 909 BVerfG, Beschluss v. 28. August 2000, Grundbucheinsicht, NJW 2001, 503 (504). 910 BVerfG, Beschluss v. 30. Januar 1986, Akteneinsichtsrecht, NJW 1986, 1243. 911 Teil 1 Kap. 1 § 3 A. II., V.

Kap. 2: Bestimmung des abwägungsrelevanten Materials

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Verwendung der Stasi-Unterlagen nach dem Inhalt der Information und nach deren Zustandekommen zu untersuchen. 1. Art und Weise der Informationserhebung Dabei stellt sich zunächst die Frage, inwieweit Forschung und Presse auch im Hinblick auf die Verwendung der Stasi-Unterlagen, die zu einem großen Teil rechtswidrig erhobene Informationen enthalten,912 die gebührende Berücksichtigung der Forschungs- und Pressefreiheit verlangen können. Mit anderen Worten: Ist die Verwendung von rechtswidrig erhobenen Informationen überhaupt verfassungsrechtlich geschützt? Immerhin handelt es sich aus der Perspektive des Betroffenen um eine Aktualisierung des Rechtsbruchs. Auch ist das von Lerche913 für ein absolutes Verwertungsverbot angeführte Argument, dass anderenfalls ein Anreiz für die rechtswidrige Beschaffung von Informationen geschaffen würde, nicht ganz von der Hand zu weisen. Dennoch kann man an Validität dieses Arguments für den hier diskutierten Fall, in dem es um die Herausgabe rechtswidrig durch den untergegangenen Staatssicherheitsdienst erhobener Informationen geht, anzweifeln.914 Der Beschluss des Innenausschusses915 und die Stellungnahmen im Bundestag916 unterstreichen unter Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass auch rechtswidrig erlangte Informationen grundsätzlich dem Schutzbereich des Art. 5 GG unterfallen. In der Tat betont das Bundesverfassungsgericht in einer Reihe von Entscheidungen, dass auch die Verbreitung rechtswidrig erhobener Informationen im Gegensatz zur rechtswidrigen Beschaffung vom Schutzbereich erfasst sei.917 Dies – so das Gericht – begründe sich damit, dass anderenfalls die Kontrollaufgabe der Presse, zu der es gehöre, auf Missstände von öffentlicher Bedeutung hinzuweisen, leiden würde. Gleiches gelte für die Freiheit des Informationsflusses.918 Ähnliches dürfte auch für die Forschung gelten, die mit der Su912

Dazu unten Teil 2 Kap. 2 § 2 A. P. Lerche, AfP 1976, 55 (60); ders. AfP 1975, 822 (827). 914 Etwas anderes mag für vagabundierende Unterlagen gelten. Dazu vgl. R. Bork, ZIP 1992, 90 (98). 915 Beschluss des Innenausschusses des Dt. BT, BT-Drs. 12/1540; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 334 (445). 916 Stellungnahme H.-J. Otto, Stenograph. Bericht der 31. Sitzung des Dt. BT v. 14. November 1991, S. 2358; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 375 (421). 917 BVerfG, Beschluss v. 25. Januar 1984, Redaktionsschutz, BVerfGE 66, 116 (137). Inzident bestätigt u. a. durch BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1999, Caroline v. Monaco III, BVerfGE 101, 361 (394). 913

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

che nach der Wahrheit ebenfalls eine dem Gemeinwohl dienende Aufgabe wahrnimmt, die durch Verwendungshindernisse unterminiert zu werden droht. Die Berufung auf die vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fälle bedarf gleichwohl der Reflektion. Die rechtswidrige Informationserhebung erfolgte im untersuchten Zusammenhang nämlich – anders als in den herangezogenen Entscheidungen – nicht durch die private Hand, sondern durch den Staat, wenn auch durch die Staatsgewalt der DDR.919 Ob, mangels Zurechnung der Informationserhebung des MfS zur Bundesrepublik Deutschland, tatsächlich die gleiche Konstellation wie bei der Verwendung von durch Privatpersonen rechtswidrig erhobenen Informationen vorliegt, ist bereits zweifelhaft. Entscheidend aber ist, dass in der hier zu besprechenden Konstellation der Staat in Gestalt der BStU zwischengeschaltet ist. Ohne seine Mitwirkung durch Herausgabe der Unterlagen wäre eine Verwendung der rechtswidrig erhobenen Informationen gar nicht möglich. Mit der Herausgabe der Unterlagen greift der Staat selbst aktiv in Grundrechte ein. In den angesprochenen Entscheidungen ging es dagegen „lediglich“ um die Informationserhebung und Verwendung durch nicht unmittelbar grundrechtsgebundene Private. Insofern besteht eine Parallele zu den strafprozessualen Beweisverwertungsverboten. Dort aber unterscheidet die Rechtssprechung und Literatur. Die Verwertung rechtswidriger, durch Private erhobener Informationen soll im Grundsatz zulässig sein, während bei der rechtswidrigen Informationserhebung durch den Staat das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt wird.920 Für die vorliegende Frage nach der Erfassung rechtwidrig erhobener Informationen vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG spielen diese Differenzierungen jedoch im Ergebnis keine Rolle. Die Problematik der rechtswidrigen Informationserhebung ist aus dogmatischer Sicht eine Frage der Grenzen der Presse- und Forschungsfreiheit, keine Frage des Schutzbereichs.921 Eine generelle Grundentscheidung gegen die Verwertbarkeit der Information gibt es nicht. Vielmehr kommt es auf die konkrete Abwägung 918

BVerfG, Beschluss v. 25. Januar 1984, Redaktionsschutz, BVerfGE 66, 116

(137). 919 Zur Frage der Zurechnung tatsächlichen Verhaltens der DDR zur Bundesrepublik Deutschland vgl. bereits Teil 1 Kap. 2 § 1 C. II. 1. b). 920 U. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 356 ff., 395 ff. Zur Verwertung von Stasi-Unterlagen im Strafprozess H. Klinghardt, NJ 1992, 185. 921 In sich widersprüchlich E. Benda/D. C.Umbach, Anm. 198, S. 107. Dem von ihnen in Bezug genommenen Beschluss v. 25. Januar 1984, Redaktionsschutz, BVerfGE 66, 116 (137 f.), lässt sich die pauschale Aussage, dass eine durch Täuschung über die eigene Identität erlangte Information nicht durch die Pressefreiheit geschützt ist, nicht entnehmen.

Kap. 2: Bestimmung des abwägungsrelevanten Materials

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zwischen den durch die Informationserhebung und Verwendung beeinträchtigten Rechtspositionen einerseits und der Freiheit der Berichterstattung bzw. der Freiheit der Forschung andererseits an.922 Dabei ist insbesondere dem Inhalt der Information, der Art und dem Umstand ihrer Erhebung Rechnung zu tragen.923 Allein aus der Perspektive der Pressefreiheit kann dagegen keine weitere Leitlinie für die Abwägung gewonnen werden. Entsprechend wird die Problematik der Verwertung rechtswidrig erhobener Informationen noch einmal im Kontext des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aufgegriffen.924 2. Wahrheitsgehalt der Information Gelegentlich wurde bereits die Zulässigkeit der Verwendung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes durch Medien und Forschung mit dem nicht unerheblichen Unwahrheitsgehalt der Unterlagen verneint.925 Zumindest stellte das Landgericht Dresden klar, Stasi-Unterlagen hätten nicht die Beweiskraft einer Urkunde.926 Der Listen-Fall, aber auch die Fälle Stolpe und Gröllmann, in denen die Betroffenen entgegen der Dokumentation in den Unterlagen ihre inoffizielle Mitarbeit bei der Staatssicherheit stets leugneten, belegen deutlich die Probleme, die sich im Zusammenhang mit dem Wahrheitsgehalt der Unterlagen stellen.927 Oftmals wurde deshalb bereits faktisch die Tauglichkeit der Unterlagen für die mediale und publizistische Aufarbeitung in Zweifel gezogen. Rechtlich wurde die Einbeziehung unwahrer Informationen in den materiellen Schutzbereich der Presse- und Forschungsfreiheit bestritten. Denn an der Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen könne überhaupt gar kein Informationsbedürfnis bestehen; sie könnten nicht Grundlage der schützenswerten Meinungsbildung in der Gesellschaft oder der nach Wahrheit strebenden Forschung sein.928 922 Zur Unterscheidung zwischen rechtsgutsbezogenen und regelungsbezogenen Abwägungskriterien vgl. Teil 1 Kap. 1 § 3 A., B. Hier sind letztere betroffen. 923 BVerfG, Beschluss v. 25. Januar 1984, Redaktionsschutz, BVerfGE 66, 116 (137 f.). 924 Vgl. dazu unten Teil 2 Kap. 2 § 2. 925 Die Aussagen darüber, wie hoch der Anteil unwahrer Informationen im Einzelnen ist, divergiert erheblich. 926 LG Dresden, Urteil v. 4. Februar 2010, Biedermann, 3 O 2987/09 EV. 927 Einleitung § 1 B. II. 1. a), b). 928 „Nur dann, wenn der Leser – im Rahmen des Möglichen – zutreffend unterrichtet wird, kann sich die öffentliche Meinung richtig bilden“, BVerfG, Beschluss v. 25. Januar 1961, Schmid-Spiegel, BVerfG 12, 113 (130). Dagegen G. Neben, Anm. 869, S. 122 ff.; der sich jedoch auf die individualrechtliche Komponente der Meinungsfreiheit stützt.

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

Die vielfältigen Fallgestaltungen, die insbesondere im Kontext der StasiUnterlagen unter dem Stichwort „Unwahrheit“ diskutiert werden, zwingen zunächst zu einer Klarstellung. Will man den Schutz der Pressefreiheit nicht in unnötiger Weise verengen, dann muss Wahrheit im Zusammenhang mit Art. 5 GG auch verlässlich feststellbar und objektiv erkennbar sein. Es kann sich dabei nicht etwa um einen konsensualen Wahrheitsbegriff oder gar subjektiven Wahrheitsbegriffs handeln.929 Was wahr und unwahr ist, muss letztlich an der Übereinstimmung der in der Information zum Ausdruck kommenden Erkenntnis mit der Wirklichkeit gemessen werden. Die Wirklichkeit muss dem Beweis zugänglich sein. Damit scheiden Werturteile aus.930 Die Gefahr der Herausgabe und Verwendung unwahrer Tatsachen dürfte im Zusammenhang mit den §§ 32, 34 StUG allerdings gering sein.931 Denn es lässt sich nicht erklären, welchen Nutzen die Staatssicherheit von der Dokumentation unwahrer Tatsachen gehabt haben sollte. Ihr Ziel war es Menschen zu kontrollieren. Dazu benötigten sie wahre Informationen. Eine generelle Vermutung für die Unwahrheit der in den Stasi-Unterlagen gesammelten Informationen gibt es nicht.932 Bereits die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen Tatsache und Werturteil einerseits und der Ermittlung der Wahrheit andererseits legen es nahe, dass der Ausschluss aus dem Schutzbereich der Presse und Forschungsfreiheit nur in den Fällen in Betracht kommt, in denen es sich um die wissentliche oder offensichtliche Verwendung von Falschinformationen handelt, ein Fall, der angesichts der schwierigen Nachvollziehbarkeit der Wahrheit im Falle der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes nur sehr selten vorliegen wird. Hier kann nämlich oftmals erst die Publizität der Information zur Klärung der Wahrheit beitragen.933 929

Zum Wahrheitsbegriff umfassend K. Gloy, Wahrheitstheorien. Eine Einfüh-

rung. 930 So auch A. Loock, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht der öffentlichen Person in den Medien, S. 57. Den dort zitierten Entscheidungen, BVerfG, Beschluss v. 13. April 1994, Ausschwitzlüge, BVerfGE 90, 241 (248) und BVerfG, Beschluss v. 14. März 1972, Strafgefangenenbrief, BVerfGE 33, 1 (14), lässt sich diese Aussage hingegen nicht entnehmen. Umfassend hierzu m. w. N. E. H. Burkhardt, in: Wenzel, Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 4 Rn. 41 ff. 931 Etwas anderes mag in Bezug auf die sonstige Berichterstattung über vermeintliche IMs und Spitzel gelten. 932 Relativierend aber BGHSt, Beschluss v. 5. Mai 1992, Stasiinformationen, NJW 1992, 1975 (1976): Stasiinformationen mögen einen hinreichenden Tatverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO begründen; können aber keinen einem Haftbefehl genügenden dringenden Tatverdacht begründen. 933 Zur Wahrheitsfindung durch Publizität: BVerfG, Beschluss v. 25. Januar 1961, Schmid-Spiegel, BVerfGE 12, 113 (130); BVerfG, Beschluss v. 3. Juni 1980, Böll, BVerfGE 54, 208 (219); BVerfG, Beschluss v. 22. Juni 1982, CSU, BVerfGE 61, 1 (8); BVerfG, Beschluss v. 11. Januar 1994, GJS, BVerfGE 90, 1 (15); BVerfG, Be-

Kap. 2: Bestimmung des abwägungsrelevanten Materials

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Betrifft die Berichterstattung und Forschung jedoch die Existenz und das Zustandekommen der Information, dann handelt es sich – ganz gleich, ob der Inhalt der Information wahr oder unwahr ist – nicht mehr um eine unwahre, sondern um eine wahre und damit schutzbedürftige Information im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 1, 2; Abs. 3 GG.934 So geht es in Bezug auf die §§ 32, 34 StUG vor allem darum, ein realistisches Bild über das Zustandekommen der Unterlagen und damit um die Funktionsweise des Staatssicherheitsdienstes und der Herrschaftsmechanismen der DDR zu gewinnen. Insofern ist auch die Lüge ein Teil der Wahrheit, denn das Aufstellen von Feindbildern durch Unwahrheiten war gerade eine tragende Strategie der Staatssicherheit.935 Insofern vermag der Einwand Häberles, „es grenzt an Zynismus, daß im deutschen Rechtsstaat ausgerechnet die Stasi-Akten zur Quelle der Wahrheitsfindung werden“,936 nicht zu überzeugen. Auch lässt sich in dieser Konstellation die These des Oberlandesgerichts Frankfurt a. M., dass „eine erwiesenermaßen unwahre Information ohne weiteres hinter schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person zurücktreten wird“937, nicht halten. In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob die vom MfS zusammengestellten Unterlagen der Wahrheit entsprechen. Die Aufklärung der Tätigkeit des MfS muss sich auch auf inhaltlich unzutreffende Unterlagen beziehen können. Nur so lässt sich ein realistisches Bild von der Arbeit des Staatssicherheitsdienstes vermitteln.938 Eine solche bereichsspezifische Legitimation, auch bereits bekannte Unwahrheiten in den Schutzbereich der Presse- und Forschungsfreiheit einzubeziehen, muss jedoch selbstverständlich durch persönlichkeitsrechtliche Schutzmaßnahmen, etwa eine Hinweispflicht auf die Herkunft der Information gebunden, flankiert werden. Die bereichsspezifische Legitimation entfällt, sobald die an sich unwahre Information losgelöst von ihrem ursprünglichen Verwendungszusammenhang verwandt wird; mithin die unwahre Information an sich als wahr verkauft wird. Hiervon zu unterscheiden ist die Verwendung der Stasi-Informationen zur Klärung von spezifischen Sachverhalten, Ermittlung von Opfern, Tätern. Hier kommt es gerade auf den Wahrheitsgehalt des Informationsinhalts an. schluss v. 13. April 1994, Ausschwitzlüge, BVerfGE 90, 241 (254); BVerfG, Beschluss v. 10. November 1998, Scientology, BVerfGE 99, 185 (197). 934 Auch die Tatsachenbehauptung wird als Grundlage der Meinungsbildung vom Schutzbereich des Art. 5 GG erfasst, vgl. H. Bethge, in: Sachs, GG-Kommentar, Art. 5 Rn. 27. 935 Ausführlich dazu A. Engel, Anm. 13, S. 67 ff. 936 P. Häberle, Anm. 522, S. 133 (142). 937 OLG Frankfurt a. M., Urteil v. 18. Januar 1996, Monika Haas I, AfP 1996, 177 (178). 938 VG Berlin, Urteil v. 17. September 2003, Kohl III, NJW 2004, 457.

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

Bloße Zweifel am Wahrheitsgehalt der Information führen dabei nicht grundsätzlich zu einem Außerachtlassen der Presse- oder Forschungsfreiheit.939 Sie wirken sich jedoch in der regelungsbezogenen Abwägung zu Gunsten des Persönlichkeitsschutzes aus.940 II. Verwendungsbezogene Abwägungskriterien Ferner sind für die Feinstruktur des Abwägungsprozesses Differenzierungen in der Reichweite der Schutzwürdigkeit nach dem Verwendungszweck und der Person des Verwenders der Stasi-Unterlagen zu untersuchen. 1. Verwendungszweck Das Bundesverfassungsgericht gründet die objektiv-rechtliche Dimension der Pressefreiheit stets auf ihre spezifische, für die Demokratie unentbehrliche Rolle des Informationsmittlers, die sie zu einem „Wesenselement des freiheitlichen Staates“941 mache: „In der repräsentativen Demokratie steht die Presse zugleich als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung. Sie faßt die in der Gesellschaft und ihren Gruppen unaufhörlich sich neu bildenden Meinungen und Forderungen kritisch zusammen, stellt sie zur Erörterung und trägt sie an die politisch handelnden Staatsorgane heran, die auf diese Weise ihre Entscheidungen auch in Einzelfragen der Tagespolitik ständig am Maßstab der im Volk tatsächlich vertretenen Auffassungen messen können.“942 939 „Außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 GG liegen aber nur bewußt unwahre Tatsachenbehauptungen und solche, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht. Alle übrigen Tatsachenbehauptungen mit Meinungsbezug genießen den Grundrechtsschutz, auch wenn sie sich später als unwahr herausstellen [. . .]. Der Wahrheitsgehalt fällt dann aber bei der Abwägung ins Gewicht [. . .]. Grundsätzlich tritt die Meinungsfreiheit bei unwahren Tatsachenbehauptungen hinter das Persönlichkeitsrecht zurück. Dabei muß aber bedacht werden, daß die Wahrheit im Zeitpunkt der Äußerung oft ungewiß ist und sich erst als Ergebnis eines Diskussionsprozesses oder auch einer gerichtlichen Klärung herausstellt [. . .]. Würde angesichts dieses Umstands die nachträglich als unwahr erkannte Äußerung immer mit Sanktionen belegt werden dürfen, so stünde zu befürchten, daß der Kommunikationsprozeß litte, weil risikofrei nur noch unumstößliche Wahrheiten geäußert werden könnten. Damit wäre ein vom Grundrechtsgebrauch abschreckender Effekt verbunden, der aus Gründen der Meinungsfreiheit vermieden werden muß [. . .].“, BVerfG, Beschluss v. 10. November 1998, Helnwein, NJW 1999, 1322. 940 Zu den Konsequenzen in Bezug auf die Herausgabe und Veröffentlichung von Stasi-Unterlagen vgl. Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 5. 941 BVerfG, Urteil v. 5. August 1966, Spiegel, BVerfGE 20, 162 (175). 942 BVerfG, Urteil v. 5. August 1966, Spiegel, BVerfGE 20, 162 (175).

Kap. 2: Bestimmung des abwägungsrelevanten Materials

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Presse – so die Folgerung des Gerichts auch in der weiteren Rechtsprechung – sei für die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung, für Kritik und Kontrolle der öffentlichen Gewalt und für die Wahlentscheidung als demokratischen Grundakt des Volkes unerlässlich.943 Dementsprechend ist auch das Informationsinteresse an Personen des politischen Lebens unter dem Gesichtspunkt demokratischer Transparenz und Kontrolle stets als legitim angesehen worden.944 Diese enge Inbezugnahme des Demokratieprinzips legt es zunächst nahe, nicht alles, was unter Pressetätigkeit und Berichterstattung im Einzelnen fällt, unter dem Schlagwort der institutionellen Garantie der Presse abzuhandeln, sondern eben nur die Art von Berichterstattung, die auch tatsächlich dem aktuellen politischen Meinungsbildungsprozess dient. Das heißt aber nicht, dass die Unterhaltungspresse schlichtweg von dem Anwendungsbereich der Pressefreiheit ausgenommen ist. Vielmehr haben sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zunächst bestätigt, dass auch die Unterhaltungspresse grundsätzlich durch die Pressefreiheit geschützt wird.945 Beide Gerichte haben auch anerkannt, dass die Pressefreiheit in der Abwägung umso schwerer wiegt, je mehr die Berichterstattung ein Beitrag zur politischen Meinungsbildung darstellt. Dem ist zuzustimmen. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG schützt genauso wie Art. 10 EMRK zunächst die menschliche Kommunikation insgesamt, unabhängig davon, ob es sich um die politische Kommunikation oder eine Kommunikation sonstigen Inhalts handelt.946 Dies ergibt sich für Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG aus der Zusammenschau der in Art. 5 Abs. 1 GG aufgeführten Rechte. Aus ihr ergeben sich keinerlei Beschränkungen auf eine politisch 943

BVerfG, Urteil v. 5. Juni 1973, Lebach, BVerfGE 35, 303 (222 f.); BVerfG, Beschluss v. 8. Februar 1983, Gegendarstellung, BVerfGE 63, 131 (142 f.); BVerfG, Beschluss v. 14. Juli 1994, Honecker V, BVerfGE 91, 125 (134). 944 BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1999, Caroline v. Monaco III, BVerfGE 101, 361 (391). 945 BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1999, Caroline v. Monaco III, BVerfGE 101, 361 (389); bestätigt durch BVerfG, Beschluss v. 21. August 2006, Promipartner, NJW 2006, 3406; EGMR, Urteil v. 24. Juni 2004, Caroline v. Monaco III, EuGRZ 2004, 404 (413 Rn. 66). Siehe nunmehr auch BGH, Urteil v. 3. Juli 2007, Oliver Kahn, NJW 2008, 749 ff. 946 Der pauschale Schluss v. Schwanitz, Stenograph. Bericht der 31. Sitzung des Dt. BT v. 14. November 1991, S. 2358; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 375 (380), der legitime Anspruch der Presse, vierte Gewalt im Staat zu sein, quasi als demokratischer Ausgleich für das Versagen der anderen Gewalten, ende dort, wo die Wahrnehmung subjektiver Interessen das Handeln der Medien bestimmt, ist hingegen zu pauschal. Vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 18. März 2008, Caroline von Monaco III, Pressemitteilung Nr. 35/2008.

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

für das Staatswesen relevante Kommunikation. Im Mittelpunkt steht vordergründig der einzelne Mensch als kommunikatives Wesen und nicht die Erhaltung des demokratischen Staatswesens. Anderenfalls wären die darin niedergelegten Garantien nicht im Grundrechtsteil mit der Menschenwürdegarantie an der Spitze, sondern – wie etwa das politische Teilhaberecht des Art. 20 Abs. 2 GG – im zweiten Teil des Grundgesetzes über die Grundsätze des Staatswesens zu verorten gewesen. Dass das Grundgesetz eine Trennung zwischen Partizipationsberechtigungen im Staatswesen und der freien Entfaltung getroffen hat, kommt deutlich im Verhältnis zwischen Art. 21 GG und Art. 9 GG zum Ausdruck. Darüber hinaus – und das ist die zweite, die politisch relevante Dimension der Pressefreiheit – erbringt sie die eingangs beschriebene, in einer Demokratie unabkömmliche Mittlerfunktion zwischen Staat und Staatsvolk (Funktionsgrundrecht oder Grundrecht um zu . . .)947. Damit rückt die Pressefreiheit in die Nähe des Art. 20 Abs. 2 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG. Sie erhält durch die Normen im Bereich der politischen Kommunikation eine deutliche Verstärkung, die sich dann – wie im ersten Kapitel herausgestellt948 – auch in der abstrakten Gewichtung im Rahmen der Abwägung in einer deutlichen Aufwertung niederschlägt. In diesem Sinne hebt dann auch das Bundesverfassungsgericht in der besagten Entscheidung hervor, dass die Pressefreiheit nicht auf den politischen Bereich beschränkt sei, dass ihr aber dort im Interesse einer funktionierenden Demokratie besondere Bedeutung zukomme.949 Damit folgte das Gericht seiner bereits im Soraya-Urteil950 angedeuteten und im Redaktionsschutz-Beschluss951 bestätigten Rechtsprechung. 947

Dazu bereits oben Teil 1 Kap. 1 § 3 A. V. Oben Teil 1 Kap. 1 § 3 A. II., V. 949 BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1999, Caroline v. Monaco III, BVerfGE 101, 361 (389). Der darauf folgende, zunächst widersprüchlich erscheinende Satz des Gerichts, wonach es sich verbiete, das Grundrecht der Pressefreiheit unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Entfaltung oder der demokratischen Herrschaft in relevante und irrelevante Zonen aufzuspalten, bezieht sich allein auf den Schutzbereich der Pressefreiheit, nicht auf den Abwägungsprozess. 950 BVerfG, Urteil v. 14. Dezember 1973, Soraya, BVerfGE 34, 269 (283); aufgenommen durch: KG Berlin, Beschluss v. 19. Juni 2001, Grundbucheinsicht, NJW 2002, 223, das zusätzlich auf das Parallelproblem der Auslegung des Begriffs der „berechtigten Interessen“ im Rahmen des § 193 StGB hinweist, in Bezug auf den sich die Literatur deutlich für eine geringere Gewichtung bloßer Unterhaltungsbelange ausgesprochen hat. 951 BVerfG, Beschluss v. 25. Januar 1984, Redaktionsschutz, BVerfGE 66, 116 (139), wonach dem Grundrecht der Pressefreiheit ein umso höheres Gewicht zukommt, je mehr es sich nicht um eine unmittelbar gegen ein privates Rechtsgut gerichtete Berichterstattung, sondern um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf handelt. 948

Kap. 2: Bestimmung des abwägungsrelevanten Materials

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Der häufig zu hörende Einwand, die Unterhaltungspresse müsse genauso umfassend geschützt werden wie die politische Presse, da letztere ohne erstere nicht bestehen, die Presse mithin ihren Auftrag nicht erfüllen könne, greift dagegen nicht durch. Dass politische Presse ein Verlustgeschäft ist, das nur mit Hilfe der finanziell rentablen Unterhaltungspresse kompensiert werden kann, wertet diese nicht auf. Es handelt sich bei ihr gerade – wie belegt952 – nicht um einen notwendigen Annex zum Schutz von politisch meinungsbildender Berichterstattung, da die „öffentliche Aufgabe“953, die der Presse zuteil wird, selbst gerade keine verfassungsrechtlich verpflichtende Aufgabenzuweisung954 ist, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe955, deren Erfüllung lediglich verfassungsrechtlich geschützt ist.956 Das öffentliche Interesse an politischer Berichterstattung als Ausgangspunkt wird als Teil der demokratischen Kultur dabei vorausgesetzt.957 Insofern fehlt es an einem „synallagmatischen Verhältnis“ zwischen verfassungsrechtlicher Verpflichtung, hier: politische Berichterstattung, und verfassungsrechtlicher Gegenleistung, hier: Aufwertung der Unterhaltungspresse oder zugespitzter ausgedrückt: verfassungsrechtlicher Privilegierung des Enthüllungsjournalismus im privaten Bereich. In Bezug auf die Stasi-Unterlagen kann die Differenzierung nach dem Zweck der Informationsverwendung bei der Gewichtung auch dazu führen, dass der Zugang zu und die Veröffentlichung von ein und derselben StasiInformation je nach der intendierten Berichterstattung unterschiedlich zu bewerten ist. Dabei sind zwei Fragen auseinanderzuhalten: die Frage, welcher Zweck verfolgt wird, und die Frage, welchen Beitrag das konkrete Projekt (Forschungsarbeit/Berichterstattung) zur Erreichung dieses Zweckes leisten kann.958

952

Teil 1 Kap. 2 § 2 A. I. 3. b). Insofern erklärt sich auch, weshalb das Bundesverfassungsgericht noch im Spiegel-Urteil den Hinweis auf die öffentliche Aufgabe zunächst in Anführungsstriche setzte, siehe BVerfG, Urteil v. 5. August 1966, Spiegel, BVerfGE 20, 162 (175). 954 Einhellige Meinung, vg. Ch. Degenhardt, in: Bo-Ko, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 354. 955 Ebenso m. w. N. K. Stern, Am. 854, S. 1561. P. Bullinger, in: M. Löffler (Hrsg.), Presserecht, § 3 Rn. 20 gehen davon aus, dass eine Pflicht zur Erfüllung dieses zuvor angenommenen Verfassungsauftrags nicht besteht. 956 Vgl. nur exemplarisch BVerfG, Urteil v. 5. August 1966, Spiegel, BVerfGE 20, 162 (175); BVerfG, Beschluss v. 25. Januar 1984, Redaktionsschutz, BVerfGE 66, 116 (139). 957 Dazu vgl. schon Ausführungen zu Teil 1 Kap. 2 § 1 C. V. 2. 958 Teil 2 Kap. 2 § 1 A.; Teil 2 Kap. 2 § 1 B. II. 953

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

a) Wert des verfolgten Zwecks Das eigentliche Problem dieser feinen abstrakten Differenzierungen in der Gewichtung der Pressefreiheit zu Gunsten von Informationen, die der politischen Meinungsbildung dienen, liegt in der praktischen Umsetzbarkeit: Wann genau stellt eine Information einen Beitrag zur politischen Meinungsbildung dar, und wer hat gegebenenfalls die Prüfungskompetenz, der Pressevertreter oder der Staat? Dieses Abgrenzungsproblem ist nicht unauflösbar. Das Problem lässt sich zumindest relativ entschärfen, indem man anders als im besagten CarolineUrteil nicht auf den Beitrag zur Meinungsbildung, sondern auf den Beitrag zum politischen Diskurs abstellt. Denn zur Meinungsbildung kann natürlich – wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend feststellt – auch die Unterhaltungs- und die Sensationspresse beitragen, indem sie Realitätsbilder vermittelt und Gesprächsgegenstände zur Verfügung stellt, an die sich Diskussionsprozesse und Integrationsvorgänge anschließen können, die sich auf Lebenseinstellungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster beziehen.959 Diese Diskussionsprozesse, die etwa von der Abbildung der am Pool stolpernden Caroline von Hannover zweifellos ausgehen können, tragen evident in keinerlei Weise zur Gestaltung des öffentlichen Lebens durch den Staat bei. Sie mögen einen gesellschaftlichen Wert haben. Einen politischen, die Gestaltung des Gemeinwesens tangierenden Wert besitzen sie dagegen nicht. Ihnen die durch Art. 20 Abs. 2 GG vermittelte Aufwertung angedeihen zu lassen, liefe auf eine Entwertung dieser Verfassungsfundamentalnorm hinaus. Freilich ist nicht jede Information so eindeutig aus dem Kreis der für das staatliche Gemeinwesen relevanten Informationen herauszusezieren. So stellt sich auch hier wieder ein Abgrenzungsproblem, namentlich die Frage, welche Informationen nun genau für die Gestaltung des öffentlichen Lebens durch den Staat von Belang sind. Auch hier wird man – wie schon oben bei der Frage nach der Feststellung der offenlegungspflichtigen Angaben bei Abgeordneten960 – die Abgrenzung am Maßstab dessen, was in der momentanen gesellschaftlichen Wahrnehmung als für die Gestaltung des staatlichen Gemeinwesens diskussionswürdig erscheint, vornehmen müssen. Der Maßstab ist auch hier ein flexibler. Er muss sehr weit gefasst sein. Anderenfalls würden nämlich Diskussionen, die gerade erst in Gang gesetzt werden, erst einen Anstoß zur Debatte um das staatliche Gemeinwesen geben sollen und insofern besonders bedeutend sein können, ausgespart. 959

BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1999, Caroline v. Monaco III, BVerfGE 101, 361 (390); BVerfG, Kurzberichterstattung, Urteil v. 17. Februar 1998, BVerfGE 97, 228 (257). 960 Teil 1 Kap. 2 § 1 C. V. 1. a).

Kap. 2: Bestimmung des abwägungsrelevanten Materials

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Was den Fall der vom Bundesverfassungsgericht angesprochenen Mischinformationen anbelangt, in denen Unterhaltung und politische Information ineinander übergehen („Infotainment“)961, wird man zunächst prüfen müssen, ob es sich um einen erheblichen Anteil an politisch relevanten Informationen handelt. Sollte dies zu bejahen sein, wird man dieser Information auch in der Abwägung den erhöhten Schutz des Funktionsgrundrechts zugute kommen lassen müssen. In Grenzfällen wird man mit einer Zweifelsregelung zu Gunsten der politischen Relevanz arbeiten können. Diese Lösung mag zunächst unbefriedigend erscheinen, flüchtet man sich doch auch hier von einer unbestimmten Beschreibung in die nächste. Diesen Befund gilt aber für fast jede nicht mit Waage oder Maßband abgrenzbare Kategorie, derer sich die Rechtswissenschaft für die Handhabung einer Vielzahl von Einzelfällen bedient.962 Es kann bei der Erfassung solcher Kategorien immer nur um ein „Mehr“ an Bestimmtheit bei bleibender Unbestimmtheit gehen. Fraglich ist, ob die Medien mittels der hier in Rede stehenden Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes überhaupt einen Beitrag zur politischen Meinungsbildung liefern können. Während der SPD-Abgeordnete Schmieder963 im Gesetzgebungsverfahren die Auffassung vertrat, dass sich gerade mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz für die Medien vielfältige Möglichkeiten ihren verfassungsrechtlich gesicherten Auftrag zu erfüllen eröffnen, kann die Berichterstattung über den Inhalt der Stasi-Unterlagen nach Benda/Umbach964 gerade nicht in der Kontrollfunktion der Presse ihre Grundlage finden. Die Unterlagen handelten nicht von der Staatstätigkeit der Bundesrepublik, sondern von der „bestimmter Stellen der DDR“. Folglich seien sie ungeeignet die Rechenschaftspflicht des Staates gegenüber der Öffentlichkeit durchzusetzen. Wie das Bundesverfassungsgericht in seiner ständigen Rechtsprechung immer wieder deutlich machte, ist der so genannte „öffentliche Auftrag“ der Presse nicht auf eine Überprüfung der Staatstätigkeit begrenzt.965 Vielmehr handelt es sich um eine Mittlerfunktion, bei der die Öffentlichkeit durch die Medien auch Themen des öffentlichen Interesses politisieren und umgekehrt der Staat die Öffentlichkeit über die Staatstätigkeit informieren kann. Dies kann sich durchaus auf die Aufklärung der diktatorischen Ver961 BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1999, Caroline v. Monaco III, BVerfGE 101, 361 (390). 962 Siehe insbesondere auch die Abgrenzungsprobleme im Bereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts Teil 1 Kap. 2 § 3 C. 963 Stenograph. Bericht der 31. Sitzung des Dt. BT v. 14. November 1991, S. 2358; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 375 (382). 964 E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 1, S. 133. 965 BVerfG, Urteil v. 5. August 1966, Spiegel, BVerfGE 20, 162 (175).

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

gangenheit, die Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen erstrecken. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist – wie gezeigt966 – für das Staatswesen als Instrument des Verfassungsschutzes fundamental. Bereits insoweit können Stasi-Unterlagen und die Berichterstattung hierüber einen Beitrag zur politischen Meinungsbildung erbringen. Auch trägt die Aufarbeitung der Vergangenheit durch die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, wie u. a. die Fälle Stolpe, Gysi zeigen, auch zur Kontrolle der Staatsgewalt bei. Damit ist die Offenlegung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zumindest im Grundsatz auch geeignet einen Beitrag zur politischen Meinungsbildung zu leisten. Die eigentliche Schwierigkeit liegt darin abzugrenzen, ob und inwieweit die Herausgabe und Veröffentlichung der in den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes befindlichen Informationen im konkreten Einzelfall einen Beitrag zur Meinungsbildung leistet und wer das Bestimmungsrecht darüber haben soll.967 Dies ist aber keine Frage der hier besprochenen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die abstrakt-generelle Regelung, sondern eine Frage der Anwendung derselben im konkreten Einzelfall, die im dritten Teil dieser Arbeit besprochen wird.968 b) Beitrag des konkreten Projekts zum erstrebten Zweck Von dem soeben besprochenen Einfluss der allgemeinen Zielsetzung auf die Abwägung zu unterscheiden ist die Bedeutung des konkreten Projekts für das Erreichen dieser allgemeinen Zielsetzung. So hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner letzten Entscheidung im Fall Kohl eine Differenzierung des Zugangs zu den Unterlagen für besonders bedeutende und weniger bedeutende Forschungsvorhaben angedeutet.969 Zwar schützen die Art. 5 Abs. 1 S. 2 und 3 GG die Forschungs- und Medienvorhaben grundsätzlich unabhängig von deren Bedeutung. Gleichwohl spricht dies nicht gegen eine Differenzierung. Sie ist sogar notwendig, da anderenfalls ein angemessener Grundrechtsausgleich aufgrund der nur wenigen und sehr vagen Abwägungskriterien nicht möglich ist.970 Das Problem hierbei ist in erster Linie verfahrensrechtlicher Natur. Wer legt wann und wie fest, welches Vorhaben bedeutend oder weniger bedeutend für die Erreichung des selbst gesetzten Zieles ist? Bei Forschungsvorhaben kann man oftmals den Wert eines Beitrages nur schwer evaluieren. Als Beispiel mag das von der Stiftung zur 966 967 968 969 970

Teil 1 Kap. 2 § 1 C. Teil 1 Kap. 2 § 2 C. Teil 3 § 3 B. II. 3. BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, BVerwGE 121, 115 (132). Vgl. Teil 1 Kap. 1.

Kap. 2: Bestimmung des abwägungsrelevanten Materials

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Aufarbeitung der SED-Diktatur geförderte Dissertationsvorhaben: „Alkohol und Alkoholrausch in der DDR“ dienen. Es mag auf den ersten Blick gesundheitshistorisch und politisch interessant und von Wert, für die Aufarbeitung der DDR-Diktatur aber ohne Belang zu sein. Das Blatt wendet sich aber grundlegend, wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass der Alkoholgenuss von staatlicher Seite gefördert wurde; dass die vielen gesellschaftlichen Veranstaltungen zum Zwecke des Alkoholgenusses arrangiert und der Preis für Alkohol bewusst gering gehalten wurde, um von den Sorgen und Nöten der DDR-Bürger nach dem Prinzip „Brot & Spiele“ abzulenken. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich letztere These bestätigt, ist äußerst schwer einschätzbar. Wie bemisst man in dieser Situation den Wert des Vorhabens? Hier wird man zu Gunsten der Pressefreiheit auch nur die potentielle Möglichkeit, dass sich die aufgestellte These – Alkohol als Instrument der Diktatur – bestätigt, ausreichen lassen müssen.971 2. Verwender „Der Begriff ‚Presse‘ ist weit und formal auszulegen; er kann nicht von einer – an welchen Maßstäben auch immer ausgerichteten – Bewertung des einzelnen Druckerzeugnisses abhängig gemacht werden. Die Pressefreiheit ist nicht auf die ‚seriöse‘ Presse beschränkt“972 – insoweit besteht in der herrschenden Literatur und Rechtsprechung zu Recht Einigkeit973. Das Kriterium der Seriosität ist zu vage, um nicht zum Ausschluss missliebiger Presse einzuladen und damit das Schutzziel der Pressefreiheit, eine Debatte frei von staatlicher Intervention zu gewährleisten, zu unterwandern.974 971 Zu dem strukturell ähnlich gelagerten Problem der Überprüfung der Einhaltung der Zweckbindung vgl. Teil 1 Kap. 2 § 2 C. 972 BVerfG, Urteil v. 14. Dezember 1973, Soraya, BVerfGE 34, 269 (283). 973 So auch W. Heintschel von Heinegg, AfP Sonderheft 2007, 40 ff. Siehe BVerfG, Urteil v. 14. Dezember 1973, Soraya, BVerfGE 34, 269 (283); BVerfG, Beschluss v. 6. Februar 1979, Gerichtspresse, BVerfGE 50, 234 (240); BVerfG, Beschluss v. 25. Januar 1984, Redaktionsschutz, BVerfGE 66, 116 (133): „Die so umschriebene Pressefreiheit ist für alle Presseöffentlichkeit gewährt“; BVerfG, 11. März 1969, Geib/Stern, BVerfGE 25, 296 (307); BVerfG, Beschluss v. 6. Juni 2006, Charlotte Casiraghi und Ernst August von Hannover, www.bverfg.de, Rn. 16; BVerfG, Beschluss v. 21. August 2006, Promipartner, NJW 2006, 3406. Vgl. auch für Art. 19 IPBPR Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, Report of the Special Rapporteur on the protection and promotion of the right to freedom of opinion and expression, Mr. Abid Hussain, E/CN.4/1999/64, Rn. 13: „He also wishes to mention in this context the ruling of the Hungarian constitutional court to the effect that freedom of expression protects all opinions, regardless of their value.“ 974 „Jede Unterscheidung dieser Art liefe am Ende auf eine Bewertung und Lenkung durch staatliche Stellen hinaus, die dem Wesen dieses Grundrechts gerade wi-

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

Dennoch stellt sich die Frage, ob nicht im Rahmen der Abwägung Differenzierungen zwischen einzelnen Verwendern vorgenommen werden können oder sogar müssen. So räumt ungeachtet des weiten Schutzbereiches der Pressefreiheit auch das Bundesverfassungsgericht ein, das grundsätzliche Diskriminierungsverbot bedeute nicht, dass es bei der Beurteilung eines konkreten Falles nicht auf dessen Besonderheiten ankommen könne, welche wiederum eine Differenzierung erlaubten.975 Diese Differenzierungen sind jedoch nicht abstrakt im Rahmen der Pressefreiheit, sondern im Einzelfall in Abwägung mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht vorzunehmen. Hier kann sich die Seriosität des Berichterstatters, sofern es konkrete Anhaltspunkte für einen Missbrauch seiner durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG privilegierten Stellung gibt, als Kriterium in den Abwägungsprozess eingehen, im Extremfall zur Herausgabeverweigerung – wenn etwa wiederholte Verstöße gegen das Stasi-Unterlagen-Gesetz oder Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in einem zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang zu besorgen sind – oder zu speziellen verfahrensmäßigen Vorkehrungen führen. Eine pauschale Differenzierung zwischen Journalisten, die für bestimmte Druckerzeugnisse schreiben, etwa zwischen FAZ und Bild-Zeitung, muss dagegen unterbleiben. Dasselbe gilt sinngemäß für die Forschung. Jedoch wird man – wie das Landgericht Dresden976 zutreffend feststellt – im Hinblick auf die Eingriffsintensität Differenzierungen nach der Reichweite des Adressatenkreis einer Publikation treffen können.

C. Überprüfungskompetenz Auch das Problem der Überprüfungskompetenz ist aus anderen Bereichen, in denen zweckgebundene Informationsansprüche bestehen, bekannt: Wer darf die beabsichtigte Verwendung der Information am Maßstab des im Gesetz vorgesehenen Verwendungszwecks überprüfen? Die Antwort hierauf scheint zunächst klar zu sein. Räumt der Gesetzgeber – wie im Falle der §§ 32, 34 StUG – Forschung und Medien einen zweckgebundenen Informationszugangs- und Verwendungsanspruch ein, der nicht schon von Verfassungs wegen begründet ist, dann liegt es auch in der Hand des Gesetzgebers, dersprechen würde“, BVerfG, Urteil v. 14. Dezember 1973, Soraya, BVerfGE 34, 269 (283). 975 BVerfG, Urteil v. 14. Dezember 1973, Soraya, BVerfGE 34, 269 (283); BVerfG, Beschluss v. 25. Januar 1984, Redaktionsschutz, BVerfGE 66, 116 (133). 976 LG Dresden, Urteil v. 4. Februar 2010, Biedermann, 3 O 2987/09 EV. Das Gericht stellte im Hinblick auf den aus der Offenlegung der Informatentätigkeit für den Staatssicherheitsdienst resultierenden Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht u. a. darauf ab, dass die Publikation, eine Dissertation, nur von einem fachspezifisch vorgebildeten Adressatenkreis zur Kenntnis genommen würde.

Kap. 2: Bestimmung des abwägungsrelevanten Materials

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die Überprüfung zu regulieren und ggf. von staatlicher Seite vornehmen zu lassen. Diese Auffassung verkenne jedoch, dass die Einräumung eines Informationszugangsanspruchs und einer Verwendungsbefugnis eine einfachgesetzliche Ausgestaltung der Presse- und Forschungsfreiheit und somit gewissermaßen eine Erweiterung ihrer verfassungsrechtlichen Freiheit darstellt. Daher ist auch bei einer einfach-gesetzlichen Ausgestaltung der Presse- und Forschungsfreiheit ihre Funktion als unabhängige gesellschaftliche Instanz zu berücksichtigen.977 Dementsprechend kann auch die Einräumung einer einfach-gesetzlichen Zugangs- und Verwendungsbefugnis nicht dazu führen, dass der Fluss der so zugänglich gemachten Informationen kontrolliert wird; mit anderen Worten der Meinungsfluss gelenkt oder gar Wissenschaftsrichtertum betrieben wird.978 Dabei ist die Frage der Intensität der Überprüfung des Verwendungszwecks nicht allein aus der Presse- und Forschungsfreiheit zu beantworten, sondern muss von den kollidierenden Rechtsgütern, hier dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht, her bestimmt werden. So wird die BStU es zwar grundsätzlich der Presse überlassen müssen, nach publizistischen Kriterien zu entscheiden, was sie des öffentlichen Interesses oder genauer der Aufarbeitung für wert hält und was nicht.979 Gleiches gilt für die Forschung in Bezug auf die Erforschungswürdigkeit eines Sachverhalts. Auch die vergleichsweise hohe Sachkenntnis der Behörde im Bereich der Aufarbeitung vermag eine andere Folgerung nicht zu begründen, da sich gerade aus der Natur der Aufarbeitung als Gesellschaftsprozess eine gewisse Staatsdistanz ergibt.980 Dies schließt es auch ein, dass einem auf bloße Vermutungen hinsichtlich der Aufarbeitungsrelevanz eines Sachverhalts gestützten Ersuchen, stattgegeben werden muss. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, bloße Vermutungen seien häufig Ausgangspunkte des Auffindens erheblicher Tatsachen. Sei eine publizistisch geeignete Information zu erwarten, wenn sich die Vermutung als zutreffend erweist, dann sei mit der Darlegung dieser Vermutung auch das Informationsinte977

Ausführlich dazu bereits Teil 1 Kap. 2 § 2 B. „Damit sich Forschung und Lehre ungehindert an dem Bemühen um Wahrheit ausrichten können, ist die Wissenschaft zu einem von staatlicher Fremdbestimmung freien Bereich persönlicher und autonomer Verantwortung des einzelnen Wissenschaftlers geworden.“, BVerfG, Beschluss v. 1. März 1978, HessUniversitätsG, BVerfG 47, 327 (367). 979 BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1999, Caroline v. Monaco III, BVerfGE 101, 361 (389); BVerfG, Beschluss v. 28. August 2000, Grundbucheinsicht, NJW 2001, 503 (504): „Allerdings müssen die Anforderungen an das berechtigte Interesse selbst und an dessen Darlegung der Besonderheit einer freien Presse Rechnung tragen. Die Presse muss nach publizistischen Kriterien entscheiden dürfen, was sie des öffentlichen Interesses für wert hält und was nicht.“ 980 Teil 1 Kap. 2 § 1 A. III. 978

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

resse hinreichend belegt.981 Eine sich aus dem Persönlichkeitsrecht ergebende Grenze besteht freilich dort, wo die Vermutung nicht nachvollziehbar begründet ist und wenn sich aus der Art und Weise des Ersuchens bereits ergibt, dass der ausforschende Charakter klar im Vordergrund steht.982 Etwas anderes gilt dann für die Veröffentlichung. Hier ergibt sich bereits aus den regelmäßig einschneidenden Folgen für das Persönlichkeitsrecht eine erneute Nachprüfungspflicht, die auch vor dem Hintergrund des nun neu gewonnenen Erkenntnisstandes durchgeführt werden muss. Ein zwingendes verfassungsrechtliches Gebot, Presse und Forschung die Selbstkontrolle zu überlassen – wie Tillmanns983 fordert – wird man nicht annehmen können. Dies würde nämlich voraussetzen, dass eine Selbstkontrolle der Presse in vergleichbarer Weise den Persönlichkeitsschutz der Betroffenen garantiert.984 Diese Einschätzung aber obliegt dem Gesetzgeber und nicht den Medien oder der Forschung.

D. Fazit: Verstärkende Wirkung von Forschungs- und Pressefreiheit Weder der Forschungs- noch der Pressefreiheit lässt sich ein Anspruch auf Zugang zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes entnehmen. Zwar verdichtet sich die objektiv-rechtliche Dimension der Forschungsund Pressefreiheit nicht zu einem Gesetzgebungsauftrag zur Schaffung eines Informationszugangs, der Gesetzgeber hat diese bei der Entscheidung über den Zugang zu Informationen jedoch zu berücksichtigen und zu würdigen. Schafft er einen einfach-gesetzlichen Zugang, obliegt dem Staat zumindest die Rechtfertigungslast für die Nichtgewährung des Zugangs. Räumt der Gesetzgeber einen Informationszugangsanspruch ein, dann muss die Behörde, sofern eine Abwägungspflicht – sei es auf der Tatbestands- oder der Rechtsfolgenebene – besteht, die grundgesetzliche Wertentscheidung für den Schutz der Presse- und Forschungsfreiheit auch entsprechend gewichten. Eine Ausnahme gilt dabei aber für die Veröffentlichung erkennbar unwahrer Tatsachenbehauptungen, sofern sich Forschung und Presse diese zueigen machen. Sie fallen aus dem Schutzbereich der Pressefreiheit heraus. 981 KG Berlin, Beschluss v. 19. Juni 2001, Grundbucheinsicht, NJW 2002, 223 ff.; BVerfG, Beschluss v. 28. August 2000, Grundbucheinsicht, NJW 2001, 503 (506). 982 Vgl. auch Richtlinie BStU (2004), S. 5. 983 L. Tillmanns (Geschäftsführer des Dt. Presserates), vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, S. 34. 984 Zur Selbstkontrolle der Presse A. Schwetzler, Persönlichkeitsschutz durch Presseselbstkontrolle.

Kap. 2: Bestimmung des abwägungsrelevanten Materials

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Im Rahmen dieser Gewichtung der Forschungs- und Pressefreiheit spielt dann der Zweck der Verwendung eine entscheidende Rolle. Maßstab ist hier die über die individuelle Kommunikation hinausgehende Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen. Dies entspricht dem im ersten Kapitel herausgearbeiteten Kriterium der Höhergewichtung der Grundrechtsausübung mit doppelter Zielrichtung. Die Doppelfunktionalität ist im Hinblick auf die Aufarbeitung des DDR-Unrechts – wie im ersten Kapitel gezeigt – unbestreitbar. Aufarbeitung durch Forschung und Presse zielt nicht allein auf individuelle Meinungsbildung, sondern auf eine politische Meinungsbildung, mehr noch auf Verfassungsschutz. Hieraus ergibt sich andererseits, dass die Nutzung der Stasi-Unterlagen zu reinen Unterhaltungszwecken durch Forschung und Presse im Rahmen der Abwägung weniger schutzwürdig ist. Diese Wertungen spielen nicht nur für die materielle Gewährung des Zugangsrechts und der Verwendungsbefugnis eine Rolle. Sie strahlen zugleich auf das Verfahren aus, wenn es um die Überprüfung der Zweckbindung geht. Jedoch verbietet weder die Forschungs- noch die Pressefreiheit eine volle Überprüfung einer einfach-gesetzlichen Zweckbindung für die Herausgabe und Verwendung der Stasi-Unterlagen. Die jeweilige Intensität der Überprüfungsbefugnis richtet sich ihrerseits nach der konkreten Abwägung zwischen der Forschungs- und Pressefreiheit mit den der Herausgabe der Unterlagen entgegenstehenden Interessen. Ebenfalls eine Frage der Abwägung mit den entgegenstehenden Interessen ist der Einfluss der Rechtmäßigkeit der Informationserhebung. Aus der Perspektive der Presse- und Forschungsfreiheit spielt sie dagegen keine Rolle, da die Informationserhebung gerade nicht auf die Presse oder Forschung, sondern auf den Staatssicherheitsdienst zurückgeht.

Zusammenfassende Thesen zu Teil 1 Kapitel 2 § 2 1. Ein verfassungsrechtlich begründetes Recht von Presse und Forschung auf Zugang zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes gibt es nicht. Weder ergibt sich ein solches allgemein aus der Informationsfreiheit noch aus ihren speziellen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen. 2. Die Stasi-Unterlagen sind gerade keine „allgemein zugängliche Quelle“ im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 3 GG, und sie werden auch durch den Informationsauftrag der Behörde nicht zu solchen. 3. Auch folgt aus der Abwehrdimension der Forschungs- und Pressefreiheit kein Recht auf Zugang zu den Stasi-Akten. Einem fehlenden Anspruch auf Zugang zu den Unterlagen kann nicht, indem man ihn negativ als Ein-

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griff durch Verweigerung der Herausgabe formuliert, mit dem Folgenbeseitigungsanspruch begegnet werden. Weder gehört der staatliche Raum, hier konkret die BStU, zum natürlichen Freiheitsbereich von Forschung und Presse, noch lässt sich überzeugend nachweisen, dass der Freiheitsbegriff in Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 GG eine andere als die natürliche Freiheit meint. 4. Die „institutionelle Garantie“ der Presse in dem Bedeutungsgehalt, den ihr die Rechtssprechung gegeben hat, ist nichts anderes als die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG gepaart mit der objektiv-rechtlichen Dimension der Pressefreiheit. Ein unmittelbares Zugangsrecht zu den StasiUnterlagen lässt sich auch aus ihr nicht herleiten. 5. Eine verfassungsrechtlich begründeter „öffentlichen Auftrag“ der Presse lässt sich dem Grundgesetz nicht entnehmen. Folglich kann sich auch auf ihn keine verfassungsrechtliche Rechtsfolge auf Zugang zu den Stasi-Unterlagen stützen. Die Formulierung „gewährleistet“ im Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG bezieht sich allein auf die „natürliche Freiheit der Presse“ und die „freie Berichterstattung“. Zusätzliche Gewährleistungen, wie etwa der Zugang zu Informationen, sind damit nicht gemeint. 6. Auch ein Teilhaberecht aus Art. 5 Abs. 3 GG kommt als verfassungsrechtliche Grundlage für den Zugang der Forschung zu den Stasi-Unterlagen nicht in Betracht. Ein Teilhaberecht kommt nur in Situationen in Betracht, in denen der Staat ein Monopol in Bezug auf die Voraussetzungen der Forschung hat und die Forschungsfreiheit bei Verweigerung des Zugangs zu diesen leer liefe. Maßstab ist hier aber nicht das einzelne Forschungsprojekt oder ein Ausschnitt aus einem bestimmten Forschungssektor – etwa DDR-Forschung –, sondern die Forschung als solche. 7. Die objektiv-rechtliche Dimension von Forschungs- und Pressefreiheit strahlt jedoch auf die gesetzgeberische Entscheidung über die Schaffung eines einfach-gesetzlichen Zugangsanspruchs sowie auf die Abwägung im konkreten Einzelfall bei Inanspruchnahme eines solchen Anspruchs aus. Bei der Gewichtung des Interesses sind zudem folgende Abwägungsleitsätze zu berücksichtigen: 8. Der fehlende Wahrheitsgehalt einer zu veröffentlichenden Information kann die Berücksichtigung der Forschungs- und Pressefreiheit in der Abwägung ausschließen. Weder die Forschungs- noch die Pressefreiheit schützt die Vermittlung unwahrer Informationen. Dies gilt aber nur in Bezug auf Tatsachenbehauptungen, nicht in Bezug auf Werturteile, und nur dann, wenn die Information erkennbar unwahr ist, aber als wahr dargestellt wird und der Verfasser sie sich zueigen gemacht hat. Eine generelle Vermutung für die Unrichtigkeit der aus den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes hervorgehenden Informationen gibt es nicht, so dass diese Abwägungsleit-

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linie nur in der Abwägung der konkreten Veröffentlichung nach §§ 32, 34 StUG eine Rolle spielt. 9. Maßgebend für die Gewichtung der Forschungs- und Pressefreiheit ist ferner der Zweck des Informationsersuchens sowie die konkrete Verwendung der Stasi-Unterlagen im Einzelfall. Maßstab ist dabei, ob mit dem Zugang oder der konkreten Verwendung ein über den individuellen Meinungsaustausch hinausgehender Beitrag für die Gewährleistung und Sicherung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewirkt wird. 10. Eine abstrakte Differenzierung zwischen den Verwendern, d.h. seriöse Presse/Forschung – unseriöse Presse/Forschung, gibt es im Rahmen der Presse- und Forschungsfreiheit nicht. Eine Differenzierung verbietet sich hier. Sie kann sich aber im konkreten Einzelfall aus entgegenstehenden Rechten im Rahmen der Abwägung ergeben. 11. Auch die etwaige Rechtswidrigkeit der Informationserhebung durch den Staatssicherheitsdienst ist für das abstrakte Gewicht von Forschungsund Pressefreiheit ohne Belang. Sie spielt allein in der Abwägung mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht eine Rolle. 12. Die Forschungs- und Pressefreiheit steht der Überprüfung der Einhaltung einfachgesetzlicher Zweckbindungen für die Informationsverwendung von Forschung und Presse nicht entgegen. Die Grenze bilden willkürliche Differenzierungen und eine gezielte Lenkung des Informationsflusses. Im Übrigen ist der Maßstab für die Intensität der Nachprüfung im konkreten Einzelfall aus der Abwägung von Forschung und Presse mit den entgegenstehenden Rechtspositionen zu gewinnen.

§ 3 Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als Grenze der Aufarbeitung Dem Einzelnen galt das Interesse der Stasi.985 Er musste überwacht werden, damit er dem System nicht gefährlich werden konnte. Seine Gewohnheiten, seine Schwächen, seine Stärken mussten ausgekundschaftet werden, um ihn kalkulierbar zu machen, zu erpressen oder ihn gar für die eigene Arbeit zu benutzen.986 Dazu gebrauchte die Staatssicherheit ein ganzes Arsenal von Überwachungsmechanismen, angefangen von der Berichterstattung durch inoffizielle Mitarbeiter über offene oder verdeckte Observationen durch Telefonüberwachung (A-Maßnahmen) oder versteckte elektro985

Zum Faktor Mensch eingehend A. Engel, Anm. 13, S. 79 ff. Vgl. nur Ziff. 2.6. der Richtlinie 1/76 des MfS, in der ausdrücklich die Zersetzung feindlicher Gruppen aufgeführt ist. 986

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nische Abhör- und Aufnahmegeräte (B-Maßnahmen) bis hin zur Postkontrolle (N-Maßnahmen).987 Dementsprechend viele personenbezogene Informationen finden sich in den Stasi-Unterlagen: Abhörprotokolle, Photographien, im Einzelfall auch Videoaufnahmen, Berichte der Nachbarn und Kollegen, ja sogar Stellungnahmen der Ehepartner wie im Fall der Bürgerrechtlerin Bärbel Boley, aber auch Dokumente bzw. Kopien von Dokumenten wie Ausreiseanträge, persönliche Briefe und Unterlagen, die über gesellschaftliche und berufliche Aktivitäten Zeugnis ablegen, wie etwa die Berufungsschrift im Fall Havemann. Sogar Toilettenbesuche wurden – so im Fall des ehemaligen schleswig-holsteinschen Ministerpräsidenten Björn Engholm – mitunter akribisch vermerkt.988 Diese Informationen wurden größtenteils ohne Wissen, teilweise – auch das hat der Film „Das Leben der Anderen“ illustriert – mit Wissen der Betroffenen gesammelt: In den Unterlagen finden sich aber auch Zeitungsausschnitte, analytische Auswertungen der erlangten Informationen (Beurteilungen) usw. All diese Informationen sind personenbezogen. Ihre Herausgabe und Veröffentlichung kollidiert mit dem Persönlichkeitsrecht der davon Betroffenen. Nachdem im ersten Kapitel die Grundeinstellung für den verfassungsrechtlich gebotenen Abwägungsprozess für und wider der Verwendung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes dargestellt wurde und im ersten Teil des zweiten Kapitels die Waagschale zugunsten der Verwendung der Unterlagen mit dem öffentlichen Interesse an der Aufarbeitung des DDRUnrechts durch Forschung und Medien aufgefüllt wurde, ist nun im zweiten Teil dieses Kapitels, das gegenläufige Interesse am allgemeinen Persönlichkeitsschutz in die andere Waagschale zu legen. Dabei kann es nicht darum gehen, den allgemeinen Persönlichkeitsschutz erschöpfend zu erläutern und die vielfältige, zum Teil in sich wenig konsistente Rechtsprechung der Zivil-, Straf- und Verwaltungsgerichtsbarkeit darzustellen. Dies würde den Rahmen der Arbeit sprengen. Die folgenden Ausführungen werden sich daher auf die Beantwortung von drei sich im Zusammenhang mit der Herausgabe der Stasi-Unterlagen aufdrängenden Fragestellungen anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konzentrieren: den anwendbaren Maßstab, die Frage, in welche sachlichen Gewährleistungsbereiche die Herausgabe und Veröffentlichung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienst überhaupt eingreift und die Frage, inwieweit der allgemeine Persönlichkeitsschutz der verschiedenen von der Herausgabe und Veröffentlichung potentiell Betroffenen in personeller Hinsicht reicht. 987

Zu den Methoden im Einzelnen A. Engel, Anm. 13, S. 79 ff. „Ich bin verwundert über die immense Akribie der Stasi, die sogar Zeitpunkt und Länge meiner Toilettenbesuche festhielt“ – so Engholm, der seine Akten für die Öffentlichkeit freigegeben hat. Nach Pressespiegel BStU v. 26. September 2006. 988

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Explizit ausgeklammert werden sollen in dieser Arbeit die zu Art. 2 Abs. 1 GG speziellen grundrechtlichen Gewährleistungen – wie die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) und der Ehe und Familienschutz (Art. 6 Abs. 1 GG) –, die in Bezug auf die Zulässigkeit der Verwendung der StasiUnterlagen ebenfalls zu berücksichtigen sind. Sie sollen nur in Abgrenzung zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht Eingang in die Arbeit finden.

A. Der persönliche Schutzbereich Grundrechtsfähig sind in erster Linie natürliche Personen. Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss zu Art. 19 Abs. 3 GG989. Auch ergibt sich hinsichtlich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts keine Begrenzung auf Deutsche im Sinne des Art. 116 GG, so dass auch Angehörige anderer Staaten und Staatenlose Grundrechtsschutz genießen. Dies muss auch für personenbezogene Daten Staatsangehöriger des ehemaligen Ostblocks gelten. Dementsprechend genießt auch ein ehemaliger sowjetischer General in Bezug auf seine nicht amtsbezogenen persönlichen Daten den Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Ihrem „Wesen nach“ gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen. Bei dieser beschränkten Gleichstellung handelt es sich jedoch nur um eine Verlängerung des grundrechtlichen Individualschutzes. Daher beschränkt sich die Anwendbarkeitsanordnung – ohne dass dies im Wortlaut freilich hinreichend zum Ausdruck kommt – in erster Linie auf juristische Personen des Privatrechts.990 Die Beschränkung ergibt sich – so das Bundesverfassungsgericht – jedoch aus dem Hinweis auf das „Wesen“ der Grundrechte im Wortlaut. „Das Wertsystem der Grundrechte geht von der Würde und Freiheit des einzelnen Menschen als natürlicher Peson aus. Die Grundrechte sollen in erster Linie die Freiheitssphäre des Einzelnen gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt schützen und ihm insoweit zugleich die Voraussetzungen für eine freie aktive Mitwirkung und Mitgestaltung im Gemeinwesen sichern. Von dieser zentralen Vorstellung her ist auch Art. 19 Abs. 3 GG auszulegen.“991 989 „Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.“ 990 Dazu sowie zur beschränkten Anwendbarkeit auch auf juristische Personen siehe im Einzelnen H. Krüger/M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 Rn. 57 ff. 991 BVerfG, Beschluss v. 2. Mai 1967, Rentenversicherungsträger, BVerfGE 21, 362 (369); BVerfG, Beschluss v. 31. Oktober 1984, Berufsständige Organisation, BVerfGE 68, 193 (205 f.): „Nach ihrer Geschichte und ihrem heutigen Inhalt sind die Grundrechte in erster Linie individuelle Rechte, Menschen- und Bürgerrechte,

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Vor diesem Hintergrund erscheint es äußerst fraglich, inwieweit sich Staatsorgane wie der ehemalige Bundeskanzler Kohl in Bezug auf amtsbezogene Informationen überhaupt auf den Grundrechtsschutz des Grundgesetzes berufen können. Ebenfalls fraglich erscheint, ob sich ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit gegen die Herausgabe von Informationen über ihre Tätigkeit mit dem Verweis auf ihr Allgemeines Persönlichkeitsrecht zur Wehr setzen können. Schließlich erfolgte die Ausforschung anderer hier nicht als Teil der Persönlichkeitsentfaltung, sondern im staatlichen Auftrag. Aber auch bei politischen Funktionsträgern kann sich zumindest die Frage stellen, ob ihre Funktionsausübung noch Ausdruck natürlicher Freiheit des Einzelnen ist. Schließlich muss, wenn es beim Grundrechtsschutz um die Sicherung der Freiheitssphäre des einzelnen Menschen geht, geklärt werden, inwieweit Tote, die keine Menschen sind, deren Freiheitssphäre es zu sichern gilt und für die das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 3 GG oder anderswo auch keine explizite Regelung enthält, überhaupt noch Grundrechtsschutz genießen können. I. Ausschluss von Amtsträgern Zur Reichweite der Anwendbarkeit der Grundrechte auf Amtsträger fehlt es bislang an jeglichen grundsätzlichen Auseinandersetzungen in Literatur und Rechtsprechung. Lediglich der Fall Kohl hat in der Literatur Anlass zur kursorischen Behandlung der Frage gegeben. So meint Arndt, Helmut Kohl in Bezug auf seine amtsbezogenen Informationen dem allgemeinen Persönlichkeitsschutz zu unterstellen, sei der „zentrale Rechtsirrtum“992 gewesen, dem das Bundesverwaltungsgericht in seinem letzten Urteil zur Sache unterlag.993 Zielperson sei Kohl als Verfassungsorgan, nicht als Person gewesen.994

die den Schutz konkreter, besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit zum Gegenstand haben. [. . .] Juristische Personen als Grundrechtsinhaber anzusehen und sie in den Schutzbereich bestimmter materieller Grundrechte einzubeziehen, ist nur gerechtfertigt, wenn deren Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der privaten natürlichen Person ist, insbesondere, wenn der ‚Durchgriff‘ auf die hinter ihn stehenden Menschen es als sinnvoll und erforderlich erscheinen läßt.“ 992 C. Arndt, Anm. 56, 3157. 993 Vgl. J. Drohla, NJW 2004, 418. 994 So auch C. Arndt, Anm. 1017, S. 2948 (2949).

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1. Staatsschutz statt Persönlichkeitsschutz „Der Staat selbst kann sich auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht nicht berufen. Das ist unstrittig“ – so Globig995. Ob sich ein Amtsträger als Teil der Organisationseinheit Staat jedoch darauf berufen kann, ist streitig. Das Bundesverwaltungsgericht bejahte dies, und zwar „in allen genannten Aspekten“996 des Persönlichkeitsschutzes, bereits in seinem ersten Kohl-Urteil und wiederholte es noch einmal mahnend in seinem zweiten Urteil zur Sache. „Ein Amtsträger genießt jedoch auch, und zwar auch als solcher, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Gefahr, dass das Erscheinungsbild eines Menschen in einer bestimmten Situation von diesem abgelöst und in anderen Zusammenhängen vor einem unüberschaubaren Personenkreis reproduziert, dabei verändert oder manipuliert wird, besteht bei Amtsträgern nicht anders als bei anderen, und sie besteht auch – und vielleicht gerade – hinsichtlich seines Erscheinungsbildes ‚im Amt‘. Die Folgen einer solchen beliebigen Darstellung treffen den Einzelnen nicht nur in seinem Amt – dessen Ausübung ja häufig zugleich sein Beruf ist –, sondern regelmäßig zugleich in seiner persönlichen und privaten Existenz. Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, dass amts- oder funktionsbezogene Informationen – richtige und erst recht manipulierte – für einen Politiker in einem demokratischen Staat existenzvernichtende Folgen mit schwerwiegenden Auswirkungen auch auf die Privatsphäre haben können.“997

a) Stand der Rechtsprechung Die Position der Rechtsprechung im Übrigen ist lange nicht so einheitlich und deutlich gewesen wie hier, auch nicht innerhalb des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses lehnte nämlich noch einige Jahre zuvor die Berufung von Gemeinderatsmitgliedern auf ihr Allgemeines Persönlichkeitsrecht gegen Tonbandaufnahmen während der Gemeinderatssitzung ab. 995 K. Globig, DöD 1991, 217. Dies übersehen gerade Instanzgerichte häufiger vgl. nur BVerfG, Beschluss v. 24. Mai 2006, Babycaust, www.bverfg.de, Rn. 49. Das BVerfG stellte in Bezug auf die Beleidigung eines kommunalen Klinikums klar: „Im Hinblick auf den Hoheitsträger kann die Anwendbarkeit der Ehrschutzvorschriften [. . .] nicht auf das natürlichen Personen zustehende Persönlichkeitsrecht gegründet werden.“ Vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 10. Oktober 1995, Soldaten sind Mörder, BVerfGE 93, 266 (291), wobei es in dieser Passage nur um die Bundeswehr als solche, nicht um die dahinter stehenden Soldaten ging. Anders A. Pollaczek, Pressefreiheit und Persönlichkeitsrecht, S. 20. 996 BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, BVerwGE 121, 115 (125). 997 BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, NJW 2004, 2462 (2465). Zustimmend Oberstaatsanwalt H.-J. Grasemann, newsclick.de v. 24. Juni 2004: „Mit dem Urteil haben die Richter die Persönlichkeitsrechte von Politikern als Personen der Zeitgeschichte klar gestärkt. Das Stoppschild des im Grundgesetz verankerten Persönlichkeitsschutzes ist erhalten geblieben.“

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„Nicht uneingeschränkt kann den Vorinstanzen hingegen in ihrer Sicht der Rechtsgüterabwägung beigepflichtet werden, die sich aus der Wechselbezüglichkeit von Grundrecht und allgemeinem Gesetz ergibt. Entgegen ihrer Auffassung geht nämlich nicht das Persönlichkeitsrecht der Ratsmitglieder als das mit der Pressefreiheit konkurrierende Rechtsgut in die gebotene Abwägung ein. Es ist vielmehr das öffentliche Interesse daran, daß die Gemeindeverwaltung ihre Aufgaben sachgerecht erfüllen kann, das als rechtlich geschütztes Gut hinter der in der Gemeindeordnung begründeten Sitzungs- und Hausordnungsbefugnis des Ratsvorsitzenden steht. Auch die Äußerungen eines Ratsmitglieds im Rahmen öffentlicher Sitzungen unterfallen diesem funktionellen Aspekt. Dementsprechend ist das Rederecht des Ratsmitglieds als ein aus seiner mitgliedschaftlichen Stellung in der Gemeindevertretung fließendes Organrecht anzusehen.“998

Anders in Bezug auf das Abhören oder Registrieren der vom Diensttelefon aus geführten Telefonate einer Hochschullehrerin einer staatlichen Hochschule: Dies befanden die Gerichte zwar im Ergebnis für zulässig, jedoch nicht mit Verweis auf den fehlenden Grundrechtsschutz von Amtsträgern.999 Das Bundesverfassungsgericht seinerseits gab sich sehr viel zurückhaltender in diesem Punkt. In einem sehr ähnlich gelagerten wie dem eben zitierten Fall des Bundesverwaltungsgerichts zur Zulässigkeit von Tonbandaufnahmen im Gemeinderat, und zwar in Bezug auf die Videoaufnahmen im Gerichtssaal, ging es von Beeinträchtigungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Richtern und Schöffen aus, meinte aber, diese seien hinzunehmen, da sie, kraft ihres Amts in der Öffentlichkeit stünden.1000 Einen ähnlichen Ansatz scheint es im Caroline von Monaco-Urteil zu verfolgen.1001 Im Gysi-Beschluss verneinte es zwar ebenfalls im Ergebnis eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch die Veröffentlichung von Gysis Beru998

BVerwG, Urteil v. 3. August 1990, Tonbandaufzeichnung, BVerwGE 85, 283 (286 f.). 999 OVG Bremen, Urteil v. 18. Dezember 1979, Hochschullehrerin I, NJW 1980, 606 (607): Der Schutz der Vertraulichkeit in dienstliche Ferngespräche werde von Art. 10 GG nicht erfasst. BVerwG, Beschluss v. 10. August 1981, Hochschullehrerin II, NJW 1982, 840, hier ging das Gericht davon aus, dass im konkreten Fall mit dem Gebrauch des Diensttelefons in die Registrierung der Verbindungen eingewilligt wurde. 1000 BVerfG, Beschluss v. 15. März 2007, Videoübertragung, www.bverfg.de, Rn. 3 a. 1001 BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, BVerfGE 101, 361 (383): „Das gilt auch für demokratisch gewählte Amtsträger, die zwar für ihre Amtsführung öffentlich rechenschaftspflichtig sind und sich in diesem Umfang öffentliche Aufmerksamkeit gefallen lassen müssen, nicht aber für ihr Privatleben, sofern dieses die Amtsführung nicht berührt.“ Auch der EGMR scheint für Amtsträger ein Sonderregime anzunehmen, EGMR, Urteil v. 24. Juni 2004, Caroline v. Monaco III, NJW 2004, 2647 (2649 f.).

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fungsschrift zum Fall Havemann. Wie es nun dogmatisch genau zu diesem Ergebnis gelangte, blieb aber unklar. Das Verfassungsgericht bemerkte hier lakonisch: „Durch die wörtliche Wiedergabe der Berufungsschrift werden über den Beschwerdeführer keine anderen personenbezogenen Daten preisgegeben als die Tatsache, daß er als Verteidiger Havemanns Verfasser dieses Schriftsatzes ist. Inwiefern durch die Veröffentlichung allein dieser Information das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers verletzt sein könnte, ist nicht erkennbar.“1002

Es ist hieraus weder ersichtlich, ob die Verteidigerfunktion Gysis hier als Amt angesehen wurde, wie es im jüngsten Verfahren von der BStU vorgetragen, in der ersten Instanz jedoch offen gelassen wurde, oder ob das Verfassungsgericht hier zwar den persönlichen Schutzbereich als eröffnet ansieht, nicht aber den materiellen. Etwas deutlicher artikulierte es sich in seinem Beschluss zur Zulässigkeit der Überprüfung von Abgeordneten auf die etwaige Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst. Im Gegensatz zum Unterausschuss, der eine imperative Überprüfung der Abgeordneten auf ihre Stasi-Vergangenheit mit dem Verweis auf deren freies Mandat und deren Allgemeines Persönlichkeitsrecht ablehnte1003, hielt es die Überprüfung für verfassungskonform. Auf das von Gregor Gysi angestrengte Organstreitverfahren hin stellte es klar, dass die Überprüfung „nicht die Ehre im Sinne eines personalen Rechtsguts“ in Frage stellt, sondern „die Würdigkeit des Abgeordneten, das Volk im Parlament zu vertreten“.1004 Bereits im Eppler-Fall, in dem sich ein SPD-Abgeordneter gegen eine vom CDU-Landesverband Baden-Württemberg fälschlicherweise unterstellte Rede unter Berufung auf sein Allgemeines Persönlichkeitsrecht zur Wehr setzte, stellte das Gericht fest: „Daß der Beschwerdeführer Politiker ist und die Behauptung [. . .] ihm bei der Verfolgung seiner politischen Ziele unter Umständen abträglich sein könnte, ist jedenfalls keine Frage der persönlichen Ehre“.1005 Eine Vielzahl von Entscheidungen anderer Gerichte geht dagegen wie selbstverständlich von einer Einbeziehung von Amtsträgern in den personellen Schutzbereich der Grundrechte aus. So sah der Berliner Verfassungsgerichtshof die Verbreitung von Portraitaufnahmen, die von mehreren Polizisten während einer Häuserräumung gemacht worden sind, klar als Verlet1002

BVerfG, Beschluss v. 17. Dezember 1999, Gysi III, NJW 2000, 2416 (2417). Bericht der Abgeordneten Büttner, Schwanitz, Schmieder, Köppe; abgedr. in K. Stoltenberg, StUG-Kommentar, 334 (337). 1004 BVerfG, Beschluss v. 21. Mai 1996, Abgeordnetenüberprüfung, BVerfGE 94, 351 (2. Orientierungssatz). 1005 BVerfG, Beschluss v. 3. Juni 1980, Eppler, BVerfGE 54, 148 (155). 1003

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zung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts an.1006 Während der Bayrische Verfassungsgerichtshof im Hinblick auf die Kritik einer Bürgermeisterin an der schlechten Führung einer kommunalen GmbH meinte, dass ein Bürger in amtlicher Funktion sich als juristische Person des öffentlichen Rechts nicht auf die Meinungsfreiheit berufen könne1007 und auch das Berliner Verwaltungsgericht davon auszugehen scheint, dass die Namen von BStUMitarbeitern bei amtsbezogenen Einsichtsbegehren grundsätzlich herausgabefähig sind1008, maß das Verwaltungsgericht Regensburg im Rahmen eines kommunalen Organstreits die Kritik eines Oberbürgermeisters gegenüber einem Stadtrats- und Aufsichtsratsmitglied einer kommunalen GmbH am Maßstab der Grundrechte.1009 Auch das Brandenburgische Verfassungsgericht sah jedenfalls Informationen über die Pfändung von Dienstbezügen eines Justizministers als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung an, da die Informationen Rückschlüsse auf die privaten wirtschaftlichen Verhältnisse zuließen.1010 Deutlicher äußerte sich das Verwaltungsgericht Dresden in Bezug das Begehren der Presse in die Personalakte des Sächsischen Ministerpräsidenten Tillich Einsicht zu nehmen: „Träger dieses Grundrechts sind auch Amtsträger, und zwar nicht nur für Informationen mit privatem, sondern auch für solche mit amtsbezogenem Inhalt. Auch der demokratisch gewählte Amtsträger genießt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.“1011

b) Theoretische Überlegungen Nach dem Idealbild der Statuslehre Georg Jellineks1012 stand der Träger des subjektiven Rechts dem Staat gegenüber. Dieses klassische Modell versagt aber – so Peine/Starke zutreffend – bei der Erklärung von Situationen, 1006 VGH Berlin, Beschluss v. 7. November 2006, Polizistenportraits 56/05. Ebenfalls bejahend BVerfG, Beschluss v. 23. August 2005, Polizistenehre, 1 BvR 1917/04, in einem Fall der Beleidigung bei Vornahme einer Vollstreckungsmaßnahme. Explizit gegen einen Grundrechtsschutz jetzt VGH Berlin, Beschluss v. 20. August 2008, Gegendarstellung, NJW 2008, 3491(3493): Eine Behörde wie der Polizeipräsident genieße gerade keinen verfassungsrechtlichen Ehr- und Persönlichkeitsschutz. 1007 Bay VGH, Beschluss v. 24. Mai 2006, Kommunales Äußerungsrecht, 4 CE 06.1217, Rn. 21. 1008 VG Berlin, Urteil v. 8. September 2009, Arbeitsgruppe Rosenholz, 2 A 8.07. 1009 VG Regensburg, Urteil v. 8. März 2006, Kommunale GmbH, RN 3 K05.00184, Rn. 82, 85. 1010 VerfG Bbg., Beschluss v. 21. April 2005, Justizminister, 56/04. 1011 VG Dresden, Beschluss v. 7. Mai 2009, Tillich, 5 L 42/09. 1012 Vgl. G. Jellinek, Anm. 560, S. 94 ff.

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in denen der Einzelne in die Sphäre des Staates eintritt. In diesen Fällen funktioniert nämlich die räumliche Vorstellung des Gegenübers von Staatsund Individualsphäre nicht mehr.1013 Dies gilt nicht nur für die von ihnen besprochenen Fälle der Sonderstatusverhältnisse1014, sondern insbesondere auch für den hier interessierenden Fall, in dem der Einzelne nicht im Innenverhältnis dem Staat gegenüber steht, sondern in dem er den Staat selbst gegenüber anderen Individuen verkörpert. Diese Schwierigkeit macht sich in der Rechtsprechung bemerkbar. Zuzugeben ist dem Bundesverwaltungsgericht, dass auch ein Amtsträger in dieser Position zugleich Mensch und nicht Objekt ist. Der Amtsträger gibt seine Persönlichkeit nicht an der Eingangstür zum Büro ab. Er füllt das Amt mit seiner Persönlichkeit aus; gibt ihm ein Gesicht und eine Stimme. Seine persönlichen Eigenschaften sind – wie Art. 33 Abs. 2 Alt. 1 GG belegt – in einem gewissen Maße sogar Voraussetzung für den Amtsantritt. Desgleichen sind Entwurfsmanuskripte, Notizzettel und Terminkalender nicht „charakterlos“. Sie geben Auskunft über die dahinter stehende Persönlichkeit.1015 Der Rechtsirrtum, von dem Arndt1016 spricht, besteht in der Pauschalisierung des Bundesverwaltungsgerichts. Es geht, ohne dies zu begründen, davon aus, dass alle amtsbezogenen Informationen zugleich eine personale Komponente haben. Von daher befasst es sich gar nicht mit der eigentlichen Ausgangsfrage, ob Amtsträger als solche den Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts genießen. Dieses Vorgehen ist auch nicht verwunderlich, trat das Bundesverwaltungsgericht in eine Sichtung der streitbefangenen Unterlagen nicht einmal ein. Dem Amtsträger jedoch ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung zuzubilligen hieße – so Arndt zutreffend –, dass der im Regelfall kraft Weisung handelnde Amtsträger bei der Ausübung seiner Tätigkeit, seine Persönlichkeit entfaltete, sich selbst verwirklichte und seinen persönlichkeitsrechtlichen Freiraum wahrnähme.1017 Allein diese Vorstellung mutet seltsam an, agiert doch der Amtsträger nicht als Privatperson, sondern als Teil des Staates.1018 Selbstentfaltung im Amt – so Arndt1019 – könnte zwar für den 1013

F.-J. Peine/Th. Starke, in: D. Merten/H.-J. Papier, HBGR, Bd. 3, § 61. Dazu auch W. Loschelder, HBStR V, § 123, S. 805. 1015 B. Manegold, Anm. 125, S. 287. 1016 Vgl. Text zu Anm. 992. 1017 So bereits K. Globig, Anm. 995, 217 (218); C. Arndt, NJW 1996, 2948 ff.; ders. Anm. 994; ders., Anm. 56. 1018 „Wenn die Grundrechte das Verhältnis des Einzelnen zur öffentlichen Gewalt betreffen, so ist damit unvereinbar, den Staat selbst zum Teilhaber und Nutznießer der Grundrechte zu machen; er kann nicht gleichzeitig Adressat und Berechtigter 1014

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handelnden Bediensteten eine erfreuliche Nebenfolge seiner amtlichen Tätigkeit sein; Hauptinhalt seiner Tätigkeit müsse aber der korrekte Aufgabenvollzug entsprechend der Gesetze sein. Dann aber könne auch der Inhalt des amtlichen Handelns nicht Ausdruck der Selbstbestimmung der Person sein, und auch Informationen darüber könnten nicht der Dispositionsbefugnis des einzelnen Amtsträgers unterliegen.1020 Die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dass auch ein Amtsträger, und zwar auch als solcher, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung genieße,1021 ist hieran gemessen nicht haltbar. Denkt man diese Aussage des Bundesverwaltungsgerichts zu Ende, so könnte ein Kanzler faktisch den Verteidigungsfall feststellen und sich auf sein Recht auf Meinungsfreiheit berufen. Wird er anschließend nach Art. 43 Abs. 1 GG zitiert, um dem Bundestag Rede und Antwort über die Gründe seines Tuns zu stehen, könnte er sich wiederum auf sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung berufen und zudem die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 HS 1 GG für sich in Anspruch nehmen. Erst auf der Rechtfertigungsebene müsste der Amtsträger danach Einschränkungen hinnehmen. Die Anwendbarkeit der Grundrechte auf Amtsträger zu bejahen, führe – so Lege zutreffend1022– zu einer Privatisierung von Herrschaft, die hinter den Verfassungsstaat zurückführe, zu einer „Arcana imperii“1023. Der entscheidende Punkt ist hier, dass es bei der Wahrnehmung von Amtsaufgaben um zusätzlich gewonnene Freiräume und nicht um die Ausübung „natürlicher Freiheit“, also um Entfaltungsfreiheit geht. Es fehlt hier an dem klassischen Über-/Unterordnungsverhältnis, in dem die natürliche Freiheit des Einzelnen vor der staatlichen Übermacht geschützt werden müsste. Gerade die Begrenzung der staatlichen Übermacht bildet aber die Sinnmitte verfassungsrechtlicher Grundrechtsgewährleistung.1024 Könnten der Grundrechte sein“, BVerfG, Beschluss v. 2. März 1967, Rentenversicherungsträger, BVerfGE 21, 362 (369 f.); BVerfGE 15, 256 (262). 1019 K. Globig, Anm. 995, 217 (218). 1020 A. A. S.-Ch. Lenski, Anm. 1106, S. 239. Nach ihr soll es in Bezug auf Äußerungen und Mitteilungen in Ausübung des Amtes nur zu einer Absenkung des Schutzniveaus kommen. 1021 BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, NJW 2004, 2462 (2465). 1022 J. Lege, Anm. 56, 616 (620). 1023 Dt. „Geheimniss der Herrschenden“. Dazu M. Stolleis, Arcana Imperii und Ratio Status. 1024 Vgl. nur BVerfG, Beschluss v. 8. Juli 1982, Atomanlagen, BVerfGE 61, 82 (100 f.): „Die Ausformung der Grundrechte geschah im Blick auf die Erfahrung typischer Gefährdungen und Verletzungen der Würde, der Freiheit und der rechtlichen Gleichheit der einzelnen Menschen oder von Menschengruppen durch öffentliche Gewalten. Besonders die vom Grundgesetz verbürgten materiellen Grundrechte wur-

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sich nun auch die Staatsorgane in Ausübung ihres Amtes auf die Grundrechte berufen, dann verlören diese ihre Legitimation. Von daher ist an der Differenzierung zwischen Amts- und natürlicher Person festzuhalten.1025 Dies heißt aber nicht, dass amtsbezogene Informationen generell vor den Augen der Öffentlichkeit nicht schützenswert sind.1026 Auch in einem demokratischen Staat ist es erforderlich, etwa bestimmte Initiativ- und Beratungssphären zu schützen.1027 Dies erkennt die Rechtsordnung auch an.1028 Der Schutz von Amtsinformationen findet seinen Grund jedoch nicht im Schutz der Entfaltungsfreiheit, sondern in der Funktionstüchtigkeit der Behörde.1029 Diese Vorschriften sind jedoch ihrem Zweck entsprechend zeitlich in der Regel befristet. So besteht heute kein Bedürfnis mehr, etwa Papiere über die Verhandlungsstrategie der Bundesregierung gegenüber der DDR, auch wenn diese durch Spionage gewonnen wurden, zu schützen. Die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, wonach „das Herausgabeverbot sämtliche personenbezogenen Informationen, die im weitesten Sinne auf Spionage gegenüber westdeutschen Staatsorganen und Behörden [. . .] beruhen“1030, umfasst, überzeugt jedenfalls in dieser Pauschalität nicht. 2. Trennbarkeit zwischen Amt und Person Ist sonach die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Amts- und Privatperson weiterhin geboten, ist zu fragen, wie man gleichwohl der vom Bundesverwaltungsgericht zu Recht angemerkten „Verquickung“ von Person und Amt gerecht wird. So wäre etwa im oben genannten Fall, der dem Berliner Verfassungsgerichtshof kürzlich vorlag, in dem Polizisten bei der Hausräumung aufgenommen und die Portraits der Polizisten später veröffentlicht wurden, kein Amtsgeheimnisschutz in Betracht gekommen. zeln in dieser geistesgeschichtlichen Tradition. Ihre Sinnmitte bildet der Schutz der privaten natürlichen Person gegen hoheitliche Übergriffe.“ 1025 St. Kirste, JuS 2003, 336 (339): Die Differenzierung zwischen natürlichen Personen und Amtsträgern sei ein das ganze öffentliche Recht durchziehender Grundsatz. 1026 Zu pauschal D. Schmidt/D. Dörr, StUG-Kommentar, § 32 Rn. 7. 1027 U. Dammann, NJW 1996, 1946; J. Lege, Anm. 56, 616 (620); zustimmend St. Kirste, Anm. 1025, 336 (339). 1028 Vgl. etwa Art. 44 Abs. 1 S. 2 GG. Dazu auch R. Derksen, Anm. 36, 551 (553). 1029 Nicht hierunter fallen jedoch in der Regel Berufsgeheimnisse. Das Arztgeheimnis, der anwaltliche Vertrauensschutz und das Beichtgeheimnis schützen die Entfaltung des Einzelnen, nicht des Berufsträgers. Vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 17. Dezember 1999, Gysi III, NJW 2000, 2416 (2417). 1030 BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, www.bverwg.de, Rn. 57.

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Auch ist die polizeiliche Hausräumung eine hoheitliche Vollstreckungsmaßnahme. Die Polizisten sind hier als Amtsträger tätig geworden. Ihr Gesicht ist aber Teil ihrer individuellen Person. Die Veröffentlichung im Internet diente dem Aufruf die jeweiligen Polizisten als Person und ihre Familien zu schädigen. Damit lag hier klar ein Fall vor, in dem die Entfaltung der individuellen Person direkt betroffen war, so dass der Verfassungsgerichtshof zu Recht das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Polizisten als verletzt ansah. Im Gegensatz dazu dürfte die Veröffentlichung eines Photos, auch eines Portraits, dass bei einer Bundestagsdebatte von einem Abgeordneten aufgenommen wird, nicht in Grundrechte eingreifen, da Abgeordnete anders als Polizisten ihr Amt in gesteigertem Maße durch ihre Persönlichkeit, und zwar auch mit ihrem Gesicht ausfüllen. Die Darstellung in der Öffentlichkeit ist hier Teil des Amtes. Eine Unterscheidung scheint, anders als Enders1031 meint, also möglich zu sein. Verquickt die eigene Geschichte mit der Geschichte der administrativen Einheit auch in Bezug auf die einzelne Information unauflöslich, dann ist diese Information zugleich am Maßstab des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und anderer Grundrechte zu messen.1032 In diesen Situationen wird der Amtsträger es jedoch regelmäßig hinnehmen müssen, dort mitgenannt und mitbeurteilt zu werden, wo es um den Einfluss und die Entwicklung „seiner“ Verwaltungsstelle geht.1033 Diese Abwägung ist jedoch für jede Information einzeln vorzunehmen. Die Amtsträgerschaft wird sich aufgrund des gesteigerten öffentlichen Interesses regelmäßig wieder auf der Ebene der Abwägung zu Gunsten der Forschungs- und Pressefreiheit auswirken.1034 Eine Verquickung mit des personalen und des Amtsgehalts ist jedoch nur dann anzunehmen, wenn die Persönlichkeit an sich unmittelbar betroffen wird. Zur Abgrenzung können hier die wenn auch notwendigerweise vagen Kriterien, die für die Sonderstatusverhältnisse entwickelt wurden, fruchtbar gemacht werden.1035 So wie dort zwischen Grund- und Betriebsverhältnis unterschieden wird, kann hier zwischen der Persönlichkeit an sich und dem Amt unterschieden werden. So ist auch ein Abgeordneter, der im Bundestag 1031 Ch. Enders, Anm. 65, 998 (999): „Wo Menschen agieren, lassen sich [. . .] die Bereiche des Privaten und des Öffentlichen nicht klar trennen.“ 1032 S. Simitis, Anm. 125, S. 1489, so auch Ch. Enders, Anm. 65, 998 (999): „Der Einzelne muss zwar die persönliche Belastung, die aus institutionalisierten Kontrollen einer bestimmten Funktionswahrnehmung erwachsen kann, als unvermeidliche Nebenfolge seiner Amts- und Funktionsträgerschaft im Grundsatz hinnehmen.“ 1033 A. A. offenbar RiLi BStU zu §§ 32, 34 v. 1. März 2007, 1.2.4. 1034 Teil 1 Kap. 2 § 2 B. II. 1. 1035 W. Loschelder, Anm. 1014. Zur Abgrenzung vgl. OVG NRW, Urteil v. 18. April 1989, Rauchverbot, DVBl. 1989, 935.

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Rede und Antwort steht, und von einem Zuschauer wegen seiner Äußerlichkeiten lächerlich gemacht wird, in seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen. Ebenfalls grundrechtlich geschützt bleibt eine Richterin gegen die Durchsuchung ihrer Wohnung, ihres privaten Computers und ihres Privattelefons nach Beweisen für die Verletzung ihres Amtsgeheimnisses.1036 Auch genießt ein Amtsträger, der vor einem Gericht für Verfehlungen im Amt persönlich zur Rechenschaft gezogen wird, grundsätzlich den allgemeinen Persönlichkeitsschutz.1037 Darauf, ob in heimlicher Weise Kenntnis von einem Verhalten in Ausübung des Amtes genommen wird, kommt es nicht an.1038 Denn ein Amtsträger ist in Ausübung seines öffentlichen Amtes – egal, ob er sein Amt unbeobachtet ausüben will – in seiner Entfaltung nicht frei. Desgleichen nicht erfasst sind – und hierin liegt ein entscheidender Unterschied zum Bundesverwaltungsgericht und zu Teilen der Literatur – rein reflexartige Rückwirkungen auf den Privatbereich des Amtsträgers; abgesehen davon, dass sie ohnehin entweder schon keinen Eingriff darstellen oder spätestens im Rahmen der Abwägung regelmäßig hinter das Kontrollinteresse der Öffentlichkeit zurücktreten würden, also praktisch keine anderen Konsequenzen zeitigen. Denn es kann davon ausgegangen werden, dass an der Preisgabe von amts- oder funktionsbezogenen Informationen, die zu beruflich existenzvernichtenden Folgen führen können, ein erhebliches öffentliches Interesse besteht. Der Frage, ob nun eine Information ausschließlich die Amtsperson oder auch die Privatperson tangiert, ist in Bezug auf jede einzelne Information nachzugehen. Eine Differenzierung ist jedoch zwingend geboten, denn es macht für die Interessenabwägung einen entscheidenden Unterschied, ob man ein gegenläufiges Interesse wie den allgemeinen Persönlichkeitsschutz ausmachen kann und in den Abwägungsprozess eintreten muss oder nicht. Wenn auch im konkreten Fall ohne Differenz im praktischen Ergebnis wäre das Verwaltungsgericht Berlin im Fall Gysi1039 daher gehalten gewesen, sich mit der Frage, ob der Rechtsanwalt in der DDR ein Amtsträger war oder nicht, auseinanderzusetzen, anstatt auf dessen Stellung als Person der Zeitgeschichte abzustellen, in die Abwägung einzutreten, um dort dann apodiktisch festzustellen, dass eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht ersichtlich sei. 1036

BVerfG, Urteil v. 2. März 2006, Verbindungsdaten, NJW 2006, 976. BVerfG, Beschluss v. 11. Januar 1996, Krenz, EuGRZ 1996, 73. 1038 A. A. Ch. Enders, Anm. 65, 998 (999): „Jede darüber hinausgehende und insbesondere die auf eine unzulässige Kenntnisnahme gestützte Befassung mit der Aufgabenerfüllung berührt aber in ihren für die Selbstdarstellung und das Bild in der Öffentlichkeit negativen Auswirkungen zugleich den Entfaltungsraum der Privatperson und ist unter dem Aspekt des Persönlichkeitsschutzes zu würdigen.“ 1039 VG Berlin, Urteil v. 3. Mai 2006, Gysi IV, 1 A 173.05, Rn. 41. 1037

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II. Ausschluss der Mitarbeiter des MfS Keiner weiteren Erwähnung bedarf, dass auch Tätern unter dem Grundgesetz Grundrechtsschutz zukommt. Im Lichte des eben Gesagten stellt sich jedoch auch in Bezug auf die Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes die Frage, ob nicht eine Veröffentlichung amtsbezogener Informationen über sie außerhalb des Anwendungsbereichs der Grundrechte liegt. Schließlich waren sie „Täter“ in Ausübung des Amtes. Denn auch die Tätigkeit bei der Staatssicherheit ist zumindest hinsichtlich der hauptamtlichen Mitarbeiter als klassische Amtstätigkeit zu qualifizieren. Sie haben mit ihrer Tätigkeit öffentlich-rechtliche Belange wahrgenommen.1040 Etwas schwieriger ist dies im Hinblick auf die inoffiziellen Mitarbeiter. Ihre Tätigkeit war weder vom öffentlichen Recht der DDR an sich erfasst noch sind sie nach außen als Teil des Staates aufgetreten. Sie agierten gerade geheim und nutzten oftmals gerade die Vertrautheit in privaten Beziehungen aus. Unter diesem Aspekt wurde der Aktenzugang zu personenbezogener Informationen von Mitarbeitern des MfS allerdings nie gesehen. Im Gegenteil, immer wieder hieß es „[i]m Rechtsstaat hat auch der Rechtsbrecher, der zur Rechenschaft gezogen wird, Rechte. Dies gilt auch für die hauptund nebenamtlichen Mitarbeiter der Stasi.“1041 Teilweise wurde der Unterschied darin erblickt, dass die DDR-Organe gerade keiner Öffentlichkeitspflicht unterlagen und schon von daher keine Offenlegung in Betracht komme.1042 Diese Aspekte mögen in der Abwägung des Persönlichkeitsrechts mit entgegenstehenden Interessen eine Rolle spielen. Zu diesem Punkt kommt man jedoch gar nicht, verneint man schon den Grundrechtsschutz. Denn der fehlende Grundrechtsschutz von Amtsträgern ergibt sich – wie gezeigt – nicht aus ihrer wie auch immer gestalteten Öffentlichkeitspflicht, sondern aus der Natur der Grundrechte. Die Besonderheit gegenüber anderen Amtsträger ist hier, dass bereits der Status als „Mitarbeiter des MfS“, unabhängig vom konkreten Agieren1043, mit einem solchen Unwerturteil über den Charakter der Person behaftet ist, dass sich Amt und Person nicht mehr auseinander dividieren lassen. Der Unwert der Institution schlägt auf die Person durch und betrifft insofern das Grundverhältnis.1044 Die Institution gibt es nicht mehr. Einziges noch verbleibendes Zurechnungssubjekt ist der Einzelne. Daraus folgt, dass den Mit1040

Ob es für die einzelnen Maßnahmen im öffentlichen Recht der DDR eine Grundlage gab, ist dabei unerheblich, dazu Teil 2 Kap. 2 § 2 A. II. 1. 1041 R. Motsch, Anm. 74, S. 95 (99). 1042 B. Manegold, Anm. 125, S. 291. 1043 Zur Definition des Mitarbeiters der Staatssicherheit vgl. Teil 3 § 1 C. I., II. 1044 Dazu näher Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II 5.

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arbeitern der Staatssicherheit zwar kein Anspruch auf informationelle Selbstbestimmung im Hinblick auf ihre Amtshandlungen zusteht. Wohl aber kommt ihnen grundsätzlich ein Achtungsanspruch, auf dessen Reichweite sich dann u. U. auch der Unwert der einzelnen Amtshandlungen auswirkt, zu.1045 Dementsprechend haben Gerichte durchweg persönlichkeitsrechtliche Belange der ehemaligen Mitarbeiter bei der Veröffentlichung von Informationen berücksichtigt.1046 III. Relativierung des Schutzes von politischen Funktionsträgern Keine Probleme hingegen bereiten, was den persönlichen Anwendungsbereich der Grundrechte anbelangt, die politischen Funktionsträger, worunter Personen verstanden werden, die an der politischen Willensbildung teilnehmen, ohne zugleich Träger eines öffentlichen Amtes zu sein. Dies gilt auch für die Funktionsträger politischer Parteien, der wohl wichtigsten Unterkategorie.1047 Zutreffend ist zwar, dass Parteien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Quasiverfassungsorgane aufgefasst werden; dass sie „Kreationsorgane aller anderen Organe“1048 sind; dass Staatsleitung und Parteiführung oftmals personenidentisch sind.1049 Von daher könnte man aufgrund dieser staatlichen Nähe Zweifel hinsichtlich der Anwendbarkeit der Grundrechte auf ihre Funktionsträger haben. Parteien bleiben jedoch ungeachtet der im Vergleich zu anderen privatrechtlichen Vereinen gesteigerten Rechte- und Pflichtenstellung privatrechtliche Vereine. Die Sonderstellung führt nicht zu einer Gleichstellung mit dem Staat. Das Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen dem Staat einerseits und Parteien andererseits bleibt bestehen und damit auch die klassische Gefahrenlage, die die Grundrechte abzuwehren suchen. Auch auf Parteien sind daher wesensmäßig die Grundrechte anwendbar. Parteien sind als 1045 Zur Frage des Vorverhaltens bei der Bestimmung des Schutzes der persönlichen Ehre Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 5. Zum Einwand des Abgeordneten einer Bezirksverordnetenversammlung, dass er Nachteile für seine Familie befürchte, wenn die Stasi-Mitarbeit durch einen zu Überprüfungszwecken einberufenen Ehrenrat offen gelegt wird, VG Berlin, Beschluss v. 24. September 1993, Ehrenrat, 26 A 105.93. Vgl. Zum Ehrschutz auch Der Tagesspiegel, 1. November 2009, http://www.tagesspiegel.de/meinung/kommentare/die-rueckkehr-der-ehre/1415204. html (Stand: 11. November 2010). 1046 Vgl. zuletzt LG München, Urteil v. 15. April 2009, Heinrich, 9 O 1277/09. 1047 A. A. C. Arndt, Anm. 1017, S. 2948 (2949). Ein Problem sieht auch St. Kirste, Anm. 1025, 336 (340). 1048 I. Richter/G. F. Schuppert/Ch. Bumke, Anm. 654, S. 335. 1049 BVerfG, Urteil v. 2. März 1977, Öffentlichkeitsarbeit I, BVerfGE 44, 125 (149 f.).

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gesellschaftliche Vereinigungen Ausdruck natürlicher Entfaltungsfreiheit, die sich in ihrem Handeln, also im Handeln ihrer Funktionäre, fortwirkt. Dementsprechend ging die Rechtsprechung auch durchweg von der Anwendbarkeit der Grundrechte auf Funktionsinhaber aus. So wurde die Äußerung des Berliner CDU-Fraktionsvorsitzenden, Uwe Lehmann Braus, in Bezug auf die angebliche Stasi-Mitarbeit Manfred Stolpes an Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gemessen.1050 Zudem bestehen auch im Hinblick auf Funktionsträger dieselben Verquickungen zwischen Privatperson und Funktion wie dies für Amtsträger der Fall ist. Zusätzlich gilt daher auch hier, wo die Privatperson als solche betroffen ist, der volle Grundrechtsschutz. Folgerichtig ging auch der Bundesgerichtshof in Bezug auf das abgehörte Telefonat zwischen dem damaligen Vorsitzenden der CDU, Kohl, und dem damaligen Generalsekretär der CDU, Biedenkopf, in dem es um die Kanzlerkandidatur Kohls ging, von einer mehrfachen Verletzung des Persönlichkeitsrechts aus.1051 Dass Kohl zu diesem Zeitpunkt zugleich auch Angeordneter war, spielte dabei keine Rolle, da Gegenstand des Gesprächs nicht die Mandatsausübung, sondern innerparteiliche Planungen waren. Die besondere Stellung speziell von Parteien als Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft kommt jedoch auf der Ebene der Abwägung zum Tragen.1052 Dort wird sich aus der herausgehobenen Stellung von Parteien bei der politischen Willensbildung bereits ein höheres öffentliches Interesse an Erkenntnissen über ihr Verhältnis zur Staatssicherheit ergeben. IV. Schutz Toter Die Frage des Persönlichkeitsschutzes Toter soll hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden. Sie ist für die Herausgabe und Verwendung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zwar – wie nicht zuletzt der Fall Havemann1053 oder auch die Herausgabe der Unterlagen über elf tote Parlamentarier des 6. Bundestages (1969–1972), die von der Stasi abgeschöpft wurden, zeigt – von großer und stetig zunehmender Bedeutung. Bei ihr stellen sich jedoch keine spezifischen Probleme. Die einzige problematische Frage, die sich hier stellte, war die nach der Notwendigkeit einer gesonderten Ermächtigungsgrundlage. Diese hat sich mittlerweile erledigt.1054 Der Grundrechtsschutz Toter ist seit der Mephisto-Entscheidung1055 des Bundesverfassungsgerichts weitgehend – freilich bei Beibehaltung der den 1050 1051 1052 1053 1054

Dazu oben Einleitung § 1 B. II. 1. BGH, Urteil v. 19. Dezember 1978, Kohl/Biedenkopf, NJW 1979, 647. Teil 1 Kap. 2 § 2 B. II. 1. Dazu oben Einleitung § 1 B. II. 2. b). Näher dazu Teil 3 § 1 D. IV.

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Grundrechten naturgemäß immanenten Unbestimmtheit hinsichtlich ihrer Reichweite – in überzeugender Weise geklärt worden. Danach sind Tote aufgrund der eingangs angedeuteten Unverträglichkeit mit dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 GG nicht Träger des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts.1056 Ihnen kommt aber ein nach Art. 1 Abs. 1 GG zu bestimmender Würdeschutz zu.1057 Dieser ist notwendigerweise enger als der Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Sofern eine – wie Stern meint1058 – im Vordringen befindliche Auffassung nun meint, dass dieser enge Schutz der Toten nicht ausreicht, da der Geist des Menschen gerade bei öffentlichen Personen über den Tod hinauswirke, es mithin eines erweiterten Ehrschutzes bedürfe, mag dies rechtspolitisch zutreffend sein. Dies ändert aber nichts an der hier zugrunde zu legenden aktuellen Verfassungslage. Eine andere damit im Zusammenhang stehende Frage ist die Reichweite des nach dem Bundesverfassungsgericht in Art. 1 Abs. 1 GG wurzelnden postmortalen Persönlichkeitsrechts. Dabei handelt es sich jedoch um eine Frage des materiellen Anwendungsbereichs des Persönlichkeitsschutzes, die auch in jenem Kontext besprochen werden soll.1059

B. Der relevante Anknüpfungspunkt des Eingriffs Die in dieser Arbeit unter dem Oberbegriff Verwendung durch Forschung und Medien besprochene Herausgabe und Veröffentlichung der Stasi-Unterlagen sind lediglich Ausschnitte aus einem zusammenhängenden Lebenssachverhalt, der in der Regel mit der Informationserhebung begann, in einer Vielzahl von Fällen durch die Weitergabe der Information an die Staatssicherheit fortgesetzt wurde und schließlich in die Speicherung der Informationen in den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes mündete. Mit der Wiedervereinigung fielen diese Informationen in die Hand der Bundesrepublik und wurden zunächst zur Lagerung der Verwaltung des Bundesbeauftragten unterstellt. Erst dadurch entstand die Problematik der weiteren Verwendung. Zwischen der Erhebung, Lagerung und Verwendung der Informationen – so heißt es – bestünde ein Fortsetzungszusammenhang.1060 1055 BVerfG, Beschluss v. 24. Februar 1971, Mephisto, BVerfGE 30, 173 (194). Vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 25. August 2000, Willy Brandt, EuGRZ 2001, 342. 1056 Zur Herleitung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugleich Teil 1 Kap. 2 § 3 C. I. 1057 BVerfG, Beschluss v. 19. Oktober 2006, Muttermord, www.bverfg.de, Rn. 17. 1058 K. Stern, Anm. 854, S. 50. 1059 Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 5. b), c). 1060 Bachmaier (SPD), Stellungnahme vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96, 41; G. F. Schuppert, Anm. 71, bezeichnet die Erhaltung des Aktenbestands als „fortdauernde Gefährdung des Allgemeinen Persön-

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Überwiegend wird aus diesem faktischen Zusammenhang die rechtliche Konsequenz gezogen, dass auch die Rechtmäßigkeit der vorgelagerten Handlungen bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verwendung eine Rolle spielen müsste; dass dementsprechend schon die rechtswidrige Informationserhebung zu einer Verwendungssperre führen müsste,1061 stelle doch für die Weiterverwendung der Informationen eine Perpetuierung ihrer rechtswidrigen Erhebung dar. Es handle sich um einen so genannten fortgesetzten Eingriff, der auch nur in seiner Gesamtheit bewertet werden könne. Abgesehen von der Frage, inwieweit die Informationserhebung überhaupt nach grundrechtlichen Maßstäben bewertet werden kann, ist bereits die Frage nach der Notwendigkeit der Berücksichtigung der Informationserhebung bei der Bestimmung des Grundrechtseingriffs klärungsbedürftig. I. Tatsächlicher Fortsetzungszusammenhang Es ist bereits fraglich, ob der behauptete Fortsetzungszusammenhang überhaupt besteht. Es fehlt bereits an einer Identität der Zurechnungssubjekte zwischen dem Ersteingriff, der Informationserhebung, und dem Folgeeingriff, der Verwendung. Auch kann im Unterschied zu den bereits erwähnten Fällen der Verwertung rechtswidriger Beweise von einer Aneignungssituation1062, in der sich die BStU das Verhalten der Staatssicherheit zu Eigen macht, nicht gesprochen werden. Die Zielrichtung der Informationserhebung des Staatsicherheitsdienstes und der Verwendung der Informationen sind vollkommen entgegengesetzt. Bestand das Endziel der Informationserhebung in der Sicherung der DDR-Diktatur, soll mit der Herausgabe und Veröffentlichung der Informationen nun Prävention gegen die Etablierung von Diktaturen betrieben werden. II. Rechtlicher Fortsetzungszusammenhang Die „These vom fortgesetzten Grundrechtseingriff“ überzeugt auch rechtlich nicht. Zumindest überzeugen die daraus in der Rechtssache Kohl1063 gezogenen Konsequenzen, dass der Maßstab für die Beurteilung der Inforlichkeitsrechts“. Vgl. dazu auch ausführlich Teil 2 Kap. 2 § 2 A. I. sowie bereits Einleitung § 2 B. 1061 E. Benda/D.C. Umbach, Anm. 1, S. 107 f. 1062 Teil 1 Kap. 2 § 2 B. I. 1. 1063 BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, BVerwGE 121, 115 (127). In der Barschel/Pfeiffer-Affäre stellte das LG Kiel dagegen zu Recht nur auf die Verwertung ab, vgl. LG Kiel, Beschluss v. 9. August 1995, Barschel/Pfeiffer II, NJW 1996, 1976.

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mationserhebung das Grundgesetz und dementsprechend auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sein müsse, nicht. Weder die DDR-Organe noch die einzelnen DDR-Bürger waren an das Grundgesetz gebunden. Die bereits erwähnten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Grundlagenvertrags-Urteil, wonach das Grundgesetz auch auf die DDR-Bürger Anwendung finden sollte, war territorial auf das Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik und personell auf die Bundesorgane beschränkt.1064 Insofern kann auch die Informationserhebung des Staatssicherheitsdienstes nicht ohne weiteres am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG gemessen werden. In Betracht kommt hier allenfalls eine „Als-ob-Betrachtung“ dergestalt, dass die Informationserhebung des Staatssicherheitsdienstes zwar nicht direkt am Grundgesetz gemessen wird, sondern so, als ob sie von bundesdeutschen Behörden vollzogen worden wäre, beurteilt wird. Eine solche „Als-ob-Betrachtung“ bedürfte als Ausnahmefall jedoch einer Begründung. Allein die Tatsache, dass schließlich die in Rede stehende Verwendung unter der Ägide des Grundgesetzes erfolgt, reicht hierfür nicht aus. Überzeugender erscheint es dagegen aus der Perspektive des Einzelnen von der Verwendung seiner personenbezogenen Informationen Betroffenen zu argumentieren und zu fragen, ob ohne die Unterwerfung der Informationserhebung unter das Grundgesetz bei Verwendung der Informationen erhebliche Rechtsschutzlücken entstehen würden, die einer isolierten Behandlung der Herausgabe und Veröffentlichung der personenbezogenen Informationen am Maßstab des Grundgesetzes entgegenstünden. Weder das Grundgesetz im Allgemeinen noch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht im Speziellen verbieten generell, dass die Staatsgewalt an Produkte (hier die personenbezogenen Informationen) rechtswidrigen Handelns einer fremden Hoheitsgewalt, die in den Anwendungsbereich des Grundgesetzes gelangen, anknüpft. Das Grundgesetz hat diese Frage offen gelassen. Hiervon geht auch die gängige Praxis etwa bei der Auslieferungoder Überstellung von Beschuldigten beziehungsweise Verurteilten oder Inhaftierten an die deutsche Staatsgewalt aus.1065 Danach werden auch grundrechtswidrig zustandegekommene Urteile ausländischer Hoheitsträger in Deutschland vollstreckt, ohne dass eine volle Prüfung am Maßstab der Grundrechte erfolgt.1066 1064

Teil 1 Kap. 2 § 1 C. II. 1. a) aa). So K. Stern, Anm. 146, S. 199. Ausnahmen insoweit wohl BVerfG, Beschluss v. 9. Januar 1963, Asyl, BVerfGE 15, 249 (255 f.). 1066 Der notwendige Exequaturbeschluss der deutschen Gerichte beschränkt sich hier lediglich auf eine sehr viel gröbere Prüfung am Maßstab rechtsstaatlicher Grundsätze. 1065

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Dieser Grundsatz gilt selbst dann, wenn – wie im Falle der DDR – der Staat untergegangen ist, und eine Einmischung in fremde Angelegenheiten und damit ein Verstoß gegen den Grundsatz der Staatensouveränität durch Nichtanerkennung von Hoheitsakten nicht in Betracht kommt.1067 Denn auch der Einigungsvertrag geht in Bezug auf die Rechtsakte der untergegangenen DDR in seinen Art. 18, 19 EV davon aus, dass Rechtsakte der DDR, die gemessen am Maßstab der Grundrechte als rechtswidrig einzustufen wären, ihre Geltung grundsätzlich beibehalten, es sei denn sie widersprächen rechtsstaatlichen Grundsätzen.1068 Diese Regelung gibt klar zu erkennen, dass eine nachträgliche, wenn auch nur inzidente Umbewertung der Handlungen der DDR am Maßstab des Grundgesetzes gerade nicht gewollt war. Ansonsten hätte sich der begrenzende Verweis auf die rechtsstaatlichen Grundsätze erübrigt. Eine Pflicht, die Informationserhebung auch nur inzident am Allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu messen, ergibt sich aus dem Grundgesetz nicht. Der relevante Anknüpfungspunkt für den Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist allein die Herausgabe der personenbezogenen Informationen und die Genehmigung ihrer Veröffentlichung durch die BStU.

C. Der Eingriff durch Herausgabe und Veröffentlichung der Stasi-Unterlagen Der Frage, inwieweit der Verwendung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes das Allgemeine Persönlichkeitsrecht entgegensteht, wurde in Bezug auf die Regelung der §§ 32, 34 StUG sowohl alter als auch neuer Fassung in der Literatur und Praxis die meiste Aufmerksamkeit gewidmet.1069 Die Reichweite und die Schutzwürdigkeit des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts standen seit 1990 auch immer wieder im Zentrum der politischen Debatte.1070 Die Erörterungen zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht 1067 Zu den Grenzen der staatlichen Jurisdiktion J. Drohla, in: Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Casebook Völkerrecht, Rn. 233 ff. 1068 Zur retroaktiven Anwendbarkeit der Grundrechte vgl. schon Teil 1 Kap. 2 § 1 C. II. 1. b) bb). 1069 Zur Rechtsprechung vgl. Einleitung § 1 B. II. Aus der Literatur auszugsweise: A. Dix, Anm. 304; J. Pohl, Anm. 35; M. Kleine-Cosack, Anm. 137; D. Krüger, Der Archivar 2000, 34; H.-H. Trute, JZ 1992, 1045 ff. Siehe auch die Stellungnahmen der Sachverständigen vor dem Innenausschuss des Dt. BT am 25. April 2002, Protokoll Nr. 96 sowie die Kommentare in der FAZ v. 24. Juni 2004, S. 1 und FAZ v. 25. Juni 2004, S. 10 sowie das Gutachten v. E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 1. 1070 Selbst vor der Erstreckung des Geltungsbereichs des Grundgesetzes wurde diese Frage kontrovers diskutiert. Das Volkskammergesetz sah gar eine doppelte Zugangsbarriere vor: Die Notwendigkeit eines erheblich überwiegenden Interesses und

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beschränkten sich dabei zumeist auf eine fragmentarische Paraphrasierung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, bei der die Spezifika der Stasi-Unterlagen-Problematik keine hinreichende Würdigung erfuhren. Die Frage, in welche Gewährleistungsbereiche und inwieweit durch die Informationsherausgabe – und Veröffentlichung in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht überhaupt eingegriffen werden kann, ging dabei in der Regel unter. Dies liegt zum einen daran, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht in seinem Sinngehalt nicht hinreichend erfasst wurde, zum anderen daran, dass spezifische Besonderheiten, die sich im Zusammenhang mit der Herausgabe von personenbezogenen Informationen des Staatssicherheitsdienstes insbesondere auf der Eingriffsebene stellen, nicht hinreichend durchdrungen wurden. Die Stellungnahmen zu §§ 32, 34 StUG reflektieren insoweit die allgemeine Verwirrung um das so genannte Rahmenrecht des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, die nicht zuletzt durch die sich losgelöst voneinander und darüber hinaus ohne klare Rechtsgrundlage entwickelte Rechtsprechung von Zivil- und Verwaltungsgerichten zum Persönlichkeitsschutz gestiftet wurde:1071 „Begriff und dogmatische Prägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind Schöpfungen der Rechtsprechung“1072, wobei es bereits schwer fällt, überhaupt ein einheitlichen Grundverständnis zwischen Verwaltungs- und Zivilgerichtsbarkeit auszumachen.1073 Bis heute scheint die Zivilgerichtsbarkeit einen wirtschaftlichen Ansatz, und zwar der alleinigen wirtschaftlichen Ausbeutungsbefugnis an der eigenen Person zu verfolgen1074, während insbesondere das Bundesverfassungsgericht im Ideellen den Sinn des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts sucht.1075 Diese unterdass der Forschungszweck nicht anders oder nur unter erheblichem Aufwand erreicht werden kann, GBl. DDR, Teil 1, Nr. 58, 7. September 1990, S. 1419 ff. 1071 Dazu St. Gottwald, Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht. 1072 Treffend U. di Fabio, Anm. 143, Art. 2 Abs. 1 Rn. 128. 1073 Hinzu kommen auch Unterschiede in der Rechtsprechung der einzelnen Gerichtsbarkeiten. So sind etwa die 27. Kammer des Berliner Landgerichts und die 24. Kammer des Hamburger Landgerichts, an die sich dann in der Regel auch die Anwälte prominenter Persönlichkeiten wenden, hinlänglich bekannt für ihre weite Auslegung des Persönlichkeitsschutzes und dementsprechend enge Auslegung der Pressefreiheit. Zur Rechtsprechung des Berliner Landgerichts vgl. W. Heintschel von Heinegg, Anm. 973. 1074 Umfassend dazu St. Gottwald, Anm. 1071. BVerfG, Beschluss v. 22. August 2006, Blauer Engel, www.bverfg.de, Rn. 30: Verfassungsrechtlicher und zivilrechtlicher Persönlichkeitsschutz seien nicht identisch. 1075 BVerfG, Beschluss v. 22. August 2006, Blauer Engel, www.bverfg.de, Leitsatz 1 c, Rn. 24. Die Begründung des Gerichts, dass sich die Unterschiede in der Auslegung aus den unterschiedlichen Aufgaben, die den Zivilgerichten einerseits und dem Verfassungsgericht andererseits obliegen, ergeben, überzeugt nicht. Dort, wo sich – wie im betreffenden Fall – Grundrechte einander gegenüberstehen, ist die

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schiedlichen Ansätze spiegeln sich auch in der unterschiedlich definierten Reichweite der einzelnen Gewährleistungsbereiche des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts wider. I. Dogmatische Grundlagen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts Ein Eingriff in ein Grundrecht setzt eine gewisse Klarheit über den Gewährleistungsbereich des Grundrechts voraus. Daher müssen hier zunächst die Gewährleistungsgehalte des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts herausgearbeitet werden, bevor die Frage, inwieweit die Herausgabe und Veröffentlichung personenbezogener Informationen aus den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in dasselbe eingreifen kann, erörtert wird. Ausgangspunkt ist die Frage nach dem Schutzgut des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, denn nur aus ihm lassen sich dann einzelne Gewährleistungsgehalte überhaupt bestimmen. Selbst wenn man hier ein übergreifendes Schutzgut nur ganz allgemein in dem Recht des Einzelnen, von jedweden Beeinträchtigungen seines Tuns und Seins verschont zu bleiben, erblickt, muss die Frage nach dem „Warum“ des Schutzes spätestens im Rahmen der Abwägung thematisiert werden, da sich anderenfalls eine Feststellung, inwieweit eine bestimmte Maßnahme in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreift, wie schwer also letztlich dieser Eingriff wiegt, überhaupt nicht mehr treffen lässt. Ohne Abstufung nach Bedeutungsgehalten wäre eine Unterscheidung hinsichtlich der Eingriffsintensität unmöglich, so dass etwa Informationen über den Empfang eines „Westpakets“ im Jahre 1982 und solche über ein außereheliches Verhältnis einer bestimmten Person sowie deren Alkoholproblem genauso zu gewichten wären. Dies kann offensichtlich nicht richtig sein. 1. Schutzgut Auf den ersten Blick scheint die Frage nach dem Schutzgut des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts kein Problem darzustellen, stellt doch Art. 2 Abs. 1 GG klar, dass Schutzziel die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ ist. Die Verwirrung beginnt dort, wo man den Versuch unternimmt, die zahlreichen in der Rechtsprechung herausgearbeiteten und von der Literatur im Prüfungsbefugnis des Gerichts nicht mehr nur auf die Grenzen der grundrechtskonformen Auslegung beschränkt. Vielmehr ist es gehalten die Austarierung der Grundrechte im Einzelfall zu überprüfen. Bei Grundrechtskollisionen ist die Prüfung regelmäßig engmaschiger. Sie kann sich im Einzelfall auch zu einer Vollüberprüfung verdichten.

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Wesentlichen anerkannten Gewährleistungsbereiche des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, namentlich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Recht am eigenen Wort, das Recht am eigenen Bild, das Recht auf inhaltlichen, räumlichen und personellen Schutz der Privatsphäre oder das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informatorischer Systeme usw. mit diesem Schutzziel in Beziehung zu setzen.1076 So lässt sich fragen, wie etwa die Herausgabe der Information, dass eine Person in den Stasi-Unterlagen überhaupt verzeichnet ist, ohne Hinweis auf ihre Rolle (Amtsträger, Mitarbeiter der Staatssicherheit, Betroffener einer Ausspähung etc.) geeignet ist, die freie Entfaltung dieser Person zu beeinträchtigen. Auch die Herausgabe der Kontonummer bei der Sparkasse der DDR oder der Hinweis, dass die Person häufiger Pakete von der im Westen Deutschlands lebenden Verwandtschaft erhielt, die neben Jacobs-Krönung auch Nivea-Creme, Palmolive-Seife und Sarotti-Schokolade enthielten, sind Fälle, in denen eine Beeinträchtigung der freien Entfaltung der Persönlichkeit kaum denkbar erscheint, sofern man die Entfaltung nicht als ein Bestimmungsrecht über die eigenen Daten versteht.1077 Die Tatsache, dass es sich bei den in der Rechtsprechung hergeleiteten Gewährleistungsbereichen offenbar nicht mehr nur um Entfaltungsschutz handelt, hat dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht den Ruf eingebracht, es sei ein „Grundrecht im Grundrecht“1078, ein „Hauptfreiheitsrecht“1079, ein „materielles Hauptgrundrecht“1080, ein „Blankettgrundrecht“1081, ein „Muttergrundrecht“1082, ein „supplimentäres Generalfreiheitsrecht“1083, „ein unbenanntes Freiheitsrecht“1084 und es enthalte „Rechtsgüter im Rechtsgut“1085. Mit solchen und ähnlich abstrakten, ja zum Teil gar nichts sagenden Beschreibungen behilft sich die Rechtswissenschaft bei der Bestimmung des Rahmens des Persönlichkeitsrechts1086: „Die Grundrechtsdogmatik ist [auch hier] dabei ihre Konturen zu verlieren.“1087 1076 Zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung vgl. M. Albers, Informationelle Selbstbestimmung, S. 156 ff. 1077 Dazu sogleich Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 1. 1078 U. di Fabio, Anm. 143, Art. 2 Abs. 1 Rn. 127. 1079 D. Düring, in: Maunz/Düring, GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 1 (1958), Rn. 8. 1080 H. C. Nipperdey, Die Grundrechte IV/2, S. 741 (742). 1081 J. Isensee, Die staatsrechtliche Stellung der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, VVDStRL 32 (1974), 49 (80). 1082 R. Herzog, JuS 1969, 397 (398). 1083 R. Alexy, Anm. 212, S. 309. 1084 BVerfG, Beschluss v. 3. Juni 1980, Eppler, BVerfGE 54, 148 (153). 1085 H. Schneider, Anm. 145, S. 162. 1086 Kritisch auch W. Heintschel von Heinegg, Anm. 548, 505 (506). 1087 So zutreffend E.-W. Böckenförde, Anm. 166, 165.

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Stern1088 geht schlicht davon aus, dass es ein „Gesamtgrundrecht“, also den Rahmen oder die gemeinsame Wurzel der inzwischen anerkannten Gewährleistungsbereiche des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gar nicht gebe; dass sich die Gewährleistungsgehalte des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts „teils aus historischen, teils aus sachlichen Gründen“, aber jedenfalls nicht allein aus dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 GG herleiten ließen; dass ihm daher auch eine multiple Zielsetzung zugrunde läge. Er unterscheidet in Bezug auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zwischen zwei unterschiedlichen Schutzgütern: dem Schutz der Persönlichkeit und dem Schutz der Privatsphäre. Das Handbuch des Staatsrechts wagt sich an das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gar nicht erst heran. Es beschränkt sich auf die Darstellung des Schutzes der Privatsphäre. Die Ausführungen zur Herleitung dieses Rechts verweisen auf den Charakter des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 als Auffanggrundrecht.1089 Murswiek will durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG die sich „frei entfaltende Persönlichkeit“ und ihre Würde geschützt wissen.1090 Den Versuch einer näheren Präzisierung unternimmt er nicht, sondern bezieht sich allein auf die in der Rechtsprechung vertretenen Gewährleistungsgehalte, ohne selbst ansatzweise einen normativen Maßstab für deren Richtigkeit zu suchen. Dreier sieht die Wurzel des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Ziel der Sicherung der Entstehungsbedingungen freier, autonomer Individualität, wie sie den Freiheitsrechten in ihrer Gesamtheit zugrunde lägen.1091 Art. 2 Abs. 1 GG lege eine grundsätzliche Freiheitsvermutung fest.1092 Möller1093 unterscheidet differenzierter zwischen der Selbstverwirklichung, der Persönlichkeitsentfaltung und der Selbstdarstellung, sieht aber auch das Problem, dass sich zumindest die erste und dritte Zielsetzung dem Wortlaut der Norm entziehen. Zur normativen Herleitung wird neben der freien Entfaltung vom „Menschenbild des Grundgesetzes“, der Würde des Menschen bis hin zur rechtlich unverbindlichen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1949 alles herangezogen. Die zivilrechtliche Rechtsprechung begnügt sich mit der Feststellung, das Persönlichkeitsrecht sei ein „offener Tatbestand“, der wegen seiner „generalklauselartigen Weite und Unbestimmtheit [. . .] seinem Inhalt nach nicht abschließend bestimmt werden“1094 könne. Die Frage nach einem Rahmen wird gar nicht erst gestellt. Das Allgemeine Persön1088

K. Stern, Anm. 854, S. 190. W. Schmitt-Glaeser, HBStR VI, § 19, Rn. 8. 1090 D. Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 60. 1091 H. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 25. 1092 Diese Freiheitsvermutung ist von der oben Teil 1 Kap. 1 § 3 A. VI. 1. abgelehnten Freiheitsvermutung im Rahmen der Abwägung zu unterscheiden. 1093 K. Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht. 1094 BGHZ, Urteil v. 2. April 1957, Persönlichkeitsschutz, BGHZE 24, 72 (78 ff.). 1089

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lichkeitsrecht wird hiernach offenbar nicht als Rahmenrecht, sondern als Sammelsurium, für all das, was sich nicht unter andere Grundrechte fassen lässt, aufgefasst. Schon um der Rechte Dritter wegen und aufgrund der bereits dargestellten Unwägbarkeiten des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes muss an dieser Stelle dennoch der Versuch unternommen werden, das was unter dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu verstehen ist, zu umreißen. a) „Freie Entfaltung“ als normativer Ausgangspunkt Die Herleitung der Gewährleistungsbereiche der unter dem Oberbegriff Allgemeines Persönlichkeitsrecht zusammengefassten Rechte muss bei der Rechtsgrundlage und nicht bei dem, was die Rechtsprechung daraus gemacht hat, beginnen. Denn – wie Böckenförde zu Recht bemerkt – Grundrechte können nicht als „Ausfaltung abstrakter Beliebigkeits-Freiheit“1095 gewährleistet werden. Sie müssen entsprechend einem „historisch-genetisch geprägtem Verständnis“1096 entlang gesellschaftlicher Konfliktlinien bestimmt werden. Konkretisierung könne nur innerhalb einer als Rahmenordnung verstandenen Verfassung gewährleistet werden.1097 Hierauf ist die Rechtsprechung gemäß der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung auch beschränkt. Jede andere Auslegung liefe Gefahr die Verfassung in den Dienst der Beliebigkeit zu stellen und damit zu entwerten. Ein Blick in das Grundgesetz offenbart, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht dem Wortlaut des Grundgesetzes fremd ist.1098 Stattdessen schützt der insoweit stets in Bezug genommene Art. 2 Abs. 1 GG die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Dabei lässt Art. 2 Abs. 1 GG mit Blick auf die Schrankenregelung („soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“) zunächst vermuten, dass die Entfaltung der Person hier im Sinne einer Handlungsfreiheit zu verstehen ist.1099 Denn nur eine externe „Entfaltung“ vermag in die Rechte anderer einzugreifen. Anders als etwa die Bestimmungen zum Schutze der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG, und der Gewissens- und Religionsfreiheit, Art. 4 Abs. 1 GG, bleibt der Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 GG im Hinblick auf den Schutz der „geistlich-sittlichen 1095

E.-W. Böckenförde, Anm. 166, 165 (168, 186 Fn. 86). Ebd. 1097 Ebd. 1098 Siehe auch K. Möller, Anm. 1093, S. 46. 1099 Zur Kritik an der Interpretation grundrechtlicher Schutzbereiche von den Schrankenregelungen her vgl. H. Dreier, GG-Kommentar, Vorb. zu Art. 2 Rn. 79; K.-A. Schwarz, JZ 2000, 126 (127). 1096

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Freiheit“ unscharf. Dieser wird erst durch weitergehende teleologische Überlegungen deutlich. Denn auch außerhalb der in Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 4 Abs. 1 GG geschützten Bereiche können Eingriffe in den noch näher zu definierenden persönlichen Lebensbereich die Wahrnehmung von Freiheitsrechten beeinträchtigen und ihre Gewährleistung unterlaufen.1100 Das in Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit kann daher nur dahingehend verstanden werden, dass es sowohl die externe Entfaltung, die Allgemeinen Handlungsfreiheit und, als deren Voraussetzung, die interne Entfaltung umfasst. Die Herleitung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Annex zur Allgemeinen Handlungsfreiheit legt es nahe, dass die zu schützende Bedingung für die effektive Freiheitsausübung kausal sein muss. Schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht sonach Daten nur, um die Voraussetzungen der „freien Entfaltung“, das freie Handeln, zu gewährleisten, dann drängen sich in Bezug auf die Schutzbedürftigkeit der Information, dass X im Jahre Y Kaffee, Creme, Seife und Schokolade in einem Westpaket erhielt, doch erhebliche Zweifel auf. Bloße Affektionsinteressen, der Schutz vor bloßen Unannehmlichkeiten, die keine weitergehenden Konsequenzen für die freie Entfaltung des Einzelnen zeitigen, müssten dann aus dem Gewährleistungsbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausscheiden.1101 In diesem Sinne ist dann auch die Rechtsprechung zu verstehen, wenn sie meint, dass zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht die Sicherung all dessen gehöre, was die Grundbedingungen freien Handelns ausmacht.1102 Diese Konsequenz wurde aber in der Praxis nicht gezogen. Das mit der Weite der Auslegung des Schutzbereiches einhergehende Differenzierungsproblem zwischen dem Schutz von aus allgemeiner Sicht wohl als banal angesehener Persönlichkeitsentfaltung wie dem Taubenfüttern1103 oder dem Reiten im Walde1104 einerseits und etwa dem Schutz vor willkürlichen polizeilichen Durchsuchungen andererseits suchten Rechtsprechung und Literatur dadurch zu lösen, dass sie das Allgemeine Persönlichkeitsrecht in den Kontext der Menschenwürde setzten. Die ausdrückliche Inbezugnahme der Menschenwürde soll so im Bereich der Abwägung eine stärkere Differenzierung im Bereich des Entfaltungsschutzes erlauben und das festgestellte 1100 Vgl. bereits BVerfG, Beschluss v. 13. Januar 1981, Konkursbedingte Aussagepflichten, BVerfGE 56, 37 (41). 1101 Zur Funktion des Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG. 1102 Vgl. nur BVerfG, Urteil v. 16. Juli 1969, Mikrozensus, BVerfGE 27, 1 (6); BVerfG, Beschluss v. 3. Juni 1980, Eppler, BVerfGE 54, 148 (153); BVerfG, Urteil v. 31. Januar 1989, Abstammung, BVerfGE 79, 256 (268 f.). 1103 BVerfG, Beschluss v. 23. Mai 1980, Taubenfüttern, BVerfGE 54, 143 (146). 1104 BVerfG, Beschluss v. 6. Juni 1989, Reiten im Walde, BVerfGE 80, 137.

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„Vakuum zwischen unantastbarer Zone [Menschenwürde] und beliebig einschränkbarer allgemeiner Handlungsfreiheit“1105 überbrücken. b) Art. 1 Abs. 1 GG als Auslegungsmaßstab Allgemein wird Art. 1 Abs. 1 GG die Funktion eines Auslegungsmaßstabs zugemessen.1106 Was darunter jedoch zu verstehen ist, bleibt weitgehend unergründet: Heißt dies, dass die Nähe zu dem, was durch Art. 1 Abs. 1 GG an sich geschützt wird, im Rahmen der Abwägung eine Rolle spielen soll – wie es hier ohnehin bereits für alle Grundrechte vertreten wird1107 –; dass sich die Gewährleistungsbereiche des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts von vorneherein nur auf Zustände beziehen, die in ihrem Bedeutungsgrad für den Einzelnen – wie auch immer dieser zu definieren sein mag – den anderen Grundrechten ebenbürtig sind, die jedoch nicht von der Menschenwürde erfasst werden, oder geht es darum, neben der freien Entfaltung der Persönlichkeit ein neues mit dieser nicht zwingend in einer Beziehung stehendes Schutzgut zu schaffen, um einen maximalen Schutz vor staatlicher Intervention in den – dann ebenfalls noch zu definierenden – Lebensbereich des Einzelnen zu schaffen? Oder geht es darum, den passiven Aspekt der Entfaltungsfreiheit zum unantastbaren Bereich hochzuzonen, wie es im Zusammenhang mit Frage nach der Herausgabe- und Veröffentlichungsfähigkeit der Stasi-Unterlagen mehrfach versucht wurde?1108 Für die Ansicht di Fabios, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht trotz seiner Umschreibung als unbenanntes Freiheitsrecht kein gesondertes Grundrecht darstelle, das sich gegenüber Art. 2 Abs. 1 GG verselbständigt habe, und die Rolle des Art. 1 Abs. 1 GG insofern beschränkt sei auf die eines Auslegungsmaßstabs für die Ermittlung des Inhalts und der Reichweite des Schutzumfanges1109, spricht die dogmatische Konsistenz. Denn das Grundgesetz enthält im Gegensatz zu anderen Verfassungen der Welt gerade keine Öffnungsklausel, die der Rechtsprechung die Gleichstellung bestimmter nicht geregelter Gewährleistungen mit den ausdrücklich verankerten grundrechtlichen Gewährleistungen unter bestimmten Umständen gestattet.1110 1105

M. Koppernock, Das Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 35. R. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 1 Rn. 50; K. Möller, Anm. 1093, S. 53; Ch. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar, Bd. 1, Art. 2 Abs. 1 Rn. 85. S.-Ch. Lenski, Personenbezogene Massenkommunikation, S. 140. 1107 Teil 1 Kap. 1 § 3 A. II. 1108 Zum Kohl IV-Urteil zutreffend W. Heintschel von Heinegg, Anm. 548, 505. 1109 U. di Fabio, Anm. 143, Art. 2 Rn. 128. 1110 Vgl. Anm. 732. 1106

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Diese Auffassung wird auch nicht durch das vermeintlich neue Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informatorischer Systeme des Bundesverfassungsgerichts revidiert, denn auch dieses lässt sich dogmatisch konsistent auf die Entfaltungsfreiheit zurückführen.1111 Insbesondere in der Instanzrechtsprechung hingegen, hat sich offenbar die Auffassung durchgesetzt, dass nicht mehr nur die Entfaltung der Persönlichkeit, sondern die Selbstbestimmung und die seelische Integrität schlechthin gewährleistet sei, ganz gleich ob sie auf (aktive) Entfaltung zielt oder nicht. Damit ist aber Art. 1 Abs. 1 GG nicht mehr lediglich Auslegungsregel, denn er geht über den Rahmen, den Art. 2 Abs. 1 GG mit der freien Entfaltung der Person steckt, hinaus. Auch das vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Namensrecht1112, das Recht auf Kenntnis der Abstammung1113, das Recht auf Kenntnis der eigenen Lebensgeschichte1114 sind für die Individualitätsbildung unzweifelhaft von Bedeutung, obgleich sie nicht vom engen Gewährleistungsbereich der Menschenwürde an sich erfasst werden. Sie sind aber keine unmittelbaren Voraussetzungen für eine auf das „Tun und Lassen, was man will“ verstandene Entfaltungsfreiheit.1115 Damit ist eine Erweiterung des positiv normierten Grundrechtsschutzes vorgenommen worden, über deren Zulässigkeit man bereits streiten mag, die jedoch als gängige Verfassungspraxis nicht ignoriert werden kann und daher hier nicht in Frage gestellt werden soll. Das Endziel des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird man vor diesem Hintergrund letztlich banal mit dem Schutz der Persönlichkeit umschreiben müssen. Die konkreten Bestandteile dieses Schutzes bestimmen sich aus dem, was in Art. 1 Abs. 1 GG als freiheitsrechtlicher Aspekt der Würde des Menschen bereits im Kern geschützt ist: die Handlungsfreiheit und ihre Voraussetzungen, die Individualitätsbildung sowie der Achtungsanspruch als 1111 BVerfG, Urteil v. 27. Februar 2008, Computergrundrecht, www.bverfg.de, Rn. 196 ff. Es erscheint selbst fragwürdig, inwieweit das so genannte Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informatorischer Systeme überhaupt einen neuen Gewährleistungsbereich begründet. Denn das angeblich über den Schutzgehalt der räumlichen Privatsphäre hinausgehende Element sieht das Gericht in dem Datenumfang, auf den durch Ausspähung des Computers in kürzester Zeit zugegriffen werden kann. Hierbei handelt es sich jedoch um klassische Erwägungen zur Eingriffsintensität. 1112 BVerfG, Beschluss v. 8. März 1988, Familienname, BVerfGE 78, 38 (49). 1113 BVerfG, Beschluss v. 26. April 1994, Ehelichkeitsanfechtung, BVerfGE 90, 263 (270). In Bezug auf das Recht des Kindes BVerfG, Beschluss v. 9. April 2003, Umgangsrecht, BVerfGE 108, 82; zum Recht des Vaters BVerfG, Urteil v. 13. Februar 2007, Vaterschaft, www.bverfg.de. 1114 Damit ist das Jedermannsrecht, seine eigene Lebensgeschichte zu rekonstruieren, gemeint, U. di Fabio, Anm. 143, Art. 2 Rn. 216. 1115 A. A. offenbar R. Alexy, Anm. 212, S. 311 f.

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Person. Mit diesen Zielrichtungen ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht denkbar weit gefasst, das Tun und Sein, das hierdurch geschützt wird, nahezu unendlich. 2. Erheblichkeitskriterium? Damit steht man in Bezug auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht genau vor derselben Frage, wie beim Recht auf Allgemeine Handlungsfreiheit1116: Wo sind die Grenzen? Wie lässt sich die Eingriffsintensität, der entscheidende Aspekt im Abwägungsprozess, überhaupt abschichten? Sind die Informationen im Beispielsfall des „Westpaketes“ genauso schützenswert wie die Information, dass X ein außereheliches Verhältnis mit Y hatte und dieser noch Bericht über die Fluchtpläne ihres Ehemanns erstattet hat? Wie Möller zu Recht feststellt, ist der Kernpunkt der Debatte hier ein staatsrechtstheoretischer1117; konkret formuliert die Frage, ob den Grundrechten des Grundgesetzes die Idee zugrunde liegt, dass jede Einschränkung, die in noch so geringfügiger Weise den Einzelnen berührt, einer Rechtfertigung bedarf oder ob nicht anders herum das Grundgesetz eine Grundordnung enthält, die mit den Grundrechten dem staatlichen Handeln nur Eingriffe in besonders bedeutsame Gewährleistungsbereiche verbietet und im Übrigen die Sphärenabgrenzung zwischen Staat und Individuum der ihrerseits durch das Volk legitimierten und an dieses rückgekoppelten Gesetzgebung überlässt. Die theoretische Auseinandersetzung mit dieser Frage muss anderen Arbeiten vorbehalten bleiben. Fest steht, dass die Praxis – ohne dass freilich den damit verbundenen staatstheoretischen Fragen und daraus resultierenden dogmatischen Problemen größerer Platz eingeräumt wird – ausdrücklich davon ausgeht, dass dem Grundgesetz die Idee eines umfassenden Grundrechtschutzes zugrunde liegt. Ausgangsgangspunkt war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nach der auch das Reiten auf bestimmten Waldwegen dem Grundrechtsschutz unterfällt. „Geschützt ist [. . .] nicht nur ein begrenzter Bereich der Persönlichkeitsentfaltung, sondern jede Form menschlichen Handelns ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt.“1118 Bereits zuvor hatte es die Auffassung vertreten, dass auch das Füttern von Tauben in den Schutzbereich der Handlungsfreiheit fiele.1119 Für seine Auffassung hatte es stets 1116 Eine ähnliche Frage stellte sich bereits oben Teil 1 Kap. 2 § 2 B. II. in Bezug auf die Schutzwürdigkeit der Unterhaltungspresse. 1117 K. Möller, Anm. 1093, S. 49 f. 1118 BVerfG, Beschluss v. 6. Juni 1989, Reiten im Walde, BVerfGE 80, 137 (152). 1119 BVerfG, Beschluss v. 23. Mai 1980, Taubenfüttern, BVerfGE 54, 143.

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angeführt, dass sich eine Differenzierung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Handlungen aufgrund der unterschiedlichen subjektiven Wahrnehmungen für die Persönlichkeitsentfaltung kaum allgemein treffen lasse.1120 Dieser Sichtweise hielt Verfassungsrichter Grimm in seinem Sondervotum entgegen, dass sich die Grundrechte von einer Vielzahl anderer Rechte dadurch unterschieden, „dass sie die Integrität, Autonomie und Kommunikation des Einzelnen in ihren grundlegenden Bezügen schützen“ und eben wegen dieser fundamentalen Bedeutung für eine auf der Menschenwürde gegründete Ordnung aus der Menge der Rechte hervorgehoben und verfassungsrechtlich mit erhöhten Garantien gegenüber der öffentlichen Gewalt, insbesondere mit Bindungswirkung für den Gesetzgeber, ausgestattet worden seien.1121 Es sei aber – so Grimm weiter – weder historisch noch funktional der Sinn der Grundrechte, jedes erdenkliche menschliche Verhalten unter ihren besonderen Schutz zu stellen.1122 Beide Auffassungen setzen an völlig unterschiedlichen Punkten an. Während Grimm der Frage, ob das Grundgesetz einen umfassenden Freiheitsschutz vorsieht, nachgeht, übergeht die Mehrheitsmeinung des Senats diese Frage schlicht und setzt allein an der Praktikabilität einer Differenzierungspflicht an. Damit erspart sie sich eine Auseinandersetzung mit Frage, warum das Grundgesetz überhaupt spezielle Grundrechtsgewährleistungen beinhaltet und nicht von vorneherein ein Generalgrundrecht, das vor jeglichen Eingriffen, die den Einzelnen in seinem Sein und Tun auch nur tangieren, Schutz bietet. Ein solches Auffangrecht lässt sich auch nicht mit dem losen Verweis auf den Herrenchiemseer Entwurf, wonach „Der Staat [. . .] um des Menschen willen da“ ist, und „nicht der Mensch um des Staates Willen“1123 rechtfertigen, da dieser Satz eben nicht zwingend den Schluss auf einen all1120

BVerfG, Beschluss v. 6. Juni 1989, Reiten im Walde, BVerfGE 80, 137

(154). 1121 BVerfG, Beschluss v. 6. Juni 1989, Reiten im Walde, BVerfGE 80, 137 (164). Für eine solche Interpretation des Art. 2 Abs. 1 GG auch W. Hoppe, Art. 2 Abs. 1 GG und Umweltschutz, in: Erichsen/Kollhosser/Welp, Recht der Persönlichkeit, Berlin 1996, 73 (82). In diese Richtung geht auch BVerwG, Urteil v. 29. März 1977, Nachbarklage, BVerwGE 54, 211 (221). 1122 In diese Richtung geht auch K. Hesse, Anm. 166, Rn. 428: „Eine solche Interpretation entspricht der Eigenart der Grundrechte, die als subjektive Rechte überall, namentlich aber in den Menschenrechten, durch einen über die ‚allgemeine Handlungsfreiheit‘ hinausgehenden personalen Bezug gekennzeichnet sind. Sie entspricht der Eigenart der Grundrechte als punktuelle Gewährleistungen der Freiheit besonders wichtiger oder gefährdeter Lebensbereiche, die mehr verbürgen als das zu tun, was nicht verboten ist.“ 1123 Art. 1 Abs. 1, http://www.verfassungen.de/de/de49/chiemseerentwurf48.htm (Stand: 15. März 2010).

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umfassenden materiell-verfassungsrechtlichen Schutz des menschlichen Tuns und Seins in Gestalt des Grundrechtsschutzes zur Folge hat.1124 Er lässt sich genauso gut dahingehend verstehen, dass der Schutz des Menschen ein Staatsziel ist, das in Ausprägung der ausdrücklich normierten grundrechtlichen Gewährleistungen auch subjektive Berechtigungen beinhaltet, in allen anderen Bereichen jedoch nur objektiv-rechtliche Direktive ist.1125 Abgesehen davon verfängt die Mehrheitsauffassung der Richter auch im Übrigen nicht. Zwar klärt Grimm die Frage, wie nun die erheblichen Zustände und Handlungen, die über Art. 2 Abs. 1 GG geschützt werden sollen, zu identifizieren sind, nicht. Einer Würdigung des Einzelfalls steht seine Auffassung aber nicht entgegen. Er geht nicht davon aus, dass eine abschließende Auflistung aller schützenswerten Handlungen und Zustände möglich ist. Zudem sind auch nach der Mehrheitsauffassung im Rahmen der Abwägung Differenzierungen im Bedeutungsgehalt vorzunehmen. Damit wird der ohnehin schon komplizierte Abwägungsprozess zusätzlich überfrachtet. Die harsche Kritik, die Grimms Auffassung hervorgerufen hat,1126 ist umso unverständlicher vor dem Hintergrund der neueren Tendenzen in der Literatur. Diese erkennt nämlich die im ersten Teil herausgearbeiteten Probleme des Abwägungsprozesses und plädiert daher für eine stärkere Differenzierung im Vorfeld. Die von Böckenförde entworfene und überwiegend begrüßte Vier-Punkte-Prüfung der Grundrechte (Vorhof, Schutzbereich, Eingriff, Rechtfertigung) stellt nichts anderes als die Umsetzung der Grimmschen Idee dar.1127 Ob man nun neben dem eigentlichen Schutzbereich – wie Böckenförde – noch einen so genannten Vorhof der Grundrechte anerkennt, oder ob man gleich davon ausgeht, dass bestimmte Dinge nicht dem Grundrechtsschutz unterliegen, spielt zumindest für die hier zu behandelnde Frage keine Rolle. Denn auch ein Einriff in einen Zustand oder eine Handlung, die nur in den Vorhof des Art. 2 Abs. 1 GG fällt, ist ihm zufolge kein Grundrechtseingriff. Insofern folgert auch Isensee, es sei „unredlich und inkonsequent auf der Tatbestandsebene einen potentiellen Freiheitsschutz zu postulieren, der von vorneherein keine seriöse Chance hat, sich in irgendeinem Einzelfall zu aktualisieren, weil er notwendig auf der Schrankenebene demontiert werden muss“.1128 1124

So aber K. Möller, Anm. 1093, S. 50. Zu weiteren grundrechtsfreien Räumen vgl. K.-A. Schwarz, Anm. 1099, S. 126 (128 ff.). 1126 Dazu B. Pieroth, AöR 1990, 33 (37 ff.). Allerdings ist zweifelhaft, ob Grimm in den meisten der v. Pieroth aufgeführten Beispiele zu einem anderen Ergebnis kommen würde. 1127 E.-W. Böckenförde, Anm. 166, 165 (174 ff.). 1128 J. Isensee, Anm. 580, § 111 Rn. 174. 1125

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Daher wird den folgenden Ausführungen hier die These zugrunde gelegt, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nur solche individuellen Zustände schützt, die eine gesteigerte, dem Schutzgut der übrigen Grundrechte vergleichbare Relevanz für die Persönlichkeitsentfaltung und das menschliche Sein besitzen. Schon im Lüth-Urteil findet sich eine Begrenzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dieses schütze nur „Elemente der Persönlichkeit, die nicht schon Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in nichts nachstehen“1129, hieß es damals. Noch konkreter folgerte das Bundesverfassungsgericht im Eppler-Beschluss: „Dieses ergänzt als ‚unbenanntes‘ Freiheitsrecht die speziellen ‚benannten‘ Freiheitsrechte, die, wie etwa die Gewissens- oder die Meinungsfreiheit, ebenfalls konstituierende Elemente der Persönlichkeit schützen. Seine Aufgabe ist es, im Sinne des obersten Konstitutionsprinzips der ‚Würde des Menschen‘ (Art. 1 Abs. 1 GG) die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten, die sich durch die traditionellen Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen.“1130

Ob ein bestimmter Zustand grundrechtlich geschützt ist, ist grundsätzlich in jedem Einzelfall zu prüfen. Maßstab für die Bestimmung der Erheblichkeit kann allein der Blick eines objektiven Dritten im konkreten Einzelfall sein. Die nachfolgend zu erörternden Kategorien sind insofern nicht als abschließend zu verstehen. Sie werden nur typischerweise im Zusammenhang mit der Herausgabe und Veröffentlichung personenbezogener Informationen relevant. II. Einzelne Bestandteile des Persönlichkeitsschutzes Sucht man nach den einzelnen anerkannten Bestandteilen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, dann wird die Uneinigkeit schnell offenbar. Ohne dass hier auf alle vertretenen Auffassungen dazu eingegangen werden kann oder muss, ist es doch erwähnenswert, dass in kaum einem Lehrbuch oder Kommentar deckungsgleiche Angaben zu den Gewährleistungsgehalten existieren. Die größten Divergenzen bestehen dabei jedoch nicht unbedingt in der Sache, also in dem, was geschützt werden soll, sondern in den Bezeichnungen. Eine weitere Schwierigkeit bilden dann Überlappungen und Überschneidungen von einzelnen Gewährleistungsbereichen. Die nachfolgende Auffächerung des Persönlichkeitsrechts orientiert sich an keiner dieser Darstellungen. Sie versucht die einzelnen in der Rechtsprechung vertretenen Facetten des Persönlichkeitsrechtes vor dem Hintergrund 1129 1130

BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1958, Lüth, BVerfGE 7, 198 (208). BVerfG, Beschluss v. 3. Juni 1980, Eppler, BVerfGE 54, 148 (153).

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der soeben herausgearbeiteten Begründungserwägungen für den allgemeinen Persönlichkeitsschutz herauszuarbeiten, in einen sinnvollen Zusammenhang zu stellen und gegeneinander abzugrenzen. 1. Recht auf informationelle Selbstbestimmung Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat – so Kind zutreffend – in der Diskussion um die Regelung der §§ 32, 34 StUG als „Schlagwort, weniger als inhaltliche Komponente“ eine Rolle gespielt, weil dazu wohl auch die präzisen Konturen fehlten.1131 Eine Vielzahl von Autoren hat sich gleichwohl darauf beschränkt, die Regelung am Maßstab des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu messen. Im Gegensatz zu den Verfassungen einiger Länder1132 kennt das Grundgesetz kein allgemeines Grundrecht auf Datenschutz.1133 Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch aus dem in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG wurzelnden Allgemeinen Persönlichkeitsrecht „die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner Daten zu bestimmen“1134, hergeleitet. Dementsprechend findet sich nicht nur in der Rechtsprechung, sondern auch in der Literatur häufiger der Hinweis, dass die Daten dem Bürger gehörten und Ähnliches.1135 In Bezug auf die Verwendung der personenbezogenen Informationen in den Stasi-Unterlagen bedeutete dies, dass die darin erwähnten Personen zumindest „grundsätzlich“ über die Verwendung der Daten disponieren könnten. Dementsprechend verbreitete sich in Bezug auf die Verfahrensweise mit den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes die 1131

H. G. Kind, Anm. 74, 68 (90). Art. 4 LV-NRW; Art. 33 LV-Sachsen; Art. 6 LV-Sachsen-Anhalt; Art. 6 LVMecklenburg-Vorpommern; Art. 11 LV-Bbg.; Art. 6 LV-Thüringen. 1133 Zutreffend W. Berg, Anm. 887, 63 (70); J. Pohl, Informationsbeschaffung beim Mitbürger, S. 151. Ablehnend gegenüber der Einführung eines solchen Rechts M. Kloepfer, Datenschutz als Grundrecht, S. 45 ff. Vgl. aber auch die Auffassung Kloepfers im Zusammenhang mit der Diskussion um eine Verfassungsreform nach 1990, in: Verfassungsgebung als Zukunftsbewältigung aus Vergangenheitserfahrung, S. 47 f. sowie Anm. 321, S. 98 f. Insbesondere aus den Erfahrungen mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR folgert Kloepfer die Notwendigkeit der Einführung eines Rechts auf Datenschutz, fordert aber hierfür differenzierte Schrankenvorbehalte zugunsten anderer gleichwertiger Verfassungsgüter, insbesondere zu Gunsten von Presse und Forschung. 1134 BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1983, Volkszählung, BVerfGE 65, 1 (42 f.). BVerfG, Beschluss v. 23. Oktober 2006, Schweigepflichtklausel, www.bverfg.de, Leitsatz 2 a; BVerfG, Beschluss v. 6. Juni 2006, Ärztliche Schweigepflicht, www. bverfg.de, Rn. 34. 1135 K.-P. Schwalm (Mitglied des Bürgerkomitees), in: Berliner Zeitung v. 6. August 1990; abgedr. in: S. Schumann, Anm. 13, 103 (104). S.-Ch. Lenski, Anm. 1106, S. 145. 1132

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Ansicht, dass über die personenbezogenen Informationen grundsätzlich der Ausgespähte selbst bestimmen können soll. Schließlich sei es seine Sache, ob sie – ggf. auch ungelesen – zu vernichten seien.1136 Dem schloss sich im Grundsatz auch der Bundesgerichtshof in seinem Urteil betreffend die IMListen an.1137 Danach gewährt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Schutz vor Eingriffen, die Daten gegen den Willen des Betroffenen für die Öffentlichkeit verfügbar zu machen. Hierauf rekurrierte das Bundesverwaltungsgericht in beiden Kohl-Entscheidungen.1138 Blickt man jedoch auf die Begründungserwägungen, die das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungs-Urteil geleitet haben, so wird schnell klar, dass es mit dem so genannten Recht auf informationelle Selbstbestimmung eben gerade kein allumfassendes Bestimmungsrecht über die Verwendung eigener Daten postulieren wollte.1139 Vielmehr stellt das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich klar, dass die Reichweite des Datenschutzes von den Gefahren, die durch den Eingriff entstünden, her zu bestimmen sei.1140 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung entsprang insofern nicht unvermittelt einem Geistesblitz der Verfassungsrichter, sondern dogmatisch konsistent aus der Gefahrenlage, die durch die Ansammlung und Verwendung personenbezogener Informationen für die freie 1136

Contra R. Motsch, Anm. 74, S. 95 (101). BGHZ, Urteil v. 12. Juli 1994, IM-Listen III, JZ 1995, 253 ff. 1138 BVerwG, Urteil v. 8. März 2003, Kohl II, JZ 2002, 996 ff.: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung umfasst die Befugnis jedes Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen“. Noch weitergehender VG Berlin, Urteil v. 17. September 2003, Kohl III, NJW 2004, 457 ff.: „das Recht auf informationelle Selbstbestimmung umfasst die Befugnis jedes Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen [. . .] und erfasst unabhängig von der qualitativen Aussagekraft der Daten jede Form der Erhebung, schlichten Kenntnisnahme, Speicherung, Verwendung, Weitergabe und Veröffentlichung von persönlichen, d.h. individualisierten oder individualisierbaren Informationen“ sowie BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, AfP 2004, 380. Die Gerichte berufen sich dabei insbesondere auf die Kommentierung v. U. di Fabio, Anm. 143, Art. 2 Abs. 1 Rn. 174 ff., der den umfassenden Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wiederum aus dem Recht auf Selbstdarstellung ableitet. Dazu unten Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 4. 1139 Tendenziell deutet sich jedoch in der Rechtsprechung des BVerfG eine Divergenz zwischen erstem und zweitem Senat an. Die Verneinung eines Verfügungsrechts tritt nur beim ersten Senat in dieser Deutlichkeit hervor. In den Entscheidungen des zweiten Senats findet sich immer wieder der auch vom BVerwG aufgegriffene Passus: das Allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse „die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbar werden“, vgl. BVerfG, Beschluss v. 15. März 2001, Genetischer Fingerabdruck, EuGRZ 2001, 249 (252) m. w. N. 1140 BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1983, Volkszählung, BVerfGE 65, 1 (45). 1137

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Entfaltung der Persönlichkeit, die explizit durch den Wortlaut des Grundgesetzes unter Schutz gestellt ist, entstehen können.1141 „Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu handeln oder zu planen.“

Weiter heißt es: „Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf die Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte verzichten.“1142

Ausgangspunkt der Begründung des hinter dem „Wortungetüm“1143 Recht auf informationelle Selbstbestimmung stehenden Rechts ist also nicht etwa die Existenz eines eigentumsähnlichen Rechts an eigenen Daten, das es gleichsam zu schützen gelte, wie dies für das Eigentum in Art. 14 GG anerkannt ist. Ausgangspunkt ist vielmehr die Gefahr der Beeinträchtigung anderer Freiheitsrechte.1144 Dies hat das Bundesverfassungsgericht im Caroline von Monaco-Urteil unmissverständlich klargestellt: „Ein allgemeines und umfassendes Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person enthält Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 GG entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht. Soweit sie ein derartiges Recht aus früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entnehmen möchte (vgl. BVerfG 35, 202 [220]; 54, 148 [155 f.]; 63, 131 [142]), liegt darin eine unzutreffende Verallgemeinerung des in Ansehung der konkreten Fälle formulierten Schutzgehalts der grundrechtlichen Gewährleistung. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach betont hat, gibt das allgemeine Persönlichkeitsrecht dem Einzelnen nicht den Anspruch, nur so von anderen dargestellt zu werden, wie er sich selber sieht oder gesehen werden möchte (vgl. BVerfG 82, 236 [269]; 97, 125 [149]; 97, 391 [403]; 99, 185 [194]). Ein derart weiter Schutz würde nicht nur das Schutzziel, Gefährdungen der Persönlichkeitsentfaltung zu vermeiden, übersteigen, sondern auch weit in die Freiheitssphäre Dritter hineinreichen.“1145 1141 B. Kraushaar/M. Kraushaar nennen dies eine Art „Risikoanalyse“, vgl. in: Die Grundrechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und ihr Einfluss auf die Entwicklung des individuellen Arbeitsrechts, S. 35. 1142 BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1983, Volkszählung, BVerfGE 65, 1 (35). 1143 So J. Limbach, Anm. 343, S. 26. 1144 BVerfG, Beschluss v. 23. Februar 2007, Videoüberwachung Synagoge, www. bverfg.de, Rn. 38 f. zur Gefahr der Verwendung der Aufnahmen für belastende hoheitliche Maßnahmen; BVerfG, Beschluss v. 23. Oktober 2006, Schweigepflichtklausel, www.bverfg.de, Rn. 28 ff. zur Gefahr der Knebelung bei Schweigeklauseln in vom Vertragspartner dominierten Verträgen. Zur damit in Zusammenhang stehenden Diskussion um die normative Grundlage des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vgl. m. w. N. W. Schmitt-Glaeser, Anm. 1089, § 129 Rn. 81 ff.

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Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist somit keineswegs mit einem Grundrecht auf Datenschutz gleichzusetzen, wie es etwa in Art. 11 der brandenburgischen Landesverfassung postuliert wurde.1146 Zwar hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder an die Grundlagen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erinnert, die in der Natur des Menschen als selbstbestimmtem Wesen wurzeln. Dennoch hat es das Selbstbestimmungsrecht nicht durchweg als Bestimmungsrecht über die eigenen Daten verstanden.1147 Selbstbestimmung ist hier vielmehr nicht als Selbstbestimmung über eigene Daten zu verstehen, sondern als Selbstbestimmung über das eigene Handeln als Grundvoraussetzung für die freie Entfaltung der Person. Schutzobjekt ist nicht das Datum, sondern die Entfaltung der Person.1148 Datenschutz ist also genau wie die Aufarbeitung nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck.1149 Dies bestätigte das Bundesverfassungsgericht kürzlich erneut.1150 Daraus ergibt sich in Bezug auf die Verwendung der vom Staatssicherheitsdienst erhobenen personenbezogenen Informationen Folgendes: Ein Eingriff in den Schutzbereich ist überhaupt nur dort zu konstatieren, wo 1145 BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, BVerfGE 101, 361 (380). Bestätigt durch BVerfGE 65, 1 (42 f.). BVerfG, Beschluss v. 23. Oktober 2006, Schweigepflichtklausel, www.bverfg.de, Leitsatz 2 b, Rn. 28 unter Betonung der Stellung des Einzelnen in der Gesellschaft. 1146 Dort heißt es: „Jeder hat das Recht, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen [. . .]“. 1147 Vgl. explizit BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, BVerfGE 101, 361 (380). So auch J. Pohl, Anm. 1133; W. Berg, Anm. 1133. In dieselbe Richtung geht bereits W. Schmidt in seiner ausdifferenzierten Darstellung zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Datenschutz, JZ 1974, 241 (244, 247). Missverständlich insoweit BVerfG, Beschluss v. 14. Dezember 2000, Genetischer Fingerabdruck, BVerfGE 103, 21 (32 f.). 1148 Zutreffend bereits 1974 W. Schmidt, Anm. 1147. 1149 Von dieser weitergehenden Zielsetzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung geht offenbar auch Birthler aus, wenn sie meint: „Vor allem ehemalige DDR-Bürger, aber nicht nur sie, sehen das Lesen ‚ihrer‘ Akte als eine Möglichkeit, ihre informationelle Selbstbestimmung zurückzugewinnen. Zu wissen, was die Handlanger der Diktatur über sie zusammengetragen haben, ermöglicht ihnen selbstbestimmte Entscheidungen über ihr Verhältnis zur eigenen Vergangenheit und zu jenen, die sie beobachtet und drangsaliert haben“, M. Birthler, 6. Tätigkeitsbericht, Vorwort, S. 5. 1150 BVerfG, Urteil v. 2. März 2006, Verbindungsdaten, NJW 2006, 976 (979 Rn. 86): „Das Grundrecht [Recht auf informationelle Selbstbestimmung] dient dabei auch dem Schutz vor einem Einschüchterungseffekt, der entstehen und zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung anderer Grundrechte führen kann, wenn für den Einzelnen nicht mehr erkennbar ist, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Die Freiheit des Einzelnen, aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden, kann dadurch wesentlich gehemmt werden.“

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von der Informationsverwendung für die Handlungsfreiheit des Einzelnen noch Gefahren ausgehen. Zurückkommend auf den Ausgangsfall des „Westpakets“ griffe daher die Berufung auf die informationelle Selbstbestimmung nicht ohne Weiteres Platz. Gleiches muss auch für die Herausgabe einer Kontonummer bei einer Institution, die es heute nicht mehr gibt, gelten.1151 Etwas anderes hingegen muss grundsätzlich bei Angaben wie der Telefonnummer von X gelten. Zwar mag diese heute nicht mehr existieren. Eine Telefonnummer lässt aber Rückschlüsse darauf zu, dass X ein Telefon hatte. Da in der DDR zumeist nur kranke Menschen oder Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes und Funktionäre in den Genuss eines Telefons kamen, kann diese Information auch X in seiner Entfaltungsfreiheit beeinträchtigen. Diese Informationen können Spekulationen auslösen, aufgrund derer sich X möglicherweise zurückzieht oder sich möglicherweise einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sieht. Dies hat praktische Konsequenzen, allerdings nicht – wie man meinen könnte – für den Schutzbereich des Rechts auf „informationelle Selbstbestimmung“, sondern auf der Eingriffsebene. In der Rechtsprechung und Literatur wurde der Schutzbereich des so genannten „informationellen Selbstbestimmungsrechts“ trotz der sehr unterschiedlichen Begründungen für seine Herleitung stets sehr weit gefasst. Zu Recht. Es lässt sich nicht von vorneherein nach dem Inhalt oder nach der Art der Erhebung oder Verwendung personenbezogener Daten eine irgendwie geartete Betroffenheit der Selbstbestimmung der Person im oben dargelegten Sinne gänzlich ausschließen. Dies gilt auch für triviale Daten; ja, sogar für Erhebungen oder Verwendungen personenbezogener Daten, in die der Betroffene eingewilligt hat.1152 Insofern ist auch die Aussage des Bundesverfassungsgerichts im Volkszählungs-Urteil, unter den modernen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung gebe es kein belangloses Datum mehr1153, da die Möglichkeit besteht, das Erscheinungsbild eines Menschen in einer bestimmten Situation von diesem abzulösen, datenmäßig zu fixieren – zu „verdinglichen“ – und jederzeit vor einem unüberschaubaren Personenkreis zu reproduzieren, zunächst durchaus folgerichtig. Dementsprechend muss sich auch die Regelung der §§ 32, 34 StUG am Maßstab des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung messen lassen. Die Dif1151 A. A. offenbar H.-H. Trute, Anm. 1069, 1043 (1044), der – jedoch ohne Begründung – von einem durchweg „fortwirkenden Bedrohungspotential ausgeht“. 1152 Zutreffend J. Pohl, Anm. 1133, S. 153 ff. 1153 BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1983, Volkszählung, BVerfGE 65, 1 (36); BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, BVerfGE 101, 361 (381); BVerfG, Beschluss v. 9. Oktober 2002, Fernmeldegeheimnis, BVerfGE 106, 28 (40). Ausführlich zur aktuellen Gefahrenlage Ch. Hohmann-Dennhardt, NJW 2006, 545 (insb. 547).

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ferenzierungen kommen erst auf der Ebene des konkret-individuellen Eingriffs zum Tragen.1154 2. Recht auf Achtung der Privatsphäre Neben dem „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ bietet auch das Recht auf Privatsphäre Schutz vor dem Zugriff auf personenbezogene Informationen.1155 Die §§ 32, 34 StUG müssen sich daher auch an diesem Gewährleistungsbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts messen lassen. Der aus dem Recht auf Privatsphäre fließende Informationsschutz ist mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht identisch. Gleichwohl ist auch hier Schutzgegenstand die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Anders als beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird der Schutzbereich nicht durch die aus dem Eingriff resultierenden Gefahren für die Entscheidungsfreiheit heraus definiert, vielmehr wird hier per se für Informationen aus einem bestimmten Bereich, der Privatsphäre, die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit präjudiziert. Die Annahme eines solchen „autonomen Bereichs privater Lebensgestaltung“1156 basiert auf dem Gedanken, dass dem Mensch kraft seines Menschseins ein bestimmter Rückzugsbereich bleiben muss1157, in dem er frei von fremden Einflüssen „seine Individualität entwickeln und wahren kann“1158 und ohne den eine Entfaltung der Persönlichkeit frei von Fremdbestimmung nicht denkbar ist. Allein der Schutz dieses Raumes der Abgeschiedenheit ermöglicht es dem Einzelnen, „frei von öffentlicher Beobachtung und damit der von ihr erzwungenen Selbstkontrolle zu sein, auch ohne daß er sich dort notwendig anders verhielte als in der Öffentlichkeit“1159. 1154 Zu den Differenzierungen, die sich sodann im Rahmen der Auslegung ergeben, vgl. Teil 3 § 3 A. II. 1. Vgl. auch H.-M. Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 795 ff. 1155 BVerfG, Beschluss v. 23. Februar 2007, Videoüberwachung Synagoge, www.bverfg.de, Rn. 38, 39. 1156 BVerfG, Urteil v. 5. Juni 1973, Lebach, BVerfGE 35, 202 (220). 1157 Diesen bezeichnet das BVerfG als „Innenraum, in dem der einzelne sich selbst besitzt und in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt“, BVerfG, Urteil v. 22. Februar 1956, Elfes, BVerfGE 6, 32 (47); BVerfG, Urteil v. 16. Juli 1969, Mikrozensus, BVerfGE 27, 1 (6); BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1970, Scheidungsakten I, BVerfGE 27, 344 (350); BVerfG, Beschluss v. 8. März 1972, Ärztekartei, BVerfGE 32, 373 (379); BVerfG, Urteil v. 5. Juni 1973, Heimliche Tonbandaufnahmen, BVerfGE 34, 238 (245); BVerfG, Urteil v. 14. Dezember 1973, Soraya, BVerfGE 34, 269 (281). 1158 BVerfG, Urteil v. 5. Juni 1973, Lebach, BVerfGE 35, 202 (220).

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Die Bestimmung der Reichweite der Privatsphäre gestaltet sich schwierig, was zum einen der „prismatische Vielfältigkeit des Schutzgutes“1160, aber auch den jeweils unterschiedlichen Ansichten über das, was privat und was nicht privat ist, geschuldet ist. Eine Bestimmung der Privatsphäre kann nur in Ansehung des konkreten Einzelfalles erfolgen. Sie umfasst all jene Angelegenheiten, „die typischerweise als ‚privat‘ eingestuft werden“1161, also Situationen, in denen der Einzelnen „begründetermaßen und somit auch für Dritte erkennbar erwarten darf, den Blicken der Öffentlichkeit nicht ausgesetzt zu sein“.1162 Maßgeblich bei der Bestimmung dessen, was als „privat“ eingestuft wird, muss zunächst die Position eines objektiven Dritten in der spezifischen Situation sein.1163 Eine rein subjektive Interpretation der Privatsphäre würde die Reichweite verfassungsrechtlicher Garantien in das Belieben des Einzelnen stellen. Der Sinn und Zweck der verfassungsrechtlichen Freiheitsgarantien, die gerade darauf zielen, die Freiheitssphären der einzelnen Mitglieder gegeneinander und gegenüber dem Staat als Hüter dieser Freiheitsgarantien abzugrenzen, würde damit unterlaufen. Eine Abgrenzung und Handhabung wäre dann nicht mehr möglich.1164 Dementsprechend stellt das Bundesverfassungsgericht fest: Es stehe nicht in der Bestimmungsmacht des Einzelnen, jeden außerhäuslichen Bereich in seine Privatsphäre umzudefinieren.1165 Jedoch kommt dem Verhalten des Betroffenen dabei eine besondere Bedeutung zu. Entscheidend ist, was sich einem objektiven Dritter, als Privatsphäre des Betroffenen darstellt.1166 Entscheidende Elemente sind dabei nach ständiger Rechtsprechung die nach außen für einen Dritten erkennbare Abschirmung und auch das Vorverhalten des von der Herausgabe und Veröffentlichung der Stasi-Unterlagen Betroffenen.1167 Die zu1159 BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, BVerfGE 101, 361 (383). 1160 W. Schmitt-Glaeser, Anm. 1089, Rn. 10. 1161 BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, BVerfGE 101, 361 (382). 1162 BVerfG, Beschluss v. 2. Mai 2006, Luftaufnahmen, NJW 2006, 2836 ff.; BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, BVerfGE 101, 361 ff. 1163 BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, NJW 2004, 2462 (2464). 1164 Diese Frage hängt eng damit zusammen, wie man die Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG als Ausgangsnorm aller Grundrechte interpretiert. Zu den verschiedenen Ansätzen der Wert- und Mitgifttheorie, der Leistungstheorie und der Kommunikationstheorie vgl. K. Stern, Anm. 854, S. 22. 1165 BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, BVerfGE 101, 361 (385). 1166 D. Rohlfs, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 53 f. 1167 BVerfG, Beschluss v. 21. August 2006, Promipartner, NJW 2006, 3406; BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, BVerfGE 101, 361 (385).

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

nächst objektiv festzulegende Grenze der Privatheit wird somit zu einem gewissen Grade subjektiviert. So kann der Einzelne durch sein Verhalten eine Situation als privat „deklarieren“. Diese Erwartung muss jedoch situationsübergreifend und konsistent zum Ausdruck gebracht werden. Es kommt dabei maßgeblich auf den Empfängerhorizont an. So wird man etwa die Geheimhaltungsinteressen eines Ulrich Mühe, der sich mehrfach zur Rolle der Stasi in seinem Leben, insbesondere zu den mutmaßlichen Verwicklungen seiner Ex-Frau, der Filmschauspielerin Jenny Gröllmann, bei den Bespitzelungen durch die Stasi, geäußert hat, ganz anders bewerten, als die desjenigen, der seine Akte im Stillen gelesen und der Öffentlichkeit keinen Einblick gewährt hat. Dies erscheint zunächst einleuchtend, geht es doch – wie gezeigt – beim Privatsphärenschutz um die Wahrung der Gewährleistung eines Rückzugsbereichs. Wer in bestimmten Punkten – hier die Berichterstattung über die Bespitzelung durch den Staatssicherheitsdienst – auf diesen Rückzugsbereich verzichtet, in dessen Privatsphäre gehören dann auch die Informationen hierüber nicht mehr.1168 Die Frage ist nun, ob sich diese Öffnung der Privatsphäre auch auf Informationen bezieht, die durch die Bespitzelung gewonnen wurden. Wären auch etwaige vom Staatssicherheitsdienst erhobene Informationen über ein außereheliches Verhältnis, oppositionelle Tätigkeiten oder ein Alkoholproblem von der Öffnung der Privatsphäre erfasst? Wie stünde es mit Informationen darüber, dass die Staatssicherheit etwa ein außereheliches Verhältnis oder ein Alkoholproblem als Druckmittel gegen den Schauspieler benutzt hat? Hat er sich, indem er sich öffentlich als Stasi-Opfer zeigte, zuerkennen gegeben, dass er diese Informationen nicht mehr als privat ansieht? Der unbefangene Blick scheint zumindest in Bezug auf das erste Beispiel klar gegen eine solche Ausnahme zu sprechen. Kann doch allein der Umstand, dass jemand preisgibt, dass er bespitzelt wurde, nicht zugleich als Preisgabe des „Erspitzelten“ gelten, das er höchstwahrscheinlich nicht einmal kennt. Die Rechtsprechung ist in diesem Punkt jedoch weitaus weniger eindeutig. Mal ist die Rede von einer freiwilligen „gewichtigen Öffnung des Privatlebens“1169, mal davon, dass parallel gelagerte Situationen vorlie1168

Auch diesbezüglich bleiben die Ausführungen des Bundesverfassungsgericht in BVerfG, Beschluss v. 21. August 2006, Promipartner, NJW 2006, 3406 unklar. Das Gericht lässt mit seiner Aussage, „[d]er Schutz der Privatsphäre kann dort entfallen oder im Rahmen der Abwägung zurücktreten, wo sich der Betroffene selbst damit einverstanden gezeigt hat, dass bestimmte gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden“, ausdrücklich offen, ob die betreffende Information von vorneherein nicht in den Schutzbereich der Privatsphäre fällt oder, ob es von einem Eingriff, der kraft vermuteter Genehmigung lediglich gerechtfertigt ist, ausgeht. 1169 BVerfG, Beschluss v. 21. August 2006, Promipartner, NJW 2006, 3406.

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gen müssten. Im Ergebnis wird man für die „Entprivatisierung“ durch konkludente Einwilligung eines bestimmten Sachverhalts strenge Anforderungen an den Identitätsgrad der Sachverhalte, aber auch an den zeitlichen Zusammenhang stellen müssen.1170 Eine andere Frage ist, wie sich die teilweise Öffnung der Privatsphäre auf das öffentliche Interesse und damit die Gewichtung der Presse- und Forschungsfreiheit auswirkt. Denn wer sich mit einem Sachverhalt, etwa einem Eheproblem, in die Öffentlichkeit begibt und damit ein gesteigertes Interesse dieser an seiner Person weckt, der muss sich unter Umständen auch gefallen lassen, dass die Öffentlichkeit nun weiter zuschaut.1171 Hier kommt es dann auf diesen strengen Parallelismus der Sachverhalte, der bei der Determinierung der Reichweite der Privatsphäre anzulegen ist, nicht mehr an. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Frage der Bestimmung der Reichweite der schützenswerten Privatsphäre, sondern um eine solche der Abwägung. Insgesamt zeigen aber auch diese Erwägungsgründe, dass sich der Schutz gegen den staatlichen Informationszugriff nicht auf den gesamten Bereich menschlichen Daseins erstreckt, sondern nur auf einen begrenzten Ausschnitt daraus. Zu diesem begrenzten Kreis von Informationen gehören jedenfalls solche, bei denen sich entweder bereits aus dem thematischen Bezug oder aus den Umständen ersehen lässt, dass sie nicht der Öffentlichkeit preisgegeben werden sollen.1172 1170

Solche hat das Kammergericht Berlin in einem Fall, KG Berlin, Urteil v. 19. Juli 2007, Grafe (unveröffentlicht), in dem der auf Unterlassung der Namensnennung Klagende bereits zuvor in Fernsehen und Rundfunk mit seiner Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst an die Öffentlichkeit gegangen ist, als gegeben angesehen. Verneint wurde dagegen zunächst ein solcher Zusammenhang in einem Fall, in dem der Betroffene sich selbst in vielfacher Hinsicht in die Öffentlichkeit begeben hatte, u. a. durch eine Liason mit einer Prominenten, nicht jedoch mit seiner IM-Vergangenheit, LG Berlin, Urteil v. 5. Mai 2009, Kiesow I, NJ 2009, 338. Aber siehe in der gleichen Sache KG Berlin, Urteil v. 19. Februar 2010, Kiesow II, 9 U 32/09. 1171 Dazu ausführlich W. Heintschel von Heinegg, Anm. 973. 1172 Gewöhnlich wird dabei in Rechtsprechung (siehe insb. BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, BVerfGE 101, 361 (382 f.)) und Literatur zwischen thematischer und räumlicher Abgrenzung dieses „Innenraumes“ unterschieden. Die Übergänge sind, wie die nachfolgenden Entscheidungen zeigen, aber derart fließend, dass es vorzugswürdig erscheit, eine Eingrenzung allein über den (objektiv erkennbaren) Willen der Abgeschiedenheit vorzunehmen: Zur Beschlagnahme ärztlicher Karteikarten BVerfG, Beschluss v. 8. März 1972, Ärztekartei, BVerfGE 32, 373 (379) und BVerfG, Beschluss v. 24. Mai 1977, Suchtkrankenakte, BVerfGE 44, 353 (372); zur Übersendung von Scheidungsakten an ein Disziplinargericht BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1970, Scheidungsakten I, BVerfGE 27, 344 (351); BVerfG, Beschluss v. 18. Januar 1973, Scheidungsakten II, BVerfGE 34, 205 (208); zur Beeinträchtigung der Einstellung zum Geschlechtlichen durch den Sexualkundeunterricht BVerfG, Beschluss v. 21. Dezember 1977, Sexualkunde, BVerfGE 47, 46 (73 f.); zur

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a) Schutz privater Informationsinhalte In größerem Umfang enthalten die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes Informationen, die sowohl aus heutiger und auch aus damaliger gesellschaftlicher Sicht als „typischerweise privat“ einzustufen sind und waren. Obgleich sich auch hier eine abschließende Definition verbietet, zählen hierzu regelmäßig Informationen über das Intimleben1173, häusliche Gepflogenheiten1174, Aufzeichnungen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind1175, Informationen über den physischen und psychischen Zustand eines Menschen1176, über ein Alkoholproblem oder Beziehungsprobleme – all dies Umstände wie sie häufiger in den Stasi-Unterlagen dokumentiert waren. aa) Amts- und funktionsbezogene Informationen Grundsätzlich nicht zur Privatsphäre gehören – wie gezeigt1177 – amtsbezogene Informationen.1178 Gleiches gilt für funktionsbezogene Informationen. Bei diesen Informationskategorien handelt es sich um einen klaren Gegensatz zu Informationen privaten Inhalts. Hiervon geht auch das Bundesverwaltungsgericht aus.1179 Anders als bei Informationen über den körperlichen oder geistigen Zustand einer Person1180, über bestimmte Vorlieben einer Person1181, über das Familien-1182 oder Liebesleben1183, sind dem Amts- oder Funktionsinhaber von der Außenwelt bestimmte Aufgaben zuVerwertbarkeit tagebuchartiger Aufzeichnungen BVerfG, Beschluss v. 14. September 1989, Tagebuch, BVerfGE 80, 367 (373 f.). 1173 BVerfG, Beschluss v. 18. Juli 2006, TSG, NJW 2007, 900. 1174 BVerfG, Urteil v. 3. März 2004, Wohnraumüberwachung, BVerfGE 109, 275. 1175 BVerfG, Beschluss v. 14. September 1989, Tagebuch, BVerfGE 80, 367 (373). 1176 BVerfG, Beschluss v. 6. Juni 2006, Ärztliche Schweigepflicht, www.bverfg.de, Rn. 32. 1177 Teil 1 Kap. 2 § 3 A. I. 1178 Zu amtsbezogenen Informationen vgl. W. Heintschel von Heinegg, Anm. 548, 505 (506). 1179 BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, AfP 2004, 380 ff. 1180 BVerfG, Beschluss v. 8. März 1972, Ärztliche Schweigepflicht, BVerfGE 32, 373 (379); BVerfG, Beschluss v. 24. Mai 1977, Suchtkrankenakte, BVerfGE 44, 353 (372). 1181 BVerfG, Beschluss v. 14. September 1989, Tagebuch, BVerfGE 80, 367 (373 f.). 1182 BVerfG, Urteil v. 15. Januar 1970, Scheidungsakten I, BVerfGE 27, 344 (351); BVerfG, Beschluss v. 18. Januar 1973, Scheidungsakten II, BVerfGE 34, 205 (208). 1183 BVerfG, Beschluss v. 14. September 1989, Tagebuch, BVerfGE 80, 367 (373 f.).

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gewiesen, in denen er zumindest von einer Teilöffentlichkeit kontrolliert wird und zur Erfüllung derer ihm gerade die Selbstkontrolle abverlangt wird.1184 Das Amt und die Funktion ist ein Bereich, der ihm nicht kraft seines Menschseins allein zukommt, sondern ein künstlich geschaffener. Er gehört damit per se nicht zu dem für die freie Entfaltung der Persönlichkeit konstitutiven Bereich, in dem der Einzelne es verdient, „in Ruhe gelassen zu werden“1185. Wenn aber schon die Amts- oder Funktionsausübung an sich nicht der Privatsphäre angehören, können auch Informationen hierüber nicht dieser Sphäre zugeordnet werden. Die Abkopplung aus dem Bereich des Privaten vollzieht sich nicht erst mit der Ausführung der einzelnen Amtshandlung oder Funktion, sondern sie erfasst bereits die diesen vorgelagerten Entscheidungsprozesse. Eine Betroffenheit des Privatlebens ist allenfalls bei Informationen denkbar, die den Einfluss der Privatperson auf die Amts- oder Funktionsausführung betreffen. Gedacht ist hier an Informationen, wie etwa der Einfluss des Gesundheitszustandes eines Politikers auf die Amtsausführung; der Einfluss eines Geliebten auf die Entscheidungen einer Amtsträgerin etc. In dieser Grauzone, in der über die Herausgabe amtsbezogener Informationen auch private Sachverhalte offenbar werden, ist auch die Privatsphäre betroffen. Derartige hybride Informationen müssen daher zunächst auch dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG unterfallen. Ein Ausgleich zwischen dem erhöhten öffentlichen Interesse, was dieser Information durch den Amtsbezug zu Teil wird, und dem Interesse an Geheimhaltung kann dann ebenfalls erst im Rahmen der Abwägung im Einzelfall vorgenommen werden. bb) Informationen über die zeitgeschichtliche Rolle Anders als bei amts- bzw. funktionsbezogenen Informationen kann die Betroffenheit der Privatsphäre bei Personen der Zeitgeschichte nicht bereits der Natur der Information nach ausgeschlossen werden. Dies liegt in der Natur von Personen der Zeitgeschichte, die gerade durch ein bestimmtes Ereignis, besondere Fähigkeiten oder Eigenschaften, durch ihre Herkunft oder durch bestimmte Taten in das Blickfeld des öffentlichen Interesses gelangt sind.1186 1184

Vgl. zur Grundrechtsträgerschaft von Amtsträgern unten Teil 2 Kap. 2 § 1

B. II. 1185 BVerfG, Urteil v. 14. Dezember 1973, Soraya, BVerfGE 34, 269 ff.; BVerfG 101, 361 (383 ff.). Ein „right to be alone“ wurde in den USA bereits Ende des 19 Jh. angenommen, vgl. dazu S. Warren/L. Brandeis, Harvard Law Review 4 (1890), 193 ff. 1186 Zur Definition der Person der Zeitgeschichte vgl. RGZ, Urteil v. 26. Juni 1929, Graf Zeppelin, RGZE 125, 80 (82); BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, BVerfGE 101, 361 (392).

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Dies impliziert bereits, dass gerade Umstände oder Tatsachen, die ihren Ursprung im Privaten haben, das Interesse der Öffentlichkeit auf sich ziehen und damit für die Qualifizierung als Person der Zeitgeschichte und für ihre zeitgeschichtliche Rolle ausschlaggebend sein können. Augenscheinlich ist dies bei Straftätern. Sie werden durch ihre Tat zur Person der Zeitgeschichte. Ihre zeitgeschichtliche Rolle erschöpft sich nicht allein im Tathergang. Zur zeitgeschichtlichen Rolle gehören auch die Beweggründe, die regelmäßig den Bereich der Privatsphäre, wenn nicht gar – wie die Tagebuch-Entscheidung zeigt1187 – die unantastbare Intimsphäre betreffen. Die Herausgabe von Informationen aus den Stasi-Unterlagen hierüber greift in das Recht auf Privatsphäre ein. Andererseits kann die zeitgeschichtliche Rolle einer Person – wie bei Amts- und politischen Funktionsträgern – weitestgehend an der geschützten Privatsphäre der jeweils dahinter stehenden Person vorbeigehen. Dies zeigt, dass sich eine pauschale Aussage über die Betroffenheit der Privatsphäre durch Herausgabe der Informationen über die zeitgeschichtliche Rolle der Person nicht treffen lässt. Vielmehr ist hier in Ansehung des Einzelfalles zu entscheiden, ob der Ursprung der Rollenzuweisung im Privaten des Betroffenen liegt. b) Schutz der örtlich-räumlichen Privatsphäre Unabhängig vom Inhalt der Informationen unterliegt diese dem Schutz der Privatsphäre, wenn sie in einer dem räumlichen Rückzugsbereich zugeordneten Sphäre entsteht. Schutzobjekt ist hier – und das ist für §§ 32, 34 StUG von besonderer Bedeutung – nicht die Information, sondern die Örtlichkeit. aa) Inhalt der örtlich-räumlichen Privatsphäre Der Schutz bestimmter Örtlichkeiten soll dem Einzelnen einen Raum sichern, in dem er sich unbeobachtet und frei von gesellschaftlichen Konventionen und damit frei von jeglichem Zwang zurückziehen, wohlfühlen und sich gehen lassen kann. Hier geht es darum, dem in jedem Menschen – wenn auch in zum Teil sehr unterschiedlichem Maß – angelegtem Grundbedürfnis nach Abgeschiedenheit Rechnung zu tragen. Es handelt sich dabei – ähnlich wie bei Nahrungsaufnahme und Schlaf – um eine Grundbedingung der menschlichen Existenz schlechthin. Das Recht auf Abge1187 BVerfG, Beschluss v. 14. September 1989, Tagebuch, BVerfGE 80, 367 (373 f.).

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schiedenheit findet damit seinen Ursprung in der Würde eines jeden Menschen. Das heißt aber nicht zugleich, dass der Schutz der räumlichen Privatsphäre mit dem Schutz der Menschenwürde identisch ist. Die Identität zwischen den beiden Gewährleistungsbereichen besteht nur im Kern. Der Schutz der räumlichen Privatsphäre geht über den Schutz der Menschenwürde hinaus. Er legt sich gleichsam wie ein Mantel um den Menschen, der bereits frühzeitig Annährungen an den Kernbereich, der Würde des Menschen, unterbinden und damit Verletzungen desselben vorbeugen soll.1188 Deshalb sind bereits Eingriffe in die Privatsphäre unzulässig, wenn sie nicht den erhöhten Rechtfertigungsanforderungen entsprechen, und zwar obgleich sie allein noch nicht geeignet sind, den Mensch als solchen in seiner Existenz in Frage zu stellen. Die enge Beziehung des Rechts auf Schutz der räumlichen Privatsphäre zu Art. 1 Abs. 1 GG und auch die mit einer Überdehnung dieses Rechts verbundenen Gefahren für die freie Kommunikationsordnung, die im Übrigen ebenfalls ihren Ursprung in Art. 1 Abs. 1 GG findet, zwingen zu einer Begrenzung des Schutzbereiches. Bereits der Begriff der räumlichen Privatsphäre weist auf einen Raum hin, in den sich der Einzelne zurückzieht, um Geschäften nachzugehen, die regelmäßig allein die Person selbst bzw. einen begrenzten Personenkreis und damit nicht die Öffentlichkeit betreffen und diese auch nicht berühren.1189 Welche Räumlichkeiten zum so genannten Privatbereich gehören, bestimmt sich nicht nach der Anschauung des Betroffenen, sondern nach allgemeiner Verkehrsanschauung.1190 Dies sind Räumlichkeiten, bei denen der Rechtsträger begründetermaßen und somit auch für Dritte erkennbar erwarten darf, den Blicken der Öffentlichkeit nicht ausgesetzt zu sein.1191 Anderenfalls hätte es der Einzelne in der Hand, 1188

Neuere Tendenzen (zum Ganzen M. Baldus, JZ 2008, 218), die zwischen einem unantastbaren Kernbereich und der nichtabwägbaren Menschenwürde unterscheiden, sind abzulehnen. Abgesehen vom Sinn einer solchen Unterscheidung findet sie weder im Wortlaut der einzelnen Grundrechte noch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Stütze. Die Entscheidung zum Großen Lauschangriff, BVerfG, Urteil v. 3. März 2004, Großer Lauschangriff, BVerfGE 109, 279, enthält keine Anhaltspunkte für eine solche Differenzierung. Dort heißt es explizit: „Die akustische Wohnraumüberwachung zu Strafverfolgungszwecken verstößt dann gegen die Menschenwürde, wenn der Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht respektiert wird.“ Die aktuellen Diskussionen in der Literatur zeugen eher von den Problemen, die sich aus einem rein räumlichen Verständnis des Kernbereichs ergeben. 1189 BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, www.bverfg.de, Rn. 78 ff. 1190 So auch D. Rohlfs, in: Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 43 f. 1191 BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, BVerfGE 101, 361 (384).

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den Bereich der Privatsphäre zu definieren und damit den Grundrechten anderer Grenzen zu setzen.1192 Damit sind die Parameter festgelegt, nach denen sich die Schutzwürdigkeit eines Raumes bemisst. Unstrittig dem Schutz der Privatsphäre in räumlicher Hinsicht unterfällt der häusliche Bereich.1193 Erfasst sind davon nicht nur Schlafzimmer und Bad, sondern der gesamte Wohnbereich und alle dazugehörigen Räumlichkeiten (auch Keller, Garage etc.) und Gartenanlagen. Auch Telefonzellen, Hotelzimmer, aber auch der gegen den Zutritt unerwünschter Öffentlichkeit abgeschirmte Teil eines Restaurants oder die zu privaten Zwecken genutzte Sportstätte gehören dazu. In all diesen Räumlichkeiten kann der Einzelne grundsätzlich davon ausgehen, dass er unbeobachtet ist. Will er allein sein, kann er sich hierher zurückziehen und damit umfassenden Schutz gegen ungewünschte Blicke beanspruchen. Man kann sich fragen, ob es eines solchen Schutzes auch für Räumlichkeiten, die sich in einem zumindest für eine beschränkte Öffentlichkeit zugänglichen Gebäude befinden und die naturgemäß der Verwirklichung sozialgebundener Tätigkeiten dienen, bedarf. Dienst- und Geschäftsräumen dürfte es insofern an einer für Wohnräume charakteristischen Bestimmung als Raum privater Entfaltung regelmäßig fehlen. Dass es selbstverständlich auch in Diensträumen nicht allein zu Dienst- und Amtshandlungen, sondern auch zu Handlungen kommen kann, die ausschließlich privater Natur sind, ändert daran nichts. Die Informationserhebung über diese Handlungen sowie die anschließende Verwendung dieser Informationen wird bereits durch den Schutz der Privatsphäre in inhaltlicher Hinsicht abgedeckt. Eines zusätzlichen räumlichen Schutzes bedarf es dann nicht. Hiervon geht offenbar auch das Bundesverwaltungsgericht in der Rechtssache Kohl aus.1194 bb) Ideeller Schutz der örtlich-räumlichen Privatsphäre? Fraglich ist jedoch, ob die Herausgabe und Veröffentlichung von personenbezogenen Informationen aus den Stasi-Unterlagen überhaupt den räumlichen Privatschutz zu verletzen geeignet sind. Das Bundesverwaltungsgericht ging wie selbstverständlich hiervon aus. Dabei hätte es – wie 1192

W. Schmidt, JZ 1974, 241 (244, 247). BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, www.bverfg.de, Rn. 78. 1194 BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, AfP 2004, 380 ff. „Wurde ein Gespräch heimlich aufgezeichnet, so liegt auch ein Eingriff in das Recht am gesprochenen Wort vor, und zwar auch wenn das Gespräch außerhalb des privaten Rückzugsbereichs, etwa in Büro- oder Sitzungsräumen geführt wurde.“ 1193

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schon zuvor in der so genannten Kieler Schubladenaffäre1195 – durchaus Anlass gegeben, zu begründen, warum neben der Informationserhebung auch in der Informationsherausgabe und Veröffentlichung der durch Eingriff in die örtlich-räumliche Privatsphäre erlangten Informationen ein Eingriff in die örtlich-räumliche Privatsphäre liegt.1196 Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist insoweit kohärent, als sie sich in die des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses als zwei speziell geschützte Bereiche der räumlichen Privatsphäre einreiht. So urteilt das Verfassungsgericht: „Da Art. 10 Abs. 1 GG die Vertraulichkeit der Kommunikation schützen will, ist jede Kenntnisnahme, Aufzeichnung und Verwertung von kommunikativen Daten durch die Deutsche Bundespost oder andere staatliche Stellen ein Grundrechtseingriff.“1197 Der Sache nach ging es dort aber um die Verwendung der Informationen durch denselben Hoheitsträger, der zuvor die Informationen erhoben hatte.1198 In Bezug auf die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes kann diese Rechtsprechung des Verfassungsgerichts daher nicht eins zu eins übernommen werden. Eine Parallele zu den vom Verfassungsgericht in Bezug auf Art. 10 GG entschiedenen Fällen bestünde nur dann, wenn man in der Verwendung der Informationen durch die BStU automatisch ein Sichzueigenmachen des Einbruchs in den räumlichen Privatbereich und darin zwar keinem physischen, aber einen ideellen Bruch der Privatsphäre sähe. Ob allerdings der räumliche Privatsphärenschutz tatsächlich auch solche ideellen Eingriffe erfasst, ob sich teleologisch ein solches Schutzbedürfnis begründen lässt, ist äußerst fraglich.1199 Denkt man diesen Gedanken des ideellen Eingriffs fort, dann erscheint es im Übrigen wenig kohärent – wie im Fall Gysi1200 – anzunehmen, dass ein Eingriff in den räumlichen Privatbereich durch IM-Einsatz nicht in Betracht komme, da der IM freiwillig herein1195 LG Kiel, Beschluss v. 9. August 1995, Barschel/Pfeiffer II, NJW 1996, 1976. Dazu F. Palm/R. Roy, NJW 1998, 3005. 1196 Vgl. schon W. Heintschel von Heinegg, Anm. 548, 505 ff. Gegen einen Eingriff in die räumliche Privatsphäre vgl. Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes Schleswig Holstein, LT-Drs. 13/3225, Anl. 21, 2; F. Palm/R. Roy, Anm. 1195, 3005 (3006); Scheiben der BStU v. 24. April 1995, BBL-Tgb.Nr. 0030136/94 Z. 1197 BVerfG, Beschluss v. 25. März 1992, Fangschaltung, BVerfGE 85, 386 (398). 1198 Auf den Fortsetzungszusammenhang weist das Gericht auch hin, BVerfG, Beschluss v. 25. März 1992, Fangschaltung, BVerfGE 85, 386 (399). 1199 Dagegen K. Bonitz, Anm. 422, 175, der allerdings keine vom Fall der §§ 32, 24 StUG losgelösten Argumente vorbringt, sondern auf die gesonderte Berücksichtigung der Informationserhebung in den vorgenannten Vorschriften abhebt. Vgl. dazu unten Teil 2 Kap. 2 § 2 A. 1200 VG Berlin, Urteil v. 3. Mai 2006, Gysi IV, 1 A 173.05, Rn. 29.

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gelassen wurde. Denn auch der IM hat, indem er sich unter falschem Vorwand in die räumliche Privatsphäre des Opfers eingeschlichen hat, diese ideell verletzt. c) Schutz von Vertraulichkeitsverhältnissen Über die inhaltliche und räumliche Dimension der Privatsphäre hinaus lässt sich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch eine weitere Dimension der Privatheit entnehmen, und zwar die Kommunikation zu einem begrenzten Kreis Dritter, also eine personelle Komponente. Geschützt ist dabei nicht der Ort oder der Inhalt der Kommunikation, sondern die Kommunikation als solche. Ähnlich wie der Schutz privater Räumlichkeiten wird auch die Kommunikation zu diesem noch näher zu definierenden Personenkreis nicht um dieser selbst Willen geschützt. Der Schutz der Kommunikation trägt vielmehr dem Umstand Rechnung, dass menschliche Entfaltung nicht allein in der Abgeschiedenheit, sondern auch und vor allem in Beziehung zu bestimmten, besonders vertrauten Personen stattfindet.1201 In Bezug auf diese Kommunikationsbeziehungen gilt dasselbe wie für die vom Schutz der räumlichen Privatsphäre erfassten Räumlichkeiten. Es besteht eine Vermutung dafür, dass hier u. a. Angelegenheiten besprochen werden, deren „öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt“, deren „Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen aus der Umwelt auslöst“1202. Der Mensch als kommunikatives Wesen bedarf Dritter, denen er sich mitteilen, anvertrauen und offenbaren kann, ohne dass diese Kommunikation zugleich einer breiten Öffentlichkeit präsentiert wird.1203 Der nahe Bezug dieser Fallgruppe zu Art. 1 Abs. 1 GG ist unverkennbar. Auch hier geht es um die Grundbedingungen der menschlichen Existenz, die zu schützen sind. Diese Grundbedingungen menschlicher Existenz sind nicht schon durch Eingriffe in jedwede Kommunikationsbeziehungen in Gefahr. Entscheidend ist, ob die jeweils in Rede stehende Kommunikationsbeziehung als Vertrau1201 BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, www.bverfg.de, Rn. 75. 1202 BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, www.bverfg.de, Rn. 75. 1203 BVerfG, Beschluss v. 9. Oktober 2002, Fernmeldegeheimnis, www.bverfg.de, Rn. 29; BVerfG, Beschluss v. 23. November 2006, Vertrauliche Korrespondenz, www.bverfg.de, Rn. 10: „Zum Persönlichkeitsschutz gehört unter den Bedingungen eines besonderen Vertrauensverhältnisses die Möglichkeit des Einzelnen, seine Emotionen frei auszudrücke, geheime Wünsche und Ängste zu offenbaren und das eigene Urteil über Verhältnisse und Personen oder eine entlastende Selbstdarstellung freimütig kundzugeben.“

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ensbeziehung oder besser – wie Pohl1204 zu Recht anmerkt – Vertraulichkeitsbeziehung angesehen werden kann. Nur in solchen Beziehungen ist es gerechtfertigt, die eingangs angesprochene Vermutung der Privatheit mit ihren weitreichenden Konsequenzen für den Abwägungsprozess (erhöhte Rechtfertigungsanforderungen, unabhängig von Informationsinhalt und Räumlichkeit) anzunehmen. Ob tatsächlich ein Vertrauensverhältnis zwischen den Teilnehmern dieser Kommunikationsbeziehung besteht, ist dabei egal. Auch hier muss sich – will man einen effektiven Grundrechtsschutz bieten – der Maßstab am objektiven Dritten in der konkreten Situation ausrichten. Zwar kann man hier ähnlich wie bei Räumlichkeiten auch typisierend arbeiten, und zwar mit der familiären Beziehung als Prototyp. Jedoch läuft man mit der Typisierung Gefahr, das Spektrum heute existierender Kommunikationsbeziehungen vertraulicher Art nicht zu erfassen.1205 Vertraulichkeit ist aber unter Art. 2 Abs. 1 GG nicht schlechthin geschützt, sondern – wie der Bezug zur Menschenwürde zeigt – nur dann, wenn dieser Beziehung für die Entfaltung der Persönlichkeit eine Schlüsselfunktion zukommt. Hierzu kann auch das Verhältnis zum Rechtsanwalt, zum Arzt und zu kirchlichen Würdenträgern gehören.1206 Nicht geschützt werden dagegen Kommunikationsbeziehungen, die zwar vertraulich sind, das Vertraulichkeitsbedürfnis seinen Grund aber nicht in der freien Entfaltung der Person, sondern, etwa wie beim vertraulichen Amtsgespräch, in der Funktionstätigkeit des Staates oder, wie beim Informantenschutz im Presserecht, im Institut der freien Presse findet. Damit ist für den Anwendungsbereich der §§ 32, 34 StUG bereits eine weitere wichtige Konsequenz gewonnen: Die Kommunikation unter Amtsträgern wird vom Schutz der Kommunikationsbeziehung nicht erfasst. Dies gilt allerdings nur soweit das kollegiale Verhältnis nicht zugleich ein Vertraulichkeitsverhältnis der oben beschriebenen Art ist. Hier kommt es dann entscheidend auf das Wirken der Kommunikation nach außen, also auf das Erscheinungsbild an. Gleiches gilt auch für politische Funktionsträger. Ihre Kommunikation wird durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder auch durch anderweitige Geheimschutzvorschriften geschützt. Den spezifischen, zusätzlichen Schutz der persönlichen Vertraulichkeitsverhältnisse erhalten sie nicht, da es an der hierfür vorauszusetzenden existen1204

J. Pohl, Anm. 1133, S. 150 ff. So BVerfG, Beschluss v. 23. November 2006, Vertrauliche Kommunikation, www.bverfg.de, Rn. 13. 1206 „Wenn die Stasi unter Einbruch in die Vertraulichkeit des Mandantenverhältnisses Informationen erhalten hat, dann verletzt dies regelmäßig die besonders schutzwürdigen Interessen des Mandanten.“, VG Berlin, Urteil v. 3. Mai 2006, Gysi IV, 1 A 173.05, Rn. 45. 1205

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ziellen Bedeutung für den Menschen fehlt.1207 Jedoch sind auch hier Überschneidungen denkbar, so wie im bereits erwähnten Telefonat zwischen Kohl und Biedenkopf, in denen es zwar um die Kanzlerkandidatur von Kohl ging und beide Gesprächsteilnehmer auch Kollegen, zugleich aber Freunde waren und im Verlauf des Gesprächs mehrfach höchstpersönliche Gedanken austauschten.1208 Letztendlich ist die Privatsphäre in der Facette des Schutzes von Vertraulichkeitsverhältnissen jedenfalls für den Akt der Herausgabe und die Veröffentlichung der Informationen ohne Belang. Ähnlich wie bei der räumlichen Privatsphäre ist ein Folgeeingriff durch Verwendung der von aus der Vertraulichkeitssphäre stammenden Informationen vom Schutzbereich nicht erfasst. Es besteht insofern keine Notwendigkeit für einen über den Schutz der Privatsphäre in inhaltlicher Hinsicht hinausgehenden Schutz. 3. Recht am eigenen Wort/Bild Über das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht auf Schutz der Privatsphäre in all seinen drei Komponenten (örtlich, inhaltlich und personell) hinaus wird in der Literatur und Rechtsprechung dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein umfassendes Recht am eigenen Wort entnommen. Das Recht am eigenen Wort bildet auch in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einen eigenständigen Maßstab, an dem sich die Regelungen der §§ 32, 34 StUG messen lassen mussten.1209 Dabei soll der Schutz des Rechts am gesprochenen Wort nicht auf einen bestimmten Inhalt oder eine bestimmte Örtlichkeit begrenzt sein. Zu schützen sei vielmehr die Selbstbestimmung über die unmittelbare Zugänglichkeit der Kommunikation1210 und in diesem Rahmen die Selbstbestimmung über die eigene Darstellung in der Kommunikation mit anderen Betroffenen. Sie soll die Möglichkeit geben, sich auf den Gesprächspartner einzustellen und sich situationsangemessen zu verhalten. Bei diesen Formulierungen stützt sich das Bundesverwaltungsgericht durchaus auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in der es immer wieder mit Verweis auf die Soraya-Entscheidung heißt: „Die Unbefangenheit der menschlichen Kommunikation würde gestört, müßte ein jeder mit dem Bewußtsein leben, daß jedes seiner Worte, eine vielleicht unbedachte oder unbeherrschte Äußerung, eine bloß vorläufige Stellungnahme im Rah1207 Zur Frage der Unterscheidung zwischen dem Schutz von Vertraulichkeitsverhältnissen und dem Recht am eigenen Wort, vgl. Teil 1 Kap. 2 § 3 C. 3. 1208 BGH, Urteil v. 19. Dezember 1978, Kohl/Biedenkopf, NJW 1979, 647 ff. 1209 BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, www.bverwg.de, Rn. 29. 1210 BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, www.bverwg.de, Rn. 29.

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men eines sich entfaltenden Gesprächs oder eine nur aus einer besonderen Situation heraus verständliche Formulierung bei anderer Gelegenheit und in anderem Zusammenhang hervorgeholt werden könnte, um mit ihrem Inhalt, Ausdruck oder Klang gegen ihn zu zeugen.“1211

Die Annahme eines solch umfassenden Verfügungsrechts über das eigene Wort geht insofern weit über die behandelten Dimensionen des Persönlichkeitsschutzes hinaus, als sie von den persönlichen Vertrauensverhältnissen, vom Inhalt und vom Raum losgelöst wird und im Gegensatz zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch nicht mehr das spezifische Gefahrenmoment für die freie Entfaltung hinzutreten muss. Ein absolutes Verfügungsrecht über Daten, wozu grundsätzlich auch Gesprächsdaten gehören, hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch abgelehnt.1212 Eine offenbar weithin angenommene Sonderbehandlung in Bezug auf das eigene Wort leuchtet nicht ohne weiteres ein. Es müsste sich in Bezug auf das eigene Wort eine Gefahrensituation ergeben, die durch die anderen Dimensionen des Persönlichkeitsschutzes noch nicht hinreichend abgewehrt wird. Diese besondere, noch nicht durch die anderen Dimensionen des Persönlichkeitsschutzes abgedeckte Gefahr besteht in der Ablösung von Stimme, Wortklang und Ausdruck von der Person des Äußernden. Wortklang, Stimme und Ausdruck bilden eine unweigerlich mit dem Betroffenen zusammengehörende Einheit, genau wie das Bildnis einen eigenen Aspekt der Persönlichkeit des Einzelnen darstellt, der verdient, geschützt zu werden. Zwar handelt es sich auch hierbei um Daten. Gerade die Wiedergabe der Stimme und des Klangs des gesprochenen Wortes einer Person individualisieren diese in besonderer Weise. Der Sprecher oder auch derjenige, der seine Gedanken in schriftlicher Form niederlegt, richtet sich auf die jeweilige Situation, auf den anwesenden Personenkreis und dessen zu erwartende Reaktionen ein. Müsste der Sprecher oder Autor fürchten, dass diese Worte für einen unüberschaubaren Personenkreis verfügbar werden, dann würde er in seiner Entfaltung gehemmt. Er würde sich zurücknehmen, könnte er nicht mehr überschauen, wie er auf welchen Adressatenkreis wirkt. Ähnliches gilt in Bezug auf sein Bild. Auch hier würde sich der Einzelne nicht mehr gehen lassen können, müsste er befürchten, dass er in Momentaufnahme festgehalten und der Öffentlichkeit zur Schau gestellt würde: „[D]ie Aufzeichnung konserviert das Gespräch und seine Situation; aus ihr spricht der Betroffene unmittelbar und persönlich; sie erhebt den Anspruch der Authentizität, ohne Dazwischentreten berichtender oder interpretierender Dritter.“1213 1211 1212 1213

BVerfG, Beschluss v. 23. Januar 1973, Tonband, BVerfGE 34, 238 (246 f.). Vgl. Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 1. BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, www.bverwg.de, Rn. 47.

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Diese Gefahr ist bei Tonbandaufnahmen und Videoaufzeichnungen umso größer. Der Schutz des Rechts am eigenen Wort ist aber hierauf nicht beschränkt. Er schützt auch vor dem heimlichen Belauschen1214 und der Anfertigung und Weitergabe von direkten und indirekten Wortlautprotokollen. Insoweit sind dann am Maßstab der Intensität der Gefährdung bei der Gewichtung des Engriffs Differenzierungen vorzunehmen. 4. Recht auf Selbstdarstellung Das Selbstdarstellungsrecht bildet eine weitere in der Rechtsprechung aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Komponente. Auch sie ist im Zusammenhang mit der Regelung des Zugangs zu den Stasi-Unterlagen zu beachten. Dahinter verbirgt sich – anders als die Bezeichnung vermuten lässt – nicht das Recht auf die Bestimmung, wie man in der Öffentlichkeit dargestellt wird.1215 Insoweit besteht Einigkeit. Uneinigkeit besteht indes, was unter diesem Gewährleistungsbereich im Übrigen zu verstehen ist. Zum Teil wird hierunter die Verfügung über die eigenen Daten verstanden. Dieser Gewährleistungsbereich ist dann deckungsgleich mit dem des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und dem Recht am eigenen Wort oder Bild.1216 Das Recht auf Selbstdarstellung ist insofern nur ein übergeordneter Gewährleistungsbereich ohne überschießende Tendenz. Zum anderen wird hierunter ein Schutz gegen die Entstellung bzw. Verfälschung des Persönlichkeitsbildes verstanden.1217 Diese Komponente wird nicht durch den noch zu besprechenden sozialen Achtungsanspruch erfasst. Hier geht es um Verhaltensweisen, die den Einzelnen nicht zwingend verächtlich zu machen geeignet sind, sondern die ihn „ins falsche Licht stellen“ – wie es Stern1218 umschreibt. Es handelt sich dabei sozusagen um eine „negative Komponente des Rechts am eigenen Wort und Bild“.1219 Es schützt vor Falschzitaten, der Unterstellung von nicht getätigten Äußerungen, Fotomontagen usw. Anders als der soziale Achtungs1214

VG Berlin, Urteil v. 3. Mai 2006, Gysi IV, 1 A 173.05, Rn. 29. BVerfG, Beschluss v. 26. Juni 1990, Schubart, BVerfGE 82, 236 (269); BVerfG, Urteil v. 15. November 1999, Caroline v. Monaco, BVerfGE 101, 361 (380). 1216 S.-Ch. Lenski, Anm. 1106, S. 151, 154. Zum Recht am eigenen Bild als Ausprägung des Selbstdarstellungsschutzes vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 21. August 2006, Promipartner, NJW 2006, 3406. 1217 BVerfG, Beschluss v. 24. März 1998, Missbrauchsbezichtigung, BVerfGE 97, 391 (400); BVerfG, Beschluss v. 3. Juni 1980, Eppler, BVerfGE 54, 148 (155). 1218 K. Stern, Anm. 854, S. 205. 1219 BVerfG, Beschluss v. 3. Juni 1980, Eppler, BVerfGE 54, 148 (155); BVerfG, Beschluss v. 3. Juni 1980, Böll, BVerfGE 54, 208 (217). 1215

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anspruch, dessen Grundlage in erster Linie in der Menschenwürde wurzelt, geht es beim Selbstdarstellungsschutz in der Form des Schutzes vor der Entstellung der Identität in erster Linie um Entfaltungsschutz. Der Einzelne soll vor den negativen Reaktionen der Umwelt, die sich etwa aus der Verbreitung nicht getätigter Äußerungen ergeben können und die ihn in seiner Entfaltung, wozu auch der Aufbau von Beziehungen wie Freundschaften gehört, beeinträchtigen können, geschützt werden. In Bezug auf die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes kommt dem Selbstdarstellungsrecht vor allem im Zusammenhang mit der unwahren Berichterstattung, aber auch im Hinblick auf gefälschte Verpflichtungserklärungen Bedeutung zu. Daraus folgt, dass der Herausgabe von unwahren Informationen aus den Stasi-Unterlagen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen entgegensteht.1220 Das heißt jedoch nicht, dass unwahre personenbezogene Informationen, die in den Unterlagen dokumentiert sind, einem absoluten Verwendungsverbot unterliegen. Sofern – wie oben dargelegt1220a – die Unwahrheit Teil der Wahrheit ist und die Wahrheit nicht ohne die Unwahrheit dargestellt werden kann, kann die Verwendung ausnahmsweise zulässig sein. Hier ist dann jedoch im Einzelfall zu prüfen, ob die Schwere des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht durch das Aufarbeitungsinteresse überhaupt aufgewogen werden kann und inwieweit der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, sei es durch Anonymisierungen, Klarstellung des mangelnden Wahrheitsgehalts etc. reduziert werden kann. 5. Der soziale Achtungsanspruch Der wohl am schwersten zu fassende Gewährleistungsbereich dürfte der soziale Achtungsanspruch oder negativ formuliert der Ehrschutz sein.1221 Ihm kommt jedoch im Zusammenhang mit der Herausgabe der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in den vielfältigsten Konstellationen Bedeutung zu; nicht nur im Zusammenhang mit inkriminierenden Berichten, die von der Stasi verfasst wurden, sondern – wie bereits angedeutet1222 – vor allem im Hinblick auf die Zuordnung einer Person zur „Täter- oder Opferkategorie“. Denn unabhängig von dem, was die BStU mit der Herausgabe und Presse und Forschung mit der Veröffentlichung bezweckt, diskreditiert „[d]ie Unterstellung, eine Person habe als inoffizielle Mitarbeiterin [inoffi1220 I. Staff, ZRP 1992, 462 (469); zustimmend M. Brandenburger, KJ 1995, 351 (356) und Th. Weichert, ZRP 1992, 241 (243), 1220. 1220a Vgl. Teil 1 Kap. 2 § 2 I. 2. 1221 Zur Unterscheidung zwischen innerem und äußerem Ehrschutz K. Stern, Anm. 854, S. 199. 1222 Teil 1 Kap. 2 § 3 A. II.

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zieller Mitarbeiter] des MfS gewirkt“, objektiv die Person in ihrer Redlichkeit und persönlichen Integrität und setzt sie der Gefahr aus, von ihrer Umwelt argwöhnisch betrachtet zu werden. „Die kompromittierte Person wird mit dem Unrecht, das vom MfS ausgegangen ist, gleichsam identifiziert“ – so das Bundesverfassungsgericht in Anlehnung an den Bundesgerichtshof.1223 Für den Toten ist der Ehrschutz überhaupt das letzte ihm verbleibende Grundrecht. a) Ehre Die Ehre ist als ideelle Komponente des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts schwer zu fassen, ähnlich wie die Menschenwürde kaum zu definieren und am ehesten noch durch Kasuistik zu greifen. Ehrschutz ist in seinem Kern Menschenwürdeschutz. Daher schlägt die schwierige Frage nach der Art der Bestimmung der Menschenwürde auch auf die Definition der Ehre durch: Ist Ehre ein jedem Mensch in gleichem Umfang immanenter Eigenwert; ist Ausgangspunkt der Ehrbestimmung die individuelle Lebensleistung oder bestimmt sich die Reichweite des jeweiligen Ehranspruchs nach der mitmenschlichen Solidarität?1224 Die Wahl des Ausgangspunktes ist richtungweisend für die Bestimmung des materiellen Schutzbereiches.1225 So wäre etwa der Ehranspruch eines Mitarbeiters der Staatssicherheit, zumindest was seine berufliche Lebensleistung anbelangt, von Anfang an möglicherweise anders zu bestimmen, wenn es auf das Vorverhalten ankäme. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geht der gewählte Ansatz nicht deutlich hervor. Noch im Eppler-Beschluss ging das Bundesverfassungsgericht klar von einem selbst definierten sozialen Geltungsanspruch, also einer am einzelnen Individuum ausgerichteten Bestimmung der Ehre, aus.1226 Neuere Entscheidungen hingegen scheinen die individuelle Leistung erst im Rahmen der Abwägung zu würdigen. So wurde im Dopingarzt-Beschluss erst im Rahmen der Abwägung geprüft, ob das in der Bezeichnung als „Mengele des DDR-Doping“ liegende Unwerturteil den tatsächlichen Verfehlungen gegenüber verhältnismäßig ist oder nicht.1227 1223 BVerfG, Beschluss v. 23. Februar 2000, IM-Listen IV, EuGRZ 2000, 243 (244) mit Verweis auf BGHZ, Urteil v. 16. Juni 1998, Stolpe IV, BGHZ 139, 95. 1224 Zu den einzelnen Bestimmungsvarianten der Menschenwürde vgl. K. Stern, Anm. 854, S. 22. 1225 Vgl. schon zur Rolle des Vorverhaltens in Bezug auf die Privatsphäre Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 2. 1226 BVerfG, Beschluss v. 3. Juni 1980, Eppler, BVerfGE 54, 148 (155). In diese Richtung geht auch K. Stern, Anm. 854, S. 199. Er versteht unter äußerer Ehre die Achtung im Vorstellungsbild der Mitwelt, legt also einen objektiven Maßstab an. 1227 BVerfG, Beschluss v. 24. Mai 2006, Dopingarzt, www.bverfg.de, Rn. 24.

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Wenn auch mit der Rechtsprechung nicht eindeutig zu belegen, scheint das Bundesverfassungsgericht mit Wenzel von einem Sphärenverhältnis auszugehen, mit einem angeborenen Kernbestand an Ehre und einer individuell erworbenen weiteren Ehre.1228 Als Eingriffsmodalitäten kommen sowohl Tatsachenbehauptungen als auch Werturteile in Betracht1229, und zwar Werturteile dann, wenn sie Ausdruck von Geringschätzung, Missachtung oder Schmähungen darstellen. Bei Tatsachenbehauptungen kommt es auf den herabwürdigenden Gehalt an. Auch die Verbreitung wahrer Tatsachen kann eine Ehrverletzung darstellen.1230 So kann auch die wahre Information, eine Person sei Mitarbeiter des MfS gewesen, ein möglicher Anknüpfungspunkt von Stigmatisierung und Ausgrenzung sein.1231 Bei der Verbreitung unwahrer Tatsachen liegt regelmäßig schon ein Eingriff in das Recht auf Selbstdarstellung vor. Ist sie zudem noch als herabwürdigend einzustufen, liegt auch eine Verletzung des Ehranspruchs vor. Jedoch begründet allein die Herausgabe eines vom Staatssicherheitsdienst verfassten, an sich diffamierenden Berichts noch keinen Eingriff in den Ehranspruch. Gleiches gilt für die Veröffentlichung, solange sich der Veröffentlichende diese Information nicht zu Eigen macht. Das Problem liegt hier eher darin zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen sich der Veröffentlichende Informationen aus Stasi-Unterlagen zu Eigen macht. Dies wird man in der Regel dann annehmen können, wenn der Hinweis auf die Quelle unterbleibt, und zwar auch dann, wenn auf irgendeine Quelle abstrakt verwiesen wird.1232 Denn erst durch den Hinweis auf die Staatssicherheit als Autor erhält insbesondere ein an sich schmähendes Werturteil die Konnotation des Regimes mit seinen spezifischen Wertvorstellungen. Erst der Hinweis auf die Quelle ermöglicht eine sachgerechte Einordnung und Hinterfragung. Schwieriger als einzelne ehrenrührige Kommentare in den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zu handhaben ist folgendes Problem: Mit der Herausgabe der Stasi-Unterlagen nach § 32 Abs. 1 Nr. 3 StUG wird klar signalisiert, dass es sich bei dem Betroffenen um einen Mitarbeiter der Staatssicherheit oder einen Begünstigten, also jedenfalls um jemand, der einen 1228

E. H. Burkhardt, Anm. 930, Kap. 5, Rn. 174. Zur Unterscheidung bereits oben Teil 1 Kap. 2 § 2 B. I. 2. 1230 BVerfG, Beschluss v. 23. Februar 2000, IM-Listen IV, Rn: 22: „Das kann etwa dann der Fall sein, wenn die wahre Berichterstattung wegen ihres Gegenstandes zu einer Stigmatisierung des Betroffenen und damit zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentfaltung führen kann. Der Schutz, den das allgemeine Persönlichkeitsrecht insoweit vermittelt, greift auch dann, wenn die Aussage wahr ist und deshalb zum Anknüpfungspunkt sozialer Ausgrenzung und Isolierung wird.“ 1231 BVerfG, Beschluss v. 23. Februar 2000, IM-Listen IV, EuGRZ 2000, 243 (244). 1232 Formulierungen wie etwa: „Es wird behauptet, dass . . .“. 1229

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Beitrag zu dem vom Staatssicherheitsdienst begangenen Systemunrecht geleistet hat, handelt. Dies kompromittiert den Betroffenen und setzt ihn und seinen Ehranspruch in den Augen des überwiegenden Teils der Bevölkerung herab.1233 Die entsprechenden Aussagen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2000 haben auch heute noch ihre Berechtigung. Der kritische Punkt liegt nun darin, dass sich in vielen Fällen nicht mehr ohne Zweifel feststellen lässt, ob die Person tatsächlich für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet, ihn also unterstützt und damit die Rechte anderer verletzt hat. Ein weiteres kritisches Moment liegt darin, dass die formelle Anknüpfung an die Mitarbeit oder Begünstigung sowohl denjenigen Mitarbeiter oder Begünstigten erfasst, der aktiv an schweren Menschenrechtsverletzungen beteiligt war, als auch diejenigen, die sich nur formal zum Mitarbeiter machen ließ, um Nachteile für sich oder auch für andere abzuwenden.1234 IM Notar, IM Sekretär, IM Jeanne. Alle drei Vorgänge existieren. Dies ist unbestritten. Aber wer verbirgt sich hinter ihnen? Nur in zwei Akten finden sich Verpflichtungserklärungen. Einer bestreitet die Verpflichtungserklä1233

BVerfG, Beschluss v. 23. Februar 2000, IM-Listen IV, EuGRZ 2000, 243

(244). 1234 BGHZ, Urteil v. 12. Juli 1994, IM-Listen, Rn. 21, 23: „Gerade weil der Beklagte bei der pauschalierenden Offenlegung der Namen nicht nach der Art der jeweiligen IM-Tätigkeit differenziert hat, wurden alle genannten Personen unterschiedslos in die Kategorie von Denunzianten eingeordnet. Durch die darin liegende ‚Abstempelung‘ wurde die Klägerin – auch auf dem Boden der Unterstellung, daß sie tatsächlich als IM tätig gewesen ist – in schwerwiegender Weise in ihrem Anspruch auf soziale Geltung belastet und so in dem Kernbereich ihrer Persönlichkeit getroffen.“ Die Klägerin sei „an der Basis ihrer Persönlichkeit betroffen“, was sich aus der durch die Auslegung der Liste verursachten „Gefahr, daß Leser oder Hörer der Namen dahinterstehende Personen aus ihrem engeren Umfeld als Denunzianten und damit als ‚Sündenböcke‘ für ihre persönlichen Mißerfolge und andere Schicksalsschläge in der früheren Zeit verantwortlich machten.“ Dagegen BVerfG, Beschluss v. 23. Februar 2000, IM-Listen IV, EuGRZ 2000, 243 (244): „Auch von einer ausgrenzenden Stigmatisierung durch die Auslegung der Liste lässt sich nicht ohne weiteres ausgehen. [. . .] Es ist schließlich auch nicht ersichtlich, dass die Unterstellung einer inoffiziellen Mitarbeit beim MfS in gleicher Weise zu einem Entzug sozialer Anerkennung oder einer ‚Abstempelung‘ führt wie etwa die Behauptung, eine Person habe die eigenen Kinder sexuell missbraucht (vgl. dazu BVerfGE 97, 391 ). Die Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter des MfS ist für sich genommen strafrechtlich irrelevant. Vor allem aber wird die Rolle der inoffiziellen Mitarbeiter mittlerweile durchaus differenziert bewertet. Es ist im Zuge der Forschung nach 1989/1990 bekannt geworden, dass die inoffiziellen Mitarbeiter im Unterdrückungs- und Repressionssystem des MfS über keine eigene Macht verfügten, sondern weitgehend von ihren Führungsoffizieren abhängig waren (vgl. Müller-Enbergs, a. a. O.). Unter diesen Umständen kann man jedenfalls nicht ohne nähere Feststellungen davon ausgehen, dass allein der Umstand, dass eine Person als inoffizieller Mitarbeiter bezeichnet wird, zu sozialer Ausgrenzung und Stigmatisierung führt.“

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rung unterschrieben zu haben, der Dritte unterschrieb, behauptet aber, nicht als IM tätig geworden zu sein. Bereits die drei wohl bekanntesten Beispiele zeigen das Beweisproblem, das den Umgang mit den Unterlagen durchzieht. Noch virulenter tritt das Beweisproblem bei der Verwendung der Rosenholzdateien auf.1235 Eine hundertprozentige Feststellung der Wahrheit ist zumindest im Hinblick auf die IM und Begünstigten kaum möglich. Auch die Behörde selbst dürfte hier nicht nur aus Kapazitätsgründen an ihre Grenze stoßen. Die Konsequenzen, die sich an die Einordnung in beide Kategorien für den jeweiligen Betroffenen jedoch knüpfen, können enorm sein. Die Zuordnung führt zur Offenlegung der Akten, was bis heute im beruflichen und sozialen Leben einschneidende Folgen haben kann. Dies belegen die vermeintlichen Akten von Gysi, Stolpe und Gröllmann. Die zentrale Frage, die sich hieran anknüpft, ist, welcher Wahrheitsgrad solch weitgehende Eingriffe in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zu rechtfertigen vermag. Auch diese Frage ist nicht allein aus der Perspektive des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu beantworten, sondern muss auch in Ansehung des entgegenstehenden Rechtsgutes der Aufarbeitung getroffen werden.1236 Angesichts der mit der Zuordnung zur „Täterkategorie“ verbundenen Konsequenzen, insbesondere der Tatsache, dass im Nachhinein, sollte sich die Zuordnung als Trugschluss erweisen, eine Rehabilitierung kaum noch zu besorgen sein wird, wird man hier für die Herausgabe der Unterlagen eine „ganz überwiegende Wahrscheinlichkeit“, dass eine Zusammenarbeit mit dem MfS vorlag, fordern müssen. Es müssen also nicht bloß irgendwelche Indizien vorliegen, sondern die Beweislage muss deutlich in Richtung einer Zusammenarbeit mit dem MfS zeigen. Was die Veröffentlichung der personenbezogenen Informationen von Mitarbeitern anbelangt, sind die Anforderungen aufgrund der Eingriffsintensität regelmäßig strenger. Allerdings bleiben aufgrund des nur beschränkten Zugangsrechts von Forschung und Presse zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in der Regel nur verfahrenstechnische Lösungen zum Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts.1237 Je einschneidender eine falsche Information sich auf das Persönlichkeitsrecht auszuwirken droht, desto höher sind die Anforderungen an den Sorgfaltsmaßstab.1238 Sofern sich Zweifel an dem Wahrheitsgehalt einer Information ergeben, entspricht es dem Minimal1235 Diese Statistikbögen enthalten nämlich keine Klarnamen, sondern nur persönliche Daten, die dann mit anderen Daten, etwa dem Einwohnermeldeverzeichnis abgeglichen werden. Zu den Rosenholzdateien vgl. Einleitung § 1 A. Anm. 18. 1236 Zur Perspektive der Forschungs- und Pressefreiheit vgl. Teil 1 Kap. 2 § 2 B. I. 2. 1237 Vgl. Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 7. Im Einzelnen Teil 2 Kap. 2 § 2 B. 1238 BVerfG, Beschluss v. 26. August 2003, Kanzlerhaare, EuGRZ 2003, 638 (639).

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standard an Sorgfalt, hierauf durch Distanzierung in den Formulierungen und eine Quellenangabe hinzuweisen.1239 Sind für den Betroffenen bei der Veröffentlichung besonders einschneidende Folgen zu erwarten, dann wird man neben der formalen Zuordnung zum Staatssicherheitsdienst der DDR auch den Nachweis der konkreten Mitwirkung an Menschenrechtsverletzungen fordern müssen, wie es die Gerichte etwa in den Kündigungsfällen gehandhabt haben.1240 Bei Unklarheiten können sich die Anforderungen an den Persönlichkeitsschutz bis hin zu einer Rückfragepflicht verdichten.1241 b) Totenehre Der Ehranspruch Toter lässt sich ebenfalls nur sehr schwer präzisieren. Auf ihn wird sich aber in den kommenden Jahren die Diskussion um die der Herausgabe und Verwendung von Stasi-Unterlagen entgegenstehenden Rechte verlagern. Fest steht, dass der Ehranspruch Toter in seinem Umfang hinter dem von Lebenden zurückbleibt. Der Unterschied begründet sich mit der unterschiedlichen Verankerung des Persönlichkeits- und Totenschutzes. Geht es bei Lebenden zumindest auch um den Schutz der freien Entfaltung, geht es bei Toten nur noch um Würdeschutz.1242 Geschützt wird konkret das Lebensbild des Verstorbenen in der Wahrnehmung der Nachwelt, sein sittlicher, personaler und sozialer Geltungswert.1243 Der Geltungswert einer Person kann, wie zahlreiche Beispiele aus der Politik zeigen, zeitlichen Schwankungen unterliegen. Er kann je nach Person stark variieren. Maßgeblich für die Bestimmung des Geltungswertes eines jeden ist der Zeitpunkt der Herausgabe der personenbezogenen Information durch die BStU bzw. der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Information. So wird die Rote Hilde1244 genauso wenig wie der im Volksmund als Blutrichter bekannte 1239 Zur Verfälschung der Wahrheit durch die Unterdrückung von Informationen BVerfG, Beschluss v. 25. Januar 1961, Schmid-Spiegel, BVerfG 12, 113 (130); BVerfG, Beschluss v. 3. Juni 1980, Böll, BVerfGE 54, 208 (220). 1240 S. 150 Anm. 690. 1241 R. Bork, Anm. 914, 90 (102) unter Bezugnahme auf LG Hamburg, Urteil v. 8. Februar 1991, Hermann Kant (unveröffentlicht). 1242 Dazu schon oben Teil 1 Kap. 2 § 3 A. IV. 1243 BVerfG, Beschluss v. 22. August 2006, Blauer Engel, www.bverfg.de, Rn. 25; BVerfG, Beschluss v. 25. August 2000, NJW 2001, 594 f.; BVerfG, Beschluss v. 5. April 2001, Kaisen, NJW 2001, 2957 (2958 f.). Aus dem engen Geltungsbereich des postmortalen Persönlichkeitsrechts ergibt sich auch, dass die bloße Nichtberücksichtigung des Mandantenschutzes im Fall Gysi nicht per se einen Eingriff in das postmortale Persönlichkeitsrecht Havemanns dargestellt hätte. 1244 Hilde Benjamin, Justizministerin und Vorsitzende Richterin in zahlreichen politischen Schauprozessen gegen Oppositionelle in der DDR.

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Roland Freisler1245 das Maß an Achtung erhalten, das ihnen bis zum Tode zugekommen ist. Umgekehrt kann sich der Achtungsanspruch von Chris Gueffroy1246 und anderen Maueropfern heute anders darstellen als zum Zeitpunkt ihres Todes aus der Sicht einer nicht unerheblichen Anzahl von DDR-Bürgern. Maßstab für die Bestimmung des Geltungswertes kann nur der objektive Dritte sein.1247 Sofern – was bei Personen mit politischem Hintergrund nahezu der Regelfall sein dürfte – die Bemessung des Geltungswertes höchst unterschiedlich ausfällt, muss sich dies auch bei der inhaltlichen Bestimmung des Geltungswertes niederschlagen. Wird etwa eine Bewertung der Person vollzogen, die von einem beachtlichen Teil der Gesellschaft geteilt wird, dann kann der Betroffene Verstorbene schon von vorneherein nicht in seinem Geltungsanspruch gemindert sein. Aus dem Bezug zur Wahrnehmung der Nachwelt ergibt sich zum einen, dass, da die menschliche Erinnerung mit zunehmendem Zeitablauf schwindet, auch der Persönlichkeitsschutz Toter mit fortschreitendem Zeitablauf verblasst.1248 Daraus ergibt sich aber auch, dass bei Toten, die sich, sei es bereits zu Lebzeiten oder auch erst mit oder nach dem Tod, im Erinnerungsvermögen der Öffentlichkeit verfestigt haben, der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts länger nachwirkt. Wie lange und mit welcher Intensität der Schutz nachwirkt und wessen Erinnerungsvermögen der Maßstab für die Bestimmung ist, lässt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG heraus nicht beantworten. Der Gesetzgeber hat in den Archivgesetzen pauschal 30 Jahre, also eine Generation, als angemessen erachtet.1249 Im älteren Kunst-Urheber-Gesetz geht er von 10 Jahren aus.1250 In der Rechtsprechung variieren die Schutzfristen zwischen 10–70 Jahren.1251 Nicht minder schwer lässt sich der Eingriff in das postmortale Persönlichkeitsrecht beschreiben. Aus der grundsätzlichen Unabwägbarkeit der Menschenwürde ergibt sich jedoch, dass ein Eingriff erhöhten Anforderungen unterliegt, dass nur ein schwerer Eingriff überhaupt geeignet ist, das postmortale Persönlichkeitsrecht zu verletzen. Als schwer ist der Engriff dann anzusehen, wenn die Persönlichkeit des Toten herabgewürdigt oder erniedrigt wird. Einer weiteren Präzisierung jedoch sind diese Kriterien unzu1245 Beteiligter der Wannsee-Konferenz zur Endlösung der Judenfrage und Präsident des Volksgerichtshofes. 1246 Letztes Maueropfer. 1247 Vgl. schon zu Perspektiven in Bezug auf die Definition der Privatsphäre oben Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 2. Siehe auch E. H. Burkhardt, Anm. 930, Kap. 5, Rn. 174. 1248 BVerfG, Beschluss v. 24. Februar 1971, Mephisto, BVerfGE 30, 173 (196). 1249 § 5 Abs. 2 BArchG. 1250 Vgl. § 22 Abs. 2 KUG. 1251 Eine Übersicht bietet N. Reber, GRUR Int 2007, 492 (493).

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gänglich. Man kann der Rechtsprechung vorsichtig eine gewisse Tendenz entnehmen, wonach bei Äußerungen tatsächlicher Art, die einen Toten der Sympathisierung mit einem Unrechtsregime bezichtigen, ein schwerer Eingriff bejaht wird.1252 Der Vorwurf, eine Person habe für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet, ohne dass hierfür irgendwelche Anhaltspunkte vorliegen, ist daher grundsätzlich geeignet das postmortale Persönlichkeitsrecht zu verletzen. c) Schutz des Andenkens an Verstorbene Zum sozialen Achtungsanspruch gehört auch der Schutz des Andenkens an Verstorbene.1253 Anders als das postmortale Persönlichkeitsrecht, dessen Träger der Tote ist, handelt es sich hierbei um einen originären Anspruch des Hinterbliebenen, der im Kontext der Stasi-Unterlagen-Problematik noch deutlicher an Relevanz zunehmen wird. Dieser Anspruch basiert auf der Annahme, dass sich der Mensch mit ihm nahe stehenden Personen identifiziert, zumindest sich als für dessen Handeln bis zu einem gewissen Grade mitverantwortlich bzw. als von deren Tun mitgeprägt sieht; ein herabwürdigendes Verhalten gegenüber dem Verstorbenen mithin auch auf Hinterbliebene durchschlägt. Aus dieser Begründungserwägung ergeben sich zugleich die Grenzen dieses Anspruchs. Er ist in personeller Hinsicht auf nahe stehende Hinterbliebene, jedoch nicht notwendigerweise Familienangehörige, begrenzt. In welchen Verhältnissen eine solche enge Verbindung besteht, bei der eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts eines Verstorbenen nicht nur mittelbar auf einen Hinterbliebenen fortwirkt, sondern unmittelbar als Eingriff in das eigene Persönlichkeitsrecht anzusehen ist, ist in jedem Einzelfall festzustellen.1254 Es spricht jedoch eine Vermutung dafür, dass hierzu die Eltern-Kind-Beziehung, die Beziehung zwischen Lebenspartnern zählt, wobei es hier nicht auf den Grad der Formalisierung, sondern auf materielle Indizien wie etwa der Dauer der Lebensgemeinschaft ankommt. In inhaltlicher Hinsicht geht der Anspruch des Hinterbliebenen nicht über das post1252 OLG Hamburg, Urteil v. 2. Juli 1982, Wehrsportgruppe Hoffmann, AfP 1983, 466 (468); LG Düsseldorf, Urteil v. 17. Oktober 2001, Beuys, ZUM 2002, 390. 1253 Ohne diese dogmatische Verortung vorzunehmen LG Westfalen, Urteil v. 10. Januar 2007, Bühnenstück, NJW-RR 2007, 1057 (1058 f.). 1254 BVerfG, Beschluss v. 19. Oktober 2006, Muttermord, www.bverfg.de, Rn. 12. BGH, Urteil v. 6. Dezember 2005, Muttermord, GRUR 2006, 252 (255) fordert, dass die beanstandete Darstellung selbst Gegenstände aus der Persönlichkeitssphäre des Dritten zum Gegenstand haben muss und scheint insofern von engeren Voraussetzungen auszugehen.

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mortale Persönlichkeitsrecht hinaus. Ein Schutz von „Lebenslügen“ wird auch über diesen Anspruch nicht vermittelt. 6. Schutz des Ausbeutungsinteresses an personenbezogenen Informationen Neben den ideellen Komponenten des Persönlichkeitsschutzes spielen im Zusammenhang mit den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes auch wirtschaftliche Komponenten eine Rolle.1255 Sowohl im Kohl-Verfahren1256 als auch im Fall Gysi1257 machten die Betroffenen ein Exklusivzugangs- und Verwertungsrecht an den über sie bei der BStU vorhandenen Informationen geltend. Der Sache nach ging es um zwei verschiedene Komponenten. Während Gregor Gysi ein Urheberrecht an seiner Berufungsschrift gelten machte, berief sich Helmut Kohl auf ein Ausbeutungsrecht an den eigenen Informationen. Im ersteren Fall ging es also um den Schutz des geistigen Eigentums, während es im zweiten Fall um ein Exklusivrecht an der Verwertung der personenbezogenen Informationen für die eigene Autobiographie ging. Sowohl Kohl als auch Gysi beriefen sich zum Schutz ihrer Interessen auf das Grundgesetz.1258 Das verfassungsrechtlich garantierte Allgemeine Persönlichkeitsrecht erfasst im Gegensatz zum Zivilrecht aber weder den einen noch den anderen Fall. Wie oben gezeigt, sind die Zielrichtungen des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes die freie Entfaltung der Person und der Schutz der Menschenwürde.1259 Wirtschaftliche Interessen an sich werden hiervon nicht erfasst. Soweit das Urheberrecht in Art. 2 Abs. 1 GG verankert ist, betrifft dies ausschließlich die ideelle Komponente, die mit den soeben besprochenen Facetten des Persönlichkeitsrechts korrespondiert.1260 Im Gegensatz zu dem im Zivilrecht vorherrschenden monistischen Ansatz, wonach ideelle und vermögensrechtliche Komponenten beim Urheberschutz unauflöslich und daher unter einem einheitlichen Recht zu fassen sind, 1255

Einleitung § 2 A. Vgl. Einleitung § 1 B. II. 2. a). 1257 Vgl. Einleitung § 1 B. II. 2. b). 1258 BVerfG, Beschluss v. 17. Dezember 1999, Gysi, NJW 2000, 2416 ff.: „Allein die Mißachtung des ureigensten Rechts des Urhebers, allein darüber zu entscheiden, wann er sein Werk als zur Veröffentlichung geeignet erachte und als vervielfältigungsreif ansehe, bedeute eine Verletzung erheblicher Interessen, denen Grundrechtsrang zukomme.“ E. Benda/D.C. Umbach, Anm. 1, S. 161 f. 1259 Teil 1 Kap. 2 § 3 C. I. 1. 1260 Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 1.–5. Zur Natur des Urheberrechts und zum Begriff des geistigen Eigentums ausführlich I. Niemann, Geistiges Eigentum in konkurrierenden völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 3 ff. 1256

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nimmt das Verfassungsrecht eine Zweiteilung vor und verortet die vermögensrechtliche Komponente in Art. 14 Abs. 1 GG1261. Auch dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass es ein in Art. 2 Abs. 1 GG wurzelndes eigentumsähnliches Verfügungsrecht an den eigenen Daten nicht gibt.1262 Auch der durch Art. 2 Abs. 1 GG vermittelte Schutz des Ausbeutungsrechts an den eigenen Daten erschöpft sich darin, dass der Betroffene über bei ihm vorhandene Daten frei verfügen kann. Dies ist aber ohne Einfluss auf das Verfügungsrecht Dritter an seinen Daten. Verfassungsrechtlich geschützt ist die Entschließung darüber, die Persönlichkeit für fremde Geschäftsinteressen verfügbar zu machen.1263 Haben Dritte seine Daten, hindert zumindest die Handlungsfreiheit des Betroffenen diese nicht daran, die Daten zu verwenden. Eine absolute Verfügungsmacht erwächst dem Betroffenen durch Art. 2 Abs. 1 GG nicht. Dies hat das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich erneut bestätigt.1264 7. Verfahrensrechtliche Anforderungen Damit Grundrechte ihre Funktion in der sozialen Wirklichkeit erfüllen können, bedarf es nicht nur näherer inhaltlicher Normierungen, sondern auch geeigneter Organisationsformen und Verfahrensregelungen. Grundrechte erschöpfen sich damit nicht in materiell-rechtlichen Gehalten. Sie geben zugleich Vorgaben an das Verfahren. Verfahrensgarantien sind „grundrechtliche Vorwirkungen“1265. Sie stehen, anders als dies der Begriff „Vorwirkungen“ implizieren mag, nicht außerhalb der Grundrechte. Es handelt sich hierbei um klassische Eingriffsabwehr, nicht um grundrechtliche Schutzpflichten.1266 Diese verfahrensrechtliche Dimension der Grundrechte gewinnt verstärkte Bedeutung in einer Zeit, in der es im zunehmenden Maße der Abgrenzung und Zuordnung der Bereiche menschlicher Freiheit und eines Ausgleichs kollidierender Grundrechtspositionen bedarf – so bereits der frühe Hinweis Hesses1267. 1261 BVerfG, Beschluss v. 25. Oktober 1978, UrhG, BVerfG 49, 382 (392); BVerfG, Beschluss v. 7. Juli 1971, Schulbuchprivileg, BVerfGE 31, 229 (238 ff.); BVerfG, Beschluss v. 17. Dezember 1999, Gysi, NJW 2000, 2416 ff. 1262 Vgl. ausführlich dazu Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 1. 1263 G. Neben, Anm. 869, S. 169. Implizit BVerfG, Beschluss v. 25. August 2000, Willy Brandt, NJW 2001, 594 (595). 1264 BVerfG, Beschluss v. 22. August 2006, Blauer Engel, www.bverfg.de, Rn. 32. 1265 BVerfG, Beschluss v. 20. Dezember 1979, Mühlheim-Kärlich, BVerfGE 53, 69 (71). 1266 Zur Schutzpflichtlehre schon oben Teil 1 Kap. 2 § 1 C. II. 1. a).

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In Fällen wie dem der §§ 32, 34 StUG, in denen hinter der Norm eine schier unüberschaubare Anzahl von verschiedensten Grundrechtskollisionen steht, für deren Auflösung sich nur sehr abstrakte Kriterien der Verfassung entnehmen lassen, in Konstellationen, in denen es um Eingriffe geht, die auf das individuelle Schicksal gravierende Auswirkungen haben können und in denen die Beweislage nur sehr fragmentarisch bleibt, ist es umso notwendiger, die fehlende Möglichkeit des materiell-rechtlichen Ausgleichs durch Verfahrensregelungen zu kompensieren, die im individuellen Fall dann ein „Mehr“ an Gerechtigkeit hervorbringen.1268 Das Verfahren ist nicht allein eine Institution zur Koordinierung des Zusammenlebens. Es dient in erster Linie dem Individualschutz und damit den Persönlichkeitsschutz. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz residiert damit nicht allein im Rechtsstaatsprinzip, sondern ergibt sich nach ständiger Rechtsprechung direkt aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).1269 Hieraus ergeben sich eine Reihe von verfahrensrechtlichen Konsequenzen, die für die Herausgabe und Verwendung der Stasi-Unterlagen relevant sind: a) Rechtliches Gehör Der wohl grundlegendste Verfahrensgrundsatz überhaupt ist das Recht auf Anhörung, das heißt, das Recht, gegen Grundrechtseingriffe des Staates – wie die Herausgabe und Veröffentlichung personenbezogener Informationen – zuvor Stellung zu beziehen, sich verteidigen zu können, um diese ggf. abzuwehren.1270 Schoch meint gar: „In einem demokratischen Rechts1267

K. Hesse auf der IV. Konferenz der Europäischen Verfassungsgerichte, abgedr. in: BVerfGE 53, 71. Zustimmend Sondervotum Bröhmer, BVerfG, Beschluss v. 27. September 1978, Zwangsversteigerung, BVerfGE 49, 220 (235). 1268 Vgl. zum Problem des Wahrheitsgehalts der Unterlagen schon Teil 1 Kap. 2 § 2 B. I. 2.; Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 4., 5. 1269 BVerfG, Beschluss v. 20. Juni 1995, Rechtsmittelbelehrung, BVerfGE 93, 99 (107); BVerfG, Beschluss v. 22. September 1993, Verfahren in Abwesenheit, BVerfGE 89, 120 (129); BVerfG, Beschluss v. 3. Juni 1992, Lebenslange Freiheitsstrafe, BVerfGE 86, 288 (2. Leitsatz); BVerfG, Beschluss v. 26. April 1988, Schlechte Schrift, BVerfGE 78, 123 (126); BVerfG, Beschluss v. 8. Oktober 1985, Pflichtverteidiger, BVerfGE 70, 297 (322 f.); BVerfG, Beschluss v. 12. Januar 1983, Spurenakten, BVerfGE 63, 45 (60); BVerfG, Beschluss v. 26. Mai 1981, V-Mann, BVerfGE 57, 250 (274 f.). 1270 BVerfG, Beschluss v. 18. Januar 2000, Anhörung, BVerfGE 101, 397 (405); BVerfG, Beschluss v. 12. Januar 1983, Spurenakten, BVerfGE 63, 45 (61): „Ferner sichert dieser Anspruch dem Beschuldigten, der im Rechtsstaat des Grundgesetzes nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein darf, den erforderlichen Bestand an aktiven

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

staat gehört das rechtliche Gehör für den von einer Einzelfallentscheidung Betroffenen zu den wichtigsten und vornehmsten Verfahrensrechten.“1271 Es durchzieht nicht nur das Strafrecht, sondern die gesamte Eingriffsverwaltung. Obgleich § 28 Abs. 1 VwVfG nur eine Anhörung für den Erlass von Verwaltungsakten vorsieht, vermag diese Vorschrift die verfassungsrechtliche Pflicht zur Anhörung nicht einzuschränken.1272 Die Vorschrift ist lediglich Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes für den spezifischen Bereich des Verwaltungshandelns durch Verwaltungsakt.1273 Eine Anhörung wird darüber hinaus überall dort erforderlich, wo Grundrechtseingriffe bevorstehen. Dies gilt für das Handeln durch Verwaltungsakt genauso wie für faktisches Verwaltungshandeln oder für Verwaltungsakte mit Drittwirkung und damit auch für die Herausgabe personenbezogener Informationen aus den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes. b) Unschuldsvermutung Weiterhin zu berücksichtigen ist die Unschuldsvermutung. Sie ist, wie bereits angedeutet, direkte Konsequenz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Ausprägung des sozialen Achtungsanspruchs.1274 Eine Person muss grundsätzlich solange vom Vorwurf eines Verhaltens, der sie in ihrem Geltungsanspruch herabsetzt, frei bleiben, bis der Vorwurf sich anhand von Beweisen bestätigen lässt.1275 Dieser Grundsatz ist ebenfalls nicht auf die strafrechtliche Sanktionierung als besonders grundrechtseinschneidendes Mittel begrenzt, sondern muss gleichermaßen auch dann anwendbar, wenn dem Betroffenen Nachteile drohen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen.1276 Diese Nachteile können auch in der gesellschaftlichen Ächtung liegen, denn das Allgemeine Persönlichkeitsrecht differenziert dem Grunde nach nicht zwischen spezifischen Verfahren. Dementsprechend hat das Verfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern den Einwand eines Abgeordneten gegen die Überprüfung sämtlicher Abgeordneter des Landtages verfahrensrechtlichen Befugnissen, damit er zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Strafverfahrens Einfluss nehmen kann.“ 1271 F. Schoch, JURA 2006, 833; BVerfG, Beschluss v. 18. Januar 2000, Anhörung, BVerfGE 101, 397 (405). 1272 So auch F. Schoch, ebd. 1273 § 28 VwVfG entspreche einem „verfassungsrechtlichem Gebot“, BT-Drs. 7/910, S. 51. 1274 Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 5. a). 1275 So – ohne die Unschuldsvermutung explizit in Bezug zu nehmen – VG Berlin, Urteil v. 16. Dezember 2009, Osuch, 1 K 282.09. 1276 BVerfG, Beschluss v. 29. Oktober 2007, Disziplinarverfahren, www.bverfg. de, Rn. 11. BVerfG, Beschluss v. 13. Januar 1981, Konkursbedingte Aussagepflichten, BVerfGE 56, 37 (44) in Bezug auf den nemo tenetur-Grundsatz.

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auf eine etwaige Zusammenarbeit mit dem MfS nicht schon mangels Anwendbarkeit der Unschuldsvermutung, sondern allein deswegen, weil sich die Überprüfung auf alle Abgeordneten bezog, verneint.1277 c) Resozialisierung oder das „Recht auf Vergessen“ Ein weiterer im Zusammenhang mit der Regelung des Zugangs zu den Stasi-Unterlagen zu berücksichtigender Verfahrensaspekt ist das Recht auf Resozialisierung, d.h. das Recht darauf in die Gesellschaft zurückzukehren. So betont das Bundesverfassungsgericht „[A]ls Träger der aus der Menschenwürde folgenden und ihren Schutz gewährleistenden Grundrechte muss der verurteilte Straftäter die Chance erhalten, sich [. . .] wieder in die Gemeinschaft einzuordnen.“1278 Eine direkte Konsequenz hieraus ist, dass etwa Straftaten nach dem Bundeszentralregistergesetz nach einer bestimmten Zeit zu löschen sind.1279 An sie sollen dann für den Einzelnen keine nachteiligen, ihn in seiner Entfaltungsfreiheit hemmenden Konsequenzen geknüpft werden. Frühere Vorstrafen dürfen dann etwa bei der Bestimmung des Strafmaßes in einer Folgeverurteilung nicht mehr berücksichtigt werden, und auch die Rückkehr in das Arbeitsleben soll durch die Eintragung einer Vorstrafe nicht mehr behindert werden. Das Recht auf Resozialisierung ist jedoch keineswegs auf verurteilte Straftäter begrenzt, sondern bezieht sich seinem Gedanken nach auf all die Personen, die aufgrund eines bestimmten Vorverhaltens gesellschaftlich ausgegrenzt werden und dies kann auch eine moralische und politische Schuldzuweisung sein. Ist es mit dem Verfassungsgericht schon unzulässig einen Mörder nach verbüßter Strafe in die Öffentlichkeit zu ziehen, kann nichts anderes für Mitarbeiter der Staatssicherheit gelten. Diesen Aspekt erkennt das Stasi-Unterlagen-Gesetz in anderen Vorschriften, wie den Vorschriften zur Überprüfung des Öffentlichen Dienstes, die zunächst bis Dezember 2006 befristet waren, auch an.1280 Dass die Stasi-Mitarbeit kein Kündigungsgrund oder Einstellungshindernis mehr darstellt, heißt jedoch nicht, dass die Herausgabe von Informationen hierüber ausgeschlossen ist. Eine solche Konsequenz hat der Gesetzgeber auch nicht gezogen. Relevant wird dieser Aspekt des Persönlichkeitsrechtes jedoch im Rahmen der Abwägung im Einzelfall. Dementsprechend verschiebt sich im Rahmen der §§ 32, 34 1277 VerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 11. Juli 1996, Abgeordnetenüberprüfung, LVerfG 1/96. 1278 BVerfG, Urteil v. 5. Juni 1973, Lebach, BVerfGE 35, 202 (235 f.). 1279 § 45 BZRG. 1280 Nunmehr ist die Überprüfung nur noch für „verantwortungsvolle“ Positionen vorgesehen, vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 6 StUG.

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

StUG mit zunehmendem Zeitablauf die Rechtfertigungslast auf das Aufarbeitungsanliegen. Immer häufiger wird die BStU daher bei Herausgabe der Unterlagen zu prüfen haben, wie sich eine Veröffentlichung auf das Leben eines Mitarbeiters der Staatssicherheit auswirken kann, ob dies in anbetracht seines konkreten Tatbeitrages gerechtfertigt ist und wie hoch der Aufarbeitungswert ist.1281 Dies bestätigte kürzlich auch die Pressekammer des Berliner Landgerichts.1282 Wie sämtliche Gewährleistungsbereiche des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit Ausnahme des mit der Menschenwürde identischen Kernbereichs ist auch dieser Aspekt nicht der Abwägung entzogen. Daher wird ein Pauschalausschluss der Herausgabe und Veröffentlichung der personenbezogenen Informationen – beziehungsweise ein „Recht auf Vergessen“1283 wie es Kritiker bezeichnen – auch nur dann anzunehmen sein, wenn der Wert der Information für die Aufarbeitung von untergeordnetem Belang ist. Ein Schlussstrich unter die Aufarbeitung des Staatssicherheitsdienstes wird damit nicht gezogen.1284 Die Kritik an der sich an diesen Grundsätzen orientierenden Rechtsprechung ist unbegründet. Das Hauptargument, das es bei der Herausgabe von Stasi-Informationen nicht um strafrechtliche, sondern um moralische und politische Verantwortlichkeit ginge1285, greift zu kurz. Zwar ist zuzugeben, dass das Bundesverfassungsgericht das Recht auf Resozialisierung zunächst in Bezug auf Straftäter entwickelte, jedoch kann weder hieraus noch aus der Bezeichnung und dem Begründungszusammenhang auf eine immanente Begrenzung des Resozialisierungsanspruchs auf Straftäter geschlossen wer1281

Zu den praktischen Schwierigkeiten vgl. unten Teil 2 Kap. 2 § 2 B. I. LG Berlin, Urteil v. 28. Oktober 2008, GrafeI, 27 O 773/05 (bislang unveröffentlicht); LG Berlin, Urteil v. 5. Februar 2009, Grafe II, 27 O 1113/08; LG Berlin, Urteil v. 5. Mai 2009, Kiesow I, NJ 2009, 338. Aber siehe in der gleichen Sache KG Berlin, Urteil v. 19. Februar 2010, Kiesow II, 9 U 32/09. 1283 Der Spiegel v. 17. November 2008, S. 38; vgl. auch Kommentar v. J. Staadt, Vergiss es!, Tagesspiegel v. 26. November 2008; ferner J. Weberling, in: Verantwortliche beim Namen nennen – Täter haben ein Gesicht, S. 7, 19; H.-J. Otto, in: Verantwortliche beim Namen nennen – Täter haben ein Gesicht, S. 15. Dagegen J. Müller-Neuhof, Der Tagesspiegel v. 1. November 2009, Anm. 1045: „[S]tatt pragmatisch über Umfang und Einschränkung von Persönlichkeitsrechten nachzudenken, wird in der Debatte ein angebliches ‚Recht auf Vergessen‘ gegen ein angeblich der korrekten Historie dienendes ‚Recht auf Namen‘ konstruiert, also eine neue Schlussstrichdebatte angezettelt, die weder erforderlich ist noch weiterführt“. 1284 So aber R. Borgmann, in: Verantwortliche beim Namen nennen – Täter haben ein Gesicht, S. 59 (66). 1285 H.-J. Papier, Recht und Freiheit. 60 Jahre Grundgesetz – 20 Jahre friedliche Revolution, S. 4 f., der aus „mehreren Gründen“ meint, dass das Lebach-Urteil auf die Befassung mit der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes „überhaupt nicht“ zuträfe. Siehe auch J. Beleites, DA 2007, 5 (6); H.-J. Otto, Anm. 1283, S. 13 (15); R. Borgmann, Anm. 1284, S. 59 (62); J. Weberling, Anm. 1283, S. 19 (20). 1282

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den. Entscheidend ist, ob an ein bestimmtes Verhalten eine gesellschaftliche Ausgrenzung geknüpft ist. Zwar mag streitig sein, inwieweit das StasiStigma auch heute noch zu einer Ausgrenzung führt und die Entfaltungsfreiheit des Einzelnen beeinträchtigt. Dies ist ein Umstand der in der Abwägung zu berücksichtigen ist. Ferner gibt es auch für das bei Borgmann anklingende Argument, dass es sich beim Lebach-Urteil um eine überholte Rechtsprechung handle, da damals Resozialisierung als „fügsame Einordnung in die Gesellschaft“ und nicht als „aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld und deren Folgen verstanden worden“ keinen Beleg.1286 Schließlich ist der Umstand, dass es bei Lebach um die Befriedigung des allgemeinen Informationsinteresses und nicht um die Aufarbeitung eines Unrechtsstaates ging, ebenfalls in der Abwägung zu berücksichtigen. Er vermag jedoch nicht den individuellen Resozialisierungsanspruch als solchen in Frage zu stellen.1287

D. Fazit: Höhergewichtung bei Mehrfacheingriff in den Schutzbereich Der Persönlichkeitsschutz lässt sich nicht abschließend erfassen. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist vielmehr ein Rahmengrundrecht, das seine Wurzel in der freien Entfaltung der Person findet, sich aber mit dieser nicht abschließend erfassen lässt. Das Persönlichkeitsrecht erfasst auch die Menschenwürde und ihr Vorfeld, d.h. aufgefangen werden auch Tatbestände, die sich nicht mehr unter die inneren Voraussetzungen der Handlungsfreiheit fassen lassen, sondern in die Nähe der Menschenwürde rücken ohne von dieser aufgefangen zu werden, also in diesem Sinne im Vorfeld der Menschenwürde liegen. Von diesen beiden Polen, Menschenwürde und Handlungsfreiheit, aus ist der Inhalt des Persönlichkeitsrechts zu bestimmen. Daraus ergibt sich zugleich, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gerade nicht ein Auffangrecht für sämtliche innere Befindlichkeiten, die nicht durch andere Grundrechte erfasst werden, ist. Der Allgemeine Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts umfasst dabei den Schutz der räumlichen, inhaltlichen, personellen Privatsphäre in der Gestalt des Schutzes von Vertraulichkeitsverhältnissen, den Schutz des sozialen Achtungsanspruchs sowie den Schutz vor Unterschiebung nicht getätigter Äußerungen und der Verfälschung des Persönlichkeitsbildes. Daneben schützt es in Form des so genannten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung die inneren Voraussetzungen der freien Entfaltung, aber nicht schlechthin ein Verfügungsrecht über die eigenen Daten. Einen neben dieser 1286 1287

R. Borgmann, Anm. 1284, S. 59 (64, 65). R. Borgmann, Anm. 1284, S. 59 (64).

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

ideellen Schutzdimension stehenden wirtschaftlichen Schutz vermittelt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ebenfalls nicht. Zu der materiellen Schutzdimension tritt eine verfahrensrechtliche Schutzdimension, die u. a. das Recht auf Anhörung bei belastenden Eingriffen in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Unschuldsvermutung und das Recht auf Resozialisierung umfasst. Durch die Herausgabe und/oder Veröffentlichung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes kann in verschiedene Schutzdimensionen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingegriffen werden. Dies ist für die Gewichtung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Rahmen der konkreten Abwägung, d.h. bei der Gewichtung des Eingriffs in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht1288, von Bedeutung. Greift die Herausgabe oder Veröffentlichung einer personenbezogenen Information in mehrere Gewährleistungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein, führt dies zu einer – freilich nicht in Maßeinheiten zu beziffernden1289 – Höhergewichtung. „[D]as Gewicht des Eingriffs wird erhöht“1290. Daher ist es zum Vollzug dieses Abwägungsvorgangs von entscheidender Bedeutung, die einzelnen (Unter-)Gewährleistungsbereiche genau gegeneinander abzugrenzen, um Mehrfachgewichtungen für Eingriffe in ein- und denselben Gewährleistungsbereich zu vermeiden. Es gilt zu verhindern, dass das Gewicht des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die Zuordnung des Eingriffs zu mehreren unterschiedlich benannten, aber ihrem Inhalt nach identischen Gewährleistungsbereichen künstlich aufgebläht wird. So ist etwa das Recht am eigenen Wort in weiten Teilen mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung identisch. Nur dann, wenn etwa durch die konkrete Wortlaut- und Stimmenwiedergabe die Entfaltungsfreiheit zusätzlich behindert wird, kommt eine Höhergewichtung in Betracht.

Zusammenfassende Thesen zu Teil 1 Kapitel 2 § 3 1. Amtsträger als Teil des Staates sind keine Grundrechtsträger. Dies ergibt sich bereits aus dem Wesen der Grundrechte als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Dem Umstand, dass Amtspositionen grundsätzlich von natürlichen Personen ausgefüllt werden, ist durch Differenzierung zwischen dem amts- und dem privaten Handeln einer Person Rechnung zu tra1288

Zur regelungsbezogenen Abwägung vgl. Teil 1 Kap. 1 § 3 B. Zum Problem der Gewichtung einzelner Abwägungsgesichtspunkte vgl. Teil 1 Kap. 1 C. 1290 BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, www.bverwg.de, Rn. 36. 1289

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gen. Diese Differenzierung ist auch grundsätzlich möglich. Sofern Amtsund Privatperson unauflöslich verquickt sind, ist die Person auch Grundrechtssubjekt. Dies ist nicht schon bei weiter entfernten, reflexartigen Rückwirkungen auf den privaten Bereich eines Amtsträgers der Fall. Der Amtsbezug wirkt sich unter Umständen im Rahmen der Abwägung in der Gewichtung des Persönlichkeitsrechts aus. Ausschließlich amtsbezogene Informationen werden nicht durch die Grundrechte, sondern durch verschiedene, ebenfalls zum Teil verfassungsrechtlich begründete organisationsrechtliche Geheimschutzvorschriften geschützt, soweit dies zur ordnungsgemäßen Amtsführung erforderlich ist. Dies dürfte in Bezug auf die Informationen aus den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes regelmäßig nicht mehr der Fall sein. 2. Für MfS-Mitarbeiter als Teile des Staatsapparates der ehemaligen DDR gelten dieselben Grundsätze. Sie können im Hinblick auf ihr amtliches Handeln Grundrechtsschutz nicht beanspruchen. Gleichwohl ergibt sich für Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes die Besonderheit, dass sie bei der Herausgabe und Veröffentlichung ihrer Informationen regelmäßig als Privatperson in ihrem sozialen Achtungsanspruch betroffen werden, da die grundsätzliche gesellschaftliche Stigmatisierung des Staatssicherheitsdienstes nicht nur die Institution als solche, sondern vor allem den Einzelnen, der sich auf sie eingelassen hat, trifft. Insoweit genießen sie Grundrechtsschutz, wobei die Tätigkeit für das MfS regelmäßig auf den Umfang des sozialen Achtungsanspruchs einschränkende Rückwirkungen zeitigt. 3. Demgegenüber genießen politische Funktionsträger, insbesondere Funktionsträger von Parteien, den Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Ungeachtet ihrer spezifischen Stellung als Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft bleiben Parteien privatrechtliche Vereine, die nach Art. 19 Abs. 3 GG Grundrechtsschutz genießen. Dies gilt dann auch für ihre Funktionäre. Die einzige Einschränkung ergibt sich insoweit aus der nur „wesensmäßigen“ Anwendung der Grundrechte, die durch Art. 19 Abs. 3 GG angeordnet wird. 4. Auch Tote bleiben zumindest in Bezug auf das postmortale Persönlichkeitsrecht Grundrechtsträger. Differenzierungen zu Lebenden ergeben sich hier erst in Bezug auf den Umfang der anwendbaren Rechte. Tote sind nicht Träger des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Ihr Schutz ist begrenzt auf den Würdeschutz, also den Schutz des sittlichen, personalen und sozialen Geltungsanspruchs. 5. Die Eingriffshandlung in Bezug auf die Verwendung der Stasi-Unterlagen ist allein der Akt der Herausgabe und der Veröffentlichung, nicht die Informationserhebung durch die Staatssicherheit. Ein Fortsetzungszusammenhang zwischen der Informationserhebung durch den Staatssicherheits-

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Teil 1: Rechtliche Vorgaben

dienst und der Herausgabe durch die BStU besteht weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht. 6. Für das Gewicht des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Abwägung ist von entscheidender Bedeutung, in welche einzelnen Gewährleistungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Herausgabe oder/und Veröffentlichung personenbezogener Informationen genau eingreift. 7. Weder der Literatur noch der Rechtsprechung lässt sich eine einheitliche Darstellung des Persönlichkeitsrechts entnehmen. Gleichwohl wird davon ausgegangen, dass es sich um ein Rahmenrecht handelt, dass sich aus den inneren Voraussetzungen der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Menschenwürde und eine Art Vorhof derselben ergibt. Aus dieser dogmatischen Weichenstellung ergibt sich, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gerade kein Auffangtatbestand für den Schutz sämtlicher Befindlichkeiten, die von anderen Grundrechten nicht erfasst werden, ist. 8. Ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Sinne eines dem Art. 14 Abs. 1 GG ähnlichen Verfügungsrechts an eigenen Daten gibt es im Grundgesetz nicht. Daten, deren Weitergabe für die freie Entfaltung der Person, die Handlungsfreiheit, nicht von Belang sind, werden vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht erfasst. 9. Neben dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung werden bestimmte personenbezogene Informationen aus Gründen ihrer Bedeutung für die freie Entfaltung verstärkt geschützt. Hierzu zählen Informationen, deren Inhalt der Privatsphäre zuzuordnen ist, Informationen, die unter Einbruch in die räumliche Privatsphäre erhoben wurden, Informationen, die besonderen Vertraulichkeitsverhältnissen entnommen wurden. 10. Die Privatsphäre definiert sich aus der Perspektive eines objektiven Beobachters in der konkreten Situation. Sie kann entscheidend durch das Vorverhalten des Betroffenen mitgeprägt sein. Öffnet dieser für bestimmte Situationen seine Privatsphäre gegenüber der Allgemeinheit, dann hat er sie entprivatisiert. Er kann sich diesbezüglich nicht mehr auf den Schutz der Privatsphäre berufen. 11. Dabei sind auch im Rahmen der Privatsphäre selbst je nach Nähe zur Menschenwürde noch einmal Abstufungen in der Abwägung vorzunehmen. Amts- und funktionsbezogene Informationen erfahren durch die Privatsphäre keinen Schutz. Dies gilt auch grundsätzlich für Räumlichkeiten, die der Ausübung von Amtstätigkeiten und Funktionen dienen, wie etwa Büros. 12. Daneben erfährt durch das Recht am eigenen Wort die Art und Weise einer äußerungsbezogenen Information einen verstärkten Schutz. Gleiches gilt für das Recht am eigenen Bild, mit dem der besonderen Gefahr für die

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freie Entfaltung, die sich aus der Weiterleitung des Bildes/Weitergabe des „Wortes“ ergibt, Rechnung getragen werden soll. 13. Ein Eingriff in die räumliche Privatsphäre durch die Herausgabe und Veröffentlichung personenbezogener Informationen aus den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes scheidet von vorneherein aus, da es sich hierbei naturgemäß um einen punktuellen physischen Eingriff durch die Staatssicherheit handelte, der der BStU nicht zuzurechnen ist. Eine Art ideellen Eingriff in die räumliche Privatsphäre gibt es nicht. 14. Neben dem Informationsschutz spielt als materiell-rechtliche Teilgewährleistung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der soziale Achtungsanspruch und das Recht auf Selbstdarstellung eine Rolle. Bei letzterem handelt es sich um einen Schutz vor der Verfälschung des Persönlichkeitsbildes durch Unterstellungen, sei es durch unterstellte Äußerungen, sei es durch Verfälschungen des Abbildes der Persönlichkeit etwa durch Fotomontagen. Der soziale Achtungsanspruch dagegen schützt vor herabwürdigenden Äußerungen. Dies können sowohl Werturteile als auch Tatsachen, wahre und unwahre, sein. Es kommt hier entscheidend auf den herabwürdigenden Gehalt, also auf die Frage an, ob eine Information geeignet ist, den Einzelnen verächtlich zu machen. Der Geltungsanspruch bestimmt sich dabei im Kern abstrakt nach dem Eigenwert, der dem Menschen immanent ist, und in seinem Randbereich nach dem individuellen Vorverhalten. 15. Beide Teilbereiche des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts erhalten im Zusammenhang mit der Berichterstattung der Staatssicherheit Bedeutung. Abgesehen von der Zuordnung des Betroffenen zur „Täterkategorie“ kommt ein Eingriff in diese Gewährleistungsbereiche nur durch die Veröffentlichung der personenbezogenen Informationen aus den Unterlagen in Betracht, und dies auch nur insofern, als das sich der Veröffentlichende diese etwa durch fehlende Quellenhinweise zu Eigen macht. 16. Neben diesen materiell-rechtlichen Gewährleistungen birgt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht auch verfahrensrechtliche Anforderungen in sich. Dazu gehört die Anhörung des von der Informationsverwendung Betroffenen, die grundsätzliche Unschuldsvermutung, die im Zusammenhang mit der Zuordnung zur „Täterkategorie“ zum Tragen kommt, und das Recht auf Resozialisierung, das mit zunehmendem Zeitablauf die auf dem Aufarbeitungsinteresse ruhende Rechtfertigungslast erhöht.

Teil 2

Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch den Gesetzgeber Der erste Teil der Arbeit hat zur Ausgangsthese, dass sich die Probleme der Verwendung der Stasi-Unterlagen zum Zwecke der Aufarbeitung ganz erheblich von den klassischen Problemen der Personenberichterstattung unterscheiden. Dies rechtfertigt und fordert es, eine spezifische, von den übrigen gesetzgeberischen Regelungen im Bereich der Massenkommunikation abweichende Regelung zu schaffen. Inwieweit die in den §§ 32, 34 StUG getroffene Regelung den verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Rahmenbedingungen, die im ersten Teil der Arbeit herausgearbeitet wurden, entspricht, soll im folgenden Teil geklärt werden. Dabei geht es nicht allein um die umstrittene Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Norm, sondern auch darum zu klären, inwieweit der Gesetzgeber bei der Umsetzung möglicherweise über die verfassungsrechtlichen Vorgaben hinausgegangen und damit grundrechtsoptimierend tätig geworden ist.

Kapitel 1

Der Interessenkonflikt in der Systematik des StUG Die §§ 32, 34 StUG sind keine isolierten Normen, deren Verfassungskonformität losgelöst von sonstigen Normen des Stasi-Unterlagen-Gesetz betrachtet werden können. Die Normen sind Bestandteil eines komplexeren, auf vielfältige Weise in sich verflochtenen Systems, das sich nur in seinem Gesamtzusammenhang erfassen lässt. Zu diesem gehören sowohl die verfahrensrechtlichen Vorkehrungen, die zum Schutze des Persönlichkeitsrechts der Betroffenen geschaffen wurden, aber insbesondere auch die Vorschrift betreffend die Zielsetzung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Sie gibt die Grundsätze vor, in deren Lichte die §§ 32, 34 StUG auszulegen sind.

Kap. 1: Der Interessenkonflikt in der Systematik des StUG

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§ 1 Die Hierarchie der Zielbestimmungen Das Stasi-Unterlagen-Gesetz sei ein Opferschutzgesetz: „Die Zielrichtung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ist eindeutig – es steht auf der Seite der Unterdrückten“1291. Dies würde bereits die Zielbestimmung des § 1 Abs. 1 StUG deutlich machen, heißt es. Folglich müsse dies aus systematischen Gründen auch für die Auslegung der §§ 32, 34 StUG gelten. Bereits die einfach-gesetzliche Auslegung ergebe somit, dass der Zielkonflikt zwischen Allgemeinem Persönlichkeitsrecht und Aufarbeitung zu Gunsten des Ersteren entschieden werden müsste, lautet der Grundtenor derer, die sich für eine restriktive Auslegung der §§ 32, 34 StUG aussprechen.1292 Tatsächlich steht der Opferschutz systematisch an erster Stelle. Jedoch heißt vorderstes Anliegen nicht alleiniges Anliegen. Ein Blick in § 1 Abs. 1 StUG offenbart, dass neben dem Opferschutz auch die historische, politische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes zu fördern und zu leisten ist. Diese ist jedoch erst an dritter Stelle genannt, woraus die überwiegende Meinung folgert, dass es sich um eine neben-, wenn nicht gar untergeordnete, Zielsetzung handle.1293 So heißt es in der Stellungnahme des Innenausschusses: „Vorrangiges Gesetzesziel ist der Opferschutz“.1294 Das Bundesministerium der Justiz geht von einem „generelle(n) Vorrang des Persönlichkeitsrechts“1295 aus. Der Innenausschuss räumt jedoch ein, dass auch andere berechtigte Interessen, sowohl individueller als auch gesamtstaatlicher Art, deren angemessene Berücksichtigung geboten ist, bestünden, wozu insbesondere gehöre, dass viele Bürger in den neuen Bundesländern große Erwartungen in die historische, politische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes setzten.1296 Die Stellungnahme des Innenausschusses deutet bereits die Trennlinie, zwischen denen die geteilten Meinungen verlaufen, an: zwischen Ost und West. Denn die Zweckbestimmung, wie sie in § 1 Abs. 1 StUG niedergelegt ist, entspricht nicht der Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag.1297 Hier stand die Aufarbeitung an erster Stelle. Bereits bei der ersten Beratung über die Eckpunkte eines neuen Stasi-Unterlagen-Gesetzes von 1291 A. Schäffer, FAZ v. 18. April 2000, 5; vgl. auch BGHZ, Urteil v. 12. Juli 1994, IM-Listen, Rn. 28. 1292 E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 1, S. 40 ff.; S.-Ch. Lenski, Anm. 899, 112. 1293 J. Geerling/Ch. Küas, DVBl. 2001, 1624; A. Engel, Anm. 13, S. 90. 1294 BT-Drs. 12/1540, abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 334 (445). Zustimmend Wiefelspütz (SPD), ebd., 353 (372); Büttner (CDU), ebd., 375 (359, 392); Wilhelm (Vertreter v. Bayern im BR), ebd., 423 (425); Trittin (Die Grünen), 428 (432). 1295 Stellungnahme v. 7. Oktober 1991, S. 10. 1296 BT-Drs. 12/1540, abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 334 (445). 1297 Dazu Teil 1 Kap. 2 § 1 B.

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Teil 2: Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

1991 wurde diese Zwecksetzung umgedreht, mit parteiübergreifender Zustimmung.1298 Der gemeinsame Entwurf der CDU/CSU, SPD und FDP griff nunmehr die Zweckordnung des Eckpunktepapiers, die auch der heutigen Fassung des § 1 Abs. 1 StUG entspricht, auf. Er unterstreicht in seiner Begründung aber fälschlicherweise, dass dies den Vorgaben des Einigungsvertrages entspreche.1299 Erst der Entwurf von Bündnis 90/Grüne suchte unter Betonung der Bedeutung der Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag die darin vorgesehene Zweckhierarchie wiederherzustellen1300 Die unterschiedlichen Ansätze resultieren aus einem grundlegend unterschiedlichen Rechtsverständnis1301, insbesondere verschiedenen Perzeptionen des Verhältnisses von Individual- und Kollektivschutz. Auch wenn man angesichts des Widerspruches zur Zusatzvereinbarung des Einigungsvertrages im gemeinsamen Entwurf der CDU/CSU, SPD und FDP das Anliegen des historischen Gesetzgebers als unklar ansehen kann, ist das grundsätzliche Vorrangverhältnis des Persönlichkeitsschutzes vor der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes richtig bestimmt. Dies ergibt sich einfach-gesetzlich bereits aus den einzelnen Vorschriften, denen der Grundsatz des Opferschutzes allen gemein ist. Die personenbezogenen Daten sind grundsätzlich gesperrt. Selbst dann, wenn diese ausnahmsweise unter Einhaltung einer strikten Zweckbindung herausgegeben werden dürfen, ist hieran nach § 5 Abs. 1 StUG ein striktes Nachteilsverbot geknüpft. Dieses Ergebnis entspricht auch der oben herausgearbeiteten Verfassungslage, wonach das Allgemeine Persönlichkeitsrecht oberster Maßstab für den Umgang mit personenbezogenen Daten ist. Diese Zielhierarchie kann jedoch nicht einen vom Gesetzgeber angeordneten Abwägungsprozess in einer Sondervorschrift wie den §§ 32, 34 StUG einseitig zu Gunsten des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorwegnehmen. Im Gegenteil: In dieser Vorschrift ist einem weiteren Anliegen des Gesetzes – der Aufarbeitung – gerade Rechnung getragen worden. Sie kehrt für bestimmte Arten von personenbezogenen Informationen und unter Einhaltung einer strikten Zweckbindung die dem Gesetz im Allgemeinen zugrunde liegende Zweckhierarchie gerade um. Oberster Zweck ist hier die Aufarbeitung, und das Persönlichkeitsrecht bildet hier die Grenze. Nun zu behaupten, dass aufgrund des dem Gesetz im Allgemeinen unterliegenden Vorrangs des Persönlichkeitsschutzes der Abwägungsprozess einseitig zu Gunsten des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausschlagen müsse, würde 1298 Stenograph. Protokoll, 12. Sitzung des Innenausschusses des Dt. BT, 27. August 1991, S. 2. 1299 BT-Drs. 12/723, abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 245 (263). 1300 BT-Drs. 12/692, abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 273 (285). 1301 Dazu ausführlich Einleitung § 2 B.

Kap. 1: Der Interessenkonflikt in der Systematik des StUG

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auf das Prinzip, dass Ausnahmevorschriften eng auszulegen sind, hinauslaufen. Ein solches Prinzip ist zwar immer wieder behauptet worden, ein Beweis hierfür steht jedoch aus. Der verfassungsrechtliche Rang des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, der auch in der einfachgesetzlichen Hierarchie des § 1 Abs. 1 StUG zum Ausdruck kommt, ist bereits nach dem oben herausgearbeiteten rechtsgutsbezogenen Abwägungskriterien zu berücksichtigen.1302 Eine zusätzliche Berücksichtigung der Zweckhierarchie im Rahmen der Abwägung liefe auf eine Doppelgewichtung ein- und desselben Kriteriums hinaus.

§ 2 Das Nachteilsverbot als Querschnittsklausel des StUG Mit der Zielsetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 StUG eng in Zusammenhang steht das bereits erwähnte Nachteilsverbot des § 5 Abs. 1 S. 1 StUG. Danach ist die Verwendung personenbezogener Informationen über Betroffene oder Dritte zum Nachteil dieser Personen unzulässig. Insoweit enthält § 5 Abs. 1 S. 1 StUG ein absolutes Verwertungsverbot zum Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Der Begriff des Betroffenen umfasst nach § 6 Abs. 3 StUG „Personen zu denen die Staatssicherheit im Rahmen der zielgerichteten Informationserhebung oder Ausspähung des Betroffenen, einschließlich heimlicher Informationserhebung, Informationen gesammelt hat“. Dritte sind gemäß § 6 Abs. 7 StUG „sonstige Personen, über die der Staatssicherheitsdienst Informationen gesammelt hat“. Das heißt, auch die Personengruppen des § 32 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 3 StUG, Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen und Amtsträger, sind, sofern sie Opfer zielgerichteter Informationserhebung und Ausspähung waren, grundsätzlich Betroffene, und sofern sonstige Informationen über sie gesammelt wurden, Dritte im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 StUG. Dies war bis zur 5. Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes unklar. Damals sorgte der Wortlaut des § 32 Abs. 1 Nr. 3 StUG (a. F.), wonach die Verwendung von personenbezogenen Informationen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen und Amtsträger zulässig sein sollte, „sofern sie nicht Betroffene oder Dritte“ waren, für Verwirrung. Die Verwaltungsgerichte sperrten bereits unter Berufung auf diese Einschränkung weitgehend die Unterlagen der in § 32 Abs. 1 Nr. 3 StUG (a. F.) erwähnten Personenkategorien, ohne dass eine Notwendigkeit bestand, sich zudem mit dem Verhältnis der Regelung zu § 5 Abs. 1 S. 1 StUG zu befassen.1303 Mit 1302

Teil 1 Kap. 1 § 3 A. I., II. VG Berlin, Urteil v. 4. Juli 2001, Kohl I, (unveröffentlicht); BVerwG, Urteil v. 8. März 2003, Kohl II, www.bverwg.de, Rn. 25 ff. 1303

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Teil 2: Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

der Streichung dieses Passus hat sich dieser Streit erledigt. Gleichwohl bleibt das Grundproblem, ob und wie sich das nunmehr eindeutig auch auf diesen Personenkreis anwendbare Nachteilsverbot auf die Vorschriften der §§ 32 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 3; 34 StUG auswirkt, weiter bestehen. Das Gutachten von Benda/Umbach1304 identifiziert hier einen unauflöslichen Normenwiderspruch, denn die §§ 32 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 3; 34 StUG träfen gerade eine Rechtsfolge, die Verwendung der Informationen, die mit dem Nachteilsverbot des § 5 Abs. 1 S. 1 StUG unvereinbar sei.1305 Abgesehen davon, dass die §§ 32, 34 StUG, soweit es nicht um offenkundige Informationen geht, ihres gesetzgeberischen Sinnes beraubt würden, setzte diese Annahme voraus, dass die Verwendung der personenbezogenen Informationen zum Zwecke der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes und der Herrschaftsmechanismen der DDR überhaupt einen „Nachteil“ im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 StUG darstellt.1306 Das Stasi-Unterlagen-Gesetz enthält für den Begriff des Nachteils keine Legaldefinition. Das hierzu existierende Meinungsspektrum rangiert zwischen der Annahme, dass bereits jede Herausgabe einer personenbezogenen Information einen Nachteil darstellt, und der Annahme, dass erst weitere Verwendungen nach Offenlegung, die sich negativ auf den Rechtskreis des Betroffenen auswirken, erfasst sind. Kunig meint, dass jede Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, worunter dann auch die Herausgabe und Veröffentlichung der Informationen fiele, einen Nachteil im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 StUG darstelle.1307. In diese Richtung gehen auch andere Autoren mit Verweis auf eine Parallelwertung zur Terminologie des Bundesdatenschutzgesetzes.1308 Nach anderen soll der Begriff des „Nachteil“ gar umfassend zu verstehen sein und nicht nur rechtliche oder wirtschaftliche, sondern auch Nachteile politischer Natur erfassen.1309 Kleine/Cosack1310 differenziert. Nach ihm beziehe sich § 5 StUG nicht auf die Herausgabe, sondern nur auf die Verwendung, wozu er wohl im Rahmen der §§ 32, 34 StUG auch die Veröffentlichung zählt. In der Tat erschließt sich die Antwort auf die Frage, wann die Verwendung einer personenbezogenen Information zum Nachteil des Betroffenen oder Dritten erfolgt, nicht ohne weiteres. Klar ist nur, dass das Nachteils1304

E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 1, S. 56 f. Vgl. bereits Ph. Kunig, Anm. 1. 1306 J. Drohla, Anm. 993, 418 ff.; vgl. auch K. Bonitz, Anm. 422, S. 165. 1307 Ph. Kunig, Anm. 1, S. 22 f. 1308 H. Bäumler/L. Gundermann, ZParl 1997, 236 (252). 1309 Datenschutzbeauftragte Schleswig Holstein, zitiert nach E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 1, S. 54. 1310 M. Kleine-Cosack, Frankfurter Rundschau v. 12. April 2000. 1305

Kap. 1: Der Interessenkonflikt in der Systematik des StUG

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verbot für Mitarbeiter und Begünstigte des Staatssicherheitsdienstes nicht gilt. Dies zeigt die tatbestandliche Begrenzung auf Betroffene und Dritte, die in § 6 Abs. 3, 7 StUG von Mitarbeitern und Begünstigten, die in § 6 Abs. 4, 6 StUG geregelt sind, unterschieden werden.1311 Auf § 5 Abs. 1 StUG wird explizit nur in drei weiteren Vorschriften Bezug genommen. Nach § 21 Abs. 2 StUG, wonach personenbezogene Unterlagen zu den dort näher spezifizierten Zwecken durch öffentliche und nicht-öffentliche Stellen verwendet werden können, bleibt das Nachteilsverbot des § 5 Abs. 1 StUG unberührt. Eine Ausnahme soll nach § 5 Abs. 1 S. 2 StUG lediglich in den Fällen des § 21 Abs. 1 Nr. 1, 2 StUG gelten, in denen sich aus den Unterlagen ergibt, dass geltend gemachte Rehabilitierungsansprüche oder Ansprüche zum Schutze des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts unberechtigt sind.1312 Im Übrigen soll § 5 Abs. 1 StUG nach § 21 Abs. 1 StUG unberührt bleiben. Einen zweiten Ausnahmetatbestand bildet nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 StUG die Gefahrenabwehr. Die dritte Ausnahme betrifft die Verwendung von personenbezogenen Informationen durch Staatsanwaltschaft und Gerichte nach §§ 24 Abs. 1 i. V. m. 23 Abs. 1 Nr. 1 StUG. Aus diesen drei Vorschriften ergibt sich bereits, dass mit der nachteiligen Verwendung nicht die Herausgabe und die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch Dritte an sich gemeint sein kann. Alle drei Vorschriften haben gerade polizei- und ordnungsrechtliche Maßnahmen bzw. strafrechtliche Maßnahmen im Blick. Dafür spricht auch die Überschrift, die es nicht bei einem schlichten Verwendungsverbot belässt, sondern „besondere Verwendungsverbote“ zu normieren sucht. Es geht also danach um eine verfahrensrechtliche Absicherung gegen die erst durch die Herausgabe der Informationen und durch die Kenntnisnahme Dritter möglicherweise entstehenden Nachteile.1313 Dagegen ist nicht die Herausgabe und Veröffentlichung schlechthin verboten. Insoweit bedurfte es, anders als vom Verwaltungsgericht Berlin beklagt1314, gar nicht einer § 5 Abs. 1 Nr. 2 StUG vergleichbaren expliziten Anordnung einer Ausnahme vom Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 S. 1 StUG. Bereits damit begründet sich, warum die §§ 32, 34 StUG den § 5 Abs. 1 StUG nicht explizit ausschließen. Dies erscheint nur deshalb verwirrend, weil mit §§ 21 Abs. 2 und 25 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1, 2 StUG zwei Vorschriften existieren, die die Unberührtheit des § 5 Abs. 1 StUG ausdrücklich anordnen. Dies ist aber erstens nicht durchweg der Fall und zweitens aufgrund des deklaratorischen Gehalts auch nicht notwendig. 1311

Zu den Differenzierungshintergründen vgl. Teil 2 Kap. 2 § 1 C. Zur Frage, ob die Nichtgewährung einer Leistung überhaupt als Nachteil begriffen werden könne, vgl. D. Schmidt/D. Dörr, Anm. 1026, § 21 Rn. 6. 1313 BT-Drs. 12/1093, S. 20. 1314 VG Berlin, Urteil v. 4. Juli 2001, Kohl I, (unveröffentlicht). 1312

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Teil 2: Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

Kapitel 2

Die Regelung des Interessenkonflikts in den §§ 32, 34 StUG Ungeachtet der zuvor herausgearbeiteten Abwägungsleitlinien besteht in Bezug auf die gesetzliche Regelung noch ein erheblicher politischer Gestaltungsspielraum. Diesen auszufüllen ist aber kraft Gesetzesvorbehalts zuvorderst Aufgabe des unmittelbar legitimierten Gesetzgebers, nicht die einer Behörde oder eines Gerichts.1315 Dies ist in Bezug auf das Stasi-Unterlagen-Gesetz kraft „Natur der Sache“ der Bundesgesetzgeber.1316 Diese gesetzgeberische Regelungspflicht findet dort ihre Grenzen, wo eine abstrakt-generelle Interessenlösung aufgrund der Vielgestaltigkeit der potentiellen Anwendungsfälle nicht mehr oder nur zu Lasten der Transparenz möglich ist. Der Bestimmtheitsgrundsatz, der, je wesentlicher ein Grundrechtseingriff ist, desto höhere Anforderungen an den Bestimmtheitsgrad stellt, und das Gebot der Normenklarheit sind insoweit keine Gegensätze. Letzteres kann die Anforderungen an den Bestimmtheitsgrad in diesen Fällen relativieren. Ein verfassungsrechtlich bedenkliches Bestimmtheitsdefizit liegt nicht schon dann vor, wenn „flüssige, auslegungsbedürftige Begrifflichkeiten“1317 oder „Generalklauseln“1318 verwandt werden. Jedoch müssen die äußersten Grenzen abgesteckt sein, um einem Machtmissbrauch der Verwaltung vorzubeugen und eine gerichtliche Überprüfung zu ermöglichen. Diese Grenzen sind, sofern – wie hier – der Wortlaut nichts hergibt und auch die Systematik des Gesetzes aus sich heraus nicht weiterhilft, im Regelungszweck zu suchen.1319

1315 Zutreffend S.-Ch. Lenski, Anm. 1106, S. 182. Vgl. dazu bereits Einleitung § 1 B. I.; Teil 1 Kap. 1. 1316 So allgemein anerkannt, dazu M. Kloepfer/G. Michael, Anm. 13, S. 69. Zur Forderung der Bürgerrechtler, die Unterlagen den neuen Ländern zu unterstellen, vgl. oben Teil 1 Kap. 2 § 1 I C; vgl. dazu auch OLG Frankfurt a. M., Urteil v. 18. Januar 1996, Monika Haas IV, NJW-RR 1996, 1490. 1317 BVerfG, Beschluss v. 30. November 1955, Bestimmtheitsgebot, BVerfGE 4, 352 (357); BVerfG, Beschluss v. 22. Juni 1960, Jugendgefährdende Schriften, BVerfGE 11, 234 (237). 1318 BVerfG, Beschluss v. 12. November 1958, Preisgesetz, BVerfGE 8, 274 (327); BVerfG, Beschluss v. 12. Januar 1967, Grundstücksverkehrsgesetz, BVerfGE 21, 73 (78). 1319 Vgl. Teil 2 Kap. 1.

Kap. 2: Die Regelung des Interessenkonflikts in den §§ 32, 34 StUG

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§ 1 Die Lösung des Interessenkonflikts durch die einzelnen Tatbestandsmerkmale In Bezug auf das Stasi-Unterlagen-Gesetz stand der Gesetzgeber vor einer Regelungsmaterie, deren Inhalt ihm weitgehend unbekannt war. Er musste also zunächst bestimmte Hypothesen zugrunde legen, über das, was Inhalt der Akten ist und welche Gefahren für die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen hiervon voraussichtlich ausgehen würden. Später kristallisierte sich dann heraus, wie komplex die hinter jeder einzelnen Information stehenden Zusammenhänge waren und wie hoch die Gefahr einer Verfälschung des Eindrucks über die eigene Rolle oder die anderer im System bei selektiver Informationsherausgabe war. Hinzu trat das Problem des Wahrheitsgehalts der Information.1320 Mit dieser Situation konfrontiert konnte der Gesetzgeber, um die notwendige Flexibilität im Einzelfall zu erhalten, nur sehr grobe Einschränkungen durch die Tatbestandsmerkmale treffen, die finale Einschränkung der tatbestandlichen Abwägung im Einzelfall der Verwaltung überlassen und den dadurch entstehenden Kontrollverlust durch Verfahrensregelungen und die Einrichtung einer hoch spezialisierten Sonderbehörde, die dem Bundestag unmittelbar verantwortlich ist, kompensieren.

A. Restriktive Zweckbindung Die wohl grundlegendste Konsequenz, die sich dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Bezug auf die Verwendung personenbezogener Informationen entnehmen lässt, ist die strikte Zweckgebundenheit der Verwendung. Denn die unspezifische Ansammlung und Herausgabe personenbezogener Daten ermöglicht es den Einzelnen zu katalogisieren, sein Handeln berechenbar und vorhersehbar zu machen, auf sein Handeln Einfluss zu nehmen und ihn damit zum Objekt zu degradieren.1321 Denn genau dies war das ursprüngliche Ziel der Informationserhebung durch den Staatssicherheitsdienst. Erst die Katalogisierung großer Teile der Bevölkerung ermöglichte überhaupt den Ausbau des Repressionsregimes. Der Gesetzgeber war daher gehalten, sofern er die Informationen weiter nutzen wollte, eine klare Zweckbindung festzulegen, die einer unkontrollierten Diffusion von Daten Einhalt gebietet. Angesichts der Tatsache, dass ein nicht näher bezifferbarer Teil der Informationen der Privatsphäre, teilweise gar der Intimsphäre entstammt, musste es sich zudem um eine gewichtige Zwecksetzung handeln, 1320 1321

Dazu schon Teil 1 Kap. 2 § 2 B. I. 2.; Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 4., 5. BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1983, Volkszählung, BVerfGE 65, 1 (35).

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Teil 2: Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

die dazu noch hinreichend bestimmt sein musste, um zu verhindern, dass nun unter neuen Vorzeichen der alte Missbrauch weiterbetrieben wird. Darüber hinaus musste es sich auch um eine Zielsetzung handeln, die es rechtfertigte das gesamte Aktenarsenal und nicht bloß einzelne Teile aufrechtzuerhalten. Aus dieser Situation sowie aus der im ersten Teil herausgearbeiteten Notwendigkeit zur Aufarbeitung begründet sich die strenge Zweckbindung der §§ 32, 34 StUG, die noch in der Vorgängerregelung, in § 10 StUG-DDR, fehlte.1322 Für jede einzelne Information muss der konkrete Wert für die Aufarbeitung nachgewiesen werden.1323 Der Zweck der Aufarbeitung ist neben dem Zweck der politischen Bildung – der hier nicht Gegenstand der Arbeit ist1324 – exklusiv.1325 Nur für diesen verfassungssichernden Zweck ist der mit der Verwendung der Stasi-Unterlagen verbundene Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht grundsätzlich hinnehmbar.1326 Die zunächst eingeführte Begrenzung der Zwecksetzung auf die Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes, die auf die Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag zurückgeht1327, erklärt sich historisch mit der Rolle, die dem Staatssicherheitsdienst zunächst in Unkenntnis der tatsächlichen Rolle, die auch andere Institutionen, wie die SED, in der DDR-Diktatur gespielt ha1322 Zwar begrenzte auch § 1 StUG-DDR die Zwecksetzung auf die Aufarbeitung und den Schutz der Persönlichkeitsrechte, jedoch fand sich diese nicht in der Forschungszugangsregel wieder. 1323 Vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 1. Juni 2006, Erkennungsdienstliche Unterlagen, www.bverfg.de, Rn. 10: Allein die überdurchschnittliche Wiederholungsgefahr von Sexualstraftätern reiche für die fortlaufende Speicherung derer Daten nicht aus. Die Begründung sei zu „unspezifisch und formelhaft“. 1324 Vgl. Einleitung. Jedoch sei angemerkt, dass der Zweck der politischen Bildung, der weder im Einigungsvertrag bedacht wurde noch in der allgemeinen gesetzgeberischen Zielsetzung des § 1 Abs. 1 StUG Aufnahme gefunden hat, aufgrund seiner Weite und Unbestimmtheit ein Problem darstellt, vgl. zutreffend E. Benda/ D.C. Umbach, Anm. 1, S. 146 f. Der Sinn und Zweck spricht aber dafür, dass die politische Bildung nicht als eigenständige Zielsetzung, sondern institutionell gemeint ist. Das heißt, dass hier zum Zwecke der Aufarbeitung Institutionen der politischen Bildung (z. B. Stiftungen, die Landeszentrale für politische Bildung) Zugang zu den Unterlagen gewährt werden soll. Der Begriff der politischen Bildung zumindest in der Definition, die er vom Bundesverfassungsgericht erhalten hat (vgl. BVerfG, Urteil v. 14. Juli 1986, Politische Stiftungen, BVerfGE 73, 1 (33)), geht im Begriff der Aufarbeitung auf. Vgl. wohl auch J. Rapp-Lücke, Anm. 37, § 32 Rn. 10; BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, www.bverwg.de, Rn. 60. 1325 Missverständlich insoweit J. Rapp-Lücke, Anm. 37, § 32 Rn. 7, wonach das Interesse an der Aufarbeitung lediglich überwiegen müsse. 1326 Damit hat auch die Diskussion um das Gewicht der Unterhaltungspresse in der Abwägung de jure keinen Platz mehr. Dazu oben Teil 1 Kap. 2 § 2 B. II. 1., 2. 1327 Vgl. Teil 1 Kap. 2 § 1 B.

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ben, zugeschrieben wurde.1328 Der gemeinsame Entwurf der CDU/CSU, SPD und FDP konkretisierte in § 25 Abs. 1 StUG die Verwendung zum Zwecke der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes gar dahingehend, dass die personenbezogenen Informationen nur noch für die nachfolgenden Verwendungen zulässig sein sollten: 1. für die Auswertung der Struktur, Methoden und Wirkungsweise des Staatssicherheitsdienstes zum Zecke der Unterrichtung der Öffentlichkeit; 2. für die Einrichtung und Unterhaltung eines Dokumentations- und Ausstellungszentrums und 3. für die Bereitstellung der Unterlagen an öffentliche und nicht-öffentliche Einrichtungen der politischen Bildung.1329 Mit der 3. Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vom 20. Dezember 19961330 trat dann die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit dazu. Hintergrund war hier, dass man die zunächst bestehende Privilegierung der Unterlagen über die NS-Diktatur nicht aufrechterhalten wollte. Der Eindruck der einseitigen Aufarbeitung sollte vermieden werden. Erst 16 Jahre nach Inkrafttreten des ersten gesamtdeutschen Stasi-UnterlagenGesetzes, nachdem die Wirkungsweisen der DDR-Diktatur zu Tage befördert und der anfängliche Eindruck, das System sei in erster Linie von der Staatssicherheit getragen worden, zerstreut war, wurde die Zweckbindung auch auf die Aufarbeitung anderer „Herrschaftsmechanismen der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik oder der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone“ erweitert.1331 Diese begrenzten Zweckerweiterungen stellen für sich genommen kein Problem dar. Die streitige Frage ist nur, ob diese Zweckbindung an sich überhaupt durchsetzbar ist. Dabei sind grundsätzlich zwei Dinge zu unterscheiden. Zum einen die Frage, wie viel Einblicke die Aufarbeitung fordert, und zum anderen die Frage, wie die Zweckbindung nach erfolgter Herausgabe der Informationen überhaupt garantiert werden kann. Beide Fragen sind Fragen der Verhältnismäßigkeit der Regelung der §§ 32, 34 StUG im engeren Sinne.1332 1328

Dazu schon Einleitung § 2 D. BT-Drs. 12/723, abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 245 (256). 1330 BGBl. I 1996, S. 2026. 1331 Eine parallele Änderung des § 1 Abs. 1 StUG erfolgte nicht. Dort blieb es bei der Begrenzung auf die Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes. 1332 Anders E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 1, S. 146, 151, die hierin ein Problem der Geeignetheit sehen, zuvor aber die Geeignetheit als „Tauglichkeit einer Maßnahme zu einem bestimmten Zweck“ definieren. Dass aber die Herausgabe und Veröffentlichung von personenbezogenen Informationen grundsätzlich geeignet ist, den 1329

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Teil 2: Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

I. Inhaltliche Reichweite „Muss man, um zu wissen wie der Voyeur ist, gesehen haben, was der Voyeur gesehen hat?“1333 – titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung kurz vor der Verhandlung zum vierten Kohl-Urteil und fasste so prägnant einen der Kernstreitpunkte des Verfahrens zusammen. Schon zuvor gab es eine Reihe von Stimmen, die eine Herausgabe der Akten Kohl mit dem Verweis auf den fehlenden Zusammenhang zum Aufarbeitungszweck ablehnten. Wassermann1334 wandte gegen die Herausgabe von Abhörprotokollen zur Parteispitze ein, dass diese an den Zweck der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes geknüpft sei und nicht an die Erforschung des politischen Innenlebens der Bundesrepublik. Die dahinter stehende Frage lautet: „Was bedeutet Aufarbeitung?“1335; kann Aufarbeitung losgelöst von Gesichtern, losgelöst von personalisierten Einzelfällen gleichermaßen effektiv erfolgen? Adornos Antwort hierauf wäre wohl negativ. Ihm ging es gerade darum, die Vergangenheit aufzuhellen, sie als eigene und nicht als entlegenes Phänomen, als Utopie zu begreifen. Figuren müssten bezeichnet werden, um das Vergangene zu verarbeiten, seinen Bann durch helles Bewusstsein zu durchbrechen. Ansonsten lebe die Vergangenheit unterschwellig fort – heißt es in seinem Aufsatz.1336 Vergangenheit lässt sich nicht durch abstrakte Zahlen und Beschreibungen über Opfer und Täter erfahren. Es sind bekanntlich nicht abstrakte Opferzahlen, sondern Einzelschicksale, die berühren. Und auch abgesehen von der spezifischen Lernkomponente, die dem Begriff Aufarbeitung immanent ist, ist ein bloßes Aufzeigen der Herrschaftsmechanismen der DDR und der sowjetischen Besatzungszone nicht möglich. Wie Birthler zu Recht bemerkt: „Man kann die Stasi nicht wirklich verstehen, wenn man nicht untersucht: Was hat die Stasi interessiert? Was hat sie gewusst? Mit welchen Methoden hat sie sich dieses Wissen beschafft? Was von diesem Wissen hat sie genutzt und mit welchem Erfolg?“1337 Dies gilt Zweck der Aufarbeitung zu erreichen, steht außer Frage. Das Problem ist hier, dass durch die Verwendung der Informationen potentiell noch andere Zwecke erreicht werden können, Zwecke, die eine Einschränkung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gerade nicht rechtfertigen können. 1333 FAZ v. 24. Juni 2004, S. 1. 1334 R. Wassermann, NJW 2000, 1460. 1335 Ausführlich oben Teil 1 Kap. 1 § 1 A. 1336 Th. W. Adorno, Anm. 315, S. 555. 1337 M. Birthler im Interview, DA 2001, 12 (14). So auch L. Rathenow, in: Rheinischer Merkur Nr. 22 v. 1. Juni 1990; abgedr. in: S. Schumann, Anm. 13, S. 93 (94): „Um ein präzises Erinnern, um ein möglichst genaues Offenlegen von Mechanismen der Macht kommt diese Gesellschaft nicht herum, wenn sie ihre Vergangen-

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für die Ausforschung der eigenen Bevölkerung genauso wie für die Westspionage.1338 Es geht hier darum, wie weit die Stasi gucken konnte. Dass das Beobachtete dabei offenbar wird, ist nur mittelbare Folge.1339 Folglich kann, will man den Voyeur und vor allem seine Wirkungsweisen kennen lernen, auf den Blick auf die erhobenen Informationen nicht verzichtet werden. Dies hat die Rechtsprechung auch durchweg bestätigt.1340 So wies das Landgericht Frankfurt (Oder) im Fall des IM Staßfurt explizit darauf hin, dass die Bennennung des sich hinter diesem Decknamen befindlichen Klägers nicht nur zweckmäßig, sondern auch geboten gewesen sei: „Verschleierungsmaßnahmen waren Bestandteil der Strategie des MfS. Eine gewisse Klarheit über die Methodik im einzelnen zu gewinnen, war Aufgabe der Studie. Vor diesem Hintergrund müssen die Betroffenen in Kauf nehmen, dass ihre Namen im Zusammenhang mit der jeweiligen IM-Tätigkeit offenbart werden. Denn die Nicht-Identifizierung würde bedeuten, dass ein wichtiger Teil der Aufklärungsarbeit wiederum im Ungewissen verbleibt und nach wie vor Raum für Spekulationen lässt.“1341

Auch das Verwaltungsgericht Berlin bestätigte kürzlich, dass die Darstellung der DDR-Diktatur nicht dem Abstrakten verhaftet bleiben muss, indem es auf einen Antrag des Magazins „Der Spiegel“ die Herausgabe der Unterlagen zur „Aufarbeitung der Rolle von Rechtsanwälten wie D. [Gregor Gysi] zu DDR-Zeiten“1342 hin für rechtmäßig befand. Eine andere, weniger eindeutig zu beantwortende Frage ist, wie man sicherstellt, dass der Aufarbeitung dann auch weiterhin das Hauptaugenmerk gilt1343 und ob das Stasi-Unterlagen-Gesetz noch einen effektiven Schutz heit nicht wie einen nicht zur Kenntnis genommenen Krankheitsherd mit sich in die Zukunft schleppen möchte“. 1338 Zur Frage der Gewichtung der Aufarbeitung einzelner Tätigkeiten vgl. unten Teil 3 § 2 A. 1339 Vgl. auch St. Hilsberg (SPD-Bundestagsabgeordneter), Frankfurter Rundschau v. 25. Juni 2004: „Wir wollen wissen, ob und wie das MfS Einfluss genommen hat. Deshalb ist ausdrücklich das Instrument ‚Person der Zeitgeschichte‘ geschaffen worden. Durch das Urteil werden diese den Opfern faktisch gleichgestellt.“ 1340 VG Berlin, Urteil v. 3. Mai 2006, Gysi IV, 1 A 173.05; LG Frankfurt (Oder), Urteil v. 21. Oktober 2005, Lausitzer Rundschau, AfP 2006, 272 (273); BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, www.bverwg.de, Rn. 42: „Das öffentliche Interesse an einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes besteht jedoch auch hinsichtlich seiner ‚Auslandsaufklärung‘, namentlich gegenüber Politik, Wirtschaftsunternehmen und gesellschaftlichen Organisationen des westlichen Teils Deutschlands.“ 1341 Zuvor LG Frankfurt (Oder), Urteil v. 21. Oktober 2005, Lausitzer Rundschau, AfP 2006, 272 (273). 1342 VG Berlin, Urteil v. 3. Mai 2006, Gysi IV, I A 173.05, 1. Leitsatz. 1343 So auch die Bedenken v. Jacob, Stenograph. Protokoll Nr. 100, 14. Sitzung des Innenausschusses des Dt. BT, 24. Juni 2002, S. 22; Kleine-Cosack, ebd., 24 ff.

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des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegen Zweckentfremdungen – wie ihn die Verfassung fordert – bietet.1344 Der Verweis auf die in weiten Teilen rechtswidrige Praxis einiger Wissenschaftler, die sich der Stasi-Unterlagen bedienen, um Informationen für Forschungsthemen, die gerade nicht der Zwecksetzung des § 32 StUG entsprechen und zu denen man nach den Archivgesetzen keinen Zugang hat, zu erlangen, ist zwar zutreffend1345, hierbei handelt es sich gleichwohl um eine Frage der Durchsetzung im Einzelfall. Der Einwand ist aber nicht geeignet, die Durchsetzbarkeit der Zwecksetzung an sich in Frage zu stellen. II. Durchsetzbarkeit Das Problem der Durchsetzbarkeit stellt sich genau genommen schon bei der Erstveröffentlichung der Informationen. Zwar ist diese Erstveröffentlichung an die Vorgaben des § 32 Abs. 3 StUG gebunden, gleichwohl erfolgt die Einhaltung der Zweckbindung durch die Verwender in eigener Regie.1346 Auch spezifiziert das Stasi-Unterlagen-Gesetz nicht weiter, wie diese Zwecksetzung eingehalten werden kann. Der Regelung ist allein die grundsätzliche Pflicht zu entnehmen, dass die jeweilige Veröffentlichung sich mit den Strukturen, Methoden und Wirkungsweisen des MfS oder eines anderen Herrschaftsmechanismus der DDR oder der sowjetischen Besatzungszone auseinandersetzen muss. Die bloße Auseinandersetzung mit den vom Staatssicherheitsdienst gewonnenen Erkenntnissen ohne Bezug zu diesem wird der Zweckbindung nicht mehr gerecht. Daher wird man hier im Wege der verfassungskonformen Auslegung als mildestes Mittel zumindest eine Pflicht, die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes als Erkenntnisquelle zu zitieren, verlangen müssen. Einer solchen Pflicht steht weder die Forschungs- noch die Pressefreiheit entgegen. Im Gegenteil: Für die auf Wahrheitsfindung zielende Forschung ergibt sich dieses Erfordernis schon aus der wissenschaftlichen Sorgfaltspflicht, und auch die Presse kann sich hier in Bezug auf die Staatssicherheit auf einen Informantenschutz nicht berufen. Die Hauptbedenken gegen die Geeignetheit der Zweckbindung werden jedoch im Hinblick auf die Verwendung der einmal veröffentlichten Informationen geltend gemacht. Diese werden einmal veröffentlicht zu einer allgemein zugänglichen Quelle im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Sie könnten dann in einem beliebigen Kontext verwendet werden, da der Dritt- bzw. und Sodan 30 ff.; BVerwG, Urteil v. 8. März 2003, Kohl II, www.bverwg.de, Rn. 55. 1344 BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1983, Volkszählung, BVerfGE 65, 1 (46). 1345 So S.-Ch. Lenski, Anm. 899, 112 (116). 1346 Vgl. näher Teil 2 Kap. 2, § 1 D.

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Weiterverwender nicht an die Zweckbindung der §§ 32, 34 StUG gebunden sei – so das Bundesverwaltungsgericht.1347 Bereits die Prämissen dieser These überzeugen nicht. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG trifft keine Regelung in Bezug auf die Weiterverwendung von Informationen. Frei ist nur das Recht sich aus der allgemein zugänglichen Quelle zu unterrichten. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG trifft gerade keine Regelung über die Verwertung. Diese unterfällt dann der Meinungsfreiheit und subsidiär der allgemeinen Handlungsfreiheit.1348 Abgesehen davon ist es nicht nachvollziehbar, warum §§ 32 Abs. 3, 34 StUG nicht auch denjenigen binden soll, der sich die Informationen nicht von der BStU, sondern aus einer allgemein zugänglichen Quelle besorgt. Der Wortlaut trifft eine solche Einschränkung nicht. Die Tatsache, dass Herausgabe der Informationen durch die Behörde und Veröffentlichung in einer gemeinsamen Norm geregelt werden, besagt nicht, dass der Empfänger der Information identisch mit demjenigen sein muss, der die Information veröffentlicht. Etwas anderes gilt für die Verwendung der Unterlagen durch Personen, die weder in den personellen Anwendungsbereich der Forschungs- noch der Presseregelung fallen. Für sie hält das Stasi-Unterlagen-Gesetz in der Tat keine Regelung bereit. § 7 Abs. 3 StUG hilft insofern nicht weiter. Er statuiert lediglich eine Herausgabepflicht für Originalunterlagen und Kopien der Unterlagen. Er findet auf einzelne Informationen aber keine Anwendung. Zwar dient diese Regelung auch dem Schutze des Persönlichkeitsrechts. Ihr primäres Ziel ist jedoch die möglichst umfassende Sicherung des Informationsbestandes, so dass sich aus ihr nichts für die Weiterveröffentlichung von allgemein zugänglichen personenbezogenen Informationen durch andere als die von §§ 32, 34 StUG erfassten Personen gewinnen lässt. Aus den Regelungen §§ 32, 34 StUG zu folgern, dass andere Personen einem generellen Verwendungsverbot unterliegen, scheitert bereits am Bestimmtheitsgrundsatz. Auch der mit dem Verwendungsverbot verbundene Eingriff in die Art. 5 Abs. 1 S. 1; 2 Abs. 1 GG bedürfte einer hinreichend klaren gesetzlichen Grundlage. Hieran scheitert auch eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 3 StUG auf die Veröffentlichungen Dritter. Abgesehen davon ist es schon zweifelhaft, ob dem Stasi-Unterlagen-Gesetz hier überhaupt eine unbeabsichtigte Regelungslücke zu entnehmen ist. Der Gesetzgeber hat mit § 7 Abs. 3 StUG klar die Gefahr gesehen, dass Stasi-Unterlagen und damit auch personenbezogene Informationen sich in der Hand anderer Personen befinden als denen, denen die Unterlagen von der BStU selbst zur Ver1347

E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 1, S. 148 ff.; BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, www.bverwg, Rn. 55. 1348 A. A. (ohne Begründung und Nachweise) E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 1, S. 150.

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fügung gestellt wurden. Auch hat der Gesetzgeber – dies kommt in § 32 Abs. 3 StUG zum Ausdruck – gesehen, dass eine auf die Herausgabe begrenzte Zweckbindung die Gefahr einer unkontrollierten Diffusion der Unterlagen nach erfolgter Herausgabe in sich birgt. Daher ist vielmehr davon auszugehen, dass er diese unzweckgebundene Weiterverwendung nach erfolgter Veröffentlichung durch Dritte in Kauf genommen hat, zumal der Anwendungsbereich für die zweckentfremdete Weitergabe der Informationen, die eine größere Öffentlichkeit – wie etwa Internetpublikationen oder Printmedien – erreichen, angesichts der weiten Auslegung des Forschungs- und Medienbegriffs ohnehin nicht sehr groß ist. Diese Entscheidung ist verfassungsrechtlich haltbar. Zum einen kann Aufarbeitung, also ein Gesellschaftsprozess1349, nicht anders als durch Kommunikation in Gang gesetzt werden. Zum anderen kann – auch dies ergibt sich, durchdringt man das hinter dem Ziel Aufarbeitung stehende Konzept – diese nicht mit einer selektiven Veröffentlichung auskommen.1350 Daher gehen auch jegliche pauschale Einschränkungen inhaltlicher Art fehl.1351 Zudem muss sich selbstverständlich auch die zweckentfremdete Weiterverwendung der Informationen ihrerseits am Allgemeinen Persönlichkeitsrecht messen lassen und dürfte mangels hinreichend gewichtigen Zwecks hier regelmäßig unzulässig sein. Hier steht dann dem Betroffenen die gesamte Palette persönlichkeitsrechtsschützender Instrumentarien des Zivil- und Strafrechts zur Verfügung.1352 Insofern bedarf es auch keiner StUG-spezifischen Instrumentarien.1353 Dass dieser Schutz nur repressiver Natur ist und damit regelmäßig erst nach erfolgter Persönlichkeitsverletzung greift, wird zudem in der Abwägung, und zwar sowohl in der behördlichen Abwägung bei Herausgabe der Unterlagen als auch in der Abwägung des Verwenders bei Veröffentlichung der Informationen, als Fernwirkung zu berücksichtigen sein. Dies führt indes nicht dazu, dass dann durch die Hintertür der Abwägung die Veröffentlichung personenbezogener Informationen, die nicht offenkundig sind, generell zu untersagen ist. Aus Gründen der Rechtsklarheit und damit zur Optimierung des Persönlichkeitsschutzes wäre im Rahmen einer weiteren StUG-Novelle über eine Pflicht zur Quellenangabe der Information nachzudenken.

1349

Zur Definition Teil 1 Kap. 2 § 1 A. Teil 2 Kap. 2 § 1 A. 1351 E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 1, S. 152 ff. 1352 Dazu sogleich Teil 2 Kap. 2 § 3 C. 1353 So aber BVerwG, Urteil v. 8. März 2003, Kohl II, www.bverwg.de, Rn. 36, wonach das StUG bislang kein funktionstüchtiges Instrument, mit dem die strikte Zweckbindung eingehalten werden könne, erkennen lasse. 1350

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B. Beschränkung der Zugangsberechtigten Dass die Aufarbeitung von Diktaturen schon definitionsgemäß nicht ohne Öffentlichkeit stattfinden kann; dass dieser Prozess von der Gesellschaft ausgehen muss; dass die Fakten verifizierbar und nachprüfbar sein müssen und dass es von daher auch keine staatliche Behörde allein sein kann, die darüber entscheidet, was genau Gegenstand dieses Gesellschaftsprozesses sein kann, wurde bereits geklärt.1354 Ein allgemeines Zugangsrecht jedoch, wie es sich einige Bürgerrechtler gewünscht hätten, hätte die zweckentfremdete Verwendung noch weiter begünstigt. Der Gesetzgeber hat daher mit der Beschränkung des Personenkreises auf die Medien und die Forschung einen weiteren Filter zum Schutze des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in das Stasi-Unterlagen-Gesetz eingebaut. Er hat das Zugangsrecht auf zwei staatsunabhängige Mittler beschränkt, eben Forschung und Medien.1355 Eine allgemeine verfassungsrechtliche Pflicht, Forschung und Presse Zugang zu verschaffen, bestand dabei aber nicht.1356 I. Abgestufte Zugangsberechtigung nach Informationsart Nur für die Art von Informationen, an denen im Einzelfall das Interesse am Persönlichkeitsschutz des Betroffenen überwiegt, wird die Aufbereitung der Stasi-Unterlagen der Behörde vorbehalten. Hieraus begründet sich auch ihr eigener Forschungsauftrag, den sie neben dem Auftrag zur Unterstützung der Forschung hat.1357 Hier beschränkt sich dann die gesellschaftliche Teilhabe auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme der Ergebnisse und der Auseinandersetzung mit diesen. Dass diese Ergebnisse nicht überprüfbar sind, war lange Zeit als „Forschungsmonopol“ der Behörde kritisiert worden.1358 Dieses Stufenverhältnis der Reichweite der Zugangsberechtigung entspricht jedoch dem differenzierten Ergebnis, der Abwägung zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Anliegen der Aufarbeitung.1359 Der Gesetzgeber hat nun in der jüngsten Novelle, um das so bestehende Monopol der BStU über einen Teil der personenbezogenen Informationen aufzubrechen, ein wissenschaftliches Beratungsgremium, das aus neun vom Bundestag zu bestimmenden unabhängigen Experten besteht, geschaffen und zudem den Zugang für die Forschung auch zu diesen Informationen unter der Voraussetzung freigemacht, dass die Nutzung zur Realisierung eines 1354 1355 1356 1357 1358 1359

Teil 1 Kap. 2 § 1 A. III., IV. Zu den Institutionen der politischen Bildung vgl. Anm. 1324. Teil 1 Kap. 2 § 2 D. § 38 Abs. 1 Nr. 5 StUG. Dazu schon Teil 1 Kap. 2 § 2 A. II. 2. So schon S. Simitis, Anm. 783, 639.

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Forschungsprojekts an einer wissenschaftlichen Institution erforderlich ist, eine Nutzung anonymisierter Informationen zu diesem Zweck nicht möglich oder die Anonymisierung mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wäre und der Empfänger der Informationen Amtsträger oder nach dem Verpflichtungsgesetz förmlich verpflichtet worden ist.1360 Dies war verfassungsrechtlich nicht erforderlich, aber zulässig. Der Gesetzgeber hat hier von dem ihm zustehenden Gestaltungsspielraum in grundrechtsoptimierender Art und Weise Gebrauch gemacht. II. Grundsätzliche Gleichstellung von Medien und Forschung Dass der Gesetzgeber Forschung und Medien formal gleichgestellt hat, begründet sich aus der komplementären Rolle, die beiden Akteure für die Aufarbeitung (historisch und politisch) spielen.1361 Verfassungsrechtlich wäre hier eine Unterscheidung hinsichtlich der Reichweite des Zugangs – wie sie das Bundesverwaltungsgericht und die Literatur verschiedentlich gefordert haben – kaum haltbar. Weder überzeugt eine Differenzierung nach der Aufgabe, die dem jeweiligen Akteur zukommt, noch nach Kriterien wie Verlässlichkeit oder Seriosität. Eine Klärung, warum nun gerade Medien im Gegensatz zur Forschung ohne Personenbezug auskommen können, um zum geistigen Meinungskampf beizutragen, bleibt Staff1362 in ihren Ausführungen schuldig; ist es doch gerade ein mediales Mittel auf Themen von allgemeiner Bedeutung wie der Aufarbeitung die Aufmerksamkeit durch konkrete Einzelschicksale zu lenken.1363 Auch das Bundesverwaltungsgericht bleibt eine schlüssige Erklärung schuldig, warum nun die Presse nach seiner verfassungskonformen Auslegung größere Zugangshürden nehmen muss als die Forschung. Das Argument, dass gerade die Presse im Gegensatz zur Forschung auf Publikation ziele1364, erscheint wenig stichhaltig.1365 Auch die Forschung, deren Ziel definitionsgemäß gerade die Wahrheitsfindung ist, ist natürlich auf Informationsaustausch und Publikation angewiesen. Es ist geradezu der Forschung immanent, nicht nur Ergebnisse darzustellen, sondern diese auch durch Offenlegung der Methoden für Dritte verifizierbar zu machen.1366 1360

§§ 39 a; 32 Abs. 1 Nr. 7 StUG. Dazu schon Teil 1 Kap. 2 § 2. 1362 I. Staff, Anm. 241, 46 (48), nach der die Medien im geistigen Meinungskampf gerade ohne Personenbezug operieren könnten. 1363 Vgl. auch Teil 2 Kap. 2 § 1 A. I. 1364 BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, www.bverwg.de, Rn. 54 ff. 1365 J. Drohla, Anm. 56; zustimmend J. Lege, Anm. 56, 616 (619). Siehe auch Stellungnahme des Deutschen Presserates v. 2. August 2004, www.bstu.de. 1361

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Hinter diesen Argumenten scheint sich, was sich auch in der mündlichen Verhandlung des Fall Kohls andeutete, eher ein allgemeines Misstrauen gegenüber der Presse zu verbergen.1367 Der generelle Eindruck, dass es der Presse nicht primär um die Strukturen und Methoden des MfS, sondern vielmehr um die von ihm erhobenen Informationen gehe, ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Dieser lose Eindruck kann indes nicht dazu führen, die Presse an dem einmal durch die Entscheidung des Gesetzgebers gewährten Zugang pauschal zu hindern. Denn dann befindet man sich – wie gezeigt1368 – im Anwendungsbereich der verfassungsrechtlich garantierten Pressefreiheit. Eine pauschale unspezifizierte Zugangssperre nach Seriösitätserwägungen erscheint im Lichte des Grundrechts der Pressefreiheit unverhältnismäßig.1369 III. Die Ausnahme: Differenzierung nach Institutionsbezug und Vorhaben Ähnliches gilt auch für die Ausgrenzung bestimmter Forscher vom Zugang zu besonders sensiblen Informationen, wie sie in § 32 Abs. 1 Nr. 7 StUG vorgesehen ist. Die Forschungsfreiheit lässt aus der Gefahr des staatlichen Forschungsrichtertums heraus gerade keine pauschale, institutionenbezogene Differenzierung zu, die Vertreter von Hochschulen und wissenschaftlichen Akademien gegenüber anderen Forschern privilegieren.1370 Differenzierungen sind zulässig. Sie dürfen auch typisieren. Sie dürfen jedoch nicht – dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits frühzeitig festgestellt1371 – ganze Gruppen ausschließen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht auch gesehen und in anderen Fällen keinen Ausschluss, sondern nur „besondere zusätzliche Garantien“ gefordert.1372 In § 32 Abs. 1 Nr. 7 StUG nun fehlt diese Öffnungsklausel. Sie schließt pauschal selbstständige, d.h. nicht an eine Forschungseinrichtung gebundene Forscher aus; eine Pauscha1366 Insofern tut der Hinweis des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die im wissenschaftlichen Diskurs erforderliche intersubjektive Überprüfbarkeit dadurch gewährleistet werde, dass die BStU anderen Forschern die benutzten Stasi-Unterlagen auf Antrag unter den gleichen Voraussetzungen zur Verfügung stellt (BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, www.bverwg.de, Rn. 50, nichts zur Sache. Voraussetzung für die Überprüfung ist, dass man zunächst Kenntnis von der Ergebnissen anderer Forscher erhält. 1367 So auch der Eindruck v. J. Lege, Anm. 56, 616 (620). 1368 Ausführlich Teil 1 Kap. 2 § 2 B. 1369 Zur Differenzierung nach Seriositätskriterien Teil 1 Kap. 2 § 2 B. II. 2. 1370 Vgl. Teil 1 Kap. 2 § 2 B. II. 2. 1371 BVerfG, Beschluss v. 28. November 1967, Waisenrente, BVerfGE 22, 163 (172). 1372 BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, www.bverwg.de, Rn. 50.

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lisierung, die mit Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 5 Abs. 3 GG kaum zu vereinbaren sein dürfte, denn auch das Argument, dass bei institutionsgebundenen Forschern dank ihrer Einbindung die Gefahr des Missbrauchs des gewährten Zugangs geringer ist, verfängt nicht. Denn Pflichten, die sich aus dieser institutionellen Bindung ergeben, gehen regelmäßig nicht über die ohnehin zu unterzeichnende Verpflichtungserklärung hinaus. Dies gilt umso mehr, als auch ausländische Institutionen von der Regelung des § 32 Abs. 1 Nr. 7 StUG nach der Richtlinie der BStU erfasst sind.1373 Zulässig ist dagegen die abstrakte Abstufung zwischen mehr oder weniger bedeutenden Forschungsprojekten, die nun auch im geänderten Wortlaut des § 32 Abs. 1 Nr. 7 StUG Eingang gefunden hat. Sie diskriminiert nicht nach der Institution, sondern schichtet mit Hilfe eines legitimen Differenzierungskriteriums den Zugang zum Schutze des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Differenzierungsziel) ab.1374

C. Konzept des abgestuften Persönlichkeitsschutzes Der Ausgleich zwischen dem Persönlichkeitsschutz und dem Aufarbeitungsanliegen kommt weiterhin in einem abgestuften Personenschutz zum Ausdruck.1375 Anknüpfungspunkt für die Differenzierung ist die Stellung der Person, nicht die Person an sich. Dass der § 32 StUG lediglich an personenbezogene Informationen anknüpft, steht dem nicht entgegen.1376 Herausgabefähig sind grundsätzlich nur solche Informationen, die sich auf die spezifische Rolle der Person beziehen.1377 Dies ist für Amtsträger, Funktionsträger und Personen der Zeitgeschichte nunmehr nach dem zweiten Kohl-Urteil explizit klargestellt worden. Für Mitarbeiter und Begünstigte des Staatssicherheitsdienstes ergibt sich dies aus der Zusammenschau der §§ 32 Abs. 1 Nr. 3; Abs. 3 Nr. 4 i. V. m. 6 Abs. 8 StUG. Dies gilt für Mitarbeiter und Begünstigte der Staatssicherheit genauso wie für Amtsträger, 1373

RiLi BStU v. 1. März 2007, 6.1.1.1.1. Dazu Teil 1 Kap. 2 § 2 B. II. 1. 1375 Dieser fehlte noch im Volkskammergesetz seinerzeit. § 10 StUG-DDR, GBl. DDR 1990, S. 11419. 1376 Vgl. auch J. A. Frowein, Anm. 774, S. 3 (18): „Die entscheidende Frage betrifft Personen, die in Wahrheit nicht in ihrer Eigenschaft als konkrete Personen abgehört wurden, sondern weil sie als Staatsorgan der Bundesrepublik Deutschland im Visier des Staatssicherheitsdienstes waren. Es ist zu fragen, ob der Gesetzgeber mit ‚Personen‘ wirklich die Amtsinhaber gemeint hat, die selbstverständlich wesentliches Ziel der Abhöraktionen waren.“ 1377 Unverständlich insoweit S.-Ch. Lenski, Anm. 899, 112 (116), die in der Regelung eine Besserstellung der Mitarbeiter und Begünstigten gegenüber Amtsträgern, Funktionsträgern und Begünstigten sieht. 1374

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Inhaber politischer Funktionen und Personen der Zeitgeschichte. Eine Abwägung findet hier nach dem Wortlaut des § 32 StUG nicht statt.1378 Andere personenbezogene Informationen bleiben – dies ergibt sich im Umkehrschluss – unter Verschluss. Insbesondere soweit Personen außerhalb ihrer spezifischen Stellung betroffen sind, bleiben sie Privatpersonen. Zwei Ausnahmen ergeben sich darüber hinaus. Diese begründen sich unabhängig von dem Aufarbeitungsinteresse mit der Reichweite des Persönlichkeitsschutzes. Die erste betrifft Minderjährige, die durch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht noch einmal einen besonderen Schutz erfahren. Hierbei handelt es sich um eine Ausnahme von der Ausnahme, und zwar der grundsätzlichen Zurverfügungstellung von Informationen über Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes. Entgegen dem Gesetzeswortlaut muss diese Klausel nicht nur auf Mitarbeiter, sondern auch auf alle anderen Personenkategorien Anwendung finden, denn eine Ungleichbehandlung ist hier mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG mangels sachlichen Differenzierungsgrundes nicht hinnehmbar.1379 Insoweit ist der Wortlaut der §§ 32, 34 StUG verfassungskonform auszulegen. Die zweite Ausnahme ist neu und betrifft Informationen über Tote. Ihre Unterlagen sind grundsätzlich herausgabe- und veröffentlichungsfähig. Eine Abwägung findet nicht statt. Ihre Sonderstellung ergibt sich aus der bereits im Archivrecht angesiedelten Vermutung, dass ein schutzwürdiges Interesse 30 Jahre nach dem Tod nicht mehr besteht und somit auch keine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts mehr stattfindet.1380 In diesem Punkt hebt die Neuregelung die Sonderstellung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes gegenüber anderen archivrechtlichen Regelungen auf.1381 I. Die Personenkategorien als Abwägungsergebnis Der Tatbestand des § 32 StUG setzt Informationen über bestimmte Personenkategorien – Mitarbeiter, Begünstigte, Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen und Amtsträger – gleich, indem er den Zugang zu ihren Informationen grundsätzlich gewährt und ihn nur durch eine und dieselbe Abwägungsklausel begrenzt. Informationen über Tote und 1378 A. A. wohl J. Weberling, StUG-Kommentar, § 32 Rn. 6, der aber zu dem gleichen Ergebnis kommt, da nach ihm in dieser Situation grundsätzlich die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen überwiegen sollen. 1379 D. Schmidt/D. Dörr, Anm. 1026, § 32 Rn. 14; J. Rapp-Lücke, Anm. 37, § 32 Rn. 24. 1380 Zum Inhalt vgl. Teil 1 Kap. 2 § 3 A. IV.; Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 5. b). 1381 Zur Stimmigkeit des StUG mit den archivgesetzlichen Regelungen vgl. Einleitung § 2 F.

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minderjährige Mitarbeiter unterscheidet er hingegen wieder, indem er den Zugang zu ersteren nach Ablauf von 30 Jahren seit dem Tod bzw. 110 Jahren nach Geburt ohne Abwägung gewährt, den Zugang zu anderen wiederum ausschließt. Sonstige Personenbezogene bleiben gesperrt. Damit differenziert der Gesetzgeber gleich in mehrfacher Hinsicht; ein Vorgehen, das sich nicht allein am Maßstab des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sondern auch am allgemeinen Gleichheitssatz messen lassen muss. Sofern gleichheitsrechtliche Probleme überhaupt diskutiert wurden, konzentriert sich die Diskussion ausschließlich auf die angebliche Gleichsetzung von „Tätern“ und „Opfern“; gemeint sind hier die Personen im Sinne des §§ 32 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 3 StUG.1382 Benda/Umbach sehen hierin sogar einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz.1383 Ungeachtet der einzelnen Schattierungen, die der Gleichheitssatz im Laufe der Jahre vom Bundesverfassungsgericht erhalten hat, fordert er, dass wesentlich Gleiches auch gleich behandelt; wesentlich Ungleiches dagegen ungleich behandelt wird.1384 Das Differenzierungskriterium muss sich dabei aus einem sachlichen Differenzierungsgrund ergeben. Die Prüfung, ob die Differenzierung zwischen den personenbezogenen Informationen der einzelnen Personenkategorien im Rahmen des § 32 StUG tatsächlich diesen Anforderungen genügt, setzt ein präziseres Verständnis über den „Inhalt“ der einzelnen Personengruppen voraus.

1382

Vgl. nur Reinartz (CDU/CSU), Stenograph. Bericht der 31. Sitzung des Dt. BT v. 14. November 1991, S. 2358; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 375 (414). 1383 E. Benda/D. C. Umbach, Anm. 1, S. 179. Der Einwand übersieht zunächst, dass das Gesetz die Begrifflichkeiten Täter/Opfer gar nicht kennt, dass die Personen des § 32 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 StUG nicht Täter heißen, sondern wertneutral als Mitarbeiter und Begünstigte bezeichnet werden (Zum Problem der Objektivität in der Diskussion um die Täterfrage vgl. U. Braunert, AuA 1993, 15 (16) mit instruktiven Zitaten. Vgl. auch schon oben Einleitung § 2 B.). Die Ansicht fußt also entweder auf der Prämisse, dass Mitarbeiter und Begünstigte Täter und die Personen des § 32 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 3 StUG grundsätzlich Opfer sind oder aber hinter ihr steht die Forderung nach der Schaffung einer Täterkategorie, die sich anders als über die Mitarbeit beim und die Begünstigung durch den Staatssicherheitsdienst definiert. 1384 In der so genannten neuen Formel heißt es: Der Allgemeine Gleichheitssatz sei dann verletzt, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“, BVerfG, Beschluss v. 7. Oktober 1980, Präklusion, BVerfGE 55, 72 (88). Zum Allgemeinen Gleichheitssatz allgemein vgl. auch M. Pechstein, Anm. 104, S. 214 ff.

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1. Mitarbeiter und Begünstigte Mit der so im Gesetz nicht benannten Täterkategorie sind die Personengruppen des §§ 32 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. 6 Abs. 4–6 StUG gemeint, d.h. hauptamtliche Mitarbeiter, inoffizielle Mitarbeiter, Begünstigte der Staatssicherheit und inoffizielle Mitarbeiter des Arbeitsgebiets 1 der Kriminalpolizei der Volkspolizei sowie Personen, die gegenüber der Staatssicherheit weisungsbefugt waren. Wie viele Personen dieser Kategorie angehörten, ist unklar. Man geht von 90.000–110.000 hauptamtlichen Mitarbeitern und 55.000–150.000 inoffiziellen Mitarbeitern aus.1385 Noch 1991 vermutete der damalige Bundesjustizminister, dass 25–30% der 16,7 Millionen DDR-Bürger für den Staatssicherheitsdienst tätig geworden sind.1386 Zu den Begünstigten fehlen bislang statistische Erhebungen. Wer Mitarbeiter und Begünstigter ist, ergibt sich aus § 6 Abs. 4–6 StUG. Für die Zuordnung zur Kategorie der hauptamtlichen Mitarbeiter kommt es danach auf das Bestehen eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses an. Hierunter fallen nicht nur Mitarbeiter, die geheimdienstlich tätig geworden sind, sondern auch die Putzfrau, der Koch aus der Kantine der Normannenstrasse, der Wehrpflichtige, der sich beim MfS zu einer Verlängerung der Dienstzeit bereiterklärte. Für die Zuordnung zur Kategorie der inoffiziellen Mitarbeiter kommt es darauf an, dass sich die Person zur Lieferung von Informationen bereiterklärt hat. Eine Beschränkung auf personenbezogene Informationen erfolgt dabei nicht. Auch kommt es hier nicht auf das tatsächliche Handeln, sondern auf das Bereiterklären an, wobei unklar bleibt, auf welche Art und Weise die Bereiterklärung zustande gekommen sein muss.1387 Der Kategorie der inoffiziellen Mitarbeiter unterfällt auch der Denunziant. Verschiedentlich ist behauptet worden, dass eine besondere Lücke darin bestehe, dass der gewöhnliche Denunziant von der Regelung der §§ 32, 34 StUG in nicht zu rechtfertigender Weise ausgespart wurde.1388 Diese Lücke besteht indes nicht. Übersehen wird, dass dem Wortlaut des § 6 Abs. 4 1385

Zu den Zahlenangaben vgl. Plenarprotokoll 12/31, S. 2368 (2377); Plenarprotokoll 12/57, S. 4697. J. Gauck spricht demgegenüber von 90.000 hauptamtlichen Mitarbeitern und 150.000 IM, Die Zeit v. 20. Dezember 1991. Jüngste Angaben sprechen von bis zu 85.000 hauptamtlichen Mitarbeitern und 109.000 zum Stichtag 31. Dezember 1988, vgl. H. Geiger/H. Klinghardt, Anm. 37, Einleitung Rn. 5. 1386 Der Spiegel 33 (1991), 21. 1387 Zum Problem der Unbestimmtheit schon M. Kloepfer/G. Michael, Anm. 13, S. 62. 1388 G. Trantas, Anm. 423, S. 420; K. Stoltenberg, Anm. 83, § 32 Rn. 13 sieht in der Vernachlässigung des Denunzianten „ein Versehen des Gesetzgebers“. Vor dem Hintergrund des Vorbehalts des Gesetzes wäre eine entsprechende Anwendung der §§ 32, 34 StUG auf Denunzianten nicht zulässig. A. A. J. Weberling, Anm. 1378, § 32 Rn. 7.

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Nr. 2 StUG nach weder eine von der individuellen Informationslieferung abstrakte Vereinbarung zur Lieferung derselben noch eine vorherige Anfrage von Seiten des MfS erforderlich ist. Vielmehr wird man auch in der Lieferung von Informationen an die Staatssicherheit ein konkludentes SichBereit-Erklären im Sinne des § 6 Abs. 4 Nr. 2 StUG sehen müssen. Unter Begünstigten werden Personen verstanden, die entweder vom Staatssicherheitsdienst wesentlich gefördert worden sind, insbesondere durch Verschaffung beruflicher oder sonstiger wirtschaftlicher Vorteile, oder die vom Staatssicherheitsdienst oder auf seine Veranlassung bei der Strafverfolgung geschont worden sind oder die mit Wissen, Duldung oder Unterstützung des Staatssicherheitsdienstes Straftaten gefördert, vorbereitet oder begangen haben. Die Definition zeigt, dass auch hierunter denkbar vielfältige Konstellationen fallen, angefangen von Sportlern, die aufgrund ihrer sportlichen Erfolge etwa unter Ausnahme von üblichen Wartezeiten einen Trabant erwerben durften, über einen wegen antisozialistischer Propaganda Inhaftierten, der gegen sein nie eingelöstes Versprechen Informationen über die Friedensgruppe, der er angehörte, an die Stasi zu liefern, vorzeitig entlassen wurde, bis hin zu Personen, die ihre Wohnung zur Observierung des Nachbarn, sei es aus dem Glaube ans System, sei es für das eigene Fortkommen zur Verfügung stellten, oder denjenigen, der, um seinem Nachbarn „eins auszuwischen“, dessen geplante Republikflucht gemeldet hat, wozu er nach §§ 225 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. 13 StGB-DDR aber auch verpflichtet war, was sich aus Perspektive des §§ 239 i. V. m. 27 StGB-BRD heute jedoch als Beihilfe zur Freiheitsberaubung darstellt.1389 Ein wissentliches Zusammenwirken mit dem MfS wird nur in der dritten Alternative gefordert.1390 a) Differenzierungskriterien Die Personenkategorien der Mitarbeiter und Begünstigten sind dabei selbst nur Fixpunkte, in denen sich das oder auch die einzelnen Differenzierungskriterien manifestieren. Welche Kriterien genau mit diesen Personenkategorien assoziiert werden, lässt sich in Ermangelung von detaillierten Stellungnahmen nur erahnen. aa) Kenntnis des Systems Als entscheidender Unterschied (Differenzierungskriterium) für den im Vergleich zu anderen Betroffenen zurückgesetzten Persönlichkeitsschutz der 1389 Vgl. BGHZ, Urteil v. 11. Oktober 1994, Republikflucht, BGHZE 127, 195 (205) sowie dazu Anm. 602. 1390 Bedenken hiergegen haben M. Kloepfer/G. Michael, Anm. 13, S. 65.

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Mitarbeiter und Begünstigten des Staatssicherheitsdienstes wird angeführt, dass Mitarbeiter und Begünstigte die Methoden der Staatssicherheit kannten.1391 Ohne dass dies näher präzisiert wird, geht diese Auffassung offenbar davon aus, dass diese Personen mit der Überwachung durch den Staatssicherheitsdienst rechnen mussten, ihr Verhalten daher darauf einstellen konnten und dementsprechend die Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Herausgabe und Veröffentlichung der erlangten Informationen weniger schwer wiege als bei anderen Betroffenen. Wo dieser Ansatz dogmatisch festgemacht wird – in einer Art Einwilligung zu einer umfassenden Überwachung1392 oder – anders gesagt – in einer Selbstbeschränkung der eigenen Entfaltung – wird dabei nicht erklärt. Dies kann auch dahinstehen, da die Annahme, dass die Kenntnis der Methoden bei Begünstigten und Mitarbeitern typischerweise im Einzelnen bekannt waren, höchst zweifelhaft ist. Dies wird eigentlich schon offenbar, hält man sich das weit gefächerte Spektrum an verschiedensten Aufgaben, die von Mitarbeitern des MfS wahrgenommen wurden, vor Augen.1393 Noch offensichtlicher ist dies bei den Begünstigten. Man denke an das soeben erwähnte Beispiel des Sportlers, der einen Trabant zu bevorzugten Konditionen kaufen durfte. Warum sollte er die Überwachungsmechanismen des MfS im Einzelnen kennen? Diese Zweifel werden auch angesichts der Vielzahl von Informationen, die der Staatssicherheitsdienst über die eigenen ca. 250.000 Mitarbeiter und unzähligen Begünstigten zusammentragen konnte, untermauert. Wie jeder andere Geheimdienst hat auch die Staatssicherheit ihre Geheimnisse vor ihren Mitarbeitern weitgehend gehütet. Das Kriterium taugt zumindest bei Beibehaltung der Kategorien Mitarbeiter und Begünstigter für eine Differenzierung auf abstrakt-genereller Ebene daher nicht.1394 Es handelt sich aber um ein Kriterium, das im Rahmen der Abwägung im Einzelfall zum Tragen kommen kann. Dabei wird man jedoch in Bezug auf die Kenntnis des Systems einen höheren Präzisierungsgrad fordern müssen. Das allgemeine in der DDR-Bevölkerung vor1391

VG Berlin, Urteil v. 17. September 2003, Kohl III, NJW 2004, 457 (458). Vgl. aber VG Berlin, Urteil v. 3. Mai 2006, Gysi IV, I A 173.05, in dem das Gericht davon ausgeht, dass das Kriterium der Kenntnis des Systems nicht nur bei Mitarbeitern der Staatssicherheit, sondern bei der gesamten DDR-Bevölkerung verwirklicht sei. Vgl. S. 323 f. Zumindest in Bezug auf Funktionsträger in sensiblen Bereichen – hier Kirche – bestätigt in LG Dresden, Urteil v. 4. Februar 2010, Biedermann, 3 O 2987/09 EV. 1392 Vgl. zur Beschränkung der Privatsphäre oben Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 2. 1393 Vgl. nur Teil 2 Kap. 2 § 1 C. I. 1. 1394 Es sei eine „unrealistische Schlussfolgerung, jeder müsse davon [von den Praktiken der Stasi] gewusst und sich mit ihnen identifiziert haben“. So P.-M. Diestel, NJ 1995, 631 (632). Vgl. auch M. Schell/W. Kalinka, Stasi und kein Ende, S. 383.

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handene Wissen über die Ziele und Methoden des Staatssicherheitsdienstes reicht indes nicht, da es insoweit an einem Unterschied, der eine Ungleichbehandlung zumindest gegenüber anderen Betroffenen aus der ehemaligen DDR rechtfertigt, gerade fehlt.1395 Auch erscheint es wohl kaum überzeugend, davon auszugehen, dass ein hochrangiger westdeutscher Politikern, wie Helmut Kohl, weniger erwarten konnte, vom Staatssicherheitsdienst ins Visier genommen zu werden, als eine Küchenfrau des MfS. bb) Vorwerfbarkeit Das zweite immer wieder unterschwellig zum Ausdruck kommende Differenzierungskriterium ist die Vorwerfbarkeit des Zusammenwirkens mit dem MfS. Die Offenlegung der über die eigene Person gesammelten Informationen des Staatssicherheitsdienstes wird als eine Art individuelle Sanktion und zugleich als Generalprävention begriffen. Dieser Gedanke ist stark strafrechtlich inspiriert. Er spiegelt sich auch in dem Vorschlag eine TäterOpfer-Differenzierung vorzunehmen wider.1396 § 32 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 StUG wäre hiernach eine Art Substitut nicht realisierbarer individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit.1397 Denn weder die Mitarbeit beim noch die Begünstigung durch den Staatssicherheitsdienst an sich war und ist eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit. Einer Sanktionierung steht in formeller Hinsicht der nullum crime sine lege-Grundsatz entgegen.1398 Auch in materieller Hinsicht würde ein Tatbestand nach dem Vorbild des § 129 Abs. 1 Alt. 2 StGB (Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung) in Bezug auf den gesamten Staatssicherheitsdienst am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit scheitern. Eine Ausnahme kann hier allenfalls für den Bereich der Auslandsspionage angenommen werden.1399 Das Differenzierungskriterium der Vorwerfbarkeit wird vom Gesetzeswortlaut ein Stück weit genährt, wie sich an dem an das Jugendstrafrecht angelehnte „Jugendsündenprivileg“ des § 32 Abs. 1 Nr. 3; Abs. 3 Nr. 2 StUG zeigt.1400 Auch schließt die Beschränkung auf das Ziel der Aufarbeitung den Sanktionsaspekt nicht aus. Denn auch die Sanktionierung ist eine der möglichen Methoden der Aufarbeitung.1401 1395

So im Ergebnis auch A. Pollaczek, Anm. 995, S. 39. Vgl. Anm. 1384. 1397 Gegen diesen Ansatz J. Habermas, Die Zeit v. 3. April 1992, S. 82. 1398 Zur Strafbarkeit von einzelnen Handlungen vgl. auch Teil 2 Kap. 2 § 2 A. II. 1. 1399 BVerfG, Beschluss v. 15. Mai 1995, Spionage, BVerfGE 92, 277. Gleichwohl geht das Bundesverfassungsgericht von einem Strafverfolgungshindernis aus. Ausführlich dazu oben Teil 1 Kap. 2 § 1 C. I. 1400 § 1 JGG bzw. § 12 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 1 JGG. 1396

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Die Vorwerfbarkeit der Mitgliedschaft im oder die Begünstigung durch den Staatssicherheitsdienst scheidet jedoch als abstrakt-generelles Differenzierungskriterium aus, da es an einer derart pauschalen Vorwerfbarkeit fehlt. Das Anknüpfen an den Mitarbeiter- oder Begünstigtenstatus ist zu pauschal. Eine solche Pauschalierung wäre auch ungeachtet des Abwägungsvorbehalts unzulässig, wenn größere Teile dieser Personengruppen das typisierende Merkmal der Vorwerfbarkeit gar nicht aufwiesen.1402. Dies gilt auch dann, wenn der Tatbestand durch eine Abwägungsklausel geöffnet wird, da dann zumindest auch über den Personen, die das typisierende Merkmal nicht aufweisen, die latente Dauergefahr einer Persönlichkeitsrechtsverletzung schwebt; eine Gefahr, die eine eigenständige Belastung darstellt. Vorwerfbar – sei es im rechtlichen oder moralischen Sinne – sind bestimmte Handlungen des Staatsicherheitsdienstes gewesen; vorwerfbar kann auch die Mitarbeit in einer bestimmten Arbeitseinheit der Staatssicherheit sein. Warum nun aber Küchenfrauen, Wach- und Reinigungspersonal, das definitionsgemäß ebenfalls in die Kategorie der hauptamtlichen Mitarbeiter fällt, für das Unwesen, das einige Teile der Staatssicherheit betrieb, verantwortlich sein sollen, ist nicht nachvollziehbar.1403 Der Staatssicherheitsdienst war aus ihrer Sicht eine staatliche Behörde. Wer hier als Küchenkraft arbeitete, musste nicht einmal das Treiben des Staatssicherheitsdienstes – sofern er es überhaupt kannte1404 – gutheißen. Oft waren es gute Arbeitskonditionen, eine bessere Versorgung, ein schnellerer Aufstieg und ein besseres Gehalt – auch aus heutiger Sicht ganz legitime Erwägungen, die die Arbeitsplatzsuche lenken –, die zu einer Aufnahme der Tätigkeit beim MfS führten. Desgleichen leuchtet auch nicht für jeden Mitarbeiter des operativen Teils der Staatssicherheit ein, warum ihm in spezifischer, d.h. in gegenüber der restlichen DDR-Bevölkerung herausgehoben Weise, ein Vorwurf am System trifft oder an den kriminelle Machenschaften, die Teile des MfS ausführten.1405 Dies gilt teilweise für Mitarbeiter der Abteilungen Auslands1401 Vergleiche zur fehlenden Aussage des Begriffs Aufarbeitung über die Methoden Teil Kap. 2 § 1 A. I. 3. 1402 Der Grundsatz, „[d]as Gesetz muß auch den Mut haben, ‚Verlierer‘ zu kennen“, findet seine Grenze auch nach G. Düring, in: Maunz/Düring, GG-Kommentar, Art. 3 Rn. 327, dort, wo nicht mehr nur Randgruppen oder Einzelfälle betroffen sind. 1403 Zur Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung einer ehemaligen Küchenhilfe des MfS als Sachbearbeiterin in der Hundesteuerabteilung des Finanzamtes LAG Berlin, Urteil v. 6. Oktober 1992, Küchenhilfe, NJ 1992, 226. 1404 Dazu schon soeben Teil 2 Kap. 2 § 1 C. I. 1. a) aa). 1405 Zur Rechtswidrigkeit weiter Teile der geheimen Informationserhebungen Teil 2 Kap. 2 § 2 A. II. 1.

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aufklärung und Spionageabwehr, sofern sie mit dem Unwert, den die Staatssicherheit ausmachte, der Ausforschung und Repression der eigenen Bevölkerung, nicht befasst waren. Dies gilt aber auch für die Teile des MfS, die lediglich international übliche Aufgaben wie Grenzkontrollen und Personenschutz wahrnahmen.1406 Aber auch im Übrigen ist es äußerst schwierig einen Schuldvorwurf zu konstruieren, sofern die Person nicht in Taten – wie Folter, Kindesentziehung etc. – verwickelt war, deren Unrecht sie auch als DDR-Bürger hätte erkennen können. Dabei sind das Erziehungssystem der DDR und damit verbunden auch der Informationsstand der betroffenen Personen zu berücksichtigen.1407 Denn sie waren es, die die Perspektive, die Wahrnehmung ihres Tuns prägten und bestimmten. Hinzu kommt, dass es auch in einer Vielzahl von Fällen nicht möglich war, sich ohne größere Nachteile zu erleiden der Zusammenarbeit zu entziehen.1408 Erhebt man hier nun diejenigen, die sich gleichwohl dem Staatssicherheitsdienst widersetzt und auch Nachteile in Kauf genommen haben, zum moralischen Maßstab, dann läuft dies auf eine Art Vorwurf der eigenen Charakterschwäche hinaus. Die Vorhaltung, auch andere hätten sich widersetzt, ist auch deshalb schwierig, da die Situation, in denen sich die Einzelnen befanden, und dementsprechend ihr Handlungsspielraum stark variierte. So war die Kirche eine der wichtigsten Oppositionsbewegungen. Ihre Mitglieder hatten durch ihre Organisation, durch ihre Kontakte und die Unterstützung durch die Bundesrepublik teilweise ganz andere Möglichkeiten, sich der Staatssicherheit zu widersetzten und drohende Nachteile aufzufangen. Andere Personen hatten diesen institutionellen Rückhalt aber nicht. Eine Differenzierung am Maßstab der Vorwerfbarkeit bringt aber auch ein zeitliches Problem, und zwar die Frage nach Verjährung und Resoziali1406 Eine Differenzierungspflicht mahnen auch U. Schröter, Berliner Zeitung v. 27. August 1990; abgedr. in: S. Schumann, Anm. 13, S. 105 (106); P.-M. Diestel, Anm. 1394, 631 (632), an. D. Schmidt, RDV 1991, 174 (178), bemerkt dazu: „Der Verfasser hat viele Zuschriften erhalten von Leuten, die in jungen Jahren bereits vor den Ruinen ihres Lebens stehen, weil sie zu einer Zeit, in der das abrupte Ende der DDR noch nicht absehbar war, nicht das Heldentum besaßen, sich gegen das System zu stellen. Hier dürfte noch einiges Nachdenken von Nöten sein, um nicht neues Unrecht zu schaffen.“ 1407 Ebenfalls differenzierend A. Engel, Anm. 13, S. 306 ff.; H.-H. Trute, Anm. 1069, 1043 (1044). 1408 A. Engel, Anm. 13, S. 304, bezeichnet diese Vorstellung gar als „lebensfremd“. Instruktiv zu den einzelnen Formen der inoffiziellen Mitarbeit BStU (Hrsg.) Die inoffiziellen Mitarbeiter. In diesem Buch – so auch H.-H. Trute, Anm. 1069, 1043 (1048) „spiegelt sich die Realität der unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit mit der Stasi, von der bereitwilligen und überzeugten bis zur widerwilligen und erzwungenen, von der eingeräumten bis hin zur verleugneten Zusammenarbeit, wider.“

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sierung mit sich. Auch die Pflicht, einem Täter eine Rückkehr in die Gesellschaft zu ermöglichen, gehört zu den Bestandteilen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts.1409 Die praktische Konsequenz wäre eine zeitliche Beschränkung des Zugangs nach §§ 32, 34 StUG.1410 Im Gegensatz etwa zur Regelung über die Überprüfung des öffentlichen Dienstes auf die Stasimitarbeit sah die Forschungs- und Medienregelung aber nie eine zeitliche Befristung vor. Das Differenzierungskriterium Vorwerfbarkeit ist daher gerade kein Kriterium, das typischerweise Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes und Begünstigte desselben charakterisiert. Es ist als Differenzierungskriterium ungeeignet, oder aber die Wahl der Vergleichsgruppen ist in nicht zutreffender Weise erfolgt. cc) Amtsträgerschaft und Bedeutung für die Offenlegung des Systems Können weder die Kriterien der Kenntnis des Systems und der Vorwerfbarkeit eine Differenzierung zwischen den Mitarbeitern und Begünstigten des Staatssicherheitsdienstes einerseits und sonstigen Betroffenen andererseits begründen, ist über andere Kriterien nachzudenken. Unter Berücksichtigung der oben herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen schlägt auf Seiten des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei den Mitarbeitern zunächst zu Buche, dass ein Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Bezug auf amtsbezogene Informationen, wozu grundsätzlich auch die amtsbezogenen Informationen über Mitarbeiter gehören, nicht besteht.1411 Auf Seiten der Aufarbeitung ist zu berücksichtigen, dass die Aufdeckung der Strukturen und Methoden der Staatssicherheit kaum möglich ist, ohne zugleich die ausführenden Organe zu sehen. Bei den Begünstigten begründet sich der Ableitungszusammenhang etwas anders. Ihnen kommt grundsätzlich umfassender Grundrechtsschutz zu. Bei ihnen überwiegt jedoch grundsätzlich das Aufarbeitungsinteresse, da es für das Verständnis des Funktionierens des Systems von Bedeutung ist, wen die Staatssicherheit versucht hat, mit welchen Mitteln an sich zu binden bezie1409

Vgl. Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 7. c). Allgemein in Bezug auf die Überprüfung des öffentlichen Dienstes J. Limbach, Anm. 343, S. 25 (32): Wir sollten „auch denen, die das alte Regime getragen haben, zutrauen, dass sie dazu lernen können. Es könnte ja auch so etwas wie eine ‚ansteckende Gesundheit‘ unseres demokratischen Rechtsstaates geben.“ 1411 Teil 1 Kap. 2 § 3 A. II.; § 3 C. II. 2. a). A. A. wohl R. Motsch, Anm. 74, S. 95 (107), ihm zufolge genießen auch Mitarbeiter umfassenden Datenschutz. Eine Ausnahme soll bei Straftaten gelten. 1410

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hungsweise – dies ist für die dritte Alternative des § 6 Abs. 6 StUG von Relevanz – wer die Staatssicherheit noch unterstützt hat. Ob allerdings die Gewährung einer Begünstigung, sei es auch einer wesentlichen, ohne Hinzutreten weiterer Umstände, die den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts relativieren, ausreicht, um wie in § 6 Abs. 6 Nr. 1 StUG ein grundsätzliches Überwiegen des Aufarbeitungsanliegens anzunehmen, erscheint fragwürdig. b) Möglichkeiten abstrakt-genereller Präzisierung? Aus dem Ergebnis der Erörterung der möglichen Differenzierungskriterien wird auch deutlich, dass eine weitergehende Vorwegnahme des Abwägungsprozesses auf abstrakt-genereller Ebene bei Rückgriff auf die allgemeinen Personenkategorien des § 6 Abs. 5, 6 StUG gar nicht möglich war und ist, da es an Differenzierungskriterien, die eine Typisierung und damit eine weitergehende Differenzierung auf abstrakt-genereller Ebene ermöglichen, fehlt.1412 Den unterschiedlichen Beiträgen für den und der unterschiedliche Grad der Verflechtung mit dem MfS, der Wissentlichkeit, dem zeitlichen Rahmen der Zusammenarbeit oder Begünstigung, der Frage, welchen Beitrag die betroffene Person zur Schädigung Dritter geleistet hat, den Anforderungen an die Beweisbarkeit und in diesem Zusammenhang dem Umgang mit dem Wahrheitsproblem, ist ungeachtet der – oben aufgezeigten1413 – weit reichenden persönlichkeitsrechtlichen Konsequenzen im Wortlaut des §§ 32 Abs. 1 Nr. 3; Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. 6 Abs. 4–6 StUG nicht ausdrücklich Rechnung getragen worden. Daher hat es der Gesetzgeber dabei belassen, eine mögliche im Einzelfall im Rahmen der Interessensabwägung zu prüfende unterschiedliche Gewichtung zwischen den Personengruppen des § 32 Abs. 1 Nr. 3 und 4 sowie Abs. 3 Nr. 2, 3 StUG durch eine Trennung der Unterabsätze deutlich zu machen. Eine abstrakt-generelle Differenzierung unter Berücksichtigung des Faktors der Vorwerfbarkeit oder der Kenntnis des Systems würde eine neue Kategorie erfordern. Sie wäre dann aber mit einer Komplettumstellung des 1412

Dazu im Einzelnen sogleich. Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen typisierender Differenzierungen vgl. schon Teil 2 Kap. 2 § 1 B. III. Zur Gleichstellung von hauptamtlichen Mitarbeitern, IMs und Begünstigten M. Budsinowski, in: Geiger/Klinghardt, Anm. 37, § 6 Rn. 46. Unklar D. Schmidt/D. Dörr, Anm. 1026, § 32 Rn. 14, nach denen die Forschung zu personenbezogenen Informationen über Begünstigte einen weiteren Zugang als zu Mitarbeiterinformationen hat. Dieser Schluss wird aus dem für Begünstigte im Gegensatz zu Mitarbeitern fehlenden Jungensündenprivileg gezogen. Zur Notwendigkeit der analogen Anwendung des Jugendsündenprivilegs auch auf Begünstigte vgl. Teil 3 § 1 C. IV. 1413 Teil 1 Kap. 2 § 2 B. I. 2.; § 3 C. II. 4., 5.

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Stasi-Unterlagen-Gesetzes verbunden. Bei Beibehaltung der archivarischen Betrachtungsweise, nach der die Zuordnung zu einer Personenkategorie allein am Maßstab der einzelnen Information vorgenommen wird, wäre eine Differenzierung zwischen Tätern und Opfern auch vor dem Hintergrund des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht haltbar. Nicht selten waren „Personen gleichzeitig oder im Laufe der Zeit Opfer, Begünstigte, Mitarbeiter oder wieder Opfer“.1414 Der Fall Havemann sei hier nur beispielhaft erwähnt.1415 Die Qualifizierung als „Täter“ oder „Opfer“ aber ist ein klassisches Werturteil, dass bei gesellschaftlicher Betrachtungsweise losgekoppelt von der Einzelinformation aufgefasst wird und das, was die Qualifizierung als „Täter“ anbelangt, – wie gezeigt1416 – weit in das Persönlichkeitsrecht eingreift. Die Behörde ist – wie dargestellt1417 – weit davon entfernt, alle existierenden Unterlagen erschlossen zu haben. Sie selbst verfügt nicht über ein abschließendes Bild, das ihr die Zuweisung der Täterrolle erlauben würde. Rechtspolitisch liegt dem Absehen von einer Täter-Opfer-Kategorisierung folgende Überlegung zugrunde: Aufarbeitung ist ein Gesellschaftsprozess. Die Gesellschaft, nicht eine staatliche Behörde, soll richten.1418 Daher umfasst das Mandat der BStU auch keine strafrichterähnlichen Funktionen.1419 Der erst zu einem relativ späten Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens hinzugenommene Bewertungsauftrag richtet sich allein auf die Bewertung der Unterlagen nach archivarischen Grundsätzen.1420 Damit bleibt im Ergebnis festzuhalten: Mit dem Abstellen auf die Begünstigten- und Mitarbeiterstellung zur Begründung einer grundsätzlichen Herausgabe- und Veröffentlichungsfähigkeit hat der Gesetzgeber nicht gegen seine grundgesetzlichen Pflichten verstoßen; insbesondere nicht dadurch, dass er keine Täter-Opfer-Differenzierung vorgenommen hat. Eine andere Frage ist, ob er nicht vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes zumindest gehalten war und ist, abwägungsleitende Kriterien (etwa Art des Beitrags zur MfS-Tätigkeit, Grad der Verflechtung mit dem MfS, Wissentlichkeit der Unterstützung des MfS, Schädigung Dritter, Dauer der Zusammenarbeit oder Begünstigung, Beweislage) in den Geset1414

BT-Drs. 12/1093, S. 22. Vgl. auch K. Stoltenberg, DtZ 1992, 65 (72). Dazu Einleitung § 1 A. 1416 Teil 1 Kap. 2 § 3 C. II. 4., 5. 1417 Einleitung § 1 A. 1418 Teil 1 Kap. 2 § 1 A. I., III. 1419 Zu den Kompetenzen der BStU vgl. Teil 2 Kap. 2. 1420 Vgl. § 37 Abs. 1 Nr. 2 StUG. So auch VG Berlin, Urteil v. 23. November 1994, Bürgermeister, NJ 1995, 159. Näher zur archivarischen Betrachtungsweise M. Budsinowski, in: Geiger/Klinghardt, Anm. 37, § 6 Rn. 87 ff. 1415

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zeswortlaut zur Präzisierung des Abwägungsprozesses aufzunehmen.1421 Denn für die Aufarbeitung interessant sind in erster Linie die Personen, die die DDR-Diktatur getragen haben.1422 Ihre Motive und ihr Vorgehen offen zu legen ist Kernbestandteil der Aufarbeitung. Sie müssen benannt werden, damit sich alte Strukturen nicht wieder etablieren.1423 Aber auch auf Seiten des Persönlichkeitsrechts hätte man spezifische Motive und Konfliktsituationen, die zu einer IM-Tätigkeit geführt haben, abstrakt als Ausschlusskriterium benennen können. Aber auch bei derartigen abwägungsleitenden Kriterien würde es sich keinesfalls um abschließende Kriterien handeln. Sie würden nur vergleichbar den Regelbeispielen bestimmte besonders häufig anzutreffende, d.h. typische Konstellationen erfassen. An dieser Stelle hätte der Gesetzgeber zum Schutze des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts konkreter werden können.1424 Ob hierin allerdings ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz in Verbindung mit dem Bestimmtheitsgrundsatz liegt, kann erst bei nach Betrachtung des gesamten Tatbestands sowie sonstiger tatbestandsprägender Regelungen – wie etwa Verfahrensregelungen – beurteilt werden.1425 2. Amtsträger und politische Funktionsträger Die gegenüber sonstigen Betroffenen herausgehobene Stellung von Amtsträgern und politischen Funktionsträgern begründet sich in erster Linie aus der herausgehobenen Rolle, die diese Personen für die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes spielen. Bei amtsbezogenen Informationen kommt hinzu, dass ein Grundrechtsschutz diesbezüglich grundsätzlich nicht besteht1426; bei den funktionsbezogenen Informationen ist zu berücksichtigen, dass diesbezüglich im Verhältnis zu sonstigen Betroffenen nur ein eingeschränkter Grundrechtsschutz in Betracht kommt.1427 Art. 1 Abs. 1 GG findet auf juristische Personen und dementsprechend auch auf deren Organe keine Anwendung. Der Persönlichkeitsschutz wird insoweit relati1421

Zu den Grenzen gesetzgeberischen Ermessensspielraums Teil 2 Kap. 2. R. Bork, Anm. 914, 90 (99), schlägt vor, auf einen spezifischen Öffentlichkeitswert abzustellen: etwa herausgehobene, verantwortungsvolle Positionen, jemand der politisch hervorgetreten ist, besondere intellektuelle Verantwortung für sich in Anspruch nahm, erpresst wurde oder einfach die Notwendigkeit sah, sich mit dem System zu arrangieren. 1423 Dies gilt insbesondere für Personen, die auch heute noch hohe Positionen im Staatsapparat innehaben. Dazu oben Teil 1 Kap. 2 § 1 C. V. 1. 1424 Vgl. auch P.-M. Diestel, Anm. 1394, 631 (632), zur defizitären gerichtlichen Überprüfung der Abwägung bei Kündigungen von ehemaligen MfS-Mitarbeitern. 1425 Dazu Teil 2 Kap. 2 § 2 B. 1426 Teil 1 Kap. 2 § 3 A. I. 1427 Teil 1 Kap. 2 § 3 A. III. 1422

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viert, aber nicht ausgeschlossen. Von daher war es auch notwendig, den Kreis der Funktionsträger auf die für die Aufarbeitung besonders relevanten Funktionsträger, die politischen Funktionsträger, zu begrenzen. Eine Begrenzung auf Amtsträger und politische Funktionsträger der ehemaligen DDR trifft der Wortlaut des Gesetzes, ganz im Gegensatz zu einigen Autoren, nicht.1428 Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die Entscheidung zur Aufarbeitung nicht auf den Osten begrenzt sein sollte. Auch sind die Amts- und Funktionsträger gerade nicht in einem Unterabsatz mit den Mitarbeitern und Begünstigten des Staatssicherheitsdienstes geregelt, sondern mit den Personen der Zeitgeschichte, woraus systematisch deutlich wird, dass es sich bei Nr. 4 des § 32 Abs. 1 StUG gerade nicht zwingend um Systemträger handeln muss. Zum anderen sind gerade auch politische Funktions- und Amtsträger der Bundesrepublik, die in den Fokus der Staatsicherheit gerieten, für das Verständnis seiner Methoden von besonderer Bedeutung, da sich an ihnen insbesondere die Einwirkung der Staatssicherheit in die staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen der Bundesrepublik zeigt, die für die Absicherung des DDR-Regimes nach außen eine bedeutende Rolle spielte. Dementsprechend hat auch das Bundesverwaltungsgericht stets eine Begrenzung auf Amts- und Funktionsträger aus der DDR abgelehnt.1429 Etwas anderes mag für Amts- und Funktionsträger anderer Staaten – egal, ob Ost- oder Westblock – gelten. Zwar steht das allgemeine Völkerrecht einer Herausgabe und Veröffentlichung hier nicht entgegen. Bei ihnen sind im Rahmen der Abwägung aber ggf. außenpolitischen Interessen zu berücksichtigen. Auch verstößt diese Vorschrift im Hinblick auf die Funktionsträger nicht gegen das Rückwirkungsverbot, dessen Sinn und Zweck darin besteht, dass der Einzelne sein Handeln an Normen ausrichten können soll.1430 Es ist bereits fraglich, inwieweit in §§ 32, 34 StUG überhaupt eine Rückwirkung, d.h. die Unterwerfung einer bereits abgeschlossenen oder in der Vergangenheit begonnenen Rechtsbeziehung unter andere Normen im Nachhinein, zu sehen ist. Denn abgesehen von der Frage, ob hier überhaupt eine Rechtsbeziehung im Sinne des Rückwirkungsgebots vorlag, konnten die Betroffenen gar kein Vertrauen bilden. Zum einen wusste die Mehrzahl der betroffenen Funktionsträger gar nicht, dass über sie irgendwelche Informationen vorliegen. Zum anderen bestand zum Zeitpunkt des Beitritts der DDR zur 1428

Vgl. nur R. Wassermann, Anm. 1334, 1460. VG Berlin, Urteil v. 4. Juli 2001, Kohl I, (unveröffentlicht); BVerwG, Urteil v. 8. März 2003, Kohl II, www.bverwg.de, Rn. 28; VG Berlin, Urteil v. 17. September 2003, Kohl III, NJW 2004, 457 ff.; BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, www.bverwg.de, Rn. 21. 1430 So aber S.-Ch. Lenski, Anm. 899, 112 (116). 1429

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Bundesrepublik gar keine gesetzliche Regelung für den Umgang mit den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, so dass bis zum Erlass des StasiUnterlagen-Gesetzes gerade kein Vertrauen in die Unterlassung der Herausgabe und Veröffentlichung entstehen konnte. Dies umso mehr, als die Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag1431, die die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes vorsah, zu diesem Zeitpunkt bereits bestand. 3. Personen der Zeitgeschichte Im Gegensatz zu Mitarbeitern und Begünstigten, bei denen sich der Status erst aus der Akte ergibt, ist der Status der Person der Zeitgeschichte durch äußere Merkmale festgelegt. Unter ihr versteht man eine Person, die durch ein Ereignis in das Zentrum des öffentlichen Interesses gelangt ist.1432 Dies kann durchaus auch ein Ereignis sein, dass der Privat- oder gar Intimsphäre zuzuordnen ist.1433 Im Unterschied zu Amtsträgern begründet sich der Sonderstatus dieser Personengruppe nicht schon damit, dass der Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Regel nicht berührt ist, sondern mit dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse an der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes am Beispiel ihrer Person, dass bei ihnen im Gegensatz zum Regelfall des Betroffenen grundsätzlich aufgrund ihres Bekanntheitsgrades höher einzustufen ist.1434 Die Figur der Person der Zeitgeschichte ist insoweit nichts anderes als eine vorweggenommene Abwägung (im weiteren Sinne) zwischen dem Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Person und dem diesen entgegenstehenden Interesse der Öffentlichkeit an dieser Person nach dem ersten Anschein, die selbstverständlich auf der zweiten Stufe durch eine spezifische Abwägung im Einzelfall konkretisiert werden muss. Sie ist kein eigenes Rechtsinstitut, sondern nur die Beschreibung einer gewöhnlichen Abwägung.1435 Dem Einwand, dass diese dem § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG entlehnte Figur nicht auf die Konstellation, die die §§ 32, 34 StUG zu erfassen suchen, passt, 1431

Teil 1 Kap. 2 § 1 B. J. Rapp-Lücke, Anm. 37, § 32 Rn. 26. 1433 Insofern ist die Auffassung, dass die Verwendung von Informationen privaten Inhalts dem Wortlaut des § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG nach ausgeschlossen ist, unzutreffend. Vgl. aber RiLi BStU v. 1. März 2007, 1.2.4. 1434 Insofern ist der häufige Verweis, dass bei Personen der Zeitgeschichte von einer geringeren Schutzwürdigkeit ausgegangen werde, missverständlich. Sie genießen umfassenden Grundrechtsschutz. Vgl. nunmehr auch explizit BVerfG, Beschluss v. 18. März 2008, Caroline von Monaco III, Pressemitteilung Nr. 35/2008. Vgl. auch BGH, Urteil v. 3. Juli 2007, Oliver Kahn, NJW 2008, 749 (751). 1435 Zur Abwägung oben zu oben Teil 1 Kap. 1. 1432

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da es hier anders als im Kunst-Urheber-Gesetz nicht um die Person, sondern um die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes gehe, kann dabei nicht gefolgt werden.1436 Diese Auffassung, die auch in der Frage des Bundesverwaltungsgerichts in der mündlichen Verhandlung zum vierten Kohl-Urteil, warum denn gerade die Prominenz für Aufarbeitung so wichtig sei, sei doch das Perfide die Ausforschung der eigenen Bevölkerung gewesen, zum Ausdruck kam, knüpft – wie gezeigt1437 – an ein zu enges Verständnis der Zweckbindung an, das nur die Staatssicherheit als Handelnde, nicht aber ihre Wirkungsweise hinreichend berücksichtigt. Gerade Prominente spielen als Leitbilder für die Stärkung oder Schwächung von Diktaturen immer eine besondere Rolle.1438 Erinnert sei hier nur beispielhaft an die Rolle von Wolf Biermann, Manfred Krug in der DDR oder auch Marlene Dietrich und Leni Riefenstahl während des Nationalsozialismus. Eine andere Frage ist, woran die Regelung der §§ 32, 34 StUG anknüpft: Muss die Person gerade aufgrund ihres Status als Person der Zeitgeschichte ins Visier der Staatssicherheit gelangt sein, oder reicht es aus, dass die Person – wie hunderttausende andere Betroffene – von der Staatssicherheit observiert wurde und sich das Interesse der Öffentlichkeit auf diese Personen als prominentes Exempel für das Wirken der Staatssicherheit und anderer Herrschaftsmechanismen der DDR konzentriert? Hintergrund dieser Frage ist ein struktureller Vergleich mit den Funktionsträgern. Die potentielle Weite der Erstreckung des § 32 StUG auf Funktionsträger wird durch die Beschränkung auf „politische“ Funktionsträger begrenzt. Für Personen der Zeitgeschichte, die durch ein beliebiges Ereignis entstehen können; ein Ereignis, das mit dem Herrschaftssystem der DDR und der Staatssicherheit im Besonderen gar nichts zu tun zu haben braucht, besteht diese Einschränkung hingegen nicht.1439 Daher stellt sich die Frage, ob für Personen der Zeitgeschichte hier nicht Ähnliches gelten müsste. Verfassungsrechtlich ist ein Rückzug auf die restriktivere Auslegung nicht erforderlich, jedoch wird man bei der Abwägung im Einzelfall Differenzierungen vornehmen müssen zwischen Situationen, in denen ein Prominenter nur als allgemeines An1436 So aber S.-Ch. Lenski, Anm. 899, 112 (115). In diese Richtung gehen auch J. Geerling/Ch. Küas, Anm. 1293, 1624. 1437 Teil 2 Kap. 2 § 1 A. I. Auf die hochstrittige Unterscheidung zwischen der relativen und absoluten Person der Zeitgeschichte kommt es nicht an, da bei der Informationsherausgabe ohnehin nur auf die zeitgeschichtliche Rolle abzustellen ist. 1438 H. Quaritsch, Anm. 316, 519 (550). 1439 Dies kann auch ein grundsätzlich der Privatsphäre zuzuordnendes Ereignis sein. Daher erscheint es zu kurz gegriffen, wenn das Bundesverwaltungsgericht meint, dass private Informationen grundsätzlich nicht herauszugeben sind, vgl. BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, www.bverfg.de, Leitsatz 2. Im Unterschied zu amts- und politischen Funktionsträgern gibt es bei Personen der Zeitgeschichte keine grundsätzliche Trennung.

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Teil 2: Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

schauungsbeispiel für die Wirkungsmechanismen der Diktatur dient, und Situationen, in denen die Observierung eines Prominenten und die Verfahrensweise mit ihm gerade Ausdruck einer besondere Methode des Staatssicherheitsdienstes oder anderer Herrschaftsmechanismen der DDR war, an denen ein über das Aufarbeitungsinteresse an konkreten Individualschicksalen Prominenter hinausgehendes Aufarbeitungsinteresse besteht. Wie auch bei Amts- und Funktionsträgern wird im Wortlaut keine Differenzierung zwischen Personen der Zeitgeschichte der DDR und der Bundesrepublik vorgenommen, denn für die Absicherung der DDR-Diktatur entscheidend waren nicht nur Personen aus der DDR.1440 Auch das Zusammenwirken mit den Mitgliedern der RAF, die sich in erster Linie aus Bundesbürgern rekrutierte, haben für die DDR eine strategisch wichtige Funktionen im Klassenkampf gehabt.1441 Darüber hinaus fiele auch die Zuordnung von zahlreichen Dissidenten, deren Darstellung unweigerlich zur Aufarbeitung der Diktatur gehört, wie Wolf Biermann und Nina Hagen, die in die Bundesrepublik übersiedelten, schwer. II. Der maßgebliche Zeitpunkt Die §§ 32, 34 StUG an sich enthalten keinen expliziten Hinweis auf den Zeitpunkt, nach dem sich die Zugehörigkeit zu der jeweiligen Personengruppe bemisst. Dies hat mit Ausnahme der Totenregelung, die auf den Zeitpunkt der Herausgabe und Veröffentlichung abstellt, vermehrt Anlass zu Spekulationen gegeben. So stellt etwa das Berliner Verwaltungsgericht in der vierten Entscheidung im Fall Gysi für die Zuordnung auf den Zeitpunkt der Informationserhebung ab, während noch das Oberlandesgericht Hamburg auf seine damalige Rolle als Bundestagsabgeordneter und Inhaber politischer Funktionen abstellte.1442 Hält man sich die Relevanz der Person für den Aufarbeitungsprozess als Differenzierungsgrund vor Augen, dann erscheint es durchaus schlüssig, auch und gerade Zugang zu den Informationen derer zu gewähren, die derzeit ohnehin im Fokus der Öffentlichkeit sind. Dies ermöglicht eine leichtere Identifizierbarkeit mit der Materie. Hier würde dann das Interesse an der Aufarbeitung der Wirkung des Repressionsregimes auf diese Personen überwiegen. Von Vorneherein unzulässig wäre das Anknüpfen an die heutige Position nicht.1443 1440

Zur Aufarbeitung als gesamtdeutsche Aufgabe vgl. Teil 1 Kap. 2 A. I. 2. OLG Frankfurt a. M., Urteil v. 18. Januar 1996, Monika Haas I, AfP 1996, 177 (178). 1442 Zum Hintergrund der Fälle siehe Einleitung § 1 B. II. 2. b). VG Berlin, Urteil v. 3. Mai 2006, Gysi IV, 1 A 173.05; OLG Hamburg, Gysi II, Urteil v. 29. Juli 1999, AfP 1999, 91 ff. 1441

Kap. 2: Die Regelung des Interessenkonflikts in den §§ 32, 34 StUG

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Diesen Weg ist aber der Gesetzgeber nicht gegangen, beziehungsweise er hat ihn mit der Novelle von 2006 verlassen. Zumindest implizit trifft § 32 StUG eine klare Aussage zum Zeitaspekt. In Bezug auf die Kategorie der Mitarbeiter und Begünstigten der Staatssicherheit kommt ohnehin maximal eine Zeitspanne von der Informationserhebung bis 1990 in Betracht. In Bezug auf die Kategorien der Amtsinhaber und Funktionsträger wird ganz klar, auf den Zeitpunkt der Informationserhebung abgestellt.1444 Dies ergibt sich aus der Präzisierung Informationen „die ihre Funktions- oder Amtsausübung betreffen“.1445 Der Blick ist also nicht darauf gerichtet, wer heute als Exempel interessant ist, sondern wer damals für die Stasi kraft seiner Position besonders interessant war. Damit wird das Anliegen der Aufarbeitung zu Gunsten des Persönlichkeitsschutzes hier restriktiv gehandhabt.1446 Auf den ersten Blick nicht ganz klar ist, ob dies auch für die Kategorie der Person der Zeitgeschichte gilt.1447 Anders als bei Amts- und Funktionsträgern, bei denen erst dann Informationen über ihre Rolle erhoben werden können, wenn sie in dieser Position sind, kann es bei Personen der Zeitgeschichte vorkommen, dass Informationen über bestimmte Begebenheiten erhoben wurden, die erst später bekannt geworden sind und das öffentliche Interesse auf sich gezogen haben. So wurde Gregor Gysi als Verteidiger von Oppositionellen, in deren Eigenschaft er observiert wurde, erst nach der Wende im Osten Deutschlands bekannt.1448 Ausgehend vom Sinn und Zweck der Einbeziehung Prominenter, der gerade im Exempel-Charakter liegt, kann es jedoch keinen Unterschied machen, wann die Information zeitgeschichtliche Bedeutung erlangt hat.

D. Unterscheidung zwischen Herausgabe und Veröffentlichung Eine weitere Abstufung zur Gewährleistung eines verhältnismäßigen Ausgleichs zwischen dem Persönlichkeitsschutz und dem Anliegen der Aufarbeitung liegt in der Unterscheidung zwischen dem Akt der Herausgabe und der Veröffentlichung. Zwar sind die abstrakt-generell formulierten 1443

A. A. K. Stoltenberg, Anm. 83, 200 Rn. 8. So auch RiLi BStU v. 1. März 2007, 1.2.4. So auch VG Berlin, Urteil v. 29. August 2007, Oertel, VG 1 A 252.06 in Bezug auf Personen der Zeitgeschichte. 1445 A. A. R. Bork, Anm. 914, 90 (92). 1446 So auch K. Stoltenberg, Anm. 83, 199 Rn. 8; D. Schmidt/D. Dörr, Anm. 1026, § 32 Rn. 11; J. Rapp-Lücke, Anm. 37, § 32 Rn. 29. 1447 Offengelassen in Bezug auf Personen der Zeitgeschichte OLG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 25. November 1993, Rn. 33. 1448 VG Berlin, Urteil v. 3. Mai 2006, Gysi IV, 1 A 173.05. 1444

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Teil 2: Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

Voraussetzungen, unter denen personenbezogene Informationen nach Abs. 1 und 3 des § 32 StUG herauszugeben sind und veröffentlicht werden können, identisch. In der formellen Unterscheidung zwischen den Absätzen tritt jedoch deutlich die Absicht hervor, dass hier zumindest auf konkret-individueller Ebene im Rahmen der Abwägung zu differenzieren ist. Diese Differenzierungspflicht ist auch verfassungsrechtlich geboten, denn die von der Veröffentlichung ausgehenden Gefahren für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, die unkontrollierbare Diffusion der Informationen, die Verfälschungsgefahr durch selektive Herauslösung von Informationen ist ungleich höher als bei der Informationsherausgabe.1449 Diese Gefahr für das Persönlichkeitsrecht wird mit den nunmehr nach § 37 Abs. 1 Nr. 5 StUG möglichen Internetveröffentlichungen potenziert. Die Abwesenheit von materiellen Kriterien, die den Abwägungsprozess im Hinblick auf die spezifischen aus der Veröffentlichung resultierenden Gefahren leiten, wurde vielfach als mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht unvereinbar angesehen.1450 Jedoch auch hier gilt: Sinnvolle Kriterien, die bereits auf abstrakt-genereller Ebene weiter differenzieren, sind kaum auszumachen. Sofern konkrete Vorschläge überhaupt unternommen wurden, beschränkten sich diese auf den Passus: „soweit eine Veröffentlichung der personenbezogenen Informationen unerlässlich ist“.1451 Dies jedoch ist die klassische Erforderlichkeitsprüfung, die nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ohnehin vorzunehmen ist.1452 Eine nicht erforderliche Regelung ist auch im engeren Sinne stets unverhältnismäßig und daher über die Abwägungsklausel auszuscheiden. Eine andere Frage betrifft den Adressaten der Prüfungspflicht des § 32 Abs. 3 StUG. Hierzu trifft die Vorschrift ebenfalls keine Aussage. In der Praxis wird hier eine Pflicht des Journalisten und des Forschers zur Selbstüberprüfung angenommen. Sie sollen als Ausdruck ihrer Freiheit selbst festlegen, welche personenbezogenen Daten inwieweit zur Aufarbeitung erforderlich sind.1453 Gleichwohl wird man angesichts der Tatsache, dass es sich anders als bei anderen Gesetzen, die eine ähnliche Selbstkontrolle vorsehen, um zumeist rechtswidrig erhobene Informationen handelt, eine summarische ex ante-Prüfung durch die Behörde schon im Rahmen der He1449

Dazu schon oben Teil 2 Kap. 2 § 1 A. I., II. Vgl. kritisch Bündnis 90/Die Grünen zum gemeinsamen Entwurf, K. Stoltenberg, Anm. 83, 334 (340). 1451 Stenograph. Protokoll, 12. Sitzung des Innenausschusses des Dt. BT, 27. August 1991, S. 2. 1452 Teil 1 Kap. 1. 1453 Zur Überprüfungskompetenz Teil 1 Kap. 2 § 2 C. Dazu auch A. Engel, Anm. 13, S. 264. 1450

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rausgabe fordern müssen. Dies findet sich – sieht man in der Herausgabe der Unterlagen an sich noch keine Verwendung1454 – auch im Wortlaut der Norm wieder.1455

§ 2 Das „überwiegend schutzwürdige Interesse“ als Grenze der Aufarbeitung im Einzelfall Mit der Auffangklausel „soweit durch deren Verwendung keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen der dort genannten Personen beeinträchtigt werden“1456 wird für den individuellen Einzelfall ein Korrekturmechanismus für die in den Tatbestandsmerkmalen zum Ausdruck kommende Abwägungsentscheidung auf abstrakt-genereller Ebene eingeführt. Dieser Abwägungsvorbehalt gilt nach § 32 Abs. 3 S. 2 StUG auch für die Veröffentlichung.1457 Er findet mit Ausnahme der Toten auf alle Personenkategorien, also auch auf Mitarbeiter und Begünstigte, Anwendung. Der Abwägungsvorbehalt fordert keinen Gleichstand der Waagschale oder gar das Ausschlagen der Waage zu Gunsten des Aufarbeitungsinteresses. Im Gegenteil: Die Waage muss danach zu Gunsten des Freiheitsrechts ausschlagen. Damit wurde hier durch den Gesetzgeber eine Präferenzregel zu Gunsten des Gemeinschaftsguts und nicht zugunsten des Freiheitsrechts aufgestellt. Das vom Bundesverfassungsgericht gelegentlich behauptete Postulat in dubio pro libertate ist somit, im Gegensatz etwa zu § 5 Abs. 5 S. 2 BArchG und § 5 Abs. 1 S. 1 InfFG, durchbrochen.1458 Dieser Maßstab ist seinerseits Ergebnis einer Abwägungsentscheidung zwischen Allgemeinem Persönlichkeitsrecht und dem Aufarbeitungsanliegen. In diesem Punkt unterscheidet sich § 32 StUG auch von seinen Vorgängerregelungen. Noch das Volkskammergesetz sah eine doppelte Beschränkung vor. Nur dann, wenn schutzwürdige Interessen des Forschers die schutzwürdigen Belange der Person erheblich überwogen und sofern sich das Forschungsziel nicht anders oder nur durch unverhältnismäßigen Aufwand erreichen ließ, sollte eine Nutzung der personenbezogenen Informationen möglich sein, § 10 StUG-DDR. Dieser doppelte Standard fand sich 1454

Dazu Teil 2 Kap. 1 § 2. „Unterlagen mit personenbezogenen Informationen nach Satz 1 Nr. 3, 4 und 7 dürfen nur zur Verfügung gestellt werden, soweit durch deren Verwendung keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen der dort genannten Personen beeinträchtigt werden.“ 1456 § 32 Abs. 1 S. 2 StUG. 1457 Zur Abwägung näher Teil 1 Kap. 1 § 3. 1458 Zu den mit diesem Grundsatz verbundenen Unklarheiten hinsichtlich der Wirkung vgl. Teil 1 Kap. 1 § 3 A. VI. 1455

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Teil 2: Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

auch in § 26 Abs. 1 b StUG des gemeinsamen Entwurfs der CDU/CSU, SPD und FDP-Entwurf wieder. Gefordert wurde ein erhebliches Überwiegen des öffentlichen Interesses und, dass das Forschungsziel nicht oder nur durch unverhältnismäßigen Aufwand erreicht werden kann.1459 Der Innenausschuss senkte dann den Standard und forderte nur noch eine angemessene Berücksichtigung der entgegenstehenden Interessen, vgl. § 26 Abs. 1 Nr. 3 b StUG.1460 § 16 StUG des Entwurfs von Bündnis 90/Die Grünen hingegen ging wiederum anders heran. Er verzichtete auf eine Abwägungsklausel, schloss aber Informationen aus der Privatsphäre grundsätzlich aus.1461 Lässt sich noch beim Volkskammergesetz das höhere Schutzniveau damit erklären, dass sich § 10 StUG-DDR weitgehend auf den Filtereffekt, den § 32 StUG durch seine Tatbestandsmerkmale schon auf abstrakt-genereller Ebene enthält, verzichtete1462, lässt sich diese Divergenz zwischen § 32 StUG und den anderen Vorschlägen nicht mehr anhand rechtlicher Maßstäbe begründen.

A. Die erkennbar menschenrechtswidrige Informationserhebung als Indiz Die Gefahr der Irrationalität der geforderten Abwägungsentscheidungen soll dadurch gebannt werden, dass im Rahmen der Abwägung insbesondere zu berücksichtigen ist, ob die Informationserhebung auf einer erkennbaren Menschenrechtsverletzung beruht. Wie sich dem Passus „insbesondere berücksichtigen“ entnehmen lässt, handelt es sich hierbei um ein maßgebliches Abwägungskriterium, nicht jedoch um eine starre Grenze für die Informationsherausgabe und Veröffentlichung. Warum der Gesetzgeber überhaupt auf die Informationserhebung, wenn es doch hier um ihre Herausgabe und Veröffentlichung geht, abstellt; wie sich der Maßstab der Menschenrechte hier erklärt, wer Träger dieses Menschenrechts sein soll, der von der Herausgabe der Information Betroffene oder auch ein Dritter, erschließt sich nicht ohne weiteres. Hinzu kommt, dass die BStU und der einzelne Nutzer erst durch das Abstellen auf die Informationserhebung in die schwierige Situation kommen, das Agieren der Staatssicherheit im Einzelfall zu bewerten.1463 1459

BT-Drs. 12/723; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 245 (256 f.). BT-Drs. 12/1540; abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 334. 1461 BT-Drs. 12/692, abgedr. in: K. Stoltenberg, Anm. 83, 273 (280 f.). 1462 Weder findet sich dort eine Eingrenzung auf bestimmte Personenkategorien noch eine zumindest formelle Differenzierung zwischen der Herausgabe und der Veröffentlichung personenbezogener Informationen. 1460

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I. Begründung der Einbeziehung der Informationserhebung Dabei ist von entscheidender Bedeutung, wie sich die Einbeziehung der Informationserhebung durch die Staatssicherheit begründet. Denn falls sie sich rechtlich und nicht lediglich politisch begründet, dann hat dies unter Umständen Rückwirkungen auf den Maßstab, an dem die Menschenrechtsverletzung zu messen wäre. Legt man nämlich den Argumentationsschwerpunkt darauf, dass an eine an sich außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes liegende Handlung unter der Ägide des Grundgesetzes angeknüpft werden soll, dann wäre der Maßstab die für die Bundesrepublik geltenden Menschenrechte.1464 Sieht man dagegen den Grund für die Berücksichtigung der Informationserhebung in der Unverbrüchlichkeit des Rechts, dann können Maßstab nur das seinerzeit geltende DDR-Recht und die völkerrechtlichen Verbindlichkeiten der DDR sein. Dass im Rahmen einer Entscheidung über die Informationsverwertung die dieser zugrunde liegende Informationserhebung zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dem Grundgesetz nicht.1465 Ein solcher Automatismus lässt sich nicht einfach mit dem Verweis auf die Wertentscheidung des Grundgesetzes begründen.1466 Auch über die grundgesetzliche Schutzpflichtlehre ist eine Rückkoppelung der Informationserhebung an das Grundgesetz nicht zu bewerkstelligen.1467 Auf ihrer Basis lassen sich die Restriktionen in Bezug auf die Herausgabe der Informationen, nicht aber die Rückanknüpfung an die Informationserhebung begründen. Auch entstehen hierdurch keine Schutzlücken, da – abgesehen vom Einbruch in die räumliche Privatsphäre – durch die Informationsherausgabe und Veröffentlichung ohnehin in das 1463 „Die DDR mag ein schlechter Staat gewesen sein, aber sie war ein von der Völkergemeinschaft anerkannter Staat, der immerhin 40 Jahre lang existierte. Er produzierte Rechtstatsachen mit denen wir uns jetzt so oder so auseinanderzusetzen haben“ – so der ehemalige Vorsitzende des Rechtsausschusses R. Motsch, Anm. 74, S. 95 (97). 1464 Vgl. dazu schon Teil 1 Kap. 2 § 1 C. II. 1. b) cc). 1465 So S.-Ch. Lenski, Anm. 1106, S. 233 f. Mit der gesetzgeberischen Entscheidung im deutschen Grundrechtsverhältnis würden Maßstäbe gesetzt, deren Gewichtung kollidierender Rechtsgüter in jedem Fall, eben auch in Fällen mit derartigem Auslandsbezug zu beachten seien. In der Fn. heißt es dann weiter, die Besonderheit des StUG läge gerade darin, dass die Informationserhebung nicht nur gegen einfaches Recht, sondern auch gegen das Grundgesetz (im Falle der Geltung) verstoßen hätte. „Aus diesem Grund ist hier auch der Gesetzgeber selbst bei der Abwägung der kollidierenden Interessen durch das StUG in viel stärkerem Maße gebunden.“ 1466 So aber S.-Ch. Lenski, Anm. 1106, S. 233 f. A. A. offenbar auch Stellungnahme der FDP, BT-Drs. 14/9561, S. 7. Dazu auch A. Dix, Anm. 304, 1 (3), nachdem der heutige § 32 Abs. 1 Nr. 4; Abs. 3 Nr. 2 StUG, da er gerade nicht das Grundgesetz zum Maßstab erhebe, verfassungswidrig sei. 1467 In diese Richtung aber H.-H. Trute, Anm. 1069, 1043 (1045).

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Teil 2: Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

Allgemeine Persönlichkeitsrecht in all seinen Aspekten eingegriffen werden kann.1468 Näher liegend ist es daher, dass in der Anknüpfung an die Informationserhebung der Grundsatz der Unverbrüchlichkeit des Rechts zum Ausdruck kommen soll, der auch den aus dem Strafrecht bekannten Verwertungsverboten zugrunde liegt und auch dann Anwendung findet, wenn – wie im Fall der Verwendung der Stasi-Unterlagen – Urheber der Informationserhebung und Verwender der Information weder personell noch – und dies ist entscheidend – hinsichtlich der Zwecksetzung identisch sind. Dieser Ansatz impliziert aber bereits, dass das Grundgesetz mangels retroaktiver Anwendbarkeit und damit mangels Verstoßes kein geeigneter Maßstab sein kann. II. Anwendbarer Maßstab Bis heute offen geblieben ist, was unter der Menschenrechtsverletzung konkret zu verstehen ist. Pauschale Charakterisierungen der DDR als „Unrechtsstaat“1469, „vor-rechtsstaatlichen Staat“1470 oder Bemerkungen wie die Tätigkeit der Stasi war „zutiefst menschenrechtswidrig“1471 eignen sich zur Konkretisierung nicht.1472 Der Gesetzessystematik des Stasi-Unterlagen-Gesetzes entnehmen lässt sich zur Konkretisierung des Begriffs nur soviel, als nicht alle Informationserhebungen durch die Staatssicherheit von vornherein menschenrechtswidrig sind.1473 Ansonsten würde die Regelung des §§ 32 Abs. 1 Nr. 3, 4; Abs. 3 Nr. 2, 3 StUG keinen Sinn machen. Die Gesetzgebungsgeschichte bietet ebenfalls keine dogmatisch überzeugenden Anhaltspunkte für die Konturierung des Begriffs. In dem Änderungsantrag der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen heißt es lediglich: „dass die Rechtsstaatswidrigkeit der Informationsgewinnung bei der Entscheidung [über das Bestehen einer Menschenrechtsverletzung] besonders zu berücksichtigen ist. Von besonderer Bedeutung sind bei dieser Entscheidung Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, in die Unverletzlichkeit der Wohnung oder in ein Berufsgeheimnis. Von der Herausgabe und Veröffentlichung ausgeschlossen 1468

Teil 1 Kap. 2 § 3 C. I. Wagner, Die DDR – ein Unrechtsstaat? 1470 Vgl. nur VVDStRL Bd. 51. 1471 H. Garstka, DuD 1997, 146. 1472 Zutreffend, da differenzierend J. Aulehner, DÖV 1994, 853 (856). In diesem Kontext ist dann auch der Hinweis v. M. Birthler, Anm. 85, S. 37, zu sehen: Das StUG „ist ein Findling aus Revolutionszeiten, ein ‚schwerer Brocken‘ in der Landschaft vor allem für jene, denen die demokratische Revolution in der DDR fremd geblieben ist“, zu verstehen. 1473 VG Berlin, Urteil v. 3. Mai 2006, Gysi IV, 1 A 173.05, Rn. 29. Danach müssten „besondere Umstände“ vorliegen. 1469

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sind Informationen, die durch schwere Menschenrechtsverletzungen, wie die Anwendung von Folter, erlangt wurden.“1474

Dies legt eher einen ganz eigenen Standard, der sich nicht einem konkreten Regelungswerk entnehmen lässt, nahe; legt aber andererseits auch nicht offen, woraus er sich legitimiert. Zusätzliche Verwirrung im Hinblick auf den Maßstab, an dem die Informationserhebung zu messen ist, stiftet die jüngste Entscheidung im Fall Gysi, die ganz offenbar auch noch von zwei verschiedenen Standards entlang der Trennlinie zwischen Ost und West ausgeht. Darin heißt es: „Die Kammer hat Zweifel, ob diese Auslegung, die im Fall des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl entwickelt wurde, der Objekt der Auslandspionage geworden war, auch für die Überwachung der Staatsbürger der ehemaligen DDR durch die Stasi gelten kann. DDR-Bürger hätten gewusst, dass sie ausgespäht wurden; sie mussten in der Öffentlichkeit, im beruflichen Leben und im gesellschaftlichen Umfeld mit der Bespitzelung durch IMs rechnen.“1475

Im Falle der ehemaligen DDR-Bürger soll eine Verletzung nur dann gegeben sein, „wenn der Intimbereich betroffen und somit die Privatsphäre verletzt wurde“.1476 Abgesehen davon, dass die Gleichsetzung von Intimund Privatsphäre bislang bekannte Kategorien offenbar völlig neu belegt, nutzt das Gericht hier das zentrale Argument, das bislang nur zur Begründung eines geringeren Mitarbeiter- und Begünstigtenschutzes herangezogen wurde, die Kenntnis des Systems und das Damit-Rechnen-Müssen, um auch in Bezug auf die Opfer im Osten eines geringeren Schutz zu begründen. Das Gericht geht also implizit davon aus, dass etwa eine Kellnerin aus der DDR, die in der Nähe des Checkpoint Charly arbeitete, grundsätzlich eher damit rechnen musste, ins Visier der Staatssicherheit zu geraten als der Bundeskanzler Helmut Kohl und andere tragende westdeutsche Politiker. Dass es sich hierbei um kein sachliches Differenzierungskriterium, das eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf die Reichweite des Persönlichkeitsschutzes zulässt, handelt, ist bereits für die Kategorie der Mitarbeiter und Begünstigten des Staatssicherheitsdienstes gezeigt worden.1477 Die in der Praxis im Übrigen vertretenen Variationen klaffen weit auseinander. Geht man mit Klein1478 davon aus, dass dem Gesetzgeber mit der 1474

BT-Drs. 14/9641, S. 2. VG Berlin, Urteil v. 3. Mai 2006, Gysi IV, I A 173.05. 1476 Dieses Argument ist umso bedenklicher, als dass das Gericht den Einwand des Klägers, er sei nur im Westen nicht jedoch im Osten eine Person der Zeitgeschichte gewesen, nicht gelten ließ und seinen Grundrechtsschutz damit im Ergebnis doppelt absenkt. 1477 Teil 2 Kap. 2 § 1 C. I. 1. a) aa). 1478 E. Klein, Anm. 316, S. 929 (933). 1475

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Teil 2: Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

Erstreckung des Geltungsbereichs des Grundgesetzes zugleich eine Umbewertungsbefugnis bzw. eine Befugnis zur „Eigen- oder Selbstbewertung“ zugefallen ist, dann könnte auch das Grundgesetz Maßstab der Informationserhebung sein. Dass er von der ihm zufallenden Umbewertungsbefugnis Gebrauch gemacht hat, ist jedoch nicht ersichtlich. Denn er knüpft gerade an eine Menschen- und gerade nicht an eine Grundrechtsverletzung an.1479 Gleichwohl heißt es in der früheren Richtlinie der BStU: „Die Menschenrechte sind weitgehend identisch mit den Grundrechten.“1480 Nach dem Verwaltungsgericht Berlin geht es hingegen bei der Menschenrechtsverletzung darum, einen „Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit“1481 auszuschließen. Im Oertel-Urteil präzisierte das Gericht den Standard dahingehend, dass hierunter etwa Telefonüberwachung und die Verletzung der räumlichen Privatsphäre, nicht aber die Wohngebietsbefragung fiele.1482 Das Abstellen auf einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit kann sich nicht nur auf verschiedene Transformationsgesetze1483, sondern auch auf das Stasi-Unterlagen-Gesetz selbst stützen.1484 Vergleicht man jedoch die Formulierungen in § 19 Abs. 1 StUG und § 32 StUG, dann wird damit gerade eine Unterscheidung zwischen Verstößen gegen die Menschlichkeit und solchen gegen die Menschenrechte getroffen. Dass es sich hierbei um ein redaktionelles Versehen handelt, kann angesichts der ausführlichen Diskussionen um diesen Passus ausgeschlossen werden. Auch an die Formulierung des Art. 18 f. EV, der einen Vollzug von Urteilen und Verwaltungsakten, die unter Verstoß gegen „rechtsstaatliche Grundsätze“ ergangen sind, verbietet, wird nicht angeknüpft. 1479

Gegen einen grundgesetzlichen Maßstab zustimmend J. Aulehner, Anm. 1472, 853 (856). 1480 Richtlinie (2003), S. 32.18, 1.3.2. Diese Interpretationsschwierigkeiten bei der Beurteilung übergreifender Sachverhalte zeigten sich schon in der gerichtlichen Praxis vor der Wiedervereinigung. So sollte nach dem Gesetz über innerdeutsche Rechtshilfe in Amts- und Strafsachen, BGBl. I 1953, S. 161, eine Vollstreckung unterbleiben, sofern gegen „rechtsstaatliche Grundsätze“ verstoßen wurde. Nach dem OLG Düsseldorf, Beschluss v. 7. September 1984, RHG, NJW 1985, 1092 (1093) sollte dies der Fall sein, wenn „das Gericht der DDR aus rechtsstaatswidrigen Gründen unrichtige Feststellungen getroffen hat“. Nach BVerfG, Beschluss v. 27. März 1974, RechtsHG, NJW 1974, 893 (894) soll nach dem Leitsatz zwar dann die Vollstreckung ausgeschlossen sein, wenn „erhebliche mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbare Nachteile entstehen“. Bei der Auslegung des Begriffs „rechtsstaatswidrige Grundsätze“ ist nach seiner Auffassung dann aber zu berücksichtigen, dass das Grundgesetz eine wertgebundene Ordnung ist. Damit fällt das Gericht durch die Hintertür wieder auf das Grundgesetz zurück. 1481 VG Berlin, Urteil v. 3. Mai 2006, Gysi IV, I A 173.05, Rn. 12. 1482 VG Berlin, Urteil v. 29. August 2007, Oertel, VG 1 A 252.06. 1483 § 16 Abs. 2 StrRehaG; § 2 Abs. 2 VwRehaG; § 3 BerRehaG. 1484 § 19 Abs. 1 StUG.

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Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass der Begriff der Menschenrechtsverletzung weder an den grundgesetzlichen Menschenrechtsschutz noch an sonstige der Transformationsgesetzgebung entnehmbare Standards anknüpft.1485 Als potentielle Anknüpfungspunkte für die Konturierung kommen sonach allein die in der DDR-Verfassung garantierten Menschenrechte, der internationale Menschenrechtsschutz und ein – so er zur damaligen Zeit existierte – überpositiver Menschenrechtsschutz in Betracht. 1. Verfassung der DDR Angesichts dieser dogmatischen Unklarheiten erscheint es überraschend, dass die Verfassung der DDR, die selbst auch menschenrechtliche Verbürgungen enthielt, als Maßstab für die Menschenrechtsverletzung nie herangezogen wurde.1486 Dies ist umso erstaunlicher, als man sich in Literatur und Rechtssprechung immer recht schnell darauf festlegt, dass die Erhebung personenbezogener Informationen durch das MfS auch unter Geltung des DDR-Rechts rechtswidrig war. Der Grund für diese Art von Pauschalbetrachtung – oder, anders formuliert, die Unwilligkeit Maßnahmen des MfS am DDR-Recht zu messen – resultiert jedoch nicht allein – wie die Ausführungen des Bundesgerichtshofes nahe legen – aus einem „Gerechtigkeitsgefühl“1487, sondern aus der Tatsache, das die Prüfung der Rechtsmäßigkeit von Überwachungsmaßnahmen des MfS sich recht beschwerlich gestaltet. Stellungnahmen zur Rechtmäßigkeit der Informationserhebungen des MfS aus der Perspektive des DDR-Rechts gibt es weder im Nach- und noch im Vorwendeschrifttum.1488 Für das Vorwendeschrifttum mag sich diese Tatsache aus der politischen Brisanz des Themas erklären lassen und der positiven Unkenntnis über das Ausmaß der MfS-Aktivitäten, für das Nachwendeschrifttum aus dem mangelnden Quellenzugang. Der konspirative Charakter der Stasimethoden enthält an sich jedenfalls noch kein Rechtswidrigkeitsurteil.1489 Auch aus den Art. 30 Abs. 11490, 31 1485

So auch K. Bonitz, Anm. 422, S. 195. Dies umso mehr, als dass die Bundesregierung in ihren amtliche Erläuterungen zu den Art. 18, 19 EV durchaus die DDR-Verfassung zur Konkretisierung des Begriffs „rechtsstaatliche Grundsätze“ heranzieht. 1487 BGHSt, Urteil v. 9. Dezember 1993, Telefonüberwachung, BGHSt 40, 8 (11). 1488 Einzige Ausnahme R. Renger/A. Volze, NJ 1995, 467 (469), die sich aber nur auf den spezifischen Fall der Entziehung von Postgut im Rahmen der Devisenüberwachung beziehen. 1489 R. Renger/A.Volze, Anm. 1488, 467 (469). 1490 „Die Persönlichkeit und Freiheit jedes Bürgers der Deutschen Demokratischen Republik sind unantastbar.“ 1486

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Teil 2: Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

Abs. 11491, 37 Abs. 31492 Verf-DDR1493 lässt sich ein solches nicht entnehmen. Genau wie auch die Art. 2 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 GG enthielt die Verfassung der DDR eine vorbehaltlose Anerkennung der Grundrechte.1494 Jedoch unterscheiden sich die Anforderungen, die die DDR an die Grundrechtschranken stellte, massiv von den an das Grundgesetz gestellten. Der im Zusammenhang mit den Informationserhebungen des Staatssicherheitsdienstes entscheidende Unterschied lag dabei aber nicht so sehr in den ungleich größeren inhaltlichen Einschränkungsmöglichkeiten der Grundrechte, die sich auf eine vom Grundgesetz grundverschiedene Grundrechtstheorie stützte, sondern in den formellen Anforderungen an die Einschränkbarkeit der Grundrechte. Die Art. 30 Abs. 21495, 31 Abs. 21496 Verf-DDR fordern explizit eine gesetzliche Grundlage, also ein förmliches Gesetz im Sinne des Art. 49 Abs. 1 Verf-DDR. Die Fragen, die sich damit stellen, sind: Gab es ein solches Gesetz und genügten die darin normierten Befugnisse den verfassungsrechtlichen Anforderungen eines Eingriffsgesetzes? In den Gesetzen zur Errichtung des Staatssicherheitsdienstes findet sich kein einziger Hinweis auf einen Aufgabenkatalog und die Befugnisse dieses Apparates. In dem nur aus zwei Paragraphen bestehenden Gesetz über die Bildung eines Ministeriums für Staatssicherheit vom 2. Februar 19501497 heißt es in § 1 S. 1 lakonisch: „Die bisherige Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft wird zu einem selbständigen Ministerium für Staatssicherheit umgebildet.“ 1953, nach dem Aufstand vom 17. Juni, wurde das Ministerium degradiert und in das Ministerium für Inneres einge1491

„Post und Fernmeldeverkehr sind unverletzbar.“ „Jeder Bürger hat das Recht auf Unverletzlichkeit seiner Wohnung.“ 1493 GBl. DDR I 1974, S. 432. Die zitierten Vorschriften finden sich bereits wortgleich in der Verfassung v. 1968, GBl. DDR I 1968, S. 192, wieder. In der Verfassung v. 1949, GBl. DDR I 1949, S. 4, waren diese Rechte in Art. 8 vereint und unter Gesetzesvorbehalt gestellt. 1494 Vgl. Art. 30 Abs. 2, 31 Abs. 2. Art. 37 Verf-DDR war zwar dem Wortlaut nach nicht einschränkbar, ähnlich wie die schrankenlosen Grundrechte des Grundgesetzes fand er aber seine Grenzen in der Verfassung, wozu nicht nur kollidierende Grundrechte Dritter gehören, sondern auch die Sicherheit des sozialistischen Staates, vgl. nur Art. 19 Abs. 3 Verf-DDR. 1495 „Einschränkungen sind nur im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen [. . .] zulässig und müssen begründet sein. Dabei dürfen die Rechte solcher Bürger nur insoweit eingeschränkt werden, als das dies gesetzlich zulässig und unumgänglich ist.“ 1496 „Sie dürfen nur auf gesetzlicher Grundlage eingeschränkt werden, wenn es die Sicherheit des sozialistischen Staates oder eine strafrechtliche Verfolgung erfordern“. 1497 GBl. DDR 1950 I, S. 95. 1492

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gliedert. Eine gesetzliche Aufgabenzuweisung erfolgte nicht, auch nicht mit der Wiedererrichtung eines selbstständigen Ministeriums durch den Beschluss über die Veränderung der Struktur des Regierungsapparates vom 24. November 1956.1498 Ab 1954 existierte lediglich ein Gesetz, dass die verfassungsrechtlichen Befugnisse des Ministerrates konkretisierte.1499 Nach dem dortigen § 3 a war der Ministerrat auch befugt, Beschlüsse und Statuten für die ihm nachgeordneten Stellen zu erlassen. Diese Befugnis nahm er mit der Schaffung des MfS-Statuts1500 war. In diesem findet sich ein umfangreicher Aufgabenkatalog, der alle tatsächlichen Tätigkeiten des Staatssicherheitsdienstes decken dürfte.1501 Eine konkrete Befugnisnorm zur geheimen Erhebung personenbezogener Daten befindet sich darin nicht. Gleichwohl ist diese Art des Agierens in § 4 des MfS-Statuts angedeutet. Darin heißt es, die Stasi operiere „[a]uf der Grundlage des Vertrauens [. . .] der Bürger und der noch zu erhöhenden Massenwachsamkeit“. In Absatz 2 heißt es: „Das MfS erfüllt die Abwehr- und Aufklärungsaufgaben unter Anwendung spezifischer Mittel und Methoden“. Es kann hier dahinstehen, ob diese Vorschrift als Eingriffsgrundlage hinreichend konkret ist. Entscheidend ist, dass es sich nicht um ein – wie von der Verfassung ohne jeglichen Diskussionsspielraum gefordertes – Gesetz handelt. Als solches käme nur das Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Deutschen Volkspolizei1502 in Betracht, das ausweislich seines § 20 Abs. 2 auch die Angehörigen des Staatssicherheitsdienstes „ermächtigt, die in diesem Gesetz geregelten Befugnisse wahrzunehmen“. Unter den dort geregelten Befugnissen finden sich aber keine, die eine geheime Erhebung und die Ansammlung von Daten allgemein rechtfertigen würden.1503 Damit fehlt es – soweit ersichtlich – an einem Eingriffsgesetz. Auch ein geheimer Beschluss des Ministerrates gemäß § 3 a des Gesetzes über die Befugnisse des Ministerrates1504 – der teilweise als Grundlage für die Informationserhebungen vermutet wird1505 – reicht nicht aus. Dass ein solcher Beschluss oder auch das MfS-Statut letztlich auf eine allgemeine verfassungsrechtliche und durch Gesetzesrecht konkretisierte Aufgabenzuweisung an den Ministerrat nach Art. 76 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Art. 78 Abs. 1 S. 1, 2 VerfDDR zurückgeführt werden kann, ändert hieran nichts. Erforderlich ist nach Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck der Vorbehaltsklauseln ein Gesetz, 1498 1499 1500 1501 1502 1503 1504 1505

GBl. DDR 1956 I, S. 1. GBl. DDR II 1954, S. 915. Abgedr. in: D. Schmidt/D. Dörr, Anm. 1026, S. 267. Vgl. nur §§ 1–4 MfS-Statut. GBl. DDR I 1968, S. 232. § 12 VPAG trifft lediglich eine Regelung zur Personalienfeststellung. GBl. DDR I 1954, S. 915. R. Renger/A. Volze, Anm. 1488, 467 (468).

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das die Voraussetzungen des Eingriffs in die Art. 30, 31 Verf-DDR festlegt. Die explizite Festlegung auf das Gesetz als eine spezifische in der DDR anerkannte Rechtsaktform machte ansonsten keinen Sinn. An einem im Gesetzblatt der DDR veröffentlichten Eingriffsgesetz fehlt es aber. Das heißt freilich nicht zwingend, dass es kein Gesetz gab. Zwar forderte Art. 89 Abs. 1 Verf-DDR1506 ausnahmslose die Veröffentlichung von Gesetzen und anderen allgemeinverbindliche Vorschriften. Gleichwohl gab es in der Praxis zahlreiche Rechtsakte, die unter Hinweis auf ihren Staatsschutzcharakter nicht veröffentlicht, aber dennoch als rechtswirksam erachtet wurden.1507 Hierzu zählten vor allem Rechtsakte, die die Staatsschutzbehörden betrafen.1508 Inwieweit sich hierunter auch Gesetze befanden, ist allerdings nicht nachzuvollziehen. Zwar hieß es, dass Gesetze, die Rechte und Pflichten der Bürger begründen, grundsätzlich veröffentlicht würden.1509 Es bleibt aber unklar, ob unter diese Pflichten nur Handlungs- und Unterlassungspflichten, oder auch – wie für den Fall der geheimen Erhebung personenbezogener Informationen relevant – Duldungspflichten, deren Befolgung den Bürgern naturgemäß auch ohne Kenntnis möglich war, fielen. Ob ein solches Geheimgesetz, das die Informationstätigkeit des MfS regelte, vorlag, kann hier ebenfalls nicht nachvollzogen werden. Das muss es auch nicht, da das Argument des Geheimschutzes hier ohnehin nicht hätte greifen können und eine Nichtveröffentlichung ipso iure zur Unwirksamkeit eines solchen Gesetzes geführt hätte.1510 Es ist nicht einzusehen, warum ein abstrakt-generelles Gesetz, das die Befugnisse des Staatssicherheitsdienstes in Bezug auf Informationserhebungen regelt, dem Geheimschutz unterfallen solle. Der konspirative Charakter der Einzelmaßnahme wäre hiermit schließlich nicht vereitelt worden. Damit kann zusammenfassend festgestellt werden, dass es an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage für personenbezogene Informationserhebungen genügenden Eingriffsbefugnis des Staatssicherheitsdienstes fehlte. Das MfS-Statut kommt mangels Gesetzescharakters als Eingriffsnorm in individuelle Freiheitsgewährleistungen auch nach der DDR-Verfassung nicht in Betracht. Auch könnte ein verfassungsrechtlicher Totalvorbehalt zu Gunsten der Wahrung der sozialistischen Errungenschaften hieran nichts ändern. Ein solcher wäre seinerseits nicht verfassungsgemäß, da die Verfassung der DDR einen solchen nicht kannte. 1506

Die ungenauere Vorgängervorschrift in der Verfassung v. 1949 findet sich im dortigen Art. 86. 1507 Zur Kontroverse vgl. S. Mampel, Anm. 138, Art. 89 Rn. 3. 1508 S. Mampel, Anm. 138, Art. 89 Rn. 16. 1509 S. Mampel, Anm. 138, Art. 89 Rn. 16. 1510 Vgl. Anm. 138.

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Der allgemeine Vorbehalt in Art. 19 Abs. 3 S. 1 Verf-DDR erfasste die Vorschriften über die Form der Einschränkung nicht. Damit war die geheime Erhebung von personenbezogenen Informationen durch den Staatssicherheitsdienst nach Maßstab der DDR-Verfassung menschenrechtsrechtswidrig.1511 Die Menschenrechte der DDR-Verfassung erweisen sich jedoch als Maßstab zur Konkretisierung des Begriffs der menschenrechtswidrigen Informationserhebung im Sinne des Stasi-UnterlagenGesetzes als ungeeignet. Das Verdikt der Menschenrechtsverletzung, die insoweit auch erkennbar wäre, würde den ganz überwiegenden Teil der personenbezogenen Informationen für die Herausgabe sperren. Die Vorschrift des § 32 Abs. 1 Nr. 3, 4 StUG würde damit praktisch leer laufen. Ziel dieser Vorschrift ist es aber gerade die Machterhaltungsinstrumente des Unrechtsstaates, zu denen gerade die vielfach illegalen Methoden gehören, zu erforschen.1512 2. Internationale menschenrechtliche Verpflichtungen Eine weitere Anknüpfungsmöglichkeit zur inhaltlichen Konturierung des Begriffs „Menschenrechtsverletzung“ bietet der internationale Menschenrechtsschutz. Sieht man jedoch im Grundsatz der Unverbrüchlichkeit des Rechts die Begründung dafür, dass bei der Herausgabe und Veröffentlichung der personenbezogenen Information überhaupt ihre Erhebung mitberücksichtigt wird, dann kann Maßstab hier auch nur der internationale Menschenrechtsschutz sein, an den die DDR seinerzeit gebunden war.1513 Die Europäische Menschenrechtskonvention gehört hierzu nicht, wohl aber der Internationale Pakt für Bürgerliche und Politische Rechte1514 sowie die UN-Folterkonvention1515. Zwar bleiben die dort genannten Gewährleistungen in ihrer Feinstruktur hinter denen des Grundgesetzes zurück, dennoch enthält z. B. auch Art. 17 IPBPR einen umfassenden Privatsphärenschutz, der sich nicht nur auf rechts1511 Etwas schwieriger zu beurteilen ist die Rechtslage in Bezug auf die Informationsabschöpfung gegenüber Bundesbürgern. Auf sie dürfte die „Verfassung der Werktätigen“ keine Anwendung gefunden haben. Gleiches gilt für die Spionage auf dem Gebiet der damaligen Bundesrepublik, offengelassen in BGH, Beschluss v. 9. Dezember 1993, Telefonüberwachung, BGHStE 40, 8 zum Einbruch in das Richtfunknetz der deutschen Bundespost. 1512 R. Derksen, Anm. 36, 551 (554). 1513 Dazu schon Teil 1 Kap. 2 § 1 D. A. A. implizit J. Pohl, Anm. 35, 296, der eine Zusammenschau aus verschiedenen Menschenrechtspakten (EMRK, AMRK, IPBPR) sowie der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte diskutiert. 1514 GBl. DDR II 1976, 108. 1515 Völkerrechtliche Ratifikation v. 9. September 1987.

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widrige Eingriffe in den Wohnraum bezieht, sondern auch Eingriffe in das Privatleben, die Familie und den Schriftverkehr umfasst. Der Begriff der Rechtswidrigkeit bezieht sich dabei auf die nationale Rechtsordnung, hier also auf die der DDR.1516 Würde man den über Art. 17 IPBPR vermittelten Schutz, der inzwischen in der Praxis der Menschenrechtsorgane weiter ausdifferenziert wurde, als vom Begriff der Menschenrechtsverletzung umfasst ansehen, dann stellt sich das gleiche Problem wie in Bezug auf die DDRVerfassung. Die menschenrechtswidrige Erhebung wäre dann der Regelund nicht mehr der Ausnahmefall.1517 3. Begrenzung auf „schwere Menschenrechtsverletzungen“? Auch der in Anlehnung an die Radbruchsche Formel1518 immer wieder erwogene überpositive Gerechtigkeitsstandard erweist sich zur Präzisierung des Begriffs der Menschenrechtsverletzung als ungeeignet, da auch sein Inhalt weitgehend unklar ist. In der Rechtsprechung anerkannt ist ein Rückgriff auf ihn nur dann, wenn es um schwerste Verbrechen geht. Der Verstoß muss so schwer wiegen, dass er die allen Völkern gemeinsamen, auf Wert und Würde des Menschen bezogenen Rechtsüberzeugungen verletzt.1519 Gerade diese Rechtsüberzeugung dürfte kaum nachweisbar sein. Es erscheint vor diesem Hintergrund auch nicht überzeugend, wenn RappLücke1520 zur Bestimmung des überpositiven Rechts die unverbindliche Universelle Erklärung der Menschenrechte und den Internationalen Pakt für Bürgerliche und Politische Rechte heranzieht.1521 Zwar entspricht dies durchaus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, dieser bezog sich aber seinerseits nur auf „Kernrechte“ wie das Recht auf Leben und gerade nicht auf den Gesamtbestand der in der Menschenrechtserklärung enthaltenen Rechte. Hinzu kommt, dass ein entsprechender Änderungsantrag, der nur eine „schwere Menschenrechtsverletzung“ zum Maßstab erheben wollte, sich nicht durchsetzen konnte.1522

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M. Nowak, CCPR Commentary, Art. 17 Rn. 11. So zutreffend auch J. Pohl, Anm. 35, 296 (297). 1518 G. Radbruch, SJZ 1946, 105 (107). 1519 BGHSt, Urteil v. 6. Mai 1952, Kriegsgefangenentötung, BGHStE 2, 234 (239); mw.N. BGHSt, Urteil v. 6. Oktober 1994, Friedensbeitrag, BGHStE 40, 272 ff.; BGH, Urteil v. 5. Juli 1995, Arbeitsrichter, BGHStE 41, 157 ff. 1520 J. Rapp-Lücke, Anm. 37, § 32 Rn. 34. 1521 Zur Frage des gewohnheitsrechtlichen Gehalts der Universellen Erklärung der Menschenrechte, C. Kissling, HFR 12-2001, S. 1, http://www.humboldt-forumrecht.de/deutsch/12-2001/seite1.html (Stand: 15. März 2010). 1522 BT-Drs. 14/964. 1517

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4. Standard sui generis Aus teleologischer Sicht erscheint es plausibel, nicht nach einem gesonderten Regelungswerk, sondern nach einzelnen menschenrechtlichen Gewährleistungen des einschlägigen positiven Rechts zu suchen. Denn anders als in den Fällen, in denen die Richter den Rückgriff auf die Radbruchsche Formel für notwendig erachteten, gab es – wie gezeigt – zum Zeitpunkt der Informationserhebung sowohl durch die Verfassung der DDR als auch durch den IPBPR einschlägige Standards. Das Problem liegt hier eher darin, dass dieser Standard, anders als vom Gesetzgeber bezweckt, kein sinnvolles Abwägungskriterium und Eingrenzungskriterium mehr darstellt. Daran ändert auch die Begrenzung auf „erkennbare“ Menschenrechtsverletzungen nichts, da durch das pauschale Fehlen einer Eingriffsgrundlage für die Informationserhebung durch den Staatssicherheitsdienst die Informationserhebung im Regelfall zumindest immer menschenrechtswidrig gewesen wären. Die Formulierung legt vielmehr nahe, dass es bei der im Stasi-Unterlagen-Gesetz angesprochenen Menschenrechtsverletzung nicht um die Verletzung des Rechts auf den Schutz persönlicher Daten geht, sondern um darüber hinausgehende Verletzungen – so etwa bei durch Folter, Einbruch in den familiären Bereich – erlangte Informationen. Nur auf diese Art und Weise lässt sich der Einschränkung der „erkennbaren Menschenrechtsverletzung“ sinnvoll füllen. Eine präzise Leitlinie für die Abwägung, als die sie gedacht war, bietet sie aber nicht. Allerdings wird man angesichts der Vielschichtigkeit der potentiellen Fallkonstellationen hier auch keinen signifikant höheren Präzisierungsgrad erwarten können.1523 III. Erkennbarkeit Dass der Gesetzeswortlaut nur auf erkennbare Menschenrechtsverletzungen abstellt, mag zunächst verwundern, da es für den Unwert der Herausgabe und Veröffentlichung und damit für das Gewicht einer Persönlichkeitsverletzung nicht darauf ankommen kann, ob eine Menschenrechtsverletzung erkennbar ist oder nicht. Die Frage ist nur, wem das Risiko der Nichterkennbarkeit einer Menschenrechtsverletzung aufgebürdet wird. Der Gesetzgeber hat sie dem Betroffenen auferlegt; eine Vorgehensweise, die aus Opferschutzperspektive befremden mag und das Bundesverwaltungsgericht veranlasste, diese Beweislastregel in ihr Gegenteil zu verkehren.1524 Sie erscheint nach der Logik des Gesetzgebers aber durchaus kohärent, hat er sich doch vor dem Hintergrund der Bedeutung, die er der Aufarbei1523 1524

Dazu Teil 2 Fazit. Vgl. dazu Einleitung § 1 B. II. 2. a).

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tung zugemessen hat, gegen den Grundsatz in dubio pro libertate entschieden1525. Dies hat seine Entsprechung nun auch in der Beweislastregel zu Gunsten der Aufarbeitung gefunden. Dies war auch zulässig. Die zunächst augenscheinlich große praktische Bedeutung dieser Frage schwindet, vergegenwärtigt man sich, dass sich die Unerkennbarkeit nicht nur auf die Aktenlage, sondern auch auf das Anhörungsverfahren bezieht. Hier hat der Betroffene immer die Möglichkeit Umstände darzulegen, die die Annahme einer Menschenrechtsverletzung begründen. Angesichts der Aktenlage, die häufig keine Rückschlüsse auf die Umstände der Informationserhebung zulässt, erscheint dies der angemessene Weg zum Ausgleich der widerstreitenden Interessen. Denn die Alternative wäre, dass das Nichtvorliegen einer Menschenrechtsverletzung von der Behörde nachzuweisen wäre; einen Beweis, den sie angesichts des Umfangs des Aktenmaterials für jede einzelne Information kaum erbringen kann. In diesem Sinne geht auch das Berliner Verwaltungsgericht davon aus, dass sich aus den Akten „konkrete Anhaltspunkte“ für eine Menschenrechtsverletzung ergeben müssten.1526

B. Kompensation der Offenheit des Tatbestandes durch Verfahrensregeln Das unbestritten hohe Maß an verbleibender Unbestimmtheit wird durch eine Reihe allgemeiner und spezieller Verfahrensregeln eingefangen, die den Grundrechtsschutz der Betroffenen sowohl vor als auch nach Informationsherausgabe und Veröffentlichung gewährleisten sollen.1527 Hierzu stehen dem Betroffenen Ansprüche auf Unterlassung1528, Berichtigung1529, Gegen1525 Vgl. Teil 2 Kap. 2 § 2. Auf den Charakter als „Opferschutzgesetz“ weist auch das BVerwG, Urteil v. 23. Juni 2004, Kohl IV, www.bverwg.de, Rn. 65, hin. Vgl. zur Einseitigkeit dieser Sichtweise Teil 2 Kap. 1 § 1 StUG. 1526 VG Berlin, Urteil v. 29. August 2007, Oertel, VG 1 A 252.06. 1527 Zur Bedeutung von Verfahrensregeln bei geringer tatbestandlicher Bestimmtheit BVerfG, Beschluss v. 12. Juni 1979, Kleingarten, BVerfGE 52, 30 (65, 72); BVerfG, Beschluss v. 8. Februar 1983, Gegendarstellung, BVerfGE 63, 131 (143). 1528 § 1004 Abs. 1 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG; § 823 Abs. 2 i. V. m. §§ 32, 34, 44 StUG, § 186 StGB. Der Anspruch kann sich dabei gegen die Herausgabe und Veröffentlichung unwahrer Tatsachen, oder aber wahrer Tatsachen, die der geschützten Sphäre des Betroffenen entstammen (etwa Privat- oder Intimsphäre) richten. Das Unterlassen kann schon vor der Erstbegehung verlangt werden, sofern die Gefahr derselben unmittelbar bevorsteht. 1529 § 1004 Abs. 1 BGB analog (Folgenbeseitigung vgl. Anm. 1528) oder § 823 Abs. 1 BGB (deliktischer Widerrufsanspruch). Hierunter wird auch die Richtigstellung und Ergänzung bestimmter Tatsachen gefasst. Er richtet sich allein gegen die Verbreitung unwahrer Tatsachen.

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darstellung1530 und ggf. Schadensersatz1531 zu. Die Gefahr eines Verstoßes gegen das Verbot der Veröffentlichung geschützter Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Betroffene oder Dritte wird zusätzlich durch die Strafvorschrift des § 44 StUG abgefedert.1532 Im Falle des unbeschränkten Zugangs zu personenbezogenen Informationen nach § 32 Abs. 1 Nr. 7 StUG kommt bei der unberechtigten Veröffentlichung zudem eine darüber hinaus gehende Strafbarkeit nach § 203 Abs. 2 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen) i. V. m. § 2 Abs. 2 S. 2 des Verpflichtungsgesetzes hinzu. Daneben bietet der organisatorische Rahmen, und zwar die Bearbeitung von Anträgen durch eine unabhängige, aber zugleich verantwortliche Sonderbehörde nicht nur eine Gewähr gegen den Missbrauch der Unterlagen staatlicherseits, sondern auch ein hohes Maß an Erfahrung und Sachkompetenz in dieser Spezialmaterie. Das bedeutendste Verfahrensrecht zum Schutze der Interessen des von der Herausgabe personenbezogener Informationen Betroffenen bleibt jedoch die Benachrichtigungspflicht der Behörde. § 32 a Abs. 1 StUG legt der Behörde die Verpflichtung auf, die Personen im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG (Personen der Zeitgeschichte, Amtsträger, Funktionsträger) vor der Zurverfügungstellung ihrer Unterlagen zu informieren, um mögliche Einwände im Rahmen der Interessenabwägung einbeziehen zu können. Kann der Betroffene etwa Umstände vortragen, die eine Menschenrechtsverletzung erst erkennbar machen; kann der Betroffene die Unwahrheit der in den Unterlagen enthaltenen personenbezogenen Informationen belegen, dann ist die Verwendung der Informationen grundsätzlich ausgeschlossen.1533 Kann der Betroffene den Nachweis nicht erbringen, sind begründete Zweifel im Rahmen der Abwägung einzubeziehen. Die Vorschrift ist direkter Ausfluss des ebenfalls im Persönlichkeitsrecht wurzelnden Grundsatzes des rechtlichen Gehörs.1534 Sie ist ein Kompensator dafür, dass die BStU keine generelle Nachforschungspflicht hinsichtlich des Wahrheitsgehalts der Unterlagen trifft.1535 1530 Vgl. § 34 Abs. 2 StUG sowie § 4 Abs. 2 StUG analog. Gegenstand der Gegendarstellung ist die Präsentation anderer Fakten. 1531 § 823 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG; § 823 Abs. 2 i. V. m. §§ 32, 34, 44 StUG, § 186 StGB. Vgl. dazu Dazu OLG Frankfurt a. M., Urteil v. 18. Januar 1996, Monika Haas I, AfP 1996, 177 = NJW-RR 1996, 1490. 1532 In der Praxis hat diese Vorschrift bislang kaum eine Rolle gespielt. Ihre Verfassungsmäßigkeit wurde mit Blick auf die mangelnde Bestimmtheit, den damit verbundenen erheblichen Eingriff in die Pressefreiheit und die fehlende gesetzgeberische Kompetenz bezweifelt. Für eine verfassungskonforme Reduktion M. Kloepfer/ G. Michael, Anm. 13, S. 92 ff. Ebenfalls kritisch I. Staff, Anm. 241, 46 (49 f.). 1533 Zu Ausnahmen von diesem Grundsatz vgl. Teil 1 Kap. 2 § 3 C. 4. 1534 Teil 1 Kap. 2 § 3 C. 7. a).

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I. Personelle Reichweite der Benachrichtigungspflicht Die Vorschrift ist ihrem Wortlaut nach lediglich auf die Personen des § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG anwendbar. Auf die Verwendung von Informationen über offizielle Mitarbeiter, IMs und Begünstigte dagegen sollen sie keine Anwendung finden. Das Oberverwaltungsgericht Berlin hat diese Regelung für verfassungskonform befunden. „Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, daß das Stasi-Unterlagen-Gesetz einer Person, die in einer Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes als informeller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit bezeichnet wird, Rechtsschutz gegen die Weitergabe möglicherweise unrichtiger, sie benachteiligender Informationen verwehrt.“1536

Anders als das Oberverwaltungsgericht unterscheidet das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aber nicht zwischen Tätern und Opfern. Dementsprechend warfen auch die Richter des Bundesverwaltungsgerichts in der mündlichen Verhandlung zum vierten Urteil in der Rechtssache Kohl die Frage auf, ob nicht auch ehemalige Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes Grundrechtssubjekte seien und insofern Verfahrensschutz genössen. Wie oben herausgearbeitet ist eine Anhörung überall dort erforderlich, wo der Staat in Grundrechte eingreift und Gefahr nicht im Verzug ist.1537 Es ist verfassungsrechtlich ohne Bedeutung, ob es sich bei der Herausgabe der Informationen aus der Perspektive des Betroffenen um einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung oder um einen Realakt handelt1538. Entscheidend ist, ob und inwieweit sie in Grundrechte eingreift.1539 Die Benachrichtigung auch der Personen nach § 32 Abs. 1 Nr. 3 StUG ist umso dringender, als die Zuordnung in die so nicht benannte Täterkategorie oftmals gar nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann. Dies betrifft insbesondere die Unterkategorie des Begünstigten. Hier ist zusätzlich die ebenfalls im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht ruhende Unschuldsvermutung zu berücksichtigen.1540 Auch wenn es sich in dem nach §§ 32 ff. StUG vorgesehenen Ver1535 Zur behördlichen Nachforschungspflicht vgl. VG Berlin, Urteil v. 23. November 1994, IM-Definition, NJ 1995, 159. „Maßgebend ist allein das sich aus den Stasi-Unterlagen ergebende Bild. [. . .] Er [der Bundesbeauftragte] kann die Richtigkeit von Stasi-Unterlagen nur insofern in Frage stellen, als sich Zweifel an der Richtigkeit aus diesen Unterlagen selbst ergeben.“ 1536 OVG Berlin, Beschluss v. 27. Mai 1992, IM-Rechtsschutz, LKV 1992, 417 (Orientierungssatz). 1537 Teil 1 Kap. 2 § 3 C. 7. a). 1538 A. A. OVG; J. Rapp-Lücke, Anm. 37, § 30 Rn. 5. Die Frage der Qualifizierung des Herausgabeakts ist allein für die Frage von Bedeutung, ob § 28 VwVfG hinsichtlich der Personen im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 3 StUG anzuwenden ist. 1539 F. Schoch, Anm. 1271, 833 (835). 1540 Teil 1 Kap. 2 § 3 C. 7. b).

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fahren nicht um ein Strafverfahren handelt, dessen Ziel die Feststellung individueller Schuld ist, und sich insofern die teilweise in der Literatur gezogene Analogie zu den strafprozessualen Vorschriften verbietet1541, muss die stigmatisierende Wirkung, die faktisch aus dem Befund, jemand war für den Staatssicherheitsdienst tätig oder wurde von diesem begünstigt, folgt, Berücksichtigung finden. Denn hieraus können sich unter Umständen für den Betroffenen einschneidende, mit einem Strafurteil vergleichbare Konsequenzen anschließen.1542 Der Ausschluss der Personen des § 32 Abs. 1 Nr. 3 StUG von der Benachrichtigungspflicht verstößt folglich gegen Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip.1543 § 32 a Abs. 1 StUG ist folglich verfassungskonform zu erweitern. Die derzeitige behördliche Praxis genügt dem nicht. Sie wendet die Regelung des § 32 a StUG bislang nur auf diejenigen Mitarbeiter und Begünstigten des Staatssicherheitsdienstes an, die zuvor Einsicht in ihre Akten genommen haben. Dabei handelt es sich jedoch eher um ein Entgegenkommen für die, die individuelle Aufarbeitung anhand ihrer Unterlagen betreiben, denn um eine Folge verfassungsrechtlicher Vergaben. Hinzu kommt, dass auch nicht ersichtlich ist, dass die Behörde den Umstand der fehlenden Anhörung bei ihrer Herausgabeentscheidung berücksichtigt. Dies aber wäre dann ihre Pflicht, stellt doch die Herausgabe aus der Perspektive des Betroffenen u. U. einen heimlichen Grundrechtseingriff dar, der sich auf die Intensität des Eingriffs und damit auf die Interessenabwägung auswirken muss.1544 II. Inhaltliche Reichweite der Benachrichtigungspflicht In materieller Hinsicht ist die Benachrichtigung auf den Umstand, dass und welche Informationen zur Verfügung gestellt werden sollen, beschränkt. Im Gegensatz zu § 30 StUG beinhaltet sie weder die Nennung des Namens des Antragstellers noch der antragstellenden Institution. Damit entsteht das Problem, dass der einzelne Betroffene nicht weiß, an wen die Informationen herausgegeben werden und was der Antragsteller damit vorhat. Da eine weitere Anhörung vor Veröffentlichung nicht stattfindet, kann er Verbleib 1541

Vgl. etwa M. Brandenburger, Anm. 1220, 351 (355). Für eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf die Personen im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 3 StUG A. Dix, Anm. 304, 1 (5). 1543 Vgl. Bericht v. K. E. Wenzel, NJW 1992, 3217 (3218). 1544 „Die Heimlichkeit einer in Grundrechte eingreifenden staatlichen [. . .M]aßnahme führt zur Erhöhung des Gewichts der gesetzgeberischen Freiheitsbeeinträchtigung“, vgl. m. w. N. BVerfG, Urteil v. 11. März 2008, Kfz-Kennzeichen, www.bverfg.de, Rn. 79. 1542

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und Weiterverwendung der Informationen nicht kontrollieren. Gegendarstellungs- und Unterlassungsansprüchen, die sich gegen eine spezifische Veröffentlichung richten müssen, fehlt damit die Grundlage. Insofern stellt sich die Frage, ob eine weitere Absicherung des Persönlichkeitsschutzes durch Bekanntgabe des Antragstellers und der Antragsbegründung an den Betroffenen erfolgen muss. Dagegen kann nicht schon der Verweis auf den Grundrechtsschutz des Antragstellers, insbesondere dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung, die Forschungs- oder Pressefreiheit erwogen werden. Denn ob sich diese Rechte gegen ein Recht des Betroffenen auf Kenntnis der Informationen durchsetzen würden, kann letztlich erst nach Abwägung der entgegenstehen Interessen geklärt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Prüfung der „überwiegenden schutzwürdigen Interessen“ vor der Veröffentlichung nach Absatz 3 durch den Antragsteller selbst erfolgt. Presse und Forschung entscheiden also allein darüber, ob das, was nach Anhörung des Betroffenen und nach Prüfung durch die Behörde als herausgabefähig erachtet wurde, auch veröffentlichungsfähig ist. Schon darin liegt – wie gezeigt1545 – ein Kompromiss zugunsten der Forschung und Presse. Insofern wird man als Minus einer externen Überprüfung der Veröffentlichung dem Betroffenen zumindest die Möglichkeit der Kenntnisnahme der über ihn veröffentlichten Informationen einräumen müssen.

C. Fazit: Notwendigkeit der verfassungskonformen Auslegung Im Ergebnis stellen die Regelungen der §§ 32, 34 StUG einen weitgehend gelungenen Ausgleich zwischen dem Aufarbeitungsanliegen und der mit ihm verbundenen Forschungs- und Pressefreiheit einerseits und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht andererseits dar. Dies gilt insbesondere für die Differenzierung zwischen den von den genannten Bestimmungen erfassten Personenkategorien und sonstigen Betroffenen, zu deren Informationen ein Zugangsrecht grundsätzlich nicht besteht. Zwar wäre insbesondere die Abwägungsklausel der §§ 32, 34 StUG einer weiteren Konkretisierung zugänglich gewesen, insbesondere hätte der Gesetzgeber die Grenze der „Menschenrechtsverletzung“ weiter präzisieren können. Diese Versäumnisse führen jedoch noch nicht zur Verfassungswidrigkeit der Regelung. Sie sind noch vom gesetzgeberischen Ermessen gedeckt. Gleichwohl bedürfen die §§ 32 ff. StUG in mehrerlei Hinsicht einer verfassungskonformen Auslegung. 1545

Teil 2 Kap. 2 § 1 D.

Kap. 2: Die Regelung des Interessenkonflikts in den §§ 32, 34 StUG

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Dies betrifft vor allem den verfahrensrechtlichen Schutz der Betroffenen gegen die Verletzung ihres Allgemeinen Persönlichkeitsrechts: die Anhörungspflicht nach § 32 a StUG, den Ausschluss der Herausgabe von Informationen, das so genannte „Jugendsündenprivileg“, die Pflicht zur Herkunftsangabe und die Benachrichtigungspflicht. Die Anhörungspflicht des § 32 a StUG ist als Kompensator für die mit der Herausgabe der personenbezogenen Informationen aus den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes verbundenen möglichen Einschnitte in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und andere Rechte essentiell. Sie ist nicht nur wegen des mitunter zweifelhaften Wahrheitsgehalts der Unterlagen und der mit der Selektivität ihrer Informationsherausgabe verbundenen Verfälschungsgefahr, sondern insbesondere deshalb, weil sich die für die Begrenzung des Herausgabeanspruchs entscheidende Erkennbarkeit der Menschenrechtsverletzung oftmals erst im Rahmen der Anhörung herausstellt, von besonderer Bedeutung. Insofern ist es vor dem Hintergrund des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG nicht haltbar, Mitarbeiter, IMs und Begünstigte die gegenüber Amtsträgern, Personen der Zeitgeschichte und Inhabern politischer Funktionen bestehende Benachrichtigungspflicht bei Herausgabe ihrer personenbezogenen Informationen zu versagen. Dies gilt umso mehr, als sich etwaige Wahrheitszweifel schon auf die Einordnung in die jeweilige Personenkategorie auswirken. Dabei ist nicht zu befürchten, dass hiermit eine Herausgabesperre einhergeht. Der von der Herausgabe seiner personenbezogenen Informationen Betroffene muss etwaige Unrichtigkeiten oder das Bestehen einer über die Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinausgehenden Menschenrechtsverletzung schlüssig darlegen, was schwierig ist. Kann er dies nicht, dann werden die Einwände gemäß § 4 Abs. 2 Alt. 2 StUG auf einem getrennten Blatt vermerkt und den Unterlagen beigefügt.1546 Zumindest rechtspolitisch erscheint es zudem angebracht, den von der Herausgabe Betroffenen auch über die Veröffentlichung zu informieren und ihm somit die Möglichkeit zu geben, um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen oder eine Gegendarstellung abzugeben. Ebenfalls erweitert ausgelegt werden muss vor dem Hintergrund des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG das „Jugendsündenprivileg“, das die Herausgabe von Informationen über Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, sofern diese zum Zeitpunkt der Informationserhebung unter 18 Jahre waren, ausschließt. In diesem Punkt zwischen Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes und Begünstigten desselben zu unterscheiden, ist Willkür. 1546 Vgl. dazu auch VG Berlin, Urteil v. 29. August 2007, Oertel, VG 1 A 252.06.

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Teil 2: Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

Darüber hinaus – und dies ist bislang nur unzureichend beachtet worden – ergibt sich aus der auf das Anliegen der Aufarbeitung begrenzten Zwecksetzung implizit eine Pflicht zur Herkunftsangabe der Informationen. Diese bindet auch nachgeordnete Verwender, schafft so wiederum einen Ausgleich für die aufgrund des mitunter zweifelhaften Wahrheitsgehalts der Informationen entstehenden Gefahren und garantiert auch die Einhaltung der Zweckbindung über den Erstverwender der Informationen hinaus. Einer pauschale Eingrenzung des Zugangsrechts der Presse sowie die Umdefinierung der Grenze von einer „erkennbaren Menschenrechtsverletzung“ in eine „nicht auszuschließende Menschenrechtsverletzung“ – wie sie das Bundesverwaltungsgericht fordert – ist dagegen nicht erforderlich.

Teil 3

Fazit für die Auslegung und Anwendung der §§ 32, 32 a, 34 StUG Die nachfolgenden Anmerkungen zur Auslegung und Anwendung der §§ 32, 32 a, 34 StUG beschränken sich allein auf die zuvor behandelten Auslegungsfragen, insbesondere auf die verfassungskonforme Anwendung der Interessenabwägung bei Herausgabe personenbezogener Informationen ohne Einwilligung des Betroffenen. Den Schwerpunkt bildet dabei der Ausgleich zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Aufarbeitungsanliegen. Der Aufbau orientiert sich an den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen. Die Untersuchung beschränkte sich allein auf die regelungsspezifischen Tatbestandmerkmale, insbesondere auf die unbestimmten Rechtsbegriffe. Gleichwohl soll der Übersichtlichkeit halber und des besseren Verständnisses wegen der Tatbestand der §§ 32 Abs. 1 Nr. 3, 4; Abs. 3 Nr. 2, 3 StUG vollständig abgebildet werden. Er orientiert sich insoweit an der Richtlinie der BStU vom 1. März 2007. Die nachstehende Zusammenfassung soll ein Hilfsmittel für die praktische Anwendung der genannten Vorschriften darstellen. Auf umfassende Begründungen wird daher verzichtet. Die Begründung ist den vorangegangenen Teilen der Arbeit zu entnehmen. Die zusammenfassenden Anmerkungen sind daher grundsätzlich im Lichte der ersten beiden Teile dieser Arbeit zu lesen.

§ 1 Herausgabe und Veröffentlichung der Unterlagen Gemäß § 32 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StUG „stellt der Bundesbeauftragte folgende Unterlagen zur Verfügung: Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes oder Begünstigte des Staatssicherheitsdienstes.“ Nach Nr. 4 desselben Absatzes stellt er zudem „Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger, soweit es sich um Informationen handelt, die ihre zeitgeschichtliche Rolle, Funktionsoder Amtsausübung betreffen“ zur Verfügung.

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Teil 3: Fazit für die Auslegung der §§ 32, 32 a, 34 StUG

A. Begriff der Unterlagen Der Begriff der Unterlagen ergibt sich aus § 6 Abs. 1 Nr. 1, 2 StUG. Hierzu zählen „sämtliche Informationsträger unabhängig von der Form der Speicherung, insbesondere a) Akten, Dateien, Schriftstücke, Karten, Pläne, Filme, Bild-, Ton- und sonstige Aufzeichnungen; b) deren Kopien, Abschriften und sonstige Duplikate sowie c) die zur Auswertung erforderlichen Hilfsmittel, insbesondere Programme für die automatisierte Datenverarbeitung“; aber auch „Akten von Gerichten und Staatsanwaltschaften“ und Duplikate von Schriftstücken „die Betroffenen oder Dritten vom Staatssicherheitsdienst widerrechtlich weggenommen oder vorenthalten worden sind“. Maßgeblich ist, dass die oben genannten Unterlagen „beim Staatssicherheitsdienst oder beim Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei der Volkspolizei entstanden, in deren Besitz gelangt oder ihnen zur Verwendung überlassen worden sind“. Nicht dazu gehören etwa „Schreiben des Staatssicherheitsdienstes nebst Anlagen, die er anderen öffentlichen oder nicht-öffentlichen Stellen zugesandt hat, soweit diese Stellen ihm gegenüber nicht rechtlich oder faktisch weisungsbefugt waren“; „Unterlagen, die an andere Stellen aus Gründen der Zuständigkeit weiter- oder zurückgegeben worden sind und in denen sich keine Anhaltspunkte befinden, dass der Staatssicherheitsdienst Maßnahmen getroffen oder veranlaßt hat“; „Unterlagen, deren Bearbeitung vor dem 8. Mai 1945 abgeschlossen war und in denen sich keine Anhaltspunkte befinden, dass der Staatssicherheitsdienst sie über die archivische Erschließung hinaus genutzt hat“; aber auch „Gegenstände und Unterlagen, die Betroffenen oder Dritten vom Staatssicherheitsdienst widerrechtlich weggenommen oder vorenthalten worden sind.“

B. Personenbezogene Informationen Der Begriff der personenbezogenen Information ist an § 3 Abs. 1 BDSG angelehnt und meint „Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person“. Dass das Stasi-Unterlagen-Gesetz anders als das Bundesdatenschutzgesetz von Informationen statt von Daten spricht, impliziert keine inhaltliche Unterscheidung. Der Begriff Informationen geht auf Art. 1 ZV EV betreffend die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zurück und wurde beibehalten. Wie sich aus der Formulierung des § 32 Abs. 1 StUG ergibt, ist der Begriff der Person lediglich als Abgrenzung zum Objekt zu verstehen. Auch Informationen über einen Amtsträger sind demnach zunächst personenbezogene Informationen. Informationen über juristische Personen werden dagegen nicht erfasst. Dies ergibt sich zum einen aus dem Regelungsbereich der Vorschrift, der

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auf juristische Personen nicht passt, aber auch aus der Anlehnung an das Bundesdatenschutzrecht (vgl. § 3 Abs. 1 BDSG). Für den Personenbezug reicht eine Identifizierbarkeit aus. Die Person muss nicht konkret bekannt sein. Insoweit gelten die im sonstigen Presserecht geltenden Grundsätze. Generell kennt die Regelung keine Begrenzung der Herausgabe auf Informationen über ehemalige DDR-Bürger. Auch lässt sich ihr entgegen dem Ansatz des Bundesverwaltungsgerichts keine sonstige Begrenzung hinsichtlich der Staatsangehörigkeit entnehmen. Sowohl Bundesbürger (vor 1990) als auch Staatsangehörige der DDR sowie Staatsangehörige des ehemaligen Ostblocks als auch solche des ehemaligen Westblocks uns auch der damaligen neutralen Mächte werden zunächst uneingeschränkt erfasst. Sofern sich Zweifel an der Wahrheit der in den Stasi-Unterlagen erwähnten Informationen ergeben und sich diese schon auf die Zuordnung in die eine oder andere Personenkategorie auswirken, wird man aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen eine Herausgabe der Information nur bei überwiegender Wahrscheinlichkeit der Wahrheit und bei entsprechenden verfahrensrechtlichen Vorkehrungen zulassen können.

C. Hauptamtliche Mitarbeiter, IMs, Begünstigte Die Herausgabe personenbezogener Informationen an Forschung und Presse ist die Ausnahme. Sie erstreckt sich nach § 32 Abs. 1 Nr. 3 StUG auf Mitarbeiter und Begünstigte des Staatssicherheitsdienstes und ist das vorweggenommene Ergebnis einer Abwägung zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Anliegen der Aufarbeitung. Ihnen kommt als Trägern des Staatssicherheitsdienstes besondere Bedeutung bei der Aufarbeitung seiner Tätigkeit zu, die es zunächst pauschal rechtfertigt, dass ihre schutzwürdigen Interessen, – vorbehaltlich einer Abwägung im Einzelfall – zurückstehen. Dabei wirkt sich aber auch die abgesehen vom Ehrschutz fehlende Grundrechtsbetroffenheit von Mitarbeitern als Funktionsträger aus. Während sich die Kategorie der Mitarbeiter über eine formale Beziehung zum Staatssicherheitsdienst definiert, ist die Beziehung zum Begünstigten materieller Natur. Nach § 6 Abs. 4 StUG umfasst der Mitarbeiterbegriff dabei sowohl hauptamtliche als auch inoffizielle Mitarbeiter. Gemäß § 6 Abs. 5 StUG finden die Vorschriften der §§ 32 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2, 34 StUG auch Anwendung auf gegenüber dem Staatssicherheitsdienst Weisungsbefugte und Mitarbeiter des Arbeitsgebiets 1 der Kriminalpolizei bei der Volkspolizei.

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Die Zuordnung ist nach § 6 Abs. 8 StUG für jede einzelne Information vorzunehmen. Das heißt, dass Informationen, die den Betroffenen als Privatperson und nicht als Mitarbeiter oder Begünstigten der Staatssicherheit betreffen, nicht herausgegeben werden dürfen. Denn insoweit genießen auch Angehörige und Begünstigte des Staatssicherheitsdienstes den vollen Grundrechtsschutz. So sind etwa auch Informationen über einen Mitarbeiter, der selbst heimlich von der Staatsicherheit beobachtet wurde, ohne dass er in diesem Moment selbst für die Stasi tätig gewesen ist, nicht herausgabefähig. Angesichts der mit der Zuordnung zur „Täterkategorie“ verbundenen Konsequenzen, insbesondere der Tatsache, dass im Nachhinein, sollte sich die Zuordnung als Trugschluss erweisen, eine Rehabilitierung kaum noch zu bewerkstelligen sein wird, wird man vor dem Hintergrund des Rechts auf Selbstdarstellung für die Herausgabe der Unterlagen eine „ganz überwiegende Wahrscheinlichkeit“, dass eine Zusammenarbeit mit dem MfS vorlag, fordern müssen. Es müssen also nicht bloß irgendwelche Indizien vorliegen, sondern die Beweislage muss deutlich in die Richtung einer Zusammenarbeit mit dem MfS zeigen. Sofern eine Person der Zeitgeschichte, ein Amtsträger oder ein Inhaber politischer Funktionen zugleich Mitarbeiter oder Begünstigter der Staatssicherheit war, wirkt sich dies zu Gunsten des Aufarbeitungsanliegens auf den Abwägungsprozess aus. I. Hauptamtlicher Mitarbeiter Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 StUG sind hauptamtliche Mitarbeiter als „Personen, die in einem offiziellen Arbeits- oder Dienstverhältnis des Staatssicherheitsdienstes gestanden haben, und Offiziere des Staatssicherheitsdienstes im besonderen Einsatz“ legaldefiniert. II. IM Nach § 6 Abs. 4 Nr. 2 StUG sind unter inoffiziellen Mitarbeitern Personen zu verstehen, die sich zur Lieferung von Informationen an den Staatssicherheitsdienst bereiterklärt haben. Indiz für die Einwilligung ist regelmäßig eine Verpflichtungserklärung; eine schriftliche Erklärung, die auch unterzeichnet ist. Es handelt sich bei letzterer aber nur um ein Indiz und nicht um ein zwingendes Erfordernis. Dem Wortlaut nach reicht ein konkludentes Sich-bereit-erklären aus. Dementsprechend fällt entgegen der überwiegenden Ansicht auch der Denunziant unter diese Definition.

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III. Begünstigter Als Begünstigte sind nach § 6 Abs. 6 StUG Personen einzustufen, die entweder a) vom Staatssicherheitsdienst wesentlich gefördert worden sind, insbesondere durch Verschaffung beruflicher oder sonstiger wirtschaftlicher Vorteile; b) vom Staatssicherheitsdienst oder auf seine Veranlassung bei der Strafverfolgung geschont worden sind, oder c) mit Wissen, Duldung oder Unterstützung des Staatssicherheitsdienstes Straftaten gefördert, vorbereitet oder begangen haben. Maßgeblich für die Feststellung des Begünstigtenstatus ist die archivische Betrachtungsweise. Konsequenz aus der Unschuldsvermutung ist, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (dichte Indizienkette) nicht ausreichend ist. Vielmehr muss der Begünstigtenstatus nach archivischer Betrachtungsweise zweifelsfrei feststehen. IV. Jugendsündenprivileg „[S]oweit es sich nicht um Tätigkeiten für den Staatssicherheitsdienst vor Vollendung des 18. Lebensjahres gehandelt hat“ werden Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt; es sei denn, der Betroffene hat seine Einwilligung erteilt. Diese in § 32 Abs. 1 Nr. 3 2. Spiegelstrich StUG enthaltene Ausnahme muss analog auch für die Kategorie der Begünstigten gelten, da eine rechtliche Schlechterstellung der durch den Staatssicherheitsdienst Begünstigten gegenüber ehemaligen Mitarbeitern nicht zu rechtfertigen ist. Es fehlt hier an einem sachlichen Differenzierungskriterium. Hintergrund der Ausnahme ist, ähnlich der Konstruktion des deutschen Jugendstrafrechts, die Vermutung, dass bei minderjährigen Tätern noch keine volle Verantwortungsreife bestand. Dementsprechend sollen ihnen aus Taten, deren Konsequenzen sie nicht vollständig überschauen konnten, keine Nachteile entstehen. Diese Begründung greift aber auch für Begünstigte. Es dürfte noch verfassungsrechtlich haltbar sein, das Problem – ähnlich wie die Berücksichtigung des jugendlichen Alters bei Personen der Zeitgeschichte, Amtsinhabern und Funktionsträgern – im Rahmen der Interessenabwägung zu lösen, die dann aber stets zu Gunsten des Betroffenen ausfallen müsste. Sofern Unterlagen auch von Personen, die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht 18 Jahre alt waren, notwendig sind, um eine Identifizierung einer Person für nach deren 18. Lebensjahr entstandene Sachverhalte zu ermöglichen, ist eine Zur-Verfügung-Stellung mit dem Wortlaut nicht zu vereinbaren. Eine Erweiterung wäre aber verfassungsrechtlich zulässig. Solange der Wortlaut jedoch so gefasst ist, muss die Behörde selbst die Rechercheleistung erbringen.

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D. Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen und Amtsinhaber Auch das Zugeständnis des Gesetzgebers, personenbezogene Informationen von Amtsträgern, Inhabern politischer Funktionen und Personen der Zeitgeschichte neben denen der Personen des § 32 Abs. 1 Nr. 3 StUG ausnahmsweise herauszugeben, ist das Ergebnis einer vorweggenommenen gesetzgeberischen Abwägung zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Anliegen der Aufarbeitung, die im Einzelfall weiter zu konkretisieren, ggf. auch zu korrigieren ist. Anders als das Berliner Verwaltungsgericht im Gysi-Urteil ist eine genaue Unterscheidung zwischen den einzelnen Kategorien notwendig, da die Freigabe ihrer Informationen auf jeweils unterschiedlichen Erwägungen beruht. Dies hat auf den Abwägungsprozess Einfluss, da das Allgemeine Persönlichkeitsrecht unterschiedlich schwer wiegt. So werden Amtsträger, soweit sie in Ausführung ihres Amtes handeln, und nur hierauf stellt § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG ab, nicht durch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt. Personen der Zeitgeschichte genießen dagegen vollen Grundrechtsschutz. Die Herausgabe ihrer Informationen rechtfertigt sich durch das mit der besonderen Rolle, die Prominente als Identifikationsfiguren bei der Stützung und beim Widerstand gegen Diktaturen spielen, einhergehende öffentliche Interesse. Herausgabefähig sind Informationen, mit Ausnahme von Informationen Verstorbener 30 Jahre nach deren Tod nur, sofern sie sich auf die zeitgeschichtliche Rolle, die Funktions- oder Amtsausübung des Verstorbenen beziehen. Dies besagt schon der Wortlaut, ist aber auch verfassungsrechtlich geboten, da sich nur hierauf das gegenüber sonstigen Betroffenen höhere Aufarbeitungsinteresse stützt. Die Abgrenzung, ob ein Bezug zur zeitgeschichtlichen Rolle, zur Amtsausübung oder zur politischen Funktionsausübung besteht, ist gemäß § 6 Abs. 8 StUG für jede einzelne Information vorzunehmen. Bei Informationen, bei denen sich nicht klar trennen lässt, ob die Person als Privatperson oder in ihrer spezifischen Rolle erfasst wird, kommt es auf den Schwerpunkt an. Ein Grundsatz, dass Mischinformationen generell nicht herauszugeben sind, lässt sich weder § 32 StUG noch dem Grundgesetz entnehmen. Der private Anteil der Information ist dann jedoch im Rahmen der Abwägung besonders zu berücksichtigen. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Bestimmung des Status ergibt sich für Amtsträger und Inhaber politischer Funktionen direkt aus dem Wortlaut: Es ist für die Rollenbestimmung auf den Zeitpunkt der Informationserhebung abzustellen. Dies ist bei Personen der Zeitgeschichte nicht gesagt, denn es kann durchaus sein, das Informationen über eine Person erhoben wurden,

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die seinerzeit noch keine Person der Zeitgeschichte war, aber später gerade aufgrund der Situation, über die die Information erhoben wurde, zu einer solchen wurde. Eine Begrenzung auf Amtsträger, Inhaber politischer Funktionen und Personen der Zeitgeschichte aus der ehemaligen DDR sieht der Wortlaut nicht vor. Gegen eine solche Begrenzung spricht auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Fraglich ist, ob und inwieweit auch ausländische Amtsträger, Inhaber politischer Funktionen und Personen der Zeitgeschichte unter die Klausel fallen. Der Wortlaut steht dem zumindest nicht entgegen. Auch bei § 32 Abs. 1 StUG wirkt sich die Zugehörigkeit zu mehreren Personenkategorien zu Gunsten des Aufarbeitungsanliegens im Rahmen der Abwägung aus. I. Person der Zeitgeschichte Der Begriff der Person der Zeitgeschichte ist an § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG angelehnt. Wer aufgrund eines Ereignisses oder einer Stellung Person der Zeitgeschichte ist, ist vom öffentlichen Interesse her zu bestimmen. Dieses Interesse kann anlassbezogen sein (relative Person der Zeitgeschichte). Das Interesse kann sich aber auch unabhängig von einem bestimmten Ereignis auf die Person als solche beziehen (absolute Person der Zeitgeschichte). Insbesondere bei so genannten relativen Personen der Zeitgeschichte ist entscheidend, durch welches Ereignis sie zu einer solchen geworden ist, da nur in Bezug auf diesen Vorgang ein Zugangsrecht besteht. Das Ereignis kann auch der Privatsphäre oder gar Intimsphäre entspringen. Für die Qualifikation als Person der Zeitgeschichte ist dies unerheblich. Das öffentliche Interesse muss sich also nicht nur auf Ereignisse beziehen, die die Teilnahme am öffentlichen Leben betreffen. Sofern sich das öffentliche Interesse aber auf die Privat- oder gar Intimsphäre bezieht, tritt es im Rahmen der Abwägung im Einzelfall regelmäßig hinter das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zurück. Vor dem Hintergrund des Regelungszwecks, der anders als § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG nicht die Befriedigung eines allgemeinen Informationsinteresses, sondern die Aufarbeitung der Tätigkeit der Herrschaftsmechanismen der ehemaligen DDR und der sowjetischen Besatzungszone im Blick hat, reicht das bloße damalige öffentliche Interesse an einer Person nicht aus. Vielmehr muss dieses durch ein heutiges Interesse an der Person ergänzt werden. Denn nur in diesem Fall kommt der Veröffentlichung der vom Staatsicherheitsdienst gesammelten personenbezogenen Informationen von damaligen Personen der Zeitgeschichte eine gegenüber personenbezogenen Informationen anderer Betroffener herausgehobene Rolle für die Aufarbei-

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tung zu. War die Prominenz der Person aber seinerzeit nicht ausschlaggebend für die Person und dient die Herausgabe der Informationen über diese Person nur als prominentes Beispiel für eine gleichermaßen auch bei anderen Betroffenen durchgeführte Überwachung, dann ist dies zugunsten des Persönlichkeitsschutzes der Person der Zeitgeschichte im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. II. Inhaber politischer Funktionen Unter den Begriff politischer Funktionsträger werden Personen gefasst, die an der politischen Willensbildung teilnehmen ohne zugleich Träger eines öffentlichen Amtes zu sein. Der Begriff ist zunächst weit zu fassen und nicht auf hauptamtliche Funktionäre begrenzt. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Regelung, der gerade auch die Erkenntnisse der Staatssicherheit über und ihre Beziehungen zu Personen, die auf das politische und gesellschaftliche Leben Einfluss nahmen, zu erfassen sucht. Gerade auch ehrenamtliche Funktionäre konnten erheblichen Einfluss gehabt haben. Daher verbietet sich hier eine Pauschalisierung. Jedoch wird die Art der Funktion (herausgehobene oder untergeordnete Funktion) regelmäßig bei der Gewichtung des Aufarbeitungsanliegens im Rahmen der Abwägung eine Rolle spielen. Auch ist der Personenkreis der Inhaber politischer Funktionen dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte nicht auf Vertreter aus der ehemaligen DDR oder auf Systemträger begrenzt. III. Amtsträger Der Begriff des Amtsträgers ist umfassend zu verstehen. Er ist nicht auf Beamte und Personen in beamtenähnlichen Positionen beschränkt. Der Begriff ist ähnlich wie bei der Bestimmung des Amtsträgers im Sinne des Art. 34 GG nicht statusrechtlich, sondern von den Funktionen der Person her zu bestimmen. Er unterscheidet sich daher von dem neu eingefügten Begriff des Amtsträgers in § 32 Abs. 1 Nr. 7 StUG, bei dem es entscheidend auf den Rechtsstatus ankommt. Die organisatorische Einbindung oder der Rechtsstatus des handelnden Organs spielt keine Rolle. Der Begriff des Amtsträgers umfasst in Abgrenzung zum Inhaber politischer Funktionen alle Personen, die seinerzeit eine öffentlich-rechtliche Tätigkeit ausübten. Diese weite Auslegung ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Amtsträgerregelung, den Einfluss der Staatssicherheit auf das hoheitliche Handeln anderer Akteure, die an verschiedensten Stellen die Diktatur gestützt, gestaltet oder sonst für diese von Bedeutung waren, offen zu legen.

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IV. Verstorbene Der Totenregelung des § 32 Abs. 1 Nr. 6 StUG liegt die Vermutung zugrunde, dass ein schutzwürdiges Interesse 30 Jahre nach dem Tod bzw. 110 Jahre nach der Geburt, soweit sich der Todeszeitpunkt nicht mehr feststellen lässt, nicht mehr besteht, mithin auch eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts dann nicht mehr in Betracht kommt. Eine in Bezug auf die Herausgabe der Informationen nach § 32 Abs. 1 Nr. 3, 4 StUG zwingend notwendige Abwägung findet hier nicht statt. Aufgrund des Wortlauts, der nunmehr für Tote eine Spezialregelung in § 32 Nr. 6 StUG vorsieht, stellt sich die Frage, wie mit Unterlagen zu verfahren ist, bei denen die Toten zugleich in eine oder mehrere Kategorien des § 32 Abs. 1 Nr. 3, 4 StUG fallen. Geht man nach dem Wortlaut, so wären auch diese Informationen bis 30 Jahre nach dem Tod gesperrt. Das heißt tote Personen der Zeitgeschichte, Amtsträger, Inhaber politischer Funktionen, Mitarbeiter und Begünstigte des Staatssicherheitsdienstes genössen damit einen höheren Schutz als lebende, da sie von der 30jährigen Sperre profitieren würden. Anders als nach § 5 Abs. 5 S. 3 BArchG ist eine Verkürzung der Schutzfrist im Stasi-Unterlagen-Gesetz nicht vorgesehen. Dieser bedarf es auch nicht. Denn verstorbene Personen der Zeitgeschichte, Amtsträger und Inhaber politischer Funktionen fallen weiterhin unter § 32 Abs. 1 Nr. 3, 4 StUG. § 32 Abs. 1 Nr. 6 StUG stellt dagegen nunmehr nur eine Erweiterung der Zugangsrechte in Bezug auf Unterlagen sonstiger Betroffener, deren Informationen normalerweise nicht zugänglich sind, dar. Diese Auslegung ist vor dem Hintergrund des auf den postmortalen Persönlichkeitsschutz reduzierten Grundrechtsschutz und damit verbunden auch den geringeren Anforderungen an den Bestimmtheitsgrundsatz verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

§ 2 Verwendungszweck Die Herausgabe und Veröffentlichung von personenbezogenen Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes unterliegt einer strikten Zweckbindung. Sie ist nur „zum Zwecke der politischen und historischen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes“ und seit der letzten StUG-Novelle nunmehr auch „der Herrschaftsmechanismen der ehemaligen DDR oder der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone“ zulässig. Darüber hinaus ist eine Informationsherausgabe und Veröffentlichung nur noch „zum Zwecke der politischen Bildung“ und „zur historischen und politischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit“ (§ 32 Abs. 4 StUG) zulässig, die nicht Gegenstand dieser Richtlinien sind. Bei diesen Zwecken handelt es sich um eine abschließende Aufzählung.

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A. Aufarbeitung der Tätigkeit der Herrschaftsmechanismen der DDR Soweit es um das Anliegen, die Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes aufzuarbeiten, geht, entspricht dies den Vorgaben des Art. 1 Abs. 2 ZV EV. Darin heißt es: „Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik erwarten dass der gesamtdeutsche Gesetzgeber die Voraussetzungen dafür schafft, dass die politische, historische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit gewährleistet bleibt“ (Hervorhebung der Verfasserin). Mit der Schaffung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ist diese politische Erwartung eingelöst worden. Einer Aufhebung des Zugangs zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes steht die Zusatzvereinbarung mangels Rechtsverbindlichkeit nicht entgegen. Die Aufarbeitung der sonstigen Herrschaftsmechanismen der DDR und der sowjetischen Besatzungszone basiert auf einer Entscheidung des Gesetzgebers. Eine verfassungsoder völkerrechtliche Notwendigkeit hierzu bestand nicht. I. Historische und politische Aufarbeitung Aufarbeitung ist der Oberbegriff für einen gesellschaftlichen Prozess in einer post-diktatorischen Gesellschaft. Gegenstand dieses Prozesses ist die Offenlegung und Auseinandersetzung mit dem diktatorischen System. Ziel dieses Prozesses ist es, die Restaurierung einer Diktatur zu verhindern und das rechtsstaatlich-demokratische System zu festigen. Integration und Wiedergutmachung sind mittelfristige Ziele dieses Prozesses. Eine bestimmte Methode lässt sich dem Begriff Aufarbeitung nicht entnehmen. Die Offenlegung der Unterlagen im Rahmen der §§ 32, 34 StUG ist eine Methode der historischen und politischen Aufarbeitung. Bei der historischen Aufarbeitung steht die objektive Erfassung und Darstellung der Vergangenheit im Vordergrund, während bei der politischen Aufarbeitung der Schwerpunkt auf der wertenden Auseinandersetzung liegt. Beide Formen der Aufarbeitung können stark ineinandergreifen. Dem Begriff der Aufarbeitung an sich ist keine zeitliche Erschöpfung immanent. Zeitlich erschöpfbar sind jedoch die Methoden der Aufarbeitung. So ist etwa die historische Aufarbeitung vollbracht, wenn alle Fakten offen gelegt sind. Die politische Aufarbeitung dagegen ist unbegrenzt. Subjekt der Aufarbeitung ist das gesamtdeutsche Volk. Entgegen ursprünglichen Plänen einigten sich die damalige Regierung der DDR und der Bundesrepublik nicht zuletzt aufgrund des Zusammenhangs, den man zwischen der DDR- und der NS-Diktatur sah, in der Zusatzvereinbarung

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zum Einigungsvertrag auf eine gesamtdeutsche Lösung, an der auch später durch die Umsetzung in ein Bundesgesetz festgehalten wurde. Insofern besteht weder hinsichtlich der zugänglichen Informationen noch hinsichtlich der Zugangsberechtigten ein Unterschied zwischen ehemaligen DDR-Bürgern und sonstigen Bundesbürgern. II. Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes oder anderer Herrschaftsmechanismen Wie es der Wortlaut und der Vergleich zu den Personenüberprüfungen nach den §§ 19 ff. StUG nahe legt, liegt der Fokus der Aufarbeitung nicht auf der Tätigkeit einzelner Angehöriger des Staatssicherheitsdienstes, sondern auf der Tätigkeit der Institution. Hierzu zählt auch, was und wen der Staatssicherheitsdienst gesehen, gehört und mit wem zusammen und welchen Methoden er gearbeitet hat. Die Aufarbeitung zielt auf ein umfassendes Verständnis des „Systems Staatssicherheit“, sie ist nicht auf die Aufklärung unmittelbarer Repressionen beschränkt. Auch Außenbeziehungen zu anderen Herrschaftsmechanismen, gesellschaftlichen Institutionen und intersystemische Interdependenzen gehören hierzu. Jedoch können sich hier je nach Bedeutung für die Aufarbeitung Unterschiede im Rahmen der Abwägung ergeben. Auch wenn der Wortlaut insoweit nur von Staatssicherheit spricht, ist – dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Regelung, der nunmehr vollständigen Erfassung der Herrschaftsmechanismen der ehemaligen DDR und dem systematischen Vergleich zu anderen Regelungen (vgl. § 1 Abs. 1 StUG) – auch die Vorgängerorganisation von dieser Regelung erfasst.

B. Zweckbindung Wie sich aus der Formulierung „zum Zweck“ ergibt, darf die Behörde nur solche Unterlagen mit personenbezogenen Informationen zur Verfügung stellen, die an die Thematik des Forschungs- oder Medienantrags geknüpft und für die Bearbeitung des jeweiligen Themas erforderlich sind. Vor der Bereitstellung von personenbezogenen Informationen aus den Unterlagen ist zu entscheiden, ob die Informationen tatsächlich der Aufarbeitung der Tätigkeit der Herrschaftsmechanismen der DDR dienen. Ihre Herausgabe muss für die Realisierung des Forschungsvorhabens oder die politische Auseinandersetzung tatsächlich erforderlich sein. Die Beweislast für die Erforderlichkeit der Informationen zum Zweck der Aufarbeitung der Herrschaftsmechanismen der DDR liegt beim Antragsteller.

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§ 3 Keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen der dort genannten Person § 32 Abs. 1 S. 2 StUG ordnet zwingend eine Abwägung der für und gegen die Herausgabe sprechenden Interessen an. Dasselbe gilt nach § 32 Abs. 3 S. 2 StUG auch für die Veröffentlichung. Diese Abwägungspflicht findet dort ihre Grenze, wo durch die Herausgabe und Veröffentlichung der Informationen die Menschenwürde des Betroffenen verletzt würde. Diese Grenze ergibt sich direkt aus Art. 1 Abs. 1 GG. Dass § 32 Abs. 1 S. 2 StUG diese Grenze nicht explizit benennt, berührt seine Verfassungsmäßigkeit nicht, da eine verfassungskonforme Auslegung möglich ist. Eine sonstige absolute Grenze ergibt sich weder aus dem Stasi-Unterlagen-Gesetz noch aus dem Grundgesetz. Eine Begrenzung der Herausgabe und Veröffentlichung kann immer nur das Ergebnis einer Abwägung sein. Das heißt auch, dass Informationen, die der Privatsphäre oder „höchstpersönlichen Privatsphäre“ angehören, der Herausgabe und Veröffentlichung nicht vollständig entzogen sind. Denn oftmals fanden IM-Einsätze gerade im Privaten statt. Gerade das häufige Eindringen in die Privatsphäre und das familiäre Umfeld ist ein charakteristisches Instrumentarium des Staatssicherheitsdienstes gewesen. Gerade diese Methode ist daher für die Aufarbeitung und das Verständnis der Staatssicherheit von zentraler Bedeutung. Dementsprechend setzt § 32 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 2 StUG der Herausgabe und Veröffentlichung nicht schon dann eine Grenze, wenn ein gleichwertiges Interesse des Betroffenen am Schutz seiner Rechte besteht, sondern erst dann, wenn dieses das Herausgabe- und Veröffentlichungsinteresse zum Zwecke der Aufarbeitung überwiegt. Dies belegt zugleich den Ausnahmecharakter der §§ 32, 34 StUG in der Systematik des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, das den Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit § 1 Abs. 1 StUG an oberste Stelle setzt. Sie basieren auf der Vermutung, dass das Aufarbeitungsinteresse an den Informationen der in § 32 Abs. 1 Nr. 3, 4; Abs. 3 Nr. 2, 3 StUG genannten Personenkategorien grundsätzlich die schutzwürdigen Interessen dieser überwiegt. Der Abwägungsvorbehalt gilt für die Personen im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 StUG und des § 32 Abs. 1 Nr. 4; Abs. 3 Nr. 3 StUG gleichermaßen. Unterschiede können sich im Rahmen der Abwägung ergeben.

A. Schutzwürdige Interessen Der Begriff der schutzwürdigen Interessen meint rechtlich schutzwürdige Interessen, nicht lediglich Affektionsinteressen.

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Wie sich aus dem Wortlaut ergibt, sind die gegenläufigen Interessen auf die „der dort genannten Personen beschränkt“. Hierzu zählen insbesondere sämtliche Grundrechte, die betroffen sein können, zuvorderst das Allgemeine Persönlichkeitsrecht. Nicht hierzu gehören Berufsgeheimnisse. Sie bezwecken allein dem Schutz des sich Anvertrauenden. Stimmt dieser einer Herausgabe und Veröffentlichung zu, kann sich der Berufsträger hierauf nicht berufen. Ebenfalls nicht dazu zählen Geheimschutzinteressen, denn diese schützen gerade nicht den einzelnen Amtsträger, sondern die dahinter stehende Institution. Damit kennt der Wortlaut des § 32 Abs. 1 S. 2 StUG auch keinen Spionagevorbehalt. Das schutzwürdige Interesse muss zum Zeitpunkt der Herausgabe bzw. Veröffentlichung vorliegen. Dabei ist zu differenzieren zwischen einzelnen Personenkategorien, aber auch zwischen den einzelnen der Herausgabe und/oder Veröffentlichung entgegenstehenden Gewährleistungsbereichen, um eine korrekte Grundeinstellung für den Abwägungsprozess zugrunde zu legen und somit eine Überfrachtung des Abwägungsprozesses mit sachfremden Erwägungen zu vermeiden. I. In personeller Hinsicht Amtsträger genießen als Teil des Staates, soweit die Information ihre Amtsausführung betrifft, nicht den Schutz der Grundrechte, insbesondere nicht den des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Darauf, ob in heimlicher Weise Kenntnis von einem Verhalten in Ausübung des Amtes genommen wird, kommt es nicht an. Ist jedoch die persönliche Geschichte mit der Geschichte der administrativen Einheit auch in Bezug auf die einzelne Information unauflöslich verquickt, dann ist diese Information zugleich am Maßstab des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und anderer Grundrechte zu messen. Die Amtsträgerschaft wird sich aufgrund des gesteigerten öffentlichen Interesses regelmäßig wieder auf der Ebene der Abwägung zu Gunsten der Forschungsund Pressefreiheit auswirken. Nicht erfasst sind – und hierin liegt ein entscheidender Unterschied zur Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts und Teilen der Literatur – rein reflexartige Rückwirkungen auf den Privatbereich des Amtsträgers; abgesehen davon, dass sie ohnehin entweder ebenfalls keinen Eingriff darstellen oder spätestens im Rahmen der Abwägung regelmäßig hinter das Kontrollinteresse der Öffentlichkeit zurücktreten würden. Gleiches gilt auch für Mitarbeiter des MfS. Die Herausgabe der über sie erhobenen Informationen wird jedoch regelmäßig wegen dem mit der Mit-

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arbeit beim Staatssicherheitsdienst verbundenen Unwertgehalt auf die Person durchschlagen, so dass insoweit der ebenfalls im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht wurzelnde Ehrschutz zu beachten ist. Dieser ist in die Abwägung einzustellen. Hier wird u. U. der Unwert der Amtshandlungen begrenzend auf die Reichweite des Achtungsanspruchs umschlagen. Alle übrigen Personenkategorien des § 32 Abs. 1 Nr. 3, 4; Abs. 3 Nr. 2, 3 StUG genießen dagegen umfassenden Grundrechtsschutz: Anders als bei Amtsträgern steht hinter Inhabern von politischen Funktionen nicht der Staat, sondern gesellschaftliche Vereinigungen, die nach Art. 19 Abs. 3 GG auch Grundrechtsträger sind. Das Handeln der Funktionsträger ist insoweit Ausdruck der natürlichen Entfaltungsfreiheit derselben. Die besondere Stellung speziell von Parteien als Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft kommt jedoch auf der Ebene der Abwägung zum Tragen. Dort wird sich aus der herausgehobenen Stellung von Parteien bei der politischen Willensbildung bereits ein höheres öffentliches Interesse an Erkenntnissen über ihr Verhältnis zur Staatssicherheit ergeben. Bei Personen der Zeitgeschichte kann die Betroffenheit der Privatsphäre anders als bei amts- bzw. funktionsbezogenen Informationen nicht bereits der Natur der Information nach ausgeschlossen werden. Dies liegt in der Natur von Personen der Zeitgeschichte, die gerade durch ein bestimmtes Ereignis, besondere Fähigkeiten oder Eigenschaften, durch ihre Herkunft oder durch bestimmte Taten in das Blickfeld des öffentlichen Interesses gelangt sein können; Umstände, die für sich genommen noch nicht zur Entprivatisierung von Informationen führen. Tote genießen, sofern sie in die Personenkategorien des § 32 Abs. 1 Nr. 3, 4, Abs. 3 Nr. 2, 3 StUG fallen, keinen Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Bei ihnen ist in die Abwägung nur noch der in Art. 1 Abs. 1 GG wurzelnde Würdeschutz einzustellen.

II. In sachlicher Hinsicht Die Wurzel des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts besteht aus der Selbstentfaltung und dem Würdeschutz. Von hieraus sind seine Gewährleistungsbereiche zu bestimmen. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt nur solche individuellen Zustände, die eine gesteigerte, dem Schutzgut der übrigen Grundrechte vergleichbare Relevanz für die Persönlichkeitsentfaltung und das menschliche Sein besitzen. Anders als das zivilrechtliche Persönlichkeitsrecht beinhaltet das Allgemeine Persönlichkeitsrecht keinen Vermögensschutz. Es beinhaltet daher auch kein Recht an der exklusiven Verwertung der „eigenen“ Daten.

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Die nachfolgend zu erörternden Kategorien sind insofern nicht als abschließend zu verstehen. Sie werden nur typischerweise im Zusammenhang mit der Herausgabe und Veröffentlichung personenbezogener Informationen relevant. 1. Informationelle Selbstbestimmung Der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung umfasst grundsätzlich den Schutz sämtlicher personenbezogener Daten. Eine irgendwie geartete Betroffenheit der Selbstbestimmung der Person im oben dargelegten Sinne nach dem Inhalt oder nach der Art der Erhebung oder Verwendung personenbezogener Daten kann nicht von vornherein gänzlich ausgeschlossen werden. Allerdings ist ein Eingriff in den Schutzbereich überhaupt nur dort zu konstatieren, wo von der Informationsverwendung für die Entfaltung des Einzelnen noch Gefahren ausgehen. Ein allgemeines Verfügungs- oder Eigentumsrecht über die bzw. an den „eigenen“ Daten gibt es so gesehen nicht. Insbesondere bei Informationen, die weit zurückliegen und jeglichen Aktualitätsbezug vermissen lassen, ist genau zu prüfen, ob eine Beeinträchtigung der Entfaltungsfreiheit durch Bekanntgabe der Information überhaupt noch zu befürchten ist. 2. Privatsphäre Eine Bestimmung der Privatsphäre kann nur in Ansehung des konkreten Einzelfalles erfolgen. Sie umfasst all jene Angelegenheiten, die typischerweise als ‚privat‘ eingestuft werden. Maßgeblich ist, was sich für einen objektiven Dritten als Privatsphäre des Betroffenen darstellt. Entscheidende Elemente sind dabei nach ständiger Rechtsprechung die nach außen für einen Dritten erkennbare Abschirmung und auch das Vorverhalten des von der Herausgabe und Veröffentlichung der Stasi-Unterlagen Betroffenen. Die zunächst objektiv festzulegende Grenze der Privatheit wird somit bis zu einem gewissen Grade subjektiviert. Ausschlaggebend bei der Beurteilung ist nicht die damalige, sondern die heutige Situation, da der Eingriff in der Informationsherausgabe und Veröffentlichung und nicht in der Informationserhebung liegt. Einen im Verhältnis zur Informationserhebung fortgesetzten Grundrechtseingriff stellt die Herausgabe und Veröffentlichung aufgrund der verschiedenen Handlungsträger – damals das MfS, heute die BStU –, vor allem aber wegen der diametral entgegensetzten Zwecksetzung – damals Staatssicherheit, heute Aufarbeitung – nicht dar. So kann sich ein Umstand der seinerzeit privat war, heute durchaus als entprivatisiert darstellen.

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An eine „Entprivatisierung“ von Informationen durch konkludente Einwilligung sind strenge Anforderungen zu stellen. Sie kann vermutet werden. Jedoch kann von einer einmal abgegebenen Einwilligung zur Herausgabe von Informationen auf die Einwilligung in die Herausgabe von anderen Informationen nur dann geschlossen werden, wenn ein hinreichender Ähnlichkeitsgrad der Sachverhalte und ein zeitlicher Zusammenhang besteht. Die Privatsphäre lässt sich in drei Bereiche aufteilen: die inhaltliche Privatsphäre, die räumliche Privatsphäre und personengebundene Vertrauenssphäre (Vertraulichkeitsverhältnisse). Ein Eingriff in das Recht auf Privatsphäre durch Herausgabe und Veröffentlichung der personenbezogenen Informationen aus den Stasi-Unterlagen kommt nur im Hinblick auf die inhaltliche Privatsphäre in Betracht. Bestandteil der inhaltlichen Privatsphäre sind in der Regel Informationen über: – das Intim- und Sexualleben; – häusliche Gepflogenheiten; – Aufzeichnungen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind; – den physischen und psychischen Zustand eines Menschen; – die emotionale Verfassung; – innere Gedanken, Gespräche; – Umgangsformen mit Vertrauenspersonen (Familien und Personen, zu denen eine ähnlich intensive Bindung besteht); – Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Die Definition dessen, was typischerweise zur inhaltlichen Privatsphäre gehört, ist die gleiche für Person im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 StUG. Etwa auch Einkommens- oder Vermögensverhältnisse von Personen im Sinne der Nr. 3 gehören grundsätzlich der Privatsphäre an. Unterschiede hinsichtlich der Herausgabe und Veröffentlichung von diesbezüglichen Informationen können sich allenfalls aus dem entgegenstehenden Aufarbeitungsinteresse ergeben: Der Privatsphärenschutz ist hier aber derselbe. Wohl aus dem Bereich heraus fallen Auszeichnungen, akademische Qualifikationen, beruflicher Werdegang, Ehrenämter und Funktionen, da der Einzelne hier typischerweise in die Sozialsphäre eingetreten ist, denn akademische Qualifikationen, Auszeichnungen usw. werden typischerweise nicht im Geheimen erworben. Grundsätzlich nicht zur Privatsphäre gehören amtsbezogene Informationen. Das Amt und die Funktion ist ein Bereich, der der Person nicht „kraft

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ihres Menschseins“ allein zukommt, sondern ein künstlich geschaffener. Er gehört damit per se nicht zu dem für die freie Entfaltung der Persönlichkeit konstitutiven Bereich, in dem der Einzelne es verdient, in Ruhe gelassen zu werden. Eine Betroffenheit des Privatlebens ist allenfalls bei Informationen denkbar, die den Einfluss der Privatperson auf die Amts- oder Funktionsausführungen betreffen. Die räumliche Privatsphäre ist nur insoweit ein schützenswertes Interesse im Rahmen des § 32 Abs. 1 S. 2; Abs. 3 S. 2 StUG als sie zugleich eine Menschen-(nicht Grund-)Rechtsverletzung darstellt. Eine Verletzung der räumlichen Privatsphäre durch die Herausgabe der durch Einbruch in die räumliche Privatsphäre erlangten Informationen kommt nicht in Betracht, da der Einbruch in die räumliche Privatsphäre ein punktueller Eingriff ist und ein fortgesetzter ideeller räumlicher Privatsphärenschutz in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG keine Grundlage findet. Gleiches gilt für die Kommunikation zu einem begrenzten Kreis Dritter. 3. Recht am eigenen Wort Das Recht am eignen Wort ist regelmäßig in Bezug auf die Herausgabe und Veröffentlichung von Wortlautprotokollen (auch indirekten), Tonbandaufnahmen und Videomitschnitten betroffen. Es schützt in spezifischer Weise vor den mit der Ablösung von Stimme, Wortklang und Ausdruck von der Person des Äußernden verbundenen Gefahren für die Entfaltungsfreiheit. Allerdings ist auch das Recht am eigenen Wort als Bestandteil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts einschränkbar, wie sich aus Art. 2 Abs. 1 2. HS GG ergibt. Daher bedarf es auch insoweit der Abwägung mit dem Regelungsziel der Aufarbeitung. Regelmäßig wird aber aufgrund des mit der Herausgabe von Abhörprotokollen und Videomitschnitten verbundenen erheblichen Eingriffs das Aufarbeitungsanliegen zurückstehen müssen. 4. Recht auf Selbstdarstellung Ebenfalls als schutzwürdiges Interesse in Betracht kommt das Recht auf Selbstdarstellung. Es schützt vor Falschzitaten, der Unterstellung von nicht getätigten Äußerungen, Fotomontagen usw. Sofern jedoch die Unwahrheit Teil der Wahrheit ist und die Wahrheit nicht ohne die Unwahrheit dargestellt werden kann, kann die Verwendung unwahrer tatsachenbezogener Informationen ausnahmsweise zulässig sein. Hier ist dann jedoch im Einzelfall zu prüfen, ob die Schwere des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht durch das Aufarbeitungsinteresse überhaupt aufgewogen werden kann und inwieweit der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, sei es durch Anonymi-

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sierungen, Klarstellung des mangelnden Wahrheitsgehalts etc. reduziert werden kann. 5. Ehrschutz Der Ehrschutz beinhaltet die Achtung vor dem Eigenwert der Person. Der Eigenwert einer Person bemisst sich nach einem angeborenen Kernbestand an Ehre und einer individuell erworbenen weiteren Ehre. Daher kommt eine Berufung auf den Ehrschutz im Hinblick auf wahre Informationen über die Amtsausübung, Funktionsinhabe, den Empfang einer Begünstigung und die zeitgeschichtliche Rolle regelmäßig nicht in Betracht. Bei der Verbreitung unwahrer Tatsachen liegt regelmäßig schon ein Eingriff in das Recht auf Selbstdarstellung vor. Ist diese zudem noch als herabwürdigend einzustufen, liegt auch eine Verletzung des Ehranspruchs vor. Jedoch begründet allein die Herausgabe eines vom Staatssicherheitsdienst verfassten, an sich diffamierenden Berichts noch keinen Eingriff in den Ehranspruch. Gleiches gilt für die Veröffentlichung, solange sich der Veröffentlichende diese Information nicht zu Eigen macht. Dies wird man jedoch annehmen müssen, wenn der Hinweis auf die Quelle unterbleibt, und zwar auch dann, wenn auf irgendeine Quelle abstrakt verwiesen wird. Denn erst durch den Hinweis auf die Staatssicherheit als Autor erhält insbesondere ein an sich schmähendes Werturteil die Konnotation des Regimes mit seinen spezifischen Wertvorstellungen. Erst der Hinweis auf die Quelle ermöglicht eine sachgerechte Einordnung und Hinterfragung. Maßgeblich für die Bestimmung des Geltungswertes eines jeden ist der Zeitpunkt der Herausgabe der personenbezogenen Information durch die BStU bzw. der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Information. In den Grenzen der Menschenwürde kommt der Ehrschutz auch Verstorbenen zu. Geschützt wird konkret das Lebensbild des Verstorbenen in der Wahrnehmung der Nachwelt, sein sittlicher, personaler und sozialer Geltungswert. Inwieweit darüber hinaus auch Angehörige den Schutz des Andenkens Verstorbener geltend machen können, ist zweifelhaft, da in die Abwägungsmasse dem Wortlaut des §§ 32, 34 StUG nach explizit nur die entgegenstehenden Interessen der dort genannten Personen einfließen.

B. Überwiegen Abstrakt überwiegt der Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts stets. Dies ergibt sich aus der normenhierarchischen Stellung gegenüber dem einfachgesetzlichen Anliegen der Aufarbeitung. Diesem grundsätz-

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lichen Vorrang des Persönlichkeitsrechts hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass er personenbezogene Daten grundsätzlich sperrt und nur in den Fällen, in denen es um die gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung geht, die Herausgabe und Veröffentlichung zulässt. In diesen Fällen besteht eine grundsätzliche Annahme, dass das Aufarbeitungsinteresse schwerer wiegt. Nur wenn dieser Grundsatz im Einzelfall durchbrochen wird und die schutzwürdigen Interessen der in den Unterlagen erwähnten Person überwiegen, muss die Herausgabe unterbleiben. Dabei ist zugunsten der Offenlegung zudem die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Presse- und Forschungsfreiheit, die in den einfach-gesetzlich gewährten Informationszugang ausstrahlt, zu berücksichtigen. Der Abwägungsprozess kann durch die Unterscheidung zwischen rechtsgutsbezogenen und regelungsbezogenen Abwägungskriterien strukturiert werden. Bei ersteren handelt es sich um Kriterien, die eine Gewichtung bereits aufgrund der Betroffenheit bestimmter Gewährleistungsbereiche zulassen. Bei letzteren geht es um Kriterien, die erst in Ansehung der konkreten Eingriffshandlung zum Tragen kommen. I. Rechtsgutsbezogene Abwägungskriterien Je enger, je dichter die Bezugspunkte eines von der Herausgabe und Veröffentlichung tangierten Rechtsguts zu einem verfassungsrechtlich abgesicherten Rechtsgut sind, desto schwerer wiegt das Interesse dieses Rechtsgut. Das Gewicht eines Rechtsgutes wird zudem erhöht, je dichter die Bezugspunkte zu einem der durch Art. 79 Abs. 3 GG abgesicherten Rechtsgüter sind. Das heißt, je mehr die mit der Herausgabe und Veröffentlichung der konkreten Informationen bezweckte Aufarbeitung auch verfassungsschützende Elemente enthält, desto höher ist das Aufarbeitungsanliegen zu gewichten. So erhält das Aufarbeitungsanliegen in Bezug auf Informationen, die die Stasiverwicklungen aktiver Politiker zum Gegenstand haben, durch seine Bedeutung für den Wahlakt eine Verstärkung durch das Demokratieprinzip. Umgekehrt ist etwa bei der Herausgabe und Veröffentlichung von ehrrührigen Informationen die besondere Nähe zur Menschenwürde im Sinne einer Erhöhung des schutzwürdigen Interesses zu berücksichtigen. II. Regelungsbezogene Abwägungskriterien Die Anzahl potentieller regelungsbezogener Abwägungskriterien ist genauso wenig abschließend definierbar wie die Zahl der denkbaren Regelungen. In diesem Kontext sollen nur einige wesentliche Fälle und die dazugehörigen Differenzierungskriterien, die im Zusammenhang mit der Regelung

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immer wiederkehren, aufgezeigt werden. Allgemeiner Ausgangspunkt für den Abwägungsprozess muss jedoch folgender Leitsatz sein: Das Aufarbeitungsinteresse wird umso eher zurückstehen müssen, je größer die Gefahr ist, dass die betroffene Person in der Öffentlichkeit herabgesetzt und in ihrer privaten, beruflichen, gesellschaftlichen Existenz beeinträchtigt wird. 1. Eingriffskumulation Es ist denkbar, dass die Herausgabe und/oder Veröffentlichung zugleich in mehrere Gewährleistungsbereiche eingreift. Ist dies der Fall, ist die Eingriffskumulation zugunsten des schützenswerten Interesses erschwerend zu berücksichtigen. Gerade vor diesem Hintergrund kommt es auf eine genaue Abgrenzung der Gewährleistungsbereiche an. 2. Personaler Anteil der Informationen Es versteht sich vor dem Hintergrund des unter II Gesagten, dass die Anforderungen an das Zugänglichmachen von personenbezogenen Informationen umso höher sind, desto höher der „personale Anteil“ an der jeweiligen Information ist, wogegen die Eingriffsschwelle sinkt, je stärker die zeitgeschichtliche Rolle bzw. die Amts- und Funktionsausübung der jeweiligen Person im Vordergrund steht. 3. Wert für die Aufarbeitung des MfS Grundsätzlich gilt, dass Aufarbeitung umfassend sein soll. Bei erhöhten Eingriffen in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht kann auch der Wert der Information für die Aufarbeitung relevant werden, insbesondere in Bereichen, die bereits hinreichend erforscht wurden. Das individuelle Schutzinteresse muss umso mehr zurücktreten, je größer der Informationswert für die Aufklärung des MfS ist, während umgekehrt der Persönlichkeitsschutz umso schwerer wiegt, je unbedeutender die Information für die Aufarbeitung des Staatssicherheitsdienstes oder anderer Herrschaftsmechanismen der ehemaligen DDR oder der sowjetischen Besatzungszone sind. In diesen Rahmen spielt auch die zeitliche Komponente eine Rolle. Ist ein Bereich schon weitgehend erschlossen, dann sinkt das Gewicht der Aufarbeitung. Neben dem Informationswert kommt dem Wert des Projekts, für das die Information Verwendung finden soll, Bedeutung zu.

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4. Rolle des Betroffenen Im Hinblick auf die Rolle des Betroffenen sind verschiedene Faktoren für die Abwägung ausschlaggebend: seine Position, bei Mitarbeitern und Begünstigten darüber hinaus die Dauer der Zusammenarbeit, die Art der Begünstigung, das Einsatzgebiet, der Beitrag zur Schädigung Dritter, die Verwerflichkeit seines Handelns, aber auch die Kenntnis des Systems. Es kommt dagegen nicht auf die heutige Rolle des Betroffenen an, da der Zweck der Herausgabe als auch der Veröffentlichung nicht die allgemeine Befriedigung des öffentlichen Interesses oder Aufarbeitung allgemein ist, sondern die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes. Hierfür ist die heutige Position, sofern kein Bezug zur Staatssicherheit vorliegt, irrelevant. Je höher die Position bei Amtsträgern, Funktionsinhabern und Mitarbeitern des MfS und je größer die Begünstigung bei Begünstigen des Staatssicherheitsdienstes war bzw. je bekannter die Person der Zeitgeschichte war bzw. ist, desto schwerer wiegt das Aufarbeitungsinteresse und dementsprechend weit muss ggf. das schutzwürdige Interesse am Persönlichkeitsschutz der Betroffenen zurücktreten. Ob die Person aus dem ehemaligen Ostblock stammt oder nicht, spielt entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts keine Rolle. Bei Personen der Zeitgeschichte ist zu berücksichtigen, ob sie nur als allgemeines Anschauungsbeispiel dienen oder auch spezifisch wegen ihrer Rolle für die Staatssicherheit beobachtet wurden. Im ersteren Fall wiegt der Persönlichkeitsschutz schwerer als im letzteren Fall. 5. Wahrheitsgehalt Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes besitzen nicht die Beweiskraft einer Urkunde. Jedoch gibt es auch keine generelle Vermutung für die Unwahrheit der aus ihnen hervorgehenden Informationen. Zweifel am Wahrheitsgehalt sind in den Abwägungsprozess einzubeziehen und durch entsprechende Verfahrensregeln zu flankieren. Da in Bezug auf die Stasi-Unterlagen auch die Lüge ein Teil der Wahrheit ist, kommt ein Ausschluss der Veröffentlichung nur bei wissentlicher oder offensichtlicher Verwendung von Falschinformationen in Betracht. Sofern sich Zweifel an dem Wahrheitsgehalt einer Information ergeben, entspricht es dem Minimalstandard an Sorgfalt, hierauf durch Distanzierung in den Formulierungen und eine Quellenangabe hinzuweisen. Sind für den Betroffenen bei der Veröffentlichung besonders einschneidende Folgen zu erwarten, dann wird man neben der formalen Zuordnung zum Staatssicher-

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heitsdienst der DDR auch den Nachweis der konkreten Mitwirkung an Menschenrechtsverletzungen fordern müssen, wie es die Gerichte etwa in den Kündigungsfällen gehandhabt haben. Bei Unklarheiten können sich die Anforderungen an den Persönlichkeitsschutz bis hin zu einer Rückfragepflicht verdichten. 6. Verwendungsstufe Von entscheidender Bedeutung ist auch die Verwendungsstufe. Denn die von der Kenntnisnahme personenbezogener Informationen eines unüberschaubaren Personenkreises ausgehenden Gefahren für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht bei der Veröffentlichung sind sehr viel größer als die der Herausgabe an einzelne Personen. Dies gilt umso mehr für die nunmehr vorgesehene Möglichkeit der Internetveröffentlichung (§ 37 Abs. 1 Nr. 5 StUG). Andererseits kann allein diese Tatsache der Veröffentlichung von personenbezogenen Informationen nicht grundsätzlich entgegenstehen, ist doch gerade die Veröffentlichung insbesondere für die politische Auseinandersetzung mit der DDR-Diktatur von entscheidender Bedeutung. Es müssen hier weitere Umstände hinzutreten, die den Persönlichkeitsschutz der in den Unterlagen erwähnten Personen als vorrangig erscheinen lassen.

7. Seriosität des Verwenders Kann die Seriosität des Verwenders zwar nicht als abstraktes Kriterium den Zugang und die Möglichkeit der Veröffentlichung durch bestimmte Verwender sperren, kann sie jedoch ein Abwägungskriterium sein. Sofern es konkrete Anhaltspunkte für einen Missbrauch seiner durch Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 GG privilegierten Stellung gibt, kann dies im Extremfall – etwa im Fall wiederholter Verstöße gegen das Stasi-Unterlagen-Gesetz oder im Fall, dass Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die in einem zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang stehen, zu besorgen sind – zu einer Herausgabeverweigerung führen.

8. Adressatenkreis Bei der Feststellung der Intensität des mit der Veröffentlichung der personenbezogenen Informationen verbundenen Eingriffs in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist auch der Adressatenkreis zu berücksichtigen. Dabei ist nicht auf die Verständigkeit desselben, sondern vielmehr auf den zu erwartenden Verbreitungsgrad der Publikation abzustellen.

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9. Zeitablauf In Bezug auf die Personengruppen des § 32 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 StUG ist zudem der Zeitablauf zu berücksichtigen. Aus dem Resozialisierungsgedanken folgt, dass sich im Rahmen der §§ 32, 34 StUG mit zunehmendem Zeitablauf die Rechtfertigungslast auf das Aufarbeitungsanliegen verschiebt.

§ 4 Keine erkennbare Menschenrechtsverletzung Die Informationserhebung findet nur insoweit Berücksichtigung, als mit ihr eine „erkennbare Menschenrechtsverletzung“ verbunden ist. Diesbezüglich ist keine verfassungskonforme Auslegung nötig. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive gibt es nämlich kein generelles Verwertungsverbot. Vielmehr kommt es auf die Abwägung zwischen den durch die Informationserhebung und Verwendung beeinträchtigten Rechtspositionen einerseits und der Freiheit der Berichterstattung bzw. der Forschung andererseits an.

A. Menschenrechtsverletzung Der Maßstab der Menschenrechtsverletzung ist ein Maßstab sui generis. Die Absetzung vom Grundrechtsmaßstab hat der Gesetzgeber mit der Wahl des Terminus „Menschenrechtsverletzung“ zum Ausdruck gebracht. Aus dem Sinn und Zweck der Regelung, die sich grundsätzlich für die Offenlegung der dort genannten personenbezogenen Informationen ausspricht, folgt ferner, dass als Menschenrechtsverletzung nicht jede Verletzung des Rechts auf den Schutz persönlicher Daten gemeint sein kann. Vielmehr geht es um über die unzulässige Erhebung personenbezogener Daten hinausgehende Verletzungen von anderen Rechtsgütern als der freien Entfaltung, wie sie sich der Verfassung der DDR und den internationalen Menschenrechtsinstrumenten entnehmen lassen. Hierzu zählen etwa: – das Folterverbot; – der Schutz der Familie; – der Schutz der Wohnung. Die Verletzung des Spionageverbots stellt keine Menschenrechtsverletzung dar. Dessen Schutzobjekt ist der Staat und nicht der Mensch. Der Begriff der Menschenrechtsverletzung ist für alle von der Herausgabe und Veröffentlichung personenbezogener Informationen Betroffenen einheitlich zu definieren.

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B. Erkennbar Es kommt auch weiterhin entscheidend auf die Erkennbarkeit der Menschenrechtsverletzung an. Für eine solche müssen sich konkrete Anhaltspunkte aus den Akten ergeben. Eine Beweislastumkehr ist entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch nicht geboten, da etwaige Rechtsschutzlücken durch das Anhörungsverfahren aufgefangen werden. Denn die Erkennbarkeit muss sich nicht aus den Akten ergeben, sie kann sich auch im Rahmen der Anhörung ergeben.

§ 5 Anspruchsberechtigte Anspruchsberechtigt sind a) nach § 32 Abs. 1 StUG die Forschung und b) nach § 34 Abs. 1 StUG Presse, Rundfunk, Film, deren Hilfsunternehmen und die für sie journalistisch-redaktionell tätigen Personen. Sie sind dem Wortlaut nach grundsätzlich gleichgestellt. Dies begründet sich aus ihrer komplementären Rolle im Aufarbeitungsprozess. Dass die Medien und die Forschung gleichwohl in zwei unterschiedlichen Normen geregelt sind, ist allein dem Umstand geschuldet, das die Medienregelung erst zu einem späteren Zeitpunkt eingeführt wurde. Ein Unterschied hinsichtlich der Reichweite des Aktenzugangs sollte damit nicht zum Ausdruck gebracht werden.

A. Definitionen/Abgrenzung Unter Forschung wird jede schöpferisch-geistige Tätigkeit Einzelner oder von Gruppen mit dem Ziel verstanden, in methodisch-systematisch nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen. Es kommt darauf an, ob die Tätigkeit des Forschenden als nach Inhalt und Art ernsthafter und planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist. Unter Presse wird der Produzent von zur Verbreitung an die Allgemeinheit bestimmten Druckerzeugnissen sowie audio-visuellen Speichermedien wie Tonbändern, CD-ROMs usw. verstanden. Rundfunk meint den Produzenten von Veranstaltungen zur Verbreitung von akustischen und visuellen Darbietungen aller Art: Fernsehen, Rundfunk, Internetdarbietungen. Mit Film sind Produzenten chemisch- bzw. elektronisch-optischer Bilder, die in der Öffentlichkeit am Ort des Abspielens vorgeführt werden, gemeint. Abgrenzungsmerkmal zwischen den Medien des § 34 StUG und der Forschung in § 32 StUG ist die Zielrichtung. Während bei der Forschung die

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Erkenntnis im Vordergrund steht, steht bei den Medien die Verbreitung im Vordergrund. Sonach kann etwa ein „forschender Journalist“, der sich nicht auf die reine Verbreitung von bereits vorhandenen Erkenntnissen beschränkt, auch die Forschungsfreiheit in Bezug auf umfangreichere Recherchen für sich in Anspruch nehmen.

B. Keine Bewertung nach qualitativen Kriterien Eine Unterscheidung von Forschung und Medien nach qualitativen Kriterien kommt nicht in Betracht. Zugangsberechtigt sind grundsätzlich alle Forscher und Medienvertreter, unabhängig von der potentiellen Qualität ihrer Erkenntnisse und Erzeugnisse. Studenten und Hobbyforscher sind genauso zugangsberechtigt wie Vertreter von führenden Forschungseinrichtungen. Gleiches gilt für Vertreter der Boulevardpresse und anderen Pressevertretern. Auch ist eine Differenzierung zwischen verschiedenen Forschern, solchen die an Forschungseinrichtungen und solchen, die nicht an Forschungseinrichtungen angebunden sind, hinsichtlich der Reichweite des Informationszugangs, wie sie in § 32 Abs. 1 Nr. 7 StUG vorgesehen ist, nicht zulässig. Eine solche Differenzierung verstößt mangels sachlichen Differenzierungsgrundes gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist daher verfassungskonform auszulegen. Vielmehr sind die Grundsätze, die die BStU für Forscher aus nicht etablierten Forschungseinrichtungen entwickelt hat: thematische Beschreibung, Konzept, genaue Darlegung des Verwendungszwecks ebenso auf alle anderen Forscher einheitlich anzuwenden. Auf einen Vertrag mit einem Fachverlag kann und darf es nicht ankommen, da dieser in der Regel erst nach Beendigung der Arbeit geschlossen wird. Oftmals entwickelt sich die Erforschungswürdigkeit eines Themas erst mit der Zeit. Zulässig ist dagegen die abstrakte Abstufung zwischen mehr oder weniger bedeutenden Forschungsprojekten, die nun auch im geänderten Wortlaut des § 32 Abs. 1 Nr. 7 StUG Eingang gefunden hat. Sie diskriminiert nicht nach der Institution, sondern schichtet mit Hilfe eines legitimen Differenzierungskriteriums den Zugang zum Schutze des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Differenzierungsziel) ab.

C. Keine Differenzierung zwischen Forschung und Medien Anders als vom Bundesverwaltungsgericht angenommen ist auch zwischen Forschung einerseits und Medien andererseits keine Differenzierung im Hinblick auf den Zugang zu bestimmten Unterlagen zu treffen. Dies er-

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gibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, der in § 34 Abs. 1 StUG unbeschränkt auf § 32 StUG verweist. Eine Reduktion dieses Rechtsgrundverweises ist von Verfassungswegen nicht geboten. Ein Abstellen auf Seriösitätserwägungen, um einen unterschiedlichen Zugang von Medien und Forschung zu begründen, verstieße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Abstellen auf den Umstand, dass gerade die Medien im Gegensatz zur Forschung auf Veröffentlichung abzielten, von der – wie gezeigt – regelmäßig eine größere Gefahr für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ausgeht, überzeugt nicht, denn auch wissenschaftliche Erkenntnisse werden regelmäßig publiziert, da sich gerade im zeitgeschichtlichen Bereich anders eine Verifizierung der Forschungsergebnisse nicht erreichen lässt. Eine Regel dahingehend, dass im Falle von Menschenrechtsverletzungen bei der ursprünglichen Informationserhebung die Medien immer zurückstehen müssen, gibt es nicht.

§ 6 Prüfungsstufe/Beweislast/ Überprüfungsmöglichkeit Hinsichtlich der Überprüfung der Einhaltung der Tatbestandsvoraussetzungen ist zwischen zwei Stufen zu unterscheiden, und zwar dem der Herausgabe der Informationen durch die BStU und dem der Veröffentlichung. Diese Differenzierung ist verfassungsrechtlich geboten, denn die von der Veröffentlichung ausgehenden Gefahren für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, die unkontrollierbare Diffusion der Informationen, die Verfälschungsgefahr durch selektive Herauslösung von Informationen ist ungleich höher als bei der Informationsherausgabe. Bei der Herausgabe überprüft die Behörde das Vorliegen der Herausgabevoraussetzungen, wobei inzident auch die Fernwirkungen der Veröffentlichung zu berücksichtigen sind. Allerdings sind der behördlichen Überprüfung im Hinblick auf die Einhaltung der Zwecksetzung Grenzen durch die Forschungs- und Pressefreiheit gesetzt. Um hier nicht zum Richter über das zu werden, über das was erforschungs- und berichterstattungswürdig ist, wird es die BStU grundsätzlich der Presse überlassen müssen, nach publizistischen Kriterien zu entscheiden, was sie des öffentlichen Interesses oder genauer der Aufarbeitung für wert hält und was nicht. Gleiches gilt für die Forschung in Bezug auf die Erforschungswürdigkeit eines Sachverhalts. Auch die vergleichsweise hohe Sachkenntnis der Behörde im Bereich der Aufarbeitung vermag eine andere Folgerung nicht zu begründen, da sich gerade aus der Natur der Aufarbeitung als Gesellschaftsprozess eine gewisse Staatsdistanz ergibt. Dies schließt es auch ein, dass einem auf bloße Vermutungen hinsichtlich der

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Aufarbeitungsrelevanz eines Sachverhalts gestützten Ersuchen stattgegeben werden muss. Daher ist die Prüfung der Notwendigkeit der Informationsherausgabe zum Zwecke der Aufarbeitung auf eine Evidenzprüfung beschränkt. Eine Grenze besteht freilich dort, wo die Vermutung nicht nachvollziehbar begründet ist und wenn sich aus der Art und Weise des Ersuchens bereits ergibt, dass der ausforschende Charakter klar im Vordergrund steht. Vor der Ablehnung eines Antrags besteht, wenn der Antrag verschiedene Deutungsmöglichkeiten zulässt, eine Pflicht zur Nachfrage. Diese Kooperationspflicht folgt aus dem vom Gesetzgeber verlangten Ausgleich zwischen dem Aufarbeitungsanliegen der Forschung und Presse und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht der in den Unterlagen Erwähnten. Auf der Veröffentlichungsstufe haben Medien und Forschung die Überprüfung in eigener Regie vorzunehmen. Dabei sind im Gegensatz zur Herausgabestufe insbesondere die aus der Veröffentlichung erwachsenden Gefahren für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zu berücksichtigen. Eine allgemeine Abwägungsleitlinie, wonach Informationen aus Stasi-Unterlagen nicht eins zu eins wiedergegeben dürfen, gibt es nicht. Denn saubere wissenschaftliche Arbeit zeichnet sich gerade durch genaue Quellenzitierung aus, um eine bestmögliche Nachprüfbarkeit zu ermöglichen. Der Verweis auf die mögliche Einsicht in die Akten genügt dem nicht, da der Zugang zu ihnen gerade nicht allen Personen offen steht.

§ 7 Benachrichtigungspflicht Die gleichwohl verbleibende Unbestimmtheit des Tatbestand der §§ 32, 34 StUG wird durch verfahrensrechtliche Vorkehrungen zum Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts kompensiert. Die zentrale Vorschrift ist die Benachrichtigungspflicht nach § 32 a StUG. Sie ist insbesondere für das zentrale Tatbestandsmerkmal des § 32 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 2 StUG, die erkennbare Menschenrechtsverletzung, von Bedeutung. Sie ist Ausfluss des verfassungsrechtlich abgesicherten Anspruchs auf rechtliches Gehör und daher über ihren Wortlaut hinaus auch auf die Personenkategorien des § 32 Abs. 1 Nr. 3 StUG anzuwenden. Werden die in den Unterlagen enthaltenen Informationen bestritten, ist dies analog zu § 4 Abs. 2 StUG auf einem getrennten Blatt zu vermerken, das den Akten beizulegen ist.

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Entscheidungsverzeichnis (Die Namen der Entscheidungen sind nicht amtlich.) Bundesverfassungsgericht 1952 Urteil

§ 96 GOBT SRP

06.03.1952 23.10.1952

BVerfG 1, 144 BVerfG 2, 1

Beschluss

Lippe I LandeswahlG NRW Bindung des Richters an Art. 3 GG

24.02.1954 03.06.1954 20.07.1954

BVerfG 3, 267 BVerfG 3, 383 BVerfG 4, 1

1955 Urteil Beschluss

Lippe II Bestimmtheitsgebot

28.07.1955 30.11.1955

BVerfG 4, 250 BVerfG 4, 352

Elfes KPD

22.02.1956 17.08.1956

BVerfG 6, 32 BVerfG 5, 85

Lüth Apotheken Preisgesetz Mindestmilchmenge

15.01.1958 11.06.1958 12.11.1958 17.12.1958

BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG

Grundrechtsverwirkung

06.10.1959

BVerfG 10, 118

Sowjetzonales Strafurteil II Jugendgefähdende Schriften Personenbeförderungsgesetz Kriegsdienstverweigerer I

31.05.1960 22.06.1960 08.06.1960 20.12.1960

BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG

Schmid-Spiegel Entschädigung für KPD-Mitglieder

25.01.1961 27.06.1961

BVerfG 12, 113 BVerfG 13, 46

1954 Urteil

1956 Urteil

1958 Urteil Beschluss

1959 Beschluss 1960 Beschluss

1961 Beschluss

7, 7, 8, 9,

198 377 274 39

11, 11, 11, 12,

150 234 168 45

Entscheidungsverzeichnis 1963 Beschluss 1964 Beschluss

1965 Beschluss 1966 Urteil Beschluss 1967 Urteil

Beschluss

1968 Beschluss

1969 Urteil Beschluss

1970 Urteil Beschluss 1971 Beschluss

413

Liquorentnahme

10.06.1963

BVerfG 16, 194

Eheverfehlung Nachprüfung richterlicher Entscheidungen

07.04.1964

BVerfG 17, 313

10.06.1964

BVerfG 18, 85

Haftverschonung

15.12.1965

BVerfG 19, 342

Sammelungsgesetz Spiegel Nulla poena sine lege

05.08.1966 05.08.1966 25.10.1966

BVerfG 20, 150 BVerfG 20, 162 BVerfG 20, 323

Steuerbevollmächtigte Arbeitsvermittlungsmonopol I Arbeitsvermittlungsmonopol II Coburg I Grundstücksverkehrsgesetz Rentenversicherungsträger Waisenrente

12.02.1967 04.04.1967 04.04.1967 18.07.1967 12.01.1967 02.05.1967 28.11.1967

BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG

Adoption Mühlenerrichtung

29.07.1968 18.09.1968

BVerfG 24, 119 BVerfG 25, 1

Mikrozensus Propaganda pro KPD Geib/Stern Leipziger Volkszeitung Besatzungsschäden (West) II

16.07.1969 14.01.1969 11.03.1969 03.10.1969 03.12.1969

BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG

Scheidungsakten I Abhörung Kriegsdienstverweigerer II

15.01.1970 15.12.1970 26.05.1970

BVerfG 27, 344 BVerfG 30, 1 BVerfG 28, 243

Mephisto Doppelbesteuerung Schulbuchprivileg

24.02.1971 10.03.1971 07.07.1971

BVerfG 30, 173 BVerfG 30, 292 BVerfG 31, 229

21, 21, 21, 22, 21, 21, 22,

27, 25, 25, 27, 27,

173 245 261 221 73 362 167

1 44 296 71 253

414 1972 Beschluss

Entscheidungsverzeichnis

Strafgefangenenbrief NC Zeugniszwang

14.03.1972 18.07.1972 19.07.1972

BVerfG 33, 1 BVerfG 33, 303 BVerfG 33, 367

Coburg II Hochschule Lebach Heimliche Tonbandaufnahmen Tonband Soraya Scheidungsakten II Gefangenenpost I Gefangenenpost II Grundlagenvertrag Nachnahmeversendung lebender Tiere

30.01.1973 29.05.1973 05.06.1973 05.06.1973 23.10.1973 14.12.1973 18.01.1973 11.04.1973 16.05.1973 04.06.1973 02.10.1973

BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG

34, 35, 35, 34, 34, 34, 34, 35, 35, 35, 36,

216 79 202 238 238 269 205 35 311 193 47

Umsatzsteuer RechtsHG Selbstbezichtigung Coburg III

05.03.1974 27.03.1974 08.10.1974 27.11.2974

BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG

36, 37, 38, 38,

321 57 105 231

1975 Urteil Beschluss

Schwangerschaftsabbruch Waisenrente

25.02.1975 18.06.1975

BVerfG 39, 1 BVerfG 40, 121

1976 Urteil Beschluss

Waldeck-Pyrmont Besatzungsschäden (West) II

22.09.1976 13.01.1976

BVerfG 42, 345 BVerfG 41, 126

Lebenslange Freiheitsstrafe Deutsch-tschechoslowakischer Grundlagenvertrag Suchtkrankenakten „vorkonstitutionelle“ Enteignungsfragen

21.06.1977

BVerfG 45, 187

25.01.1977 24.05.1977

BVerfG 43, 203 BVerfG 44, 353

26.10.1977

BVerfG 46, 268

UrhG Hess. UniversitätsG Kalkar Zwangsversteigerung Transsexuelle

25.02.1978 01.03.1978 08.08.1978 27.09.1978 11.10.1978

BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG

1973 Urteil

Beschluss

1974 Urteil Beschluss

1977 Urteil Beschluss

1978 Beschluss

49, 47, 49, 49, 49,

382 327 89 220 286

Entscheidungsverzeichnis 1979 Urteil Beschluss

415

Mühlheim-Kärlich Gerichtspresse Kleingarten Arzthaftung

20.12.1979 06.02.1979 12.06.1979 25.07.1979

BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG

53, 50, 52, 52,

69 234 30 131

Taubenfüttern Eppler Böll Präklusion

23.05.1980 03.06.1980 03.06.1980 07.10.1980

BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG

54, 54, 54, 55,

143 148 208 72

Gefangenenpost III konkursbedingte Aussagepflichten V-Mann

05.02.1981 13.01.1981 26.05.1981

BVerfG 57, 170 BVerfG 56, 37 BVerfG 57, 250

Kredithai Atomanlagen CSU Boykott

20.04.1982 08.07.1982 22.07.1982 15.11.1982

BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG

60, 61, 61, 62,

234 82 1 230

Volkszählung Spurenakten Gegendarstellung Öffentlichkeitsarbeit II Versorgungsausgleich

15.12.1983 12.01.1983 08.02.1983 23.02.1983 27.01.1983

BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG

65, 63, 63, 63, 63,

1 45 131 230 88

Redaktionsschutz Post- und Telefonkontrolle Schwarzer Sheriff Berufsständige Organisation

25.01.1984 20.06.1984 31.10.1984 31.10.1984

BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG

66, 67, 68, 68,

116 157 232 193

1985 Beschluss

Pflichtverteidiger

08.10.1985

BVerfG 70, 297

1986 Urteil

BPB

30.01.1986

NJW 1986, 1243

1987 Urteil Beschluss

Teso Ehrenbezeigungen bei Honecker

21.10.1987 07.09.1987

BVerfG 77, 137 EuGRZ 1987, 387

1980 Beschluss

1981 Beschluss

1982 Beschluss

1983 Urteil Beschluss

1984 Beschluss

416 1988 Beschluss

1989 Beschluss

1990 Beschluss

1991 Urteil Beschluss 1992 Urteil Beschluss

1993 Urteil Beschluss

1994 Beschluss

Entscheidungsverzeichnis

Jugendgefährdende Schriften Familienname Schlechte Schrift

13.01.1988 08.03.1988 26.04.1988

BVerfG 77, 346 BVerfG 78, 38 BVerfG 78, 123

Abstammung Multiple-Choice Reiten im Walde Tagebuch

31.01.1989 14.03.1989 06.06.1989 14.09.1989

BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG

Schubart Einigungsvertrag

16.06.1990 18.09.1990

BVerfG 82, 236 BVerfG 82, 316

Bodenreform I Warteschleifen Honecker I

23.04.1991 24.04.1991 21.01.1991

BVerfG 84, 90 BVerfG 84, 133 NJW 1993, 915

WDR Fangschaltung Lebenslange Freiheitsstrafe Deutsch-polnischer Grenzvertrag Honecker II Honecker III Honecker IV

05.02.1992 25.03.1992 03.06.1992 05.06.1992 11.11.1992 11.11.1992 17.12.1992

BVerfG BVerfG BVerfG EuGRZ BVerfG BVerfG EuGRZ

Akademie der Wissenschaften Maastricht Sonderkündigung Verfahren in Abwesenheit

10.03.1993 12.10.1993 02.03.1993 22.09.1993

BVerfG 85, 360 BVerfG 89, 155 DtZ 1993, 277 BVerfG 89, 120

GJS Ausschwitzlüge Ehelichkeitsanfechtung Sozialauswahl Hauptamtlicher Mitarbeiter Honecker VI Erbrecht

11.01.1994 13.04.1994 26.04.1994 21.04.1994 21.04.1994 14.07.1994 14.12.1994

BVerfG 90, 1 BVerfG 90, 241 BVerfG 90, 263 unveröffentlicht NJ 1994, 316 BVerfG 91, 125 BVerfG 91, 364

79, 80, 80, 80,

256 1 137 367

83, 238 85, 386 86, 288 1992, 306 87, 331 87, 334 1992, 624

Entscheidungsverzeichnis 1995 Beschuss

1996 Beschluss

1997 Urteil

1998 Urteil Beschluss

1999 Urteil

Beschluss

2000 Urteil Beschluss

417

Volkspolizist I Spionage Rechtsmittelbelehrung Soldaten sind Mörder

21.02.1995 15.05.1995 20.06.1995 10.10.1995

BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG

92, 92, 93, 93,

140 277 99 266

Abgeordnetenüberprüfung Mauerschützen

21.05.1996 24.10.1996

BVerfG 94, 351 BVerfG 95, 96

Restitution Fink Lehrerkündigung I BVG-Mitarbeiter SED-Funktionär Kind als Schaden

11.03.1997 08.07.1997 08.07.1997 08.07.1997 01.10.1997 12.11.1997

BVerfG 95, 243 BVerfG 96, 189 BVerfG 96, 152 BVerfG 96, 171 ZBR 1998, 168 BVerfG 96, 375

Kurzberichterstattung Sonderkündigungstatbestände Lehrerkündigung II Lehrerkündigung III Mißbrauchsbezichtigung Richterübernahme Lehrerkündigung IV Amtsenthebung von Notaren Scientology Helnwein

17.02.1998 13.02.1998 08.01.1998 19.03.1998 24.03.1998 04.05.1998 04.08.1998 21.09.1998 10.11.1998 10.11.1998

BVerfG 97, 228 ZBR 1998, 352 VIZ 1999, 46 ZBR 1998, 356 BVerfG 97, 391 NJW 1998, 2592 ZBR 1999, 120 ZBR 1999, 1768 BVerfG 99, 185 NJW 1999, 1322

AAÜG I AAÜG II Caroline v. Monaco III

28.04.1999 28.04.1999 15.12.1999

BVerfG 100, 59 BVerfG 100, 104 BVerfG 101, 361

VermG Gysi III

17.02.1999 17.12.1999

WM 1999, 738 BVerfG 99, 19

Zeugen Jehovas Bodenreform II Krenz I Anhörung IM-Listen IV

19.12.2000 22.11.2000 12.01.2000 18.01.2000 23.02.2000

BVerfG 102, 370 www.bverfg.de NJW 2000, 1480 BVerfG 101, 397 NJW 2000, 2413

418

2001 Urteil Beschluss

2002 Beschluss 2003 Beschluss

2004 Urteil

Beschluss 2005 Urteil

Beschluss

2006 Urteil

Entscheidungsverzeichnis Caroline v. Monaco I Caroline v. Monaco II Willy Brandt Grundbucheinsicht Anwaltszulassung eines ehemaligen Strafrichters Bodenreform III Genetischer Fingerabdruck

31.03.2000 05.04.2000 25.08.2000 28.08.2000

NJW NJW NJW NJW

2000, 2000, 2001, 2001,

2191 2190 594 503

21.09.2000 06.10.2000 14.12.2000

NJ 2001, 32 www.bverfg.de BVerfG 103, 21

Krenz II Ernst August v. Hannover Genetischer Fingerabdruck Kaisen MfS/AfNS Volkspolizist II

24.01.2001 26.04.2001 15.03.2001 05.04.2001 04.04.2001 02.11.2001

BVerfG 103, 44 NJW 2001, 1921 EuGRZ 1996, 249 NJW 2001, 2957 BVerfG 103, 310 DVBl. 2002, 403

Fernmeldegeheimnis

09.10.2002

BVerfG 106, 28

Elternausschluss Umgangsrecht Telefonüberwachung Kanzlerhaare NS-Gedankengut

16.01.2003 09.04.2003 10.06.2003 26.08.2003 05.09.2003

BVerfG 107, 104 BVerfG 108, 82 www.bverfg.de EuGRZ 2003, 638 NVwZ 2004, 90

Sicherungsverwahrung Wohnraumüberwachung Großer Lauschangriff Ladenschlussgesetz Bodenreform IV

05.02.2004 03.03.2004 03.03.2004 09.06.2004 26.10.2004

BVerfG 109, 133 BVerfG 109, 275 BVerfG 109, 279 BVerfG 111, 10 www.bverfg.de

Global Positioning System Europäischer Haftbefehl §§ 33 a Nd.SOG Polizistenehre Stolpe V

12.04.2005 18.07.2005 27.07.2005 23.08.2005 25.10.2005

BVerfG 112, 304 www.bverfg.de BVerfG 113, 348 www.bverfg.de BVerfG 114, 339

Einsicht in Krankenakten Bayrisches Wettmonopol Verbindungsdaten

11.01.2006 28.03.2006 02.03.2006

www.bverfg.de www.bverfg.de NJW 2006, 976

Entscheidungsverzeichnis Beschluss

2007 Beschluss

2008 Urteil Beschluss

419

Luftaufnahmen Babycast Dopingarzt Erkennungsdienstliche Unterlagen Ärztliche Schweigepflicht Charlotte Casiraghi TSG Promipartner Blauer Engel Kanzlerhaare Schweigepflichtklausel Muttermord Vertrauliche Kommunikation

02.05.2006 24.05.2006 24.05.2006 01.06.2006 06.06.2006 06.06.2006 18.07.2006 21.08.2006 22.08.2006 26.08.2006 23.10.2006 19.10.2006 23.11.2006

www.bverfg.de www.bverfg.de www.bverfg.de www.bverfg.de www.bverfg.de www.bverfg.de NJW 2007, 900 NJW 2006, 3406 www.bverfg.de EuGRZ 2003, 639 www.bverfg.de www.bverfg.de www.bverfg.de

Vaterschaft Videoüberwachung Synagoge Videoübertragung Disziplinarverfahren

13.02.2007 23.02.2007 15.03.2007 29.10.2007

www.bverfg.de www.bverfg.de www.bverfg.de www.bverfg.de

Computergrundrecht KfZ-Kennzeichen Caroline von Monaco III

27.02.2008 11.03.2008 18.03.2008

www.bverfg.de www.bverfg.de www.bverfg.de

24.05.2006

Az. 4 CE 06.1217

Verfassungsgerichtshof Bayern 2006 Beschluss

Kommunales Äußerungsrecht

Verfassungsgerichtshof Berlin 1993 Beschluss

Honecker V

12.01.1993

NJW 1993, 515

2006 Beschluss

Polizistenportraits

07.11.2006

Az. 56/05

2008 Beschluss

Gegendarstellung

20.08.2008

Az. 22/08

21.04.2005

Az. 56/04

Verfassungsgericht Brandenburg 2005 Beschluss

Justizminister

420

Entscheidungsverzeichnis

Verfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern 1996 Urteil

Abgeordnetenüberprüfung

11.07.2006

LVerfG 1/96

Bundesverwaltungsgericht 1954 Urteil

Existenzminimum

24.06.1954

BVerwG 1, 159

1977 Urteil

Nachbarklage

29.03.1977

BVerwG 54, 211

1981 Beschluss

Hochschullehrerin II

10.08.1981

NJW 1982, 840

1984 Urteil

Akteneinsicht

13.12.1984

BVerwG 70, 310

1985 Beschluss

Akteneinsichtsrecht

09.10.1985

BayVBl. 1986, 121

1990 Urteil

Tonbandaufzeichnung

03.08.1990

BVerwG 85, 283

2002 Urteil

Kohl II

08.03.2002

BVerwG 116, 104

2004 Urteil

Kohl IV

23.06.2004

BVerwG 121, 115

Bundesgerichtshof in Strafsachen 1952 Urteil

Kriegsgefangenentötung

06.05.1952

BGH 2, 234

1992 Beschluss

Stasiinformationen

05.05.1992

NJW 1992, 1975

1993 Beschluss

Telefonüberwachung

09.12.1993

BGH 40, 8

1994 Urteil

Friedensbeitrag

06.10.1994

BGH 40, 272

1995 Urteil

Arbeitsrichter

05.07.1995

BGH 41, 157

Entscheidungsverzeichnis

421

Bundesgerichtshof in Zivilsachen 1954 Urteil

Nutzungsrecht an Straßenbäumen

29.01.1954

BGHZ 12, 189

1957 Urteil

Persönlichkeitsschutz

02.04.1957

BGHZ 24, 72

1966 Urteil

Zonenhaft

10.01.1966

BGHZ 45, 46

1978 Urteil

Kohl/Biedenkopf

19.12.1978

NJW 1979, 647

IM-Listen III Republikflucht

12.07.1994 14.07.1994

JZ 1995, 253 BGHZ 127, 195

Stolpe IV

16.06.1998

BGHZ 139, 95

Auskunftspflicht kommunaler Betriebe Muttermord

10.02.2005

NJW 2005, 1720

06.12.2006

GRUR 2006, 252

Oliver Kahn

03.07.2007

NJW 2008, 749

29.07.1925

RGZ 112, 121

1994 Urteil

1998 Urteil 2005 Urteil

2008 Urteil

Staatsgerichtshof 1925 Urteil

Staatsvertrag

Reichsgericht in Zivilsachen 1881 Urteil

Erbschaftsvertrag

19.04.1881

RGZ 4, 125

1929 Urteil

Graf Zeppelin

29.06.1929

RGZ 125, 80 (Anhang)

16.03.1962

BAG 13, 1

Bundesarbeitsgericht 1962 Beschluss

HausarbeitstagsG

422

Entscheidungsverzeichnis

Bundessozialgericht 1999 Urteil

Sozialabkommen DDR-Ungarn

27.01.1999

BSG 83, 224

Oberverwaltungsgericht Berlin 1992 Beschluss

IM-Rechtsschutz

27.05.1992

LKV 1992, 417

1997 Beschluss

Stolpe II

07.07.1997

NJW 1998, 257

18.12.1979

NJW 1980, 606

18.04.1989

DVBl. 1989, 935

23.05.1995

NJW 1995, 2741

01.04.1998

AfP 1998, 426

Oberverwaltungsgericht Bremen 1980 Urteil

Hochschullehrerin I

Oberverwaltungsgericht Koblenz 1989 Urteil

Rauchverbot

Oberverwaltungsgericht NRW 1995 Urteil

Auskunftsanspruch

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes 1998 Urteil

§ 4 LPG Saar

Kammergericht Berlin 2007 Urteil

Grafe

19.07.2007

(unveröffentlicht)

2010 Urteil

Kiesow II

19.02.2010

Az. 9 U 32/09

18.01.1996 18.01.1996

AfP 1996, 177 NJW-RR 1996, 1490

Oberlandesgericht Frankfurt a. M. 1996 Urteil

Monika Haas III Monika Haas IV

Entscheidungsverzeichnis

423

Oberlandesgericht Hamburg 1983 Urteil

Wehrsportgruppe Hoffmann

02.7.1983

AfP 1983, 466

1999 Urteil

Gysi II

29.07.1999

AfP 1999, 91

07.09.1984

NJW 1985, 1092

25.11.1993

NJ 1994, 177

19.06.2001

NJW 2002, 223

Grafe I

28.10.2008

27 O 773/05

Grafe II Kiesow I

05.02.2009 05.05.2009

27 O 1113/08 NJ 2009, 338

20.04.2005

AfP 2005, 402

17.10.2001

ZUM 2002, 390

04.02.2010

3 O 2987/09 EV

Oberlandesgericht Düsseldorf 1984 Beschluss

RHG

Oberlandesgericht Naumburg 1993 Urteil

IM-Listen II

Kammergericht Berlin 2001 Beschluss

Grundbucheinsicht

Landgericht Berlin 2008 Urteil 2009 Urteil

Landgericht Bonn 2005 Beschluss

Aktionärsbeleidigung

Landgericht Düsseldorf 2001 Urteil

Beuys

Landgericht Dresden 2010 Urteil

Biedermann

424

Entscheidungsverzeichnis

Landgericht Frankfurt a. M. 1994 Urteil

Monika Haas I Monika Haas II

15.09.1994 15.09.1994

2/30 181/92 (unveröffentlicht)

21.10.2005

AfP 2006, 272

10.01.2007

NJW-RR 2007, 1057

26.03.1993

40 439/92

Landgericht Frankfurt (Oder) 2005 Urteil

Lausitzer Rundschau

Landgericht Hagen 2007 Urteil

Bühnenstück

Landgericht Halle 1993 Urteil

IM-Listen I

Landgericht Hamburg 1991 Urteil

Hermann Kant

08.02.1991

unveröffentlicht

1995 Urteil

IM „Notar“

24.02.1995

320 729/94

1998 Urteil

Gysi I

02.12.1998

AfP 1999, 379

09.08.1995

NJW 1996, 1976

21.12.2007

28 O 446/07

15.04.2009

9 O 1277/09

Landgericht Kiel 1995 Beschluss

Barschel/Pfeiffer II

Landgericht Köln 2007 Urteil

Gazprom Germania

Landgericht München 2009 Urteil

Heinrich

Entscheidungsverzeichnis

425

Landgericht Potsdam 1996 Urteil

Stolpe



unveröffentlicht

Landgericht Zwickau 2008 Beschluss

Ausstellung

06.03.2008

2 O 241/08

2010 Urteil

IM Schubert

24.03.2010

1 O 1275/08

06.01.1992

NJ 1992, 226

Landesarbeitsgericht Berlin 1992 Urteil

Küchenhilfe

Verwaltungsgericht Berlin 1993 Beschluss

Ehrenrat

24.09.1993

26 A 105.93

1994 Urteil

Bürgermeister

23.11.1994

NJ 1995, 159

2001 Urteil

Kohl I

04.07.2001

unveröffentlicht

2002 Beschluss

Katharina Witt

04.02.2002

VG 1-A 3/02

2003 Urteil

Kohl III

17.09.2003

NJW 2004, 457

2006 Urteil

Gysi IV

03.05.2006

VG 1 A 173.05

2007 Urteil

Oertel

29.08.2007

VG 1 A 252.06

Arbeitsgruppe Rosenholz Osuch

08.09.2009 16.12.2009

VG 2 A 8.07 VG K 282.09

2008 Urteil

426

Entscheidungsverzeichnis

Verwaltungsgericht Dresden 2009 Beschluss

Tillich

07.05.2009

5 L 42/09

Verwaltungsgericht Düsseldorf 1998 Urteil

Informationsanspruch

25.06.1998

1 L 809/98

2003 Beschluss

Presseinformation

29.01.2003

1 L 269/03

04.11.2005

627/05

Verwaltungsgericht Meiningen 2005 Beschluss

Hauptamtliche Mitarbeit

Verwaltungsgerichtshof München 1985 Urteil

Zugang zum Stadtarchiv

13.02.1985

NJW 1985, 1663

1995 Urteil

Universelles Leben

04.04.1995

NVwZ 1995, 793

08.03.2006

RN 3 K 05.00184

19.07.1996

AfP 1997, 837

26.05.1995

43 Gs 915/95

02.12.1963

ICJ Rep. 1963, 15

Verwaltungsgericht Regensburg 2006 Urteil

Kommunale GmbH

Verwaltungsgericht des Saarlandes 1996 Urteil

§ 4 LPG

Amtsgericht Kiel 1995 Beschluss

Barschel/Pfeiffer

Internationaler Gerichtshof 1963 Urteil

Case Concerning Northern Cameroons

Entscheidungsverzeichnis

427

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 1987 Urteil 1998 Urteil

Leander v. Schweden

26.03.1987

Ser. A, Bd. 116, 29

Guerra v. Italien

19.12.1998

NVwZ 1999, 57

2002 Urteil

Öneryildiz v. Türkei

18.06.2002

Nr. 48939/99

2004 Urteil

Caroline von Monaco v. BRD

24.06.2004

NJW 2004, 2647

Inter-Amerikanische Menschenrechtsgerichtshof 2000 Urteil

Bámaca Velásquez

25.11.2000

www.corteidh.or.cr/

2001 Urteil

Barrios Altos

14.03.2001

www.corteidh.or.cr/

Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission 1995 Bericht

Manuel Bolaños

12.09.1995

Rep. No. 10/95

1998 Bericht

Alfonso René Chanfeau Orayce

07.04.1998

Rep. No. 25/98

Lucio Parada Cea u. a. In re Ellacuria S. J. Ignacio

27.01.1999 22.12.1999

Rep. No. 1/99 Rep. No. 136/99

1999 Bericht

Constitutional Court of the Republic of South Africa 1996 Urteil

AZAPO a.o. v. The President

25.07.1996

CCT 17/96

Oberster Gerichtshof des Volkes (Argentinien) 2005 Urteil

Simón, Julio Héctor y otros

14.06.2005

Rol. No. 17.768

31.01.2008

No. 51

Rumänischer Verfassungsgerichtshof 2008 Urteil

Law no. 187/1999

428

Entscheidungsverzeichnis

Tribunal Constitucional del Perffl 2004 Urteil

Genaro Villegas Namuche

18.03.2004

2488-2002-HC/TC

24.12.1994

Nr. 60/1994

2002

C-580

Ungarischer Verfassungsgerichtshof 1994 Urteil

Agentengesetz

Verfassungsgerichtshof Kolumbien 2002 Urteil

Rodrigo Escobar Gil

Sachwortverzeichnis Abwägung 31, 36–37, 47, 51, 53, 57–59, 61–65, 68, 70–74, 77, 80–84, 86–88, 91–93, 96, 104, 114, 117, 129–130, 132, 192–194, 197–198, 219–220, 222–223, 226–228, 231–232, 234, 236–240, 244, 250–252, 254, 260, 264–265, 267, 269, 279, 281, 287, 292, 304, 306–308, 312–313, 316–317, 324–325, 329–330, 333, 335, 338, 340–343, 346–348, 359, 361, 364, 369–370, 372–375, 377–380, 383–389, 393 Achtungsanspruch 66, 253, 266, 290–291, 297–298, 302, 305, 307, 309, 380 Adorno 96–97, 101–102, 157, 174–175, 193, 320 Amtsträger 23–24, 29, 31–32, 34–37, 39, 51, 54, 163, 166, 168, 173, 188, 242–245, 247–248, 250–252, 254, 261, 281, 287, 306–307, 313, 326, 328–329, 337, 340–342, 361, 365, 367–368, 370, 372–375, 379–380, 387 Anspruch auf rechtliches Gehör 301 Archivgesetz 39, 41, 52, 54, 93, 297, 322 Aufarbeitung – Begriff 96 ff. – Rechtsauftrag zur 95, 113 ff. – Verfassungsauftrag zur 129 ff. Begünstigte 24, 29–30, 33, 37–38, 51, 105, 293–295, 315, 328–329, 331–333, 335, 337, 339, 341–342, 345, 347, 351, 362–363, 365, 367, 369–371, 375, 387 Benachrichtigungspflicht 361 Bestimmtheitsgebot 45

Ewigkeitsklausel 75, 79–80, 86, 220 Fall Kohl 23–24, 26, 32–34, 36, 53, 63, 71, 108, 199, 205, 219, 232, 242–243, 256, 272, 284, 299, 320, 328, 343, 362 fortgesetzte Menschenrechtsverletzung 40, 42, 131, 256, 381, 383 freiheitlich-demokratische Grundordnung 131, 134, 156–158, 161, 164, 173, 239 Funktionsträger 24, 32, 34, 51, 242, 253–254, 282, 287, 307, 328, 340–341, 343–345, 361, 369, 371, 374, 380 Gleichheitssatz 47, 49–50, 111, 142, 218, 328–330, 340, 365, 391 Gysi 32–34, 38, 41, 244–245, 251, 295, 299, 321, 344–345, 351, 372 IM 34, 286, 295, 321, 340, 351, 362, 365, 369–370, 378 IM-Listen-Fall 32–33, 272 in dubio pro libertate 83, 85, 93, 347, 360 Informant 27, 152, 331, 370 Informationsanspruch – allgemeiner 40, 170, 190, 198 – des Forschers 214–217, 219, 301–302, 306, 309, 360, 362–365, 390, 393 – presserechtlicher 81, 200, 202–206, 208, 234 inhaltliche Privatsphäre 284, 286, 288, 305, 382 intragrundgesetzliche Rangordnung 78

430

Sachwortverzeichnis

Jugendsündenprivileg 334, 365, 371 Menschenrechtsverletzung 30–31, 36–37, 39, 43, 45, 348–353, 357–361, 364–366, 388–390, 392–393 (siehe auch fortgesetzte Menschrechtsverletzung) Menschenwürde 42, 66, 72, 75–77, 79, 86, 142, 147, 154–155, 183, 228, 263–266, 268, 283, 287, 291–292, 297, 299, 303–305, 308, 378, 384–385 Nachteilsverbot 312–315, 362–363, 365, 393 NS-Diktatur 50, 105, 110, 114, 130, 162, 166, 174, 319, 376 Person der Zeitgeschichte 24, 29, 31–32, 34–37, 39–40, 51, 54, 251, 281–282, 313, 328–329, 341–345, 361, 365, 367, 370–375, 380, 387 politische Bildung 25, 29–31, 35–36, 53, 318–319, 375 postmortale Persönlichkeitsschutz 51, 255, 297–298, 307, 329, 375 praktische Konkordanz 74, 197 Räumliche Privatsphäre 39, 285–286, 308–309, 349, 352, 382–383 Recht am eigenen Bild 261, 288, 308 Recht am eigenen Wort 261, 288, 290, 306, 308, 383 Recht auf informationelle Selbstbestimmung 59, 243, 247–248, 261, 271–274, 276, 287–289, 306, 308, 364 Recht auf Resozialisierung 303, 306, 309, 337, 389

Recht auf Wahrheit 179–182, 184–187, 190, 195 Reservatsrechte 115–116 Stolpe 41, 59, 232, 254, 295 Tonbänder 35–36, 243–244, 290, 383, 390 Tote/Verstorbene 23, 296–298, 372, 375, 384 (siehe auch postmortaler Persönlichkeitsschutz) Unschuldsvermutung 196, 302–303, 306, 309, 362 Vergangenheitsbewältigung 98, 101, 191 Verhältnismäßigkeit 59–64, 67–68, 81, 84, 91, 136, 138, 141, 263, 319, 334, 346, 392 Vertraulichkeitsverhältnis, Schutz des 286–288, 305, 308, 382 Verwertungsverbot 44, 221–223, 256, 313, 350, 389 Wechselwirkungslehre 74 Wiedervereinigungsgebot 131, 134, 137–142, 194, 196 Wortlautprotokoll 35–36, 290, 383 Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag 47, 97, 113–121, 125–129, 132, 140, 142, 193–194, 311–312, 318, 342, 368, 376–377 Zweckbindung 35, 54, 237, 239, 312, 317–319, 322–324, 343, 366, 375, 377