Ars et Verba: Die Kunstbeschreibungen des Kallistratos 9783110925685, 9783598730566

In Late Antiquity the otherwise unknown rhetor Callistratus wrote a series - unique in its kind - of fourteen descriptio

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Ars et Verba: Die Kunstbeschreibungen des Kallistratos
 9783110925685, 9783598730566

Table of contents :
Vorwort
Einleitung in Autor und Werk
1. Der Autor
2. Editionen und Intepretationen: Die bisherige wissenschaftliche Beschäftigung mit Kallistratos
3. Das Werk: Titel, Aufbau und Intentionen
4. Autopsie - ja oder nein?
5. Zum Text
1. „Auf einen Satyr“
2. „Auf das Standbild einer Bakche“
3. „Auf das Standbild des Eros“
4. „Auf das Standbild eines Inders“
5. „Auf das Standbild des Narziss“
6. „Auf das Standbild des Kairos in Sikyon“
7. „Auf die Darstellung des Orpheus“
8. „Auf das Standbild des Dionysos“
9. „Auf das Standbild des Memnon“
10. „Auf das Standbild des Paian“
11. „Auf das Standbild eines Jünglings“
12. „Auf das Standbildeines Kentauren“
13. „Auf das Standbild der Medea“
14. „Auf das Bild des Athamas“
Literaturverzeichnis
Indices
1. Namen und Sachen
2. Stellen (in Auswahl)
Abbildungs- und Tafelverzeichnis
Tafeln

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Ars et Verba Die Kunstbeschreibungen des Kallistratos

Ars et Verba Die Kunstbeschreibungen des Kallistratos Einführung, Text, Übersetzung, Anmerkungen, archäologischer Kommentar von

Balbina Bäbler und

Heinz-Günther Nesselrath

K G · Saur München · Leipzig 2006

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet Uber http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2006 by Κ. G. Säur Verlag GmbH, München und Leipzig Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten. All Rights Strictly Reserved. Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlags ist unzulässig. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, 99947 Bad Langensalza ISBN 13: 978-3-598-73056-6 ISBN 10: 3-598-73056-X

RUDOLFO KASSEL OCTOGENARIO

Inhaltsverzeichnis IX

Vorwort Einleitung in Autor und Werk

1

1. Der Autor

1

2. Editionen und Interpretationen: Die bisherige wissenschaftliche Beschäftigung mit Kallistratos 3. Das Werk: Titel, Aufbau und Intentionen

5 8

4. Autopsie - ja oder nein?

12

5. Zum Text

16

I . , Auf einen Satyr"

18

2., Auf das Standbild einer Bakche"

27

3., Auf das Standbild des Eros"

40

4. ,Auf das Standbild eines Inders"

50

5. ,Auf das Standbild des Narziss"

56

6. ,Auf das Standbild des Kairos in Sikyon"

67

7., Auf die Darstellung des Orpheus"

79

8. ,Auf das Standbild des Dionysos"

87

9., Auf das Standbild des Memnon"

97

10., Auf das Standbild des Paian"

105

I I . , Auf das Standbild eines Jünglings"

111

12. ,Auf das Standbild eines Kentauren"

117

13., Auf das Standbild der Medea"

123

14., Auf das Bild des Athamas"

132

Literaturverzeichnis

140

Indices

147

1. Namen und Sachen

147

2. Stellen (in Auswahl)

151

Abbildungs- und Tafel Verzeichnis

155

Tafeln

157

Vorwort

Dieses Buch ist entstanden, um einen großen Gelehrten zu ehren, der in diesen Tagen sein achtzigstes Lebensjahr vollendet und dem sich beide Verfasser seit langer Zeit - der eine seit nahezu drei Jahrzehnten - verbunden fühlen. Als Thema haben wir einen relativ unbekannten, aber nicht uninteressanten Autor ausgewählt, zu dessen Erschließung wir aus unseren jeweiligen Wissenschaftsgebieten hoffen etwas beitragen zu können. So stammen aus der Einleitung die Abschnitte 2 („Editionen und Interpretationen"), 3 („Das Werk") und 5 („Zum Text") von Heinz-Günther Nesselrath, die Abschnitte 1 („Der Autof") und 4 („Autopsie-ja oder nein?") gemeinsam von ihm und Balbina Bäbler. In den einzelnen Kapiteln gehen Einführung, Text und Übersetzung auf HeinzGünther Nesselrath zurück, der archäologische Kommentar auf Balbina Bäbler (mit einzelnen philologischen Ergänzungen durch Heinz-Günther Nesselrath). Die Indices wurden von Balbina Bäbler erstellt. Für die schnelle Drucklegung und Publikation sind wir dem Verlag Saur und hier vor allem Frau Dr. Elisabeth Schuhmann - zu großem Dank verpflichtet. Möge dieses kleine Geburtstagsgeschenk nicht nur dem, für den es zunächst bestimmt ist, ein wenig Freude bereiten, sondern auch allen interessierten Lesern einen Autor erschließen helfen, der uns noch heute einen bemerkenswerten Einblick in Kunstauffassungen und Bildungsbetrieb der Spätantike gewährt. Göttingen, Anfang Mai 2006

Balbina Bäbler Heinz-Günther Nesselrath

Einleitung in Autor und Werk 1. Der Autor „Den Kallistratos habe ich in der neuen Ausgabe von Schenkl und Reisch wieder durchgelesen; ich will's nun aber gewiß nicht wieder tun, denn lohnen kann ers nur mit dem Spaß, den eine Coniectur macht, zu lernen ist nichts, was ich freilich wußte, und die 'Rettung' auch dieses Sophisten hat ... für mich nur den Reiz der pathologischen Erscheinung, so etwas verwindet die Philologie wie ein Kind die Röteln." (Wilamowitz 1905, 171 = KS IV 218)

Als Wilamowitz diese Worte schrieb, war eine längere und zum Teil recht intensive Periode philologischer Beschäftigung mit den Ekphraseis des Kallistratos soeben zu Ende gegangen; für den 'Rest' des 20. Jh.s sollte dieser Text ganz den Archäologen gehören, und daran waren Wilamowitz' Bemerkungen wahrscheinlich nicht ganz unschuldig. Dabei waren die Urteile auch von Philologen keineswegs immer so negativ gewesen. Der erste deutsche Übersetzer, David Christoph Seybold, fand 1777 sehr lobende Worte für die Schrift1: ,Jhr großer und wahrer Geschmack findet nicht leere Verzierungen und Schnirkelwerke, sondern nur das schön, was simpel, der Natur getreu und edel ist". Siebzig Jahre später äußerte sich auch A. Gräfenhan in seiner 'Geschichte der Klassischen Philologie' (von 1846) sehr positiv2: „die Schilderung ist so vortrefflich und würde ein so schöpferisches Kunstgenie voraussetzen, wie es kaum bei einem Künstler anzunehmen ist." Der für die philologische wie archäologische Beschäftigung mit Kallistratos gleichermaßen wichtige (vgl. u.) Christian Gottlob Heyne nannte unseren Autor 1801 „orationis ... ornamentorum ac lenociniorum mirabilem artificem, statuarum enarratorem haud ineptum, et dilectu simulacrorum a summis statuariis elaboratorum nobis quidem gratissimum" (199) und hob an ihm hervor, „quod communem sermonem mira arte artium notionibus accommodare novit" (ebd.).3

1

Zitiert bei Altekamp 1988, 124. Noch frühere Autoren (Olearius 1709, Fr. Junius, De Pictura Veterum Libri tres, Roterodami 1694) fanden das Adjektiv „elegans" bei Kallistratos durchaus angemessen. 2 3

Ebenfalls zitiert bei Altekamp 1988, 124.

Positive Urteile gibt Heyne auch zu einzelnen von Kallistratos' Beschreibungen: Beim Satyrn (Ekphr. 1) bemerkt er „Haec quidem praeclare esse adumbrata, nolis negare" (200), bei der Bakche des Skopas (Ekphr. 2) „Subtiliter ingeniosus est scriptor in declaranda sensus adumbratione" (202), beim Eros des Praxiteles (Ekphr. 3) „Sophistae ars ... excellit in declaranda mollitudine aeris in adumbrandae corporis ... mollitudine" (204); beim Kairos des Lysipp (Ekphr. 6) hebt er die „diligentior de-

2

EINLEITUNG IN AUTOR UND W E R K

Nur vier Jahre zuvor jedoch hatte andererseits Friedrich Jacobs - Wilamowitz gleichsam antizipierend - ein pauschales Verdammungsurteil ausgesprochen („nihil ieiunius et sterilius Callistrati ingenio, nihil oratione eius puerilius"4), das 28 Jahre später von Friedrich Gottlieb Welcker5 zustimmend zitiert wurde. Wer ist dieser Autor, der so verschiedene Urteile hervorgerufen hat? Kein einziger antiker oder byzantinischer Text gibt uns einen sicheren Hinweis auf die Identität des Mannes, der in der Mehrzahl (nicht in allen) der Handschriften6 als Autor der vierzehn Beschreibungen genannt ist, die den Gegenstand dieses kleinen Buches bilden. Wir kennen eine ganzer Reihe antiker Kallistratoi7: unter anderem einen Regisseur diverser Stücke des Komödiendichters Aristophanes, einen wichtigen athenischen Redner und Politiker aus der Zeit des Demosthenes, einen recht bedeutenden alexandrinischen Philologen (und Schüler des Aristophanes von Byzanz); der Verfasser der Ekphraseis dagegen ist so unbekannt, dass selbst seine Lebenszeit sich nur durch relativ unsichere Indizien einigermaßen plausibel bestimmen lässt. So gingen im Lauf der Jahrhunderte die Meinungen darüber, wer dieser Mann gewesen sein und wann er gelebt haben könnte, verständlicherweise sehr auseinander: Der erste seiner Übersetzer, der Franzose Blaise de Vigenere, sah gegen Ende des 16. Jh.s unseren Autor klar in der Nachfolge der Philostrate und setzte ihn damit bereits in die vergleichsweise späte Antike: „il devoit estre du temps presque des Philostrates, ou peu apres, attendu sa conformite du style, tenant du leur, qu'il imite et suit pas ä pas" (1596/1615/1637, 849). Demscriptio" (208) im Vergleich zum Epigramm des Poseidipp hervor (vgl. auch 209 zur gleichen Beschreibung: „Habemus hic egregie adumbratum artificum ingenium"), zu Kallistratos' Sätzen über den Orpheus auf dem Helikon (Ekphr. 7) bemerkt er: „Praeclara haec ad exhibendam menti speciem signi" (211), und zur Beschreibung des Kentauren (Ekphr. 12): „Descriptio ... haud indocte instituta" (216). Ambivalenter äußert er sich zur Beschreibung des Dionysos des Praxiteles (Ekphr. 8: „luxuriante oratione", 212), zu der des Memnon-Kolosses (Ekphr. 9: „Multus est Sophista in miraculo vocis e saxo auditae", 213) und zu der des Paian/Asklepios (Ekphr. 10: „multa cum arte rhetorica", „per multas argutias", 214 Anm. n). Erst am Ende v o n Ekphr. 11 (dem Jüngling des Praxiteles) werden ihm die Wiederholungen des Kallistratos allmählich doch etwas zuviel: „Subnascitur tandem legentibus fastidium ex copia orationis in eadem notione reddenda, toties iterata ..." (216, Anm. o). 4

Jacobs 1797, VII.

5

Bei Jacobs 1825, LXXII.

6

Vgl. die Adnotatio bei Schenkl - Reisch, p. 45.

7 In der Realenzyklopädie sind 43 Kallistratoi mit sieben weiteren in den Supplementen aufgeführt. Wie verbreitet der Name „Kallistratos" in der griechischen Welt generell war, lehren die Bände des Lexicon of Greek Personal Names·. Band I enthält s.v. Kallistratos 132 Eintragungen, Bd. II: 174, Bd. lila: 64, Bd. Illb: 81, Bd. IV: 41.

1. DER AUTOR

3

gegenüber wollte ihn der Editor Gottfridus Olearius8 zu Beginn des 18. Jh.s mit einem viel früheren Namensvetter, nämlich Kallistratos von Aphidna, dem berühmten athenischen Redner und Politiker der Demosthenes-Zeit identifizieren (also noch ins mittlere 4. Jh. v. Chr. setzen). Dagegen schlug fast zur gleichen Zeit der Schöpfer der berühmten Bibliotheca Graeca, Johann Albert Fabricius9, einen Kallistratos der Zeit Plutarchs vor 10 ; dies war dann auch die Meinung des schon erwähnten Friedrich Jacobs 1797. Bereits vier Jahre später aber stellte Christian Gottlob Heyne - in der Nachfolge von de Vigenere - das zeitliche Verhältnis zwischen den Philostraten und Kallistratos im wesentlichen richtig heraus, indem er ihn als „seriorem istis [seil. Philostratis] nec cum rhetore, aut cum grammatico, Aristarchi aequali, nec cum eo, quem ... Plutarchus memoravit, confundendum" (198f.) bezeichnete. In seiner kommentierten Ausgabe von 1825 rückte dann auch Jacobs von seiner früheren (und Fabricius') Datierung ab und räumte ein: „ad seriora tempora detrudendus videtur" (XXXVII). Seitdem geht es im wesentlichen darum, wie spät innerhalb der Spätantike man Kallistratos anzusetzen hat. Ist er wirklich im Gefolge Philostrats des Jüngeren, des Enkels Philostrats des Älteren, zu sehen, wie inzwischen allgemein angenommen wird, kann man ihn auf keinen Fall vor 300 n.Chr. datieren. Auch eine Reihe stilistischer und sprachlicher Indizien scheint darauf hinzudeuten, dass Kallistratos nicht vor dem 4. Jh. n.Chr. geschrieben hat 11 . Die Teubner-Editoren von 1902 (vgl. u.), Karl Schenkl und Emil Reisch, hatten sich bei ihrer Datierung ins spätere 4. Jh. vor allem auf das von Wilhelm Meyer 1891 aufgestellte und von Paul Maas 1902 modifizierte Klausel-Akzentuierungsgesetz gestützt 12 , doch hat Altekamp 1988 (80f.) die Gültigkeit dieses Ergebnisses mit nicht ganz von der Hand zu weisenden Gründen in Zweifel gezogen13.

8

Olearius 1709, 757-760) „in Anlehnung an Meursius" (Altekamp 113; vgl. bereits Fabricius - Harles 1796, 558). 9 Vgl. Fabricius - Harles 1796, 559f.; die Erstausgabe der Bibliotheca erschien 1705.

1988, Graeca

10 Vgl. Def. or. 2, 410A: έπι Καλλιστράτου (τοΰ> καθ' ήμας; Quaest. conv. IV 4,1, 667D; 5, If., 669E-F; VII 5,1, 704C u. Ε; 5,3, 705B. 11

Vgl. die Editoren Schenkl und Reisch p. XXIIf.

12

Fairbanks 1931, 369 hat die Beobachtungen von Schenkl / Reisch ohne weiteres übernommen. 13

Laut Altekamps (1988, 80f.) eigenen Untersuchungen schwankt die Einhaltung des Meyerschen Gesetzes durch Kallistratos in einzelnen Beschreibungen zwischen 88 % und weniger als 50 %, was ihn an der Gültigkeit des KlauselAkzentuierungsgesetzes bei Kallistratos zweifeln lässt. Darüber hinaus sieht Altekamp 1988, 82 jedoch auch die sprachlichen Indizien, die von Früheren für einen

4

EINLEITUNG IN AUTOR UND WERK

Altekamp seinerseits kommt jedoch ebenfalls - dank archäologischen Indizien - in die Zeit des späteren 4. oder frühen 5. Jh.s: Er stellt fest (1988, 82. 95f.), dass es starke Indizien dafür gibt, dass Kallistratos' Beschreibungen in keiner geringeren Stadt als Konstantinopel selbst entstanden sind; dort nämlich befanden sich in der Spätantike zwei der von ihm beschriebenen Kunstwerke, die Mänade des Skopas (Ekphr. 2), und der Kairos des Lysipp (Ekphr. 6) mit Sicherheit, und die in Ekphr. 3, 8 und 11 beschriebenen Bronzestatuen des Praxiteles zumindest mit größter Wahrscheinlichkeit14. Damit würde die Gründung der Stadt 330 n. Chr. einen Terminus post quem liefern und könnte auch einen Hinweis auf die Lebensumstände des Autors geben; Kallistratos, der zweifellos ein gebildeter und mit der literarischen Tradition der Ekphrasis vertrauter Autor war, brauchte für sein Anschauungsmaterial kaum zu reisen, sondern konnte sich in dem städtischen „Freilichtmuseum" Konstantinopels inspirieren lassen. Darüber hinaus lässt sich die Vermutung äußern, dass Kallistratos einige der Kunstwerke in einer ganz bestimmten, damals sehr berühmten Sammlung gesehen haben könnte, nämlich der des Lausos, der 391 n. Chr. in den Quellen zum ersten Mal erwähnt wird und 420 n. Chr. praepositus sacri cubiculi war; diese Stellung verlieh ihm (wohl als einzigem außer dem Kaiser selbst) die Mittel, eine solche Sammlung aufzubauen15. Es sieht so aus, als seien Kallistratos' Auswahlkriterien für seine Beschreibungen - die Höhepunkte der antiken Skulptur, die interessantesten Werke, die berühmtesten Bildhauer auch die des Lausos gewesen, wobei es dem .Politiker" Lausos wohl sehr stark darum ging, mit einer repräsentativen Auswahl aus der Kultur der großen alten Zeit die neue Stadt und die neuen Machthaber (darunter natürlich nicht zuletzt sich selbst) zu legitimieren. Eine andere Interpretation bietet Sarah Bassett (2004, bes. 111, 115f.): für sie drückt die Sammlung des Lausos, die neben dem olympischen Zeus auch zahlreiche andere berühmte Kultstatuen - etwa die Aphrodite von Knidos, die Athena von Lindos, die Hera von Samos - enthielt, den „christlichen Triumph" über die griechisch-römischen heidnischen Institutionen aus. Die Zurschaustellung paganer Kultbilder als Spolien „gave visual life to the imperial Einfluss des jüngeren Philostrat (um 300 n.Chr.) auf Kallistratos angesehen wurden, als nicht entscheidend an. 14

Bekanntlich war Kaiser Konstantin war bestrebt, seine neue Hauptstadt möglichst repräsentativ auszugestalten, und ließ zu diesem Zweck aus der ganzen Mittelmeerwelt berühmte Kunstwerke herbeischaffen. Vgl. Eus. VConst. III 54,2f.; vgl. jetzt Bassett 2004, 37-49. 15 Zum Lausospalast und der Sammlung, in der sich wohl auch der berühmte monumentale olympische Zeus des Phidias befand, Bäbler 2000a, 236-238. Jetzt auch Bassett 2004, 98-120 (232-238 Zusammenstellung aller Quellen zur Sammlung des Lausos).

2 . EDITIONEN UND INTERPRETATIONEN

5

house's intent to wipe out pagan cult", zeige aber auch „an antiquarian regard for the past and a profound desire to preserve it, if only in a denatured state" (a. O. 115). Diese Interpretation geht m. E. zu weit, vor allem angesichts des Umstandes, dass bereits im 4. Jh. pagane Bildmotive ohne weiteres in christliche Kontexte übernommen werden konnten; man denke nur an die dionysischen Szenen im Mausoleum der Tochter Konstantins (Santa Costanza in Rom). Es ist schwer vorstellbar, dass ein gebildeter spätantiker Kunstkenner Skulpturen großer griechischer Meister sammelt, um damit einer christlichen Ideologie Ausdruck zu verleihen 16 . Der Palast des Lausos fiel freilich mit all seinen Kunstwerken schon wenige Jahrzehnte nach dem Tod seines Besitzers im Jahr 475 n. Chr. einem großen Brand zum Opfer; diese beklagenswerte Katastrophe würde - wenn die Vermutung, dass Kallistratos einige Objekte seiner Beschreibungen in Lausos' Palast sah, zutrifft - immerhin einen Terminus ante quem auch für seine Ekphraseis liefern. 2. Editionen und Interpretationen: Die bisherige liche Beschäftigung mit Kallistratos

wissenschaft-

Man kann die bisherige Auseinandersetzung mit Text und Inhalt von Kallistratos' Werk in drei Phasen einteilen: Von da" ersten gedruckten Ausgabe bis an die Schwelle des 19. Jh.s gehörte er fast ausschließlich den Philologen; im 19. Jh. haben sich sowohl Philologen als auch Archäologen vergleichsweise intensiv um ihn bemüht; seit dem Beginn des 20. Jh.s aber scheint er dann fast nur noch für Archäologen von Interesse gewesen zu sein: Die wichtigste Arbeit des vergangenen Jahrhunderts erschien 1988 von dem Archäologen Stefan Altekamp. Die Editio princeps der vierzehn Ekphraseis erschien 1503 in Venedig bei Aldus Manutius (zusammen mit Werken Lukians und den Eikones der beiden Philostrate) 17 . Dieser Ausgabe lag offenbar ein nicht besonders guter Vertreter der B-Handschriftenfamilie zugrunde 18 ; hier sind die Reihenfolge der Statue des

16 Skeptisch äußert sich auch A. Eastmond in seiner Rez. zu Bassett 2 0 0 4 (BMCR 2006. 01. 43), der zu Recht bezweifelt, dass jede nach Konstantinopel gebrachte Statue Teil eines größeren Plans war, der „no room for random acquisition" gelassen hätte. 17 Kallistratos' σεις Καλλιστράτου. 18

Beschreibungen finden sich auf p. 523-529; Titel: 'Εκφρά-

Vgl. Schenkl - Reisch, p. XXVIII.

6

EINLEITUNG IN AUTOR UND W E R K

Eros (Ekphr. 3) und des Inders (Ekphr. 4) miteinander vertauscht, und Ekphr. 11 wird als weitere Erosstatue des Praxiteles eingeführt 19 . Das 16. Jahrhundert hat noch eine Reihe weiterer Drucke des Kallistratos erlebt 20 , stets in Verbindung mit den Philostraten und mit keinen textlichen Fortschritten gegenüber da- Editio Princeps. Im Jahre 1596 erschien die erste Übersetzung des Textes, und zwar ins Französische von Blaise de Vigen£re 21 ; hier lautet der Titel der Ekphraseis zum ersten Mal - und nicht ganz korrekt, wenn man an die Beschreibung Nr. 14 denkt - „Les statues de Callistrate"22, der sich fortan als sehr hartnäckig erweist. Die erste zweisprachige Ausgabe mit lateinischer Übersetzung erschien 1608 23 , und der ins Lateinische übertragene Titel des Werkes lautet nunmehr ebenfalls „Callistrati expositiones statuarum"24. Dies ist die erste Ausgabe, die über die Drucke des 16. Jh.s textlich hinauskommt. Auf weitere - und größere - Fortschritte in Text, Übersetzung und Kommentierung musste man noch einmal hundert Jahre warten: 1709 erschien in Leipzig die wiederum zweisprachige (mit einer erheblich überarbeiteten lateinischen Übersetzung versehene) Ausgabe von Gottfridus Olearius (nach 19 Das hängt mit der fehlerhaften Lesart θεόν in den Handschriften der BFamilie (statt ήνθεον) in der ersten Textzeile zusammen. 20 Im Jahr 1517 erschien eine Juntina (Icones Philostrati. Philostrati Junioris Icones. Eiusdem heroica. Descriptiones Callistrati. Eiusdem vitae Sophistarum, Florentiae: Iunta, 1017 [i.e. 1517]), im Jahr 1522 ein Nachdruck der Aldina von 1503, im gleichen Jahr eine Aldina/Aesculana, die ebenfalls nur ein Nachdruck der Ausgabe von 1503 ist, im Jahr 1535 eine weitere Juntina (mit der Überschrift Έ κ (ρρασις Καλλιστράτου), im Jahr 1550 eine Ausgabe in einem anderen venezianischen Verlagshaus („apud Petrum et Jo. Mariam Nicolinos Sabinenses"). 21 Les images ou Tableux de platte peinture des deux Philostrates Sophistes grecs et des statues de Callistrate, mis en Francis par Blaise de Vigenere. Rev. et corr. ... nouv. ed., Paris 1596, dann 1615. 22 In ausführlicherer Form vor dem Text selbst: ,La description de Callistrate de quelques statues antiques tant de marbre comme de bronze". Selbst Nr. 14 ist noch überschrieben „La statue d'Athamas", während die Kommentierung mit dem Satz beginnt: „II y avoit un tableau de bas relief de stucq sur les rivages de la Scythie, non tant pour demontrer le fait advenu de ce qu'il vouloit representer, comme pour en contendre aves les plus excellentes peintures ..." 23 Philostrati Lemnii Opera Qvae Extant : Philostrati Ivnioris Imagines, Et Callistrati Ecphrases ... Cvm MNSS. Contvlit, Recensvit: Et hactenus nondum Latinitate donata, vertit Federicus Morellus, Parisiis 1608. Morellus (bzw. Federik Morell, 1558-1630) war Typographus regius und Professor in Paris und hinterließ ein umfangreiches philologisches Werk (vgl. W. Pökel, Philologisches SchriftstellerLexikon, Leipzig 1882, 180). 24

Der Titel von Nr. 14 lautet bei Morellus bezeichnenderweise „In Athamantis signum", was ebenfalls eine Plastik (vgl. Nr. 8 - 10, 13) und kein Gemälde bezeichnet.

2 . EDITIONEN UND INTERPRETATIONEN

7

dessen Paginierung noch heute manche Werke des älteren Philostrat zitiert werden)25. Diese Edition blieb ihrerseits 116 Jahre lang die maßgebliche kritische Ausgabe 26 , bis 1825 die von Friedrich Jacobs (und Friedrich Gottlieb Welcker) publiziert wurde. 24 Jahre früher (1801) war jedoch mit der „Callistrati Statuarum Illustratio" von Christian Gottlob Heyne bereits eine Abhandlung erschienen, die man zu Recht einen „Meilenstein" (Altekamp 1988, 118) in der Forschung zu unserem Autor nennen darf, denn Heyne war der erste, der zumindest einzelne Beschreibungen mit konkreten Kunstwerken in Verbindung brachte 27 , dabei aber dennoch - und sehr zu Recht (vgl. u.) - die primär rhetorischen Intentionen des Autors bei diesen Texten hervorhob („enarrationes seu descriptiones, rhetorica exercitatione potius institutae quam artis commendandae et interpretandae caussa", 199). Friedrich Jacobs'Ausgabe von 1825 2 8 verwertete fünf Handschriften (Praef. XXXVIIf.) und zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass ihr Editor eine stattliche Anzahl von eigenen Konjekturen in den Text aufnahm, von denen einige sicher zu weit gingen, viele aber bis heute Bestand haben. Die Ausgabe ist auch dadurch bemerkenswert, dass Jacobs als archäologischen Beistand systematisch Friedrich Gottlieb Welcker heranzog, dessen Beiträge jeweils mit eigener subscripts im umfangreichen Kommentar (p. 679-728) zu finden sind. Das 19. Jh. brachte noch mehrere weitere Kallistratos-Editionen hervor: Die 1844 erschienene Ausgabe von C. L. Kayser 29 verwertete bereits elf Hand-

25 Philostratorvm Quae Svpersvnt Omnia ... Callistrati Descript. Statvarvm Omnia Ex Mss. Codd. Recensvit Notis Perpetvis Illvstravit Versionem Totam Fere Novam Fecit Gottfridvs Olearivs, Lipsiae 1709. Kallistratos' Werk wird in der Ausgabe mit dem Titel „Καλλιστράτου 'Εκφράσεις / Callistrati Descriptiones Statuarum" (p. 7 5 5 ) eingeführt. 26 In ihr steht auch zum ersten Mal die Beschreibung der Eros-Statue (Ekphr. 3) vor der des Inders (Ekphr. 4). 27 Vgl. Heynes Bemerkungen zu Ekphr. 3 (205), 5 (208), 8 (213), 13 ( 2 1 9 ) ; gelegentlich scheint ihm ein solcher Bezug aber auch zu fehlen (vgl. 2 1 4 zu Ekphr. 10: „Non videtur hic certum aliquod signum ante oculos habuisse auctor".

Wenige Jahre vor Heyne widmete Friedrich Jacobs dem Kallistratos zwei Abhandlungen (1794 und 1797; die erste ein ausschließlich textkritischer Kommentar, die zweite enthielt immerhin auch einige sachliche Angaben) gewidmet, in denen noch kein Blick auf Monumente geworfen wurde. 28 Philostratorum Imagines Et Callistrati Statuae / Textum Ad Fidem Veterum Librorum Recensuit Et Commentarium Adiecit Fridericus Iacobs. Observationes, Archaeologici Praesertim Argumenti, Addidit Fridericus Theophilus Welcker ..., Leipzig 1825. 29 Flavii Philostrati quae supersunt, Philostrati junioris imagines, Callistrati descriptiones ed. C. L. Kayser, Turici 1844 (2. Aufl. 1853).

8

EINLEITUNG IN AUTOR UND WERK

Schriften und stellte damit einen weiteren Fortschritt dar (zumal er auch einen knappen Sachapparat beigab). Fünf Jahre später erschien die letzte zweisprachig griechisch-lateinische Ausgabe, eine Didotiana, in Paris 30 ; 1871 edierte Kayser in seiner Gesamtausgabe der Philostrate auch den Kallistratos nochmals31. Die immer noch maßgebliche kritische Ausgabe ist die von Karl Schenkl und Emil Reisch herausgegebene Teubneriana von 190232, mit einer umfangreichen und sehr guten Praefatio (ρ. Χ Χ Π - LIII), die in wünschenswerter Klarheit die Beziehungen und Qualitäten der nunmehr 20 Handschriften darstellt und mit wichtigen archäologischen Hinweisen zu Beginn jeder neuen Beschreibung des Kallistratos im textkritischen Apparat ausgestattet ist33. Seit dieser Ausgabe hat es eigentlich keine philologische Diskussion zu Kallistratos mehr gegeben; die heute allgemein gebräuchliche griechisch-englische Loeb-Ausgabe von Arthur Fairbanks, in da- man seit 1931 Kallistratos zu benutzen pflegt (wenn man ihn benutzt), ist textlich völlig von Schenkl und Reisch abhängig34. Zur Forschungsgeschichte vgl. u. S. 12-15 die Ausführungen zur Frage der Autopsie.

3. Das Werk: Titel, Aufbau und Intentionen Die vierzehn uns unter Kallistratos' Namen überlieferten Kunstbeschreibungen beginnen völlig unvermittelt, d.h. ohne jede Vorrede, wie sie immerhin bei beiden Philostraten zu finden ist; man hat deshalb vermutet, dass der Anfang des Werkes verlorengegangen sein könnte, und vielleicht nicht nur

30 Philostratorum siis 1849 ( N D 1878).

et Callistrati opera / recogn. Antonius Westermann, Pari-

31 Flavii Philostrati opera / auctiora edidit C. L. Kayser. Accedunt... Philostrati Junioris Imagines, Callistrati Descriptiones; V o l . 2, Lipsiae 1871. 32 Philostrati minoris imagines et Callistrati Schenkl et Aemilius Reisch, Leipzig 1902.

descriptiones

/ rec. Carolus

33 Kritischere Bewertung bei Wilamowitz 1905, 171f. = KS IV 218f. (er lobt die Recensio, aber nicht die Emendatio der Editoren). 34 Nur an wenigen Stellen entscheidet sich Fairbanks gegen Schenkl Reisch: In Ekphr. 6,4 (p. 57,21) liest er (mit Α und Jacobs) έπήγε (statt έπη δε), v g l . dazu u. S. 68 Anm. 5; in Ekphr. 14,1 (p. 70,14) liest er (wiederum mit Jacobs; v g l . bereits Morellus) ά λ λ α εις ά γ ω ν ί α ν (statt ά λ λ α και ά γ ω ν ί α ν ) , vgl. u. S. 133 Anm. 4 ; in 14,3 (p. 71,9) έπί την άκραν (έπι bereits Heyne, nicht - wie auch von Schenkl Reisch angegeben, erst v. Arnim) statt και την άκραν; ibid. (p. 71,1 I f . ) και Ζέφυρου τ ι κατείχε (Kayser) τ ο κΰμα (ebenfalls bereits Heyne, nicht - wie auch v o n Schenkl - Reisch angegeben, erst v. Arnim) statt και Ζέφυρου τ ι κατέχει το σ ώ μ α , vgl. u. S. 133 Anm. 5.

3 . D A S W E R K : TITEL, AUFBAU UND INTENTIONEN

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der Anfang 35 , sondern auch das Ende des Werks - jedenfalls haben die TeubnerEditoren Schenkl und Reisch die merkwürdige Tatsache, dass die letzte Beschreibung unseres Autors keine Statue, sondern ein Gemälde betrifft, in diese Richtung deuten wollen: „itaque suspicio incidit post illud caput quaedam periisse" (p. XLVII). Vielleicht behandelt jedoch nicht nur diese Beschreibung, sondern auch noch eine andere keine Statue (vgl. u.); und wenn dies zuträfe, wäre das von Schenkl und Reisch angeführte Indiz wohl kaum noch für eine Unvollständigkeit des Textes am Ende zu verwerten. Auf den ersten Blick wirkt die Zusammenstellung der 14 Beschreibungen völlig willkürlich und zufällig: 1. Satyr

8. Dionysos (Praxiteles)

2. Bakche

3. Eros

(Skopas)

(Praxiteles)

9. Memnon

4. Inder

5. Narziss

6. Kairos

7. Orpheus

(Lysipp)

10. Paian-

11. Ei'theos

Asklepios

(Praxiteles)

12. Kentaur

13. Medea

14. Athamas

Bei genauerer Betrachtung lassen sich jedoch bestimmte Gruppen mit gemeinsamen Zügen erkennen: Insgesamt fünf Beschreibungen behandeln Kunstwerke von namentlich genannten Künstlern (2. Bakche: Skopas, 3. Eros: Praxiteles, 6. Kairos: Lysipp, 8. Dionysos: Praxiteles, 11. Ei'theos: Praxiteles). Nur zwei haben Frauen zum Gegenstand (2. Bakche, 13. Medea). Fünf behandeln untereinander recht ähnliche Jünglingsfiguren (3. Eros, 5. Narziss, 8. Dionysos, 10. Paian, 11. Ei'theos); drei dagegen etwas 'rauer', 'männlicher' charakterisierte Gestalten (1.Satyr, 4. Inder, 12. Kentaur). Fünf beschreiben individuelle (menschliche) Gestalten des Mythos (5. Narziss, 7. Orpheus, 9. Memnon, 13. Medea, 14. Athamas); fünf stellen bestimmte „Typenwesen" dar (1. Satyr, 2. Bakche, 4. Inder, 11. Ei'theos, 12. Kentaur); fünf behandeln göttlich-unsterbliche Wesen (1. Satyr, 3. Eros, 6. Kairos, 8. Dionysos, 10. PaianAsklepios). Zwei beschreiben etwas „aus dem Rahmen fallende Wesen" (6. Kairos, 12. Kentaur). Vier haben Angehörige des Wirkkreises des Dionysos (ihn selber eingeschlossen) zum Thema (1. Satyr, 2. Bakche, 4. Inder, 8. Dionysos). Vier zeigen Gestalten im Zustand von starker Erregung, Wahnsinn oder Ekstase (2. Bakche, 4. Inder, 13. Medea, 14. Athamas); demgegenüber befinden sich zwei im Zustand frohen Lachens (3. Eros, 8. Dionysos); drei sind in einem Schwebezustand zwischen verschiedenen Emotionen (5. Narziss, 9. Memnon, 13. Medea ); zwei ruhen in sich (7. Orpheus, 10. Paian). Vier

Vgl. Schenkl - Reisch p. XLVII, die ferner darauf hinweisen, dass auch die Überschrift der ersten Beschreibung (ΕΙΣ ΣΑΤΥΡΟΝ) sich von den übrigen unterscheidet, die stets den Zusatz ΑΓΑΛΜΑ (bzw. im Fall von Ekphr. 14 ΕΙΚΩΝ) haben; auch Altekamp 1988, 107 nimmt an, dass ein ursprünglich vorhandenes Prooemium verlorenging.

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EINLEITUNG IN AUTOR UND WERK

schicken sich gerade zu einer besonderen Bewegung an (1. Satyr, 3. Eros, 6. Kairos, 14. Athamas). Drei beschreiben Kunstwerke, die mit 'exotischen' Lokalisierungen verbunden sind (1. Satyr: Ägypten, 9. Memnon: 'Äthiopien', 14. Athamas: 'an den Ufern von Skythien'); drei nennen für ihre Kunstwerke griechische Lokalitäten (6. Kairos: Sikyon, 7. Orpheus: Helikon, 13. Medea: Makedonien), drei einen locus amoenus, eine Quelle oder einen Hain oder beides (4. Inder; 5. Narziss, 8. Dionysos), zwei bestimmte Bauten oder BauAnlagen als Standort (11. Eitheos: 'Akropolis', 12. Kentaur: 'Propyläen' eines Tempels); drei machen keinerlei lokalisierende Angaben (2. Bakche, 3. Eros, 10. Paian). Die gerade beschriebenen Gruppen (die jeweils zwei bis fünf Mitglieder umfassen) überschneiden sich mannigfach; gelegentlich finden sich zwei von ihnen direkt nebeneinander, jedoch auch nie mehr als zwei. Mit einer Ausnahme (Ekphr. 11 und 12 sind beide bestimmten Gebäudekomplexen zugewiesen) stehen die Angehörigen der fünf Zweiergruppen nicht nur nicht nebeneinander, sondern sind auch auf die erste und die zweite Hälfte der insgesamt 14 Beschreibungen verteilt. Darüber hinaus lassen sich zwischen den beiden Siebener-Gruppen vielleicht weitere noch Korrespondenzen bei der Platzierung der einzelnen Beschreibungen feststellen: An der jeweils ersten Stelle steht ein Kunstwerk mit dionysischen Bezügen (1. Satyr - 8. Dionysos); die jeweils eine Frauendarstellung steht in da - ersten Hälfte an der zweiten, in der zweiten an der zweitletzten Stelle (d.h. in gleichsam 'axialsymmetrischer' Anordnung: 2. Bakche - 13. Medea; und schließlich könnte es sein, dass die Ekphr. 14 (Athamas: keine Statue, sondern ein Gemälde) mit der letzten Beschreibung der ersten Hälfte dergestalt korrespondiert, dass auch diese (Orpheus, vgl. u.) keine Statue wiedergibt. Wahrscheinlich sollte man sich davor hüten, den gerade skizzierten Gruppen und Korrespondenzen zu viel Bedeutung beizulegen; dennoch sieht es so aus, als habe derjenige, der die Ekphraseis in dieser Weise anordnete, damit doch gewisse Absichten verfolgt - zumindest die einer recht überlegt angestrebten Poikilia, die das ganze Beschreibungs-Ensemble in eine bewusste Spannung von Wiederholungen und Variationen zu bringen bemüht ist. Wichtig ist das Streben nach Poikilia, sowohl in der Anordnung der Beschreibungen als auch im Aufbau der einzelnen Beschreibungen selbst 36 . Was war mit der Sammlung dieser Texte überhaupt bezweckt? Bereits Heyne hat darauf hingewiesen, dass es hier weniger (oder vielleicht gar nicht) um Kunstbeschreibung oder Vergegenwärtigung von Kunst an sich als vielmehr um Rhetorik geht („enarrationes seu descriptiones, rhetorica exercitatione potius institutae quam artis commendandae et inteipretandae caussa", 199). Der 36 Schenkl - Reisch p. LI weisen auf die „longe diversa ... in singulis capitibus describendi ratio" hin; vgl. auch Altekamp 1988, 108f.

3. D A S WERK: TITEL, AUFBAU UND INTENTIONEN

überlieferte Titel unserer Schrift ist έκφράσεις; die εκφρασις ist ein regulärer Bestandteil jener aus der Antike überlieferten rhetorischen Schulbücher, die Progymnasmata heißen, weil sie diese „Vorübungen" systematisch - beschreibend und mit Beispielen - für die Rednerschule darstellen. Die Progymnasmata definieren die Ekphrasis als eine „beschreibende Rede, die das, was dargestellt wird, klar vor Augen führt; eine Ekphrasis kann Personen, Gegenstände, Orte und Zeiten darstellen"37. Diese Definition geht freilich weit über Beschreibungen von Kunstwerken hinaus; jedoch wird gerade in der Spätantike das Wort speziell für solche Beschreibungen verwendet, wie etwa die Praefatio gerade des Jüngeren Philostrat zeigt: „Eine Ekphrasis von Werken der Malerei wurde von meinem Namensvetter und Großvater verfasst"38; ähnlich äußert sich der in Konstantinopel wirkende Rhetoriklehrer Nikolaos von Myra (1. Hälfte des 5. Jh.s): „Wenn wir Ekphraseis besonders von Standbildern oder Gemälden oder Ähnlichem verfassen, müssen wir versuchen, Überlegungen für diese oder jene Gestaltung von seiten des Malers oder Bildhauers hinzuzufügen, zum Beispiel etwa, dass er einen aus folgendem Grund Zürnenden oder sich Freuenden malte, oder wir werden eine andere Emotion nennen, die sich aus da - Geschichte dessen, von dem die Ekphrasis handelt, ergibt ,.." 39 Mit solchen Ekphraseis bewegen wir uns also in einem didaktischen Milieu; und dass auch die Kunstbeschreibungen des Kallistratos im Rahmen der Rednerschule entstanden sein könnten (als Demonstrationsobjekte zur Nachahmung durch die Schüler?), mag der Umstand zeigen, dass der Sprecher in diesen Texten sich mehrfach entweder an einen 40 oder sogar mehrere41 Zuhörer

37 So Theon p. 118,7-9 Spengel: "Εκφρασις έστι λόγος περιηγηματικός έναργώς ΰπ' δψιν άγων τό δηλούμενον. γίνεται δέ έκφρασις προσώπων τε και πραγμάτων και τόπων και χρόνων. Ähnlich Aphthonios p. 36,22-37,2 Rabe: "Εκφρασίς έστι λόγος περιηγηματικός ύπ' οψιν άγων έναργώς τό δηλούμενον. Έκφραστέον δέ πρόσωπα τε και πράγματα, καιρούς τε και τόπους, άλογα ζωα και προς τούτοις φυτά ... Vgl. ferner Hermogenes (?), Prog. p. 10,1 Rabe; Nicolaus, Prog. p.68,8-13 Feiten. 38

έσπούδασταί τις γραφικής έργων εκφρασις τώμφ όμωνύμφ τε και μητροπάτορι ... (2 ρ. 861,9-11 01. = ρ. 390,10-12 Κ.) 39 Nicolaus Prog. p. 69,4-10 Rabe: Δει δέ, ήνίκα αν έκφράζωμεν και μάλιστα αγάλματα τυχόν ή εικόνας ή εϊ τι άλλο τοιούτον, πειράσθαι λογισμούς προστιθέναι του τοιοΰδε ή τοιοΰδε παρά τοΰ γραφέως ή πλάστου σχήματος, οίον τυχόν ή οτι όργιζόμενον εγραψε δια τήνδε την αίτίαν ή ήδόμενον, ή άλλο τι πάθος έροΰμεν συμβαίνον τη περι τοΰ έκφραζομένου ιστορία ... 40

Vgl. Ekphr. 6,1: Έθέλω δέ σοι καί τό Λυσίππου δημιούργημα τφ λόγφ παραστήσαι; 9,1: Έθέλω δέ σοι και τό Μέμνονος άφηγησασθαι θαΰμα ; 11,1: Τεθέασαι τον ήίθεον έπ' άκροπόλει... ή δει σοι της τέχνης παραστήσαι τό πράγμα; 41

Vgl. Ekphr. 2,1: τί δέ ΰμΐν οΰκ άνωθεν τον ένθουσιασμόν της τέχνης διηγούμαι; 2,5: γνώσεσθε ; 5,6: τούτον θαυμάσας, ώ νέοι, τον Νάρκισσον και εις υμάς παρήγαγον.

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EINLEITUNG IN AUTOR UND WERK

wendet. 42 Wenn es sich hier tatsächlich um Schultexte mit didaktischen Funktionen handelt, werden vielleicht auch die Wiederholungen (die den Unmut manches früheren Philologen erregten) in den einzelnen Beschreibungen verständlicher und vielleicht erträglicher. Bereits wiederum Heyne übrigens hat eine Verbindung zwischen diesen Texten des Kallistratos und den Ekphraseis gezogen, die man in den Progymnasmata des Libanios findet43. Dabei sah Heyne den Libanios als einen Imitator des Kallistratos an, doch könnte - angesichts der unklaren Datierangssituation (vgl. o.) - das Verhältnis auch durchaus umgekehrt sein. 4. Autopsie - ja oder nein? Hat Kallistratos die Kunstwerke selber gesehen, die er beschreibt? Auf diese Frage sind unterschiedliche Antworten gegeben worden: Heyne fand es offensichtlich sinnvoll, Kallistratos' Beschreibungen mit realen Kunstwerken in Verbindung zu bringen. Welcker war demgegenüber viel skeptischer und wollte aus dem Umstand, dass Kallistratos sicher nicht alle von ihm beschriebenen Kunstwerke an den von ihm genannten Orten gesehen haben konnte, einen Generalverdacht gegen alle von Kallistratos präsentierten Beschreibungen ableiten 44 . Doch rechnete kurz nach dieser skeptischen Äußerung auch er damit, dass Kallistratos mit seinen Ekphraseis wirkliche Kunstwerke oder wenigstens deren Kopien wiedergibt, und fügte hinzu, dass sich in diesen

42 Bemerkenswert ist auch das Erscheinen der 1. Pers. Plur.; vgl. Ekphr. 1,5 (τοΰτο θεασάμενοι ... έπιστεύομεν), 2,3 (ΐδόντες ... εστημεν), 6,3 (ήμεΐς μεν ούν αφασία πληγέντες προς την θέαν είστήκειμεν), 6,4 (και τό μεν ήμΐν θαΰμα τοιούτον ήν), 10,1 (το μεν ... γενέσθαι πειθόμεθα ..., άγαλμα δέ οϋ πιστεύσομεν, ... του συνοικοΰντος την δύναμιν πρέπειν; άλλ' εις μεν ανθρώπινα κατάγεσθαι τό θείον δώσομεν,... ού πιστεύσομεν δέ ...), 10,4 (ήμεΐς μεν δή σοι και λόγων, ώ Παιάν, νεαρών ... άπηρξάμεθα), 11,3 (αφασία πληγέντες είστήκειμεν); sowie der 1. Pers. Sing.: Ekphr. 3,5 (έμοί μεν δή θεασαμένφ ... έπη ει πιστεύειν), 10,2 (έμοί μεν ούν ού τύπος είναι δοκεΐ τό όρώμενον), 12,1 (Εις ιερόν είσιών σεμνόν τι και μέγα ... έν τοις προπυλαίοις τοΰ νεώ ίδρυμένον θεώμαι κένταυρον), 13,1 (Είδον και τήν πολυθρύλητον ... Μήδειαν). 43 Heyne 1801, 220f. Anm. u: „Ceterum hi sophistae, qui tabularum et statuarum interpretationem exercitationis rhetoricae fundum fecerunt, habuerunt et ipsi imitatores suos. Est in his Libanius ... multo tarnen minus dignus otio hominis litterati, qui in artium vestigia inquirat." Anschließend zählt Heyne einige solcher Ekphraseis des Libanios auf. 44

Bei Jacobs 1825, LXXI: „Hoc extra dubium positum videtur, hunc sophistam locis suis non cognovisse omnia ...; et quamvis unum alterumve signum revera ubi simulat vidisse potest (...), in hoc tarnen scriptore quam vim habere possint verba vidisse se, admiratum esse, stupefactum (...), non intelligo ... haec sufficiunt ad reliqua etiam omnia in suspicionem vocanda."

4 . AUTOPSIE - JA ODER NEIN?

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Beschreibungen offenbar keine schweren Fehler feststellen lassen 45 . Im Gefolge Heynes und Welckers haben auch die späteren philologischen Editoren auf Beziehungen zwischen diesen Texten und Kunstwerken, die in Museen noch vorhanden sind, hingewiesen; namentlich Schenkl und Reisch haben überzeugend darauf aufmerksam gemacht, dass es doch geradezu widersinnig wäre, wenn ein Redner inmitten einer Welt, die voll war von sichtbaren Exemplaren bildender Kunst, bei Ekphraseis von Kunstwerken auf Fiktionen zurückgegriffen hätte46; Fehler bei Zuschreibungen seien freilich nicht auszuschließen (p. LI). Was die Kunstwerke betrifft, die sich an entfernteren Lokationen befunden haben sollen, so halten Schenkl und Reisch auch hier einen Besuch des Autors nicht für unmöglich, weisen aber auch - zu Recht - darauf hin, dass Kallistratos z.B. beim Memnon-Standbild nirgends behauptet, er habe es selbst gesehen 47 ; sie rechnen im übrigen - wiederum zu Recht - damit, dass Kallistratos neben Autopsie (die er zum Teil auch aus dem Gedächtnis wiedergegeben haben könnte) auch schriftliche Quellen zur Ausführung seiner Beschreibungen nutzte 48 . Sehr umstritten war die Frage der Autopsie des Kallistratos auch - und gerade - in der Archäologie: Einflussreich und grundlegend für eine weitgehend negative Sicht des Kallistratos war hier Johann Joachim Winckelmann, der in

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„Plurimas imaginarum suarum ex statuis marmoreis, quas ad celeberrimorum signorum exemplar expressas locus innumeris expositas fuisse constat, quasdam etiam ex sola fama et epigrammatis cognitas habuisse potest. Exemplaria quaenam ex aere flata, quae ex marmore sculpta fuerint, probe noscit, et in reliquis etiam errores graviores commisisse non videtur" ( L X X I I ) . 46 „Permirum sane nobis esse videretur, si quis ad artis fingendi praestantiam demonstrandam fictis potius quam iis quae extant monumentis uti vellet. Plane autem superfluum esset, si sophista, qui quarto post Christum natum saeculo vixisse videtur, cum ingens fere signorum ... multitudo praesto esset, ipse nova statuarum argumenta excogitavisset ... Neque locorum, in quibus statuas collocatas fuisse refert, nomina eum commentum esse putamus. Quae enim causa ei fuit, cur celeberrimam illam Medeae statuam in Macedonia fuisse confingeret (...) ?" (L) Die Editoren weisen auf viele dafür sprechende Indizien hin: „Atque profecto simulacra quaedam a Callistrato descripta olim extitisse scriptorum confirmatur testimoniis, de ceteris idem comprobatur signis simillimis quae ad nostram memoriam pervenerunt" (ebd.). Aus dem gleichen Grund sei auch nicht anzunehmen, dass Kallistratos Künstlernamen zu den von ihm beschriebenen Kunstwerken aus freier Erfindung hinzugefügt hätte: „etenim Scopam Baccham et Lysippum Occasionis statuam fecisse aliorum quoque scriptorum auctoritate adfirmatur" (ebd.). 47

Vgl. im Gegenteil Ekphr. 1,5: τον Αιθιόπων λίθον εμφωνον Μέμνονος έπιστεύομεν γενέσθαι, und 9,3: έκείνφ τφ Μέμνονι καΐ την Ήχώ λόγος άντηχεϊν. 48 „in paucis tantum descriptionibus ea quae ipse praesens viderat in usum suum convertere potuit, aliae eis quae memoria tenebat, aliae denique scriptorum testimoniis innituntur" (p. LI).

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EINLEITUNG IN AUTOR UND W E R K

der Geschichte der Kunst des Alterthums (1764, XI [XVIII]49) feststellte: „Dieser magere Sophist hätte noch zehnmal so viele Statuen beschreiben können, ohne jemals eine einzige gesehen zu haben." Bemerkenswerterweise kam jedoch später der bedeutende Archäologe Adolf Furtwängler aufgrund derselben Geringschätzung gerade zum entgegengesetzten Ergebnis: „Man traut diesem Sophisten wahrlich viel zu viel zu, wenn man glaubt, er hätte sich wirkliche künstlerische Motive frei ausgedacht. Das ging ja weit über seine Fähigkeiten. Und wozu sollte er das thun, er, der in einer Welt lebte, die von Statuen dicht angefüllt war" (Furtwängler 1891, 65f.). Furtwängler plädierte daher dafür, Kallistratos dort Vertrauen entgegenzubringen, wo er genaue Angaben mache; aber wie man ζ. B. bei Ekphr. 3 („Eros") feststellen kann, hielt er sich in der Folge selber nicht an diesen Grundsatz, wenn eine Statuenzuschreibung, die er aus stilistischen Gründen vornahm, Kallistratos' Angaben widersprach (dazu Altekamp 1988, 121; vgl. u. S. 46). Die Frage, ob Kallistratos die von ihm beschriebenen Kunstwerke wirklich selbst gesehen hat, ist bis heute kontrovers; sie muss, wie sich zeigen wird (vgl. u.), differenziert beantwortet werden. In den nachstehenden archäologischen Kommentaren zu den einzelnen Ekphraseis lassen sich immer wieder Archäologen anführen, die Kallistratos ernst nahmen und aufgrund seiner Beschreibungen ein Kunstwerk identifizieren konnten; ein Beispiel dafür ist gleich Ekphr. 1 („Satyr"), die ζ. B. Brunn 1846,469f. dank der genauen Beschreibung des Standmotivs der Statue mit einem bestimmten Werk verbinden konnte. Insgesamt muss man freilich feststellen, dass vor allem im 20. Jh. das Interesse an Kallistratos, ja auch nur die Bereitschaft, ihn unvoreingenommen zu lesen, in der Archäologie zunächst fast ganz schwindet, wozu vielleicht auch beitrug, dass der Stil der Autors (der ja auch von Philologen negativ vermerkt wurde), die Lektüre nicht immer leicht macht. Bezeichnend ist etwa die Bemerkung von Rizzo 1932, 78, der im Zusammenhang mit Praxiteles der „aufgeblasenen rhetorischen Übung" des Kallistratos keinesfalls sein Ohr leihen wollte. Wie aber bei Ekphr. 8 („Dionysos"), um die es in diesem Fall geht, eingehender gezeigt werden wird, scheint oft der Zirkelschluss vorzuliegen, dass Kallistratos kategorisch als unzuverlässig abgetan wird, wenn kein Kunstwerk mit seinen Beschreibungen identifiziert werden kann. Zwar gibt es unzählige antike Kunstwerke, von deren Existenz wir aus da - antiken Literatur wissen, obwohl sie inzwischen verloren gegangen sind, doch in diesem Fall scheint man den

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Die Zahl in eckigen Klammern gibt die Seite der neuen maßgeblichen Ausgabe an: Johann Joachim Winckelmann. Schriften und Nachlaß, Bd. 4,1, Geschichte der Kunst des Alterthums. Text: Erste Auflage Dresden 1764 - Zweite Auflage Wien 1776, hrsg. von Α. H. Borbein, Th. W. Gaehtgens, J. Irmscher, M. Kunze (Mainz 2002).

4 . AUTOPSIE - JA ODER NEIN?

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„mageren Sophisten" geradezu persönlich für die Überlieferungslage verantwortlich machen zu wollen! Die einzige neue archäologische Arbeit zu Kallistratos insgesamt ist die von Altekamp 1988, der sich eingehend mit dem Autor befasst und exemplarisch fünf ausgewählte Beschreibungen (Ekphr. 2, 3, 6, 8, 11) bespricht. Er kritisiert vor allem die Auswahlkriterien und den kunsttheoretischen Hintergrund des Kallistratos, dem er ein „oberflächliches Schönheitsideal" (142) und "Trivialität", die durchgehend für alle Ekphraseis bestimmend sei (143), vorwirft. Dennoch kommt er in seiner insgesamt ausgewogenen Arbeit zu dem Schluss (111): „Kallistratos erreicht [ ... ] ein hohes Niveau. Sein Wert als Quelle für Spezialfragen der Kunstgeschichte der Antike ist beträchtlich." Zwei Jahre später erschien die dreibändige Monographie von Antonio Corso über die epigraphischen und literarischen Quellen zu Praxiteles' Leben und Werk (Corso 1990), in der Kallistratos' Beschreibung dreier praxitelischer Statuen (Ekphr. 3, 8, 11) ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt wird. Knapp sechzig Jahre nach dem vernichtenden Urteil seines Landsmannes Rizzo (vgl. o.) bietet Corso damit die eingehendste Analyse und positivste Würdigung des Kallistratos als Quelle für das Oeuvre des Praxiteles. Vorwegnehmend kann als Ergebnis der nachstehend vorgelegten erstmaligen archäologischen Kommentierung sämtlicher Ekphraseis des Kallistratos Folgendes festgehalten werden: Sechs der insgesamt vierzehn Ekphraseis - Ekphr. 1 („Satyr"), 2 (,3akche"), 3 („Eros"), 6 („Kairos"), 8 („Dionysos"), 9 („Memnon") - haben klar identifizierbare Vorbilder bzw. können mit überzeugenden Argumenten einem bestimmten Werk zugewiesen werden. Das Motiv des in Ekphr. 14 GAthamas") beschriebenen Gemäldes ist zumindest in der Vasenmalerei klar zu fassen. Vier weitere Ekphraseis - Ekphr. 4 („Inder"), 5 („Narziss"), 7 („Orpheus"), 13 („Medea") - beschreiben „Genrebilder" oder Motive, die zur Zeit des Autors sehr populär, ja geradezu allgegenwärtig (in verschiedenen Medien) gewesen sein müssen. Sie lassen sich daher ikonographisch eingrenzen, wenn auch keinem konkreten Werk zuordnen. Nur bei drei Ekphraseis - Ekphr. 10 („Paian"), 11 („Eitheos"), 12 („Kentaur") - bleibt die Beschreibung so vage und allgemein, dass eine Ein- oder Zuordnung unmöglich ist. Als Resultat dieser Zusammenstellung wird man sagen dürfen, dass Kallistratos in der Regel selbst gesehen zu haben scheint, wovon er spricht; im einzigen Fall, wo er mit Sicherheit keine Autopsie hatte (bei Ekphr. 9, „Memnon"), kommt dies auch in einer Formulierung des Textes („heißt es" in § 3) zum Ausdruck.

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EINLEITUNG IN AUTOR UND W E R K

5. Zum Text Der Text der Ekphraseis stützt sich auf folgende Handschriften50: Die älteste Handschrift (Laurentianus LVIÜI 15, 11. Jh. = F) ist nur für die ersten fünf Beschreibungen erhalten, eine des 14. Jh.s (Parisiensis 1696 = P) für die ersten sieben, eine des 13. Jh.s (Vaticanus 1898 = V) für Ekphr. 9 - 1 4 . Hinzu kommen zwei Handschriftenfamilien: Α besteht aus drei Handschriften des 14. und 15. Jh.s, von denen nur im Vaticanus 87 (15. Jh.) = A ' alle 14 Beschreibungen erhalten sind (in den übrigen fehlen Ekphr. 12 und 14); Β besteht aus 5 Handschriften des 15. und 16. Jh.s. Nachstehend eine Übersicht über die Abweichungen der vorliegenden Ausgabe von Schenkl - Reisch (daraus die Seiten- und Zeilenzahl) und Fairbanks (genauere Begründungen für die Abweichungen jeweils ad loc.): 1,2 (p. 46,1) μετεχειρίζετο: μετεχειρίζετο δε (Α, und so bereits Kayser 1871). 2.2 (p. 48,8) εις έξουσίαν: εϊς (κινήσεως) έξουσίαν (Jacobs, Kayser 1871). 2,4 (p. 49,2) και γαρ: καν γαρ (και) (Kayser 1871). 3,1 (ρ. 50,4) τύραννον θεόν και μέγαν: τύραννον θεών και (ανθρώπων) μεγα (Wilamowitz). 3,1 (ρ. 50,4-5) έδυναστεύετο: έδυνάστευε (Kayser 1871). 3.3 (ρ. 51,11-12) προς την εΰμαρότητα: προς {την} εΰμαρότητα (Jacobs, Kayser 1871). 5,1 (p. 53,9f.) έκ μάλα καθαρού ... ϋδατος: εύ μάλα καθαρού ... ύδατος (Wilamowitz) 5,6 (p. 55,18f.) {έχει δέό λόγος, ώς και ή είκών είχεν}: εχοι δέό λόγος, ώς και ή εΐκών είχεν (έχει — είχεν AB, om. FP; έχοι pro έχει Olearius). 6.4 (p. 57,21) έπήγε (A, Jacobs, Fairbanks): έπήδε (cett. codd., Schenkl Reisch). 6,4 (p. 58,2) ταΐς ώραις εποχούμενος: ταϊς αϋραις εποχούμενος (αΰραις Jacobs). 7.1 (p. 58,15f.) τη {δε delevit Jacobs} τοΰ σώματος άγλαία τό μουσικον έπισημαίνων της ψυχής: τη Ü£ τοΰ σώματος άγλαία τό μουσικον έπισημαΐνον της ψυχής (έπισημαΐνον Β). 8, Überschrift (ρ. 60,14) ΔΙΟΝΥΣΟΥ: ΤΟΥ ΔΙΟΝΥΣΟΥ (Kayser 1871). 8.2 (ρ. 61,6) την ίδέαν: ζωής ΐδέαν (so Jacobs; ζωής την ίδέαν Kayser 1871). 9,2 (p. 62,16f.) και ήν t Μεμνόνιος ή είκών μόνφ μεν τοΰ ανθρωπίνου διαλλάττειν μοι δοκεΐ σώματι: και ήν Μέμνων ολος ή είκών, μόνφ μεν τοΰ 50 Vgl. Schenkl - Reisch ρ. ΧΧΠΙ - XIJV (mit Stemma p. XLIV), deren Siglen hier beibehalten sind.

5. ZUM TEXT

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ανθρωπίνου διαλλάττειν μοι δοκοΰσα σώματι (Μέμνων v.Arnim, Schenkl, Reisch; όλος Nesselrath: ολως / δντως Schenkl - Reisch; δοκοΰσα Β). 9,2 (ρ. 62,18) υπό δε ψυχής τίνος και όμοιας προαιρέσεως αγομένη: ύπό δέ ψυχής τίνος όμοιας και προαιρέσεως αγομένη (όμοιας και Β). 10,1 (ρ. 64,8) ανθρώπινα: ανθρώπινα σώματα (Β, Jacobs, Kayser 1871). 11, Überschrift (p. 65,15) TOY ΗΙΘΕΟΥ: ΗΙΘΕΟΥ (TOY „delendum esse videtur", Schenkl - Reisch in app.). 11,1 (p. 66,5f.) μή μαχομένην: μαχομένην (μη del. Olearius, probb. Jacobs, Kayser 1871). 11,1 (p. 66,7) ολως: ολος (όλως V: -ος cet., Jacobs). 11,1 (p. 66,8) της αύτοΰ φύσεως: της αύτοΰ φύσεως (αύτοΰ Kayser 1871). 11,4 (ρ. 67,8) ούτος: όντως (Jacobs). 13.1 (ρ. 69,1) εις αυτήν: εις αύτόν (ν. Arnim). 13.2 (ρ. 69,6) υπέρ την πραξιν: περί την πραξιν (Jacobs). 13.3 (ρ. 70,3) πλήσαντος: πλάσαντος (Olearius, prob. Jacobs). 13,3 (p. 70,6) φιλογονίας: φιλοστοργίας (Wilamowitz). 14,1 (p. 70,13f.) ούκ εις έπίδειξιν, άλλα και άγωνίαν: οϋκ εις έπίδειξιν, άλλα κατ' άγωνίαν (κατ' άγωνίαν Heyne; ούκ εις έπίδειξιν, άλλα εις άγωνίαν Fairbanks). 14.3 (ρ. 71,1 If.) και Ζεφύρου τι κατέχει τό σώμα: και Ζεφύρου τι κατείχε τό κΰμα (Fairbanks, κατείχε bereits Kayser, κΰμα bereits Heyne und ν. Arnim). 14.4 (p. 71,19f.) προς αύτης την έξουσίαν έξαλλαττόμενος: προς αύτης την ούσίαν έξαλλαττόμενος (ούσίαν Jacobs).

1. „ A u f e i n e n S a t y r " Einführung Gleich mit dem ersten Satz entführt Kallistratos sein Publikum in die weit entfernte Gegend des oberägyptischen Theben, um dort zunächst eine recht seltsam geformte und sehr labyrinthisch anmutende Höhle zu beschreiben: Diese Höhle wird als einer Hirtenflöte (Syrinx; vgl. dazu u. S. 26) gleichend beschrieben, da sie sich offenbar in mehrere nebeneinanderlaufende Röhren aufteilt; aber diese Röhren verlaufen nicht gerade, sondern in unterirdischen Windungen (wobei der genaue 'Lageplan' dieses Höhlensystems durchaus unklar bleibt). (§ 1) Diese Höhle ist der Aufstellungsort einer Satyrstatue aus Stein (wobei nicht gesagt wird, in welchem Teil der Höhle sie sich befindet), und in den nächsten Sätzen wird sogleich die Bewegung beschrieben, zu der die Statue scheinbar ansetzt: Sie ist dabei, die rechte Fußsohle zum Tanz zu erheben, bläst aber offenbar auch in einen Aulos, den sie hält, und scheint selbst als erste auf den unhörbaren Klang dieses Aulos zu reagieren; Kallistratos hebt das Paradoxon hervor, dass der Klang selbst nicht zu vernehmen, die Erzeugung dieses Klangs aber mit Hilfe von visuellen Signalen „durch die Kunst" ausdrucksstark in der Statue eingefangen ist. (§ 2) Diese Signale werden nunmehr beschrieben: Man sieht, wie die Adern des Aulos spielenden Satyrn aufgrund seiner Tätigkeit hervortreten und wie er tief aus seiner Brust Luft holt, um den Aulos erklingen zu lassen. Diese Beobachtung mündet in ein weiteres Paradoxon: Obwohl nur ein Bild und ein (lebloser) Stein, wird durch die Kunst eigenständige Tätigkeit in diesem Bild und wirkliches Atmen (und damit Leben) in diesem Stein suggeriert. (§ 3) Der nächste Abschnitt ist der Erscheinungsform der Satyrgestalt selbst gewidmet: Obwohl offenbar in jugendlicher Blüte stehend, wirkt er doch - aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einem dionysischen Ambiente in freier, wilder Natur - im Bau seiner Gliedmaßen und mit der Beschaffenheit seiner Haut wie ein Mann (auf typisch „satyrhafte" Körperbestandteile wie Pferdeschwanz und spitze Ohren wird nicht hingewiesen). Dem männlich-herben Gesamteindruck dieser Gestalt stellt Kallistratos dann aber sogleich die kunstvolle Ausformung des diese Gestalt bekränzenden Efeus gegenüber, in dem der gleiche Stein etwas Weiches, Pflanzenhaftes angenommen hat. (§ 4) Erst an diesem Punkt verrät der Autor, dass dieser Satyr gar nicht allein in jener ägyptischen Höhle steht, sondern offenbar Teil einer ganzen Statuengruppe ist, zu der noch mindestens zwei weitere Personen gehören: der Gott Pan, der sich am Aulosspiel des Satyrn sichtbar erfreut, und die Nymphe Echo,

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die Pan in seinem Arm hält1. Abgesehen von der Beobachtung, dass Pan damit gleichsam verhindern möchte, dass Echo - in Ausübung ihrer namengebenden Funktion - dem Aulosspiel akustisch antwortet, wird diesen beiden Figuren jedoch keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt; der Satyr bleibt im Zentrum der Betrachtung. (§ 5) Im letzten kurzen Absatz fügt der Autor noch eine 'persönliche' Bemerkung hinzu: Die Lebensechtheit dieser Statue veranlasse ihn, daran zu glauben, dass auch der berühmte Memnonskoloss (dem er in Ekphr. 9 noch eine eigene Beschreibung widmen wird) tatsächlich Töne von sich geben kann: .freudige am Morgen, wenn seine Mutter Hemera zu ihm kommt, und klagende am Abend, wenn sie ihn wieder verlässt. Text und Übersetzung ΕΙΣ ΣΑΤΥΡΟΝ (1) "Αντρον ήν τν περί Θήβας τάς Αιγύπτιας προσεικασμένον σύριγγι, εις έλικας αύτοφυώς έν κύκλω περί τους της γης έλιττόμενον πυθμένας - ού γαρ έπ' ευθείας άνοιγόμενον εις εΰθυπόρους αύλώνας έσχίζετο, άλλα την ΰπώρειον περιτρέχον καμπην υπογείους έλικας έξέτεινεν, εις δυσεύρετον πλάνην έκπΐπτον. (2) ϊδρυτο δε έν αΰτώ Σατύρου τι σχήμα τεχνηθέν έκ λίθου · είστήκει μεν έπί τίνος κρηπΐδος εις χορείαν εΰτρεπίζων το σχήμα και της δεξιάς βάσεως τον ταρσον τον όπισθεν έξαίρων, μετεχειρίζετο δέ 2 και αύλον, και προς την ήχην πρώτος έξανίστατο · τη μεν γαρ άκοη μέλος οΰ προσηπτεν αύλοΰντος οΰδέ ήν ό αύλος εμφωνος, το δέ των αύλούντων πάθος δια τής τέχνης εις την πέτραν εϊσήκτο. (3) είδες αν ύπανισταμένας και φλέβας ώς αν εκ τίνος γεμιζομένας πνεύματος και εις την έπήχησιν τοΰ αύλοΰ την πνοήν έκ στέρνων τον Σάτυρον άνασπώντα και ένεργεΐν έθέλον το εί'δωλον και εις άγωνίαν τον λίθον πίπτοντα - είναι γαρ έπειθε και πνοής έξουσίαν έν έαυτφ έμφυτον και άσθματος ένδειξιν έγειρομένην οίκοθεν - και των άμηχάνων πόρον. (4) οΰκ ήν δέ άβρότητος μετέχον το σώμα, άλλ' ή τών μελών στερρότης τήν ώραν έκλεπτεν, εις άρθρων συμμετρίαν άνδρικών την ΐδέαν τραχύνουσα. 1 2

Zu Pan und Echo vgl. u. S. 25.

μετεχειρίζετο δέ: so Α und bereits Kayser 1871; ohne δέ dagegen Schenkl Reisch und Fairbanks, die auch den ganzen Satz anders auffassen: είστηκει μεν έπί τίνος κρηπΐδος εις χορείαν εΰτρεπίζων τό σχήμα, και τής δεξιάς βάσεως τον ταρσόν τον όπισθεν έξαίρων μετεχειρίζετο και αύλον („He stood on a base in the attitude of one making ready to dance, and lifting the sole of his right foot backward he ... held a flute in his hand"). Die oben in Text und Übersetzung gewählte Zuordnung der Kola bzw. Teilsätze scheint natürlicher.

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EKPHR. 1

καλή μεν γαρ κόρη χρώτες μαλθακοί πρόσφοροι καΐ μέλη θρυπτόμενα, Σατύρου δε αΰχμηρόν το είδος ώς αν όρείου δαίμονος καΐ Διονύσφ σκιρτώντος. κισσός δε αύτδν έστεφάνου οΰκ έκ λειμώνος δρεψαμένης τον καρπόν της τέχνης, άλλ' ό λίθος άπό στερρότητος εις κλωνας χυθείς περιέθει την κόμην εις συμβολήν έπί τους αΰχενίους τένοντας έκ μετώπων προσέρπων. (5) παρειστήκει δε ό Πάν γανύμενος τη αύλητικη και έναγκαλισάμενος την Ήχώ, ώσπερ οΐμαι δεδιώς, μη τινα φθόγγον εμμουσον ό αΰλος κινήσας άντηχεΐν άναπείση τω Σατύρφ την Νύμφην. τοΰτο θεασάμενοι τό εϊδωλον και τον Αιθιόπων λίθον εμφωνον Μέμνονος έπιστεύομεν γενέσθαι, δς προσιούσης μεν της 'Ημέρας έπί ταΐς παρουσίαις έφαιδρύνετο, άπιοΰσης δε άνία βαλλόμενος πένθιμον έπέστενεν, και μόνος έκ λίθων ηδονής και λύπης παρουσία διοικούμενος της οικείας άπέστη κωφότητος, εις έξουσίαν φωνής την άναισθησίαν έκνικησας. Auf einen Satyr (1) In der Gegend des ägyptischen Theben gab es eine Grotte, die (in ihrer Gestalt) einer Syrinx glich, da sie sich aufgrund ihrer eigenen Natur in Windungen rund um die tiefen Schlünde der Erde erstreckte; sie öffnete sich nämlich nicht mit einem geraden Zugang und teilte sich dann in (ebenso) geradlinige Röhren, sondern sie lief um die unter dem Berg befindliche Biegung herum und erstreckte sich in unterirdischen Windungen, wobei sie sich in Irrwege verlor, aus denen man kaum mehr herausfand. (2) In dieser Grotte war die kunstvoll aus Stein gemeißelte Statue eines Satyrs aufgestellt. Dieser stand auf einem Sockel, machte seine Gestalt zum Tanzen bereit und hob dazu den hinteren Teil seiner rechten Fußsohle; in den Händen hieltereinen Aulos und richtete sich (selbst) als erster auf den Klang hin auf. Das Lied des Aulosspielers gelangte zwar nicht zum Gehör, und der Aulos gab auch keinen Klang von sich, das aber, was Leute kennzeichnet, die den Aulos spielen, war durch die Kunst in den Stein gelangt: (3) Da konnte man sehen, wie die Adern hervortraten, als ob sie sich aufgrund eines Blasens füllten, und wie der Satyr die Luft aus seiner Brust hochholte, um den Aulos zum Klingen zu bringen, und wie das Bild tätig werden wollte und der Stein dabei war, in eine entsprechende Anstrengung zu fallen er versuchte nämlich die Überzeugung zu vermitteln, es sei in ihm die Möglichkeit des Blasens vorhanden und die Demonstration des Luftholens werde aus eigenen Kräften erweckt-und wie hier etwas bewerkstelligt wird, was (eigentlich) unmöglich ist. (4) Der Körper (des Satyrn) hatte keinen Anteil an Zartheit, sondern die Festigkeit seiner Gliedmaßen verbarg (gleichsam) seine jugendliche Blüte, indem sie seine Gestalt rauer und zu den Proportionen männlicher Glieder hin-

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geneigt machte. Zu einem schönen jungen Mädchen nämlich passen eine weiche Haut und sich zierende Gliedmaßen, eines Satyrn Aussehen aber ist (im Vergleich dazu) herb, da er ja wohl ein Berg-Geist ist und für Dionysos seine Tanzsprünge macht. Efeu bekränzte ihn, doch hatte die Kunst dessen Zweige nicht aus einer Wiese gepflückt, sondern der Stein war von seiner Festigkeit ausgehend zu Zweigen geformt und lief (in der Gestalt von Efeu) um das Haar herum, wobei er vom Gesicht zu den Sehnen des Nackens hinkroch, um sich dort zu treffen. (5) Daneben aber stand Pan, der sich am Aulos-Spiel freute und Echo im Arm hielt, als ob er (glaube ich) fürchtete, derAulos könnte einen musikalischen Klang von sich geben und die Nymphe dazu veranlassen, dem Satyrn mit einem eigenen Klang zu antworten. Als wir dieses Bild sahen, glaubten wir, dass auch der Aithiopen-Stein Memnons Töne von sich geben könne: Wenn immer die Tagesgöttin sich näherte, wurde er heiter ob ihrer Gegenwart, wenn immer aber sie wieder ging, befiel ihn Trübsinn und er stöhnte trauernd auf; und als einziger unter den Steinen war seine Existenz durch die Gegenwart von Freude und Trauer geprägt und befreite sich auf diese Weise von der ihm eigentümlichen Stummheit, indem er seine Wahmehmungslosigkeit überwand, um eine Stimme zu haben. Archäologischer Kommentar

Die erste Beschreibung des Kallistratos gilt der Statue eines Aulos-spielenden Satyrs, die sich (als Teil einer Gruppe) in einer Grotte im ägyptischen Theben befand. In § 2 bis 4 macht Kallistratos zu Haltung, Attributen und Motiv präzise Angaben, die es schon 1846 H. Brunn ermöglichten, in dem Werk den sogenannten Satyr Borghese3 zu erkennen, der 1824 in der Villa der Bruttier in Rieti gefunden worden war (Neudecker 1988, 181). Es handelt sich um einen struppigen Satyrn mit wildem Bart, Spitzohren und Schwanz, der in einer Art steifem Tanzschritt den linken Fuß vor den rechten gesetzt hat, wobei der hintere rechte angehoben ist und auf den Zehenspitzen steht. Er wendet den Oberkörper in die Gegenrichtung in einer ge-

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Rom, Galleria Borghese, Inv. 802; Η 2,05 m; pentelischer Marmor. Unter der Leitung Thorvaldsens wurden ergänzt: die Arme mit den Schallbecken, Stücke des rechten Unterschenkels und Fußes, ein Teil des Schwanzes, der untere Teil des Baumstammes mit dem Kopf des Felles, die Ränder und das hintere Stück der Plinthe. Der Kopf ist links und oben hinten gebrochen. Bereits 21 Jahre früher fühlte sich Welcker (bei Jacobs 1825, 680) durch die zum Tanzen ansetzende Bewegung des hier beschriebenen Satyrs an ein anderes Kunstwerk erinnert: „Prorsus ut Satyrus Cymbalista Florentinus". Es könnte sich dabei um die u. in Anm. 5 erwähnte Replik handeln.

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EKPHR. 1

schraubten, kreisenden Bewegung, die Heibig (1966, 744, Nr. 1995) vermuten ließ, sie könnte einen besonderen Kreiseltanz, den Strobilos, meinen, „es kann aber auch ein gravitätisches Schreiten sein, eine gewichtige, schwerfällige, vergebens um Grazie bemühte Schaustellung". Die beiden Arme sind angehoben, an den Ellbogen angewinkelt und halten Schallbecken in den Händen; dabei handelt es sich aber um eine nachweislich falsche Ergänzung (s. u.). Am zurückgesetzten rechten Unterschenkel befindet sich die für die Marmorkopie nötige Stütze in Form eines Baumstammes, über dem ein Raubtierfell hängt. Wie bereits Brunn 1846, 469 feststellte, hat Kallistratos in § 2 besonders das singulare Standmotiv genau beschrieben, so dass die Identifikation überzeugend ist 4 . Durch die spiralförmige Drehung des Körpers um die eigene Achse ist das Gesicht des Satyrn dem Betrachter zugewandt; würde die Verschraubung der Mittelachse noch etwas weiter getrieben, so müsste der angehobene rechte Fuß den Boden verlassen (Dierks-Kiehl 1973,71 f.) Treffend hat Kallistratos (4) auch den allgemeinen äußeren Eindruck, den der Satyr macht, beschrieben; so stellte auch Brunn 1846, 470 fest: „Wir müssen zugestehen, dass uns die Beschreibung ein im Ganzen vollkommen richtiges Bild gewährt von der sehnigen, scharfen und rauhen Bildung unserer Statue, die uns den ersten Schritt zu einem Uebergange ins Thiergeschlecht andeutet; wie sie sich in Pan's Bocksgestalt vollendet." Wir haben hier gerade keinen der zarten, jugendlichen praxitelischen Satyrn vor uns. Zu dem rauen, herben männlichen Aussehen passt auch der wilde Bart, der bei Kallistratos zwar nicht erwähnt ist, aber fast unabdingbar zu einem nicht mehr jungen Satyrn gehört. Wie oben erwähnt, hielt der Satyr keine Schallbecken; ergänzt werden müssen die Rohre einer Doppelflöte. Diese Rekonstruktion wird durch eine Replik in Florenz 5 bestätigt, zwischen deren Lippen das Mundstück noch zu sehen ist. Haar und langer Bart bilden ein bewegtes, das Gesicht umgebendes Lockengewirr, in dem die einzelnen Strähnen plastisch herausgearbeitet sind. Beim Bartansatz wirken die Wangen wie aufgeblasen - ein realistischer Zug für einen Aulosbläser. Das Gesicht zeigt deutliche Züge fortgeschrittenen Alters, mit Wölbungen und Senkungen auf der Gesichtsoberfläche (Dierks-Kiehl 1973, 73). „Denken wir uns nun unsere Statue mit der Doppelflöte ergänzt, so wird vor allem die Gesichtsbildung, das Aufgeblasene der Backen, dann die Anspannung der Adern, die Hebung der Brust, wovon auch Kallistratus spricht, erst vollständig berechtigt erscheinen" (Brunn 1846,470). Der Kopf des Satyrs Borghese wurde oft mit dem des Sokrates des Lysipp verglichen, und der Satyr 4 „Man ist lange darüber einig, dass seinen rhetorisch-phantastischen Declamationen nicht bloße Phantasiegebilde, sondern wirkliche Kunstwerke zu Grunde liegen. [ ... ] Hier ist mit wirklicher Präcision die Stellung unserer Statue wiedergegeben." 5

I. Minto, Bollettino d'Arte 14, 1920, 46 Nr. 6 Abb. 6.

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daher dem Umkreis bzw. einem Schüler des Lysipp zugeschrieben. Dies kann aber wohl nur im weitesten Sinne zutreffen (so auch Heibig 1966, 745), da wahrscheinlich bei jedem Satyrn gewisse verwandte Züge mit dem berühmten Silensgesicht des Sokrates festzustellen sind.

'SATYR BORGHESE' ( R O M , M U S .

REKONSTRUKTIONSZEICHNUNG ( Β . B . ) MIT

BORGHESE 8 0 2 )

DOPPELAULOS

Die Datierung des Originals ist umstritten: Smith (1991, 129) datiert das Werk „um 300 v. Chr.", Bieber (1955, 39) ebenfalls in frühhellenistische Zeit; Heibig (1966, 745) in das 3. Jh. v. Chr., nicht vor der Mitte; die drehende Bewegung sei noch sehr befangen, mehr einem Wechsel der Ansicht gleich, die Muskulatur noch einfach und straff, so dass kein Grund bestehe, weiter in den hohen Hellenismus (also in das letzte Viertel des 3. bis in die erste Hälfte des 2. Jh. v. Chr.) herabzugehen. Hochhellenistisch ist das Original dagegen für Neudecker (1988, 181). In die 2. Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. datiert Dierks-Kiehl

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EKPHR. 1

(1973, 74. 76) das Werk, da es eklektische Züge aufweise: die strenge, geschlossene Umrissführung sei bereits eine klassizistische Form, in der Bildung von Kopf und Gesicht sei aber noch das Nachleben des Hohen Hellenismus sichtbar. Eine Datierung noch in das 3. Jh. v. Chr. ist aber vielleicht überzeugender, da wohl einiges von dem „hochhellenistischen Pathos" eher dem Stil der severischen Zeit zugeschrieben werden muss, in der die Marmorkopie entstand, so die tief unterhöhlten Locken und die wogende Oberfläche des Gesichts. Das Original aus Bronze brauchte den Baustamm als Stütze nicht; der Satyr konnte daher ohne diese Zutat frei auf den Zehen tanzen. Der Satyr Borghese wird in der Literatur oft als Marsyas bezeichnet, der Apollon mit seinem Flötenspiel zu musikalischen Wettbewerb herausforderte und nach verlorenem Wettkampf zur Strafe gehäutet wurde. Begründet wurde diese Identifizierung mit der übermenschlichen Größe (2,05m) der Statue, die selbst dem wilden Waldwesen noch etwas Göttliches verleihe, und dem Ernst des Auftritts, den die Griechen in der so fürchterlich endenden Sage stets gewahrt hätten. Ein anderer Satyr oder Silen würde ausgelassener die Flöte blasen. Auch das wie bei Anakreon hochgebundene Glied zeige, dass es sich um eine Darbietung vor Zuschauern handle6. Weis (1992, 368) führte zusätzlich den expliziten Vergleich von Sokrates mit Marsyas in Piatons Symposion (215b. 216d7) an; für die Benennung des Satyrs Borghese als Marsyas spreche daher auch die Ähnlichkeit seines Gesichts mit dem Sokratesporträt (s. o.). Diese Argumente scheinen nicht wirklich überzeugend. Satyrn und Silene, diese halbwilden und nur halb menschlichen Geschöpfe, gehören zum Gefolge des Dionysos und damit in eine göttliche Sphäre; mehr als Lebensgröße ist daher bei einem Satyrn kaum überraschend. Zudem darf man fragen, ob bei Weis nicht ein Zirkelschluss vorliegt: ein hellenistischer Satyr gleicht in seiner Gesichtsbildung dem Sokrates, der in der früheren Literatur mit Satyrn, vor allem dem Marsyas, verglichen (und daher entsprechend dargestellt wird), also muss der Satyr Marsyas sein. Die von Heibig erwähnten äußeren Anzeichen für den öffentlichen Auftritt (Infibulation) sind kein Beleg dafür, dass es sich um den Wettstreit mit Apollon handeln muss; das Publikum könnte auch aus anderen Satyrn und Silenen bestehen. Damit soll natürlich keineswegs ausgeschlossen werden, dass das Bronzeoriginal des Satyr Borghese in einer Gruppe mit Apollon aufgestellt war, die den verhängnisvollen Zweikampf darstellte. Kallistratos hatte aber eine ganz

6 Heibig 1966, 745; als Marsyas wird die Statue auch bei Lippold 1950, 2 9 8 (mit Taf. 104, 3) bezeichnet. 7 An dieser zweiten von Weis angegebenen Stelle kann ich keinen Hinweis auf Marsyas finden, nur den allgemeinen Vergleich mit dem Silen.

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andere Zusammenstellung vor Augen: das Publikum des flötenspielenden und tanzenden Satyrs bilden hier Pan und Echo. In der hellenistischen und kaiserzeitlichen Literatur gibt es bisweilen Anspielungen auf die Liebe Pans zur Nymphe Echo (ζ. B. AP XVI 154, ein Gedicht vielleicht des Archias: hier ist Echo ,,Pans liebe Gefährtin", in XVI233 - einem Gedicht des Theaitetos Scholastikos - ist Pan sogar „Gatte der Echo"; vgl. auch XVI 156). Darstellungen dieses Themas sind aber bisher im Denkmälerbestand nicht nachgewiesen8. In diesem Zusammenhang könnte aber besonders die Überlieferung bei Moschos fr. II (VI) Gow interessant sein, wonach Echo Pan verschmähte, weil sie einen Satyrn liebte (der selbst allerdings wiederum in eine Lyde verliebt ist 9 ). Deutet nicht § 5 darauf hin, dass Kallistratos mit dieser Version vertraut gewesen sein muss? Die Protagonisten sind dieselben, und hält nicht Pan Echo schon voller böser Befürchtungen fest? Es ist naheliegend, dass Echo sich dem Musikanten, der seinem Aulos Töne entlockt, zuwenden und ihm „mit einem eigenen Klang" antworten wird ... Da Moschos etwa in der Mitte des 2. Jh.s v. Chr. lebte (die Suda nennt ihn einen Schüler des Aristarchos), könnte man andererseits sogar darüber spekulieren, ob der Dichter vielleicht vom Anblick einer Statuengruppe, wie sie Kallistratos beschreibt, angeregt wurde. Da die frühe Datierung des Satyr Borghese aber nicht eindeutig ist, soll dieser Gedanke hier nicht weiter verfolgt werden. Eine spätere Datierung des Satyrs, die ebenfalls vertreten wird (s.o.) würde Statue und Gedicht etwa in die gleiche Zeit datieren, so dass man annehmen könnte, in der zweiten Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. sei eine unglückliche Liebesgeschichte zwischen Echo, Pan und Satyr populär gewesen. Etwas ratlos lässt die Lokalisierung der Gruppe. Sie weist offensichtlich schon auf Ekphr. 9 („Memnon") voraus. In (1) ist ausführlich die Grotte, die die Form einer Syrinx hat, beschrieben, wobei unklar bleibt, wo genau die Statuen sich darin befanden. Eine solche Anlage ist nicht grundsätzlich unmöglich. Komplizierte Gärten und Villenausstattungen, die von der Belesenheit und Kultur des Besitzers zeugen sollten, waren keine Seltenheit in der römischen Kaiserzeit; dazu gehört auch die Aufstellung und Arrangierung und Gruppen in einem passenden Ambiente, wie ζ. B. künstlichen Grotten und Seen (vgl. Ekphr. 5, „Narziss")· Man denke an die „homerischen" Gruppen von Sperlonga. Allerdings ist schwer vorstellbar, dass ein reicher Römer solchen Neigungen ausgerechnet in der oberägyptischen Thebais nachging.

8 Bazant - Simon 1986, 683; dort wird die von Kallistratos Ekphr. 1 beschriebene Gruppe erwähnt, wenn auch fälschlich als „Gemälde" bezeichnet. 9

Bei Longos III 23,3 nimmt der verschmähte Pan furchtbare Rache an Echo.

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EKPHR. 1

Andererseits erinnert die Beschreibung der Grotte an Pausanias I 42,3, wo der Reiseschriftsteller den Memnonskoloss erwähnt10 und dabei die dahinter liegenden ägyptischen Königsgräber im Tal der Könige als die sogenannten „Syringen"11 bezeichnet. Dieses Wort ist hier so auffällig, dass die Frage gestattet scheint, ob es nicht vielleicht die Pausanias-Lektüre war, die Kallistratos zu der Beschreibung einer so merkwürdig geformten Grotte im ägyptischen Theben veranlasste. Dafür würde auch sprechen, dass er bereits hier den Memnons-Koloss einen Abschnitt widmet, obwohl diesem später noch eine eigene Ekphrasis zugedacht ist, denn auch Pausanias gibt im selben Abschnitt einige Erläuterungen zu der Statue und ihrem Klang-Phänomen (dazu s. u. S. 103). So lieferte womöglich Pausanias das „ägyptische Ambiente" für eine hellenistische Statuengruppe, die Kallistratos durchaus in der Realität, aber wahrscheinlich an einem weniger spektakulären und exotischen Ort gesehen haben könnte.

10 Έν ©ηβαις ταΐς Αίγυπτίαις, διαβάσι τον Νεΐλον προς τάς Σύριγγας καλουμένας, εϊδον ετι καθημενον άγαλμα ήχοΰν—Μέμνονα όνομάζουσιν οί πολλοί ... 11

Weitere Stellen nennt Jacobs 1825, 679: Aelian NA VI 43 (Σύριγγας μεν Αιγύπτιας αδουσιν ... oi συγγραφείς, φδουσι δέ και λαβυρίνθους τινάς Κρητικούς), XVI15 (περιόδους τινάς καί ώς ειπείν σύριγγας Αιγυπτίους ή λαβυρίνθους Κρητικούς), vgl. XVI 16 (απόρρητοι σύριγγες καί οδοί κρυπταί), Heliodor II 27,3 (συριγγών πλάνην), Amm. Marc. ΧΧΠ 15,30 (syringes subterranei quidam et flexuosi recessus im Ägyptenexkurs Ammians), Synes. epist. 104 (τάς Αιγύπτιας ... σύριγγας).

2. „Auf das Standbild einer Bakche" (Tafel 1) Einführung Die zweite Statuenbeschreibung beginnt mit einem Vergleich zwischen literarischen und bildenden Künsten: Nicht nur Dichter und Redner, sondern auch bildende Künstler dürfen göttlichen Enthusiasmos für sich beanspruchen. Als Beweis für diese These führt Kallistratos vor einer Gruppe von (echten oder fiktiven) Zuhörern (ύμΐν) den Bildhauer Skopas und die von ihm geschaffene Bakche/Mänade an, die er im folgenden beschreibt. (§ 1) Von Anfang an betont er dabei den paradoxen Umstand, dass dieses Kunstwerk - obwohl nur ein Schatten- oder Abbild (εϊδωλον) - aufgrund der großen Fähigkeiten seines Schöpfers den Status des „wirklich Seienden" erreiche. Von bemerkenswerter Subtilität ist die Aussage, dass „dem in den Körper einfahrenden Gott das Innere antwortete", dass also das Kunstwerk geradezu in gleicher Weise einen göttlichen Enthusiasmos erfährt wie der es schaffende Künstler selbst (von dem dies in der Einleitung gesagt war). (§ 2) Das Spiel mit dem Paradoxen wird auch im Folgenden aufrechterhalten: Während die Statue durch die Kunst ihres Schöpfers Leben und Bewegung (und, nimmt man das metaphorische ύπήχει in § 2 wörtlich, sogar eine lautliche Äußerung) erhalten zu haben scheint, stehen die (lebenden) Betrachter regungslos starr und stumm vor Staunen, als sie nunmehr das Gesicht der Bakche genauer betrachten; die Statue zeigt Wahrnehmung, obwohl sie keine hat, und ekstatische Gottbegeisterung, obwohl eine solche auf einen Stein nicht wirken kann; göttliches Rasen (μανία) und Indizien leidenschaftlicher Gemütsaufwallung (πάθους ... τεκμήρια) sind von der Kunst des Bildhauers άρρητφ λόγφ1 hier verwirklicht. Den Gipfel des Erstaunlichen sieht Kallistratos - wie auch in anderen Beschreibungen (vgl. 3,4; 4,1; 5,1; 7,2; 11,2. 3) - in der Darstellung des Haares erreicht, die Skopas dem Stein entlockt hat. Im letzten Satz des Paragraphen wird noch einmal das Paradox betont: der Stein, „obwohl des lebendigen Habitus entblößt", trägt dank der Kunst „das Lebendige in sich". (§ 3) Während nun das Spiel mit dem Paradoxen immer noch weitergeht und einen ausgefeilten antithetischen Chiasmus hervorbringt („So war sowohl das, was man sah, unglaublich als auch das nicht Glaubliche sichtbar"), wendet sich der Blick des Autors demjenigen Element zu, das vielleicht die größte Besonderheit dieser Mänaden-Darstellung ausmacht (vgl. dazu u. S. 34): der Dar-

1 Dieser Ausdruck, gewissermaßen eine contradictio in adiecto, ist vor dem Kirchenschriftsteller Eusebios nicht belegt.

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EKPHR. 2

Stellung der toten Ziege, die die Mänade auf ihrer Schulter trägt. Der Kontrast zwischen dem bleichen Tod des Tieres und dem von bakchischem Wahn erfüllten Leben der jungen Frau zeigt in Kallistratos' Perspektive (die diesen Kontrast im letzten Satz des Paragraphen sprachlich sehr effektvoll - in einer Antithese mit wachsenden Gliedern - hervorhebt) die große Ausdrucksweite des Künstlers Skopas. (§ 4) Im letzten Paragraphen kehrt Kallistratos wieder zu seinem anfänglichen Vergleich zwischen bildenden Künstlern und solchen des Wortes zurück, konzentriert ihn aber diesmal auf Skopas als herausragendem Bildkünstler einerseits und auf Demosthenes als bestem Redner andererseits; gerade dieser Vergleich mit demjenigen, der spätestens seit der hohen römischen Kaiserzeit als absoluter Gipfel der antiken Rhetorik galt 2 , stellt dem mit ihm Verglichenen jedenfalls im Munde eines „Sophisten" wie Kallistratos - das beste denkbare Zeugnis aus 3 . (§ 5)

Was in dieser Beschreibung - abgesehen von ihrem effektvollen Einsatz rhetorischer Mittel zur Beschreibung der großen Leistung des Skopas und des Staunens bei ihren Bewunderem - besonders auffällt, ist die gehäufte Verwendung von Wörtern und Wortverbindungen, die unweigerlich an Gedanken und Auffassungen denken lassen, die bereits bei Piaton und dann auch in der platonischen Tradition (bei den Neuplatonikern Plotin, Porphyrios, Jamblich, Olympiodor und Proklos) oft zu finden sind 4 : Dies gilt bereits für die im ersten

2 Vgl. Aristid. or. 2 (in Plat, de rhet.), 120 L.-B.; or. 3 (in Plat, pro quattuor), 663 L.-B. (περί Δημοσθένους, öv έγώ φαίην αν Έρμοΰ τίνος λογίου τύπον εις ανθρώπους κατελθεΐν); or. 50,19 Keil; Hermog. Id. 1,1 p. 215,19 ; 24. 217,12-17. 221,22f. Rabe (ώστ' έξ απάντων των καλών εν τοϋτο κάλλιστον είδος άπειργάσθαι λόγων το Δημοσθενικόν); Liban. ep. 809,2, argum. or. Demosth. praef. 1 p. 600,8f. Foerster (τον τελεώτατον τών Ελληνικών ρητόρων τον Δημοσθένην). 3 Im allerletzten Satz dieser Ekphrasis hat δεσπόζει ganz verschiedene Interpretationen erfahren: „magnum quid spirat" (Olearius), „imperium in contempl antes exercet" (Jacobs), „daß das ... Standbild auch seiner Bewegung ... nicht ermangelt, sondern zugleich ... ihrer mächtig ist" (Lindau), „that it at the same time is master of ... its creator" (Fairbanks). Die einfachste und beste Lösung findet sich vielleicht bei Westermann 1849, der auf δεσπόζει noch das vorangehende κινήσεως bezieht: „cognoscetis ... simulacrum nec ipsum proprio carere motu, verum simul et compescere eum." Wer mit γεννήτορα gemeint ist, war ebenfalls umstritten: der göttliche Enthusiasmus als solcher (so Jacobs, ähnlich Lindau: „daß das ... Standbild ... die Ursache dieser Wirkung bei sich in dem bleibenden Ausdrucke behauptet") oder der Künstler Skopas selbst (so Olearius, Westermann, Fairbanks)? Wohl eher das zweite ist richtig. 4

Bereits Schenkl - Reisch p. XLIX weisen auf die zahlreichen bei Kallistratos zu findenden philosophischen Wörter und Termini hin, wodurch er sich stark von den Philostraten unterscheide. In anderen Beschreibungen vgl. z.B. αύτοφυώς, das

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Paragraphen beschriebene göttliche Inspiration der Künstler mit den Begriffen έκ θεών θειασμός5, θειότερα πνεύματα6, μανία 7 , έπίπνοια8, θεοφορία9, ένθουσνασμός10. Im zweiten Paragraphen wird wiederholt auf die platonische Unterscheidung zwischen „wahrem" und nur abgeleitetem Sein angespielt: dreimal erscheint hier das Adverb δντως, einmal sogar der Ausdruck τό όντως δν 11 ; demgegenüber stehen die Ausdrücke φαινόμενον 12 , ειδωλον und μί-

zuerst bei Piaton (Grg. 513b4, Lg. 642c8) und dann vor allem (nach einem Beleg bei Philon und einigen bei Galen) in der späteren Antike (und dabei recht häufig bei den Neuplatonikern und Aristoteles-Kommentatoren) zu finden ist; das von Wilamowitz in Ekphr. 5,1 hergestellte ευ μόλα (statt έκ μάλα) findet sich 22mal bei Piaton, sonst aber kaum bei klassischen Autoren (vgl. Cratin. fr. 303 K.-A.; Alexis fr. 191,6 K.-A.; ferner drei Stellen bei Homer, je eine bei Hesiod und in den Homerischen Hymnen, vier Stellen bei Xenophon); vgl. auch ζωης ... μετουσίαν ... ΐδέαν in Ekphr. 8,2 (μετουσία findet sich noch nicht bei Piaton, aber sehr häufig bei allen Neuplatonikern); παντός ... έπέκεινα θαύματος in Ekphr. 8,3 (έπέκεινα ist, von Plat. Rep. VII 509b ausgehend, ebenfalls bei allen Neuplatonikern weit verbreitet). 5 Bei Piaton selbst ist θειασμός nicht belegt; vgl. aber Procl. De prov. 38; ferner Eunap. VS VI 1,4 (Αϊδέσνός ... μικρόν άποδέων Ίαμβλίχου, πλην οσα γε εις θειασμόν Ίαμβλίχου φέρει), VII 2,1 (ήν δέ ό Χρυσάνθιος όμόψυχος Μαξίμφ, τά περί θειασμόν συνενθουσιών). 6 Vgl. [Plat.] Axioch. 370c5 (θείον δντως ... πνεΰμα), Iambi. Myst. 3,11 p. 126,10 Parthey (τφ θείω πνεύματι), Procl. In Plat. Remp. I p. 48,9 (την θείαν έπίπνοιαν). 7 Vgl. beispielsweise Plat. Phdr. 244d (μανίαν ... την έκ θεοΰ, ή μανία έγγενομένη και προφητεύσασα), 245b (μανίας γιγνομένης άπό θεών ... καλα εργα), 245c (παρά θεών ή τοιαύτη μανία), 256b (θεία μανία). 8 έ π ι π ν ο ί α ist (nach frühesten Belegen bei Aischylos) bei Piaton und dann auch in der platonischen Tradition sehr präsent. Vgl. Plat. Phdr. 265b (Της δέ θείας τεττάρων θεών τέτταρα μέρη διελόμενοι, μαντικην μεν έπίπνοιαν 'Απόλλωνος θέντες κτλ.), Rep. VI 499c (εκ τίνος θείας έπιπνοίας), Lg V 738c (έπιπνοίας ... θεών), 747e (θεία τις έπίπνοια). Plot. Enn. III 1,3 (έξ ένθουσιασμοΰ καί έπιπνοίας); Iambi. Myst. 3,5 p. 111,4 Parthey (πολλαχώς ή θεία έπίπνοια ανακινείται); Procl. In Plat. Remp. I p. 48,9 (την θείαν έπίπνοιαν). 9

θεοφορία findet sich noch nicht bei Piaton (frühester Beleg anscheinend bei Strabon), jedoch in der platonischen Tradition: Vgl. Porph. Epist. ad Aneb. 2,2b (δι* ένθουσιασμοΰ καί θεοφορίας); Iambi. Myst. 3,4 p. 109,7 Parthey (δι' ένθουσιασμοΰ καί θεοφορίας), vgl. 3,5. 10 Vgl. Plat. Tim. 71e; Plot. Enn. Ill 1,3 (zitiert ο. in Anm. 8); Porph. Epist. ad Aneb. 2,2b (zitiert ο. in Anm. 9), vgl. 2,5b; Iambi. Myst. 3,4 (zitiert ο. in Anm. 9), vgl. 3,7. 11 Vgl. Plat. Soph. 240b (το άληθινόν δντως δν), Lg. Χ 894a6; Plot. Enn. III 6,6 ("Εστί γαρ τό δν, ö καί κατ' άλήθειαν αν τις ε'ίποι δν, δντως δν), IV 7,9 (παν τό δντως δν, ο ουτε γίνεται οϋτε άπόλλυται); Porph. Abst. I 53, Sent, ad intell. due. 32. 34. 35 (mehrfach), 36, In Plat. Parm. 4 p. 76,27 Hadot (τό μόνον δντως δν), Iambi. Comm. Math. sc. 19 p. 63,31 Festa (τό νοερόν δντως δν), Myst. 1,8 p. 27,13 Par-

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EKPHR. 2

μησις 13 . Auch bei anderen in dieser Beschreibung auftauchenden Wörtern ist auffällig, dass sie bereits im Sprachschatz Piatons (nicht dagegen in anderen attischen Prosa-Autoren) sehr präsent sind: So kommt δήλωμα (§ 3; auch noch einmal in 13,1) bereits achtmal in Piatons Kratylos, zweimal im Sophistes und einmal in den Nomoi vor (dann auch zehnmal bei dem Platoniker Plutarch); γεννήτωρ (§ 5) findet sich bereits bei Aischylos und Euripides, in der klassischen griechischen Prosa aber ausschließlich bei Piaton (elfmal, davon neunmal in den Nomoi)14. Kallistratos begnügt sich jedoch nicht damit, platonische Begriffe und Formulierungen in dieser Weise lediglich zu evozieren; er verwendet sie vielmehr auf solche Weise neu, dass es zu einer geradezu provozierenden Umkehrung platonischer Denkfiguren kommt. Das beste Beispiel dafür findet sich im zweiten Satz des zweiten Paragraphen: Von einem δντως εί'δωλον (also geradezu einer contradictio in adiecto) zu sprechen, ist bereits ein starkes Stück; dem aber sogleich noch hinzuzufügen ή τέχνη δ' εις το όντως δν απήγαγε την μίμησνν muss für platonische Ohren eine unglaubliche Frechheit darstellen, denn wie kann eine μίμησις zu einem δντως δν führen? Kaum weniger provozierend ist es, wenn Kallistratos im letzten Paragraphen den Skopas zum δημιουργδς αληθείας erklärt15, denn ein δημιουργός (abgesehen vielleicht vom göttlichen des

they; Procl. In Plat. Remp. I p. 277,20 (τό γαρ ούκ δντως δν μετά τό δντως δν εΐναί φησιν Πλάτων); und viele weitere Proklos-Stellen. 12 Zu φαινόμενον in Gegensatz zu „seiend" vgl. Plat. Parm. 164d7, 165cd, 166b, Phlb. 42bc, Rep. X 596e4, 598b (προς πότερον ή γραφική πεποίηται περι εκαστον; πότερα προς το δν, ώς εχει, μιμήσασθαι, ή προς τό φαινόμενον, ώς φαίνεται, φαντάσματος ή αληθείας ουσα μίμησις;), 601b (6 του ειδώλου ποιητής, δ μιμητής, φαμέν, τοΰ μεν δντος οΰδέν έπα'ίει, τοΰ δέ φαινομένου); Iambi. V. Pyth. 31 [19], Protr. p. 86,1-8; Olympiod. In Plat. Grg. 16,1 p. 93,4-6 Westerink; Procl. In Plat. Remp. I p. 77,13-24, p. 162,23-26 (πάσα δέ αύ μίμησις τοις φαινομένοις, άλλ' οΰ τοις άληθέσιν κτλ.), Theol. Plat. I p. 40,14-18 (την δέ τοΰ Παρμενίδου πραγματείαν ... προς αΰτδ τό δν άλλ' οΰ προς τό φαινόμενον ποιεΐσθαι τους λόγους). Zu εϊδωλον und μίμησις vgl. beispielsweise Plat. Soph. 265b (ή γάρ που μίμησις ποίησίς τίς έστιν, ειδώλων μέντοι, φαμέν, άλλ' ούκ αυτών εκάστων). 14 Dann sehr häufig in der griechischen christlichen Literatur der Spätantike (Athanasios, Basileios, Epiphanios, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa, Johannes Chrysostomos, Kyrillos, Theodoret), einmal auch bei Kallistratos' Vorgänger, dem jüngeren Philostrat (Im. 9,3 p. 874,16 Ol.). Zu ähnlichen platonischen Formulierungen vgl. Crat. 390e (δημιουργόν ονομάτων), ebenso 43 le, Smp. 188d (μαντική φιλίας θεών και άνθρώπων δημιουργός), Charm. 174e (ύγιείας ... δημιουργός), 175a (ώφελίας ... δημιουργός), Gorg. 453a (πειθούς δημιουργός), vgl. 453e u.ö., Rep. III 395c (δημιουργούς έλευθερίας της πόλεως), Rep. VII 530a (τφ τοΰ ούρανοΰ δημιουργφ), VIII 552d (κακών δημιουργοί), Tim. 40c (δημιουργόν νυκτός τε και ημέρας), 59a (τοΰ της άνωμαλότητος δημιουργοΰ). Bei Kallistratos selbst vgl. Ekphr. 6,4 κάλλους δημιουργός. - Eine ähnliche (wohl beabsichtigte) contradictio in adiecto ist της άληθείας πλάσμα in

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Timaios) kann im besten Fall ein Abbild von etwas, nie und nimmer aber ,jdie Wahrheit" schaffen: So erklärt Sokrates im zehnten Buch der Politeia (599d2-4) keinem geringeren als Homer, als τρίτος άπό της αληθείας ... άρετης πέρι sei er nur ein ειδώλου δημιουργός, öv δη μιμητην ώρισάμεθα ! So stellt diese Statuenbeschreibung nicht nur ein großes Loblied auf den Künstler Skopas, sondern zugleich auch eine deutliche Absage an platonische Kunstauffassungen dar, die Piaton - und die in der neuplatonischen Schule auch zu Kallistratos' Zeit propagierten Lehren - mit Hilfe seiner eigenen Begrifflichkeiten spielerisch ad absurdum führt.

Text und Übersetzung ΕΙΣ TO ΒΑΚΧΗΣ ΑΓΑΛΜΑ (1) Οΰ ποιητών και λογοποιών μόνον (έπι)πνέονται τέχναι έπί τάς γλώττας έκ θεών θειασμοΰ πεσόντος, άλλα και τών δημιουργών αί χείρες θειοτέρων πνευμάτων έράνοις ληφθεΐσαι κάτοχα και μεστά μανίας προφητεύουσι τά ποιήματα· ο γάρ δη Σκόπας, ώσπερ εκ τίνος έπιπνοίας κινηθείς, εις την του άγάλματος δημιουργίαν την θεοφορίαν έφήκεν. τί δε ΰμΐν ούκ άνωθεν τον ένθουσιασμόν της τέχνης διηγούμαι; (2) ήν βάκχης άγαλμα έκ λίθου Παρίου πεποιημένον άλλαττόμενον προς την δντως βάκχην. έν γάρ τη οικεία τάξει μένων ό λίθος τον έν λίθοις νόμον έκβαίνειν έδόκει· τό μεν γάρ φαινόμενον όντως ήν εί'δωλον, ή τέχνη δ' εις τό δντως δν απήγαγε την μίμησιν. είδες αν δτι καί στερεός ών εις την του θήλεος είκασίαν έμαλάττετο, γοργότητος διορθουμένης τδ θήλυ, καί εις (κινήσεως) έξουσίαν 16 άμοιρών κινήσεως ηδει βακχεύεσθαι, καί τφ θεφ εϊσιόντι τά ένδον ύπήχει. (3) πρόσωπον γε μην ϊδόντες ύπδ άφασίας έστημεν · οϋτω δη καί αίσθήσεως συνείπετο δήλωμα μη παρούσης αίσθήσεως, καί βάκχης έκβακχευων θειασμός έμηνύετο θειασμοΰ μη πλήττοντος, καί δσα φέρει μανίας οίστρώσα Ekphr. 10,2: vgl. z.B. Porph. Contra Christ, fr. 49 Z. 45 Harnack (εί δ' ού πλάσμα τυγχάνει, της δ' αληθείας συγγενές); Procl. In Plat. Remp. II p. 252,8-10 (προς μεν το πλάσμα της θεομυθίας ... προς δέ την άλήθειαν). εις (κινήσεως) έξουσίαν: Jacobs' Ergänzung verleiht dem Ausdruck einen erheblich besseren Sinn (vgl. auch 1,3: είναι γάρ ... καί πνοής έξουσίαν έν έαυτφ έμφυτον, 1,5: εις έξουσίαν φωνής, und 6,3: έστώς δέ όρμ-ής έξουσίαν έχειν έδείκνυτο) und liegt ganz auf der Linie der paradoxen Begriffsantithesen, die Kallistratos im Folgenden durchspielt (§ 3: οϋτω δη καί αίσθιίσεως συνείπετο δτιλωμα μπ παρούσης αίσθήσεως. καί ... θειασμος έμηνύετο θειασμοΰ μτι πλήττοντος. 3 a.E.: τή^: ζωτικής έ'ξεως γεγυμνωμένος το ζωτικον είχεν). Vgl. ferner Ekphr. 3,2: τών δέ κινήσεως έργων έστερημένος έτοιμος ήν δεΐξαι κίνησιν ; Ekphr. 6,3: σπανίζων ... αίσθήσεως ζωτικής ένοικον έχειν έπιστοΰτο την αϊσθησιν. Vgl. auch u. S. 88 Anm. 5.

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EKPHR. 2

ψυχή, τοσαΰτα πάθους διέλαμπε τεκμήρια υπό της τέχνης άρρήτφ λόγω κραθέντα. άνεΐτο δέ ή κόμη ζεφύρω σοβεΐν καί εις τριχός άνθησιν ύπεσχίζετο · δ δη και μάλιστα τον λογισμδν ΰπεξίστη, οτι και τριχός λεπτότητι λίθος ών έπείθετο καΐ πλοκάμων ύπήκουσεν μιμήμασιν καΐ της ζωτικής εξεως γεγυμνωμένος τό ζωτικόν εΐχεν. (4) έφης αν οτι καΐ αυξήσεως άφορμάς ή τέχνη συνήγαγεν · οϋτως και τό όρώμενον άπιστον και τό μη πιστόν όρώμενον. οΰ μην άλλα και χείρας ένεργούς έπεδείκνυτο · οΰ γαρ τον βακχικόν έτίνασσε θύρσον, άλλά τι σφάγιον εφερεν ώσπερ εύάζουσα, πικροτέρας μανίας σύμβολον • τό δέ ην χίμαιρας τι πλάσμα πελιδνόν την χρόαν - και γαρ (καί) 17 τό τεθνηκός ό λίθος ΰπεδύετο - , και μίαν ούσαν τήν ϋλην εις θανάτου και ζωής διήρει μίμησιν, τήν μεν εμπνουν στήσασα καί οίον όρεγομένην Κιθαιρώνος, τήν δέ έκ του βακχικού θανατωθεΐσαν οίστρου καί των αισθήσεων άπομαραίνουσαν τήν άκμήν. (5) ό μέν οΰν Σκόπας και τάς άψυχους είδωλοποιών γενέσεις δημιουργός άληθείας ην καί τοις σώμασι της ϋλης άπετυποΰτο τα θαύματα, ό δέ τά έν λόγοις διαπλάττων Δημοσθένης αγάλματα μικρού καί λόγων έδειξεν είδος αίσθητόν, τοις νου καί φρονήσεως γεννήμασι συγκεραννύς τά της τέχνης φάρμακα. καί γνώσεσθε δέ αύτίκα, ώς ούδέ της οϊκοθεν κινήσεως έστέρηται τό εις θεωρίαν προκείμενον άγαλμα, άλλά καί όμοΰ δεσπόζει καί έν τφ χαρακτηρι σφζει τον γεννήτορα. Auf das Standbild einer Bakche (1) Nicht nur die Künste von Dichtern und Prosa-Schriftstellern werden inspiriert, wenn Ekstase von den Göttern her ihre Zungen überkommt, sondern auch die Hände von bildenden Künstlern werden durch die Beiträge göttlicherer Anhauchungen ergriffen und zeigen dann wie Propheten, dass ihre Schöpfungen ergriffen und voll (göttlichen) Wahnsinns sind. Der berühmte Skopas nämlich, gleichsam von einer (solchen) Anhauchung in Aktivität versetzt, ließ seine göttliche Inspiration in die handwerkliche Schaffung seines Standbildes einströmen. Warum aber erzähle ich euch nicht die Ekstase seiner Kunst von Anfang an? (2) Da war ein aus parischem Stein geschaffenes Bildnis einer Bakche, das für die wirkliche Bakche hätte stehen können. Obwohl nämlich der Stein am Platz seiner natürlichen Ordnung verblieb, schien er das bei Steinen geltende Gesetz zu übertreten: Das, was sich zeigte, war wirklich ein Abbild, aber die 17 καί γαρ