Attribution und Handlungsfähigkeit: Eine subjektwissenschaftliche Perspektive [Philosophie und Sozialwissenschaften ed.] 3886197271

Dieser Band lag der Freien Universität Berlin als Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades am Fachbereich P

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Attribution und Handlungsfähigkeit: Eine subjektwissenschaftliche Perspektive [Philosophie und Sozialwissenschaften ed.]
 3886197271

Table of contents :
Einleitung 9
1. Explikation der Untersuchungsperspektive 16
Vorbemerkung 16
1.1. Zum Stellenwert subjektiver Theorien und handlungsbezogener Erklärungen in der Psychologie 18
1.2. Von der Psychologiekritik zur Kritischen Psychologie 22
1.3. Explikation der für den Fragenzusammenhang wesentlichen kategorialen und theoretischen Konzeptionen 24
2. Grundlagen einer psychologischen Theorie der
Kausalität 29
Vorbemerkung 29
2.1. David Hume oder die Unerfahrbarkeit von Kausalverknüpfungen 31
2.2. Karl Dunckers 'Psychologie des produktiven Denkens'; Gestaltpsychologische Konzeptionen zur Wahrnehmbarkeit kausaler Beziehungen und 'phänomenaler
Kausalität' 33
2.3. Albert Michotte: Experimente zur Analyse
'phänomenaler Kausalität' 40
3. Die Heidersche Fassung des Zusammenhangs von
Wahrnehmung und kausalen Verknüpfungen 48
Vorbemerkung 48
3.1. Zum Verhältnis von Wahrnehmung und Attribution;
Grundlegende Konzeptualisierung der Funktionen des
Wahrnehmungssystems 50
3.2. Die Heidersche Konzeption 'phänomenaler Kausalität': Das Verhältnis von Gegenstand, Situation und Wahrnehmung 55
3.3. Grundlagen einer Phänographie alltagspsychologischer Konstrukte und Kausalverknüpfungen 67
3.4. Die 'naive Handlungsanalyse' als Zentrum der Common-sense-Psychologie 72
3.5. Konzeptionelle Unbestimmtheiten innerhalb der Heiderschen Begründung kausaler Relationsbildungen im
Alltag 79
4. Funktion und Bedeutung von Heiders balance- und
wahrnehmungstheoretischen Metakonzepten 82
Vorbemerkung 82
4.1. Exkurs: Methodische und theoretische Grundlagen der
reinterpretativen Aufarbeitung theoretischer Konzeptionen; Explikation der begründungstheoretischen Perspektive und des darin zu realisierenden Empiriebezugs 84
4.2. Explikation und Kritik der balancetheoretischen Fundierung attributionaler Prozesse 90
4.3. Explikation und Kritik der wahrnehmungspsychologischen Grundlagen des attributionalen Prozesses und deren
Verhältnis zur Gestaltpsychologie 96
4.3.1. Exkurs: Explikation und Kritik der theoretischen und methodischen Verkürzungen gestaltpsychologischfundierter Analysen des Wahrnehmungsprozesses vom Standpunkt der Kritischen Psychologie 97
4.3.2. Die Reformulierung gestaltpsychologischer
Wahrnehmungskonzeption innerhalb der Heiderschen Konzeption und deren kategoriale Kritik 104
5. Weitergehende Konkretisierung, Formalisierung und
Empirisierung attributionstheoretischer Konzeptionen
und Hypothesen 112
Vorbemerkung 112
5.1. Grundlagen des attributionstheoretischen Konzepts 116
5.1.1. Das Kovariationsprinzip 117
5.1.2. Das Konfigurationsprinzip 121
5.2. Zur Kritik der Dichotomisierung attributionaler Prozesse 128
5.3. Aufweis der impliziten Theorienhaltigkeit kovariationsanalytischer Kausalerklärungen 133
6. Die Erklärung der Struktur von Zuschreibungen
und Zusammenhangserklärungen vom Standpunkt der
Theorie korrespondierender Inf erenzen 141
Vorbemerkung 141
6.1. Zur Konzeption der Theorie korrespondierender
Inferenz 143
6.2. Reformulierung der Theorie korrespondierender
Inferenzen durch Jones & McGillis 149
7. Hypothesen und Konzepte zur Begründung von
Attributionsdifferenzen und Attributionsvoreingenommenheiten 160
Vorbemerkung 160
7.1. Attributionsdifferenzen zwischen Akteuren und
Beobachtern 163
7.2. Zur motivational-dynamischen Fundierung der
Erklärung von Handlungen 185
7.3. 'Attributionsfehler' und Attributionsvoreingenommenheiten als Problem fehlerhafter Informationsverarbeitung 190
7.4. Zum Problem der Bestimmung des Stellenwerts empirischer Befunde für die Geltungsbegründung theoretischer Sätze 197
8. Zum Verhältnis von Handlungsmöglichkeiten und
Denkmöglichkeiten: Weitergehende kategoriale Differenzierung attributionsrelevanter Aspekte für eine
Psychologie vom Subjektstandpunkt 205
Vorbemerkung 205
8.1. Explikation der gesellschaftlichen Vermitteltheit von
Denk- und Zuschreibungsprozessen; Reformulierung
spontaner Verknüpfungsleistungen als Prozeß der Aktualisierung historisch-bestimmter und gesellschaftlich nahegelegter Denkformen 208
8.2. Ansatzpunkte zur Reinterpretation attributionaler
Theorien als Theorien der Realisierung von Zuschreibungsprämissen: Explikation der herzustellenden Bezüge
zur Empirie 217
9. Reformulierung attributionstheoretischer Konzeptionen der Genese von Handlungs- und Ereigniserklä-
rungen als Begründungstheorien: Explikation des
Zuschreibungsprozesses als die vom Subjektstandpunkt
begründete Realisierung und Übernahme gesellschaftlich vorstrukturierter Denkformen 222
Vorbemerkung 222
9.1. Begründungstheoretische Reformulierung attributionaler Zusammenhangsaufschließung als Preisgabe der Möglichkeit eines weitergehenden Fragens nach Realzusammenhängen und Begründungsstrukturen von Handlungen
und Ereignissen 224
9.2. Reformulierung der Personen- und Eigenschaftsattributionen als Form eines unter Vereindeutigungsdruck nahegelegten kurzschlüssigen Weltbezugs des Subjekts 229
9.3. Explikation der mit der Nutzung von Eigenschaftskonstrukten einhergehenden Unterminierung der Theorienvermitteltheit innerhalb von Handlungs- und Ereignisrelationen 232
9.4. Explikation der den Experimenten zum Kovariationsund Konfigurationsprinzip zugrundeliegenden prinzipiellen Erkenntnisbeschränkungen hinsichtlich der Aufklärung
darin verborgener Zuschreibungsprämissen. Grenzen der
begründungstheoretischen Reinterpretation 236
9.5. Kritik der scheinbaren empirischen Ausgewiesenheit
der Theorie korrespondierender Inferenzen und darin formulierter Zusammenhangsbehauptungen 240
9.6. Begründungstheoretische Reformulierung der empirisch-experimentellen Befunde zum Phänomen der Attributionsunterschiede 266
9.7. Explikation der in motivational-dynamisch bzw. informationstheoretisch fundierten Konzeptionen repräsentierten Bezüge zu Prämissen-Gründe-Zusammenhängen 273
10. Zugänge zu den erklärungsprovozierenden Handlungszusammenhängen im Alltag: Ansatzpunkte für
eine Theorie der Funktion und Genese problembezogener Handlungserklärungen 278
Vorbemerkung 278
10.1. Reattributionstraining als Versuch der Anwendung
attribuüonstheoretischer Konzepte in der klinischpsychologischen Praxis: Zum Problem der Verflüchtigung
sachlich-sozialer Bedeutungsbezüge 282
10.2. Von der laborexperimentellen zur lebensweltlich orientierten Analyse von Handlungsund Ereigniserklärungen:
Kategoriale und theoretische Voraussetzungen der Überwindung des Theorie-Praxis-Bruchs 292
10.3. Perspektiven zur empirischen Fundierung einer subjektwissenschaftlichen Theorie der Funktion und Genese
individueller Handlungserklärungen: Ansatzpunkte für die
Analyse der Formen und Strategien der Behinderung kritischen Weiterfragens in problematisch gewordenen Lebenszusammenhängen 301
Literatur 309

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Renke Fahl-Spiewack

Attribution und Handlungsfähigkeit Eine subjektwissenschaftliche Perspektive

Reihe Psychologie 5 Argument

Renke Fahl-Spiewack

Attribution und Handlungsfähigkeit Eine subjektwissenschaftliche Perspektive

Reihe Psychologie 5 Argument

Die Reihe Psychologie erscheint mit separater Bandzählung im Rahmen der Edition Philosophie und Sozialwissenschaften

Dieser Band lag der Freien Universität Berlin als Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades am Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften I vor.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Fahl-Spiewack, Renke: Attribution und Handlungsfähigkeit: Eine subjektwissenschaftliche Perspektive / Renke Fahl-Spiewack. Hamburg; Berlin: Argument, 1995 (Edition Philosophie und Sozialwissenschaften: Reihe Psychologie; 5) Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1995 ISBN 3-88619-727-1 NE: Edition Philosophie und Sozialwissenschaften/Reihe Psychologie Alle Rechte vorbehalten © Argument-Verlag 1995 Argument-Verlag: Rentzelstr. 1, 20146 Hamburg Umschlag: Johannes Nawrath Texterfassung und Konvertierung durch den Autor Druck: Difo-Druck, Bamberg Erste Auflage 1995

3

Inhalt

Einleitung

9

1. Explikation der Untersuchungsperspektive Vorbemerkung 1.1. Zum Stellenwert subjektiver Theorien und handlungsbezogener Erklärungen in der Psychologie 1.2. Von der Psychologiekritik zur Kritischen Psychologie 1.3. Explikation der für den Fragenzusammenhang wesentlichen kategorialen und theoretischen Konzeptionen

16 16

2. Grundlagen einer psychologischen Theorie der Kausalität Vorbemerkung 2.1. David Hume oder die Unerfahrbarkeit von Kausalverknüpfungen 2.2. Karl Dunckers 'Psychologie des produktiven Denkens'; Gestaltpsychologische Konzeptionen zur Wahrnehmbarkeit kausaler Beziehungen und 'phänomenaler Kausalität' 2.3. Albert Michotte: Experimente zur Analyse 'phänomenaler Kausalität'

18 22 24

29 29 31

33 40

4

3. Die Heidersche Fassung des Zusammenhangs von Wahrnehmung und kausalen Verknüpfungen Vorbemerkung 3.1. Zum Verhältnis von Wahrnehmung und Attribution; Grundlegende Konzeptualisierung der Funktionen des Wahrnehmungssystems 3.2. Die Heidersche Konzeption 'phänomenaler Kausalität': Das Verhältnis von Gegenstand, Situation und Wahrnehmung 3.3. Grundlagen einer Phänographie alltagspsychologischer Konstrukte und Kausalverknüpfungen 3.4. Die 'naive Handlungsanalyse' als Zentrum der Common-sense-Psychologie 3.5. Konzeptionelle Unbestimmtheiten innerhalb der Heiderschen Begründung kausaler Relationsbildungen im Alltag

4. Funktion und Bedeutung von Heiders balance- und wahrnehmungstheoretischen Metakonzepten Vorbemerkung 4.1. Exkurs: Methodische und theoretische Grundlagen der reinterpretativen Aufarbeitung theoretischer Konzeptionen; Explikation der begründungstheoretischen Perspektive und des darin zu realisierenden Empiriebezugs 4.2. Explikation und Kritik der balancetheoretischen Fundierung attributionaler Prozesse 4.3. Explikation und Kritik der wahrnehmungspsychologischen Grundlagen des attributionalen Prozesses und deren Verhältnis zur Gestaltpsychologie 4.3.1. Exkurs: Explikation und Kritik der theoretischen und methodischen Verkürzungen gestaltpsychologisch fundierter Analysen des Wahrnehmungsprozesses vom Standpunkt der Kritischen Psychologie 4.3.2. Die Reformulierung gestaltpsychologischer Wahrnehmungskonzeption innerhalb der Heiderschen Konzeption und deren kategoriale Kritik

48 48 50 55 67 72 79

82 82

84 90 96

97 104

5 5. Weitergehende Konkretisierung, Formalisierung und Empirisierung attributionstheoretischer Konzeptionen und Hypothesen Vorbemerkung 5.1. Grundlagen des attributionstheoretischen Konzepts 5.1.1. Das Kovariationsprinzip 5.1.2. Das Konfigurationsprinzip 5.2. Zur Kritik der Dichotomisierung attributionaler Prozesse 5.3. Aufweis der impliziten Theorienhaltigkeit kovariationsanalytischer Kausalerklärungen 6. Die Erklärung der Struktur von Zuschreibungen und Zusammenhangserklärungen vom Standpunkt der Theorie korrespondierender Inf erenzen Vorbemerkung 6.1. Zur Konzeption der Theorie korrespondierender Inferenz 6.2. Reformulierung der Theorie korrespondierender Inferenzen durch Jones & McGillis 7. Hypothesen und Konzepte zur Begründung von Attributionsdifferenzen und Attributionsvoreingenommenheiten Vorbemerkung 7.1. Attributionsdifferenzen zwischen Akteuren und Beobachtern 7.2. Zur motivational-dynamischen Fundierung der Erklärung von Handlungen 7.3. 'Attributionsfehler' und Attributionsvoreingenommenheiten als Problem fehlerhafter Informationsverarbeitung 7.4. Zum Problem der Bestimmung des Stellenwerts empirischer Befunde für die Geltungsbegründung theoretischer Sätze

112 112 116 117 121 128 133

141 141 143 149

160 160 163 185 190 197

6 8. Zum Verhältnis von Handlungsmöglichkeiten und Denkmöglichkeiten: Weitergehende kategoriale Differenzierung attributionsrelevanter Aspekte für eine Psychologie vom Subjektstandpunkt Vorbemerkung 8.1. Explikation der gesellschaftlichen Vermitteltheit von Denk- und Zuschreibungsprozessen; Reformulierung spontaner Verknüpfungsleistungen als Prozeß der Aktualisierung historisch-bestimmter und gesellschaftlich nahegelegter Denkformen 8.2. Ansatzpunkte zur Reinterpretation attributionaler Theorien als Theorien der Realisierung von Zuschreibungsprämissen: Explikation der herzustellenden Bezüge zur Empirie 9. Reformulierung attributionstheoretischer Konzeptionen der Genese von Handlungs- und Ereigniserklärungen als Begründungstheorien: Explikation des Zuschreibungsprozesses als die vom Subjektstandpunkt begründete Realisierung und Übernahme gesellschaftlich vorstrukturierter Denkformen Vorbemerkung 9.1. Begründungstheoretische Reformulierung attributionaler Zusammenhangsaufschließung als Preisgabe der Möglichkeit eines weitergehenden Fragens nach Realzusammenhängen und Begründungsstrukturen von Handlungen und Ereignissen 9.2. Reformulierung der Personen- und Eigenschaftsattributionen als Form eines unter Vereindeutigungsdruck nahegelegten kurzschlüssigen Weltbezugs des Subjekts 9.3. Explikation der mit der Nutzung von Eigenschaftskonstrukten einhergehenden Unterminierung der Theorienvermitteltheit innerhalb von Handlungs- und Ereignisrelationen

205 205

208

217

222 222

224 229

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7 9.4. Explikation der den Experimenten zum Kovariationsund Konfigurationsprinzip zugrundeliegenden prinzipiellen Erkenntnisbeschränkungen hinsichtlich der Aufklärung darin verborgener Zuschreibungsprämissen. Grenzen der begründungstheoretischen Reinterpretation 9.5. Kritik der scheinbaren empirischen Ausgewiesenheit der Theorie korrespondierender Inferenzen und darin formulierter Zusammenhangsbehauptungen 9.6. Begründungstheoretische Reformulierung der empirisch-experimentellen Befunde zum Phänomen der Attributionsunterschiede 9.7. Explikation der in motivational-dynamisch bzw. informationstheoretisch fundierten Konzeptionen repräsentierten Bezüge zu Prämissen-Gründe-Zusammenhängen

10. Zugänge zu den erklärungsprovozierenden Handlungszusammenhängen im Alltag: Ansatzpunkte für eine Theorie der Funktion und Genese problembezogener Handlungserklärungen Vorbemerkung 10.1. Reattributionstraining als Versuch der Anwendung attribuüonstheoretischer Konzepte in der klinischpsychologischen Praxis: Zum Problem der Verflüchtigung sachlich-sozialer Bedeutungsbezüge 10.2. Von der laborexperimentellen zur lebensweltlich orientierten Analyse von Handlungsund Ereigniserklärungen: Kategoriale und theoretische Voraussetzungen der Überwindung des Theorie-Praxis-Bruchs 10.3. Perspektiven zur empirischen Fundierung einer subjektwissenschaftlichen Theorie der Funktion und Genese individueller Handlungserklärungen: Ansatzpunkte für die Analyse der Formen und Strategien der Behinderung kritischen Weiterfragens in problematisch gewordenen Lebenszusammenhängen

Literatur

236 240 266 273

278 278

282

292

301

309

9

Einleitung Um das problematische Verhältnis von Theorie und Praxis der Psychologie in seinen vielfältigen Facetten der Dichotomisierung, Kritik und wechselseitigen Ausgrenzung zu verstehen und die Möglichkeiten seiner Bewältigung auszuloten, muß man sich vor allem anderen klar machen, daß die gängige Vorstellung eines einfachen 'Theorie-Praxis-Bruchs', bei dem auf der einen Seite die praxislose Theorie und auf der anderen Seite die theorienlose Praxis angesiedelt ist, die damit angesprochenen Probleme nicht klärt, sondern nur verstellt. Es handelt sich hier vielmehr um einen komplexen Vermittlungsprozeß, bei dem man es auf beiden Seiten sowohl mit 'Theorie* wie mit 'Praxis', allerdings in unterschiedlicher Bedeutung und in unterschiedlichen Kontexten zu tun hat. In dieser Arbeit soll es nun darum gehen, zu einer begrifflichen Durchdringung solcher Vermittlungen im Interesse eines entwickelteren Verständnisses über das Theorie-PraxisVerhältnis sowohl auf der Seite der vorgeblichen 'Theorie' wie der vorgeblichen 'Praxis' beizutragen, was es zunächst erforderlich macht, die Diskussionen der damit angesprochenen Fragen schrittweise zu entfalten und näher zu charakterisieren. In dieser Diskussion wird allgemein von der Vorstellung eines TheoriePraxis-Bruchs ausgegangen, der die Fachvertreter in zweierlei Lager zu dividieren vermag: Auf der einen Seite befinden sich danach diejenigen Psychologen, die akademische Theorien zu entwickeln haben und dies getreu den Anforderungen ihrer wissenschaftlichen Standards tun. Auf der anderen Seite stehen praktizierende Psychologen, die ganz anderen Anforderungen zu genügen haben: Sie versuchen, unter Bezug auf Psychologie, Praktisches zur Lösung individueller und gesellschaftlich-sozialer Probleme beizutragen. Die Diskussion der damit im Zusammenhang stehenden theoretisch-konzeptionellen Probleme vollzieht sich also stets in Strukturen, die das gesamte Fach Psychologie betreffen und deren Genese psychologiegeschichtlich rekonstruiert werden könnte. Gleichwohl aber bleiben sie gerade bei der Diskussion der hier angesprochenen Fragen weitgehend unreflektiert. Bei Auseinandersetzungen um den sogenannten Theorie-Praxis-Bruch stehen sich also nicht konkurrierende Schulen, Lehrmeinungen oder Vertreter von verschiedenen Ansätzen gegenüber, sondern quer zu derartigen - gleichwohl bestehenden - Differenzen werden die am Gesamtunternehmen Psychologie beteiligten Personen danach unterschie-

10 den, welche Aufgaben ihnen im Rahmen ihrer psychologischen Berufstätigkeit übertragen wurden. Ein Beschäftigungsverhältnis in dem einen oder anderen Tätigkeitsbereich reicht dabei aus, um sich wechselseitig als Vertreter 'der Theorie' oder als Vertreter 'der Praxis' zu bezeichnen und zu bezichtigen. Gegenüber stehen sich damit nun aber nicht 'Theorien' und 'Praxen', sondern vielmehr konkrete Personen, die alle irgendwann einmal das Fach Psychologie studiert haben und jetzt als praktizierende bzw. forschende Psychologen weiter für sich beanspruchen, Psychologie zu betreiben. Von ihnen wird wechselseitig der Vorwurf erhoben, daß die Wissenschaft Psychologie nicht viel zur Praxis, die Praxis hingegen aber auch kaum etwas zur Theorienbildung beizutragen habe. Das also, was hier als Entgegensetzung von Theorie und Praxis behauptet wird, läßt sich eigentlich nur als Vermittlungsproblem zwischen den an praktischen Erfordernissen bzw. an Wissenschaftlichkeitskriterien orientierten Psychologen, ihren inhaltlichen Problemen und darüber entwickelten Vorstellungen das Gesamtfach betreffend begreifen. Daß nämlich die sich in der psychologischen Berufspraxis stellenden Aufgaben und Probleme ohne Bezug auf theoretische Positionen überhaupt bewältigt werden könnten, oder aber daß Forschung ohne irgendeine Form von Praxis überhaupt vollzogen werden könnte, kann wohl von keinem an diesen Diskussionen Beteiligten ernsthaft angenommen werden: Der im Rahmen der psychologischen Praxis gemeinsam mit Betroffenen unternommene Versuch der Durchdringung problematisch gewordener Lebenszusammenhänge beispielsweise wäre unvorstellbar, wenn diesem nicht zumindest implizit theoretische Konstrukte und eine Art psychologisches Zusammenhangswissen (Holzkamp 1988b, 32ff) zugrunde gelegt werden könnte. Aber auch schon der Verweis auf die experimentelle Praxis macht deutlich, daß die akademische Forschung Praxisbezüge realisiert (vgl. Markard, 1991a). Fraglich indes ist, ob die aufweisbaren Theorie- und Praxisbezüge der verschiedenen Formen, Psychologie zu betreiben, einander entsprechen, und ob das, was hier als 'Theorien' und dort als 'Praxis' bezeichnet wird, dem entspricht, von dem die anderen gerade reden. Eine weiterbringende Beschäftigung mit den als Bruch zwischen Theorie und Praxis bezeichneten Problemen setzt demnach voraus, daß die Vorstellung der Entgegensetzung von Theorie und Praxis überwunden ist und vielmehr die bestehende Unvermittelbarkeit zwischen der Theorienbildung, wie sie innerhalb des akademischen mainstream und innerhalb psy-

11 chologischer Berufspraxis vollzogen wird, als das zu lösende Problem aufgefaßt wird, wobei dessen nähere Klärung demnach nur über die Explikation der an Forschung und Praxis herangetragenen unterschiedlichen Anforderungen, Ansprüche und Gütekriterien möglich zu werden scheint. Gefragt werden muß also danach, ob sich die im Theorie-Praxis-Bruch konstatierten Differenzen aufschließen lassen, wenn diese mit den verschiedenen Aufgaben und Anforderungen in Zusammenhang gebracht werden. Dabei gilt es zunächst zu bedenken, daß sich die Vorstellung, Psychologie könne als Mittel zur Lösung praktischer Probleme genutzt werden, psychologiegeschichtlich erst zu einem Zeitpunkt entwickelte, als der akademische mainstream bereits weitgehend vom Behaviorismus geprägt war und sich einem naturwissenschaftlichen Paradigma verpflichtet sah. Dieses Selbstverständnis begründete eine Vorstellung von Psychologie, die sich die Erforschung der Wirkungen von Reizkonstellationen als Ursache für menschliches Verhalten zum Gegenstand zu machen habe. Standardisierte Experimente und experimentell-statistische Verfahren sollten es dabei möglich machen, Psychologie als eine Wissenschaft zu begründen, deren Theorien auf prüfbaren und empirisch bewährten Hypothesen gebaut werden. Die Behauptung des Experiments als Königsweg psychologischer Forschung und die vor diesem Hintergrund zwingend erforderliche Kontrolle der Versuchsbedingungen machte es dabei notwendig, daß jedweder Bezug zu konkreten Lebensumständen konzeptionell schon darum preisgegeben werden mußte, weil sich deren Komplexität von seiten der Forscher eben nicht reduzieren läßt. In den jeweils authentischen Lebensbezügen kann aber die erforderliche Kontrolle des Bedingungsgefüges nicht hinreichend durchgesetzt werden, so daß sich die darin gewonnenen Verhaltensbeobachtungen kaum eindeutig auf die in der Hypothese formulierten Wirkungszusammenhänge zurückführen lassen. Ein derartiges Ansinnen ist jedoch für praktisch-psychologische Analysen schon darum gar nicht als sinnvoll vorstellbar, weil die lebenspraktischen Probleme und Leiderfahrungen der Subjekte ja zunächst einmal vor dem Hintergrund ihrer realen Lebenszusammenhänge begriffen werden müssen, und die gemeinsame Suche nach Möglichkeiten der praktischen Problemlösung zwingend an die jeweils konkreten und zum Problem gewordenen Lebensumstände gebunden ist. Aber auch noch aus einer ganz anderen Perspektive ergeben sich grundlegende Differenzen zwischen der vom akademischen mainstream eingeschlagenen theoretischen Orientierung der Analyse des Verhaltens und den

12 praktischen Anforderungen und Problemstellungen, die an die Psychologie herangetragen werden: Während der zu analysierende Zusammenhang im Rahmen der experimentellen Forschung von den Forschern selbst hergestellt bzw. allein zu Forschungszwecken 'aufgesucht' wird, ist Praxis damit konfrontiert, daß relativ komplexe Handlungszusammenhänge zunächst nur über die Darstellungen und Problemschilderungen der Betroffenen zugänglich werden. In diesen Darstellungen werden von den Betroffenen nun aber nicht 'Reizkonstellationen' o.ä. thematisiert, sondern vielmehr Handlungserklärungen, Sichtweisen und Zusammenhangsvermutungen vorgetragen, in denen die problematischen Wirklichkeitsausschnitte mit eigenen Überlegungen und Spekulationen darüber verbunden werden, was das eigene bzw. beobachtete Verhalten begründen könnte. Dieses damit beschriebene Zugangsproblem macht verständlich, warum der psychologische Praktiker gar nicht vor dem Problem steht, Verhalten unter Bezug auf Bedingungen zu erklären: Vielmehr erweist es sich als notwendiger Aspekt psychologischer Berufs- und Handlungskompetenz, diejenigen Möglichkeiten zu erkennen und umzusetzen, durch die die von den Betroffenen selbst vorgebrachten Vorstellungen und Zusammenhangsvermutungen kritisch analysiert und gemeinsam mit ihnen auf ihre Realitätsangemessenheit hin befragt werden können. Damit ist der psychologische Praktiker aber in einer für ihn unentrinnbaren Weise gerade an das gebunden, von dem der akademische mainstream zur Begründung seiner Wissenschaftlichkeit meint abstrahieren zu müssen: In einer so konzeptualisierten Begründung von Wissenschaftlichkeit wird aber nicht nur von den realen Lebenszusammenhängen abstrahiert, sondern bleibt der für die Psychologie als Wissenschaft und Praxis gerade spezifische Aspekt unreflektierbar, daß Psychologie es eben i.w.S. mit einem Gegenstand zu tun hat, der in der Lage ist, selbst Theorien über sich und seine Lebensbezüge zu entwickeln. Menschliches 'Verhalten' kann demnach nur vor dem Hintergrund der in Handlungen und Handlungsbegründungen zur Geltung kommenden impliziten Theorien, Vorstellungen und Zusammenhangsvermutungen begriffen werden, in denen von den Subjekten selbst theoretische Vermittlungszusammenhänge zwischen ihren je eigenen Lebensinteressen und den für sie bedeutungsvollen Lebensumständen herzustellen versucht werden. Damit erweist es sich für die Begründung und Weiterentwicklung einer angemessenen Theorie und Praxis in der Psychologie geradezu als zwingend erforderlich und unverzichtbar, die in ihren auf das Gesamtfach bezogenen weitreichenden Konsequenzen zu untersuchen, die sich ergeben, wenn man menschliches Handeln, Tun und Verhalten (Groeben,

13 1986) unter Bezug auf konstitutive deren theoretische Vermitteltheit zu analysieren und zu theoreüsieren beginnt. Mit der Zurückweisung der Vorstellung, menschliches Verhalten lasse sich auf bestimmte und bestimmbare Bedingungen als ein bedingtes zurückführen, und der Auffassung, menschliches Verhalten sei nicht nur in den realen Lebenszusammenhängen begründet, zu denen sich die Subjekte am Maßstab ihrer je eigenen Interessen verhalten, sondern konstituiere sich darin vor allem anderen durch den Bezug auf implizite Theorien, Vorstellungen und Zusammenhangsvermutungen von Interessen, Prämissen und Gründen, ist der hier vorgelegten Gesamtargumentation eine Vorstellung von Menschen zugrunde gelegt, die sie als theorienproduzierende Wesen qualifiziert. Daraus ergibt sich für die mit dieser Arbeit verfolgte weitergehende Klärung der angesprochenen Probleme einer Vermittlung von Theorie und Praxis in der Psychologie die Frage, welche Lösungsperspektiven und Beiträge zur Bewältigung des Theorie-Praxis-Bruchs entwickelt werden können, wenn eben dieser Aspekt der subjektiven Theorienproduktion und der theoretischen Vermitteltheit des menschlichen Weltbezugs in seinen sinnlichen, praktischen und auf Erkenntnis gerichteten Momenten näher bestimmt und in seinen konzeptionellen Konsequenzen zur Begründung der Vermittelbarkeit von Theorie und Praxis in der Psychologie fruchtbar gemacht wird. Betrachtet man nun aber den akademischen mainstream in der Psychologie nicht als monolithischen Block, sondern fragt danach, ob sich nicht auch darin Überlegungen und Konzeptionen finden lassen, in denen der eine oder andere Aspekt des hier angesprochenen theoretisch vermittelten Weltbezugs zumindest ansatzweise zur Geltung kommt, lassen sich verschiedene Konzeptionen identifizieren, in denen entsprechende Verweise auf solche Problemstellungen zu finden sind, wie sie in der psychologischen Praxis bewältigt werden müssen. Zu diesen Ansätzen, in denen zumindest der Einsicht Rechnung zu tragen versucht wird, menschliches Verhalten nicht als Wirkung spezifischer Reizkonstellationen zu betrachten, sondern mit Vorstellungen, implizit-theoretischen Konstrukten und Zusammenhangsannahmen über die von den Subjekten als bedeutungsvoll erfahrenen Ereignisse und Handlungszusammenhänge in Verbindung zu bringen, müssen in besonderer Weise die sogenannten Attributionstheorien gezählt werden. Diese sind angetreten, um die Struktur, Funktion und Genese derartiger impliziter und handlungsleitender Zusammenhangsvorstellungen herauszuarbeiten, die Grundlage der von den Subjekten vollzogenen

14 Aufschließung ihrer je bedeutungsvollen Lebenszusammenhänge werden. Beispielhaft auch für andere Konzeptionen innerhalb des mainstream lassen sich etwa die Attributionstheorien als Konzepte auffassen, in denen die Produktion von Theorien und psychologierelevanten Zusammenhangsannahmen als Aspekt des Weltbezugs der Subjekte aufgefaßt wird, woraus sich ergibt, daß Verhalten nicht allein aus der unmittelbaren Wirkung von Reizkonstellationen, sondern erst aus der subjektiven Konzeptualisierung von Wirklichkeit erklärt werden kann. Diese den Attributionstheorien zukommende Besonderheit verweist nicht nur auf deren besonderen Stellenwert innerhalb des akademischen mainstream, sondern begründet auch deren gesonderte Aufarbeitung im Rahmen dieser Arbeit. Unter Bezug auf den sogenannten Theorie-Praxis-Bruch stellt sich also für die hier zu entwickelnde Aufarbeitung von Attributionstheorien die Frage, ob sich im Zuge der Explikation darin formulierter spezifischer Erkenntnismöglichkeiten nicht zugleich solche Zusammenhangsvorstellungen finden lassen, die perspektivisch zu einer theoretischen Begründung psychologischer Praxis beizutragen vermögen. Gleichwohl aber stehen damit nicht nur die auf psychologische Praxis bezogenen Vorstellungen zur Disposition: Vielmehr ist zu erwarten, daß in dem Maße, wie es gelingt, die Analyse und Reinterpretation von Attributionstheorien unter dem Aspekt der subjektiven Theorienproduktion/Handlungserklärung zu betrachten, auch allgemein psychologische Vorstellungen und Konzepte von dieser Aufarbeitung kritisiert werden, in denen mehr oder weniger durchgehend vorausgesetzt wird, daß Subjekt und Welt in einer theoretisch unvermittelten Beziehung zueinander stehen. Die hier zu vollziehende Aufarbeitung attributionstheoretischer Konzeptionen versteht sich als Versuch, einen Beitrag zur Bewältigung der angeführten Vermittlungsprobleme zwischen Forschung und Praxis in der Psychologie sowie zwischen den in den jeweiligen Zusammenhängen entwickelten theoretischen Vorstellungen zu leisten. Anders formuliert: Der hier avisierten Aufarbeitung wird die Frage zugrunde gelegt, ob sich die im Rahmen der attributionstheoretischen Diskussion vorgebrachten Argumente und Zusammenhangsvorstellungen als Explikation impliziter Voraussetzungen und damit als Hinweis auf die Genese und Strukturiertheit von Handlungserklärungen lesen lassen, deren Kenntnis damit innerhalb der psychologischen Praxis als eine Art hilfreichen Zusammenhangswissens zur Rekonstruktion problembezogener Handlungs- und Zusammenhangserklärungen angesehen werden kann.

15 Wie sich im Zuge der hier zu vollziehenden Aufarbeitung attributionstheoretischer Konzeptionen noch verschiedentlich zeigen wird, lassen sich die auf Attribution bezogenen Theorien und Konzepte indes nicht als geschlossenes Gesamtsystem 'einer' Attributionstheorie auffassen. Vielmehr sind sehr verschiedene attributionstheoretische Konzepte, Ansätze und Einzelhypothesen in die Diskussionen eingeführt worden, deren Bezug zueinander noch als weitgehend ungeklärt angesehen werden muß. Damit wird es erforderlich, im Wege der theorien- und problemgeschichtlichen Rekonstruktion das Verhältnis zwischen diesen verschiedenen Ansätzen zu ventilieren. Entsprechend soll, nachdem die der Aufarbeitung selbst zugrunde gelegte theoretische Untersuchungsperspektive expliziert worden ist, zunächst der Frage nachgegangen werden, auf welche Weise die hier von den Attributionstheorien thematisierten Phänomene in die psychologische Diskussion und Theorienbildung einbezogen wurden und welche weitergehenden theoretischen Entwicklungen bezüglich der darin angesprochenen Phänomene vollzogen wurden.

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Kapitel 1 Explikation der Untersuchungsperspektive Vorbemerkung In denjenigen Konzeptionen, die sich mit Fragen nach der Struktur und Genese von Handlungserklärungen und Zusammenhangsvorstellungen befassen, geht es vornehmlich darum zu verstehen, wie sich 'der Mann auf der Straße 9 Zusammenhänge erklärt, zu denen von seiten der Psychologie als Wissenschaft ebenfalls Aussagen gemacht werden. Damit geht es darum, wie eine Person über sich und andere denkt, wie sie aus beobachteten oder selbst erfahrenen Ereignissen auf die Gründe ihres Zustandekommens zu schließen und daraus ggf. Vorhersagen über zukünftige Ereignisse zu treffen versucht. Derartige Zusammenhangsvorstellungen, oftmals als 'Alltagstheorien' bezeichnet, gibt es in den verschiedensten Lebensbereichen: So machen sich beispielsweise Eltern darüber Gedanken, warum ihr Kind in der Schule Probleme bekommen hat, und ob dafür die gleichen Bedingungen verantwortlich sein könnten, die seinerzeit zu eigenen Schulproblemen geführt hatten. 'Alltagstheorien' beziehen sich dabei nicht nur auf unmittelbare Lebensprobleme, sondern lassen sich für jeden Bereich explizieren, der überhaupt für die Subjekte Bedeutung besitzt, so etwa für den Bereich der Physik, der Soziologie, für Pädagogik und Medizin, um nur einige Beispiele zu nennen. Dabei ist wohl davon auszugehen, daß mit diesen auch 'naive Theorien' genannten und mehr oder weniger systematischen Zusammenhangsvorstellungen im Prinzip das gleiche intendiert ist, was auch mit wissenschaftlicher Theorienbildung verfolgt wird: Es sollen Zusammenhänge zwischen Ereignissen hergestellt werden, um aus diesen heraus eine Art Handlungswissen abzuleiten, mit dem man die interessierenden Zusammenhänge beeinflussen, bestimmen, wenigstens aber ein Stück vorhersehen oder -sagen kann. Derartige Theorien entstehen aus der Erfahrung des täglichen Erlebens, in die aber auch Erfahrungen anderer (etwa vermittelt durch Erzählungen, aus Zeitschriften und Büchern u.a.m.) als eine Art 'intuitives' Wissen der Subjekte eingehen. Derartige Zusammenhangsvorstellungen ermöglichen es den Subjekten, vielfältigste Situationen auch dann zu bewältigen, wenn sie nur kleine Ausschnitte und mi-

17 nimale Konturierungen dieser Handlungszusammenhänge direkt erkennen können. Welche Aspekte aus dem Gesamt der Lebensumstände seitens wissenschaftlicher Ansätze herausgehoben und zur Grundlage der Entwicklung der verschiedensten Konzeptualisierungen von 'Alltagstheorien' gemacht werden, erweist sich allerdings bereits als sehr unterschiedlich: Von den als Attributionstheorien bezeichneten Konzeptionen wird im weitesten Sinne die Genese unmittelbarer Zusammenhangsvorstellungen untersucht, in die Personen, Situationen oder aktuelle Umstände als Ursache für das Zustandekommen eines zu erklärenden Ereignisses bzw. einer fraglichen Handlung thematisiert und zumeist in einen Rahmen der kausalen Relationsbildung gestellt werden. Von denjenigen Konzepten, die sich mehr oder weniger explizit als Konzepte zur Analyse 'subjektiver Theorien' begreifen, werden diese einerseits im Gegensatz zu den sogenannten 'objektiven Theorien' über die jeweilige 'Autorenschaft' (Wissenschaftler bzw. Laie) zu bestimmen versucht, wodurch die für 'objektive Theorien' weitgehend anerkannten Überprüfungsverfahren bei 'subjektiven Theorien' nicht praktiziert werden (vgl. Dann, 1983, 79). Andererseits wird hier nicht nur der Theoriencharakter, als die relativ überdauernde Strukturierung, herausgehoben, durch die sie als eine Art eigenständiger Strukturzusammenhang rekonstruiert und dargestellt werden könnten1. Im Gegensatz zu Zuschreibungen verfügen subjektive Theorien also über eine Art impliziter Argumentationsstruktur, aufgrund derer die darin enthaltenen Konzepte und Vorstellungen in argumenativen Relationen und Wenn-Dann-Strukturen als Aggregation mehrerer Begriffe eingebunden sind (vgl. Groeben & Scheele, 1982,16). Prinzipiell müssen aber wohl alle Ansätze, die sich im weitesten Sinne mit 'alltagstheoretischen' Vorstellungen über Handlungs- und Ereigniszusammenhänge und deren Begründung beschäftigen, davon ausgehen, daß Menschen nicht blind und zusammenhangslos auf Einzelreize reagieren, sondern vielmehr versuchen, eine wie auch immer beschaffene Verknüpfung zwischen beobachteten, erfahrenen oder antizipierten Ereignissen 1 Von Groeben & Scheele (1982) wird versucht, die hier einschlägigen Begriffe und Relationen zwischen den in diesem Zusammenhang vorgebrachten Konzepten, wie etwa dem der Subjektiven Theorien', der Subjektiven Erklärungen', von Subjektiven Meta-Theorien', aber auch Subjektiven Technologien' in ihrem Verhältnis zu den sogenannten Objektiv-wissenschaftlichen' Konstrukten näher zu bestimmen, auf die an anderer Stelle noch zurückzukommen ist

18 bzw. den Handlungen von Personen herzustellen. Damit gehen eigentlich alle Ansätze davon aus, daß die Menschen ein Bewußtsein von ihrer jeweiligen Umwelt und den Ereignissen darin haben, wobei deren Repräsentation von den tatsächlichen Zusammenhängen, in dem Ereignisse stehen, aus verschiedenen Gründen und in unterschiedlicher Weise sogar fundamental abweichen kann. Dies aber hat zur Konsequenz, daß sich die Realitätserfahrung der Subjekte zum Teil sehr stark unterscheiden kann, was die Verständigung und Systematisierung der jeweiligen Weltsichten zwischen den Subjekten ggf. massiv erschweren und beeinträchtigen kann. Wirklichkeit, um dies anders zu formulieren, ist den Subjekten also nicht einfach gegeben, sondern muß von ihnen als eine für sie bedeutungsvolle wahrgenommen, gewissermaßen erst als das Bewußtsein von ihr rekonstruiert werden. Vor dem Hintergrund der hier zunächst zu klärenden Frage, wie Wirklichkeit von den Subjekten wahrgenommen, erfaßt und erfahren wird, sollen in dieser Arbeit vor allem anderen solche sozialpsychologische Konzepte untersucht werden, in denen Aussagen über die Struktur und Genese von Handlungs- und Ereigniserklärungen gemacht werden, die als Theoretisierung der subjektiv bedeutsamen Wirklichkeitsaspekte zur Grundlage darauf bezogener Handlungen und konkreter Verhaltensweisen erklärt werden. Dies betrifft insbesondere die schon genannten Attributionstheorien, aber auch die sogenannte 'Laienepistemologie' (vgl. etwa Kruglanski et al., 1985) und die Überlegungen zur Entscheidung unter Unsicherheit, die mehr oder weniger als Theorien der sozialen Informationsverarbeitung aufgefaßt werden können (vgl. dazu Zanjoc, 1968).

1.1. Zum Stellenwert subjektiver Theorien und handlungsbezogener Erklärungen in der Psychologie Der Beginn der 'Konjunktur', die das Thema der handlungsbezogenen Erklärungen im Alltag gegenwärtig in der Psychologie erlebt, läßt sich grob umrissen auf die Mitte der 70er Jahre datieren. Schon 1977 proklamierten Groeben & Scheele einen Paradigmenwechsel in der wissenschaftlichen Psychologie, aufgrund dessen von der vormals dominanten behavioristischen Orientierung hin zu einem epistemologischen Subjekt-

19 modell orientiert werden sollte. Aber auch wo nicht geradezu von einem 4 Paradigmen-Wechsel' im Kuhnschen Sinne (Kuhn, 1962/1973) gesprochen wird, lassen sich von mindestens drei psychologischen Ansätzen aus Beziehungen zu 'subjektiven Theorien' herstellen. Zum einen ist in diesem Zusammenhang die kognitive Psychologie zu nennen. Zum anderen wurden, ausgehend von den Arbeiten Fritz Heiders (1958), im Rahmen der Sozialpsychologie subjektiver Theorien naive Vorstellungen des 'Mannes auf der Straße' selbst zum Gegenstand der Sozialpsychologie und von dort aus fast als Gegenstand der Psychologie überhaupt proklamiert. Diese Vorstellung begründete sich in der Überlegung, daß das Verhalten gegenüber anderen Menschen von common-sense-Vorstellungen und alltagstheoretischen Sichtweisen geleitet sei und daher nur verständlich werde, wenn diese grundlegenden Vorstellungen expliziert werden könnten. Schließlich wurden 'Alltagstheorien' aber auch im Rahmen der Therapie-, Beratungs- und Praxisforschung sowohl bei der Analyse dessen, was Praktiker tun, als auch bezogen auf das, was Gegenstand der Beratung sein soll, wichtig. Der Bezug von subjektiven Theorien zur kognitiven Psychologie ist vor allem darin zu sehen, daß auch die Analyse subjektiver Theorien davon ausgeht, daß die objektive 'Beschaffenheit' der Wirklichkeit für die Menschen nicht als Reizkonstellation in Erscheinung tritt. Wirklichkeit wird in dieser Sicht vielmehr von den Subjekten erst als eine für sie bedeutungsvolle realisiert, kategorisiert und damit immer auch interpretiert. Dabei sei zwischen Reiz und Reaktion eine je nach Konzeption mehr oder weniger intentional begriffene Wirklichkeitsrezeption des Subjekts selbst geschaltet, durch die objektive Tatbestände erst zur Grundlage des 'Sich-Verhaltens' werden. „Die physikalische Situation, in der sich jemand befindet, wird von ihm wahrgenommen und verstanden. Sie ist damit für ihn bedeutungshaltig. Nur wenn wir diese Bedeutung kennen, können wir versuchen vorherzusagen, wie sich der Mensch verhalten wird" (Smedslund, 1969, lf). Damit steht das hier von Smedslund gestellte Thema subjektiver Theorien mehr oder weniger deutlich im Dienste der Entwicklung einer möglichst konstistenten Theorie zur Verhaltenskontrolle und -vorhersage: Es wird angenommen, daß erst die Kenntnis der subjektiven Bedeutung einer Reizkonstellation deren determinierende Funktion für manifestes Verhalten angemessen zu bestimmen vermöge und eine psychologische Theorie des Verhaltens sich erst auf dieser Grundlage überhaupt systematisieren lasse. Nicht also die Spezifik der Reizkonstellation, sondern vielmehr das

20 Verhältnis des Subjekts zur Welt wird hier zur verhaltensbestimmenden Dimension erklärt. Die Frage nach naiven Theorien bzw. 'Alltagstheorien' fand aber auch Eingang in die Diskussion um die Begründung psychologischer Praxis. Schon 1977 verwies Weinert auf die überaus lose Verknüpfung von Theorie und Praxis in der psychologischen Beratung und Therapie. Die tatsächliche Praxis sei in nur unklarer Weise mit wissenschaftlichen Theorien vermittelt und vielfältigst mit Alltagstheorien des Praktikers durchsetzt, daher in ihrem Anspruch an wissenschaftliche Geltung und Begründung zumindest weithin infrage gestellt. ,Alle Beratungsformen, die in der beschriebenen losen Weise an bestimmte psychologische Theorien geknüpft und z.T. daraus abgeleitet sind, erweisen sich unter bestimmten Bedingungen als durchaus erfolgreich - vielleicht auch deshalb, weil sie selten puristisch praktiziert werden, sondern weil sie im Alltag häufig gemischt vorkommen und durch die common-sense-Psychologie des Beraters und durch dessen persönliches Engagement ergänzt werden" (Weinert, 1977, 10, Herv. R.F.). Im Zusammenhang psychologischer Beratung werden 'Alltagstheorien' aber auch bezüglich der problembezogenen Handlungsbegründung des zu Beratenden wichtig: Nicht nur die Praktiker verfügen über Praxistheorien, in denen wissenschaftliche Theorien mit eigenen Praxiserfahrungen und 'Alltagstheorien' vermittelt sind, sondern auch die Klienten selbst haben Vorstellungen, Zusammenhangsvermutungen, Überzeugungen über ihre Problemzusammenhänge und spezifische Erwartungen an die psychologische Beratung entwickelt, die in die Beratung eingehen und diese mit strukturieren. Beratung läßt sich damit als eine Situation spezifizieren, in der potentiell konkurrierende Vorstellungen über einen problematisch gewordenen Zusammenhang geklärt und in Richtung auf die Entwicklung von Handlungsmöglichkeiten hin vereindeutigt werden müssen. Betrachtet man psychologische Beratung demnach als einen Prozeß der Explikation und Entwicklung gegenwärtig unverfügbarer Handlungs- und Eingriffsmöglichkeiten in die je eigenen problematisch gewordenen Lebensbezüge, läßt sich der eigentliche Gegenstand von Beratung als Kritik und Weiterentwicklung derjenigen Sichtweisen und Vorstellungen bestimmen, die von den Subjekten selbst bezüglich der für sie relevanten Lebenszusammenhänge herangezogen werden. Ganz in diese Richtung argumentiert auch Weinert, wenn er schreibt: „Dementsprechend kann Beratung auch nicht einfach die Vermittlung von relevanten Informationen oder die Spiegelung

21 individueller Erlebnisse sein, sondern stellt stets einen notwendigen Vermittlungsprozeß zwischen den subjektiven Gewißheiten und Erwartungen des Ratsuchenden und den wissenschaftlichen Theorien des Beraters dar" (ebd., 11). Werden aber derartige handlungsbezogene Erklärungen der Klienten selbst zum Gegenstand psychologischer Beratung gemacht, weil deren Problematik und Zusammenhangsverkürzung als wichtiger Aspekt der Handlungsproblematik angesehen werden muß, stellt sich für eine professionelle und auf Psychologie als Wissenschaft bezogene Praxis das Problem, in welcher Weise dem eigenen faktischen Vorgehen und den dabei entwickelten Analysen Theorien zugrunde gelegt werden können, die nicht selbst bloße Alltags- und Ordnungsvorstellungen, mithin in ähnlicher Weise Verkürzungen des Problemzusammenhangs, darstellen (vgl. dazu Fahl & Markard, 1992, 1993): So notwendig die wissenschaftliche Begründung der Geltung von Theorien und Sichtweisen des Praktikers auch ist, reichen doch die vorfindlichen psychologischen Theorien nicht aus, um das praktische Handeln in der psychologischen Praxis damit angemessen zu begründen. Dem Praktiker bleibt also zumindest solange kaum etwas anderes, als in legitimatorisch-eklektischer Weise das eigene Tun unter Hinzuziehung gerade als passend betrachteteter Theorieversatzstücke lediglich zu rechtfertigen und zu stilisieren, wie das darin angesprochene Problem der Vermittlung zwischen akademischer Theorie und psychologischer Praxis nicht selbst als Forschungsproblem aufgegriffen wird. Damit ist nun für diese Arbeit ein Programm zu konzipieren, mit dem das potentielle Spannungsverhältnis zwischen 'Alltagstheorie' und 'wissenschaftlicher Psychologie' als Aspekt des gegenwärtig problematischen Zustands des Fachs Psychologie selbst gesehen und damit produktiv als Kritik bestehender Positionen gewendet werden kann. Die attributionstheoretischen Konzeptionen stellen dabei insbesondere für die kritisch-psychologische Theorienbildung ein interessantes Themenfeld dar, weil damit auch innerhalb des sozialpsychologischen mainstream eine Konzeption und Vorstellung über den Gegenstand psychologischer Theorienbildung vorgelegt worden ist, in der dieser selbst als theorienproduzierend angesehen wird. Es geht hier also explizit darum herauszuarbeiten, welcher relative Erkenntnisgewinn von unserem Ansatz aus bei der Aufarbeitung der in der traditionellen Sozialpsychologie enthaltenen einschlägigen Erfahrungen und Erkenntnisse erzielt werden kann, in denen die Genese von Hand-

22 lungserklärungen als spezifisches Merkmal ihres Erkenntnisgegenstandes reflektiert und elaboriert wird. Um einen Zugang zu den verschiedenen und umfangreichen Theorien, den daraus hervorgegangenen Experimenten und erhobenen empirischen Daten zu gewinnen, scheint es sinnvoll, die Aufarbeitung des Materials entlang der theoriengeschichtlichen Entwicklung zu entfalten und die sich darin stellenden jeweiligen Fragestellungen als Resultate der theoriengeschichtlichen Entwicklung eines Problembewußtseins zu rekonstruieren. Bevor jedoch die für die hier anstehende Aufarbeitung einschlägigen Theorien dargestellt und in ihren theoriengeschichtlichen Zusammenhängen rekonstruiert werden, soll an dieser Stelle zunächst die kritisch-psychologische Perspektive verdeutlicht werden, von der aus die hier zu entwickelnde Rekonstruktion der verschiedenen Entwicklungslinien der auf die Fragestellung hin bezogenen sozialpsychologischen Theorien betrieben wird. Dazu ist es zum einen notwendig, kurz auf die Entwicklung der Kritischen Psychologie als die Entwicklung von einer Kritik der Psychologie hin zu einem eigenständigen Ansatz näher einzugehen. Zum anderen sollen aber bereits an dieser Stelle einige der grundlegenden kategorialen und metatheoretischen Vorstellungen zumindest soweit ausgeführt werden, daß auch für Leser, denen der theoretische Bezugspunkt dieser Aufarbeitung nicht vertraut ist, die Perspektive verständlich werden kann, aus der die hier zur Diskussion stehenden Theorien aufzuarbeiten versucht wird. An dieser Stelle geht es also lediglich darum, den eigenen Ansatz als eine Art groben Bezugsrahmen zu verdeutlichen, dessen verschiedene kategoriale und theoretische Aspekte erst mit der Darstellung der hier aufzuarbeitenden verschiedenen theoretischen Konzeptionen und den darin angesprochenen Problemdimensionen mit entfaltet werden sollen.

1.2. Von der Psychologiekritik zur Kritischen Psychologie Die von der Position der Kritischen Psychologie an traditioneller Psychologie geleistete Kritik läßt sich überblicksartig dahingehend zusammenfassen, daß mit der Herausarbeitung immanenter Widersprüche verschiedener einzeltheoretischer Konzeptionen zunehmend deutlich wurde, daß sich die

23 dabei aufgewiesenen Probleme des Gegenstandsbezugs psychologischer Theorienbildung nicht einfach durch andere psychologische Einzeltheorien beheben lassen, sondern daß deren zugrundliegende Begrifflichkeit zunächst selbst der Analyse und Kritik unterzogen werden muß (vgl. dazu Holzkamp, 1992). Unter methodologischen Gesichtspunkten läßt sich anhand vieler verschiedener Einzeltheorien, gleichgültig ob in der Persönlichkeitspsychologie, der Sozialpsychologie oder der Allgemeinen Psychologie, ausweisen, daß aufgrund der Gleichsetzung von experimentellstatistischem Untersuchungsschema mit wissenschaftlichem Vorgehen überhaupt in diesen Theorien die Spezifik menschlicher Subjektivität unterschritten, programmatisch ausgeklammert, oder wissenschaftlicher Objektivier- und Begründbarkeit entzogen bleibt (vgl. dazu etwa Holzkamp, 1985a). Die Kritik der den Einzeltheorien methodisch vorgeordneten begrifflichen Konzeptionen zeigte, daß in dieser Begrifflichkeit bereits unausgewiesene implizite kategoriale Vorannahmen über die Beschaffenheiten des Untersuchungsgegenstands verborgen liegen, durch die bereits vor jeder einschlägigen empirischen Prüfung darüber vorentschieden ist, welche Aspekte des Gegenstands dabei zum Thema werden und welche von vornherein ausgeschlossen sind. In dem Maße, wie dies deutlich wurde, wurde zum einen klar, daß die traditionelle Psychologie selbst über keine Verfahren verfügt, mit denen sie die eigenen kategorialen Konzeptionen ausweisen und in ihrer Geltung rechtfertigen kann. Zum anderen aber stand mit dieser Problemverortung auch die geleistete Kritik vor der Notwendigkeit, sich der eigenen kategorialen Gegenstandsbestimmungen zu vergewissern, um nicht nur die behaupteten Verkürzungen relevanter Dimensionen des Gegenstands in den definitorischen Setzungen der traditionellen Psychologie zu explizieren, sondern diese Verkürzungen in einem eigenen Konzept aufzuheben. So läßt sich die Entwicklung der Kritischen Psychologie als Versuch der Verwissenschaftlichung und Begründung von psychologischer Grundbegrifflichkeit zugleich als Übergang von der bloßen Kritik an vorfindlicher Psychologie zu einem eigenständigen, positiven Konzept von Psychologie auffassen und deren historischer Ausgangspunkt damit gewissermaßen als Beitrag zur Bewältigung der aufgewiesenen Probleme innerhalb der Wissenschaft Psychologie begreifen (vgl. dazu Holzkamp, 1984). Dabei stellte sich zunächst die Frage, wie ein solches System kategorialer Bestimmungen überhaupt begründet werden könnte, wenn doch die damit gerade zur Disposition gestellten Vorbegriffe den Zugang zur Empirie und

24 die damit erfahrbaren Dimensionen des Gegenstands erst begründen, was nurmehr heißt, daß ein damit realisierter Empiriebezug nicht zugleich als Prüfkriterium für die Angemessenheit kategorialer Bestimmungen angesehen werden kann. Bedenkt man jedoch, daß man es in der Psychologie mit einem Gegenstand zu tun hat, der sich als Resultat eines evolutionären bzw. gesellschaftlich-historischen Entwicklungs- und Differenzierungsprozesses herausgebildet hat und damit letztlich nur als historischer begriffen werden kann, müssen sich die Bestimmungen des Gegenstands in Rekonstruktion seiner Gewordenheit am jeweils entsprechenden biologischevolutionären bzw. gesellschaftlich-historischen Material empirisch aufweisen lassen. Die den psychologischen Einzeltheorien zugrunde liegenden kategorialen Bestimmungen müßten also in dem Maße begründet bzw. kritisiert werden können und sich in ihrer Gegenstandsangemessenheit ausweisen lassen, wie es gelingt, den Gegenstand selbst einer umfassenden historisch-empirischen Analyse zu unterziehen, um damit die relevanten Bestimmungen des Gegenstands aus dessen Genese heraus zu explizieren. Diese Überlegung und die entsprechenden funktional-historischen und gesellschaftlich-historischen Analysen in ihren wissenschaftsgeschichtlichen Bezügen sind ausführlich, zusammenfassend und systematisch in der 'Grundlegung der Psychologie* von Klaus Holzkamp (1983) dargestellt und damit als Differenzierung zwischen einer historisch-empirischen und einer aktualempirischen Ebene der zu treffenden Aussagen in die Psychologie eingeführt worden.

1.3. Explikation der für den Fragenzusammenhang wesentlichen kategorialen und theoretischen Konzeptionen Für die hier anstehende Aufarbeitung der verschiedenen Attributionstheorien und der darin thematisierten Bedeutung individuell-praktischer Denkund Rezeptionsformen gesellschaftlich hergestellter Lebenszusammenhänge ist es notwendig, sich zunächst der kategorialen und metatheoretischen Konzepte zu vergewissern, die sich aus der phylogenetischen und gesellschaftlich-historischen Rekonstruktion des Gegenstandes der Psychologie,

25 die empirische Subjektivität und für die darauf bezogene psychologische Theorienbildung, ergeben haben. Ein zentrales Resultat dieser Rekonstruktion besteht darin, daß sich die Welt nicht in Termini der unmittelbaren Einwirkung auf den Organismus fassen läßt, wie sie etwa in den von der S-R-Psychologie formulierten Konzepten, aber auch in neueren Vorstellungen, in denen nicht mehr explizit von Reizen, sondern von Tnformationsaufnahme, o.a. gesprochen wird, zugrunde gelegt ist. Diesen Vorstellungen ist gemeinsam, die Welt als bloße Konstellation von Bedingungen aufzufassen und deren Zusammenwirken als 'Ursache' aktuell beobachtbarer Verhaltensweisen anzusehen. Demgegenüber konnte aufgewiesen werden, daß schon auf vormenschlichem Niveau artspezifische Umwelten der Tiere nicht angemessen als 'Reize' zu charakterisieren sind, sondern als Bedeutungseinheiten, die unmittelbare Aktivitätsvalenzen besitzen (Hin-Zu, Von-Weg, Beute, Freßfeind, Sexualpartner etc.), aufgefaßt werden müssen, und daß auf menschlich-gesellschaftlichem Niveau mit der Entstehung und Erweiterung von gesamtgesellschaftlichen Kooperationsstrukturen notwendig auch eine gesamtgesellschaftliche Synthese von Bedeutungszusammenhängen verbunden ist. Damit verdeutlichte sich, in welcher Weise bei der„Kategorialanalyse des Psychischen in seiner menschlich-gesellschaftlichen Spezifik das 'Bedeutungs'-Konzept als die grundlegende individualwissenschaftliche 'Vermittlungskategorie \ also Kategorie zur Erfassung der Vermittlung zwischen dem objektiv-ökonomischen und dem psychischen Aspekt der gesamtgesellschaftlichen Eingebundenheit individueller Existenz gefaßt werden muß: Die 'Bedeutungen' bilden durch die geschilderte 'Synthese' einmal 'in sich' einen Zusammenhang, in dem sich die Notwendigkeit arbeitsteiliger gesamtgesellschaftlicher Lebensgewinnung ausdrückt, gleichzeitig aber ist über die Erfassung, Umsetzung und Änderung der Bedeutungen jedes einzelne Individuum in seiner personalen Existenz auf den gesamtgesellschaftlichen Lebenszusammenhang bezogen" (Holzkamp, 1983, 233, Herv. R.F.). Mit dem Übergang von der phylogenetischen hin zur gesellschaftlich-historischen Entwicklung hat sich für das Bedeutungskonzept eine fundamentale Veränderung dahingehend ergeben, daß Bedeutungen nurmehr die dem Subjekt gegebenen gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten repräsentieren: „Das Individuum muß zwar, aufgrund des dargestellten gesellschaftlich organisierten Zusammenhangs zwischen individueller Existenzerhaltung und Beteiligung an gesamtgesellschaftlicher Produktion/Repro-

26 duktion, im Ganzen gesehen zu seiner personalen Lebenserhaltung von den in den Bedeutungen gegebenen gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten irgendwie 'Gebrauch machen \ Da hier die Existenzsicherung nicht mehr unmittelbar von der Bedeutungsumsetzung abhängt, ist das Individuum aber durch die jeweils konkreten vorliegenden Bedeutungsbezüge in seinen Handlungen keineswegs festgelegt, es hat im Rahmen der globalen Erfordernisse der eigenen Lebenserhaltung hier immer auch die 4 Alternative \ nicht oder anders zu handeln, und ist in diesem Sinne den Bedeutungen als bloßen Handlungsmöglichkeiten gegenüber 'frei*" (ebd., 236). Lebensverhältnisse stellen sich dem Subjekt damit als die auf das Subjekt hin ausgerichteten Spezifikationen gesellschaftlicher Bedeutungszusammenhänge dar, womit die individuellen Handlungen nicht kausal bedingt, sondern in den Bedeutungen der Weltgegebenheiten begründet sind, so daß Bedeutungen stets als Repräsentationen individuell-gesellschaftlicher Handlungsmöglichkeiten zu fassen sind. Aus dem Gesamt der gegebenen Bedeutungszusammenhänge werden jedoch wiederum nur diejenigen Bedeutungsaspekte auch zu Prämissen von Handlungen und Handlungsbegründungen gemacht, mit deren Umsetzung zumindest perspektivisch die Überwindung aktueller Lebensprobleme, Einschränkungen und Behinderungen innerhalb des eigenen Lebensvollzugs antizipiert werden kann. Damit ist die Realisierung von Handlungsmöglichkeiten als Heraushebung und Akzentuierung von Bedeutungen als Handlungsprämissen zu verstehen, deren Umsetzung mit subjektiven Lebensinteressen zusammenhängt: Prämissen erweisen sich damit nicht lediglich als Aspekte von Bedeutungskonstellationen, sondern müssen vielmehr als die - in der Aktualgenese von Interessen begründete - Herausgliederung von Handlungsmöglichkeiten aufgefaßt werden, die unter dem Leitgesichtspunkt der Verbesserung und Entfaltung von Verfügungsmöglichkeiten in Handlungen umgesetzt werden (vgl. dazu Markard, 1991a, 229). Diese damit skizzierte kritisch-psychologische Fassung des Bedeutungsbegriffs hat nicht nur für die hier zur Diskussion stehende Frage nach der Struktur und Genese von Handlungserklärungen, Attributionen und alltagspsychologischen Zusammenhangsannahmen, sondern für die Wissenschaft Psychologie insgesamt weitreichende theoretische und methodische Konsequenzen: Muß nämlich die gesamtgesellschaftliche Vermitteltheit individueller Existenz als zentrales Resultat der phylogenetischen und gesellschaftlich-historischen Entwicklung des Gegenstandes psychologischer

27 Theorienbildung angesehen werden, in der das Verhältnis zwischen Subjekt und Welt als 'Möglichkeitsbeziehung' bestimmt werden kann, ist mit dieser begrifflichen und konzeptionellen Fassung dem Umstand Rechnung getragen, daß die Sicherung der individuellen Existenz auf menschlich-gesellschaftlichem Niveau nicht mehr bloß als eine isoliert-individuelle Aufgabe angesehen werden kann, sondern sich vielmehr erst über die Teilhabe an der gesellschaftlichen Produktion von Lebensbedingungen realisiert. Können damit die jeweiligen Lebensverhältnisse nicht mehr als die unmittelbar wirkenden Bedingungen für den Vollzug von Handlungen aufgefaßt werden, heißt dies für die psychologische Theorienbildung, daß Lebensverhältnisse auch auf theoretischer Ebene nicht als Bedingungen, sondern als Handlungsmöglichkeiten gefaßt und Handlungen entsprechend nicht als bedingt, sondern begründet aufgefaßt werden müssen. Welche der einem Subjekt in seinen Lebensumständen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten also tatsächlich in Handlungen umgesetzt werden, hängt einerseits davon ab, ob sie überhaupt als bestehende Möglichkeiten erfaßt worden sind, und begründet sich - wie gesagt - andererseits darin, ob die mit dem Handlungsvollzug antizipierbaren Veränderungen innerhalb der je eigenen Lebenszusammenhänge am Maßstab der je eigenen Lebensinteressen als Verbesserung angesehen werden können. Für die Theoretisierung psychologierelevanter Sachverhalte ergibt sich aus der gesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Existenz die Konsequenz, daß menschliche Handlungen nicht auf sie determinierende Ursachen zurückgeführt werden können, sondern überhaupt nur dann angemessen auf den Begriff gebracht werden können, wenn sie als vom Standpunkt des Subjekts aus entwickelt gedacht werden, und wenn thematisiert wird, wie die jeweiligen Lebensumstände von den Subjekten selbst zu Prämissen darauf bezogener Handlungen gemacht werden. Damit ergibt sich die Vorstellung der subjektiv-funktionalen Realisierung gegebener Handlungsmöglichkeiten als wesentliches Bestimmungsmoment menschlicher Subjektivität, die damit innerhalb der wissenschaftlich-psychologischen Theorienbildung unreduziert zur Geltung gebracht werden muß. Darüber hinaus ergibt sich aus dieser Fassung des Subjekt-Welt-Zusammenhangs, daß dessen adäquate Theoretisierung zugleich die Überschreitung des 'Bedingtheitsdiskurses' in Richtung auf den 'Begründungsdiskurs' erfordert, um die wesentlichen Charakteristika des bedeutungsvermittelten Verhältnisses der Subjekte zur Welt in dessen Theoretisierung nicht zu unterschreiten (vgl. dazu Holzkamp, 1986). Begründungstheoretische Aussagenzusammenhänge müssen demnach stets als solche formuliert werden, in denen

28 ein Zusammenhang zwischen den von den Subjekten akzentuierten Prämissen und dem darauf bezogenen Handeln als subjektiv-funktional und begründet gefaßt werden kann. Die damit angesprochene allgemeine Struktur psychologischer Theorien weist diese als Formulierungen des jeweiligen Verhältnisses zwischen den zu Prämissen gewordenen Bedeutungen und den darauf bezogenen Handlungsgründen aus, womit sie auch kurz als Prämissen-Gründe-Zusammenhänge bezeichnet werden können. Für die hier zu vollziehende Aufarbeitung der verschiedenen attributionstheoretischen Konzeptionen, Theorien und die Interpretation der in diesem Zusammenhang erbrachten empirischen Befunde ergibt sich daraus die Frage, ob und inwieweit die darin zur Geltung kommenden Zusammenhangsbehauptungen als Prämissen-Gründe-Zusammenhänge formuliert worden sind oder sich begründungstheoretisch reformulieren lassen. Dies ist insbesondere bei denjenigen Konzeptionen und von denjenigen Aussagenzusammenhängen zu erwarten, die zwar unter Bezug auf eine andere kategoriale Perspektive entwickelt wurden, gleichwohl aber Hinweise auf mehr oder weniger verborgene Begründungszusammenhänge enthalten, so daß sich deren empirische Befunde als eine Art Realisation ggf. typischer 'Begründungsmuster' reinterpretieren lassen. Mit dieser Skizzierung der von der Kritischen Psychologie herausgearbeiteten kategorialen und metatheoretischen Grundkonzepte sollte an dieser Stelle zunächst lediglich die Basis verdeutlicht werden, von der aus die hier zu vollziehende Analyse entwickelt wird, und auf die die im Folgenden herauszuarbeitenden theoretischen Positionen bezogen werden. Die genauere Darstellung der hier zugrunde liegenden kategorialen und theoretischen Vorstellungen soll dabei erst im Zuge der Aufarbeitung der verschiedenen attributionstheoretischen Konzeptionen entfaltet werden.

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Kapitel 2

Grundlagen einer psychologischen Theorie der Kausalität Vorbemerkung Wenn man das breite Feld attributionstheoretischer Überlegungen, Konzeptionen und empirischer Untersuchungen abschreitet, läßt sich zunächst feststellen, daß ihnen kein einheitlicher Begriff von Attribution zugrunde gelegt ist. Von den verschiedenen Ansätzen werden vielmehr sehr unterschiedliche Aspekte akzentuiert oder als konstitutiv für attributionale Prozesse angesehen. Trotz dieser Differenzen und Auffassungsunterschiede über die als Attribution zu bezeichnenden Phänomene läßt sich jedoch zwischen den Ansätzen - wie noch zu zeigen sein wird - insofern ein gemeinsamer Bezugspunkt feststellen, als darin Attribution mehr oder weniger explizit mit der Zuschreibung von Kausalbeziehungen gleichgesetzt wird2, so daß der Begriff der Xaw^a/attribution weniger als Spezifikation denn als Synonym betrachtet werden muß. Dennoch aber verbleibt der auf Brunswik (1934) zurückgehende Attributionsbegriff zwischen den verschiedenen Ansätzen noch in einer terminologischen Uneindeutigkeit, was es mit sich bringt, daß eine präzisere Fassung dieses Begriffs erst als ein Resultat der hier zu vollziehenden Analyse und Aufarbeitung einschlägiger Konzeptionen und Ansätze zu entwickeln ist.

^ Mit dieser Universalisierung des Kausalitätskonzepts, in der Attribution mit der Herstellung von Ursache-Wirkungs-Relationen gleichgesetzt wird, läßt sich weder zwischen einem Handlungs- und Ereignisbegriff unterscheiden, noch auch das Verhältnis zwischen Gründe- und Ursachenerklärungen von Handlungen und Ereignissen systematisch reflektieren: Die etwa von Beckermann (1977, 1979) aufgezeigten Grenzen von kausalen Zusammenhangserklärungen für intentionale Akte werden damit für die theoretische Diskussion weitgehend verstellt Vor diesem Hintergrund differenziert Preiser (1989, 32ff) zwischen sogenannten Kausal- und Finalattributionen, wonach in iTattfa/attributionen Ursachenerklärungen thematisiert, in Fma/attributionen hingegen Handlungszfi/i ins Zentrum der argumentativen Struktur gestellt würden. Auf die damit in Zusammenhang stehenden Probleme soll allerdings erst auf S. 177ff dieser Arbeit ausführlich zurückgekommen werden, wenn auch die von von Buss (1978, 1979) bzw. von Kniglanski (1979) vertreten Positionen mit einbezogen werden können.

30 Die grundlegende Bedeutung, die dem Konzept der Kausalität für die attributionstheoretische Diskussion zugemessen werden muß, macht es zunächst notwendig, dessen Stellenwert und die damit verbundenen theoretischen Probleme, etwa für die Analyse und Rekonstruktion von Handlungen und darauf bezogener Handlungsgründe, aufzuarbeiten und darzustellen, bevor die attributionstheoreüschen Ansätze und Hypothesen sowie deren spezifische Bezüge auf das Konzept der Kausalität im einzelnen untersucht werden können. Dabei muß danach gefragt werden, welche Veränderungen das Kausalkonzept dadurch erfuhr, daß es von der philosophisch-erkenntnistheoretischen Diskussion aus Eingang in die Psychologie, und hier von der Denkpsychologie in die Wahrnehmungspsychologie, gefunden hat. Eine solche Aufarbeitung muß auch als Grundlage für die Möglichkeit angesehen werden, die von Heider (1944/1969) vorgelegte Konzeption 'phänomenaler Kausalität' und deren Bezüge zu den verschiedenen attributionstheoreüschen Konzepten einerseits und gestaltpsychologischen Überlegungen andererseits angemessen bestimmen zu können. Mit dieser Rekonstruktion der Dimensionen des Problems, zu dessen Lösung die verschiedenen hier in Frage stehenden Ansätze und Theorien angetreten sind, läßt sich über die Gemeinsamkeit ihrer inhaltlichen Problemstellungen der Zusammenhang zwischen diesen Theorien explizieren, wodurch die Konfrontation der verschiedenen Positionen miteinander jenseits des bloßen 'Schulenstreits' für die Weiterentwicklung der Psychologie als Wissenschaft fruchtbar zu machen ist. Theorien stellen diskursermöglichende Aussagen über den Zusammenhang zwischen einzelnen Ereignissen und Entwicklungen dar, deren Strukturen logisch-implikativ oder empirisch-gehaltvoll sein können. Theorien weisen also bestimmbaren Ereignissen und Entwicklungen des Aussagenzusammenhangs die Funktion einer 'Ursache', eines 'Grundes' für das mit diesem verknüpfte andere zu, das als dessen 'Wirkung' bzw. als dessen (wie immer näher bestimmtes) logisches Explikat erfahren wird. Damit ist der zentrale Stellenwert der Frage nach der Konzeption von Kausalität, aber auch die Bedeutung der Frage nach der Zugänglichkeit des in der Theorie formulierten Zusammenhangs zwischen den beiden Momenten der Aussage bestimmt, der nicht nur innerhalb der Philosophie und Erkenntnistheorie, sondern auch innerhalb der Denk- und Wahrnehmungspsychologie Gegenstand der Analyse geworden ist. Obschon die Geschichte neuzeitlicher Überlegungen zum Verhältnis von Ursache und Wirkung, deren Analyse als Kausalzusammenhang nicht erst

31 mit dem schottischen Empiristen David Hume beginnt, hat Hume doch eine Grundlage geschaffen, auf die sich nicht nur die weitergehenden philosophischen Diskussionen, sondern auch die hier relevanten psychologischen Überlegungen über die Bedingungen der Möglichkeit der Produktion kausaler Schlußfolgerungen sowie der Wahrnehmbarkeit von Kausalrelationen weithin bezogen haben. Damit erscheint es gerechtfertigt, die theoriengeschichtliche Rekonstruktion mit den Humeschen Überlegungen zur 'Kausalität' und deren Wahrnehmbarkeit zu beginnen.

2.1. David Hume oder die Unerfahrbarkeit von Kausalverknüpfungen Durch strenge Beobachtung derjenigen Ereignisse, die kausal interpretiert werden, versuchte der Empirist David Hume die Frage nach dem Verhältnis zwischen 'Ursache' und 'Wirkung', das sie 'verbindende Band' zu bestimmen. Zunächst versuchte er dabei diejenigen Merkmale solcher Ereignisse zu bestimmen, durch die der Beobachter Hinweise auf das Vorliegen einer kausalen Relation erhält. Als Gegenstand, an dem kausale Relationen beobachtbar werden sollen, nutzt Hume das Billardspiel, das ihm als 'Musterbeispiel' für die Beziehung zwischen 'Ursache' und 'Wirkung' erschien. Was wird nun durch reine Beobachtung und empirische Beschreibung des Laufs der Kugeln über den Zusammenhang von 'Ursachen' und 'Wirkungen' zugänglich? Hume beschreibt seine Beobachtungen folgendermaßen: Zunächst ist wohl klar, daß die Kugeln einander berührten, bevor die eine der anderen den Bewegungsimpuls mitteilte, aber zwischen Stoß und Bewegung der zweiten Kugel war kein Intervall. Berührung in Raum und Zeit ist daher eine notwendige Bedingung, damit Ursachen Wirkungen haben können. Es ist gleichfalls offenkundig, daß die Ursachenbewegung vor der Wirkungsbewegung stattfand. Zeitliche Priorität ist also eine zweite notwendige Bedingung für Ursachen. Aber die beiden Bedingungen genügen noch nicht. Wiederholen wir dasselbe Experiment mehrfach, so werden wir stets finden, daß der Bewegungsimpuls der ersten Kugel beim Zusammenstoß eine Bewegung der zweiten

32 Kugel hervorruft. Und hieraus ergibt sich als dritte Bedingung, daß zwischen Ursache und Wirkung ein konstanter Zusammenhang bestehen muß: Alles, was der Ursache gleicht, bringt stets eine ähnliche Wirkung hervor. Außer diesen drei wesentlichen Umständen: Berührung, zeitliche Priorität und konstantem Zusammenhang kann ich in unserem Beispiel für eine Ursache keine weiteren entdecken: Die erste Kugel ist in Bewegung, sie stößt die zweite, unmittelbar darauf ist die zweite in Bewegung; und wenn ich das Experiment mit denselben oder ähnlichen Kugeln unter denselben oder ähnlichen Umständen wiederhole, sehe ich, daß auf die Bewegung der ersten Kugel und auf den Zusammenstoß stets die Bewegung der zweiten Kugel folgt. Ich mag die Sache drehen und wenden und genauestens untersuchen: weiter finde ich nichts. (Hume, 1740/1980,19f.) Mit dieser Beobachtung, genauer: mit den darin beschriebenen Grenzen des Beobachtbaren, konnte also das eigentlich gestellte Ziel von Hume nicht erreicht werden: Zwar ließen sich drei wesentliche Umstände explizieren, daß nämlich Berührung, zeitliche Priorität und ein konstanter Zusammenhang notwendige Bedingungen kausaler Ereignisverknüpfungen sind, nicht aber konnte das 'Band* zwischen Ursache und Wirkung, die Identifikation der notwendigen Verknüpfimg durch derartige Beobachtungen bestimmt werden: Kausalzusammenhänge sind der Wahrnehmung auch innerhalb dieser strengen Beobachtungssituation nicht zugänglich geworden. Hume zog daraus den Schluß, daß ,iiberall in der Natur sich nicht ein einziges Band von Verknüpfungen darbietet, daß uns vorstellbar wäre. Alle Ereignisse erscheinen durchaus unzusammenhängend und vereinzelt. Ein Ereignis folgt dem anderen; aber nie können wir irgendein Band zwischen ihnen beobachten. Sie erscheinen zusammenhängend ('conjoined'), doch nie verknüpft ('conjuncted')" (Hume, 1748/1973, 89f). Empirisch zugänglich werden uns nach Hume zwar einige Charakteristika der kausalen Relationen, nicht aber der Zusammenhang selbst, der zwischen Ursachen und Wirkungen besteht, so daß dieser nurmehr als ein theoretischer angesehen werden kann. Überlegungen, durch die Ursachen und Wirkungen zu einem Zusammenhang verknüpft werden, können somit nur als eine an die Erfahrungen des erkennenden Subjekt herangetragene Schlußfolgerung, nicht aber als selbst unmittelbar erfahrbar begriffen werden, was für die Begründbarkeit derartiger Zusammenhangsaussagen weitreichende Konsequenzen hat: Aussagen über gesetzmäßige Zusam-

33 menhänge können, eben weil sie nicht selbst erfahren werden und damit ihrer empirischen Prüfung prinzipiell verschlossen bleiben, auch nicht bewiesen werden. Derartige Zusammenhangsaussagen können zwar Ereignisse vermitteln und systematisieren. Da sie aber selbst der unmittelbaren Erfahrung gegenüber verschlossen sind, können Zusammenhangsaussagen lediglich theoretische Rekonstruktionen vergangener Erfahrungen darstellen. Mit dieser Überlegung, daß allein aus der Systematisierung von Erfahrungen keinerlei allgemeingültige Gesetzesaussagen und Schlußfolgerungen auf zukünftige Ereignisse entwickelt werden können, ist das Induktionsproblem angesprochen, das nicht nur für Erkenntnistheorie und Methodologie, sondern auch als inhaltliche Dimension für die psychologische Theorienbildung der Wahrnehmung und Konstitution von Kausalzusammenhängen weitreichende Diskussionen hervorgerufen hat. Im Vorgriff auf die in dieser Arbeit weiter zu entfaltende inhaltliche Argumentation sei bereits angemerkt, daß Überlegungen zur 'phänomenalen Kausalität', wie sie von Heider (1944/1969), anknüpfend an Duncker (1935), entwickelt worden sind, gleichsam eine Kritik an der Humeschen Konzeption darstellen, womit dessen Rekonstruktion als Weiterentwicklung einer Problemstellung zugleich unsere Darstellung leiten soll. Es sind damit für die hier zu leistende problemgeschichtliche Rekonstruktion Dimensionen bestimmt, durch die die Darstellung und Kritik der Heiderschen Überlegungen zur Attribution und Konstitution von Kausalverknüpfungen entwickelt werden kann.

2.2. Karl Dunckers 'Psychologie des produktiven Denkens'; Gestaltpsychologische Konzeptionen zur Wahrnehmbarkeit kausaler Beziehungen und \phänomenaler Kausalität' Innerhalb dieser Arbeit soll nun weder die philosophisch-erkenntnistheoretische Diskussion unmittelbarer Wahrnehmbarkeit kausaler Verknüpfungen3 noch die Bedeutung des Induktionsproblems und dessen erkenntnistheoretische Bewältigung nachgezeichnet werden. Vielmehr geht es um ^ Einen Überblick zum Thema ermöglicht Eimer, M. (1987)

34 die Rekonstruktion derjenigen Konsequenzen, die sich aus der Humeschen These einer Unmöglichkeit zur Wahrnehmung kausaler Zusammenhänge für die Psychologie der Wahrnehmung und des Denkens ergeben. Insbesondere von Seiten der Gestaltpsychologie wurde in Frage gestellt, ob die kausale Verknüpfung von 'Ursache' und 'Wirkung' tatsächlich prinzipiell jenseits der unmittelbaren Erfahrung stehe, welche an Beobachtungsdaten lediglich rekonstruktiv 'herangetragen' werden müsse, oder ob sich nicht vielmehr doch Umstände bestimmen ließen, in denen Verursachungszusammenhänge der Wahrnehmung unmittelbar gegeben sind. Entsprechend wurde von Karl Duncker (1935) die Forschungsfrage formuliert, ob und unter welchen Umständen sich Fälle angeben ließen, in denen 'das wirkliche phänomenale Sosein' eines Ereignisses unmittelbar, d.h. 'ohne Dazwischenkunft fremder Instanzen', durch das phänomenale Sosein eines anderen Ereignisses 'vor anderen Soseinsmöglichkeiten' bevorzugt erscheint (vgl. ebd., 81). Zugleich stellt Duncker der Humeschen Auffassung der prinzipiellen Nicht-Wahrnehmbarkeit kausaler Verknüpfungen aber noch eine andere kritische Frage, wie es nämlich in einer Welt, in der es nur 'totale Uneinsichtlichkeit' gebe, überhaupt zur Konstitution kausaler Zusammenhänge durch Subjekte kommen könne. Diese Frage stelle sich vor allem darum, weil es in einer Humeschen Welt 'totaler Uneinsichtlichkeit' per deflnitionem keine Hinweise auf die Natur und Existenz kausaler Zusammenhänge und systematischer Verknüpfungen zwischen verschiedenen Ereignissen geben könne. Damit fragt sich Duncker, „wie es denn das Denken zuwege [bringt, R.F.], einer Wirkung die Ursache oder einer Ursache die Wirkung anzusehen" (ebd., 56). Wenn es Duncker gelingen könnte, diese Frage zu klären, ließe sich gleichfalls dessen Kritik an Hume begründen. Das damit formulierte Problem sei, so Duncker, dann gelöst, wenn der Nachweis gelingen könnte, daß ,£ine z.B. erstrebte Wirkung etwas enthält, was die (erforderliche) Ursache vor anderen denkbaren Ereignissen in irgend welchen Hinsichten auszeichnet" (ebd., 78f). In dem Maße, wie dies nun aber nachgewiesen werden könne, würde ein Doppeltes gelten: Erstens wäre das Denken auch auf dem Gebiet der Naturkausalität heuristisch nicht absolut blind, und zweitens würde das Erlernen der Kausalitätsbeziehungen aus der Inhaltlichkeit des zu Verknüpfenden heraus erleichtert (vgl. ebd.).

35 Zur Lösung dieses Problems der Humeschen Konzeption stellt er nun in seiner Monographie 'Zur Psychologie des produktiven Denkens' (1935) vom explizit psychologischen Standpunkt zunächst die globalere Frage, wie „aus der Problemsituation die Lösung hervorgeht, was es für Wege zur Lösung gibt" (ebd., 2). Als psychologische Frage weist sie sich schon dadurch aus, daß hier primär der Lösungsansatz und nicht der Wissensschatz als solcher interessiert. Es komme vielmehr darauf an, „wie ein Lösungsvorschlag aus dem System seiner subjektiven Voraussetzungen hervorgeht und diesem gerecht wird" (ebd., 4). Zunächst differenziert Duncker gegenüber der Humeschen Globalsicht dreierlei verschiedene 'Typen' kausaler Verknüpfungen, in denen er Kausalzusammenhänge zwischen zwei Ereignissen (a und b) zu fassen versucht. Kausalzusammenhänge stellen entweder 'total einsichtliche', 'partiell uneinsichtliche' oder aber 'total uneinsichtliche' Verknüpfungen zwischen den Ereignissen dar. Dabei bestimmt er diese Typisierungen in folgender Weise: „Eine Verknüpfung zweier Gegebenheiten a und b heiße 'total einsichtlich', wenn unmittelbar aus a entnommen werden kann, daß, wenn a, dann auch b und genau b gilt ('Uneinsichtlich' ist eine Verknüpfung also in dem Maße, als sie 'bloß noch hinzunehmen' ist.). 'Partiell einsichtlich' heiße eine Verknüpfung, wenn wenigstens gewisse Züge von b aus a entnommen werden können - oder wenigstens durch a vor anderen Denkbarkeiten ausgezeichnet sind" (ebd., 56). Damit werden für Dunckers Argumentation die 'partiell einsichtlichen' Kausalverknüpfungen zum zentralen Ansatzpunkt der Kritik an Hume. Betrachten wir jedoch kurz die einzelnen Typisierungen: Duncker stellt zunächst fest, daß lediglich die Gruppe 'total uneinsichtlicher' kausaler Verknüpfungen einen der Beobachtung prinzipiell verschlossenen Funktionszusammenhang enthalte, dem eine potentielle innere Gesetzmäßigkeit durch nichts anzusehen sei. Nur im Fall 'totaler Uneinsichtlichkeit' sei eine dem Sachverhalt nicht 'ansehbare' vermittelnde Theorie notwendig, durch die 'Ursachenereignis' und 'Wirkungsereignis' als miteinander zusammenhängend beschrieben werden könnten. Duncker führt dies an einem aus sich selbst heraus nicht logisch herleitbaren Zusammenhang aus, der an einem Dressurbeispiel verdeutlicht wird. JSo kann man z.B. Hühner darauf dressieren, ihr Futter immer von dem helleren zweier variabler Graupapiere zu wählen" (ebd., 77). Der Zusammenhang zwischen Grautönung und Futter läßt sich nicht selbst aus einem der beiden Aspekte herleiten, sondern kann nur unter Einbezug eines dritten, vermittelnden und hier

36 als 'Dressurtätigkeit' gefaßten Zusammenhangs erklärt werden. Daraus ergibt sich nun für Duncker, daß mit der Humeschen Behauptung, äußere Natur sei prinzipiell durch totale 'Uneinsichtlichkeit' gekennzeichnet, tatsächlich nur eine von verschiedenen kausalen Verknüpfungsmöglichkeiten benannt sei, die also keineswegs - wie Hume dies tut - als Kausalität überhaupt universalisiert werden darf. Im Fall 'totaler Uneinsichtlichkeit', so merkt Duncker noch an, in dem zwei Ereignisse in einen kausalen Zusammenhang gestellt werden, könne das Prinzip selbst gar nicht eingesehen werden. Eingesehen werden könne vielmehr nur „'aus' dem gemeinsamen Prinzip das Gerade-so-und-nichtanderssein der einzelnen Situation" (ebd., 77, Herv. R.F.). Die Konstitution eines allgemeinen Prinzips, das Situationen als Verkörperung desselben 'verständlich' macht, habe jedoch nichts mit der Einsicht in den Sachverhalt an sich zu tun, was daher von Duncker als die 'Einsicht zweiten Grades' bezeichnet wird. Als 'Einsicht ersten Grades9 kennzeichnet Duncker entsprechend nicht Einsicht in das einer Vielfalt von Gegebenheiten gemeinsame Prinzip, sondern den Zusammenhang zwischen den Ereignissen a und b, in dem b selbst unmittelbar durch a, „vor anderen Möglichkeiten ausgezeichnet, motiviert ist" (ebd., 77). Der Gruppe 'total uneinsichtlicher' Ereigniszusammenhänge stellt Duncker nun eine zweite Gruppe 'total einsichtlicher' Gegebenheiten gegenüber. 'Total einsichtliche' Zusammenhänge beinhalten synthetische Schlußfolgerungsmöglichkeiten von in den Prämissen nicht explizit enthaltenen Aspekten und Momenten des in Frage stehenden Gegenstands. „Es wird darin dem durch die Prämissen konstituierten Sachverhalt ein neuer Aspekt gleichsam 'hinzugesetzt'" (ebd., 59). Synthetische Schlußfolgerungen lassen sich nach Duncker als Implikation etwa der Transitivität logischer Verknüpfungen verdeutlichen: Aus der Aussage, daß a>b und b>c kann vermittels synthetischer Schlüsse über die in den beiden Prämissen bereits enthaltenen Aussagen hinaus gefolgert werden, daß dann zugleich auch gelten müsse, daß a>c. 'Total einsichtliche' Gegebenheiten eröffnen darüber hinaus analytische Schlußfolgerungsmöglichkeiten, ohne daß weitere Theoretisierungen an die gegebenen Sachverhalte a und b herangetragen werden müssen. Analytische Schlußfolgerungen explizieren konstitutiv mit enthaltene Aspekte des Aussagenzusammenhangs von a. So kann beispielsweise aus der Aus-

37 sage 'a ist eine Fußballmannschaft' analytisch ein b gefolgert werden, daß sich nämlich unter a ein Torwart befinden müsse. Total einsichtliche' Gegebenheiten stellen also zusammengefaßt Folgerungen aufgrund axiomatischer Bestimmungen dar, deren Schlußfolgerungsregeln bereits durch die Prämissen 'mit gemeint' bzw. mit 'enthalten' sind. Damit bedürfen sie keiner, über die im Gegebenen nicht bereits enthaltenen oder der Beobachtung prinzipiell verschlossenen, darüber hinausgehenden Systematisierungen bzw. Theoretisierungen, wie dies von Hume für jedwede kausale Verknüpfung angenommen wurde. Gleichwohl können - so Duncker - derartige synthetische und analytische Schlüsse, eben weil sie axiomatische Implikationen darstellen, aus sich heraus keine Aussagen über die Wesentlichkeit der in ihren Prämissen enthaltenen Wirklichkeitsbezüge begründen. „Denn ob die betreffende Wirklichkeit das in den Prämissen ausgesagte 'Wesen' tatsächlich verkörpert oder nicht, läßt sich einzig und allein empirisch entscheiden" (ebd., 61). Aus dem gestaltpsychologischen Fundament seiner Überlegungen versteht sich Dunckers nähere Bestimmung des synthetischer Einsicht zugrundeliegenden Lösungsansatzes, ,4aß von einem in bestimmter Gestaltung gegebenen und durch bestimmte Funktionen (Aspekte) charakteristisierten Sachverhalt bei identisch festgehaltenen Fundamenten neue, d.h. zur Charakterisierung nicht mit verwendete Funktionen (Aspekte) vermöge neuer Gestaltungen (Betrachtungsweisen) ablesbar sind" (ebd., 65). Es ist also die im Zuge der Ein-Sicht zustande gekommene neuerliche Strukturierung und Gestaltbildung, durch die eine neuerliche Synthetisierung des Wahrnehmungszusammenhangs und seiner inneren Strukturen möglich werde, die als Einsichtmöglichkeit aus der neuen Gestaltung eines Sachverhalts hervorgegangen sein mußte. Zu der Frage, wieweit mit Dunckers Konzept der 'totalen Einsichtlichkeit' ein Beitrag zu Humes Problemstellung geleistet worden ist, sei hier angemerkt, daß unabhängig davon, wie weiterführend die Dunckersche Differenzierung kausaler Verknüpfungstypen in anderer Hinsicht auch sein mag, damit jedenfalls keine dem Humeschen Konzept adäquate konzeptionelle Alternative vorgelegt worden ist. Vergegenwärtigt man sich nämlich, daß im Konzept 'totaler Einsichtlichkeit' lediglich logische Implikationen angesprochen sind, wird deutlich, daß diese von Hume nicht nur überhaupt nicht thematisiert, sondern explizit aus seiner Analyse ausgeschlossen worden sind. Die von Hume aufgeworfene Frage richtete sich demgegenüber gerade darauf, wie bei logischer Unabhängigkeit der als

38 Ursache und Wirkung gefaßten Ereignisse dennoch so etwas wie die Erfahrung ihres kausalen Zusammenhangs begreif- und begründbar werden könnte. Damit erweisen sich auch die von Duncker vorgetragenen Überlegungen, Differenzierungen und Analysen etwa der 'totalen Einsichtlichkeit' zumindest in bezug auf das von Hume aufgeworfene Problem der Einsicht in empirisch offene Zusammenhänge als kein problembezogener und weiterführender theoretischer Beitrag. Befragen wir nun die von Duncker als 'partielle Einsichtlichkeit' konzipierte dritte Gruppe kausaler Verknüpfungen, ob durch sie nicht nur die Kritik an Hume, sondern auch das innerhalb des Humeschen Konzepts aufgewiesene Problem der Genese von Zusammenhangsbegründungen in einer prinzipiell-uneinsichtlichen Welt gelöst werden konnte. Ihr besonderer argumentationsstrategischer Stellenwert für die Dunckersche Konzeption begründet sich darin, daß ihr die Möglichkeit zur Beantwortung der Frage zugesprochen wird, ob es Fälle gebe, „wo keine Ablesbarkeit vorliegt und wo dennoch das wirkliche phänomenale Sosein von b unmittelbar, d.h. ohne Dazwischenkunft fremder Instanzen, durch das phänomenale Sosein von a vor anderen Soseinsmöglichkeiten irgendwie bevorzugt erscheint" (ebd., 75). Im Falle 'partieller Einsichtlichkeit' wird die besondere Bedeutung der sachlichen Struktur der zu lösenden Aufgabe und deren anschaulicher Wahrnehmung insofern lösungsrelevant, als mit dieser nach Duncker bereits Dimensionen gegeben sind, in denen überhaupt nach einer Lösung gesucht werden kann. Das dabei bedeutungsvoll werdende gestaltpsychologische 'Prinzip der Nahe Wirkung' zeichnet dabei den 'Ort der Ursache' vor allen übrigen Orten gegenüber dem 'Ort der Wirkung' aus. Das Nahewirkungsprinzip betreffe aber nicht nur die räumliche, sondern auch die zeitliche Koinzidenz von 'Ursache' und 'Wirkung'. „Da nun das Prinzip der Nahewirkung vor vielen an seiner statt denkbaren Prinzipien durch besondere Einfachheit und 'Prägnanz' ausgezeichnet ist, braucht es auch nicht so umständlich erlernt zu werden wie irgendein total uneinsichtlicher Zusammenhang" (ebd., 79). Das zufällige zeitliche Zusammentreffen einer zufallenden Tür mit dem Aufleuchten einer Lampe stelle sich dem Beobachter etwa als zwingender Kausaleindruck dar: Der Beobachter könne sich auch dann, wenn er ,jioch so gut wüßte, daß zwischen dem Zufallen der Tür und dem Angehen des Lichts kein ursächlicher Zusammenhang besteht, daß vielmehr ein Mensch in jenem Zimmer - zufällig im gleichen Moment - das Licht angemacht

39 hat, [...] des zwingenden Kausaleindrucks doch nicht erwehren [...] - so entschieden ist die zeitliche Koinzidenz. [...] Wir haben hier vor uns den eigentlichen Gestaltfaktor der phänomenalen Kausalität (ebd., 79). Die 'phänomenale Kausalität* ist also, so die Dunckersche Konzeption, gerade Resultat des Gesetzes der Nahewirkung, deren Einfachheit (Prägnanz) durch die raum-zeitliche Nähe der betreffenden Ereignisse begründet ist. „Ursachen und Wirkungen sind mindestens bezüglich ihrer Stellen in Zeit und Raum nicht beliebig, sondern einsichtlich zueinander. Zeit und Ort der Ursache gehen in Zeit und Ort der Wirkung unmittelbar anschaulich ein" (ebd., 80, Herv. R.F.). Duncker sieht darin den Beweis, daß es, im Gegensatz zur Humeschen Konzeption, sehr wohl Fälle gebe, wo keine bloß ablesbaren Zusammenhänge hergestellt werden und dennoch ,4as wirkliche phänomenale Sosein von b unmittelbar, d.h. ohne Dazwischenkunft fremder Instanzen, durch das phänomenale Sosein von a vor anderen Soseinsmöglichkeiten irgendwie bevorzugt erscheint" (ebd., 81f). Mit dieser Orientierung auf die sachlichen Strukturen des Wahrnehmungszusammenhangs und der mit dem Nahewirkungsprinzip gerechtfertigten Behauptung eines zwingenden Kausalitätseindrucks, dem sich das Wahrnehmungssubjekt kaum zu entziehen vermag, stellen sich für unsere Aufarbeitung zweierlei weitergehende Fragen: Zum einen muß das hier geltend gemachte Nahewirkungsprinzip daraufhin befragt werden, ob darin Umstände formuliert sind, aufgrund derer sich ein derartiger zwingender Kausalitätseindruck 'an sich' und damit in einer quasi naturhaften und unhistorischen Weise ergibt, oder ob sich das sogenannte Nahewirkungsprinzip nicht vielmehr selbst als eine mehr oder weniger historisch bestimmte Folie erweist, unter Bezug auf welche die wahrgenommenen Sachverhalte erfaßt und interpretativ in einen Zusammenhang gestellt werden, wobei die interpretative Leistung nur darum nicht gesondert bemerkt wird, weil sie auf verfestigte alltagstheoretische Vorstellungen zurückgeht, deren Unhinterfragtheit interpretative 'Kausalverknüpfungen' im spontanen Denken als bloße Tatbestandswahrnehmung erscheinen läßt. Dazu muß an anderer Stelle in dieser Arbeit geklärt werden, ob sich derartige 'Nahewirkungsprinzipien' und Einheitsbildungen nicht als generalisierte Zusammenhangsvorstellungen reinterpretieren lassen, die damit als Teil des sachlich-sozialen Bedeutungszusammenhangs anzusehen wären, vor dem sich derartige Zuschreibungsprozesse eben vollziehen. Dies wiederum impliziert die Frage danach, ob wahrgenommene Ereignisaspekte vom

40 Subjekt selbst in einen Bezugszusammenhang zu den je eigenen Intentionen und Interessen gebracht werden, und ob bzw. inwieweit naheliegende und quasi-gestaltartige Wahrnehmungseindrücke als Theoretisierungen unhinterfragt bleiben können. Vor einer solchen reinterpretativen Aufarbeitung müssen jedoch noch andere Überlegungen und weitergehende Vorstellungen zum Thema aufgearbeitet werden, wie sie einerseits etwa von Albert Michotte mit seinen Wahrnehmungsexperimenten vorgelegt wurden, andererseits aber auch in verschiedener Weise innerhalb der Heiderschen Theorie der sozialen Wahrnehmung und kausalen Attribution aufgegriffen wurden.

2.3. Albert Michotte: Experimente zur Analyse \phänomenaler Kausalität' Zentrales Anliegen aller einschlägigen experimentellen Untersuchungen von Albert Michotte ist es, Kausalität als einen fundamentalen Wahrnehmungsfaktor nachzuweisen, der in der subjektiven Realisierung von Wirklichkeitsaspekten unmittelbar vorgefunden werden kann. Dieses Anliegen verbindet ihn einerseits mit Duncker und dessen Kritik an der Humeschen Konzeption, die jetzt empirisch-experimentell unterstützt werden soll. Andererseits wird mit dieser empiristischen Konzeption aber zugleich auch wieder an die Tradition und Arbeitsweise von Hume angeknüpft. Gegenüber der mit gleichen Intentionen entwickelten Dunckerschen Auffassung von phänomenaler Kausalität erhebt Michotte zunächst den Einwand, daß diese nurmehr als das Resultat problematischer 'Gelegenheitsbeobachtungen' (vgl. Michotte, 1946, 231) angesehen werden könne, in der Sachverhalte als 'phänomenal' aufgefaßt würden, denen im Kern jedoch gerade wesentliche Bestimmungsmomente von phänomenaler Kausalität fehlten. Nicht also die von Duncker entwickelte Typisierung möglicher Kausalverknüpfungen, sondern vielmehr die theoretisch-konzeptionelle Fassung von phänomenaler Kausalität, wie sie von Duncker unter Bezug auf das Nahewirkungsprinzip vorgeschlagen wurde, stellt Michotte infrage. Von 'phänomenaler Kausalität* könne nach Michotte nur dann gesprochen werden, wenn angenommen werden könne, daß ein Kausalzu-

41 sammenhang unmittelbar intrinsisch erfahren werde. Phänomenale Kausalität müsse also theoretisch und terminologisch von derjenigen Kausalitätswahrnehmung abgegrenzt werden, deren Sinngebimg nicht unmittelbar wahrgenommen werden könne. Derartige Kausalverknüpfungen, die als Resultat der Dazwischenkunft vermittelnder Annahmen angesehen werden müßten, d.h. die eine extrinsische Übermittlung der erfahrenen Ereignisse notwendig machen, werden von Michotte im Gegensatz zur tatsächlichen phänomenalen Kausalität mit dem von Brunswik (1934) eingeführten Begriff der kausalen Attribution bezeichnet. Diese theoretisch-konzeptionelle und damit notwendige terminologische Differenzierung sei in Dunckers Konzeption vor allem darum nicht deutlich geworden, weil ihr keine systematisch-experimentellen Beobachtungen zugrunde gelegt wurden, in denen aus der Sicht von Michotte die wesentlichen Elementarfaktoren und Strukturen der Kausalwahrnehmung allein zugänglich gemacht werden können. Diese auf methodische Probleme sich beziehende inhaltliche Kritik der Dunckerschen Konzeption begründet damit also nicht nur die von Michotte vorgeschlagene terminologische Unterscheidung von phänomenaler Kausalität und kausaler Attribution; sie begründet darüber hinaus die Michottesche Vorstellung, daß die Genese von Kausaleindrücken vornehmlich in experimentell kontrollierten und relativ abstrakten Experimentalsituationen untersucht werden könne: Erst die weitgehende Befreiung der Wahrnehmungssituation von den sachlich-sozialen Bezügen, in denen die Wahrnehmungsgegenstände stehen, eröffne den Blick auf die elementaren Faktoren der Kausalwahrnehmung, die im Alltag auf vielfältigste Weise verzerrt und überlagert seien. Entsprechend wurden den Vpn von Michotte kurze Sequenzen sich bewegender geometrischer Figuren gezeigt, deren Verlauf im Anschluß an die Beobachtung verbalisiert werden sollte. Zu fragen ist dabei, ob und inwieweit kausale Interpretationen für die Figurenbewegungen herangezogen werden. Mit der weitgehenden Abstraktheit des Wahrnehmungszusammenhangs sollte sichergestellt werden, daß nicht die gegenständliche Beschaffenheit der Wahrnehmungsgegenstände selbst für die Kausalinterpretation verantwortlich sei, was diese analytisch nicht mehr von extrinsisch vermittelten kausalen Attributionen unterscheidbar mache. Die Versuche waren folgendermaßen konstruiert: Der Versuchsperson zeigt man entweder auf einem Projektionsschirm oder hinter einem Schirm aus Karton, in den ein langer schmaler Schlitz

42 geschnitten ist, zwei bewegte Formen, kleine Quadrate, Rechtecke oder Kreise, verschieden gefärbt, die sich von einem neutralen Grund abheben und die sich in einem gewissen Abstand voneinander befinden. Sie sind die 'Gegenstände' A und B, von denen im Folgenden dauernd die Rede ist. In einem gegebenen Augenblick setzt sich Gegenstand A in Bewegung, bewegt sich auf B zu und trifft mit ihm zusammen. Im Fall des Versuchs 1 hält A brüsk an, während Gegenstand B sich seinerseits in derselben Richtung in Bewegimg setzt, aber beträchtlich langsamer. Dieser Geschwindigkeitsabfall hat zur Folge, dem Kontakt der beiden Gegenstände den Charakter eines mehr oder weniger brutalen Schocks zu geben. Im Falle des Versuchs 2 bewegt sich der Gegenstand A mit derselben Geschwindigkeit weiter, nachdem er B erreicht hat; dieser setzt sich seinerseits im Moment des Auftreffens mit derselben Geschwindigkeit und in derselben Richtung wie das Objekt A in Bewegung, und zwar so, daß sie sich von diesem Augenblick an einer an der Seite des anderen bewegen. Beide Versuche enden entweder durch das Anhalten der Gegenstände oder durch das Verschwinden von B oder von A und B aus dem Fenster, das die sichtbare Fläche des Feldes begrenzt. (Michotte, 1982,48f) Nachdem die Vpn die dargestellte Anordnung beobachtet hatten, wurden sie aufgefordert, zu beschreiben, was sie gerade gesehen hatten. Was die Kausalantworten betrifft, die man unter diesen Bedingungen erhält, sind zu nennen: für Versuch 1, daß der 'Schock des Gegenstandes A dem Gegenstand B einen Impuls versetzt, daß er ihn verjagt, ihn herauswirft, ihn nach vorne stößt, weshalb man diesem Fall den Namen des Stoßens gegeben hat'; für den Versuch 2, Schieben genannt, geben die Versuchspersonen an, daß 'Gegenstand A Gegenstand B mit sich nimmt, daß er ihn im Vorbeigehen pflückt, ihn schiebt, ihn mit hineinzieht'. Wenn die Versuchspersonen auf diese Weise reagieren, ist für sie der Kausalcharakter evident, weil, wie sie häufig sagen, 'es wirklich Gegenstand A ist, der B von der Stelle bringt, der die örtliche Veränderung von letzterem hervorruft'. (Michotte, 1982,49) Zur Begründung der Bedeutung dieser Versuchsergebnisse hebt Michotte noch hervor, daß derartige Kausalantworten auch von Personen gegeben wurden, denen die Versuchstechnik der Projektion einzelner Bewegungen

43 auf einen Schirm als solche bekannt waren. ,£ie wissen ganz genau, daß es 'in Wirklichkeit' weder Stoß noch Schieben oder dergleichen gibt. [...] Man kann sogar absurde Versuchsbedingungen herstellen, in denen beispielsweise eine Holzkugel einen Schatten 'stößt' oder einen Lichtfleck. Andererseits kann man feststellen, und das ist entscheidend, daß durch verhältnismäßig kleine Variationen der Versuchsanordnung die Ausdrücke mit kausaler Bedeutung in den Antworten verschwinden. Die Versuchspersonen geben dann nur noch Antworten mit lediglich kinetischem oder figuralem Inhalt, ohne irgend ein Abhängigkeitsverhältnis einzuschließen, wie z.B. aufeinanderfolgende Bewegungen in diese oder jene Richtung" (Michotte, 1982, 213, Herv. R.F.). Für Kausalantworten sei es unerläßlich, daß zunächst „Gegenstand A in Bewegung ist und bereits einen Teil seines Weges zurückgelegt hat, bevor beide Gegenstände sich mit der gleichen Geschwindigkeit zu bewegen beginnen (sei es, daß B zu Beginn des Versuchs unbewegt ist, [...] oder sei es, daß es selbst mit geringerer Geschwindigkeit als A in Bewegung ist)". Darüber hinaus sei aber auch die Kontinuität der Bewegung von Gegenstand A notwendig. „Es genügt die Unterbrechung von 2 bis 3 Zehntel Sekunden, nachdem der Gegenstand A B erreicht hat und bevor sie sich gemeinsam bewegen, um die Beschreibungen zu verändern. In diesem Fall ist nur noch von zwei aufeinanderfolgenden und unabhängigen Ereignissen die Rede" (ebd., 214). Daraus, daß sich kausale Verbalisierungen der Beobachtungen durch die Vpn nur allmählich und in Übereinstimmung mit sukzessiver Veränderung der Wahrnehmungssituationen verändern, schlußfolgert Michotte, daß es die zunehmende räumliche oder zeitliche Distanz zwischen den Objekten sei, die deren Wahrnehmung als unabhängige Objekte erzwinge. Theoretisch erklärt Michotte diese Beobachtungen als einen dreiphasigen Prozeß der Genese phänomenaler Kausalverknüpfungen, dessen zweite Phase erst aus ihrem Resultat, der dritten Phase, zu erklären ist. In der ersten Phase hebt Michotte die räumlich-zeitlich vorgelagerte Bewegung des Gegenstands A als unabhängig von Gegenstand B heraus, in der also noch kein Zusammenhang zwischen beiden wahrgenommen werde. Da nun die Vpn die zwei gleichgerichteten Bewegungen der Gegenstände A und B in der dritten abschließenden Phase als nur eine einzige Bewegung beschreiben, nimmt Michotte an, daß diese Bewegungen nurmehr als gestaltartige Einheit wahrgenommen würden, in der die Bewegungen der Gegenstände A und B zu einer Gesamtbewegung verschmelze. „Vom Augenblick des

44 Zusammentreffens an vollziehen sich die Ortsveränderungen beider Gegenstände gemeinsam auf die gleiche Weise; sie sind gleichzeitig, haben dieselbe Dauer, dieselbe Richtung [...] und durchlaufen ggf. dieselben Geschwindigkeitsveränderungen, usw. [...] Nichtsdestoweniger führt die Ähnlichkeit der Prozesse zur völligen Verschmelzung, wenn man die Dauer der gleichzeitigen Ortsveränderungen verlängert, [...] so daß beide Gegenstände zu Mitträgern einer gemeinsamen Bewegimg werden, die beide Ortsveränderungen einschließt" (ebd., 217, Herv. R.F.). Zwischen 1. und 3. Phase tritt nun diejenige Phase, durch die die Beschreibungen zweier gleich gerichteter Bewegungen zu einer einzigen Bewegung integriert und als eine gestaltartige Einheit realisiert werden. Diese überaus kurze 2. Phase, in der die Bewegung von Gegenstand A auf Gegenstand B übergeht, enthalte nun einen Konflikt zwischen der Tendenz zur Beständigkeit' einerseits, durch die die Bewegung des angestoßenen Gegenstandes B als 'Verlängerung' der Bewegung des Gegenstandes A erscheint, und der faktischen Bewegung des Gegenstandes B andererseits. „Überall setzt sich in der Tat die Tendenz zur Beständigkeit dem 'gemeinsamen Schicksar entgegen" (ebd., 69). Die damit beschriebene konkurrierende Konzeptualisierung des Wahrnehmungsgeschehens, dem zufolge Ereignisse entweder auf deren jeweilige 'Vorgeschichte' oder auf ihr gegenwärtiges 'gemeinsames Schicksal' zurückzuführen sind, tritt jedoch in den Hintergrund, wenn die 'Dauer' des gemeinsamen Schicksals, der gemeinsamen Ortsveränderung, verlängert werde. Dieser Wahrnehmungskonflikt wird von Michotte auf die gleichzeitige Wirkung zweier Varianten des gestaltpsychologischen 'Gesetzes von der guten Gestalt' zurückgeführt, wodurch die 'kinetische Integration' der 'Tendenz phänomenaler Beständigkeit' entgegentritt. Die Lösung dieses Konflikts liegt nach Michotte in der Konstitution einer 'phänomenalen Verdoppelung' (vgl. ebd., 71), wie sie innerhalb der Gestaltpsychologie etwa auch bei der Wahrnehmung von Strichzeichnungen festgestellt wurde. Bei einer Figur, die gleichzeitig als Quadrat mit einer verbundenen Diagonale, aber auch als zwei rechtwinkelige Dreiecke gesehen werden kann, wird bei der 'Dreieckswahrnehmung' die Hypothenuse im spontanen Erfassen zur Vervollständigung der Gestaltwahrnehmung 'phänomenal verdoppelt'. Dieses Prinzip wirke sich nun auch bei der Wahrnehmung nicht-statischer Objekte aus. Diesen in der 2. Phase stattfindenden Prozeß bezeichnet Michotte als Ampliation, einen Wahrnehmungsprozeß, durch den die Bewegungen der Ge-

45 genstände A und B in eine andere, 'neue' Gestalt überführt werden, und in dem die Ausgangsbewegung von A fortgesetzt wird. Die 2. Phase beinhaltet also den »Augenblick, in dem die vorhergehende Bewegung des Gegenstands A sich auf Gegenstand B auszudehnen scheint, indem sie ihn verschiebt Dieses spezifische Phänomen ist es, dieser Prozeß der anschaulichen Ausdehnung, dem wir den Namen Ampliation gegeben haben" (ebd., 219). Dabei stellt die Ampliation der Bewegung den Schwerpunkt einer Theorie der phänomenalen Kausalität: »jGerade die phänomenale Entwicklung, diese augenscheinliche Ausdehnung der Bewegimg von A und die Absorption der Ortsveränderung von B durch die Bewegung von A in dem Augenblick, in dem sich die Identifikation der Ortsveränderung manifestiert, berücksichtigt den Aspekt des Initiators, des Erzeugers, und eben diesen Aspekt haben wir als den charakteristischen Zug der Kausalität zurückbehalten" (ebd., 60). Es ist also die 'phänomenale Verdoppelung' der Ausgangsbewegung des Gegenstandes A, die zugleich die Bewegung von A und die Ortsveränderung des Gegenstandes B begründet, ohne daß jedoch die Ortsveränderung von B im gleichen Moment mit der Bewegung von A verschmolzen wäre: Beide Gegenstände sind in dieser Phase 'funktionell geeint' (vgl. ebd., 61), ohne bereits in eine ganzheitliche Konfiguration integriert zu sein. Diese Experimente ebenso wie das Ausbleiben kausaler Beschreibungen in denjenigen Versuchsanordnungen, in denen die fraglichen Gegenstände nicht in unmittelbaren Zusammenhang traten, werden von Michotte als Belege für seine Zurückweisung der Dunckerschen Fassung phänomenaler Kausalität gewertet, der zufolge allein das Prinzip der Nahewirkung als die räumlich-zeitliche Koinzidenz zweier Ereignisse zu einem zwingenden Kausaleindruck führe. So könne gerade das von Duncker angeführte Beispiel des zufälligen zeitlichen Zusammentreffens einer zufallenden Tür und dem Erleuchten einer Lampe (vgl. S. 39 dieser Arbeit) nicht als tatsächliche phänomenale Kausalität aufgefaßt werden, weil deren kausaler Zusammenhang nur unter Bezug auf einen hinzugedachten 'übermittelnden Prozeß' überhaupt hergestellt werden könne, durch den 'Tür' und 'Lampe' als miteinander verknüpft angenommen werden. Damit erweist sich dieses Beispiel für Michotte gerade als typischer Fall einer extrinsichen Kausalverknüpfung, die als kausale Attribution deutlich von phänomenaler Kausalität unterschieden werden müsse. Räumlich-zeitliche Koinzidenz erweise sich zwar für phänomenale Kausalität als eine der notwendigen Bedingungen. Als hinreichende Bedingung für phänomenale

46 Kausalitätswahrnehmung könne indes erst der Aufweis der unmittelbaren Ampliation und 'phänomenalen Verdoppelung' angesehen werden, die in dem von Duncker ausgeführten Beispiel eben nicht aufgewiesen werden könnten. Entsprechend faßt Michotte seine Duncker-Kritik mit der Feststellung zusammen: Duncker, und mit ihm noch andere Autoren, zitieren das Aufleuchten einer Lampe in dem Augenblick, da sich eine Tür schließt, was aber „mit Sicherheit keinen Kausaleindruck hervorruft. Dieser Irrtum von Seiten derart guter Beobachter und durchdringender wissenschaftlicher Denker zeigt besser als jede andere Betrachtung, in welchem Maße Gelegenheitsbeobachtungen täuschen können" (1946,231). Kausalzusammenhänge aufgrund bloßer räumlich-zeitlicher Koinzidenz stellen nach Michotte damit Beispiele für mehr oder weniger implizite Zusammenhangsannahmen dar, die der unmittelbaren Erfahrung verschlossen bleiben, und die daher nur als die bereits von Hume beschriebenen Fälle der theoretisch-rekonstruktiven Vermittlung wiederholt auftretender Ereignisse angesehen werden können. „Wiederholtes Wahrnehmen solcher zeitlicher Abfolgen von Bewegungen eines Gegenstandes einerseits und einem bestimmten Ereignis andererseits genügen also, uns den fraglichen Gegenstand als 'Übermittler' erscheinen zu lassen, selbst wenn uns die Natur von der Verbindung zwischen diesen Ereignissen unbekannt ist" (ebd., 170). Mit dieser Formulierung ist aber nicht ausgeschlossen, daß es sich auch bei der Konstruktion von Zusammenhängen dieser Ereignisse um Kausalverknüpfungen handeln kann, sondern nur geltend gemacht, daß diese nicht als 'phänomenale Kausalität' gefaßt werden können. Die Herstellung kausaler Verknüpfungen zwischen Ereignissen, deren Zusammenhang nur durch eine 'vermittelnde Konstruktion' begriffen werden könne, muß nach Michotte vielmehr als Attribution konzeptualisiert werden, womit eine Brücke zur Konzeption von Heider und seiner 1944 verfaßten Arbeit zur 'sozialen Wahrnehmung und phänomenalen Kausalität' geschlagen ist, einer Arbeit, in der bereits vielfältige Grundlagen der später entwickelten und von Heiders Monographie von 1958 inspirierten Attributionstheorien geschaffen wurden (s.u.). Auch wenn sowohl die Konzeption von Duncker als auch diejenige von Michotte sich kritisch gegen Hume abzugrenzen versuchen, muß hier doch festgehalten werden, daß in ihnen zweierlei völlig unterschiedliche erkenntnistheoretische Ebenen angesprochen werden. So geht es der Humeschen Konzeption vor allem um die Lösung der erkenntnistheoretischen Problematik, wie die Geltung von Theorien und behaupteten Kausalbezie-

47 hungen begründet und der empirischen Beobachtung zugeführt werden können. Demgegenüber sprechen sowohl die empirischen Untersuchungen als auch die theoretischen Konzeptionen von Duncker und Michotte zur Genese von Kmsdleindrücken und kausalen Interpretationen eine quasi 'nachgeordnete' Ebene an. Daß oder ob nämlich die kausale Verknüpfung von Sachverhalten unmittelbar wahrgenommen wird, sich im spontanen Denken 'aufdrängt' oder erst unter Bezug auf verfügbare Zusammenhangsvorstellungen als solche erfahren wird, ist überhaupt nicht Gegenstand der Humeschen Untersuchungen: David Hume versuchte demgegenüber vielmehr die Frage zu entscheiden, ob sich anzunehmende Kausalbeziehungen aufgrund von empirischen Untersuchungen und Beobachtungen begründen und in ihrer Geltung ausweisen lassen. Die Frage, ob sich unmittelbare Kausaleindrücke und Evidenzerlebnisse auch dann einstellen können, wenn dem kein realer Zusammenhang zugrunde liegt (also auch nicht i.e.S. 'beobachtet' werden kann), tangiert also die Humesche Argumentation an keiner Stelle. Für die weitergehende Untersuchung präzisiert sich daraus nun die zunächst weiter zu verfolgende Frage, ob den damit angesprochenen Evidenzerlebnissen und unmittelbaren Kausaleindrücken implizite theoretische Vorstellungen über Aspekte und Dimensionen des in Frage stehenden Gegenstandes zugrunde liegen, womit derartige Evidenzerlebnisse selbst auf unhinterfragt-nahegelegte, mithin potentiell verkürzte Zusammenhangsvorstellungen zurückzuführen sind, oder ob diese Evidenzerlebnisse am wahrnehmenden Individuum quasi ablaufen und damit ggf. erst 'nachträglich' in ihrer tatsächlichen theoretischen Verknüpfung rekonstruiert werden können. Um dies mit Michotte zu formulieren: Es muß untersucht werden, ob sich die Dimensionen, in denen eine derartige 'Ampliation' und 'phänomenale Verdoppelung' gedacht wird, als ein implizites Resultat vorausgehender theoretischer Vorstellungen über die wesentlichen Dimensionen eines Wahmehmungszusammenhangs erweisen, oder ob Ampliation und 'phänomenale Verdoppelung' tatsächlich aus dem unmittelbaren Sosein der Wahrnehmungssituation und der darin gegebenen Wahrnehmungsgegenstände hervorgehen. Dies aber fällt zusammen mit der Entscheidung darüber, ob sich die terminologische Differenzierung von phänomenaler Kausalität und kausaler Attribution, wie sie von Michotte vorgeschlagen wurde, als weiterbringende Differenzierung des Gegenstandsverständnisses erweist.

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Kapitel 3

Die Heidersche Fassung des Zusammenhangs von Wahrnehmung und kausalen Verknüpfungen Vorbemerkung Rekapitulieren wir kurz den gegenwärtigen Stand der Analyse. Ausgehend von der These, daß kein Handeln theorielos sein kann, fragten wir, in welchem Bezug das tatsächliche Vorgehen psychologischer Praktiker zu 'offiziellen' psychologischen Theorien steht. Darüber hinaus stellte sich auch die Frage, in welchem Verhältnis die praktisch werdenden theoretischen Begründungen von Psychologen zu den problembezogenen alltagstheoretischen Vorstellungen der Klienten stehen. Für psychologische Praxis ist dieses Verhältnis nun vor allem anderen darum so bedeutsam, weil die von den Klienten entwickelten handlungsleitenden Denkweisen selbst zum Gegenstand der Kritik und Weiterentwicklung gemacht werden müssen und danach gefragt werden muß, ob in deren Denkweisen nicht schon konzeptionell wesentliche Aspekte ihrer problematisch gewordenen Lebenszusammenhänge ausgeklammert wurden, womit sich die Möglichkeiten zur perspektivischen Überwindung aktueller Lebensprobleme erst im Zuge der Revision und Kritik der jeweiligen Sichtweisen der Klienten ergeben können. Für eine problembezogene psychologische Praxis ergab sich daraus die Funktion und Aufgabe, diejenigen Vorstellungen der Betroffenen selbst zu problematisieren, vermittels derer Problemzusammenhänge gedacht und zu bewältigen versucht werden, in deren Folge sich jedoch keine erfahrbaren Verbesserungen oder gar weitergehende Verschärfungen der 'fragwürdig' gewordenen Aspekte der Lebenspraxis ergeben. Durch die zunächst aus einer theorien- und problemgeschichtlichen Perspektive rezipierten Überlegungen wurden indes noch weitere Fragestellungen deutlich: Was begründet die hier interessierende und von den Subjekten vollzogene Produktion von Zusammenhangsvorstellungen zwischen den als bedeutungsvoll erfahrenen Aspekten der je eigenen Lebens- und Handlungszusammenhänge, und auf welche Weise werden diese in deren Handlungsbegründungen eingebunden?

49 Entgegen der Humeschen Position, daß Kausalverknüpfungen nur als Schlüsse aufgrund vorausgegangener Erfahrungen systematisiert werden könnten, versuchten sowohl Duncker als auch Michotte (aufgrund einer gemeinsamen Fehleinschätzung des Humeschen Anliegens) nachzuweisen, daß sich sehr wohl Wahrnehmungssituationen aufweisen lassen, in denen Kausalität selbst zum Aspekt der unmittelbaren Wahrnehmung werde. Unabhängig von den konkreten Differenzen zwischen Duncker und Michotte sind sich beide Autoren darin einig, daß sich die Grundlagen logisch-kausaler Verknüpfungen, mithin des Denkens, in der Wahrnehmung finden lassen müßten, wobei es von der jeweils inhaltlich-sachlichen Struktur des Wahrnehmungszusammenhangs abhänge, ob ein darin gegebener Kausalzusammenhang unmittelbar erfahren werden könne und also ein Moment der 'phänomenalen Kausalität' darstelle, oder ob die herzustellende Kausalverknüpfung nurmehr durch eine an die Sachverhalte 'herangetragene' Theoretisierung oder Attribution hergestellt werden könne. Der Anknüpfungspunkt für die Heidersche Konzeption innerhalb dieser Debatte um die Realisierung von Kausalzusammenhängen liegt nun nicht allein darin, daß Heiders Überlegungen zur 'sozialen Wahrnehmung und phänomenalen Kausalität' Grundlage der später entwickelten Attributionstheorien geworden sind, sondern auch darin, daß Heider selbst, etwa in seiner 1926 verfaßten Dissertation ('Das Ding und das Medium'), an Problemen der Wahrnehmungspsychologie arbeitete, die dabei gewonnenen Gesichtspunkte in späteren Arbeiten auf Probleme der sozialen Wahrnehmung auszudehnen versuchte und darüber schließlich zur Analyse von Prozessen der Kausalzuschreibung gelangte. Wenn man nun die Heidersche Konzeption vor dem explizierten Hintergrund der Michotteschen Differenzierung von Wahrnehmimg und Attribution betrachtet, ist zunächst Eimer (1987) zuzustimmen, der der Diskussion über Attributionstheorien vorwirft, begrifflich unklar mit dem Verhältnis von Wahrnehmung, Attribution und Kausalzuschreibung umzugehen: „'Attribution' wird in der psychologischen Literatur zumeist mit 'Kausalzuschreibung' gleichgesetzt, ohne daß dabei genauer dargelegt würde, welcher Art die jeweils zugeschriebene kausale Beziehung ist" (Eimer, 1987,116). Ein angemessenes Verständnis des Heiderschen Beitrags zum Problemfeld der Attribution und der Genese kausaler Zusammenhangsannahmen indes kann nur entwickelt werden, wenn nicht nur die dafür einschlägigen wahrnehmungspsychologischen Grundlagen, sondern auch deren Bezüge zu der

50 ebenfalls von Heider entwickelten 'Balancetheorie4 (s.u.) rekonstruiert werden: Nicht nur die zentrale Funktion der Balancetheorie, sondern auch die immer wieder behauptete Bedeutung der Gestaltpsychologie als kategoriales Fundament der Heiderschen Konzeption macht es darüber hinaus erforderlich, auf sein Verhältnis zur Gestaltpsychologie im Rahmen eines Exkurses gesondert einzugehen. In diesem Zusammenhang gilt es herauszuarbeiten, ob Heider - wie vielfach angenommen - gestaltpsychologische Aussagen und Gesetzesbehauptungen aus dem Bereich der figuralen Wahrnehmung auf den Bereich der sozialen Wahrnehmung 'überträgt', oder ob nicht vielmehr lediglich der - zweifellos von den Vertretern der Gestaltpsychologie prononciert vorgetragene - Antielementarismus von Heider geteilt und zu einer Grundlage seiner Arbeit gemacht wird. Sofern sich jedoch nachweisen läßt, daß Heiders Bezug zur Gestaltpsychologie nur darin besteht, deren Argumentation gegen die Wundtsche Tradition der Zerlegung von Erleben und Erfahrung in 'letzte Elemente' zu teilen, wird verständlich, warum etwa den Gestaltgesetzen innerhalb Heiders Theorie der interpersonalen Wahrnehmung kaum Bedeutung zugemessen wurde.

3.1. Zum Verhältnis von Wahrnehmung und Attribution; Grundlegende Konzeptualisierung der Funktionen des Wahrnehmungssystems Grundlegend für Heiders Konzeption - und schon in seiner Arbeit von 1930 ausgesprochen - ist der Gedanke, daß bereits Wahrnehmung als Attribution aufgefaßt werden müsse, womit er sich von allem Anfang an in einem deutlichen Gegensatz zu Michottes Verhältnisbestimmung bringt. Auch wenn also die Arbeit zu den 'Leistungen des Wahrnehmungssystems' von 1930 noch nicht Fragen der Realisierung von Kausalzusammenhängen thematisiert, sind in der darin entwickelten Pointierung der Argumentation gleichwohl Aspekte formuliert, die für die Klärung der hier zur Diskussion stehenden Fragen der Wahrnehmung und Begründung kausaler Zuschreibung grundlegend sind. Die von Heider (1930) und schon in seiner Dissertation (1926) entfaltete Argumentation orientiert auf den Nachweis, warum die Wahrnehmungspsychologie weder von der realen, dem erkennenden Subjekt als bedeu-

51 tungshaltig gegeben Lebenswelt abstrahieren dürfe, noch Lebenswelt physikalistisch reduzieren könne, wenn eine angemessene Bestimmung des Wahrnehmungssystems geleistet werden soll. Jeder wird zugeben, daß das Wahrnehmungssystem einem Organismus angehört, der in allen seinen Teilen auf die Umwelt Bezug nimmt; und doch wird sehr oft bei Besprechung des Wahrnehmungssystems der Aufbau dieser Umwelt vollkommen außer acht gelassen und davon allein die das Organ unmittelbar treffenden Reize berücksichtigt, die als Wellenbewegungen usw. bestimmt werden" (Heider, 1930, 371). Damit richtet sich die hier von Heider formulierte antielementaristische Position vor allem etwa gegen die auf Fechner (1860) zurückgehende Unterscheidung einer 'äußeren' und 'inneren' Psychophysik, gegenüber der der Einbezug der lebensweltlichen Bedeutungen der Wahrnehmungsgegenstände für das Wahrnehmungssubjekt eingeklagt werden müsse: Erst das 'Ganze', in dem eine Empfindung steht, bestimme deren Bedeutung und mache es daher möglich, daß die reale Mehrdeutigkeit einzelner Reize im Bewußtsein bewältigt werden könne. Das aber lasse sich nicht begreifen, solange von der Wahrnehmungspsychologie allein das Verhältnis einer Reizquelle zu deren interner Repräsentation untersucht werde (vgl. Heider, 1930,378). Die Analyse und Durchdringung der bedeutungsvollen Lebenszusammenhänge wird von Heider nun als eine Wahrnehmungstätigkeit beschrieben, in der die Bedeutung des Wahrnehmungsgegenstandes in einem Prozeß der aktiven Rekonstruktion aus den dem Subjekt zugänglichen Wahrnehmungseindrücken erschlossen wird. Für das erkennende Subjekt sei die 'Dingwelt' keineswegs als solche erfahrbar, sondern sie müsse vielmehr erst durch die 'leiblichen Bedingungen des Wahrnehmungssubjekts hindurch' rekonstruiert werden. Wahrnehmbar seien allein die dem Wahrnehmungsorgan zugewandten 'Ausläufer' des Wahrnehmungsgegenstandes, aus dem das 'Kerngeschehen' im Bewußtsein rekonstruiert werden müsse. ,£>em Verhältnis Kern-Ausläufer muß gewissermaßen spiegelbildlich entsprechen das Verhältnis Reiz-Wahrnehmungsvorstellung, und in dieser Entsprechung liegt ein Teil der Umweltgemäßheit des Wahrnehmungssystems, es ist eine Leistung des Wahrnehmens" (ebd., 373). Die damit getroffene Unterscheidung von 'Kerngeschehen' als eigentlichem Wahrnehmungsgegenstand und den dem Wahrnehmungsorgan zugänglichen 'Ausläufern' wird von Heider in seinen späteren Arbeiten als Verhältnis zwischen distalem und proximalen Reiz aufgegriffen und liefert den zen-

52 tralen Schlüssel zur Heiderschen Konzeption, durch den auch die generelle Subsumtion von Wahrnehmung unter Attribution erst verständlich wird. Heider beschreibt den Wahrnehmungsprozeß als einen zwei Endpunkte umfassenden 'Wahrnehmungsbogen', von denen der eine das Wahrnehmungsobjekt als den Teil der Umwelt darstellt, auf den sich die Wahrnehmung richtet, und der andere das Perceptum ist, d.h. die Art, wie uns das Objekt erscheint (vgl. dazu auch Heider, 1958/1977, 35). Der Wahrnehmungsvorgang geht also von einem Distalreiz (D) über dessen vermittelnden und dem Wahrnehmungsorgan des Subjekts zugewandten Proximalreiz (V), die beide gleichsam Teile der 4Außenwelt' darstellen, über zu den Wahrnehmungsorganen, die den Proximalreiz (V) intern als (V') repräsentieren, so daß er im Bewußtsein zu einer dem Wahrnehmungsgegenstand adäquaten Repräsentation (D') rekonstruiert werden kann. Damit beschreibt Heider einen Wahrnehmungsprozeß, in dem das außerhalb des menschlichen Körpers liegende Wahrnehmungsobjekt als distaler Reiz nur aspekthaft im Proximalreiz repräsentiert und vom Subjekt wahrgenommen werden kann. Der damit notwendig werdende Rekonstruktionsprozeß, in dem das Subjekt selbst unter Hinzuziehung von Vorstellungen und Erfahrungen aus V' ein D' konstruieren muß, liefert die Begründung, warum der Wahrnehmungsprozeß nur als ein aktiver bestimmt werden kann. In der unmittelbaren Erfahrung könne also die tatsächliche Bedeutung eines Wahrnehmungsobjekts prinzipiell nicht zugänglich werden. Wenn man sich nun vergegenwärtigt, daß in dem damit beschriebenen 'Wahrnehmungsbogen' (D - V - - V' - D') die Annahme eines Synthetisierungsprozesses notwendig geworden ist, durch den das Wahrnehmungsobjekt (D) im Bewußtsein als D' repräsentiert wird, D' jedoch nur aufgrund von Schlußfolgerungen unter Bezug auf Vorstellungen und Erfahrungen aus V* rekonstruiert werden kann, und darüber hinaus die Art der Realisierung von V' von der konkreten Beschaffenheit eines V abhängt, das aufgrund variierender Wahrnehmungssituationen sehr unterschiedlich sein kann, wird verständlich, warum Wahrnehmung für Heider bereits als Attribution bezeichnet werden muß. Attribution, als über die unmittelbare Erfahrung proximaler Reize hinausgehende Systematisierung von Wahrnehmungseindrücken, muß auch innerhalb der bloßen Gegenstandswahrnehmung schon darum vorliegen, weil der Wahrnehmende innerhalb des Rekonstruktionsprozesses von D' aus V' unterscheiden muß, ob und inwieweit eine Variation des Proximalreizes V Eigenschaften des Wahrnehmungsgegenstandes und damit tatsächliche Merkmale des Nahreizes re-

53 präsentiert oder aber die Variation der erfahrenen Nahreize lediglich den veränderten Umständen der Wahrnehmungssituation, unterschiedlicher Blickwinkel, verschiedener Beleuchtung etc. zugeschrieben werden muß. Wiewohl mit dieser begrifflichen Fassung Wahrnehmung bereits als Attribution verstanden werden muß, erscheint es in unserem Aufarbeitungszusammenhang und der darin eingenommenen Untersuchungsperspektive der Explikation handlungsbezogener Zusammenhangsvorstellungen dennoch sinnvoll, die von Heider herausgearbeitete analytische Trennung der Momente des Wahrnehmungsvorgangs auch begrifflich hervorzuheben und zwischen unmittelbar-sinnlicher Wahrnehmung des Proximalreizes einerseits und der auf dieser Grundlage vollzogenen kognitiven Rekonstruktion der Bedeutung des Wahrnehmungsgegenstandes im Bewußtsein andererseits zu unterscheiden. Im weiteren soll daher das unmittelbar-sinnliche Wahrnehmungsereignis, die Wahrnehmung des Proximalreizes, als 'Perzeption' oder einfach als 'Wahrnehmung' bezeichnet werden und damit auch begrifflich vom Prozeß der Rekonstruktion der Gegenstandsbedeutung abgegrenzt werden, die demgegenüber als 'Kognition' oder als 'Wahrnehmungsurteil' bezeichnet werden soll. Es ist gerade diese begriffliche Differenzierung, durch die es möglich wird, den von Heider beschriebenen Prozeß aktiver Rekonstruktion von Gegenstandsbedeutungen aus unmittelbar wahrgenommenen Sinneseindrücken unter Nutzung von Vorstellungen, Erfahrungen und impliziten Theorien über das Verhältnis von Wahrnehmungssituation und Wahrnehmungsobjekt überhaupt zu unterscheiden. Die besondere argumentative Bedeutung dieser terminologischen Differenzierung erweist sich in unserem Aufarbeitungszusammenhang nicht nur als Grundlage der theoretischen Zurückweisung der Vorstellung unvermittelter Kausaleindrücke, wie sie sowohl von Duncker als auch von Michotte entwickelt wurden: Darüber hinaus eröffnen sich mit dieser Differenzierung Möglichkeiten zur Analyse der Funktion und Bedeutung handlungsbezogener Konstrukte und deren Bezüge und Verweise auf gesellschaftlich nahegelegte Denkformen, die an einer anderen Stelle in dieser Arbeit wieder aufgegriffen werden müssen. Im Rahmen der Heiderschen Konzeption erwächst aus dieser begrifflichen Unterscheidung zwischen Wahrnehmimg und Wahrnehmungsurteil zunächst die Möglichkeit zur theoretischen Rekonstruktion, wie variierende Wahrnehmungseindrücke als bloße Variationen innerhalb der WahrnehmungsSituation aufgefaßt und daher im Wahrnehmungswrte// quasi wieder 'herausgerechnet' werden können: Es ist der Einbezug vorausgegangener

54 Erfahrungen mit und impliziter Vorstellungen über den Wahrnehmungsgegenstand, durch den auch entgegen aktuellen Wahrnehmungseindrücken und entgegen dem 'bloßen Augenschein' verfügbare Vorstellungen über den Wahrnehmungsgegenstand aufrecht erhalten werden können, so daß auch Abweichungen der unmittelbaren Wahrnehmungseindrücke von anderen Gegenstandserfahrungen lediglich veränderten Wahrnehmungssituationen zugeschrieben und damit bei der Rekonstruktion im Bewußtsein neutralisiert werden können. Dieser sich gleichwohl in der direkten Wahrnehmungssituation vollziehende Rekonstruktionsprozeß erweist sich damit als Grundlage, um diejenigen Punkte explizieren zu können, an denen die bisher verfügbaren und dem Rekonstruktionsprozeß von Gegenstandsbedeutungen/Zusammenhängen zugrunde liegenden Vorstellungen und Sichtweisen auf einen Sachverhalt selbst in Frage gestellt werden können bzw. an denen die ggf. bestehenden dynamischen Behinderungen einer Problematisierung von impliziten Zusammenhangsvorstellungen aufzuweisen sind. Wird aus dem Gesagten nun einerseits deutlich, daß der Wahrnehmungsprozeß gar nicht anders denn als theorien-, vorstellungs- und erfahrungsvermittelter Prozeß der Rekonstruktion von Gegenstandsbedeutungen zu denken ist, lassen sich damit zugleich zwei 'Stellen' bestimmen, an denen auf implizite Theorien und Vorstellungen über die Bedeutung des Wahrnehmungsgegenstandes für das Wahrnehmungssubjekt zurückgriffen wird: Zum einen müssen für das Subjekt Vorstellungen darüber verfügbar sein, wie im vorliegenden Fall proximale Reize als eben die dem Subjekt zugewandten 'Ausläufer' des Kerngeschehens mit diesem selbst als Distalreiz vermittelt sind, wie also das Verhältnis von D zu V konkret beschaffen ist. Zum anderen müssen aber auch Vorstellungen über das Verhältnis von Wahrnehmungsobjekt zum WahrnehmungsSubjekt und dessen eingenommener Perspektive einbezogen werden, durch die die gegenwärtige Wahrnehmmgssituation bestimmt ist und durch deren Einbezug eine adäquate Repräsentation (D') des Wahrnehmungsgegenstandes (D) erst entwickelt werden kann. Es ist dieser 'doppelte Bezug' zu impliziten Vorstellungen und Theorien, mit dem die von Heider vorgelegte Konzeption sowohl die von Duncker als auch die von Michotte postulierte Möglichkeit einer unmittelbaren Gegenstands» und Kausalitätserfahrung zurückgewiesen werden kann. Attribution läßt sich damit bereits als Teil jedweder kognitiven Rekonstruktion von Wahrnehmungsgegenständen und Sachverhalten begreifen, in der be-

55 stimmte unmittelbar-sinnliche Wahrnehmungseindrücke den Eigenschaften des Wahrnehmungsgegenstandes bzw. der Wahrnehmungssituation zugeschrieben werden, was für die theoretische Erklärung der auf Wahrnehmung zurückgehenden und kausal interpretierten Ereignisverknüpfungen bedeutet, daß diese als Spezifizierung allgemeinerer Wahrnehmungsprinzipien aufzufassen und zu erklären sind.

3.2. Die Heidersche Konzeption 'phänomenaler Kausalität': Das Verhältnis von Gegenstand, Situation und Wahrnehmung Die Beschäftigung mit der Heiderschen Konzeption der Genese von Zusammenhangsannahmen, durch die zwei und mehrere Ereignisse beispielsweise in kausale Beziehungen zueinander gebracht werden, steht nun aber vor dem Problem, daß diese Arbeiten, auch wenn sie gemeinhin als Ausgangspunkt einer Psychologie der Attribution von Kausalität angesehen werden, von Heider selbst gar nicht als eigenständige Theorie entwickelt wurden. So kennzeichnet Heider seine Monographie lediglich als 'Vor-" Überlegungen', als ,Arbeitsnotizen im Hinblick auf eine Vor-Theorie der zwischenmenschlichen Beziehungen" (1958/1977, 345). Entsprechend hat der darin aufscheinende Attributionsbegriff noch gar nicht die Funktion, selbst 'Etikett' eines neuen Ansatzes in der Sozialpsychologie zu sein. Dabei wird der Attributionsbegriff von Heider einerseits für sehr unterschiedliche Zusammenhänge und Sachverhalte genutzt. Andererseits wird das Zustandekommen von Attributionen und Kausalerklärungen aber auch mit im weiteren noch darzustellenden grundlegend unterschiedlichen theoretischen Konzeptionen zu erklären versucht, was zur Folge hat, daß höchst unterschiedliche Ansätze und attributionale Theorien auch ohne eine dezidiert kritische Auseinandersetzimg die einen oder anderen Teilaspekte aus den Heiderschen Überlegungen herausgreifen können und damit das eigene Konzept als legitime 'Fortführung' der Heiderschen Überlegungen ausgeben können. So konnten etwa dynamische Theorien, aber auch Konzepte der kognitiven Informationsverarbeitung Ansatzpunkte finden, über die sie sich positiv auf das Heidersche Werk beziehen können. Die Entwicklung attributionaler Theorien läßt sich also nicht als systematische Geschichte einer Problementwicklung begreifen, in der sich die ver-

56 schiedenen Ansätze aufeinander beziehen und einander kritisieren. Für deren Aufarbeitung hat dies zur Konsequenz, daß sie nicht allein entlang der Rekonstruktion von tatsächlich geführten Auseinandersetzungen, geleisteter Kritik und konzeptioneller Weiterentwicklung systematisiert werden kann. Vielmehr müssen erst diejenigen Dimensionen und Ansatzpunkte selbst herausgearbeitet werden, unter Bezug auf welche die unsystematisch und widersprüchlich verlaufende Entwicklung attributionaler Theorien und der Geschichte der in diesem Zusammenhang geführten Auseinandersetzungen rekonstruiert werden kann. Im Jahre 1944 publizierte Heider einen Aufsatz zur 'Sozialen Wahrnehmung und phänomenalen Kausalität', in dem bereits viele Aspekte der später entwickelten Attributionstheorien umrissen sind, ohne daß jedoch 'Attribution' explizit herausgearbeitet wurde. In diesem Aufsatz ging es Heider im Kern um die Frage, ob und in welcher Form sich Aussagen, die im Bereich der Objektwahrnehmung entwickelt wurden, auch auf den Bereich zwischenmenschlicher, sozialer Wahrnehmung beziehen lassen. Dabei formulierte Heider die These, ,4aß die Prinzipien, mit denen diese Untersuchungen [über die Organisationsvorgänge der Wahrnehmung, R.F.] sich auseinandersetzten, auf die Wahrnehmimg von anderen Menschen und ihrem Verhalten angewendet werden können, und daß die Zuschreibung einer Veränderung zu einer perzeptuellen Einheit einer der Grundzüge der Organisation im sozialen Feld ist" (1969, 26). Ausgangspunkt der Überlegung war hier also die Annahme einer Strukturgleichheit zwischen Objekt- und Personenwahrnehmung, womit es für Heider gerechtfertigt erschien, die von Wertheimer (1939) explizierten 'einheitbildenden Faktoren' (Ähnlichkeit, Nähe und zeitliche Koinzidenz) auch auf den Bereich der sozialen Wahrnehmung zu beziehen, um damit das Phänomen der kausalen Eindrucksbildung zu erklären. Kausale Zuschreibungen und Zuordnungen von Ereignissen zu einem gemeinsamen Ursprung werden von Heider, anders als etwa von Michotte und Duncker, einerseits als Resultat der einheitbildenden Organisation von Erfahrung und andererseits als Folge eines spezifischen Bedürfnisses, der „Suche des Individuums nach Bedeutungen" (ebd., 28) begründet. Es sei ein allgemeines Motiv, beobachtbare Ereignisse auf zugrunde liegende Ursachen zurückzuführen, das den Charakter eines spezifischen Bedürfnisses habe: Der Mensch sei Jm allgemeinen nicht damit zufrieden [...], die beobachtbaren Dinge, die ihn umgeben, zu registrieren; er hat das Bedürfnis

57 sie soweit wie möglich auf Invarianzen seiner Umgebung zu beziehen" (Heider, 1958/1977,101, Herv. R.F.). Dieses hier für die Prozesse der kausalen Einheits- und Relationsbildung geltend gemachte und ansatzbegründende Postulat eines spezifischen Bedürfnisses der Rückführung von Aspekten des Wahrnehmungszusammenhangs auf Invarianzen muß in diesem Zusammenhang zunächst und allein unter Bezug auf die hier aufzuarbeitende Konzeption phänomenaler Kausalität als bloße und mehr oder weniger beliebige theoretische Setzung erscheinen. Gleichwohl wird mit diesem Bedürfniskonzept auf die ebenfalls von Heider (1946) entwickelten Grundlagen der Balancetheorie Bezug genommen, in der das Verhältnis zwischen den Momenten eines Wahrnehmungszusammenhangs als ein dynamisches begründet ist. Diese damit aufgewiesene Beziehung zwischen balance- und attributionstheoreüschen Vorstellungen verweist daher auf die Notwendigkeit, sich im Rahmen dieser Aufarbeitung auch und zumindest soweit mit der balancetheoretischen Konzeption zu beschäftigen, wie diese als theoretisches Fundament für die hier geltend gemachten dynamischen Momente von attributionalen Zusammenhangserklärungen angesehen werden und als eine Art motivational Metatheorie für die Heidersche Konzeption der Genese und Funktion von kausalen Relationsbildungen aufgefaßt werden kann. Die gesonderte Aufarbeitung der Balancetheorie (Kapitel 4.) rechtfertigt sich dabei vor allem anderen dadurch, daß die innerhalb der Balancetheorie ventilierten und konzeptualisierten Vorstellungen über die Konstitution von Einheitsrelationen zwischen wahrgenommenen Sachverhalten auf einer Bezugsebene angesiedelt sind, die sie für die hier zu diskutierende Konzeption phänomenaler Kausalität als deren Metatheorie ausweist. Gingen Duncker und Michotte noch davon aus, daß die Wahrnehmung durch die Organisation des Geschehens und Wahrnehmungszusammenhangs selbst unmittelbar gegeben sei, bringt Heider das Wahrgenommene im Akt der Wahrnehmung mit vorausgehenden Erfahrungen in Beziehung und begründet die Akzentuierung bestimmter Dimensionen des Wahrnehmungszusammenhangs mit der subjektiven Notwendigkeit, aus der Komplexität von Ereignissen diejenigen Momente herauszuheben, die eine kausale Strukturierung und Systematisierung für die Subjekte möglich machen. »Sobald man versucht, die kognitive Struktur der mit emotionalen Reaktionen koordinierten Umwelt zu determinieren, steht man vor Vorgängen der Kausalzuschreibung" (Heider, 1969, 42). Veränderungen der Umwelt werden demnach für das Subjekt in dem Maße verständlich, wie

58 sie auf Ursachen bezogen werden können, wobei als Ursachen nicht nur wahrgenommene Handlungen, sondern auch die anderen Subjekten zugeschriebenen Intentionen herangezogen werden: Durch kausale Integration werde es möglich, komplexe Zusammenhänge der 'lebensrelevanten Umwelt* derart zu reduzieren und zu systematisieren, daß die relevanten Aspekte des je eigenen Lebenszusammenhangs für das Individuum überschaubar erscheinen, was eben Voraussetzimg für deren Kontrollier- und Vorhersagbarkeit sei. Dabei werde zwischen Ursprung und Veränderung eine Einheit gebildet, die zur Grundlage der kausalen Integration gemacht werde. Auch flüchtige Ereignisse können danach durch Kausalintegration in Beziehung zu dem Rahmengefüge der unveränderlichen Umwelt gesetzt werden, durch die sich erst ihre Bedeutung erschließt (vgl. ebd., 28). Kausalerklärungen müssen also als 'EinheitsbildungerC aufgefaßt werden, die ganz analog zum Heiderschen Konzept des Wahrnehmungsprozesses nicht unmittelbar erfahren werden können, sondern vom Subjekt erst hergestellt werden müssen. Selbst diejenigen Kausalverknüpfungen also, die mit den in der unmittelbaren Anschauung gegebenen 'einheitsbildenden Faktoren' (Ähnlichkeit, Nähe oder zeitliche Koinzidenz) in Zusammenhang stehen und damit gänzlich unabhängig von der tatsächlichen und sachlogischen Struktur und Beschaffenheit der Wahrnehmungstatbestände gebildet werden, erweisen sich vor diesem Hintergrund als Resultat von Wahrnehmungswrte/tetf, die nicht allein auf die Gestaltgliederung der Wahrnehmungszusammenhänge zurückgeführt werden können. Damit aber ist die 'wahrnehmungsvermittelte' Einheits- und Relationsbildung an eine Art Vorstellungsprozeß, was letztlich heißt: theoriengeleiteten Prozeß des Bewußtseins gebunden, aus dem Wahrnehmungsurteile, Ereignisverknüpfungen und kausale Zusammenhangserklärungen überhaupt erst hervorgehen können. Das heißt aber, daß sich die Konstitution von Zusammenhangsvorstellungen nur vom Zuschreibungssubjekt und gerade nicht vom Wahrnehmungsobjekt und dessen Gestaltqualität aus konzeptualisieren läßt: Es sind für Heider die an jedwede Wahrnehmungsurteile und Kausalitätsannahmen herangetragenen impliziten Vorstellungen als mehr oder weniger theoretisierte individuell-gesellschaftliche Erfahrungen, die die Grundlage dafür bilden, daß wahrgenommene Ereignisse kommensurabel werden und sich zu kausalen Strukturen und Zusammenhangsvorstellungen verdichten lassen. Mit dieser Fassung des Zusammenhangs von Wahrnehmung, Wahrnehmungsurteil und Kausalerklärungen wird das von Heider entwickelte Kon-

59 zept 'phänomenaler Kausalität' in einen grundlegend anderen theoretischen und terminologischene Kontext gestellt als dies sowohl von Duncker als auch von Michotte vorgeschlagen wurde: Die Heidersche Vorstellung 'phänomenaler Kausalität' läßt sich als eine im Wahrnehmungsurteil hergestellte Einheitsbildung begreifen, bei der die im Wahrnehmungsprozeß herausgehobenen Aspekte der Personen, Situationen und beobachteten Handlungen etwa auf der Ebene der Ähnlichkeit in einen Bezug zu einander gesetzt werden, durch den ihre kausale Verknüpfung und phänomenale Integration für das Subjekt gerechtfertigt erscheint. Phänomenale Kausalität wird hier also als das Konzept verstanden, das beschreibt, wie ganz unabhängig von den tatsächlichen sachlogischen Strukturzusammenhängen und allein aufgrund der Ähnlichkeit einzelner Wahrnehmungselemente der Eindruck einer kausalen Beziehung gewonnen und ggf. mit einer Evidenz entwickelt wird, daß weitergehende Fragen nach deren realer inhaltlicher Vermittlung für das Subjekt unnötig und obsolet geworden zu sein scheinen. Mit diesem Konzept der Genese kausaler Zusammenhangsvorstellungen ist die Konzeption einer aktiven Rekonstruktion der Wahrnehmungsgegenstände vorausgesetzt, wie sie bereits bei der Analyse der 'Leistungen des Wahrnehmungssystems' (1930) formuliert worden ist. Werden diese Überlegungen nun aber über die Rekonstruktion eines Wahrnehmungsgegenstandes hinaus auch auf die Konstitution und Zuschreibung kausaler Beziehungen zwischen unabhängigen Ereignissen ausgeweitet, muß darüber hinaus die Frage geklärt werden, wie dies theoretisch gefaßt und praktisch vollzogen werden kann. Der Wahrnehmungsprozeß wurde von Heider, wie gesagt, schematisch als Rekonstruktion eines 'Vorstellungsbildes' (D') aus den wahrgenommenen Proximalreizen (V') gefaßt, wobei V' als die dem Subjekt zugewandten 'Ausläufer' (V) des Wahrnehmungsgegenstandes (D) bestimmt wurden. Der Gesamtprozeß wurde dabei als 'Wahrnehmungsbogen' (D - V - - V' D') bezeichnet. Die Art und Weise der Erscheinung von V und die Wahrnehmung von V als V' ist, so gesehen, von den möglichen Variationen des Gegenstandes D bzw. der Wahrnehmungssituation bestimmt, in die der Wahrnehmungsgegenstand und der Wahrnehmende kontextuell eingebunden sind. Anhand der dem Wahrnehmungssubjekt verfügbaren Kenntnisse und impliziten Vorstellungen über Situation und Gegenstand sei es nun möglich, daß situationale Variationen der Proximalreize quasi 'herausgerechnet' werden können. Wenn es im nun Folgenden darüber hinaus je-

60 doch um die Analyse von Kausalzusammenhängen geht, kompliziert sich der Zusammenhang zum einen dadurch, daß erklärt werden muß, wie zweierlei Ereignisse (die Ursachen- und Wirkungsereignisse) als zusammenhängend wahrgenommen werden. Zum anderen stellt sich die Frage, an welchen 'Stellen' innerhalb des Wahrnehmungsprozesses nun 'Theorien' und implizite Vorstellungen über die Verknüpfung der Wahrnehmungsgegenstände einbezogen werden. Fraglich also ist, um mit Hume zu sprechen, wo innerhalb des Gesamtprozesses der Konstitution von Kausalbeziehungen das 'verbindende Band' zwischen dem Ursachenereignis und den Ereignissen gefunden werden kann, die dem Wahrnehmungssubjekt als Wirkungen der Ursache erscheinen. Die Analyse des Prozesses zur Erfassung kausaler Relationen zwischen zwei Ereignissen muß damit zunächst zwei voneinander unabhängige, gleichwohl theorienvermittelte Wahrnehmungsprozesse für die als 'Ursache' und die als 'Wirkung' erachteten Sachverhalte annehmen. Die kausale Verknüpfung zwischen diesen beiden Sachverhalten muß also als eine über die Wahrnehmung eines einzelnen Ereignisses noch hinausgehende theoretische Vermittlung begriffen werden, durch die die zunächst unabhängigen Wahrnehmungsprozesse in einen Zusammenhang gebracht werden können. Betrachten wir den Prozeß der kausalen Integration von Ursache und Wirkung zunächst anhand der schematischen Darstellung des 'Wahrnehmungsbogens':

Ursachenereignis

i Wirkungsereignis

D, i

d2

-

V, - -

4 v2 - -

V,' -

D,'

i

i

V,' .

D,'

Wie bereits dargestellt, ist der Rekonstruktionsprozeß von D/ aus den Wahrnehmungseindrücken V/ mit den theoretischen Vorstellungen und vorausgegangenen Erfahrungen mit dem Wahrnehmungsgegenstand D{ vermittelt. Ebenso wird auch der Wahrnehmungsgegenstand D2 als ein D2' aus V2' rekonstruiert. Die hier in Frage stehenden Kausalverknüpfungen setzen allerdings D, und D2 in Bezug zueinander und können daher nurmehr als eine über die Wahrnehmung von D{ und D2 noch hinausgehende weitere theoretische Vermittlung begriffen werden. Dabei ist nun aber fraglich, an welcher Stelle innerhalb des Wahrnehmungsprozesses diese

61 kausale Verknüpfung hergestellt wird und wie der Zusammenhang zwischen D{ und D2 theoretisch begründet werden kann. Da Heider - wie gesagt - darauf verzichtet, den kausalen Zusammenhang zwischen den realen Ereignissen Dt und D2 aus deren sachlogischer Struktur zu begründen, ist unter Bezug auf den dargestellten Wahrnehmungszusammenhang indes in keiner Weise sichergestellt, ob die Rekonstruktionen der Wahrnehmungsgegenstände D, und D2 im Bewußtsein überhaupt sachlogisch adäquat abgebildet werden. Bereits im Akt der Wahrnehmung von V,* und V2' werden nämlich Dimensionen von Dt und D2 herausgehoben und den Rekonstruktionen als den sich darauf begründenden Wahrnehmungsurteilen D,* und D2' zugrunde gelegt, aufgrund derer sich die Sachverhalte überhaupt miteinander in ein (ggf. kausales) Verhältnis setzen lassen. Innerhalb des Heiderschen Konzepts der phänomenalen Kausalität, demgemäß 'einheitbildende Faktoren' (Ähnlichkeit, Nähe oder zeitliche Koinzidenz) unabhängig von ihrer sachlogischen Angemessenheit Anlaß der kausalen Integration von Ursache und Wirkung werden können, ist offen, ob derartige Einheitsrelationen zwischen den dem Wahrnehmungssubjekt zugewandten Proximalreizen V{ und V2, den unmittelbaren Wahrnehmungseindrücken V/ und V2' oder aber zwischen den Wahrnehmungsurteilen Dj' und D2' festgestellt werden. Daher ist auch durch nichts sichergestellt, daß Kausaleindrücke oder Evidenzerlebnisse, durch die Sachverhalte zu kausalen Einheiten integriert werden, überhaupt Annäherungen an die argumentative Ausweisbarkeit der tatsächlich bestehenden Zusammenhänge reflektieren. Vielmehr kann die kausale Integration von Ereignissen lediglich durch die phänomenale Ähnlichkeit der im Wahrnehmungsakt und den darauf aufbauenden Prozessen der Rekonstruktion hervorgehobenen Dimensionen nahegelegt sein und als quasi 'unfraglich einheitliche Gegebenheiten' erscheinen, die jedoch von ihrer inhaltlichsachlichen Beschaffenheit her vollkommen unvermittelt nebeneinander stehen. Halten wir aber zunächst eine wesentliche Überlegung fest: Es ist die aufgrund der 'einheitbildenden Faktoren' hergestellte Integration, die zugleich auch Grundlage der Annahme einer kausalen Zusammengehörigkeit werden soll. Die kausale Integration beschreibt also nurmehr eine besondere Form, in der Relationen zwischen Wahrnehmungsereignissen hergestellt werden und durch die sonst unabhängige Ereignisse als zusammengehörend und damit als ein einziges Ereignis wahrgenommen werden können. Daraus ergibt sich nun zugleich auch die zentrale Funktion von Motiv und

62 der dynamischen Begründung kausaler Integrationen: Durch die Rückführung verschiedener Ereignisse auf einen Ursprung reduziert sich die Notwendigkeit, alle Aspekte der 'lebensrelevanten Umwelt' wahrzunehmen, so daß zunächst Unzusammenhängendes im Modus der Einheit strukturiert werden kann. Durch diese sich mit der Konstitution von Kausalzusammenhängen ergebende relative 'Vereinfachung' der Organisation des Wahrnehmungsfeldes können - so Heider - komplexe und unübersichtliche Handlungszusammenhänge für das Wahrnehmungssubjekt überschaubar gemacht und relevant erscheinende Dimensionen entsprechend den eigenen Handlungserfordernissen und Lebensbedürfnissen selegiert werden. Holzkamp (1988a, 124) weist jedoch darauf hin, daß nur selten bemerkt werde und auch in der Alltagssicht weniger evident erscheine, daß ,4ie so gefaßte 'Ökonomisierung' ja durch Ausklammerung von Wirklichkeitsaspekten, Verarmung des Welt-/Selbstbezugs, also durch irgendeine Form von 'Realitätsverlust' erkauft ist. Damit könnte sich die Orientierungserleichterung hier als lediglich vordergründiger, mit Desorientierung hinsichtlich umfassenderer und weniger unmittelbarer Züge der sozialen Realität verbundener Situationseffekt erweisen" (Herv. i.O.). Aus dieser Bestimmung der Funktion kausaler Rückführungen von Ereignissen auf Ursachen wird verständlich, warum Heider in seinen weitergehenden Untersuchungen forschungsstrategisch diejenigen Situationen aufsucht, die für die Subjekte als zunächst undurchschaubar und in ihrer Komplexität aktuell unstrukturiert erscheinen. Dabei stellte er insbesondere Personalisierungen als Prinzipien der Kausalintegration heraus, die seiner Auffassung nach eine 'Vereinfachung' der Wahrnehmungsorganisation ermöglichen und sich somit als Versuch begreifen ließen, Handlungsfähigkeit auch ohne eine tatsächliche Durchdringung der realen Problemzusammenhänge aufrecht zu erhalten. „Das Überhandnehmen des Personifizierens in einer unvollkommen strukturierten Umwelt könnte zumindest teilweise auf die Einfachheit der Ursprungsorganisation zurückzuführen sein. Wenn Veränderungen einer einzigen konkreten Einheit als Quelle zugeschrieben werden, entsteht bestimmt eine einfachere Organisation als die, die auf dem Wege einer Analyse von Kausalverbindungen mit vielen möglichen Bedingungen zu erreichen ist" (Heider, 1969, 30). Personalisierungen ließen sich damit ebenso wie die kausale Integration und Verknüpfung als Formen eines allgemeineren Prinzips der 'Vereinfachimg' auffassen, mit denen sich das Wahrnehmungssubjekt eine 'stabilere' Wahrnehmungsgrundlage 'herzustellen' versucht: Erscheinen Sachverhalte, Handlungen oder das Zustandekommen bestimmter Situationen nämlich auf

63 Personeigenschaften der Akteure riickführbar, könne angenommen werden, daß diese auch in anders beschaffenen Situationen durchgesetzt würden, womit die jeweils bedeutungsvollen Handlungsereignisse und -zusammenhänge auch ohne eine genauere Kenntnis der aktuellen bzw. zukünftigen Handlungs- und Ereignisumstände allein unter Bezug auf die zugeschriebenen Personeigenschaften der involvierten anderen vorhergesagt werden könnten. Entsprechendes werde für die intentionale Begründung von Handlungen angenommen: Hier gehe man allgemein davon aus, daß die Akteure auch in veränderten Situationen dennoch bestrebt sind, ihre Intentionen durchzusetzen, womit indes Intentionalität nicht als Aspekt situationsbezogener Handlungsbegründungen konzeptualisiert worden ist. Für die spätere Reinterpretation soll an dieser Stelle bereits hervorgehoben werden, daß personifizierende Wirklichkeitsrezeptionen und personalisierende Kausalintegrationen von Heider nicht als Merkmale der Zuschreibungssubjekte o.ä. konzeptualisiert worden sind: Vielmehr werden Situationen und Handliingszusammenhänge zu fassen versucht, in denen personalisierende Zuschreibungsformen in besonderer Weise nahegelegt sind, deren Nutzung in den Kontroll- und Verfügungsinteressen der Zuschreibungssubjekte begründet ist. Personalisierung wird hier also explizit nicht als Konzept zur Differenzierung zwischen Personen und deren jeweils erreichten kognitiven Entwicklungsstufen, sondern vielmehr als Aspekt von aktuell undurchschaubaren Handlungszusammenhängen aufgefaßt, in denen eine so beschriebene Rezeption gegenüber möglichen Rezeptionsalternativen in besonderer Weise ökonomisch erscheint. Innerhalb des Heiderschen Konzepts bewegt sich jedwedes Kausaldenken somit im Spannungsverhältnis zwischen personalisierender und differenzierender Kausalzuschreibung und -analyse: »Zwischen dieser Idee (der menschlichen Kausalität) und dem wissenschaftlichen Begriff der Kausalität besteht ein echter Antagonismus: Erstens kennt die Wissenschaft nur sekundäre Ursachen; jede Ursache ist auch ihrerseits eine Wirkung, jede kausale Erklärung eine Regression ohne denkbares Ende, und zweitens ist eine Ursache für die Wissenschaft ein Phänomen wie eine Wirkung auch; die Gesetze beschreiben lediglich notwendige Beziehungen zwischen Erscheinungen. Die als Ursache gedachte Person dagegen ist eine erste Ursache; der Akt, sagt Aristoteles, beginnt in sich selbst" (ebd., 30). Das antielementaristische Fundament dieser Fassung des Wahrnehmungsprozesses besteht nun vor allem anderen darin, daß Wahrnehmung hier grundsätzlich als Wahrnehmung von Zusammenhängen und damit in der

64 Weise konzeptualisiert worden ist, aus der die Zuschreibung von 'Eigenschaften' eines Teils des Handlungszusammenhangs (hier der Person) nur kontextuell und abhängig vom Wahrnehmungsgesamt begriffen werden kann: Äußerungen und Handlungen lassen sich danach nicht für sich, sondern aus ihrem Gesamtzusammenhang heraus beurteilen, zu dem auch die Person des Betrachters gerechnet wird. Während also Duncker und Michotte davon ausgehen, daß zumindest einige der Ursachen- und Wirkungsbeziehungen zwischen Wahrnehmungs Objekten als geschlossene Gestalten erfaßt oder eben 'unvermittelt' wahrgenommen werden, kommt Heiders Antielementarismus gerade darin zur Geltung, daß bei der Analyse des Wahrnehmungsprozesses der Einbezug der Wahrnehmungs Subjekte zwingend erforderlich ist: Es ist für ihn das Wahrnehmungssubjekt, das im Prozeß der aktiven und vorstellungsgeleiteten Rekonstruktion und Organisation der Wahrnehmung Rezeptionsformen entwickelt, durch die die eigene Weltsicht mit den Erfahrungen bedeutungsvoller Sachverhalte des eigenen Lebensvollzugs optimal konsistent gehalten werden kann. Theoretisch wird dies von Heider damit begründet, daß die Subjekte daran interessiert seien, Wirklichkeit in der Weise zu rezipieren, daß damit ein unter den gegebenen Umständen bestmögliches Gleichgewicht hergestellt werden kann (vgl. Heider, 1969,49). Diese hier angesprochene dynamische Begründung der Wirklichkeitsrezeption verweist damit erneut auf den Konnex zwischen Attributionstheorie und der ebenfalls von Heider entwickelten Balancetheorie als einer Art motivationaler Metatheorie, in die hier aufzuarbeitenden Vorstellungen eingebettet sind. Die konzeptionelle Bedeutung balancetheoretischer Überlegungen für die Rekonstruktion attributionaler Prozesse liegt nicht nur darin, daß Heider davon ausgeht, daß sowohl die Perspektive, aus der heraus relevante Ereignisse vom Wahrnehmenden aufzuschließen versucht werden, als auch dessen 'Neigungen' und 'Überzeugungen' den Prozeß der Wahrnehmung und auch der Bildung von Wahrnehmungsurteilen, letztlich die gesamte Grundlage der Konstitution von Ursachenzusammenhängen bestimmen. Mit dieser dynamischen Begründung des Wahrnehmungsprozesses lasse sich auch das Zustandekommen von Wahrnehmungsverzerrungen und -beeinträchtigungen erklären: Ob etwa Erfolge bzw. Mißerfolge von einem Beobachter mit den Fähigkeiten und Eigenschaften der handelnden Person oder aber mit Situationsfaktoren zu erklären versucht würden, hänge von dem jeweiligen Verhältnis zwischen Beobachter und Handelndem ab. Dabei würden jeweils die Zuschreibungsdimensionen akzentuiert, die zur Aufrechterhaltung seiner eigenen Selbst-

65 und Weltsicht beizutragen vermögen. Derartige Zuschreibungsstrategien sind etwa mit den von Regan, Strauss & Fazio (1974) erbrachten empirischen Befunden kompatibel: Die Autoren konnten hier feststellen, daß ein und dieselbe Handlung ganz unterschiedlichen Ursachen zugeschrieben wird, je nachdem, ob die handelnde Person als beliebt oder unbeliebt eingeschätzt wird. Danach wird das Zustandekommen positiv eingeschätzter Ereignisse eher Personen zugeschrieben, die für sympathisch angesehen werden, während dasselbe Ereignis, sofern es unsympathische Personen betrifft, eher auf situationale Ursachen zurückgeführt wird. Aus der Bereicherung seiner attributionalen Theorie durch die geschilderte dynamisch-motivationalen Gesichtspunkte ergibt sich für Heider, daß Kausalerklärungen nie für sich, als objektive und quasi 'standpunktfreie' Zusammenhangsbegründungen begriffen werden können: Als Äußerungen von Personen können sie erst unter Einbeziehung der jeweiligen Perspektive und in Explikation ihres intentionalen Bezugs auf den Wahrnehmungszusammenhang theoretisch aufgeschlossen und verständlich werden. Damit aber läßt sich die Genese an sich 'falscher* und 'verzerrender' Wahrnehmungsurteile und Zusammenhangsaussagen ebenso wie die Entstehung sachlich problematischer Kausalverknüpfungen und Sichtweisen auf Handlungszusammenhänge für Heider gerade nicht als bloßes Resultat mangelnder Zusammenhangskenntnis und lediglich vereinfachender bzw. unangemessener kognitiver Strategien begreifen, wie dies etwa von Theorien der kognitiven Informationsverarbeitung unterstellt wird: In der Heiderschen Konzeption können Urteilsprozesse nurmehr aus dem Zusammenhang zwischen vorausgehenden Erfahrungen des Beurteilenden und dessen Motiven und Bedürfnissen verständlich werden, womit sie als dynamisch-motivationale Äußerungen des Subjekts aufgefaßt werden müssen, die in dessen Verhältnis zur Welt begründet sind. Einen weiteren Hinweis auf die Nahegelegtheit personalisierender Wirklichkeitsrezeption finden wir bei der Klärung des Verhältnisses zwischen den Kausaleinheiten und den Eigenschaften ihrer Teile. Hier führt Heider aus, daß Handlungen und Personeigenschaften im Alltagsverständnis in den gleichen Dimensionen und Begrifflichkeiten beschrieben werden können. »Personen oder Handlungen können altruistisch sein, böse oder brutal. Das gilt besonders für Werteigenschaften. Eine Person kann moralisch gut sein, eine Handlung desgleichen. Auf eine Person angewendet, bezieht sich das Adjektiv auf einen Charakterbegriff, etwa auf eine bleibende Fähigkeit; auf eine Handlung angewendet, bezeichnet es ein temporäres

66 (zeitliches) Ereignis" (ebd., 34). Dieser Umstand lege es nahe, daß Charakteristika von Handlungen relativ umstandslos zu Eigenschaften der Person uminterpretiert würden, weil schon allein die Existenz von Sprachanalogien eine Integration in Wahrnehmungseinheiten befördere, ohne daß es sich dabei um faktisch Zusammengehöriges handeln müsse. Da nun, wie ausgeführt, phänomenale Ähnlichkeiten im spontanen Wahrnehmungseindruck als zusammengehörend betrachtet werden können, drängen sich Verknüpfungen von Ereignissen zu Ursache-Wirkungs-Beziehungen dahingehend geradezu auf, daß schon aus der Ähnlichkeit von Handlungs- und Personenbeschreibungen heraus Kausalstrukturen nahegelegt erscheinen. „Wenn zwei Ereignisse einander ähnlich oder nahe sind, wird wahrscheinlich eines als Ursache des anderen wahrgenommen" (ebd.). Personalisierungen aber, als eine Form der kurzschlüssigen Kausalintegration, wären daher dem Subjekt nur in dem Maße und für die Dauer nahegelegt, wie eine spontane Rezeptionsform von Wirklichkeit unhinterfragt bliebe, in der die Ähnlichkeit von Personen- und Handlungsbeschreibungen als bloße Nahelegung undurchdrungen die eigene Wahrnehmung ebenso wie die darauf aufbauenden Wahrnehmungsurteile strukturiert. Zur Begründimg der Funktion und Bedeutung von Ähnlichkeit als Faktor der kausalen Integration und sozialen Wahrnehmung verweist Heider auf die Experimente von Zillig (1928), bei denen sich zeigte, daß Kinder schlechte Schulleistungen vor allem unpopulären Mitschülern zuschrieben. Dieses experimentelle Resultat wird von Heider als Beleg seiner Annahmen über die Bedeutung der Ähnlichkeit bei kausaler Integration und Einheitsbildung angeführt, die hier auf das Verhältnis zwischen Leistung und Popularität bzw. deren Fehlen bezogen wurde. Zusammengenommen zieht Heider daraus für das eigene Konzept die Konsequenz: „Eine Person nimmt die Qualität einer Handlung an, deren Ursprung sie einmal war, und ist dann auch durch die Beziehung der Ähnlichkeit mit dieser Handlung verbunden" (ebd., 36). Diese damit dargelegten Überlegungen zur Funktion und Bedeutung einer allein auf die phänomenale Ähnlichkeit von Wahrnehmungseindrücken zurückgehenden Kausalintegration sind von Heider jedoch stets nur unter Bezug auf solcherlei Handlungszusammenhänge entwickelt, in denen sich die Strukturen und Bedeutungen für die Subjekte als aktuell undurchschaubare und in ihren relevanten Dimensionen weithin unverfügbare darstellen. An anderer Stelle und im Zuge der hier zu leistenden Reinterpretation muß

67 also geklärt werden, ob dies zu einer bestimmten und bestimmbaren Beschränkung des theoretisch beanspruchbaren Geltungsbereichs führt, so daß man es hier mit theoretischen Aussagen über die attributionale Bewältigung derart undurchdringlicher Wahrnehmungs-Handlungssituationen zu tun hat, oder ob die damit eingenommene theoretische Perspektivenbeschränkung nicht vielmehr dazu führt, überhaupt wesentliche Momente der Genese von Handlungserklärungen zu verkennen und zu verkehren, weil hier eine spezifisch beschränkte Sondersituation zu universalisieren versucht worden ist, womit das Erklärungspotenial dieser Konzeption jedoch im einen wie im anderen Fall nur als beschränkt und in seiner Geltung zu beschränken aufgefaßt werden muß.

3.3. Grundlagen einer Phänographie alltagspsychologischer Konstrukte und Kausalverknüpfungen In der Arbeit aus dem Jahre 1944 zur 'sozialen Wahrnehmung und phänomenalen Kausalität' versuchte Heider das Problemfeld der sozialen Wahrnehmung in Analogie zu den bestehenden wahrnehmungspsychologischen Konzepten aufzuschließen. Demgegenüber versuchte er in seiner Monographie von 1958, 'Psychology of Interpersonal Relations', durch eine sorgfältige Analyse der impliziten Relationen zwischen Worten und Begriffen und sprachlichen Äußerungen der sich auf psychologische Phänomene beziehenden 'Alltagssprache' eine Art 'naiver Psychologie' zu explizieren, die den Subjekten bei der Entwicklung von Erklärungen, Schlußfolgerungen und Aussagen über Zusammenhänge in ihrer sachlichsozialen Lebenswelt zur Verfügung steht und tatsächlich genutzt wird. Entsprechend läßt sich diese Arbeit als Versuch einer Phänographie des Repertoires verfügbarer Konstrukte und Vorstellungen über Kausalzusammenhänge bezeichnen, mit dem Individuen die sie betreffenden Ereignisse zu verstehen suchen. Heider verfolgte das Anliegen, „Überlegungen, die für den Aufbau eines begrifflichen Rahmens für die Probleme in diesem Bereich hilfreich sein könnten", darzustellen, um durch begriffliche Klarheit ,4ie Voraussetzung für effizientes Experimentieren" zu schaffen (1958/1977, 13). Dabei will er einerseits ,4as nicht- oder halbformulierte Wissen über zwischen-

68 menschliche Beziehungen benutzen, wie es sich in unserer Alltagssprache und Alltagserfahrung ausdrückt - diese Quelle soll common-sense-Psychologie oder naive Psychologie genannt werden; andererseits werden wir uns auch des Wissens und der Einsichten wissenschaftlicher Untersuchungen und Theorien bedienen, um eine begriffliche Systematisierung der untersuchten Probleme zu ermöglichen" (ebd., 13f). Gerade die begriffliche Klärung erweist sich für Heider als eine der Möglichkeiten, alltagstheoretische Vorstellungen und Konzepte in der wissenschaftlichen Psychologie systematisch zu überschreiten. Oft sei der wissenschaftliche Gehalt psychologischer Theorien schon darum fragwürdig, weil in der Psychologie alltägliche und wissenschaftliche Vorstellungen undifferenziert und unreflektiert genutzt würden, so daß die Notwendigkeit einer begrifflichen Klärung als elementare Voraussetzung der Verwissenschaftlichung von Psychologie angesehen werden müsse. J n der Tat benutzen alle Psychologen common-sense-Vorstellungen in ihrem wissenschaftlichen Denken, aber sie tun dieses meistens, ohne sie zu analysieren und sie explizit zu machen" (ebd., 15). Zur Beschreibimg der bei derart begrifflicher Unschärfe und unreflektierter Nutzung alltagstheoretischer Vorstellungen auftretenden Probleme bezieht sich Heider auf die Warnung von B.F. Skinner (1938): „Der Haupteinwand gegen die Verwendung der Umgangssprache bei der Beschreibung von Verhalten ist der, daß viele ihrer Begriffe konzeptuelle Schemata implizieren. Ich meine nicht, daß eine Wissenschaft vom Verhalten ohne ein konzeptuelles Schema auskommt, sondern daß dieses nicht ohne ein sorgfältiges Überdenken der Schemata geschehen darf, die der Alltagssprache zugrunde liegen" (Skinner, 1938, 7). Es ist aber nicht nur das Ziel der Klärung und Ausgewiesenheit psychologischer Konzepte und Vorstellungen, das die Analyse von Alltagstheorien für Heider notwendig macht. Vielmehr geht Heider davon aus, daß ,4ie wissenschaftliche Psychologie viel von der common-sense-Psychologie zu lernen hat". Die common-sense-Psychologie stelle nämlich ein überaus reichhaltiges Themenfeld dar: »fruchtbare Konzepte und Vermutungen über Hypothesen liegen - auf dem Gebiet der zwischenmenschlichen Beziehungen vielleicht sogar noch mehr als auf irgendeinem anderen Wissensgebiet - noch unentdeckt und unformuliert in unserem intuitiven Wissen verborgen" (Heider, 1958/1977,15). Anders also als im Aufsatz von 1944 wird hier der Fragen- und Problembereich psychologischer Begriffs- und Theotienbildung überhaupt akzentu-

69 iert, auf den wissenschaftliche wie alltagstheoretische Vorstellungen bezogen sind, womit die sogenannten Alltagstheorien und Alltagsvorstellungen über zwischenmenschliche Beziehungen selbst Gegenstand der wissenschaftlichen Betrachtung werden. Alltagstheorie müsse von einer wissenschaftlichen Psychologie als ein 'verborgenes System' kognitiver Regulative und Konstrukte schon deshalb aufgearbeitet werden, weil ihre faktische Wirksamkeit aus der Alltagspraxis der Individuen, ihrem Handeln, Erleben und Verhalten gar nicht wegzudenken sei. Die zentrale Ausgangsüberlegung der Heiderschen Untersuchung muß daher darin gesehen werden, daß es nicht nur die Psychologen als Wissenschaftler sind, die beständig Theorien über Handlungszusammenhänge und psychologierelevante Tatbestände entwickeln, sondern daß vielmehr der Problembestand des Fachs der 'Psychologie' gerade dadurch bestimmt werde, daß auch der „Mann auf der Straße" über sich und die Welt Theorien entwickele - wobei die wissenschaftlich-psychologische Theorienbildung sich demgegenüber nur dadurch auszeichne, daß sie systematisiert betrieben werde. Es sei aber gerade eine Spezifik der Psychologie als Wissenschaft, daß ihr Gegenstand selbst Theorien über sich zu entwickeln in der Lage ist. Mit dieser Schwerpunktsetzung in der Heiderschen Monographie sind Themenbereiche angesprochen, die etwa 15 Jahre später zu zentralen Fragen der Attributionstheorien geworden sind. Gerade weil aber das erklärte Ziel der Heiderschen Arbeit nicht als Grundlegung einer Theorie attributionaler Prozesse, sondern als Sprachanalyse zur Explikation der sich in sprachlichen Konstrukten niederschlagenden kognitiven Relationen gesehen werden muß, erscheint der Attributionsbegriff in dieser Arbeit noch nicht als scharf bestimmter theoretischer Schlüsselbegriff, sondern in vielerlei verschiedenen Erscheinungsformen und gleichzeitig sowohl für irrtümliche Wahrnehmungen und Wahrnehmungstäuschungen wie auch für Zuschreibungsprozesse ganz allgemein. Vor dem Hintergrund der bereits in früheren Arbeiten entwickelten Vorstellung, daß Wahrnehmungsprozesse nur als Prozesse der aktiven Rekonstruktion von Wahrnehmungsgegenständen aufgefaßt werden können, in denen die aktuellen Wahmehmungseindrücke mit bereits verfügbaren Annahmen, Erfahrungen und Vorstellungen in Verbindung gebracht werden, Ereigniszusammenhänge erst auf dieser Grundlage kausal interpretiert und in ihrer sachlichen Zusammengehörigkeit erschlossen werden können, erweist sich das Problemfeld der 'kognitiven Irrtümer' (vgl. ebd., 72) nur als ein Teil des zu untersuchenden Gegenstandes: Attribution steht hier also

70 für jedweden Prozeß der über die unmittelbare Erfahrung hinausgehenden Systematisierung von Wahrnehmungseindrücken, zu denen problematische Subsumtionen und Integrationen von Wahrnehmungs- und Erfahrungstatbeständen, sachlich falsche Zuschreibungs- oder Schlußfolgerungsprozesse, aber auch jede Form einer als angemessen angesehenen Rekonstruktion von Wahrnehmungstatbeständen und Ereignisrelationen gezählt werden müssen. Die besondere Akzentuierung von 'kognitiven IrrtümenT in der Heiderschen Analyse ergibt sich daher letztlich nur aus dem methodisch begründeten Umstand, daß die den Zuschreibungssubjekten verfügbaren Zusammenhangsannahmen nur in dem Maße der Analyse zugänglich gemacht und theoretisch reflektiert werden können, wie die damit verbundenen und sich daraus ergebenden Beeinträchtigungen von Wahrnehmungs- und Schlußfolgerungsprozessen rekonstruiert werden können. Unter Bezug auf interpersonelle Wahrnehmung wird Attribution als Prozeß beschrieben, durch den die 'Ursachen' menschlichen Verhaltens auf der Ebene von Personeigenschaften und/oder Umweltgegebenheiten zu bestimmen versucht werden. Für die dabei möglichen Wahrnehmungstäuschungen wird von Heider in einer ersten Hypothese das problematische Verhältnis zwischen den tatsächlichen Ereigniszusammenhängen einerseits und den Wünschen, Vorstellungen und Bedürfnissen des Wahrnehmenden andererseits verantwortlich gemacht. J n allen diesen Fällen liegt die Ursache für Wahrnehmungstäuschungen oder Unterschiede in den Interpretationen, die eine andere Person betreffen, in der fehlenden Korrelation zwischen Rohmaterial und dem gewünschten Wahrnehmungsgegenstand. Wir gehen allzu direkt vom Rohmaterial aus, ohne die zusätzlichen Faktoren zu berücksichtigen, die es beeinflussen" (ebd.). Dieser aktiv-konstruktive Prozeß der Wahrnehmung organisiert, so Heider, eine Repräsentation der Welt für das wahrnehmende Subjekt, in der die Wahrnehmungsdaten zu einem konsistenten Bild von der Welt integriert, ergänzt und verändert werden, das zur Handlungsgrundlage für den Wahrnehmenden wird (vgl. ebd., 59ff). Damit wird von Heider die Kategorie der Bedeutungen als Bezugspunkt der Interpretation von Wahrnehmungsdaten der Personen und Gegenstände in den Vordergrund gerückt: Nicht die unmittelbare Erfahrung bestimmter räumlich-zeitlicher Bedingungen und Reizkonstellationen, sondern die 'nichträumlich-zeitlichen Bedeutungen* (vgl. ebd., 60) werden zu Daten und damit zum Bezugspunkt des Wahrnehmungsprozesses. Mit diesem hier einbezogenen Bedeutungsbegriff wird also deutlich über die bloß physikalisch-oberflächliche Beschaf-

71 fenheit von Reizmustern hinausgegangen und auf ein Verhältnis hin orientiert, in das die Subjekte mit den von ihnen zur Erklärung des vorliegenden Aspekts ihrer Lebenswelt herangezogenen Erfahrungen, den darauf bezogenen Vorstellungen und impliziten Theorien explizit einbezogen sind. Vor diesem Hintergrund erweist es sich nurmehr als weiterer Aspekt dieser Argumentation und Begründimg eines bedeutungsvermittelten und standpunktbezogenen Wahrnehmungsprozesses, wenn Heider darüber hinaus feststellt, daß unter der Voraussetzung bloß-unmittelbarer Reizwahrnehmung die Orientierung in der Welt schon aufgrund ihrer prinzipiellen Mehrdeutigkeit als letztlich unmöglich angesehen werden muß. Entsprechend läßt sich die Vorstellung einer konsistenten Welt gar nicht anders denn als Integrationsleistung durch das Subjekt bestimmen: „Die Welt, die wir wahrnehmen, muß konsistent sein, und mehrdeutige Reize, sogar ordinale Reize führen zu Perzepta, die zusammenpassen und ein integriertes Bild hervorrufen" (ebd., 63). Damit aber ist nun genau der Zusammenhang entfaltet, in dem die Funktion von Attribution einerseits und deren potentielle Probleme für den Wahrnehmenden andererseits ersichtlich und theoretisch gefaßt werden können: So wie auf der einen Seite die Reduktion von Mehrdeutigkeit und damit die Konstruktion einer konsistenten Welt innerhalb des Heiderschen Konzepts für die Subjekte notwendig und Funktion der Wahrnehmung sind, ist es auf der anderen Seite doch durch nichts sicher gestellt, daß in der damit hergestellten Konsistenz wesentliche Momente der Realbeschaffenheit der Welt und ihrer Bedeutungsbezüge repräsentiert sind. Wahrnehmungstäuschungen gehen damit für Heider nicht nur auf eine lediglich in der unmittelbaren Anschauung und den ersten Wahrnehmungseindrücken gegründete Wirklichkeitsrepräsentation zurück. Dabei ist unentscheidbar, inwieweit der erste Wahrnehmungseindruck bloß auf situationsspezifische Umstände der Erfassung von Proximalreizen zurückgeführt werden muß. Auch innerhalb des kognitiven 'Rekonstruktionsprozesses' von Wahrnehmungsgegenständen im Vorstellungsbild ist es aufgrund der darin eingehenden Erfahrungen, inhaltlichen Vorstellungen und verfügbaren Alltagstheorien in keiner Weise sichergestellt, daß Täuschungen oder Verzerrungen ausgeschlossen werden können.

72

3.4. Die €naive Handlungsanalyse' als Zentrum der Commonsense-Psychologie Die 'naive Handlungsanalyse \ wie sie von Heider im 4. Kapitel seiner 'Psychology of Interpersonal Relations' entwickelt wurde, stellt nicht nur aus einer Retrosperspektive der späteren Begründung von Attributionstheorien und -forschung das Kernstück der Heiderschen Argumentation dar: Auch Heider selbst stellt die 'naive Handlungsanalyse' ins Zentrum der Analyse von Common-sense-Psychologie, weil ihr eine wesentliche Funktion bei der Vorhersage und Kontrolle wie bei der Interpretation von Handlungen anderer Personen zukomme. Kausalattribution habe letztlich überhaupt das Ziel, durch 'naive Handlungsanalyse' zu Vorhersagbarkeit und Kontrollierbarkeit bzw. Schuld- und Verantwortlichkeitszuschreibung zu kommen, und könne daher auch als Versuch interpretiert werden, aus der Rekonstruktion der Ursachen von Handlungsergebnissen Verantwortung für die Ereignisse bzw. Vorhersagen über deren zukünftige Entwicklungen zu rekonstruieren. Die 'naive Handlungsanalyse' beschäftigt sich mit der Frage, in welchem Verhältnis Handlungsresultate auf personale bzw. intentionale oder Situationale bzw. Umweltfaktoren zurückzuführen sind: Stellen mit Bezug auf die Wahrnehmung kausale Verknüpfungen, bezogen auf sachlich-gegenständliche Zusammenhangsannahmen, im Prinzip explizierbare Implikationen des Verhältnisses zwischen besonderen Gegenstandsaspekten einerseits und situationalen Gegebenheiten andererseits dar, durch die bestimmte Ereignisse als 'Wirkungen' bestimmbarer 'Ursachenereignisse' interpretiert werden können, so werden bei der Analyse von Handlungen die ihnen zugrunde liegenden 4Absichten ' zum eigentlichen Gegenstand der 'naiven Handlungsanalyse'. Mit dem damit notwendig werdenden Einbezug der Intentionen handelnder Subjekte wird die später auszuführende Unterscheidung zwischen persönlicher und unpersönlicher Kausalität zu einem wesentlichen Teil der Handlungsanalyse, womit auch die bisher entwickelten Konzeptionen kausaler Verknüpfungen bezogen auf intersubjektiv-soziale Sachverhalte weitergehend differenziert werden müssen. Mit der 'naiven Handlungsanalyse' werden also sowohl die eigenen wie auch die Handlungen anderer Subjekte weiterhin als Gegenstand kausaler Integration und Zusammenhangsproduktion angesehen, so daß von der 'naiven Handlungsanalyse' auch Fragen intentionaler Handlungsbegründung, etwa

73 zur Rechtfertigung und Kritik des Handelns, in einen kausalen Aufschließungs- und Theoretisierungszusammenhang gestellt und von dort aus zum Gegenstand der Analyse gemacht werden. Betrachten wir Heiders Konzeption der 'naiven Handlungsanalyse' und deren Unterkonzepte genauer, indem wir uns fragen, wie darin der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Einflußfaktoren des Zustandekommens eines Ereignisses ausgedrückt wird: Als Globalkategorien der Handlungsanalyse bestimmt Heider Faktoren innerhalb der Person ('persönliche Kraft') und außerhalb der Person ('Umweltkraft'). „Man kann sagen, das Ereignis der Handlung, x, hängt von einer Kombination wirksamer persönlicher Kraft und wirksamer Umweltkraft ab" (Heider, 1958/1977,102). Es gelte daher: x = f (ffPerson, ffUmwelt) Dabei seien die beiden Faktoren (Person und Umwelt) additiv miteinander verknüpft. Wenn also ein bestimmtes Ereignis x eingetreten sei, könne dieses durch eine Person und deren Intention, durch bestimmte Umweltzusammenhänge oder durch eine Kombination von beiden hervorgerufen sein. „Wir nehmen eine Einschätzung vor, wenn wir das Ergebnis einer Handlung hauptsächlich der Person, der Umwelt oder einer Kombination von beiden attribuieren. Nur wenn wir dies tun, verstehen wir. Nur dann können wir zukünftige Handlungen vorhersagen, denn selbst dann, wenn relativ vorübergehende Faktoren eine Handlung ermöglichen, erkennen wir durch die Umschreibung dieser Faktoren die Existenz der stärker invarianten und verläßlichen persönlichen und Umweltbedingungen an" (ebd., 121). Die weitergehende Aufgliederung dieser Globalkategorien innerhalb der 'naiven Handlungsanalyse' werde allgemein durch das bereits erwähnte 'Bedürfnis nach Invarianz' und den Versuch des Individuums begründet, Veränderlichkeiten auf stabilere Faktoren rückzuführen, um damit bedeutungsvolle Ereignisse der je eigenen Lebensumstände längerfristig kontrollieren und vorhersagen zu können. Die Differenzierung verschiedener Unterkonzepte in der 'naiven Handlungsanalyse' muß damit als Resultat der dynamisch-motivationalen Rezeptionsformen von Wirklichkeit begriffen werden, wodurch die 'naive Handlungsanalyse' gleichsam erst an den-

74 jenigen Stellen zu einem vorläufigen Ende gelangt, an denen Eigenschaften oder Intentionen extrahiert und relevante Ereignisse darauf bezogen werden können. Die Personkraft als die eine Seite der 'naiven Handlungsanalyse' wird von Heider im weiteren in zwei Unterkonzepte, die 'Motivation' und die 'Fähigkeit', aufgegliedert. Das Unterkonzept 'Fähigkeit' stelle sich dem Attributen als ein relativ stabiler und entsprechend invarianter Faktor der Handlungsanalyse dar, weil 'Fähigkeit' gemeinhin als Eigenschaft einer handelnden Person begriffen werde. Demgegenüber müsse das Unterkonzept 'Motivation' noch weiter differenziert werden, weil Motivation von Heider als eine spezifische Realisierung situationaler Aspekte durch das handelnde Subjekt aufgefaßt wird, womit sie sich nur situationsabhängig feststellen und begründen lasse. 'Motivation' werde zwar, um dies anders zu formulieren, als situational begründet erfahren, erzwinge aber schon vom Konzept her einen situationalen Begründungszusammenhang, was ausschließe, 'Motivation' als Grundlage situationsübergreifender Vorhersagen von Handlungsweisen anderer Subjekte heranzuziehen. Das hier zugrunde gelegte generelle Bedürfnis zur Rückführung von Instabilität auf stabile Strukturen im Wahrnehmungs-ZHandlungszusammenhang erzwingt daher die weitergehende Differenzierung des Konzepts 'Motivation' in die Unterkonzepte 'Anstrengung' und 'Intention'. Diese Konzepte werden von Heider handlungstheoretisch in einen multiplikativen Bezug zueinander gestellt, womit nurmehr gemeint ist, daß das Vorliegen von Motivation nur angenommen werden kann, sofern sich gleichzeitig Intention und Anstrengung feststellen lassen. Es ist das bereits angesprochene und noch ausführlich aufzugreifende balancetheoretische Metakonzept in dessen Rahmen die von Heider vorgelegte 'naive Handlungsanalyse' steht durch das Motivation global mit dem Abbau von Ungleichgewichtszuständen im eigenen Handlungszusammenhang gleichgesetzt wird. Aus dem balancetheoretischen Metakonzept folgt nun, daß der Attribuierende den Handelnden als jemanden wahrnimmt, der sich in einer aktuellen Ungleichgewichtssituation befindet, in der er eine Diskrepanz zwischen seiner Situation und seinen Intentionen erfährt, die ihm aber gleichwohl als bewältigbar erscheint. Situationen nämlich, die dem Handelnden nicht bewältigbar erscheinen, in denen seine persönliche 'Macht' oder sein 'Können' nicht ausreicht, die erfahrenen Widersprüche praktisch außer Kraft zu setzen, könnten innerhalb des balancetheoretischen Rahmens nicht motiviert in Handlungen umgesetzt werden, was eine

75 andere als die praktisch-verändernde Bewältigung dieser Widerspruchserfahrungen erzwinge. Damit bekommt der motivational Faktor im Rahmen der Analyse von Handlungen einen besonderen Stellenwert: Motivation ist der Faktor, ,4er die Handlung vorantreibt und leitet und ihr ihren absichtlichen Charakter gibt. Dies ist das wesentliche Merkmal, das die Veranlassung durch eine Person von anderen 'Ursachen' von Ereignissen unterscheidet" (Heider, 1958/1977,122). Demgegenüber ermögliche es der Rekurs auf situationsübergreifende ' Personeigenschaften \ anscheinend auch jenseits einer genaueren Erfassung situationaler Momente, Handlungen zu begreifen und vorherzusagen. Würde man beispielsweise das Zustandekommen schlechter Schulleistungen als Resultat eines problematischen Verhältnisses zwischen einem Lehrer und dem Schüler verstehen, ließen sich die Schulleistungen des Schülers in anderen Klassen nicht vorhersagen, weil über die einzubeziehenden Lehrer noch nichts bekannt sein kann. Würde jedoch dem Schüler eine besondere 'Eigenschaft' zugeschrieben, aus der sich schlechte Schulleistungen quasi implikativ folgern ließen, wäre die Leistungsvorhersage unabhängig von den je realen Schulsituationen und ohne eine genauere Kenntnis des dem Schüler zum Problem werdenden konkreten Verhältnisses zum Lehrer zu treffen, und zukünftige Schulerfolge wären allein unter Bezug auf die Person des Schülers abzusehen. Für unseren Fragenzusammenhang wesentlich an diesem Beispiel ist, daß dann, wenn schlechte Schulleistungen mangelnden geistigen Fähigkeiten zugeschrieben werden, ein implikativer, in gewisser Weise definitorisch in den Personeigenschaften bereits enthaltener Faktor angenommen wird, aus dem diese Schulleistungen nicht mehr als 'Folge' einer 'Ursache', sondern vielmehr nur als 'Teil' bereits vorausgesetzter Personeigenschaften erscheinen. Die Voraussage schlechter Schulleistungen stellt so gesehen gar keine kausale Schlußfolgerung als Verknüpfung zweier zunächst unabhängiger Ereignisse dar, sondern ist nur ein anderer Ausdruck, eine Implikation der dem Schüler zugeschriebenen Eigenschaften. Diese Überlegungen, wie von beobachtbarem Verhalten auf stabile dispositionale Eigenschaften des handelnden Subjekts geschlossen wird, sind von Jones & Davis (1965) in ihrer Theorie der korrespondierenden Inferenzen wieder aufgegriffen und systematisiert worden. Eine eingehendere Analyse eigenschaftsattributionaler Prozesse und deren Verhältnis zu theoretisch vermittelten, kausalen Schlußfolgerungen wird daher im Zuge der Darstellung und Kritik dieser Konzeptionen (vgl. S. 142ff dieser Arbeit)

76 wieder aufzugreifen sein. An dieser Stelle sei jedoch bereits darauf hingewiesen, daß sich mit dem Rekurs auf dispositionale Eigenschaften innerhalb des attributionalen Prozesses die Relationen zwischen den Elementen des Wahrnehmungsfeldes grundlegend verändern: In dem Maße nämlich, wie Handlungen und Handlungsresultate auf stabile Dispositionen zurückzuführen versucht werden, wird die Suche nach einer impliziten theoretischen Vermittlung und Zusammenhangsbegründung, wie sie für den kausalen Schlußfolgerungsprozeß als wesentlich herausgearbeitet wurden, abgebrochen und das Explanandum (als das zu erklärende Phänomen) bereits mit in die Definition der Antecedenzbedingungen hinein genommen, so daß sich die in Frage stehenden Ereignisse nurmehr als in der Bestimmung der Voraussetzungen bereits implizierte begreifen lassen. Wie an anderer Stelle noch eingehender herauszuarbeiten ist, ist damit auch das eigentliche Argument beschrieben, durch das gerechtfertigt werden kann, warum Jones & Davis die Zuschreibung von Eigenschaften als praktischen 'Endpunkt* des Prozesses kausaler Schlußfolgerungen betrachten können, der ohne den Rekurs auf implikative Setzungen eine potentiell unbeendbare Kausalkette darstellen würde. Mit dieser Differenzierung der 'Personkraft' innerhalb der 'naiven Handlungsanalyse' und dem notwendig gewordenen Einbezug von Intentionen rückt das bereits angesprochene Verhältnis von persönlicher zu unpersönlicher Kausalität in den Vordergrund: Im Rahmen der 'naiven Handlungsanalyse' wird geklärt, ob ein bestimmtes Ereignis auf dispositionale Eigenschaften und damit auf 'unpersönliche Kausalität' zurückgeführt werden kann, oder ob persönliche Kausalität und damit absichtliche Verursachungen angenommen werden muß, auf die die Ereignisse ursächlich zurückgeführt werden können. Damit einher geht auch die später aufzugreifende Frage, inwieweit der Handelnde für Handlungsresultate verantwortlich gemacht werden kann. Die damit getroffene Bestimmung von persönlicher Kausalität rekurriert also explizit nicht darauf, ob als 'Quelle' eines Ereignisses eine Person angesehen werden muß. „Was wir als persönliche Kausalität bezeichnet haben, bezieht sich auf Fälle, in denen p absichtlich x verursacht. [...] Solange aber die Absicht nicht die Ursache-Wirkung-Relationen miteinander verbindet, handelt es sich nicht um echte persönliche Kausalität" (ebd., 123). Genauso wie die Komponente 'Personkraft' in verschiedene Unterkonzepte aufgegliedert werden muß, muß auch die Komponente 'Umweltkraft' weitergehend bis hin zu - der 'naiven Handlungsanalyse' stabil erschei-

77 nenden - dispositionalen Unterkonzepten aufgegliedert werden. Heider expliziert dabei zunächst die Unterkonzepte 'Schwierigkeit' und 'Zufall'. Zur Klärung der Bedeutung von Unterkonzepten der Dimension 'Umweltkraft' muß man sich vergegenwärtigen, daß in der Heiderschen Konzeption der 'naiven Handlungsanalyse' stets der Versuch der kausalen Rekonstruktion dominiert, in der aus beobachtbaren Handlungen/Ereignissen auf Handlungsgründe und Ursachenereignisse zurückgeschlossen wird. Vor diesem Hintergrund läßt sich die mit den Unterkonzepten 'Schwierigkeit* und 'Zufair beschriebene Dimension 'Umweltkraft' nun gewissermaßen als eine Art Korrektiv begreifen, durch die Handlungsereignisse auch dann interpretierbar bleiben, wenn das (Handlungs-) Resultat von den als zugrunde liegend angenommenen Motiven und Intentionen bzw. der festzustellenden Anstrengung einer beobachteten Person faktisch abweicht. Wenn einer Person die Fähigkeiten (stabile Eigenschaft) zu einer Handlung zugeschrieben werden und wenn nicht Umweltzustände (Zufall oder Aufgabenschwierigkeit) die Handlung unbewältigbar werden lassen, dann verfügt der Handelnde offensichtlich über die Möglichkeiten zum Handeln. In der 'naiven Handlungsanalyse' kann also ein 'Nicht-Handeln' rekonstruktiv nur auf das Fehlen von Motivation, sprich Intention und/oder Anstrengung (multiplikativ) zurückgeführt werden. Dabei wird fehlende Motivation erfahrbar, indem entweder keine Diskrepanzen zwischen Situation und Zielen des Handelnden bestimmbar sind, der Beobachtete also gar nicht handeln zu wollen scheint, oder er sich nicht entsprechend der situationalen Anforderung anzustrengen scheint. Entsprechend wird zur Rekonstruktion von 'Erfolgen' einer Person vermittels der 'naiven Handlungsanalyse' entweder angenommen, daß diese genügend Fähigkeiten gehabt haben mußte, oder daß die ihr entgegenstehenden Umweltkräfte gering genug gewesen sein mußten, um den beobachteten Erfolg hervorzubringen. Resultat der 'naiven Handlungsanalyse' ist, wie gesagt, die Bestimmimg von Kausalität und Kausalzusammenhängen. Dabei erweist sich die erwähnte Unterscheidung zwischen persönlicher und unpersönlicher Kausalität vor allem darum als wichtig, weil durch sie die Gruppe der Bedingungen bestimmt wird, die verändert werden müssen, um auf das Ergebnis einer Handlung Einfluß zu nehmen. „Echte persönliche Kausalität ist beschränkt auf solche Fälle, in denen p sucht, x zu verursachen, und x ihr Ziel ist" (Heider, 1958/1977, 123). Ist etwa feststellbar, daß ein Handlungsergebnis auf die Absicht einer anderen Person rückführbar ist, impli-

78 ziert dies, daß diese Person auch bei veränderten Umweltgegebenheiten geeignete Mittel anwenden wird, um das beabsichtigte Ziel zu erreichen. Vorausgesetzt werden muß allerdings, daß sich diese Absicht tatsächlich als transsituational erweist. Das kausale Netz persönlicher und absichtsvoller Kausalität wird von Heider als äquifinaler Kausalzusammenhang beschrieben, wenn die Personen die Möglichkeiten der Realisierung des Ziels auch in veränderten Handlungszusammenhängen haben. „Äquifinalität ist jedoch für persönliche Kausalität nur innerhalb gewisser Grenzen charakteristisch, und diese Grenzen definieren, was die Person tun 'kann', wenn sie es versucht" (ebd., 125). Persönliche Kausalität ist aber nicht nur durch das Prinzip der Äquifinalität, sondern zudem auch durch das Konzept der 'lokalen Ursache' zu beschreiben: Während Ereignisse unpersönlicher Kausalität auf ein breites Spektrum potentieller Kausalfaktoren rückführbar sein können, reduzieren sich bei unterstellter persönlicher Kausalität die einzubeziehenden Kausalfaktoren auf die Absichten dieser einen Person, der das bestimmte Handlungsereignis zugeschrieben wird. Die Frage also, ob ein Handlungsergebnis eher durch personale als durch situative Komponenten verursacht gesehen wird, ob es eher in persönlicher als in unpersönlicher Kausalität begründet ist, ist für den Attribuierenden deshalb so bedeutsam, weil nur die personbestimmte, mithin auf Intentionen und Eigenschaften rückführbare, Ursachenlokalisation zukünftige Ereignisse für den Beobachtenden (unter veränderlichen Umweltzuständen) vorhersagbar und damit, so Heider, kontrollierbar erscheinen läßt. Die Möglichkeit der Vorhersagbarkeit zukünftiger Ereignisse maximiert sich demnach in dem Maße, wie der Beobachtende für ein bestimmtes Ereignis Personen und deren Intentionen verantwortlich machen kann. Kontrollierbar hingegen wird ein Handlungszusammenhang in dem Maße, wie der Beobachter auf die Intentionen des Handelnden, als scheinbar einzige 'lokale Ursache', Einfluß nehmen kann. Noch ein anderer Aspekt aber legt die Attribution persönlicher Kausalität nahe und erscheint als Vereinfachung bzw. Ökonomisierung des Weltbezugs: „Die Attribution von persönlicher Kausalität reduziert die notwendigen Bedingungen [einer Handlung und deren Begründung, R.F.] im wesentlichen auf eine einzige, nämlich die Person mit einer Absicht, die, innerhalb eines breiten Spektrums von potentiellen Veränderungen in der Umwelt, Kontrolle hat über die Vielfalt von Kräften, die erforderlich sind, um die spezifische Wirkung hervorzurufen" (ebd., 125).

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3.5. Konzeptionelle Unbestimmtheiten innerhalb der Heiderschen Begründung kausaler Relationsbildungen im Alltag Gegenüber dem als Prozeß der theorien- und vorstellungsvermittelten Herstellung kausaler Relations- und Zusammenhangsvermutungen dargestellten Konzept 'phänomenaler Kausalität' deutet Heider an einer anderen Stelle noch ein grundlegend anderes Konzept der Genese von Kausalrelationen und Ereignisverknüpfungen an, das er explizit mit der Millschen Differenzmethode in Verbindung bringt. „Diejenige Bedingung wird für eine Wirkung als verantwortlich angesehen, die vorhanden ist, wenn die Wirkung vorhanden ist, und die fehlt, wenn die Wirkung fehlt. Das Prinzip liegt den experimentellen Untersuchungsmethoden von Mill zugrunde" (1958/1977,181). Wurden im Konzept der 'phänomenalen Kausalität' Prozesse der sich spontan bildenden Ursachenzusammenhänge, Kausalitätsvermutungen und Eigenschaftszuschreibungen beschrieben, die auf singulare Beobachtungen eines zu erklärenden Ereignisses zurückgehen, wird bei den mit der Differenzmethode in Zusammenhang gebrachten Schlußfolgerungsbemühungen und Kausalerklärungen eine Art kovariationsanalytisches Vorgehen angenommen, für das verschiedene Daten von unterschiedlichen Ereignissen bzw. Informationen aus Mehrfachbeobachtungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten als verfügbar vorausgesetzt werden müssen. Unter Bezug auf die Differenzmethode lassen sich Ereignisursachen also nur in dem Maße bestimmen, wie deren Auftreten mit dem Auftreten anderer Ereignisse kovariieren, womit kovariationsanalytische Schlußfolgerungen über Ereigniszusammenhänge auch als Prozeß der reflektierenden Inbezugsetzung verschiedener Ereignisse, als systematische Auswertung mehrfacher Beobachtungen aufzufassen sind. Damit aber sind innerhalb einer kovariatiationsanalytischen Auswertung und Interpretation von Ereignissen ganz andere Problem- und Phänomenbereiche angesprochen und müssen ganz andere Situationen und Datenlagen vorausgesetzt werden, die entsprechend nichts oder nur wenig zur Klärung, Analyse und Beschreibung derjenigen Fragen und Probleme beizutragen vermögen, die bisher als Prozeß der spontan sich bildenden Ursachenzuscheibungen thematisiert wurden.

80 Bereits also von Heider (1958/1977) ist ein auf den attributionalen Prozeß bezogenes kovariationsanalytisches Modell der Begründung kausal strukturierter Alltagserklärungen vorgelegt worden, dessen weitergehende Formalisierung insbesondere von H.H. Kelley (1967,1971a) vollzogen wurde, so daß dessen eingehendere Analyse und Kritik sinnvoll auch erst unter Bezug auf Kelleys Konzeption des attributionalen Prozesses zu leisten ist. An dieser Stelle soll allein darauf verwiesen werden, daß die Nutzung kovariationsanalytischer Methoden innerhalb von Zuschreibungsprozessen an ganz andere Informationen und andere Strukturen von Daten gebunden ist, womit die darin beschriebenen Prozesse der Genese von Zusammenhangsvorstellungen nur als eine Art thematischer Verlagerung und nicht als theoretischer 'Gegenentwurf zu den bisher beschriebenen Prozessen einer ähnlichkeitsvermittelten Kausalintegration und theoriengegründeten Konstitution von Einheitsbeziehungen aufgefaßt werden können, die sich nicht einfach und umstandslos mit den bisher entwickelten theoretischen Überlegungen vergleichen und in Beziehung setzen lassen. Erklärungsbedürftige Ereignisse werden im Rahmen von Kovariationsanalysen nämlich zuförderst daraufhin befragt, ob und unter Bezug auf welche Dimensionen sich zwischen unterschiedlichen Ereignissen und Zusammenhängen zeitliche Koinzidenzen aufweisen lassen und wie sich die dabei ggf. festzustellenden Differenzen in die Behauptung von Ursachenzusammenhängen einbinden lassen. Wenn, so schreibt Heider,, jch immer dann Freude empfinde, wenn ich mit einem Objekt interagiere und etwas anderes als Freude, wenn das Objekt entfernt wird (z.B. Sehnsucht, Ärger oder eine eher neutrale Reaktion), dann werde ich das Objekt für die Ursache der Freude halten. Die Wirkung, Freude, wird so gesehen, daß sie in hoher Übereinstimmung mit der Gegenwart oder Abwesenheit des Objekts variiert" (ebd.). Damit erweisen sich kovariationsanalytische Begründungsversuche von Zusammenhangsbehauptungen nun aber gerade nicht als Prozesse unmittelbarer Ursachenzuschreibungen und Zusammenhangserklärungen, sondern müssen demgegenüber als eine nicht notwendig mit den wesentlichen Aspekten des Sachverhalts korrespondierende, damit auch nicht notwendig weniger problematische Überschreitung und Relativierung unmittelbar begründeter Ursachen- oder Eigenschaftszuschreibimg aufgefaßt werden. Zugleich aber verweist dieses Argument bereits auf die noch genauer zu begründende Zurückweisung der geläufigen Einschätzung, daß sich die von Kelley vorgelegte Konzeption als eine Systematisierung und Formali-

81 sierung der von Heider zunächst nur 'unsystematisch' entwickelten Vorstellungen betrachten lasse (vgl. dazu Kap. 6 dieser Arbeit). Der Umstand, daß von Heider selbst höchst unterschiedliche Phänomene und Prozesse der Begründung von Ereignisrelationen und Ursachenbehauptungen unter dem gleichen Label der Attribution gefaßt werden, liefert damit wohl nur die Grundlage, daß - wie gesagt - sowohl dynamischmotivationale Theorien als auch Theorien der kognitiven Informationsverarbeitung für sich beanspruchen, die Weiterführung und empirisch-experimentelle Überprüfimg Heiderscher Überlegungen und Konzeptionen zu sein, und ihre Konzepte auf Heider als den 'Begründer' einer Psychologie der Kausalität beziehen. Bevor diese Diskussion jedoch weitergeführt werden kann, sollen zunächst die bereits mehrfach angesprochenen balancetheoretischen Überlegungen, aber auch das Verhältnis zur Gestaltpsychologie näher untersucht werden: Erst vor diesem Hintergrund wird nämlich aufweisbar, ob und wieweit sich die anschließend darzustellende Kelleysche Position tatsächlich in der Heiderschen Theorientradition befindet oder ob dessen Position und Konzept nicht vielmehr als ein grundsätzlicher Kurswechsel innerhalb der mit Attribution in Zusammenhang stehenden Theorien- und Problemgeschichte aufgefaßt werden muß.

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Kapitel 4 Funktion und Bedeutung von Heiders balance- und wahrnehmungstheoretischen Metakonzepten Vorbemerkung Wie erinnerlich, konstatierte Heider für die Überführung von Ereignissen in kausale Beziehungen ein spezifisches Bedürfnis nach kausaler Erklärung, das den Prozessen der 'naiven Handlungsanalyse' zugrunde liege. Allgemein sei der Mensch nicht damit zufrieden, die Dinge, die ihn umgeben, zu beobachten und als solche zu registrieren, er habe vielmehr das Bedürfnis, derartige Beobachtungen so weit wie möglich auf Invarianzen in seiner Umwelt zu beziehen (vgl. Heider, 1958/1977, 101). Mit dieser Formulierung wird das postulierte Bedürfniskonzept zum zentralen und ansatzbegründenden Konstrukt der attributionalen Konzeption. Anders formuliert: Ohne das Postulat eines solchen Bedürfnisses wäre nicht vorstellbar, warum und wie innerhalb dieser Konzeption sonst Ereignisbeobachtungen überhaupt in ihrer kognitiven Repräsentation als Ereignis- und Einheitsrelationen systematisiert werden. Für die theoretische Rechtfertigimg ebenso wie für ihre Kritik erwächst mit diesem Rekurs auf ein Bedürfniskonzept allerdings insofern ein Problem, als ein derart eingeführtes Bedürfnis die Funktion einer a-priori-Bestimmung bekommt, die zwar für den Ansatz grundlegend ist, nicht jedoch durch diesen selbst begründet werden kann und sich damit als Verweis auf eine quasi-naturhafte Entität zumindest immanent der theoretischen Begründung der Diskussion und Kritik entzieht. Solange der Rekurs auf ein solches Bedürfniskonzept innerhalb eines theoretischen Entwurfs nicht selbst empirisch ausgewiesen werden kann und damit in die Form prinzipiell auch widerlegbarer Aussagen und Begründungen überführt wird, kann ein solcher Verweis nur als eine unausgewiesene Hilfskonstruktion zur Absicherung eines theoretisch bis dato unaufgeklärten Aspekts des vorgelegten Entwurfs bestimmt werden. Daß dieser Bezug auf ein derartiges Bedürfnis nach Invarianz zumindest für das attributionale Konzept überhaupt begründen soll, wie und warum es zu kausalen Integrationen für sich unabhängiger Ereignisse kommt, macht zudem deutlich, daß dieses

83 Konstrukt gerade Mittel der Aufschließung von Empirie ist und damit kategoriale Funktion besitzt, womit der sich daraus ergebende Empiriebezug nicht selbst zur Prüfung, Rechtfertigung oder Widerlegung des analytischbegrifflichen Rahmens herangezogen werden kann. Diese damit angesprochenen Probleme der bedürfnistheoretischen Fundierung des Heiderschen Konzepts wären indes dann zurückzuweisen, wenn sich nachweisen ließe, daß die Balancetheorie tatsächlich als motivationale Metatheorie der Attribution angesehen werden kann, in der die konzeptionellen Voraussetzungen theoretisch geklärt und empirisch ausgewiesen sind. Diese Überlegung rechtfertigt zunächst die eigenständige Beschäftigung mit Balancetheorie im Rahmen dieser Arbeit, wobei der Schwerpunkt auf die Prüfung der Frage gelegt wird, ob und inwieweit das der Attributionstheorie zugrunde gelegte Bedürfniskonzept innerhalb der Balancetheorie empirisch ausgewiesen werden konnte, also außerhalb des Rahmens der Attributionstheorie anderweitig begründet und empirisch verankert wurde. Schließlich muß das von Heider vorgelegte wahrnehmungstheoretische Konzept in seinem Verhältnis zur Gestaltpsychologie näher geklärt werden, dessen autochthone Konzeption von Heider etwa schon mit seiner Vorstellung von Wahrnehmung als ein vom Wahrnehmungssubjekt aus konzeptualisierter Prozeß der aktiven Rekonstruktion überschritten wird, so daß die Wahrnehmungsurteile auch nicht als Resultat der gestaltartigen Gliederung der Wahrnehmungswelt anzusehen sind. Dies macht es erforderlich, zunächst einige grundlegende Vorstellungen gestaltpsychologischer Provenienz in der Form eines Exkurses mit einzubeziehen und diese der Kritik und Reinterpretation zu unterziehen, um darüber deren konzeptionellen und theoriengeschichtlichen Stellenwert für die attributionstheoretischen Vorstellungen zu explizieren. Noch bevor aber die angesprochenen inhaltlichen Fragestellungen und damit verbundenen Aufarbeitungsbemühungen weiter verfolgt werden können, müssen zunächst diejenigen methodischen und theoretischen Grundlagen entwickelt und dargestellt werden, mit denen die hier zu leistende reinterpretative Aufarbeitung vollzogen werden soll. Dabei gilt es zum einen zu verdeutlichen, warum brauchbare und ausgewiesene Aspekte aus verschiedenen psychologischen Theorien und deren Befunde nicht einfach aneinander geknüpft werden können, sondern es zumindest vom Standpunkt der Kritischen Psychologie aus notwendig erscheint, deren jeweilige kategoriale Vorstellungen zu explizieren und darüber zu begründen, ob

84 und in welchem Maße zwischen diesen verschiedenen Aussagenzusammenhängen kategoriale Differenzen bestehen und wie diese im Zuge ihrer Klärung in ein einheitliches und auszuweisendes kategoriales Konzept reformuliert werden können. Zum anderen sollen an dieser Stelle aber auch diejenigen Konsequenzen weiter ausgeführt werden, die sich für die Struktur von psychologischen Theorien und die Prozesse psychologischer Theorienbildung aus dem bereits ansatzweise dargelegten kategorialen Konzept der Kritischen Pschologie als einer Subjektwissenschaft ergeben.

4.1. Exkurs: Methodische und theoretische Grundlagen der reinterpretativen Aufarbeitung theoretischer Konzeptionen; Explikation der begründungstheoretischen Perspektive und des darin zu realisierenden Empiriebezugs Um die Heiderschen Überlegungen und Konzeptionen des Wahrnehmungs- und Attributionsprozesses daraufhin zu untersuchen, inwieweit darin tatsächlich wesentliche Aspekte zur Phänomenaufschließimg, Theoretisierung und Konzeptualisierung gefunden werden können, die zu einer näheren Bestimmung der Funktion und Bedeutung impliziter Theorien führen, muß man sich zunächst deren kategoriale und metatheoretische Vorstellungen ansehen und diese auf ihre Relevanz und Gegenstandsangemessenheit hin überprüfen. Methodische Grundlage für die damit zu vollziehende reinterpretative Aufarbeitung liefert das ausführlich von H.-Osterkamp (1976) dargelegte und von Markard (1995b) konkretisierte kritischpsychologische Prinzip der 'Einheit von Kritik und Weiterentwicklung' vorfindlicher Theorien. Dabei besteht der entscheidende methodische Grundansatz für die Möglichkeit einer solchen Reinterpretation [...] in der Einsicht, daß sich die [...] weiterführenden Erkenntnisse der genannten [...] Konzeptionen ebenso wie die in ihnen beschlossenen Verzerrungen, Verkürzungen, Verkehrungen nicht automatisch [..], sondern nur im Kontext einer umfassenden, wissenschaftlich tragfähigen und entwicklungsfähigen Konzeption, in dem sie hier zugleich weiterführende und konkretisierende Differenzierungen ermöglichen, offenbaren" (H.-Osterkamp, 1976, 192f). Reinterpretation ist also als das methodische Vorgehen zu verstehen, durch das die Theorienentwicklung einerseits das vorhandene Problem- und Zu-

85 sammenhangswissen anderer theoretischer Konzeptionen in den eigenen Ansatz aufnehmen kann, ohne jedoch andererseits Vorstellungen, die im Kontext anderer theoretischer und kategorialer Konzeptionen entwickelt wurden, lediglich eklektisch an das eigene Konzept anzufügen. Damit begründen sich die im Rahmen kritisch-psychologischer Theorienentwicklung vollzogenen Reinterpretationsbemühungen, wie Markard (1995b) ausführt, vor allem anderen auch als Versuch, nicht nur die inhaltlichen Fragen, sondern auch die Fragen der Art und Weise der TheorienProduktion und damit der Art und Weise, wie unterschiedliche Theorien zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, mit zu reflektieren und den jeweiligen Erkenntnisgehalt der darin entwickelten theoretischen Vorstellungen über die Explikation ihrer Erklärungsintentionen herauszuarbeiten. „Dieses Verfahren beinhaltet also in gewissem Ausmaße eine historisch-systematische Rekonstruktion der Theorie- (oder Konzept-)geschichte bis hin zu den eigenen Fragestellungen, die ja dieser Geschichte nicht völlig äußerlich sind" (ebd., 137). Allgemeinster Bezugspunkt der Reinterpretation ist dabei das von der Kritischen Psychologie herausgearbeitete Konzept der subjektiven Handlungsgründe als metatheoretisches Konzept, durch das die konstitutiven Dimensionen des Subjekt-Welt-Zusammenhangs formuliert sind und auf die hin alternative metatheoretische Überlegungen - wie etwa die der Balancetheorie - bezogen werden müssen. Nach einer solchen kategorialen und metatheoretischen Analyse und Kritik müssen darüber hinaus sowohl das damit aufgeschlossene empirische Material als auch die sich daraus ergebenden einzeltheoretischen Überlegungen und Hypothesen dahingehend befragt werden, welche Konsequenzen sich aus der ggf. notwendig werdenden kategorialen Reformulierung bezüglich der Frage der in den Hypothesen angesprochenen Wirklichkeitsdimensionen ergeben. Dies wiederum schließt die Frage danach ein, ob auch dann, wenn sich im Zuge der Analyse und Kritik kategoriale Verkürzungen des Gegenstandsverständnisses herausstellen sollten, sich in diesen Überlegungen nicht doch Hinweise etwa auf ein spezifisches Problembewußtsein bzw. spezifische Phänomenbeschreibungen finden lassen, deren Kenntnis zu einer Erweiterung der theoretischen Durchdringung führt und eine Präzisierung der Theorienbildung für die hier avisierten Problemzusammenhänge eröffnet. Dazu muß man sich vergegenwärtigen, daß von der Kritischen Psychologie (wie in Kapitel 1.3. ausgeführt) als ein Haupteinwand gegen traditionell-psychologische Konzepte geltend gemacht worden ist, daß diese, in

86 dem Maße, wie sie in ihren Theorien von den realen Lebensumständen der Subjekte sehen und diese nicht als historisch-spezifische, für das Subjekt bedeutungsvolle Handlungsmöglichkeiten bestimmen, weder menschliche Subjektivität adäquat abzubilden, noch überhaupt ein angemessenes Verständnis des Mensch-Welt-Zusammenhangs zu entwickeln und zu begründen in der Lage sind. Wenn aber das Verhältnis von Subjekt und Welt demgegenüber nur als ein vom Subjektstandpunkt aus begründetes angesehen werden kann, ergibt sich daraus für die Psychologie, daß deren Theorien und Konzepte sich nurmehr im Begründungsdiskurs und damit als Begründungstheorien angemessen formulieren lassen. Damit müssen zugleich alle diejenigen Vorstellung kritisiert werden, in denen das Verhältnis der Subjekte zur Welt im Bedingtheitsdiskurs eines nomothetisch fundierten Modelldeterminismus zu denken und begreifen versucht werden. Unter Bezug auf das Konzept der subjektiven Handlungsgründe muß damit untersucht werden, ob und mit welchen Konsequenzen sich attributionstheoretische Überlegungen in eine Theoriesprache der subjektiven Handlungsgründe überführen und damit als implizite Begründungstheorien ausweisen lassen, die damit als Prämissen-Gründe-Zusammenhänge reformuliert werden können. Mit dem Konzept der subjektiven Handlungsgründe ist also eine Art allgemeinster Modus formuliert, durch den u.E. allein sicherzustellen ist, daß die Konzeptionalisierung psychologierelevanter Sachverhalte nicht an den grundlegenden Bestimmungen menschlicher Subjektivität vorbeigeht. Grundlage dieser Überlegung ist die aus der Rekonstruktion des Zusammenhangs zwischen individuellem Lebensprozeß und gesellschaftlichen Lebensumständen sich ergebende gesellschaftliche Vermitteltheit individueller Existenz, durch die - wie auf S. 25ff dieser Arbeit dargestellt - gesellschaftliche Bedeutungszusammenhänge dem Subjekt nicht mehr als Handlungsdeterminanten und 'Bedingungen', sondern vielmehr als Handlungsmöglichkeiten entgegentreten, zu denen sich das Handlungssubjekt am Maßstab seiner je eigenen Lebensinteressen subjektiv begründet 'verhalten' kann und muß. Vor dem Hintergrund des damit gefaßten Vermittlungszusammenhangs gesellschaftlicher Bedeutungszusammenhänge als Handlungsmöglichkeiten für das Subjekt lassen sich Handlungen nicht mehr als durch objektive Bedingungskonstellationen bedingt, sondern vielmehr als in der subjektiven Realisierung objektiver Bedeutungszusammenhänge kognitiv und emotional begründet rekonstruieren. „Die Besonderheit der Handlungsbegründungen gegenüber den unvermittelten Bedin-

87 gungen liegt dabei darin, daß Begründungen nur vom Standpunkt des Subjekts aus möglich sind: Gründe sind immer 'erster Person', d.h. 'je meine' Gründe. Gesellschaftliche Bedingungen/Bedeutungen sind zwar objektiv gegeben, werden aber nur soweit für meine Handlungen bestimmend, wie sie für mich zu Prämissen für meine Handlungsbegründungen werden. Welche Handlungen für mich angesichts einer bestimmten Prämissenlage subjektiv begründet sind, ergibt sich aus meinen Lebensinteressen, d.h. unserer Konzeption nach aus den in der jeweiligen Bedingungskonstellation liegenden Möglichkeiten zur Verfügungserweiterung, damit Erhöhung der subjektiven Lebensqualität" (Holzkamp, 1991, 6f. Herv. i.O.). Annahmen über Handlungsgründe müssen nun zwar weder im Experiment noch in lebensweltlich-konkreten Zusammenhängen einer diskursiven Klärung des Verhältnisses von Handlungen, Handlungsvorsätzen und Intentionen zwingend erfahrbar und als Begründungszusammenhang von Handlungen intersubjektiv nachvollzogen werden. Ihre prinzipielle Aufschließbarkeit im Prozeß intersubjektiver Verständigimg kann jedoch schon darum angenommen und vorausgesetzt werden, weil sie als Definitionen 'vernünftigen Verhaltens' für andere Subjekte dann nachvollziehbar werden, wenn diese die jeweiligen gesellschaftlichen Lebensumstände als diejenigen subjektiven Bedeutungszusammenhänge erfassen, die vom Standpunkt des Subjekts als bedeutungsvoll wahrgenommen und zu Prämissen von Handlungen gemacht werden. Betrachtet man nun die damit nur vom Standpunkt des Subjekt aus formulierbaren Begründungstheorien, die in ihrer theoretischen Fassung als Begründungsmuster (BGM) den Zusammenhang von Prämissen als Bedeutungen von Lebensumständen 'für mich' und 'meinen' darauf bezogenen Handlungsgründen repräsentieren, wird deutlich, daß diese im Kern als nichts anderes denn als implikative Bestimmungen 'vernünftigen Verhaltens' angesehen werden können, deren Geltung im Zuge einer empirischen Prüfung weder bestätigt noch widerlegt werden könnte. Dennoch aber können Begründungstheorien und Begründungsmuster nicht auf begriffsimplikative Strukturen beschränkt werden, wie dies von Brandtstädter (1982) gegenüber sozialpsychologischen Theorien behauptet worden ist (ich komme auf dessen Argumentation auf S. 242ff dieser Arbeit noch ausführlich zurück). Das in Begründungstheorien gefaßte Implikationsverhältnis bezieht sich vielmehr auf das Verhältnis zwischen den Prämissen, den darauf bezogenen Handlungsintentionen und geltend gemachten Handlungsgründen, das sich nicht aus terminologischen Differenzierungen,

88 sondern aus dem Zusammenhang zwischen den jeweiligen Lebensinteressen des Handlungssubjekts und den daraus hervorgehenden Akzentuierungen bestimmter, vor anderen gleichsam möglichen Prämissen ergibt. Implikativ ist also nicht der Zusammenhang zwischen Handlungsbedingungen und Verhalten, sondern vielmehr das Verhältnis zwischen den vom Subjektstandpunkt aus realisierten Prämissen und darauf bezogenen Gründen. In Ausführung des damit umrissenen spezifischen Charakters derartiger Begründungstheorien weist Markard (1993b, 41) darauf hin, daß sich deren implikative Struktur gegenüber bloß begriffsimplikativen Zusammenhängen nicht aus formalen und begriffsstrukturellen Gesichtspunkten ergibt, sondern vielmehr in kategorialen Erwägungen der theoretischen Bestimmung des Verhältnisses von Subjekt und Welt begründet ist: So ergibt sich die Besonderheit von Begründungsmustern gerade daraus, daß ,4ie darin enthaltene Implikation nicht in einer Sachlogik oder einer überindividuell-kulturellen (sprachlichen) Definition besteht; sie wird vielmehr dadurch von einem Individuum konstituiert, daß es in Verfolgung seiner Lebensinteressen einen für es selber funktionalen, begründeten Zusammenhang zwischen Prämissen und Handlungsintentionen herstellt, wobei dieser Zusammenhang - ceteris paribus - dann auch realisiert wird. Anders formuliert: Ob der implikative Zusammenhang umgesetzt wird, ist auch hier eine nicht-implikative Frage; und es ist eine nicht-implikative Frage, ob das Individuum eine bzw. diese bestimmte Handlungsintention konstituiert und einen Prämissen-Gründe-Zusammenhang für sich konstituiert" (Herv. i.O., vgl. dazu auch Brandtstädter, 1995). Mit dieser Differenzierung der inneren logischen Struktur von Begründungstheorien ergibt sich nun auch eine grundlegend andere Fassung, in der derart formulierte Prämissen-Gründe-Zusammenhänge auf Empirie bezogen werden können: Im Kontext der üblichen nomologischen Geltungsbegründungen wird der Empirie die Funktion zugeschrieben, Aussagen über kontingente Bedingung-Ereignis-Zusammenhänge empirisch prüfbar zu machen. Dementsprechend müssen hier die Theorien stets so formuliert sein, daß ihr Scheitern an der Empirie prinzipiell möglich ist. Demgegenüber konstituieren Begründungstheorien und die darin gefaßten Prämissen-Gründe-Zusammenhänge ein grundlegend anderes Verhältnis zur Empirie: Da - wie ausgeführt - Prämissen und Gründe in einem Verhältnis der Implikation zueinander stehen, kann Empirie und empirische Verankerung gar nicht dieses Verhältnis betreffen, sondern nurmehr auf die Frage bezogen werden, welche Aspekte des historisch-gesellschaft-

89 liehen Bedeutungsgesamts vom Handlungssubjekt tatsächlich als Prämissen herausgehoben und in Handlungen umzusetzen versucht werden. Die Frage also, welche Aspekte der je eigenen Lebensumstände von einem Subjekt zu Prämissen von Handlungen erklärt werden, kann schon darum nicht einfach aus den Bedeutungszusammenhängen heraus abgeleitet werden, weil für das Subjekt die je eigenen Lebenszusammenhänge die Funktion von Prämissen für Handlungsbegründungen haben, es sich also zu den darin gegebenen Handlungsmöglichkeiten am Maßstab der eigenen Lebensinteressen begründet zu verhalten vermag. Entsprechend kann damit auch der Umstand, daß von einem Handlungssubjekt das eine oder andere Begründungsmuster in einem Handlungszusammenhang realisiert wird, nicht als empirische Prüfung, als Bewährung oder Widerlegung des formulierten Zusammenhangs zwischen Prämissen und Gründen aufgefaßt werden, woraus sich zudem ergibt, daß alternativ realisierte PrämisseGründe-Zusammenhänge zueinander auch kein Verhältnis der Theorienkonkurrenz begründen können: Als gleichermaßen mögliche Anwendungsfälle implikativ formulierter Begründungsmuster repräsentiert die eine oder andere empirische Realisierung entsprechend die vom jeweiligen Handlungs- bzw. 'Zuschreibungssubjekt' realisierten Spezifizierungen von Prämissen, auf die die nurmehr 'alternativ' formulierbaren Begründungsmuster bezogen werden müssen. Zu den damit zu formulierenden Begründungsmustern und Begründungstheorien steht Empirie somit in einem Verhältnis, aus dem mögliche Anwendungsfälle, 'Beispiele* und ggf. auch deren 'Anwendungsgrenzen' herausgearbeitet werden können, ohne daß sich jedoch die darin formulierten Begründungszusammenhänge und deren überindividuell-allgemeine Geltung bestätigen oder widerlegen ließe. Entsprechend, so arbeitet Holzkamp (1986) heraus, kehrt sich damit das Verhältnis von Hypothesen zur 'Empirie* quasi um: „Es hängt nicht mehr von den 'empirischen' Verhältnissen ab, wie weit die 'theoretische' Bestimmung 'bewährt' ist, sondern es hängt von der 'Begründungstheorie' als implikativer Struktur ab, welche Art von 'empirischen' Verhältnissen zu ihrem 'Anwendungsfall' taugen: Nämlich solche, in denen die gesetzten deflatorischen Bestimmungen erfüllt sind, so daß die 'Definition' identisch dafür gilt" (31).

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4.2. Explikation und Kritik der balancetheoretischen Fundierung attributionaler Prozesse Im Rahmen der Attributionstheorie wurde das Heidersche Bedürfniskonzept als ein 'allgemeines Streben nach Gleichgewicht* in den kognitiven Strukturen bestimmt, durch das trotz der realen Komplexität erfahrbarer Ereignisse und deren prinzipieller Mehrdeutigkeit dennoch eine konsistente Selbst- und Weltsicht entwickelt werde. Betrachtet man nun die Balancetheorie als Konzept zur Systematisierung, Beschreibung und Formalisierung kognitiver 'Abbildungen', erweist sich deren spezifischer Beitrag gerade darin, diejenigen dynamischen Kräfte innerhalb bestehender kognitiver Strukturierungen von Welttatbeständen zu explizieren, die eine Veränderung realer Situationen bzw. deren Rezeptionen hervorzurufen und zu begründen vermögen. Der Bezug der Balancetheorie zur Heiderschen Attributionstheorie besteht danach darin, daß sich Attribution als Prozeß der Konstitution von Einheitsrelationen zwischen wahrgenommenen Sachverhalten bestimmen läßt, deren dynamische Beziehung zwischen diesen Elementen von der Balancetheorie untersucht und beschrieben wird. Damit läßt sich die Attributionstheorie auch als eine auf Kausalrelationen bezogene Konkretisierung der Balancetheorie auffassen, der damit mehr oder weniger explizit die Funktion einer Metatheorie zugesprochen werden kann. Grundlage der Balancetheorie ist die Annahme, daß zwischen den Kognitionen Relationen bestehen, die von der wahrnehmenden Person als ausgewogene und damit spannungsfreie oder aber als unausgewogene und damit als unangenehme Beziehungen und Zusammenhänge wahrgenommen werden, so daß von der wahrnehmenden Person eine spontane Veränderung dieser Beziehungen erstrebt wird. Kognitive Strukturen bestehen demnach aus Elementen, die in einer oder mehreren Relationen zu anderen Elementen stehen können und einen kognitiven 'Spannungszustand', eine Dynamik in dem Maße entwickeln, wie sie gleichzeitig in 'positive' und 'negative' Einheits- und Wertrelationen unterschiedlicher Ausprägung integriert werden. Zum Gegenstand derart gefaßter kognitiver Strukturen können sowohl verfügbare Bewußtseins- oder Gedächtnisinhalte als auch wahrgenommene Personen oder Sachverhalte werden, die vom Subjekt in ein Verhältnis zueinander gebracht werden.

91 Betrachten wir zunächst die Heidersche Bestimmimg der verschiedenen Relationen: Dabei beschreiben die Einheitsrelationen das Verhältnis zwischen Elementen, das durch die sogenannten 'einheitbildenden Faktoren', wie Nähe, Ähnlichkeit und räumlich-zeitliche Koinzidenz, begründet wird. Positive Einheitsrelationen beschreiben ein Verhältnis der Zusammengehörigkeit zwischen den Elementen, negative Einheitsrelationen die wahrgenommene Distanz oder das (gegenwärtige) Fehlen von Zusammengehörigkeitsfaktoren. Verdeutlicht man sich diese Überlegungen etwa an dem zweiwertigen Beispielsatz: 'David besitzt ein Auto', der eine positive Einheitsrelation zwischen den Elementen 'David' und 'Auto' begründet, so steht demgegenüber die Aussage 'Kirsten ist nicht in Spanien' als negative Einheitsrelation zwischen den Elementen 'Kirsten' und 'Spanien'. Deutlich wird mit diesen Beispielsätzen, daß eine Einheitsrelation für sich noch keine Dynamik zu begründen vermag: Diese entsteht nach Heider erst, sofern diese Einheitsrelation auf weitere Einheitsrelationen bezogen werden muß, die zu dieser in Widerspruch stehen, oder sofern der Einheitsrelation eine dazu konträr stehende Wertrelation korrespondiert. Während Einheitsrelationen also das reale bzw. das vom Wahrnehmungssubjekt als real wahrgenommene Verhältnis zwischen den aus dem Gesamt des Wahrnehmungszusammenhangs als relevant herausgegliederten Elementen bezeichnet, beschreiben die Wertrelationen die Bewertung dieser Beziehungen, in der die verschiedenen Elemente für das Wahrnehmungssubjekt zueinander und in Bezug zum Wahrnehmungssubjekt selbst stehen. Wertrelationen werden durch Formulierungen wie 'mögen', 'hassen', 'interessant', 'langweilig' etc. beschrieben und sind ebenfalls als bipolare Dimensionen positiver respektive negativer Ausprägungen konzeptualisiert. So läßt sich etwa die Aussage 'David mag Autos' als eine positive Wertrelation bezeichnen, der die Aussage 'Kirsten findet einen Urlaub in Spanien langweilig' als eine negative Wertrelation zwischen den angesprochenen Elementen gegenüber steht. Als balanciert bzw. unbalanciert werden nun die sich aus den zwischen den Einheits- und Wertrelationen ergebenden Beziehungen beschrieben, die entsprechend ihrer Ausgewogenheit respektive Unausgewogenheit als relativ stabile bzw. dynamische kognitive Strukturen bestimmt werden können. So wird z.B. eine zwischen den Elementen 'David' und 'Auto' bestehende kognitive Struktur dann ausgeglichen sein, wenn etwa der positiven Einheitsrelation 'David besitzt ein Auto' die ebenfalls positive Wertrelation 'David interessiert sich für Autos' korrespondiert. Derartige

92 Relationen werden als Gleichgewichtsrelationen bzw. -zustände betrachtet, bei denen erst größere Widerstände überwunden werden müssen, um eine Umstrukturierung der sich daraus ergebenden kognitiven Struktur hervorzubringen. Ausgewogene kognitive Strukturen werden, so Heider, von den Subjekten als angenehm erfahren und entsprechend auch gegenüber zuwiderlaufenden Daten und Erfahrungen aufrecht erhalten. So werde aufgrund dieses balancetheoretisch formulierten Zusammenhangs aus einer einmalig getroffenen Äußerung nicht eine sofortige und grundsätzliche Meinungsänderung gefolgert. Erst dann, wenn die Person viele, besonders grundlegend-kritische Äußerungen macht, die zu der bisherigen Einheitsrelation in Widerspruch stehen, strukturiere sich die bisher für angemessen und stabil gehaltene kognitive Struktur soweit um, bis der benannte Widerspruch aufgehoben ist und auf der neuen Ebene ein ausgewogener Zustand wiederhergestellt ist. Entsprechend gelten die aus zwei Elementen bestehenden Relationen als ausgeglichen, wenn die Einheits- und Wertrelationen gleiche (positive oder negative) Vorzeichen haben. Wird eine positive Einheitsrelation auch als positiv eingeschätzt, so ist die Struktur ausgeglichen, ebenso wie nach Heider eine negative Einheitsrelation, als negativ eingeschätzt, ebenfalls keine spontane Tendenz zur Veränderung enthält. Alle anderen Konstellationen mit unterschiedlichen Vorzeichen gelten als unbalanciert und enthalten damit die Tendenz zur Umwandlung in balancierte Relationen, die entweder durch reale Veränderung, Wahrnehmungsverzerrungen oder deutende Uminterpretationen hergestellt werden könnten. Diese Tendenz zur Überwindung unbalancierter (kognitiver) Strukturen bildet die dynamische Grundlage des möglichen realen Eingriffs in die Relationen und Zusammenhänge zwischen den wahrgenommenen Elementen, wie sie in der kognitiven Struktur 'abgebildet' werden. Damit aber kann die Balancetheorie tatsächlich als eine Theorie der Begründung eines subjekthaft-aktiven und praktisch-eingreifenden Weltbezugs begriffen werden, die zu begründen beabsichtigt, wie und in welcher Weise erfahrene Widersprüche von den Subjekten zu bewältigen und ggf. praktisch aufzuheben versucht werden. Anders also, als es sich zunächst darstellen mag, wird die lediglich kognitive Umstrukturierung erfahrener Widerspruchszusammenhänge von der Balancetheorie nur für solche Situationen und Handlungszusammenhänge konstatiert, in denen dem Subjekt eine praktisch-verändernde Bewältigung als aktuell undurchführbar bzw. subjektiv unmöglich erscheinen mag. Um in derart unbeeinflußbar erscheinenden

93 Situationen und Handlungszusammenhängen dennoch eine Art Gleichgewichtszustand herstellen zu können, bleibe dem Subjekt nichts anderes übrig, als widersprüchliche Welttatbestände dahingehend kognitiv zu vereindeutigen, daß die dynamisch 'stärkeren' Faktoren eine Art Übergewicht bekommen und die kognitive Abbildung dominieren. Die 'schwächeren' Faktoren werden entsprechend der damit getroffenen Bewertung des Gesamtzusammenhangs dahingehend verändert und umgedeutet, daß widersprüchliche Wahrnehmungsmomente von ihrer anfänglich noch erfahrbaren Widersprüchlichkeit befreit und der Wahrnehmungszusammenhang quasi nachträglich vereindeutigt wird. Entscheidend aber ist, daß innerhalb der balancetheoretisch konzeptualisierten Begründimg des Subjekt-Welt-Zusammenhangs das Subjekt nur dann auf die hier beschriebenen Vereindeutigungen und Umdeutungen realer Widersprüche zurückgeworfen ist, wenn es sich selbst in bezug auf die relevanten Aspekte des eigenen Lebensvollzugs zumindest gegenwärtig als verfügungs- und einflußlos erfährt. Eine solche umdeutende Relativierung und Reduzierung real erfahrener Widersprüche innerhalb des je bedeutungsvollen Lebens- und Handlungszusammenhangs als 'balancierter' Struktur kann damit zugleich auch als die Rechtfertigungsmöglichkeit vor sich und anderen aufgefaßt werden, sich an der Überwindung und Veränderung dieser Verhältnisse nicht zu engagieren oder zu beteiligen. Damit läßt sich eine derartige Bewältigungsweise erfahrener Widersprüche zugleich als eine den Subjekten nahegelegte Möglichkeit auffassen, sich den Widersprüchen zu entziehen, bestehende Beschränkungen in der eigenen Lebensführung zu akzeptieren und sich den aus dem Engagement für die Überwindung von Behinderungen potentiell einhergehenden Bedrohungen nicht auszusetzen. Mit diesem im Handlungs-/Veränderungs- respektive Deutungs-/Umdeutungszusammenhang entwickelten Konzept dynamischer Rezeption von Wirklichkeit ist nun genau der Zusammenhang bestimmt, in dem Balancetheorie zur Attributionstheorie steht: Sofern sich Attribution als Prozeß der Zuschreibung von Ereignisbegründungen und der Konstitution handlungsorientierender Ursachen- und Wirkungsbeziehungen begreifen läßt, liefert die Balancetheorie nicht nur Kriterien, wie Zusammenhänge und Relationen konstituiert werden, wie deren Bewertung vom Subjekt vollzogen wird und in welcher Weise sich aus ihnen Handlungsintentionen ergeben. Die Balancetheorie liefert darüber hinaus das theoretische Fundament der dynamisch vereindeutigenden Rezeption widersprüchlicher und unein-

94 deutiger Sachverhalte und Verhältnisse, wie sie im Rahmen der Attributionstheorien thematisiert werden. Diese Darstellung einiger Grundkonzepte der Balancetheorie soll hier genügen, weil die Balancetheorie in unserem gegenwärtigen Aufarbeitungszusammenhang nur soweit einbezogen werden soll, wie sie die Grundlage des für die Attributionstheorie relevanten Bedürfniskonzepts liefert und insofern als eine Art motivationaler Metatheorie Bedeutung erlangt. Eine ausführliche Darstellung dieser Konzeption findet sich etwa bei Herkner (1978). Allerdings ist auch der von der Balancetheorie vollzogene Rekurs auf ein Bedürfnis nach 'Gleichgewicht' als theorienkonstituierendes Konzept lediglich gesetzt worden, ohne daß dieses selbst theoretisch und empirisch auszuweisen oder zu begründen versucht wurde. Damit ist indes noch nicht gesagt, daß deshalb balancetheoretische Überlegungen, etwa in ihrer metatheoretischen Funktion zur Fundierung attributionaler Aussagenzusammenhänge, überhaupt aufgegeben werden müßte. Die kritische Aufarbeitung attributionstheoretischer Vorstellungen ist damit nurmehr darauf verwiesen, selbst herauszuarbeiten und zu begründen, ob die - etwa von der Balancetheorie entworfene - dynamische Fundierung attributionaler Prozesse jenseits der bloßen Hypostasierung eines Bedürfnisses nach 'Gleichgewicht* o.ä. kategorial fundiert, theoretisch begründet und empirisch ausgewiesen werden kann. An dieser Stelle soll nur auf ein Problem hingewiesen werden, das sich ergibt, sofern man auf kategorialer Ebene über die Bestimmung des 'globalen* Bedürfnisses nach der Verfügung über die Quellen der Bedürfnisbefriedigung (vgl. Holzkamp, 1983, 244ff) hinauszugehen sucht: In dem Maße nämlich, wie konkret-historische Erscheinungsformen von Bedürftigkeiten und Lebensinteressen ontologisiert werden, ist bereits jede Möglichkeit verstellt, die sich in der inhaltlich-konkreten Realisierung von Bedürfnissen/Lebensinteressen gerade Geltung verschaffende aktuelle Bezogenheit des Subjekts auf dessen Lebenszusammenhänge theoretisch aufzuschließen. Dies ist der Grund, warum Bedürfnisse als Aspekt menschlicher Subjektivität nicht inhaltlich-positiv, sondern stets nur unter dem Aspekt ihrer Beschränkungserfahrung und deren perspektivischer Überwindbarkeit bestimmt und theoretisch aufzuklären sind. Mit dieser Konzeptualisierung von Bedürfnissen als subjektive Bedürftigkeit und Erfahrung aktueller Bedrohtheit und Eingeschränktheit der individuellen Handlungsfähigkeit ergibt sich darüber hinaus, daß die inhaltliche Struktur und

95 Beschaffenheit eigener Bedürfnisse nicht bereits 'theoretisch' hypostasiert, sondern berücksichtigt ist, daß die inhaltliche Besonderheit von Bedürfnissen für die betreffenden Subjekte erst dann erfahrbar wird, wenn ihnen die Realisierung von Lebensinteressen in den je eigenen Handlungszusammenhängen zum 'Problem' geworden ist. So erweist sich die inhaltliche Konkretisierung von Bedürfnissen im Kern als eine Frage nach der Welt und den darin vom Subjekt erfahrenen Bedrohungen und Beschränkungen individueller Entfaltungsmöglichkeiten, nicht aber als Frage einer hypostasierten Apriori-Strukturiertheit des Subjekts. Sowohl für die Reformulierung balancetheoretischer Vorstellungen als auch für den konzeptionellen Stellenwert der inhaltlichen Bestimmungen von Bedürfnissen, wie sie innerhalb der im weiteren noch mit einzubeziehenden anderen attributionstheoretischen Konzeptionen postuliert werden, ergibt sich aus dieser Fassung des Bedürfniskonzepts nun die Notwendigkeit, theoretische Universalisierungen ebenso wie die Hypostasierungen inhaltlicher Aspekte von Bedürfnissen theoretisch in Prämissen-GründeZusammenhänge zu überführen und ontologisierende Bedürfniszuschreibungen als realen Vermittlungszusammenhang zwischen den jeweiligen Lebensinteressen der Subjekte und den dazu in Widerspruch stehenden oder als Beschränkung erfahrenen Lebensumständen zu reformulieren. Entsprechend müssen diejenigen Konzeptionen, in denen ein Bedürfnis nach 'Stabilität' oder 'Invarianz' vorausgesetzt wird, dahingehend reformuliert und analysiert werden, daß eine so zu beschreibende Orientierung konkreter Subjekte als ein in der jeweiligen Prämissenlage begründetes Verhältnis von erfahrener Eingeschränktheit und subjektiv gegebenen Verfügungsmöglichkeiten gefaßt wird, womit auch eine Perspektive eröffnet wird, in der die inhaltlichen Vermittlungsschritte in Richtung auf die reale Überwindung subjektiv erfahrener Ausgeliefertheit erfaßt werden können und nach Möglichkeiten zur aktiven Teilhabe an der Schaffung und Gestaltung der eigenen Lebensumstände gefragt werden kann. Diese für die Subjekte, und damit auch für die subjektwissenschaftliche Theorie, entscheidende Perspektive kann jedoch innerhalb unserer Reinterpretation der balancetheoretischen Bedürfniskonzeption, da diese lediglich auf die formale Explikation von Gleichgewichts- und Ungleichgewichtszuständen hin orientiert ist, nicht entfaltet werden.

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4.3. Explikation und Kritik der wahrnehmungspsychologischen Grundlagen des attributionalen Prozesses und deren Verhältnis zur Gestaltpsychologie Nachdem im letzten Unterabschnitt die motivational-dynamische und metatheoretische Grundlage der Heiderschen Konzeption untersucht worden ist, gilt es an dieser Stelle eine weitere von Heider getroffene theoretische Voraussetzung kritisch zu prüfen: Die attributionale Konzeption, wie sie von Heider etwa in der 'Psychologie der interpersonalen Beziehungen' (1958/1977) entwickelt worden ist, setzt nicht nur ein spezifisches Bedürfniskonzept, sondern auch eine bestimmte, bereits teilweise dargestellte wahrnehmungspsychologische Konzeption voraus. Um mit unseren Reinterpretationsversuchen weiter zu kommen, müssen wir nun das schon erwähnte Verhältnis dieser Wahrnehmungstheorie zur Gestaltpsychologie aufgreifen, das - wie gesagt - zunächst dadurch gekennzeichnet erscheint, daß Heider einerseits einige der gestaltpsychologischen Vorstellungen und Konzepte heranzieht, aber andererseits etwa mit dem Einbezug eines Bedürfniskonzepts und der Fassung von Wahrnehmung als aktivem und vorstellungsvermitteltem Prozeß der vom Subjekt aus vollzogenen Rekonstruktion im Bewußtsein gerade die gestaltpsychologische Auffassung von Wahrnehmimg als autochthonen Prozeß überschreitet. Diese Klärung erweist sich aber nicht nur bezüglich Heiders Konzeption selbst als notwendig. Auch für die landläufige Rezeption der Heiderschen Auffassungen besteht dieser Klärungsbedarf schon darum, weil darin gemeinhin davon ausgegangen wird (vgl. etwa Irle, 1975, Herkner, 1978 und Heckhausen, 1980), es handele sich hier um ein gestaltpsychologisch fundiertes Konzept. Aus Darstellungsgründen erscheint es allerdings an dieser Stelle zunächst notwendig, das gestaltpsychologische Wahrnehmungskonzept selbst und dessen empirisch-experimentelle Orientierung in der Form eines Exkurses auf die damit verbundenen Erkenntnisgrenzen hin zu analysieren. Erst im Anschluß daran können die verschiedenen Anknüpfungspunkte und konzeptionellen Differenzen zwischen der Gestaltpsychologie und dem Heiderschen Ansatz angemessen bestimmt und begründet werden.

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4.3.1. Exkurs: Explikation und Kritik der theoretischen und methodischen Verkürzungen gestaltpsychologisch fundierter Analysen des Wahrnehmungsprozesses vom Standpunkt der Kritischen Psychologie Betrachtet man die theoretischen Konzeptionen menschlicher Wahrnehmung, wie sie von Vertretern der Gestaltpsychologie (vgl. etwa Wertheimer 1939) vorgelegt worden sind, so muß man sich zunächst vergegenwärtigen, daß diesen zwei wesentliche Gedanken zugrunde gelegt wurden: Gestaltpsychologische Überlegungen und Konzeptionen sind zum einen grundsätzlich gegen die etwa von Wundt (1908), Müller (1923) und Bussini (1904) vertretenen verschiedenen Vorstellungen eines atomistisch aufgegliederten Wahrnehmungsfeldes in einzelne und unabhängige Wahrnehmungselemente gerichtet. Dieser Aufgliederung wird ein mehr oder minder entwickeltes autochthones Bedeutungskonzept (der Organisation des Wahrnehmungsfeldes) entgegengestellt, das als Grundlage des Wahrnehmungsprozesses angesehen wird. Bedeutungen werden demnach - im Gegensatz zu dem von der Kritischen Psychologie vorgelegten Bedeutungsbegriff - allerdings nicht als subjektives Konzept, sondern als wesentlicher Aspekt der gestaltartigen Gegliedertheit der Wahrnehmungswelt aufgefaßt, die sich dem Wahrnehmungssubjekt »^unwiderstehlich und selbstverständlich aufdrängen, so daß wir andere Unterteilungsmöglichkeiten in der Regel ganz vergessen" (Metzger, 1986, 331). Zum anderen gehen die Gestaltpsychologen aber auch davon aus, daß die allgemeine Struktur menschlicher Wahrnehmungstätigkeit durch die Analyse empirisch-experimentell erzeugter Abweichungen und systematischer Fehler bei der Rezeption von Wahrnehmungsgegenständen zugänglich gemacht werden kann (vgl. Petermann, 1931). Entsprechend sind von ihnen solche experimentellen Situationen hergestellt worden, in denen sich mittels künstlich hergestellter metrisch-figuraler Wahrnehmungsgegenstände und geometrischer Konfigurationen Wahrnehmungsverzerrungen und -fehler provozieren lassen, um darüber zu allgemeineren Ausagen über die Strukturen und Prozesse menschlicher Wahrnehmungstätigkeit zu gelangen. Vorausgesetzt ist mit dieser methodisch-experimentellen Operaüonalisierung von Wahrnehmungsprozessen allerdings ein theoretisches Konzept von Wahrnehmungstätigkeit, durch das die Wahrnehmung figürlicher Darstellungen mit der Wahrnehmung von Gegenstandsbedeutungen eben-

98 so wie mit der Realisierung gesellschaftlich-hergestellter Bedeutungsstrukturen strukturell gleichgesetzt wird. In einem Vortrag über die 'Anfänge der Gestaltpsychologie* beschreibt Köhler (1971, 25f) das Verhältnis der Gestaltpsychologen zum damaligen psychologischen mainstream und das Forschungsinteresse der Gestaltpsychologen entsprechend: „Fast von Anfang an gingen ihre Forschungen in eine Richtung, die die meisten anderen Psychologen nicht billigten. Die Art, in der die Gestaltpsychologen vorgingen, schien ihnen unvereinbar mit einem Grundprinzip von Wissenschaftlichkeit. Eine junge Wissenschaft, meinte man, müsse zuerst die einfachsten Fakten auf ihrem Gebiet in Betracht ziehen. Sobald diese bekannt sind, dürfe sich der Wissenschaftler allmählich komplizierteren Verhältnissen zuwenden und erforschen, wie sie als Kombination der einfachen, schon bekannten Elemente verstanden werden können. [...] Die frühen Gestaltpsychologen kümmerten sich nicht um diese Regel. Sie schlugen einen anderen Weg ein, weil sie nicht an jenen 'einfachen Elementen\ den sogenannten lokalen Empfindungen bzw. 'Einzelreizen' (local sensations) interessiert waren". Aufgrund dieser forschungsstrategisch gegen die Elementenpsychologie gerichteten Orientierung, Wahrnehmung unter der Perspektive der Zusammenhangswahrnehmung etwa von Figur und Grund zu betrachten, wurden den Vpn gestaltpsychologischer Wahrnehmungsexperimente Informationen über Sachverhalts- und Wahrnehmungszusammenhänge zugänglich gemacht, durch die figural-gegenständliche Einheiten identifiziert und als geschlossene Figurationen vor einem Hintergrund herausgehoben werden können. Ausgespart bleiben in derartigen Settings indes alle diejenigen Aspekte menschlich-gesellschaftlicher Wahrnehmungstätigkeit, in denen es um die Aufschließung/Erkenntnis der nurmehr als interessenvermittelt zu begreifenden gesellschaftlich-individuellen Struktur-, Funktions- und Begründungszusammenhänge geht, deren Untersuchung es notwendig machen würde, die experimentellen Anordnungen und die Rezeption figuralgegenständlicher Sachverhalte in Richtung auf die Wahrnehmung/Erkenntnis gesellschaftlich-sozialer und lebensweltlich-konkreter Welttatbestände zu überschreiten4.

4 Diese damit angesprochen Probleme lassen sich auch durch den etwa von Metzger (1986) einbezogenen Bedeutungsbegriff so lange nicht verringern, wie der Wahrnehmungsprozeß selbst nicht vom Standpunkt des Wahrnehmungssubjekts und Bedeutungen entsprechend nicht als subjektives Konzept der Weltbezogenheit aufgefaßt werden, sondern Wahrnehmung

99 Innerhalb solcher auf figürliche Wahrnehmungsgegenstände reduzierten Wahrnehmungsexperimente lassen sich Wahrnehmungsprozesse also überhaupt nur in Abstraktion von ihrer realen Eingebundenheit in die für die Wahrnehmungssubjekte relevanten Lebens- und Handlungszusammenhänge untersuchen. Dies aber hat zur Konsequenz, daß alle diejenigen unzweifelhaft zur menschlichen Wahrnehmungstätigkeit gehörenden Aspekte der Erfassung übergreifender gesellschaftlicher Verweisungszusammenhänge, die sich nicht aus den Wahrnehmungsgegenständen, sondern erst aus den vom Subjektstandpunkt konstituierten Bedeutungs- und Begründungszusammenhängen ergeben, innerhalb der gestaltpsychologischen Wahrnehmungsexperimente weder beobachtet noch theoretisch reflektiert werden können. Dabei sind es gerade diejenigen wahrnehmungsvermittelten Synthetisierungsleistungen von gesellschaftlich-sozialen Bedeutungsstrukturen, die aufgrund der von der Kritischen Psychologie herausgearbeiteten kategorialen Fassung der Wahrnehmungstätigkeit als Aspekt der gesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Existenz zur Spezifik und Besonderheit menschlicher Wahrnehmungs- und Erkenntnisleistung gezählt werden müssen. Mit der Herstellung dieser von jedweden übergreifenden Bedeutungs- und Begründungszusammenhängen entkleideten Wahrnehmungssituationen bleiben nicht nur der Standpunkt, von dem aus sich die Wahrnehmimg der Subjekte tatsächlich vollzieht, sondern auch so zentrale Aspekte wie die intentionale Gerichtetheit der Wahrnehmungs-/Erkenntnistätigkeit sowohl methodisch als auch theoretisch unerfaßt. Über diese hier zunächst rein formal-methodisch begründete Kritik gestaltpsychologischer Wahrnehmungskonzeptionen hinaus bleibt es jedoch notwendig, sowohl die inhaltlich-theoretischen Konzeptionen, als auch die aus dieser Perspektive vollzogenen Wahrnehmungsexperimente sowie die dabei gewonnenen empirisch-experimentellen Resultate einer kritischen Sichtung zu unterziehen und danach zu fragen, ob und inwieweit sich diese auf die hier geltend gemachte kategoriale Konzeption menschlicher Wahrnehmungstätigkeit (vgl. dazu Holzkamp, 1983) beziehen lassen. Dazu muß man sich vergegenwärtigen, daß die im Zuge der phylogenetischen Entwicklung von einer unspezifischen Reizbarkeit/Sensibilität hin zur Entwicklung der Wahrnehmungsfähigkeit als Realisierung gesellschaftlich hergestellter und mit dem gesamtgesellschaftlichen Verweisungszusammenhang vermittelter Bedeutungszusammenhänge herauszuhebenden also autochthon und Bedeutungen als die sich dem Wahrnehmungssubjekt vom Gegenstand her 'aufdrängende' Strukturierung der Wahrnehmungswelt interpretiert werden.

100 Funktionsebenen nicht 'verschwinden', wenn sich neuere und gewissermaßen 'höhere' Funktionsebenen der Wahrnehmungsfähigkeit entwickeln, sondern vielmehr als unspezifische Aspekte des Wahrnehmungsprozesses fortbestehen. Diese werden innerhalb der menschlichen Wahrnehmungs/Erkenntnistätigkeit immer dann bestimmend, wenn sich das Wahrnehmungssubjekt in Zusammenhängen zu orientieren sucht, in denen die zugänglichen Informationen auf diese nurmehr unspezifischen Dimensionen reduziert sind. Daraus ergibt sich, daß solange einem Wahrnehmungssubjekt der Zugang zu den dazu notwendigen inhaltlichen Informations- und Verweisimgszusammenhängen des Wahrnehmungszusammenhangs in seinen sachlich-sozialen Aspekten verschlossen oder verwehrt bleibt, nurmehr die Möglichkeit zur anschaulichen Weltaufschließung verbleibt, wie sie bereits auf 'niederer' Funktionsebene der Aussonderung/Identifizierung bestanden hat und bei der allein die 'augenscheinlichen' und figural-gegenständlichen Dimensionen der fraglichen Welttatbestände herausgehoben und zur Grundlage darauf bezogener Zusammenhangsvermutungen gemacht werden können (vgl. dazu Holzkamp, 1973). Für die Aufarbeitung und kritische Sichtung gestaltpsychologisch fundierter Wahrnehmungsexperimente ergibt sich daraus, daß sich deren relativer Erkenntnisgehalt nur dann und zwar in dem Maße aufschließen läßt, wenn bzw. wie diese auf Situationen bezogen werden, in denen sich das Wahrnehmungssubjekt tatsächlich mit einer derart zu beschreibenden reduzierten Informationslage konfrontiert sieht. Mit dieser Perspektive auf gestaltpsychologische Wahrnehmungsexperimente lassen sich deren Resultate gleichsam als Versuch der Rekonstruktion und Spezifikation besonderer Prämissenlagen reformulieren, die von den Vpn realisiert werden müssen, um die von den Versuchsleitern gesetzten Bedeutungszusammenhänge von den Subjekten zu Prämissen ihrer Handlungsbegründungen (hier der wahrnehmungsmäßigen Aussonderung/Identifizierung) zu machen. Mit einer solchen inhaltlich-theoretischen Reformulierung gestaltpsychologischer Wahrnehmungsexperimente und im Zuge der Explikation der darin hergestellten Anordnungen als implizite Wahrnehmungsprämissen müßte sich also über die Zurückweisung des zunächst behaupteten universalistischen Geltungsanspruchs gleichwohl ein relativer Geltungsbereich bestimmen lassen, der für diejenigen Wahrnehmungsphänomene angenommen werden kann, in denen sich das Wahrnehmungssubjekt tatsächlich mit vergleichbaren Wahrnehmungsprämissen konfrontiert sieht. Damit aber erweisen sich

101 die wahrnehmungspsychologische Bedeutung gestaltpsychologischer Befunde sowie die darin beobachteten quasi 'zwingenden' Wahrnehmungseindrücke als eben an solche Wahrnehmungssituationen gebunden, in denen von den Wahrnehmungssubjekten vergleichbare Prämissen realisiert werden. Anders formuliert: Für die gestaltpsychologischen Konzepte zur Theoretisierung von Phänomenen der Wahrnehmung ist der Geltungsbereich an die Existenz derart zu spezifizierender Prämissen gebunden. Unbeschadet der damit entwickelten reinterpretativen Bezugnahme auf gestaltpsychologische Vorstellungen bleibt jedoch die grundsätzlichere Kritik an der darin zugrunde gelegten autochthonen Fassung der Wahrnehmung bestehen, die auch für die sog. 'niederen' Funktionsebenen der Wahrnehmungstätigkeit geltend zu machen ist (vgl. dazu H.-Osterkamp, 1975). Mit dieser Explikation läßt sich nun (in quasi 'umgekehrter' Argumentationsrichtung) feststellen, daß dann und sofern eben gerade dieser unspezifische und auf bloß oberflächliche Gegenstandswahrnehmung bezogene Teilaspekt menschlicher Wahrnehmungstätigkeit experimentell provoziert und empirisch untersucht werden soll, eine experimentelle Anordnung hergestellt werden muß, in der die von den Vpn potentiell als Handlungs/Begründungsprämissen heranzuziehenden Informationen derartig beschränkt werden können, daß die wahrzunehmenden Bedeutungszusammenhänge tatsächlich allein in ihrer oberflächlich-stofflichen Beschaffenheit erfahren werden können. Damit aber sind wahrnehmungsbezogene Sondersituationen konstituiert, die unter Bezug auf andere Forschungsfragen zwar interessant sein mögen (eben weil sie einen Zugang zur Funktionsweise unspezifischer Teilprozesse der menschlichen Wahrnehmungstätigkeit zu eröffnen in der Lage sind, durch die etwa die von der Gestaltpsychologie auch formulierten Prinzipien der Übergeneralisierung und Überverdeutlichung etc. weitergehend untersucht werden können): Indem sie aber als Sondersituationen menschlich-gesellschaftlicher Wahrnehmungstätigkeit identifiziert werden müssen, können sie nicht als empirisch-experimentelle Basis auf die Struktur des Gesamtprozesses von Wahrnehmungstätigkeit hin verallgemeinert werden5. ^ Eine andere Möglichkeit bestände ggf. darin, eine Anordnung zu schaffen, durch die sichergestellt werden könnte, daß die Vpn quasi 'freiwillig' aus dem Gesamt des wahrnehmungsmöglichen Bedeutungszusammenhangs nur diejenigen Dimensionen als Prämissen herauszugliedern bereit wären, die als figürlich-gegenständliche Aspekte erfahrbar werden. Darauf aufbauende weitergehende Untersuchungen müßten aber überprüfen, ob die Wahrneh-

102 Bezieht man nun aber die von der Kritischen Psychologie explizierten kategorialen Dimensionen, die einer adäquaten theoretischen Abbildung von Wahrnehmungsprozessen zugrunde gelegt werden müssen, auf die hier in Frage stehende Theoretisierung des Wahrnehmungsprozesses, ergibt sich, daß die reale Bedeutungshaftigkeit von Lebensumständen nicht aus ihrer naturhaften oder anschaulichen Gegebenheit heraus erfaßt werden kann, sondern erst über den gesamtgesellschaftlichen Verweisungszusammenhang und die intentionale Bezogenheit der Wahrnehmungssubjekte auf diesen zugänglich wird. Subjektive Bedeutungskonstellationen müssen demnach bereits als die auf die je spezifischen Lebensinteressen hin bezogenen 'Ausschnitte' aus dem Gesamt gesellschaftlicher Handlungsmöglichkeiten aufgefaßt werden, deren Erfassung und ggf. praktische Umsetzung sich nicht aus den Wahrnehmungsgegenständen selbst ergibt, sondern die an die mit dem Subjektstandpunkt gegebene Perspektive auf das Wahrnehmungsgesamt gebunden ist. Weder die anschauliche Konkretheit noch das stofflich-figürliche So-Sein der Wahrnehmungsgegenstände bzw. die darin vergegenständlichten verallgemeinerten Intentionen und Zwecke bestimmen allein, welche Momente des Wahrnehmungsgesamts von den Subjekten tatsächlich herausgehoben, als bedeutungsvoll erfaßt und erfahren werden und daher im Bewußtsein in ihren Zusammenhängen repräsentiert werden. Dies aber hat zur Konsequenz, daß die Transformation von Wahrnehmbarem in Wahrgenommenes, dessen Strukturierung im Bewußtmungssubjekte in derart konstruierten Wahrnehmungssituationen nicht ebenfalls (und prinzipiell) zunächst wahrzunehmen versuchen, ob der Versuchsleiter bei der Herstellung dieser vorliegenden Wahrnehmungssituation tatsächlich nichts anderes als die Figurenwahrnehmung intendiert hatte, so daß eine 'intentionsgemäße' Aufschließung des Wahrnehmungsgegenstandes in diesem Fall gerade und nur in der Wahrnehmung seiner gegenständlich-figuralen Dimensionen bestehen kann. Es macht nämlich einen wesentlichen Unterschied, ob übergreifende Zusammenhänge im Wahrnehmungsprozeß außer acht gelassen werden, oder ob von möglichen anderen, vom Wahrnehmungszusammenhang her prinzipiell noch anzunehmenden Zwecksetzungen konventionsgemäß und damit gerade bewußt abgesehen wird. Ein solcher Fall könnte beispielsweise darin gesehen werden, daß die Nutzung einer Metallplastik als Schlagwerkzeug, wiewohl in einigen Fälle zweifelsfrei vorstellbar, gerade erst und nur unter Bezug auf die mit der Plastik intendierte Dimension der Anschaulichkeit als Verkennung des darin vergegenständlichten Zwecks bloßer 'Figürlichkeit' erkennbar wird. Grundsätzlich gilt es aber zu bedenken, daß der damit thematisierbare unspezifische Teilaspekt menschlicher Wahrnehmungstätigkeit nur eine sehr untergeordnete Rolle bei der subjekthaft-aktiven Aufschließung gesellschaftlicher Bedeutungs- und Verweisungszusammenhänge als gesellschaftlich-individuelle Handlungsmöglichkeiten spielt und nur in Wahrnehmungssituationen noch angemessene Verarbeitungsformen von Wirklichkeitsdimensionen zu eröffnen in der Lage ist, in denen der gesamtgesellschaftliche Verweisungszusammenhang selbst nur eine unspezifischüberformende Bedeutung besitzt

103 sein, aber auch die darauf gegründeten Handlungsvollzüge erst und allein vom Standpunkt und unter Einbezug der Intentionen der Wahrnehmungssubjekte aufgeschlossen werden können, welche selbst wiederum als in der Prämissenlage der Wahrnehmungssubjekte begründet rekonstruiert werden müssen. Diese damit entwickelte kategorial gegründete Vorstellung, entsprechend derer Wahrnehmung nur vom Subjekt, genauer vom Subjektstandpunkt und gerade nicht vom Wahrnehmungsobjekt aus konzeptualisiert werden kann, steht nun aber in krassem Widerspruch zu allen denjenigen Positionen, die den Wahrnehmungsprozeß vom Wzhmehmungsgegenstand, vom Objekt her aufzuschließen versuchen. Diese Vorstellung der 'reizabhängigen' Bestimmtheit des Wahrnehmungsprozesses ist nun nicht allein von der Elementenpsychologie formuliert worden, sondern ist auch mit der autochthonen Bestimmtheit der Wahrnehmung von der Gestaltpsychologie zumindest unkritisch übernommen worden. Damit aber verbleibt der von der Gestaltpsychologie vorgetragene Antielementarismus allein auf die Kritik der von der Elementenpsychologie vorgeschlagenen Zerlegung des WahrnehmungsObjekts in einzeln wahrgenommene Elemente und auf die Zurückweisung einer Punkt-für-Punkt-Zuordnung von Wahrnehmungselementen beschränkt, ohne gegen die vom Elementarismus vorgetragene fundamentale Forschungsperspektive Opposition zu machen: Mit der von der Gestaltpsychologie behaupteten Gestaltqualität des Wahrnehmungsobjekts bleibt das von ihr geltend gemachte Konzept der Gestaltwahrnehmung allein an die Spezifik der objektiven Reizkonfiguration gebunden, womit der Versuch des gestaltpsychologischen Gegenentwurfs der elementenpsychologischen Vorstellung, Wahrnehmung vom Objekt aus zu konzeptualisieren, verhaftet bleibt und also nicht eigentlich als paradigmatische Kritik und konzeptionelle Alternative zur Elementenpsychologie und ihrem Gegenstandsverständnis gelesen werden kann. Unabhängig von der Kontroverse, ob es die Elemente oder die spezifische Reizkonfiguration des Wahrnehmungsobjekts sind, die den Wahrnehmungsprozeß strukturieren: In beiden Fällen ist es der Gegenstand, von dem aus das Abbild im Bewußtsein konstituiert wird, und nicht das Subjekt, das im Vollzug der Wahrnehmung eine von seinem Standpunkt aus begründete und nur von dort aus zu rekonstruierende Synthetisierungsleistung subjektiv bedeutsamer Welttatbestände vollbringt.

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4.3.2. Die Reformulierung gestaltpsychologischer Wahrnehmungskonzeption innerhalb der Heiderschen Konzeption und deren kategoriale Kritik Entsprechend der 'üblichen Lesart' wird der Heiderschen Konzeption stets ein gestaltpsychologisches Fundament schon darum unterstellt, weil Heider in den zwanziger Jahren bei Wertheimer, Köhler und Koffka in Berlin studierte und sich unstrittig Parallelen und Korrespondenzen zwischen den jeweiligen Positionen aufweisen lassen. Dennoch läßt sich, wenn man das Verhältnis der Heiderschen Konzeption zu Positionen der Gestaltpsychologie näher betrachtet, feststellen, daß diese zunächst naheliegende Zuordnung unter Bezug auf viele dabei herauszuarbeitende Einzelaspekte zumindest brüchig ist: Zwar steht man auch nach einer kritischen Sichtung des von Heider gelieferten konzeptionellen Materials zunächst vor dem Phänomen, daß darin in sehr verschiedener Weise auf Aspekte und Überlegungen gestaltpsychologischer Provenienz zurückgegriffen wird. So verweist Heider etwa zur Begründung seiner Konzeption der 'phänomenalen Kausalität' auf die von Wertheimer (1939) beschriebenen 'einheitbildenden Faktoren'. Indem jedoch Wahrnehmung als Prozeß der aktiven Rekonstruktion des Wahrnehmungsgegenstandes im Bewußtsein expliziert und vor diesem Hintergrund die Wahrnehmung bereits als Attribution aufgefaßt wird, kann Wahrnehmung gar nicht anders, denn als theoriengeleitete Rekonstruktion des Wahrnehmungsgegenstandes im Bewußtsein verstanden werden. In dieser Fassung wird das Wahrnehmungssubjekt mit seinen Perspektiven und Intentionen also an zentraler Stelle einbezogen. Darüber hinaus lassen sich ein so verstandener Rekonstruktionsprozeß wie auch dessen Resultate selbst nur wieder auf Grundlage und unter Einbezug historisch-bestimmter gesellschaftlicher Denkformen analysieren und begreifen, was als weiteres Argument gegen eine einfache Identifikation der Heiderschen Konzeptionen mit gestaltpsychologischer Theorienbildung angesehen werden kann. Mit dem Einbezug historisch-bestimmter gesellschaftlicher Denkformen muß nämlich die für die gestaltpsychologische Konzeption herausgearbeitete Vorstellung der unhistorischgesetzesartigen Begründung der Einheits- und Strukturbildungsprozesse innerhalb der Wahrnehmimg gesprengt werden. An dieser Stelle gilt es also zu prüfen, ob und wie bei den von Heider hergestellten konzeptionellen Verweisen und Bezügen zur Gestaltpsychologie u.U. bereits selbst Reformulierungen gestaltpsychologischer Aussagenzusammenhänge vollzogen

105 wurden, so daß auf dieser Grundlage ggf. ganz andere Dimensionen des Wahrnehmungsprozesses erfaßt werden können. Macht man sich klar, daß Heider die menschliche Wahrnehmung als Wahrnehmung sachlich-sozialer Aspekte des subjektiven Lebensvollzugs unter Bezug auf die Balancetheorie zu konzeptualisieren versucht und daß (wie in Kapitel 4.2. aufgewiesen) die Balancetheorie selbst nur als dynamisch-motivationale Theorie begriffen werden kann, ist mit deren Einbezug als Metatheorie bereits eine dynamische Komponente in den Wahrnehmungsprozeß eingeführt, die von der Gestaltpsychologie theoretisch nicht abgebildet werden kann. Im Zuge der hier zu vollziehenden Aufarbeitung muß also die Frage geprüft werden, welche inhaltlich-konzeptionellen Konsequenzen sich aus der von Heider vollzogenen Dynamisierung der Wahrnehmungstheorie etwa auch für gestaltpsychologische Positionen und deren empirisch-experimentelle Befunde ergeben. Vor dem Hintergrund einer dynamisch-motivational fundierten Wahrnehmungstheorie müssen Positionen revidiert werden, die sich innerhalb der Gestaltpsychologie gerade als ansatzbegründende Konzeptionen erwiesen: So ergibt sich etwa aus dem Bezug auf Balancetheorie, daß die Prozesse der Wahrnehmung und Ursachenzuschreibung erst unter Bezug auf das von den Wahrnehmungssubjekten hergestellte und damit jeweils spezifische intentionale Verhältnis zum Wahrnehmungsgegenstand bestimmt werden und die Art und Weise der Wahrnehmung nicht allein aus dem Verhältnis des Wahrnehmungsgegenstandes zu dessen situationalem Kontext bestimmt werden kann. Vielmehr entsteht die für die Wahrnehmungssubjekte bedeutsame kontextuelle Eingebundenheit von Wahrnehmungsgegenständen erst aus den jeweiligen darauf bezogenen Intentionen des Subjekts, durch die dessen lebensweltlicher Wahrnehmungszusammenhang erst begreiflich wird. Damit aber muß zugleich die gestaltpsychologische Grundvoraussetzung aufgegeben werden, nach der Wahrnehmung durch die Reizsituation strukturiert wird. Gerade weil die Rezeptionsweise eines Sachverhalts nicht allein mit der raum-zeitlichen Position des Wahrnehmungssubjekts zum Wahrnehmungsgegenstand begründet werden kann, sondern weil sich das Subjekt selbst in ein dynamisch-motivational begründetes Verhältnis zum Wahrnehmungsgegenstand setzt, lassen sich die subjektiven Bedeutungen als die für das Subjekt wesentlichen Dimensionen und Merkmale des Wahrnehmungszusammenhangs nicht formal und ohne den Einbezug der je konkreten Bedürfnisse und Intentionen des Subjekts begreifen. Würde man demgegenüber annehmen, daß die konzeptio-

106 nellen Überlegungen von Heider tatsächlich 'Übertragungen' inhaltlichtheoretischer Positionen der Gestaltpsychologie auf die Prozesse der sozialen Wahrnehmung darstellten, würde vorausgesetzt, daß die Funktionsebene figuraler Wahrnehmung bereits diejenigen Dimensionen enthalte, mit denen die entwickelte Form intersubjektiv-sozialer und menschlich-gesellschaftlicher Wahrnehmungstätigkeit beschrieben werden könnte. Damit sind zunächst einige Anhaltspunkte dafür expliziert, daß die Gestaltpsychologie nicht als wahrnehmungspsychologisches 4 Fundament' der Heiderschen Konzeption begriffen werden kann, sondern daß gestaltpsychologische Annahmen von Heider selbst vielmehr reformuliert worden sind, ohne daß dies jedoch explizit auf den Begriff gebracht worden wäre. Warum sich innerhalb der Heiderschen Arbeiten keine dezidierten Abgrenzungen, Kritiken und Reinterpretationsbemühungen gestaltpsychologischer Aussagenzusammenhänge finden lassen, läßt sich vor dem Hintergrund der bisherigen Aufarbeitung wohl nur unter Verweis auf die seinerzeit geführten interdisziplinären Kontroversen zwischen Elementarismus und Assoziationspsychologie einerseits und antielementaristischen Konzeptionen andererseits erklären (dazu Petermann, 1931), in der von der Gestaltpsychologie gewichtige Argumente gegen die elemetaristische Sicht etwa des Wahrnehmungsprozesses geliefert wurden, so daß die vielfältigen von Heider angeführten Verweise auf Gestaltpsychologie und gestaltpsychologische Positionen u.U. nur als Ausdruck der gemeinsamen antielementaristischen Position verständlich werden, die sich als quasi strategische Äußerungen auf die damals bedeutsamen theoretischen Kontroversen beziehen. Für die hier zu vollziehende Aufarbeitung des Stellenwerts gestaltpsychologischer Überlegungen für die Heidersche Konzeption attributionaler Prozesse und deren wahrnehmungspsychologischer Grundlagen muß man sich nun zunächst drei bereits herausgearbeitete Aspekte vergegenwärtigen: Zum einen konnte für die gestaltpsychologische Wahrnehmungskonzeption gezeigt werden, daß damit nurmehr unspezifische Teilaspekte von menschlicher Wahrnehmungstätigkeit thematisiert werden können, die sich nur in solchen Wahrnehmungszusammenhängen als bestimmend erweisen, in denen sich das Wahrnehmungssubjekt mit einer derart reduzierten Wahrnehmungslage konfrontiert sieht, daß die für den eigenen Lebensvollzug relevanten Dimensionen nur in ihrer figürlich-gegenständlichen Anschaulichkeit zugänglich erscheinen. Dabei konnte festgestellt werden, daß gestaltpsychologisch formulierte Aussagen und deren ' Gestaltgesetze \

107 sofern sie tatsächlich auf derartige Wahrnehmungssituationen beschränkt werden, darin einen empirischen Geltungsanspruch zu begründen vermögen: In Situationen, in denen die verfügbare Information auf die bloße Anschaulichkeit bedeutungsvoller Aspekte des je eigenen Lebensvollzugs beschränkt bleibt, bleiben auch die verfügbaren Orientierungsmöglichkeiten allein auf die Ausgliederung/Identifizierung solcher figuraler Vordergründigkeiten beschränkt, wie sie etwa in gestaltpsychologischen Wahrnehmungsexperimenten veranschaulicht werden konnten. Als zweites muß man sich vergegenwärtigen, daß die unstreitbar in gestaltpsychologischer Tradition stehenden 'einheitbildenden Faktoren' Wertheimers (Nähe, Ähnlichkeit und zeitlichen Koinzidenz) von Heider zwar zum Aufweis der kontextuellen Eingebundenheit des Wahrnehmungsprozesses, hingegen die Gestaltgesetze in ihren inhaltlichen Spezifizierungen weder für die Prozesse der Genese kausaler Zusammenhangsvorstellungen und Handlungserklärungen noch für die Konzeptualisierung der sozialen Wahrnehmung aufgegriffen wurden. Darüber hinaus muß man sich zum dritten klarmachen, daß Heider gewissermaßen selbst mit der gewählten forschungsstrategischen Konzeption die Analyse des Wahrnehmungsprozesses sowie der Zuschreibungsprozesse von Ursachen und Eigenschaften auf Situationen beschränkt hat, in denen wesentliche Dimensionen des Sachverhalts oder des Zusammenhangs für die wahrnehmenden respektive zuschreibenden Subjekte aktuell undurchschaubar, unstrukturiert und unverfügbar erscheinen. Damit aber ist - zumindest solange keine theoretische Begründung erbracht worden ist, durch die solche Wahrnehmungskonstellationen mit Wahrnehmungssituationen allgemein vermittelt werden können - auch der Geltungsbereich der in diesem Rahmen vollzogenen Analysen von vornherein an den Bestand so zu charakterisierender Wahrnehmungszusammenhänge gebunden und also nicht situationsübergreifend zu generalisieren. In den damit beschriebenen Wahrnehmungssituationen, in denen für das Subjekt eine Art zwingender 'Vereindeutigungsdruck9 zur Rückführung erfahrener Veränderlichkeiten auf überschaubare und stabile Aspekte bestehen kann, der für das Subjekt - eben phänomenal - tatsächlich eine Art 'Bedürfnischarakter' gewinnen mag, erscheinen die sog. 'einheitbildenden Faktoren* als mögliche Beispiele der den Subjekten verfügbaren Strukturierungsgesichtspunkte der in ihren wesentlichen Dimensionen undurchschaubar bleibenden Handlungszusammenhänge. Damit aber lassen sich diese 4einheitbildenden Faktoren9 als Aspekt der zu erklärenden Sachver-

108 halte aus der Sicht des Subjekts und nicht als Aspekt der Wahrnehmungsorganisation der Subjekte auffassen und sind als die in spezifischen Wahrnehmungssituationen ggf. einzig verfügbaren Dimensionen der Sachverhaltsaufschließung und Zusammenhangskonstruktion zu reformulieren. Dies aber bedeutet, daß derartige Zusammenhangsaufschließungen nur dann weitergehend rekonstruiert und in ihrer Funktion für die Subjekte reflektiert werden können, wenn eben der Wahrnehmungszusammenhang selbst in seiner Bedeutung für das Wahrnehmungssubjekt mit zum Gegenstand der Analyse gemacht wird. Damit ist nun nicht weniger festgestellt, als daß inhaltliche Aussagen und Konzeptionen aus gestaltpsychologischen Wahrnehmungsexperimenten durch die Heidersche Konzeption selbst faktisch dahingehend reformuliert worden sind, daß sie nicht mehr als Gestaltgesetze und inhaltlich formulierte Strukturierungsaspekte aufgefaßt werden können, sondern statt dessen eben auf einen sich aus dem Gesamt der Wahrnehmungssituation ergebenden Vereindeutigungsdruck zurückgeführt werden müssen, durch den die wahrnehmungsmäßige Dominanz gerade verfügbarer Vordergründigkeiten erklärt werden kann. Dabei hängt es von der sachlichen Beschaffenheit der Wahrnehmungsgegenstände, wie sie sich in dynamischem Bezug des Subjekts zum Wahrnehmungsgegenstand selbst darstellen, ab, ob in der Wahrnehmungsausrichtung des Subjekts anschaulich-figurale gegenüber anderen Aspekten und Dimensionen des Wahrnehmungszusammenhangs akzentuiert und in den Vordergrund gestellt werden. Mit dieser Fassung ist also eine Reinterpretationsrichtung innerhalb des Heiderschen Konzepts selbst angelegt, in der die inhaltlichen Bestimmungen der ' Gestaltgesetze' als die sich aus dem intentionalen Bezug des Wahrnehmungssubjekts auf die Wahrnehmungssituation und den -gegenständ ergebende Dominanz der Vordergründigkeit aufgefaßt werden müssen und als solche in die Analysen von Wahrnehmungsprozessen einzubeziehen sind. Mit dieser Reinterpretation ließe sich auch begründen, daß die unter Bezug auf die in den Wahrnehmungsexperimenten thematisierten figürlich-gegenständlichen Wahrnehmungsdimensionen formulierten Gestaltgesetze gerade nicht als inhaltliche Spezifizierung allgemein-menschlicher Wahrnehmungstätigkeit begriffen werden können, sondern nurmehr als ein auf die Figurenwahrnehmung hin bezogenes, konkretisierend-veranschaulichendes Beispiel wahrnehmungsmäßiger Verarbeitung von Nahegelegtheiten, Vordergründigkeiten und sinnlicher Evidenz angesehen werden muß. Vor dem Hintergrund einer weiter differenzierteren reinterpretativen Be-

109 zugnahme auf einzelne gestaltpsychologische Aussagenzusammenhänge, die den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, müßte sich zeigen lassen, daß es von der Spezifik des jeweils bestehenden Vereindeutigungsdrucks sowie von der aktuellen Zugänglichkeit des Wahrnehmungszusammenhangs abhängt, welche Aspekte der jeweils vorliegenden sachlich-inhaltlichen Struktur als dominierende Ausschnitte eines Sachverhalts in den Vordergrund gedrängt werden und welche Dimensionen damit im je vorliegenden Fall vom Wahrnehmungssubjekt als irrelevant herausgesondert werden. Damit lassen sich auch die etwa von Wertheimer in den einschlägig konstruierten experimentellen Anordnungen lediglich nahegelegten 'einheitbildenden Faktoren' nurmehr als mögliche und veranschaulichende Beispiele des demgegenüber allgemeineren Satzes bestimmen, daß die Aussonderung/Identifizierung ebenso wie die Explikation von Zusammenhangsbegründungen in dem Maße sachlich-inhaltliche Vermittlungszusammenhänge und -schritte ausklammern muß, wie situational (ggf. experimentell konstruierte) verarmte Informations- und Prämissenlagen des Weltaufschlusses nicht überwunden werden können und somit die dem Subjekt bei seiner Wahrnehmungs- und Zusammenhangsbegründung allein zugänglichen, seine Wahrnehmungssituation strukturierenden Vordergründigkeiten zur Grundlage der Einheitsbildung herangezogen werden müssen. Damit aber stellen die Wertheimerschen (und darauf aufbauende) Experimente - zumindest unter dem Aspekt der inhaltlichen Konkretisierung der formulierten 'einheitbildenden Faktoren* - nicht mehr als beispielhafte Veranschaulichungen der damit beschriebenen rezeptiven Vereindeutigungsmöglichkeiten dar, ohne daß sich daraus Aussagen über die Bedeutung bzw. Verbreitung bestimmter, dabei wirksam werdener inhaltlicher Strukturierungsgesichtspunkte treffen oder begründen lassen. Die an derartigen Nahegelegtheiten orientierte Weltbegegnung sowie die sich darauf begründenden Relationsbildungen dürfen, wie aus dieser reinterpretativen Argumentation ersichtlich, entsprechend nicht als irgendwie geartete inhaltlich-differenzierende Aspekte personaler Wahrnehmungsfähigkeit mißverstanden werden. Vielmehr müssen sie als ggf. experimentell provozierte Realisierungen nahegelegter Wahrnehmungsurteile begriffen werden, die in besonderen Lebensumständen, in denen die Möglichkeit der inhaltlich-differenzierten Gegenstandserfassung für das Subjekt versperrt und verschlossen ist und auch die Überwindung dieser Erkenntnisbeschränkungen - indem sie ggf. selbst zum Gegenstand der Reflexion ge-

110 macht werden - vom Wahrnehmungssubjekt für aktuell unmöglich oder unnötig angesehen werden. Bezieht man die damit spezifizierte und gegenüber der Gestaltpsychologie abzugrenzende Konzeption der Heiderschen Auffassung von Wahrnehmung nun auf die von der Kritischen Psychologie herausgearbeiteten kategorialen Dimensionen der Wahrnehmungstätigkeit, so wird deutlich, daß auch innerhalb der Heiderschen Konzeption der Wahrnehmung gerade der für den wahrnehmungsvermittelten 'Weltbezug1 konstitutive Zusammenhang von Wahrnehmung und Handlung auseinandergerissen ist und Wahrnehmung trotz intentionaler Begründung ohne einen Begriff von Praxis zu fassen versucht wird. Wird aber Wahrnehmung allein als Anschauung und Beobachtung und nicht als die auf Erkenntnis von je bedeutungsvollen Welttatbeständen hin ausgerichtete und auf praktisch zu realisierenden Handlungsmöglichkeiten bezogene Form aktiver Weltbegegnung aufgefaßt, müssen gerade diejenigen Aspekte von Wahrnehmung unberücksichtigt bleiben, in denen Wahrnehmung als Aneignung und Auseinandersetzung individuell-gesellschaftlicher Lebenszusammenhänge praktische Konsequenzen zeitigt. Dabei ist es gerade der in der Wahrnehmungstätigkeit realisierte Bezug auf die je eigenen bedeutungsvollen Lebens- und Handlungszusammenhänge, aus denen sich sowohl für die Wahrnehmung als auch für die damit in Zusammenhang stehenden Wahrnehmungsurteile ein Kriterium und inhaltlich-praktisches Korrektiv ihrer Realitätsangemessenheit ergibt und begründet. Erst und allein unter Bezug auf die praktisch zu bewältigenden Lebens- und Handlungszusammenhänge erweist sich nämlich, ob sich die auf Wahrnehmung, Wahrnehmungsurteile und Zusammenhangsvorstellungen gegründete Sicht auf verfügbare Handlungsmöglichkeiten tatsächlich und praktisch bewährt, oder ob etwa die im Dienste der Widerspmchseliminierung stehende Verzerrung der Wirklichkeitssicht im Zuge des darauf gegründeten Handlungsvollzugs zu scheitern beginnt. Nach diesen Überlegungen sollen nun zunächst die unmittelbar auf die Heidersche Konzeption bezogenen inhaltlich-konzeptionellen Auseinandersetzungen abgeschlossen und soll die Entwicklung attributionaler Vorstellungen und Theorien hin zu ihrer Formalisierung und Empirisierung innerhalb anderer Ansätze rekonstruiert werden. Damit wird die ebenfalls innerhalb der Heiderschen Konzeption angesprochene Nutzung von personalen Eigenschaftskonzepten als Möglichkeit zur Erklärung von Handlungen wie auch die als prinzipiell zugrunde gelegte Vorstellung, Handlungs-

Ill erklärungen würden im Modus kausaler Zuschreibungen entwickelt, an anderer Stelle und erst nach einer Darstellung der verschiedenen, sich in unterschiedlicher Weise auf Heider beziehenden attributionstheoretischen Ansätze wieder aufgegriffen. Diese Darstellungsreihenfolge erscheint hier vor allem anderen darum sinnvoll, weil nicht nur die Vorstellung einer naiv-theoretischen Konzeptualisierung von Handlungserklärungen im Modus der Kausalität, sondern auch der quasi ontisch gedachte Rekurs auf Subjekteigenschaften zu den von attributionalen Konzeptionen weithin geteilten Grundvorstellungen gezählt werden muß, so daß ihre Darstellung und Kritik sinnvollerweise erst im Anschluß an die daraufhin bezogenen konzeptionellen und theoretischen Alternativen geleistet werden soll.

112

Kapitel 5

Weitergehende Konkretisierung, Formalisierung und Empirisierung attributionstheoretischer Konzeptionen und Hypothesen Vorbemerkung Innerhalb der sozialpsychologischen Diskussion und Theorienentwicklung sind die von Heider (1958) vorgelegten Überlegungen zu einer Analyse der von ihm so bezeichneten 'naiven Psychologie' erst 15 Jahre später systematisch aufgegriffen worden. Dabei wurden darauf aufbauende Konzeptionen entwickelt, die gegenüber den Heiderschen Überlegungen zunehmend variabilisiert, formalisiert und in empirisch quantifizierbare Hypothesen überführt worden sind. So läßt sich die Geschichte der sich auf attributionale Prozesse beziehenden sozialpsychologischen Diskussion, Hypothesen- und Theorienentwicklung als eine der Anknüpfung, Differenzierung und Revidierung der Heiderschen Konzeption schreiben, deren Einzug in die experimentell-statistisch arbeitende Sozialpsychologie jedoch erst im Anschluß an ihre Formalisierung durch Harold H. Kelley (1971a, 1973/1978) erfolgte. Innerhalb der Entwicklung attributionstheoretischer Konzeptionen haben diejenigen von Kelley (1967, 1971a) ebenso wie die von Jones & Davis (1965) in gewisser Weise noch eine Art Mittlerfunktion zwischen dem von Heider entwickelten Versuch der Begründung eines theoretischen Gesamtentwurfs und den daran anschließenden empirievermittelten Hypothesenspezifizierungen und damit einhergehenden konzeptionellen 'Zerfaserungen'. Betrachtet man nämlich die theoretischen Vorstellungen dieser Autoren vor dem Hintergrund der neueren attributionstheoretischen Diskussionen und attributionsbezogenen Einzeluntersuchungen, wird deutlich, daß beide Ansätze zwar etwa gegenüber der Konzeption von Heider einen Formalisierungsgrad aufweisen, durch den theoretische Positionen bereits in operationalisierten Dimensionen formuliert werden, gleichwohl wird der Anspruch erhoben, eine eigenständige Gesamtkonzeption zur Rekonstruktion der Genese und Struktur alltagstheoretischer Ereignis- und Hand-

113 lungserklärungen vorzulegen. Diese bereits innerhalb der hier aufzuarbeitenden Ansätze festzustellende Tendenz, die für die Heiderschen Sprachanalysen noch wesentliche lebensweltliche Konkretheit zugunsten einer experimentell-statistisch orientierten Empirisierung weithin aufzugeben und das Laborexperiment zum 4 Königs weg' wissenschaftlich-exakter Erkenntnisproduktion zu ernennen, bringt es mit sich, daß in der neueren Entwicklung nurmehr über diejenigen Aspekte Aussagen zu machen versucht wird, die im Labor operationalisiert werden können. So betreffen etwa Untersuchungen zur Akteur-Beobachter-Differenz (vgl. Jones & Nisbett, 1972) bzw. die des Einflusses des Bildungsniveaus auf die Tendenz personenbezogener Attribution (vgl. Eggers, 1987) zwar Fragen des attributionalen Prozesses, sie stellen sich aber schon von ihrem theoretischen Anspruch her nicht als konzeptionelle Entwürfe, sondern bestenfalls Versuche der Detaillierung attributionsbezogener Aspekte dar, die auch in ihrem Verhältnis zueinander noch weitgehend ungeklärt sind. Diese Entwicklung ist nach Wimmer (1983, 305) in der Gefahr, ,£ich von der menschlichen Lebenswelt um einer dem Gegenstand gegenüber unangemessenen Exaktheitsvorstellung willen zu lösen und sich im Labor immer artifizielleren Fragestellungen zu widmen, die nicht mehr lebensweltlich, sondern nur noch wissenschaftsimmanent und forschungsstrategisch motiviert sind und immer häufiger zu Artefakten führen, die sich allein der Laborsituation verdanken." Mit dieser Entwicklung zur immer weiterreichenden Formalisierung und Empirisierung attributionstheoretischer Überlegungen und Konzeptionen ist aber nicht nur eine methodische Neuorientierung vollzogen worden, bei der die Heidersche Analyse umgangssprachlicher Äußerungen zur Explikation impliziter semantischer Relationen zwischen den Konzepten der Alltagssprache durch experimentelle Hypothesenprüfung ersetzt worden ist: Mit der Popularisierung der von Heider eingeführten Thematik innerhalb der sozialpsychologischen Diskussion hat sich eine Verschiebung in der Funktion und Bedeutung der Analyse attributionaler Prozesse dahingehend eingestellt, daß nicht mehr - wie es noch zentrales Anliegen von Heider gewesen ist - die Thematisierung common-sense-psychologischer Konstrukte im Dienste eines besseren Verständnisses der Logik und Struktur zwischenmenschlicher Beziehungen im Mittelpunkt steht, sondern daß der attributionale Prozeß mit seiner 'Entdeckung' aus spezifischen Handlungszusammenhängen herausgelöst und entkontextualisiert als Abstraktum in wissenschaftlich-psychologischer Forschung Einzug gefunden hat. Dabei wurde das Studium common-sense-psychologischer Konstrukte von

114 Heider überhaupt nur darum verfolgt, um über die Analyse der im praktischen Handlungsvollzug entwickelten Vorstellungen der Subjekte über sich und andere Menschen zu einem angemesseneren Verständnis der Struktur und Begründungszusammenhänge menschlichen Verhaltens zu gelangen (vgl. Heider, 1958/1977, 14). Grundlage dieser von Heider verfolgten Analysen ist also die Vorstellung, man könne über die Explikation handlungsleitender Theorien und Konstrukte das Verhalten der Menschen besser bzw. überhaupt erst beschreiben und verstehen, womit die Kenntnis dieser impliziten Theorien als notwendige Bedingung für die Analyse konkreter Handlungs- und Bewältigungsversuche der Subjekte angesehen werden müsse. Die Analyse common-sense-psychologischer Konstrukte erweist sich vor diesem Hintergrund also als notwendiges Mittel, um zu einer angemesseneren Theorie des menschlichen Verhaltens im sozialen Kontext zu gelangen, dessen Analyse von Heider als eigentlicher Gegenstand von Psychologie und psychologischer Theorienbildung angesehen wird. In der neueren attributionstheoretischen Diskussion ist aber gerade diese inhaltliche und konzeptionelle Funktion zurückgedrängt worden, und es hat sich eine Art Partikularisierung attributionstheoretischer Fragestellungen eingestellt, in deren Folge die Bezüge zu anderen Aspekten und sozialpsychologischen Problemstellungen immer weiter in den Hintergrund gedrängt worden sind. Mit dieser Partikularisierung der attributionstheoretischen Fragestellungen innerhalb der akademische Psychologie einerseits und der dabei vollzogenen Subsumtion unter die herrschenden empirischexperimentellen Methodenvorstellungen andererseits wurde ein Forschungsprozeß eingeleitet, in dessen Verlauf die bei Heider noch erhaltene alltagssprachliche und lebensweltliche Konkretheit zugunsten einer immer unübersichtlicheren Sammlung sich teilweise widersprechender empirischer Befunde aufgegeben wurde, die mit verschiedensten Zusatzannahmen, Moderatorvariablen und Teilhypothesen immer weiter partialisiert worden sind: Die Attributionstheorie in ihrer gegenwärtigen Verfaßtheit präsentiert sich daher nicht mehr als ein systematisches Ganzes, woraus sich für deren Aufarbeitung die Notwendigkeit ergibt, zunächst diesen theoriengeschichtiichen Übergang von den Versuchen der Begründung attributionstheoretischer Gesamtentwürfe hin zu der aktuell sich nur unübersichtlich darstellenden Sammlung problem- und themenspezifizierter Annahmen nachzuzeichnen. Die Darstellung ist demgemäß nicht mehr entlang der Rekonstruktion von Ansätzen, sondern nurmehr entlang der Entwicklung der verschiedenen Problemdimensionen aufzubauen.

115 Damit sind Kontext und Position bestimmt, in denen sowohl die Konzeption von Kelley (1967,1971a) als auch die Theorie der korrespondierenden Inferenzen von Jones & Davis (1965) innerhalb der sozialpsychologischen Theorienentwicklung und innerhalb der hier vorgelegten Aufarbeitung stehen: Zunächst soll nun die von H.H. Kelley vorgelegte Formalisierung und Konzeptualisierung des Kovariationsprinzips und Konfigurationsprinzips dargestellt werden. Daran anschließend sollen die Überlegungen von Jones & Davis (1965) dahingehend aufgegriffen werden, daß diese als eine Art 'Unterkonzept' der Kelleyschen Überlegungen verständlich werden können. Diese Darstellungsreihenfolge erscheint in unserem Fragenzusammenhang insbesondere auch darum gerechtfertigt, weil sich das zentrale Anliegen der Theorie korrespondierender Inferenzen zunächst nicht als Rekonstruktion kausaler Zuschreibungen und kausaler Erklärungen begreifen läßt. Mit dieser theoriengeschichtlichen Einordnung der Kelleyschen Konzeption muß bei deren Aufarbeitung nun die Frage zugrundegelegt werden, inwieweit in ihr Vorstellungen über die Genese und Entwicklung ursachenbezogener Erklärungen von Wirkungen enthalten sind. Diese Frage ergibt sich schon daraus, daß Kelley (1973/1978, 212) den Anspruch formuliert, daß die Attributionstheorie in der Lage sei, Aussagen darüber zu treffen, „wie Menschen ursachenbezogene Erklärungen vornehmen, wie sie 'Warum-Fragen' beantworten". Entsprechend dieser Orientierung seiner attributionstheoretischen Konzeption auf die Produktion ursachenbezogener Erklärungen und Zusammenhangsannahmen müssen wir die Kelleysche Konzeption dahingehend analysieren, ob sie die Frage zu beantworten in der Lage ist, wie überhaupt derartige theoretische Vorstellungen entwickelt werden, mit denen die wahrgenommenen und erfahrenen Handlungen, Ereignisse und Sachverhalte von den Subjekten verstanden und in einen inhaltlichen Zusammenhang gebracht werden können. Sofern nämlich die Analyse sogenannter Alltagstheorien nicht zugleich auch eine Theorie der Produktion von Theorie darstellt, sofern eine Konzeption des Prozesses kausaler Schlußfolgerungen nicht zugleich auch Aussagen über die Möglichkeiten der Kritik, Revision und Weiterentwicklung zugrundegelegter Theorien trifft, muß unbegriffen bleiben, warum und in welcher Weise Kausalität als die theoretische Vermittlung zunächst unabhängiger Ereignisse überhaupt zu einem der grundlegendsten Konzepte der Genese handlungsbezogener Zusammenhangsvorstellungen hat werden können und ob bzw. welche konzeptionellen Alternativen zum Konzept der Kau-

116 salität unter Bezug auf die Analyse und Erklärung menschlicher Handlungen denkbar sind. Im Rahmen dieser Aufarbeitung attributionstheoretischer Konzeptionen soll darüber hinaus danach gefragt werden, ob und in welcher Weise durch die Konzeption von Kelley Fragen aufgegriffen werden, die bei Heider offen geblieben sind bzw. durch die sich die Möglichkeiten der Kritik und Weiterentwicklung handlungsbezogener Zusammenhangsannahmen im Alltag theoretisch rekonstruieren und praktisch begreifen lassen, so daß sich die Genese handlungs- und sachverhaltsbezogener Theorien nicht mehr 'hinter dem Rücken' der attributionalen Theorien und für die Subjekte selbst unreflektierbar vollziehen muß.

5.1. Grundlagen des attributionstheoretischen Konzepts Dem Kelleyschen Entwurf einer attributionalen Theorie liegen zwei grundlegend unterschiedliche und für unterschiedliche attributionale Prozesse konzipierte Attributionsprinzipien zugrunde, die als Kovariationsund Konfigurationsprinzip bezeichnet werden, bei denen in einer Art 'Varianzanalyse' Beobachtungsdaten in Richtung auf die Entwicklung von Ursachenerklärungen ausgewertet werden. Anders als die von Heider entwickelten Überlegungen hat das von Kelley vorgelegte Konzept innerhalb der sich anschließenden sozialpsychologischen Diskussion direkt vielerlei experimentell-statistisch angelegte Untersuchungen angeregt, für die die bereits genannte Formalisierung nicht unwesentlich gewesen sein dürfte. Zunächst und vor einer eingehenderen Darstellung der sich darauf begründenden experimentellen Untersuchungen sollen jedoch die beiden genannten Prinzipien des attributionalen Prozesses, der hier eindeutig als Prozeß kausalanalytischer Informationsauswertung und Ursachenzuschreibung aufgefaßt wird, für sich und im einzelnen nachgezeichnet werden.

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5.1.1. Das Kovariationsprinzip Bezugspunkt des von Kelley (1967) entwickelten Kovariationsprinzips bilden Daten aus mehrfachen Beobachtungen von Ereignissen oder Sachverhalten, bei denen sich Variationen einzelner Faktoren herausdifferenzieren lassen. Zusammenhangsannahmen und ursachenbezogene Hypothesen werden aus dem beobachtbaren gemeinsamen Auftreten respektive dem Ausbleiben einzelner Faktoren und den dabei zu bestimmenden Konsequenzen für den Gesamteffekt unter sonst gleichen Bedingungen hergeleitet. Lassen sich dabei Korrelationen zwischen dem Ausbleiben/Auftreten eines Faktors und dem Ausbleiben/Auftreten bestimmter Aspekte des Gesamteffekts respektive spezifische Wirkungen auf diesen feststellen, könne ein kausaler Zusammenhang zwischen dem beobachtbaren Faktor als Ursache und den Veränderungen des Gesamteffekts als Wirkung angenommen werden. Damit ist der von Kelley beschriebene attributionale Prozeß - wie schon erwähnt - in Analogie zur Millschen Differenzmethode formuliert, die hier von Kelley mit 'dem' wissenschaftlichen Vorgehen schlechthin gleichgesetzt worden ist. Bei der Explikation und Konstitution von Zusammenhangsannahmen nutze der Alltagspsychologe lediglich eine 'naive Version' des wissenschaftlichen Variablenschemas, in der er mögliche Ursachen als unabhängige Variablen und gegebene Wirkungen als abhängige Variablen fasse, womit das Verhältnis von 'wissenschaftlicher' zu 'naiver' Methode von Kelley als bloß-graduelles Abstufungsverhältnis eines sonst strukturell gleichen Vorgehens gefaßt worden ist: ,Zweifelsohne ist diese naive Version eine schlechte Kopie der wissenschaftlichen Version. Sie ist u.a. unvollständig, Verzerrungen ausgesetzt und anfällig gegenüber Schlußfolgerungen ohne vollständige Informationsgrundlage" (Kelley, 1973/1978, 218). Vor diesem Hintergrund bestimmt Kelley sogenannte 'Klassen', in denen „für einen weiten Bereich von Zuschreibungsproblemen" (Kelley, 1973/1978, 220) mögliche Ursachen repräsentiert sind. Während der Zuschreibungsprozeß innerhalb der Heiderschen Konzeption in den Dimensionen von Person und Situation gefaßt wurde, fügte Kelley noch die dritte Ursachendimension der konkreten Umstände/Zeitpunkte hinzu, auf die das attributionale Urteil bezogen werde. Grundlage der Ursachenzuschreibung stellen für ihn 'Konsensus-', 'Distinktheits-' und 'Konsistenzinformatio-

118 nen' als die für die Attribution wesentlichsten Informationsarten dar: Ob innerhalb einer produzierten Kausalerklärung die Person, die Sachverhalte oder die je konkreten Umstände als für das zu erklärende Ereignis ursächlich angesehen werden, hängt demnach von der im folgenden zu erläuternden spezifischen Konfiguration dieser Informationsarten ab bzw. davon, wie diese für das attribuierende Subjekt verfügbar sind. Das beobachtete Verhalten einer Person kann sich vom Verhalten anderer beobachteter Personen stark unterscheiden oder sich mit dem Verhalten anderer in Übereinstimmung Konsens befinden. Der Beobachter erhält also Konsensus-Informationen, indem er das Verhalten einer beobachteten Person A ins Verhältnis zum Verhalten anderer Personen setzt. Dabei beschreibt hoher Konsensus eine Situation, in der festzustellen ist, daß verschiedene Personen sich in bezug auf einen besonderen Sachverhalt x in gleicher Weise verhalten. Stellt der Beobachter in Auswertung der Informationsdimension 'Konsensus-Information' indes fest, daß das Verhalten der interessierenden Person A vom beobachteten Verhalten anderer Personen stark abweicht, kann aus dem damit vorliegenden geringen Konsensus auf personenspezifische Bewältigungsweisen geschlußfolgert werden. Distinktheits-Informationen lassen sich aus der Variation beobachteter Verhaltensweisen einer Person gegenüber unterschiedlichen Sachverhalten herleiten. Kann ein Beobachter etwa feststellen, daß sich eine Person A gegenüber verschiedenen Sachverhalten x,y,z in einer immer gleichen Weise verhält, liegt geringe Distinktheit vor, aus der nunmehr geschlossen werden kann, daß diese Verhaltensweise offenbar durch stabile Personeigenschaften erklärt werden kann. Demgegenüber wird durch eine hohe Distinktheitsinformation der Schluß auf eine gegenstandsspezifische Erklärung des Verhaltens nahegelegt, weil sich die Person eben nur gegenüber einem bestimmten Sachverhalt in der beobachteten Weise verhält. Schließlich läßt sich eine dritte Dimension der Konsistenz-Informationen bestimmen. Hohe Konsistenz liegt dann vor, wenn sich eine Person zu verschiedenen Zeitpunkten und in unterschiedlichen situationalen Gegebenheiten gegenüber ein und demselben Sachverhalt in gleicher Weise verhält. In für den Beobachter unterschiedlich erscheinenden Situationen und Umständen lassen sich aus konsistentem Verhalten daher Schlüsse auf bestimmte personale Eigenheiten des Handelnden ziehen, weil Situation und Umstände, in denen das Verhalten beobachtet wird, keinen Einfluß auf das Zustandekommen des beobachteten Verhaltens dieser Person zu haben scheinen.

119 Grundlage des attributionalen Prozesses, entsprechend dem Kovariationsprinzip, sind - wie gesagt - Daten mehrfacher Handlungs- bzw. Ereignisbeobachtungen, die unter Bezug auf die drei angeführten Informationsdimensionen (Konsensus, Distinktheit und Konsistenz) eine Zuschreibung zur Person, zur Situation oder zu den besonderen Umständen als Kausalerklärung von Handlungen bzw. Ereignissen zulassen. Auch wenn diese Informationsarten konzeptionell als Kontinua entwickelt worden sind, werden sie von Kelley in die darauf begründete formalisierte Hypothesenbildung zur datengesteuerten Ursachenbestimmung lediglich in bipolarer Ausprägung (gering; hoch6) einbezogen, wobei sich schon aus der bipolaren Identifikation 8 (2x2x2) mögliche Informationskombinationen und damit zu differenzierende Attributionsausprägungen ergeben. Liegen für den Beobachter Informationen und Daten zu allen drei angesprochenen Dimensionen aus mehrfachen Beobachtungen vor, lassen sich daraus kausale Zuschreibungen und Ursache-Wirkungs-Verknüpfungen erschließen, in denen entweder ein einzelner Faktor oder eine Kombination aus zwei Faktoren als ursächlich für das Zustandekommen eines Ereignisses angenommen werden muß. Verhalten sich beispielsweise verschiedene Personen gegenüber ein und demselben Sachverhalt über die Zeit und über verschiedene Situationen hinweg in gleicher Weise, liegen dem Beobachter Informationen über hohen Konsensus, hohe Distinktheit und hohe Konsistenz (HHH) vor, aus denen mit Kelley geschlossen werden kann, daß das beobachtete Verhalten ursächlich dem Objekt zugeschrieben werden muß. Kann hingegen festgestellt werden, daß das beobachtete Verhalten einer Person stark vom Verhalten anderer abweicht, daß das Verhalten dieser Person zudem nur wenig zwischen verschiedenen Sachverhalten differenziert und auch über verschiedene Zeitpunkte hinweg konsistent bleibt (LLH), wird das Zustandekommen dieses Verhaltens ursächlich der Person zugeschrieben. Schließlich werden innerhalb der Kelleyschen Konzeption die besonderen Umstände dann für das beobachtete Verhalten als ursächlich angenommen, wenn dieses Verhalten stark vom Verhalten anderer Personen abweicht, in dieser Weise jedoch nur gegenüber diesem Sachverhalt festgestellt werden ^ Im weiteren wird für die jeweilige Dimensionsausprägung die Bezeichnung L [low] bzw. H [high] immer in der Reihenfolge Konsensus, Distinktheit und Konsistenz genutzt So beschreibt etwa das Kürzel LLH geringen Konsensus, geringe Distinktheit und hohe Konsistenz.

120 kann und zudem nur geringe Konsistenz des Verhaltens gegenüber diesem Sachverhalt zu anderen Zeitpunkten festzustellen ist (LHL). In Aufarbeitung verschiedener attributionstheoretischer Konzeptionen weist Effler (1986, 65ff) jedoch darauf hin, daß sich aus niedriger Konsistenz-Information nicht eindeutig auf besondere Umstände als Kausalfaktoren schließen lasse. Niedrige Konsistenz verweise lediglich darauf, daß die Person und/oder die Situation allein keine hinreichende Ursache darstellen könne. Die damit angesprochene Uneindeutigkeit kausaler Schlußfolgerungsmöglichkeiten aus Konsistenz-Informationen geht im Kern wohl darauf zurück, daß der modelltheoretisch zu ziehende Schluß im Widerspruch zum Alltagsverständnis steht und damit auf die formalisierte und in diesem Sinne ' alltagsferne' Konstruktion der Kelleyschen Theorie und Hypothesen verweist: Entsprechend der Logik kovariationsanalytischer Schlüsse müßte sich nämlich aus dem Aufweis niedriger Konsistenz folgern lassen, daß ein beobachtetes Verhalten nicht zu jedem zukünftigen Zeitpunkt auftreten wird, sondern lediglich dann, wenn auch der Zeitpunkt t erneut auftritt, an dem das in Frage stehende Verhalten einmal beobachtet werden konnte. Schon von der sprachlich-konzeptionellen Bedeutung her lasse sich die damit angesprochene Zeitdimension nicht als wiederholbares Ereignis denken. Demnach liegt das Problem der Verwendung von Konsistenz-Informationen, wie Effler (1986, 67) herausgearbeitet hat, darin, ,4aß mit dem Hinweis auf niedrige Konsistenz eigentlich nicht ein bestimmter Zeitpunkt als notwendige Ursache für das Verhalten, sondern eine Situation gemeint ist, die sich durch bestimmte Eigenschaften von anderen Situationen unterscheidet. Diese besonderen Eigenschaften der Situation bilden Kausalfaktoren, die neben der Person und/oder dem Stimulus notwendig sein könnten, um das Verhalten auszulösen. [...] Niedrige Konsistenz macht eigentlich nur darauf aufmerksam, daß solche zusätzlichen Faktoren notwendig sein könnten" (Herv. R.F.). Mit dieser Interpretation der attributionalen Nutzung/Nutzbarkeit niedriger Konsistenzinformationen wird indes eine grundsätzlich neue Perspektive auf den Prozeß der Zuschreibung von Handlungs- und Ereignisursachen eröffnet: Niedrige Konsistenzinformationen können damit als Kriterium dafür interpretiert werden, wann welche zusätzlichen Informationen benötigt werden, um bestimmte Handlungen oder Ereignisse von anderen Personen nachvollziehen zu können. Niedrige Konsistenzinformationen weisen entsprechend lediglich darauf hin, daß zusätzliche Situationsaspekte mit einbezogen werden müssen, die für das Subjekt zu einem bestimmten

121 Zeitpunkt Prämissen seiner Handlungen geworden sind und unter Bezug auf die das beobachtete Verhalten überhaupt erst verständlich werden kann. Bevor wir jedoch die Kelleysche Gesamtkonzeption attributionaler Prozesse unter dem hier in Frage stehenden Aspekt der Begründung und Herstellung von Kausalerklärungen sowie auf ggf. darin verborgene theoretische Vorstellungen untersuchen, soll zunächst das Konfigurationsprinzip dargestellt werden, durch das auch dann ereignisvermittelnde Zusammenhangsannahmen im Ursache-Wirkungs-Schema bestimmbar werden sollen, wenn dem beobachtenden Subjekt lediglich Td/informationen des betreffenden Zusammenhangs verfügbar sind, bestimmte Ursachendimensionen also 'erschlossen' werden müssen, oder aber die bisher notwendige Voraussetzung der Mehrfachbeobachtung aufgegeben werden muß und dem attributionalen Prozeß lediglich Daten einer singulären Beobachtung zugrunde gelegt werden können.

5.1.2. Das Konfigurationsprinzip Das Konfigurationsprinzip wird von Kelley zum Kovariationsprinzip in ein komplementäres Verhältnis gestellt. Während die Verfügbarkeit ursachenbezogener Daten aus Mehrfachbeobachtungen für die Nutzung des Kovariationsprinzips konstitutiv ist, bleiben durch dieses Prinzip jedoch diejenigen Prozesse unbeschrieben, in denen auch dann Kausalerklärungen abgegeben werden, wenn keine Daten aus Mehrfachbeobachtungen verfügbar sind. Mit der Entwicklung des Konfigurationsprinzips ist von Kelley (1971b) ein Konzept vorgelegt worden, auf dessen Grundlage Kausalerklärungen sowohl aus Teilinformationen als auch aus nur einer singulären Beobachtung ableitbar sein sollen. Das Konfigurationsprinzip werde vor allem darum wichtig, da durch Zeitdruck, konkurrierende Interessen, eine eingeschränkte Beobachtungsperspektive oder besondere kontextuelle Einbindungen des urteilenden Subjekts oftmals nur unvollständige Daten für die Kausalerklärung zur Verfügung ständen, auf deren Grundlage Kovariationsanalysen nur unvollständig oder gar nicht durchführbar seien. Derartigen attributionalen Prozessen liege ein System 'kausaler Schemata' zugrunde, die als Resultat der Verarbeitung vorausgehender 'ähnlicher'

122 Situationen und Sachverhalte theoretischen bzw. theorienähnlichen Charakter hätten. Die kausale Interpretation singulärer Beobachtungen auf der Grundlage derartiger kausaler Schemata läßt sich damit eher als Subsumtion eines Ereignisses unter verfügbares Zusammenhangswissen denn als Prozeß der Produktion von Zusammenhangswissen durch ereignisvermittelnde Theorien begreifen. „Der reife Mensch [...] besitzt ein Repertoire (solcher) abstrakter Vorstellungen für die Wirkung und Wechselwirkung von Ursachen-Faktoren. [...] Sie bieten ein Bezugssystem, in das Bestandteile wichtiger Information eingefügt werden können, um leidlich gute ursachenbezogene Schlußfolgerungen zu ziehen" (Kelley, 1973/1978,232). Die damit für das Konfigurationsprinzip wesentlich werdenden impliziten Theorien differenziert Herkner (1980, 21f) in zwei Formen. Während das kausale Schema der 'ersten Art' im engen Bezug zum Kovariationsprinzip stehe und als Ergänzungsschema bezeichnet werden könne, seien im kausalen Schema der 'zweiten Art' inhaltliche Annahmen über das konkrete Zusammenwirken bestimmter Ereignisse als Ursachen von Wirkungen systematisiert. Das Ergänzungsschema geht auf die von Kelley (1967) dargestellten Hypothesen zurück, die bereits bei der Darstellung des Kovariationsprinzips dargestellt wurden und als datengegründete Ursachenzuschreibungen Typisierungen möglicher Informationsmuster repräsentieren sollen. Dabei zeigt sich, daß aus drei der acht denkbaren Informationskonfigurationen eindeutige Zuschreibungen von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen auch dann ableitbar sein sollen, wenn lediglich unvollständige Informationen verfügbar sind. Es ist also der Grundgedanke dieser Ergänzungsschemata, daß für bestimmte Konstellationen von Konsensus-, Distinktheitsund Konsistenzdaten fehlende Daten 'hinzugedacht' werden könnten, indem das in Frage stehende Ereignis auf die mit den verfügbaren Daten kompatiblen Konfigurationshypothesen bezogen wird. Beispielsweise sei es möglich, aus der alleinigen Beobachtung hohen Konsensus' zwischen den Verhaltensweisen verschiedener Personen, ohne daß Distinktheits- und Konsistenzinformationen verfügbar wären (HII) 1 , dennoch eindeutige Kausalzuschreibungen abzugeben, weil andere eindeutige Informationskonfigurationen (LLH und LHL) mit der vorliegenden Beobachtung hohen Konsensus' (H//) nicht vereinbar seien. In diesem Fall könn

Bei der hier genutzten Schreibweise stellt ein Schrägstrich jeweils die fehlende Information dar.

123 ne also zum unvollständigen Informationsmuster (H//) ohne weitere Daten die Annahme hoher Distinktheit und hoher Konsistenz hinzugefügt werden und damit faktisch das Informationsmuster (HHH) der Ursachenzuschreibung zugrunde gelegt werden. Derartige Ergänzungen verfügbarer Informationen würden beispielsweise auch dann notwendig, wenn lediglich Informationen über Konsensus und Distinktheit eines Verhaltens, nicht jedoch Konsistenzinformationen verfügbar seien. Die in diesem Fall zu ergänzenden Konsistenzinformationen würden dabei in einer Weise unterstellt, daß sich ein Informationsmuster ergebe, durch das eine eindeutige Ursachenzuschreibung zur Person, zum Sachverhalt oder zu den Umständen möglich werde. Gegenüber diesem dimensionsbezogenen Ergänzungsschema werden nach Kelley im kausalen Schema 'zweiter Art' inhaltliche Annahmen über das konkrete Zusammenwirken verschiedener Ursachenfaktoren zu einer beobachtbaren Wirkung expliziert. So könne beispielsweise anhand eines bereits bei Heider (1958/1977) beschriebenen Beispiels aufgrund des sachlogisch postulierten Zusammenhangs zwischen dem Konzept von Fähigkeit, Anstrengung und Leistung gefolgert werden, daß (da Fähigkeit und Anstrengung in einer 'multiplen notwendigen Verknüpfung' zu individueller Leistung stehen) immer dann, wenn die Leistungen einer Person deutlich die beobachteten Leistungen anderer Personen überschreiten, besondere Fähigkeiten und Anstrengung vorliegen. In einer experimentellen Untersuchung konnten beispielsweise Kun & Weiner (1973) aufweisen, daß Vpn, die aufgefordert wurden, Ursachen für die Bewältigung einer als 'schwer' bezeichneten Aufgabe anzugeben, entsprechend dem bereits von Heider formulierten Zusammenhang das gleichzeitige Vorhandensein personaler Fähigkeit und Anstrengung behaupteten. Wie jedoch schon aus den sprachanalytischen Untersuchungen von Heider ersichtlich, muß der damit vollzogenen Zuschreibung eine mehr oder weniger entfaltete implizite theoretische Annahme zugrunde liegen, durch die die besondere individuelle Leistung nur unter der Bedingung des gleichzeitigen Auftretens von Fähigkeit und Anstrengung tatsächlich beobachtet werden kann. Damit erweist sich nun aber das darin zur Geltung kommende kausale Schema als eine inhaltlich-theoretische Bestimmung, durch die zwei notwendige Bedingungen für das Auftreten eines beobachteten dritten Ereignisses gefaßt sind. Der hier konstituierte Prozeß der Zuschreibung

124 wird somit gleichgesetzt mit der Subsumtion des in Frage stehenden Einzelfalls unter eine vorab als gültig angenommene inhaltlich-theoretische Zusammenhangsannahme, deren Geltung aus der Beobachtung selbst gar nicht abgeleitet wird. Wenn aber - so Kelley - die in diesem kausalen Schema formulierten inhaltlich-theoretischen Relationen zwischen den beschriebenen Dimensionen als eine sinnvolle Begründung angenommen und im attributionalen Prozeß vorausgesetzt würden, könne auch von Mehrfachbeobachtungen ähnlicher Ereignisse bzw. von der Analyse partieller Faktorvariationen mit der Differenzmethode abgesehen werden: Es ist der theoretisch postulierte Zusammenhang, der auf den hier vorliegenden Fall angewendet wird und dessen Ursachenzuschreibung begründet. Als bedeutsam erweist sich in unserem Fragenzusammenhang nun vor allem der Umstand, daß damit beobachtete Ereignisse auf implizite Theorien bezogen werden, deren Geltung vorausgesetzt sein muß. Fraglich ist damit nicht die Geltung dieser Theorie, sondern nur, ob sich der hier vorliegende Fall tatsächlich als Fall der impliziten Theorie und Zusammenhangsannahme auffassen läßt. Die implizite theoretische Zusammenhangsbehauptung kann durch den je vorliegenden Fall weder kritisiert noch begründet werden. Für das herangezogene kausale Schema stellt sich der jeweils vorliegende Fall also nur als möglicher 'Anwendungsfall\ nicht aber als Möglichkeit dar, theoretische Zusammenhangsannahmen bzw. kausale Schemata selbst zu entwickeln, zu prüfen oder zu modifizieren. Während damit zunächst das Schema der 'multiplen notwendigen Verknüpfungen ' von Ursachen und Ereignissen ausgeführt worden ist, muß nun noch das diesem Schema gegenüberstehende Konzept der 'multiplen hinreichenden Verknüpfungen* dargestellt werden: Für das Zustandekommen von Ereignissen und Effekten, deren Ursachen in dieser 'multiplen hinreichenden Verknüpfung' stehen, genüge bereits das Vorhandensein einer einzigen der förderlichen Bedingungen, um aus der Sicht des Subjekts die beschriebene Wirkung hervorzubringen. Auch dieses Konzept wurde von Kun & Weiner (1973) experimentell dadurch zu bestätigen versucht, daß sie Vpn dazu aufforderten, Ursachen für den beobachteten Erfolg bei einer als 'leicht* bezeichneten Aufgaben zu benennen. Dabei konnte festgestellt werden, daß im Unterschied zu den als 'schwer' bezeichneten Aufgaben hier lediglich das Vorhandensein eines Faktors (hohe

125 Begabung oder große Anstrengung) als Ursache des beobachteten Erfolgs angegeben wurde. Auch in diesen Fällen aber läßt sich die Angemessenheit der an die Sachverhalte herangetragenen inhaltlichen Aspekte und Zusammenhangsbehauptungen nicht aus den beobachteten Dimensionen erfahrbarer Ereignisse heraus rechtfertigen. Zudem zeigt sich, daß im Fall einer 'multiplen hinreichenden Verknüpfung' nicht eindeutig bestimmt werden kann, welche der möglichen Ursachen tatsächlich als die förderliche Ursache angesehen werden kann und damit für das Zustandekommen eines Ereignisses als ursächlich betrachtet werden muß. Sofern also ein vorliegender Fall das Konzept der 'multiplen hinreichenden Verknüpfung' repräsentiert, läßt sich weder durch korrelationsanalytische Auswertungen mehrfacher Beobachtungen, noch durch die Nutzung eines darauf bezogenen kausalen Schemas allein begründen, welche der allgemein als förderlich angesehenen Umstände für den vorliegenden besonderen Fall tatsächlich Ursache des Ereignisses geworden sind. Theoretisch hat Kelley dieses Zuschreibungsproblem durch die Einführung der sogenannten 'Abwertungs-' bzw. 'Aufwertungsprinzipien' zu lösen versucht. Durch das 'Abwertungs-' bzw. 'Aufwertungsprinzip' werde der Stellenwert begründet, der einer potentiellen Ursache für das Zustandekommen eines beobachteten Ereignisses zugemessen wird. Durch das Abwertungsprinzip werde die Bedeutung derjenigen beobachteten Ursachen abgewertet, die auch mit anderen als hinreichend betrachteten Ursachen gemeinsam auftreten. Demgegenüber hebe das Aufwertungsprinzip die Bedeutung derjenigen Ursachen hervor, deren Realisierung im je vorliegenden Fall hinderliche Aspekte und 'Nebeneffekte' entgegenstehen. In unserem Fragenzusammenhang soll nun zunächst nur der Aspekt dieser Konzeption festgehalten werden, durch den sich die kausalen Schemata der 'zweiten Art' als inhaltliche Annahmen über das sachlogisch-konkrete Verknüpfungsverhältnis zwischen Ursache und Wirkung auszeichnen und deren Kenntnis auf Seiten des Subjekts vorausgesetzt werden muß, damit überhaupt kausale Verknüpfungszusammenhänge zwischen Ereignissen hergestellt werden und Sachverhalte unter das Ursache-Wirkungs-Schema subsumierbar werden können:, Jn general, a causal schema is a conception of the manner in which two or more causal factors interact in relation to a particular kind of effect. A schema is derived from experience in observing cause and effect relationships, from experiments in which deliberate control has been exercised over causal factors, and from implicit and ex-

126 plicit teachings about the causal structure of the world" (Kelley, 1971b, 152). Aber nicht nur das kausale Schema der 'zweiten Art', sondern auch das dargestellte 'Ergänzungsschema' hängt mit Vorstellungen über das Verhältnis von Person, Situation und besonderen Umständen zusammen, die als mehr oder weniger implizite Theorien und Konzepte auf die in Frage stehenden Sachverhalte bezogen werden. Ist der Zuschreibungsprozeß aber zwingend an implizit-theoretische Vorstellungen gebunden, können diese innerhalb des Zuschreibungsprozesses selbst weder entwickelt noch in Frage gestellt werden. Wenn also die Genese kausaler Erklärungen zumindest so, wie sie von Kelley unter Bezug auf das Konfigurationsprinzip dargestellt wurde, an verschiedenen Stellen bereits die Existenz theoretischer Annahmen und Vorstellungen zwingend voraussetzt, deren Geltung behauptet und nur auf den je in Frage stehenden Sachverhalt hin anzuwenden versucht wird, erweist sich ein so zu beschreibender Zuschreibungsprozeß von Gründen und Ursachen nur als ein Prozeß der Subsumtion, in dem beobachtete Sachverhalte auf verfügbare implizite Theorien bezogen werden. Dies aber bedeutet, daß sich sowohl die Frage, ob Ereignisse überhaupt vermittels des einen oder anderen 'kausalen Schemas' sinnvoll aufgeschlossen werden können, wie auch die Frage, ob der jeweils vorliegende Fall ein Fall 'multipler hinreichender' bzw. 'multipler notwendiger' Verknüpfung ist, allein aus Beobachtungsdaten schon darum nicht beantworten lassen, weil darin eben im Kern gar keine empirischen Fragen angesprochen sind. Sowohl die Ergänzungsschemata als auch die kausalen Schemata 'zweiter Art' können somit nurmehr als i.w.S. erfahrungsgegründete Generalisierungen begriffen werden, auf die sich die aktuell verfügbaren Daten nur dann sinnvoll beziehen lassen, wenn zwischen der Struktur des generalisierten Falls und der Struktur des je vorliegenden Falls eine Art Passung angenommen und begründet werden kann, durch die der vorliegende Fall als Realisation des allgemeinen Falls aufgefaßt werden kann, und von da aus für den je vorliegenden Fall Annahmen über einen inhaltlichen Zusammenhang begründet werden können. Dies aber setzt voraus, daß an den je vorliegenden Fall Theorie gewissermaßen herangetragen wird, die nicht aus dem Fall und dessen Beobachtung abgeleitet werden kann. Derartige, an Sachverhalte eben herangetragene Systematisierungen können somit nur in dem Maße Anspruch auf Geltung erheben, wie sich begründen läßt,

127 daß die damit einbezogene Theorie tatsächlich für den zu erklärenden Sachverhalt angemessen ist. Damit aber läßt sich zumindest im Rahmen des Kelleyschen Zugriffs auf attributionale Prozesse weder die Frage nach der inhaltlich-konzeptionellen Angemessenheit noch auch die Frage nach deren praktischen Konsequenzen für die Zuschreibungssubjekte und deren Sicht auf die damit in Zusammenhang gebrachten Lebensumstände stellen, womit sowohl die darin im voraus gesetzten kausalen Schemata als auch die dadurch geleiteten theoretischen Rekonstruktionen der Bezüge zwischen den Wahrnehmungstatbeständen für diese Konzeption als anscheinend selbstevidente Systematisierungen nurmehr an- und hingenommen werden müssen. Für unsere Aufarbeitung ergibt sich daraus nun die weitergehende Frage, ob sich innerhalb der Kelleyschen Konzeption nicht ggf. selbst Punkte explizieren lassen, an denen die Genese der für das Konfigurationsprinzip vorausgesetzten impliziten Theorien ersichtlich wäre, vor deren Hintergrund das Konfigurationsprinzip zumindest als eine Art alltagspraktische Form der Anwendung verfügbarer inhaltlich-theoretischer Zusammenhangsannahmen reformuliert werden könnte. Dies aber schließt auch die Frage demnach ein, ob die Nutzung der von Kelley zunächst alternativ formulierten Kovariations- und Konfigurationsprinzipien tatsächlich und allein davon abhängt, ob Daten aus einer einfachen oder mehrfachen Beobachtung verfügbar sind, wie dies für das Verhältnis von Konfigurationsund Kovariationsprinzip von Kelley zunächst postuliert worden ist. Schließlich muß aber auch danach gefragt werden, ob nicht auch für das Kovariationsprinzip implizite Theorien und Annahmen voraussetzt werden müssen, durch die auch kovariationsanalytisch ermittelte Zusammenhangsbehauptungen und eine darin fundierte Begründung attributionaler Prozesse lediglich als Prozeß der Subsumtion neuer Erfahrungen unter bekannte Denk- und Verständnisweisen und damit als mögliche Anwendung bloßer Vorgefaßtheiten zu betrachten ist. Damit steht zur Diskussion, wieweit innerhalb des Kelleyschen Konzepts die theoretische Begründung der Entstehung ereignisvermittelter Zusammenhangsannahmen tatsächlich geleistet oder nur unbegründet permanent als geleistet unterstellt worden ist, womit zur Begründung der Möglichkeiten von Kritik und Weiterentwicklung implizit-theoretischer, handlungsleitender und insofern psychologisch-theoretischer Konstrukte wenigstens durch das Kelleysche Konzept kein Ansatz gegeben wäre.

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5.2• Zur Kritik der Dichotomisierung attributionaler Prozesse Wiewohl erklärlich ist, daß Kelley sein ursprünglich rein kovariationsanalytisches Modell attributionaler Prozesse durch das Konzept kausaler Schemata ergänzen und in seiner ursprünglich behaupteten Universalität revidieren mußte, weil Subjekte unstreitbar auch dann ursachenbezogene Erklärungen abgeben, wenn lediglich Daten aus singulären Beobachtungen zugrunde gelegt werden können oder aber nur Teilinformationen verfügbar sind, stellt sich gleichwohl die Frage, wie zu erklären ist, daß derart unterschiedliche Konzeptionen und Vorgehensweisen in der Entwicklung von Zusammenhangsvorstellungen und der Konstitution von UrsacheWirkungs-Relationen in der Praxis des Alltags Anwendung gefunden haben. Je nach dem, ob ein Beobachter über nur eine oder aber mehrfache Beobachtungen eines Sachverhalts verfügt, wird nach Kelley auf gänzlich verschiedene Vorgehens- und Begründungsweisen der Ursachenklärung zurückgegriffen. Soll etwa erklärt werden, warum einem Fahrradfahrer von einem roten Sportwagen in gefährlicher Weise die Vorfahrt genommen wird, sei das konkrete Vorgehen der Ursachenerklärung fundamental davon abhängig, ob dieser Sachverhalt vom Beobachter erstmals oder schon einmal so oder in ähnlicher Weise erfahren und beobachtet werden konnte. Der von der Kelleyschen Fassung des attributionalen Prozesses beschriebene Erkenntnisakt von Ereignis- und Begründungszusammenhängen vollzieht sich, sofern dem Beobachter kein ähnliches Ereignis verfügbar ist, auf Basis kausaler Schemata, in denen andere vorausgegangene Erfahrungen, allgemeine Vorstellungen und Denkweisen über 'Sportwagen-' bzw. 'Fahrradfahrer', deren Risikofreude, Umsicht u.a.m. als implizite Annahmen enthalten sind. Dabei werde überprüft, ob das vorliegende Verhalten dieses beobachteten Sportwagenfahrers unter die verfügbaren allgemeinen Vorstellungen bzw. Erfahrungen über das Verhalten von Sportwagenfahrern subsumiert werden kann. Gleichzeitig werde noch ein spezifisches Wissen über die hier relevanten verkehrstechnischen Aspekte, wie konkret gegebene Witterungs- und Beleuchtungsverhältnisse und anderes mehr als potentielle Bedeutungsdimensionen situationaler Umstände in die Analyse des zu erklärenden Sachverhalts einbezogen.

129 Die besondere Funktion kausaler Schemata bestehe nun darin, daß ein beobachteter Sachverhalt als besondere Konfiguration eines kausal vermittelten Ereigniszusammenhangs erkannt und auf dieser Grundlage unter ein einschlägiges Schema subsumiert werden könne, aus dem sich eine hinlänglich schlüssige Erklärung des Sachverhalts und ggf. sachverhaltsbezogene Handlungsmöglichkeiten entwickeln ließen. So könnte man etwa annehmen, daß diejenigen Autofahrer, die rote Sportwagen fahren, 'in der Regel' solche Verkehrsteilnehmer seien, die besonders rücksichtslos und oftmals unangemessen schnell fahren. Auch wenn sich also aus einer derart beschriebenen einmal erfahrenen Situation gar nicht ableiten läßt, warum dem Fahrradfahrer die Vorfahrt genommen wurde, ob es sich also in diesem Fall etwa um eine unübersichtliche Kreuzung, um besonders ungünstige Beleuchtungsverhältnisse u.a.m. gehandelt habe, womit der erfahrene Sachverhalt alternativ erklärlich werden könne, ergibt sich aus der Subsumtion dieser Beobachtung unter das allgemeine Schema von 'Sportwagenfahrern' und deren Fahrweise, daß gar keine weiteren Umstände in die Ursachen- und Verantwortlichkeitszuschreibung einbezogen zu werden brauchten, weil das Handeln des Sportwagenfahrers allein unter Bezug auf die unterstellte Seinsbestimmung erklärt werden könne. Als unmittelbare Handlungskonsequenz aus dieser persondispositionalen Ursachenzuschreibung ergibt sich ferner, daß man sich immer dann, wenn man als Radfahrer bzw. Fußgänger einem solchen Sportwagen im Straßenverkehr begegnet, vernünftigerweise besonders vorsichtig und defensiv verhalten sollte. Allgemein stellt damit die Zuschreibung und Aufschließung von Zusammenhängen unter Bezug auf kausale Schemata, wie bereits ausführlich herausgearbeitet, einen Rekurs auf verfügbare Vorstellungen, Denkweisen oder Theorien dar, die an einen erfahrenen Sachverhalt anzulegen versucht werden. So verstanden wäre die Kelleysche Fassung von Attribution mithin als ein Versuch der Anwendung impliziter Theorien, nicht aber als ein Prozeß der Entwicklung von Theorien und ereignisvermittelnder Zusammenhangsaussagen zu verstehen. Schon in dem Moment jedoch, so die Konzeption von Kelley, wo eine zweite ähnliche Situation erinnerlich werde, strukturiere sich der Attributionsprozeß für den Beobachter nicht mehr durch die konzeptgesteuerte Verarbeitungsweise, sondern vollziehe sich vielmehr als eine datengesteuerte Varianzanalyse, in der die herausgegliederten Variationen beobachteter Einzelaspekte so in Bezug zum Gesamteffekt gesetzt werden, daß die-

130 jenigen Aspekte als ursächlich für ein Ereignis interpretiert werden können, die aufgetreten sind, wenn auch der Gesamteffekt aufgetreten ist. Verfüge also das Zuschreibungssubjekt über Beobachtungsdaten aus mehrfacher Beobachtung, ergebe sich die Kausalerklärung aus den Beobachtungsdaten selbst und nicht aus den an einen Sachverhalt herangetragenen theoretischen Konstrukten. Die damit beschriebene vermittlungslose Dichotomisierung attributionaler Prozesse in konzeptgesteuerte Ursachenerklärungen einerseits, sofern Daten aus einer Einzelbeobachtung verfügbar sind, und datengesteuerte Kausalerklärungen andererseits, sofern Mehrfachbeobachtungen vorliegen, wird von Dehler (1984, 186f) als „mit den wirklichen Verhältnissen nicht vereinbar" kritisiert und zurückgewiesen: Es sei kaum vorstellbar, daß der 'Alltagstheoretiker' grundlegend andere Verfahrensweisen nutze, wenn es um die Klärung singulärer oder mehrfach beobachteter Ereignisse gehe. Debler schlägt demgegenüber vor, die Dichotomisierung durch ein Kontinuum mit den Polen 'datengesteuerte Attribution' versus 'konzeptgesteuerte Attribution' zu ersetzen, in das sich auch die Ergänzungsschemata als relative Abstufungen der beiden Extreme einordnen ließen. „Dem Pol 'konzeptgesteuerte Attribution' am nächsten liegt eine Attribution, die nur auf einen Effekt als Datum zurückgreifen kann. Der Rest muß aus dem Gedächtnis ergänzt werden. Schon weniger konzeptgesteuert ist eine Analyse, bei der gestufte Effekt- und Ursachendaten vorliegen. Eine extrem datengesteuerte Attribution liegt vor, wenn nicht nur Daten aus allen drei Informationsdimensionen vorhanden sind, sondern darüber hinaus noch 'hergestellt' werden können" (ebd., 187). Wiewohl diese dichotom gesetzte Unterscheidung von Konzept versus Daten tatsächlich als mit den wirklichen Verhältnissen unvereinbar kritisiert werden muß, kann doch die von Debler vorgeschlagene Konstitution eines 'Kontinuums' schon darum nicht als grundlegende Überwindung des aufgewiesenen theoretischen Problems angesehen werden, weil in dieser Vorstellung gerade die Unterscheidung von Konzept und Daten aufrechterhalten wird, die eine dichotome Theoretisierung erst möglich machte. Überwindbar wird die von Debler bezeichnete Problematik vielmehr erst dann, wenn die damit zugrunde gelegte Unterscheidung zwischen konzeptgesteuerten und damit theorienhaltigen bzw. datengesteuerten und damit vermeintlich theorienunabhängig gedeuteten Weltgegebenheiten auch begrifflich und konzeptionell aufgehoben wird. Erst dann nämlich, wenn die hier thematisierte Unterscheidung von Konzept und Daten mit dem Kon-

131 zept der bedeutungsvermittelten Weltbezogenheit der Subjekte zu rekonstruieren versucht wird, durch das menschliches Handeln als subjektive Realisierung von Bedeutungsstrukturen/Denkfiguren und Handlungsmöglichkeiten begriffen wird, kann auch die beiden Fassungen inhärente Problematik konzeptionell überwunden werden und die Art und Weise, in der die Subjekte die für sie bedeutungsvollen Aspekte ihrer objektiven Weltgegebenheiten realisieren, aus dem Zusammenhang mit den je eigenen Lebensinteressen und den dazu ins Verhältnis gesetzten Lebensumständen, mithin als Repräsentation von Handlungsmöglichkeiten, verständlich werden (s.u.). Mit der im Bedeutungsbegriff gefaßten gesellschaftlichen Vermitteltheit der Wahrnehmungstätigkeit wird ersichtlich, daß die Art und Weise, in der objektive Gegebenheiten vom Subjekt als bedeutungsvolle Aspekte des individuell-gesellschaftlichen Handlungszusammenhangs wahrgenommen werden, als Erfahrung weltbezogener *Daten' aufgefaßt werden kann, deren Bedeutungsgehalt für das Subjekt erst über die Nutzung Sachverhaltsbezogener gesellschaftlicher 'Konzepte* und Denkformen realisiert wird. Dies aber hat zur Konsequenz, daß damit zugleich auch die Annahme, Daten stellten für sich neutrale und theorienwnabhängige Wirklichkeitsaspekte dar, zurückgewiesen werden muß, womit die beiden dargestellten Positionen zugrunde gelegte Unterscheidung zwischen Konzept und Daten selbst als inhaltslos entfällt: Tatsächlich handelt es sich hier nur um verschiedene Formen der auf Wirklichkeit bezogenen impliziten Theorien und Vorstellungen. Bezieht man diese Überlegungen nun wieder auf die von Kelley vorgelegte theoretische Konzeptualisierung der Genese von Ursachenzuschreibungen zurück, ist also davon auszugehen, daß sich auch innerhalb des als Kovariationsprinzip bezeichneten Zuschreibungsprinzips ggf. verborgene Verweise auf implizite Theorien und kausale Schemata explizieren lassen, womit sich die zunächst behauptete konzeptionelle Differenz zwischen dem Konfigurations- und dem Kovariationsprinzip nicht weiter aufrechterhalten ließe. Erste Hinweise darauf lassen sich schon aus dem vorliegenden Beispiel der Verkehrssituation entnehmen: Dabei zeigt sich nämlich, daß allein unter Bezug auf die Beobachtungsdaten unentscheidbar ist, auf welchen Dimensionen hier Ähnlichkeiten zu anderen Situationen behauptet werden können, welche Aspekte der Beobachtungszusammenhänge also als vergleichbare aufzufassen sind und wie diese als 'Mehrfachbeobachtungen' zur Grundlage kovariationsanalytisch zu gewinnender Ereig-

132 nisinterpretationen zu machen sind. Es stellt sich also die Frage, welche anderen Erfahrungen mit 'roten Sportwagen' in die Kovariationsanalyse als relevante Dimensionen einbezogen werden und warum nicht etwa andere Erfahrungen mit 'schlechten Beleuchtungsverhältnissen', mit Fahrradfahrern, oder aber mit männlichen und weiblichen Verkehrsteilnehmerinnen als solche akzentuiert werden. Bezüglich der Frage nach der Genese von Zuschreibungen und Sachverhaltserklärungen erscheint es damit wesentlich klärungsbedürftiger, welche Umstände für ein Zuschreibungssubjekt zu begründen vermögen, daß gerade diese und nicht etwa andere, ebenfalls mögliche Aspekte und Ereignisdimensionen in die Kovariationsanalyse einbezogen werden und welche Umstände es nahelegen, daß diese und nicht etwa ganz andere Fälle als die hier einschlägigen erachtet werden, um als Daten in die kovariativ gewonnenen Kausalerklärungen und Vermutungen über die innerlogische Struktur eines Beobachtungszusammenhangs einbezogen zu werden. Bevor weitergehende Überlegungen darüber angestellt werden, ob eine solche von Kelley selbst allerdings nicht realisierte Vermittlung beider Konzeptionen zu begründen ist, ist zunächst der Frage nachzugehen, wo und in welcher Weise innerhalb des Kovariationsprinzips ggf. verborgene theoretische Zusammenhangsannahmen herausgearbeitet werden können, deren Geltung und Anwendbarkeit im je vorliegenden Fall lediglich 'geprüft' wird. Mit der Zurückweisung der dichotomen Theoretisierung des als konzept- bzw. datengesteuerten Zuschreibungsprozesses kann nämlich auch das Kovariationsprinzip nur als ein Verfahren der Subsumtion begriffen werden, in dem bestenfalls darüber entschieden wird, ob ein in Frage stehender Fall als ein solcher anzusehen ist, über den in der implizit zugrunde gelegten Theorie Aussagen gemacht werden, oder ob es sich hier eben um einen Fall handelt, der nicht bzw. nicht so unter dieses theoretische Konzept subsumiert werden kann. Damit aber läßt sich schon hier und an dieser Stelle feststellen, daß bezüglich der Frage, wie Menschen ursachenbezogene Erklärungen entwickeln und Antworten auf die für sie bedeutungsvollen 'Warum-Fragen' finden können, d.h. der Frage, die das eigentliche und große Thema des Kelleyschen Entwurfs darstellen sollte, jedenfalls von Kelleys Theorie kaum etwas beigetragen wird.

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5.3. Aufweis der impliziten Theorienhaltigkeit kovariationsanalytischer Kausalerklärungen In dem Aufsatz 'Kausalattribution: Die Prozesse der Zuschreibung von Ursachen' (1973/1978) bezieht sich Kelley auf ein Beispiel, daß als Zuschreibungsaufgabe innerhalb der experimentellen Settings von McArthur (1972) verwendet wurde. In diesen Experimenten wurden die Vpn dazu aufgefordert, auf Grundlage gegebener Informationen zwischen verschiedenen gegebenen Ursachenalternativen zu entscheiden, wie das Zustandekommen eines Sachverhalts erklärt werden könne. Den Vpn wurden beispielsweise folgende Situationsschilderung vorgelegt: ,£ue lachte über den Komiker, dem sie am vorigen Abend zuhörte. Fast jeder, der dem Komiker zuhört, lacht über ihn. Sie lacht ansonsten kaum über einen Komiker. In der Vergangenheit hat sie fast immer über denselben Komiker gelacht" (Kelley, 1973/1978, 221). Das hier vorliegende Informationsmuster (HHH), das praktisch jeder (hoher Konsensus) über diesen und nur diesen Komiker (hohe Distinktheit) fast immer lacht (hohe Konsistenz), lasse unmittelbar auf den Sachverhalt (hier der Komiker) als Kausalfaktor des Ereignisses, daß auch Sue lache, schließen. Es gilt nun anhand dieses Beispiels zu überprüfen, ob sich darin implizit vorausgesetzte theoretische Vorstellungen aufweisen lassen, die eine kausale Interpretation des Zusammenhangs erst möglich machen. Dazu ist zunächst festzuhalten, daß kovariationsanalytische Interpretationen beobachteter Ereignisse generell erst dann möglich werden, wenn die Beobachtungen unter Bezug auf bestimmte inhaltliche Dimensionen miteinander vergleichbar gemacht werden können. Damit kann der durch die Auswertung von 'Mehrfachbeobachtungsdaten' strukturierte Prozeß der Genese kausaler Ereigniserklärungen analytisch zunächst in zwei voneinander getrennte Phasen geteilt werden. Erst nachdem nämlich die Vergleichbarkeit hergestellt worden ist, können Variationen einzelner Faktoren und Aspekte als Kovariationen gefaßt werden, und erst nachdem inhaltlich-theoretische Annahmen die beobachteten Veränderungen als Kovariationen interpretierbar werden lassen, können diese wiederum in eine kausale Zusammenhangsbehauptung einzubinden versucht werden. Welche Dimensionen allerdings aus der Totalität des beobachteten Ereignisgesamts überhaupt herausgegliedert, als relevant eingeschätzt und auf ihre Gleichzeitigkeit, Gleichgerichtetheit und Ähnlichkeit hin mit anderen Ereignisaspekten ins

134 Verhältnis gesetzt werden, kann ohne vermittelnde theoretische Vorannahmen aus den Beobachtungsdaten selbst gar nicht abgeleitet und somit im Rahmen einer Kovariationsanalyse auch gar nicht inhaltlich auswertet werden. Damit Daten bestimmter Ereignisse also überhaupt im Rahmen der Millschen Differenzmethode als kausal und zusammenhängend interpretierbar werden können, muß bereits eine theoretische Vorstellung davon vorausgesetzt werden, wie sich verschiedene Sachverhalte auf eine gemeinsame Dimension beziehen lassen. Dies ergibt sich schon daraus, daß das der Interpretation zugrunde gelegte theoretische Bezugssystem nicht als Resultat der besonderen Qualität und Beschaffenheit von Beobachtungsdaten angesehen werden kann, sondern vielmehr die besondere Qualität und Beschaffenheit der Beobachtungsdaten erst als Resultat der ihre Erhebung begründenden theoretischen Konzeptualisierungen angesehen werden können. Gleichzeitigkeit, Gleichgerichtetheit und Ähnlichkeit, um dies anders zu formulieren, sind selbst also keine theoretisch voraussetzungslosen Momente der beobachteten Wirklichkeit, sondern repräsentieren bereits eine theoretische und damit höchst voraussetzungsvolle Strukturierung der je eigenen Welt- und Selbsterfahrung. Dies aber hat zur Konsequenz, daß etwa die Interpretation des von Kelley angeführten 'Komiker-Beispiels' letztlich nur dann sinnvoll nachvollzogen werden kann, wenn man die hier herangezogene Dimension der 'Spaßigkeit' und nicht etwa die Dimensionen der 'Bekanntheit', des 'Scharfsinns' oder aber noch ganz andere, dem Alltagsverständnis ggf. nicht unmittelbar nahegelegte bzw. in den gegebenen Informationen nur nicht repräsentierte Dimensionen zur Strukturierung des beobachteten Sachverhalts zugrunde legt. Entsprechend läßt sich sagen, daß dann, wenn Kelley dieses Ereignis dahingehend zu interpretieren versucht, daß der hohe Konsensus, die hohe Distinktheit und die Konsistenz von Sues Lachen eine Konstellation beschreibe, in der das zu erklärende Lachen von Sue überhaupt nur durch den Komiker selbst hervorgerufen sein könne, und daher der Komiker 'offensichtlich' als ein spaßiges Ereignis angesehen werden müsse, tatsächlich lediglich eine der vielen möglichen Interpretationen vorgelegt worden ist, die, sofern man die implizit damit vorausgesetzten theoretischen Vorstellungen teilt, zwar naheliegend sein mögen, dennoch aber erst durch die theoretisch vorausgesetzte Herausgliederung der darauf bezogenen Konsensus», Distrinktheits- und Konsistenzinformationen mit anderen beob-

135 achteten Ereignissen ins Verhältnis gesetzt und auf dieser Grundlage kovariationsanalytisch interpretiert werden konnte. Zusätzlich aber zu der damit bereits verdeutlichten grundsätzlichen Beschränktheit des von Kelley vorgelegten Konzepts der Genese ereignisvermittelnder Zusammenhangsvermutungen stellt sich auch noch aus einer ganz anderen Perspektive die Frage, wie für den je vorliegenden und zu erklärenden Fall entschieden werden kann, daß die Beobachtungsdaten tatsächlich als Variationen und Konkretisierungen der an sie herangetragenen Zusammenhangsvermutung aufgefaßt werden können. Schon die Behauptung, ein vorliegender Sachverhalt lasse sich als konkrete Ausformung eines allgemeineren Zusammenhangs auffassen, so daß die beobachteten Variationen als Hinweise auf dessen besondere Beschaffenheit angesehen werden könnten, setzt den Bezug zu einer Theorie voraus, durch die erst begründet wird, daß die beobachteten Faktorvariationen und die daraus sich ergebenden besonderen Datenkonfigurationen tatsächlich als eine hier vorliegende Besonderheit und nicht etwa als Verweis darauf aufgefaßt werden, daß man es mit einem grundsätzlich anderen Fall zu tun habe, zu dessen Erklärung entsprechend auch grundsätzlich andere theoretische Vorstellungen mit herangezogen werden müßten. Vor dem damit entwickelten Hintergrund der in verschiedener Weise herausgearbeiteten impliziten Theorienbestimmtheit des Kelleyschen Kovariationsprinzips kann man auch ein von Meyer & Schmält (1978, llOf) angeführtes Beispiel reinterpretieren und die dabei zugrunde gelegten inhaltlich-theoretischen Voraussetzungen explizieren: Meyer & Schmält beschreiben eine Situation, in der die Ursachenzuschreibung für ein beobachtetes Verhalten des Schülers P2 unter Nutzung des Kovariationsprinzips möglich werden soll. Bei diesem Beispiel wird angenommen, daß der Schüler P2, dessen Verhalten zu erklären ist, dabei beobachtet werden könne, wie er einen Klassenkameraden P3 schlägt. Zusätzlich zu dieser Beobachtungssituation seien für den Attributor noch weitere Daten aus vorausgegangenen Verhaltensbeobachtungen erinnerlich: Einerseits sei aus vorauslaufenden mehrfachen Beobachtungen bekannt, daß kein anderer Schüler der Klasse den Schüler P3 schlägt. Andererseits habe aber auch beobachtet werden können, daß P2 schon zu früheren Zeitpunkten P3 sowie auch andere Klassenkameraden geschlagen habe. Aus dieser Beobachtungskonstellation folgern Meyer & Schmält nun entsprechend dem Kovariationsprinzip, daß aus der Sicht des Attributors das 'aggressive Verhalten' eine spezifische, mithin personale Eigentümlich-

136 keit/Eigenschaft von P2 sein müsse und sich dieser beobachtete Fall als eine LLH-Konstellation beschreiben lasse. Jenseits der Frage allerdings, ob diese Subsumtion des zu erklärenden Sachverhalts unter die LLH-Konstellation überhaupt angemessen ist, ist in diesem Beispiel mit dem Rekurs auf Aggressivität als Persönlichkeitseigenschaft bereits eine genuin inhaltlichtheoretische Vorentscheidung getroffen: Mit der Voraussetzung von Aggressivität als Persönlichkeitseigenschaft können nämlich beispielsweise Fragen nach der situationalen Begründetheit der von P2 realisierten Bewältigungsweisen in ggf. wiederkehrenden und für ihn problematisch gewordenen Handlungszusammenhängen gar nicht mehr gestellt werden. Mit dieser scheinbar voraussetzungslosen Exemplifizierung des Kovariationsprinzips ist bereits eine personalisierende Sicht auf die beobachteten Verhaltens- und Bewältigungsweisen von P2 nahegelegt worden, und es wird suggeriert, daß letztlich gar keine Alternativen zu der hier vorgeschlagenen Ursachenerklärung bestünden. Gleichwohl aber läßt sich die Angemessenheit dieser Vorstellung weder an dieser noch an anderen Beobachtungen überprüfen, weil Aggressivität nur als Interpretation von Daten aufgefaßt, aber nicht selbst beobachtet werden kann. Vorausgesetzt ist also auch hier wieder ein theoretisches Konstrukt, das die Erhebung von Daten steuert und ausrichtet, dessen Gegenstandsangemessenheit und interpretatorische Potenz via Beobachtung indes weder bestätigt noch widerlegt werden kann. Als Konstrukt zur Personalisierung gesellschaftlichsozialer Sachverhalte erweist sich die hier vorgeschlagene Theoretisierung vor allem anderen als eine, durch die von situationalen Besonderheiten abstrahiert wird und real bestehende Differenzen zwischen den beobachteten Handlungszusammenhängen nivelliert werden, womit jedweder Zugang zu den das Verhalten von P2 begründenden Prämissen verschlossen wird und nichts zu dessen Aufklärung beigetragen ist: So eng die damit implizit vorausgesetzte personalisierende Zuschreibung von 'Aggressivität' als Konzept zur Erklärung problematischer Handlungszusammenhänge auch mit gängigen Vorstellungen, Erklärungsmustern und Denkformen in Beziehung stehen mag, ist damit doch nichts weiter als eben nur eine der theoretisch möglichen Erklärungsversuche und eine der gesellschaftlich verfügbaren Denkformen zur Grundlage der entwickelten Zusammenhangsvorstellung herangezogen worden, wobei die Frage, welche der möglichen Erklärungen im gegebenen Fall zutrifft, hier empirisch nicht beantwortbar ist. Würde man der Interpretation des geschilderten Ereignisses ein anderes theoretisches Konzept zugrunde legen und Aggression etwa als in den ge-

137 genwärtigen Lebensumständen, soweit sie für das Subjekt zu Handlungsprämissen werden, begründete Bewältigungsweise auffassen, würde sich die Beobachtungsperspektive schon durch das zugrunde gelegte theoretische Konzept auf die Verhältnisse hin ausrichten, deren Bewältigung von P2 in dieser ggf. blind-involvierten Weise versucht wird. Das beobachtete 'Schlagen' müßte damit als eine P2 zur Verfügung stehende Handlungsmöglichkeit angesehen werden, deren Umsetzung ihm als angemessene, nahegelegte oder einzig verfügbare Form der Realisierung seiner subjektiven Lebensinteressen in eben solchen Handlungszusammenhängen erscheint, wobei der Umstand, daß eine solche Bewältigungsweise von anderen als aggressiv bezeichnet wird, für P2 selbst wiederum zum Aspekt seiner Prämissen gemacht werden kann. Aus dieser ganz anders gerichteten, wenn auch theoretisch nicht weniger voraussetzungsvollen Beobachtungsperspektive könnte sich etwa ergeben, daß P3 dann und nur dann von seinem Mitschüler P2 geschlagen wird, wenn dieser P2 beispielsweise als 'Dicken', als 'Ausländer' oder in einer anderen Weise hänselt. Daraus aber könnte geschlossen werden, daß P2 auch jeden anderen Schüler in gleicher Weise schlagen würde, von dem er ebenso gehänselt würde, ein Umstand, der ggf. nur noch nicht aufgetreten ist oder der dem Attributor aufgrund seiner vorausgesetzten personalisierenden Erklärungskonzeption nur nicht aufgefallen ist und daher als Datum gegenwärtig nicht verfügbar ist. Zudem aber könnte sich vor eben diesem Hintergrund noch herausstellen, daß sich auch jeder andere Schüler, sofern er nur in gleicher Weise gehänselt würde, dagegen zur Wehr zu setzen versuchen würde. Daß also ein derartiges Ereignis in bezug auf die gegenwärtig verfügbaren Beobachtungsdaten nicht vorliegt, läßt sich nicht als Grundlage dafür wenden, daß das hier aufgegriffene Aggressionskonzept zur Erklärung des fraglichen Ereignisses bestätigt oder widerlegt worden ist. Diese hier nur exemplarisch angeführten Überlegungen sollten an dieser Stelle auf die besondere Eingeschränktheit derartig exemplifizierter Zuschreibungszusammenhänge und die daraus hervorgehende beschränkte Aussagekraft experimentell realisierter Handlungserklärungen aufmerksam machen: Mit der hier vorab vorausgesetzten theoretischen Interpretationsfolie 'Aggressivität' als Personeneigenschaft und der damit gezielt vorgegebenen Information, die ebenso die gezielte Nicht-Information beinhaltet, können vielleicht eindeutige Zuschreibungsergebnisse und quantitativ auswertbare Befunde erreicht werden, nicht aber läßt sich dadurch sichern, daß aus derartigen Befunden unbedingt auch ein Erkennt-

138 nisgewinn bezüglich der Angemessenheit des Kovariationsprinzips erwartet werden kann. Selbst unter Bezug auf die Kelleysche Konzeption kann also auch für dieses Beispiel nicht eindeutig festgestellt werden, ob man es hier mit den Daten aus einer 4Mehrfachbeobachtung' oder aber einer 'Einzelbeobachtung' zu tun hat, deren jeweilige interpretative Zuschreibung doch vermittels der unterschiedenen Zuschreibungsprinzipien vollzogen werden müßte. Anders formuliert: Es hängt von der jeweils vorausgesetzten implizit-theoretischen Vorstellung ab, mit der man an die Beobachtungszusammenhänge herantritt, ob das hier von Meyer & Schmält gelieferte Beispiel als 'Mehrfachbeobachtung' oder als 4 Einzelbeobachtung' aufgefaßt wird, womit auch die Nutzung des Kovariations- respektive Konfigurationsprinzips nurmehr selbst als Resultat einer theorienvermittelten Sicht auf den problematisierten Zusammenhang begriffen werden muß. Die Frage, ob ein Sachverhalt vermittels des kovariationsanalytischen Auswertungsprinzips oder aber unter Bezug auf das Konfigurationsprinzip zu rekonstruieren versucht wird, ist also nicht von der Datenlage, sondern eben nur aufgrund der an diese herangetragenen impliziten Theorie zu beantworten, aus der sich die Lage der Daten überhaupt erst ergibt. Dies aber kehrt das von Kelley behauptete Verhältnis zwischen Empirie, Theorie und daraus entwickelter Ursachenzuschreibung geradezu um: Es sind die sachverhaltsbezogenen theoretischen Vorannahmen, die bestimmen, welche Aspekte des Beobachtungszusammenhangs überhaupt als *Daten* aufgefaßt und damit zur Grundlage von Ursachenzuschreibungen gemacht werden, nicht aber die Beobachtungsdaten, die als Basis dafür angesehen werden können, auf was hin Ursachenerklärungen und Verallgemeinerungen sachverhaltsbezogener Erklärungen entwickelt werden. Im Folgenden soll noch ein weiterer impliziter Theorienbezug herausgearbeitet werden, der sich ebenfalls an dem von Kelley (1973/1978) zitierten Beispiel des Experiments von McArthur (1972) veranschaulichen läßt und für die kritische Aufarbeitung von Attributionstheorien und attributionalen Prozessen als inhaltliche Konkretisierung des impliziten Theorienbezugs von zentraler Bedeutung ist: McArthur gab den Vpn auch kurze Texte mit einer Situationsbeschreibung, aus denen die Vpn die Ursachen des Befindens einer darin beschriebenen Person herleiten sollten. Der zugrunde liegende kurze Text ist dabei folgender: „Paul ist von einem Gemälde sehr angetan, das er in einem Kunstmuseum sieht. Es kommt kaum vor, daß andere Personen vom Anblick dieses Gemäldes sehr angetan sind.

139 Paul ist auch von nahezu jedem anderen Gemälde angetan" (McArthur, 1972, zitiert nach Kelley 1973/1978, 220ff). Ungeachtet der sich wohl nur auf die zu prüfende Hypothese hin begründenden, geradezu grotesken Zurichtung personenbezogener Informationskonfigurationen, in denen behauptet wird, jemand sei tatsächlich 'nahezu von jedem Gemälde angetan', sollen die Vpn hier angeben, welche Dimensionen für ein so gestaltetes Beobachtungsereignis als ursächlich angenommen werden könnten. Es soll also darüber entschieden werden, ob und inwieweit der beschriebene Beobachtungszusammenhang ursächlich auf Paul (Person), auf das Gemälde (Sachverhalt), auf besondere Umstände (Zeitpunkt) oder eine Kombination dieser Faktoren zurückzuführen sei. Kelley nimmt nun auf der Grundlage seiner dargestellten Konfigurationshypothesen an, daß auch aus dem vorliegenden Informationsmuster auf personale Ursachen, nämlich besonderen Eigenschaften von Paul, geschlossen werden muß. Diese Schlußfolgerung wird von Kelley für zwingend gehalten, weil die beschriebene 'Wirkung' - das 'Angetansein' von dem Gemälde - nur bei Paul, nicht aber bei anderen Personen auftritt (geringer Konsensus), weil Paul immer von Gemälden angetan ist (geringe Distinktheit) und weil die Wirkung des 'Angetanseins' bei Paul über die Zeit hinweg konstant bleibt (hohe Konsistenz). Zur näheren Begründung dieser personalen Zuschreibung führt Kelley noch an, daß Paul 'offensichtlich' eine bestimmte „Eigenschaft, Besonderheit oder Veranlagung" (ebd., 221) haben müsse, durch die die Begeisterung für Gemälde verständlich werden könne. Die damit explizierte Ursachendimension ergibt sich also auch hier keineswegs zwingend aus dem geschilderten Informationsmuster, sondern wird aus einer Theorie über Pauls kriterien- und unterschiedslose Kunstbegeisterung als dessen Persönlichkeitseigenschaft abgeleitet. Auch hier läßt sich also mit dem Verweis auf persönliche Veranlagung o.ä. ein theoretisch höchst voraussetzungsvoller Interpretationsrahmen für die empirischen Daten feststellen, der vorauszusetzen ist, um geringen Konsensus, geringe Distinktheit und hohe Konsistenz zur Grundlage der ursächlichen Erklärung, der auf die Person hin bezogenen Zuschreibung einer 'Kunstbegeisterung' zu machen, die jenseits ihres tatsächlich bestehenden Gegenstandsbezugs als eine personale Konstante angenommen wird. Nur dann nämlich, wenn man die damit zugrunde gelegte theoretische Vorstellung einer interindividuell unterschiedlichen Ausprägung personenbezogener Veranlagung teilt, läßt sich begründen, warum die von Paul empfundene Begeisterung angesichts des betrachteten Gemäldes von

140 anderen nicht geteilt wird, und es Paul offenbar auch gar nicht sinnvoll und möglich erscheint, anderen gegenüber die Bedeutung des betrachteten Gemäldes als Prämisse seiner aktuellen Begeisterung zugänglich zu machen, so daß diese die Bedeutung des Gemäldes für Paul verstehen können und damit für sich selbst danach zu fragen vermögen, ob ihre bisher realisierte Sichtweise in bezug auf das Kunstwerk nicht angesichts der von Paul ausgeführten 'Begeisterungsgründe* selbst revidiert werden muß, oder ob sie diesem Kunstwerk gegenüber eben eine andere Position als Paul einnehmen, weil von ihnen bewußt und nach Abwägung andere Prämissen realisiert werden. Nur dann aber wäre zugleich auch die phänomenale Unterschiedlichkeit zwischen den Begeisterungsäußerungen mit Bezug auf dieses Gemälde in ihrer jeweiligen Standpunktabhängigkeit rekonstruiert und wechselseitig als begründet erfahrbar. Derartige intersubjektive Verständigungen und daraus hervorgehende Zuschreibungen und Ereigniserklärungen sind allerdings schon aufgrund der hier realisierten massiven experimentellen Zurichtung weder vorstellbar, noch könnte die hier fingierte, jedweder Begründungszusammenhänge entkleidete 4 Kunstbegeisterung' von Paul auf etwas anderes als die Person und deren Eigenschaften zurückbezogen werden. Das experimentelle Design kann damit hier nur als Versuch gewertet werden, solcherlei Frage nach den von anderen Subjekten realisierten Prämissen abzuschneiden. Was bleibt, ist nurmehr die Vorstellung, daß es offenbar Pauls Eigenschaft sei, von 'fast jedem* Gemälde grund- und begründungslos begeistert zu sein, was von den Autoren offenbar als ein sicheres Indiz für eine wie immer zu begründende ' Kunstbegabung * aufgefaßt wird. Das geschilderte Experiment ist so gesehen keineswegs eine Prüfung, sondern lediglich eine - durch die Einführung eines beschränkten und partiell abstrusen Informationsmusters erreichte Veranschaulichung dieser merkwürdigen 4 Kunstveranlagungs' -Theorie.

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Kapitel 6

Die Erklärung der Struktur von Zuschreibungen und Zusammenhangserklärungen vom Standpunkt der Theorie korrespondierender Inferenzen Vorbemerkung Von der dargestellten attributionstheoretischen Konzeption Heiders wie auch von der Konzeptualisierung und Formalisierung H.H. Kelleys hebt sich die nun aufzuarbeitende Theorie korrespondierender Inferenz von Jones & Davis (1965) bzw. deren leichte Modifikation und partielle Weiterentwicklung von Jones & McGillis (1976) zunächst dadurch ab, daß ihr zentrales Thema nicht die Analyse und Beschreibung der Genese kausaler Zusammenhangsbehauptungen und inhaltlich-theoretischer Vorstellungen über die Verknüpfungen von Ursachen und Wirkungen ist. Von der Theorie korrespondierender Inferenz wird vielmehr zu klären beansprucht, wie aus wahrgenommenem Verhalten und erfahrenen Ereignissen personenbezogene dispositionale Urteile gebildet werden, welche Voraussetzungen einen Schluß von beobachteten Handlungen auf dispositionale Konstrukte möglich machen bzw. wann ein solcher Schluß gerade nicht gezogen werden kann. Der Korrespondenzbegriff wird damit auf das Verhältnis von Disposition und Verhalten bezogen und beschreibt einige der Möglichkeiten, wie beobachtetes Verhalten mit dispositionalen Konstrukten in Verbindung gebracht werden kann. Läßt sich also sowohl die Heidersche als auch die Kelleysche Konzeption als Versuch der Begründung einer allgemeinen Theorien der Genese ursachenbezogener Erklärungen auffassen, erweist sich der von Jones & Davis (1965) beanspruchte Aussagen- und Geltungsbereich als weitaus enger, wobei mit dem alleinigen Rekurs auf dispositionale Konstrukte letztlich Fragen nach der Konstitution von Ursachenzusammenhängen gar nicht thematisiert werden können. Unter dem Aspekt der Ursachenzuschreibung sind hier allein diejenigen Phänomene Gegenstand der Untersuchung geworden, in denen Personen als letztliche Ursache von Handlungen und Ereignissen angenommen werden. Verbindungslinien zu den bisher dar-

142 gestellten Ansätzen lassen sich danach vor allem darin aufweisen, daß Jones & Davis den Prozeß der Zuschreibung von Dispositionen und Eigenschaften als Attribution fassen (1965, 224), womit sich ihr Konzept als Explikation eines Unteraspekts der referierten anderen Konzeptionen auffassen läßt. Gemeinsam gehen die verschiedenen Ansätze dabei davon aus, daß die Bedeutung situationaler Aspekte der zu erklärenden Handlungen und Ereignisse mit dem Rekurs auf dispositionale Konstrukte relativ in den Hintergrund gedrängt wird oder aber gänzlich unbeachtet bleibt. Die gesonderte Aufarbeitung von Zuschreibungsprozessen, die auf persondispositionale Konstrukte zurückgreifen, rechtfertigt sich nicht nur daraus, daß hier eine Möglichkeit der Erklärung von Handlungen und Ereignissen thematisiert wird, die bereits in den dargestellten Konzeptionen verschiedentlich angesprochen wurde. Ihre Besonderheit und konzeptionelle Bedeutung für die Analyse attributionaler Prozesse ergibt sich vielmehr erst daraus, daß mit dem Rekurs auf Eigenschaften und der Nutzung dispositionaler Konstrukte im Rahmen der Handlungserklärung (wie auf S. 76 dieser Arbeit bereits erwähnt) die für Kausalerklärungen gerade konstitutive Struktur und Charakteristik der theoretischen Verknüpfung zwischen den Ereignissen aufgegeben wird. Fragt nämlich eine kausalanalytische Rekonstruktion von Ursachen gerade nach dem Verhältnis zwischen verschiedenen Ereignissen, erscheint es unter Bezug auf persondispositionale Konstrukte gerade so, als lasse sich das So-sein der Person als Ursache der von ihr hervorgebrachten Handlungen ansehen, womit die zu erklärende Handlung nurmehr als Implikat und Ausdruck der ihr zugeschriebenen dispositionalen Verfaßtheit angesehen werden kann. Während also Kausalerklärungen Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis und den Möglichkeiten inhaltlich-theoretischer Verknüpfung zwischen voneinander unabhängigen Ereignissen liefern, ist es gerade die Unabhängigkeit der Ereignisse, die mit einer dispositionalen Erklärung in Frage gestellt wird. Neben der damit angeführten inhaltlichen Relevanz der von Jones & Davis thematisierten Prozesse dispositionaler Zuschreibung erweist sich deren Aufarbeitung aber auch als theorien- und problemgeschichtlich bedeutsam: Mit dem Verzicht auf den Versuch zur Begründung einer attributionstheoretischen Gesamtkonzeption und dem Anspruch, nur solche Hypothesen in das eigene Konzept aufgenommen zu haben, die sich variabilisieren, quantifizieren und experimentell-statistisch prüfen lassen, kann die Theorie korrespondierender Inferenz gewissermaßen als erstes attributionsbezogenes System von Hypothesen und Aussagen aufgefaßt werden, das sich

143 nicht als geschlossene Konzeption und Alternative zu bestehenden Ansätzen versteht, sondern demgegenüber eine Art Sammlung testbarer bzw. getesteter Hypothesen repräsentiert. Mit der Formulierung: „Our approach is to cast these 'conceptual commonalties' in a form which is amenable to cumulative experimental research" (Jones & Davis, 1965, 223) ist also auch eine methodisch-konzeptionelle Vorstellung entwickelt worden, in der Theorienentwicklung als Resultat eines 'cumulative experimental research ' und nicht als Entwurf einer Gesamtsicht begründet wird. Dies aber bedeutet, daß die hier mit aufzuarbeitende Theorie bereits wie in der 'modernen' psychologischen Experimentalforschung vornehmlich durch methodologische Überlegungen vorstrukturiert worden ist. Die Aufarbeitung der Theorie korrespondierender Inferenz muß damit reflektieren, ob und in welcher Weise von ihr gewissermaßen 'Spezialfälle' attributionsbezogener Phänomene angesprochen werden und in welchem Verhältnis diese zu den bereits referierten Konzeptualisierungen personenbezogener Attributions- und Zuschreibungsprozesse tatsächlich stehen.

6.1. Zur Konzeption der Theorie korrespondierender Inferenz Die Theorie korrespondierender Inferenz in der von Jones & Davis (1965) vorgelegten Fassung formuliert also die Frage, wie, wann und in welchen Zusammenhängen besondere, der Person zuzuschreibende dispositionale Konstrukte als Erklärung für das Zustandekommen von deren Handlungen herangezogen werden. „We assume that the person-perceiver's fundamental task is to interpret or infer the causal antecedents of action. The perceiver seeks to find sufficient reason why the person acted and why the act took on a particular form. Instead of the potentially infinite regress of cause and effect which characterises an impersonal, scientific analysis, the perceiver's explanation comes to a stop when an intention or motive is assigned that has the quality of being reason enough" (Jones & Davis, 1965, 220). Der Rekurs auf Subjekteigenschaften habe in alltagspraktischen Handlungszusammenhängen im wesentlichen die Funktion, ein handhabbares Abbruchkriterium in den strukturell unabschließbaren Prozeß kausaler Ursachenanalyse einzuführen.

144 Grundlage der Produktion persondispositionaler Zuschreibungen sei das bereits von Heider (1958/1977) postulierte Motiv, aus manifesten Handlungen diejenigen Invarianzen zu extrahieren, aufgrund derer die Entwicklungen eigener Lebens- und Handlungszusammenhänge kontrollier- und vorhersagbar werden. Bezogen auf Handlungen könnten derartige Invarianzen nur entwickelt werden, wenn Handlungen auf dispositional Strukturen der beobachteten Handlungssubjekte zurückgeführt werden. Das Zuschreibungssubjekt sei also daran interessiert, beobachtete Handlungen, wenn auch über verschiedene Vermittlungsschritte hinweg, auf disposition a l Konstrukte der Handlungssubjekte zurückzuführen: „The cognitive task of establishing sufficient reason for an action involves processing available information about, or making assumptions about, the links between stable individual dispositions and observed action" (Jones & Davis, 1965, 220). Von der Theorie korrespondierender Inferenzen wurden nun dreierlei Faktoren, durch die personenbezogene Erklärungen von Handlungen nahegelegt und gegenüber möglichen situationalen Begründungen stärker akzentuiert werden, bestimmt und experimentell analysiert. Die Voraussetzung dafür, überhaupt von Handlungen bzw. Ereignissen auf dispositional Bestimmungen des handelnden Subjekts schließen zu können, sei die vom Beobachter wahrgenommene 'freie Wahr des Akteurs zwischen möglichen Handlungsalternativen, die dann entfällt, wenn eine Handlung unter Zwang bzw. auf Befehl ausgeführt wird. Neben der 'Wahlfreiheit' müsse der Beobachter zudem notwendig davon ausgehen können, daß Handelnde über eine Vorstellung der Konsequenzen ihrer Handlungen verfügen. „Consequences of an action which the actor could not have forseen do not qualify as candidates for what he was trying to achieve" (ebd., 221). Damit wird angenommen, daß sich eine Handlung dann und nur dann als Ausdruck individueller Dispositionen verstehen lasse, wenn sich Differenzen zwischen den spezifischen Konsequenzen (noncommon effects) der realisierten Handlung einerseits und den Effekten der 'ausgeschlagenen' Handlungsalternativen andererseits bestimmen lassen. Intentionalität erscheint in diesem Konzept nur als eine Art Unteraspekt der persondispositionalen Verfaßtheit (vgl. dazu Wimmer, 1983, 306): Eine Handlung sei also um so aufschlußreicher für die Explikation von Dispositionalität des Handlungssubjekts, aus je mehr Alternativen sie gewählt worden ist. Damit wird von der Theorie korrespondierender Inferenzen zunächst implizit postuliert, daß Handlungen, sofern sie nicht situational

145 erzwungen sind, ursächlich auf dispositionale Bestimmungen des Handlungssubjekts zurückführbar seien, ohne daß jedoch die Funktion einer solchen Zuschreibung und deren inhaltliche Angemessenheit selbst zum Gegenstand einer theoretischen Analyse gemacht würde. Dispositionale Zuschreibungen seien darüber hinaus daran gebunden, daß sich einerseits tatsächlich unterscheidbare Konsequenzen beobachten lassen, andererseits aber nicht zugleich unzählige Differenzen zwischen den Alternativen bestehen, so daß unklar bleiben muß, welche der hervorgerufenen Konsequenzen vom Handlungssubjekt für wesentlich gehalten wurden. ,A choice between two choices areas, then, is a choice between two multiple-effect clusters. [...] The theory assumes, that these common effects could not have been decisive in the choice, and thus do not provide information which could contribute to correspondent inferences. There are also, of course, distinctive differences between the settings [...] and the perceiver's cognitive accounting of these differences would be the critical determinant of whatever inference was made" (ebd., 225f). Je geringer also die Zahl nicht-gemeinsamer Effekte von Handlungsalternativen, desto eindeutiger könnten dispositionale Zuschreibungen auf diese Effekte hin bezogen werden. Anders formuliert: Gemeinsame Effekte beobachteter Handlungen sind in bezug auf dispositionale Schlußfolgerungen blind, viele nicht-gemeinsame Effekte hingegen mehrdeutig. Eindeutige und dispositionale Zuschreibungen von Handlungen und Handlungsresultaten würden jedoch erst unter Bezug auf einen dritten zusätzlichen Faktor möglich, wenn die beobachtete Handlungsweise auf deren 'soziale Erwünschtheit' bezogen werde. Dies sei deshalb wesentlich, weil sich allein aus der Beobachtung von Handlungen, die gemeinhin als erwünscht angesehen würden und daher im Handlungszusammenhang erwartet werden könnten, noch keine Auskunft über anzunehmende dispositionale Verfaßtheiten des Handlungssubjekts ergebe. „These assumptions by the perceiver tend to operate as hypotheses which bias the inference process. Thus upon observing that an action leads to a normally desirable effect, the perceiver usually will believe that most persons, including the present actor, find that effect desirable. [...] However, it is also clear that attribute-effect linkages based on universally desired effects are not informative concerning the unique characteristics of the actor" (ebd., 227). Diese Vorstellung muß als deutlicher konzeptioneller Bezug auf das von Kelley vorgelegte Konzept der Konsensus-Informationen aufgefaßt werden: Die bloße Beobachtung rollenkonformen und als 'durchschnittlich' ange-

146 nommenen Verhaltens läßt den Beobachter im Unklaren, welche Gründe individuell für das Handeln anzunehmen seien. J n general, we learn more about uniquely identifying intentions and dispositions when the effects of a chosen action are no more universally desired than the effects of a nonchosen action" (ebd.). Damit ist nun ein Konzept vorgelegt, in welchem die Möglichkeit eines attributionalen Korrespondenzschlusses von beobachteten Handlungen auf Dispositionen als inverse Funktion zweier Größen beschrieben worden ist: Je geringer unter der Bedingung relativer 'Wahlfreiheit' von Handlungen die Zahl nicht-gemeinsamer Effekte der Handlungsalternativen und je niedriger die angenommene 'soziale Erwünschtheit' eines beobachteten Effekts eingeschätzt werde, desto größer sei die Möglichkeit, auf personale Dispositionen des Handelnden zu schließen. Mit dieser Hypothese, so die Autoren, lasse sich auch ein von Jones, Davis & Gergen (1961) durchgeführtes Experiment reinterpretieren, in dem den Vpn ein und dasselbe scheinbar authentische Tonbandinterview eines Bewerbungsgesprächs vorgespielt wurde, das einmal in den Kontext der Auswahl von Astronauten und einmal in Zusammenhang mit der Auswahl von U-Boot-Fahrern gestellt wurde. Zusätzlich wurde der einen Gruppe von Vpn die Information gegeben, daß sich ein idealer Astronaut als ein 'unabhängiger' und 'innengeleiteter* Mensch auszeichne; demgegenüber wurde der anderen Gruppe von Vpn mitgeteilt, daß ein idealer U-Boot-Fahrer eher als ' anschlußsuchender' und ' außengeleiteter' Mensch gekennzeichnet sei. Die Vpn standen nun vor der Aufgabe, die interviewten Personen auf der Dimension 'Rollenkonformität - Rolleninkonformität' zu charakterisieren, wobei gezeigt werden konnte, daß diejenigen Personen, die sich unter der 'Astronautenbedingung' als 'außengeleitet' darstellten, gegenüber denjenigen Personen, die sich unter der 'U-Bootbedingung' als 'innengeleitet' darstellten, vermehrt als rolleninkonforme Personen charakterisiert wurden. Jones & Davis (1965) bewerten die Befunde dieses Experiments als Bestätigung ihrer Hypothese, daß der Grad der Rollenkonformität als wesentliche Dimension der Begründung situationaler respektive personaler Zuschreibung von Verhaltensweisen angesehen werden müsse. Personenbezogene Zuschreibungen und Attributionen würden demnach um so eindeutiger geleistet, je stärker das beobachtete Verhalten von den Rollenerwartungen abweicht. Diese Abweichung werde von den Beobachtern mit der Existenz besonderer personaler Eigenschaften begründet, die unter-

147 stellt werden müßten, um die Abweichung des tatsächlich beobachteten Verhaltens gegenüber dem eigentlich erwarteten Verhalten begründen zu können, womit von den Beobachtern jedoch die Frage nach den für diesen Fall bedeutungsvollen besonderen situationalen Begründungszusammenhängen mithin schon als Frage ausgeschlossen wurde bzw. vom experimentellen Design her verschlossen geblieben ist. Aufgrund dieser theoretischen Kernannahme der Theorie korrespondierender Inferenzen läßt sich also behaupten, daß situationale Begründungszusammenhänge für die Rekonstruktion beobachten Verhaltens nur dann überhaupt zugelassen werden, wenn die beobachtete Verhaltensstichprobe mit einem als 'verbreitet' unterstellten Verhalten in Beziehung gebracht werden kann: Je deutlicher sich demgegenüber das beobachtete Verhalten von den als generalisiert postulierten situationsbezogenen Verhaltenserwartungen unterscheidet, desto zwingender sei der Rekurs auf die Person des Handlungssubjekts und die Zuschreibung dispositionaler Konstrukte, bzw. desto höher werde die Diagnostizität des betreffenden Verhaltens für korrespondierende Dispositionen des Subjekts eingeschätzt. Damit indes wird von der Theorie korrespondierender Inferenzen eine starre Trennung der Erklärungsprinzipien angenommen, unter Bezug auf die ein Verhalten zu erklären versucht wird: Je nachdem, ob das Zuschreibungssubjekt für das zu erklärende Verhalten eine wie immer näher zu bestimmende gesellschaftliche Verbreitetheit bzw. Erwartung annimmt oder meint, daß es sich um einen idiosynkratischen, nur von dieser konkret beobachteten Person realisierten Handlungsvollzug handele, müßten konzeptionsgemäß grundlegend unterschiedliche Zuschreibungstendenzen für den Prozeß der Handlungserklärung herangezogen werden. Für unsere weitere Argumenation bemerkenswert ist, daß die zentralen Kernannahmen auch von den Autoren (ebd., 228) selber als nahezu tautologisch charakterisiert werden: „This relationship may be stated in simpler terms as a near tautology: the more distinctive reasons a person has for an action, and the more these reasons are widely shared in the culture, the less informative the action is concerning the identifying attributes of the person." Wenn aber derart zentrale theoretische Konstruktionen der Theorie korrespondierender Inferenz bereits von den Verfassern selbst als nahezu tautologisch beschrieben werden, muß im Rahmen dieser Aufarbeitung die Frage danach gestellt werden, ob und ggf. in welcher Weise sich überhaupt empirisch gehaltvolle Aussagen und Hypothesen aus diesem Konzept ab-

148 leiten lassen, oder ob deren experimentelle Realisierung nicht vielmehr schon aufgrund der tatsächlichen tautologischen Struktur des gesamten Konzepts als eine Art Tseudoempirie' (vgl. Smedslund, 1988) zurückgewiesen werden muß. Neben den dargestellten ereignisbezogenen Bedingungen der Ermöglichung dispositionaler Zuschreibungen ist von Jones & Davis (1965) ein dritter motivational-dynamischer Faktor eingeführt worden, durch den die personenbezogene Attribution aus einer beobachteten Handlung beeinträchtigt werde: Die besonderen Konsequenzen, die sich aus einer Handlung für die Person des Beobachters ergeben, bestimmen mit, ob und in welcher Weise überhaupt dispositionale Zuschreibungen erfolgen, was von Jones & Davis als 'hedonistische Relevanz' bezeichnet wird. ,An act may be hedonically relevant for the perceiver and yet the perceiver may conclude that the consequences of the action were unintended. Alternatively, if the perceiver concludes, that the observed action was uniquely conditioned by his or her presence (i.e., that the positive or negative consequences of the action were intended), inferences may be influenced by the variable of personalism" (Weray et al. 1989,13). Dispositionale Urteile des Beobachters können damit nicht als mechanisch-regelhafte Schlüsse aus Beobachtungsdaten, sondern müssen vielmehr als abhängig von der jeweiligen inhaltlichen Involviertheit des Beobachters einerseits und von dem Bezug des Beobachters zum beobachteten Ereignis wie dessen Konsequenzen für ihn andererseits begriffen werden. Wird nach Jones & Davis etwa angenommen, daß eine Handlung unmittelbar auf die eigene Person des Beobachters hin ausgerichtet ist, wird dieser die Handlung anders einordnen und bewerten, als wenn er davon ausgeht, daß die Handlung auf etwas Drittes, das mit seiner Person nichts zu tun hat, ausgerichtet ist. ,An actor's choice is hedonistically relevant for the perceiver if, on balance, it promotes or thwarts his purposes. An action is personalistic, in the perceiver's view, if it was uniquely conditioned by the latter's presence: if conditions are such that the perceiver believes he is the intended consumer of the effects produced by the actor" (ebd., 264). Auch wenn mit dieser Überlegung eine Dimension von Intentionalität, die von dispositionalen Handlungserklärungen unterschieden werden muß, in die Analyse des Prozesses der Zuschreibung von Handlungen und Handlungsresultaten zur Person eingefügt wurde, verbleibt die von Jones & Davis vorgelegte Konzeption dennoch darin befangen, Intentionen, wenn auch über verschiedene Vermittlungsschritte hinweg, schlußendlich immer

149 wieder auf dispositionale Konstrukte zurückzuführen. Es ist die Subsumtion von Handlungen unter das Ereignis-Ursache-Schema, die eine - etwa in Weiterentwicklung des Konzepts der 'hedonistischen Relevanz' zu gewinnende - begründungstheoretische Perspektive auf das Zustandekommen von Attributionen letztlich konzeptionell unmöglich macht. Vor diesem Hintergrund erweist sich der Einbezug eines Konzepts 'hedonistischer Relevanz' nurmehr als eine Art Hilfsannahme, die theoretisch notwendig geworden ist, um auch diejenigen Situationen erklären zu können, in denen attributionale Zuschreibungen zwar möglich sind, empirisch indes nicht nachgewiesen werden können.

6.2. Reformulierung der Theorie korrespondierender Inferenzen durch Jones & McGillis Ausgangspunkt der von Jones & McGillis (1976) vorgelegten Fassung der Theorie korrespondierender Inferenz ist die Überlegung, daß Attribution nicht nur als Möglichkeit der Zuschreibung von Intention und Disposition aufgefaßt werden könne, sondern vielmehr eine Möglichkeit für den Beobachter darstelle, für sich handlungsrelevante Informationen zu gewinnen. Indem ein beobachtetes Verhalten von unseren Verhaltenserwartungen abweiche, eröffne sich neue Information nicht nur bezogen auf diese Situation bzw. dieses Handlungssubjekt, vielmehr könnten, eben weil beobachtetes Verhalten immer auf verfügbares soziales 'Wissen' und soziale Erwartungen bezogen werde, auch die vom Beobachter als grundlegend angenommenen Vorstellungen selbst in Frage gestellt und verfeinert werden. Würden dispositionale Korrespondenzschlüsse aber nicht lediglich auf die Feststellung nicht-gemeinsamer Verhaltenseffekte von gegebenen Handlungsalternativen bezogen, wie dies von Jones & Davis (1965) angenommen wird, sondern allgemein als Möglichkeit des 'Informationsgewinns' aufgefaßt, lasse sich beobachtetes Verhalten nicht nur auf die Dimension der sozialen Erwartungen, sondern auch auf die Dimension individueller Erwünschtheit von Handlungseffekten für das Handlungssubjekt beziehen, womit Korrespondenzschlüsse auch aus der Abweichung beobachteter individueller Verhaltensweisen gegenüber früher beobachteten Verhaltensweisen eines konkreten Subjekts möglich würden.

150 Damit läßt sich der von Jones & McGillis vorgelegte Versuch der Verallgemeinerung der Theorie korrespondierender Inferenz zu einer Theorie des 'sozialen Informationsgewinns' als Kritik der von Jones & Davis entwickelten Konzeption fassen, in der korrespondenzanalytische Schlüsse nur aufgrund der Beobachtung einer singulären Verhaltensepisode zu begründen versucht wurden und somit vorausgegangene Erfahrungen und bestehendes Wissen über die Person des Handelnden sowie deren spezifische intentionale Gerichtetheit konzeptionell ausgeklammert sind. Demgegenüber ist von Jones & McGillis versucht worden, auch die tatsächlichen Erfahrungen bzw. das vorliegende 'Wissen' über ein konkretes Handlungssubjekt derart mit einzubeziehen, daß das beobachtete Verhalten nicht nur in bezug auf seine modale Wünschbarkeit, sondern auch in bezug auf die Konsistenz mit vorausgegangenen individuellen Verhaltensbeobachtungen bestimmt und beschrieben werden könne. J n Bayesian terms, correspondence reflects changes in the subjective probability of inferring a disposition given observed behavior. The perceiver may begin either with an expectancy based on normative considerations or one based on prior behavior of the same actor" (Jones & McGillis, 1976, 391). Entgegen der Position von Jones & Davis lasse die Beobachtung singulären Verhaltens die Zuschreibung dispositionaler Verfaßtheiten auf Seiten des Handlungssubjekts schon aus dem Grunde gar nicht zu, weil für den Schluß von Intentionen auf Dispositionen vorausgesetzt sei, daß Intentionen gerade über verschiedene situationale Kontexte persistierten, so daß kontextuelle Aufschließungsversuche mit dem Rekurs auf dispositionale Konstrukte letztlich aufgegeben werden müßten. Entsprechend stellen Jones & McGillis (1976, 393) fest: „One criticism of the earlier Jones and Davis formulation is that the analysis was concerned with the single behavioral episode, and there was no provision for inferences following more extended experience with a given target person. Indeed, their paper might better have been subtitled 'From Acts to Intentions' than 'From Acts to Dispositions'. A disposition is inferred when an intention or related intentions persist or keep reappearing in different contexts." Indem Jones & McGillis Korrespondenzschlüsse nicht mehr allein aus dem Verhältnis konkreter Verhaltensbeobachtungen zu einem als zugrunde liegend angenommenen Wissen über die 'sozialen' Verhaltenserwartungen abzuleiten versuchen, sondern auch die Dimension der 'individuellen' Erwünschtheit aus dem 'Wissen' über vorausgegangene Verhaltensweisen dieses konkreten Individuums einzubeziehen versuchen, ergibt sich eine

151 konzeptionelle Differenz für die damit einzubeziehenden sozialen Erwartungen als sogenannte 'category-based expectancies' einerseits und 'target-based expectancies' andererseits. Dabei bezeichnen 'category-based expectancies' die auch von Jones & Davis thematisierten sozialen Erwartungen, die sich aus der Kenntnis bzw. den Annahmen über die Zugehörigkeit des Handlungssubjekts zu einer bestimmten Gesellschaft, einer Klasse oder sozialen Gruppe ergeben und bestimmte, für diese Personengruppe als typisch angenommene Ziele, Intentionen, Handlungsweisen und Verhaltensformen als Dimensionen der Handlungsbegründung repräsentieren. Ein wesentlicher Aspekt der category-based expectancies muß nun darin gesehen werden, daß in diesen Aussagen nahegelegte Begründungszusammenhänge auch als nahgelegte Verhaltensweisen aufgefaßt werden, deren Struktur und Funktion jedoch etwa von der Stereotypenbildung abzugrenzen sind: Die sich auf Stereotypen begründenden Zuschreibungsprozesse von Intention und Eigenschaften können demnach nur als besonderes Extrem der category-based expectancies aufgefaßt werden, da Stereotypen die prinzipiell probabilistische Struktur von category-based expectancies ignorieren und das Handlungssubjekt mit der Charakterisierung in eins setzen, die für die soziale Gruppe, zu der man das Handlungssubjekt hinzurechnet, modal als Zuschreibung ihrer Intentionen und Handlungen angenommen wird. Aus dem 'Wissen' bzw. den Vorstellungen über die gesellschaftlich-soziale Position der Handelnden ergibt sich also nach Jones & McGillis für den Beobachter die Möglichkeit, Vethzltenserwartungen zu entwickeln und Abweichungen von diesen als Basis der Zuschreibung von auf das Individuum bezogenen Dispositionen und Eigenschaften zu nutzen und dabei Situationsaspekte nicht weiter in Betracht zu ziehen. Eine der besonderen Funktionen derart zu fassender Eigenschaftszuschreibungen läßt sich als eine Art Herausgliederung zuwiderlaufender Erfahrungen beschreiben, durch die die potentiell vorurteilshafte Etikettierung einer sozialen Gruppe auch entgegen faktisch widersprechenden Erfahrungen abgesichert und aufrechterhalten werden kann. So kann der Rekurs auf die für dieses besondere Handlungssubjekt angenommenen dispositionalen Eigenschaften dazu genutzt werden, die sich potentiell aufdrängenden Fragen nach situationaler und intentionaler Begründetheit abzublocken, ohne daß damit die der eigenen Vorstellung widersprechende Erfahrung zur Grundlage der Kritik bestehender personen- und gruppenbezogener Denkund Rezeptionsformen gemacht werden müßte. Auf diese wider-

152 spruchseliminierende Funktion des Abschneidens von Fragen nach weitergehenden Begründungszusammenhängen derartiger Eigenschaftszuschreibungen komme ich an anderer Stelle noch systematisch zurück (vgl. S. 249 dieser Arbeit). Gegenüber den category-based expectancies repräsentieren die 'targetbased expectancies' vorausgehende Erfahrungen und Informationen über die tatsächlich beobachtete Person: „The perceiver* s task is to extrapolate from one set of judged dispositional attributes (traits, motives, attitudes) to a set of attributes relevant to the behavior observed. This extrapolation most likely follows the paths of the perceiver's 'implicit personality theory'" (ebd., 394). Beispielhaft führen Jones & McGillis in diesem Zusammenhang ein von Jones, Worchel, Goethals & Grumet (1971) durchgeführtes Experiment an, bei dem den Vpn Aufsätze zur Legalisierung von Marihuana vorlagen, die angeblich von als autoritär bzw. antiautoritär charakterisierten Personen geschrieben worden waren. Hierbei wurden Äußerungen der 'Anti-Autoritären' gegen eine Legalisierung von Marihuana häufiger als eine spezifische Position bezüglich des Gegenstandes Marihuana beurteilt als solche, die von den 'Autoritären' vorgebracht wurden. Dies wurde damit erklärt, daß die Ablehnung der Marihuana-Legalisierung der generellen Hochschätzung individueller Freiheiten durch 'Anti-Autoritäre' widerspreche. Eine zweite konzeptionelle Entwicklung der Theorie korrespondierender Inferenz setzt an der bereits bei Jones & Davis angesprochenen Überlegung an, daß personale Zuschreibungen von Eigenschaften um so nahegelegter seien, je deutlicher Abweichungen zwischen konkretem Verhalten und geltenden sozialen Normen und Rollenerwartungen angenommen würden. Diese bereits von Jones & Davis als quantitative Relation formulierte Vorstellung ist von Jones & McGillis formalisiert worden, wobei das Verhältnis zwischen Verhaltenserwartungen und beobachteten Verhaltenseffekten auf eine Skala mit den Werten -1 bis +1 bezogen wurde. Maximale soziale Erwünschtheit (+1) läßt demnach keine Inferenzschlüsse zu, während maximale Unerwünschtheit zu den ausgeprägtesten Inferenzschlüssen auf Dispositionen führe. Mit dieser Quantifizierung sollte laut Jones & McGillis - auch wenn sich daraus keine neuen theoretischen Gesichtspunkte ergeben - eine genauere Analyse attributionaler Prozesse ermöglicht werden. Ob dieses Ziel tatsächlich erreicht wurde, muß aber als sehr zweifelhaft erscheinen. Zwar meinen die Autoren, daß es mit der Quantifizierung möglich werde, ver-

153 schiedene Ereignisse in der Zusammenschau zu betrachten und damit ggf. unleugbare Situationale Begründungszusammenhänge in ihrer Bedeutung dadurch zu relativieren, daß sie mit unterschiedlich ausschlaggebenden Faktoren bei der Konstitution der Eigenschaftszuschreibungen gewichtet werden. Tatsächlich aber erweist sich der hier vorgeschlagene Verrechnungsvorgang eher als eine für das Zuschreibungssubjekt bestehende Möglichkeit, problematisch werdende und tendenziell vorurteilshaft getroffene Zuschreibungen und Vereigenschaftungen gegenüber Kritik und zuwiderlaufender Erfahrung zu immunisieren, womit der hier beschriebene Verrechnungsmodus gerade nicht als Möglichkeit der spontanen und unmittelbaren Zusammenhangsaufschließung, sondern vielmehr als Möglichkeit zur Fragenbeschränkung und Mittel zur Verhinderung der Entwicklung weitergehender Zusammenhangskenntnisse aufgefaßt werden kann (s.u.). Eine dritte konzeptionelle Differenzierung gegenüber der von Jones & Davis (1965) entworfenen Theorie korrespondierender Inferenz ergibt sich daraus, daß die von Jones & McGillis vorgelegte Konzeption als Theorie des sozialen Informationsgewinns aufgefaßt wird. Während im Rahmen der Jones & Davisschen Konzeption jedwede Abweichung einer beobachteten Verhaltensweise von den Vorstellungen des Beobachters über das, was als 'sozial erwünschtes Verhalten' anzusehen ist, den Schluß auf die besondere dispositionale Verfaßtheit des Handlungssubjekts begründete, ohne daß die dabei zugrunde liegenden Vorstellungen von 'sozialer Erwünschtheit' in Zweifel gezogen würden, entwickeln Jones & McGillis eine theoretische Perspektive, aus der heraus auch das zunächst als verbreitet erachtete individuell-gesellschaftliche 'Wissen' über die sozialen Erwartungen aufgrund von Verhaltensbeobachtungen in Frage gestellt werden kann. Indem die Funktion korrespondierender Inferenzen auch als Möglichkeit des sozialen Informationsgewinns für den Beobachter aufgefaßt wird, können erhebliche Differenzen zwischen Vorstellungen sozialer Erwünschtheit und dem beobachteten Verhalten auch dazu führen, daß der Beobachter die von ihm geteilten gesellschaftlichen Erwünschtheitsvorstellungen in Zweifel zieht. Aus der Differenz zwischen erwartetem Verhalten und den zuwiderlaufenden Beobachtungsdaten können nach Jones & McGillis also auch die Zusammenhangsvorstellungen selbst revidiert und verändert werden. In diesem Kontext wird von Jones & McGillis die Hypothese formuliert, daß die Aufrechterhaltung inhaltlicher Annahmen und Konstrukte, wie sich andere Individuen der jeweiligen sozialen Gruppe in vergleichba-

154 ren Situationen typischerweise verhalten würden, auf Seiten des Beobachters um so stärker in Zweifel gezogen und fürderhin als begründungspflichtig angesehen würden, je deutlicher die beobachteten Handlungen von den darauf bezogenen Verhaltenserwartungen abweichen. Damit ist zunächst also wieder eine quantitative Beziehung formuliert, gemäß derer es vom Ausmaß der Differenz zwischen den sich auf die Vorstellungen des Beobachters beziehenden Verhaltenserwartungen und den davon abweichenden tatsächlichen Handlungen abhängt, ob und inwieweit die impliziten Vorstellungen und Erwartungen des Beobachters selbst zum Gegenstand der Kritik gemacht werden. „We therefore propose that as the discrepancy between expectancy and behavior grows, the perceiver will be increasingly skeptical concerning the knowledge assumption. And we would expect this skepticism to be positively accelerating, growing very slowly under low discrepancies and very rapidly as the discrepancy increases further" (ebd., 399). Dabei erweist es sich in unserem Argumentationszusammenhang zunächst als entscheidend, daß mit der Möglichkeit zur Kritik und Revision der auf Ursachenzuschreibungen bezogenen impliziten Theorien und Konstrukte zuwiderlaufende Erfahrungen nicht mit dem Verweis auf dispositionale Sonderannahmen neutralisiert werden müssen: Auch wenn es theoretisch möglich ist, daß erwartungswidrige Verhaltensbeobachtungen als potentielle Kritik der impliziten Theorien und Konstrukte des Beobachters konzeptionell zugelassen werden, stellt sich die Frage, unter welchen Umständen erwartungsdivergente Handlungsresultate zur Revision impliziter Konstrukte führen und unter welchen Umständen sie zur Grundlage von dispositionalen Seinsbestimmungen genommen werden. Wenn nämlich das System der impliziten Konstrukte in der von Jones & McGillis vorgelegten Konzeption selbst als entwickel- und modifizierbar begriffen wird, was im übrigen schon darum angenommen werden muß, um auch die Prozesse der Konstitution von Verhaltenstheorien fassen zu können - müßte letztlich aus jedweder erwartungsdivergenten Verhaltensbeobachtung die Notwendigkeit erwachsen, die Angemessenheit der zunächst zugrunde gelegten impliziten Theorien zu prüfen und diese ggf. dahingehend zu erweitern und zu entwickeln, daß auch der zunächst abweichende Fall als Fall der nunmehr angemesseneren Theorie aufgefaßt werden kann. Dies hätte indes zur Konsequenz, daß dispositionale Seinszuschreibungen lediglich als eine Art vorläufiger Hilfskonstruktionen angesehen werden könnten, die von den Zuschreibungssubjekten im Zuge der näheren Explikation angemessenerer Begründungszusammenhänge selbst aufgegeben werden.

155 Zur Klärung dieser Problematik kann also die von Jones & McGillis vorgelegte Quantifizierung der festzustellenden Abweichungen nicht als ein hinreichendes Mittel angesehen werden: Eine allein auf das 'Ausmaß' der Abweichungen zurückgehende Bestimmung geht hier nämlich an dem Umstand vorbei, daß implizite Theorien und Konstrukte nicht allein auf Daten bezogen, sondern vielmehr in einen gesellschaftlichen Kontext eingebunden sind, womit die Interpretation von Handlungen stets Bezüge und Verweise auf gesellschaftliche Verhältnisse hat und mit gesellschaftlichverfügbaren Denkformen vermittelt ist. Damit ergibt sich die Möglichkeit zur Revision und Kritik impliziter Theorien auch nicht allein aus deren Verhältnis zu bestimmten darauf bezogenen Beobachtungsdaten, sondern verweist vielmehr auf ein weit darüber hinausgehendes, ggf. problematisches Verhältnis zwischen gesellschaftlich nahegelegten, potentiell ideologischen Denkformen und der je eigenen Lebenspraxis (vgl. dazu Holzkamp, 1988a, 125f). Nur dann nämlich, wenn man implizite Theorien und Konstrukte als in ihrem Kern individuelle und nur der Person des Zuschreibungssubjekts zugehörige Denkformen auffassen würde, deren Revision und Kritik keine weiteren Konsequenzen für die gesellschaftlich-soziale Position und Integration des Zuschreibungssubjekts mit sich bringen, könnte angenommen werden, daß die Preisgabe zunächst angenommener Sichtweisen einzig in der Summe bzw. dem Ausmaß der ihr widersprechenden Erfahrungen begründet ist. Macht man sich jedoch klar, daß die zur Rekonstruktion und Durchdringung eines konkreten Handlungszusammenhangs genutzten impliziten Theorien und Denkformen eben stets mit gesellschaftlichen Denkformen vermittelt sind, wird deutlich, daß deren Revision und Kritik u.U. zur Verunsicherung der eigenen Existenz beitragen kann, weil sich aus dieser Kritik Konflikte mit den Institutionen und Repräsentanten dieser gesellschaftlichen Denkformen entwickeln können, deren Antizipation eine kritische Auseinandersetzung und daraus hervorgehende grundlegendere Neustrukturierung der bisherigen Zusammenhangssichten dynamisch versperrt und verhindert. Daraus ergibt sich einmal mehr, daß die hier thematisierten Zuschreibungsprozesse theoretisch nur dann angemessen aufgeschlossen werden können, wenn die vom Zuschreibungssubjekt realisierten Umstände der Wirklichkeitsrezeption als subjektiv-funktionale Realisierung gesellschaftlich verfügbarer Denk- und Rezeptionsmöglichkeiten rekonstruiert wird.

156 Die Frage, wann von einem Zuschreibungssubjekt dispositional Hilfskonstruktionen zur Aufrechterhaltung problematisch gewordener impliziter Theorien und Begründungstheorien einbezogen und wann derartige Konstrukte ggf. selbst der Revision und Kritik unterzogen werden, kann, wie daraus ersichtlich, nur dann überhaupt sinnvoll beantwortet werden, wenn der übergreifende gesellschaftlich-soziale Lebenszusammenhang als Prämissenlage in die theoretische Explikation subjektiv funktionaler Zuschreibungstendenzen einbezogen wird. Ebenso wie die beobachteten Handlungen können auch Zuschreibungsprozesse nur als subjektiv funktionale und vom Standpunkt des Zuschreibungssubjekts begründete Realisierungen gesellschaftlich verfügbarer Handlungs- und Deutungsmöglichkeiten aufgefaßt werden, womit ein Gegenstands- und Problemzugriff formuliert ist, der auch durch die von Jones & McGillis vorgelegte Konzeption nicht gefaßt werden kann. Mit dieser Perspektive auf die Frage der Nutzung respektive Überschreitung dispositionaler Hilfskonstrukte und Seinszuschreibungen innerhalb der Zuschreibung von Handlungsgründen und -Ursachen eröffnet sich aber auch noch eine andere Problemsicht, die von der Frage nach der Funktionalität der In-Frage-Stellung von impliziten Erwartungen und Vorstellungen abgegrenzt werden muß: Es besteht vor dem damit entwickelten Hintergrund nämlich die Möglichkeit, auch diejenigen Prämissen zu explizieren, in denen es für das Zuschreibungssubjekt nahegelegt ist, gerade solcherlei weitergehende Fragen nach tatsächlichen Handlungsgründen für sich und andere abzuschneiden, durch deren Offenlegung der eigentlich interessierende Handlungszusammenhang erst verständlich gemacht werden könnte und durch die die darin beobachteten Handlungen als in Prämissen 'begründete' und gerade nicht als durch wie immer zu fassende Seinsbestimmungen 'verursachte' durchdrungen werden könnten. Vor dem Hintergrund einer dahin ausgerichteten Präzisierung der Fragestellung könnte darüber hinaus mit herausgearbeitet werden, welche Prämissen derartige Reduzierungen von Aufschließungs- und Verständigungsprozessen nahelegen und wie diese selbst perspektivisch überwunden werden könnten, womit die kontextuelle Eingebundenheit des Zuschreibungssubjekts in die jeweils relevanten gesellschaftlich-sozialen Lebenszusammenhänge zum expliziten Gegenstand der theoretischen Erklärung und Rekonstruktion des attributionalen Prozesses gemacht würde. Daraus ergibt sich allgemein die Konsequenz, daß die Angemessenheit impliziter Theorien und Vorstellungen, mit denen sich der Beobachter das

157 Verhalten des Handlungssubjekts als begründetes aufzuschließen versucht, in dem Maße beeinträchtigt ist, wie dispositionale Zusatzannahmen notwendig werden, um den vorliegenden Fall unter das theoretische Konstrukt subsumieren zu können. Damit aber läßt sich der Einbezug dispositionaler Zusatzannahmen nurmehr als Verweis auf die Notwendigkeit begreifen, die bisher entwickelten Vorstellungen über Handlungsbegründungen, über das, was in diesem Handlungszusammenhang von 'den meisten anderen Subjekten' (vgl. Jones & Davis, 1965, 227) auch getan worden wäre, zumindest für den hier vorliegenden Fall als unangemessen zu erkennen. Die Zuschreibung dispositionaler Besonderheiten zum Handlungssubjekt ist also lediglich eine Hilfskonstruktion, die dann und so lange erforderlich bleibt, wie dem Beobachter keine alternative Theoretisierung möglich ist oder eine solche von ihm selbst dynamisch behindert wird. Der von der Theorie korrespondierender Inferenz unternommene Versuch der Theoretisierung und Systematisierung des Rekurses auf Dispositionalität erweist sich damit, gerade indem die Zuschreibung personaler Dispositionen darin als 'Endpunkt' der Analyse und eben nicht als Ausgangspunkt der Kritik des unterstellten Begründungszusammenhangs begriffen wird, nurmehr als Form des Abbruchs weitergehender Nachfragen, als Verzicht auf die Möglichkeit der Entwicklung eines angemessenen Verständnisses über die hier vorliegenden tatsächlichen Handlungsintentionen, Handlungsprämissen und Handlungsgründe und damit letztlich als Preisgabe der Möglichkeit zur intersubjektiven Verständigung zwischen den Subjekten. Dieses Resultat der Analyse und Aufarbeitung der Theorie korrespondierender Inferenzen erweist sich in unserem Argumentationszusammenhang in zweierlei Richtungen als aufschlußreich: Einerseits lassen sich die von der Theorie korrespondierender Inferenzen thematisierten Möglichkeiten des Rekurses auf dispositionale Verfaßtheiten des Handlungssubjekts als Beschreibung bestimmter, den Subjekten zur Verfügung stehender Formen und Strategien auffassen, durch die der Versuch der intersubjektiven Verständigung über Prämissen und Gründe von Handlungen mit der Zuschreibung von Eigenschaften einseitig abgebrochen und erklärungsbedürftig gewordene intersubjektiv-soziale Lebens-/Handlungszusammenhänge mit der Zuschreibung von Eigenschaften zu einem 'Endpunkt' geführt werden können. Andererseits aber dürfen die so zu beschreibenden diskursbeendenden Formen und Strategien der Produktion von Zusammenhangsvorstellungen auch nicht dahingehend universalisiert werden, daß sie etwa mit der Produktion von Handlungs- und Zusammenhangserklärungen allge-

158 mein gleichgesetzt werden. Als Formen und Strategien des Abbruchs derartiger Verständigungsprozesse müssen sie vielmehr als die ggf. ideologisch nahegelegten Sonderfälle betrachtet werden, deren jeweilige Nutzung begründungstheoretisch zu analysieren, nicht aber konzeptionell zu universalisieren ist. Daß es sich bei den hier dargestellten Verlaufs- und Bewältigungsformen in der Tat nur um Beschreibungen theoretischer Sonderfälle des demgegenüber allgemeineren Konzepts intersubjektiver Verständigung handelt, ergibt sich - aus einer kritisch-psychologischen Perspektive - schon aus kategorialen Erwägungen, entsprechend derer grundsätzlich davon auszugehen ist, daß sich die Subjekte eben auch zu den Bedingungen/Möglichkeiten der von ihnen vollzogenen Zusammenhangsaufschließung bewußt 'verhalten* können, was nurmehr heißt, daß sie auch die ihnen nahegelegten Mittel und Konzepte zur Produktion von Handlungserklärungen auf die damit verbundenen Erkenntnismöglichkeiten/grenzen hin befragen können. Die damit beschriebene theoretische Perspektive, nach der die jeweils konkreten Verlaufs- und Bewältigungsformen von Begründungsdiskursen nur vor dem Hintergrund des allgemeineren theoretischen Konzepts der intersubjektiven Verständigung aus zu rekonstruieren sind, ist danach grundsätzlich auch dann aufrechtzuerhalten, wenn sich etwa empirisch zeigen sollte, daß abgebrochene Begründungsdiskurse u.U. als die weitaus ' verbreite tere' Verlaufsform, die tatsächliche Verständigung über Handlungsgründe hingegen empirisch gesehen als die weitaus weniger 'verbreitete' Realisierung anzusehen ist. Damit ist die Möglichkeit der Theoretisierung und Systematisierung derart zu beschreibender Verlaufs- und Bewegungsformen von Verständigungsprozessen aus der Sicht der Kritischen Psychologie also zunächst daran gebunden, eine allgemeinere theoretische Vorstellung der Möglichkeiten zur intersubjektiven Verständigung über Handlungsgründe zu entwickeln, deren fallweise Unterschreitung danach über die darin zur Geltung kommenden situationalen Beschränkungen und dynamischen Behinderungen zu rekonstruieren ist. Für die theoretische Rekonstruktion und Aufschließung derartiger Prozesse hat das nun aber zur Konsequenz, daß diese nur dann und in dem Maße tatsächlich vollzogen werden können, wie die damit explizierbare dynamische Funktion der Nutzung von Eigenschaftsvorstellungen als Erklärung von Handlungen selbst zum expliziten Gegenstand wissenschaftlicher Analyse und Theorienbildung gewendet wird, in deren Folge der Rekurs auf Dispositionen und Subjekteigenschaften als eine den Subjekten prinzipiell offenstehende Möglichkeit zum Abbruch derartiger Verständi-

159 gungsprozesse aufgefaßt werden kann. Für die Theorie korrespondierender Inferenz läßt sich damit zusammenfassend festhalten, daß in dieser zwar verschiedene Möglichkeiten des Abbruchs intersubjektiver Verständigungsprozesse aufgezeigt werden können, ohne daß sich jedoch Aussagen darüber machen lassen, welche Prämissen auf Seiten des Zuschreibungssubjekts einen solchen Abbruch gerade nahegelegen und selbst zu begründen vermögen. Sie vermag es aber nicht, Alternativen und Bewältigungsmöglichkeiten für die sich daraus ergebenden Verständigungsprobleme aufzuzeigen und damit den empirisch möglichen Fall des Abbruchs in eine größere theoretische Gesamtperspektive einzuordnen. Damit aber müssen die sich aus dieser Konzeption ergebenden Sichtweisen innerhalb derjenigen Erkenntnisgrenzen verbleiben, die einer oberflächlichen Rezeption von Handlungszusammenhängen gezogen sind, ohne daß ein Begriff für deren individuell-gesellschaftliche Funktionalität, die funktionalen Momente derartiger Vereindeutigungen entwickelt werden kann, womit derartige Zusammenhangsvorstellungen die Ebene der unbegriffenen Unmittelbarkeit auch theoretisch nicht zu überschreiten vermögen. Damit aber ist nun wieder ein Bezug sowohl zum dargestellten Heiderschen Ansatz als auch zur Konzeption von H.H. Kelley hergestellt, in dem nach der Funktion der jeweils realisierten Zuschreibungsweise für das Zuschreibungssubjekt gefragt wurde, dem - wie herausgearbeitet - die prinzipielle Alternative zur Verfügung steht, Handlungen und Sachverhalte auf intentionale Begründungszusammenhänge oder auf dispositionale Ursachenzusammenhänge zurückzuführen. Ein spezifischer Anknüpfungspunkt ergibt sich daraus aber auch in bezug auf die hier im Anschluß aufzuarbeitenden Konzeptionen über empirisch aufweisbare systematische Attributionsunterschiede zwischen Handelnden und Beobachtern, wie sie von Jones & Nisbett (1971) zu entwickeln versucht wurden.

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Kapitel 7

Hypothesen und Konzepte zur Begründung von Attributionsdifferenzen und Attributionsvoreingenommenheiten Vorbemerkung Aus der bisher geleisteten Analyse ergibt sich global, daß zumindest die hier dargestellten Konzeptionen von Attribution nicht explizit vom Standpunkt des zuschreibenden bzw. des von Attribution betroffenen Subjekts aus entwickelt wurden. Obwohl der personale Zuschreibungsprozeß selbst nur als ein intersubjektives Phänomen auftritt, das sich gewissermaßen erst aus dem Verhältnis von zwei aufeinander bezogenen Standpunkten ergibt, versuchten die bisher analysierten Konzeptionen Attribution als eine Art eigenständiges Phänomen zu bestimmen, ohne zu reflektieren, daß es die Subjekte sind, die sich die Welt, wie sie ihnen gegeben ist, aufzuschließen und zu erklären versuchen, und dabei in verschiedener Weise Prozesse realisieren, wie sie im Rahmen attributionstheoretischer Fragestellungen ausschnitthaft reflektiert werden. Damit können nun aber weder die vollzogenen Zuschreibungen noch die in Frage stehenden Handlungen als vom jeweiligen Subjektstandpunkt 'gut begründete' Realisierungen gegebener Handlungsmöglichkeiten verständlich werden, womit auch die Nutzung dispositional Zuschreibungsweisen und die in diesem Zusammenhang aufgewiesene letztliche Unaufschließbarkeit von Handlungs- und Zuschreibungsgründen nicht als subjektiv funktional begriffen werden kann, obwohl sie den 'Verzicht' auf die Möglichkeit subjektiv-intersubjektiver Aufschließung von und die Verständigung über Handlungsgründe bedeutet. Entsprechend konnte auch in den bisher referierten Ansätzen die als Alternative zur situationalen/dispositionalen Ursachenzuschreibwig aufzufassende Frage nach den jeweiligen Hmdhmgsprämissen weder expliziert noch in ihren konzeptionellen Konsequenzen ventiliert werden. Wir beziehen an dieser Stelle nun die ursprünglich auf die Arbeiten von Jones & Nisbett (1971) zurückgehenden Überlegungen in die Untersuchung ein, wonach Akteure und Beobachter bezüglich derselben Handlun-

161 gen systematisch verschiedene Kausalattributionen vornehmen: Akteure heben danach auf die Situation ab, Beobachter auf die Person des Beobachteten. Je nachdem also, ob es um die Erklärung eigenen oder fremden Verhaltens geht, werden die im Prinzip verfügbaren Informationen eines Handlungs- und Ereigniszusammenhangs unterschiedlich gewichtet und in die Kausalerklärungen einbezogen. Die Einbeziehung dieser Überlegungen reflektiert nicht nur die theorien- und problemgeschichtliche Bedeutung, die sich schon allein aus der weitreichenden Aufmerksamkeit und den vielerlei verschiedenen empirisch-experimentellen Untersuchungen und Erklärungsversuchen ergibt, welche diese Überlegungen nach sich gezogen haben. Vielmehr läßt sich deren Bedeutung für die hier vorgelegte Aufarbeitung dadurch bestimmen, daß sich die thematisierte Differenz der Zuschreibungsrichtung und Struktur der Handlungserklärungen letztlich gar nicht anders denken läßt denn als eine, die im Kern auf die jeweiligen Standpunkte der verschiedenen Subjekte, auf ihre Position im Handlungs/Beobachtungszusammenhang, zurückgeht. Schon von der Anlage der in diesen Überlegungen verfolgten Fragestellungen her ist also davon auszugehen, daß die jeweiligen Standpunkte der Subjekte in einer wie immer verborgenen Weise einbezogen wurden. Als zentrale Problemstellung zur Aufarbeitung der ursprünglichen Jones & Nisbett-Hypothese und der sich daran anschließenden empirisch-experimentellen Untersuchungen ergibt sich daraus vor allem anderen die Frage danach, wie die Standpunkte der Handlungs-/ZuschreibungsM&/efcte darin enthalten sind und wie man diese ggf. darin explizieren könnte. An dieser Stelle soll also der Versuch unternommen werden, die von den verschiedenen attributionstheoretischen Ansätzen behaupteten allgemeinen Zuschreibungstendenzen auf die den Zuschreibungen zugrunde liegenden Zuschreibungsprämissen zu beziehen, durch die die verschiedenen Zuschreibungsweisen und deren widersprüchliche Erklärung über die genauere Bestimmung der dabei vorausgesetzten Hmdhmgs-fZuschreibungsumstände als begründete Realisierungen der den Subjekten verfügbaren Denk- und Handlungsmöglichkeiten rekonstruiert werden können. Die damit zugleich vollzogene Wende in der Darstellungs- und Aufarbeitungsform, nicht mehr Ansätze und Konzeptionen, sondern Einzelhypothesen und deren experimentelle Realisierungen aufeinander zu beziehen, begründet sich vor allem darin, daß - wie bereits im Zusammenhang mit der Theorie korrespondierender Inferenz hervorgehoben - sich die neueren Entwicklungen attributionstheoretischer Fragestellungen nicht mehr als 'Gesamtkonzeptionen* gegenüberstehen, sondern vielmehr als nebeneinander stehende Spezifizierungen und Ausdifferenzie-

162 rungen anzusehen sind, die sich auf experimentelle Realisierungen beziehen und deshalb als 'vorläufig bewährte' Einzelhypothesen behauptet werden. Betrachtet man nun die der experimentellen Forschung zugrunde liegenden theoretischen Positionen im Überblick, wird deutlich, daß sie in verschiedener Weise die von ihnen thematisierten Differenzen von Zuschreibungen als 'fehlerhafte' und problematische Attributionsleistung auffassen: Entweder als dynamisch-motivational begründete Beeinträchtigungen des Zuschreibungsprozesses oder aber als Prozesse der fehlerhaften kognitiven Repräsentation aufgrund falscher Informationsverarbeitung. Diese Unterscheidung reflektiert nun aber gerade die konzeptionellen Differenzen und ungelösten theoretischen Kontroversen, wie sie bereits für das Verhältnis der Heiderschen zur Kelleyschen Konzeption herausgearbeitet werden konnten: Während nämlich einige Ansätze, die im weitesten Sinne in der Forschungstradition von H.H. Kelley zu verorten sind, Attributionsfehler letztlich auf wie immer im Detail zu begründende 'fehlerhafte Informationsverarbeitungsprozesse' zurückführen und damit nicht eigentlich den attributionalen Prozeß, sondern nurmehr das der Attributionsleistung zugrunde gelegte 'Material' für die Existenz von Attributionsfehlern verantwortlich machen, sehen andere Ansätze im empirisch-experimentellen Nachweis von Attributionsfehlern vor allem anderen einen Beleg dafür, daß der Prozeß der Genese von Zusammenhangsannahmen, Kausalbeziehungen und Ursachenzuschreibungen prinzipiell durch motivational-dynamische Einflüsse beeinträchtigt wird. Motivational-dynamische Beeinträchtigungen des Attributionsprozesses werden darüber hinaus noch in zweierlei Weise unterschiedlich begründet und experimentell untersucht: Während mit der etwa von Goldberg (1981) herausgearbeiteten Tendenz einer selbstwertsteigernden Attributionsausrichtung Differenzen bei der Erklärung von eigenem und fremdem Verhalten mit den jeweiligen Konsequenzen für die eigene Selbstsicht in Verbindung gebracht werden, wird etwa von Taylor & Koivumaki (1976) eine allgemeine 'Positivitätstendenz' als dynamische Beeinträchtigung von Attributionsleistungen behauptet, entsprechend derer grundsätzlich, d.h. unabhängig davon, ob es um eigenes oder fremdes Verhalten geht, positiv bewertetes Verhalten dispositional und negativ bewertetes Verhalten situational zu erklären versucht werde. Mit der so gefaßten theoretischen Differenz innerhalb der entwickelten attributionsbezogenen Ansätze erweist sich die auf Jones & Nisbett (1971)

163 zurückgehende Diskussion empirisch feststellbarer Zuschreibungsdifferenzen (zwischen Handelnden und Beobachtern) als Beispiel, an dem sich die Struktur der theoretischen Entwicklung in exemplarischer Weise verdeutlichen läßt.

7.1. Attributionsdifferenzen zwischen Akteuren und Beobach tern Im Zuge der Auswertung verschiedener experimenteller Befunde behaupteten Jones & Nisbett (1971) erstmals, daß ein systematischer Unterschied zwischen den Attributionen festgestellt werden könnte, wie sie von Handelnden und Beobachtern bezüglich ein und desselben Ereignisses entwickeln würden. Es ist die für einen Beobachter anzunehmende Spezifik der Wahrnehmungssituation selbst, durch die es nahegelegt werde, das beobachtete Verhalten als 'Figur' aufzufassen zu der sich die Situation als 'Hintergrund' darstelle. Diese für den Beobachter anzunehmende FigurGrund-Gliederung des Wahrnehmungsfeldes bringe es jedoch mit sich, daß ganz andere Bedeutungen und Zusammenhänge herausgehoben werden, als dies für Handelnde angenommen werden müßte, deren Aufmerksamkeit schon von der Struktur des Handlungszusammenhangs her auf die Situation gelenkt werde, in der sie die von ihnen intendierten Handlungen umzusetzen versuchen. In drei verschiedenen Experimenten konnten Nisbett, Caputo, Legant & Marececk (1973) die von Jones & Nisbett formulierte Hypothese der systematischen Attributionsunterschiede erstmals nachweisen, zu deren Erklärung die Autoren die unterschiedlichen Perspektiven von Akteuren und Beobachtern, aber auch systematische Informationsunterschiede anführen, die zwischen beiden Positionen bestehen. Im ersten von Nisbett et al. (1973) durchgeführten Experiment wurden die Vpn in eine Akteur- und eine Beobachtergruppe geteilt. Beide Gruppen wurden danach gefragt, wie sie die Bereitschaft von Personen, die die Betreuung einer Familie der Teilnehmer eines Wochenendseminars des YaleInstituts übernommen hatten, einschätzten, eine solche Betreuung in Zukunft wieder zu übernehmen. Dabei zeigte sich, daß die 'Beobachter' eine

164 Bereitschaft zur Übernahme einer derartigen Betreuung 'stabiler' einschätzten als die 'Akteure'. Dieses Resultat wird von Nisbett et al. als Beleg für die Jones & Nisbett-Hypothese interpretiert, entsprechend der Beobachter gegenüber den Handelnden stärker dazu tendieren, das beobachtete Verhalten unter Bezug auf die Dispositionen des Handelnden zu erklären und daher auch in Zukunft bzw. in einem anderen situationalen Kontext ein ähnliches Verhalten zu antizipieren. In einem zweiten Experiment forderten Nisbett et al. College-Studenten auf, kurz zu erklären, was sie an ihren Freundinnen am meisten mochten und aus welchen Gründen sie ihr jeweiliges Studienfach gewählt hatten. Gleichzeitig wurden sie aufgefordert, beide Fragen auch für ihre besten Freunde am College zu beantworten. Auch hier konnte entsprechend der Jones & Nisbett-Hypothese festgestellt werden, daß die Wahl der eigenen Freundin mehr als doppelt so häufig mit deren Eigenschaften begründet wurde als mit eigenen Interessen, Wünschen und Eigenschaften. Im Kontrast dazu wird die Frage, was den besten Freund mit seiner Freundin verbindet, in nahezu gleichem Ausmaß auf Eigenschaften und Dispositionen sowohl des Freundes wie seiner Freundin zurückgeführt. In ähnlicher Weise wurden, obwohl sie etwas anders ausgefallen waren, auch die Resultate über die Wahl des Studienfaches begründet: Hier wurde die eigene Wahl nahezu gleich häufig mit der Beschaffenheit des Faches, wie mit eigenen Interessen, Wünschen und Eigenschaften begründet. Die Wahl des Studienfaches des besten Freundes wurde demgegenüber fast viermal so häufig auf dessen Persönlichkeitseigenschaften zurückgeführt, so daß es für Nisbett et al. gerechtfertigt erschien, auch dieses Ergebnis als eindeutige Akzentuierung situationaler Faktoren in der Erklärung eigener Entscheidungen gegenüber der Akzentuierung dispositionaler Faktoren für die Entscheidungen anderer anzusehen. Im dritten Experiment galt es schließlich herauszuarbeiten, ob Personen eher dazu neigen, sich selbst oder anderen 'stabile Dispositionen' zuzuschreiben. Dazu wurde den Vpn eine Liste mit 20 verschiedenen Eigenschaftspaaren (wie z.B. realistisch - idealistisch) vorgelegt, die sie sich selbst und vier weiteren Personen zuordnen sollten. Die vier Personen (ein Bekannter, der eigene Vater, ihr bester Freund sowie ein bekannter Fernsehkommentator namens Walter Cronkite) standen zu den Vpn in jeweils unterschiedlicher Beziehung und waren ihnen in unterschiedlichem Maße bekannt. Gefragt wurde nun, welche der beiden Begriffe eines Eigenschaftspaars der jeweiligen Person mehr entspreche bzw. ob deren Verhalten 'ganz von der Situation abhänge', wobei einzig die Frage interessierte,

165 mit welcher Häufigkeit und gegenüber wem die Kategorie 'hängt von der Situation ab' benutzt wurde. Dabei konnten Nisbett et al. feststellen, daß die Kategorie 'Situation' häufiger zur Selbstbeobachtung als zur Beurteilung der vier anderen Personen herangezogen wurde, wobei zwischen diesen keine deutlichen Unterschiede dispositionaler respektive situationaler Zuschreibungen festgestellt werden konnten. Um die Differenzen der von Handelnden und Beobachtern akzentuierten Ursachendimensionen zu erklären, führen Nisbett et al. zwei unterschiedliche theoretische Überlegungen an, deren Verhältnis zueinander von den Autoren jedoch nicht weiter geklärt werden kann: „The major reason for the divergent perspectives is probably a simple perceptual one. The actor's attention at the moment of action is focused on the situation cues - the environment attractions, repulsions, and constraints - with which his behavior is coordinated. It therefore appears to the actor that his behavior is a response to these cues, that is, caused by them. For the observer, however, it is not the situational cues that are salient but the behavior of the actor. In gestalt terms, action is figural against the ground of the situation. The observer is therefore more likely to perceive the actor's behavior as a manifestation of the actor and to perceive the cause of behavior to be a trait or quality inherent in the actor" (Nisbett et al. 1973,154). Neben dieser auf die Ausrichtung der Aufmerksamkeit bezogenen Erklärung führen Nisbett et al. aber auch auf die Zugänglichkeit und Verfügbarkeit der Informationen und Daten als eine zweite mögliche Erklärung der konstatierten Attributionsunterschiede an und verweisen damit auf das 'Material', daß den Attributionen der Handelnden bzw. der Beobachter überhaupt zugrunde gelegt werden kann: J n general, the actor knows more about his past behavior and his present experiences than does the observer. This difference in information level probably often serves to prevent the actor from interpreting his behavior in dispositional terms while allowing the observer to make such an interpretation" (ebd., 154f). Betrachtet man nun das Verhältnis zwischen den experimentell gewonnenen Befunden und den zu ihrer Interpretation entwickelten Erklärungen, wird ersichtlich, daß aus den beobachteten Attributionsunterschieden allein nichts über die Angemessenheit der einen oder anderen konkurrierenden Erklärung gesagt werden kann, wie sie mit der Theorie der Ausrichtung der Aufmerksamkeit bzw. mit der Theorie der Verfügbarkeit von Informationen und Daten vorgebracht wurden. Damit erweisen sich nun aber auch die in diesen Experimenten gewonnenen Befunde lediglich als Veran-

166 schaulichungen und Beispiele der von Jones & Nisbett aufgewiesenen und als allgemein behaupteten Zuschreibungsphänome, deren theoretische Erklärung noch offen ist. Aber auch in den in Anschluß daran entwickelten empirisch-experimentellen Untersuchungen der Jones & Nisbett-Hypothese ließ sich das damit aufgewiesene theoretische Begründungsproblem nicht grundsätzlich bewältigen. Auf einer ganz anderen Ebene ansetzend thematisierten diese Untersuchungen im wesentichen zwei grob zu unterschiedende andere Problemkreise ohne damit näher an die theoretische Klärung der von Jones & Nisbett aufgestellten Hypothese heranzukommen: Während einige Arbeiten nachzuweisen versuchen, daß das von Jones & Nisbett als systematisch behauptete Phänomen nur unter spezifischen Bedingungen tatsächlich festgestellt werden kann, bzw. so letztlich nur als durch die jeweilige experimentelle Anordnung provoziert betrachtet werden muß, gehen andere Arbeiten von der grundsätzlichen Existenz einer Differenz zwischen den von Akteuren und Beobachtern erbrachten Zuschreibungsweisen aus, deren Struktur und Ausrichtung indes feiner herausgearbeitet, differenziert und empirisch nachgewiesen werden müßten. Im Anschluß an Jones & Nisbett prüfte Storms (1973) die Hypothese der Aufmerksamkeitsausrichtung als Ursache der Akteur-Beobachter-Differenz von Zuschreibungsprozessen. Grundgedanke des von Storms durchgeführten Experiments ist die Annahme, daß es dann, wenn der jeweilige Standort von Akteur und Beobachter zugleich eine besondere Perspektive auf den Erklärungszusammenhang eröffne und dieser für die festzustellenden Attributionsunterschiede verantwortlich gemacht werden könne, auch möglich sein müßte, die sich darauf begründenden Attributionstendenzen umzukehren, wenn eine Anordnung hergestellt werden könnte, in der die standortgebundene Perspektive umkehrbar ist. Dazu wurde von Storms eine Versuchsanordnung entwickelt, in der sich die Ausrichtung der Aufmerksamkeit von Handelnden und Beobachtern umkehren lassen soll. Zwei einander unbekannte Vpn wurden aufgefordert, sich in einer 5-minütigen Unterhaltung kurz miteinander bekannt zu machen. Zwei weitere Vpn sollten jeweils eine der beiden sich unterhaltenden Personen beobachten. Darüber hinaus wurde diese Unterhaltung mit zwei Videokameras aus der jeweiligen Perspektive der sich unterhaltenden Personen aufgezeichnet. Im Anschluß daran wurden allen vier beteiligten Personen die Videoaufnahmen mit der Aufforderung gezeigt, Erklärungen für das beobachtete respektive das eigene Verhalten abzugeben.

167 Dabei wurde jeweils einem Handelnden und einem Beobachter eine Videoaufnahme aus der gleichen Perspektive dargeboten, die sie auch während der Unterhaltung eingenommen hatten. Den beiden anderen Vpn wurde hingegen eine Aufnahme aus der neuen Perspektive vorgeführt, so daß sich der Handelnde nun selbst beobachten und der Beobachter auch den bisher verborgenen Gesprächspartner betrachten konnte. Einer Kontrollgruppe wurde nach der Unterhaltung keine Videoaufzeichnungen der Situation gezeigt. Dabei konnte festgestellt werden, daß unter der Bedingung 'gleiche Perspektive' Handelnde gegenüber Beobachtern erwartungsgemäß stärker Situationsdimensionen zur Erklärung des eigenen Verhaltens heranzogen. Unter der Bedingung 'neue Perspektive' ergab sich jedoch, daß die handelnden Vpn, nachdem sie ihr eigenes Verhalten auf dem Video gesehen hatten, verstärkt auf sich selbst bezogene PersonenMributionen abgaben, während von den Beobachtern stärker situationale Faktoren in die Verhaltensattribution einbezogen wurden. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch Regan & Totten (1975), die jedoch den Einfluß der Beobachtungsperspektive auf die Zuschreibungsausrichtung ohne Änderung der zugänglichen Informationen dadurch aufzuklären versuchten, daß sie je einem Teil der Vpn die Instruktion gaben, sich in das Handlungssubjekt respektive die Zielperson der Handlung hineinzuversetzen. Dabei konnte festgestellt werden, daß die zur Empathie aufgeforderten Vpn gegenüber den 'normalen' Beobachtern verstärkt situative Attributionen abgaben, was als Beleg dafür interpretiert wurde, daß weniger die Informationsart und -menge als die mit der eingenommenen Perspektive nahegelegte Informationsverarbeitungsweise für die festzustellenden Attributionsunterschiede verantwortlich zu machen ist. Arkin & Duval (1975) konnten experimentell bestätigen, daß schon die bloße Anwesenheit einer Videokamera zu einer verstärkten Selbstbeobachtung des Handelnden führt, in deren Folge die Attributionsleistung in einer Weise verändert würde, die als Beleg für die Bedeutung der Ausrichtung der Aufmerksamkeit bei der Genese von Attributionen interpretiert werden könne. Gleichzeitig aber, so muß hier deutlich hervorgehoben werden, impliziert diese experimentelle Realisierung ebenso wie die zuvor referierten Versuche der 'Umkehr in der Ausrichtung der Aufmerksamkeit', daß die von Jones & Nisbett als systematisch behauptete Zuschreibungsdifferenz zwi-

168 sehen Handelnden und Beobachtern nur als eine mögliche Form aufgefaßt werden kann, in der Attributionsunterschiede erscheinen können. Zwar konnte die Relevanz der 'Ausrichtung der Aufmerksamkeit* exemplarisch an den jeweiligen Positionen veranschaulicht werden, die Handelnde und Beobachter gemeinhin in bezug auf einen Sachverhalt einnehmen, woraus sich indes nicht notwendig ergibt, daß derartige Attributionsunterschiede grundsätzlich und prinzipiell an die damit bestimmten Perspektiven und Standpunkte des Handelnden respektive des Beobachters gebunden sein müssen. Implizit ist hier also die ursprüngliche Jones & Nisbett-Hypothese der Akteur-Beobachter-Differenz dahingehend reformuliert worden, daß in diesem Zusammenhang letztlich von einer Art' Aufmerksamkeitshypothese' gesprochen werden muß, die - sofern sich die Ausrichtung der Aufmerksamkeit des Handelnden und des Beobachters in bezug auf einen Sachverhalt eben gerade so unterscheiden, wie in der Jones & NisbettHypothese formuliert - hier nur veranschaulicht werden kann. Die Frage, ob, wann und warum ein Handelnder bzw. ein Beobachter tatsächlich seine Aufmerksamkeit auf die (ggf. eigene) Person oder auf die hier vorliegenden situationalen Aspekte des Handlungszusammenhangs hin ausrichtet, kann damit aber keineswegs beantwortet werden. Effler (1983, 233) stellt nach einer Übersicht über verschiedene attributionsbezogene Experimente fest: ,3ei all diesen Untersuchungen geht es eigentlich weniger um den Einfluß der Wahrnehmungsperspektive als vielmehr um den Einfluß der Aufmerksamkeit auf Kausalurteile. Mit Hilfe einer Manipulation der Wahrnehmungsperspektiven wird nämlich der Fokus der Aufmerksamkeit zu beeinflussen versucht." Damit hängt es letztlich von der jeweils realisierten Aufmerksamkeitsawsric/ztang ab, ob sich ein sogenannter 'Perspektiveneffekt* überhaupt feststellen läßt. Entsprechend läßt sich auch der von Jones & Nisbett behauptete Perspektiveneffekt nur unter ganz bestimmten Bedingungen tatsächlich feststellen und nicht durch die von Jones & Nisbett vorgelegte Theorie erklären. Damit überhaupt solche in der Jones & Nisbett-Hypothese beschriebenen Attributionsunterschiede festgestellt werden können, muß, so Effler, vorausgesetzt werden, daß (a) sich Handelnde und Beobachter nicht persönlich kennen; daß (b) keine Empathiesituation besteht, durch die die Aufmerksamkeit des Beobachters von der Person zur Situation gelenkt würde, und daß (c) der Akteur tatsächlich in defensiver Weise eigenes Verhalten als durch situationale Faktoren verursacht erachtet.

169 Aber auch die beiden von Regan, Strauss & Fazio (1974) durchgeführten Untersuchungen verweisen darauf, daß unterschiedliche Akzentuierungen personaler bzw. situationaler Faktoren in der Handlungserklärung nicht an die Position des Handelnden bzw. des Beobachters gebunden sind, sondern - wie von den Autoren nachzuweisen versucht wird - vielmehr durch die Sympathie begründet werden, die das Zuschreibungssubjekt dem Handelnden entgegenbringt. Die Autoren gehen davon aus, daß diejenigen Handlungen, die mit der subjektiven Bewertung, die ein Beobachter für einen Handelnden entwickelt hat, für konsistent gehalten werden, internal attribuiert werden und diejenigen Handlungen, die als mit der Person des Handelnden für inkonsistent erachtet werden, den Umständen zugeschrieben werden. „The experiments test the hypothesis that observers will provide internal attributions for good actions done by liked actors and bad actions done by disliked actors, and will provide external attributions for good actions done by disliked actors and bad actions done by liked actors" (ebd., 386f). In einem ersten Experiment wurden von Regan et al. den Vpn in einem 2x2 faktoriellen Design verschiedene Videobänder vorgeführt, die je zwei unterschiedlich sympathische8 und zwei unterschiedlich erfolgreiche Frauen bei einem Geschicklichkeitsspiel zeigten. Ähnlich wurde auch das zweite Experiment aufgebaut, in dem ein beobachtetes prosoziales Verhalten einmal von einem guten Freund und ein anderes mal von einem Unsympathischem bzw. von einem Fremden erklärt werden sollte. Die dabei realisierten experimentellen Befunde werden von den Autoren als klare Belege für die behauptete Zuschreibungstendenz betrachtet und entsprechend zusammengefaßt: »Actions by another tend to be attributed in a way consistent with liking for the actor. Whether the action involved was performance on a task or prosocial behavior, and whether liking for the actor was directly manipulated in the laboratory or developed in the natural environment, actions which were consistent with affect for the actor were attributed internally, while those inconsistent with liking for the actor were attributed externally" (ebd., 389). Offensichtlich werden mit diesen experimentellen Befunden Beispiele vorgelegt, die weder mit den in der Jones & Nisbett-Hypothese behaupteQ

Die Dimension 'Sympathie' wurde in diesem Experiment dadurch zu operationalisieren versucht, daß die als 'sympathisch' darzustellende Frau den Instruktionen des Vis 'freundlich' zuhörte und auch 'lächelte', wenn sie dem VI antwortete, während die als 'unsympathisch' geltende Frau gelangweilt auf ihren Tisch sehen und auf diesen mit ihren Fingern klopfen sollte.

170 ten Thesen in Zusammenhang zu bringen sind, noch durch die 'Aufmerksamkeitshypothese' erklärt werden können: Mit dieser Untersuchung werden vielmehr Zuschreibungsbeispiele vorgelegt, die unabhängig von der Aufmerksamkeit und gleichwohl stets vom Standpunkt des Beobachters sowohl externale als auch internale Zuschreibungsweisen und Erklärungen von Handlungen repräsentieren, deren theoretische Erklärung indes mit der Behauptung einer Art' Konsistenzhypothese' noch aussteht. Die Uneindeutigkeit der Position des Handelnden bzw. des Beobachters für die Begründung einer stärkeren Akzentuierung von externen oder internen Faktoren in der Handlungserklärung konnte auch in einer von Stephan (1975) durchgeführten Untersuchung aufgezeigt werden. In dieser Untersuchung wurde zunächst eine Art Hilfeverhalten provoziert, das anschließend sowohl von Beobachtern als auch von den Handelnden selbst unter Bezug auf jeweils 4 dispositionale und 4 Situationale Erklärungstypen beurteilt werden sollte. Dabei teilte der Versuchsleiter der Hälfte der 48 'handelnden' Vpn mit, daß sie 'überdurchschnittlich' bzw. 'unterdurchschnittlich' viel Hilfe geleistet hätten. Nach dieser Bewertung sollten die Vpn in einem Fragebogen angeben, welche Verhaltensrelevanz aus ihrer eigenen Sicht den insgesamt 8 vorgegebenen Erklärungsmöglichkeiten zukomme. Schließlich sollten sie denselben Fragebogen noch einmal ausfüllen, wobei sie sich jetzt in die Position des jeweils anderen (Handelnder bzw. Beobachter) hineinversetzen sollten, um aus deren Sicht Verhaltenserklärungen anzugeben. Dabei zeigte sich, daß sowohl bei der 'aus der eigenen Perspektive' gegebenen Verhaltenserklärungen, als auch bei der unter der 'Empathiebedingung' abgegeben Erklärung Situationale Faktoren stärker zur Erklärung von 'überdurchschnittlich' als zur Erklärung von 'unterdurchschnittlich' bewertetem Hilfeverhalten angeführt wurden. Insgesamt tendierten die Handelnden allerdings dazu, für das eigene Verhalten eher positive Gründe anzugeben. Zuschreibungen, so leitet Stephan daraus ab, seien offenbar mit dynamischen Tendenzen der Zuschreibungssubjekte vermittelt, durch die entweder für ein zur Diskussion stehendes Ereignis die Verantwortung übernommen oder mit dem Verweis auf situationale Faktoren, insbesondere bei negativen Resultaten, diese von sich gewiesen werde. Auch eine von Pligt & Eiser (1983) vorgelegte Untersuchung ist zumindest als eine Geltungseinschränkung der Jones & Nisbett-Hypothese zu interpretieren. In dieser Untersuchung ging es den Autoren wesentlich um die Entscheidung zwischen der Bedeutung des 'self-serving bias' und der all-

171 gemeinen Positivitätstendenz. Den Vpn wurde eine Tonbandaufnahme einer Gruppendiskussion über das Rauchen vorgespielt, in der je zwei Teilnehmer für bzw. gegen das Rauchen argumentierten. Anschließend wurden die Vpn dazu aufgefordert, sowohl das eigene (getrennt davon untersuchte) Rauchverhalten als auch das Verhalten der Diskussionsteilnehmer unter Bezug auf vier vorgegebene Ursachendimensionen zu erklären, in denen situationale bzw. dispositionale Erklärungen angeboten wurden. Den Vpn wurde zu jeder möglichen Ursachendimension eine 3-PunkteSkala zwischen 'sehr wichtig' und 'nicht wichtig' angeboten, auf der die jeweilige Bedeutung der Ursachendimensionen verzeichnet werden sollte. Die damit provozierten Verhaltenserklärungen konnten jedoch nicht als Bestätigung einer allgemeinen Tendenz aufgefaßt werden, eigenes Verhalten gegenüber dem Verhalten anderer eher durch situationale Ursachen zu erklären. Vielmehr wurde positiv bewertetes Verhalten allgemein der Person, negativ bewertetes Verhalten hingegen den Umständen zugeschrieben, womit die Vorstellung einer generellen Differenz zwischen Selbstund Fremdzuschreibungen zurückgewiesen, zumindest aber in ihrer Geltung eingeschränkt werden kann. „These findings are in accordance with the so-called positivity bias. The findings concerning self-attributions are in accordance with the view that people tend to attribute their own positively evaluated behaviour to dispositional factors and their negatively evaluated behaviour to situational factors. This finding is in accordance with both a self-serving bias in attribution and a positivity bias. Since the positivity bias can predict both the above findings and the self-serving bias phenomenon only one, the present results suggest that the positivity bias is the best single explanation of our findings" (ebd., 101f). Mit dieser Untersuchung muß die Reihe möglicher Erklärungen der die Zuschreibung offenbar beeinflussenden Faktoren noch um einen weiteren Aspekt, den von den Autoren so bezeichneten 'positivity bias', erweitert werden, der - offenbar unabhängig vom jeweiligen Standpunkt (Handelnder/Beobachter), unabhängig von der 'Ausrichtung der Aufmerksamkeit' und unabhängig von der 'Konsistenz' zwischen impliziten Persönlichkeitsvorstellungen und beobachteten Handlungen - dispositionale bzw. situationale Faktoren zur Erklärung von Ereignissen begünstigt, je nachdem, ob diese als positiv oder negativ bewertet werden. Über die bereits dargestellten Untersuchungen und die zur ursprünglichen Jones & Nisbett-Hypothese alternativen Erklärungsversuche hinaus sind indes noch weitere Differenzierungen und Alternativinterpretationen in ei-

172 nem kaum zu überschauenden Umfang vorgelegt worden, von denen an dieser Stelle nurmehr noch exemplarisch auf einige hingewiesen werden soll. So konnten etwa Thorton & Ryckman (1979) eine Differenz zwischen privat und öffentlich abgegebenen Verhaltenserklärungen aufweisen; von Miller & Norman konnte (1975) anhand des 'prisoner's dilemma game' und der Einführung einer Unterscheidung von 'aktiven' und 'passiven' Beobachtern festgestellt werden, daß entgegen der ursprünglichen Jones & Nisbett-Hypothese sowohl die Akteure als auch die 'aktiven Beobachter' sehr wohl personenbezogene Zuschreibungen zur Begründung von Verhalten entwickelten. Gegenüber diesen, mehr die Interpretation des behaupteten Phänomens betreffenden alternativen Vorstellungen wird von Monson & Snyder (1977) indes die empirische Existenz einer solchen Akteur-BeobachterDifferenz überhaupt in Frage gestellt und als experimentelles Artefakt kritisiert. Daß die Akteure in experimentellen Zusammenhängen verstärkt situational attribuieren, könne nämlich vor allem anderen darauf zurückgeführt werden, daß die Experimentalsituationen selbst für die beobachtenden Vpn unbekannt und unkontrollierbar seien, so daß den Vpn gar nichts anderes übrig bleibe, als Mutmaßungen über Eigenschaften der handelnden Person anzustellen. Auch die Arbeiten von Monson, Tank & Lund (1980) müssen letztlich als fundamentale Zurückweisung der Jones & Nisbett-Hypothese aufgefaßt werden. Ansetzend an dem bereits dargestellten dritten Experiment von Nisbett et al. (1973), in dem die Vpn, wie gesagt, sich selbst und weiteren vier Personen Personeigenschaften aus einer Liste von 20 Eigenschaftsbegriffspaaren oder aber die Kategorie 'hängt von der Situation ab' zuordnen sollten, wird auch von Monson et al. versucht, die dabei behauptete Tendenz, eigenes Verhalten der Situation und das Verhalten anderer deren Dispositionen zuzuschreiben, als ein lediglich auf diese Versuchsanordnung zurückgehendes Artefakt zurückzuweisen: Wenn nicht alle in diesem Experiment benutzten Eigenschaftsbegriffspaare von den Vpn als 'eindimensional' polar aufgefaßt würden, wenn also mindestens für einige Eigenschaftspaare angenommen werden könnte, daß beide darin enthaltenen Eigenschaftsbegriffe zur Charakterisierung einer Person von der Vpn sinnvoll angewandt werden könnten, ließe sich die Nutzung der Kategorie 'hängt von der Situation ab' lediglich so interpretieren, daß sich die Vpn selbst bzw. der von ihr zu charakterisierenden anderen Person eben beide Eigenschaften hätte zuschreiben wollen, woran sie allein durch die gege-

173 bene polare Anordnung der Items in dieser Versuchsanordnung gehindert worden seien. Die Benutzung der Kategorie 'hängt von der Situation ab' könne damit nicht anders denn als eine noch deutlichere Eigenschaftszuschreibung aufgefaßt und interpretiert werden. Entsprechend behaupten Monson et al., daß sich die beurteilenden Personen selbst durchaus häufiger personale Eigenschaften zuschreiben, als sie dies zur Beurteilung anderer Personen und deren Verhalten tun würden, was von ihnen auch experimentell dadurch zu bestätigen versucht wurde, daß sie die von Nisbett et al. benutzten Eigenschaftslisten nicht in polarer Weise, sondern jeden Eigenschaftsbegriff für sich der Alternative 'hängt von der Situation ab' gegenüberstellten. Bei dieser Modifizierung gelang es Monson et al. nachzuweisen, daß die Kategorie 'Situation* tatsächlich häufiger bei anderen Personen als zur Beschreibung der eigenen Person benutzt wurde. Aus den damit herangezogenen Überlegungen, Erklärungen und empirisch-experimentellen Untersuchungen sollte wohl deutlich geworden sein, daß zwar tatsächlich und immer wieder Differenzen zwischen den von verschiedenen Personen entwickelten Handlungserklärungen und Zuschreibungstendenzen nachgewiesen werden können. Die Vorstellung jedoch, daß derartige Differenzen systematische Effekte darstellen und sich darüber hinaus zwingend aus den jeweiligen Positionen ableiten ließen, die Handelnde und Beobachter in bezug auf einen zu erklärenden Sachverhalt einnehmen, kann vor dem Hintergrund der dargestellten empirisch-experimentellen Untersuchungen nicht aufrechterhalten werden. Eine gegenüber den bisher referierten Untersuchungen grundsätzlich andere Stoßrichtung zur Begründung empirisch festzustellender Attributionsdifferenzen ergibt sich aus den zunächst nur theoretisch formulierten Einlassungen, die von Jones & McGillis (1976) zur Begründung der Jones & Nisbett-Hypothese vorgelegt und in den Arbeiten und Erklärungsversuchen von Buss (1978, 1979) wieder aufgegriffen wurden. Gemeinsam ist diesen sonst unterschiedlichen Überlegungen zunächst, daß in ihnen weniger die empirische Existenz und Erscheinungsweise derartiger Differenzen, sondern vielmehr deren konzeptionelle und kategoriale Dimensionen, in denen ein solches Phänomen zu denken und zu beschreiben versucht wird, zum Gegenstand der Kritik gemacht werden. Darüber hinaus ist beiden Argumentationsweisen gemeinsam, daß von ihnen Zuschreibungen lediglich als 'Äußerungen' innerhalb eines sozialen Kontextes aufgefaßt werden, womit die ggf. festzustellenden Attributionsunterschiede nur dann erklärt werden könnten, wenn dieser Kontext selbst sowie die Art und

174 Weise, in der sich das Zuschreibungssubjekt mit seinen Attributionen zu diesem verhält, so in die Analyse und Interpretation von Attributionsleistungen einbezogen würden, daß der attributionale Prozeß selbst als ein auf den Kontext bezogener intentionaler Akt aufgefaßt werden kann. Die Produktion von Handlungserklärungen wird damit also selbst als kontextspezifischer intentionaler Akt angesehen, mit dem das Zuschreibungssubjekt Ziele zu verfolgen und umzusetzen sucht, so daß die darin akzentuierten Zusammenhänge ebenso wie die zu ihrer Begründung einbezogenen Daten über die in Frage stehenden Handlungs-ZEreignisaspekte in ihrer Bedeutung für das Zuschreibungssubjekt erst dann angemessen bestimmt werden können, wenn sie vor dem Hintergrund der damit verfolgten Ziele reflektiert werden. Auch wenn hier eingeräumt wird, daß die mit der Produktion und Verlautbarung von Handlungserklärungen prinzipiell verfolgbaren Ziele überaus vielschichtig sein können und sich erst aus dem intentionalen Bezug des Zuschreibungssubjekts zum jeweils zu erklärenden Handlungs-/Ereigniszusammenhang ergeben, könne doch davon ausgegangen werden, daß Handlungserklärungen 'gemeinhin' nur in solchen sozialen Situationen abgegeben würden, in denen die eigenen oder beobachteten Handlungsvollzüge kritisiert würden oder gegenüber anderen zu begründen versucht werden müßten: Das Vortragen von Handlungserklärungen kann damit entsprechend den Vorstellungen von Jones & McGillis als Versuch verstanden werden, eigenes Tun gegenüber anderen in einer Weise verständlich zu machen, daß es auch von diesen als unter den gegebenen Umständen 'vernünftiges' Verhalten akzeptiert werden kann. Gegenüber den bisher dargestellten Ansätzen und Untersuchungen hebt sich diese Vorstellung vor allem dadurch heraus, daß Zuschreibungen und Handlungserklärungen, zumindest sofern sie vom Handlungssubjekt selbst als Erklärung eigenen Verhaltens entwickelt werden, als Äußerungen aufzufassen und zu analysieren versucht werden, in denen Handlungsbegründungen vorgebracht werden. Für die theoretische Rekonstruktion von Handlungserklärungen ergibt sich aus einer solchen Konzeptualisierung, daß sowohl ihre Struktur als auch ihre inhaltlichen und argumentativen Bezüge nur dann angemessen erfaßt werden können, wenn es gelingt, den diskursiv-sozialen Zusammenhang, in dem attributionale Äußerungen als Handlungsbegründungen eingebracht werden, selbst zum Aspekt des Untersuchungsgegenstandes zu machen, womit nicht mehr Attributionen allein, sondern vielmehr der vermittels attributionaler Handlungserklärungen zu bewältigende diskursiv-soziale Lebens-ZHandlungszusammenhang als

175 Analyseeinheit der weitergehenden Untersuchungen angesehen werden muß. Betrachtet man nun die hier dargestellten verschiedenen Ansätze zur Erklärung attributionaler Differenzen zwischen verschiedenen Personen, deren Positionen und den darin zur Geltung kommenden inhaltlich-thematischen Schwerpunktsetzungen in der Zusammenschau, lassen sich zwei grundlegende Probleme aufweisen: Von denjenigen Ansätzen, die versuchen, die Formen und Differenzen von Attributionen allein aus dem Zusammentreffen besonderer Stimulusbedingungen, ihrer positionsabhängigen Rezeption und mit dem Verweis auf bestimmte personale Gegebenheiten des Zuschreibungssubjekts zu rekonstruieren, um darüber zu einer Art gesetzmäßigen Struktur von Zuschreibungsprozessen zu gelangen, die als zwingende Zuschreibungstendenzen behauptet werden können, werden Attributionen aus den diskursiv-sozialen Zusammenhängen gelöst, in denen sie als Teil von Handlungserklärungen indes gerade eingebunden sind. Werden Attributionen aber jenseits der diskursiv-sozialen Erklärungszusammenhänge betrachtet, in denen sie vorgebracht werden, bleibt die subjektive Funktionalität und diskursiv-strategische Bedeutung von Attributionsleistungen für die von den Zuschreibungssubjekten zu bewältigenden intersubjektiven Verständigungsprozesse der theoretischen Analyse und Rekonstruktion verschlossen. Damit aber ist zugleich auch der Zugang zu den mit den jeweiligen Attributionen verfolgten Intentionen und Zielen der Zuschreibungssubjekte unerkannt und theoretisch unaufklärbar, die als wesentliche Strukturierungsaspekte der Produktion von Attributionen und Handlungserklärungen angesehen werden müssen: Der Versuch, Attributionen und Handlungserklärungen allein aus dem Zusammentreffen verschiedener Ursachenfaktoren einschließlich der Varianten wie dem selfserving bias erklären zu wollen, welche sich am Zuschreibungssubjekt gesetzmäßig und damit quasi blind-wirkend durchsetzen, verkennt nicht nur die Spezifik und Bestimmtheit der hier thematisierten subjektiv-intersubjektiven Ereignisse; als Versuch, Handlungs- und Zusammenhangserklärungen gerade in Absehung von den für die Handlungssubjekte bedeutungsvollen Handlungs- und Begründungszusammenhängen entwickeln zu wollen, gilt es vielmehr solche Formen der Entwicklung von Zusammenhangsvorstellungen auf die damit verfolgten und verfolgbaren Intentionen und Ziele hin zu analysieren und damit dem Umstand auch theoretisch Rechnung zu tragen, daß die Art und Weise der Strukturierung von 'Zuschreibungserklärungen, selbst als eine über die intentionale Involviertheit des Zuschreibungssubjekts rekonstruierbare Akzentuierung und Beein-

176 trächtigung der Rezeption von Beobachtungsdaten aufgefaßt werden muß. Derartige Strukturierungen von Handlungserklärungen, um dies anders zu formulieren, haben in erster Linie Gegenstand und nicht Mittel zur Analyse der Funktion und Bedeutung von Handlungserklärungen zu sein. Abschließend soll an dieser Stelle nun noch die von Buss (1978, 1979) entwickelte grundsätzliche Kritik dargestellt werden, die sich auf die in den Untersuchungen zur Akteur-Beobachter-Differenz zugrunde gelegten Vorstellungen zur logischen Struktur der verschiedenen Handlungserklärungen bezieht. Zunächst geht auch Buss davon aus, daß Handlungserklärungen nur als 'Äußerungen' aufgefaßt werden können, die im Kontext von Verständigungsprozessen stehen, in denen ihnen die Funktion zukomme, das Verhalten gegenüber anderen zu begründen bzw. Verhalten von anderen zu kritisieren. Gegenüber allen bisher referierten Ansätzen hebt sich die von Buss vorgetragene Kritik jedoch insofern ab, als er die von den anderen Autoren relativ einmütig geteilte Vorstellung als prinzipiell unangemessen zurückweist, daß die verschiedenen Handlungserklärungen, wie sie von Seiten der Handelnden bzw. der Beobachter entwickelt würden, in ihrer logischen Struktur einander entsprächen und insgesamt als Erklärungen im Modus der Kausalerklärung von Handlungen und Ereignissen aufgefaßt werden könnten. Demgegenüber muß nach Buss vielmehr davon ausgegangen werden, daß zwischen den von Handelnden bzw. deren Beobachtern vorgebrachten Erklärungen grundsätzliche Unterschiede bestehen, die im Kern auf die mit den Handlungserklärungen verfolgten unterschiedlichen Ziele zurückgeführt werden müßten: Weder von Jones & Nisbett noch in den daran anschließenden empirisch-experimentellen Untersuchungen sei dem Umstand Rechnung getragen worden, daß sich kausallogische Erklärungen von Handlungen für den Handelnden zumindest unter der Voraussetzung ausschließen, daß damit eigenes Verhalten gegenüber anderen als begründetes verständlich gemacht werden soll. Würde ein Handlungssubjekt nämlich zur Erklärung des Zustandekommens seiner Handlungen auf eine kausallogisch fundierte Ursachenbestimmung zurückgreifen, wäre dies gleichbedeutend damit, die intentionale Struktur des eigenen Verhaltens zu negieren, die zentrale subjektive Funktion von Handlungen als Versuch der intentionsgemäßen Veränderung der eigenen Lebensumstände vermittels der Realisierung beabsichtigter Handlungsziele zu unterschreiten und damit die eigene Position in bezug auf die in Frage stehende Handlung auf eine bloße Bedingung für das Zustandekommen eines Ereignisses zu reduzieren: Sollen Handlungen überhaupt als intentionale Eingriffe in die sachlich-soziale Lebenswelt aufgefaßt werden kön-

177 nen, sei eine kausallogische Verknüpfung ereignisrelevanter Ursachenaspekte schon darum von vornherein ausgeschlossen, weil das Intentionalitätkonzept letztlich selbst ein Gegenkonzept zum Begriff der Kausalität darstelle. Dagegen lasse sich aber eine beobachtete Handlung bzw. ein erfahrenes Ereignis vom Standpunkt des Beobachters sowohl durch kausallogische Erklärungs- und Darstellungsformen, in denen ereignisrelevante Ursachenfaktoren und deren spezifisches Zusammentreffen angeführt werden, als auch durch intentionale Rekonstruktionen von Handlungen mittels Angabe von Handlungszielen und Handlungsgründen, die einen beobachteten Handlungsvollzug vom Standpunkt des Handlungssubjekts begründet erscheinen lassen, erklären, womit sich eben gerade die Benutzung der einen oder anderen Strukturierungs- und Darstellungsform als das zu erklärende Phänomen erweise. Die Nutzung einer kausallogischen Struktur bei der Erklärung von Handlungen ist so gesehen vom Standpunkt des Beobachters eine diesem zur Verfügung stehende Zuschreibungsmöglichkeit, zu der Alternativen bestehen. Sofern nun zumindest für den Beobachter angenommen werden kann, daß dieser vor der prinzipiellen Alternative steht, Handlungen sowohl als kausallogisch als auch als intentional zu erklären, wird zum einen deutlich, daß im jeweiligen Fall begründet werden muß, warum ein beobachtetes Ereignis einmal unter Bezug auf die kausallogische Strukturierungsmöglichkeit und ein anderes Mal unter Bezug auf intentionale und Begründungen akzentuierende Strukturierungen zu beziehen versucht wird. Zum anderen aber bezieht sich damit die von Buss vorgetragene Kritik sowohl auf die ursprüngliche Jones & Nisbett-Hypothese als auch auf die in deren Folge entwickelten empirisch-experimentellen Untersuchungen, in denen insgesamt davon ausgegangen wird, daß jedwede Erklärung von Handelnden und Beobachtern in ihrer logischen Struktur als Kausalaussage gekennzeichnet werden kann. Eine solche Sichtweise, so die Argumentation von Buss, könne nur darauf zurückgeführt werden, daß aufgrund der Operationalisierungen, wie sie in den empirischen Untersuchungen herzustellen versucht wurden, jedweder Bezug und Kontext ausgeblendet worden sei, in dem Handlungserklärungen als intentionale Erklärungen überhaupt abgegeben würden. Nur dann nämlich, wenn sowohl im experimentellen Setting als auch in der theoretischen Interpretation von dem diskursiv-sozialen Kontext abstrahiert worden sei, in dem Handlungserklärungen vorgebracht werden, könne überhaupt angenommen werden, daß die vom

178 HandlungsSubjekt entwickelten Handlungserklärungen im Modus kausalanalytischer Beschreibungen des Zustandekommens von Ereignissen abgegeben würden: Mit derartigen experimentellen Anordnungen würden nämlich Handlungserklärungen provoziert, die, vollständig von ihrer realen diskursiv-sozialen und argumentationsstrategischen Funktion entkleidet, bloße Antworten auf Versuchsleiteraufforderungen darstellten. Während nach Buss vom Standpunkt des Beobachters also sowohl kausallogische als auch begründungsbezogene Strukturierungen der Handlungserklärung vorstellbar sind, deren jeweilige Realisierung in einer gesonderten Funktionsanalyse zu untersuchen ist, kann ein als Handlung zu qualifizierendes Verhalten des Handlungssubjekts von diesem selbst überhaupt nur dann verständlich gemacht werden, wenn vermittels der Angabe von Handlungsgründen zugleich die mit der Handlung verfolgten Intentionen und Ziele expliziert sind, was eine Abgrenzung gegenüber kausallogischen Erklärungen zwingend einschließt. Dies aber bedeutet, daß die zur Diskussion stehende Handlung nur als relativer Beitrag, als Mittel zur Umund Durchsetzung intendierter Handlungsziele aufgefaßt und zu erklären versucht werden kann. Eine solche mithin als begründungstheoretisch zu bezeichnende Rekonstruktion und Explikation eigenen Handelns schließt indes schon von der damit herangezogenen logischen Struktur her alle diejenigen Formen und Strukturierungen von Handlungserklärungen vorab als mögliche Darstellungsformen aus, in denen eine Handlung allein aus dem Zusammentreffen bestimmter Ursachenfaktoren und deren kausallogischer Verknüpfung als ein 'bedingtes Ereignis' zu erklären versucht wird, weil damit jeder Hinweis auf die durch das handelnde Subjekt konstituierte intentionale Strukturiertheit des vorliegenden Handlungsvollzugs aufgelöst scheint. Durch diese Argumentation sind natürlich, so Buss, nicht alle diejenigen tatsächlich von Handlungssubjekten vorgebrachten Erklärungen eigenen Verhaltens als empirisch unmöglich von vornherein ausgeschlossen, in denen das Handlungssubjekt sich selbst bestimmte Handlungsvollzüge als Kausalzusammenhänge zu erklären sucht. Dies gilt sicherlich schon für alle diejenigen Fället in denen das zu erklärende Ereignis tatsächlich als ein lediglich an der Person des Handelnden 'ablaufender' Prozeß, als bloßer Vorgang aufgefaßt werden muß, in den die Person tatsächlich nicht als Subjekt, sondern als bloßer Körper mit bestimmten physikalischen Eigenschaften (wie etwa Masse, Größe, Gewicht etc.) einbezogen ist. In bezug auf derartige Ereignisse erscheint es allerdings sinnvoller, nicht von einem

179 'Handelnden', sondern eher von einem 'Erleidenden' zu sprechen, der ein ihm selbst widerfahrenes Ereignis und eben keine Handlung zu erklären versucht. „However, if we are talking about the nonaction that a person suffers - that is, occurrences that happen to a person (e.g., headache, blushing, perspring, emotional arousal, etc.) - rather than things done by a person (i.e., action), then, of course, an 'actor' could, in principle, give a causal explanation of his/her own nonaction behavior" (ebd., 178). Daß die damit beschriebenen logischen Strukturunterschiede zwischen den verschiedenen standpunktgebundenen Handlungserklärungen in den bisher referierten attributionstheoretischen Konzeptionen und Untersuchungen weder erkannt noch thematisiert und erklärt worden sind, führt Buss auf deren unkritische Universalisierung des für wissenschaftliche Theorienbildung mehr oder weniger nur ideologisch zu begründenden Primats kausaler Erklärungen zurück, deren inhaltlich-theoretische Probleme nur solange unerkannt bleiben könnten, wie die in den empirisch-experimentellen Untersuchungen vollzogene Abstraktion von jedwedem sachlich-sozialen Zusammenhang nicht weiter problematisiert werde, womit auch die Funktion, die die Produktion von Handlungserklärungen für das Zuschreibungssubjekt faktisch besitze, für die Theorienbildung verschlossen bleiben müsse. „With few exceptions, attribution theorists have interpreted 'the making of an attribution' as 'the making of a causal attribution'. [...] In explaining explanations, attribution theorists have uncritically and unconsciously projected their own (causal) explanatory self-image onto everyone. In this way, attribution theorists have fallen victim to the ideology of causality" (Herv. i.O.). Bezieht man diese Überlegungen nun auf die ggf. festzustellenden Differenzen zwischen den von Handelnden und Beobachtern vorgebrachten Attributionen und Handlungserklärungen, wird deutlich, daß weder der Handlungszusammenhang selbst noch auch eine bloße Aufforderung als hinreichender Grund für die Produktion und Verlautbarung von Handlungserklärungen angesehen werden kann. Gerade weil das Zuschreibungssubjekt mit seinen Erklärungen von Handlungen selbst in einen diskursiv-sozialen Bezugszusammenhang eingebunden ist, können die darin produzierten Handlungserklärungen ebenfalls nur als eine darauf bezogene intentionale Realisierung gegebener Zuschieibungsmöglichkeiten aufgefaßt werden, deren Verlautbarung im Zusammenhang zu den jeweiligen Zielen steht, die das Zuschreibungssubjekt zu realisieren versucht.

180 Die Art und Weise der Produktion von Handlungserklärungen kann damit, so Buss, also nicht aus und für sich selbst erklärt werden, sondern erschließt sich vielmehr erst in dem Maße, wie die darin realisierten Argumentations- und Begründungsstrukturen in bezug zu den diskursiv-sozialen Bezugszusammenhängen und der intentionalen Involviertheit des Zuschreibungssubjekts zu bringen versucht werden, womit weder die einer Handlungserklärung zugrunde gelegte logische Struktur noch auch ihr Zustandekommen jenseits des Zusammenhangs erklärt werden kann, in dem und für den sie als Erklärung hervorgebracht worden ist. J n asking an actor to explain his/her action, the 'why' is a request to justify, or to make rational or intelligible, his/her action vis-ä-vis society's norms for 'proper' conduct. The actor's 'because' statements consists of giving his/her reasons for an action - that is, matters that were weighed in his/her deliberation. By definition, in giving one's reasons for an action only matters that are consciously available to the actor can occur. In contrast, the observer who is asked to explain 'why' in regard to an actor's action can include causal attributions that operate out of the consciousness of the actor. Thus, while an observer can make causal attributions in explaining the action of an actor, the actor's explanation could not include such kinds of attributions - even if, [...] the actor should happen to use the term 'cause'" (Buss, 1979,176). Damit aber wird deutlich, daß sofern zwischen den von Handlungs- bzw. Beobachtungssubjekten vorgebrachten Handlungserklärungen Differenzen in bezug auf die Erklärung ein und desselben Ereignisses auftreten, diese nurmehr als Ausdruck der Unterschiede zwischen den damit verfolgten Zielen aufzufassen sind, womit die ggf. festzustellenden Zuschreibungsdifferenzen letztendlich nur über die von den Subjekten unterschiedlich wahrgenommenen objektiv-gesellschaftlichen Bezugs- und Bedeutungszusammenhänge rekonstruiert werden können, womit derartige Differenzen auch von den Subjekten selbst in dem Maße kommunizierund vermittelbar und damit perspektivisch bewältigbar sein können, wie sich die sie begründenden intentionalen Bezüge zwischen den Subjekten explizieren, vermitteln und begründen lassen. Im Rahmen unseres Aufarbeitungszusammenhangs ergibt sich daraus aber die Konsequenz, daß mit dieser Begründung von Attributionsdifferenzen zwischen Handelnden und Beobachtern nun nicht zugleich auch die von Jones & Nisbett vorgetragene Überlegung als unzutreffend zurückgewiesen werden muß, nach der Handelnde und Beobachter aufgrund ihrer unterschiedlichen Positionen über unterschiedliche Informationen verfügen und daß daraus ggf. eine Beeinträchtigung der jeweiligen Attributionslei-

181 stungen erwartet werden könne. Vielmehr geht es vor dem Hintergrund der damit entfalteten Argumentation gerade darum, den wesentlichen Kern möglicher Unterschiede zwischen Handlungserklärungen herauszuarbeiten, zu dem vielerlei weitere Überformungen, Beeinträchtigungen und Verzerrungen noch hinzukommen können und vorstellbar bleiben. Betrachtet man nun aber den Fall, daß sowohl Handelnde als auch Beobachter Erklärungen in der Form von Begründungen abgeben, so zeigt sich, daß in keiner Weise sichergestellt ist, daß keine Differenz zwischen den auf dieser Grundlage entwickelten Handlungserklärungen auftreten kann. Welche Dimensionen und Aspekte nämlich von den jeweiligen Zuschreibungssubjekten als Handlungsbegründungen in die Erklärung einbezogen werden, ergibt sich nicht zwingend und gesetzmäßig aus dem Beobachtungszusammenhang, sondern kann, weil es dabei um Formulierungen der von den Subjekten als 'vernünftig' und 'gut begründet' erachteten Intentions-Handlungs-Verknüpfungen geht, durchaus sehr unterschiedlich sein. Insbesondere für den Beobachter werden dazu von Buss zwei Möglichkeiten herausgearbeitet, in denen Handlungsgründe für eine beobachtete Handlung in die Handlungserklärung einbezogen werden können. ,£uch an explanation could be given in two different forms: (1) The observer could be requested to reconstruct on the basis of available evidence the actor's reasons for acting; or (2) the observer could be asked for his/her own reasons - that is, to justify or make intelligible the action in a way that he/she believes would not necessarily be in accord with the actor's reason account" (ebd., 177f). Daraus ergibt sich, daß konzeptionelle Unterschiede zwischen den Zuschreibungsweisen, wie sie aus der einen oder anderen Position entwickelt werden, auf ganz andere Weise erklärt werden müssen, als dies von allen bisher referierten theoretischen Konzeptionen und empirisch-experimentellen Untersuchungen versucht worden ist. Sofern nämlich Handlungen als die von einem Subjekt intentional verfolgten Veränderungen sachlichsozialer Weltgegebenheiten aufgefaßt werden, können - bezogen auf das Konzept der intersubjektiven Verständigung - vom Handlungssubjekt nurmehr Gründe zur Rechtfertigung des je eigenen Handlungsvollzugs vorgebracht werden, in denen das eigene Tun als Mittel zur Durchsetzung/Verwirklichung bestimmter Ziele und Handlungsvorsätze so verständlich gemacht wird, daß sie auch für andere als von deren Standpunkt aus begründet und vernünftig erkannt und erfahren werden können, womit

182 einer solchen Handlungserklärung von vornherein eine begründungstheoretische Struktur zugrunde gelegt werden muß. Dem außenstehenden Beobachter hingegen sei prinzipiell die Alternative gegeben, die beobachten Handlungen kausal, d.h. aus einem je spezifischen Zusammentreffen von personalen und situationalen Ursachenfaktoren so zu erklären, als handele es sich dabei um nicht mehr als eine Art Naturereignis, bei dem Intentionalität entweder keine konstitutive Bedeutung zugemessen wird oder aber von Intentionalität als dem einer Handlung Sinn und Bedeutung gebenden Bezug des Subjekts zur Welt als dessen Lebenswelt quasi selbst intentional abstrahiert wird. Mit Waidenfels (vgl. 1980, 100) läßt sich diese Differenz als Wahrnehmung der 'ersten' oder 'dritten Person' bestimmen, deren Trennlinie nicht etwa zwischen eigenem Erleben und fremdem Verhalten verläuft, sondern zwischen Wahrnehmen in der 'ersten Person', einem subjektiv intendierten und sinngerichteten Akt, und Wahrnehmen sozusagen in der 'dritten Person', d.h. auf einen objektiv-realen Vorgang bezogen. Derartige Differenzen in der logischen Strukturierung der Handlungserklärungen, wie sie innerhalb eines Diskurses über die Angemessenheit und Begründetheit von Handlungen prinzipiell auftreten können, lassen sich aber nicht allein unter Bezug auf den zur Diskussion stehenden Handlungszusammenhang begreifen, weil der diskursiv-soziale Kontext, in dem die Handlungserklärungen als Argumente und Sichtweisen vorgebracht werden, selbst in seiner Funktion und Bedeutung für die daran Beteiligten und die von ihnen vorgebrachten Argumentationsweisen mit zum Gegenstand der Analyse und Kritik gemacht werden kann. Von diesen prinzipiellen Differenzen der auf eine Handlung bezogenen Wahrnehmungs- und Erklärungsweisen sind nun diejenigen abzugrenzen, in denen sowohl vom Handelnden als auch vom Beobachter Handlungsgründe zur Rekonstruktion der mit einer Handlung intendierten Ziele zugeschrieben und vorgebracht werden, wobei jedoch die vom Beobachter einbezogenen Handlungsgründe diejenigen sind, die ihm selbst die beobachtete Handlung als eine 'vernünftige' hätten nachvollziehbar werden lassen, die aber mit den Gründen des Handelnden nicht oder nur unzureichend vermittelt sind. Die Klärung/Überwindung derartiger Differenzen ist jedoch quasi innerhalb des bereits realisierten diskursiv-sozialen Prozesses aufgrund der logischen Entsprechung der vorgebrachten Handlungsbegründungen von Handelndem und Beobachter in dem Maße möglich, wie die Explikation der für das Handlungssubjekt handlungsrelevant geworde-

183 nen Prämissen so vollzogen wird, daß die in Handlungen umgesetzten Intentionen auch für den Handlungsbeobachter nachvollziehbar werden bzw. für den Handelnden selbst deutlich wird, daß er sich in bezug auf die seinen Handlungen zugrunde gelegten Prämissen getäuscht hat. Dabei läßt sich die aktuell zu erfahrende Differenz zwischen den Erklärungen von Akteuren und Beobachtern dann als eine nur 'graduelle' auffassen, wenn beide Erklärungsweisen Erklärungen 'erster Person' repräsentieren, die lediglich von unterschiedlichen Prämissen auszugehen scheinen bzw. diese in unterschiedlicher Weise in die Handlungsbegründungen und Handlungsumsetzungen einbeziehen. Entsprechend kann auch diejenige Differenz als prinzipiell auf derselben Ebene liegend aufgefaßt werden, die bei der Zuschreibung kausaler 'Geschehensursachen' für Sachverhalte zwischen einem Beobachter und einem 'Akteur' (besser 'Erleidenden') auftreten können. Stürzt etwa ein an einem Riemen getragener schwerer Gegenstand einer Person auf den Fuß, so handelt es sich in der Tat um einen Sachverhalt, der, obzwar so erst aufgrund des als Handlung zu qualifizierenden 'Transports' dieses Gegenstandes möglich geworden, selbst nicht als Handlung aufgefaßt werden kann, womit auch dessen Erklärung vermittels von Handlungsgründen einen Kategorienfehler darstellt. Auch hier können also Differenzen in der Ursachenzuschreibung zutage treten, die sich jedoch ähnlich wie im zuvor referierten Fall allein unter Bezug auf den zur Disposition stehenden Sachverhalt zwischen den Beteiligten klären lassen, weil trotz aller möglichen Binnendifferenzierungen vergleichbare logische Strukturen zur Erklärung ein und desselben Sachverhalts herangezogen werden. Diese damit entwickelten konzeptionell-begrifflichen Fassungen der möglichen Formen von Zuschreibungsdifferenzen und der damit im Zusammenhang stehenden Möglichkeiten zu ihrer Bewältigung sind von Buss selbst exemplarisch auf einige der hier bereits dargestellten experimentellen Untersuchungen (etwa Regan & Totten, 1975 und Storms, 1973) bezogen worden. Dabei konnte gezeigt werden, daß innerhalb des Stormsschen Experiments zur 'Umkehr der Attributionsausrichtung', aber auch innerhalb des Regan & Tottenschen 'Empathie-Experiments' nicht eigentlich Handlungen im engeren Sinne, sondern vielmehr 'Geschehnisse' verhandelt werden, die einer beobachteten Person oder aber dem Zuschreibungssubjekt selbst 'widerfahren' sind. Soll etwa erklärt werden, wie die bloß beobachtete Nervosität zustandegekommen sein könnte, ist es schon aufgrund der Struktur des im experimentellen Design zu erklärenden Ereig-

184 nisses weitgehend ausgeschlossen, intentionale Erklärungen abzugeben. Nervosität selbst kann nämlich sicherlich von keinem als intendierter Zustand des Subjekts aufgefaßt werden, so daß damit einhergehende Zuschreibungsdifferenzen von vornherein auf den engen Bereich der unterschiedlichen Akzentuierung kausal zu bestimmender Wirkfaktoren beschränkt bleiben, die für das Zustandekommen psychophysischer 'Ereignisse' anzunehmen sind. Entsprechendes gilt auch für die bei Regan & Totten zu erklärenden Dimensionen wie 'Gesprächigkeit', 'Freundlichkeit' und 'Dominanz': „To the extent of the latter category mistake will depend upon the extent that friendliness, talkativeness, and dominance are not consciously and deliberately sought after in oneself, then they too are also occurrences rattier than action - that is, events that happend to the person. Thus, the term 'actor' as used by Storms (1973), Regan & Totten (1975) and Taylor & Fiske (1975), and probably others is really a misnomer with respect to the behavior upon which they are focused. It would seem that they are really concerned with Mjfjfer-observer differences in causal explanations of occurrences (ebd., 178). Noch vor einer in Kapitel 9.6. zu vollziehenden kategorialen Reformulierung der verschiedenen hier vorgetragenen theoretischen und empirischexperimentellen Positionen soll an dieser Stelle bereits darauf hingewiesen werden, daß die hier vorgeschlagene Dichotomisierung der Struktur von Handlungserklärungen auf der Ebene von Intentionalität und Kausalität in bezug auf das von der Kritischen Psychologie herausgearbeitete Begründungskonzept als unspezifisch angesehen werden muß. Damit aber geht auch die von Buss vorgetragene Kritik etwa an den von Storms (1973) bzw. von Regan & Totten (1975) durchgeführten Experimenten, es handele sich bei den zu erklärenden Phänomenen nicht um intentionale Ereignisse, noch am Kern der aufzuweisenden Problematik vorbei. Auch dann nämlich, wenn die in diesen Experimenten zu erklärenden Phänomene, wie das der 'Nervosität', oder aber die zuzuschreibenden Dimensionen, wie 'Gesprächigkeit', 'Freundlichkeit' und 'Dominanz', auf Befindlichkeitsbzw. Eigenschaftskonzepte verweisen, in bezug auf welche intentionale Erklärungen tatsächlich als unangemessen angesehen werden müssen, kann damit doch noch nicht behauptet werden, es handele sich dabei um lediglich kausal zu erklärende Phänomene und Sachverhalte: Der hier gerade geltend zu machende Begründungszusammenhang von Handlungen und Zuschreibungsweisen muß vielmehr auch für diejenigen Phänomene herausgehoben werden, die vom Standpunkt der Zuschreibungssubjekte als nicht-intendiert, sondern eben unter Bezug auf die damit im Zusammen-

185 hang stehenden Lebensinteressen begründet sind. Während sich derartige Zuschreibungen nämlich einerseits überhaupt nur vor dem Hintergrund der darin zur Geltung kommenden gesellschaftlich verfügbaren Denkformen auffassen lassen, erweisen sich auch die darin beschriebenen subjektiven Realisierungen objektiver Bedeutungen und die als Eigenschaften verfestigten Bewältigungsweisen konkreter Lebens-/Handlungszusammenhänge als unter Bezug auf die jeweiligen Bedeutungszusammenhänge begründet. Die sich aus der kategorialen Explikation ergebende Begründetheit als Grundbestimmung des Zusammenhangs von Bedingungen, Bedeutungen und Handlungen bezieht sich - was hier entscheidend ist - nicht nur auf bewußt vollzogene Handlungen und bewußt erfahrene Intentionalität, sondern schließt auch alle diejenigen vom Subjekt aus realisierten Bezüge zur Welt explizit mit ein, die vom Standpunkt des Subjekts aus als bloße Widerfahrnisse wahrgenommen werden.

7.2. Zur motivational-dynamischen Fundierung der Erklärung von Handlungen Die Struktur und Genese attributionaler Erklärungen ist jedoch nicht nur unter dem Aspekt analysiert worden, welche Einflüsse aus der Position und Perspektive des Zuschreibungssubjekts auf die jeweils zu entwickelnden Handlungs- und Ereigniserklärungen hervorgehen. In verschiedener Weise sind auch die mit dem Attributionsprozeß in Zusammenhang stehenden motivational-dynamischen Bezüge unter dem Aspekt der Beeinträchtigung und Verzerrung untersucht worden. Dabei wurde angenommen, daß in die Art und Weise, in der Zusammenhangserklärungen entwickelt werden, lediglich diejenigen Informationen aufgenommen und zur Grundlage der Erklärung von Handlungen und Ereignissen herangezogen würden, die einem Wunschdenken des Zuschreibungssubjekts entsprächen. In dieser Tradition stehen etwa die von Fitch (1970, 31 Iff) durchgeführten Experimente, in denen aufgewiesen wurde, daß Erfolge signifikant häufiger der Person des Handelnden, Mißerfolge hingegen häufiger den Umständen zugeschrieben werden. Aber auch in einem von Frieze & Weiner (1971) durchgeführten Experiment konnte demonstriert werden, daß die auf die Dimensionen Fähigkeit, Anstrengung, Aufgabenschwierigkeit und

186 Zufall bezogenen Ursachenzuschreibungen leistungsbezogener Handlungszusammenhänge unterschiedlich gewichtet werden, je nachdem, ob die beobachtete Stimulusperson Erfolge oder Mißerfolge hatte: Auch hier wurde bekräftigt, daß Erfolge auf personale Aspekte, wie besondere Fähigkeiten und/oder besondere Anstrengung, zurückgeführt, Mißerfolge hingegen häufiger externen Ursachen (Aufgabenschwierigkeit) zugeschrieben werden. „Thus, there is a tendency to ascribe success to internal or personal sources, and failure to external or environmental factors. This suggests that locus of control influences affective reactions to an outcome, and that ego-enhansive and ego-defensive attributional tendencies are elicited in achievement contexts" (Frieze & Weiner, 1971, 595). Ähnliche Zuschreibungstendenzen konnten auch von Berscheid, Graziano, Monson & Dermer (1976) in einer etwas anders gearteten Untersuchung demonstriert werden. In dieser Untersuchung wurde das Verhältnis zwischen Zuschreibungs- und Handlungssubjekt und dessen Bedeutung in bezug auf das Zuschreibungsresultat untersucht. Berscheid et al. versuchten nachzuweisen, daß die Aufmerksamkeit, die einer beobachteten Person entgegengebracht wird, in dem Maße steigt, wie sich das Zuschreibungssubjekt als von den Handlungen und Entscheidungen der beobachteten Person abhängig sieht. Ferner sollte gezeigt werden, daß mit steigender Abhängigkeit auch mehr Einzelinformationen über die beobachtete Person erinnert werden, auf deren Grundlage deutlichere Eigenschaftszuschreibungen mit größerer subjektiver Sicherheit in bezug auf die Angemessenheit dieser Zuschreibungen entwickelt werden, bzw. daß die zu beurteilende Person vom Zuschreibungssubjekt insgesamt als sympathischer angesehen wird (vgl. ebd., 1976,987). Gegenüber solchen Versuchen der Integration motivational-dynamischer Aspekte in den Prozeß der Ursachenerklärung ist von Kruglanski, Baldwin & Towson (1985, 303) und Kruglanski (1979) eingewandt worden, daß der Stellenwert, der der Motivation, den Interessen und den Zielen des Zuschreibungssubjekts eingeräumt werde, hier darauf reduziert bleibe, gelegentlich auftretende 'Zuschreibungsfehler' zu begründen, durch die die Zuschreibungen zu einem, gemessen am Maßstab wissenschaftlicher Schlußfolgerungsmethoden, verzerrten Ergebnis führten. Anders als in den damit kritisierten Positionen ist nun in dem von Kruglanski et al. (1985) und Kruglanski & Ajzen (1983) vorgelegten Konzept der 'Laienepistemologie' Motivation geradezu als das prozeßkonstituierende Moment entwickelt worden, wonach Zuschreibungsprozesse und Ereig-

187 niserklärungen überhaupt nur dann angemessen erfaßt werden könnten, wenn der Prozeß der Zuschreibung als intentionaler Akt des Zuschreibungssubjekts aufgefaßt werde, dessen Struktur nicht aus „allgemeinen Prozessen des Schlußfolgerns" (Kruglanski, 1982, 157), sondern nur aus dem epistemischen 'Zweck' selbst heraus abgeleitet werden könne. Damit wird vom Standpunkt der 'Laienepistemologie' Motivation und Intention nicht länger als eine Art 'Störgröße' behauptet, durch die mögliche Diskrepanzen zwischen 'tatsächlichen' und den vom Zuschreibungssubjekt angenommenen Ursachenzusammenhängen begründet werden können. Die Genese von Zuschreibungen und Handlungserklärungen lasse sich erst dann angemessen begreifen, wenn die damit verfolgten Interessen expliziert werden können, weil die Frage, was von wem an einem Sachverhalt überhaupt als erklärungsnotwendig erfahren wird und welche Aspekte entsprechend als handlungsrelevante epistemische Probleme herausgehoben werden, weder aus dem zu erklärenden Sachverhalt selbst noch aus allgemeinen Attributionsprinzipien heraus begriffen werden könne. „What will be stressed, however, is that the formulation of an epistemic problem may be understood as a motivational behavior, prompted by an interest that a knower may have in a given bit of knowledge" (Kruglanski, 1980,71). Auch wenn von der 'Laienepistemologie' eine essentielle Ähnlichkeit zwischen den Prozessen wissenschaftlichen und 'naiven' Wissenserwerbs behauptet wird, wird damit nicht zugleich die Auffassung vertreten, daß der Wissenserwerb im Alltag jenseits jeder Gefahr stehe, verzerrenden oder falschen Schlußfolgerungstendenzen zu unterliegen. Vielmehr weist die 'Laienepistemologie' umgekehrt die Vorstellung grundsätzlich zurück, daß für wissenschaftliche Aussagen eindeutige Kriterien für ihre Gültigkeit beständen, so daß diese als Maßstab für die Diagnose von Fehlern und Verzerrungen alltagstheoretischer Erklärungen herangezogen werden könnten. „Wir schmeicheln nicht der Laien-Inferenz und nehmen an, sie sei wunderbarerweise frei von Verzerrungen, Irrtum oder motivationalen Einflüssen; vielmehr dämpfen wir den Glorienschein der wissenschaftlichen Inferenz mit der Annahme, daß diese die gleichen Fehlerquellen enthält" (Kruglanski et al. 1985, 312). Aus dieser Position wird nun verständlich, daß die in der gesamten bisher dargestellten attributionstheoretischen Diskussion so zentrale Frage nach der Konstitution von Kausalerklärungen bzw. die Frage nach dem Zustandekommen von Attributionsdifferenzen zwischen Handelnden und Beobachtern von der 'Laienepistemologie' weder in dieser Form gestellt noch

188 überhaupt als sinnvoll aufgefaßt wird: Indem sich die 'Laienepistemologie' selbst vielmehr als Versuch der Begründung einer 4psychologischen Theorie des Wissenserwerbs' versteht, geht es ihr im wesentlichen gerade darum, diejenigen Prozesse zu erfassen, vermittels derer von den Subjekten selbst Handlungs- und Erkenntnisprobleme formuliert und zu lösen versucht werden. Aus dieser Perspektive wird deutlich, daß die innerhalb der verschiedenen attributionstheoretischen Überlegungen immer wieder reflektierte Frage nach der Lösung von Kausalproblemen lediglich als eine der möglichen Formen aufgefaßt werden muß, wie Subjekte ihre jeweiligen Lebens- und Handlungszusammenhänge als Erkenntnis- und Erklärungsprobleme zu fassen versuchen. Vor dem damit entwickelten theoretischen Konzept ließen sich nun, so Kruglanski et al. (1985, 299ff), die verschiedenen attributionstheoretischen Konzeptionen und Modelle als Veranschaulichungen reinterpretieren, wie von den Subjekten die verschiedenen epistemischen Probleme zu lösen versucht würden. So werde von der Kelleyschen Varianzanalyse das epistemische Problem formuliert, einen bestimmten Effekt (a) externen Gegebenheiten, (b) besonderen Personeigenschaften, (c) der Art und Weise der Interaktion oder (d) der 'Zeit', über die eine Interaktion stattfand, zuzuschreiben. Gegenüber dieser Problemstellung thematisiere das Modell der korrespondierenden Inferenzen von Jones & Davis (1965) das epistemische Problem eines Beobachters, der zu entscheiden versucht, ob eine Handlung als von einem korrespondierenden Persönlichkeitsmerkmal verursacht aufgefaßt werden könne. Von Weiner und Mitarbeitern werde schließlich reflektiert, wie Erfolg oder Mißerfolg erklärt würden und wie sich diese Erklärungen dabei auf die Dimension Fähigkeit, Anstrengung, Aufgabenschwierigkeit oder Zufall beziehen lasse. Da es sich hier jedoch stets um ganz verschiedene inhaltliche Schwerpunkte und epistemische Problemstellungen handele, müsse von der Vorstellung Abstand genommen werden, damit ggf. konkurrierende Aussagen über den 4 allgemeinen Prozeß der Attribution, entwickelt zu haben: „Die in der Literatur beschriebenen 'Attributionskriterien' sind nichts weiter als Prämissen, die bestimmte Leute erzeugen könnten, um plausible Gründe für bestimmte Effekte zu finden. [...] Der laienepistemologische Bezugsrahmen kann somit sowohl für die Synthese vorhandener attributionstheoretischer Modelle als auch für die Entwicklung neuer Modelle für eine unbegrenzte Anzahl interessierender Inhaltsgebiete nützlich sein" (Kruglanski et al., 1985,300f).

189 Werden attributionale Prozesse von dieser Konzeption nun selbst als im Dienste der Lösung konkreter Handlungs-ZErkenntnisprobleme angesehen und damit als intentionale Akte des Wissenserwerbs aufgefaßt, hängt die Frage, ob ein zu lösendes Problem etwa auf die Dimension Person - Situation bezogen wird, nicht von einer Art allgemeiner Strukturierung derartiger Attributions- und Zuschreibungsprozesse ab, sondern vielmehr davon, ob eine solche Strukturierungsmöglichkeit für das zu lösende epistemische Problem als förderlich angesehen wird und mit den epistemischen Zwekken in Zusammenhang gebracht werden kann (vgl. dazu Jones & Thibaut, 1958). Wenn sich jedoch die für wesentlich erachteten Attributionsdimensionen erst aus der Spezifik des zu lösenden epistemischen Problems ergeben, und auch die Art und Weise, in der sich das jeweils zu lösende Problem tatsächlich stellt, nur unter Bezug auf die mit deren Lösung verfolgten Interessen heraus begriffen werden kann, lassen sich auch die Prozesse der Erhebung und Auswertung von Beobachtungsdaten nur unter Bezug auf die zugrundeliegende intentionale Strukturierung des Erklärungszusammenhangs bestimmen. Damit müssen folglich alle diejenigen Untersuchungen, in denen nicht nur die zu lösenden Zuschreibungsprobleme, sondern auch die zu interpretierenden Daten in den Versuchsbedingungen bereits vorgegeben sind, als problematische Vorabvereindeutigungen des eigentlich interessierenden epistemischen Problemzusammenhangs und der darin zu entwickelnden Lösung kritisiert werden. Gemäß den von der 'Laienepistemologie' entwickelten Strukturierung des Prozesses der Hypothesengenerierung und -bewertung hängt die Strukturierung maßgeblich von den Ideen und möglichen Alternativhypothesen ab, die dem Erkenntnissubjekt bezüglich der zu lösenden Probleme aktuell verfügbar sind. Da nun aber davon ausgegangen werden müsse, daß für jeden beobachteten und zu erklärenden Sachverhalt eine letztlich unabschließbare Menge möglicher Erklärungen und plausibler Hypothesen entwickelt werden könnte, stehe das Erkenntnissubjekt vor dem Problem, den Prozeß der Hypothesengenerierung zu irgend einem Zeitpunkt nurmehr pragmatisch abzubrechen. Dieses Abbrechen, von der 4 Laienepis temologie' als 'freezing' (Einfrieren) bezeichnet, beschreibt die Situation, in der eine der produzierten Hypothesen dem Erkenntnissubjekt als hinreichend plausibel und gegenüber den verfügbaren Alternativhypothesen überlegen erscheinen wird, so daß die Entwicklung weiterer Hypothesen nicht mehr nötig oder sinnvoll erscheint. Ob also eine Zusammenhangs-

190 sieht 'eingefroren' wird, hängt neben dem verfügbaren Wissen über mögliche Alternativhypothesen (vgl. Taylor & Thompson, 1982) selbst wieder von der Motivation des Erkenntnissubjekts ab, weitergehende Fragen nach anderen und ggf. angemesseneren Erklärungsmöglichkeiten zu stellen oder aber eine der Zusammenhangsannahmen als solche zu akzeptieren.

7.3. 'Attributionsfehler' und Attributionsvoreingenommenheiten als Problem fehlerhafter Informationsverarbeitung In den bereits referierten Ansätzen wurden Attributionsdifferenzen entweder auf die jeweilige Position des Zuschreibungssubjekts in bezug auf einen zu beurteilenden Sachverhalt zurückgeführt oder aber mit Intentionen und Zielen bzw. mit verschiedenen Wunschvorstellungen von Zuschreibungssubjekten zu erklären versucht, die u.a. auch mit dem Versuch der Aufrechterhaltung bestimmter Selbst- und Fremdsichten in Zusammenhang gebracht wurden. Gegenüber diesen Konzepten ist nun insbesondere von Ross (1977) die Position vertreten worden, daß Attributionsunterschiede im Kern auf die jeweils zugrundeliegenden Informationsverarbeitungsprozesse zurückgeführt werden können und daß die ggf. festzustellenden Attributionsfehler auch ohne Bezug auf zusätzliche motivationaldynamische Begründungen oder die intentionale Involviertheit des Zuschreibungssubjekts erklärt werden können. J n speculating about possible distortions in an otherwise logical attribution system, theorists were quick to postulate 'ego-defensive' biases through which attributers maintained or enhanced their general self-esteem or positive opinion of their specific dispositions and abilities. [...] An alternate and perhaps more fruitful strategy, however, may be to temporarily abandon motivational constructs and concentrate upon those informational, perceptual, and cognitive factors that mediate and potentially distort attributional judgements 'in general'" (Ross, 1977,181,183). Ebenso wie die von Jones & Nisbett behauptete Differenz zwischen den von Handelnden und Beobachtern vorgebrachten Urteilen läßt sich, so Ross, auch die bereits von Heider (1958/1977) beschriebene Tendenz einer systematischen Vernachlässigung situationaler gegenüber personalen Aspekten eines Beobachtungszusammenhangs erklären, ohne daß auf moti-

191 vationale Hilfskonstrukte zurückgegriffen werden müsse: In beiden Theorien sei nämlich eine spezifische Position und ein damit einhergehendes 'perceptual focusing' vorausgesetzt, durch das die Akzentuierung personaler Ursachenaspekte verständlich würde. Diese damit beschriebene 'Vorliebe' für Personattributionen wird von Ross (1977,183f) als der 'egocentric bias' bezeichnet. Ein weiterer Attributionsfehler geht nach Ross auf eine in spezifischen Wahrnehmungszusammenhängen systematische Vernachlässigung verfügbarer KonsensusMonmtiomn zurück, durch die falsche Vorstellungen über die tatsächliche Verbreitetheit einer Verhaltensweise der Handlungserklärung zugrunde gelegt würden und in deren Folge verzerrte Schlußfolgerungen und problematische Annahmen über die Relevanz personaler Aspekte des zu erklärenden Ereignisses nahegelegt seien. Diese Beeinträchtigung des Attributionsprozesses, die also weniger auf Mängel in der Dateninterpretation als auf Mängel bei der Datenerhebung selbst zurückgeführt wird, bezeichnet Ross im Anschluß an die Kelleysche Terminologie als 'false consensus'. Der Umstand, daß ein solcher Fehler etwa in den von McArthur (1972) durchgeführten Experimenten nicht habe festgestellt werden können, lasse sich, so Ross, darauf zurückführen, daß in diesen Experimenten bereits die für den Zuschreibungsprozeß relevanten Daten den Vpn in einer systematisierten Form dargeboten wurden, so daß schon durch die experimentelle Anordnung eine unterschiedliche Berücksichtigung als ausgeschlossen angesehen werden kann (vgl. dazu Ross, Greene & House, 1977, 279): Werden die attributionsrelevanten Daten bereits inhaltlich vorgegeben, wird der Attributionsprozeß selbst um die bedeutsame Phase der Datensammlung und Analyse verkürzt, durch die die in dieser Phase potentiell auftretenden Beeinträchtigungen selbst unzugänglich und somit in ihrer Bedeutung für das Zustandekommen verzerrter Attributionen und Zusammenhangserklärungen unerkannt bleiben müssen. Betrachte man nun die Prozesse im einzelnen, könne der 'falsche Konsensus-Effekt' vor allem darauf zurückgeführt werden, daß 'Alltagsmenschen' als 'intuitive Psychologen' nur selten über angemessene Basisdaten und Informationen über die Repräsentativität einer Verhaltensbeobachtung verfügen. Demgegenüber begründe sich der 'egocentric bias' vor allem darin, daß das Zuschreibungssubjekt die Verbreitetheit des eigenen Verhaltens überschätzt, also stillschweigend davon ausgehe, eine beobachtete Person denke und handele ebenso wie man selbst: „laymen tend to perceive a 'false consensus', that

192 is, to see their own behavioral choices and judgements as relatively common and appropriate to existing circumstances while viewing alternative responses as uncommon, deviant, and inappropriate. Evidence shall also be obvious corollary to the false consensus proposition: The intuitive psychologist judges those responses that differ from his own to be more revealing of the actor's stable dispositions than those responses which are similar to his own" (Ross, 1977,188). Beide Attributionsbeeinträchtigungen wurden von Ross, Greene & House (1977) in vier verschiedenen Experimenten geprüft. In dreien der vier Experimente wurden die Vpn dazu aufgefordert, verhaltensbezogene Attributionen und Erklärungen abzugeben. Demgegenüber sollten die Vpn in dem vierten Experiment Personenbeschreibungen anhand eines Fragebogens mit 35 persönlichkeitsbezogenen Items treffen, die jeweils zwei einander ausschließende Dispositionsprädikate repräsentierten, in bezug auf welche die eigene Person ebenso wie der Grad der Verbreitetheit dieser Dispositionen unter 'Studenten im allgemeinen' eingeschätzt werden sollte. Das daraus hervorgehende empirische Resultat wird von Ross et al. (1977, 295) als Bestätigung sowohl des 'falschen Konsensus-Effekts', als auch des 'egocentric bias' interpretiert: „His intuitive estimates of deviance and normalcy, and the host of social inferences and interpersonal responses that accompany such estimates, are systematically and egocentrically biased in accord with his own behavioral choices. More generally, it is apparent that attributional analyses may be distorted not only by biases in the intuitive psychologist's eventual analyses of social data but also by biases in the earlier processes through which relevant data are estimated, sampled, or inferred*' (Herv. R.F.). Zur theoretischen Erklärung dieser experimentellen Befunde werden von Ross et al. nun zweierlei nicht-motivationale Interpretationen angeführt, die sich auf den Prozeß der 'selektiven Informationsaufnahmen' bzw. der 'selektiven Verfügbarkeitsfaktoren' von Informationen einerseits sowie auf den Aspekt der 'Auflösung von Mehrdeutigkeit' andererseits beziehen und damit weniger den attributionalen Prozeß selbst als vielmehr die dem attributionalen Prozeß tatsächlich zugrunde gelegten Informationen und Daten als Bedingung für das Auftreten von Attributionsfehlern und -Verzerrungen verantwortlich machen: Insbesondere Vorstellungen und Annahmen über die allgemeine Verbreitetheit bestimmter Verhaltens- und Sichtweisen seien im Alltag dadurch verzerrt, daß sie nur aus den einer Person bekannten Verhaltens- und Sichtweisen abgeleitet werden können

193 und damit nicht notwendigerweise entsprechend dem Prinzip der Repräsentativität von Stichproben zusammengestellt sein können, sondern nurmehr diejenigen Verhaltens- und Sichtweisen repräsentierten, die von Freunden, Bekannten und dem Zuschreibungssubjekt selbst geteilt würden. „Obviously, we tend to know and associate with people who share our background, experience, interests, values, and outlook. Such people do, in disproportionate numbers, respond as we would in a wide variety of circumstances. Indeed, our close association is determined, in part, by feelings of general consensus and we may be inclined to exclude those whom we believe do not share our judgements and responses. This exposure to a biased sample of people and behavior does not demand that we err in our estimates concerning the relevant populations, but it does make such errors likely. More subtle, and more cognitive in flavor, are the factors which increase our ability to recall, visualize, or imagine paradigmatic instances of behavior. In a given situation the specific behaviors that we have chosen, or would choose, are likely to be more readily retrievable from memory and more easily imagined than opposite behaviors" (ebd., 298). Ganz in diese Richtung weist auch die insbesondere auf Tversky & Kahneman (1973) zurückgehende Konzeption sogenannter 'Urteilsheuristiken', deren Ziel in der Explikation von Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Urteilsprozesses und dessen systematischen Fehlern besteht. Die von diesem Ansatz verfolgte allgemeine Intention kann mit Strack (1985) dahingehend zusammengefaßt werden, daß mit dem Versuch der Explikation von Urteilsheuristiken zugleich diejenigen Vorstellungen und theoretischen Konzeptionen kritisiert werden sollen, die Verzerrungen und Beeinträchtigungen von Urteilsprozessen mit motivationalen Begründungsfiguren und dynamischen Theorien erklären. „Während in den 60er Jahren Verzerrungen und Fehler bei der Urteilsbildung auf einschlägige Wünsche und Bedürfnisse zurückgeführt wurden, sind Fehler aus der Perspektive der Heuristiken keineswegs motivational bedingt, sondern das Produkt einer vereinfachten Urteilsstrategie. Der Mensch wird nicht mehr als 'rationalisierendes' Wesen gesehen, das die Realität verzerrt, um psychische Harmonie zu bewahren, sondern als ein - in Grenzen - rationales Wesen, das nach Erkenntnis der Wirklichkeit strebt, dabei aber manchmal die falschen Hilfsmittel verwendet" (Strack, 1985,264). Ausgehend von einer strukturellen Entsprechung wissenschaftlicher und alltagstheoretischer Urteilsprozesse lassen sich nach Kahneman & Tversky die sogenannten 'Urteilsstrategien' und 'Urteilsheuristiken' als diejenigen

194 Prozesse auffassen, unter Bezug auf welche auch vor dem Hintergrund unzureichend verfügbarer Informationen und Daten, d.h. in einer für das Zuschreibungssubjekt nur unzureichend strukturierten und unzureichend durchdringbaren Situation dennoch Urteile über Ursachenzusammenhänge von Sachverhalten entwickelt werden. Dabei werden Heuristiken als eine Art allgemeinere Schlußfolgerungsregel i.S.e. 'Faustregel' verstanden, aufgrund derer der Urteilsbildungsprozeß in natürlichen Situationen erleichtert werden kann, was unter bestimmten Rahmenbedingungen auch systematische Verzerrungen mit sich bringt (vgl. ebd. 241). Dem allgemeinen Vorteil, daß derartige Zusammenhangsvermutungen in relativ hoher Geschwindigkeit erstellt werden können, steht also der Nachteil gegenüber, daß - weil die verfügbaren Informationen nur in einer unzureichenden und unangemessenen Weise ausgenutzt und für die Erklärung eines Sachverhalts herangezogen werden können - systematische Fehler, verzerrte Einschätzungen und falsche Dateninterpretationen aufgrund potentiell inadäquater Urteilsstrategien und Vorstellungen nicht ausgeschlossen werden können. Zum Nachweis der Nutzung verschiedener Urteilsheuristiken und kognitiver Strategien sind von Tversky & Kahneman (1981, 1973) bzw. Kahneman, Slovic & Tversky (1982) experimentelle Untersuchungen durchgeführt worden, in denen Urteils- und Zuschreibungsprobleme in nicht vollständig durchdringbaren und von ihrer Struktur her unklaren Situationen gelöst werden sollten. Dabei sollte zum einen gezeigt werden, daß die Realisierung der verschiedenen Urteilsheuristiken davon abhängt, welche Fragestellungen zu beantworten sind, und daß zum anderen die bei derartigen Sachverhaltserklärungen potentiell auftretenden Fehler nicht auf motivational-dynamische Beeinträchtigungen, sondern auf eine verkürzte und insofern problematische Nutzung gegebener Informationen zurückgeführt werden können. In diesem Konzept erscheint der Prozeß der Urteilsbildung (1) von der unterschiedlichen Verfügbarkeit und Nähe der verschiedenen Daten und Informationen eines Ereignisses beeinträchtigt, die für die Erklärung eines Sachverhalts für relevant gehalten und herangezogen werden (Verfügbarkeitsheuristik bzw. 'availability heuristic'). (2) können die Beeinträchtigungen auch auf problematische Vermutungen und vorurteilshafte Einschätzungen über die reale Häufigkeit und Verbreitung bestimmter Aspekte eines Phänomens zurückgehen (Repräsentativitätsheuristik bzw. 'base-rate-effect'). Schließlich können Urteilsverzerrungen (3) auch darauf zurückgeführt werden, daß von den verfügbaren Informationen und Daten bestimmte Aspekte in besonderer Weise akzentuiert wer-

195 den, so daß nicht alle Informationen in gleicher Weise zur Grundlage des Zuschreibungsprozesses herangezogen werden. So müsse etwa davon ausgegangen werden, daß neuere Beobachtungsdaten, eben weil sie auf die bereits verfügbaren Informationen und Vorstellungen eines Beobachtungszusammenhangs bezogen werden, in der attributionalen Urteilsbildung in einer geringeren Weise repräsentiert sind als ältere (Verankerungs- und Perseveranzphänomen bzw. 'anchoring and adjustment'). Betrachtet man nun mit Kahneman & Tversky die verschiedenen Urteilsheuristiken und -Strategien im einzelnen, so wird deutlich, daß die Verfügbarkeitsheuristik vor allem zur Bewältigung derjenigen Beurteilungsanforderungen genutzt wird, in denen Subjekte Urteile darüber abgeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit und/oder Häufigkeit ein bestimmtes Ereignis (wieder) auftreten wird. Soll etwa geschätzt werden, in welchem Verhältnis Abiturienten eines Jahrgangs ein Psychologie- gegenüber einem Maschienenbaustudium wählen, wird angenommen, daß die zur Schätzung aufgeforderte Person sich daran zu erinnern versucht, wie viele ihrer Bekannten sich für das eine oder andere Studienfach entschieden haben. Bei der auf der Verfügbarkeitsheuristik gegründeten Schätzung hängt es also davon ab, wie leicht es der Person gefallen ist, sich an Psychologiestudenten bzw. Maschienenbaustudenten zu erinnern. Diese Strategie zur Schätzung von Verteilungen und Häufigkeiten kann damit als ein Prozeß der Beurteilung beschrieben werden, der durch den Zusammenhang zwischen der Auftretenshäufigkeit eines Ereignisses und der Leichtigkeit seiner Erinnerung beeinflußt wird. Dies führt, so Kahneman & Tversky, aber immer dann zu systematischen Fehlern, wenn das Erinnerungsvermögen selbst nicht allein durch die Auftretenshäufigkeit eines Ereignisses bestimmt wird, sondern noch andere häufigkeitsirrelevante Faktoren die Erinnerung beeinträchtigen, die in der Verfügbarkeitsheuristik jedoch nicht repräsentiert sind. Mit dieser Explikation der Verfügbarkeitsheuristik ergeben sich über den Aufweis ggf. auftretender systematischer Fehler bei Häufigkeitsschätzungen hinaus auch Konsequenzen für die Interpretation bereits dargestellter Experimente zu Attributionsdifferenzen von Handelnden und Beobachtern und deren Theoretisierung: Sowohl die etwa von Jones & Nisbett (1971) vorgetragene Hypothese, die unterschiedlichen Perspektiven des Handelnden und des Beobachters könnten die Zuschreibungsdifferenzen erklären, als auch die etwa von Storms (1973) bzw. Arkin & Duval (1975) untersuchte Bedeutung der Ausrichtung der Aufmerksamkeit für die Struktur und Akzentuierung von Person- respektive Situationseigenschaften können mit der Verfügbarkeitsheuristik dahingehend

196 reinterpretiert werden, daß nicht die Perspektive an sich, sondern vielmehr die verfügbaren Informationen und Daten bestimmen, ob die Person und/oder die Situation in der Kausalerklärung hervorgehoben werden. Auch die zweite der von Kahneman & Tversky herausgehobenen Heuristiken, die Repräsentaüvitätsheuristik, wird von den Autoren mit Bezug auf die Art der dadurch bedingten Fehler genauer diskutiert: J n many situations, representative outcomes are indeed more likely than others. However, this is not always the case, because there are factors (e.g., the prior probabilities of outcomes and the reliability of the evidence) which affect the likelihood of outcomes but not their representativeness. Because these factors are ignored, intuitive predictions violate the statistical rules of prediction in systematic and fundamental ways" (Kahneman & Tversky, 1982, 48f). Die Anwendung der Repräsentativitätsheuristik birgt demnach also die Gefahr systematischer Fehleinschätzungen insofern, als darin u.a. die Ausgangswahrscheinlichkeit bestimmter Merkmale ebenso wie deren reale Verbreitung in einer Population falsch eingeschätzt werden oder aber derartige Einschätzungen von Merkmalsverteilungen in einer Grundgesamtheit aufgrund einer verzerrten Stichprobe getroffen werden. Als dritte Erklärungsmöglichkeit ist von Tversky & Kahneman - wie gesagt - die sogenannte 'Verankerungsheuristik' als eine Art Perseveranzphänomen herausgearbeitet worden, mit dem Urteilsverzerrungen auf den ungleichen Einbezug verfügbarer Informationen zurückgeführt werden können. Bei der Zusammenhangsschätzung werden nach den von Tversky & Kahneman durchgeführten Experimenten offenbar verfügbare 'Anfangs werte', erste Informationen und erste Eindrücke bezüglich eines Sachverhalts in besonderer Weise in die Urteilsbildung einbezogen, so daß die Gesamtbeurteilung systematisch in Richtung auf die Anfangswerte verzerrt wird. Experimentell ist die Verankerungsheuristik von Tversky & Kahneman (1974) beispielsweise dadurch geprüft worden, daß sie Vpn sehr komplizierte Multiplikationsaufgaben vorlegten, deren Ergebnis - weil die Vpn dazu aufgefordert wurden, ein Ergebnis bereits nach 5 Sekunden als eine Art Näherungswert anzugeben - nur mit einer Art Überschlagsrechnung geschätzt werden konnte. Die Vpn wurden in zwei verschiedene Versuchsgruppen geteilt, denen jeweils eine der Größe nach geordnete Reihe von Multiplikatoren vorgelegt wurde, die entweder aufsteigend oder abfallend die Zahlen zwischen 1 und 8 enthielten. Einer Versuchsgruppe wurde also die Zahlenreihe 8x7x6x5x4x3x2x1, der anderen die Zahlenreihe

197 1x2x3x4x5x6x7x8 mit der Frage vorgelegt, ihr jeweiliges Produkt zu schätzen, das in beiden Fällen 40.320 beträgt. Bei diesem Schätzexperiment konnte festgestellt werden, daß der Schätzwert von allen Vpn beider Versuchsgruppen wesentlich unterhalb des tatsächlichen Produkts lag, daß aber andererseits dennoch die mittleren Schätzwerte zwischen den beiden Versuchsgruppen gravierend divergierten. Während nämlich diejenigen Vpn, denen eine aufsteigende Multiplikatorenreihung vorgelegt wurde, einen mittleren Schätzwert des Gesamtprodukts von 512 abgaben, wurde von der anderen Versuchsgruppe ein mittlerer Schätzwert von 2.250 abgegeben. Die Differenz der beiden mittleren Schätzwerte wird von Tversky & Kahneman als ein empirischer Beleg für die Bedeutung der Verankerungsheuristik interpretiert: Die Vpn seien bei ihren Schätzungen offenbar so vorgegangen, daß sie - ausgehend von der Berechnung der ersten zwei oder drei Produkte - das Gesamtergebnis aufgrund dieser ersten Berechnungen zu extrapolieren versuchten. Die Differenz zwischen beiden mittleren Schätzwerten könne daher auf eine Art 4 Ankerfunktion' der jeweils erwarteten Werte für die Gesamtschätzung interpretiert werden. Systematische Fehler ergeben sich, wie Kahneman & Tversky damit feststellen, bei der Nutzung der Verankerungsheuristik entsprechend immer dann, wenn zwischen den ersten verfügbaren Informationen und Daten der Grundgesamtheit gravierende Unterschiede bestehen.

7.4. Zum Problem der Bestimmung des Stellenwerts empirischer Befunde für die Geltungsbegründung theoretischer Sätze Überblickt man nun das Resultat der in diesem Kapitel vollzogenen Aufarbeitung, muß festgestellt werden, daß es den verschiedenen theoretischen Erklärungsversuchen, obwohl sie jeweils empirisch-experimentelle Befunde für den von ihnen behaupteten Zusammenhang geltend machen konnten, letztlich nie gelungen ist, die von ihnen kritisierten Positionen so in die Schranken zu weisen, daß diese danach zugunsten der neuen Position aufgegeben werden mußten. Auch wenn beispielsweise von Tversky & Kahneman die Vorstellung der motivational-dynamischen Beeinträchtigungen des Zustandekommens von Zusammenhangserklärungen zurückgewiesen wurde, indem sie entsprechende empirisch-experimentelle Be-

198 funde vorlegten, die von ihnen als Beleg einer rein kognitiven Beeinträchtigung innerhalb der Prozesse von Informationsaufnahme und -Verarbeitung interpretiert wurden, ließen sich damit doch nicht tatsächlich alle diejenigen sozialpsychologischen Konzeptionen zurückweisen, die Attributionsdifferenzen und -Verzerrungen mit der intentionalen Involviertheit der Zuschreibungssubjekte in die zu erklärenden Ereignisse begründen. Ein ähnliches Problem konnte auch für die anderen referierten Vorstellungen und Erklärungsversuche für das Zustandekommen von Zuschreibungsdifferenzen festgestellt werden: So wurden etwa von Nisbett et al. (1973) empirische 'Belege* für die ursprüngliche Jones & Nisbett-Hypothese erbracht werden, von Storms (1973) ebenso wie von Arkin & Duval (1975) wurde hingegen experimentell demonstriert, daß die Ausrichtung der Aufmerksamkeit als Ursache attributionaler Beeinträchtigungen angesehen werden kann. Regan, Strauss & Fazio (1974) konnten nun wieder experimentelle Hinweise auf eine Konsistenzhypothese, Pligt & Eiser (1983) hingegen den empirischen 'Nachweis' für eine Art *self-serving bias9 erbringen. Aber auch von anderen, hier referierten Untersuchungen wurden empirische Befunde einmal als Belege dafür interpretiert, daß dynamisch-motivationale Prozesse als Ursache möglicher Attributionsfehler und Beeinträchtigungen angesehen werden müssen, ein andermal aber würde geschlußfolgert, daß vielmehr die sich aus der jeweiligen Perspektive ergebende Zugänglichkeit von Informationen und Daten bzw. die bei der Datenanalyse relevant werdenden Strategien der Informationsverarbeitung selbst für die nachzuweisenden Attributionsdifferenzen verantwortlich seien. Für die weitere Aufarbeitung attributionstheoretischer Konzeptionen ergibt sich daraus nun das Problem, daß unklar, und offenbar allein unter Bezug auf empirische Untersuchungen auch unklärbar ist, welche der theoretischen Vorstellungen hier angemessen ist und die diskutierten Probleme umfassend zu erklären vermag, mehr noch: wie eigentlich eine auf den attributionalen Prozeß gerichtete Fragestellung formuliert werden muß, aus deren Klärung eine angemessene Theorie der Genese von Zusammenhangsvorstellungen ableiten ließe. Daß mit dem Nachweis bestimmter, mehr oder weniger jeweils hypothesenkonformer empirischer Befunde bezüglich der Frage hier angemessener theoretischer Erklärungen keine hinreichende Argumentationsgrundlage geliefert wird, um zwischen konkurrierenden Theorien entscheiden zu können, wird zudem daran deutlich, daß die etwa von Storms (1973) vorgelegten empirischen Befunde nicht

199 nur als eine Bestätigung der Stormsschen Aufmerksamkeitshypothese, sondern auch als Bestätigung der von Tversky & Kahneman vorgelegten Verfügbarkeitsheuristik angesehen werden können, von Buss aber als gänzlich unspezifisch in bezug auf die hier zu erklärenden Probleme zurückgewiesen werden. Die damit angesprochene theoretische Mehrdeutigkeit empirischer Befunde, aber auch die aus dem Aufweis der sich widersprechenden empirischen Resultate hervorgehende Problematik der mangelnden interpretatorischen Verbindlichkeit für die hier einschlägigen experimentellen Untersuchungen verweisen auf dreierlei Problembezüge, die mehr oder weniger für den gesamten Bereich empirischer Forschungsbemühungen in der Psychologie Relevanz besitzen, sich aber in besonderer Weise für die hier dargestellten attributionstheoretischen Konzeptionen als bedeutsam erweisen: Über die theoretische Verbindlichkeit der Interpretation experimenteller Befunde läßt sich zum einen nur entscheiden, wenn man sich der zu ihrer Erklärung herangezogenen kategorialen, metatheoretischen und einzeltheoretischen Vorstellungen zu vergewissern versucht und die dabei auf den jeweils angesprochenen Ebenen strittigen Positionen, Annahmen und Zusammenhangsvorstellungen zwischen den Konzeptionen zum Gegenstand der Kritik und Analyse macht. Weiterhin erwächst auch aus dem Verhältnis zwischen der theoretischen Allgemeinaussage und deren Überführung in die experimentelle Situation potentiell ein Spannungsverhältnis, weil nicht unumwunden davon ausgegangen werden kann, daß das theoretisch Gemeinte tatsächlich in seinen wesentlichen Dimensionen im empirisch Realisierten repräsentiert ist. Zum dritten ist aber auch die Frage nach der Geltungsbegründung an die Entscheidung der Frage gebunden, welche Struktur psychologierelevante theoretische Zusammenhangsaussagen haben und ob in den zunächst als widersprüchlich imponierenden empirischen Befunden nicht vielmehr tatsächlich Aussagen über verschiedene Prämissen (für die Vpn) verborgen sind. Zunächst muß man sich also klar machen, welche Struktur von Aussagen überhaupt auf die Psychologie und die für deren Forschungsbemühungen relevante Begrifflichkeit beziehbar ist. Dabei ergibt sich aus der bereits dargestellten kategorialen Rekonstruktion der Gewordenheit des für die Psychologie relevanten Gegenstandes, daß theoretische Aussagen innerhalb der Psychologie grundsätzlich in der Form von Begründungstheorien und damit als Formulierungen des Zusammenhangs von Prämissen und Gründen aufgefaßt werden können. Für die Frage nach der theoretischen

200 Bewältigung der Widersprüchlichkeit zwischen den empirisch aufgewiesenen Daten und Zuschreibungszusammenhängen ergibt sich daraus die Frage, ob diesen nicht vielmehr verschiedene, den Experimentatoren jedoch verschlossene und damit bei deren Interpretation auch nicht weiter reflektierbare Konstellationen von Prämissen zugrunde gelegt worden sind, in bezug auf welche den Vpn entsprechend verschiedene darauf bezogene Zuschreibungsgründe nahegelegt wurden, so daß man es hier im Kern nicht mit konkurrierenden Theorien und Zusammenhangserklärungen, sondern mit verschiedenen Aussagen zu tun hat, die in unterschiedlichen Prämissen begründet sind. Ein weiteres Problem der Geltungsbegründung theoretischer Sätze vermittels empirischer Befunde zeigt sich darüber hinaus, wenn man das von Holzkamp (1964) als Repräsentanzproblem bezeichnete Verhältnis zwischen dem zu untersuchenden theoretischen Satz (TS) und dem bei seiner experimentellen Operationalisierung formulierten experimentellen Satz (ES) näher betrachtet. Dabei muß man sich vergegenwärtigen, daß zumindest für diejenigen Ansätze und einzeltheoretischen Überlegungen, die die Geltung ihrer postulierten theoretischen Sätze vermittels empirisch-experimenteller Befunde zu rechtfertigen versuchen, nicht nur theoretische Konzeptionen, sondern auch experimentell-praktische Operationalisierungen entwickelt werden, wobei allgemein unterstellt wird, daß die inhaltlichtheoretische Allgemeinaussage tatsächlich in ihren relevanten Aspekten in der jeweils hergestellten experimentellen Situation repräsentiert sei. Da sich jedoch der ES nicht unmittelbar und zwingend aus einem TS heraus ableitet, ist fraglich, ob und inwieweit das im theoretischen Satz Gemeinte im ES repräsentiert ist und damit tatsächlich Gegenstand experimenteller Untersuchungen hat werden können. Das Repräsentanzproblem betrifft also das Verhältnis zwischen den empirisch-experimentellen Befunden und den damit begründeten theoretischen Allgemeinaussagen, wobei der Grad der Repräsentanz einer theoretischen Behauptung als Grundlage dafür angesehen werden muß, inwieweit hypothesenkonforme empirische Befunde als Bestätigung der theoretischen Aussage angesehen werden können. Die Bedeutung des Repräsentanzproblems ergibt sich nach Holzkamp (1964) schon aus dem Umstand, daß ,4er 'theoretische Satz9 dem 'experimentellen Satz* notwendigerweise 'logisch vor geordnet* ist. Die im ES 'definierten' konkreten Verrichtungen und behaupteten Befunde erhalten ihren Sinn ausschließlich durch den zugehörigen 'theoretischen Satz'" (Holzkamp, 1964, 30f, Herv. i.O.). Aus dieser logischen Vorgeordnetheit

201 des theoretischen vor dem experimentellen Satz ergibt sich nun nicht nur, daß jedwede naiv-empiristische Vorstellung, man könne von den beim Experimentieren erhobenen empirischen Daten zu einer ihnen angemessenen Theoretisierung des betreffenden Sachverhalts aufsteigen, zurückgewiesen werden muß. Es zeigt sich vielmehr, daß empirische Befunde letztlich unbegrenzt vielen verschiedenen theoretischen Sätzen qua Interpretation zugeordnet werden können, „wobei jeder 'experimentelle Satz* für sich genommen im Hinblick auf den ihm beigelegten 'theoretischen' Sinn unbegrenztvieldeutig ist (ebd., 31 Herv. i.O.). Muß aber von der damit skizzierten 'unaufhebbaren Satzzweiheit' zwischen TS und ES ausgegangen werden, lassen sich empirische Realisierungen nicht mehr unmittelbar und eindeutig allein als Beleg für diejenige theoretische Konzeption heranziehen, zu deren Prüfung die experimentelle Situation hergestellt worden ist: Ein und dasselbe empirische Datum kann vielmehr zur Begründung verschiedener Konzeptionen und konkurrierender theoretischer Vorstellungen herangezogen werden, so daß zwischen Interpretation und Daten kein eindeutiges Verhältnis besteht und Beobachtungsdaten nicht als eindeutige Belege für oder gegen die Geltung der formulierten Theorie angesehen werden können. Aus den empirischen Daten selbst lassen sich also keinerlei Anhaltspunkte entwickeln, „aus denen man ersehen könnte, wie diese Daten 'theoretisch' gedeutet werden müssen. Der Umstand der unbegrenzten Vieldeutigkeit der empirischen Daten wird lediglich deswegen häufig übersehen, weil man zur 'theoretischen' Deutung der Daten von vornherein nur eine Annahme oder wenige Annahmen zuläßt" (Holzkamp, 1964, 31). Dieses damit prinzipiell bestehende Spannungsverhältnis zwischen theoretischem und experimentellem Satz kann genauer bestimmt werden, wenn man sich klar macht, daß im theoretischen Satz ja nicht nur Aussagen formuliert werden, mit denen die im Experiment hergestellte Realität und der darin realisierte Anwendungsbezug erklärt werden sollen, sondern daß vielmehr beabsichtigt wird, Aussagen über allgemeinere Zusammenhänge zu machen. Gegenüber der Formulierung von Allgemeinaussagen erweist sich die darauf bezogene experimentelle Realität entsprechend bestenfalls als exemplarische Realisierung, deren theoretische Bedeutung in ihrer Charakterisierung als ein der systematischen Beobachtung zugänglicher 'Anwendungsfall' zur Geltung kommt. Dies gilt aber nur dann, wenn sich aufweisen läßt, daß zwischen der hergestellten experimentellen Realität, den der Beobachtung zugänglich gemachten Ereignissen und den in den

202 inhaltlichen Allgemeinaussagen angesprochen Realitätsausschnitten eine strukturelle Entsprechung besteht. Damit also von experimentellen Befunden auf die darin gemeinten übergreifenden Realzusammenhänge geschlossen werden kann, bedarf es einer theoretischen Begründung, durch die ein beobachteter experimenteller Verlauf als möglicher Fall des behaupteten Realzusammenhangs und damit als Repräsentant des inhaltlich Gemeinten und dessen Bezügen auf die darin angesprochenen Realitätsausschnitte aufgefaßt werden kann. Um nun zu klären, in welchem Verhältnis die verschiedenen attributionstheoretischen Sätze und Konzeptionen zu den jeweils von ihren Vertretern in die Diskussion eingebrachten empirisch-experimentellen Befunden stehen, muß geprüft werden, was in dem jeweiligen theoretischen Satz und in den darauf bezogenen experimentellen Befunden tatsächlich repräsentiert ist, wie diese Befunde zu erklären versucht werden und welcher Konzeption dabei ein höherer oder geringerer Integrationswert (vgl. Holzkamp, 1964, 19ff) in bezug auf die verschiedenen beigebrachten empirisch-experimentellen Befunde zugesprochen werden kann. Eine dahingehende Klärung setzt allerdings voraus, daß die miteinander ins Verhältnis gesetzten verschiedenen Relationen zwischen theoretischen und experimentellen Sätzen nur auf einzeltheoretischer, nicht aber auf kategorialer Bezugsebene strittig sind (vgl. S. 23ff dieser Arbeit). Schließlich zeigt sich noch ein weiteres Problem der theoretischen Bestimmung des Stellenwerts empirischer Befunde für die Geltungsbegründung von attributionstheoretischen Konzeptionen, wenn man den Umstand mit einbezieht, daß jedwedes - und damit auch das experimentell provozierte - Handeln begründet ist: Daraus ergibt sich über den schon erwähnten lediglich exemplarischen Charakter empirischer Befunde hinaus auf neuer Ebene, daß unter Bezug auf das Verhältnis zwischen Theorien und empirischen Daten prinzipiell keine Theorienkonkurrenz als möglich zu betrachten ist: Eben weil menschliches Handeln nicht als kausal durch Bedingungen hervorgebracht, sondern nur als in sachlich-sozial bedeutungsvollen Weltgegebenheiten begründet angesehen werden kann, müssen voneinander abweichende Fälle stets daraufhin untersucht werden, welche ggf. unterschiedlichen Prämissen von den Vpn realisiert wurden, zu denen sich die Vpn entsprechend unterschiedlich begründet verhalten haben. Der Umstand, daß sich die Subjekte in ein und demselben Handlungszusammenhang sehr wohl unterschiedliche Prämissen zueigen machen und

203 entsprechend verschiedene Begründungszusammenhänge für sich realisieren können, aus denen dann auch verschiedene Sichtweisen und Handlungen als begründet hervorgehen, verweist darauf, daß theoretische Formulierungen des Zusammenhangs von Prämissen und Gründen durch Empirie weder zu belegen noch zu verwerfen sind. Können nun, wie an anderer Stelle dargestellt, psychologische Theorien grundsätzlich nur als Begründungstheorien und damit als Aussagen über den Zusammenhang von Prämissen und Gründen formuliert werden, ergibt sich daraus, daß ihnen offenbar ein grundsätzlich anderer Bezug zur Empirie und damit notwendig eine andere Konzeptualisierung der empirischen Geltungsbegründung zugrunde gelegt werden muß, als dies mit der gängigen 'nomologischen' Falsifikationslogik vorausgesetzt: Damit wird nämlich der Empirie die Funktion zugewiesen, Ort der (exemplarischen) Prüfung einer zunächst als unbeschränkter Allsatz formulierten hypothetischen Zusammenhangsbehauptung zu sein, an dem sich theoretische Allaussagen empirisch zu bewähren haben. Das von Begründungstheorien konstituierte Verhältnis zur Empirie erweist sich also schon darum als ein grundsätzlich anderes, weil das darin zu fassende theoretische Verhältnis zwischen Prämissen und Gründen aufgrund ihres Begründungsbezugs nur als ein implikatives bezeichnet werden kann. Daraus aber ergibt sich, daß deren empirische Verankerung nicht mit dem Aufweis gerechtfertigt werden kann, daß ein formulierter Prämissen-Gründe-Zusammenhang habe beobachtet werden können. Die empirisch offenen Momente begründungstheoretischer Konzeptionen, mithin deren Empiriebezug, erweisen sich vielmehr in dem vom Subjekt aus konstituierten Verhältnis zwischen dem bestehenden Bedeutungsgesamt und den davon herausgehobenen Prämissen, in denen die ggf. beobachteten Handlungen begründet sind. Während - wie gesagt - das Verhältnis zwischen Prämissen und Gründen lediglich implikativ bzw. analytisch, also empirischer Begründung weder fähig noch bedürftig ist, erweist sich das Verhältnis zwischen Bedeutung und Gründen tatsächlich in dem Sinne als realitätshaltig, als es vom Subjekt unter Bezug auf seine jeweiligen Lebensinteressen immer wieder neu hergestellt werden muß und sich nicht schon aus der logischen Struktur des Handlungszusammenhangs ergibt (Vgl. Brandtstädter et al. 1995). Das damit herausgestellte empirisch offene Moment innerhalb der begründungstheoretischen Theorienbildung läßt sich nun aber aufgrund des damit konstatierten subjektiv-intentionalen Bezugs und der vom Subjekt aus realisierten Akzentuierung nur dann angemessen untersuchen und theoretisie-

204 ren, wenn die Theorienbildung selbst vom Subjektstandpunkt und damit vom je problematischen Einzelfall ausgehend entwickelt wird. Vor dem damit explizierten Hintergrund läßt sich feststellen, daß auch im Rahmen einer begründungstheoretischen Konzeptualisierung von Forschungsprozessen auf Empirie stets nur in einer exemplarischen Weise Bezug genommen werden kann. Dies heißt in diesem Kontext, daß sowohl mögliche 'exemplarische' Anwendungsfälle wie Anwendungsgrenzen von Prämissen-Gründe-Zusammenhängen durch Bezugnahme auf die den Prämissen jeweils zugrundeliegenden (sei es vorgegebenen, sei es handelnd erst hergestellten) Bedeutungskonstellationen herauszuarbeiten sind. Für die theoretische Klärung und Durchdringung vorliegender empirischer Fälle bedeutet das, daß danach gefragt werden muß, ob hier die in der jeweiligen Hypothese enthaltene Prämisse so oder in entsprechender Weise realisiert worden ist bzw. welche anderen Prämissen aus einem gegebenen Bedeutungszusammenhang herausgehoben wurden und zur Basis der Handlungsbegründung gemacht worden sind. Das Verhältnis von Hypothesen zur Empirie, so formuliert Holzkamp (1986) in diesem Zusammenhang, kehrt sich damit quasi um: ,JEs hängt nicht mehr von den 'empirischen' Verhältnissen ab, wie weit die 'theoretische' Bestimmung 'bewährt' ist, sondern es hängt von der 'Begründungstheorie' als implikativer Struktur ab, welche Art von 'empirischen' Verhältnissen zu ihrem 'Anwendungsfair taugen: Nämlich solche, in denen die gesetzten deflatorischen Bestimmungen erfüllt sind, so daß die 'Definition' identisch dafür gilt" (31).

205

Kapitel 8

Zum Verhältnis von Handlungsmöglichkeiten und Denkmöglichkeiten: Weitergehende kategoriale Differenzierung attributionsrelevanter Aspekte für eine Psychologie vom Subjektstandpunkt Vorbemerkung Betrachtet man die verschiedenen attributionstheoretischen Konzeptionen und einzeltheoretischen Überlegungen in bezug auf die darin enthaltenen inhaltlichen und konzeptionellen Differenzen in der Zusammenschau, wird ersichtlich, daß der Vorstellung, durch weitere derartige empirisch-experimentelle Untersuchungen attributionaler Phänomene zu einer Klärung der aufgewiesenen theoretischen Differenzen zu gelangen, wenig Aussicht auf Erfolg zugesprochen werden kann. Gerade weil alle die in Kapitel 7 aufgearbeiteten unterschiedlichen Ansätze, mit denen 4Attributionsfehler', -Verzerrungen und -beeinträchtigungen zu begründen versucht wurde, unabhängig von den zwischen ihnen bestehenden theoretischen Widersprüchen jeweils für sich in der Lage waren, empirische Daten als Belege für die Geltung der von ihnen behaupteten Zuschreibungstendenzen anzuführen, erscheint es wenig erfolgversprechend, noch weitere empirische Untersuchungen in der Hoffnung durchzuführen, darüber zu einer einheitlichen und die verschiedenen Phänomene erklärenden theoretischen Zusammenhangssicht zu gelangen. Für die hier avisierte Aufarbeitung hat dies nun aber zur Konsequenz, daß das aufgewiesene inhaltliche Nebeneinander der verschiedenen Konzeptionen und Vorstellungen einerseits und die damit im Zusammenhang stehende Unmöglichkeit der fundamentalen Zurückweisung konkurrierender Positionen andererseits eben so lange bestehen bleiben müssen, wie deren kategoriale und konzeptionell-definitorische Differenzen wie auch die einander widersprechenden Gegenstandsauffassungen nicht durch ein verbindliches kategoriales und metatheoretisches Konzept überwunden werden können. Erst auf der Grundlage einer verbindlichen, wissenschaftlich ausgewiesenen und theoretisch begründeten Konzeption des in der Psycho-

206 logie zu verhandelnden Gegenstandes lassen sich auch einzeltheoretische Untersuchungen ebenso wie deren theoretische Interpretationen so aufeinander beziehen, daß ihr jeweiliger Geltungsanspruch und ihre theoretische Reichweite ausgewiesen werden können. Dazu allerdings ist es erforderlich, vorübergehend die Ebene der einzeltheoretischen und empirischen Untersuchungen zu verlassen und sich über die angemessenen kategorialen und metatheoretischen Grundlagen und Begriffe, vermittels derer eben auch attributionstheoretische Aussagen formuliert werden, Klarheit zu schaffen. Will man sich nicht mit eklektischer Aneinanderreihung inkompatibler Aussagenzusammenhänge und sich widersprechender theoretischer Grundlagen bescheiden, wird die Auseinandersetzung mit den und das Anknüpfen an die Erarbeitungen der verschiedenen Ansätze erst möglich, nachdem die mehr oder weniger impliziten kategorialen und metatheoretischen Vorstellungen diskutiert und aufeinander bezogen werden können. Nebeneinander stehen etwa gestaltpsychologische, motivational-dynamische und kognitive Konzeptionen mit ihren jeweiligen Begrifflichkeiten und unterschiedlichen Gegenstandsbestimmungen, aus denen sich jeweils verschiedene Hypothesen und Theorien ergeben. Sollen diese dennoch aufeinander bezogen werden, muß zunächst geklärt werden, ob in den verschiedenen Ansätzen überhaupt stets vom Gleichen gesprochen wird, von dem man gemeinsam zu sprechen meint. So konnte beispielsweise herausgearbeitet werden, daß schon die konzeptionelle Fassung von Attribution bei den verschiedenen Ansätzen die unterschiedlichsten Aspekte mit eingeschlossen hat und mit verschiedensten Phänomenen in Verbindung gebracht wurde. Erst wenn also die hier zur Diskussion stehenden Aussagen auf ihre kategoriale, metatheoretische und einzeltheoretische Konzeption hin befragt werden, lassen sich die systematischen Ebenen bestimmen, auf denen die manifesten theoretischen Kontroversen überhaupt geführt werden können, und unter Bezug auf welche über die Geltung der unterschiedlichen Konzeptualisierungen entschieden werden kann. Eine derartige Aufarbeitung ist im übrigen nicht nur für Konzeptionen erforderlich, zu denen konkurrierende Hypothesen aufgewiesen werden und deren Geltung folglich gegenüber anderen Konzeptionen verteidigt werden muß. Um also überhaupt eine Art positiven Anknüpfens an den Erkenntnisstand und die Überlegungen anderer Ansätze ohne eklektische Verwässerungen ggf. bestehender kategorialer, metatheoretischer und einzeltheoretischer Differenzen zu ermöglichen und um sinnvolle und entscheidbare Kontro-

207 versen zwischen verschiedenen Ansätzen führen zu können, ist von der Kritischen Psychologie das analytische Vorgehen der Reinterpretaüon entwickelt worden, mit dem die angesprochenen Probleme bestimmt und bei der Aufarbeitung in Rechnung gestellt werden können (vgl. dazu S. 84 dieser Arbeit). 'Reinterpretation' soll einerseits dem Umstand Rechnung tragen, daß Überlegungen anderer Theorien nicht einfach an die eigene Konzeption 'angefügt' werden können, sondern daß sie vielmehr - vom explizierten eigenen Standpunkt aus - zunächst daraufhin untersucht werden müssen, ob die durch ihre Begrifflichkeit hindurch strukturierte Gegenstandsbestimmung mit dem eigenen theoretischen Konzept kompatibel ist. Andererseits muß - soweit dies nicht der Fall ist - geklärt werden, ob ggf. auch nach dem Aufweis kategorialer und theoretischer Differenzen dennoch Erfahrungsbestände akkumuliert worden sind, die im Zuge der Reinterpretation von ihren problematischen theoretischen Einbettungen befreit und in den eigenen Ansatz aufgenommen werden können. Damit stehen wir an dieser Stelle vor der Notwendigkeit, über die bisher partiell mit entwickelten eigenen kategorialen und metatheoretischen Konzeptionen noch hinausgehende Bestimmungen als eine Art Bezugsrahmen zu entfalten, auf den die hier zur Diskussion stehenden Attributionstheorien bezogen und auf ihre konzeptionelle Angemessenheit hin befragt werden können. Dies betrifft insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von Denk- und Handlungsmöglichkeiten, sowie deren Bezug zu nahegelegten und gesellschaftlich-individuell verfügbaren Denk- und Rezeptionsformen, die im Zuge der Realisierung von Denkmöglichkeiten bei der Überführung von Intentionen in Handlung umgesetzt werden. In diesem Kontext steht etwa das innerhalb der verschiedenen attributionstheoretischen Konzeptionen oder auch nur innerhalb ihrer experimentellen Operationalisierungen immer wieder auftauchende Konzept der 'Spontaneität', das hier in der Form der unmittelbaren Eindrucksbildung und spontan geäußerten Zusammenhangsvermutung erscheint. In dessen Aufarbeitung wird es erforderlich, diese theoretische Vorstellung mit dem Konzept der gesellschaftlich nahegelegten Denkformen, aber auch mit Konzepten der individuellen Erfahrungsbildung in Zusammenhang zu bringen und diese auf ihre kategoriale und theoretische Tragfähigkeit hin zu untersuchen. Darüber hinaus muß geklärt werden, welcher theoretische Stellenwert dem Konzept der Personeigenschaften beigemessen werden kann. Dies betrifft neben der Frage nach seinem Erkenntnisgehalt auch die Frage danach,

208 welche Funktion und Bedeutung der darin beschriebenen Ontologisierung der Selbst- und Weltbegegnung für das Zuschreibungssubjekt zugesprochen werden kann und welche Zuschreibungszusammenhänge die Nutzung des Konzepts der Persönlichkeitseigenschaften in besonderer Weise nahelegen und vom Standpunkt des Zuschreibungssubjekts begründet erscheinen lassen.

8.1. Explikation der gesellschaftlichen Vermitteltheit von Denkund Zuschreibungsprozessen; Reformulierung spontaner Verknüpfungsleistungen als Prozeß der Aktualisierung historischbestimmter und gesellschaftlich nahegelegter Denkformen Faßt man die an verschiedenen Stellen dieser Arbeit schon ansatzweise dargestellten konzeptionellen Bestimmungen des Verhältnisses zwischen Subjekt und Welt zusammen, muß davon ausgegangen werden, daß die Realisierung von Handlungsmöglichkeiten nur als die Heraushebung und Akzentuierung bestimmter Bedeutungen als Handlungsprämissen aufgefaßt werden kann, deren Umsetzung in den jeweiligen Lebensinteressen begründet ist. Aus dieser Perspektive ergeben sich für die nähere kategoriale Bestimmung der Probleme und Phänome von Attribution verschiedene Konsequenzen. Zunächst muß davon ausgegangen werden, daß derartige Phänomene in ihren kognitiven und emotionalen Aspekten nur als Unteraspekt der gnostischen Welt- und Selbstbegegnung konzeptualisiert werden können, womit sie nur in ihrem Bezug zu der vom Subjekt aus betriebenen Explikation von Handlungsmöglichkeiten begriffen werden können. Da sich nun aber die dem Subjekt zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten erst aus der Art und Weise der Realisierung sachlichsozialer Bedeutungszusammenhänge ergeben, muß danach gefragt werden, was wiederum deren Realisierung strukturiert und welche diese ggf. beeinträchtigenden Phänomene und Prozesse darin auftreten können. Dabei ist zunächst davon auszugehen, daß die Wahrnehmung und Aufschließung von Bedeutungszusammenhängen nicht allein aus der individuellen Eigenart und den Fähigkeiten der Subjekte rekonstruiert werden können, sondern daß schon deren sprachlich-symbolische Verfaßtheit als Verweis darauf angesehen werden muß, daß wahrnehmungsvermittelte Urteilsprozesse

209 ebenso wie die Produktion von Zusammenhangsannahmen untrennbar mit gesellschaftlichen Denkformen, individuell-gesellschaftlicher Erfahrungsbildung und den daraus hervorgehenden implizit-theoretischen Vorstellungen vermittelt sind. Der Umstand, daß individuelle Denk- und Schlußfolgerungsprozesse nur als Aktualisierung gesellschaftlicher Denkformen und -möglichkeiten aufgefaßt werden können, ergibt sich nicht nur daraus, daß derartige Prozesse als Unteraspekt von Handlungen angesehen werden müssen, sondern auch daraus, daß die Subjekte mit ihrem Denken und ihren Handlungen immer schon auf gesellschaftlich vorstrukturierte Lebensumstände stoßen, an deren Entwicklung sie auf eine, wie immer vermittelte, Weise beteiligt sind. Aus dieser Fassung des denkenden Weltbezugs ergibt sich, daß die wahrnehmungsvermittelte Weltbegegnung nicht als Prozeß passiver Rezeption aufgefaßt werden darf. Ebensowenig dürfen Denk- und Wahrnehmungsprozesse jedoch aus ihren gesellschaftlich-historischen Kontexten gerissen werden, wie dies etwa von denjenigen Ansätzen betrieben wird, die auf bloß individueller Ebene gesetzmäßige und damit quasi hermetische Kategorisierungen, Bezugssysteme und Wahrnehmungsprinzipien zu explizieren versuchen. Denkformen repräsentieren die dem Subjekt zugekehrten gesellschaftlichen Angebote zur Strukturierung der je eigenen Lebenszusammenhänge, zu denen sich die Subjekte am Maßstab ihrer eigenen LebensVerfügungs- und Erkenntnisinteressen 'verhalten* können. Solche 'Angebote* lassen sich unserer Konzeption nach nicht anders denn als Aspekt der jeweiligen Bedeutungszusammenhänge auffassen, was einschließt, daß sich die Subjekte auch zu diesen und damit zu den Grundlagen der Produktion ihrer Welt- und Zusammenhangssichten Verhalten' können. Nicht nur der Vollzug von Handlungen, sondern auch die denkende Weltbegegnung muß also unter Bezug auf die den Subjekten zur Verfügung stehenden Denk- und Stxukturieruiigsmöglichkeiten rekonstruiert werden, deren Realisierung entsprechend unserer kategorialen Gesamtkonzeption in den je eigenen Lebensinteressen begründet ist. Das Subjekt stößt damit auch in bezug auf sein Denken auf eine Art von gesellschaftlich vorstrukturierten Möglichkeitsraum, aus dem sich zwar historische Beschränkungen faktisch verfügbarer Wahrnehmungs-/Erkenntnismöglichkeiten ergeben, in dem indes gleichwohl stets Denkalternativen enthalten sind, so daß die tatsächliche Realisierung der einen oder anderen Denkmöglichkeit nur als subjektive Realisierung objektiver Denkmöglichkeiten und damit nur vom Standpunkt des Subjekts aus theoretisch aufge-

210 schlössen werden kann. Unter dem Gesichtspunkt des damit einbezogenen Konzepts der Möglichkeitsbeziehung ergibt sich daraus nun aber, daß in den herausgearbeiteten Aspekten zwischen einer kognitiven und emotionalen Bedeutungsrealisierung zunächst keine prinzipiellen Unterschiede angenommen werden können. Läßt sich der Prozeß der Bedeutungsrealisierung also als ein Prozeß der Aktualisierung gesellschaftlich vorstrukturierter Denkformen, Denkmöglichkeiten und darin geronnener - wie auch immer mystifizierter - Erfahrungen bestimmen, wird damit auf der einen Seite auf die Möglichkeit verwiesen, daß für das Subjekt auch solche Aspekte der in Frage stehenden Sachverhalte mit erfaßt werden können, die zunächst jenseits des für das Wahrnehmungssubjekt unmittelbar Anschaulichen liegen und daher, wiewohl wesentlich, allein vom gegenwärtigen Standort des Wahrnehmungssubjekts nicht unmittelbar erfahren worden sind. Auf der anderen Seite erwächst daraus aber zugleich auch die Möglichkeit, daß infolge der Vorstrukturiertheit der Sichtweisen, mit denen die interessierenden Sachverhalte aufzufassen versucht werden, problematische Verkürzungen und vorschnell-vereinfachende Vorstellungen zugrunde gelegt werden, so daß aufgrund dieser deutenden, allein auf das anschaulich-gegebene orientierten Rezeption (vgl. dazu Holzkamp, 1973, 231ff) und Relationsbildung an den interessierenden Sachverhalten - indem das potentiell Erfahrbare unterschritten ist - wesentliche neue, weiterführende, aber auch widersprüchliche Aspekte dem Subjekt versperrt und verschlossen bleiben. So hängt es von der Angemessenheit der auf einen Sachverhalt bezogenen Denkformen ab, ob und inwieweit real bestehende Erkenntnisquellen genutzt werden oder wesentliche Aspekte bei der Rezeption von Wahrnehmungstatbeständen und Ereignissen unerkannt bleiben. Die unhinterfragte Nutzung gesellschaftlich nahegelegter Denkangebote steht daher immer in der Gefahr, daß aufgrund der darin enthaltenen Verkürzungen und Vereinfachungen potentiell Erfahrbares im Modus des bereits Bekannten aufgefaßt wird und bestehende Möglichkeiten zur Entwicklung einer kritischen Sicht auf das Gegebene ausgeklammert - oder erst gar nicht erfahren - werden. Bezieht man diese Überlegungen nun auf die hier zur Diskussion stehenden Zuschreibungsprozesse, so zeigt sich, daß nicht nur die Zuschreibung, sondern bereits die Bestimmung der interpretationsfähigen Aspekte eines Ereignisses nur in ihrem Verhältnis zu den verfügbaren gesellschaftlichen Denk- und Strukturierungsangeboten rekonstruiert werden kann. Der Umstand, daß dies prinzipiell und damit auch für sogenannte 'spontane* Zu-

211 schreibungsprozesse angenommen werden muß, die offenbar ohne größere Reflexionen vollzogen werden, ergibt sich schon daraus, daß dem Zuschreibungssubjekt dabei bestimmte Dimensionen und Kategorisierungsmöglichkeiten als Aspekt seiner Lebens- und Bedeutungszusammenhänge zur Verfügung stehen müssen, durch die nicht nur die Heraushebung interpretationsfähiger 'Daten' sondern auch deren Theoretisierung und 'spontane' Interpretation überhaupt erst möglich werden kann. Mit dieser Argumentation wird also nicht bestritten, daß Attributionen und Ursachenerklärungen unmittelbar und 'spontan' vollzogen und abgegeben werden können, ohne weitere Reflexionen über die Angemessenheit der zugrunde gelegten Dimensionen anzustellen. Problematisiert wird in diesem Zusammenhang allein die Vorstellung, daß Zuschreibungsprozesse als individuelle Schlußfolgerungsphänomene aufgefaßt werden könnten, die als ein auf die Struktur der Wahrnehmungselemente respektive den Stander/ des Wahrnehmungssubjekts zurückzuführende Verknüpfung von Ereignissen hinreichend charakterisiert werden kann. Aus der hier entfalteten Zusammenhangssicht ergibt sich demgegenüber vielmehr, daß ein adäquates Verständnis spontaner Zuschreibungsprozesse erst dann entwickelt werden kann, wenn Attribution als Prozeß der Subsumtion aufgefaßt wird, in dem sachlich-soziale Wahrnehmungstatbestände unter gesellschaftlich mehr oder minder nahegelegte Kategorisierungen und Denkformen eingeordnet werden. Faßt man Spontaneität damit als unmittelbaren Ausdruck je meiner gesellschaftlich vermittelten Erfahrungen, müssen unmittelbarspontane Zuschreibungsprozesse also vor allem anderen daraufhin analysiert werden, in welchem Verhältnis die darin angesprochenen gesellschaftlich nahegelegten Denkformen zu den mit ihrer Nutzung verfolgten und rekonstruierbaren Intentionen und Interessen stehen und welche Konsequenzen sich dabei aus den ggf. festzustellenden Widersprüchen und Brüchen für die darin gegründete Selbst-, Welt- und Zusammenhangssicht der Zuschreibungssubjekte ergeben. Bezüglich der für die attributionstheoretischen Überlegungen immer wieder thematisierten Vorstellung einer Positionsabhängigkeit des Zuschreibungsprozesses ergibt sich daraus im übrigen, daß auch die Frage, welche der verschiedenen gesellschaftlichen Denkangebote tatsächlich von einem Zuschreibungssubjekt zur Erklärung eines fraglichen Ereignisses realisiert werden, nicht aus den Verhältnissen und/oder der Position des Zuschreibungssubjekts als dessen standortgebundener und damit gewissermaßen 'objektiver' Perspektive 'abzuleiten' ist. Theoretisch läßt sie sich erst dann

212 aufschließen, wenn es gelingt, die von einem Zuschreibungssubjekt realisierten Denkangebote auf die damit einhergehenden Handlungskonsequenzen und diese wiederum auf die mit den Handlungserklärungen verfolgten und verfolgbaren Lebensinteressen der Zuschreibungssubjekte zu beziehen. Handlungs- und Ereigniserklärungen müssen damit stets als subjektive Realisierung der in den Lebens-ZBedeutungszusammenhängen gegebenen Strukturierungsangebote aufgefaßt werden, die daraufhin zu analysieren sind, welche Umstände ihre unhinterfragte Übernahme respektive ihre Reflexion und Kritik in bezug auf die damit verfolgten und verfolgbaren Lebensinteressen zu begründen vermögen. Bisher wurden die mit Attribution in Zusammenhang stehenden kategorialen Bezüge dahingehend entfaltet, daß einerseits deren gesellschaftliche Strukturiertheit und andererseits die auch für Zuschreibungsprozesse geltend zu machende prinzipielle Möglichkeitsbeziehung deutlich werden konnten. Mit der Fassung von Attribution als Realisierung eines Teils oder Aspekts der in den jeweiligen gesellschaftlichen Bedeutungskonstellationen gegebenen Denk- und Strukturierungsmöglichkeiten ergibt sich nun aber noch eine weitere wesentliche Spezifizierung, wenn man den Umstand mit einbezieht, daß sich die Subjekte eben auch zu den Bedeutungszusammenhängen, in die sie einbezogen sind, 'verhalten' und sich damit auch zu den ihnen nahelegt erscheinenden Denkformen und Zusammenhangssichten selbst in ein kritisches Verhältnis setzen können, indem diese zum eigenständigen Gegenstand der Kritik und Reflexion gemacht werden. So wie also die aus der Nutzung nahegelegter Denkangebote sich ergebende Strukturierung eigener Lebensbezüge für das Subjekt zum Problem werden kann, kann auch die Angemessenheit und Funktion dieser Denkangebote selbst problematisiert werden, wobei gemeinhin deren Revision und Kritik nicht an und für sich als Ziel und Zweck des denkenden Weltbezugs angesehen werden kann. Vielmehr ist davon auszugehen, daß eine derartige Reflexion der Grundlagen der Produktion von Zusammenhangsannahmen nur wieder im Zusammenhang der Gewinnung einer angemesseneren Perspektive auf die je eigenen Handlungszusammenhänge und Lebensinteressen vollzogen wird. Vom Standpunkt der lebenspraktischen Bewältigungsinteressen bestehen für das Subjekt nämlich zunächst 'gute Gründe', sich allein auf die unmittelbaren und nahegelegten Zusammenhangssichten zu beziehen, diese zu Prämissen seiner Handlungen zu machen und allein in diesem Rahmen zu versuchen, eine Verbesserung der eigenen Lebensqualität und Bedingungsverfügung zu realisieren.

213 Die handelnde Überschreitung problematisch-verkürzter Zusammenhangssichten sowie die Notwendigkeit, die diesen zugrundeliegenden impliziten Vorstellungen selbst zum Gegenstand der Reflexion und Kritik zu machen, ergibt sich entsprechend erst dann, wenn bei der Umsetzung von Lebensinteressen in Handlungen Brüche, Widerstände und Behinderungen tatsächlich erfahrbar werden und diese nicht mehr vermittels der unmittelbar-nahegelegten Denk- und Rezeptionsmöglichkeiten erfaßt und bewältigt werden können. Die tatsächliche Kritik des eigenen, zunächst am Naheliegenden orientierten Denkens erweist sich vielmehr erst dann als möglich und vom Subjektstandpunkt 'gut begründet', wenn deren praktische Überschreitung nicht nur als notwendig erfahren, sondern zugleich auch als prinzipiell möglich angesehen werden kann. Dies schließt auf der einen Seite die Antizipation verbesserter Möglichkeiten zur Umsetzung der je eigenen Lebensinteressen als Folge der Revision und Kritik eigener impliziter Vorstellungen und Konzepte des Denkens über die problematisch gewordenen Handlungszusammenhänge ein. Auf der anderen Seite verweist es aber auch auf die ggf. aus der Kritik an nahegelegten Denkformen selbst hervorgehenden Gefährdungen der eigenen Existenz, die, zumindest soweit sie Kritik ideologischer Denkformen ist und herrschende Denkformen in Frage stellt, in Konflikte führen kann, in denen die eigene Existenz weit stärker gefährdet scheint, als wenn an der gegenwärtigen, wenn auch zum Problem gewordenen Sicht auf die Zusammenhänge festgehalten wird. Wie daraus ersichtlich, zielt also die Durchdringung des Oberflächlichen stets nur auf die Reduzierung von Unsicherheiten und Irritationen im Handlungszusammenhang. Dabei ergibt sich die Notwendigkeit zur weitergehenden Kritik einer zunächst bloß oberflächlich-anschaulich getroffenen Zusammenhangsvermutung aus dem Bestreben, damit zur Reduktion von Unsicherheit und zur Abwehr einer potentiellen Bedrohung der eigenen Lebensführung beizutragen, wozu aufgrund der gegenwärtigen Rezeptions- und Denkmöglichkeiten offenbar keine hinreichenden Eingriffsmöglichkeiten entwickelt werden können. Eine so zu beschreibende Situation enthält damit gewissermaßen selbst 'gute Gründe', die eigenen, als widersprüchlich erfahrenen und damit für das Subjekt problematisch gewordenen Zusammenhangsvermutungen zum Ausgangspunkt weitergehenden 'Nachfragern' zu machen und dabei den Modus der Zusammenhangsaufschließung selbst zum Gegenstand des Reflexionsprozesses zu machen. Damit tritt das Subjekt in bezug auf die in ihrer Struktur zu erklärenden Zusammenhänge gewissermaßen also erstmal 'einen Schritt zu-

214 rück\ um sich der impliziten Voraussetzungen für die Angemessenheit des eigenen denkenden Weltzugriffs zu vergewissern. Gerade aber diese hier nur allgemein unter dem Aspekt der Bedrohungsabwehr entwickelte Bestimmung denkender Weltbegegnung verweist darauf, daß es dem Subjekt nicht in allen Lebensumständen so erscheinen muß, als könnte die eigene Bedingungsverfügung tatsächlich durch die Frage nach der Angemessenheit gesellschaftlich nahegelegter und insofern 'herrschender' Denkformen erhalten und entwickelt werden. Vielmehr lassen sich vielerlei Situationen vorstellen, in denen der Erhalt der aktuellen Bedingungsverfügung an den Verzicht auf weitergehendes In-Frage-Stellen gebunden ist. Ein solcher Verzicht auf die Möglichkeit des 'WeiterFragens' ist entsprechend unserer begründungstheoretischen Gesamtkonzeption immer dann nahegelegt, wenn die mit dem ' Weiter-Fragen' potentiell verbundene Kritik herrschende Denkformen betrifft, deren Problematisierung Konflikte mit herrschenden Instanzen antizipieren läßt, durch die die eigene Existenz bedroht scheint. In dieser Situation hat es den Anschein, als könnte die Aufrechterhaltung der gegenwärtig noch realisierbaren Handlungsfähigkeit nur dadurch gesichert werden, daß ein Arrangement mit den Herrschenden über die Inkaufnahme der Fortexistenz der erfahrenen Behinderungen und Widersprüche im Handlungszusammenhang herzustellen versucht wird. Um die erfahrene Unsicherheit zu reduzieren, verbleiben in einer solchen Situation kaum andere Alternativen als die Wahrnehmung der tatsächlichen Wirklichkeit dahingehend umzudeuten, daß die anfänglichen Anlässe des 'Weiter-Fragens' nicht mehr wahrgenommen werden. Dies aber heißt nichts anderes, als daß die vorausgegangenen Widerspruchserfahrungen am Maßstab der unmittelbaren Konfliktvermeidung derart umgedeutet, geleugnet und verdrängt werden, daß die Widersprüche in eine harmonisierende Weltsicht eingepaßt werden. Die 'denkende' Wirklichkeitsrezeption steht, so gesehen, im Spannungsverhältnis zwischen einer dynamisch-defensiven, auf Konfliktvermeidung hin angelegten und einer auf deren Überschreitung hin ausgerichteten Perspektive auf die je eigenen Lebenszusammenhänge. Die grundsätzliche Alternative des Verbleibens im Rahmen oder der Überwindung des Rahmens gegebener Beschränkungen wird in der Kritischen Psychologie allgemein (und auf die relative Handlungsfähigkeit des Individuums bezogen, vgl. S. 24ff dieser Arbeit) mit dem Begriffspaar 'restriktiv/verallgemeinert' gekennzeichnet. In diesem Zusammenhang stehen die Konzepte 'Deuten/Begreifen' für den hier in erster Linie verhandelten kognitiven

215 Aspekt restriktiver/verallgemeinerter Handlungsfähigkeit. Ihre Funktion besteht, wie gezeigt, darin, widersprüchliche Situationen auf darin enthaltene Alternativen hin zu analysieren. „Da, soweit 'restriktive Handlungsfähigkeit* subjektiv funktional sein soll, dabei die Selbstschädigung durch den Verzicht auf die Möglichkeit der Verfügungserweiterung 'unbewußt' gehalten werden muß, ist das 'Denken' restriktiver Handlungsfähigkeit generell als ein um die Erkenntnis der 'doppelten Möglichkeit' verkürztes Denken zu charakterisieren" (Holzkamp, 1983, 386, Herv. i. O.). Wesentlichste Charakteristik des restriktiven, 'deutenden' Denkens ist es also, daß darin die zum Problem gewordenen Handlungszusammenhänge auf unmittelbar-nahegelegte Denkformen bezogen werden, also innerhalb dieser bloß interaktiv-personalen Ebene verbleiben und jedwede Perspektive auf übergreifendere Begründungszusammenhänge damit schon von der Struktur der Problemexplikation her verstellt ist. Eben weil das 'deutende' Denken als kognitiver Aspekt der restriktiven Handlungsfähigkeit die Existenz von grundsätzlichen Handlungsalternativen gar nicht abbilden kann, tendiert es entsprechend dazu, daß real erfahrene Widersprüche in die Richtung vereindeutigt werden, in der jede Perspektive zur Veränderung und Aufhebung der zum Problem gewordenen widersprüchlichen Handlungszusammenhänge verschlossen bleibt. 'Deutendes' Denken bleibt damit als Denken der bloßen Anschauung im Faktischen verhaftet, nimmt die oberflächliche Erscheinung für das Wesen des Zusammenhangs und blendet mit der Konzentration auf das Gegebene das Mögliche und Zukünftige aus. Damit erscheint der Handlungszusammenhang im Denken des Subjekts als ein bloß äußerlicher, mit Selbstverständlichkeit gegebener, auf dessen Strukturen weder Einfluß genommen, noch Verantwortung übernommen werden kann oder braucht: „Das Individuum 'denkt' hier die gesellschaftlichen Bedeutungszusammenhänge, in denen es steht, als ob die Unmittelbarkeit seiner Lebenslage/-praxis die 'ganze Wirklichkeit' wäre, bzw. 'denkt' das ihm jeweils nicht gegebene gesellschaftliche Ganze 'nach dem Muster9 seiner unmittelbaren Lebensrealität und der darin gegebenen Probleme" (Holzkamp, 1983,388). Während sich das 'deutende' Denken, kurz umrissen, also in der Unmöglichkeit des Denkens von Widersprüchen jenseits bloß personaler Entgegensetzungen manifestiert, so daß die Auflösung erfahrener Widersprüche letztlich nur durch Umdeutungen der Realität versucht werden kann, stellt sich das 'begreifende' Denken demgegenüber als Möglichkeit der Aufschließung widersprüchlicher Handlungszusammenhänge dar. Wiewohl al-

216 so der Ausgangspunkt sowohl des 'deutenden* wie auch des 'begreifenden' Denkens die konkrete Anschauung ist, lassen sich diese Denkbewegungen durch die Art und Weise der weitergehenden Aufschließung bzw. Umdeutung des durch Anschauung zugänglichen Wirklichkeitsaspekts unterscheiden: ,Aus dem Umstand, daß [...] die individuelle Lebenspraxis universell und 'unhintergehbar', da Ort der wirklichen Lebenstätigkeit der Individuen ist, erhellt damit als generelle Verhältnisbestimmung des 'Begreifens' zum 'Deuten', daß das 'Begreifen9 zum 'Deuten' in keiner AusSchließungsbeziehung stehen kann, sondern die *deutende* Denkweise in sich einschließen muß" (Holzkamp, 1983,394, Herv. i. O.). Dabei gilt es allerdings - insbesondere in bezug auf die Attributionstheorie - festzuhalten, daß die im 'begreifenden' Denken gegebene Möglichkeit, auch widersprüchliche Verhältnisse und Handlungszusammenhänge als Widersprüche denken zu können, nicht als 'inkonsistente' Zusammenhangsrezeption aufzufassen ist, sondern daß die kognitive Repräsentation des Handlungszusammenhangs quasi auf 'erweiteter Stufenleiter' zu entwickeln versucht wird, in der die Erfahrung von Realwidersprüchen vollständig aufrechterhalten bleibt. Eine angemessene Rezeption von Wirklichkeit setzt nämlich voraus, daß in ihr auch real widersprüchliche Handlungsintentionen, Interessen und Begründungszusammenhänge frei von Denkwidersprüchen abgebildet werden können, sofern diese zu den konstitutiven Momenten der erfahrenen Handlungs- und Ereigniszusammenhänge gehören. Bezogen etwa auf die Wahrnehmung der in sich antagonistischen Struktur kapitalistischer Produktions- und Reproduktionsverhältnisse heißt das, den Zusammenhang zwischen dem ideologischen Schleier 'reiner' Tauschverhältnisse einerseits und der Gleichzeitigkeit von Produktion von Lebens-Mitteln und Reproduktion von Herrschafts/Ausbeutungsverhältnissen andererseits als dessen immanente Struktur zu erkennen und damit gerade die Erkenntnis des darin begründeten Fundamentalwiderspruchs als adäquate Zusammenhangssicht zu identifizieren.

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8.2. Ansatzpunkte zur Reinterpretation attributionaler Theorien als Theorien der Realisierung von Zuschreibungsprämissen: Explikation der herzustellenden Bezüge zur Empirie Vor dem Hintergrund dieser nun auf den attributionalen Prozeß hin konkretisierten kategorialen Bestimmungen ist unsere Analyse weit genug fortgeschritten, um die im Zuge der Darstellung und Kritik deutlich gewordenen Widersprüche, wie sie zwischen den verschiedenen attributionstheoretischen Überlegungen bestehen, erneut aufzugreifen. Dabei konnte bereits gezeigt werden, daß schon aufgrund kategorialer Erwägungen die Vorstellung, es ließen sich aus der Analyse personaler und situationaler Zuschreibungsbedingungen eindeutige Zuschreibungstendenzen für bestimmte Zuschreibungszusammenhänge ableiten, die überall dort beobachtet werden könnten, wo Subjekte mit vergleichbaren Zuschreibungsbedingungen konfrontiert sind, in Widerspruch zu grundsätzlicheren Bestimmungen des Verhältnisses von Subjekt und Welt steht, so daß sich auch eine dahin gehende Theoretisierung in Widerspruch zu übergeordneten kategorialen Vorstellungen befinden muß. Soweit bei dem erneuten Aufgreifen attributionstheoretischer Überlegungen empirische Untersuchungen wie die weiter oben geschilderten einbezogen werden, stellt sich das Problem, daß im Zuge der Darstellung dieser Untersuchungen herausgearbeitet werden konnte, daß der darin realisierte Empiriebezug gerade nicht als ein solcher aufgefaßt werden kann, durch den hypothetische Sätze bestätigt oder widerlegt werden können. Für die weitere Reinterpretation ist deswegen hervorzuheben, daß mit dieser Zurückweisung des von den Autoren intendierten Empiriebezugs ihrer Untersuchungen nichts darüber gesagt ist, ob sich im Zuge ihrer kategorialen Reformulierung nicht doch inhaltlich aufzugreifende Aspekte und Aussagen über die Struktur und den Prozeß attributionaler Ereignis- und Zusammenhangserklärungen gewinnen lassen, die - reformuliert als Prozeß standpunktbezogener Subsumtion erfahrener Beobachtungstatbestände unter gesellschaftlich verfügbare Denkformen und Aussagen - Aufschluß über den Zusammenhang von Zuschreibungsmöglichkeiten und Zuschreibungsgründen unter bestimmten experimentell manipulierten bzw. konstruierten Zuschreibungsprämissen, d.h. bestimmten, im Handlungszusammenhang begründeten Erkenntnis- und Verfügungsinteressen erreichbar ist.

218 Damit erweist es sich nach der kategorialen Reformulierung des attributionstheoretisch relevanten Problemzusammenhangs für uns zunächst als notwendig, diejenigen Punkte zu explizieren, an denen ggf. auch innerhalb der dargestellten attributionstheoretischen Experimente Bezüge zur Empirie herausgearbeitet werden können, in denen sich über die bereits dargestellten implikativen Aussagestrukturen hinaus Verweise auf den Zusammenhang von Bedeutungen, Prämissen und Gründen finden lassen. Anders formuliert: Es muß untersucht werden, ob sich in bezug auf die dargestellten attributionstheoretischen Experimente nicht etwa in ganz anderer Form, als von den Autoren intendiert, Verweise auf empirische Momente von Zuschreibungsprozessen finden lassen, deren Explikation damit im Rahmen einer Theorie der Struktur und Genese von Handlungserklärungen und Zusammenhangsannahmen fruchtbar gemacht werden kann. Für die folgende inhaltlich-theoretische Reformulierung attributionaler Phänomene ist zu bedenken, daß diese weder allein unter Bezug auf das Wahrnehmungssubjekt und dessen Standorf noch aus der unmittelbaren Gegebenheit der Wahrnehmungssituation, sondern erst dann rekonstruiert werden können, wenn es gelingt, die dem Zuschreibungssubjekt verfügbaren gesellschaftlichen Denk- und Rezeptionsformen in Beziehung zu den jeweiligen Lebens- und Erkenntnisinteressen der Zuschreibungssubjekte zu bringen. Welche Aspekte also in der aktuellen Rezeption von Wirklichkeit zu Prämissen darauf bezogener Zusammenhangsvorstellungen gemacht werden, kann weiter nur unter Einbezug der damit verfolgten Interessen des Subjekts bestimmt werden und ergibt sich damit gerade nicht aus dessen mehr oder weniger objektiv bestimmten und bestimmbaren Standort sondern erst aus dem intentionalen Standpunkt des Zuschreibungssubjekts, in den der Standort als Prämisse mit einbezogen werden kann. Die Theoretisierung attributionaler Prozesse läßt sich damit nur vom Subjektstandpunkt, das heißt aus der Perspektive des Zuschreibungssubjekts entwickeln, in die personale und situationale Gegebenheiten als Prämissen einbezogen sind. Damit ergibt sich bezüglich der Frage nach dem Gegenstand attributionstheoretischer Aussagenzusammenhänge, daß entgegen den bisher verfolgten Hypothesen und Fragestellungen, in denen etwa die Zuschreibungstendenzen als von der Position bzw. der Situation abhängig betrachteten wurden, gerade die Frage nach den von den Zuschreibungssubjekten akzentuierten Prämissen als die inhaltlich relevante und nur empirisch zu beantwortende Fragestellung anzusehen ist. Diese Perspektive ergibt sich schon daraus, daß mit der Frage, welche der gegebenen Zuschreibungsmöglichkeiten von einem Zuschreibungssubjekt als 'angemes-

219 sene* Grundlage zur Strukturierung der je eigenen Lebensbezüge angesehen wird, nicht empirisch-kontingente, sondern eben Begründungszusammenhänge angesprochen sind, die sich anhand ihres empirischen Aufweises nur veranschaulichen lassen. Die Frage hingegen, welche Zuschreibungsprämissen von einem Zuschreibungssubjekt aus einem gegebenen Bedeutungsgesamt tatsächlich akzentuiert werden, kann nur als eine empirische angesehen werden, die sich nur unter Bezug auf die jeweiligen damit in Zusammenhang gebrachten konkreten Lebensinteressen klären und beantworten läßt. Daraus ergibt sich nun aber, daß die nur empirisch zu untersuchenden Bezüge von Zuschreibungsprozessen hier allgemein darin bestehen, (a) welche Momente eines gegebenen Bedeutungszusammenhangs von dem Subjekt zu Prämissen von Handlungen und Zuschreibungen gemacht werden, (b) in welcher Weise die jeweils realisierte Handlung und Zuschreibung auf die Prämissen bezogen werden und schließlich (c) wie diese im praktischen Vollzug von Handlungen bzw. der Konstitution von Zuschreibungen und Zusammenhangserklärungen wiederum - und in gewissermaßen praktischer Weise - als Versuch der Gewinnung von Einfluß- und Veränderungsmöglichkeiten auf Empirie als dem tatsächlich bedeutungsvollen Lebenszusammenhang des Zuschreibungssubjekts bezogen werden. Unter dem Aspekt der empirischen Verankerung attributionaler Prozesse ergibt sich daraus, daß sowohl das Verhältnis zwischen Bedeutungen und Prämissen als auch das Verhältnis zwischen Zuschreibungsintentionen und der dadurch faktisch vollzogenen, eingreifenden Realitätsbewältigung in einer Weise auf Empirie Bezug nehmen, die sich weder aus der Struktur und Verfaßtheit gegebener Lebensbedingungen noch aus einer näheren Bestimmung von Personeigenschaften implikativ herleiten läßt. Eine Reinterpretation experimenteller Befunde muß zunächst die mit dem Experiment gesetzten Bedingungen daraufhin untersuchen, welche Akzentuierung von Prämissen darin nahegelegt wurde, ob diese von den Zuschreibungssubjekten tatsächlich zu Prämissen gemacht werden konnten und welche Beschränkungen damit für die Produktion von Handlungs- und Ereigniserklärungen faktisch gesetzt worden sind. Welche Dimensionen und Relationen angesichts eines zu erklärenden Ereignisses von einem Zuschreibungssubjekt also hervorgehoben und damit zur Grundlage sachverhaltsbezogener Erklärungen und Zusammenhangsbehauptungen 'gemacht' werden, ergibt sich auch in wie immer reduzierten und möglichkeitsbeschränkten experimentellen Situationen weder aus der Strukturiertheit der

220 Zuschreibungssituation noch aus der Person des Zuschreibungssubjekts als solcher, sondern muß vielmehr über den vom Zuschreibungssubjekt hergestellten Vermittlungszusammenhang zwischen Bedingungen, Bedeutungen und Zuschreibungsweisen als ein Begründungszusammenhang rekonstruiert werden. Vergegenwärtigt man sich vor diesem Hintergrund den oben angesprochenen Problemkreis der theoretischen Verbindlichkeit, empirischen Ausgewiesenheit und Unentscheidbarkeit von Theorienkonkurrenzen, so wird deutlich, daß es sich im Zuge der hier avisierten Explikation entscheiden lassen muß, ob die damit beschriebene Situation dadurch zu überwinden ist, daß die verschiedenen nachgewiesenen Zuschreibungstendenzen als unterschiedliche Nahelegungen von Zusammenhangsvorstellungen in verschiedenen Zuschreibungszusammenhängen reformuliert werden können. Wenn das gelingt, kann aber auch das Verhältnis zwischen den verschiedenen theoretischen Positionen und experimentellen Befunden nicht mehr als Verhältnis der Konkurrenz um empirische Geltung und theoretische Angemessenheit angesehen werden, sondern verweist nurmehr auf die in unserem Bezugsrahmen kategorial gedeckte Aussage, daß von Zuschreibungssubjekten in unterschiedlichen Situationen offenbar unterschiedliche Zuschreibungsprämissen akzentuiert werden, aus denen sich eben auch zu unterscheidende Sachverhaltsstrukturierungen ergeben. Mit der Reformulierung attributionstheoretisch motivierter experimenteller Befunde als Prämissen-Gründe-Zusammenhänge ergibt sich also unter methodologischen Gesichtspunkten die Konsequenz, daß sie - entgegen der ihnen zugrundeliegenden Prüfintentionen - nicht als Möglichkeit zur Theorien- und Hypothesenprüfung, sondern nur als exemplarische Veranschaulichung von Begründungsmustern aufgefaßt werden können (vgl. dazu Markard, 1995a), deren Erkenntnisgehalt erst fruchtbar gemacht werden kann, wenn es gelingt, die von den Vpn realisierten, ggf. verschiedenartigen Prämissen herauszuarbeiten. Damit wäre zu erwarten, daß sich mit der Explikation der jeweiligen Prämissenlagen, wie sie von den Vpn in den verschiedenen dargestellten Untersuchungen realisiert würden, ein konkretes Wissen über die in derart bestimmten Prämissenlagen nahegelegten Rezeptionsformen gewinnbar sein müßte, das zur Fundierung einer subjektwissenschaftlichen Theorie der Realisierung von Zuschreibungsprämissen und darauf bezogener Zuschreibungsgründe als eine Theorie der Funktion und Genese individueller Handlungserklärungen fruchtbar gemacht werden könnte. Diese damit formulierte Annahme eines in den ex-

221 perimentellen Realisierungen noch verborgenen Empiriebezugs, durch die der Versuch der Reinterpretation der angeführten experimentellen Befunde überhaupt erst gerechtfertigt wird, geht dabei im Kern auf die Überlegung zurück, daß die in diesen Experimenten zur Geltung kommenden Phänomene tatsächlich Begründungsmuster repräsentieren, deren Bezug zur Empirie gerade in dem Verhältnis zwischen Bedeutungen und Prämissen einerseits sowie Handlungsbegründen und tatsächlichen Handlungen andererseits besteht.

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Kapitel 9

Reformulierung attributionstheoretischer Konzeptionen der Genese von Handlungs- und Ereignis erklärungen als Begründungstheorien: Explikation des Zuschreibungsprozesses als die vom Subjektstandpunkt begründete Realisierung und Übernahme gesellschaftlich vorstrukturierter Denkformen Vorbemerkung Im folgenden soll untersucht werden, inwieweit sich in den verschiedenen attributionstheoretischen Konzeptionen und den daraus abgeleiteten empirischen Hypothesen implizite Prämissen-Gründe-Zusammenhänge, kurz: Begründungsmuster ausfindig machen lassen, bzw. welche Prämissen in den experimentellen Anordnungen den Vpn nahegelegt werden, und inwieweit sich die empirischen Befunde statt als Prüfresultate als Veranschaulichungen von in den Hypothesen enthaltenen Begründungsmustern interpretieren lassen. Bezieht man diese Fragestellung zunächst auf die 'naive Handlungsanalyse' Heiders, muß man sich Klarheit darüber verschaffen, welche Bedeutung dem Umstand zuzumessen ist, daß diese allein auf die sprachanalytisch gewonnenen Bestimmungen von Relationsund Zusammenhangsvorstellungen zurückgeht, während von den meisten anderen Ansätzen theoretische Interpretationen tatsächlich vollzogener bzw. unter Experimentalbedingungen beobachteter Zuschreibungen entwickelt wurden. Können die theoretischen Interpretationen experimentell provozierter Zuschreibungsweisen nämlich für sich in Anspruch nehmen, daß der von ihnen hypothetisch formulierte Zuschreibungszusammenhang zumindest von einer oder mehreren Vpn tatsächlich realisiert und umgesetzt wurde, sind in den von Heider vorgelegten Analysen sprachstruktureller Relationen nurmehr die daraus hervorgehenden Zusammenhangsvorstellungen als Implikationen beschrieben, also Zusammenhangsvorstellungen formuliert, die dann und sofern nahegelegt und begründet sind, wenn Zuschreibungssubjekte für sie bedeutungsvolle Handlungszusam-

223 menhänge darunter subsumieren können. Ob und wer jedoch auf die von Heider untersuchten sprachstrukturellen Relationen zurückgreift und diese seinen Aufschließungsversuchen zugrunde legt, läßt sich aus der 'naiven Handlungsanalyse' eindeutig nicht ableiten. Bedenkt man jedoch, daß der empirische Wert experimenteller Befunde - wie unter Bezug auf die im vorausgegangenen Abschnitt dargelegte Argumentation ersichtlich - von vornherein nur auf die exemplarische Veranschaulichung des theoretisch Gemeinten beschränkt bleibt, daß aus der Beobachtung bestimmter Fälle also grundsätzlich nichts über andere Fälle vorausgesagt werden kann, wird ersichtlich, daß zwischen der von Heider vorgelegten 'naiven Handlungsanalyse' und anderen, exemplarisch veranschaulichten attributionsbezogenen Hypothesen und Aussagen unter Bezug auf deren empirische Ausgewiesenheit keine grundsätzlichen Unterschiede bestehen: Hier wie da sind Aussagen über den Zusammenhang zwischen der Realisierung bestimmter Prämissen und darin begründeter Zuschreibungsweisen formuliert, die als Begründungsmuster zu spezifizieren sind und damit in einem Verhältnis der Implikation zueinander stehen. Der Unterschied zwischen den auf Sprachanalysen bzw. auf experimentelle Befunde zurückgehenden Aussagezusammenhänge besteht nun vor allem darin, daß die mit experimentellen Befunden in Zusammenhang stehenden Aussagen ihren 'Vorteil', von einer oder mehreren Vpn bereits realisiert und umgesetzt worden zu sein und also über exemplarische Veranschaulichungen zu verfügen, mit der Preisgabe der lebensweltlichen Konkretheit ihrer theoretischen Konstrukte zu erkaufen versucht haben, wie sie etwa in den Heiderschen Analysen enthalten ist. Dem 'Vorteil', in künstlich hergestellten Zuschreibungsbedingungen exemplarisch veranschaulicht worden zu sein, steht damit also der schwerwiegendere 'Nachteil' gegenüber, die interessierenden Sachverhalte und Zusammenhänge auf in der Laborsituation beobachtbare und sich unter kontrollierbaren Bedingungen vollziehende Zuschreibungsprozesse zu reduzieren, auf lebensweltliche Konkretheit zu verzichten und damit die Plastizität, wie sie der Heidersche Konzeptentfaltung inhärent ist, zu unterschreiten. Anders formuliert: Der besondere Stellenwert, der den Heiderschen Überlegungen gegenüber allen anderen Ansätzen und konzeptionellen Alternativen zugesprochen werden muß, begründet sich gerade in seinem Verzicht auf die Anpassung seiner theoretischen Konzeption an die Erfordernisse ihrer experimentellen Operationalisierung.

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9.1. Begründungstheoretische Reformulierung attributionaler Zusammenhangsaufschließung als Preisgabe der Möglichkeit eines weitergehenden Fragens nach Realzusammenhängen und Begründungsstrukturen von Handlungen und Ereignissen Betrachtet man die von Heider vorgetragene generelle Begründung der Genese attributionaler Handlungs- und Zusammenhangserklärungen, erweist sich die mangelnde Verfügung des Tuschreibungssubjekts über zureichende Daten gewissermaßen als Grundkonstellation jedweder Zuschreibung: Attribution und Eigenschaftszuschreibungen werden letztlich immer als Schlußfolgerungsbemühungen unter der Voraussetzung unzureichend verfügbarer Daten angesehen (vgl. Heider, 1958/1977, 72). Bezieht man diese Konzeption attributionaler Prozesse nun auf das sich aus der kategorialen Explikation ergebende Spannungsverhältnis zwischen deutendem und begreifendem Denken, erweist sich die von Heider entwickelte Vorstellung von Attribution als eine Art Alternative zum weitergehenden Fragen nach den tatsächlichen Zusammenhängen, weshalb es sinnvoll erscheint, dieses Konzept daraufhin zu befragen, inwieweit darin Spezifizierungen und Differenzungen angesprochen und theoretisch gefaßt werden, die sich als konkrete Erscheinungsformen restriktiver Welt- und Selbstbegegnung reformulieren lassen. Dabei wären die dargestellten Relationsbildungen etwa daraufhin zu analysieren, ob die Überwindung der darin zugrundegelegten unzureichenden Situations- und Zusammenhangskenntnisse vom Standpunkt des Subjekts nur nicht erkannt und erfahren wurden, oder ob sich aus dieser Konzeption Verweise auf diejenigen Umständen ergeben können, unter Bezug auf welche eine Durchdringung der Realzusammenhänge und das damit notwendig werdende weitergehende Fragen als eine gravierende Bedrohung angesehen werden und folglich auf die Entwicklung einer weitergehenden Zusammenhangskenntnis aufgrund von Abwehrprozessen verzichtet wird. Von Heider wurde in diesem Zusammenhang die Möglichkeit weitergehenden Nachfragens bzw. die Notwendigkeit, Fragen selbst abzuschneiden, als eine der wesentlichen und systematischen Differenzen zwischen Wissenschaft und Alltagserkenntnis herausgestellt. Im wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß könnten, anders als im Prozeß der Entwicklung von Alltagserklärungen, die Voraussetzungen der Ursachenvermutungen in Frage

225 gestellt und damit unzureichende Zusammenhangskenntnisse vermittels weitergehenden Nachfragens überwunden werden. Dies versetze die Wissenschaft perspektivisch in die Lage, Sachverhalte, auch wenn sie anfänglich als einfache Ursache eines anderen Ereignisses erscheinen, zum Gegenstand weitergehender Untersuchungen zu machen, womit sich Ursachen im Kern immer nur wieder als Resultat anderer Ursachenzusammenhänge rekonstruieren ließen. Darüber hinaus könnten innerhalb der wissenschaftlichen Erkenntnisbildung aber auch die sachverhaltsbezogenen Vorannahmen und impliziten Voraussetzungen selbst kritisch auf ihre Angemessenheit hin befragt und damit ggf. als problematisch verworfen werden. Eine derart beschriebene kritisch-systematische Rekonstruktion sei jedoch für handlungsbezogene Erklärungen im Alltag, wie sie etwa in der 'naiven Handlungsanalyse' dargestellt wurden, weder nötig noch möglich. Verantwortlich dafür, daß in Alltagserklärungen nur selten weitergehende Rekonstruktionen sekundärer Ursachen vollzogen würden, sei zweierlei: Zum einen würden ' Alltagserklärungen' nur selten jenseits eines unmittelbaren situationalen Handlungsdrucks entwickelt. Zum anderen aber befördere das Bedürfnis nach Invarianz eine Art konsistenter Weltaufschließung, durch die der Prozeß kritisch-expansiver und damit widerspruchsexplizierender Durchdringung von Realzusammenhängen in fundamentaler Weise beschränkt werde, was so und in dieser Weise für die wissenschaftliche Analyse nicht angenommen zu werden brauchte. Der unmittelbare intentionale Bezug des Handelnden zur Welt als seiner Lebenswelt lege eine vereindeutigende Rezeption nahe, durch die auch widersprüchliche Welterfahrungen in ein konsistentes Ganzes gegossen und vereindeutigt würden, in deren Folge somit widersprüchliche Erfahrungen von Handlungen, Ereignissen und Sachverhalten schlicht geleugnet und im Denken eliminiert werden müßten. Dieser über das unmittelbare Handlungserfordernis sich entwickelnde Vereindeutigungsdruck relativiere sich für die wissenschaftliche Analyse in dem Maße, wie die Wissenschaftler in der Lage seien, den an sie gestellten Forderungen zu genügen und gegenüber dem Forschungsgegenstand die für den Erkenntnisgewinn notwendige Distanz aufrechtzuerhalten. Ungeachtet dieser Überlegung ist jedoch fraglich, ob ein situationaler Handlungsdruck, dem sich der Handelnde nicht entziehen zu können meint, tatsächlich als hinreichender Grund dafür angesehen werden kann, daß weitergehende Fragen nach den 'Ursachen* der Ursachen und den tat-

226 sächlichen Zusammenhängen abgeschnitten werden. Die erkennende Durchdringung der eigenen Lebensumstände und Handlungszusammenhänge läßt sich, wie dargestellt, nicht als Selbstzweck, sondern erst daraus begreifen, daß das Individuum Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln sucht, deren Realisierung die Bewältigung seiner Lebensprobleme antizipierbar macht. Ergeben sich also aus der realisierten Zusammenhangssicht bereits Handlungsmöglichkeiten, in deren Umsetzung die Bewältigung subjektiver Handlungsanforderungen möglich erscheint, bestehen im Prinzip keine weiteren Gründe, warum der Prozeß der Zusammenhangsaufschließung nicht abgeschlossen werden sollte. Damit ist nun aber ein fundamental anderes Kriterium entwickelt, um die subjektive Notwendigkeit zur weitergehenden Aufschließung und Durchdringung der Handlungszusammenhänge zu bestimmen, als dies von Heiders Konzeption eines gegenwärtig bestehenden situationalen Handlungsdrucks beschrieben werden konnte: Es ist die Antizipation, daß bestehende Handlungsanforderungen und Lebensprobleme auf Grundlage der erreichten Einsicht in die lebensrelevanten Umstände bewältigt werden können, so daß eine weitergehende Erkenntnis und Durchdringung zur Aufschließung alternativer Handlungsmöglichkeiten gar nicht notwendig erscheint. Nicht der aktuell bestehende Handlungsdruck, sondern die Antizipation der Bewältigbarkeit von Handlungsanforderungen muß also als Kriterium dafür angesehen werden, ob eine weitergehende Analyse und Durchdringung der eigenen Lebensumstände und eine dabei ggf. erforderliche Kritik der zugrundeliegenden Denkformen für das Subjekt notwendig und zwingend werden, oder ob die jeweiligen Lebensinteressen bereits auf Basis der gegenwärtig verfügbaren Handlungs- und Einsichtsmöglichkeiten realisierbar erscheinen. Da nun aber nicht nur für die gesellschaftlichen Lebensverhältnisse, sondern in gleicher Weise auch für die darauf bezogenen gesellschaftlichen Denkformen herausgearbeitet werden konnte, daß sich diese nur durch Berücksichtigung ihrer Interessenvermitteltheit in ihrer subjektiven Funktion begreifen lassen, muß für die weitergehende In-Frage-Stellung der Rezeptionsformen von Weltgegebenheiten immer auch die Möglichkeit in Rechnung gestellt werden, daß damit zur Eskalation von Konflikten mit denjenigen gesellschaftlichen Kräften beigetragen wird, die an der unhinterfragten Aufrechterhaltung herrschender Denkformen interessiert sind. Die dynamischen Aspekte des kritisch-expansiven In-Frage-Stellens der unter Handlungsaspekten problematisch gewordenen gesellschaftlich nahegelegten Denk- und Rezeptionsformen erweisen sich so gesehen gerade darin, daß die ausgreifenden Erkenntnisversuche und kriti-

227 sehen Intentionen im Dienste der Konfliktvermeidung mit den herrschenden Institutionen und Repräsentanten dieser Denkformen durch das Subjekt selbst beschnitten werden. Mit dieser dynamisch-funktionalen Begründung des Verzichts auf kritischexpansives Weiterfragen relativiert sich die von Heider angenommene systematische Differenz zwischen wissenschaftlicher und alltagspraktischer AufSchließung subjektiv bedeutsamer Sachverhalte: Sowohl für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß als auch für den Prozeß der Entwicklung von Zusammenhangsannahmen im Alltag stellt sich nämlich die Frage, in welchem Maße der tatsächliche Zusammenhang durchdrungen werden konnte und in welchem Maße dies durch defensive Denk-, Frage- und Erkenntnisbeschränkungen selbst verhindert worden ist. Damit ist ein Spannungsverhältnis formuliert, durch das bestimmt wird, inwieweit die tatsächliche Struktur eines Erkenntnisgegenstandes erfaßt und erfahren werden kann und inwieweit auf die Realisierung der eigenen Erkenntnisinteressen nur aus Angst vor den Konsequenzen der Kritik an herrschenden Vorstellungen verzichtet wird, um damit die sonst drohenden Konflikte mit herrschenden Instanzen aktuell abzuwenden bzw. ihnen aus dem Wege zu gehen. Die von Heider für die wissenschaftliche Erkenntnisproduktion per se proklamierte relative Distanz zum Gegenstand der Erkenntnis kann aufgrund dieser Überlegungen nur als subjektive Einschätzung real bestehender Bedrohungsverhältnisses reformuliert werden, von der es abhängt, inwieweit Fragen zugelassen oder schon als Fragestellung dynamisch abgewehrt und geleugnet werden müssen. Damit erweisen sich nun die beiden von Heider als Handlungs- und Vereindeutigungsdruck vorgetragenen Argumente, die von ihm im Topos der Differenz zwischen wissenschaftlicher und alltäglicher Zusammenhangsproduktion entwickelt wurden, im Kern als nichts anderes denn als Prämissenspezifikation, wie sie von uns unter Bezug auf die dargelegte kategoriale Konzeption gefaßt worden ist. Entsprechend läßt sich die hier auf die personelle Differenz zwischen 'Wissenschaftlern' und 'Alltagsmenschen' hin bezogene funktionale Unterscheidung innerhalb der Heiderschen Theorie dahingehend reformulieren, daß Attribution als eine fragenbegrenzende Vereindeutigungsleistung anzusehen ist, die in denjenigen Situationen nahegelegt ist, in denen von den Zuschreibungssubjekten die hier explizierten bzw. vergleichbare Prämissenlagen realisiert werden. Indem damit die Attribution an das Vorliegen spezifischer, subjektiv realisierter Zuschreibungsprämissen und nicht an bestimmte Zuschreibungssubjekte

228 bzw. Klassen von Subjekten gebunden wird, stellt sich bei der Analyse eines jeweils vorliegenden und zu erklärenden empirischen Falls stets die Frage danach, ob das Zuschreibungssubjekt die hier konzeptualisierten Zuschreibungsprämissen realisiert hat, anders formuliert: ob der vorliegende Fall als ein Fall der reinterpretierten Heiderschen Theorie angesehen werden kann. In begründungstheoretischer Reformulierung der Heiderschen Überlegungen ergibt sich daraus, daß, sofern der unmittelbare Handlungsdruck in derart aufzufassenden fragenbegrenzenden Lebensumständen und Handlungszusammenhängen zur Prämisse der auf die Ursachenanalyse und Erklärung von Handlungen hin ausgerichteten Denktätigkeit gemacht wird, für das Zuschreibungssubjekt 'gute Gründe' bestehen, diesen Prozeß abzubrechen und das eigene Handeln allein unter Bezug auf die gegenwärtig verfügbaren Denk- und Rezeptionsformen sowie die daraus resultierende Zusammenhangssicht zu begründen. Erfährt sich das Zuschreibungssubjekt hingegen in einer Situation der relativen Entlastung von einem derart unmittelbaren Handlungsdruck, wird auch die tatsächliche Durchdringung der realen Ursachen- und Begründungszusammenhänge und damit die Reflexion der zugrunde gelegten impliziten Vorannahmen zur Prämisse derartiger Erkenntnisbemühungen möglich. Damit wird in solchen Fällen die Durchdringung real widersprüchlicher Weltgegebenheiten etwa über die Kritik widerspruchseleminierender gesellschaftlich nahegelegter Denkformen für das Subjekt möglich und kann so in die Entwicklung der eigenen darauf bezogenen Handlungsmöglichkeiten einbezogen werden. Somit hängt es von den zu Prämissen werdenden jeweiligen Lebensumständen und dem intentionalen Bezug des Zuschreibungssubjekts auf diese ab, ob und inwieweit es von seinem Standpunkt begründet erscheint, nach Realwidersprüchen innerhalb der eigenen Lebenszusammenhänge zu fragen oder die eigenen Weltbezüge zu vereindeutigen und damit als konsistent und widerspruchslos zu unterstellen. Mit dieser Differenzierung des Verhältnisses von Attribution und wissenschaftlicher Durchdringung lassen sich die Heiderschen Überlegungen als eine Art erster Zwischenbilanz dahingehend reformulieren, daß sich das Zustandekommen von Attributionen im Rahmen ihrer psychologischen Analyse überhaupt nur im Zuge der genaueren Bestimmung des konkret realisierten Verhältnisses eines Subjekts zu seinen Lebenszusammenhängen als eines Verhältnisses von Bedeutungen, Prämissen und Gründen rekonstruieren läßt. Vor diesem Hintergrund erweist sich der Versuch der Explikation letzter und unveränderlich-stabiler Ursachen etwa vermittels der Zuschreibung von Dispositionen und Eigenschaften als Versuch der

229 Organisation und Strukturierung je relevanter Lebensumstände unter der Prämisse des dynamischen oder situativen Verzichts auf die Möglichkeit weitergehender, kritisch-expansiver Weltaufschließung. Für die theoretische Analyse derart zu bestimmender empirischer Zuschreibungsphänomene bedeutet das, daß gerade diejenigen Verhältnisse zu explizieren sind, die eine solche zusammenhangsverkürzende und vereindeutigende Sicht auf die je eigenen Lebensumstände nahelegen und zu begründen vermögen. Attribution, so erweist sich vor dem Hintergrund dieser Reformulierung einmal mehr, kann nicht als spezifisches Phänomen begriffen werden, das quasi 'neben* und unabhängig vom Prozeß der wissenschaftlichen Analyse existiert. Wenn Attribution als Prozeß der unmittelbarsten Subsumtion von Sachverhalten unter gesellschaftlich nahegelegte Einordnungen und Denkformen aufgefaßt wird, kann das Attributionskonzept verständlich machen, warum unter diesen Voraussetzungen die Frage, ob in den herausgehobenen Dimensionen überhaupt relevante Strukturen des angesprochenen Sachverhalts repräsentiert sind, erst gar nicht gestellt wird und statt dessen lediglich diejenigen Aspekte eines Wahrnehmungszusammenhangs einbezogen werden, die unmittelbar auffallen oder mit den herrschenden Denkund Sichtweisen konfliktfrei vereinbar erscheinen. Damit erweist sich nun aber auch die Dimension der Auffälligkeit als eine, die nicht allein und unmittelbar aus dem Wahrnehmungsgegenstand selbst, sondern überhaupt erst aus dessen Beziehung zu den jeweiligen Handlungserfordernissen bestimmt und theoretisch aufgeschlossen werden kann, zu deren Bewältigung die eine oder andere Zuschreibungsweise gerade realisiert wird.

9.2. Reformulierung der Personen- und Eigenschaftsattributionen als Form eines unter Vereindeutigungsdruck nahegelegten kurzschlüssigen Weltbezugs des Subjekts An dieser Stelle sind nun zunächst die von Heider gemachten Aussagen zur Vereigenschaftung und Personalisierung als Formen kurzschlüssiger Weltbezüge in die Reinterpretation aufzunehmen, die dem Subjekt dann nahegelegt sind, wenn wesentliche Aspekte des je bedeutungsvollen Handlungszusammenhangs nur partiell einsichtig werden, dennoch aber aktuell

230 Entscheidungen getroffen bzw. Handlungen vollzogen werden müssen. Dispositionale Eigenschaften wurden von Heider als diejenigen Konzepte herausgestellt, mit denen sich das Subjekt die Welt als eine mehr oder weniger stabile, vorhersagbare und perspektivisch kontrollierbare zu strukturieren versucht und damit die Totalität von Zusammenhängen, Phänomenen und Beobachtungen auf überschaubare und relativ unveränderliche Strukturen und Zusammenhänge hin beziehen und reduzieren zu können glaubt (vgl. Heider, 1958/1977,100). Mit dieser Funktionsbestimmung der Nutzung dispositionaler Eigenschaftskonstrukte als Möglichkeit der Überführung von Ereignissen in konstante Aspekte des bedeutungsvollen Lebenszusammenhangs wird also beschrieben, wie das Zuschreibungssubjekt in einer sich ändernden Umwelt dennoch Invarianzen behaupten kann, auf deren Grundlage es eine relativ stabile und sicher erscheinende Strukturierung der je eigenen Handlungszusammenhänge zu entwickeln vermag. In einer sich ändernden Umwelt, deren wesentliche Dimensionen dem Subjekt verschlossen bleiben, erscheint die personalisierende Ursachenzuschreibung, d.h. die Zuschreibung situationsentbundener Persönlichkeitseigenschaften, den Zuschreibungssubjekten oftmals als einzige Möglichkeit, die Kontrollier- und Vorhersagbarkeit hinsichtlich der zu erwartenden Ereignisse aufrechtzuerhalten und daraus das - wie immer gebrochene - subjektive Gefühl von Sicherheit im Handlungszusammenhang zu erreichen. Die damit umschriebene Funktionalität personalisierender und vereigenschaftender Zusammenhangsaufschließung erweist sich so nicht als generelle oder zu generalisierende Tendenz einiger Zuschreibungssubjekte, sondern nurmehr als die vom Subjektstandpunkt begründete Zuschreibung und Ereigniserklärung unter der Prämisse der unmittelbaren Unsicherheitsreduktion in aktuell unzureichend durchdringbaren Lebensumständen. Ob sich ein Zuschreibungssubjekt diese Prämisse indes tatsächlich zu eigen macht, ergibt sich - wie mehrfach ausgeführt - gerade nicht unmittelbar aus dessen Situation, sondern erst daraus, wie diese vom Standpunkt des Zuschreibungssubjekts erfahren, d.h. mit dessen Lebensinteressen in Zusammenhang gebracht werden kann. So wäre es unter anderen Prämissen etwa vorstellbar, daß die gegenwärtig ungeklärten Verhältnisse im eigenen Denken so lange offen zu halten versucht werden, bis das Subjekt eine Zusammenhangssicht zu entwickeln vermag, in der Begründungszusammenhänge von Handlungen jenseits personalisierender Zuschreibungen von Eigenschaften erfaßt und erfahren werden können. Ein und derselbe zu erklärende Sachverhalt kann also in seiner gegenwärtigen Unaufge-

231 klärtheit vom Zuschreibungssubjekt auf ganz unterschiedliche Zuschreibungsprämissen bezogen, damit in gänzlich verschiedener Weise reflektiert werden und somit ganz unterschiedliche Bewältigungsformen begründen. Dies aber verweist noch einmal darauf, daß sich Zuschreibungsprozesse nur unter Bezug auf die mit der Zuschreibung verfolgten Intentionen und Interessen konkreter Zuschreibungssubjekte angemessen theoretisieren und differenzieren lassen. Welche Verhältnisse nun aber die hier thematisierten vereindeutigenden dispositionalen Zusammenhangsrezeptionen vom Standpunkt des Subjekts aus nahegelegt und begründet erscheinen lassen, ist nicht nur durch die jeweiligen damit verfolgten Zuschreibungsinteressen bestimmt, sondern ergibt sich entsprechend der hier dargelegten Gesamtkonzeption erst, wenn die einem Zuschreibungssubjekt zur Verfügung stehenden gesellschaftlichen Denkmöglichkeiten daraufhin analysiert werden, ob diesem damit nicht (aus jeweils zu klärenden Gründen) von vornherein bestimmte im Prinzip 'denkbare' Strukturierungsmöglichkeiten verschlossen bleiben. Bezieht man die Heidersche Konzeption von Dispositions- und Eigenschaftszuschreibungen nun auf das oben herausgearbeitete Argument des Handlungs- und Vereindeutigungsdrucks als Begründung für diejenigen Zuschreibungsprozesse, die in besonderer Weise die Notwendigkeit eines weitergehenden Fragens begrenzen, so erweist sich die hier thematisierte Zuschreibungsmöglichkeit als eine der konkreten Erscheinungs- und Bewältigungsformen so zu charakterisierender Zuschreibungszusammenhänge: Unter Vereindeutigungsgesichtspunkten stellen sich Vereigenschaftungs- und Personalisierungskonzepte dem Subjekt als eine derjenigen Möglichkeiten dar, deren Nutzung und Übernahme Fragenotwendigkeiten begrenzen und unklare Handlungszusammenhänge dadurch 'handhabbar' machen, daß deren gegenwärtig undurchdringliche Situationszusammenhänge als nicht weiter fraglich, weil gegenüber den behaupteten Eigenschaftsdimensionen letztlich unspezifisch aufgefaßt werden können, womit derartige Denkweisen zur Reduzierung von Unsicherheiten im Handlungszusammenhang beizutragen scheinen.

232

9.3. Explikation der mit der Nutzung von Eigenschaftskonstrukten einhergehenden Unterminierung der Theorienvermitteltheit innerhalb von Handlungs- und Ereignisrelationen In der zunächst funktionskritisch angelegten Analyse der Nutzung von Eigenschaftskonstrukten und Dispositionszuschreibungen ist herausgearbeitet worden, daß eine personalisierende Strukturierung von Beobachtungszusammenhängen unter der Prämisse nahegelegt und begründet erscheint, daß damit (a) die gegenwärtig realisierbare Zusammenhangskenntnis nicht weiter problematisiert zu werden braucht, daß (b) die gegenwärtig bestehende Undurchdringlichkeit realer Bedeutungs- und Begründungszusammenhänge, etwa aufgrund eines aktuell bestehenden Vereindeutigungsdrucks, nicht weiter aufgeklärt werden soll oder daß (c) das Subjekt daran interessiert ist, in einer ihm unverfügbar bleibenden Welt dennoch eine aktuelle Angstzustände vermeidende Stabilität und Sicherheit bei der Strukturierung relevanter Welttatbestände zu entwickeln. An dieser Stelle soll nun darüber hinaus noch danach gefragt werden, ob sich die damit angesprochene subjektive Funktionalität der Nutzung von Eigenschaftskonstrukten auf die hier angeführten Aspekte beschränkt oder ob damit nicht noch weitergehende Vereinfachungen und Ökonomisierungen erreichbar sind. Dazu muß man sich zunächst vergegenwärtigen, daß bereits bei unserer Kritik an Duncker und Michotte nachgewiesen werde konnte, daß Ereignisrelationert prinzipiell nur theorienvermittelt, mit an die zu erklärenden Ereignisse gewissermaßen 'herangetragenen' Strukturierungen interpretiert werden können. Diese prinzipielle Theorienvermitteltheit und die sich daraus ergebende prinzipielle Kritisierbarkeit des Theoriebezugs, so die hier zu begründende These, erscheint nun gerade unter Nutzung des Dispositions- und Eigenschaftskonzepts dadurch überwindbar, daß die zu bestimmende Relation zwischen Ursachen und Wirkungen, bzw. zwischen einem Handlungssubjekt, dessen Intentionen und damit im Zusammenhang stehenden Handlungsvollzügen hier schon in der Definition aufgehoben ist, so daß von daher gar nicht mehr nach den Relationen zwischen den voneinander unabhängigen Elementen gefragt werden kann. Diese Überführung der Frage nach vermittelnden theoretischen Relationen in definitorisch zu bestimmende Eigenschaften ergibt sich vor allem anderen daraus, daß mit der Konstitution von persönlichkeitsbeschreibenden Disposi-

233 tionsprädikaten zur Erklärung fraglicher Zusammenhänge zugleich ein Verhältnis zwischen der behaupteten Seinsbestimmung und dem zu erklärenden Verhalten postuliert wird, durch das die beobachteten Handlungen und Ereignisse nurmehr als unmittelbare Realisierung der behaupteten Seinsbestimmung des Handelnden aufgefaßt werden können: In einem derart postulierten dispositionalen Zusammenhang von Subjekt und Handlung, auch wenn er in alltagssprachlichen Formulierungen als kausaler respektive funktionaler Zusammenhang erscheinen mag, wird jedoch das Explanandum als Implikation der Antezedenzbedingung gefaßt und damit zur Tautologie. Durch die Konstitution spezifischer (Person-) Eigenschaften lassen sich also unterschiedlichste Ereignisse, Veränderungen und Entwicklungen in der sachlich-sozialen Umwelt als bloßer Ausdruck eines dispositional bestimmten Gegenstandsaspekts auffassen, womit die Frage nach ihrer theoretischen Vermittlung und ihrem zugrundeliegenden kausalen bzw. intentionalen Charakter verschwindet. Für die Zuschreibungssubjekte entsteht damit der Eindruck, als ließen sich Handlungserklärungen auch aus minimalen Wahrnehmungsdaten heraus entwickeln, so daß trotz weitergehender Beschränkungen der verfügbaren Zusammenhangskenntnisse angemessene zusammenhangsbezogene Vorstellungen und Bewältigungsmöglichkeiten entwickelt werden könnten und bestehende Beschränkungen und Beschneidungen in der Zugänglichkeit der subjektiv bedeutsamen Wirklichkeitsausschnitte weder problematisiert noch überwunden werden müßten. Davon jedoch wird die aufgewiesene reale Theorienvermitteltheit der Wahrnehmungsprozesse selbst weder berührt noch aufgehoben: Wie bereits im Zusammenhang mit der Heiderschen Analyse des Wahrnehmungsprozesses (vgl. S. 52ff dieser Arbeit) aufgezeigt, läßt sich dieser schon deswegen nur als ein theoretischer bestimmen, weil die Frage, welche Aspekte des Wahrnehmungsgegenstandes im Akt der Wahrnehmung überhaupt herausgehoben und zu dessen Abbild im Bewußtsein synthetisiert werden, aus der unmittelbaren Beobachtung gar nicht abgeleitet werden kann. Weil sich die Dimensionen und Kategorien, unter Bezug auf welche bestimmte Sachverhalte überhaupt erst wahrgenommen und in ihrer Bedeutung erkannt werden können, als nichts anderes denn als der implizite Theorienbezug der Wahrnehmung begreifen und begründen lassen, können auch die unter Bezug auf Eigenschaftsvorstellungen entwickelten Zusammenhangssichten nur als an Wirklichkeit 'herangetragene' theoretische

234 Kategorisierungen und Konzeptualisierungen betrachtet werden, durch die Handlungen als Wahrnehmungstatbestände erst als Ausdruck der disposit i o n a l Verfaßtheit und Seinsbestimmtheit von Handlungssubjekten interpretiert werden. Nicht also der theoretische Charakter der Relationsbildung zwischen Wahrnehmungsmomenten verschwindet durch die Konstitution von Eigenschaften als Erklärungskonzept beobachteter Zusammenhänge, vielmehr wird die vermittelnde, Theorie lediglich von der Begründung der Ereignisrelation in die Bestimmung der Wahrnehmungsgegenstände selbst verlagert, so daß es scheinen mag, als wären die zunächst voneinander unabhängigen und in ihrem Bezug zueinander zu erklärenden Ereignisse im Kern Aspekte ein und derselben Eigenschaft. Diese 'Verlagerung' des impliziten Theorienbezugs hat nun aber, wie gesagt, zur Konsequenz, daß die Frage, ob unter Bezug auf das jeweils angelegte dispositional Konstrukt tatsächlich wesentliche Strukturen der in Frage stehenden Ereignisse erfaßt worden sind, gar nicht mehr gestellt werden kann. Nicht im Vorliegen oder Fehlen theoretischer Erklärungen, sondern in der Offensichtlichkeit der theoretischen Konstituiertheit besteht der Unterschied zwischen den beiden dargestellten Möglichkeiten, Zusammenhangsvorstellungen und Ereignisverknüpfungen zu begründen. Dies aber hat unter Bezug auf die Frage nach der Kritisier- und Entwickelbarkeit der verschiedenen zusammenhangsaufschließenden Erklärungstypen und der darin zugrunde gelegten Bezüge der Theorie zur Empirie dieselbe Konsequenz, wie sie für die Relationen im Sinne von Prämissen-Gründe-Zusammenhängen aufgezeigt haben: Im Gegensatz zu den mehr oder weniger explizit als theoretisch konstituierten Verknüpfungen unabhängiger Ereignisse, die im Zuge der praktischen Umsetzung daraus hervorgehender Handlungsmöglichkeiten und der daraus zu ziehenden praktischen Erfahrungen prinzipiell auch an der Realität scheitern können, erweist sich eine dispositional begründete Ereignisverknüpfung aufgrund ihresfcegnjfjfrimplikativenCharakters a priori als immun gegenüber jedweder Art empirisch-praktischer Befunde (vgl. dazu Holzkamp, 1988a): Sie läßt sich durch empirische Befunde weder bestätigen noch widerlegen. Im Fall einer hypothesenwidrigen Realisierung kann damit nur die Frage gestellt werden, ob im vorliegenden Fall tatsächlich die postulierten Eigenschaften manifest geworden sind, oder ob noch weitere, ggf. zusätzliche Sonderbedingungen angenommen und hinzugezogen werden müssen, aufgrund derer sich die im Eigen,ycfta/fo-Handlungs-Zusammenhang postulierte Relation nicht bzw. nicht so, wie erwartet, durchsetzen konnte. In Frage gestellt werden damit also

235 lediglich die hier vorgefundenen 4Anwendungsbedingungen' bzw. die Art ihrer Erfassung, nicht jedoch das zugrunde gelegte dispositionstheoretische Konstrukt selbst. Dies aber hat zur Konsequenz, daß dem Zuschreibungsprozeß ebenso wie der dabei zugrunde gelegten Theorie jedwedes Korrektiv entzogen ist, durch das die Geltung der getroffenen Zusammenhangsaussagen kritisch hinterfragt werden könnte. Aus unserer früheren Darlegung ergibt sich für die Reinterpretation der Heiderschen Konzeption weiterhin, daß die darin beschriebenen Prozesse nur über die jeweils gesellschaftlich verfügbaren und dem Subjekt nahegelegten Denk- und Rezeptionsformen aufgefaßt werden können, womit die gesellschaftlichen Situationen und Handlungszusammenhänge berücksichtigt werden müssen, in denen eine personalisierende Sicht in besonderer Weise nahegelegt ist. Für die weitere Reinterpretation hat dies zur Konsequenz, daß die Heiderschen Analysen von Lebens- und Zuschreibungszusammenhängen daraufhin untersucht werden müssen, ob darin Hinweise darauf gefunden werden können, wie die in der 'naiven Handlungsanalyse' dargestellten Erkenntnis- und Fragebeschränkungen von den Zuschreibungssubjekten überwunden werden können. Damit läßt sich nun eine Perspektive formulieren, aus der Eigenschafts- und Dispositionszuschreibungen weniger unter dem Aspekt ihrer ggf. empirisch nachweisbaren 'Formen' interessieren: Es ist vielmehr nach den Strukturen und Aspekten zu fragen, durch die sowohl die Aufrechterhaltung als auch die Überwindung personalisierender Selbst- und Weltsichten vom Subjektstandpunkt aus möglich und begründet erscheinen. Aus dieser Problemsicht wird deutlich, daß die von Holzkamp (1988a) problematisierte Vorstellung konstanter Persönlichkeitsmerkmale und Eigenschaften als Konzeption der Ausklammerung von Handlungsgründen und Bedeutungszusammenhängen nicht nur innerhalb der wissenschaftlich-psychologischen Theorienbildung, sondern auch innerhalb des Alltagsdiskurses aufgewiesen werden kann. Dabei käme der wissenschaftlichen psychologischen Theorienbildung unserer Auffassung nach die Funktion und Aufgabe zu, diejenigen Umstände herauszuarbeiten, die eine derartig konzeptualisierte Zusammenhangssicht der je eigenen sachlich-sozialen Handlungszusammenhänge nahelegen, und dabei deren problematische Implikationen für die Bewältigung der jeweiligen Lebenspraxis aufzuzeigen. Dies setzt allerdings voraus, daß die wissenschaftliche Analyse nicht nur die jeweils konkrete situations- und fallbezogene subjektive Funktionalität vereigenschaftender Common-sense-Vorstellungen herauszuarbeiten

236 in der Lage ist, sondern darüber hinaus derartigen Zusammenhangssichten und Hypostasierungen von Tersönlichkeitseigenschaften' die Analyse der tatsächlichen Begründungszusammenhänge entgegenzustellen vermag. Aus derartigen Analysen müssen nun aber auch für die Zuschreibungssubjekte selbst diejenigen Konsequenzen für die Entwicklung von Handlungs- und Eingriffsmöglichkeiten deutlich und nachvollziehbar werden können, die mit der zunächst nahegelegten personalisierenden Sicht auf die fraglichen Handlungszusammenhänge verbunden sind. Eine wissenschaftliche Analyse von Alltagstheorien und Alltagskonstrukten, wie sie mit der 'naiven Handlungsanalyse' von Heider initiiert wurde, muß damit im Zuge ihrer Weiterentwicklung gerade nach den Verhältnissen fragen, in denen die Ausblendung der Handlungszusammenhänge nahegelegt ist oder aber deren Unkenntnis nicht überwindbar erscheint, so daß mit der Explikation dieser Verhältnisse nicht nur die sich daraus ergebenden Verkürzungen in der Rezeption von Wirklichkeit, deren praktische Konsequenzen für die intersubjektive Verständigung, sondern auch Möglichkeiten zur Überschreitung derartiger problematisch werdender Alltagstheorien aufgewiesen und analysiert werden können. Entsprechend sind die dargestellten Vereigenschaftungen als empirisch aufzuklärende Phänomene nahegelegtalltäglicher Denkweisen über die je eigenen Handlungszusammenhänge zum Gegenstand der Analyse zu machen, nicht aber selbst bereits als wissenschaftliche Konzepte der Aufklärung dieses Gegenstandes zu verstehen. - Ich komme darauf zurück.

9.4. Explikation der den Experimenten zum Kovariations- und Konfigurationsprinzip zugrundeliegenden prinzipiellen Erkenntnisbeschränkungen hinsichtlich der Aufklärung darin verborgener Zuschreibungsprämissen. Grenzen der begründungstheoretischen Reinterpretation Wie sich bereits im Zuge der Darstellung der von Kelley entwickelten kovariations- und konfigurationstheoretischen Begründung der Genese von Zusammenhangserklärungen und Ereignis-Ursache-Zuschreibungen ergab, konnte die darin zunächst behauptete prinzipielle theoretische Differenz zwischen den sich auf Einzel- und auf Mehrfachbeobachtungen stützenden

237 Kausalerklärungen nicht aufrechterhalten werden. Sowohl die Frage, was an den beobachteten Ereignissen und Sachverhalten als mit vorausgehenden Beobachtungszusammenhängen vergleichbar angesehen werden kann, als auch die Frage, unter Bezug auf welche Dimensionen die zu erklärenden Phänome zu systematisieren versucht werden, erwachsen - wie etwa auf S. 137f dieser Arbeit ausführlich dargestellt - nicht aus den Beobachtungsdaten selbst, sondern lediglich aus den an sie herangetragenen theoretisch-kategorialen Vorstellungen und Konzepten. Schon aus der Explikation der Möglichkeitsbeziehung als Grundkonstellation des Vermittlungszusammenhangs von Subjekt und Welt ergibt sich, daß auch, wenn gesellschaftliche Denk- und Rezeptionsformen unmittelbar auf die in Frage stehenden Sachverhalte und Handlungen bezogen werden, deren theoretische Rekonstruktion nur als Realisierung individuell-gesellschaftlicher Zuschreibungs- und Stnjkturienmgsmöglichkeiten vollzogen werden kann, die mit den jeweiligen Erkenntnis- und Lebensinteressen der Zuschreibungssubjekte in einem mehr oder minder bewußten Zusammenhang stehen. Für die Reinterpretation der von Kelley beschriebenen Zuschreibungsmöglichkeiten ergibt sich daraus die Konsequenz, daß die darin explizierte Strukturierung nicht als allgemeiner Prozeß der Rekonstruktion von Handlungs- und Ereignisursachen, sondern nurmehr als eine der Möglichkeiten der Übernahme gesellschaftlich vorstrukturierter Denkund Bewältigungsmöglichkeiten durch das Zuschreibungssubjekt angesehen werden kann. Für die Analyse und Beschreibung von Zuschreibungsprozessen ergeben sich daraus zweierlei Konsequenzen: Für den Fall, daß die von Kelley beschriebenen Informations- und Zuschreibungsdimensionen tatsächlich von einem Zuschreibungssubjekt zur Strukturierung eines Ereignisses herausgehoben werden, lassen sich lediglich solche Ursachenerklärungen entwickeln, die von ihrer Struktur her als Implikationen begrifflicher Bestimmungen ausgewiesen werden können. Dabei bleibt aber offen, ob und in welchen Bedingungen dieser Fall tatsächlich vorliegt, also die von Kelley vorgeschlagene Strukturierung von den Zuschreibungssubjekten tatsächlich übernommen wird, bzw. welche Dimensionen zur Erklärung eines beobachteten Handlungszusammenhangs überhaupt akzentuiert und zur Grundlage der Erklärungen gemacht werden. Diese Frage schließlich kann nur wieder unter Bezug auf die mit der Zuschreibung verfolgten Intentionen und Interessen beantwortet werden und muß vor dem Hintergrund der gesellschaftlich verfügbaren Strukturierungs- und Denkformen als eine

238 dem Zuschreibungssubjekt nahegelegte Zusammenhangsvorstellung rekonstruiert werden. Daraus ergibt sich, daß an die mit der Kelleyschen Konzeption in Zusammenhang stehenden empirisch-experimentellen Untersuchungen die Frage herangetragen werden muß, ob sich darin ggf. Hinweise finden lassen, welche Lebensumstände und darauf bezogene Interessenzusammenhänge die von Kelley formulierte Strukturierung von Wahrnehmungszusammenhängen in besonderer Weise nahelegen und welche Handlungskonsequenzen sich ggf. aus derartigen - gegenüber möglichen anderen - Rekonstruktionen und Strukturierungen der Beobachtungs- und Handlungszusammenhänge für das Zuschreibungssubjekt und dessen Handlungsintentionen ergeben. Bezieht man diese Argumentation nun auf die damit in Zusammenhang stehenden Experimente, läßt sich etwa anhand der von Kun & Weiner (1973) durchgeführten Untersuchungen (vgl. S. 123 dieser Arbeit) verdeutlichen, daß die darin verfolgte Frage, ob und in welchem Maße die Bewältigung einer als 'schwer' bzw. 'leicht' beschriebenen Aufgabe unter Bezug auf das Erklärungskonzept 'Anstrengung' und/oder 'Fähigkeit' bezogen werde, letztlich gar nicht als ein in diesem Zuschreibungsexperiment empirisch offen gehaltener und damit experimentell zu prüfender Zuschreibungszusammenhang aufgefaßt werden kann, weil das Verhältnis der in der Versuchsanordnung zugrunde gelegten Erklärungskonzepte zur Beurteilung der Bewältigung von Leistungsaufgaben bereits als ein begriffsimplikatives aufgefaßt werden muß, das sich für alle kompetenten Sprachbenutzer vor jeder Erfahrung schon aus der zugrunde gelegten definitorischen Bestimmung ergibt (vgl. Brandtstädter, 1982). Darin nämlich ist das Verhältnis zwischen den als 'leicht' bzw. 'schwer' zu bezeichnenden Aufgaben so bestimmt, daß die als schwer bezeichneten Aufgaben nur durch die Gleichzeitigkeit von 'Anstrengung' und 'Fähigkeit' bewältigt werden können, wohingegen sich die als leicht zu bezeichnenden Aufgaben gerade dadurch auszeichnen, daß sie entweder durch 'Anstrengung' oder durch 'Fähigkeit' bewältigt werden können. Mit einer experimentellen Operationalisierung, in der nicht nur die Aufgabenstellung und -bewältigung aus einem tatsächlichen Handlungszusammenhang und intentionalen Kontext herausgelöst worden ist, sondern auch die abzugebenden Erklärungen der Zuschreibungssubjekte nicht mit deren realen Lebens- und Handlungszusammenhang vermittelt sind, und somit die Abgabe von Ereigniserklärungen für die Zuschreibungssubjekte nicht als subjektiv bedeutsam angesehen werden kann, läßt sich die empirisch

239 offene und für den Zuschreibungsprozeß an sich relevante Frage danach, warum und aus welchen Gründen gerade diese Daten und Informationsdimensionen aus einem Wahrnehmungszusammenhang herausgehoben wurden, nicht mehr untersuchen9: Indem mit der experimentellen Anordnung, den Instruktionen des Versuchsleiters und den vorgegebenen Antwortkategorien nicht nur die verfügbaren Informationen dahingehend reduziert worden sind, daß lediglich die vom Versuchsleiter avisierten Attributionsdimensionen realisiert werden können, sondern auch die Zuschreibungsdimensionen unabhängig von den mit der Zuschreibung verfolgten Interessen der Zuschreibungssubjekte vorab festgelegt worden sind, können die experimentell gesetzten Zuschreibungsbedingungen und -aufforderungen nurmehr als reduzierter Aspekt des spezifischen Bedeutungszusammenhangs reformuliert werden, zu denen sich die Vpn auch dann noch bewußt 'verhalten', wenn ihnen aufgrund der im Experiment hergestellten Künstlichkeit und Kontextentbundenheit kaum ein begründbares Kriterium zur Verfügung steht, wie die Zuschreibungsbedingungen mit den eigenen Lebensinteressen in Beziehung gebracht werden können: In einer solchen Situation der radikalen Reduktion der angebotenen Handlungsprämissen bleibt den Vpn gewissermaßen nichts anderes übrig, als freiwillig und relativ kriterienlos die Aufforderungen des Versuchsleiters und die vorgegebenen Zuschreibungsdimensionen zu übernehmen oder auf eine theoretisch nur unter Bezug auf diese Experientalsituation zu analysierende Weise dagegen blinden Widerstand zu leisten. Die Übernahme der von den ^ Ähnliche Probleme konnte Allmer (1989, 23fl) auch bei Untersuchungen feststellen, die beimehr oder weniger in natürlichen Sachverhalten, etwa der Ursachenerklärung von Schülerleistungen, durchgeführt wurden. Diejenigen Untersuchungen, die geschlossene Fragetechniken anwendeten und die Vpn dazu aufforderten, in einer vorgelegten Urteilsliste auf einer mehrstufigen Skala Einschätzungen über die jeweilige Relevanz der einzelnen Ursachenfaktoren vorzunehmen, stehen demnach vor dem Problem, daß nicht gesichert werden kann, ob die darin angesprochenen Ursachenfaktoren tatsächlich auch für die Betroffenen selbst aus deren subjektiver Problemsicht als angemessene Strukturierung des zu erklärenden Sachverhalts angesehen werden. Auch bei den sogenannten offenen Fragetechniken, bei denen die erhaltenen Antworten erst nachträglich durch die Untersucher auf die klassischen Ursachendimensionen bezogen werden, zeigten sich ähnliche Probleme. Hier stellte sich heraus, daß „ [..] es neben den klassischen Ursachenfaktoren eine Reihe ganz verschiedener Ursachenfaktoren gibt, denen das zweidimensionale Ursachenschema nicht gerecht wird. Die Annahme, daß durch die vier Ursachenfaktoren das gesamte Spektrum potentieller Ursachenerklärungen abgebildet werden könnte, bestätigte sich nicht [..] Die Nichtberücksichtigung dieses Sachverhalts, d.h. die extreme Einschränkung des Ursachenspektrums, die auch noch in jüngster Zeit zu beobachten ist, beinhaltet die Gefahr, nichts anderes als artifizielle Untersuchungsbefunde zu produzieren" (ebd. 25).

240 Versuchsleitern geforderten Zuschreibungsdimensionen, wie sie etwa in den vorgegebenen Antwortkategorien repräsentiert sind, stellen sich den Vpn in einem solchen Zusammenhang also tatsächlich als in einer besonderen Weise nahegelegt dar und zwar deswegen, weil schon aufgrund der experimentellen Künstlichkeit und subjektiven Unvermittelbarheit keine sinnvoll erscheinenden Alternativen bestehen. Aufgrund dieser in der Struktur der durchgeführten Experimente bereits angelegten Akzentuierung von Zuschreibungsdimensionen lassen sich weder die Gründe noch die Prämissen rekonstruieren, durch die die Übernahme von bzw. die Kritik an der von Kelley oder anderen Theoretikern explizierten bzw. von Kun & Weiner oder anderen Experimentatoren operationalisierten gesellschaftlich verfügbaren Denk-, Rezeptions- und Erklärungsmöglichkeiten der Handlungserklärungen der Subjekte verständlich gemacht werden könnte. Vielmehr ist mit dieser Operationalisierung bereits eine Strukturierung der Wahrnehmungs- und Erklärungszusammenhänge gesetzt, durch die eine theoretische Vereindeutigung der zu beurteilenden Situationen und Handlungszusammenhänge nahelegt ist, womit sowohl die Frage, welche Umstände die Übernahme gesellschaftlich nahegelegter Denk- und Strukturierungsmöglichkeiten subjektseitig nahelegen, als auch die Frage, was die Kritik einer solchen Strukturierung von Handlungs- und Beobachtungszusammenhängen zu begründen vermag, durch das Raster des experimentellen Settings fallen müssen.

9.5. Kritik der scheinbaren empirischen Ausgewiesenheit der Theorie korrespondierender Inferenzen und darin formulierter Zusammenhangsbehauptungen Bevor an dieser Stelle nun auch die für die Theorie korrespondierender Inferenzen geltend zu machenden Erkenntnismöglichkeiten sowie die darin zu bestimmenden Erkenntnisgrenzen näher untersucht und ggf. im Zuge der Reformulierung und Reinterpretation in die zu entwickelnde eigene Gesamtkonzeption überführt werden können, muß zunächst ein anderer Aspekt untersucht werden: Wie bereits bei der Darstellung der Theorie korrespondierender Inferenzen herausgehoben, markiert dieser Ansatz innerhalb der Entwicklung attributionstheoretischer Konzeptionen auch inso-

241 fern eine Art 'Wendepunkt' der Theorienentwicklung, als von ihr der Anspruch auf die Entwicklung eines theoretischen und konzeptionellen Gesamtentwurfs nicht mehr erhoben wird. Gegenüber der Konzeption von Heider, aber auch gegenüber dem Ansatz von Kelley muß die Theorie korrespondierender Inferenz vielmehr als Versuch verstanden werden, empirisch gehaltvolle Einzelhypothesen und -aussagen über attributionsbezogene Handlungs- und Ereigniserklärungen zu entwickeln, diese der empirisch-experimentellen Prüfung zu unterziehen und auf diesem Wege Theorienentwicklung als 'cumulative experimental research' zu betreiben. Vor diesem Hintergrund sind von der Theorie korrespondierender Inferenz Hypothesen vorgelegt worden, die als empirisch gehaltvoll behauptet und dementsprechend der experimentellen Prüfung unterzogen wurden, und deren Resultate von den Verfassern dieser Konzeption als empirische Belege zugunsten der Theorie korrespondierender Inferenz interpretiert worden sind. Weil, wie schon oben angedeutet, der empirische Charakter dieser Konzeption zumindest als zweifelhaft angesehen werden muß, stellt sich vor ihrer möglichen Aufarbeitung und Reinterpretation zunächst die Frage nach der Struktur der darin getroffenen Aussagen und ihrer Bezüge zur beanspruchten Empirie. Bereits Brandtstädter (1982) wies auf, daß die Theorie korrespondierender Inferenz entgegen ihrer üblichen Lesart nicht als hypothesenempirisches Forschungsprogramm verstanden werden könne, sondern sich vielmehr auf bestimmte begriffsstrukturtelle Implikationen reduzieren lasse. Diese Theorie, so die zentrale These der Kritik Brandtstädters, müßte, soweit sie in dem von ihr betrachteten Ausschnitt eine gültige Beschreibung des Sprachgebrauchs (zumal kompetenter Sprachbenutzer) liefern will, in ihren Zusammenhangsbehauptungen auf geltende Sprachregeln zurückgeführt werden können" (ebd., 270). Wenn aber diese Hypothesen schon von ihrer logischen Struktur her gar nicht als empirische Aussagen formuliert seien, könne es sich, so Brandtstädter, bei ihrer Überführung in experimentelle Anordnungen lediglich um 'vermeintliche Prüfungen' an sich analytischer, d.h. implikativer Bestimmungen, nicht aber wirklich um die empirische Prüfung inhaltlichtheoretischer Allgemeinaussagen handeln. Demnach kann das, was als empirische Basis der Theorie korrespondierender Inferenzen behauptet wird, tatsächlich nur als eine Veranschaulichung sprachlich-struktureller Implikationen angesehen werden, womit sich entsprechend 'abweichende' empirische Realisierungen nicht als Widerlegungen dieser Theorie auffas-

242 sen lassen, sondern als 'Verstoß' gegen geltende Sprachregelungen und damit entweder auf das 'mangelnde Geschick' des Untersuchers oder aber auf 'mangelnde Sprachkompetenz' der Vpn zurückgeführt werden müssen, ohne daß daraus jedoch Schlüsse über die empirische Bewährung respektive Falsifikation derart gefaßter sprachlich-implikativer Konstruktionen gezogen werden könnten. Zur Begründung dieser Fundamentalkritik an der empirischen Basis und der Ausgewiesenheit dieser Konzeption werden von Brandtstädter Aussagen der Begründer und Protagonisten dieser Theorie herangezogen, die im Anschluß an eine Darstellung einer Reihe empirisch-experimenteller Bearbeitungen ihrer Konzeption selbst feststellen: „Correspondent inference theory is essentially a rational baseline-model. It does not summarize phenomenal experience; it presents a logical calculus in terms of which accurate inference could be drawn by an alert perceiver weighing knowledge, ability, noncommon effects, and prior probability. [...] the theory cannot be invalidated by experimental results any more than game theory can be invalidated by the choices of player's in a prisoner's dilemma game" (Jones & McGillis, 1976,404, Herv. R. F.). Gleichwohl aber werden die sich aus dieser Einsicht ergebenden Konsequenzen von den Autoren selbst weder hier noch an anderer Stelle ihrer Konzeption reflektiert. Da aber der Versuch eines attributionstheoretischen Gesamtentwurfs von der Theorie korrespondierender Inferenzen gerade mit dem Ziel aufgegeben worden ist, allein prüfbare Aussagen und Hypothesen zuzulassen, muß Brandtstädters Kritik gewissermaßen als ein Frontalangriff auf die von dieser Konzeption beanspruchte Geltungsbegründung gewertet werden. Indem der Empiriebezug einer theoretischen Konzeption mit der empirischexperimentellen Prüfung gleichgesetzt wird, werden alle anderen davon zu unterscheidenden Bezüge zur Empirie, in denen Empirie nicht Prüffunktion, sondern konkretisierende Veranschaulichungs- und Beispielfunktionen zugesprochen werden (vgl. dazu etwa Markard, 1993b, 33ff, sowie Markard, 1995a, 61ff), schon vorab als überhaupt denkbare Möglichkeiten ausgeschlossen, so daß deren (Wieder-) Einbezug zugleich als Grundlage der ggf. möglichen und notwendig werdenden Reinterpretation des hier zur Diskussion stehenden Konzepts aufgefaßt werden können. Dazu wollen wir die von Brandtstädter vorgelegte Kritik auf die zentralen Hypothesentypen beziehen, die aus der Theorie korrespondierender Inferenzen als empirisch prüfbare Allgemeinaussagen formuliert wurden, und die logische Struktur in den dort gemachten Zusammenhangsaussagen

243 konkretisieren. Dabei ist zu bedenken, daß der hier zu entwickelnden Analyse im Rahmen dieser Arbeit eine generelle Funktion zugesprochen wird, was heißt, daß auf die hier mehr exemplarisch herangezogenen Analysen im Zuge der Aufarbeitung anderer Ansätze ausführlich zurückzugreifen ist. Aus der ursprünglichen Theorie von Jones & Davis (1965) ergeben sich folgende Hypothesen: Hla

Nur diejenigen Handlungen, bei denen der Beobachter hinreichende 'Wahlfreiheit' annehmen kann, gehen in die Zuschreibung von Intention und Disposition des Handelnden ein. Das Zustandekommen erzwungener Handlungen hingegen wird äußeren Zwangsverhältnissen zugeschrieben.

Hlb

Die Eindeutigkeit des Schlusses auf intentionale und dispositionale Momente des Handlungssubjekts hängt von der Zahl möglicher Handlungsalternativen und der Zahl ihrer nicht-gemeinsamen Effekte ab: Je größer die Zahl möglicher Alternativen und je geringer die Zahl nicht-gemeinsamer Effekte, desto eindeutiger kann von einer beobachteten Handlung auf Intention und Disposition des Handlungssubjekts geschlossen werden.

Hlc

Je stärker eine Handlung von der sozialen Erwünschtheit abweicht, desto sicherer wird das Zustandekommen einer Handlung der dispositionalen Verfaßtheit des Handlungssubjekts zugeschrieben.

Sofern die Geltung der Hypothesen Hla, Hlb und Hlc empirisch als gesichert angenommen werden kann, ergibt sich, so Jones & Davis, daraus die letztlich theorienkonstituierende Fundamentalhypothese Hl: Hl

Unter der Bedingung relativer 'Wahlfreiheit' von Handlungen sind Grad und Ausmaß dispositionaler Handlungserklärungen als inverses Verhältnis (a) der Zahl nicht-gemeinsamer Effekte von Handlungsalternativen und (b) der für diese Handlungseffekte angenommenen 'sozialen Erwünschtheit' bestimmt.

Über die sich aus der Konzeption von Jones & Davis ergebenden Hypothesen hinaus werden von Jones & McGillis (1976) noch zwei weitere Hypothesen aufgestellt. Zum einen könne der Beobachter neben der sozialen Erwünschtheit auch frühere Erfahrungen und Handlungen des Handlungssubjekts als Grundlage situationaler respektive dispositionaler Zuschrei-

244 bungen und Handlungserklärungen nutzen. Zum anderen aber lasse sich auch angeben, wann die impliziten Vorstellungen, auf die hin beobachtetes Verhalten bezogen würden, vom Beobachter selbst in Frage gestellt werden. Entsprechend lassen sich daraus die Hypothesen H2 und H3 formulieren: H2

Beobachtete Verhaltensweisen eines Handlungssubjekts, die systematisch von der angenommenen sozialen Erwünschtheit abweichen, werden der dispositionalen Verfaßtheit als überdauernde Verhaltensbereitschaft des Handelnden zugeschrieben. Können aber Verhaltensweisen beobachtet werden, die gegenüber früher beobachteten Verhaltensweisen des Handlungssubjekts gravierend abweichen, werden sie (unabhängig von ihrer sozialen Erwünschtheit) der besonderen Situation bzw. der spezifischen Bedeutung des aktuellen Handlungszusammenhangs für das Individuum zugeschrieben.

H3

Je größer die Diskrepanz zwischen beobachteten Verhaltensweisen und den darauf bezogenen Verhaltenserwartungen ist, desto stärker wird die Skepsis des Beobachters gegenüber den eigenen inhaltlichen Annahmen und Konstrukten, die als Referenzmaß und Grundlage dispositionaler Zuschreibungen genutzt werden. Überschreitet die Diskrepanz zwischen Verhaltenserwartung und tatsächlich beobachteter Handlung einen (nicht näher bestimmten) Schwellenwert, wird die Zuschreibung dispositionaler Besonderheiten zugunsten der Revision und Kritik der zugrundeliegenden Erwartungen aufgegeben.

Sofern sich diese Hypothesen nun von ihrer logischen Struktur her als analytische respektive begriffsimplikative Bestimmungen ausweisen ließen, müßten sie sich entweder als logisch wahre Sätze erweisen oder unter Bezugnahme auf terminologische Bestimmungen in logisch wahre Sätze überführen lassen. Dabei kann der Umstand als eine Art 'Priifkriterium' benutzt werden, daß echte empirische Zusammenhangshypothesen kein Ereignis - etwa aufgrund logischer oder terminologischer Regeln - von vornherein auszuschließen vermögen (vgl. Brandtstädter, 1982, 268). Beziehen wir diese Überlegung nun auf die Hypothese Hla und betrachten die begriffsstrukturellen Relationen, wie sie in den hier zugrunde gelegten Bestimmungen von 'Handlung', 'Intention' und 'ZwangsVerhältnis' angelegt sind. Dabei läßt sich feststellen, daß bereits mit dem umgangssprach-

245 liehen Handlungsbegriff ein Zusammenhang mit dem Intentionalitäts- und Zweckbegriff zugrunde gelegt wird: Auch in der umgangssprachlichen Bestimmung werden Handlungen als Repräsentation und Umsetzung von Intentionen und Zwecken des Handlungssubjekts begriffen, die dann und soweit verwirklicht werden, wie Verhältnisse vorausgesetzt werden können, in denen dem Handlungssubjekt die prinzipielle Möglichkeit gegeben ist, zwischen in unterschiedlichem Maße intentionswidrigen und -förderlichen Handlungsalternativen entscheiden zu können. 'Äußere Zwangsverhältnisse' lassen sich im Rahmen dieser Begriffsexplikation etwa gegenüber der Bestimmung von Intentionalität und Handlung als eine Bestimmung ex negativo herausheben, mit der gerade diejenigen auf einen Handlungszusammenhang bezogenen Lebensumstände gefaßt werden, in denen der eben aufgewiesene begriffsstrukturelle Zusammenhang von Intentionalität und Handlung, bezogen auf seine sachlichen Verweisungen, beoder verhindert wird und also auch über das Handlungsresultat nichts weiter ausgesagt werden kann. Mit dieser begrifflich-definitorischen Fassung ist also ein konzeptioneller Zusammenhang zwischen Handlung und Intentionen vorausgesetzt, der indes nur in dem Maß faktisch zur Geltung kommt, wie angenommen werden kann, daß sich das Handlungssubjekt in der Position befindet, zwischen verschiedenen Handlungsalternativen tatsächlich entscheiden zu können. Darüber hinaus ergibt sich, daß Handlungsentscheidungen vor allem anderen unter Bezug auf die damit intendierten und realisierbar erscheinenden Handlungsresultate und Handlungskonsequenzen vollzogen und umgesetzt werden, so daß sich deren Aufschließung und intersubjektive Verständlichkeit als Rekonstruktion der ihnen zugrundeliegenden intentionalen Struktur und Verweisung fassen läßt. Wird ein Handlungssubjekt aufgrund bestehender Zwangsverhältnisse zur Umsetzung intentionswidriger Handlungen genötigt oder aber massiv an der Umsetzung von Intentionen und Absichten in Handlungen gehindert, können die beobachteten Handlungen nurmehr als Hinweise auf die für das Handlungssubjekt bestehenden intentionsexternen Aspekte des Handlungszusammenhangs aufgefaßt werden. Bereits innerhalb der umgangssprachlichen Fassung des Handlungsbegriffs läßt sich also eine genuin intentionale Struktur aufweisen, die vorausgesetzt werden muß, wenn man sich über die den beobachteten Handlungen zugrundeliegenden Handlungsgründe zu verständigen sucht. Für alle am Experiment beteiligten sprachlich kompetenten Vpn, die diesen Zusam-

246 menhang zwischen Intentionalität und Handlung herzustellen vermögen, hat dies nun aber in bezug auf die Hypothese Hla zur Konsequenz, daß von ihnen, sofern sie 'Wahlfreiheit' zwischen den Handlungsalternativen unterstellen, beobachtete Handlungen als Realisation der Intentionen und Absichten des Handlungssubjekts aufgefaßt werden. Dabei ist es unter Bezug auf die Dimension der Person- respektive Situationszuschreibung zunächst unerheblich, ob die explizierbare intentionale Struktur einer Handlung von ihnen auf dispositionale und/oder motivationale Aspekte des Handlungssubjekts zurückzuführen versucht wird. Schon die Vorstellung aber, innerhalb einer experimentellen Prüfung würde sich die Gegenthese zu dem in Hla formulierten Zusammenhang als zutreffend herausstellen, macht deutlich, daß es sich bei ihrer Formulierung nur scheinbar um eine empirische Hypothese handeln kann: Vor dem Hintergrund der entwickelten terminologischen Zusammenhänge können hypothesenwidrige Zuschreibungsprozesse gar nicht als Widerlegung der Theorie, sondern nur als Vernachlässigung der für das Handlungssubjekt bestehenden Zwangsverhältnisse begriffen werden, womit allein deren Bedeutung für die in Frage stehende Handlungserklärung zur Disposition gestellt wäre. Strittig wäre damit nur, ob hier die Bedingungen/Prämissen für eine beobachtete Handlung vorliegen oder ob Handlungssubjekt und Beobachter tatsächlich von einer gemeinsamen, aus der Umgangssprache abgeleiteten terminologischen Basis ausgehen. In Frage stehen damit aber lediglich die Voraussetzungen der Anwendung dieser begriffsstrukturellen Bestimmung bzw. die Sprachkompetenz des Beobachters und nicht die Geltung der sich als analytische Bestimmung erweisenden Hypothese Hla, die somit gerade nicht als die hypothesenempirische Allgemeinaussage angesehen werden kann, als welche sie von der Theorie korrespondierender Inferenz angesehen wird. Nur am Rande soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß sich bezüglich der Frage danach, wie und in welcher Weise eine Verständigung über den Vollzug von Handlungen möglich ist, keine prinzipiellen Unterschiede daraus ergeben, ob eine beobachtete Handlung als intentionale Realisierung bestehender Handlungsalternativen oder aber auf die Existenz äußerer Zwangsverhältnisse zurückgeführt werden muß: Auch wenn äußerer Zwang im Rahmen der hier entfalteten umgangssprachlichen Begriffsexplikation als eine Bestimmung ex negativo gefaßt wurde, mit der vor allem anderen diejenigen Lebensumstände bezeichnet werden, in denen der Zusammenhang von Intentionalität und Handlung, bezogen auf die sach-

247 lich-sozialen Aspekte des Handlungsresultats, für das Handlungssubjekt faktisch nicht realisier- oder durchsetzbar ist, wird doch der Begründungsdiskurs als Modus der Verständigung über die jeweils vollzogenen Handlungen damit nicht prinzipiell aufgehoben: Aus dem Bestehen aktueller Zwangsverhältnisse ergibt sich innerhalb einer begründungstheoretischen Rekonstruktion von Handlungen nicht die Notwendigkeit des Übergangs etwa vom Begründungs- in den Bedingtheitsdiskurs; vielmehr ist hier nur auf eine für den je vorliegenden Fall relevante und besondere Prämissenlage verwiesen, unter Bezug auf welche auch der Vollzug einer solchen Handlung wiederum als begründet rekonstruiert werden kann. Weiter ist zu klären, ob sich auch die Hypothese Hlb als eine sprachlichstrukturelle Bestimmung erweist und damit in einen analytisch wahren Satz überführen läßt. Wie erinnerlich, wird in Hlb zunächst eine inhaltliche Bestimmung derjenigen Umstände angegeben, die eine Zuschreibung zur Person als Zuschreibung von Intention und/oder Disposition möglich machen. Die Eindeutigkeit - so wird behauptet - , mit der eine faktisch realisierte Handlung der Person des Handelnden zugeschrieben werden kann, hängt einerseits von der Zahl der dem Handlungssubjekt verfügbaren Handlungsalternativen und andererseits von den damit realisierbaren, unterschiedlichen Handlungseffekten ab. Der analytische Charakter des in Hlb formulierten Zusammenhangs wird indes dann unmittelbar ersichtlich, wenn man deren Negation zu formulieren versucht, die für alle kontingenten Sätze schon darum vorauszusetzen ist, weil nicht nur ihr empirischer Aufweis, sondern auch deren empirische Widerlegung vorstellbar sein muß, ohne daß die hypothetische Formulierung damit zugleich sinnlos würde (vgl. dazu Holzkamp, 1986,46f). Diese Bedingung trifft indes auch für Hlb nicht zu: Die Vorstellung, daß personenbezogene Zuschreibungen von Handlungen um so eindeutiger realisiert würden, je weniger Handlungsalternativen bestehen und als je geringer die Differenz zwischen den realisierbaren Handlungseffekten angesehen werde, kann wohl nur als sinnlose Aussage aufgefaßt wird, deren empirische Realisierung entsprechend von vorherein ausgeschlossen werden kann, ohne daß dies noch einer empirisch-experimentellen Untersuchung bedarf. Von dieser Explikation indes bleibt ein anderer Aspekt des hier thematisierten Zusammenhangs weitgehend unberührt: Die Frage nämlich, ob und inwieweit es anderen Subjekten im je konkreten Fall tatsächlich gelingt bzw. inwieweit von diesen überhaupt Anstrengungen dahingehend unternommen werden, ein beobachtetes

248 Ereignis als Handlung und damit als einen vom Subjekt selbst seinen Lebensinteressen gemäß 'hergestellten' Zusammenhang von Prämissen und Handlungsgründen zu realisieren, kann nur als eine empirisch offene, nicht aus dem hier vorgelegten begrifflichen bzw. logischen Strukturzusammenhang ableitbare Frage angesehen werden. Damit ist allerdings ein grundlegend anderer Aspekt des hier problematisierten Zuschreibungsprozesses angesprochen, auf den wir an anderer Stelle noch zurückkommen werden: Der Umstand, daß jedwede Handlung als eine vom Standpunkt des Handlungssubjekts subjektiv-funktionale, d.h. als eine am Maßstab der jeweiligen Lebensinteressen begründete Realisierung von Handlungsmöglichkeiten aufgefaßt werden muß, kann nicht zugleich dahingehend ausgedeutet werden, daß dies in jedem Fall und von allen Zuschreibungssubjekten auch so zu realisieren versucht würde. Für unsere weitere Argumentation ist der früher herausgearbeitete Umstand zu berücksichtigen, daß nicht nur Handlungen, sondern auch Handlungserklärungen als intentionale Äußerungen und inhaltliche Stellungnahmen vom Standpunkt der Lebensinteressen des Zuschreibungssubjekts aufgefaßt werden müssen. Vor diesem Hintergrund muß die von den verschiedenen Vertretern der Theorie korrespondierender Inferenz weitgehend geteilte Vorstellung einer konzeptionellen Gleichsetzung von Intentionalität und Dispositionals noch in einer ganz anderen Weise wieder aufgegriffen werden. Dabei bietet die bereits ausgeführte subjektive Funktionalität der Zuschreibung von Dispositionen und Wesenseigenschaften als Möglichkeit des Abschneidens von weitergehenden Fragen nach Handlungsgründen den zentralen Ansatzpunkt für die konzeptionelle Kritik. Entgegen der in Hypothese Hlb enthaltenen Vorstellung einer inhaltlich-theoretischen Gleichsetzung intentionaler und dispositionaler Handlungserklärungen läßt sich an dieser Stelle nämlich zusammenfassend feststellen, daß die Frage, ob eine beobachtete Handlung vom Zuschreibungssubjekt als eine intentional begründete oder aber als eine von persondispositional Eigenschaften 'verursachte' gehalten wird, als eine empirisch offene Frage angesehen werden muß, die indes vom Standpunkt der Theorie korrespondierender Inferenz aufgrund ihrer Gleichsetzung von Intentionalität und Dispositionalität und der daraufhin entwickelten Begrifflichkeit weder gestellt noch beantwortet werden kann. Sie läßt sich als empirische Frage nur dann reflektieren, wenn der Standpunkt des Zuschreibungssubjekts selbst als ein intentionaler gefaßt und mit dem Stand-

249 punkt und den Intentionen der Handlungssubjekte in Beziehung gesetzt wird. Diese damit gerade auch für die vorgebrachten Handlungserklärungen geltend zu machende intentionale Strukturiertheit sowie der nur empirisch zu bestimmende gesellschaftliche Vermittlungszusammenhang, in dem Handlungen und Handlungserklärungen tatsächlich zueinander stehen, kann jedoch innerhalb der Theorie korrespondierender Inferenz nicht weiter reflektiert werden. Vor dem Hintergrund der bisher geleisteten Analyse der Teilhypothesen Hla und Hlb kann nun auch die Teilhypothese Hlc näher betrachtet werden. Wie erinnerlich, behaupten Jones & Davis, daß personenbezogene dispositional Zuschreibungen um so 'sicherer' seien, je deutlicher der Beobachter eine Diskrepanz zwischen der von ihm beobachteten Handlung einerseits und der von ihm als 'sozial erwünscht' angesehen Handlungsweise feststellen könne. Der Grad der 'sozialen Erwünschtheit' soll demnach in einem inversen Verhältnis zur Sicherheit der Produktion disposit i o n a l Handlungs- und Eigenschaftszuschreibungen stehen. Aus dieser Zusammenfassung geht nun aber hervor, daß es in dieser Hypothese gar nicht (mehr) um den Attributionsprozeß selbst geht. Vielmehr ist dabei und in den anschließenden Forschungsbemühungen bereits vorausgesetzt, daß der Beobachter eine Handlung auf persondispositionale Konzepte und situationsübergreifende Seinsbestimmungen bezieht. Bedenkt man aber, daß Verhaltensbeobachtungen mit dem Konzept der 'sozialen Erwünschtheit' auf Vorstellungen von sozialer Normalität und Abweichung bezogen werden, läßt sich die in Hlc formulierte Aussage dahingehend reformulieren, daß nur diejenigen Handlungen überhaupt Gegenstand dispositionaler Handlungserklärungen werden, die von gesellschaftlich-sozialen Normvorstellungen abzuweichen scheinen. Anders formuliert: Handlungen und Verhaltensweisen, die als 'sozial erwünscht' angesehen werden und also den jeweiligen Vorstellungen von sozialen Normen entsprechen, von denen also angenommen werden kann, daß sie von mehr oder weniger allen Menschen so oder in ähnlicher Weise vollzogen werden, erfordern keine persondispositionalen Erklärungen und Eigenschaftszuschreibungen: Sie erscheinen i.d.R. auch gar nicht als erklärungsbedürftig. Damit zeigt sich, daß die Aussage, dispositionale Konstrukte würden um so sicherer mit Handlung in Verbindung gebracht, je deutlicher diese von zugrundeliegenden eigenen Vorstellungen ihrer 'sozialen Erwünschtheit' abweichen, bereits als Implikat der Erklärungsbedürftigkeit von Handlungen angesehen werden muß. Die Frage indes, ob und warum

250 Handlungen überhaupt vermittels von Dispositionen zu erklären versucht werden, welche alternativen Konzepte den Zuschreibungssubjekten wann zur Verfügung stehen, aber auch die Frage danach, ob und in welchen Fällen dispositionale Erklärungen überhaupt angemessen sind, läßt sich vor dem Hintergrund des in Hlc formulierten Zusammenhangs nicht thematisieren. Auch dieser Aussagenzusammenhang ist also letztlich nicht als einschlägig für die Frage nach der Genese und Struktur von Zuschreibungen zur Person des Handelnden zu betrachten. Hier wird lediglich 'alltagstheoretisch' expliziert, welche Handlungen und Verhaltensweisen überhaupt erklärungsbedürftig erscheinen und welches Verhältnis zwischen Handlungen und Verhaltenserwartungen konzeptionell vorausgesetzt werden muß, damit ihre Erklärung vermittels dispositionaler Konstrukte sinnvoll erscheinen kann. Mit dieser Analyse der inhaltlich-thematischen und logischen Strukturen der Teilhypothesen Hla, Hlb und Hlc, die sich entgegen ihrem behaupteten empirischen Charakter lediglich als Implikationsaussagen und logischanalytische Sätze erwiesen, wird deutlich, daß auch die daraus abgeleitete Kernhypothese Hl als eine terminologische Differenzierung geltender Sprachregeln aufgefaßt werden kann. Diese Position wird auch in der von Brandtstädter (1982, 269) vorgelegten Analyse und Kritik vertreten und exemplarisch unter Bezug auf das umgangssprachliche Konzept der 'Aggressivität' als personalem Dispositionsprädikat verdeutlicht: Wer, so führt Brandtstädter (270) aus, „z.B. einer Person P das Prädikat 'aggressiv' (im Sinne einer überdauernden Disposition) zuschreibt, der sagt damit nach geltendem Verständnis u.a., daß P aggressives Verhalten schon unter situativen Umständen zeigt, die im interindividuellen Vergleich einen eher geringen 'Anreiz'- bzw. Vorhersagewert für aggressives Verhalten haben. Eben dies entspricht der in der TCI [Theorie korrespondierender Inferenz, R.F.] behaupteten inversen Beziehung zwischen der 'Prognostizität' eines situativen Kontextes für ein bestimmtes Verhalten und der 'Diagnostizität' des betreffenden Verhaltens für eine korrespondente überdauernde Disposition. [...] Eine Versuchsperson, die entgegen der TCI - jemand z.B. als (im dispositional Sinne) nichtaggressiv oder friedfertig bezeichnet, der schon bei geringstem Anlaß gewalttätig reagiert, verstößt nicht gegen ein theoretisch unterstelltes Verlaufsgesetz, sondern gegen eine Sprachregel. Der Fehler läge in diesem Fall nicht auf der Annahmeseite, sondern auf Seiten des Handlungssubjekts."

251 Wiewohl sich durch Brandtstädters Analyse verdeutlicht, daß es sich bei der von Jones & Davis entwickelten Konzeption nicht um ein System empirischer Sätze, sondern um eine der empirischen Prüfung weder fähige noch bedürftige Begriffsimplikation handelt, muß doch hervorgehoben werden, daß dabei von Brandtstädter die entscheidende implizite Grundannahme der Theorie korrespondierender Inferenz umstandslos übernommen wurde, die besagt, daß das Zustandekommen von Handlungen und Ereignissen unter Rückgriff auf persondispositionale Eigenschaften erklärbar wird. Diese für eine attributionale Theorie wohl letztendlich entscheidende Annahme kann im Kontext der Brandtstädterschen Analyse deswegen nicht hinterfragt werden, weil hier bereits vorausgesetzt wird, daß eine persondispositionale Zuschreibung, z.B. des Prädikats 'aggressiv', vorliegt. Daß und aus welchem Grund jedoch eine solche Zuschreibung von einem Subjekt für angemessen gehalten wird, muß jedoch als eine empirische Frage angesehen werden, deren Klärung sich nicht allein aus begriffsund sprachanalytischen Rekonstruktionen bereits realisierter Eigenschaftszuschreibungen ergibt. Das gleiche gilt auch für die Frage, welche Funktion ein solcher Erklärungstyp für das Zuschreibungssubjekt bei der Bewältigung seines Lebens Vollzugs zu übernehmen vermag: Auch dabei handelt es sich um eine empirische Frage über den Zusammenhang zwischen der Realisierung eigener Denk- und Handlungsmöglichkeiten durch das Zuschreibungssubjekt und der Art und Weise, in der es die für sich bedeutungsvollen Handlungen anderer aufzuschließen versucht. Mit dieser Überlegung wird die Geltung der Kritik Brandtstädters aber nicht in Frage gestellt. Vielmehr soll damit nur auf einen weiteren Punkt verwiesen werden, der von der Theorie korrespondierender Inferenz hätte reflektiert und erklärt werden müssen: Wie, warum und unter welchen Umständen ein beobachteter Sachverhalt nämlich überhaupt auf dispositionale Konstrukte bezogen wird. Dabei ist es für unseren Argumentationszusammenhang von entscheidender Bedeutung, daß gerade die Frage, welche Rekonstruktions- und Rezeptionsformen von Beobachtungs- und Handlungszusammenhängen im Prozeß der Ursachenattribution tatsächlich realisiert werden, sich nicht als Implikation des jeweiligen Erklärungsmusters ergibt, sondern demgegenüber vielmehr als eine tatsächlich empirisch offene Frage aufgefaßt werden muß, zu der von der Theorie korrespondierender Inferenz keinerlei inhaltliche Hypothesen vorgelegt werden konnten. Um derartige Hypothesen formulieren zu können, muß nämlich die Perspektive, aus der heraus eine Zuschreibung vollzogen wird, so in Bezug zu dem beobachteten Sachverhalt gebracht werden, daß die Funktionalität

252 von Zuschreibungsweisen für die Zuschreibungssubjekte selbst mit erfaßt wird und sich kritisch auf den zu erklärenden Sachverhalt hin beziehen läßt. Dies setzt - wie gesagt - aber voraus, daß vom Standpunkt des Zuschreibungssubjekts der Vermittlungszusammenhang zwischen dessen eigenen Urteils- und Bewältigungsweisen und den darin eingeschlossenen Erklärungsformen des Handelns anderer Subjekte konzeptualisiert wird. Bevor jedoch der von der Theorie korrespondierender Inferenz behauptete Aussagenzusammenhang insgesamt als ein System sprachimplikativer und damit nicht-empirischer Sätze und Annahmen ausgewiesen werden kann, in dem die für den attributionalen Prozeß zentralen empirischen Fragen unzugänglich und unerklärt bleiben, müssen auch die sich aus der Konzeption und Differenzierung von Jones & McGillis ergebenden weiteren Hypothesen (H2 und H3) auf ihren logischen respektive hypothesenempirischen Charakter hin überprüft werden. In der Hypothese H2 wird der Anwendungsbereich dieser Konzeption dahingehend auszuweiten versucht, daß individuelle Verhaltensweisen auch unabhängig von der ihnen unterstellten sozialen Erwünschtheit Gegenstand eines dispositional Zuschreibungsprozesses werden können, wenn der Beobachter Kenntnisse und Erfahrungen über das Verhalten des Handlungssubjekts in vergleichbaren Situationen und Handlungszusammenhängen von früher her hat: Läßt sich eine Verhaltensweise beobachten, die gegenüber früher beobachteten Verhaltensweisen des Handlungssubjekts gravierend abweicht, wird demnach diese Abweichung vom Beobachter auf besondere situationale Umstände respektive die besondere Realisierung von situationalen Bedeutungszusammenhängen zurückgeführt, die für die beobachtete Verhaltensänderung als ursächlich angesehen werden. Bei Anwendung der von Brandtstädter formulierten Prüfkriterien scheint es zumindest auf den ersten Blick möglich zu sein, aus dem in H2 formulierten Zusammenhang sowohl hypothesenkonforme als auch hypothesenwidrige Aussagen abzuleiten, die nicht schon aus sprach-logischen Gründen als sinnlose Sätze ausgeschlossen werden müssen. Zur Verdeutlichung sollen zwei mögliche Anwendungsfälle dieser Hypothese dargestellt werden: Angenommen, ein als besonders ruhig und hilfsbereit bekannter Seminarleiter, der bisher jeder studentischen Frage ausführlich und freundlich nachzukommen versuchte, könnte dabei beobachtet werden, daß er entgegen seiner sonst bekannten Umgangsform eine Frage abblockt und zu deren Klärung keinerlei Zeit zu haben behauptet. Hier wäre es vorstellbar, daß ein Beobachter dieses gravierend abweichende Verhalten des Seminar-

253 leiters durchaus dessen besonderer situationalen Eingebundenheit (etwa zwischen zwei dringenden Sitzungen, vor einer großen Zahl mündlicher Prüfungen u.a.m.) und nicht der Person und dessen Verhältnis zu den Seminarteilnehmern zuschreiben wird. Ebenso aber, wie sich eine hypothesenkonforme Zurückführung gravierend abweichender Verhaltensweisen auf situationale Faktoren denken läßt, ist auch ein Zuschreibungsprozeß und -resultat vorstellbar, in dem gerade das Gegenteil der in der Hypothese H2 formulierten Zuschreibungstendenz realisiert wird, etwa indem angenommen wird, daß ein Beobachter das Abblocken studentischer Fragen der Person des Seminarleiters und nicht den situationalen Umständen zuschreibt. So könnte der Beobachter etwa davon ausgehen, daß mit dieser von einem Studenten gestellten Frage die Grenze der Toleranz des Seminarleiters weit überschritten worden sei, bis zu der er studentischen Fragen ausführlich nachzukommen bereit ist. Mit dieser personenbezogenen Zuschreibung werden für den Beobachter Fragen nach der aktuell vorliegenden Situation bzw. deren subjektive Bedeutung für den Seminarleiter in die Erklärung des beobachteten Verhaltens gar nicht mehr einbezogen, sondern es wird im Gegenteil vielmehr angenommen, daß sich der Seminarleiter so verhalten habe, wie er es immer tun würde, wenn er mit einer ähnlichen studentischen Frage konfrontiert wäre. Vor dem Hintergrund der Brandtstädterschen Argumentation, daß hypothesenempirische Problemstellungen nicht schon aufgrund ihrer terminologischen Bestimmung bestimmte empirische Realisierungen vor jeder Erfahrung ausschließen, könnte also der in H2 formulierte Zusammenhang tatsächlich als empirisch prüfbarer Aussagetyp interpretiert werden. Fraglich dabei ist allerdings zum einen, was in Hypothese H2 als empirisch offener und damit der empirischen Untersuchung zugänglicher Zusammenhang angesehen werden kann. Daraus ergibt sich zum anderen die Frage, ob das von Brandtstädter formulierte Prüfkriterium tatsächlich als hinreichend dafür angesehen werden kann, 'echte' hypothesenempirische Aussagetypen zu identifizieren und gegenüber analytischen Sätzen abzugrenzen. Die gängige fallibilistische Argumentations- und Begründungslogik setzt zwar auf der einen Seite voraus, daß die zu testende Hypothese als eine prinzipiell auch widerlegbare Aussage formuliert ist, gleichzeitig muß die zu prüfende Hypothese aber auch dahingehend spezifiziert und im empirisch-experimentellen Setting operationalisiert worden sein, daß Bewährungen bzw. Falsifikationen der unbeschränkten Allsätze durch die in diesem Zusammenhang realisierten Prüfergebnisse begründet werden können. Die zu fordernde Eindeutigkeit muß dabei darauf bezogen werden, daß

254 entweder ein Ergebnis A oder Nicht-A realisiert wird, nicht aber beide Realisationen gleichzeitig angenommen werden können. Im Rahmen der falsifikationslogischen Geltungsbegründung hypothesenempirischer Sätze müssen sich also hypothetisch formulierte Zusammenhangsannahmen im Zuge ihrer empirischen Prüfung bewähren oder es muß sich die Gegenthese widerlegen lassen, womit der behauptete Zusammenhang als 'vorläufig bewährter' bzw. gegenwärtig nicht widerlegter 'Allsatz' angesehen werden kann. Wie aber schon aus den beiden beispielhaft angeführten Anwendungsfällen der in Hypothese H2 formulierten Zuschreibungstendenzen deutlich wird, erweist sich das damit formulierte zweite Kriterium zur Identifikation hypothesenempirischer Aussagetypen als für diesen Fall nicht einschlägig: Wie dargestellt, lassen sich Anwendungsfälle und Beispiele finden, in denen sowohl hypothesenkonforme Zuschreibungen zur Situation als auch hypothesenwidrige Realisierungen möglich erscheinen. Lassen sich damit aber für ein und denselben als empirisch behaupteten Aussagenzusammenhang sowohl bestätigende als auch widerlegende Realisationen anführen, verweist dies entweder auf die mangelnde Spezifikation der inhaltlichen Hypothese oder auf darin offensichtlich zur Geltung kommende inhaltlich differenzierte Begründungsstrukturen, deren logische Struktur sich als Inbegriff von Aussagen über 'vernünftiges Verhalten' selbst wieder als implikativ erweist. Analysiert man nun die Hypothese H2 auf die darin repräsentierte logische bzw. empirische Struktur des Aussagenzusammenhangs unter Bezug auf das skizzierte Anwendungsbeispiel, in dem sowohl die Zuschreibung zur Situation als auch zur Person des Seminarleiters als möglich erachtet werden konnte, so ergibt sich als eine Art ersten Anhaltspunkts zur Explikation der hier ggf. vorliegenden implikativen Begründungsstrukturen, daß die intersubjektive Verständlichkeit beider Zuschreibungstendenzen letztlich erst offenbar wird, wenn die jeweiligen Prämissen mit expliziert und spezifiziert werden, in bezug auf welche die eine oder andere Zuschreibungstendenz als unmittelbar evident erscheint und das Verhalten des beobachteten Seminarleiters als 'begründet' verständlich wird: Sowohl also die zunächst hypothesenkonforme Zuschreibung, bei der besondere situationale Umstände als Begründung des beobachteten Verhaltens des Seminarleiters einbezogen wurden, als auch die zunächst hypothesenwidrige Zuschreibung zur Person des Seminarleiters und dessen anzunehmenden 'Grenzen der Toleranz', erweisen sich als implikative Folgerungen, die sich zwingend dann ergeben, wenn situationale Eingebundenheiten respektive bestehende personale 'Toleranzgrenzen' als Prämissen akzentuiert und der

255 vollzogenenen Zuschreibungstendenz zugrunde gelegt werden, unter Bezug auf welche das beobachtete Verhalten als ein vom Standpunkt des Beobachteten 'verständliches' rekonstruiert werden kann. Entsprechend läßt sich formulieren, daß, sofern ein Beobachter die Situation des Seminarleiters als eine solche auffaßt, in der dieser 'keine Zeit' für die ausführliche Beantwortung einer studentischen Frage zu haben scheint, vernünftigerweise davon ausgegangen werden muß, daß das beobachtete Verhalten vom Beobachter den hier vorliegenden situationalen Besonderheiten zuzuschreiben ist. Als Vorgriff auf die an anderer Stelle dieser Arbeit noch ausführlich aufzugreifende Frage, wie begründungstheoretische Rekonstruktionen und Erklärungen von Handlungen selbst in ihrer Geltung begründet und ausgewiesen werden können bzw. wie und in welcher Weise begründungstheoretisch entwickelte Handlungserklärungen selbst der Kritik und Weiterentwicklung unterzogen werden können, sei an dieser Stelle zunächst nur darauf hingewiesen, daß die in unserem Beispiel produzierten Handlungserklärungen selbst einen unmittelbaren Realitätsbezug implizieren: Sofern nämlich eine Handlungserklärung als adäquate Rekonstruktion von Prämissen und Handlungsgründen und die auf dieser Grundlage entwickelbare Zusammenhangsvorstellung als dem beobachteten Verhalten angemessen angesehen wird, muß das Zuschreibungssubjekt selbst in seinen auf den Seminarleiter bezogenen Handlungen davon ausgehen, daß dieselbe Frage zu einem anderen Zeitpunkt, in einer für den Seminarleiter entlasteteren Situation, sehr wohl und ausführlich beantwortet würde. Geht der Beobachter demgegenüber davon aus, daß die gestellte studentische Frage vom Seminarleiter als 'Zumutung' und Überschreitung seiner Toleranzgrenze empfunden wird, muß der Beobachter vernünftigerweise auch annehmen, daß diese Frage vom Seminarleiter auch in anderen Sitationen als 'Zumutung' wahrgenommen würde. Als Realitätsbezug impliziert diese damit produzierte Handlungserklärung nun wiederum, daß die gestellte oder eine gleichartige Frage von diesem Seminarleiter auch zukünftig als Zumutung empfunden werden würde, so daß deren ausführliche Beantwortung von dieser Person grundsätzlich nicht erwartet werden könne. Ob das in der Hypothese H2 implizite Begründungsmuster oder aber ein anderes realisiert wird, hängt davon ab, wie das Zuschreibungssubjekt aus dem Gesamt des für das Handlungssubjekt bestehenden Bedeutungsgefüges die relevanten Begründungsprämissen akzentuiert und sich den beobachteten Handlungszusammenhang aufzuschließen versucht. Dies hat aber

256 zur Konsequenz, daß dem empirischen Aufweis, eine Person habe tatsächlich entsprechend der in H2 formulierten Zuschreibungstendenz ein gegenüber der vorausgehenden Erfahrung gravierend abweichendes Verhalten der besonderen Situation zugeschrieben, nurmehr die Funktion zukommt, den an sich 'nicht-empirischen' begründungstheoretischen Aussagetyp zu veranschaulichen und das attribuierte Begründungsmuster exemplarisch auf Realität zu beziehen. Zusammengenommen ergibt sich damit für den vorliegenden 'Anwendungsfall' der in Hypothese H2 formulierten Zusammenhangsannahme, daß sich sowohl die hypothesenkonforme als auch die hypothesenwidrige Zuschreibungstendenz unter Bezug auf die vom Handlungssubjekt je herausgehobenen Prämissen als begründet erweisen und auf die darin beschriebene Realität bezogen werden können, wobei der Umstand, welche Prämissen aus dem jeweils zugänglichen Bedeutungsgesamt herausgehoben werden, als empirisch offen zu bestimmen ist, während das Verhältnis zwischen den von den Beobachtern herausgehobenen Prämissen und darauf bezogenen Handlungserklärungen als implikativ, also als Begründungsmuster angesehen werden müssen. Unter Bezug auf den dargelegten im Grundsatz interpersonellen Charakter von Zuschreibungen ergibt sich: Die intersubjektive Verständigung über und die Verständlichkeit von Handlungen ergeben sich aus dem Umstand, daß Prämissen, die als Handlungsmöglichkeiten gewissermaßen die 'Weltseite' intentionaler Handlungsbegründungen repräsentieren, prinzipiell zwischen Handlungssubjekt und Zuschreibungssubjekt kommunikabel gemacht werden und somit im Wege der Prämissenexplikation auch von anderen Subjekten in der einen oder anderen Weise auf entsprechende Erfahrungen der eigenen alltäglichen Handlungsanforderungen und -intentionen bezogen werden können. Abschließend soll nun noch Hypothese H3 (vgl. S. 244 dieser Arbeit) auf ihre Aussagestruktur hin untersucht werden. Darin wird postuliert, daß sozial erwartungsdiskrepante Verhaltensbeobachtungen nicht lediglich dispositionale Zuschreibungen hervorrufen, sondern daß sich proportional zur feststellbaren Diskrepanz zwischen Verhaltenserwartungen und tatsächlicher Verhaltensbeobachtung Skepsis gegenüber den Erwartungen selber entwickeln werde. An dieser Stelle sind also wieder die beiden bereits dargestellten Prüfkriterien zur Analyse und Explikation der logischen Struktur hypothetischer Zusammenhangsbehauptungen heranzuziehen, die diesmal auf ein von Jones & McGillis (1976) eingeführtes experimentelles Beispiel von McGillis (1974) bezogen werden.

257 In diesem Experiment, das von Jones & McGillis als ein excellent example of the skepticism factor in operation" (Jones & McGillis, 1976, 400, Herv. R.F.) angesehen wird, sollten Vpn Einstellungsattributionen auf Grundlage der Beobachtung vermeintlicher Wählerentscheidungen treffen. Den Vpn wurden dazu Informationen über die Wähler und über die zwei Kandidaten gegeben, die zur Wahl einer Regierung eines fiktiven Staates angetreten seien, und sie wurden aufgefordert, Ratings über die Einstellungen der Wähler vorzunehmen. Während in allen Anordnungen der Kandidat A grundsätzlich dahingehend beschrieben wurde, daß er sich für verstärkte und 'präventive' Strafverfolgung einsetze, und der Kandidat B grundsätzlich als jemand, der sich für die Förderung der Anstellung und Beschäftigung ethnischer Minderheiten in öffentlichen Institutionen ausspreche, wurden verschiedene andere Variablen in der experimentellen Anordnung variiert und ihre Konsequenzen auf die Einstellungsattribution untersucht: Im Experiment konnte zum einen die Zahl der 'noncommon effects' variiert werden, indem entweder behauptet wurde, daß von beiden Kandidaten drei Gesetzesentwürfe gemeinsam favorisiert würden und nur zu einem vierten Gesetzesvorhaben unterschiedliche Positionen vertreten würden (low noncommon effects), oder aber, daß von den Kandidaten nur ein Gesetzesvorhaben gemeinsam angestrebt würde, dem drei andere Vorhaben gegenüberständen, zu denen von den Kandidaten unterschiedliche Positionen vertreten würden (high noncommon effects). Darüber hinaus wurden die Wähler entweder als afrikanischer Herkunft ('black voters') oder europäischer Herkunft ('white voters') vorgestellt, wobei ohne weitere Begründung davon ausgegangen wurde, daß die Wähler afrikanischer Herkunft einer 'ethnischen Minderheit' zugerechnet würden. Den Vpn wurde dabei durch die Bereitstellung entsprechender Wahlanalysen nahegelegt, daß 'white voters' gemeinhin den Kandidaten A bevorzugen würden, demgegenüber 'black voters' mehrheitlich den Kandidaten B, welcher sich, wie gesagt, für die Förderung und Gleichstellung ethnischer Minderheiten einsetzen würde. Als letzte Variable wurde eine Information über den Grad der Parteienbindung der Wähler eingeführt, indem im 'highcommitment treatment' behauptet wurde, daß sich der Wähler nicht nur öffentlich für den von ihm gewählten Kandidaten ausgesprochen, sondern auch Wahlveranstaltungen für den von ihm favorisierten Kandidaten mit organisiert hätte. Im 'low-commitment treatment' dagegen wurde eine derartige Information nicht gegeben. Nur am Rande sei auf die von Jones & McGillis (1976, 399) gezogene Schlußfolgerung hingeweisen, deren Zurückweisung sich be-

258 reits aus unserer bisherigen Argumentation ergibt: Von ihnen wird der Umstand, daß die Vpn einem 'white voter', der den Kandidaten B ('Förderung ethnischer Minderheiten') gewählt hatte, in der 'low noncommon effects'-Bedingung eine eindeutige 'pro-minority'-Einstellung zuschreiben, und der Umstand, daß diese Zuschreibungstendenz im 'high commitment treatment' noch verstärkt sei, als empirische *Bestätigung' der Hypothese Hl angesehen. Daß es sich sowohl bei dieser Hypothese als auch bei deren hier realisierten Operationalisierung lediglich um Veranschaulichung von implikativen Strukturen handelt, ist einerseits bereits im Zusammenhang der Analyse der logischen Struktur von Hl herausgearbeitet worden, andererseits aber auch leicht dadurch nachzuprüfen, daß die dazugehörige 'Gegenthese' fomuliert wird, entsprechend derer sich herausstellen müßte, daß denjenigen Personen, die sich unter sonst gleichen Bedingungen bei der Wahl zwischen zwei Kandidaten für denjenigen entscheiden, der als Interessenvertreter einer Minderheit gekennzeichnet wurde, eine 'anti-minority'-Einstellung zugeschrieben wird. Daß ein derartiges Ereignis von vornherein nicht erwartet werden kann, wenn sichergestellt ist, daß die Aufgabenstellung von allen Vpn angemessen verstanden ist, verweist einmal mehr darauf, daß diejenigen Vpn, die sich ernsthaft an diesem Experiment zu beteiligen versuchen, in einer derartigen, durch das experimentelle Design produzierten und vereindeutigten Prämissenlage gar keine andere Wahl haben, als die hypothesenkonformen Zuschreibungen faktisch zu realisieren und damit 'Daten' zu produzieren, die nur dem Schein nach als 'Bestätigung' des Prüfzusammenhangs interpretiert werden können, weil deren Widerlegung sinnvoll gar nicht vorgestellt werden kann. Unter Bezug auf die Hypothese H3 sind nun aber vor allem diejenigen Veränderungstendenzen der Einstellungsattribution interessant, die dann festgestellt werden konnten, wenn sich 'black voters' in der 'low noncommon effects'-Bedingung für den Kandidaten A ('präventive Strafverfolgung') und nicht für den Kandidaten B ('Förderung ethnischer Minderheiten') entschieden hatten: Entgegen der ursprünglichen Kernhypothese Hl konnte nämlich festgestellt werden, daß dann, wenn ein 'black voter' den Kandidaten A bevorzugte, trotz der anzunehmenden geringen sozialen Erwünschtheit dieser Wahlentscheidung für die eigene soziale Gruppe diese Beobachtung nicht, wie im Fall des beobachteten 'white voters', zur Attribution persondispositionaler, d.h. in diesem Fall 'rassistischer' Ein-

259 Stellungen führte. Unter der 'low noncommon effects'-Bedingung konnte vielmehr festgestellt werden, daß die Vpn überwiegend neutrale Attributionen zur Erklärung der Wahlentscheidung produzierten - dies allerdings nur von jenen Vpn, die gleichzeitig dem 'low-commitment treatment' unterzogen wurden (vgl. Jones & McGillis, 1976, 399). Um diese neutralen Attributionen erklären zu können, wird von Jones & McGillis angenommen, die Vpn könnten nicht eigentlich davon ausgehen, daß der 'black voter' bewußt gegen seine eigenen Interessen verstoßen habe. Eine dispositional Zuschreibung 'rassistischer' Einstellungen gegenüber ethnischen Minderheiten könne auch schon deswegen nicht zur Erklärung der Wahlentscheidung eines 'black voters' herangezogen werden, weil der Wähler, entsprechend der vorliegenden experimentellen Konstruktion, selbst zu dieser Gruppe gehöre. Damit aber werde die vorgelegte Wahlentscheidung für die Vpn nur dann nachvollziehbar, wenn sie den Wählern 'Unaufmerksamkeit' gegenüber diesem für sie doch wesentlichen Aspekt der Wahlentscheidung unterstellen könnten. Damit wird jedoch vorausgesetzt, daß von den Vpn selbst gewissermaßen zusätzliche und damit experimentell letztlich in ihrer Wirkung nicht kontrollierbare Prämissen eingeführt werden, durch die einige der für wesentlich gehaltenen Aspekte offenbar in ihrer Bedeutung für die Wahlentscheidung relativiert werden. Wenn aber die hier vorliegende Wahlentscheidung von den Vpn nur dann nachvollzogen werden kann, wenn sie zusätzliche Prämissen, wie beispielweise die der 'Unaufmerksamkeit', einbeziehen, verweisen die hier zu vergleichenden Attributionsunterschiede darauf, daß hier offenbar ganz unterschiedliche Sachverhalte herausgegliedert wurden, zu denen entsprechend unterschiedliche Handlungserklärungen hervorgebracht werden, die nicht miteinander verglichen werden können. Damit aber können die experimentell provozierten Einstellungsattributionen, wie sie von den Vpn gegenüber den 'white' respektive 'black voters' entwickelt werden, auch nicht mehr unumwunden aufeinander bezogen und in bezug auf die Hypothese H3 als vergleichbare Daten interpretiert werden. Würden nämlich die zusätzlichen Prämissen, die hier für die Einstellungsattribution gegenüber den 'black voters' angenommen werden, auch für die Wahlentscheidung der 'white voters' vorausgesetzt, hätte man entsprechend auch hier davon ausgehen müssen, daß die beobachtete Wahlentscheidung lediglich aufgrund der Unaufmerksamkeit zustandegekommen ist. Dann aber wird man den hier involvierten Vpn auch nicht mehr bzw. nicht mehr so ein-

260 deutig eine 4pro-minority-Einstellung' zuschreiben können, womit sich die scheinbar hypothesenkonformen Attributionsunterschiede unter Bezug auf die als jeweils unterschiedlich angenommenen Prämissen aufzuheben beginnen. Wird das Zustandekommen der neutralen Attributionen und Handlungserklärungen damit erklärt, daß die Vpn über das Vorliegen weiterer Prämissen zu spekulieren beginnen, da die hier vorliegende Wahlentscheidung aufgrund der 'bekannten' Bedeutungszusammenhänge widersprüchlich erscheint, wird damit ein ganz anderer Aspekt derartiger Zuschreibungsprozesse deutlich: Bei dem Versuch, die Handlungen anderer Subjekte als begründet zu verstehen, werden von den Vpn offensichtlich dann zusätzliche Bedeutungszusammenhänge, die für das Handlungssubjekt potentiell zu Prämissen geworden sein könnten, einzubeziehen versucht, wenn die beobachtete Handlung nicht schon unter Bezug auf das gegenwärtig verfügbare Wissen über Handlungs- und Begründungsprämissen als begründet, d.h. am Maßstab der unterstellten Lebensinteressen des Handlungssubjekts als 'vernünftig' verständlich werden kann. Damit wäre dieses Experiment aber als empirische Realisierung eines gänzlich anderen Aspekts des attributionalen Geschehens reinterpretiert und dabei die These aufgestellt, daß Subjekte in - etwa durch das experimentelle Design konstituierten - Situationen reduzierter Prämissenlage und Zusammenhangskenntnis, aufgrund derer nurmehr widersprüchliche und schon aus logischen Gründe in sich unmögliche Attributionen und Handlungsbegründungen beobachteten Verhaltens übrig zu bleiben scheinen, offenbar beginnen, selbst über mögliche, jedoch nicht bekannte Prämissen zu spekulieren, vor deren Hintergrund das zunächst 'unvernünftig' und 'grundlos' erscheinende Verhalten für sie und damit intersubjektiv dennoch wieder als ein begründetes verständlich werden kann. Zur Erklärung beobachteter Handlungen wird von den Vpn offenbar der Versuch unternommen, die ihnen zugänglichen Aspekte der Bedeutungs/Begründungszusammenhänge ihres Gegenübers dahingehend zu durchdringen, daß deren Verhalten nicht als 'bewußter Verstoß gegen deren eigene Interessen' aufgefaßt zu werden braucht. Dabei erweisen sich Spekulationen über potentiell relevante, dem Beobachter gegenwärtig jedoch verschlossene Prämissenlagen des Handlungssubjekts als Versuche, sich der experimentell provozierten 'Unverständlichkeit' und 'Grundlosigkeit' beobachteter Handlungen zu entziehen. Dies aber verweist einmal mehr auf die weitreichenden theoretischen Probleme der Geltungsbegründung

261 von Aussagen über Zuschreibungstendenzen, die auf Grundlage derartig methodisch zugerichteter Versuchsanordnungen gewonnen wurden: Sofern nämlich das beobachtete Gegenüber, zu dem sich die Vpn mit ihren Attributionen 'verhalten', als intentionale Subjekte gleich ihnen wahrgenommen werden, gehen die Beobachter a priori davon aus, daß die beobachteten Handlungen subjektiv funktionale Realisierungen verfügbarer Handlungsmöglichkeiten darstellen und somit im Zuge der Explikation bestimmter (ggf. intersubjektiv noch unaufgeklärter) Prämissen prinzipiell als begründet, d.h. vor dem Hintergrund des vom Handlungssubjekt realisierten Bedeutungsgesamts als 'vernünftig' verständlich werden müssen. Sofern die Vpn also diese Ebene der intersubjektiven Verständigung über die intentionale Struktur beobachteter Handlungen, deren subjektiven 'Sinn' für sich und andere nicht grundsätzlich suspendieren wollen, sind sie (auf welche Weise auch immer) dazu genötigt, die ggf. durch ein experimentelles Design faktisch beschränkte Zugänglichkeit von Bedeutungs- und Begründungszusammenhängen - auch spekulativ - zu überschreiten, um die damit behinderte Ebene der intersubjektiven Verständigung über Handlungsgründe nicht von sich aus zu suspendieren. Unter Bezug auf das vorliegende Experiment kann somit festgestellt werden, daß die Vpn die ihnen vorgelegten Aufgaben nur dann in einer für die intersubjektive Verständigung über Handlungsgründe angemessenen Weise bewältigen können, wenn sie die experimentell konzeptualisierte Informationsbeschränkung über die Zusammenhänge, die von den Wählern zu Prämissen ihrer Entscheidung gemacht worden sind, qua Prämissenspekulation zu erweitern versuchen, womit indes die im Experiment selbst hergestellten Operationalisierungen und Untersuchungsbedingungen des eigentlich interessierenden Zuschreibungsprozesses von den Vpn in einer für die Experimentatoren unkontrollierbaren Weise unterlaufen werden. Damit aber zeigt sich einmal mehr, daß Attribution nicht als quasi-gesetzmäßiges Phänomen konzeptualisiert und in experimentelle Settings derart überführt werden kann, daß sie sich zwingend an den Vpn durchsetzen. Attributionale Erklärungen beobachteter Zusammenhänge ebenso wie die darin (ggf. eben auch spekulativ) einbezogenen Bedeutungs- und Begründungszusammenhänge können demgegenüber nur als Aktenzuierung einiger von möglichen anderen dem Zuschreibungssubjekt ebenfalls verfügbarer Erklärungsmöglichkeiten aufgefaßt werden. Dies hat für die attributionstheoretischen Experimente zur Konsequenz, daß die daraus hervorgehenden empirischen Resultate, auch wenn sie als 'Bestätigungen' formu-

262 liert wurden, nurmehr als Verweis darauf aufgefaßt werden können, daß es den Experimentatoren offenbar gelungen ist, mit ihrer Operationalisierung nur solche Zuschreibungsmöglichkeiten nahezulegen, die mit dem operationalisierten Begründungsmuster in der 'gemeinten' Weise kompatibel sind. Gleichwohl können derartige kompatible Befunde aber auch als Indiz dafür gewertet werden, daß die hier zur Geltung kommenden Begründungsmuster gängigem Denken und unmittelbar-nahegelegten Zusammenhangsvorstellungen in einer Weise entsprechen, daß es aufgrund der Dominanz und Üblichkeit dieser Denkformen gar nicht notwendig erscheint, solche Möglichkeitsbeschränkungen gegenüber anderen spontanen Erklärungs- und Zuschreibungstendenzen der Vpn methodisch durchzusetzen. Erschließt sich der im experimentellen Setting operationalisierte Bedeutungs-/Begründungszusammenhang für die Vpn indes nicht oder nicht in der vom Experimentator 'gemeinten' Weise, steht das Zuschreibungssubjekt vor der Notwendigkeit, in spekulativ-hypothetischer Weise 'andere', zusätzliche Prämissen einzuführen und weitere Begründungsmuster zu produzieren, um damit die Erklärung beobachteten 'Verhaltens' wieder in einen Begründungsdiskurs zu integrieren und sich die beobachteten Handlungen als Realisierung gegebener Handlungsmöglichkeiten verständlich zu machen. Bezüglich der von Jones & McGillis als empirisch bewährt behaupteten Hypothese H3 muß somit festgestellt werden, daß sich der darin formulierte Zusammenhang allein als Verhältnis von Prämissen und Gründen und damit nur als implikative Struktur und Begründungsmuster begreifen läßt, das der empirischen Bestätigung oder Widerlegung weder zugänglich noch bedürftig ist. Dennoch muß die Frage, welche Aspekte von einem Handlungs- bzw. Zuschreibungssubjekt aus dem Bedeutungsgesamt als Prämissen herausgehoben werden, welche Prämissen-Gründe-Zusammenhänge mithin von den Vpn faktisch realisiert werden, als 'echte' empirische Frage aufgefaßt werden, deren nähere Bestimmung nicht einfach aus (wie immer spezifizierten) Bedeutungszusammenhängen heraus abgeleitet werden kann und zu deren Klärung die verschiedenen experimentellen Realisationen, wenn auch nur in spekulativer Weise, Überlegungen und Aspekte beizutragen vermögen. Damit erweist sich der von Jones & McGillis spekulativ eingeführte Umstand, das Zuschreibungssubjekt nehme an, der beobachtete Wähler sei gegenüber einem ihn selbst unmittelbar negativ betreffenden Aspekt seiner Wahlentscheidung 'unaufmerksam' gewesen, als eben nur eine der poten-

263 tiell mit einzubeziehenden, im experimentellen Design jedoch nicht beschriebenen 'zusätzlichen* Handlungsprämissen, die für den Fall des 'high-commitment treatment' indes kaum sinnvoll vorstellbar erscheinen: Bei einem aktiven Wahlkampfhelfer ist wohl kaum davon auszugehen, daß ein derart wichtiger und gegen die eigenen Interessen gerichteter Programmpunkt einfach übersehen wurde, womit die hier von den Autoren selbst vorgeschlagene Prämissenspekulation also mehr über ihren eigenen Erklärungsnotstand als über die hier zu analysierenden Begründungsmuster auszusagen vermag. Daraus ergibt sich, daß Analyse und Rekonstruktion von Handlungserklärungen grundsätzlich davon auszugehen haben, daß Zuschreibungssubjekte zunächst über die prinzipielle Alternative verfügen, für sich eine beobachtete Handlung als in spezifizierbaren Prämissen begründet aufzuschließen oder ihr Zustandekommen als bloßes Resultat des ggf. zufälligen Zusammentreffens personaler und situationaler Gegebenheiten zu erklären. Diese hier für Zuschreibungssubjekte geltend gemachte Alternative, Handlungen anderer 'erklären' oder 'verstehen' zu können, stellt also reale Handlungsund Zuschreibungsmöglichkeiten dar, die den Subjekten in ihren jeweiligen Lebenszusammenhängen zur Verfügung stehen, und sie haben entsprechend nichts mit der auf die wissenschaftliche Psychologie bezogenen (und etwa von Maiers, 1994, 57f kritisierten) Vorstellung zu tun, nach der sich eine 'verstehende' und eine 'erklärende' Psychologie unvermittelt und unvermittelbar gegenüberstehen. Damit können die hier aufgearbeiteten experimentellen Befunde als Demonstration der für die Zuschreibungssubjekte grundlegenden Alternative angesehen werden, sich zur Klärung des Beobachteten mit dem Handlungssubjekt auf eine Ebene intersubjektiver Verständigung über die eine Handlung begründenden Intentionen und Ziele einzulassen, oder aber den beobachteten anderen aus dem Bereich der intersubjektiven Mitmenschlichkeit dadurch auszugrenzen, daß die Möglichkeit einer intersubjektiven Verständigung über Handlungsintentionen und Handlungsgründe mit der Verweis auf die Behauptung ereigniskonstituierender Person- und Situationseigenschaften ausgeschlossen ist. Für die begründungstheoretische Rekonstruktion von Handlungserklärungen bedeutet dies, daß auch deren jeweilige Strukturierung erst unter Bezug auf die damit verfolgten Intentionen und Ziele der Zuschreibungssubjekte analysiert werden kann. Jch habe angesichts jeder menschlichen Aktivität, also auch dann, wenn sie mir total rätselhaft, absurd o.ä. erscheint, die Alternative, sie als 'Handlung', d.h. begründet/verständlich, ggf. unter mir unbekannten/unzugänglichen Prämissen, oder als 'unbe-

264 gründet', 'irrational' zu betrachten und damit die intersubjektive Beziehung zum anderen als Handelndem zu suspendieren" (Holzkamp, 1986, 28).

Diese zunächst vor jedweder fallbezogenen Handlungserklärung für das Zuschreibungssubjekt bestehende prinzipielle Alternative erweist sich indes als für den Experimentator grundsätzlich nicht zu kontrollierende subjektive Realisationsmöglichkeit experimentell intendierter Handlungsstrukturierungen, so daß bezüglich der hervorgebrachten Zuschreibungen nicht mehr entschieden werden kann, ob sich das Zuschreibungssubjekt tatsächlich die vom Experimentator in der Operationalisierung 'gemeinten' Bedeutungs-ZBegründungsprämissen zu eigen gemacht hat, oder ob die entwickelten Zuschreibungen nicht vielleicht auf ganz andere Prämissenspekulationen zurückgehen, auch wenn sich die daraus hervorgehenden Zuschreibungen von ihrer inhaltlichen Beschaffenheit nicht notwendig von denjenigen unterscheiden müssen, die vom Standpunkt des Experimentators als naheliegend angesehen wurden. Das Zuschreibungssubjekt steht also, wie eingeschränkt der experimentelle Bezugsrahmen auch immer sein mag, prinzipiell vor der Alternative, sich dem experimentellen Setting dahingehend zu unterwerfen, daß es der Anforderung nachkommt, ein beobachtetes Verhalten unter Bezug auf die ihm angebotenen potentiellen Ursachendimensionen zu erklären, oder sich zumindest gedankenexperimentell mit den beobachteten Subjekten in einen Prozeß der intersubjektiven Verständigung über deren potentielle Handlungsgründe zu begeben, damit Prämissen zu explizieren und Handlungsbegründungen zu entwickeln, womit zugleich sowohl die Dimension von Situation versus Person als auch die Dimension von Disposition und Intention innerhalb der Handlungserklärung gesprengt worden ist. Dies verweist aber noch auf einen anderen, bereits dargelegten Aspekt, dessen Kritik jetzt auf die Konzeptionen und Vorstellungen der Theorie korrespondierender Inferenz bezogen werden kann: Wie erinnerlich, hatten wir bereits unter Bezug auf andere dargestellte attributionstheoretische Konzeptionen herausgearbeitet, daß der Rekurs auf individuelle Eigenschaften und auf die Behauptung dispositionaler Verfaßtheiten als Erklärung des Zustandekommens beobachteter Handlungen als Abbruch des Versuchs verstanden werden muß, den zu erklärenden Vermittlungszusammenhang als einen theoretischen und damit prinzipiell auch zu kritisierenden Zusammenhang zu begreifen. Dieser Umstand erwies sich als Begründung dafür, daß sowohl von Heider als auch von Jones & Davis persondis-

265 positionalen Zuschreibungen und personalen Attributionen die Funktion zugesprochen werden konnte, innerhalb des im Prinzip unabschließbar rekonstruktiven Regresses der Analyse von Gründen und Ursachen der Handlungsanalyse zu einem pragmatischen 'Endpunkt' zu führen. Macht man sich vor diesem Hintergrund klar, daß eine zunächst uneinsichtige Wahlentscheidung nicht nur dann verständlich werden kann, wenn die für das beobachtete Handlungssubjekt bedeutungsvollen Begründungsprämissen mit expliziert werden können, sondern daß auch das Zuschreibungssubjekt selbst sich zur Zuschreibungssituation und dem darin beobachteten anderen als Subjekt begründet 'verhält', wird ersichtlich, daß mit der hier untersuchten inhaltlichen Thematik ein Zusammenhang angesprochen wird, in dem zweierlei Begründungszusammenhänge und darauf bezogene Begründungstheorien als miteinander 'verflochten' angenommen werden müssen. So müssen die Vpn in dem von Jones & McGillis eingeführten Experiment zur Attribution von Einstellungen auf der Grundlage der Beobachtung von Wahlentscheidungen beispielsweise Handlungserklärungen für ein beobachtetes Verhalten abgeben, wobei sie - wie herausgearbeitet - vor der prinzipiellen Alternative stehen, das beobachtete Verhalten als durch bestimmte Bedingungen 'verursacht', mithin kausal zu erklären, oder aber das beobachtete Verhalten qua Rekonstruktion potentieller Handlungsprämissen und darauf bezogener Handlungsgründe zu verstehen, es sich mithin begründungstheoretisch aufzuschließen, soweit dies aus einer Beobachtungsperspektive heraus möglich ist. Diese prinzipielle Alternative für die Vpn muß entsprechend einer begründungstheoretischen Fundierung des attributionalen Prozesses selbst mit in die Rekonstruktion von Handlungserklärungen einbezogen werden: Die Frage also, welche der bestehenden Zuschreibungsalternativen einem Zuschreibungssubjekt sinnvoll und nahegelegt erscheinen, muß selbst als in den für das Zuschreibungssubjekt anzunehmenden Prämissen begründet rekonstruierbar gemacht werden, womit die Genese kausal konzeptualisierter Handlungserklärungen ebenso wie die intentional konzeptualisierte Explikation von Handlungsgründen durch die Vpn selbst nur wieder unter begründungstheoretischer Perspektive analysiert werden können. Nur unter der Prämisse nämlich, so läßt sich feststellen, daß eine Vpn daran interessiert ist, das beobachtete Verhalten einer Person als begründet zu verstehen, ist sie genötigt, zusätzliche und im experimentellen Design ggf. nicht enthaltene Bedeutungszusammenhänge einzubeziehen, auf die der von ihr als Handlungsbegründung herangezogene Prämissen-Gründe-Zusammen-

266 hang als 'einschlägig' bezogen werden kann. Ob aber das beobachtete Verhalten als begründetes und damit als intersubjektiv aufzuschließende Realisierung von Handlungsmöglichkeiten vom Zuschreibungssubjekt zu verstehen versucht wird, muß selbst begründungstheoretisch gefaßt werden und kann nicht einfach als generelle Voraussetzung von Zuschreibungsprozessen angenommen werden.

9.6. Begründungstheoretische Reformulierung der empirischexperimentellen Befunde zum Phänomen der Attributionsunterschiede An dieser Stelle sind nun auch diejenigen attributionstheoretischen Überlegungen wieder aufzugreifen, die in verschiedener Weise das Zustandekommen von Attributionsdifferenzen zu erklären versuchen und sich dabei etwa auf die unterschiedliche Position von Handelnden und Beobachtern beziehen. Jetzt ist zu fragen, ob sich die entsprechenden empirisch-experimentellen Befunde als Begründungsmuster und implizite Aussagen über Prämissen-Gründe-Zusammenhänge reformulieren lassen. Wie bereits ausführlich dargestellt, stehen die verschiedenen theoretischen Vorstellungen und experimentellen Untersuchungen zum Phänomen der Attributionsdifferenzen insgesamt mehr oder weniger eindeutig im Zusammenhang mit der Jones & Nisbett-Hypothese, in der behauptet wird, daß zwischen den von Handelnden und denen von Beobachtern vorgebrachten Attributionen prinzipielle Unterschiede festgestellt werden könnten. Während Handelnde in ihren Handlungserklärungen deutlicher auf situationale Aspekte des Handlungszusammenhangs abheben würden, strukturierten sich die von Beobachtern vorgebrachten Erklärungen deutlicher über die Person des Handlungssubjekts. Vergegenwärtigt man sich nun, daß im Zuge der experimentellen Prüfung (wie auf S. 173 dieser Arbeit dargestellt) nicht nur für die theoretische Erklärung der in der Jones & Nisbett-Hypothese beschriebenen Phänomene Alternativerklärungen mit bestätigenden wie auch widerlegenden empirischen Befunden entwickelt werden konnten, sondern daß auch für die Existenz dieses Phänomens selbst sowohl bestätigende als auch widerle-

267 gende Daten vorgebracht wurden, läßt sich im Kern festhalten, daß es offenbar möglich ist, verschiedene Handlungserklärungen und Zuschreibungstendenzen zu realisieren, die nicht unmittelbar und eindeutig auf die Position der Zuschreibungssubjekte im Zuschreibungszusammenhang zurückgeführt werden können, womit zumindest die Vorstellung einer systematischen und quasi gesetzmäßigen Tendenz zur Begründung positionsabhängiger Zuschreibungsunterschiede aufgegeben werden muß. Die erneute Hineinnahme dieser attributionstheoretischen Untersuchungen in unseren Darstellungszusammenhang gründet nicht darauf, daß etwa vor dem Hintergrund des im letzten Kapitel ausgeführten kategorialen Bezugszusammenhangs erwartet werden könnte, jetzt vielleicht doch noch zu einer Explikation vereindeutigender Zuschreibungstendenzen zu gelangen, sondern vielmehr darauf, daß überprüft werden muß, ob die hier zur Diskussion stehenden und einander widersprechenden experimentellen Befunde nicht vielmehr unterschiedliche Begründungsmuster repräsentieren, womit die darin festgestellten Zuschreibungsunterschiede auf die von den Zuschreibungssubjekten unterschiedlich realisierten Zuschreibungsprämissen zurückgeführt werden könnten. Wenn also die verschiedenen, einander widersprechenden empirischen Befunde tatsächlich als Differenzierungen von Begründungsmustern reinterpretiert werden könnten, hätte dies für die Bestimmung ihres Verhältnisses zueinander zur Konsequenz, daß in ihnen Veranschaulichungen möglicher und unterschiedlicher Akzentuierungsund Strukturierungsformen aufzuzeigen wären, die so oder anders von den Zuschreibungssubjekten in ihren jeweiligen Handlungs- und Zuschreibungszusammenhängen realisiert werden können. Unter Bezug auf die unentschiedene und unentscheidbare Frage nach der empirischen Geltung der einen oder anderen vorgetragenen Attributionshypothese ergibt sich daraus, daß die Vorstellung aufzugeben ist, in ihnen seien allgemeine Aussagen über die Genese und Struktur stando/Ybezogener Zuschreibungstendenzen aufgezeigt. Betrachten wir zunächst die verschiedenen Argumente dafür, daß in den von Handlungssubjekten vorgebrachten Handlungserklärungen in besonderer Weise situationale Aspekte akzentuiert würden, unter der Fragestellung, in welchen Prämissen eine solche Akzentuierung nahegelegt und begründet sein könnte. In den von Nisbett, Caputo, Legant & Marececk (1973) durchgeführten Experimenten wird die Akzentuierung von Situationsmerkmalen in den von den Handlungssubjekten selbst entwickelten Handlungserklärungen

268 etwa damit begründet, daß die Aufmerksamkeit der Handelnden im Vollzug ihrer Handlungen notwendig auf die situationalen Gegebenheiten hin ausgerichtet wären, weil das Verhalten eben unmittelbar auf die Situation hin abgestimmt werden müsse. Dies aber habe zur Konsequenz, daß in rekonstruktiv entwickelten Handlungserklärungen situationale Aspekte gegenüber möglichen anderen in besonderer Weise erinnert und entsprechend zur Grundlage der Erklärungen gemacht würden. Daß es sich jedoch bei der damit skizzierten Ausrichtung der Aufmerksamkeit nicht um eine Art zwangsläufigen Prozeß handelt, dem sich ein Handlungssubjekt kaum zu entziehen vermag, sondern daß auch die Ausrichtung der Aufmerksamkeit selbst nur als eine mögliche vom Standpunkt des Zuschreibungssubjekts und unter Bezug auf die mit der Zuschreibung verfolgten Intentionen und Interessen begründete Bezugnahme auf die je eigenen Lebensumstände aufgefaßt werden kann, ergibt sich nicht allein aus der dargelegten kategorialen Explikation der Möglichkeitsbeziehung, sondern bereits aus dem von Regan & Totten (1975) ebenfalls in diesem Zusammenhang durchgeführten Experiment: Hier konnte gezeigt werden, daß schon die bloße Aufforderung, die Vpn sollten sich in die Position des jeweils anderen hineinversetzen, dazu führt, daß die Attributionsunterschiede umgekehrt werden. Dies aber verweist darauf, daß die Frage nach der Ausrichtung der Aufmerksamkeit offenbar nicht als Aspekt des jeweiligen Strukturzusammenhangs von der stände/spezifischen Einbindung des Zuschreibungssubjekts abhängt, sondern vom jeweiligen Standpunkt bestimmt wird, der durch die mit den Zuschreibungen verfolgten Interessen, Intentionen und Zielen konstituiert und entsprechend unserer Gesamtkonzeption als der Subjektstandpunkt zu qualifizieren ist. Danach ergibt sich die Ausrichtung der Aufmerksamkeit ebenso wie die spezifische Form der Akzentuierung personaler und situationaler Momente des Handlungszusammenhangs in den jeweiligen Zusammenhangserklärungen aus den dem Zuschreibungsprozeß zugrunde gelegten Zuschreibungsprämissen, zu denen eben auch der Standorf gezählt werden muß, womit die Frage, ob und in welchen Fällen der Standorr in besonderer Weise als Prämisse herausgehoben wird, selbst nur wieder aus dem vom Subjektstandpunkt entwikkelten Begründungszusammenhang heraus rekonstruiert werden kann. Entgegen der von Nisbett et al. als strukturell behaupteten Akzentuierung situationaler Aspekte in den vom Handlungssubjekt vorgebrachten Handlungserklärungen wird diese Akzentuierung auch von Jones & McGillis (1976,401f) auf die mit der Zuschreibung verfolgten Intentionen und Ziele der Handlungssubjekte zurückgeführt. Dabei postulieren diese, daß Hand-

269 lungssubjekte daran interessiert seien, ihr eigenes Verhalten gegenüber anderen als 'möglichst normal' darzustellen, und daher deutlich zu machen versuchten, daß sich jeder andere in einer vergleichbaren Situation auch so wie sie verhalten hätte. Mit dieser Erklärung indes werden von Jones & McGillis selbst bestimmte Zuschreibungsprämissen formuliert, deren Realisierung eine Akzentuierung situationaler Aspekte des Handlungszusammenhangs in den Erklärungen vom Standpunkt der Handlungssubjekte zu begründen vermag. Diese Argumentation verdeutlicht nun wichtige Aspekte: Zum einen erweist sich die hier vorgelegte Theorie der Genese spezifischer Handlungsbegründungen selbst unmittelbar als zumindest implizit formulierte Begründungstheorie, in der Aussagen darüber getroffen werden, unter Bezug auf welche Prämissen eine derartige Akzentuierung situationaler Momente in der Handlungserklärung begründet ist. Unter der Prämisse nämlich, daß ein Zuschreibungssubjekt sein eigenes Verhalten gegenüber anderen als 'möglichst normal' darzustellen versucht, wird es vernünftigerweise gerade diejenigen Aspekte in seiner Handlungserklärung akzentuieren, durch die das eigene Verhalten als ein solches verständlich wird, das von jedem anderen, sofern er sich in einer solchen Situation befindet, auch umzusetzen versucht würde. Zum anderen aber wird damit zugleich deutlich, daß mit dieser das Verhältnis von Zuschreibungsprämisse und Zuschreibungsgründen betreffenden Aussage nichts darüber gesagt werden kann, ob, wann und von wem die darin beschriebenen Zuschreibungsprämissen tatsächlich realisiert werden und welche Zuschreibungsmöglichkeiten unter Bezug auf ganz andere Zuschreibungsprämissen entsprechend begründet erscheinen. Würde ein Handlungssubjekt eine Handlung etwa unter der Prämisse zu erklären versuchen, das eigene Verhalten als ein ganz besonderes darzustellen, um darüber etwa deutlich zu machen, daß ein derartiges Verhalten von kaum einem anderen realisiert werden könnte oder wollte, müßten vernünftigerweise gerade diejenigen Aspekte hervorgehoben werden, die sie als Person selbst betreffen. Unter dieser Zuschreibungsprämisse wäre also eine ganz andere Darstellung des Handlungszusammenhangs und der Position des Handlungssubjekt erforderlich, als es mit der von Jones & McGillis beschriebenen Akzentuierung nahegelegt erscheint. Wenn sich also die Art und Weise, in der hier Situationale bzw. personale als inhaltliche Aspekte in Handlungsbegründungen einbezogen werden, als Implikat dessen erweist, was unter den vom Zuschreibungssubjekt realisierten Prämissen nahegelegt und 'gut begründet' erscheint, so bedeutet dies jedoch nicht, daß im Umkreis der Theorie von Jones & Nisbett über-

270 haupt keine empirisch gehaltvollen Aussagen gemacht werden können. Vielmehr erweist sich die Frage, in welchen Bedeutungszusammenhängen ein Zuschreibungssubjekt welche Zuschreibungsprämissen realisiert (die dann etwa mit den von Jones & McGillis formulierten oder anderen Begründungsmustern kompatibel sind) tatsächlich als eine empirische offene Frage, weil - wie dargestellt - das Verhältnis zwischen Bedeutungen und Prämissen grundsätzlich als empirisch offen und nur vom Subjektstandpunkt aus als ein in den Intentionen und Zielen begründetes Verhältnis theoretisch reflektiert werden kann. Allgemein läßt sich damit in bezug auf die hier verhandelten attributionsbezogenen Begründungsmuster feststellen: Immer dann, wenn ein Zuschreibungssubjekt die in einem Begründungsmuster formulierten Zuschreibungsprämissen realisiert und diese in den darauf bezogenen Handlungs- und Zuschreibungsweisen umzusetzen versucht, wird es vernünftigerweise die darin gefaßten Akzentuierungen von Wahrnehmungstatbeständen und inhaltlichen Verweisen in den Handlungserklärungen realisieren. Damit aber erweist sich nicht das formulierte Begründungsmuster der empirischen Prüfung bedürftig, sondern vielmehr die Frage, ob der jeweils in Frage stehende Handlungs- und Erklärungszusammenhang als ein solcher umgesehen werden kann, in dem das Zuschreibungssubjekt den formulierten Begründungszusammenhang für sich als für seine Erkenntnis- und Erklärungsinteressen hilfreich und angemessen übernimmt. Auch die von Jones & McGillis (1976) formulierte Behauptung: ,jthe actor's interest is in normalization; the observer's interest is in individualization" (402) kann vor diesem Hintergrund nicht als eine empirische Tatsachenbehauptung, sondern nurmehr als eine Spezifikation derjenigen Prämissen angesehen werden, in denen die Ausrichtung der Aufmerksamkeit begründet ist. Lassen sich aber derartige Aussagen als Realisierung von Prämissen reformulieren, unter Bezug auf welche bestimmte Aspekte des interessierenden Sachverhalts gegenüber anderen deutlicher akzentuiert werden, erweist sich die Geltung der hier getroffenen Zusammenhangsaussagen als eben auf diejenigen Zusammenhänge beschränkt, in denen die darin implizit vorausgesetzten Prämissen von den Zuschreibungssubjekten tatsächlich realisiert werden. Nur dann nämlich, wenn die Einschätzung der Person des Handelnden für den Beobachter zur Prämisse seiner Beobachtungen und darauf bezogenen Zuschreibungsweisen wird, wird er die aus der Beobachtung ggf. hervorgehenden interpersonalen Unterschiede vernünftigerweise daraufhin prüfen, ob daraus Hinweise gewonnen werden können, die sich unter die verfügbaren persondispositionalen Konstrukte

271 subsumieren lassen. Auch hier muß also zur Begründung der Akzentuierung der Person des Handelnden von den Intentionen des Beobachters ausgegangen werden, aufgrund derer die Ausrichtung der Aufmerksamkeit erklärt werden kann, statt nach einer Art generellen Tendenz zu einem wie immer zu bestimmenden gesetzmäßig-strukturellen Positionseffekt zu suchen. Bezieht man die damit explizierte intentionale Begründung von Handlungserklärungen nun noch auf die diskursiv-sozialen Zusammenhänge, in denen sie stehen, wird über das bisher Gesagte hinaus ersichtlich, daß sowohl die argumentative Struktur der Handlungserklärungen als auch die im Rahmen der Handlungsbegründung beigebrachten Argumente selbst die Struktur des Kontextes widerspiegeln, in dem sie als Argumente in einen Begründungsdiskurs eingebracht werden. Unter diesem Aspekt verdeutlichen sich die im Experiment vorgebrachten Handlungserklärungen als Äußerungen, mit denen sich das Zuschreibungssubjekt eben auch auf den diskursiv-sozialen Zusammenhang dieser Experimente bezieht. Dabei erweist sich zum einen, daß z.B. diejenigen Handlungserklärungen, mit denen die Zuschreibungssubjekte den Aufforderungen der Versuchsleiter möglichst genau nachzukommen versuchen, nur unter Bezug auf die damit zugrunde gelegten Intentionen der Vpn verständlich werden. Damit sind nun aber wieder spezifische Zuschreibungsprämissen vorausgesetzt, die unmittelbar auf die soziale Situation der Experimente bezogen sind und deren Vermittlungszusammenhang zu den wirklichen Lebensbezügen der Vpn kaum aufgeklärt werden kann. Zum anderen aber wird daran deutlich, daß die diskursiv-soziale Funktion und Bedeutung von handlungserklärenden Äußerungen immer auch unter dem Aspekt der damit potentiell intendierten Rechtfertigung gegenüber anderen aufgefaßt werden müssen. Dabei ist es vom Standpunkt des Zuschreibungssubjekts begründet, sich z.B. in den als 'Gegenargumente' vorgebrachten eigenen Erklärungen bereits auf die Argumente des Gegenübers zu beziehen, deren implizite Vorstellungen und Strukturierungen zu reflektieren und also die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Handlungserklärungen derjenigen Strukturierung anzupassen, von der angenommen wird, daß sie aus der Perspektive des anderen verständlich erscheint. Somit muß also am jeweiligen Einzelfall aufgewiesen werden, inwieweit in den gegenüber anderen Subjekten geäußerten Handlungserklärungen bereits deren Sichtweisen reflektiert wurden, weil sie außerhalb dieses Argumentations- und Rechtfertigungszusammenhangs gar nicht verständlich

272 werden würden. Entsprechend können von ein und demselben Zuschreibungssubjekt gegenüber unterschiedlichen Subjekten, d.h. in unterschiedlichen diskursiv-sozialen Zusammenhängen, auch unterschiedliche Akzentuierungen und Argumente vorgebracht werden, je nachdem, welche Argumente und Erklärungsweisen von ihm als für die anderen 'überzeugend' angesehen werden. Als Erklärung des eigenen Tuns ebenso wie als Kritik an den Verhaltensweisen anderer repräsentiert die jeweils vorgebrachte Handlungserklärung also mehr als nur die vom Zuschreibungssubjekt selbst für einen Handlungszusammenhang als angemessen erachtete Erklärung; in ihre Struktur gehen neben den jeweiligen Intentionen und Zielen ebenso auch diejenigen Vorstellungen mit ein, von denen das Zuschreibungssubjekt annimmt, sie würden vom jeweiligen Gegenüber als vernünftig betrachtet werden. Dies ist prinzipiell auch für diejenigen Erklärungen anzunehmen, bei denen - wie im zitierten 'Wahlexperiment' - an ein Gegenüber nur 'gedacht' werden kann. Die hier unter dem Aspekt der Perspektivenverschränkung angedeuteten theoretischen Konsequenzen der genuin sozial-diskursiven Bestimmtheit von Handlungserklärungen lassen sich nun aber weder durch Standardisierungen noch durch Dekontextualisierungen der Versuchsanordnungen überwinden oder auch nur reduzieren. Vielmehr ist stets davon auszugehen, daß sich die Vpn auch mit ihren Zuschreibungen und geäußerten Handlungserklärungen in einer mehr oder weniger aufklärbaren Weise gegenüber den jeweiligen Experimenten, den Versuchsbedingungen und Versuchsleiteraufforderungen 'verhalten' werden. Somit erweist es sich für alle in derartigen experimentellen Anordnungen provozierten Handlungserklärungen als klärungsbedürftig, in welchem Maße dabei die zu erklärenden Sachverhalte im Verhältnis zu bloßen Mutmaßungen über die von den Versuchsleitern für 'angemessen' erachteten Erklärungen darin repräsentiert sind.

273

9.7. Explikation der in motivational-dynamisch bzw. informationstheoretisch fundierten Konzeptionen repräsentierten Bezüge zu Prämissen-Gründe-Zusammenhängen Daß auch den dynamisch-motivational fundierten Konzeptionen des Zuschreibungsprozesses implizite Begründungsmuster zugrunde liegen, ist schon deshalb anzunehmen, weil die darin thematisierten Wunschvorstellungen und defensiven Tendenzen direkt auf die mit den Zuschreibungen verfolgten Lebensinteressen Bezug nehmen. Dies betrifft nicht nur alle diejenigen Theorien, in denen der motivational-dynamische Bezug als Beeinträchtigung von Attribution untersucht wird, sondern es gilt in besonderer Weise auch für diejenigen Vorstellungen, in denen der Zuschreibungsprozeß überhaupt als Aspekt des motivational-dynamischen und damit intentionalen Selbst- und Weltbezugs der Subjekte aufgefaßt ist. Betrachten wir unter diesem Aspekt nun zunächst die von Frieze & Weiner (1971) durchgeführten Experimente, in dem (wie auf S. 185 dargestellt) Erfolge und Mißerfolge leistungsbezogener Handlungen durch Bezug auf vier vorgegebene Attributionsdimensionen (Anstrengung, Fähigkeit, Aufgabenschwierigkeit und Glück) erklärt werden sollten. Dabei läßt sich der vermeintliche empirische Aufweis, daß diejenigen Subjekte, die daran interessiert sind, etwas über sich selbst oder andere Personen zu erfahren, deutlicher personenbezogene Attributionsdimensionen akzentuieren, ganz offensichtlich als Realisation eines Begründungsmusters reinterpretieren: Unter der Prämisse nämlich, daß ein Zuschreibungssubjekt daran interessiert ist, etwas über sich oder andere handelnde Personen zu erfahren, wäre eine Hervorhebung der Attributionsdimension Glück und Aufgabenschwierigkeit, sowie die Vernachlässigung aller derjenigen Dimensionen, aus denen sich Hinweise auf die zwischen den Personen bestehenden Differenzen gewinnen lassen, unsinnig, weil intentionswidrig. Damit wird die hier als empirisch behauptete Relation zwischen den mit der attributionalen Erklärung verfolgten Zielen einerseits und den damit im Zusammenhang stehenden Akzentuierungen verfügbarer Attributionsdimensionen andererseits unmittelbar als begründungstheoretisches Implikationsverhältnis, nämlich als Aussage über den Zusammenhang von Zuschreibungsprämisse und Akzentuierungen deutlich. Auch die von Berscheid, Graziano, Monson & Dermer (1976) behauptete Relation zwischen dem Grad der Abhängigkeit, in der sich ein Zuschrei-

274 bungssubjekt zu einer beobachteten Person erfährt, und der Aufmerksamkeit, die dieser Person zugewendet wird (vgl. S. 186 dieser Arbeit), sowie die damit in Zusammenhang gebrachte Akzentuierung personendispositionaler Zuschreibungen und Handlungserklärungen lassen sich nur unter Bezug auf die darin eingeführten Zuschreibungsprämissen verstehen und damit begründungstheoretisch reformulieren. Unter der Prämisse, daß die eigene Lebensführung als von Handlungen und Entscheidungen anderer unmittelbar abhängig erfahren wird, ohne daß diese selbst in ihren Bedeutungs- und Begründungszusammenhängen erfaßt und erfahren werden können, müssen die davon abhängigen Entwicklungen und Veränderungen der eigenen Lebens- und Handlungszusammenhänge dem Subjekt zunächst als gänzlich unkontrollierbare und quasi 'fremdgeleitete' erscheinen. In einem so zu charakterisierenden Handlungszusammenhang erscheint der Versuch, den für die eigene Lebensführung relevanten Personen kontextübergreifende und von ihren situationalen Handlungsprämissen 'befreite', somit als konstant anzunehmende personale Seins- und Verhaltensweisen zuzuschreiben, tatsächlich als ggf. einzige Möglichkeit, ihr Verhalten kalkulierbar zu machen. Der Begründungszusammenhang besteht demnach also darin, daß die Nutzung insbesondere von dispositionalen Denkformen und Eigenschaftskonstrukten, aber auch die Akzentuierung der auf die relevanten Personen hin ausgerichteten Beobachtungsaspekte in dem Bestreben begründet sind, die eigenen Lebens- und Handlungszusammenhänge zumindest partiell kalkulieren und vorhersehen zu können. Abschließend sollen an dieser Stelle noch die auf Tversky & Kahneman (1973) und Kahneman, Slovic & Tversky (1982) zurückgehenden Urteilsheuristiken (wie sie auf S. 193 dieser Arbeit dargestellt wurden) auf begründungstheoretische Formulierungen und Verweise untersucht werden. Dazu muß man sich zunächst vergegenwärtigen, daß Kahneman & Tversky, anders als die Autoren der gerade dargestellten motivational-dynamischen Konzeptionen, explizit darauf verzichten, die zwischen verschiedenen Personen festzustellenden Attributionsunterschiede auf Eigenschaften der Zuschreibungssubjekte zu beziehen. Mit dem Versuch der informationstheoretischen Rekonstruktion der zugrundeliegenden Strukturen und Vorstellungen versuchen sie vielmehr, allgemeine Prinzipien der attributionalen Prozesse zu bestimmen, wie sie bei der Lösung der dargestellten Zuschreibungs-, Schätz- und Bewertungsaufgaben angenommen werden müssen. Nicht die Situation, die Person oder deren intentionales Verhältnis zum Handlungszusammenhang, sondern die bei deren Erklärung ange-

275 wandten allgemeinen Prinzipien lassen nach Kahneman & Tversky systematische Verzerrungen und Fehleinschätzungen erwarten. Betrachtet man nun diese informationstheoretische Konzeption vor dem Hintergrund der dargelegten kategorialen Bestimmungen, wird deutlich, daß sich deren Aussagen weniger als Aussagen über den Zusammenhang zwischen Prämissen und Gründen denn als Differenzierungen und Konkretisierungen der den Subjekten zur Verfügung stehenden gesellschaftlichen Denk- und Rezeptionsformen lesen und reinterpretieren lassen. Damit aber stehen die von Kahneman & Tversky formulierten Strukturaussagen, als Denkformen reformuliert, gewissermaßen auf der Bedeutungs- und Prämissenseite der Zuschreibungsprozesse und nicht auf der Seite der im Zuschreibungsprozeß zur Geltung kommenden Zusammenhänge zwischen Zuschreibungsprämissen und darin begründeten Zuschreibungsweisen. Demnach kann ihr spezifischer Erkenntniswert gerade darin gesehen werden, gesellschaftlich verfügbare Denk- und Rezeptionsformen zu repräsentieren und die mit deren Nutzung einhergehenden Einschätzungsprobleme zu systematisieren. Dies aber schließt ein, daß die Subjekte auch die jeweiligen auf einen Erkenntniszusammenhang hin bezogenen Strukturierungsmöglichkeiten, Aufschließungsweisen und theoretischen Konzepte, mit denen sie Urteile zu bilden versuchen, selbst reflektieren und auf die damit potentiell einhergehenden Gefahren von Fehleinschätzungen hin zu betrachten vermögen, also zu den gesellschaftlich nahegelegten Denk- und Strukturierungsangeboten in ein bewußtes Verhältnis treten können. Spezifiziert man diese Überlegungen etwa auf die von Kahneman & Tversky herausgearbeitete ' Verfügbarkeitsheuristik', lassen sich die darin repräsentierten Überlegungen im Rahmen unserer Gesamtkonzeption als tradierte alltägliche Selbstverständlichkeiten reformulieren, daß nämlich häufiger auftretende und in diesem Sinne 'geläufige' Sachverhalte leichter erinnert werden als Ereignisse, mit denen man nur selten konfrontiert wird. Dies würde bedeuten, daß, sofern ein Subjekt vor der Aufgabe und Notwendigkeit steht, Wahrscheinlichkeitsschätzungen und Aussagen über die Häufigkeit bestimmter Ereignisse zu machen, ohne daß es über ausreichende Informationen verfügt, sich aber die hier explizierten Denkformen als Prämissen zu eigen gemacht hat, gerade nicht nach solchen Informationen suchen wird, aus denen sich die hier anzunehmenden und insofern aktuellen Wahrscheinlichkeitsrelationen ergeben könnten, sondern vielmehr deren jeweilige Erinnerlichkeit zur Grundlage der abzugebenden Wahrscheinlichkeitsschätzungen und Relationsbildungen zu machen ver-

276 suchen wird. Damit aber erweisen sich wiederum die hier abgegebenen Wahrscheinlichkeitsschätzungen und Relationsbildungen als in den zur Prämisse gemachten Denkformen über den Zusammenhang der Häufigkeit und Erinnerlichkeit von Ereignissen als ein nur im Rahmen des Begründungsdiskurses rekonstruierbares Zuschreibungsphänomen, nicht aber als ein durch die Struktur der Schätzaufgabe, die Zuschreibungssituation oder etwa die Eigenschaften der Zuschreibungssubjekte bedingtes Phänomen, das außerhalb einer begründungstheoretischen Konzeption angemessen begriffen werden könnte. Inwieweit jedoch die darin zur Prämisse der Schätzung und Zusammenhangsbehauptung gemachten Denkformen die für den fraglichen Sachverhalt relevanten Dimensionen noch zu repräsentieren vermögen, oder ob mit der Nutzung dieser Denk- und Rezeptionsformen fundamentale Fehleinschätzungen vorgenommen werden, die u.U. aufgrund einer anderen Strukturierung und einer damit einhergehenden anderweitigen Suchstrategie für weitergehende Informationen hätten vermieden werden können, läßt sich nicht dadurch klären, daß man hier den Zusammenhang zwischen Zuschreibungsprämissen, daraus hervorgehenden Strukturierungen und darin begründeten Zuschreibungsweisen reflektiert, sondern nur darüber, daß das Verhältnis, in dem der zu erklärende Sachverhalt und die zu seiner Erklärung herangezogenen Denk- und Rezeptionsformen als Prämissen stehen, auf ihre Angemessenheit hin untersucht werden. Dementsprechend lassen sich sowohl die 'Repräsentativitätsheuristiken' wie auch die sogenannten ' Verankerungsheuristiken' als den Zuschreibungssubjekten verfügbare gesellschaftliche Denk- und Rezeptionsformen reformulieren, in denen Vorstellungen repräsentiert sind, die etwa das Verhältnis eines konkret beobachteten Ereignisses zur Gesamtheit damit in Zusammenhang stehender Ereignisse betreffen, bzw. in denen eine Art Ausgangspunkt bestimmt wird, von dem ausgehend es dem Subjekt begründet erscheint, die zunächst in seinen Relationen und Bezügen undurchdringlichen Verhältnisse zwischen den zugänglichen Informationen und Ereignisdaten perspektivisch aufzuschließen und in ihrer Bedeutung für den jeweils zu erklärenden Sachverhalt abzuschätzen. Dabei handelt es sich auch hier um alltägliche Denkformen als Begründungsstrukturen, die dann identisch für Realität gelten, wenn ihre Prämissen tatsächlich vorliegen, wobei die Beantwortung der Frage, ob dies der Fall ist, nicht aus den Denkformen selbst abgeleitet werden kann, sondern eine empirische Abklärung des Verhältnisses zwischen den jeweiligen gesellschaftlichen Be-

277 deutungskonstellationen und den darauf bezogenen Begründungsprämissen vom Standpunkt des Zuschreibungssubjekts erfordert.

278

Kapitel 10

Zugänge zu den erklärungsprovozierenden Handlungszusammenhängen im Alltag: Ansatzpunkte für eine Theorie der Funktion und Genese problembezogener Handlungserklärungen Vorbemerkung Ausgangspunkt der hier vorliegenden Untersuchung war der sogenannte Theorie-Praxis-Bruch innerhalb der Psychologie. Dieser wurde vor allem anderen darauf zurückgeführt, daß in psychologischen Theorien gemeinhin nach den Bedingungen des Verhaltens gefragt wird, sich die psychologische Praxis demgegenüber jedoch vielmehr mit Handlungserklärungen der Betroffenen konfrontiert sieht und vor der Notwendigkeit steht, die von den Subjekten als Begründung von Handlungen vorgebrachten und damit handlungsleitenden Vorstellungen und Zusammenhangsannahmen zum zentralen Gegenstand ihrer Analysen und Theorienbildung zu machen. Psychologische Praxis steht so gesehen vor der Aufgabe, die verschiedenen implizit-theoretischen Formen der Wirklichkeitsaufschließung der Betroffenen zu rekonstruieren, diese gemeinsam mit ihnen innerhalb des diskursiv-sozialen Prozesses der Praxis auf ihre Angemessenheit zu befragen und in einer intersubjektiv verständlichen Weise so zu problematisieren, daß sich in deren Folge für die Betroffenen selbst weitergehende und problembezogene Handlungsmöglichkeiten erschließen lassen. Eine allein auf die Analyse der Bedingungen von Verhalten hin ausgerichtete akademisch-psychologische Theorienbildung erweist sich demnach als mit den so skizzierten Anforderungen an psychologische Praxis unvermittelbar und leistet entsprechend kaum einen Beitrag zur Begründung und Bewältigung von Praxis. Bei näherer Betrachtung indes können auch innerhalb des akademischen mainstream sehr wohl Konzeptionen aufgewiesen werden, die dem Umstand Rechnung zu tragen versuchen, daß menschliches Verhalten nicht als Wirkung spezifischer Reizkonstellationen aufgefaßt werden muß, sondern daß von den Subjekten über die sie betreffenden Ereignisse Vorstellungen

279 und implizit-theoretische Konzepte entwickelt werden, vor deren Hintergrund sich ihr manifestes Verhalten erst erschließt. Unter diesen Konzeptionen muß nun den Attributionstheorien ein besonderer Stellenwert zugesprochen werden: Diese sind nämlich gerade angetreten, um die Struktur, Funktion und Genese solcher implizit handlungsleitender Zusammenhangsvorstellungen herauszuarbeiten, die Grundlage der von den Subjekten vollzogenen Aufschließung ihrer je bedeutungsvollen Lebenszusammenhänge sind. Die hier vorgelegte Aufarbeitung von Attributionstheorien und von in diesem Zusammenhang entwickelten empirisch-experimentellen Untersuchungen geht also auf den Gedanken zurück, daß sich im Zuge der Explikation der darin enthaltenen spezifischen Erkenntnismöglichkeiten zugleich Möglichkeiten zur theoretischen Begründung psychologischer Praxis herausarbeiten lassen und daß deren Aufarbeitung als Beitrag zur perspektivischen Bewältigung des angeführten Bruchs zwischen Theorie und Praxis in der Psychologie angesehen werden kann. Konkret indes wurde unsere Aufarbeitung von der Frage geleitet, ob sich in der von Attributionstheorien ggf. realisierten Explikation impliziter Voraussetzungen von Zuschreibungen und Handlungserklärungen Hinweise darauf finden lassen, wie diese strukturiert werden und ob sich dabei übergreifendere Strategien der Konstitution lebensweltbezogener Zusammenhangsannahmen aufweisen lassen, deren Kenntnis innerhalb der praktisch-psychologischen Rekonstruktion problembezogener Handlungserklärungen als hilfreiches Zusammenhangswissen angesehen werden kann. Indem hier von der These ausgegangen wird, daß kein Handeln als theorienlos aufgefaßt werden kann, wird psychologische Praxis zunächst allgemein als Prozeß der Analyse und Rekonstruktion der auf psychische Probleme bezogenen impliziten Theorien, Vorstellungen und handlungsleitenden Zusammenhangsannahmen betrachtet. Mit der Frage, wie derartige Zusammenhangsvorstellungen entwickelt werden und auf welche Weise darin gesellschaftlich verfügbare Denkangebote vermittelt und einbezogen sind, stellt sich auch die Frage nach den Konsequenzen, die sich aus der Nutzung der einen oder anderen Denk- und Strukturierungsmöglichkeit für die Entwicklung von Handlungs- und Eingriffsmöglichkeiten ergeben. Psychologische Praxis kann also keineswegs davon ausgehen, daß lediglich von Psychologen theoretische Vorstellungen über die jeweiligen Problemzusammenhänge entwickelt werden. Vielmehr sind es die Klienten, die Auftraggeber und andere an psychologischer Praxis interessierte Personen und Institutionen, die mehr oder weniger explizit psychologische

280 Alltagstheorien und Zusammenhangsvorstellungen entwickeln, um damit die jeweils vorliegenden Problemzusammenhänge erklären und ihr eigenes Verhalten mit diesen Vorstellungen begründen zu können. Demnach steht die psychologische Praxis nicht nur vor der Notwendigkeit, den Bezug dieser verschiedenen problembezogenen Sichtweisen zueinander herauszuarbeiten. Vielmehr muß sie danach fragen, ob sich anstehende Probleme ggf. erst bewältigen lassen, wenn die darauf bezogenen Vorstellungen und Sichtweisen selbst der Kritik und Weiterentwicklung unterzogen werden. In psychologischer Praxis muß also u.a. geklärt werden, ob nicht schon allein die Art der Strukturierung der auf einen Handlungszusammenhang bezogenen Sichtweisen dazu beiträgt, daß real bestehende Handlungsmöglichkeiten nicht erkannt oder ausgeklammert werden, womit auch eine intentionsgemäße Veränderung und Einflußnahme auf die je eigenen problematisch gewordenen Lebensbezüge bereits durch die darauf bezogenen Denk- und Strukturierungsformen weithin verstellt wären. Aus dieser Fassung von psychologischer Praxis als Praxis der Kritik und Weiterentwicklung handlungsleitender alltagstheoretischer Vorstellungen und Sichtweisen ergibt sich nun aber, daß der für die Attributionstheorien geltend zu machende Bezug zur psychologischen Praxis von Anfang an nicht darin gesehen werden kann, daß attributionale Prozesse gezielt und etwa als eine Art 'Verfahren' in den therapeutischen Prozeß der Durchdringung und Bewältigung problematischer Lebensbezüge eingesetzt werden können: Schon der immer wieder aufgewiesene Aspekt von Attribution, unmittelbar kurzschlüssige Relationsbildungen zu befördern und weitergehendes Fragen abzuschneiden, also deren quasi erkenntnisbegrenzende Funktion, weist darauf hin, daß ein psychologisch angeleiteter Prozeß der Durchdringung problematisch gewordener Lebens- und Handlungszusammenhänge von Betroffenen gerade voraussetzt, daß derartige, auf Attributionen zurückgehende und nahegelegte Zusammenhangsvorstellungen überwunden werden. Aus der hier entwickelten Position kann sich die theoretische ebenso wie die psychologisch-praktische Beschäftigung mit Attribution also nur darin begründen, nähere Kenntnisse über die Struktur und Verfaßtheit zusammenhangsverkürzender Sichtweisen auf die je eigenen Lebenszusammenhänge zu gewinnen. Auf psychologische Praxis bezogen ergibt sich daraus, daß sich attributionale Prozesse nicht 'nutzen' lassen, sondern daß vielmehr Attribution durch Analyse zu überschreiten ist.

281 Dabei ist in unserem gegenwärtigen Diskussionszusammenhang der Umstand zu berücksichtigen, daß sich die Attributionsforschung keineswegs auf den grundwissenschaftlich-sozialpsychologischen Bereich beschränkt, sondern mannigfache Vorschläge existieren, Attribution auch in psychologischer Beratung, Therapie o.ä. als gezielt gesteuertes Verfahren zur Produktion bestimmter, vorgeblich hilfreicher Attributionen einzusetzen ein Ansatz, der ersichtlich mit unserer Herausarbeitung der grundsätzlich erkenntnisbeschränkenden Funktion von Attribution und der Notwendigkeit ihrer Überwindung in diametralem Gegensatz steht. Damit gilt es in diesem abschließenden Kapitel zum einen, derartige Versuche der praktischen 'Anwendung' von Attribution auf ihre Tragfähigkeit hin zu untersuchen. Dabei berücksichtige ich mehr exemplarisch nur den von Försterling (1984, 1986) vorgelegten Versuch der Begründung einer sogenannten 'Reattributionstherapie'. Daran anschließend muß zum anderen der Frage nachgegangen werden, welche Bezüge und Konsequenzen sich aus der hier vorgelegten Analyse und Reinterpretation der verschiedenen attributionstheoretischen Überlegungen und empirisch-experimentellen Befunde für unsere subjektwissenschaftliche Konzeption psychologischer Praxis ergeben. Schließlich sollen diejenigen Ansatzpunkte näher bestimmt werden, an denen weitergehende empirische Untersuchungen attributionaler Prozesse auf subjektwissenschaftlicher, d.h. begründungstheoretischer Basis ansetzen können. Daß derartige Fragestellungen nur in den jeweils authentischen Lebenskontexten und real zu bewältigenden Handlungserfordernissen weitergehend untersucht werden können, ergibt sich dabei schon aus dem an verschiedenen Stellen dieser Arbeit immer wieder deutlich gewordenen Umstand, daß handlungsrelevante Erklärungen der je eigenen Lebenszusammenhänge eben nicht einfach qua Aufforderung produziert und abgegeben werden, sondern mit den zu lösenden subjektiv bedeutsamen Lebensproblemen als Explikation der den Subjekten verfügbaren Handlungsmöglichkeiten in Zusammenhang stehen. Um einen derartigen subjektwissenschaftlichen Zugang zu den von den Subjekten entwickelten Zuschreibungen und Zusammenhangserklärungen zu gewinnen, gilt es, zunächst eine radikale Verschiebung der Forschungsperspektive und der zugrundeliegenden Fragestellung zu vollziehen (vgl. auch Holzkamp, 1985b, 30): Nicht das Zuschreibungssubjekt, sondern die Welt, wie sie von diesem erfaßt und erfahren wird und auf die es vermittels Attribution Bezug zu nehmen versucht, muß als Gegenstand der Untersuchung herausgehoben werden. Dies schließt ein, daß nicht attributionale

282 Verarbeitungsformen, sondern vielmehr die jeweiligen Zuschreibungszwsammenhänge, wie sie sich für die Subjekte als bedeutungsvoll erweisen, daraufhin untersucht werden müssen, ob und in welcher Weise sich diese für die Subjekte als erklärungsprovozierende Lebens- und Handlungszusammenhänge darstellen und welche Zuschreibungsweisen sich dabei für die jeweiligen Subjekte und von deren Standpunkt aus gegenüber welchen möglichen Alternativen als begründet erweisen.

10.1. Reattributionstraining als Versuch der Anwendung attributionstheoretischer Konzepte in der klinisch-psychologischen Praxis: Zum Problem der Verflüchtigung sachlich-sozialer Bedeutungsbezüge Zur Frage der Möglichkeiten, attributionstheoretische Konzeptionen für die psychologische bzw. psychologisch-therapeutische Praxis nutzbar zu machen, liegen - wie schon angedeutet - verschiedene Arbeiten vor (vgl. Storms & McCaul, 1976; Liebhart, 1978; Brockner & Swap, 1983 und Försterling, 1984, 1986), von denen ich mich hier nur auf die 'Reattributionstherapie' von Försterling (1984, 1986) beziehen möchte, um darüber zu einer genaueren Bestimmung der hier verfolgten Fragerichtung nach den jeweiligen Zuschreibungszusammenhängen zu gelangen. In der aus unserer Aufarbeitung zu gewinnenden Perspektive wird der Zusammenhang von attributionalen Konzeptionen und psychologischer Praxis als ein kontext- und interessenbezogener Versuch der Systematisierung problematisch gewordener Lebens- und Handlungszusammenhänge aufgefaßt, und damit wird auf alle von den Klienten eingebrachten Darstellungen und Zusammenhangsvermutungen der ihnen zum Problem werdenen Lebensbezüge die Frage bezogen, wie und in welcher Weise die darin zur Geltung kommende oder auch nur 'gemeinte' Lebensrealität der Klienten als Ensemble von Handlungsmöglichkeiten reformuliert werden kann. Der von Försterling (1984, 1986) vorgelegte Entwurf für eine attributionstheoretische Fundierung therapeutischer Praxis stellt sich im Gegensatz dazu als ein Konzept dar, aufgrund dessen es möglich werden soll, Handlungsund Ereigniserklärungen vollständig von den zu erklärenden Sachverhalten zu lösen und die attributionale Rekonstruktion subjektiv bedeutsamer Le-

283 benszusammenhänge allein unter Rekurs auf die den Subjekten selbst beigelegten situationsübergreifenden 'Zuschreibungsstile' zu erklären10. Mit diesem Konzept wird die letztlich jedem attributionstheoretischen Ansatz zugrundegelegte Annahme preisgegeben, daß sich Attributionsunterschiede aus den verschiedenen Positionen, Intentionen oder Interessen von Zuschreibungssubjekten in bezug auf die von ihnen zu erklärenden Sachverhalte begründen ließen. Statt dessen wird hier ein dispositionales Konzept eingeführt, aus dem sich differentiell-psychologische Aussagen über Zuschreibungssubjekte ergeben sollen, in deren Folge das jeweilige Subjekt und dessen dispositionale Verfaßtheit, nicht aber die zu durchdringenden Lebenszusammenhänge zum Ziel und Gegenstand der therapeutischen Beeinflussungsbemühungen erklärt werden. Mit dem Konzept der 'Zuschreibungsstile' verschwindet nicht nur jedweder Bezug zu den situational und motivational-dynamisch begründeten Unterschieden der Erklärung von Ereignissen und Handlungen, sondern auch jedwede Möglichkeit der intersubjektiven Verständigung über die Angemessenheit der von den Zuschreibungssubjekten vorgebrachten Handlungs- und Ereigniserklärungen: dies deswegen, weil nicht die zu durchdringenden Wirklichkeitsbezüge, sondern eine differentiell-psychologisch bestimmte Normalitätsvorstellung als Bezugssystem herangezogen wird, mittels dessen die Angemessenheit der von den Subjekten eingebrachten Handlungs- und Ereigniserklärungen bewertet wird. Die klinische Bedeutung attributionstheoretischer Konzepte ergibt sich für die so verstandene 'Reattributionstherapie' vor allem daraus, daß „viele Verhaltensreaktionen, Emotionen und auch Kognitionen (z.B. phobische Vermeidungsreaktionen, Leistungsdefizite, Depression oder gering wahrgenommene Erfolgswahrscheinlichkeiten) infolge von Ursachenzuschreibungen auftauchen, die man über eigene Handlungsresultate (etwa Erfolg und

Diese Vorstellung eines situationsübergreifend konstanten Attributions- bzw. Zuschreibungsstils wird auch durch die attributionstheoretische Reformulierung der Theorie der 'Gelernten Hilflosigkeit' von Abramson, Seligman & Teasdale (1978) vertreten, indem hier eine Art 'depressiver AttributionsstiP angenommen wird, der sich darin äußere, daß negative Ereignisse bevorzugt internalen und stabilen Dimensionen zugeschrieben, positive Ereignisse hingegen mit externalen und variablen Ursachenzusammenhängen erklärt würden. Zur Erfassung dieses 'Attributionsstils' ist von Peterson et al. (1982) ein Attributional Style Questionnaire (ASQ) vorgelegt worden, der von Stienmeier et al. (1985) als deutsche Version German Attributional Style Questionnaire (GASQ) herausgebracht wurde [vgl. dazu Stienmeier-Pelster & Kammer (1989)].

284 Mißerfolg) in sozialen- und Leistungstätigkeiten vornimmt" (Försterling, 1986,103). Ausgehend von der Vorstellung situationsübergreifender und interindividuell unterschiedlich ausgeprägter 'Zuschreibungsstile', die Kausalattributionen von Handlungen und Ereignissen zugrunde liegen würden, lasse sich - so Försterling - beispielsweise die These aufstellen, daß zu Depressionen neigende Individuen Mißerfolge durch internale, stabile Faktoren zu erklären versuchen, weshalb sie nach Mißerfolgserlebnissen auch weniger Ausdauer zur Fortsetzung von Tätigkeiten als solche Personen zeigen, bei denen man eine 'Vorliebe' für die Attribution von mangelnder Anstrengung feststellen könne (vgl. Försterling, 1986, 128). Für die klinisch-psychologische Praxis ergebe sich daraus etwa die Frage, ob es gelingen könne, Individuen, die nach Mißerfolgen sehr rasch aufgeben, durch die gezielte Einflußnahme auf ihre jeweilige attributionale Erklärung zu Veränderungen ihres 4Ausdauerverhaltens' zubewegen. Mit der Konstitution von 'Zuschreibungsstilen' wird aber nicht nur auf die Frage verzichtet, ob und inwieweit die von den Zuschreibungssubjekten erbrachten Handlungserklärungen als dem problematisch gewordenen Handlungszusammenhang tatsächlich angemessen angesehen werden können, sondern es wird auch die Möglichkeit aufgegeben, darüber zu entscheiden, ob die sich aus dieser Strukturierung ergebenden Handlungsmöglichkeiten mit den Interessen der zuschreibenden Subjekte in Verbindung gebracht werden können bzw. in welchem Zusammenhang die auf dieser Grundlage entwickelten Vorstellungen über die aktuell verfügbaren Möglichkeiten zu den daraus hervorgehenden Handlungskonsequenzen tatsächlich stehen. Bezieht man diese Kritik auf ein von Försterling selbst angeführtes Beispiel aus der therapeutischen Praxis, wird nicht nur die hier zunächst behauptete vollständige Preisgabe jedweder Frage nach den tatsächlich problematisch gewordenen Lebenszusammenhängen deutlich, sondern es wird auch der einer solchen Konzeption psychologisch-therapeutischer Praxis implizite Zynismus offenkundig, von dem so praktizierende Psychologen und Therapeuten wohl kaum gänzlich unbeschadet bleiben können. Im Zuge der Erörterung, auf welche Weise die Ursachenzuschreibungen verändert werden müßten, um therapeutisch 'günstige' Ereignisse herbeizuführen, und um zu begründen, daß 'negative innere Zuständlichkeiten', die durch stabile Faktoren erklärt werden, ggf. zur Intensivierung der ursprünglich problematischen Symptomatik führen könnten, berichtet För-

285 Sterling (1986,131f) von einem jungen Mann, ,4er nach dem Einzug in eine neue Wohnung feststellt, daß er aufgrund des starken Straßenlärms (eine externale Attribution) nicht einschlafen kann (Effekt). Er glaubt auch, in der nächsten Zeit die Wohnung nicht wechseln zu können (die Ursache für die Schlaflosigkeit wird als stabil wahrgenommen). Dieser Mann mag nun Angst oder Depression im Zusammenhang mit seiner Annahme entwickeln, daß er in Zukunft stets schlecht schlafen wird. Er würde eventuell weniger Ängste und depressive Gefühle bezüglich seiner Schlafstörungen erleben, wenn er eine internale, variable und kontrollierbare Attribution, wie sie von Reattributions-Trainings angestrebt wird, für seine Probleme vornähme, etwa vorübergehende nervöse Probleme, die er durch Entspannungsübungen positiv beeinflussen kann." Selbst dann, wenn man unterstellt, daß derartige Umdeutungen objektiver Beschränkungen in personale Beschränktheiten von 'Reattributions-Trainern' als 'erfolgreiche' therapeutische Intervention angesehen werden, muß an dieser Stelle vor allem danach gefragt werden, warum der hier zu Entspannungsübungen ermutigte junge Mann die von seinem 'Trainer' vorgeschlagene Preisgabe der sachlichen Begründetheit seiner Schlaflosigkeit für sich übernehmen sollte, und welche Konsequenzen dann angenommen werden müßten, wenn die sich aus dieser Neustrukturierung ergebende Handlungsmöglichkeit der Entspannungsübung sich auch nach längerem Training nicht positiv auf seine Schlafstörungen auswirken sollte. An diesem Beispiel wird in besonderer Weise deutlich, daß in dem Maße, wie attributionstheoretische Konzeptionen aus den kontextentbundenen und konstruierten Problemstellungen laborexperimenteller Untersuchungen heraustreten, auch ein grundsätzlich anderes, auf Praxis bezogenes Wahrheitskriterium hervortritt, durch das die Geltung und Angemessenheit von Zusammenhangsvorstellungen und Ereignisstrukturierungen nicht mehr durch deren relative Verbreitetheit, sondern durch die realen Möglichkeiten begründet werden muß, Einfluß auf aktuell problematische Sachverhalte zu nehmen: Es ist die konkrete Lebenspraxis, an der eben auch eine auf solcherlei Vorstellungen aufbauende Praxis scheitern kann, von der Försterling verspricht, daß die Betroffenen dadurch weniger Ängste und weniger depressive Gefühle empfinden werden. Aber auch ein anderes, vielleicht weniger exponiertes Beispiel verweist darauf, daß von der hier vorgeschlagenen Reattributionstherapie jedwede Frage nach dem tatsächlichen Zustandekommen und den Zusammenhän-

286 gen real problematischer Ereignisse weder aufgeklärt noch überhaupt als eine zu beantwortende Fragestellung aufgefaßt wird. Im Rahmen der Schilderung ,klinischer Fälle, in denen sich Veränderungen von unrealistischen zu realistischen Attributionen als therapeutisch sinnvoll erwiesen haben" (140f) berichtet Försterling (1986) über eine Klientin, die nach dem Verlust ihres Partners ('sozialer Mißerfolg') ängstlich und depressiv reagiert, soziale Kontakte zu meiden beginnt und einsam wird: „Die Analyse der Erklärungen für ihre Situation zeigt, daß sie einen internalen, stabilen und globalen Faktor zu[r] Erklärung des Verlustes ihres Partners heranzieht, nämlich ihre mangelnde Fähigkeit, Beziehungen aufrechtzuerhalten. Aus unserer attributionstheoretischen Sicht können wir ihre depressiven und ängstlichen Reaktionen auf ihre Attribution zurückführen. Die Analyse der Kovariationsinformationen ergibt, daß die Attribution auf globale soziale Fähigkeiten nicht gerechtfertigt ist. Zunächst ist sie nicht die einzige Frau, die von ihrem Mann verlassen wurde (Konsensus-Information) und darüber hinaus hat sie andere soziale Beziehungen, mit denen sie zufrieden ist (Distinktheit). Weiterhin liegen auch keine Anzeichen dafür vor, daß sie ständig von ihren Ehepartnern verlassen wird (da es sich um ihre erste Ehe handelt, liegt Konsistenzinformation nicht vor). Aufgrund dieser Informationen wäre eine Ursachenzuschreibung auf ungünstige Umstände, die Eigenarten des Ehemannes und/oder Zufallsgegebenheiten eher naheliegend. Wenn die Klientin sich diese 'neuen' Zuschreibungen zu eigen macht und sich in geringerem Maße mangelnde soziale Fähigkeiten vorwirft, kann man erwarten, daß sie sich weniger depressiv und ängstlich, sondern lediglich enttäuscht fühlt. Darüber hinaus sollte sie aufgrund der Attributions-Veränderung gesteigerte Erfolgserwartungen haben, neue Partner kennenzulernen und sich wieder anderen Personen zuwenden" (ebd.). Auch in diesem Beispiel sind also bezüglich der Frage, warum die Klientin die Beziehung zu ihrem Partner nicht aufrechterhalten konnte bzw. wie sie derartige Probleme zukünftig besser bewältigen und die darauf bezogenen Lebensbezüge besser kontrollieren könnte, vom Therapeuten keinerlei inhaltliche Positionen oder Fragestellungen zur Verfügung gestellt worden, mit deren Hilfe die Klientin die für ihre Lebensführung unmittelbar bedeutsamen Ereignisse hätte durchdringen können. Das hier vorgeschlagene therapeutische Vorgehen kann einmal mehr als Versuch aufgefaßt werden, Attribution als Ersatz für angemessene Erklärungen zu nutzen und die lediglich den Prozeß der unmittelbaren Ursachenzuschreibung kennzeichnende reduzierte Informationslage durch eine massive, therapeutisch ange-

287 leitete Informationsreduktion erst herzustellen. Mit diesem Beispiel soll hier auch noch auf einen anderen Aspekt hingewiesen werden: Wenn, so ist hier formuliert worden, sich die Klientin die vorgeschlagenen Zuschreibungen tatsächlich zu eigen macht, könne erwartet werden, daß sie lediglich von ihrem Partner oder Zufallsgegebenheiten enttäuscht wäre und sich daher nicht weiter isolieren, sondern wieder anderen Personen zuwenden würde. Ob sich die Klientin allerdings eine derart vorgeschlagene Zuschreibung tatsächlich zu eigen macht, kann aufgrund dieser Darstellung überhaupt nicht gesagt werden. Ob und warum Klientinnen die von ihren Therapeuten vorgeschlagene Zuschreibung tatsächlich für sich übernehmen sollten, läßt sich jedoch keineswegs mit den von Försterling (1986, 154) vorgeschlagen 'operanten Methoden', den 4Überredungstechniken' oder der Vorstellung von Übernahmen als Prozeß des ' Modellernens' erklären, sondern ergibt sich zum einen daraus, ob die hier vom Therapeuten vorgeschlagene Strukturierung für die Klientin einsichtig erscheint, d.h. als eine dem problematisch gewordenen Ereignis angemessene Rekonstruktion und Erklärung angesehen werden kann, und zum anderen daraus, ob die in dieser Erklärung akzentuierten Prämissen vom Standpunkt der Klientin, d.h. unter Bezug auf die mit dieser Erklärung tatsächlich verfolgten Interessen, als begründet erfahren und entsprechend übernommen werden können. In bezug auf die beiden hier diskutierten, von Försterling dargestellten klinischen Fälle ergibt sich damit zum einen, daß nicht nur die in diesen Beispielen von den Betroffenen selbst vorgebrachten attributionalen Zusammenhangserklärungen, sondern auch die damit in Zusammenhang gebrachten Alternativerklärungen der Therapeuten nur dann auf die problematischen Aspekte des je eigenen Lebens- und Handlungszusammenhangs bezogen werden, wenn sie als eine vom Subjektstandpunkt aus begründete Rekonstruktion der Problemzusammenhänge angesehen werden können, aus der sich mit den je eigenen Interessen vermittelbare Handlungsmöglichkeiten ergeben. Zum anderen aber wird daran auch deutlich, daß sich sowohl die von den Zuschreibungssubjekten selbst entwickelten als auch die von den Therapeuten eingebrachten alternativen Strukturierungen am Kriterium der damit zu fassenden sachlich-sozialen Realität zu bewähren haben, womit ein fundamental anderes Geltungskriterium, nämlich die veränderte Praxis, für die Angemessenheit und theoretische Tragweite attributionaler Erklärungen und Zusammenhangsvorstellungen begründet wird, das in laborexperimentellen Untersuchungen mit ihren immanenten Güte- und Geltungskriterien keineswegs hergestellt werden kann.

288 Dies aber bedeutet, daß sich der Therapeut, will er für die Klientinnen und deren problematisch gewordene Lebensbezüge angemessene Strukturierungen und Zusammenhangsvorstellungen entwickeln helfen, sich gemeinsam mit ihnen auf ihre tatsächliche Lebenswirklichkeit sowie auf die darin konstituierten Zusammenhänge von Interessen und Möglichkeiten mit inhaltlich-theoretischen Positionen einlassen muß: Auf diesem Wege sind die ggf. kontroversen Vorstellungen über die problematisch gewordenen Lebenszusammenhänge mit den betroffenen Subjekten in einer Weise zu überprüfen, daß diese selbst und für sich entscheiden können, aufgrund welcher der vorgeschlagenen Strukturierungen und Zusammenhangsvorstellungen sich ggf. aktuell noch unverfügbare Handlungsmöglichkeiten entwickeln lassen, mit denen auf die problematisch gewordenen Handlungszusammenhänge perspektivisch und praktisch Einfluß genommen werden kann. Eine derartige auf die Explikation der realen Veränderungsmöglichkeiten bezogene Kritik und Weiterentwicklung der von den Betroffenen selbst vorgebrachten Handlungserklärungen erfordert jedoch einen grundsätzlich anderen, nämlich theoretisch begründeten, Zugang zu den jeweiligen Lebenszusammenhängen als den, wie er dem 4 Attributionstraining' zugrundeliegt: Aus einem solchen Training' kann, wie ersichtlich, kaum etwas anderes abgeleitet werden als die Betonung anderer und vielleicht 4 angenehmerer' Zuschreibungsdimensionen, womit sich dieses als ein Versuch erweist, die Klientinnen manipulativ zu einer bloß 'innerpsychischen' Umdeutung problematischer Wirklichkeitsaspekte zu bewegen. Das von Försterling dargestellte Vorgehen, die im Prinzip auswertbaren Informationen auch noch dort auszuklammern, wo sie den Subjekten real verfügbar sind, kann damit nur als massive Zurichtung jedweder authentischer Lebensbezüge angesehen werden und verweist so einmal mehr auf dessen theoretische Bodenlosigkeit: Dieser Versuch, die in experimentellstatistisch angelegten Untersuchungen allein aus Gründen der Bedingungskontrolle methodisch erzwungene Vereinfachung und die dem Kriterium der Vergleichbarkeit geschuldete radikale Informationsbeschränkung auch im Kontext der hier thematisierten klinischen Einzelfallanalyse durchsetzen zu wollen, läßt sich nur als fundamentales Mißverständnis der zwischen Experiment und Praxis bestehenden Bezüge ansehen. Auch wenn es aufgrund methodologischer Vorstellungen unmöglich erscheint, die authentische Lebenswirklichkeit im Experiment zu repräsentieren, muß doch der Versuch, die daraus entstandenden Probleme dadurch bewältigen zu wollen, daß man die Wirklichkeit den Konstruktionsbedingungen psycho-

289 logischer Experimente anzupassen versucht, als mindestens ebenso abenteuerlich angesehen werden, wie diejenigen Abenteuer, die vom großen Vorreiter Don Quichotte vollbracht wurden. Für die Klientinnen aber richtet sich diese therapeutische Orientierung auf Attribution, gemäß derer bestehende Probleme nicht zu lösen, sondern lediglich umzudeuten sind und die damit nur als Ersatz für die gefragte Analyse aufgefaßt werden kann, gerade gegen die eigenen Erkenntnisinteressen und trägt mit dazu bei, die bereits erlebte Handlungsunfähigkeit in den zum Problem gewordenen Lebensumständen nur weiter zu befördern und zu verfestigen. Um die zur Lösung realer Lebensprobleme erforderlichen inhaltlich-theoretischen Positionen und Zusammenhangsvorstellungen, mit denen sich die Subjekte die für sie bedeutungsvollen Lebens- und Handlungszusammenhänge selbst erschließen und damit Handlungsmöglichkeiten zu ihrer perspektivischen Bewältigung entwickeln können, nun aber tatsächlich anbieten zu können, müßte der Therapeut über ein fall- und problembezogenes theoretisches Wissen als inhaltlichem Aspekt psychologischer Kompetenz verfügen (vgl. dazu Markard, 1991c), bei dessen Entwicklung die Praktiker jedoch von der Psychologie als Wissenschaft schon aufgrund ihrer gegenwärtigen Unentwickeltheit nicht nur theoretisch und methodisch, sondern auch begrifflich-konzeptionell 'alleingelassen' werden (vgl. dazu Holzkamp, 1988b, 25ff). Dabei hängt die Art und Weise, in der die damit beschriebenen Begründungs- und Legitimationsprobleme in psychologischer Praxis zu lösen und zu bewältigen versucht werden, entscheidend davon ab, welche Handlungsmöglichkeiten den Praktikern innerhalb ihrer eigenen Reproduktionszusammenhänge zur Verfügung stehen: Ob und inwieweit also Verfahren und Techniken entwickelt wurden und angeeignet werden können, durch die man den legitimen Forderungen der Klientinnen nach fall- und problembezogenem inhaltlichem Zusammenhangs- und Widerspruchswissen als Mittel zur Analyse der eingebrachten Probleme nachzukommen vermag, hängt u.a. davon ab, ob sich therapeutische Kompetenz aus der Sicht der Praktiker als Aspekt der zu entwickelnden psychologischen Theorien darstellt oder ob diese lediglich als individueller Ausdruck der Entwicklung der 'Therapeutenpersönlichkeit' außerhalb der Zuständigkeit und Verantwortung theoretischer Analyse angesehen und damit psychologische Praxis nicht durch theoretische Fundierung, sondern durch die unausweisbare persönliche 'Lebenserfahrung' gerechtfertigt wird. Bezieht man diese Überlegungen nun wieder auf die dargestellten attributionstheoretischen Experimente zurück, wird deutlich, daß zwischen diesen

290 und den im Rahmen psychologisch-beratender Praxis zur Geltung kommenden Handlungs- und Ereigniserklärungen noch auf einer ganz anderen Ebene prinzipielle Unterschiede bestehen: Die Frage, welche Aspekte aus dem jeweiligen Beobachtungszusammenhang als Daten herausgehoben und zur Grundlage von Zuschreibungsprozessen gemacht werden, kann nämlich mit Bezug auf die experimentellen Anordnungen sehr einfach beantwortet werden: hier sind die entsprechenden Dimensionen schließlich vom Experimentator selbst eingeführt worden. In psychologischer Praxis müssen die relevanten Dimensionen jedoch erst aus den Darstellungen der Betroffenen rekonstruiert werden. Dies hat u.a. zur Konsequenz, daß der Wert der verschiedenen experimentellen Befunde von vornherein auf diejenigen Fälle beschränkt bleibt, in denen die Subjekte die zu erklärenden Sachverhalte tatsächlich so zu konzeptualisieren und theoretisieren versuchen, wie dies in der experimentellen Operationalisierung, den darin zugelassenen Informationen und darauf bezogenen Antwortkategorien vorgesehen ist. Da also in den Experimenten mit der Vorgabe von Ereignisbeschreibungen und Antwortkategorien bereits vorab festgelegt ist, welche Informationen über ein zu erklärendes Phänomen zugänglich werden und auf welche Zuschreibungsdimensionen die verfügbaren Informationen bezogen werden sollen, ist hier über die Art und die Möglichkeiten ihrer Interpretation schon vorentschieden. Dagegen sind im Rahmen der klinisch-psychologischen Praxis beide der genannten Aspekte empirisch offen: Sowohl die Frage, welche Informationen und Ereignisbeschreibungen des fraglichen Handlungszusammenhangs von den Subjekten als relevant angesehen werden, als auch die Frage, auf welche Dimensionen sie die dargestellten Problemzusammenhänge zu beziehen versuchen, müssen nämlich innerhalb der psychologischen Praxis zunächst rekonstruiert werden. Gleichwohl erweist sich diese Rekonstruktion geradezu als einer der Schlüssel zur Explikation der von den Klientinnen geltend gemachten impliziten Theorien und Denkformen. Schon für die Darstellung der aktuell problematischen Lebenszusammenhänge müssen die Betroffenen nämlich aus der Fülle und Komplexität der Ereigniszusammenhänge diejenigen Aspekte herausheben, durch die ihnen die Darstellung der Problemzusammenhänge und ihrer darauf bezogenen Handlungsweisen als von ihrem Standpunkt für den Therapeuten einsichtig und gut begründet erscheint. Für derartige diskursive Prozesse der Verständigung über die einem Subjekt zum Problem werdenden Lebensbezüge ergibt sich im Zuge der therapeutischen Bemühungen, daß die Beteiligten, hier die Therapeuten und Klien-

291 tlnnen, bereits von Anfang an in einen Diskurs darüber eintreten müssen, ob die berichteten Informationen und dargestellten Zusammenhänge tatsächlich alle zum Verständnis wesentlicher Aspekte beitragen oder ob das Verhalten der Klientinnen oder anderer involvierter Subjekte nicht auch auf eine ganz andere als auf die zunächst angenommene Weise verständlich gemacht werden könnte, z.B. wenn noch weitere, ggf. zunächst gar nicht als wesentlich erscheinende Informationen hinzugezogen werden, die in der spontanen Zusammenhangssicht der Klientinnen zunächst gar nicht akzentuiert oder als niht relevant für das Verständnis der konkreten Problemzusammenhänge angesehen wurden. Diese Möglichkeit der Problematisierung der von den Betroffenen selbst eingebrachten Problemschilderungen ergibt sich vor allem daraus, daß ihre Berichte mit der Wirklichkeit konfrontiert werden können, zu der es - eben weil es sich dabei um sachlich-soziale Problemkonstellationen handelt stets verschiedene standpunktgebundene Einschätzungen und perspektivenabhängige Darstellungen der anderen Beteiligten geben kann. Diese Möglichkeiten zur Konfrontation eingebrachter Schilderungen mit den Sichtweisen der anderen Beteiligten liefern nicht nur die Grundlage dafür, daß auch die jeweils eigenen Informations- und Interpretationsgrundlagen selbst problematisiert werden können, sondern eröffnen darüber hinaus auch die Möglichkeit zu einer intersubjektiven Verständigung über die problematisch gewordenen sachlich-sozialen Zusammenhänge. Diese Problematisierungs- und Einsichtsmöglichkeiten müssen den hier dargestellten laborexperimentellen Untersuchungen schon darum verschlossen bleiben, weil deren Aussagen allein auf die Analyse simulierter Alltagsprobleme und dabei provozierter Ereigniserklärungen zurückgehen. Schon durch das dabei zugrunde gelegte experimentelle Design können - wie aufgezeigt - methodisch erzwungene Informationsbeschränkungen von den Vpn nur spekulativ, d.h. ohne empirisches Korrektiv und jenseits des offiziellen experimentellen Diskurses überschritten werden, womit für die tatsächliche Aufklärung der simulierten Realzusammenhänge, für die Rekonstruktion ihrer Strukturen, Ursachen und impliziten Begründungszusammenhänge keinerlei Anhaltspunkte und entsprechend auch keinerlei Ansätze zur intersubjektiven Verständigung zu finden sind. Damit verdeutlicht sich, daß die von Försterling proklamierte Möglichkeit, attributionstheoretische Überlegungen und laborexperimentelle Befunde einfach und umstandslos in der klinisch-psychologischen Praxis 'anzuwenden', nur von demjenigen akzeptiert und umgesetzt werden kann, der manipulativ und über die Lebensinteressen der Klientinnen hinweggehend die in der ex-

292 perimentellen Realität bestehende Informationsbeschränkung auch in bezug auf die problematisch gewordenen Lebenszusammenhänge der Klientinnen durchzusetzen und diese als hinlänglich für die Durchdringung, Erklärung und Lösung bestehender praktischer Lebensprobleme vorzuspiegeln bereit ist.

10.2. Von der laborexperimentellen zur lebensweltlich orientierten Analyse von Handlungs- und Ereigniserklärungen: Kategoriale und theoretische Voraussetzungen der Überwindung des Theorie-Praxis-Bruchs Sowohl im Rahmen der Analyse und Kritik laborexperimentell ausgerichteter Attributionsforschung als auch unter Bezug auf die Versuche der Anwendung attributionstheoretischer Konzeptionen in der klinisch-psychologischen Praxis konnte festgestellt werden, daß eine weitergehende empirische Untersuchung von Zuschreibungsprozessen nur als eine lebensweltlich orientierte Analyse der in Handlungs- und Ereigniserklärungen zur Geltung kommenden Vermittlungszusammenhänge zwischen den gesellschaftlich verfügbaren Denk- und Rezeptionsformen einerseits und den in den jeweiligen Bedeutungszusammenhängen begründeten Intentionen der Zuschreibungssubjekte andererseits vollzogen werden kann. Diese Orientierung begründet sich vor allem darin, daß die Analyse des Prozesses der Entwicklung von Zusammenhangserklärungen weder methodisch noch theoretisch auf die Frage beschränkt werden kann, wie vorgegebene Daten vorgegebenen Antwortkategorien zugeordnet werden. Wie also sind Zuschreibungsprozesse jenseits derartiger laborexperimenteller Settings so zu untersuchen, daß dabei die lebensweltliche Konkretheit der für die Zuschreibungssubjekte bedeutungsvollen Handlungs- und Erkenntnisprobleme einschließlich der damit verbundenen Strukturierungen und Zusammenhangsvorstellungen angemessen erfaßt werden können? Auf welche kategorialen und theoretischen Konzepte ist dabei Bezug zu nehmen, und welche Informationen müssen der zu entwickelnden Zusammenhangssicht zugrunde gelegt werden? Solche Fragen sind nur dann zu beantworten, wenn die vom Zuschreibungssubjekt eingenommene Perspektive, aus der heraus es den zu erklärenden Sachverhalt erlebt

293 und aufzuschließen sucht, zum wesentlichen Bezugspunkt der Analyse gemacht wird: Weder die Frage, was von den Subjekten selbst als die zu interpretierenden Beobachtungsdaten aufgefaßt wird, noch die Frage, unter Bezug auf welche Dimensionen dabei die Vorstellungen von Zusammenhängen und Ereignisverknüpfungen entwickelt werden, können geklärt werden, wenn nicht die einer solchen Erklärung zugrundeliegenden Intentionen und Interessen der Zuschreibungssubjekte zum Ausgangspunkt der Untersuchung gemacht werden, womit deutlich wird, daß der Zuschreibungsprozeß eben nur vom Standpunkt des Zuschreibungssubjekts aus reflektiert und analysiert werden kann. Unsere begründungstheoretische Kritik und Reinterpretation laborexperimentell provozierter Befunde bezog sich u.a. darauf, daß diese nicht deutlich zu machen vermochten, ob die darin mehr oder weniger verborgenen Begründungszusammenhänge von den Vpn entsprechend der in der experimentellen Hypothese formulierten Zuschreibungsweise realisiert, ergriffen und umgesetzt wurden. Aus subjektwissenschaftlicher Perspektive stellt sich die Frage nun aber gerade nicht danach, ob ein in der Anordnung nahegelegter Begründungszusammenhang von den Subjekten realisiert worden ist. Es wird demgegenüber vielmehr danach gefragt, welche kategoriale und theoretische Konzeption von den Subjekten zur Rezeption und Entwicklung ihrer Zusammenhangsvorstellungen herangezogen wurden und welche der damit verfügbaren Begründungszusammenhänge von den beteiligten Subjekten tatsächlich realisiert und zur Grundlage ihrer Zusammenhangserklärungen gemacht werden. Diese Fragestellung ergibt sich schon daraus, daß der Umstand, daß von den Subjekten Begründungszusammenhänge realisiert werden, nicht als empirisch offen, sondern als Implikat der kategorialen Analyse des Subjekt-Welt-Zusammenhangs angesehen werden muß. Damit erweist sich jedoch gerade die Frage, welche Begründungszusammenhänge von den Subjekten umgesetzt werden, als eine, die nur unter Bezug auf die damit verfolgten Zuschreibungsintentionen entschieden, somit als empirisch offen angesehen werden muß. Diese Perspektive ergibt sich, wie gesagt, schon daraus, daß die in der Konstruktion der experimentellen Situation beabsichtigte Beschränkung der zu realisierenden Zuschreibungsprämissen innerhalb eines lebensweltlich orientierten Forschungszusammenhangs weder intendiert ist noch überhaupt realisiert werden kann. Indem die subjektwissenschaftliche Forschungsperspektive generell darauf gerichtet ist, Aussagen in der Form von Prämissen-Gründe-Zusammenhän-

294 gen zu machen, können die hier relevanten Fragen nach Struktur und Genese von Handlungserklärungen nur daraufhin analysiert werden, in welchem Bezug diese zu den damit verfolgten Lebensinteressen der Zuschreibungssubjekte stehen, womit Handlungserklärungen generell als die vom Standpunkt des Zuschreibungssubjekts aus begründete Nutzung/Übernahme gesellschaftlich verfügbarer Denkformen aufzufassen sind. Läßt sich aber die Frage, welche Sachverhalte, Ereignisse und Handlungen von einem Zuschreibungssubjekt als erklärungsbedürftig erfahren werden, ebenso wie die Frage, unter Bezug auf welche impliziten kategorialen und theoretischen Konzepte derartige Erklärungen entwickelt werden, nur als eine vom Subjektstandpunkt begründete, subjektiv-funktionale Relationsbildung auffassen, können die Zuschreibungsprozesse auch nur unter Bezug auf die jeweiligen Lebensbezüge rekonstruiert werden, zu deren Bewältigung die Erklärungen von Handlungen und Ereignissen entwickelt werden. Damit wird es nicht nur unter methodischen Gesichtspunkten, sondern auch aus inhaltlich-theoretischen Gründen zwingend notwendig, die Zuschreibungssubjekte am Forschungsprozeß unmittelbar zu beteiligen. In einer subjektwissenschaftlichen Konzeption zur Analyse attributionstheoretisch relevanter Prozesse sind es also in erster Linie die Subjekte selbst, die die zu analysierenden Konflikte und Handlungsprobleme einbringen, welche auf die darin angesprochenen impliziten problembezogenen Denkund Begründungsformen zu analysieren sind und deren Verhältnis zu den damit verfolgten je eigenen Lebensinteressen zu klären ist. Subjektwissenschaftliche Forschung kann ihren Anlaß und ihre Berechtigung somit nur darin finden, daß den Subjekten selbst bestimmte Aspekte ihrer Lebensführung und -bewältigung in einer Weise problematisch werden, daß deren wissenschaftliche Aufklärung von ihnen selbst als sinnvoll 'angefordert' wird. Daraus ergibt sich für unseren Problemzusammenhang, daß gerade solche Handlungs- und Zuschreibungszusammenhänge im Vordergrund der Analyse stehen müssen, in denen die Subjekte aufgrund ihrer gegenwärtig realisierten Zusammenhangssicht keine hinreichenden Möglichkeiten erkennen und erfahren können, um ihre Lebensinteressen in Handlungen umzusetzen. Unter Bezug auf die Analyse von Zuschreibungsprozessen und Zusammenhangserklärungen kann dies aber nur heißen, diejenigen Vermittlungsprozesse zu untersuchen, in denen die Art und Weise der Realisierung objektiv-gesellschaftlicher Denkformen und Zuschreibungsmöglichkeiten in Widerspruch zu den damit in Zusammenhang gebrachten Lebensinteressen erfahren werden oder aber die aus der hergestellten Zusammenhangssicht mit den daraus hervorgehenden Handlungsmöglichkei-

295 ten für die Subjekte selbst erkennbar keinen Beitrag zur Bewältigung subjektiv bedeutsamer Handlungsprobleme zu leisten vermögen. Es sind also die von den Subjekten selbst eingebrachten Zusammenhangssichten, deren implizite Verkürzungen aufgrund von in bestimmten Bedeutungskonstellationen 'nahegelegten', das kritische Weiterfragen behindernden Begründungsformen auf eine Weise durchdrungen werden müssen, daß dabei problemadäquate Zusammenhangssichten realisiert und von den Subjekten in einer Perspektive der praktischen Lösbarkeit reformuliert werden können. Aufgrund dieser inhaltlichen Ausrichtung besteht das Ziel subjektwissenschaftlicher Forschung allgemein darin, mit den Subjekten gemeinsam diejenigen Möglichkeiten herauszufinden, mit denen in deren lebensweltlich-konkreten Handlungszusammenhängen bestehende Handlungsprobleme perspektivisch bewältigt werden können, wobei die über den jeweils zu analysierenden Fall hinausweisenden Verallgemeinerungsbemühungen dadurch eröffnet werden können, daß die in einem solchen Forschungskontext entwickelten Analysen als 'typische Möglichkeiten9 gefaßt und als Mittel zur Durchdringung ihrer je eigenen problematisch gewordenden Lebenszusammenhänge auch anderen Subjekten zur Verfügung gestellt werden können (vgl. Markard 1993a, 1993b), wobei diese selbst wieder daraufhin befragt werden müssen, ob die an einem anderen Fall herausgearbeiteten Strukturzusammenhänge auf Möglichkeiten verweisen, mit deren Umsetzung auch die hier problematisch gewordenen Lebensumstände perspektivisch verändert werden können. Die jeweils vorliegenden Handlungszusammenhänge müssen demnach also zunächst auf ihre Struktur hin analysiert werden, wobei danach zu fragen ist, ob sich die darin bestehenden Handlungsprobleme strukturell unter den herausgearbeiteten Möglichkeitstyp von Handlungen subsumieren lassen, d.h. verständlich werden, wenn sie auf die an einem anderen Fall herausgearbeiteten Zusammenhänge von Prämissen und Gründen bezogen werden (vgl. dazu Holzkamp, 1983, 550f). Gegenstand subjektwissenschaftlicher Verallgemeinerungsbemühungen werden damit also explizit nicht die Zuschreibungswmen der Subjekte, sondern die darin explizierbaren Bewältigungsmöglichkeiten als Aspekt der problematisch gewordenen je eigenen Lebens-/Bedeutungszusammenhänge. Daran verdeutlicht sich einmal mehr, daß die Subjekte im Forschungsprozeß nicht auf der Seite des Gegenstandes, sondern auf der Seite der Forschenden stehen und aktiv am gesamten Forschungsprozeß teilhaben. So gesehen wird deutlich, daß in einem subjektwissenschaftlich orientierten Forschungszusammenhang nicht die Subjektivität, sondern die

296 jeweiligen Lebensumstände und deren subjektive Erfahrung Gegenstand der Forschungsbemühungen werden, die auf die darin gegenwärtig noch verborgenen Handlungs-, Erkenntnis- und Eingriffsmöglichkeiten hin zu befragen sind: Es ist die subjektive Erfahrungsweise objektiver gesellschaftlicher Handlungsmöglichkeiten und -beschränkungen, die den 'Gegenstand' der Subjektwissenschaft ausmacht, wobei also die 4Subjekte' als Ursprung solcher Erfahrung nicht auf der Gegenstandsseite, sondern auf der Seite der 'Forschenden', d.h. des Wissenschaftssubjekts, stehen" (Holzkamp, 1988c, 315). Damit erklärt sich sowohl die aktive Beteiligung als auch der forschungsthematische Ansatzpunkt an einem für die Betroffenen tatsächlich bedeutungsvollen Handlungsproblem in dem hier zugrunde gelegten wissenschaftstheoretischen Konzept der 'Einheit von Erkenntnis und Veränderung', dem zufolge Theorienbestätigung nicht über den empirischen Aufweis des theoretisch formulierten Zusammenhangs, sondern durch dessen praktische Außerkraftsetzung in einer darauf bezogenen veränderten Praxis vollzogen wird (vgl. Markard, 1985, 108). Sind es aber die am Forschungsprozeß beteiligten Subjekte, die die entwickelten Analysen und die darin explizierbaren Handlungsmöglichkeiten zu übernehmen haben, wird ersichtlich, daß subjektwissenschaftliche Forschung von vornherein nur solche Fragestellungen bearbeiten kann, deren Klärung auch für die beteiligten Subjekte eine unmittelbare und praktische Bedeutung etwa darin besitzt, daß sie sich gegenwärtig nur vor die Alternative gestellt sehen, entweder die eigene Zusammenhangssicht zu verändern, um für sich neue Handlungs-/Eingriffsmöglichkeiten zu erreichen, oder aber die eigenen Lebensinteressen als anscheindend unrealisierbare preiszugeben. Über die damit aufgezeigten forschungsthematischen Beschränkungen hinaus ist grundsätzlich davon auszugehen, daß - eben weil sich die Subjekte auch zu diesen, im Forschungsprozeß entwickelten Problem- und Zusammenhangssichten stets am Maßstab ihrer Lebensinteressen 'verhalten' - die erforderte Übernahme der im Forschungsprozeß entwickelten alternativen Begründungstheorien und Handlungsmöglichkeiten von den Subjekten nur dann erwartet werden kann, wenn die sich aus der Analyse ergebenden Einsichts- und Handlungsmöglichkeiten von den Subjekten tatsächlich als Beitrag zur perspektivischen Bewältigung aktueller Handlungsprobleme erkannt und erfahren werden. Mit dieser Konzeption subjektwissenschaftlicher Forschung werden die Subjekte also nicht lediglich als Veranschaulichungsöfcyefcte einer als über-

297 individuell-allgemein behaupteten Zuschreibungstendenz herangezogen, sondern als Mitforscher (vgl. Holzkamp, 1983, 543ff) aktiv am gesamten Forschungsprozeß beteiligt. Dies aber verweist gerade darauf, daß sich die zunächst als unverrückbar erscheinende Grenze zwischen forschungsbezogenem Setting und praktisch-psychologischem bzw. therapeutischem Prozeß, die konzeptionelle Trennung von Forschung und Praxis in der Psychologie verwischt: In dieser Konzeption sind Forschende und Betroffene aus ihren jeweiligen Interessenlagen heraus selbst daran interessiert und beteiligt, problematisch gewordene Lebenszusammenhänge zu durchdringen und darin begründete Sichtweisen auf die je eigene Lage/Position und den damit verbundenen Eingriffs- und Handlungsmöglichkeiten zu explizieren, d.h. etwas über die jeweiligen Verhältnisse und deren Bedeutung als Zuschreibungszusammenhänge zu lernen - dies ist ein weiteres Argument gegen all jene Vorstellungen, in denen behauptet wird, daß attributionsbezogene Forschungsresultate, obwohl sie jenseits von lebensweltlich-konkreten Bedeutungsbezügen entwickelt wurden, auf die den Subjekten problematisch gewordenen Lebenszusammenhänge und die damit im Zusammenhang stehenden subjektiven Leiderfahrungen einfach 4 angewendet' werden könnten. Auf den Bruch zwischen Theorie und Praxis in der Psychologie und damit auf den Ausgangspunkt dieser Arbeit zurückbezogen, ergibt sich aus der hier entfalteten Argumentation, daß die Vorstellung, zwischen kontrolliertwissenschaftlicher Forschung und psychologischer Praxis bestände ein systematischer Unterschied, implizit an die Universalisierung eines bestimmten Verständnisses von Wissenschaft und Praxis gebunden ist, auf dessen Unangemessenheit bereits an verschiedenen Stellen dieser Arbeit hingewiesen wurde und dessen methodologische Probleme in besonderer Weise von Markard (1991a) herausgearbeitet und kritisiert worden sind: Mit dem in der konzeptionellen Trennung von Forschung und Praxis zum Ausdruck kommenden Verständnis von wissenschaftlicher Psychologie ist also der Theorie-Praxis-Bruch quasi schon begrifflich festgeschrieben, so daß hier Perspektiven zur Lösung der aufgezeigten Probleme einer theoretischen Fundierung der Praxis von vornherein unsichtbar bleiben müssen. Aber auch ein ganz anderer Gesichtspunkt, der sich aus der hier vorgelegten Aufarbeitung experimentell orientierter Attributionsforschung ergibt, verweist auf die strukturelle Entsprechung zwischen Forschung und Praxis in der Psychologie: Mit dem Aufweis, daß bei der Analyse und Interpretation psychologischer Experimente nicht einfach davon ausgegangen wer-

298 den könne, daß hier blinde und begründungslose Reaktionen der Vpn auf die im experimentellen Setting hergestellten Reizgegebenheiten beobachtet werden könnten, sondern daß Versuchsanordnungen demgegenüber vielmehr als spezifische - ggf. verengte - Konstellationen von Bedeutungen aufgefaßt werden müßten, die von den Vpn nach Maßgabe ihrer eigenen Interessen in der einen oder anderen Weise zu Prämissen darauf bezogener Handlungen gemacht werden können (vgl. S. 260 dieser Arbeit), wurde deutlich, daß sich auch das experimentell provozierte Verhalten nur dann überhaupt rekonstruieren läßt, wenn die impliziten Theorien und theorienvermittelten Sichtweisen der Vpn expliziert und deren auf das Experiment bezogene Handlungs- und Bewältigungsweisen unter Bezug auf die von ihnen realisierten Begründungszusammenhänge rekonstruiert werden. Nicht also nur in psychologischer Praxis, sondern auch im Rahmen der Auswertung experimenteller Befunde erweisen sich die impliziten 'Theorien' und Sichtweisen der Subjekte als unhintergehbarer Bezugspunkt zur Rekonstruktion der Prämissen begründeten Handelns. Damit erweist sich die zunächst unüberwindlich erscheinende Trennung von Forschung und Praxis in der Psychologie also perspektivisch gerade dadurch als aufhebbar, daß sich die Forschungspraxis - schon aus innerwissenschaftlichen und methodischen Gründen, wie etwa der Reduktion der Interpretationsbeliebigkeit interessierender Phänomene und Beobachtungsdaten - an den real zu durchdringenden Handlungsproblemen konkreter Subjekte orientiert und mit dem Versuch der theoretischen Rekonstruktion darauf bezogener Denk- und Begründungsformen zugleich praktische Perspektiven ihrer Bewältigung aufzuzeigen versucht. Bestehen auch bei einer solchen Konzeption des Forschungsprozesses noch Differenzen zwischen Forschung und Praxis, gehen diese allein darauf zurück, daß die am jeweils vorliegenden Einzelfall herauszuarbeitenden Begründungsmuster im Forschungskontext ausführlicher zu explizieren und zu dokumentieren sind, bzw. die die Realbewältigung vermittelnden Prozesse sowie die sich dabei stellenden Probleme eigenständig rekonstruiert und theoretisch reflektiert werden müssen, womit innerhalb des Forschungsprozesses lediglich der auf die praktische Bewältigung hin ausgerichtete Aspekt psychologischer Praxis durch die Reflexion der darin vollzogenen Klärungsprozesse überschritten ist. In einem so konzeptualisierten Prozeß übernehmen die Forscher die Funktion, einerseits den Prozeß der Hypothesen- und Theorienbildung der Betroffenen dadurch kritisch zu begleiten, daß sie die eingebrachten Pro-

299 blemschilderungen auf die ihnen zugrundeliegenden impliziten Theorien und kategorialen Vorstellungen und deren Fall- und Problemangemessenheit ebenso wie auf die darin zur Geltung kommenden potentiellen dynamischen und widerspruchseliminierenden Funktionen für die Darstellenden selbst befragen. Andererseits aber kommt ihnen in einem solchen Prozeß die Aufgabe zu, die explizierbaren und von den Betroffenen zu realisierenden neuerlichen problembezogenen Bewältigungsmöglichkeiten dahingehend zu fassen und herauszuarbeiten, daß sie als Prämissen-GründeZusammenhang und Bestimmung 'typischer Möglichkeiten' - im Wege der von Holzkamp (1983) entwickelten und von Markard (1991a) konkretisierten Struktur- und Möglichkeitsverallgemeinerung - zu möglichen anderen Fällen und darin sich stellenden Handlungs- und Erkenntnisproblemen in Beziehung gestellt werden können. In diesem Konzept der Verallgemeinerung werden also explizit nicht Personen unter theoretische Sätze subsumiert, sondern es sind die Subjekte selbst, die ihre problematisch gewordenen Lebensumstände daraufhin befragen, ob sich diese unter die an einem Fall herausgearbeiteten Strukturzusammenhänge und 'Möglichkeitstypen' mit Gewinn subsumieren lassen. Aber auch die für Forschungszusammenhänge geltend gemachten Prozesse der analytischen Überschreitung von Fallanalysen in Richtung auf die Explikation 'typischer Begründungsmuster' finden eine Entsprechung in der psychologischen Praxis. Diese kann nämlich nicht allein auf den Vollzug derjenigen Analysen reduziert werden, die für die praktische Bewältigung einer Fallproblematik erforderlich sind: Auch für die in psychologischer Praxis durchgeführten Analysen läßt sich vielmehr geltend machen, daß in dem Maße, wie von den Praktikern eine die unmittelbare Fallanalyse überschreitende praktische Berufserfahrung gewonnen wird, die als eine Art praktisch-psychologischen Zusammenhangs- und Widerspruchswissens (vgl. Holzkamp, 1988b) zur Analyse weiterer Fälle fruchtbar gemacht werden kann, in einer dem subjektwissenschaftlichen Forschungsprozeß vergleichbaren Weise fallspezifisch gewonnene Einsichten auch auf andere Fälle hin verallgemeinert werden können. Sofern die psychologischen Praktiker also versuchen, die im Rahmen ihrer konkreten Fallarbeit gewonnenen spezifischen Einsichten auf Lebens- und Begründungszusammenhänge zurückzubeziehen, betreiben sie im Kern nichts anderes als das, was mit einer subjektwissenschaftlich konzeptualisierten Aktualforschung intendiert wird: Hier wie dort geht es um die Verdichtung erlebte Handlungs- und Begründungszusammenhänge zu typischen und auf spezifizierbare Prämissenlagen bezogene Begründungsmustern, deren Kenntnis sich

300 zugleich als inhaltlicher Aspekt eines spezifisch-psychologischen 'Praxiswissens \ des Wissens über Zusammenhänge und Widersprüche in den von den Subjekten realisierten Bedeutungszusammenhängen, auffassen läßt Die Möglichkeit zur Gewinnung eines derartigen 'Praxiswissens' geht also wesentlich darauf zurück, daß im Zuge der praktischen Bewältigung und damit Außerkraftsetzung einer ursprünglich bestehenden Fallproblematik gerade diejenigen Momente auch für die Praktiker zugänglich werden, die von den involvierten Subjekten zunächst zu den Prämissen ihrer Handlungen und Problemsichten gemacht wurden. Psychologische Praktiker können also im Zuge derartiger Problemanalysen ein spezifisches Wissen über Problemsituationen und die von den Betroffenen darin realisierten Begründungszusamenhänge entwickeln, das sie als inhaltlichen Beitrag in die Analyse vergleichbarer Fälle zur Rekonstruktion der darin realisierten Prämissen-Gründe-Zusammenhänge einbringen können. In diesem, von den Praktikern selbst geltend zu machenden und zu entwickelnden 'Praxiswissen' schlagen sich also die in der Praxis realisierten Prozesse der Kritik und Weiterentwicklung psychologierelevanter (impliziter) Vorstellungen aller Beteiligten nieder, und so wäre dieses Wissen nicht nur für die Entwicklung einer wissenschaftlichen Psychologie fruchtbar zu machen, sondern vor allem auch gegenüber der weitgehend nur innerwissenschaftlichen Gütekriterien verpflichteten akademischen Theorienbildung kritisch zur Geltung zu bringen. Solange jedoch dieses aus der theoretischen Rekonstruktion spezifischer Einzelfälle entwickelte spezifisch-psychologische Praxiswissen unexpliziert und in einer unmittelbaren Weise an die Person des Praktikers als bloß personale 'Berufserfahrung* gebunden bleibt, müssen auch die in psychologischer Praxis entwickelten Vorstellungen, Theorien und Methoden, wie sie in deren Analysen zur Geltung kommen, aus dem theoretischen Diskurs in der Psychologie weitgehend ausgeschlossen bleiben, womit die Praktiker gewissermaßen selbst mit dazu beitragen, die gegenwärtige Unvermittelbarkeit von Forschung und Praxis noch weiter zu verfestigen. Damit ist nun der Rahmen gekennzeichnet, in den auch die hier vorgelegte Arbeit im weitesten Sinne gestellt ist und durch den das zentrale Anliegen kritisch-psychologischer Praxisforschung (vgl. etwa Fahl & Markard, 1992, 1993) beschrieben ist: Praxisforschung ist der Versuch, die in der Praxis entwickelten und zu entwickelnden theoretischen Vorstellungen auf wissenschaftliche Theorienbildung zu beziehen und deren - vor einem grundlegend anderen Anforderungszusammenhang entwickelten - inhalt-

301 lich-theoretische Vorstellungen in den Diskurs über die Gegenstandsangemessenheit psychologischer Theorien als mainstream-kritische theoretische Positionen einzubringen, um darüber Psychologie, deren Theorie und Praxis als Wissenschaft zu entwickeln. Praxisforschung ist damit als Beitrag zur Vermittlung von Forschung und Praxis zu verstehen, durch den nicht nur die theoretische Begründung psychologischer Praxis, sondern auch die praktische Fundierung psychologischer Forschung und Theorienentwicklung und also Perspektiven zur Überwindung der als TheoriePraxis-Bruch erscheinenden Probleme aufzuzeigen sind.

10.3. Perspektiven zur empirischen Fundierung einer subjektwissenschaftlichen Theorie der Funktion und Genese individueller Handlungserklärungen: Ansatzpunkte für die Analyse der Formen und Strategien der Behinderung kritischen Weiterfragens in problematisch gewordenen Lebenszusammenhängen Abschließend sollen nun diejenigen Perspektiven und aufzugreifenden Fragestellungen ausgelotet werden, in denen eine positive subjektwissenschaftliche Theorie der Funktion und Genese individueller Handlungserklärungen entwickelt und weitergehend empirisch fundiert werden kann, deren Umsetzung indes darauf aufbauenden und dezidiert empirisch angelegten Untersuchungen vorbehalten bleiben muß. Dabei kann sich die empirische Fundierung - wie verschiedentlich aufgewiesen - hier gar nicht aus der Analyse und Differenzierung irgendwelcher, etwa an die Personen gebundener sogenannter 'subjektiver Verarbeitungsweisen' ergeben, sondern muß vielmehr aus der Analyse der in den jeweiligen Lebens- und Handlungszusammenhängen nahegelegten gesellschaftlichen Denkformen und Zuschreibungsmöglichkeiten hervorgehen, die von den Subjekten am Maßstab ihrer damit verfolgten Lebensinteressen begründet ergriffen und in eigene Handlungserklärungen umgesetzt werden. Die aus einer subjektwissenschaftlichen Perspektive betriebene Analyse der Genese und Struktur von Handlungs- und Zusammenhangserklärungen muß also nach den jeweiligen Lebensverhältnissen als Konstellationen von Bedeutungen fragen und richtet ihre Aufmerksamkeit entsprechend auf die Welt, wie sie von den Subjekten erfaßt und erfahren wird, in welcher die verschiedenen,

302 etwa im Rahmen der attributionstheoretischen Forschung aufgezeigten Strukturierungen von handlungs- und ereignisbezogenen Erklärungen als Möglichkeiten enthalten sind. Vor diesem Hintergrund müssen die verschiedenen, im Zuge der Analyse und Rekonstruktion der attributionstheoretischen Diskussion herausgearbeiteten Formen und Strategien attributionaler Zusammenhangserklärung, in denen etwa auf die Person oder die Situation als 'Ursache' und 'Bedingung' von Handlungen abgehoben wird, als die den Zuschreibungssubjekten zur Verfügung stehenden gesellschaftlichen Denk- und Rezeptionsangebote/-möglichkeiten aufgefaßt werden, deren Nutzung weitergehende und kritische Fragen nach den realen Handlungs- und Begründungszusammenhängen der Handelnden abschneidet und kurzschlüssige Verknüpfungen von Personen und Ereignissen nahelegt, weil die fraglichen Handlungen darin von den sie begründenden Handlungsprämissen getrennt und etwa mit dem Verweis auf bestimmte 'Eigenschaften' zu erklären versucht werden. Attributionale Zuschreibungen, so konnte gezeigt werden, repräsentieren also verschiedene, den Subjekten zur Verfügung stehende Formen und Strategien, mit denen unter dem Druck reduzierter und verengter Prämissenlagen bedeutungsvolle Lebenszusammenhänge auch ohne Kenntnis der sie tatsächlich vermittelnden Handlungs-/Begründungszusammenhänge aufschließbar erscheinen. Aber auch im Diskurs über die theoretische Vermittlung von Prämissen, Gründen und Handlungen konnte Attribution als eine Möglichkeit herausgearbeitet werden, sich der Notwendigkeit des kritischen Weiterfragens zu entziehen und beobachtete bzw. selbst vollzogene Handlungen jenseits ihrer Begründungszusammenhänge allein unter Bezug auf die unterstellte personale Verfaßtheit des Handlungssubjekts zu erklären. Daraus ergibt sich also, daß Attribution als eine den Subjekten zur Verfügung stehende Möglichkeit aufzufassen ist, durch die allein solche gesellschaftliche Denk- und Rezeptionsangebote herangezogen werden, in denen spezifizische Dispositionen und Situationale Gegebenheiten für das Zustandekommen von Handlungen und Ereignissen angesprochen werden: Das Handlungssubjekt erscheint darin als unselbständiges Moment innerhalb einer übergreifenden Kette von Bedingungen und Ursachen, womit weitergehende Fragen etwa nach den vom Standpunkt des Handelnden aus realisierten Begründungszusammenhängen und den bestehenden Handlungsalternativen nicht mehr gestellt zu werden brauchen. Attribution steht, so verstanden, für den Versuch der Preisgabe von auf weitergehende Einsichten und Zusammenhangskenntnis gerichteten Erkenntnisaktivitäten des Zuschreibungssubjekts und damit für den Versuch,

303 das zu Erklärende im Modus des Bekannten, die aktuell infragestehenden Handlungen aus bekannten Bedingungen zu erklären, womit Attribution nur als Verzicht auf die Frage nach den sie konstituierenden Handlungsgründen, als Abbruch der Analyse und der Rekonstruktion der vom Handlungssubjekt aus hergestellten Bezüge zu seinen übergreifenden sachlichsozialen Bedeutungs- und Begründungszusammenhängen angesehen werden kann. Mit dieser Fassung attributional gewonnener Zusammenhangssichten wird deutlich, daß die Analyse ihrer Funktion und Bedeutung für die Zuschreibungssubjekte zwingend die Analyse derjenigen Bedeutungsund Begründungszusammenhänge einzuschließen hat, in denen derartige fragen- und begründungsabschneidende Rezeptionsformen intersubjektivsozialer Handlungen und Ereignisse nahegelegt und begründet sind. Für eine subjektwissenschaftlich ausgerichtete Aktualforschung, die zur Begründung und empirischen Fundierung einer Theorie der Funktion und Genese individueller Handlungserklärungen beitragen will, ergibt sich daraus, daß sie die zu bewältigenden Lebens- und Handlungszusammenhänge als Konstellationen von Bedeutungen/Möglichkeiten aufzufassen und daraufhin zu analysieren hat, welche unmittelbaren und kurzschlüssigen Denk- und Rezeptionsmöglichkeiten erklärungsbedürftig gewordener Handlungszusammenhänge darin ggf. angesprochen sind und welche Probleme sich aus der Nutzung solcher Denk- und Rezeptionsformen für die Subjekte selbst ergeben. Subjektwissenschaftliche Analysen der Funktion und Bedeutung von Attributionen zielen also auf eine Verständigung über diejenigen Konsequenzen und Probleme, die mit einer solchen Strukturierung der Sicht auf die je eigenen Handlungszusammenhänge bzw. die Handlungsbegründungen anderer Subjekte verbunden sind und haben dabei diejenigen Bedeutungs- und Begründungszusammenhänge zu explizieren, in denen die Nutzung derartiger erkenntnisbegrenzender und fragenabschneidender Strategien vom Standpunkt der Zuschreibungssubjekte aus begründet sind bzw. als einzig mögliche Strukturierung von Zusammenhangssichten erscheinen. Die aus dieser Perspektive formulierbare Frage nach denjenigen Lebenszusammenhängen, die attributionale Zuschreibungen gerade befördern oder nahelegen, geht also nicht nur auf die dargestellte methodologische Vorstellung zurück, daß eine empirische Fundierung attributionstheoretischer Aussagen nur über die Explikation des Verhältnisses von Bedeutungen und Prämissen möglich ist: Als weitaus entscheidender für diese Ausrichtung der Forschungsperspektive ist vielmehr der Umstand anzusehen, daß die Überwindung und Auflösung subjektiv bedeutsamer Handlungsprobleme daran gebunden ist, die sich am unmit-

304 telbar Nahegelegten orientierende Zusammenhangssicht und die daraus hervorgehenden Erkenntnisbeschränkungen selbst zu thematisieren und zu überwinden. Anders formuliert: Die auf attributionale Prozesse hin bezogenen subjektwissenschaftlichen Fragestellungen finden ihren Ansatzpunkt dort, wo die Subjekte unmittelbar selbst erfahren, daß sie bei Aufrechterhaltung ihrer bisherigen Zusammenhangssichten über keinerlei Möglichkeiten mehr verfügen, mit denen sie auf die ihnen aktuell problematisch gewordenen Lebens- und Handlungszusammenhänge Einfluß nehmen können, es also auch vom Standpunkt der an solchen Forschungsprozessen zu beteiligenden Subjekte aus selbst erforderlich wird, die zunächst attributional gewonnenen Zusammenhangserklärungen zu reflektieren und perspektivisch durch Analysen zu ersetzen. Ansatzpunkte für eine auf attributionale Zusammenhangserklärungen bezogene subjektwissenschaftliche Forschung sind demnach nur dort zu gewinnen, wo sich ein Subjekt vor die Notwendigkeit gestellt sieht, die eigenen Sichtweisen auf die sie betreffenden sachlich-sozialen Welttatbestände zu überdenken und ggf. zu revidieren, was gleichbedeutend damit ist, attributionale Zusammenhangsvorstellungen in Richtung der Gewinnung von Einsicht in die tatsächlichen Handlungs- und Begründungszusammenhänge zu überschreiten. Nur dann ist nämlich zu erwarten, daß sich die Subjekte an der im Forschungsprozeß zu vollziehenden Analyse, Kritik und Weiterentwicklung ihrer zunächst attributional entwickelten Strukturierung und Zusammenhangssicht aktiv beteiligen, diese gemeinsam mit den Forschenden auf darin enthaltene problematische und inadäquate Verkürzungen hin befragen und also bereit sind, die eigenen Zusammenhangsvorstellungen und Sichtweisen zum eigenständigen Gegenstand einer begründungstheoretischen Analyse und Kritik zu machen. Aus der hier vorgelegten Aufarbeitung attributionaler Theorien und Konzepte ergeben sich aber über die damit skizzierten Ansatzpunkte zur empirischen Untersuchung der Funktion und Genese von Handlungs- und Ereigniserklärungen hinaus noch weitere inhaltliche Bestimmungen derjenigen Dimensionen, in denen eine subjektwissenschaftliche Theorienbildung möglich und sinnvoll ist. Dabei ist zunächst, wie sich im Zuge der Aufarbeitung herausstellte, zu bedenken, daß die auf Attributionen zurückgehenden Handlungserklärungen und Zusammenhangssichten allgemein durch den Verzicht auf die Entwicklung einer weitergehenden Zusammenhangskenntnis charakterisiert werden können, eine Feststellung, die so sicherlich nicht für jeden Prozeß der Genese von Zusammenhangsvorstellungen geltend gemacht werden kann. Daraus geht nun aber hervor, daß der

305 Attributionsbegriff nicht einfach und umstandslos auf jedweden Prozeß der Genese von Zusammenhangsvorstellungen zu beziehen ist, sondern nur für eine Variante der Produktion von Zusammenhangserklärungen steht, zu der - schon aus kategorialen Erwägungen heraus - prinzipiell auch Alternativen aufzuweisen sind. Nur so läßt sich nämlich eine auf Attributionen zurückgehende Zusammenhangssicht als Realisierung nur einer der den Subjekten zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Entwicklung von Handlungs- und Ereigniserklärungen auffassen, womit attributionale Zuschreibungen als ein Teilaspekt einer zu entwickelnden Theorie der Funktion und Genese individueller Handlungserklärungen angesehen werden können. Zur Entwicklung einer solchen, nicht allein auf Attributionen zu beschränkenden Theorie ist es demnach notwendig, die auf Attribution zurückgehenden Formen und Strategien der Bewältigung erklärungsbedürftiger Handlungszusammenhänge auf eine umfassendere Theoretisierung zu beziehen und ihren Stellenwert von vornherein auf die Beschreibung der gewissermaßen 'restriktiven' Varianten und Verlaufsformen solcher Prozesse zu beschränken, und zwar deswegen, weil die mit Attributionen in Zusammenhang stehenden Erklärungen - wie dargestellt - eben gerade durch den Verzicht auf die tatsächliche Erkenntnis/Durchdringung der zu erklärenden Handlungen sich von anderen möglichen Formen von Zusammenhangssichten abheben. Die Entwicklung einer umfassenderen Theorie setzt somit voraus, daß dem Begriff der Attribution der Begriff der 'Durchdringung' als dessen konzeptioneller und theoretischer Gegenbegriff gegenübergestellt wird, womit sich die Analyse der Bewältigung erklärungsbedürftig gewordener sachlich-sozialer Welttatbestände nur auf der Ebene zwischen Abwehr und Ermöglichung von weitergehenderen Erkenntnisaktivitäten führen läßt. Ist nämlich grundsätzlich davon auszugehen, daß den Subjekten zur Produktion von Handlungs- und Zusammenhangserklärungen stets verschiedene Denk- und Rezeptionsangebote als Möglichkeiten zur Verfügung stehen, mit denen sowohl attributionale Zuschreibungen als auch weitergehende, auf die Erkenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge gerichtete Fragestellungen entwickelt werden können, läßt sich eine angemessene Theoretisierung nur über die Explikation des zwischen 'Attribution' und 'Durchdringung' angelegten Spannungsverhältnisses gewinnen, und es ist in jedem zu analysierenden Fall danach zu fragen, inwieweit einerseits Formen und Strategien der Behinderung kritischen Weiterfragens aufgewiesen und andererseits Möglichkeiten und Perspektiven für weitergehende Fragen in Richtung einer tatsächlichen Durchdringung der in Frage ste-

306 henden Handlungen, Ereignisse und Sachverhalte realisiert und umgesetzt werden können. Somit geht es also überhaupt nicht darum, die in den konkreten Fallanalysen thematisierten Handlungserklärungen der einen oder anderen Seite zuzuschlagen, sie etwa als 'Attribution' oder als 'durchdringende Erkenntnisaktivität' zu kennzeichnen und womöglich zu bewerten: Es geht vielmehr darum, die aus einer Handlungs- und Zusammenhangserklärung hervorgehenden Erkenntnis- und Eingriffsmöglichkeiten ebenso wie die damit in Zusammenhang stehenden Erkenntnisbehinderungen herauszuarbeiten, d.h. die Handlungserklärungen analytisch auf die hier gefaßte Dimension zwischen den Polen 'Attribution' und 'Durchdringung' zu beziehen. Aus diesen Bestimmungen von Ansatzpunkten und inhaltlich relevanten Dimensionen der Forschung ergeben sich verschiedene Fragestellungen, die in der weitergehenden Analyse und konkretisierenden Rekonstruktion von Handlungs- und Ereignisserklärungen zu reflektieren sind. Der Bezug der in Frage stehenden Zusammenhangssichten auf die eben beschriebene Dimension 'Attribution versus Durchdringung* schließt neben der Frage nach den mit einer Erklärung selbst verfolgten Intentionen und Zielen auch die Frage nach den jeweiligen Problemen ein, zu deren Lösung die in Frage stehenden Zusammenhangssichten entwickelt wurden. Darüber hinaus wird es aber auch notwendig, nach möglichen anderen Sichtweisen und Zusammenhangsvorstellungen zu fragen, um die sich aus der einen oder anderen Strukturierung ergebenden Handlungs- und Eingriffsmöglichkeiten sowie die damit ggf. einhergehende weitere Verschärfung der Ausgangsproblematik näher zu bestimmen. Bezüglich der zu problematisierenden Handlungserklärungen bedeutet dies, daß hier einerseits Fragen nach den Gründen für den Verzicht auf die Möglichkeit kritischen Weiterfragens und ggf. sogar darüber hinaus für die aktive Teilhabe an der Beund Verhinderung der Gewinnung tieferer Einsichten in die tatsächlichen Zusammenhänge und Bezüge zwischen den Handlungsgründen aller Beteiligter zu stellen sind, daß aber andererseits auch diejenigen Aspekte des von den Subjekten realisierten Handlungszusammenhangs zu explizieren sind, die von ihnen als Möglichkeiten wahrgenommen und umgesetzt werden konnten, um die Perspektive eines kritischen und selbstreflexiven Weiterfragens offen zu halten. Um nun aber bei der Analyse der damit angesprochenen Fragen nicht selbst hinter eine begründungstheoretische Perspektive zurückzufallen, ist es notwendig, die vom Standpunkt des Subjekts aus realisierten Hand-

307 lungs-/Bedeutungszusammenhänge dahingehend zu explizieren, daß sowohl die darin entwickelten, im Begründungsdiskurs enthaltenen Erklärungen intersubjektiv-sozialer Ereignisse als auch die auf einen einfachen Bedingungs-Ereignis-Zusammenhänge bezogenen, den Begründungsdiskurs zugunsten von personalisierenden Ursachenzuschreibungen preisgebenden Strukturierungen von Handlungs- und Ereigniserklärungen als subjektiv-funktionale Bewältigungsweisen der erklärungsbedürftig gewordenen Handlungszusammenhänge aufgefaßt und verständlich werden können. Eine subjektwissenschaftlich orientierte Analyse der Funktion und Genese individueller Handlungserklärungen ist also an die Rekonstruktion der von den Subjekten realisierten Sicht auf deren jeweilige Lebenszusammenhänge gebunden und nur darüber zu erreichen, daß die zu Prämissen von Handlungs- und Erklärungsweisen gemachten Bedeutungszusammenhänge der Subjekte selbst expliziert und theoretisiert werden. Damit erweist sich die Frage, ob bei der Produktion und Verlautbarung von Handlungserklärungen auf attributionale Typisierungen zurückgegriffen wird oder ob derartige Zuschreibungen durch weitergehende Analysen, durch die auf die Durchdringung von Bedeutungs- und Begründungszusammenhängen gerichtete Erkenntnisaktivitäten überschritten werden, nur dann überhaupt als untersuchbar, wenn die damit angesprochenen erkenntnisbezogenen Aktivitäten ebenso wie deren Verhinderung als ein vom Subjektstandpunkt begründetes, funktionales Verhältnis zu den je eigenen Lebens/Handlungszusammenhängen aufgefaßt und als solches in der theoretischen Rekonstruktion und Verallgemeinerung in Richtung auf eine angemessene Theorie der Genese individueller Handlungserklärungen zur Geltung gebracht wird. Vor dem Hintergrund der damit entfalteten Ansatzpunkte und Fragestellungen einer subjektwissenschaftlich orientierten und empirisch zu fundierenden Theorie lassen sich nun auch die verschiedenen, im Verlauf dieser Aufarbeitung dargestellten attributionstheoretischen Konzeptionen und experimentellen Veranschaulichungen möglicher Verarbeitungsformen erklärungsbedürftiger Handlungszusammenhänge in die Diskussion einbeziehen: Werden die verschiedenen darin thematisierten Zuschreibungsphänomene nämlich auf die Dimension 'Attribution versus Durchdringung' bezogen, können die attributionstheoretisch motivierten Hypothesen und Zusammenhangsaussagen im Wege ihrer begründungstheoretischen Reinterpretation als Veranschaulichungen prinzipiell möglicher Bewältigungsformen der erklärungsbedürftig gewordenen Aspekte im je eigenen Lebenszusammenhang aufgefaßt werden, die jedoch - eben weil darin nur die

308 mit Attributionen in Zusammenhang stehenden Bewältigungsmöglichkeiten thematisiert, konzeptualisiert oder demonstriert wurden - nur als Beispiele für die hier als restriktiv bezeichneten Varianten solcher Bewältigungs- und Aufschließungsversuche angesehen werden können, womit sie in den Rahmen einer umfassenderen Theorie der Funktion und Genese individueller Handlungserklärungen als Formen und Strategien der Behinderung kritischen Weiterfragens einzubeziehen sind.

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