Arztrecht – leicht gemacht: Eine Darstellung für Studierende, Juristen, Ärzte und Patienten. Mit dem Patientenrechtegesetz [2 ed.] 9783874406970, 9783874402972

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Arztrecht – leicht gemacht: Eine Darstellung für Studierende, Juristen, Ärzte und Patienten. Mit dem Patientenrechtegesetz [2 ed.]
 9783874406970, 9783874402972

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Bernd-Rüdiger Kern Peter-Helge Hauptmann Margrit Weirich

Arztrecht leicht gemacht et Pa t ie nt Mi en t d r e em ch te ge s

2. Auflage

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Eine Darstellung für Studierende, Juristen, Ärzte und Patienten

leicht gemacht ® Der prägnante, verständliche Überblick zu Recht und Steuer mit Beispielen, Fällen, Übersichten und Leitsätzen. Die leicht gemacht ®-SERIEN haben Generationen von Studierenden erfolgreich in die verschiedenen Themenbereiche eingeführt. Sie richten besonderes Augenmerk auf didaktische Erfordernisse und sind auf die Bedürfnisse des Anfängers zugeschnitten. Die Bände sind so angelegt, dass Vorkenntnisse nicht erforderlich und nach dem Durcharbeiten des Textes die wichtigen Grundlagen vermittelt sind. Sie eignen sich als Einstieg, aber auch zur Wiederholung vor der Abschlussprüfung. Die Bände wenden sich nicht nur an diejenigen, für die die jeweiligen Themen in Recht und Steuer ein Hauptfach darstellen, sondern auch an jene, die Fachkenntnisse im Nebenfach erwerben müssen. Begeisterte Leser sind Studierende an Universitäten, Hochschulen und Berufsakademien, aber auch die Teilnehmer vieler weiterer berufsbezogener Ausbildungen. Schließlich vermitteln die Bände auch jedem Interessierten auf verständliche und kurzweilige Weise die Grundlagen unseres Rechts- und Steuersystems. Die leicht gemacht ®-SERIEN erscheinen im

Ewald v. Kleist Verlag, Berlin

Reihe Herausgeber: Prof. Dr. Bernd-Rüdiger Kern, Universitätsprofessor für Bürgerliches Recht, Rechtsgeschichte und Arztrecht Dr. Peter-Helge Hauptmann, Richter am Amtsgericht

Arztrecht leicht gemacht Eine Darstellung für Studierende, Juristen, Ärzte und Patienten

2., neu überarbeitete Auflage

von

Margrit Weirich Rechtsanwältin Fachanwältin für Medizinrecht

Ewald v. Kleist Verlag, Berlin

Besuchen Sie uns im Internet: www.leicht-gemacht.de

Umwelthinweis: Dieses Buch wurde auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt Autoren und Verlag freuen sich über Anregungen Gestaltung: Michael Haas, www.montalibros.eu; J. Ramminger, Berlin Druck & Verarbeitung: Druck und Service GmbH, Neubrandenburg leicht gemacht ® ist ein eingetragenes Warenzeichen © 2013 Ewald v. Kleist Verlag, Berlin ISBN 978-3-87440-297-2

Inhalt

I.

Grundlagen des Arztrechts

Lektion 1: Der Arzt im Rechtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Lektion 2: Möglichkeiten und Formen der Ausübung ärztlicher Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Lektion 3: Der Vertragsarzt (Kassenarzt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Lektion 4: Leitgedanken des Arztrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

II. Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient Lektion Lektion Lektion Lektion Lektion

5: Das Behandlungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 6: Die Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 7: Die Pflichten des Arztes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 8: Die Pflichten des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 9: Die ärztliche Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

III. Arzthaftung Lektion 10: Haftungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lektion 11: Haftung wegen Behandlungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . Lektion 12: Haftung wegen Aufklärungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . Lektion 13: Die Beweislast im Arzthaftungsprozess . . . . . . . . . . . . . Lektion 14: Verfahrensoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Der Arzt im Strafrecht Lektion 15: Mögliche Straftatbestände und ihre Folgen . . . . . . . . . . 146 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

Übersichten Übersicht 1 Approbation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Übersicht 2 Möglichkeiten ärztlicher Berufsausübung . . . . . . . . . . . . . 13 Übersicht 3 Niederlassung und Ausübung der Praxis . . . . . . . . . . . . . . 16 Übersicht 4 Berufliche Kooperationsformen – „Gruppenpraxis“ . . . . . . 17 Übersicht 5 Koopera­tionsformen zur ambulanten Berufsausübung . . . 21 Übersicht 6 Zulassung zur ­vertragsärztlichen Versorgung . . . . . . . . . . 24 Übersicht 7 Zulassung – Gesetzliche Hinderungsgründe . . . . . . . . . . . . 25 Übersicht 8 Wesentliche Rechtsfolgen der Zulassung . . . . . . . . . . . . . . 30 Übersicht 9 Ende/Entziehung/Ruhen der Zulassung (ohne MVZ) . . . . . 37 Übersicht 10 Übergeordnete Prinzipien des Arztrechts und ihre Grenzen . 42 Übersicht 11 Beendigung des Arztvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Übersicht 12 Ärztliches Behandlungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Übersicht 13 Das GKV-Viereck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Übersicht 14 Ambulante Behandlungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Übersicht 15 Typen des Krankenhausaufnahmevertrags . . . . . . . . . . . . . 57 Übersicht 16 Ärztliche Hauptpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Übersicht 17 Privatärztliche Vergütungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Übersicht 18 Privatärztliche Gebührenermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Übersicht 19 Unterschiede der privat- und kassenärztlichen Vergütung . 94 Übersicht 20 IGeL-Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Übersicht 21 Vertragliche ­Arzthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Übersicht 22 Deliktische ­Arzthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Übersicht 23 Haftungsgrundlagen/Zurechnungsnormen/Rechtsfolgen . 109 Übersicht 24 Behandlungsfehlertypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Übersicht 25 Prüfungspunkte – Eingriffsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . 121 Übersicht 26 Aufklärungsadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Übersicht 27 Beweismaß und Beweiserleichterungen . . . . . . . . . . . . . . 141 Übersicht 28 Verfahrensoptionen im Arzthaftungsrecht . . . . . . . . . . . . 145 Übersicht 29 Mögliche Straftatbestände im Arztrecht . . . . . . . . . . . . . . 155 Übersicht 30 Rechtsfolgen ärztlicher Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

I.

Grundlagen des Arztrechts

Lektion 1: Der Arzt im Rechtssystem

Fall 1

Abiturient A möchte Arzt werden. Deshalb möchte er sich über den von ihm angestrebten Natürlich nicht. Beruf informieren. Wo findet er rechtliche Regelungen zum Arztberuf? Leider an sehr vielen unterschiedlichen Stellen! Es gibt kein „Arzt­ gesetzbuch“. Die den Arzt betreffenden Bestimmungen finden sich verstreut in zahllosen bundes- und landesrechtlichen Vorschriften, einschließlich der nicht minder zahlreichen Satzungen der jeweiligen Berufskammern. Wir werden im Folgenden die wichtigsten Rechtsquellen einschließlich des damit verbundenen Rechtsweges kennen lernen:

Berufszugang / Berufsausübung / Weiterbildung

Fall 2

Was muss unser Abiturient A tun, um „Arzt“ zu werden? Wo ist dies geregelt? Um diese Frage beantworten zu können, müssen Sie wissen, dass die Gesetzgebungskompetenz für das ärztliche Berufsrecht zwischen Bund und Ländern aufgeteilt ist. Nach Art. 74 I Nr. 19 GG verfügt der Bund lediglich über die konkurrierende Gesetzgebung für die „Zulassung“ zum ärztlichen Beruf. Die Regeln der Berufsausübung sind dem Landesrecht vorbehalten. Wir merken uns deshalb auf dem Weg zu unserer Lösung folgenden Leitsatz.

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Grundlagen des Arztrechts

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Leitsatz 1 Berufszugang/Berufsausübung Das Berufszugangsrecht des Arztes fällt in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Das Recht der Berufsausübung ist hingegen Sache der Länder.

Wenn A also erfahren will, welche Voraussetzungen er erfüllen muss, um überhaupt erst die Berufsbezeichnung „Arzt“ führen zu dürfen, muss er im Bundesrecht suchen. Dort – in der Bundesärzteordnung (BÄO) – wird er fündig werden. Die BÄO regelt die Berufszulassung für Ärzte unabhängig von ihrem Status als Freiberufler oder Angestellte. Sie bestimmt ergänzend mit der auf § 4 I BÄO fußenden Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) alle Voraussetzungen für den Zugang zum ärztlichen Beruf. Aus §§ 2 Abs. 1, 2a (1) BÄO erfahren wir, dass A, wenn er dauerhaft in Deutschland als Arzt arbeiten möchte, eine „Approbation“ benötigt. Um diese zu bekommen, ist in der Regel der erfolgreiche Abschluss eines Medizinstudiums inkl. praktischer Ausbildung nötig. Ergebnis: A muss Medizin studieren und dann seine Approbation beantragen. Übrigens: § 3 Abs. 1 BÄO gewährt bei Vorliegen der dort näher bestimmten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Approbation. Sachlich zuständig für die Erteilung der Approbation ist die Approbationsbehörde. Diese ist z.T. dem Senator für das Gesundheitswesen (z.B. Berlin), dem Regierungspräsidenten (z.B. Baden-Württemberg), dem Innenministerium (z.B. Bayern) oder dem Sozialministerium unterstellt.



Fall 3

Was wäre zusätzlich erforderlich, damit A sich als „Internist“ bezeichnen dürfte? Dafür benötigte A nach der Approbation noch eine fachärztliche Weiterbildung, die nicht zu verwechseln ist mit der Fortbildung, zu der jeder Arzt verpflichtet ist. Die Weiterbildung dient der Spezialisierung und

Lektion 1: Der Arzt im Rechtssystem Vertiefung medizinischer Kompetenz auf einem eingegrenzten Fachgebiet. Historisch hat sich eine Untergliederung der Weiterbildung nach Gebieten (Facharztbezeichnung), Schwerpunkten (früher: Teilgebiete) und Bereichen (Zusatzbezeichnungen) herausgebildet. Wo finden wir einschlägige Regelungen zur Weiterbildung – im Bundesoder Landesrecht? Denken Sie an Leitsatz 1. Handelt es sich bezüglich der fachärztlichen Weiterbildung um eine Frage des Berufszugangs oder einen Teil der Berufsausübung? Das BVerfG hat diese Frage in seinem sog. Facharztbeschluss schon 1972 (BVerfGE 33, 125) entschieden. Danach fällt die ärztliche Weiterbildung als Teil der Berufsausübung in die Kompetenz des Landesgesetzgebers. Dementsprechend finden wir die grundlegenden Regelungen in den jeweiligen Heilberufs- und Kammergesetzen der Länder und ergänzend dazu in den jeweiligen Weiterbildungsordnungen (WBO), die die Landesärztekammern aufgrund Ermächtigung durch den Landesgesetzgeber in Form von Satzungen erlassen haben. Nach erfolgreich abgeschlossener Weiterbildung führt der Arzt entweder die Bezeichnung „Facharzt für …“ oder die jeweilige Kurzform, z.B. „Allgemeinarzt“, „Chirurg“, oder – wie von A angestrebt – „Internist“. Merke und unterscheide: Die Approbation schließt die ärztliche Ausbildung ab. Sie gehört zur Berufszulassung. Die Anerkennung einer Facharztbezeichnung schließt die ärztliche Weiterbildung ab. Sie ist bereits der Berufsausübung zuzuordnen. Übrigens: Damit trotz der ausschließlichen Kompetenz der Länder für die Berufsausübung eine weitestgehende Rechtseinheit unter den deutschen Ärzten gewahrt wird, haben sich die Landesärztekammern zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen und durch ihr oberstes Gremium – die Bundesärztekammer (BÄK) – zahlreiche Beschlüsse und Musterordnungen verfasst. So gibt es z.B. für den Bereich der Weiterbildung eine MuWBO als Orientierungsvorschlag für die Länder.

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Grundlagen des Arztrechts

Approbation – Widerruf/Rücknahme /Ruhen/ Verzicht

Fall 4

Der Internist I ist leider dem Alkohol verfallen. Während einer von I vorgenommenen Gastroskopie (Magenspiegelung) kommt es bei P zu einer Perforation der Wand des Verdauungstrakts, weil I mal wieder betrunken gearbeitet hat. Ist I’s Approbation in Gefahr? Ja. Wo suchen Sie? Approbation – Regelung des Berufszugangs – Bundesrecht – BÄO! Lesen Sie bitte zunächst die §§ 5, 6 und 9 BÄO. Nun wissen Sie schon: Auf die Approbation kann verzichtet werden (§ 9 BÄO). Die Approbationsbehörde kann aber auch ein Ruhen (§ 6 BÄO) oder muss bzw. kann sogar die Rücknahme (§ 5 Abs. 1 BÄO) oder den Widerruf (§ 5 Abs. 2 BÄO) der Approbation aussprechen. Merke: Während der Arztstatus bei der Rücknahme – rückwirkend – und dem Widerruf – für die Zukunft – wegfällt, bewirkt das Ruhen der Approbation lediglich ein vollständiges vorübergehendes Berufsausübungsverbot. Der in der Praxis bedeutsamste Grund für die Rücknahme, den Widerruf oder das Ruhen der Approbation ist neben gesundheitlichen Hindernissen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 BÄO), die Feststellung der „Unwürdigkeit“ oder „Unzuverlässigkeit“ des ärztlichen Verhaltens (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO) durch die Approbationsbehörde. Wichtig ist dabei zu beachten, dass die Begriffe „Unwürdigkeit“ und „Unzuverlässigkeit“ eigenständig zu beurteilen sind. „Unwürdigkeit“ betrifft einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Zeitraum; Ansehen und Vertrauen, die typischerweise an den Arztberuf geknüpft werden, sind betroffen (z.B. Mord /Totschlag, Vermögens- und Urkundsdelikte , schwere sexuelle Nötigung, mehrfache vorsätzliche Körperverletzung). „Unzuverlässigkeit“ bezieht sich auf in der Zukunft zu besorgende Verhaltensweisen insbesondere bzgl. der Frage nach der charakterlichen Gewähr für die ordnungsgemäße Aus­übung der Heilkunde (z.B. Alkoholsucht, Behandlungsfehler).

Lektion 1: Der Arzt im Rechtssystem Die Alkoholsucht des I und der von ihm begangene Behandlungsfehler könnten „Unzuverlässigkeit“ i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO begründen. Wegen des erheblichen Eingriffs in die von Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Freiheit der Berufswahl muss die Approbationsbehörde aber stets den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Hier wird als Mittel geringerer Intensität zunächst das Ruhen der Approbation – evtl. verbunden mit einer sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) – angeordnet werden; dieses Vorgehen wäre wegen der Möglichkeit einer Praxisfortführung durch Vertreter (§ 6 Abs. 4 BÄO) weniger existenzbedrohend.



Fall 5

Angenommen, die Approbationsbehörde würde gegenüber I das Ruhen der Approbation anordnen. Welchen Rechtsbehelf müsste I wo einlegen? Je nach Bundesland – Widerspruch (§ 68 Abs. 1 VwGO) vor der Approbationsbehörde bzw., wenn die Approbationsbehörde – wie im Regelfall – die oberste Landesbehörde ist – unmittelbar Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht (§§ 40 Abs. 1, 42 Abs. 1 (1), § 68 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).



Fall 6

I hat erfahren, dass seine Ehefrau ihn schon seit Jahren mit seinem Patienten P betrügt. I nutzt die bei P anstehende Gastroskopie dazu, diesen tödlich zu verletzen. In dem anschließenden Strafverfahren verhängt das Strafgericht gegen I ein Berufsverbot gem. § 70 StGB. Wirkt sich dies auf I’s Approbation aus? Die Frage, ob und in welchem Umfang ein strafrichterliches Berufsverbot die Approbationsbehörde bindet ist umstritten. Nach allgemeiner Ansicht kommt es darauf an, ob das Strafgericht auch alle möglichen berufsrechtlichen Aspekte der Tat geprüft und gewürdigt hat. Wäre dies bei I geschehen, so bliebe die Verwaltungsbehörde wegen des Verbots des Doppelbestrafung („ne bis in idem“) daran gehindert, über das Berufsverbot hinausgehende berufsrechtliche Maßnahmen zu verhängen. Nur ein sog. berufsrechtlicher Überhang würde zusätzliche Verwaltungsmaßnahmen rechtfertigen.

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Grundlagen des Arztrechts

Übersicht 1: Approbation 1. Die Approbation vermittelt die Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde unter der Berufsbezeichnung „Arzt“/„Ärztin“. Ihre Voraussetzungen sind in der BÄO i.V.m. der ÄAppO geregelt. 2. Auf die Approbation kann ggf. freiwillig verzichtet werden. Darüber hinaus kommen: ––die Anordnung des Ruhens, ––der Widerruf oder ––die Rücknahme der Approbation in Betracht. Einzelheiten sind in der BÄO geregelt. 3. Die Approbationsbehörde hat bei der Anordnung von Maßnahmen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Verbot der Doppelbestrafung zu beachten. 4. Rechtstreitigkeiten um die Approbation gehören auf den Verwaltungsrechtsweg.

Berufspflichten

Fall 7

Wo kann A nachlesen, welche Berufspflichten ihm als Arzt obliegen? Denken Sie wieder an Leitsatz 1 und ordnen Sie zu. Richtig. Es geht um eine Frage der Berufsausübung. Nun überlegen Sie, wie eine uns schon bekannte Thematik der Berufsausübung, nämlich die Weiterbildung, geregelt ist. Bezüglich der Berufspflichten des Arztes wird ebenso verfahren: es gibt im Dienst einer einheitlichen Rechtsfortbildung eine unverbindliche Musterberufsordnung (MBO-Ä) der BÄK und aufgrund Ermächtigung der jeweiligen Kammer- und Heilberufsgesetze der Länder – von den jeweiligen Ärztekammern als Satzung erlassene – Berufsordnungen (BO). Ergebnis: A muss in der Berufsordnung seiner Ärztekammer nachlesen, was er bei der Ausübung seines Berufes im einzelnen zu tun und zu unterlassen hat.

Lektion 1: Der Arzt im Rechtssystem Nehmen Sie sich bitte ein wenig Zeit und werfen Sie wenigstens einen Blick auf das Inhaltsverzeichnis der für Sie einschlägigen Berufsordnung. Sie werden merken, dass Sie dort zu nahezu allen Fragen des Arztalltags erste Anknüpfungspunkte finden.



Fall 8

Schauen Sie sich noch einmal den Sachverhalt in Fall 4 an. Überlegen Sie nun an Hand Ihrer BO, gegen welche Berufspflicht I verstoßen haben könnte. Haben Sie eine spezielle Regelung gefunden? Wenn nicht, lesen Sie nach, was in Ihrer BO allgemein zu den ärztlichen Berufspflichten festgelegt ist. Sie werden dort die aus § 2 Abs. 2 MBO-Ä umgesetzte Aussage finden, dass ein Arzt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen hat. Gegen diese Generalklausel hat I verstoßen, als er P in alkoholisiertem Zustand behandelte.

Berufsgerichtsbarkeit

Fall 9

Aus Fall 4 wissen wir, dass I wegen seiner Alkoholsucht und seines in betrunkenem Zustand begangenen Behandlungsfehlers die Anordnung des Ruhens der Approbation droht. Sind für I aufgrund des gleichen Sachverhalts weitere berufsrechtliche Konsequenzen ersichtlich? Bei schuldhafter Verletzung ärztlicher Berufspflichten kommt ein berufsgerichtliches Verfahren in Betracht. In Fall 8 haben wir erfahren, dass I mit seinem Verhalten gegen die Generalklausel über allgemeine ärztliche Berufspflichten verstoßen hat. Die Generalklausel ist trotz ihrer Weite vom BVerfG als ausreichende Grundlage für eine berufsgerichtliche Beanstandung anerkannt worden (BVerfG v. 9.5.1972, 1 BvR 518/62). Es ist auch davon auszugehen, dass I schuldhaft gehandelt hat. I droht deshalb auch ein Verfahren vor dem Berufsgericht. Anmerkung: Die Berufsgerichte sind „Gerichte für besondere Sachgebiete“ i.S.d. Art. 101 Abs. 2 GG. Die Organisation der ärztlichen Berufsgerichtsbarkeit, das Verfahren und die berufsgerichtlichen Maßnahmen (z.B. Verwarnung, Verweis, Entziehung passiver und aktiver Wahlrechte,

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Grundlagen des Arztrechts Geldbuße, Ausspruch, der Arzt sei unwürdig, seinen Beruf auszuüben) sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt (vgl. jeweilige Kammer- und Heilberufsgesetze der Länder).



Fall 10

Hausarzt H hat seinen Nachbarn, als dessen Hund wieder einmal sein Geschäft auf H’s Grundstück erledigte, beschimpft und verprügelt. Angenommen, es habe gegen H bereits ein Strafverfahren wegen Beleidigung und Körperverletzung stattgefunden, in dem H zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei. Kommt auch ein berufsgerichtliches Verfahren in Betracht? Der Sachverhalt spielt sich im Privatbereich des H ab. Außerdem haben wir schon etwas vom Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) gehört (vgl. Fall 6). Was sagt Ihr Rechtsempfinden? Sie meinen, nein? Ihre Antwort ist vertretbar; es gibt Stimmen in der Literatur, die die Kompetenz der Berufsgerichte bezüglich der Wertung privaten Verhaltens anzweifeln. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat in einem vergleichbaren Fall (LBG HeilB Hess. VGH v. 04.11.1985, LBG 914/84) aber festgestellt, dass auch ein außerhalb der Berufsarbeit liegendes Fehlverhalten eines Arztes geeignet sei, den Berufsstand in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen. Er hat einen berufsrechtlichen Überhang bejaht und damit – unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung – auch eine berufsgerichtliche Ahndung zugelassen.

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Leitsatz 2 Berufsgerichtsbarkeit 1. Die Ahndung von Verstößen gegen ärztliche Berufspflichten und die Wahrung des Ansehens und der Funktionsfähigkeit des Standes obliegt der ärztlichen Berufsgerichtsbarkeit. 2. Das berufsgerichtliche Verfahren ist in den Kammer- und Heilberufsgesetzen der Länder unterschiedlich geregelt. 3. Ist oder war eine berufsunwürdige Handlung Gegenstand eines Strafverfahrens so scheidet regelmäßig nach dem Grundsatz der unzulässigen Doppelbestrafung (ne bis in idem) eine zusätzliche berufsrechtliche Ahndung wegen desselben Vorganges aus, es sei denn, es besteht ein sog. „berufsrechtlicher Überhang“.

Lektion 2: Möglichkeiten und Formen der Ausübung ärztlicher Tätigkeit

Lektion 2: Möglichkeiten und Formen der Ausübung ärztlicher Tätigkeit

Fall 11

Was A tun muss, um Arzt und Facharzt zu werden haben wir in Lektion 1 erfahren. A bieten sich nach Abschluss seiner Ausbildung unterschied­ liche Tätigkeitsfelder. Da unser A sich, bevor er etwas angeht, immer zuerst gerne einen Überblick verschafft, wollen wir ihm mit einer Übersicht zeigen, welche Möglichkeiten der Berufsausübung ihm generell offen stehen.

Übersicht 2: Möglichkeiten ärztlicher Berufsausübung Selbständiger/ Niedergelassener ––in Einzel- oder „Gruppenpraxis“ (näher dazu: Übersicht 5) ––Behandlung nur von Privat- oder von Privat- und Kassenpatienten

Angestellter

Beamter

––in Arztpraxis / MVZ

z.B. an Hochschule, als Amts-, Anstalts-, Schul-, Truppen-, Polizeiarzt

––im Krankenhaus ––im Unternehmen, z.B. Pharmabranche

Wichtig: Die ärztliche Berufsethik (dazu näher in Lektion 4) und die auf der MBO-Ä fußenden Berufsordnungen der Länder gelten für alle ärztlichen Tätigkeiten. Sie halten die heterogene Ärzteschaft zusammen indem sie nur an das Merkmal „Arzt“/„Ärztin“ anknüpfen. Jedoch unterliegen verbeamtete Ärzte im Gegensatz zu angestellten und niedergelassenen Ärzten i.d.R. nicht dem berufsgerichtlichen Verfahren (siehe Lektion 1). Für sie gilt grds. das Disziplinarrecht ihres Dienstherrn.

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Grundlagen des Arztrechts

Niederlassung und Ausübung der Praxis

Fall 12

A möchte seinen Beruf ambulant, außerhalb eines Krankenhauses, als Selbständiger ausüben. Er sieht eine Marktlücke darin, die Patienten zu Hause aufzusuchen und zu behandeln. Auch im Hinblick auf Kostengesichtspunkte überlegt er, auf die Einrichtung einer Praxis zu verzichten und als Allgemeinarzt ausschließlich vor Ort, also in den Wohn- bzw. Arbeitsräumen seiner Patienten, zu arbeiten. Ist das möglich? Schön und bequem für den Patienten wäre es manchmal, aber werfen Sie einen Blick in die für Sie geltende BO. Dort werden Sie eine § 17  Abs. 1, 3 MBO-Ä vergleichbare Vorschrift finden, die sinngemäß Folgendes besagt: die Ausübung ambulanter ärztlicher Tätigkeit außerhalb von Krankenhäusern ist an die Niederlassung in einer (in älteren BO steht statt dessen sogar in „eigener“) Praxis (Praxissitz) gebunden. Die Ausübung ambulanter ärztlicher Tätigkeit im Umherziehen ist grds. berufsrechtswidrig. Konsequenz: A muss sich als frei praktizierender Arzt „niederlasssen“. Dazu bedarf es – dies müssen Sie sich merken, denn der Begriff der „Niederlassung“ ist gesetzlich nicht definiert – im Wesentlichen: 1. einer nach außen angekündigten konkreten Praxisstätte (Ort der Niederlassung) mit den 2. erforderlichen sachlichen (Räumlichkeiten, Geräte) und personellen Mitteln. A kann nicht einfach von einem Patienten zum anderen ziehen. Er muss in seiner Praxis Sprechstunden abhalten und darf nur ausnahmsweise aus Anlass von Hausbesuchen und/oder Notfällen außerhalb der Sprechstunden tätig werden.



Fall 13

Der Kommilitone des A ist Anästhesist geworden. Er hat zwar eine postalische Adresse, an der er Aufträge entgegennimmt und seine Verwaltungstätigkeiten erledigt; sein Geld verdient er aber damit, dass er von einer chirurgischen Praxis zur anderen zieht und dort arbeitet. Wieso

Lektion 2: Möglichkeiten und Formen der Ausübung ärztlicher Tätigkeit kann er das machen, während A das Umherziehen verboten ist (siehe Fall 12)? Ein Anästhesist kann naturgemäß nur dort arbeiten, wo der Operateur seine Tätigkeit ausübt. Schauen Sie in Ihre BO. Sie werden dort die Regelung finden, dass die Ärztekammer von der Bindung der ärztlichen Tätigkeit an den Praxissitz Ausnahmen gestatten kann, wenn sichergestellt ist, dass die beruflichen Belange nicht beeinträchtigt werden und die BO beachtet wird (§ 17 Abs. 3 MBO-Ä). Eine solche Ausnahme wird bezüglich der ambulant tätigen Anästhesisten gemacht.



Fall 14

Angenommen, A hätte sich in der Nähe von Passau als Allgemeinarzt niedergelassen. Als er merkt, dass in den Gemeinden im Grenzgebiet Richtung Tschechien kaum Ärzte praktizieren, überlegt er, dort in einem Dorf Räume anzumieten und an zwei Tagen eine Sprechstunde anzubieten. Bestehen hiergegen Bedenken? A würde nicht nur in „einer“, sondern in zwei Praxen tätig sein. Er würde an einem weiteren Ort eine sog. „Zweigpraxis“ eröffnen und dort die gleichen Leistungen erbringen, wie in seiner Praxis bei Passau. Grds. dürfen Ärzte bis zu zwei Zweigpraxen führen (§ 17 Abs. 2 MBO-Ä). Schauen Sie, wie die Regelung in der BO Ihrer Ärztekammer hierzu aussieht.



Fall 15

Der Pathologe P unterhält außerhalb seines Praxissitzes bereits an zwei weiteren Orten Zweigpraxen. Er möchte gerne weitere Filialen gründen. Die Ärztekammer beruft sich darauf, dass sogar die novellierte MBO nur max. zwei Zweigpraxen zulässt. Mit welchem Argument versuchen Sie, die Ärztekammer vom Vorhaben des P zu überzeugen? Die weitere, außerhalb des Ortes der Niederlassung stattfindende ärztliche Tätigkeit ist an die Sprechstundentätigkeit gebunden. Bezüglich der Pathologie handelt es sich aber nicht um ein unmittelbar patientenbezogenes Fachgebiet. Eine Sprechstundentätigkeit findet hier – wie auch i.d.R. in der Laboratoriums- und der Mikrobiologie – nicht statt, so dass fraglich ist, ob eine Beschränkung auf zwei Filialen rechtmäßig ist.

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Grundlagen des Arztrechts



Fall 16

Der niedergelassene Urologe U hat zusammen mit Fachkollegen Räume angemietet, in denen ausschließlich Vasektomien (Durchtrennung der Samenleiter) durchgeführt werden. Was meinen Sie? Es handelt sich hier um sog. „ausgelagerte Praxisräume“, in denen eine Leistung erbracht wird, die am Ort der Niederlassung selbst nicht erbracht wird. Ist deshalb eine Ausnahme vom grds. Verbot der Berufsausübung außerhalb des Ortes der Niederlassung möglich? Sie werden denken, eine Zweigpraxis ist auch möglich, warum also nicht auch ein „ausgelagerter Praxisraum“? Vom Grundsatz her – richtig. Aber Vorsicht: Da nur die spezielle Leistung im ausgelagerten Praxisraum erbracht wird, hat der Erstkontakt mit dem Patienten im Rahmen der Sprechstunde am Praxissitz selbst zu erfolgen. Außerdem müssen sich die ausgelagerten Praxisräume in räumlicher Nähe zum Ort der Niederlassung des Arztes befinden, damit zum Schutz des Patienten sichergestellt ist, dass die Tätigkeit in den ausgelagerten Räumen vom Arzt verantwortlich überwacht werden kann und der Arzt für seine Patienten am Niederlassungsort stets erreichbar ist. Wir fassen zusammen:

Übersicht 3: Niederlassung und Ausübung der Praxis 1. Eine ärztliche „Niederlassung“ ist eine mit den erforderlichen XX sachlichen (Praxisräumlichkeiten, Geräte) und XX personellen Mitteln ausgestattete sowie XX nach außen angekündigte konkrete Praxisstätte (Praxissitz). 2. Die ärztliche ambulante Tätigkeit außerhalb von Krankenhäusern ist grundsätzlich an eine ärztliche Niederlassung gebunden. 3. Für (a) Anästhesisten, (b) Zweigpraxen und (c) ausgelagerte Praxisräume gelten Ausnahmen bzw. Besonderheiten.

Lektion 2: Möglichkeiten und Formen der Ausübung ärztlicher Tätigkeit

Berufliche Kooperationen

Fall 17

A überlegt, ob es für ihn nicht vorteilhafter wäre, seine ambulante ärztliche Tätigkeit im Rahmen einer „Gruppenpraxis“, also gemeinsam mit Kollegen oder Angehörigen anderer Fachberufe, auszuüben. Wieder möchte er sich zunächst einen Überblick verschaffen – über die für ihn in Betracht kommenden Kooperationsformen.

Übersicht 4: Berufliche Kooperationsformen – „Gruppenpraxis“



Berufsausübungsgemeinschaften

Gemeinschaftspraxis Teilgemeinschaftspraxis MVZ

Organisationsgemeinschaften

Praxisgemeinschaft Apparategemeinschaft Laborgemeinschaft

Medizinische Kooperationsgemeinschaft

mit Ärzten, akad. oder staatl. Berufe im Gesundheitswesen, ­Naturwissenschaftlern, ­Angehörigen sozialer Berufe

Praxisnetz / Praxisverbund

außer mit Partnern wie bei Med. Koop. gem. zusätzlich möglich mit Krankenhäusern, Reha- und Pflegeeinrichtungen

Fall 18

Versuchen Sie anhand der nachfolgenden Definitionen und Umschreibungen herauszufinden, um welche Kooperationsform aus Übersicht 4 es sich handelt: a) Engste Form der ärztlichen Kooperation – Gemeinsame Ausübung der ärztlichen Tätigkeit durch mehrere Ärzte des gleichen oder ähnlichen Fachgebiets in gemeinsamen Räumen mit gemeinsamer Praxis­ einrichtung, gemeinsamer Karteiführung und Abrechnung sowie mit

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Grundlagen des Arztrechts gemeinsamem Personal auf gemeinsame Rechnung. Die Berufsausübung selbst ist vergesellschaftet! b) Gemeinsame Berufsausübung nur bezüglich einzelner Leistungen. c) Zusammenschluss mehrerer Ärzte, gleich welcher Fachrichtungen, zwecks gemeinsamer Nutzung von Praxisräumen und/oder Praxiseinrichtungen und/oder Praxispersonal bei sonst selbständiger Praxisführung mit jeweils eigenem Patientenstamm, getrennter Patientenkartei und getrennter Abrechnung. Es ist grob gesprochen, nur der äußerliche organisatorische Rahmen der ärztlichen Tätigkeit vergesellschaftet! d) Zusammenschluss von Ärzten mit Angehörigen bestimmter Berufsgruppen. e) Kooperation von Ärzten, ohne dass diese sich zu einer Berufsausübungsgemeinschaft zusammenschließen. Ärzte arbeiten selbständig und zielgerichtet bei der Durchführung eines bestimmten Auftrags zusammen. Und hier die Lösungen: a) Gemeinschaftspraxis. Wenn A z.B. Internist wäre, könnte er mit einem weiteren Internisten eine Gemeinschaftspraxis gründen. Häufige Kombination für fachverbindende Gemeinschaftspraxis: Orthopädie/Chirurgie oder Radiologie/Nuklearmedizin. b) Teilgemeinschaftspraxis. Vgl. als Beispiel Fall 16. Weiteres Bsp.: Teilgemeinschaftspraxis eines Radiologen und eines Gynäkologen bzgl. Mammographien (röntgendiagnostische Untersuchungen der weiblichen Brust). c) Praxisgemeinschaft. Sie wäre A zu empfehlen, wenn es ihm hauptsächlich auf den Aspekt der Kostenminimierung durch gemeinsame Nutzung von Ressourcen ankommen würde. Falls A nicht an eine umfassende Kostenminimierung denkt, sondern nur bestimmte Kosten im Auge hat, empfehlen sich für ihn Unterformen der Praxisgemeinschaft, wie die Apparate- oder die Laborgemein-

Lektion 2: Möglichkeiten und Formen der Ausübung ärztlicher Tätigkeit schaft. Bei der Apparategemeinschaft wäre für A z.B. denkbar, dass er sich mit Kollegen wegen der gemeinsamen Nutzung eines speziellen Sonographen (Ultraschallgeräts) zusammentut. Für anfallende Laboruntersuchungen z.B. von Blut- und Urinproben käme die gemeinsame Nutzung von Laboreinrichtungen und Personal in Betracht. d) Medizinische Kooperationsgemeinschaft. A könnte sich als Internist im Hinblick auf psychosomatisch erkrankte Patienten oder Diabetiker mit einem Psychologen, einem Ernährungswissenschaftler und einem Diätassistenten zusammenschließen. Weiteres klassisches Beispiel aus der Praxis: Zusammenarbeit von Gynäkologen und Biologen im Rahmen der künstlichen Befruchtung. e) Praxisverbund. A könnte sich mit anderen Arztpraxen zur ambulanten ärztlichen Versorgung außerhalb der normalen Sprechstundenzeiten (Notfallpraxis) zusammenschließen. Weitere Beispiele aus der vertragsärztlichen Versorgung: Praxisnetze nach Maßgabe der Regelungen von Strukturverträgen (§ 73a SGB V) und der sog. „integrierten Versorgung“ (§ 140a ff. SGB V).



Fall 19

Angenommen, A hätte sich entschlossen, mit einem befreundeten Internisten eine Gemeinschaftspraxis zu gründen. a) Welche Gesellschaftsform käme dafür in Betracht? Wo schauen wir nach? Im Gesellschaftsrecht – BGB, HGB, GmbHG, PartGG – dort erfahren wir welche Gesellschaftsformen es überhaupt gibt. Da es sich aber um eine Frage der Berufsausübung handelt, wissen wir aus Lektion 1, dass wir daneben auch speziell im einschlägigen Heilberufe- und Kammergesetz/Bundesland und der darauf basierenden BO nachschauen müssen. Dort erfahren wir, ob die Gesellschaftsform, die wir ins Auge gefasst haben, berufsrechtlich überhaupt zulässig ist. b) Könnte A die angestrebte Gemeinschaftspraxis in der Rechtsform einer OHG oder einer KG gründen? Im Gesellschaftsrecht ist sowohl die OHG (§§ 105 ff. HGB), als auch die KG (161 ff. HGB) geregelt. Was sagt aber das Berufsrecht? Das Berufs-

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Grundlagen des Arztrechts recht sagt: „Der ärztliche Beruf ist kein Gewerbe. Er ist seiner Natur nach ein freier Beruf“ (vgl. § 1 Abs. 1 MBO-Ä, § 1 Abs. 2 BÄO). Konsequenz: Personenhandelsgesellschaften, wie die OHG und die KG scheiden als Rechtsform aus, denn sie setzen zwingend gewerbliche Tätigkeiten voraus. c) Könnte A seine Gemeinschaftspraxis in der Rechtsform einer GmbH gründen? Das Gesellschaftsrecht sieht die GmbH als mögliche Rechtsform vor (vgl. GmbHG). Wie steht es wiederum mit dem Berufsrecht? Der BGH hat in seinem Urteil vom 25.11.1993 (BGHZ 124, 224 ff.) für die Zahnärzte-GmbH entschieden, dass die „Heilkunde-GmbH“, im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG jedenfalls so lange statthaft ist, als nicht ein Landesgesetz oder vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht sie verbietet. Die Landesgesetzgeber reagierten auf dieses Urteil sehr unterschiedlich. Die Regelungen reichen von der ausdrücklichen Anerkennung der GmbH bis hin zu deren ausdrücklichen Verbot. A sollte sich deshalb erkundigen, was für seinen Ärztekammerbezirk gilt. Zwischenergebnis: A steht als Rechtsform zur Gründung seiner Gemeinschaftspraxis die BGB-Gesellschaft (§§ 705 ff. BGB), die Partnerschaftsgesellschaft (§§ 1 ff. PartGG) oder, wenn es in seinem Bezirk erlaubt ist, die GmbH (§§ 1 ff. GmbHG) zu Verfügung. d) Angenommen A und sein Kollege I hätten sich zur Führung ihrer Gemeinschaftspraxis in der Form einer BGB-Gesellschaft entschlossen und einen entsprechenden Gesellschaftervertrag unterzeichnet. Gäbe es noch weitere Formalitäten zu beachten? Ja. Die BO schreibt vor, dass eine Gemeinschaftspraxis der zuständigen Ärztekammer anzuzeigen ist. Falls A und I darüber hinaus auch zur vertragsärztlichen Versorgung (dazu gleich näher in Lektion 3) zugelassen wären, wäre sogar eine vorherige Genehmigung der Gemeinschaftspraxis durch den Zulassungsausschuss erforderlich (§ 33 Abs. 2 Ärzte ZV).

Lektion 2: Möglichkeiten und Formen der Ausübung ärztlicher Tätigkeit Weiter kann in diesem Buch nicht auf die möglichen Gestaltungen im Rahmen von ärztlichen Kooperationen eingegangen werden, es würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Für den Einstieg in die Materie mag Ihnen aber die Übersicht 5 zur Orientierung nützlich sein:

Übersicht 5: Koopera­tionsformen zur ambulanten Berufsausübung Bestimmung einer geeigneten Koopera­tionsform zur ambulanten ärztlichen Berufsausübung 1. Was wird mit der Kooperation bezweckt? (Z.B. Kostenminimierung, gemeinsame Berufsausübung?) 2. Welche Möglichkeiten beruflicher Kooperation sieht die BO hierfür vor? (Vgl. Übersicht 4) 3. Welche Rechtsform bietet sich nach dem Gesellschaftsrecht für die ins Auge gefasste Kooperation an? (Bsp. BGB-Gesellschaft) 4. Ergeben sich aus dem ärztlichen Berufsrecht (BO, Kammer- und Heilberufsgesetz/Bundesland – Stichwort: Freiberuflichkeit) und für Vertragsärzte zusätzlich aus dem Vertragsarztrecht, Grenzen für die rechtliche Ausgestaltung der geplanten Zusammenarbeit? 5. Sind weitere Formalitäten zu beachten? Z.B. Mitteilungs- und Anzeigepflichten nach der BO, Genehmigungspflichten (z.B. § 33 Abs. 2 Ärzte‑ZV) oder gesellschaftsrechtliche Eintragungspflichten (z.B. Eintrag der Partnerschaftsgesellschaft und der GmbH ins Register)?

Werbung

Fall 20

Gynäkologe G aus X möchte für seine Praxis werben. Er überlegt, in der örtlichen Tageszeitung eine Anzeige mit Namen, Adresse und Tel.-Nr. sowie den Sprechstundenzeiten seiner Praxis zu schalten. Darüber hinaus möchte er den Zusatz aufnehmen: „Professioneller Brust-Ultraschall zur Krebsvorsorge bei uns nur 25,00 Euro statt wie sonst in X ab 40,00 Euro aufwärts.“ Was raten Sie G?

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Grundlagen des Arztrechts G wäre zu raten, seine Werbung auf eine wahrheitsgemäße sachliche Unterrichtung der Leser zu beschränken. Jeglicher Anschein einer ­Kommerzialisierung des Arztberufes ist zu verhindern. Deshalb sollte G den vergleichenden und anpreisenden Zusatz bezüglich des Brustultraschalls weglassen. Wenn G unbedingt erwähnen möchte, dass er Brustultraschall im Rahmen der Krebsvorsorge anbietet, könnte er dies ganz neutral in Form eines von seiner Praxis angebotenen Leistungskataloges anführen. G sollte sich bevor er die Werbung schaltet vergewissern, ob sie mit den Vorschriften der BO und des UWG, bei dessen Beurteilung die BO mit einzubeziehen ist, übereinstimmt. Falls G beabsichtigt, seinen Werbetext auch ins Internet zu stellen, muss er zusätzlich die Vorschriften des Teledienstgesetzes beachten.



Fall 21

Angenommen, G bliebe stur und würde die Werbung, wie von ihm vorgesehen, in der Zeitung des Ortes X schalten. Was würde ihm drohen? Im Vorfeld – ein anwaltliches Schreiben eines Konkurrenten mit der Aufforderung eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben und die Kosten der anwaltlichen Vertretung des Konkurrenten zu zahlen. Falls G darauf nicht reagieren würde, muss G damit rechnen, dass sein Konkurrent vor dem Landgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel, G die berufswidrigen Maßnahmen zu untersagen, stellen wird. Unter Umständen droht G auch noch Ärger von Seiten seiner Kammer, wegen der Verletzung berufsrechtlicher Vorschriften.

Lektion 3: Der Vertragsarzt (Kassenarzt)

Lektion 3: Der Vertragsarzt (Kassenarzt) Vorweg: Die Vorschriften des Vertragsarztrechts sind sehr vielfältig: Gesetze und Verordnungen, Richtlinien, Bundesmantelverträge, Vereinbarungen; Sie werden zudem häufig geändert, so dass die für Ihren Sachverhalt einschlägigen Rechtsquellen besonders sorgfältig herauszusuchen sind. In der Gesetzessammlung von Aichberger, Ergänzungsband, Gesetzliche Krankenversicherung Soziale Pflegeversicherung, herausgegeben von Klaus Engelmann im Beck-Verlag finden Sie i.d.R. eine gute Zusammenstellung der wichtigsten Vorschriften.

Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung

Fall 22

Im Hinblick darauf, dass ca. 90 % der Bevölkerung Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sind, möchte A nicht nur Privat-, sondern auch „Kassenpatienten“ behandeln. Darf er das ohne Weiteres? Gehen Sie für Ihre Lösung davon aus, dass A approbierter Arzt ist und die Facharztbezeichnung „Internist“ führen darf. Nein. Aus Lektion 1 wissen wir, dass A mit der Erteilung der Approbation zwar berechtigt ist, eigenverantwortlich Patienten zu behandeln und sich in freier Praxis niederzulassen (vgl. dazu Lektion 2); allerdings bedeutet die Approbation nicht zugleich die Berechtigung, gesetzlich versicherte Patienten zu Lasten der GKV zu behandeln. Hierfür ist erforderlich, dass A am System der GKV „teilnimmt“. Wo steht das? Das steht im Sozialgesetzbuch, und zwar im Fünften Buch – SGB V. Dort ist die GKV geregelt. Nun lesen Sie bitte zunächst § 2 SBG V. In Abs. 2 S. 3 erfahren Sie, dass die Krankenkassen über die Leistungen der GKV „Verträge“ nach den Vorschriften des Vierten Kapitels mit sog. „Leistungserbringern“ abschließen. Nutzen Sie diesen gesetzlichen Verweis bitte dazu, sich über das Inhaltsverzeichnis des SGB V einen ersten systematischen Überblick über die GKV zu verschaffen. Haben Sie dies getan? Dann fokussieren Sie Ihren Blick auf das 4. Kapitel und seine Titel. Wo könnten wir für A fündig werden? Im 7. Titel des 4. Kapitels – in § 95 SGB V. Schlagen Sie bitte diese wichtige Vorschrift auf. Lesen Sie zunächst nur § 95 I 1 SGB V und merken Sie sich:

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Grundlagen des Arztrechts

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Leitsatz 3 Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung 1. Gesetzlich versicherte Patienten dürfen im ambulanten Bereich zu Lasten der Krankenkassen nur von Leistungsträgern behandelt werden, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. 2. Für eine Teilnahme von Ärzten an der vertragsärztlichen Versorgung sieht § 95 Abs. 1 SGB V die Zulassung und die Ermächtigung vor.

Medizinische Versorgungszentren und ärztlich geleitete Einrichtungen wollen wir hier außer Acht lassen. Wir halten deshalb für A als Zwischenergebnis fest: Zur Behandlung von GKV-Patienten benötigt A eine Zulassung oder eine Ermächtigung. Die Ermächtigung (§ 95 SGB V i.V.m. §§ 31 f. Ärzte-ZV) ist gegenüber einer Zulassung subsidiär, ihrem Inhalt her eingeschränkt und nur möglich, um Versorgungslücken zu schließen. Wir wollen uns hier deshalb auch mit ihr nicht näher befassen, sondern A im Folgenden helfen, eine Zulassung als Kassenarzt zu bekommen. Die Voraussetzungen für die Zulassung sind geregelt in § 95 Abs. 2 SGB V und der diese Norm konkretisierenden Ärzte-ZV (§§ 95 Abs. 2 S. 1, 98 SGB V i.V.m. §§ 1 ff. Ärzte-ZV).

Übersicht 6: Zulassung zur ­vertragsärztlichen Versorgung 1. Eintragung ins Arztregister (§§ 95 Abs. 2 S. 1, 95a SGB V i.V. m. §§ 1 – 10 Ärzte-ZV). 2. Formale Voraussetzungen (Antrag, Unterlagen) 3. Keine gesetzlichen Hinderungsgründe Als approbierter Arzt mit fachärztlicher Weiterbildung – A ist Internist – wird A mit der unter Ziff. 1 genannten Voraussetzung keine Probleme haben.

Lektion 3: Der Vertragsarzt (Kassenarzt) Nach § 18 Ärzte-ZV muss A in einem schriftlichen Antrag angeben, für welchen Vertragsarztsitz (dies ist gem. § 24 Abs. 1 Ärzte-ZV der Ort der Niederlassung) und unter welcher Arztbezeichnung die Zulassung beantragt wird. A wird also beantragen, als Internist für die konkrete Praxis­adresse Musterweg 1 in Beispielstadt zugelassen zu werden. Seinem Antrag muss A die in § 18 Ärzte-ZV aufgeführten Anlagen beifügen. Beachte: Die Zulassung verpflichtet grds. zur vollzeitigen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit (§ 19a I Ärzte-ZV). Möglich ist es aber auch von Beginn an oder nachträglich, nur eine sog. Teilzulassung, die auf den hälftigen Versorgungsauftrag beschränkt ist, zu beantragen (§ 19a II Ärzte-ZV). Fraglich ist, ob A’s Zulassung als Vertragsarzt gesetzliche Hinderungsgründe entgegenstehen.

Übersicht 7: Zulassung – Gesetzliche Hinderungsgründe Als gesetzliche Hinderungsgründe kommen ausschließlich in Betracht: ––Zulassungsbeschränkungen gem. § 103 SGB V i.V.m. § 16b Ärzte-ZV für den beantragten Vertragsarztsitz ––Nichteignung oder Ungeeignetheit (§ 98 Abs. 2 Nr. 10 SGB V i.V.m. §§ 20, 21 Ärzte-ZV) ––sowie die Ausnahmevorschrift bzgl. der Wiederzulassung nach kollektivem Verzicht auf die Zulassung vor Ablauf der Frist von sechs Jahren (§ 95 b Abs. 2 SGB V)

Da unser junger A zum ersten Mal eine Zulassung beantragt, können wir die Ausnahmevorschrift des § 95b Abs. 2 SGB V hier außer Acht lassen. Auch unter dem Gesichtspunkt der Nichteignung oder Ungeeignetheit soll A keine Probleme bekommen. Wie sieht es aber mit dem von A beantragten Vertragsarztsitz „Musterweg 1 in Beispielstadt“ aus? Falls dieser nicht in einem sog. „gesperrten Gebiet“ (Gebiet, in dem seitens der KV in ihrem Bedarfsplan Überversorgung festgestellt worden ist) liegt, steht A, nachdem er alle Zulassungsvoraussetzungen erfüllt, ein Anspruch auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zu. Dazu aber folgende

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Grundlagen des Arztrechts Abwandlung: Angenommen, für das Gebiet Beispielstadt wären wegen Überversorgung Zulassungsbeschränkungen angeordnet. Hätte es Auswirkungen auf die Zulassungsentscheidung, wenn A mit einem Kollegen eine spezialisierte Gemeinschaftspraxis mit spezialistischen Versorgungsaufgaben, nämlich eine onkologische Schwerpunktpraxis, gründen möchte? Ein Antrag auf (Neu)zulassung in einem gesperrten Gebiet ist – wie wir aus Übersicht 7 erfahren haben – grds. zurückzuweisen. Von Grundsätzen gibt es in der Juristerei aber bekanntlich immer wieder Ausnahmen. Die Variante könnte unter eine solche Ausnahmegruppe fallen, nämlich die der qualitätsbezogenen Sonderbedarfszulassung gem. § 101 Abs. 1 Nr. 3 SGB V i.V.m. §§ 24 c, 25 BedarfsplRL-Ä. Schauen Sie sich wegen der Einzelheiten die zitierten Vorschriften bitte an. In § 24 BedarfsplRL-Ä werden Sie noch weitere qualitätsbezogene Sonderbedarfszulassungstatbestände finden, an die Sie ggf. denken sollten. Lesen Sie, wenn Sie es mit einem qualitätsbezogenen Sonderbedarf zu tun haben aber § 25 BedarfsplRL immer mit, da sich daraus bestimmte Einschränkungsmöglichkeiten bezüglich der Zulassung ergeben.



Fall 23

A erfährt, dass der Vertragsarzt V seine internistische Praxis im gesperrten Gebiet verkaufen will. A überlegt, V die Praxis abzukaufen. Wäre A durch den Praxiskauf automatisch an Stelle des V zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen? Überlegen Sie zunächst: Wie ist ein Praxiskauf rechtlich einzuordnen? Eine Arztpraxis ist eine Art „Unternehmen“. Sie besteht zum einen aus einer Vielzahl von Sachen (z.B. Praxiseinrichtung, medizinische Geräte, Patientenkartei), zum anderen aus Rechten des Praxisinhabers (z.B. Nutzungsrechte aus dem Mietvertrag, aus Leasing-, Versicherungs-, Arbeitsverträgen usw.) und darüber hinaus aus dem ideellen Praxiswert (Goodwill). Der Kauf/Verkauf einer Arztpraxis fällt deshalb unter § 453 Abs. 1 BGB („sonstige Gegenstände), wobei im Hinblick auf Art. 1, 2 GG zugunsten der Patienten und im Hinblick auf Art. 12 GG zugunsten des verkaufenden Arztes Besonderheiten zu berücksichtigen sind, die uns hier aber zu sehr in die Tiefe führen würden.

Lektion 3: Der Vertragsarzt (Kassenarzt) Ist die vertragsärztliche Zulassung (der Vertragsarztsitz) als Teil dieser Sachgesamtheit veräußerbar? Nein. Der Vertragsarztsitz/die vertragsärztliche Zulassung ist kein Handelsgut, sondern ein höchstpersönliches Recht, das allerdings nicht der Disposition seines Inhabers unterliegt. Ergo: A kann zwar von V die Praxis kaufen, nicht aber die Zulassung. Die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung ist unveräußerlich! Sie wird ausschließlich aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften (SGB V; Ärzte-ZV) erteilt. Jedoch: Lesen Sie § 103 Abs. 4 SGB V. Diese Vorschrift regelt eine weitere Ausnahme einer Zulassung im gesperrten Gebiet, nämlich über den Weg eines sog. Nachbesetzungsverfahrens. A kann versuchen, auf diesem Weg eine vertragsärztliche Zulassung zu erlangen. Im Hinblick darauf, dass sich außer A aber auch weitere Kollegen um den Vertragsarztsitz bewerben können und evtl. auch gerichtlich versuchen werden, eine für sie positive Entscheidung zu erlangen, ist A dringend zu raten, den Praxiskaufvertrag mit V unter der aufschiebenden oder auflösenden Bedingung einer bestandskräftigen Zulassung abzuschließen. Schauen Sie sich der Vollständigkeit halber wegen weiterer Ausnahmen einer Zulassung im gesperrten Gebiet noch § 101 I Nr. 4, III SGB V i.V.m. § 23a BedarfsplRL-Ä (Job-Sharing), § 103 VII SGB V (Belegarzttätigkeit) und §§ 95 I, 103 IVa S. 4 SGB V an.



Fall 23a

F, der Freund von A ist angestellter Arzt in der Praxis des C. Die Praxis liegt in einem gesperrten Gebiet. F möchte der Liebe wegen wegziehen. Ergäbe sich für A eine Gelegenheit zu Niederlassung im gesperrten Bezirk? Ja. Lesen Sie § 95 Abs. 9b SGB V. A könnte sich zunächst an Stelle des F anstellen lassen. Es könnte dann in einem zweiten Schritt die (genehmigte) Anstellung direkt in eine Zulassung umgewandelt werden.



Fall 24

Die niedergelassene Ärztin F hat bislang nur Privatpatienten in ihrer Praxis behandelt. Daneben ist F als Angestellte im Betrieb ihres Mannes tätig. F möchte zukünftig aber auch Kassenpatienten behandeln und aus diesem Grund die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung beantra-

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Grundlagen des Arztrechts gen. Angenommen, F’s Praxis wäre nicht in einem gesperrten Gebiet; bestehen dennoch Bedenken bezüglich der Erfolgsaussichten von F’s Zulassungsantrag? Gem. § 20 Abs. 1 Ärzte-ZV ist für die Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit nicht geeignet, wer wegen eines Beschäftigungsverhältnisses für die Versorgung der Versicherten persönlich nicht in erforderlichem Maße zur Verfügung steht. Nach Auffassung des BSG wäre dies bis zum 31.12.2011 der Fall gewesen, wenn F bei einem vollen Versorgungsauftrag mehr als 13 Wochenstunden/bzw. bei einem hälftigen Versorgungsauftrag mehr als 26 Wochenstunden im Angestelltenverhältnis arbeiten würde. Durch das GKV-VStG vom 22.12.2011 wurden die Tätigkeitszeiten für Ärzte mit Wirkung zum 01.01.2012 jedoch liberalisiert. Erforderlich ist danach nur noch, dass F eine ausreichende Sprechstunde zu den „üblichen Zeiten“ anbietet. Im Hinblick auf mögliche Interessenkollisionen beständen aber Zweifel an F’s Geeignetheit zur Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit, wenn F im Betrieb ihres Mannes Betriebsärztin wäre und ihre Praxis im selben Einzugsbereich eröffnen möchte (vgl. § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV). Unterscheide: Während § 20 Ärzte-ZV die Nicht-Eignung betrifft, regelt § 21 Ärzte-ZV Fälle der Ungeeignetheit für die Ausübung einer Kassenpraxis (aufgrund geistiger oder sonstiger personenbezogenen schwerwiegenden Mängeln wie z.B. dauerhaften Erkrankungen oder Behinderungen, Alkohol-, Drogen-, oder Tablettensucht, Neigung zu Straftaten).

Zulassungsfolgen

Fall 25

Angenommen A hätte in Fall 22 die beantragte Zulassung erhalten und seine Praxis im Musterweg 1 in Beispielstadt eingerichtet. Wohnen würde A aus finanziellen Gründen aber zunächst noch 100 km entfernt im großen Haus seiner Oma. Bedenken? Durch die Zulassung darf A nun auch gesetzlich krankenversicherte Patienten behandeln – aber nichts im Leben ist kostenlos! Die Zulassung bewirkt, dass A Teil eines Sondersystems wird: A wird Mitglied der für seinen Kassenarztsitz zuständigen KV (§ 95 Abs. 3 S. 1 SGB V). Damit

Lektion 3: Der Vertragsarzt (Kassenarzt) diese ihren Sicherstellungs- und Gewährleistungsauftrag zur vertragsärztlichen Versorgung der Bevölkerung (§ 72 SGB V) erfüllen kann, werden A aber – vgl. gleich auch Fall 26 und 27 – zahlreiche Pflichten auferlegt (§ 95 Abs. 3 S. 1 SGB V). Eine dieser Pflichten war bis zum 31.12.2011 auch die Residenzpflicht (§ 24 Abs. 2 S. 2, 3 Ärzte-ZV); diese wurde durch das GKV-VStG jedoch aufgehoben – der Gesetzgeber ist angesichts des drohenden Ärztemangels mittlerweile froh, wenn es, vor allem in ländlichen Gebieten, überhaupt noch praktizierende Ärzte gibt!



Fall 26

Angenommen, A hätte nur eine beschränkte Sonderzulassung gem. § 101 Abs. 1 Nr. 3 SGB V i.V.m. Nr. 24 b, 25 BedarfsplRL-Ä für den Schwerpunkt Endokrinologie/Diabetologie bekommen. Darf er beim Patienten P auch eine kardiologische Leistung, z.B. eine Schrittmacherkontrolle vornehmen, wenn er dies während seiner vorherigen langjährigen Tätigkeit als angestellter Krankenhausarzt gelernt und dort schon viele Male gemacht hat? Nein. A muss sich auf die Erbringung von Leistungen auf dem Gebiet, für das er zugelassen worden ist beschränken, selbst wenn er nach seiner persönlichen Qualifikation in der Lage ist, auch auf einem anderen Fachgebiet bzw. in einem weiteren Schwerpunktbereich tätig zu sein.



Fall 27

Der gesetzlich krankenversicherte Rentner R ist sehr umständlich und langsam – im Handeln und im Denken. A benötigt für R deshalb fast doppelt so viel Zeit, wie für seine anderen Patienten. Am liebsten möchte A den R und überhaupt Rentner nicht mehr behandeln. Ist das möglich? Nein, denn mit der Vertragsarztzulassung hat A sich in den der KV obliegenden Sicherstellungsauftrag zur Durchführung einer ordnungsgemäßen vertragsärztlichen Versorgung eingegliedert (§§ 95 Abs. 3 S.1, 75 Abs. 1 SGB V). Daher steht es nicht mehr im Belieben des A, ob und in welchem Umfang er sozialversicherte Patienten (Kassenpatienten) versorgen will. A trifft grds. die Verpflichtung, im Rahmen seiner Vertragsarztzulassung Kassenpatienten nach Maßgabe der Bedingungen der GKV zu behandeln. Die Ablehnung eines Patienten aus pauschalen Gründen (z.B. Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kasse, Nationalität, zu erwartender Zeitaufwand) ist unzulässig.

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Grundlagen des Arztrechts A könnte eine konkrete Behandlung des R allenfalls dann ablehnen, wenn kein Notfall vorläge und A am Behandlungstag schon z.B. zehn oder mehr Stunden in der Praxis gearbeitet hätte (akute zeitliche Überlastung) oder R sich gegenüber A unverschämt verhalten würde.

Übersicht 8: Wesentliche Rechtsfolgen der Zulassung 1. Mit der Zulassung wird der Vertragsarzt Leistungsträger des subtil organisierten öffentlich-rechtlichen Systems der GKV. Die Koordinationsstelle für den Arzt ist in diesem System die für seinen Kassenarztsitz zuständige KV, deren Zwangsmitglied er wird (§ 95 Abs. 3 S. 1 SGB V). 2. Dem „Kassenarzt“ obliegen bei seiner Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zahlreiche Pflichten. Diese ergeben sich aus einem leider sehr unübersichtlichen Normengefüge von Gesetzen, Satzungen und sich daraus ergebenden Ordnungen, sowie aus Verträgen und Richtlinien. Hervorzuheben sind folgende grundlegenden Pflichten: a) Einhaltung der Fachgebietsgrenzen b) Behandlung aller gesetzlich Krankenversicherten c) Abhalten von Sprechstunden am Vertragsarztsitz (Präsenzpflicht – § 24 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV), d) Teilnahme am Bereitschaftsdienst (§ 75 Abs. 1 S. 2 SGB V), e) fachliche Fortbildung (§ 95d SGB V).

Disziplinarverfahren

Fall 28

Der zur hausärztlichen Versorgung zugelassene H weigert sich beständig Senioren, die älter als 70 Jahre sind, zu behandeln. Nachdem sich mehrere gesetzlich versicherte Betroffene bei der KV des H beschwert haben, leitet diese ein Disziplinarverfahren gegen H ein. Nach ordnungsgemäßer Durchführung des Verfahrens erlässt die KV gegenüber H einen Bescheid, wonach H verwarnt wird und eine Geldbuße von 5.000,00 Euro zu zahlen hat. a) Wie kann H rechtlich gegen den Bescheid der KV vorgehen?

Lektion 3: Der Vertragsarzt (Kassenarzt) Wo schauen Sie nach? Richtig – im SGB V, denn wir haben eine Frage aus dem Sondersystem „gesetzliche Krankenversicherung“ zu klären und da wir im Sozialrecht sind, schauen wir bezüglich des Verfahrens ins SGB X und ins SGG. Nun gehen Sie das Inhaltsverzeichnis des SGB V durch; denken Sie dabei daran, wer unsere Beteiligten sind: die KV und H als Leistungserbringer; ergo 4. Kapitel des SGB V – Beziehungen zu den Leistungserbringern – 2. Titel – KV. Dort entnehmen wir § 77 Abs. 5, dass die KV eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. Bei den Juristen unter Ihnen blinkt sicherlich schon das Lämpchen mit der Ansage – hoheitliches Handeln zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts – VA – Widerspruch/Anfechtungsklage. Sie sind auf dem richtigen Weg. Die vom Disziplinarausschuss verhängten Disziplinarmaßnahmen sind Verwaltungsakte gem. § 31 S. 1 SGB X. Aus § 1 Abs. 5 S. 4 SGB V geht allerdings hervor, dass ein Vorverfahren gem. § 78 SGG nicht stattfindet, so dass das richtige Rechtsmittel gegen den Disziplinarbescheid hier gleich eine Anfechtungsklage vor dem Sozialgericht (§§ 51 Abs. 1 Nr. 2, 54 Abs. 1 S. 1 (1) SGG) gegen die KV ist. b) Wäre die Anfechtungsklage des H begründet? Sie wäre begründet, wenn der Disziplinarbescheid nicht rechtmäßig wäre. Gem. § 81 Abs. 5 S. 1 SGB V hat die Satzung einer KV die Voraussetzungen und das Verfahren zur Verhängung von Maßnahmen gegen Mitglieder zu bestimmen, die ihre vertragsärztlichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllen. H ist aufgrund seiner Zulassung Mitglied der für seinen Kassenarztsitz zuständigen KV (§ 95 Abs. 3 S. 1 SGB V). Es ist auch davon auszugehen, dass das Disziplinarverfahren ordnungsgemäß aufgrund der entsprechenden Satzungsbestimmungen der KV oder gar gemäß der auf der Satzung beruhenden speziellen Disziplinarordnung durchgeführt worden ist. Laut Sachverhalt hat H gegen seine Pflicht zur Behandlung aller gesetzlich Krankenversicherten verstoßen. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist auch davon auszugehen dass H schuldhaft, also vorsätzlich oder zumindest fahrlässig gehandelt hat. Fraglich ist, ob die angeordneten Disziplinarmaßnahmen – Verweis und Geldbuße – rechtmäßig sind. Verweis und Geldbuße bis zu 10.000,00 Euro sind mögliche Disziplinarmaßnahmen des abschließenden Kataloges in § 81 Abs. 5 S. 2 SGB V. Die Auswahl der richtigen Disziplinarmaßnahme steht im Ermessen der KV. Dabei sind alle Umstände des Falles, das gesamte Verhalten und die Persönlichkeit des Arztes sowie seine Beweggründe für die Pflichtverletzung zu berücksichtigen. Zu beachten ist

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Grundlagen des Arztrechts dabei vor allem, dass die verhängten Disziplinarmaßnahmen in einem Stufenverhältnis stehen, das sich an der Schwere der Verfehlung orientiert. Die mildeste Maßnahme ist die Verwarnung, die schwerwiegendste die Anordnung des Ruhens der Zulassung für eine Dauer von bis zu zwei Jahren. Die beständige Weigerung des H, Rentner zu behandeln ist bereits als schwerwiegende Pflichtverletzung einzustufen. Mit einem Verweis, der üblicherweise nur bei erstmaligen leichteren Pflichtverletzungen in Betracht kommt, wäre H sehr gnädig davongekommen. Auch die Anordnung der Geldbuße von 5.000,00 Euro wäre in H’s Fall keine zu strenge Maßnahme. Aber: Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist es unzulässig, verschiedene Disziplinarmaßnahmen miteinander zu kombinieren. H’s Anfechtungsklage wäre damit wegen eines Ermessensfehlgebrauchs bei der Auswahl der Disziplinarmaßnahmen begründet.



Fall 29

Müsste „Kassenarzt“ N Disziplinarmaßnahmen befürchten, wenn er bei einer Trunkenheitsfahrt erwischt worden wäre? Klassische juristische Antwort: Es kommt darauf an. Aus § 81 Abs. 5 S. 1 SGB V geht hervor, dass ein Disziplinarverfahren nur bei Verletzung spezifisch vertragsärztlicher Pflichten in Betracht kommt. Die Verletzung berufsrechtlicher Pflichten oder strafrechtlich relevanter Handlungen außerhalb der vertragsärztlichen Tätigkeit ziehen daher kein Disziplinarverfahren nach sich. Aber – das BSG steckt den Umfang der vertragsärztlichen Pflichten sehr weit ab. Nach Auffassung des BSG gehört es zur Pflicht des Vertragsarztes, bei der Ausübung seiner Tätigkeit keinerlei Gesetzesverstöße zu begehen. Hätte N die Trunkenheitsfahrt daher während seines Notdienstes, zu dem er als Vertragsarzt verpflichtet ist, begangen, lautete die Antwort deshalb – ja. Beachten Sie in diesem Zusammenhang: Der Grundsatz „ne bis in idem“ schlägt sich auch im Disziplinarrecht der KV nieder. Soweit gegen N wegen der Trunkenheitsfahrt bereits Straf- oder Berufsgerichtsverfahren stattgefunden haben sollten, käme die Einleitung eines Disziplinarverfahrens nur in Betracht, wenn ein typisch vertragsarztrechtlicher Überhang bestände. Kommt Ihnen bekannt vor? Richtig. Im Berufsrecht in Lektion 1 hatten wir es schon mit der gleichen Problematik zu tun (vgl. Fall 6). Im Ernstfall ist hier Ihre Argumentationskunst gefragt.

Lektion 3: Der Vertragsarzt (Kassenarzt) Wir behalten im Gedächtnis:

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Leitsatz 4 Disziplinarrecht 1. Damit der Gewährleistungsauftrag der KVen zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung erfüllt werden kann, hat der Gesetzgeber den KVen das Disziplinarrecht gewährt (§ 82 Abs. 5 SGB V). 2. Die den KVen zur Verfügung gestellten Disziplinarmaßnahmen sind in § 81 Abs. 5 S. 2 SGB V einheitlich, abschließend und in einem Stufenverhältnis zueinander stehend, geregelt. Einzelheiten bezüglich des Verfahrens ergeben sich hingegen aus der jeweiligen Satzung bzw. Disziplinarordnung der jeweiligen KV. 3. Gegen Disziplinarentscheidungen findet ein Vorverfahren nicht statt (§ 81 Abs. 5 S. 4 SGB V); es ist direkt per Klage gegen die KV vor dem Sozialgericht dagegen vorzugehen.

Ruhen, Entziehung und Ende der Zulassung Bevor wir zu den nächsten Fällen kommen, nehmen Sie sich bitte wieder § 95 SGB V vor und lesen Sie die Absätze 5 –7 sowie ergänzend dazu §§ 26 – 28 Ärzte-ZV.



Fall 30

A erhält die beantragte Zulassung im gesperrten Gebiet. Als Zeitpunkt bis zu dem die vertragsärztliche Tätigkeit aufzunehmen ist (§ 19 Abs. 2 Ärzte-ZV), ist der 1. Juli des laufenden Jahres bestimmt. A wird zehn Tage vorher infolge eines Verkehrsunfalls schwer verletzt. Was geschieht mit der Zulassung des A? Gem. § 95 Abs. 5 S. 1 (1) SGB V ruht die Zulassung, wenn der Vertragsarzt seine Tätigkeit nicht aufnimmt, ihre Aufnahme aber in „angemessener“ Frist zu erwarten ist und – dies geht aus § 26 Ärzte-ZV – hervor, Gründe der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung nicht entgegenstehen (es darf also keine Unterversorgung bestehen oder drohen). Maßgebend für unsere Falllösung ist also zunächst die Frage, innerhalb

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Grundlagen des Arztrechts welcher Zeit A seine Tätigkeit in seiner Praxis aufnehmen können wird. Angenommen, A könnte am 1. August, also etwa vier Wochen nach dem im Zulassungsbeschluss bestimmten Termin Sprechstunden abhalten und es würden auch, wie im gesperrten Gebiet üblich, Gründe der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung nicht entgegenstehen, könnte das Ruhen der Zulassung des A festgesetzt werden (§ 95 Abs. 5 S. 1 SGB V i.V.m. § 26 Ärzte-ZV). Abwandlung: Was wäre, wenn A noch vier Monate im Krankenhaus und in einer Rehabilitationseinrichtung behandelt werden müsste? Wäre dies noch eine „angemessene“ Frist im Sinne des § 95 Abs. 5 S. 1 SGB V? Bevor Sie zu argumentieren anfangen und unter Hinweis auf § 81 Abs. 5 S. 2 SGB V sogar eine Frist von bis zu max. zwei Jahren als noch „angemessen“ betrachten, denken Sie daran, dass A im gesperrten Gebiet zugelassen worden ist und merken Sie sich folgende Besonderheit: Wenn eine vertragsärztliche Tätigkeit in einem gesperrten Gebiet nicht innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung aufgenommen wird, endet die Zulassung (§ 19 Abs. 3 Ärzte-ZV)! Was kann A tun? Er könnte sich auf das Vorliegen wichtiger Gründe berufen und gem. § 19 Abs. 2 Ärzte-ZV beantragen, dass der Aufnahmezeitpunkt für seine vertragsärztliche Tätigkeit nachträglich auf einen späteren Zeitpunkt festgesetzt wird. Er könnte sich aber auch gem. § 32 Ärzte-ZV vertreten lassen. Achtung: Ruhensanordnungen kommen im Vertragsarztrecht in zwei verschiedenen Bereichen vor: zum einen im Zulassungsrecht gem. § 95 Abs. 5 SGB V und zum anderen im Disziplinarrecht gem. § 81 Abs. 5 S. 2 SGB V. Da beide Ruhensanordnungen hinsichtlich der zuständigen Gremien, der Voraussetzungen und Rechtsbehelfe unterschiedlich sind, sind sie streng voneinander zu trennen.



Fall 31

Ärztin F ist zur vertragsärztlichen Versorgung unter der Bedingung zugelassen worden, dass F ihr Beschäftigungsverhältnis als Betriebsärztin im Unternehmen ihres Mannes innerhalb von drei Monaten, nachdem die Entscheidung über die Zulassung unanfechtbar geworden ist (§ 20 Abs. 3 Ärzte-ZV) beendet. F denkt gar nicht daran auf ihre zusätzliche Einnahmequelle zu verzichten. Spielt F mit ihrer Zulassung?

Lektion 3: Der Vertragsarzt (Kassenarzt) Ja, denn gem. § 95 Abs. 6 S. 1 (1) SGB V ist die Zulassung zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen. Blättern Sie bitte zurück und rekapitulieren Sie die Zulassungsvoraussetzungen (Übersicht 6 und 7). Schauen Sie sich auch Fall 24 noch einmal an. Sie werden merken, dass F gem. § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV nicht zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit geeignet ist. Damit fehlt eine Zulassungsvoraussetzung, so dass die Zulassung der F zu entziehen ist.



Fall 32

Kassenarzt R hat über mehrere Quartale hinweg Leistungen falsch abgerechnet. Ist seine Zulassung zu entziehen? Gem. § 95 Abs. 6 S. 1 (3) SGB V ist die Zulassung auch zu entziehen, wenn der Vertragsarzt seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Abrechnungsmanipulationen gehören in der Praxis neben Verstößen gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung, fortgesetzten Verstößen gegen administrative Pflichten oder gegen das Gebot wirtschaftlicher Behandlungs- und Verordnungsweise sowie der pflichtwidrigen Verweigerung einer Behandlung im Sachleistungssystem, zu den häufigsten Fällen einer gröblichen Verletzung vertragsärztlicher Pflichten. Der Umfang des von R angerichteten Schadens wäre übrigens bei der Entscheidungsfindung irrelevant, da es bezüglich der Entziehung der Zulassung um den präventiven Schutz des vertragsärztlichen Versorgungssystems geht. Auch auf ein Verschulden des R käme es aus diesem Grund nicht an. Da die Entziehung der Zulassung aber die härteste Maßnahme gegenüber einem Kassenarzt ist und regelmäßig mit dessen wirtschaftlichem Aus verbunden ist, muss sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen und kann deshalb nur ultima ratio sein. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt es auf die Einzelheiten des Falles an. Beruhten die Falschabrechnungen des R hautsächlich auf einem Missverständnis der einschlägigen Abrechnungsvorschriften, wäre es angemessen, R zunächst zu beraten bzw. zunächst nur disziplinarrechtlich gegen ihn vorzugehen. Hätte R allerdings trotz ­ordnungsgemäßer

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Grundlagen des Arztrechts Belehrung durch die KV seine Abrechnungen konsequent manipuliert, ist eher davon auszugehen, dass das Verhältnis zwischen R und der KV sowie den Krankenkassen so gestört ist, dass eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zumutbar ist und das vertragsärztliche System nur noch durch die Zulassungsentziehung geschützt werden kann. In seltenen Fällen konnte ein Arzt früher nach Zulassungsentziehung im Verwaltungsverfahren im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung der Entscheidung sein früheres Verhalten durch sog. „Wohlverhalten“ wieder wettmachen. Das BSG hat seine „Wohlverhaltens-Rechtsprechung“ jedoch aufgegeben (vgl. BSG – B 6 KA 49/11 R – Entscheidung vom 17.10.2012). A sollte, wenn ihm noch etwas an einer Vertragsarzttätigkeit liegt, dennoch um „Wohlverhalten“ bemüht sein. Durch z.B. sofortige Schadenswiedergutmachung und aktive Mithilfe bei der Aufklärung des Sachverhalts sollte A versuchen, eine Zulassungsentziehung im Verwaltungsverfahren abzuwenden; Sollte dies A nicht gelingen, könnte „Wohlverhalten“ dazu beitragen, dass wenigstens zukünftig ein Vertrauensverhältnis zwischen A und der KV wiederhergestellt und damit die Chancen des A für ein späteres Verfahren auf Wiederzulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit verbessert werden würden. Achtung: Disziplinar- und Entziehungsverfahren sind prinzipiell voneinander unabhängig. Eine Verknüpfung besteht allerdings durch das rechtsstaatliche Gebot der Verhältnismäßigkeit. Reicht nämlich schon eine (mildere) Disziplinarmaßnahme aus, um den Vertragsarzt künftig zu ordnungsgemäßem Verhalten anzuhalten und so die Funktionsfähigkeit des Systems zu schützen, ist es unzulässig, zusätzlich ein Entziehungsverfahren durchzuführen. Zur Klarstellung: Ein Arzt, der gegen vertragsärztliche Pflichten verstößt, läuft Gefahr mehrfach sanktioniert zu werden. Denn ein Verhalten, das einen Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten darstellt, kann neben einem Disziplinar- und/oder Entziehungsverfahren auch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren, ein Approbationsverfahren und ein berufsgerichtliches Verfahren in Gang setzten. Diese Verfahren sind grds. voneinander unabhängig. In der Praxis ist üblicherweise das strafrechtliche Ermittlungsverfahren das „führende“ Verfahren. Die anderen Verfahren werden dann bis zum Abschluss des Strafverfahrens zurückgestellt.

Lektion 3: Der Vertragsarzt (Kassenarzt)



Fall 33

Arzt V muss aus familiären Gründen aus dem Bezirk seines Kassenarzt­ sitzes wegziehen. Was geschieht mit seiner Zulassung und seiner Praxis? Lesen Sie § 95 Abs. 7 SGB V. V’s Zulassung endet. V kann seine Praxis – allerdings ohne Zulassung – verkaufen (vgl. Fall 23).

Übersicht 9: Ende/Entziehung/Ruhen der Zulassung (ohne MVZ) Ende § 95 VII SGB V

Entziehung § 95 VI SGB V

Ruhen § 95 V SGB V

Tod

Fehlen oder Wegfall der Zulassungsvor.

Nicht-Aufnahme oder Nicht-Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit, wenn Aufnahme, aber in angemessener Frist zu erwarten

Wirksamwerden eines Verzichts Wegzug aus Bezirk des Kassenarztsitzes Zum Quartalsende der Vollendung des 68. Lebensjahres im gesperrten Gebiet

Nicht-Aufnahme oder Nicht-Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit Gröbliche Verletzung vertragsärztlicher Pflichten

Antrag eines zum hauptamtlichen Vorstand gewählten Vertragsarztes

Zulassungsverfahren

Fall 34

Wer würde in Fall 22 überhaupt über A’s Zulassungsantrag entscheiden? Über Zulassungen beschließt der Zulassungsausschuss (§ 96 SGB V i.V.m. § 37 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV). Beachte: Der Zulassungsausschuss ist ein bei der jeweiligen KV geführtes Gremium, das allerdings rechtlich und organisatorisch selbständig und

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Grundlagen des Arztrechts für sämtliche Zulassungsangelegenheiten (einschließlich Ruhen, Entziehung und Verzicht etc.) abschließend und lückenlos zuständig ist.



Fall 35

Angenommen der örtlich zuständige Zulassungsausschluss hätte A’s Antrag auf Zulassung in Fall 22 abgelehnt; welche rechtlichen Schritte müsste A ergreifen? A müsste zunächst binnen eines Monats ab Zustellung gem. §  97 Abs. 3 SGB V i.V.m. § 84 Abs. 1 SGG Widerspruch einlegen. Dabei gilt es bezüglich des Widerspruchsverfahrens in Zulassungangelegenheiten folgende zwei Besonderheiten zu beachten: 1. Es ist nicht eindeutig geregelt, bei welcher Stelle der Widerspruch einzulegen ist. Gem. § 84 Abs. 1 SGG wäre der Widerspruch beim Zulassungsausschuss einzulegen. § 44 S. 1 Ärzte-ZV bestimmt hingegen, dass der Widerspruch beim Berufungsausschuss einzulegen ist. Über das Argument der Normenhierarchie können Sie das Problem hier nicht lösen, da die Ärzte-ZV nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Rang eines formellen Gesetzes steht, so dass wir es mit zwei bundesrechtlichen Gesetzesregelungen zu tun hätten. Diese Rechtsunsicherheit darf aber nicht zu Lasten des Widerspruchsführers gehen, so dass der Widerspruch entweder beim Zulassungsoder beim Berufungsausschuss eingelegt werden kann. 2. Außerdem ist auf eine fristgerechte Zahlung der Widerspruchsgebühren zu achten; ansonsten gilt der Widerspruch gem. § 45 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV als zurückgenommen. Sollte A’s Widerspruch nicht zum Erfolg führen, müsste A Verpflichtungsklage gegen den Zulassungsausschuss vor dem gem. § 57a Abs. 1 SGG örtlich zuständigen Sozialgericht (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG) erheben. Merke: 1. In Zulassungsangelegenheiten entscheidet abschließend und lückenlos der Zulassungsausschuss. 2. Zulassungsrechtliche Streitigkeiten sind vor den Sozialgerichten (§ 51 I Nr. 2 SGG) auszutragen.

Lektion 4: Leitgedanken des Arztrechts

Lektion 4: Leitgedanken des Arztrechts

Fall 36

K hat Lungenkrebs im Endstadium. Als er plötzlich eine akute Blinddarmentzündung bekommt, lehnt er bei vollem Bewusstsein und nach ordnungsgemäßer Aufklärung die medizinisch indizierte Operation ab, wohlwissend, dass er dadurch sterben kann. Darf C den K, als sich dessen gesundheitlicher Zustand zusehends verschlechtert, dennoch operieren? Nein. Ausgangspunkt aller medizinrechtlichen Fragestellungen ist der Mensch (Patient). Gem. Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Art. 2 GG bestimmt ferner, dass jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Abs. 1) und auf körperliche Unversehrtheit hat (Abs. 2 S. 1) sowie dass die Freiheit der Person unverletzlich ist (Abs. 2 S. 2 GG). Im Arztrecht wird aus diesen Vorschriften das Selbstbestimmungsrecht des Patienten abgeleitet. Um dessen Verwirklichung zu gewährleisten sind vom Gesetzgeber und der Rechtsprechung für den Arzt eine Reihe von Pflichten statuiert worden, allen voran die ärztliche Aufklärungs-, Dokumentations- und Schweigepflicht, datenschutz- und verfahrensrechtliche Bestimmungen (dazu näher in Lektion 7). Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung geht das Selbstbestimmungsrecht des Patienten dem Wohl des Patienten vor („voluntas aegroti suprema lex“). Deshalb ist K berechtigt, C die Durchführung der dringend notwendigen Operation zu verbieten. Ein ärztliches Behandlungsrecht per se gibt es für C nicht. C’s ärztliche Pflichten reduzieren sich hier somit auf bloße leidensmindernde Maßnahmen.



Fall 37

K ist angestellter Facharzt in der Kinderarztpraxis des R. R ist ein großer Anhänger der Homöopathie. K hält davon gar nichts; er bevorzugt die klassische Schulmedizin. R weist K jedoch an, die kleinen Patienten nach der homöopathischen Lehre zu behandeln. Muss R dieser Weisung folgen? Als Arbeitgeber steht R gegenüber K zunächst ein Weisungsrecht zu. Aber der Arztberuf ist, wie Sie aus Lektion 2 – Fall 19b – wissen, seiner Natur nach ein „freier Beruf“ (§ 1 Abs. 2 BÄO; BO). Dessen Kernstück ist der Grundsatz der Therapiefreiheit. Er besagt, dass (1) allein der vom Patienten konsultierte Arzt entscheidet, ob überhaupt eine Behandlung

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Grundlagen des Arztrechts stattfinden soll – natürlich unter Berücksichtigung des Patientenwillens, (2) kein Arzt zu einer seinem Gewissen widersprechenden Methode oder zu einer bestimmten Arzneimitteltherapie gezwungen werden kann und (3) es allein dem Arzt obliegt die ihm geeignet erscheinende diagnostische oder therapeutische Methode auszuwählen. Wenn K deshalb im konkreten Fall – z.B. bei Scharlach oder Mittelohrentzündung eines Kindes – der Meinung ist, dass eine klassische schulmedizinische Behandlung einer homöopathischen vorzuziehen ist, darf dem das Weisungsrecht des R nicht entgegenstehen. Hinweis: Die Freiheit des ärztlichen Berufes muss bei sämtlichen Vertragsgestaltungen im Arztrecht (z.B. Kooperationsverträge, Anstellungsverträge) beachtet werden. Es muss stets gewährleistet sein, dass der Arzt seine Berufstätigkeit in voller eigener Verantwortung ausführen kann.



Fall 38

L ist an Leukämie erkrankt. L vertraut sich dem Arzt H an, der L als „Wunderheiler“ gepriesen wurde. H behandelt L ausschließlich mit Vitaminpräparaten. Obwohl H’s Therapie objektiv erkennbar erfolglos verläuft, bricht H sie nicht ab und unternimmt auch nichts Anderes. Ist H’s Verhalten noch durch den Grundsatz der Therapiefreiheit gedeckt? Natürlich nicht. Die Therapiefreiheit entbindet den Arzt nicht von seinen Sorgfaltspflichten gegenüber dem Patienten. Der ärztliche Berufsauftrag mit der ärztlichen Berufsethik, dem Wohle des Patienten zu dienen, die Persönlichkeit des Kranken zu schützen und seine Würde zu respektieren verbieten es H diagnostische oder therapeutische Maßnahmen unter missbräuchlicher Ausnutzung des Vertrauens, der Unwissenheit Leichtgläubigkeit oder Hilflosigkeit von Patienten anzuwenden. H macht sich mit seinem Verhalten hier haftpflichtig und strafbar (vgl. dazu näher Kapitel III und IV).



Fall 39

Kassenpatient D leidet an einer seltenen Krankheit. Schulmedizinisch ist er „austherapiert“. Sein Arzt V möchte D mit einer neuen erfolgversprechenden Methode behandeln, die bislang allerdings nicht vom GBA (§ 91 SGB V) anerkannt ist. Kann V sich auf den Grundsatz der Therapiefreiheit berufen?

Lektion 4: Leitgedanken des Arztrechts In der vorhergehenden Lektion haben Sie schon erfahren, dass das System der GKV ein subtil geregeltes Sondergebilde ist. Damit dieses auf dem Solidaritätsprinzip (gekennzeichnet durch: Gemeinwohlverpflichtung aller Versicherten, Beitragszahlung nach Maßgabe der finanziellen Leistungsfähigkeit der Versicherten, beitragsunabhängige Leistungsansprüche der Versicherten) basierende „Konstrukt“ funktionieren kann, hat der Gesetzgeber in § 12 Abs. 1 SGB V das Wirtschaftlichkeitsgebot und in § 71 SGB V den Grundsatz der finanziellen Stabilität bzw. Beitragsstabilität der GKV festgeschrieben. Gem. § 12 Abs. 1 SGB V müssen Leistungen ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig sein, damit sie gegenüber einem Versicherten erbracht werden dürfen. Der zentrale Grundsatz der Beitragssatzstabilität verpflichtet zudem alle am Gesundheitswesen Beteiligten, alle in Frage kommenden Maßnahmen mit dem Ziel zu ergreifen, dass die Krankenkassenbeiträge nicht erhöht werden müssen. Aus diesem Grunde kann im Vertragsarztrecht eine Leistung grds. nur dann erbracht werden, wenn sie im EBM (§ 87 Abs. 2 SGB V) enthalten ist (dazu näher in Lektion 9) oder der GBA sie ausdrücklich per Empfehlung zugelassen hat (§ 135 SGB V). Im Falle des D liegen diese Voraussetzungen aber gerade nicht vor. V kann sich zwar auf seine Therapiefreiheit berufen, aber für ihn bzw. D gibt es nur folgende zwei Möglichkeiten, eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenkasse des D zu erzielen: 1. wenn der GBA aus willkürlichen Gründen keine Empfehlung für die beabsichtigte Maßnahme abgegeben hätte und dem D per Sozialgerichtsentscheidung ein Anspruch auf Durchführung der neuen Therapie wegen Systemversagens zuerkannt werden würde oder 2. wenn die noch nicht vom GBA anerkannte Methode bei einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Erfolg versprechen würde (vgl. dazu die sog. Nikolausentscheidung des BVerfG – Beschluss v. 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 sowie den durch das GKV-VStG neu eingeführten Abs. 1a in § 2 SGB V).

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Vertragsarztrecht ärztliches Berufsrecht Ärztliche Therapiefreiheit (§ 1 II BÄO, BO-Ä) Ärztlicher Berufsauftrag und ärztl. Berufsethik

Selbstbestimmungsrecht des Patienten (Art. 1, 2 GG)

Mensch Strafrecht

Grundlagen des Arztrechts 42

Übersicht 10: Übergeordnete Prinzipien des Arztrechts und ihre Grenzen Arzthaftungsrecht

Lektion 5: Das Behandlungsverhältnis

II. Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient Lektion 5: Das Behandlungsverhältnis

Fall 40

A ist inzwischen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen worden; er hat es mit seiner internistischen Praxis zu Ruhm und Ansehen gebracht. Eines Tages kommt P wegen Magenbeschwerden in A’s Sprechstunde. A untersucht und behandelt P. P ist glücklich; er meint, A werde ihn nun heilen. Wie ordnen Sie diesen alltäglichen Vorgang juristisch ein? P hat dadurch, dass er sich wegen seiner Beschwerden in A’s Praxis begeben hat, zu erkennen gegeben, dass er den Willen hat, von A untersucht und behandelt zu werden. Juristisch ausgedrückt: P hat dem A ein Angebot auf Abschluss eines Behandlungsvertrages gemacht (§ 145 BGB). Dieses Angebot hat A angenommen, indem er P untersucht und behandelt hat (§§ 147, 151 S. 1 BGB). Zwischen A und P ist somit durch konkludentes (schlüssiges) Verhalten aufgrund übereinstimmender Willenserklärungen (Angebot und Annahme) ein ärztlicher Behandlungsvertrag zustande gekommen. Schuldet A dem P nun Heilung? P’ s Heilungsprozess ist die innere Einstellung, A werde ihn heilen, sicherlich förderlich. Natürlich ist der Heilerfolg auch das Ziel der ärztlichen Bemühungen des A. Werfen Sie einen Blick in § 630a BGB. Durch das Patientenrechtegesetz ist der Behandlungsvertrag nun explizit in den §§ 630a-h BGB geregelt worden. Ist dort die Rede von Heilung? Unter welchem Titel im BGB stehen die §§ 630a ff.? Nun ist die Antwort doch klar: A schuldet dem P natürlich nicht den Heilerfolg. Dies kann er auch gar nicht, denn jeder Mensch ist anders und der Arzt kann den Erfolg seiner Tätigkeit schon wegen vielfältiger, nicht beherrschbarer schicksalhafter biologischer Abläufe im menschlichen Körper gar nicht garantieren. Der Behandlungsvertrag ist ein Dienstvertrag! A schuldet demnach nicht den (Heil)erfolg, sondern lediglich die fachgerechte Bemühung um Heilung; sprich: eine Behandlungsleistung.

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient Abwandlung: Würde, auch wenn P Kassenpatient wäre, ein zivilrechtlicher Dienstvertrag zwischen P und A bestehen? Wie wir aus Lektion 3 wissen, befänden wir uns dann zwar im öffentlich-rechtlichen System der GKV – aber: lesen Sie bitte § 76 Abs. 4 SGB V. Aus dieser Vorschrift wird von einer verbreiteten Meinung in der Rechtsprechung der Zivilgerichte und der Literatur die Schlussfolgerung gezogen, dass auch zwischen dem in der GKV versicherten Patienten und dem niedergelassenen Vertragsarzt ein privatrechtliches (zivilrechtliches) Rechtsverhältnis – mit Modifizierungen besteht. Dies legt nun auch § 630a Abs. 1, letzter Halbsatz BGB fest (dazu gleich näher in Lektion 6).



Fall 41

B lässt sich von seinem Zahnarzt Z eine von Z gefertigte Zahnprothese einsetzen. B kann damit nicht kauen. Z hat B zwar fachgerecht behandelt, aber die Prothese ist fehlerhaft. Was jetzt? Dass zwischen Z und B wieder ein Behandlungsvertrag zustande gekommen ist, steht außer Zweifel. Im Dienstvertragsrecht wird aber – siehe Fall 40 – kein Erfolg geschuldet. Dumm gelaufen? Natürlich nicht, da würde unser Rechtsempfinden doch sehr rebellieren. Die grundsätzliche Einordnung des Behandlungsvertrages als Dienstvertrag (§§ 611, 630a BGB) schließt nicht aus, dass dem Dienstvertrag zugleich auch werkvertragliche Elemente innewohnen können. So ist es hier: die Herstellung (technische Anfertigung) der Prothese unterfällt Werkvertragsrecht, während aber alle auf die prothetische Versorgung gerichteten Leistungen, z.B. die Eingliederung der Prothese, Dienste höherer Art bleiben, und damit dem Dienstvertragsrecht unterfallen. B kann also zunächst verlangen, dass seine Prothese nachgebessert wird (§§ 633, 635 BGB). Übrigens: Ebenso zu handhaben ist die Konstellation bezüglich der Herstellung und Lieferung von Prothesen, Korsetts oder Schuheinlagen durch den Orthopäden. Auch hier ist zwischen werkvertraglichen Leistungen und Diensten höherer Art zu unterscheiden. Zur grundsätzlichen Unterscheidung hilft Ihnen vielleicht auch folgender Merksatz weiter:

Lektion 5: Das Behandlungsverhältnis

Alles was am Menschen passiert, ist Dienstvertrag, alles was ­außerhalb des Menschen passiert, ist Werkvertrag!



Fall 42

Der Lungenfacharzt L schickt M zum Röntgenfacharzt R, damit dieser eine Aufnahme von M’s Lunge macht. L stellt klar, dass er nur eine Röntgenaufnahme benötigt und dass eine Auswertung der Aufnahme nur durch L, nicht aber durch R erfolgen solle. Daraufhin röntgt R die Lunge des M. Wie beurteilen Sie die Rechtsbeziehung zwischen M und R? Auch hier ist durch konkludentes Verhalten ein Arztvertrag zwischen M und R zustande gekommen. R schuldet dem M aber lediglich die technische Aufnahmeleistung, nämlich die Erstellung einer brauchbaren Röntgenaufnahme. Weitere Leistungen, wie z.B. die Befundung des angefertigten Bildes, werden hier aufgrund des begrenzten Auftrages von R nicht verlangt. Aus diesem Grunde ist der zwischen R und M geschlossene Arztvertrag ausnahmsweise gänzlich dem Werkvertragsrecht (§§ 631 ff. BGB ) zu unterstellen (OLG Düsseldorf – 30.05.1985 – 8 U 241/84). Merke: Leistungen der Medizin- oder auch der Labortechnik unterliegen i.d.R. Werkvertragsrecht.



Fall 43

H soll im Krankenhaus einen Herzschrittmacher implantiert bekommen. Wir wollen uns an dieser Stelle wieder nur auf die Rechtsnatur des Behandlungsverhältnisses konzentrieren und noch nicht klären, wer Vertragspartner des H wird. Was meinen Sie, ändert sich dadurch, dass M stationär behandelt wird, etwas an der Qualifizierung des Behandlungsverhältnisses als Dienstvertrag? Im Krankenhaus kommen neben der ärztlichen Leistung – Implantation – noch Elemente anderer Vertragstypen hinzu: Mietrecht hinsichtlich des Zimmers, Beherbergungsrecht hinsichtlich der Versorgung mit Essen und der Säuberung des Zimmers sowie Kaufrecht hinsichtlich des Herzschrittmachers. Trotz dieser unterschiedlichen Leistungsinhalte bildet aber die ärztliche Behandlung den rechtlichen und wirtschaftlichen Schwerpunkt, so dass auch bei stationärem Aufenthalt hinsichtlich der Behandlung Dienstvertragsrecht anzuwenden ist.

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient Abwandlung: Bleibt das stationäre Behandlungsverhältnis auch dann privatrechtlich, wenn H Kassenpatient ist? Wissen Sie noch, wie die Problematik im Bereich der ambulanten Versorgung gehandhabt wird? Wie dort, wird auch bei stationären Behandlungsverhältnissen des Kassenpatienten der Behandlungsvertrag – mit Abweichungen – dem Zivilrecht unterstellt (siehe dazu näher: Lektion 6). Warum sollte es, nur weil sich die Vorgänge, statt in einer Praxis, im Krankenhaus abspielen anders sein? Privatrechtlich bleibt das Behandlungsverhältnis im übrigen auch, wenn P – wie im Regelfall – in ein öffentlich-rechtliches Krankenhaus geht. Wir halten fest:

!



Leitsatz 5 Behandlungsvertrag Der Behandlungsvertrag kommt in der Regel durch schlüssiges Verhalten der Beteiligten zustande. Er ist sowohl bezüglich des Privat- als auch bezüglich des Kassenpatienten und sowohl im ambulanten, als auch im stationären Bereich, grundsätzlich Dienstvertrag i.S.v. § 611 BGB. In Ausnahmefällen kommen allerdings die Vorschriften weiterer Vertrags­typen, vor allem diejenigen des Werkvertrages (§§ 631 ff. BGB), zur Anwendung.

Fall 44

Der Varietékünstler V wollte sich auf der Bühne kreuzigen lassen. Aus diesem Grund ging er zum Chirurgen C und ließ sich von C Löcher in die Hände und Füße operieren. Wir wollen an dieser Stelle nur die vertragliche Beziehung zwischen V und C beurteilen. Was meinen Sie? Grauenhaft? Der Fall hat sich tatsächlich zugetragen und ist 1929 vom LG Berlin entschieden worden. Allgemeiner Tipp vorweg: Achten Sie im „Hinterkopf“ wenn Sie mit Problemen im Verhältnis Arzt – Patient konfrontiert werden, stets auf die allgemeinen Vorschriften des BGB über das wirksame ­Zustandekommen

Lektion 5: Das Behandlungsverhältnis eines Vertrages, vor allem im Hinblick auf: Abgabe und Zugang von Willenserklärungen, Geschäftsfähigkeit, Vertretung, Willensmängel, gesetzliche Verbote gem. § 134 BGB und Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB. Nach diesem Hinweis ahnen Sie sicherlich, in welche Richtung die Lösung zu finden ist. Zwischen V und C ist zwar durch schlüssiges Verhalten ein Arztvertrag zustande gekommen, aber der Vertrag verstößt gegen die guten Sitten und ist gem. § 138 BGB nichtig. Deshalb vor allem für die ärztliche Leserschaft der Hinweis: überlegen Sie immer genau was Sie tun. Da im geschilderten Fall der Erfolg nicht eintrat und die Prozedur des Kreuzigens so schmerzhaft war, dass V damit nicht auftreten konnte, verklagte er C. V hatte mit seiner Klage Erfolg, denn das LG Berlin sah nicht nur den Vertrag wegen Verstoßes gegen § 138 BGB als nichtig an, sondern auch die Einwilligung des V in den Eingriff (vgl. zur Bedeutung der Einwilligung Lektion 12 und die Fälle 116, 117). Auch wenn der eben geschilderte Fall ein Extrembeispiel darstellt, prüfen Sie bitte bei ärztlichen Tätigkeiten, die sich nicht unmittelbar als typischer Heileingriff darstellen wie z.B. –– kosmetischen Behandlungen –– Sterilisation –– Kastration –– operativer Geschlechtsänderung –– Schwangerschaftsabbruch –– künstlicher Befruchtung –– Humanexperimenten –– Organentnahmen und –– Implantationen künstlicher Organe stets, ob die ärztliche Leistung, die vertraglich vereinbart wird, mit der geltenden Rechtsordnung im Einklang steht (§§ 134, 138 BGB).



Fall 45

P lässt sich wegen einer Mandelentzündung von seinem Hausarzt H behandeln. Später sucht P den H wieder wegen Rückenschmerzen auf. Liegt zwischen P und H ein Dauerschuldverhältnis vor?

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient Nein. P hatte zunächst mit H einen Behandlungsvertrag wegen seiner Mandel­entzündung abgeschlossen. Dieser war mit der Genesung des P jedoch durch Vertragserfüllung beendet worden. Mit der neuerlichen Inanspruchnahme des H wegen P’s Rückenschmerzen ist zwischen P und H ein neuer Behandlungsvertrag zustande gekommen. Wann bzw. wie dieser beendet werden kann ergibt sich aus folgender Übersicht:

Übersicht 11: Beendigung des Arztvertrages ––durch Zeitablauf ––durch Vertragserfüllung ––durch Tod einer Vertragspartei ––durch Aufhebung ––durch Kündigung ––des Patienten ––des Privatpatienten – gem. §§ 630b, 627 Abs. 1 BGB jederzeit, auch ohne wichtigen Grund oder bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gem. §§ 630b, 626 BGB ––des Kassenpatienten – wie Privatpatient aber beachte Kostenrisiko für Patienten gem. § 76 Abs. 2 und 3 SGB V ––des Arztes Grundsätzlich ebenfalls unbeschränkt gem. §§ 630b, 627 Abs. 2 BGB (es muss sichergestellt sein, dass Patient notwendige Fortsetzung der Behandlung anderweitig erhalten kann, es sein denn, es liegt wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vor, wobei hieran strenge Anforderungen zu stellen sind).



Fall 46

Als H den B bewusstlos auf einer Parkbank findet, läuft er zur angrenzenden Praxis des Allgemeinmediziners F. F eilt sofort zu B, untersucht ihn und leitet sofort die nötigen Behandlungsschritte ein. Ist zwischen F und B ein Behandlungsvertrag zustande gekommen?

Lektion 5: Das Behandlungsverhältnis Denken Sie an den allgemeinen Ratschlag von vorhin. B war zum Zeitpunkt der Behandlung durch F bewusstlos und konnte somit gar keine Willenserklärung abgeben. Möglicherweise kommt Ihnen der Gedanke, dass ein Vertrag zwischen F und B auch durch eine Vertretung des B durch den H zustande kommen könnte (§ 164 Abs. 1 BGB). H könnte zunächst als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt haben; B könnte den Behandlungsvertrag, wenn er wieder bei Bewusstsein wäre, genehmigen (§ 177 BGB). Juristisch vertretbar. Im Einzelfall mag das in der Praxis auch zutreffen. In der Regel wird bei bewusstlosen oder nicht ansprechbaren Patienten aber ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen Arzt und Patient in Form einer Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) angenommen. Hinweis: Wird ein Arzt bei Bewusstlosen, Geschäftsunfähigen (§ 104 BGB) oder auch beschränkt Geschäftsfähigen (§§ 106 ff. BGB), vor allem Kindern, hinzugezogen, ist stets sorgfältig darauf zu achten ob von einem Vertrag oder einem gesetzlichen Schuldverhältnis (insb. in Form der GoA) auszugehen ist und zwischen welchen Parteien ein Rechtsverhältnis besteht (dazu gleich Näheres in Lektion 6).



Fall 47

Soldat S unterzieht sich einer Heilbehandlung durch den zuständigen Truppenarzt T. Liegt der Behandlung ebenfalls ein privatrechtlicher Behandlungsvertrag zugrunde? Nein. Der Soldat hat schon aufgrund seines Dienstverhältnisses einen Anspruch auf Behandlung. T wird hier hoheitlich tätig (§§ 30, 31 SoldG, 69 Abs. 2 BundesbesoldungsG). Weitere Beispiele für ärztliche Tätigkeit im Bereich hoheitlichen Handelns: Impfungen nach BSeuchG, Untersuchungen durch Amtsärzte, anstaltsärztliche Versorgung durch Häftlinge, stationäre Zwangsbehandlung Untergebrachter. Abschließend nun die große Übersicht zum ärztlichen Behandlungsverhältnis.

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient

Übersicht 12: Ärztliches Behandlungsverhältnis Ärztliches Behandlungsverhältnis

hoheitlich z.B. Soldaten, Häftlinge

privatrechtlich

Vertrag

Dienstvertrag (§§ 630a,b, 611 ff. BGB)

Dienstvertrag mit Elementen weiterer Vertragstypen (z.B. Krankenhausaufnahmevertrag, Prothesen, Korsetts)

gesetzl. Schuldverh.

GoA (z.B. Bewusstlose) Werkvertrag (z.B. Röntgen, labortechnische Leist.)

Lektion 6: Die Parteien

Lektion 6: Die Parteien Ambulante Behandlungsverhältnisse

Fall 48

Sachverhalt wie in Fall 40: ambulante Behandlung durch einen in Einzelpraxis niedergelassenen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Arzt. Wer sind die Vertragsparteien, wenn der geschäftsfähige P (a) Privatpatient (b) Kassenpatient ist? In Variante (a) kommt der Behandlungsvertrag zwischen P und dem freipraktizierenden niedergelassenen A zustande. Es sind aus dem Behandlungsverhältnis allein A und P berechtigt und verpflichtet. Niedergel. Arzt — Behandlungsvertrag — Privatpatient In Variante (b) kommt, wie wir aus der Abwandlung in Fall 40 wissen, zwar zwischen P und A ebenfalls ein privatrechtlicher Behandlungsvertrag zustande, allerdings ist die Sache hier etwas komplizierter: der Behandlungsvertrag ist rechtlich in eine „Vierer-Beziehung“ (sog. GKVViereck) eingebettet, der das Sachleistungsprinzip (§§ 2, 11, 27 ff. SGB V) zugrunde liegt.

Übersicht 13: Das GKV-Viereck §§ 75 I, 73 II, 85 I SGB V

KV §§ 95 III, 85 IV SGB V

§§ 2 I, 12, 70 SGB V

Krankenkasse

privatrechtl. Behandlungs­ Vertragsarzt GKV-Patient vertrag

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient Nach dem Sachleistungsprinzip hat P gegenüber seiner Krankenkasse, wenn, wovon wir hier ausgehen, nicht ein Ausnahmefall nach § 13 SGB  vorliegt, gem. § 2 II SGB V grds. nur Anspruch auf Sach- und Dienstleistungen, nicht hingegen auf Geldleistungen. P steht gegenüber seiner GKV ein Anspruch auf Verschaffung ausreichender, zweckmäßiger, wirtschaftlicher und notwendiger Heilbehandlungsmaßnahmen (§§ 2, 12, 70 SGB V) zu. Diese Sachleistungsverpflichtung erfüllt die Krankenkasse durch öffentlich-rechtliche Gesamtverträge ihrer Verbände mit den KVen (§§ 82 ff. SGB V). Die KVen übernehmen gem. §§ 75 I, 73 II SGB V gegenüber den Kassen die „Gewähr“ für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung. Im Gegenzug hierzu leisten die Krankenkassen „mit befreiender Wirkung“ die gem. § 85 I SGB V vereinbarte Gesamtvergütung. Der von der KV zugelassene A steht wiederum – dies wissen wir aus Lektion 3 – zu seiner KV in einem öffentlich-rechtlichen Mitgliedsverhältnis (§ 95 III SGB V). Dieses verpflichtet A an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen und P zu behandeln, wenn er – wie geschehen – in seine Sprechstunde kommt. Dafür erhält A einen Anspruch auf Honorierung der von ihm erbrachten Leistungen (85 IV SGB V), allerdings –– grds. nur gegenüber seiner KV und nicht gegenüber P und –– auch nur nach den in Lektion 9 erläuterten Grundsätzen. Nach dieser Menge an Informationen merken wir uns als Quintessenz die Übersicht 14:

Lektion 6: Die Parteien

Übersicht 14: Ambulante Behandlungsverhältnisse Ambulante Behandlungsverhältnisse beim GKV- u. Privatpatienten Die ärztliche Betreuung des GKV-Patienten erfolgt innerhalb eines komplexen von Zivil- und Sozialrecht getragenen Ordnungsrahmens. Dabei unterscheiden sich bezüglich des Behandlungsverhältnisses ––weder die Parteienstellung, ––noch die Pflichtenstellung des Kassenarztes gegenüber dem GKV-Patienten grundsätzlich nicht von derjenigen des Selbstzahlers. Ausnahmen bestehen lediglich darin, dass: 1. der Hauptleistungsanspruch des GKV-Versicherten auf Heilbehandlungsmaßnahmen aufgrund der Gesetzessystematik gegenüber der Krankenkasse besteht und durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V eingeschränkt ist und 2. der Arzt keinen Honoraranspruch gegen den GKV-Patienten, sondern nur gegen die KV erlangt.

Schauen Sie sich bitte noch einmal das GKV-Viereck (Übersicht 13) an und merken Sie sich bei dieser Gelegenheit für etwaige gerichtliche Vorgehen auch folgenden wichtigen Leitsatz.

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Leitsatz 6 Rechtsweg in der GKV Streitigkeiten innerhalb der öffentlich-rechtlich strukturierten Ebenen XX sind vor den Sozialgerichten auszutragen (§ 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1 SGG) Streitigkeiten aus dem Behandlungsverhältnis XX unterfallen der ordentlichen Gerichtsbarkeit.

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient



Fall 49

P lässt sich wegen Ohrenschmerzen fachärztlich wie folgt behandeln: (a) in der HNO-Gemeinschaftspraxis Dr. H und O durch Dr. O (b) in der Praxisgemeinschaft der Fachärzte T und N durch Dr. T (c) im MVZ durch Dr. S. Wer ist in den Varianten a – c Vertragspartner des P geworden? Gehen Sie für die Lösung davon aus, dass Besonderheiten, die eine Anscheins- oder Duldungsvollmacht begründen könnten, nicht vorliegen. Erinnern Sie sich noch an unsere Übersicht 4? Dann wissen Sie ja noch, dass wir es in den Varianten a – c mit einer „Gruppenpraxis“ zu tun haben. Bei dieser kommt es für die Frage, wer Vertragspartner geworden ist auf die vertraglichen Abreden und das Außenverhältnis zum Patienten an. Schauen Sie sich in Lektion 2 – Fall 18 – noch einmal die Merkmale der Gemeinschaftspraxis und der Praxisgemeinschaft an, dann fällt Ihnen die Antwort leichter: Bei der Gemeinschaftspraxis in Variante (a) kommt der Behandlungsvertrag zwischen P und sämtlichen Ärzten der Praxis, also Dr. H und Dr. O zustande. Der den P behandelnde Dr. O begründet Rechtsbeziehungen zu P im eigenen Namen und gleichzeitig auch im Namen seines Kollegen Dr. H (§ 164 BGB). Bei der Praxisgemeinschaft in Variante (b) kommt der Behandlungsvertrag hingegen nur zwischen P und „seinem“ Arzt, dem den P behandelnden Praxismitglied Dr. T, zustande. In Variante (c) beim MVZ – einem „Konstrukt“ der GKV (§ 95 I SGB V), das in Lektion 3 schon kurz aufgetaucht ist – kommt es darauf an, wie das MVZ organisiert ist. Wenn es als selbständiges Rechtssubjekt, z.B. als GmbH, organisiert ist, kommt der Behandlungsvertrag zwischen P und der MVZ-GmbH zustande; anderenfalls nur zwischen P und Dr. S.



Fall 50

P kommt wegen eines neuen Leidens wieder in die Praxis des A. Dieses Mal ist A jedoch in Urlaub. A lässt sich von M vertreten (§ 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV). Wer wird Vertragspartner des P? Der Behandlungsvertrag kommt zwischen P und A, als Praxisinhaber zustande. M handelt lediglich als Vertreter i.S.d. § 164 BGB.

Lektion 6: Die Parteien



Fall 51

Der Gynäkologe G schickt dem Pathologen R Untersuchungsmaterial der P. Kommt zwischen R und P ein Vertrag zustande? Wiederholen Sie bei dieser Gelegenheit bitte Fall 42. Dort sind wir ganz selbstverständlich bezüglich der Röntgenaufnahme davon ausgegangen, dass Radiologe und überwiesener Patient einen eigenständigen Behandlungsvertrag abschließen, obwohl R nur eine „Zwischenleistung“ erbringt, nämlich eine Röntgenaufnahme, die der überweisende Arzt L für die Behandlung seines Patienten weiter zu verwerten hat. Fällt Ihnen zwischen Fall 42 und dem vorliegenden Sachverhalt ein Unterschied auf? Während in Fall 42 der Patient persönlich beim Arzt wegen der Erbringung der Röntgenaufnahme war, treten hier P und R persönlich gar nicht miteinander in Kontakt. Die Rechtslage gestaltet sich i.d.R. dennoch wie bei der Überweisung eines Patienten. D.h., es kommt zwischen R und P ein eigenständiger Vertrag zustande. G wird bei der Übersendung des Untersuchungsmaterials als Vertreter der P tätig und schließt für P mit R einen Vertrag, wozu P mit ihrem Einverständnis, sich eine Gewebeprobe zum Zweck der Untersuchung durch einen Spezialisten entnehmen zu lassen, G stillschweigend bevollmächtigt und ihm – G – die Auswahl des Spezialisten überlassen hat.

Stationäre Behandlungsverhältnisse

Fall 52

Sachverhalt wie im „Herzschrittmacherfall“ 43. Wie stellen sich die vertraglichen Beziehungen hier dar, wenn der geschäftsfähige H (a) Privatpatient (b) Kassenpatient ist? Stationäre sind gegenüber ambulanten Behandlungsverhältnissen in der Vertragsgestaltung komplexer. Um auch bei Problemen im stationären Bereich zu einer zutreffenden Lösung zu gelangen, ist es um so wichtiger, die einzelnen Strukturen sauber auseinander zu halten. Aus diesem Grunde wollen wir uns schrittweise an die Darstellung der einzelnen Beziehungen herantasten: Aus Leitsatz 5 haben wir uns als Grundsatz gemerkt, dass sowohl das Behandlungsverhältnis mit dem Privat-, als auch dasjenige mit dem Kassen-

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient patienten privatrechtlicher Natur ist. Wir haben also sowohl in Variante (a), als auch in Variante (b) zunächst folgende Rechtsbeziehung: Krankenhaus — privatrechtl. Behandlungsverh. — Patient In diesem Verhältnis tauchen nun schon drei Schwierigkeiten auf: 1. Das Krankenhaus selbst ist kein Rechtssubjekt. Es kann niemals selbst passiv legitimiert sein. Vertragspartner des Patienten kann auf Seiten des Krankenhauses nur der jeweilige Träger sein (z.B. Stiftung, AG, GmbH, Bundesland, Stadt, e.V.). 2. Das Behandlungsverhältnis – der Krankenhausaufnahmevertrag – kann unterschiedlich gestaltet werden und 3. Die konkrete Gestaltung des Krankenhausaufnahmevertrages wirkt sich auf die genaue Bestimmung der Parteien auf der Behandlerseite aus. Zu 2. und 3.: Es haben sich drei Formen der vertraglichen Gestaltung herausgebildet, die es zu unterscheiden gilt. Hierzu die Übersicht 15, welche die verschiedenen Typen der Krankenhausaufnahmeverträge im einzelnen aufzeichnet.

Lektion 6: Die Parteien

Übersicht 15: Typen des Krankenhausaufnahmevertrags ––Der einheitliche, sog. totale Krankenhausaufnahmevertrag Hierbei kommt zwischen Patient und Krankenhausträger ein umfassender Aufnahmevertrag zustande, bei dem sich der Krankenhausträger verpflichtet, alle für die stationäre Behandlung erforderlichen Leistungen einschließlich der ärztlichen Versorgung zu erbringen. ––Der totale Krankenhausaufnahmevertrag mit Zusatzvertrag Rechtlich liegen hier drei Verträge vor: 1. Der totale Krankenhausvertrag (vgl. oben) bezüglich der allgemeinen Krankenhausleistungen 2. Eine schriftliche Wahlleistungsvereinbarung zwischen Patient und Krankenhausträger über die Wahlleistung (§ 22 I BPflV bzw. § 17 II 1 KHEntgG), z.B. Chefarztbehandlung sowie 3. Der Vertrag über die Wahlleistung selbst, also z.B. der ArztZusatzvertrag zwischen Patient und Chefarzt bzw. sämtlichen liquidationsberechtigten Ärzten der sog. Wahlarztkette Dabei gilt es zu beachten, dass die Verträge 2. und 3. eine recht­liche Einheit gem. § 139 BGB bilden und dass der Patient bezüglich der Zusatzleistungen Selbstzahler, quasi Privatpatient, ist. ––Der gespaltene Krankenhausaufnahmevertrag Grundmodell dieser Vertragsform ist der sog. Belegarztvertrag (§§ 2 I 2, 23 BPflV bzw. §§ 2 I 2, 18 KHEntgG). Belegärzte sind niedergelassene Ärzte, die zusätzlich berechtigt sind, ihre Patienten im Krankenhaus unter Inanspruchnahme der dort bereitgestellten Dienste, Einrichtungen und Mittel stationär oder teilstationär zu behandeln. Faktisch kommen bei der belegärztlichen Behandlung zwei Verträge zustande: 1. Der Krankenhausaufnahmevertrag zwischen Patient und Krankenhausträger und 2. Der Behandlungsvertrag zwischen Patient und Belegarzt über die belegärztlichen Leistungen (nicht „Belegarztvertrag“, dieser Begriff wird für den Vertrag des Belegarztes mit dem Krankenhausträger verwendet).

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient Nehmen Sie sich ein bisschen Zeit und gehen sie die eben dargestellten Grundlagen aus dem stationären Bereich noch einmal in Gedanken durch. Wenn Sie das System einmal verstanden haben, werden Sie sich bei der Lösung von Problemen und vor allem auch der Klärung von Haftungsfragen (dazu später in Lektion 10) sehr viel leichter tun. Nach alledem müssten Sie nun in der Lage sein, die oben dargestellte Rechtsbeziehung zu konkretisieren und die Fallfrage vollständig zu beantworten: H soll ein Herzschrittmacher implantiert werden. Ein solcher Eingriff wird i.d.R. nicht in einer Belegbettenklinik sondern vielmehr in einem Krankenhaus der Maximalversorgung (z.B. Universitätsklinik) vorgenommen. Damit fällt der gespaltene Krankenhausaufnahmevertrag bereits aus dem Rennen. H wird also einen totalen Krankenhausaufnahmevertrag – evtl. auch einem Arzt-Zusatzvertrag und/oder weitere Zusatzverträge bezüglich des Zimmers und sonstiger Wahlleistungen wie z.B. Telefon, Fernsehen – abgeschlossen haben. Wir wollen hier nicht näher auf Wahlleistungsvereinbarungen und Zusatzverträge eingehen, das würde uns viel zu sehr ins Krankenhausrecht führen. Vielmehr wollen wir unserer Darstellung den totalen Krankenhausaufnahmevertrag, der die Regelform der stationären Krankenhausbetreuung des GKV-Patienten ist, zugrundelegen. Danach sehen die vertraglichen Beziehungen nebst Vertragsparteien wie folgt aus:

Variante (a): H ist Privatpatient Träger des Krankenhauses

privatrechtlich totaler Krankenhaus­ aufnahmevertrag

Privatpatient

Lektion 6: Die Parteien Variante (b): H ist Kassenpatient

Träger des Krankenhauses

s ni ält V rh B ve SG gs 9 un , 3 er 2 7 ch 1, rs i , 1 Ve §§ 2

G Ab ew re äh §§ chn rle  10 u ist 8,1 ngs ung 09 ver sSG häl und B tni V s

Krankenkasse

privatrechtlich totaler Krankenhaus­ aufnahmevertrag

GKV-Patient

Das privatrechtliche Behandlungsverhältnis ist – wie schon im Bereich der ambulanten Versorgung – „eingebettet“ in sozialrechtliche Beziehungen, allerdings, durch den Wegfall der KV im stationären Bereich, nur in zwei, so dass die grafische Darstellung ein Dreieck ergibt. Im Band zwischen Kassenpatient und Krankenkasse ist Rechtsgrundlage das öffentlich-rechtliche Versichertenverhältnis, demzufolge die Krankenkasse die Krankenhausbehandlung als Sachleistung erbringt (§§ 2 II, 11, 27 S. 1, 2 Nr. 5, 39 SGB V). Die Krankenkassen ihrerseits sind durch öffentlich-rechtliche Gesamtverträge ihrer Verbände mit den zur Krankenhauspflege zugelassenen Krankenhäusern (§§ 108, 109 SGB V) verbunden. Entsprechend dem ambulanten vertragsärztlichen Bereich ist auch hier der Honoraranspruch des Krankenhausträgers grds. abgekoppelt; er ist ausschließlich gegen die Krankenkasse gerichtet und – siehe Leitsatz 6 – vor den Sozialgerichten zu verfolgen.



Fall 53

Kassenpatientin P kommt in die Ambulanz der Frauenklinik des Universitätsklinikums W. zur Behandlung. Wer wird Vertragspartner der P? Wie so oft in der Juristerei, kommt es wieder darauf an, und zwar darauf, weshalb P in die Ambulanz kommt und von wem die Ambulanz betrieben wird. Die ambulante Betreuung von Kassenpatienten obliegt grds. nicht dem Krankenhausträger, sondern den zur Teilnahme an der

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen oder ermächtigten Ärzten und Einrichtungen (§§ 95, 116 SGB V). Deshalb entstehen vertragliche Beziehungen zwischen P und dem Klinikträger nur, wenn er selbst die Ambulanz als Institutsambulanz, Notfallambulanz, allgemein-klinische Ambulanz oder Ambulanz für besondere ärztliche Leistungen betreibt (§§ 115 ff. SGB V). Wird die Ambulanz hingegen von einem an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt geführt, sind Vertragspartner des Behandlungsvertrages nur P und der zugelassene bzw. ermächtigte Arzt. Ein wichtiges Indiz für die Unterscheidung ist oft die Regelung der Liquidation. Allerdings wird P als GKV-Patientin i.d.R. keine Rechnung zu Gesicht bekommen. Sie werden zu Recht einwenden, dass für den Patienten die Unterschiede oft gar nicht ersichtlich sind. In solchen Fällen bleibt es Ihnen für Ihre Argumentation unbenommen, sich auf den Rechtschein zu berufen.

Sonstige Probleme auf Patientenseite

Fall 54

Mutter M kommt mit ihrem 3-jährigen Kind K zum Kinderarzt F zur Vorsorgeuntersuchung. Zwischen wem kommt der Behandlungsvertrag zustande? K ist gem. § 104 Nr. 1 BGB nicht geschäftsfähig. K wird gem. § 1629 I 1 BGB grds. von seinen Eltern vertreten. Diese kommen ihrer Fürsorgepflicht für K nach. Sie wollen i.d.R. aber nicht nur im Namen des K handeln und eine fremde Willenserklärung abgeben (§ 164 BGB), sondern selbst Vertragspartner werden. Hier ist aber nur M anwesend. Die Konsultation des F wegen der Vorsorgeuntersuchung des K stellt jedoch eine routinemäßige Behandlung dar, die unter ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs gem. § 1357 BGB subsumiert werden kann. M handelt deshalb auch im Namen ihres Mannes. Es kommt somit zwischen M und ihrem Mann ein Arztvertrag mit F zugunsten des K zustande.



Fall 55

Die 15-jährige J kommt wegen Halsschmerzen in die Sprechstunde der Hausärztin H. Wer sind die Parteien des Behandlungsvertrages?

Lektion 6: Die Parteien J ist gem. § 106 BGB beschränkt geschäftsfähig und bedarf deshalb zum Abschluss eines Vertrages, durch den sie nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, grds. der Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreter (§§ 107 ff. BGB), also im Normalfall der Eltern. Vorliegend sind verschiedene Konstellationen hinsichtlich der Frage, wer Vertragspartner der H geworden ist, denkbar: J könnte selbst Vertragspartnerin der H geworden sein: Die Eltern der J könnten J aufgefordert haben, zu H in die Sprechstunde zu gehen, um sich wegen ihrer Halsschmerzen behandeln zu lassen. J könnte dann, indem sie sich von H untersuchen und behandeln ließ, eine eigene Willenserklärung abgegeben haben, die, nachdem J’s Eltern in den Besuch bei H eingewilligt hätten, wirksam wäre (§ 107 BGB). Wirksam würde ein Behandlungsvertrag zwischen J und H aber auch, wenn J’s Eltern erst hinterher von J’s Besuch bei H erfahren würden, und den zustandegekommenen Behandlungsvertrag nachträglich genehmigen würden (§ 108 BGB). Gem. § 36 I SGB I werden in der GKV versicherte Minderjährige außerdem mit der Vollendung des 15. Lebensjahres sozialmündig und können selbständig alle Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Auch wenn J privat versichert sein sollte, werden ihre Eltern für sie i.d.R. eine private Krankenversicherung abgeschlossen haben, so dass der rechtliche Nachteil des Arztvertrages für J – das Entstehen eines Honoraranspruches der H – wegfällt. Denkbar ist aber auch, dass J, wenn ihre Eltern sie zu H geschickt haben, als Botin ihrer Eltern deren Willenserklärung auf Abschluss eines Behandlungsvertrages zu Gunsten der J übermittelt. Dann käme der Behandlungsvertrag zwischen J’s Eltern und H zustande. J wäre berechtigte Dritte i.S.d. § 328 BGB.



Fall 56

Die verheiratete F ist frustriert. Sie verspricht sich von einer Brustvergrößerung und Fettabsaugung eine Besserung ihrer Probleme. Sie möchte ihren Ehemann E überraschen und lässt deshalb ohne vorherige Absprache mit E die beiden Eingriffe vom Schönheitschirurgen S durchführen. Nachdem F die Rechnung des S aber nicht bezahlen kann, überlegt S sich

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient wegen seines Honorars an den Ehemann E der F zu wenden. Ist auch E Vertragspartner des S geworden? E selbst hat gegenüber S keine Willenserklärung hinsichtlich der Schönheitsoperationen seiner Frau abgegeben. Denkbar wäre aber, dass E über § 1357 I BGB aus dem Behandlungsvertrag zur Zahlung verpflichtet wäre. Gem. § 1357 I BGB werden aus Geschäften zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs bei bestehender Ehe, bei der die Ehegatten auch nicht getrennt leben, beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet. Maßgebend für die Frage, was zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs gehört, ist ein Vergleich der zu tragenden Kosten mit den allgemeinen Einkommens- und Lebensverhältnissen der Familie. In der Regel gilt: medizinisch gebotene Behandlungen ohne Inanspruchnahme von Sonderleistungen zählen zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs jeder Familie. Besonders aufwändige bzw. medizinisch nicht erforderliche Behandlungen – wie hier die Schönheitsoperationen – führen nur dann zu einer Verpflichtung des Ehepartners, wenn sich die Partner zuvor über die Durchführung der Behandlung in der aufwändigen Form ausdrücklich verständigt haben. Da E vorliegend gerade nichts von seiner „Überraschung“ wusste, scheidet § 1357 I BGB aus. Vertragspartner des S ist deshalb nur F geworden.



Fall 57

F geht zur Entbindung. Ist nur sie selbst Partei des Behandlungsvertrages bezüglich der Entbindung oder auch schon ihr ungeborenes Baby, vertreten durch F und ihren Mann? Es sind nur F bzw. F und ihr Mann Vertragspartner des Gynäkologen bzw. des Krankenhausträgers. Die Rechtsprechung geht bezüglich des Nasciturus, also des Babys, das geboren werden soll, lediglich von einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter aus. Unterscheide: Im Einzelfall ist bei Verträgen bezüglich Kindern bzw. Ehegatten durch Auslegung festzustellen, ob es sich um einen echten Vertrag zugunsten Dritter handelt (§ 328 BGB) oder lediglich um einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Der Unterschied besteht darin, dass beim echten Vertrag zugunsten Dritter auch der Dritte einen eigenen Anspruch gegen den Arzt auf die zivilrechtliche Hauptleistung – Behandlung – erwirbt, während beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter der Anspruch auf die zivilrechtliche Hauptleistung allein dem

Lektion 6: Die Parteien Gläubiger zusteht, und der Dritte lediglich in die vertraglichen Sorgfaltsund Obhutspflichten einbezogen ist. Als grobe Richtschnur bei der Beteiligung von Kindern oder Ehegatten auf Patientenseite merken Sie sich bitte: Die Parteienstellung hängt stets von den Umständen des Einzelfalles ab. Je umfangreicher, schwerwiegender, ungewöhnlicher und aufwändiger ein Eingriff ist, desto mehr ist auf eine Beteiligung beider Elternteile bzw. Ehepartner zu achten.

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient

Lektion 7: Die Pflichten des Arztes Untersuchungs- und Behandlungspflicht

Fall 58

S ist nach München umgezogen um dort zu studieren. Als sie einen Tag vor ihrer ersten Klausur plötzlich starke Schluckbeschwerden und Fieber bekommt, sucht sie sich aus den gelben Seiten einen Arzt für Allgemeinmedizin – Dr. H – aus und geht zu H in die Sprechstunde. Wozu ist H verpflichtet? Aus den beiden vorhergehenden Lektionen wissen wir schon, dass zwischen S und H ein Behandlungsvertrag (§§ 630a, 611 ff. BGB) zustande kommt. Aus diesem ist H in erster Linie zur ärztlichen Behandlung lege artis (nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst) verpflichtet (§ 630a Abs. 1 u. 2 BGB). Dazu gehören grds. folgende Schritte: 1. Erhebung der Anamnese (Vorgeschichte einer aktuellen Erkrankung), 2. Untersuchung, 3. Diagnose (Erkennung einer Krankheit; Feststellung einer Indikation), 4. Behandlung und evtl. ergänzend als Nebenpflicht: 5. Ausstellung von Attesten und Bescheinigungen sowie 6. Rezeptur- und Verschreibung. H wird im Rahmen der Anamnese S zunächst ihre Beschwerden schildern lassen; evtl. wird er ergänzende Fragen stellen. Anschließend muss er S untersuchen – hierzu wird er S vor allem abhören und sich ihren Rachen anschauen. In diesem einfach gelagerten Fall, wird H sodann bereits in der Lage sein, eine Diagnose – z.B. Tonsillitis (Mandelentzündung) – zu stellen. Diese muss H ordnungsgemäß behandeln. Falls dazu ein verschreibungspflichtiges Antibiotikum nötig ist, muss er S ein Rezept aus-

Lektion 7: Die Pflichten des Arztes stellen. Sofern S für ihre Fakultät noch ein Attest benötigt, muss H auch noch ein Gesundheitszeugnis ausstellen. Abwandlung: Angenommen, H’s Wartezimmer wäre, als S zu ihm in die Praxis kommt voll mit „schweren“ Fällen. Darf H in einer solchen Situation seiner tüchtigsten und besten Arzthelferin T die Anweisung erteilen, sich den Rachen von S anzuschauen und gegebenenfalls für S auf ein Blankorezept ein gängiges Antibiotikum aufzuschreiben? Nein. Gem. §§ 630b, 613 S. 1 BGB ist der Arzt verpflichtet, die ärztliche Behandlung als Dienstleistung persönlich zu erbringen. Dem Arzt ist es daher grds. verboten, ärztliche Maßnahmen auf Dritte zu übertragen. Der Kernbereich ärztlichen Handelns muss dem Arzt vorbehalten bleiben. Hierzu gehören vor allem die ärztliche Untersuchung, Diagnose- und Indikationsstellung sowie alle Verrichtungen, die wegen ihrer Schwierigkeiten, ihrer Gefährlichkeit oder wegen der Unvorhersehbarkeit etwaiger Reaktionen ärztliches Fachwissen voraussetzen. T darf S deshalb weder selbst untersuchen, noch beurteilen, ob ein Antibiotikum indiziert ist. Diese Tätigkeiten sind allein H vorbehalten. Abwandlung: H möchte abklären, ob bei S eine bakterielle Infektion vorliegt und beauftragt T deshalb, S Blut abzunehmen? Bestehen dagegen Bedenken? Nein, denn der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung bedeutet nicht, dass der Arzt jede Maßnahme, die im Zusammenhang mit der Behandlung eines Patienten erfolgt, auch eigenhändig ausführen müsste. Vielmehr sind bestimmte Hilfstätigkeiten delegierbar, soweit es sich um vorbereitende, unterstützende, ergänzende oder allenfalls mitwirkende Tätigkeiten zur eigentlichen ärztlichen Leistung handelt. Hier hat H die Blutentnahme seiner zuverlässigen und qualifizierten Mitarbeiterin T übertragen. Dies ist ohne Bedenken möglich.



Fall 59

S liegt mit Fieber, Erbrechen und Bauchkrämpfen im Bett. Ihre Freundin F ruft Hausarzt H an und fragt, was S machen solle. H sagt, sie solle sich schonen und viel Kamillentee trinken. Ist dies richtig?

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient

Übersicht 16: Ärztliche Hauptpflicht Die ärztliche Hauptpflicht des Arztes gegenüber seinem Patienten besteht in ––der Anamnesepflicht ––der Untersuchungspflicht ––der Diagnosepflicht und ––der Behandlungspflicht. Diese Pflicht hat der Arzt grundsätzlich persönlich zu erfüllen.

Nein. Nach der Rechtsprechung des BGH gehört es zu den Aufgaben des Arztes, sich von den Leiden des Patienten ein eigenes Bild vor Ort zu machen. H darf die Angaben Dritter – hier der F – nicht ungeprüft übernehmen. Eine Ferndiagnose ist unzulässig! Wenn der Patient – wie hier – nicht selbst in die Sprechstunde kommen kann – muss der Arzt grds. einen Hausbesuch abstatten. H dürfte natürlich in Akutsituationen bis zu seinem Eintreffen einstweilige Maßnahmen anordnen. Abwandlung: Was wäre, wenn H die S schon am Vortag eingehend wegen Bauchschmerzen untersucht hätte und durch die Schilderung der F nun seinen Verdacht auf Blinddarmentzündung als bestätigt ansehen würde? In diesem Fall müsste H nicht erst noch selbst bei S erscheinen. Sollte er eine sofortige notfallmäßige Krankenhausaufnahme für erforderlich halten, könnte er gleich die nötigen Schritte in die Wege leiten. Sein zusätzlicher Hausbesuch wäre sinnlos und würde die Hilfeleistung nur verzögern.



Fall 60

S hat in München einen netten jungen Mann kennen gelernt. Sie möchte sich die Pille verordnen lassen und ruft deshalb ihren alten Hausarzt B aus ihrem Heimatort an. B, der S bereits seit deren Geburt kennt, sie seit Jahren aber nicht mehr untersucht hat, schickt S ein Rezept für einen oralen Ovulationshemmer (Pille). Hat B richtig gehandelt? Nein. Denn: Der Pflicht zur persönlichen Behandlung entspricht neben dem Verbot der Ferndiagnose zugleich auch ein Verbot der Fernbehandlung!

Lektion 7: Die Pflichten des Arztes

Die ärztliche Aufklärungspflicht

Fall 61

Der Gynäkologe G stellt nach zahlreichen Untersuchungen bei seiner Patientin M fest, dass sie an Brustkrebs mit Metastasen im Gehirn erkrankt ist. M fragt, was sie habe. Muss G seine Patientin M über die Diagnose aufklären? Ja. G ist aufgrund des Behandlungsvertrages verpflichtet, M das Ergebnis seiner diagnostischen Bemühungen mitzuteilen. Dabei muss er auch etwaige Fragen der M, z.B. nach Heilungschancen bzw. der Lebens­ erwartung, grundsätzlich wahrheitsgemäß beantworten (vgl. auch § 630c Abs. 2 S. 1 BGB). Abwandlung: Wie wäre es, wenn G wüsste, dass M psychisch sehr labil und aufgrund der Diagnosemitteilung selbstmordgefährdet wäre? In diesem Ausnahmefall wird man G zubilligen müssen zurückhaltend zu reagieren und M anstatt einer schonungslosen Offenbarung ihres Krankheitszustandes eine verharmlosende Information zu erteilen (vgl. § 630c Abs. 4 BGB). Sie merken sich daher: § 630c BGB = Therapeutische „Aufklärung“ (Beratung) und sonstige Informationspflichten; § 630e BGB = Selbst­ bestimmungs-/Eingriffs-/Risikoaufklärung

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Leitsatz 7 Ärztliche Aufklärungspflicht u. therapeutisches Privileg Der Arzt ist zur Aufklärung ––über den medizinischen Befund (Diagnoseaufklärung) und ––gegebenenfalls die Prognose (Prognoseaufklärung) verpflichtet. In Ausnahmefällen kann aber das sog. therapeutische Privileg greifen, mit der Folge, dass nicht oder nur zum Teil aufgeklärt werden muss. Dies ist in den Fällen denkbar, in denen die Offenheit gegenüber dem Patienten zu schwerem physischem oder psychischem Schaden führen würde. Der BGH bejaht das therapeutische Privileg jedoch nur in seltenen Fällen; i.d.R. gewährt er dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten den Vorrang gegenüber der ärztlichen Fürsorge!

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient



Fall 62

Gynäkologe G möchte bei M eine Chemotherapie und wegen der Metastasen im Gehirn eine Strahlentherapie durchführen lassen. Worüber muss er M noch aufklären? G muss M noch über die Risiken einer Chemo- und Strahlentherapie (Risikoaufklärung) und über Art, Umfang und Durchführung der beabsichtigten Behandlungsmethoden (Verlaufsaufklärung) informieren. Beachte: Falls es in M’s Fall mehrere gleichwertige Behandlungsmethoden gäbe, die ähnliche Erfolgschancen, aber unterschiedliche Risiken aufweisen würden, z.B. eine Operation statt der Chemo- und Strahlentherapie, müsste G die M auch noch über diese Behandlungsalternative aufklären. Nehmen Sie sich außer § 630c BGB nun auch schon § 630e BGB vor und machen Sie sich Gedanken über die Regelungsinhalte dieser beiden Vorschriften.



Fall 63

V lässt beim Urologen U eine Vasektomie (Durchtrennung der Samenleiter) durchführen. Was muss U beachten? U muss V darüber aufklären, dass sich auch noch eine Zeit nach dem Eingriff Spermien in den Samenleitern befinden können und dass zur Sicherstellung des Behandlungserfolges – Vermeidung von Zeugungsfähigkeit – ein Spermiogramm erforderlich ist. U schuldet V deshalb über die normale Risiko- und Verlaufsaufklärung hinaus noch eine Sicherungsaufklärung oder sog. therapeutische Aufklärung. Wo ist diese „Aufklärung“ geregelt? In § 630c Abs. 2 oder in § 630e BGB?



Fall 64

F möchte sich vom Schönheitschirurgen S die Brüste vergrößern lassen. Angenommen, S hätte die erforderliche Risikoaufklärung bereits durchgeführt. Gibt es noch etwas worüber S aufklären muss? Ja. S muss F noch über die wirtschaftlichen Konsequenzen des beabsichtigten Eingriffs aufklären (wirtschaftliche Aufklärung); er muss S darauf

Lektion 7: Die Pflichten des Arztes aufmerksam machen, dass die Krankenkasse der F möglicherweise die Operationskosten nicht tragen werde (§ 12 SGB V). Wegen § 630c Abs. 3 BGB wäre S zu raten, F in schriftlicher Form über die voraussichtlichen Kosten zu informieren und sich den Empfang des Schriftstückes bestätigen zu lassen.



Fall 65

Jurastudent J ist von den zahlreichen Aufklärungsarten ganz verwirrt. Er fragt sich, was das Ganze soll und auf welcher rechtlichen Grundlage die ärztliche Aufklärungspflicht beruht. Die Verpflichtung des Arztes zur umfassenden Aufklärung des Patienten ergibt sich zum einen aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten (Art. 1 I 1 GG, Art. 2 II 1 GG); zum anderen wird sie aus dem privatrechtlichen Rechtsverhältnis zwischen Arzt und Patient abgeleitet, wobei streitig ist, ob es sich um eine vertragliche Haupt- oder aber um eine Nebenpflicht handelt. Praktische Konsequenzen hat dieser Meinungsstreit letztlich nicht (Hauptpflichten können selbständig eingeklagt werden, während vertragliche Nebenpflichten nur bei Verletzung Schadensersatzansprüche begründen können). In den §§ 630c, 630e BGB sind die vorstehend angesprochenen „Aufklärungen“ nunmehr gesetzlich normiert. Wie diese Vorschriften im Einzelnen zu handhaben sind, wird die zukünftige Rechtsprechung zeigen.

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Leitsatz 8 Aufklärung Im Normalfall schuldet der Arzt dem Patienten Auskunft über ––die Krankheit ––Art, Schweregrad und Verlauf des Eingriffes ––die Risiken und ––die möglichen Nachwirkungen.

Beachte: Die verschiedenen Arten der Aufklärung können fließend ineinander übergehen. Rechtsprechung und Literatur verwenden zur Umschreibung von Aufklärungsfehlern außerdem zum Teil unterschiedliche Begriffe. Wichtig ist hauptsächlich die Unterscheidung zwischen der The-

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient rapeutischen Aufklärung (oder Sicherungsaufklärung) und der Eingriffsaufklärung (oft auch nur Risikoaufklärung genannt). Sie spielt – wie wir noch erfahren werden – im Arzthaftungsrecht, aber auch im Strafrecht (§§ 223 ff. StGB) und im Berufsrecht (§ 8 MBO-Ä) eine große Rolle. Zurück zu Fall 63: Die therapeutische Aufklärung (Sicherungsaufklärung) ist von § 630c Abs. 2 S. 1 BGB erfasst. Die für die Eingriffsaufklärung maßgeblichen Inhalte sind dagegen nunmehr in § 630e BGB speziell normiert.



Fall 66

O soll ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt werden. O wird ein Formular, auf welchem der Eingriff nebst Risiken erläutert wird, mitgegeben. Am OP-Tag bringt O das Formular unterschrieben zurück und gibt es ihrem behandelnden Arzt. Hat eine ordnungsgemäße Eingriffsaufklärung stattgefunden? Nein. Die Aufklärung kann nur durch ein persönliches Aufklärungsgespräch erfolgen. Dieses kann nicht durch Formulare ersetzt werden (vgl. § 630e Abs. 2 Ziff. 1 BGB). Entsprechende Formulare können dem Arzt lediglich helfen, das Gespräch mit dem Patienten systematisch zu führen.



Fall 67

P sollen von ihrem Proktologen und Chirurgen C in dessen Belegbettenklinik unter Vollnarkose Darmpolypen entfernt werden. C klärt P auf. Reicht dies aus? Nein. Jeder Arzt muss für den von ihm durchzuführenden Behandlungspart grds. selbst aufklären. So hat C über die geplante Entfernung der Darmpolypen aufzuklären; es muss der zuständige Anästhesist aber über die Vollnarkose und ihre Risiken aufklären. Im Falle des P müsste der zuständige Anästhesist sich, wenn er nicht selbst aufklärt, entweder vergewissern, dass hinreichend durch C aufgeklärt worden ist und weiterer Aufschluss nicht nötig ist oder er müsste durch vorherige klare Anweisungen an C dafür Sorge getragen haben, dass die nötigen Informationen voll gewährleistet sind.

Lektion 7: Die Pflichten des Arztes



Fall 68

M möchte keine Kinder mehr bekommen. Deshalb bittet sie den Gynäkologen G ihr die Gebärmutter zu entfernen. Kurz bevor M in den OP geschoben wird, klärt G sie über den Eingriff auf. Bestehen Zweifel? Ja. Grundsätzlich hat das Aufklärungsgespräch so frühzeitig stattzufinden, dass der Patient nicht unter dem Eindruck steht, sich nicht mehr aus einem bereits in Gang gesetzten Geschehensablauf lösen zu können. Der Patient soll rechtzeitig informiert werden. Er muss Gelegenheit haben, sofern – wie hier – die Dringlichkeit der Maßnahme dies zulässt, das Für und Wider ohne Zeitdruck abwägen zu können (vgl. auch § 630e Abs. 2 Ziff. 2 BGB).



Fall 69

Die Griechin G macht gerade ein Praktikum in Deutschland, um ihre spärlichen Deutschkenntnisse etwas aufzubessern. Wegen der Gefahr eines Blinddarmdurchbruchs muss sie in einem deutschen Krankenhaus operiert werden. Was haben der Chirurg C und gegebenenfalls der Anästhesist A zu beachten? Die Aufklärung muss für den Patienten verständlich sein (§ 630e Abs. 2 Ziff. 3 BGB). Deshalb muss bei der Aufklärung auf den Bildungsgrad und die geistige Aufnahmefähigkeit des Patienten Rücksicht genommen werden. Der Arzt muss „in der Sprache des Patienten sprechen“. Unverständliche medizinische Fachausdrücke sind fehl am Platz. Bei ausländischen Patienten – wie hier der G – müssen sich C und A außerdem vergewissern, ob G ihre Informationen versteht. Wenn zu befürchten ist, dass G die ärztlichen Erläuterungen nicht richtig versteht, ist eine sprachkundige Person als Dolmetscher beizuziehen.



Fall 70

P ist Patient der Gemeinschaftspraxis „Z sen. & jun“. Junior J soll einen Weisheitszahn ziehen. Er überlegt, was er P sagen soll, vor allem auch, ob P wissen muss, dass er noch nicht sehr viel Erfahrung mit der Extraktion von Weisheitszähnen hat. Die Art und Weise der Aufklärung, also das „wie“ überlässt der BGH prinzipiell dem Ermessen des Arztes. J hat nur „im Großen und Ganzen“ aufzuklären. Im Ergebnis soll P als medizinischer Laie aufgrund der Aufklärung durch J zu einer Risikoabwägung in der Lage sein. Dabei wird das

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient Ausmaß der Aufklärung maßgeblich vom Kenntnisstand des Patienten mitgeprägt. Allgemeine Schadensfolgen – wie hier z.B., dass es zu einer Schwellung und Wundschmerzen kommen kann – müssen nicht genannt werden. Genannt werden müssen aber auch seltene Risiken, wenn sie dem Eingriff spezifisch anhaften und geeignet sind, die Lebensführung des Patienten erheblich zu beeinträchtigen. Hier wäre deshalb eine mögliche Verletzung des Gesichtsnervs von J besonders zu erwähnen. Dass J noch nicht sehr viel Erfahrung hat, braucht er P gegenüber nicht von sich aus zu erwähnen. Auf Frage des P hin, müsste er jedoch wahrheitsgemäß antworten.



Fall 71

M möchte sich Fett absaugen lassen. Was ist hier im Rahmen der Eingriffsaufklärung zu beachten? Je weniger dringlich oder geboten ein Eingriff ist, desto weitergehender ist die Pflicht zur Aufklärung. Dies bedeutet für Wahleingriffe (Eingriffe, die medizinisch nicht indiziert sind und allein auf Wunsch des Patienten vorgenommen werden), wie z.B. Schönheitsoperationen, oder – wie hier, eine Fettabsaugung – dass schonungslos über alle nur erdenklichen Risiken aufgeklärt werden muss. Hier ist nicht nur auf typische, sondern auch auf atypische Risiken hinzuweisen, sofern sie im Einzelfall das persönliche und berufliche Leben der M schwer belasten könnten.

Dokumentationspflicht

Fall 72

P ist von seinem HNO-Arzt wegen Schwindelgefühlen und Ohrenschmerzen zum Orthopäden O überwiesen worden. Nach einem Einrenkungsversuch des O kommt es bei P zu unerträglichen Schmerzen und Lähmungserscheinungen. Es stellt sich heraus, dass er einen zervikalen Bandscheibenvorfall (am Halswirbel) hat und operiert werden muss. P überlegt, rechtliche Schritte gegen O einzuleiten. Zur Vorbereitung möchte der Anwalt O’s Behandlungsunterlagen über den P einsehen. O behauptet, er habe keine Behandlungsunterlagen, da er davon ausgegangen sei, dass die Beschwerden des P mit dem Einrenken erledigt seien und P ihn nie wieder in seiner Praxis aufsuchen würde; da er ohnehin

Lektion 7: Die Pflichten des Arztes schon so viele Patienten habe, habe er sich im Falle des P „unnötigen Bürokram“ ersparen wollen. Ist O’s Meinung juristisch haltbar? Nein. Seit dem Grundsatzurteil des BGH aus dem Jahre 1978 (BGH NJW 1978,2337) steht fest, dass Aufzeichnungen über einen Patienten nicht nur dem Arzt als interne Gedächtnisstütze dienen sollen und damit in seinem Belieben stehen, sondern dass die Pflicht zur Dokumentation eine „selbstverständliche therapeutische Pflicht“ des Arztes gegenüber seinem Patienten darstellt. Mit Hilfe der Dokumentation soll eine sachgerechte Behandlung und Weiterbehandlung ermöglicht werden. Deshalb stellt die Dokumentationspflicht eine selbständige vertragliche Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient dar. Sie ist nun auch ausdrücklich in § 630f BGB geregelt. Daneben ergibt sich die Dokumentationspflicht auch aus der Berufsordnung (§ 10 MBO-Ä) bzw. den jeweiligen Kammergesetzen der Länder und vielen Sondervorschriften (z.B. § 29 Abs. 2 Röntgenverordnung, § 10 Abs. 1 Geschlechtskrankheitengesetz, § 37 Abs. 3 JArbSchG, § 43 StrlSchVO). Für den Kassenarzt ergibt sich die Verpflichtung zur Dokumentation zusätzlich aus § 295 Abs. 1 SGB V und § 57 BMV-Ä. Frage: Was hätte O im Falle des P in die Dokumentation aufnehmen müssen? Dies ergibt sich nun aus § 630f Abs. 2 BGB. Grundsätzlich gilt, dass der Umfang der Dokumentationspflicht durch das „medizinisch Notwendige“ bestimmt wird. D.h., es sind im wesentlichen Anamnese, Befunde, Diagnose und Therapie aufzuzeichnen. Routinemaßnahmen und –kontrollen müssen nicht dokumentiert werden, wohl aber Zwischenfälle. Je komplizierter ein Eingriff ist, desto höher sind die Anforderungen an Umfang und Genauigkeit der Dokumentation. Bei der Erstkonsultation durch P hätte O hier zumindest die wesentlichen anamnestischen Daten sowie den Befund nebst Therapie festhalten müssen. Dabei hätte eine Dokumentation in Stichworten gereicht. Abwandlung: Als der Anwalt des P bei O um Einsicht in die Krankenakte bittet, äußert sich O nicht wie in Fall 72 beschrieben, sondern legt kurz

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient entschlossen eine Akte für P an und übermittelt P’s Anwalt eine Kopie davon. Bestehen hiergegen Bedenken? Die Dokumentation sollte grds. zeitnah, in unmittelbarem Zusammenhang mit der Behandlung oder dem Eingriff erfolgen. In Ausnahmefällen, z.B. bei einfachen und unkomplizierten Eingriffen oder Notfällen wird man den Arzt aber für berechtigt ansehen dürfen, nachträglich die ordnungsgemäße Dokumentation aus dem Gedächtnis zu erstellen. Im Falle des P wäre eine solch nachträgliche Dokumentation gerade noch denkbar. O sollte dann aber kenntlich machen, dass es sich um eine nachträgliche Dokumentation handelt (vgl. § 630f Abs. 1 BGB). Abwandlung: Angenommen, O hätte für P eine Patientenakte angelegt. Hätte P einen Anspruch auf Einsicht in seine Krankenunterlagen? Ja. Soweit – wie hier – vertragliche Beziehungen bestehen, ergibt sich das Einsichtsrecht des Patienten in die Krankenunterlagen nun direkt aus § 630g Abs. 1 BGB. Ansonsten folgt ein Anspruch aus §  810 BGB bzw. unmittelbar aus Art. 1 I i.V.m. Art. 2 II GG (Selbstbestimmungsrecht und Menschenwürde). Abwandlung: Angenommen, P stirbt bei der Operation am Halswirbel. Seine Erben sehen die Anfangsursache für P’s Tod in einem Fehlverhalten des O. Steht den Erben ein Einsichtsrecht in die Krankenakte des P zu? Grundsätzlich haben auch die Erben eines verstorbenen Patienten ein Einsichtsrecht in die diesen betreffenden Krankenunterlagen. Der Anspruch wird aus den „nachwirkenden Persönlichkeitsbelangen“ des Verstorbenen hergeleitet. Im Einzelfall wird allerdings eine Abwägung gegen die Interessen des O an der über den Tod des P hinauswirkenden Verschwiegenheitspflicht vorzunehmen sein (vgl. §  630g Abs. 3 BGB). Abwandlung: Angenommen O hätte in der Krankenakte vermerkt, dass P ein Querulant und Hypochonder ist. Darf O diese Aufzeichnungen beim Kopieren der Akte abdecken? Ja. Offenbarungspflichtig sind nur objektive naturwissenschaftliche Befunde und Behandlungsfakten. Subjektive Wertungen des Arztes, die Wiedergabe persönlicher Eindrücke über den Patienten oder vorläufige

Lektion 7: Die Pflichten des Arztes Verdachtsdiagnosen, die später wieder aufgegeben wurden, werden vom Einsichtsrecht des Patienten nicht umfasst. Abwandlung: P’s Anwalt stellt fest, dass die Dokumentation des O unzureichend ist. Er überlegt, welche Folgen dies nach sich zieht. Das Unterlassen ärztlicher Dokumentation bzw. Mängel in der Dokumentation begründen keine eigenständige Anspruchsgrundlage. Im Arzthaftungsprozess wirken sie sich jedoch auf das Beweisrecht aus (vgl. dazu Lektion 13). Auch in Abrechnungsangelegenheiten sind Nachteile für den Arzt denkbar.



Fall 73

Das Lager des Dr. G quillt über vor Patientenakten. Er fragt deshalb seinen Anwalt R, was er tun könne und wie lange er die Unterlagen seiner Patienten aufheben muss. Was wird R antworten? G kann seine Patientenakten aus Platzgründen auch mikroverfilmen lassen. Allerdings ist das teuer und er müsste dabei auch bedenken, dass eventuelle spätere Beweisschwierigkeiten ausschließlich zu seinen Lasten gehen würden. Die meisten Vorschriften sehen Aufbewahrungspflichten von zehn Jahren vor (vgl. z.B. § 630f Abs. 3 BGB, § 10 III MBO-Ä, § 57 II BMV-Ä). Für Röntgenbilder sind sogar Aufbewahrungspflichten bis zu 30 Jahren festgelegt (vgl. z.B. § 28 II 4 RöVO).

Die ärztliche Schweigepflicht

Fall 74

C ist bei Dr. H in Behandlung. Als der Tennisfreund T des H diesem erzählt, dass er vor habe, C zum Abteilungsleiter in seinem Betrieb zu befördern, verrät H dem T, dass C in nächster Zukunft oft ausfallen werde, da er an Hepatitis C erkrankt sei. C habe ihm anvertraut, dass er sich vermutlich bei einer Affäre mit einer Kollegin aus dem Betrieb des T angesteckt habe. Bestehen rechtliche Bedenken gegen H’s Verhalten? Ja. Der Arzt ist grds. gegenüber jedermann außerhalb des Arzt-Patienten-Verhältnisses zur Verschwiegenheit verpflichtet. Dies ergibt sich im Verhältnis C – H bereits als Nebenpflicht aus dem bestehenden Behandlungsvertrag. Immerhin ist die Verschwiegenheit des Arztes der

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient Grundpfeiler des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient. Deshalb gehört sie auch zu den wichtigsten Berufspflichten eines Arztes (vgl. § 9 MBO-Ä). Wie wir in Lektion 15 noch erfahren werden, spielt die Schweigepflicht des Arztes zudem im Strafrecht (§ 203 StGB, §§ 53 I 1, 97 StPO) eine wichtige Rolle. Im Falle des H droht wegen des Bruchs der ärztlichen Schweigepflicht, wenn C daraus konkrete Einkommenseinbußen herleiten kann, neben straf- und berufsrechtlichen Konsequenzen, auch eine zivilrechtliche Haftung (§§ 280 BGB, § 823 II BGB i.V.m. § 203 StGB bzw. § 823 I BGB – Persönlichkeitsverletzung).



Fall 75

Der Anwalt des P begehrt beim Urologen U zur Vorbereitung eines Arzthaftungsprozesses Einsicht in P’s Patientenakte. Worauf sollte U bei Herausgabe der Patientenakte achten? U sollte darauf achten, dass P ihn von der ärztlichen Schweigepflicht entbindet. Aus Beweisgründen sollte U auf einer schriftlichen Schweigeentbindungserklärung des P bestehen.

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Leitsatz 9 Ärztliche Schweigepflicht Der Arzt ist grundsätzlich gegenüber jedermann außerhalb des Arzt-Patienten-Verhältnisses zur Verschwiegenheit verpflichtet. Hieran sollte er vor allem auch bei Weitergabe seiner Patientenakten stets denken. Eine Verletzung der Schweigepflicht kann der Arzt durch eine – aus Beweisgründen am besten – schriftliche Zustimmung seitens seines Patienten zur Weitergabe der ihn betreffenden Daten verhindern.

Sonstige Pflichten

Fall 76

Makler M ist wegen seiner Rückenbeschwerden beim Orthopäden O in Behandlung. O führt eine sog. „Bestellpraxis“, d.h. er arbeitet grds. nach fest vereinbarten Terminen. M ist von O für 10.00 Uhr bestellt. Da O an diesem Tag überraschend Besuch von einem alten Studienkollegen erhält, kommt M aber erst um 11.15 endlich dran. M entgeht wegen

Lektion 7: Die Pflichten des Arztes dieser Verspätung ein wichtiges Geschäft. Er erwägt deshalb, O vor dem Amtsgericht auf Schadensersatz wegen Organisationsverschuldens zu verklagen. Wäre die Klage des M begründet? Ja. Bestellt der Arzt, der eine Bestellpraxis betreibt, einen Patienten für einen bestimmten Termin ein und hält er diesen Termin nicht ein, so ist er nebenvertraglich verpflichtet, den Patienten konkret zu informieren, soweit er vorhersehen kann, dass die vereinbarte Behandlungszeit überschritten werden wird. Der Patient soll selbst entscheiden können, ob er warten oder sich einen neuen Termin geben lassen will. Die zumutbare Wartezeit liegt bei etwa max. 30 Minuten.



Fall 77

T ist nach operativer Entfernung eines Leberkarzinoms (Lebertumors) vorerst geheilt. Was muss der ihn behandelnde Internist A beachten? Er muss seine ärztliche Nachsorge- und Kontrollpflicht beachten indem er T gegebenenfalls rechtzeitig rehabilitativen Maßnahmen zuführt und ihn in regelmäßigen Abständen zu Nachsorgeuntersuchungen einbestellt. Es handelt sich hierbei um eine nachwirkende Pflicht aus dem zwischen T und A bestehenden Behandlungsvertrag.

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient

Lektion 8: Die Pflichten des Patienten

Fall 78

Privatpatient PP sucht wegen seiner Hypertonie (Bluthochdruck) den renommierten Internisten A auf. A verschreibt PP ein Medikament, erteilt PP genaue Einnahmeanweisungen und gibt PP auf, für die Dauer von zwei Wochen seinen Blutdruck zu festgelegten Zeiten zu messen und in eine mitgegebene Tabelle zu notieren. Ferner legt A dem PP dringend nahe sich regelmäßig zu bewegen, weniger fett zu essen und mit dem Rauchen aufzuhören. Als der Blutdruck des PP wenige Tage nach seinem Arztbesuch immer noch erhöht ist, ändert PP eigenmächtig die Dosierung seines Medikaments. Das Führen der mitgegebenen Tabelle ist ihm bald zu lästig, so dass er keine weiteren regelmäßigen Kontrollen und Einträge seiner Blutdruckwerte vornimmt. Eine Änderung seiner Lebensgewohnheiten ist PP ebenfalls zu unbequem. Bestehen rechtliche Bedenken gegen PP’s Verhalten? Ja. PP ist als Patient aufgrund des Behandlungsvertrages mit A zur Mitwirkung verpflichtet (sog. Compliance). PP obliegt es, alles zu tun, um eine erfolgreiche Behandlung zu ermöglichen. Dazu gehört insbesondere die Pflicht des PP zur Befolgung ärztlicher Anordnungen. Hier handelt PP („Non-Compliant“) wider den Anweisungen des A. Frage: Hat A rechtliche Möglichkeiten eine sog. Compliance von PP zu fordern? Nein. Bezüglich der therapeutischen Mitwirkungspflicht des Patienten handelt es sich um eine vertragliche Nebenpflicht, die weder einklagbar, noch erzwingbar ist. Lesen Sie bitte § 630c Abs. 1 BGB. Was meinen Sie? Es dürfte trotz dieser Regelung bei der eben vorgestellten Lösung bleiben. Hier haben wir ein Paradebeispiel dafür, wie der Gesetzgeber in den letzten Jahren leider zunehmend munter Gesetzestexte schreibt, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie Normen von der Rechtsdogmatik und Rechtstechnik her verfasst sein sollten. Abwandlung: A schickt, nachdem er nichts mehr von PP gehört hat, eine Rechnung. PP wendet ein, A habe seine ärztliche Leistung schlecht

Lektion 8: Die Pflichten des Patienten erfüllt, da seine Blutdruckwerte unverändert zu hoch seien. PP weigert sich deshalb zu zahlen. Zu Recht? Nein. Lesen Sie § 630a Abs. 1 BGB. Aufgrund des Behandlungsvertrages zwischen A und PP ist PP zur Zahlung der ärztlichen Vergütung verpflichtet (näher dazu Lektion 9). Die Zahlungspflicht des Privatpatienten ist dessen vertragliche Hauptpflicht gegenüber dem Arzt. Da A lediglich die Behandlung als Dienstleistung schuldet und gerade nicht deren Erfolg (vgl. Lektion 5) ist keine Unmöglichkeit i.S.d. § 275 BGB eingetreten. Den Nichteintritt des Behandlungserfolges hat PP durch sein Verhalten allein zu verantworten. Deshalb kann A dem Einwand der Schlechterfüllung des PP die Verletzung der Pflicht des PP zur Compliance entgegenhalten. Abwandlung: PP erleidet infolge seines Bluthochdrucks einen Schlaganfall. Es stellt sich heraus, dass Ursache seines Bluthochdrucks eine Nierenerkrankung war. Was gilt es in einem etwaigen Arzthaftungsprozess des PP gegen A zu beachten? Eine „Non-Compliance“, die zu einem Misserfolg der Behandlung führt, begründet im Haftungsprozess fast immer ein Mitverschulden des Patienten (§ 254 BGB). Allerdings entbindet fehlende Compliance des Patienten den Arzt nicht von seiner vertraglichen Pflicht, nach den Gründen zu forschen und den Patienten zu mehr Compliance anzuhalten. Angenommen, A hätte von PP erfahren, dass seine Blutdruckwerte trotz des verordneten Medikaments nicht besser geworden sind, hätte er PP noch einmal einbestellen müssen um weiter nach den Gründen für dessen Bluthochdruck zu suchen. In diesem Zusammenhang hätte er z.B. auch eine Nierenerkrankung ausschließen müssen. Auch hätte er PP noch einmal eindringlich zu einer besseren Mitwirkung auffordern müssen. Damit PP in einem Arzthaftungsprozess gegen A Erfolg hätte, müsste er also beweisen, dass trotz Nichtbefolgung der ärztlichen Anordnungen eine Falschbehandlung seitens des I vorgelegen hat.



Fall 78a

P weigert sich eine Rechnung seines Zahnarztes Z für eine prothetische Versorgung eines Frontzahns mit einer Zahnkrone zu bezahlen. Als Grund gibt P an, die Krone habe in einem weiteren Termin nachgeschliffen werden müssen, er vermute Z habe behandlungsfehlerhaft gearbeitet. Was wird Anwalt R dem P raten?

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient R wird prüfen, ob die Rechnung des Z formell in Ordnung ist (§ 10 GoZ). Anschließend wird R prüfen, ob begründete Einwendungen oder Einreden bezüglich des geltend gemachten Honoraranspruches bestehen. In diesem Zusammenhang wird er P darauf hinweisen, dass ein Behandlungsfehler grds. nicht zum Wegfall des Honoraranspruches des Z führen würde, aber dass ggf. mit Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüchen aufgerechnet werden könnte. Der Honoraranspruch des Zahnarztes und auch des Arztes entfällt i.d.R. nur, wenn die ärztliche Leistung für den Patienten völlig unbrauchbar/nutzlos ist (vgl. OLG Koblenz – Urteil v. 1.9.2011 – 5 U 862/11 m.w.N.) oder bei einem schuldhaften, nicht nur geringfügigen vertragswidrigen Verhalten des Zahnarztes/Arztes (vgl. BGH – Urteil v. 29.03.2011 – VI ZR 133/10) bei z.B. groben, vorsätzlichen Behandlungsfehlern. Wenn bei P nun alles in Ordnung ist und er keine weiteren Beschwerden hat, wird R dem P raten, die Rechnung zu bezahlen.



Fall 79

F möchte sich von C die Krampfadern ambulant entfernen lassen. Der Mittwoch ist C’s OP-Tag. C arbeitet nach einem festen OP-Plan. Für den chirurgischen Eingriff an F hat C eine Stunde vorgesehen. Am OP-Tag fällt F ein, dass ihre Freundin Geburtstag hat. Statt sich in die Praxis der C zu begeben, macht sie sich in der Stadt auf die Suche nach einem Geburtstagsgeschenk. C ist sauer, dass sie eine Stunde rumsitzen musste bis der nächste Patient kam. Kann sie von F ihr Honorar verlangen? Ja. Gem. §§ 630b, 615 BGB behält der Arzt, wenn der Patient aus einem von ihm zu vertretenden Umstand nicht zum vereinbarten Termin erscheint, seinen Honoraranspruch. C muss sich jedoch anrechnen lassen was sie durch das Unterbleiben des Eingriffs erspart oder durch anderweitige Verwendung ihrer Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt (§ 615 S. 2 BGB). C kann also z.B. kein Narkosemittel in Rechnung stellen; wenn zufällig ein Patient vorbeigekommen wäre, hätte sie diesen behandeln und das dabei verdiente Honorar anrechnen müssen. Abwandlung: F wendet ein, gem. §§ 630b, 621 Nr. 5, 627 BGB stehe ihr das Recht zu, den Behandlungsvertrag mit C jederzeit zu kündigen. Dies habe sie durch ihr Nichterscheinen konkludent getan. Sie schulde C deshalb kein Honorar. Richtig?

Lektion 8: Die Pflichten des Patienten J(ein). F’s Auffassung zur Kündigung des Behandlungsvertrages ist zwar richtig. Aber aus der vertraglich geschuldeten Pflicht zur Rücksichtnahme auf den Vertragspartner wäre F verpflichtet gewesen, die Kündigung rechtzeitig und nicht zur Unzeit vorzunehmen. Um auf Nummer sicher zu gehen, kann C nur geraten werden, mit ihren Patienten eine Kündigungsfrist (etwa 24 Stunden) zu vereinbaren. Dies kann auch formularmäßig geschehen.



Fall 80

M ist mit seinem Bein umgeknickt. Sein Bein schmerzt und schwillt stark an. Unfallarzt U sagt M, er müsse M’s Bein röntgen. Was gilt es zu beachten? Der Behandlungsvertrag verpflichtet den Patienten auch, notwendige diagnostische Untersuchungen und Eingriffe sowie Behandlungen zu dulden. Damit U hier eine zuverlässige Diagnose stellen kann, obliegt M hinsichtlich des Röntgens eine passive Mitwirkungspflicht, nämlich eine Duldungspflicht. Diese lässt sich nun auch aus § 630 Abs. 1 BGB herleiten. Abwandlung: M weigert sich, sein Bein röntgen zu lassen. Was nun? Kommt Ihnen bekannt vor. Richtig – Sie haben bei Lektion 4 gut aufgepasst! Die Duldungspflicht des M ist durch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten begrenzt. U hat dies zu respektieren. Um sich nicht schadensersatzpflichtig zu machen, hat er M allerdings auf die Konsequenzen seiner Weigerung hinzuweisen. Falls es weniger gefährlichere Diagnoseund Therapiemöglichkeiten gäbe, wären diese auszuschöpfen. Abwandlung: Was wäre, wenn M geröntgt werden müsste, um festzustellen, (a) ob er wehrtauglich ist oder (b) wenn M Sozialleistungen wegen Minderung seiner Erwerbsfähigkeit infolge eines Bandscheibenschadens beantragt hätte? Hier gilt es gesetzliche Duldungspflichten zu beachten. Dabei unterscheidet man zwischen Untersuchungen und Behandlungen, die unmittelbar erzwingbar sind (wie in Variante (a) gem. § 17 IV, VI, VII WPflG; weitere Beispiele: § 81a StPO, § 101 StVollzG, § 372a ZPO, §§ 29, 30 IfSG) und solchen, bei denen – siehe Variante (b) die Weigerung lediglich zur Versagung bestimmter Leistungen führt (§§ 64,65 SGB I). § 630c Abs. 1

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient BGB dürfte Kategorie (b) zuordenbar sein: Versagung/Kürzung von Schadensersatz im erstmals abgewandelten Fall 80, wenn z.B. M einen Arzthaftungsanspruch auf eine fehlerhafte Diagnose stützen wollte.



Fall 81

P wollte sich von seinem Zahnarzt Z Implantate einsetzen lassen. Er wurde vor dem Eingriff ordnungsgemäß aufgeklärt. Während des Eingriffs trat eine äußerst seltene Blutgerinnungskomplikation ein. P hatte vergessen Z darauf hinzuweisen, dass sich seit längerer Zeit auffallende Hämatome an seinem Körper bildeten, wenn er auch nur leicht irgendwo anstieß und dass sein Hausarzt ihn schon einmal darauf hingewiesen hatte, dass er z.B. im Falle eines Unfalls gefährdet sei. Was gilt es in einem etwaigen Arzthaftungsprozess des P gegen Z zu beachten? Grds. obliegt es im Rahmen der Anamnese, Diagnose und Behandlung zunächst dem Arzt, den Patienten nach Vorerkrankungen und Unverträglichkeiten zu fragen. Den Patienten trifft in diesem Zusammenhang aber eine gewisse Offenbarungspflicht. Diese Nebenpflicht aus dem Arztvertrag verletzt der Patient, wenn er dem Arzt bewusst oder fahrlässig wichtige Vorerkrankungen und Unverträglichkeiten verschweigt. Hier hat P aus Nachlässigkeit Symptome verschwiegen, die keinesfalls alltäglich sind. Im Arzthaftungsprozess wird dies dazu führen, dass eine etwaige Schadensersatzpflicht des Z wegen des Mitverschuldens des P (§ 254 Abs. 1 BGB) gänzlich ausgeschlossen oder zumindest eingeschränkt sein wird (vgl. auch § 630c Abs. 1 BGB).

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Leitsatz 10 Pflichten des Patienten 1. Die Hauptpflicht des Privatpatienten gegenüber dem Arzt ist seine Zahlungspflicht. 2. Daneben treffen den Kassen-, wie auch den Privatpatienten Mitwirkungs-, Duldungs- und Offenbarungspflichten. Diese sind jedoch weder einklagbar, noch erzwingbar. Erfolgt ihre Verletzung jedoch schuldhaft, so führt dies dazu, dass der Patient dennoch verpflichtet bleibt, die Vergütung zu zahlen und dass eine Arzthaftung wegen Mitverschuldens i.S.d. § 254 BGB ausgeschlossen oder eingeschränkt ist.

Lektion 8: Die Pflichten des Patienten Anmerkung: Auch die Leistung am GKV-Patienten ist dem Arzt natürlich zu vergüten. Hier trifft die Zahlungspflicht nur – wie schon in Lektion 6 erwähnt – einen „Dritten“ i.S.d. § 630a Abs. 1 BGB – nämlich die KV.

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient

Lektion 9: Die ärztliche Vergütung Die ärztliche Vergütung bei der Behandlung von Privatpatienten­

Fall 82

Privatpatient PP hat plötzlich Glieder- und Ohrenschmerzen sowie hohes Fieber bekommen. Da er sich zu schwach fühlt, um zu seinem Hausarzt H in die Sprechstunde zu gehen, ruft er in der von seiner Wohnung 4 km entfernt liegenden Praxis des H an und bittet um einen Hausbesuch. H kommt in der Mittagspause vorbei. H untersucht PP, wozu er ihm u.a. mittels eines Holzspatels in den Rachen schaut. Danach tropft H dem PP gegen die Ohrenschmerzen sofort Ohrentropfen ein; außerdem lässt er PP zur weiteren Verwendung ein teures Grippemittel da, das er selbst für seinen Arzneimittelvorrat gekauft hat. An wen wird H später seine Rechnung schicken und wie wird er abrechnen? H wird seine Rechnung natürlich an denjenigen schicken, der ihm das ärztliche Honorar schuldet. Wenn Sie Lektion 6 durchgearbeitet haben, wissen Sie, dass sich der Honoraranspruch des Arztes bei der ärztlichen Behandlung von Privatpatienten direkt gegen die Partei des privatrechtlichen Behandlungsverhältnisses richtet. Hier ist – wiederhole Lektion 5 – zwischen H und PP durch konkludentes Handeln ein Behandlungsvertrag (§§ 630a ff. BGB) zustande gekommen, aufgrund dessen PP dem H Zahlung der ärztlichen Vergütung schuldet (§§ 630a I, 630b, 612 I BGB). Die Zahlungspflicht des PP ist – siehe Lektion 8 – dessen vertragliche Hauptpflicht gegenüber H. Dass letztendlich i.d.R. PP nicht auf dem ärztlichen Honorar „sitzen bleiben wird“, sondern sich dieses von seiner privaten Krankenversicherung zurückholen wird, ist juristisch ein völlig „anderer Schuh“, denn das Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Patient, mit dem wir es hier zu tun haben, ist grds. streng von dem Vertragsverhältnis zwischen Patient und privater Krankenversicherung zu trennen. H wird gegenüber PP auf der Grundlage der GOÄ abrechnen, denn H ist als Arzt im eigenen Namen tätig geworden, es ist durch Bundesgesetz kein sonstiger sozialrechtlicher Kostenschuldner (vgl. (SGB V, BVG, BSHG) bestimmt (§ 1 I GOÄ) und es kommt hier auch kein Querverweis

Lektion 9: Die ärztliche Vergütung in die GOZ in Frage (§ 6 I GOÄ). Generell können Sie sich an dieser Stelle merken:

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Leitsatz 11 GOÄ als Abrechnungsgrundlage beim Privatpatienten Beim Privatpatienten ist für den Arzt Ausgangspunkt jeder Rechnung die GOÄ (Gebührenordnung für Ärzte).

Bitte schauen Sie sich die Inhaltsübersicht der GOÄ an. Sie werden feststellen, dass die GOÄ selbst sehr knapp ist. Sie wird bezüglich der Gebühren jedoch durch ein detailliertes Gebührenverzeichnis ergänzt (§ 4 I GOÄ). § 3 GOÄ sieht als privatärztliche Vergütungen „nur“ (d.h. abschließend!) folgende vor:

Übersicht 17: Privatärztliche Vergütungsarten § 3 GOÄ

Gebühren §§ 2, 4 – 6a GOÄ i.V.m. Gebührenverzeichnis

Entschädigungen §§ 7 – 9 GOÄ

Auslagen § 10 GOÄ

H wird demzufolge gegenüber PP in Rechnung stellen: 1. Gebühren gem. §§ 4 I, 5 I, II GOÄ i.V.m. Gebührenverzeichnis 2. entfernungsabhängiges Wegegeld als Entschädigung für den Hausbesuch gem. §§ 7, 8 GOÄ sowie

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient 3. Ersatz von Auslagen gem. § 10 I Nr. 1 GOÄ für das dem PP zur weiteren Verwendung belassene Grippemittel; Für die Verwendung des Holzspatels und der Ohrentropfen ist gem. § 10 II Nr. 1, 4 GOÄ eine Berechnung ausgeschlossen. Die dem PP in Rechnung zu stellenden Gebühren ergeben sich durch Vornahme folgender Arbeitsschritte:

Übersicht 18: Privatärztliche Gebührenermittlung 1. Ermittlung der jeweiligen Punktzahl nach einer konkreten Gebührenziffer des Gebührenverzeichnisses gem. § 4 I GOÄ bzw. Analogbewertung (siehe dazu Fall 84 mit Abwandlung) 2. Wichtig: Die Leistungsbeschreibung ist genau zu lesen und der Leistungstext genau zu interpretieren. Abrechnungsausschlüsse – direkt aus dem Gebührenverzeichnis oder, vor allem bei komplexen Leistungen, durch das Zielleistungsprinzip (dazu gleich Fall 83 mit Abwandlung) – sind zu beachten! 3. Bestimmung des einfachen Gebührensatzes (1,0) durch Multiplikation der nach Schritt 1 ermittelten Punktzahl der einzelnen Leistung mit dem in § 5 I 3 GOÄ fest vorgegebenen Punktwert. 4. Festlegung  des Steigerungssatzes 5. Der Arzt kann den Steigerungsfaktor grundsätzlich innerhalb eines Rahmens von 1,0 – 3,5 (§ 5 I 1 GOÄ) „unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Zeitaufwandes der einzelnen Leistung sowie der Umstände bei der Ausführung“ und der „Schwierigkeit des Krankheitsfalles“ „nach billigem Ermessen“ bestimmen (§ 5 II 1, 2 GOÄ), wobei im „Normalfall“ die „Mittelgebühr“ bzw. „Regelgebühr“ von 2,3 festgesetzt werden darf. Ein Überschreiten des „Schwellenwertes“ von 2,3 ist nur durch Besonderheiten der genannten Bemessungskriterien möglich und vom Arzt besonders zu begründen (§ 12 III GOÄ). 6. Für medizinisch-technische Leistungen (§ 5 III GOÄ) und Leistungen nach §§ 5 IV, V, 5a GOÄ sind Besonderheiten zu berücksichtigen. 7. Multiplikation  des einfachen Gebührensatzes mit dem Steigerungssatz und ggf. Minderung der Gebühren bei stationären Leistungen gem. § 6a GOÄ.

Lektion 9: Die ärztliche Vergütung Abwandlung: Angenommen, PP unterschriebe H anlässlich des Hausbesuches eine von H mitgebrachte Honorarvereinbarung des Inhalts, dass H eine Pauschale von 250,00 Euro zu bekommen hätte. Käme H damit durch? Nein. Lesen Sie bitte § 2 GOÄ. Eine „Notfallbehandlung“ – wie hier – ist gem. § 2 I 4 GOÄ bereits nicht einer Honorarvereinbarung zugänglich. Im übrigen besteht keine Möglichkeit, die GOÄ durch Vereinbarung eines Pauschalhonorars in toto abzubedingen. Honorarabreden erlauben gem. § 2 I 1, 2 GOÄ nur eine von § 5 GOÄ abweichende Vervielfachung des Gebührensatzes (des sog. Multiplikators). Merken Sie sich der Vollständigkeit halber zum Stichwort Honorarvereinbarung bitte folgende drei wichtigen Punkte :

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Leitsatz 12 Honorarvereinbarung nach GOÄ 1. Honorarvereinbarungen sind in bestimmten Fällen (§ 2 I 2, 4, III GOÄ) von vornherein ausgeschlossen (Notfallbehandlung etc.). 2. Sofern sie in Betracht kommen, kann Gegenstand ausschließlich die Höhe des Steigerungssatzes sein. 3. Für die Wirksamkeit der Honorarvereinbarung sind die Voraussetzungen des § 2 II GOÄ streng zu beachten.



Fall 83

Privatpatient PP wird vom liquidationsberechtigtem Chefarzt C eine Prothese am Hüftgelenk eingesetzt (Alloarthoplastik). Auf die genaue Abfassung der Rechnung des C wollen wir hier nicht eingehen. Versuchen Sie bitte allein an Hand der GOÄ zu klären, ob C hinsichtlich des Eingriffs sowohl für die Operation, als auch für das Zunähen eine Gebühr ansetzen kann? Sind Sie fündig geworden? Die Frage lässt sich mit einem an etwas versteckter Stelle in der GOÄ enthaltenen wichtigen Prinzip klären: dem sog. Zielleistungsprinzip (§ 2a GOÄ). Nach dem Zielleistungsprinzip darf grds. eine einzelne Leistung nicht extra berechnet werden, wenn sie Teil

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient einer Komplexleistung ist. Um festzustellen, ob eine Leistung nur eine unselbständige Hilfs- bzw. „Teilleistung“ ist, ist von der Hauptleistung auszugehen und mit Hilfe der „Conditio-sine-qua-non- Formel“ zu fragen, ob sie ein methodisch notwendiger Schritt zum Erreichen der Hauptleistung ist. Hauptleistung ist hier eine fachgerechte Alloarthoplastik. Diese lässt sich ohne Eröffnung des OP-Feldes ebenso wenig beginnen, wie sie ohne Wundverschluss de lege artis als beendet angesehen werden kann. Ergebnis: das Zunähen ist ein methodisch notwendiger Einzelschritt; er ist in der abzurechnenden Leistung „Alloarthoplastik“ schon per se enthalten und kann deshalb nicht im Wege eines Baukastensystems noch einmal zur Vergütung angesetzt werden. Abwandlung: Sachverhalt wie vorhin. C stellt bei der Operation jedoch fest, dass der Schleimbeutel entzündet ist und entfernt diesen gleich mit. Ist die operative Beseitigung des Schleimbeutels gesondert abrechnungsfähig? Beachten Sie, dass nach medizinischem Standard die Entfernung des Schleimbeutels kein methodisch notwendiger Schritt bei Einsetzung einer Prothese im Hüftgelenk darstellt. Durch die Entzündung lag hier für die Schleimbeutelentfernung eine eigene Indikation vor. C hat am Körperteil Hüfte ein weiteres – neues – Hauptziel verfolgt. Die Entfernung des Schleimbeutels ist damit eine selbständige Leistung. Dass C dafür den eröffneten Operationszugang mit verwendet hat, steht der gesonderten Abrechenbarkeit nicht entgegen.



Fall 84

Privatpatient PP lässt von seinem Augenarzt L eine Hornhautplastik mittels Laser (sog. LASIK) durchführen. Als L seine Leistung abrechnen möchte, stellt er fest, dass dafür im Gebührenverzeichnis keine Ziffer enthalten ist. Was raten Sie L? Weisen Sie L den Weg einer Analogabrechnung über § 6 II GOÄ. Danach können selbständige Leistungen, die noch nicht im Gebührenverzeichnis enthalten sind entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden. L kann sich informieren, ob möglicherweise die Bundesärztekammer unverbindliche Empfehlungen zur Analogberechnung der von ihm erbrachten Leistung herausgegeben hat; wenn er dieser Empfehlung nicht folgen möchte oder keine Empfehlung findet, muss er selbst – zunächst im selben Abschnitt, ansonsten in einem anderen Kapitel der GOÄ oder

Lektion 9: Die ärztliche Vergütung sogar durch nebeneinander anzusetzende GOÄ-Ziffern einen Analogabgriff vornehmen. Für besonders Interessierte: Die LASIK wäre wie folgt abzurechnen: analog Ziff. 1345 (Originalziff. für Hornhautplastik) und analog Ziff. 5855 (Originalziff. für intraoperative Strahlenbehandlung mit Elektronen). Die analoge Bewertung müsste L übrigens auf seiner Rechnung kenntlich machen (§ 12 IV GOÄ). Abwandlung: Angenommen, PP wäre ein arabischer Scheich, der mit einem ganzen Gefolge angereist wäre und darauf bestände, dass während des Eingriffs drei Diener sowie ein Dolmetscher zur Verständigung anwesend wären. L findet, seine Leistung sei im Hinblick auf diese Besonderheiten nicht genügend bewertet. Könnte L eine weitere Analogberechnung vornehmen? Gehen Sie bitte davon aus, dass deutsches Recht anwendbar wäre. Achtung – Fangfrage! Die Antwort lautet – nein, denn die erwähnten Umstände bei der Ausführung des Eingriffs sind bereits über den Steigerungssatz gem. § 5 GOÄ zu lösen. Merken Sie sich: Was über den Steigerungssatz zu lösen ist, kann nicht Gegenstand einer analogen Bewertung sein!



Fall 85

A möchte von seinem Anwalt R generell wissen, wann seine Rechnungen gegenüber seinen Privatpatienten fällig werden, wann sie verjähren und wo sie ggf. einzuklagen wären. Was wird R antworten? Bezüglich der Fälligkeit sollte R den A auf die Schuldnerschutzbestimmung des § 12 GOÄ hinweisen und A mitteilen, dass eine formell unrichtige Rechnung die Fälligkeit der Vergütung hemmt. Hinsichtlich der Verjährung wird A erfahren, dass die Verjährungsfrist für Honoraransprüche grds. drei Jahre beträgt (§ 195 BGB), wobei streitig ist, wie § 12 GOÄ sich auf den Beginn der Verjährungsfrist auswirkt. Einzuklagen wäre das Arzthonorar gegenüber einem Privatpatienten vor den Gerichten der sog. ordentlichen Gerichtsbarkeit, also je nach Streitwert vor dem Amts- oder Landgericht (§§ 23 Nr. 1, 71 I GVG).

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient

Die ärztliche Vergütung bei der Behandlung von Kassenpatienten

Fall 86

Kassenpatient KP lässt von dem zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen A in dessen internistischen Praxis eine Magenspiegelung (Gastroskopie) durchführen. Wie wird A abrechnen? Haben Sie Lektion 6 fleißig durchgearbeitet? Falls nicht, blättern Sie bitte dorthin – zum „GKV-Viereck“ nebst Erläuterungen – zurück. Dort erfahren Sie, dass einer der wichtigsten Unterschiede zwischen Privatund Kassenpatient darin besteht, dass der Anspruch des Arztes auf Honorierung seiner Leistungen an Kassenpatienten sich grds. nicht direkt gegen den Patienten, sondern gegen die KV richtet. Deshalb halten wir als Ausgangspunkt unserer Falllösung fest: A wird nicht gegenüber KP, sondern gegenüber seiner KV abrechnen. Dies geschieht in folgenden grob skizzierten Schritten: 1. A rechnet i.d.R. nach Ablauf eines Kalendervierteljahres seine auf den Abrechnungsscheinen aufgeführten Leistungen an all seinen Kassenpatienten, darunter auch die an KP, mit der KV ab. Merken Sie sich bitte in diesem Zusammenhang:

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Leitsatz 13 EBM als Abrechnungsgrundlage beim Kassenpatienten Abrechnungsgrundlage des Arztes in der vertragsärztlichen Versorgung von Kassenpatienten ist grundsätzlich der sog. Einheitliche Bewertungsmaßstab – kurz: EBM (§§ 87 I 1, 82 I 2, 81 III Nr. 1 SGB V i.V.m. KV-Satzung).

Beachten Sie zum EBM bitte noch folgende wichtigen Hinweise: –– Der EBM ist eine abschließende Regelung der in der vertragsärztlichen Versorgung abrechnungsfähigen Leistungen und ihres Inhalts. –– Der EBM ist aber, anders als die GOÄ, keine Gebührenordnung, weil er keine für den Arzt abrechnungsfähigen Gebührensätze enthält. Der

Lektion 9: Die ärztliche Vergütung Wert der im Leistungsverzeichnis des EBM bestimmten Punkte ergibt sich vielmehr erst aus dem Zusammenwirken von Gesamtvergütung und Honorarverteilungsregelung der jeweiligen KV. 2. Die KV prüft sodann die Abrechnung des A in sachlich-rechnerischer Hinsicht (§ 106a SGB V i.V.m. AbrPr-RL). Sie würde also z.B. prüfen, ob A Vertragsarzt ist, ob die Abrechnung mit dem EBM konform ist, ob A die erforderlichen fachlichen Qualifikationen hat, ob A’s apparative Ausstattungen den Qualitätssicherungsvorgaben entsprechen, ob die Fachgebietsgrenzen eingehalten worden sind. Auch der von A abgerechnete Zeitrahmen kann hierbei von der KV mit der besonderen Methode der sog. Plausibilitätsprüfung näher beleuchtet werden. 3. Anschließend erlässt die KV unter Anwendung ihrer Honorarverteilungsregelungen, in denen festgelegt ist, wie die von den Krankenkassen gezahlte Gesamtvergütung unter den Vertragsärzten aufzuteilen ist (§§ 85 ff. SGB V), gegenüber A einen Honorarbescheid. Bereits geleistete Abschlagszahlungen der KV, Verwaltungskosten etc. werden berücksichtigt. Von der durchgeführten Magenspiegelung an KP bis zu deren endgültigen Vergütung, liegt wie Sie sehen, ein langer streng reglementierter Weg mit offenem Ende, denn A’s Honorar kann auf verschiedenen Ebenen Kürzungen erfahren: (1) im Rahmen der sachlich-rechnerischen Richtigstellung inkl. Plausibilitätskontrolle, (2) im Rahmen der Honorarverteilung durch Begrenzungsregelungen und (3) im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung. Übrigens: Auch die Krankenkassen schauen A genau auf die Finger und können bei entsprechender Veranlassung gezielte Prüfungen durch die KV oder eine Wirtschaftlichkeitsprüfung beantragen (§ 106a III, IV SGB V).



Fall 87

H ist nicht zur fachärztlichen, sondern nur zur hausärztlichen Versorgung zugelassen. Würde H eine an einem Kassenpatienten (KP) durchgeführte Magenspiegelung vergütet bekommen? Nein, denn als zur hausärztlichen Versorgung zugelassener Arzt kann H nicht Leistungen, die laut EBM von einem Facharzt durchzuführen sind, abrechnen.

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient Abwandlung: H führt dennoch bei KP eine Magenspiegelung durch und rechnet diese wider besseres Wissen gegenüber der KV ab. Was passiert? Hätte es Auswirkungen auf die Falllösung, wenn H unbelehrbar und in den letzten Quartalen bereits wiederholt durch Abrechnungsmanipulationen und fragliche Indikationen bezüglich seiner abgerechneten Leistungen aufgefallen wäre? Die von H für die Magenspiegelung abgerechnete Ziffer würde bereits im Rahmen der sachlich-rechnerischen Prüfung „durchfallen“, da H als zur hausärztlichen Versorgung zugelassener Arzt keine fachärztlich-internistische Leistung abrechnen kann. Die KV würde im Normalfall zusammen mit dem Honorarbescheid einen entsprechenden Berichtigungsbescheid erlassen. Bei wiederholten Abrechnungsauffälligkeiten und/oder Zweifeln, ob die von H abgerechneten Leistungen überhaupt indiziert gewesen sind, könnte die KV das Abrechnungsverfahren H zunächst sogar aussetzen und eine Wirtschaftlichkeitsprüfung beantragen (§ 106 IV SGB V). H würden durch die Wirtschaftlichkeitsprüfung weitere Honorarkürzungen oder auch Regressforderungen drohen. Beachten Sie bitte in diesem Zusammenhang, dass für die sachlichrechnerische Richtigstellung inkl. Plausibilitätskontrolle ein anderes Gremium als für die Wirtschaftlichkeitsprüfung zuständig ist. Während erstere von der KV vorgenommen wird, erfolgt letztere vor einem Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzteschaft und Krankenkassen (Prüfungsstelle; Beschwerdeausschuss in zweiter Instanz). Zusatzfrage: Fallen Ihnen weitere Maßnamen ein, die H im Falle wiederholter vorsätzlicher Abrechnungsmanipulationen drohen würden? Denken Sie an die Lektionen aus dem Berufs- und Zulassungsrecht zurück (Lektion 1 und 3). Je nach Häufigkeit und Schwere der Verfehlungen des H kämen noch folgende Maßnahmen in Betracht: (1) Disziplinarverfahren vor der KV, (2) Zulassungsentziehungsverfahren vor dem Zulassungsausschuss, (3) Berufsgerichtliches Verfahren vor der Ärztekammer, (4) Approbationsentzugs- bzw. Approbationswiderrufsverfahren vor der Approbationsbehörde, (5) Strafrechtliches Ermittlungsverfahren (dazu später in Lektion 15).

Lektion 9: Die ärztliche Vergütung Abwandlung: H überlegt im Hinblick auf das Verbot der Abrechnung „fach-/zulassungsfremder“ Leistungen mit KP wegen der Magenspiegelung eine privatrechtliche Zusatzvereinbarung abzuschließen und gegen den EBM und die Honorarverteilungsregelungen seiner KV gerichtlich vorzugehen. Was meinen Sie zu diesem Ansinnen des H? Gehen sie für die Falllösung bitte davon aus, dass KP die Magenspiegelung auch von einem anderen Arzt als H durchführen lassen würde; KP ist wichtiger, dass er nicht selbst zahlen muss. Im EBM ist die Magenspiegelung vorgesehen, allerdings nur als fachärztliche Leistung. D.h., KP hat einen Anspruch auf Durchführung einer Magenspiegelung durch einen zugelassenen Facharzt. Wenn H die Magenspiegelung nicht abrechnen darf, weil er nur zur hausärztlichen Versorgung zugelassen ist, muss er KP zu einem Facharztkollegen überweisen. H kann nicht eigenmächtig dem System mittels einer privatrechtlichen Zusatzvereinbarung ausweichen, wenn ihm das Ergebnis nicht zusagt. H kann auch nicht direkt gegen den EBM und die Honorarverteilungsregelungen seiner KV gerichtlich vorgehen, denn es handelt sich bei beiden Regelungen um vertragliche Regelungen, bei denen H selbst nicht Vertragspartei ist. Die Regelungen entfalten lediglich normative Wirkung und Verbindlichkeit gegenüber H (§§ 87 I 1, 82 I 2, 81 III Nr. 1 bzw. 85 IV SGB V). EBM und Honorarverteilungsregelungen sind somit nur inzident und wegen des sehr weiten Regelungs- und Gestaltungsspielraums der beteiligten Gremien auch nur in engen Grenzen im Rahmen von Rechtsmitteln gegen den Honorarbescheid überprüfbar.



Fall 88

Die KV setzt nach Durchführung des in Fall 86 dargestellten Abrechnungsverfahrens die Vergütung des A mittels Honorarbescheid fest. Der Honorarbescheid enthält aber Kürzungen gegenüber der Abrechnung des A. Kann A gegen den Honorarbescheid vorgehen? Der Honorarbescheid ist ein Verwaltungsakt i.S.d. §  31 SGB X. A kann dagegen zunächst Widerspruch einlegen. Ist der Widerspruch nicht erfolgreich, kann A Klage vor dem Sozialgericht einreichen (§§ 62 SGB X, 51 I Nr. 2 ff. SGG). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass weder Widerspruch, noch Klage gegen die Honorarfestsetzung aufschiebende Wirkung haben (§ 85 IV 9 SGB V)! Soll diese

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient gleichwohl erreicht werden, bedarf es eines einstweiligen Rechtschutzverfahrens. Damit Sie auch bei der ärztlichen Vergütung den Überblick behalten:

Übersicht 19: Unterschiede der privat- und kassenärztlichen Vergütung Wesentliche Unterschiede der privat- und kassenärztlichen Vergütung Privatärztliche Vergütung

Kassenärztliche Vergütung

Honorarschuldner

Vertragspartner des privatärztlichen Behandlungsvertrages, i.d.R. Privatpatient selbst

KV Ausn: § 13 SGB V, § 18 VIII Nr. 1 – 3 BMV-Ä, IGeL

Abrechnungsgrundlage

GOÄ absolute Bewertung; relativ starr, da nur durch RVO mit Zustimmung des Bundesrats änderbar

EBM/Honorarverteilungsregelungen, relative abstrakte Bewertung; da vertragliche Regelung mit normativer Wirkung leichter abzuändern

Analogie­ möglichkeit

Ja

Nein

Möglichkeit einer Honorar­ vereinbarung

Ja (§ 2 GOÄ)

Nein (abschließende Regelung) Ausnahme: IGeL

Honorar­ ausweis

Rechnung

Honorarbescheid

Rechtsmittel

Klage vor Amts- oder Landgericht (je nach Streitwert)

Widerspruch/Klage vor Sozialgericht Beachte: § 85 IV 9 SGB V

Lektion 9: Die ärztliche Vergütung

IGeL-Leistungen

Fall 89

KP möchte in Asien Tauchurlaub machen. Er bittet seinen Hausarzt H ihn reisemedizinisch zu beraten und eine tauchsportliche Eignungsuntersuchung durchzuführen. Wie wird H abrechnen? Wie gehen Sie vor? Da KP Kassenpatient ist, müssen Sie zunächst klären, ob die von KP begehrten Maßnahmen Gegenstand des GKV-Leistungskataloges, also des EBM sind. Wenn ja, müsste H die reisemedizinische Beratung und die tauchsportliche Untersuchung entsprechend den für Vertragsärzte geltenden Regelungen mit der KV abrechnen. Die mühsame Suche im EBM soll Ihnen an dieser Stelle erspart bleiben: Reisemedizinische Beratung und Sporttauglichkeitsuntersuchungen sind wegen des in der GKV geltenden Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) nicht Gegenstand des GKV-Leistungskataloges. Da sie gleichwohl von Kassenpatienten nachgefragt, „verlangt“ werden und ihre Erbringung ärztlich empfehlenswert bzw. vertretbar ist, sind sie ausnahmsweise direkt gegenüber KP auf der Grundlage der GOÄ abrechenbar. Wir merken uns also:

Übersicht 20: IGeL-Leistungen IGeL-Leistungen sind Leistungen, die von Kassenpatienten verlangt werden, ohne dass ein Anspruch gegenüber der GKV auf Erbringung dieser Leistungen besteht. ––Die Abrechnung der IGeL-Leistungen erfolgt auf der Grundlage der GOÄ. Dabei ist es wichtig, dass der Arzt, wenn er haftungsrechtliche Konsequenzen vermeiden möchte, den Patienten ausreichend wie folgt aufklärt: 1. Was bekommt der Patient als GKV-Sachleistung „umsonst“? 2. Warum ist die IGeL-Leistung nicht Gegenstand der GKV 3. Welche Alternative wäre noch GKV-fähig? ––Damit ein Vergütungsanspruch entsteht, ist es grundsätzlich notwendig, dass die schriftliche Zustimmung des Patienten vor Behandlungsbeginn eingeholt wird (§ 18 VIII Nr. 3 BMV-Ä bzw. § 21 VIII Nr. 3 EKV-Ä).

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Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient Tipp: Bei der Frage, welche Leistungen als IGeL-Leistungen abrechenbar sind, können Sie sich an den IGeL-Listen der KBV orientieren. Zum Schluss noch ein steuerlicher Gesichtspunkt:



Fall 90

M lässt sich vom Schönheitschirurgen S Fett absaugen. Darf S auf seiner Rechnung auch Umsatzsteuer von M verlangen? Grundsätzlich sieht die GOÄ im Gegensatz zur BRAGO nicht vor, dass Umsatzsteuer geltend gemacht wird. § 4 Nr. 14 UStG sieht für ärztliche Tätigkeiten sogar grds. Umsatzsteuerfreiheit vor. Voraussetzung dieser Privilegierung ist jedoch, so wurde dies vom EUGH bereits für anthropologisch-erbbiologische Vaterschaftsuntersuchungen und Arztgutachten zur Verfolgung von Rechtsansprüchen entschieden, dass die ärztliche Leistung der Behandlung einer Krankheit oder Gesundheitsstörung und damit dem Schutz der menschlichen Gesundheit dient. Die hier erbrachte IGeL-Leistung dürfte kaum noch als Heilkunde angesehen werden, so dass S auch Umsatzsteuer in Rechnung stellen kann.

Lektion 10: Haftungsgrundlagen

III.

Arzthaftung

Lektion 10: Haftungsgrundlagen

Fall 91

P lässt von A in dessen internistischen Praxis eine Magenspiegelung durchführen. Kurze Zeit später merkt P, dass ein Zahn locker ist. Er meint, der Gebissschaden sei durch die Magenspiegelung entstanden. (a) Aufgrund welcher Vorschriften kommt eine Haftung des A in Betracht? Wo suchen Sie, wie gehen Sie vor? (b) Was könnte P von A im Rahmen der Arzthaftung überhaupt verlangen? (c) Würde es für die Frage nach einer Haftungsgrundlage für ärztliches Fehlverhalten und die Frage nach einer ggf. gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen aus Arzthaftung darauf ankommen, ob P Kassen- oder Privatpatient wäre? Zu Frage 91 (a): Dem Grundsatz „lex specialis derogat legis generalis“ entsprechend, müssten Sie, wenn Sie systematisch vorgehen möchten, zunächst fragen, ob es für die Arzthaftung eine spezielle Regelung gibt. Schauen Sie sich die §§ 630a – h BGB an. Finden Sie dort eine arzthaftungsrechtliche Anspruchsgrundlage? Nein. Sie finden in § 630h BGB nur spezielle haftungsrechtliche Beweislastregeln für die Arzthaftung (dazu gleich mehr in Lektion 13). Fazit: Es gelten die allgemeinen Haftungsgrundsätze des BGB. Hinweis: Für diejenigen, die einen ersten Einblick in das Haftungsrecht nehmen bzw. Ihre Kenntnisse auffrischen möchten, sei auf „BGB leicht gemacht®“ (insbesondre Lektionen 6 und 9) verwiesen. In „Arztrecht – leicht gemacht®“ werden, wie es der Titel nahe legt, nur spezielle arzthaftungsrechtliche Fragen dargestellt. Nun aber zurück zu unserer Falllösung: Schlagen Sie bitte § 280 I BGB und § 823 I BGB auf uns lesen Sie die Vorschriften. Es handelt sich hierbei um die wichtigsten Vorschriften der Arzthaftung! § 280 I BGB ist der Grundtatbestand der vertraglichen Haftung, während § 823 I BGB der Grundtatbestand der deliktsrechtlichen Haftung ist. Weil beide Vorschriften so wichtig sind, wollen wir, bevor wir unseren Fall weiter lösen, ihre Voraussetzungen in folgenden beiden Übersichten aufzählen:

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Arzthaftung

Übersicht 21: Vertragliche ­Arzthaftung Voraussetzungen der vertraglichen ­Arzthaftung gem. § 280 I 1 BGB 1. Bestehendes Schuldverhältnis – Behandlungsverhältnis (Vertrag, z.B. §§ 630a, 631, 662 BGB oder gesetzliches Schuldverhältnis z.B. gem. § 677 BGB) 2. Pflichtverletzung ––Verletzung einer Haupt- oder Nebenpflicht durch ärztliches Fehlverhalten ––Tun oder Unterlassen (dazu näher in ­Lektion 11 und 12) 3. Verschulden 4. Primärschaden aufgrund haftungsbegründender Kausalität/ Sekundärschaden aufgrund haftungsausfüllender Kausalität

Übersicht 22: Deliktische ­Arzthaftung Voraussetzungen der deliktischen ­Arzthaftung gem. § 823 I BGB 1. Verletzung eines geschützten Rechtsguts ––Leben ––Körper ––Gesundheit ––sonstiges Recht (z.B. allgemeines Persönlichkeitsrecht oder Selbst­bestimmungsrecht des Patienten) durch Tun oder Unterlassen 2. Rechtswidrigkeit 3. Verschulden 4. Primärschaden aufgrund haftungsbegründender Kausalität­/ Sekundärschaden aufgrund haftungsausfüllender Kausalität

Lektion 10: Haftungsgrundlagen Fällt Ihnen dabei etwas auf? Für die vertragliche, wie für die deliktische Haftung gilt das Verschuldensprinzip. Auch Prüfungspunkt 4 – Kausalität – ist identisch. Wenn Sie die eben dargestellten Übersichten auf unseren „Magenspiegelungsfall“ 91 übertragen, können Sie Frage (a) wie folgt beantworten: Zwischen P und A lag ein Behandlungsvertrag vor, der A u.a. zur fachgerechten Durchführung der Magenspiegelung verpflichtete (§ 630a BGB). Zu dieser Zwischenfeststellung müssten Sie, wenn Sie Lektion 5 und 7 durchgearbeitet haben problemlos gelangen. Gleichzeitig geht P davon aus, dass A bei Durchführung der Magenspiegelung durch einen physischen Eingriff seinen Körper (ein Rechtsgut des § 823 I BGB) – die Unversehrtheit seines Zahnes / Gebisses – verletzt hat. Ob die weiteren Voraussetzungen des § 280 I BGB und des § 823 I BGB vorliegen, wollen wir an dieser Stelle noch nicht klären. Wir konzentrieren uns hier zunächst lediglich auf die Frage, welche Haftungsgrundlagen überhaupt in Betracht kommen. Kennen Sie noch eine weitere deliktsrechtliche Haftungsgrundlage, die vorliegend geprüft werden sollte? Lesen Sie im Deliktsrecht – bei § 823 I BGB einen Absatz weiter! A würde gem. § 823 II BGB auch haften, wenn er gegen ein den „Schutz eines anderen bezweckendes Gesetzes“ verstoßen hätte. Wir haben vorhin gehört, dass hier eine Körperverletzung in Frage kommt. Fällt Ihnen ein Gesetz ein, das den Tatbestand einer Körperverletzung enthält? Natürlich – das StGB – §§ 223, 229 StGB. §§ 223, 229 StGB sind „Schutzgesetz“ i.S.d. § 823 II BGB. Wir halten also fest: Für A kommt gegenüber P sowohl eine vertragliche Haftung gem. § 280 I BGB, als auch eine deliktsrechtliche Haftung gem. § 823 I BGB bzw. §§ 823 II BGB i.V.m. §§ 223, 229 StGB in Betracht. Zu Frage 91 (b): Lesen Sie die Ihnen nun bekannten Haftungsvorschriften: §§ 280 I, 823 I BGB sowie 823 II BGB i.V.m. § 223 StGB. Sie alle ordnen als Rechtsfolge Schadensersatz an. Was alles darunter fällt, finden Sie in den §§ 249 ff. BGB und für deliktsrechtliche Ansprüche zusätzlich in den §§ 842 ff. BGB. Danach umfasst der Anspruch auf Schadensersatz zunächst den Geldbetrag, der erforderlich ist, den Schaden zu beseitigen. Im Falle des P wäre z.B. an Zahnarztkosten, Fahrtkosten zum Zahnarzt und Verdienstausfall zu denken. Daneben kann P aber auch Schmerzensgeld gem. § 253 II BGB von A verlangen. Prägen Sie

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Arzthaftung sich § 253 II BGB gut ein. Er bezweckt Ausgleich und Genugtuung und spielt im Arzthaftungsrecht eine enorm wichtige Rolle. Zur Bemessung der Schmerzensgeldhöhe gibt es Tabellen mit Rechtsprechung als Orientierungshilfe. Die gängigsten Schmerzensgeldtabellen finden Sie in: Hacks, Ring, Böhm, Schmerzensgeld vom Deutschen Anwalt Verlag und in Slizyk, Beck’sche Schmerzensgeldtabelle. Zu Frage 91 (c): Nein. Wie Sie schon aus Lektion 5 und 6 wissen, gelten sowohl für Selbstzahler, als auch für Kassenpatienten die gleichen Anspruchsgrundlagen des BGB für eine Arzthaftung. Auch sind sowohl Ansprüche von Privat-, wie auch Ansprüche von Kassenpatienten wegen Arzthaftung vor den Zivilgerichten geltend zu machen (§§ 23 Nr. 1, 71 GVG).



Fall 92

Soldat S trat bei seinem Einsatz im Kongo auf eine Landmine. Aufgrund einer anschließenden Fehlbehandlung durch den zuständigen Truppenarzt T leidet S an diversen Folgeschäden. Welche Haftungsgrundlage kommt gegenüber T in Betracht und wo müsste S seine Schadensersatzund Schmerzensgeldansprüche einklagen? Erinnern Sie sich an Lektion 5? Dort haben wir erfahren, dass in Ausnahmefällen das ärztliche Behandlungsverhältnis nicht privatrechtlicher, sondern – wie vorliegend – hoheitlicher Natur ist. Eine schuldrechtliche, insb. vertragsrechtliche Haftungsgrundlage scheidet dann von vornherein aus. Wir haben es in Fällen hoheitlichen Handelns mit der Staatshaftung gem. Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB zu tun. Danach haftet unmittelbar und ausschließlich die Körperschaft, in deren Diensten T steht. S würde also die Bundesrepublik Deutschland verklagen, und zwar unabhängig von der Höhe des Anspruchs vor dem Landgericht (§§ 71 II Nr. 2, 23 GVG). Damit wir den „roten Faden“ nicht verlieren merken wir uns: Der Arzt haftet bei privatrechtlichem Handeln gegenüber dem Patienten aufgrund vertraglicher und deliktsrechtlicher Vorschriften des BGB auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Bei ärztlicher Tätigkeit im Bereich hoheitlichen Handelns gilt Staatshaftungsrecht gem. Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB. Wichtig: Vertragliche und deliktsrechtliche Ansprüche können nebeneinander und unabhängig voneinander geltend gemacht werden.

Lektion 10: Haftungsgrundlagen In der Praxis haben die unterschiedlichen Haftungsgrundlagen aber kaum Bedeutung, da die zentralen Probleme in gleicher Weise gelöst werden. Die Schlechterfüllung des Behandlungsvertrages ist gleichzeitig als deliktsrechtlich relevante Körperverletzung zu qualifizieren. Während Sorgfaltsmaßstab, Kausalitätsanforderungen und Schadensersatz inkl. Schmerzensgeld im Wesentlichen identisch sind, reduziert sich der Hauptunterschied lediglich in der Frage des Einstehenmüssens für das Verhalten von Hilfspersonen gem. § 278 BGB bzw. § 831 BGB sowie auf die Privilegierung beamteter Ärzte durch das sog. Verweisungsprivileg (§ 839 BGB). Dazu die folgenden Fälle:



Fall 93

P begibt sich in die Praxis des A zur Magenspiegelung. Diese wird aber nicht von A selbst, sondern von A’s angestellten Dauerassistenten D (§ 32 b Ärzte-ZV) durchgeführt. Gegen wen könnte P Schadensersatzund Schmerzensgeldansprüche geltend machen? Zeichnen Sie sich die verschiedenen Rechtsbeziehungen auf: Behandlungsvertrag P

A D

Gehandelt hat D. Also käme schon einmal ein deliktsrechtlicher Anspruch des P gegen D gem. § 823 I BGB bzw. § 823 II BGB i.V.m. §§ 223, 229 StGB in Betracht. Ist D auch Vertragspartner des P geworden? Erinnern Sie sich an Lektion 6. Der Behandlungsvertrag kommt i.d.R. zwischen P und dem Praxisinhaber – A – zustande. Der angestellte D ist beim Abschluss des Behandlungsvertrages lediglich Vertreter i.S.d. § 164 BGB. Zwischen P und D bestehen also keine vertraglichen Beziehungen. Daraus folgt, dass § 280 I BGB im Verhältnis P – D als Haftungsgrundlage ausscheidet. Vertragspartner des Behandlungsvertrages des P ist A geworden. Somit kommt im Verhältnis A – P ein Anspruch gem. § 280 I BGB in Betracht. Wie rechnen Sie A das Fremdverhalten des D im Rahmen des schuldrechtlichen Haftungstatbestandes – § 280 I BGB – zu? Wenn Sie ein wenig vorblättern, stoßen Sie auf § 278 BGB. Merken Sie sich auch diese Vorschrift. A hat sich des D, indem er diesen die dem P aufgrund des

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Arzthaftung Behandlungsvertrages A–P geschuldete Magenspiegelung durchführen ließ, bedient. D war „Erfüllungsgehilfe“. § 278 S. 1 (2) BGB bewirkt, dass das Verschulden des D, sofern es denn vorläge, dem A zugerechnet werden würde. Kommen auch deliktische Ansprüche des P gegen A in Betracht, obwohl A die Magenspiegelung nicht selbst vorgenommen hat? Blättern Sie bitte zu § 831 BGB. § 831 I 1 BGB eröffnet die Haftung auch gegen denjenigen, der die Schädigung eines Patienten nicht unmittelbar verursacht hat, sondern einen anderen, der seinen Weisungen unterliegt, zur Durchführung einer Verrichtung einsetzt (Verrichtungsgehilfe). D unterliegt als Angestellter dem Weisungsrecht seines Arbeitgebers A. D hat für seinen Geschäftsherrn A eine Aufgabe verrichtet – die Magenspiegelung. Beachten Sie aber bitte den dogmatischen Unterschied: während über § 278 BGB eine Zurechnung des Verschuldens des D erfolgt, A also für fremdes Verschulden, ohne Rücksicht auf sein eigenes Verhalten haftet, kommt es bei § 831 BGB auf die Frage, ob D ein Verschulden zur Last gelegt werden kann, gar nicht an. § 831 BGB normiert eine Haftung des A weil er unterstellt, sprich: vermutet, dass A als Geschäftsherr bei der Auswahl, Überwachung und Ausstattung des D ein Verschulden trifft und dass der Schaden – lockerer Zahn – mit diesem Versäumnis zusammenhängt. § 831 I 2 BGB gewährt A zwar eine Exculpationsmöglichkeit, allerdings hat die Rechtsprechung die Anforderungen an den Entlastungsbeweis mittlerweile im Bereich der Arzthaftung so hoch gesteckt, dass § 831 I 2 BGB nur in Ausnahmefällen zu einer Entlastung führen kann und grds. rein faktisch auf das gleiche Ergebnis wie § 278 BGB – also eine Haftung des A für Fremdverhalten – hinausläuft. Ergebnis: P kann sowohl gegen D gem. §§ 823 I BGB, 823 II BGB i.V.m. §§ 223, 229 StGB, als auch gegen A gem. §§ 280 I i.V.m. 278, 831 I BGB vorgehen. Abwandlung: Stellen Sie sich vor, die angeblich fehlerhaft durchgeführte Magenspiegelung sei während eines stationären Aufenthalts des P im Krankenhaus passiert. Vorgenommen worden wäre sie vom Krankenhausarzt K. Gegen wen müsste P seine Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nun richten?

Lektion 10: Haftungsgrundlagen

P

Krankenhausaufnahmevertrag

Krankenhaus-Träger (X) K

Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte gehen wir hier vom Regelfall der stationären Krankenhausbetreuung des GKV-Patienten aus. Wissen Sie noch welches Vertragsmodell gemeint ist? Richtig – der einheitliche, sog. totale Krankenhausaufnahmevertrag. Wer sind die Vertragsparteien? Es sind der Träger des Krankenhauses – X – und P. Ergo: Ansprüche des P gegenüber X gem. § 280 I i.V.m. § 278 BGB. Über § 278 BGB rechnen wir dem Träger des Krankenhauses das Verschulden seines Erfüllungsgehilfen K zu. Wie sieht es bei den deliktischen Haftungsgrundlagen aus? Anspruch des P gegen K als unmittelbar Handelnden gem. §§ 823 I BGB, 823 II BGB i.V.m. 223, 229 StGB. Daneben – Anspruch gegen X gem. § 831 I BGB, da K als Verrichtungsgehilfe Aufgaben des Krankenhausträgers wahrnimmt. Werfen Sie bei dieser Gelegenheit einen Blick auf § 840 BGB. Z und X würden als Gesamtschuldner haften (§§ 421 ff. BGB). Zusatzfrage: Fällt Ihnen eine Konstellation ein, in der Sie auch zu einer (Eigen)haftung des Krankenhausträgers, also des Geschäftsherrn, nach § 823 I BGB kämen? Denken Sie an Organisationsmängel – wenn z.B. nicht dafür gesorgt worden wäre, dass wegen Überlastung statt eines Arztes eine Krankenschwester die Magenspiegelung durchgeführt hätte (vgl. dazu auch Lektion 11). Wir merken uns: Der niedergelassene Arzt oder der Krankenhausträger haften auch für die bei ihnen beschäftigten und in ihrer Verantwortung stehenden ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeiter – grob gesagt: für nachgeordnetes Personal –: Bei vertraglichen Ansprüchen über § 278 BGB, bei deliktischen gem. § 831 BGB bzw. direkt gem. § 823 I BGB bei Organisationsmängeln. Abwandlung: Was wäre, wenn P die Magenspiegelung im Belegkrankenhaus K durch den Belegarzt B hätte vornehmen lassen. Ist B Erfüllungsbzw. Verrichtungsgehilfe?

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Arzthaftung

P

Behandlungsvertrag „Magenspiegelung“

Belegarzt B

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Krankenhaus

Erfüllungsgehilfe i.S.d. § 278 BGB ist, wer mit Willen des Schuldners bei der Erfüllung von dessen Pflicht tätig wird. Wer schuldet P beim Belegarztmodell was? Erinnern Sie sich: Beim Belegarztmodell ist der Krankenhausaufnahmevertrag gespalten mit der Folge, dass wir getrennte Leistungs- und Haftungsbereiche haben. Der Träger des Krankenhauses schuldet nur die pflegerische und medizinische Betreuung außerhalb der ärztlichen Leistungen des B. Schuldner der Magenspiegelung, um die es hier geht, ist B selbst. B vollzieht hinsichtlich der Magenspiegelung keine weisungsabhängige Verrichtung des Krankenhauses und ist deshalb auch nicht Verrichtungsgehilfe i.S.d. § 831 BGB, sondern in seinem Bereich selbst Geschäftsherr. D.h., soweit es um die Magenspiegelung geht, müsste P seine Ansprüche gegen B richten (§§ 280 I, 823 I, 823 II BGB i.V.m. 223, 229 StGB). Abwandlung: Nehmen Sie nun an, P sei aufgrund eines totalen Krankenhausvertrages mit Arztzusatzvertrag vom Assistenzarzt Z des Chefarztes C behandelt worden. Wessen Erfüllungs- bzw. Verrichtungsgehilfe wäre Z bei Durchführung der Magenspiegelung? Grenzen Sie wieder die vertraglichen und deliktischen Beziehungen voneinander ab:

Lektion 10: Haftungsgrundlagen

P

Krankenhausaufnahmevertrag

Krankenhausträger

r ve tz sa Zu

Assistenzarzt Z

tra g

Chefarzt C Z ist Erfüllungs- bzw. Verrichtungsgehilfe für (1) den Krankenhausträger und gleichzeitig (2) für C. Zwar hat P mit dem Krankenhausträger nur einen Vertrag über die allgemeinen Krankenhausleistungen geschlossen, da aber die Wahlleistungsvereinbarung – P – Krankenhausträger – Voraussetzung des Arztzusatzvertrages – P–C – ist und mit diesem eine rechtliche Einheit bildet (vgl. Lektion 6), übernimmt der Krankenhausträger auch beim Wahlleistungspatienten eine eigene Verpflichtung zur stationären ärztlichen Versorgung, so dass Z nicht nur eine Verpflichtung des C, sondern auch eine solche des Krankenhausträgers erfüllt und insoweit auch den Weisungen beider unterliegt. Selbstverständlich käme gegen Z als unmittelbar Handelnden auch eine Haftung gem. §§ 823 I, 823 II i.V.m. Schutzgesetz in Betracht. Weitere Abwandlung: Sachverhalt wie eben, nur nimmt dieses Mal C selbst die Magenspiegelung vor (Z lassen wir also außer Acht). Würde der Krankenhausträger auch für ein etwaiges schuldhaftes Verhalten seines Chefarztes C haften? Gehen Sie für Ihre Lösung davon aus, dass der Krankenhausträger eine juristische Person ist. Der Krankenhausträger ist wie wir eben gehört haben, nicht nur beim totalen, sondern auch beim totalen Krankenhausaufnahmevertrag mit Zusatzvertrag selbst gegenüber P zur stationären ärztlichen Versorgung verpflichtet. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung bedient er sich des C, d.h. C ist Erfüllungsgehilfe i.S.d. § 278 BGB. Wir hätten also einen Anspruch des P gegen den Krankenhausträger gem. § 280 I i.V.m. § 278 BGB.

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Arzthaftung Ist C aber auch Verrichtungsgehilfe? Überlegen Sie. Was ist das Wesensmerkmal eines Verrichtungsgehilfen i.S.d. § 831 BGB? Es ist dessen Weisungsgebundenheit. Ein Chefarzt leitet aber eigenverantwortlich und im medizinischen Bereich weisungsfrei die ihm unterstellte Abteilung eines Krankenhauses. Die Rechtsprechung betrachtet den Chefarzt einer Abteilung deshalb als verfassungsmäßig berufenen Vertreter, also als Organ des Krankenhausträgers. Als solches kommt für C wegen der im sachlichen Zusammenhang mit den übertragenen Aufgaben stehenden angeblichen Fehlleistung bei der Magenspiegelung nicht eine Haftung des Krankenhausträgers gem. § 831 BGB, sondern über § 31 BGB eine sog. Organhaftung (§§ 823 I, II i.V.m. Schutzgesetz i.V.m. § 31 BGB) in Betracht. Beachten Sie bitte zu § 31 BGB: § 31 BGB ist keine haftungsbegründende, sondern eine haftungszuweisende Norm. Sie gewährt deshalb nicht selbst einen Schadensersatzanspruch, sondern setzt die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung eines verfassungsmäßigen Vertreters voraus. Ob die Ersatzpflicht auf einer unerlaubten Handlung beruht (§§ 823 ff. BGB), oder einer Vertragsverletzung (§ 280 BGB) ist gleichgültig. § 31 BGB rechnet deshalb sowohl bei § 280 I BGB (i.d.R. neben § 278 BGB), als auch bei §§ 823 ff. BGB der juristischen Person die Handlung ihres Organs als eigene zu, und zwar ohne Exculpationsmöglichkeit! Frage: Was wäre, wenn der Krankenhausträger eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, nämlich die Stadt X, wäre. Wie rechnen Sie der Stadt X den angeblichen Behandlungsfehler des C zu? Schlagen Sie bitte § 89 BGB auf. Dieser bestimmt, dass § 31 BGB auch bezüglich des Fiskus, Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts entsprechend anzuwenden ist.



Fall 94

P lässt wieder während eines stationären Krankenhausaufenthalts eine Magenspiegelung durchführen und entdeckt anschließend einen lockeren Zahn; allerdings wird der Eingriff dieses Mal von dem beamteten Arzt B einer Uniklinik vorgenommen. Könnte P den B gem. §§ 823 I, 823 II BGB i.V.m. Schutzgesetz in Anspruch nehmen? B hat zwar unmittelbar gehandelt, aber lesen Sie § 839 BGB. § 839 BGB ist eine Spezialvorschrift, die die allgemeinen Haftungsvorschriften der

Lektion 10: Haftungsgrundlagen §§ 823 I, II, 826 BGB verdrängt. Folge: B wird als Beamter privilegiert, wenn er – wie hier – eine Tätigkeit ausübt, die mit seinem Aufgabenund Pflichtenkreis zusammenhängt. Bei nur fahrlässigem Handeln des B bliebe dieser grds. von einer deliktsrechtlichen Haftung verschont. P könnte nur dann direkt gegen B gem. § 839 BGB vorgehen, wenn B vorsätzlich gehandelt hätte, was sehr unwahrscheinlich ist oder wenn P nicht auf andere Weise Ersatz seinen etwaigen Schaden ersetzt bekäme. Zum Schluss noch zwei Haftungsgrundlagen, die im Vergleich zu den Ihnen nun bekannten Hauptnormen (§ 280 I BGB und § 823 BGB) zwar eine viel geringere Rolle in der Praxis spielen, von denen Sie aber dennoch kurz gehört haben sollten:



Fall 95

P hat sich von Z eine Zahnprothese anfertigen lassen. Da diese jedoch nicht passt, geht sie zu N und lässt die Prothese von diesem nachbessern. P möchte nun von Z die Kosten, die N ihr für die Nachbesserung berechnet hat, ersetzt bekommen. Welche vertragliche Anspruchsgrundlage wäre hier einschlägig? Bislang haben Sie in dieser Lektion als vertragliche Anspruchsgrundlage nur § 280 I BGB kennen gelernt. § 280 I BGB gewährt dem Patienten einen Anspruch auf Schadensersatz neben dem Anspruch auf Leistung. Die Besonderheit in diesem Fall ist aber, dass die etwaige Fehlleistung des Z bei Anfertigung und Anpassung der Prothese noch durch Nachbesserung abgewendet bzw. behoben werden könnte. P hat die von Z geschuldete und noch erbringbare Leistung – Anfertigung/Anpassung einer Prothese – aber von N aufgrund eines neuen Behandlungsvertrages zu Ende ausführen lassen. Von Z begehrt P nur noch Schadensersatz statt der Leistung. Für eine solche Konstellation, in der der Patient Schadensersatz statt der Leistung begehrt, obwohl der behauptete Schaden noch durch Erfüllung des Leistungsanspruches oder bei Schlechtleistung durch Nacherfüllung abgewendet werden könnte, ist die richtige Anspruchsgrundlage § 280 III i.V.m. § 281 I BGB. Aufgrund des besonderen Persönlichkeitsbezuges des Behandlungsverhältnisses wird die Bestimmung einer Frist, wie § 281 BGB dies vorsieht, übrigens grds. entbehrlich sein.

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Arzthaftung Merken Sie sich aber: Soweit eine Pflichtverletzung endgültig einen Schaden verursacht hat, ist § 280 I BGB vorrangig.



Fall 96

Privatpatient P ist aufgrund einer Erkrankung für einige Monate ans Bett gefesselt. Zur im Rahmen der Behandlung monatlich erforderlichen Untersuchung kommt der Hausarzt H stets zu P nach Hause. H beschädigt aus Unachtsamkeit aber bei jedem Hausbesuch Gegenstände des P. Aus diesem Grunde wendet sich P wegen der weiteren erforderlichen Hausbesuche an den Arzt N. Wegen des weiteren Anfahrtsweges des N fällt ein höheres Wegegeld als bei H an. P überlegt, die Mehrkosten von H zu verlangen. Fällt Ihnen hierfür eine vertragliche Anspruchsgrundlage ein? Lesen Sie § 280 III i.V.m. § 282 BGB. Dieser Schadensersatzanspruch ist hier einschlägig. Er kommt zum Zuge, wenn an sonstigen Rechtsgütern des Patienten, also solchen, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der ärztlichen Leistung stehen, ein Schaden durch eine Verletzung von Pflichten eher allgemeiner Art, die über die bloße Vertragserfüllung hinausgehen, eintritt. Hierzu nun die große Paragrafenzusammenstellung zu den Haftungsgrundlagen, den entsprechenden Zurechnungsnormen sowie den sich daraus ergebenen Rechtsfolgen.

Lektion 10: Haftungsgrundlagen

Übersicht 23: Haftungsgrundlagen/Zurechnungsnormen/ Rechtsfolgen Privatrechtliches Handeln Vertragliche Haftung

Deliktrechtl. Haftung

§ 280 I BGB

§ 823 I BGB

§ 280 III i.V.m. § 281 BGB

§ 823 II BGB i.V.m. Schutzgesetz

§ 280 III i.V.m. § 282 BGB

§ 839 BGB

§ 831 BGB

§ 278 BGB § 31 BGB

§ 31 BGB

§ 89 BGB

§ 89 BGB Zurechnung

§§ 249 ff. BGB

§§ 249 ff. BGB

§ 253 II BGB

§ 253 II BGB §§ 842 ff. BGB Rechtsfolgen

Hoheitliches Handeln Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB

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Arzthaftung

Lektion 11: Haftung wegen Behandlungsfehler

Fall 97

Sachverhalt wie in Fall 91 – „Magenspiegelungsfall“. Worin könnte ein zur Haftung führendes Fehlverhalten des A liegen? In Lektion 10 haben wir die gegenüber A in Frage kommenden Haftungsnormen erarbeitet: §§ 280 I, 823 I BGB bzw. § 823 II BGB i.V.m. §§ 223, 229 StGB. Wenn Sie sich noch einmal Übersicht 21 (Punkt 2) und 22 (Punkt 1) anschauen, sehen Sie, dass Voraussetzung einer Arzthaftung des A eine „Verletzungshandlung“ ist. Gemeint ist damit ein Fehler des Arztes. Der ärztliche Fehlerbegriff ist gesetzlich aber nicht ausdrücklich definiert. Rechtsprechung und Praxis haben zwei „Fehlerhauptkategorien“ mit jeweils eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickelt: (1) Behandlungsfehler und/oder (2) Aufklärungsfehler. Die Überschrift des § 630h BGB zeigt, dass der Gesetzgeber diese Entwicklung übernommen hat. Wir merken uns deshalb für alle Arzthaftungsfälle:

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Leitsatz 14 Ärztliches Fehlverhalten Voraussetzung sowohl der vertraglichen, als auch der deliktischen Haftung ist ein Fehlverhalten des Arztes. Als solches kommen – mit jeweils unterschiedlichen Darlegungs- und Beweisanforderungen – in Betracht: XX 1. Behandlungsfehler und/oder XX 2. Aufklärungsfehler.

Ausgangspunkt eines jeden Behandlungsfehlers ist § 630a Abs. 2 BGB. Der Arzt schuldet, egal ob er vertraglich oder deliktsrechtlich in Anspruch genommen wird, dem Patienten eine fachgerechte (lege artis) Behandlung nach den – so definiert es die Rechtsprechung – „anerkannten und gesicherten Regeln der medizinischen Wissenschaft“ . Dabei gilt:

Lektion 11: Haftung wegen Behandlungsfehler –– es ist der Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft zum Zeitpunkt der Behandlung maßgebend; nachträgliche Weiterentwicklungen bleiben also außer Betracht –– der Sorgfaltsmaßstab, also der geschuldete Standard, wird nicht von den Gerichten bestimmt, sondern von der Medizin selbst aufgestellt aufgrund wissenschaftlicher Studien, Lehrbücher, Veröffentlichungen etc., so dass es zu dessen Feststellung i.d.R. der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf –– es gilt ein objektiv typisierender Sorgfaltsmaßstab nach dem Prinzip der sog. „Gruppenfahrlässigkeit“. D.h., es ist darauf abzustellen, wie sich ein erfahrener, besonnener und gewissenhafter Arzt des jeweiligen Fachgebietes in der gegebenen Situation verhalten hätte. Die jeweiligen individuellen Fähigkeiten des Arztes spielen also grds. keine Rolle. Wenn wir diese Grundsätze auf unseren Fall übertragen bedeutet dies: A war bei der Behandlung des P verpflichtet, diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die zum Zeitpunkt der Behandlung von einem gewissenhaften und aufmerksamen Internisten vorausgesetzt und erwartet werden können. Tipp: Zur näheren Prüfung eines Sachverhalts auf Behandlungsfehler empfiehlt sich neben dem Einblick in Lexika und Fachliteratur eine Recherche in den zahlreichen Richtlinien, Leitlinien und Rahmenvereinbarungen von ärztlichen Fachgremien (z.B. der BÄK und der KBV) oder Verbänden, da diese den geschuldeten ärztlichen Standard maßgeblich mitbestimmen. Beachten Sie dabei aber stets den für Ihren Fall maßgebenden Beurteilungszeitpunkt und dass der Verbindlichkeitscharakter etwaig bestehender Bestimmungen in Bezug auf eine Arzthaftung zweifelhaft ist. Blättern Sie nun zurück zu Lektion 7. Dort finden Sie erste Anhaltspunkte dafür, worin ein Behandlungsfehler des A denkbar sein könnte – bei der Anamnese und der Behandlung. Die Magenspiegelung des P könnte bereits auf Fehlern des A im Rahmen der Anamnese und der Untersuchung des P fußen. Möglicherweise war die Magenspiegelung gar nicht indiziert; vielleicht war sie es zwar, ist jedoch fehlerhaft durchgeführt worden.

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Arzthaftung In der Judikatur und Praxis hat sich folgende Typisierung von Behandlungsfehlern entwickelt. Hierzu nun die Übersicht 24.

Übersicht 24: Behandlungsfehlertypen XX Diagnosefehler ––Fehlinterpretation von Befunden ––Nichterheben erforderlicher Diagnose- und Kontrollbefunde ––Unterlassene Verlaufskontrolle XX Therapiefehler ––Fehler bei der Auswahl der diagnostischen Methode ––Fehler im Bereich der Therapiewahl ––Fehler bei der Wahl der apparativen Methode XX Übernahmeverschulden XX Organisationsmängel (sog. generalisierte Qualitätsmängel) ––Hygiene, apparative Soll-Standards, Medikamentenvorhaltung ––vertikale und horizontale Arbeitsteilung XX Therapeutische Sicherungsaufklärung Die Zuordnung einzelner Behandlungsfehler zu den genannten Fehlertypen ist nicht zwingend, allerdings erleichtert Sie Ihnen die Arbeit, denn die Rechtsprechung hat zu den einzelnen Fehlertypen durch umfassendes Richterrecht konkrete, z.T. jeweils unterschiedliche Beurteilungskriterien entwickelt. Wir können hier nicht auf alle Fehlertypen eingehen. Wichtig in dieser Lektion ist für Sie, dass Sie verstehen, worauf es beim Behandlungsfehler grundlegend ankommt. Die Kernaussage lässt sich reduzieren auf folgenden Leitsatz.

Lektion 11: Haftung wegen Behandlungsfehler

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Leitsatz 15 Behandlungsfehler Ein Behandlungsfehler ist ein Verstoß gegen die zum Zeitpunkt der Behandlung geltenden allgemeinen Regeln der ärztlichen Heilkunde (im betroffenen Fachgebiet). Es wird dabei ein objektiver Sorgfaltsmaßstab angelegt, der von der Medizin selbst bestimmt wird.

Nachdem Sie nun die Aufstellung der häufigsten Fehlertypen vor sich haben, versuchen Sie zu konkretisieren, wo A ein Behandlungsfehler unterlaufen sein könnte: A könnte ein Diagnosefehler vorgeworfen werden. Vielleicht hatte P, als er mit seinen Beschwerden zu A kam, nur einen harmlosen MagenDarm-Infekt. A hat P aber vielleicht nicht genügend zu seiner Krankheitsgeschichte befragt (fehlerhafte Anamnese) oder hat Angaben des P und Befunde fehlinterpretiert. Hätte A sich hier richtig verhalten, wäre eine Magenspiegelung möglicherweise gar nicht erforderlich geworden. Beachten Sie aber bitte, dass die Rechtsprechung bei der Annahme eines Diagnoseirrtums eher zurückhaltend ist und einen Behandlungsfehler i.d.R. nur bei einem fundamentalen Irrtum, der nicht mehr vertretbar ist, bejaht. Fehlinterpretationen könnten A im Bereich der Diagnosestellung eher unter dem Gesichtspunkt anzulasten sein, dass er es unterlassen hätte, elementare Kontrollbefunde zu erheben (z.B. Temperatur, Stuhlprobe) und/oder seine erste Diagnose im weiteren Behandlungsverlauf zu überprüfen. A könnte ferner auch einen Therapiefehler begangen haben, indem er mit der Magenspiegelung die falsche diagnostische bzw. apparative Methode gewählt hat. Und natürlich ist auch denkbar, dass A zwar mit der Magenspiegelung die richtige diagnostische Methode gewählt hat, diese aber fehlerhaft, also nicht lege artis durchgeführt hat. An der häufigen Benutzung des Konjunktivs in unseren Antworten merken Sie, dass wir zunächst nur Spekulationen anstellen können. Sie werden möglicherweise einwenden, P hat doch einen lockeren Zahn, also

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Arzthaftung wird vermutlich etwas schiefgelaufen sein. Fallen Sie bitte niemals im Arzthaftungsrecht auf einen solchen Trugschluss rein! Aus dem Misserfolg einer ärztlichen Bemühung/Behandlung können Sie grds. nicht die Vermutung einer ärztlichen Pflichtverletzung ableiten. Das ist so auch richtig, denn sonst kämen wir zu einer Erfolgshaftung des Arztes, was zum einen dem Wesen des Behandlungsvertrages, der ja i.d.R. als Dienstvertrag zu qualifizieren ist (wiederhole Lektion 5) zuwiderlaufen würde, wie auch der Tatsache, dass der Arzt nicht eine Maschine sondern einen Menschen behandelt, dessen Reaktionen auch von einem Fachmann, wie dem Mediziner, nicht vollständig beherrschbar sind. Klarheit – und das ist das typische bei Behandlungsfehlern – kann i.d.R. nur aufgrund eines Sachverständigengutachtens erreicht werden. Dies gilt wegen der eben angeführten Gründe nicht nur für die Frage, ob ein Behandlungsfehler vorliegt, sondern auch – schauen Sie sich noch einmal Übersicht 21 und 22 an – für die dann weiter zu prüfende Frage der Kausalität.



Fall 98

Arzt H unterlässt bei Kassenpatient KP eine nach medizinischem Standard gebotene Maßnahme, weil sie im Leistungskatalog der GKV nicht enthalten ist. KP kommt dadurch zu Schaden. Kann H wegen eines Behandlungsfehlers haftbar gemacht werden? Nach Leitsatz 15 läge hier ein Behandlungsfehler vor. H ist bei der Behandlung des KP vom Standard der medizinischen Wissenschaft abgewichen. Laut Sachverhalt ist der Behandlungsfehler auch kausal. Fehlt also nur noch ein Verschulden (§ 276 I BGB) des H. In aller Regel hat der behandelnde Arzt ein Abweichen vom medizinischen Standard zu vertreten (dazu noch näher in Lektion 13). Fraglich ist, ob der Sorgfaltsmaßstab des Vertragsarztes H hier durch das Recht der GKV, insbesondere durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V eingeschränkt ist. Die Lösung dieses Konflikts ist bisher weder gesetzlich, noch von Rechtsprechung und Literatur abschließend geklärt. Nach überwiegender Meinung gilt hier aber der Grundsatz, dass der zivilrechtliche Sorgfaltsmaßstab durch das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht gesenkt werden kann. Für den Fall einer lebensbedrohlichen Situation ist dieser Grundsatz auch gerichtlich bestätigt worden.



Fall 99

Patient P verliert durch eine allergische Reaktion und einen Schock während eines harmlosen ambulanten Eingriffs mit örtlicher Betäubung

Lektion 11: Haftung wegen Behandlungsfehler durch den Chirurgen C das Bewusstsein. Die Bewältigung dieser unvorhergesehenen Notsituation übersteigt aufgrund des zeitlichen und psychischen Drucks die individuellen Fähigkeiten des C, so dass C wie gelähmt und deshalb nicht in der Lage ist, Notmaßnahmen zu ergreifen. Haftet C gegenüber P, wenn feststeht, dass die Schädigung des P schon durch einfachste Notmaßnahmen, die jeder Arzt – auch ein Chirurg – beherrschen muss, verhindert hätte werden können? C haftet gegenüber P gem. §§ 280 I, 823 I BGB bzw. § 823 II BGB i.V.m. §§ 223, 229 StGB, denn P ist laut Sachverhalt aufgrund eines Behandlungsfehlers – falsche bzw. unterlassene Notfallbehandlung – dauerhaft an seiner Gesundheit geschädigt worden. Zum guten Facharztstandard eines Chirurgen gehört es, dass er auf Notfälle bzw. Zwischenfälle zumindest durch das Ergreifen fundamentaler Nothilfemaßnahmen reagiert. Da im Haftungsrecht ein objektiver Sorgfaltsmaßstab gilt, ist die Tatsache, dass C mit der Situation persönlich überfordert war, irrelevant.



Fall 100

Kleinkind K fällt in einen See. Gynäkologe G ist zufällig in der Nähe und eilt zur Hilfe. Da er K irrtümlich für ertrunken hält, nimmt er von notwendigen Wiederbelebungsversuchen Abstand. Dem herbeigerufenen Notarzt N gelingt etwa 15 Minuten später die Wiederbelebung. Aufgrund des bis dahin erlittenen Sauerstoffmangels bleibt K schwerbehindert und pflegebedürftig. Die Eltern möchten gegen G vorgehen und bitten Sie um eine erste juristische Beratung. Was werden Sie den Eltern sagen? Die Eltern können, als gesetzliche Vertreter des K (§ 1929 I BGB) namens des K gegen G Ansprüche aus Arzthaftung – Schadensersatz (§§ 249 ff., 842 f. BGB ) und Schmerzensgeld (§ 253 II BGB) – geltend machen. Bei einem Fall mit extremen Dauerschäden, wie hier, könnte, da der genaue Umfang der materiellen Schäden oft nicht genau feststeht, zunächst nur ein Schmerzensgeld geltend gemacht und im Übrigen bloß die Feststellung der Schadensersatzpflicht beantragt werden. Ein Vorgehen gegen G hätte jedoch nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn G sich haftbar gemacht hätte. Fraglich ist, ob als Haftungsgrundlage gegen G auch § 280 I BGB in Betracht kommt. Dafür wäre erforderlich, dass zwischen G und K ein

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Arzthaftung vertragliches Schuldverhältnis oder ein gesetzliches Schuldverhältnis gem. § 677 BGB bestanden hätte. Ein Behandlungsvertrag (§ 630a BGB) kommt durch Annahme (§ 145 BGB) und Antrag (§ 147 BGB) zustande, wobei beide Willenserklärungen auch durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden können. Ein konkludenter Antrag des G könnte in der „Untersuchung“ des aus dem See geholten K gesehen werden. K könnte diesen Antrag, vertreten durch dessen Eltern (§ 1629 I BGB), indem diese G gewähren ließen, angenommen haben. G wurde jedoch nicht in seiner Eigenschaft als Arzt, sondern wie ein beliebiger Dritter zufällig und überraschend in seiner Freizeit mit einer Notsituation konfrontiert, so dass die Annahme eines Behandlungsvertrages bloße Fiktion wäre. In Frage käme vorliegend aber auch ein unentgeltlicher Auftrag gem. § 662 BGB, wobei sich ein Vertragschluss auf zweifache Weise konstruieren ließe: (1) Vertragspartner des G könnte K selbst, vertreten durch ihre hinzugekommenen Eltern geworden sein (§§ 1626, 1629 I BGB). Doch müssten die Eltern des K dann wegen § 164 II BGB ihren Willen zum Handeln im Namen des K gegenüber G deutlich gemacht haben, was ziemlich unwahrscheinlich ist. (2) Nach der herrschenden Auffassung in Fällen der Behandlung von Geschäftsunfähigen oder Minderjährigen wird vielmehr ein echter Vertrag zwischen G und den Eltern des K zugunsten des Dritten – K – (§ 328 I BGB) angenommen, weil sich dann etwaige Vergütungsanspruche des G gegen die eher leistungsfähigen Eltern richten können, die K ihrerseits die ärztliche Behandlung als Unterhalt nach §§ 1601, 1603 II BGB schulden. Hier ist aber fraglich, ob G und die Eltern des K in der eingetretenen Notsituation überhaupt rechtlich erhebliche Erklärungen abgeben wollten, zumal G wie jeder Dritte gem. § 323c StGB ohnehin auch ohne vertragliche Grundlage zur Hilfeleistung verpflichtet gewesen wäre. Die zutreffende Lehre unterstellt die Unfallhilfe des zufällig anwesenden Arztes den Regeln der berechtigten GoA (§§ 683, 677 BGB). Die Übernahme der Geschäftsführung entsprach hier dem erforderlichen Interesse und dem mutmaßlichen Willen des K. Da es sich um ein objektiv fremdes Geschäft handelte, das den Eltern des K als dessen Sorgeberechtigten obliegt, wird der Fremdgeschäftsführungswille des G nach herrschender Lehre vermutet. Im Falle der laut Sachverhalt in Frage kommenden

Lektion 11: Haftung wegen Behandlungsfehler Schlechterfüllung der berechtigten GoA kommt im Ergebnis eine Haftung des G gem. § 280 I i.V.m. §§ 241 II, 677, 276 II BGB in Betracht. G müsste im Verhältnis zu K eine schuldhafte Pflichtverletzung begangen haben. Vorliegend könnte G ein Behandlungsfehler angelastet werden, da er die Wiederbelebungssituation falsch eingeschätzt (Diagnosefehler) und deshalb notwendige Wiederbelebungsmaßnahmen unterlassen hat. Auch müsste der Behandlungsfehler des G für die Gesundheitsschädigung des K kausal gewesen sein. Beides wird sich erst durch ein Sachverständigengutachten klären lassen. Fraglich ist vorliegend aber auch, welcher Haftungsmaßstab für G anzulegen ist. Gem. § 276 BGB liegt Verschulden grds. bei vorsätzlichem oder fahrlässigem Handeln vor. Vorsätzlich hat G sicherlich nicht gehandelt, bleibt also nur Fahrlässigkeit. Nach dem was Sie bisher gehört haben, ist im Arzthaftungsrecht grds. die sog. objektive Gruppenfahrlässigkeit maßgebend. Im vorliegenden „Nothilfefall“ kommen jedoch geordnet nach der für G abnehmenden Günstigkeit folgende Maßstäbe in Betracht: (1) eine privilegierte Haftung im Hinblick auf das Vorliegen einer GoA – nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit gem. § 680 BGB, (2) eine Haftung nur für einfache Fahrlässigkeit (§ 276 II BGB) wie für einen beliebigen Dritten, (3) eine – gesteigerte – Haftung nach den objektiven Sorgfaltsmaßstäben, über die jeder Arzt berufsbedingt verfügen muss, (4) eine Haftung nach den für einen Notarzt geltenden Maßstäben. Das OLG München, das diesen Fall zu entscheiden hatte (Urt. v. 6.4.2006 – 1 U 4142/05, NJW 2006,1883) musste die Frage nach dem einschlägigen Haftungsmaßstab nicht klären, da nicht festgestellt werden konnte, ob und in welchem Umfang das Fehlverhalten des G für den Gesundheitsschaden des K kausal geworden war. Ein gesetzesgetreues Vorgehen würde für G hier aber zunächst zu einer Haftungsprivilegierung gem. § 680 BGB führen, die auch auf deliktische Ansprüche gem. § 823 I BGB, § 823 II BGB i.V.m. §§ 223, 229 StGB durchschlagen würde. Dabei würde man für die Konkretisierung der „groben Fahrlässigkeit“ den allgemeinen ärztlichen Sorgfaltsmaßstab als Ausgangspunkt wählen, den geforderten Standard wegen des Notfalls allerdings herabsetzen. Abwandlung: Angenommen der Vorfall hätte sich vor den Augen des am See zum Dienst eingesetzten Notarztes N zugetragen und N hätte die

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Arzthaftung nötige Wiederbelebung irrtümlich unterlassen. Würde die Haftungsprivilegierung des § 680 BGB auch N zugute kommen? Nein, denn professionelle Nothelfer wie der Notarzt N werden speziell für Notfälle ausgebildet und bezahlt. Der Notfall ist N’s „täglich Brot“, so dass er nicht in den Genuss der Haftungsprivilegierung kommen würde.



Fall 101

Hausarzt H arbeitet mit dem Internisten I in einer Praxisgemeinschaft zusammen. Als I auf einem Kongress ist, nimmt er bei P, die er gut kennt, selbst eine schon länger geplante Magenspiegelung vor. Zuletzt hatte H vor mehr als zehn Jahren in seiner Ausbildungszeit am Krankenhaus Magenspiegelungen vorgenommen. P wird bei der Magenspiegelung verletzt. Welches ärztliche Fehlverhalten könnte H vorgeworfen werden? H könnte sich wegen eines sog. Übernahmeverschuldens haftbar gemacht haben. Zwar führt nicht jede Tätigkeit eines Arztes auf einem fremden Fachgebiet zur Annahme eines Behandlungsfehlers, insb. besteht auch keine Pflicht, dass die Behandlung eines Nicht-Facharztes beaufsichtigt werden muss. Aber jeder Arzt hat bei Übernahme einer Behandlung zu prüfen, ob er die notwendigen praktischen und theoretischen Fähigkeiten und Kenntnisse besitzt, die Behandlung oder den Eingriff entsprechend dem jeweiligen Standard durchzuführen. Hier hat H sich auf das Spezialgebiet eines Internisten begeben. Er schuldete der P deshalb eine nach internistischem Standard entsprechende Behandlung. Wenn H eine solche nicht leistet und hätte erkennen können, dass er dazu nicht in der Lage sein würde, hätte er P bitten müssen, einen neuen Termin bei I zu vereinbaren, statt die Magenspiegelung selbst durchzuführen.



Fall 102

Medizinstudent S nimmt in einer Klinik erstmals und völlig unbeaufsichtigt eine Injektion vor, zu der er nach seinem Ausbildungsstand absolut ungeeignet ist. Folge: schwer behandelbarer Spritzenabszess. (a) Unter welchem Gesichtspunkt kommt eine Haftung des Krankenhausträgers in Betracht? (b) Hat auch S sich haftbar gemacht? Zu (a): Es kommt wegen der Schlechtleistung des S zunächst eine Haftung des Krankenhausträgers gem. §§ 280 I i.V.m. 278 (Haftungszuweisung für S als Erfüllungsgehilfen) BGB, 831 BGB (wegen S als Verrichtunsgehilfe) in Betracht.

Lektion 12: Haftung wegen Aufklärungsfehler Zusätzlich ist hier zu beachten, dass im arbeitsteiligen Geschehen sicherzustellen ist, dass organisatorisch zwischen gleichgeordneten weisungsfreien Beteiligten (horizontale Arbeitsteilung) wie z.B. Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen sowie bei einem fachlichen Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Ärzten und medizinischem Hilfspersonal (vertikale Arbeitsteilung) eine Behandlung reibungslos entsprechend dem medizinischen Standard erfolgt. Dabei werden gerade im Krankenhausgeschehen hohe Anforderungen an die Kontrolle des nachgeordneten ärztlichen und nicht ärztlichen Personals gestellt: Bei Übertragung von Behandlungsmaßnahmen – wie hier, der Spritze – ist vorher zu prüfen, inwieweit die einzusetzende Person für die übertragene Aufgabe ausreichend qualifiziert ist. Fehlentscheidungen in diesem Bereich stellen Behandlungsfehler in Form eines Organisationsfehlers dar. Die Übertragung der Behandlungsaufgabe – Setzen der Spritze – auf S hätte zumindest unter Anleitung eines erfahrenen Arztes erfolgen müssen. Unter diesem Gesichtspunkt kommt deshalb neben den bereits angeführten Haftungsnormen für den Klinikträger auch eine direkte Haftung gem. § 823 BGB wegen Organisationsverschuldens in Betracht. Zu (b): Für S selbst kommt, da er nicht in direkter vertraglicher Beziehung zum Patienten stand, nur eine deliktische Haftung gem. § 823 BGB unter dem Gesichtspunkt eines sog. Übernahmeverschuldens in Frage. Vorgriff auf Lektion 13: Meinen Sie, es hätte das „Übernahmeverschulden“ des S beweisrechtliche Konsequenzen?

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Arzthaftung

Lektion 12: Haftung wegen Aufklärungsfehler

Fall 103

Wir wollen unseren „Magenspiegelungsfall“ Nr. 91 noch ein wenig weiter führen. Während des Beratungsgesprächs erwähnt P gegenüber seinem Anwalt R, er habe gar nicht gewusst, worauf er sich bei der Magenspiegelung einlasse. A habe ihm gegenüber auch nicht erwähnt, dass sein Gebiss dabei beschädigt werden könne. Was wird R im Hinblick auf die Äußerungen des P tun? R wird prüfen, ob er die von P gewünschte Geltendmachung von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen außer auf einen Behandlungsfehler auch auf einen Aufklärungsfehler des A stützen kann. Nach geltender Rechtsprechung ist zunächst jeder Eingriff –– in die körperliche und gesundheitliche Befindlichkeit des Patienten –– sei er behandlungsfehlerhaft oder frei von einem Behandlungsfehler XXals rechtswidrige Körperverletzung und damit – inzident – auch als Verletzung des Behandlungsvertrages zu werten, wenn und soweit er ohne (rechtfertigende) Einwilligung des Patienten erfolgt. Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung des Patienten ist jedoch nach § 630d Abs. 2 BGB eine vorherige ordnungsgemäße Aufklärung durch den Arzt. R wird also prüfen, ob P vor der Magenspiegelung ordnungsgemäß über den diagnostischen Eingriff aufgeklärt worden ist, mit anderen Worten: ob A eine korrekte Eingriffsaufklärung vorgenommen hat. Aus Lektion 7 wissen Sie auch schon wo die Eingriffsaufklärung geregelt ist: Richtig – in § 630e BGB. R wird sein Augenmerk auf folgende Prüfungspunkte der Übersicht 25 richten:

Lektion 12: Haftung wegen Aufklärungsfehler

Übersicht 25: Prüfungspunkte – Eingriffsaufklärung 1. Geht es überhaupt um eine Eingriffsaufklärung (§ 630e BGB) oder liegt ein Fall der sog. Sicherungsaufklärung (§ 630c Abs. 2 BGB) vor? (vgl. dazu gleich Fall 105) 2. Hat eine Eingriffsaufklärung stattgefunden? 3. Ist die Eingriffsaufklärung ordnungsgemäß erfolgt? a) Richtiger Adressat (vgl. dazu Fälle 107 f.) b) Aufklärungspflichtiger c) Zeitpunkt der Aufklärung d) Ort der Aufklärung e) Art und Weise – Form und Inhalt – des Aufklärungsgesprächs Die Grundsätze zu den Prüfungspunkten 3b – e haben wir bereits in Lektion 7 erarbeitet. Bitte wiederholen Sie dort die Fälle 61 bis 71. In unserem hier zu beurteilenden Fall hätte A selbst den P in seiner Praxis „in der Sprache des P“, also in leicht verständlicher Umgangssprache, über die geplante Magenspiegelung aufklären müssen. Ausschlaggebend für den ordnungsgemäßen Zeitpunkt der Aufklärung ist die Dringlichkeit und Schwere des geplanten Eingriffs. Nachdem die Magenspiegelung mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nicht besonders dringend indiziert war, hätte A den P so frühzeitig aufklären müssen, dass P das Für und Wider der Magenspiegelung in Ruhe gegeneinander hätte abwägen können. Während bezüglich des „Ob“, also der Frage, ob überhaupt eine Aufklärung stattgefunden hat, die Anforderungen sehr streng sind, räumt der BGH dem Arzt bei der Frage des „Wie“ zunehmend ein breites Ermessen ein. Das „Wie“, also der Inhalt und Umfang der Aufklärung orientiert sich vor allem an der Dringlichkeit des Eingriffs, der Schwere der möglichen Komplikationen bzw. Risiken und an dem Verhalten des Patienten. Es wird bestimmt und begrenzt von der Notwendigkeit, dem Patienten in einer seinem Verständnis als medizinischen Laien zugänglichen Weise

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Arzthaftung eine allgemeine Vorstellung zu vermitteln, von dem Schweregrad der in Betracht stehenden ärztlichen Behandlung und den Belastungen und Risiken – nach Richtung und Gewicht –, denen er sich in der Behandlung ausgesetzt sieht. Die Aufklärung soll dem Patienten nicht medizinisches Detailwissen vermitteln, sondern ihm eine ergebnisbezogene zutreffende Entscheidungsgrundlage zur Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts geben. Der Patient soll, grob gesagt, über Art, Schwere und wesentliche Risiken unterrichtet werden; ihm soll, so formuliert es die Rechtsprechung – „im Großen und Ganzen“ verdeutlicht werden, was der Eingriff für seine persönliche Situation bedeuten kann. Im Falle des P wäre zu erwarten gewesen, dass A grob darlegt, was mit ihm beabsichtigt ist, was ihn erwartet. A hätte P sagen müssen, wozu er die Magenspiegelung vornehmen möchte und wie diese verlaufen wird, damit P sich ein ungefähres und allgemeines Bild von der Schwere und Zielrichtung der vorzunehmenden Magenspiegelung hätte machen können. Darüber hinaus hätte er P über die mit dem Eingriff verbundenen Vor- und Nachteile sowie über etwaige Behandlungsalternativen, sofern es denn welche geben würde, informieren müssen. Typische Risiken, die nach dem gesicherten Stand der ärztlichen Wissenschaft der Magenspiegelung speziell anhaften, hätte A grds. gegenüber P erwähnen müssen (§ 630e Abs. 1 BGB). Die von P gerügte Gebissschädigung dürfte ein solches typisches Risiko sein. R sollte also durch Einsicht in P’s Patientenakte (vgl. dazu auch Lektion 7) sowie durch gezielte Fragen herausarbeiten, ob eine ordnungsgemäße Aufklärung stattgefunden hat. Dabei gilt es aber zu beachten, dass eine Magenspiegelung grds. eine Routinemaßnahme ist, deren Risiken in der Patientenschaft i.d.R. seit langem bekannt sind, so dass es ausreichen würde, wenn A dem P, als er ihn bat, einen Termin für eine Magenspiegelung zu vereinbaren, einen Aufklärungsbogen mitgegeben hätte und sich – idealerweise – bei einem Folgetermin, notfalls aber zumindest am Tag der geplanten Durchführung der Magenspiegelung vergewissert hätte, ob P die Informationen gelesen hat und ob er noch Fragen dazu hat.



Fall 104

Der berühmte junge Konzertpianist L hat sich beim Kochen so stark in den Mittelfinger geschnitten, dass die Wunde genäht werden muss. Muss

Lektion 12: Haftung wegen Aufklärungsfehler Arzt C aus der Ambulanz der Unfallklinik darüber aufklären, dass eine Narbe übrig bleiben kann und dass die Wunde sich infizieren kann? Im Gegensatz zu den typischen Risiken eines Eingriffs, über die i.d.R. stets aufzuklären ist, müssen die allgemeinen Risiken, die jedem Eingriff anhaften und die in der Öffentlichkeit bekannt sind, grds. nicht erwähnt werden. Zu den allgemeinen Risiken gehören: Wundinfektion, Nachblutung, Narben und Ähnliches. Sind die Risiken dem Patienten in concreto jedoch nicht bekannt, hält er den Eingriff prinzipiell für ungefährlich und würden ihn diese Risiken überraschen, sind aber auch diese Risiken aufklärungspflichtig. Hier sollte C im Hinblick auf den Beruf des L sich genau davon überzeugen, welche Vorstellungen L von dem Eingriff – Nähen der Wunde – hat und L sicherheitshalber umfassend aufklären und dies dokumentieren. Wir merken uns:

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Leitsatz 16 Typische/allgemeine Risiken XX Über die typischen Risiken eines Eingriffs ist stets aufzuklären. XX Über die allgemeinen Risiken (Wundinfektion, Nachblutung, Narben etc.) nur dann aufzuklären ist, wenn der Arzt hätte erkennen können, dass der Patient diese nicht kennt.



Fall 105

P bekommt von ihrem Gynäkologen G ohne jeglichen Kommentar ein Medikament verordnet. P ist starke Raucherin; sie erleidet wenige Wochen nach Medikamenteneinnahme einen Schlaganfall. Es stellt sich heraus, dass Ursache des Schlaganfalls ein Zusammenwirken von Nikotin und dem Arzneimittelwirkstoff war. Kann P wegen eines Aufklärungsfehlers gegen G vorgehen? Es kommt – wieder einmal – darauf an: unter die „Haftungshauptkategorie – Aufklärungsfehler“ ist nur ein ärztliches Fehlverhalten im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung (oft auch Eingriffsaufklärung genannt) zu subsumieren. Bitte schauen Sie sich noch einmal die verschiedenen Aufklärungsarten in Lektion 7 an. Von den dort genannten gehören zur Selbstbestimmungsaufklärung die Verlaufs- und die Risiko-

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Arzthaftung aufklärung, sowie die Aufklärung über echte Behandlungsalternativen. Mit der Selbstbestimmungsaufklärung soll dem grundgesetzlich garantierten (Art. 2 GG) Selbstbestimmungsrecht des Patienten Rechnung getragen werden. Nur das ärztliche Tun, in das P einwilligt, ist rechtmäßig. Alles was P’s Willen widerspricht, auch wenn G es lege artis durchführt, ist rechtswidrig! Wirksam einwilligen kann P aber nur, wenn sie über die für ihre Entscheidung notwendigen Informationen verfügt. Der Arzt ist – wie Sie aus Lektion 7 wissen – aber auch verpflichtet, dem Patienten die zur Sicherstellung des Behandlungserfolgs notwendigen Schutz- und Warnhinweise zu erteilen (§ 630c Abs. 1 und Abs. 2 S.   BGB). Dieser Nebenpflicht kommt der Arzt durch die sog. therapeutische Sicherungsaufklärung nach. Durch sie soll der Patient zur Mitwirkung an der Heilung angehalten und vor einer möglichen Selbstgefährdung geschützt werden. Die therapeutische Sicherungsaufklärung ist notwendiger Bestandteil der fachgerechten ärztlichen Behandlung. Ihre nicht ordnungsgemäße Erfüllung stellt deshalb einen Behandlungsfehler dar! Bitte merken Sie sich diese Abgrenzung gut, denn sie ist im Beweisrecht enorm wichtig. In unserem Fall überschneidet sich die therapeutische Aufklärung mit der Selbstbestimmungsaufklärung. Damit P sich nicht selbst gefährdet, wäre es notwendig gewesen, dass G sie auf den drohenden Schaden – Schlaganfall – hingewiesen und dazu veranlasst hätte, während der Medikamenteneinnahme aufs Rauchen zu verzichten. Als Raucherin wäre es für P’s Einwilligung zur medikamentösen Therapie aber auch ausschlaggebend gewesen zu wissen, was auf sie zukommt: Rauchverbot. Nur dann hätte P selbst bestimmen können ob sie das Medikament möchte und dafür auf das Rauchen verzichtet oder ob sie lieber weiterraucht und statt des Medikaments zusammen mit G nach weiteren Behandlungsmöglichkeiten sucht. Wie der Fall letztendlich vor Gericht entschieden werden würde, kann nicht vorausgesagt werden. Als Patientenanwalt sollten Sie in einer solchen Konstellation aus beweisrechtlichen Gründen (dazu gleich näher in Lektion 13) immer bestrebt sein, das Gericht davon zu überzeugen, dass nicht erst eine Verletzung der therapeutischen Sicherungspflicht, also ein Behandlungsfehler, sondern schon eine fehlerhafte Selbstbestimmungsaufklärung also ein „Aufklärungsfehler“ vorliegt. Je nach Sachverhalt mag Ihnen dabei vielleicht auch hilfreich sein:

Lektion 12: Haftung wegen Aufklärungsfehler

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Leitsatz 17 Seltene schwere eingriffsspezifische Risiken Im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung ist auch über seltene Risiken aufzuklären, XX wenn sie im Falle ihrer Verwirklichung das Leben des Patienten schwer belasten und XX trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch, für den Laien aber überraschend sind.

Ggf. wäre sogar eine wirtschaftliche „Aufklärung“ (der gesetzlichen Diktion nach wäre hier der Begriff „Information“ der treffendere) geboten: wenn zweifelhaft wäre, ob die neue Methode überhaupt vom Leistungsumfang der GKV umfasst ist bzw. A – im Gegensatz zu P – wüsste bzw. wissen müsste, dass es sich hierbei um keine Kassenleistung/von Privatversicherern zu erstattende Leistung handelt (§ 630c Abs. 3 BGB).



Fall 106

P soll von A mit einer neuen medizinischen Behandlungsmethode therapiert werden. (a) Darf A dies und (b) was ist A im Rahmen der Aufklärung der P zu raten? Zu (a): Selbstverständlich darf A, wenn er davon überzeugt ist, dass die neue Methode in P’s Fall indiziert ist, eine entsprechende Behandlung ins Auge fassen. Dies folgt bereits aus dem Grundsatz der Therapiefreiheit des Arztes. Zu (b): Vorab ist P von A über die neue Behandlungsmethode jedoch gemäß den oben erläuterten Grundsätzen aufzuklären. Dabei sollte A Folgendes beachten: Die Anforderungen an die Aufklärungspflicht bezüglich neuer Behandlungsmethoden aber auch bezüglich sog. Außenseitermethoden sind sehr hoch. Die Aufklärungspflicht ist umso umfangreicher, desto weniger gesichert und fachlich anerkannt die beabsichtigte Methode ist. Eine neue Behandlungsmethode – so hat es der BGH in seinem sog. „Robodoc“ Urteil (BGH, Urt. Vom 13.6.2006 – VI ZR 323/04, NJW 2006, 2477) festgeschrieben – darf am Patienten nur angewandt werden, wenn diesem zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, dass sie die Möglichkeit unbekannter Risiken birgt. Sollten in P’s Fall Behandlungsmethoden, die wissenschaftlich anerkannt sind, alternativ

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Arzthaftung zur Verfügung stehen, müsste A die P außerdem hierüber informieren. Deshalb merken wir uns:

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Leitsatz 18 Reichweite der Aufklärungspflicht Die Aufklärungspflicht reicht umso weiter, XX je stärker der Arzt von eingeführten oder fachlich anerkannten Heilverfahren abweichen oder XX in Neuland vorstoßen will.

Fall 107

Die Eltern E sind sehr in Sorge. Ihr Kind K ist an Leukämie erkrankt. Der behandelnde Arzt O schlägt eine Chemotherapie vor. Wen muss O vor Durchführung der Chemotherapie aufklären, wenn K (a) fünf Jahre (b) 17 Jahre alt ist? Zu (a): Keine Frage, dass es in Variante (a) nicht ausreichen wird, wenn O nur K aufklärt. Wie begründen Sie diese selbstverständliche Antwort aber juristisch? Überlegen Sie welchen Zweck die Selbstbestimmungsaufklärung hat. Sie soll dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten Rechnung tragen und zugleich einen Rechtfertigungsgrund – Einwilligung – für einen grds. rechtswidrigen ärztlichen Eingriff schaffen. Damit hängt die Antwort nach dem richtigen Adressaten von der Einwilligungsfähigkeit und Einwilligungsberechtigung ab. O hat diejenige Person bezüglich der beabsichtigten Chemotherapie aufzuklären, die einwilligungsfähig und einwilligungsberechtigt ist (§ 630d Abs. 1 und 2 BGB). Wo finden Sie im BGB eine Vorschrift, die Ihnen zunächst sagt, wer einwilligungsfähig ist? § 630d BGB erwähnt den Begriff nur, definiert ihn aber nicht; im Allgemeinen Teil bei den Paragraphen zur Willenserklärung und Geschäftsfähigkeit? Das würde voraussetzen, dass es sich hinsichtlich der Einwilligung um eine „rechtsgeschäftliche Willenserklärung“ handelt. Die Einwilligung ist aber nicht primär auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet, sondern es handelt sich hinsichtlich der Einwilligung um die Gestattung eines Eingriffs in ein höchstpersönliches Rechtsgut – das Leben, die Gesundheit, den eigenen Körper, evtl. sogar die Persönlichkeit. Sie ist weder eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, noch eine rechtsgeschäftliche Handlung. Die gesetzlichen Vorschriften über die

Lektion 12: Haftung wegen Aufklärungsfehler Geschäftsfähigkeit, Willensmängel und Nichtigkeit finden deshalb auf die Einwilligung keine Anwendung. Maßgebend ist einzig und allein, ob der Patient einsichts- und entschlussfähig ist. Dies vorangestellt können wir nun auch unsere Fallfrage beantworten: In Variante (a) ist K mit seinen fünf Jahren nicht in der Lage die Tragweite einer Chemotherapie zu beurteilen. Deshalb hat O die Eltern aufzuklären. Diese sind gem. § 1629 I 1 BGB auch einwilligungsberechtigt. Zu (b): Schwieriger ist die Beurteilung in Variante (b). Ob K die Tragweite der geplanten Chemotherapie beurteilen können wird und es deshalb ausreichen würde, nur K aufzuklären, bedarf einer Entscheidung im konkreten Fall. Eine allgemeine Altersgrenze, ab wann ein Kind einsichtsund willensfähig ist kann nicht gezogen werden. K könnte rechtswirksam einwilligen, wenn es die geistige und sittliche Reife hätte, Art, Umfang und Tragweite des beabsichtigten Eingriffs zu überblicken. Ob K tatsächlich in der Lage wäre, die Aufklärung nachzuvollziehen, müsste von O geprüft werden. Dabei wäre O’s Urteil ausreichend. Es bedürfte nicht der Hinzuziehung eines weiteren Arztes. Auf der sicheren Seite stünde O aber, wenn er E mit Genehmigung des K in das Aufklärungsgespräch miteinbeziehen würde und E ebenfalls ihre Einwilligung erteilen würden. Abwandlung: Angenommen, O bezieht in Variante (b) E mit ein. E verweigern die Chemotherapie jedoch aus weltanschaulichen und religiösen Gründen. K hingegen möchte sich der vorgeschlagenen Chemotherapie unterziehen. Was ist O zu raten? Das Einwilligungsrecht der E als gesetzliche Vertreter des K reicht nicht so weit wie das Selbstbestimmungsrecht des – einwilligungsfähigen – Patienten K. Auch gibt das Personensorgerecht der E ihnen nicht das Recht, sich – unvernünftig – gegen das Wohl des Kindes zu entscheiden. Wenn O das Kind nicht als einwilligungsfähig erachtet, müsste er, wenn noch ausreichend Zeit bleibt, wenn also nicht Gefahr im Verzug ist, das Vormundschaftsgericht einschalten.



Fall 108

Die Erwachsene F ist bei einem Autounfall schwer verletzt worden. Ihr Bein muss amputiert werden. Aufgrund starker Schmerzmittel ist F’s Bewusstsein getrübt. Würde es ausreichen, wenn der Chirurg C sich wegen

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Arzthaftung der Beinamputation an die im Krankenhaus anwesende Schwester S der F wenden würde? Die Aufklärung soll grds. demjenigen zuteil werden, der die Einwilligung in den Eingriff zu geben hat (vgl. § 630d Abs. 2 BGB). Dies ist grds. der Patient selbst (§ 630d Abs. 1 S. 1 BGB) – hier also: F. Entscheidend für eine rechtfertigende Einwilligung der F zur Beinamputation ist aber, dass F zum Zeitpunkt der Aufklärung und ihres etwaigen Einverständnisses einsichts- und willensfähig ist. Vorliegend sind Einsichts- und Willensfähigkeit der F wegen Schmerzen und Medikamenten aber fraglich. Könnte C sich dadurch weiterhelfen, dass er S aufklärt und um ihr Einverständnis bittet? Nein. Solange S nicht zur Vertretung der F bestellt ist, kann sie eine Einwilligung zur Beinamputation nicht erteilen. C muss deshalb entscheiden wie dringend die Beinamputation ist. Wäre sie dringend indiziert, weil Gefahr im Verzug wäre, müsste er F’s mutmaßlichen Willen ermitteln und entsprechend handeln (§ 630d Abs. 1 S. 4 BGB). In diesem Zusammenhang könnte er sich auch an Äußerungen der Angehörigen der F, wie z.B. der S, orientieren. Aber Vorsicht: S würde nicht anstelle der F in den Eingriff einwilligen. S wäre hier nur eine Art „Hilfsmittel“ für C um den mutmaßlichen Willen der F zu ermitteln. Handeln würde C aber ohne ausdrückliche Einwilligung in den Eingriff. Sein Handeln wäre aufgrund eines angenommenen mutmaßlichen Willens der F nach den Regeln der GoA in korrekte juristische Bahnen gelenkt. Sollte die Beinamputation der F noch abgewartet werden können, müsste C entweder warten, bis F aufklärungs- und einwilligungsfähig wäre oder, wenn F auch keine Person per Vorsorgevollmacht zur Vertretung für einen solchen Vorfall bestellt hätte oder eine diese Frage explizit regelnde Patientenverfügung nicht verfasst hätte (§ 630d Abs. 1 S. 2 BGB), sich an das Vormundschaftsgericht wenden. Wir fassen zusammen:

Lektion 12: Haftung wegen Aufklärungsfehler

Übersicht 26: Aufklärungsadressat ––Grundsätzlich XX Adressat der Aufklärung ist der Patient, der sich dem Eingriff unterzieht. ––Bei minderjährigen oder willensunfähigen Patienten XX die Einwilligung ist grundsätzlich durch den gesetzlichen Vertreter (Eltern, Vormund, Betreuer, Pfleger) zu erteilen. Dieser ist dann auch der richtige Aufklärungsadressat. ––In Ausnahmesituationen in denen der Patient bzw. sein gesetzlicher Vertreter zum Zweck der Aufklärung und Einwilligung nicht erreichbar sind (z.B. bewusstloser/ Notfall-Patient, nicht vorhersehbare intraoperative Änderung oder Erweiterung des Eingriffs) XX ein Eingriff kommt unter dem Gesichtspunkt einer sog. „mutmaßlichen Einwilligung“ in Betracht.



Fall 109

P sucht wegen unerträglicher Schmerzen die Arztpraxis des MundKiefer-Gesichtschirurgen MKG auf. Die Untersuchung zeigt eine so starke Erkrankung des Weisheitszahnes, dass eine Extraktion (Ziehen) vorgenommen werden muss. P wird von MKG nur gefragt, ob sie eine Spritze möchte. Leider verläuft die Sache für P sehr ungünstig: P erleidet infolge der Weisheitszahnextraktion eine Unterkieferfraktur und infolge der Spritze – Leitungsanästhesie – zusätzlich eine Verletzung des nervus lingualis (Zungennerv). Aufgrund der Unterkieferfraktur ist P über Wochen hinweg beim Kauen sehr beeinträchtigt; wegen der dauerhaften Schädigung des nervus lingualis ist außerdem P’s Geschmackssinn stark beeinträchtigt. Wird P mit der Aufklärungsrüge durchdringen? Beachten Sie bei der Beantwortung der Frage bitte, dass eine Unterkieferfraktur ein typisches Risiko einer Weisheitszahnextraktion und eine Schädigung des nervus lingualis eine typisches Risiko einer Leitungsanästhesie ist.

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Arzthaftung Nachdem MKG die P vor den erfolgten Eingriffen nicht über deren typische Risiken aufgeklärt hat, und P’s Einwilligung somit unwirksam ist, scheint die Aufklärungsrüge Aussicht auf Erfolg zu haben (vgl. z.B. OLG Hamm, Urteil v. 29.9.2010 – 3 U 169/09 m.w.N.). Aber, MKG wird sich hier auf eine hypothetische Einwilligung der P berufen, indem er vortragen wird, P hätte den Eingriff auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung durchführen lassen (§ 630h Abs. 2 S. 2 BGB), da die Weisheitszahnextraktion und die Leitungsanästhesie indiziert gewesen seien und ein vernünftiger Patient sie trotzdem hätte durchführen lassen. Diesem Einwand des MKG könnte P ihrerseits nur dadurch begegnen, indem sie vortragen würde, dass sie sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem sog. plausiblen Entscheidungskonflikt befunden hätte. P könnte darlegen, dass sie sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu einem anderen Zeitpunkt, ggf. unter günstigeren Bedingungen in einer Spezialklinik oder von einem Spezialisten den Weisheitszahn hätte ziehen lassen. Sollte der Weisheitszahn sehr gewackelt haben und schon beinahe draußen gewesen sein, könnte P auch darlegen, dass sie bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Leistungsanästhesie auf diese Art der Schmerzstillung verzichtet hätte. Ob P mit der Aufklärungsrüge durchkommen wird, hängt also letztendlich davon ab, ob MKG sich auf den Einwand der hypothetischen Einwilligung berufen wird, ob es P durch eine i.d.R. vorzunehmende persönliche Anhörung gelingen wird, einen Entscheidungskonflikt plausibel zu machen und ob es dann wiederum MKG gelingen wird, zu beweisen, dass die Schädigungen der P auch im Falle des von ihr dargelegten Verhaltens eingetreten wäre. Die Chancen für P mit der Aufklärungsrüge durchzudringen stehen jedoch nicht schlecht, denn während die Anforderungen an die Darlegungen und den Beweis einer hypothetischen Einwilligung auf Arztseite nach der Rechtsprechung sehr hoch sind, stellt die Rechtsprechung an die Darlegungen der Patientenseite bezüglich der Plausibilität eines Entscheidungskonflikts eher gemäßigte Anforderungen. Wir denken also daran:

Lektion 12: Haftung wegen Aufklärungsfehler

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Leitsatz 19 Hypothetische Einwilligung Im Falle unzureichender Aufklärung kann der Arzt zu seiner Entlastung geltend machen, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte (hypothetische Einwilligung). Diesem Einwand kann von Patientenseite das Bestehen eines plausiblen Entscheidungskonflikts entgegengehalten werden.

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Arzthaftung

Lektion 13: Die Beweislast im Arzthaftungsprozess

Fall 110

Wir kommen zurück auf unseren „Magenspiegelungsfall“ 91. P ist entschlossen wegen des lockeren Zahnes gegen A vorzugehen. Er begehrt Schmerzensgeld und Ersatz der Zahnarztkosten. Was müsste P in einem Arzthaftungsprozess darlegen und beweisen, wenn er seine Klage auf (a) Behandlungsfehler und (b) Aufklärungsmängel stützen möchte? Auch im Arzthaftungsprozess gilt zunächst die allgemeine Regel des Beweisrechts, dass jede Partei die ihr günstigen Umstände darzulegen und – notfalls – zu beweisen hat. Aus Lektion 10 wissen wir, dass P seine Schmerzensgeld- (§ 253 II BGB) und Schadensersatzansprüche (§§ 249 ff. BGB) gegen A auf folgende Anspruchsgrundlagen stützen kann: § 280 I bzw. §§ 823 I, 823 II BGB i.V.m. §§ 223, 229 StGB. Nun schauen Sie sich bitte noch einmal die Übersichten 21 und 22 mit den Anspruchsvoraussetzungen der beiden Haftungsgrundnormen – § 280 I und § 823 I BGB – an und versuchen Sie die Fallfrage zu beantworten. Zu (a): Behandlungsfehler P muss neben dem Vorliegen eines Behandlungsverhältnisses als Voraussetzung des vertraglichen Haftungsanspruches gem. § 280 I BGB folgende Voraussetzungen darlegen und beweisen, die gleichermaßen für die vertragliche und deliktische Haftung des A erforderlich sind: 1. einen Behandlungsfehler – des A – 2. einen Schaden, wobei als solcher in Betracht kommt: a) ein Primärschaden – dieser fällt zugleich mit der für das Bestehen eines deliktischen Anspruches erforderlichen Voraussetzung der Verletzung eines geschützten Rechtsguts – Leben, Körper, Gesundheit, sonst. Recht – zusammen (vgl. Übersicht 22 Ziff. 1). In P’s Fall handelt es sich hierbei um den lockeren Zahn, also um eine Körperverletzung.

Lektion 13: Die Beweislast im Arzthaftungsprozess b) und ggf. ein Sekundärschaden – ein Schaden der aufgrund des Primärschadens entstanden ist In P’s Fall wären dies die Zahnarztkosten. Auch das begehrte Schmerzensgeld fiele als Ausgleich für den immateriellen Schaden – erlittenes Leid und Schmerzen –, aber auch zugleich zur Genug­tuung für ein etwaiges Fehlverhalten des A in diese Kategorie. 3. Kausalität,  also einen Ursachenzusammenhang zwischen: a) dem Behandlungsfehler und dem Primärschaden (sog. haftungsbegründende Kausalität) und ggf. b) dem Primär- und dem Sekundärschaden (sog. haftungsausfüllende Kausalität) 4. Verschulden  (§ 276 BGB) Dieser Punkt hat in der Praxis i.d.R. wenig Bedeutung, da – wie Sie aus Lektion 11 wissen – nach der Rechtsprechung im Arzthaftungsrecht ein sog. „objektivierter ärztlicher Fahrlässigkeitsbegriff“ gilt. In unserem Fall muss P also einen Sachverhalt darlegen, aus dem sich ergibt, dass A gegen den von ihm geschuldeten medizinischen Standard verstoßen hat und A deshalb zumindest ein objektiver Schuldvorwurf gemacht werden kann. Haben Sie unsere eben angeführten Darlegungs- und Beweisanforderungen noch einmal mit den Übersichten 21 und 22 abgeglichen? Fällt Ihnen in Übersicht 22 etwas auf? Richtig – wir haben zum dort genannten 2. Prüfungspunkt – Rechtswidrigkeit – nichts erwähnt. Diese wird, sofern ein Behandlungsfehler und eine Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit, sonstigem Recht bzw. eines Schutzgesetzes vorliegt, grds. indiziert. D.h., wenn feststeht, dass A bei der Magenspiegelung des P ein Behandlungsfehler unterlaufen ist, wird automatisch angenommen, dass A auch rechtswidrig gehandelt hat. Zu (b): Aufklärungsrüge Auch die Verletzung der Aufklärungspflichten hätte eigentlich der Patient zu beweisen. § 630h Abs. 2 S. 1 BGB enthält aber eine echte Beweislast-

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Arzthaftung umkehr. Diese gilt allerdings nur für die Aufklärung – diese muss der Arzt beweisen. P selbst muss in Variante (b) nur noch den Schaden und die Kausalität beweisen. Verschulden würde, wie Sie schon wissen, durch ein objektiv ärztliches Fehlverhalten – hier eine fehlerhafte Aufklärung durch A – indiziert. Dabei sind an die Darlegungen des P sowohl in Variante (a), als auch in Variante (b) insbesondere hinsichtlich der Schilderung des medizinischen Sachverhalts nach steter Rechtsprechung nur geringe Anforderungen zu stellen. Dies leuchtet auch ein, denn P ist ja medizinisch nicht fachkundig; außerdem wird er über die Magenspiegelung auch nicht viele Angaben machen können, da er vermutlich durch eine Spritze im Dämmerschlaf war. Es wird deshalb ausreichen, wenn P konkrete Verdachtsmomente darlegt; medizinische Einzelheiten werden von P nicht erwartet. Es ist im Arzthaftungsprozess vielmehr Sache des Gerichts den medizinischen Sachverhalt von Amts wegen – i.d.R. – unter Einschaltung von Sachverständigen – zu ermitteln. Übrigens: Die für den Patienten günstigere Beweislage bei behaupteten Aufklärungsfehlern hat in der Praxis dazu geführt, dass zunehmend Ansprüche wegen Aufklärungspflichtverletzung parallel, oder, wie der BGH formuliert, als „Auffangtatbestand wegen nicht erweisbaren Behandlungsfehlers“ geltend gemacht werden. Wir merken uns:

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Leitsatz 20 Beweislast – Behandlungs-/Aufklärungsfehler Im Behandlungsfehlerprozess trägt der Patientenkläger auch die Beweislast für den Behandlungsfehler. Bei der „Aufklärungsrüge“ hat hingegen der Arzt die ordnungsgemäß durchgeführte Aufklärung zu beweisen.

Fortsetzung der Leidensgeschichte des P: Bei der zahnärztlichen Behandlung, die P wegen des lockeren Zahnes durchführen lässt, kommt es zu einer Nervenverletzung. P möchte, dass die Nervenverletzung bei der Festsetzung des Schmerzensgeldes mitberücksichtigt wird. Was gilt es hinsichtlich des Beweismaßes zu beachten?

Lektion 13: Die Beweislast im Arzthaftungsprozess Die Nervenverletzung ist ein Sekundärschaden, denn sie ist erst infolge der Behandlung des Primärschadens – lockerer Zahn – entstanden. Werfen Sie zur Orientierung bitte noch einmal einen Blick auf unser Prüfungsschema in Variante (a) mit den einzelnen von P darzulegenden und zu beweisenden Punkten. Während für den Haftungsgrund – Behandlungsfehler, Primärschaden – hier: lockerer Zahn –, haftungsbegründende Kausalität und Verschulden – gem. § 286 ZPO zur Überzeugung des Gerichts ein – so formuliert es der BGH in ständiger Rechtsprechung – „für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit“, d.h., ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit vorliegen muss, dass er „Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen“, gilt für die Haftungsausfüllung – Sekundärschaden und haftungsausfüllende Kausalität – lediglich das weniger strenge Beweismaß des § 287 ZPO. Danach ist nur erforderlich, dass das Gericht es aufgrund gesicherter Erkenntnisgrundlage für „überwiegend wahrscheinlich“ hält, dass die Nervenverletzung mit der Primärverletzung – lockerer Zahn – zusammenhängt. Verständnisfrage: Nehmen Sie an, die Aufklärungsrüge des P in Variante (b) wäre begründet. Mit welchem Beweismaß müsste P dann die Kausalität hinsichtlich des lockeren Zahnes beweisen ? Nach dem was Sie eben gelesen haben, kommt es darauf an, ob es sich hinsichtlich des lockeren Zahnes um einen Primärschaden und damit um eine Frage der haftungsbegründenden Kausalität oder um einen Sekundärschaden und damit um eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität handelt. Wie Sie inzwischen wissen, stellt nach deutschem Rechtsverständnis ein aufgrund mangelnder Aufklärung vorgenommener ärztlicher Eingriff bereits per se eine rechtswidrige Körperverletzung dar. Es ist damit bei zugrundegelegter fehlerhafter Aufklärung in unserem Magenspiegelungsfall bereits der Eingriff als solcher, also die Magenspiegelung, der Primärschaden. Der lockere Zahn ist als deren Folge deshalb – im Unterschied zu Variante (a) – bereits Sekundärschaden, so dass für die Frage der Kausalität zwischen Aufklärungsversäumnis und (schädlicher) Auswirkung des ärztlichen Eingriffs – hier: lockerer Zahn – das weniger strenge Beweismaß des § 287 ZPO gilt. Frage: Rechtsreferendar F, der von P’s Anwalt mit der Vorbereitung des Klageentwurfes beauftragt ist, stößt auf § 280 I 2 BGB. Kann er diese Vorschrift mit Blick auf den zwischen P und A zustandegekommenen Behandlungsvertrag zugunsten des P einbringen?

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Arzthaftung Schlagen Sie bitte § 280 I 2 BGB auf. Danach würde vermutet, dass A ein Verschulden trifft; es müsste A darlegen und beweisen, dass er die Pflichtverletzung – Fehlbehandlung – „nicht zu vertreten hat“. Aber Vorsicht! Ob § 280 I 2 BGB im Arzthaftungsrecht überhaupt anwendbar ist, ist von der obergerichtlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt. Nach überwiegender Auffassung ist dies wegen der Unberechenbarkeit medizinischer Behandlungen nicht der Fall. Da jedoch im Arzthaftungsrecht grds. ohnehin ein objektivierter Fahrlässigkeitsbegriff gilt, wonach A ein dem medizinischen Stand der Wissenschaft widersprechendes Verhalten zu vertreten hat, hätte eine Beweislastumkehr gem. § 280 I 2 BGB de facto kaum praxisrelevante Auswirkungen.



Fall 111

Bei F wird während eines chirurgischen Eingriffs eine Bluttransfusion nötig. Einige Zeit später erfährt F, dass sie HIV infiziert ist. Nachforschungen ergeben, dass das Blut von einem an HIV erkrankten Spender stammte. F macht Ansprüche gegen den Krankenhausträger wegen eines Behandlungsfehlers – unterlassene Prüfung der Blutspende – geltend. Streitig ist nur noch die Frage der haftungsbegründenden Kausalität. Der Krankenhausträger wendet ein, es sei nicht gewiss, dass F infolge der unterlassenen Prüfung der Blutspende mit HIV infiziert worden sei; für eine Ansteckung der F mit HIV kämen theoretisch auch andere Möglichkeiten in Betracht. Was meinen Sie – wird F den Haftungsprozess mangels Beweisen verlieren? Nach dem was Sie bisher in dieser Lektion gelesen haben, gilt der Grundsatz, dass der Haftungstatbestand und dazu gehört auch die haftungsbegründende Kausalität mit dem Beweismaß des § 286 ZPO vom Patienten bewiesen werden muss. Nach allgemeinen Beweisrechtsregeln kann jedoch die Beweislast durch den sog. Anscheinsbeweis (prima-facie-Beweis) gemildert sein. Voraussetzung hierfür ist jedoch ein sog. typischer Geschehensablauf, also ein sich aus der Lebenserfahrung bestätigender gleichförmiger Vorgang, durch dessen Typizität es sich erübrigt, die tatsächlichen Einzelumstände eines bestimmten historischen Geschehensablaufs nachzuweisen. Aufgrund der komplexen Vorgänge im menschlichen Organismus, der Unterschiedlichkeit von Behandlungsbedingungen und Behandlungsverlauf fehlt es im Arzthaftungsrecht i.d.R. an der erforderlichen Typizität, so dass ein Anscheinsbeweis eher die Ausnahme ist. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um komplexe Vorgänge, die sich im Körper der F abgespielt haben könnten, sondern um

Lektion 13: Die Beweislast im Arzthaftungsprozess die Ursache für eine Einwirkung von außen, nämlich eine Ansteckung. Der BGH hat deshalb die für einen Anscheinsbeweis erforderliche Typizität bei einer HIV-Infizierung nach Bluttransfusion von einem an AIDS erkrankten Spender bejaht. F hat aufgrund dieser BGH-Rechtsprechung gute Aussichten den Haftungsprozess zu gewinnen. Die abstrakte Vermutung des Krankenhausträgers, F könnte sich auch auf andere Weise angesteckt haben, reicht nicht aus, um den Anscheinsbeweis entfallen zu lassen. Der Krankenhausträger müsste dazu konkrete Anhaltspunkte für eine zweite mögliche Ursachenkette darlegen, wie z.B. wechselnde Geschlechtsbeziehungen zu konkreten Partnern und potentiellen HIVTrägern.



Fall 112

F wurde im Krankenhaus X per Bauchschnitt an der Gebärmutter operiert. Kurze Zeit später litt F an schrecklichen Schmerzen. Eine Röntgenaufnahme zur Abklärung der Beschwerden der F zeigte zwei Fremdkörper. Bei der anschließend durchgeführten Operation in einem anderen Krankenhaus stellte sich heraus, dass es sich bezüglich der gesichteten Fremdkörper um Tupfer handelte. F möchte gegen den Träger des Krankenhauses X wegen eines Behandlungsfehlers vorgehen. Ist F, wenn der Krankenhausträger X eine Fehlbehandlung bzgl. der Tupfer bestreitet, beweisbelastet? Wir wissen schon: Grds. obliegt die Beweislast für einen Behandlungsfehler dem Patienten. Zum Schutz des Patienten und aus Gründen der „Waffengleichheit“ sind jedoch im Arzthaftungsrecht zahlreiche Beweiserleichterungen entwickelt worden. Die wichtigsten sind durch das Patintenrechtegesetz in § 630h BGB kodifiziert worden. Eine dieser Beweiserleichterungen bildet die Fallgruppe der sog. voll beherrschbaren Risiken (§ 630h Abs. 1 BGB). Sie kommt zum Tragen, wenn sich am Patienten Gefahren verwirklicht haben, die zweifelsfrei der Behandlerseite zugerechnet werden können, weil diese bestimmte Risiken wie z.B. den ordnungsgemäßen Zustand bzw. das Funktionieren von medizinischen Geräten und Material, den zeitlichen und organisatorischen Behandlungsablauf und personelle Dispositionen vollständig überwachen und steuern kann. In F’s Fall steht laut Sachverhalt fest, dass die Tupfer von der Operation im Krankenhaus X stammen und Schmerzursache waren. Zu F’s Gunsten ist deshalb im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH (BGH NJW 1991, 983) von einer Pflichtverletzung in Form eines Behandlungsfehlers im voll beherrschbaren Operationsbereich des Arztes auszu-

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Arzthaftung gehen. Es ist nämlich Sache des Arztes durch alle möglichen zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen wie z.B. eine Kennzeichnung, Markierung bzw. das Zählen der verwendeten Tupfer, dafür zu sorgen, dass im Operationsgebiet keine Fremdkörper – hier: zwei Tupfer – zurückbleiben. Ergebnis: F ist der Grundregel zufolge zwar beweisbelastet, ihr kommt hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzung – Behandlungsfehler – durch Zurücklassen von Tupfern im Operationsgebiet – jedoch eine Beweiserleichterung zugute.



Fall 113

Orthopäde O operiert seinen Patienten S aufgrund eines positiven pathologischen Befundes am Knie. O hat den betreffenden Befund allerdings nicht in seiner Patientenkarte dokumentiert. Auch der pathologische Befund befindet sich nicht in der Patientenakte des S. Nachdem die Kniebeschwerden des S sich drastisch verschlechtern, möchte S gegen O wegen Schmerzensgeld und Schadensersatzes vorgehen. S behauptet, die Operation am Knie sei nicht indiziert gewesen. Wie ist die Beweislage hinsichtlich der Frage der OP-Indikation? S behauptet einen Behandlungsfehler des O – Therapiefehler aufgrund fehlender Indikation. Der uns bekannten allgemeinen Beweislastregel zufolge müsste S beweisen, dass der Eingriff am Knie wegen fehlender Indikation nicht hätte durchgeführt werden dürfen. Nachdem die Operation stattgefunden hat, wird S große Probleme haben den Zustand seines Knies vor der Operation zu beweisen. Hier kommt dem S jedoch eine weitere von der Rechtsprechung entwickelte Beweiserleichterung zugute: Laut Sachverhalt hat O den positiven pathologischen Befund nämlich nicht notiert. Bezüglich des pathologischen Befundes handelt es sich jedoch um eine dokumentationspflichtige Information (§ 630f Abs. 2 BGB), die der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Behandlung des S dient. O hätte den positiven pathologischen Befund eintragen oder zumindest, mit Blick auf die ihm obliegende Befundsicherungspflicht, in der Patientenakte des S aufbewahren müssen. Da dies laut Sachverhalt aber nicht geschehen ist, wird zugunsten des S unterstellt, dass ein positiver Befund nicht vorlag (§ 630h Abs. 3 BGB), so dass die Indikation zur Operation in der Tat – wie von S behauptet – in Frage steht. Aber: O muss die negativen Folgen seines Dokumentationsmangels nicht tatenlos hinnehmen; gelingt es ihm den positiven Befund auf andere Weise, z.B. mittels Zeugenvernehmung des Pathologen, eines Assistenten oder dgl.

Lektion 13: Die Beweislast im Arzthaftungsprozess zu beweisen, würde der Dokumentationsmangel für O ohne negative Folge bleiben und S wäre hinsichtlich der fehlenden Indikation für den Eingriff wieder voll beweisbelastet.



Fall 114

R wurde über mehrere Quartale hinweg von seinem Hausarzt H wegen Bluthustens mit Säften und Inhalationen behandelt. Eine Besserung der Beschwerden des R trat jedoch nicht ein. H schickte R weder zum Röntgen, noch gab er ihm eine Überweisung zum Lungenfacharzt. Als es R immer schlechter ging, suchte R auf „eigene Faust“ einen Lungenfacharzt auf. Leider zu spät. Es stellte sich heraus, dass R ein Bronchialkarzinom mit mittlerweile schon „gestreuten“ Metastasen im Gehirn hat. Muss, wenn seitens des R bzw. später von R’s Erben gegen H Ansprüche aus Arzthaftung geltend gemacht werden sollen, von Klägerseite aus bewiesen werden, dass die Metastasen im Gehirn vermieden worden wären, wenn H den R früher zum Röntgen oder zum Lungenfacharzt geschickt hätte? Auch hier gilt wieder unser Beweisgrundsatz bei Behandlungsfehlern: Es hat grds. die Klägerseite (Patientenseite) den Behandlungsfehler und die haftungsbegründende Kausalität darzulegen und zu beweisen. Vorliegend könnte R jedoch folgende wichtige Beweiserleichterung des Arzthaftungsrechts zugute kommen: die Fallgruppe des sog. groben Behandlungsfehlers (§ 630h Abs. 5 BGB). Ein Behandlungsfehler wird als „grob“ bezeichnet, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstößt und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er dem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Ob ein Behandlungsfehler grob ist, ist eine rein juristische Beurteilung, die allerdings im Rahmen einer anzustellenden Gesamtbetrachtung und i.d.R. auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens zu erfolgen hat. Vorliegend müssen R bzw. seine Erben also lediglich die Umstände vortragen, aus denen sich ein grober Behandlungsfehler ergeben könnte. Wenn das Gericht – was hier sehr wahrscheinlich ist – schlussfolgern würde, dass es einen groben Behandlungsfehler darstellt, dass H den R nicht früher zum Röntgen bzw. zu einem Lungenfacharzt geschickt hat und es weiterhin auch als generell möglich erscheint, dass dieser grobe Behandlungsfehler für das Fortschreiten von R’s Krankheit ursächlich war, wird die haftungsbegründende Kausalität zugunsten des R bzw. seiner Erben unterstellt. R bzw. seine Erben wären damit von der

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Arzthaftung schwierigen, unter Umständen kaum möglichen Beweisführung, dass die Metastasen im Gehirn auf einem Fehlverhalten des H beruhen, befreit. Dies ist auch richtig, denn durch das Gewicht bzw. Ausmaß des groben Behandlungsfehlers ist die Aufklärung des Behandlungsgeschehens und insbesondere des haftungsbegründenden Ursachenzusammenhangs für den Patienten in besonderer Weise erschwert; bliebe der Patient in einer solchen Situation weiterhin voll beweisbelastet, befände er sich zwangsläufig unbillig in Beweisnot. Mit der besonderen Beweiserleichterung des sog. groben Behandlungsfehlers soll ein Ausgleich, eine Art Waffengleichheit zwischen Patient und Behandlerseite geschaffen werden. Es wäre nun wiederum an H zu beweisen, dass ein Zusammenhang zwischen dem ihm vorzuwerfenden Fehlverhalten und dem Fortschreiten von R’s Erkrankung mit Metastasen nicht besteht. Dass H damit indirekt auch für ein etwaiges besonders schweres Verschulden bestraft werden würde, ist aber nicht Zweck, sondern nur Nebeneffekt beim „groben Behandlungsfehler“. Verständnisfrage: Warum ist die Qualifikation eines Fehlers als „grob“ nicht auch im Rahmen der Aufklärungsrüge etwa als „grober Aufklärungsfehler“ beweisrechtlich relevant? Machen Sie sich noch einmal klar, was Sinn und Zweck des sog. groben Behandlungsfehlers ist. Waffengleichheit auf der Ebene der haftungsbegründenden Kausalität. Bei begründeter Aufklärungsrüge ist über die Frage der (schädlichen) Auswirkungen eines ärztlichen Eingriffs wie z.B. Beschwerden, Schmerzzustände etc. aber nicht gem. § 286 ZPO sondern mit dem weniger strengen Beweismaß des § 287 ZPO zu entscheiden, denn es wird unterstellt, dass die mangelhafte bzw. unterlassene Aufklärung bereits per se haftungsbegründend wirkt. Dem Patienten wird im Rahmen der Aufklärungsrüge auf der Ebene der haftungsbegründenden Kausalität also bereits beweisrechtlich „unter die Arme gegriffen“; das Institut des sog. groben Behandlungsfehlers ist hier deshalb nicht nötig. Außerdem wird dem Patienten bei der Aufklärungsrüge auch schon mit § 630h Abs. 2 BGB beweisrechtlich geholfen. Zu guter Letzt noch die Lösung zu der offenen beweisrechtlichen Frage zu Fall 102: Es wird gem. § 630h Abs. 4 BGB vermutet, dass der Spritzen­ abszess auf dem Übernahmeverschulden des S beruht.

Lektion 13: Die Beweislast im Arzthaftungsprozess Wir fassen zusammen:

Übersicht 27: Beweismaß und Beweiserleichterungen Die haftungsbegründenden Voraussetzungen der Arzthaftung sind grundsätzlich vom Patienten nach dem strengen Maßstab des § 286 ZPO zu beweisen. Es kommen für den Patienten jedoch je nach Sachlage folgende Beweiserleichterungen in Betracht: ––Anscheinsbeweis bei typischem Geschehensablauf für die Frage der Kausalität (und des Verschuldens) ––Gemäß §§ 630h Abs. 1, 3 – 5 BGB ––Voll beherrschbares Risiko (Hygiene, Lagerungsschäden, Funktionstüchtigkeit der Geräte, Sicherheit, Anfängeroperation) für die Frage der objektiven Fehlverrichtung (und des Verschuldens) ––Dokumentationsmangel für die Frage eines Behandlungsfehlers ––Übernahmeverschulden für die Frage der Kausalität (und des Verschuldens) ––Grober Behandlungsfehler für die Frage der Kausalität

Zur Wiederholung: Die Einwilligung in einen Eingriff und die dieser vorausgehende Eingriffs-/Selbstbestimmungsaufklärung hat der Arzt zu beweisen (§ 630h Abs. 2 BGB).

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Arzthaftung

Lektion 14: Verfahrensoptionen

Fall 115

Wir kommen noch ein letztes Mal auf unseren unter Fall 91 und in den Lektionen 11 – 13 immer wieder angesprochenen „Magenspiegelungsfall“ zurück. Nach umfassender Prüfung der Sach- und Rechtslage hat sich herausgestellt, dass P ordnungsgemäß aufgeklärt wurde. Es kommen deshalb für ein haftungsrechtliches Vorgehen gegen A nur noch Behandlungsfehler in Betracht. Da eine Gebissschädigung zu den typischen Risiken einer Magenspiegelung gehört, zweifelt P’s Anwalt R aber daran, ob sich bei P nur eine von P hinzunehmende schicksalhafte Komplikation ereignet hat oder ob A tatsächlich einen Behandlungsfehler begangen hat. R überlegt (a) wann etwaige Ansprüche des P gegen A aus Arzthaftung verjähren würden und (b) welche Verfahrensoptionen außer einem Prozess in P’s Fall in Frage kämen. Zu (a): Seit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz verjähren sowohl vertragliche, als auch deliktische Ansprüche aus Arzthaftung für Behandlungen ab dem 1.1.2002 innerhalb von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB). Dabei kommt es für den Lauf der Verjährungsfrist ebenfalls einheitlich darauf an, dass der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Berechnet wird die Frist nicht tagesgenau, sondern erst ab dem Schluss des betreffenden Jahres. Angenommen, die Magenspiegelung hätte am 27.09.2006 stattgefunden, P hätte am 28.09.2006 den lockeren Zahn bemerkt und diesen Umstand auf einen Behandlungsfehler des A zurückgeführt, dann tritt Verjährung mit Ablauf des 31.12.2009 ein. Zu (b): Abgesehen von einem Haftungsprozess sollte R in P’s Fall noch folgende Vorgehensmöglichkeiten gegeneinander abwägen: –– Privatgutachten  Dabei handelt es sich um die für P teuerste Variante der Sachverhaltsklärung, da er die Kosten – auch wenn er rechtschutzversichert wäre – i.d.R. selber tragen müsste. Der entscheidende Vorteil eines Privatgutachtens läge darin, dass die Gegenseite von der Existenz des Gutachtenauftrages nichts erfahren würde. Bei positivem Ergebnis könnte das Gutachten zur Grundlage des Regulierungsbegehrens gemacht

Lektion 14: Verfahrensoptionen werden, bei negativem Ausgang würde R gleichwohl wertvolle Hinweise erhalten um eine weiteres Vorgehen besser beurteilen zu können. –– Anrufung  der Krankenkasse Gem. § 66 SGB V sind die Krankenkassen grds. verpflichtet, ihren Mitgliedern bei der Überprüfung und Durchsetzung möglicher Schadensersatzansprüche gegenüber dem Arzt behilflich zu sein. Dazu besteht die Möglichkeit durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK) ein kostenfreies Gutachten zu bekommen. –– Schlichtungs und Gutachterkommission Ein weiterer Weg zu einem kostenlosen Gutachten ist die Anrufung der sog. Schlichtungs- und Gutachterkommission der jeweiligen Landesärztekammer. Das Verfahren, dessen vorrangiger Zweck eine Förderung außergerichtlicher Regulierungen in Arzthaftpflichtangelegenheiten ist, ist unterschiedlich geregelt und bestimmt sich nach dem jeweils einschlägigen Statut der Landesärztekammer. Gegenüber den anderen Verfahrensoptionen hätte diese den Vorteil, dass sie verjährungshemmend wirken würde (§ 208 BGB), da die Gutachterkommissionen bzw. Schlichtungsstellen „sonstige Gütestellen“ gem. § 204 I Ziff. 4 BGB sind. Voraussetzung für die Durchführung eines solchen Verfahrens wäre aber, dass A sich dem Schlichtungsverfahren freiwillig unterwirft. Stimmt A nicht zu, gibt es kein Schlichtungsverfahren. Außerdem sollte R bedenken, dass er selbst keinen Einfluss auf das Verfahren haben wird und dass häufig nur eine Klärung aufgrund der Patientenakte vorgenommen wird, so dass ganz genau zu prüfen ist, ob sich der Sachverhalt überhaupt für ein Schlichtungsverfahren eignet. –– Anrufung  kassenärztlicher und/oder standesärztlicher Gremien Dies würde für P’s Anliegen, Schmerzensgeld- und Schadensersatz für ein etwaiges Fehlverhalten des A zu bekommen, nichts bringen. P würde hier nur in eine reine Informantenrolle hineinmanövriert. –– Strafverfahren/strafrechtliches  Ermittlungsverfahren Zwar würde hier aufgrund des geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes der Sachverhalt – ggf. mittels eines für P kostenlosen Gutachtens – aufgeklärt, allerdings sind die Voraussetzungen und Ziele von Straf- und Zivilrecht völlig unterschiedlich, so dass das Gutachten schlimmstenfalls im Zivilprozess gar nicht zu gebrauchen ist. In der Regel wird ein von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes kos-

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Arzthaftung tenloses medizinisches Gutachten im Ergebnis „teuer bezahlt“: Strafund Ermittlungsverfahren dauern sehr lange und enden oft mit einer Einstellung. Während der Dauer von Straf- bzw. Ermittlungsverfahren tut sich auf der zivilrechtlichen Ebene nichts – Haftpflichtversicherer lehnen Regulierungsverhandlungen i.d.R. ab, der Zivilprozess würde gem. § 149 ZPO grds. ausgesetzt oder es würde sein Ruhen angeordnet werden (§ 251 ZPO), oft sind die Patientenunterlagen beschlagnahmt. –– Selbständiges  Beweisverfahren Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH MDR 2003, 590) ist ein Verfahren gem. § 485 II ZPO im Arzthaftungsrecht zwar nicht mehr aus allgemeinen Erwägungen ausgeschlossen, allerdings ist fraglich, ob es in P’s Fall Sinn machen würde. Sofern nämlich auch Fragen der Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Schaden, des Schadensausmaßes sowie des Vorliegens eines ärztlichen Verschuldens einer umfassenden Klärung bedürfen und weitere Beweismittel als ein Sachverständigengutachten erforderlich sind, wird das Beweisverfahren einen sich anschließenden Zivilprozess kaum vermeiden können. Zusatzfrage: Wie sollte R Ihrer Ansicht nach, nach alledem in P’s Fall vorgehen? R sollte, nachdem er – wie geschehen – mittels einer Schweigepflichtentbindungserklärung des P Einsicht in die Patientenakte genommen hat und den Sachverhalt juristisch und medizinisch, soweit wie möglich ausgewertet hat, A anschreiben. Dabei sollte er den haftungsbegründenden Sachverhalt aus Sicht des P darstellen und A – verbunden mit der Bitte um Weiterleitung des Schreibens an dessen Haftpflichtversicherer – zur Anerkennung der Haftung dem Grunde nach auffordern. Parallel dazu könnte R sich auch an den MDK zur Begutachtung des Sachverhalts auf mögliche Behandlungsfehler wenden. Er sollte, um etwaige Regulierungsgespräche mit dem Haftpflichtversicherer des A nicht zu gefährden, die Krankenkasse aber bitten, vorerst nicht selbst in der Sache nach außen tätig zu werden. Sollte eine Einigung mit dem Haftpflichtversicherer nicht zustande kommen und sollten sich die Hinweise, dass A bei der Magenspiegelung nicht lege artis vorgegangen ist, verdichten, sollte R die Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche des P gerichtlich geltend machen.

Lektion 14: Verfahrensoptionen Für den Patienten/-anwalt: Lesen Sie § 630c Abs. 2 S. 2 BGB. Vielleicht hilft er Ihnen weiter. Wie praktikabel und durchsetzbar diese durch das Patientenrechtegesetz eingefügte Vorschrift tatsächlich sein wird, muss sich erst zeigen. Wir fassen zusammen:

Übersicht 28: Verfahrensoptionen im Arzthaftungsrecht Außergerichtlich

––Konkrete Nachfrage gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB ––Privatgutachten ––Anrufung der Krankenkasse ––Schlichtungs- und ­Gutachterkommission

Gerichtlich

––Selbständiges ­Beweissicherungsverfahren ––Haftungsprozess

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Der Arzt im Strafrecht

IV. Der Arzt im Strafrecht Lektion 15: Mögliche Straftatbestände und ihre Folgen Vorbemerkung: Auch hier sei für diejenigen, die sich über das Strafrecht einen ersten groben Überblick verschaffen möchten, auf das entsprechende Lehrbuch aus der gleichen Serie, Strafrecht – leicht gemacht®, verwiesen. In dieser Lektion kann nur kurz auf jene Vorschriften eingegangen werden, die in der Praxis am häufigsten gegen Ärzte im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit in Betracht kommen.



Fall 116

Kind K (sieben Jahre alt) wird bei einem Autounfall schwer verletzt. Im Krankenhaus nimmt Chirurg C gegen den ausdrücklichen Willen der Erziehungsberechtigten eine zwingend indizierte Amputation des Fußes nach den Regeln der ärztlichen Kunst vor. Hat C sich strafbar gemacht? Gehen Sie bitte bei Ihrer Lösung davon aus, dass keine Gefahr im Verzug vorlag und die Amputation auch um etliche Tage verschoben hätte werden können. So ähnlich lag der Fall bereits 1894 dem Reichsgericht zur Entscheidung vor und stellt seither mit seinem Ergebnis den „Stein des Anstoßes“ zwischen Medizinern und Juristen dar. Warum? Was prüfen Sie? C könnte sich einer vorsätzlichen Körperverletzung gem. § 223 I StGB strafbar gemacht haben. Gem. § 223 I StGB erfüllt den objektiven Tatbestand einer Körperverletzung, wer eine andere Person entweder „körperlich misshandelt“ oder „an der Gesundheit schädigt“. Eine körperliche Misshandlung wird i.d.R. als „üble unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden mehr als unerheblich beeinträchtigt oder sonst auf die körperliche Unversehrtheit eingewirkt wird“ verstanden. Sie liegt vor allem bei Eingriffen in die körperliche Substanz vor (Verlust von Gliedmaßen, Organen, Funktionsausfälle, Zufügung von Schwellungen, Blutergüssen, Schnitten, Narben und Schmerzen), während eine Gesundheitsbeschädigung Erkrankungen von inneren und äußeren Organen oder allgemein jede Herbeiführung oder Verschlimmerung eines Krankheitszustandes betrifft (Knochenbrüche, Wunden, ­Infektionen).

Lektion 15: Mögliche Straftatbestände und ihre Folgen Mit der Amputation des Fußes hat C in die körperliche Substanz des K eingegriffen, indem er K durch Zufügung von Schnitten, Narben und Schmerzen ein Körperglied abnahm. Und hier folgt nun die Antwort auf unser „Warum?“: Auf die Tatsache, dass der Eingriff zwingend indiziert war und auch lege artis durchgeführt worden ist, kommt es wegen der Grundsatzentscheidung des Reichsgerichts nicht an. Auch der BGH folgt in steter Rechtsprechung dem Ansatzpunkt, dass zunächst jeder ärztliche Eingriff den objektiven Tatbestand einer Körperverletzung erfüllt und es gleichgültig ist, ob die Maßnahme eines Arztes geboten ist oder nicht, ob der Arzt fehlerhaft oder sachgerecht gehandelt hat und ob sein Bemühen im Ergebnis Erfolg hat oder misslingt. Dass C bei seinem Eingriff an K auch wusste und wollte was er tat, also vorsätzlich handelte, steht außer Frage. Hat C rechtswidrig gehandelt? Hier müssen Sie die gleiche Prüfung, wie bereits in Lektion 12 erläutert, anstellen. Die Rechtswidrigkeit wird durch das Vorliegen des objektiven Tatbestandes indiziert, es sei denn es liegt ein Rechtfertigungsgrund für C vor. K dürfte mit seinen sieben Jahren nicht geistig reif genug gewesen sein, um die Tragweite der Amputation zu verstehen, so dass K selbst nicht einwilligungsfähig war. Die Einwilligung der Erziehungsberechtigten wurde ausdrücklich versagt. Eine mutmaßliche Einwilligung kommt ebenfalls nicht in Betracht, da der Eingriff laut Sachverhalt nicht dringlich war. C hätte den Weg über das Vormundschaftsgericht wählen müssen. Denkbar wäre es aber auch, hier angesichts der unvernünftigen, dem Wohl des Kindes zuwiderlaufenden Versagung der Einwilligung der Erziehungsberechtigten in den Eingriff, mit der hypothetischen Einwilligung zu argumentieren, um C im Ergebnis vor einer Strafbarkeit gem. § 223 I StGB zu bewahren. Zusatzfrage: Hat C durch die vorgenommene Amputation mittels chirurgischer Instrumente (Säge, Skalpell etc.) auch den Qualifikationstatbestand der gefährlichen Körperverletzung gem. § 224 StGB erfüllt? Gem. § 224 I Ziff. 2 StGB liegt eine gefährliche Körperverletzung vor, wenn Sie mittels eines „anderen gefährlichen Werkzeuges“ begangen wird. Hierzu hätten die von C eingesetzten Instrumente zwar die erforderliche Beschaffenheit, allerdings hat C sie nicht zum Zwecke eines Angriffs, sondern im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit bestimmungsgemäß eingesetzt, so dass eine Strafbarkeit des C gem. § 224 StGB entfällt.

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Der Arzt im Strafrecht Abwandlung: Was wäre, wenn C sich über die Anforderungen der Aufklärung geirrt hätte, indem er z.B. angenommen hätte, dass sein Handeln durch eine mutmaßliche Einwilligung des K gedeckt sei? C hätte sich in diesem Fall über das Vorliegen und die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes geirrt. Ein solcher Fall ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. In der Literatur wird er kontrovers diskutiert. Die Praxis wendet hier im Einklang mit der Rechtsprechung § 16 StGB entsprechend an mit der Folge, dass eine Strafbarkeit des C wegen vorsätzlicher Körperverletzung ausscheidet und zu prüfen wäre, ob C sich einer fahrlässigen Körperverletzung gem. § 229 StGB strafbar gemacht hat. Zusatzfrage: Hätte C sich gem. § 229 StGB strafbar gemacht? Falls ja, hätte C automatisch strafrechtliche Ermittlungen zu befürchten? Für die Frage nach der Strafbarkeit gem. § 229 StGB kommt es darauf an, ob der vorsatzausschließende Irrtum des C auf Fahrlässigkeit beruht. Hätte C erkennen können, dass hier kein Raum für eine mutmaßliche Einwilligung war, ist § 229 StGB erfüllt. Aber – zweite Frage – sowohl die vorsätzliche Körperverletzung gem. § 223 StGB, als auch die fahrlässige Körperverletzung gem. § 229 StGB sind Antragsdelikte, d.h., es werden i.d.R. nicht automatisch strafrechtliche Ermittlungen gegen C eingeleitet, sondern nur, wenn dies durch einen Antragsberechtigten (§ 77 StGB) – in unserem Fall: die Erziehungsberechtigten (§ 77 III StGB) – innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Kenntnis der Tat und des Täters (§ 77b StGB) beantragt wird (§ 230 StGB).



Fall 117

F hat in einen chirurgischen Eingriff durch C eingewilligt. C unterläuft ein Behandlungsfehler. Wir unterstellen, dass C den Fehler nicht vorsätzlich begangen hat. Ist C’ s Handeln gem. § 229 StGB strafbar, wenn feststeht, dass der Tatbestand einer fahrlässigen Körperverletzung und Verschulden vorliegen? Es bleibt nur noch die Frage der Rechtswidrigkeit zu klären. Laut Sachverhalt hat F in den chirurgischen Eingriff eingewilligt. Aber – hier läuft der Hase genau wie im Arzthaftungsrecht – der Umfang der rechtfertigenden Einwilligung ist begrenzt. Er erstreckt sich grds. nur auf eine

Lektion 15: Mögliche Straftatbestände und ihre Folgen Behandlung lege artis. Ergebnis: Jeder Behandlungsfehler begründet eine Sorgfaltspflichtverletzung, die bei Eintritt des schädlichen „Erfolgs“ grds. zur Strafbarkeit gem. § 229 StGB führt.



Fall 118

Die 20-jährige T ist in ärztlicher Behandlung beim Gynäkologen G. Als T’s Mutter M den G aufsucht, erzählt dieser M, dass T ja nun endlich einen Freund habe und schwanger sei. Hat G sich strafbar gemacht? G hat hier der M laut Sachverhalt unbefugt, also ohne Einwilligung der T, ein zum persönlichen Lebensbereich der T gehörendes Geheimnis, das ihm als Arzt bekannt geworden ist – die Schwangerschaft der T und den persönlichen Umstand, dass T einen Freund hat – offenbart. Da Gründe, die die Rechtswidrigkeit und Schuld des G entfallen lassen würden zunächst nicht ersichtlich sind, hat G sich gem. § 203 I Ziff. 1 StGB wegen Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht strafbar gemacht. Beachten Sie auch hier aber wieder, dass es sich um ein Antragsdelikt handelt (§ 205 StGB)! Abwandlung: Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn G mit M in der Annahme gesprochen hätte, T habe M die freudige Botschaft bereits längst selbst mitgeteilt? Da § 203 StGB ein reines Vorsatzdelikt ist, könnte G nur bestraft werden, wenn ihm nachgewiesen werden würde, dass er bewusst und/oder gewollt ein Geheimnis der M offengelegt hätte. Mit der vorliegenden Begründung wird dies kaum gelingen und da es eine fahrlässige Verletzung von Privatgeheimnissen nicht gibt, hätte G keine strafrechtlichen Konsequenzen zu befürchten (§ 15 StGB).



Fall 119

Kinderarzt N hegt den Verdacht, dass seine kleine Patientin M von ihrem Vater missbraucht/misshandelt wird. Gilt § 203 StGB für N? Ja. Aber lesen Sie den durch das BKiSchG eingeführten § 4 III KKG! Danach ist K unter den dort genannten Voraussetzungen befugt, das Jugendamt über seine Vermutung und Feststellungen zu informieren, nicht aber die Polizei und/oder die Presse.

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Der Arzt im Strafrecht



Fall 120

O ist seit mehreren Tagen verspannt. Als sie auch noch Kopfschmerzen bekommt, sucht sie ihren Hausarzt H auf. H weigert sich, O sofort zu behandeln. H bittet O, sich für nächste Woche einen Termin geben zu lassen. Hintergrund dieses Verhaltens des H ist, dass H sein kassenärztliches Budget für das laufende Quartal schon ausgeschöpft hat; außerdem ist H gerade telefonisch zu einem Patienten mit schwerer, andauernder Atemnot gerufen worden. O ist jedenfalls sehr verärgert und zeigt H bei der zuständigen Staatsanwaltschaft wegen unterlassener Hilfeleistung an. Wie reagieren Sie als H’s Anwalt? Um einzuschätzen, wie Sie H am besten helfen können, werden Sie zunächst materiell-rechtlich prüfen, ob H sich überhaupt wegen unterlassener Hilfeleistung gem. § 323c StGB strafbar gemacht haben könnte. § 323c StGB setzt einen „Unglücksfall“ oder gemeine Gefahr oder Not voraus. Da vorliegend eine Gefährdung der Allgemeinheit nicht ersichtlich ist, ist zu prüfen, ob bezüglich der O ein „Unglücksfall“ vorlag, als sie zu H in die Sprechstunde kam. Die Rechtsprechung definiert einen Unglücksfall als ein „plötzlich eintretendes Ereignis, das erheblichen Schaden an Menschen oder Sachen verursacht und weiteren Schaden zu verursachen droht“. Im Falle der O fehlt es bereits an einem Überraschungsmoment, denn sie ist laut Sachverhalt schon seit mehreren Tagen verspannt. Zwar hat O mittlerweile auch Kopfschmerzen bekommen, ob diese unerwartet, plötzlich und heftig als Verschlimmerung einer etwaigen Krankheit zu deuten sind, und damit einen „Unglücksfall“ begründen, ist jedoch sehr zweifelhaft. Bei nur leichten Kopfschmerzen wird kaum ein Unglücksfall anzunehmen sein. Weitere Voraussetzung für den objektiven Tatbestand des § 323c StGB wäre ferner, dass die sofortige Behandlung der O durch H erforderlich und H den Umständen nach zuzumuten gewesen wäre. Selbst wenn zugunsten der O angenommen werden würde, dass eine sofortige Behandlung erforderlich gewesen wäre, ist hier zu berücksichtigen, dass H zu einem Patienten gerufen worden war, dessen Krankheitsbild H’s Hilfe dringender erscheinen ließ, als bei O. Dringend abzuraten ist dem H, sein Budgetargument ins Spiel zu bringen, denn abgesehen davon, dass dies einer Zumutbarkeit der Hilfeleistung nicht im Wege stehen wird, würde H damit disziplinar- und/oder berufsrechtliche Konsequenzen riskieren (vgl. Lektionen 1, 3).

Lektion 15: Mögliche Straftatbestände und ihre Folgen Nachdem H sich gegenüber der O keiner unterlassenen Hilfeleistung strafbar gemacht hat, sollte H’s Anwalt sofort Kontakt zur zuständigen Staatsanwaltschaft aufnehmen und versuchen unter Darlegung des Sachverhalts aus Sicht des H, die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen H abzuwenden; sollte dies nicht gelingen, wäre eine Einstellung des Verfahrens gem. § 170 II StPO zu beantragen, da aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen kein hinreichender Tatverdacht zur Erhebung einer Anklage besteht.



Fall 121

Der zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Arzt R hat bei vielen Patienten Leistungen gegenüber der KV nach dem EBM abgerechnet ohne diese überhaupt erbracht zu haben. Durch das Abrechnungsverhalten des R haben sich die Mehraufwendungen zu Lasten der Krankenkassen auf einen erheblichen Betrag summiert. Als dies der KV auffällt, erstattet sie bei der zuständigen Staatsanwaltschaft gem. § 81 IV SGB V Strafanzeige gegen R. (a) Hat R sich strafbar gemacht? (b) Welche Rechtsfolgen hätte eine etwaige Straftat des R? Zu (a): R könnte sich wegen Abrechnungsbetruges gem. § 263 StGB strafbar gemacht haben. Voraussetzung dafür wäre, dass R „in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält“. Dadurch, dass R im Rahmen des für ihn verbindlichen Abrechnungssystems des EBM Leistungen unter einer dort genannten Gebührenordnungsziffer abgerechnet hat, hat R konkludent behauptet, dass er eine Leistung erbracht hat, die zur kassenärztlichen Versorgungsleistung gehört und nach dem EBM abgerechnet werden kann. Nachdem R die Leistungen de facto aber nicht erbracht hat, hat er die KV über einen für das Abrechnungssystem maßgeblichen Umstand getäuscht. Die auf der – falschen – Abrechnungsgrundlage erfolgte Vergütung beruht auf einem entsprechenden Irrtum und führt zu einem dem Umfang der unberechtigt geltend gemachten Leistungen entsprechenden Schaden. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte hinsichtlich Vorsatz und Bereicherungsabsicht des R, Rechtswidrigkeit und Schuld ist davon auszugehen, dass R sich wegen Abrechnungsbetruges strafbar gemacht hat.

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Der Arzt im Strafrecht Zu (b): § 263 StGB sieht als Rechtsfolge Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. Neben Strafe könnte das Gericht gegen R aber zur Sicherung der Allgemeinheit auch eine sog. Maßregel in Gestalt eines zeitlich befristeten (bis zu fünf Jahren) oder lebenslangen Berufsverbots gem. § 70 StGB anordnen. Voraussetzung dafür wäre, dass R die Betrugshandlungen nicht bloß „gelegentlich“ bei seiner ärztlichen Tätigkeit, sondern „in“ missbräuchlicher Ausübung seines Berufs oder unter grober Verletzung der mit ihm verbundenen Pflichten begangen hat. Dies ist bei Abrechnungsmanipulationen zwar stets zu bejahen, weil für R als Vertragsarzt die Einhaltung der vertragsärztlichen Vorschriften und die Achtung des ihm von den Krankenkassen entgegengebrachten Vertrauens zu den spezifischen Berufspflichten gehört, doch macht die Praxis von dieser Maßregel mit Rücksicht auf § 62 StGB (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) und die übrigen verwaltungsmäßigen Reaktionsmöglichkeiten nur äußerst zurückhaltend Gebrauch. Im übrigen wäre weitere Voraussetzung für die Anwendung des § 70 StGB, dass bei einer Gesamtwürdigung des R und seiner Taten die Gefahr der Begehung erheblicher ähnlicher Straftaten unter Ausnutzung der mit dem Arztberuf verbundenen Stellung bestünde. Ob diese Voraussetzung im Falle es R zu bejahen wäre, bedürfte näherer konkreter Prüfung. Übrigens: Gem. § 132a StPO könnte das Gericht bereits vor dem Schuldspruch, also z.B. schon im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens ein vorläufiges Berufsverbot unter den dort normierten Voraussetzungen verhängen. Im Falle des R dürften die Voraussetzungen nicht vorliegen. Behalten Sie die Norm aber trotzdem im Hinterkopf. Außer strafrechtlichen Konsequenzen drohen R berufsgerichtliche Sanktionen: Sollten R’s Abrechnungsmanipulationen – wovon laut Sachverhalt auszugehen sein wird – schwerwiegender Natur sein, wird ein berufsrechtlicher Überhang zu bejahen sein, denn die strafrechtliche Verurteilung des R würde nur die Verletzung der Strafrechtsnorm – § 263 StGB – erfassen, nicht aber zugleich eine ausreichende Reaktion auf die Verletzung der Pflicht des R zur ordnungsgemäßen Abrechnung gegenüber der KV bei Ausübung des ärztlichen Berufes darstellen. R muss also noch mit Sanktionen wie Verwarnung, Verweis, Geldbuße bzw. Feststellung der Berufsunwürdigkeit rechnen. Darüber hinaus könnte das betrügerische Verhalten des R diesen als unzuverlässig und unwürdig im Sinne der BÄO erscheinen lassen, so dass R eine Rücknahme bzw. ein Widerruf seiner Approbation gem. § 5 BÄO droht.

Lektion 15: Mögliche Straftatbestände und ihre Folgen Da R Vertragsarzt ist, hätte sein betrügerisches Abrechnungsverhalten schließlich auch kassenarztrechtliche Folgen: R drohen zunächst Regressforderungen der KV (§§ 45 I, 50 I SGB X) bzw. ein vorläufiger Honorareinbehalt zur Sicherung der Honoraransprüche. Darüber hinaus käme die Einleitung eines Disziplinarverfahrens wegen der Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Abrechnung gegenüber den Krankenkassen in Betracht (§ 81 V SGB V). Als ultima ratio besteht schließlich sogar ggf. die Möglichkeit eines Verfahrens vor dem Zulassungsausschuss wegen Entziehung der Kassenzulassung (§ 95 VI SGB V i.V.m. Ärzte-ZV). Abwandlung: Was wäre, wenn R die Leistungen zwar erbracht hätte, jedoch dafür falsche – höher bewertete – EBM-Positionen abgerechnet hätte. R würde sich damit verteidigen, dass er die praktizierte Abrechnungsweise gerade auf einem Abrechnungsseminar gelernt habe, was nachweislich stimmt. Nicht nur die Abrechnung nicht oder nicht vollständig erbrachter, also fingierter Leistungen („Luftleistungen“) fällt unter den Tatbestand des § 263 StGB, sondern auch die falsche gebührenrechtliche Bewertung oder unrichtige Zuordnung von Leistungen. Allerdings ist fraglich, ob R hier vorsätzlich und in Bereicherungsabsicht handelte oder ob R nur eine fahrlässig überhöhte Abrechnung, die keinen strafbaren Betrug darstellen würde (§ 15 StGB), zur Last gelegt werden kann. Für die Annahme eines vorsätzlichen Handelns müsste R die KV zunächst bewusst getäuscht haben und sich im Klaren darüber gewesen sein, dass er hierdurch einen Irrtum über das tatsächliche Geschehen erzeugt, der die KV zu einer Vermögensverfügung veranlassen würde. Weiterhin wäre erforderlich, dass R das Bewusstsein gehabt hätte, dass er auf die Vergütung der abgerechneten Ziffer keinen Anspruch hat. Zumindest hätte R die Täuschung und darauf basierende Vermögensverfügung der KV für gut möglich halten, sie gleichwohl aber in Kauf nehmen müssen. Ebenso hätte er das Erzielen eines Vermögensvorteils unmittelbar gewollt haben müssen. All das ist hier aber nicht der Fall: R ging aufgrund seiner neu erworbenen Kenntnisse guten Gewissens davon aus, dass er die erbrachten Leistungen wie erfolgt abrechnen durfte. Eine Täuschung der KV wurde von R nicht beabsichtigt, erst Recht nicht die Erregung eines Irrtums oder die Herbeiführung eines Schadens zu Lasten der ordnungsgemäß abrechnenden Vertragsärzte. Auch wollte R sich nicht unrechtmäßig bereichern. Eine Strafbarkeit wegen Abrechnungsbetruges scheidet damit aus.

153

154

Der Arzt im Strafrecht



Fall 122

Der zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Hausarzt H stellt dem Kassenpatienten KP, mit dem er gut befreundet ist wiederholte Male aus reiner Gefälligkeit Rezepte für teure Arzneimittel aus. KP benötigt die Medikamente nicht selbst, sondern reicht die Arzneimittel an einen guten Freund, der ihm oft hilft, weiter. Hat H sich strafbar gemacht? H könnte sich der Untreue gem. § 266 I StGB strafbar gemacht haben. Tathandlung der Untreue ist eine im Außenverhältnis wirksame, aber im Verhältnis zum Geschäftsherrn bestimmungswidrige Ausübung der Befugnis zur Vermögensverfügung oder –verpflichtung (Missbrauchstatbestand). Nach den Prinzipien des kassenärztlichen Abrechnungssystems und der Rechtsprechung des BGH handelt der Vertragsarzt H bei der Ausstellung einer Verordnung – Rezept – als Vertreter der Krankenkasse, indem er an ihrer Stelle das Rahmenrecht des einzelnen Versicherten – hier des KP – auf medizinische Versorgung konkretisiert. H darf allerdings – dies wissen Sie aus Lektion 3 – den materiellen (und formellen) Rahmen der kassenärztlichen Versorgung nicht verlassen. H darf deshalb Leistungen, die jenseits der Bandbreite offener Wertung nach den Regeln der ärztlichen Kunst eindeutig nicht notwendig, nicht ausreichend oder unzweckmäßig sind, nicht verordnen (§§ 12 I 2, 70 I 2 SGB V). Verschreibt H dennoch – wie hier – ein Medikament zu Lasten der Krankenkasse, obwohl er weiß, dass er die Leistung, da sie im Falle des KP nicht notwendig ist, nicht bewirken darf, missbraucht H die ihm gesetzlich eingeräumten Befugnisse. Damit verletzt er seine Betreuungspflicht gegenüber dem betroffenen Vermögen der Krankenkasse des KP. Der Arzt erfüllt nämlich, indem er Medikamente auf Rezept verschreibt, die im Interesse der Krankenkasse liegende Aufgabe (§ 31 I SGB V), ihre Mitglieder mit Arzneimitteln zu versorgen. Da H bei der Erfüllung dieser Aufgabe der Krankenkasse gegenüber kraft Gesetzes (§ 12 I SGB V) verpflichtet ist, nicht notwendige bzw. unwirtschaftliche Leistungen nicht zu bewirken, kommt darin eine Vermögensbetreuungspflicht zum Ausdruck. H nimmt insoweit Vermögensinteressen der Krankenkasse des KP wahr. Da H mit seinem Handeln den objektiven Tatbestand der Untreue erfüllt hat, und Vorsatz, Rechtswidrigkeit und Schuld mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ebenfalls zu bejahen wären, hat H sich wegen sog. Verordnungsuntreue gem. § 266 I StGB strafbar gemacht.

Lektion 15: Mögliche Straftatbestände und ihre Folgen Übrigens: Abrechnungsbetrug (Fall 119) und Untreue (Fall 120) werden gegenüber Vertragsärzten von den Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen (§ 81a SGB V) intensiv verfolgt. Zusammenfassend kann gesagt werden: So facettenreich, wie ärztliches Handeln ist, so vielfältig sind auch die in Betracht kommenden Straftatbestände. In der folgenden Übersicht werden Sie deshalb außer den in dieser Lektion aufgeführten Normen noch weitere Vorschriften finden, an die Sie bei der Beurteilung strafrechtlich relevanten Arztverhaltens denken sollten:

Übersicht 29: Mögliche Straftatbestände im Arztrecht A. Strafttatbestände nach StGB XX Im Rahmen der Arzt-Patientenbeziehung/Heilbehandlung §§ 223, 229 vorsätzliche und fahrlässige Körperverletzung § 222 fahrlässige Tötung § 216 Tötung auf Verlangen §§ 218 ff. Schwangerschaftsabbruch § 323c unterlassene Hilfeleistung § 203 I Nr. 1 Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht XX Im weiteren Umfeld der Heilbehandlung § 278 Ausstellen falscher Gesundheitszeugnisse § 263 Abrechnungsbetrug § 266 Verordnungsuntreue XX Industriesponsoring §§ 299, 331 ff. Korruptionsdelikte XX Medizinische Sachverständige §§ 153 ff. Falsche uneidliche Aussage und Meineid § 258 Strafvereitelung B. Straftatbestände aus Spezialgesetzen XX TPG (Transplantationsgesetz) XX BtMG (Betäubungsmittelgesetz) XX AMG (Arzneimittelgesetz)

155

156

Der Arzt im Strafrecht

Übersicht 30: Rechtsfolgen ärztlicher Straftaten Im Strafrecht §§ 38 ff. StGB

Geldstrafe, ausnahmsweise: Verwarnung mit Strafvorbehalt

Freiheitsstrafe

Berufsverbot § 70 StGB § 132a StPO

Außerhalb des Strafrechts

berufsrechtlich bei berufsrechtlichem Überhang

Verwarnung Verweis Geldbuße Feststellung der Berufs­ unwürdigkeit gemäß Kammer- und HeilberufsG/Land

§ 5 BÄO Rücknahme bzw. Widerruf der Approbation

kassenarztrechtlich

––Regress ––bei vertragsarzt­ rechtlichem Überhang: Disziplinarverfahren/ Entziehungsverfahren als ultima ratio

arzthaftungsrechtlich §§ 280, 823 BGB

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Abkürzungen ÄppO AbrPr-RL Ärzte-ZV AMG BÄK BÄO BedarfsplRL-Ä BGB BGH BKiSchG BMV-Ä BO BPflV BSG BSeuchG BtMG BVerfG EBM EKV GBA GKV GKV-VStG GoA GOÄ GVG IfSG JArbSchG KBV KHEntgG KKG KV MBO-Ä MuWO m.w.N. MVZ RöVO SGB

Ärzteapprobationsordnung Abrechnungsprüfungsrichtlinien Zulassungsverordnung für Vertragsärzte Arzneimittelgesetz Bundesärztekammer Bundesärzteordnung Bedarfsplanungsrichtlinien Ärzte Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Bundeskinderschutzgesetz Bundesmantelvertrag Ärzte Berufsordnung Bundespflegesatzverordnung Bundessozialgericht Bundesseuchengesetz Betäubungsmittelgesetz Bundesverfassungsgericht Einheitlicher Bemessungsmaßstab Ersatzkassenvertrag Ärzte Gemeinsamer Bundesausschuss Gesetzliche Krankenversicherung Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der GKV Geschäftsführung ohne Auftrag Gebührenordnung für Ärzte Gerichtsverfassungsgesetz Impfschutzgesetz Jugendarbeitsschutzgesetz Kassenärztliche Bundesvereinigung Krankenhausentgeltgesetz Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz Kassenärztliche Vereinigung (Muster-)Berufsordnung für die deutschen ­Ärztinnen und Ärzte Muster-Weiterbildungsordnung mit weiteren Nachweisen Medizinisches Versorgungszentrum Röntgenverordnung Sozialgesetzbuch

Abkürzungen SGG SoldG StGB StPO StrlSchVO StVollzG TPG UWG VA VwGO WBO WPflG ZPO

Sozialgerichtsgesetzbuch Soldatengesetz Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strahlenschutzverordnung Strafvollzugsgesetz Transplantationsgesetz Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Verwaltungsakt Verwaltungsgerichtsordnung Weiterbildungsordnung Wehrpflichtgesetz Zivilprozessordnung

159

160

Sachregister



A

Abrechnungsbetrug 151 Ambulanz 59 Analogabrechnung 88 Anscheinsbeweis 136 ff. Antragsdelikt 148 Approbation 8 ff. Apparategemeinschaft 19 f. Aufklärung 67 ff., 120 ff. Ausgelagerte Praxisräume 16 Außenseitermethoden 125

B

Beamte 13, 107 Befundsicherungspflicht 138 Behandlungsvertrag 43 ff. Behandlungsfehler 106 ff., 132 ff. Behandlungspflicht 64 ff. Belegarzt 27, 57, 103 Berufliche Kooperation 17 ff. Berufszugang 5 f. Berufsausübung 5 ff. Berufsausübungsgemeinschaft 17 ff. Berufsethik 40 Berufsgerichtsbarkeit 11 Berufspflichten 10 Berufsrechtlicher Überhang 12 Berufsordnung 10 ff. Berufsverbot 152 Beweismaß 134 ff.

C

Chefarzt

D

57, 104 f.

Dienstvertrag 44 ff. Disziplinarverfahren 30 ff. Dokumentation 72 ff., 138 f. Duldungspflicht 81

1

E

Ehegatten 62 f. Eingriffsaufklärung 70 f., 120 ff. Einheitlicher Bemessungsmaßstab 90 f. Einwilligung 120 ff., 147 ff. Ermächtigung 24

 F

Ferndiagnose Fernbehandlung Freier Beruf

66 65 20, 39

G

Gemeinschaftspraxis 17 ff., 54 Gesperrtes Gebiet 25 ff., 33 Geschäftsführung ohne Auftrag 49, 116 GKV-Viereck 51 Grober Behandlungsfehler 139

H

Haftung 97 ff. Hoheitliches Handeln 31, 49, 100 Honorarbescheid 91 ff. Honorarvereinbarung 87 Hypothetische Einwilligung 130 f.

I

IGeL-Leistungen

K

95

Kassenärztliche Vereinigung 28 ff., 90 Kassenpatient 23, 27, 44, 51 ff., 55 ff., 90 ff., 100 Kausalität 98 f., 133 ff. Kinder 60 ff., 111 ff., 126 f., 149 Körperverletzung 146 f.

Sachregister Krankenhausaufnahmevertrag 56 ff.

L

Laborgemeinschaft

17, 19

M

Medizinischer Dienst der ­Krankenkasse 143 Medizinische ­Kooperationsgemeinschaft 17 ff. Medizinisches ­Versorgungszentrum 24, 54 Mitwirkungspflicht 78

N

Nachbesetzungsverfahren Nachsorgepflicht Niederlassung

27 77 14 ff.

O

Offenbarungspflicht 74, 82 Organisationsgemeinschaft 17 Organisationsmängel 112

P

Plausibler Entscheidungskonflikt 130 Plausibilitätskontrolle 91 Praxisgemeinschaft 17 f., 54 Praxiskauf 26 Praxisnetz 17 Praxisverbund 17 Privatgutachten 142 Privatpatient 27, 51 ff., 55 ff., 84 ff., 94

Q

Qualitätsbezogene Sonderbedarfszulassung

26

R

Residenzpflicht Risikoaufklärung

29 67 ff.

S

Sachlich-rechnerische Richtigstellung 92 f. Schadensersatz 99 Schlichtungskommission 145 Schmerzensgeld 99 Schweigepflicht 75 ff., 144, 149 Selbständiges Beweisverfahren 144 Selbstbestimmungsaufklärung 66 ff., 115 ff. Selbstbestimmungsrecht 39, 81, 98, 127 Sicherungsaufklärung 68, 124 ff. Solidaritätsprinzip 41 Sorgfaltsmaßstab 101 Staatshaftung 100 Steigerungssatz 86 ff.

T

Teilgemeinschaftspraxis 17 f. Therapiefreiheit 39 f., 123 Therapeutische Aufklärung 68, 124

U

Übernahmeverschulden 118 f. Umsatzsteuer 96 Unfallhilfe 116 f. Unterlassene Hilfeleistung 155 Untreue 154 ff. Unwürdigkeit 8 Unzuverlässigkeit 8

V

Vergütung

79 ff.

161

162

Sachregister Verjährung 89, 142 Vertragsärztliche Versorgung 19 ff. Voll beherrschbares Risiko 141

W

Weiterbildung Werkvertrag

5 ff. 44 f.

Werbung 21 f. Wirtschaftlichkeitsgebot 41, 114 Wirtschaftliche Aufklärung 68 Wirtschaftlichkeitsprüfung 91

Z

Zielleistungsprinzip Zulassung Zweigpraxis

87 24 ff. 15

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