Antike Fachtexte / Ancient Technical Texts 9783110912104, 9783110181227

This volume brings together revised papers that were presented at a conference, held at Humboldt University of Berlin in

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Antike Fachtexte / Ancient Technical Texts
 9783110912104, 9783110181227

Table of contents :
Vorwort
Zur Einleitung: Antike Fachtexte als Forschungsgegenstand
Medizinische Fachliteratur
Un personaggio in cerca di lettore: Galens Großer Puls und die „Erfindung“ des Lesers
Galen in der Kontroverse mit Asklepiades von Bithynien: Zur Funktionsweise des Harnapparates
„... er schrieb in Versen, und er tat recht daran“: Lehrdichtung im Urteil Galens
Galen and Athenaeus on Technical Terms for Foods
Zu den medizinischen Szenen in Menanders Aspis
Zu Aufbau und Quellen der Σύνοψις ἰατρικη̑ς des Leo medicus
Grammatische Fachliteratur
Typen antiker grammatischer Fachliteratur am Beispiel der römischen Grammatik
Selbstverweise bei Apollonios Dyskolos
Terms for “Word” in Roman Grammar
Die Begriffe absolutus und absolutivus in der römischen Grammatik (1. bis 5. Jh. n. Chr.)
Kommentarliteratur
Theocritus’ Ancient Commentators
Donatus and Terence in Servius and Servius Danielis
Fachliteratur verschiedener Gebiete
Dialogische Elemente in der antiken Fachliteratur
Form und Funktion der beiden hippologischen Schriften Xenophons Hipparchicus und De re equestri (mit einem Blick auf Simon von Athen)
Technical Terminology in Greco-Roman Treatises on Artillery Construction
Das römische Agrarhandbuch als Medium der Selbstdarstellung
Die Übersetzung von Fachbegriffen bei Apuleius
Ausblick auf die Neuzeit
Fachkommunikation zwischen Tradition und Innovation: Ein kulturhistorisches Phänomen der alten und modernen Gesellschaften
Stellenregister
Sachregister

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Antike Fachtexte Ancient Technical Texts

Antike Fachtexte Ancient Technical Texts Herausgegeben von / Edited by Thorsten Fögen

w DE

G Walter de Gruyter · Berlin · N e w York

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN-13: 978-3-11-018122-7 ISBN-10: 3 - 1 1 - 0 1 8 1 2 2 - 3 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http://dnb.ddb.de > abrufbar.

© Copyright 2005 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin

Vorwort des Herausgebers Dieser Sammelband enthält ausgewählte Beiträge der Tagung „Fachtexte und Fachsprachen in kulturhistorischer Tradition", die vom 3. bis 7. März 2004 an der Humboldt-Universität zu Berlin stattfand. Die hier abgedruckten Aufsätze stellen allesamt stark überarbeitete und erweiterte Fassungen der mündlichen Vorträge dar. Allein der Beitrag von Markus Asper wurde nicht im Rahmen der Tagung selbst vorgestellt. Der Druck des vorliegenden Bandes wurde finanziell unterstützt von der Marga- und Kurt-Möllgaard-Stiftung im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft (Essen) und von der Forschungsabteilung der Humboldt-Universität zu Berlin, denen ein besonderer Dank auszusprechen ist. Für sein großes Engagement ist vor allem Herrn Dr. Heinz-Rudi Spiegel als Vertreter des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft zu danken. Berlin, im August 2005 Thorsten Fögen

Inhalt Vorwort

V

Zur Einleitung Thorsten Fögen Antike Fachtexte als Forschungsgegenstand

1

Medizinische Fachliteratur Markus Asper Un personaggio in cerca di lettore: Galens Großer Puls und die „Erfindung" des Lesers Diethard Nickel Galen in der Kontroverse mit Asklepiades von Bithynien: Zur Funktionsweise des Harnapparates

41

Sabine Vogt „...er schrieb in Versen, und er tat recht daran": Lehrdichtung im Urteil Galens

51

John Wilkins Galen and Athenaeus on Technical Terms for Foods

79

Sibylle Ihm Zu den medizinischen Szenen in Menanders Aspis Barbara Zipser Zu Aufbau und Quellen der Σύνοψις ιατρικής des Leo medicus

21

91 107

Grammatische Fachliteratur Wolfram Ax Typen antiker grammatischer Fachliteratur am Beispiel der römischen Grammatik

117

Andreas Schmidhauser Selbstverweise bei Apollonios Dyskolos

137

VIII

Inhalt

Malcolm D. Hyman Terms for "Word" in Roman Grammar

155

Vladimir I. Mazhuga Die Begriffe absolutus und absolutivus in der römischen Grammatik (1. bis 5. Jh. n. Chr.)

171

Kommentarliteratur Ken Belcher Theocritus' Ancient Commentators

191

Robert Maltby Donatus and Terence in Servius and Servius Danielis

207

Fachliteratur verschiedener Gebiete Sabine Föllinger Dialogische Elemente in der antiken Fachliteratur

221

Jochen Althoff Form und Funktion der beiden hippologischen Schriften Xenophons Hipparchicus und De re equestri (mit einem Blick auf Simon von Athen)

235

MarkJ. Schiefsky Technical Terminology in Greco-Roman Treatises on Artillery Construction

253

Silke Diederich Das römische Agrarhandbuch als Medium der Selbstdarstellung

271

Bruno Rochette Die Übersetzung von Fachbegriffen bei Apuleius

289

Ausblick auf die Neuzeit Hartwig Kalverkämper Fachkommunikation zwischen Tradition und Innovation: Ein kulturhistorisches Phänomen der alten und modernen Gesellschaften

319

Stellenregister

363

Sachregister

374

Zur Einfuhrung: Antike Fachtexte als Forschungsgegenstand Thorsten

Fögen

Die Erforschung antiker Fachtexte und Fachsprachen hat freilich eine lange Tradition innerhalb der Klassischen Philologie, doch läßt sich seit den 1990er Jahren ein rapider Zuwachs an Arbeiten zu diesem Bereich feststellen. Standen zuvor einerseits die Aufarbeitung der Geschichte einzelner Disziplinen und des Realienwissens, andererseits die Analyse von Sprache und Stil einzelner antiker Fachautoren im Vordergrund, so wird inzwischen der Blick stärker auf die Literarizität von Fachtexten, ihre Entstehungsbedingungen und ihren gesellschaftlichen Kontext gelenkt. Insbesondere die - zumeist negative - Bemessung der sprachlich-stilistischen Eigenarten von Fachtexten an dem als ideal empfundenen Modell der „hohen Literatur", wie sie beispielsweise in den entsprechenden Kapiteln von Eduard Nordens Antiker Kunstprosa (Erstauflage Leipzig 1898; immer wieder neu aufgelegt, zuletzt Stuttgart l0 1995) zu finden ist,1 gehört nunmehr weitgehend der Vergangenheit an. In den letzten Jahren sind zudem zahlreiche wissenschaftliche Textausgaben, Kommentare und Übersetzungen erschienen, die zu einer weiteren Erschließung der antiken Fachliteratur wesentlich beigetragen haben. Verwiesen sei hier nur auf die Reihen des Corpus Medicorum Graecorum et Latinorum, die neuen Vitruv- und Galen-Bände der Collection Bude sowie einzelne Editionen wie z.B. Michael Reeves OCT-Ausgabe der Epitoma rei militaris des Vegetius (Oxford 2004) oder Robert H. Rodgers' Text und Kommentar zu Frontins De aquaeductu urbis Romae (Cambridge 2004). Doch darf nicht überMan vergleiche beispielsweise Nordens vernichtendes Urteil über Plinius d. Ä.: „Sein Werk gehört, stilistisch betrachtet, zu den schlechtesten, die wir haben. Man darf nicht sagen, daß der Stoff daran schuld war [...]. Plinius hat es einfach nicht besser gekonnt" ( l o l 9 9 5 : 314). Auch den Stil Vitruvs schätzt Norden nicht sonderlich und findet eine Bestätigung seiner Sichtweise in der ersten praefatio von De architectura, übersieht dabei aber gänzlich den topischen Charakter von Vitruvs Bitte um Nachsicht für eine fehlende stilistische Sorgfalt (Janson 1964; Fögen 2003: 36f., 41 f.). Vergleichbar ist die Bestandsaufnahme für Varro ( l o l 9 9 5 : 194-200), vor allem für dessen Werk De lingua Latina, das „in dem schlechtesten lateinischen Stil geschrieben ist, den irgendein Prosawerk zeigt [...]" ( , 0 I 9 9 5 : 195).

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Thorsten Fögen

sehen werden, daß gerade im Bereich der Grundlagenforschung noch zahlreiche Desiderate bestehen: Nach wie vor sind viele antike Fachschriften nur in Ausgaben zugänglich, die heutigen Ansprüchen nicht immer gerecht werden; Vergleichbares gilt für Übersetzungen. Umso mehr Respekt verdienen Forscher, die sich der voraussetzungs- und entbehrungsreichen Aufgabe stellen, hier Abhilfe zu schaffen. 2 Die Analyse von Fachtexten und Fachsprachen in ihrer kulturhistorischen Dimension ist eine komplexe Angelegenheit, bei der eine Vielzahl von Einzelaspekten zu berücksichtigen ist. An erster Stelle steht zumeist die Frage nach der Definition von Fachlichkeit: Wodurch ist diese charakterisiert? Wie manifestiert sie sich sprachlich? Was sind also „Fachtexte" und „Fachsprachen" 3 ? Und viel grundlegender: Was ist überhaupt ein „Fach"? Welche Bereiche umfaßt es, und wo sind die Grenzen zu anderen Fächern? Auf diese Fragen gibt es, je nach Perspektive, unterschiedliche Antworten, die an dieser Stelle nicht im einzelnen diskutiert werden können (cf. die Ansätze in den hier abgedruckten Beiträgen von Wolfram Ax und Sabine Föllinger). Es mag der Hinweis darauf genügen, daß das Konzept einer auf einen recht spezifischen Bereich bezogenen - im engeren Sinne: fachlichen - Kommunikation die Existenz solcher Mitteilungsformen impliziert, die jenseits einer Gebundenheit an einen begrenzten Sachbereich, eine konkrete Lehre oder gar eine Disziplin angesiedelt sind. Doch sind die Übergänge fließend: Alltägliche Kommunikation beschränkt sich nicht auf den Gebrauch dessen, was in der Linguistik zumeist mit dem unbefriedigenden Terminus „Gemeinsprache" bezeichnet wird; 4 auch in primär unspezifi-

Siehe auch Fleury (1990: 376): „L'ideal serait que toute edition de texte technique soit accompagnee d'un commentaire afin de reconstituer, au moins partiellement, le tissu de references qui permettaient au lecteur antique de comprendre et d'apprecier ce qui lui ötait dit." Einen Überblick über verschiedene Ansätze zu einer Definition von „Fachsprache(n)", speziell im Hinblick auf eine Abhebung von „Sondersprache(n)" und „Gemeinsprache", vermittelt Fögen (2003: 32-34). Begriffe wie „Technolekt(e)", „fachspezifische Varietät(en)", „Sachsprache(n)", „Spezialsprache(n)" oder „Subsprache(n)" sind in der Forschung weniger üblich als „Fachsprache(n)". Bereits Ferdinand de Saussure spricht in seinem Cours de linguistique generale von langues speciales und erklärt diese durch den Klammerzusatz „langue juridique, terminologie scientifique, etc." (Edition critique pr^paree par Tullio de Mauro, Paris 1985, 41). Im Englischen dominiert language(s) for special (oft auch specific) purposes, oft abgekürzt zu LSP. Im Griechischen und Lateinischen gibt es keinen äquivalenten Terminus, obwohl Bezeichnungen für innereinzelsprachliche Varietäten, die über die reine Erfassung von Dialekten (diatopischen Varietäten) hinausgingen, gerade bei römischen Autoren durchaus vorhanden sind (Fögen 2000: 117-141). Zum Begriff „Gemeinsprache" siehe z.B. Seibicke (1959), Kalverkämper (1978), Hoffmann ( 3 1987: 48-52; 1998), Fluck ( 5 I996: bes. 160-179, 193f., 196-198) und Roelcke (1999: 20f.). Synonym verwendet werden die - weniger etablierten - Begriffe „Alltagssprache" und „Allgemeinsprache" (beide zu finden z.B. bei Faulseit 1975). Zur Absetzung von „Fachsprache" ungeeignet, da in der Linguistik anders konnotiert, ist der Begriff „Umgangssprache", wie z.B.

Zur Einfuhrung: Antike Fachtexte als Forschungsgegenstand

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sehen Kontexten treten unzählige Situationen auf, in denen ganz spezifische Dinge thematisiert werden: eine Autoreparatur, die Steuererklärung, die Lektüre des Wirtschaftsteils einer Zeitung, der Kauf und die Benutzung eines Computers, ein Fußballspiel, um nur wenige Beispiele zu nennen. All diese Situationen sind dadurch gekennzeichnet, daß eine Kommunikation nur dann funktioniert, wenn die Beteiligten über ein approximativ ähnliches Sachwissen verfügen und dieses mit ähnlichen sprachlichen Mitteln artikulieren. Als am ehesten greifbares Kennzeichen solcher Kommunikationsformen läßt sich ein thematisch gebundenes Vokabular in Form von Fachbegriffen ausmachen. Je komplexer ein Fach-, Sach- oder Wissensgebiet ist, desto elaborierter und differenzierter ist in der Regel auch der zugehörige Wortschatz. Termini als Bestandteil fachlich gebundener Kommunikation sind in hochentwickelten Disziplinen stark konventionalisiert und standardisiert (man denke für die Gegenwart z.B. an DIN-Normen); im Idealfall sind sie eineindeutig, d.h. sie verfugen innerhalb eines Fachgebietes über eine kontextfrei realisierbare Bedeutung (Nonambiguität und Monoreferentialität). Natürlich sind einmal etablierte terminologische Verbindlichkeiten nicht für alle Zeiten unverrückbar. Jedes terminologische System eines Fachgebietes ist Veränderungen unterworfen. Damit verbunden sind Diskussionen über die „richtigen" Begrifflichkeiten, wie sie bereits aus antiken Diskursen bekannt sind (Fögen 2003b: bes. 42-52). Ebenfalls angesprochen wird in diesem Zusammenhang oft die Übertragung von Wissensbeständen aus einem Sprachraum in den anderen; für römische Fachschriftsteller erhebt sich insbesondere die Frage nach der angemessenen Latinisierung griechischer Termini - oder anachronistisch formuliert: die Frage nach den Methoden des „Fachübersetzens" (Fögen 2002b, 2004a, 2005; ferner Fögen 2000, jeweils mit weiterer Literatur). Eine spezifische Terminologie ist aber, wie die Linguistik nachgewiesen hat, nicht das einzige Charakteristikum fachlicher Kommunikation. Geht es um die Darstellung und Vermittlung von Wissen, so kommen auf der pragmatischen Ebene zahlreiche Aspekte hinzu: Wie werden Wissensbestände in schriftlicher Form aufbereitet und präsentiert? Welche Zwecke verfolgt fachliches Schreiben? Für welche konkreten Rezipientenkreise (Laien, Fortgeschrittene, Experten)? Was sind die Medien der Wissensdarstellung und -Vermittlung? Wie umfangreich sind sie, und wie gestalten sich ihre Makro- und Mikrostrukturen? Haben einzelne Fächer bestimmte Traditionen des Informationstransfers? Ist damit so etwas wie eine spezifische Rhetorik verbunden wie z.B. der Anspruch eines Verfassers auf Innovation (novitas), Klarheit und Verständlichkeit in der Darstellung (perspieuitas), Übersichtlichkeit der Anord-

Janich (1975: bes. 36) zu Recht betont; siehe auch Moser (1959-61) und Steger (1988: bes. 289-293).

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Thorsten Fögen

nung des Stoffes und - häufig damit verbunden - Konzentration auf das Wesentliche (brevitas als Ökonomieprinzip), Nützlichkeit (utilitas) und Praxisorientiertheit, mit dem er sich zugleich von anderen Fachschriftstellern absetzen will - zum Teil in bewußter Polemik? Ist der Verfasser eines Fachtextes ein echter Experte, dessen Ausführungen persönlicher Empirie und Praxis erwachsen sind, oder ein „Buchgelehrter", der sein Wissen primär aus existierendem Schrifttum schöpft, ohne selbst über einen unmittelbaren Bezug zum dargestellten Gegenstand und eine Zugehörigkeit zu der entsprechenden Disziplin zu verfügen (Aspekt der Professionalität)? Bedingt der Grad der Professionalität eines Fachautors seine fachliche Kompetenz? Wie werden Fachkollegen und deren Werke, u.U. gar eine ganze Fachtradition, bewertet? Wie wird die eigene Befähigung untermauert, auf welche Autoritäten (der Vergangenheit, aber auch der Gegenwart) beruft man sich? In welchem Verhältnis steht der persönliche Anspruch eines Fachschriftstellers zu dessen tatsächlicher Umsetzung? Korrespondieren beispielsweise die zumeist in Vorworten (praefationes) formulierten Leitlinien (inhaltliche Schwerpunkte, sprachlich-stilistisches Programm) mit dem, was in der eigentlichen Darstellung zu finden ist, oder handelt es sich dabei um eine reine Topik, die als ein fester Bestandteil zur antiken Fachkommunikationsrhetorik gehört? Doch die Überlegungen, die bei der Analyse antiker Fachkommunikation anzustellen sind, beginnen nicht erst mit den Einleitungen: Schon die Titel von Fachtexten, mit deren Wahl sich Autoren in eine bestimmte Linie stellen, erzeugen beim potentiellen Leser eine bestimmte Erwartungshaltung. 5 Aus dem obigen Fragenkatalog wird zugleich deutlich, wie wichtig die Untersuchung der sozialen Dimension von Fachkommunikation ist. Einige der zuvor versammelten Aspekte lassen sich folgendermaßen präzisieren: In welchem Verhältnis stehen Autor und Gesellschaft? Welchen Stellenwert hat Fachwissen und dessen Aufbereitung in bestimmten sozialen Gruppen? Was sind die Entstehungsbedingungen fachlicher Texte? Welche Rolle spielen Widmungen (an Herrscher, Fachkollegen, Freunde, interessierte Laien etc.)? Gibt es Auftraggeber für bestimmte Werke? Hat dies ökonomische Gründe, wie z.B. ablesbar an dem Wunsch nach einer Optimierung von Bearbeitungs- und Produktionsabläufen sowie von Kultivationstechniken (Landwirtschaft)? Besteht gar ein politisches Interesse an der Bereitstellung von Fachwissen, wie es sich z.B. im Falle von Traktaten zum Militär- und Kriegswesen abzeichnet? Wie und durch wen wird Wissen tradiert? Wer hat Zugang zu fachlichen Besonders aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang die praefationes zur Naturalis historia des Plinius und zu den Nodes Atticae des Aulus Gellius; dazu ausführlich BiancaJeanette Schröder, Titel und Text: Zur Entwicklung lateinischer Gedichtüberschriften. Mit Untersuchungen zu lateinischen Buchtiteln, Inhaltsverzeichnissen und anderen Gliederungsmitteln, Berlin & New York 1999, 49-60. Für den modernen Kontext siehe Dietz (1998).

Zur Einführung: Antike Fachtexte als Forschungsgegenstand

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Medien, wer erwirbt auf welche Weise Fachwissen? Bilden sich bestimmte Forscherverbände und „Schulen" heraus, und wie stehen diese zueinander? Gibt es in einer bestimmten Gesellschaft so etwas wie Wissenseliten, u.U. arkanes Wissen? Zusammenfassend: Welche sozialen und kulturellen Praktiken spiegeln sich über die reine Sachdarstellung hinaus in Fachliteratur wider? Auch hier ist zu berücksichtigen, daß einer präzisen Beantwortung solcher Fragen häufig der topische Charakter vieler Selbstaussagen antiker Fachschriftsteller entgegensteht. Das heranzuziehende Analysematerial muß also deutlich über derartige Zeugnisse hinausgehen, die gleichwohl als zentrale Bestandteile der jeweiligen narrativen Strategie wichtig und aufschlußreich sind. Festzuhalten bleibt hier vor allem, daß die literarischen Formen fachlicher Kommunikation in der griechisch-römischen Antike sehr verschiedenartig sind, was vor allem durch die jeweilige Darstellungsabsicht und das Zielpublikum bedingt ist. Auch läßt sich antike wissensvermittelnde Literatur nur schwer von „schöner" Literatur abgrenzen; die meisten modernen Definitionen von „Fachtext" oder „Gebrauchstext" lassen sich kaum auf die Verhältnisse in der antiken Literatur übertragen. 6 Von einer einheitlichen Textsorte 7 oder Gattung „Fachtext" zu sprechen, scheint damit für die Antike nahezu unmöglich zu sein. 8 Es bietet sich statt dessen das Modell eines Kontinuums von Fachschriften an, das von dürren Kurzüberblicken, die (zumeist aufgrund ihres esoterischen Charakters) auf jegliche sprachlich-stilistische Ausgestaltung verzichten, bis hin zu umfangreichen Werken reicht, die das Prinzip docere mit dem des delectare verbinden (z.B. durch Exkurse). An dem einen Ende eines solchen Kontinuums stünde also beispielsweise die Τέχνη γραμματική des Dionysios Thrax, am anderen Ende etwa Ciceros De oratore, dazwischen ein Werk wie Vitruvs De Eine recht allgemeingehaltene Definition wie die folgende wäre allerdings auch für eine Vielzahl antiker Fachtexte haltbar, sofern man die Gattung des Lehrgedichts beiseite läßt: „Unter Gebrauchstexten werden [...] solche Texte verstanden, die nicht, wie poetische Texte, ihren Gegenstand selbst konstituieren, sondern die primär durch außerhalb ihrer selbst liegende Zwecke bestimmt werden. Gebrauchstexte dienen der Sache, von der sie handeln; sie sind auf einen bestimmten Rezipientenkreis ausgerichtet und wollen informieren, belehren, unterhalten, kritisieren, überzeugen, überreden oder agitieren" (Belke 5 1978: 320). Forschungsliteratur zu diesem vor allem in der Pragmalinguistik untersuchten Begriff ist zusammengestellt bei Kirsten Adamzik, Textsorten - Texttypologie. Eine kommentierte Bibliographie, Münster 1995. Hier sei lediglich verwiesen auf Rolf (1993), ferner auf Kirsten Adamzik (Hrsg.), Textsorten. Reflexionen und Analysen, Tübingen 2 0 0 0 und den noch immer wichtigen Band von Elisabeth Gülich & Wolfgang Raible (Hrsg.), Textsorten. Differenzierungskriterien aus linguistischer Sicht, Frankfurt am Main 2 1975. Besondere Berücksichtigung fachlicher Dimensionen der Textsorten-Forschung vor allem bei Kalverkämper (1982, 1983), Gläser (1985), Schröder (1991, 1993), Rolf (1993: 125-317), Göpferich (1995), Albrecht (1995: 146-148), Kalverkämper & Baumann (1996), Wolski (1998) s o w i e dem in diesem Band abgedruckten Beitrag von Kalverkämper. Es muß hier betont werden, daß dies in ähnlicher Weise auch für die Neuzeit gelten kann, die eine Fülle verschiedener Ausprägungen von „Fachtexten" aufweist.

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Thorsten Fögen

architectura. Die Lehrdichtung nimmt in einem derartigen Modell eine besondere Rolle ein. Sie ist freilich ebenfalls nicht uniform, sondern ließe sich auf einer Art Parallelkontinuum anordnen.9 Einer Reihe der hier sehr summarisch skizzierten Einzelfragen gehen die Beiträge dieses Sammelbandes, der Einfachheit halber überschrieben mit dem Titel Antike Fachtexte / Ancient Technical Texts, ausführlich nach. Die dem Inhaltsverzeichnis zu entnehmende Gliederung der einzelnen Aufsätze nach Disziplinen soll dem Leser lediglich als eine behelfsmäßige Orientierung dienen: Auch wenn nahezu alle Beiträge auf bestimmte Fächer konzentriert sind, so heißt dies nicht, daß die jeweiligen Ergebnisse ausschließlich für die in den Blick genommene Disziplin repräsentativ wären. Ähnliches gilt für die zeitliche Dimension: Der Bezug der hier versammelten Aufsätze, für die sich eine streng chronologische Anordnung nicht anbot, erstreckt sich vom fünften vorchristlichen Jahrhundert mit Hippokrates als dessen frühestem Vertreter bis in die Spätantike (je nach Datierung der im Artikel von Barbara Zipser behandelten Σύνοψις ιατρικής sogar bis in die frühbyzantinische Zeit); gelegentliche Ausblicke (wie im Beitrag von Sabine Vogt) reichen allerdings bis Homer zurück. Bei allen Unterschieden in den literarischen Formen und Techniken antiker Fachschriftstellerei gibt es auch bei größeren zeitlichen Distanzen je nach Teilbereich durchaus gewisse Konstanten. Umso deutlicher treten dadurch Abweichungen und Brüche von Konventionen zutage. Darüber hinaus wird eine Abgrenzung der Einzelstudien dieses Bandes voneinander dadurch erschwert, daß einerseits terminologische Aspekte in der überwiegenden Mehrzahl eine Rolle spielen, andererseits aber immer auch das Augenmerk auf das größere Ganze, die zuvor näher beschriebene pragmatische und soziokulturelle Dimension fachlicher Kommunikation, gerichtet wird. In den Bereich der Pragmatik fällt auch die Untersuchung des Auftretens fachlicher - und zwar terminologischer wie auch diskursiver - Elemente in primär nicht-technischer („schöner") Literatur, wie zum Beispiel ausführliche Beschreibungen von Belagerungsmaschinen in historiographischen Werken oder Arztszenen in Komödien (untersucht im Beitrag von Sibylle Ihm am Beispiel von Menanders Aspis). Solche Phänomene sind ebenso aus der neuzeitlichen Literatur bekannt (siehe Kalverkämper 1998); man denke nur an Emile Zolas Germinal (Bergbauwesen), Thomas Manns Doktor Faustus (Musiktheorie) oder Joris-Karl Huysmans' A rebours (verschiedene fachliche Diskurse, u.a. Medizin und Botanik). Für moderne wie für antike Literatur, in die technische Passagen integriert sind, erhebt sich die Frage nach deren

Dazu mag man sich z.B. an der von Effe (1977) entwickelten Typologie orientieren, mit der sich ein Großteil der neueren Forschung zum antiken Lehrgedicht auseinandersetzt, wenn auch nicht selten kritisch.

Zur Einführung: Antike Fachtexte als Forschungsgegenstand

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Funktion: Sollen auf diese Weise Authentizität bzw. Naturalismus oder Verfremdung, Überspitzung und Ironie erzielt werden? Dieser Problematik, die im vorliegenden Band nur gestreift werden kann, wird in der künftigen klassischphilologischen Forschung ausführlicher nachzugehen sein. 10 Als eine wichtige Facette der soziokulturellen Dimension antiker Fachkommunikation läßt sich der Umgang der Römer mit den aus Griechenland tradierten Wissensbeständen einordnen, der von Ablehnung oder zumindest kritischer Zurückhaltung bis hin zu Anerkennung und überaus bereitwilliger Übernahme reicht. Fachdiskurse sind dabei nicht selten verknüpft mit Erörterungen ganz anderer Art, die beispielsweise moralische Aspekte - die bewußte Absetzung eines Römers von griechischer Kultur aufgrund einer Selbsteinschätzung als sittlich höherstehende Instanz - einschließen (Cato maior, Plinius der Ältere). Bisweilen wurden ganze Disziplinen, wie die Landwirtschaft, von vielen Römern offenbar als zu ihrem Wesen besonders passend empfunden, wenngleich eine Tradierung von Wissensbeständen aus anderen Kulturräumen auch für solche Fachbereiche nicht in Abrede gestellt werden konnte. Daß Fachliteratur also neben der Vermittlung von Sachwissen zugleich ein weltanschauliches, gesellschaftlich hochrelevantes Programm, verbunden mit dezidierten Aussagen über Wertesysteme und Ideologien, enthalten kann, zeigt vor allem der Beitrag von Silke Diederich zur römischen Agrarschriftstellerei. Auch die Überleitung zur neuphilologisch orientierten Fachkommunikationsforschung ist in der vorliegenden Aufsatzsammlung nicht ausgespart, wie der interdisziplinär orientierte Beitrag von Hartwig Kalverkämper am Ende des Bandes zeigt. Aus der von Kalverkämper aufgezeigten Notwendigkeit einer Einbeziehung von Ergebnissen der klassisch-philologischen Fachtext- und Fachsprachenforschung in die moderne Linguistik und Pragmatik ergibt sich u.a. die Erfordernis einer stärkeren Kooperation der sprachlich ausgerichteten Einzelwissenschaften im Bemühen um die Erschließung nicht nur der historischen Dimension von Fachkommunikation. Hans-Rüdiger Fluck bemerkt in seinem Band Fachsprachen ganz zu Recht: „Eine umfassende Darstellung der Geschichte der Fachsprachen und Fachliteratur ist weiterhin ein wichtiges Desiderat sprach- und texthistorischer Forschungen" (Fluck 5 1996: 190). Eine solche ausfuhrliche Dokumentation der Geschichte der Fachkommunikation kann und will der vorliegende Band freilich nicht liefern. Gleichwohl ist es das Ziel, mit einer Vielfalt an Beiträgen zu unterschiedlichen Ausprägungen fachlicher Kommunikation in der griechischrömischen Antike zumindest einen weiteren Schritt in der historischen Fachtext- und Fachsprachenforschung zu tun.

Für die Komödien des Aristophanes hat dies zuletzt Andreas Willi (The Languages of Aristophanes. Aspects of Linguistic Variation in Classical Attic Greek, Oxford 2003, 51 -156) getan.

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Thorsten Fögen

Auswahlbibliographie zu Fachkommunikation in Antike und Neuzeit 1. Formen der Bildung und Wissensvermittlung in der Antike 1.1 Bibliographien Ferguson, Eugene S. (1968): Bibliography of the History of Technology, Cambridge, Mass. Fischer, Klaus-Dietrich (2000): Bibliographie des textes medicaux. Antiquite et haut moyen äge (Premier Supplement: 1986-1999), Saint-Etienne. Fleury, Philippe (1990): Les textes techniques de l'Antiquite. Sources, etudes et perspectives, in: Euphrosyne 18,359-394 (Literatur auf S. 377-394). Forbes, Robert J. (1950): Bibliographia antica: Philosophia Naturalis. Vol. 10: Wetenschap en Technik, Leiden. Oleson, John P. (1986): Bronze Age, Greek and Roman Technology. A Select Annotated Bibliography, New York & London. Russo, F r a n c i s ( 2 1969): Elements de bibliographie de l'histoire des sciences et des techniques, Paris. Sabbah, Guy, Pierre-Paul Corsetti & Klaus-Dietrich Fischer (1987): Bibliographie des textes medicaux latins. Antiquite et haut moyen äge, Saint-Etienne.

1.2 Kurzdarstellungen und Überblicke Beaujeu, Jean (1949): La litterature technique des Grecs et des Latins, in: Actes du Congres de Grenoble de {'Association G. Bude (1948), Paris, 21-79. Christes, Johannes (1997): s.v. „Bildung", in: Der Neue Pauly (Vol. 2), Stuttgart & Weimar, 663-673. Deshayes, Jean (1962): Les techniques des Grecs, in: Maurice Daumas (Hrsg.), Histoire generale des techniques. Vol. 1: Des origines au XV* siecle, Paris, 183-217. Duval, Paul-Marie (1962): L'apport technique des Romains, in: Maurice Daumas (Hrsg.), Histoire generale des techniques. Vol. 1: Des origines au XV* siecle, Paris, 218-254. Fleury, Philippe (1990): Les textes techniques de l'Antiquite. Sources, etudes et perspectives, in: Euphrosyne 18, 359-394. Fuchs, Harald (1954): s.v. „Bildung", in: Reallexikon für Antike und Christentum (Vol. 2), 346-362. Fuchs, Harald (1962): s.v. „Enkyklios Paideia", in: Reallexikon für Antike und Christentum (Vol. 5), 365-398. Fuhrmann, Manfred (1974): Die römische Fachliteratur, in: Ders. (Hrsg.), Römische Literatur, Frankfurt am Main, 181 -194. Goodyear, F. R. D. (1982): Technical writing, in: Edward J. Kenney & Wendell V. Clausen (Hrsg.), The Cambridge History of Classical Literature. Vol. 2: Latin Literature, Cambridge, 667-673. Grimal, Pierre (1966): Encyclopedies antiques, in: Cahiers d'histoire mondiale 9, 459482. Pleket, Henri W. (1973): Technology in the Greco-Roman world. A general report, in: Talanta 5, 6-47.

Zur Einführung: Antike Fachtexte als Forschungsgegenstand

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Un personaggio in cerca di lettore: Galens Großer Puls und die „Erfindung" des Lesers* Markus Asper

Galen ist zweifellos einer der produktivsten und einflußreichsten Fachschriftsteiler der Antike, wenn nicht überhaupt der westlichen Tradition. Nicht nur als Mediziner oder als Quelle, auch als Literat verdient er unsere Aufmerksamkeit. Diese Aufmerksamkeit hat man ihm nur deshalb vorenthalten, weil gerade die einflußreichsten seiner modernen Leser es vorzogen, ihn als Vielschreiber und Polemiker zu verurteilen,1 statt diese Merkmale zu erklären (daß Kürze und Prägnanz Tugenden des Fachschriftstellers sind, war Galen natürlich bewußt). 2 Im folgenden möchte ich nur einen Aspekt seiner literarischen Technik herausgreifen, nämlich die Konstruktionsarbeit, die er in die Etablierung einer AutorLeser-Bindung investiert. Dazu eignet sich das umfangreiche Handbuch (ich spreche im folgenden von „Systempragmatie") über die Pulse aus mehreren Gründen besonders gut: erstens wird hier ein Wissen verschriftlicht, das sehr viel mit Erfahrung und Sinneswahrnehmung zu tun hat, d.h. besonders schwierig rein schriftlich zu vermitteln ist. Der Autor muß besondere Anstrengungen unternehmen, um die inhärente Unwahrscheinlichkeit der Wissensvermittlung zu minimieren,3 auch aus praktischen Gründen.4 Zweitens steht Galen hier in *

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Dieser Aufsatz entstand im März 2004 am Institute for Advanced Study (Princeton, N.J.). Heinrich von Staden und Heinrich Schlange-Schöningen danke ich für Hilfe und Kritik, Thorsten Fögen für die Aufnahme in diesen Band. Wilamowitz-Moellendorff (1886: 122 Anm. 12): „der unerträgliche seichbeutel Galen". Galen hat geradezu hellseherisch auf Wilamowitz' Beleidigung geantwortet, und zwar sinngemäß: „Ich schreibe nicht fiir Deutsche (Germanen) oder andere Barbaren noch für wilde Tiere, sondern für Griechen und andere zivilisierte Völker" (San. tuend. I 10 [VI 51.8-13 Kühn]). Zu Galens „Schwächen der Darstellung" siehe auch Deichgräber (1957: 4); ähnliche Verdikte hat Schlange-Schöningen (2003: 23-30) gesammelt.

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Praes. puls. III 4 (IX 361.8 Kühn), III 5 (IX 371.4f. Kühn) und Caus. puls. II 5 (IX 74.9 Kühn). Siehe Kudlien (1972: 2 2 9 Anm. 62) mit Hinweis auf In Hippocr. Aph. XVIIIB 326f. Kühn, femer Sluiter (1999: 186). Ansätze zur Erklärung sowohl für Vielschreiberei w i e für Polemik hat Schlange-Schöningen (2003: 26-30) zusammengestellt.

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Galen ist übrigens neben Piaton der einzige Autor, der ein Vermittlungsrisiko bei dekontextualisierten (Fach-)Schriften als Problem erkennt. In Dign. puls. IV 2 (VIII 942.1-4 Kühn) schildert Galen einen Leser, der nichts versteht, aber „etwas Tiefes" vermutet und „sich [sc. auf der Suche danach] zerreibt".

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einer Tradition von Pulsschriftstellern, gegen die er sich durchsetzen möchte. Das zwingt ihn dazu, darüber zu sprechen, wie gut er schreibt (bzw. wie schlecht seine Vorgänger schrieben). Drittens hat Galen zu diesem Thema mehrere Texte unterschiedlicher Formate verfaßt (siehe unten), so daß wir die große Systempragmatie stets mit anderen Formen vergleichen können. 5 Ein Ergebnis dieses Vergleichs ist bereits, daß die Bereitschaft Galens, den Akt des Lesens und die persona des Lesers zu thematisieren, ein Charakteristikum dieser umfangreichen Systempragmatien ist. Viertens sind die Systempragmatien im Gegensatz zu den korrespondierenden Einführungsschriften, die meist auf Vorträgen basieren, ein Flair von Mündlichkeit bewahren und für spezielle Adressaten verfaßt sind, 6 für eine vollkommen dekontextualisierte, rein schriftliche Wissensvermittlung geschrieben: 7 Leser und Autor kennen einander nicht. Um so mehr Arbeit muß der Autor in den Aufbau einer Beziehung investieren, die eine erfolgreiche Wissensvermittlung ermöglicht und so sein eigenes Ansehen vergrößert, d.h. er muß eine Autorität aufbauen und versuchen, seine Beziehung zum Leser exklusiv zu gestalten. Die Systempragmatie über die Pulse, vier mal vier zusammenhängende Bücher (De differentiis pulsuum [Diff. puls.], De dignoscendis pulsibus [Dign. puls.], De causis pulsuum [Caus. puls.], De praesagitione ex pulsibus [Praes. puls.]), bietet allein schon quantitativ einen deutlichen Kontrast zur Einführungsschrift De pulsibus ad tirones (Puls. tir.)\ den 40 Seiten der Einführung stehen 856 der Systempragmatie gegenüber (nach der Standardausgabe Carl Gottlob Kühns). - die Tradition spricht deshalb treffend auch vom „Großen Puls". 8 Dieses Werk verfolgt das Ziel, ohne quantifizierende Hilfsmittel wie Blutdruckmesser oder visualisierende wie Kardiogramme, sogar ohne eine exakte Zeitmessung, einen Zusammenhang zwischen Körperzuständen und Pulsvariationen darzustellen und so zu begründen, daß man den Puls als In-

Im Falle der medizinischen Literatur hatte der Versuch, die Vermittlungsunwahrscheinlichkeit zu bannen, auch noch einen praktischen Vorteil: hier war nämlich im Gegensatz zu anderen Disziplinen die Mobilisierung des Wissens von großer Bedeutung, da der Arzt ja mobil sein mußte und oftmals seinen Lehrer nicht erreichen konnte. Dieser mußte ihm mithin sein eigenes Wissen in einer möglichst vollkommen selbsterklärenden Form fixieren: daher der Umfang vieler galenischen Schriften. Der Versuch, Wissen ohne Einbußen mobil zu machen, führt eben nicht zu einer Reduktion von Komplexität im Text, sondern zu einer Steigerung (pace Meißner 1999: 242): die Texte müssen genauer und deshalb umfangreicher werden; sie müssen Verständnis garantieren und bauen deshalb auf Redundanz. Siehe Asper (2003: 380-382, 420-430). Die Einführungsschriften Galens sind im Rahmen anderer griechischer Einführungsliteratur skizzenhaft besprochen bei Asper (1998). Propr. libr. pr. (Scripta minora. Vol. 2, p. 92.25-93.1 Müller); ferner Adv. eos qui de typ. scrips. 6 (VII 507.17-508.1 Kühn). Siehe Hanson (1998: 28f.), doch vgl. Mansfeld (1994: 118f. mit Anm. 208). Propr. libr. pr. (Scripta minora. Vol. 2, p. 93.4-93.15 Müller). Strohmaier (1998: 266) zitiert dafür Rhazes (ar-Räzi, 865-925 n. Chr.).

Galens Großer Puls und die „Erfindung" des Lesers

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strument von Diagnose und Prognose verwenden kann. Dazu baut Galen, z.T. auf älteren Pulswissenschaftlern wie vor allem Archigenes basierend, ein umfangreiches Begriffs- und Diagnosesystem auf. Dem „Großen Puls", der eine vollständige Wissensvermittlung beansprucht (Syn. puls. 11 [IX 463.11-24 Kühn]), kann ich hier nicht in all seinen fachliterarischen Facetten gerecht werden. Statt dessen konzentriere ich mich nur auf zwei Aspekte seiner Appellstruktur: welches Bild Galen von seinem Leser zeichnet und welches Verhältnis er zu ihm aufzubauen sucht.

1. Appellstruktur: Der Autor und sein Leser Im Gegensatz zum Adressaten der Einführung kennt Galen den Leser seiner Systempragmatie nicht; entsprechend hat auch der Leser dieses Textes keine Vorstellung von Galen außerhalb derjenigen, die ihm der Text selbst vermittelt. Die Prozesse der Appellstruktur in diesem Werk lassen sich demnach als eine Doppelprojektion betrachten: Galen entwirft dem Leser ein bestimmtes Bild von sich, außerdem aber auch ein gewisses Bild vom Leser fur diesen selbst. (Bei der tatsächlichen Lektüre, deren Rezeptionsvorgänge wir nicht von einem Standpunkt außerhalb des Textes überprüfen können, ist dieses Leserbild dann vermutlich eher identifikatorisch bestätigt als abgrenzend verworfen worden.) Galens Autorentwurf besteht zunächst einmal in einer anonymen persona auctoris, die sich meist des üblichen „integrativen Wir" bedient. 9 Individualität gewinnt diese persona in der Funktion des Definierens ( J c h nenne das ...") 1 0 oder des Bezeugens ( J c h habe selbst einmal gesehen, wie ...")." Eine Spezialfunktion und damit ein Spezialproblem solch unübersichtlicher Gebilde wie einer ausgedehnten Systempragmatie liegt im Disponieren des Stoffs. Hier bietet sich in Fällen, in denen die Wissensstruktur des Gegenstands eine Entscheidung nicht von sich aus schon nahelegt, dem Autor die Gelegenheit, sich als „disponierendes Ich" dem Leser zu empfehlen, also bereits die Dispositionsleistung zu betonen (besonders bei Buchschlüssen). 12 Das stolze „Ich des Wis-

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Etwa Diff. puls. I 10 (VIII 523.5 Kühn) und I 14 (VIII 529.4f. Kühn), Caus. puls. I 8 (IX 30.10-13 Kühn) und II 13 (IX 90f. Kühn). Gelegentlich begegnet ein „anthropologisches Wir", z.B. in Dign. puls. I 2 (VIII 781 Kühn). Beispielsweise Caus. puls. II 5 (IX 74.18 Kühn). Diff. puls. I 16 (VIII 541.1 lf. Kühn), Caus. puls. II 13 (IX 93.1, IX 97.3 Kühn). Auffällig Caus. puls. III 17 (IX 155.1 f. Kühn). Unter den „authorial personae", die von Staden filr Celsus typisiert, findet sich u.a. ein „ego of dispositio" (von Staden 1994: 110). Auch andere der personae, die von Staden herausarbeitet, finden Entsprechungen bei Galen, z.B. die „nomenclative persona" (1994: 107; = definitorisches Ich) und das „empirical ego" (1994: 111; = beglaubigendes Ich).

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senschaftlers" {je scientifique) Galen ist nicht nur von inhaltlichen Faktoren bestimmt, sondern auch von rhetorischen Strategien geprägt. 13 Weiter füllt sich für einen Leser die Figur des Autors durch zahlreiche Abgrenzungsstrategien mit Persönlichkeit. Hier wird als Gegenentwurf die Individualität des Autors um so deutlicher, je genauer und persönlicher der Gegner gezeichnet wird (etwa Dign. puls. I 2 [VIII 783.16 Kühn]). Der Leser erlebt seine Galen -persona als Opfer inkompetenter Kritiker oder als kontroversenerprobten Intellektuellen, 14 als einzigen Kompetenten unter den neoteroi,]S als ruhmreiche Ausnahme unter allen seinen Vorgängern, 16 trotzdem nicht auf Neuerung bedacht allein um der Neuerung willen (das wäre verwerfliche kainotomia).17 Solche Abgrenzungen schaffen eine In-Group aus Autor und Leser: die anderen sind inkompetent. Dieser Prozeß unterstützt das Bedürfnis des Autors an agonalem time-Gewinn auf Kosten seiner Mitbewerber; der Leser fühlt sich im Besitz ausgezeichneten Wissens (Schmitz 1997: 171-175). Den Leser wird es außerdem erfreuen, gerade den einzigen Autor zu lesen, der rein schriftlich das komplexe Pulswissen transportieren kann. 18 Abgesehen von der Konkurrenzsituation, die derartige Selbstanpreisung erforderlich machte, könnte der Grund dafür, daß Galen seine literarischen Fähigkeiten so betont, darin liegen, daß Galens Vorgänger die Dekontextualisierung offenbar noch nicht so weit trieben, d.h. also Wissen wie die Pulslehre, das man offensichtlich am ehesten situativ vermittelt und damit praktisch lernt, gar nicht erst verschriftlichten. Galen hingegen möchte einen autonomen Text schaffen, was er dann im Anschluß klar feststellt: Dekontextualisierung heißt hier Verallgemeinerung und Fixierung (Dign. puls. I 7 [VIII 803.7-12 Kühn]) mit dem Ziel der textuellen Autonomie (autarkes). 19

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Debru (1992: 85-87) versteht die Funktion des „ j e ' scientifique" als „formule d'authenticite", d.h. als Objektivitätssignal (das aber eben auch in einem strategischen Rahmen gesehen werden muß). Diff. puls. I 1 (VIII 4 9 5 Kühn), III 2 (VIII 648.7 Kühn), IV 17 (VIII 763.15-18 Kühn). Diff. puls. I 5 (VIII 508.13f. Kühn). Im ganzen Block Diff. puls. II-IV skizziert Galen sich selbst ständig als Person in Abhebung von den Pneumatikern (Kernstelle: Diff. puls. III 6 [VIII 674.9f. Kühn]). Dign. puls. IV 2 (VIII 929.13-16 Kühn): Die Vorgänger haben sich fast überhaupt nicht um die Diagnose des Pulses gekümmert; ähnlich Diff. puls. I 30 (VIII 558.4 Kühn). Diff. puls. II 10 (VIII 6 2 5 Kühn); vgl. Diff. puls. III 1 (VIII 641.13 Kühn). Dign. puls. I I (VIII 768.9f. Kühn), I 7 (VIII 803.6f. Kühn), ferner Dign. puls. I 1 (VIII 774.39 Kühn) zum Problem, Sinneswahmehmungen sprachlich eindeutig wiederzugeben. Galen kann das und verweist zur Illustration auf seine Weinverkostung und ,,-diagnose" nach Lesewissen; das belegt aber natürlich nur, daß er eine entsprechende L&rekompetenz besitzt. Der textuellen Autonomie, d.h. der Absicherung von Schriftkommunikation, dient auch Galens Streben nach quasi-mathematischer Argumentation (Beispiele dafür aus Plac. Hipp. Plat, bei Lloyd 1996: 259f.); daneben auch dazu, seinen eigenen Wahrheitsanspruch evident zu machen und Widersacher mit dem Hinweis auf deren logische Inkonsistenzen aus dem Felde zu schlagen.

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In diesen wenigen Zügen wird nur skizzenhaft ein Autor deutlich, dem ein naturgemäß offeneres Leserbild entspricht. Die Einfiihrungsschrift konnte ja einen Widmungsadressaten namens Teuthras, der dem wirklichen Leser vermutlich gänzlich unbekannt war, als Identifikationsfokus verwenden. Unser Großer Puls verzichtet darauf und spricht statt dessen den Leser ständig direkt an: wie es einer dekontextualisierten Rezeption im „einsamen Akt des Lesens" (Iser) gemäß ist, im Singular, als anonymes Leser-Du. 2 0 Sehr selten steigert sich Galen zu an den Leser gerichteten Imperativen (z.B. Dign. puls. II 8 [VIII 861.15 Kühn]). Nach meinem Eindruck intensivieren sich diese direkten Appelle mit fortschreitender Pragmatie (um der zunehmenden Wahrscheinlichkeit vorzubeugen, daß der Leser abspringt?), gelegentlich entsprechen sich LeserDu und Autor-Ich (z.B. Dign. puls. I 8 [VIII 815 Kühn] mehrfach). Autor- und Leserkonzept stehen also in gegenseitiger, allerdings meist impliziter Abhängigkeit. Die nächste Stufe eines dekontextualisierten Leserappells, nämlich eine Wendung an eine noch weniger bestimmte dritte Person, verwendet Galen in der gesamten Pragmatie nur ein einziges Mal, in einem hypothetischen Zusammenhang {Dign. puls. III 1 [VIII 880.5, VIII 880.16-881.1 Kühn]). Allen Leserpräfigurationen steht im Normalfall das bereits erwähnte „integrative Wir" gegenüber und zur Seite. Publikumsseligierende Wirkung haben Feststellungen über das Wissensniveau des Lesers, sei es negativ durch Abgrenzung zu den Adressaten der Einfiihrungsschriften (eisagomenoi), 21 sei es durch genaue Zuordnung der einzelnen Pragmatienteile zu denkbaren Lesergruppen, 22 sei es durch eine Skizze

Die Beispiele sind Legion, so etwa Diff. puls. III 1 (VIII 638.5-7 Kühn), IV 2 (VIII 704.15, VIII 706.3), IV 16 (VIII 758.18-759.2, VIII 762.1 & 8); Dign. puls. I 5 (VIII 794.13), I 6 (VIII 801.15), I 8 (VIII 810.2, VIII 811.14, VIII 812.3, VIII 819, VIII 821), II 2 (VIII 842.12, VIII 848.7, VIII 851.5f.), III 2 (VIII 889.14-19, VIII 900.11-15: Handlungsanweisung im Rezeptstil, ebenso VIII 942.12), IV 1 (VIII 917.7), IV 2 (VIII 941.17, VIII 959.7); Caus. puls. I 7 (IX 17.19, IX 18.3), I 11 (IX 46.3), II 1 (IX 57.5, IX 57.12), II 3 (IX 66.16, IX 69.10), II 12 (IX 88.2, IX 96.2). Eisagomenoi sind gewöhnlich die Leser der Einführungsschriften. Die wenigen Ausnahmen lassen sich leicht erklären: In Diff. puls. I 5 (VIII 509.4f. Kühn) werden m.E. nicht die Adressaten des vorliegenden Buches als eisagomenoi bezeichnet; vielmehr betont Galen, daß das Gesagte für den vorliegenden Zweck bzw. Leserkreis und für eine Einführung nützlich sei und auch dort, d.h. in der Einführung, gesagt werden wird. In Dign. puls. I 6 (VIII 802.8f. Kühn) werden eisagomenoi erwähnt, die nicht identisch sind mit den eisagomenoi der Einführungsschriften; hier handelt es sich um „relative" Anfänger, nämlich Anfänger bezogen auf die Wahrnehmung der systole, d.h. „Leser allgemein" (!); dazu von Staden (1998: 73 Anm. 33). Dasselbe gilt für Praes. puls. I 6 (IX 263.4-9 Kühn), wo auf eine Behandlungsdifferenz zu Diff. puls. I verwiesen wird: Dort sei der Leser noch eisagomenos gewesen, sagt Galen. Diese Ungenauigkeit werde jetzt korrigiert, weil die Leser inzwischen mehr wissen. Dign. puls. I 1 (VIII 767.1-3 Kühn) zu den Zielgruppen der Viererteilung der Pragmatie: Diff puls, sei für Ärzte und Philosophen gleichermaßen interessant, Dign. puls, und Praes. puls. eher für Ärzte (Diagnose und Prognose), Caus. puls, eher für Philosophen.

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erforderlichen Vorwissens (z.B. Praes. puls. I 1 [IX 205.3-6 Kühn]). Wer auf dem Weg zur völligen Beherrschung des Stoffes ist, liest Galen {Praes. puls. I 1 [IX 206.8 Kühn])! So darf der Leser auch den Umkehrschluß wagen: er liest Galen, ist also auf bestem Wege. Publikumsselektion, Sympathielenkung und Leserbindung gehen hier eine sehr enge Bindung ein. Daß Galen daran liegt, den Leser an sich als einzige oder doch wichtigste Wissensquelle zu binden, zeigt bereits die Fülle der Verweise und der Hinweis auf die Bedingtheit der Schlüsse in vorliegenden Schriften, die regelmäßig von Voraussetzungen in anderen Schriften abhängen. Galen zu verstehen ist „nicht schwer", wie er sagt, „wenn man bisher alles von mir genau gelesen hat" (Diff. puls. I 18 [VIII 545.11-13 Kühn]). Galen geht es ganz offensichtlich um eine Monopolisierung seines Publikums (siehe unten). Galens extremste und gleichzeitig literarisch ambitionierteste Maßnahme der Leserbeeinflussung ist der lebhaft gezeichnete Entwurf des Ideallesers. Eingeleitet von einer Skizze des Anti-Lesers, des spitzfindigen „Sophisten" (cf. von Staden 1997: 34-36) stellt sich Galen seinen Leser als einen Liebhaber der Wahrheit vor - sollte es auch nur einer sein unter Zehntausenden, sollte dieser eine auch erst geboren werden. 23 Diese „Fiktion vom dem einen würdigen Leser"24 dient rein rhetorischen Zwecken und ist als eine schlichte Werbemaßnahme zu verstehen, die jedem Leser die Sicherheit verkauft, zu den wenigen Auserwählten zu gehören. Erlös ist die time des Autors. Da Galen sich selbst oft als Leser der Schriften seiner Debattengegner schildert, wird aus solchen Scheindiskussionen noch zusätzlich eine negative Differenz zum Leseerlebnis seiner Leser deutlich. Denn all die literarischen Fehler seiner Schriftstellerkonkurrenten begeht er selbst natürlich nicht! Die polemisch Abgekanzelten übernehmen also die Funktion von Differenzautoren, 25 vor deren Versagen Galen sich um so strahlender abhebt. Es hat wenig Sinn, aus derartigen literarischen Strategien Schlüsse auf Galens Charakter zu ziehen: Diese elaborierten Techniken der Leserlenkung sind vielmehr als notwendige Folgen einer Ausweitung der ärztlichen Konkurrenz auf das Feld der Texte, als Reaktion auf die steigende Komplexität des Wissens und auf den mit der zunehmenden Verbreitung schriftlicher Wissensvermittlung steigenden Dekontextualisierungsgrad ihrer Medien zu verstehen.

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Dign. puls. I 8 (VIII 808.6-19, bes. 12-15), II 1 (VIII 826.17-827.3 Kühn), II 2 (VIII 859.14860.3 Kühn). So Deichgräber (1957: 26 Anm. 1), der richtig bemerkt, diese Figur habe „etwas Epideiktisches" (Deichgräber 1957: 29). Sehr deutlich etwa Archigenes in Dign. puls. IV 2 (VIII 941.17f. Kühn).

Galens Großer

Puls und die „Erfindung" des Lesers

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2. Die „Erfindung" des medizinischen Lesepublikums Das schriftliche Werk stellt eine Transposition der alten, mündlichperformativen epideixis in ein neues Medium dar. Das Lesepublikum, der neue Adressat,26 ist eine Erweiterung des Publikums ursprünglicher mündlicher Kommunikation, sei es im Ausbildungsverhältnis der apprenticeship oder als Adressat einer epideixisΡ Über die bisher aufgeführten Facetten der Appellstruktur hinaus fuhren zwei Komplexe, die zusammengenommen eine neue Leserrolle beschreiben, also quasi ein Lesepublikum erfinden. Das ist erstens eine neue Bestimmung des Verhältnisses von Lesen und Praxis und zweitens die Vorstellung, Lesen sei eine erweiterte apprenticeship. Das gerade in medizinischer Literatur stets prekäre Verhältnis von Praxis und Lektüre scheint von zahlreichen Beteuerungen Galens eindeutig zugunsten der Praxis bestimmt zu werden: Wer nicht in praktischer Unterweisung, d.h. mündlich und situationsgebunden, von einem Lehrer, gelernt habe, der sei wie ein Steuermann, der aus Büchern navigiere; so oder ähnlich äußert sich Galen häufig.28 Wie verträgt sich diese Haltung aber mit seinem ausgedehnten Schreiben? Für seine eigenen Schriften nimmt Galen nun eine Ausnahme von der gängigen Antithese von Theorie und Praxis in Anspruch: Er preist seine Schriften dem Leser ganz einfach nicht als Gegensatz zu praktischer Lehre an, sondern als ihre konsequente Fortführung oder teilweise sogar Kompensation. 29 Galens Schriften seien, so ihr Autor, aufgrund ihrer hohen fachlichen wie besonders ihrer schriftstellerischen Qualität in der Lage, den praktischen Wissenserwerb zu systematisieren, wenn man sie nämlich vorher lese,30 und damit erheblich zu verkürzen (jedoch nicht: die Praxis vollkommen überflüssig zu machen).31 Im Gegenzug zu dieser Aufwertung des Vermittlungswegs über das Buch gleicht Galen die Leserezeption der harten Arbeit der Praxis an: er skizziert Lesen als Mühe, sein idealer Leser ist ein Arbeitstier - aber eines, dessen Re-

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Z.B. hoi anagnosomenoi in Propr. libr. pr. (Scripta minora. Vol. 2, p. 90.1 lf. Müller). Siehe Drabkin (1944: 3 5 0 ) und T e m k i n ( 1 9 5 3 : 215). Siehe z.B. De anal, admin, (arab. 11.11, p. 131 Simon; Übersetzung von W. L. H. Duckworth, Cambridge 1962, 104f.): Galen verfaßt das Werk auch für jene, die seinen anatomischen Demonstrationen nicht persönlich beiwohnen konnten. Siehe etwa Propr. libr. 5 (Scripta minora. Vol. 2, p. 110.25-27 Müller), De simpl. med. temp, ac fac. VI pr. (XI 796f. Kühn), De comp. med. sec. loc. VI 1 (XII 8 9 4 Kühn). Zur Vorgeschichte des Vergleichs Piaton, Polit. 297e-299e; Polybios, Hist. 12.25d.5f. Zum Problem siehe Meißner (1999: 230-234), der aber Galens Äußerungen zu wenig hinterfragt. Dign. puls. I 1 (VIII 773.2-6 und 14f. Kühn); siehe auch Praes. puls. IV 8 (IX 405.6 Kühn). Siehe Puls. tir. 12 (VIII 478.5f. Kühn): Abkürzung des langen Arbeitsprozesses. Morb. temp. 7 (VII 4 3 0 . 9 - 1 4 Kühn): Die Diagnose einer speziellen systole bedarf einer Übung, für die Galen-Lektüre Bedingung ist. So ausführlich die Pulspragmatie auch ist: niemand kann ausschließlich aus ihr das Metier lernen. Wenskus (1997) hält das für Kalkül; eher liegt es an der Art des Wissens.

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vier der Schreibtisch ist (Dign. puls. I 1 [VIII 773.13-15 Kühn]). So wird Lesen Forschung, Theorie wird Praxis. 32 Solche Bemerkungen sind vor dem Hintergrund zu verstehen, daß die Patienten im allgemeinen vermutlich Ärzte mit praktischer Erfahrung Theoretikern vorgezogen haben (vgl. Lukian, Hipp. 1) und daß Galen von seinen Konkurrenten dementsprechend als „Wortarzt" (logiatros) denunziert wurde. 33 Um diesen Vorwurf abzuwehren und dennoch grosse Kreise mit Schriften ansprechen zu können, mußte Galen eben den Gegensatz von Theorie und Praxis aufheben. Schreiben und Lesen werden so zu Praktiken eigenen Rechts, die medizinischer Praxis ähnlich und damit gleichwertig sind. Diesen Schluß stützt Galens offensichtliche Auffassung seiner Weise der dekontextualisierten Wissensvermittlung durch Bücher als einer erweiterten Form der alten apprenticeship. Die Wissensvermittlung der Medizin, die sich nach Galen aus einer rein familieninternen apprenticeship unter den Asklepiaden durch schrittweise Vergrößerung des Adressatenkreises immer mehr dekontextualisierte und irgendwann verschriftlichte (tendenziell trifft Galen damit wohl das Richtige), beschreibt er selbst als Degeneration: denn immer schlechter sei die techne dadurch geworden - was Mediziner mit bestimmten Schriften zu kompensieren versuchen. 34 Galens Ziel ist es, wenn möglich alle Menschen zu belehren, und zwar so, wie man selbstverständlich ergänzt, daß die techne eben nicht immer schlechter werde. Daß ein produktiver medizinischer Schriftsteller wie Galen einerseits den Vorrang direkter mündlicher Wissensvermittlung betont, im selben Atemzug aber die eigenen Abhandlungen empfiehlt, weil sie im Gegensatz zu den angeblich dürren Abrissen der Kollegen die Nachteile der Schriftlichkeit durch eine ausführlichere Darstellung kompensierten, 35 zeigt deutlich diesen Übergangscharakter von einem mündlich zu einem schriftlich dominierten System der Wissensvermittlung. Mit der Einsicht Galens in die Geschichte medizinischer Wissensvermittlung kommt die angebliche Degeneration also an ihr Ende, weil Galen mehr Wissen verschriftlicht und dies noch dazu besser als seine Vorgänger. 36

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Caus.puls. I 1 (IX 3.16f. Kühn). Siehe auch Temkin (1973: 33f.). Propr. libr. 1 (Scripta minora. Vol. 2, p. 96.11 Müller): Diese (sicher waren es Praktiker) bezeichnet Galen dann seinerseits als anlitechnoi. Vielleicht spielt hier auch die Konkurrenz von römischen und griechischen Ärzten (aus griechischer Sicht gewiß anlitechnoi) eine Rolle (Nijhuis 1995: bes. 57-59). Anat. adm. II 1 (II 280.2-283.3 Kühn); dazu Meißner (1997: 58). Schriftlichkeit verbunden mit Degeneration in der Medizin findet sich auch bei Celsus (von Staden 1999: 261-264). So De alim.fac. I 1 (VI 480.8f. Kühn); vergleichbar D e simpl. med. temp, acfac. VI pr. (XI 797 Kühn); De comp. med. sec. loc. VI 1 (XII 894 Kühn). Siehe van der Eijk (1997: 96 Anm. 68). Siehe Dign. puls. I 7 (VIII 803.6-12 Kühn). Ähnlich wird ein Lesepublikum deutlich bei Heron, Belop. p. 18 Marsden: seine Vorgänger haben nicht für Dekontextualisierung geschrieben, wie er sagt.

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Nun hat Galen aber offenbar gar keine Alternative mehr zu einem Lesepublikum gesehen: Er war selbst in keinen institutionellen Schulkontext eingespannt,37 „Institution" hier im lockeren Sinne der philosophischen oder medizinischen hairesis verstanden. 38 Er hat außerdem auch selbst keine Schule gegründet. 39 So kann er auch die schulgebundenen Medien, vor allem ihre charakteristische Zweiteilung in „exoterische" und „esoterische" Schriften nicht für sich akzeptieren. 40 Dementsprechend legt er bei der Bewertung von Medizinern auch keinen Wert auf deren akademische Herkunft: bei der Ärzteprüfung in De optimo medico cognoscendo spielt keine Rolle, woher, d.h. aus welcher Schule, der Arzt kommt, wo er studiert hat usw. (so auch Nutton 1990: 248). Größten Wert aber legt Galen darauf festzustellen, ob der zu bewertende Arzt liest.41 Das könnte man daraus erklären, daß Galen selbst seinen Einfluß eben über Schriften gesucht hat, d.h. die Konkurrenz um time konsequent auf ein neues Feld ausweitete. Die öffentliche Konkurrenzsituation der epideixis findet nun im Buch statt; der Rezipient nimmt sein Wissen aus Galens Schriften, wie im Goldenen Zeitalter der Medizin der Sohn vom Vater lernte. Hier läßt sich ein regelrechter Medienwechsel feststellen. Ein weiterer Aspekt dieses Medienwechsels ist die briefliche Konsultation, deren Galen sich rühmt. 42 Er hat also nicht nur die medizinische Wissensvermittlung mit dem hochdifferenzierten Spektrum seiner Schriften weitergehend dekontextualisiert, als es gemeinhin üblich war, sondern auch die Praxis des Arztes in diesen Differenzierungsprozeß miteinbezogen. 43 Eine weitere dieser Ausweitungstendenzen erkenne ich in der gerade erwähnten Schrift De optimo medico cognoscendo. Bei dieser Schrift handelt es sich um einen Versuch Galens, ein neues Publikum für seine eigenen Schriften zu erschließen, gewissermaßen seinen Markt zu erweitern. Neben den professionellen Lesern sollten Dazu Kudlien (1972: 233), Temkin (1973: 36), Mansfeld (1994: 124f.) und Horstmanshoff (1995:87). Eine feste Institutionalisierung der in Rom tätigen Ärzte scheint es vor dem 4. Jh. n. Chr. nicht gegeben zu haben (Nutton 1971: 62). Was manche Historiker generell gewundert hat, z.B. Scarborough (1981: 2, 22). Doch spricht Galen gelegentlich von hetairoi und deren Schülern (Comp. med. per gen. III 2 [XIII 603.1012 Kühn], De semine II 1 [IV 595.lOf. Kühn = CMG V 3.1 p. 146.11]; siehe auch Mansfeld (1994: 124), sah sich also doch in eine irgendwie geartete Gruppe eingebettet. Zur Kritik Galens an der Unterscheidung von „exoterischer" und „esoterischer" Literatur siehe Plac. Hipp. Plat. III 4.12f. (= CMG V 4.1.2 p. 194.16-27); siehe Hanson (1998: 30). Siehe z.B. Opt. med. cogn. p. 69.15f., 97.9-12 Iskandar. Paradigmatisch für die neue Rolle des Lesens ist das Auftreten des Philologen als Schiedsrichters der Ärzte in Depraecogn. 5 (XIV 630.9-14 Kühn [= CMG V 8.1 p. 100.2-6]). In De loc. ä f f . IV 2 (VIII 224.8f. Kühn) fuhrt er Iberia, Keltike, Asien und Thrakien an. Dazu Nutton (1984: 316) und Horstmanshoff (1995: 86). Allerdings ist Archigenes auch hierin ein Vorgänger: er hat elf Bücher Briefkonsultationen veröffentlicht (zitiert von Galen, Loc. ä f f . III 5 [VIII 150.5 Kühn]); dazu Wellmann (1895: 21 f. mit Anm. 10).

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Angehörige der römischen Oberschicht mit einem Interesse an Medizin hinzukommen. 4 4 Ich halte es für wahrscheinlich, daß es sich bei diesem Kreis um eine medienspezifische Erweiterung des Publikums der epideixis handelte. Legt man die aristotelische Typologie der medizinisch Wissenden zugrunde, 45 so zielt Galen offenbar neben den Praktikern 46 gelegentlich auch auf medizinisch interessierte, wohlhabende Laien (philiatroi).47 Diese Gruppe kann nicht groß gewesen sein. Entsprechend intensiv dürften die Ärzte um sie konkurriert haben. Mit seinem Streben nach dieser Ausweitung des Publikums war Galen erfolgreich: Medizinschriftsteller werden zu beliebten Autoren der upper class (zu Oreibasios siehe Scarborough 1981: 22). Alle diese publikumsbildenden Maßnahmen und publikumsbindenden Strategien fasse ich als „Erfindung" eines Lesepublikums zusammen. Daß Galen das Lesen und die Problematik einer schriftlichen Wissensvermittlung bewußt war und am Herzen lag, beweisen seine Essays zu theoretischen Aspekten einzelner Situationen der Wissensvermittlung (zur epideixis, zum dialogos) und zu Leseverhalten sowie Hörerrezeption. 48 Vermutlich ist diese „Erfindung" des Lesepublikums im Kontext der Zweiten Sophistik zu sehen, einer generellen Ausweitung von Lesekommunikation mit allen möglichen Wirkungen: Verlagerung oder Differenzierung von Agonistik auf den Leseakt, Ausweitung der Schriftproduktion, Verlagerung von bisher mündlichen Formen der Wissensvermittlung auf das neue Medium, Kanonisierung. 49 Daß Galens Leser außerhalb jeder Institutionalisierung steht, erfordert ja gerade erst die oben geschilderten Maßnahmen. Der Leser ist nur noch im Text zu erreichen. Der Leseprozeß muß neu determiniert werden, weil bestimmte Rezeptionshilfen, die in der Regel von den wissensvermittelnden Institutionen vorgegeben werden, jetzt wegfallen. Natürlich soll hier nicht behauptet werden, daß Galen überhaupt auf mündliche Wissensvermittlung verzichtete (er spricht ja oft genug von seinen epideixeis).50 Doch dürfte bei diesen ™

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Dazu Nutton (1990: 244), Horstmanshoff (1995: 88-90) und Schlange-Schöningen (2003: 167f.). Allgemein zu „Bildung" als Distinktionswissen der lokalen Eliten im 2. Jh. n. Chr. Schmitz (1997: 101-110). Pol. III 11 1282a3-5: Praktiker (demiurgos), Theoretiker (architektonikos) und gebildeter Laie (ho peri ten technen pepaideumenos); dazu Kudlien (1985: passim). Diese hatten zunehmend theoretische Aspekte zu bewältigen; siehe dazu die von Kollesch (1979: 512) erwähnte Approbation unter Septimius Severus. Horstmanshoff (1995: 89f.) mit Verweis auf Saw. tuend. I 10 (VI 50 Kühn); vgl. Bowersock (1969:71-74). Zwei kurze Schriften erwähnt er in Propr. libr. 12 (Scripta minora. Vol. 2, p. 121.12-14 Müller): Peri tes tön epideiknymenön {pros) tous akouontas synousias, Peri tön anagignöskontön lathra (der letzte Titel ist anders gedeutet bei Mansfeld 1994: 127). Zu einem Vergleich der Akteure der Zweiten Sophistik mit Galen siehe von Staden (1997: 5153). Siehe Ilberg (1974: 18f.) zu Galens anatomischen Schriften.

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Veranstaltungen die Mehrung und Vermittlung von Reputation wichtiger gewesen sein als die Wissensvermittlung. Insgesamt kehrt Galen die Gewichtung um: Sein schriftliches Opus besteht nicht mehr nur aus den verschriftlichten Vorträgen und thesaurierenden Materialsammlungen, sondern vor allem aus konzeptuell schriftlichen Monographien und Systempragmatien, in denen das nunmehr autonome Wissen auf seinen unbekannten Leser wartet.

3. Anxiety of influence: Die Monopolisierung des Lesers Dieser unbekannte Leser muß nun aus der Sicht Galens vor allem vor den Schriften der anderen geschützt werden: Galen bringt es demgemäß fertig, im selben Atemzug gut platonisch zu behaupten, die Leserezeption sei im Grunde dem Anhören einer lebendigen Vorlesung unterlegen, und daraus auch noch ein Argument für die Lektüre seiner eigenen Schriften zu drechseln: Obwohl er nämlich mehrfach betont, daß die effizienteste Unterrichtsweise sich „lebendiger Stimme" bediene (natürlich meint er seine eigene) und daß allein aus Büchern noch keiner zum Experten geworden sei, 51 zögert er doch nicht, seine eigenen Schriften denjenigen zu empfehlen, die gerade keinen Zugang zu Lehrern haben. Seine eigenen Lehrbücher nimmt er vom allgemeinen Verdikt offenbar deshalb aus, weil sie auf die Situation reiner Leserezeption durch konzeptionelle Schriftlichkeit (gegrammena im impliziten Gegensatz zu hypomnemata) und durch eine kompensatorische Steigerung des methodischen Aufbaus (saphos te kai kata diexodon) Rücksicht nehmen und deshalb gerade keine hypomnemata sind, die nur Experten daran erinnern können, was sie einst gelernt haben, aber keine primäre Wissensvermittlung zustandebringen (De alim. fac. I 1 [VI 480 Kühn]). Dieses Problem erwähnt bereits Aristoteles, der medizinische Fachliteratur demnach auch nur für fachinterne Kommunikation zuläßt. 52 Aristoteles spricht offensichtlich für eine Zeit, die noch keine Einführungsschriften, überhaupt keine vollständig dekontextualisierte und nach Funktionen differenzierte Schriftkommunikation kennt. Daß sein Leser nicht in falsche Hände gerät, sondern sich allein mit Galen als dem väterlich sorgenden, 53 d.h. monopolisierenden, Autor befaßt, dafür sorgen die typisch galenischen Maßnahmen der Autokanonisierung und Autotextpflege, die etablierte Praktiken und Gattungen der Klassikerphilologie auf das eigene (Euvre übertragen (Mansfeld 1994: 3-5). Die markanteste dieser philologischen Praktiken ist die Regelung der Lesereihenfolge (taxis) in zahlZu diesem Topos siehe Mansfeld (1994: 123) mit Verweis auf Seneca, Epist. 6.5f. (viva vox); jetzt auch Sluiter (2000: 191). EN X 9 1181b2-6: Fachbücher sind to is men empeirois öphelima [...], to is d' anepistemosin

achreia. Zur Wissensvermittlung vom Vater an den Sohn siehe z.B. Althoff (1993: 216f.)

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reichen Nebenbemerkungen 54 und in eigenen Werken (Ord. libr. propr.). All das dient dem Ausgleich eines Defizits an Kontextwissen, d.h. also der Kompensation einer Unterdetermination von Lektüre, die aus Dekontextualisierung entsteht. 55 Galen tut einfach alles, um sich selbst zum Klassiker zu machen, oder: er „erfindet" auch noch sein künftiges Lesepublikum. 56 Wie gut das funktionierte, zeigt sein Nachruhm, den er viel mehr als Medizinschriftsteller genoß, weniger als Arzt: Charakteristisch ist die Erwähnung bei Athenaios, für den die Reputation Galens vor allem auf seinen Schriften und nicht zuletzt deren Quantität beruhte, die ihn in die Nähe der Alten rücke. 57 Der Erfolg Galens drückt sich im Ehrentitel „medical dictator" aus, der Galen von modernen Medizingeschichtlern gelegentlich beigelegt wurde. 58 Galens Begierde, sich ein Publikum zu erobern, der sich all die geschilderten Züge der Systempragmatie und viele der anderen Schriften unterordnen, ist vermutlich ein Ausfluß der allgemeinen Distinktionsbemühungen der Oberschicht seiner Zeit. Ins Literarhistorische transponiert läßt es sich mit Harold Bloom als „anxiety of influence" bezeichnen, die „starke" Autoren kennzeichne (Bloom 1973: 5). 59 Galen geht es um die Usurpation, die Monopolisierung einer Tradition. 60 Damit war er über alle Maßen erfolgreich (Nutton 2002: 251 f.). Seine „Einflußangst" zeigt sich konzeptgemäß im Umgang mit seinen Vorgängern, in der Pulspragmatie besonders mit dem renommierten Arzt Archigenes: Galen hängt wahrscheinlich selbst zwar weitgehend von Archigenes ab, 61 greift aber gerade ihn erbarmungslos an, demontiert also seine Hauptquel54

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Z.B. Dign. puls. I 2 (VIII 780.8-14 Kühn), Syn. puls. 11 (IX 463.6-14 Kühn); siehe Gossen (1907:28). Dasselbe gilt für Libr. propr. und Plac. propr. Diese Schriften arbeiten wie die ständigen Wiederholungen und die zahllosen Querverweise im Corpus Galenicum am enzyklopädischen Charakter des Gesamtwerks (Vegetti 1994: 336f.). Parallelen zu Augustinus' Retractationes und Porphyrios' Vita Plotini entdeckt Mansfeld (1994: 117f. mit Anm. 206). So lassen sich Ord. propr. libr. und Propr. libr. auch als „Vermächtnis" verstehen (Mansfeld 1994: 125). Der Tenor ist „Galen hat mehr Bücher veröffentlicht zu Philosophie und Medizin als alle seine Vorgänger". Siehe vor allem Deipn. 1, le, außerdem 26c-27d und 3.1 ISc-116a (dazu Temkin 1973: 59f.; Nutton 1 9 8 4 : 3 1 7 ) . Zuerst von Cowlishaw (1937). Wie übrigens Melh. med. II 5 (X 105.13-106.1 Kühn) zeigt, hätte Galen das Prädikat „Diktator" oder „Tyrann" abgelehnt (doch vgl. Anm. 60). Von den sechs Techniken dieser anxiety, die Bloom (1973: 14-16) schildert, treffen alle bis auf die vierte auf Galen zu. Z.B. De opt. doctr. (CMG V 1.1 p. 104.18): Der Adressat soll keiner anderen didaskalia bedürfen als derjenigen Galens. Richtig Sarton (1954: 49): „Galen was primarily a writer, who craved philosophical and literary fame" (Kursive von mir). Aussagen Galens, er habe sich nie um persönlichen Ruhm gekümmert, ja ihn sogar zu verhindern versucht (etwa Meth. med. VII 1 [X 456.5-7, X 457.15-17 Kühn]), dienen lediglich der Selbstinszenierung. Caus. puls. I 7 (IX 18.18 Kühn): Magnos wird aus Archigenes zitiert. Wellmann (1895: 170201) hat gezeigt, daß Galen in seinem Kategoriensystem fast vollständig auf Archigenes' Peri sphygmou beruht.

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le systematisch. Dasselbe läßt sich auch in anderen Schriften beobachten. 62 Mit diesem Vorgehen hat Galen seine Vorgänger, also die Konkurrenten um die Gunst gegenwärtiger und zukünftiger Leser, erfolgreich zu verdrängen versucht. 63 Anxiety of influence als eine grundsätzliche Form der Kommunikation zwischen Autor und Leser ist nun meines Erachtens zu verstehen als eine Radikalisierung des archaischen (und noch kaiserzeitlichen) Agonalitätsprinzips durch Schrift und gleichzeitig als Auffassung einer Wissensvermittlung an Leser als apprenticeship, mit der eifersüchtig eine exklusive Bindung des Adepten an den Lehrer gesucht wird. 64 Diese Eifersucht liegt in der Dekontextualisierung von Wissen durch die Schrift begründet: der Wettbewerb von Autoren radikalisiert sich, indem er sich auf verschiedene Zeiten und verschiedene Orte ausdehnt. Es erhebt sich ein Agon aller gegen alle: als Schriftsteller muß Galen nicht nur gegen die einschlägigen Klassiker und seine Zeitgenossen bestehen, sondern sogar gegen die, die nach ihm kommen werden. Anxiety of influence ist eben die resultierende Gier des Autors nach unbedingter und ausschließlicher Leserbindung und entsprechender time auf Kosten seiner Konkurrenten und besonders seiner Vorgänger. Die stärkere Hinwendung Galens zu einer Leserezeption ist auch als Folge oder wenigstens im Rahmen der Theoretisierung oder Philologisierung der Medizin seit dem Hellenismus zu sehen, die sich im Umbruch zu einer zunehmend textbasierten Wissensvermittlung befand. 6 5 Schon der Empiriker Archibios hatte etwa ein halbes Jahrhundert vor Galen gegen ein zu wenig „empirisches", zu textlastiges Studium argumentiert (fr. 282, p. 209f. Deichgräber). Es liegt nahe, daß diese häufig beklagte Philologisierung der Medizin entstanden ist durch Sektenkonkurrenz, die erstens den Aufbau einer Tradition, d.h. eine Kanonisierung und damit Text- und Sinnpflege, zusammen eben Philologie, erforderlich gemacht hat. Die auf diese Weise gesicherte Tradition fungierte als Akkumulation von Autorität gegen potentielle oder reale Gegner und, davon

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Galen benutzt Archigenes in Loc. äff in weitem Ausmaß, doch siehe Wellmann (1895: 91): „Gleichwohl hat er uns die Möglichkeit genommen, den Umfang der Benützung des Archigenes aus seinen Citaten nachzuweisen. Er erwähnt ihn in dieser Schrift an elf Stellen, aber nur, um gegen seine Theorieen [sie] zu Felde zu ziehen." Daß er anderswo (Cris. II 8 [IX 670.ΙΟΙ 2 Kühn]) Archigenes' gleichnamige Schrift rühmt, ist bezeichnend: dort ist dieser eben kein klarer Konkurrent. Z.B. zeigt die kurze Ubersicht bei Gossen (1907: 31-33), daß die Geschichte der Pulslehre vollkommen auf den Informationen basiert, die Galen selbst überliefert. Eine gute Beschreibung medizinischer apprenticeship bietet die hippokratische Schrift Eid (dazu Althoff 1993:215). Als „decadenza" verurteilt von Lanza (1972: 426). Kudlien (1974: 197-200) hat gezeigt, daß es sich nicht um einen radikalen Umbruch der Kaiserzeit handelt, sondern daß „scholastische", praxisferne Elemente in der alexandrinischen Medizin seit dem Hellenismus vorhanden waren. Zur Philologisierung der Medizin schon im 3. Jh. v. Chr. bei Herophilos siehe Meißner (1999: 169).

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kaum zu trennen, als Werbungbasis für die Rezipienten, um die die Schulen konkurrierten. Zweitens wurde durch den Aufbau dieser Tradition erst Doxographie in weitem Umfang möglich, die - Galen zeigt es - wiederum dem Wettbewerb zugeführt wurde als Ressource für Schulauseinandersetzungen. Diese Phase der Kanonisierung und Selektion, die bis zum sogenannten Alexandrinischen Kanon der Araber die überlieferten medizinischen Werke immer weiter zusammenstrich, 66 bis sie schließlich zu schieren Begriffsskeletten verkamen (Dietrich 1966: 33; Endreß 1987: 452), lernen wir in der intensiven Polemik Galens einmal gewissermaßen von innen kennen: sie entpuppt sich als Verdrängungswettkampf, der aber eine Fülle literarischer Techniken und Qualitäten als Wettbewerbsmittel ausbildet (ähnlich Swain 1996: 358f.). Die Parallelen zum Evolutionsgeschehen, wie Darwin es sah, sind verführerisch. Die Pulslehre Galens liefert ein Beispiel dafür, wie Wissensgebiete mit fortschreitender Differenzierung die entsprechende Ausdifferenzierung von Literaturformen erzwingen, weil die Fülle des Wissens einzelne Rezeptionsinteressen blockiert und so gerade die Unwahrscheinlichkeit erfolgreicher Wissensvermittlung wieder steigert. Um diese Unwahrscheinlichkeit zu minimieren, entsteht ein Bedürfnis nach differenzierten, gewissermaßen maßgeschneiderten Literaturformen. Das Beispiel der Pulslehre Galens zeigt: Dieses komplexe Gebiet erzeugt eine Einführung (Puls, tir.), eine sechzehn Bücher umfassende Systempragmatie, etliche ausdifferenzierte und dann autonome Metadiskurse (Kommentare zu Herophilos, Archigenes usw.), eine Monographie zu einem Spezialthema ( P e r i chreias sphygmön) und schließlich ein Repetitorium {Syn. puls.). Dabei ist die Funktion der systematischen Thesaurierung oder umgekehrt das Bedürfnis nachschlagenden Suchens, das die Systempragmatie nicht befriedigt, noch gar nicht berücksichtigt (teilweise erfüllt durch Definitionssammlungen) 67 ebensowenig wie die des Vademecums für praktizierende Mediziner (Latours „immutable mobiles" [1990: 26-29] in einem handgreiflicheren Sinn). Solche Texte sind wahrscheinlich in arabischen Galen-Bearbeitungen erhalten. 68

Der alexandrinische Kanon umfaßt nach Hunain ibn Ishäq nur noch sechzehn Schriften, teils ihrerseits Exzerpte (Zusammenfassung in Galen-Übersetzungen 20 [arab. p. 18.19-19.5 / dt. p. 15 Bergsträsser]). Dazu, im Zusammenhang mit „Johannicius" (= Hunain), Meyerhof (1926: 723f.). Diese sind aber häufig rein doxographisch ausgerichtet: Aristoxenos, Schüler des Alexandras Philalethes (von Staden 1989: 559-563), Herophileer, brachte die Geschichte der Pulslehre in die Form einer Aufeinanderfolge von Definitionen (ähnlich wie Galen seine pneumatischen Vorgänger behandelt in Diff. puls. IV 2-10, der hier vermutlich von Aristoxenos abhängt). Siehe dazu Schöne (1893: bes. 17-24); skeptisch von Staden (1989: 561f.). Vgl. al-Qifti über Galen-Exzerpte als Vademecum fiir den reisenden Arzt: „and making it easy for the reader to memorize them and carry them along in his journey" (Übers, von Gutas 1993: 38).

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Der gesamte literarische Metadiskurs bei Galen läßt sich als Folge der Wettbewerbssituation verstehen: Er muß sich bei seinen Lesern weniger gegen andere Forscher als gegen konkurrierende Fachschriftsteller durchsetzen, weswegen den Fragen der Darstellung und der schriftlichen Wissensvermittlung, der didaskalia, von ihm so viel Aufmerksamkeit gewidmet wird. 69 So räumt er etwa der Diskreditierung der pneumatischen Lehrmethode, auf der Basis von Definitionen vorzugehen, großen Raum vor allem in Diff. puls. II-IV ein. 70 Außerdem läßt sich an Galen gut beobachten, wie der Verdrängungskampf der Ärzte schließlich auch für die anhaltende rigorose Prüfung des überlieferten Wissens und seine Selektion sorgt (Meißner 1999: 262): Es gab ja keine spezifisch medizinische Methode, um Hypothesen unter allgemeinem Konsens zu falsifizieren, d.h. Polemik und Suche nach inhärenten Widersprüchen sind das einzige Testverfahren für die Richtigkeit medizinischer Meinungen (abgesehen von der praktischen Ebene des Erfolgs beim Patienten) 71 und eine notwendige Phase der Kanonisierung von Wissen. Bei Galen entwickeln sich literarische Ausdrucksformen und sogar Gattungen demnach aus einem bloßen Symptom von Agonalität und Durchsetzungswille zu Mitteln, Dekontextualisierung zu kompensieren und so erst eine sichere Lesekommunikation zu ermöglichen. Der Leser als Objekt des schriftstellerischen Eros (der auch den Fachschriftsteller auszeichnet!) erklärt auch, daß Galen sich selbst weder zu einer medizinischen Sekte bekannte noch selbst eine gründete: die hairesis als Kampfgemeinschaft Gleichgesinnter war als Instrument in Konkurrenzkämpfen inzwischen vom Konzept des medizinischen Massenschriftstellers überholt worden. Dieser wendet die Techniken der Klassikerphilologie nun auf seine eigenen Werke an und strebt damit nach Selbstkanonisierung, dem letzten Schritt zur Monopolisierung des Lesers. Wie vor allem die arabische und lateinische Rezeption zeigen, ist Galen mit seiner anxiety of influence, mit seinem Streben nach überzeitlicher Distinktion, erfolgreich gewesen, gerade in der Pulslehre: seine Rezeptionsgeschichte ist wie im Falle seiner von ihm bewunderten und imitierten Vorgänger Piaton und Aristoteles zu einem ,,-ismus" geworden, 72 dessen letzte Ausläufer bis ins 19. Jahrhundert reichen. Entsprechend verdrängte er all die anderen griechischen Mediziner, die auf diesem Gebiet arbeiteten und schrieben, so vollständig, daß wir zur Rekon-

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Etwa sachlich und theoretisch Praes. puls. I 1 (IX 205.6-206.4 Kühn). Siehe etwa Diff. puls. IV 2 (VIII 718 Kühn), IV 3 (VIII 720.5-7 Kühn), IV 7 (VIII 734 Kühn), IV 17 (VIII 762f. Kühn: Vergleich zweier didaskaliai, einer definitions- und doxographieintensiven und einer mehr gegenstandsbasierten, d.h. Galens eigener; ferner VIII 763.13-16 und VIII 764.1 Of. Kühn) und Praes. puls. IV 2 (IX 398.2-6 Kühn). Ähnlich Sarton (1954: 31); pace Sarton (1954: 34 Anm. 42). Die beste Darstellung des „Galenismus" bei Temkin (1973: 51 -192).

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struktion der Geschichte des Pulswissens 7 3 praktisch ausschließlich auf die doxographischen Nachrichten Galens und ihre konkurrenzbedingten Verzerrungen angewiesen sind. Erfolgreicher kann die anxiety of influence eines Autors kaum sein.

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Galen in der Kontroverse mit Asklepiades von Bithynien: Zur Funktionsweise des Harnapparates Diethard Nickel

Kritik und Polemik bei Galen ist ein ergiebiges, ein geradezu unerschöpfliches Thema. Denn Streitbarkeit, auch in scharfer und verletzender Form, war ein markantes Merkmal der Geisteshaltung des Mannes aus Pergamon, der Hauptstadt der römischen Provinz Asia, dem es gelang, sich in der Metropole des römischen Imperiums als praktizierender Arzt und als wissenschaftlich engagierter Mediziner Geltung zu verschaffen. Das Thema, wie sich Galen in seinem literarischen Werk mit Einzelpersonen der ferneren und näheren Vergangenheit, mit Ärzten, Naturforschern und Philosophen, aber auch mit medizinischen und philosophischen Richtungen auseinandersetzte, erfordert eine differenzierte Untersuchung, je nach Persönlichkeit oder Gruppe und mit speziellem Bezug auf den jeweils zur Debatte stehenden Gegenstand. Der Rahmen, der für den hier zu leistenden Beitrag vorgegeben ist, zwingt zu Beschränkung und Auswahl, und die Wahl erscheint sinnvoll, wenn sie auf eine Person fällt, bei der die von Galen diskutierten medizinischen Themen in Verbindung mit den dabei berührten philosophischen und methodologischen Implikationen ein anschauliches und repräsentatives Bild seiner Argumentationsweise vermitteln. Diese Voraussetzungen sind bei Asklepiades von Bithynien gegeben, der aus Prusias stammte und um 100 v. Chr., rund 250 Jahre früher als Galen, in Rom als Arzt tätig gewesen ist. Aber auch im Hinblick auf ihn kann das Dargebotene nur ein Ausschnitt sein, der fast ausschließlich auf Galens Werk Über die natürlichen Kräfte als Quellentext basiert. Dem Thema entsprechend besteht das Ziel dieses Beitrags nicht darin, die Einzelheiten der Lehre des Asklepiades als inhaltlich möglichst authentisches Gedankengut wiederzugewinnen,1 sondern Galens Umgang mit diesem auch für ihn schon historischen Gut darzustellen, wie er es sieht und bewertet, wobei mit der Möglichkeit gerechnet werden muß, daß seine Sicht nicht objektiv, sondern tendenziös ist, daß bereits seine Auswahl des Materials und die Art seines Referierens durch Dieses Ziel verfolgt Vallance (1990); dazu Asmis (1993). Siehe auch Harig (1983).

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die Absicht polemischer Stellungnahme beeinflußt sind. Ob solche Verzerrungen vorliegen, läßt sich aber nicht ausmachen, sofern Galen unsere einzige Quelle für die betreffenden Inhalte der asklepiadeischen Lehre ist. Ausdrücklich erwähnt sei der in diesem Zusammenhang nicht belanglose Sachverhalt, daß die von mir herangezogenen Texte nicht ein einziges wörtliches Zitat aus den Schriften des Asklepiades enthalten. Den Lehrmeinungen des Arztes aus Bithynien hat Galen, wenn man es zurückhaltend formuliert, nichts abgewinnen können, aber als imaginären Diskussionspartner hat er ihn, wie aus einer Bemerkung in der Abhandlung Gegen Iulianos hervorgeht, wegen seines intellektuellen Niveaus geschätzt. Danach war Asklepiades „immerhin ein professioneller Sophist" {Adv. Iul. 6.9 [= CMG V 10.3 p. 56.4-7]: Άσκληπιάδτ] [...] νομίμω γοΰν ύπάρχοντι σοφιστή). Weiter heißt es: „Denn dieser Mann pflegt sehr überzeugende Argumente vorzutragen, die nicht ohne Eleganz ausgeklügelt worden sind (λόγους [...] πιθανωτάτους [...] ουκ άκόμψως πεπανουργευμένους), worin, wie ich glaube, die Leistung eines Sophisten bestand." So faßt Galen die Auseinandersetzung mit Asklepiades als eine Übung im dialektischen Ringen mit einem Sophisten auf (Adv. Iul. 6.11 [= CMG V 10.3 p. 56.22f.]). In einer eher beiläufigen Äußerung in seinem Kommentar zu den hippokratischen Epidemien gibt er zu verstehen, welche Vorstellungen seiner Auffassung nach für die Theorie des Asklepiades typisch waren. Falls nämlich jemand, so heißt es dort, ein Buch dieses Arztes kommentiere, so müsse er auf die Gänge (πόροι) und Masseteilchen (δγκοι), auf die Elemente ohne Zusammenhalt (αναρμα 2 στοιχεία) und auf die Bewegung zum Feinteiligen hin (ή προς τό λεπτομερές φορά; siehe hierzu Harig 1983: 54, 5658) zu sprechen kommen; denn auf diese Prinzipien, diese Grundgegebenheiten (άρχαί), führe jener alles zurück (In Hipp. Epid. III comm. I 4 [= CMG V 10.2.1 p. 16.14-17]).

Zur Interpretation des schwierigen Terminus δναρμος siehe Vallance (1990: 20-22) und - mit Recht kritisch dazu - Asmis (1993: 155f.); beide Arbeiten enthalten Stellungnahmen zu der vorangehenden Literatur. Asmis' Verständnis des Wortes im Sinne von „seamless" kann ich jedoch nicht akzeptieren. Die Grundbedeutung von αναρμος („ohne Gelenkverbindungen") verstehe ich als das Fehlen innerer Verklammerungen zwischen den Bestandteilen, aus denen die Elemente bzw. δγκοι („Masseteilchen") zusammengesetzt sind, so daß diese in sich keinen festen Zusammenhalt haben und in Fragmente, ihrerseits δγκοι, aufgelöst werden können. Die δγκοι der jeweils höheren Ordnung sind als Aneinanderlagerungen ihrer potentiellen Fragmente aufzufassen. Daß sich Asklepiades die mögliche Wiedervereinigung der Bruchstücke als „coalescence" oder „fusion" vorgestellt habe (so Asmis 1993: 155), geht aus den Testimonien nicht mit Sicherheit hervor; aber nur dann wäre die Kennzeichnung der Verbindung als „nahtlos" oder „fugenlos" gerechtfertigt. Meiner Auffassung nach rückt Asmis die αναρμα in eine zu große Nähe zu den δτομα und άμερή, ohne sachlich genügend zu differenzieren. Die beiden letzteren Begriffe schließen die Möglichkeit des Zerschneidens bzw. das Vorhandensein von Teilen aus, während in dem Begriff δναρμα die Gegebenheit impliziert sein muß, daß die Gebilde in Fragmente zerfallen können.

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Asklepiades' Hypothese, daß im Körper Gänge (πόροι), das heißt leere Räume zwischen den von ihm angenommenen Masseteilchen (δγκοι), existieren, ist ein wesentlicher Bestandteil seiner Erklärung, auf welche Weise und über welche Wege sich der Urin in der Harnblase ansammelt. Diese physiologische Frage erörtert Galen in seinem Werk Über die natürlichen Kräfte als eines der Themen, über die er sich mit dem Arzt aus Bithynien auseinandersetzt. 3 Nach Asklepiades kommt den Nieren und den Harnleitern bei dem Prozeß der Bildung und der Ableitung des Urins keinerlei Funktion zu. Dieser Vorgang vollzieht sich seiner Auffassung nach folgendermaßen: 4 Ohne die Harnleiter zur Kenntnis zu nehmen, bei denen es sich doch um „so weite, deutlich in Erscheinung tretende Gänge" handelt, postuliert Asklepiades das Vorhandensein von „unsichtbaren und engen (Passagen), die sich ganz und gar der Wahrnehmung entziehen". Die getrunkene Flüssigkeit „löse sich" im Körper in Dämpfe „auf' (άναλυόμενον), die aus den Partien in der Bauchhöhle* auf dem Weg über die unsichtbaren Gänge in der Harnblase aufgefangen werden, wo sie durch „den Zusammenschluß miteinander" (άλλήλοις συνιόντων) wieder die ursprüngliche, flüssige Form annehmen. 6 Demnach denke sich Asklepiades die Harnblase - in ihrer Durchlässigkeit für die Dämpfe - geradezu wie einen Schwamm oder wie Wolle, aber nicht als einen ganz festen und dichten Körper. Galens Kritik setzt an einer ganzen Reihe von Punkten an: Asklepiades' anatomisches Wissen von der Harnblase ist so unzulänglich, daß Galen unterstellt, er habe niemals seziert (De fac. nat. I 13 124.7-15 Helmreich [= II 32.1117 Kühn]). In seiner Kenntnis von den Nieren als Exkretionsorganen für den Harn stehe er nicht nur den namhaften Ärzten wie Hippokrates, Diokles, Erasistratos und Praxagoras nach, sondern auch nahezu allen Fleischern, die sich aus täglicher Anschauung der Bestandteile des Harnapparates ein richtiges Bild von De fac. nat. I 13 (122.22-124.24, 129.7-24 Helmreich [= II 30.11-33.8, 39.2-17 Kühn]), I 16 (149.23-150.9 Helmreich [= II 66.18-67.11 Kühn]), III 13 (236.26-237.3 Helmreich [= II 187.12-15 Kühn]). Vgl. Vallance (1990: 54f.) und Asmis (1993: 154f.). De fac. nat. I 13 (123.19-124.3, 129.17-22 Helmreich [= II 31.14-32.7, 39.11-16 Kühn]) und I 16 (150.4-6 Helmreich [= II 67.6-8 Kühn]). So die handschriftliche Überlieferung (κοιλίαν, 150.6 Helmreich [= II 67.8 Kühn]); Helmreichs Konjektur κοίλην (sc. φλ^βα) ist nicht akzeptabel, weil sie unnötig ist, nicht, weil sie, wie Fischer (1982: 4 8 Exkurs I) meint, durch die „Parallele" bei Laktanz (De opificio dei 11.19f.) als abwegig erwiesen wird. Daß sich Asklepiades die B e w e g u n g der Harndämpfe zur Blase als eine „Bewegung zum Feinteiligen hin" vorgestellt habe - so Vallance (1990: 88f.); femer Vallance (1993: 699 mit Anm. 21) - trifft nicht zu (siehe auch die kritische Notiz von Asmis 1993: 156 Anm. 47); denn Galen sagt ausdrücklich, Asklepiades habe in diesem Fall ή προς τό λεπτομερές φορά nicht als Erklärungsprinzip angewandt (De fac. nat. I 16 149.23-26 Helmreich [= II 66.18-67.3 Kühn]). Von der Feinteiligkeit der Harnblase ist bei Asklepiades nicht die Rede; er brachte nur als Argument vor, daß das Bauchfell „dicker" und „dichter" (παχύτερος [ . . . ] στεγανότερος) und deshalb weniger durchlässig als die Harnblase sei (De fac. nat. I 13 124.7-10 Helmreich [= II 32.11-13 Kühn]).

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der Funktion der Nieren machen können, ganz zu schweigen von allen denjenigen Menschen, die an Harnbeschwerden und an Harnverhaltung leiden und die „sich selbst, wenn sie Lendenschmerzen haben und im Urin sandige Substanzen ausscheiden, als ,nierenleidend' (νεφριτικοί) bezeichnen". Wörtlich fährt Galen an dieser Stelle (De fac. nat. I 13 122.25-123.19 Helmreich [= II 30.14-31.14 Kühn]) fort: Meiner Meinung nach hat aber Asklepiades niemals gesehen, wie von solchen Patienten im Urin ein Stein ausgeschieden wurde, auch nicht, daß in der Gegend zwischen den Nieren und der Harnblase ein heftiger Schmerz vorausging, während der Stein den Harnleiter passierte, und auch nicht, daß der Schmerz und die Harnverhaltung unverzüglich aufhörten, als der Stein ausgeschieden worden war.

Außerdem resultiere aus der Haltlosigkeit seiner Lehrmeinungen die Unfähigkeit dieses Ar2tes, Krankheiten, beispielsweise auch eine Nierenerkrankung, erfolgreich zu behandeln (De fac. nat. I 13 130.9-12 Helmreich [= II 40.10-13 Kühn]). Mangelhafte theoretische Bildung, unzureichende Erfahrung in der ärztlichen Praxis und therapeutisches Unvermögen disqualifizieren Asklepiades, wie Galen ihn zeichnet, in seiner Geltung als eine medizinische Autorität. Abgesehen von den falschen anatomischen Voraussetzungen, auf denen sie basiert, ist Asklepiades' Hypothese, wie sich der Urin in der Harnblase sammelt, nach Galens Argumentation auch in sich selbst nicht plausibel. Hier werden von ihm vor allem zwei Einwände erhoben (De fac. nat. I 13 124.2-24 Helmreich [= II 32.5-33.8 Kühn]): Einerseits macht die kompakte Struktur der Harnblase, deren Körper aus zwei Schichten (χιτώνες) besteht, der eigentlichen Blasenwand und deren Bauchfellüberzug, das Hindurchtreten der vermeintlichen Urindämpfe in das Innere des Organs zumindest sehr unwahrscheinlich; eher würden diese Dämpfe, indem sie das Bauchfell und das Zwerchfell passieren, den ganzen Oberbauch und den Brustkorb mit Harnflüssigkeit anfüllen. Zum anderen reicht allein schon die Lage der Harnblase aus, um die Aufnahme der Dämpfe in diesem Organ, wie Asklepiades sie sich vorstellt, zu verhindern; denn die Blase liegt im unteren Abschnitt des Rumpfes, die Dämpfe aber haben die Eigenschaft, sich nach oben zu bewegen (ή προς τό μετέωρον φορά), „so daß sie, bevor sie zur Harnblase gelangt wären, viel eher alle Räume im Brustkorb und in der Lunge ausgefüllt hätten". Der im Folgenden zu behandelnde Punkt der Kritik an Asklepiades steht in direktem Zusammenhang mit der Thematik unseres Quellentextes. Wie der Titel andeutet, verfolgt Galen in seiner Schrift Περι φυσικών δυνάμεων das Ziel, nachzuweisen, daß die Natur in allen Bereichen ihres Wirkens mit speziellen Kräften (δυνάμεις) operiert, 7 mit deren Hilfe auch die Organe im Körper Siehe z.B. die programmatische Formulierung De fac. nat. I 2 (105.10-13 Helmreich [= II 6.14-16 Kühn]).

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der Lebewesen ihre Funktionen ausüben. Nach Galens - sachlich nicht begründeter - Darstellung hat bereits Hippokrates angenommen, daß die Natur derartige Kräfte besitzt, eine, die die verwandten Substanzen anzieht, eine andere, die die fremdartigen Substanzen absondert (δυνάμεις [...] έλκτικήν μεν των οικείων, άποκριτικήν δε των άλλοτρίων). 8 In Übereinstimmung hiermit schreibt Galen, wieder mit Berufung auf Hippokrates, den Nieren eine Kraft zu, die eine solche Qualität, wie sie mit dem Urin gegeben ist, in diese Organe hineinzieht; diese anziehende Kraft ist seiner Auffassung nach die Ursache für die Bewegung des (noch im Blut enthaltenen) Urins zu den Nieren. 9 Nun wirft Galen Asklepiades vor, 10 er habe sowohl die Kraft der Natur ignoriert, welche die verwandten Substanzen anzieht, als auch diejenige, die die fremdartigen absondert (της φύσεως [...] την τε των οικείων έπισπαστικήν δύναμιν και την των άλλοτρίων άποκριτικήν); dies bezieht sich auch auf den Vorgang der Harnexkretion, aus dem Asklepiades die Nieren und die Harnleiter eliminiert hatte. Galens Formulierungen an den betreffenden Passagen erwecken den Anschein, als habe Asklepiades von einer Theorie der natürlichen Kräfte Kenntnis gehabt, die er entweder sich habe zu eigen machen oder verwerfen können. Die Frage ist, ob es vor Galen eine solche Theorie in entwickelter Form überhaupt gegeben hat. Wir müssen uns dessen bewußt sein, daß in den hippokratischen Schriften von der Annahme der zur Debatte stehenden Kräfte trotz der gegenteiligen Versicherung Galens de facto nicht die Rede sein kann. Andererseits wird aber in De facultatibus naturalibus ausführlich dargelegt, in der Medizin und in der Philosophie habe eine bestimmte „Schule" (αίρεσις) - im Gegensatz zu der atomistisch orientierten Richtung, der auch Asklepiades zugerechnet wird - der Natur eine ganze Palette differenzierter Kräfte zugeschrieben." Diese Darstellung wirkt, auch wenn sie wegen der summarischen und schemaB

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Siehe Defac. nat. I 13 (128.23-129.5 Helmreich [= II 38.10-17 Kühn]). Die Behauptung, daß sich die Theorie von den natürlichen Kräften schon bei Hippokrates finde, beruht auf Galens tendenziöser Interpretation; so leitet er aus der von ihm sinngemäß zitierten Stelle Hippokrates, De mulierum affectibus I 18 (VIII 58.3f. Littre: "Ην δέ ύγρότερον ή τό στόμα των ύστερέων, ού δύνανται είρύσαι τόν γόνον; zitiert in der Form: οΰ γαρ δύναται αΰτέης [sc. της μήτρας] ό στόμαχος είρυσαι τήν γονην) den Begriff „anziehende Kraft" (ή έλκτική sc. δύναμις) ab {De fac. nat. III 13 236.21-26 Helmreich [= II 187.8-11 Kühn]). Die Stelle wird in dieser Schrift noch einmal zitiert, nämlich in De fac. nat. I 16 (145.21f. Helmreich [= II 61.7f. Kühn]), ferner in De semine I 4.22 (= CMG V 3.1 p. 74.18); siehe auch Anastassiou & Irmer (2001:257). Siehe Defac. nat. I 15 (142.23-143.9, 144.14-17 Helmreich [= II 57.7-17, 59.11-13 Kühn]) und II 1 (154.20-155.7 Helmreich [= II 74.3-12 Kühn]). De fac. nat. I 13 (129.13-15, 17-21 Helmreich [= II 39.8f., 11-15 Kühn]; siehe auch De fac. nat. I 13 (122.22-123.1 Helmreich [= II 30.11-15 Kühn]), I 14 (134.1 1-15, 134.20-135.3 Helmreich [= II 45.19-46.3, 46.8-15 Kühn]), III 13 (236.26-237.3 Helmreich [= II 187.12-15 Kühn]). Defac. nat. I 12 (119.25-121.9 Helmreich [= II 26.12-28.11 Kühn]). Vgl. Jouanna (2003: 256258).

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tisierenden Form und wegen des Verlustes der dafür in Betracht kommenden Originaltexte in den Einzelheiten schwer zu verifizieren sein dürfte, nicht wie eine Konstruktion Galens, so daß wohl anzunehmen ist, daß Asklepiades eine Theorie dieser Art gekannt haben mag. Die mit Asklepiades literarisch geführte Debatte über den Bau und die Funktionsweise des Harnapparates ist abgesehen von den ihr zu entnehmenden einzelnen Streitpunkten auch insofern aufschlußreich, als der Kontext keinen Zweifel daran bestehen läßt, daß sich Galen nicht aus antiquarischem Interesse mit den Lehrmeinungen dieser Persönlichkeit der Vergangenheit auseinandergesetzt hat. Die Kontroverse mit Asklepiades hatte für ihn einen aktuellen Bezug. Galen selbst berichtet davon, wie einmal einer der zeitgenössischen Asklepiadeer (οί νυν Άσκληπιάδειοι), „einer der Sophisten unserer Tage" (των [...] καθ' ήμας τις σοφιστών), mit ihm über die hier erörterten Fragen ins Gespräch gekommen ist (De fac. nat. I 13 125.12-126.8 Helmreich [= II 34.1-35.4 Kühn]). Gegenstand der Diskussion, die man sich nach der Schilderung des Autors als ein öffentlich geführtes Streitgespräch vorzustellen hat, war die Existenz der Ureteren. Gegen das Vorhandensein von Harnleitern brachte der Gegner folgendes Argument vor: an den (entsprechend präparierten) Blasen könne man täglich beobachten, daß sie, mit Wasser oder Luft gefüllt, dann an ihrem Hals zugebunden und von allen Seiten einem Druck ausgesetzt, an keiner Stelle etwas durchlassen, sondern alles, was sie enthalten, fest umschließen; gäbe es wahrnehmbare, große Gänge, die von den Nieren in die Harnblase hineinführten, würde die Flüssigkeit auf jeden Fall durch jene Kanäle, durch die sie in die Blase hineinkam, unter dem Druck auch wieder herausgebracht werden, was tatsächlich nicht der Fall ist. Nach dieser Stellungnahme sei der Disputant unvermittelt aufgesprungen und habe sich entfernt, ohne Galens Gegenargument abzuwarten. In dieser Szene wirkt der Asklepiadeer fast wie eine Karikatur. Der Arzt aus Pergamon bedient sich hier wie auch sonst in seiner Schriftstellerei stilistischer Mittel, um seine Konkurrenten in der Öffentlichkeit zu diskreditieren und sich selbst ihnen gegenüber durchzusetzen. Übrigens waren, wie Galen bemerkt, die Anhänger des Asklepiades und die Epikureer von den Atomisten und den ähnlich orientierten medizinischen Richtungen die einzigen, die zu seiner Zeit noch florierten (De fac. nat. I 14 138.25-139.4 Helmreich [= II 52.3-9 Kühn]). Wir wenden uns jetzt der Erörterung einiger allgemeinerer Fragen zu. Galen trifft Feststellungen von prinzipieller Bedeutung, wenn er Asklepiades - im Unterschied zu Epikur - sinngemäß wie folgt charakterisiert: Bei gewissenhafter Beschäftigung mit den Schriften des Asklepiades dürfte man genau die strenge Übereinstimmung (ακολουθία, wörtlich: „die Folgerichtigkeit") seiner Lehrmeinungen mit den von ihm angenommenen Grundgegebenheiten (άρχαί) erkennen und ebenso den Konflikt (μάχη), in den sie mit „den sichtbaren Erscheinungen" (τά φαινόμενα) geraten [...]. Asklepiades wahrt in seinen Lehr-

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meinungen das, was folgerichtig aus den Grundgegebenheiten resultiert, um „die sichtbare Erscheinung" kümmert er sich überhaupt nicht. Wer die Unsinnigkeit der Annahmen nachweisen will, soll in der Argumentation gegen Asklepiades auf deren Konflikt mit „der sichtbaren Erscheinung" aufmerksam machen. 12 Soweit die Paraphrase. Bei den hier erwähnten Grundgegebenheiten oder Prinzipien (άρχαί) handelt es sich in erster Linie um die von Asklepiades postulierten Masseteilchen und die zwischen ihnen angenommenen Gänge, um die Elemente ohne Zusammenhalt, von denen schon zu Beginn die Rede war; der Begriff άρχαί bezieht sich also auf die Grundstruktur der Materie. Was Galen jedoch konkret mit „den sichtbaren Erscheinungen", den φαινόμενα, meint, ist eine Frage, auf die es keine klare und eindeutige Antwort gibt. Der von Galen gegen Asklepiades erhobene Vorwurf, er gerate mit den φαινόμενα (oder dem φαινόμενον) in Widerspruch, begegnet in der Schrift De facultatibus naturalibus mehrmals; doch stellt man fest, daß dem Kontext der Belege (siehe Anm. 12) für das Verständnis des Begriffs kaum etwas Präzises abzugewinnen ist. Was die Diskussion über den Harnapparat betrifft, so läßt sich mit einiger Sicherheit sagen, daß Galen in diesem Zusammenhang unter „den deutlich sichtbaren Erscheinungen" (τά έναργώς φαινόμενα) die tatsächlich existierenden Nieren und Ureteren mit ihren feststellbaren Funktionen verstanden hat (De fac. nat. I 13 122.22123.1, 129.12-24 Helmreich [= II 30.11-15, 39.6-17 Kühn]) - Organe, deren Vorhandensein Asklepiades ignorierte, um statt ihrer die hypothetischen Gänge, die πόροι, in Funktion treten zu lassen, wodurch er die Übereinstimmung der physiologischen Lehrmeinung mit den άρχαί gewahrt hat. Aber der Ausdruck φαινόμενα bezieht sich bei Galen auch auf Sachverhalte, deren Existenz nicht in der gleichen Weise wie bei den Teilen des Harnapparates als objektiv zu bewerten ist. Dies ist der Fall, wenn „die deutlich sichtbare Erscheinung" eine zusammenfassende Umschreibung der Begriffe „Krise" (einer Krankheit) und „kritischer Tag" sowie des nur angenommenen Sachverhalts ist, daß die Natur für das Wohlergehen des Lebewesens Vorkehrungen getroffen hat (De fac. nat. I 14 135.4-9 Helmreich [= II 46.16-47.4 Kühn]). Als Resultat zeichnet sich ab, daß die φαινόμενα nach Galens Verständnis Sachverhalte sind, die er 12

De fac. nat. I 14 (138.18-139.1 Helmreich [= II 51.14-52.7 Kühn]): τοις Άσκληπιάδου γράμμασιν ε'ί τις έπιμελως όμιλήσειε, τήν τε πρός τάς αρχάς άκολουθίαν των τοιούτων δογμάτων άκριβώς αν έκμάθοι καΐ τήν πρός τά φαινόμενα μάχην. ό μέν οΰν Επίκουρος τά φαινόμενα φυλάττειν βουλόμενος άσχημονεΐ φιλοτιμοΰμενος έπιδεικνυειν αυτά ταΐς άρχαΐς όμολογοΰντα· ό δ' Άσκληπιάδης τό μέν άκόλουθον ταΐς άρχαϊς φυλάττει, τοϋ φαινομένου δ' ουδέν αύτω μέλει, δστις οΰν βούλεται τήν άτοπίαν έξελέγχειν των ύποθέσεων, εί μέν πρός Άσκληπιάδην ό λόγος αύτω γίγνοιτο, της πρός τό φαινόμενον ΰπομιμνησκέτω μάχης· ει δέ πρός Έπίκουρον, της πρός τάς αρχάς διαφωνίας. Siehe auch De fac. nat. I 14 (135.3-5, 9-11 Helmreich [= II 46.15-17, 47.4-6 Kühn]) und De fac. nat. I 13 (132.16-20 Helmreich [= II 43.10-14 Kühn]). Vgl. Vallance (1990: 63 mit Anm. 62).

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selbst in seinen Theorien als solche akzeptiert, mögen sie nun, objektiv gesehen, tatsächlich oder auch nur vermeintlich gegeben sein. Insofern ist seine Argumentation gegen Asklepiades nicht frei von subjektiven Urteilen. Es ist indessen aufschlußreich, wenn Galen selbst im Zusammenhang mit der von ihm aufgeworfenen methodologischen Frage seinen Lesern mitteilt, daß schon der Empiriker Menodot (1. Hälfte des 2. Jh. n. Chr.) sich unter demselben Aspekt wie er mit Asklepiades auseinandergesetzt und dessen Auffassungen unabweisbar widerlegt hat; 13 diese Nachricht läßt an Galens Originalität in seiner Diskussion mit dem Arzt aus Bithynien starke Zweifel aufkommen. Asklepiades' philosophische Konzeption, seine Elementenlehre, bringt ihn, wie Galen die Verhältnisse darstellt, in einen unüberbrückbaren Gegensatz zu der hippokratischen - und zu Galens eigener - Auffassung von der Natur. Bei der Behandlung dieses Themas 14 zitiert Galen unter anderem eine Formulierung in dem hippokratischen Traktat Über die Nahrung (De alimento 23 [= CMG I 1 p. 81.5f.]), nach der in unseren Körpern „ein einziges harmonisches Atmen und harmonisches Strömen" (σύμπνοιάν τε μίαν [...] και σύρροιαν) herrsche und „alle Teile aufeinander abgestimmt" seien (πάντα συμπαθέα). Daß dies so ist, ergibt sich für Galen aus dem sinnvollen und umsichtigen Wirken der Natur. Asklepiades sieht die Dinge anders: für ihn ist „die ganze Substanz in Elemente ohne Zusammenhalt (αναρμα στοιχεία) 15 und alberne Masseteilchen (ληρώδεις δγκοι) 16 zerlegt und zertrümmert"; deshalb „ist" seiner Auffassung nach „von Natur aus nichts auf etwas anderes abgestimmt" (ουδέν ούδενΐ συμπαθές έστι φύσει). Mit anderen Worten: in einer Ansammlung von Trümmern hat eine sinnvoll wirkende Natur keinen Platz. So bestreitet Asklepiades, daß die Natur in irgendeiner Beziehung für das Wohlergehen des Lebewesens Vorkehrungen getroffen hat (De fac. nat. I 14 135.8f. Helmreich [= II 47.2-4 Kühn]). Elemente ohne Zusammenhalt anzunehmen, wie es für Asklepiades zutrifft, führt nach Galens Überzeugung zwangsläufig dazu, die Natur als „kunstlos" (ατεχνος) aufzufassen (De fac. nat. II 6 172.17-21 Helmreich [= II 98.9-13 Kühn]). Um eine einleuchtende wissenschaftliche Erklärung finden zu können, hätte Asklepiades - so folgert Galen aus einem Einzelbeispiel (De fac. 13

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De fac. nat. I 14 (139.4-6 Helmreich [= II 52.9-12 Kühn]); es handelt sich um Menodotos von N i k o m e d i e n , / r 292a (Deichgräber 1965: 213.18-20) und Menodoto di Nicomedia T18 (Perilli 2004: 92). De fac. nat. I 13 (128.23-129.12 Helmreich [= II 38.10-39.6 Kühn]). Den Abschnitt 128.17129.12 Helmreich (= II 38.4-39.6 Kühn) analysiert Jouanna (2003: 248-256). Wie Jouanna (2003: 249) auf die Übersetzung „61ements insecables" kommt, ist mir unverständlich (siehe Anm. 2). Vallance (1990: 42f.) macht zu Recht darauf aufmerksam, daß Galen mit diesen Termini nicht „zwei verschiedene Partikeltypen" bezeichnen will; übrigens sei es sachlich verfehlt, wenn Galen Asklepiades in die Tradition der Atomisten stellt, da dieser im Gegensatz zu jenen eine unendliche Teilbarkeit der Korpuskeln angenommen habe. Siehe auch Vallance (1993: 697f. mit Anm. 8, ferner 702).

Galen in der Kontroverse mit Asklepiades von Bithynien

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nat. I 14 134.11-23 Helmreich [= II 45.19-46.11 Kühn]) - seine Elementenlehre aufgeben und anerkennen müssen, daß die Natur „kunstreich" (τεχνική) ist. Damit macht der Kritiker seine eigene teleologische Naturauffassung 17 zum Bewertungsmaßstab für Hypothesen des Kontrahenten. Die im vorangehenden behandelten Beispiele aus dem Werk De facultatibus naturalibus ergeben zwar kein umfassendes Bild von Galens Kontroverse mit Asklepiades; ihnen sind aber doch einige wichtige und typische Züge zu entnehmen. Zweifellos hat Galen seine Polemik in dem Bestreben geführt, wissenschaftliche Erkenntnisse, von deren Richtigkeit er selbst überzeugt war, gegen Hypothesen zu verteidigen, die nach seinem Urteil abwegig waren und die über den falschen theoretischen Gehalt hinaus auch bedenkliche Auswirkungen auf die ärztliche Praxis hatten. An dem Thema „Harnexkretion" ließ sich demonstrieren, wie Galen auf verschiedenen Ebenen argumentiert: seine Einwände richten sich als Sachkritik des Mediziners gegen die anatomischen und physiologischen Vorstellungen des Asklepiades, auf einem höheren Niveau aber auch gegen dessen philosophische Konzeption und unter methodologischem Aspekt gegen seinen fahrlässigen Umgang mit den Fakten. Im Fall der Kontroverse mit Asklepiades ist nachzuweisen, daß die eigentlichen Gegner in der literarisch geführten Fehde die zeitgenössischen Asklepiadeer waren, gegen die sich Galen in Rom durchzusetzen hatte.

Literatur Textausgaben, Übersetzungen und Kommentare: De Lacy, Phillip (Hrsg.) (1992): Galeni De semine (Corpus Medicorum Graecorum V 3.1), Berlin. Heiberg, Johan Ludvig (Hrsg.) (1927): Hippocratis De alimento (Corpus Medicorum Graecorum I 1), Leipzig & Berlin. Helmreich, Georg (Hrsg.) (1893): Claudii Galeni Pergament Scripta minora (Vol. 3), Leipzig. Kühn, Carl Gottlob (Hrsg.) (1821-1833): Claudii Galeni Opera omnia. Griechisch und lateinisch (20 Vol.), Leipzig. Littre, Emile (Hrsg.) (1839-1861): CEuvres completes d'Hippocrate (10 Vol.), Paris. May, Margaret Tallmadge (Hrsg.) (1968): Galen: On the Usefulness of the Parts of the Body. Translated from the Greek with an introduction and commentary (2 Vol.), Ithaca, New York.

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Siehe hierzu May (1968 [Vol. 1]: 9-12), Moraux (1981: 98-102), Jouanna (2003: 2 4 9 - 2 6 2 ) , außerdem KovaCic (2001: bes. 2 1 0 - 2 3 4 , 249-251).

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Wenkebach, Ernst (Hrsg.) (1936): Galeni In Hippocratis Epidemiarum librum III commentaria III (Corpus Medicorum Graecorum V 10.2.1), Leipzig & Berlin. Wenkebach, Ernst (Hrsg.) (1951): Galeni Adversus Lycum et Adversus Iulianum libeili (Corpus Medicorum Graecorum V 10.3), Berlin. Sekundärliteratur: Anastassiou, Anargyros & Dieter Irmer (2001): Testimonien zum Corpus Hippocraticum. Teil II: Galen (Vol. 2: Hippokrateszitate in den übrigen Werken Galens einschließlich der alten Pseudo-Galenica), Göttingen. Asmis, Elizabeth (1993): Asclepiades of Bithynia rediscovered?, in: Classical Philology 88, 145-156. Deichgräber, Karl (1965): Die griechische Empirikerschule. Sammlung der Fragmente und Darstellung der Lehre. Um Zusätze vermehrter anastatischer Neudruck der Ausgabe von 1930, Berlin & Zürich. Fischer, Klaus-Dietrich (1982): Der Weg des Urins bei Asklepiades von Bithynien und in der Schrift De opißcio dei des Kirchenvaters Lactantius, in: Guy Sabbah (Hrsg.), Medecins et medecine dans l'antiquite, Saint-Etienne, 43-53. Harig, Georg (1983): Die philosophischen Grundlagen des medizinischen Systems des Asklepiades von Bithynien, in: Philologus 127,43-60. Jouanna, Jacques (2003): La notion de nature chez Galien, in: Jonathan Barnes & Jacques Jouanna (Hrsg.), Galien et la philosophie (Fondation Hardt. Entretiens 49), Vandoeuvres & Geneve, 229-268. Kovaöic, Franjo (2001): Der Begriff der Physis bei Galen vor dem Hintergrund seiner Vorgänger, Stuttgart. Moraux, Paul (1981): Galien comme philosophe: la philosophie de la nature, in: Vivian Nutton (Hrsg.), Galen: Problems and Prospects, London, 87-116. Perilli, Lorenzo (2004): Menodoto di Nicomedia. Contributo a una storia galeniana della medicina empirica con una raccolta commentata delle testimonianze, München & Leipzig. Vallance, John T. (1990): The Lost Theory of Asclepiades of Bithynia, Oxford. Vallance, John (1993): The medical system of Asclepiades of Bithynia, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II 37.1, 693-727.

... er schrieb in Versen, und er tat recht daran": Lehrdichtung im Urteil Galens Sabine Vogt

1. Einleitung Die Frage, ob das Lehrgedicht eine eigene Gattung sei und welche Kriterien es in diesem Falle charakterisieren, wird spätestens seit Aristoteles unter antiken und modernen Gelehrten diskutiert. Sie hängt eng mit der Auffassung des Begriffs Dichtung zusammen. Definiert man diese mit Aristoteles primär über die Mimesis, so fallen Lehrgedichte aufgrund ihrer amimetischen Behandlung von Sachthemen aus der Dichtung heraus.1 Setzt man als Hauptmerkmal der Dichtung jedoch das Schreiben von Versen und als Kriterium der Gattungsunterscheidung das jeweilige Versmaß an, so gehört das Lehrgedicht zum Epos (mit allen Schwierigkeiten, die die Einordnung nicht-hexametrischer Lehrgedichte dann bereitet). Diese Position ist von Piaton 2 bis Goethe 3 und darüber hinaus weit verbreitet.

Aristoteles, Poetik 1447b 16-20: ουδέν δέ κοινόν έστχν Όμήρω και Έμπεδοκλεΐ πλήν τό μέτρον, διό τόν μέν ποιητήν δίκαιον καλεΐν, τόν δέ φυσιολόγον μάλλον ή ποιητήν („Homer und Empedokles haben außer dem Versmaß nichts gemeinsam; daher wäre es richtig, den einen einen Dichter zu nennen, den anderen aber eher einen Naturforscher als einen Dichter.") Ungeachtet dieses inhaltlich bestimmten Urteils würdigt Aristoteles an anderer Stelle Empedokles als „homerisch" in Stil, Sprache und Metaphorik, bezieht sich dabei aber auf andere ihm zugeschriebene Werke „echter", d.h. mimetischer Dichtung: eine Ξέρξου διάβασις („Überquerung des Xerxes") und ein προοίμιον εις Απόλλωνα („Proöm zu Apollon"); er habe auch Tragödien geschrieben (Aristoteles, Über die Dichter fr. 70 Rose = F 17 Gigon [Diogenes Laertios 8.57f.]). Vgl. Piaton, Phaidros 258d: έν μέτρφ ώς ποιητής ή οίνευ μέτρου ώς ιδιώτης („im Versmaß wie ein Dichter oder ohne Versmaß wie ein Laie"), oder Gorgias, Helena 9: τήν ποίησιν απασαν καΐ νομίζω και όνομάζω λόγον 'έχοντα μέτρον („als Dichtung insgesamt definiere und bezeichne ich Rede im Versmaß"). Zu antiken Vertretern dieser und verwandter Positionen siehe Pöhlmann (1973: 820-835). Goethe, Über das Lehrgedicht (1827): „Es ist nicht zulässig, daß man zu den drei Dichtarten: der lyrischen, epischen und dramatischen, noch die didaktische hinzufüge. Dieses begreift Jedermann welcher bemerkt, daß jene drei ersten der Form nach unterschieden sind und also die letztere, die von dem Inhalt ihren Namen hat, nicht in derselben Reihe stehen kann." Er schlägt als alternatives Kriterium vor, „das Verdienst der vorzüglichsten Gedichte dieser Art

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Als kleinster gemeinsamer Nenner der verschiedenen Definitionsansätze, auf den sich die meisten der an der Debatte beteiligten Philologen einigen könnten, erscheint die betont weitgefaßte und offene Definition im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. „Überwiegend versgebundenes Schrifttum zur Vermittlung von Sach-, Verhaltens- und Orientierungswissen". 4 Offen bleibt diese Definition sowohl in Hinsicht auf das Metrum5 als auch auf die Form6 und die Inhalte; und die oft genannte Komponente einer didaktischen Situation, d.h. einer Ansprache eines Schülers durch einen Lehrer, fällt nach dieser Sichtweise weg. 7 Einflußreich in der Lehrgedichts-Diskussion der Klassischen Philologie war insbesondere die Typologisierung durch Bernd Effe (1977), der drei Typen des Lehrgedichts unterschied: der „formale" bemühe sich um möglichst virtuose poetische Formung eines oft besonders abgelegenen, aber letztlich beliebigen Gegenstandes und ziele damit hauptsächlich auf das ästhetische Vergnügen (z.B. Arat und Nikander); der „sachbezogene" konzentriere sich auf den wissenschaftlichen Inhalt und dessen sachlich richtige Vermittlung (z.B. Empedokles); dazwischen stehe der „transparente" Typus, der den Stoff nur als zweitrangig, nämlich als Beispiel für eine andere, im Vordergrund stehende Aussage wähle (z.B. Hesiod, bei dem die moralische Aufforderung an den Bruder Perses Vorrang habe vor der Darstellung des landwirtschaftlichen Stoffes). In den jüngeren Arbeiten zum Thema macht sich jedoch ein Unbehagen über die üblinicht nach dem Nutzen ihres Inhalts, sondern nach dem höhern oder geringem Grade ihres poetischen Wertes zu ordnen und klar zu machen." (zitiert nach Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens [Vol. 13.1], München 1992, 498f.). Diese Definition von Kühlmann (2002: 393) hat den Vorzug, schlicht und sachlich zu bleiben, wo andere bereits ein ästhetisches Urteil unterzubringen versuchen - wie beispielsweise Kost ( 2 2003 : 413) es bereits im zweiten Satz unternimmt: „Lehrgedicht ist eine moderne Bezeichnung für Fachliteratur in gebundener Form. Der Ausdruck impliziert die ästhetisierende Auffassung eines dichterischen Versuches am untauglichen Objekt oder einer dem Gegenstand nicht angemessenen Darstellungsart." Ist der Hexameter auch das häufigste Metrum des Lehrgedichts, kann man die Gattung doch darauf nicht einschränken, wie ζ. B. Glei (1999: 26) es versucht: „Formales Hauptmerkmal ist die Anlehnung an Metrik, Sprache und Stil des Epos, wobei sich letzterer gegenstandsbedingt zwischen erhabenem und mittlerem Niveau bewegt." Als besondere Formelemente der Lehrdichtung wurden bisher konstatiert, wenn auch nicht als notwendig gefordert: ein dichterisches Selbstbewußtsein des auktorialen Dichters, die Verwendung von Musen- oder Götteranrufen, Gleichnissen, Katalogen oder narrativen Exkursen (Pöhlmann 1973: 836-848; Glei 1999: 26). Volk (2002: 40) stellt diesen Aspekt als besonders wichtig heraus: „A didactic poem could thus be described as self-consciously poetic speech uttered by the persona, who combines the roles of poet and teacher, explicitely in order to instruct the frequently addressed student in some professed art or branch of knowledge." Vgl. Glei (1999: 26): „Im Gegensatz zum narrativ-dramatischen Heldenepos handelt es sich beim Lehrgedicht um einen zusammenhängenden Lehrvortrag vor einem Adressaten, der nicht oder nur durch fingierte Fragen oder Einwände in Erscheinung tritt."

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chen Definitionsansätze breit. Gerade die von Effe erstellte Typologie steht unter dem Verdacht, aufgrund ihrer Kriterien möglicherweise irrezufuhren und zu starke Gemeinsamkeiten in einem zu unterschiedlichen Material sehen zu wollen. 8 Nicht zufällig gerät Effe gerade bei solchen Lehrgedichten in Zuordnungsschwierigkeiten, die eine besondere Nähe zu Fachtexten aufweisen: Lehrgedichte über Landwirtschaft, Astrologie, Fischfang und Jagd, Geographie, Medizin und Metrik faßt er als „die übrigen Lehrgedichte" zusammen, da sie sich nicht klar den drei Grundtypen zuordnen lassen. 9 Angesichts dieser Sachlage soll hier eine andere Perspektive auf die Gattung Lehrgedicht eingenommen werden: statt der rückblickenden philologischen von außen eine antike von innen heraus. Denn es gibt zwar nur sehr wenige Stellungnahmen in der Antike über Lehrdichtung, ein Komplex unter diesen wenigen Stellen ist jedoch noch nicht ausreichend für die Frage nach der antiken Beurteilung von Lehrdichtung ausgewertet worden. 10 Die Rede ist von Galen, der in seinen pharmakologischen Werken über Composita - d.h. aus mehreren Substanzen zubereitete Pharmaka - Rezepte älterer Ärzte und Pharmazeuten zitiert und sie, für uns besonders interessant, einer vergleichenden Beurteilung unterzieht. Seine Kriterien sind hauptsächlich pragmatischer Art, aus der Sicht des anwendenden Arztes gesprochen, lassen aber auch Galens fundierte literarästhetische Kompetenz erkennen. Unter den von Galen zitierten 21 Autoren haben immerhin sieben in Versen geschrieben: 11 Von Rufus von Ephesos und Heliodoros führt Galen je acht Hexameter an, dazu zehn und 42 weitere von zwei anonymen Autoren; von Andromachos dem Älteren 87 und Philon von Tarsos 13 Distichen, und von Servilius Damokrates insgesamt rund 1.650 iambische Trimeter, aufgeteilt auf 14 Fragmente mit 48 Einzelrezepten. Dies ist schon allein quantitativ eine deutSo Reitz (2003: 65): „Es ist allgemeine Lehrmeinung, daß mit dem Wiedererwachen der Gattung im Hellenismus dann die Aufgabe, möglichst schwierige und entlegene Stoffe kunstvoll im heroischen Versmaß zu gestalten, als besondere dichterische Herausforderung verstanden wurde, in Effes Typologie der formale Typ. [ . . . ] Aber greift diese Erklärung - das schwierige Sujet als Herausforderung an die Kunstfertigkeit - nicht zu kurz? Und auch die Frage nach den jeweiligen Quellen, wenn überhaupt beantwortbar, bleibt jeweils spezifisch und läßt keine allgemeineren Schlüsse zu im Hinblick auf den Kenntnisstand des rezipierenden Autors, auf die Verbreitung des rezipierten Sachtextes, auf den Informationsgrad des Lesers." Dabei ist symptomatisch für das Problem, daß die Anzahl der Beispiele und der Umfang ihrer Behandlung (Effe 1977: 80-230) deutlich größer sind als für „die drei Grundtypen" Arat, Nikander und Lukrez (Effe 1977: 40-79). Sonderformen stellen nach Effe (1977: 2 3 1 - 2 4 8 ) die mnemotechnischen und parodistischen Formen dar. Den wichtigsten Aspekt der Memoria stellt von Staden (1998) in der für diesen Ansatz einzigen und grundlegenden Arbeit deutlich heraus; siehe ausführlicher unten S. 68-70. Vgl. im einzelnen Fabricius (1972: 189f.) zu Damokrates, (1972: 201) zu Andromachos d. Ä., (1972: 202) zu Rufus von Ephesos und Philon von Tarsos sowie (1972: 2 0 3 ) zu Heliodoros und zu den beiden anonymen metrischen Rezepten.

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liehe Bevorzugung des Damokrates innerhalb der Versautoren, 12 die auch qualitativ durch Galens Urteil bestätigt wird. 13 Ein besonderer Glücksfall für die hier verfolgte Fragestellung ist die Tatsache, daß Galen in De antidotis eine inhaltsgleiche Theriak-Rezeptur in drei verschiedenen Varianten in Prosa (von Andromachos d. Ä.), elegischen Distichen (von Andromachos d. J.) und iambischen Trimetern (von Servilius Damokrates) zitiert und bewertet. Der Fassung in iambischen Trimetern wird dabei, wie auch sonst den iambischen Rezepten des Damokrates, der eindeutige Vorrang zugewiesen. Dieser Vergleich und vor allem die ihm zugrundegelegten Kriterien werden im Hauptteil dieses Beitrages untersucht (Abschnitt 3). Da Galens Herangehensweise von pragmatischen Gesichtspunkten geleitet ist, sollen jedoch zunächst einige allgemeine Beobachtungen zur Textsorte 14 des Heilmittelrezepts vorangestellt werden, damit die Textsorten-Spezifika in die Bewertung der unterschiedlichen Formung der von Galen zitierten Rezepte mit einbezogen werden kann (Abschnitt 2). Abschließend werden die Ergebnisse aus Galens Urteilsbildung in Zusammenhang mit den spärlichen Zeugnissen text- bzw. gattungsinterner Aussagen über iambische Lehrdichtung gesetzt (Abschnitt 4).

2. Charakteristika der Textsorte „Heilmittelrezept" Welche Besonderheiten kennzeichnen ein Heilmittelrezept und erlauben seine Definition als eine eigene Textsorte? Formal handelt es sich dabei um eine Anweisung zum Handeln, deren Sprecher oder Verfasser in der Regel ein Arzt bzw. Pharmazeut ist, der als Adressaten entweder einen Kollegen oder einen medizinischen Laien anspricht. Inhaltlich ist das Rezept durch seinen Gegenstand bestimmt, insofern es nämlich eine Anweisung zur medizinischen Behandlung durch Pharmaka darstellt - im Unterschied zum Beispiel zu einer chirurgischen Behandlungsanweisung, mit der sie oft genug gekoppelt ist (vgl. das nachfolgend angeführte Beispiel aus der Ilias). Allerdings ist uns nicht bekannt, wie groß das (Euvre der einzelnen pharmazeutischen VersAutoren insgesamt gewesen ist, so daß dieser Vergleich problematisch bleibt. - In der von Fabricius (1972: 161) erstellten Liste der 19 namentlich zitierten Autoren nimmt Damokrates, sortiert man sie nach dem Umfang der Zitate, immerhin die fünfte Position ein: mit einem Umfang von 4 0 Teubner-Seiten steht er als erster Dichter hinter den Prosa-Autoren Asklepiades Pharmakion (190 S.), Andromachos d. J. (90 S.), Archigenes (65 S.) und Kriton (50 S.). Siehe insbesondere von Staden (1998), der die betreffenden Urteile Galens über Damokrates zusammenstellt. Den Begriff „Textsorte" verwende ich im Sinne des Reallexikons der deutschen Literaturwissenschaft als systematischen Klassifikationsbegriff: „Er markiert nicht die Historizität gewachsener Formkonventionen, sondern soll Äußerungen systematisch nach trennscharfen Merkmalen kategorisieren und somit ,Texte' aller Art im Idealfall zweifelsfrei .sortieren'." (Fricke & Stuck 2003: 612). D e m Heilmittelrezept nahestehende Textsorten sind beispielsweise das Kochrezept oder die chirurgische Operationsanleitung.

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Der Aufbau eines solchen Textes ergibt sich aus den inhaltlichen Bedürfnissen des Gegenstandes, der medizinischen Methodik (d.h. dem Dreischritt von Diagnose, Therapie und Prognose) und der dialogischen Situation. Als Grundstruktur lassen sich sechs Bestandteile anführen, die schon in der antiken Pharmazie terminologisch festgelegt waren: 1. Benennung (d.h. Name oder Herkunft, bei Galen προγραφή „Titel" genannt), ggf. unter Angabe des Typus (Salbe, Tinktur, Pastille etc.; oft nur allgemein „Heilmittel"), 2. Indikation (έπαγγελία), 3. Zusammensetzung (συνθεσις), 4. ggf. Zubereitung (σκευασία), 5. ggf. Anwendung, 6. ggf. Prognose. 15 Diese Bestandteile sind dem Gegenstand inhärent, so daß eine entsprechende Anordnung nicht auf Fachtexte beschränkt ist, sondern sich auch in narrativen Kontexten beobachten läßt. Eines der frühesten Zeugnisse für eine Behandlungsanweisung chirurgisch-pharmazeutischer Art ist die Anleitung, die im elften Buch der Ilias der verletzte Eurypylos seinem Helfer Patroklos gibt {Ilias 11.828-832): αλλ' έμέ μέν συ σάωσον αγων έπι νήα μέλαιναν, μηρού δ' £κταμ' όϊστόν, άπ' αύτοΰ δ' αιμα κελαινόν νίζ ΰδατι λιαρω, έπΙ δ' ήπια φάρμακα πάσσε έσθλά, τά σε προτί φασνν Άχιλλήος δεδάασθαι 16 , δν Χείρων έδίδαξε δικαιότατος Κενταύρων. Wohlan, rette mich nun und bring mich zum schwarzen Schiff, schneide den Pfeil mir aus dem Schenkel und wasche von diesem das schwärzliche Blut mit erwärmtem Wasser ab, lege darauf lindernde Heilmittel, gute, welche du, wie man sagt, einst von Achilleus gelernt hast, den Cheiron unterwies, der rechtschaffendste unter den Kentauren.

Wenige Verse später wird, mit weitgehend demselben Vokabular und nur leicht variierenden Details, die Ausführung dieser Anweisung beschrieben (Ilias 11.844-848): 2νθά μιν έκτανύσας έκ μηροΰ τάμνε μαχαίρη όξύ βέλος περιπευκές, άπ' αύτοΰ δ' αιμα κελαινόν νίζ' ΰδατι λιαρω, έπΙ δέ βίζαν βάλε πικρήν χερσι διατρίψας όδυνήφατον, Υ[ οι άπάσας

'έσχ Vgl. Fabricius (1972: 24-30), der auch Galens Terminologie der vier genannten Begriffe erläutert. Diese gemeinsame Grundstruktur erkennt auch Goltz (1974) bei ihrer gründlichen Sichtung der Rezeptliteratur in der babylonischen Heilkunde und in den Hippokratischen Schriften, trotz großer Unterschiede in einzelnen sprachlichen Ausformungen (z.B. der syntaktischen Protasis-Apodosis-Struktur der meisten babylonischen Rezepte, welche der Sprache der Gesetzestexte verwandt ist, oder der detaillierten Symptom-Beschreibung als Indikation in hippokratischen Krankengeschichten). Zenodots Lesart δεδάασθαι ist mit West (2001: 2 1 4 ) dem bei Allen gedruckten δεδιδάχθαι vorzuziehen. Für diesen Hinweis danke ich Rudolf Kassel.

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Sabine Vogt dort [sc. im Zelt] schnitt er ihm mit d e m Messer das scharfe G e s c h o ß aus d e m Schenkel und w u s c h sein schwärzliches Blut mit erwärmtem Wasser ab, dann zerrieb er die bittere Wurzel in den Händen und legte sie auf, die schmerzenstillende, w e l c h e ihm die S c h m e r z e n alle b e z w a n g ; da verschloß sich die W u n d e und versiegte das Blut.

Inhaltlich entspricht diese Szene einem in der Ilias mehrfach wiederkehrendem Typus von Schilderungen der Versorgung von Kriegsverletzungen: 17 Den vom Gegner verletzten Kämpfern werden zunächst in einem chirurgischen Eingriff die Pfeile und Speerspitzen aus dem Fleisch gezogen oder geschnitten, dann wird die Wunde ausgesaugt oder ausgewaschen und zuletzt durch das Auflegen von Kräutern oder Salben pharmazeutisch versorgt, um die Schmerzen zu stillen und die Wundheilung zu beschleunigen. Der Verweis des Eurypylos auf den Kentauren Cheiron als medizinische Autorität ist ein klarer Hinweis darauf, daß - obwohl kein Arzt anwesend ist, da die beiden Ärzte Podaleirios und Machaon anderswo unabkömmlich sind (11.833-836) - hier nicht etwa laienhaft, sondern heilkundig verfahren wird. 18 Es ist also nicht unberechtigt, aus dem narrativen Kontext der Szene und dem Dialog der beiden Krieger typische Elemente einer medizinisch „kundigen" chirurgisch-pharmazeutischen Behandlungsanweisung zu extrahieren, die auch im Fachkontext auftreten - wobei der chirurgische Teil hier außer acht bleiben kann. Zu erwarten ist zunächst eine Identifikation des Heilmittels durch einen eindeutigen Namen, der durch eine Bezeichnung der Heilmittelgattung oder der Herkunft ergänzt werden kann - terminologisch die προγραφή. Im hier angeführten Beispiel ließe es sich wohl ganz allgemein „Heilmittel des Cheiron: schmerzstillende Wurzel" nennen. Zweitens ist eine Angabe der Indikation erforderlich, also der Erkrankung, bei der das betreffenden Heilmittel anzuwenden ist (επαγγελία). Die Indikation geht hier aus dem narrativen Kontext hervor: eine frisch operierte Pfeilwunde ist zu versorgen. Als drittes muß die Zusammensetzung (σύνθεσις) und als viertes die Herstellung (σκευασία) des Heilmittels angegeben werden; im Ilias-Beispiel fallen beide zusammen in der Die ///as-Stellen zur Behandlung von Verletzungen hat Salazar (2000: 126-158) gesammelt und medizinhistorisch ausgewertet. - Prägnant faßt in Ilias 11.514f. Nestor die Hauptaufgabe der im Heer mitgeführten Ärzte zusammen: ίητρός γαρ άνήρ πολλών αντάξιος δλλων, / ιούς τ έκτάμνειν έπί τ' ήπια φάρμακα πάσσειν („denn ein Arzt ist soviel wert wie viele andere Männer, Pfeile herauszuschneiden und lindernde Heilmittel aufzulegen"). Daß auch Laien bei der Wundversorgung lege artis verfahren, wird in derartigen Szenen gerne betont. So haben die Onkel des Odysseus die Wunde, die ihm auf der Jagd ein Eber gerissen hatte und an deren Narbe ihn die alte Amme Eurykleia bei seiner Heimkehr nach Ithaka erkennt, seinerzeit „kundig" (έπισταμένως) versorgt (Od. 19.455-458): τον μεν αρ' Αϋτολύκου παίδες φίλοι άμφιπένοντο, / ώτειλήν δ' Όδυσήος άμύμονος άντιθέοιο / δήσαν έπισταμένως, έπαοιδη δ' αίμα κελαινόν / £σχεθον („sie machten sich um ihn zu schaffen und verbanden die Wunde des untadeligen Odysseus, des gottgleichen, kundig und stillten das schwarze Blut mit einem Zauberlied").

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denkbar knappen Aussage: „er zerrieb die bittere Wurzel". Fünftens ist eine Dosierungs- und Anwendungsvorschrift zu erwarten, die hier wiederum sehr kurz ist: „lege lindernde Heilmittel a u f bzw. „er legte sie a u f - und schließlich steht ein Hinweis auf die Wirkung aus, wie er hier durch das gestillte Blut und die vernarbende Wunde gegeben wird. Als Rezeptur umformuliert könnte der Ilias-Text also lauten: „Heilmittel des Cheiron: schmerzstillende Wurzel. Bei Verwundungen von Pfeilen, nachdem der Pfeil aus der Wunde gezogen oder geschnitten und die Wunde mit Wasser gereinigt worden ist. Zerreibe die bittere Wurzel und lege sie auf die Wunde. Sie wird das Blut stillen und die Schmerzen lindern." Diesem Beispiel sei hier unmittelbar ein ausfuhrliches Rezept aus medizinischem Kontext gegenübergestellt, um die Ähnlichkeiten (in der Struktur) und Unterschiede (in der Ausführung) deutlich zu machen. Als Pendant zu „Cheirons bitterer Wurzel" aus der llias ist ein Rezept aus Galen zitiert, das ebenfalls zur Behandlung frischer Fleischwunden verwendet werden kann, aber auch für zahlreiche andere Indikationen empfohlen wird: das sog. Serapionspflaster (Galen, De comp. med. per gen. VI 4 [XIII 883.10-884.10 Kühn]; im Interesse der Übersichtlichkeit wird hier und in allen folgenden Rezept-Texten eine Gliederung entsprechend der soeben erläuterten Rezept-Struktur eingefügt): Και ταύτην Εγραψεν ό Κρίτων έν τη φαρμακίτιδι βίβλω κατά τήνδε την λέξιν. (1) ή Σεραπίωνος, ην τίνες Αίγυπτίαν, οι δέ Άφροδίτην καλοΰσι. (2) ποιεί δέ πρός παν τραΰμα (6) καΐ δει αύτη έπιμένειν μή απελπίζοντας. (2) ποιεί προς νύγματα και σκόλοπας και παρωτίδας, κατατίτρησίν τε και φΰματα καΐ έξιποΰσα παρακολλα, ποιεί και πρός πάσαν σκληρίαν καΐ πρός έπινυκτίδας και πρός έπιφοράν των άρθρων καΐ πρός τά θλάσματα των ώτων, ποιεί καΐ πρός τά πρεσβυτικά και χειρώνεια κα\ παχύχειλα £λκη. (3) έλαίου παλαιού κο. [= κοτυλας] γ', λιθάργυρου Ζ. [= δραχμάς] σ'. άμμωνιακοΰ θυμιάματος L ρξη'. ρητίνης κολοφωνίας, πιτυΐνης L ξη'. κηροΰ L ρξη'. χαλβάνης L κ', Ιοΰ L ν. οί δέ L κ', σμύρνης L δ', οί δέ L η'. (4) 2ψε λιθάργυρον, Ελαιον &ος μετρίως δοκη συνεστράφθαι, ειτ' αρας τήν λοπάδα προσέμβαλλε άμμωνιακόν, είτα Ρητίνη ν, είτα κηρόν. τήξας δέ εν ίίκαστον αυτών προσεχόντως, ίνα μή προσκαη, αρας πάλιν χαλβάνην άποδίδοθι και ιόν, είτα έπιθε\ς έπΐ τό πΰρ, 2ως μηλίνη γένηται και εύσύστατος, £ψε. £σχατον δέ αρας τήν σμύρναν άποδίδου κα\ κινήσας κατάχεε, άναλαμβάνων έν δέρματι άποτίθεσο. Und dies schrieb Kriton im Buch der Heilmittellehre in folgendem Wortlaut: (I. Name und Gattung:) Serapions [sc. Pflaster] 19 , das einige Aigyptia, andere Aphrodite nennen. (2. Indikation:) Es wirkt bei jeder Verletzung; (6. Prognose:) man muß mit einer Dauerbehandlung rechnen und darf nicht die Hoffnung aufgeben. (2. Indikation, Fortsetzung:) Es wirkt bei Stichverletzungen, Split-

Da diese Rezeptur im ersten Teil von Buch VI der Schrift De compositione medicamentorum per genera inmitten zahlreicher „Pflaster für vielseitigen Gebrauch" (πολύχρηστοι έμπλαστρο ι) steht, gibt Galen die Gattung nicht noch einmal eigens an.

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tern, Ohrendrüsenschwellungen, Durchbohrung und Auswüchsen, es verklebt durch Ausdrücken, es wirkt auch bei jeder Art von Verhärtung, bei Nachtpusteln, bei Hervortreten der Gelenke und bei Quetschungen der Ohren; es wirkt auch bei alten, bösartigen und dicklippigen Geschwüren. (3. Zusammensetzung:) Drei Kotylen altes Öl, 200 Drachmen Bleiglätte, 168 Drachmen A m · monisches Rauchwerk, 68 Drachmen Fichtenharz aus Kolophon, 168 Drachmen Wachs, 20 Drachmen Galbanum, 50 Drachmen (bei anderen: 10 Drachmen) Grünspan, 4 Drachmen (bei anderen: 8 Drachmen) Myrrhe. (4. Zubereitung, mit Aufltewahrungshinweis:) Koche die Bleiglätte und das Öl, bis es genügend eingedickt erscheint. Nimm das Gefäß (vom Feuer) fort und fuge das Ammonische (Rauchwerk), dann das Harz und dann das Wachs hinzu. Laß jedes von ihnen zergehen, wobei du darauf achtest, daß es nicht anbrennt; nimm wieder (vom Feuer) fort, gib das Galbanum und den Grünspan dazu, setze dann über das Feuer und koche, bis es gelb wird und die rechte Konsistenz bekommt. Nimm zuletzt vom Feuer fort, gibt die Myrrhe dazu und gieße unter Umrühren ab; stecke es in einen Leder(behälter) und verwahre es.

Als Adressaten dieser Anleitung kann man sich sowohl Ärzte als auch Laien vorstellen, denn die Anweisungen sind so ausführlich, daß sie auch ohne Erfahrung befolgt werden könnten - sofern man das Wissen um die Identifizierung der Inhaltsstoffe voraussetzen kann. Der Verfasser hingegen ist ganz offensichtlich ein Fachmann, der sich in diesem Fall sogar ausdrücklich auf andere Fachleute als Quellen beruft, denn er zitiert nicht nur Kriton als Urheber des ganzen Rezepts, sondern führt sogar Varianten innerhalb des Rezepts an: „das einige Aigyptia, andere Aphrodite nennen", „50 Drachmen (bei anderen: 10 Drachmen) Grünspan, 4 Drachmen (bei anderen: 8 Drachmen) Myrrhe". 2 0 Der narrative, fiktionale Kontext des Hexameter-Epos und der streng sachliche Kontext des pharmakologischen Lehrbuches bilden die zwei Enden der Skala möglicher Erscheinungsformen von Heilmittelrezepten. Eine bedeutende Mischform beider, die uns unter dem Aspekt von Galens Kriterien besonders interessieren wird, ist das Lehrgedicht. Ein prominenter Vertreter sei daher den beiden bisherigen Beispielen unmittelbar an die Seite gestellt. Der erste Dichter, von dem wir wissen, daß er heilmittelkundliche Inhalte in Dichtung faßte, ist Nikander (um 130 v. Chr.) mit seinen zwei hexametrischen Gedichten zur Symptomatik und Behandlung von Giften: den Theriaka in 958 Versen über tierische und den Alexipharmaka in 630 Versen über pflanzliche Gifte. Als inhaltliche Vorlage greift Nikander darin auf die uns verlorenen Gifttraktate von Apollodor aus Alexandrien (3. Jh. v. Chr.) zurück, deren Strukturprinzip trotz aller Kunstfertigkeit im Aufbau der beiden Lehrgedichte noch erkennbar

Das Auftreten von Textvarianten beurteilt Galen in der Regel sehr kritisch (siehe unten S. 6870).

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ist. 21 Das erste Heilmittel, das Nikander nach dem Katalog der Schlangen und Gifttiere in den Theriaka anfuhrt, ist ein Allheilmittel (Panakeion), das hier besonders bei frischen Fleischwunden empfohlen wird - und deswegen ausgewählt sei, weil es damit inhaltlich den beiden Beispielen aus der Ilias und aus Galen entspricht. Der Text wird in der Übersetzung nach dem oben skizzierten Struktur-Schema der Heilmittel gegliedert, wodurch sofort einige Unterschiede zu den beiden bisherigen Beispielen deutlich werden (Nikander, Theriaka 493508; ed. Jacques): Των μέν έγώ θρόνα πάντα κα\ άλθεστήρια νούσων φύλλα τε ^ιζοτόμον τε διείσομαι άνδράσιν ωρην, πάντα διαμπερέως κα\ άπηλεγές, οίσιν άρήγων 495 άλθήση νούσοιο κατασπέρχουσαν άνίην. (2) τάς μέν 2τι βλύοντι φόνω περιαλγέι ποίας (4) δρέψασθαι νεοκμήτας - δ γάρ προφερέστατον δλλων - , χώρω ινα κνώπες θαλερήν βόσκονται όν' ΰλην. (3) πρώτην μέν Χείρωνος έπαλθέα £ίζαν έλέσθαι, 500 Κενταύρου Κρονίδαο φερώνυμον, ffv ποτε Χειρών Πηλίου έν νιφόεντι κιχών έφράσσατο δειρη. της μέν άμαρακόεσσα χυτή περιδέδρομε χαίτη, ανθεα δέ χρύσεια φαείνεταν ή δ' ύπέρ αιης £>ίζα καΐ ού βυθόωσα Πελεθρόννον νάπος ΐσχει. 505 (4) ήν σύ κα\ αύαλέην ότέ δ' £γχλοον, δλμω άράξας, φυρσάμενος κοτύλη (5) πιέειν (4) μενοεικέος οινης· (1) παντι γάρ αρκνός έστι· τό μιν πανάκειον £πουσιν. (Vorwort:) Alle Drogen und Heilpflanzen gegen Krankheiten, und die rechte Zeit, ihre Wurzeln zu schneiden, werde ich den Menschen darlegen, [495] alle gründlich und geradeheraus, mit deren Hilfe du den drängenden Schmerz der Krankheit heilst. (2. Indikation:) Für eine noch blutende und schmerzende Wunde (4. Zubereitung, Teil 1:) pflücke die Kräuter frisch - denn das ist das allemützlichste - an einem Ort, wo Schlangen sich im dichten Gehölz nähren. (3. Substanz:) [500] Wähle zuerst die heilende Wurzel des Cheiron, die den Namen des Kentauren, des Sohns von Kronos, trägt, die einst Cheiron, als er auf dem schneebedeckten Joch des Pelion auf sie stieß, bemerkte. Ihre majoranähnlichen wehenden Blätter umgeben sie, und die Blüten scheinen golden; ihre Wurzel, über der Erde [505] und nicht tiefgehend, bewächst das enge Tal Die Struktur beruht auf dem Dreischritt von (a) Nennung (und eventuell genauerer Beschreibung) des Gifttieres bzw. Giftstoffes, (b) Beschreibung der davon hervorgerufenen Vergiftungssymptome (d.h. Indikation des Heilmittels) und (c) Anweisungen zu Herstellung und Anwendung von Heilmitteln. In den Alexipharmaka wird diese Dreischritt-Struktur für jedes einzelne der 22 behandelten Gifte nacheinander angewandt; in den Theriaka hingegen dominiert ein beinahe nach dem „goldenen Schnitt" kunstvoll angelegtes System von Zweiteilungen, so daß zu den beiden großen Abschnitten über Schlangen (21-714) und andere Gifttiere (715-933) jeweils in einem längeren Teil zuerst die Tiere und Symptome beschrieben werden (115-492 und 715-836), bevor dann jeweils in einem kürzeren Teil ein Verzeichnis aller Heilmittel folgt (493-714 und 837-933). Vgl. im einzelnen die Strukturanalyse von Effe (1974).

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von Pelethronion. (4. Zubereitung, Teil 2:) Wenn diese vertrocknet, aber noch grün ist, zerstampfe sie im Mörser, vermische sie mit einer Kotyle angenehmen Weines, (5. Anwendung:) und trinke. (1. Name:) Es ist für alles zuverlässig. Man nennt es Panakeion („Allheilmittel").

Die aus der Ilias-Stelle vertraute „Wurzel des Cheiron" (Χείρωνος ρίζα, v. 500) begegnet hier erneut, versehen mit einer mythologischen Aitiologie, einer gründlichen Beschreibung der Morphologie sowie einer recht genauen Anleitung zur Herstellung des Heilmittels und seiner Anwendung - aber diese sachliche Genauigkeit wird geradezu konterkariert durch das verunklarende üppige Gewand hochpoetisierter und manierierter Hexameterdichtung. Die sprachliche obscuritas geht einher mit einer Umstellung der einzelnen Elemente gegenüber der herkömmlichen Rezeptstruktur. So ist die Namensnennung an den Schluß gestellt; die Anweisung zur Zubereitung ist geteilt und um die Beschreibung des Inhaltsstoffes herum angeordnet. Auch dies folgt jedoch einer inneren Ordnung, denn die Juxtaposition der frischen, noch blutenden Wunde (v. 497) und der Aufforderung, frische Kräuter zu pflücken (v. 498), die noch dazu in einem Unterholz wachsen, in dem sich Schlangen aufhalten (v. 499), unterstreicht die zugrundeliegende Vorstellung einer homöopathischen Medizin, daß sich nämlich Krankheit und Heilmittel in verschiedener Hinsicht ähnlich sein sollen (hier: eine noch blutende, frische Wunde soll erstens durch ganz frisch gepflückte Kräuter behandelt werden; zweitens wachsen die Heilpflanzen eben dort, wo auch die Schlangen leben, welche die Wunde verursacht haben). Die drei bisher betrachteten Beispiele stecken in ihrer Unterschiedlichkeit gleichsam das Spektrum von Rezepturen ab: in der Ilias eine beiläufig erwähnte Heilanweisung, die in dem narrativen Kontext der fiktionalen epischen Erzählung nur eine Nebenrolle als schmückendes Detail spielt, bei Nikander ein Werk der manierierten hellenistischen Dichtung, das sich thematisch auf Schlangenbisse und ihre Heilung konzentriert, zugleich aber in poetisch so stilisiertem Gewand geboten wird, daß die praktische Anwendung in Frage gestellt ist, 22 und schließlich in De compositione medicamentorum per genera ein pharmakologisches Fachbuch des Arztes und Medizinschriftstellers Galen, das im systematischen Kapitel über „zu vielen Zwecken gebräuchliche Pflaster" (πολύχρηστοι £μπλαστροι) neben anderen Rezepturen das „Serapionspflaster" des Kriton anfuhrt.

Vgl. den Kommentar von G o w & Scholfield (1953: 18): „The difference between the two poets [sc. Aratus and Nicander] is that whereas the uninstructed reader may learn a good deal o f astronomy from Aratus, the victim o f snake-bite or poison who turned to Nicander for firstaid would be in sorry plight."

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Diese so divergenten Beispiele wurden bewußt gewählt, um zu verdeutlichen, daß das einzige gemeinsame Kennzeichen der Heilmittelanweisungen die einheitliche Struktur ist. Schon Varianten in dieser Struktur, wie sie bei Nikander beobachtet wurden, sind signifikant für den Umgang mit der Textsorte, weil sie anzeigen, in welchem Maße eine Rezeptur sich nicht mehr primär als Fachtext ausgibt. Nahezu alle anderen Aspekte sind, wie aus der Skizze der Kontexte hervorgeht, extrem unterschiedlich. Das jedoch macht die Textsorte „Rezeptur" so interessant, denn aus der Perspektive einer literaturwissenschaftlichen Pragmatik, die davon ausgeht, daß ohne das Wissen über den Gebrauch eines Textes der hermeneutische Zugang zu ihm verschlossen ist, 23 ergibt sich folgende Ausgangslage für eine Betrachtung der Textsorte „Rezeptur": Die durch die Anforderungen des Gegenstandes vorgegebene Struktur ist weitgehend einheitlich und kann somit sowohl zur Bestimmung der Textsorte als auch zur klaren Zuweisung einzelner Texte zu ihr dienen. Alle anderen Komponenten jedoch, die einen Text ausmachen, sind äußerst variabel und können unterschiedlichsten Kategorien angehören: als Gattung kommt fiktionale Dichtung ebenso vor wie Fachtext, als Form Prosa ebenso wie Vers (und zwar in großer metrischer Vielfalt: Hexameter, Distichen, Iamben), als Autoren und Leser Fachleute ebenso wie Laien (mit jeweils unterschiedlichen Graden an Vorwissen zu Pflanzenbestimmung, pharmazeutischen Herstellungsmethoden, medizinischer Diagnostik), in der Gewichtung kann die Rezeptur Haupt- oder Nebensache im Kontext sein, die Rezeptionserwartung kann von Unterhaltung bis Belehrung reichen, und vieles andere mehr. Die drei bisher behandelten Beispiele lassen sich tabellarisch nach verschiedenen Kriterien wie folgt vergleichen:

Vgl. die von Müller ( 2 2001: 5 27f.) gegebene Definition: „Eine literaturwissenschaftliche Pragmatik untersucht entsprechend die Bedingungen und Formen möglicher und realer Verständigung mittels Literatur, speziell etwa die möglichen Wirkungsabsichten, die konkreten, historisch feststellbaren Wirkungen und die realen wie potentiellen Wirklichkeitsbezüge von Texten. Letztlich geht es auch ihr um die Darlegung des maßgeblichen, Bedeutung erst konstituierenden Weltbildes. Im Unterschied zu einer Universal-Pragmatik ist literaturwissenschaftliche Pragmatik gewöhnlich an den Bedingungen konkret historischer und kulturell geprägter Verständigung interessiert. Sie untersucht die Sprech- bzw. Schreibsituationen, die für ganz bestimmte Personen in spezifischen Epochen und bei Verwendung konkreter Gattungen gelten, und fragt etwa danach, zu welchen Handlungen, Reaktionen usw. ein Text Leser explizit oder implizit auffordert. Diese Rezeptionshandlungen sind nur zum Teil durch den Text initiiert, zum anderen sind sie bestimmt durch die Verstehens- und Erwartungshorizonte, die die Rezipienten an den Text herantragen. Erst beides zusammen, Textzeichen und die biologisch wie kulturell geprägte Kompetenz zu ihrer Verarbeitung, ermöglicht Verstehen."

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Sabine Vogt Ilias-Stelle

Galen

Nikander

Autor

Laie

Fachmann

Laie (basiert auf Fachmann: Apollodor)

Adressat

Laie

Fachmann (und Laie)

Laie

Form

Hexameter

Prosa

Hexameter

Gattung

narratives Epos

sachlicher Fachtext

(„formales") 24 Lehrgedicht

Stil

knapp, sachlich, klar

ausführlich, sachlich, klar

langatmig, unklar; manierierte hellenistische Dichtung

Kontext

nebensächliches Motiv in erzählter Episode

eines von zahlreichen Rezepten, die hauptsächlicher Gegenstand der Fachschrift sind

bewußt gesuchter Stoff als Demonstrationsobjekt fiir virtuose poetische Form

Umsetzbarkeit

Medikament anwendbar, sofern vorhanden

Medikament herstellbar und anwendbar

erst nach „Übersetzung" und systematischer Umstellung herstell- und anwendbar

Die Liste der Kriterien ließe sich beliebig verlängern, um eine möglichst genaue Abgrenzung der drei Beispiele untereinander und eine möglichst differenzierte Bestimmung ihrer jeweiligen Pragmatik zu erzielen. Ebenso ließe sich selbstverständlich die Liste der Beispiele verlängern, so daß eine größere Menge an Material und eine größere Genauigkeit in seiner Auswertung möglich wäre. Beides würde jedoch den hier gegebenen Rahmen sprengen, weshalb statt dessen eine Fokussierung auf einen bei Galen gewählten Kriterienkomplex vorzuziehen ist.

3. Galens Bewertungskriterien Dank Galen sind wir in der glücklichen Lage, die Bewertung eines „idealen Lesers" bzw. „idealen Nutzers" einiger Texte der Textsorte „Rezeptur" überliefert zu haben, so daß die Kritierien an seinen Maßstäben gemessen werden können. Denn die größte Anzahl von Rezepturen kaiserzeitlicher griechischer Ärzte kennen wir überhaupt nur, weil Galen sie in seinen drei pharmakologi-

In der eingangs erwähnten Typologie von Effe (1977: 56-65) gehört Nikander zum Typus des „formalen Lehrgedichts", in dem der Gegenstand letztlich nebensächlich ist, weil es dem Dichter vor allem auf die poetische Form ankommt. Je schwieriger die Materie, d.h. je größer die Herausforderung an den Dichter, desto eindrucksvoller kann er seine poetische Kunst beweisen.

Lehrdichtung im Urteil Galens

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sehen Werken zu den Heilmitteln aus Composita zitiert. 25 Und nicht nur zitiert: Galen entwickelt auch Kriterien zu ihrer Beurteilung, die vor allem an Bedürfnissen der medizinischen Prais orientiert sind, aber auch allgemeine literarästhetische Kriterien mit einbeziehen, und damit gleichsam die Frage zu beurteilen helfen, was ein guter pharmazeutischer Fachtext ist - „gut" verstanden im umfassendsten Sinne von brauchbar sowohl in medizinischer als auch sprachlicher und formalästhetischer Hinsicht. Nicht zufällig verwendet Galen in diesem Zusammenhang immer wieder χρήσιμον als hauptsächliches Kriterium und wichtigstes Ziel, womit unmittelbar an das utile der antiken Rhetorik erinnert ist. 26 Galens Kriterien seien im folgenden an einem Beispiel vorgeführt, das dazu besonders geeignet ist: In der Schrift De antidotis vergleicht Galen drei inhaltsgleiche Rezepturen zum sogenannten Theriak, einem prophylaktisch einzunehmenden Gegengift gegen giftige Tierbisse und andere Vergiftungen, das auch als allgemeines Stärkungsmittel Anwendung fand. Die kürzeste dieser drei Rezepturen stammt von Andromachos dem Jüngeren (Galen, De ant. I 6 [XIV 42 Kühn]): ό δέ υίός αύτοΰ κατά τήν φαρμακΐτιν βίβλον, ην των έντός έπιγράφει, ταύτην έποιήσατο τήν γραφών, λέξει πεζή χρησάμενος. άντίδοτος ή καλουμένη Γαλήνη, πρός πδν πάθος έντοσθίδιον, μάλιστα πρός τά τοΰ στομάχου πάθη καΐ πρός τά θανάσιμα καΐ περιόδους. Άρτίσκων σκιλλητικών Ζ. μη', άρτίσκων θηριακών L κδ'. μάγματος ήδυχρόου, πεπέρεως μέλανος, ανά L κδ'. όπίου L κδ'. £όδων ξηρών, σκορδίου Κρητικού, βουνιάδος σπέρματος, 'ίρεως 'Ιλλυρικής, άγαρικοΰ ποντικού, κινναμώμου, γλυκυρρίζης χυλοΰ, όποβαλσάμου άνά L ιβ'. σμύρνης, κρόκου, ζιγγιβέρεως, ρήου Ποντικού, πενταφύλλου £ίζης, νεπέτου, οΰτως οί 'Ρωμαίοι τήν καλαμίνθην όνομάζουσι, πρασίου, πετροσελίνου, στοιχάδος, κόστου, πεπέρεως λευκοΰ, καΐ μακρού, δικτάμνου Κρητικού, σχοίνου άνθους, λιβάνου, τερμινθίνης, κασσίας σύριγγος, νάρδου 'Ινδικής, άνά L ς', πολίου Κρητικού, σεσέλεως, στύρακος, θλάσπεως, αμμεως, χαμαίδρυος, χαμαιπίτυος, ύποκιστίδος, χυλοΰ μαλαβάθρου, νάρδου Κελτικής, γεντιανής βίζης, άνισου, μείου άθαμαντικοΰ, μαράθρου σπέρματος, Λημνίας μίλτου, χαλκίτεως όπτής, άμωμου, άκόρου, φοΰ Ποντικού, βαλσάμου καρποΰ, ύπερικοΰ, άκακίας, κόμμεως, καρδαμώμου, έκάστου L δ', δαύκου σπέρματος, χαλβάνης, σαγαπηνοΰ, όποπάνακος, άσφάλτου, καστορίου, κενταυρίου λεπτοΰ, άριστολοχίας λεπτής, έκάστου L β', μέλιτοςΆττικοΰ L ρν', τοΰ δέόρόβου L π.

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Es sind dies die Schriften De composilione medicamentorum secundum locos, De compositione medicamentorum per genera und De antidotis. Eine genaue Bestandsaufnahme der darin zitierten Rezepte älterer Ärzte und Pharmazeuten unternimmt Fabricius (1972). So beispielsweise Galen, De comp. med. per gen. V 10 (XIII 820 Kühn), VII 8 (XIII 988 Kühn), De ant. II 2 (XIV 115 Kühn). - Gemäß der berühmten horazischen Einteilung aut prodesse volunt aut delectare poetae /aut simul et iueunda et idonea dicere vitae (Horaz, Ars poetica 333f.) setzt sich die Lehrdichtung, wie die Fachliteratur, als primären Zweck den Nutzen in Form von Belehrung.

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Sabine Vogt

Sein Sohn [= Andromachos d. J.] hat in dem Arzneimittelbuch, das er „Arzneimittelbuch der inneren Krankheiten" betitelt, folgendes Rezept verfaßt, und zwar unter Benutzung der Prosaform: (1. Name:) Das „Galene" genannte Antidot, (2. Indikation:) gegen jedes innere Leiden, besonders aber gegen Magenleiden, gegen tödliche Gifte und Wechselfieber. (3. Zusammensetzung:) Meerzwiebelpastillen 48 Drachmen; Theriakpastillen 24 Drachmen, aromatische Paste und schwarzer Pfeffer, je 24 Drachmen; Mohnsaft 24 Drachmen; getrocknete Rosen, kretischer Waldgamander, Rapssamen, illyrische Iris, pontischer Lärchenschwamm, Zimt, Saft der Süßholzwurzel, Saft des Balsambaumes je 12 Drachmen; Myrrhe, Safran, Ingwer, pontischer Rhabarber, Wurzel vom Fünffingerkraut, Nepeta (so nennen die Römer die Minze), Andorn, Petersilie, Stoichas, Kostwurz, weißer Pfeffer und langer Pfeffer, kretischer Diptam, Binsenblüten, Weihrauch, Terpentin, CassiaRohr, indische Narde, je 6 Drachmen; kretisches Polium, Seseli, Styrax, Hirtentäschelkraut, Ammi, Chamaedrys, Chamaepitys, Hypocystis, Saft von Malabathrum, keltische Narde, Enzianwurzel, Anis, Bärenwurz, Fenchelsamen, lemnischer Rötel, gebranntes Kupfererz, Amomum, Acorum, pontisches Phu, Frucht vom Balsambaum, Johanniskraut, Akazie, Gummi, Kardamomen, je 4 Drachmen; Möhrensamen, Galbanum, Sagapenum, Opopanax, Erdharz, Bibergeil, feines Tausendgüldenkraut, feine Osterluzei, je 2 Drachmen; attischer Honig 150 Drachmen; bittere Erve, 80 Drachmen. Das Rezept des Andromachos beschränkt sich auf Name, Indikation und Zusammensetzung und kann nur von einem Fachmann umgesetzt werden, der über hinreichende pharmazeutische und medizinische Kenntnisse verfügt, um aus diesen Angaben ein Medikament überhaupt erst herzustellen und es dann auch dem Patienten in richtiger Dosierung zu verabreichen, über die hier kein Wort geäußert wird. Ein Großteil der von Galen zitierten Rezepturen älterer Ärzte und Pharmazeuten folgt diesem Schema, wobei oft sogar die Mengenangaben in der Zusammensetzung weggelassen sind, so daß der Arzt, der das Rezept anwenden will, auch hierüber eigene Kenntnisse benötigt. Mit dieser Rezeptur vergleicht Galen nun zwei in Versen verfaßte inhaltsgleiche Theriak-Rezepturen: 87 elegische Distichen von Andromachos dem Älteren und 173 iambische Trimeter von Servilius Damokrates. Zunächst drei Auszüge aus dem Gedicht von Andromachos dem Älteren (Galen, De ant. I 6 [XIV 32-42 Kühn]; ed. Heitsch): Κλΰθι πολυθρονίου βριαρόν σθένος άντιδότοιο, Καίσαρ, άδειμάντου δώτορ έλευθερίης, κλϋθι Νέρων (1) ίλαρήν μιν έπικλείουσι Γαλήνην εΰδιον, η 27 κυανών ούκ δθεται λιμένων, In Vers 4 folge ich der Emendation von Schneider (1858), der statt des überlieferten und von Heitsch übernommenen Nominativs η, welcher einen Subjektwechsel nötig macht, den Dativ rj liest. Diese syntaktische Konstruktion ist die lectio facilior und hat zudem, wie Schneider (1858: 32) erläutert, eine gute Parallele in v. 25 und v. 59f.

Lehrdichtung im Urteil Galens

(2) ούδ' ε'ιτις μήκωνος άπεχθέα δράγματα θλίψας χανδόν ύπέρ στυγνής χείλος ϊχει κύλικος, ούδ* εί κώνειου πλήσει γένυν ούκ άκονίτου μέμψεται, ού ψυχροΰ χυλόν ύοσκυάμου, οΰ θερμήν θάψον τε και ώκύμορον πόμα Μήδης, ούδέ μέν αίμηρών 2λκεα κανθαρίδων, ού ζοφερής £χιός τε καΐ άλγεινοΐο κεράστου τύμματα, και ξηρής διψάδος ούκ άλέγοι.

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[...] Πρώτα μέν άγρεύσαιτο κακήθεας έμπέραμος φώς τολμηρή μάρπτων χειρ! θοούς δφιας, τούς ήδη κρυεροΰ άπό χείματος ούκέτι γαίης κρύπτουσι στεινοί πάμπαν 2νερθε μυχοί, είαρινήν δ' έφ' δλωα χυτόν βόσκονται άν' άλσος διζόμενοι χλοερού σπέρμα λαβείν μαράθου, όξυτέρην τό τίθησιν έφ' έρπηστήρσιν όπωπήν πιαΐνον δειλοΐς αλγεα βουπελάταις. των δ* αύτών ούράς τε κα\ ιοβόλους άπό κόρσας τάμνοις και κενεάς γαστέρας έξερύοιςούλα γαρ άμφοτέρωθε φέρει έπ\ τύμμασιν αχθη λυγρόν ύπ' ούραίην ιόν 'έχων φολίδα τούνεκά οί τμήσαιο κατ' αύχένα ήδέ κατ' ακρα δσσον πυγμαίης χειρός £νερθε βάθος· λοίγια δέ σταλάουσι συν αι'ματι, των άπό πέζαν έκτος 'έχων ίλαρήν δέξεαι άντολίην.

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Ίλήκοις δς τήνδε μάκαρ τεκτηναο, Παιών, εϊτε σε Τρικκαΐοι, δαΐμον, £χουσι λόφοι ή 'Ρόδος ή Βούρινα και άγχιάλη 'Επίδαυρος, ίλήκοις, ίλαρήν δ' αίέν ανακτι δίδου παΐδα τεήν Πανάκειαν· ό δ' εύαγέεσσι θυηλαΐς ίλάσεται τήν σήν αίέν άνωδυνίην.

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Vernimm die starke Kraft des aus vielen Heilmitteln bestehenden Antidots, / ο Kaiser, du Spender furchtfreier Freiheit, / vernimm sie, Nero: (1. Name:) man nennt sie die heitere, sonnige Galene, / durch die sich nicht um dunkle Häfen sorgt, / (2. Indikation:) wer die verhaßten Büschel des Mohns ausgepreßt hat / [5] und seine Lippen gierig an den schrecklichen Kelch legt, / auch nicht, wer seinen Mund mit Schierling füllt. Des Eisenhuts Saft / wird er nicht tadeln, nicht den des kalten Bilsenkrauts / und nicht das warme Gelbholz, nicht den schnell tötenden Trank der Medea, / [10] auch nicht die Stiche der blutigen spanischen Fliegen, / und um die Bisse der dunklen Viper und der schmerzhaften Hornschlange / und der trockene Giftschlange kümmert er sich nicht. [...] (4. Zubereitung:) [77] Zunächst soll der kundige Mann die bösartigen, schnellen Schlangen fangen, / indem er sie mit mutiger Hand ergreift, / nach dem frostigen Winter verbergen sie nicht mehr / [80] unter der Erde ganz enge Schlupfwinkel. / Zur Zeit der Frühlingssonne nähren sie sich im belaubten Hain, / indem sie die Samen des grünen Fenchels zu erlangen suchen. / Dieser

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verleiht den Kriechtieren eine schärfere Sehkraft, / indem er gleichzeitig den beklagenswerten Hirten die Schmerzen verstärkt. / [85] Ihre giftigen Schwänze und Köpfe schlage ab / und weide den Bauchraum aus. / Denn mit beiden bringt sie bei den Verwundungen grausame Schmerzen bei. / Sie hat nämlich das verderbliche Gift unter ihren Schwanzschuppen. / Deswegen schneide ihr am Hals und Schwanzende / [90] soviel ab, wie der Breite einer Faust entspricht. / Mit dem Blut verlieren sie die verderblichen Stoffe. / Wenn du davon deinen Fuß / fernhältst, wirst du heiter die Sonne aufgehen sehen. [...] Sei gnädig, heiliger Paian, der du dieses Antidot bereitet hast, / [170] sei es, Gottheit, daß du auf den Hügeln von Trikka weilst, / oder auf Rhodos oder bei der Quelle Burina oder im meernahen Epidauros. / Sei gnädig, und gewähre stets heiter dem Herrscher / deine Tochter Panakeia. Er aber wird heilige Dankopfer / darbringen für die von dir stets gewährte Schmerzlosigkeit. In den ausgelassenen Versen 13 bis 76 werden weitere Gifttiere aufgezählt, bis dann mit Vers 77 die Zusammensetzung und Zubereitung des Theriak beginnt, zunächst mit der hier wiedergegebenen Anleitung zur Gewinnung des Schlangenfleisches. Die Fortsetzung der Anweisung zur Zubereitung der Pastillen aus Brot, Schlangenfleisch und Kräutern (vv. 93-194) wurde wieder ausgelassen; zitiert ist hingegen die abschließende Anrufung Apollons als Paian (vv. 169174). Es folgen die entsprechenden Partien aus den 173 iambischen Trimetern des Servilius Damokrates (Galen, De ant. I 15 [XIV 90-102 Kühn]): 28 Τάς άντιδότους 2χε προπαρεσκευασμένας, πρός πάνθ' άπλώς τά φαΰλα δηλητήρια, ων καΐ χάριν δοκοΰσιν εΰρεσιν λαβείν, καΐ τοις θανασίμοις άντιδώσεις φαρμάκοις. προδιδούς τι τοις £χουσιν ύπόνοιάν τινα, μή μετά τροφήν τις φάρμακον φαυλον λάβη, έπι τη τροφή τε. προσφέρεις δ' δταν δοκή άναιρετικόν τις μετά τροφήν εϊληφέναι, έμέσαντι πάντως τήν προσενεχθεΐσαν τροφήν, και δ\ς δέ διδόναι και τρις αύτάς επίτρεπε, δταν μένη σημεία φαύλων φαρμάκων. δώσεις δέ καΐ τοις έντυχοΰσιν έρπετοΐς, των Ιοβόλων τε θηρίων τοις δήγμασιν, ΰδρων, κεραστών, ασπίδων, καΐ διψάδων, καΐ τών έχιδνών, τών τε λυσσώντων κυνών. καΐ γαρ τά τούτων έστί φαΰλα δήγματα, τών τ' έκ θαλάττης ιοβόλων πάντων άπλώς, και τών τε λεπτών λεγομένων θηραφίων σφηκών, μελιττών, σκορπιών, άνθηδόνων, φαλαγγίων τε θανασίμων, και μυγαλής. 98

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Zitiert nach meiner in Vorbereitung befindlichen Edition der Damokrates-Fragmente.

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[...] λαβών έχίδνας τάς αληθείς τοΰ θέρους τάς άρτιθήρους, τάς μεγάλας ώς εϊίκοσι, μικρω τε πλείους, ού γάρ έστ' αυτών πολΰ, δ δει λαβόντας σκευάσαι τό φάρμακον, των μέν κεφαλών άπόκοψον, ώς τρεις δακτύλους, μικρω τε πλείους των άπό της ουράς μερών, πρώτον κεφαλάς μέν, είτα τάς ουράς τότε. τοΰτο δέ ποιεΐν δει προσφάτων ζωσών τ' Ετι,

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Halte gebrauchsfertige Antidote auf Lager / (2. Indikation, Teil 1:) gegen alle unheilvollen Gifte ohne Ausnahme, / um deretwillen man sie auch erfunden zu haben scheint. / Du wirst sie auch gegen tödliche Arzneien verabreichen, (5. Dosierung, jeweils an besondere Indikation angepaßt:) wobei du / [5] vorab denen etwas gibst, die einen Verdacht haben, / daß einer nach dem Essen ein unheilvolles Gift zu sich nimmt, / oder unmittelbar dabei. Wenn einer nach dem Essen etwas Giftiges genommen zu haben scheint, so ordne an, es zu verabreichen, / nachdem er die zugeführte Nahrung vollkommen ausgespien hat, / [10] und ordne an, daß man ihm zwei- oder dreimal die Antidote gibt, / wenn noch Anzeichen böser Gifte geblieben sind. / (2. Indikation, Teil 2:) Du wirst es auch denjenigen geben, die in Schlangen getreten sind / und Bisse von giftigen Tieren erlitten haben, / von Wasserschlangen, Hornschlangen, ägyptischen Kobren, dursterregenden Schlangen, / [15] von Nattern und tollwütigen Hunden. / Denn auch die Bisse von diesen Tieren sind unheilvoll / sowie auch die aller giftigen Tiere, die im Meere leben, / und von den sogenannten feinen Insekten, / den Wespen, Bienen, Skorpionen, Honigbienen, / [20] der tödlichen Giftspinne und der Spitzmaus. [...] (4. Zubereitung:) [66] Nimm im Sommer die echten Schlangen, / die eben erst gefangenen, großen, etwa zwanzig / oder etwas mehr, denn es gibt nicht viele von ihnen. / Das muß man nehmen, um das Arzneimittel herzustellen. / [70] Schlage etwa drei Finger breit von deren Kopfenden ab, / und etwas mehr vom Schwanzende. / Zuerst die Köpfe, dann die Schwänze. / Das muß man tun, wenn sie frisch sind und noch leben. Nach dem ersten zitierten Teil werden bis Vers 60 weitere Indikationen mit Dosierungsanweisungen aneinandergereiht. Eine kurze Überleitung (vv. 61-65) führt zur Anleitung der Herstellung (vv. 66-173), die systematisch in einzelnen Schritten erläutert wird, nur an einer Stelle kurz unterbrochen durch einen knappen und sachlichen Bericht vom Tod des Mithridates durch das Schwert, da er gegen Gift immun war (vv. 99-106). Schon ein sehr oberflächlicher Vergleich zwischen diesen drei Rezepturen macht deutlich, daß sich ein größerer Kontrast in der Darstellung desselben Gegenstandes kaum denken läßt. Wo Andromachos mit einer Widmung an Kaiser Nero beginnt, geht Damokrates medias in res. Die Indikationen sind von Andromachos in erhabener, poetisch stilisierter Sprache gehalten: typisch dafür sind die Todes-Metapher der „dunklen Häfen" (v. 4) und die mythische Anspie-

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lung auf den „schnell tötenden Trank der Medea" (v. 9). Der ganze Abschnitt hat die kunstvolle Form der anaphorischen Verneinung, in der sich ab Vers 4 ού und ούδέ, meist pointiert zu Versbeginn, abwechseln. Auch die Wortwahl ist erlesen und lehnt sich im weiteren Verlauf des Gedichtes teilweise sogar direkt an Nikanders Theriaka an. Das Gegenteil solcher bewußten Poetisierung findet sich bei Damokrates: schlichte Sprache ohne Epitheta, weitgehend parataktischer Satzbau - dafür aber andererseits eine sehr viel höhere Dichte an medizinisch hilfreichen Informationen: genaue Dosierungsanweisungen für differenzierte Indikationen; bei der Beschreibung der Schlangentötung exakte Angaben zur Länge („drei Finger breit von deren Kopfende und etwas mehr vom Schwanzende", v. 70f.) und zur Reihenfolge der Arbeitsgänge („zuerst die Köpfe, dann die Schwänze", v. 72). Schon diese ersten Beobachtungen weisen also auf sehr unterschiedliche Intentionen der Verfasser hin. Dies ist auch die Grundlage für die Bewertung durch Galen. Für sein Urteil ist bereits die Reihenfolge wichtig, in der er die Texte im ersten Buch von De antidotis zitiert: zunächst die Distichen von Andromachos dem Älteren (De ant. I 6 [XIV 32-42 Kühn]), direkt im Anschluß daran das Prosa-Rezept von Andromachos dem Jüngeren (De ant. I 7 [XIV 42f. Kühn]) und erst nach einer langen kommentierenden Passage, in der er alles erläutert, was ihm in diesen beiden Rezepturen fehlt (De ant. 17-15 [XIV 43-90 Kühn]) abschließend die Trimeter des Servilius Damokrates (De ant. I 15 [XIV 90-99 Kühn]). Galen läßt keinen Zweifel daran, daß diese Reihenfolge eine qualitative Klimax darstellt. Seine Begründungen dafür stehen in den verbindenden Passagen und lassen drei hauptsächliche Kriterien erkennen: μνήμη, ακρίβεια und σαφήνεια. Das erste dieser Kriterien ist das von Galen am häufigsten genannte, das Heinrich von Staden in seiner maßgeblichen Untersuchung von 1998 über „Gattung und Gedächtnis. Galen über Wahrheit und Lehrdichtung" als wichtigsten Aspekt hervorgehoben hat. Auf diese Ausführungen sei hier nachdrücklich verwiesen, so daß nur noch kurz resümiert zu werden braucht, welche Bedeutung Galen dem Begriff μνήμη beimißt. Galen verbindet damit nicht nur - wie zu erwarten - die Einprägsamkeit in das Gedächtnis, sondern auch eine größere Sicherheit der schriftlichen Überlieferung, wie aus der Einleitung des ersten der drei Theriak-Rezepte hervorgeht (De ant. I 5 [XIV 31.9-32.11 Kühn]): [...] τη σκευασία [...], έφ' ήν ηδη μεταβήσομαι, προσγράψας τήν συμμετρίαν των μιγνυμένων άλλήλοις απλών φαρμάκων, έπεί δ' £νιαι κακώς είσι γεγραμμέναι, τινών μέν έν τω τοις αΐτήσασι διδόναι τάς γραφάς έκοντι ψευδόμενων, ένίων δέ και διαστρεφόντων δ παρά τίνων £λαβον αντίγραφα, τά δέ δή βιβλία τά κατά τάς βιβλιοθήκας άποκείμενα, τά τών αριθμών έχοντα σημεία, ραδίως

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διαστρέφεται, τό μέν πέντε ποιούντων έννέα, καθάπερ καΐ τό ο, τό δέ ιγ , 2 9 προσθέσει μιας γραμμής, ώσπερ γε καΐ άφαιρέσει μιας έτέρας. δια τοΰτο έγώ, καθάπερ ό Μενεκράτης έγραψε βιβλίον, έπιγράψας όλογράμματα αύτοκράτορος, καθότι τά μέν ζ, δια δυοΐν γέγραπται συλλαβών, ού δια του ζ μόνον, τά δέ κ δια τριών, ού διά του κ μόνον, τά δέ τριάκοντα δια τεττάρων, ού διά του λ μόνον, καΐ ταλλα όμοίως, οΰτω ποιήσω καΐ αύτός. έπαινώ δέ καΐ τόν Άνδρόμαχον έμμέτρως γράψαντα τήν θηριακήν αύτήν, ώσπερ και άλλοι τινές, ό δέ Δαμοκράτης καΐ ταλλα πάντα διά μέτρων 2γραψεν όρθώς ποιήσας. ήκιστα γάρ οί πανούργοι δύνανται διαστρέφειν αυτά. και πρώτόν γέ σοι τήν έκείνου γραφήν 2μμετρον ένταΰθα παραθησόμεθα. Nunmehr werde ich zur Zubereitung übergehen und fuge das gehörige Mischungsverhältnis der einfachen Heilmittelsubstanzen hinzu. Gewisse Gegenmittel sind mangelhaft schriftlich niedergelegt worden, weil manche Leute beim Übergeben der Rezepte an diejenigen, die sie darum gebeten haben, vorsätzlich lügen, während andere auch die Abschriften, die sie von gewissen Leuten erhalten haben, verdrehen. Und die in den Bibliotheken aufbewahrten Bücher, diejenigen mit den Zahlzeichen werden leicht entstellt, denn manche machen die fünf (ε') - wie auch die 70 (o') - zu einer neun (θ'), und die 13 (ιγ')