This volume presents a collection of published and unpublished writings on the philosophy and theology of Søren Kierkega
308 91 2MB
German Pages 566 Year 2014
Table of contents :
Vorwort
A. Einleitung: Zur Einheit des Gesamtwerkes
1. Søren Kierkegaard als Klassiker der Theologie. Zugleich eine Einführung in Leben, Werk und Wirkung des religiösen Schriftstellers
B. Reflexion und Aneignung: Was ist Christentum in Wahrheit?
I. Zum philosophischen Kontext der Leitfrage
2. Philosophie als Existenzwissenschaft. Empirismuskritik und Wissenschaftsklassifikation bei Søren Kierkegaard
3. „Er ist geglaubet in der Welt.“ Erkenntnistheoretische Aspekte in Kierkegaards Christlichen Reden
4. Das Schöne und das Interessante. Grundzüge der Ästhetik Søren Kierkegaards
5. Aesthetic Nihilism. The Dialectic of Repetition and Non-Repetition in Nietzsche and Kierkegaard
6. Das Beanspruchte und das Verdankte. Zur Idee der Selbstverwirklichung im Anschluss an Søren Kierkegaard
7. To Believe is to Be. Reflections on Kierkegaard’s Phenomenology of (Un-) Freedom in The Sickness unto Death
8. Can Implies Ought. Kierkegaard’s Critique of Kant’s Deontic Logic
9. Der grausame Gott. Kierkegaards Furcht und Zittern und das Dilemma der Divine-Command-Ethics
10. Du sollst, denn du kannst. Zur Selbstunterscheidung der christlichen Ethik bei Søren Kierkegaard
II. Zum theologischen Kontext der Leitfrage
11. ,Gott selbst ist ja dies: welcherart man sich mit ihm einlässt.‘ Subjektivität und Objektivität dogmatischer Reflexion bei Søren Kierkegaard
12. Kierkegaard on Providence and Foreknowledge. A Critical Account
13. Jener überaus zählebige Missstand. Irrtum und Wille im Sündenbegriff der „Krankheit zum Tode“
14. Second Immediacy. Reflections on Kierkegaard’s Concept of Faith
C. Aneignung und Reflexion: Ist das Christentum wahr?
15. A Phenomenological Proof ? The Challenge of Arguing for God in Kierkegaard’s Pseudonymous Authorship
16. Christologie als Apologie. Zur vernünftigen Verteidigung des christlichen Glaubens bei Anselm und Kierkegaard
17. Eines wollen können. Über Christentum und intellektuelle Redlichkeit im Anschluss an D.F. Strauß und S. Kierkegaard
18. Kierkegaard and the Problem of Miracles
19. Das entfallene Herz. Zur Dialektik der Anfechtung bei Søren Kierkegaard
Bibliografie
Nachweise der Erstveröffentlichungen nach den Originaltiteln
Namensregister
Sachregister
Kierkegaard Studies Monograph Series 28
Kierkegaard Studies Edited on behalf of the
Søren Kierkegaard Research Centre by Heiko Schulz, Jon Stewart and Karl Verstrynge in cooperation with Peter Sˇajda
Monograph Series 28 Edited by Heiko Schulz
De Gruyter
Heiko Schulz
Aneignung und Reflexion II. Studien zur Philosophie und Theologie Søren Kierkegaards
De Gruyter
Kierkegaard Studies Edited on behalf of the Søren Kierkegaard Research Centre by Heiko Schulz, Jon Stewart and Karl Verstrynge in cooperation with Peter Sˇajda Monograph Series Volume 28 Edited by Heiko Schulz Die Drucklegung dieser Arbeit wurde durch einen Druckkostenzuschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglicht.
ISBN 978-3-11-026615-3 e-ISBN 978-3-11-026710-5 ISSN 1434-2952 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. 쑔 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen 앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier 앪 Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort 1. „Welches Problem wollen Sie lösen – und wessen Problem ist das?“ Mit dieser lakonischen Zwischenfrage unterbrach vor Jahren ein naturwissenschaftlicher Kollege mein beflissenes, doch offenkundig allzu weitschweifiges Bemühen, ihm die Umrisse eines geplanten Forschungsvorhabens zu erläutern. Dank einer Vielzahl, teils durchaus ernüchternder akademischer Erfahrungen hat sich für mich im Verlauf der letzten Jahre ein Verdacht bestätigt, der den kritischen Zwischenruf meines Kollegen seinerzeit motiviert haben mag, ihn zu artikulieren in der Sache jedenfalls nahelegt: der Verdacht nämlich, dass zumindest im Bereich der geisteswissenschaftlichen Forschung ein Problembewusstsein häufig fehlt, das in die präzise Beantwortung der beiden o.g. Teilfragen münden bzw. diese allererst ermöglichen würde. Unter dieser Voraussetzung lohnt die gelegentliche Erinnerung daran, dass sich Wissenschaft zu allen Zeiten, erst recht aber unter ihren modernen und postmodernen Formations- und Verwertungsbedingungen im Horizont (mindestens) zweier Kategorienpaare situiert – und situieren muss: Wahrheit und Falschheit, Relevanz und Irrelevanz. Nun sollte man sich hüten, nach Relevanz zu schielen – oder diese mit Relevanzprätention zu verwechseln: Das weithin beobachtbare Buhlen um öffentliche Bedeutsamkeitsattestierung bezüglich eigener Forschungsleistungen und -ergebnisse ist nämlich abgesehen von der einigermaßen delikaten Frage, woran deren tatsächliche Bedeutung und Tragweite in concreto festzumachen wären (momentan stehen bekanntlich Parameter wie Drittmittelvolumen und Zitatranking hoch im Kurs), auf Seiten der Betroffenen jederzeit sicherer Indikator für einen kaum eingestandenen, weil nicht selten berechtigten Irrelevanzverdacht. Doch abusus non tollit usum. Daher scheint gerade im Kontext der geisteswissenschaftlichen Forschung eine gelegentliche Erinnerung an die Relevanz der Relevanzfrage alles andere als überflüssig. Wollte hier jemand mit dem Hinweis auf die vermeintliche Normativität des Faktischen kontern (,es gibt uns noch, also muss, was wir tun, als relevant gelten können‘), so dürfte er oder sie ohne Weiteres als töricht oder weltfremd (oder beides) durchgehen: Wie die Hochschulpolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte nachdrücklich vor Augen führt, können sich die Dinge – ob zum Schlechteren, sei dahingestellt –
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Vorwort
sehr rasch ändern, z. B. im Sinne der Abwicklung ganzer Standorte und Fächerkulturen. Die Frage, ob das, womit sich Theologen, Religionsphilosophen und/ oder Kierkegaardforscher beschäftigen, irgendeine (theoretische, existentielle, gesellschaftliche, wissenschaftshistorische bzw. -politische etc.) Relevanz besitzt, verweist indes lediglich auf einen Teilaspekt dessen, was zum Beurteilungsbereich von Forschungsarbeiten im Kontext der sog. humanities gehört. Denn wie die Erfahrung lehrt, ist keineswegs jeder, der die genuin kontextuelle Frage im beschriebenen Sinne zu beantworten wüsste, auch willens und imstande, eine hinreichend präzise Identifizierung des jeweils zur Rede stehenden Problems an sich zu liefern. Dieser letzteren Identifikationsleistung liegt die Beantwortung zweier organisierender Leitfragen, erstens einer hermeneutischen und zweitens einer epistemischen, zugrunde; bezogen auf das Arbeitsfeld des Kierkegaardinterpreten lauten sie: (1) Entspricht das, was jemand als genuin Kierkegaardsche Gedanken wiederzugeben beansprucht, dem, was dieser in Wahrheit denkt? 1 (2) Ist das, was Kierkegaard in Wahrheit denkt, wahr, mindestens aber rational bzw. rechtfertigungsfähig? So gesehen muss auch der Kierkegaardinterpret – wie jeder andere Geisteswissenschaftler, der vorzugsweise mit sachtextaffinen Referenzquellen befasst ist – mindestens dreifach, nämlich hermeneutisch, epistemisch und kontextuell sensibel sein. Rein kombinationslogisch ergibt sich hieraus eine begrenzte Mannigfaltigkeit von Optionen (siehe Tabelle auf Folgeseite). Diese Kombinationsvarianten im Einzelnen zu diskutieren ist hier nicht der Ort;2 als Faustregel genügt der simple Hinweis, dass nicht alles (epistemisch und/oder hermeneutisch) Wahre relevant bzw. umgekehrt nicht alles Irrelevante (epistemisch und/oder hermeneutisch) falsch sein muss. Worauf es mir anstelle der Detailanalyse einzig und allein ankommt, ist die grundsätzliche, auf den ersten Blick möglicherweise trivial anmutende Erinnerung daran, dass man, um die ,Sachgemäßheit‘ einer (hier: Kierkegaard-)Interpretation ,sachgemäß‘ bewerten zu können, als 1 2
Es versteht sich von selbst, dass einer entsprechenden Analyse subsidiäre, z. B. quellen- und rezeptionshistorische Themen und Fragestellungen, funktional zuund untergeordnet sind. Vor allem die Nummern (6), (7) und (9) verdienten dabei im Einzelnen diskutiert zu werden. Ferner wäre zu prüfen, wie die zwölf Varianten präferentiell zu ordnen sind, vor allem in den Zwischenstufen, die bezüglich ihrer Wünschbarkeit im Unterschied zu den eindeutig zuordnungsfähigen Extrempositionen 5 (= oberste Präferenz) und 12 (= niedrigste Präferenz) in einer gewissen Grauzone angesiedelt sind.
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Vorwort
Das was X als den ‘wahren Kierkegaard’ präsentiert, ist der ‘wahre Kierkegaard’ (1).
Das was X als den ‘wahren Kierkegaard’ präsentiert, ist nicht der ‘wahre Kierkegaard’ (2).
Das was X als den ‘wahren Kierkegaard’ präsentiert, ist wahr und/ oder vernînftig gerechtfertigt (3).
Das was X als den ,wahren Kierkegaard‘ präsentiert, ist relevant (5).
Das was X als den ,wahren Kierkegaard‘ präsentiert, ist relevant (9).
Das was X als den ,wahren Kierkegaard‘ präsentiert, ist irrelevant (6).
Das was X als den ,wahren Kierkegaard‘ präsentiert, ist irrelevant (10).
Das was X als den ‘wahren Kierkegaard’ präsentiert, ist nicht wahr und/oder vernînftig gerechtfertigt (4).
Das was X als den ,wahren Kierkegaard‘ präsentiert, ist relevant (7).
Das was X als den ,wahren Kierkegaard‘ präsentiert, ist relevant (11).
Das was X als den ,wahren Kierkegaard‘ präsentiert, ist irrelevant (8).
Das was X als den ,wahren Kierkegaard‘ präsentiert, ist irrelevant (12).
Urteilsparameter eben dies in Rechnung stellen muss: ihre hermeneutische Werktreue, ihre systematisch-epistemische Tragweite und ihre kontextuelle Relevanz. Entsprechendes gilt (i.S. einer Selbstprüfung ex ante und ex post) für den Fall, dass man eine derartige Interpretation selber vorzulegen gedenkt. 2. Der vorliegende Band enthält neunzehn, teils ursprünglich separat und andernorts publizierte, teils bislang unveröffentlichte Arbeiten zur Philosophie und Theologie Søren Kierkegaards, die in einem Zeitraum von mehr als fünfzehn Jahren entstanden sind. Das Spektrum reicht von systematischen Einführungsartikeln (Nr. 1) über Erörterungen wissenschafts- und erkenntnistheoretischer Grundfragen (Nr. 2, 3) bis hin zu begriffsanalytisch (z. B. Nr. 14), ontologisch (z. B. Nr. 7), ethisch (z. B. Nr. 10) und theologisch (z. B. Nr. 10) akzentuierten Fallstudien. Dabei sind sämtliche Beiträge i.S. dessen, was zuvor als hermeneutisch-epistemisches Leitinteresse beschrieben wurde, von einem doppelten, einerseits
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Vorwort
genetisch-rekonstruktiven, andererseits geltungstheoretisch-konstruktiven Interesse geleitet: Sie wollen erstens zur Präzisierung und wenn möglich zur Lösung hermeneutischer Probleme beitragen, die Kierkegaards Texte en détail und/oder als Ganzes aufwerfen; zweitens wird auf der Basis einer kritischen Plausibilitätstaxierung der behandelten Aussagezusammenhänge zumindest in Ansätzen der Versuch unternommen, deren religionsphilosophisch- und/oder theologisch-prinzipielles Potential abzuschätzen, aufzunehmen und weiter zu entwickeln. Die Dialektik von Aneignung und Reflexion, deren orientierender Grundsinn in der Einleitung zum ersten, rezeptionshistorischen Band meiner Kierkegaard-Arbeiten erläutert wurde3, ist dabei in der Umsetzung beider Teilziele mindestens unterschwellig leitend, auch wenn mir dies zum Zeitpunkt der Abfassung der Einzelbeiträge natürlich nicht immer bewusst vor Augen stand. Meine Absicht spiegelt zumindest ex post der Aufriss des vorliegenden Bandes: Abgesehen von Teil A., der zu Einleitungszwecken mit der erweiterten Fassung eines Beitrages zu zwei Sammelbänden über Klassiker des theologischen Denkens eine Gesamtdarstellung Kierkegaards von einem organisierenden Leitgesichtspunkt aus versucht, liegt Teil B., wie bereits in der Überschrift ersichtlich, die Annahme zugrunde, dass der Aneignungsakzent in der Umsetzung des hermeneutischen Kernanliegens meiner Analysen gegenüber der Reflexionsbewegung dominiert. Unterstellt wird dabei erstens, dass Kierkegaards gesamtes schriftstellerisches Werk ,in Wahrheit‘ durch die Frage danach bestimmt und geleitet wird, was ,Christentum in Wahrheit‘ ist; zweitens, dass dies zu behaupten aus einer hermeneutisch-affirmativen Aneignungsbewegung resultiert, der die (potentiell kritische) Reflexionsbewegung untergeordnet oder in der sie sogar bis auf weiteres suspendiert wird. Dementsprechend sind die Texte in den Abschnitten I. und II. weitgehend rekonstruktiv, ja von Ausnahmen abgesehen (vgl. Nr. 3, 9 und 12) in der Regel Kierkegaard-apologetisch motiviert.4 Auch der unterstellte Reflexionsakzent in Abschnitt C. leitet sich nur zum Teil aus der (ansonsten durchaus vorhandenen) Tendenz zur Kritik ab, streckenweise hingegen bereits aus dem Bestreben, das epistemisch-religi3 4
Vgl. H. Schulz 2011b, vii-ix; zum Aneignungsbegriff vgl. ferner Text 11 im vorliegenden Band. Die Unterscheidung eines ,philosophischen‘ (= I.) von einem ,theologischen Kontext der Leitfrage‘ (= II.) ist dabei cum grano salis zu lesen: Ihr liegt nicht so sehr eine methodologische als eine gegenstandstheoretische bzw. rein thematische Differenzierung zugrunde.
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onsphilosophische Potential Kierkegaards und mit ihm die Frage nach der Wahrheit und/oder Rechtfertigungsfähigkeit seiner Überlegungen zur Geltung zu bringen. Die Entscheidung, bereits im identischen Leittitel von Teil B. und C. die wechselseitige Abhängigkeit von Aneignung und Reflexion explizit zu machen (ungeachtet der unterschiedlichen Akzente in den jeweiligen Abschnitten), folgt der Einsicht in eine unhintergehbare Dialektik beider Vollzüge: Erstens kann kein restlos Reflektiertes (hier: geistig) angeeignet, kein Angeeignetes restlos reflektiert sein; zweitens ermöglicht und provoziert der Aneignungsvorgang die Genese eben jener Reflexion, die ihr eigenes Bestehen bedroht, ebenso wie umgekehrt alle Reflexion in jener (Wieder-)Aneignungsbewegung zugrunde geht und gehen muss, der sie sich selber verdankt.5 3. Die religionsphilosophischen und/oder hermeneutischen Überlegungen, die als solche den Schwerpunkt der vorliegenden Texte bilden, enden nicht selten an dem Punkt, an dem die dort geführte, in der Quintessenz allenfalls kritisch-rekonstruktive Diskussion in eben jene genuin konstruktive Aneignung und Transformation des Kierkegaardschen Theoriepotentials münden müsste, die auch dessen Gegenwartsrelevanz allererst präzise zu taxieren erlaubte. Ich möchte an dieser Stelle mit wenigen Hinweisen und in Zusammenführung der hermeneutischen, epistemischen und kontextuellen Aspektierung andeuten, in welchem thematischen Umfeld ich diese Relevanz ansiedeln würde. Ausgangspunkt ist dabei die wenig originelle (und in Text Nr. 1 im Einzelnen explizierte) These, dass es sich bei dem, worauf Kierkegaard ,in Wahrheit‘ zielt, um die (Wieder-)Einführung der Idealität des Christentums in die Christenheit des modernen Reflexionszeitalters handelt. Meine Transferfrage lautet nun: Kann und wenn ja wie eine solche Wiedereinführung plausibilisiert, der christliche Glaube m.a.W. rational gerechtfertigt werden? 6 Auf den ersten Blick handelt es sich zweifellos um 5
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Hier zeigt sich im Übrigen eine Disanalogie zwischen Aneignung und Reflexion einerseits, Hermeneutik und Epistemik andererseits: Zwar muss jeder, der nach der Wahrheit und/oder Rechtfertigungsfähigkeit von Kierkegaards Denken fragt, den Anspruch auf mindestens rudimentäre Kenntnis dessen erheben, was dieser ,in Wahrheit‘ denkt; aber das Umgekehrte ist nicht der Fall; vgl. dazu Text Nr. 11. Die Erörterung des Begriffs sowie der Kriterien von Rationalität bzw. deren religionsphilosophischer Anwendung erspare ich mir hier; vgl. dazu J. Schmidt / H. Schulz 2013, vii-xx.
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eine Frage, die zu beantworten, ja im Grunde bereits zu stellen Kierkegaard gänzlich fremd scheint – erst recht aber die dabei implizit leitende Unterstellung, dass die Relevanz seines Denkens insgesamt von einer positiven Antwort (zumindest mit) abhängt. Doch der Schein trügt. In einer Journalnotiz von 1848 heißt es: „[W]ie verfllt … ein Mensch darauf, sich all dem [sc. der Schwierigkeit des Christwerdens] unterziehen zu wollen, weshalb soll er Christ sein, wenn das so schwer ist … Weil [fordi] das Bewußtsein seiner Sünde ihm nirgends Ruhe gönnt, weil dessen Schmerz ihn stark macht, alles andere auszuhalten, wenn er bloß Versöhnung finden kann. Das will heißen: so tief soll der Schmerz der Sünde in einem Menschen sein, deshalb soll es [sc. das Christentum] dargestellt werden, wie es ist, so schwierig, auf daß recht offenbar werde, daß das Christentum sich allein zum Bewußtsein der Sünde verhält [ene forholder sig til Syndens Bevidsthed]. Sich aus irgendeinem andern Grunde [Af nogen anden Grund] darauf einzulassen, Christ zu werden, ist ganz buchstäblich Narrheit [Daarskab]; und so soll es sein.“ (NB 8:39, SKS 21, 163 / T 3, 111 (Hervorh. H.S.))
Wie die von mir hinzugefügten Kursivierungen zu erkennen geben, ist der Aussagegehalt des Zitates durchaus zweideutig: Beabsichtigt Kierkegaard eine Antwort auf die Frage nach den Mçglichkeits- oder den Geltungsbedingungen des christlichen Glaubens zu geben? Will er m.a.W. eine genetische oder eine epistemische Frage beantworten – oder beides? Fungiert mithin, anders formuliert, das Sündenbewusstsein bzw. (dessen Aneignung vorbereitend und ermöglichend) die Darstellung des Christentums in seiner kompromisslosen Idealität aus seiner Sicht als notwendige und hinreichende Erklärungsbedingung für das Zustandekommen der Fähigkeit und Bereitschaft eines Menschen, sich auf die Botschaft des Christentums im Ernst einzulassen? Oder wird jenes Bewusstsein vielmehr als hinreichende oder gar notwendige Rationalittsbedingung des christlichen Glaubens zur Geltung gebracht? Ich denke, es trifft beides zu: Erstens wird Kierkegaard zufolge ein Mensch die innerlich (Anfechtung) wie äußerlich (feindliche Umwelt) bedingten und in beiden Hinsichten als unvermeidlich ausgegebenen Leidensimplikationen der christlichen Existenz allenfalls dann und aus dem Grund ertragen und in Kauf nehmen (können), weil, wenn und sofern er sie auf jenes unbedingte Übel – das der Sünde – bezieht, mit dem bzw. dessen eschatologischer Konsequenz (Verlust der ewigen Seligkeit) verglichen jene Leiden in der Quintessenz als bloße, freilich unter den gegebenen Umständen unvermeidbare quantité négligeable erscheinen. Freilich ist zweitens die Bereitschaft, derartigen Leiden sich auszusetzen, auch nur unter Voraussetzung der Perspektive des Sündenbewusstseins –
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nota bene: als eines wahrheits- und/oder rechtfertigungsfähigen – für vernînftig oder zumindest sinnvoll anzusehen: ein ,Narr‘, wer sie aus irgendeinem anderen als eben diesem Grund auf sich nehmen wollte. Kierkegaard schließt also nicht a limine aus, dass sich jemand auch aus anderen als den genannten Gründen auf die Leidenskonsequenzen der christlichen Existenz einlassen kçnnte. Entscheidend ist aus seiner Sicht, dass jede derartige Bereitschaft streng genommen Torheit, Unverstand, kurz irrational wäre. Das besagt aber im Umkehrschluss: Der christliche Glaube als Existenzform ist (inkl. seiner als unvermeidbar gesetzten Leidensimplikationen) aus seiner Sicht nur, aber vermutlich auch immer dann rational, wenn das Postulat jenes unbedingten bels als wahr und/ oder rational, zugleich aber im Medium jenes Glaubens als überwindbar und faktisch überwunden gelten kann, das derselbe Glaube Sünde nennt. Gibt es gute Gründe für diese letztere Annahme? In der Tat, jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen: Gesetzt, ein Mensch befindet sich im Zustand akuter Verzweiflung – i.S. einer ihm schmerzhaft bewussten Uneinigkeit oder Nichtübereinstimmung mit sich selbst. Die wahre Ursache dieses Zustandes mag ihm verborgen sein oder nicht, entscheidend ist hier ex hypothesi allein, dass er sich dieses Zustandes als eines verzweifelten und folglich überwindungsbedürftigen bewusst ist, sich mithin in irgendeiner Weise als verzweifelt erlebt oder empfindet. Gesetzt ferner, der Betreffende ist – aus welchen Gründen auch immer – willens und imstande, seinen Verzweiflungszustand Sînde zu nennen, und zwar mit der Konsequenz, dass mit der Aktualisierung dieser Fähigkeit im Medium des Sündenbewusstseins seine Verzweiflung faktisch aufhçren würde. Dürfte man unter dieser Voraussetzung die Generierung des Sündenbewusstseins als irrational diskreditieren? Keineswegs: denn der Erfolg rechtfertigt alles, auch wenn er nichts beweist. Es ist im Sinne dieses pragmatischen Leitsatzes zumindest immer dann rational, sich selbst als Sünder zu begreifen (= die eigene Verzweiflung Sünde zu nennen), wenn die Generierung dieses Glaubens oder dieser Annahme – aus der Perspektive des Glaubenden selbst – (a) eine akute (hier: spirituelle) (b) Krise lçst, die (c) jene Deutung erzwingt. Per analogiam gibt es ja auch für einen Kranken zumindest immer dann keinen vernünftigen Grund, an der Diagnose seiner Krankheit zu zweifeln, wenn er sich in eben derjenigen Form als geheilt erfährt, die die Richtigkeit jener Diagnose im Unterschied zu allen Konkurrenzdiagnosen erzwingt oder notwendig voraussetzt. Das gilt jedenfalls im Falle geistig-spiritueller Krankheiten – denn hier fällt die Faktizität der Heilung mit der Heilungsgewissheit schlicht zusammen (vgl. dazu Text Nr. 19 sowie H. Schulz 2012b). Umgekehrt würde i.S.
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dessen, was man mit Richard Swinburne ein korrektes C-induktives Argument nennen kann (vgl. ders. 1987, 15f), die im Medium des Sündenbewusstsein als Sünde interpretierte Verzweiflung zum Indiz oder Beweisgrund für die Wahrheit des Glaubens oder allgemeiner gesprochen: des christlichen Existenzverständnisses. Abgekürzt, formalisiert und verallgemeinert resultiert diese Argumentation in folgender Schlussfigur: (1) Wahr und/oder rational ist jedes Existenzverständnis, das die Aufhebung von Verzweiflung ermöglicht. (2) Das Sündenbewusstsein ermöglicht die Aufhebung von Verzweiflung.7 (3) Das Sündenbewusstsein ist notwendige und hinreichende8 Bedingung des christlichen Existenzverständnisses. (4) Also ist das christliche Existenzverständnis wahr und/oder rational. Zur Vermeidung von Missverständnissen ist hier allerdings dreierlei präzisierend zu ergänzen. Erstens sind nach meiner Argumentation die Bedingungen der im beschriebenen Sinne pragmatisch spezifizierten Rationalität eines Existenzverständnisses durch den und im Fall des christlichen Glaubens zwar immer, aber nicht zwangsläufig nur dann erfüllt.9 Zweitens erhebe ich an dieser Stelle nicht den Anspruch, die Möglichkeit, den Sinn, die Wahrheit und/oder das Recht jener hypothetischen Voraussetzungen selbst nachzuweisen, die oben zwecks Begründung der Rationalitätsfähigkeit des christlichen Existenzverständnisses eingeführt wurden (z. B.: X interpretiert seine Verzweiflung als Sünde); gezeigt werden soll lediglich, dass die Instantiierung des Sündenbewusstseins und mit diesem der Glaube, dessen integraler Bestandteil jenes Bewusstsein ist, unter den genannten Bedingungen als wahr, mindestens aber als pragmatisch rational zu gelten hat. Drittens kann und muss hier offen bleiben, ob ein derartiges Bewusstsein unter den gegebenen Umständen als etwas vom Betroffenen aus eigener Kraft zu generierendes überhaupt gedacht werden kann. In der Tat gibt es nach meinem Dafürhalten gute – wohlgemerkt: genuin theologische und im Übrigen Kierkegaard-nahe – Gründe, dies zu bestreiten (vgl. Text Nr. 10); aber 7 8 9
Nach meiner Überzeugung wäre Kierkegaards These hier stärker: Nur das Sündenbewusstsein ermöglicht die Aufhebung von Verzweiflung. Argumentationslogisch kann auf diese Zuspitzung allerdings verzichtet werden. Das Recht dieses argumentationslogisch entscheidenden Zusatzes kann hier nur behauptet, aber nicht argumentativ eingeholt werden; vgl. dazu H. Schulz 2010. Vgl. Fussnote 7.
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das ist im vorliegenden, rein geltungstheoretisch-konsequentialistischen Zusammenhang ohne Belang. Trifft dies alles aber zu, dann darf man folgern, dass Kierkegaards pragmatismusaffine Rekonstruktion des ,Protestantismus als Existenzdialektik‘ vor allem in religionsphilosophischer Hinsicht ein bislang noch kaum ausgeschöpftes Theoriepotential birgt – ein Potential, das zumindest dann und solange als gegenwartsrelevant gelten kann, wie der Streit um die Wahrheit und Rechtfertigungsfähigkeit der Religion im Allgemeinen wie des Christentums im Besonderen nach wie vor eine ,live option‘ (W. James) darstellt: Und das scheint in der historischen Fluchtlinie von Ereignissen wie 9/11 bis hin zur Debatte um den sog. Neuen Atheismus in der Tat der Fall. 4. Die Editionsprinzipien des ersten, rezeptionshistorischen Bandes meiner Kierkegaard-Arbeiten liegen auch dem vorliegenden zweiten Band zugrunde: Mit Ausnahme der bislang unveröffentlichten Texte wurden sämtliche Artikel für die Buchausgabe erneut durchgesehen und in formaler, gelegentlich auch in sprachlich-stilistischer Hinsicht überarbeitet, ansonsten aber nach Möglichkeit in der ursprünglichen Form belassen. Leicht verändert wurden die Titel einzelner Beiträge (Nr. 1 und 4), und zwar genau dann, wenn dies gegenüber dem ursprünglichen, häufig aus sprachlich-formalen oder konzeptionellen Vereinheitlichungsgründen gewählten Wortlaut stilistisch und inhaltlich geboten oder mindestens vertretbar schien.10 Die beiden zuletzt genannten Texte werden hier aus sachlichen Gründen außerdem in einer längeren als der ursprünglich veröffentlichten Fassung wiedergegeben. Stillschweigend ergänzt bzw. an die Stelle der bisherigen Angaben gesetzt wurden ferner dänische, deutsche und englische Quellenverweise nach den aktuellen Ausgaben (SKS, DSKE, KJN). Kierkegaard-Zitate wurden in einigen wenigen Fällen, und auch hier nur im Deutschen, dem Wortlaut der Referenzausgabe (DSKE) angeglichen. Bezüglich der englischen Zitate hat sich auch für den vorliegenden Band gezeigt, dass hermeneutische Detailentscheidungen im Kontext der englischsprachigen Aufsätze mitunter an den Wortlaut der Hong-Ausgaben (KW, Bd. I-XXVI; JP, Bd. 1 – 7) angelehnt sind, ja vereinzelt auch nur vor deren Hintergrund als sinnvoll erscheinen; hier wurden daher, soweit vorhanden, in Klammern lediglich die entsprechenden Parallelstellen nach KJN ergänzt. Fußno10 Für den ursprünglichen Wortlaut der Titel vgl. die Erstveröffentlichungsnachweise am Ende des Bandes.
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tenverweise auf eigene Arbeiten, die im vorliegenden Band wiederveröffentlicht werden, blieben aus rein pragmatischen Gründen ebenfalls unverändert. Schließlich habe ich jeden aktualisierenden Eingriff in die bibliografischen Angaben der Fußnoten vermieden; Zusatzinformationen bietet die Bibliografie am Ende des Bandes.11 5. Auch der zweite Band hätte in der vorliegenden Form nicht ohne vielfache Unterstützung für die Drucklegung vorbereitet werden können: Für die Vereinheitlichung des Layouts nach den Verlagsvorgaben danke ich Anne Rachut, für die gründliche Überarbeitung und Vervollständigung der Bibliografie Dr. Gerhard Schreiber, Anne Rachut und Miriam Raupp. Die Register wurden ebenfalls von Dr. Schreiber und Miriam Raupp angefertigt, auch dafür ein herzlicher Dank. Wie bereits im Falle des ersten Bandes gebührt Herrn Schreiber, meinem Wissenschaftlichen Mitarbeiter sowie Koordinator, Übersetzer und Kommentator im DSKE-Forschungsprojekt ein besonderer Dank: Seine editionsphilologische Sachkenntnis und Akribie hat die Endgestalt der Texte erneut vor zahlreichen, gelegentlich durchaus peinlichen Fehlern bewahrt; außerdem hat Herr Schreiber die zeitraubende Vereinheitlichung der Quellenbelege übernommen – auch hierfür danke ich ihm herzlich. Sachdienliche und bibliografische Hinweise verdanke ich wie immer Dr. Markus Kleinert (Erfurt) und Prof. Dr. Jon Stewart (Kopenhagen). Für die reibungslose Zusammenarbeit mit dem De Gruyter Verlag bin ich Herrn Dr. Albrecht Döhnert, ferner und im Besonderen Frau Sabina Dabrowski zu Dank verpflichtet. Prof. Dr. h.c. Niels Jørgen Cappelørn (Kopenhagen) und Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Deuser (Erfurt) danke ich herzlich, dass sie als seinerzeitige Herausgeber der Kierkegaard Studies Monograph Series auch die Publikation des vorliegenden zweiten Bandes befürwortet und unterstützt haben. Ein abschließender Dank geht an die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die die Publikation des Bandes durch einen Druckkostenzuschuss gefördert hat. Ich widme das Buch meinen Söhnen Kjell und Finn, die nicht nur die mit dieser Veröffentlichung verbundene Neigung des väterlichen Autors zu übereilter Relevanzprätention durch nachhaltige Indifferenz dämpfen. Heiko Schulz, im November 2013 11 Für weitergehende Angaben ist Jørgensen 2012 sowie 2009 zu vergleichen – letzteres die umfassendste Kierkegaard-Bibliografie, die bis dato publiziert wurde.
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Einleitung: Zur Einheit des Gesamtwerkes . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Søren Kierkegaard als Klassiker der Theologie. Zugleich eine Einführung in Leben, Werk und Wirkung des religiösen Schriftstellers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Reflexion und Aneignung: Was ist Christentum in Wahrheit? . 37 I. Zum philosophischen Kontext der Leitfrage . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Philosophie als Existenzwissenschaft. Empirismuskritik und Wissenschaftsklassifikation bei Søren Kierkegaard . . . . . . . . . 3. „Er ist geglaubet in der Welt.“ Erkenntnistheoretische Aspekte in Kierkegaards Christlichen Reden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Schöne und das Interessante. Grundzüge der Ästhetik Søren Kierkegaards . . . . . . . . . . . . . 5. Aesthetic Nihilism. The Dialectic of Repetition and Non-Repetition in Nietzsche and Kierkegaard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Das Beanspruchte und das Verdankte. Zur Idee der Selbstverwirklichung im Anschluss an Søren Kierkegaard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. To Believe is to Be. Reflections on Kierkegaard’s Phenomenology of (Un-) Freedom in The Sickness unto Death . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Can Implies Ought. Kierkegaard’s Critique of Kant’s Deontic Logic . . . . . . . . . . 9. Der grausame Gott. Kierkegaards Furcht und Zittern und das Dilemma der Divine-Command-Ethics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Du sollst, denn du kannst. Zur Selbstunterscheidung der christlichen Ethik bei Søren Kierkegaard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39 62 107 130 146 181 202 223 239
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Inhalt
II. Zum theologischen Kontext der Leitfrage . . . . . . . . . . . . . . . . 267 11. ,Gott selbst ist ja dies: welcherart man sich mit ihm einlässt.‘ Subjektivität und Objektivität dogmatischer Reflexion bei Søren Kierkegaard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Kierkegaard on Providence and Foreknowledge. A Critical Account . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Jener überaus zählebige Missstand. Irrtum und Wille im Sündenbegriff der „Krankheit zum Tode“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Second Immediacy. Reflections on Kierkegaard’s Concept of Faith . . . . . . . . . . .
269 291 308 334
C. Aneignung und Reflexion: Ist das Christentum wahr? . . . . . . . 355 15. A Phenomenological Proof ? The Challenge of Arguing for God in Kierkegaard’s Pseudonymous Authorship . . . . . . . . . . . . . 16. Christologie als Apologie. Zur vernünftigen Verteidigung des christlichen Glaubens bei Anselm und Kierkegaard . . . . . . . . 17. Eines wollen können. Über Christentum und intellektuelle Redlichkeit im Anschluss an D.F. Strauß und S. Kierkegaard . . . . . . . . . . . . 18. Kierkegaard and the Problem of Miracles . . . . . . . . . . . . . . . 19. Das entfallene Herz. Zur Dialektik der Anfechtung bei Søren Kierkegaard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachweise der Erstveröffentlichungen nach den Originaltiteln . . Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
357 385 419 452 491 513 536 539 543
A. Einleitung: Zur Einheit des Gesamtwerkes
1. Søren Kierkegaard als Klassiker der Theologie. Zugleich eine Einführung in Leben, Werk und Wirkung des religiösen Schriftstellers Ist Kierkegaard ein theologischer Klassiker und gehört er als solcher zum Kreis derer, die in einem Sammelband1 Berücksichtigung finden sollten, der einen Überblick dieses Genres bietet? Aus meiner Sicht kann daran gar kein Zweifel bestehen. Ich nenne klassisch zunächst solche Werke, deren Rezeptionsgeschichte unabhängig davon, ob es sich um im weitesten Sinne poetische oder aber um sachgebundene Texte handelt, den Schluss nahe legt, dass diese als jedenfalls bis auf weiteres unerschöpfliche hermeneutische Herausforderung wirken. Diesem pragmatisch-rezeptionsästhetischen Kriterium genügt das Kierkegaardsche Oeuvre ohne Zweifel. Und es genügt auch dessen werk- und produktionsästhetischer Ermöglichungsbedingung, dem wahrhaft „Glückliche[n] in der Geschichte“2 im Sinne der in jenem Werk Gestalt gewinnenden Einheit von Stoff und Form. Demnach ist zwar rein zufällig, dass Kierkegaard mit den Möglichkeitsbedingungen authentischen Existierens den vortrefflichsten Stoff für eine konsequent durchgeführte Strategie der indirekten Mitteilung empfangen hat, die sich unter den Bedingungen des posthegelianischen ,Reflexionszeitalters‘ denken lässt; wahrhaft glücklich fügt es sich aber, dass jener Stoff der genialen Formierungskraft eines Kierkegaard zuteil wurde (vgl. ebd.). Zumindest auf den zweiten Blick wird man diesen wohl auch als theologischen Klassiker einstufen dürfen. Ein theologischer Klassiker erfüllt die o.g. drei Kriterien so, dass die aus seiner individuell-biografischen sowie theologie- und geistesgeschichtlichen Situation ihm zugewachsene Verknüpfung von Stoff und Form in der Produktion von Texten ihren Niederschlag findet, in denen der hermeneutisch zirkuläre Prozess der 1 2
Die ursprüngliche (und kürzere) Fassung des nachfolgenden Textes wurde für einen Sammelband über Klassiker der Theologie geschrieben; vgl. die Erstveröffentlichungsnachweise am Ende dieses Bandes. SKS 2, 56 / GW1 EO1, 50.
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Søren Kierkegaard als Klassiker der Theologie
Selbstauslegung des christlichen Glaubens auf eine dessen neutestamentlichen Ursprünge originär wieder aneignende Weise Gestalt gewinnt. In diesem Sinne sind Augustinus, Thomas von Aquin, Luther, Schleiermacher und Karl Barth zweifellos theologische Klassiker – aber eben auch Kierkegaard. Dieser hat sich zwar ausdrücklich als religiöser Schriftsteller verstanden3 und nicht als Theologe; ja, er hat bekanntlich gegen die Schultheologie seiner Zeit und insbesondere den theologischen Hegelianismus ebenso sehr polemisiert wie er den ethisch-religiösen Nutzen dogmatischer Streitigkeiten im allgemeinen in Abrede stellt.4 Aber dies ändert im Prinzip nichts am theologischen Klassikerstatus seines Werkes i.S. der genannten Kriterien. Es deutet vielmehr auf einen Umstand, den die unvoreingenommene Lektüre jenes Werkes in der Tat bestätigt: Dessen ,Stoff‘ nötigt Kierkegaard zu einer Bearbeitung, die im Vergleich zu den bereits vorliegenden lediglich als Ausdruck einer anderen, dabei gleichfalls originären Wiederaneignung des ursprünglich Christlichen zu gelten hat5 : nämlich der des Christentums als einer den Einzelnen adressierenden Existenzmitteilung im Blick auf die Bedingungen, unter denen dieser seine Bestimmung finden bzw. sein Dasein als ein unbedingt berechtigtes leben kann. Dass man Kierkegaard von Seiten der Fachtheologie immer wieder in diesem Sinne rezipiert hat bzw. noch rezipiert, bestätigt diese Lesart – zugleich aber Kierkegaards Status und Rang als theologischer Klassiker.
I. Leben Am 5. Mai 1813 als jüngstes von sieben Geschwistern geboren wächst Kierkegaard in wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen im Kopenhagen des beginnenden 19. Jahrhunderts auf – eine Stadt übrigens, die er im Laufe seines Lebens nur viermal zu vorübergehenden Aufenthalten in Berlin verlassen wird. Seine Mutter, Ane Sörensdatter Lund (1768 – 1834), war im Haus des Vaters, Michael Pedersen Kierkegaard (1756 – 1838), nach dem Tod von dessen erster Frau (1796) zunächst als Dienstmagd tätig gewesen, bevor dieser mit ihr, die zum genannten Zeitpunkt bereits von ihm schwanger war, die Ehe einging. Michael Pedersen, orthodoxer Pietist und Mitglied der Herrnhuter Brüderge3 4 5
Vgl. z. B. SKS 13, 12 u. 19 ff. / GW1 WS, 4 u. 10 ff. Vgl. z. B. NB7:26, SKS 21, 89 f. / T 3, 73 f. Vgl. SKS 7, 573 / GW1 AUN2, 344.
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meine, hatte als Textilkaufmann in Krisenzeiten großes ökonomisches Geschick bewiesen und ein beträchtliches Vermögen erwirtschaftet, das ihm nicht nur erlaubte, in späteren Jahren zu privatisieren, sondern das überdies die finanzielle Grundlage für das literarische Lebenswerk seines Sohnes bildete. Nach einer Jugend- und Schulzeit im Schatten des übermächtigen Vaters und dessen strenger Erziehung im Geiste des Pietismus bezieht Kierkegaard 1830 die Kopenhagener Universität, um Theologie zu studieren. Freilich treten die ästhetisch-philosophischen und journalistisch-literarischen Neigungen des jungen Studenten sowie dessen offen zur Schau gestellte Attitüde des gutsituierten Bohémiens hier zunächst weit stärker in den Vordergrund als der Wille zur akademisch-theologischen Arbeit. Mitte der 30er Jahre kommt es zum Zerwürfnis mit dem Vater und zu einer religiösen Krise. Gebunden durch ein jenem gegenüber auf dem Totenbett abgelegtes Versprechen nimmt Kierkegaard aber das Theologiestudium 1838 wieder auf und besteht das Examen zwei Jahre später mit Auszeichnung. In diese Zeit fällt die Verlobung mit der neun Jahre jüngeren Regine Olsen, die aus einer angesehenen Kopenhagener Familie stammt. Wohl aus religiösen Motiven löst Kierkegaard die Verlobung jedoch bereits 11 Monate später. Im Hintergrund dieser in vieler Hinsicht nach wie vor ungeklärten Entscheidung steht die Überzeugung, dass seit der vermeintlichen Todsünde des Vaters, der als Kind in einem Augenblick der Verzweiflung über sein trostloses Leben als jütländischer Hütejunge Gott verflucht hatte, ein Bann auf der Familie laste. Im Lichte dieser Überzeugung scheint sich der wirtschaftliche Aufstieg Michael Pedersen Kierkegaards geradezu als paradoxer Ausdruck für den Entzug göttlicher Gunst, das rasche Dahinsterben von fünf der sieben Geschwister Sörens zusätzlich als untrügliches Zeichen dafür zu enthüllen, dass der Alte zur Strafe alle seine Kinder überleben und das Geschlecht der Kierkegaards mit ihm aussterben solle.6 Die Offenbarung dieses tragischen Familiengeheimnisses sowie deren vermeintlich unausweichliche Konsequenzen (Verbot der Nachkommenschaft, frühzeitiger Tod Kierkegaards) meint dieser seiner Verlobten um den Preis der Erschütterung ihres eigenen Gottesverhältnisses jedoch nicht zumuten, als Ehemann hingegen nicht verschweigen zu dürfen – seht er doch die unbedingte gegenseitige 6
Auch nach dem überraschenden Tod des Vaters hat Kierkegaard noch bis 1847 daran festgehalten, dass er als letzter Nachkomme der Familie sterben – und dabei nicht älter als 34 Jahre werden würde.
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Offenheit als conditio sine qua non jeder Ehe an. Um daher die Braut unbeschadet aus dem unglückseligen Verhältnis ,herauszureflektieren‘, wählt er einerseits das Inkognito des leichtlebigen Ästheten, der sich der Verantwortung des unbedingten Eheversprechens bis auf weiteres entziehen will; andererseits setzt er zu einem schriftstellerischen Werk an, das immer auch als Mitteilungsvorgang an Regine von dieser gelesen werden können und dabei auf indirektem, literarisch kunstvoll verschlüsseltem Wege um Verständnis für seine Haltung werben soll. Zur Verwirklichung dieses Planes reist Kierkegaard im Anschluss an die Verteidigung seiner Magisterarbeit über den Begriff der Ironie im Oktober 1841 nach Berlin, hört dort – mit freilich rasch nachlassender Begeisterung – F.W. J. Schellings berühmte Vorlesungen über die Philosophie der Offenbarung und konzipiert weite Teile seines pseudonymen Erstlingswerkes Entweder – Oder (hrsg. unter dem Pseudonym Victor Eremita). Das Buch erscheint 1843, gefolgt von Zwei Erbaulichen Reden unter eigenem Namen. Dieser doppelte Paukenschlag ist der Auftakt zu einem literarischen Werk, das in der konsequent durchgehaltenen Parallelität von pseudonymer wie nichtpseudonym-erbaulicher Produktion nach Umfang, Originalität, Reflexionsdichte und schriftstellerischer Raffinesse innerhalb der abendländischen Philosophie- und Theologiegeschichte nicht seinesgleichen hat. 1843 erscheinen nach einem erneut durch die Verwicklungen des Verhältnisses zu Regine motivierten Berlinaufenthalt Furcht und Zittern (Pseudonym: Johannes de Silentio) sowie Die Wiederholung (Constantin Constantius); es folgen 1844 Der Begriff Angst (Vigilius Haufniensis) und Philosophische Brocken ( Johannes Climacus), 1845 die an Entweder – Oder anknüpfenden Stadien auf des Lebens Weg (Frater Taciturnus), schließlich 1846 die Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken (ebenfalls unter dem Pseudonym Johannes Climacus) – all dies flankiert von parallel publizierten Redensammlungen unter eigenem Namen. Nach Abschluss der zuletzt genannten pseudonymen ,Sammelschrift‘ beabsichtigt Kierkegaard, seine schriftstellerische Wirksamkeit zu beenden; für die vermeintlich knappe Spanne der ihm noch verbleibenden Lebenszeit will er als Landpfarrer tätig sein. Durch eine knappe Replik auf eine Rezension der Nachschrift zieht er jedoch die Aufmerksamkeit der satirischen Zeitschrift Der Corsar auf sich, die ihn daraufhin in einer Serie von gehässigen Artikeln und Karikaturen zum Gespött Kopenhagens macht. Die monatelange literarische Fehde mit den Wortführern der Zeitschrift schärft erstens Kierkegaards kritisches Bewusstsein für eine durch die Macht der Presse einerseits gestützte und legitimierte, diese aber
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zugleich und umgekehrt aller erst ermöglichende Diktatur der Öffentlichkeit qua ,Publikum‘ über den Einzelnen. Sie führt zweitens einen Wandel in seinem Christentumsverständnis herbei: An die Stelle des Begriffs einer mit der eigenen Mitwelt harmonisch koexistierenden ,Religion der Innerlichkeit‘ tritt der der christlichen Nachfolgepraxis, für die der leidende Zusammenstoß mit der ipso facto als feindlich oder zumindest als indifferent vorgestellten Mitwelt zum bestimmenden Element wird. In dieser schriftstellerisch unerwartet fruchtbaren Phase entsteht, wiederum neben umfangreichen Redensammlungen, eine Reihe anthropologischer, ethischer und theologischer Schlüsselwerke: so das postum veröffentlichte Buch îber Adler (1846), Die Taten der Liebe (1847), Die Krankheit zum Tode (1849) sowie die Einîbung im Christentum (1850; beide zuletzt genannten unter dem Pseudonym Anticlimacus). Schon die Einîbung, erst recht aber die Folgeschriften7 sowie die in diesem Zeitraum an Umfang sprunghaft zunehmenden Journalnotizen lassen erkennen, dass der bezeichnete Wandel in der Auffassung des Christentums eine unnachgiebige Kritik an der Institution der dänischen Staatskirche nach sich zieht, ja nach sich ziehen muss. Denn deren als fatal diagnostizierte Verquickung mit dem Selbstbewusstsein der modernen bürgerlichen Gesellschaft lässt vom radikalen Ideal der neutestamentlichen Nachfolge aus der Sicht Kierkegaards nicht mehr das Geringste erkennen, ja widerspricht diesem Ideal vielmehr. Zugleich entzieht sich die Kirche hartnäckig jener Konsequenz, die sie in den Augen Kierkegaards allein und zumindest ein Stück weit rehabilitieren könnte: dem redlichen Eingeständnis nämlich, dass jener radikale Abstand zur Einlösung der an sich berechtigten neutestamentlichen Nachfolgeforderung besteht bzw. dass sie, die Kirche, zur Realisierung dieses Ideals bestenfalls willig, nicht aber fähig ist. In den Jahren nach 1850 wird die Polemik gegen die Selbstwidersprüchlichkeit der ,bestehenden Christenheit‘ (denn nichts Bestehendes kann als solches christlich, nichts Christliches als solches ein Bestehendes werden) immer heftiger. Zum offenen Angriff kommt es Ende 1854, nachdem Kierkegaards Intimfeind, der seeländische Bischof und Theologieprofessor Hans Lassen Martensen (1808 – 1884), seinen ehemals auch von Kierkegaard verehrten Vorgänger und engen Vertrauten des alten Kierkegaard, Jakob Peter Mynster (1775 – 1854), bei dessen Begräbnis einen ,Wahrheitszeugen‘ bzw. Märtyrer des christlichen Glaubens ge7
Zur Selbstprîfung der Gegenwart empfohlen (1851); Urteilt selbst! (1852, postum erschienen).
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nannt hatte. Den nun folgenden heftigen Invektiven verschafft Kierkegaard ab Mai 1855 in einer eigens zu diesem Zweck ins Leben gerufenen, von ihm allein publizistisch verantworteten und mit dem verbliebenen Rest des väterlichen Vermögens finanzierten Zeitschrift unter dem Titel Der Augenblick ebenso weithin beachteten wie heftig umstrittenen Ausdruck. Die zehnte Nummer der Zeitschrift liegt bereits druckfertig vor, als Kierkegaard am 2. Oktober entkräftet auf der Straße zusammenbricht. Man bringt ihn ins Kopenhagener Frederiks-Hospital, wo er gut einen Monat später, am 11. November 1855, im Alter von 42 Jahren stirbt.
II. Werk 1. Die Grundfrage: Gibt es eine unbedingte Gültigkeit des Faktischen? 1.1 Kierkegaards Gesamtwerk umfasst ca. 40 Titel, hinzu kommt die gleiche Anzahl von Zeitungsartikeln. Von seinem Nachlass sind darüber hinaus ca. 30000 handgeschriebene Seiten erhalten, die aus Manuskripten zu den veröffentlichten wie den zu seinen Lebzeiten unveröffentlichten Werken sowie aus 46 Journalen, ferner 15 Notizbüchern, einer großen Anzahl loser Blätter, schließlich einer Reihe von Briefen und persönlichen Dokumenten bestehen. Im schematischen Detail ergibt sich folgendes Bild: (1) Zu Lebzeiten veröffentlichte Texte: Jahr Pseudonyme Werke Erbauliche Reden
Anderes (teils pseudonym, teils unter eigenem Namen)
1834
[Zeitschriftenartikel, bis 1855; u. a. im Corsarenstreit (1845 – 46) und Kirchenkampf (1854 – 55)] Aus den Papieren eines noch Lebenden ber den Begriff der Ironie
1838 1841 1843 Entweder – Oder I / II Furcht und Zittern Die Wiederholung
Zwei erbauliche Reden Drei erbauliche Reden Vier erbauliche Reden
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(1) Zu Lebzeiten veröffentlichte Texte: (Fortsetzung) Jahr Pseudonyme Werke Erbauliche Reden
1844 Der Begriff Angst Philosophische Brocken Vorworte 1845 Stadien auf des Lebens Weg 1846 Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken 1847 1848 1849
1850 1851
1855
Zwei erbauliche Reden Drei erbauliche Reden Vier erbauliche Reden Drei Reden bei gedachten Gelegenheiten
Anderes (teils pseudonym, teils unter eigenem Namen)
Eine literarische Anzeige
Taten der Liebe Erbauliche Reden in verschiedenem Geist Die Krise und eine Krise Christliche Reden im Leben einer Schauspielerin Die Krankheit zum Tode Die Lilie auf dem Feld und Zwei kleine ethischder Vogel unter dem religiçse Abhandlungen Himmel. Drei fromme Reden „Der Hohepriester“ – „der Zçllner“ – „die Sînderin“. Drei Reden beim Altargang am Freitag Einîbung im Eine erbauliche Rede Christentum Zwei Reden beim Altargang ber meine Wirksamkeit am Freitag als Schriftsteller Zur Selbstprîfung der Gegenwart anbefohlen Gottes Unvernderlichkeit. Dies muss gesagt werden; Eine Rede so sei es denn gesagt Wie Christus îber das amtliche Christentum urteilt Der Augenblick, Nr. 1–9
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Søren Kierkegaard als Klassiker der Theologie
(2) Postum veröffentlichte Texte: Abfassungszeit / Erscheinungsjahr
Pseudonyme Erbauliche Anderes (teils Werke Reden pseudonym, teils unter eigenem Namen)
1829 – 1855 / 1869 – 81 (1953 – 548) 1833 – 1855 / 1869 – 81 [= EP] (1909 – 48 + 1968 – 78 [= Pap]; 1997ff [= SKS])
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[Briefe und Dokumente]
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1848 / 1859
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1851 – 1852 / 1876
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1855 / 1881
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Journale: AA-KK + NBNB36; ferner diverse Notizbücher und lose Papiere (Einzelreflexionen, Vorlesungsmitschriften und -entwürfe, Buchexzerpte, Polemiken gegen Zeitgenossen, Werkmanuskripte und -fragmente) Der Gesichtspunkt fîr meine Wirksamkeit als Schriftsteller Urteilt selbst (Zur Selbstprîfung, Teil 2) Der Augenblick, Nr. 10
1.2 Trotz des enormen Umfangs und seiner literarischen Vielschichtigkeit beherrscht das gesamte Werk im Grunde nur ein einziges, unermüdlich variiertes Thema: die Frage nämlich, „wie es möglich sei, als Mensch das gegebene Leben in Gültigkeit zu leben“ (Sløk 1954, S. 144). Im Unterschied hierzu heißt es in einer kleinen Schrift von 1851, in der Kierkegaard Rechenschaft über sein Selbstverständnis als Schriftsteller ablegt: „Dies ist … die Kategorie meines gesamten schriftstellerischen Werks: aufmerksam zu machen auf das Religiöse, das Christliche.“9 Um die Richtigkeit der zuerst angeführten Behauptung wäre es schlecht bestellt, wenn sie Kierkegaards Selbstverständnis widerspräche oder dieser zumindest beziehungslos gegenüberstünde. Tatsächlich ist dies aber nicht der Fall. Kierkegaard will vielmehr einzig und allein deshalb auf das Christliche (in einer noch näher zu kennzeichnenden Weise) ,aufmerksam machen‘, weil es seiner Auffassung nach die Möglichkeit, das gegebene Leben in Gültigkeit zu leben, hinreichend, ja sogar notwendig 8 9
Klammern = spätere Auflagen; Abkürzungen: EP = Efterladte Papirer; Pap = Papirer; SKS = Søren Kierkegaards Skrifter. SKS 13, 12 / GW1 WS, 4.
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bedingt.10 Demnach löst der Einzelne die damit bezeichnete Aufgabe immer und nur dann, wenn er Christ wird – und umgekehrt. Die beiden genannten Aspekte (authentisches Existieren / Christwerden) stehen also einander nicht etwa beziehungslos oder gar unversöhnlich gegenüber; sie können vielmehr ineinander überführt werden. Die Frage ,wie kann ich das gegebene Leben in Gültigkeit leben?‘ ist recht verstanden nichts anderes als die Frage ,wie kann ich Christ werden?‘ Dass Kierkegaard zudem auf die Idealität dessen, was es heißt, ein Christ zu sein, eigens aufmerksam machen zu müssen glaubt, indiziert wiederum zweierlei: zum einen, dass gläubiger Christ aus seiner Sicht nur sein und als solcher wahrhaft menschlich nur derjenige leben kann, der weiß, was Christentum idealiter bedeutet; zum anderen den Verdacht, dass dieses Wissen bei den meisten seiner Zeitgenossen entweder noch nicht oder nicht mehr bzw. nur dem Schein nach, d. h. im Medium des Irrtums oder der Selbsttäuschung vorliegt. Im Blick auf den zweiten Gesichtspunkt ist Kierkegaards literarisches Projekt in der Tat von Anfang an polemischer Natur. Denn er erhebt darin den provozierenden Anspruch, das Christentum in die ,bestehende Christenheit‘, als einer Form von Heidentum nämlich, die sich zu Unrecht für christlich hält, aller erst bzw. erneut einzuführen. Kierkegaard verteidigt den christlichen Glauben daher nicht wie Schleiermacher gegen die Gebildeten unter seinen Verächtern, sondern eher gegen die unter seinen Verteidigern (wobei der permanent induzierte Zweifel daran, ob und inwieweit hier überhaupt von Verteidigung mit Recht gesprochen werden kann, als integraler Bestandteil jenes Projektes und seiner Mitteilungsstrategie selber fungiert). Analog zu Marx und Feuerbach insistiert Kierkegaard darauf, dass mit der als scheinhaft erkannten Versöhnung von Denken und Glauben bzw. von Christentum und Vernunft, der die Philosophie Hegels und seiner rechtshegelianischen Adepten im ,Zeitalter der Reflexion‘ zum Sieg verholfen hat, die genuin menschliche Lebenswirklichkeit – und d. h. für ihn primär: die ethischreligiöse Wirklichkeit, im Unterschied zur bloß gesellschaftlich-ökonomischen (Marx) oder natürlich-sinnlichen (Feuerbach) – auf die Seite gebracht, deren Idee unter Preis verkauft, ja ausverkauft worden ist: „Was die Philosophen über die Wirklichkeit sagen, ist oft ebenso irreführend, 10 Die stärkere Lesart favorisiert, wohl zu Recht, J. Sløk: Danach hat Kierkegaards Anthropologie ihr Zentrum „in der These, daß Mensch zu sein eine Aufgabe“ und „die einzige Mçglichkeit diese Aufgabe zu lösen mit dem Christentum gegeben ist“ (Sløk 1954, S. 89; Hervorh. H.S.).
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wie wenn man bei einem Trödler auf einem Schilde liest: Hier wird gerollt [sc. gemangelt]. Würde man mit seinem Zeug kommen, um es rollen zu lassen, so wäre man genasführt; denn das Schild steht bloß zum Verkaufe aus.“11 2. Die Leitthese: Christlicher Glaube als Antwort auf die in der Existenz des Menschen liegende Frage nach dessen unbedingter Gültigkeit 2.1 Sowohl die Grund- und Leitfrage nach den Gültigkeitsbedingungen faktischen Existierens wie deren christliche Beantwortung soll im folgenden am Leitfaden dreier pseudonymer Hauptschriften rekonstruiert werden. Dabei werde ich die zugrunde liegende Frage über weite Strecken im Rekurs auf Kategorien wie Realität und Idealität12 bzw. Faktizität und Geltung erörtern. Sie lautet dann: Ist, und wenn ja wie, die unbedingte Gültigkeit faktischen Existierens in jedem Augenblick logisch und real möglich? Dass es sich hier in der Tat um eine, wenn nicht die Leit- und Kardinalfrage Kierkegaards handelt, kommt unter anderem darin zum Ausdruck, dass diese, obschon terminologisch variierend, auch in anderen pseudonymen Werken eine zentrale Rolle spielt. So tauchen etwa in Entweder – Oder I-II, Furcht und Zittern, Wiederholung sowie Nachschrift eine Reihe alternativer Fassungen derselben bzw. einer analogen Gedankenfigur auf. Die entsprechenden Formulierungen lauten sinngemäß: Ist (a) eine Wiederholung der Unmittelbarkeit nach und jenseits der Reflexion; (b) eine im Religiösen und / oder Ethischen aufgehobene Form des Ästhetischen; (c) ein nach dem und jenseits des Allgemeinen berechtigtes Einzelnes; (d) eine allem Offenbaren und Äußerlichen gegenüber legitime verborgene Innerlichkeit; (e) ein relatives Verhältnis zum Relativen im Verbund mit und neben einem absoluten Verhältnis zum Absoluten; (f) ein poetisches Leben bzw. ein Leben in der Einheit von Stoff und Form denkbar und real möglich?
11 SKS 2, 41 / GW1 EO1, 34; vgl. SKS 4, 101 / GW1 FZ, 3. 12 Vgl. dazu SKS 15, 55 – 59 / GW1 DO, 155 – 159.
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Während in Furcht und Zittern bzw. Die Wiederholung vor allem die Fassungen (a)-(d) diskutiert werden, spielt in der Nachschrift die fünfte und in beiden Bänden von Entweder – Oder (neben a-d) auch die sechste Variante eine zentrale Rolle.13 Zwecks einleitender Erläuterungen werfe ich hier lediglich einen knappen Seitenblick auf Furcht und Zittern. Dieser ist deshalb unumgänglich, weil der Sinn der Frage des Menschen nach sich selbst sowie der Gültigkeit des eigenen Daseins – bzw. der Sinn des darin immer schon erhobenen Anspruchs auf ihre Beantwortung – klar sein muss, bevor die anthropologisch und theologisch explizierbaren Möglichkeitsbedingungen eben dieser Antwort (und jener Frage) sachgemäß erörtert werden können. „Es ist“, so schreibt Johannes de Silentio, der pseudonyme Autor von Furcht und Zittern, „im Leben das Glückliche, … wenn mein Wunsch meine Pflicht ist und umgekehrt, und die Aufgabe der meisten Menschen ist eben, bei ihrer Pflicht zu bleiben und sie mit ihrer Begeisterung in ihren Wunsch zu verwandeln.“14 Ethisch verstanden besteht die Pflicht Abrahams – dessen Beinahe-Opferung seines Sohnes Isaak (vgl. Gen 22, 1 – 19) im Zentrum des Buches steht – darin, seinen Sohn zu lieben. ,Glücklicherweise‘ ist diese Pflicht zugleich sein innigster Wunsch: sie nötigt ihn also nicht erst, ihr zu entsprechen. Indes, ob genötigt oder nicht, Abraham vermittelt jedenfalls in der Erfüllung seiner Vaterpflichten die sthetische, d. h. im Prinzip sinnlichen Genusses wurzelnde Unmittelbarkeit seines Wunsches, damit zugleich aber sich selbst als bloß Einzelner reflexiv, nämlich kraft des Pflichtbegriffs, mit dem Ethisch-Allgemeinen – wobei de Silentio das Allgemeine über dessen kantisch-formalen Kern hinaus gut hegelianisch, d. h. als soziologisch fassbare Instanz bürgerlicher Sittlichkeit (hier: qua Familie) interpretiert.15 Anders gesagt: Abraham ist der in der uneröffneten Innerlichkeit bloßen Wünschens sich selbst wie seiner Mitwelt Verborgene, der sich kraft jener Vermittlung, d. h. in Erfüllung seiner Vaterrolle, entußert und auf diese Weise sich selbst und dem Allgemeinen gegenüber offenbar wird.16 Im Hinblick auf den göttlichen Befehl, den eigenen Sohn zu opfern, schließt Abrahams verborgene Innerlichkeit aber ein zusätzliches Moment ein – ein Moment, das schlechterdings keinen ethischen Ausdruck im äußeren Handeln finden und daher mit dem Allgemeinen unter gar keinen Umständen vermittelt 13 14 15 16
Vgl. dazu H. Schulz 1998, 463 ff. SKS 4, 169 / GW1 FZ, 86 f. Vgl. ebd., 148 f. / 57 f. Vgl. ebd., 160 ff. / 74 ff.; ebd., 172 ff. / 91 ff.
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werden kann: nämlich den unerschütterlichen Glauben, dass hier in der Tat ein göttlicher Befehl, mithin eine Gehorsamsprüfung (und nicht etwa eine Tötung aus niederen Motiven) vorliegt, verbunden mit der ebenso unerschütterlichen Bereitschaft, jenem nachzukommen, bzw. dem Willen, diese zu bestehen. Kraft des Wunsches nach einem ungetrübten, durch den universalen Pflichtmaßstab sowie die entsprechende sittliche Instanz der Familie vermittelten Zusammenleben mit seinem Sohn, sowie ferner aufgrund des Glaubens an Recht und prinzipielle Erfüllbarkeit seines Wunsches erhebt Abraham einen Anspruch auf die unbedingte Gültigkeit seines durch die genannten Voraussetzungen in seiner Faktizität bestimmten Daseins. Und er erhebt diesen Anspruch trotz und im Angesicht der ihm gegenüber ,unendlich resignierenden‘17 Bereitschaft, das zu tun, was dessen Erfüllungsmöglichkeit ethisch geurteilt gerade zu widersprechen scheint. Die entscheidende Frage lautet dann: Lässt sich dieser Anspruch rechtfertigen, und zwar auch und gerade angesichts seiner Verknüpfung mit jenem Moment verborgen resignierender Innerlichkeit, dessen handelnde Umsetzung ethisch gesprochen als Verbrechen bezeichnet werden muss? De Silentio bejaht die Frage, freilich mit einem charakteristischen Vorbehalt: Die Erfüllung des abrahamitischen Anspruchs ist immer, aber auch nur dann denkbar, wenn und insoweit paradoxe Sachverhalte denkbar sind – und das besagt im vorliegenden Fall zweierlei. Erstens: Es muss die Möglichkeit bestehen, dass derselbe Gott, der den Opferbefehl gegeben hat, nicht nur imstande, sondern auch willens ist, die Folgen zunichte zu machen, die mit dem Versuch einhergehen, ihm zu entsprechen (Gott erweckt Isaak zum Leben oder erschafft einen neuen Isaak). Zweitens: Es muss eine „teleologische Suspension des Ethischen“18, d. h. eine zeitweilige Aufhebung seiner unbedingten Gültigkeit zugunsten eines höheren Zieles möglich sein. Abrahams Tötungsabsicht wäre demnach nicht als Mordversuch, sondern als unbedingter Gehorsamsakt im Verhältnis zu einer göttlichen Prüfung zu deuten, d. h. als Erfüllung einer durch keine Instanz des Ethisch-Allgemeinen vermittelten „absolute[n] Pflicht“19 Gott gegenüber. Dass beides faktisch der Fall ist, entzieht sich jeder objektiv und intersubjektiv ausweisbaren Einsicht, es lässt sich nur – mit ,Furcht und Zittern‘ – in der Perspektive der ersten Person behaupten. Und das besagt für de Silentio: Die Rechtfertigung von Abrahams Geltungsanspruch ist 17 Vgl. ebd., 130 / 33 u. passim. 18 Ebd., 148 / 57. 19 Ebd., 160 / 74 u. passim.
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denkbar dann und nur dann, wenn ein Glaube möglich ist, der ,in Kraft des Absurden‘20 daran festhält, dass (a) für Gott das Bezeichnete realisierbar und beabsichtigt und (b) eine teleologische Suspension des Ethischen real möglich bzw. im Falle Abrahams Wirklichkeit ist. Eben dieses eine gedankliche Grundmotiv sowie die ihm eigenen Voraussetzungen prägen und durchziehen, terminologisch variierend, strukturell aber weitgehend identisch, Kierkegaards gesamtes schriftstellerisches Werk: Das menschliche Dasein schließt als integrales Moment erstens die Frage nach seiner eigenen unbedingten Berechtigung bzw. nach dessen Gültigkeitsbedingungen von sich her ein. In der Art und Weise, diese Frage zu stellen, verbirgt sich zweitens faktisch immer schon der Anspruch auf eine bestimmte und in ihrer Rechtmäßigkeit bis auf weiteres ihrerseits fragwürdige Art und Weise ihrer Beantwortung. Dieser Anspruch kann drittens mit Recht nur im Medium des Glaubens erhoben und auch nur so erfüllt werden. Die reale Möglichkeit des Glaubens und mit ihr die der Erfüllung jenes Anspruchs basiert schließlich und viertens auf der realen Möglichkeit paradoxer Sachverhalte. 2.2 Nach den Gültigkeitsbedingungen der eigenen Existenz zu fragen setzt erstens voraus, dass die Faktizität dieser Existenz den Anspruch auf deren Gültigkeit ursprünglich einschließt. Sie setzt zweitens das Erwachen des Zweifels daran voraus, ob dieser Anspruch zu Recht besteht. Wie muss, gesetzt dies verhält sich so, die menschliche Existenz beschaffen sein, wenn mithin Kierkegaard zufolge (a) aus ihr selbst die Frage nach ihrer eigenen Gültigkeit hervorgehen, und wenn diese bzw. die nach der Ermöglichung jener Frage (b) im christlichen Glauben eine mindestens hinreichend, wenn nicht notwendig bestimmte Antwort finden können soll? Die sachlich ergiebigsten Anhaltspunkte zur Beantwortung der ersten Teilfrage bietet die Krankheit zum Tode von 1849. Die auf dezidiert christlichen Prämissen beruhenden Überlegungen ihres Autors Anticlimacus21 sind von der Überzeugung geleitet, dass die menschliche Existenz als solche ethisch strukturiert ist, ihr Vollzug mithin als Ausdruck des unbedingten Interesses daran interpretiert werden muss, eine mit ihr selbst vorgegebene und als solche vom Existierenden zumindest unterschwellig immer schon anerkannte Aufgabe zu lösen. Diese Deutung legt ja auch die eingangs im Anschluss an J. Sløk reformulierte Leitfrage Kierkegaards nahe: Zumindest dann nämlich, wenn die Frage 20 Vgl. ebd., 131 / 34 u. passim. 21 Vgl. NB11:209, SKS 22, 130 / T 3, 257.
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nach den Möglichkeitsbedingungen authentischen Existierens diesem selber nicht äußerlich, sondern im Gegenteil inhärent ist, muss die in jener Frage vorausgesetzte Interesse- oder Aufgabenstruktur des Existierens jenem Existieren von sich her zukommen. Anticlimacus trägt diesem Sachverhalt durch die These Rechnung, dass der Mensch ontologisch gesprochen nicht als beharrende Substanz mit wechselnden Eigenschaften, sondern nur als Subjekt relationaler Vollzüge, genauer als Vollzugssubjekt einer Synthetisierung polar verbundener Relate oder Strukturmomente (Endlichkeit / Unendlichkeit, Notwendigkeit / Möglichkeit, Zeitlichkeit / Ewigkeit) sachgemäß beschrieben werden kann.22 Menschlich zu existieren heißt mithin zunächst und vor allem, Bedingtes oder Begrenztes zu überschreiten bzw. Gegebenes zu transzendieren. Ein Beispiel ist das Phänomen des Wunsches: Ein Kind, das sich ein Spielzeug wünscht, überschreitet seine faktisch gegebene und vielfach bedingte Situation, indem es kraft der Imagination etwas als ein Begehrenswertes, d. h. als ein solches vorstellt, dessen Besitz die Idealisierung jenes Faktischen zumindest näherungsweise in Aussicht stellt. Freilich muss hierbei das Gegebene, gerade um es überschreiten zu können, bereits in Anspruch genommen werden: nicht nur in subjektiver (kein Wunsch ohne Einbildungskraft), sondern auch in objektiver Hinsicht (kein Wunsch als Wunsch überhaupt und kein Wunsch nach Spielzeug ohne Spielzeug). So gesehen nimmt das Kind ,Endliches‘ (d. h. Begrenztes) bzw. ,Notwendiges‘ (d. h. Vorgegebenes) immer schon in Anspruch, freilich nur, um beides durch imaginative ,Verunendlichung‘ oder Entgrenzung in Richtung auf eine als Erfüllung imaginierte ,Möglichkeit‘ hin zu überschreiten; umgekehrt überschreitet es Endliches und Notwendiges nur, freilich auch immer schon im Medium seiner Inanspruchnahme. Allein, auch diese Dialektik trifft noch nicht den Kern der Sache. Entscheidend ist eine zweite Beschreibungsebene: Jeder Synthetisierungsvollzug dialektisch mit- und durcheinander vermittelter Relate wird Anticlimacus zufolge seinerseits durch den mindestens latenten Selbstbezug des Vollzugssubjekts vermittelt. Auch dies ist phänomenologisch bereits am Wunschverhalten des Kindes ablesbar: Unterschwellig spiegelt das Kind sich selber bzw. die eigene Daseinserfüllung in der imaginativ vorweggenommenen Erfüllung des Spielzeugwunsches. Insofern ist dessen finales Objekt – und so im Grunde das Objekt eines jeden Wunsches – mit seinem Subjekt, wenn auch zunächst nur unterschwellig, identisch. Umgekehrt kann die Transzendierung des Gegebenen im 22 Vgl. SKS 11, 129 u. 145 / GW1 KT, 8 u. 25.
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Medium des Wunsches sowie dessen imaginativ vorweggenommener Erfüllung als ein erster Ausdruck des Versuchs betrachtet werden, dem vorfindbaren Dasein, und zwar in seiner unmittelbaren Faktizität und Bedingtheit, Sinn bzw. Gültigkeit zu verleihen. Freilich handelt es sich um einen ersten und uneigentlichen Ausdruck, insofern hier jener bewusste Vollzug noch aussteht, der laut Anticlimacus die Verwirklichung des Menschseins notwendig und hinreichend bedingt: Denn der Mensch ist Geist und als solcher ein Selbst; das Selbst aber „ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder ist das an dem Verhältnisse, daß das Verhältnis sich zu sich selbst verhält.“23 Das Kind kann nämlich auch dann noch nicht als Selbst im strengen Sinne, mithin nicht als „wirklicher Mensch“24 gelten, wenn es explizit sich selbst zum Gegenstand des Wunsches macht – z. B. wünschend imaginiert, Gespenst, Seeräuber oder Pilot zu sein. Denn in dieser momentanen, willkürlich abwechselnden und im Blick auf das wahre Verhältnis von Notwendigkeit und Möglichkeit gänzlich „phantastischen Selbstanschauung ist das Individuum … bloß ein Schatten, oder richtiger, … das Individuum hat eine Vielfalt von Schatten, die sämtlich ihm gleichen, und für Augenblicke gleiches Recht haben es selber zu sein.“25 Zwar reflektiert das Kind in den Grenzen der ihm eigentümlichen Gestalt des Verhältnisses von Notwendigkeit und Möglichkeit auf ,sich selbst‘, wenn und indem es Notwendigkeit für avisierte Möglichkeiten in Anspruch nimmt und umgekehrt jene durch diese reflektierend transzendiert. Aber es reflektiert nicht eigens auf sich als ein so bestimmtes, nämlich in sich spannungsvoll strukturiertes Verhältnis. Damit ignoriert es zugleich die gleichermaßen unaufschiebbare wie undelegierbare Aufgabe jener Synthetisierung beider Momente im Kontext der eigenen, unverwechselbaren Lebenssituation, durch die allein es Klarheit über sein „ewiges“26 und d. h. eben als Aufgabe im ethischen Sinne spezifiziertes Selbst erlangen könnte. Wie aber tritt das Selbst als solches für es selber hervor? Die Antwort der Krankheit zum Tode lautet: im Modus der Verzweiflung. Diese Auskunft wirkt nur auf den ersten Blick befremdlich. Verzweiflung ist eine „Krankheit im Geist“27 und indiziert als solche ein Missverhältnis in bzw. 23 24 25 26 27
SKS 11, 129 / GW1 KT, 8; Hervorh. H.S. SKS 4, 30 / GW1 W, 28. Ebd., 30 / 27 f. SKS 11, 157 / GW1 KT, 39. Ebd., 129 / 8.
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im Vollzug der menschlichen Synthesestruktur. Dessen erste und ursprüngliche Form besteht in der Abwesenheit des Bewusstseins, überhaupt ein Selbst zu haben.28 Dass dieser Zustand tatsächlich auf ein Missverhältnis verweist, kann noch einmal das Beispiel des Kinderwunsches erläutern helfen: Wenn alles Wünschen zuletzt, obschon latent, auf den Wünschenden selbst gerichtet ist; und wenn mit der imaginativ vorweggenommenen Erfüllung des Wunsches ein Zustand avisiert wird, der (bzw. in dem der Wünschende) sich von der gegebenen Situation wie das Ideale vom Realen oder das Geltende vom bloß Faktischen unterscheidet, dann folgt daraus, dass der Wunsch auf ein ursprüngliches Nichtman-selbst- bzw. Ein-anderer-sein-Wollen des Wünschenden, folglich auf einen uneingestandenen inneren Zwiespalt, ein verborgenes Nichteinverstandensein mit sich selber deutet. Im Falle des wünschenden Kindes besteht dabei dieser unterschwellige Verzweiflungszustand nicht primär in der dunklen Ahnung, dass ihm die Erfüllung des Wunsches als solche nicht zu Gebote steht – dass diese bzw. ihr Erleben als Erfüllung m.a.W. ausbleiben kann; sondern sie besteht darin, dass ihm unter allen Umständen eben daran bzw. an einem Leben nach Maßgabe der Wunscherfüllung gelegen ist, es folglich weder von der Erfüllung noch vom Wünschen als der primären Art und Weise, sich zur möglichen Gültigkeit des eigenen Daseins zu verhalten, abzulassen vermag. Aus dieser Tatsache erhellt zugleich, dass die offene oder bewusste Verzweiflung sich zwangsläufig als solche entdeckt, die, obschon vor sich selber verborgen, bereits zuvor bestand.29 Bewusste Verzweiflung kommt, ihrem eigenen Urteil nach, gewissermaßen immer schon zu spät – insofern ist der Ausdruck ,rechtzeitige Verzweiflung‘ eine contradictio in adjecto. In diesem Umstand liegt ein zusätzliches Potenzierungsmotiv ihrer bewussten Form, ein psychologisches Inzitament, das mit erklären hilft, dass und weshalb die Selbstreflexion aus dem Latenzstadium der bloßen Einbildungskraft in deren entscheidende, nämlich willentlich potenzierte Gestalt übergeht.30 In diesem Stadium spaltet sie sich, wie Kierkegaards Morphologie der Verzweiflung im ersten Teil der Krankheit zum Tode en détail ausführt, in zwei Grundtypen: Schwäche oder verzweifeltes Nicht-man-selbst- sowie Trotz oder verzweifeltes Man-selbstsein-Wollen.31 Beide Formen können Ausdruck eines Missverhältnisses 28 29 30 31
Vgl. ebd., 129 u. 157 – 162 / 8 u. 39 – 44. Vgl. ebd., 140 / 20. Vgl. SKS 12, 186 / GW1 EC, 177; SKS 11, 145 / GW1 KT, 25. Vgl. SKS 11, 129 u. 157 – 193 / GW1 KT, 8 u. 39 – 77.
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sein, bei dem jeweils der Notwendigkeits- bzw. Endlichkeits- oder aber der Möglichkeits- bzw. Unendlichkeitspol im Vollzug der Synthese dominiert. Dabei ist freilich zu beachten, dass keines der Syntheserelate gnzlich aufgehoben, keines umgekehrt dem anderen gegenüber absolut gesetzt werden kann; denn um ein Relat in dieser Weise aufheben zu wollen bzw. wollen zu können, muss es, wie wir bereits gesehen haben, seinerseits in Anspruch genommen werden. In der offenen oder latenten Einsicht, dass sich dies so verhält, besteht ja im Grunde alle Verzweiflung, zumindest aber deren Potenzierung im Bewusstsein. Das verzweifelte Subjekt macht so nolens volens Gebrauch von den unabänderlich vorgegebenen und begrenzenden Aspekten der eigenen Situation, um sich in vermeintlich unbegrenzte Lebensmöglichkeiten flüchten zu können; umgekehrt muss es sein eigenes Dasein begehrend und imaginierend verunendlichen, um die eigenen Begrenzungen, wenn auch irrtümlich, für absolut bzw. die Dimension des Notwendigen im eigenen Selbst zur einzigen, trotzig behaupteten Lebensmöglichkeit erklären zu können. Kurzum: Zwischen den Relaten der menschlichen Synthesis besteht ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis. Dieser Sachverhalt liefert zugleich Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage, wie ein konkreter Bewusstseinsinhalt überhaupt zum Platzhalter von Notwendigkeit oder Möglichkeit etc. wird: Dass Kierkegaard z. B. einer Familie angehört, auf der laut Aussage seines Vaters ein Fluch lastet, für den zu büßen sein jüngster Sohn von Gott ausersehen ist, gehört nicht a priori zur Dimension der Notwendigkeit in Kierkegaards Selbst. Es gehört erst dann und dadurch hinzu, dass er diesen vermeintlichen Tatbestand erstens als mindestens möglicherweise wahr und zweitens als etwas vorstellt, das seiner Freiheit i.S. des Entwurfs eigener Lebensmöglichkeiten widerspricht. Erst dann und dadurch wird jener zum ausdrücklichen Bestandteil der Aufgabe, beides – ihn selbst ebenso wie die als gegensätzlich projektierten Lebensmöglichkeiten – als integrierende Momente seines Selbst zu synthetisieren. Weicht Kierkegaard ihrer Lösung aus oder beharrt er im Gegenteil trotzig auf ihrer Unlösbarkeit, dann – und erst dann – wird sein vermeintliches Pönitenzschicksal zum Bestandteil einer verzweiflungsstiftenden Notwendigkeit, unter die er sich um den Preis einer fundamentalen Begrenzung eigener Lebensmöglichkeiten demütigen muss, um ein in dieser besonderen
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Konstellation gültiges und mit sich selbst übereinstimmendes Leben führen zu können.32 2.3 Der Behauptung, dass von zwei Verzweiflungsformen auszugehen ist, kommt überdies eine wichtige begründungslogische Funktion im Blick auf eine zentrale These des Christen Anticlimacus zu: der These nämlich, dass das menschliche Selbst ein „abgeleitetes, gesetztes Verhältnis ist …, ein Verhältnis, das …, indem es sich zu sich selbst verhält, zu einem Andern sich verhält.“33 Dies Andere ist Gott – hier freilich noch ganz unspezifisch i.S. des in jedem Daseinsvollzug mindestens implizit mitgesetzten Grundes jener komplexen Relationsstruktur, die der menschlichen Existenz ihr eigentümliches Gepräge verleiht. Kein Mensch kann sich demnach zu sich selbst verhalten, ohne darin, ob offen oder latent, zugleich zu etwas als demjenigen sich zu verhalten, das oder der ihn in ein so bestimmtes Verhältnis aller erst versetzt hat – und d. h. ohne zugleich die Frage danach zu stellen, was der eigenen, durch jene eigentümliche Verhältnisstruktur bestimmten Existenz sowie dem darin immer schon erhobenen Anspruch auf Sinnerfüllung letzte, unüberholbare Gültigkeit verleihen würde. Argumentationslogisch bedeutsam ist dieser Umstand deswegen, weil laut Anticlimacus nur unter der Voraussetzung seines tatsächlichen Gegebenseins verständlich wird, dass und wie die Verzweiflungsform des Trotzes – als ein Man-selbst-sein-Wollen, das sich von der ursprünglichen Abhängigkeit jener setzenden Instanz gegenüber losreißen will – möglich ist. Umgekehrt bedingt das Faktum dieser Verzweiflungsform das Vorliegen jener Voraussetzung hinreichend.34 32 Damit ist einstweilen noch keine bestimmte Lösung des Problems präjudiziert: Diese kann im Einzelfall sowohl in der demütigen Übernahme des Pönitenzgeschicks bestehen wie in dessen freimütiger Bestreitung. Beide Lösungen sind nach Kierkegaard möglich und legitim – freilich nur im und kraft des Glauben(s). 33 SKS 11, 130 / GW1 KT, 9. 34 Vgl. ebd. Diese Verknüpfung von Gotteshypothese und Verzweiflungsform sollte nicht als anthropologischer Gottesbeweis missverstanden, vielmehr rein phänomenologisch interpretiert werden: Behauptet wird danach lediglich, dass das Mitsetzen des setzenden Grundes ein integrales, dabei fraglos nur widerstrebend eingestandenes Moment in der Selbsterfahrung des (trotzig) verzweifelten Bewusstseins darstellt. Mehr noch: Dass der trotzige Versuch, sich von der Macht des setzenden Grundes los zu reißen, an diese bzw. die nolens volens eingestandene Voraussetzung ihrer Realität im Gegenteil gebunden bleibt, bildet geradezu den Stachel jener Verzweiflungsform, ja im Falle der rückhaltlosen Anerkennung dieses Sachverhalts auf Seiten des verzweifelten Bewusstseins dessen faktischen Kulminationspunkt. In diesem Sinne zitiert der Ästhetiker A in
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Mit diesem Zwischenschritt befinden wir uns bereits im Übergang zur zweiten Teilfrage, die zu Beginn dieses Abschnitts formuliert wurde: Inwiefern vermag aus der Sicht Kierkegaards das Christentum mindestens hinreichende Realisierungs- und / oder Erkenntnisbedingungen für eine Antwort auf die in der Existenz des Menschen liegende Frage bereitzustellen? In den vorangegangenen Überlegungen kam ja einerseits spezifisch Christliches noch gar nicht zur Sprache; aufgezeigt wurde mit der schrittweisen Entfaltung der Synthesestruktur der menschlichen Existenz lediglich, dass und wie sich hierbei „die Gottesvorstellung aus dem menschlichen Geist entwickelt durch dessen Verhältnis zu sich selbst.“35 Andererseits entstand im Anschluss an Kierkegaards Morphologie der Verzweiflung bislang der Eindruck, als trage der Gottesgedanke eher zu einer komplexeren Fassung jener Frage bei – und weniger zu ihrer Beantwortung. Dieser Schein trügt jedoch. Kierkegaards diesbezügliche Überlegungen kulminieren vielmehr in dem Ergebnis, dass die (durch Gott ermöglichte) Antwort mit dem Stellenkönnen der Frage streng genommen zusammenfällt. Um uns diese auf den ersten Blick sicher überraschende Wendung verständlich machen zu können, müssen wir zunächst die Voraussetzungen prüfen, unter denen die (als faktisch verzweifelt behauptete) Frage nach der Gültigkeit des eigenen Daseins zustande kommt. Welches sind m.a.W. die transzendentalen und / oder genetischen Möglichkeitsbedingungen der Verzweiflung? Anticlimacus selbst erblickt sie darin, dass „Gott, der den Menschen zu dem Verhältnis gemacht hat, ihn gleichsam aus seiner Hand losläßt“, so dass „das Verhältnis sich zu sich selbst verhält.“36 Diese Auskunft ist freilich alles andere als zufriedenstellend. Am Beispiel des Trotzes hat sich zwar gezeigt, dass das Sichverhalten zu etwas als dem setzenden Grund des Verhältnisses die Möglichkeit der Verzweiflung mindestens notwendig bedingt. Da die Verzweiflungsform der Schwäche dieser Einschränkung aber offenbar nicht unterliegt, fehlen (unter anderem!) Aufschlüsse über die hinreichende Möglichkeitsbedingung von Verzweiflung – und zwar in formübergreifender Hinsicht. Entweder – Oder I eine Passage aus den Rittern des Aristophanes – hier freilich mit ,Beweis‘-Absicht: „Demosthenes. Idole! glaubst du in allem Ernst an Götter noch? / Nikias. Ei freilich! / Demosthenes. Was für Beweise hast du denn dafür? / Nikias. Weil mich die Götter hassen! Ist das nicht genug? / Demosthenes. Ich bin besiegt.“ (SKS 2, 45 f. / GW1 EO1, 39 f. [bei Kierkegaard nur auf Griechisch angeführt]). 35 JJ:191, SKS 18, 201 / vgl. DSKE 2, 208. 36 SKS 11, 132 / GW1 KT, 11.
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Was genau besagt demnach der Hinweis, der Mensch falle eben dadurch der Verzweiflung anheim, dass er – ,gleichsam‘, d. h. vermeintlich aus der Hand Gottes entlassen – sich zu sich selbst verhält? Die Krankheit zum Tode geht dieser Frage nicht eigens nach. Anders das erste anthropologische Schlüsselwerk Kierkegaards, Der Begriff Angst von 1844. Hier steht zwar thematisch der Begriff der Erbsünde sowie die alttestamentliche Erzählung vom Sündenfall Adams (vgl. Gen 3) im Zentrum; da aber laut Anticlimacus Sünde und Verzweiflung koextensive Begriffe sind (keine Sünde ohne Verzweiflung und umgekehrt), können die Überlegungen der Angstabhandlung für die Beantwortung der vorliegenden Frage genutzt werden, ohne dem Kontext der Verzweiflungsschrift Gewalt anzutun. Die Möglichkeitsbedingungen der Erbsünde bzw. des Sündenfalls zu klären heißt demnach zugleich die Möglichkeitsbedingungen der Verzweiflung zu klären.37 Freilich zeigt auch Vigilius Haufniensis, der pseudonyme Autor des Begriffs Angst, wenig Neigung, die Frage nach den metaphysischen oder transzendentalen Möglichkeitsbedingungen der Sünde zu beantworten. Er begründet diese Zurückhaltung mit dem Hinweis, dass die im Sündenfall Adams wurzelnde Erbsünde – und damit die Sünde überhaupt – durch einen im Laufe der Menschheitsgeschichte unaufhörlich wiederholten und dabei genetisch wie geltungstheoretisch unableitbaren Sprung in die Welt kommt.38 Den Sündenfall erklären heißt daher die Erbsünde erklären und umgekehrt. Als ,dialektischem‘ korrespondiert dieser Sprung dem Erfordernis eines ,pathetischen‘: Sein bewusster Vollzug ist undelegierbar, das mit ihm einhergehende Setzen der Qualität ,Sünde‘ nur in der Perspektive der ersten Person möglich und plausibel.39 Vorbereitet und psychologisch motiviert wird dieser Sprung, und eben dies ist in genetischer Hinsicht entscheidend, durch eine charakteristische Gestimmtheit – die der Angst 40 : zunächst und ursprünglich diejenige Adams, analog dazu aber und in menschheitsgeschichtlich wachsender Quantität die eines jeden postadamitischen Individuums. Dabei kommt im Falle des mythischen Urvaters jene untergründig immer schon vorhandene Angst 37 Vgl. SKS 11, 141 / GW1 KT, 21, wo Anticlimacus von der „Angst, welche die Verzweiflung ist“, spricht, letzterer mithin diejenige Stimmung zugrundelegt, die Vigilius Haufniensis im Begriff Angst als Übergangskategorie für die psychologisch-approximative Erklärung des Sündenfalls in Anspruch nimmt (vgl. SKS 4, 347 – 356 / GW1 BA, 39 – 50). 38 Vgl. SKS 4, 338 / GW1 BA, 29. 39 Vgl. ebd., 355 f. / 48 f. 40 Vgl. ebd., 347 – 356 / 39 – 50.
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durch das göttliche Verbot, vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen, zum Ausbruch.41 Sie ist als solche freilich nicht primär auf Gott oder das Verbot bzw. dessen Inhalt an sich gerichtet, sondern auf etwas anderes, Tieferliegendes: nämlich das einstweilen unverstandene, weil gänzlich unbestimmte „Nichts“42 der eigenen Freiheit i.S. der „Möglichkeit zu können.“43 Was Adam, i.S. des Vermögens zum Guten wie zum Bösen, ,kann‘, davon hat er keinen klaren Begriff. Mit dieser, vor dem Sündenfall um Willen der Vermeidung einer zirkulären Erklärung zu postulierenden Unfähigkeit, den Sinn der genannten Begriffe zu erfassen, geht daher zugleich die Unfähigkeit, die eigene Freiheit – und damit letztlich auch sich selber – zu verstehen, notwendig einher. Schon rein psychologisch zeigt die Angst dabei ein Janusgesicht: Sie bzw. das darin projektierte Nichts der eigenen Freiheit wirkt ebenso faszinierend wie abschreckend. Dialektisch konsequent bestimmt Vigilius sie daher als Einheit von „sympathetische[r] Antipathie und … antipathetische[r] Sympathie.“44 Obschon kategorial im Gebiet der Psychologie beheimatet ermöglicht der Angstbegriff auf diese Weise einen Brückenschlag zur Ethik: Der Geängstigte ist als solcher einerseits unschuldig – denn die Angst überkommt ihn ,ohne sein Zutun‘; andererseits erscheint er, auch und vor allem im Rückblick der Reue, als schuldig, insofern er sich ihr als einer ihn fesselnden Macht bereitwillig hingab. Kraft dieser intrinsischen, sowohl binnenpsychologisch (sympathetische Antipathie) wie kategorial (Psychologie / Ethik) spezifizierbaren Ambivalenz trägt die Existenzkategorie der Angst zu einer Erklärung dessen bei, was streng genommen jeder rein metaphysischen, ethischen oder dogmatischen Erklärung verschlossen bleiben muss: die Genese des Sünders, und d. h. hier zugleich, die Genese des Menschen als eines solchen. Mensch sein heißt (nicht notwendig, aber) faktisch, die eigene Freiheit i.S. des Vermögens zum Guten und Bösen immer schon mit der Konsequenz verwirklicht und vollzogen zu haben, dass man ihrer in eben diesem Vollzug – durch die Wahl des Bösen nämlich – bereits verlustig ging.45 Und das besagt in 41 42 43 44 45
Vgl. ebd., 350 / 42 sowie Gen 2, 17. SKS 4, 347 / GW1 BA, 39. Ebd., 350 / 43. Ebd., 348 / 40; im Original kursiv. Dass alle Menschen faktisch erst als Sünder Mensch werden, ist laut Vigilius eine, und zwar unverzichtbare Verallgemeinerung aus der Sicht der christlichen Dogmatik. Diese erklärt (im Unterschied zu Metaphysik, Ethik und Psychologie) die Sünde bzw. Erbsünde damit, „daß sie sie voraussetzt“ (SKS 4, 327 / GW1 BA, 17) – als allgemeine nämlich. Vgl. SKS 4, 224 / GW1 PB, 14.
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der Konsequenz: Die seinskonstitutive Frage des Menschen nach sich selbst geht (nicht notwendig, aber) faktisch mit derjenigen Art und Weise, sie zu beantworten, einher, die jenen Anspruch als unberechtigt erscheinen lässt. 2.4 Damit ist umrisshaft skizziert, in welcher Weise das Christentum bzw. die christliche Dogmatik, im Rückgriff vor allem auf Psychologie und Ethik, zumindest hinreichende Verständnisbedingungen für Eigenart und Genese jener Frage des Menschen nach sich selbst bereitzustellen vermag, die Kierkegaard als integrales Moment der menschlichen Existenz als solcher begreift. Wie steht es aber mit der spezifisch christlichen Antwort auf diese Frage – und zwar im Blick sowohl auf deren Erkenntnis- wie deren Realisierungsbedingungen? Im Unterschied zum Übergang vom ursprünglichen zum faktischen qua sündigen Selbst betrifft diese Frage christlich gesprochen den Sprung vom faktischen zu dem, was man das eschatologische oder das Selbst des Glaubens nennen kann.46 Dieser Sprung sowie dessen christologische und hamartiologische Voraussetzungen stehen im Zentrum der Philosophischen Brocken von 1844. Ihr Autor Johannes Climacus, selber kein Christ47, profiliert den Standpunkt des christlichen Glaubens bzw. dessen Voraussetzungen rein philosophisch, und zwar in Auseinandersetzung mit der griechischen Anamnesislehre, wie sie durch den platonischen Sokrates vorgetragen wird. Ausgangspunkt ist dabei die Frage nach den Lehr- und Lernbarkeitsbedingungen der Wahrheit.48 Diese Bedingungen kommen hier inhaltlich allerdings nur in ethischer Hinsicht, nämlich als Inbegriff des guten Lebens, sowie im Blick auf die metaphysisch-anthropologischen Voraussetzungen seiner Erkenntnis und Verwirklichung in den Blick. Der durch die Mitteilung des Lehrenden veranlasste Lernprozess kann im Kontext des sokratischen Modells nur als Sicherinnern an ein unwissentlich immer schon Gewusstes gedacht werden, wobei der Lehrer das Wahre im Schüler nicht eigens ,gebärend‘ hervorbringt, sondern diesen gleichsam als Hebamme zur ,Entbindung‘ dessen lediglich veranlasst, was als verborgene Wissensfrucht immer schon in ihm lag. Die Plausibilität dieses Modells basiert auf vier Prämissen. Erstens: Der Schîler ,ist in der Wahrheit‘, insofern er sich dieser als in ihm bereits verborgen vorhandene 46 Vgl. zur Unterscheidung und Verhältnisbestimmung dieser drei Stufen des Selbst: H. Schulz 1994, 519 f. u. 522 – 528. 47 Vgl. NB11:209, SKS 22, 130 / T 3, 257. 48 Vgl. SKS 4, 218 – 221 / GW1 PB, 7 – 11.
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lediglich erinnern muss. Zweitens: Der Lehrer ist ein prinzipiell austauschbares Medium der Wahrheitsaneignung; als solches kann er nicht selbst zum Bestandteil des als Wahrheit Erinnerten werden. Drittens: Lernen ist bloßes Sicherinnern, Lehren nichts weiter als die mäeutische Veranlassung hierzu. Viertens: Der zeitliche Moment der Wahrheitsaneignung ist ein zufälliger und transitorischer, er verschwindet in der Ewigkeit des Immer-schon-Gewussten. Climacus zeigt nun, dass die Abwandlung von Prämisse vier die entsprechende Umformung der anderen drei Prämissen mit Notwendigkeit nach sich zieht; er zeigt ferner, dass der dogmatische Kernbestand des christlichen Glaubens in der Tat auf nichts anderes zurückzuführen ist als die (etwa an Gal 4, 4 belegbare) Behauptung eines mit der Menschwerdung Gottes sinnfällig werdenden Augenblicks in der Zeit, dem nicht nur zufällige bzw. transitorische, sondern ewig- bzw. seligkeitsentscheidende Bedeutung zukommt.49 Unter dieser Voraussetzung kann der Vorgang eines mit jenem Augenblick verknüpften Lernens nicht länger als bloße Erinnerung an eine im Schüler selbst liegende Wahrheit verstanden werden, die zu entbinden lediglich der mäeutischen Veranlassung bedarf. Es muss sich vielmehr um eine (göttliche bzw. gottmenschliche) Offenbarung handeln, die auf Seiten des Schülers im Medium des Glaubens ,gelernt‘, d. h. als wahr und heilsam angeeignet wird. Als Offenbarung teilt diese inhaltlich mit, wozu der Lernende von sich her, d. h. kraft eigenen Erinnerungsvermögens, keinen Zugang hat. Hierbei ist christlich gesprochen zunächst und vor allem an den Tatbestand der eigenen Unwahrheit qua Sünde zu denken. Erster Ausdruck des Glaubens bzw. dessen integrales Moment ist folglich das Sündenbewusstsein – als Bewusstsein der Wahrheit über die eigene Unwahrheit. Da es ferner „ein Widerspruch“50 wäre anzunehmen, dass der göttliche Lehrer seinen Schüler der nötigen Lern- und Verständnisbedingungen hätte berauben sollen, muss dieser, da hier auch der Zufall ausscheidet, ihrer Möglichkeit durch eigenes Verschulden verlustig gegangen sein.51 Und dieser Verlust muss, wenn denn Augenblicks- und 49 Vgl. SKS 4, 305 / GW1 PB, 106. 50 Ebd., 223 / 13. 51 Climacus verzichtet auf eine Erläuterung des behaupteten Widerspruches. Ich denke, es steht folgende Überlegung dahinter: Wenn die Augenblicksprämisse das Offenbarungspostulat tatsächlich einschließt, dann muss deren Adressat nicht nur als kommunikationsunfähig, sondern auch als -unwillig gedacht werden (vgl. SKS 4, 222 / GW1 PB, 11 f.). Die Mitteilungsinitiative kann folglich nur vom Mitteilenden selbst, d. h. von Gott ausgegangen sein. Unter dieser Voraussetzung aber muss die Annahme, dass derselbe Gott, der nun, nachdem durch das Ver-
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Offenbarungsprämisse ex hypothesi gültig sind, so tiefgreifend sein, dass er mit der Konsequenz einer völligen Unfähigkeit auf Seiten des Lernenden einhergeht, von sich aus Zugang zur Wahrheit einer göttlichen Mitteilung zu gewinnen, ja diesen auch nur zu wollen: Weder Sündenbewusstsein52 noch Glaube53 stehen mithin in der Macht bzw. der willentlichen Verfügungsgewalt des Lernenden. Eben weil sich dies so verhält, geschieht bezogen auf die über das Sündenbewusstsein hinausgehenden Inhalte des Glaubens im Augenblick der Offenbarung eine entscheidende Transformation im Selbst- und Gottesverständnis ihres Rezipienten: Erstens erscheint der Mitteilende54 darin als einmalig und unersetzbar – er entbindet im Adressaten die Wahrheit nicht nur, sondern gebiert sie in ihm. Gott ist, gut protestantisch gesprochen, zunächst und vor allem als Grund des Glaubens dessen Gegenstand. Mit der von Gott gewirkten Offenbarung des Sünders als eines solchen geht zweitens dessen faktische Befreiung aus seiner selbstverschuldeten Blindheit, drittens die Restituierung des gestörten Verhältnisses zu seinem göttlichen Gegenüber und viertens die Verpflichtung hervor, dessen befreiender und versöhnender Initiative „niemals [zu] vergessen“55, diesem mithin nicht nur Dank schuldig, sondern ihm gegenüber auch auf ewig verantwortlich zu sein. Kurzum: In der Gewissheit des durch Gott zum Glauben befähigten Sünders erkennt dieser sich zugleich als befreit, versöhnt und verpflichtet, Gott selber aber als Erlöser, Versöhner und Richter.56 Schematisch ergibt die Gegenüberstellung des sokratischen und des christlichen Modells der Wahrheitsvermittlung folgendes Bild:
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schulden seines Gegenübers die Beziehung bereits radikal gestört ist, aus völlig freien Stücken (und d. h. aus Liebe, vgl. ebd., 232 / 22) die Initiative zur Rückgewinnung des gegenseitigen Einverständnisses ergreift, ursprünglich, d. h. vor und unabhängig von jener Verschuldung, die Möglichkeit eines Einverständnisses gerade verhindert hätte bzw. hätte verhindern wollen, als widersprüchlich gelten. Vgl. SKS 7, 531 / GW1 AUN2, 297. Vgl. SKS 4, 264 / GW1 PB, 59. Denn von einem Lehrer kann hier streng genommen nicht mehr gesprochen werden: vgl. SKS 4, 223 / GW1 PB, 13. Ebd., 226 / 16. Vgl. ebd., 226 / 15 f.
Wahrheitsvermittlung als maieutischzwischenmenschlicher Lehrund Lernprozess Das christliche WahrheitsModell der vermittlung als WahrheitsOffenbarung Gottes vermittlung an den Menschen
Das sokratische Modell der Wahrheitsvermittlung
Spezifikum
Augenblick
Der Gottmensch als Paradoxe Tatsachen – Ewig bzw. Erlöser, Versöhner, als Geglaubtes (z. B.: wesentlich Richter – in Analogie ,ich bin Sünder‘) zum Schöpfer
Der Einzelne als Bekehrter, Bereuender, Wiedergeborener – in Diskontinuität mit sich als Sünder
Ewige Tatsachen – als Transitorisch Erinnertes (z. B.: ,ich bzw. zufällig bin fähig und verpflichtet, gerecht zu handeln‘)
Inhalt
Der Einzelne als Lehrender – in Analogie zum Geburtshelfer
Quelle
Der Einzelne als Lernender: – in Kontinuität mit sich als (implizit) Wissendem
Adressat
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2.5 Kernpunkt der christlichen Antwort auf die in der menschlichen Existenz liegende Frage nach deren ewiger Gültigkeit ist also der Glaube an und durch den menschgewordenen Gott. Dieser Glaube, von dem Climacus hinzufügt, er könne aller dazwischenliegenden Jahrhunderte zum Trotz mit Jesus Christus als seinem Gegenstand ,gleichzeitig‘ werden57, verlangt seiner Funktion nach zugleich erkenntnistheoretisch und ontologisch bestimmt zu werden: Der mit Gott versöhnte Sünder erkennt darin erstens die unbedingte Gültigkeit seines eigenen, jetzt und hier durch einzigartige und unwiederholbare Bedingungen bestimmten und begrenzten Lebens; und er erkennt zweitens, worauf der Ausdruck ,unbedingte Gültigkeit der eigenen Existenz‘ an sich referiert – nur auf die und jede Existenz nämlich, die im Glauben des erlösten und versöhnten Sünders aus der Hand Gottes dankbar empfangen werden kann. Und das trifft aus Kierkegaards Sicht faktisch für jede Existenz zu – mit Ausnahme der sündigen, von der als einer solchen gilt, dass sie sich selber nicht kennt bzw. vor Gott leugnet.58 Von daher sind Glaube und selbstdurchsichtige Existenz koextensive Bestimmungen.59 Existieren kann nur als sich selbst verstehendes gelingen, und dieses Verstehen ist im Glauben möglich – freilich auch nur hier. Der Glaube erkennt aber nicht nur die Wahrheit bzw. sich selbst als deren Inhalt und epistemische Ermöglichungsbedingung; sondern er ist zugleich Medium der Verwirklichung des Erkannten – und auch als solches sein eigener Gegenstand: In der und durch die offenbarungsvermittelte(n) Einsicht in die nunmehr als realisiert vorgestellten Gültigkeitsbedingungen der eigenen Existenz vollzieht er kraft göttlicher Initiative selber die Realisierung eben dieser Bedingungen. Kierkegaards Theorie des Glaubens als einer zweiten, postreflexiven Form von Unmittelbarkeit60 zeigt freilich auch, dass zum einen nur 57 Vgl. zu Begriff und Funktion des Gleichzeitigkeitsbegriffs im Kontext der Brocken: SKS 4, 258 – 306 / GW1 PB, 52 – 107. Zum Vergleich: SKS 12, 74 – 78 / GW1 EC, 61 – 66. 58 Wenn der Ethiker in Entweder – Oder II erklärt, sein Freund, der Ästhetiker A, könne seiner Verzweiflung nur so Herr werden, dass er diese, als solche nämlich, wählt (vgl. SKS 3, 203 / GW1 EO2, 224), dann folgt daraus, dass die Leugnung der Verzweiflung deren Möglichkeit notwendig bedingt. In diesem Sinne ist umgekehrt der Glaube christlich gesprochen nichts anderes als das Vermögen, die eigene Verzweiflung Sünde zu nennen. 59 Vgl. dazu SKS 11, 130 u. 242 / GW1 KT, 10 u. 134. Demnach liegt Glaube genau dann vor, wenn das Selbst, „indem es sich zu sich selbst verhält, und indem es es selbst sein will, … durchsichtig in der Macht [gründet], welche es gesetzt hat“ (ebd., 130 / 10). 60 Vgl. NB4:159, SKS 20, 362 f. / T 2, 229 f.
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derjenige die Frage nach der Gültigkeit des eigenen Daseins beantworten kann, der sie auf sachgemäße Weise zu stellen vermag: nämlich als Frage nach der Sünde als derjenigen Entität, die ihre Beantwortung zugleich motiviert wie unmöglich macht. Und da zweitens der (nur durch Gottes Handeln generierbare) Glaube jene Frage als eine immer schon beantwortete stellt, vermag folglich nur der sie richtig zu stellen, der sie, vermittelt durch einen anderen, bereits beantwortet hat. 61 In stadientheoretischer62 Perspektive besagt das: Der Ästhetiker übersieht bzw. leugnet die mit dem Faktum seiner Existenz gegebene Aufgabe; der Ethiker missversteht sie, indem er sie irrtümlich als ein durch ihn selbst herzustellendes Gleichgewicht des Ästhetischen und Ethischen (paradigmatisch im Medium der Ehe) deutet; die Religiosität A scheitert an der autonomen Realisierung absoluter Selbstvernichtung vor Gott als der notwendigen Vorbedingung zu ihrer Lösung; erst und allein der Christ sieht und lçst die Aufgabe, auf der Basis des Sündenbewusstseins, und bewegt sich damit epistemisch wie ontologisch in der „Sphäre der Erfüllung.“63 Allein, er sieht und löst sie nicht aus eigener Kraft Kierkegaard schärft freilich unermüdlich ein, dass die Wahrheit dieser Dialektik auf der realen Möglichkeit paradoxer Sachverhalte, und d. h. hier auf der Wahrheit einer nicht nur unbegründeten oder unbegründbaren, sondern rational schlechthin abgründigen Ausgangsprämisse beruht: Dass Ewiges zeitlich oder Göttliches menschlich wird – kurz: dass Ewiges oder Göttliches wird –, entzieht sich menschlichem Verstehenwollen als ein prinzipiell Nichtverstehbares. Dasselbe gilt vom ,Wunder‘ des Glaubens und der Wiedergeburt des Sünders64, ebenso aber auch von der Erbsünde als einer Form des Werdens, die zugleich und paradoxerweise ein radikales Anderswerden des Menschen qua Geburt einschließen soll.65 Nichtsdestoweniger treibt jenes Nichtverstehbare unablässig zum Versuch des 61 Dass die Selbstwahltheorie des Ethikers in Entweder / Oder II auf einer strukturell analogen Gedankenfigur basiert, habe ich zu zeigen versucht in: H. Schulz 1994, 253 – 257. 62 Kierkegaard unterscheidet bekanntlich „drei Existenzsphären: die ästhetische, die ethische und die religiöse. Diesen entsprechen zwei Grenzgebiete (Confinien): die Ironie ist das Grenzgebiet zwischen dem Ästhetischen und dem Ethischen; der Humor ist das Grenzgebiet zwischen dem Ethischen und dem Religiösen“ (SKS 7, 455 / GW1 AUN2, 211; vgl. SKS 6, 439 / GW1 SLW, 507). Zur Unterscheidung zwischen Religiosität A und B vgl. SKS 7, 505 – 509 / GW1 AUN2, 266 – 271. 63 SKS 6, 439 / GW1 SLW, 507. 64 Vgl. SKS 4, 227 ff. u. 267 / GW1 PB, 17 ff. u. 62. 65 Vgl. SKS 7, 530 f. / GW1 AUN2, 296 f.
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Verstehens – wohlgemerkt: von etwas als demjenigen, worin es gerade seinen eigenen Untergang fände. Nicht nur der äußerste und höchste Gegenstand leidenschaftlichen Verstehenwollens enthüllt sich somit als paradox, sondern auch dieses selber, und mit ihm alle Leidenschaft als solche.66 Da nun einerseits Kierkegaards ,theologisches‘ Denken insgesamt auf das Paradox einer durch Gottes Handeln ermöglichten sowie im Glauben verwirklichten und gewissen Teilhabe des menschlichen Daseins am ,Ewigen im Augenblick‘ der unbedingten Legitimität des eigenen Daseins zielt; und da diese Gedankenfigur zweitens genuin eschatologischer Art ist67, erscheint der Schluss berechtigt, dass Kierkegaards existenzdialektisch profilierte Theologie in toto wenig mehr bietet als die Entfaltung des Grundgedankens einer – wohlgemerkt: individuellen und realisierten – Eschatologie. 3. Die Mitteilung der These: Philosophie als Verführung und (Selbst-)Therapie 3.1 Kierkegaards gesamtes Werk hat den Charakter einer Existenzmitteilung. Es zielt als solche darauf, die Idealität des christlichen Glaubens sowie dessen Verknüpfung mit dem Grundgedanken der Legitimation des faktischen Daseins primär als ein Kçnnen und nicht bzw. nur in untergeordnetem Maße als ein Wissen mitzuteilen.68 Die so bestimmte Mitteilungsabsicht bzw. deren Umsetzung verdankt sich dabei keiner bloßen Idiosynkrasie ihres Autors, sondern ist der konsequente Ausdruck einer zugrunde liegenden Ansicht vom Wesen des Christlichen bzw. des Ethisch-Religiösen an sich69, sowie von den Voraussetzungen und 66 Eben deshalb kann aus Kierkegaards Sicht das Christentum auch nicht ,geradewegs‘, nämlich als vernunftgemäß empfohlen bzw. zum Gegenstand einer philosophischen Apologie werden. Als Paradox ist und bleibt der Gottmensch für alle Zeiten ein „Zeichen des Widerspruchs“ (SKS 12, 131 / GW1 EC, 119); als solches macht er die Herzen derer offenbar, die mit seiner bzw. mit der in ihrer Paradoxalität eo ipso ärgerniserregenden Botschaft des christlichen Glaubens konfrontiert werden, dass er der Inkarnierte, mithin derjenige ist, in dem Gott Mensch bzw. das Ewige zur Rettung des Menschen zeitlich wurde. Vgl. SKS 4, 242 – 250 / GW1 PB, 34 – 44. 67 Vgl. dazu vor allem: Schäfer 1968, 44 ff.; H. Schulz 1994, 477 – 492. 68 Vgl. Papir 365:7 – 13, SKS 27, 393 – 397 u. Papir 366:3, SKS 27, 402 / T 2, 122 – 125 u. 127. 69 Vgl. z. B. NB6:56, SKS 21, 42 / T 3, 50.
II. Werk
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Grenzen seiner Mitteilbarkeit. Dabei werden in der werkgebundenen Umsetzung dieser Strategie Gehalt und Mitteilungsvorgang auf eigentümliche Weise verschränkt, indem jene auf der Leser- und / oder Empfängerseite dasjenige bereits induziert bzw. zu induzieren versucht, wovon sie selber handelt. In diesem Sinne wird die als existenzkonstitutiv behauptete Frage des Menschen nach sich selbst im Zuge ihrer Mitteilung durch das pseudonyme Werk auf eine Weise thematisiert, die ihrem Adressaten erlaubt, ja ihn dazu provoziert, jene Frage in der Rezeption des Textes bereits für und an sich selbst zu stellen. Können lässt sich dabei aus der Sicht Kierkegaards niemals ohne und gänzlich außerhalb künstlerischer Ausdrucksformen mitteilen; auch in diesem Sinne gehören Kunst und Können eng zusammen. Jene Ausdrucksformen eröffnen, ihrer semiotischen Vagheit und Vieldeutigkeit wegen, auf Seiten des Rezipienten einen kreativen Spielraum, der ihn zur selbsttätigen Aneignung des Dargestellten im Handlungs- und / oder Interpretationsvollzug ermuntert. Ferner wurzelt alle Kunst laut Kierkegaard im Geist der Verführung und besitzt auch damit eine Eigenschaft, die sich die Existenzmitteilung zunutze machen kann: Was jene, zumindest wenn sie konsequent verfährt, zur Darstellung bringt, erscheint darin nolens volens in idealer Vergrößerung und unendlicher Konsequenz, vollkommener (im Guten wie im Bösen) als die prosaische Wirklichkeit es zulässt.70 Kunst ,überredet‘ den Rezipienten auf diese Weise gleichsam dazu, sich bis hin zur Verwechslung seiner selbst und der eigenen, durch mancherlei Zufälligkeiten beeinträchtigen Faktizität mit dem dargestellten Ideal – oder aber der Idealität seines Gegenteils – zu identifizieren. So hat bereits Sokrates, Kierkegaards großes Vorbild in dieser Sache, die Position seiner Dialogpartner durch die Kunst der Ironie ins Extrem zu steigern gewusst, nur um den Ballon ihrer vermeintlichen Weisheit in einer aporieinduzierenden Anticlimax platzen zu lassen und sie auf diese Weise unbarmherzig mit ihrer eigenen Ignoranz zu konfrontieren. Analog hierzu gilt insbesondere Kierkegaards pseudonymes Werk dem Bemühen, den Leser ,in die Wahrheit hineinzutäuschen.‘71 In diesem Sinne weist etwa Johannes Climacus 1846 als Reaktion auf eine unzulässig dozierende Besprechung seiner Brocken auf dasjenige hin, wovon aus seiner Sicht der Leser jedenfalls eine Ahnung bekommen müsse, wenn er dem existenzdialektisch indirekten und damit an seine eigene Selbsttätigkeit appellierenden Sinn des Mitgeteilten gerecht 70 Vgl. hierzu und im folgenden: H. Schulz 1998, 463 – 466. 71 Vgl. SKS 16, 35 ff. / GW1 GWS, 47 ff.
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werden wolle: nämlich „von dem ganzen in der Anlage [sc. des Buches] liegenden Parodieren der Spekulation, von dem Satirischen, das darin liegt, daß Anstrengungen gemacht werden, als sollte was ganz Außerordentliches, und zwar Neues, kommen, während beständig die altmodische Orthodoxie mit gehöriger Strenge kommt.“72 Nicht nur der ständige Wechsel der Ton- und Stilarten, das bewusst in der Schwebe des bloß Anspielungshaften Gehaltene sowie das (wohlgemerkt: im hegelianischen Sinne!) prätentiös Un- bzw. Antisystematische der gedanklichen Entwicklung, sondern auch die Doppelbödigkeit des Ironischen und Satirischen sowie die den philosophischen Argumentationsduktus immer wieder kalkuliert unterbrechende Anekdote zählen zu den literarisch-mitteilungstheoretischen Ressourcen, von denen Kierkegaard virtuos Gebrauch zu machen versteht. Hierher gehören aber auch und vor allem seine zahlreichen Pseudonyme, deren strategische Verwendung unter anderem auf romantische Vorbilder verweist (z. B. E.T.A. Hoffmann). Natürlich hat Kierkegaard nicht ernsthaft beabsichtigt und / oder angenommen, auf diesem Wege seine eigene Urheberschaft zu verbergen. Diese Vermutung ist schon deshalb abwegig, weil er auf dem Deckblatt einiger pseudonymer Werke ausdrücklich als Herausgeber figuriert (so z. B. in den Brocken und der Krankheit zum Tode). Die Einschaltung von Pseudonymen hat vielmehr einen mitteilungsbzw. rezeptionstheoretisch klar bestimmbaren Sinn: Sie ermöglicht und fördert eine aus Kierkegaards Sicht höchst erwünschte Distanz zwischen Autor und Leser. Verhindert, zumindest aber erschwert wird auf diese Weise jener Missbrauch, der ansonsten nur allzu nahe liegt: Im Rückgang auf den auctor des Textes als einer ,wirklichen‘ Person, die als solche mit dem Inhalt des Mitgeteilten behaftet werden kann, wird aus dieser unversehens jene auctoritas, die nicht nur für den Inhalt, sondern auch für die Richtigkeit des Mitgeteilten einsteht und dem Leser auf diese Weise erspart, sich zu etwas ins Verhältnis zu setzen, das lediglich von einer ,fiktiven‘, ungreifbaren Instanz zur Disposition gestellt wird. Im Unterschied dazu erhält der auf die Pseudonyme zurückgeworfene Leser keine eigentlichen Informationen, sondern lediglich Hinweise, wie man von 72 SKS 7, 249 / GW1 AUN1, 270. In den Kontext dieser Strategie gehört auch die kalkulierte Zweigleisigkeit von pseudonymem und nichtpseudonym-erbaulichem Werk: Ersteres soll unter anderem den Eindruck erwecken, als sei Kierkegaard ein rein philosophisch bzw. ästhetisch motivierter Autor, letzteres, jeweils zeitgleich publiziert, konfrontiert den Leser mit der beunruhigenden Möglichkeit, dass es sich hier lediglich um ein geschickt lanciertes Inkognito handelt; vgl. SKS 16, 35 ff. / GW1 GWS, 47 ff.
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einem bestimmten, begrenzten Standpunkt aus ein gegebenes Problem betrachten bzw. in sich konsequent durchführen kann – Hinweise, die als solche an sein eigenes ,Können‘ appellieren. Da Kierkegaards Schriften den idealen Leser zudem selber thematisieren, ja als solchen auch immer wieder direkt ansprechen, kann man sie als ein fortlaufendes Gespräch zwischen fiktivem Autor und fiktivem Leser ansehen, wobei der ,wirkliche‘ Leser permanent genötigt wird, sich zu beiden ins Verhältnis zu setzen und Stellung zu beziehen. Rezeptionsästhetisch gesehen zeichnet Kierkegaards Texte von daher ein eminent praktischer, ja therapeutischer oder religiös gesprochen erbaulicher Zug aus: Alles Christliche, so die Zuspitzung des Anticlimacus, muß in der Darstellung erbaulich sein, d. h. „Ähnlichkeit haben mit dem Vortrag eines Arztes am Krankenbett.“73 Diese Funktion besitzen die Texte indessen auch in produktionsästhetischer Hinsicht. Sie sind insofern Ausdruck (des Versuchs) einer Selbsttherapie ihres Autors. Dies nicht nur in dem vordergründigen Sinne, dass Kierkegaard seiner ganzen Person und Veranlagung nach nur schreibend existieren, sondern auch i.S. der tieferliegenden Umkehrung, derzufolge er nur existierend schreiben konnte. Das besagt: Indem Kierkegaard über den Kampf des Subjekts mit sich selbst in der Frage nach der unbedingten Gültigkeit des eigenen Daseins schreibt, kämpft er im Angesicht der Frage, ob sein eigenes Schreiben und mit diesem er selber vor Gott unbedingte Gültigkeit erlangen könne, um die Gültigkeit eben dieses Daseins. Und dies mit dem (vor allem in den Journalen monomanisch kultivierten) Zweifel, ob nicht die Therapie am Ende Ausdruck eben jener Krankheit ist, die sie zu heilen vorgibt. Denn aus Kierkegaards Sicht ist sein dichterisch-dialektisches Doppeltalent als solches zunächst einmal eine reine Naturbestimmung, bloßer Bestandteil seiner Faktizität.74 Die Kultivierung jenes Talentes reflektiert dabei eine individuelle Konstellation von Notwendigkeit und Möglichkeit, die noch keinen ethisch-religiösen Ausdruck gefunden hat und daher bis auf weiteres der Legitimation bedarf. Als solche muss Kierkegaard sie ewig und in jedem Augenblick vor Gott in sein Selbst integrieren bzw. als eines seiner unbedingt berechtigten Momente aus der Hand Gottes zurückempfangen. Und auch in dieser, genuin produktionsästhetischen Hinsicht ist der Rückgriff auf die pseudonyme Schreibtechnik sprechend. Sie für notwendig zu halten, basiert vom Selbstverständnis Kierkegaards her auf 73 SKS 11, 117 / GW1 KT, 3. 74 Vgl. SKS 16, 55 / GW1 GWS, 71.
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einer Überlegung, die ihrerseits in die Einsicht der Notwendigkeit mündet, sich selbst weniger als Autor denn als Leser des pseudonymen Werkes zu betrachten.75 Zum einen nämlich wurzeln die individuellen Perspektiven der Pseudonyme allesamt in Facetten der Kierkegaardschen Person; sie sind insofern nicht ,frei erfunden‘, sondern ästhetischer Ausdruck seines eigenen ,uneröffneten‘ Innern, das, vermittelt durch Selbstbeobachtung, Imagination, Reflexion und schriftstellerisches Geschick in eine Reihe konsistenter Lebensanschauungen transformiert wurde. So zumindest muss Kierkegaard das pseudonyme Werk im Prozess seines Entstehens beurteilen. Zum anderen aber und im Rîckblick mag es sich für ihn anders, nämlich so darstellen, als sei in Wahrheit nicht er selbst, sondern Gott der Autor des Werkes und zugleich derjenige, der diesem i.S. providentiellen Wirkens weltgeschichtliche Bedeutung verleiht.76 Auch in diesem Sinne liegt es aber für Kierkegaard nahe, sich selbst – nach Abschluss des jeweiligen Werkes – nurmehr als dessen Leser zu betrachten. Aufs Ganze gesehen verhielte sich Kierkegaard demnach, vermittelt über sein Werk, zu seinem Leser wie Gott, vermittelt über das Werk Kierkegaards, zur Welt insgesamt: als Verführer, der diese bzw. jeden einzelnen Menschen in die Wahrheit hineinbetrügen will77 – ja, ihn am Ende vielleicht nur auf diesem Wege Geschmack an jener heilsamen Idee, die durch seinen Sohn im Modus eines täuschenden Inkognitos offenbar geworden ist, hat finden lassen kçnnen. 78
III. Wirkung Die Rezeptionsgeschichte Kierkegaards wird erst seit ca. 20 Jahren intensiver erforscht.79 Sie verläuft grob gesehen in fünf Phasen. Die erste beschränkt sich sprachlich wie geografisch weitgehend auf den innerdänischen Kontext und findet über die vereinzelten Rezensionen anlässlich des Erscheinens der jeweiligen Separatschriften Kierkegaards ihren Höhepunkt in der kurz vor und in den ersten Jahren nach dessen 75 76 77 78 79
Vgl. SKS 7, 569 / GW1 AUN2, 340. Vgl. SKS 16, 50 – 69 / GW1 GWS, 66 – 87. Vgl. NB24:52, SKS 24, 349 f. Vgl. SKS 4, 232 – 238 / GW1 PB, 23 – 30. Vgl. dazu H. Schulz 2011b sowie die dort im Literaturverzeichnis angegebenen einschlägigen Titel, ferner die Jahrbücher der Kierkegaard Studies, die in der Regel jeweils einem bestimmten Werk Kierkegaards gewidmet sind und dabei unter anderem Beiträge zu dessen internationaler Rezeptionsgeschichte enthalten.
III. Wirkung
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Tod heftig geführten Debatte um Recht oder Unrecht seines Kirchenangriffs. Zwar liegen die einschlägigen Quellen, die den Anlass dieser Auseinandersetzung bilden, seit Beginn der 60er Jahre zumindest in Auswahl auch in deutscher Sprache vor. Eine nach Umfang und / oder Qualität bemerkenswerte Sekundärproduktion hat sich im Anschluss daran aber nicht herausgebildet. Den vor dem Hintergrund der innerdänischen Debatte als zweite Phase zu bezeichnenden internationalen Rezeptionsschritt kann man von daher als weitgehend lektüregebundene Aneignung auf der Basis der bis dato vorliegenden Übersetzungen beschreiben und der Kategorie Rezeption ohne Produktion zuordnen. Eine dritte Periode stufe ich unter rein quantitativen Gesichtspunkten als Phase der unproduktiven Rezeption ein: Zwischen 1890 und 1910 setzt sich die Aneignung der in diesem Zeitraum bereits in größerem Ausmaß vorhandenen Kierkegaard-Übersetzungen (insbesondere des pseudonymen Werkes) zwar sukzessiv in eine entweder durch ihn nachweislich inspirierte oder aber ihm eigens gewidmete schriftstellerische Produktion um. Aber dies geschieht, letzteres betreffend, entweder nur in Spezialistenzirkeln – so etwa im Kontext einer psychologisch-biografisch orientierten Kierkegaard-Forschung, die bereits mit G. Brandes einsetzt und von Autoren wie P.A. Heiberg sowie später F. Brandt und anderen weitergeführt wird. Oder der rezeptionshistorische Reflex beschränkt sich, im Blick auf die erstere Alternative, auf einige (vor allem deutschsprachige) Dichter und Schriftsteller, die sich, obschon von Kierkegaard nachweislich inspiriert, nicht oder nur sporadisch zu ihm geäußert haben.80 Die große Zeit einer vierten, als Kierkegaard-,Renaissance‘ apostrophierbaren Phase verläuft grob gesehen in zwei Abschnitten zwischen ca. 1910 und 1945: Hier kommt es nicht nur zu einer extensiven, philosophisch wie theologisch gleichermaßen produktiven Rezeption 81, sondern überdies zu rezeptionstypologischen Mischformen (innerhalb der Theologie z. B. E. Hirsch). Typologisch unübersichtlich wird die Lage seit Ende des zweiten Weltkriegs. Von diesem Zeitpunkt an, der den Beginn einer fünften und vorläufig letzten Phase markiert, dominiert eine nach Schulrichtungen, Themen, Methoden und rezeptionshistorischen Leitinteressen weitverzweigte rezeptive Produktion. Vor allem seit den 90er 80 Zudenken ist hier vor allem an Autoren wie Th. Fontane, H. von Hofmannsthal, R.M. Rilke, F. Kafka, Th. Mann, H. Broch, H. Hesse, G. Benn und A. Döblin – später auch F. Dürrenmatt, M. Frisch und M. Walser. 81 Z.B. L. Wittgenstein, M. Heidegger, K. Jaspers, J.P. Sartre, G. Marcel, E. Bloch, Th. W. Adorno; K. Barth, E. Brunner, F. Gogarten, R. Bultmann, P. Tillich.
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Jahren beschränkt diese sich nicht mehr auf rein innerphilosophische und / oder –theologische Diskurse, sondern leitet z. B. im Horizont der aktuellen Dekonstruktivismusdebatte auch dazu an, die sprach-, literaturund mitteilungstheoretische Potenz des Kierkegaardschen Werkes für sich in den Blick zu nehmen.
B. Reflexion und Aneignung: Was ist Christentum in Wahrheit? I. Zum philosophischen Kontext der Leitfrage
2. Philosophie als Existenzwissenschaft. Empirismuskritik und Wissenschaftsklassifikation bei Søren Kierkegaard Hçre, bevor die Tatsachen nicht erwiesen sind, kann man nichts entscheiden, sagte Henri. Und wer wird entscheiden, ob sie erwiesen sind? sagte Lambert. Simone de Beauvoir, Die Mandarins von Paris
Ende 1842 notiert Kierkegaard folgende fragmentarischen Überlegungen in sein Tagebuch: „Über die Begriffe Esse und Inter-esse. Ein methodologischer Versuch. [D]ie unterschiedlichen Wissenschaften sollten gemäß der unterschiedlichen Weise, in der sie Sein akzentuieren [accentuere Væren], geordnet werden; und [gemäß der Weise], wie das Verhältnis zu Sein reziproken Vorteil [reciprok Fordeel] gibt. Ontologie Mathematik. Ihnen kommt absolute Gewissheit [Vished] zu – hier sind Denken und Sein eins, aber im Gegenzug sind diese Wissenschaften Hypothesen. Existenz-Wissenschaft [ExistentielVidenskab].“1
Ich möchte den Sinn dieser im Detail zunächst sicher kaum verständlichen und offenbar hastig zu Papier gebrachten Zeilen im folgenden ein Stück weit zu entschlüsseln versuchen, und zwar primär mit der Absicht, Herkunft und systematische Stellung der Idee einer sog. Existenzwissenschaft innerhalb von Kierkegaards Wissenschaftsklassifikation zu erläutern. Ich nähere mich dieser Problemstellung allerdings auf dem Umweg über ein Thema, das damit auf den ersten Blick wenig, ja noch weniger mit Kierkegaard selbst zu tun zu haben scheint. Es handelt sich um die sog. Falsifikationsdebatte, die seit Anfang der 50er Jahre mit der Frage nach der Verifizierbarkeit bzw. Falsifizierbarkeit religiöser Aussagen die sprachanalytische Diskussion religionsphilosophischer Probleme über ihren ursprünglich rein erkenntnistheoretischen Kontext hinaus
1
Papir 281, SKS 27, 271.
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bestimmt und befruchtet hat2. Die Einbeziehung dieser Diskussion ist weder Selbstzweck noch geht es mir dabei um ein historisch-systematisches Referat von Beiträgen, die hier zu Wort kommen. Ich beschränke mich vielmehr auf die Ausgangsthese, die deren Initiator Antony Flew im Anschluss an das berühmt gewordene Gärtner-Gleichnis3 vorgetragen und zu verteidigen gesucht hat. Ziel ist dabei, die Problematik dieser These (bzw. ihrer Implikationen) aufzuzeigen, mit Kierkegaardschen Mitteln zu pointieren und die von diesem mit Blick auf die zu Anfang vorgestellte Wissenschaftsklassifikation gezogenen systematischen Konsequenzen herauszuarbeiten. Ich werde also methodisch gesehen das eine auf der Folie des anderen zu erläutern versuchen, die wissenschaftstheoretischen Erwägungen von den erkenntnistheoretischen her und umgekehrt.
I. Zunächst also zur Falsifikationsdebatte: Flew geht es um den Konflikt zweier konkurrierender (genauer: einander kontradiktorisch ausschließender) Interpretationen der empirischen Wirklichkeit: Theistisch-religiöse Aussagen interpretieren innerweltliche Zusammenhänge zuletzt unter Rückgriff auf die Hypothese, dass ein Gott existiert (dass er die Welt geschaffen hat, sie liebt, für ihren Bestand sorgt etc.), skeptische Aussagen dagegen so, dass dies ausgeschlossen sein soll. Flew veranschaulicht die Auseinandersetzung beider Positionen durch ein Gleichnis: „Es waren einmal zwei Forscher, die stießen auf eine Lichtung im Dschungel, in der unter vielem Unkraut allerlei Blumen wuchsen. Da sagt der eine: ,Ein Gärtner muß dieses Stück Land pflegen.‘ Der andere widerspricht: ,Es gibt keinen Gärtner.‘ Sie schlagen daher ihre Zelte auf und stellen eine Wache aus. Kein Gärtner läßt sich jemals blicken. ,Vielleicht ist es ein unsichtbarer Gärtner.‘ Darauf ziehen sie einen Stacheldrahtzaun, setzen ihn unter Strom und patrouillieren mit Bluthunden … Keine Schreie aber lassen je vermuten, dass ein Eindringling einen Schlag bekommen hätte. 2
3
Vgl. dazu die von I.U. Dalferth herausgegebene und übersetzte Quellensammlung der ursprünglichen Diskussionsbeiträge von 1950 / 51 in: Sprachlogik des Glaubens. Texte analytischer Religionsphilosophie und Theologie zur religiçsen Sprache, München 1974, 84 – 95; außerdem Dalferths Einführung in die bzw. Kritik der entsprechenden Positionen ebd., 36 ff. Das Gleichnis und dessen Folgethesen sind abgedruckt in: Dalferth 1974, 84 ff. Ursprünglich stammt es von J. Wisdom, der die – subtilere – Version in seinem Aufsatz „Götter“ (vgl. ebd., 63 – 83, bes. 69) vorstellt.
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Keine Bewegung des Zauns verrät je einen unsichtbaren Kletterer. Die Bluthunde schlagen nie an. Doch der Gläubige ist immer noch nicht überzeugt: ,Aber es gibt doch einen Gärtner, unsichtbar, unkörperlich und unempfindlich gegen elektrische Schläge, einen Gärtner, der nicht gewittert und nicht gehört werden kann, einen Gärtner, der heimlich kommt, um sich um seinen geliebten Garten zu kümmern.‘ Schließlich geht dem Skeptiker die Geduld aus: ,Was bleibt eigentlich von deiner ursprünglichen Behauptung noch übrig? Wie unterscheidet sich denn das, was du einen unsichtbaren, unkörperlichen, ewig unfaßbaren Gärtner nennst, von einem imaginären oder von überhaupt keinem Gärtner?‘“4
Die These, die Flew mit Hilfe des Gleichnisses illustrieren will, lautet: Religiöse Aussagen erheben Anspruch darauf, kognitive Äußerungen oder Behauptungen zu sein – aber sie erheben diesen Anspruch zu Unrecht. Die Argumentation, die diese These stützen soll und zugleich deren Prämissen deutlich hervortreten lässt, verläuft wie folgt: (1) Religiöse Äußerungen sind als Behauptungen (= kognitive Aussagen) intendiert. (2) Als Behauptungen können nur wirklichkeitsbezogene Aussagen gelten, d. h. solche, die das Bestehen bestimmter, beobachtbarer Sachverhalte in der Welt bestreiten; diese fungieren umgekehrt als Prüfstein für die Richtigkeit der These: Liegen sie entgegen der anfänglichen Behauptung faktisch vor, falsifizieren sie diese. (3) Vertreter einer religiösen Wirklichkeitsdeutung weigern sich, irgendeinen Sachverhalt als mögliche Falsifizierung ihrer Aussagen gelten zu lassen. (4) Ergo weisen religiöse Aussagen keinen Wirklichkeitsbezug auf und sind ihrem eigenen Anspruch entgegen keine Behauptungen. Eben diese Sachlage soll mit Hilfe des Gleichnisses veranschaulicht werden, und zwar bereits auf der rein immanenten Ebene, d. h. noch bevor sein Resultat auf die Ebene einer religiösen Weltansicht transponiert wird: Der Skeptiker gibt Falsifikationskriterien seiner eigenen Position zu („kann der vermeintliche Gärtner gesehen, gehört oder gefühlt werden, will ich glauben, dass er existiert, meine Gegenthese mithin falsifiziert ist“); als die genannten Sachverhalte aber ausbleiben und so umgekehrt zu möglichen Falsifikationsmomenten der ,gläubigen‘ Position werden, ist deren Vertreter nicht bereit, sie als solche zu akzeptieren. Die ständig ,aufgeschobene‘ Falsifikation lässt am Ende, so der Skeptiker, von der ursprünglichen Behauptung des Gläubigen gar nichts mehr übrig; sie erleidet, ohne dass dieser es wahrhaben will, „schrittweise den Tod durch tausend Modifikationen“5. Die Diagnose lautet also: Der Gläubige 4 5
Flew, Theologie und Falsifikation; hier zit. nach Dalferth 1974, 84. Ebd., 85.
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versucht zu Unrecht und inkonsequenterweise ein Doppeltes; er möchte einerseits durch ständige Modifikation seiner Ausgangsthese deren Status als Behauptung retten, andererseits, auf demselben Weg, die drohende Falsifikationsmöglichkeit eliminieren. Flew hält beides für aussichtslos und zieht die entsprechende Konsequenz: Religiöse Aussagen dürfen entweder nur unter Angabe eines möglichen falsifikatorischen Sachverhaltes ihren Anspruch auf kognitive Relevanz (ihren Wirklichkeitsbezug) aufrechterhalten; oder sie müssen diesen Anspruch aufgeben. Soweit Flews Argumentation. Es lohnt sich, nochmals einen Blick auf ihre Prämissen zu werfen. Diese lauten: (1) Religiöse Aussagen beanspruchen, Behauptungen zu sein. (2) Als Behauptungen können nur solche Aussagen gelten, die einen Wirklichkeitsbezug aufweisen. (3) Ein Wirklichkeitsbezug liegt nur dann vor, wenn eine Aussage die Möglichkeit der Falsifizierung zulässt. (4) Falsifizierbarkeit besteht nur dann, wenn ein Sachverhalt angegeben wird, der als falsifizierend gelten können soll. Vor allem mit Hilfe der beiden letzten Prämissen können wir Flews sprach- bzw. erkenntnistheoretisches Grundmodell, demzufolge zwischen kognitiven und nichtkognitiven Aussagen unterschieden werden muss, noch einen Schritt weiter führen; Kognitiv (d. h. behauptend) sind nur solche Aussagen, die qua Falsifizierbarkeit einen Bezug zur empirischen Wirklichkeit prinzipiell zulassen, freilich so, dass sie die Identifizierung spezifischer falsifikatorischer Sachverhalte gewährleisten. Nichtkognitive Aussagen sind hingegen all jene, die die empirische Falsifizierung entweder prinzipiell nicht zulassen, oder aber keinerlei falsifizierende Konkretion bereitstellen, obschon sich diejenigen, die sie für wahr halten, dem Falsifikationskriterium eigenen Angaben zufolge unterwerfen.
II. Ich habe Flews Position aus zwei Gründen ausführlicher referiert: Zum einen setzt die Kritik, die ich im Folgenden mit Hilfe Kierkegaardscher Mittel am Falsifikationskonzept und deren religionsphilosophischen Implikationen üben werde, dessen genaue Kenntnis voraus. Wir werden sehen, dass Kierkegaards Wissenschafts- und Erkenntnistheorie in gewisser Weise eine große Nähe zum Empirismus aufweist6, und erst von hier aus kann die Pointe seiner Kritik präzise lokalisiert werden. Zum 6
Vgl. Perkins 1979, 385 – 407, bes. 398 ff.
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anderen wird diese Kritik die Voraussetzungen dazu bereitstellen, Gegenstandsbereich und wissenschaftstheoretische Stellung einer Existenzwissenschaft im Kierkegaardschen Sinne präziser zu bestimmen. Nun hat dieser sich m.W. zwar an keiner Stelle en détail zu den hier verhandelten Problemen geäußert; dennoch liefern die Schriften zumindest einiger seiner Pseudonyme (vor allem die des Johannes Climacus), aber auch seine eigenen Journalnotizen Hinweise, denen man entnehmen kann, wie sich aus seiner Sicht eine Kritik der Falsifikationstheorie dargestellt hätte. Den Ausgangspunkt für eine solche Kritik kann man sich, wiederum am Leitfaden des Flewschen Gleichnisses und einstweilen noch ohne Rekurs auf Kierkegaard, problemlos durch folgende Überlegung klarmachen: Nehmen wir an, Flews Prämissen seien allesamt zutreffend, und unterstellen wir überdies, dass die beiden Forscher in seinem Gleichnis eines schönen Tages tatsächlich einer Person – allem Anschein nach handelt es sich um den Gärtner – gegenüberstehen. Dann scheint ja die Behauptung des Skeptikers widerlegt. Genauer: Erscheint (sichtbar, hörbar, fühlbar) niemand, so scheint die These des Gläubigen falsifiziert, die des Skeptikers verifiziert. Taucht hingegen eine Person auf, so scheint umgekehrt die Gärtner-Hypothese verifiziert, die skeptische Gegenbehauptung falsifiziert. Indes: Ist diese Annahme plausibel? Läge nicht in beiden Fällen eine trügerische Gewissheit vor? Offenbar lässt sich doch weder dadurch, dass kein Gärtner auftaucht, die Möglichkeit, dass ein solcher da war, eindeutig falsifizieren, noch dadurch, dass jemand erscheint, die umgekehrte Behauptung zweifelsfrei verifizieren, dass derjenige, der da erscheint – der Gärtner ist! Und das ist in der Tat nicht nur dann der Fall, wenn dieser bestreitet, der Gärtner zu sein, oder Gärtner-untypische Verhaltensweisen an den Tag legt, sondern auch dann, wenn er alle entsprechenden Erwartungen erfüllt und zudem ausdrücklich behauptet, Gärtner zu sein: und zwar derjenige, der besagte Urwaldlichtung tatsächlich angelegt hat. Trifft dies aber zu, dann kann offenbar auch die These des Skeptikers nicht endgültig falsifiziert werden, jedenfalls nicht dank der Kriterien, die Flew dafür bereitstellen zu können meint. Das heißt aber doch: Das Akzeptieren oder Zurückweisen, Bestätigen oder Ablehnen einer Wirklichkeitsdeutung vollzieht sich zwar offensichtlich nicht ohne Referenz auf beobachtbare, möglicherweise falsifizierende Sachverhalte; es wird dadurch aber auch nicht konstituiert, sondern hängt (mindestens auch) an der Bereitschaft des deutenden Subjekts, sie als falsifizierend in Geltung zu setzen. Flews Hauptfehler liegt folglich darin, das Verhältnis des Subjekts zum behaupteten Sachverhalt
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nicht mit in seine Analyse einbezogen, bzw. die Beziehung zwischen falsifikatorischen Fakten und der tatsächlichen Zurücknahme einer Behauptung nicht genügend geklärt zu haben.7 Nun gibt es freilich Empiristen, die diese Schwierigkeit durchaus zugestehen. Alfred Ayer etwa räumt ein, dass das Falsifikationskriterium uns keineswegs ein unfehlbares Mittel zur Unterscheidung unumstößlich gewisser empirischer Propositionen von wissenschaftlich sinnlosen Aussagen an die Hand gibt und restituiert das Prinzip deshalb in einer schwächeren Version: „Wir sagen, daß die an eine vermeintliche Tatsachenaussage zu richtende Frage nicht ist, ob irgendwelche Beobachtungen ihre Wahrheit oder Falschheit logisch gewiß machen würden, sondern einfach, ob irgendwelche Beobachtungen relevant sind, um ihre Wahrheit oder Falschheit festzustellen.“8
Es liegt auf der Hand, dass damit kein wirklicher Erkenntnisfortschritt erzielt ist. Denn Ayer kann dem Begriff ,relevant‘ keinen eindeutig identifizierbaren (oder: falsifizierbaren) Sinn geben, jedenfalls keinen solchen, aus dem die Subjektivität des Urteilenden im o.g. Sinn vollständig eliminierbar wäre.
III. Der Terminus Subjektivität wird hier mit Absicht eingeführt: Er erlaubt die Verknüpfung der Flewschen Problemstellung mit Kierkegaards erkenntnistheoretischen Basisüberzeugungen und eine entsprechend kritische Diskussion des empiristischen Ansatzes von deren Boden aus. Nun hat man mitunter den Verdacht geäußert, Kierkegaards Subjektivität bezeichne in der Quintessenz nichts weiter als irgendeine diffuse Art von Gefühligkeit, von schlecht-subjektiver Individualität, Willkür, sentimentaler Innerlichkeit etc. Ich halte das für ein Missverständnis und behaupte, dass sich die Zentralstellung dieses Begriffs in Kierkegaards Werk im Gegenteil einer durchaus plausiblen Überlegung verdankt. Zunächst: Subjektivität macht sich Kierkegaard zufolge im menschlichen Urteilsverhalten immer dann geltend, wenn der bezeichnete Sachverhalt einen Widerspruch von Idealität und Faktizität impliziert, anders ausgedrückt, wenn das menschliche Bewusstsein als ein interessiertes, d. h. 7 8
Vgl. auch Dalferth 1974, 39. Ayer 1970, 48 (Hervorh. H.S.).
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dem Wort nach als ein Verhältnis zwischen zweien wirksam wird. Und das ist keineswegs durchweg und überall der Fall: Bei mathematischen Sätzen etwa besteht, wie wir noch genauer sehen werden, keine Möglichkeit eines Widerspruchs von Idealität und Faktizität, daher kann hier auch keinerlei Subjektivität, kein Interesse im eigentlichen Sinn wirksam werden. Und von eben dieser Grundunterscheidung her nimmt Kierkegaard seine Einteilung der Wissenschaften in solche, die das ,esse‘ (in einem bestimmten Sinn, s.u.) und solche, die das ,interesse‘ akzentuieren – oder aber nur vor dem Hintergrund dieser Akzentuierung in ihrem Wissenschaftsstatus verstanden und beurteilt werden können – vor. Was besagt nun aber dieser Widerspruch von Idealität und Faktizität bzw. ideellem und faktischem Sein? 9 Zunächst sind damit der Sache nach offenbar keine bloßen Synonyme zum traditionellen Begriffspaar Essenz und Existenz, Wesen und Dasein gemeint. Faktizität entspricht nicht ohne weiteres Existenz: Denn Kierkegaard gebraucht beides zwar der Intention nach als Synonyme10 ; in Wahrheit aber modifiziert er dabei den überlieferten Sinn von Existenz. Dass etwas faktisch da ist (= existiert), akzentuiert primär eine bestimmte Seinsweise11: Dies Etwas existiert in der Weise, ein Einzelnes zu sein, d. h. es existiert als eines, das sich aus seinem widersprechenden Bezug zu einem Allgemeinen, von dem her es zugleich die Qualifizierung dessen, was und wie es ist, erhalten kann, bestimmt. Widersprechend ist dieser Bezug, insofern das Ideale, indem es faktisch, wirklich oder in Existenz gesetzt wird, ein Moment des Zufälligen (i.S. des Unwesentlichen) in sich aufnimmt.12 Faktizität besagt 9 Vgl. als orientierende Textbelege zu dieser Basisunterscheidung: SKS 4, 246 / GW1 PB, 39 f. (Fußn.); NB14:150, SKS 22, 433 – 435 / T 4, 74. 10 Das wird deutlich, wenn man die Erläuterungen, die Climacus in SKS 4, 246 / GW1 PB, 40 (Fußn.) zum Begriff des faktischen Seins liefert, mit den – sachlich entsprechenden – Ausführungen in NB14:150, SKS 22, 433 – 435 / T 4, 74 vergleicht: Und dort ist von (empirischer) Existenz die Rede! 11 Vgl. Fahrenbach 1968, 5 f., der die Differenz von Idealität und Faktizität als Differenz von Seinsmomenten, Seinsbereichen und Seinsweisen entfaltet. Fahrenbach hält – bezüglich der Aufgliederung in Seinsmomente – allerdings an der Bedeutungsidentität der traditionellen Zweiheit von Essenz und Existenz fest. Anders (und m. E. richtig) Schäfer 1968, 320 (A 237): Das „faktische Sein in 10, 68 ff. [SKS 4, 272 ff. / GW1 PB, 68 ff.] ist nicht die existentia der Tradition“. 12 Vgl. zum Begriff des Zufälligen etwa Not13:42, SKS 19, 407 / DSKE 3, 445; außerdem SKS 15, 248 / GW1 BA, 106: Wirklichkeit oder Faktizität schließt „stets auch etwas Zufälliges in sich“ (ebd.), da kein einzelnes faktisch Existierendes „reine Idealität ist“ (ebd.). Und insofern bezeichnet Existenz den „Widerspruch, daß das Allgemeine als das Einzelne gesetzt ist“ (SKS 4, 381 / GW1
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insofern mehr als das bloße Vorliegen einer Sache in Raum und Zeit oder – aristotelisch-thomistisch – ein esse rei extra causas.13 Es akzentuiert vielmehr (a) das (spatio-temporale) dass des (b) als ein Einzelnes (und damit Zufälliges) gesetzten (c) Allgemeinen.14 Kurz: Faktizität ist Einheit von Idealität und Zufälligkeit. Was ist aber das Allgemeine oder die Idealität? Zunächst und wiederum in negativer Vorzeichnung wird dadurch offenbar keine Reflexionsbestimmung zur Faktizität bezeichnet; die „höchste Idealität“15 nämlich, die der Notwendigkeit, kann Kierkegaard zufolge gerade nicht faktisch werden. D.h.: Es ist keine Faktizität denkbar, die nicht als solche ideal bestimmt wäre; gleichwohl aber eine Form von Idealität, die keinerlei Bezug zur Faktizität aufweist. Darüber hinaus besitzt jene die größere Intension und die kleinere Extension im Verhältnis zur traditionellen Kategorie der Essenz. Denn es existiert eine Form von Idealität, die nicht der Wesensbestimmung einer Sache korrespondiert (also dem, was zuvor Idealität der Notwendigkeit genannt wurde), sondern einer bloßen Möglichkeit. Solcher Idealität bedient sich z. B. die Dichtung. So sagt der Ausdruck, Fahnen seien „zerknitterte Prostituierte“16, nichts über das Wesen von Fahnen – es sei denn in einem Sinne, der die traditionelle Semantik dieses Begriffs sprengt –, aber er drückt Kierkegaard zufolge nichtsdestoweniger Idealität aus: und zwar i.S. einer einzigen (hier: ästhetischen) aus einer unendlichen Vielzahl von Bedeutungsvarianten, die einem faktisch Existierenden über das hinaus, als was es unmittelbar erscheint oder erkannt wird (als Fahne nämlich), verliehen werden kann. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Kierkegaard an anderer Stelle denselben Zusammenhang semiotisch ausdrückt: Ein Zeichen ist „verneinte Unmittelbarkeit“17, und etwas Faktisches (i.S. der Möglichkeit) idealisieren heißt nichts anderes, als seine Unmittelbarkeit zu negieren, um es
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BA, 79); denn dadurch, dass das Allgemeine, indem es sich qua faktischer Existenz vereinzelt, ein Moment des Zufälligen in sich aufnimmt, liegt dies Einzelne „jenseits des Begriffs oder geht doch in ihm nicht auf“ (NB14:150, SKS 22, 433 – 435 / T 4, 74). Vgl. dazu Janke 1977, 380. Der wesentliche Unterschied zwischen menschlich- und außermenschlich-faktischer Existenz besteht allerdings darin, dass das menschliche Individuum eine (sich selber wissende, fühlende und wollende) „Synthese, das reale Ding eine unmittelbare Einheit von Allgemeinem und Einzelnem darstellt“ (Hügli 1973, 269 [A 10]; Hervorh. H.S.). SKS 4, 246 / GW1 PB, 40 (Fußn.). Koeppen 1986, 257. SKS 12, 129 / GW1 EC, 118.
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zum Zeichen von etwas anderem zu machen, auf das es als eine seiner möglichen idealen Bedeutungen verweist. Solche semiotische Idealisierung, deren Bedingung der Möglichkeit wie wir noch sehen werden im menschlichen Bewusstsein selber wurzelt, ist prinzipiell unendlich. Wenn Kierkegaard daher geltend macht, der reale Gegenstand der Erkenntnis sei, ebenso wie das erkennende Subjekt, „im Werden“18, dann heißt das, dass er in dem, wozu er als einzelner, faktischer idealisiert werden kann, nicht endgültig, ein für allemal und mit der Idealität des Notwendigen identifizierbar ist – die Semiose seiner möglichen, idealen Bedeutungen bleibt prinzipiell unabschließbar. Zweifellos spielt Kierkegaard mit dieser Überlegung auf das traditionelle Theorem der Ineffabilität des Individuellen an19 : Die menschliche Wahrnehmung geht auf das Einzelne in Raum und Zeit, auf die Realität20 ; die Sprache aber, die das Wahrgenommene in seinem Was und Wie aussprechen will, sagt in Wahrheit gar nicht die Realität als solche aus, sondern erzeugt „etwas anderes“21, das Allgemeine oder die Idealität. Dies gilt bereits für den unverbundenen Allgemeinbegriff (Hund, Gott, laufen etc.), erst recht aber für Urteile, und zwar insbesondere für solche, deren Subjekt auf ein Einzelnes i.S. eines faktisch gegenwärtigen oder vergangenen Wirklichen referiert. Angesichts der Aussage ,Napoleon war ein großer Feldherr‘ bleibt nicht nur ungewiss, ob diesem Einzelnen diese Idealität (großer Feldherr) zu Recht prädiziert wird; es bleibt überdies die eigentliche ,Napoleonhaftigkeit‘ des (Ein-großer-)Feldherr-Seins nach wie vor unausgesagt und unaussagbar. Denn alle Prädikate, die man zur näheren Spezifizierung beibringen könnte, wiesen ihrerseits dasselbe Doppelproblem auf. Folglich ist die prima substantia, die doch in allem Reden über empirisches Sein gleichwohl vorausgesetzt ist, als solche ineffabel. Alle diejenigen Wissenschaften, die in diesem Sinne mit Wirklichkeit zu tun haben, nennt Kierkegaard historische Wissenschaften; denn ihre Gegenstände unterliegen im Verhältnis zum Erkennen nicht nur der Dialektik von Einzelheit und Allgemeinheit, Faktizität und Idealität, 18 SKS 7, 174 / GW1 AUN1, 180. Vgl. dazu Hügli 1973, 62 ff. 19 Es geht bekanntlich auf eine aristotelische These zurück, die besagt, dass das Individuelle (i.S. der prima substantia) als solches nicht ausgesagt werden könne: Vgl. Aristoteles, Kategorien. 1974, 44 u. 45. 20 Vgl. z. B. Pap. IV B 10,7: „An und für sich ist da bereits ein Widerspruch zwischen der Realität [Realiteten] und der Idealität [Idealiteten]; jene gibt das Einzelne bestimmt in Raum und Zeit, jene das Allgemeine.“ Vgl. dazu Hügli 1973, 60 ff. 21 SKS 15, 55 / GW1 JC, 155.
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Wirklichkeit und Möglichkeit, sondern zugleich – und das fasst die vorgenannten Bestimmungen nur zusammen – der Dialektik des Werdens. Dass das Allgemeine als ein Einzelnes in Existenz gesetzt wird, muss als prinzipiell unerklärlich gelten. Dass da etwas wurde, und dass es sich bei dem, was da, aus einem unendlich möglichen Wie zu einem definitivwirklichen So wurde, z. B. um ein Stück Urwald handelt (oder eben nicht, sondern: um einen Garten), kann nie mehr als wahrscheinlich gemacht werden. Darum bleiben diese Wissenschaften, zu denen neben der Geschichtswissenschaft vor allem und provozierenderweise die Naturwissenschaften gehören (NB: der Atomphysiker als Mitglied der historischen Fakultät!), letztlich Approximationen. Man könnte auch sagen, ihre Aussagen seien in eins kategorisch und problematisch – „kategorisch, weil sie auf das faktische Sein gehen, problematisch, weil sie das Faktische im abstrakten Medium der Idealität ausdrücken“22. Anders die sog. abstrakten Wissenschaften. Zu ihnen zählen, neben der Logik, vor allem Ontologie und Mathematik, d. h. diejenigen Wissenschaften, die, wenn wir uns an die anfangs zitierte Tagebuch-Notiz erinnern, offensichtlich das esse akzentuieren. Was bedeutet das? Abstrakte Wissenschaften sind laut Kierkegaard solche, die von der Dialektik von Faktizität und Idealität nicht betroffen sind; in ihnen geht es nicht um das problematische Werden des Einzelnen, sondern um die logische Notwendigkeit von Wesensbeziehungen innerhalb eines Seienden. Vermutlich hat Kierkegaard diese Auffassung von seinem Lehrer Poul Martin Møller übernommen. Dieser schreibt: Die „Ontologie enthält gleich wie die Mathematik eine Summe hypothetischer Sätze: Sie gibt eine apriorische Entwicklung all derjenigen Prädikate, die von allem ausgesagt werden müssen, was existieren können soll.“23 D.h.: Diese Wissenschaften formulieren eine Reihe apriorischer, apodiktisch gewisser Implikationsketten in ,Wenn … dann‘-Form, bloße Begriffsentwicklungen oder – modern ausgedrückt – Koextensivitätsbestimmungen. Deren Aussagen basieren ihrerseits auf der hypothetisch vorausgesetzten Existenz dessen, wovon sie handeln, ohne diese eigens problematisieren zu können (oder zu müssen): Wenn es Körper gibt, so sind diese ausgedehnt; wenn es Dreiecke gibt, so ist deren Winkelsumme gleich zwei Rechten; Schnee ist weiß, dann und nur dann, wenn Schnee weiß ist; gesetzt, es gibt Substanzen, so kommen diesen bestimmte Qualitäten zu etc. Im Grunde sind – so Kierkegaard – deren logisch notwendige 22 Hügli 1973, 88. 23 Møller 1855 / 56, Bd. V, 63. Vgl. dazu Hügli 1973, 88 ff.
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Schlussketten innerhalb ihrer jeweiligen Hypothesen reine Tautologien, ihr Grundprinzip ist das der logischen Identität (A = A).24 Nun setzen zwar auch die historischen Wissenschaften die Existenz dessen, wovon sie handeln, immer schon voraus – die Existenz von etwas kann Kierkegaard zufolge nämlich stets nur präsupponiert und niemals bewiesen werden.25 Aber die ,Existenz‘, die hier vorausgesetzt ist, ist die des faktischen Seins, wohingegen Ontologie und Mathematik sich auf das esse als ein ideales, vom Faktischen gerade abstrahiertes Sein aeterno modo beziehen.26 Immerhin besteht zwischen den beiden abstrakten Wissenschaften noch ein gewisser Unterschied: Denn die Mathematik unterhält, im Unterschied zur Ontologie, überhaupt kein Verhältnis zum faktischen Dasein. Für den Satz „Schnee ist weiß dann und nur dann, wenn Schnee weiß ist“, muss immerhin die mögliche Existenz (weißen) Schnees vorausgesetzt werden; Dreiecke ,existieren‘ hingegen (im idealen Sinne) einzig und allein dank der für sie geltenden Gesetze, etwa der notwendigen Winkelsumme von zwei Rechten.27 Diese Qualifizierung der abstrakten Wissenschaften liefert im übrigen die Begründung dafür, weshalb Kierkegaard die Übereinstimmung von Denken und Sein, d. h. das Korrespondenzkriterium der Wahrheit, das er als erkenntnistheoretisches Grundprinzip durchaus aufrechterhalten will28, nur im Bereich eben dieser Wissenschaften für prinzipiell erfüllbar hält: eben weil hier das Sein selbst als ein nur gedachtes bzw. in seiner Allgemeinheit denkbares erscheint, das Medium des Denkens – die Allgemeinheit und Notwendigkeit des Idealen – mithin mit dessen 24 Vgl. z. B. JJ:266, SKS 18, 225 / DSKE 2, 232: „Aus Analogie und Induktion lässt sich nur durch einen Sprung schließen. / Jedes andere Schließen ist wesentlich Identität.“ Vgl. auch SKS 7, 174 f. / GW1 AUN1, 180 f. 25 Vgl. SKS 4, 244 ff. / GW1 PB, 37 ff. 26 Vgl. SKS 4, 246 / GW1 PB, 40 (Fußn.): „Das faktische Sein [faktiske Væren] ist gleichgiltig gegen die Unterschiedlichkeit aller Wesensbestimmungen, und alles, was da ist [er til], hat ohne kleinliche Eifersucht Teil am Sein … Ideell [Ideelt] verhält es sich anders, das ist ganz richtig. Jedoch sobald ich ideell von Sein spreche, spreche ich nicht mehr von Sein, sondern vom Wesen [Væsenet].“ Vgl. auch NB14:150, SKS 22, 433 – 435 / T 4, 74 und SKS 7, 173 ff. / GW1 AUN1, 179 ff. zum Unterschied von empirischem (= faktisch-einzelhaftem) und abstraktem (= ideal-allgemeinem) Sein. 27 Das bedeutet nicht, dass mathematische Sätze als abstrakte zugleich notwendig wahr sind. Es heißt nur, dass hier keine Möglichkeit besteht, ihre evtl. Fehlerhaftigkeit durch den Nachweis der Nicht-Existenz des Subjekts ihrer Aussagen (etwa: eines Dreiecks) zu demonstrieren. 28 Vgl. SKS 7, 173 ff. / GW1 AUN1, 179 ff.
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Gegenstand übereinstimmt bzw. als a priori übereinstimmend vorausgesetzt wird und werden darf. Die Korrespondenz von Denken und Sein im Hinblick auf das faktische, empirisch-singuläre Sein zu denken und denken zu können ist dagegen allein Gott vorbehalten.29 Überdies erfüllen die Ableitungen von Mathematik und Ontologie – insofern sie apodiktisch gewiss sind – die Kriterien von Evidenz und Kohärenz: i.S. der bloß „formellen Überzeugung“ nämlich, „daß ein gewisser Vordersatz eine gewisse Folge mit sich führt“30. Damit sind wir dem Verständnis jener zu Beginn angeführten kryptischen Behauptung Kierkegaards, das jeweilige Akzentuieren von Sein verschaffe den verschiedenen Wissenschaften ,reziproken Vorteil‘, ein gutes Stück näher gerückt: Die abstrakten Wissenschaften akzentuieren das ideale Sein und damit eine Übereinstimmung von Denken als Medium der Idealität und Sein als dessen – idealer – Gegenstand. Das verschafft ihnen den Vorteil apodiktischer Gewissheit, freilich um den Preis einer letztlich hypothetischen Geltung bezüglich des faktischen Seins. Die historischen Wissenschaften akzentuieren umgekehrt faktisches Sein und damit – im Denken – dessen Widerspruch zum Denken. Das bringt den Nachteil einer bloß problematischen Korrespondenz mit sich, besitzt aber andererseits den Vorzug kategorischer, weil auf Faktisches referierender Urteile.31
IV. Bislang wurde das Verhältnis von Idealität und Faktizität wissenschaftstheoretisch in Anspruch genommen; es wurde m.a.W. benutzt, um die Herkunft einer klassifikatorischen Einteilung zu erläutern, mit deren Hilfe Kierkegaard Wesen, Erkenntnisbedingungen und -grenzen zweier Wissenschaftsformationen bestimmt. Im Zuge dieser Untersuchung drängten sich drei Fragen auf, die nach wie vor unbeantwortet sind: (1) Die Distinktion von Idealität und Faktizität, die der genannten Wissenschaftsklassifikation zugrundeliegt, wurde mit der Behaup29 Vgl. SKS 7, 175 / GW1 AUN1, 181 und SKS 11, 232 f. / GW1 KT, 122 f.; außerdem SKS 7, 303 / GW1 AUN2, 35. Vielleicht folgt Kierkegaard hier seinem Lehrer, Poul Martin Møller (vgl. ders. Bd. V, 97). Aber auch Kants Unterscheidung zwischen intellectus ectypus und archetypus könnte den Hintergrund seiner Überlegung bilden: vgl. dazu Hügli 1973, 279 [A 40]. 30 So Møller, in: ders. Bd. V, 58. 31 Vgl. dazu auch Hügli 1973, 84 ff.
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tung vorgestellt, sie sei zurückzuführen auf die Subjektivität des urteilenden Subjekts. In diesem Kontext sollten zugleich Sinn und Funktion dieser Subjektivität klar bestimmbar sein. Kann dieser Anspruch nunmehr eingelöst werden? (2) Begonnen wurde mit einer Kierkegaard-inspirierten Kritik der Flewschen Empirismus-Konzeption, freilich mit der Einschränkung, dass Kierkegaards eigene erkenntnistheoretische Prinzipien denen des Empirismus in gewisser Weise nahestehen. Trifft das zu – nun, da mit der Doppelheit von historischen und abstrakten Wissenschaften eine Distinktion eingeführt wurde, die der empiristischen Unterscheidung sinnvoller Sätze in apriorische Tautologien einerseits, falsifizierbare empirische Propositionen andererseits nur zu genau zu entsprechen scheint? (3) Den Leitfaden der Untersuchung bildet nach wie vor die Frage, was Kierkegaard unter dem Begriff Existenzwissenschaft versteht. Im Voranstehenden wurde der ,reziproke Vorteil‘ der zugrundelegenden Wissenschaftsarten auf die abstrakten Wissenschaften (Ontologie / Mathematik) einerseits, die historischen Wissenschaften (Geschichtswissenschaften im engeren Sinn / Naturwissenschaften) andererseits bezogen, nicht aber – wie im Ausgang von der anfangs zitierten Tagebuchnotiz, der die These vom reziproken Vorteil ja entstammt, zu erwarten wäre – auf die Unterscheidung von Ontologie und Existenzwissenschaft. Ist der Terminus Existenzwissenschaft nur ein Synonym für das, was Kierkegaard an anderer Stelle ,historische Wissenschaften‘ nennt? Die Antwort auf Frage (2) und (3) dürfte dann nicht schwerfallen, wenn wir das Verhältnis von Subjektivität und Faktizität erörtert, d. h. Frage (1) beantwortet haben. Hierzu Folgendes: Die Dialektik von Idealität und Faktizität muss Kierkegaard zufolge in einer Doppelperspektive entfaltet werden: nicht nur in Hinsicht auf etwas, wozu ich mich verhalte, sondern zugleich im Hinblick auf dieses Verhalten selber. Das Erkennen bildet dabei nur eine Art solchen Verhaltens. Greifen wir noch einmal zurück auf Flews Gärtner-Gleichnis. Wird in diesem Falle die Dialektik von Idealität und Faktizität in Richtung auf das Wozu des Sich-Verhaltens akzentuiert, dann lässt sich das Problem so formulieren: Ein Garten ist ein zu Nutzungs- oder ästhetischen Zwecken kultiviertes Stück Natur. Aber ist dies, was ich hier vor mir sehe, ein Garten? Akzentuiert man dieselbe Dialektik dagegen in Richtung auf das erkennende Verhalten selbst, dann verlagert sich die Frage; sie lautet dann: Meinem Eindruck nach ähnelt dieses Stück
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Natur einem Garten. Aber ist dieser Eindruck eine Erkenntnis, könnte er m.a.W. kein trügerischer Eindruck sein? In beiden Fällen wird ein der Dialektik von Idealität und Faktizität korrespondierender Zweifel artikuliert, im ersten Fall freilich in der Einstellung der ,Objektivität‘, im zweiten der der ,Subjektivität‘. Und dieser Sachverhalt ist nun von fundamentaler Wichtigkeit für die in Aussicht gestellte Präzisierung des Begriffs Subjektivität. Es verhält sich nämlich keineswegs so, dass Kierkegaard Objektivität und Subjektivität in dem Sinne verwendet, wie wir das zu tun gewohnt sind. Beide Termini bezeichnen im Gegenteil eine Einstellung oder ein Verhalten, und zwar ein (erkennendes, willentliches, fühlendes) Verhalten im Verhältnis von Verhalten zu einer Sache und Sache selbst. Es handelt sich also um unterschiedliche Modi, sich zum Verhältnis von Verhalten und Sache zu verhalten – und zwar in einem solchen Verhältnis (zur Sache und zum Verhalten). Subjektiv zu denken bedeutet etwa, im Verhältnis von Wie und Wozu des Verhaltens dieses Verhalten selber (sein Wie) zu akzentuieren, Objektivität dagegen, hiervon gerade abzusehen und das Wie des Verhaltens als irrelevant einzustufen. Subjektivität bedeutet m.a.W., dass ich die Wahrheit des Verhältnisses zu einer Sache für konstitutiv im Hinblick auf deren (objektive) Wahrheit halte, Objektivität dagegen, dass ich umgekehrt die (objektive) Wahrheit des Sachverhalts für konstitutiv in Hinsicht auf die Wahrheit meines (subjektiven) Verhältnisses zu ihr ansehe. Nun kommt nicht von ungefähr, dass gerade im Falle des erkennenden Verhaltens die Auskunft, der Zweifel von Idealität und Faktizität könne sich auch in Bezug auf dieses Verhalten selbst geltend machen, redundant erscheint. Ist denn die Skepsis am Erkenntnischarakter des Sich-Verhaltens zur Möglichkeit, dass der vermeintliche Urwald tatsächlich eine Kleingartenparzelle sei, in Wahrheit etwas anderes als der Zweifel an der Wahrheit eben dieses Sachverhalts? Die Referenz auf Subjektivität scheint hier in der Tat von untergeordneter, ja zu vernachlässigender Bedeutung, da kaum unterscheidbar vom zweifelhaften Sachverhalt selbst. Überdies ist daran zu erinnern, dass im Blick auf erkennendes Verhalten qua Ontologie und Mathematik die Dialektik von Idealität und Faktizität weder objektiv noch subjektiv akzentuierbar ist: Zum Notwendigen kann man nämlich, recht besehen, auch nur ein „Verhltnis der Notwendigkeit“32 haben. Um Funktion und systematische Tragweite der Kierkegaardschen Distinktion von Subjektivität und Objektivität (bzw. der doppelten 32 So der Ethiker in Entweder – Oder, SKS 3, 214 / GW1 EO2, 238 (Hervorh. H.S.).
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Dialektik von Idealität und Faktizität) adäquat einschätzen zu können, ist an die Grundlagen seiner Anthropologie zu erinnern: Der Mensch ist danach eine leib-seelische Synthesis, deren geistgetragenes Selbst-, Weltund Gottesverhältnis sich stets und parallel im Modus des Denkens, Wollens und Fühlens äußert.33 Die genannte Dialektik schlägt sich dann zwar prinzipiell in allen drei Dimensionen dieses Verhaltens nieder – aber doch nicht ohne weiteres: Denken wir uns nämlich das Individuum im Zustand dessen, was Kierkegaard unmittelbares Bewusstsein nennt – d. h. ein Bewusstsein, das die Reflexion des o.g. doppelten Zweifels zwischen Idealität und Faktizität einstweilen noch außerhalb seiner hat34 –, so ergeben sich, wie dieser unter teilweisem Rückgriff auf die platonische Idealitäts-Trias von wahr, gut und schön erläutert, zunächst lauter Dichotomien:35 Das Individuum liebt – und zwar unmittelbar – das Schöne, will – und zwar unmittelbar – das Gute und erkennt – gleichfalls unmittelbar – das Wahre. Der unmittelbar Verliebte fragt nämlich nicht, ob das, wozu er sich verhält (= Faktizität), das Schöne (= Idealität) ist – oder sein Verhalten (= Faktizität) Liebe (= Idealität). Ebenso wenig fragt der, der unmittelbar das Gute will, danach, ob das, was er will, das Gute sei – oder sein Verhalten die Bezeichnung Wille verdient. Und für den unmittelbar Erkennenden ist jede Erkenntnis wahr (und im nächsten Augenblick möglicherweise unwahr);36 denn er fragt nicht danach, ob und nach welchen Kriterien wahr oder möglicherweise unwahr ist, was er zu erkennen meint – oder sein Verhältnis zum Sachverhalt Erkennen. Unmittelbare Bewusstseinsakte sind m.a.W. keineswegs solche, die, als bewusste, nicht auch begrifflich vermittelt wären. Aber es sind solche, in denen das erkennende Subjekt sich nicht eigens – im Modus des subjektiven und / oder objektiven Zweifels nämlich – zu seinem Verhältnis zum Gegenstand verhält, genauer: Es verhält sich weder zur 33 Vgl.: (a) zur Synthesis von Leib und Seele z. B. SKS 4, 349 / GW1 BA, 41; (b) zur Explikation der menschlichen Geiststruktur z. B. SKS 11, 129 / GW1 KT, 8; (c) zur Parallelität von Denken, Wollen, Fühlen z. B. Not13:49, SKS 19, 414 / DSKE 3, 452; Papir 277, SKS 27, 269 / T 1, 353; SKS 7, 317 / GW1 AUN2, 51; SKS 11, 147 f. / GW1 KT, 27 f. 34 Vgl. dazu SKS 15, 54 ff. / GW1 JC, 154 ff. 35 Vgl. Pap. IV B 10,5: „Bloß im [unmittelbaren, H.S.] Verhältnis zueinander ergeben Idealität und Realität lauter Dichotomien: Seele – Leib, lieben – das Schöne.“ 36 Vgl. SKS 15, 54 f. / GW1 JC, 154: „Unmittelbar ist … alles wahr, aber diese Wahrheit ist im nächsten Augenblick Unwahrheit; denn unmittelbar ist alles unwahr. Kann das Bewußtsein in der Unmittelbarkeit bleiben, so ist die Frage nach der Wahrheit aufgehoben.“
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Wahrheit des Gegenstandes, zu dem es sich verhält, noch zu der seines Verhältnisses zu diesem Gegenstand. Es vermittelt weder sein Verhältnis zum Gegenstand noch sein Verhältnis zum Verhältnis zu diesem Gegenstand über sich selbst – i.S. derjenigen Instanz, die sich im Verhältnis zu einer Sache zugleich zum Verhältnis zu dieser Sache verhält. Eine detaillierte Beschreibung des sog. unmittelbaren Bewusstseins bleibt Kierkegaard uns allerdings schuldig, vor allem in Hinsicht auf den aller Wahrscheinlichkeit nach der pyrrhonischen Skepsis entlehnten Begriff der unmittelbaren Erkenntnis. Wir erfahren immerhin, diese sei – im Verein mit der unmittelbaren Wahrnehmung – täuschungsfrei.37 Das leuchtet ein. Denn die bloße Wahrnehmung, etwa die der Flewschen Urwaldlichtung, urteilt nicht über das, was sie sieht. Und ihre unmittelbare Erkenntnis fragt, als unmittelbare, nicht nach der Wahrheit dessen, worüber sie urteilt.38 Wann und auf welche Weise macht sich aber dann Subjektivität zum ersten Mal als solche, d. h. als ein Verhältnis zwischen Idealität und Faktizität, geltend? Bisher kennen wir ja nur die reine Unmittelbarkeit, die den bezeichneten Widerspruch einstweilen noch außerhalb ihrer hat, 37 Vgl. SKS 4, 280 / GW1 PB, 77: „Die unmittelbare Sinneswahrnehmung [umiddelbare Sandsning] und die unmittelbare Erkenntnis [umiddelbare Erkjenden] können nicht betrügen [Hirsch: „kann nicht betrügen“].“ Vgl. zum Kontext und zum pyrrhonischen Hintergrund dieses Gedankens ebd., 280 ff. / 77 ff. 38 Die in SKS 4, 280 f. / GW1 PB, 78 angeführten Climacus-Beispiele lassen freilich eine Frage unbeantwortet: Bezieht sich die unmittelbare Wahrnehmung ausschließlich auf den Bereich der Natur (= Zustand; vgl. SKS 4, 329 / GW1 BA, 19: „die ganze Geschichte der Pflanze [sc. der Natur] [ist] ein Zustand“), die unmittelbare Erkenntnis nur auf den der Geschichte (= Ereignis)? Oder kann man sich Kierkegaard zufolge zu beidem, Natur wie Geschichte, Zustand wie Ereignis, zunächst und unmittelbar in zweierlei Weise verhalten: qua Wahrnehmung und (unmittelbarer) Erkenntnis – und erst dann in der Folge: auf beides qua Zweifel und Glaube? Plausibler scheint mir die zweite Annahme. Dann ergibt sich ein dreistufiges Modell: (1) Dass da etwas Einzelnes in Raum und Zeit ist, läßt sich unmittelbar wahrnehmen (vgl. SKS 4, 281 / GW1 PB, 78: „daß der Stern da ist [er til], … das sieht man“); (2) dass dies, was da ist, geworden ist und nicht von Ewigkeit her war, muss recht besehen – in Natur und Geschichte – geglaubt werden (vgl. SKS 4, 280 f. / GW1 PB, 78); ebenso (3) was dies ist, das da wurde (ein Stern [= Natur]; ein Ehebruch [= Geschichte]; ein Gott [= Geschichte in zweiter Potenz; vgl. dazu SKS 4, 285 f. / GW1 PB, 83 f.]). Beide, (2) und (3), sind aber – wiederum bezogen auf Natur und Geschichte – für die Unmittelbarkeit, die Zweifel und Glaube einstweilen noch vor und außer sich hat, zunächst Gegenstand (unmittelbarer) Erkenntnis.
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und den Zweifel, der bereits als erster Ausdruck des Widerspruchs als eines solchen gelten muss. Kierkegaard zufolge liegt dazwischen der „leidenschaftliche Sinn für Werden“39 oder die Verwunderung (Forundring). Diese gehört zum einen selbst noch dem Bereich der Unmittelbarkeit an40, fungiert jedoch andererseits als Übergang zwischen Unmittelbarkeit und dem im o.g. doppelten Sinne interessierten Bewusstsein.41 Sie fungiert als Übergang zwischen beiden: Denn ihre Idealisierung des unmittelbar Wahrgenommenen und Erkannten ermöglicht erst die Reflexion des Zweifels, das Sich-Berühren von Faktizität und Idealität i.S. eines möglichen Widerspruchs. Und sie ist selbst noch Bestandteil des unmittelbaren Bewusstseins: Denn in ihr verhält sich das erkennende bzw. sich verwundernde Subjekt nicht zu sich selber als Vermittlungsinstanz zwischen Faktizität und Idealität des Wahrgenommenen und unmittelbar Erkannten. Bemerkenswert an der Ausgangssituation des Gärtner-Gleichnisses ist daher nicht so sehr die Frage nach der möglichen Falsifizierung einer der beiden Forscherhypothesen, sondern zunächst und vor allem das Faktum der Hypothesenbildung selbst. Wie kommt es, dass von beiden – Skeptiker wie Gläubigen –, die denselben Weg durch denselben Urwald nehmen und dabei Zugang zu exakt demselben Phänomenbestand haben, die Verwunderung des einen nichtsdestoweniger eine Idealisierung des Wahrgenommenen vornimmt, die der andere für völlig unsinnig hält? Diese am Beispiel des Gläubigen exemplifizierte Berührung von Idealität und Faktizität qua Verwunderung und entsprechender Hypothesenbildung muss ihren Ursprung im Bewusstsein selber haben; denn das Wahrgenommene oder unmittelbar Erkannte gibt von sich aus niemals die Erfassung seiner selbst als eines Zeichens von Idealität her: „Die Idealität weiß ich aus mir selber, und wenn ich sie nicht aus mir selber weiß, so weiß ich sie gar nicht … Weiß ich, daß Cäsar groß gewesen [ist], so weiß ich schon, was das Große ist, und auf dies sehe ich, ansonsten weiß ich nicht, daß Cäsar groß gewesen ist.“42 D.h.: Die Idealität bringt das unmittelbare Bewusstsein bereits selber mit, aber erst die Verwunderung
39 SKS 4, 279 / GW1 PB, 77. 40 Vgl. SKS 15, 38 / GW1 JC, 135: „Verwunderung [Forundring] ist … eine unmittelbare Bestimmung und enthält keine Reflexion auf sich selbst. Zweifel hingegen ist eine Reflexionsbestimmung.“ 41 Vgl. SKS 15, 35 / GW1 JC, 132. 42 SKS 6, 405 f. / GW1 SLW, 467.
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entdeckt das, was als faktischer Anlass mit ihr in Berührung tritt und so die entsprechende Hypothesenbildung motiviert.
V. Unmittelbares Bewusstsein, Verwunderung, Zweifel und Glaube sind die Momente bzw. Bewusstseinsmodi, die es ermöglichen, den Subjektivitätsbegriff in seiner erkenntnistheoretischen Dimension abschließend und nochmals in Anwendung auf Flews Experimentalsituation zu bestimmen: (1) Qua Verwunderung macht der ,gläubige‘ Forscher im Gleichnis das unmittelbar Wahrgenommene (Blume, Lichtung, Pflanzen etc.) zum Index einer im Bewusstsein vorausgesetzten Idealität (Garten), und er bringt umgekehrt diese i.S. einer spontanen Hypothesenbildung mit etwas als Faktischem in Berührung: „Dies (= Faktizität) sieht aus wie … (= Idealität).“ (2) Der Zweifel reflektiert als solcher auf das Zweideutige und die Möglichkeit der Sinnestäuschung, d. h. auf das kontradiktorische Gegenteil der gläubigen Hypothese als zunächst einmal gleichermaßen wahrscheinlich. Er zieht dabei einen Schluss ab esse ad posse, löst also das faktische Sein qua Idealität in entgegengesetzte Möglichkeiten auf („mag sein, dass hier ein Gärtner am Werk war; mag sein, dass das Gegenteil der Fall ist“).43 (3) Der Glaube glaubt das Geworden- und So-geworden-Sein der Sache: entweder i.S. der Gärtner- oder der Nicht-Gärtner-Hypothese. In beiden Fällen vollzieht er (ob verneinend oder bejahend) einen Rückschluss ab posse ad esse, d. h. einen Schluss als Entschluss für die Wahrheit einer der beiden Hypothesen. Damit hebt er den Zweifel auf, setzt sich aber zugleich der erneuten Möglichkeit von Irrtum und Sinnestäuschung aus. Erreicht ist damit im Ausgang vom unmittelbaren Bewusstsein eine zweite Unmittelbarkeit (= Glaube) nach der 43 Insofern verzeichnet Flew den Skeptiker, der in seiner Version von vornherein zur dogmatischen Behauptung, es gebe keinen Gärtner (vgl. die entsprechende Passage in Dalferth 1974, 84), sich versteigt. Als Skeptiker müsste er konsequenterweise beide Möglichkeiten offen- und als einstweilen unentscheidbar dahingestellt sein lassen. Vgl. Kierkegaards entsprechende Bemerkungen zur epoché (pyrrhonischer) Skepsis, die sich zur Vermeidung jeder Irrtumsmöglichkeit ein endgültiges Urteil, und zwar willentlich versagt, in: SKS 4, 280 f. / GW1 PB, 78 f.
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Reflexion (= Zweifel): motiviert durch Verwunderung, realisiert als Entschluss.44 Kierkegaard zieht daraus eine wichtige Konsequenz: Überall dort, wo es die menschliche Erkenntnis mit der Beziehung auf faktisches Sein zu tun hat, wird die Wahrheitsfrage (i.S. der Korrespondenztheorie) subjektiv, d. h. in die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit subjektiver Gewissheit transformiert. Genauer: Wahrheit bedeutet Täuschungsfreiheit, und diese wird durch ein subjektives (man könnte auch sagen: pragmatistisches) Kriterium, die Gewissheit oder Evidenz eines Entschlusses, der den Zweifel ebenso wie die Möglichkeit des GetäuschtSeins aufhebt, als aufgehobene freilich setzt, konstituiert. Nicht deshalb kann das Geglaubte mich nicht täuschen, weil es wahr ist; sondern es ist umgekehrt wahr, sofern und solange ich zu glauben vermag, dass ich nicht getäuscht werde. Zu beachten ist allerdings, dass Kierkegaard i.S. einer Idealität des Verhältnisses von Subjektivität und Objektivität, d. h. des Verhältnisses der Akzentuierung des Verhältnisses zu einer Sache und dieser selbst differenziert: Der Unterschied bezieht sich auf das jeweilige Gewicht der verifizierenden bzw. falsifizierenden Subjektivität im Verhältnis zur möglichen Objektivität des von ihr behaupteten oder bestrittenen Sachverhalts. Anders gesagt: Die Subjektivität ist – ideal gesehen – umso stärker zu akzentuieren, je aussichtsloser der Versuch erscheint, die entsprechende Falsifikation (oder Verifikation) überhaupt im Äußeren auszudrücken, je unvollkommener also die Idealität überhaupt empirisch-faktisch zu werden vermag. Ethik und Theologie legen daher innerhalb der Dialektik von Subjektivität und Objektivität den Schwerpunkt auf Subjektivität (und damit anthropologisch: auf die Willensbestimmung), die Naturwissenschaften hingegen auf Objektivität (und damit: auf das Erkenntnisvermögen). Freilich gibt es, und darin besteht das grundsätzliche existenzdialektische Problem für das urteilende Individuum, a priori keinen – NB: objektiven – Maßstab dafür, von welchem Moment an hier ein inadäquat-verzerrtes Verhältnis vorliegt. Jemanden, der Windmühlenflügel für Ritter hält, würden wir für (sub44 Vgl. Kierkegaards erkenntnistheoretischen Grundsatz zum Anfang von Philosophie und Wissenschaft: „Was zum Beginnen bewegt, ist Verwunderung. Womit begonnen wird, ist ein Entschluß.“ ( JJ:442, SKS 19, 288 / T 2, 34; Gerdes’ Übersetzung wird hier ausnahmsweise gegenüber der in DSKE 2, 299 vorliegenden präferiert).
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jektiv) verrückt erklären.45 Aber wenn ein Ehemann seine Frau in flagranti beim Ehebruch ertappt, nichtsdestoweniger aber weiter an ihrer Liebe festhält: ist der auch verrückt? Als solches lässt sich ja das Betrogen werden nicht unmittelbar wahrnehmen oder erkennen. Und weiter: Wenn sich ein Vater (unter bestimmten situativen Bedingungen) dazu entschließt, seinen Sohn zu töten, weil er glaubt, dass Gott eben dies von ihm fordere, muss auch er notwendig für verrückt erklärt werden? Und woran lässt sich die Richtigkeit der Diagnose im einen wie im anderen Fall zweifelsfrei festmachen? Eben diese Problemstellung bietet bei grundsätzlich vergleichbarer Wissenschaftsklassifikation (tautologisch-apriorische, empirisch-wahrscheinliche Propositionen) den Einsatzpunkt für Kierkegaards Kritik des Empirismus: (a) Dieser ignoriert die Dialektik von Subjektivität und Objektivität bereits innerhalb des rein auf Faktisches bezogenen Erkenntnisbereichs. (b) Er unterschlägt bzw. trivialisiert zudem Form und Relevanz dieses Verhältnisses für die über das Gebiet empirisch-theoretischer Erkenntnis hinausgehenden Seinsbereiche. Auf die Flewsche Falsifikationsdebatte bezogen heißt das: Entweder die Kontrastierung von kognitiven und nicht-kognitiven Aussagen unterläuft die genannte Dialektik in dualistischer Verkürzung. Oder es kann kein Einwand sein, dass sich Vertreter bestimmter ethisch-religiöser Aussagen (z. B. Gott ist Liebe) weigern, endgültig falsifizierende Sachverhalte für die von ihnen als wahr unterstellten Hypothesen anzugeben. Oder beides. Zu beantworten bleibt noch die o.g. Frage (3), d. h. die Frage nach dem Sinn dessen, was Kierkegaard unter Existenzwissenschaft versteht. Das Geheimnis kann jetzt gelüftet werden – obgleich das i.S. des Verhältnisses von Idealität und Faktizität natürlich heißt: es war kein Geheimnis! Denn was bisher in der Auseinandersetzung mit Kierkegaards erkenntnistheoretischen Präferenzen am Beispiel von Flews empiristischer Doktrin entwickelt wurde, ist nichts anderes als (nota bene: ein Stück) Existenzwissenschaft i.S. Kierkegaards. Diese ist weder identisch mit der ontologisch-abstrakten oder der historisch-konkreten Wissenschaft, so wie diese am Leitfaden der zu Beginn angeführten TagebuchNotiz von 1842 erläutert wurden, noch schließt sie (eine der) beide(n) prinzipiell aus. Man könnte sagen, die Existenzwissenschaft bedient sich als ein tertium genus cognitionis dieser übrigen Wissenschaften mit dem 45 Vgl. zum Unterschied von subjektiver und objektiver Verrücktheit: SKS 7, 178 ff. / GW1 AUN1, 184 ff.
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vorläufigen Erkenntnisinteresse einer Theorie der Subjektivität (als teils abstrakte, teils historische), und zwar, wenn ich recht sehe, in folgender Weise: (1) Zunächst stellt die Existenzwissenschaft selber eine Form von Ontologie im oben bezeichneten Sinn dar. Denn ihre Bestimmung des Verhältnisses von Subjektivität und Objektivität in den verschiedenen Daseinsbereichen muss ja ihrerseits mit dem Anspruch der Idealität auftreten – und zwar i.S. jener reinen Objektivität, die der Idealität des Notwendigen entspricht. (2) Gleichwohl akzentuiert sie dieses Verhältnis zugleich als ein ideal mögliches, d. h. sie begibt sich kategorial gesehen von der Ebene der reinen Idealität des Notwendigen (= die Eigenart des Verhältnisses von Subjektivität und Objektivität im menschlichen Dasein) in die Darstellung, Analyse und Beurteilung möglicher Formen dieses Verhältnisses im faktischen Existieren des Einzelnen. Anticlimacus etwa entwirft eine Phänomenologie des subjektiven Geistes, d. h. eine dem Anspruch nach vollständige Schematik möglicher Missverhältnisse der Subjektivität, die er Verzweiflung nennt und in ihren unterschiedlichen Formen und Entwicklungsstufen ,durchdekliniert‘.46 Eine solche Darstellung kommt zwar aus den o.g. Gründen nicht an die Beschreibung des faktischen Daseins in seiner Einzelheit heran (dass sich dies so verhält, weiß freilich bereits der Existenzwissenschaftler als Ontologe, s. o. (1)); aber sie vermag eben gleichwohl Existenzkategorien47 und Schemata zur Interpretation und Beurteilung der möglichen Idealität des singulär-faktischen Daseins und seines jeweiligen Existenzstandpunktes bereitzustellen und anzuwenden.48 Nimmt die Existenzwissenschaft eine derartige 46 Vgl. SKS 11, 145 ff. / GW1 KT, 25 ff. 47 Vgl. zu Bedeutung, Funktion und systematischer Tragweite des Begriffs Existenzkategorie Pieper 1971, 187 – 201; außerdem Wilde 1980, 9 – 13. 48 Vgl. z. B. die folgende Bemerkung des Verfassers der Angstabhandlung zur Voraussetzung, die der Existenzwissenschaftler erfüllen muss, damit eine adäquate Diagnose des Faktischen durch ideale (Existenz-)Kategorien (hier: die Angst des Dämonischen) gewährleistet, ja auch nur möglich ist: „Daß man seine Kategorie [Kategorie] anzuwenden wisse, ist die unerläßliche Bedingung dafür, daß die Beobachtung in tieferem Sinne Bedeutung habe. Wenn die Erscheinung [Phænomenet] in einem gewissen Maße gegenwärtig ist, so werden die meisten Menschen darauf aufmerksam, vermögen es aber nicht, sie zu erklären, weil sie der Kategorie ermangeln, und wenn sie sie hätten, so hätten sie wiederum einen Schlüssel, der überall da schließt, wo auch nur eine Spur der Erscheinung sich
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Perspektive ein, dann betätigt sie sich als historische Wissenschaft, etwa i.S. der Psychologie. So verfasst Kierkegaard z. B. eine Untersuchung über den Bornholmer Pastor A.P. Adler, der behauptet hatte, Adressat einer göttlichen Offenbarung geworden zu sein.49 Und Climacus, dessen Unwissenschaftliche Nachschrift als Musterbeispiel einer in allen denkbaren Varianten durchgeführten Existenzwissenschaft betrachtet werden kann, entwirft (hier: mit Blick auf Napoleon) z. B. eine Psychologie des Schicksalsverhältnisses.50 Jede Beobachtung, Beschreibung und Beurteilung des Faktischen durch den Existenzwissenschaftler ist dabei zuletzt subjektiv motiviert – und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen in Richtung auf den objektiven Sachverhalt oder das Untersuchungsobjekt: Der erkenntnistheoretische Fehler des Empiristen etwa interessiert ihn nicht als solcher; vielmehr führt sein subjektives Interesse diesen zurück auf eine bestimmte Verhaltensweise der Objektivität (das spekulative Denken wäre eine andere), d. h. auf eine Form von mangelhaft akzentuierter Subjektivität im Selbstverständnis des (hier: empiristische) Wissenschaftstheorie treibenden Individuums. Die subjektiv interessierte Sichtweise des Existenzwissenschaftlers legt also in Hinsicht auf dessen Untersuchungsobjekt (hier: der Empirist) die Vermutung nahe, dass dessen objektiver Fehler bezogen auf das Problem des erkenntnistheoretischen Sachverhalts zuletzt in einem subjektiven Mangel, dem Selbstmissverständnis einer fehlenden oder unzureichenden Akzentuierung der eigenen Subjektivität wurzelt. Darüber hinaus aber vergisst als solcher der Existenzwissenschaftler über seinem Interesse am Untersuchungsobjekt keinen Augenblick das Interesse an sich selbst und der Wahrheit des eigenen Existierens. Er wird m.a.W. seine Kategorien der Idealität mit dem primären Interesse, sich selbst, im Verhältnis von Subjektivität und Objektivität, sowie seine eigene Faktizität zu verstehen, geltend machen, anwenden und weiterentwickeln. Er wird infolgedessen mit der Idealität des Verhältnisses von Subjektivität und Objektivität vor Augen faktisch zu existieren, sich mit jener in Übereinstimmung zu bringen oder sie in Existenz auszudrücken versuchen. Dass er das tatsächlich tut, dass er folglich nicht nur irgendeiner weiteren Form trügerischer Unmittelbarkeit, die den bezeichneten findet; denn die Erscheinungen die unter einer Kategorie stehen, gehorchen ihr so wie die Geister des Rings dem Ring gehorchen.“ (SKS 4, 428 / GW1 BA, 131 [Fußn.].) 49 Vgl. Pap. VIII 2 B 27, 75 ff. / GW1 BA, 3 ff. 50 Vgl. SKS 7, 362 ff. / GW1 AUN2, 103 ff.
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Widerspruch im Dasein noch vor und außer sich hat, aufsitzt, kann er nicht einmal mit Sicherheit von sich selbst wissen, geschweige denn von jemand anderem. Klar ist nach alledem jedenfalls dies: Wissenschaft in dem für Kierkegaard einzig akzeptablen Sinne wäre die Philosophie allenfalls in dem Bewusstsein, das den Philosophierenden in jedem Augenblick mit der Aufgabe konfrontieren würde, sich selber als Wissenschaftler den Abschied zu geben: um das Erkannte in Existenz auszudrücken – d. h. als Existenzwissenschaft.
3. „Er ist geglaubet in der Welt.“ Erkenntnistheoretische Aspekte in Kierkegaards Christlichen Reden I. Der nachfolgende Text diskutiert einige erkenntnistheoretische Probleme innerhalb zweier Themenkomplexe, die in einer Rede Kierkegaards behandelt werden, auf die der Titel meines Aufsatzes anspielt. Zum einen geht es um die Möglichkeitsbedingungen der Erkenntnis, dass der Glaube ein faktischer Bestandteil der Welt, oder wie man in gewissen philosophischen Kreisen vorziehen würde zu sagen, dass er in der Welt instantiiert ist. Zweitens werden einige der Bedingungen diskutiert, die laut Kierkegaard erfüllt sein müssen, damit der angefochtene Christ jene Gottes- und Heilsgewissheit erlangen kann, in der sich Akt und Gegenstand seines Glaubens momentweise im Zustand einer gleichsam göttlich prästabilierten Harmonie zusammenfinden. Ein dritter und abschließender Teil erörtert religionsphilosophische bzw. fundamentaltheologische Konsequenzen aus den Kierkegaardschen Thesen und diskutiert (in Ausschnitten) deren Plausibilität. Ich stelle meinem Referat einige knappe Bemerkungen voran, die sich auf die Rahmenvorgaben beziehen, deren Kenntnis zum Verständnis der behandelten Rede notwendig ist. 1. Kierkegaards sog. Christliche Reden (im Folgenden = CR) erschienen im Frühjahr 1848. Die Arbeit wurde im August 1847, nach Abschluss der Taten der Liebe begonnen und etwa im Februar 1848 beendet.1 Ursprünglich hatte ihr Autor ein Buch schreiben wollen, das unter dem Titel Gedanken, die im Grunde heilen. Christliche Heilkunst Grundlagen der christlichen Versöhnungslehre entfalten und drei Abschnitte umfassen sollte: Gedanken, die rücklings verwunden – zur Erbauung; Die Krankheit zum Tode – Christliche Reden; Die Heilung im Grunde – Die 1
Vgl. GW1 CR, VIIf.; ferner Hirsch 1930 – 1933, 840. Ursprung und Genese von CR bis zur vorliegenden Textgestalt werden im Detail rekonstruiert und dargestellt in: SKS K10, 41 – 84.
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christliche Heilkunst. Die Versöhnung (vgl. NB4:76, SKS 20, 324 / T 2, 212). Diesen Plan gab er zugunsten dreier Separatbände mit je eigener sachlicher und mitteilungstheoretischer Akzentuierung wieder auf; so erschienen Die Krankheit zum Tode, Christliche Reden und Einîbung im Christentum. CR besteht aus vier Abschnitten (A. – D.), von denen die im Folgenden en détail behandelte Rede2 die letzte des dritten Teils bildet, der aller Wahrscheinlichkeit nach zuletzt fertig gestellt wurde. Zunächst hatte Kierkegaard ihn offenbar ganz weglassen wollen, weil er ihm gegenüber der ,christlich-milden‘ Tonart der anderen drei Abschnitte allzu polemisch erschien (vgl. NB4:77, SKS 20, 324 f.; SKS K10, 42). Eben dies polemische Moment hielt er jedoch später im Blick auf die Programmatik christlicher Reden insgesamt durchaus für sachgemäß und mitteilungstheoretisch zweckdienlich. Dementsprechend trägt dieser dritte Teil die Überschrift „Gedanken, die hinterrücks verwunden – zur Erbauung“. Kierkegaard bemerkt hierzu: „Das Christliche greift an, und in der Christenheit greift es selbstverständlich hinterrücks an“ (SKS 10, 172 / GW1 CR, 172). ,Selbstverständlich‘ ist ein solcher Angriff aus dem Hinterhalt deshalb, weil er auf das vermeintliche Christentum innerhalb der Christenheit zielt – und als solcher zugleich notwendig polemischen Charakter hat. ,Frontal‘ wäre der Angriff immer und wohl auch nur dann, wenn er sich gegen diejenigen richten würde, die den Anspruch, Christen zu sein, entweder gar nicht erheben (ob aus Unwissenheit, Gleichgültigkeit oder Zweifel, sei dahingestellt) oder aber dem Christentum erklärtermaßen feindlich gegenüber stehen. ,Zur Erbauung‘ dient ein so geführter Angriff ferner, wenn und insofern es ihm seiner leitenden Absicht gemäß gelingt, den Leser zur sukzessiven Enthüllung jener Illusion, in der er sich ex hypothesi befindet, eben damit aber zugleich zu einer Umkehr zu einem Verhalten anzuleiten, das der Idealität des Christentums in seiner ganzen Strenge und Kompromisslosigkeit entspricht (vgl. SKS K10, 48). 2. Weshalb und inwiefern ,christliche Reden‘? Zunächst: Kierkegaard unterscheidet, wenn ich recht sehe, drei Formen von Aussagen bzw. Aussagenkomplexen, in denen sinnvollerweise ein Wahrheitsanspruch erhoben werden kann: die wissenschaftliche Abhandlung, die Rede und die Predigt. Der Rückgriff auf die Form der (christlichen und / oder 2
„Er ist geglaubet in der Welt“ = SKS 10, 241 – 252 / GW1 CR, 253 – 266 (im Folgenden = EG).
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erbaulichen) Rede ist immer dann möglich und nötig, wenn (a) die Wahrheit dessen, was mitgeteilt werden soll, nicht gewusst, sondern allenfalls geglaubt werden kann bzw. vom Redenden wie vom Adressaten der Rede glaubend angeeignet zu werden verlangt; ferner, (b) wenn es sich bei dem jeweils zur Debatte stehenden Sachverhalt um ,existenziell Wesentliches‘, d. h. um ethisch-religiöse Zusammenhänge handelt, wobei dies letztere Kriterium das erstere hinreichend und wohl auch notwendig bedingt. Diese Voraussetzungen teilt die Rede mit der Predigt. Beide stimmen ferner darin überein, dass der Redner oder Prediger nichts beweist, sondern Zeugnis ablegt – und zwar nicht bzw. nicht primär von der Wahrheit seiner Behauptungen, sondern davon, dass er selber glaubt, diese seien wahr (vgl. Pap. VII 1 B 192,32 / GW1 ERG, 373 f.). Fehlen die beiden genannten Voraussetzungen, so ist zumindest immer dann, wenn die Suche nach wahrheitsfähigen Aussagen überhaupt möglich und sinnvoll erscheint, die Form der wissenschaftlichen Abhandlung angemessen und legitim. Kierkegaard unterscheidet ferner die christliche (CR) von der bloß erbaulichen Rede (ER): Jede christliche Rede ist als solche erbaulich, aber nicht umgekehrt. Diese Unterscheidung wird inhaltlich und adressatenspezifisch akzentuiert. Die CR argumentiert erstens und in der Terminologie der Nachschrift von der axiomatisch vorausgesetzten Wahrheit des Paradox-Religiösen oder der sog. Religiosität B (d. h. von der des Christentums; vgl. SKS 7, 505 – 521 / GW1 AUN2, 266 – 285) und zweitens von der Prämisse eines Lesers aus, der den Anspruch erhebt, mit der Eigenart des Christentums vertraut zu sein, seine Grundaussagen für wahr zu halten und diese mit allen existenziellen Konsequenzen in die Tat umsetzen zu wollen.3 ,Erbaulich‘ ist die Rede insofern und immer dann, wenn sie den Leser zum einen mit der beunruhigenden Möglichkeit konfrontiert, dass zwischen der ,Faktizität‘ seiner Existenz und der ,Idealität‘ jenes Christseins, das er selber als bekannt und für ihn verbindlich voraussetzt, ein Widerspruch oder zumindest eine partielle Nichtübereinstimmung besteht; und wenn sie ihn zum anderen auf dem Wege der korrigierenden Zuspitzung und Einschärfung des Ideals dazu ermahnen und ermuntern will, diesen Widerspruch aufzuheben und sich dem Ideal im Existenzvollzug weitest möglich anzunähern. Die ER hat dasselbe Doppelziel, setzt aber lediglich die Wahrheit der weniger voraussetzungsreichen Religiosität A (Gottesliebe als Bereitschaft zur 3
Vgl. z. B. NB2:102, SKS 20, 181: die Bereitschaft, alles um willen der Nachfolge Christi aufzugeben.
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Selbstvernichtung vor Gott im Bewusstsein der unendlichen Verschuldung ihm gegenüber) bzw. den entsprechenden Glauben und das entsprechende Verhalten auf Seiten des Adressaten voraus. Weder die CR noch die ER sind mit der Predigt identisch. Auch hier wird zwar ein Wahrheitsanspruch erhoben und Wahrheit bezeugt; indes, die CR „lässt sich bis zu einem gewissen Grade mit dem Zweifel ein – die Predigt [hingegen] verfährt absolut, einzig und allein durch die Vollmacht, die der Schrift, die der Apostel Christi“ (NB:120, SKS 20, 87 / T 2, 78; dazu ferner SKS 8, 317 / GW1 ERG, 228) – bzw. die des ordinierten Pfarrers (vgl. ebd.). Die Unterschiede zwischen Predigt und Rede sind dreifach: Sie beziehen sich erstens auf das redende Subjekt (das entweder ohne oder mit Vollmachtsanspruch auftritt), zweitens auf die Form und drittens auf den Inhalt der Rede: Letztere akzentuiert formal und der Sache nach den Zweifel im Unterschied zum apodiktischen Wahrheitsanspruch, mit dem die Predigt auftritt. Dabei kann die Tatsache, dass sich die CR als solche ,mit dem Zweifel einlässt‘, auf doppelte Weise interpretiert werden. Zum einen textübergreifend und mit Blick auf die Dialektik von Idealität und Faktizität: In diesem Sinne würde man z. B. im dritten, ,polemischen‘ Abschnitt der CR eine sieben Schritte umfassende Dramaturgie der Steigerung (vgl. NB4:5, SKS 20, 288 f.; SKS K10, 48 f.) ausmachen können – eine Steigerung i.S. des immer nachdrücklicher artikulierten Zweifels daran, ob die faktische Existenz des Lesers jener Idealität entspricht, der zu entsprechen dieser vorgibt: Rede 1 (nach Pred 4, 17): ,Jeder Christ ist im Hause des Herrn willkommen [Idealität]; aber bist du – d. h. der Leser der Rede – Christ [Faktizität]?‘ (Vgl. NB2:142, SKS 20, 199) Rede 2 (nach Mt 19, 27): ,Jeder, der alles um der Nachfolge Christi willen verlässt, wird mit dem ewigen Leben belohnt; aber hast du alles um der Nachfolge willen verlassen bzw. bist du bereit dazu?‘ (Vgl. auch NB2:102, SKS 20, 181) Rede 3 (nach Rö 8, 28): ,Jedem, der Gott liebt, werden alle Dinge zum Besten dienen; aber liebst du Gott?‘ Rede 4 (nach Apg 24, 15): ,Jeder, der im Gericht besteht, ist unsterblich; aber bestehst du im Gericht?‘ Rede 5 (nach Rö 13, 11): ,Jeder, der gläubig wurde, ist, nachdem er gläubig wurde, seiner Rettung näher als zu dem Zeitpunkt, in dem er gläubig wurde; aber bist du gläubig geworden?‘ Rede 6 (nach Mt 5, 10ff): ,Jeder, der um der guten Sache willen verhöhnt wird, ist bzw. wird selig; aber wirst du um der guten Sache willen verhöhnt?‘
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Rede 7 (nach 1. Tim 3, 16): ,Jeder, der bzw. an den in der Welt geglaubt wird [hier: Christus], wurde auch offenbart im Fleisch; aber wird Christus auch in der Welt geglaubt – und glaubst du (als Teil der Welt) an ihn?‘
Einer zweiten, ergänzenden Lesart zufolge wird der Zweifel im Kontext der einzelnen Reden selber akzentuiert, und zwar sprachlich wie thematisch. So z. B. im vorliegenden Text. Hier blickt der von Kierkegaard imaginierte ideale Leser, der als solcher das ,er ist geglaubet in der Welt‘ ganz richtig als ein ,ich habe an ihn geglaubt‘ auffasst, auf den eigenen Zweifel bzw. den vergangenen Zustand eigenen Angefochtenseins als genetische und wohl auch sachliche Bedingung seines Glaubens zurück: „[I]ch habe geglaubt an Ihn – bin ich hier … betrogen, so … ist mein Leben in seiner innersten Wurzel vernichtet. Denn ich habe … mit einer Entscheidung der Ewigkeit mich meines Lebens versichert, indem ich an Ihn glaubte – ist Er ein Blendwerk, so ist mein Leben verloren. Aber es ist nicht an dem, das glaube ich. Ich habe auch die Anfechtung durchlitten, auf solche Unsicherheit [Usikkerhed] alles einzusetzen, welches glauben heißt. Möchte jemand zu mir sagen ,falls nun aber!‘: ja, das verstehe ich nicht mehr. Ich habe es voreinst verstanden, im Augenblick der Entscheidung, jetzt verstehe ich es nicht mehr … Ich habe hart wider ein ,falls‘, geängstigt von diesem ,falls‘, mich hinausgewagt (das nennt man wagen), jetzt glaube ich.“ (SKS 10, 249 / GW1 CR, 259 f.) 3. Ich schließe meine Vorbemerkungen mit einigen knappen Hinweisen zum biblisch-exegetischen Hintergrund von EG, d. h. zum Referenztext der Rede (1. Tim 3, 16), sowie zu den Grundprinzipien von Kierkegaards Hermeneutik: Der erste Timotheusbrief gehört (neben Tit und 2. Tim) bekanntlich zu den sog. Pastoralbriefen, die im Kontext der Warnung vor Irrlehrern eine für gemeindeinterne Adressatengruppen (z. B. Presbyter) spezifizierte Paränese entfalten. Aus einer Reihe sprachlicher, inhaltlicher und kontextueller Gründe wissen wir, dass die unter anderem an den Paulus-Mitarbeiter bzw. -Nachfolger Timotheus gerichteten Briefe nicht von Paulus selbst stammen, sondern zu den sog. Pseudepigraphen zählen, deren Verfasserschaft man dem Apostel zum Zwecke der Autorisierung ihres Inhaltes sowie zum Nachweis der lehrhaften Kontinuität mit dem von ihm Vertretenen zugeschrieben hat. Verfasst wurden sie wahrscheinlich gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr., möglicherweise in Ephesus.4 Im Vorblick auf Kierkegaard verdient die Tatsache Beachtung, dass der erste Timotheusbrief bei der 4
Vgl. hierzu im Überblick: Wolter, Art. „Pastoralbriefe“, 31992, 1067 – 1070.
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Bedrohung durch Irrlehrer ansetzt (1. Tim 1, 3 – 7; vgl. 4, 1 f) und die Bedeutung der Rechtgläubigkeit herausstellt bzw. zum unerschütterlichen Festhalten am paulinischen als dem guten oder reinen Glauben (eusébeia) ermahnt. Kierkegaards mehrfach wiederholtes Eingangszitat (vgl. SKS 10, 241, 242, 243, 246 / GW1 CR, 253, 254, 256, 258) bezieht sich explizit auf 1. Tim 3, 16. Die Stelle lautet im Zusammenhang:5 Wahrhaftig, das Geheimnis unseres Glaubens [to te¯s eusebéias myste¯rion] ist groß: er [hós] wurde offenbart im Fleisch, gerechtfertigt durch den Geist, geschaut von den Engeln, verkündet unter den Heiden, geglaubt in der Welt [episteúthe¯ en kósmo], aufgenommen in die Herrlichkeit.
Exegetisch bemerkenswert ist hier mindestens zweierlei: Erstens handelt es sich bei Vers 16b, aus dem Kierkegaards Zitat stammt, aller Wahrscheinlichkeit nach um das Fragment eines frühen liturgischen Hymnus oder Glaubensbekenntnisses (ähnlich wie z. B. Phil 2, 6 ff.). Zweitens bezeugen einige griechische Lesarten statt des maskulinen ,hós‘ (,er‘ / ,dieser‘; gemeint ist: Gott) ein neutrales ,hó‘ (,es‘ / ,dieses‘; gemeint ist: das Geheimnis).6 So beziehungsreich insbesondere dieser letztere Aspekt in theologischer Hinsicht auch sein mag, so wenig überrascht, dass weder er noch irgendein anderer der zuvor genannten exegetischen Gesichtspunkte (Verfasserfrage, Gattungseigentümlichkeiten etc.) auch nur im Entferntesten das Interesse Kierkegaards auf sich zieht.7 Dieser scheint im Gegenteil alles darauf anzulegen, den Leser von allen derartigen Fragen und Erwägungen fernzuhalten und ihn im Übrigen auch im Unklaren darüber zu lassen, welche Kenntnisse bezüglich dieser Fragen er de facto selber besaß – oder eben nicht. Diese Eigentümlichkeit, die in Kierkegaards hermeneutischer und homiletischer Praxis zudem häufig mit einer – nach meinem Eindruck durchaus beabsichtigten – Verwendung von Bibelstellen entgegen deren offensichtlicher Aussageintention einhergeht, ist in der Forschung oft bemerkt und gelegentlich auch gerügt worden. So schreibt Emanuel Hirsch im vorliegenden Zusammenhang: Es braucht kaum gesagt zu werden, daß Kierkegaard die zu Grunde gelegte Stelle gänzlich wider ihre Absicht braucht. Es handelt sich in 1. Tim. 3, 16 um 5 6 7
Nach: Neue Jerusalemer Bibel, Freiburg u. a. 31988. Vgl. Novum Testamentum Graece (Nestle-Aland), Stuttgart 272004, zur Stelle. Dass und inwiefern sich im Gegensatz hierzu das Problem der Rechtgläubigkeit wie ein roter Faden durch den Argumentationsduktus der Rede zieht, werden wir noch sehen.
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einen alten, in der Gemeinde feierlich gesungenen oder rezitierten Christushymnus, und die Worte „geglaubet in der Welt“ wollen die Entstehung der Gemeinde aus dem Wort der Apostel als ein offenkundiges Stück der Herrlichkeit des Erhöhten verkündigen. (GW1 CR, 338 f.; Fußn. 250)
Inwieweit diese Behauptung sowohl exegetisch wie im Blick auf Kierkegaard gerechtfertigt ist, und wenn ja, welche Konsequenzen sich daraus im Blick auf die Beurteilung von Kierkegaards Hermeneutik insgesamt ergeben, ist im Rahmen dieser einleitenden Beobachtungen nicht zu entscheiden. Ich führe Hirschs Bemerkung hier nur als Bestätigung für die auch aus anderen Zusammenhängen her nahe liegende Vermutung an, dass sich Kierkegaards Hermeneutik im Grunde auf drei Prinzipien reduzieren lässt. Erstens: Diejenige Lesart eines biblischen Textes ist die homiletisch und / oder theologisch allein sachgemäße (zumindest aber die im Vergleich zu alternativen Lesarten sachgemäßere), die den Leser dazu nötigt, ein Urteil über ihren Wahrheitsgehalt zu fällen. Diese Bedingung ist zweitens immer, zumindest aber am ehesten und möglicherweise auch nur dann erfüllt, wenn der jeweilige Text bzw. dessen Präsentation im Rede- oder Predigtkontext es nahe legt, so interpretiert zu werden, dass er vom Leser selber handelt. Beide Bedingungen sind drittens durch einen Großteil der kanonischen Texte bereits faktisch erfüllt, zumindest aber – unter Voraussetzung ihrer sachgemäßen Verwendung im Predigt- oder Redekontext – prinzipiell erfüllbar; einen Kanon im Kanon, d. h. einen diesbezüglich innerkanonisch privilegierten Textbestand zu fixieren ist weder möglich noch nötig.
II. Die Rede, mit der ich mich im Folgenden eingehender befasse, erörtert vier sachlich und argumentationslogisch eng miteinander verzahnte Themenfelder, die jeweils mit einer entsprechenden Kern- oder Leitthese verbunden werden. Erstens geht es, sprachphilosophisch gesprochen, um die aussagenlogische Klassifizierung des paulinischen Satzes ,er ist geglaubet in der Welt‘ laut 1. Tim 3, 16 (vgl. SKS 10, 242 f. / GW1 CR, 254 ff.). Die im Rededuktus entfaltete Korrespondenzthese besagt, negativ formuliert, dass es sich bei dem betreffenden Satz nicht oder jedenfalls erst im abgeleiteten Sinne um dasjenige handelt, als was er auf den ersten Blick bzw. oberflächengrammatisch erscheint, nämlich als Aussage, oder genauer als historisches Urteil. Eine solche Aussage würde sich auf eine mehr oder minder wahrscheinlich vorliegende Eigenschaft der Welt beziehen – und
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zwar der Welt als einer ,äußeren‘, an der als solcher der Leser des Satzes selbst dann nicht teilhaben, ja teilhaben kçnnen muss, wenn er der betreffenden Aussage als wahr zustimmt. Tatsächlich aber wird die Eigenart des Satzes erst in tiefengrammatischer Perspektive verständlich. Denn was hier zunächst als (und zwar historische) Aussage erscheint, ist in Wahrheit – nota bene: indirekt und aus dem Blickwinkel des entsprechend disponierten Lesers – Ausdruck einer Frage, und zwar jener an den Leser als Einzelnen gerichteten, ergo undelegierbaren ,Gewissensfrage‘, ob er selber glaubt bzw. zu eben derjenigen ,Welt‘ gehört, die an Christus geglaubt hat und noch glaubt. Den o.g. Satz als historische Aussage – und a fortiori: als Aussage – zu lesen, ist mithin zwar prinzipiell möglich; legitim ist diese Lektüre aber nur dann, wenn sie auf der Basis einer zunächst formulierten Antwort auf jene Frage erfolgt, in die der genannte Satz überführt werden muss, um sachgemäß gelesen und verstanden werden zu können. In einem zweiten, epistemischen Schritt (SKS 10, 243 – 246 / GW1 CR, 256 ff.) erörtert Kierkegaard die Erkenntnisbedingungen des Sachverhaltes, dass ,Christus in der Welt geglaubt wird‘. Die These lautet hier: Der genannte Sachverhalt ist nur dann als vorliegend bzw. die entsprechende Aussage nur dann als faktisch wahr erkennbar, wenn der Leser bereit und imstande ist, sie in eine Antwort auf die Frage nach seinem eigenen Glauben zu transformieren oder sie auf eine solche zurückzuführen – und zwar im vorliegenden Fall: auf eine affirmative Antwort. Die fragliche Aussage mag zwar an sich und unabhängig vom Vollzug dieser Transformation wahrheitsfhig und auch als solche erkennbar sein; sie kann aber nur vermittelt über das jenem Vollzug inhärente Einnehmen der Perspektive der ersten Person Singular als faktisch wahr erkannt werden. Ein dritter, semantischer Themenkreis (SKS 10, 246 – 250 / GW1 CR, 258 – 264) schließt sich nahtlos an; er betrifft den Begriff oder die Eigenart des fraglichen Glaubens. Die zugehörige Doppel-These lautet: Glaube ist erstens und in formaler oder auch struktureller Hinsicht personaler Glaube, d. h. Glaube „an Ihn [paa Ham]“ (SKS 10, 246 / GW1 CR, 259) bzw. Glaube an Christus.8 Zweitens und seinem Herkunftsbereich nach gehört dieser in die Klasse von Einstellungen oder (Handlungs-)Dispositionen, genauer in die Klasse von Dispositionen zu einem bestimmten inneren 8
Eine Formalanalyse, die sich mit dem biblischen Sprachgebrauch i.S. von 1. Tim 3, 16 nicht deckt, insofern letzterer ,glauben‘ in einer heute ungebräuchlichen Form, nämlich personal und transitiv verwendet (,hós … episteúthe¯‘ = dieser wird geglaubt).
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Handeln qua Entschluss. Der Ausdruck Glaube bezeichnet danach die Bereitschaft, im Angesicht der objektiven „Unsicherheit“ (ebd.), ob die in Christus dem Menschen zuteil gewordene göttliche Verheißung nicht bloßes „Blendwerk“ (ebd.) sei, alles dafür einsetzen bzw. unter allen Umständen daran festhalten zu wollen, dass er bzw. sie dies nicht ist. Konkret gesprochen glaubt Peter genau dann, wenn er die anfechtende Möglichkeit, dass Gott in jedem Augenblick einen radikalen Verzicht auf zeitlich-irdische Glückserfüllung von ihm fordern könnte, in der Gewissheit und im Vertrauen darauf gutzuheißen vermag, dass ihm auch die Verwirklichung dieser Möglichkeit ewig verstanden (d. h. im Blick auf die durch Jesus Christus eröffnete Teilhabe am ewigen Leben) dienlich sein, Gott selbst jene Forderung aber aus Liebe erheben wird bzw. würde.9 Kierkegaard könnte also in diesem Zusammenhang auch von der ,eschatologischen Existenz‘ des Christen sprechen: Dieser lebt wie jeder andere Mensch in der leidenschaftlichen Hoffnung auf irdische Glückserfüllung, zugleich aber in der Bereitschaft des Glaubens, auf diese Erfüllung in jedem Augenblick zu verzichten und mit der Möglichkeit dieses Verzichts als einer segensvollen zu rechnen – dies alles aber im simultan aktualisierten Bewusstsein der beunruhigenden Möglichkeit, dass der mit dieser Bereitschaft gekoppelte Glaube auf einer Illusion beruht! 10 Ein vierter und in der Quintessenz ethisch-religiös motivierter Themenkreis erörtert das Verhltnis von Subjektivitt (qua Akt) und Objektivitt (qua Inhalt) des Glaubens sowie die genetischen und geltungstheoretischen Bedingungen dafür, dass das, was der Christ glaubt, (zwar nicht notwendigerweise wahr, aber zumindest) der wahre christliche Glaube ist (vgl. SKS 10, 250 ff. / GW1 CR, 264 ff.). Kierkegaards Korrespondenzthese lautet, dass beides in einem – durch Gott prästabilierten und auch nur durch ihn prästabilierbaren – Bedingungsverhältnis steht: Jeder, der bereit ist, sich rückhaltlos auf ein Glaubenswagnis im o.g. Sinne einzulassen, kann und wird Gewissheit darüber erlangen, was er i.S. des auf Gott wie auf die je eigene Situation vor Gott bezogenen Glaubensinhaltes für wahr halten bzw. worauf er diesbezüglich vertrauen soll. Wem diese Gewissheit 9 Woraus unter anderem folgt: Ohne Anfechtung kein Glaube; und ohne das ,falls‘ jener Möglichkeit keine Anfechtung (vgl. SKS 10, 246 – 250 / GW1 CR, 258 – 264). 10 Auf das Verhltnis von Subjektivität (qua Leidenschaft der Glückshoffnung, der Verzichtsbereitschaft, der Glaubensgewissheit) und Objektivität (als Gegenständlichkeit der Leidenschaft, soweit sich diese auf das Glücksverheißende, das Worauf des Verzichts sowie auf Gott als Liebe bezieht) wird im Folgenden zurückzukommen sein.
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fehlt, dem fehlt sie daher immer auch deshalb, weil und wann immer er jenes Wagnis zu vermeiden sucht. Umgekehrt soll die religiöse Innerlichkeit und Subjektivität „gerade auf ihrem Gipfelpunkt wieder die Objektivität“ (NB14:121, SKS 22, 414 / T 4, 65) sein. Oder anders formuliert: Jedem, der in leidenschaftlicher Selbstvernichtung vor Gott daran festzuhalten vermag, diesem gegenüber unendlich unrecht zu haben bzw. schuldig zu sein, wird früher oder später die (der Idealität des christlichen Glaubens einzig adäquate) Gewissheit zuteil werden, dass Gott ,dennoch‘ Liebe ist. Jedem – und wie sich bei näherem Hinsehen zeigt: wohl auch nur diesem.
III. 1. Kierkegaards christliche Rede über den Glauben ist zweifellos auch ein philosophisch ernstzunehmender Text. Das trifft abgesehen von den spezifisch mitteilungstheoretischen Bezügen, die ich hier ausklammern muss, vor allem auf diejenigen Abschnitte zu, in denen die o.g. Themenblöcke zwei und vier verhandelt werden. Auf eben diese werde ich im Folgenden detaillierter eingehen. Zunächst also zu Themenkreis zwei. Wie wir gesehen haben, behauptet Kierkegaard (vgl. SKS 10, 243 / GW1 CR, 256), dass die Frage, ob Christus ,in der Welt geglaubt‘ wurde bzw. wird, mit Gewissheit nur derjenige wird beantworten können, der sie selber stellt. Genauer gesagt muss der, der eine Antwort geben können soll, i.S. der These erstens selber Teil der (Menschen-)Welt sein (vgl. ebd., 243 / 255); zweitens kommt als Grund wie als Gegenstand der fraglichen Gewissheit nur der Glaube selber, und zwar der Glaube desjenigen in Betracht, der diesen im Blick auf die Frage nach seiner Faktizität in der Welt zum Gegenstand macht (vgl. ebd., 243 u. 250 / 256 u. 264). Der Glaube eines ,jeden anderen‘ bleibt demgegenüber im Bereich einer stets problematischen Möglichkeit, seine vermeintliche Faktizität allenfalls Gegenstand eines mehr oder minder wahrscheinlichen historischen Berichtes und als solche Resultat bloßer „Versicherung“ (ebd., 243 / 256); die Akzeptanz seines faktischen Gegebenseins kann mithin kantisch gesprochen nur auf Überredung, nicht aber auf Überzeugung beruhen und daher für den Betreffenden auch nicht im strengen Sinne gewiss werden. Ergänzt man die bei Kierkegaard stillschweigend vorausgesetzten Zusatzprämissen, die zu diesem Resultat führen, dann lautet sein Argument wie folgt:
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(1) Peter kann nur dann gewiss sein oder erkennen, dass es Glauben in der Welt gibt, wenn er dessen gewiss sein oder erkennen kann, dass er selber glaubt.11 (2) Peter kann nur dann gewiss sein oder erkennen, dass er selber glaubt, wenn er selber glaubt. (3) Also kann Peter nur dann gewiss sein oder erkennen, dass es Glauben in der Welt gibt, wenn er selber glaubt.12 In aktualisierter philosophischer Diktion würde man Kierkegaards Schlussfolgerung so ausdrücken, dass wahre Aussagen über die Faktizität des Glaubens in der Welt nur in einer durch die Perspektive der ersten Person vermittelten Form möglich sind. Dabei wird diese Zusatzqualifizierung (,Perspektive der 1. Person‘) in EG noch näher bestimmt. Aussagen in dieser Perspektive sind erstens im Blick auf ihr Subjekt in besonderer Weise ausgezeichnet: Das Subjekt und die spezifische Form seines Verhaltens zu sich selbst (Peter ist gewiss, dass er selber glaubt) fungieren als genetisch und geltungstheoretisch notwendige Bedingung der Gewissheit über ihren oberflächengrammatisch primären (s. o.) Erkenntnisgegenstand (die Faktizität des Glaubens in der Welt). Insofern sind zweitens auch derartige Aussagen in besonderer Weise bestimmt: Sie sind bzw. die Frage nach ihrem Wahrheitswert ist undelegierbar: Wenn Peter wissen will, ob es Glauben in der Welt gibt, kann er sich zwecks Beantwortung dieser Frage nur kraft eines Missverständnisses an jemand anderen wenden. Aussagen, über deren Wahrheitswert nur in der Perspektive der ersten Person entschieden werden kann, sind also als solche undelegierbar – und umgekehrt. Insofern ist aber drittens auch der Inhalt derartiger Aussagen spezifiziert: Eine Entscheidung über ihren faktischen Wahrheitswert kann ja nur dann und insoweit gefällt werden, wie sie von demjenigen, der sie zur Sprache bringt, als etwas erkannt werden, das ( jedenfalls auch und unter anderem) von ihm selber handelt. Hierbei fungiert der inhaltliche Aspekt offensichtlich als Begrîndung für die besondere Akzentuierung von Subjekt und korrespondierender Aussage: Letztere ist nur deshalb undelegierbar, und ihr Subjekt fungiert erst und genau dann als genetisch und geltungstheoretisch notwendige Bedingung 11 Und wenn er – als Glaubender – selber Teil der Welt ist oder zumindest sein kann. 12 Dies schließt keineswegs die Behauptung ein, dass dies auch immer dann der Fall ist. Welche existenzdialektischen Schwierigkeiten sich hier im Gegenteil ergeben können und inwiefern diese nach Kierkegaard geradezu ein Bestandteil (der Existenz) des Glaubens sind, werden wir im Zusammenhang des vierten Themenkreises noch sehen.
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der Gewissheit über ihren primären Erkenntnisgegenstand, wenn und weil es sich hier um Aussagen über die Welt handelt, bei denen das im Selbstbezug thematisierte Subjekt stellvertretend für jene Welt stehen kann und steht (,es gibt immer dann Glauben in der Welt, wenn und insoweit ich selber glaube‘). 2. Nun arbeitet Kierkegaard im Blick auf 1. Tim 3, 16 ganz offensichtlich mit der Vorstellung dreier möglicher Rezipienten- oder Lesergruppen: Zwei von diesen sind, so könnte man sagen, in die Klasse der ,subjektiven‘ Rezipienten einzuordnen, die dritte fällt unter das Verdikt ,objektiver‘ Leser. Der objektive Leser übersieht, dass sich hinter der Oberflächengrammatik der Aussage ,er ist geglaubet in der Welt‘ eine Tiefengrammatik verbirgt, die es als unerlässlich erscheinen lässt, die genannte Aussage in eine Frage zu transformieren – eine Frage, die de facto von ihm, dem Leser selber, handelt und sich im Übrigen auch an ihn wendet. Er missversteht m.a.W. die Aussage als ein historisches Urteil, das als solches nicht zwangsläufig von ihm selbst handeln muss, ja unter Umständen nicht einmal von ihm handeln kann. Der subjektive Leser versteht sie durchaus richtig – und das kann hier zweierlei besagen: Er bezieht die Aussage auf sich, und zwar so, dass er sie primär und zutreffend als Frage nach seinem eigenen Glauben auffasst, gibt aber im einen Fall eine affirmative, im anderen eine negative Antwort.13 Auch der Ungläubige bzw. sich zu sich selbst als ungläubig Verhaltende kann demnach subjektiv 13 1. ,Ich verstehe, dass die Aussage ,er ist geglaubet in der Welt‘ zunächst und primär nach meinem eigenen Glauben fragt und beantworte die Frage affirmativ: ja, ich glaube [an ihn]‘. 2. ,Ich verstehe, dass die Aussage ,er ist geglaubet in der Welt‘ zunächst und primär nach meinem eigenen Glauben fragt und beantworte die Frage negativ: nein, ich glaube nicht [an ihn]‘. Es geht hier ausschließlich um den bezeichneten hermeneutischen Zusammenhang, insoweit dieser in die beiden nachfolgenden Glaubensannahmen bzw. das entsprechende Aussagenpaar mündet: (a) ,Ich glaube an Christus‘ / ,es trifft nicht zu, dass ich an Christus glaube‘. Sachlich zu unterscheiden sind davon zwei weitere Paare von Glaubensannahmen sowie die ihnen entsprechenden Aussagen: (b) ,In der Welt wurde und wird an Christus geglaubt‘ / ,es trifft nicht zu, dass in der Welt an Christus geglaubt wurde und wird‘. (c) ,Ich kann nur dann erkennen, dass in der Welt an Christus geglaubt wird, wenn ich selber an ihn glaube‘ / ,ich kann auch dann erkennen, dass in der Welt an Christus geglaubt wird, wenn ich selber nicht an ihn glaube‘. Diese Sekundär- und Tertiärannahmen spielen zwar, wie wir gesehen haben, in Kierkegaards Argumentation eine nicht unwichtige Rolle; sie sind aber – auch aus seiner Sicht – weder de dicto noch de re in den unter (a) formulierten Glaubensannahmen impliziert. Zum Unterschied von de dicto und de re Annahmen vgl. H. Schulz 2001, 22 und 170.
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und also hermeneutisch angemessen lesen – und so gesehen mag auch sein Selbstverhältnis, zumindest sein Selbstverständnis (als Ungläubiger nämlich) durchaus zutreffend sein.14 Besteht trotz dieser grundsätzlichen Gemeinsamkeit im Blick auf die erkenntnistheoretische Frage nach den Möglichkeitsbedingungen der Gewissheit, dass in der Welt an Christus geglaubt wurde und wird, ein signifikanter Unterschied zwischen Glaube und Unglaube? In der Tat. Die Aussage ,Christus wird in der Welt geglaubt‘ mag an sich zwar auch im Falle ihrer Rezeption durch den Ungläubigen wahr sein (sie ist wahrheitsfähig); sie kann aber nicht – oder genauer: sie kann zumindest von dem Betreffenden und allen anderen Nicht-Gläubigen nicht – als faktisch wahr erkannt werden. Freilich gilt dies aus anderen Gründen als im Falle des ,objektiven‘ Lesers: Dieser kann keine sachgemäße bzw. wahrheitsfähige Antwort auf die gestellte Frage geben, weil er die Frage missversteht und ihm aufgrund dieses Missverständnisses die notwendigen (subjektiven) Voraussetzungen für eine Antwort fehlen. Hingegen liegt im ersteren Fall zwar eine sachgemäße, nämlich subjektive Hermeneutik der Frage vor; aber im Medium des Unglaubens dominiert gleichwohl eine ,falsche‘, weil wahrheitsfunktional destruktive Form von Subjektivität, die als solche die Möglichkeit jeder wahrheitsfähigen Antwort zunichte macht. Folgt man Kierkegaards Argumentation, dann müsste mithin nicht nur dann als unsinnig gelten, einen Gewissheitsanspruch für die – hier: affirmative – Antwort auf die Frage, ob Christus in der Welt geglaubt wird, zu erheben, wenn man vor einer Antwort auf die zuvor und zugrunde liegende Frage nach dem eigenen Glauben an Christus ausweicht; ein solcher Gewissheitsanspruch wäre vielmehr auch dann unsinnig, wenn die letztere Frage negativ beantwortet wird. Der Betreffende hätte im letzteren Fall zwar im Rahmen einer prinzipiell sachgemäßen Hermeneutik der Frage nach der Faktizität des Glaubens an Christus in der Welt ,sich selbst verstanden‘, könnte diese Frage aber (unabhängig davon, ob er sich dessen bewusst wäre oder nicht) gleichwohl nicht beantworten – wohlgemerkt, wenn denn gilt, was Kierkegaard nicht müde wird zu betonen: dass die Frage nach der Faktizität des Glaubens in der Welt dann und nur dann beantwortet werden kann, wenn der Fragende selber glaubt. 14 Vgl. SKS 10, 246 / GW1 CR, 259: „Wer … die Frage verstünde und die Antwort gäbe: ,ich hab an Ihn geglaubt‘, er hätte sich selbst verstanden. Und falls er die Antwort gäbe ,ich habe nicht an Ihn geglaubt‘, so verstünde er gleichwohl sich selbst.“
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Könnte aber der Ungläubige nicht mindestens zur Gewissheit gelangen, dass es keinen Glauben in der Welt gibt? Auch diese Möglichkeit besteht unter den von Kierkegaard geltend gemachten Voraussetzungen nicht. Peter kann und darf zwar schließen: ,Ich glaube; ich bin ein Teil der Welt; also ist der (bzw. mein) Glaube ein Teil der Welt.‘ Aber er ist nicht berechtigt zu schließen: ,Ich glaube nicht; ich bin ein Teil der Welt; also ist der Glaube kein Teil der Welt.‘ Dass einige Menschen glauben, schließt zwar aus, dass keiner glaubt; aber dass einige nicht glauben, lässt sehr wohl zu, dass andere das tun. Also ist für den ungläubigen, obschon ,subjektiven‘ Leser auf dem Boden der Kierkegaardschen Prämissen weder die Faktizität noch die Abwesenheit des Glaubens in der Welt gewissheitsfähig. Immerhin wird auch er seine Antwort nicht indifferentistisch interpretieren. D.h. er wird unter keinen Umständen zu folgendem Schluss gelangen: ,Die dieser Aussage zugrunde liegende Frage geht mich zwar ganz persönlich an, aber meine – in diesem Falle: negative – Antwort (,ich glaube nicht an Christus‘) ist und bleibt für mich persönlich ebenso gleichgültig und bedeutungslos wie die Unbestimmbarkeit des Wahrheitswertes von ,Christus ist geglaubet in der Welt‘, die sich aus meiner Antwort für mich ergibt‘.15 Die Aussage ,ich glaube nicht‘ (an Christus) hat also doxastisch oder glaubenstheoretisch betrachtet nur unter der Voraussetzung Sinn, dass dieses Nicht-Glauben, ganz analog zum Glauben, die Haltung des interessierten, nicht die des indifferenten Zweiflers, Agnostikers oder Ungläubigen beschreibt. Analogielos ist der Glaube demgegenüber in einer anderen erkenntnistheoretisch einschlägigen Hinsicht. Kierkegaards Auffassung zufolge kann Peter nur dann, wenn er die Frage, ob er selber glaubt, bejaht, die Aussage ,er ist geglaubet in der Welt‘ als wahr erkennen bzw. das Ausgesagte mit Recht als Faktum behaupten. Freilich: nicht allein nur dann, sondern unter der genannten Voraussetzung auch nur – die Wahrheit der entsprechenden Aussage! Denn es wäre offenkundig widersinnig zu behaupten: ,Niemand in der Welt glaubt an Christus, aber ich glaube an Christus, und ich bin ein Teil der Welt‘! Diese Einschränkung besteht in 15 Wobei, um Missverständnissen vorzubeugen, beide hier auftretenden Instantiierungen des Glaubens bzw. seiner Artikulation (,ich glaube an Jesus Christus‘; ,ich glaube, dass ich, ohne selbst an Christus zu glauben, die Aussage ,er ist geglaubet in der Welt‘ nicht als wahr erkennen kann‘) doxastisch und epistemisch unabhängig voneinander sind: Glaube 1 kann nicht nur ohne Glaube 2 instantiiert, er kann auch unabhängig von diesem wahr sein, und umgekehrt.
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anderen, von der Perspektive der ersten Person unabhängigen Zusammenhängen nicht. Sind nämlich die Bedingungen für die Möglichkeit der Erkenntnis, ob ein zur Debatte stehender Sachverhalt X vorliegt oder nicht, in einem gegebenen Zusammenhang faktisch erfüllt, dann kann diese Erkenntnis trivialerweise eine Doppelform annehmen: ,X liegt vor‘ oder ,X liegt nicht vor‘. Analog: ,In der Welt wird (an) Christus geglaubt‘ oder aber ,es trifft nicht zu, dass in der Welt (an) Christus geglaubt wird‘. Anders im aktuellen Fall, wo nur der affirmative Schluss möglich ist. Daraus folgt aber in epistemischer Hinsicht, dass der faktische Christusglaube des Urteilenden die Erkenntnis des Sachverhaltes, dass es Christusglauben in der Welt gibt, nicht nur notwendig, sondern auch hinreichend bedingt. Nur, aber auch immer dann, wenn jemand, der die Frage stellt, ob in der Welt an Christus geglaubt wird, dessen gewiss ist, dass er selber glaubt, kann er in der Antwort auf jene Frage Gewissheit erlangen – freilich stets und ausschließlich i.S. der diese Frage bejahenden Antwort. Mag man also um den Preis, Kierkegaard als Krypto-Pragmatisten bezeichnen zu müssen, die Frage bis auf weiteres offenlassen, ob nach seiner Auffassung mit einer Klasse von Aussagen zu rechnen ist, die nur vermittelt durch ihr Geglaubtwerden wahr sein können, so sind doch aus seiner Sicht zumindest solche Aussagen denkbar, die nur vermittelt über ihr Geglaubtwerden als faktisch wahr erkennbar sind. 3. Bislang sind die erkenntnistheoretischen Implikationen von Kierkegaards These nur im Blick auf die beiden Typen des ,subjektiven‘ Lesers (der Gläubige / der Ungläubige) durchbuchstabiert worden. Wie steht es im Vergleich dazu mit dem Indifferentismus des ,objektiven‘ Lesers? Prinzipiell könnte ja auch er die in 1. Tim 3, 16 formulierte These zu prüfen versuchen und dabei, wenn er hier zu einem Urteil gelangen würde, je eines von beiden, d. h. aber prinzipiell zweierlei behaupten: ,Es gibt Glauben an Christus in der Welt‘; ,es gibt keinen Glauben an Christus in der Welt‘. Könnte man mit Kierkegaard zumindest einen dieser beiden Sätze – oder sogar beide – als gewissheitsfähig einstufen? Nein. Wenn Peter glaubt, kann er, wie wir gesehen haben, dessen nicht gewiss werden, dass es keinen, sondern nur, dass es Glauben in der Welt gibt; wenn er nicht glaubt – und diese Voraussetzung erfüllt ja faktisch auch der Indifferente –, kann er umgekehrt nicht zu der Gewissheit gelangen, dass es in der Welt Glauben gibt. Hier liegt jener Fall vor, der bereits eingangs beschrieben wurde: Der ,objektive‘ Leser missversteht die Aussage ,er ist geglaubet in der Welt‘ als historisches Urteil, ja er muss sie so verstehen; eben deshalb aber kann er bezüglich ihrer Wahrheit auch keine Gewissheit erlangen, sie
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muss für ihn – selbst wenn er das Gegenteil beteuert – eine bloß problematische Möglichkeit bleiben. Aus exakt demselben Grund ist aber demnach für ihn auch die kontradiktorisch entgegen gesetzte Hypothese (,es gibt keinen Glauben an Christus in der Welt‘) nicht gewissheitsfähig. Denn wenn im Hinblick auf p ein nur problematisches, nicht aber ein assertorisches oder apodiktisches Urteil möglich ist, dann gilt dasselbe auch für p. Für den ,objektiven‘ Leser kann auch der Satz ,es gibt keinen Glauben an Christus in der Welt‘ (oder: ,es trifft nicht zu, dass es Glauben an Christus in der Welt gibt‘) nie mehr sein als ein historisches Urteil, dessen Wahrheit möglich, bestenfalls mehr oder minder wahrscheinlich, niemals aber schlechthin gewiss ist. Während somit die Thesen des ,objektiven‘ Lesers auf zwei reduziert werden können (,es gibt in der Welt Glauben an Christus‘; ,es gibt in der Welt keinen Glauben an Christus‘), sind aus der Perspektive des ,subjektiven‘ Lesers – als einem entweder gläubigen oder ungläubigen – vier entsprechende (Doppel-)Thesen rein kombinationslogisch möglich: (1) ,Ich glaube an Christus; es gibt in der Welt Glauben an Christus.‘ (2) ,Ich glaube an Christus; es gibt in der Welt keinen Glauben an Christus.‘ (3) ,Ich glaube nicht an Christus; es gibt in der Welt Glauben an Christus.‘ (4) ,Ich glaube nicht an Christus; es gibt in der Welt keinen Glauben an Christus.‘ Wenn wir nun abschließend alle sechs Aussage-Varianten einander direkt gegenüberstellen, um sie in logischer (Konsistenz), ontologischer (Wahrheitsfähigkeit) und epistemischer Hinsicht (Gewissheitsfähigkeit) auf einen Blick vergleichen zu können, ergibt sich folgendes Bild:16 Logisch [a]+ [b]: im 1. ,Ich glaube an Christus [a]; es gibt Ensemble denkmöglich in der Welt Glauben an Christus [b].‘17
Ontologisch [a] + [b]: im Ensemble wahrheitsfähig
Epistemisch Unter Voraussetzung von [a] ist [b] gewissheitsfähig.
16 Die Varianten 1.–4. beziehen sich auf den ,subjektiven‘, 5. und 6. auf den ,objektiven‘ Leser. 17 Aus Vereinfachungsgründen wird hier und im Folgenden vorausgesetzt, dass der Glaubende (a) selber Teil der Welt und (b) dieser Tatsache gewiss ist.
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Logisch
2. ,Ich glaube an Christus [a]; es gibt in der Welt keinen Glauben an Christus [b].‘ 3. ,Ich glaube nicht an Christus [a]; es gibt in der Welt Glauben an Christus [b].‘ 4. ,Ich glaube nicht an Christus [a]; es gibt in der Welt keinen Glauben an Christus [b].‘ 5. ,Es gibt in der Welt Glauben an Christus.‘ 6. ,Es gibt in der Welt keinen Glauben an Christus.‘
Ontologisch
Epistemisch
[a]+ [b]: im [a] + [b]: im Unter Ensemble Ensemble Voraussetzung denkunmöglich wahrheitsunfähig von [a] ist [b] nicht gewissheitsfähig. [a] + [b]: im Ensemble denkmöglich
[a] + [b]: im Ensemble wahrheitsfähig
Unter Voraussetzung von [a] ist [b] nicht gewissheitsfähig.
[a] + [b]: im Ensemble denkmöglich
[a] + [b]: im Ensemble wahrheitsfähig
Unter Voraussetzung von [a] ist [b] nicht gewissheitsfähig.
Denkmöglich
Wahrheitsfähig
Nicht gewissheitsfähig
Denkmöglich
Wahrheitsfähig
Nicht gewissheitsfähig
IV. 1. Bislang habe ich habe in der Rekonstruktion der Kierkegaardschen Argumentation und ihrer teilweise stillschweigenden Prämissen und Konsequenzen bewusst auf Kritik verzichtet. Als Ausgangspunkt und Leitfaden diente die unbefragte Voraussetzung des Autors, dass die Faktizität des Glaubens nur in der Einstellung der ersten Person gewiss bzw. als Teil der Welt erkannt werden kann, während der Glaube eines vom erkennenden Subjekt unterschiedenen Anderen epistemisch unzugänglich bzw. Gegenstand stets ungewisser historischer Urteile bleiben muss. Um diese im vorliegenden Redekontext unbefragte Voraussetzung zu prüfen, müsste man den Weg einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der (vor allem im pseudonymem Werk) teils implizit vorausgesetzten, teils explizit entfalteten Erkenntnistheorie Kierkegaards einschlagen – eine Aufgabe, deren Lösung
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hier nicht einmal in Angriff genommen, geschweige denn bewältigt werden kann.18 Nicht nur, aber auch deshalb, weil mir Kierkegaards Argumentation im Ansatz plausibel erscheint, habe ich mich im vorliegenden Zusammenhang mit Absicht auf ein konsequentialistisch-internes Verfahren beschränkt, das als solches lediglich auf die präzise Lokalisierung der tragenden Thesen, der argumentationslogischen Elemente sowie – und dies vor allem – auf die Herausarbeitung der auch im philosophischen Sinne nach meiner Auffassung durchaus bedenkenswerten Konsequenzen des Kierkegaardschen Gedankengangs abzielt. Diese Beschränkung lasse ich im folgenden Abschnitt, der das zweite, im o.g. Themenbereich vier lokalisierte Leitproblem von EG erörtert, fallen – nicht zuletzt deshalb, weil die hier zur Debatte stehende theologische Kernthese einer göttlich prästabilierten Teleologie in Natur und Geisteswelt seit Beginn der Neuzeit unter massivem Beschuss steht und als solche eigens der Rechtfertigung bedarf – wenn denn eine solche möglich ist. Es wird im Folgenden also nicht zuletzt um die Plausibilität der Kierkegaardschen Überlegungen gehen, und zwar unter anderem auch deshalb, weil ich Kierkegaards Überlegungen in diesem Punkt für problematischer halte als die im Kontext von Themenkreis zwei vorgetragenen. Der neue Gedanke, der im betreffenden Abschnitt von EG (vgl. SKS 10, 250 ff. / GW1 CR, 264 ff.) auf den Plan tritt, betrifft die genetischen und wohl auch logischen Möglichkeitsbedingungen einer Einsicht in das, was die theologische Tradition fides quae nennt, um hierdurch den Glaubensinhalt zu bezeichnen. Präziser formuliert geht es um die Frage, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen eine Übereinstimmung, ja mehr noch, eine innere Teleologie oder prästabilierte Harmonie von Subjektivität und Objektivität bzw. von Akt und Inhalt des Glaubens möglich ist. Kierkegaards Doppelthese lautet: In der Tat, eine solche Teleologie ist möglich, aber nur „vermöge einer göttlichen Bestimmung [i Kraft af en Guds Bestemmelse]“ (SKS 10, 251 / GW1 CR, 265). Kraft dieser Bestimmung bedingt die Subjektivität des Glaubensaktes ferner die Genese der Glaubensgewissheit i.S. der wahren Gottesvorstellung bzw. der gerechtfertigten Überzeugung vom Inhalt des Glaubens mindestens hinreichend (vgl. SKS 10, 250 f. / GW1 CR, 264 f.).
18 Vgl. dazu in Ausschnitten H. Schulz 1996a, 205 – 223; im Zusammenhang ferner Piety 2010.
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2. Verknüpfen wir diese These mit dem bisherigen Ergebnis, so ergibt sich folgender Thesenkontext: (1) Die Frage, ob Christus in der Welt geglaubt wird, kann nur derjenige mit Gewissheit beantworten, der sie stellt: nämlich als Antwort auf die Frage, ob er selber glaubt. (2) Eine Antwort auf die Frage, ob er selber glaubt, kann der Betreffende nur in ,Furcht und Zittern‘, d. h. im anfechtungsbedrohten Bewusstsein einer jederzeit möglichen göttlichen Forderung zur Bereitschaft geben, auf jede Aussicht zeitlich-irdischer Glückserfüllung zu verzichten. (3) Diese Bereitschaft zur ,Ungewissheit des Glaubens‘ bedingt die Möglichkeit der Glaubensgewissheit i.S. der wahren Gottesvorstellung mindestens hinreichend. Die zweite These wird hier stillschweigend und ohne nähere Erläuterung ergänzt. Ihre Begründung erfolgt im Zusammenhang des dritten Themenkreises der Rede, der sich mit der Frage nach der Eigenart des Glaubens befasst (vgl. SKS 10, 246 – 250 / GW1 CR, 258 – 264). Mir geht es ausschließlich um die dritte These. Zu ihrer Begründung greift Kierkegaard auf eine beziehungsreiche Analogie zwischen Natur- und Geisteswelt bzw. zwischen Nahrungsbedürfnis und (Nahrung qua) Bedürfnisbefriedigung im physiologisch-natürlichen und im religiös-geistigen Sinne zurück. Die entscheidende Textpassage verdient im Zusammenhang zitiert zu werden: Sicherlich ist dazu, dass ein Mensch ein Christ sei, erforderlich, daß es etwas Bestimmtes ist, das er glaubt; ebenso sicher aber ist auch erforderlich, daß es ganz bestimmt ist, dass „er“ glaubt … In dem gleichen Maße, in dem man den Schein erweckt, dass es so überaus schwierig sei, den Inhalt dessen, das ein Mensch glauben soll, näher zu bestimmen, in dem gleichen Maße führt man die Menschen vom Glauben fort. Gott läßt in einem bestimmten See keine Art von Fischen entstehen, ohne dass darin auch die Pflanze wächst, die ihre Nahrung ist. Mithin kann man auf zweierlei Weise schließen; entweder so: diese Pflanze wächst hier, also findet sich hier auch dieser Fisch; oder aber noch sicherer so: dieser Fisch findet sich hier, als wächst hier diese Pflanze. Doch wahrlich, so wenig wie Gott in einem bestimmten See eine Art von Fischen entstehen läßt, ohne daß dort auch die Pflanze wächst, die ihr zur Nahrung dient: ebenso wenig wird Gott einen, der in Wahrheit … bekümmert ist, unwissend über das lassen, was er glauben soll. Das will heißen, das Bedürfnis bringt die Nahrung mit sich [Trangen fører Næringen med sig], das Gesuchte ist im [i] Suchen dessen, der es sucht, der Glaube in dem Kummer [Bekymringen], den Glauben nicht zu haben, die Liebe in dem Kummer über sich selbst, nicht zu lieben. Das Bedürfnis führt die Nahrung mit sich – … nicht aus eigner Kraft, so als ob das Bedürfnis die Nahrung erzeugte [frembragte], sondern vermöge einer göttlichen Bestimmung, welche diese beiden, das Bedürfnis und die Nahrung, zusammenfügt, und darum muß man, wenn man sagt, dies sei so, hinzufügen ,so gewiß es da einen
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Gott gibt‘; denn wäre Gott nicht da, so wäre dies auch nicht so. (SKS 10, 250 f. / GW1 CR, 264 f.)
Sehen wir uns die Aufbaumomente der Analogie zunächst im Schema an: Parameter der Analogie Bedîrftiger Bedîrfnis
Mittel zur Bedîrfnisbefriedigung
Welt der Natur z.B. Fisch X: als Naturwesen z.B. Hunger: als natürliches Bedürfnis des Fisches
z.B. Pflanzenart Y: als physisches Nahrungsmittel des Fisches
Welt des Geistes Mensch: als Geistwesen Glaube 1: als geistiges Nahrungsbedîrfnis; hier i.S. der ,Bekümmerung darüber, den Glauben nicht zu haben‘, bzw. als Bedürfnis eines Menschen zu wissen, was er glauben soll Glaube 2: als geistiges Nahrungsmittel eines Menschen; hier i.S. seines aufgehobenen Bedürfnisses zu wissen, was er glauben soll, bzw. als Glaubensgewissheit i.S. der momentweise erfahrbaren Übereinstimmung von Subjektivität und Objektivität des Glaubens Christenheit
Lebensraum / Existenz- z.B. See Z: als medium des Lebensraum, der für den Bedîrftigen Fisch geeignet ist und den dieser zum Überleben benötigt Grundlage des Gott – als Schöpfer und Gott – als Versöhner und Lebensraumes sowie Erhalter des Fisches Erlöser des Menschen der darin herrschenden bereinstimmung von Bedîrfnis und Bedîrfnisbefriedigung
Die Vergleichsparameter an sich sowie die entsprechenden Zuordnungen auf der ,Naturseite‘ der Analogie sind im Unterschied zur ,Geistseite‘ eindeutig und unproblematisch, weil aus dem Textzusammenhang unmittelbar ersichtlich. Sie gesondert zu erläutern erübrigt sich daher. Dass beide Analogate und ihre Einzelelemente unter der Leitdistinktion von
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Natur und Geist rubriziert werden, geht zwar über den vorliegenden Textbefund hinaus, ist aber durch Kierkegaards sonstigen Sprachgebrauch gedeckt.19 Ferner leite ich die Berechtigung, zwischen Glaube 1 und Glaube 2 zu unterscheiden, aus einer diesbezüglich einschlägigen Aussage Kierkegaards ab, wonach „der Glaube in dem Kummer [gegenwärtig ist], den Glauben nicht zu haben“ (SKS 10, 251 / GW1 CR, 265). Glaube 1 ist dann der Glaube als Bedürfnis nach Glaube 2, dieser umgekehrt das, was jenes Bedürfnis i.S. der momentweise erreichbaren Glaubensgewissheit stillt. Kierkegaard zufolge wird Gott niemanden, der i.S. von Glaube 1 „in Wahrheit darüber [sc. das Fehlen von Glaube 2] bekümmert ist, unwissend über das lassen, was er glauben soll“ (SKS 10, 251 / GW1 CR, 264; vgl. ebd., 252 / 266); d. h. er wird keinem so Bekümmerten in the long run (christlich gesprochen: eschatologisch) jene Heilsgewissheit i.S. von Glaube 2 vorenthalten, in der diesem offenbar wird, dass Gott wider allen Anschein der Allmächtige und Liebende ist und auch dem Angefochtenen als solcher immer schon allgegenwärtig war.20 Beachtung verdient in 19 Das ließe sich durch eine Vielzahl von Stellen aus dem pseudonymen wie nichtpseudonymen Werk belegen. Charakteristisch und insofern als Dokumentation besonders treffend ist die Art und Weise, wie Kierkegaards Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Naturwissenschaft mit der Unterscheidung von Natur und Geist (hier entsprechend: mit der von Naturwissenschaft und Ethik) operiert; vgl. dazu GW1 LA, 123 – 140, bes. NB:78, SKS 20, 68 / GW1 LA, 135 f. In diesem Zusammenhang bestimmt Kierkegaard auch Reichweite und Grenzen der Analogisierbarkeit von menschlich und außermenschlich Lebendigem, vgl. NB:73, SKS 20, 65 f. / GW1 LA, 132 f. 20 Vgl. dazu vor allem NB:69, SKS 20, 57 f. / GW1 LA, 124 f. Die Distinktion von Glaube 1 und 2 widerspricht im Übrigen nicht dem bzw. den Elementen des Glaubensbegriff(s), wie er eingangs im Kontext der Skizzierung von Themenbereich drei bestimmt wurde. Glaube 1 entspricht demnach das Angefochtensein vom Gedanken einer jederzeit möglichen Forderung, auf irdische Glückserfüllung um Gottes willen zu verzichten, Glaube 2 die rückhaltlose Bereitschaft, eben dies in Kraft der Gewissheit zu tun, dass ein liebender Gott die Forderung erhebt und auch ihre Erfüllung allmächtig zum Besten dessen wenden wird, an den er sie richtet. Glaube 2 ist demnach nicht anders denn als Aufhebung von Glaube 1, dieser umgekehrt ein integrales Moment von jenem (kein Glaube ohne Anfechtung). Insofern mag der auf den ersten Blick befremdliche Sprachgebrauch gerechtfertigt sein, beides (Anfechtung wie Gewissheit) als Momente oder gar Formen des Glaubens zu bezeichnen. Bemerkenswert bleibt gleichwohl, dass der Glaube (qua Glaube 1) hier als Bedîrfnis – und zwar als reflexes Bedürfnis: nach dem Glauben –, Gott hingegen als der (im geistigen Sinne) Nährende, und d. h. eben auch: als Bedîrfnisbefriediger erscheint! Im Blick auf die letzte Spalte der untersten Reihe im oben angeführten Schema besagt das: Versöhnung und Erlösung sind aus Kierkegaards Sicht das, wonach der Mensch sich (obschon
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diesem Zusammenhang ferner der Umstand, dass der Glaube (i.S. von Glaube 1) mit einem îberlebensnotwendigen Bedürfnis (hier: dem nach Nahrung) verglichen wird. Auf diesen Punkt wird noch zurück zu kommen sein. Hier nur soviel: Das überlebensfunktional notwendige ist offenbar mit dem echten, d. h. unbedingten und dem ipso facto berechtigten Bedürfnis koextensiv, wobei dieses sich immer auch als ein Bedürfnis nach dem individuell und / oder universal wahrhaft Guten darstellt. Im physischen Sinne sind damit die Grundbedürfnisse von Lebewesen allgemein, wie z. B. das Nahrungsbedîrfnis gemeint. Im geistigen Sinne fällt vor allem, möglicherweise ausschließlich der Glaube in diese Klasse, und zwar insofern der Mensch als Einzelner an ihm Anteil gewinnen und behalten soll, um im geistigen Sinne überleben zu können. Ein Hinweis noch zum Stichwort Lebensraum: Dass hier auf der ,Geistseite‘ nicht Kirche, Staat oder Gesellschaft genannt werden, sondern die ,Christenheit‘ (christenhed), wird durch den Textbefund gedeckt (vgl. z. B. SKS 10, 250 u. 252 / GW1 CR, 263 u. 266). Mitzulesen ist dabei die Konnotation des Unwirtlichen, Gefährlichen, ja Feindseligen eines solchen nur scheinbar christlichen Lebensraumes, in dem sich der um seinen Glauben Ringende stets fremder fühlen wird „als wenn … [er] unter Heiden lebte“ (SKS 10, 250 / GW1 CR, 263), und in dem er den Glauben „einsam in des Geistes Lebensgefahr“ (SKS 10, 251 / GW1 CR, 265) erkämpfen muss; auch hier springt – der Intention Kierkegaards gemäß – die Analogie zur natürlichen Umwelt eines Lebewesens ins Auge, das sich seine Nahrung nur im und als permanenten Kampf ums Überleben sichern kann. 3. Nach dieser umrisshaften Erläuterung von Kierkegaards Analogie sowie deren Elementen und Parametern können wir nunmehr zum Argumentationskontext zurückkehren, in dem diese ihren Ort haben. Ich beginne wiederum mit der ,Naturseite‘ der Analogie. Kierkegaard leitet aus einer entsprechenden Leitthese zwei Schlüsse ab: Gott läßt in einem bestimmten See keine Art von Fischen entstehen, ohne daß darin auch die Pflanze wächst, die ihre Nahrung ist. Mithin kann man auf zweierlei Weise schließen; entweder so: diese Pflanze wächst hier, also findet sich hier auch dieser Fisch; oder aber noch sicherer so: dieser Fisch findet sich hier, also wächst hier diese Pflanze. (SKS 10, 250 f. / GW1 CR, 264)
zumeist im Medium der Leugnung, dass sich dies so verhält) am tiefsten sehnt und wessen er de facto am meisten bedarf.
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Verkürzt und formalisiert lauten die beiden Schlussfolgerungen wie folgt: Kein X ohne Y.21 / Y. / Ergo X. Zweitens: Kein X ohne Y. / X. / Ergo Y. Es fällt sofort auf, dass der erste Schluss formallogisch ungültig ist.22 Dass Kierkegaard trotzdem von ihm Gebrauch macht, zeigt unter anderem, dass seine Analogie de facto für die Richtigkeit zweier Thesen einstehen soll, die die hierbei statuierte innere Teleologie von Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigung (oder wie man auch sagen könnte: die göttlich prästabilierte Harmonie zwischen beidem) präzisieren – und zugleich in ihrer Radikalität deutlich hervortreten – lassen. Demnach gilt erstens (und in Übereinstimmung mit Schluss 2): berall da, wo ein physisches oder geistiges Bedürfnis X bzw. ein in diesem Sinne Bedürftiger vorliegt, existiert (unter Voraussetzung einer entsprechenden göttlichen Bestimmung) auch ein geeignetes Mittel Y, um es zu befriedigen; umgekehrt kann nur da, wo dieses Mittel gegeben ist, ein Bedürfnis entstehen, das durch jenes Mittel befriedigt werden würde. Darüber hinaus aber – und einigermaßen provozierend – gilt zweitens (und in Übereinstimmung mit Schluss 1): berall da, wo eine mögliche Bedürfnisbefriedigung Y, als solche, vorliegt, existiert auch X, d. h. ein mit ihr übereinstimmendes Bedürfnis (bzw. ein entsprechend Bedürftiger); umgekehrt kann nur da, wo sich ein entsprechendes Bedürfnis regt, jenes Mittel zu seiner Befriedigung gegeben sein. Obwohl der Schluss, der als Begründung dieser letzteren These dient, formal gesehen ungültig ist, scheint er in einem bestimmten, nämlich phänomenologischen Sinne durchaus sachgemäß: Die Befriedigung eines Bedürfnisses kann – als solche nämlich! – nur dort gegeben sein, wo ein entsprechendes Bedürfnis bzw. ein Bedürftiger vorhanden ist, der jene in der bezeichneten Eigenschaft (d. h. als Befriedigung seines Bedürfnisses) ,entdeckt‘ bzw. im Bewusstsein konstituiert. Dieser Punkt soll im Folgenden noch ausführlicher erörtert werden. Zu diesem Zweck kehre ich zunächst zurück zur analogen Übertragung der ersten These aus der Naturdimension in die des existierenden 21 X = Bedürfnis bzw. Bedürftiger, hier: eine bestimmte Fischart. Y = die (Mittel zur) Befriedigung eines Bedürfnisses, hier: eine bestimmte Pflanzenart. 22 Als Abduktion i.S. von Charles S. Peirce wäre übrigens auch Schluss 1 formal gültig (vgl. dazu Peirce 1985, 127 – 142; ders. 1986, 392 ff.). Ein abduktiver Schluss würde im vorliegenden Fall wie folgt lauten: Y / Immer dann Y und X, wenn Gott existiert. / Ergo X. Gott erscheint in dieser Schlussfolgerung allerdings nur als hinreichende Möglichkeitsbedingung der Koextensitivität von X und Y. Kierkegaard will offenbar mehr, denn er plädiert dafür, dass Gott die bezeichnete Möglichkeit auch notwendig bedingt (vgl. SKS 10, 251 / GW1 CR, 265).
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Geistes: Überall da, wo im Bereich der Natur ein Bedürfnis (z. B. das Nahrungsbedürfnis einer bestimmten Fischart) auftritt, ist kraft einer göttlichen Bestimmung auch die entsprechende Bedürfnisbefriedigung und d. h. hier die geeignete Nahrung in Reichweite bzw. in ausreichendem Maße vorhanden. Analog hierzu sind überall da, wo ein echtes Glaubensbedîrfnis (i.S. von Glaube 1) vorliegt, kraft göttlicher Bestimmung auch die Mittel zu seiner Befriedigung vorhanden, d. h. ,nahe‘23 oder in Reichweite. ,Im‘ Bedürfnis ist dessen Befriedigung (i.S. von Glaube 2) gegenwärtig, ,in‘ der Suche das Gesuchte, ,im‘ Verlangen zu glauben der Glaube etc. Dieses ,im‘ besagt hierbei offenbar nicht: (a) Das Bedürfnis ist mit seiner Befriedigung identisch. Wäre dies der Fall, so müsste man dem Hungrigen empfehlen, sich von seinem Hunger zu ernähren: ,Iss deinen Hunger!‘; ,glaube an deine Bekümmerung, nicht zu glauben!‘; ,liebe deine Sorge, nicht lieben zu können!‘; ,das von dir Gesuchte ist nichts anderes als dein Suchen!‘ Diese Lesart ist offenkundig absurd, und sie entspricht auch nicht dem, was Kierkegaard meint. (b) Das Bedürfnis erzeugt oder schafft selber das, wodurch es befriedigt wird. Auch diese Lesart würde nicht nur ignorieren, was Kierkegaard selber explizit als falsch zurückweist (vgl. SKS 10, 251 / GW1 CR, 265); sie würde auch in der Sache unsinnig sein: Man müsste unter dieser Voraussetzung nämlich unterstellen, dass der Hunger das, was ihn stillt, selber produzieren kann bzw. produziert (der Fisch bringt die Pflanze, die ihn ernährt, selbst hervor etc.). Auch dies ist offenkundig exegetisch wie sachlich abwegig. Tatsächlich zielt Kierkegaards Formulierung auf etwas anderes, und zwar dreierlei, wenn ich recht sehe: (c) Die Befriedigung des Bedürfnisses ist das dem Bedürfnis nchste oder benachbarte; nichts ist diesem näher als jene. Das soll heißen: (d) Je größer und dringender das Bedürfnis, desto wahrscheinlicher, dass es selber dasjenige als faktisch bereits vorliegend entdeckt, was es stillen bzw. befriedigen kann und wird. Je größer mithin Peters Verlangen danach, erkennen zu können, was er angesichts eigenen und fremden Leidens in der Welt (nicht zuletzt: angesichts seines eigenen Gewissheitsverlangens) von Gott glauben soll, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Gott selber ihn früher oder später Gewissheit darüber wird erlangen lassen, was göttliche bzw. inwiefern er selber (,dennoch‘) Liebe 23 Kierkegaard verweist an dieser Stelle auf die im Dänischen auch sprachlich ausgebildete Verwandtschaft zwischen Nahrung (dän. næring) und Nähe (dän. nærheden); vgl. SKS 10, 251 / GW1 CR, 265.
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ist, jenes Leiden also einen letzten, mithin unüberholbaren, wenngleich unabhängig von der Perspektive der ersten Person unerforschlichen Sinn hat. Allerdings gilt auch dies nur dann, wenn es sich um ein berechtigtes und d. h. zugleich im physischen oder geistigen Sinne überlebensnotwendiges Bedürfnis handelt. (e) Das Bedürfnis partizipiert selber an dem, wodurch es befriedigt wird: Da ein Gesuchtes nur als solches gefunden werden kann, das Gefundene mithin nichts anderes ist als das Gesuchte, als solches; und da dieses ferner ohne Suchen kein Gesuchtes sein bzw. als solches entdeckt und gefunden werden kann, ist das Suchen selber eine (zumindest phänomenologisch) notwendige Bedingung des Gesuchten – eben als eines solchen, bzw. als eines die Not wendenden, ein Bedürfnis befriedigenden o. ä. In diesem Sinne partizipiert das Suchen und Bedürfen selber am Gesuchten und Befriedigenden. Der Fisch partizipiert nicht ontisch an der Pflanze, von der er sich ernährt. Aber als derjenige, der kraft seines mit entsprechenden Instinkten gepaarten Nahrungsbedürfnisses die Essbarkeit der Pflanze bzw. diese als mögliche Befriedigung des eigenen Bedürfnisses entdeckt, kann man sagen, dass der Fisch – wohlgemerkt: als bedîrftiger, die Bedürfnisbefriedigung entdeckender (und wie wir noch sehen werden: faktisch ernährt werdender) – an der Pflanze als einer sein Bedürfnis befriedigenden partizipiert.
V. 1. Kierkegaards zentrale Begründung für die Möglichkeit dieser prästabilierten Übereinstimmung zwischen Bedürfnis und Nahrung, Subjektivität und Objektivität, Glaube 1 und Glaube 2 ist bereits angeführt worden: Jene Übereinstimmung besteht „vermöge einer göttlichen Bestimmung, welche diese beiden, das Bedürfnis und die Nahrung, zusammenfügt, und darum muß man, wenn man sagt, dies sei so, hinzufügen ,so gewiß es da einen Gott gibt‘; denn wäre Gott nicht da, so wäre dies auch nicht so.“ (SKS 10, 251 / GW1 CR, 265) Während der zuletzt zitierte Teil dieser Begründung anzudeuten scheint, dass Kierkegaard Gott für eine notwendige Bedingung der genannten Übereinstimmungsmöglichkeit hält (,gäbe es Gott nicht, so …‘), zeigt der unmittelbar vorhergehende Satzteil an, dass Gott jene Möglichkeit offenbar notwendig und hinreichend bedingt (,so gewiß es da einen Gott gibt‘). Ich denke, die zweite, stärkere These ist die von Kierkegaard als zutreffend unterstellte: Nur, aber auch immer dann, wenn Gott existiert, darf und
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soll im Bereich der Natur wie in dem des Geistes mit einer göttlich prästabilierten Harmonie von Nahrung und Nahrungsbedürfnis (im physischen wie im geistigen Sinne) gerechnet werden. Das ,Wagnis des Glaubens‘, d. h. der permanente Kampf im und um einen Übergang von Glaube 1 zu Glaube 2, von Anfechtung zu Gewissheit etc. bleibt indes auch und gerade unter dieser Voraussetzung bestehen. Der angefochtene Einzelne muss seine im Kontext der ,bestehenden Christenheit‘ immer schon als gegeben vorauszusetzende ,Kenntnis‘ Gottes mit seinen eigenen Erfahrungen so ins Verhältnis setzen, dass er das ,Bekannte‘ auch mit Bezug auf diese Erfahrungen im Glauben als wahr anzueignen und ihren Gegenstand für sich selbst als unbedingt vertrauenswürdig transparent zu machen vermag – wobei dies, wie Kierkegaard hinzufügt, aufgrund der Widerständigkeit des Anzueignenden nur durch einen radikalen inneren Verwandlungsprozess oder Sinneswandel möglich ist: Ein jeder, der da in der Christenheit lebt, hat … in der Regel mehr als genügend Kenntnis [Kundskab] vom Christentum erhalten … Dasjenige, daran es fehlt, ist sicherlich etwas ganz andres, ist die gänzliche innerliche Umbildung von Herz und Sinn [den hele Sindets inderlige Omdannelse], dadurch ein Mensch in des Geistes Lebensgefahr dahin kommt, ernstlich in wahrer Innerlichkeit doch etwas zu glauben – von dem vielen Christlichen, das er weiß [veed]. (SKS 10, 252 / GW1 CR, 266)
Nun bietet die Argumentation, die zu diesem Resultat führt, sicherlich Anlass zu weitreichender Kritik. Diese kann auf unterschiedliche Art und Weise ansetzen. Ein vergleichsweise starker Einwand würde die Möglichkeit universaler Zweckmäßigkeit nicht grundsätzlich in Abrede stellen, wohl aber darauf insistieren, dass die Gotteshypothese sie in erklärungslogischer Hinsicht allenfalls zufällig bedingt: Je n’ai besoin de cette hypothèse! Eine in der Stoßrichtung ähnliche, aber schwächere Kritik würde darauf abheben, dass der Gott des christlichen Glaubens jene Möglichkeit zwar mindestens hinreichend, aber nicht notwendig bedingt – oder im Gegenteil notwendig, aber nicht hinreichend. Selbst wenn sich nun zweifelsfrei nachweisen ließe (was Kierkegaard unterlässt nachzuweisen), dass Gott recht verstanden nur als notwendige und hinreichende Bedingung für die Möglichkeit der beschriebenen Teleologie gedacht werden kann, so dass die Argumentation von EG zumindest als in sich konsistent gelten darf, so bliebe immer noch die Misslichkeit, dass damit allererst die Mçglichkeit, nicht aber die Faktizität jener Teleologie bewiesen wäre. Der grundsätzlichste Angriff bestünde infolgedessen darin, diese Faktizität, als universal bestehende, zu leugnen – etwa unter Berufung auf die Erfahrung häufiger und schwerwiegender Zweckwid-
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rigkeiten in Natur- (z. B. physische Übel) und Geisteswelt (z. B. moralische Übel). Man würde sich der Provokation der Kierkegaardschen Überlegung dann durch den schlichten Hinweis zu entziehen versuchen, dass diese zwar alle, aber auch nur und allenfalls diejenigen zu überzeugen vermag, an die der Autor der Christlichen Reden sich de facto wendet: Christen oder zumindest solche, die – ob zu Recht oder Unrecht – Christen zu sein beanspruchen. Um diese grundsätzliche Kritik und nur um diese soll es im Folgenden gehen – im Versuch nämlich, Kierkegaard (und jeden, der verwandte Thesen vertritt) ihr gegenüber zumindest ein Stück weit in Schutz zu nehmen.24 Der Vorwurf an sich ist dabei ebenso wenig originell wie das, wogegen er sich richtet; er wiederholt im Gegenteil nur die spätestens seit Beginn des 18. Jahrhunderts verbreiteten Argumente gegen den vermeintlich naiven Providenzglauben der voraufklärerischen Physikotheologie. Auf ebenso rührende wie emotional bezwingende Weise kommt dieser Glaube in einem Gedicht des Barockdichters Barthold Heinrich Brockes (1680 – 1747) zum Ausdruck, aus dem ich hier die entscheidende Strophe zitiere: Gott hat, o weise Wundermacht! Die man ohn‘ Ehrfurcht nicht ermißt, Da, wo das meiste Holz vonnöten ist Das meiste Holz hervorgebracht: Wie denn von je und je im kalten Norden Es mehr als anderwärts gefunden worden.25
Folgt man dem Argumentationsduktus von EG, dann wird man Brockes zustimmen und die Aussageabsicht seines Gedichtes wie folgt interpretieren müssen: Überall da, wo ein überlebensnotwendiger Holzbedarf besteht, ist Holz auch in ausreichendem, d. h. in eben dem Maße vorhanden, in dem es zum Überleben benötigt wird; und nur da, wo es de facto in einem bestimmten Ausmaß vorhanden ist, wird es – in eben diesem Maße nämlich – zum Überleben auch tatsächlich benötigt. Dieser wahrhaft erstaunliche Tatbestand eines universal prästabilierten Gleichgewichtes von Bedürfnis und (de facto vorhandenen Mitteln zur) Be24 Wobei ich keineswegs unterstelle, dass Kierkegaard Wert auf diese apologetische Unterstützung gelegt oder ihr irgendeinen Nutzen beigemessen hätte. Aber dieser Vorbehalt untergräbt ja nicht ihre mögliche Plausibilität (s.u.). 25 Aus: Barthold H. Brockes Irdisches Vergnîgen bestehend in physikalisch-moralischen Gedichten (1721); hier zit. nach K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Bd. III / 1, Zollikon-Zürich 1947, 460.
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dürfnisbefriedigung kann aber, mit der gebotenen ,Ehrfurcht‘ betrachtet, nur durch Gottes ,weise Wundermacht‘ hervorgebracht worden sein und beständig aufrecht erhalten werden. Soweit Brockes, in Übereinstimmung mit Kierkegaard. Ein derart naiver physikotheologischer Optimismus scheint nur allzu leicht zu entkräften – etwa durch folgende Parodie: Gott hat, o weise Wundermacht! Die man ohn‘ Ehrfurcht nicht ermisst, Da, wo das meiste Wasser nötig ist Wasser in Fülle hervorgebracht: Wie denn von je im heißen Wüstensand Man stets und reichlich Wasser fand.
Durch diese simple parodistische Variante von Brockes’ ,Poeto-Theologie‘ oder ,Theo-Poesie‘ kann allem Anschein nach dessen eigene (und in der Konsequenz auch Kierkegaards) Leitthese einer universalen, göttlich prästabilierten Ökonomie von ,Angebot und Nachfrage‘ ebenso leicht wie schlagend widerlegt werden: Beweist der parodistische Vers nicht mit exemplarischer Deutlichkeit, dass im Bereich der Natur – und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur hier – die Fälle einer leidvollen, ja häufig offenbar gänzlich zweckwidrigen Diskrepanz von Nachfrage und Angebot, von Bedürfnis und Befriedigungsmöglichkeit an der Tagesordnung sind? Spätestens seit der Aufklärung ist dieser Standardvorwurf in der Tat vielfach wiederholt worden. So erklärt, um nur einen unter zahllosen möglichen Zeugen aus jüngerer Zeit anzuführen, H.J. Paton in seiner Religionsphilosophie: „The facile optimists … who assert that [,beneath the spreading heavens‘] all creatures are fed, are able to do so only because the creatures that were unfed are no longer beneath the spreading heavens.“26 Und sogar Kierkegaard sieht sich im Kontext dessen, was er als ,objektive Problemstellung‘ bezeichnet, genötigt, die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen einer Physikotheologie durch sein Pseudonym Johannes Climacus kritisch-agnostisch resümieren zu lassen: „Ich betrachte die Natur, um Gott zu finden; ich sehe ja auch Allmacht und Weisheit darin, aber ich sehe zugleich vieles andere, was ängstigt und stört. Der Inbegriff … hiervon ist die objektive Ungewißheit.“ (SKS 7, 186 / GW1 AUN1, 195; vgl. SKS 4, 246 f. u. 248 f. / GW1 PB, 39 u. 41 f.)
26 Paton 41967, 354.
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2. Diese ,objektive Ungewissheit‘ ist freilich Ausdruck einer argumentativen Pattsituation. Dies sollte nicht übersehen werden. Denn unter dieser Voraussetzung scheint immerhin mçglich, dass da, wo laut Parodie ein Missverhältnis als faktisches unbezweifelbar scheint, in Wahrheit kein Missverhältnis vorliegt. Auf den Nachweis dieser Möglichkeit kommt es mir hier an – auf nicht mehr und nicht weniger. Hierzu ist zunächst eine knappe Phänomen- und Strukturanalyse des Begehrens, Bedürfens, Sehnens, Suchens, Verlangens, Vermissens u. ä. hilfreich. Schon Aristoteles verteidigt die Auffassung, dass etwas nur als erstrebtes gut sein kann (vgl. Nikomachische Ethik, 1094 a 2 f = I / 1). Die mehrfache Dialektik dieser These mag hier auf sich beruhen.27 Phänomenologisch unstrittig ist im Blick auf den durch ihre hier zitierte ,Normalform‘ bezeichneten Sachverhalt jedenfalls zweierlei. Erstens ist ,gut‘ (im weitesten Sinne) keine oder zumindest keine ausschließliche Eigenschaft von Dingen, Ereignissen, Handlungen, Zuständen, Situationen oder Sachverhalten. Der Bestimmungsgrund für die Möglichkeit, ein Ding als ,nützlich‘, eine Handlung als ,ehrenvoll‘, eine Situation als ,erfreulich‘ oder dies alles in einem weiten Sinn als ,gut‘ zu bezeichnen, kann mithin niemals angegeben werden, ohne auf ein Subjekt bzw. dessen Urteilsvermögen zu reflektieren, das Handlung, Ding und Situation in der bezeichneten Weise bewertet und dabei zu Faktum und Eigenart ihres ,Gutseins‘ Stellung bezieht. Das Gute liegt m.a.W. – wie auf andere Weise das Schöne – immer auch im Auge des (suchenden, begehrenden, wollenden) Betrachters, kantisch gesprochen in dessen praktischem Vernunftgebrauch, der als solcher an der Wirklichkeit und Gegenwart bzw. der handelnden Verwirklichung des in irgendeiner Hinsicht als gut Vorgestellten interessiert ist und Anteil nimmt. Wichtiger ist im vorliegenden Zusammenhang aber ein zweiter Aspekt. Strebephänomene sind Ausdruck einer irreduzibel dreistelligen Relation: X erstrebt (begehrt, wünscht sich, verlangt nach etc.) Y als Z. Das heißt, X erstrebt ein konkretes Etwas als Repräsentant oder Platzhalter eines Nützlichen, Ehrenvollen, Beglückenden, Überlebensnotwendigen o. ä. Menschen streben nicht überhaupt und in abstracto, sondern reflexiv und propositional: Sie erstreben erstens ein Bestimmtes, von dem sie – indem sie es erstreben – zugleich und zweitens unterstellen, dass sein Erreichen ein im weitesten Sinne Gutes verwirklichen hilft, an 27 Ich bin ihr an anderer Stelle en détail nachgegangen: vgl. H. Schulz 1994, 543 – 550.
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dem sie auf diese Weise Anteil zu gewinnen hoffen.28 Beide Momente sind mithin irreduzibel und gleichursprünglich: Das Streben nach dem Guten ist nicht ohne Platzhalter, dessen Erreichen verspricht, auch an ersterem Anteil zu geben; umgekehrt kann der Platzhalter nur als Platzhalter von etwas fungieren – jenes allgemeineren Guten nämlich, dessen Verwirklichung er zugleich darstellen und gewährleisten soll.29 Daraus ergibt sich im Blick auf das von Brockes angeführte Beispiel, auf das ich zu Erläuterungszwecken nunmehr zurückkomme: Nur dort ist im strengen Sinne Holz ,nçtig‘, wo es aus der Perspektive eines sich selbst als seiner bedürftig erfahrenden Subjektes bereits als mögliche Notwendigkeit erschlossen ist, d. h. als dasjenige, das in der Wahrnehmung jenes Subjektes (s)eine Not wenden würde. Umgekehrt ist Holz bereits überall dort als not-wendig erschlossen, wo es im beschriebenen Sinne ,nötig‘ ist. Es kann aber seinerseits nur als in diesem Sinne notwendig erschlossen sein, wenn (wir ebenfalls unterstellen, dass) es ,dort‘ – nämlich wo wir oder andere ,seiner‘ bedürfen – faktisch Holz gibt. Wir würden im Norden kein Holz vermissen, wenn wir nicht mindestens (ob zu Recht oder Unrecht) unterstellen würden, dass es dort faktisch vorhanden ist, zumindest aber sein kçnnte und auch sollte. Vermisst werden kann nur, was dort, wo es vermisst wird, als prinzipiell vorhanden sein könnend und sollend vorgestellt wird. Umgekehrt ist freilich auch die (zumindest menschliche) Bedürfnisbefriedigung nicht ohne die Selbsterfahrung des Bedürftigen als eines solchen denkbar: Das Entbehrte kann dem Entbehrenden nur als Entbehrtes zuteil werden, das Gefundene ist das Gesuchte – als solches. Ich bezeichne dieses Phänomenzusammenhang als konative Intentionalitt: Bedürfnis und projektierte Bedürfnisbefriedigung sind gleichursprünglich, und zwar als irreduzibel reflexiv bestimmte bzw. propositional strukturierte: Nur dort erwacht das Verlangen, wo wir mindestens 28 Das wird bereits an der Naturseite der Kierkegaardschen Analogie deutlich: Der Fisch sucht und begehrt nicht nach ,Nahrung‘, sondern nach einer bestimmten Pflanze, die ihm im Medium des Instinktes als diejenige präsent ist, die ihm zur Nahrung dienen kann. 29 Kierkegaards Angstanalyse widerstreitet dieser Behauptung nur scheinbar. Angst hat als solche zwar keinen konkret fassbaren bzw. dinglichen Gegenstand (vgl. SKS 4, 348 / GW1 BA, 40); sie hat aber stets und notwendig einen Anlass. Eben dieser wird nolens volens zum Platzhalter für das, was das Subjekt im Modus der Angst als zugleich anziehend wie abstoßend erlebt, in eins erstrebt wie fürchtet: die eigene Freiheit (vgl. ebd.). Zur Bedeutung des Anlasses vgl. z. B. SKS 2, 227 – 232 / GW1 EO1, 249 – 255; außerdem H. Schulz 1994, 223 ff.
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implizit oder unterschwellig bereits etwas Konkretes als dessen mögliche Erfüllung ins Auge gefasst, ja als (a) vorhanden sein und (b) unser Bedürfnis befriedigen könnend erschlossen haben.30 So gesehen ,hat‘, um auf Kierkegaard zurückzukommen, auch bereits derjenige den Glauben (i.S. von Glaube 1), der sich darum sorgt, ihn (i.S. von Glaube 2) und d. h. zugleich das Wissen, was er glauben soll, nicht zu haben – indem er nämlich in dieser Sorge immer schon unterstellt, dass jenes Wissen prinzipiell mçglich sei, ja dass er selber es de facto bereits besitzt (ob präreflexiv, implizit, im Medium der Ahnung oder wie auch immer).31 3. Nun könnte man hier einwenden, dass mit all dem noch nicht mehr erreicht ist als ein bloßer phänomenologischer und d. h. zugleich ein rein deskriptiver und kein geltungstheoretischer Befund: Überall da, wo wir etwas als nötig – und dies Nötige als Platzhalter eines im weitesten Sinne Guten – erfahren, unterstellen wir (mit dessen Gutsein) zugleich sein Vorhandenseinkönnen; umgekehrt kann nur da, wo es zu dieser Unterstellung kommt, wahr sein, dass wir etwas als nötig erfahren. Die ontisch-faktische Ebene ist damit aber noch gar nicht berührt: Wann, unter welchen Bedingungen und inwieweit entspricht diese Unterstellung der Wahrheit? Nur wenn Brockes’ (und entsprechend Kierkegaards) Teleologie-These im Rahmen einer befriedigenden Antwort auf diese Frage expliziert werden kann, besteht Hoffnung, sie dem (nach-)auf30 Insofern gilt: Bedürfnis kann nur sein, wonach jemand mit der Möglichkeit seiner Befriedigung vor Augen strebt. 31 Nach meinem Verständnis besitzt das Phänomen der konativen Intentionalität im Übrigen eine erkenntnistheoretisch prinzipielle Bedeutung, und zwar i.S. eines Ansatzpunktes für (a) die mögliche Widerlegung des radikalen Skeptizismus, (b) den Plausibilitätsnachweis des Pragmatismus in Sachen Erkenntnistheorie, (c) eine Korrespondenztheorie der Wahrheit, die pragmatistische und realistische Elemente plausibel verknüpft. Hierzu müsste allerdings gezeigt werden, dass alles erkennende Verhalten zur Welt (bzw. zu etwas als Welt) im Begehren, der theoretische mithin im praktischen Vernunftgebrauch wurzelt und streng genommen nur als pragmatistisch interpretierbare Funktion des letzteren zu betrachten ist. In gewissem Sinne legt dies bereits der Intentionalitätsbegriff der Phänomenologie nahe: Alles intentionale Gegenstandsbewusstsein begehrt im Sich-richten-auf etwas die Erfüllung (seiner Erwartung) durch das, worauf es sich richtet. Wenn demnach (a) alles gegenständliche Bewusstsein im Begehren wurzelt; und wenn (b) nichts begehrt werden kann, das nicht in irgendeinem Sinne begehrenswert ist (begehrenswert ist), dann muss (c) das gegenständliche Bewusstsein als ein im realistisch-korrespondenztheoretischen Sinne mindestens wahrheitsfhiges gedacht werden. Ein radikaler oder totaler Skeptizismus wäre unter dieser Voraussetzung widersinnig.
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klärerischen Wahrheitsbewusstsein gegenüber als ernstzunehmend, d. h. als mindestens möglicherweise plausibel verteidigen zu können. Nun kann im Gegenzug zur genannten These der Eindruck eines faktischen Missverhltnisses zwischen Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigung, Bedarf und Bedarfsdeckung o. ä. aus einer ganzen Reihe von Gründen entstehen. An Brockes’ Holzbeispiel veranschaulicht lassen sich folgende Fälle unterscheiden: (1) Es fehlt faktisch an Holz, d. h. an dem, was im vorliegenden Fall als bedürfnisbefriedigend vorgestellt wird. (2) Holz ist in ausreichendem Maße vorhanden, befriedigt aber ein gegebenes Bedîrfnis nicht bzw. kann es nicht befriedigen. Dies ist entweder deshalb der Fall, weil de facto niemand das vorhandene Holz als Bedürfnisbefriedigung vorstellt (in diesem Sinne also niemand des Holzes ,bedarf‘) oder weil (3) das als bedürfnisbefriedigend Vorgestellte jenes Bedürfnis de facto nicht befriedigt bzw. befriedigen kann (wobei letzteres wiederum eine Reihe möglicher Ursachen hat, die ich hier im Detail übergehe). (4) Es liegt eine Kombination von (1, 2 und 3) vor: Einerseits ist nicht genügend Holz vorhanden, um ein vorliegendes Bedürfnis in dem Maße zu befriedigen, wie es der diesem Bedürfnis inhärenten Vorstellung seiner Befriedigung entspricht; andererseits erweist sich das als befriedigungsfähig Vorgestellte im Blick auf mögliche (Fall 2) oder wirkliche (Fall 3) Bedürfnisse als prinzipiell und / oder de facto befriedigungsunfhig. Kurz: Der Eindruck eines Ungleichgewichtes drängt sich entweder deshalb auf, weil größere Bedürfnisse vorzuliegen scheinen als mögliche Befriedigungsmittel (1); weil umgekehrt anscheinend mehr Mittel als Bedürfnisse vorhanden sind (2); weil prinzipiell geeignete Mittel ihre Befriedigungsfunktion augenscheinlich nicht zu erfüllen vermögen und / oder de facto nicht erfüllen (3); oder weil eine Kombination dieser Faktoren vorliegt (4). Kierkegaards Argumentation setzt bei Variante (2) an: Wann immer es danach den Anschein hat, als ob ein ,bestimmtes‘ Bedürfnis32 nicht befriedigt wird, kann dies nicht nur daran liegen, dass das, was das Bedürfnis befriedigen soll, fehlt bzw. nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist, oder dass es, obschon in ausreichendem Maße vorhanden, das gegebene Bedürfnis faktisch nicht befriedigt bzw. nicht zu befriedigen vermag. 32 Und von welcher Art diese (Näher-)Bestimmung ist, werden wir gleich sehen!
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Gleichfalls gerechnet werden muss mit der Möglichkeit, dass hier in Wahrheit gar kein entsprechend bestimmtes – und d. h. immer auch: berechtigtes – Bedîrfnis vorliegt. Darüber hinaus ist ebenfalls denkbar, dass ein Bedürfnis de facto befriedigt wird, dies aber aus der Perspektive der dritten Person nicht zweifelsfrei verifiziert oder falsifiziert werden kann. Demnach hätte es, mit Brockes gesprochen, entweder nur den Anschein, als bestünde ein größeres Bedürfnis nach Holz als dasjenige, das wir als faktisch befriedigt zu erkennen glauben. Oder es besteht tatschlich ein extensiveres als das von uns als befriedigt konstatierte Bedürfnis, aber es wird in eben diesem größeren Ausmaß de facto befriedigt. Plausibilität kann diese These aus der Sicht Kierkegaards immer, allerdings auch nur dann beanspruchen, wenn eine Zusatzbedingung erfüllt ist: es muss sich jeweils um ein echtes und als solches ipso facto berechtigtes Bedürfnis handeln. Nicht schlechthin jedes Bedürfen kann auf die beschriebene Einheit zwischen Subjektivität (Bedürfnis) und Objektivität (Nahrung) Anspruch erheben; ein solcher Anspruch ist vielmehr nur dann berechtigt, wenn jene diese mindestens hinreichend bedingt oder sich, wie Kierkegaard formuliert, als das dieser (oder ihrer Entdeckung) ,Nächste‘ erweist. Diese Bedingung ist aber ihrerseits nur dann erfüllt, wenn es sich um das Bedürfnis nach etwas als einem – physisch oder geistig – berlebensnotwendigen und in diesem Sinne um ein ,echtes‘ und als solches eben unter allen Umständen berechtigtes Bedürfnis handelt.33 Dies zeigt unter anderem, dass sich Kierkegaards Standpunkt z. B. von demjenigen Ernst Blochs unterscheidet, der eine auf den ersten Blick durchaus ähnliche Position vertritt. Bloch erklärt: Nichts ist … gut, wenn es nicht begehrt wird. Aber nichts wird begehrt, wenn es sich nicht selber als gut darstellt. Dass ein Trieb sich auf etwas richtet, das setzt den Trieb voraus, doch ebenso ein Fhiges in dem, worauf es sich richtet, ihn zu befriedigen … Wird auch eine Sache nur deshalb gut genannt, weil sie begehrt wird, so wird sie eben nur begehrt, weil sie gegenständlich begehrenswert ist. 34
Wenn Peter X begehrt, kann er sich Bloch zufolge also nicht darin täuschen, dass X begehrenswert ist. Nichtsdestotrotz besteht die Mög33 Dabei besteht die hier nicht näher auszuführende existenzdialektische Pointe Kierkegaards darin, dass derjenige, der den Anspruch auf Befriedigung seines (Glaubens-)Bedürfnisses mit Recht geltend machen dîrfte, mit demjenigen identisch ist, der darauf verzichten würde, ihn zu erheben. Umgekehrt macht ihn de facto jeder, der ihn erhebt, zunichte – indem er das tut. 34 Bloch 1959, 1551 und 1567 (Hervorh. H.S.); vgl. ebd., 1576 f.
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lichkeit, dass das (unzweifelhaft begehrenswerte) X nicht in ausreichendem, d. h. dem faktischen Ausmaß seines Begehrtwerdens durch Peter (bzw. andere) entsprechenden Umfang vorhanden ist. Bloch würde den oben zitierten Aristoteles-Satz folglich durch seine Umkehrung ergänzen: Nicht nur kann ausschließlich Erstrebtes gut sein; es kann auch nur ein (im ontologisch weitesten Sinne) Gutes erstrebt werden. Kierkegaard argumentiert anders. Nach seiner Auffassung vermag Peter sich sehr wohl darin zu täuschen, dass X begehrenswert ist (das scheinbar Gute muss nicht das wahrhaft Gute sein); ja, streng genommen träfe in diesem Fall nicht einmal zu, dass Peter X wirklich begehrt; denn wahrhaft, d. h. unendlich, unzweideutig oder unbedingt begehrt werden kann nur Eines – das wahrhaft Gute.35 Andernfalls ist eine Kluft zwischen Bedürfen und Befriedigung – in einer der oben beschriebenen Varianten (1)–(4) – durchaus denkbar. Wann immer hingegen dasjenige, was begehrt wird, tatsächlich gut und als solches begehrenswert ist (so wie im geistigen Sinne der Glaube36); und wann immer ein unbedingtes Begehren nach diesem Gut als einem (hier: geistig) Überlebensnotwendigen besteht, wird dieses Gut auch in einem jenem Begehren oder Bedürfen faktisch entsprechenden und ausreichenden Maße vorhanden sein.37 Über Kierkegaard hinaus bringt die Kontrastierung von Brockes ,Theo-Poesie‘ mit deren parodistischer Variante aber noch einen weiteren, nicht minder wichtigen Gesichtspunkt zum Tragen. Er lässt sich mit der Einsicht verknüpfen, dass nicht nur derjenige rechtfertigungspflichtig ist, der die Erfüllung einer als legitim geltenden Forderung umgeht, sondern auch derjenige, der diese erhebt. Wir hatten ja gesehen, dass ein Bedürfnis nur da ,erwacht‘ oder in der Selbst- bzw. Fremdzuschreibung des urteilenden Subjektes bewusst wird, wo dieses Bedürfnis sich mit der Vorstellung seiner Befriedigungsfähigkeit verbindet. Man kann also das eine (Konstatierung des Bedürfnisses) nur um den Preis des anderen (Unterstellung seiner Befriedigungsfähigkeit) haben, ebenso wie 35 Zur Koextensitivität des Einen und des Guten als Gegenstand des Wollens vgl. vor allem Kierkegaards große Beichtrede von 1847, in: SKS 8, 119 – 250 / GW1 ERG, 7 – 160. 36 Vgl. dazu NB4:28, SKS 20, 300. 37 Mir scheint, Kierkegaard schließt wie folgt: Göttlich garantiert ist nur die und jede Befriedigung echter Bedürfnisse. Echt ist nur dasjenige Bedürfnis, dessen Befriedigung îberlebensnotwendig ist. Nur das unbedingte Bedürfnis ist überlebensnotwendig. Nur das Bedürfnis nach dem Guten ist der Möglichkeit nach unbedingt. Ergo ist nur die und jede Befriedigung des Bedürfnisses nach dem Guten göttlich garantiert.
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man umgekehrt das vermeintliche Fehlen des letzteren nur um den Preis des Eingeständnisses einzuklagen berechtigt ist, dass man das als unbefriedigt bzw. befriedigungsunfähig ausgegebene Bedürfnis möglicherweise zu Unrecht statuiert hat. So darf Peter nicht – zumindest nicht ohne weiteres – den Vorwurf erheben, es sei in der Wüste zu wenig Wasser vorhanden, wenn er andererseits selber für die Unterstellung verantwortlich ist, es mîsse hier welches vorhanden sein – und zwar mehr vorhanden sein als das, was er als befriedigungsfunktional gegeben annimmt. Grundsätzlicher formuliert, kann er einerseits nicht mit Recht geltend machen, Bedürfnis X werde (könne) im Lebensraum Y nicht bzw. nicht in ausreichendem Maße befriedigt (werden), wenn er andererseits selber erst die Unterstellung generiert hat, Lebensraum Y schließe Bedürfnis X ein (wobei X per definitionem für ein Bedürfnis steht, das größer als dasjenige ist, von dem Peter annimmt, es werde in Y befriedigt). Tatsächlich aber hinkt der einschlägige Teleologiekritiker zumeist auf beiden Seiten (vgl. 1. Kö 18, 21): Weder stellt er die Berechtigung seiner eigenen Unterstellung infrage noch vermag er konsequent und im Bewusstsein an ihr festzuhalten, dass er in und mit ihr die reale Befriedigungsmöglichkeit von X selber postuliert hat. Natürlich ist mit letzterem keineswegs behauptet, dass dieses Postulat – als einmal etabliertes – zwangsläufig zu Recht besteht, d. h. in der Sache gerechtfertigt ist. Und ebenso wenig geht umgekehrt mit der Weigerung, an diesem Postulat festzuhalten, auch bereits die Unrechtmäßigkeit der Unterstellung von X einher. Aber die Mçglichkeit, dass X zu Unrecht unterstellt wird, besteht immerhin – und das allein ist hier entscheidend. So ist z. B. im Verhältnis zu all dem, was einem Beobachter als ausgebliebene Befriedigung von Bedürfnis X innerhalb von Lebensraum Y erscheint, jeweils ein alternativer Lebensraum Z denkbar, in dem X als tatsächlich befriedigt gelten würde. Für jedes Bedürfnis kçnnte also im Prinzip ein passender Lebensraum existieren, in dem und für den dieses Bedürfnis als faktisch erfîllt und / oder erfîllbar gedacht werden kann, ebenso wie umgekehrt jeweils ein solcher denkbar ist, in dem jenes Bedîrfnis nicht besteht. Es verhält sich also nicht nur so, dass der jeweilige Beobachter – als der aus der Drittperspektive Urteilende – demjenigen Lebensraum, für den er ein Urteil abgeben zu können beansprucht, möglicherweise gar nicht angehört und eben deshalb ein Fehlurteil fällt; sondern es ist überdies denkbar, dass er auch dann, wenn er ihm angehört, dasjenige gar nicht erkennt bzw. zu erkennen vermag, was einen bestimmten Lebensraum (hier: Z) konstituiert und zugleich dessen Grenzen festlegt. Eben dies müsste er aber erkennen, um mit Gewissheit dia-
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gnostizieren zu können: ,Mein Urteil bezieht sich auf Lebensraum Y, und in diesem Lebensraum treten de facto unerfüllbare und / oder unerfüllte Bedürfnisse auf.‘38 Erkenntnistheoretisch entscheidend ist also im Blick auf die genannten Einwände der Teleologiekritik zweierlei. Erstens ist aus der Perspektive der dritten Person (ähnlich wie im Falle der Gewissheitsunfähigkeit des Faktums Glaube aus derselben Perspektive) keinerlei Gewissheit darüber möglich, welche Faktoren im gegebenen Fall dafür verantwortlich sind, dass Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigung hier auseinander fallen. Zweitens ist im Medium derselben Perspektive nicht einmal mit Sicherheit feststellbar, dass hier ein Missverhältnis vorliegt. Wenn z. B. die in der Wüste verfügbare Wassermenge tatsächlich keine größeren Bedürfnisse nach Wasser befriedigen kann als diejenigen, die durch diese Menge tatsächlich befriedigt werden, dann muss das kein Indiz dafür sein, dass hier ein Missverhältnis zwischen Haben und Benötigen oder zwischen vorhandenem Bedürfnisbefriedigungspotenzial und faktisch vorliegendem Bedürfnisausmaß vorliegt; möglich ist auch, dass wir uns in der Annahme täuschen, hier seien mehr und größere Bedürfnisse vorhanden als die, die tatsächlich befriedigt werden. Denkbar ist hierbei auch, dass die Mangeldiagnose auf der Fehlkonstruktion eines Lebensraumes für das als unzureichend befriedigt geltende Bedürfnis beruht.
VI. 1. Im Blick auf den übergeordneten Kontext von Kierkegaards Überlegungen in EG sind es vor allem zwei Themenfelder, für die seine starke Teleologie-These von Bedeutung ist: das religionsphilosophische und mit ihm das Theodizeeproblem einerseits, das fundamentaltheologische und mit ihm die Frage nach den Möglichkeits- bzw. Geltungsbedingungen dogmatischer Aussagen andererseits. Was den ersten Aspekt betrifft, so mögen Kierkegaards Ausführungen oberflächlich betrachtet durchaus dazu angetan sein, die eine oder andere apologetische Hoffnung zu wecken. Hier ist jedoch Vorsicht geboten. 38 Man muss übrigens keiner universalistischen Metaphysik Leibnizscher Provenienz das Wort reden, um diesen Standpunkt zumindest prinzipiell für plausibel halten zu können; denn er kommt mit der bescheideneren Annahme der Denkbarkeit regionaler bzw. partikularer Alternativen zu den vermeintlich mangelhaften Lebensräumen aus.
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Erstens ist die Behandlung des Theodizeeproblems in Kierkegaards Gesamtwerk derart vielschichtig, dass mit einer simplen und auf verkürzte bzw. einseitige Quellenbestände beschränkten Rekonstruktion kaum jemandem gedient sein dürfte.39 Zweitens ist selbst dasjenige Ergebnis, das aus der Auseinandersetzung mit diesem einseitigen Quellenbestand resultiert, bei näherem Hinsehen äußerst dürftig. Am Leitfaden der Phänomenologie von Suchen und Finden lässt es sich wie folgt reformulieren: Gefunden werden kann nicht, was nicht gesucht wurde; denn das Gefundene ist das Gesuchte, als solches. Umgekehrt kann – jedenfalls in einem bestimmten, begrenzten Sinn – auch nicht gesucht werden, ohne dass der Suchende behaupten muss, bereits gefunden zu haben: Denn suchen lässt sich nur, wovon zu Recht angenommen wird, dass es îberhaupt existiert oder zumindest existieren kann; ferner muss man, um suchen zu können, eine wenigstens mehr oder minder angemessene Vorstellung von der Beschaffenheit des Gesuchten haben; und drittens ist die – hier freilich nach Möglichkeit falsche – Unterstellung unvermeidbar, dass sich das Gesuchte eben da, wo nach ihm gesucht wird, auch befindet. Dass nun das hier vor allem im geistigen Sinne Gesuchte (die Glaubensgewissheit) nicht nur der bloßen Möglichkeit nach, sondern mit Gewissheit vorhanden bzw. ,nahe‘ und erwartbar ist – und zwar immer da vorhanden und nahe ist, wo wir nach ihm suchen –, behauptet Kierkegaard zwar; aber die Plausibilität dieser Behauptung hängt, wie wir gesehen haben und wie im Übrigen von ihm selber eingeräumt wird, an zwei weiteren Voraussetzungen: Erstens muss die Glaubensgewissheit ein innerhalb des gegebenen Lebensraumes (Christenheit) unbedingtes und als solches îberlebensnotwendiges Bedürfnis des angefochtenen Christen, d. h. des Suchenden oder Bedürftigen sein; zweitens muss Gott, und zwar ein solcher Gott existieren, der für die Möglichkeit einer prästabilierten Harmonie von Bedürfnis-Subjektivität und -Objektivität i.S. ihrer notwendigen und hinreichenden Bedingung einsteht. Wie die bisherige Diskussion gezeigt hat, zwingt uns jedoch einerseits selbst unter diesen Voraussetzungen nichts dazu, die Realität und / oder Möglichkeit einer durchgngigen Teleologie in der Welt der Natur und des Geistes anzunehmen. Andererseits mag Gott deren Möglichkeit zwar immerhin hinreichend bedingen; dass er hierfür aber auch als unverzichtbar gelten muss, diesen Nachweis bleibt uns Kierkegaard – sicher wissentlich und mit Absicht – schuldig (s.u.). Denkbar 39 Die (über weite Strecken) pseudonyme Exposition des Problems habe ich in Umrissen nachgezeichnet – und kritisiert – in: H. Schulz 1994, 314 – 401.
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wäre z. B., dass ein bewusstlos-anonymer Evolutionsprozess dasselbe Resultat zeitigt. Selbst wenn wir nun einräumen, dass die (physische und geistige) Welt unter christlichen Vorzeichen als durchgängig teleologisch strukturiert, ferner Gott als deren hinreichende und notwendige Bedingung zu denken ist, bleibt der Einwand gültig, dass Kierkegaard zumindest im Blick auf die physische Welt offensichtlich genau das tut, was er Leibniz an anderer Stelle vorwirft: Er etabliert „eine Teleologie, die den Menschen einbezieht“ (Not13:23, SKS 19, 392 / DSKE 3, 430). Denn wenn im Bereich der Natur überall da die Befriedigung eines überlebensnotwendigen Bedürfnisses möglich und faktisch gewährleistet ist, wo ein solches Bedürfnis besteht; und wenn umgekehrt nur da ein solches Bedürfnis ent- und bestehen kann, wo die Möglichkeiten zu seiner Befriedigung gegeben sind, dann mag ein Mensch, den es in die Wüste verschlagen hat, zwar durchaus bedauerlich finden, dass ihn in diesem, ihm fremden Lebensraum der Tod durch Verdursten ereilt; der übergeordnete teleologische Strukturzusammenhang, wonach hier recht verstanden im Blick auf die Funktionalität des gesamten Lebensraumes Wüste gar kein echtes Bedîrfnis nach dem Überleben jenes bedauernswerten Individuums bestand, bleibt unbeschadet dessen, jedenfalls unter (Brockes’ und) Kierkegaards Prämissen, intakt. Abgesehen von der wichtigen und m. E. jedenfalls nicht-trivialen Einsicht, dass die Forderung nach Teleologie bzw. das Einklagen ihres vermeintlichen Fehlens exakt ebenso wenig selbstverständlich ist und verantwortungsfrei geltend gemacht werden kann wie die Behauptung der faktischen Erfüllung dieser Forderung, zeigt sich also, dass die apologetischen Ressourcen von EG eher begrenzt sind. Schließlich und drittens darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, dass eine Apologie des christlichen Glaubens aus Sicht des Autors von EG ohnehin schon im Ansatz verfehlt wäre. Kierkegaard weiß natürlich, dass seine Thesen sich nicht oder nur in sehr beschränkten Maße apologetisch verwerten lassen. Diesem Bewusstsein trägt er unter anderem durch die Wahl der Redenform Rechnung. Denn die (hier: christlich-)religiöse Rede wendet sich ja ausdrücklich an einen Adressatenkreis, von dem vorausgesetzt wird, dass er mit der Gotteshypothese jene leitende Prämisse, die Kierkegaards Überlegungen nach eigener Überzeugung trägt (vgl. SKS 10, 251 / GW1 CR, 265), nicht nur von vornherein anzuerkennen bereit ist, sondern schlechterdings anerkennen muss, um jene Überlegungen für plausibel halten zu können. Entscheidend ist aber etwas anderes: Kierkegaard nimmt die Tatsache, dass seine
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Überlegungen nur begrenzt apologetisch instrumentalisierbar sind, keineswegs als bedauernswerten, wenn auch unabänderlichen Umstand hin und diesen allenfalls billigend in Kauf. Im Gegenteil. Da er die Auffassung vertritt, dass das Christentum seinem Wesen nach „angreiferisch [angribende]“ (SKS 10, 172 / GW1 CR, 172) ist, dieser Angriffscharakter aber s.E. durch eine Apologie – die als solche ja suggeriert, das Christentum sei einer vernünftigen Verteidigung nicht nur fähig, sondern auch bedürftig – unkenntlich, ja zunichte gemacht würde, kommt jeder derartige Verteidigungsversuch einer „heimtückische[n] Verräterei“ (ebd.), zumindest aber einem unabsichtlichen Verrat am Wesen des Christentums gleich. Auch hier gilt freilich: Man muss Kierkegaards Auffassung des Christentums zum einen nicht für sakrosankt und alternativlos halten; zum anderen kann (s)eine Überlegung auch an sich und ganz unabhängig von ihrer möglichen apologetischen Funktion philosophisch interessant und diskussionswürdig sein. Dies jedenfalls ist die leitende Überzeugung, auf deren Basis ich die vorliegende Interpretation von EG unternommen habe. 2. Kierkegaards hier vorgetragene Überlegungen sind auch in einem zweiten Punkt aufschlussreich; er betrifft die Frage nach den Genese- und Geltungsbedingungen dogmatischer Aussagen und damit zumindest indirekt auch die Thematik des ersten Timotheusbriefes als Referenztext von EG. 2.1 Wenn Kierkegaard Recht hat, bringt die ,Subjektivität‘ auf dem Höhepunkt der leidenschaftlichen Innerlichkeit die – eben darin – quälend entbehrte ,Objektivität‘, d. h. die genuin christliche, in ihrer Wirkung den Adressaten gewiss machende und befreiende Gottesvorstellung selber mit hervor, und zwar als eine solche, die wenn auch nicht notwendigerweise im gegenständlichen Sinne wahr, so doch mindestens die wahre christliche Gottesvorstellung zu sein beanspruchen darf. Wie dieser ,Umschlag‘ in die Objektivität in concreto zu denken ist, führt Kierkegaard in einer Journalnotiz von 1849 am Beispiel der sog. Parusieverzögerung aus: Die ganze Schwierigkeit damit, dass Christi Wiederkunft als nahe bevorstehend [nærforestaaende] vorausgesagt wird und doch noch nicht eingetreten ist, erkläre ich, indem ich darauf aufmerksam mache, dass es eine subjektiv wahre Erwiderung [en subjektiv sand Replik] ist … Das will heißen, es ist in dem Maße qualvoll, der wahre Christ zu sein, dass es nicht auszuhalten wäre, falls man nicht ständig Christi Wiederkunft als jetzt be-
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vorstehend erwartete. Die Qual, das Leiden gebren eine notwendige Illusion [føder en nødvendig Illusion]. Man kann deshalb umgekehrt sagen, jeder, der nicht auf solche Weise spricht, sondern … der Christi Wiederkunft in vielen Jahrhunderten erwartet, der ist kein wahrer Christ … Im gleichen Maße, wie das Bedürfnis größer ist, im gleichen Maße ist das Nährende näher, das Nährende ist im Bedürfnis [Næringen er i Trangen], wenn es auch nicht das Bedürfnis ist, so ist es doch das ihm Nächste [det Nærmeste]. (NB11:147, SKS 22, 85 f. / T 3, 242 f.; Hervorh. H.S.)
Es sind die Qualen des Christseins, die die ersten Christen dazu veranlasst haben, unter den anfechtenden Bedingungen einer glaubensfeindlichen Umwelt eine elementare Glaubensaussage aus dem Bereich der Eschatologie zu ,gebären‘ (,die Wiederkunft Christi zum Ende der Welt und zum letzten Gericht steht unmittelbar bevor‘). Dabei handelt es sich um eine Aussage, die wenn auch nicht als ,objektiv‘ wahr, so doch als christlich normativ bzw. als wahre christliche Gottesvorstellung gelten kann. Sie ist ,subjektiv wahr‘, weil und insofern ihre Genese auf ein echtes, d. h. im geistigen Sinne überlebensnotwendiges Bedürfnis zurückgeführt werden kann und dieses zugleich befriedigt, d. h. ,eine Not wendet‘. Und sie ist eine christlich-dogmatisch wahre Aussage, weil und insofern sie unzweifelhaft über dieses subjektive Fundament verfügt. Das erkenntnistheoretisch Bemerkenswerte an dieser Auffassung ist ihr radikal pragmatistischer Grundzug: Weil, wenn und in dem Maße wie ein Glaubenssatz der Not eines höchsten (geistigen) Bedürfens entspringt und die Not dieses Bedürfens zugleich wendet, ist er ,wahr‘ – wahr i.S. dessen, was Christentum ideal gesehen bedeutet. Grundsätzlich gesprochen sind auf dem Gebiet der Religion alle und nur diejenigen Sätze wahr, die, als Glaubenssätze, eine Not wenden, der sie selber entsprungen sind – weil, wenn und in dem Maße, wie sie das tun.40 Dass sie unabhängig davon, so wie im vorliegenden Fall, in (z. B. historisch-)korrespondenztheoretischer Hinsicht nicht nur problematisch und bis auf weiteres begründungsbedürftig, sondern nachweislich falsch sind, so dass der ihre Geltung gleichwohl Behauptende einer Illusion aufsitzt, ist demgegenüber völlig unerheblich. Mit Absicht ist hier die Formulierung ,alle und nur diejenigen Sätze …‘ gebraucht worden. Denn im Unterschied zur schwächeren, in EG vertretenen These, derzufolge das unbedingte religiöse Bedürfen dessen 40 Vgl. Pap. VI B 98,70, wo Kierkegaard im Gegenzug zur ,Illusion der Unmittelbarkeit‘ und i.S. eines gen. subj. von der „höheren Illusion der Religiosität [Religieusitetens høiere Illusion]“ (Übers. H.S.) spricht; dazu ferner Papir 158, SKS 27, 140 / T 1, 79); JJ:288, SKS 18, 231 / T 1, 340 und Pap. V B 155, 268.
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Befriedigung in Form entsprechender Glaubenssätze lediglich geneseund geltungshinreichend bedingt, beruft sich Kierkegaard später wiederholt auf die stärkere Variante dieser These, wonach jede und nur diejenige Gottesvorstellung Anspruch auf dogmatische Objektivität erheben kann, die im unendlichen Bedürfen nach eben dieser Vorstellung wurzelt: „Gott selbst ist ja dieses: welcherart man sich mit ihm einlässt … Im Verhältnis zu Gott ist ,welcherart‘ ,was‘. Wer sich mit Gott nicht auf die Art und Weise der unbedingten Hingebung [ubetinget Hengivelse] einlässt, der lässt sich überhaupt nicht mit Gott ein.“41 Dass diese subjektive Genese- und Geltungsregel von Glaubensaussagen, sowie hiervon abgeleitet von dogmatischen Sätzen, im Übrigen nicht nur im Ausnahmefall Anwendung finden soll, sondern prinzipiell – und d. h. eben: als Regel –, beweist der wiederholte Rekurs auf Luther, der, so Kierkegaard, zu Recht erklärt habe, dass die „ganze Lehre (von der Versöhnung, und im Grunde das ganze Christentum) auf den Kampf des geängsteten Gewissens zurückgeführt werden muss“42. So wie allein das hungrige Tier die geeignete Nahrung zu erkennen bzw. zwischen Essbarem und NichtEssbarem zu unterscheiden vermag, so erkennt auch nur derjenige, den es im Medium des geängsteten Gewissens vor Gott unendlich danach verlangt, die Versöhnung mit und durch Gott (sowie deren christologische und hamartiologische Implikationen) als das sein Bedürfnis allein Befriedigende; denn „eine Versöhnung ist nur notwendig im Sinne des geängsteten Gewissens“ (ebd.; Hervorh. H.S.), bzw. für dieses und aus dessen Perspektive. Und da sich das Verständnis aller Glaubensaussagen bzw. der christlichen Dogmatik insgesamt auf das Verstehen der Versöhnung und ihrer individuellen und universalen Notwendigkeit zurückführen lässt, versteht auch nur „das geängstete Gewissen … das Christentum“ (ebd.) im Ganzen. 41 NB17:70, SKS 23, 215 / T 4, 156 (Hervorh. H.S.). Auch dieses Zitat weist die charakteristische Ambivalenz des Subjektivitätskriteriums als eines bezüglich der Objektivität des Glaubens lediglich notwendigen oder aber notwendigen und hinreichenden auf. Ich halte letzteres, unter Berufung auf den ersten Teil des Zitates, für die autoritative bzw. exegetisch verbindliche Lesart. In diesem Sinne würde Kierkegaard der folgenden Aussage Wittgensteins sicherlich zustimmen und sie in seinen Standpunkt inkorporieren können: „Die christliche Religion ist nur für den, der unendliche Hilfe braucht, also nur für den, der unendlich Not fühlt.“ (Wittgenstein 1980, 46.) Erweitert und reformuliert i.S. von NB17:70 heißt das: Gott ist, christlich verstanden, niemand anderer als der, zu dem sich ein Mensch dadurch in völliger Hingabe verhält, dass er unendliche Not fühlt. 42 NB:79, SKS 20, 69 (Übers. hier und im Folgenden H.S.); vgl. ferner NB6:90, SKS 21, 67; NB26:66, SKS 25, 69 f.
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2.2 Ich halte Kierkegaards Subjektivismus in diesem Punkt für problematisch (ähnlich übrigens wie die eingangs formulierten Leitprinzipien seiner Hermeneutik). Dass ein starkes Bedürfnis nach der (,Nahrung der‘) Wahrheit die Wahrscheinlichkeit erhöht, dieser tatsächlich teilhaftig zu werden, so dass jenes Bedürfnis mehr als eine nur zufällige Bedingung für die Möglichkeit seiner eigenen Befriedigung darstellt, scheint mir unstrittig. Die Behauptung, dass ein solches Bedürfnis die Genese dieser Wahrheit – ja, überdies auch ihre Geltung, und sei es auch nur i.S. dessen, was das Christentum ,in Wahrheit lehrt‘ – notwendig und hinreichend bedingt, macht hingegen auf mich den Eindruck einer fundamentaltheologisch unzulässigen Überspitzung. Weshalb sollte sich Gott, christlich verstanden, dem Menschen nicht auch, ja unter Umständen vor allem dort offenbaren (können), wo dieser gar kein Verlangen danach trägt? Als Indiz für die Richtigkeit dieser Annahme mag bereits der Hinweis auf die (ansonsten auch von Kierkegaard geteilte) protestantische Grundüberzeugung genügen, dass die göttliche Offenbarung unter anderem ihre eigene mitteilungstheoretische Unverzichtbarkeit offenbart; diese aber gründet darin, dass sich die Mitteilung an den Menschen als Sînder richtet, den mit der Leugnung seiner selbst als Sünder auch die Schuld am illusionären Anspruch trifft, Gottes offenbarendem Heilshandeln gerade nicht bedürftig zu sein – und der diesen Anspruch eben dadurch als gleichermaßen illusionär wie schuldhaft zu erkennen gibt, dass er ihn erhebt. Mein Haupteinwand gegen die These, dass die Subjektivität des (angefochtenen) Christen die mögliche Objektivität seiner Glaubensaussagen hinreichend bedingt, wendet Kierkegaard gegen Kierkegaard selbst: Ich halte die These für nicht aneignungsfähig – jedenfalls dann nicht, wenn sie sich (wie in Kierkegaards Beispiel) auf falsche und für falsch gehaltene Aussagen erstrecken können soll. Zunächst muss man sich klarmachen, dass die besagte These (,Wiederkunft Christi zu meinen Lebzeiten‘) nur dann ihre im geistigen Sinne ,überlebenssichernde‘ Funktion erfüllen kann, wenn sie von dem Betreffenden schlicht für faktisch oder mindestens möglicherweise wahr (und d. h. für mehr als bloß ,funktionsfähig‘) gehalten werden kann; und nur als solche ist sie auch aneignungsfähig. Demnach ist zwar prinzipiell möglich, dass Peter, um (hier: im geistigen Sinne) überleben zu können, imstande sein muss, eine Illusion zu ,gebären‘ – eine Illusion, der eben deshalb, weil und insofern Peter ohne sie nicht zu überleben vermag, pragmatische oder ,subjektive Notwendigkeit‘ zukommt. Aber ihre überlebenssichernde Funktion kann diese de facto nur dann erfüllen, wenn Peter sich der Illusion – als
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solcher nämlich – nicht bewusst ist, den darin enthaltenen Irrtum also für wahr hält. Aneignungsfähig ist zwar der Satz: (1) ,Christus wird noch zu meinen Lebzeiten wiederkehren.‘
Und aneignungsfähig ist auch die von Kierkegaard behauptete Verallgemeinerungsform dieses Satzes: (2) ,Christ sein kann nur, wer glaubt, dass Christus noch zu seinen (d. h. des Glaubenden) Lebzeiten wiederkehren wird.‘
Nicht aneignungsfähig ist hingegen dieser Satz: (3) ,Christ sein kann nur, wer sich in der Illusion befindet, dass Christus noch zu seinen, d. h. zu Lebzeiten dessen wiederkehren wird, der sich in der bezeichneten Illusion befindet.‘
Und auch der folgende Satz ist nicht aneignungsfähig: (4) ,Christus wird noch zu meinen Lebzeiten wiederkehren, aber es ist eine Illusion zu glauben, dass Christus noch zu meinen Lebzeiten wiederkehren wird.‘
Zwar könnte man das in (4) drohende Mooresche Paradox durch die Unterscheidung von Glaube und Akzeptanz auflösen. Demnach würde gelten: Peter glaubt, dass der zweite Teil des Satzes der Wahrheit entspricht, während er den ersten Teil nicht glaubt, sondern lediglich akzeptiert – d. h. so handelt, als ob dieser der Wahrheit entspräche (bzw. er, Peter, glauben würde, dass sich dies so verhält).43 Indes, auch die Möglichkeit der Akzeptanz hängt daran, dass Peter am akzeptierten Sachverhalt als wenigstens mçglicherweise wahr festhalten kann. Ist dies nicht der Fall, muss auch der folgende Satz als nicht aneignungsfähig gelten: (5) ,Ich akzeptiere, dass Christus noch zu meinen Lebzeiten wiederkehren wird, aber es ist eine Illusion zu glauben, dass Christus noch zu meinen Lebzeiten wiederkehren wird.‘
Und entsprechend: (6) ,Christ sein kann nur, wer (a) der Illusion aufsitzt, dass Christus noch zu seinen, d. h. zu Lebzeiten dessen wiederkehren wird, der sich in der bezeichneten Illusion befindet; (b) gleichwohl akzeptiert, dass Christus noch zu seinen, d. h. zu Lebzeiten dessen wiederkehren wird, der dies akzeptiert.‘
43 Vgl. zum Unterschied von Glaube und Akzeptanz im Blick auf die Auflösung des sog. Mooreschen Paradoxes: H. Schulz 2001, 245 f.
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Kurzum: Die Subjektivität des angefochtenen Christen ist nicht nur keine notwendige, sie ist auch keine hinreichende Bedingung für die Möglichkeit ,objektiv‘ gültiger Glaubensaussagen im beschriebenen Sinne. Ein letztes: Kierkegaards Subjektivismus-These soll als fundamentaltheologischer Prüfstein dienen oder zumindest dienen können. Demnach ist davon auszugehen, dass als Glaubensaussage und davon abgeleitet als dogmatisch sachgemäß und verbindlich nur und all diejenigen Aussagen gelten können, die sich diesseits der Frage nach ihrer möglichen oder faktischen Wahrheit im ,objektiven‘ Sinne als ,subjektiv wahr‘, d. h. als Aussagen lesen lassen, die aus dem Kampf des geängsteten Gewissens vor Gott hervorgegangen sind. Doch welche Aussagen fallen faktisch und / oder der Möglichkeit nach in diese Klasse, und kraft welcher (sei’s inhaltlicher, sei’s formaler) Kennzeichen können diese als solche identifiziert werden? Am Beispiel der Parusieverzögerung hat Kierkegaard gezeigt, wie ein solcher Identifikationsversuch aussehen und wie der von ihm geforderte Prüfstein für den innerdogmatischen Geltungsanspruch von Glaubensaussagen zumindest rein verfahrenstechnisch (d. h. abgesehen von den o.g. sachlichen und aneignungstheoretischen Problemen) mit Erfolg angewandt werden kann. Reicht dieser Prüfstein aber auch dann aus, wenn es z. B. um eine hinreichend differenzierte und dogmatisch sachgemäße Explikation der Zweinaturenlehre geht, oder um das immanenten Relationsgeflecht der Trinität, oder um das Verhältnis von Realpräsenz und Transsubstantiation im Abendmahlsgedanken, oder um die systematische (Un-)Vollständigkeit der vier notae ecclesiae o. ä.? Und falls diese Frage bejaht wird, ist für jedermann, zumindest aber für jeden Christen einsichtig, dass die Prüfung in den hier genannten Fällen in der Tat gelingt, in anderen hingegen, aus nachvollziehbaren Gründen, nicht? Bis zum Nachweis der Durchführbarkeit des Programms im Detail halte ich dies für einigermaßen zweifelhaft. Fazit: Mit EG liegt ein auch und unter anderem philosophisch eindrucksvoller Text vor, der auf der prinzipiellen wie auf der Anwendungsebene Überlegungen entwickelt, die insbesondere im Hinblick auf die Erkenntnistheorie des Glaubens von nicht zu unterschätzender sachlicher Tragweite sind. Den Faktizitäts-,Nachweis‘ des Glaubens an die Perspektive der ersten Person zurück zu binden scheint mir dabei im Grundsatz plausibel, bedenkenswert immerhin der Versuch, das Verhältnis von Glaubensakt und Glaubensgegenstand als ,konativ intentionalen‘ Strukturzusammenhang zu beschreiben. Nach meiner Auffassung ist es Kierkegaard gelungen, die Bedingungen aufzuzeigen, die erfüllt sein
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müssen, um die Faktizitt des Glaubens in der Welt erkennen bzw. ihrer gewiss sein zu können – nicht hingegen die Etablierung der Gewissheitsbedingungen für den Inhalt dieses Glaubens. Überdies hat sich die apologetische Reichweite dieser zweiten Argumentationslinie im Hinblick auf deren religionsphilosophische (Stichwort Theodizeeproblem) und fundamentaltheologische Relevanz (Stichwort Genese und Geltung dogmatischer Aussagen) als begrenzt erwiesen. Müssten wir, Kierkegaard in diesem Punkte folgend, keinen Anlass zur Beunruhigung sehen, wenn es sich anders verhielte?
4. Das Schöne und das Interessante. Grundzüge der Ästhetik Søren Kierkegaards1 Søren Kierkegaard (1813 – 55) wuchs als Sohn eines wohlhabenden Textilwarenfabrikanten in Kopenhagen auf und studierte dort Theologie und Philosophie, antike Sprachen und Geschichte. Die Verlobung mit Regine Olsen, der Tochter eines angesehenen Kopenhagener Bürgers, die Kierkegaard nach wenigen Monaten unter dem Eindruck einer vom Vater ererbten, schwermütig-pietistischen Religiosität wieder löst, wird zum Anlass, sich als ,Pönitierender‘ in ein privatisierendes, dabei ungeheuer produktives Schriftstellerleben zurückzuziehen. In rascher Folge erscheinen binnen weniger Jahre seine (pseudonymen) Hauptwerke; neben einer Reihe von Tagebüchern, die gegen Ende seines Lebens mehrere tausend Seiten umfassen, schreibt und publiziert er eine große Anzahl sog. erbaulicher Reden. Abgesehen von einigen Reisen nach Berlin (unter anderem 1841 / 42, um bei F.W.J. Schelling zu studieren) führt Kierkegaard im Anschluss an die Regine-Episode ein äußerlich weitgehend ereignisloses Leben. Im Anschluss an eine literarische Fehde mit dem „Corsaren“, einem zeitgenössischen Kopenhagener Satireblatt, gerät er in den späteren 1840er Jahren in ein immer kritischeres Verhältnis zu Presse und Öffentlichkeit im allgemeinen, zur dänisch-lutherischen Staatskirche im besonderen; ein zunächst noch verdeckt geführter Angriff mündet gegen Ende seines Lebens in den offenen ( journalistischen) Kampf gegen deren Primas, Bischof Mynster, bzw. seinen Nachfolger, H.L. Martensen. Nicht nur, aber vor allem die pseudonymen Schriften, die Kierkegaard selbst als ästhetische bezeichnet2, verfolgen ein vorrangiges Ziel: die aus seiner Sicht unter den Bedingungen des sog. Reflexionszeitalters ästhetisierte Christenheit mit denselben, eben ästhetischen Mitteln erneut in die 1
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Der nachfolgende Text bietet die stark erweiterte Fassung eines Lexikonartikels (vgl. den Erstveröffentlichungsnachweis am Ende dieses Bandes). Die im Kontext dieses Genres üblichen formalen, stilistischen und sachlichen Besonderheiten wurden eliminiert, mit Ausnahme der knappen biografischen Angaben zu Beginn des Artikels. SKS 16, 15 / GW1 GWS, 25.
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neutestamentlich-christliche Wahrheit ,hineinzubetrügen‘3. Dabei ist es aufgrund der Vielschichtigkeit des Kierkegaardschen Ästhetikbegriffs allerdings nicht unproblematisch, von einschlägigen Hauptwerken zu sprechen: Im engeren, kunsttheoretischen Sinne sind, wie im Folgenden noch genauer zu zeigen sein wird, vor allem Der Begriff der Ironie mit stndiger Rîcksicht auf Sokrates (1841), Entweder-Oder I (1843) sowie eine Reihe von Rezensionen und Kritiken, etwa Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838), Eine literarische Anzeige (1846) und Die Krise und eine Krise im Leben einer Schauspielerin (1848) von vorrangiger Bedeutung; darüber hinaus Abschnitte aus Entweder / Oder II (1843), Die Wiederholung (1843), Stadien auf des Lebens Weg (1845) und Einîbung im Christentum (1850).
A. Theorie der Kunst Im Unterschied zur Natur und zu den Werken der Gottheit bereite ihm, so erklärt Kierkegaard in einer frühen Tagebuchnotiz4, das Verstehen und der Genuss von Kunstwerken keine Schwierigkeiten. Der Grund dafür sei, dass man dem ,archimedischen Punkt‘ jener Werke, d. h. der Idee, die den Künstler bei ihrer Hervorbringung geleitet habe, hier problemloser auf die Spur zu kommen und das Ganze von da aus im Detail zu rekonstruieren vermöge als in den anderen beiden Fällen. In diesem Sinne bemüht er sich selbst (eigenem Bekunden nach freilich vergebens) in seiner ersten größeren literaturkritischen Arbeit Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838), den Einheitspunkt oder leitenden Grundgedanken von H.C. Andersens Roman Nur ein Spielmann (1837) herauszuarbeiten: Jedem guten Roman liege nämlich, so heißt es dort, eine ,Lebensanschauung‘5 zugrunde, die regelrecht in Analogie zur göttlichen Vorsehung Handlungsablauf und Charakterentwicklung der Erzählung als untergründig organisierendes Prinzip steuere; diese zu entdecken und zum leitenden Gesichtspunkt einer ,dienenden‘ Interpretation des ganzen Werkes zu machen, sei Aufgabe des Rezensenten und Kritikers.6 Der Versuch, nach einem leitenden Grundgedanken zu suchen, scheint dann nicht selbstverständlich, wenn es, wie im vorliegenden Fall, statt um die Interpretation eines Kunstwerkes um die Rekonstruktion einer Theorie – 3 4 5 6
SKS 16, 35 ff. / GW1 GWS, 47 ff. 1834: Papir 96:1, SKS 27, 117 / T 1, 56 f. SKS 1, 21 / GW1 LP, 50 u. pass. SKS 8, 16 / GW1 LA, 10.
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in diesem Fall: Kierkegaards Ästhetik bzw. Kunstphilosophie – geht. Allein, zum einen rechtfertigen dessen eigene, wiederholte Anläufe zu einer umfassenden (Selbst-)Interpretation ein derartiges Unternehmen7; zum anderen drängt sich im Blick auf das, was man Kierkegaards Ästhetik nennen mag, ein bestimmter, leitender Grundgedanke in der Tat auf. Schließlich liegt eine Pointe seiner Ästhetik in der Aufhebung einer undialektischen Trennung zwischen Kunstwerk und dessen Theorie bzw. Kritik. Der organisierende Leitgedanke Kierkegaards kann auf zweifache Weise, entweder klassisch oder romantisch, formuliert werden. Im einen Fall ist es das Prinzip der Einheit von Stoff und Form, im anderen die romantische Losung, ,poetisch zu leben‘. Tatsächlich handelt es sich dabei um nichts anderes als zwei Aspekte ein und derselben Sache – den Versuch, eine umfassende Theorie des (ästhetischen und / oder existentiellen) Ausdrucks zu entwickeln. Umfassend ist diese Theorie, insofern sie sich in drei Ebenen bzw. Dimensionen artikuliert: werk-, rezeptions- und produktionsästhetisch. Das Ergebnis ist eine doppelte Spiegelung desselben Grundverhältnisses, mit der Konsequenz, dass sich das, was zunächst nur wie der Einheitspunkt einer bestimmten, eingeschränkten Seite des Kierkegaardschen Werkes aussieht, als Schlüssel zum Verständnis des gesamten (ästhetischen) Oeuvres, dessen Selbstauffassung in der Sicht des Autors sowie der Rezeption des Lesers herausstellt. Die Pointe besteht m.a.W. nicht nur darin, dass Kierkegaards Ästhetik eine spezifische Leitidee zugrunde liegt, sondern: dass sein ganzes (pseudonymes) Werk – in einem bestimmten Sinne – als Ästhetik gelesen werden kann. 1. Werkästhetik: Das Kunstwerk im Phantasie- und Existenzmedium 1.1 Kunst im Medium der Phantasie Was die im engeren Sinne kunsttheoretische Seite angeht, so zeigen die als Verfasser auftretenden Pseudonyme Kierkegaards – angefangen vom Ästhetiker A in Entweder-Oder I über seinen ethisch argumentierenden Freund, den Gerichtsrat B, in Entweder-Oder II bis hin zu Anticlimacus in der Einîbung im Christentum – eine Einhelligkeit, die deren jeweilige Kunstauffassung in ihren expliziten Facetten als Kierkegaards eigene zu rekonstruieren erlaubt. Freilich ist der Tatsache methodisch Rechnung zu tragen, dass die Prinzipien dieser Ästhetik nur teilweise explizit entwickelt 7
Z. B. SKS 16, 15 – 50 / GW1 GWS, 25– 65.
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sind, teilweise hingegen aus ihrer konkreten literarischen Umsetzung, und d. h. indirekt erschlossen werden müssen. Kierkegaards østhetik tritt als solche „nur zum Schçnen in ein Verhältnis“8, und zwar primär zum Schönen in der Kunst. Das Schöne, als Gegenstand der Ästhetik, ist eo ipso Kunst; Kunst, als solche, ist eo ipso schön. Eine Ästhetik des Hässlichen, d. h. eine Wissenschaft der Bedingungen, unter denen das Wahre im Medium des sinnlich Hässlichen, des Krankhaften, Widersinnigen, Absurden zur Anschauung käme, ist folglich undenkbar.9 Ferner: Alle Kunst gründet in dem dialektischen Selbstwiderspruch, das Ewige zeitlich und somit im Medium des Zufälligen ausdrücken zu müssen, bzw. das Zeitliche in zufälliger, d. h. unwesentlicher Weise zu verewigen.10 Während die im Medium des Räumlichen operierenden Kunstformen, die dem Gesichtssinn korrespondieren (Malerei, Bildhauerei, Architektur), einen zufälligen Moment verewigen, verschwindet umgekehrt in den im Medium des Zeitlichen operierenden Kunstarten, die den Gehörssinn ansprechen (Musik, Poesie), ewig jeder Moment – sie sind nur im Moment ihrer Ausführung. Alle Kunstarten konzentrieren bzw. reduzieren letztlich, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise, die Extensität einer zwischen Zeit und Ewigkeit um Kontinuität kämpfenden Geschichte auf eine bloße „Verdichtung im Augenblick“11. Zwar vermögen Epos und Drama die sog. ,ußere Geschichte‘ darzustellen – sie besteht, exemplarisch im Falle der romantischen Liebe, in der Überwindung irgendeines von außen kommenden Hindernisses.12 Allein, ob tragisch oder komisch, das versöhnliche Ende wird in einem zeitlich überschaubaren Rahmen, bisweilen geradezu überstürzt und mit Vorliebe dank eines Zufalls herbeigeführt.13 Auch mag der Autor eines Dramas, gewissermaßen als dessen episches Residuum, die Vorgeschichte von Charakteren und Situationen andeuten.14 Indes, beides ändert nichts daran, dass die Kontinuität einer ,inneren Geschichte‘, die sich der Einzelne dadurch erwirbt, dass er unter wechselnden Lebensumständen einen einmal gefassten, wesentlichen Entschluss in jedem Augenblick erneut ratifiziert, jeder künstlerischen 8 SKS 2, 415/ GW1 EO1, 465. 9 SKS 6, 423 f. / GW1 SLW, 488 f. 10 Z. B. NB:198, SKS 20, 118 / T 2, 96: die bildliche Darstellung eines Mannes, der sich die Nase putzt. 11 SKS 3, 132/ GW1 EO2, 141. 12 SKS 3, 133/ GW1 EO2, 142. 13 SKS 8, 34 / GW1 LA, 35 als episches, SKS 4, 175 f. / GW1 FZ, 95 f. als dramatisches Beispiel. 14 Z. B. SKS 2, 154 f. / GW1 EO1, 167 f.; SKS 2, 242 f. / GW1 EO1, 267 f.
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Darstellung schlechterdings unzugänglich bleibt. So ist die Ehe (als täglich erneuerter Entschluss, am Eheversprechen festzuhalten) nicht nur schlechthin unmusikalisch; sie kann auch nicht gemalt werden. Die bildende Kunst befindet sich in diesem Punkt gegenüber den geschichtsbestimmten Kunstarten ohnehin im Nachteil: Da ihr Objekt jene Schönheit und ,Durchsichtigkeit‘ besitzen muß, die „das Innere in einem entsprechenden Äußeren“15 erscheinen lässt, vermag sie zwar ohne Schwierigkeit Freude, aber nur schwerlich Trauer, bzw. von dieser wiederum nur die unmittelbare, nicht die im Äußeren unausdrücklich bleibende, reflektierte Variante auszudrücken16 ; ebenso Mut, aber keine Geduld, Stolz, aber keine Demut etc.17 Sie setzt m.a.W. die anschauliche Kommensurabilität des Inneren und des Äußeren voraus, die – sofern nicht vorhanden – die Prävalenz des Akustischen begründet.18 Auch der paradoxe Tatbestand, dass Gott in Christus mit dem Ziel, zu leiden und unter elenden Umständen zu Tode zu kommen, Mensch wurde, ist recht verstanden ein äußerst unpassender Gegenstand für Bildhauerei19 und Malerei20 – freilich auch für die tragischdramatische Kunst.21 Dass sich dies so verhält, mag zugleich als Beleg dafür gelten, dass Kierkegaard nicht nur das in den Bereich des unzweideutig Ethischen, sondern auch das in den des Religiösen bzw. dessen (psychologischen) Grenzbereich Fallende aus dem künstlerischen Repertoire streicht: In diesem Sinne kritisiert er z. B. Shakespeares Hamlet mit dem Hinweis, es handle sich um ein christliches, genauer gesagt um ein „religiçses Drama“22 – eben damit aber um eine contradictio in adiecto23. Hamlets Zaudern, seine Rachepläne auszuführen, ist als komisches Element nämlich nicht erkennbar, als tragisches hingegen widersinnig; am ehesten kann es als Hinweis auf den Konflikt einer religiösen Innerlichkeit interpretiert werden. Indes, Hamlets Charakter und Handlungsweise religiös, und d. h. auf dem Boden einer eo ipso unanschaulichen Voraussetzung zu motivieren
15 16 17 18 19 20
SKS 2, 167/ GW1 EO1, 181; Hervorh. H.S. SKS 2, 170/ GW1 EO1, 185; SKS 2, 175 f. / GW1 EO1, 191 f. SKS 3, 133 f. / GW1 EO2, 143 f.; vgl. SKS 9, 321 / GW1 LT, 357 f. SKS 2, 11 / GW1 EO1, 3. SKS 12, 246 / GW1 EC, 247. SKS 3, 135 / GW1 EO2, 144; SKS 12, 246 ff. / GW1 EC, 255 ff.; Papir 259:1, SKS 27, 213 / T 1, 176; NB15:51, SKS 23, 36. 21 SKS 2, 151/ GW1 EO1, 163. 22 SKS 6, 418/ GW1 SLW, 482. 23 Anders noch: SKS 4, 186 / GW1 FZ, 109.
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heißt recht verstanden, ihn aus dem Gebiet des Dramas, ja der Kunst überhaupt aus- und stattdessen in das der Psychologie einzuweisen.24 Kierkegaard macht von diesen und anderen Überlegungen mit dem Ziel einer historischen und axiologischen Stufung der einzelnen Kunstarten Gebrauch: Am Maßstab des sukzessiven Übergangs von räumlich zu zeitlich dominierten Kunstformen steht demnach die Poesie (Lyrik-Epik-Dramatik) an der Spitze einer geschichtlichen Entwicklung, deren Anfang die Bildhauerkunst und deren Mitte Malerei und Musik bilden.25 Eine bemerkenswerte Ergänzung bilden die entsprechenden Ausführungen in Entweder-Oder I: A, der pseudonyme Ästhetiker, der als Autor der darin enthaltenen Abhandlungen präsentiert wird, entwirft eine Rangfolge klassischer Kunstwerke innerhalb der unterschiedlichen Kunstformen. Als klassische stehen diese zunächst allesamt auf gleicher Ebene – nämlich „unendlich hoch“26 -, so dass zwischen ihnen eine allenfalls zufällige und keine wesentliche Rangfolge begründet werden kann. Dabei kommt das Prädikat klassisch einem Kunstwerk nur und immer dann zu, wenn es ein „Gleichgewicht“27 von Stoff und Form ausdrückt, d. h. wenn ein potentiell künstlerischer Stoff (z. B. der trojanische Krieg) seine exemplarische ästhetische Qualität dadurch enthüllt, dass er durch die Gestaltungskraft eines genialen Künstlers (hier: Homer) als solcher Form und Ausdruck findet; dieser erweist sich umgekehrt erst durch die gestaltende Meisterschaft, mit der er jenen als exemplarischen formt, als künstlerisches Genie. Nun sind zwar klassische Kunstwerke grundsätzlich in allen Kunstformen denkbar – allein, nicht mit derselben Häufigkeit. Und eben dies, die Einzigartigkeit bzw. Unwiederholbarkeit eines Kunstwerkes innerhalb der jeweiligen Kunstform, dient A als Kriterium zur Durchführung seiner Axiologie – mit dem Ergebnis, dass die Musik, genauer, Mozarts Oper Don Giovanni, allen anderen klassischen Kunstwerken überlegen ist.28 Die Wahrscheinlichkeit nämlich, dass der Gestaltung eines bestimmten Stoffes wiederholt das Attribut klassisch zugesprochen werden kann, nimmt ab, je abstrakter (d. h. sprach-, geist- und geschichtsferner) Medium und Idee der zugehörigen Kunstform sind. So ist die Malerei (bzw. deren Element: Farbe) ein vergleichsweise abstraktes Medium, ebenso wie ihr absoluter Gegenstand oder 24 Vgl. Kierkegaards Bemerkungen zu den ästhetischen Grenzphänomenen des Tragikomischen und Komitragischen, SKS 6, 388 f. / GW1 SLW, 446 f. 25 SKS 3, 135/ GW1 EO2, 144 f. 26 SKS 2, 59 / GW1 EO1, 54. 27 SKS 2, 58 / GW1 EO1, 53. 28 SKS 2, 62 / GW1 EO1, 57 f.
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die ihr entsprechende Idee (die „himmlische[] verklärte[] Schönheit“, SKS 2, 72 / GW1 EO1, 68); folglich wird Raffaels Madonnenbild29 als Paradigma eines genial geformten malerischen Stoffes kaum Nachahmer finden, wohingegen eine Bearbeitung des Fauststoffes im weit konkreteren Medium der Poesie (bzw. deren Element: Sprache) immer wieder klassischen Rang erlangen kann und wird. A, der statt des Mediums letztlich die Idee für ausschlaggebend hält30, erklärt nun, dass die abstrakteste Idee, die in irgendeinem sinnlichen Medium künstlerisch dargestellt werden könne, eben die Idee der Sinnlichkeit selber sei – bzw. deren Extrem, die erotische Sinnlichkeit.31 Diese aber vermag als solche ausschließlich im Element der Töne bzw. im Medium der Musik adäquaten Ausdruck zu finden: Als Bestimmung der Innerlichkeit kann sie nicht Skulptur bzw. im äußerlichen Element der Materie plastisch gebildet werden; sie ist auch kein möglicher Gegenstand der Malerei, da sie sich in einer Aufeinanderfolge von Momenten realisiert; und sie offenbart sich nicht im Medium der (lyrisch-episch-dramatischen) Poesie, da sie ein erinnerungsloses und somit ungeschichtliches, unendliches Verschwinden einzelner Momente darstellt, das überdies – anders als die Poesie – im Stadium reflexionsloser Unmittelbarkeit verbleibt. Mithin ist nicht nur undenkbar, dass im Bereich der Kunst die Idee der reinen erotischen Sinnlichkeit auch auf andere Weise denn musikalisch artikuliert werden könnte; vielmehr findet diese ausschließlich im Bereich der Kunst, nicht aber als reale Daseinsmöglichkeit Ausdruck. Kierkegaard greift zur Erläuterung auf den Pagen aus Mozarts Figaro, Papageno aus der Zauberflçte und Don Giovanni aus der gleichnamigen Oper, d. h. auf mythisch-fiktive Repräsentationsfiguren als Folie zur Analyse der idealtypischen Stadien bzw. ,Metamorphosen‘ einer unmittelbaren erotischen Sinnlichkeit zurück.32 Eine ursprüngliche, unendlich konsequente und von keiner zweifelnden Selbstreflexion getrübte erotische Genialität, die in einem einzigen Individuum – Don Giovanni – die reine Sinnlichkeit als Prinzip repräsentiert, ist, so erklärt A weiter33, eine epochale ästhetische Erfindung des Christentums, die mit dem Geist zugleich dasjenige als Prinzip setzt, das dieser von sich ausschließt. Musik ist demnach eine dezidiert christliche 29 30 31 32 33
NB5:106, SKS 20, 415 / T 3, 23 f. SKS 2, 63 f. / GW1 EO1, 59. SKS 2, 64 / GW1 EO1, 59. SKS 2, 81 – 107 / GW1 EO1, 79 – 110. SKS 2, 71 / GW1 EO1, 68.
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Kunstform, während die Griechen, deren Kunst in der Plastik kulminiert, kein entwickeltes Musikverständnis besaßen.34 Insofern repräsentiert Don Juan die Idee der Sinnlichkeit mit dmonischer Genialität; er negiert mithin (freilich ohne sich dessen bewusst zu sein) etwas, das jenes durch ihn Repräsentierte erst ermöglichte: das Prinzip des Geistes, der als solcher die Sinnlichkeit von sich ausschließt, diese eben dadurch aber als negatives, folglich geistbestimmtes Prinzip setzt. Mozarts Genialität besteht dann darin, den Don-Juan-Stoff als genuin musikalischen entdeckt und ihn in Übereinstimmung mit der ihm entsprechenden Idee zu einem klassischen und seiner idealen Abstraktheit wegen unwiederholbaren Kunstwerk geformt zu haben. Ja, mehr noch: Indem Mozarts Musik als klassisch-harmonische Formung des Don-Juan-Stoffes der Idee sinnlicher Genialität musikalischen Ausdruck verleiht, offenbart sie zugleich die Idee der Musik selber.35 Sie drückt mithin nicht nur die Idee der sinnlichen Genialität aus, sondern zugleich, dass sie diese, als Musik, i.S. der ihr entsprechenden Idee auszudrücken bzw. zu ihrem absoluten Gegenstand hat. Dank dieser selbstoffenbarenden oder -transparenten Qualität ist Mozarts Oper im exemplarischen Sinne ,schön‘ – schön nämlich i.S. dessen, was „seine Teleologie in sich selber hat“36. Das Attribut Schönheit kommt ihr zu, sofern sie neben der faktischen Darstellung dessen, was sie i.S. der ihr entsprechenden Idee ausdrücken soll, ,transparent‘ (bzw. durchtçnend) macht, dass ihr dies auszudrücken als eigentliche Idee zukommt. Mithin hat sie kein äußeres, ihre Selbstmanifestation ,transzendierendes‘, sondern lediglich ein ,immanentes‘ Ziel: den vollkommenen Ausdruck dessen, was auszudrücken ihrer Idee oder höchsten Bestimmung entspricht – als eines solchen. Diese selbstthematisierende bzw. -offenbarende Qualität der Kunst ist als Ideal grundsätzlich jeder ihrer Formen gesetzt und kann darin, jedenfalls soweit es sich um klassische Werke handelt, auch verwirklicht werden. Ja, recht verstanden erweist ein Kunstwerk seine Klassizität bzw. deren „[g]lückliche“37 Harmonie von Stoff und Form erst in der Transparenz auf jenes Dritte hin, d. h. dann und dadurch, dass es zugleich sich selbst bzw. seine eigene Idealität transparent macht – durchscheinen oder -tönen lässt; ist diese Bedingung nicht erfüllt, kann ein Kunstwerk ,wahr‘, nicht aber schön zu sein.38 Somit fällt, auf dem Boden des Klassizitätskri34 35 36 37 38
SKS 2, 71 / GW1 EO1, 68; SKS 2, 77 / GW1 EO1, 75 SKS 2, 65 / GW1 EO1, 61. SKS 3, 259/ GW1 EO2, 290. SKS 2, 56 / GW1 EO1, 50. SKS 2, 175/ GW1 EO1, 192.
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teriums, der prinzipielle Unterschied zwischen Kunstwerk und Kunstkritik bereits auf der Ebene des Kunstwerks selbst. Kierkegaard hat daher nicht nur aus mitteilungstheoretischen, sondern auch aus ästhetischen Gründen eine strikte bzw. undialektische Trennung von Kunst und Kritik verworfen bzw. deren Aufhebung nach beiden Seiten hin literarisch umgesetzt. Dass Kierkegaard Mozarts Don Giovanni derart auszeichnet, legt freilich die Vermutung nahe, dass s.E. nicht nur dieses Werk allein, sondern auch die dazugehörige Kunstform allen anderen vorangestellt werden muß – eine Vermutung, die durch den Hinweis des Ethikers gestützt wird, die Musik sei in gewisser Weise der menschlichen Existenz näher als alle anderen Kunstarten: denn sie ist nur „im Augenblick der Ausführung“39. Allein, trotz oder gerade aufgrund einer Dialektik, die die Poesie mit der Musik, nicht aber mit den übrigen Kunstarten verbindet (Musik ist gewissermaßen die abstrakteste Sprache, Sprache die konkreteste Musik, SKS 2, 73 ff. / GW1 EO1, 70 ff.), schlägt die Waage innerhalb von Kierkegaards Gesamtwerk ohne Zweifel zugunsten von Lyrik, Epik und vor allem Dramatik aus. Immerhin kann kaum verwundern, dass sich ein Großteil seiner kunsttheoretischen Analysen auf Musik (speziell: Oper) und Poesie (speziell: Drama und Schauspielkunst) beschränkt. Denn es sind diese beiden, die sich im Unterschied zu allen anderen in mindestens einem wesentlichen Punkt berühren: Sie bringen, je auf ihre Weise, die Einheit der räumlichen (optischen) und der zeitlichen (akustischen) Dimension des Ästhetischen zur Darstellung40 : die Oper als dramatisierte Musik, das Drama als poetisch idealisiertes Handeln. 1.2 Kunst im Medium der Existenz Ästhetik hat es mit dem Schönen in der Kunst zu tun; als solche berührt sie jedoch zugleich die Grenzen benachbarter Wissenschaften: Ethik, Politik, Rhetorik41, Psychologie etc. Ihr übergreifendes Thema ist dann der Mensch selber, und zwar insofern dieser als „existierendes Kunstwerk“42 betrachtet werden kann und soll. Kierkegaard modifiziert damit den Begriff des Kunstwerks i.S. der Erweiterung seiner Extension. Nicht als ob die Ästhetik, im Verein mit den benachbarten Wissenschaften, neben Kunstwerken auch mit Menschen zu tun hätte; vielmehr hat sie es mit Menschen zu tun, insofern sie mit Kunstwerken zu tun hat – denn 39 40 41 42
SKS 3, 135/ GW1 EO2, 145. SKS 2, 120 ff. / GW1 EO1, 126 ff. Not12:3, SKS 19, 374 / DSKE 3, 412. SKS 7, 276/ GW1 AUN2, 4; Hervorh. H.S.
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Menschen sind, in gewissem Sinne, selber Kunstwerke. Sie sind es dann und dadurch, dass sie unter der (romantischen) Voraussetzung, ,poetisch leben‘ zu wollen, betrachtet werden bzw. sich selber so betrachten. Methodisch entscheidend ist dabei, dass die entsprechenden Analysen innerhalb des pseudonymen Werkes perspektivisch divergieren: Da Kierkegaard drei basale Lebensanschauungen oder -stadien unterscheidet, ergeben sich z. T. erhebliche Abweichungen, je nachdem, ob eine sthetische, ethische oder religiçse Individualität die Analyse eigener und / oder konkurrierender Perspektiven zum Verständnis dieser romantischen Maxime vorträgt. Weshalb aber legt sich für Kierkegaard die extensionale Erweiterung im Begriff des Kunstwerks überhaupt nahe? Nun, die Kunst hat es, so Kierkegaard im Anschluss an Aristoteles‘ Theorie des Mimesis43, sowohl mit Faktizität wie mit Idealität zu tun: Sie zeigt den Menschen in idealer Konsequenz – besser und schlechter, als er tatsächlich ist; aber indem sie das tut, bindet sie diese Idealität implizit an jene Faktizität oder Wirklichkeit menschlicher Existenz zurück, die sie idealisierend verklärt. Dies ist der werkästhetische Gesichtspunkt des kunstimmanenten Wirklichkeitsbezuges, der sich als solcher auf ihren Gegenstand bzw. seine Darstellungsweise richtet; er begründet unter anderem das ethischpolitische Interesse an Kunst. Indes, dieser Wirklichkeitsbezug – und auch dies wusste Aristoteles bereits44 – hat zugleich eine rezeptionsästhetische, durch die Wirkung bzw. Funktion der Kunst bestimmte Seite. Diese verknüpft das Kunstwerk mit dem Anliegen der Rhetorik, und zwar in doppelter Hinsicht: Indem Kunstwerke die Wirklichkeit idealisierend verklären, überreden, ja verführen sie uns einerseits zu, andererseits versöhnen sie uns mit ihr -zumindest im Medium der Phantasie. In der ersten Hinsicht kommt der Kunst eine nicht nur anthropologisch bedeutsame Funktion zu: Sie stellt Ideale bereit, die den Einzelnen dazu ,verführen‘, sie im Medium der Phantasie oder Einbildungskraft in eine Vorstellung seiner selbst umzusetzen – ein erster und unüberspringbarer Schritt im Prozess der menschlichen Identitätsbildung45, der unter anderem pädagogisch ausgenutzt, freilich auch missbraucht werden kann.46 Auch hierbei spielt im Übrigen das Theater, das mögliche Vor-Bilder des werdenden Selbst zugleich hçrbar macht, eine buchstäblich exemplarische Rolle.47 Was den 43 44 45 46 47
Not12:8, SKS 19, 376 / DSKE 3, 414. Not12:3, SKS 19, 374 / DSKE 3, 412. SKS 12, 186 / GW1 EC, 177. SKS 12, 176 ff. / GW1 EC, 167 ff. SKS 4, 31 ff. / GW1 W, 29 ff.
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zweiten Punkt angeht, so veranlasst die Kunst den Betrachter bzw. Zuhörer zu einer momentanen Stillstellung jedes tieferen Interesses an sich selbst bzw. an der Wirklichkeit der dargestellten Konflikte. Deren Quintessenz ist allemal versöhnlich, und so führt etwa beim Betrachten der Tragödie auch jene berühmte Reinigung von Furcht und Mitleid durch eben diese Affekte48 über den (Selbst-)Genuss des Zuschauers bei dieser Betrachtung nicht hinaus. Dies ist solange unproblematisch, wie der verführerische Schein des Schönen als solcher durchschaut, folglich nicht zum trügerischen Schein wird. Anders verhält es sich, sobald der Betrachter Versöhnlichkeit und verklärende Idealität des Kunstwerks unmittelbar mit der Wirklichkeit des eigenen Daseins verwechselt. Kierkegaard nennt das, was einer Existenzweise zugrundeliegt, die diese Verwechslung fördert und die ihr entsprechende Lebensanschauung prägt, das ,Ästhetische‘ und definiert es als dasjenige in einem Menschen, „dadurch er unmittelbar das ist was er ist“49. Der idealistische Begriff der Unmittelbarkeit verweist auf die leib-seelische Sphäre des Natürlichen, der Affekte, Triebe, Leidenschaften etc. Sprache und Reflexionsvermögen können auf dieser Stufe durchaus vorhanden sein (vgl. Don Giovanni), nur treten sie bruchlos in den Dienst einer triebgeleiteten Intentionalität, die nichts als ihre eigene Erfüllung sucht. Der Struktur dieser Intentionalität gemäß kann Unmittelbarkeit im Blick auf deren Objekt oder das (strebende / erkennende) Verhältnis des Subjekts zu diesem akzentuiert werden: Der unmittelbar Liebende fragt weder, ob der Gegenstand seiner Liebe liebenswert, noch ob sein Verhältnis zu diesem tatsächlich Liebe ist; der unmittelbar Erkennende bezweifelt weder, dass das Objekt seiner Erkenntnis das wahre Erkenntnisobjekt, noch dass sein Verhältnis zu diesem wahre Erkenntnis ist. Sofern nun der ästhetisch Existierende in sich selbst keinen Bestimmungsgrund findet, um das Wahre vom Unwahren, das Wirkliche vom Unwirkliche, das Erstrebenswerte vom Verabscheuungswürdigen etc. zu unterscheiden, kann Unmittelbarkeit auch Unbestimmtheit heißen50 : Was in einem Augenblick wahr / wirklich zu sein scheint, ist im nächsten Augenblick unwahr / unwirklich u.u. Der Ästhetiker folgt also, ohne sich letztlich über sich selbst oder die Bestimmung des eigenen Daseins klar werden zu können, (un-)willkürlich motivierenden Antrieben, durch die er unmittelbar ist, was er ist: taub, traurig, talentiert etc. Als letztes Ziel dieses Verhaltens bzw. als Inhalt einer ihm 48 SKS 6, 425/ GW1 SLW, 490 f.; Not12:9, SKS 19, 376/ DSKE 3, 414. 49 SKS 3, 173/ GW1 EO2, 190. 50 SKS 15, 54/ GW1 JC, 154.
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entsprechenden ästhetischen Lebensanschauung fungiert die Trieberfüllung, oder umfassender der Genuss.51 Das Genussstreben und dessen Gegenstand können dabei entweder eine unmittelbare Einheit bilden oder im Medium (ästhetischer) Reflexion auseinandertreten, wobei – der o.g. Intentionalitätsstruktur folgend – jeweils die subjekt- oder die gegenstandsorientierte Seite als potentielle Genussquelle in den Vordergrund tritt: So genießt der eine Reichtum, der andere sein Talent, ein dritter sich selbst im Entdecken (oder aber: Verleugnen) potentieller Genussmöglichkeiten; der romantische Ironiker schließlich genießt sich selbst als Mittelpunkt einer rein imaginierten Welt, die jede widerständige Gegenstandswirklichkeit poetisch aufhebt.52 Insbesondere die ironische Lebensanschauung demonstriert, dass eine Existenzweise, die auf dem Prinzip des Genusses basiert, ihren Kulminationspunkt in der romantischen Losung, ,poetisch zu leben‘, hat; denn – ästhetisch betrachtet – ist „poetisches Leben … gleichsinnig mit Genießen“53. Indes, nicht nur der Ironiker, auch das Verhalten des reflektierten Verführers in Entweder-Oder I, der mit Don-Giovanni die ästhetische Idealität ,in Existenz‘ zu wiederholen versucht und damit den Gipfelpunkt der ästhetischen Existenzweise markiert, ist nichts als ein „Versuch … zur Lösung der Aufgabe, poetisch zu leben“54. Beiden, und mit ihnen dem Ästhetiker als solchen, geht es letztlich um eine mit der Souveränität des Künstlers durchgeführte Gestaltung des eigenen Daseins nach den Kategorien ästhetischer Vollkommenheit – und zwar in Einheit produktions-, werk- und rezeptionsästhetisch: Poetisch leben heißt in ästhetischer Konsequenz, sich selber, in jedem Augenblick des Genusses, als dessen eigentlichen Gegenstand neu zu erschaffen und darin als solchen sich zu genießen. Dem poetischen (Selbst-)Genuss entspricht ferner, wie Kierkegaard in eigenwilliger Aufnahme der kantischen Terminologie erklärt55, eine tief gehende Interesselosigkeit am eigenen Dasein. Indem der Ästhetiker dem Genussprinzip folgt, existiert er unmittelbar; und indem er unmittelbar existiert, existiert er interesselos – er macht m.a.W. die eigene, unmittelbare Existenz nicht zum Gegenstand eines ethisch-interessierten Strebens. Der Ernst des ethischen Interesses am eigenen Dasein bzw. an der Wirklichkeit seines Gelingens setzt nämlich die Einsicht voraus, dass sich die „ästhetische 51 52 53 54 55
SKS 3, 175/ GW1 EO2, 191. SKS 3, 176 ff. / GW1 EO2, 193 ff. SKS 1, 331/ GW1 BI, 304; im Orig. kursiv. SKS 2, 294/ GW1 EO1, 327. SKS 4, 324/ GW1 BA, 15 [Anm.]; Not12:6.b, SKS 19, 375 / DSKE 3, 413.
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Idee widerspricht …, sobald sie in der Wirklichkeit dargestellt werden soll“56. Kein Mensch vermag die ideale Konsequenz eines theatralischen Charakters nachzuahmen, ohne früher oder später von jenem willkürlichen Mehr oder Minder heimgesucht zu werden, das die Unmittelbarkeit der eigenen Individualität ausmacht57 und ihn in Zweifel bzw. Verzweiflung darüber stürzen wird, lediglich ,das Leben eines anderen auswendig gelernt‘ zu haben. Und diese Verzweiflung wird durch äußere Umstände manifest, die dokumentieren, dass das Bestehen einer vom Genussstreben dominierten Phantasieexistenz stets und notwendig von Bedingungen abhängig ist, die nicht in ihrer Gewalt stehen. Die bruchlose Transformation des poetisch-ästhetischen Ideals in die Faktizität des eigenen Existierens ist folglich eine Illusion, der durch die Rezeption des Kunstschönen genährte Schein eines versöhnlich verklärten Daseins trügerisch.58 Für den Ethiker und / oder den Religiösen sind daher die Impulse des Unmittelbaren keine Quelle ästhetischen (Selbst-)Genusses, sondern im Gegenteil Gegenstand und Bestimmungsgrund einer unendlich wiederholten Aneignungsbewegung, zu der jeder Mensch ethisch und religiös verpflichtet ist.59 Den Voraussetzungen, Prinzipien und Modi dieser ethischen (= Selbstwahl) bzw. christlich-religiösen (= Sündenbewusstsein) Aneignungsbewegung kann hier im einzelnen ebenso wenig nachgegangen werden wie den beziehungsreichen Parallelen, die sich aus Kierkegaards Sicht von allen drei Lebensstadien (Ästhetik-Ethik-Religion) aus zu den drei Formen der Poesie (Lyrik – Epik – Dramatik) und zu den Basisprädikaten des christlichen Gottesbildes (Schöpfung – Erhaltung – Erlösung) ergeben; entscheidend ist, dass diese Prinzipien das ursprünglich ästhetische Ideal der poetischen Existenz als solches unangetastet lassen: So erklärt der Ethiker, allein die Daseinsweise des Ehemanns vermöge ein Gleichgewicht von Ethischem (Entschluss) und Ästhetischem (Verliebtheit) auszudrücken; daher lebe nur er „in Wahrheit poetisch“60. Ein analoger Anspruch wird für die religiöse, ja selbst für die paradox-religiöse Existenzform des Apostels erhoben.61 Der Einwand gegen den Ästhetiker macht also lediglich geltend, dass dieser sein (an sich richtiges) Existenzideal faktisch und eigenem Anspruch entgegen gar nicht zu erfîllen vermag, und zwar unter anderem 56 57 58 59 60 61
SKS 4, 177/ GW1 FZ, 97. SKS 15, 248 f. / GW1 BA, 106 f. SKS 3, 135/ GW1 EO2, 145; SKS 6, 423 / GW1 SLW, 488. NB11:62, SKS 22, 40. SKS 3, 137/ GW1 EO2, 147. NB11:133, SKS 22, 80 / T 3, 240.
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deshalb nicht, weil er missversteht, was damit gemeint sei: Als Kunstwerk zu existieren bedeutet nicht, im Medium der Phantasie sich selber zu dichten, sondern in dem der Existenz (Wille / Glaube) sich „zugleich als dichtend und gedichtet“ bzw. „als Person in dem Schauspiel [zu fühlen], welches die Gottheit dichtet“.62 Somit ist der Schluss des Ästhetikers ,Nur als Kunstwerk kann das Leben schön sein / nur als ästhetisches kann das Leben Kunstwerk sein / nur als ästhetisches kann das Leben schön sein‘, ethisch und religiös gesehen fehlerhaft: Während dem Obersatz zugestimmt werden kann, muss als Mittelbegriff des Untersatzes sowie im eigentlichen Schluss das Ethische bzw. das Religiöse eingesetzt werden.63 Eine Pointe einer solchen Ästhetik des Existenzkunstwerks besteht darin, dass ihr Leitgedanke des poetischen Lebens faktisch nichts anderes ausdrückt als die klassische Stoff-Form-Synthese der Kunsttheorie Kierkegaards. Indem die ethische und die religiöse Daseinsform, je auf ihre Weise, eine poetische, d. h. dem Kunstwerk analoge Existenz führen, spiegeln sie das klassische Prinzip bzw. dessen eigentümliche Teleologie i.S. seiner existentiellen Reduplikation. Der Ethiker wählt sich selbst und darin die Gesamtheit dessen, was zu seiner Unmittelbarkeit gehört; er wählt, bejaht, ,dichtet‘ dies – und darin sich selbst – als durch ein Absolutes (Gott) gewählt, bejaht und ,gedichtet‘. Indem er das tut, erhebt er zugleich den Anspruch, dass sein Dasein ein Gleichgewicht zwischen dem Ästhetischen (Unmittelbarkeit: z. B. Verliebtheit) und Ethischen (qua Selbstwahl angeeignete Unmittelbarkeit: z. B. Eheentschluss) ausdrückt. Anders gesagt: Er erhebt den Anspruch auf ein im Existenzmedium dargestelltes Gleichgewicht von Stoff (ästhetische Unmittelbarkeit) und Form (ethische Selbstvermittlung). Und da er diese Selbstvermittlung als durch Gott vermittelte denkt, fällt die Form jenes Existenzkunstwerks, das er selber ist, mit der unendlichen Gestaltungskraft Gottes zusammen. Überdies kommt ihm damit jene innere Transparenz zu, die mit der immanenten Teleologie klassischer Kunstwerke deren Schönheit ausmacht: Im ewig und in jedem Augenblick erneut ratifizierten Akt der Selbstaneignung drückt sein faktisches Dasein nichts anderes aus als dessen Idee, jene (providentielle) Bestimmung, die mit „der Geburt eines jeden Menschen … für ihn“64 hervortritt. Zugleich drückt es diese als das aus, was i.S. seines immanenten Zieles einzig ausgedrückt werden soll, und wird eben dadurch „sich selbst 62 SKS 3, 136/ GW1 EO2, 146. 63 SKS 3, 135/ GW1 EO2, 145. 64 SKS 8, 198/ GW1 ERG, 99.
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durchsichtig“65. Ein entscheidender Unterschied zwischen Ethik und Ästhetik fällt freilich ins Auge: Als Prozess der Selbstaneignung realisiert sich die Schönheit des ethischen Existenzkunstwerks im Medium einer geschichtlichen Kontinuität, die die rein ästhetischen Darstellungsmöglichkeiten sprengt – erst recht aber die der falschen ästhetischen Versöhnung ,in Existenz‘ (s. o.). Bei prinzipiell analoger Struktur besteht ferner die einzige, freilich entscheidende Differenz zwischen einem ethischen und einem christlichreligiösen Existenzkunstwerk darin, dass letzteres auf der Voraussetzung der Sünde als (paradoxem) Implikat der Unmittelbarkeit des Individuums fußt.66 Damit ist zwar das Ideal einer immanenten Teleologie (bzw. das von Stoff und Form) nicht aufgegeben, dessen Realisierung jedoch als – diesseits der Versöhnungstat Christi – unmögliche behauptet. Das unmittelbare Dasein des Einzelnen, das mit dessen Geburt paradoxerweise ein unendlich anderes als das providentiell bestimmte wurde (nämlich sündig), vermag sich selbst – nicht weniger paradox – erst im Sündenbewusstsein als einzig möglichen Ausdruck dessen, wozu es bestimmt war, zu wiederholen. Mit der Forderung nach einer „leidenschaftliche[n] Unterscheidung von Form und Inhalt“67 innerhalb der außerchristlichen Existenz wird somit das Prinzip der immanenten Teleologie paradox gebrochen: Als Ideal unangefochten ist seine Realisierung entweder unmöglich, oder sie verdankt sich dem Paradox einer transzendenten Ursprungstat Gottes. 2. Rezeptionsästhetik: Kunst als Verführung Als Ästhetiker ist der Verführer, in dem die ästhetische Existenz als solche kulminiert, nach eigenem Bekunden ein Erotiker.68 Das bedeutet unter anderem: Er hat den kommunizierenden, überredenden, ja in gewissem Sinne den betrügerischen Charakter, der jeder (produktiven und / oder rezeptiven) Begegnung mit dem künstlerisch Schönen anhaftet, durchschaut – und eigenen Zwecken rücksichtslos dienstbar gemacht. An seiner ,erotischen‘ Ästhetik kann in einem zweiten Schritt abgelesen werden, was aus der Sicht Kierkegaards grundsätzlich gilt: Nicht nur hat die (reflektierte) Verführung ihren Ursprung im Geist der Kunst; viel65 66 67 68
SKS 3, 246/ GW1 EO2, 275. SKS 7, 530 f. / GW1 AUN2, 296 f. SKS 8, 95 / GW1 LA, 107. SKS 2, 356/ GW1 EO1, 396.
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mehr entspringt umgekehrt alle Kunst dem Geist der Verführung – Verführung dazu, das eigene Leben im Medium der Phantasie als Kunstwerk zu inszenieren, um so den Unterschied zwischen diesem und der (ethischen) Wirklichkeit des Existierens, zwischen Schein und Sein aufzuheben, Kunst wirklich und Wirklichkeit übergangslos Kunst werden zu lassen. Hinter dieser ästhetischen These Kierkegaards schließlich steht eine spezifisch theologische, deren Bestandteile bereits angedeutet wurden: Es ist Gott selbst, der den Menschen zur und in die Ästhetik des Daseins verführt, mit dem Ziel, ihn ,Geschmack an der Idee‘ (des Gottesverhältnisses) finden zu lassen und eine Liebe zu ihm, dem Verführer, zu begründen, in der sich der Einzelne durch ethisch-religiöse Konflikte hindurch gewissermaßen als Romanfigur (Vorsehung / episch) bzw. Schauspieler (Versöhnung / dramatisch) einer göttlichen Poesie wiedererkennen und akzeptieren können soll. Und dieser Akt der Verführung, der sich eben jener ästhetisch vorgespiegelten Ideale bedient, die zunächst in einen Zustand lyrisch-begeisterter Selbsttäuschung ,hineinbetrügen‘, geschieht im Interesse eines schrittweise ent-täuschenden Erziehungsprozesses, der den Einzelnen bis an die Grenze des Glaubens an deren providentiellen bzw. versöhnenden Ursprung führt.69 Dass sich dies so verhält, teilen Kierkegaards (pseudonyme) Texte freilich selten explizit und meist nur in Andeutungen mit. Daraus lässt sich, sofern die Interpretation zutreffend ist, folgender Schluss ziehen: Kierkegaards Text teilt das Entscheidende nicht direkt, d. h. als eine Reihe von Sätzen mit propositional eindeutig bestimmbarem Gehalt mit, die unter anderem besagen, dass Gott den Menschen verführen will; sondern Kierkegaards gesamter Text ist (ideal gesehen) nichts anderes als das ästhetisch-reflexive Medium dieses Verführungsvorgangs selbst, ein Medium, das aus seiner Sicht mindestens unter den Bedingungen des 19. Jahrhunderts notwendig wurde. Ein reflexionskrankes Zeitalter, das die Frage nach der Wahrheit des je eigenen Christseins ebenso ahnungslos wie leichtsinnig in die nach der objektiven Wahrheit des Christentums aufgelöst hat, muß zunächst mit der Elastizität sokratischer Mäeutik in eine Reihe von ästhetisch anziehenden Reflexionsprojekten ,hineinbetrogen‘ werden70 – nur um dort die eigenen Erwartungen empfindlich getäuscht zu sehen. Dies geschieht zum Teil direkt, d. h. argumentativ bzw. propositional (die objektive Wahrheit des Christentums wird als objektiv undenkbar gedacht), 69 SKS 4, 459 ff. / GW1 BA, 167 ff. 70 SKS 16, 35/ GW1 GWS, 48 f.
A. Theorie der Kunst
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teils auf literarisch-indirektem Wege (z. B. durch Ironie, Satire, Humor; narrative Einschaltungen; pseudonymen Selbstentzug der ,Autor‘-Position; offene Verweigerung bzw. Widerrufung doktrinärer Resultate etc.). Das ,verführte‘ Subjekt wird so auf sich selbst bzw. die subjektiv interessierte Frage nach der (Un-)Wahrheit des eigenen Gottesverhältnisses – ästhetisch formuliert: nach der Form-Inhalt-Synthese im eigenen Dasein – zurückgeworfen. Kierkegaard hat diese ,Kunst‘ der indirekten Mitteilung nicht nur gezielt eingesetzt, sondern deren Prinzipien, Funktionen und Inhalte zum Gegenstand einer (Fragment gebliebenen) Theorie gemacht, die man als Bestandteil seiner Ästhetik im weiteren Sinne ansehen kann.71 3. Produktionsästhetik: Der Künstler als Pseudonym Gottes Gott verhält sich zum Menschen wie Kierkegaard zu seinen Lesern: im bzw. als Textmedium mit überredungs- und verführungsspezifischer Funktion, das teils direkt, teils indirekt Gott bzw. das Gottesverhältnis des Lesers bezeichnet. Diese mitteilungstheoretische These reflektiert Kierkegaards Selbstverständnis als religiöser Schriftsteller. Dieser sieht seine eigene dichterische Genialität, die er i.S. eines Bestandteils seiner Unmittelbarkeit zunächst für eine quasi-heidnische Naturbestimmung hält, als jenen ,vortrefflichen Stoff‘ an, der dank der providentiellen Auszeichnung Gottes sukzessive zum Werkzeug von dessen ,Verführungsplänen‘ ausgesondert und geformt wurde.72 Daher ist Kierkegaards Hinweis, er sei im Verhältnis zu seinen pseudonymen Schriften weniger Autor denn Stichwortgeber bzw. Leser73, auch dahin gehend zu interpretieren, dass er sich selbst durch den Mund seiner Pseudonyme als reines Medium, ja gewissermaßen selber als Pseudonym jenes (göttlichen) Dichters verstanden hat, der, „wenn er [sc. in Christus] kommt, mir den Platz anweisen wird unter denen, die gelitten für eine Idee“74. Auch wenn Kierkegaard sein gesamtes Werk in diesem Sinne von Anfang an in den Dienst des Religiösen gestellt sieht75, ist freilich zu beachten, dass er die dichterische Daseinsform christlich gesehen als unberechtigt verurteilt, da sie dem ethisch-religiösen Ausdruck dessen, was 71 72 73 74 75
Papir 364 – 371, SKS 27, 389 – 434. SKS 16, 50 – 76 / GW1 GWS, 66 – 95. SKS 7, 569/ GW1 AUN2, 340. SKS 16, 74 / GW1 GWS, 92. SKS 16, 11 / GW1 GWS, 21 u. pass.
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Christsein ,in Existenz‘ bedeutet, nicht gerecht werde bzw. widerspreche. Daher hat Kierkegaard im Wunsch nach selbstdurchsichtig-immanenter Teleologie des eigenen Daseins zeitlebens mit der anfechtenden Frage zu kämpfen, ob die Unmittelbarkeit seiner dichterischen Begabung tatsächlich die und nur die Idee ausdrücke, die sein Leben auszudrücken bestimmt sei – und zwar als solche, d. h. im Medium transparenter Selbstreflexion. Dieser Sachverhalt mag wiederum ein Stückweit verdeutlichen, weshalb und mit welchem Recht er seine pseudonymen Schriften insgesamt als ästhetische bezeichnet76 : Werktheoretisch gesehen haben diese zwar nur teilweise künstlerische Fragen zum Thema; sie dokumentieren jedoch ausnahmslos eben jene ästhetische Frivolität, die das Christentum ironisch zur Debatte stellt bzw. zum bloßen ,Denkprojekt‘ herunterbestimmt. Dies macht sie zweitens ethisch bzw. rezeptionsspezifisch verdächtig: Der Leser wird dazu verführt, sich auf ein intellektuelles Spiel statt auf Gott selbst einzulassen – und zwar eben ästhetisch-reflexiv, d. h. in einer Weise, die Kierkegaard christlich verurteilen muss. Schließlich dokumentieren sie in produktionsspezifischer Hinsicht Kierkegaards (freilich permanent angefochtene) Bereitschaft, der eigenen dichterischen Ursprünglichkeit, möglicherweise unberechtigt, zu folgen. 4. Fazit Kierkegaards gesamtes pseudonymes Werk kann als Ästhetik, d. h. als Theorie der schçnen Kunst gelesen werden. Schön im ursprünglichen Sinne ist das Kunstwerk als klassisches – paradigmatisch Mozarts Don Giovanni: Es lässt mit der Harmonie von Stoff und Form die immanente Teleologie seiner selbst durchsichtig (bzw. -tönend) werden und hebt dank dieser selbstthematisierenden Qualität eine strikte Trennung von Kunstwerk und Kritik auf der Ebene des klassischen Kunstwerks auf. ,Wahrhaft schön‘ ist das Existenzkunstwerk, d. h. der Mensch selbst, sofern er poetisch lebt. Der eigentliche Sinn dieser Maxime sowie die Fähigkeit, sie Wirklichkeit werden zu lassen, bleibt dem Hedonismus einer ästhetischen Genussexistenz verschlossen; wahrhaft poetisch lebt, christlich gesehen, allein die christlich-religiöse Existenz, die sich den ,Stoff’ der eigenen Unmittelbarkeit (Sünde) in einer durch Christus vermittelten Form (Sündenbewusstsein) aneignet und in dieser sich selbst durchsichtig zu werden vermag. Schließlich: Kunst sowohl als eine Ästhetik, die sich dem 76 SKS 16, 15/ GW1 GWS, 25.
B. Historischer Kontext
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Dasein als potentiellem Kunstwerk zuwendet, entspringen dem Geist der Verfîhrung. Deren ambivalente Bewertung spiegelt sich in Kierkegaards (teils impliziten, teils expliziten) Erwägungen zum Verhältnis von Text und Leser einerseits, Autor und Text andererseits. Was für den Verführer als solchen gilt, trifft daher auch die Ästhetik selber: Sie ist gleichsam „die treuloseste aller Wissenschaften. Jeder, der sie richtig geliebt hat, wird in gewissem Sinne unglücklich; wer sie jedoch niemals geliebt hat, ist und bleibt ein Vieh.“77
B. Historischer Kontext Mit den eigentlichen historischen Ausgangs- und Rahmenbedingungen seiner Ästhetik, soweit diese als Theorie des schçnen Kunstwerks verstanden wird, tradiert Kierkegaard in der Hauptsache eine auf Baumgarten und Hegel zurückgehende, doppelte Begriffsverengung: Baumgarten macht die griechische Aisthesis (= Wahrnehmung im weitesten Sinne) zum Titel eines Zweiges der Erkenntnistheorie, der das Wahre insoweit zum Gegenstand hat, wie es sich im Medium (verworrener) sinnlicher Erkenntnis als Vollkommenes bzw. Schçnes präsentiert. Hegel radikalisiert diese Verengung, indem er die Natur aus dem eigentlichen Gegenstandsbereich der Ästhetik bzw. der ästhetischen Erkenntnis ausschließt und jene auf die Wissenschaft vom Schönen im Gebiet des Geistes, und d. h. hier der Kunst reduziert. Pate steht Hegel, dessen Ästhetikvorlesungen seit 1835 durch Hotho als Herausgeber zugänglich und Kierkegaard en détail bekannt waren, ferner für den Dreischritt von symbolischer, klassischer, romantischer Kunst sowie für die These, dass die (griechische) Klassik in der Plastik kulminiert78 ; darüber hinaus für wesentliche Aspekte von dessen (früher) Ironietheorie, Teile seiner (frühen) Sokratesauffassung sowie seine streckenweise polemische und nicht immer gerechte Kritik am romantischen Verständnis der Ironie im besonderen bzw. dem poetischen Lebensideal im allgemeinen, wie er es literarisch etwa in F. Schlegels viel diskutiertem Roman Lucinde (1799) porträtiert fand. Auch sonst wirft Hegels Ästhetik vielfach Schatten auf Kierkegaards eigene Anschauungen, häufig freilich i.S. einer Negativfolie, auf der dieser eigene Überlegungen entwickelt.
77 SKS 4, 187/ GW1 FZ, 110 [Anm.]; Hervorh. H.S. 78 SKS 4, 391/ GW1 BA, 89 [Anm.].
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Das Schöne und das Interessante
Basisquellen bzw. klassische Vorbilder für Kierkegaards dramentheoretische Anschauungen sind abgesehen von Hegel vor allem Aristoteles‘ Poetik79 und Lessings Hamburgische Dramaturgie.80 Auch zur binnenspezifischen Abgrenzung der einzelnen Kunstarten greift Kierkegaard auf Lessing bzw. dessen Laokoon zurück.81 Vermittelt und ergänzt werden diese klassischen Vorgaben durch drei Zeitgenossen Kierkegaards, die seine eigenen Anschauungen nicht nur durch ihre Schriften, sondern vor allem durch persönlichen Umgang während und nach seiner Studienzeit geprägt haben: P.M. Møller (1794 – 1838), persönlicher Mentor Kierkegaards und neben F.C. Sibbern (1785 – 1872) dessen philosophischer Lehrer an der Universität Kopenhagen; außerdem J.L. Heiberg (1791 – 1860), Dichter, Dramatiker, Intendant, Kritiker und popularisierender Vermittler Hegels in Dänemark. Møllers Efterladte Skrifter [Nachgelassene Schriften] (Bd. 1 – 6; 1839) stellen unter anderem die Kategorie der ,Lebensanschauung‘ in ihrer ästhetischen und psychologischen Bedeutung heraus und treten vor diesem Hintergrund für das antihegelianische Konzept einer prinzipiell unabschließbaren, multiperspektivischen Philosophie ein. Kierkegaard setzt diese Anregung in die eigene literarische Praxis um, insofern die pseudonymen Verfasser seiner Schriften für konsequente Repräsentanten unterschiedlicher Lebensanschauungen stehen. Sibberns Vorlesungen Om Poesi og Konst [Über Poesie und Kunst] (Bd. 1: 1834) führen Produktion wie Rezeption des Kunstwerks auf einen expressiven (= Poesie) und einen mimetischen (= Kunst) Impuls zurück. Dabei leitet sich der Ausdruck, den der Produzent und / oder Rezipient dem nachgeahmten Objekt verleiht, von einer intuitiven Sympathie mit dessen Idee ab, die wiederum einem tieferliegenden menschlichen Interesse an Einheit, Harmonie und Wahrheit entspricht. Auch diese Überlegung hat deutliche Spuren in Kierkegaards Auffassung vom ,sympathetischen‘ Verhältnis zur Idee eines Kunstwerks hinterlassen. Der Einfluss Heibergs, dessen Hegelianismus Kierkegaard in weiten Teilen kritisch gegenübersteht, ist in dessen Ästhetik gleichwohl indirekt präsent, etwa im Blick auf Kierkegaards historisch-systematische Axiologie der einzelnen Kunstarten: Trotz scharfer Kritik82 stellt er im Anschluss an Heibergs Theorie des Vaudeville-Theaters (1826) bzw. Om Malerkunsten i dens Forhold til de andre skjønne Kunster [Über die Malerei im Verhältnis zu 79 Z. B. SKS 2, 137 ff. / GW1 EO1, 149 ff. 80 Z. B. Not12:9, SKS 19, 376 / DSKE 3, 414 und Not12:4.c, SKS 19, 375/ DSKE 3, 413. 81 Z. B. SKS 2, 167 / GW1 EO1, 181. 82 Pap. IV B 105; NB14:84, SKS 22, 393 f.
B. Historischer Kontext
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den anderen schönen Künsten] (1838) dessen (modifizierte) hegelsche Trias Lyrik-Epik-Dramatik immerhin zur Diskussion83, übernimmt unter anderem dessen kritische Sicht des Monologs als dramatisches Element84 und findet lobende Worte für seine Don-Juan-Bearbeitung. 85 Abgesehen von den o.g. sporadischen Referenzen hat Kants Theorie des Schönen bei Kierkegaard keinen spürbaren Einfluss hinterlassen. Dessen Unterscheidung des Schönen und Angenehmen wird im Gegenteil durch die Synthetisierung von Interesselosigkeit / Schönheit einerseits, Genussstreben / Angenehmem andererseits, wie sie für die ästhetische Existenz und deren Selbstwahrnehmung kennzeichnend ist, rückgängig gemacht. Insofern steht Kierkegaards ,erotische‘ Herkunftsbestimmung von Schönheit und Kunst aus dem Geiste der Verführung Platon näher als Kant. Vereinzelt mögen überdies gewisse Parallelen zu Schopenhauer bestehen; sie beruhen indessen kaum auf einer durch Textkenntnis vermittelten Einwirkung, da Kierkegaard Schopenhauer erst 1854 für sich entdeckt.86 Alle materialästhetischen bzw. kunsttheoretischen Anregungen im engeren Sinne bilden freilich nur den Hintergrund für das, was die Originalität der Kierkegaardschen Ästhetik im Kontext seiner gesamten Denkbewegung ausmacht: deren Existenzbezug. Die produktions- wie rezeptionsästhetische Relation des Subjekts zum Kunstwerk bzw. dessen ästhetischen Kriterien werden eingebunden in eine Beschreibung und Kritik der Funktion dieser Relation für das (ästhetische, ethische, religiöse) Selbstverständnis des produzierenden / rezipierenden Subjekts. Und diese Beschreibung bzw. Kritik steht im Dienste einer auf thematisch wie literarisch unterschiedlichen Ebenen operierenden Kommunikations- und ,Verführungs‘-Bewegung, mit der der religiöse Schriftsteller Kierkegaard die Verblendungstendenzen im Bewusstsein des Reflexionszeitalters aufbrechen und „die Urschrift der individuellen, humanen Existenzverhältnisse … noch einmal, womöglich auf eine innerlichere Weise“87 durchlesen bzw. nachbuchstabieren will. Im ständigen Bestreben, das Werk eines Künstlers in seiner Lebensanschauung und diese umgekehrt in jenem sich spiegeln zu lassen, kommuniziert daher – ähnlich wie im Falle Adornos – jede noch so peripher erscheinende Theaterkritik Kierkegaards ,unterirdisch‘ (R. Tiedemann) mit dessen zentralem Anliegen. 83 84 85 86 87
Papir 172, SKS 27, 143; BB:23, SKS 17, 113 / DSKE 1, 121. SKS 2, 131 f. / GW1 EO1, 140. SKS 2, 108 f. und 112 / GW1 EO1, 113 und 117 f. NB29:26, SKS 25, 314 f. / T 5, 184 u. pass. SKS 7, 573/ GW1 AUN2, 344.
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C. Rezeptionsgeschichte Von jüngsten Tendenzen abgesehen hat Kierkegaards Ästhetik keinen prägenden Einfluss auf die Entwicklung der Kunsttheorie im engeren Sinne ausgeübt. Das mag zum einen daran liegen, dass die Rezeption seiner Werke lange Zeit auf deren theologisch-philosophische Aspekte konzentriert war; zum anderen schien die faktische Entwicklung der bildenden und darstellenden Künste offensichtlich spezifische Bestandteile seiner Ästhetik schlicht überholt und diese folglich als obsolet erwiesen zu haben (etwa Kierkegaards Prämisse der Koextensivität von Kunst und Schönheit; die Beschränkungen in der Zuordnung sog. ,absoluter Gegenstände‘ zu den einzelnen Kunstarten etc.). Abgesehen von sporadischen Einflüssen auf die – insbesondere skandinavische -Literaturtheorie (z. B. G. Brandes, P. v. Rubow u. a.) sind allerdings zwei Einschränkungen angebracht: Zum einen hat Kierkegaards Werk, grob gesehen seit dem Erscheinen der ersten deutschen Gesamtausgabe (1909 – 1922), unter deutschsprachigen Lyrikern und Romanautoren prägende Eindrücke hinterlassen und nicht nur deren ästhetische Theorien, sondern auch ihr dichterisches Selbstverständnis mitbestimmt: Neben Namen wie R.M. Rilke, F. Kafka, H. Broch, A. Döblin, später M. Frisch, F. Dürrenmatt und M. Walser ist hier vor allem an Th. Mann zu denken, dessen musiktheoretische Analysen im Doktor Faustus (1947) in weiten Teilen von Kierkegaards Mozart-Essay abhängig sind. Mann war durch Adorno auf Kierkegaard aufmerksam gemacht worden, der die zweite große Ausnahme innerhalb der Ästhetikrezeption Kierkegaards darstellt. Dass dieser sein (philosophisches) Werk mit einer Kierkegaard-Arbeit über die Konstruktion des østhetischen (1933) beginnt und mit der (posthum erschienenen) østhetischen Theorie (1970) beschließt, dokumentiert zunächst die Zentralstellung der Ästhetik in Adornos Denken; trotz seiner frühen Polemik gegen Kierkegaards Verklärungsästhetik, deren anachronistische Metaphorik durch Motive des bürgerlichen Interieurs das Prinzip einer ,objektlosen Innerlichkeit‘ spiegele, dokumentiert seine eigene Theorie zumindest untergründig Kierkegaards Präsenz im Kontext der ästhetischen ,Rettung des Nichtidentischen‘. Erst in jüngster Zeit findet Kierkegaards Ästhetik wieder in wachsendem Maße innerakademische Aufmerksamkeit: zum einen im Rahmen postmoderner Theorieansätze zur Dekonstruktion des Autorsubjekts, die Anhaltspunkte in Kierkegaards Selbstinterpretation und Pseudonymtechnik finden (vgl. z. B. Norris 1983); zum anderen in neueren Untersuchungen zur theologischen Ästhetik (vgl. z. B. Pattison 1991).
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Abgesehen von einer expliziten Rezeption von bzw. Anknüpfung an Kierkegaards Theorie hat diese bestimmte ästhetische Phänomene, die z. T. erst wesentlich später wirksam wurden, zumindest präformiert, u. U. sogar ermöglicht. Bereits Adorno hat darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Kierkegaards Figur des Ästhetikers der Typ des Dandys bzw. Flaneurs spiegele. Neuerdings ist darauf hingewiesen worden, dass Kierkegaard im Porträt des romantischen Bewusstseins nicht nur eine (negative) Version surrealistischer Postulate, sondern das moderne Bewusstsein und dessen Krisis überhaupt vorwegnehmend beschrieben habe (Bohrer 1989). Schließlich wird geltend gemacht, am Leitbild des reflektierten Verführers sei ablesbar, was die Kunst des 20. Jahrhunderts insgesamt auszeichne: die Wende vom Schönen zum Interessanten (Harries 1968). Diese These mag nicht zuletzt die Tendenz zur reflexiven Selbstthematisierung der Kunst im modernen Kunstwerk erklären helfen, für die der Verführer in der Tat Modell steht: „Wie schön ist es, verliebt zu sein; wie interessant ist es zu wissen, dass man es ist.“88
88 SKS 2, 323/ GW1 EO1, 359.
5. Aesthetic Nihilism. The Dialectic of Repetition and Non-Repetition in Nietzsche and Kierkegaard Nietzsche’s (hereafter = N) doctrine of eternal recurrence or return (hereafter = ER) has received attention from various sides. Two basic readings – if not a combination of both – have dominated most of the attempts to interpret its content and function: the cosmological on the one hand and what could be labeled the ’pragmatic’ on the other. The doctrine is closely connected with two further theorems: the will to power and the superman. All three are of fundamental importance when it comes to reconstructing the essence of N’s (later) philosophy. A fullscale interpretation of the ER is therefore confronted with at least four – one internal (1) and three external (2 – 4) – problems: (1) content and function of the above-mentioned readings of the ER and their mutual relation; (2) content and function of N’s theory of the superman and its relation to the doctrine of ER; (3) content and function of N’s theory of the will to power and its relation to the doctrine of ER; (4) the relation of all three doctrines. Though it might seem artificial to separate those aspects methodically in order to restrict oneself to only one of them without doing full justice to the others, I will have to proceed in this way, nevertheless. In other words, I am going to focus almost exclusively on the first problem by touching upon the others only sporadically. Furthermore, my main concern will be the pragmatic reading of N’s doctrine by temporarily subordinating the cosmological. This is primarily due to the conviction that in terms of consistency the former approach functions as a foundation of the latter. I will proceed in four basic steps of increasing argumentational weight, thereby trying to realize my main intention, which is a critique of N’s theory in terms of certain ideas developed by N’s near contemporary, the Danish philosopher Søren Kierkegaard.
Aesthetic Nihilism
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I. The first explicit reference to the notion of ER is to be located in N’s Gay Science 1, although we find a kind of anticipation for it in his Philosophy in the Tragic Age of the Greeks already, where N discusses a correspondent thought in Heraclitus.2 Full weight is not given to the idea until N’s late works, however, namely the Twilight of the Idols (where N calls himself the “teacher of eternal recurrence”3), Thus spoke Zarathustra 4 and, most of all, within the corpus of notes, posthumously selected and arranged by N’s sister and his friend, Peter Gast, as The Will to Power. 5 Now, when I speak of a ’pragmatic’ perspective of N’s doctrine, I mean by this: We (that means both me as the interpreter, and / or N himself) are not, at least not primarily, reflecting on the possible truth of the doctrine itself, but on the possible ways of relating to it, given it were true, or – to be more exact – given somebody believing its (at least possibly) being true. This pragmatic perspective has yet been applied in a rather narrow, almost exclusively ethical sense. Thus, Georg Simmel and others have suggested that “the eternal recurrence is to be construed as essentially similar to Kant’s Categorical Imperative”6. The ethical approach thus holds that, whether by intention or not, N’s doctrine implies a ‘transmor1
2 3 4 5 6
Cf. GS, no. 285 (more important is no. 341, however); see also Schacht 1983, 258. For a reliable introduction into N’s doctrine of ER, its development and its different aspects, see Kaufmann 1974, 316ff; Schacht 1983, 253 ff. For further discussion cf., among others: Simmel 1907, 246ff; Löwith 1987d (in short: Löwith 1979, 196ff; Löwith 1987c); Magnus 1978; Stambaugh 1988. Nietzsche’s works are quoted by using abbreviations, followed by essay- and section-numbers (if not available, page numbers); e. g. GM II, no. 24 = On the Genealogy of Morals, essay II, section 24; Z IV, no. 19 / 9 = Thus spoke Zarathustra, essay IV, 19th paragraph, section 9. Unless otherwise indicated, all quotations refer to the translations of Walter Kaufmann (for full details see the bibliography at the end of this volume); BT: The Birth of the Tragedy (1872); GS: The Gay Science (1882); Z: Thus Spoke Zarathustra (1883 – 85); WP: The Will to Power (1883 – 88); TI: Twilight of the Idols (1888); BGE: Beyond Good and Evil (1886); GM: On the Genealogy of Morals (1887); EH: Ecce Homo (1888); A: The Antichrist (1888); NCW: Nietzsche Contra Wagner (1888); CW: The Case of Wagner (1888). See Schacht 1983, 254. TI X, no. 5. Cf. particularly Z III, no. 13 / 2; Z IV, no. 19 / 9 – 12. See WP, no. 1053 – 1067. Kaufmann 1974, 322; cf. Simmel 1907, 247 ff.
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al’ equivalent to Kant’s imperative, addressed to the potentials of the socalled superman: ‘Act in a way which enables you to accept in every moment the prospect that your action and the course of events, which my possibly spring from it, have been happening infinitely often before and will do so again.’ One the one hand I will build on this reading, on the other hand I will try to expand its scope. For it seems to point to an ontological and / or ethical ideal obviously, and as such it may serve as an indicator for all forms of existence which in fact fall short of facing and / or reaching this ideal, viz. all forms of nihilism. As far as I see we can imagine five different modes of relating to the possibility of ER: (a) one which hasn’t even faced it as a principal (= ethical and / or metaphysical) possibility; (b) one which doubts its being true; (c) one which explicitly rejects it (either on pure theoretical or on practical – viz. nihilistic – grounds); (d) one which can’t accomplish the task being implied in its possibly being true (= the above-mentioned ethical reading); (e) one, according to which it is in fact (or at least experienced as possibly) being accomplished. As far as I see, N’s writings on nihilism and ER do not do full justice to the whole range of these five alternatives, for they focus on (d) and (e) mainly. Besides this we have to keep in mind that according to N only (e) is not, namely by already having overcome it, infected by nihilism. This implies in fact (not necessarily, though) that N concentrates on individuals who experience the (possible) truth of the doctrine of ER as either a ‘curse’ or ‘blessing’ – in other words as s.th., which they either have to get rid of (= the nihilistic perspective) or may gratefully welcome (the trans-nihilistic perspective).7 For example, Zarathustra is at some point inclined to feel nothing but disgust when projecting the truth of the ER.8 N himself in The Will to Power speaks of it as “the most paralyzing thought”, because it implies “[d]uration coupled with an 7
8
Indeed it’s hard to imagine someone relating to the doctrine of ER as a blessing by not judging it as a desirable and in terms of practical reflection fulfillable state of affairs; whereas there is no theoretical difficulty in assuming that somebody views it as a task, which can at least in principal be accomplished, while at the same time considering himself unable to do so, therefore experiencing it as a curse. See Z III, no. 13 / 2.
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‘in vain’, without aim and end”, thereby designating “the most extreme form of nihilism”9. On the other hand N not only experiences the consolation 10 of engaging that very thought himself, but explicitly calls into question the adequacy of any one-sided view of it. As early as 1882 he tells us in a famous passage of The Gay Science: “What, if some day or night a demon were to steal after you … and say to you: ’This life as you now live it and have lived it, you will have to live once more and innumerable times more … Would you not throw yourself down and gnash your teeth and curse the demon who spoke thus? … The question in each and everything, ’do you want this once more and innumerable times more?’ would lie upon your actions as the greatest weight. Or how well disposed would you have to become to yourself and to life to crave nothing more fervently than this ultimate eternal confirmation and seal?”11
Zarathustra, the teacher of ER, finally transcends the overall nihilistic experience of its being a curse completely, since he insists on both, pain and joy, curse and blessing or, more exactly, on the unity of both with regard to adequately relating to that doctrine. For he admits that “curse is a blessing, too”12 – at least when judged in relation to the ER. As a whole the famous passage, which tries to give sufficient reason for this claim, reads as follows: “Have you ever said Yes to a single joy? … then you said Yes, too, to all woe. All things are entangled, ensnared, enamored. If ever you wanted one thing twice, if ever you said ’you please me, happiness! Abide, moment!’ then you wanted back all. All anew, all eternally, all entangled, ensnared, enamored – oh, then you loved the world … and to woe, too, you say: go, but return! For all joy wants – eternity! … Joy wants the eternity of all things, wants deep, wants deep eternity!”13
The crucial relation which lies at the heart of Zarathustra’s argument here, is that between the immediate experience or sheer sensation of and the act of consciously wanting joy by means of the will. If and as soon as someone has left behind the realm of an immediate experience of joy or lust in such a way that he relates to the moment of its being (or more exact: its having been) by means of the will, he may do so only by virtue of the fact that he has already brought joy or lust into relation 9 10 11 12 13
WP, no. 55. Cf. WP, no. 1065. GS, no. 341. Z IV, no. 19 / 10. Ibid.
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with a possible experience of its opposite, pain, so that now he wants it back a second time – namely as an overcoming of that (or any possible) pain. There are four consequences in particular, which are to be drawn from this: (1) If wanting joy or lust means essentially wanting it back or wanting it a second time, then wanting s.th for the first time is a contradictio in adiecto. The act of volition as such implies the demand for repetition – even if the person in question is not aware of this. (2) If in order to be able to repeat and regain the former state of lust, one has to put up with the pain, this very pain now functions as a necessary condition of that state of affairs to be possible. The reason has already been pointed out: In order to reach its goal, the act of volition presupposes a state of affairs, which in fact contradicts (or at least is experienced as contradicting) the state of affairs being expressed in the realized goal itself. Once joy has become an object of will, it has attached itself to the very pain, which in order to reach its goal has to be overcome. Hence the will by its very essence requires and asks for wanting ‘everything’ back, indeed. The eternity that it seeks is a ‘deep’ one, namely by implying at the same time the wish for the eternal return of all real and possible pain. (3) But we may even go further. I already mentioned that although the act of volition as such implies the demand for repetition (which again implies the affirmation of pain) the subject of volition may in fact not be aware of this. In a certain sense we may then conclude that according to N the overcoming of nihilism is in fact nothing but – or at least: not without – the constant overcoming of this lack of awareness by facing the latter as the infinite and ultimate task. Nihilism first of all means not to have confronted oneself with the implications of willing just mentioned, much less with having to accept them or, more exactly, the particular form of willing corresponding to them as a task. (4) By confronting oneself with the implications of the means of striving for the repetition of lust or joy (in terms of the implications of willing just mentioned), the task is simultaneously to face the truth of a different object or goal of that same will. It is no longer the sheer experience of lust or joy which, at least ideally, the will seeks to regain. Its true goal rather lies in the re-affirmation of itself in relation to any imaginable experience of both lust, joy and pain. Therefore the transnihilistic will as such postulate:
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(a) the eternal recurrence of lust; (b) the eternal recurrence of pain; (c) the eternal recurrence of itself – as (respectively by) affirming lust and pain and both of these as means of his own self-affirmation.
II. Now, as I said already, N does not go into greater detail as to the psychological, ethical and ontological implications of the nihilistic stage of existence, which has not even faced the possible task of unconditionally affirming the ER. Nevertheless his, at least implicit, doctrine of tacit nihilism seems to have much in common with Kierkegaard’s descriptions of what he calls the ‘aesthetic’ sphere of existence. I do not intend here to give a full-scale analysis of this theory. All I want to point to is the rather unexpected fact (as seen from a Nietzschean perspective) that according to Kierkegaard we already find a certain wish for repetition within this first stage of existence, even though, of course, a purely aesthetic one. The term ‘aesthetic’ as being applied by the Danish thinker doesn’t primarily refer to any particular theory of art (thereby dealing with the production and perception of beauty within that context), but is used in a much wider sense. It qualifies a certain mode of human existence dominated by one single principle: the interest in constant enjoyment or, more generally, in a form of (self-)experience, supposed to be measured within a framework of just two categories, namely the pleasant and the unpleasant (rather than the beautiful and the ugly). Now, the self’s aesthetic interest corresponds to ‘the interesting’ (det interessante), a term that denotes those various objects of aesthetic attraction, which seem most promising in terms of a possible fulfillment of the self’s desires and wishes, viz. its seeking of the pleasant in general. Worth noticing is that according to Kierkegaard the aesthetic subject may locate the source of possible enjoyment ‘outside’ itself (thus believing that the nature of the object determines that of the subject’s experience: as pleasant or unpleasant) or within itself (thereby presupposing that the specific attitude towards its object is constitutive for the pleasant or unpleasant experience). Among others, we find the latter position, refined to the sophisticated strategy of a reflective aesthete, in the so-called ‘rotation method’ in Ei-
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ther / Or I.14 Here the aesthete has apparently found and cultivated a reliable method of addressing and overcoming “the root of all evil”15, boredom – the one and only constant threat to the interesting. The rotational method he proposes does not so much “consist in changing the soil but, like proper crop rotation, consists in changing the method of cultivation and the kinds of crops”16. This means that the reflective aesthete consciously avoids a rotation that simply “depends upon the boundless infinity of change, its extensive dimension”17. This latter attitude would proceed as follows: “One is weary of living in the country and moves to the city; one is weary of one’s native land and goes abroad … One is weary of eating on porcelain and eats on silver”18 etc. This ’extensive’ method of endlessly changing the objects of interest in order to escape boredom cannot succeed in the long run and is substituted by a “principle that seeks relief … through intensity”19. The aim is then to be able to control oneself, namely with regard to the respective amount of interest invested in a certain object. Inasmuch as it is possible to limit the sensation of satisfaction from within and to withhold any overwhelming enjoyment, boredom can be defeated. Thus “nil admirari … is the proper wisdom of life”20. These few remarks may suffice to bring us back to the problem of repetition. Here the question is: What does the aesthete as such, and in his constant search for enjoyment, want – is it ‘the same’ or is it ‘s.th. new’, is it ‘repetition’ or ‘change’? Throughout the whole pseudonymous authorship there is abundant evidence for both options.21 This notwith14 15 16 17 18 19 20 21
Cf. SKS 2, 272 – 289 / KW EO1, 281 – 300. Ibid., 276 / 286. Ibid., 281 / 292. Ibid., 281 / 291. Ibid., 281 / 291 f. Ibid., 282 / 292. Ibid., 282 / 293. For instance: (1) The aesthete A in Kierkegaard’s “Diapsalmata” (cf. SKS 2, 27 – 52 / KW EO1, 19 – 43) is obviously longing for change – hence he curses repetition as an indication of the boring; cf. e. g. his complaint in ibid., 38 f. / 29: “Wretched fate! In vain do you prink up your wrinkled face like an old prostitute, in vain do you jingle your fool’s bells. You bore me; it is still the same, an idem per idem … No variation, always a rehash”. By contrast see also ibid., 33 / 24, where A considers the ’newness’ of a love affair: “The most beautiful time is the first period of falling in love, when, from every encounter, every glance, one fetches home something new to rejoice over.” (2) Constantin Constantius, on the other hand, is desperately trying to realize the possibility of (here: aesthetic)
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standing, I suppose we should not separate both tendencies in abstracto, but rather perceive the dialectic between them. The aesthete hastens from one enjoyment to the next; therefore he is, first without even noticing it, simultaneously dependent upon: (a) the possibility of repeating the initial experience in a subsequent one – as (hopefully) also or even more pleasing; (b) the possibility of a new experience – as a substitute for the former one as eventually having proven unsatisfactory. Being asked what it is that he really wants the aesthete would probably insist on constant change at first. And Kierkegaard would doubtlessly agree with him, for he writes: “The first form of the interesting is to love variation; the second is to want repetition”22. Thus it is not until the later, more reflective stages of aesthetic existence that the ideal and the problem of repetition occurs as such. The author of the “Rotation of Crops”, for instance, still wants change, although he has already realized that the problem does not primarily lie in the constant variation of the desired objects, but rather in the necessity that one “must … continually vary oneself”23 in order to grant and preserve the possibility of repeated aesthetic success. Constantin Constantius, the pseudonymous author of Repetition (1843), radicalizes the point. Just like the supporter of the rotational method he has completely realized that the decisive problem is not that of achieving control over varying objects, supposed to make someone happy, but, on the contrary, the ability to become happy by actually achieving them, and by achieving them autonomously. Yet, he goes even further: For him the ultimate test to prove or disprove such an ability depends upon (a) repeating exactly the same arrangement of circumstances, which led to earlier enjoyment (in his case: a trip to Berlin combined with a memorable theater visit), and then (b) experiencing it as pleasing in exactly the same manner as before, by (c) being aware simultaneously that the whole affair is a repetition. repetition; cf. his own “investigative journey … to test the possibility and meaning” (SKS 4, 26 f. / KW R, 150) of that category: ibid., 26 – 49 / 150 – 176. His experiment leads to the disappointing result, however, that perceived in retrospect “the only repetition was the impossibility of a repetition” (ibid., 44 / 170), which means in effect: The boring prevails; for “the interesting can never be repeated” (ibid., 24 / 147). 22 JJ:172, SKS 18, 195 / KJN 2, 181. 23 SKS 2, 287 / KW EO1, 298.
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According to Kierkegaard such a position indicates the limits of aesthetic reflection in relation to the problem of repetition – nota bene: from a purely aesthetic point of view. So, what can we make of this with regard to N’s problem of eternal return? It seems obvious, first of all, that the aesthetic range of possible objects supposed to be repeated is restricted. Therefore it is not so much the (cosmologically) universal perspective of repetition, which prevails, but rather the (psychologically) particular. Regardless of whether the aesthete considers the possibility of repetition or of change, he thinks of it as s.th. exclusively bound up with the world of subjective experience, judged under the categories of the pleasant and unpleasant. Moreover, he views it as restricted to the realm of the temporal, not in the light of any concept of the eternal (much less in a Nietzschean sense). This one-sided notion of repetition goes along with a, at least initially, wrong attitude towards it. For one thing the aesthete tries to ignore repetition (even more so as his one and only task); but even if and as soon as he faces its possibility, his whole attitude towards it still remains ambiguous. Depending on his momentary standpoint he feels inclined either to flee from it as apparently indicating boredom or to want it as aesthetically pleasant and desirable. In exactly the same arbitrary manner he may want change – or try to avoid it in the very next moment.
III. It should have become evident by now that Kierkegaard’s analysis of repetition and its implications within the context of the so-called ‘existential dialectics’ may be useful in order to shed light on some of the basic aspects of the ‘pragmatic’ side of N’s theory. It may function at least as sort of a complement to its first step, which could be labeled ‘aesthetic’ or ‘tacit nihilism’. Leaving behind this complementary aspect of interpretation I would like now to turn to a more substantial critique of N’s reasoning for the truth of the pragmatic side of the ER. In order to do so I will have to focus on the second basic type of relating to it: somebody consciously asking for its (metaphysical and / or ethical) truth – either with the result of explicitly rejecting or of accepting it. Now, as we have seen, N concentrates mainly on the latter type. Here the doctrine functions as an ideal which lays the ‘greatest weight’ on the shoulders of the single individual. He / she then turns out either to be able or unable to realize the ideal – thereby either
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deserving the predicate ‘nihilistic’ or not. In what follows I will have to ignore (admittedly important) questions like these: (a) Why does N hold that the burden of ER is in fact the ‘heaviest of burdens’? (b) Why does he call it a blessing to be able to carry it? 24 (c) If and to what extent is he justified in doing so? Instead I’ll turn my attention to the implications of the concepts of return, recurrence or repetition themselves. My main intention here is to justify with Kierkegaardian means the assumption that N has failed to clarify the semantic and / or conscious-theoretical difficulties implied in those terms. A hint to this problematic context has already been mentioned by pointing to the experience of aesthetic repetition. A decisive difference seems to exist between the sheer experience of enjoyment and the repetition of that experience – as such. In order to provide necessary conceptual clarifications we have to turn once more to one of Kierkegaard’s earlier, nonetheless significant contributions to philosophical analysis: As is well known Kierkegaard’s pseudonym Constantin Constantius published a small book titled Repetition in 1843.25 Psychologically experimenting with the fate of a young man, who fell into despair over his broken engagement, Constantius develops increasing interest in the term ‘repetition’. The question arises, if a repetition is possible at all – not only in terms of the young man’s repeating his relationship with his fiancée, but in a broader, more fundamental sense. What is implied in the use of that term, according to Constantius? In a central passage we are told: “The dialectic of repetition is easy, for that 24 Answers are to be found in WP, no. 765, for instance. 25 Cf. R. Of special importance for a comprehensive account of Kierkegaard’s concept of repetition are: his early narrative Johannes Climacus, or De omnibus dubitandum est (cf. DO); the unpublished reply to J.L. Heiberg’s critique of Repetition (cf.: SKS 15, 61 – 83 and Pap. IV B 110 – 111.113 – 116 / KW R, Supplement, 283 – 319); likewise a couple of relevant journal-entries dealing with the same issue (cf. EE:85, SKS 18, 32 f. / KJN 2, 28; Pap. IV B 10 / JP 3, 3792; JJ:159, SKS 18, 191 f. / KJN 2, 177; JJ:172, SKS 18, 195 / KJN 2, 181; Pap. V B 69 / JP 3, 3795; also SKS 15, 58 f.; Pap. IV B 10; Pap. IV B 97 and 101 – 109 / KW R, Supplement, 274 – 283; Pap. IV B 118 / KW R, Supplement, 320 – 323; SKS 15, 85 – 88 / KW R, Supplement, 324; Pap. IV B 124 / KW R, Supplement, 324 f.; finally the later comments of Vigilius Haufniensis on Constantin’s notion of repetition, in: SKS 4, 324 / KW CA, 17ff. (note); SKS 4, 450 / KW CA, 151 (note).
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which is repeated has been – otherwise it could not be repeated – but the very fact that it has been makes the repetition into something new.”26 Note first of all that Constantius leaves open the question, whether a repetition is in fact possible or not (whatever it may be that is repeated), but simply claims a certain ‘dialectic’ to be semantically implied in the use of that term. The dialectic lies in the relation between s.th. ‘having been already’ (= s.th. past) and s.th. ‘happening right now for the first time’ (= s.th. present). Constantin maintains that all that is repeated must as such have been already. But the very fact that it has been transforms it into something new. Does the same dialectic hold true for the corresponding case? I’m sure it does. Constantin explains the analogy with recourse to the Greek account of the relation between possibility and actuality. If something happens right now (= as s.th. ‘new’ or actually instantiated), it comes into being as s.th. which has been there before – namely with respect to the fact that its ‘it’ (= its identity or essence) has been there before and has manifested its being in the state of mere possibility.27 Consequently we may, according to Constantin28, distinguish between two relatively different world views: one which puts greater emphasis, within the presupposed, fundamental dialectic of ‘novelty’ and ‘repetition’, on the fact that “all existence, which is, has been”29 already; and one, which stresses that everything, “which has been, now comes into existence”30. Before going further, we should consider the consequences of such a view with regard to the possible forms of repetition: 26 SKS 4, 25 / KW R, 149; as for the systematical context and the historical background of Constantin’s notion cf. the same passage: ibid., 25 / 148 f.; a detailed account of Kierkegaard’s use of the term is to be found in Heinel 1976, 20ff; see also Schäfer 1968, 151 ff. + 309 – 316 (note 220 – 229); Malantschuk 1974, 228 – 235; Hannay 1982, 63ff; Deuser 1985, 31 ff. 27 Constantius does not only point to a certain parallel in Aristotle’s metaphysics here (“compare the Aristotelian category: Das-Was-war-seyn” ( JJ:159, SKS 18, 191 f. / KJN 2, 177), but also discusses the problem with regard to practical philosophy: “Repetition turns up everywhere … When I am about to act, my action has existed in consciousness in idea and thought, otherwise I act thoughtlessly, i. e., I don’t act.” (Ibid., my emphasis); cf. also EE:85, SKS 18, 32 f. / KJN 2, 28; Pap. IV B 10 / JP 3, 3792; JJ:172, SKS 18, 195 / KJN 2, 181; Pap. V B 69 / JP 3, 3795. 28 See SKS 4, 25 / KW R, 149. 29 Ibid. (my emphasis). 30 Ibid. (my emphasis). Constantin identifies the first world-view with the Greek (as basically heathen), the second with the modern consciousness (as – ideally – Christian), see ibid.
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(1) A repeated event or action can only erroneously be thought of as having been there before or returning again as absolutely the same. Any such claim would ignore the fact that by thinking the event as s.th. repeated it has already turned into s.th. new and in that sense also: s.th. different. The same holds true for the corresponding idea of s.th. as happening but once, in other words as totally ‘new’. Hence an absolute repetition (viz. a repetition of s.th. as absolutely the same or as having been there without any differences) is just as inconceivable, that is logically and semantically impossible, as the corresponding notion of absolute novelty. (2) If we want to preserve the concept of repetition, we can do so only by presupposing its (above-described) dialectic, which at the same time implies its relativity: in terms of a repetition of s.th. as relatively the same and as relatively changed / different, as partly having been and partly happening right now. (3) Logically speaking there are still two possibilities left, and Constantius makes indeed use of them in order to account for two basic assumptions of Christianity: Couldn’t we imagine a repetition of s.th. as not having been there before, or – correspondingly – an absolute novelty, viz. an event or action happening but once as always having existed? We can, of course, imagine it, but if we follow Constantin’s previous dialectic, we must at least admit that this notion of repetition expresses a paradox. As such it is, according to Kierkegaard, exactly what Christendom postulates, namely with respect to rebirth and incarnation. 31 By ‘being born a second time’ the individual believes in repeating s.th. as not having been there before, but coming into existence right now: namely becoming a human being in the image of God, without the fatal implications of hereditary sin etc. (see, for example, John 3, 1ff), whereas by virtue of God’s incarnation in Jesus Christ s.th. happened ‘for the first time’ (= in a decisive moment in time, see, for instance, Gal 4, 4), which nevertheless had been there in God’s loving and as such always unchanged 31 For a full-fledged argument we would have to invoke the Fragments at this point; for the time being see SKS 4, 227 – 229 / KW PF, 19 – 21 (the problem of rebirth); ibid., 230 ff. / 23 ff. (esp. 232 / 24 f.) (the problem of incarnation). Constantius himself does not focus on rebirth, though, but rather on the problem of atonement as “the most profound expression of repetition” (SKS 15, 78 / KW R, Supplement, 313; see also Pap. IV B 118 / KW R, Supplement, 320 and SKS 15, 85 / KW R, Supplement, 324).
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will eternally.32 I guess this paradoxical dialectic of repetition and novelty may at least be one of the reasons for Constantin’s claim that “repetition is a conditio sine qua non … for every issue of dogmatics”33.
IV. After having pointed out the formal dialectic of repetition, four questions are yet to be answered: 1. Which are the necessary conditions of repetition being possible? 2. Which ontological realm does it properly belong to? 3. Is a repetition in fact possible, according to Kierkegaard, and if so, by virtue of which sufficient condition(s)? 4. Which consequences have to be drawn from 1 – 3 with regard to a (Kierkegaard-inspired) critique of N’s doctrine of ER? Ad 1. According to Kierkegaard, the necessary conditions of repetition are neither to be found in nature as such nor within the realm of what he calls immediacy – a concept which in our context designates a form of human consciousness corresponding to ‘reality’ (e. g. the specific qualities of an object being immediately perceived or cognized in time and space).34 The reason is that even if “everything in the world were completely identical”35 – if, for instance, the world “were nothing but equally large unvariegated boulders”36 – there would still be no repetition, simply because “there would be no question as to whether it [sc. the perceived object] was the same one”37 as the one having been perceived before. Pure ideality must also be excluded. For the “idea is and remains the same, and as such it cannot be repeated”38. Therefore repetition remains impossible at any rate, as long as the question, if it is possible, has 32 Needless to say, the very same dialectic could be applied the other way round also: rebirth as a paradoxical novelty, incarnation as a paradoxical repetition. 33 SKS 4, 26 / KW R, 149. 34 I cannot at this point spell out content, presuppositions and limits of Kierkegaard’s theory of consciousness in full detail. DO (esp. SKS 15, 53 ff. / KW DO, 166 ff.) is my main source for the subsequent brief few remarks. 35 SKS 15, 58 / KW DO, 171. 36 Ibid. 37 Ibid. (my emphasis). 38 Ibid.
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not yet occurred – that means as long as reality and ideality (as such and as opposing each other) have not been brought into mutual relation, which according to Climacus is due to an act of doubt, presupposing (first of all, but not only) reflection.39 The consequence then seems to be that, according to Kierkegaard, at least one necessary condition of its possibility is to be found in human consciousness proposing that s.th. is (at least possibly) a repetition. Repetition, so it seems, cannot, at least not properly, be a phenomenon in nature (viz. a cosmological phenomenon); rather, its possibility and actuality has to be located within human consciousness. However, things turn out to be more intricate still. Remember Constantin’s above-explained ‘dialectic’ of repetition, according to which “the very fact that it [sc. the event or action which is to be repeated] has been makes the repetition into something new”40. As seen from this perspective there is only one, rather fatal, consequence left to be drawn (a consequence, which, by the way, corresponds to the above-explained rejection of repetition in any absolute sense): That which functions as a necessary condition of the possibility of repetition, namely propositional consciousness or awareness, turns out as the sufficient condition of its impossibility! 41 We are obviously confronted with a double conclusion here: on the one hand repetition (correspondingly: difference, change or newness) is neither possible within nature nor within human consciousness; on the other hand it is either possible within nature alone – or exclusively within human consciousness. Ad 2. / 3. Kierkegaard does not take refuge in a wholly skeptical (or even epistemologically ‘anarchical’) position, occasioned by this unexpected result, though. He maintains: (1) A repetition in nature has to be deemed as improper. For here the capacity of experiencing s.th. as a repetition is lacking. (2) An aesthetic repetition within the realm of human consciousness – that means either a repeated moment of pleasure or pain without experiencing it as a repetition or an experience of repetition without reflecting on its dialectic – is to be rejected as merely accidental. 39 Cf. SKS 15, 53 ff. / KW DO, 168 ff. 40 SKS 4, 25 / KW R, 149 (my emphasis). 41 The same dialectic applies for the concepts of change, novelty and singularity (= events happening but once), of course.
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(3) True repetition is in fact possible, namely as “a task for freedom”42. It must, in other words, find its sufficient condition, the constitutive factor of its realization, in a specific act of human consciousness as its proper medium or organ: namely faith. Faith is used here in its widest sense, thus including epistemological, ethical and religious properties.43 For example, the individual believes some particular aspect of reality to be a repetition of its universal ideality; some pleasant experience to be a repetition of an earlier one; a certain act to be a repetition of a former intention; himself to be able again to fulfill the divine law by virtue of atonement etc. (4) As a task for freedom and by virtue of its paradoxical implications, particularly with regard to its religious side, the notion of repetition designates a “transcendent”44 movement. Using it straightforward as a metaphysical category instead is therefore, as demonstrated above, illegitimate, although in reality it turns out, at least according to Constantius, to be “the interest … of metaphysics, and also the interest upon which metaphysics comes to grief”45. Ad 4. Summing up we should keep in mind, with regard to a possible critique of N’s doctrine of ER from a Kierkegaardian standpoint, at least three major points: (1) As to the concept of ER: N hasn’t accounted for the consciousnesstheoretical implications of the term ‘recurrence’ / ’return’ (viz. repetition). He hasn’t therefore answered the question, what it really means to call s.th. an ‘event’ or ‘action’ (happening but once and / or right now) on the one hand, a ‘recurrence’ (viz. repetition) of s.th. already having happened or having been done before and as such recurring again and again on the other.46 N is either concerned with the problem, if and to what extent a demonstration of the fac42 Pap. IV B 118 / KW R, Supplement, 323. 43 As to the epistemic implications of faith, see SKS 4, 281 ff. / KW PF, 81ff., in particular. Kierkegaard’s reply to Heiberg’s review of Repetition is more concerned with the ethico-religious relation of faith, freedom, and repetition, cf. SKS 15, 61 – 83 and Pap. IV B 110 – 111.113 – 116 / KW R, Supplement, 283 – 319, esp. SKS 15, 66 ff. / KW R, Supplement, 300 ff. 44 SKS 15, 70 / KW R, Supplement, 305. 45 SKS 4, 25 / KW R, 149. 46 See also Schacht 1983 who rightly observes that Ns doctrine of ER leaves “unspecified” what “counts as an ‘event’ here” (ibid., 256; cf. also ibid., 255 f.).
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ticity of ER (in a cosmological sense) is possible; or he deals with the pragmatic aspects of various attitudes towards that doctrine with regard to their (trans-)nihilistic consequences at best. However, he ignores the difficulty of the concept itself – and its consciousness-theoretical implications. (2) As to the scientific or categorical status of ER: For N the doctrine of ER remains a metaphysical problem primarily. According to Kierkegaard repetition is a ‘transcendent’ category and as such belongs to the realm of ‘existential dialectics’, which he considers instrumental for the understanding of the three basic spheres of human existence (the aesthetical, the ethical, the religious) and their specific difficulties. (3) As to the forms of ER: Judged from a Kierkegaardian standpoint the idea of an absolute repetition – of s.th. as always having been there (and: as always returning) in exactly the same way – is just as impossible as the absolute newness of s.th. as never having been there before. Yet dialectically possible is a repetition – likewise: the newness – of s.th. as partly (or relatively) having been and as partly (or relatively) coming into existence right now. Furthermore: Paradoxically possible is the repetition of s.th. as absolutely new; likewise the newness of s.th. as always and eternally having been. Christianity gave rise to this basic paradox, as it is implied in its central doctrines of rebirth / atonement and incarnation. It follows that religiousness is the genuine sphere of existence, if it comes to deciding the crucial question, whether and in which sense a repetition is possible or not. Judged from a Kierkegaardian perspective, N has either disregarded or simply overlooked this fact.
6. Das Beanspruchte und das Verdankte. Zur Idee der Selbstverwirklichung im Anschluss an Søren Kierkegaard Ich lebe, als htte ich das Recht zu leben. Imre Kertész
I. Vorbemerkung 1. Selbstverwirklichung ist nicht nur binnenphilosophisch ein vielfach diskreditierter Begriff. Gemessen an seiner beinahe inflationären Verwendung im Kontext einer psychologisch, esoterisch und / oder pseudoreligiös motivierten Lebenshilfeliteratur von oftmals zweifelhaftem diagnostischen und therapeutischen Wert erscheint diese Diskreditierung sicher wenig überraschend – und prima facie wohl auch legitim. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass die enorme Verbreitung des Begriffs durchaus mehr und anderes indiziert als eine bloß transitorische, wenn auch individuell und sozial immerhin einigermaßen präzise lokalisierbare Bedürfnislage. Unabhängig davon verweist das Wort nämlich auf eine grundlegende philosophische Idee – eine Idee, die bei wechselnder Terminologie in der Sache zweifellos älteren Datums ist als jenes Wort, in dessen Gestalt sie gegenwärtig ebenso breitenwirksam wie profitabel kolportiert wird. Freilich ist die Rede vom Sinn der Forderung, sich selbst zu verwirklichen, ebenso wie die darin implizierte Unterstellung der Möglichkeit, eben dies zu tun, durchaus voraussetzungsreich, und zwar auch und gerade dann, wenn sie wie im Folgenden ausschließlich auf den Menschen als Adressat jener Forderung bzw. als Subjekt von Selbstverwirklichung bezogen wird. Die entsprechenden Voraussetzungen lauten, erstens: Das Selbst ist zunächst und abstrakt, d. h. diesseits seiner variierenden Realisierungsformen, ein mögliches oder als bloße Mçglichkeit. Zweitens: Dasjenige, was verwirklicht werden soll, ist mit dem Subjekt oder der Vollzugsinstanz identisch, die (sich bzw. etwas als sich selbst) verwirklicht. Drittens: Das Subjekt der Verwirklichung verfügt de facto über die Fhigkeit, diese, und zwar aus eigener Kraft, zu vollziehen.
I. Vorbemerkung
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Viertens: Ein Selbst kann nur als solches verwirklicht werden – dadurch nämlich, dass die verwirklichende Instanz sich reflexiv (deutend und verstehend) auf etwas als diejenige Möglichkeit bezieht, die bzw. als die es selber wirklich werden soll. Damit wird ein spezifisch hermeneutischer Grundzug1 von Selbstverwirklichung unterstellt: Selbst-Sein ist nur als Sich-selbst-Verstehen bzw. als Deuten und Verstehen von etwas als (Ausdruck eines) Selbst explizierbar. Fünftens: Dasjenige, was hier jeweils als Idee oder Repräsentant des Selbst vorgestellt und gedeutet wird, ist eine zu verwirklichend vorgestellte Verhaltens- oder Daseinsmçglichkeit. Als Element von Selbstverwirklichung ist Selbstdeutung i.S. des Sich-selbstVerstehens daher Element genuin praktischer Rationalität: Sich selbst im Horizont der Verwirklichung des eigenen Selbst zu verstehen heißt, sich in und aus denjenigen Verhaltens- oder Daseinsmöglichkeiten zu verstehen, deren (als möglich und wünschbar avisierter) Vollzug die Verwirklichung des eigenen Selbst, als eines solchen, gewährleisten würde. Sechstens: Dasjenige, was verwirklicht wird, indem ein menschliches Subjekt sich selbst verwirklicht, ist nicht nur ein in bestimmter Weise gedeuteter Lebensvollzug des Subjektes; vielmehr hat dieser Lebensvollzug auch für die Verwirklichung dessen, was jenes Subjekt an sich selber bzw. seiner (hier: personalen) Identität nach ist, konstitutive Funktion.2 Das Subjekt der Selbstverwirklichung wird m.a.W. durch Faktum und Art des sich selbst deutenden und verstehenden Lebensvollzugs ontologisch spezifiziert: Gehört der Mensch zur Klasse derjenigen Lebewesen, denen das Sich-Verstehen in und aus bestimmten Daseinsmöglichkeiten ontologisch eigentümlich ist; und werden diese Daseinsmöglichkeiten i.S. von Lebensvollzügen als zu verwirklichende bzw. das eigene Selbst verwirklichende vorgestellt, dann gehört der Mensch in die Klasse derjenigen Lebewesen, denen die Selbstverwirklichung i.S. der Verwirklichung von (etwas als) Daseinsmöglichkeiten im konkreten Lebensvollzug ontologisch eigentümlich ist. 1 2
Mit jeweils veränderter, aber m. E. durchaus kompatibler Akzentsetzung könnte man auch von einem intrinsisch propositionalen (vgl. dazu Swinburne 1986, 136 f, 285, 293) oder symbolisch-semiotischen Grundzug sprechen. Damit ist noch keine Verhältnisbestimmung von Selbstverwirklichung und Identität (i.S. von A = A, im Unterschied zu A = B) gewonnen, die eine gesonderte Analyse erfordern würde. Soviel scheint immerhin unbestreitbar: Jede Form von Selbstverwirklichung schließt die (Aufrechterhaltung und / oder Genese der) Identität dessen mit sich selber ein, der sich selbst verwirklicht, aber nicht jede – vielmehr einzig und allein die personale – Form von Identität setzt (den gelingenden Vollzug von) Selbstverwirklichung voraus.
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Das Beanspruchte und das Verdankte.
2. Ohne den Terminus Selbstverwirklichung (dän. selfrealisering; selfudfoldelse) explizit zu verwenden, hat Søren Kierkegaard (1813 – 55) dem durch ihn bezeichneten Sachverhalt ebenso wie dessen zuvor skizzierten Leitvoraussetzungen nicht nur eine wirkungsgeschichtlich weitreichende, sondern auch sachlich eigentümliche Wendung gegeben, die im Folgenden vom Grundgedanken seines Werkes her erläutert werden soll. Dabei kann der besondere Akzent, den Kierkegaard im Zusammenhang der Selbstverwirklichungsdebatte setzt, vorab durch vier Thesen markiert werden, die zugleich erkennen lassen, dass und in welchem Maße sein Standpunkt auf dezidiert christlichen Prämissen fußt und daher streng genommen auch nur dann als plausibel einleuchten kann, wenn man diese Prämissen – als solche und in der Sache – zu akzeptieren bereit ist:3 (1) Jedes menschliche Individuum ist seiner ursprünglichen, d. h. durch Gott gesetzten Wesensmöglichkeit nach ein Selbst, das zur Wirklichkeit kommen, sich als Selbst verwirklichen soll. (2) Faktisch, obschon anfänglich implizit bzw. uneingestanden, verbindet ein Individuum mit dem Versuch, dieser Möglichkeit zu entsprechen, den unbedingten Anspruch auf Daseinserfüllung. (3) Diesem Anspruch vermag recht verstanden jeder, aber auch nur derjenige zu genügen, der auf ihn zu verzichten bereit ist. (4) Diesen Verzicht kann jeder und nur der Christ, als solcher, leisten.
II. Die Grundfrage: Gibt es eine unbedingte Gültigkeit des Faktischen? 4 Kierkegaards Gesamtwerk umfasst ca. 40 Titel, hinzu kommt die gleiche Anzahl von Zeitungsartikeln. Von seinem Nachlass sind ca. 30000 handgeschriebene Seiten erhalten, die aus Manuskripten zu den veröffentlichten wie den zu seinen Lebzeiten unveröffentlichten Werken sowie aus 46 Journalen, ferner 15 Notizbüchern, einer großen Anzahl loser Blätter mit Einzelbemerkungen, schließlich einer Reihe von Briefen und persönlichen Dokumenten bestehen. Trotz des enormen Umfangs und seiner literarischen Vielschichtigkeit wird das gesamte Werk im Grunde nur durch ein einziges, unermüdlich variiertes Thema bestimmt: die Frage nämlich, „wie es möglich sei, als Mensch das gegebene Leben in 3 4
Ich komme auf diesen Punkt gegen Ende meines Textes noch zurück. Die nachfolgenden Abschnitte II. und III. sind weitgehend identisch mit einer entsprechenden Passage aus Text Nr. 1.
II. Die Grundfrage: Gibt es eine unbedingte Gültigkeit des Faktischen?
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Gîltigkeit zu leben“5 – modern ausgedrückt: ob und wenn ja wie es möglich sei, sich selbst zu verwirklichen. Im Unterschied hierzu heißt es in einer kleinen Schrift von 1851, in der Kierkegaard Rechenschaft über sein Selbstverständnis als Schriftsteller ablegt: „Dies ist … die Kategorie meines gesamten schriftstellerischen Werks: aufmerksam zu machen auf das Religiöse, das Christliche“6. Um die Richtigkeit der zuerst angeführten Behauptung wäre es schlecht bestellt, wenn sie Kierkegaards Selbstverständnis widerspräche oder dieser zumindest beziehungslos gegenüberstünde. Tatsächlich ist dies aber nicht der Fall. Kierkegaard will vielmehr einzig und allein deshalb auf das Christliche (in einer noch näher zu kennzeichnenden Weise) ,aufmerksam machen‘, weil es seiner Auffassung nach die Möglichkeit, das gegebene Leben in Gültigkeit zu leben, hinreichend, ja sogar notwendig bedingt.7 Demnach löst der Einzelne die damit bezeichnete Aufgabe immer und nur dann, wenn er Christ wird – und umgekehrt. Die beiden genannten Aspekte (authentisches Existieren qua Selbstverwirklichung / Christwerden) stehen einander also nicht etwa beziehungslos oder gar unversöhnlich gegenüber; sie können vielmehr ineinander überführt werden. Die Frage ,wie kann ich das gegebene Leben in Gültigkeit leben?‘ ist recht verstanden nichts anderes als die Frage ,wie kann ich Christ werden?‘8 Dass Kierkegaard zudem auf die Idealität dessen, was es heißt, ein Christ zu sein, eigens aufmerksam machen zu müssen glaubt, indiziert 5 6 7
8
Sløk 1954, 144 (Hervorh.: H.S). Das Zitat stammt aus ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller (im Orig. Kopenhagen 1851). SKS 13, 12 / GW1 WS, 4. Die stärkere Lesart favorisiert, wohl zu Recht, J. Sløk: Danach hat Kierkegaards Anthropologie ihr Zentrum „in der These, daß Mensch zu sein eine Aufgabe“ und „die einzige Mçglichkeit diese Aufgabe zu lösen mit dem Christentum gegeben ist“ (Sløk 1954, 89; Hervorh.: H.S.). Aus Kierkegaards Sicht verbirgt sich hinter der unauffälligen Formulierung ,recht verstanden‘ freilich jener Abgrund existenzdialektischer Konflikte und Komplikationen, deren Analyse und Therapie ein Großteil seines Oeuvres gewidmet ist. Denn die Schwierigkeiten, die beim Versuch entstehen, die Frage nach den Möglichkeitsbedingungen authentischen Existierens zu beantworten, wurzeln aus seiner Sicht zuletzt ausnahmslos in der Schwierigkeit, erkennen und anerkennen zu können, dass diese Frage mit der nach den Bedingungen des Christwerdens de facto zusammenfällt. Dabei stellt sich, wie im Folgenden en détail zu zeigen sein wird, heraus, dass streng genommen nur derjenige die zuerst genannte Frage zu stellen vermag, der sie bereits beantwortet hat: indem er Christ wurde. Umgekehrt kann genau genommen nur derjenige die Frage beantworten, der sie (noch nicht oder) nicht mehr stellt.
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Das Beanspruchte und das Verdankte.
wiederum zweierlei: zum einen, dass gläubiger Christ aus seiner Sicht nur sein und als solcher wahrhaft menschlich nur derjenige leben kann, der weiß, was Christentum idealiter bedeutet; zum anderen den Verdacht, dass dieses Wissen bei den meisten seiner Zeitgenossen entweder noch nicht oder nicht mehr bzw. nur dem Schein nach, d. h. im Medium des Irrtums oder der Selbsttäuschung vorliegt. Im Blick auf den zweiten Gesichtspunkt ist Kierkegaards literarisches Projekt in der Tat von Anfang an polemischer Natur. Denn er erhebt darin den provozierenden Anspruch, das Christentum in die ,bestehende Christenheit‘, als einer Form von Heidentum nämlich, die sich zu Unrecht für christlich hält, aller erst bzw. erneut einzuführen. Kierkegaard verteidigt den christlichen Glauben daher nicht wie Schleiermacher gegen die Gebildeten unter seinen Verächtern, sondern eher gegen die unter seinen Verteidigern (wobei der permanent induzierte Zweifel daran, ob und inwieweit hier überhaupt von Verteidigung mit Recht gesprochen werden kann, als integraler Bestandteil jenes Projektes und seiner Mitteilungsstrategie selber fungiert). Analog zu Marx und Feuerbach insistiert Kierkegaard darauf, dass mit der als scheinhaft erkannten Versöhnung von Denken und Glauben bzw. von Christentum und Vernunft, der die Philosophie Hegels und seiner rechtshegelianischen Adepten im ,Zeitalter der Reflexion‘ zum Sieg verholfen hat, die genuin menschliche Lebenswirklichkeit – und d. h. für ihn primär: die ethischreligiöse Wirklichkeit, im Unterschied zur bloß gesellschaftlich-ökonomischen (Marx) oder natürlich-sinnlichen (Feuerbach) – auf die Seite gebracht, deren Idee unter Preis verkauft, ja ausverkauft worden ist: „Was die Philosophen über die Wirklichkeit sagen, ist oft ebenso irreführend, wie wenn man bei einem Trödler auf einem Schilde liest: Hier wird gerollt [sc. gemangelt]. Würde man mit seinem Zeug kommen, um es rollen zu lassen, so wäre man genasführt; denn das Schild steht bloß zum Verkaufe aus.“9
9
SKS 2, 41 / GW1 EO1, 34.
III. Christlicher Glaube als Antwort
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III. Kierkegaards Leitthese: Christlicher Glaube als Antwort auf die in der Existenz des Menschen liegende Frage nach dessen unbedingter Gültigkeit 1. Sowohl die Grund- und Leitfrage nach den Gültigkeitsbedingungen faktischen Existierens wie deren christliche Beantwortung soll im Folgenden am Leitfaden dreier pseudonymer Hauptschriften rekonstruiert werden. Dabei werde ich die zugrunde liegende Frage über weite Strecken im Rekurs auf Kategorien wie Realität und Idealität10 bzw. Faktizität und Geltung erörtern. Sie lautet dann: Ist, und wenn ja wie, die unbedingte Gültigkeit faktischen Existierens in jedem Augenblick logisch und real möglich? Dass es sich hier in der Tat um eine, wenn nicht die Leit- und Kardinalfrage Kierkegaards handelt, wird unter anderem dadurch belegt, dass diese, obschon terminologisch variierend, auch in anderen pseudonymen Werken eine zentrale Rolle spielt. So tauchen etwa in Entweder – Oder I-II, Furcht und Zittern, Die Wiederholung sowie Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift eine Reihe alternativer Fassungen derselben bzw. einer analogen Gedankenfigur auf. Die entsprechenden Formulierungen lauten sinngemäß: Ist (a) eine Wiederholung der Unmittelbarkeit nach und jenseits der Reflexion; (b) eine im Religiösen und/oder Ethischen aufgehobene Form des Ästhetischen; (c) ein nach dem und jenseits des Allgemeinen als Ausnahme berechtigtes Einzelnes; (d) eine allem Offenbaren und Äußerlichen gegenüber legitime verborgene Innerlichkeit; (e) ein relatives Verhältnis zum Relativen neben und mit einem absoluten Verhältnis zum Absoluten; (f) ein poetisches Leben bzw. ein Leben in der Einheit von Stoff und Form denkbar und real möglich? Während in Furcht und Zittern bzw. Die Wiederholung vor allem die Fassungen (a)-(d) diskutiert werden, spielt in der Nachschrift die fünfte und in beiden Bänden von Entweder – Oder (neben a-d) auch die sechste Variante eine hervorgehobene Rolle.11 Zwecks einleitender Erläuterungen werfe ich hier lediglich einen knappen Seitenblick auf Furcht und Zittern. Dieser 10 Vgl. z. B. SKS 15, 55 – 59 / GW1 DO, 155 – 159. 11 Vgl. dazu H. Schulz 1998, 463 ff.
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Das Beanspruchte und das Verdankte.
ist deshalb unumgänglich, weil der Sinn der Frage des Menschen nach sich selbst, nach den Möglichkeitsbedingungen von Selbstverwirklichung und der Gültigkeit des eigenen Daseins – bzw. der Sinn des darin immer schon erhobenen Anspruchs ihrer möglichen und faktischen Beantwortung – deutlich geworden sein muss, bevor die anthropologisch und theologisch explizierbaren Möglichkeitsbedingungen eben dieser Antwort sachgemäß erörtert werden können. „Es ist“, so schreibt Johannes de Silentio, der pseudonyme Autor von Furcht und Zittern, „im Leben das Glückliche, … wenn mein Wunsch meine Pflicht ist und umgekehrt, und die Aufgabe der meisten Menschen ist eben, bei ihrer Pflicht zu bleiben und sie mit ihrer Begeisterung in ihren Wunsch zu verwandeln“12. Ethisch verstanden besteht die Pflicht Abrahams – dessen Beinahe-Opferung seines Sohnes Isaak13 im Zentrum des Buches steht – darin, seinen Sohn zu lieben. ,Glücklicherweise‘ ist diese Pflicht zugleich sein innigster Wunsch: sie nçtigt ihn also nicht erst, ihr zu entsprechen. Indes, ob genötigt oder nicht, Abraham vermittelt jedenfalls in Erfüllung seiner Vaterpflichten die sthetische, d. h. im Prinzip sinnlichen Genusses wurzelnde Unmittelbarkeit seines Wunsches, damit zugleich aber sich selbst als bloß Einzelner reflexiv, nämlich kraft des Pflichtbegriffs, mit dem Ethisch-Allgemeinen. De Silentio interpretiert dabei die Kategorie des Allgemeinen über dessen kantischen Kern hinaus gut hegelianisch, d. h. als soziologisch fassbare Instanz bürgerlicher Sittlichkeit (hier: qua Familie).14 Anders gesagt: Abraham ist der in der uneröffneten Innerlichkeit bloßen Wünschens sich selbst wie seiner Mitwelt Verborgene, der sich kraft jener Vermittlung, d. h. in Erfüllung seiner Vaterrolle, entußert und auf diese Weise sich selbst und dem Allgemeinen gegenüber offenbar wird.15 Im Hinblick auf den göttlichen Befehl, den eigenen Sohn zu opfern, schließt Abrahams verborgene Innerlichkeit aber ein zusätzliches Moment ein – ein Moment, das schlechterdings keinen ethischen Ausdruck im äußeren Handeln finden und daher mit dem Allgemeinen unter keinen Umständen vermittelt werden kann: nämlich den unerschütterlichen Glauben, dass hier in der Tat ein göttlicher Befehl, mithin eine Gehorsamsprüfung (und nicht etwa eine Tötung aus niederen Motiven) vorliegt, verbunden mit der ebenso unumstößlichen Bereitschaft, jenem 12 13 14 15
SKS 4, 169 / GW1 FZ, 86 f. Vgl. Gen 22, 1 – 19. Vgl. SKS 4, 148 f. / FZ, 57 f. Vgl. ebd., 172 ff. / 91 ff.
III. Christlicher Glaube als Antwort
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Befehl nachzukommen, bzw. dem Willen, die darin manifeste Prüfung zu bestehen. Kraft des Wunsches nach einem ungetrübten, durch den universalen Pflichtmaßstab und die entsprechende sittliche Instanz der Familie vermittelten Zusammenleben mit seinem Sohn sowie ferner aufgrund des Glaubens an Recht und prinzipielle Erfüllbarkeit seines Wunsches erhebt Abraham einen weitreichenden Anspruch, und zwar den Anspruch auf unbedingte Gültigkeit seines durch die genannten Voraussetzungen in seiner Faktizität bestimmten Daseins. Und er erhebt diesen Anspruch trotz und im Angesicht der ihm gegenüber ,unendlich resignierenden‘16 Bereitschaft, das zu tun, was dessen Erfüllungsmöglichkeit ethisch geurteilt gerade zu widersprechen scheint. Die entscheidende Frage lautet dann: Lässt sich dieser Anspruch rechtfertigen, und zwar auch und gerade angesichts seiner Verknüpfung mit jenem Moment verborgen resignierender Innerlichkeit, dessen handelnde Umsetzung ethisch gesprochen als Verbrechen bezeichnet werden muss? De Silentio bejaht die Frage, freilich mit einem charakteristischen Vorbehalt: Die Erfüllbarkeit des abrahamitischen Anspruchs ist immer, aber auch nur dann gewährleistet, wenn und insoweit paradoxe Sachverhalte denkbar und real möglich sind – und das besagt im vorliegenden Fall zweierlei. Erstens: Es muss möglich sein, dass derselbe Gott, der den Opferbefehl gegeben hat, nicht nur imstande, sondern auch willens ist, die Folgen zunichte zu machen, die mit dem Versuch einhergehen, ihm zu entsprechen (Gott erweckt Isaak zum Leben oder erschafft einen neuen Isaak). Zweitens: Es muss eine „teleologische Suspension des Ethischen“17, d. h. eine zeitweilige Aufhebung seiner unbedingten Gültigkeit zugunsten eines höheren Zieles denkbar und real möglich sein. Abrahams Tötungsabsicht wäre demnach nicht als Mordversuch, sondern als unbedingter Gehorsamsakt im Verhältnis zu einer göttlichen Prüfung zu deuten, d. h. als Erfüllung einer durch keine Instanz des EthischAllgemeinen vermittelten und als solchen „absolute[n] Pflicht“18 Gott gegenüber. Dass beides faktisch der Fall ist, entzieht sich jeder objektiv und intersubjektiv ausweisbaren Einsicht, es lässt sich – mit ,Furcht und Zittern‘ – nur in der Perspektive der ersten Person behaupten. Und das besagt für de Silentio: Die Rechtfertigung von Abrahams Geltungsanspruch ist denkbar genau dann, wenn ein Glaube möglich ist, der ,Kraft 16 Vgl. ebd., 130 / 33 u. passim. 17 Ebd., 148 / 57. 18 Ebd., 160 / 74 u. passim, Hervorh.: H.S.
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Das Beanspruchte und das Verdankte.
des Absurden‘19 daran festhält, dass (a) für Gott das Bezeichnete realisierbar und beabsichtigt und (b) eine teleologische Suspension des Ethischen real möglich bzw. im Falle Abrahams Wirklichkeit ist. Eben dieses eine gedankliche Grundmotiv sowie die ihm eigenen Voraussetzungen prägen und durchziehen, terminologisch variierend, strukturell aber weitgehend identisch, Kierkegaards gesamtes schriftstellerisches Werk: Das menschliche Dasein schließt als integrales Moment erstens die Frage nach seiner eigenen unbedingten Berechtigung bzw. nach dessen Gültigkeitsbedingungen von sich her ein. In der Art und Weise, diese Frage zu stellen, verbirgt sich zweitens faktisch immer schon der Anspruch auf eine bestimmte und in ihrer Rechtmäßigkeit bis auf weiteres zweifelhafte Art und Weise ihrer Beantwortung.20 Dieser Anspruch kann drittens mit Recht nur im Medium des Glaubens erhoben und auch nur so erfüllt werden. Die reale Möglichkeit des Glaubens und mit ihr die der Erfüllung jenes Anspruchs basiert schließlich und viertens auf der realen Möglichkeit paradoxer Sachverhalte. 2. Nach den Gültigkeitsbedingungen der eigenen Existenz fragen zu können setzt mindestens zweierlei voraus: erstens, dass die Faktizität dieser Existenz den Anspruch auf deren Gültigkeit ursprünglich einschließt, zweitens das Erwachen des Zweifels daran, ob dieser Anspruch zu Recht besteht. Wie muss Kierkegaard zufolge unter diesen Voraussetzungen die menschliche Existenz beschaffen sein, wenn (a) aus ihr selbst die Frage nach ihrer eigenen Gültigkeit hervorgehen und diese bzw. die nach der Ermöglichung jener Frage (b) im christlichen Glauben ein mindestens hinreichend, wenn nicht notwendig bestimmte Antwort finden können soll? Die sachlich ergiebigsten Anhaltspunkte zur Beantwortung der ersten Teilfrage bietet die Krankheit zum Tode von 1849. Die auf dezidiert christlichen Prämissen fußenden Überlegungen ihres Autors Anticlimacus21 sind von der Überzeugung geleitet, dass die 19 Vgl. ebd., 131 / 34 u. passim. 20 Anders gesagt: Mit der als Streben nach Selbstverwirklichung reformulierbaren Frage ,wie kann ich dem / meinem gegebenen Leben unbedingte Gültigkeit verleihen?‘ unterstellt X erstens, dass er faktisch imstande ist, dies zu tun; zweitens, dass er ein Interesse an diesem Tun hat, so dass im Streben nach einer Antwort sowie im Versuch, diese in die Tat umzusetzen, eine ebenso dringliche wie undelegierbare Aufgabe liegt; schließlich und drittens, dass seinem faktischen Lebensvollzug ohne jenen Rechtsanspruchs bzw. dessen eigenhändig realisierte Durchsetzung die gesuchte Gültigkeit fehlt. 21 Vgl. NB11:209, SKS 22, 130 / T 3, 257.
III. Christlicher Glaube als Antwort
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menschliche Existenz als solche ethisch strukturiert ist, ihr Vollzug mithin als Ausdruck des unbedingten Interesses daran interpretiert werden muss, eine mit ihr selbst gegebene und als solche vom Existierenden zumindest unterschwellig immer schon anerkannte Aufgabe zu lösen. Diese Deutung legt ja auch die eingangs im Anschluss an J. Sløk22 reformulierte Leitfrage Kierkegaards nahe. Zumindest dann nämlich, wenn die Frage nach den Möglichkeitsbedingungen authentischen Existierens diesem selber nicht äußerlich, sondern im Gegenteil immanent ist, muss die in jener Frage vorausgesetzte Interesse- oder Aufgabenstruktur des Existierens jenem Existieren von sich her zukommen. Anticlimacus trägt diesem Sachverhalt in der These Rechnung, dass der Mensch ontologisch gesprochen nicht als beharrende Substanz mit wechselnden Eigenschaften, sondern als Subjekt relationaler Vollzüge, genauer als Vollzugssubjekt einer Synthetisierung polar verbundener Relate oder Strukturmomente (Endlichkeit / Unendlichkeit, Notwendigkeit / Möglichkeit, Zeitlichkeit / Ewigkeit) sachgemäß beschrieben werden kann.23 Menschlich zu existieren heißt mithin zunächst und vor allem, Bedingtes oder Begrenztes zu überschreiten bzw. Gegebenes zu transzendieren. Als einschlägiges Beispiel mag das Phänomen des Wunsches dienen: Ein Kind, das sich ein Spielzeug wünscht, überschreitet seine faktisch gegebene und vielfach bedingte Situation, indem es vermittelt durch Imagination etwas als ein Begehrenswertes, d. h. als ein solches vorstellt, dessen Besitz die Idealisierung jenes Faktischen zumindest näherungsweise in Aussicht stellt. Freilich muss hierbei das Gegebene, gerade um es überschreiten zu können, bereits in Anspruch genommen werden: nicht nur in subjektiver (kein Wunsch ohne Einbildungskraft), sondern auch in objektiver Hinsicht (kein Wunsch als Wunsch überhaupt und kein Wunsch nach Spielzeug ohne dessen mindestens mögliche Verfügbarkeit). So gesehen nimmt das Kind ,Endliches‘ (d. h. Begrenztes) bzw. ,Notwendiges‘ (d. h. Vorgegebenes) immer schon in Anspruch, freilich nur, um beides durch imaginative ,Verunendlichung‘ oder Entgrenzung in Richtung auf eine als Erfüllung imaginierte ,Möglichkeit‘ hin zu überschreiten; umgekehrt überschreitet es Endliches und Notwendiges nur, freilich auch immer schon im Medium seiner Inanspruchnahme. Diese Dialektik trifft aber noch nicht den Kern der Sache. Entscheidend ist für Anticlimacus eine zweite Beschreibungsebene: Jeder Synthetisierungsvollzug dialektisch mit- und durcheinander vermittelter 22 Vgl. Fußn. 5. 23 Vgl. SKS 11, 129 u. 145 / GW1 KT, 8 u. 25.
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Das Beanspruchte und das Verdankte.
Relate wird seinerseits durch den mindestens latenten Selbstbezug des Vollzugssubjekts vermittelt. Auch dies ist phänomenologisch bereits am Wunschverhalten des Kindes ablesbar: Unterschwellig spiegelt das Kind sich selber bzw. die (Bedingungen der) eigene(n) Daseinserfüllung in der imaginativ vorweggenommenen Erfüllung des Spielzeugwunsches. Insofern ist dessen finales Objekt – und so im Grunde das Objekt eines jeden Wunsches – mit seinem Subjekt, wenn auch zunächst nur unterschwellig, identisch. Umgekehrt kann die Transzendierung des Gegebenen im Medium des Wunsches sowie dessen imaginativ vorweggenommener Erfüllung als ein erster Ausdruck des Versuchs betrachtet werden, dem vorfindbaren Dasein, und zwar in seiner unmittelbaren Faktizität und Bedingtheit, Sinn bzw. Gültigkeit zu verleihen. Freilich handelt es sich um einen ersten und uneigentlichen Ausdruck, insofern hier jener bewusste Vollzug noch aussteht, der laut Anticlimacus die Verwirklichung des Menschseins notwendig und hinreichend bedingt: Denn der Mensch ist existierender (wenn auch nicht göttlicher, d. h. ewiger) Geist und als solcher ein Selbst; das Selbst aber „ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder ist das an dem Verhältnisse, daß das Verhältnis sich zu sich selbst verhält“24. Ein Kind kann demnach auch dann noch nicht als Selbst im strengen Sinne, mithin nicht als „wirklicher Mensch“25 gelten, wenn es explizit sich selbst zum Gegenstand des Wunsches macht – z. B. wünschend imaginiert, Gespenst, Seeräuber oder Pilot zu sein. Denn in dieser momentanen, willkürlich abwechselnden und im Blick auf das wahre Verhältnis von Notwendigkeit und Möglichkeit gänzlich „phantastischen Selbstanschauung ist das Individuum … bloß ein Schatten, oder richtiger, … das Individuum hat eine Vielfalt von Schatten, die sämtlich ihm gleichen, und für Augenblicke gleiches Recht haben es selber zu sein“26. Zwar reflektiert das Kind in den Grenzen der ihm eigentümlichen Gestalt des Verhältnisses von Notwendigkeit und Möglichkeit auf ,sich selbst‘, wenn und indem es Notwendigkeit für avisierte Möglichkeiten in Anspruch nimmt und umgekehrt jene durch diese reflektierend transzendiert. Aber es reflektiert nicht eigens auf sich als ein so bestimmtes, nämlich in sich spannungsvoll strukturiertes Verhältnis. Damit ignoriert es zugleich die gleichermaßen dringliche wie undelegierbare Aufgabe jener Synthetisierung beider Momente im Kontext der eigenen, unverwechselbaren 24 SKS 11, 129 / GW1 KT, 8; Hervorh. H.S. 25 SKS 4, 30 / GW1 W, 28. 26 Ebd., 30 / 27 f.
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Lebenssituation, durch die allein es Klarheit über sein „ewiges“27 und d. h. eben als Aufgabe im ethischen Sinne spezifiziertes Selbst erlangen könnte. Wie tritt nun das Selbst als solches für es selber hervor? Die Antwort der Krankheit zum Tode lautet: im Modus der Verzweiflung. Diese Auskunft wirkt nur auf den ersten Blick befremdlich. Verzweiflung ist eine „Krankheit im Geist“28 und indiziert als solche ein Missverhältnis in bzw. im Vollzug der menschlichen Synthesestruktur. Dessen erste und ursprüngliche Form besteht in der Abwesenheit des Bewusstseins, überhaupt ein Selbst zu haben.29 Dass dieser Zustand tatsächlich auf ein Missverhältnis verweist, kann noch einmal das Paradigma des Kinderwunsches erläutern helfen: Wenn alles Wünschen zuletzt, obschon latent, auf den Wünschenden selbst gerichtet ist; und wenn mit der imaginativ vorweggenommenen Erfüllung des Wunsches ein Zustand avisiert wird, der (bzw. in dem der Wünschende) sich von der gegebenen Situation wie das Ideale vom Realen, das Geltende vom bloß Faktischen, die Erfüllung eines Rechtsanspruchs von diesem selbst unterscheidet, dann folgt daraus, dass der Wunsch auf ein ursprüngliches Nicht-man-selbst- bzw. Ein-anderer-sein-Wollen des Wünschenden, folglich auf einen uneingestandenen inneren Zwiespalt, ein verborgenes Nichteinverstandensein mit sich selber deutet. Im Falle des wünschenden Kindes besteht dieser unterschwellige Verzweiflungszustand dabei nicht primär in der dunklen Ahnung, dass ihm die Erfüllung des Wunsches als solche nicht zu Gebote steht – dass diese bzw. ihr Erleben als Erfüllung m.a.W. ausbleiben kann; sondern sie besteht darin, dass ihm unter allen Umständen eben daran bzw. an einem Leben nach Maßgabe der Wunscherfüllung gelegen ist, es folglich weder von der Erfüllung noch vom Wünschen als der primären Art und Weise, sich zur möglichen Gültigkeit des eigenen Daseins zu verhalten, abzulassen vermag.30 Aus dieser Tatsache erhellt zugleich, dass die offene oder bewusste Verzweiflung sich zwangsläufig als solche entdeckt, die, obschon bislang vor sich selber verborgen, dennoch bereits zuvor bestand.31 Bewusste Verzweiflung kommt, auch ihrem eigenen Urteil nach, gewissermaßen immer schon zu spät – insofern ist der Ausdruck ,rechtzeitige Ver27 28 29 30
SKS 11, 157 / GW1 KT, 39. Ebd., 129 / 8. Vgl. ebd., 129 u. 157 – 162 / 8 u. 39 – 44. Keineswegs deckungsgleiche, aber in der Sache durchaus kompatible und weiterführende Überlegungen zum Verhältnis von Selbstverwirklichung und Wunsch finden sich in H.G. Frankfurt 2001, 203 – 210 u. 230 f. 31 Vgl. SKS 11, 140 / GW1 KT, 20.
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zweiflung‘ eine contradictio in adjecto. In diesem Umstand liegt ein zusätzliches Potenzierungsmotiv ihrer bewussten Formen und Gestalten, ein psychologisches Inzitament, das mit erklären hilft, dass und weshalb die Selbstreflexion aus dem Latenzstadium der bloßen Einbildungskraft in deren entscheidende, nämlich willentlich potenzierte Gestalt übergeht.32 In diesem Stadium spaltet sie sich, wie Kierkegaards Morphologie der Verzweiflung im ersten Teil der Krankheit zum Tode en détail ausführt, in zwei Grundtypen: Schwäche oder verzweifeltes Nicht-man-selbst- sowie Trotz oder verzweifeltes Man-selbst-sein-Wollen.33 Beide Formen können Ausdruck eines Missverhältnisses sein, bei dem jeweils der Notwendigkeits- bzw. Endlichkeits- oder aber der Möglichkeits- bzw. Unendlichkeitspol im Vollzug der Synthese dominiert. Dabei ist freilich zu beachten, dass keines der Syntheserelate gnzlich aufgehoben, keines umgekehrt dem anderen gegenüber absolut gesetzt werden kann; denn um ein Relat in dieser Weise aufheben zu wollen bzw. wollen zu können, muss es, wie wir bereits gesehen haben, seinerseits in Anspruch genommen werden. In der offenen oder latenten Einsicht, dass sich dies so verhält, besteht ja im Grunde alle Verzweiflung, zumindest aber deren Potenzierung im Bewusstsein.34 Das verzweifelte Subjekt macht so nolens volens Gebrauch von den unabänderlich vorgegebenen und begrenzenden Aspekten der eigenen Situation, um sich in vermeintlich unbegrenzte Lebensmöglichkeiten flüchten zu können; umgekehrt muss es sein eigenes Dasein begehrend und imaginierend ausweiten oder verunendlichen, um die eigenen Begrenzungen, wenn auch irrtümlich, für absolut bzw. die Dimension des Notwendigen im eigenen Selbst zur einzigen, trotzig behaupteten Lebensmöglichkeit erklären zu können. Kurzum: Zwischen den Relaten der menschlichen Synthesis besteht ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis. Dieser Sachverhalt liefert zugleich wichtige Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage, wie ein konkreter Bewusstseinsinhalt überhaupt zum Platzhalter von Notwendigkeit oder Möglichkeit etc. wird: Die Tatsache, dass Kierkegaard z. B. einer Familie angehört, auf der laut Aussage seines Vaters ein Fluch lastet, für den zu büßen sein jüngster Sohn 32 Vgl. SKS 12, 186 / GW1 EC, 177; SKS 11, 145 / GW1 KT, 25. 33 Vgl. SKS 11, 129 u. 157 – 193 / GW1 KT, 8 u. 39 – 77. 34 Dass man, zugespitzt formuliert, nicht, zumindest aber nicht bewusst verzweifeln kann, ohne zu hoffen, ist selber Element und Inzitament jener Verzweiflung. Der Stachel der Verzweiflung ist die Hoffnung, der sie nicht entraten kann – schon im Versuch zu leugnen, dass sich dies so verhält. Und möglicherweise gilt Entsprechendes auch umgekehrt – für den Hoffenden.
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von Gott ausersehen ist, gehört nicht a priori zur Dimension der Notwendigkeit in Kierkegaards Selbst. Es gehört erst dann und dadurch hinzu, dass er diese Idee erstens als mindestens möglicherweise wahr und zweitens als etwas vorstellt, das seiner Freiheit i.S. des Entwurfs eigener Lebensmöglichkeiten widerspricht. Erst dann und dadurch wird jener zum ausdrücklichen Bestandteil der Aufgabe, beides – ihn selbst ebenso wie die als gegensätzlich projektierten Lebensmöglichkeiten – als integrierende Momente seines Selbst zu synthetisieren. Weicht Kierkegaard ihrer Lösung aus oder beharrt er im Gegenteil trotzig auf ihrer Unlösbarkeit, dann – und erst dann – wird sein vermeintliches Pönitenzschicksal zum Bestandteil einer Verzweiflung stiftenden Notwendigkeit, unter die er sich um den Preis einer fundamentalen Begrenzung eigener Lebensmöglichkeiten demütigen muss, um ein in dieser besonderen Konstellation gültiges und mit sich selbst übereinstimmendes Leben führen zu können – kurzum: um sich selbst zu verwirklichen.35 3. Der Behauptung, dass von zwei Verzweiflungsformen auszugehen ist, kommt überdies eine wichtige begründungslogische Funktion im Hinblick auf eine zentrale These des Christen Anticlimacus zu: der These nämlich, dass das menschliche Selbst ein „abgeleitetes, gesetztes Verhältnis ist …, ein Verhältnis, das …, indem es sich zu sich selbst verhält, zu einem Andern sich verhält“36. Dies Andere ist Gott – hier freilich noch ganz unspezifisch i.S. des in jedem Daseinsvollzug mindestens implizit mit gesetzten Grundes jener komplexen Relationsstruktur, die der menschlichen Existenz ihr eigentümliches Gepräge verleiht. Ein Mensch kann sich demnach nicht zu sich selbst verhalten, ohne darin, ob offen oder latent, zugleich zu etwas als demjenigen sich zu verhalten, das oder der ihn in ein so bestimmtes Verhältnis aller erst versetzt hat – und d. h. ohne zugleich die Frage danach zu stellen, was der eigenen, durch jene eigentümliche Verhältnisstruktur bestimmten Existenz sowie dem darin immer schon erhobenen Anspruch auf Daseins- und Sinnerfüllung letzte, unüberholbare Gültigkeit verleihen würde. Argumentationslogisch bedeutsam ist dieser Umstand deswegen, weil laut Anticlimacus nur unter der Voraussetzung seines tatsächlichen Gegebenseins verständlich wird, 35 Damit ist einstweilen noch keine bestimmte Lösung des Problems präjudiziert: Diese kann im Einzelfall sowohl in der demütigen Übernahme des Pönitenzgeschicks bestehen wie in dessen freimütiger Leugnung. Beide Lösungen sind nach Kierkegaard möglich und legitim – freilich nur im und kraft des Glauben(s). 36 SKS 11, 130 / GW1 KT, 9.
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dass und wie die Verzweiflungsform des Trotzes – als ein Man-selbst-seinWollen, das sich von der ursprünglichen Abhängigkeit jener setzenden Instanz gegenüber losreißen will – möglich ist. Umgekehrt bedingt das Faktum dieser Verzweiflungsform das Vorliegen jener Voraussetzung hinreichend.37 Mit diesem Zwischenschritt befinden wir uns bereits im Übergang zur zweiten Teilfrage, die zu Beginn dieses Abschnitts formuliert wurde: Inwiefern stellt aus der Sicht Kierkegaards das Christentum mindestens hinreichende Realisierungs- und/oder Erkenntnisbedingungen für eine Antwort auf die in der Existenz des Menschen liegende Frage bereit? In den vorangegangenen Überlegungen kam ja einerseits spezifisch Christliches noch gar nicht zur Sprache; aufgezeigt wurde mit der schrittweisen Entfaltung der Synthesestruktur der menschlichen Existenz lediglich, dass und wie sich hierbei „die Gottesvorstellung aus dem menschlichen Geist entwickelt durch dessen Verhältnis zu sich selbst“38. Andererseits entstand im Anschluss an Kierkegaards Morphologie der Verzweiflung bislang der Eindruck, als trage der Gottesgedanke eher, ja im Grunde ausschließlich zu einer komplexeren Fassung jener Frage bei – und weniger zu ihrer Beantwortung. Dieser Schein trügt jedoch. Kierkegaards diesbezügliche Überlegungen münden im Gegenteil in das Ergebnis, dass die (durch Gott ermöglichte) Antwort mit dem Stellenkönnen der Frage streng genommen zusammenfällt.
37 Vgl. ebd. Diese Verknüpfung von Gotteshypothese und Verzweiflungsform sollte nicht als anthropologischer Gottesbeweis missverstanden, vielmehr rein phänomenologisch interpretiert werden: Behauptet wird danach lediglich, dass das Mitsetzen des setzenden Grundes ein integrales, dabei fraglos nur widerstrebend eingestandenes Moment in der Selbsterfahrung des (trotzig) verzweifelten Bewusstseins darstellt. Mehr noch: Dass der trotzige Versuch, sich von der Macht des setzenden Grundes los zu reißen, an diese bzw. die nolens volens eingestandene Voraussetzung ihrer Realität im Gegenteil gebunden bleibt, bildet geradezu den Stachel jener Verzweiflungsform, ja im Falle der rückhaltlosen Anerkennung dieses Sachverhalts auf Seiten des verzweifelten Bewusstseins dessen faktischen Kulminationspunkt. In diesem Sinne zitiert der Ästhetiker A in Entweder – Oder I eine Passage aus den Rittern des Aristophanes – hier freilich mit ,Beweis‘-Absicht: „Demosthenes. Idole! glaubst du in allem Ernst an Götter noch? / Nikias. Ei freilich! / Demosthenes. Was für Beweise hast du denn dafür? / Nikias. Weil mich die Götter hassen! Ist das nicht genug? / Demosthenes. Ich bin besiegt.“ (SKS 2, 45 f. / GW1 EO1, 39 f.; SK zitiert das griechische Original). Vgl. dazu im vorliegenden Band Text 15. 38 JJ:191, SKS 18, 201 / vgl. DSKE 2, 208.
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Um diese zunächst überraschende Wendung einsichtig machen zu können, müssen wir zunächst die Voraussetzungen prüfen, unter denen die (als faktisch verzweifelt behauptete) Frage nach der Gültigkeit des eigenen Daseins zustande kommt. Welche sind m.a.W. die transzendentalen und/oder genetischen Möglichkeitsbedingungen der Verzweiflung? Anticlimacus erklärt diesbezüglich, dass „Gott, der den Menschen zu dem Verhältnis gemacht hat, ihn gleichsam aus seiner Hand losläßt“, so dass „das Verhältnis sich zu sich selbst verhält“39. Diese Auskunft ist alles andere als befriedigend, geschweige denn erschöpfend. Am Beispiel des Trotzes hat sich zwar gezeigt, dass das Sich-Verhalten zu etwas als dem setzenden Grund des Verhältnisses die Möglichkeit der Verzweiflung mindestens notwendig bedingt. Da die Verzweiflungsform der Schwäche dieser Einschränkung aber offenbar nicht unterliegt, fehlen (unter anderem!) Aufschlüsse über die hinreichende Möglichkeitsbedingung von Verzweiflung – und zwar in Form übergreifender Hinsicht. Was genau besagt also die These, der Mensch falle eben dadurch der Verzweiflung anheim, dass er – ,gleichsam‘, d. h. vermeintlich aus der Hand Gottes entlassen – sich zu sich selbst verhält? Die Krankheit zum Tode geht dieser Frage nicht eigens nach, wohl aber das erste anthropologische Hauptwerk Kierkegaards, Der Begriff Angst von 1844. Hier steht zwar thematisch der Begriff der Erbsünde sowie die alttestamentliche Erzählung vom Sündenfall Adams40 im Zentrum; da aber laut Anticlimacus Sünde und Verzweiflung koextensive Begriffe sind (keine Sünde ohne Verzweiflung und umgekehrt), können die Überlegungen der Angstabhandlung für die Beantwortung der vorliegenden Frage genutzt werden, ohne Kontext und Absicht der Verzweiflungsschrift Gewalt anzutun. Die Möglichkeitsbedingungen der Erbsünde bzw. des Sündenfalls zu klären heißt demnach zugleich die Möglichkeitsbedingungen der Verzweiflung zu klären.41 Freilich zeigt auch Vigilius Haufniensis, der pseudonyme Autor des Begriffs Angst, wenig Neigung, die Frage nach den metaphysischen oder transzendentalen Möglichkeitsbedingungen der Sünde zu beantworten. Er begründet diese Zurückhaltung mit dem Hinweis, dass die im Sündenfall Adams wur39 SKS 11, 132 / GW1 KT, 11. 40 Vgl. Gen 3. 41 Vgl. SKS 11, 141 / GW1 KT, 21, wo Anticlimacus von der „Angst, welche die Verzweiflung ist“, spricht, letzterer mithin diejenige Stimmung zugrundelegt, die Vigilius Haufniensis im Begriff Angst als Übergangskategorie für die psychologisch-approximative Erklärung des Sündenfalls in Anspruch nimmt (vgl. SKS 4, 347 – 356 / GW1 BA, 39 – 50).
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zelnde Erbsünde – und damit die Sünde überhaupt – durch einen im Laufe der Menschheitsgeschichte unaufhörlich wiederholten und dabei genetisch wie geltungstheoretisch unableitbaren Sprung in die Welt kommt.42 Den Sündenfall erklären heißt daher die Erbsünde erklären und umgekehrt. Als ,dialektischem‘ korrespondiert dieser Sprung dem Erfordernis eines ,pathetischen‘: Sein bewusster Vollzug ist undelegierbar, das mit ihm einhergehende Setzen der Qualität ,Sünde‘ nur in der Perspektive der ersten Person möglich und verständlich.43 Vorbereitet und psychologisch motiviert wird dieser Sprung, und eben dies ist in genetischer Hinsicht entscheidend, durch eine charakteristische Gestimmtheit – die der Angst 44 : zunächst und ursprünglich diejenige Adams, analog dazu aber und in menschheitsgeschichtlich wachsender Quantität die eines jeden postadamitischen Individuums. Dabei kommt im Falle des mythischen Urvaters jene latent immer schon vorhandene Angst durch das göttliche Verbot, vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen, zum Ausbruch.45 Sie ist als solche freilich nicht primär auf Gott oder das Verbot bzw. dessen Inhalt an sich gerichtet, sondern auf etwas anderes, tiefer Liegendes: nämlich das einstweilen unverstandene, weil gänzlich unbestimmte „Nichts“46 der eigenen Freiheit i.S. der „Möglichkeit zu kçnnen“.47 Was Adam, i.S. des Vermögens zum Guten wie zum Bösen, ,kann‘, davon hat er keinen klaren Begriff. Mit dieser, vor dem Sündenfall um Willen der Vermeidung einer zirkulären Erklärung zu postulierenden Unfähigkeit, den Sinn der genannten Begriffe zu erfassen, geht daher zugleich die Unfähigkeit, die eigene Freiheit – und damit letztlich auch sich selber – zu verstehen, notwendig einher. Schon rein psychologisch zeigt die Angst dabei ein Janusgesicht: Sie bzw. das darin projektierte Nichts der eigenen Freiheit wirkt ebenso faszinierend wie abschreckend. Dialektisch konsequent bestimmt Vigilius sie daher als Einheit von „sympathetische[r] Antipathie und … antipathetische[r] Sympathie“48. Obschon kategorial im Gebiet der Psychologie beheimatet ermöglicht der Angstbegriff auf diese Weise einen Brückenschlag zur Ethik: Der Geängstigte ist als solcher einerseits unschuldig, denn die Angst überkommt ihn ,ohne sein Zutun‘; andererseits erscheint er – für sich selbst 42 43 44 45 46 47 48
Vgl. SKS 4, 338 / GW1 BA, 29. Vgl. ebd., 355 f. / 48 f. Vgl. ebd., 347 – 356 / 39 – 50. Vgl. ebd., 350 / 42 sowie Gen 2,17. SKS 4, 347 / GW1 BA, 39. Ebd., 350 / 43; Hervorh. nach SKS. Ebd., 348 / 40; im Original kursiv.
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freilich erst im Rückblick der Reue – als schuldig, insofern er sich ihr als einer ihn fesselnden Macht bereitwillig hingab. Kraft dieser intrinsischen, sowohl binnenpsychologisch (sympathetische Antipathie) wie kategorial (Psychologie / Ethik) spezifizierbaren Ambivalenz trägt die Existenzkategorie der Angst zu einer Erklärung dessen bei, was streng genommen jeder rein metaphysischen, ethischen oder dogmatischen Erklärung verschlossen bleiben muss: die Genese des Sünders, und d. h. hier zugleich, die Genese des Menschen als eines solchen. Mensch sein heißt danach (nicht notwendig, aber) faktisch, die eigene Freiheit i.S. des Vermögens zum Guten und Bösen immer schon mit der Konsequenz verwirklicht und vollzogen zu haben, dass man ihrer in eben diesem Vollzug – durch die Wahl des Bösen nämlich – bereits verlustig ging.49 Und das besagt in der Konsequenz: Die seinskonstitutive Frage des Menschen nach sich selbst geht (nicht notwendig, aber) faktisch mit derjenigen Art und Weise, sie zu beantworten, einher, die den mit jener Frage samt ihrer Beantwortung einhergehenden Anspruch als unberechtigt entlarvt. 4. Damit ist umrisshaft skizziert, in welcher Weise das Christentum bzw. die christliche Dogmatik, im Rückgriff vor allem auf Psychologie und Ethik, zumindest hinreichende Verständnisbedingungen für Eigenart und Genese jener Frage des Menschen nach sich selbst bereitzustellen vermag, die Kierkegaard als integrales Moment der menschlichen Existenz als solcher begreift. Wie steht es mit der spezifisch christlichen Antwort auf diese Frage – und zwar im Blick sowohl auf deren Erkenntnis- wie deren Realisierungsbedingungen? Anders als beim Übergang vom ursprünglichen zum faktischen qua sündigen Selbst betrifft diese Frage christlich gesprochen den Sprung vom faktischen zu dem, was man das eschatologische oder das Selbst des Glaubens nennen kann.50 Dieser Sprung sowie dessen christologische und hamartiologische Voraussetzungen stehen im Zentrum der Philosophischen Brocken von 1844. Ihr Autor Johannes Climacus, selber kein Christ,51 profiliert den Standpunkt des 49 Vgl. SKS 4, 224 / GW1 PB, 14; dass alle Menschen faktisch erst als Sünder Mensch werden, ist laut Vigilius eine, und zwar unverzichtbare Verallgemeinerung aus der Sicht der christlichen Dogmatik. Diese erklärt (im Unterschied zu Metaphysik, Ethik und Psychologie) die Sünde bzw. Erbsünde damit, „daß sie sie voraussetzt“ (SKS 4, 327 / GW1 BA, 17) – als allgemeine nämlich. 50 Vgl. zur Unterscheidung und Verhältnisbestimmung dieser drei Stufen des Selbst: H. Schulz 1994, 519 f. u. 522 – 528. 51 Vgl. NB11:209, SKS 22, 130 / T 3, 257.
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christlichen Glaubens bzw. dessen Voraussetzungen rein philosophisch, und zwar in Auseinandersetzung mit der griechischen Anamnesislehre, wie sie – laut Climacus: in ethischer Absicht – durch den platonischen Sokrates vorgetragen wird. Ausgangspunkt ist dabei die Frage nach den Lehr- und Lernbarkeitsbedingungen der Wahrheit.52 Diese Bedingungen kommen hier inhaltlich gesehen allein in ethischer Hinsicht, nämlich als Inbegriff des guten Lebens, sowie im Blick auf die metaphysisch-anthropologischen Voraussetzungen seiner Erkenntnis und Verwirklichung in den Blick. Der durch die Mitteilung des Lehrenden veranlasste Lernprozess kann im Kontext des sokratischen Modells nur als Sicherinnern an ein unwissentlich immer schon Gewusstes gedacht werden, wobei der Lehrer das Wahre im Schüler nicht eigens ,gebärend‘ hervorbringt, sondern diesen gleichsam als Hebamme zur ,Entbindung‘ dessen lediglich veranlasst, was als verborgene Wissensfrucht immer schon in ihm selber bereit lag. Die Plausibilität dieses Modells basiert auf vier Prämissen. Erstens: Der Schîler ,ist in der Wahrheit‘, insofern er sich dieser als in ihm bereits verborgen vorhandene lediglich erinnern muss. Zweitens: Der Lehrer ist ein prinzipiell austauschbares Medium der Wahrheitsaneignung; als solches kann er nicht selbst zum Bestandteil des als Wahrheit Erinnerten werden. Drittens: Lernen ist im Kern bloßes Sicherinnern, Lehren nichts weiter als die mäeutische Veranlassung dazu. Viertens: Der zeitliche Moment der Wahrheitsaneignung ist ein zufälliger und transitorischer, er verschwindet in der Ewigkeit des Immer-schonGewussten. Climacus zielt nun auf den (in der Folge deduktiv durchgeführten) Nachweis, dass die Abwandlung von Prämisse vier die entsprechende Umformung der anderen drei Prämissen mit Notwendigkeit nach sich zieht; er zeigt dabei ferner, dass der dogmatische Kernbestand des christlichen Glaubens in der Tat auf nichts anderes zurückzuführen ist als die (etwa an Gal 4, 4 belegbare) Behauptung eines mit der Menschwerdung Gottes sinnfällig werdenden Augenblicks in der Zeit, dem weltund individualgeschichtlich nicht nur zufällige bzw. transitorische, sondern ewig- bzw. seligkeitsentscheidende Bedeutung zukommt.53 Unter dieser Voraussetzung kann der Vorgang eines mit jenem Augenblick verknüpften Lernens nicht länger als bloße Erinnerung an eine im Schüler selbst liegende Wahrheit verstanden werden, die zu entbinden lediglich der mäeutischen Veranlassung bedarf. Es muss sich vielmehr um eine (göttliche bzw. gottmenschliche) Offenbarung handeln, die auf Seiten des 52 Vgl. SKS 4, 218 – 221 / GW1 PB, 7 – 11. 53 Vgl. ebd., 305 / 106.
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Schülers im Medium des Glaubens ,gelernt‘, d. h. als wahr und für ihn selber heilsam angeeignet wird. Als Offenbarung teilt diese inhaltlich mit, wozu der Lernende von sich her, d. h. kraft eigenen Erinnerungsvermögens, keinen Zugang hat. Hierbei ist christlich gesprochen zunächst und vor allem an den Tatbestand der eigenen Unwahrheit qua Sünde zu denken. Erster Ausdruck des Glaubens bzw. dessen integrales Moment ist folglich das Sündenbewusstsein – als Bewusstsein der Wahrheit über die eigene Unwahrheit. Da es ferner „ein Widerspruch“54 wäre anzunehmen, dass der göttliche Lehrer seinen Schüler der nötigen Lern- und Verständnisbedingungen hätte berauben sollen, muss dieser, da hier auch der Zufall ausscheidet, ihrer Möglichkeit durch eigenes Verschulden verlustig gegangen sein.55 Und dieser Verlust muss, wenn denn Augenblicks- und Offenbarungsprämisse ex hypothesi gültig sind, so tief greifend sein, dass er mit der Konsequenz einer völligen Unfähigkeit auf Seiten des Lernenden einhergeht, von sich aus Zugang zur Wahrheit einer göttlichen Mitteilung zu gewinnen, ja diesen auch nur zu wollen: Weder Sündenbewusstsein56 noch Glaube57 stehen mithin in der Macht bzw. der willentlichen Verfügungsgewalt des Lernenden. Eben weil sich dies so verhält, geschieht bezogen auf die über das Sündenbewusstsein hinausgehenden Inhalte des Glaubens im Augenblick der Offenbarung eine entscheidende Transformation im Selbst- und Gottesverständnis ihres Rezipienten: Erstens erscheint der Mitteilende58 darin als einmalig und unersetzbar – er entbindet im Adressaten die Wahrheit nicht nur, sondern 54 Ebd., 223 / 13. 55 Climacus verzichtet auf eine Erläuterung des behaupteten Widerspruches. Ich denke, es steht folgende Überlegung dahinter: Wenn die Augenblicksprämisse das Offenbarungspostulat tatsächlich einschließt, dann muss deren Adressat nicht nur als kommunikationsunfähig, sondern auch als -unwillig gedacht werden (vgl. SKS 4, 222 / GW1 PB, 11 f.). Die Mitteilungsinitiative kann folglich nur vom Mitteilenden selbst, d. h. von Gott ausgegangen sein. Unter dieser Voraussetzung aber muss die Annahme, dass derselbe Gott, der nun, nachdem durch das Verschulden seines Gegenübers die Beziehung bereits radikal gestört ist, aus völlig freien Stücken (und d. h. aus Liebe, vgl. ebd., 232 / 22) die Initiative zur Rückgewinnung des gegenseitigen Einverständnisses ergreift, ursprünglich, d. h. vor und unabhängig von jener Verschuldung, die Möglichkeit eines Einverständnisses gerade verhindert hätte bzw. hätte verhindern wollen, als widersprüchlich gelten. 56 Vgl. SKS 7, 531 / GW1 AUN2, 297. 57 Vgl. SKS 4, 264 / GW1 PB, 59. 58 Denn von einem Lehrer kann hier streng genommen nicht mehr gesprochen werden: vgl. SKS 4, 223 / GW1 PB, 13.
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gebiert sie in ihm. Gott ist, gut protestantisch gesprochen, zunächst und vor allem (wenn auch selbstverständlich nicht allein) als Grund des Glaubens dessen Gegenstand. Mit der von Gott gewirkten Offenbarung des Sünders als eines solchen geht zweitens dessen faktische Befreiung aus seiner selbstverschuldeten Blindheit, drittens die Restituierung des gestörten Verhältnisses zu seinem göttlichen Gegenüber und viertens die Verpflichtung einher, dessen befreiender und versöhnender Initiative „niemals [zu] vergessen“59, diesem mithin nicht nur Dank schuldig, sondern ihm gegenüber auch auf ewig verantwortlich zu sein. Kurzum: In der Gewissheit des durch Gott zum Glauben befähigten Sünders erkennt dieser sich zugleich als befreit, versöhnt und verpflichtet, Gott selber aber als Erlöser, Versöhner und Richter.60 5. Kernpunkt der christlichen Antwort auf die in der menschlichen Existenz liegende Frage nach deren ewiger Gültigkeit ist also der Glaube an und durch den Mensch gewordenen Gott. Dieser Glaube, von dem Climacus hinzufügt, er – und er allein – könne aller dazwischen liegenden Jahrhunderte zum Trotz mit Jesus Christus als seinem Gegenstand ,gleichzeitig‘ werden61, verlangt seiner Funktion nach zugleich epistemisch und ontologisch expliziert zu werden: Der mit Gott versöhnte Sünder erkennt darin erstens die unbedingte Gültigkeit seines eigenen, jetzt und hier durch einzigartige und unwiederholbare Bedingungen bestimmten und begrenzten Lebens; und er erkennt zweitens, worauf der Ausdruck ,unbedingte Gültigkeit der eigenen Existenz‘ an sich referiert – nur auf die und jede Existenz nämlich, die im Glauben des erlösten und versöhnten Sünders aus der Hand Gottes dankbar empfangen werden kann. Und das trifft aus Kierkegaards Sicht faktisch für jede Existenz zu, mit Ausnahme der sündigen, von der als einer solchen gilt, dass sie sich selber nicht kennt bzw. vor Gott leugnet.62 Von daher sind Glaube und
59 Ebd., 226 / 16. 60 Vgl. ebd., 226 / 15 f. 61 Vgl. zu Begriff und Funktion des Gleichzeitigkeitsbegriffs im Kontext der Brocken: SKS 4, 258 – 306 / GW1 PB, 52 – 107. Zum Vergleich: SKS 12, 74 – 78 / GW1 EC, 61 – 66. 62 Wenn der Ethiker in Entweder – Oder II erklärt, sein Freund, der Ästhetiker A, könne seiner Verzweiflung nur so Herr werden, dass er diese, als solche nämlich, wählt (vgl. SKS 3, 203 / GW1 EO2, 224), dann folgt daraus, dass die Leugnung der Verzweiflung deren Möglichkeit notwendig bedingt. In diesem Sinne ist umgekehrt der Glaube christlich gesprochen mit der Fähigkeit koextensiv, die
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selbstdurchsichtige Existenz koextensive Bestimmungen.63 Existieren kann, qua Selbstverwirklichung, nur als sich selbst verstehendes gelingen, und dieses Verstehen ist im Glauben möglich – freilich nur hier. Der Glaube erkennt aber nicht nur die Wahrheit bzw. sich selbst als deren Inhalt und epistemische Ermöglichungsbedingung; sondern er ist zugleich Medium der Verwirklichung des Erkannten und auch als solches sein eigener Gegenstand: In der und durch die offenbarungsvermittelte(n) Einsicht in die nunmehr als realisiert vorgestellten Gültigkeitsbedingungen der eigenen Existenz vollzieht er kraft göttlicher Initiative selber die Realisierung eben dieser Bedingungen. Kierkegaards Theorie des Glaubens als einer transreflexiven Form von Unmittelbarkeit64 zeigt freilich auch, dass zum einen nur derjenige die Frage nach der Gültigkeit des eigenen Daseins beantworten kann, der sie auf sachgemäße Weise zu stellen vermag: nämlich als Frage nach der Sünde als derjenigen Entität, die ihre Beantwortung zugleich motiviert wie unmöglich macht. Und da zweitens der (nur durch Gottes Handeln generierbare) Glaube jene Frage als eine immer schon beantwortete stellt, vermag folglich nur der sie richtig zu stellen, der sie, vermittelt durch einen anderen, bereits beantwortet hat. 65 In stadientheoretischer66 Perspektive besagt das: Der Ästhetiker übersieht bzw. leugnet die mit dem Faktum seiner Existenz gegebene Aufgabe; der Ethiker missversteht sie, indem er sie irrtümlich als ein durch ihn selbst herzustellendes Gleichgewicht des Ästhetischen und Ethischen (paradigmatisch im Medium der Ehe) deutet; die Religiosität A scheitert an der autonomen Realisierung
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eigene Verzweiflung Sünde zu nennen – er schließt m.a.W. diese Fähigkeit i.S. einer notwendigen Ermöglichungsbedingung seiner selbst mit ein. Vgl. dazu SKS 11, 130 u. 242 / GW1 KT, 10 u. 134. Demnach liegt Glaube genau dann vor, wenn das Selbst, „indem es sich zu sich selbst verhält, und indem es es selbst sein will, … durchsichtig in der Macht [gründet], welche es gesetzt hat“ (ebd., 130 / 10). Vgl. NB4:159, SKS 20, 362 f. / T 2, 229 f. Dass die Selbstwahltheorie des Ethikers in Entweder – Oder II auf einer strukturell analogen Gedankenfigur basiert, habe ich zu zeigen versucht in: H. Schulz 1994, 253 – 257. Kierkegaard unterscheidet bekanntlich „drei Existenzsphären: die ästhetische, die ethische und die religiöse. Diesen entsprechen zwei Grenzgebiete (Confinien): die Ironie ist das Grenzgebiet zwischen dem Ästhetischen und dem Ethischen; der Humor ist das Grenzgebiet zwischen dem Ethischen und dem Religiösen“ (SKS 7, 455 / GW1 AUN2, 211; vgl. SKS 6, 439 / GW1 SLW, 507). Zur Unterscheidung zwischen Religiosität A und B vgl. SKS 7, 505 – 509 / GW1 AUN2, 266 – 271.
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absoluter Selbstvernichtung vor Gott als der notwendigen Vorbedingung zu ihrer Lösung; erst und allein der Christ sieht und lçst die Aufgabe, auf der Basis des Sündenbewusstseins, und bewegt sich damit sowohl epistemisch wie ethisch und ontologisch in der „Sphäre der Erfüllung“67. Allein, er sieht und löst sie nicht aus eigener Kraft. 6. Kierkegaard schärft freilich unermüdlich ein, dass die Wahrheit dieser Dialektik auf der realen Möglichkeit paradoxer Sachverhalte, und d. h. hier auf der Wahrheit einer nicht nur unbegründeten oder unbegründbaren, sondern rational schlechthin abgründigen Ausgangsprämisse beruht: Der Grund der Möglichkeit, dass Ewiges zeitlich oder Göttliches menschlich wird – kurz: dass Ewiges oder Göttliches wird –, entzieht sich menschlichem Verstehenwollen als ein prinzipiell Nichtverstehbares. Dasselbe gilt in Analogie vom ,Wunder‘ des Glaubens und der Wiedergeburt des Sünders,68 ebenso auch von der Erbsünde als einer Form des Werdens, die zugleich und paradoxerweise ein radikales Anderswerden des Menschen qua Geburt einschließen soll.69 Nichtsdestoweniger treibt jenes Nichtverstehbare unablässig zum Versuch des Verstehens – wohlgemerkt: von etwas als demjenigen, worin es selber seinen eigenen Untergang findet. Nicht nur der äußerste und höchste Gegenstand leidenschaftlichen Verstehenwollens enthüllt sich mithin als paradox, sondern auch dieses selber, und mit ihm alle Leidenschaft als solche.70 Da nun einerseits Kierkegaards ,theologisches‘ Denken insgesamt auf das Paradox einer durch Gottes Handeln ermöglichten sowie im Glauben verwirklichten und seiner selbst gewissen Teilhabe des menschlichen Daseins am ,Ewigen im Augenblick‘ der unbedingten Legitimität des eigenen Daseins zielt; und da diese Gedankenfigur zweitens genuin eschatologischer Art ist71, erscheint der Schluss weder abwegig noch 67 68 69 70
SKS 6, 439 / GW1 SLW, 507. Vgl. SKS 4, 227 ff. u. 267 / GW1 PB, 17 ff. u. 62. Vgl. SKS 7, 530 f. / GW1 AUN2, 296 f. Vgl. SKS 4, 242 – 250 / GW1 PB, 34 – 44; eben deshalb kann aus Kierkegaards Sicht das Christentum auch nicht ,geradewegs‘, nämlich als vernunftgemäß empfohlen bzw. zum Gegenstand einer philosophischen Apologie werden. Als Paradox ist und bleibt der Gottmensch für alle Zeiten ein „Zeichen des Widerspruchs“ (SKS 12, 131 / GW1 EC, 119); als solches macht er ,Herz und Sinn‘ derer offenbar, die mit seiner bzw. mit der in ihrer Paradoxalität eo ipso Ärgernis erregenden Botschaft des christlichen Glaubens konfrontiert werden, dass er der Inkarnierte, mithin derjenige ist, in dem Gott Mensch bzw. das Ewige zur Rettung des Menschen zeitlich wurde. 71 Vgl. dazu vor allem: Schäfer 1968, 44 ff.; H. Schulz 1994, 477 – 492.
IV. Das Beanspruchte und das Verdankte
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überraschend, dass Kierkegaards existenzdialektisch profilierte Theologie in toto wenig mehr bietet als die Entfaltung des Grundgedankens einer – wohlgemerkt: individuellen und realisierten – Eschatologie. Diese erörtert als solche in dezidiert christlicher Perspektive die Bedingungen, unter denen menschliche Selbstverwirklichung ,im Augenblick‘, d. h. in einer vom Gehalt des Ewigen erfüllten Gegenwart möglich, und zwar jederzeit möglich ist.72
IV. Das Beanspruchte und das Verdankte 1. Ich schließe mit einigen weiterführenden Überlegungen, die die voran stehende Rekonstruktion des Kierkegaardschen Grundgedankens mit Blick auf das Problem der Selbstverwirklichung nicht nur systematisch zuspitzen, sondern auch in Umrissen deutlich machen sollen, ob und mit welchen Einschränkungen ich Kierkegaards Position für plausibel halte. Die Zuspitzung ist mit dem Versuch verknüpft, den bisher referierten Gedankengang auf die Gegenläufigkeit zweier Grundhaltungen zurückzuführen, die sich an den Stichworten Anspruch und Dank festmachen lassen. Menschliche Existenz, so kann im Anschluss an Kierkegaard festgehalten werden, hat die Struktur einer Transzendenzbewegung. Wir transzendieren, z. B. im Modus des Wünschens, das Endliche durch (bzw. etwas als) das und im (bzw. in etwas als dem) Unendliche(n), entsprechend das Notwendige im Möglichen etc. Existieren ist demnach keine, im einzelnen Subjekt zudem mehr oder weniger ausgeprägte Eigenschaft; sie ist auch keine bloße Disposition zu einem bestimmten Verhalten und auch kein faktisches Sich-Verhalten simpliciter. Existieren heißt vielmehr (zumindest mit Blick auf eine seiner notwendigen strukturellen und formalen Ermöglichungsbedingungen) Sich-Verhalten bzw. Handeln qua Transzendieren oder Vollziehen. Vollzug meint dabei Aktualisierung von etwas (z. B. eines Wunsches) als Ausdruck einer Daseinsmöglichkeit oder einer im (z. B. wünschenden) Vorgriff entworfenen Möglichkeit letztgültigen und im Ganzen sinnvollen Lebens. Genau genommen wird menschliches Handeln oder Sich-Verhalten erst dadurch und dann zum (Lebens-)Vollzug, wenn der Handelnde es im begleitenden, obschon 72 Vgl. NB15:42, SKS 23, 30 / T 4, 85: „Die Bedingung für die Rettung eines Menschen ist der Glaube daran, daß es überall und in jedem Augenblick unbedingten Beginn gibt.“
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zunächst und zumeist latenten Bewusstsein dieses Handelns als einer gültigen, Ganzheit und Sinn verbürgenden und darin unbedingt berechtigten Gestalt menschlicher Existenz ,vollzieht‘. Das Verhalten des handelnden Subjektes zu sich selbst kann mithin zurückgeführt werden auf ein durch das unbedingte Interesse an deren Verwirklichung bestimmtes Verhalten zu etwas als einer solchen Daseinsmöglichkeit. Selbstsein ist Vollzug, und zwar Vollzug von etwas als Ausdruck des Selbstseins. Dieser Vollzug lebt von einem nicht ohne weiteres als berechtigt gegebenen Anspruch. Menschen sind nicht taub, traurig oder talentiert, sondern sie sind bzw. vollziehen – in je spezifischer Weise – dieses ihr Taub-, Traurig- oder Talentiertsein, und zwar im Horizont eines, sit venia verbo, existenziellen Letztbegründungsanspruchs. Sie vollziehen m.a.W. Trauer, Taubheit oder Talent o. ä. im Vorgriff auf einen Totalentwurf ihres Daseins, in dem jene Eigenschaften, Anlagen oder Vermögen eine (im Einzelnen jeweils unterschiedlich bestimmbare) Rolle spielen sollen. Auch in dieser Hinsicht ist die Bewegung des Wunsches erhellend: Jeder Wunsch wird aktualisiert im und als mindestens latenter Vorgriff auf eine vom Wünschenden selbst entworfene Ganzheit oder letzthin gültige Gestalt seiner selbst, als eines solchen. Natürlich weiß der Betreffende, dass die Erfüllung eines Wunsches nicht von ihm (allein) abhängt; und er mag sich zuweilen auch dessen bewusst sein, dass diese Erfüllung auch in dem Sinne ausbleiben kann, dass das Erwünschte zwar eintrifft – aber nicht als das Erwünschte, d. h. anders als im Modus des erwarteten Zufriedenheits-, Glücks- oder Wunscherfüllungserlebnisses. Desungeachtet glaubt er im Vorgriff des Wunsches einen dreifachen, wenn auch zumeist unausdrücklichen Anspruch geltend machen zu können: erstens, dass das Selbst, das durch die Erfüllung jenes Wunsches zumindest mit konstituiert würde, mit der letztgültigen Gestalt des eigenen, ,idealen‘ Selbst identisch und auch nur als solches akzeptierbar wäre; zweitens, dass es Aufgabe des Wünschenden und dieser im Übrigen auch dazu fähig sei, dieses im wünschenden Vorgriff latent als sein eigenes projektierte Selbst Wirklichkeit werden zu lassen; schließlich und drittens, dass der Vorgriff des Wunsches an der Wirklichkeit dessen bereits partizipiert, worauf als einer zu verwirklichenden Möglichkeit er allererst vorgreift – d. h. an seiner eigenen Erfüllung.73 Ansprüche werden ferner nicht nur auf und im Namen von bzw. unter Berufung auf etwas erhoben, sondern auch gegenîber von jemandem oder 73 Vgl. zu dieser dritten Anspruchsdimension H. Schulz 2006, 130 f.
IV. Das Beanspruchte und das Verdankte
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etwas, der oder das für ihre Erfüllung entweder einstehen oder aber ihr Recht im Einzelfall bestreiten könnte. Sie sind mithin wesenhaft zweideutig – nicht nur deshalb, weil ihre Erfüllung ausbleiben, sondern auch und vor allem deshalb, weil ihr Recht bestritten werden kann. Die Rechtmäßigkeit von Ansprüchen sowie das prinzipielle VorhandenseinKönnen und -Sollen dessen, worauf sie sich richten, wird dabei ihren (wie immer spezifizierten) Adressaten gegenüber als ein vermeintlich Selbstverstndliches behauptet, jenes Recht mithin als unmittelbar evident in Anspruch genommen. Wir gehen ,wie selbstverständlich‘ davon aus, nicht nur die Wahrheitsfähigkeit unserer Erkenntnis bezüglich der ,wahren‘ Gestalt unseres Selbst sowie auf unsere eigene Integrität im Blick auf das zugrunde liegende Realisierungsvermögen, dessen Teil jene Erkenntnis ist, beanspruchen zu können, sondern auch das Gegebensein der für jene Realisierung erforderlichen bzw. förderlichen Daseinsbedingungen. All das (und wohl auch nur das), was wir auf diese Weise beanspruchen, kann uns überdies, als ein solches nämlich, genommen werden. Unser Anspruch mag entweder berechtigt sein, aber faktisch nicht erfüllt werden (können); oder er kann zu Unrecht erhoben worden sein – wobei ersteres, zumindest phänomenologisch, auf letzteres reduzierbar ist.74 Dasjenige aber, was uns, als ein Beanspruchtes, im Blick auf die Realisierung unserer Daseinsentwürfe genommen werden kann, macht uns i.S. der Unverfügbarkeit der Gelingensbedingungen dieses Daseins in einem begrenzten, präzise bestimmbaren Sinne unfrei. Den Entwurf, den Versuch und das Gelingen der Umsetzung dessen, was das Selbst zu sein und sein zu sollen beansprucht, vollzieht es in Kraft und Beanspruchung von etwas, das nicht es selbst und nicht durch es selbst ist noch sein kann: kontingente Impulse seines eigenen, ihm selber undurchsichtigen Innern (i.S. bestimmter Anlagen, Fähigkeiten, Bedürfnisse, Stimmungen, Ideen, Antriebe etc.), verknüpft mit nicht minder kontingenten und daher gleichermaßen unverfügbaren äußerlichen Daseinsbedingungen. Vollzugsinstanz, Vollzug und Vollzugsresultat fallen daher selbst dann auseinander, wenn die Daseinsansprüche des Subjektes diesem deswegen als berechtigt erscheinen, weil und insofern es sie kontingentermaßen als erfüllt erlebt. Wer seine eigene Selbstverwirklichung z. B. damit stehen und fallen sieht, als Bühnenstar gefeiert zu werden, und wer dieses Ziel 74 Auch die faktisch unerfüllt gebliebene (oder sich als unerfüllbar erweisende) Daseinsmöglichkeit erscheint uns, im Medium der Reue nämlich, als eine illusionär bzw. zu Unrecht beanspruchte.
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nach eigener Einschätzung nicht erreicht, der ist nicht primär deshalb unfrei, weil sein Ziel schlicht unerreicht blieb; und er zieht dieses Urteil auch nicht bloß deshalb auf sich, weil er über die (inneren und äußeren) Bedingungen nicht zu verfügen vermag, die ihn aus seiner Sicht das ersehnte Ziel hätten erreichen lassen. Seine Unfreiheit wird vielmehr dadurch konstituiert, dass er durch die Art und Weise seines Strebens (als einem auf spezifischen Ansprüchen beruhenden) die Möglichkeit zunichte macht, dessen Bedingungen in den Vollzug des Strebens mit aufzunehmen. Und diese Voraussetzung wäre ihrerseits nur dann erfüllt, wenn sich der Strebende dem möglichen Gewährtsein wie dem möglichen Vorenthalt der für die Verwirklichung seines Strebens erforderlichen (inneren und äußeren) Bedingungen als etwas bewusst werden und beides als etwas akzeptieren könnte, das seinerseits gänzlich frei, unter keinen Umständen aber als Resultat der geschuldeten Erfüllung eines Anspruchs – oder aber als dessen Erfüllungsverweigerung – zustande kommt. Im Falle des verfehlten Strebens nach Selbstverwirklichung ist es folglich die Art und Weise des Strebens selber, die die Möglichkeit vereitelt, das Erstrebte zu erreichen. All das, was dem nach Selbstverwirklichung Strebenden im bezeichneten Sinne genommen werden und ihn daher partiell unfrei machen kann, besiegelt dabei auch im Falle seines kontingenten Gewährtseins das prinzipielle Scheitern des jeweiligen Existenzentwurfs.75 Scheitern kann der Betreffende ausschließlich an Ansprüchen, und zwar nur an solchen, die er selber erhoben, mindestens aber sich unmittelbar zu eigen gemacht hat – ja dies Scheitern ist streng genommen nichts anderes als die (oder nicht anders als im Modus der) Ent-täuschung über jene Ansprüche als faktisch – und als faktisch zu Unrecht – erhobener. 2. ,Sich selbst verwirklichen‘, und zwar i.S. der aufgehobenen Möglichkeit solchen Scheiterns, würde eine Person infolgedessen genau dann, wenn sie imstande wäre, das eigene Dasein in etwas gründen zu lassen, das ihr unter keinen Umständen genommen werden und sie insofern nicht der eigenen Freiheit – in einem positiv noch zu kennzeichnenden Sinne – berauben könnte. Und da ihr ex hypothesi nur und all das genommen werden kann, worauf sie i.S. einer als gleichermaßen selbstverständlich wie unbedingt gültig prätendierten Daseinsmöglichkeit Anspruch erhebt, müsste es sich um etwas handeln, in dem zu gründen mit dem Verzicht auf 75 Demnach kann streng genommen erst diejenige Daseinsform als gelungen gelten, in dessen Vollzug die Möglichkeit des Scheiterns aufgehoben ist.
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jeden entsprechenden Anspruch einherginge. In Korrespondenz zum Sich-Verhalten des Anspruchs müsste es sich also um eine existenzbestimmende Grundhaltung handeln. Nach meiner Auffassung ist Dankbarkeit ein diesbezüglich aussichtsreicher Kandidat, und zwar i.S. der mindestens hinreichenden (wenn auch vermutlich nicht notwendigen) Bedingung zur möglichen Vermeidung jener Probleme, die mit der Grundhaltung des Anspruchs sowie denjenigen Formen vergeblich erstrebter Selbstverwirklichung einhergehen, die mit ihr verknüpft sind. Zu dieser Hoffnung berechtigt eine Phänomenologie des Dankes bzw. der Dankbarkeit, die ich hier allerdings nur in Umrissen, nämlich in weitest möglicher Entsprechung zu den o.g. Aufbaumomenten der Anspruchshaltung skizzieren kann. Zunchst: Beide Grundhaltungen, die des Anspruchs und die der Dankbarkeit, schließen einander aus; kein Beanspruchtes kann als solches ein mit Dank Empfangenes bzw. empfangen werden Könnendes, umgekehrt kein mit Dank Empfangenes ein faktisch oder möglicherweise Beanspruchtes sein. Zweitens: Danken heißt ent-selbstverständlichen – denn es ist offensichtlich semantisch wie pragmatisch inkonsistent, für etwas als ein Selbstverständliches bzw. selbstverständlich Gewährtes oder als ein unmittelbar in Anspruch zu Nehmendes danken zu wollen. Dankbarkeit ist oder enthält mithin eine Reflexionsbestimmung: Mit Dank empfangen wird ein – oder genauer: etwas als ein – Geschenk; Geschenke aber können nur als solche bzw. als ein frei und ungenötigt Gewährtes empfangen werden.76 Drittens: Im Danken ist die Zweideutigkeit des Beanspruchten aufgehoben. Ansprüche können, wie wir gesehen haben, etwas oder je76 Gesetzt also, die Bestimmung unseres Daseins bestünde i.S. vollkommener Selbstverwirklichung darin, es als ganzes mit Dankbarkeit empfangen zu können; gesetzt ferner und in Übereinstimmung mit dem bisher Gesagten, dass nichts Selbstverständliches ein mit Dank Empfangenes sein kann (und umgekehrt!), dann folgt daraus, dass die Bestimmung unseres Daseins i.S. vollkommener Selbstverwirklichung jedenfalls immer auch darin bestünde, es vollständig zu entselbstverständlichen, ihm jede Selbstverständlichkeit im Blick auf dasjenige zu rauben, worauf wir i.S. je individueller Selbstverwirklichung immer schon unmittelbar Anspruch erheben und erheben zu dürfen glauben. Dankbarkeit wäre danach diejenige Grundhaltung oder Daseinsform, in der mit der Aufhebung jeglicher Selbstverwirklichungsansprüche auch die der Möglichkeit des Scheiterns eben dieser Ansprüche notwendig einherginge. Nur scheinbar paradox, könnte Selbstverwirklichung erst da gelingen, wo sie nicht länger beansprucht, dieser Anspruch umgekehrt erst da zu Recht bestehen, wo auf ihn verzichtet wird.
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mandem gegenüber erhoben werden, das oder der sie erfüllen oder aber bestreiten und als bestrittene unerfüllt lassen kann. Diese Ambivalenz ist im Medium des Dankes überwunden, und zwar auf rein subjektiver Grundlage überwunden. Grund und Sinn der Dankbarkeit sind daher in gewissem Sinne unbestreitbar – nicht deshalb, weil beides für jedermann einsichtig zu machen wäre, sondern schlicht deswegen, weil es zur Ontologie (oder wenn man lieber will: zur Grammatik) der Dankbarkeit gehört, dass deren Grund und Sinn zwar nicht zwangsläufig nur, wohl aber für jeden faktisch Dankenden selber unabweisbar ist. Es scheint müßig, den Dankbaren von der Unsinnigkeit seines Dankes überzeugen zu wollen, nicht aber, den Rechtsansprüche Usurpierenden eben dieser Usurpierung zu überführen. Und dies hängt weniger an der Reflexivität als an der Perspektivität des Dankes: Wir danken für etwas als Geschenk; ein Geschenk aber muss der Beschenkte nicht nur als solches, sondern auch als ein ihm gewährtes, bestimmtes und zugeeignetes annehmen. Wenn aber feststeht, dass sich etwas als Geschenk Empfangenes de facto im Besitz der dankenden Person befindet oder diese es zumindest als ein solches erfährt und aneignet, dann kann nicht mit Gründen bestritten werden, dass der Dank, in dessen Medium die betreffende Sache als ein Geschenk und d. h. zugleich als ein jener Person Bestimmtes und Gewährtes empfängt, unangemessen bzw. grund- und sinnlos sei.77 Derselbe Sachverhalt lässt sich auch sprachphilosophisch pointieren, nämlich mit dem Hinweis darauf, dass ,danken‘ zu den sog. illokutionären Sprechakten gehört: „Indem ich sprechend danke, wird das wirklich, was mit dem Wort gemeint ist.“78 Das heißt aber: Grund und Sinn dessen, wofür jemand dankt, werden im Sprachvollzug des Dankes selber wirklich – als ein de facto Dankenswertes nämlich bzw. als Geschenk. Schließlich und viertens: Der Dankbare ist nicht zwangsläufig metaphysisch, wohl aber im phänomenologischen Sinne frei – und zwar frei aus mindestens vier Gründen. Erstens und trivialerweise deshalb, weil er freiwillig und d. h. ungenötigt dankt. Zweitens insofern, als sein Dank 77 Diese Restriktion auf die Perspektive der ersten Person geht freilich mit einer irreduziblen Intransitivität des Dankes einher: Dankbar sein kann ich recht verstanden nur für mein eigenes Dasein (oder genauer: für ein mir Geschenktes). Für das eines anderen kann ich allenfalls im Verhltnis zu meinem eigenen dankbar sein. Nicht dankbar sein kann ich für dessen Dasein an sich bzw. in seiner speziellen Beschaffenheit (die unter anderem das Selbstverhältnis des anderen einschließt). Und ebenso wenig kann und darf ich für die Welt im Ganzen (bzw. deren Beschaffenheit im Einzelnen) dankbar sein. Vgl. dazu: Henrich 1999, 187 f. 78 Ebd., 185.
V. Ausblick und Schluss
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nicht nur dem Glauben, sondern auch der diesem zugrunde liegenden Tatsache korrespondiert, dass ihm, dem Dankenden, das Verdankte – als ein solches – nicht genommen werden kann. Wenn uns, wie wir gesehen haben, etwas nur als Beanspruchtes genommen oder aber mit dem Anspruch, von ihm verschont zu bleiben, zugefügt werden kann, so dass wir umgekehrt im Blick auf all das, was uns genommen oder zugefügt werden kann, einen Anspruch geltend gemacht haben müssen (entweder den, es zu besitzen, oder den, von ihm verschont zu bleiben); und wenn ferner kein Beanspruchtes ein Verdanktes und umgekehrt kein Verdanktes ein Beanspruchtes sein kann, dann kann uns nichts von dem, was wir mit Dank empfangen, genommen oder aber sein Vorenthalt (i.S. eines Leidensanlasses) zugefügt werden. Wir sind dann frei nach dem Maß und der Reichweite dessen, wofür wir – jedenfalls im Blick auf unsere eigene Person – zu danken vermögen. Drittens erscheint der Dankende auch im Blick auf die Eigenart des Dankens als Handlungs- oder Entscheidungsvollzug als frei. Denn dieses Attribut verdient jeder, freilich auch nur derjenige Handlungs- oder Entscheidungsvollzug, durch den die Gewährung der Möglichkeit aufrechterhalten wird, ihn weiterhin zu vollziehen. Und diese Bedingung ist ihrerseits immer (und möglicherweise auch nur) dann erfüllt, wenn der betreffende Akt als Dank, d. h. im Bewusstsein eines – seinerseits freien und ungeschuldeten – Gewährtseins seiner Ermöglichungsbedingungen durch ein anderes vollzogen wird. Der Dankende ist frei, wenn und insofern er die Bedingungen seines Vollzuges, als eines seinerseits freien, in diesen mit aufnehmen kann. Schließlich und viertens gelangt ein Geschenk, als solches nämlich, allein durch den Dank des Beschenkten selbst in dessen ,Besitz‘ und behält auch nur kraft dieser Bedingung die Eigenschaft, ihm zu ,gehören‘. Auch hier kann in einem phänomenologisch präzisen Sinne von Freiheit gesprochen werden: Der Dank steht vollständig in der Macht des Dankenden; denn er richtet sich auf etwas als Geschenk, und einzig und allein kraft seines Empfangenwerdens als eines solchen, und d. h. eben im Medium des Dankes, kann etwas Geschenk sein.
V. Ausblick und Schluss 1. Die voran stehenden Überlegungen sind weder von der Behauptung logisch abhängig noch mit dieser faktisch verbunden, dass sich Dankbarkeit als einzig real mögliche und/oder denkbare Form der Überwindung und Aufhebung derjenigen Bedingungen ausweisen lässt, die der
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Möglichkeit existenziellen Scheiterns zugrunde liegen. Ebenso wenig wird hier der Anspruch der Nachweisbarkeit, erst recht nicht der des faktischen Nachweises erhoben, dass diese Haltung nur möglich und sinnvoll ist, wenn und insofern sie als eine auf ein personales Gegenîber gerichtete gedacht wird.79 Bewusst offen gelassen wird drittens und a fortiori die Frage, ob sinnvoller Weise nur (ein theistisch-personal gedachter) Gott Adressat des Dankes, zumindest aber jener besonderen Form von Dankbarkeit sein könne, kraft derer sich dessen Subjekt auf das Gegeben- und Bewahrtsein, die Zielbestimmung sowie das eschatologische Gelingen des eigenen Daseins im ganzen richtet. Schließlich und viertens ist die Richtigkeit meiner Überlegungen unabhängig von einer Antwort auf die sicherlich nahe liegende Frage, ob, inwieweit und unter welchen Bedingungen die Haltung des ,Existenz bestimmenden‘ Dankes überhaupt eingenommen bzw. realisiert werden kann. Tatsächlich behauptet wird dem gegenüber: erstens, dass sich die Grundhaltung der Dankbarkeit Gott gegenüber als die reale Möglichkeit der Überwindung und Aufhebung der Bedingungen existenziellen Scheiterns hinreichend, wenn auch nicht eo ipso notwendig bedingend aufweisen lässt; zweitens, dass der Gottesglaube, jedenfalls in seiner spezifisch christlichen Form, seinerseits hinreichende Bedingungen für die Möglichkeit, jene Haltung einzunehmen, bereit stellt; drittens, dass Kierkegaard beiden zuletzt genannten Behauptungen zustimmen würde, diese bzw. ihre Erläuterung mithin umgekehrt als Interpretament der durch ihn vertretenen Selbstverwirklichungsidee dienen können ( jedenfalls insoweit diese sich im Horizont jener beiden Aussagen explizieren lässt80); schließlich und viertens, dass die genannten Behauptungen, jedenfalls in diesem begrenzten Sinn und Umfang, plausibel sind. 79 Ich neige dazu, Ernst Tugendhat in diesem Punkt Recht zu geben, der im Gegenzug zur Auffassung Dieter Henrichs dafür votiert, dass die Idee der Dankbarkeit semantisch, phänomenologisch, ethisch und religiös nur unter der Voraussetzung sinnvoll sein kann, dass die entsprechende Haltung als auf ein personales Gegenüber gerichtet gedacht wird: vgl. Tugendhat 2007, 195 – 198. Dass damit freilich (auch und gerade aus der Sicht Tugendhats) über Möglichkeit, Sinn und Rationalität dieser Haltung insbesondere dann noch nichts entschieden ist, wenn sie sich auf Gott richten soll, versteht sich von selbst. 80 Hinweise zur (primär ethisch-religiösen) Funktion und Bedeutung der Dankbarkeit finden sich vor allem in Kierkegaards erbaulichen Reden zu Jak 1, 17 – 22: SKS 5, 41 – 56 / GW1 2R43, 407 – 424; SKS 5, 129 – 158 / GW1 4R43, 22 – 56; vgl. ferner Not7:3.a, SKS 19, 206 / DSKE 3, 220; Not7:55, SKS 19, 219 / DSKE 3, 234 sowie NB27:80, SKS 25, 196. Auf das Strukturmodell des Selbst in der
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Kierkegaard selbst geht freilich über die zwei von mir zur Diskussion gestellten Thesen hinaus. Dies lässt sich am syllogistisch komprimierten Duktus seiner im Voranstehenden en détail rekonstruierten Argumentation deutlich machen, deren Plausibilität bezüglich der Selbstverwirklichungsproblematik auf mindestens fünf Prämissen beruht: (1) Keine mögliche Selbstverwirklichung und kein mögliches Gelingen menschlichen Existierens ohne Sich-Verstehen in Existenz. (2) Kein mögliches Sich-Verstehen in Existenz im Medium der Sînde. (3) Kein Mensch ohne (Möglichkeit und Wirklichkeit der) Sünde. (4) Keine mögliche Aufhebung der Sünde ohne Glaube. (5) Kein möglicher Glaube ohne Gott. 81 (6) Ergo keine mögliche Selbstverwirklichung, kein mögliches SichVerstehen in Existenz und kein mögliches Gelingen menschlichen Existierens ohne Gott. 2. Während ich meinen eigene Beweisanspruch im vorliegenden Argumentationszusammenhang auf die Behauptung beschränke, dass der Gottesglaube die Möglichkeit menschlicher Selbstverwirklichung hinreichend bedingt und in dieser Funktion auch auf bloßem Vernunftwege einsichtig gemacht werden kann, geht Kierkegaard einen Schritt weiter, indem er erklärt, jener müsse diesbezüglich als (hinreichende und) notwendige Bedingung gelten. Selbstverständlich liegt mit dieser Differenz Krankheit zum Tode hat den Begriff der Dankbarkeit in erhellender Weise bezogen: Minear 1962, 297 – 307. 81 Gemeint ist hier der christliche Glaube, und zwar in seiner spezifisch protestantischen Selbstauslegung als unbedingtes Vertrauen in die jedem Glaubenden als einem solchen geltende Heilszusage Gottes (wobei diese sich auf die an Tod und Auferstehung Jesu manifest gewordene Möglichkeit der Teilhabe an Sündenvergebung und ewigem Leben bezieht). Vgl. in diesem Sinne z. B. Luthers einschlägige Aussagen im Großen Katechismus, in: BSLK Göttingen 19798, 560 – 572 u. 647 – 653. Argumentationslogisch entscheidend ist dabei, dass der Sünder, als solcher, die Haltung unbedingten Vertrauens nach protestantischem Verständnis nicht aus eigener Kraft zu generieren vermag – und zwar vor allem deshalb nicht, weil er sie de facto gar nicht generieren will bzw. wollen kann (vgl. dazu nochmals die Bekenntnisschriften, a.a.O., 73 (hier = CA XVIII)). Gott ist nach protestantischem Selbstverständnis immer auch (wenn auch nicht ausschließlich) als Grund des Glaubens dessen Gegenstand, und in diesem sowohl logisch wie genetisch akzentuierbaren Sinn gilt eben: Kein möglicher Glaube ohne Gott. Dies entspricht aber in der Sache durchaus auch Kierkegaards Auffassung; vgl. z. B. SKS 4, 261 – 264 / GW1 PB, 56 – 60; außerdem oben Abschn. III / 4.
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kein unüberwindbarer Dissens vor, insofern der genannte Zusatz erstens mit der von mir behaupteten These logisch kompatibel ist und ich Kierkegaard zweitens darin zustimmen würde, dass sich dieser Zusatz allein als dezidiert (christlich-)dogmatische Behauptung aufrecht erhalten, nicht aber auf rein argumentativem Wege plausibel machen lässt. Entsprechendes gilt für die Verknüpfung von Gottesglaube, Selbstverwirklichung und Dankbarkeit. Folgt man meiner Argumentation, so ergibt sich: (7) Dankbarkeit für das Gegeben-, Bewahrt- und Bestimmtsein der eigenen Existenz im Ganzen bedingt die mögliche Selbstverwirklichung des Dankenden hinreichend. (8) Der Gottesglaube bedingt die mögliche Dankbarkeit für das Gegeben-, Bewahrt- und Bestimmtsein der eigenen Existenz im Ganzen hinreichend. (9) Ergo bedingt der Gottesglaube die mögliche Selbstverwirklichung des Dankendenhinreichend. Auch dieses Ergebnis radikalisiert Kierkegaard, wenn ich recht sehe, durch eine Doppelspezifizierung, wobei im Blick auf Art und Ausmaß der faktischen Differenz zu der von mir vertretenen Auffassung das zuvor Gesagte gilt: (10) Dankbarkeit für das Gegeben-, Bewahrt- und Bestimmtsein der eigenen Existenz im Ganzen bedingt die mögliche Selbstverwirklichung des Dankenden (hinreichend und) notwendig. (11) Der Gottesglaube bedingt die mögliche Dankbarkeit für das Gegeben-, Bewahrt- und Bestimmtsein der eigenen Existenz im Ganzen (hinreichend und) notwendig. (12) Ergo bedingt der Gottesglaube die mögliche Selbstverwirklichung des Dankenden (hinreichend und) notwendig. Erweitert man in diesem Sinne die in den Sätzen (1) – (6) komprimierte Argumentation Kierkegaards, so ergibt sich: (13) Keine mögliche Selbstverwirklichung und kein mögliches Gelingen menschlichen Existierens ohne Sich-Verstehen in Existenz. (14) Kein mögliches Sich-Verstehen in Existenz ohne Dankbarkeit für das Gegeben-, Bewahrt- und Bestimmtsein der eigenen Existenz im Ganzen. (15) Keine mögliche Dankbarkeit für das Gegeben-, Bewahrt- und Bestimmtsein der eigenen Existenz im Ganzen im Medium der Sünde.
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(16) (17) (18) (19)
Kein Mensch ohne (Möglichkeit und Wirklichkeit der) Sünde. Keine mögliche Aufhebung der Sünde ohne Glaube. Kein möglicher Glaube ohne Gott. Ergo keine mögliche Selbstverwirklichung, kein mögliches SichVerstehen in Existenz, keine mögliche Dankbarkeit für das Gegeben-, Bewahrt- und Bestimmtsein der eigenen Existenz im Ganzen und kein mögliches Gelingen menschlichen Existierens ohne Gott. Würde man das Resultat dieses Argumentationszusammenhangs auf die Quintessenz der Kierkegaardschen Auslegungsvarianten zu Jak 1,1782 übertragen, so ergäbe sich in abbreviatorischer Zuspitzung folgendes Ergebnis: Als ein von Gott im Medium der Dankbarkeit Empfangenes ist alles gute Gabe – mit der Konsequenz, dass X nur als gute Gabe ein von Gott im Medium der Dankbarkeit Empfangenes sein kann. Umgekehrt kommt alle gute Gabe, als ein im Medium der Dankbarkeit Empfangenes, von Gott – mit der Konsequenz, dass X nur als ein von Gott Kommendes gute Gabe, mithin ein im Medium der Dankbarkeit Empfangenes sein kann. 3. Dankbarkeit für das Gegeben-, Bewahrt- und Bestimmtsein der eigenen Existenz im Ganzen bedingt die Möglichkeit menschlicher Selbstverwirklichung mindestens hinreichend; die Ermöglichung von Dankbarkeit in diesem Sinne wird ihrerseits hinreichend durch den (christlich konnotierten) Gottesglauben bedingt. Wer dazu neigt, dieser schwachen Variante einer Kierkegaard-inspirierten Lesart der Idee von Selbstverwirklichung zuzustimmen, sollte um willen einer realistischen Einschätzung ihrer philosophischen Tragweite und Tragfähigkeit nicht übersehen, dass drei erkenntnistheoretisch, ethisch und religionsphilosophisch zentrale Fragen mit dieser noch nicht gar nicht berührt, geschweige denn befriedigend beantwortet sind. Erstens: Reicht Dankbarkeit hin, um menschliche Selbstverwirklichung nicht nur möglich, sondern auch wahrscheinlich zu machen – wahrscheinlicher jedenfalls als konkurrierende Bestimmungsgründe der Praxis humaner Selbstverwirklichung? Zweitens: Wird die Annahme der Existenz eines (theistisch vor verstandenen) Gottes unter Berufung auf die Faktizität jener Dankbarkeit, deren Möglichkeit er zumindest hinreichend bedingt, gleichfalls wahrscheinlicher als ohne diese – oder wahrscheinlicher als im Rekurs auf einen konkurrierenden Beweis- und Beweggrund? Schließlich und 82 Vgl. Fußn. 80
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drittens: Lässt sich, ob unabhängig oder abhängig von der Beantwortung dieser beiden Fragen, die Forderung als theoretisch und/oder praktisch rational rechtfertigen, an Gott zu glauben und/oder für das Gegeben-, Bewahrtund Bestimmtsein der eigenen Existenz im Ganzen dankbar zu sein? Wie sich im Einzelnen zeigen ließe, geht Kierkegaard auch in der Beantwortung dieser Fragen eigenständige, ja streckenweise höchst eigenwillige Wege. Diese im Einzelnen nachzugehen ist hier indessen weder Raum noch Anlass.
7. To Believe is to Be. Reflections on Kierkegaard’s Phenomenology of (Un-)Freedom in The Sickness unto Death * Consider the man who is locked in a room and who does not know it. He may certainly make a choice about staying, despite the fact that he has no choice about staying. Peter van Inwagen
Many years ago, when I was still teaching philosophy at High-school, there was a particularly gifted young man – let’s call him G. – among my pupils. One day, we were just discussing Jean Paul Sartre’s proof of human freedom, G. at one point came up with the following question: “Do you deem it possible to feel free without in fact being free? Or vice versa: Could you imagine being free without feeling it?” For a moment I was surprised and perplexed, to say the least – and, of course, I couldn’t answer his question right away (nor could his classmates). Now, one main reason, why it kept hold of me for the rest of the day was that it strongly reminded me of something in Kierkegaard’s theory of freedom in The Sickness unto Death (hereafter: SUD). The main intention of this paper, then, is (a) to justify the claim that there is indeed a certain connection between G.’s problem and Kierkegaard’s thought; (b) which kind of connection there is; and (c) to account for both points by giving an outline of Kierkegaard’s phenomenology of (un-)freedom with constant, though not exclusive reference to SUD.
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I would like to thank Gordon Marino, Northfield / MA, for his invaluable help in preparing the final version of this article.
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Reflections on Kierkegaard’s Phenomenology of (Un-)Freedom
I. Apart from a few passages where Kierkegaard and / or his pseudonyms apply the metaphysical, or in his case: the theological perspective of freedom1, he usually prefers the phenomenological viewpoint or, as we may say in a more Kierkegaardian fashion: the perspective of existential dialectics. That means: He is neither interested in trying to decide whether human spontaneity, choice etc. may or may not be the ’real cause’ of a person’s conduct and acting, nor is he interested in a philosophical account of events and changes in the physical world. Instead he aims at investigating and evaluating the presuppositions and various modes of experiencing freedom or unfreedom.2 This holds true in particular, though not exclusively, in the case of SUD. That the concept of freedom plays indeed a prominent role in the subtle reflections of Kierkegaard’s pseudonym Anti-Climacus (hereafter: AC), can already and most easily be shown by invoking the following claim about the self – the most important concept in the book. AC simply states: “The self is freedom.”3 Before I try to shed some light on this fundamental ontological claim, I would like to start with AC’s notion of freedom. He declares: Freedom “is the dialectical aspect of the categories of possibility and necessity”4. Now, as is well known, possibility and necessity are – among 1
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See, for instance, SKS 4, 275 / KW PF, 75 (all relative freedom as grounding in God’s absolute freedom); SKS 11, 129 f. and 145 / KW SUD, 13 f. and 29 (the human self as a derived, established synthesis, possessing derived freedom, the source of which is God); NB:69, SKS 20, 57 f. / KJN 4, 56 f. (the unity of God’s goodness and omnipotence as the fundament and presupposition of derived human freedom); NB15:93, SKS 23, 64 – 66 / JP 2, 1261 (God as the source of human freedom – in that he offers him the opportunity of choosing God) etc. For a full-scale-interpretation of Kierkegaard’s theory of freedom in the phenomenological tradition see Disse 1991. Among other more recent works on Kierkegaard’s concept of freedom that I have (partly) profited from, the following may be mentioned: Bösch 1994; Dietz 1993; Grøn 1993, 87 – 101; Pedersen 1988, 26 – 62; V. Rumble 1992, 605 – 25; J.T. Rumble 1993. See also H. Schulz 1994, 375 – 401. Older studies include: Blass 1968; Figal 1980, 112– 127; Malantschuk 1971; Malantschuk 1978, 9 – 14, 54 – 58, 75 – 83, 84 – 89, 89 – 97, 194– 196, 211 – 225; Malantschuk 1980, 19 – 31, 235 – 249; Pojman 1972; Schäfer 1968, 64 – 67, 95 – 102, 125ff; Sløk 1947, 97 – 103. SKS 11, 145 / KW SUD, 29 (my emphasis). Ibid. The Hongs’ translation sounds a little stiff here; in Danish the definition runs as follows: “Frihed er det Dialektiske i Bestemmelserne Mulighed og Nødvendighed” (SKS 11, 145).
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others – basic concepts being used by the author of SUD in order to describe the dynamical structure of the human self. As a self a human being is essentially spirit, though – unlike God – not purely eternal or infinite, but ’existing’ spirit. That means: A human being is a synthesis of dialectically opposed and reciprocally related concepts and their corresponding ways of being, namely “a synthesis of the infinite and the finite, of the temporal and the eternal, of freedom and necessity”5. According to AC we have to be more specific, though, in order adequately to account for the genuinely human aspect of a synthesis thus conceived: First, being human means to relate oneself to oneself. Therefore a self is more than just a certain kind of relation – viz. a synthesis -; it is rather a “relation that relates itself to itself”6. That means, first of all: Being a self involves having and envisaging an ideal of oneself which the individual attempts to realize. One relates to oneself by forming a specific picture of oneself, which as such corresponds to a certain goal for one’s own life and is thus ’practically’ envisaged by the individual, namely with the aim of resembling (and accepting oneself in) it. Secondly this relation – according to SUD – is not a self-established relation, but “a relation that relates itself to itself and in relating itself to itself relates itself to another”7 – namely God.8 A God, thus conceived, has not only bestowed upon human beings that particular structure of being in which they find themselves (as a self-relating synthesis); moreover, he knows and preordains every single self-concept or life-goal, according to which an individual could possibly accept itself truly and in freedom – in the face of God.9 The facticity of such a divine act of establishing 5
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SKS 11, 129 / KW SUD, 13. An earlier draft shows that Kierkegaard originally preferred necessity and freedom (instead of necessity and possibility) as the correlative concepts of the synthesis; see Pap. VIII 2 B 168,6 (in: KW SUD, Supplement, 144 – 147; here: 144 f.). The final version seems to be more exact, though, for (as will later be shown) freedom is not identical with possibility, but with the facticity of possibility (viz. the facticity of being capable). SKS 11, 129 / KW SUD, 13. Ibid., 130 / 13 f. (my emphasis). Compare, for instance, ibid., 146 / 30; Pap. VIII 2 B 168,6 (in: KW SUD, Supplement, 146 f.), where AC at least indirectly identifies the establishing power with God. His further phenomenological account shows, however, that before (or even next to) any conscious God-relationship other – finite, immanent – instances (such as family, state, nation etc.) function as misconceived substitutes for the (true) establishing power; see, for instance, SKS 11, 161 / KW SUD, 46. As to this see H. Schulz 1994, 513 f.
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the self implies that the human act of relating oneself to oneself reflects (at least implicitly) a relation to the power that established the self. Finally, AC – as a Christian10 – invokes another genuinely dogmatic premise. Every human being is – in fact, though not necessarily – affected by the consequences of what the Christian tradition calls hereditary sin11, a phenomenon, which manifests itself in the universal dissemination of a spiritual disease, the nature and types of which give rise to the title and main theme of AC’s book: despair or ’the sickness unto death’ (see John 11, 4). As a spiritual disease it is rooted in freedom12, presupposing first the synthesis-structure itself, and secondly the fact that “the synthesis in its original state from the hand of God” is “in the proper relationship”13. AC then distinguishes between two basic forms or types of despair (wanting and not wanting to be oneself 14). Later on he will analyze this disease in terms of (a) the different forms of despair (in their relation to the categories of the self-synthesis), (b) the forms and stages of awareness implied in those forms, and (c) both perspectives under the premise of an explicit and conscious God-relationship. Before proceeding to our proper theme, one further point must be mentioned within these preliminary remarks about the first chapter of SUD: According to AC we have to distinguish between (at least) three basic psychological media or means of relating oneself to oneself – namely imagination, will and faith. (a) Imagination, which comprises emotion, cognition and will in a provisional way15, is already at work at the most basic level of the synthesis. We may take, for instance, the phenomenon of wishing: In some way a person wishing for something transcends his or her finite situation (he or she ‘infinitizes’, so to speak16) by means of imagination, in that it helps to create a picture of an object as apparently worthwhile of possession. This object being imagined as desirable is as such connected with a certain quality of feeling, of will and of cognition. Striking on the one hand 10 See NB11:209, SKS 22, 130 / JP 6, 6433. 11 See, for instance, SKS 11, 206 / KW SUD, 93. 12 See, for instance, VIII 2 B 168,6 (KW SUD, Supplement, 145): A human being “despairs by virtue of freedom”. 13 SKS 11, 132 / KW SUD, 16. 14 Ibid., 130 / 14. 15 Compare AC’s analysis, in: ibid., 146 – 148 / 30 – 33. For a thorough discussion of Kierkegaard’s use of the category of imagination see Gouwen 1989. 16 Ibid., 151 f. / 35 f.
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is that even in those cases, where imagination is not explicitly self-reflexive in nature (in our context: where there is no consciously imagined picture of oneself as the object of desire), but is simply directed towards any given attractive object (for instance: a certain toy as the content of a child’s wish) – that even in those cases the subject of imagination at least implicitly mirrors itself in the imaginatively anticipated state of fulfillment of the wish in question. In other words: The true and final object of any wish is the subject of wishing itself.17 If this holds true, then, on the other hand, the phenomenon of wishing is a valid indicator for despair: For if wishing means essentially wishing for oneself; and if the self as the object of wishing is another than its subject, it follows that the wishing person as such wants to be another. Moreover, imagination also prevails, where the object of (self-)reflection is experienced as highly ambiguous, that is, where it is perceived with both sympathy and antipathy. This is the case when doubt and anxiety rule.18 (b) Whereas imagination is “the first condition of what becomes of a person, … will is the second and in the ultimate sense the decisive condition”19. Within the state of imagination a person is still “not … conscious of having a self”20, inasmuch as the individual’s self-reflective patterns change quite arbitrarily and lack – in different respects – permanence and steadfastness.21 To become conscious of oneself as a 17 In this sense AC is justified in identifying the self with imagination, and imagination again with reflection – considered as selfreflection; see ibid., 147 / 31: “The self is reflection, and the imagination is reflection, is the rendition of the self as the self’s possibility.” 18 See SKS 4, 347 ff. / KW CA, 41 ff. Although Vigilius speaks of a “dreaming spirit” (347 / 41) here, it is evident from the context that he could just as well use the term imagination in order to explain what is going on within anxiety. Probably Kierkegaard would have easily subscribed to Lawrence Sterne’s famous words: “The [sc. imaginative] mind sits terrified at the objects she has magnified herself, and blackened” (Sterne 1861, 90). 19 SKS 12, 186 / KW PC, 186 (my emphasis). 20 SKS 11, 129 / KW SUD, 13. 21 Compare, for instance, SKS 4, 30 ff. / KW R, 154 ff., where Constantin Constantius, the pseudonymous author of Repetition, gives a detailed description of such a state of consciousness. The different aspects to be accounted for in the transition from a purely imaginative self to a volitional one are spelled out in: H. Schulz 1994, 507.
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self is tantamount to willing to be oneself (or not to be oneself).22 Hence the will, which is to say, one’s conscious attitude towards one’s own motives, wishes, (anxious) reflections etc., functions as the sufficient condition for becoming a self – in the very sense of becoming conscious of oneself as a self. In AC’s opinion, this holds true even in a quantitative sense: “The more consciousness, the more self; the more consciousness, the more will; the more will, the more self.”23 It should also be noted that for AC the will as such comes into play within the very context of despair. Thus, both claims are to be considered correct: No conscious despair without will – no will without conscious despair.24 Despair, then, is a potentialized misrelation in a relation that relates itself to itself, in other words, a misrelation, which on the one hand presupposes the immediate misrelation (e. g., of a wish), while at the same time radicalizing it by relating oneself to oneself – within this first misrelation. In short: The self willingly affirms that it is something, which in fact it is not, and thus rejects itself as being something, which it actually is. (c) Faith, then, is for AC the one and only state, in which the possibility of despair is completely annihilated. The famous formula that describes it is: “[I]n relating itself to itself and in willing to be itself, the self rests transparently in the power that established it.”25 For Kierkegaard, faith seems, psychologically speaking, to be something like the unity of both imagination and will.26 Yet, at the same time it is considered a paradoxical transformation of both capacities into the ‘ears and eyes of faith’27. As a result of this transformational process the individual is said both to gain a true picture of oneself and its own destination and the ability of accepting oneself in it, before God. Both effects are 22 This follows by implication from the subtitle of part A of SUD: “DESPAIR IS A SICKNESS OF THE SPIRIT; OF THE SELF; AND ACCORDINGLY CAN TAKE THREE FORMS: IN DESPAIR NOT TO BE CONSCIOUS TO HAVE A SELF (NOT DESPAIR IN THE STRICT SENSE); IN DESPAIR NOT TO WILL TO BE ONESELF; IN DESPAIR TO WILL TO BE ONESELF” (SKS 11, 129 / KW SUD, 13; my emphasis). 23 Ibid., 145 / 29. 24 We have to keep in mind that the latter claim – as a judgement from the standpoint of Christian dogmatics – is true only factually, but not necessarily. 25 Ibid., 130 / 14. 26 Compare the instructive study of Ferreira 1991. 27 See, for instance, SKS 4, 270/ KW PF, 70.
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brought about in one and the same transition, resulting in a state of consciousness described by AC as ’transparency’.
II. Having discussed the basic tenets of Kierkegaard’s anthropology in SUD we can now focus directly on his theory of freedom. I should, however, warn the reader that I will not take Kierkegaard’s view of the origins of human freedom into account here. Put another way, I will have to disregard the question, to what extent and in which way human freedom may be grounded in the ‘absolute’ freedom of God. 28 Besides that I will only touch upon the freedom of what could be labeled the ‘original self’ on the one side (as it comes “from the hand of God”29), the ‘eschatological self’ (of faith) on the other.30 Instead I will primarily focus on: the ontological status, nature, psychological presuppositions and content of freedom; these aspects will be solely discussed with regard to the experience of freedom within the factual self (and, of course, the experience of its opposite: unfreedom). Thus, my one and only aim is a detailed interpretation of the following claims: 1. “[T]he self is freedom” (as to its ontological status); 2. Freedom is “the dialectical aspect of the categories of possibility and necessity”31 (as to its nature or essence); 3. The “contentless … liberum arbitrium is never really to be found”32 (as to its psychological presuppositions); 4. “The good is freedom”33 (as to its content). Ad 1. We may start by asking: Is freedom a particular human disposition or capacity, and if yes: which one? Or is it the realization of a capacity – if yes: which one? Or can it be both a capacity and its realization, and if so, in which way? 28 See, for instance, SKS 4, 276/ KW PF, 76; NB15:93, SKS 23, 64 – 66 / JP 2, 1261. 29 SKS 11, 132 / KW SUD, 16. 30 As to this triad of possible self-stages see H. Schulz 1994, 517 ff. 31 Both quotes are from: SKS 11, 145 / KW SUD, 29. 32 Not5:32, SKS 19, 187 / KJN 3, 183. 33 SKS 4, 413 / KW CA, 111 (note).
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Now, according to Kierkegaard, freedom is obviously “freedom of choice”34. Nevertheless, he insists that this is only a “formal condition of freedom”35. What does that mean? As I said already, freedom – in the sense of freedom of choice or the ability to choose – must be understood phenomenologically, not metaphysically here. In other words: We have to analyze freedom of choice in terms of its own experience. Thus, according to Kierkegaard, one ‘formal’ or necessary condition of freedom is the experience of one’s ability to commit acts of choice. However, phenomenologically even more important is the fact that this experience as such entails the at least implicit or potential awareness of the ability to choose. Or to be more exact: An individual may either experience this ability, without actually being conscious of it, or he or she may actualize and experience it as such (though in different ways, see below). Therefore the existence of freedom of choice – that means its disposition of consciously relating to itself – necessarily belongs to its own nature or essence. Freedom includes a certain relation to itself, at least to its own possibility – and, at the same time, as will later be shown, to the possibility of its own opposite (viz. unfreedom). Given this presupposition, we can explain two rather enigmatic utterances from The Concept of Anxiety. Number one: “Freedom means to be capable”36. Number two: “[F]reedom is never possible; as soon as it is, it is actual”37. Both should make more sense now: A human being is not free simply by virtue of being able to choose, but – ontologically speaking – by being this capability of choosing, though in different ways, that means by relating to it and thereby at least unconsciously and / or involuntarily actualizing it as such. Hence freedom is always the ‘existence’ or actuality of freedom, which, as such, belongs to its very essence, or to be more exact: it is a capacity, which is at once actual, not only by means of its actualization, but also by relating to that very capacity.38 If we take the implications of such a view seriously, a 34 NB15:93, SKS 23, 65 / JP 2, 1261, 68. 35 Ibid. 36 Pap. V B 56,2 / JP 2, 1249, 62. Compare a corresponding formulation in SKS 4, 354 / KW CA, 49, where Vigilius chooses possibility instead of freedom: “The possibility is to be able” (ibid.). 37 Ibid., 329 / 22. 38 That is the presumably reason, why Vigilius establishes and applies his method of complementary observation and judgement in all human affairs, especially as regards anxiety, since it is the most important manifestation of a freedom, which by its very nature relates or refers to its own possibility. In the present case the comple-
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basic ontological claim suggests itself as plausible: According to Kierkegaard a human being does not merely have freedom (in the sense of disposing of the capacity to choose), but he or she rather is that capacity (though in different ways); a person is not simply free, but, on the contrary, is freedom. And this, I believe, is precisely the content and meaning of the claim quoted above: “The self is freedom.”39 Ad 2. In light of the idea that freedom is the dialectical aspect of the categories of possibility and necessity, it might seem that my previous reconstruction of the nature of freedom (namely: a manifold relation to its own possibility, as equivalent with the capacity to choose) is still not complete. AC apparently holds that relating to oneself as possibly being free, in whatever respect, entails a simultaneous relation to its own opposite – experienced as necessity. This is in fact the case: Freedom is nothing but a certain relation to its own possibility – as reflected in its own opposite, necessity. And vice versa: Necessity is nothing but a certain relation to its own possibility – as reflected in the mirror of its opposite, possibility. Or more precisely: Freedom is nothing but a certain relation to what is believed to manifest its possibility – as being reflected in the mirror of what is believed to express its own opposite, necessity – and vice versa. While I will unpack the meaning of these claims below, suffice it for now to say that, given this presupposition, we may provisionally distinguish between the following three psychological stages of freedom: (a) the immediately actualized freedom of choice combined with complete absence of any experience of or belief in its possible opposite [= freedom as sheer absence of any experience of unfreedom]; (b) the immediately actualized freedom of choice combined with a definite experience of or belief in freedom [= freedom as the experience of freedom]; (c) the reflexively actualized freedom of choice in connection with an (anxious and / or desperate) experience of and belief in the possibility mentary methods are psychology (viz. phenomenology: describing states of consciousness and / or experience) and ethics (describing and judging the same states as transitions or acts, which a human being can and must be made accountable for); see SKS 4, 328 ff. and 415 / KW CA, 21 ff. and 113; cf. also H. Schulz 1994, 425 f. 39 SKS 11, 145 / KW SUD, 29 (my emphasis).
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of both freedom – in the mirror of unfreedom (necessity) – and unfreedom in the mirror of freedom (possibility) [= freedom as the experience of possible (un-)freedom]. Ad 3. It is not until this latter third stage (= c) that a conscious relation to freedom is actually established, or rather that freedom itself consists in a conscious relation to its own possibility. Kierkegaard’s psychological scrutiny discovers and describes anxiety as the crucial manifestation of freedom on this third level.40 Thus, in the interests of clarifying the psychological presuppositions of freedom, we should reflect for a moment on its relation to anxiety: Within anxiety freedom is at once possible, being its own object as envisaged from the standpoint of its possibility, and – though improperly – actual, being itself the medium of reflection on its own possibility. It is, as Vigilius puts it, “freedom’s actuality as the possibility of possibility”41. Now, this self-reflective relationship of freedom, manifested in anxiety, is as such never indifferent. Vigilius speaks of a certain ambiguous interest of freedom in itself and its own actualization, a “sympathetic antipathy and an antipathetic sympathy”42. We may generalize this by calling attention to the numerous passages, in which Kierkegaard argues that a liberum arbitrium, in the sense of a libertas indifferentiae – thus a freedom of choice presupposing a total phenomenological equilibrium between alternate options, without already being in or inclined to one of them – does not exist at all.43 Be it an act of choice, rooted in conscious volition or in immediate inclination: freedom always has, so to speak, a psychological 40 It would be possible, though, to show in full detail that in Kierkegaard’s earlier narrative Johannes Climacus, or De Omnibus Dubitandum est doubt has in fact a similar function to anxiety in CA; see SKS 15, 53 ff. / KW DO, 166 ff. 41 SKS 4, 348/ KW CA, 42. My own reading of this enigmatic statement is spelled out in: H. Schulz 1994, 121 (note 28). 42 SKS 4, 348 / KW CA, 42. 43 See, for instance: SKS 4, 354 and 414 / KW CA, 49 and 112; Not5:32, SKS 19, 187 / KJN 3, 183; NB23:170, SKS 24, 287 / JP 2, 1268; as to the Leibnizean background of Kierkegaard’s theory of freedom at this point, see: Schäfer 1968, 126 and 282 (note 176). One of the consequences to be drawn from this is defended at length by Judge William and pointed at by Vigilius with the following words: “[S]elf-consciousness is not contemplation, for he who believes this has not understood himself … This self-consciousness … is action, and this action is in turn inwardness” (SKS 4, 443 / KW CA, 143; my emphasis).
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history44, which is ultimately based on a person’s interest in himself and on his anxious attempt either to affirm and preserve or to flee from his own freedom. But this is not the whole story. Vigilius hastens to add that sooner or later a freedom disposing of its own history – in fact, though not necessarily – will distort itself while relating anxiously to its own possibility. Anxiety is therefore called “entangled freedom”, a freedom “not free in itself”, though – interestingly enough – not bound “by necessity”45, but in and by itself. We may illustrate this idea by invoking a Kierkegaardian example: A child is learning to walk on its own; face to face with its mother it walks towards her, yet without being supported by her anymore.46 We may say that the child ’is capable’ of walking (in the twofold sense of: not falling and of experiencing its ability to walk), as long as either of two possibilities obtain: Either the child does not reflect on having to be able to walk all by itself, for it trusts in its mother’s proximity immediately. Or it reflects on its own capacity of ‘being capable’, yet almost simultaneously and without hesitation annihilates this capacity while finding its way back to confidence by means of an act of will. The child is ‘free’, then (in the afore-mentioned twofold sense of ‘being capable’), as long and insofar as it does not reflect on something as the possible opposite of its immediate capability. Yet, what does this opposite consist in? It is, strictly speaking, the child itself, namely in the sense of its threatening capacity of not being able (to walk), or more generally: it is the child as ‘being capable’ at all and in general. The child is not capable of walking anymore, as soon as it becomes aware of itself – as having to be and guarantee its own capability of walking. In the very same moment freedom becomes ‘entangled’ in and by itself, it stumbles, as it were, over its own feet, since it is no longer (feeling) free in relation to itself, whereas initially it exercised its own freedom immediately and without reflective difficulties. Hence, the crucial question is: Are we able to choose freely, while at the same time reflecting upon the necessity of having to be able to choose freely? Kierkegaard’s suspicion is: We are no longer capable of choosing, as soon as we find us having to be capable of choosing.
44 The use of this term may be justified, if we consider passages like: SKS 4, 224 / KW PF, 16 f. (note); NB23:170, SKS 24, 287 / JP 2, 1268 etc. 45 All three: SKS 4, 354 f. / KW CA, 49. 46 Compare Pap. V B 237 / JP 2, 1835.
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Ad 4. This leads us to the fourth crucial aspect of freedom, its content. Whereas freedom of choice functions only as its formal or negative aspect, its object or content “is decisive for freedom”47 as such and as “positive freedom”48. One of the notorious difficulties in providing a consistent account of Kierkegaard’s understanding of the content of freedom is that he invariably connects such content with the issue of good and evil. Yet, even if it seems plausible to maintain that “the difference between good and evil is only for freedom and in freedom”49, one might nevertheless ask, whether each and every act of choice is as such (at least in a provisional way) concerned with that very difference or at least with one of its components. Am I bothering about good and / or evil, while actualizing my freedom of choice in such a way that I feel free enough to choose a doughnut – over against the alternative of having a burger? On the surface surely not. Yet, on a deeper phenomenological level Kierkegaard’s suggestion seems to make sense. Talking through his pseudonym Constantin Constantius he (in his papers50) makes a genetical distinction between three fundamental levels or types of freedom, according to their respective content. Choosing a doughnut would probably be part of the first, aesthetic level: I choose a certain object – in this case: a doughnut – but beneath the surface the proper though unconscious content of what I choose is (a) the good itself – namely as pleasure; (b) freedom – identified with the good – as pleasure; (c) unfreedom as that which would contradict my own freedom if I were conscious of it: namely pain or unpleasure; and finally: (d) myself as being free and being myself in reaching and realizing this projected good. The stage of ‘aesthetic freedom’, as we may call it, still prevails on the second level, namely as prudence; as such it pretends that boredom is the true opposite of freedom.51 I neglect its analysis here, in order to concentrate on the third stage, freedom “in its highest form”52. It is ba47 48 49 50 51
NB15:93, SKS 23, 65 / JP 2, 1261, 68. Not5:32, SKS 19, 187 / KJN 3, 183. SKS 4, 413 / KW CA, 111 (note; my emphasis). See SKS 15, 66– 83, esp. 66 f. See SKS 15, 67; Constantin refers to the Rotation of Crops (in: SKS 2, 272 – 289 / KW EO1, 281 – 300) here. 52 SKS 15, 67 (my trans.).
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sically characterized by the conviction, or more adequately: the conscious decision that the one and only proper content of freedom is nothing but freedom itself. This conviction is accompanied by yet another: The highest good is not pleasure or prudence; rather, the “good is freedom”53 itself, as opposed to evil, considered to be identical with unfreedom. It is worth noticing that freedom is not constituted here by the good (let’s say, in a moral sense), but – vice versa – the good, in its very nature, by freedom. Which means: We are and remain capable of realizing the good, as long as we are capable of preserving a “lively sense of freedom”54 within the performance of our choices, a sense which, according to Kierkegaard, is psychologically rooted in “the inner necessity which excludes the thought of another possibility”55. This implies, among other things, that a priori and in principle there is nothing wrong with living aesthetically. However, a psychological as well as ethical problem arises, as soon and inasmuch as the aesthete has lost his original immediate conformity with himself and his (aesthetic) freedom of choice, while at the same time not admitting that this is the case.56 Yet, fatally enough, while not consciously admitting, but on the contrary hiding it from himself by trying “to obscure his knowing”57, he has in fact, though involuntarily, long since acknowledged and accepted it as a true standard for judging his former freedom as illusory. Now, parallel to this demonic or even defiant (as with Kierkegaardian terms) process of an increasing contradiction between his pretended freedom and his factual unfreedom, guilt – as manifesting the evil of unfreedom – comes to the fore. We might say that evil is nothing but this (guilty) contradiction of using “the power of freedom in the service of unfreedom”58, a contradiction which may go so far that a person “finally loses even the capacity of being able to choose”59 and instead becomes a 53 SKS 4, 413 / KW CA, 111 (note); see also SKS 4, 224 / KW PF, 16 (note), where Climacus puts defends the same thesis in the context of a short narrative describing man’s original freedom and its loss. Schäfer summarizes the Leibnizean background of Climacus’ theory of freedom as follows: “Leibniz erkennt, … daß die Freiheit das Wesen des Handelns bildet und daß dieses Freisein im Handeln den Begriff des Guten ausmacht” (Schäfer 1968, 126). 54 NB23:172, SKS 24, 289 / JP 2, 1269 (my emphasis). 55 Ibid. 56 See my commentary on Judge Williams maxim of either living aesthetically or ethically (see SKS 3, 164 / KW EO2, 168), in: H. Schulz 1994, 256 f. 57 SKS 11, 203 / KW SUD, 88. 58 SKS 4, 225 f. / KW PF, 17. 59 NB23:170, SKS 24, 287 / JP 2, 1268.
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total slave of his own unfreedom – a result, for which he is and experiences himself as being responsible nevertheless. It follows that guilt is, psychologically as well as ethically, impossible without at least a single moment of wasted time – wasted in order not to choose what one should have chosen by means of pretending, though in vain, that this is not the case. In other words: Denying one’s guilt is a necessary condition of guilt itself.60 Having reached the point of realizing this means discovering freedom as its own content, and this in turn is tantamount to asking Constantin’s decisive question: Is repetition (namely repetition of our original, undistorted freedom of choice) possible or not? 61 Kierkegaard and his pseudonyms approve of such a possibility, though not as an immanent (thought), but on the contrary as a transcendent movement, either in virtue of a volitional act of choice62 or a trans-volitional act of faith. In both cases the structure is basically the same: We have to appropriate our former misuse of freedom – as such and as freely chosen unfreedom. Once we have lost our ‘innocence’ of not yet having discovered anything as opposing our immediate freedom of choice, the one and only possibility of regaining it is affirming its actual opposite (namely guilt), while at the same time choosing and accepting ourselves as having voluntarily adopted the wrong one (pain, for example) and its false correlate of freedom (for instance, pleasure). Thus, intellectually seen the content of freedom is nothing but the truth about its opposite.63 This leads us back to the context of SUD: As far as I see, the category of ‘necessity’ actually covers the whole range of possible objects which could be conceived of and experienced as the opposite of the 60 This is the vantage point for AC’s theory of Satan or the devil, where the later functions as a symbol for the (superhuman) ability to know and want the evil as such. The devil’s attitude towards God is “absolute defiance”, for “there is no obscurity” in him “that could serve as a mitigating excuse” (SKS 11, 157 / KW SUD, 42). 61 See SKS 15, 69. 62 This is the crucial point in Judge Williams’ theory of choice (see SKS 3, 155 ff. and 165 ff. / KW EO2, 157 ff. and 169 ff.): a choice being at once absolute (the choice of choosing: as a principle of ethical existence), choice of oneself (as having to choose), of good and evil (as absolutely opposed) and, finally, of the good itself (as being identical with freedom). See H. Schulz 1994, 257 – 267. 63 See SKS 4, 439 / KW CA, 138: “Viewed intellectually, the content of freedom is truth, and truth makes man free. For this reason, truth is the work of freedom, and in such a way that freedom constantly brings forth truth” – namely about itself and its true opposite.
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self’s freedom. Necessity thus may be experienced as fate, boredom, pain, guilt, sin etc., although its true source resides in the self’s inability to appropriate something as a part of itself. We may even go further by saying: Nothing ever becomes a necessary part of the self, unless the (weak or defiant) individual tries to reject it as opposing its freedom. In the case of guilt, for instance, the self remains ‘entangled’ or, on a higher level, desperate in its freedom64, as long as it escapes (either in weakness or defiance) from what it has already imaginatively projected as a ‘fatal’ possibility: its own guilt. True freedom and inner transparency without disguise may then be realized and regained only by and within repentance. By virtue of repentance the self appropriates in and as freedom the truth about its opposite, namely guilt; it frees or releases itself from this guilt by repentantly choosing itself as having been guilty while denying that it has been. Now, for AC as for Kierkegaard himself sin remains the utmost form of unfreedom. Therefore the content of freedom is finally identical with sin-consciousness or, to be more exact, with atonement, since dogmatically speaking this repetition of original freedom is not within the grasp and reach of a human being, infected by the fatal implications of hereditary sin; it presupposes rebirth and atonement as genuine, though paradoxical actings of God.65 In terms of SUD faith, as well as freedom, would finally be identical with the sheer ability to call one’s own despair sin.
III. A great deal of what has been said so far builds on the assumption that for Kierkegaard freedom is nothing but – or at least: is nothing without – the experience of being free, in other words the self’s undistorted relation to the possibility of its own freedom. Psychologically speaking an individual may be either deemed free, as long as it has not yet discovered anything as possibly contradicting its own freedom of choice; or an in64 For a comparison of ’distorted’ freedom within anxiety and despair, see: Pap. VIII 2 B 168,6 (in: KW SUD, Supplement, 144 ff.): Kierkegaard does not speak of ’entangled freedom’ here, but juxtaposes despair and dizziness instead (see SKS 4, 365 / KW CA, 61: anxiety as “the dizziness of freedom”). 65 As to repetition and atonement see, for instance: SKS 15, 78 and 87; as to rebirth and recreation SKS 4, 227 ff. / KW PF, 18 ff.; as to the dialectic of sin-consciousness and atonement in general: H. Schulz 1994, 402 – 408.
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dividual may be deemed free, as soon as it has discovered and identified with what truly contradicts this freedom: namely sin. We may say, then, that in a certain sense freedom is nothing but the ability of doing or being what one wants to do or to be – nota bene: by means of unambiguously being able to want what one does or is. Now, despair is simply a fundamental inability to want what one is or does. As a spiritual disease it is nothing but the inability to be what one wants, and furthermore: pretends to be or not to be, simply because of the inability of unambiguously wanting it: What “else is it to despair but to have two wills”66 ? Or more exactly: “[E]veryone in despair has two wills, one that he futilely wants to follow entirely, and one that he futilely wants to get rid of entirely.”67 I would like to consider an example of this desperate and as such “double-minded”68 will, in order to discuss its major consequence as regards the medium of freedom. According to AC the desperate will is tantamount to “an impotent self-consuming that cannot do what it wants to do”69. As we saw already, the reason for not being able to do what it supposedly wants to do is nothing but the inability to want it unambiguously. Now, imagine a drug addict, having desperately discovered as possible that his addiction might be a necessary part of his self. He may either want his being an addict or he may reject it. Both attitudes are dialectical to an extent, which opens up the possibility that they might even be manifestations of a healing-process70 ; yet, if for the time being, we interpret them solely as expressions of despair the following dialectic obtains: (1) Both may be expressions of defiance (= wanting to be oneself) 71: In this case the self is understood as that which the desperate individual is actually not – precisely by means of desperately wanting to be it. That is, the addict either defiantly insists on the addiction itself, as 66 SKS 8, 144 / KW UD, 30. 67 Ibid. See also SKS 4, 430 / KW CA, 129, where the theory of two wills is applied to the demonic consciousness. 68 SKS 8, 144 / KW UD, 30. 69 SKS 11, 134 / KW SUD, 18. 70 As to this, cf. H. Schulz 1994, 531 f. 71 I am talking here about the pre-theological self exclusively. As is well known, “weakness and defiance are the opposite of what they usually are” (SKS 11, 225 / KW SUD, 113) in relation to Christ; for here weakness is tantamount to wanting to be oneself, whereas defiance means not wanting to be oneself (as to the context, see ibid.).
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being incurable, or he no less defiantly rejects the possibility that ‘addiction’ might be a valid attribute or essential part of his self at all. (2) Both responses could be expressions of weakness (= not wanting to be oneself): In this case the self is understood as that which the desperate individual actually is – precisely by means of desperately rejecting it to be. That is, the addict is either too weak to believe in the possibility of ceasing to be an addict, by being cured, or he is too weak to accept his addiction as an integral part of his self. Expressing the same dialectic in more dynamical terms, the addict is always already looking at what he wants to be through the eyes of someone who rejects what he actually is. And, vice versa, he is always already looking at what he rejects through the eyes of someone who wants to be what he actually is not. In one moment he wants to be, what he is actually not, yet in vain: for in the very next moment, and equally in vain, he wants to avoid being what he actually is. Therefore consequent or consistent despair is a contradictio in adjecto, since the self is in a “constant pendulum-movement”72 between weakness and defiance without ever being able to want or to reject what it pretends to want or to reject unambiguously. AC as a devoted Christian finds the ultimate reason, why it is impossible for a desperate self to “attain … the composure to despair”73, in the fact that the self is an established synthesis. Hence the same factor that functions as a necessary condition of particularly defiant74 despair – namely that God has established the synthesis and as such has released it from his hands – implies that its proper equilibrium cannot be obtained unless “the self rests transparently in the power that established it”75. Now, if we interpret (conscious) despair as a fundamental and inevitable double-mindedness of the will, then it follows that the aforementioned transparency of a God-relationship will in any case result or manifest itself in a transformation of the human will, so that the self will now be able ‘to will one thing’ and thereby to exist in complete conformity with itself 72 Papir 172, SKS 27, 143 / JP 2, 1565. Here Kierkegaard discovers “that the romantic becomes what Hegel calls the dialectical” (ibid.). In other words: Life-views like stoicism / fatalism, pelagianism / augustinianism etc. “do not have any continuance, but life is a constant pendulum-movement between them” (ibid.). 73 SKS 11, 154 / KW SUD, 38. 74 See ibid., 130 / 14. 75 Ibid., 130 and 242 / 14 and 131.
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before God.76 At least within this context the famous thesis that “God means that everything is possible”77 could also be understood in the following way: God is that everything is possible, because and insofar as he is capable of realizing exactly one possibility which remains impossible for a human being – namely ceasing to believe in one’s own freedom. The self is unfree, precisely because and to the extent that it proves unable to conceive of itself as unfree. The desperate self can neither want nor reject what it pretends to want or reject. Worse yet, it is unable to stop wanting: together with the false belief that it is capable of stopping it. Now, since the will, though desperately double-minded, is the medium of such “freedom in the service of unfreedom”78, it seems plausible to conclude that according to Kierkegaard: (a) the will is either as desperate or is non existent; (b) faith is not an act of will. The first assumption makes sense in the light of the context of SUD; for the second there is strong textual evidence from various Kierkegaardian writings: For instance, Climacus declares that faith in the eminent, namely Christian sense is “not an act of will”79, whereas for AC it is an act of “devotion”80 – being as such a trans-volitional act of submission to God’s will. Thus, as to the medium, in which freedom is actualized, we must distinguish between three basic modes, each of which corresponds to a particular way of relating to oneself (see above). These modes are the pre-volitional (imagination), volitional (will), and trans-volitional (faith). Every act of will chooses, but not every choice is volitional (as with the freedom of imagination and of faith).81 Thus, paradoxically enough: to ‘will one thing’ eventually amounts to not willing anymore at all, though – nota bene – a passionate will may be the necessary con76 As to this, see Kierkegaard’s famous discourse “Purity of Heart is to Will one Thing”, in: SKS 8, 119 – 250 / KW UD, 3 – 154. 77 SKS 11, 156 / KW SUD, 40. 78 SKS 4, 225 f. / KW PF, 17. 79 Ibid., 264 / 62. 80 SKS 11, 165 / KW SUD, 50 (note). 81 It might be argued that an all too strict distinction between will and choice is inadequate considering other Kierkegaardian passages, in particular Judge William’s theory of choice (see SKS 3, 155 ff. and 165 ff. / KW EO2, 157 ff. and 169 ff.), according to which it obviously means (a) choosing oneself by (b) means of the will. However: (1) I actually admit that every act of will chooses. (2) Judged form AC’s standpoint the ethical life-view is still essentially despair.
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dition of any such state.82 Given the theological presuppositions of the author of SUD two implications of such transvolitional freedom have to be mentioned, one as to its ideality, one as to its facticity: (1) As regards its ideality, it is equivalent with absolute obedience, in the sense of being a pure “instrument in the power of”83 God. The task would then be to willingly surrender and to suspend one’s own will in order to submit it to God – yet, precisely by means of the will.84 It is only in this sense that the “choice whose truth is that there can be no question of any choice”85, that “inner necessity which excludes the thought of another possibility”86, would be realized: You may do, what you like, if and as long as what you like corresponds to what you may do. Ultimately freedom means that there is but one possibility. (2) As regards its facticity, only Christ has and forever will have been actually capable of being obedient in the way described. He “lived … of his own free choice”, while at the same time submitting it – willingly – to God’s “eternal resolution”87. Since also for a human being “there is contentment and joy and blessedness only in obeying”88, the ideal remains essentially the same; yet, for him as a sin-infected self the factual, or more exactly: eschatological readiness for such unconditioned obedience presupposes sin-consciousness and atonement.
IV. Our starting-point was ‘G.’s problem’. If my reconstruction of Kierkegaard’s theory of freedom is roughly correct, we should now be able to imagine how AC would have answered G.’s double question. As to the second part of it (‘could you imagine being free without feeling it?’) the 82 See, for instance, SKS 11, 145 / KW SUD, 29; NB30:57, SKS 25, 432 – 434 / JP 1, 180; Papir 588, SKS 27, 689 – 691 / JP 6, 6966. 83 Pap. VIII 2 B 170,6 (in: SUD, Supplement, 147 f.; here: 147). 84 See, for instance, NB31:68, SKS 26, 50 – 52, esp. 51 / JP 2, 2098, esp. 455; Pap. XI 3 B 188, esp. 309. 85 NB15:93, SKS 23, 65 / JP 2, 1261, 68. 86 NB23:172, SKS 24, 289 / JP 2, 1269. 87 Both: SKS 12, 247 / KW PC, 255. As to the interpretation of this formulation, see H. Schulz 1994, 569 ff. 88 NB4:44, SKS 20, 308 / KJN 4, 308; see also NB:60, SKS 20, 53 / KJN 4, 51.
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answer must be: If ‘feeling free’ admits of the possibility that it can also be expressed by the sheer absence of feeling unfree, then the answer must obviously be yes – otherwise it must be no. The first part (‘do you deem it possible to feel free without in fact being free?’) is and must remain highly ambiguous: If ‘being free’ refers to any kind of metaphysical perspective the answer must be yes. But if we have to confine ourselves to a purely phenomenological account, the conclusion must be negative: Indeed, it is not possible to feel free without being free in some sense; however, not every experience of freedom deserves that name. For there might be: (a) freedom in the sense of sheer absence of feeling unfree; (b) freedom in the sense of feeling free, yet in a way, which still leaves open the possibility of a later experience of something as opposed to this experience of freedom, so that this preliminary or revocable freedom could be labeled illusory on phenomenological and / or ethical grounds; (c) freedom in the sense of feeling free, yet in such a way that a later experience of disappointment with regard to a person’s claim to be free is and remains precluded (only this latter type would be identical with true freedom in a Kierkegaardian sense).89 In my opinion one of the major lessons to be drawn from this is that we are entitled or even obliged to drop the metaphysical aspect of the problem of freedom as altogether futile. No one, at least as far as I know, has yet been able to prove that any human act of choice has actually changed the shape of the world in any respect, or correspondingly: that this is indeed not the case. Is my act of choosing to do this or that, bound up with the belief that it is me who chooses and that my choice is in fact the cause of what is happening, indeed the cause of what is happening – if anything is ‘happening’ at all? No one knows, at least, as far as I know. Yet, the decisive point is that even if we knew, it would and could make no real difference with regard to our (un-)freedom in a phenomenological and / or ethical sense. Thus, all we are left with as meaningful and challenging is the phenomenological 89 The term feeling is perhaps semantically and hermeneutically inadequate to cover all three forms of freedom-experiences. I have used it interchangeably with belief, first, because my starting-point was G.’s own formulation, secondly, because there may at least be some justification for considering belief a certain kind of feeling; see, for instance, Hume’s famous account, in: A Treatise of Human Nature (ed. by L.A. Selby-Bigge) 19803 [1739 – 40], 623 f.
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account of freedom, that is a perspective investigating and judging the possible and actual ways of experiencing (un-)freedom. Indeed, in the end it may very well “be that the experience of freedom is really all there is”90 – with regard to both its existence and its essence. In any case, I am quite sure that AC would have agreed with this. And if it seems permissible to slightly modify one of his major ontological statements we may conclude with those words which gave rise to the title of this paper: “[T]o believe is to be”91; thus, to be free is to believe to be free.
90 Strawson 1986, V. Strawson continues: “It may then be said that free will is real after all, because the reality of free will resides precisely in the experience of being free” (ibid., note). 91 SKS 11, 206 / KW SUD, 93 (my emphasis).
8. Can Implies Ought. Kierkegaard’s Critique of Kant’s Deontic Logic Deontic logic is the attempt to apply laws of formal and modal logic to basic ethical concepts – in particular: obligation, permission and prohibition.1 Instead of directly serving practical reasoning it is primarily concerned with the underlying system of logical rules behind the usage of those concepts. As such it aims, on one hand, at a comprehensive account of their relation to the three ‘alethic’ or modal categories necessity, possibility and impossibility.2 On the other hand it tackles the basic principles pertaining to the relation between the three deontic concepts themselves.3 Now, in what follows I am not going to focus on the pure technical side of a deontic logic thus conceived. Instead, I will address one of its major points at issue, as regards the first of its above-mentioned topics, namely the validity of the so-called “Kantian principle” (Wright 1979 p. 114), according to which ought implies can. I will begin with a detailed account of Kant’s argument for the principle itself (I), and then try to assess it from a Kierkegaardian standpoint (II). My main purpose in doing so is threefold: First and historically speaking I want to illuminate the relation between Kant’s and Kierkegaard’s thought from yet another, albeit restricted perspective. Secondly and in a more philosophical sense I will try to reconstruct Kierkegaard’s version of the so-called ‘Kantian principle’ and compare it with Kant’s own. Contrary to the latter who holds that moral demands are both necessary and sufficient for their being fulfillable, 1 2
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For a brief, yet substantial survey see Honderich 1995, 186 f and Prior 1972. For instance: To deny A is necessary is to assert not-A is possible. Correspondingly, to deny A is obligatory is to assert not-A is permissible. Or: Whatever is obligatory is possible. In general, Wright 1979 [1963] is deemed the pioneer work in the field. For instance: Nothing can be obligatory and forbidden at once; whatever we are committed to by doing what is obligatory is itself obligatory; whatever is obligatory is permissible; what cannot be done without something wrong being done would itself be wrong to do – and vice versa, etc. (see Prior 1972, 509 f). As to the problem-cases (esp. the so-called ‘good Samaritan paradox’) see Prior 1972, 111 f and Honderich 1995, 187.
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I will argue that Kierkegaard’s pseudonyms suggest a weaker, yet more sophisticated reading, the upshot of which is that can is sufficient, but not necessary for ought, whereas ought functions as a necessary, but not a sufficient condition of the former. Finally and in terms of a theological reevaluation of the former results I will try to defend the claim that it is not the latter, but the former alone whose account does full justice to its Christian – more exactly: its protestant Christian – implications (III).
I. 1. Let us first take a closer look at Kant’s principle itself – that is, the principle that ought implies can. 4 Kant himself states it in various places throughout both his theoretical and practical philosophy5, for instance in the following passage from the Religion within the Limits of Reason Alone, where he discusses the postulate of innate corruption of man in relation to a possible restoration. Kant writes: “[T]he postulate in question is not opposed to the possibility of this restoration itself. For when the moral law commands that we ought … to be better men, it follows inevitably that we must be able to be better men” (R, p. 46).
An alternative version of the same principle is to be found, among other places, in the Critique of Practical Reason. Here Kant states: Every man, when confronted with the tempting possibility of transgressing the moral law, “must admit without hesitation that it would be possible for him” (C2, p. 163) to abstain from doing so; he “judges, therefore, that he can do something, because he is aware that he ought to do it”6. Other than the first, so to speak, ontological formula the second one brings to bear a purely phenomenological point. It does not conclude ‘you shall act morally, therefore you can do so’, but rather ‘you are aware of being addressed by the moral law, therefore you are also aware of being able to fulfill it’. Here, the consciousness of freedom, in other words the consciousness of being able to fulfill the moral law (see C2, p. 164), is genetically derived from the consciousness of the 4 5 6
Or, in terms of deontic logic: Whatever is obligatory is possible. It should be noted that the principle, thus stated, is stricter than its antique prototype: ultra posse nemo obligatur (as to its origin see Bartels 1967, 58). See, for instance: C1, 458; C2, 163 f and 267; R, 36, 40 f, 45 f; T, 338. Ibid., 163 f; my emphasis.
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moral law – rather than the moral law itself. The difference between both versions should be kept in mind; together with the question of their mutual relation it will be dealt with later in some greater detail. Meanwhile it may suffice to draw on the basic variant only. 2. Spelled out as a complete deontic syllogism this variant would function as the first premise of a conclusion modo ponente: (1) Ought implies can. (2) Every human being ought to do p. (3) Therefore, every human being can do p. I proceed to explain this syllogism by starting with premise number two; for in Kantian terms any explanation of can (in both the first premise and the conclusion) is dependent on an adequate account of the meaning of ought. 7 Now, it goes without saying that if we follow Kant p (in the second premise) does not and cannot stand for each and every demand possibly being imposed on us. It is tantamount, rather, to the purely formal moral law, manifested in the different versions of the so called categorical imperative.8 As an expression of morality alone this imperative is and must be categorical, since it has to be both unconditionally valid and known independently of experience. For otherwise, according to Kant, our conduct would possibly conform to moral standards hypothetically or by accident alone, namely under the condition that our duties do not interfere with our particular purposes and inclinations as they are empirically known to us. For similar reasons the imperative must also be purely formal: As such it requires only that the agent’s maxims conform to the lawlike character of morality, that is to its unconditional and universal validity. Any additional ‘material’ element would be due to the agent’s particular purposes, which at the same time render the respective imperative merely hypothetical, dependent in part on subjective inclinations and rooted in empirical knowledge. 7 8
The following account is particularly indebted to: Bröcker 1970, esp. 145 ff. It is defined as an imperative “that, without being based upon and having as its condition any other purpose to be attained by certain conduct, commands this conduct immediately” (G, 69). According to Kant such an imperative is to be found within morality alone. Here its basic formula is: “act only in accordance with that maxim through which you can at the same time will that it become a universal law” (ibid., 73).
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Now, the categorical imperative as such springs from the faculty of pure practical reason, which in turn establishes it as both a priori known, valid for all reasonable beings and as such apodictically certain.9 Thus, practical reason does not only function technically or pragmatically by merely telling us how to realize certain (nonmoral) ends by certain means. In its pure variant – manifested in what Kant calls the ‘good will’ (see G, pp. 49 f) – it also and primarily opens up for us the moral world as the one and only realm of being, where we know about and actualize something as a universal end in itself. However, that there exists such a faculty in man, cannot be known outside and independent of an actualization of this faculty itself. In other words: The fact that as reasonable beings we are always and necessarily conscious of the moral law in its unconditional authority can as little be “reason[ed] … out from antecedent data of reason” (C2, p. 164) as the irrefutable inner certainty about what it means to follow its rules. This fact, therefore, “is not an empirical fact but the sole fact of pure [practical] reason” (ibid., p. 165) itself. 3. So much for the meaning of ought. Now, what about the can – in other words: What about the human capability to fulfill the moral law? In any case, one necessary condition of its possibility would be freedom. And since this freedom would have to conform to the a priori dimension of ethics, it must again be transcendental. According to Kant, there is only one possible candidate for doing the job, and that is moral freedom or freedom of the (good) will.10 As a manifestation of a purely transcendental idea it has both a negative and a positive side.11 9 As is well known, Kant distinguishes between two irreducible forms of using reason: the theoretical and the practical. Whereas theoretical reasoning, that is the intellect, is defined as the formative power of concepts and as such aims at truth alone, the latter, i. e. will, is identified with the power of purposes and as such aims at the good – in the widest sense. Practical reasoning is pure, however, if and only if it causes the will to act without being dependent on any inclinations – that is, if it is but determined by the conception of the lawlike character of morality as such. 10 Kant’s refutation of an apparently further, namely psychological notion of freedom, according to which something is called “a free effect, the determining natural ground of which lies within the acting being” (C2, 217), can be found in C2, 216 ff. Here, Kant tries to prove that such ‘freedom’, instead of being a proper expression of true (that is transcendental) spontaneity, can and must be reduced to nature’s, albeit “psychological instead of mechanical causality” (ibid., 217). 11 Both aspects are distinguished and connected in Kant’s definition of transcendental freedom as spontaneity, according to which it is “a peculiar kind of cau-
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Negatively considered the good will is free by being independent of the causality of nature – more specifically: the causality of factual inclinations as determining the agent’s intention and conduct (see G, p. 94). Kant argues that since the moral law in its purely formal shape must be the object of reason alone and thus cannot be a mere appearance in its correlation to sense perception, the will by being exclusively determined by the conception of that formal law can just as little be subject to the conditions of causality; for these conditions apply only to the sensuous world of appearances. Thus the good will is transcendentally free in the sense of being independent of the causality of nature.12 However, by being both free from prior causal conditions and yet related to some kind of law (namely: morality) the good will does not amount to mere arbitrariness; it rather manifests freedom in the positive sense of moral spontaneity, that is freedom to voluntarily adopt and obey this law. Yet, even this is not the whole story: For any freely willed action in this transcendental sense is not only unconditional by virtue of not being conditioned by nature’s causal chain; it also and primarily deserves this predicate thanks to its autonomy, that is to the – albeit purely noumenal – fact that pure practical reason is itself the necessary and sufficient condition of issuing the very law that it is spontaneously willing to accept as authoritative.13 Thus the moral law does not put any outer constraint on the will, thereby rendering its addressee a stranger to himself; rather, it is to be perceived as coming from the voice of his own autonomous self.14 This ethical as well as transcendental account of freedom has two important implications, one as to its essence and scope, one as to its genesis and experience. On the one hand Kant’s consality, operating to produce events in the world – a faculty, that is to say, of originating a state, and consequently a series of consequences from that state” (C1, 271 f). For in this case “the causality itself must have an absolute commencement, such, that nothing can precede to determine this action according to unvarying laws” (ibid, 272). This definition applies to both the cosmological and the moral world; in the latter case spontaneity becomes autonomy, though – as a particular (namely moral) form of transcendental freedom. 12 See C2, § 5. As to a substantial critique of this argument, see Bröcker 1970, 147 f. 13 Compare Kant’s definition of autonomy as “the will’s property of being a law to itself” (G, 94). 14 See, for instance, C2, 165 (my emphasis): In order to “avoid misinterpretation regarding this [moral] law as given, it must be noted carefully that it [sc. pure practical reason] is … the sole fact of pure reason which, by it, announces itself as originally lawgiving (sic volo, sic jubeo)”.
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cept is strictly univocal: Freedom turns out to be simply coextensive with moral acting, that is a conduct in accordance with the law. Thus, it is not only to be distinguished from any abstract notion of (freedom of) choice, which as such admits of nonmoral objects of choosing; it also differs from a concept of moral freedom as libertas indifferentiae, which as such may also opt against the commands of duty while still being freedom.15 Secondly and on the other hand human beings, according to Kant, would neither know about nor realize freedom in the proper sense without first being confronted with and aware of the moral imperative. Insofar both the genesis and the experience of freedom are dependent on (the prior conception of) the moral law itself (see C2, 162ff). Summing up, it is only in the realm of the practical and not within theoretical reason that we find an element of the unconditional in human nature. And although we may never be able to either refute or prove it theoretically, we have good (practical) reasons for assuming that we are morally accountable human beings and as such transcendentally free. Consequently, Kant presents his idea of freedom as one of the three metaphysical postulates of pure reason (see C2, 246). 4. Now, given these presuppositions, there is still one question left unanswered: Why and in which sense does ought imply can? Here again, we have to turn our attention to the transcendental perspective: As practically rational agents we are, according to Kant, not only free to lay upon ourselves an unconditionally valid imperative and to obey it; furthermore – and precisely because of this – we are also free in the sense of principally being able to fulfill it. This is, because here the will is conceived of as being active within a purely transcendental realm, which as shown above is completely independent of the causal constraints ruling over the world of appearances. Thus by postulating transcendental freedom we are most naturally led also to postulate its unrestricted ontological efficaciousness – nota bene: within a morally interpreted noumenal world. The facticity of such a world and its moral implications alone forces upon us the postulate of an untearable unity of willing and achieving. It corresponds to the claim that there is and always remains for human beings an anthropologically as well as ethically fundamental possibility that can never be done away with: the possibility of 15 See M, 380 f. As to a critique of this univocal concept of freedom see Bröcker 1970, 146 f.
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what Kant calls a “revolution in … [the] cast of mind” (R, 43). By this he means a single (yet repeatable), strictly speaking transtemporal (see ibid., 34 f) and as such theoretically inscrutable inner act of decision that enables us “to be better men” (ibid., 46; my emphasis; see ibid, 36) by a pure fiat of the will – simply because we are simultaneously aware that “we ought … to be better men”16. 5. It goes without saying that this unconditional unity of willing and achieving applies only within the pure noumenal world of freedom as a thing in itself. Since, however, human beings are, according to Kant, always and inevitably citizens of two worlds, the noumenal as well as the sensuous, the unique causality of the will has to be considered from two different points of view: “It may be considered to be intelligible, as regards its action – the action … which is a thing in itself, and sensuous, as regards its effects – the effects of a phenomenon belonging to the sensuous world.” (C1, 319)
Thus, by participating in this latter world, the noumenal act of the will is inevitably transformed into a mere link in the untearable chain of natural causes and effects within the world of appearances. Thereby the original unity between willing and achieving is simultaneously suspended or at least rendered fully accidental, to the effect that the success of the agent’s volitions, even his moral ones, is no longer in his power. In this sense, can is at worst nothing but an accidental condition of ought (and vice versa); at best it becomes a postulate of infinite approximation to the complete and highest good.17
16 R, 46. As Kant reminds us by pointing to the old testament story of Adam’s fall (see ibid., 36ff), this act corresponds to and simultaneously revokes an equally original and causally inscrutable transition from innocence to guilt, due (except in Adam himself) to a ‘propensity to evil in human nature’ (see ibid., 23 – 27). 17 In his second Critique Kant argues both for the existence of a (wise, almighty, benevolent) god and for human immortality by making use of this latter point: Without being immortal human beings cannot become what they are destined to become as rational agents (namely worthy to be happy); and without god there would be no reason for such agents to hope for a proportional correspondence between their worthiness to be happy and their actual happiness – precisely, because this correspondence presupposes the very harmony between the noumenal and the sensuous world, which as such transcends human power (see C2, 238 – 246). Again, Bröcker offers persuasive objections against Kant’s argument: see Bröcker 1970, 149 – 153.
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6. Summing up the foregoing analysis in terms of its implications for a reconstruction of Kant’s deontic logic, we may keep in view the following points: (1) The principle that ‘ought implies can’ is expressed by its author in two different ways, one of which may be called ‘ontological’ (= ought implies can), the other ‘phenomenological’ (= the awareness of ought implies the awareness of can). (2) Both versions presuppose that ought is a sufficient condition of can, whereas the latter is necessary for the former. This means, according to the ontological reading, that if and wherever there is a pure practical law (like the one being manifested in the categorical imperative), we are entitled to infer from it the reality of freedom, which in turn is a necessary condition for both the acceptance of duty and the ability to fulfill it. Phenomenologically speaking Kant holds that the consciousness of ought is in fact coextensive with the consciousness of can, so that any instantiation of the former without the latter is simply inconceivable. (3) Moreover, both versions imply that ought is a necessary condition of can, whereas the latter is sufficient for the former. For if can is tantamount to freedom in the sense of being able to fulfill the moral law, then it seems clear that in terms of the ontological reading the reality of this moral law is itself a necessary condition of such freedom to be possible. On the other hand this law is itself being established as unconditionally authoritative wherever there is freedom in the sense of being able to fulfill it. Phenomenologically considered things are slightly different. As Kant indefatigably inculcates (see, for instance, C2, 163 f and 267; R, 45), no consciousness of freedom can arise without the prior consciousness or conception of the moral law which as such also insinuates that it can be fulfilled. Thus, the latter conception does not in a logical sense function as a necessary presupposition of the former, but only as regards its genesis. Yet, it also and trivially holds true that wherever X is aware of being able to conform to her duties she is simultaneously aware of these duties as such. (4) With respect to the relation between the phenomenological and the ontological perspective we may note, first of all, that in Kant’s opinion the reality of the moral law is both dependent on and established by its mere conception. In this sense the latter is both necessary and sufficient for the (reality of the) former; for according to Kant the moral law is what it is (and is simultaneously being constituted as real) simply
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by virtue of being conceived or experienced as such. Yet, if on one hand this law cannot be fulfilled without its prior establishment as such; and if, on the other hand, it cannot be so established unless it is conceived by someone to that effect, then we are entitled to conclude that the consciousness of ought is also necessary (though not sufficient) for can. In other words: The moral law can only be fulfilled as such.
II. Thus far I have restated and explained Kant’s principle as it is put forward and vindicated by himself. In doing so I had to dwell on both the principle and its philosophical context in greater detail: not only, because Kant’s variant obviously serves as a foil for all his successors (Fichte, in particular), but also, because the hub of his argument is more difficult to unpack in comparison to the later versions. This holds true for Kierkegaard also, to whom I will turn now. 1. Without ever explicitly mentioning Kant, Kierkegaard either states the principle of his predecessor or at least alludes to it indirectly in various places throughout both his pseudonymous and non-pseudonymous authorship.18 Moreover, he and his pseudonyms do so by apparently subscribing to its validity without reservation. At least in the former respect the most succinct formula may be found in Practice in Christianity. Spelling out the difference between aesthetical admiration and ethical imitation of Christ Anticlimacus tells us that the latter has the ‘universally human’ among its necessary presuppositions. By this he means “that which every human being … is capable of, that which is not linked to any condition save that which is in everyone’s power, … that is, the ethical, that which every human being shall and therefore also presumably can do” (SKS 12, 235 / KW PC, 242; see also NB11:131, SKS 22, 131 / JP 1, 975). 18 See, for instance: SKS 4, 323 f. / KW CA, 16; SKS 9, 48 / KW WL, 41; SKS 12, 235 / KW PC, 242; SKS 11, 226 f. / KW SUD, 115; Papir 365:7, SKS 27, 394 / JP 1, 649 (esp. 271); NB11:131, SKS 22, 131 / JP 1, 975; NB18:57, SKS 23, 288 f. / JP 1, 989; NB19:85, SKS 23, 384 / JP 1, 990; Papir 485, SKS 27, 616 / JP 1, 1007. Consequently, a number of Kierkegaard-scholars have observed a deep affinity between Kant and Kierkegaard at this point: see, e. g., Green 1992, 97 f; Quinn 1999, 350ff and 372; Søltoft 1996, 73.
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Thus, according to this strictly speaking fivefold explanation the entity in question is tantamount to (a) something universal, in that it is bestowed upon every human being; therefore it is also (b) unconditional, in that it is not dependent on any conditions relative to human beings in their particularity; furthermore, it is (c) something that every human being is capable of – in other words: it must be open to being done by everyone; and finally, it is (d) to be identified with the ethical, which in turn amounts to (e) that which every human being shall do. In short: The universally human is the ethical and as such tantamount to duty.19 Now, a number of questions arise at this point: Is it one and the same duty that, according to Anticlimacus, every human being is supposed to do – and, if yes, in which sense? Which capability corresponds to it? And how is this correspondence between duty and capability, in other words between ought and can to be interpreted? Finally, why does Anticlimacus who, according to Kierkegaard, “regards himself to be a Christian on an extraordinarily high level” (NB11:209, SKS 22, 130 / JP 6, 6433), make this latter point with a certain reservation, namely by insinuating that the ethical is something which every human being ‘presumably’ can do? 2. Starting (parallel to Kant) with the meaning of ought, it will not come as a surprise that Kierkegaard’s concept of duty shows unambiguous traces of the same lawlike universality and unconditional validity, as in his German predecessor. Or, as Vigilius puts it: “The more ideal ethics is, the better.” (SKS 4, 324 / KW CA, 17; see ibid., 323 f. / 16 f.) However, Kierkegaard leaves open the question as to whether duty as 19 Although strictly speaking the final explanation comprises of two elements (‘that which every human being shall and therefore also presumably can do’), we may omit its latter part at this point, since it only repeats (a) and (b). Passages that bear witness to the fact that Kierkegaard almost without exception identifies the universal, the ethical and duty are not hard to come by. Following judge William, for instance, we may conclude: (a) “The ethical is the universal” (SKS 3, 243 / KW EO2, 255; see also SKS 4, 148 / KW FT, 54). (b) “Duty is the universal” (SKS 3, 251 / KW EO2, 263). Therefore, (c) the ethical is duty. Besides that Kierkegaard not only identifies the universally human with the ethical, but also vice versa. See, for instance, NB2:52, SKS 20, 161 / KJN 4, 159: “[T]he ethical life [det Ethiske] is … what is universally hum.[an] [det Almene-Menneskelige]”.
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such can and has to be known transcendentally, viz. independently of experience. Instead, he simply presupposes its knowledge as a fact that, considered from an ethical standpoint, seems both anthropologically and phenomenologically selfevident, namely as simply derivable from the prescriptive character of duty itself: “The ethical presupposes that every person knows what the ethical is, and why? Because the ethical demands that every man shall realize it at every moment, but then he surely has to know it.” (Papir 365:7, SKS 27, 394 / JP 1, 649, 271)
Kierkegaard also deviates from Kant by substituting the difference between duty itself and its particular expression (see, e. g., SKS 4, 162 / KW FT, 70; JJ:6, SKS 18, 146 / KJN 2, 136) or between universal duty and particular task (see, e. g., SKS 3, 257 / KW EO2, 270) for the Kantian distinction between categorical and hypothetical imperatives: The expression of duty may vary according to cultural, historical, situational circumstances, so that it has only conditional authority at best. On the contrary, duty itself and as such proves unconditionally valid, it remains unchangeable and eternally the same.20 The unity of both, that is the synthesis of a particular task and of duty in general, is rooted in what Judge William calls the ‘absolute’, which according to his explanation is manifested in the individual as a self (see SKS 3, 205 / KW EO2, 213 f.). Precisely as an individual self every human being “is simultaneously the universal and the particular” (ibid., 251 / 263; my emphasis).21 This, he argues, becomes fully evident in the phenomenon of conscience (see ibid., 243 f. / 255 f.): For in conscience, and only here, do we find the copresence of good and evil in their absolute dimension, together with their historically conditioned expressions which in turn function as a background of (possibly false: see JJ:6, SKS 18, 146 / KJN 2, 136) framework beliefs that enable the individual who has internalized them to know what to do and what to abstain from in concreto. Now, as a devoted ethicist the judge does not and cannot envisage the disturb20 Kierkegaard seems to be of the opinion that duty, thus conceived, comprises and is in fact coextensive with three fundamental expressions: to love oneself, one’s neighbor and God: see, e. g., SKS 3, 253 ff. / KW EO2, 266 ff.; see also Malantschuk 1978, 35 ff. 21 See also Kierkegaard’s basic anthropological thesis in CA: Man “is individuum and as such simultaneously himself and the whole race, and in such a way that the whole race participates in the individual and the individual in the whole race” (SKS 4, 335 / KW CA, 28).
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ing possibility that any expression of duty which has the self, thus conceived, as its ultimate genetical and epistemic source, may be in opposition to God’s commandments. For he pretends to have chosen his self absolutely, and that means among other things: he has chosen it as a self which as such has simultaneously been posited by God as its absolute correlate.22 Therefore he is fully convinced that when it comes to determining his concrete duties here and now the ethicist will always and unproblematically “be an autodidact just as he is a theodidact, and vice versa” (SKS 3, 257 / KW EO2, 271). As is well known, this standpoint is suspended by Johannes de Silentio in Fear and Trembling, whose interpretation of Gen 22 suggests at least the possibility of an “absolute duty to God” (SKS 4, 162 / KW FT, 70). Such a duty, which in the Old Testament story is expressed by God’s command that Isaac be sacrificed by his father in order to prove the latter’s obedience, entails that love to God may bring a person “to give his love to the neighbor … an expression opposite to that which, ethically speaking, is duty” (ibid.).23 Thus, love to one’s neighbor (here: Abraham’s fatherly love to Isaac) is not simply annulled in favor of love to God (see ibid., 165 / 74); rather, the latter leads to a “paradoxical expression” (ibid., 162 / 70) of the former, which among other things (see ibid., 160 f. / 68 f.) suggests both a transformation in the content of individual tasks in relation to duty and in the source of the latter’s unconditional authority. Here, then, is an undeniable difference between Kant and Kierkegaard. For we have as little reason to believe that Kant would have ever subscribed to the possibility of such thing as an absolute duty to God24, as we have reason to deny that both Kierkegaard himself and his pseudonyms ever ceased to subscribe to it.25 22 As to the correlation between the absolute as self and as God, see SKS 3, 205 / KW EO2, 213 f. 23 As to an analysis of the preconditions for such a situation to arise, where somebody, according to De Silentio, might possibly become the addressee of an absolute duty to God, see H. Schulz 1995, 226 ff. 24 See, e. g., Kant’s critical allusion to Abraham in R, 81 f and 175; compare also Green 1992, 89 and 202 ff. Furthermore, Kant denies the existence of “special duties having reference directly to God” (R, 142) within a religion of practical reason like the one he is advocating. 25 See, for instance, NB15:66, SKS 23, 45 f. / JP 1, 188 and NB16:50, SKS 23, 130 / JP 2, 2238, where Kierkegaard juxtaposes Kant’s principle of human autonomy with the Christian idea of God’s constraint. Moreover, by repeatedly inculcating that willing the good means “willing according to his [sc. God’s] will” (NB33:24, SKS 26, 266 / JP 2, 1445, 147 (my emphasis)) Kierkegaard clearly ad-
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3. So much for the meaning, content and source of duty as expressing the ideality of ought. Now, it goes without saying that, parallel to Kant, the can which Anticlimacus derives from ought in my initial quote from Practice in Christianity refers to a particular moral capability. The point deserves special attention, since Kierkegaard not only distinguishes an aesthetic from a genuinely “ethical capability” (Papir 371:2.h, SKS 27, 434 / JP 1, 657, 307), but he also and explicity claims that in the realm of the former, “what counts is: to be able” (NB11:131, SKS 22, 131 / JP 1, 975). What he has in mind here is, of course, the realm of purely (social and) “natural qualifications” (ibid.) – particular talents, gifts, personal merits etc. -, which as such are neither common to all human beings nor present among them to the same extent, but, on the contrary, mark natural and social differences between them. Precisely for this reason it is only the ethical which is “related to the universally human” (ibid.; my emphasis). As seen in this light universality – as opposed to particularity or exclusively private capabilities – is the first criterion of what it means to be capable in a moral sense: A person can only possess such a capability by virtue of sharing it with everybody else or as something shared with everybody else. Aesthetic capabilities are also essentially defined by their reference to the social world – yet, in the sense of private instead of public possession. For instance, someone has an outstanding poetical talent, precisely by virtue of (being conscious of) not sharing it with other people.26 This notwithstanding, universality is merely a necessary and not a sufficient condition of such capability. It functions as its ‘intersubjective’ criterion, so to speak. The second, namely sufficient or ‘objective’ condition postulates that we are capable in a moral sense only with respect to an act of willing, the object of which can be willed as something that we are vocates the theonomous horn in Plato’s ‘Euthyphron-dilemma’ (see Euthyphron 10d1 – 10e9; also Not13:43, SKS 19, 408 / KJN 3, 406): The good is good, because God wills it – and not vice versa. Finally, SKS 7, 243 / KW CUP1, 267 f. reveals that although Climacus revokes the idea of a teleological suspension of the ethical (NB: in De Silentio’s, not in the Christian sense), he does indeed hold fast to the possibility of an absolute duty to God. The ethical problems inherent in Kierkegaard’s case for such a duty are discussed in H. Schulz 1995, 230 f and 233. 26 In Works of Love Kierkegaard adds: What “you can have only for yourself alone is never the highest” (SKS 9, 35 / KW WL, 27); for it is “precisely the highest, what you can have in common with everyone” (ibid.) – and in his view such a requirement is only met by the ethical capability, of course.
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capable of realizing by this very act itself. Now, what does this class of entities comprise such that willing them manifests an untearable unity between their being willed and their being achieved? In full agreement with Kant Kierkegaard and his pseudonyms hold that there can only be one such entity, namely duty or the ethical. In order to explain their view we may again take a quick glance at the aesthetical capability first – for instance a talent: Here the crucial point is that its facticity, much less its public recognition are (and are experienced as being) beyond the power of the person who has it. Or, as Judge William’s puts it: Talent amounts to a “condition that is not posited by the individual himself” (SKS 3, 178 / KW EO2, 183). Contrary to this, the ethical capability is by definition not only self-sufficient, but also and in phenomenological terms experienced to that effect by the person who possesses and actualizes it. Judge William’s theory of choice and its consequences for the establishment of duty sheds some light on this idea and its justification: Warned by Hume against a false conclusion from is to ought27 and suspicious against Kant’s doctrine of an alleged ‘fact of reason’ the ethicist claims that the unconditional and universal liability of the moral law can only be established both individually and practically. As such it takes on the form of a ‘pathetical leap’28, which in an inevitably circular manner already manifests the fulfillment of the very demand the ethical liability of which is first established by it.29 That there ‘ought to be ought’ – in other words: that the ethical itself has reality – cannot be true, unless the ethicist chooses himself by way of repenting (see SKS 3, 207 ff. and 239 / KW EO2, 216 ff. and 250 f.). Repenting, however, is in itself the manifestation of an ethical act which as such already presupposes the reality of ethics.30 Thus, it is on one hand only by virtue of acting morally that the reality or liability of ethics is established; and yet, on the other hand the belief that the former act is no mere illusion owes its justification to something, the reality of which is first established by this very act itself. As seen 27 See Hume 1980, 469 f. 28 As to Kierkegaard’s use of this term, see e. g. Papir 283:1, SKS 27, 275 / JP 3, 2345 and Papir 283:1, SKS 27, 276 f. / JP 3, 2349; compare also the rest of the journal-entries under the same heading, in: JP 3, 2338 – 2359. 29 A more elaborate attempt to unpack the meaning and implications of this idea is to be found in H. Schulz 1994, 266 f; see also H. Schulz 1998, 195. 30 Hence the judge declares: “I know only one sorrow that could bring me to despair and plunge everything into it – that repentance is an illusion, an illusion not with respect to the forgiveness it seeks but with respect to the imputation it presupposes.” (SKS 3, 227 / KW EO2, 238)
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in this light it is not only, but also always true that the ethical has reality. For then the absolute choice is ipso facto ontologically efficacious: Freedom and the ethical are real, simply by virtue of deliberately acting, as if they were real or by tacitly implying within this act that this holds true.31 Since choosing absolutely is tantamount to choosing the ethical, so in turn the ethical itself is first “posited by the absolute choice” (SKS 3, 173 / KW EO2, 177). Apart from this ‘constitutional act’ duty would, according to the judge, lack both its ontological and its epistemic foundation – it could neither be established as such nor justified as unconditionally valid. 4. After having discussed both ought and can separately, it is time now to tackle their mutual relation in terms of Kant’s deontic principle. The foregoing analysis led to the conclusion that ethically conceived we are, so to speak, obliged to be capable of what we are obliged to. More exactly, we are not only in fact, but always and solely capable of it. Hence, Judge William could certainly invoke Kierkegaard’s notion of freedom, according to which it “means to be capable” (Pap. V B 56,2 / JP 2, 1249, 62; see also SKS 4, 350 and 354 / KW CA, 44 and 49), although he would probably give this formula both a particular ontological, phenomenological and ethical twist: We are and we experience ourselves to be free (and: to be ourselves), whenever and only if we are capable, in the sense of being able to choose what we are obliged to.32 And yet there seems to be a crucial difference between the ethicist on the one hand and Kierkegaard together with his later pseudonyms on the other hand. Sure enough, all of them agree that can implies ought – at least, if we interpret this to mean that we ought to fulfill the ethical, wherever we can do so. In other words: Can is sufficient for ought, the latter necessary for the former. Since we are strictly speaking only capable of what we are obliged to, we are also obliged to whatever we are capable of. However, Judge William’s more far-reaching (and essentially Kantian) claim that can is also necessary for ought, whereas the latter is suf31 Therefore the judge would probably suggest both a phenomenological and an ontological reading of William James’s famous claim, according to which the “first act of free-will … would naturally be to believe in free-will” ( James 1950, 321). 32 In a similar way the judge would also be able to adopt Kierkegaard’s term “oughtnesscapability [Skullen-kunne]” (Papir 371:2, SKS 27, 434 / JP 1, 657, 307) in order to express thereby that we are – always and only, as he would hasten to add – capable of willing and doing what we are obliged to will and to do.
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ficient for the former, would probably neither meet the later pseudonyms’ nor Kierkegaard’s own approval: Thus, for instance, both De Silentio and Climacus would agree that in terms of what Kierkegaard calls ‘ethical capability’ (see Papir 371:2.h, SKS 27, 434 / JP 1, 657, 307) Abraham was “well able to fulfill the ethical” (SKS 7, 242 / KW CUP1, 267). And yet, by feeling himself compelled to accept that it was not the ethical that he was supposed to fulfill, but something higher (namely the absolute duty to God) he was at the same time not capable of, but, on the contrary, ‘prevented’ from fulfilling it.33 Thus he saw himself confronted with a moral duty (namely to love his son in such a way as to render impossible the idea of killing him), which precluded him from being able to fulfill it. And yet, the particular circumstances of his situation did just as little manifest a tragic dilemma, which as such results in unescapable moral wrongdoing; this is, because here one of the dilemma’s horns is not simply a “higher expression” (SKS 4, 169 / KW FT, 78) of duty, and thus still basically moral in nature, but as an absolute duty to God is deemed to be altogether transmoral (see ibid.). Now, in terms of what Kierkegaard describes as “religious capability” (Papir 371:2.i, SKS 27, 434 / JP 1, 657, 307) Abraham is indeed ‘well able to fulfill the ethical’ again. However, the crucial point is that now we are talking about an absurd capability, the actualization of which is not in his own power, but instead requires (and is experienced as requiring) divine assistance, mediated through faith (see SKS 4, 150 f. / KW FT, 56 f.). The correlation of faith and divine assistance is of crucial importance in yet another, namely genuinely Christian sense. It comes to the fore with the concept of sin – a concept, which still plays a rather subordinate role in Fear and Trembling (see SKS 4, 155 and 160 f. / KW FT, 61 f. and 68 f.; also SKS 7, 243 / KW CUP1, 268). What needs to be considered here, first and foremost, is Kierkegaard’s idea that the capability, which is constitutive both for the possibility and the actual degree of freedom (see SKS 4, 350 and 354 / KW CA, 44 and 49), is to be adjudicated in relation to the truth about whatever this freedom is capable of appropriating as its own opposite or ‘other’.34 Now, in terms of Christianity it is not so much fate or guilt, but rather sin which manifests the true opposite 33 See SKS 7, 242 / KW CUP1, 267: Abraham was “prevented from it [sc. the ethical] by something higher, which by absolutely accentuating itself transformed the voice of duty into a temptation”. 34 I have tried to spell out this idea in fuller detail in: H. Schulz 1996b, 173 and 178 f.
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of freedom. Therefore, freedom itself coincides with faith (in the actuality of atonement and redemption), which in turn is coextensive with the capability of sin-consciousness. Dogmatically speaking, however, no individual is able “to gain the consciousness of sin by himself” (SKS 7, 531 / KW CUP1, 584). For now, as the paradoxical doctrine of hereditary sin has it, the individual, simply “by having come into existence … has become a sinner” (ibid., 530 / 583), to the effect that all his anthropologically basic faculties are radically corrupted, so that he is not capable of willing anymore what he is supposed to will.35 However, what he – although in vain – is supposed to will, given he is a sinner, is nothing but himself as a sinner, so that both the actuality of sin itself, the task of a sin-consciousness and the impossibility to fulfill it are brought to bear at the same time. In order to make sense of this idea in psychological and not only in dogmatical terms, we have to remember that according to Kierkegaard sin always and inevitably goes along with the sinner’s refusal to accept himself as such. In other words: The denial of sin is part and parcel of its own actuality – indeed, a necessary condition of sin itself.36 Secondly, if sin necessarily goes along with its own denial; and if, furthermore, its actuality is “an unwarranted actuality” (SKS 4, 413 / KW CA, 111; my emphasis), so that it is supposed to be overcome (or even its possibility supposed to be annulled: see ibid.), then we may conclude that the task of establishing a sin-consciousness is at once posited as such and as impossible to fulfill. Without the impossibility to fulfill it, there would be no such task; wherever it occurs, its fulfillment is simultaneously posited as impossible.37 Anticlimacus, in particular, gives us hints as to a psychological approximation to the causes of this impossibility and its relation to dogmatics: As he first reminds us in the spirit of Socrates (see SKS 11, 201 – 208 / KW SUD, 87 – 96, esp. 207 / 94 f.), we are not able to fulfill the unconditional ethical demand, because strictly speaking we cannot properly understand it. However, we are not able to understand it, because in a desperate disunion with ourselves and God we do not want to understand 35 As to the soteriologically corresponding claim (= the god-man has to bestow upon every human being the ‘condition’ – qua faith – to understand and appropriate the truth about (a) his or her own state of untruth qua sin and (b) the salvific meaning and purpose of this very revelation) see SKS 4, 261 – 265 and 285 f. / KW PF, 59 – 63 and 86 – 88; also ibid., 222 – 226 / 14 – 18. 36 As to this, see in particular: SKS 11, 201 – 208 / KW SUD, 87 – 96 (esp. 205 – 208 / 93 – 96); SKS 4, 222 – 226 / KW PF, 13 – 17. 37 I have argued at length for this genuinely Kierkegaardian point in: H. Schulz 1996b.
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it.38 Hence we are not able to fulfill the demand, because ultimately we do not want to fulfill it (see ibid., 207 / 95). And yet, why do we refuse to want to fulfill it? Apparently, because we are not able to want it. Why so? Well, presumably, because we do not want to be able to want to fulfill it. In other words: If and as long as we try to explain sin in purely psychological and / or speculative terms, we are in danger of either getting lost in an infinite regress (which as such explains not willing in terms of not willing) or of falling victim to a vicious circle (by reducing not willing to not understanding and not understanding to not willing). According to Anticlimacus this twofold aberration is only prevented by Christianity which, as he puts it, “fastens the end by means of the paradox” (206 / 93) – that is, by the doctrine of hereditary sin (see SKS 4, 326 / KW CA, 19). The upshot is that in both Abraham’s and in the genuinely Christian case “ethics develops a contradiction, inasmuch as it makes clear both the difficulty and the impossibility” (SKS 4, 324 / KW CA, 16) of fulfilling its own demands. The absolute duty to god and the requirement of a sinconsciousness are the two paradigm cases, where can (in terms of the capability to fulfill the moral law in its purely relative expressions) implies ought, but not vice versa.
III. In conclusion I would like to recapitulate the following points: First, according to Kierkegaard both the ethicist and the Christian agree with Kant that can – in other words: the capability to fulfill the ethical – is sufficient for ought, that is to say for duty or the moral law in its unrestricted ideality: Wherever we can conform to what we are morally supposed to, we ought to act accordingly. Secondly, the ethicist (other than the Christian) agrees with Kant that can is also necessary for ought: Wherever and only where we can conform to what we are supposed to do, we ought to do it. Finally and again in opposition to both Kant and the ethicist the Christian maintains that ought is necessary, but not sufficient for
38 As to the relation between understanding and fulfilling the ethical see also Papir 365:7, SKS 27, 394 / JP 1, 649, 271. Here, Kierkegaard’s point seems to be: We can only fulfill the ethical, if we understand it; and we can only understand it, if we want to fulfill it.
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can: We are capable of doing only, but not of doing whatever we ought to do.39 Thus conceived, Kierkegaard’s authorship contains at least implicit hints as to a substantial critique of Kant’s deontic logic and its basic principle. If we were to assess the availability of this critique in purely philosophical terms, we would be compelled not only to draw on the epistemological foundations of Kant’s view (especially their transcendental presuppositions and implications), but also on Kierkegaard’s account of these foundations. Neither of these two tasks can be accomplished in the context of this paper – in particular, because Kierkegaard himself hardly ever tackles Kant’s epistemology.40 However, it is not only impossible, but also unnecessary to dwell on this point, since the reasons, why Kierkegaard is at variance with Kant’s deontic principle are not so much epistemological, but rather theological in nature. And here, as I hope to have shown above, it can hardly be denied that the former’s insight into the genuinely Christian prerogatives of assessing ought in relation to can induces both him and his pseudonyms to come up with an analysis of the human predicament, which does not only do full justice to these prerogatives themselves, but also and correspondingly goes way beyond Kant’s account in terms of its overall methodological and conceptual sophistica39 There is one additional point that deserves to be mentioned here – only in passing, though, because it touches upon what I had to omit as the phenomenological variant of Kant’s principle. In my opinion both Kierkegaard and Kant would agree that in a certain sense ought is also sufficient, maybe even necessary for the impossibility of can (and vice versa). The corresponding deontic principle reads as: ‘You ought, therefore you cannot’ or ‘you can, for you shall not’. Although the meaning of can remains unchanged in this case, both the intension and extension of ought are modified; for now the latter is tantamount to the moral law only insofar, as its addressee not only (a) experiences it as such, but also and in particular as (b) ‘necessitating’ (to use the Kantian term: see C2, 165). In other words: The moral law can be fulfilled only, if and to the extent that its addressee acts according to it deliberately, that is without the experience of any inner disunion qua despair (Kierkegaard) or qua conflict between reason and sensuousness (Kant). This principal agreement notwithstanding, Kierkegaard would insist on the (dogmatically based, thus strictly speaking ‘transcendent’) assertion that such a capability requires faith – and thus divine assistance beyond the autonomy of the human subject -, whereas Kant would build his view on the postulate of an ‘immanent’ possibility to realize the ideal of what he calls the ‘holy will’ (see C2, 165 f). 40 Some of the very few exceptions are: AA:35, SKS 17, 48 / KJN 1, 42; Pap. V B 5,3; Pap. VI B 54,16 / JP 2, 2235; NB12:121, SKS 22, 215 / JP 3, 3558; NB14:150, SKS 22, 433 – 435 / JP 1, 1057.
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tion. Thus, if we wished to determine both the agreement and the fundamental difference between Kant and Kierkegaard as sharply as possible, we might use the latter’s following journal-entry as an adequate startingpoint: “Have faith, don’t worry about the rest. Every other good is dialectical in such a way that there is always a ‘but’ that goes along with it, so that, from another point of view, it is perhaps not a good. Faith is the good that is dialectical in such a way that, even if the greatest calamity were to befall me, faith would allow me to see it as a good.” (NB4:28, SKS 20, 300 / KJN 4, 300)
This passage is not only and at least implicitly written in a surprisingly authentic Lutheran spirit41, but it is also and particularly striking, because it can easily be transformed into a genuine Kantian claim by simply substituting the term ‘good will’ for ‘faith’. In other words: Faith is for Kierkegaard what the good will is for Kant. Now, if on one hand it is only faith that enables a human being to fulfill the ethical (namely by virtue of deliberately appropriating sin as the true opposite of this ability); and if on the other hand – contrary to the notion of an autonomous will – the facticity of faith is seen and experienced as requiring divine assistance, so that, consequently, this term denotes the crucial difference between a ‘transcendent’ Christian and a purely ‘immanent’ or ethical perspective, then we are entitled to draw two significant conclusions: First, it is not Kant, but rather Kierkegaard who deserves to be considered ‘the philosopher of Protestantism’ – a term, originally coined for the former by the German theologian Julius Kaftan. Secondly, the overall relation between Kant and Kierkegaard, which has been the subject of much discussion over the past few years, after Ronald M. Green published his major study Kierkegaard and Kant in 1992, needs to be reassessed. Although in principal agreement with Green’s claim that Kierkegaard, like Kant, “believed that we must approach religion through the sphere of practical, not theoretical reason”42, I am of the opinion that his more far-reaching assertion, according to which the former is to be seen as the “genuine heir to the legacy of Kant’s developed religious and ethical thought”43 in the 19th century, cannot be subscribed 41 See, for instance, Luther 1948, 269 ff. 42 Green 1992, 223. 43 Ibid., xvi; see also ibid., 222, where Green explicitly states that in “the deepest sense” his work “serves to show that what is true for Kant is also true for Kierkegaard”.
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to without substantial reservations – at least not on the basis of what we might call Kierkegaard’s Christian variant of a deontic logic.
9. Der grausame Gott. Kierkegaards Furcht und Zittern und das Dilemma der Divine-Command-Ethics I. „SOKRATES: EUTHYPHRON: SOKRATES: EUTHYPHRON: SOKRATES: EUTHYPHRON: SOKRATES: EUTHYPHRON: SOKRATES: EUTHYPHRON:
Was sagen wir nun also über das Fromme, Euthyphron? Doch eben, dass es von allen Göttern geliebt wird, wie du behauptet hast? Ja. Und zwar deshalb, weil es fromm ist – oder aus einem anderen Grund? Nein, sondern deswegen. Weil es also fromm ist, wird es geliebt, und nicht weil es geliebt wird, ist es fromm? Es scheint so. Andererseits aber ist es darum geliebt und gottgefällig, weil es von den Göttern geliebt wird. Wie könnte es anders sein? … Das Gottgefällige ist also dadurch gottgefällig, dass es von den Göttern geliebt wird, eben durch dieses Geliebtwerden. Es wird nicht deshalb geliebt, weil es gottgefällig ist. Es ist so, wie du sagst.“1
Der Name Euthyphron steht nach der zitierten Passage des gleichnamigen platonischen Dialoges nicht nur für ein historisches Urbild, sondern auch für ein zeitloses Symbol einer philosophischen Verlegenheit: Ist das ,Fromme‘ (d. h. das geziemende, ethisch gebotene und / oder erlaubte Verhalten des Menschen) deshalb fromm, weil und insofern es die Götter gutheißen, oder findet es deren Beifall, weil und insofern es an sich fromm ist? Für das abendländisch christliche Denken, dessen Gottesverständnis sich vereinfacht gesprochen aus den Quellen sowohl des hebräischen Voluntarismus wie des griechischen Intellektualismus speist, ist die Unfähigkeit, diese Frage ohne Umschweife zu beantworten, Ausdruck und Indiz der Einsicht in ein metaphysisch wie ethisch unausweichliches Dilemma: Folgt auch Gottes Wohlgefallen nur der Übereinstimmung des 1
Euthyphron 10d1 – 10e9; hier zitiert nach Platon 1974, Bd. 2, 199 f.
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menschlichen Handelns mit jenem Sittengesetz, das bereits an sich und unabhängig von jeder göttlichen Gesetzgebung als gültig erkannt und befolgt werden kann, so droht diese Voraussetzung dem Gedanken der Souveränität Gottes als dem alleinigen und allmächtigen Gesetzgeber Eintrag zu tun. Wird dieser hingegen als schlechthin souveräne Quelle sowie als Geltungs- und Erkenntnisgrund des moralisch Gebotenen, Erlaubten und Verbotenen gedacht, so nötigt dies zu dem Eingeständnis, dass alles menschliche Verhalten allein und allenfalls dann das Prädikat ,gut‘ verdient, wenn und insoweit es mit Gottes Willen übereinstimmt. Und dieses Eingeständnis gibt den Blick auf die beunruhigende Möglichkeit eines grausamen Willkürgottes frei, der als solcher zu einem Verhalten verpflichten bzw. dieses gutheißen könnte, das den Standards der moralisch-praktischen Vernunft und / oder dem sittlichen Empfinden des Menschen diametral entgegensteht. Akzeptieren wir diese letztere Seite des Dilemmas, machen wir uns somit nolens volens zu Anwälten dessen, was in der neueren US-amerikanischen bzw. angelsächsischen Ethikdebatte als ,Divine-Command-Ethics‘ (Ethik des göttlichen Befehls) diskutiert wird.2 Zumindest tun wir dies i.S. der Unterstellung dessen, was für jede genuin theologische Ethik als maßgeblich zu gelten hätte. Der Sache nach hat das skizzierte Dilemma im Kontext des abendländisch-christlichen Denkens eine lange und verwickelte Geschichte, deren Entwicklungslinien hier nicht im Einzelnen nachzuzeichnen sind. Ich stelle im Folgenden eine einzige, systematisch ebenso konsequente wie provozierende Position aus der evangelischen Rezeptionsgeschichte des Problems heraus, nämlich diejenige Søren Kierkegaards.3 Als genuin protestantischer Denker steht Kierkegaard hier wie auch andernorts in der Tradition Luthers. Partiell beeinflusst durch die spätmittelalterlich-nominalistische Lösung des Streites zwischen Franziskanern und Dominikanern um den Primat von Wille oder Intellekt im Wesen Gottes hatte dieser in De servo arbitrio (1525) ein entschiedenes Bekenntnis zur ,Ethik des göttlichen Befehls‘ abgelegt: „[Gottes] Wille ist die Regel für alles. Wenn nämlich für seinen Willen irgendeine Regel oder Maß oder Ursache oder Grund Geltung hätte, könnte er nicht mehr Wille Gottes sein. Denn nicht deshalb, weil er so wollen muß
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Vgl. zur Übersicht Helm 1981, Löhr 1991, 21 – 26, Mouw 1990. Vgl. zum Folgenden auch H. Schulz 1995.
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oder gemußt hat, ist das, was er will, recht, sondern im Gegenteil, weil er selbst es will, deswegen muß es recht sein“4.
In bewusster Revozierung jener aufklärerisch-idealistischen Grundentscheidung, die Erkenntnis, Geltungsgrund und Inhalt des sittlich Gebotenen in die Vernunftnatur des Subjekts zurückverlegt, knüpft Kierkegaards Furcht und Zittern (1843; im Folgenden = FZ) zumindest der Sache nach an Luthers Votum an. Ich skizziere im folgenden Inhalt und Problemstellung des Buches, markiere anschließend dessen Tragweite im Blick auf das Euthyphron-Dilemma und schließe mit einigen wenigen weiterführenden Bemerkungen.
II. 1. Obschon gemessen am Umfang seiner anderen Produktionen vergleichsweise schmal hat Kierkegaard FZ zeitlebens für eines seiner wichtigsten Werke gehalten. Dabei weist das Buch schon vom rein schriftstellerischen Standpunkt durchaus Züge des Genialen auf. Seine literarische Raffinesse belegt z. B. jene dreifache Spiegelung, die seine Themenstellung ermöglicht und nahelegt. Äußerlich und auf den ersten Blick geht es in FZ ausschließlich um die Gehorsamsprüfung Abrahams, der von Gott den Befehl erhält, seinen Sohn Isaak zu opfern. So gesehen bietet das Buch nichts weiter als eine zugegeben höchst originelle Exegese von Gen 22. In dieser thematisch gewiss leitmotivischen Konzentration auf die beiden alttestamentlichen Charaktere spiegeln sich indessen drei weitere – freilich bestenfalls analoge – Opferbeziehungen: erstens die Kierkegaards zu seiner Verlobten (von der er sich aus religiösen Motiven trennte); zweitens die seines Vaters zu ihm selbst (der ihn als Bußopfer zur Sühnung eines auf der Familie lastenden Fluchs betrachtete); drittens und gleichsam nur noch an den Rändern des Buches durchschimmernd die des christlichen Gottes zu seinem Sohn: Denn Christus wird dogmatisch gesprochen um des Heils der Welt willen von seinem Vater ebenfalls zu einem, und zwar stellvertretenden, Opfer bestimmt. 2. Worin besteht nun der sachliche Geltungsanspruch von FZ und wie wird dessen Aufriss durch den Versuch bestimmt, ihn einzulösen? Johannes De Silentio, Autor des Buches und pseudonymes Sprachrohr Kierkegaards, schreibt: Es ist 4
Luther 1954, 145.
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„meine Absicht, aus der Geschichte von Abraham das Dialektische … herauszuziehen, um zu sehen, was für ein ungeheuerliches Paradox der Glaube ist, ein Paradox, welches einen Mord zu einer heiligen und Gott wohlgefälligen Handlung zu machen vermag, ein Paradox, das Isaak Abraham wiedergibt, – etwas, dessen sich kein Denken bemächtigen kann, weil der Glaube eben da beginnt, wo das Denken aufhört“(SKS 4, 147 / GW1 FZ, 56).
Die Verwirklichung dieser Kernabsicht setzt der Autor, abgesehen von Vorwort und Epilog des Buches, in fünf Schritten um. Ein erster Hauptabschnitt unter dem Titel Stimmung konfrontiert den Leser mit vier knappen Varianten der Abraham-Erzählung, die im Detail allesamt von der im folgenden Haupttext favorisierten Lesart abweichen (insbesondere durch die fehlende Akzentuierung von Abrahams ,paradoxem Glauben‘), gleichwohl aber Möglichkeiten zu einem alternativen Verständnis der Situation des Erzvaters poetisch projektieren. Sie wollen den Leser durch Appell an seine Einbildungskraft nicht nur auf die Vieldeutigkeit und hermeneutische Unausschöpfbarkeit, sondern auch auf den ,Furcht und Zittern‘ erregenden Ernst einer Erzählung ,einstimmen‘, die im Original (d. h. in Gen 22) jeglichen Hinweis auf die Gefühls- und Reflexionslage seiner Hauptperson vermissen lässt. Die anschließende Lobrede auf Abraham versucht den Leser mit rhetorischer Eindringlichkeit davon zu überzeugen, dass es der Glaube und nur dieser sei, der die vorbehaltlose und für alle Zeiten gültige Verherrlichung des Erzvaters als eines religiösen Paradigmas rechtfertige. Der Glaube selbst und dessen Verhältnis zur Moralität stehen dann im Mittelpunkt des eigentlichen Hauptteils von FZ, der den Titel Problemata trägt. Im Anschluss an eine Vorlufige Expektoration, die die Basiskategorien und -thesen für eine hermeneutisch und situativ angemessene Interpretation von Gen 22 bereitstellt, folgen die drei systematischen Kernabschnitte Problema I, II und III. Hier wird Abrahams paradigmatische Ausnahmesituation auf der Negativfolie dreier Wesensmerkmale des Ethischen – nämlich als des Allgemeinen, des Göttlichen und des Offenbaren – im Detail beleuchtet. De Silentios Interpretation führt hierbei zu dem doppelten Ergebnis, dass Abrahams Verhalten einerseits nur durch Rekurs auf das Faktum seines paradoxen Glaubens verständlich und zu rechtfertigen, dieser Glaube, als paradoxer, jedoch eo ipso ethiktranszendent konnotiert sei.
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III. 1. Sehen wir uns den Argumentationsgang, der zu diesem doppelten Ergebnis führt, ein wenig genauer, d. h. am Leitfaden von Problema I und II an. „Das Ethische ist als solches das Allgemeine“ (SKS 4, 148 / GW1 FZ, 57; vgl. ebd., 160 / 74) – mit dieser eher allgemeinen Auskunft setzen De Silentios Überlegungen ein. Der Kontext des Zitates lässt zunächst erkennen, dass der Autor das Ethische mit der Pflicht gleichsetzt. Dass die Pflicht ihrerseits als ,das Allgemeine‘ bezeichnet werden kann, dürfte unmittelbar einleuchten: Sie ist das universal, d. h. zu jeder Zeit für jedermann Verbindliche. Nun ist zwar jede Pflicht im bezeichneten Sinne allgemein, nicht aber jedes Allgemeine Pflicht. Wir müssen die Angaben des Autors daher präzisieren: Gemeint ist offenbar nicht die Allgemeingültigkeit von Natur-, sondern ausschließlich die von Sittengesetzen, die als solche menschliches Handeln objektiv gültigen und universalen Regeln unterwerfen. Darüber hinaus bedarf es einer zweiten Präzisierung: De Silentios Skizze des Ethischen orientiert sich weniger an Kants sog. deontologischer, sondern eher an Hegels Variante einer sog. teleologischen Ethik (vgl. SKS 4, 148 f. / GW1 FZ, 57 f.). Der Begriff des Allgemeinen steht daher nicht nur für die bloße Form bzw. die universale Verbindlichkeit, sondern auch und vor allem für das Ziel sowie das Medium pflichtgemäßen Verhaltens. In diesem Sinne ist das Allgemeine bei Hegel mit dem Begriff der Sittlichkeit in ihren drei dialektisch abgestuften Instanzen Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat synonym. Diese verkörpern den sog. objektiven Geist in seiner konkreten Vollkommenheit, in der sich als solcher jede abstrakt-subjektive Moralitt einerseits sowie eine nicht minder abstrakte, rein objektive Legalitt andererseits dialektisch aufheben.5 Wenn sich Peter z. B. verliebt, so fordert Hegels Ethik, dass er diesen seiner partikulären Subjektivität entspringenden Impuls in eine universale sittliche Gestalt des objektiven Geistes – hier natürlich: die der Ehe, als Keimzelle der Familie – überführt. Dabei hat eine derartige Transformierung zugleich als das höchste Ziel des individuellen Daseins zu gelten – zumindest mit Blick auf dessen Funktion als 5
Vgl. im Kontext: W 7, 223; vgl. ferner W 3, 377 f; W 7, 286 f, 302 f u. 305 f; W 10, 317 ff. De Silentio bezieht sich in diesem Zusammenhang (vgl. SKS 4, 148 f. / GW1 FZ, 58) ausschließlich auf den berühmten § 140 in Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts (vgl. W 7, 265 – 286), genauer auf die dort vorgeschlagene Unterscheidung von Moral und Sittlichkeit bzw. die damit einhergehende Kritik an einer im Gewissensbegriff fundierten Form von abstrakter Moralität.
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guter Staatsbürger. Indem nun, mit Kierkegaard gesprochen, Peter durch Heirat und Ehe ,das Allgemeine realisiert‘, erweist sich letzteres zugleich als (institutionalisiertes) Medium zur Realisierung des Ethischen. Klar ist ferner, dass zwischen Einzelnem und Allgemeinem ein Subordinationsverhältnis besteht: Der Einzelne ist – als solcher – dem Allgemeinen untergeordnet. Genauer: Er steht insoweit unter dem Allgemeinen, wie er sich ihm gegenüber als Einzelner (und d. h. eben: unberechtigt) geltend zu machen bzw. als îber ihm stehend zu behaupten versucht. In dem Maße hingegen, wie er bereit und fähig ist, das Allgemeine zu realisieren bzw. adäquat auszudrücken; in dem Maße also, wie er – mit Kierkegaard gesprochen – ,der allgemeine Mensch‘ zu werden vermag, indem er sich ihm gerade bewusst und mit Absicht unterordnet, in eben demselben Maße rückt er in die Gleichrangigkeit mit ihm auf. Eine berordnung des Einzelnen – als eines solchen – über das Allgemeine ist dabei freilich unter allen Umständen ausgeschlossen. In diesem Sinne besteht für den verliebten Peter keine Möglichkeit eines ausnahmsweise berechtigten Zölibates – es sei denn, sein Eheverzicht stellt sich, genuin tragisch, in den Dienst eines höheren, dabei seinerseits rein ethischen Interesses (z. B. das des Staates). 2. Auf der Basis dieser Vorgaben leuchtet ein, dass Hegel die beiden Titelfragen von Problema I und II verneinen muss. Die erste dieser Fragen lautet: Gibt es eine teleologische Suspension des Ethischen? D.h.: Ist eine zeit- bzw. ausnahmsweise Aufhebung des Ethischen, und zwar um Willen eines höheren Zieles denkbar? Eine solche Suspension würde, wenn sie denn möglich wäre, drei Bedingungen erfüllen: Erstens würde sich der Einzelne hierin als Einzelner das Allgemeine unterordnen – und zwar mit Recht. Er würde m.a.W. eine legitime Ausnahme von der durch Hegel zur Geltung gebrachten Pflicht zur Transformation des Einzelnen ins Allgemeine sein. Im Beispiel gesprochen: Peter verzichtet, obschon verliebt, auf Heirat und Ehe – und zwar mit Recht. Zweitens müsste es sich bei dem höheren Ziel, um dessentwillen die Geltung des Ethischen zeitweise aufgehoben wird, um ein solches handeln, das seinerseits deren ethische Vermittelbarkeit durch eine der o.g. objektiv-sittlichen Instanzen schlechterdings ausschließt. Peters Heiratsverzicht dürfte m.a.W. keinerlei gesellschaftlichen oder staatlichen Interessen nutzbar gemacht bzw. so interpretiert werden können. Drittens dürfte sich die genannte Aufhebung erst im Durchgang durch das bzw. nach der Bereitschaft zur völligen Unterwerfung unter das Allgemeine geltend machen. Peters Motiv zur Suspension des Eheentschlusses würde mithin nicht durch die Versu-
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chung bestimmt sein dürfen, sich den mit jedem derartigen Entschluss einhergehenden Verpflichtungen zu entziehen; vielmehr müsste seine Entscheidung auf etwas beruhen, das im Gegenteil ( jene Unterwerfung unter) das Ethische selbst als Versuchung erscheinen lässt. Was immer hiermit in concreto gemeint sein mag, klar ist jedenfalls, dass Hegel nicht nur die Erfüllung dieser letzteren, sondern auch die der beiden zuvor genannten Bedingungen, einzeln und im Ensemble, für ausgeschlossen halten muss. 3. Entsprechendes gilt nun ohne Zweifel auch für die Beantwortung der Titelfrage von Problema II. Diese lautet: Gibt es eine absolute Pflicht gegen Gott? Eine solche Pflicht hat zwei notwendige Möglichkeitsbedingungen, wobei sich die eine auf deren Inhalt (genauer: den Ausdruck dieses Inhaltes), die andere sowohl auf ihren Adressaten wie ihren Geltungsgrund wie ihre Quelle bezieht. De Silentio zufolge liegt eine absolute Pflicht erstens nur dann vor, wenn deren Inhalt in einer Forderung „Ausdruck“ gewinnt, die „dem, was ethisch gesprochen Pflicht ist, widerspricht“ (SKS 4, 162 / GW1 FZ, 77). Rein ethisch geurteilt ist Peters Eheentschluss ein regulärer Ausdruck für die Pflicht, den Nächsten zu lieben. Diese Pflicht zur Nächstenliebe bleibt für Peter auch dann bindend, wenn er sich mit einer diesbezüglich absoluten Pflicht konfrontiert sieht. Nunmehr erhält diese Pflicht jedoch einen ganz anderen, nämlich „paradoxen Ausdruck“ (ebd.): etwa i.S. der Forderung, die Liebe zu seiner Angebeteten gerade darin manifest werden zu lassen, dass er sich ihr gegenüber – womöglich unter Vorspiegelung falscher Motive – weigert, sie zu heiraten; oder, im Extrem, i.S. der Forderung, sie eben dadurch zu lieben, dass er sie tötet. Die zweite Möglichkeitsbedingung der absoluten Pflicht qualifiziert, wie gesagt, zugleich deren Adressaten, Geltungsgrund und Quelle. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass das Ethische als das Allgemeine – und d. h. hier als unbedingt autoritativ – zugleich gçttlich genannt zu werden verdient. Man hat nach De Silentio deshalb recht, „wenn man sagt, daß im Grunde jede Pflicht Pflicht gegen Gott ist; aber kann man nicht mehr sagen, so sagt man zugleich, daß ich eigentlich keine Pflicht habe gegen Gott. Die Pflicht wird [zwar] Pflicht, indem sie auf Gott zurückgeführt wird, aber in der Pflicht selbst trete ich nicht in ein Verhältnis zu Gott“ (SKS 4, 160 / GW1 FZ, 74; Hervorh. H.S.).
Anders im Falle der absoluten Pflicht. Die Tatsache, dass es sich hierbei um etwas handelt, dessen Ausdruck mit keiner Instanz des Allgemeinen vermittelbar ist, sondern diese im Gegenteil transzendiert, führt dazu, dass
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deren Adressat sich nicht länger in Relation zum bzw. vermittelt durch das Allgemeine zum Göttlichen als deren Quelle und Geltungsgrund zu verhalten vermag, sondern nurmehr absolut und unmittelbar. Dass der verliebte Peter, obwohl er nichts sehnlicher wünscht als die Ehe mit seiner Geliebten, seiner Liebe zu ihr gerade paradox und d. h. im Verzicht auf diese Ehe Ausdruck verleihen soll, kann er nur von bzw. in der Unmittelbarkeit eines reinen Privatverhältnisses zu Gott als dem Absoluten zu wissen, mithin offenbart bekommen. Dabei wird das ethische (hier: eheliche) Verhältnis Peters zu seiner Geliebten „herabgesetzt zu einem Relativen im Gegensatz zum absoluten Verhältnis zu Gott“ (SKS 4, 162 / GW1 FZ, 77). Es liegt auf der Hand, dass Hegel die Möglichkeit einer derartig paradoxen Verbindlichkeitsform mit Verweis auf die Geschlossenheit und Unaufhebbarkeit immanent-teleologischer Sittlichkeit ablehnen und mithin die Titelfrage von Problema II gleichfalls abschlägig bescheiden muss.6
IV. 1. Der kategorialen Doppelheit von teleologischer Suspension und absoluter Pflicht entspricht auf psychologischer Ebene das, was der Autor die „Doppelbewegung“ (SKS 4, 131 / GW1 FZ, 34) des Glaubens nennt. Diese setzt sich als solche aus einer ,Unendlichkeitsbewegung‘, der sog. unendlichen Resignation, und einer Zurückwendung ins Endliche ,kraft des Absurden‘ zusammen: Denn der Glaube vollzieht, „nachdem er die Bewegung der Unendlichkeit gemacht hat, die der Endlichkeit“ (SKS 4, 133 / GW1 FZ, 36). Wie De Silentio an eher entlegener Stelle zu verstehen gibt (vgl. SKS 4, 169 / GW1 FZ, 86 f.), handelt es sich allerdings genaugenommen um drei ,Bewegungen‘, die von Abraham auf seinem Weg zum Berg Moria ununterbrochen und simultan ausgeführt werden: Erstens drückt sein Verhalten jene wechselseitige Transformierung von Wunsch und Pflicht aus, die als solche dem Ethischen als dem Allgemeinen entspricht. Sie besteht, näherhin betrachtet, darin, dass der Ritter des Glaubens die Kraft besitzt, „den ganzen Inhalt des Lebens und die ganze Bedeutung der Wirklichkeit in einen einzigen Wunsch zu sam6
Dass Hegel die bezeichnete Auffassung in der Tat vertritt, auf die (bzw. deren Konsequenzen) De Silentio an dieser Stelle verweist, belegt u. a. § 258 der Rechtsphilosophie. Hegel erklärt hier, es sei „für die Einzelnen … hçchste Pflicht …, Mitglieder des Staats zu sein“ (W 7, 399). Vgl. dazu den Einspruch Kierkegaards durch Climacus: SKS 7, 456 / GW1 AUN2, 212 f. (Fußn.).
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meln“ (SKS 4, 137 / GW1 FZ, 42). In Abrahams Fall ist natürlich der Wunsch nach dem ungetrübten Zusammenleben mit seinem Sohn gemeint. Dieser Wunsch muss sich freilich i.S. des Ethischen als des Allgemeinen jederzeit in eine Pflicht verwandeln lassen u.u. – genauer, in den regulären Ausdruck der Pflicht zur Nächstenliebe – oder noch genauer: in die Pflicht der Liebe des Vaters zu seinem Sohn. Wäre Abrahams Tötungsvorsatz hingegen lediglich durch den Wunsch motiviert, ein ungewolltes Familienmitglied aus dem Wege zu räumen, dann dürfte er sicher sein, alles andere, nur nicht der Vater des Glaubens sein bzw. werden zu können. 2. Die erste Bewegung fungiert als notwendige Möglichkeitsbedingung für die zweite, die als Einheit von Pflicht und unendlicher Resignation beschrieben werden kann. Es ist, so schreibt De Silentio, „im Leben das Glückliche, wenn … mein Wunsch meine Pflicht ist und umgekehrt, und die Aufgabe der meisten Menschen im Leben ist eben, bei ihrer Pflicht zu bleiben und sie mit ihrer Begeisterung in ihren Wunsch zu verwandeln“ (SKS 4, 169 / GW1 FZ, 86 f.).
Nicht so für Abraham. Zwar bleibt diesem seine Vaterpflicht nur zu deutlich bewusst, ja ihre Erfüllung zugleich sein sehnlichster Wunsch; gleichwohl sieht er sich genötigt, diesem Wunsch gegenüber zu resignieren, und d. h. jeder Möglichkeit zur ,Realisierung des Allgemeinen‘ (i.S. der Aufrechterhaltung eines ethisch geregelten Zusammenlebens mit seinem Sohn) zu entsagen – und zwar unendlich, d. h. unwiderruflich und ein für allemal. Auf diese Weise gibt er die Möglichkeit zur Realisierung des Ethischen in dessen regulärem Ausdruck der Vaterliebe um Willen eines Höheren auf, nämlich der absoluten Gehorsamspflicht gegenüber Gott. Das Furcht- und Entsetzenerregende, das in dem dieser Haltung zugrundeliegenden Konflikt manifest wird, besteht dabei mit Kierkegaards Worten darin, dass hier „kein Zusammenstoß zwischen Gottesgebot und Menschengebot [vorliegt], sondern [zwischen] Gottesgebot und Gottesgebot“ (Pap. IV B 67; hier zit. nach GW1 FZ, 161). Diejenige Kategorie, die Abraham sich selbst gegenüber als einzig sachgemäße Bezeichnung für dieses Gottesgebot in seiner absoluten Dimension in Anschlag bringen zu können meint, ist die der Prîfung bzw. der Gehorsamsprüfung (vgl. SKS 4, 162 / GW1 FZ, 77). Ist dieses Urteil sachgemäß, so folgt daraus, dass jede göttliche Prüfung als solche den Rahmen des Ethischen sprengt, was ebenso viel besagt wie: Kein Mensch, der sein Dasein ausschließlich durch die Kategorien des Ethi-
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schen bestimmt sein lässt, würde Abraham verstehen können (vgl. SKS 4, 200 ff. / GW1 FZ, 128 ff.); denn mit dem Begriff der Prüfung kommt eine irreduzibel religiçse und als solche schlechthin ethiktranszendente Kategorie ins Spiel. 3. Die Unbegreiflichkeit der abrahamitischen Haltung macht sich aus der Sicht des Autors von FZ an drei weiteren Momenten fest, die zugleich dessen analogielose, nichtsdestoweniger aber paradigmatische Stellung im Verhältnis zu jedem späteren ,Ritter des Glaubens‘ begründen: Zwar gibt erstens kein unendlich Resignierender als solcher einfach ,sein Liebstes‘ auf (z. B. Reichtum: vgl. SKS 4, 124 / GW1 FZ, 24 f.), sondern allein dasjenige Liebste, demgegenüber er die höchste ethische Verpflichtung hat. Abraham bekundet jedoch mit dem Vorsatz, Isaak zu töten, seine darüber hinausgehende Bereitschaft, Gott den Trger der Verheißung zum Opfer zu bringen – wohlgemerkt: eben jener Verheißung, die derselbe Gott bereits gegeben hatte! Zweitens ist Abraham im Unterschied zu jedem anderen Individuum post Christum natum allein durch sein Geprüftwerden und „nicht durch die Sînde ein Einzelner geworden, im Gegenteil, er ist der gerechte Mann gewesen, der Gottes Auserwählter“ war (SKS 4, 188 / GW1 FZ, 112; Hervorh. H.S.). Drittens scheint Abrahams unmittelbare und offenbar von keinem Zweifel getrübte (vgl. Gen 22, 1 u. 3) Gewissheit unbegreiflich, dass der an ihn ergangene Opferbefehl tatsächlich gçttlichen Ursprung ist und sich als solcher keiner halluzinatorischen Eingebung verdankt. Die jeden anderen Menschen unverzüglich in tiefste innere Konflikte stürzende Frage muss ja lauten: Ist der Glaube, das Ganze sei eine göttliche Prüfung, eine bloße Versuchung im Medium des Ästhetischen (d. h. des Vor- und Außerethischen), oder hieße, ebendies zu glauben, einer Anfechtung seitens des Religiösen nachzugeben? Abraham weiß ja, dass seine Tötungsbereitschaft ethisch gesehen als Mordvorsatz, diese anders (nämlich als Gott wohlgefällige Opferhandlung) zu betrachten mithin als Versuchung durch das Ästhetische gelten muss. Und er ist sich umgekehrt darüber im Klaren, dass die Möglichkeit, seinen Tötungsvorsatz als Mord zu interpretieren, einer Anfechtung durch das Religiöse gleichkommt, so dass, Gottes Tötungsgebot nicht nachzukommen, auf eine Versuchung durch das Ethische und zugleich auf das Nichtbestehen der göttlichen Prüfung hinausliefe. Gänzlich unbegreiflich erscheint von daher die nachgerade traumwandlerische Sicherheit, mit der er seine Tötungsbereitschaft nicht etwa als ästhetische Versuchung, sondern deren Fehlen im Gegenteil als Ver-
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suchung durch das Ethische (bzw. als religiöse Anfechtung durch einen prüfenden Gott) aufzufassen vermag. 4. Unendlich zu resignieren stellt die höchste und äußerste Möglichkeit dar, die ein Mensch aus eigener Kraft zu verwirklichen vermag. In ihr setzt sich Abraham – und mit ihm jeder Ritter des Glaubens – als Einzelner über das Allgemeine hinweg und suspendiert dessen Geltung angesichts einer rein privaten, absoluten Pflicht gegen Gott sowie unter Berufung auf ein entsprechendes höheres Handlungsziel: das Bestehen der göttlichen Gehorsamsprüfung (vgl. SKS 4, 153 u. 162 f. / GW1 FZ, 64 u. 77 f.). Insofern verhält sich bereits der unendlich Resignierende als solcher relativ zum Ethischen (als dem Relativen) und zugleich absolut zu Gott (als dem Absoluten). Denn dasjenige, was er i.S. der unendlichen Resignation zu tun im Begriff ist, kann mit keiner Instanz des SittlichAllgemeinen vermittelt werden. So gesehen ist der unendlich Resignierende auch nicht dem tragischen Helden vergleichbar: Denn für diesen mögen – etwa in der Gestalt Agamemnons, von dem das Opfer seiner Tochter gefordert wird, um sein Volk vor dem Untergang zu retten – zwar ebenfalls Wunsch und Pflicht zur Tochterliebe zusammenfallen; gleichwohl empfängt er durch den Opferbefehl aufgrund von dessen Vermittelbarkeit mit dem Wohl des Staates lediglich einen „höheren [nämlich tragischen] Ausdruck der Pflicht, aber keine absolute Pflicht“ (SKS 4, 169 / GW1 FZ, 87). Die unendliche Resignation steht ihrerseits für eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung der alles entscheidenden dritten Bewegung, durch die Abraham in die Endlichkeit und damit in die zeitweise aufgehobene Realität des Ethischen i.S. der Verwirklichung seiner ungestörten Vater-Sohn-Beziehung zurückgelangt. Näher besehen ist diese Bewegung Ausdruck der Fähigkeit, ,in kraft des Absurden‘, „daß bei Gott kein Ding unmöglich ist“ (SKS 4, 141 / GW1 FZ, 47), zu glauben, dass Gott entweder die Erfüllung der absoluten Pflicht verhindern oder aber deren Folgen zunichte machen wird. Indes, dies glauben zu können, steht nicht in der Macht des Glaubenden selber: zum einen deshalb nicht, weil dieser all seine Kraft für die Unendlichkeit der Resignationsbewegung benötigt, so dass aus seiner Sicht jedes Schielen auf eine mögliche Vermeidung des Opfers als unzulässige Verendlichung und Relativierung jener Bewegung erscheinen muss (vgl. SKS 4, 141 / GW1 FZ, 48); zum anderen, weil auch der Inhalt seines Glaubens in gewissem Sinne als absurd bzw. widersinnig bezeichnet zu werden verlangt: Denn Abraham glaubt nicht nur, dass er Isaak behalten (oder zu-
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mindest wiederbekommen) wird, sondern er glaubt zugleich, dass derselbe Gott, der sein Opfer fordert, diese Forderung widerrufen, zumindest aber die Folgen ihrer Erfüllung zunichte machen wird. So gesehen entspricht der philosophischen Kategorie des Absurden die religiöse des Wunders; denn „die Bewegung der Resignation gemacht haben und nun in kraft des Absurden alles bekommen, den Wunsch bekommen, so daß nichts daran fehlt, das ist über menschliche Kraft, das ist ein Wunder“ (SKS 4, 142 / GW1 FZ, 49).
Inwiefern kann dann Abraham als ,Vater‘ und d. h. zugleich als Paradigma des Glaubens bezeichnet werden? 7 Vor dem Hintergrund der Kierkegaardschen Interpretation von Gen 22 dürfte die Antwort kaum überraschen, wohl aber (auch und gerade religiös motivierten) Widerspruch provozieren: Jeder Mensch, der zu Recht den Anspruch erheben will, ein Glaubender zu sein, muss mit einer Situation konfrontiert sein (bzw. gewesen sein), die ihm die Bereitschaft zum Vollzug der soeben geschilderten, dreifachen Bewegung abnötigt bzw. abgenötigt hat. Zumindest muss er einräumen, dass hierzu in einer solchen Situation bereit zu sein die notwendige Voraussetzung für die Berechtigung jenes Anspruchs darstellt. Eben hierin liegt die eigentlich paradigmatische Funktion der Gestalt Abrahams – auch und gerade jenseits seiner israelitisch-jüdischen Eigenart und Grenze. Denn, so erklärt De Silentio mit einem polemischen Seitenhieb auf die Anmaßung des zeitgenössischen dänischen Hegelianismus, der den Glauben im Medium spekulativen Begreifens dialektisch aufgehoben und also hinter sich gelassen zu haben wähnte, „der Glaube ist die höchste Leidenschaft im Menschen. Es sind vielleicht viele in jedem Geschlecht, die nicht einmal bis zu ihm kommen, aber weiter kommt keiner“ (SKS 4, 209 / GW1 FZ, 141).
V. 1. Trägt FZ zur Lösung des Euthyphron-Dilemmas bei? Antwort: Nur dann und insoweit, wie das Buch den Leser davon zu überzeugen vermag, dass sein Ergebnis ihn mit zwei inkommensurablen Bewertungsperspektiven konfrontiert, die ihn zu einer undelegierbaren Entscheidung 7
Vgl. dazu Röm 4,11; außerdem Gal 3,7 ff.; Heb 11,8 – 12.17 ff.
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zwischen autonomer und absoluter Ethik nötigen. Entweder er wählt den Standpunkt einer (sei’s deontologisch, sei’s teleologisch akzentuierten) autonomen Ethik. Unter dieser Voraussetzung wird er Abrahams Verhalten gegenüber Isaak als Mordversuch verurteilen müssen. Er wird dabei wie folgt schließen: (a) Ein Mordversuch ist ethisch und / oder juristisch gesprochen unter allen Umständen verwerflich. (b) Abrahams Verhalten gegenüber Isaak ist ethisch und / oder juristisch gesprochen Ausdruck eines Mordversuchs. (c) Also ist Abrahams Verhalten gegenüber Isaak ethisch und / oder juristisch gesprochen unter allen Umständen verwerflich. Der autonome Ethiker vermag demnach Abraham weder zu rechtfertigen noch zu entschuldigen.8 Nicht zu rechtfertigen: Denn es ist kein tragischer Konflikt erkennbar, der als solcher die Möglichkeit eröffnen würde, die Geltung von Prämisse (a) mit dem Hinweis in Zweifel zu ziehen, dass die Verwerflichkeit eines Mordversuchs unter Berufung auf dessen Unvermeidbarkeit für die Verwirklichung einer höheren ethischen und / oder juristischen Verpflichtung zumindest im vorliegenden Fall aufgehoben wird. Nicht zu entschuldigen: Denn einerseits ist ein Mordversuch ethisch und / oder juristisch als absichtlicher Tötungsversuch aus niederen Motiven (z. B. Habsucht) definiert. Andererseits schließt Abrahams – zweifellos absichtliches – Verhalten die Möglichkeit aus, es als durch jene genannte ,höhere Verpflichtung‘ motiviert zu denken. Es bleibt also ethisch und / oder juristisch nur die Unterstellung niederer Motive – mit der Konsequenz, dass auch Satz (b) seine Gültigkeit behält. 2. Auch vom Boden einer absoluten als einer Ethik des gçttlichen Befehls erscheint Abrahams Verhalten als untragisch9 und daher schlechterdings nicht zu rechtfertigen. Entschuldigen lässt es sich unter diesem Blickwinkel allerdings, und zwar mit dem Hinweis, dass im Wunsch Abrahams, eine von Gott auferlegte Gehorsamsprüfung zu bestehen, kein niederes Handlungsmotiv, mithin kein Mordversuch vorliegt. Indes, dass sich dies so verhält, kann ja unter Kierkegaardschen Prämissen nur aus dem Blickwinkel dessen einleuchten, der selbst den Standpunkt einer Ethik des 8 9
Vgl. zu dieser Unterscheidung Austin 1965, 380 f.; dazu H. Schulz 2004, 207 f. Jedenfalls nach Hegels Verständnis des Tragischen, dem ich hier folge: vgl. ders. 1976, Bd. 2, 547 – 551.
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göttlichen Befehls einnimmt und d. h. zugleich, diesen als inkommensurabel mit dem Prinzip vernünftiger Verallgemeinerbarkeit begreift.10 Halten wir gleichwohl an dieser Position fest, so nötigt dies zur Akzeptanz ihrer eingangs beschriebenen, ethisch und / oder juristisch höchst unwillkommenen Konsequenzen. Wie sich gezeigt hat, insistiert De Silentio zwar auf einem Doppelkriterium zur Verhinderung jeder vorschnellen Berufung auf vermeintlich absolute Pflichten: Einerseits muss, wie Abrahams Verhältnis zu Isaak paradigmatisch verdeutlicht, das Handlungssubjekt seinen Adressaten mindestens in demselben Maße lieben wie sich selbst.11 Andererseits darf sein als moralwidrig projektiertes Verhalten jenem gegenüber nicht i.S. eines tragischen Konfliktes im Verhältnis zu einer höheren sittlichen Verpflichtung interpretiert werden können, sondern ausschließlich als reines ,Privatverhältnis‘ coram deo. Indes, dieses Doppelkriterium mag zwar ausreichen, um die Berufung auf einen göttlichen Befehl für den Anschlag auf das World Trade Center im September 2001 als einigermaßen grotesk zurückzuweisen; aber genügt es auch, um einen Palästinenser, der seinen Mord an einem Israeli durch den Anspruch entschuldigt, mit dieser Tat einem göttlichen Auftrag nachgekommen zu sein, ethisch und juristisch zur Rechenschaft ziehen zu können? 3. Der Preis für die Bereitschaft, Kierkegaards Lesart von Gen 22 zu folgen, ist also hoch. Er besteht darin, das Euthyphron-Dilemma durch die Entscheidung aufzulösen, dass Gott das Gute nicht deshalb will oder befiehlt, weil und insofern es gut, sondern das Gute umgekehrt deshalb gut ist, weil und insofern Gott es befiehlt bzw. will. Und die daraus resultierende Schwierigkeit, dass unter dieser Voraussetzung kein einziges 10 Die Konsequenzen dieses Befundes für die Beantwortung der sog. Theodizeefrage i.S. der Frage nach den Möglichkeitsbedingungen der Rechtfertigung (oder eben: Entschuldigung!) Gottes angesichts des Übels in der Welt, könnten vor allem in Auseinandersetzung mit Kants Theodizeekritik (vgl. ders. 1968, Bd. 11, 105 – 124) exponiert werden. Dabei ließe sich u. a. zeigen, dass die entsprechenden Rechtfertigungs- und Entschuldigungstypen bei Kant bereits ausnahmslos präfiguriert sind (vgl. ebd., 105 f). 11 Abraham würde aus der Sicht De Silentios sein eigenes Leben sicherlich ohne zu zögern für das seines Sohnes hingeben; denn er liebt „Isaak mehr … denn sich selbst“ (Pap. IV B 67; hier zit. nach GW1 FZ, 160 [meine Hervorh.]; vgl. SKS 4, 151 / GW1 FZ, 61). Kierkegaard hat die Behauptung, man könne und solle i.S. des Gebotes zur Nächstenliebe einen anderen Menschen (nicht nur wie, sondern) mehr als sich selbst lieben, später nachdrücklich kritisiert: vgl. z. B. SKS 9, 26 ff. / GW1 LT, 22 ff.
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Verhalten a priori als geboten, verboten oder erlaubt gelten darf, kann dabei nicht durch den Hinweis entschärft werden, dass das genannte Prinzip nicht etwa heteronom, sondern im Gegenteil theonom auszulegen sei. Eine solche Auslegung würde sich auf Luther berufen können, der die eingangs zitierte These, das Gute sei mit dem von Gott Gebotenen koextensiv, durch die Behauptung alterniert, es sei mit dem Glauben selbst bzw. mit all dem und nur dem identisch, was im Glauben getan werden kann.12 Allein, eine Handlung X im Glauben zu tun, besagt aus Luthers Sicht nichts anderes, als sie mit gutem Gewissen, d. h. in der Gewissheit und im Vertrauen zu tun, dass dies Handeln (bzw. der Handelnde selbst, indem er X tut) „got wolgefalle“ (ebd., 19; Hervorh. H.S.). Und eben dies wirft uns auf die skizzierte Schwierigkeit einer systematisch unbestimmbaren Extension im Begriff des Ge- bzw. Verbotenen zurück.13 Das Problem kann freilich ebenso wenig christologisch, d. h. durch den Hinweis entschärft werden, dass in der Menschwerdung Gottes dessen ausschließliche und unzweideutige Selbstoffenbarung als Liebe manifestiert werde. Demnach würde der Gedanke der absoluten Souveränität Gottes zwar Möglichkeit und Recht absoluter Pflichten begründen, deren Faktizität aber gerade ausschließen. Indes, der genuin kreuzestheologische Sinn des Offenbarungs- und Inkarnationsgedankens nötigt dazu, mit der Wahrscheinlichkeit und / oder Möglichkeit eben jener Manifestationen des offenbaren Gottes sub contrario zu rechnen, die bereits Kierkegaards ,paradoxem Ausdruck‘ des Liebesgebotes zugrundeliegen. Nach meiner Kenntnis und Überzeugung sind bislang sämtliche Versuche gescheitert, auf dem Boden einer Ethik des göttlichen Befehls plausible Argumente dafür zu liefern, dass und aus welchem Grund derartige Befehle dem, was wir als gesetzeskonform zu erkennen imstande sind, zumindest möglicherweise zu widersprechen vermögen – oder eben nicht.14 Freilich: Auch jene gutwillig apologetischen Versuche, die im Wortsinne skandalösen, nämlich ärgerniserregenden Implikationen einer dezidiert theologischen Ethik durch den Hinweis zu entschärfen, dass 12 Vgl. Luther 1982, 17, 19 u. passim. 13 Luther selbst hat dies übrigens klar gesehen. Dies belegt die folgende These aus einer frühreformatorischen Disputation: „So ein Ehebruch im Glauben geschehen könnte, wäre er keine Sünde“ (WA 7, 231 [1520]; hier in Übers. zit. nach Hirsch 1964, 120). 14 Vgl. dazu ausführlicher H. Schulz 2004, 207 – 212.
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diese jede Möglichkeit absoluter Pflichten ausschließt, scheitern, wenn ich recht sehe, ebenfalls. Die sachlich vielversprechendsten unter diesen Versuchen, die wir einigen Religionsphilosophen sprachanalytischer Provenienz verdanken, die wohl nicht zufällig dem Katholizismus nahestehen (z. B. Geach 1994, Kretzmann 1983, Swinburne 1981), bilden dabei keine Ausnahme.15 Dies kann hier nicht im Einzelnen gezeigt werden. Trifft die Diagnose aber zu, so bleibt, jedenfalls bis auf weiteres, das Euthyphron-Dilemma der Pfahl im Fleisch zumindest jeder konsequent protestantisch-theologischen Ethik – jener Ethik also, die sich von dem Lutherischen Grundsatz auszugehen genötigt sieht, dass „kein gutte werck sein dan allein die got gebotenn hat“ (Luther 1982, 17).
15 Auch nicht, wie separat zu zeigen wäre, vom Boden einer an den drei fundamentalen christlichen Gottesattributen Vollkommenheit, Unabhängigkeit und Einfachheit orientierten – und systematisch im Übrigen höchst anregenden – Überlegung aus, wie sie Kretzmann (in: ders. 1983, bes. 40 – 46) entwickelt.
10. Du sollst, denn du kannst. Zur Selbstunterscheidung der christlichen Ethik bei Søren Kierkegaard Die Unmçglichkeit ist die Pforte zum bernatîrlichen. Man kann nur anklopfen. Ein Anderer çffnet. Simone Weil
Gleichsam hinter dem Rücken der Beteiligten wird im Zuge der europäischen Aufklärung die Frage nach den Kriterien für eine dezidiert christliche Akzentuierung des Ethischen unaufhaltsam durch die nach einer dezidiert ethischen Akzentuierung des Christentums selber verdrängt – eine Akzentverschiebung, deren Fernwirkungen bis in die Theologie des 20. Jahrhunderts spürbar sind. Dabei stellt bereits der Versuch zur begriffsscharfen Selbstabgrenzung des christlichen Ethos1 von jeder bloßen Moralphilosophie ein spezifisch neuzeitliches Phänomen dar. Seine Genese ist offenbar in der mit den Konfessionsgegensätzen des 16. und 17. Jahrhunderts einhergehenden Verselbstständigungstendenz der theologischen Ethik gegenüber der Dogmatik – und zugleich gegenüber der bislang mehr oder minder selbstverständlich tradierten philosophischen Ethik – verwurzelt.2 Der nachfolgende Versuch, Kierkegaard’s sog. christliche Ethik in den Kontext der genannten Verlagerungsgeschichte einzuzeichnen, sieht sich vor die Aufgabe gestellt, der Komplexität einer Theoriegestalt Rechnung zu tragen, die jenen Vorgang unter rein systematischen Gesichtspunkten auf besonders eindrucksvolle Weise reflektiert. Ich kann mich dieser Aufgabe nur exemplarisch stellen. Zu diesem Zweck greife ich einen für Kier1
2
Ich verwende die Ausdrücke ,christliche‘ und ,theologische Ethik‘ im folgenden synonym. Diese Sprachregelung ist historisch nicht selbstverständlich (vgl. dazu Kuitert 71980, 367 – 378), scheint mir aber der Sache nach zulässig: Dass eine explizit als christlich konzipierte Ethik ein Profil aufweist, das sich an irgendeiner Stelle als theologisch zu erkennen gibt, dürfte ebenso einleuchten wie der triviale Hinweis, dass Theologie auch im Kontext der ethischen Themenstellung immer schon als christliche (hier genauer: protestantische) vorverstanden wird. Vgl. Pannenberg 1996, 9 u. 100.
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kegaard wie für die Selbstunterscheidung der christlich-protestantischen Ethik generell zentralen Punkt heraus und mache diesen zum Leitfaden meiner nachfolgenden Überlegungen. Gemeint ist die Frage nach dem Verhältnis von Sollen und Können bzw. von Forderung und Erfüllung des moralisch und / oder religiös Gebotenen. Philosophisch hat die Antwort auf diese Frage klassischen Ausdruck in einer Formel Kants gefunden, der im radikalisierenden Rückgriff auf das antike ultra posse nemo obligatur3 lapidar erklärt: ,Du kannst, denn du sollst‘. Nicht nur, aber vor allem deshalb, weil die kontextuelle Einbettung dieser These Kants zentrale Stellung in der oben bezeichneten Verlagerungsgeschichte ausweist, empfiehlt sie sich als hermeneutische Folie, die die Profilierung des Kierkegaardschen Ansatzes schärfer hervortreten lassen wird. In diesem Sinne werde ich zunächst Kants Argumentation zur Begründung seiner These in Umrissen nachzeichnen (I.), um diese in einem zweiten Schritt mit deren modifizierender Aneignung durch Kierkegaard zu konterkarieren (II.). Im Gegensatz zu Kant, der nach meiner Leitthese die Auffassung vertritt, dass die Erfüllbarkeit des moralisch Gesollten durch dieses selber notwendig und hinreichend bedingt wird, trägt Kierkegaard dem Erfordernis einer differenzierteren Verhältnisbestimmung von ethischer und christlich-religiöser Existenz durch die These Rechnung, dass die Erfüllung des moralischen Gesetzes dessen Verbindlichkeit lediglich hinreichend bedingt, während diese umgekehrt als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für jene fungiert. Einige abschließende und weiterführende Bemerkungen zur Tragweite einer mit Kierkegaardschen Mitteln akzentuierbaren Kantkritik binden die vorangegangenen Überlegungen an den Ausgangspunkt, d. h. an meine Frage nach den Folgen der neuzeitlichen Selbstabgrenzung christlicher Ethik zurück (IV.). Dabei wird unter anderem deutlich werden, wie diese Abgrenzung von Kierkegaard selbst vollzogen wird (III.).
I. 1. Zunächst also zum sog. „Kantischen Prinzip“.4 Kant selbst führt es an verschiedenen Stellen, sowohl in der theoretischen wie in der praktischen Philosophie an5, z. B. in der nachfolgenden Passage der Religionsschrift, 3 4
Zum historischen Ursprung dieser Formel vgl. Bartels / Huber 21967, 58. Wright 21979, 114. Zum deontisch logischen Kontext, in dem Kants Prinzip seit Wrights Pionierarbeit als eines der einschlägigen Kernprobleme nach wie vor
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die das Verhältnis zwischen dem Postulat einer angeborenen Korruption der menschlichen Natur und der Möglichkeit ihrer Wiederherstellung zum Thema hat. Jene Verderbtheit, so Kant, stehe zwar jeder möglichen Begreifbarkeit dieser Wiederherstellung, nicht aber deren realer Mçglichkeit entgegen. Denn „wenn das moralische Gesetz gebietet, wir sollen jetzt bessere Menschen werden: so folgt unumgänglich, wir müssen es auch kçnnen“ (W 8, 702). Eine alternative Version desselben Prinzips finden wir u. a. in Kants zweiter Kritik. Er erklärt hier, dass jeder, der sich der Versuchung zur Übertretung des moralischen Gesetzes ausgesetzt sieht, ohne Zögern einräumen muß, dass ihm, jener zu widerstehen, kraft bloßen Willensschlusses möglich sei: Er „urteilet also, daß er etwas kann, darum, weil er sich bewußt ist, daß er es soll“ (W 7, 140; Hervorh. H.S.). Anders als die erste, ethisch-ontologische Formel bringt die zweite einen rein phänomenologischen Gesichtspunkt zur Geltung. Sie schließt nicht ,du sollst, also kannst du‘, sondern: ,Du bist dir deiner selbst als Adressat des moralischen Gesetzes bewusst, also bist du dir auch der Möglichkeit, es zu erfîllen, bewusst!‘ Hier wird folglich das Freiheitsbewusstsein, d. h. der Glaube, die Forderungen des Sittengesetzes erfüllen zu können (vgl. W 7, 140), genetisch vom Bewusstsein dieser Forderungen bzw. von deren Geltungsgewissheit abgeleitet – nicht aber von diesen Forderungen selbst. Wenngleich der sachliche Unterschied zwischen beiden Varianten nicht unterschätzt werden darf und bei näherer Betrachtung hermeneutisch wie epistemisch weitreichende Konsequenzen hat, beschränke ich mein Referat auf die – im folgenden als authentisch unterstellte – Basisvariante. Dies geschieht in erster Linie aus methodischen Gründen: Da die kantimmanente Rekonstruktion nicht Selbstzweck ist, sondern im Dienste der Herausarbeitung einer bestimmten philosophiehistorischen Konstellation steht; und da innerhalb dieser auch und gerade im Blick auf Kierkegaard die von mir als Basisvariante bezeichnete Lesart als rezeptionshistorisch maßgeblich gelten kann, dürfte diese Entscheidung legitim sein.
5
diskutiert wird, vgl. Prior 21972, 509 – 513. Aufgrund der Überschneidung mit diesem Themenkomplex ist der vorliegende Text streckenweise identisch mit Aufsatz Nr. 8, setzt aber abgesehen von seiner sprachlichen Gestalt aufgrund des dezidiert propriumsethischen Zuschnitts einen deutlich anderen Akzent, der den doppelten Wiederabdruck rechtfertigt. Vgl. z. B. W 4, 678 f; W 7, 140 u. 296; W 8, 691, 695, 698 u. 701 f; W 11, 228 f. Kant wird (mit der Abkürzung W + Bd.– + Seitenzahl) nach der im Literaturverzeichnis angegebenen Werkausgabe W. Weischedels zitiert.
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2. Kants authentische Variante kann, zu einem vollständigen deontischen Syllogismus ausbuchstabiert, als Obersatz für einen Schluss modo ponente dienen: (a) Sollen impliziert Können. (b) Jeder Mensch soll p tun. (c) Ergo kann jeder Mensch p tun. Ich erläutere zunächst den Untersatz, da sich ein hermeneutischer Zugang zu dem, was im kantischen Sinne als Können bezeichnet wird, eher von der Explikation des Sollens her ergibt als umgekehrt.6 Nun bedarf es keines gesonderten Nachweises, dass die von mir im Untersatz eingeführte Variable p nicht als Platzhalter für jegliche Handlung stehen kann, mit deren Vollzugsforderung sich Menschen möglicherweise konfrontiert sehen. Sie vertritt vielmehr das Sittengesetz in seinem reinen Formalcharakter, wie Kant es in den verschiedenen Formeln des sog. kategorischen Imperativs zur Darstellung bringt.7 Als Ausdruck reiner Moralität gebietet dieser Imperativ eo ipso kategorisch. Er hat als solcher die Aufgabe, die Unbedingtheit seiner selbst ebenso zur Geltung zu bringen wie die Erfahrungsunabhängigkeit der Einsicht, dass ihm diese zukommt. Der Verzicht auf einen derartigen Imperativ käme dem Eingeständnis gleich, dass unser Verhalten allenfalls zufällig oder hypothetisch mit den Forderungen des Sittengesetzes übereinstimmt, nämlich unter der Bedingung, dass jene Forderungen nicht unseren Neigungen und partikulären Zwecksetzungen widerstreiten, mit denen wir als solchen ausschließlich empirisch vertraut sind. Ferner muß der bezeichnete Imperativ reinen Formalcharakter besitzen; so bestimmt bringt er die Forderung zum Ausdruck, dass die Maxime des Handelnden ausschließlich durch die (Vorstellung der) Form des Gesetzes, d. h. dessen Unbedingtheit und ausnahmslose Gültigkeit bestimmt wird. Jedes darüber hinausgehende ,materiale‘ Element würde von den partikulären Zwecksetzungen des handelnden Subjektes und deren Verwurzelung in bestimmten Vorlieben oder Neigungen abhängig, eben damit aber lediglich hypothetisch gültig und überdies ausschließlich empirisch einsichtig sein. 6 7
Die folgende Darstellung stützt sich in wesentlichen Punkten auf die Kant-Interpretation W. Bröckers: vgl. Ders. 1970, bes. 145 ff. Dieser wird von Kant definiert als ein Imperativ, der „ohne irgend eine andere durch ein gewisses Verhalten zu erreichende Absicht als Bedingung zum Grunde zu legen, dieses Verhalten unmittelbar gebietet“ (W 7, 45). Seine Grundformel lautet: „[H]andle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“ (Ebd., 51)
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Nun entspricht bzw. entspringt der kategorische Imperativ als solcher dem Vermögen der reinen praktischen Vernunft, die ihn ihrerseits als a priori bekannt, universal gültig und apodiktisch gewiss ausweist.8 Demnach hat die praktische Vernunft nicht nur eine rein technische oder pragmatische Seite, kraft derer sie uns instand setzt, bestimmte Mittel für bestimmte nicht- oder außermoralische Zwecke auszusondern. In ihrer reinen Form – die als solche für Kant im Vermögen des ,guten Willens‘ manifest wird (vgl. W 7, 18 f) – eröffnet sie vielmehr den Zugang zu einem Seinsbereich, der mit der Gewissheit und Verwirklichung der Pflicht als des an sich selbst Zweckvollen zugleich die Aussicht auf die Glückswürdigkeit des Handlungssubjektes verbürgt. Dass der Mensch ein derartiges Vermögen besitzt, kann freilich nicht ohne Rekurs auf jenes Vermögen selber einleuchten. Das pure Faktum, dass wir uns als Vernunftwesen stets und notwendig des Sittengesetzes in seiner unbedingten Autorität bewusst sind, lässt sich nach Genese und Geltung ebenso wenig „aus vorhergehenden Datis der Vernunft … herausvernünfteln“ (W 7, 141) wie die unabweisbare Evidenz im Bewusstsein derjenigen Handlungskonsequenzen, denen wir Folge leisten müssen, um den Forderungen jenes Gesetzes Genüge zu tun. Das genannte Faktum ist mithin „kein empirisches, sondern das einzige Faktum der reinen [sc. praktischen] Vernunft“ (ebd., 142). 3. Was das Kçnnen, d. h. die menschliche Fähigkeit, das Gesetz zu erfüllen, betrifft, so setzt diese Freiheit i.S. ihrer – nach Kant: sowohl notwendigen wie hinreichenden – Bedingung voraus. Insoweit diese mit der apriorischen Dimension der Ethik korrespondiert, muß sie transzendentale, insoweit sie der apriorischen Dimension der Ethik entspricht, moralische und nicht etwa kosmologische Freiheit, d. h. aber Freiheit des (guten) Willens sein.9 8
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Bekanntlich unterscheidet Kant zwei irreduzible Formen des menschlichen Vernunftgebrauchs: den theoretischen (qua Verstand) und den praktischen (qua Wille) (vgl. z. B. W 7, 11 u. 15 f). Während der theoretische Gebrauch als das Vermögen der Begriffe definiert wird und als solcher ausschließlich auf die Erkenntnis des Vorgestellten bzw. dessen Wahrheit zielt, wird der praktische als Vermögen der Zwecke expliziert, wobei sich dieses Vermögen auf die Verwirklichung des Vorgestellten als eines Guten, und zwar im weitesten Sinne, richtet. Reine praktische Vernunft liegt immer und nur dann vor, wenn sie den Willen unabhängig von (nicht zwangsläufig ohne!) jede(r) Neigung bzw. unabhängig vom Gefühl des Angenehmen oder Unangenehmen zum Handeln bestimmt – d.h. wenn diesen nichts anderes als die Vorstellung der Gesetzesform seiner (moralischen) Maximen zum Handeln motiviert (vgl. z. B. W 7, 132 f). Kants Abweis eines vermeintlichen weiteren, nämlich psychologischen Begriffs der Freiheit, „nach welchem … das freie Wirkung heißt, davon der bestimmende
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Als Ausdruck einer transzendentalen Idee eignet ihr dabei ein negativer und ein positiver Aspekt.10 In negativer Hinsicht besteht die Freiheit des guten Willens in der bloßen Unabhängigkeit von den deterministischen Bedingungen der Naturkausalität, genauer gesagt: der Bedingtheit durch die Faktizität gewisser Neigungen, die Zwecksetzung und Verhalten des Handelnden determinieren (vgl. z. B. W 7, 81). Da das moralische Gesetz in seiner rein formalen Gestalt nur als möglicher Gegenstand der Vernunft angesehen werden und also keine bloße Erscheinung als Korrelat zur Sinneswahrnehmung sein kann, ist die Maxime des Willens dank ihrer ausschließlichen Bestimmung durch die Vorstellung jenes formalen Gesetzes den Bedingungen der Naturkausalität ebenso wenig unterworfen; denn deren Gültigkeitsbedingungen stehen und fallen gerade mit der sinnlichen oder der Erscheinungswelt. Folglich ist der Wille in negativer Hinsicht frei i.S. der transzendentalen Unabhängigkeit von den Bedingungen der Naturkausalität.11 Da er jedoch aufgrund desselben Sachverhaltes nicht nur als frei von, sondern zugleich als bezogen auf bestimmte (n) Gesetzesbedingungen zu gelten hat – nämlich die des Sittengesetzes -, ist der gute Wille keineswegs mit bloßer Willkür zu verwechseln; vielmehr bringt er sich als genuin positive Freiheit i.S. jener moralischen Spontaneität zur Geltung, die aus eigenem Antrieb mit der Vorstellung des Sittengesetzes deren verpflichtende Allgemeinheit in die eigenen Maximen aufzunehmen willens und somit zur Unterwerfung unter jenes Gesetz frei ist. Aber selbst das ist noch nicht die ganze Wahrheit: Denn der freie Willensakt verdient in diesem transzendentalen Sinne nicht nur Naturgrund innerlich im wirkenden Wesen liegt“ (W 7, 221; Hervorh. H.S.), findet sich in W 7, 220 ff. Kant versucht hier zu zeigen, dass der „elende[] Behelf“ (ebd., 221) dieser Vorstellung die Bedingungen wahrer, d. h. transzendentaler Freiheit gänzlich verfehlt, und zwar deshalb, weil sie auf – obschon „psychologische und nicht mechanische“ (ebd.) – Kausalität zurückgeführt werden kann und muß. 10 Beide Aspekte werden unterschieden und verknüpft in Kants Definition der transzendentalen Freiheit qua Spontaneität: Diese bezeichnet, positiv bestimmt, „eine besondere Art von Kausalität, nach welcher die Begebenheiten der Welt erfolgen könnten, nämlich ein Vermögen, einen Zustand, mithin auch eine Reihe von Folgen desselben, schlechthin anzufangen“ (W 4, 429). Dem entspricht negativ ausgedrückt, dass hier „nichts vorhergeht, wodurch diese geschehende Handlung nach beständigen Gesetzen bestimmt sei“ (ebd.). Der Begriff der transzendentalen Freiheit qua Spontaneität kann dabei kosmologisch wie ethisch gebraucht werden. Im letzteren Fall wird diese als Autonomie, d. h. als eine bestimmte (nämlich moralische) Form von transzendentaler Freiheit verstanden. 11 Vgl. W 7, 138. Zur Kritik dieser Argumentation vgl. Bröcker 1970, 147 f.
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deshalb das Prädikat der Unbedingtheit, weil er nicht den Bedingungen der Naturkausalität unterliegt; primär kommt ihm dieses vielmehr dank der ihm eigenen Autonomie zu, d. h. aufgrund des intelligiblen Faktums, dass die reine praktische Vernunft bereits für den Erlass bzw. das Inkrafttreten jenes Gesetzes verantwortlich zeichnet, dem zu gehorchen sie sich gleichzeitig verpflichtet.12 Insofern erlegt das moralische Gesetz dem Willen keinen äußerlichen Zwang auf. Vielmehr kann und wird dieser es als etwas zur Vorstellung bringen, das der Stimme seines eigenen autonomen Selbst entspringt.13 Dieser ethisch-transzendentale Ansatz der Freiheitstheorie hat zwei bedeutsame Konsequenzen, eine, die Begriff und Reichweite der Freiheit betrifft, und eine, die sich auf deren Genese und Erfahrung bezieht. Einerseits erweist sich Kants Freiheitsbegriff als strikt univok: Freiheit ist koextensiv mit dem Willen zum moralischen Handeln, d. h. zu einem Verhalten in bereinstimmung mit dem Sittengesetz. So bestimmt hebt sie sich nicht nur von einem abstrakten Begriff der Wahlfreiheit ab, der als solcher auch die Möglichkeit nichtmoralischer Wahlobjekte einschließt; zugleich und darüber hinaus muß sie von einer moralinternen Freiheitsauffassung i.S. der libertas indifferentiae unterschieden werden, die als solche eine Entscheidung gegen die Pflicht nicht nur für möglich, sondern auch und nach wie vor als Äußerung von Freiheit versteht.14 Zweitens würde, wie Kant ausdrücklich betont, das handelnde Subjekt von seiner Freiheit im ethisch-transzendentalen Gebrauch weder wissen noch diese verwirklichen können, wenn es nicht zuvor mit dem moralischen Imperativ selber konfrontiert worden, sich seiner als eines solchen (und überdies: als eines nçtigenden) nicht bereits bewusst geworden wäre. Insofern hängen beide, Genese wie Erfahrung der Freiheit vom Prius (der Vorstellung) des moralischen Gesetzes selber ab (vgl. W 7, 139 f). Nach Kant wird also ausschließlich im Bereich der praktischen Vernunft jenes Element des Unbedingten angetroffen, nach dem wir im Bereich der theoretischen Vernunft vergeblich suchen. Und obwohl wir 12 Vgl. Kants Definition der Autonomie als „Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein“ (W 7, 81). 13 Vgl. z. B. W 7, 142 (Hervorh. H.S.): Man muss, „um dieses [sc. moralische] Gesetz ohne Mißdeutung als gegeben anzusehen, wohl bemerken: daß es [sc. das Faktum der reinen praktischen Vernunft] kein empirisches, sondern das einzige Faktum der reinen Vernunft sei, die sich dadurch als ursprünglich gesetzgebend … ankündigt“. 14 Vgl. W 8, 332 f. Zur Kritik des univoken Freiheitsbegriffs vgl. Bröcker 1970, 146 f.
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prinzipiell außerstande sein mögen, dessen Faktizität auf theoretischem Wege zu beweisen – oder zu widerlegen – verfügen wir gleichwohl über gute praktische Gründe für die Annahme, dass wir als Menschen Personen, d. h. moralisch zurechnungsfähige Individuen (vgl. W 8, 329) und als solche im transzendentalen Sinne frei sind. Folgerichtigerweise fungiert die so bestimmte Freiheitsidee bei Kant als eines der drei Postulate der reinen praktischen Vernunft (vgl. W 7, 264). 4. Auch im Anschluss an diese Vorklärungen ist die Frage, inwiefern und mit welchem Recht Kant behaupten kann, dass Sollen Können impliziert, nach wie vor offen. Um sie beantworten zu können, müssen wir unsere Aufmerksamkeit noch einmal der transzendentalen Problemstellung zuwenden. Nach Kant ist der Mensch als praktisch rationales Handlungssubjekt nicht nur fähig und genötigt, ein als unbedingt gültig interpretiertes Sittengesetz sich selbst aufzuerlegen und ihm freiwillig Folge zu leisten; er ist zudem – und zwar eben deshalb, weil sich ersteres so verhält – auch zu dem Postulat genötigt, jene Freiheit zu besitzen, die Voraussetzung ist, um das hiermit Geforderte aus eigener Kraft erfîllen zu können. Der zureichende Grund für diese Annahme liegt darin, dass der Wille hier als in einem rein intelligiblen Seinsbereich agierend aufgefasst wird, der als solcher, wie oben gezeigt, keinerlei Abhängigkeit von eben denjenigen naturkausalen Zwängen aufweist, die allein für die Welt der Erscheinungen gültig und konstitutiv sind. Insofern führt das Postulat der Freiheit im transzendentalen Verstande wie selbstverständlich zu dem ihrer uneingeschränkten ontologischen Vollmacht – NB: innerhalb der so interpretierten moralisch-intelligiblen Welt. Die Tatsache einer solchen Welt und deren moralische Implikationen allein nötigen uns folglich zu dem Postulat einer unauflöslichen Einheit von Wollen und Vollbringen. Es wird durch die anthropologisch wie ethisch gleichermaßen fundamentale These Kants flankiert, dass jeder Mensch das zeitlebens unverlierbare Vermögen einer „Revolution für die Denkungsart“ (W 8, 698) besitzt. Gemeint ist damit ein singulärer, strenggenommen transtemporaler (vgl. W 8, 688 f u. 691 f) und als solcher auf dem Boden der theoretischen Vernunft unerforschlicher Akt, der den Einzelnen instand setzt, kraft bloßen Willensschlusses allein deshalb ein besserer Mensch sein bzw. werden zu können, weil es „seine Pflicht [ist], sich zu bessern“15. 15 W 8, 691 (Hervorh. H.S.). Wie Kant im Rückgang auf die alttestamentliche Erzählung von Adams Sündenfall (vgl. Gen 3; dazu W 8, 691ff) erklärt, korrespondiert dieser Akt dem ursprünglichen und kausal gleichermaßen unerforsch-
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Es braucht kaum eigens betont zu werden, dass diese unauflösliche Einheit von Wollen und Vollbringen nur für den Bereich der intelligiblen Welt, die als solche dem Postulat der transzendentalen Freiheit als Ding an sich korrespondiert, behauptet werden kann. Da indes der Mensch Kant zufolge stets und notwendig als Bürger zweier Welten, der intelligiblen wie der sinnlichen existiert, kann und muß die eigentümliche Kausalität des Willens aus einem doppelten Blickwinkel betrachtet werden: einerseits „als intelligibel nach ihrer Handlung, als eines Dinges an sich selbst, … [andererseits] als sensibel, nach den Wirkungen derselben, als einer Erscheinung in der Sinnenwelt“ (W 4, 492).
Als Teilhaber an dieser letzteren wird der rein intelligible Willensakt unvermeidlicherweise zu einem bloßen Glied innerhalb der unzerreißbaren Kette natürlicher Ursachen und Wirkungen, die die Erscheinungswelt bestimmt. Als Folge hiervon wird die ursprüngliche Einheit zwischen Wollen und Vollbringen aufgehoben, zumindest aber rein zufällig, mit der Konsequenz, dass der Erfolg menschlicher Willensakte, auch und gerade der rein moralisch bestimmten, nicht länger in der Macht des handelnden Subjektes steht. In diesem Sinne bedingt Sollen Können nurmehr zufällig. Letzteres bleibt allenfalls Postulat einer unendlichen Annäherung an die Realisierung des höchsten und vollständigen Gutes i.S. der Einheit von Glückswürdigkeit und Glückseligkeit.16 Sehen wir von dieser, für das Sein des Menschen freilich unaufhebbaren Einschränkung ab, dann bleibt bezüglich der Verhältnisbestimmung lichen Übergang von Unschuld zu Schuld, wobei dieser – in partieller Differenz zu Adam selbst – in einem radikalen Hang zum Bösen in der menschlichen Natur verwurzelt sein soll (vgl. ebd., 675 – 680). 16 Kant versucht diesen Gedanken in seiner zweiten Kritik für die Begründung eines moralisch-praktischen Postulates der Existenz (eines heiligen, gütigen, gerechten: vgl. W 7, 263) Gottes sowie der menschlichen Unsterblichkeit fruchtbar zu machen: Unsterblichkeit ist eine notwendige Ermöglichungsbedingung vollkommener Glîckswîrdigkeit, die ihrerseits das höchste (i.S. des obersten, freilich nicht des vollendeten) Telos der menschlichen Existenz darstellt. Ohne jedoch die Existenz des im o.g. Sinne begriffenen Gottes anzunehmen, bestünde für denjenigen, der nach Glückswürdigkeit strebt, keinerlei Hoffnung auf ein genaues Entsprechungsverhältnis zwischen seiner (wie auch jedes anderen) Glückswürdigkeit und Glîckseligkeit – denn dessen Möglichkeit wird durch die nichtkontingente Gewähr eben jener Harmonie zwischen der intelligiblen und der sinnlichen Welt bedingt, die herbeizuführen, ja nur als Möglichkeit zu begreifen, nicht in der Macht des Menschen, sondern allein in der eines allmächtigen Gottes steht (vgl. W 7, 252 – 264, bes. 261 – 264). Auch in diesem Punkt scheint mir die Kritik Bröckers treffend: vgl. Ders. 1970, 149 – 153.
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von Sollen und Können auf dem Boden der transzendentalen Freiheitsidee zweierlei festzuhalten: Erstens steht das Faktum des Sittengesetzes für die hinreichende Bedingung seiner Erfüllbarkeit. Wann immer wir uns demnach mit der Forderung eines rein praktischen Gesetzes, wie es im kategorischen Imperativ manifest wird, konfrontiert sehen, dürfen und müssen wir auf die ontologische Vollmacht jener Freiheit im transzendentalen Verstande schließen, die umgekehrt für dessen Erfüllbarkeit einsteht. Zweitens wird Können durch Sollen nicht nur hinreichend, sondern auch notwendig bedingt. Denn wenn Können nichts anderes besagt als das Vermögen zur Erfüllung des Gesollten, dann ist jenes Vermögen bzw. sein Vollzug trivialerweise nicht ohne das Gesollte i.S. des Sittengesetzes denkbar.
II. 1. Bislang wurde Kants Prinzip in derjenigen Form zu erläutern versucht, in der dieser es selbst zur Geltung bringt und verteidigt. Da die Freilegung seines Argumentationskerns nicht nur hermeneutische Detailanstrengungen erfordert, sondern das so Freigelegte seinerseits als Explikationsfolie für alle nachfolgenden Varianten (vor allem diejenige Fichtes17, aber auch die Kierkegaards) genutzt werden kann, durfte und mußte die Rekonstruktion der Kantischen Lesart vergleichsweise ausführlich ausfallen. Doch nun zu Kierkegaard. Er zitiert, ohne Kant in diesem Zusammenhang ausdrücklich zu erwähnen, das durch seinen Vorgänger berühmt gewordene Prinzip oder spielt zumindest indirekt sowohl im pseudonymen wie nichtpseudonymen Werk wiederholt darauf an.18 Mehr noch, er und seine Pseudonyme scheinen dessen Gültigkeit, jedenfalls auf den ersten Blick, vorbehaltlos zu unterschreiben.19 Eine der unzweideutigsten Re17 Zu Fichtes eigener Reformulierung des Kantischen Prinzips vgl. z. B. J.G. Fichte, 1971 (Nachdr. d. Ausg. Bonn / Berlin 1834 – 1846), Bd. 5, 183: „Nicht von der Möglichkeit wird auf die Wirklichkeit fortgeschlossen, sondern umgekehrt. Es heisst nicht: ich soll, denn ich kann; sondern: ich kann, denn ich soll.“ 18 Vgl. z. B. SKS 4, 324 / GW1 BA, 13; SKS 9, 48 / GW1 LT, 48; SKS 11, 226 / GW1 KT, 116; SKS 12, 235 / GW1 EC, 234; Papir 365:7, SKS 27, 394 / T 2, 123 f.; NB11:131, SKS 22, 78 / T 3, 239 f.; NB18:57, SKS 23, 288 f.; NB19:85, SKS 23, 384; Papir 485, SKS 27, 616. Übersetzungen ins Deutsche ohne Angabe der dt. Fundorte stammen hier und im Folgenden von mir. 19 Von daher verwundert nicht, dass einige Kierkegaard-Forscher in diesem Punkt eine grundsätzliche Affinität zwischen Kant und Kierkegaard konstatiert haben:
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formulierungen bietet jene Passage der Einîbung im Christentum, in der Anticlimacus die Differenz zwischen ästhetischer Bewunderung und ethischer Nachfolge Christi erörtert. Demnach schließt die letztere im Unterschied zur bloßen Bewunderung das ein, was Anticlimacus ,das Allgemein-Menschliche‘ [det Almeen-Menneskelige] nennt. Er versteht darunter dasjenige, „was jeder Mensch vermag, … was an keinerlei Bedingung geknüpft ist außer der, die in jedes Menschen Macht steht, … das heißt … [das] Sittliche[], das was jeder Mensch soll und also doch wohl auch kann“20. Nach der genaugenommen fünffachen Näherbestimmung des sog. Allgemein-Menschlichen bezeichnet dieses (a) ein Universales, das als solches jedem Menschen von sich her zukommt; es ist als solches zugleich (b) unbedingt, insofern sein Vorhandensein nicht von subjektspezifischen Sonderbedingungen abhängt; ferner steht es für etwas, (c) dessen jeder Mensch fhig ist, mithin von jedermann getan werden kann; als solches aber bezeichnet es (d) das Sittliche oder Ethische, das wiederum (e) all das und nur das umfasst, was jeder Mensch zu tun verpflichtet ist. Kurz: Das Allgemein-Menschliche ist das Ethische und als solches gleichbedeutend mit der Pflicht.21 Diese Gleichsetzung wirft mehr als eine Frage auf: Handelt es sich um ein und dieselbe Pflicht, die Anticlimacus zufolge jedermann zu erfüllen obliegt – und wenn ja, in welchem Sinne? Von welcher Art ist die Fähigkeit, die ihr korrespondiert?
vgl. z. B. Green 1992, 97 f; Quinn 31999, 349 – 375 (hier: 350ff u. 372); Søltoft 18 / 1996, 65 – 81 (hier: 73). 20 SKS 12, 235 / GW1 EC, 234; vgl. NB11:131, SKS 22, 78 / T 3, 239 f. 21 Obschon dies letztere Explikationsmoment strenggenommen zwei Bestandteile umfasst (,das was jeder Mensch soll und also doch wohl auch kann‘), ist der separate Rekurs auf seinen zweiten Teil an dieser Stelle überflüssig, da er lediglich (a) und (b) wiederholt. Passagen, die belegen, dass Kierkegaard beinahe ausnahmslos das Universale, das Ethische und die Pflicht identifiziert, lassen sich unschwer beibringen. So kann etwa im Anschluss an Assessor Wilhelm geschlossen werden: (a) „Das Ethische ist das Allgemeine“ (SKS 3, 243 / GW1 EO2, 272; vgl. SKS 4, 148 / GW1 FZ, 57). (b) „Die Pflicht ist das Allgemeine“ (SKS 3, 251 / GW1 EO2, 281). (c) Ergo ist das Ethische die Pflicht. Generell identifiziert Kierkegaard nicht nur das Allgemeine mit dem Ethischen, sondern umgekehrt auch das Ethische mit dem Allgemeinen – i.S. des Allgemein-Menschlichen: vgl. z. B. NB2:52, SKS 20, 160 f.
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Und wie ist die Entsprechung zwischen Pflicht und Vermögen, d. h. zwischen Sollen und Können zu verstehen? 2. Beginnen wir (parallel zu Kant) mit der Semantik des Ethischen, so dürfte kaum überraschen, dass Kierkegaards Begriffsbestimmung unzweideutige Konnotationen derselben Idealität, d. h. derselben gesetzestypischen Universalität und Unbedingtheit aufweist wie diejenige seines Vorgängers. So erklärt Vigilius Haufniensis programmatisch: „Je idealer die Ethik ist, desto besser.“22 Freilich lässt Kierkegaard offen, ob das Gesollte als solches a priori und d. h. erfahrungsunabhängig erkannt werden kann. Er postuliert dessen Kenntnis im Gegenteil schlicht als eine vom ethischen Standpunkt aus sowohl anthropologisch wie phänomenologisch selbstverständliche Tatsache, die sich als solche bereits aus dem präskriptiven Charakter jeder Pflichtäußerung ableiten lässt: „Das Ethische setzt voraus, daß jeder Mensch weiß, was das Ethische ist, und weshalb? Weil ja das Ethische fordert, daß jeder Mensch es in jedem Augenblick verwirkliche, aber dann muß er es ja wissen.“23 In gewissem Sinne weicht Kierkegaard auch dort, und zwar nicht nur in terminologischer Hinsicht von Kant ab, wo er dessen Distinktion von hypothetischen und kategorischen Imperativen durch die Unterscheidung zwischen der Absolutheit der Pflicht und deren relativem Ausdruck24 oder zwischen universaler Pflicht und individueller Aufgabe25 ersetzt. Der jeweilige Ausdruck des Gesollten mag aufgrund von subjektiven, kulturellen und historischen Bedingungen variieren, mit der Konsequenz, dass ihm allenfalls vorläufige bzw. relative Gültigkeit zukommt. Hiervon gänzlich unberührt erweist sich das Ethische selber als unbedingt gültig – es bleibt ewig und in jedem Augenblick mit sich identisch und unterliegt so gesehen keinerlei historischem Wandel.26 Die Einheit beider Bestimmungen, d. h. die Bedingung der Möglichkeit einer Synthesis zwischen individueller Aufgabe und allgemeiner Pflicht wurzelt nach Auskunft des Gerichtsrates in Entweder / Oder II in der Absolutheit des Individuums qua Selbst.27 Denn 22 23 24 25 26
SKS 4, 324 / GW1 BA, 14. Papir 365:7, SKS 27, 394 / T 2, 123. Vgl. z. B. SKS 4, 162 / GW1 FZ, 77; JJ:6, SKS 18, 146 / DSKE 2, 150. Vgl. z. B. SKS 3, 257 / GW1 EO2, 288. Kierkegaard scheint zu unterstellen, dass es als solches mit dem Liebesgebot in seinen drei Kerndimensionen (Selbst-, Nächsten-, Gottesliebe) identisch ist: vgl. z. B. 2 / 3, 283 f; 19, 102 – 149 (bes. 119). Dazu Malantschuk 1978, 35 ff. 27 Vgl. SKS 3, 205 / GW1 EO2, 227 f.
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als Selbst ist, wie sich am Phänomen des Gewissens zeigen lässt28, das „Individuum zugleich das Allgemeine und das Einzelne“29. Im Gewissen, und nur hier, wird die Kopräsenz von Gut und Böse in deren absoluter und unvermittelbarer Gegensätzlichkeit einerseits und jenen kulturhistorisch bedingten Ausdrucksformen andererseits manifest, die als implizite (und möglicherweise falsche: vgl. JJ:6, SKS 18, 146 / DSKE 2, 150) Hintergrundannahmen fungieren, die das Individuum, das sie sich verinnerlichend zu eigen macht, instand setzen zu entscheiden, was jetzt und hier zu tun bzw. zu unterlassen ist. Freilich vermag der Gerichtsrat als Vertreter einer dezidiert ethischen Lebensanschauung nicht ernsthaft die beunruhigende Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass sich irgendein Ausdruck der Pflicht, der genetisch und epistemisch auf einer Entscheidung des Selbst im Medium des Gewissens beruht, im Widerstreit zu etwas als Gottes Ge- oder Verbot stehen könnte. Denn seine Lebensanschauung gründet eben in der Gewissheit einer absoluten Selbstwahl – und diese zu vollziehen impliziert unter anderem, sein Selbst als dasjenige zu wählen, das sich als Selbst zugleich als von seinem göttlichen Grund i.S. des absoluten Korrelates seiner eigenen Absolutheit ermöglicht und gesetzt weiß.30 Das Handeln des Ethikers wird daher von der Überzeugung getragen, dass er bezüglich der Einsicht in die Konkretheit dessen, was ihm i.S. einer jetzt und hier zu bewältigenden Aufgabe zu tun obliegt, jederzeit „Autodidakt sein [wird], sofern er Theodidakt ist, und umgekehrt“31. Diese Gewissheit wird bekanntlich von Johannes de Silentio in Furcht und Zittern suspendiert. Seine Interpretation von Gen 22 legt nahe, zumindest mit der Mçglichkeit dessen zu rechnen, was er als „absolute Pflicht gegen Gott“32 bezeichnet. Eine derartige Pflicht, wie sie in der alttestamentlichen Erzählung durch den göttlichen Befehl zur Opferung Isaaks um Willen der Gehorsamsprüfung seines Vaters ausgedrückt wird, schließt ein, dass die Liebe zu Gott einen Menschen dahin zu bringen vermag, „seiner 28 Vgl. ebd., 243 f. / 272 f. 29 Ebd., 251 / 281; Vgl. Kierkegaards anthropologische Kernthese im Begriff Angst: Jeder Mensch ist „Individuum … und als solches zu gleicher Zeit er selbst und das ganze Geschlecht, dergestalt, daß das ganze Geschlecht am Individuum teilhat, und das Individuum am ganzen Geschlecht“ (SKS 4, 335 / BA, 25). Zur Erläuterung dieser These vgl. Malantschuk 1971, 70 f. 30 Zur Korrelation zwischen dem Absoluten qua Selbst und Gott vgl. z. B. SKS 3, 205 f. / GW1 EO2, 227 f.; dazu H. Schulz 1994, 280 f. (Anm. 122). 31 SKS 3, 257 / GW1 EO2, 289. 32 SKS 4, 162 / GW1 FZ, 76.
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Liebe zum Nächsten einen Ausdruck zu geben, der dem, was ethisch gesprochen Pflicht ist, widerspricht“33. Das Gebot der Nächstenliebe (hier: qua Vaterliebe) wird also nicht etwa zugunsten der Gottesliebe widerrufen oder einfach außer Kraft gesetzt34 ; vielmehr bringt die Erfüllung der letzteren die Bereitschaft mit sich, ersterer einen „paradoxen Ausdruck“35 zu verleihen – ein Ausdruck, der unter anderem36 tiefgreifende Veränderungen in Bezug auf den Geltungsgrund der Ethik, die Intension und Extension individueller Aufgaben sowie den Begriff des Gottesverhältnisses nach sich zieht. Hier liegt zweifellos ein gravierender Unterschied zu Kant. Denn wir haben ebenso wenig Grund zu der Annahme, dass dieser der Möglichkeit einer absoluten Pflicht gegen Gott zugestimmt haben würde37, wie zur Leugnung der Tatsache, dass sowohl Kierkegaard selbst wie auch seine späteren Pseudonyme deren Möglichkeit je in Abrede stellen.38 3. Soviel zunächst zu Bedeutung, Inhalt und Geltungsgrund der Pflicht als Ausdruck der Idealität des Sollens. Nun bedarf es keines gesonderten Nachweises, dass jenes Kçnnen, das Anticlimacus im eingangs angeführten Zitat aus dem Faktum des Sollens ableitet, ganz in Übereinstimmung mit Kant für ein spezifisch moralisches Vermögen steht. Zwecks Vermeidung von Missverständnissen verdient dieser Punkt nichtsdestoweniger eigens 33 Ebd., 162 / 77; Zur Rekonstruktion der subjekt- und situationsspezifischen Möglichkeitsbedingungen einer absoluten Pflicht gegen Gott vgl. H. Schulz 1995, bes. 226 ff. 34 Vgl. SKS 4, 165 / GW1 FZ, 81. 35 Ebd., 162 / 77. 36 Vgl. ebd., 160 f. / 74 f. 37 Vgl. Kants kritische Anspielungen auf Abraham in W 7, 744 u. 861. Kant verneint zudem die Möglichkeit „besonderer auf Gott unmittelbar bezogene[r] Pflichten“ (W 8, 822) innerhalb der von ihm vertretenen Form einer Vernunftreligion. 38 Vgl. z. B. NB15:66, SKS 23, 45 f. / T 4, 93 f. und NB16:50, SKS 23, 130, wo Kants Autonomieprinzip mit der als genuin christlich ausgegebenen Idee eines zwingenden Gottes kontrastiert wird. Da Kierkegaard ferner das Gute, christlich verstanden, mit der Bereitschaft gleichsetzt, „daß man will, wie er [sc. Gott] will“ (NB33:24, SKS 26, 266 / T 5, 316; Hervorh. H.S.), favorisiert er klar das voluntaristische Horn in Platons ,Euthyphron-Dilemma‘ (vgl. Euthyphron 10d1 – 10e9; dazu Not13:43, SKS 19, 408 / DSKE 3, 446): Das Gute ist gut, weil und insofern Gott es will – und nicht umgekehrt. Schließlich belegt SKS 7, 242 f. / GW1 AUN1, 261 f., dass Climacus, obschon er die Idee einer teleologischen Suspension des Ethischen (NB: in De Silentios, nicht im christlichen Sinne) revoziert, an der Möglichkeit einer absoluten Pflicht gegen Gott gleichwohl festhält. Die ethischen Probleme, die Kierkegaards Variante einer divinecommand-ethics aufwirft, werden diskutiert in: H. Schulz 1995, 230 f. und 233.
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Beachtung: Denn Kierkegaard unterscheidet nicht nur ein sthetisches von einem genuin „ethische[n] Können [ethisk Kunnen]“39, sondern er erklärt ausdrücklich, dass das, worauf es im Gebiet des Ästhetischen vorzüglich ankomme, eben dies sei: „zu können“40. Hierbei denkt er ohne Zweifel an bestimmte natürliche, als solche freilich sozialer Wertschätzung unterworfene Vermögen – individuelle Begabungen oder Talente, äußere Vorzüge etc., die als solche entweder nicht allen Menschen oder aber nicht allen im gleichen Maße bzw. auf gleiche Weise zukommen und daher natürliche und soziale Unterschiede markieren. Eben deshalb kann nach seiner Auffassung das Allgemein-Menschliche nur im Bereich des Ethischen gefunden werden. Vor diesem Hintergrund steht der Begriff der Universalität nicht nur für das erste Kriterium, sondern auch für den Prüfstein dessen, was mit dem Ausdruck ethisches Können gemeint ist: X kann ein derartiges Vermögen nur besitzen, wenn und indem er es mit jedem anderen Menschen teilt, bzw. als etwas mit diesem geteiltes. Zwar sind ästhetische Fähigkeiten ebenfalls durch ihre soziale Referenz definiert – aber eben i.S. ihres privat-partikularen bzw. privativen Besitzes. Demnach verfügt X z. B. gerade dadurch über ein außergewöhnliches poetisches Talent, dass er sich seiner als etwas bewusst ist und sein kann, das er mit keinem anderen, zumindest nicht in demselben Maße und auf dieselbe Weise teilt.41 Universalität fungiert gleichwohl nur als notwendige, nicht als hinreichende Bedingung ethischen Könnens. Ihr als gewissermaßen ,intersubjektivem‘ korreliert ein zweites, ,objektives‘ Kriterium. Es macht sich in der Forderung geltend, dass nur derjenige Willensakt als Ausdruck ethischen Vermögens in Betracht kommt, dessen Gegenstand als etwas gewollt werden kann, das allein durch diesen Akt selber verwirklicht zu werden vermag. Welche Klasse von Entitäten kommt als mögliches Korrelat eines solchen, die unaufhebbare Einheit von Wollen und Vollbringen manifestierenden Aktes in Betracht? Die Antwort Kierkegaards und seiner Pseudonyme lautet – in voller Übereinstimmung mit Kant: Es gibt nur eine einzige derartige Entität, nämlich das Ethische oder die Pflicht. Zur Er39 Papir 371:2.h, SKS 27, 434. 40 NB11:131, SKS 22, 78 / T 3, 239. 41 Vgl. ergänzend SKS 8, 35 / GW1 LT, 32, wo Kierkegaard die Universalisierbarkeit menschlicher Vermögen zur notwendigen und hinreichenden Bedingung ihres Höchstranges erklärt: Was „du nur allein für dich selbst haben kannst, das ist niemals das Höchste“; denn „eben dies ist das Höchste, was du mit allen gemeinsam haben kannst“ (ebd.) – eine Voraussetzung, die aus seiner Sicht natürlich nur durch das ethische Vermögen erfüllt wird.
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läuterung dieses Grundgedankens mag ein erneuter Seitenblick auf das ästhetische Können, etwa i.S. des Talentes, hilfreich sein. Hier ist entscheidend, dass dessen Vorhandensein, erst recht aber seine öffentliche Anerkennung, nicht in der Verfügungsgewalt des Talentierten stehen – und im übrigen auch als so bestimmt erfahren werden. Der Begriff des Talentes bezieht sich daher, mit den Worten des Gerichtsrates, stets auf eine „Bedingung, die nicht in des Individuums eigner Macht steht“42. Im Gegensatz dazu ist das ethische Können nicht nur per definitionem suisuffizient oder autark, sondern es wird phänomenologisch auch in diesem Sinne von demjenigen erfahren bzw. erfahren werden können, der es besitzt und aktualisiert. Die Selbstwahltheorie des Gerichtsrates und ihre Konsequenzen für die genetische und geltungstheoretische Konstitution der Pflicht mögen diese Idee und ihre mögliche Rechtfertigung ein Stück weit erhellen: Möglicherweise gewarnt durch Humes Einspruch gegen den falschen Schluss von Sein auf Sollen43 und im Misstrauen gegen Kants Theorie eines vermeintlichen ,Faktums der Vernunft‘ (s. o.) erklärt der Ethiker, dass das Sittengesetz in seiner unbedingten und ausnahmslosen Verbindlichkeit (a) nur je aktuell, (b) durch das unvertretbare individuelle Subjekt und (c) ausschließlich auf moralisch-praktischem Wege etabliert werden kann. So betrachtet, erweist sich die Konstitution des Ethischen als Ausdruck eines pathetischen Sprungs44, der in einer unvermeidlich zirkulären Weise den Anspruch auf Erfüllung derjenigen Forderung bereits erhebt, deren Geltung durch ihn selbst allererst konstituiert werden soll.45 Dass ,Sollen sein soll‘, dass m.a.W. das Ethische Realität besitzt, kann weder wahr sein noch als wahr einleuchten, ohne dass der Ethiker sich selber wählt – freilich: im Medium der Reue46 und d. h. kraft eines sich selbst immer schon als ethisch explizierenden Freiheitsvollzuges. Umgekehrt konstituiert er auf diese Weise die Geltung eben jenes Ethischen, das seine Selbstaneignung qua 42 SKS 3, 178 / GW1 EO2, 195; Hirschs Übersetzung trifft hier m. E. das der Sache nach Gemeinte, obschon sie dem Wortlaut nach unpräzise ist. Genauer müsste es heißen: ,eine Bedingung, die nicht durch das Individuum selbst gesetzt ist [en Betingelse, der ikke er sat ved selve Individet]‘. 43 Vgl. D. Hume 1978, 210 ff. 44 Zu Gebrauch und Funktion dieses Begriffs vgl. z. B. Papir 283:1, SKS 27, 275 u. 276 f.; dazu Schäfer 1968, 16 ff. 45 Ausführlicher expliziert wird dieser Zusammenhang in: H. Schulz 1994, 266 f. Vgl. auch W. Schulz 1989, 195. 46 Vgl. SKS 3, 207 ff. u. 239 f. / GW1 EO2, 229 ff. u. 267 f.
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Reue allererst einzufordern vermag und berechtigt ist.47 Erst dann und genau dadurch, dass die Wahl dasjenige vollzieht, was das durch sie Konstituierte fordert, konstituiert sie es u.u. Kraft dieser Konstitutionsleistung im Medium der Selbstwahl kommt demnach dem Ethischen nur, aber auch immer Realität zu. Jene besitzt mithin eo ipso ontologische Vollmacht: Die Freiheit und mit ihr das Ethische sind allein und eben dadurch real, dass der Ethiker so handelt, als ob sie real seien, bzw. durch das im Wahlakt zumindest stillschweigend sich geltend machende Postulat, dass sich dies so verhält.48 So wie sich selbst absolut zu wählen nur bedeuten kann, auch das Ethische zu wählen, ebenso ist umgekehrt erst „[d]urch die absolute Wahl … das Ethische gesetzt“49. Ohne diesen ,Konstitutionsakt‘ wäre die Pflicht nach Meinung des Gerichtsrates ontologisch und epistemisch ohne Grundlage – sie würde weder als solche gesetzt noch in ihrer unbedingten Gültigkeit gerechtfertigt werden können. 4. Nachdem die Begriffe Sollen und Können bislang separat erörtert wurden, verfügen wir nunmehr über die nötigen hermeneutischen Voraussetzungen, um ihr Verhltnis am Leitfaden des Kantischen Prinzips bestimmen zu können. Die bisherige Analyse ergab, dass der Mensch gewissermaßen dazu verpflichtet ist, dessen fähig zu sein, wozu er verpflichtet ist. Genaugenommen erscheint er nicht nur als faktisch, sondern als stets und ausschließlich hierzu fähig. So gesehen könnte sich der Gerichtsrat ohne weiteres den Freiheitsbegriff und d. h. die These Kierkegaards zu eigen machen, dass diese auf nichts weiter hinauslaufe als eben „dies, zu können“50. Dabei würde er dieser These eine eigentümliche, zugleich ontologisch, phänomenologisch und ethisch akzentuierte Wendung geben: Wir sind und wir erfahren uns genau dann als frei
47 Daher erklärt der Assessor: „[I]ch kenne nur ein einziges Leid, das mich in Verzweiflung bringen und alles in sich hinabziehen könnte – die Trauer darüber, daß die Reue ein Trug wäre, ein Trug nicht hinsichtlich der Vergebung, die sie sucht, sondern hinsichtlich der Zurechnung, die sie voraussetzt“ (SKS 3, 227 / GW1 EO2, 253). 48 Vor diesem Hintergrund würde der Assessor zweifellos für eine phänomenologische, ethische und ontologische Lesart von William James’ berühmter These plädieren, derzufolge „[t]he first act of free-will … would naturally be to believe in free-will“ ( James 1950, 321 (Nachdr. d. Ausg. New York 1890)). 49 SKS 3, 173 / GW1 EO2, 189. 50 Pap. V B 56,2; vgl. SKS 4, 350 u. 354 / GW1 BA, 43 u. 48.
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(und: als wir selbst), wenn wir dasjenige zu wollen vermögen, wozu wir verpflichtet sind.51 Nichtsdestoweniger verweist dieser Zwischenstand auf einen entscheidenden Unterschied zwischen der Auffassung des Ethikers auf der einen und derjenigen Kierkegaards bzw. seiner späteren Pseudonyme auf der anderen Seite. Zwar stimmen einerseits alle Vorgenannten darin überein, dass Können Sollen impliziert: Jenes bedingt m.a.W. dieses hinreichend, dieses umgekehrt jenes notwendig. Die weiterreichende (und im Kern Kantische) Behauptung des Gerichtsrates, dass Können als notwendige Bedingung des Sollens, dieses mithin umgekehrt als hinreichende Bedingung für jenes fungiert, dürfte hingegen weder den Beifall Kierkegaards noch den seiner späteren Pseudonyme finden. So sind sich etwa De Silentio und Climacus darin einig, dass Abraham das ethisch Geforderte sehr wohl zu realisieren vermag.52 Die Tatsache, dass er zugleich und im Medium der unendlichen Resignation akzeptiert, dass es eben nicht das Ethische ist, das ihm zu realisieren obliegt, sondern etwas ,Höheres‘ (die absolute Pflicht gegen Gott), besiegelt indessen gerade seine Unfähigkeit, jenes zu erfüllen.53 Er sieht sich folglich mit einer binnenethischen Pflicht konfrontiert (nämlich der, seinen Sohn in einer Weise zu lieben, die die Möglichkeit, ihn zu töten, unter allen Umständen ausschließt), deren Erfüllungsvermögen ihm jedoch gleichzeitig, sowohl psychologisch wie ontologisch, verschlossen bleibt. Gleichwohl sind die spezifischen Umstände seiner Situation mehr als der bloße Ausdruck eines tragischen Dilemmas, das als solches in die Unausweichlichkeit einer moralischen Verfehlung mündet; denn mit dem einen Horn des Dilemmas tritt nicht nur ein „höhere[r] Ausdruck“54 der Pflicht zutage, der als solcher nach wie vor binnenethischer Herkunft wäre, sondern ein schlechthin transmoralischer.55 Zwar ist i.S. dessen, was Kierkegaard „religiçses Können“56 nennt, 51 In diesem Sinne könnte sich der Assessor auch Kierkegaards Terminus „SollenKönnen [Skullen-kunne]“ (Papir 371:2, SKS 27, 434) zu eigen machen, und zwar um auszudrücken, daß wir – immer und nur dann, wie er sich beeilen würde hinzuzufügen – imstande sind, zu wollen und zu tun, was wir zu wollen und zu tun verpflichtet sind. 52 Vgl. SKS 7, 242 f. / GW1 AUN1, 261 f. 53 Vgl. SKS 7, 242 / GW1 AUN1, 262: Abraham konnte das Ethische „gut realisieren, wurde aber daran durch jenes Höhere verhindert [hindredes], das dadurch, daß es sich selbst absolut betonte, die Stimme der Pflicht in Anfechtung verwandelte“. 54 SKS 4, 169 / GW1 FZ, 87 [Fußn.]. 55 Vgl. ebd. 56 Papir 371:2.i, SKS 27, 434; Hervorh. H.S.
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Abraham nach Meinung des Verfassers von Furcht und Zittern sehr wohl imstande, seiner Vaterpflicht zu genügen, um so das teleologisch Suspendierte erneut zu realisieren. Aber der springende Punkt ist gerade, dass es nunmehr um eine Bewegung ,in kraft des Absurden‘, d. h. um den Vollzug eines Vermögens geht, das Abraham nicht selber zu Gebote steht, sondern das bzw. dessen Vollzug im Gegenteil göttlichen Beistand voraussetzt und erforderlich macht.57 Auch mit diesem Zwischenschritt tritt erst die eine und zudem untergeordnete Seite der Sache in den Blick. Entscheidender ist der spezifisch christliche und d. h. derjenige Aspekt der Verhältnisbestimmung von Sollen und Können, der mit dem Begriff der Sînde ins Spiel kommt und als solcher in Furcht und Zittern eine allenfalls marginale Rolle spielt.58 Dabei müssen wir uns zunächst klarmachen, dass sich für Kierkegaard jenes Können, das die Freiheit als solche definiert, an der Wahrheit dessen bemisst, was sich diese als Gegensatz ihrer selbst anzueignen vermag.59 Das Pflichtbewusstsein i.S. der Fähigkeit, sich das Gesollte jenseits bloßer Nötigung zu eigen zu machen, firmiert daher neben der Reue i.S. des Vermögens der Schuldaufhebung im Medium ihrer Aneignung60 lediglich als ethisch paradigmatischer Fall einer allgemeinen Struktur. Nun ist christlich geurteilt erst mit der Sînde die Wahrheit über den Gegensatz der Freiheit benannt, welche ihrerseits, intellektuell gesehen, mit dem Glauben und d. h. zugleich mit der Fähigkeit des Sündenbewusstseins zusammenfällt. Ein Sündenbewusstsein aber kann das Individuum, dogmatisch gesprochen, „nicht durch sich selbst bekommen“61, wenn anders vor dem Hintergrund des Erbsündedogmas feststehen soll, dass es allein dadurch, „daß es geworden ist, ein Sünder geworden“62 ist, kraft dessen aber als radikal von sich selbst entfremdet und bis in seine anthropologischen Grundvermögen hinein korrumpiert gelten muß.63 57 Vgl. SKS 4, 150 f. / GW1 FZ, 60 f. 58 Vgl. SKS 7, 243 f. / GW1 AUN1, 263; dazu SKS 4, 155 u. 188 / GW1 FZ, 66 f. u. 111 f. 59 Ich habe diesen Gedanken ausführlicher entfaltet in: H. Schulz 1996b, 173 u. 178 f. 60 Vgl. SKS 3, 215 / GW1 EO2, 239. 61 SKS 7, 531 / GW1 AUN2, 297. 62 Ebd., 530 / 296. 63 Diesem hamartiologischen Sachverhalt steht Kierkegaards soteriologische Korrespondenzthese zur Seite, derzufolge der Gottmensch jedem einzelnen Sünder durch den und im Glauben (vgl. dazu SKS 4, 261 – 264 und 285 f. / GW1 PB, 55 – 60 und 83 f.) ,die Bedingung‘ zum Verständnis der Wahrheit über (a) seine eigene Unwahrheit (qua Sünde) sowie (b) über den rettenden, befreienden und erlö-
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Dieser paradox anmutende Sachverhalt kann allenfalls annäherungsweise, nämlich unter der psychologischen Voraussetzung einleuchten, dass die Sünde ipso facto mit der Leugnung ihrer selbst einhergeht, so dass umgekehrt für den Sünder das sich selbst transparente Sündenbewusstsein zu einer unendlichen, für ihn als Sünder freilich unmöglich zu erfüllenden, ja durch diese Unmöglichkeit allererst konstituierten Aufgabe wird.64 Insbesondere Anticlimacus liefert Ansätze für eine solche psychologische Approximation im Verhältnis zu ihrer dogmatischen Explikation. Wie uns der Autor, zunächst im durchaus sokratischen Geist, mitteilt65, ist der Mensch eben deshalb nicht imstande, der Unendlichkeit der ethischen Forderung Genüge zu tun, weil er diese und mit ihr das Gute bzw. die Wahrheit über dessen Gegensatz qua Sünde strenggenommen gar nicht zu verstehen vermag. Freilich vermag er sie eben deshalb nicht zu verstehen, weil er sie aufgrund und im Medium einer verzweifelten Nichtübereinstimmung mit sich selbst vor Gott (dogmatisch gesprochen: aufgrund der Erbsünde und ihrer Folgen) gar nicht erst verstehen will.66 Er vermag also das Geforderte zuletzt deshalb nicht zu erfüllen, weil er es nicht erfüllen will.67 Weshalb weigert er sich aber, es erfüllen zu wollen? Offenbar deshalb, weil er auch diesen Willen nicht aufzubringen vermag. Aus welchem Grund? Nun, augenscheinlich deswegen, weil er nicht imstande sein will, es erfüllen wollen zu können. Kurzum: Jede spekulative oder rein psychologische Erklärung gerät entweder in einen unendlichen Regress, der Nichtwollen auf ein weiter zurückliegendes Nichtwollen, oder in einen
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senden Charakter eben dieser Offenbarung – als einer solchen – allererst mitgeben muß (vgl. ebd., 222 – 226 / 12 – 16). Als Offenbarung setzt folglich die Mitteilung des ,religiösen Könnens‘ i.S. der durch den Glauben ermöglichten Erfüllung des von Gott Geforderten auch und zwangsläufig eine ,Wissensmitteilung‘ „in Bezug auf das Christliche“ (Papir 368:13, SKS 27, 414 / T 2, 115) voraus, und d. h. dogmatisch gesprochen die bloße notitia bezüglich des Verhältnisses von Offenbarung, Sünde und Versöhnung. In diesem Sinne gehört der Sündenbegriff nach Kierkegaard auch in die Ethik: freilich nur als Grenzbegriff, d. h. insofern, „als es dieser Begriff ist, an dem sie vermittelst der Reue strandet“ (SKS 4, 324 / GW1 BA, 14) – nämlich durch die aus sich selbst nicht zum Stehen zu bringende Reflexion, ob sie sich in dem, was sie bereut, das wahre Ausmaß der Schuld tatsächlich anzueignen vermag oder nicht (vgl. ebd., 410 ff. / 111 ff.). Vgl. SKS 11, 201 – 208, bes. 206 f. / GW1 KT, 87 – 96, bes. 93 f. Zum Verhältnis zwischen Verstehen und Erfüllung des Ethischen vgl. ferner Papir 365:7, SKS 27, 394 / T 2, 123 f. Kierkegaards Pointe lautet hier: Wir können die ethische Forderung nur erfîllen, wenn wir sie verstehen; und wir können sie nur verstehen, wenn wir sie erfüllen wollen. Vgl. SKS 11, 207 / GW1 KT, 95.
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unauflöslichen Zirkel, der Nichtwollen auf Nichtverstehen, umgekehrt aber dieses auf jenes zurückzuführen genötigt ist. Beides wird nach Auskunft von Anticlimacus allein durch jene – NB: dogmatische – Kernbehauptung des Christentums verhindert, welche, wie er sich ausdrückt, „das Ende fest[macht] mittels des Paradox“68 – und d. h. eben durch das Dogma der Erbsünde.69 Daraus erhellt aber, dass der Phänomenbestand dessen, was das Christentum Sünde nennt, zwar nicht reduktionistisch (hier: psychologisch) beschrieben, wohl aber reduktionistisch (hier: dogmatisch) erklrt werden darf und muss.70 Erst die dogmatische These liefert einen zureichenden Grund dafür, dass die Leugnung der Sünde und d. h. dasjenige, was Anticlimacus als Nichterfüllung des Gesollten aufgrund seines beabsichtigten Nichtverstehens psychologisch approximierend beschreibt, als notwendige Bedingung in deren eigene Möglichkeit eingeht. Dabei mündet dieser methodologisch komplementär konzipierte Doppelzugang zum Phänomen der Sünde in das Ergebnis, dass die im Rahmen der Voraussetzungen von Furcht und Zittern nur als transitorisch gedachte Suspension des Ethischen (i.S. der vorübergehenden Unfähigkeit, ihrer idealen Forderung Genüge zu tun) christlich gesehen zu einer prinzipiellen und möglicherweise lebenslangen „Freisetzung“71 von dessen Erfüllung aufgrund der „Sînde als Zustand im Menschen“ (ebd.) führt.
III. 1. Christ und Ethiker, so lautet nach der bisherigen Analyse Kierkegaards Fazit, sind bezüglich der ausnahmslosen Geltung des Prinzips ,du sollst, denn du kannst‘ im Prinzip einig – zumindest dann und insoweit, wie dieser Satz als Ausdruck der These ,du sollst, wann immer du kannst‘ interpretiert wird. Seiner Umkehrung (,du kannst, denn du sollst‘) vermag der Christ hingegen allenfalls in der Form ,du kannst nur da, wo du sollst‘ zuzustimmen. Er wird mithin die weitergehende Behauptung des Ethikers zurückweisen, dass Sollen für Können notwendig und hinreichend sei; denn da er Forderungen für unbedingt verpflichtend hält, deren 68 Ebd., 206 / 93. 69 Vgl. SKS 4, 326 / GW1 BA, 17. 70 Ich greife damit auf eine methodologische Basisunterscheidung Proudfoots zurück: vgl. Ders. 1985, 196 f. 71 SKS 7, 243 / GW1 AUN1, 262.
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Verwirklichung er gleichwohl als nicht in der Macht ihres Adressaten stehend ansieht, folgert er, dass Können lediglich hinreichend, nicht aber notwendig für Sollen, dieses hingegen notwendig, aber nicht hinreichend für jenes sei. Dieses Ergebnis kann als Ausgangspunkt dienen, um Kierkegaards Vorschlag für eine Selbstunterscheidung der christlichen als einer sog. „zweite[n] Ethik“72 von einer ,ersten‘, rein mundan-philosophischen zu präzisieren. Der Ausführung der christlichen Ethik, die die Forschung nicht zu Unrecht in den Taten der Liebe verwirklicht sieht73, kann ich hier nicht im Einzelnen nachgehen. Ich begnüge mich damit, die spezifizierenden Elemente und Voraussetzungen dieser Ethik als einer genuin christlichen zu explizieren. Nun gibt es in der traditionellen Propriumsdiskussion eine Vielzahl, aus der gesamten Bandbreite ethischer Reflexion und deren Aufbaumomenten ableitbarer Vorschläge zur Lösung dieser Aufgabe, die zudem häufig in kombinierter bzw. kumulativer Form vorgetragen werden: z. B. der als different behauptete Geltungsgrund der Ethik (Gott versus menschliche Natur); ihr veränderter bzw. erweiterter Gehalt (z. B. spezifisch christliche versus rein naturrechtlich verankerte Tugenden); die alternative Erkenntnisquelle (Offenbarung versus Vernunft); der universal erweiterte Handlungsadressat (gesamte Schöpfung versus Menschenwelt); die Extension des Erfîllungsvermçgens (Mensch als Christ versus Mensch als solcher); die unterschiedliche Motivation moralischen Handelns (Glaube versus guter Wille); dessen differierendes Subjekt (Kirche versus Individuum) etc. 2. Diesseits jeder Plausibilitätseinschätzung dieser sowie weiterer möglicher Vorschläge behaupte ich, dass sich die einschlägigen Überlegungen Kierkegaards und seiner Pseudonyme i.S. eines gleichfalls kumulativen Propriumsverständnisses interpretieren lassen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit führe ich hier nur diejenigen Punkte an, die aus der Sicht Kierkegaards als die sachlich zentralen, da aus dem Kern des christlichen Wirklichkeitsverstndnisses ableitbaren gelten können. 2.1 Kann und muss aus Kierkegaards Sicht die christliche im Unterschied zur mundanen Ethik einen anderen, u. U. sogar widersprechenden Inhalt als verbindlich behaupten? M.E. ist das nicht der Fall – und zwar im wesentlichen aus drei Gründen: Erstens stimmen von Entweder / Oder II 72 SKS 4, 329 / GW1 BA, 19; vgl. zum Kontext ebd., 326 – 331 / 17 – 21. 73 Vgl. Malantschuk 1971, 13; Quinn 1999.
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über Furcht und Zittern bis zu den Taten der Liebe Kierkegaard und seine Pseudonyme einerseits darin überein, dass das Doppelgebot der Liebe (vgl. Mt 22, 37ff. par.) nicht nur als das höchste, sondern auch als christliches Hauptgebot gelten muss74 ; andererseits dokumentiert die Argumentation des Gerichtsrates, dass er dessen Höchstgeltung auch auf dem Boden einer rein ethisch-immanenten Lebensanschauung einholen bzw. als maßgeblich erweisen zu können meint. Zweitens wird die Behauptung einer differenten, ja widersprechenden Materialität des christlichen Ethos durch Verweis auf die von De Silentio bis zu Climacus statuierte Möglichkeit einer ,absoluten Pflicht gegen Gott‘ durch die Tatsache entkräftet, dass Kierkegaard hier nicht den Inhalt des Gebotenen selber (und d. h. das Liebesgebot in der Einheit seiner drei Dimensionen) für suspendierbar hält, sondern lediglich mit der Möglichkeit eines durch die Zentralstellung der Gottesliebe bedingten ,paradoxen Ausdrucks‘ der Liebe zum Nchsten rechnet (s. o.).75 Der dritte und wichtigste Gesichtspunkt betrifft das Sündenproblem. Wenn, wie zu zeigen war, die Sünde aus Kierkegaards Sicht notwendig mit der Leugnung ihrer selbst einhergeht, außerdem aber per definitionem „eine unberechtigte Wirklichkeit“76 darstellt und als solche aufgehoben werden soll, dann ist hiermit die Aufgabe des Sündenbewusstseins (und damit die Aufhebung jener Leugnung) zugleich als solche wie als unmöglich zu erfüllende gesetzt. Ohne die Unmöglichkeit, sie zu erfüllen, gäbe es die Aufgabe nicht; überall da, wo sie gestellt wird, kann sie – als solche – nicht erfüllt werden. Diese Beobachtung könnte nun zu der Annahme verleiten, dass sich die oder mindestens eine zentrale Forderung der christlichen Ethik auf das Sündenbewusstsein bezieht: ,Handle so, dass dir dein Handeln jederzeit zu Bewusstsein bringt, ein Sünder zu sein‘, so würde zumindest eine Formel des kategorischen Imperativs lauten, den die christliche Ethik als solche zur Geltung bringt – freilich zugleich mit dem 74 Vgl. z. B. SKS 3, 145 f. / GW1 EO2, 157; SKS 9, 27 / GW1 LT, 24; SKS 10, 90 / GW1 CR, 86; SKS 11, 29 / GW1 LF, 52. 75 Diese Distinktion legt die nach meinem Eindruck theologisch wichtige, ethisch freilich keineswegs unproblematische (vgl. H. Schulz 1995, 230 f. und 233 f.) Konsequenz einer eschatologischen Konstituierung und Relativierung der Ethik nahe: Das, was diese i.S. des nichtparadoxen Ausdrucks des Doppelgebotes fordert, gilt demnach nur unter eschatologischem Vorbehalt, d. h. respektive seiner jederzeit möglichen Suspension durch Gott. Dieser Sachverhalt bietet im übrigen nicht nur Anhaltspunkte für eine genuin christliche Akzentuierung der Materialität, sondern auch des Geltungsgrundes der Ethik. 76 SKS 4, 413 / GW1 BA, 114.
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Anspruch seiner Unerfüllbarkeit. Indes, dieser Annahme unterläuft auf ihre Weise derselbe Fehler, den Vigilius Haufniensis den zeitgenössischen Hegelianern ankreidet: die methodologisch unzulässige Vermischung von Dogmatik und Ethik.77 Denn dass die Sünde notwendig mit der Leugnung ihrer selbst einhergeht, ja dadurch im Grunde allererst als Sünde konstituiert wird, leuchtet ja, wie am Anschluss an Anticlimacus zu zeigen war, erst auf der Basis jener genuin dogmatischen Behauptung des Faktums der Erbsünde ein, die allein jene wiederum als ihre Folge zu explizieren erlaubt. Kurz: Die Sünde und mit ihr das Sündenbewusstsein gehören zwar insofern zur ersten Ethik, als diese an jener als dem Grenzbegriff der Reue scheitert;78 und sie gehören zur zweiten, insofern diese auf der Basis einer dogmatischen Prämisse das Bewusstsein der Sünde in ihrer universalen Wirklichkeit voraussetzt und zur Geltung bringt.79 An sich aber sind weder Sünde noch Sündenbewusstsein ethische Kategorien und können daher nur durch unzulässige Usurpierung zum Bestandteil moralischer Forderungen werden. 2.2 Im Unterschied zur materialethischen Modifikationsthese wird der zweite, ontologisch spezifizierende Propriumsvorschlag, der sich auf das Erfîllungsvermçgen im Verhältnis zum Geforderten bezieht, von Kierkegaard als sachgemäß erachtet. Er kann, und zwar in unmittelbarer Anknüpfung an den ersten, materialethischen Aspekt sowie auf der Basis der bereits bekannten Ergebnisse in verkürzter Form, nämlich durch die folgende Argumentationsfigur wiedergegeben werden: (a) Keine Sünde ohne deren Leugnung. (b) Keine Erfüllung des Gesetzes ohne Aufhebung der Sünde. (c) Ergo keine Erfüllung des Gesetzes ohne Aufhebung der Leugnung der Sünde. (d) Keine Aufhebung der Leugnung der Sünde ohne Sündenbewusstsein. (e) Kein Sündenbewusstsein ohne christlichen Glauben. (f) Ergo keine Aufhebung der Leugnung der Sünde und keine Erfüllung des Gesetzes ohne christlichen Glauben.
77 Vgl. ebd., 319 f. / 8 f. 78 Vgl. ebd., 324 / 14. 79 Vgl. ebd., 326 f. / 17 f.
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2.3 Ein dritter und letzter Vorschlag ergänzt und begründet den ontologischen, d. h. auf das Erfüllungsvermögen bezogenen Aspekt der Ethik durch dessen (motivations-)psychologische bzw. phnomenologische Seite: Kierkegaards christentumsspezifische Verschränkung von Können und Sollen führt nicht nur zu dem Ergebnis, dass die Fähigkeit zur Erfüllung des Gesollten durch dieses selber notwendig bedingt wird, sondern auch zu der auf den ersten Blick widersprechenden, limitativ dialektischen These, dass X das Geforderte überall, nur da nicht zu erfüllen vermag, wo es gefordert ist. Wenn ich recht sehe, sind Kant und Kierkegaard darin einig, dass Sollen – in einem bestimmten, begrenzten Sinne – für die Unmçglichkeit des Könnens hinreichend, u. U. sogar notwendig ist. Das entsprechende deontisch-logische Prinzip lautet dann: ,Du kannst nicht, denn du sollst‘ bzw. ,du kannst, denn du sollst nicht‘. Obschon die Bedeutung von ,Können‘ hier nach wie vor rein ethisch konnotiert ist, wird das Verhältnis von Intension und Extension im Begriff des Sollens modifiziert. Letzteres ist nur noch insoweit gleichbedeutend mit dem moralischen Gesetz (christlich: mit dem Doppelgebot der Liebe), wie sein Adressat dieses Gesetz nicht nur (a) als solches, sondern zugleich, ja primär als (b) nçtigend bzw. ,nezessitierend‘80 erfährt.81 Umgekehrt kann das Gesetz nur dann und insoweit erfüllt werden, wie sein Adressat dessen Forderungen freiwillig (= ungenötigt) und d. h. ohne jeden Zwiespalt zwischen Sinnlichkeit und Vernunft (so Kant) bzw. ohne verzweifelte Nichtübereinstimmung mit sich selbst vor Gott (so Kierkegaard) zu erfüllen bzw. erfüllen zu wollen vermag.82 Da nun der Begriff des Könnens hier nach wie vor streng ethisch, d. h. als Fähigkeit zur Erfüllung des i.S. des Doppelgebotes der Liebe Geforderten, nicht aber ästhetisch auszulegen ist, besagt dies, dass X diese Fähigkeit überall, nur da nicht besitzt, wo sie gefordert ist bzw. als i.S. der Forderung nötigend erfahren wird. In diesem (und wohlgemerkt nur in diesem) Sinne ist demnach nicht nur 80 So der Kantische Ausdruck: vgl. z. B. W 8, 328. 81 Eben damit aber: die Möglichkeit seiner Erfüllung zunichte macht – so jedenfalls ließe sich in Anspielung auf eine Gedankenfigur hinzufügen, die ich an anderer Stelle als ontologische Macht des Bewusstseins bezeichnet und expliziert habe (vgl. H. Schulz 2001, Kap. 4.7 u. 4.8). 82 Kierkegaard würde freilich auf der (dogmatisch fundierten, daher strenggenommen ,transzendenten‘) Behauptung beharren, dass eine derartige Fähigkeit christlichen Glauben voraussetzt – und d. h. eo ipso göttlichen Beistand jenseits der Autonomie des humanen Subjektes -, wohingegen Kant seine These auf das Postulat einer rein ,immanenten‘ Möglichkeit zur Verwirklichung dessen gründen würde, was er ,heiligen Willen‘ nennt (vgl. z. B. W 7, 143).
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Können hinreichend, aber nicht notwendig für Sollen – da X auch da soll, wo er nicht kann; vielmehr ist umgekehrt Sollen zugleich hinreichend für Nicht-Können: Denn X kann, was er soll, nur da, wo er nicht soll. Eben dieser Sachverhalt bringt ein weiteres Spezifikum der christlichen Ethik ins Spiel – jedenfalls dann, wenn sich diese, wie im Falle Kierkegaards, als genuin protestantische auslegt. Denn nach protestantischem Selbstverständnis kommt jenes Erfüllungsvermögen ausschließlich dem Christen – als einem solchen nämlich – zu. Demnach sieht sich X als Christ (abgesehen von der o.g. Einschränkung) mit denselben materialethischen Forderungen konfrontiert wie der Nichtchrist; allein, nur er vermag diese auch zu erfîllen. Der Grund hierfür liegt psychologisch und phänomenologisch gesehen darin, dass er, und er allein, das Geforderte erfüllen wollen kann: und zwar im Medium des Glaubens, kraft dessen er sich mit der rückhaltlosen Bejahung der eigenen Sündhaftigkeit die Wahrheit über den Gegensatz seiner Freiheit im Vertrauen auf den Heilszweck der Enthüllung dieser Wahrheit vollständig hat aneignen können.83 Kierkegaard wäre demnach mit Kant völlig einig, dass der Nötigungscharakter des moralischen Gesetzes nicht mit dessen imperativischer Sprachform steht und fällt, sondern im Gegenteil sachlich davon unterschieden werden muß.84 Gilt dies aber, dann ist Luthers These lex semper accusat85 aus Kierkegaards Sicht nur dann und insoweit zuzustimmen, wie das Gesetz hier als mit der Faktizität seiner Nötigungserfahrung durchgängig verbunden vorgestellt wird. Denn dass das Gesetz anklagt, liegt, nochmals gesagt, weder an seiner imperativischen Sprachform noch auch an seinem z. B. strafandrohenden Gehalt, sondern vielmehr im Nötigungsbewusstsein, kraft dessen jene Form und dieser Inhalt faktisch rezipiert und erfahren werden. In diesem, und wohlgemerkt nur in diesem, nämlich den ontologischen Aspekt der christlichen Ethik psychologisch bzw. phänomenologisch fundierenden Sinne hat m. E. der Begriff tertius usus legis, auch und gerade im Blick auf Kierkegaard, seine begrenzte theologisch-ethische Berechtigung: und zwar als Hinweis auf jenen seine Erfüllung allererst ermögli83 Vor allem unter Berufung auf Luther hat im modernen Protestantismus Wilhelm Herrmann diesen Gedanken als Dreh- und Angelpunkt der christlichen Ethik zur Geltung gebracht: vgl. Herrmann 51921, bes. § 22. 84 Wobei offenbleiben muß, ob Kierkegaard auch die weitergehende Überzeugung Kants teilen würde, dass das Gesollte nur als solches, d. h. jedenfalls nicht ohne die Vorstellung des Gesetzes als eines solchen erfüllt werden kann (vgl. z. B. W 7, 139 f; W 8, 328 u. 700 f). 85 Vgl. z. B. WA 39 I, 412, 445 f u. 477. Dazu Schloemann 1961, 31 – 36, 56 f u. 127.
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chenden ,Gebrauch‘ des (einen und identischen) Gesetzes, der kraft einer im Glauben gewonnenen Freiheit zur vorbehaltlosen Bejahung des Gesollten im Medium des Sündenbewusstseins an die Stelle des usus theologicus im Medium des verzweifelten Gewissens tritt. Für den Christen, und nur für diesen, ist das Gesetz ,unnötig‘ – will sagen: er erfüllt es ,ungenötigt‘.86
IV. Um abschließend und im Hinblick auf die zu Beginn projektierte Einzeichnung der Kierkegaardschen Ethik in den Kontext ihrer (nach-) aufklärerischen Verlagerungsgeschichte die historisch-systematische Stellung jener Ethik im Verhältnis zu Kant so knapp wie möglich zu pointieren, bietet die folgende Tagebuchnotiz Kierkegaards einen plausiblen Ausgangspunkt: „Habe Glauben, dann ist alles übrige ohne Bedeutung. Jedes andere Gut ist auf solche Weise dialektisch, dass doch immer ein ,aber‘ dabei ist, dergestalt, dass es von einer anderen Seite betrachtet vielleicht doch kein Gut ist. Der Glaube ist das Gut, welches solcherart dialektisch ist, dass er mich, selbst wenn mir das größte Unglück widerführe, dieses als ein Gutes sehen ließe.“ (NB4:28, SKS 20, 300)
Würden wir an den entsprechenden Stellen für ,Glaube‘ den Begriff des guten Willens einsetzen, so wäre das Ergebnis ein Aussagezusammenhang, der mit Recht beanspruchen dürfte, den Geist des Kantischen Standpunktes wiederzugeben. Und so wie für diesen der gute Wille als höchstes, nicht aber vollständiges Gut nur die Glückswürdigkeit des Menschen verbürgt, nicht aber deren proportionale Einheit mit der Glückseligkeit, ebenso für Kierkegaard der Glaube. Trotz dieser strukturellen Übereinstimmung hat sich im Voranstehenden gezeigt, dass mit der hier scheinbar rein terminologischen Differenz in Wahrheit Weichenstellungen von erheblicher sachlicher Tragweite verbunden sind, und zwar auch und gerade in ethischer Hinsicht. Nach meiner Einschätzung stellen Kierkegaards Überlegungen ein theoretisches Instrumentarium bereit, das nicht nur das christliche Proprium der Ethik, sondern auch das Verhältnis von Glaube und Handeln, Religion und Moral, Dogmatik und Ethik präziser, sachlich differenzierter und zu86 Vgl. hierzu, bezogen auf Luthers Ablehnung eines usus didacticus legis, Schloemann 1961, 24 f.
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mindest innertheologisch sachgemäßer zu bestimmen erlaubt als Kants Modell der Vernunftreligion. Historisch gesehen hat Kierkegaard die in Kants Denken kulminierende Verschiebung der Frage nach dem christlichen Akzent des Ethischen zu einer rein ethischen Akzentuierung des Christlichen natürlich weder aufhalten noch auch wirkungsgeschichtlich spürbar korrigieren können. Die neuzeitliche Theologiegeschichte hat, jedenfalls auf evangelischer Seite, eben nicht ihm, sondern Kant als dem vermeintlichen ,Philosophen des Protestantismus‘ ( J. Kaftan) recht gegeben. Die voranstehenden Überlegungen haben ihr Ziel nur, aber auch bereits immer dann erreicht, wenn sie den Verdacht zu wecken – und wachzuhalten – vermögen, dass zumindest innertheologisch gute Gründe für die Annahme sprechen, dass sie dessen Selbstverständnis damit aller Wahrscheinlichkeit nach unter Preis verkauft.
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Dass diese Einschätzung auch und gerade mit Blick auf das hier zur Debatte stehende Problem des Verhältnisses von Wollen und Können unzutreffend ist, belegt bereits ein Blick auf Luthers dezidierte Ablehnung des kantischen Prinzips in De servo arbitrio: vgl. Mü, Erg.bd. 1, 97 u. 138.
II. Zum theologischen Kontext der Leitfrage
11. ,Gott selbst ist ja dies: welcherart man sich mit ihm einlässt.‘ Subjektivität und Objektivität dogmatischer Reflexion bei Søren Kierkegaard Zumindest unter den Voraussetzungen des Christentums als einer ,denkenden Religion‘ (C.H. Ratschow) zielt Religionsphilosophie auf die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit etwas, von dem unterstellt wird, es sei authentischer Ausdruck des christlichen Glaubens, wahr, mindestens aber zu glauben vernünftig ist. Im Unterschied dazu gilt das Leitinteresse der christlichen Dogmatik der hier bereits als beantwortet vorausgesetzten Frage, was wahres Christentum – bzw. ob dies (eine als dogmatisch gültig behauptete Aussage) als sachgemäßer Ausdruck der Selbstauslegung des christlichen Glaubens gelten kann. Auch Kierkegaard setzt diese Distinktion voraus und operiert mit ihr.1 Dabei bewegt er sich zumindest in dogmatischer Hinsicht, ob bewusst oder nicht, in den Fußstapfen Schleiermachers, insofern sich hier die bei letzterem bereits angelegte Tendenz, Geltungsfragen auf Fragen der Genese bzw. Propositionalismus auf Expressivismus zurückzuführen, fortsetzt: Schleiermacher zufolge kann nur die, aber auch jede Glaubensaussage als dogmatisch sachgemäß gelten, die sich bündig auf eine bestimmte (hier: christliche) Gestalt der Frömmigkeit, d.h. auf genuin christliche Subjektivität als Variante des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls zurückführen bzw. genetisch aus dieser ableiten lässt.2 Genauso verhält es sich bei Kierkegaard – mit dem Unterschied, dass hier eine andere, nämlich dezidiert ethische Gestalt der Subjektivität als konstitutiv aus1 2
Vgl. SKS 7, 337 / GW1 AUN2, 75. Die zweite, mit der ersten unmittelbar verknüpfte Verschiebung, die bei Schleiermacher auftritt, betrifft die Eigenart und den Geltungsbereich der Religionsphilosophie und damit die Frage nach der Wahrheit des Christentums bzw. des christlichen Glaubens. Hier tritt an die Stelle des direkten ein indirektes Verfahren, d.h. an die Stelle des gegenstandsbezogenen Beweises (,existiert Gott?‘) die Rechtfertigung einer auf etwas als diesen bezogenen Haltung des Subjektes (,ist der Glaube an Gott gerechtfertigt, und wenn ja, unter welchen Bedingungen?‘).
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gegebenen wird für Möglichkeit und Genese dogmatisch gültiger Aussagen. Diese Akzentverlagerung, im Zuge derer aus materialdogmatischen Fragen (,was ist christlich zu glauben?‘) unversehens existenzdialektische (,bin ich Christ?‘) werden, sowie einige ihrer Probleme werde ich im Folgenden en détail diskutieren. In einem ersten Schritt geht es um die Erläuterung des Subjektivitätsbegriffs (= I.). Danach wird die erste von zwei Kernaussagen aus den Climacusschriften interpretiert, die nicht nur im vorliegenden Zusammenhang mit Recht als zentral, sondern zugleich als notorisch auslegungsbedürftig gelten (=II.). Beide Sätze stammen aus der Unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) bzw. aus dem darauf bezogenen Journal-Umfeld. Satz eins: Die „Subjektivität [ist] die Wahrheit“3. Satz zwei: Die Subjektivität ist „gerade auf ihrem Gipfelpunkt wieder die Objektivität“4. Die im dritten Abschnitt vorgenommene Explikation des zweiten Satzes – in dessen Beziehung zum ersten – wird zu erkennen geben, wie das als Obertitel meines Textes eingeführte Kierkegaard-Zitat5 zu verstehen ist; außerdem sollen hier einige fundamentaltheologische und dogmatische Konsequenzen des Kierkegaardschen Ansatzes erörtert werden, und zwar auch und unter anderem mit Blick auf konkrete materialdogmatische Beispielthemen, die bzw. deren Diskussion bei Kierkegaard den Ansatz in Funktion zeigen (= III.). Ich schließe mit einer knappen Kierkegaard-Kritik (= IV.).
I. 1. Vorab ein Lamento: Kierkegaard ist entweder Philosoph oder es gibt kein philosophisches Monopol auf hermetische Diktion. Will sagen: Nicht nur der Kierkegaard-hermeneutische Novize, sondern auch der Wiederholungstäter wird immer wieder jene frustrierende Lektüreerfahrung macht, die bereits Frederik Christian Sibbern, Kierkegaards philosophischer Lehrer an der Kopenhagener Universität, mit dem Ausspruch „In vielen Worten wenige Klarheit“6 ebenso lakonisch wie zutreffend kommentierte. Das gilt auch und im besonderen Maße für den im Kierkegaardschen Oeuvre nachgerade omnipräsenten Begriff der Subjektivität. Er wird beinahe ausnahmslos als Korrelat- oder Gegen3 4 5 6
SKS 7, 86 / GW1 AUN1, 194 u. passim. NB14:121, SKS 22, 414 / T 4, 65; vgl. SKS 7, 554f. / GW1 AUN2, 324f. Vgl. NB17:70, SKS 23, 215 / T 4, 156. Das (auch im Original deutsche) Zitat wird hier belegt nach Kirmmse 1996, 215.
,Gott selbst ist ja dies: welcherart man sich mit ihm einlässt.‘
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begriff zu Objektivität verwendet – und natürlich bezieht sich Kierkegaard hierfür ganz selbstverständlich auf idealistische Vorgaben, ohne dies jeweils im Einzelnen kenntlich zu machen oder sich und dem Leser gegenüber Rechenschaft abzulegen, inwieweit er diese übernimmt oder modifiziert. Immerhin, die zunächst verwirrende und allem Anschein nach wenig einheitliche Bandbreite der Verwendungsweisen lässt sich bei genauerem Hinsehen auf drei grundlegende Konnotationen zurückführen. Sowohl Subjektivität wie Objektivität bezeichnen erstens Einstellungen, Haltungen oder Dispositionen. Menschen tendieren aufgrund derartiger Dispositionen dazu, Vorstellungen einer bestimmten Art auszubilden – nämlich über sich selbst, die Welt (im Einzelnen wie im Ganzen), ihr Verhältnis zu sich und zur Welt sowie zu den Bedingungen des In-derWelt-Seins insgesamt. Zweitens spricht Kierkegaard von Subjektivität und Objektivität als Seinsweisen (,subjektiv sein‘, ,objektiv sein‘) und meint damit die Aktualisierung jener Dispositionen, entsprechend der durch sie vorgegebenen Bedingungen. Schließlich und drittens stehen beide Begriffe auch für das gegenständliche Korrelat, genauer für die je eigentümliche Art von Vorstellungen bzw. die gesamte Vorstellungswelt, die sich kraft jener Dispositionen ausbildet und als deren integraler, wenn auch in der Regel unterschwelliger Bestandteil sie fungiert.7 Die Einstellung der Subjektivität prägt dabei die Vorstellungswelt und -art dessen, den Kierkegaard durch den Mund seines Pseudonyms Climacus den ,subjektiven Denker‘ nennt. Hier wie auch im Falle der Objektivität (oder des ,objektiven Denkers‘) wird in erkenntnisanthropologischer Hinsicht zudem vorausgesetzt, dass in die Genese der entsprechenden Vorstellungen bestimmte affektive und volitive – und in diesem Sinne ebenfalls ,subjektive‘8 – Elemente mit eingehen, kurzum: dass beides, subjektives wie objektives Denken, wenngleich in unterschiedlicher Weise, interessegeleitet ist. 2. Dass sich Subjektivität zum einen und auf der aktuellen Ebene im bewussten Umgang mit gewissen Sachverhalten, anderseits aber bereits 7
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Vgl. z.B. SKS 13, 66 / GW1 ZS, 76, wo Kierkegaard von Objektivität als einer (und zwar ,unpersönlichen‘) Haltung im Verhältnis zum Wort Gottes als einer gleichfalls unpersönlichen (d.h. den Rezipienten nicht betreffenden oder verpflichtenden) Objektivität spricht. Mir ist jedenfalls keine Stelle bekannt, die belegen würde, dass Kierkegaard die entsprechenden Elemente (z.B. Leidenschaftslosigkeit) auf Seiten des objektiven Denkers ,objektiv‘ nennt.
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auf der dispositionellen Ebene jener Bedingungen, die in diesen bewussten Umgang eingehen und ihn prägen, zur Geltung bringt, lässt darauf schließen, dass wir mit verschiedenen Stufen und Typen bzw. Formen von Subjektivität rechnen müssen. Dafür spricht auch die doppelte Sinnrichtung der Definitionen oder Quasi-Definitionen, die Kierkegaard in diesem Zusammenhang beibringt: Zum einen wird Subjektivität mit der bloßen Möglichkeit der Aneignung9 oder der Möglichkeit des Geistes10 identifiziert, zum anderen mit Geist an sich11, mit unendlicher Selbstbekümmerung12 oder mit jenem Akt der Selbstreflexion, durch den Menschen – beispielsweise beim Lesen des Wortes Gottes – „an sich selber denken und sprechen: ,das bin ich‘ [von dem da die Rede ist]“13. Wir haben es also auf der dispositionellen Ebene mit einer, vor allem affektiv oder emotional geprägten14 Form von Subjektivität qua ,Unmittelbarkeit‘ zu tun, über der sich auf der Second-orderEbene eine zweite, reflexive und dabei eine Reihe unterschiedlicher Stadien und Entwicklungsstufen ausbildende Form der Subjektivität aufbaut, kraft derer sich ein Mensch im Medium von Bewusstsein und Wille (unter anderem) auf sich selbst und die eigene Primär-Subjektivität zurückbezieht. Beide Formen von Subjektivität stehen in Wechselbeziehung bzw. im Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit zueinander, wobei die Pointe darin liegt, dass ein Verhalten (i.S. von Subjektivität 2) zur eigenen Primär-Subjektivität (= Subjektivität 1), zumindest für den Menschen, nur im Medium der letzteren möglich ist: Der Mensch als endliche oder existierende Subjektivität kann sich nur subjektiv, d.h. unter Ein- und Mitwirkung seiner eigenen Primär-Subjektivität, zu dieser reflexiv verhalten, während sich Gott – als reine oder „unendliche Subjektivität“15 – „objektiv zu seiner eigenen Subjektivität“ (ebd.) verhält. So können Menschen, im Beispiel gesprochen, nur dann und dadurch die Frage reflektieren, ob sie einer Versuchung widerstehen oder ihr nachgeben sollen, dass sie etwas als Versuchung erfahren – dieser Einschränkung unterliegt Gott weder faktisch noch kann er ihr unter9 10 11 12 13 14
SKS 7, 122 / GW1 AUN1, 119. NB31:114, SKS 26, 84f. NB24:97, SKS 24, 380 / T 5, 30. SKS 7, 122 / GW1 AUN1, 119. SKS 13, 62 / GW1 ZS, 72. Vgl. z.B. SKS 15, 260 / GW1 BA, 120, wo Adlers Subjektivität mit Begriffen wie Erschütterung und Ergriffenheit beschrieben wird; vgl. auch NB7:102, SKS 21, 130f. und SKS 15, 268f. / GW1 BA, 129f. 15 NB33:23, SKS 26, 265 / T 5, 314.
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liegen. Auch hier ist allerdings zwecks Vermeidung von Missverständnissen Kierkegaards konsequent ambivalenter und also zu Verwirrung Anlass gebender Sprachgebrauch aufzuklären: Bedingt durch die stete Beeinflussung oder die mögliche Störung von Subjektivität 2 durch Subjektivität 1 kann es im Prinzip zu zwei Fehlformen kommen – und eine von diesen wird von Kierkegaard selbst als der fehlgeleitete Versuch beschrieben, sich objektiv zur eigenen Subjektivität, nämlich i.S. ihrer Ignorierung, Leugnung oder Vergleichgültigung zu verhalten.16 Die andere Fehlform ist die des subjektiven Verhaltens zum Objektiven, z.B. in Gestalt eines übersteigerten, da als schlechterdings existenztragend ausgegebenen Interesses an solchen (etwa wissenschaftlichen) Sachzusammenhängen, denen diese existenztragende Funktion weder zukommt noch zukommen kann. Übrig bleiben die recht verstandenen Varianten eines subjektiven Verhaltens zum Subjektiven bzw. eines objektiven Verhaltens zum Objektiven – auf die Bestimmungsgründe dessen, was hier ,recht verstanden‘ heißt, komme ich noch zurück. 3. Der sog. subjektive Denker ist aus Kierkegaards Sicht derjenige, der – und der allein – den genannten Fehlformen konsequent entgegenzusteuern vermag. Dass dieser ,subjektiv denkt‘, besagt nicht, dass sich seine Denk- und Vorstellungswelt aus willkürlichen Einfällen speist oder durchweg zu unbegründeten oder falschen Annahmen neigt; es besagt auch nicht, dass hier keinerlei Interesse an der Unterscheidung objektiv wahrer und falscher Vorstellungen oder Aussagen besteht oder dass sich der Betreffende in der Attitüde gefällt, Vorstellungen für wahr und / oder rational zu halten (zumindest als wahr oder rational zu behaupten), deren mögliche oder wirkliche Nichtübereinstimmung oder Inkompatibilität mit denen anderer Menschen er ignoriert, leugnet, billigend in Kauf nimmt oder sogar begrüßt. Es besagt lediglich, dass er das Interesse an der Antwort auf die Frage nach der objektiven Wahrheit einer Sache (bzw. einer Aussage über diese Sache) einem anderen Interesse nicht nur im Falle einer als unumgänglich unterstellten Güterabwägung, sondern prinzipiell und im Dienste seines leitenden Selbstverständnisses unterordnet, und zwar dem Interesse an einer Antwort auf die Frage: Kann ich 16 Vgl. z.B. SKS 13, 66 / GW1 ZS, 76; SKS 15, 272f. / GW1 BA, 134f.; NB2:57, SKS 20, 164 / T 2, 143; NB6:13, SKS 21, 17; NB10:68, SKS 21, 293; NB12:180, SKS 22, 253f.; NB14:121, SKS 22, 414; NB15:71, SKS 23, 49f.; NB33:23, SKS 26, 265 / T 5, 314; NB33:54, SKS 26, 301f. / T 5, 322f.; NB33:55, SKS 26, 302-304 / T 5, 323-326.
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das durch Sachverhalt X bzw. das durch Aussage X zur Sprache Gebrachte aneignen? 17 Auf den Aneignungsbegriff komme ich zurück; hier geht es zunächst nur um die typisierende Gegenüberstellung des subjektiven und des objektiven Denkers. Letzterer urteilt und verfährt naheliegender Weise genau umgekehrt. Freilich muss der Objektivist keineswegs rundweg bestreiten, dass Sachverhalte oder Wahrheitsansprüche denkbar sind, die eine Aneignung ermöglichen oder erforderlich machen. Er wird jedoch einerseits die Grenze zwischen denjenigen Fragen, die – jedenfalls aus seiner Sicht – auf objektivem Wege beantwortet werden können, und denen, die eine subjektive Antwort erfordern, an anderer Stelle ziehen als der subjektive Denker. Und er wird andererseits die objektive Fragerichtung für die maßgebliche, die genuin subjektive hingegen für die sekundäre und zudem in ihrem Recht durch die objektive allererst begründete und begrenzte betrachten. Ein Kierkegaardsches Beispiel – die Aussicht auf Teilhabe an einer ewigen Seligkeit – macht den Unterscheid klar: Der objektive Denker wird als solcher die Frage nach den Wahrheits- oder Rationalitätsbedingungen des Glaubens an eine ewige Seligkeit bzw. die nach der faktischen Erfüllung jener Bedingungen der genuin subjektiven Frage vorund überordnen, ob er selber diesen Glauben hat und inwieweit die Beantwortung dieser Frage als folgeträchtig gelten muss im Blick auf seine eigene mögliche Teilhabe an dem in Aussicht gestellten Gut sowie im Blick auf die Möglichkeit, dasjenige überhaupt sachgemäß zu erfassen, zu beschreiben und als integralen Bestandteil des christlichen Glaubens zu identifizieren, was durch den Ausdruck ewige Seligkeit bezeichnet wird. Der subjektive Denker verfährt und urteilt genau umgekehrt. Er wird zudem – ob zu Recht oder Unrecht, steht hier nicht zur Debatte – Ansatz und Verfahren des objektiven Denkers, zumindest im vorliegenden Fall, als unzulässige Grenzüberschreitung brandmarken und beides als Ausdruck der ,Existenzvergessenheit‘ bzw. eines fehlgeleiteten Selbstverständnisses werten, das sich als solches ,in der Objektivität verlaufen hat‘18. 4. Über die bloß exemplarische Erläuterung des Unterschiedes beider Denkweisen und Einstellungen hinaus erheben sich an dieser Stelle zwei 17 Vgl. SKS 7, 122 / GW1 AUN1, 119, hier definiert Climacus Subjektivität als „Möglichkeit der Aneignung“. 18 Es versteht sich von selbst, dass der subjektive Denker aus der Sicht des objektiven wiederum anders erscheint als dieser aus der Perspektive des subjektiven – oder beide aus je eigener Sicht.
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grundsätzliche Fragen. Erstens die nach Eigenart und der Extension des Aneignungsfähigen und -bedürftigen: Von welcher Art und welchem Umfang ist jene Entitätenklasse, auf die die Prädikate aneignungsfähig und aneignungsbedürftig überhaupt zutreffen? Zweitens: Welche Gründe lassen sich für die Annahme ins Feld führen, dass die subjektive Reflexion gegenüber der objektiven prinzipiellen oder zumindest situativ-bedingten Vorrang genießt – und welche von diesen Gründen machen Kierkegaard und / oder Climacus geltend? Zur ersten Frage: Der Ausdruck Aneignung bezieht sich im vorliegenden Kontext nicht auf die Fähigkeit der Inbesitznahme von Dingen, sondern von Sachverhalten, Wahrheitsansprüchen oder Vorzüglichkeitsurteilen. Es geht also gewissermaßen um geistige Inbesitznahme. In formaler Vorzeichnung meint Aneignung dabei nichts anderes als die Fähigkeit, einen Sachverhalt durch sich selbst als wahr und wirklich zuzueignen oder in Besitz zu nehmen. Das Aneignungsfähige ist infolgedessen mit denjenigen Sachverhalten oder Sachverhaltsklassen koextensiv, die ein Mensch durch sich selbst wirklich sein oder wirklich werden lassen kann. Daraus folgt erstens, dass der Aneignungsvollzug undelegierbar, sein Resultat unübertragbar ist: Aneignung ist nur aus erster Hand bzw. in der Perspektive der ersten Person möglich. Zweitens scheidet (den Prämissen der Kierkegaardschen Erkenntnistheorie zufolge) Denken als Medium – genauer: als alleiniges Medium – des Aneignungsvollzuges aus: Alles Denken löst Wirklichkeit in Möglichkeit auf 19 ; somit kann weder die bloße Empirie, die die Wahrheit über ihren Gegenstand (das empirische, z.B. historische Sein) in ein unendlich approximiertes Desiderat verwandelt, noch das abstrakte Denken die Wirklichkeit erreichen: Letzteres bringt es zwar zu einer prinzipiellen Übereinstimmung von Denken und Gegenstand (z.B. in Form von logischen und mathematischen Urteilen), aber nur um den Preis der Verwandlung des faktischen in jene Sphäre des idealen Seins, in dem Sein und Gedachtsein tautologisch zusammenfallen. Aber auch der Versuch einer dialektischen Aufhebung des abstrakten und des empirischen Denkens im Medium einer genuin spekulativen Rekonstruktion der Identität von Denken und Wirklichkeit ist zum Scheitern verurteilt, und zwar (unter anderem20) deshalb, weil er auf einem fundamentalen Missverständnis der Begriffe Wirklichkeit und Denken bzw. Denkbares beruht und in der 19 Vgl. SKS 7, 288 / GW1 AUN2, 17. 20 Vgl. dazu im Detail H. Schulz 1996a, 205-223.
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Konsequenz auf wenig mehr hinausläuft als eine sich selbst und die eigene Leistungsfähigkeit missverstehende Spielart der Abstraktion. Fazit: Dasjenige Sein, mit dem das objektive Denken übereinzustimmen vermag, ist entweder nicht das wirkliche; oder es vermag nicht mit ihm (restlos) übereinzustimmen. Weder Wahrheit noch Wirklichkeit sind im Medium des Wissens bzw. allgemeiner im Medium des Denkens allein erreichbar – und also auch nicht allein in diesem Medium aneignungsfähig. Ergo sind sie entweder überhaupt nicht aneignungsfähig oder aber nur im Medium von etwas, das nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich Denken ist. Dieser Befund motiviert im Umkehrschluss zu einer Dreifachthese: Erstens fällt nur dasjenige in die Klasse des Aneignungsfähigen und / oder -bedürftigen, was – im Blick auf die objektive Übereinstimmung von Denken und Wirklichkeit – ungewiss ist: das objektiv Unentscheidbare, bestenfalls Wahrscheinliche, äußerstenfalls Paradoxe. Zweitens kann, eben deshalb, von Wirklichkeit nurmehr da gesprochen werden, wo die Übereinstimmung von Denken und Sein als einer objektiven unerreichbar ist. Und weil drittens nur und immer da, wo Interesselosigkeit herrscht, Denken und objektives Wissen möglich sind, muss das gesuchte Aneignungsmedium der Wirklichkeit als einer solchen ein eminent interessegeleitetes – es muss in Kierkegaards Diktion seinem Herkunftsbereich nach: Leidenschaft – sein. Nun ist laut Climacus in der Tat eine, freilich nur eine „einzige Wirklichkeit [denkbar], um die ein Existierender mehr als wissend ist“ bzw. sein kann: „seine eigene Wirklichkeit, daß er da ist“ – und eben diese Wirklichkeit ist, als solche, daher zugleich „sein absolutes Interesse“21, mithin seine höchste Leidenschaft. Als ein am Gelingen des eigenen Existierens unendlich interessiertes findet sich das existierende Subjekt demnach, zumindest idealiter gesehen, im Zustand eines bewussten ,inter-esse‘, eines Zwischenseins, das als solches (a) durch Nichtübereinstimmung von Denken und Sein bzw. von Idealität und Faktizität und zugleich (b) durch das Streben, diese zu überwinden, qualifiziert und bestimmt ist. In diesem und nur in diesem Bereich ist Kierkegaard zufolge Subjektivität qua Aneignung möglich und erforderlich. 5. Wie steht es unter diesen Voraussetzungen mit dem Verhältnis von Aneignungsfähigkeit und -bedürftigkeit? Wenn ich recht sehe, tendiert Kierkegaard zu der Auffassung, dass diesbezüglich drei und nur drei Gegenstandsbereiche oder Sachverhaltsklassen unterschieden werden 21 SKS 7, 288 / GW1 AUN2, 17; Hervorh. H.S.
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bzw. als sinnvoll gelten können: erstens solche, deren Aneignung überflüssig, weil unmöglich ist; zweitens solche, die aneignungsfähig und aneignungsbedürftig, und drittens solche, die aneignungsbedürftig, aber nicht aneignungsfähig sind. Eine mögliche, aber nicht notwendige Aneignung scheidet aus: Alles, was Aneignung ermöglicht, verpflichtet auch zu ihr, Können impliziert Sollen. Somit ergibt sich: Nur das (aber nicht all das), was aneignungsbedürftig ist, ist auch aneignungsfähig. Die Begründung für diese eigenartige Auffassung (insbesondere im Blick auf das behauptete Implikationsverhältnis von Können und Sollen) lasse ich vorerst auf sich beruhen – ich komme in Kürze darauf zurück. Zunächst und zu Veranschaulichungszwecken ein vorläufiges Schema nebst einschlägigen Beispielen:22 Aneignung möglich
Aneignung unmöglich
Aneignung erforderlich
z.B. Schuld
z.B. Sünde
Aneignung überflüssig
-
z.B. logische und mathematische Gesetze; historische Fakten (vgl. SKS 7, 177 / GW1 AUN1, 184)
II. Die Beantwortung der zweiten o.g. Frage steht noch aus. Sie wird uns nicht nur instand setzen, dem Sinn der berüchtigten These von der Subjektivität als Wahrheit auf die Spur zu kommen, sondern sie wird auch 22 Nicht übersehen werden darf hierbei, dass alle nachgenannten Beispiele laut Kierkegaard auch in missverstandener Weise zum Gegenstand gemacht werden können: Sünde in objektiver Weise, mathematische Zusammenhänge ,mit der Leidenschaft der Unendlichkeit‘ etc. Im Schema abgebildet ist ausschließlich die ideale Verhältnisbestimmung. Eine detaillierte Erläuterung der Beispiele müsste ferner verdeutlichen, dass und inwiefern Sinn und Plausibilität der jeweiligen Zuordnungen vom entsprechenden theoretischen Referenzrahmen abhängig sind: Z.B. verdankt sich der dilemmatische Umstand, dass Sünde aneignungsbedürftig ist, aber – NB: vom sündigen Subjekt – nicht aus eigener Kraft angeeignet werden kann, einer Betrachtungsweise, die erst und allein unter genuin christlichen Vorzeichen, d.h. unter Voraussetzung der Subjektivität als Unwahrheit (vgl. SKS 7, 189 / GW1 AUN1, 198) als möglich und sinnvoll erscheint (vgl. auch SKS 4, 222-229 / GW1 PB, 11-19; SKS 7, 530f. / GW1 AUN2, 296f.).
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zu erkennen geben, inwiefern die Subjektivität mit Kierkegaard gesprochen auf ihrem Kulminationspunkt ,wieder die Objektivität‘ ist. Die Frage lautete ja: Wie begründet der subjektive Denker die Möglichkeit und Notwendigkeit einer (sei es prinzipiellen, sei es situativ bedingten) Unterordnung des Objektivitäts- unter das Subjektivitäts-Prinzip? Oder anders gefragt: Unter welchen Bedingungen mag es sinnvoll, ja u.U. unumgänglich sein, die Frage nach der Art und Weise des eigenen Verhltnisses zu einer Sache der Frage nach deren objektiver Wahrheit vorund überzuordnen – mit der Konsequenz, dass dies Verhältnis zur eigentlich fragwürdigen, weil entscheidenden ,Sache‘ wird? 23 Antwort: Dies ist genau dann der Fall, wenn es sich um Sachverhalte handelt, die weder verstehbar noch als vorliegend nachweisbar sind, ohne dass sich derjenige, der sie zu verstehen oder als vorliegend nachzuweisen versucht, zuvor eine Antwort auf die genannte (genuin subjektive) Frage gegeben hat; immer dann also, wenn der Sinn und die Geltung einer Aussage über einen Sachverhalt von einer bestimmten (hier: subjektiven) Weise des Zustandekommens dieser Aussage abhängig sind. Im Falle der Verliebtheit (ein Beispiel, das Kierkegaard zu heuristischen Zwecken häufig heranzieht24) leuchtet das unmittelbar ein. Der Verliebte hält das begehrte Objekt, als ein Geliebtes, für schön; die Frage, ob er mit Recht so urteilt, lässt sich nicht abgesehen vom undelegierbaren Einnehmen jener Perspektive der ersten Person entscheiden, aus der dies, und zwar eben im Medium des Verliebtseins, konstatiert wird und einzig konstatiert werden kann. Schön ist alles (und vielleicht auch nur das), was in Liebe betrachtet wird (Chr. Morgenstern); erscheint etwas als hässlich oder jedenfalls als nicht schön, so kann das folglich nur daran liegen, dass es entweder im Medium der Abscheu – als einer entgegengesetzten Form von Subjektivität – oder aber in dem der Gleichgültigkeit, d.h. aus dem Blickwinkel der Objektivität, wahrgenommen und taxiert wird. Wenn jemand wissen will, ob der von ihm betrachtete Gegenstand in Wahrheit schön genannt zu werden verdient, dann kann er sich mithin erstens nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich auf das Urteil anderer verlassen; zweitens muss er das Missverständnis einer werkästhetisch-objektiven Betrachtung vermeiden und stattdessen rezeptionsästhetisch-subjektiv fragen – d.h. er muss sich Rechenschaft darüber ablegen, welches Verhältnis er selbst zum betrachteten Gegenstand einnimmt bzw. einnehmen will, und ob dieses 23 Vgl. SKS 7, 121 u. 186 / GW1 AUN1, 118 u. 194. 24 Vgl. z.B. SKS 7, 57 / GW1 AUN1, 49; SKS 15, 269, 273, 276 / GW1 BA, 130, 134f., 138.
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Verhältnis diejenigen Bedingungen erfüllt, deren Erfüllung die Möglichkeit einer affirmativen Antwort konstituiert, mindestens aber notwendig bedingt. Climacus formuliert die entsprechende Regel so: Bei allem Erkennen, bei dem „der Gegenstand der Erkenntnis die Innerlichkeit der Subjektivität selbst ist, ist es erforderlich, daß der Erkennende in ebendiesem Zustand ist“25. Und diese Bedingung ist, wie wir gesehen haben, nur, aber auch überall da erfüllt, wo es um den Seins- und Gegenstandsbereich dessen geht, was Climacus – aus eben diesem Grund – „wesentliche[] Wahrheit“26 nennt, im Unterschied zu jenen objektiven, aber existentiell irrelevanten (z.B. mathematischen) Wahrheiten, die als solche eine subjektive Aneignung weder erfordern noch im strengen Sinne ermöglichen. Religionsphilosophisch oder fundamentaltheologisch entscheidend ist natürlich die Frage, ob unter diesen Vorzeichen der Glaube an Gott (bzw. der an die ewige Seligkeit und / oder die eigene Unsterblichkeit) als ein Modus der Liebe, d.h. seinerseits als eine Variante jenes unendlichen Bedürfens interpretiert zu werden verdient und verlangt, dessen Vorhandensein die Möglichkeit wahrer und dogmatisch korrekter Aussagen über Gott zumindest notwendig bedingt. Climacus lässt daran keinen Zweifel. Demnach steht die ewige Seligkeit nur dem, aber auch für jeden in Aussicht, der für die Anteilhabe an ihr alles unvermeidliche Leiden in Kauf zu nehmen bzw. handelnd auf eine Karte zu setzen bereit ist, wobei er Climacus zufolge im unendlichen Bedürfnis nach diesem Gut bereits selber an ihm Anteil gewinnt und zugleich, freilich auch nur auf diese Weise, eine sachgemäße Vorstellung von ihr zu generieren vermag: Die ewige Seligkeit hat, „als das absolute Gut, die Merkwürdigkeit, daß es sich einzig und allein durch die Weise, wie es erworben wird, definieren läßt“27.
25 SKS 7, 57 / GW1 AUN1, 49. 26 SKS 7, 182 / GW1 AUN1, 190. 27 SKS 7, 388 / GW1 AUN2, 134; im Orig. teilweise kursiv. Diese Formulierung ist nach meinem Dafürhalten selbst dann Ausdruck einer unzulässigen Überspitzung, wenn man die zugrunde liegende Subjektivitätsthese für prinzipiell zutreffend hält: Statt ,definieren‘ kann allenfalls ,identifizieren‘ gemeint sein.
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III. 1. Die Tatsache, dass Subjektivität unter bestimmten Voraussetzungen zur Genese wahrer Vorstellungen beitragen, ja deren Möglichkeit u.U. notwendig und hinreichend bedingen kann, liefert zugleich Anhaltspunkte für die Interpretation einer fundamentaltheologisch weitreichenden These Kierkegaards: der These, dass die Subjektivität ,auf dem Höhepunkt‘ mit der – hier: dogmatischen – Objektivität koinzidiert. Zu heuristischen Zwecken auch hier zunächst eine außertheologische Analogie: Ein halb verhungerter Wanderer findet im Wald einen Pilz, dessen Sorte er nicht kennt. Ob dieser, wie er inständig hofft, seinen Hunger stillen kann; ja, mehr noch: wie es um diesen selber bestellt ist (nämlich im Blick auf die Frage, ob er in die Klasse der essbaren Pilze fällt); dies alles wird er nicht herausfinden können, ohne dass er den Pilz – auf die Gefahr hin, vergiftet zu werden – tatsächlich verzehrt; und er wird dies noch weniger ohne jenen Hunger herausgefunden haben können, der ihn zu jener aus einem leidenschaftlichen Bedürfen geborenen Idee oder Abduktion28 allererst veranlasst hat, wonach der Pilz möglicherweise essbar ist und ihn als solcher vor dem sicheren Hungertod bewahren kann. Umgekehrt wird jener bedauernswerte Wanderer seiner selbst im Blick auf das wahre Ausmaß seines Hungers bzw. der Dringlichkeit, dass dieser gestillt wird, erst im Modus der plötzlich aufblitzenden, abduktiven oder quasi-divinatorischen Einsicht gewahr werden, dass es eben ,dieser Pilz dort‘ ist, der seine Not wenden könnte. In einer Rede von 1848 verknüpft Kierkegaard ein ähnliches Beispiel mit Überlegungen, die verständlich machen sollen, inwiefern die Subjektivität auf ihrem Gipfelpunkt (d.h. im Augenblick der höchsten Leidenschaft) wieder die Objektivität ist bzw. wird. Auch in dieser Hinsicht hat die zugrunde liegende These von der Subjektivität als Wahrheit sinnerschließende Funktion: Sie ,ist‘ die Wahrheit, indem sie – jedenfalls unter bestimmten Bedingungen (s.o.) – der kürzeste Weg zur Generierung von Wahrheitsgewissheit sowie zu ihrer Bekräftigung ist, kurzum, indem sie als Wahrmacher (truthmaker) und als Möglichkeitsbedingung ihrer Genese fungiert. Der neue Gedanke, der im betreffenden Abschnitt der Rede29 auf den Plan tritt, betrifft die genetischen und wohl auch logischen Möglich28 1. Dies ist ein Pilz. 2. In der Regel sind Pilze essbar. 3. Dieser Pilz ist essbar. Vgl. zu Begriff und Verfahren der Abduktion bzw. Retroduktion z.B. Peirce 1995. 29 Vgl. SKS 10, 250ff. / GW1 CR, 264ff.
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keitsbedingungen einer Einsicht in das, was die theologische Tradition fides quae nennt. Präziser formuliert geht es um die Frage, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen eine Übereinstimmung, ja mehr noch, eine innere Teleologie oder quasi-prästabilierte Harmonie von Subjektivität und Objektivität des Glaubens möglich ist. Kierkegaard bejaht das: Sie ist möglich, freilich nur, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens, dass Gott existiert – ein Gott, der beides, das leidenschaftliche Bedürfnis nach Glaubensgewissheit und dessen Befriedigung im Medium jener Gewissheit zusammenfügt, mithin „vermöge einer göttlichen Bestimmung [i Kraft af en Guds Bestemmelse]“30. Zweitens ist eine wenigstens rudimentäre Kenntnis derjenigen Prädikate vorauszusetzen, die Gott innerhalb eines gegebenen religiösen Kulturkreises zugesprochen werden; der angefochtene bzw. um Glaubensgewissheit ringende Einzelne muss demnach seine im Kontext der ,bestehenden Christenheit‘ immer schon als gegeben vorauszusetzende ,Kenntnis‘ (in protestantischer Tradition: notitia) Gottes mit seinen eigenen Erfahrungen so ins Verhältnis setzen, dass er das ,Bekannte‘ auch mit Bezug auf diese Erfahrungen im Glauben als wahr anzueignen und ihren Gegenstand für sich selbst als unbedingt vertrauenswürdig zu begreifen vermag. Streng genommen wird also eine Kenntnis des christlichen Gottes hier nicht ab ovo generiert, sondern lediglich im Medium der glaubenden und dabei stets anfechtungsbedrohten Wiederaneignung als gewiss bestätigt oder erneut ratifiziert.31 Drittens muss es sich auf Seiten des um Glaubensgewissheit ringenden Subjektes um ein berechtigtes Bedürfnis handeln; denn nicht schlechthin jedes Bedürfen kann auf das Zustandekommen der beschriebenen Einheit zwischen Subjektivität (Bedürfnis) und Objektivität (Bedürfnisbefriedigung) hoffen. Eine solche Hoffnung ist vielmehr genau dann berechtigt, wenn es sich, wie analog im Falle der halbverhungerten Wanderers, um das Bedürfnis nach etwas als einem – hier: im geistigen Sinne – berlebensnotwendigen bzw. als überlebensnotwendig Erfahrenen handelt.32 Nur, aber auch immer dann, wenn diese drei Bedingungen 30 Ebd., 251 / 265. 31 Deshalb führt Kierkegaard die Verwirrung Adlers unter anderem auf dessen mangelnde Schulung in der christlichen Begriffssprache zurück – mit der Konsequenz, dass dieser Subjektivität (religiöse Erschütterung) und Objektivität (göttliche Offenbarung) verwechselt: vgl. SKS 15, 267-271 / GW1 BA, 127132. 32 Dabei besteht die hier nicht näher zu erläuternde existenzdialektische Pointe Kierkegaards darin, dass jeder, der den Anspruch auf Befriedigung seines (Glaubens-)Bedürfnisses mit Recht geltend machen dîrfte, darauf verzichten
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erfüllt sind, darf man Kierkegaard zufolge mit Recht unterstellen, dass die im leidenschaftlichen Bedîrfen danach gewonnene Gewissheit des Glaubens an Gott als Liebe den spirituellen Hunger des Menschen als Geistwesen in ganz analoger Weise stillen wird wie der Verzehr eines im lebensbedrohlichen Nahrungsmangel als essbar entdeckten Pilzes den leiblichen Hunger des Menschen als Sinnenwesen. 2. Wenn Kierkegaard Recht hat, bringt mithin die ,Subjektivität‘ auf dem Höhepunkt der leidenschaftlichen Innerlichkeit die – eben darin – quälend entbehrte ,Objektivität‘, d.h. die genuin christliche, in ihrer Wirkung den Adressaten gewiss machende und befreiende Gottesvorstellung selber mit hervor, und zwar als eine solche, die wenn auch nicht notwendigerweise im gegenständlichen Sinne wahr, so doch mindestens die wahre christliche Gottesvorstellung zu sein beanspruchen kann. Wie dieser ,Umschlag‘ in die Objektivität in concreto zu denken ist, führt Kierkegaard in einer Journalnotiz von 1849 am Problem der sog. Parusieverzögerung aus: „Die ganze Schwierigkeit damit, dass Christi Wiederkunft als nahe bevorstehend [nærforestaaende] vorausgesagt wird und doch noch nicht eingetreten ist, erkläre ich, indem ich darauf aufmerksam mache, dass es eine subjektiv wahre Erwiderung [en subjektiv sand Replik] ist … Das will heißen, es ist in dem Maße qualvoll, der wahre Christ zu sein, dass es nicht auszuhalten wäre, falls man nicht ständig Christi Wiederkunft als jetzt bevorstehend erwartete. Die Qual, das Leiden gebren eine notwendige Illusion [føder en nødvendig Illusion]. Man kann deshalb umgekehrt sagen, jeder, der nicht auf solche Weise spricht, sondern … der Christi Wiederkunft in vielen Jahrhunderten erwartet, der ist kein wahrer Christ … Im gleichen Maße, wie das Bedürfnis größer ist, im gleichen Maße ist das Nährende näher, das Nährende ist im Bedürfnis [Næringen er i Trangen], wenn es auch nicht das Bedürfnis ist, so ist es doch das ihm Nächste [det Nærmeste].“ (NB11:147, SKS 22, 85f. / T 3, 242f.; Hervorh. H.S.)
Es sind laut Kierkegaard die Qualen des Christseins, die die ersten Christen dazu veranlasst haben, unter den anfechtenden Bedingungen einer glaubensfeindlichen Umwelt eine elementare Glaubensaussage aus dem Bereich der Eschatologie zu ,gebären‘ (,die Wiederkunft Christi zum Ende der Welt und zum letzten Gericht steht unmittelbar bevor‘). Dabei handelt es sich um eine Aussage, die wenn auch nicht als ,objektiv‘ wahr, so doch als christlich normativ bzw. als wahre christliche Gottesvorstellung würde, ihn zu erheben. Umgekehrt macht dieses Recht de facto jeder, der ihn erhebt, zunichte – indem er das tut.
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gelten kann und muss. Sie ist ,subjektiv wahr‘, weil und insofern ihre Genese auf ein echtes, d.h. im geistigen Sinne überlebensnotwendiges Bedürfnis zurückgeführt werden kann und dieses zugleich befriedigt, d.h. ,eine Not wendet‘. Und sie ist eine christlich-dogmatisch wahre – oder besser: sachgemäße – Aussage, weil und insofern sie unzweifelhaft über dieses subjektive Fundament verfügt. Das erkenntnistheoretisch Bemerkenswerte an dieser Auffassung ist ihr radikal pragmatistischer Grundzug: Weil, wenn und in dem Maße wie ein Glaubenssatz der Not eines höchsten (geistigen) Bedürfens entspringt und die Not dieses Bedürfens zugleich wendet, ist er ,wahr‘ – wahr i.S. dessen, was Christentum ideal gesehen oder ,wahres Christentum‘ bedeutet. Grundsätzlich gesprochen sind auf dem Gebiet der Religion alle und nur diejenigen Sätze wahr, die, als Glaubenssätze, eine Not wenden, der sie selber entsprungen sind: weil, wenn, solange und in dem Maße, wie sie das tun.33 Dass sie unabhängig davon, so wie im vorliegenden Fall, in (z.B. historisch)korrespondenztheoretischer Hinsicht nicht nur problematisch und bis auf weiteres begründungsbedürftig, sondern nachweislich falsch sind, so dass der ihre Geltung gleichwohl Behauptende einer Illusion aufsitzt, ist demgegenüber völlig unerheblich. 3. Mit Absicht gebrauche ich hier die Formulierung ,alle und nur diejenigen Sätze …‘. Denn im Unterschied zur schwächeren, in der oben zitierten Rede von 1848 vertretenen These, derzufolge das unbedingte religiöse Bedürfen dessen Befriedigung in Form entsprechender Glaubenssätze lediglich genese- und geltungshinreichend bedingt, beruft sich Kierkegaard später wiederholt auf die stärkere Version dieser These, wonach jede und nur diejenige Gottesvorstellung Anspruch auf dogmatische Objektivität erheben kann, die im unendlichen Bedürfen nach eben dieser Vorstellung wurzelt. Dies jedenfalls legt jene Formulierung nahe, die ich bereits im Titel meines Vortrags zitiert habe: „Gott selbst ist ja dieses: welcherart man sich mit ihm einlässt … Im Verhältnis zu Gott ist ,welcherart‘ ,was‘. Wer sich mit Gott nicht auf die Art und Weise der unbedingten Hingebung [ubetinget Hengivelse] einlässt, der lässt sich
33 Vgl. Pap. VI B 98,70, wo Kierkegaard im Gegenzug zur ,Illusion der Unmittelbarkeit‘ und i.S. eines gen. subj. von der „höheren Illusion der Religiosität [Religieusitetens høiere Illusion]“ spricht; dazu ferner Papir 158, SKS 27, 140 / T 1, 79; JJ:288, SKS 18, 231 / DSKE 2, 239; Pap. V B 155, 268.
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überhaupt nicht mit Gott ein.“34 Der durch dieses Zitat gestützten stärkeren Lesart zufolge ist Gott, christlich verstanden, infolgedessen niemand anderer als der, zu dem sich ein Mensch dadurch in völliger Hingabe verhält, dass er unendliche Not fühlt. Dass diese subjektive Genese- und Geltungsregel von Glaubensaussagen, sowie hiervon abgeleitet von dogmatischen Sätzen, im Übrigen nicht nur im Ausnahmefall Anwendung finden soll, sondern prinzipiell – und d.h. eben: als fundamentaltheologische Regel –, beweist in diesem Zusammenhang Kierkegaards wiederholter Rekurs auf Luther: Dieser habe zu Recht erklärt, dass die „ganze Lehre (von der Versöhnung, und im Grunde das ganze Christentum) auf den Kampf des geängsteten Gewissens zurückgeführt werden muss“35. So wie im oben angeführten Beispiel allein der und jeder hungrige Wanderer die geeignete Nahrung zu erkennen bzw. zwischen Essbarem und Nicht-Essbarem zu unterscheiden vermag, so erkennt auch jeder und nur derjenige, den es im Medium des geängsteten Gewissens vor Gott unendlich danach verlangt, die Versöhnung mit und durch Gott (sowie deren christologische und hamartiologische Implikationen) als das sein Bedürfnis allein Befriedigende; denn „eine Versöhnung ist nur notwendig im Sinne des geängsteten Gewissens“ (ebd.; Hervorh. H.S.), bzw. für dieses und aus dessen Perspektive. Und da sich das Verständnis aller Glaubensaussagen bzw. der christlichen Dogmatik insgesamt auf das Verstehen der Versöhnung und ihrer individuellen und universalen Not-wendigkeit zurückführen lässt, versteht auch ( jedes und) nur „das geängstete Gewissen … das Christentum“ (ebd.) im Ganzen.
34 NB17:70, SKS 23, 215 / T 4, 156 (Hervorh. H.S.). Auch dieses Zitat weist die charakteristische Ambivalenz des Subjektivitätskriteriums als eines bezüglich der Objektivität des Glaubens lediglich notwendigen oder aber notwendigen und hinreichenden auf. Ich halte letzteres, unter Berufung auf den ersten Teil des Zitates, für die autoritative bzw. exegetisch verbindliche Lesart. In diesem Sinne würde Kierkegaard der folgenden These Wittgensteins sicherlich zustimmen und diese in seinen Standpunkt überführen können: „Die christliche Religion ist nur für den, der unendliche Hilfe braucht, also nur für den, der unendlich Not fühlt.“ (Wittgenstein 1980, 46.) Erweitert und reformuliert i.S. von NB17:70, SKS 23, 215 / T 4, 156 heißt das: Gott ist, christlich verstanden, niemand anderer als der, zu dem sich ein Mensch dadurch in völliger Hingabe verhält, dass er unendliche Not fühlt. 35 NB:79, SKS 20, 69 / T 2, 71; vgl. ferner NB6:90, SKS 21, 67; NB26:66, SKS 25, 69f.
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4. Ich habe Kierkegaard in einem früheren Text36 mit dem doppelten Hinweis kritisieren zu müssen geglaubt, dass seine Koinzidenz-These nicht nur auf einer – als solcher prinzipiell bestreitbaren – hermeneutischzirkulären Vorentscheidung beruht, sondern dass sie auch möglicherweise undurchführbar ist. Ich bin inzwischen nicht mehr sicher, ob sich der zweite Vorwurf halten lässt. Die Tatsache, dass Kierkegaard selber gar nicht erst den Versuch unternommen hat, das Subjektivitätsprinzip in der Ausarbeitung einer materialen Dogmatik durchzuführen, scheint meinen Verdacht zwar auf den ersten Blick zu bestätigen: Es könnte ein Zeichen dafür sein, dass er selbst geahnt hat, dass der Versuch seiner konsequenten Umsetzung auf möglicherweise unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen würde. Indes, diese scheinbare Stützung des Verdachtes greift zu kurz: Zum einen hat sich Kierkegaard, wenn ich recht sehe, nicht etwa aus Gründen einer angeblich erkannten Undurchführbarkeit im materialen Detail geweigert, eine christliche Dogmatik auszuarbeiten, sondern schlicht deswegen, weil er offenkundig der Auffassung war, dass jedes mehr oder minder weitläufige Sich-Einlassen auf Lehrstreitigkeiten dem aus seiner Sicht einzig christentumskonformen Projekt einer Kommunikation der christlichen Botschaft als einer auf Aneignung angelegten Existenzmitteilung de facto einen Bärendienst erweisen würde. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die zwangsläufig direkte Form der dogmatischen Kommunikation dem Gehalt dessen, was mitgeteilt werden soll, geradewegs widerspricht, die leitende Absicht jenes (recht verstanden allein indirekt möglichen) Kommunikationsvollzuges also vereiteln würde. Vor diesem Hintergrund hat Kierkegaard ausdrücklich dafür votiert, die Dogmatik durch eine christliche Theorie der Redekunst oder Rhetorik zu ersetzen37, und er hat diese nicht nur in einer Reihe von Vorlesungsentwürfen (!) zumindest im Umriss ausgearbeitet38, sondern ihre leitenden Prinzipien auch in concreto umgesetzt, vor allem im Korpus der erbaulichen Reden. Ich gestehe, dass trotz dieses Kierkegaardschen Vetos die Vermutung für mich nach wie vor einen gewissen Charme besitzt, dass sich eine Durchführung des Koinzidenz-Prinzips im materialdogmatischen Detail am Ende als möglich erweisen könnte, und zwar mit einer im Vergleich zu Schleiermacher durchaus konkurrenzfähigen methodischen und in36 H. Schulz 2007, 337-380. 37 Vgl. JJ:305, SKS 18, 236 / DSKE 2, 244; NB24:154, SKS 24, 421 / T 5, 42f.; NB27:83, SKS 25, 198; dazu H. Schulz 2010, 81-98. 38 Vgl. Papir 364-371, SKS 27, 389-434 / T 2, 113-127.
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haltlichen Stringenz. Als erster ermutigender, wenngleich einigermaßen vorläufiger Beleg für Sinn und Durchführbarkeit eines solchen Unternehmens mag die Beobachtung dienen, dass Kierkegaard selbst – wenn auch äußerst selten – entsprechende Überlegungen anstellt, und zwar unter anderem gerade dort, wo es vor dem Hintergrund seiner eigenen Prämissen zumindest auf den ersten Blick am abwegigsten erscheint. Als Beispiel verweise ich nur en passant auf eine Journalnotiz von 185239, in der Kierkegaard den Trinitätsgedanken mit der Begründung als genuin christlich verteidigt, dass sich in der kalkulierten Abfolge von Vater, Sohn und Geist eine ,subjektiv wahre‘ Tendenz zur Vertiefung und Radikalisierung des göttlichen Majestätsgedankens in Korrelation zur unaufhebbaren Selbsterniedrigungsforderung an den Menschen ausspricht.
IV. Ich schließe, gleichwohl, mit vier kritischen Bemerkungen. Die erste zielt auf die Subjektivitätsthese generell, die übrigen drei beziehen sich auf deren dogmatischen und religionsphilosophischen Transfer. 1. Die Konsequenz, die der Autor der Nachschrift in Form einer regelrechten Identifizierung von Subjektivität und Wahrheit an den Tag legt, scheint mir Indiz einer unzulässigen Zuspitzung und Verkürzung. Kraft dieser Identifizierung würde überall und nur da von Wahrheit gesprochen werden können, wo Subjektivität in der beschriebenen Weise maßgebend ist; umgekehrt würde Subjektivität nur und überall da zur Geltung kommen, wo ein Wahrheitsbezug vorliegt. Aber dies zu behaupten ist nicht nur an sich, sondern auch e concessis, d.h. auf dem Boden von Kierkegaards eigenen Prämissen abwegig: Einerseits kann sich, wie beschrieben, Subjektivität auch ohne jeden Wahrheitsbezug und -anspruch äußern und zur Geltung bringen (etwa in Form von präreflexiven Affekten oder Dispositionen); andererseits ist Wahrheit ohne Subjektivität bzw. ohne die Möglichkeit und das Erfordernis subjektiver Aneignung denkbar (etwa im Falle mathematischer Sätze). Kierkegaards These muss 39 Vgl. NB27:23, SKS 25, 140-142 (bes. 140f.) / T 5, 128-131 (bes. 128f.). Abgesehen von dieser Stelle finden sich im gesamten Kierkegaardschen Oeuvre m.W. nur drei weitere explizite Verweise auf den Trinitätsgedanken, wobei keiner von diesen konstruktiv-theologischer Art ist: vgl. SKS 4, 450 / GW1 BA, 156; SKS 14, 10 / GW1 ES, 5; NB15:96, SKS 23, 68f.
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also präzisiert bzw. nach Sinn und Geltungsbereich eingeschränkt werden, und zwar mit doppelter Stoßrichtung: Zum einen ist die Subjektivitätsthese (wie Climacus im Übrigen selber einräumt: vgl. SKS 7, 182 / GW1 AUN1, 190) nur im Bereich dessen gültig, was dieser ,wesentliche Wahrheit‘ nennt – d.h. im Bereich des Ethisch-Religiösen als eines im strengen Sinne Aneignungsfähigen und -bedürftigen. Aber mehr noch: Unter den bislang beschriebenen Voraussetzungen schrumpft die wahrheitsfunktionale Rolle der Subjektivität erstens auf die Genese der Einsicht in die Wahrheit einer Aussage über einen Sachverhalt und zweitens auf die eines Wahrmachers (truth-maker) im Verhältnis zur fraglichen Aussage zusammen. So kann z.B. Peters Urteil, Sabine sei schön und / oder liebenswert, erstens nicht zustande kommen ohne Peters Teilhabe an sowie seine Gewissheit des Vorhandenseins jener subjektiven (hier: liebenden) Einstellung, die sich in dem genannten Urteil Ausdruck verschafft. Zweitens ist das Faktum des Vorhandenseins jener Einstellung notwendig und hinreichend, um das ihr entspringende Urteil wahr zu machen: Liebenswert ist nur der, aber auch jeder, der geliebt wird. In diesem eingeschränkten – und mir scheint: nur in diesem – Sinn kann die Subjektivitätsthese ihr eingeschränktes Recht behaupten. Mit dem Prinzip der subjektiven Wahrheit oder der Wahrheit als subjektiver liegt dann aber streng genommen nichts anderes vor als eine bestimmte und begrenzte „Thematisierung des Verhltnisses“40 zur Möglichkeit und Reichweite von Objektivität. 2. Dass bezogen auf den binnendogmatischen Anwendungsbereich der Subjektivitätsthese ein starkes Bedürfnis nach (der ,Nahrung der‘) Wahrheit i.S. der Glaubensgewissheit die Wahrscheinlichkeit erhöht, dieser i.S. ihrer Entdeckung tatsächlich teilhaftig zu werden, so dass jenes Bedürfnis mehr als eine nur zufällige Bedingung für die Möglichkeit seiner eigenen Befriedigung darstellt, scheint mir unter den von Kierkegaard namhaft gemachten Bedingungen unstrittig. Die Behauptung, dass ein solches Bedürfnis die Genese dieser Wahrheit – ja, überdies auch ihre Geltung, und sei es auch nur i.S. dessen, was das Christentum ,in Wahrheit lehrt‘ – notwendig bedingt, macht hingegen auf mich den Eindruck einer fundamentaltheologisch unzulässigen Überspitzung. Weshalb sollte sich Gott, christlich verstanden, dem Menschen nicht auch, ja unter Umständen vor allem dort offenbaren, wo dieser gar kein Verlangen danach bzw. nach ihm trägt? Als Indiz für die Richtigkeit 40 Weisshaupt 1973, 65; Hervorh. H.S.
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dieser Annahme mag bereits der Hinweis auf die (ansonsten auch von Kierkegaard geteilte) protestantische Grundüberzeugung genügen, dass die göttliche Offenbarung unter anderem ihre eigene mitteilungstheoretische Nichtsubstituierbarkeit offenbart; diese aber gründet darin, dass sich die Mitteilung an den Menschen als Sînder richtet, den mit der Leugnung seiner selbst als Sünder auch die Schuld am illusionären Anspruch trifft, Gottes offenbarendem Heilshandeln gerade nicht bedürftig zu sein – und der diesen Anspruch eben dadurch als gleichermaßen unberechtigt, illusionär und schuldhaft zu erkennen gibt, dass er ihn erhebt. 3. Auch die Behauptung, dass die Subjektivität des angefochtenen Christen die mögliche Objektivität seiner Glaubensaussagen (wenn nicht notwendig, so doch zumindest) hinreichend bedingt, scheint mir durchaus fragwürdig, und zwar unter anderem deshalb, weil sie nicht aneignungsfhig ist. Dies trifft jedenfalls dann zu, wenn sie sich (wie in Kierkegaards Parusie-Beispiel) auf erstens nachweislich falsche und zweitens überdies für falsch gehaltene Aussagen erstrecken können soll. Zunächst muss man sich klarmachen, dass die gemeinte These (,Christus kehrt noch zu meinen Lebzeiten zurück‘) nur dann ihre im geistigen Sinne ,überlebenssichernde‘ Funktion erfüllen kann, wenn sie von dem Betreffenden schlicht für faktisch oder mindestens möglicherweise wahr und d.h. für mehr als bloß ,funktionsfähig‘ gehalten wird bzw. werden kann; und nur als solche ist sie auch aneignungsfähig. Demnach ist zwar prinzipiell möglich, dass jemand, um (hier: im geistigen Sinne) überleben zu können, imstande sein muss, eine Illusion zu ,gebären‘ – eine Illusion, der eben deshalb, weil und insofern er ohne sie nicht zu überleben vermag, pragmatische oder ,subjektive Notwendigkeit‘ zukommt. Aber ihre überlebenssichernde Funktion kann diese de facto nur dann erfüllen, wenn der Betreffende sich der Illusion, als solcher nämlich, gerade nicht bewusst ist, den darin enthaltenen Irrtum also für wahr hält. Aneignungsfähig ist zwar der Satz: (1) ,Christus wird noch zu meinen Lebzeiten wiederkehren.‘ Und aneignungsfähig ist auch die von Kierkegaard behauptete Verallgemeinerungsform dieses Satzes: (2) ,Christ sein kann nur, wer glaubt, dass Christus noch zu seinen (d.h. des Glaubenden) Lebzeiten wiederkehren wird.‘
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Nicht angeeignet werden kann hingegen folgender Satz: (3) ,Christ sein kann nur, wer sich in der Illusion befindet, dass Christus noch zu seinen, d.h. zu Lebzeiten dessen wiederkehren wird, der sich in der bezeichneten Illusion befindet.‘ Und auch der folgende Satz ist nicht aneignungsfähig: (4) ,Christus wird noch zu meinen Lebzeiten wiederkehren, aber es ist eine Illusion zu glauben, dass Christus noch zu meinen Lebzeiten wiederkehren wird.‘ 4. Last, but not least schöpft Kierkegaard das genuin religionsphilosophische Potential seiner Überlegungen nicht oder jedenfalls nicht in vollem Umfang aus. So identifiziert er die genuin religionsphilosophische Frage als die nach der Wahrheit des Christentums, wertet sie freilich zugleich als rein objektiv ab41; im Unterscheid dazu ordnet er die von mir als binnendogmatisch bezeichnete Frage nach dem, was in Wahrheit Christentum genannt zu werden verdient, der subjektiven Fragerichtung zu.42 Allein im Blick auf letztere soll das Koinzidenzprinzip greifen. Dadurch entsteht jedoch der Eindruck, dass mit diesem in religionsphilosophisch-apologetischer Hinsicht nichts oder jedenfalls kaum Substanzielles erreicht ist bzw. erreicht werden kann. Dieser Eindruck ist jedoch durchaus irrig, wie bereits die Wanderer-Analogie dokumentiert: Unter den geschilderten situativen Bedingungen hat der vom Hungertod bedrohte Wanderer zwar keinen hinreichenden Grund, gleichwohl aber das unumstrittene Recht zu glauben, dass der als mögliche Nahrung avisierte Pilz essbar ist, und zwar schlicht deshalb, weil ein Handeln am Maßstab dieses Glaubens (qua Verzehr des fraglichen Pilzes) die augenscheinlich letzte und einzige Chance ist, die dem Hungernden bleibt. Das Recht dieses Glaubens sagt zwar nichts über dessen Wahrheit, wie zahlreiche Fälle von Pilzvergiftungen belegen, aber dieser Umstand denunziert umgekehrt nicht jenes Recht. Wie Anthony Kenny43 treffend bemerkt, ist die Situation des Gläubigen zumindest im Kern der eines durch den Sturz in eine Gletscherspalte verunglückten Bergsteigers vergleichbar, der ohne jede realistische Aussicht auf Rettung auf die Nähe 41 Vgl. SKS 7, 26 / GW1 AUN1, 15. 42 Vgl. ebd.; SKS 7, 337 / GW1 AUN2, 75. 43 Vgl. Kenny 2006, 64.
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eines Retters gleichwohl unbedingt setzt. Der Glaube, der in einer derartigen Situation entsteht, mag unbeweisbar sein; er ist dennoch zumindest pragmatisch berechtigt und in diesem Sinne praktisch rational.44 Gewiss: Sowenig der Rückgang auf deren Genese die Geltung einer Aussage widerlegen kann, sowenig vermag er diese zu beweisen; nichtsdestoweniger kann er sie durchaus als berechtigt, d.h. als subjektiv und / oder praktisch rational einsichtig machen. Kierkegaards Denunziation der religionsphilosophischen Fragestellung als einer bloß ,objektiven‘ im Vergleich zu einer auf subjektivistischen Prämissen basierenden Theorie der Genese und Geltung dogmatischer Aussagen verschleiert diesen Umstand und schwächt auf diese Weise ihr eigenes Theoriepotenzial.
44 Vgl. dazu H. Schulz 2012b und c.
12. Kierkegaard on Providence and Foreknowledge. A Critical Account* I. Introduction It is with concepts such as providence (providentia), governance (gubernatio) or conservation (conservatio) that the Christian faith expresses the relation between God and world, a relation which is to be distinguished from God’s salvational act of atonement in a stricter sense. Dogmatically seen this faith brings to bear the mediating part between a faith in the God of creation on the one hand and of completion or fulfilment on the other, at the same time therefore between theology in a stricter sense and eschatology: God did not create the world in order to leave it alone, then, but he remains present within it, namely in such a way that it could not exist without him for a single moment. He accompanies the world with loving care in order to finally lead it to perfection, to the definitive establishing of his kingdom and government, according to his eschatological plan of salvation.1 Now, I am not going to try and follow the intricate history of problems and concepts which became relevant for the forming of a Christian theory of God’s providence – particularly the background of the stoical and / or new-platonic notion of pqºmoia.2 Nor am I going to discuss the main biblical account referring to our topic3 or some of the major theories about providence in the history of Christian and / or philosophical thought.4 All that I am interested in here is the concept of providence in Kierkegaard or, more exactly, a certain restricted aspect of it. *
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2 3 4
The article is a revised version of a paper given at Fordham University, N.Y.C., in January 1996. I would like to thank Prof. M. Westphal and Prof. J. van Buren for their encouragement and support. As to this whole complex see, among others: Hornig 1992, 223 – 233; Krötke 1985, 82 – 94. Langford 1981; Ritschl 1994, 117 – 133; Schneider / Ulrich (Hgg.) 1988. More recently: Scheliha 1998; Bernhardt 1999. Older studies include: Gilkey 1963, 171 – 192; Ratschow [1959] 1987, 182 – 243; Sløk 1947. See, for instance: Parma 1971; Also Sløk 1947, 52 – 55. See, for instance, Klein 1993, 251 – 283. As to this, see, for instance: Weimer 1988, 17– 71; Ritschl 1994, 120 – 126; Sløk 1947, 39 – 58.
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It may seem a little odd, though, to turn one’s attention to such an apparently marginal part of his thought at all, and if one takes a look at the huge amount of Kierkegaard-literature it is no wonder that the search for a title dealing with that topic will be (with very few exceptions5) in vain. However, no expert in the writings of Kierkegaard will be unfamiliar with the fact that the earliest journal-entries (1834) of 21-year-old Søren are occasioned by his Schleiermacher-reading together with his theological tutor (and later bishop of Zealand) H.L. Martensen, and – interestingly enough – they focus on the relation between human freedom and “God’s Governance”6 or, more dogmatically, on the dogma of predestination.7 Whether the concept of providence is of major importance during the following period of his pseudonymous and / or non-pseudonymous authorship and which terminological problems might be relevant with respect to that etc., shall not be discussed here in detail.8 That Kierkegaard was undeniably aware of the prominent role of providence for the Christian faith as such cannot only be acknowledged by the fact that a whole chapter of the writings about himself consists of considerations about the role and importance of God’s governance for his authorship; it can as well be shown by pointing to a late journal-entry (1854) where he defines the Christian as such by his faith in God’s providence: “To be a Christian means to believe in a special providence”9. This statement proves at the same time what every Kierkegaard-reader would have expected, anyway: Kierkegaard’s almost exclusive orientation towards the problem of divine providence as being related to the single individual, 5 6 7
8 9
See Hirsch 1968, 65– 112; Kjær 1988, 4 – 8; H. Schulz 1994. Papir 51:3, SKS 27, 94 / JP 2, 1231. See Papir 27:2, SKS 27, 77 / JP 1, 227; Papir 49, SKS 27, 93 / JP 2, 1302; Papir 50, SKS 27, 93 / JP 1, 410; Papir 51:1, SKS 27, 93 f. / JP 2, 1230; Papir 51:3, SKS 27, 94 / JP 2, 1231; Papir 52:1, SKS 27, 94 / JP 3, 3543; Papir 52:2, SKS 27, 95 / JP 3, 3544; Papir 53:2, SKS 27, 95 / JP 3, 3545; Papir 79, SKS 27, 108 f. / JP 3, 3547; Papir 86, SKS 27, 111 / JP 3, 3546; Papir 96:3, SKS 27, 118 / JP 3, 3542. I will come back to the problem of predestination at the end of my paper. As far as I see Kierkegaard uses the terms providence (dan. forsyn) and governance (dan. styrelse) synonymously, though with different frequency at different periods of his authorship, compare McKinnon 1986, 2 – 31. NB36:20, SKS 26, 421 / JP 2, 2083; see also NB26:52, SKS 25, 57 / JP 3, 3631; NB30:85, SKS 25, 455 / JP 3, 3632. For Kierkegaards reflections about the role of providence (or governance) for his authorship see SKS 16, 50 – 69 / KW PV, 71 – 90.
I. Introduction
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more exactly: the individual as Christian. His interest in the question of a providentia generalis and specialis (that means: God’s care for the existence and teleological formation of the world as a whole on the one hand, the human beings and their history in particular on the other10) obviously seems to have been rather subordinate. Thus Kierkegaard writes: “The idea of a providence implies that God concerns himself with the single individual and with his most individual aspect”11. Now, mainly out of methodical reasons and with a somewhat critical intention in mind I would like to turn to a certain, restricted aspect of Kierkegaard’s view of providence: the function and content of his concept of God which is presupposed in it as well as being expressed thereby. At first sight this seems to be a risky enterprise, though. Not only will I have to leave certain crucial questions, usually connected with the theme of providence, untreated (such as: the relation of providence, fate and chance; the problem of evil and suffering etc.). More serious seems the objection that Kierkegaard undoubtedly was of the opinion that the concept of providence belongs (among others, such as: sin, freedom, repetition, atonement etc.) to the so-called ‘transcendent’ categories or ‘categories of spirit’, in relation to which (as being meaningless or not) only the paradox of the instant (øieblik) may serve as an appropriate framework or presupposition for judgment.12 If, as Kierkegaard puts it, God is in fact nothing but “how one involves oneself with him”13, then indeed the question of who he might be (or appear as) in case of abstraction from exactly that factor seems to be an overt misunderstanding. I am of the opinion, however, that such a view is not correct, if it is supposed to suggest that questions like the ones I mentioned should be dismissed as either illegitimate or superfluous. For then the fact is simply being obscured that some of the theoretical problems which the basic essential Christian attributes of God imply cannot be faced, let alone be
10 As to this distinction see, for instance: O. Weber 1955, 567 f. 11 Papir 340:1, SKS 27, 349 / JP 3, 3628. Kierkegaard does not deny God’s providential acting in a world-historical sense, though; see for example Papir 277:1, SKS 27, 269 / JP 4, 4420; SKS 7, 143 ff./ KW CUP1, 154 ff. 12 As to the relation of providence and instant see, for example: JJ:469, SKS 18, 296 / KJN 2, 273; Papir 340:1, SKS 27, 349 / JP 3, 3628; Papir 340:10, SKS 27, 354 / JP 2, 1347; SKS 4, 399 ff. / KW CA, 96 ff. In addition: Sløk 1947, 36 f., 136; Schäfer 1968, 292 (= note 194). 13 NB17:70, SKS 23, 215 / JP 2, 1405.
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solved, but still remain – unnoticed or ignored.14 In fact, Kierkegaard himself was fully aware of the problems given within the traditional Christian idea of God and quite regularly made them an object of examination in his journals15 (unlike his pseudonyms who usually try to suppress more elaborated reflections about questions like that). In the following I will discuss, with more or less constant reference to Kierkegaard, one of the above-mentioned problems, namely that one which has always been of crucial interest, as soon as God was to be understood, in a Christian manner, as a God of providence: the relation of determination (viz. predetermination) and freedom – as being implied in the concept of providence. More exactly: I will deal mainly with the consequences concerning this question, if we understand God’s omniscience or foreknowledge (praescientia) as necessary implications of his providential acting.16
II. The problem Of course, Kierkegaard knows the concept of God’s foreknowledge and quite frequently makes use of it17 – although he seems to prefer the notion of divine omniscience.18 Besides that even the most superficial comparison reveals that he uses both terms with affirmative intention. Therefore, if Kierkegaard clings to a Christian providential God as well as to an omniscient one, we can formulate a somewhat critical thesis with respect to our starting point, the question, namely, of the rela14 This applies, for instance, to the problem of the relation between God’s providence and ubiquity as being implied in Sløk’s claim that the God of providence is the God, who “comes near”, though being “the distant God in principle” (Sløk 1947, 138; my trans.). 15 As an example – among others – I just mention the most important entry concerning Kierkegaard’s view about the three main God-predicates of the first article of the creed (creation, omnipotence, love): NB:69, SKS 20, 57 f. / KJN 4, 56 f. 16 Zagzebski gives a brief, yet substantial survey of the major traditional and contemporary views about the relation of divine foreknowledge and human freedom; see her Foreknowledge and Human Freedom. In: Quinn / Taliafero (eds.) 1997, 291 – 298. The whole range of pertinent aspects is discussed in Zagzebski 1991; See also: Craig 1987; J. Fischer (ed.) 1989; Hasker 1989. 17 See, for example: Papir 52:2, SKS 27, 95 / JP 3, 3544; Papir 86, SKS 27, 111 / JP 3, 3546; Not13:23, SKS 19, 390 – 394 / KJN 3, 388 – 391; Not13:40, SKS 19, 405 / KJN 3, 403; SKS, 12, 216 f. / KW PC, 221 f. 18 See, for example: AA:22, SKS 17, 41 f. / KJN 1, 35 f.; Pap. IV B 149, 335 / JP 3, 3391; Not13:51, SKS 19, 416 / KJN 3, 414; SKS 8, 136 f. / KW UD, 21 f.
II. The problem
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tion between divine providence and human freedom: Kierkegaard’s theory of freedom, ranging from Judge William’s notion of a primary choice on one side19 to the concept of a paradoxical leap of faith (and the problems of grace and atonement) on the other20, can only be maintained by virtue of abstracting from some basic assumptions and / or essential implications of the Christian idea of God, at least in the case of God’s providence as foreknowledge. Otherwise, as we will see, a trilemma will be the inevitable consequence. Now, let us start with a well-known sentence from the Interlude of the Philosophical Fragments: “Foreknowledge of the future does not confer necessity upon it [giver dette ingen Nødvendighed].”21 If we disregard the main difficulty of the quoted statement for a moment, which is to be located in the peculiar expression ‘does not confer upon’, the meaning of it still remains ambiguous or even obscure with regard to three aspects: (1) It is not clearly asserted that the future is in fact not a necessary, (pre-)determined chain of events. (2) It is not explicitly denied that a foreknowledge of the future (be it determined or not) is possible. (3) It remains unclear, whether Climacus is talking about human or divine foreknowledge – or both of them. The latter problem (to begin with) only arises, because Climacus’ thesis explicitly refers to a corresponding formulation in Boethius’ De Consolatione Philosophiae22, and Boethius deals with the question of divine foreknowledge (although developed, methodically, in analogy to human thought). The context of the Interlude-passage clarifies, however, that Climacus first of all discusses the range of human knowledge, more exactly that he is struggling with the Hegelian assumption of an absolute mediation of history as a necessary process. As is well known Climacus denies such a possibility. However, I am not going to reconstruct his modal theory (as being presented in the Interlude) once more in order to show, how this is related to his project of refuting Hegel’s notion of ‘absolute spirit’. Instead, I will try to shed some light on a certain stoical background of Climacus’ view; it may even be looked at as a key to Kierkegaard’s own sol19 See SKS 3, 205 ff. / KW EO2, 213 ff. 20 See, for instance: Papir 283:1, SKS 27, 275 / JP 3, 2349; Pap. V C 12, 379 / JP 3, 2352. 21 SKS 4, 279 / KW PF, 80. 22 See Boethius 1981, 251 (= chapter V / 4). The context of this claim, its place within Boethius’ account of the foreknowledge-freedom-dilemma and Boethius’ proposed solution are discussed in Robinson 1995, 29 – 40.
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Kierkegaard on Providence and Foreknowledge. A Critical Account
ution of the problem – that is, as a key to his assessment of Boethius’ initial claim regarding the relation of foreknowledge and predetermination.
III. The Stoical logic of propositions: a key to the Kierkegaardian solution According to Kierkegaard23 the decisive merit of the stoics is due to the fact that they “have introduced the modes of time into logic”24. This is particularly important (namely in relation to our question) with regard to the logical status of propositions about future-events.25 As is well known Aristotle had excluded such propositions from logic (for instance: ‘a sea-battle is to take place tomorrow’), because of their being indeterminable as true or false and in order to save the universal validity of the principle of the excluded third within logic.26 The nominalistic-empiristic epistemology of the stoics distinguishes between words (as proper or common names) and (real, singular, corporal) objects. Each word, at least as common name, expresses a thought, and the content of thought (that which gives meaning to the word) is called kejtºm.27 Now, only a complete sentence or proposition (!ni¾latom), consisting at least of a subject and a predicate, possesses a relation to truth and falsity: It is either true or false, tertium non datur. Therefore, in order to be true, a kejtºm at least has to be the kejtºm of a complete sentence, an !ni¾latom. Among the different kinds of propositions the so-called ‘possible’ and ‘necessary’ ones are particularly interesting for Kierkegaard. Possible propositions refer to future-events which are not logically self-contradictory or prevented from happening by outer circumstances. Necessary is a proposition, if it cannot be wrong at all, either out of pure logical reasons (to deny it would be self-contradictory) or because outer circumstances prevent it from being or becoming wrong. For instance, propositions about real events in the past are necessary, because the past, by being not changeable 23 Whose picture of the Stoics was mainly influenced by and based on W.G. Tennemann’s then famous Geschichte der Philosophie (here, in particular: vol. 4. Leipzig 1803, 271ff.). 24 Schäfer 1968, 309 (= note 219) (my trans.). 25 For the following see ibid., 308 f. (= note 219) and Tennemann 1803, vol. 4, 271 ff. 26 See Aristotle, Peri Hermeneias 9, 18a 28 – 19b 4. 27 See Tennemann 1803, vol. 4, 271; also Pohlenz 1970, 39, 47 f., 64 f.
III. The Stoical logic of propositions: a key to the Kierkegaardian solution
297
anymore, is necessary. According to Kierkegaard this view has to be corrected in at least two respects: (1) It is not true that every proposition is either true or false. That means: Every proposition has a kejtºm, but not every (propositional) kejtºm is determined by the principle of the excluded third. (2) It is not true that propositions about the past are logically necessary propositions. If we reconstruct Kierkegaard’s view by means of the argumentation that Climacus employs in the Interlude, we may conclude: The content (kejtºm) of logically necessary propositions is in fact nothing else but the necessary itself – that which can’t be thought of as not being or being different – as long as we are talking and thinking reasonably. Categorically seen, however, this holds true only with regard to an ontological realm which has not anything to do with real, factual being (it does not, for example, refer to the existence of a metaphysical being), but merely points to the relations of what Climacus calls the sphere of pure “ideality”28. Here it is certainly correct to maintain that the essence of the necessary implies its being 29, but this exclusively refers to a being aeterno modo, a being in other words, which is identical with its being thought. For instance, mathematics turns out to be a development of pure, a priori laws. The mathematician formulates a series of logically necessary propositions (‘the sum of the angles of a triangle is 1808‘ etc.), without the hypothetically presupposed ‘existence’ of triangles causing any problem. Or to be more exact: Triangles ‘exist’ simply by virtue of the propositions that formulate the laws being valid for triangles.30 It is worth noticing that for Kierkegaard knowledge and science in a stricter sense are only possible within this realm of pure ideality, where thinking and being are identical, where reality is, so to speak, pure ‘thought reality’. A science is the more ‘ideal’, the lesser it has to take into account the conditions of factual being31, the more therefore it is
28 SKS 4, 246 (note) / KW PF, 41 f.; see also NB14:150, SKS 22, 433 – 435 / JP 2, 1057. 29 See SKS 4, 273 ff. / KW PF, 73 ff. 30 See ibid., 277 (note) / 78. Kierkegaard’s theory may have been inspired by his philosophical teacher, Poul Martin Møller, at this point; see Møller 1856, vol. 5, 58 f. 31 Compare Kierkegaard’s classification of sciences in Papir 281, SKS 27, 271 / JP 1, 197 and his Aristotle-reference in Not13:17, SKS 19, 388 / KJN 3, 386.
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Kierkegaard on Providence and Foreknowledge. A Critical Account
able – as Judge William puts it – to establish a “relation of necessity”32 to the object of thought. Propositions which accentuate factual being, that means statements which either claim that something is the case right now (= propositions about something presently real) or that something has been the case (= propositions about something real in the past) also belong to the logical class of propositions which are either true or false. Nevertheless they do not belong to the logically necessary propositions, for – correctly understood – they attribute something to an object as being or as having been in the process of becoming and therefore express the relation of an individual to something as being historical.33 For instance: A sentence about the past (‘Cesar crossed the Rubicon’ etc.) is true, if it is true, only under certain conditions, that means by virtue of circumstances which now prevent it from ever becoming wrong again. What has happened already is unchangeable now. This impossibility of becoming wrong again, however, has in fact “become itself, for there was a time, when the fact concerned did not yet exist and therefore could not be object of a true proposition”34. It should have become evident hitherto that Climacus’ distinction between necessity and unchangeability35 is, at least in some ways, indebted to the stoical logic of propositions. It seems that he got the idea by reflecting on the stoical position which (falsely) identifies both. I have to admit, though, that we could as well apply his distinction to the theory of Leibniz (and, of course, Kierkegaard knew that, too), according to which a distinction has to be made between the so-called verit¦s de raison and the verit¦s de fait, or, correspondingly, between an absolute necessity (necessitas absoluta) and a hypothetical necessity (necessitas ex hypothesi).36 Now, if it is only the unchangeability of already happened events which grants the possibility of true propositions about the past, then it is immediately evident that – at least for human beings – a foreknowledge in a stricter sense (that means a science of future-events) must remain impossible. For the future, unlike the past, is not even accessible by means of 32 SKS 3, 214 / KW EO2, 223 f. 33 The prominent role of faith as – according to Climacus – the necessary condition and medium of (access to) historical facts as such cannot be discussed here. See, for instance, SKS 4, 278 ff. / KW PF, 79 ff. 34 Schäfer 1968, 308 (= note 219) (my trans.). 35 See SKS 4, 276 f. / KW PF, 76 ff. 36 See Janke 1973, 57 – 77. Leibniz’ relevance for Kierkegaard is discussed by Perkins 1979, 385 – 407. See also Schäfer, 1968, 280 – 284 (note 173 – 177).
III. The Stoical logic of propositions: a key to the Kierkegaardian solution
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an unchangeability of events due to outer circumstances, which prevent them from being changed again – simply because those events have not taken place yet. Therefore no true or false propositions about futureevents exist, which implies that the principle of the excluded third does not apply to them: They are not either true or false, but neither / nor. This holds true, even if they state something contradictory (a sea-battle is to take place tomorrow / it is not to take place tomorrow): Neither of both propositions is possibly true, neither of them possibly wrong. This does not imply that they make no sense and as such have be excluded from logic; it simply means that they have no truth-value and that as such their object (future-events) has to be kept from the field of human science. Summing up, the result of Kierkegaard’s account can be schematized as follows: Propositions (= p) according to p not according to the principle the principle of the excluded of the excluded third (= neither third true nor false) (= either true or false) Main property
1. p which can only be true as by virtue of certain conditions or circumstances preventing them from being or becoming false 2. p which are true as under no conditions being able to be or become false
p which designate an object or event as lacking the conditions, under which its possibility would be excluded – or the possibility of s.th. that it would exclude itself
Possible objects
1.1 s.th. as real in the past 1.2 s.th. as real in the present 2.s.th. as eternally necessary
s.th. as possible in the future
Ontological realm
1.1facticity qua ideality qua contingency unchangeability 1.2 facticity qua changeability 2. ideality qua necessity
Examples
1.1 Cesar crossed the A sea-battle is to take place Rubicon. tomorrow. 1.2 Bill Clinton is the current president of the U.S. 2. The sum of the angles of a triangle equals 1808.
Now, what about the content of the above-mentioned Boethius-quotation as a whole, if we take into account the peculiar expression ‘to
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Kierkegaard on Providence and Foreknowledge. A Critical Account
confer necessity upon something’? It should have already become evident that Climacus, in accordance with the stoical epistemology, distinguishes between word and object, between the proposition and the state of affairs to which it refers. He does so following a traditional correspondence-theory of (objective) truth, which maintains that a proposition is true, if that which it designates, is actually the case, if, in other words, there is what the medieval philosophers call an adaequatio rei et intellectus. 37 Boethius shares this basic assumption:38 That someone is sitting on a chair is not the case, because the proposition is true, by which this is asserted, but, on the contrary, the proposition is only true, because and insofar as it designates what is actually the case. Thus a foreknowledge of future-events would not ‘confer’ any necessity upon them, it would not effect (efficere) their necessity, but – should there be such a necessity – only designate it (ostendere).39 Since future-events, however, by being at best logically possible (according to Climacus), are not real yet and may happen as well as not, there is a double consequence to be drawn: (1) A foreknowledge (whether human or divine) would – given it were possible – not confer any necessity upon future-events. (2) For a human being the future, by still being undecided, can be no possible object of a true proposition. Therefore Kierkegaard wonders at a certain thesis stated by the stoic Chrysippus:”It is extremely odd that Chrysippus uses the proposition that ‘every proposition is either true or false’ to show that everything happens according to fate.“40 Here, as Kierkegaard continues, “the idea of mediation … is necessary in order to discover providence”41. The effect of applying the idea of mediation is precisely to suspend the universal validity of the principle of the excluded third. In relation to the future the both / and of logically possible events or actions rules, and the corresponding propositions are not either true or false, but neither / nor.42 37 See, for instance: SKS 7, 173 ff. / KW CUP1, 189 f. In addition: H. Schulz 1994, 101 (note 25). 38 Compare Boethius 1981, 239 f (= chapter V / 3). 39 See ibid., 248 (= chapter V / 4). 40 Not13:30, SKS 19, 398 / KJN 3, 396. 41 Ibid. 42 Thus Kierkegaard does not properly argue against the ‘fatal’ consequences derived from the exlusiveness of either true or false propositions, but rather: against that very exclusiveness itself.
IV. A trilemma in Kierkegaard’s account
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IV. A trilemma in Kierkegaard’s account Is Kierkegaard’s position, which I tried to reconstruct as a recourse to certain stoical and Boethian theories, coherent? To a certain extent, I think, it is not. Our starting-point had been the question of how reasoning for human freedom could be plausibly connected with the idea of foreknowledge as being an essential God-predicate in combination with the God of providence in a Christian sense. Thus, we were asking for God’s foreknowledge. And now, with regard to the fact that Kierkegaard claims that the future is not fixed or determined yet, as well as that foreknowledge does not confer necessity upon it, one point is indeed striking: Both assertions refer to qualifications of a position (namely the human) which is characterized by the impossibility of that very foreknowledge. If, on the other hand, we take a closer look at the abovementioned twofold result, which could be derived from Kierkegaard’s argument with the stoics (and / or Boethius), we have to admit: The human impossibility of a foreknowledge of future-events, in the sense of either true or false propositions about them, does just as little exclude their possibly being predetermined as the fact that such a foreknowledge (given it were possible) would not confer any necessity upon such events. As long as we stick to the adequation-principle and to the connexion of knowledge and necessity, the inevitable consequence will be that any such knowledge presupposes as a necessary condition of its own possibility the necessary connexion of those events to which it refers. And this holds true, even if the assumed knowledge – or foreknowledge – does not itself cause the events or actions, which it refers to, to take place, but merely designates them. Consequently Boethius is correct in concluding: If “necessity is missing, nothing [can] be foreseen.”43 Moreover: The difficulties are not merely rooted in the nexus of knowledge and necessity and in the adequation-principle44, but, at the same time, in the fundamental problem of applying the given results concerning the laws of human knowledge to God. More exactly, as long as we are: 43 Boethius 1981, op.cit., 251 (= chapter V / 4; my trans.). 44 Further epistemological implications and problems of Kierkegaard’s view cannot be discussed here in detail. This would be particularly worthwhile, though, with regard to Climacus’ theory of causality (compare, for instance: SKS 4, 275 / KW PF, 75). For basic information about this point see, among others: Schäfer 1968, 277 f. (= note 167); Sløk 1954, 37 f.
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(1) restricted to the notion of human knowledge as characterized by (a) the duplicity of proposition and fact according to the adequationprinciple; (b) the reference to the category of necessity (at least unchangeability); and as long as we are: (2) unable to conceive of God’s knowledge other than in relation (analogy, for instance) to human knowledge, a trilemma will be the inevitable consequence with regard to our initial question about the relation between divine fore- knowledge and human freedom: Either we postulate God as being omniscient. Then this knowledge implies – according to the adequation-principle – some form of determination. More exactly: Any foreknowledge implies in itself predetermination, though not necessarily with reference to God as its origin or source. For it is logically possible to imagine God as a mere spectator of events which – as a necessary process – have not been pre-determined by him. In reverse, predetermination, by being ascribed to God, implies his foreknowledge (even if we take refuge in the deistic clockworkmetaphor45) – but not in itself and as such. For it is not inconsistent to claim a universal determination not being conscious of itself. Or freedom remains at least thinkable (though not demonstrated). Then God cannot be thought of as being omniscient or the God of foreknowledge. Or it must remain completely unconceivable how the term ‘foreknowledge’ is to be understood, respectively in which way (via analogiae, eminentiae, negativa?) it has to be or can be related to human knowledge and its essential laws.46
V. A supplementary look at Kierkegaard’s concept of God So far I have discussed some of the difficulties in Kierkegaard’s account which can be traced back to those thinkers Kierkegaard makes use of – or at least the particular way he makes use of them. The interpretation of the Climacus-thesis which served as a starting-point for my investigation (namely: foreknowledge of the future does not confer necessity 45 Compare Kierkegaard’s similar considerations in Not13:23, SKS 19, 391 / KJN 3, 389. 46 As far as I see we can only avoid this consequence by proving that God – as a God of foreknowledge – has to be regarded as the only one to understand what is meant by that term. I do not know of any such proof.
V. A supplementary look at Kierkegaard’s concept of God
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upon it) led, by drawing on its basic sources, to the result that we are only capable of demonstrating that no human foreknowledge in a strict sense exists, but not that this foreknowledge itself (given it were possible – namely for God) would not in fact imply the (pre-)determination of events or actions being designated by it. Now, in order to affirm what I have asserted so far, it would be necessary, however, to bring in some supplementary statements, where Kierkegaard (and / or his pseudonyms) not only comment on the notion of God explicitly, but in such a way that those comments directly reflect the above-mentioned difficulties. I have selected a few of those which, in my opinion, may be relevant here.47 In an early journal-entry (1837) Kierkegaard writes: “Div. Providence [Forsyn] operates in accordance with a higher association of ideas, so to speak, whereas the world operates in accordance with its finite association of ideas. Thus, whereas finite individuals each realize their ideas separately, the Deity, on the other hand, never forgets its grand plans. And when no one is expecting it, the miraculous makes its entry into history”48.
Here Kierkegaard’s position resembles an essentially traditional view, according to which providence makes use of – as Climacus puts it – the ‘relative’ freedom of finite human plans and actions for his own ‘higher association of ideas’ as being rooted in ‘absolute’ freedom.49 It remains present within the totality of mundane events without, for the time being, intervening into the (relatively free) development of the historical process so that its presence and activity within cannot be identified as such immediately and objectively. Consequently a later entry adds:”In a certain sense it can be said that there is no providence [Styrelse] at all”, since “it does not intervene but merely lets the concatenated forces develop”50.A similar conception is considered by Kierkegaard with regard to the historical as such. The historical, namely, is “the unity of the metaphysical and the accidental. It is the metaphysical, insofar as this is the eternal bond of existence, without which the phenomenological would disintegrate; it is the accidental, insofar as there is the possibility that every event could take place in infinitely many other ways; the 47 48 49 50
For a more detailed account of this problem see H. Schulz 1994, 105 ff. FF:158, SKS 18, 105 / KJN 2, 97. As to the concepts of relative and absolute freedom see SKS 4, 276 / KW PF, 76. NB34:29, SKS 26, 340 / JP 2, 1450. The same entry acknowledges, by the way, that the ‘miraculous’ referred to before has to be interpreted christologically: “Only once has providence omnipotently intervened – in Christ.” (Ibid.)
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Kierkegaard on Providence and Foreknowledge. A Critical Account
unity of these (divinely regarded) is providence and (humanly regarded) the historical.”51
So far, so good. But how do these statements about the essence and acting of providence relate to the issue of divine foreknowledge? It seems evident, first of all, that Kierkegaard ascribes to providence exactly that kind of perfect knowledge about the structure, content, and development of the (world-)historical process, from which human beings are excluded. If, as he puts it explicitly, “there is movement in world history then it belongs to providence, and hum. [= human] knowledge about it is highly incomplete”52. More precise hints are available in the already mentioned entry from 1854. Kierkegaard argues analogically here. In a sense God “is like a natural scientist conducting an experiment: no doubt he is easily capable of getting at something in another way, but he wants to see whether or not it can be produced by the particular procedure of the experiment, and he constrains himself in order to watch the experiment; he waits patiently – yet with infinite interest”53.
It is precisely with respect to the analogy of an experimenter, however, that the dilemma (or trilemma) which I tried to point out earlier can be illustrated once more: The project of an experimenter is to demonstrate inductively the truth of a given empirical hypothesis under the conditions of reality. All variables are being held constant in order to make the conduct of one, non-constant variable measurable as a result which can be called valid with regard to a possible verification or falsification of the presupposed hypothesis. And this is indeed decisive: The hypothesis may eventually be falsified. Therefore the scientist does not possess any kind of foreknowledge in a stricter sense, but simply makes use of a prognosis (about the result of the experiment as a possible acknowledgement of the hypothesis) – and that is exactly the reason, why an experiment has to be repeated again and again, before any – still merely hypothetically valid – inductive law may be formulated. And now it should be evident: Either God’s foreknowledge is related to the world analogously to the hypothetical prognosis of a natural scientist to his experimental arrangement. Then this ‘knowledge’ cannot 51 Papir 264:1, SKS 27, 233 / JP 2, 1587. 52 Not13:49, SKS 19, 414 / KJN 3, 412. See also Not13:51, SKS 19, 416/ KJN 3, 414; Not13:49, SKS 19, 414 / KJN 3, 412; Papir 277:1, SKS 27, 269 / JP 4, 4420; SKS 7, 146 f. / KW CUP1, 157 f. 53 NB34:29, SKS 26, 340 / JP 2, 1450.
V. A supplementary look at Kierkegaard’s concept of God
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be deemed ‘foreknowledge’ in any stricter sense. Or we cannot call this a real experiment; for here the possible falsification of the hypothesis is indeed constitutive.54 In this latter case, however, the relative freedom, by which God, according to Kierkegaard, “lets the concatenated forces develop”55, would have to be judged as illusory. And if, finally, the word ‘foreknowledge’ is to express something completely different here: why then make use of the analogy (since in this case the argument rather seems to rest on an equivocation of that term)? Climacus, by the way, gives us a hint that the assumption that God is waiting patiently “in order to see the experiment”56 cannot mean that he does not know which result it will lead to. For when he (in the Postscript) brings to bear on the one hand that a “system of existence”57 is indeed possible – though exclusively “for God”58 -, on the other hand that system and “finality [Afsluttethed]”59 correspond to each other, then he implicitly alludes to a traditional doctrine, which can be localized in Boethius already.60 It claims that the eternal presence of God – in his omniscience as scientia simultanea – is not bound to the temporal form of the events known by him. In Kierkegaardian words: “God sees everything in uno.”61 As far as I see, however, this somewhat modified perspective does not imply any relevant modification with regard to the basic problems implied in the concept of fore-
54 I have to admit, though, that considerations like those in NB12:63, SKS 22, 177 / JP 2, 1391; NB34:29, SKS 26, 340 / JP 2, 1450 etc. suggest a modified (and at the same time: very modern!) concept of experiment in Kierkegaard: The observer (or experimenter), by observing, is drawn into the experimental arrangement himself – a fact which in reverse shows as its consequence the observed result as being influenced, modified or even distorted by the observation. We already find such a constellation in Kierkegaard’s pseudonym Constantin Constantius, a demonic observer involved in a psychological experiment with a young man in Kierkegaard’s Repetition (see SKS 4, 7 – 96, esp. 94; 96 / KW R, 125 – 231; esp. 228; 230). 55 NB34:29, SKS 26, 340 / JP 2, 1450. 56 Ibid. 57 SKS 7, 114 / KW CUP1, 118. 58 Ibid. 59 Ibid. 60 See Boethius 1981, 267 (= chapter V / 6). For an instructive account of this problem see: Spaemann 1989, 20 – 24. 61 NB15:86.a, SKS 23, 61 / JP 1, 515 (my emphasis).
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Kierkegaard on Providence and Foreknowledge. A Critical Account
knowledge itself – at least, with regard to the adequacy of the Kierkegaardian account.62
VI. Conclusion It goes without saying that my paper does not primarily intend to attack Kierkegaard – a project, I suppose, which would have probably amused him anyway; rather, it is meant to demythologize, at least to a certain extent, some of his claims. In my opinion a number of major conceptual difficulties linked with the Christian faith and its basic dogmatic presuppositions may only disappear together with that very faith itself. Therefore and in order to be honest we should neither ignore them nor put our expectations into any more or less vague ‘existential’ approach to those problems, which in fact it cannot fulfill without deceiving us.63 Besides that it need not be emphasized here that I am far from maintaining that a Christian should not believe in a providence – or: in being (at least ‘relatively’) free. But he should not erroneously believe that – given the Kierkegaardian presuppositions obtain – both can be thought of as rationally compatible.64 Maybe Kierkegaard would have admitted that – by adding: This exactly is the paradox which is essential for (and only for) Christianity, in other words: You have to believe it. But then again – finally, and as a somewhat provocative perspective: Why not, for instance, believe in the paradox of predestination (particularly by being aware that believing in it does not necessarily imply the belief in one’s own election)? Thus: Ev-
62 Without taking Kierkegaard into account M.D. Robinson argues that the concept of divine timelessness offers a possible solution to the apparent contradiction of God’s foreknowledge and human freedom. See Robinson 1995, esp. 231– 238. Whether his arguments are sound or not, is not at stake here. Decisive is the fact that some of the premises leading to the insurmountable difficulties in Kierkegaard’s account, are patently incompatible with Robinson’s own ones. 63 This aspect may be particularly relevant for deciding the question, if and to what extent Kierkegaard was justified in maintaining certain Christian dogmas (for instance, the dogma of hereditary sin: see NB16:13, SKS 23, 103 f. / JP 2, 1530), while at the same time – at least at some point (see the following note) – rejecting others (for instance, the dogma of predestination: see NB23:175, SKS 24, 289 f. / JP 3, 3550). 64 See, for instance, FF:149, SKS 19, 103 / KJN 2, 95.
VI. Conclusion
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eryone is responsible for being eternally elected or rejected – and yet: God has predestined everyone! 65
65 The problem of predestination in Kierkegaard deserves a separate treatment. I have left it untreated here mainly for methodical reasons. Closer scrutiny would clearly lead to the following results, however: (1) Kierkegaard is in fact not always as explicit in expressing his intention of rejecting the dogma of predestination as some authors pretend that he is (see, among others, Malantschuk 1978, 9ff). See, for example, SKS 6, 440 / KW SLW, 478), where Frater Taciturnus, one of Kierkegaard’s pseudonymous authors, affirms the possibility of a “humble expression of a doctrine of predestination” (ibid.). (2) Even where he is definite in his rejection (compare the above-mentioned entry: NB23:175, SKS 24, 289 f. / JP 3, 3550), he cannot de facto get rid of it, or, to be more exact: (a) Either he can only reject it by means of confusing predestination and election. That is the case with Climacus (see SKS 7, 529 ff. / KW CUP1, 581 ff.). For otherwise the Christian, who, according to Climacus, can only be infinitely interested in his own eternal happiness, if he believes the exclusion of all those not being or not having been able to relate to the necessary historical condition of that eternal happiness (Christ), would not be able not to call this very exclusion a predestination. (b) Or he can only get rid of it by virtue of giving up the Climacus-position – thus by dropping the above-mentioned presupposition that one necessary condition of eternal salvation is the relation to Christ, the God in time. (Kierkegaard at least ponders this alternative in NB30:111, SKS 25, 474 f./ JP 4, 4922.) Again, I am not arguing here that a Christian as such has to believe in a predestination (be it as ‘simple’ or as a ‘predestinatio gemina’, be it ‘infralapsarical’ or ‘supralapsarical’) instead of a providence – or vice versa – by all means. Nor am I suggesting he should be obliged to believe in both – or none – of them. My point is simply that Kierkegaard does not give us sufficient reasons, why we (be it as Christians or not) should reject the ‘paradox of predestination’, but not, for instance, the doctrine of hereditary sin, which Kierkegaard favors as the “correct paradox” (NB16:13, SKS 23, 103 f. / JP 2, 1530) in a Christian sense. For a detailed account of this whole complex see H. Schulz 1994, 70 – 91.
13. Jener überaus zählebige Missstand. Irrtum und Wille im Sündenbegriff der „Krankheit zum Tode“ Non ita vivere, quem ad modum homo est factus ut viveret, hoc est mendacium. Augustinus
Mit Beginn der Spätantike rückt durch Augustinus der Wille als anthropologische Basiskategorie in den Mittelpunkt des Interesses. Damit verschärft sich eine Reihe von Problemen, die die christlich-theologische Reflexion in Auseinandersetzung mit ihren griechischen Wurzeln grundsätzlich und der Sache nach bereits seit den Tagen des Paulus in Atem gehalten hatte. Vor allem stellt sich die Frage, ob, und wenn ja in welchem Sinne, der Wille als frei oder unfrei, von sich aus Gutes zu tun (und d. h. christlich zuallererst: zu glauben), gedacht werden könne oder müsse. Dem zur Seite steht ein nicht minder drängendes Problem: Ist der (un-)freie Wille als hinreichende Bedingung der Möglichkeit des Bösen, christlich gesprochen: der Sünde, anzusehen? Im zweiten Fall – und nur um diesen soll es im Folgenden gehen – resultiert von vornherein eine spezifische Schwierigkeit aus der Wesensbestimmung des Willens selbst. Soll nämlich unter Ausschluss einer dritten (satanischen) Instanz neben Gott und Mensch in letzterem allein das Böse wurzeln, so liegt es zwar zunächst durchaus nahe, den Willen als konstitutive Ermöglichungsbedingung des Bösen zu denken. Indes, der Wille ist, möglicherweise im Unterschied zu anderen Strebeformen, intentional verfasst. Sein Aussein ist eo ipso Aussein auf etwas, verbindet sich also notwendig mit der Vorstellung eines Gegenstandes, auf den hin als sein Ziel er zustrebt. Dieses Ziel aber hat als ein zu verwirklichend vorgestelltes zugleich den Charakter des Guten – undenkbar also, dass der Wille Böses um des Bösen willen, d. h. das, wonach er strebt, nicht als ein Gutes erstreben würde. Gesetzt nun, der Mensch will das Böse, so ist dies nur insoweit und unter der Voraussetzung denkbar, dass er es – irrtümlich – für ein Gutes hält. Das Dilemma liegt dann auf der Hand: Will man an der uneingeschränkten Zurechnungsfähigkeit und Unentschuldbarkeit des Menschen im Blick auf die Ermöglichungsbedingungen des Bösen
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festhalten, so ist dies nur um den Preis einer das Phänomen vergewaltigenden Verteufelung des menschlichen Willens möglich. Im umgekehrten Fall führt die phänomengerechte Voraussetzung der Intentionalität menschlicher Willensakte und deren Implikationen hingegen unausweichlich zu einer mit der angedeuteten Irrtumskonsequenz einhergehenden, schuldmildernden Einschränkung menschlicher Zurechnungsfähigkeit bezüglich der Ursprungsfrage des Bösen. Ich werde im Folgenden der Problemgeschichte dieses Dilemmas nicht im einzelnen nachgehen, sondern unmittelbar einsetzen mit der Interpretation thematisch einschlägiger Überlegungen eines Denkers, in denen sich die genannten Schwierigkeiten m. E. exemplarisch reflektieren bzw. in ein eigenständiges Lösungskonzept münden. Gemeint ist Søren Kierkegaard, genauer die Sündentheorie seines Pseudonyms Anticlimacus in der 1849 publizierten Schrift „Die Krankheit zum Tode“. Als primäre Textgrundlage dient hierbei ein von der Forschung bislang vergleichsweise stiefmütterlich behandelter Abschnitt dieser anthropologisch wie theologisch maßgeblichen Spätschrift: „Die sokratische Definition von Sünde“1. Die Diskussion dieses Textes, der einmal mehr – hier am Leitfaden einer Verhältnisbestimmung von Irrtum und Wille mit Blick auf das Ursprungsproblem der Sünde – die Dialektik von griechischem und christlichem Denken en détail entfaltet, führt insbesondere zu drei Ergebnissen: Logisch wird sich am Leitfaden der Kierkegaardschen Überlegungen herausstellen, dass die christliche Grundthese (das Böse gründet im Willen) die griechische Korrespondenzthese (das Böse gründet im Irrtum) dialektisch aufhebt, will sagen: Sie muss diese bewahren, um sie negieren zu können. Kategorial trägt Anticlimacus dieser Sachlage durch Statuierung der christlichen Offenbarung, als eines Paradoxes, Rechnung: Die Behauptung, dass derjenige Sünder ist, dem dies offenbart werden muss, da er Sünder war im Irrtum über sich selbst als Sünder bzw. das Wesen der Sünde, ist paradox und gehört als solche in eins zum inhaltlichen Kernbestand der christlichen Offenbarung. Als semantisches Nebenprodukt werden meine Überlegungen im Rekurs auf zentrale Textstellen Platons und Kierkegaards eine präzisere Ein- bzw. Abgrenzung des Begriffs Irrtum (im Unterschied zu Unwissenheit und Lüge) ergeben, mit der Konsequenz des Nachweises, dass allein dieser maßgeblich ist im Streit um die Ursprungsfrage des Bösen.
1
Vgl. SKS 11, 201 ff. / GW1 KT, 87 ff.
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I. Der christlich-sokratische Streitfall: Sünde als Unwissenheit oder Unwissenheit als Sünde? Bekanntlich zerfällt die Anticlimacus-Schrift, deren Titel ihr Verfasser im Übrigen ausdrücklich an Joh 11,4 anlehnt2, in zwei Teile: Der erste diagnostiziert Wesen, Formen und Stufen der Krankheit zum Tode als Verzweiflung („Die Krankheit zum Tode ist Verzweiflung“3), der zweite Verzweiflung als prinzipielle Seinsart der Sünde („Verzweiflung ist die Sünde“4). Die Notwendigkeit dieser Zweiteilung ergibt sich daraus, dass das Selbst dank einer „Potenzierung der Verzweiflung“5 als „theologische (s) Selbst“6 qualifiziert werden muss. Diese Potenzierung gründet im Bewusstsein, „vor Gott oder mit dem Gedanken an Gott verzweifelt nicht man selbst sein wollen oder verzweifelt man selbst sein wollen.“7 Dies ist für Anticlimacus zugleich die Definition der Sünde.8 Freilich sieht er sich wenig später im Zuge seiner Kritik dessen, was er die sokratische Sündendefinition nennt („Sünde ist Unwissenheit“9), genötigt, diese Aussage wie folgt zu modifizieren:
2 3 4 5 6 7
8 9
Vgl. SKS 11, 123 / GW1 KT, 5. Vgl. ebd., 127 ff. / 8 ff. Vgl. ebd., 193 ff. / 77 ff. Ebd., 191 / 75. Ebd., 193 / 77 f. Ebd., 191 / 75. Es lohnt sich in der Regel, den Anticlimacus-Formulierungen bereits in den Überschriften einzelner Kapitel Beachtung zu schenken. So heißt es an der zitierten Stelle nicht, „Verzweiflung ist Sünde“, sondern „Verzweiflung ist die Sünde [Synden]“ (ebd.; Hervorh. H. S.): Es verhält sich demnach nicht so, dass neben anderen Formen von Sünde auch mit der der Verzweiflung zu rechnen ist; umgekehrt lässt sich, was immer sonst im einzelnen als Sünde zu gelten hätte, zurückführen auf ihren einheitlichen Ermöglichungsgrund, bzw. auf ihre primäre und strukturell konstitutive Seinsweise: verzweifelt man selbst / nicht man selbst sein zu wollen. Vgl. ebd., 195 / 80: „Sünde ist: Vor Gott verzweifelt nicht man selbst sein wollen, oder vor Gott verzweifelt man selbst sein wollen.“ Ebd., 201 / 87. Im Diskussionskontext der griechischen Identifikation von Tugend und Erkenntnis setzt sich Kierkegaard mit diesem Gedanken bereits in seiner Dissertation auseinander (vgl. SKS 1, 119 ff., 199 u. 272 ff. / GW1 BI, 60 ff., 154 u. 236 ff.). Ob Sokrates als Korrelat der These, dass Tugend Erkenntnis sei, tatsächlich eine solche Auffassung (Sünde ist Unwissenheit) vertreten hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Hirsch verweist auf den Bericht Xenophons (Memorabilia III 9, 4 u. 5; vgl.: GW1 PB, 178 (A 120)).
II. Unwissenheit und Offenbarung
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„Sünde ist, nachdem man durch eine Offenbarung von Gott her darüber aufgeklärt worden, was Sünde ist, vor Gott verzweifelt nicht man selbst sein wollen oder verzweifelt man selbst sein wollen.“10
Strenggenommen kann der Einzelne also nicht nur dann kein Sünder sein, wenn er nicht vor Gott verzweifelt er selbst / nicht er selbst sein will; vielmehr gilt dies bereits unter der Voraussetzung, dass er nicht weiß, was Sînde ist. Aber was ist oder worin besteht die Sünde, über die man so via Offenbarung aufgeklärt werden muss? Anticlimacus zufolge besteht sie jedenfalls nicht darin, dass der Mensch über das Gute unwissend ist, dass er es nicht versteht (so dass – sokratisch geurteilt – das Wissen um das Gute von dessen Tun untrennbar wäre), „sondern darin, dass er es nicht verstehen will, und dass er das Rechte nicht will.“11 Kurzum, sie besteht im Ungehorsam gegen Gott. Daraus folgt christlich geurteilt nicht nur, dass die sokratische Definition der Sünde (= Unwissenheit) unzutreffend ist – mit der Konsequenz, dass Sokrates, in dem er sie so definiert, sich als seinerseits unwissend über deren wahres Wesen erweist. Primär folgt daraus vielmehr, dass der Grund dieser mangelnden Einsicht selber Sünde ist. In diesem Sinne gilt dann freilich auch christlich gesehen: Sünde ist „Unwissenheit, sie ist Unwissenheit darüber, was Sünde ist.“12 Oder anders gesagt: Sokratisch gesehen ist Sünde Unwissenheit, christlich gesehen Unwissenheit (der Sünde als Unwissenheit) Sünde! 13
II. Unwissenheit und Offenbarung: Das Christliche sokratisch, das Sokratische christlich beurteilt Nun leuchtet diese etwas behände Dialektik ja nicht ohne weiteres ein. Denn wenn einerseits vorausgesetzt werden muss, dass „eine Offenbarung von Gott her dazu gehöre, um den Menschen darüber aufzuklären, was Sünde ist“14 (dass sie nämlich im Willen gründet), andererseits aber, dass Sokrates, der – ante Christum natus – weder im Besitz einer solchen 10 11 12 13
SKS 11, 208 / GW1 KT, 96. Ebd., 207 / 94 (Hervorh. H. S.). Ebd., 208 / 96. Vgl. die Korrespondenzthese zum Wesen der Tugend in Not13:54, SKS 19, 419 / DSKE 3, 457: Der sokratische Ansatz läuft darauf hinaus, „dass Wissen (Weisheit [Viisdom]) Tugend ist … Die wstliche [sc. christliche] Lehre ist umgekehrt: dass Tugend Wissen ist [at Dyd er Viden].“ (Ebd.) 14 SKS 11, 207 / GW1 KT, 94.
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Offenbarung sein noch wissen konnte, dass sie für diese neue Wesensbestimmung von Sünde notwendig ist: Wie hätte er dann eine zutreffende Definition der Sünde erkennen und formulieren können? Und falls er dies nicht vermochte: Mit welchem Recht kann er für seine Unwissenheit getadelt respektive selbst in dieser Unwissenheit als Sünder bezeichnet werden? Wie hätte er das Unrechte (in diesem Fall: die Definition der Sünde als Unwissenheit) gegenüber dem als richtig Erkannten wollen können, wenn er, was richtig sein soll (die Sünde als im Willen fundierte), gar nicht erkennen bzw. verstehen konnte? Bevor dieser Einwand vorschnell dazu verleitet, den Standpunkt, den Anticlimacus als christlich präsentiert, für Unsinn zu halten, ist darauf zu achten, dass man bereits eine der o.g. christlichen Kernaussagen in Anwendung bringen muss, um ihn überhaupt geltend machen zu können: die Behauptung, dass eine Offenbarung dazu gehöre, um zu verstehen, was Sünde ist. Genau genommen, so scheint es zumindest bis jetzt, sind es ja zwei Thesen, die Anticlimacus im Hinblick auf Wesen und Ursprung der Sünde als eminentermaßen christlich unterstellt: (a) Es gehört eine Offenbarung dazu, um verstehen zu können, was Sünde ist. (b) Die Sünde liegt im Willen, das Unrechte (wider besseres Wissen) zu tun. Beide Aussagen stehen offenbar in einem Begründungsverhältnis: Der Mensch kann nicht wissen, dass die Sünde darin besteht, das Gute nicht zu wollen (und: nicht wissen zu wollen, worin sie besteht), weil er das Gute nicht will (und: nicht wissen will, worin die Sünde besteht). Die Sünde gründet in einer willentlichen Unwissenheit. Indessen: Kann er wissen wollen, worin sie besteht, wenn doch eine Offenbarung dazu gehören soll, ihm mitzuteilen: (a) dass er nicht wissen will, worin sie besteht, und (b) dass deshalb eine Offenbarung dazu gehöre, ihm beides mitzuteilen (dass eine Offenbarung dazu gehört, um ihm mitzuteilen, worin die Sünde besteht; dass sie im Willen besteht)? Diese komplexere Problemlage führt zur Erweiterung der bisherigen Postulate von zwei auf vier. Das Christentum behauptet demnach: (1) „dass eine Offenbarung dazu gehöre, um den Menschen darüber aufzuklären, was Sünde ist“15 ; 15 Ebd.
II. Unwissenheit und Offenbarung
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(2) dass eine solche Offenbarung faktisch an den Menschen ergangen ist; (3) dass diese inhaltlich gesehen offenbart bzw. mitgeteilt hat: (a) worin die Sünde besteht: vor Gott das Unrechte bzw. nicht „das Rechte zu tun“16 ; (b) dass das Tun des (Un-)Rechten ein bestimmtes Verhältnis zu dessen (defizienter) Erkenntnis aufweist und welcher Art dieses Verhältnis sei: (b1) der Mensch tut das Unrechte (oder unterlässt, das Rechte zu tun), ohne das Rechte zu wissen; (b2) er hat das Rechte verstanden und tut das Unrechte, oder genauer, er tut es wider besseres Wissen; (c) dass die Ursache der Sünde (als Einheit von bösem Willen und Irrtum) im Willen liegt: (c1) der Mensch tut das Unrechte, weil er das Rechte nicht verstanden hat; er hat es nicht verstanden, weil er „es nicht verstehen will und dies [kommt] wiederum daher, dass er das Rechte nicht will“17 (= Schwäche); (c2) der Mensch tut, obwohl er das Rechte verstanden hat, das Unrechte, weil er das Rechte, das er verstanden hat, nicht tun will (= Trotz); (4) sich selbst als Offenbarung i. S. von 1 – 3. Hier sind in der Tat einige grundsätzliche Erläuterungen nötig. Ich sehe dabei zunächst vom eingangs angedeuteten Problem ab, dass strenggenommen nicht ,das Christentum‘ behauptet zu offenbaren, was von Anticlimacus als dessen Offenbarung ausgegeben wird, sondern lediglich Anticlimacus, dass das Christentum behauptet, eine solche Offenbarung zu sein.18 Sodann fällt auf, dass sowohl Sokrates als auch das Christentum 16 Ebd., 207 / 95. 17 Ebd. 18 Diese Differenz ist festzuhalten. Nur auf den ersten Blick mag es ohne weiteres als Zeichen von Redlichkeit gelten, dass Kierkegaard i.S. indirekter Mitteilung ein Pseudonym einschaltet, das die Verantwortung für die Darstellung des Christlichen als eines solchen übernehmen können soll. Prinzipiell ist damit nicht viel gewonnen. Denn wenn Kierkegaard aufgrund der Pseudonym-Einschaltung auch nicht ohne weiteres behaupten würde, dass das, was er selber mitteilt, den Inhalt der christlichen Lehre reproduziert, so unterstellt er nichtsdestoweniger, dass er mit dem, was er jemandem in den Mund legt, der wie Anticlimacus in außerordentlichem Maße Christ zu sein beansprucht (vgl. NB11:204, SKS 22, 127 f. / T 3, 254 – 256; NB11:209, SKS 22, 130 / T 3, 257 u. NB11:222, SKS 22,
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über das Wesen der Sünde als Verfehlung anscheinend die gleiche Kerndiagnose stellen: Sünde bedeutet prinzipiell, „das Unrecht (det Urette) tun.“19 Wenn man nun einerseits in Übereinstimmung mit den sokratischen Prinzipien ein dem Menschen ursprünglich und von Natur aus zukommendes Streben nach (etwas als) dem Guten annimmt, so dass auszuschließen ist, dass ein Mensch etwas Unrechtes um des Unrechten willen tut20 ; und wenn man andererseits voraussetzt, dass er über die für das Tun des Guten wesentlichen Bedingungen verfügt, so dass „im Grunde ein jeder Mensch die Wahrheit hat“21, an die er sich lediglich erinnern muss, dann liegt es nahe zu behaupten, dass das Tun des Guten i.S. der Tugend (!qet¶) zusammenfällt mit, oder zumindest unmittelbar folgt aus, der Einsicht in das, worin es besteht. Umgekehrt kann, wer unrecht handelt, im Grunde nicht verstanden haben, was das Gute ist, bzw. dass das, was er tat, nicht das Gute und deshalb sein ,Verstehen‘ auch nicht wirklich Verstehen war. Wenn wir also die o.g. Postulate über Ursprung und Wesen sündigen Handelns22 den sokratischen Bestimmungen gegenüberstellen und dabei zunächst einmal aus methodischen Gründen absehen von der Behauptung, es sei eine Offenbarung nötig, um
19
20 21 22
135 f. / T 3, 259 f.), eben indirekt die Wahrheit über dasjenige sagt, was dieser als Christ über das Christentum geltend zu machen hätte. Sollte sich also herausstellen, dass die Anticlimacus-Thesen die eine oder andere Fehldeutung enthalten, so dass seine Darstellung de facto gar nicht die christliche Auffassung wiedergibt – worin immer diese bestehen mag, und ungeachtet des hermeneutischen Problems, wie sie als solche zu erheben ist – ,dann resultierte daraus mindestens zweierlei: nicht nur, dass Anticlimacus in diesem Fall eine falsche Auffassung des Christentums besäße; sondern zugleich, dass die Auffassung Kierkegaards über das, was jemand, der wie Anticlimacus Christ sein soll, als christlich zu vertreten hätte, unzutreffend sein muss. SKS 11, 203 / GW1 KT, 89. Anticlimacus verschweigt hier freilich, dass christlich geurteilt ,Unrecht tun‘ dadurch, dass es (a) erst als Unrecht gegen Gott Sünde sein soll, zugleich (b) inhaltlich eine qualitativ und quantitativ andere Dimension gewinnt als bei Sokrates. Als These hier nur soviel: Kein Fall (un-) moralischen Verhaltens im sokratischen Sinne kann – NB: eo ipso – auch im christlichen Sinne als (un-)moralisch gelten. (Un-)Recht zu tun besitzt vielmehr im christlich-idealen Sinne eine größere Extension als im sokratischen. Vgl. dazu: H. Schulz 1994, 561 f. (A 190). Vgl. z. B. Protagoras 345 e. SKS 4, 222 / GW1 PB, 11; eine Voraussetzung, die das Christentum durch den Begriff der Erbsünde gerade für ungültig erklärt. Nochmals und im Zusammenhang: (1) Der Mensch tut das Unrechte. (2) Er tut es, weil er das Rechte nicht will, und dies in der Weise, es nicht verstehen zu wollen oder es nicht zu wollen, obwohl er es versteht. (3) Es bedarf einer Offenbarung, um ihn darüber aufzuklären, dass es sich so verhält.
II. Unwissenheit und Offenbarung
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den Menschen über das Wesen der Sünde aufzuklären, dann ergibt sich: Die Willensbestimmung zur Begründung einer unrechten Handlung einzuführen, leuchtet mindestens solange nicht ein, wie hier – in genauer Entsprechung zum Sokratischen – einerseits gilt, dass die Seinsweise der Sünde nach wie vor in der Unwissenheit besteht, andererseits aber dieses Prinzip gerade außer Kraft gesetzt werden soll. Natürlich kann man sich in extenso darüber streiten, ob ein Irrtum als willentlich begründet gedacht werden kann / muss, oder ob es – wenn überhaupt – andere Erklärungsgründe für dieses Phänomen gibt, ob mithin der Irrtum in einem „nicht verstehen Können“23 oder einem „nicht verstehen Wollen“24 fundiert ist. Der Vorwurf, dass es Sokrates an einer „dialektischen Bestimmung fehlt betreffs des Übergangs von dem etwas verstanden Haben zum es Tun“25, überzeugt indessen kaum – je23 SKS 11, 207 / GW1 KT, 95 (im Orig. teilweise kursiv). 24 Ebd. (im Orig. teilweise kursiv). Die Art und Weise, wie der Mensch sich selber das als gut Erkannte willentlich verdunkelt, illustriert der Psychologe Anticlimacus folgendermaßen: Der Wille lässt „einige Zeit hingehen, es gibt ein Interim, es heißt: wir wollen es doch bis morgen überlegen. Bei und mit dem allem wird die Erkenntnis allmählich dunkler und dunkler, und das Niedere [det Lavere] gewinnt mehr und mehr die Oberhand; denn ach, das Gute muß sogleich [strax] getan werden, sogleich, wenn es erkannt ist aber das Niedere hat seine Stärke im Hinziehen [i at traekke ud] … Und wenn dann die Erkenntnis geziemend dunkel geworden ist, so können Erkenntnis und Wille einander besser verstehen; zuletzt sind sie ganz einer Meinung, denn nunmehr ist die Erkenntnis auf die Seite des Willens übergegangen, und erkennt, es sei so ganz richtig, wie der es wolle“ (SKS 11, 206 f. / GW1 KT, 93 f.). Diese psychologisierende Auslegung des Verhältnisses von Wille und Erkenntnis kann im Christentum auf eine lange Tradition zurückblicken. Sie geht mindestens bis auf Augustinus zurück, der u. a. im autobiographischen Rückblick vor Gott bekennt: Wenn „Du mir von allerwärts vor Augen hieltest, daß Du Wahres sprichst, so gab es überhaupt nichts, was ich, von der Wahrheit überführt [convictus], hätte antworten sollen, als nur die Worte, die säumigen [lenta], träumigen: ,Gleich‘, ,ach ja gleich‘, ,nur ein klein wenig laß mich noch‘. Aber auf das ,gleich, gleich‘ geschah doch nichts dergleichen, und das ,laß mich nur ein wenig noch‘ zog sich in die Länge [in longum ibat].“ (Augustinus, Bekenntnisse, lat.-dt., übers, v. J. Bernhart, München 1960, 385) In der Tat: „Befehl gibt der Geist [animus] dem Körper, und sogleich [statim] wird gehorcht; Befehl gibt der Geist sich selbst, und da ist Widerstand [resistitur].“ (Ebd., 401) Sokrates hätte freilich der Behauptung, dass ,das Gute sogleich getan werden muß, wenn es erkannt‘ ist, durchaus zustimmen können, ohne doch darin eine Veranlassung sehen zu müssen, von einer willentlichen Verdunklung des Erkannten zu reden. 25 SKS 11, 205 / GW1 KT, 92. Der Wille ist natürlich die Übergangsbestimmung, die Anticlimacus hier vor Augen hat.
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denfalls sofern und solange man, wie vorausgesetzt, vom Rückgriff auf die Offenbarung abstrahiert. Denn selbst wenn man den Willen als Grund der Unwissenheit, die dem Tun des Unrechten korreliert, zu akzeptieren bereit ist, bleibt es nichtsdestoweniger bei der Definition der Sünde als Unwissenheit, zumindest was deren nicht-kontingente Seinsweise betrifft.26 Auch mit Blick auf die zweite von Anticlimacus als christlich ausgegebene Behauptung, wonach es möglich sei, dass jemand mit dem Bewusstsein des Guten das Unrecht tue (= Trotz), gilt entsprechend, dass sie die sokratische Position nicht zu erschüttern vermag, sondern im Gegenteil selbst voraussetzt. Denn es gibt nichts, das jemanden, der einen solchen Standpunkt vertritt, von der Notwendigkeit überzeugen müsste, anzunehmen, dass ein Mensch, der Unrecht tut, nicht deshalb so handeln würde, weil es ihm am rechten Verständnis des Guten mangelte, sondern im Gegenteil: weil er, bei vollem Bewusstsein des Guten und der Schlechtigkeit seiner Tat, dennoch willentlich und wider besseres Wissen falsch zu handeln vorzog. Jemand, der das Gute will und über die Bedingungen seiner Verwirklichung verfügt, kann sich nur irren, wenn er Unrecht tut – und zugleich in dem Glauben, es aus irgendeinem anderen Grunde getan zu haben als dem, sich in ihm zu irren.27 Man sieht, dass sich von einem immanenten Standpunkt, d. h. von einem Standpunkt aus, der in Hinsicht auf die Frage nach dem Ursprung unrechten Handelns von der transzendenten Offenbarungsvoraussetzung und ihren Implikationen28 abstrahiert, die Willensbestimmung als Erklärungsgrund falschen / unrechten Handelns gegenüber der sokratischen Bestimmung Unwissenheit nicht als zwingend einleuchtet. Nun kann dies schon deshalb kein Einwand gegen Anticlimacus sein, weil dieser ja selbst nirgends behauptet, dass es sich anders verhielte. Ich meine aber, dass es sinnvoll ist, zunächst und aus methodischen Gründen von den christlichen Offenbarungsvoraussetzungen (d. h.: dass das Christentum behauptet, eine Offenbarung zu sein / dass es als solche etwas mitteilt, das ohne sie nicht hätte gewusst werden können / dass diese Offenbarung – u. a. – in der Mitteilung des Willens als Ursprung des sündigen Handelns besteht) abzusehen, um nunmehr präziser lokalisieren 26 Vgl. ebd., 207 / 94: „Indes mit alledem sind wir noch nicht weitergekommen als bis zum Sokratischen“. 27 Sokrates zeigt dies im Protagoras; vgl. ebd. 352 d – 357 b. 28 Vgl. zu den Begriffen Immanenz und Transzendenz bei Kierkegaard: Malantschuk 1979, 463 – 495.
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zu können, was sich durch die Behauptung der Offenbarungsvoraussetzung an der bislang beschriebenen Sachlage ändert. Wir hatten gesehen: Von Sokrates aus geurteilt ergab sich weder die Notwendigkeit anzunehmen, dass der Mensch nicht von sich aus wissen könne, worin die Sünde besteht,29 noch dass sie im Willen fundiert sei. Jener „hartnäckige und überaus zählebige Mißstand“30 der Unentscheidbarkeit in der Frage nach dem Ursprung sündigen Handelns kehrte ständig wieder. Wendet man nun, gewissermaßen rückwärts, beide Bestimmungen (Offenbarungsnotwendigkeit und Wille als Erklärungsgrund sündigen Handelns) auf die sokratische Position an, so ergibt sich freilich eine eigentümliche Dialektik der Offenbarung, die, indem sie, um sich als sie selbst zu behaupten, die sokratische Position negiert, diese in einem bestimmten Sinne zu bestätigen oder zu bewahren genötigt ist. Wenn man Sokrates gegen den Vorwurf, in seiner Unwissenheit über die wahre Bestimmung dessen, was Sünde ist, selbst Sünder zu sein, mit dem Hinweis verteidigen will, dass er laut Auskunft des Christentums nicht über jene Offenbarung verfüge, die erst und allein jenes Wissen ermöglicht hätte, dann muss man die Wahrheit dieser Offenbarung bereits voraussetzen und in Geltung setzen (s. o.). Denn das Christentum unterstellt mit der Behauptung, als eine und mit einer Offenbarung aufzutreten, eben zugleich das Was dieser Offenbarung: d. h. unter anderem, dass die Sünde im menschlichen Willen gründet.31 Umgekehrt aber – und das ist für die Einschätzung der Sachlage maßgeblich – verhält es sich ganz genauso: Will man behaupten, die Unwissenheit, mit der Sokrates die Sünde als Unwissenheit definiere, sei selber Sünde, dann setzt dies selbstverständlich die Gültigkeit derjenigen Bestimmung als Moment voraus, um deren prinzipielle Aufhebung i.S. der Negation es gerade zu tun ist. Nur als konservierte und darin als unüberspringbares Moment bestätigte kann sie negiert werden, nur in und mit ihr gelangt man über sie hinaus. Das Provozierende oder das29 Vgl. SKS 11, 208 / GW1 KT,95. 30 Ebd., 201 / 87. 31 Im Übrigen bildet auch der Anspruch der Notwendigkeit von Offenbarung, den diese laut Anticlimacus, wenngleich lediglich implizit, erhebt, eine inhaltliche Bestimmung ihrer selbst: Die christliche Offenbarung teilt daher inhaltlich gesehen nicht nur mit, (a) dass die Sünde im menschlichen Willen gründet; sondern zugleich, (b) dass sie selbst als Offenbarung zu gelten beansprucht; und zwar (c) als solche, die zumindest in diesem Falle – notwendig war, d. h. ihr Inhalt (mindestens i.S. von a) nicht anders hätte mitgeteilt werden können.
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jenige, wodurch sich das Christliche als „Ärgernis weckend“32 erweist, liegt dann in der paradoxen Behauptung, die sich im Anspruch der Offenbarung bzw. dem, was sie offenbart, Ausdruck verschafft: Durch nichts anderes bedeutet, nicht wissen zu können, was Sünde ist, selber Sünde, als dadurch, dass (und von dem Augenblick, in dem) mitgeteilt wird, es nicht wissen zu wollen. Zugleich gilt das Umgekehrte: Nicht wissen zu wollen, was Sünde ist, kann nur Sünde sein von dem Augenblick an und dadurch, dass es offenbart wurde (und also: offenbart werden musste), und d. h.: weil und insofern man es nicht wissen konnte. Das, was via Offenbarung mitgeteilt wird, kann somit nur mitgeteilt werden um den Preis des Widerspruchs zu etwas, das in der Art und Weise, wie es mitgeteilt wird, gerade impliziert ist.33 Insofern erklärt Anticlimacus – gesetzt seine These bringt das und nur das zum Ausdruck, was das Christentum von sich selber behauptet34 – völlig zu Recht, dass das, was so in dem und durch das Christentum als Offenbarung in die Welt gekommen ist, nur geglaubt werden kann, und das heißt: ein „Paradox“35 darstellt, das, als Dogma gelehrt, allem Begreifen begreiflicherweise entzogen bleiben muss, dem begreifen Wollenden mithin zur „Möglichkeit des Ärgernisses“36 gereicht. III. Zwei Einwände, eine Quintessenz 32 SKS 11, 208 / GW1 KT, 95. 33 Dies gilt im Übrigen ausschließlich für die spezifisch christliche (qua Sünden-) Offenbarung. Denn es ist durchaus – ob i.S. Kierkegaards oder nicht, sei hier dahingestellt – ein Sinn von Offenbarung denkbar, die den bezeichneten Widerspruch nicht mit sich führt, bei der folglich das Implikat ihrer Mitteilungsweise dem, was offenbart wird, nicht widerspricht: z. B. wenn jemand einem anderen seine Liebe ,offenbart‘ o. ä. 34 Und klar ist wie gesagt, dass die Behauptung, es verhalte sich so, die Beantwortung einer Frage voraussetzt, die erst das eigentliche hermeneutische Problem aufwirft: Anticlimacus sagt uns ja nicht, woher er die Gewissheit nimmt, dass ebendies, was er für wesentlich christlich ausgibt, tatsächlich das und nur das wiedergibt, was „das Christentum … lehrt“ (SKS 11, 211 / GW1 KT, 99). Ob er insbesondere mit den biblischen, speziell den neutestamentlichen Aussagen über Wesen und Seinsweise der Sünde übereinstimmt, lasse ich offen. Es kann hier nicht darum gehen, einen systematisch-erschöpfenden Aufriss des biblischen Sündenverständnisses zu geben. Freilich dürfte kaum ein Zweifel daran bestehen, dass auch dort prinzipiell beides, Unwissenheit und Wille, als Erklärungsgrund widergöttlichen Handelns gilt; vgl. z. B. Lk 12, 47 ff.; 23, 34; Apg 3, 17 ff.; Röm5, 13; 7, 15 ff.; 8, 5a; Eph 2, 3; 1. Tim 1, 3; Hebr 10, 26; vgl. dazu u. a. Bultmann 1984, 226 – 254. 35 SKS 11, 209 / GW1 KT, 96. 36 Ebd., 208 / 95.
II. Unwissenheit und Offenbarung
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Soweit ich sehe, könnte man gegen diese Interpretation der sokratischchristlichen Dialektik mindestens zwei Einwände erheben. Erstens: Dass die Unwissenheit darüber, was Sünde ist, selbst unter das Verdikt Sünde fällt, scheint die Konsequenz der Annahme nach sich zu ziehen, es sei nur in einem einzigen Fall möglich zu behaupten, dass Sünde auch christlich gesehen als Unwissenheit zu gelten habe: für den Fall des Sokrates nämlich, durch den die ,falsche‘ Definition von Sünde ja allererst auf den Plan tritt. Dieser Einwand greift jedoch zu kurz. Es liegt im Gegenteil auf der Hand, dass es dem Interesse des Christen Anticlimacus ganz und gar zuwiderlaufen würde, der Sache diesen Anschein zu geben. Denn es soll ja, wie oben gezeigt, dem Sünder gerade offenbart werden müssen, dass er (u. a.) Sünder war darin: dass ihm dies offenbart werden musste, d. h., dass er nicht wusste, was das Gute war, weil er es nicht wissen wollte (oder: das Gute nicht wollte, obwohl er es wusste). Wir werden auch in diesem Fall auf den eigentümlich dialektischen Charakter der Offenbarungsbehauptung zurückverwiesen, genauer: Es muss nicht nur für Sokrates, sondern prinzipiell für jeden Menschen, sofern und solange er nicht Christ ist37, als zutreffend unterstellt werden, dass er nicht „vermag, aus eigenem Vermögen und von sich selber her auszusagen, was Sünde ist, ebendeshalb, weil er in der Sünde ist“38. Sofern und solange der Einzelne ,in der Sünde ist‘, diese m.a.W. das Worin seines Existierens, sein primäres „Existenz-Medium“39darstellt, solange liegt mindestens ein unhintergehbares Implikat dieses Sünderseins (worin dieses sich auch ansonsten immer ausdrücken mag) in der Unfähigkeit auszusagen, was Sünde ist – eine Tatsache, aus der, wenn sich ihr allein die Notwendigkeit der Offenbarung verdankt, stets ein Vierfaches folgt: (1) Die Offenbarung dessen, was Sünde ist, geschieht niemals außerhalb der, anders als und ohne die Offenbarung, dass derjenige Sînder ist, dem dies offenbart wird. (2) Die Offenbarung dessen, was Sünde ist, impliziert die Offenbarung, dass Sînde war, nicht zu wissen, was Sînde ist. (3) Die Offenbarung des Sînderseins dessen, der nicht wusste, was Sünde ist (= a) schließt inhaltlich eo ipso auch die Offenbarung jener Sünde ein, die darin bestand, nicht gewusst zu haben, was Sünde ist (= b). 37 D h.: der „natürliche [naturlige]“ (SKS 11, 208 / GW1 KT, 95) bzw. der „gefallene [faldne]“ (ebd., 208 / 96) Mensch. 38 Ebd., 207 / 94. 39 SKS 7, 530 / GW1 AUN2, 296.
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(4) Diese Offenbarung (i.S. von a – c) ergeht faktisch an jeden Einzelnen, und zwar in dem Augenblick, da er Christ wird, d. h.: im Augenblick des Sündenbewusstseins. Wenn also die konstitutive Rolle der Offenbarung zu Recht behauptet wird, dann muss sie für jeden Menschen von neuem für notwendig und also für undelegierbar gelten; sie kann nicht mit etwas erledigt sein, auf das sich Anticlimacus als ein für allemal Geschehenes und qua Schrift oder Verkündigung quasi-dokumentarisch Mitgeteiltes berufen würde. Zweitens: Der Satz: „Das Sündenbewusstsein kann das Individuum…nicht durch sich selbst bekommen“40 impliziert dann, dass auch der Korrelatform dessen, was Anticlimacus einer Offenbarung möglicher Arten des Sünderseins zuordnet (Sünde als Trotz), ein Moment der Unwissenheit oder des Irrtums anhaftet. Damit ist ein zweiter Einwand angedeutet: er würde bestreiten, dass es sich so verhält. Auch diesem Einwand kann begegnet werden, wenn man sich klarmacht, dass beide sündhafte Willensrichtungen (das Gute nicht wollen, weil man es nicht verstehen will / das Gute nicht wollen, obwohl man es versteht) sich zurückführen lassen auf die beiden Grundformen von Verzweiflung, die Anticlimacus zu Beginn seines Buches herausgestellt hatte41 und auf die er in seiner Sündendefinition nochmals ausdrücklich verweist:42 vor Gott verzweifelt nicht man selbst sein wollen (Schwäche = die Form von Sünde, in der der Mensch das Gute nicht verstehen will) und vor Gott verzweifelt man selbst sein wollen (Trotz = die Form von Sünde, in der der Mensch das Gute nicht will, obwohl er es versteht). Nun hatte Anticlimacus anfangs ausdrücklich erklärt43, dass sich beide Formen von Verzweiflung wechselseitig aufeinander reduzieren lassen. Das bedeutet in unserem Fall: Es ist keine Verzweiflung denkbar, bei der der eine ihrer Aspekte auf eine Weise dominierend wäre, die nicht zugleich und an jenem selbst den anderen mit hervorbringt bzw. selber enthält, sich in ihm dialektisch reflektiert. Niemand kann so vor Gott er selbst sein wollen (wobei das Selbst, das er sein will, nicht das Selbst ist, das er in Wahrheit ist), dass er nicht zugleich das Selbst nicht sein wollen würde, das er ist (und dabei notwendig das Selbst ist, das er nicht sein will), und umgekehrt. Demnach ist undenkbar, dass sich jemand in seinem trotzigen Aufsich-selbst-Bestehen dem Guten gegenüber nicht auch zugleich und in 40 41 42 43
Ebd., 531 / 297. Vgl. SKS 11, 129 f. / GW1 KT, 8 f. Vgl. ebd., 208 / 96. Vgl. ebd., 130 u. 135 f. / 9 u. 16.
II. Unwissenheit und Offenbarung
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irgendeiner Weise die Erkenntnis des Guten verdunkeln würde, ebenso wie es umgekehrt keine vollständig über das Gute unwissende Schwäche geben kann, die nicht (auch) stolz und trotzig auf sich selbst besteht.44 Wenn sich dies tatsächlich so verhält, lässt sich der genannte zweite Einwand entkräften. Dieser würde ja geltend machen, dass es in und mit der durch den Gottmenschen geschehenen Offenbarung (die u. a. dies offenbart, dass der menschliche Wille Ursprung der Sünde sei), überflüssig werde, weiterhin irgendeine Form möglicher Unwissenheit im sündigen Handeln voraussetzen zu müssen – Sünde könne m.a.W. nunmehr auf reinen Trotz reduziert werden. Darauf ist zu antworten: (1) Hinsichtlich Wesen und Herkunft der Sünde gilt kategorial-paradox, dass sie – in Übereinstimmung mit dem als Offenbarung Behaupteten – im menschlichen Willen gründet und nur hier. Das ,ist‘ in der Aussage ,Die Sünde ist das willentliche Unterlassen des Guten, das willentliche Tun des Bösen‘ bedeutet folglich ,ist ihrem Wesen nach‘; Wille ist Wesens- bzw. Herkunftsbestimmung der Sünde. (2) Hinsichtlich der Seinsweise der Sünde aber gilt zugleich und in phänomenologisch-psychologischer Blickrichtung: Sie ist oder genauer: sie ist niemals ohne irgendeine Form von Unwissenheit oder Irrtum. Beides lässt sich sehr schön an der vollständigen Definition von Sünde demonstrieren, die Anticlimacus am Schluss des genannten Kapitels vorstellt: „Sünde ist, nachdem man durch eine Offenbarung von Gott her darüber aufgeklärt worden, was Sünde ist, vor Gott verzweifelt nicht man selbst sein wollen oder verzweifelt man selbst sein wollen.“45
Verblüffender Weise kehrt hier im ersten Satzabschnitt das Definiendum Sünde als Teil des Definiens wieder. Wie lässt sich das erklären? M.E. stehen drei Deutungsmöglichkeiten zur Verfügung, wobei ich allein die dritte für sachgemäß halte: (1) Der Ausdruck Sünde zu Anfang des Satzes (nennen wir ihn Sünde 1) bedeutet dasselbe wie der zweite (= Sünde 2), beide sind univok. Dann ergibt sich der eben erwähnte logische Widersinn einer Explikation des Definiendums durch sich selber. 44 Vgl. dazu ebd., 157 / 39, wo die Verzweiflung des Teufels als einzig mögliche Form eines sich in seiner Verzweiflung völlig durchsichtigen und unbedingten Trotzes, in dem „keinerlei Dunkelheit [ist], … welche als abmildernde Entschuldigung dienen könnte“ (ebd.), behauptet wird. 45 Ebd., 208 / 96.
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(2) Sünde 1 und 2 sind quivok, wobei Sünde 2 semantisch die via Offenbarung mitgeteilten Bedeutungen abdeckt (Sünde als Tun des Unrechten, begründet im Willen, es nicht zu verstehen bzw. nicht zu wollen, obwohl man es versteht).46 Diese Variante mündet jedoch in drei weitere Aporien: (a) Entweder Anticlimacus’ eigener Sündenbegriff (Sünde 1) entspricht nicht mehr der Bedeutung von Sünde, von der er behauptet, dass sie als die offenbarte (Sünde 2) die einzig gültige sein soll. Die differentia specifica im zweiten Teil seiner Definition (,vor Gott verzweifelt nicht man selbst etc.‘) geht dann über den als genus proximum fungierenden ,offenbarten‘ Sündenbegriff (Sünde 2) hinaus, wie er im ersten Teil des Satzes (,nachdem man durch eine Offenbarung etc.‘) zum Ausdruck kommt. (b) Oder Anticlimacus muss stillschweigend voraussetzen, dass in seiner Definition von Sünde 1 selber eine neue und faktisch endgültige Offenbarung zur Sprache kommt – eine Behauptung, die selbstverständlich jedes vernünftigen Sinnes ebenso entbehrt wie sie der Intention des Verfassers der Verzweiflungsschrift offen zuwiderliefe. (c) Man nimmt an, dass mit der Anticlimacus-Definition ein Sündenbegriff als nicht offenbarter bzw. der Offenbarung bedürftiger (= Sünde 1) Gültigkeit beansprucht, eine Behauptung, die ebenfalls mit der Aussageabsicht des Christen Anticlimacus schwerlich in Übereinstimmung zu bringen wäre. (3) M.E. lässt sich der angeführten Definition nur so ein vernünftiger Sinn abgewinnen, dass man zu Anfang des Satzes ein erläuterndes ,als‘ ergänzt, so dass sich, sit venia verbo, ergibt: Sünde ist als das (nachdem man von Gott aufgeklärt wurde, was Sünde ist) Verzweifelt-manselbst / Verzweifelt-nicht-man-selbst-sein-Wollen. Das bedeutet: Sünde hat die Seinsweise eines schuldhaften Vergessens, d. h. derjenigen Verzweiflung vor Gott, die sich nicht daran erinnern will, dass ihr Selbst- und Gottesverhältnis als Ausdruck von etwas gelten muss, das dem Verzweifelten, qua (weltgeschichtlicher) Offenbarung in Christus, längst gesagt ist. Kurz: Sünde ist – im Kierkegaardschen Sinne – Dämonie.47
46 Dies entspricht dann dem ersten Teil der Anticlimacus-Definition. 47 Vgl. zu Funktion und Gehalt dieser Kategorie insbesondere SKS 4, 420 – 453 / GW1 BA, 122 – 160.
II. Unwissenheit und Offenbarung
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Das Ereignis der Offenbarung, das dem Sünder, jedem einzelnen und immer neu, sein Sündersein (bzw. was Sünde ist) offenbart, kommt damit gewissermaßen nur auf sich selbst zurück, wiederholt sich und lässt den Sünder sich selbst in etwas wiedererkennen, das er als solches erfährt, das ihm immer schon gesagt war, so dass er, indem er dies willentlich ,vergaß‘, ergo leugnete, Sünder wurde. Was somit qua Sündenbewusstsein offenbart wird, ist nichts anderes als die schlichte Tatsache: dass sich dies so verhält. Umgekehrt gilt dann freilich, dass die Offenbarung, indem sie dieses ,Nachdem‘ akzentuiert (d. h. indem sie offenbart: „Du warst darüber aufgeklärt, was Sünde ist, aber du hast es nicht wissen wollen“, oder: „Du wolltest das Unrechte, obwohl du über das Rechte aufgeklärt warst“), das Eintreten eines solchen Nachdem voraussetzen muss. Das bedeutet, um christlich geurteilt töricht zu reden: Die Offenbarung muss dem Menschen gewissermaßen Zeit lassen, schuldig werden zu können daran, dass sie nötig wird – damit sie nötig werden kann! Gesetzt dies ist ein plausibler Interpretationsansatz für die zitierte Stelle, was folgt daraus? Nun, vor allem darf dieser Befund als Bestätigung der Hypothese gelten, dass Anticlimacus die sokratische Sündendefinition nicht nur nicht als schlechthin unzutreffend zurückweisen kann, sondern im Gegenteil als durch das christliche Sündenverständnis bewahrt und aufrechterhalten denken muss. Diese setzt jene, um sie als Prinzip negieren zu können, zugleich als notwendiges Moment voraus und konserviert sie so. Um Offenbarung sein zu können, und um offenbaren zu können, was sie offenbart, muss sie als Seinsweise der Sünde irgendeine Form von Unwissenheit voraussetzen; denn anders lässt sich nicht verstehen, dass und wie der „Begriff, mit welchem das Christentum den qualitativen Unterschied setzt zwischen sich und dem Heidentum,… eben: die Sünde, die Lehre von der Sünde“48 ist. Überdies wird erst danach – insofern die christliche Bestimmung der Sünde geglaubt zu werden verlangt, nur als Dogma, und d. h. im Glauben, bejaht werden kann – von einem Gottesverhältnis im strengen Sinne zu reden möglich. Denn „Begreifen ist des Menschen Reichweite im Verhältnis zum Menschlichen; glauben aber ist des Menschen Verhältnis zum Göttlichen.“49 Gewiss: Christlich gesehen „geht es um das Verhältnis zwischen Gott und Mensch, darum ist Irrtum [Vildfarelse] Sünde“50. Aber auch und gerade dann, wenn der „Irrtum des Zweiflers und des Verzweifelten…im 48 SKS 11, 202 / GW1 KT, 89. 49 Ebd., 208 / 95. 50 SKS 11, 80 / GW1 ZKA, 101.
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Willen“51 liegt, bedeutet dies nicht, dass die Verzweiflung nicht die wenn auch willentlich begründete Seinsart des Irrtums hat. Es ist sicher verständlich, dass der Christ Anticlimacus, der zur Erbauung, d. h. zur Erweckung und gegen die zerstreuenden Selbstentschuldigungstendenzen seiner Zeitgenossen schreibt, diesen Sachverhalt nicht allzu pointiert herausstellt. So räumt er lediglich am Rande ein, dass sich die Wahrheit der sokratischen Sündendefinition aus der Sicht des Christentums „in bestimmtem Sinne gar nicht leugnen lässt“52. In welchem Sinne, ist wie ich hoffe durch das Vorangegangene einigermaßen deutlich geworden. Der Nichtchrist Climacus vermag dagegen sehr wohl mit aller Bestimmtheit den „sokratische(n) Satz, dass alle Sünde Unwissenheit [Uvidenhed] sei“, als durchaus „richtig [rigtigt]“53 zu bezeichnen, wenngleich auch er sich beeilt, ganz i.S. des Verfassers der Verzweiflungsschrift zu ergänzen: Daraus „folgt nicht, dass sie ja recht gut sich selbst in der Unwahrheit wollen kann“54.
III. Unwissenheit contra Irrtum. Ein semantisches Intermezzo im sokratisch-christlichen Konflikt Bisher wurde der Gebrauch der Termini Unwissenheit, Irrtum, Selbsttäuschung oder -betrug, Verblendung, Missverständnis etc. als selbstverständlich und semantisch problemlos unterstellt, deren synonyme Verwendung schien prima facie gerechtfertigt. Kierkegaard selber greift 51 SKS 5, 215 / GW1 2R44, 129. 52 SKS 11, 201 / GW1 KT, 87. 53 SKS 4, 254 / GW1 PB, 48 [Anm.]. Vgl. auch NB11:93, SKS 22, 53 u. NB:137, SKS 20, 94 f. / T 2, 81 – 83: „So verdorben sind die Menschen nicht, dass sie eigentlich das Böse wollen [ville det Onde], aber sie sind verblendet [forblindede] und wissen eigentlich nicht, was sie tun.“ (Ebd., 95 / 82) Noch deutlicher NB30:131, SKS 25, 489: „Sokrates hat recht: Wenn ein Mann das Rechte nicht tut, dann weil er es nicht verstanden hat; verstünde er es, dann würde er es tun – ergo ist Sünde Unwissenheit [Uvidenhed]. Das Christentum hat Recht: Sünde ist Schuld [Skyld]. Wenn nämlich ein Mann das Rechte nicht tut, dann ganz richtig deswegen, weil er es nicht versteht; wenn er es nämlich verstünde, dann usw. Aber, dass er das Rechte nicht versteht, kommt daher, dass er es nicht verstehen kann [ikke kan forstaae det], und dass er es nicht verstehen kann, kommt daher, dass er es nicht verstehen will [ikke vil forstaae det]“ (ebd., Hervorh. H. S.). 54 SKS 4, 254 / GW1 PB, 48 [Anm.] (Hervorh. H. S.).
III. Unwissenheit contra Irrtum
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in der Regel auf Ausdrücke wie „Unwissenheit [Uvidenhed]“55 und „Irrtum [Vildfarelse]“56 zurück und verwendet beide gleichfalls synonym. Ist diese Verwendungsweise legitim? Bei näherem Hinsehen keineswegs. Denn Unwissenheit und Irrtum besagen nicht dasselbe; sie sind im Gegenteil weder bedeutungsgleich noch koextensiv. Zwar ist jeder Irrtum eine Form von Unwissenheit; aber umgekehrt ist eine Form von Unwissenheit denkbar, die nicht Irrtum ist. So kann man zwar mit Recht behaupten, dass sich irrt, wer geltend macht, zwischen Essen und Dortmund gebe es keine Stadt mit mehr als 200 000 Einwohnern. Aber es ergibt keinen Sinn, diesen Ausdruck dann zu verwenden, wenn jemand hierüber gar kein Urteil fällt (bzw. auf eine entsprechende Frage antwortet, er wisse es nicht, ob es sich so verhält oder nicht). Bloße Unwissenheit irrt deshalb nicht, weil und insofern sie gar nicht urteilt: entweder deshalb, weil sie gewissermaßen gar nicht weiß, dass und worüber es da etwas zu wissen gibt, oder aber, weil sie sich mit Absicht (ohne deshalb bereits notwendigerweise zu zweifeln) eines Urteils enthält. Irrtum setzt zusätzlich – und nur dadurch, dass jemand faktisch ein (und zwar falsches) Urteil fällt – voraus, (a) dass der Urteilende unterstellt, dieses Etwas als ein solches, das gewusst werden soll und gewusst werden kann, zu wissen; (b) dass es sich um ein falsches Urteil, ein Scheinwissen also, handelt; (c) dass der Urteilende weder den wahren Sachverhalt noch sich selber als Irrenden kennt. 55 SKS 11, 201 / GW1 KT, 87 u. passim. 56 Vgl. z. B. SKS 11, 80 / GW1 ZKA, 101. In den Brocken verwendet Climacus eine Reihe sinnverwandter Ausdrücke wie z. B. Einbildung (Indbildning; vgl. z. B. SKS 4, 250 / GW1 PB, 43), Missverstehen (Misforstaaelse; vgl. z. B. ebd., 255 / 49), Illusion (Illusion; vgl. z. B. ebd., 272 / 69), betrogen sein (at være bedragen; vgl. z. B. ebd., 292 / 92), Trughaftigkeit (so Hirschs Übersetzung des dän. Svigagtighed; vgl. ebd., 281 / 78) etc. Der Begriff Betrug spielt bereits im Zusammenhang der Interpretation der Gen-3-Erzählung bei Vigilius Haufniensis im Begriff Angst eine nicht unwesentliche Rolle: vgl. SKS 4, 352, 365 f., 458 f. / GW1 BA, 45 f., 60 f., 166 f. Für die Deutung der Brocken scheint vor allem der Begriff des Missverständnisses von Bedeutung. Dass Climacus dabei ein zentrales Prinzip der griechischen Tragödie aufgreift, dürfte kaum zufällig sein. K. Schäfer hat darauf hingewiesen, dass der Aufbau des Buches „sich als Drama in fünf Akten mit einer Zwischenaktmusik präsentiert“ (ders. 1968, 62). Dies ist sicher mehr als nur ein formaler Spleen des Verfassers. Auch Frater Taciturnus hat „das Mißverständnis als tragisches und komisches Prinzip, im Experiment benutzt“ (SKS 6, 385 / GW1 SLW, 443) und ausführlich erläutert (vgl. ebd., 385 ff. / 443 ff.); dazu Papir 102:1, SKS 27, 122 / T 1, 62.
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Jener überaus zählebige Missstand
Der Irrtum ist deshalb – wie die Sünde, deren Seinsweise mit durch ihn konstituiert wird – notwendigerweise eine Setzung, eine „Position“57. Er besteht als solcher in der Unwissenheit eines vorgeblichen Wissens, das nicht weiß, kein Wissen zu sein, in einem Scheinwissen, einer Täuschung also, die – als solche über sich selber unwissend – zugleich Selbst-Täuschung ist. Ent-täuschung ist dann gewissermaßen der primäre Modus von Wahrheit für den im Irrtum Befangenen oder vorsichtiger ausgedrückt: Dass (a) Bochum zwischen Essen und Dortmund liegt, bekommt der Irrende nur (b) um den Preis des Wissens, (unwissentlich und unbeabsichtigt) etwas Falsches behauptet zu haben, zu wissen; und zwar (c) über etwas als ein solches, über das – indem er darüber urteilte – geurteilt werden sollte. Das, was den Irrtum über etwas erst zum Irrtum macht, ist demnach das unwissentlich falsche Verhältnis, das der Irrende in dem Verhältnis zum Gegenstand zu sich selber einnimmt, genauer: Er verhält sich im Verhältnis zum Gegenstand nicht zu sich selbst als dem, dessen Gewissheit in diesem falschen Verhältnis als trügerisch bezeichnet werden muss.58 57 Dies der Terminus, den Anticlimacus im Folgenden (vgl. SKS 11, 209 ff. / GW1 KT, 96 ff.) als konstitutives Merkmal der Sünde behauptet und erläutert. 58 Irrtum ist daher von Lîge zu unterscheiden: Denn der Lügner kennt die Wahrheit – und die Wahrheit über sein Verhältnis zu ihr (dass er ein Lügner ist) – und spricht demzufolge mit Absicht, ob böswillig oder nicht, die Unwahrheit. So wie der Irrtum einerseits ein Moment von Unwissenheit impliziert, besitzt er andererseits etwas, das ihn mit der Lüge verbindet: die Unwahrheit dessen, was er – mag er auch unwissend darüber sein, dass es sich so verhält – als wahr behauptet. Freilich gibt es schwebende Grenzfälle zwischen Lüge und Irrtum: z. B. wenn jemand einem anderen im Glauben, ihn zu täuschen, tatsächlich eine wahre Auskunft erteilt; denn dann handelt es sich strenggenommen weder um Lüge (da er ja faktisch die Wahrheit sagt) noch um Irrtum (da er ja glaubt und beabsichtigt, die Unwahrheit zu sagen). Man sieht hier übrigens, dass im Aussprechen der Wahrheit das subjektive (Evidenz) und das objektive Ideal (Adäquation) notwendig koinzidieren: Die Wahrheit weiß sich als solche (vgl. in diesem Sinne etwa Fichtes transzendentalen Aufweis des Satzes, dass man nur vom „Wahren … überzeugt seyn“ (Fichte 1971, 451 – 518, hier: 513). Kierkegaards terminologische Nachlässigkeit ist in diesem Punkt allerdings insofern erstaunlich, als er die Abhandlung De Notione Atque Turpitudine Mendacii Commentatio seines Bruders Peter Christian Kierkegaard, die diese Probleme im Einzelnen erörtert, sicherlich gekannt hat. Auch die bereits 1832 veröffentlichte, ungewöhnlich detaillierte, umsichtige und scharfsinnige Rezension dieser Untersuchung durch Kierkega-
III. Unwissenheit contra Irrtum
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Neben Positivität, Gegenstandsverfehlung (objektiver Irrtum) und Selbstverfehlung (subjektiver Irrtum) weist das Phänomen des Sich-Irrens noch ein viertes Strukturmoment auf: Der Irrtum kann nicht ohne ein Moment von Wahrheit Irrtum sein. Der Irrende kann sich m.a.W. in seinem Urteil über etwas, dem er etwas Falsches prädiziert, nur dadurch irren, dass er in der falschen Prädikation deren Worîber gleichwohl richtig erfasst und darauf korrekt referiert. Der Irrtum hängt an der Voraussetzung der Wahrheit dessen, über das er sich – in irgendeiner Hinsicht – irren können soll.59 Wenden wir diese Bestimmungen auf die Anticlimacus-These bzw. deren Implikationen für den sokratischen Sündenbegriff an, dann zeigt sich zunächst und vor allem dies: Wenn Anticlimacus von Unwissenheit redet, meint er in Wahrheit Irrtum. 60 Das lässt sich bereits an seinem Beispiel einer nicht-praktischen, d. h. nicht auf den Zusammenhang von Wissen und Tun gerichteten Situation von Unwissenheit demonstrieren, der zufolge es „Menschen gegeben hat, die der Meinung waren, die Erde stehe still“61. Eben dies, dass sie ein, und zwar falsches Urteil fällen, macht ihre ,Unwissenheit‘ zu Irrtum. Erst recht gilt das für den Fall, um den es Anticlimacus eigentlich geht: die ethische ,Unwissenheit‘, der zufolge „ein Mensch dasteht und das Richtige sagt – und mithin es verstanden hat; und wenn er dann handeln soll, das Verkehrte tut – und mithin zeigt, dass er es nicht verstanden hat“62. Ebenso verhält es sich auch bei Sokrates. Dieser bestimmt im Protagoras63 die Unwissenheit (!lah¸a) ausdrücklich als falsche Meinung
59
60 61 62 63
ards philosophischen Lehrer, Poul Martin Møller (vgl. ders., 1856; hier: Bd. 5, 182 – 201) blieb, sofern Kierkegaard sie gelesen hat, offenbar ohne nachhaltige Wirkung. Dass die Termini Essen und Dortmund auf etwas referieren, für das sie als Bezeichnungen stehen, muss vorausgesetzt werden, wenn es möglich sein soll, sich darüber zu irren, dass zwischen beiden keine Stadt mit mehr als 200 000 Einwohnern existiert. Auch wenn er im vorliegenden Abschnitt von ,uvidenhed‘ (Unwissenheit) redet und nicht von ,vildfarelse‘ (Irrtum). SKS 11, 203 f. / GW1 KT, 90. Ebd., 204 / 90. Der für unsere Fragestellung zentrale Dialog geht der Frage nach, ob die Tugend (!qet¶) Wissen (1pist¶lg) sei, und zwar vor allem im Hinblick auf das Problem der Einheit der !qet¶ (vgl. Protagoras 329 c). Das Ergebnis lautet, dass die (eine) Tugend zwar tatsächlich im Wissen liege, als solche aber nicht eigentlich gelehrt werden könne (vgl. Protagoras 361 ab und 320 b). Vgl. dazu Jaeger 1959, 165 –
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Jener überaus zählebige Missstand
bzw. Täuschung; !lah¸a bedeutet „t¹ xeud/ 5weim dºnam jai 1xeOshai“64. M.a.W.: Auch hier wird von vornherein die Unwissenheit darauf bezogen, dass jemand in einer falschen Meinung über etwas (dºna) zugleich und primär über sich selbst als denjenigen unwissend ist, der weder den wahren Sachverhalt noch die Falschheit des von ihm Behaupteten kennt. Besonders prekär ist diese Art der Unwissenheit dann, wenn es um Fragen „in betreff der wahren Werte“65, d. h. um das Wesen des Guten, um die Tugend als !qet¶ geht. Behauptet wird dabei, dass Tugend Wissen (1pist¶lg), Sünde dagegen Unwissenheit (!lah¸a) i.S. der Täuschung, des Irrtums und der falschen Meinung (xe¼dg dºna) sei, und dass demzufolge nur derjenige, der i.S. des Irrtums ,nicht weiß‘, was das Gute ist, die Möglichkeit hat, falsch zu handeln – bzw. umgekehrt der, der falsch handelte, dazu nur deshalb fähig war, weil er sich selbst nicht kannte. Denn er wusste nicht, (a) was das Gute ist; (b) dass sein Tun nicht gut war; und (c) aus welchem Grund a und b zutreffen.66 Daraus erhellt unter anderem, dass der Irrtum (bzw. die Sünde als Irrtum) notwendig Selbstverfehlung bedeutet. Der unrecht Handelnde ist dadurch, dass er sich über sich selber und das Gute irrt, niemals imstande, in Übereinstimmung mit seiner eigenen Wesensbestimmung zu leben. Im Irrtum befangen kann er der !qet¶, die ihn erst eigentlich zum Menschsein tauglich macht, nicht als solcher folgen und somit letztlich als Mensch nicht glücken. Da mithin die Verfehlung des Guten und Wahren als Selbsttäuschung immer zugleich Selbstverfehlung impliziert, muss es ethisch gesehen darum gehen, das Missverhältnis dort zu fassen zu bekommen, wo seine Wurzel, das eigentlich Irrtumshafte am Irrtum liegt: im Selbstverhältnis des Irrenden, der nicht weiß, dass er sich irrt. Der Irrende muss sich selber überführen, er muss, veranlasst durch die Konsequenz der Behauptungen, die ihm durch die ironisch-dialektische Fragetechnik des Sokrates entlockt werden, mit sich selbst in Widerspruch geraten, kurz: sich selbst 187, sowie Kierkegaards Auslegungsansätze zum Protagoras in: SKS 1, 113 ff. u. 253 / GW1 BI, 53 ff. u. 214. 64 Protagoras, 358 c 4 f. 65 So Jaegers Übersetzung von 358 c 5; vgl. ders., a.a.O., 388 (A 94). 66 Dieser These entspricht im Protagoras die Behauptung, dass kein Mensch sich „freiwillig 2jºmta“ verfehle, vielmehr jeder, der moralisch schlecht handle, dies „unabsichtlich %jomter“ (Protagoras 345 e 1 u. 3 f.) tue.
III. Unwissenheit contra Irrtum
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erkennen oder wiedererkennen in seiner Verblendung, und darin zugleich an die Wahrheit erinnert werden, die so, obgleich vergessen, dennoch in ihm selbst beschlossen lag. Die „Macht des Scheins [vaimol´mou]“67, die gerade darin bestand, sich als Schein zu verbergen, wird gebrochen durch die Wahrheit, die jenen als solchen enthüllt. Der Weg zur Einsicht in die Wahrheit, die jeder aus sich selbst, aus der Erinnerung !m²lmgsir (wieder-)gebären muss, die sich infolgedessen nicht eigentlich und als solche lehren lässt und zu deren Geburt Sokrates lediglich mäeutische Entbindungshilfen leisten kann, ist daher wesentlich Selbsterkenntnis. Die delphisch-sokratische Maxime cm_hi seautºm entspricht dann bei Kierkegaard der Vereinzelungs- oder Isolationsbewegung in der Selbstwahltheorie des Gerichtsrats.68 Sie bedeutet – so die frühe Auslegung im Begriff der Ironie –: „Trenne dich selbst von allem anderen ab.“69 M.a.W.: ,Werde deiner selbst als desjenigen ansichtig, der sich irrtümlich auf dem Weg über unmittelbare, positiv-substantielle Bestimmungen des Guten definieren zu können meinte. Erkenne dich wieder als derjenige, der sich im Selbstmissverständnis einer „unmittelbaren Sittlichkeit“70, die „in aller Unschuld nicht weiß, was sie tut“71, befand!‘ Hier, und in ganz vorläufig-abstrakter Form, in der Figur des Sokrates, wird die Subjektivität an sich, wird der Mensch zum ersten Mal als ein Selbst greifbar, das sich durch die Isolationsbewegung der Selbsterkenntnis von allen substantiellen Bestimmungen abtrennt, um in ethisch motivierter Verinnerlichung auf die eigene Subjektivität zu reflektieren. Freilich spielt bei Sokrates die Unwissenheit noch eine andere Rolle. Sein Standpunkt als rein negativer bindet die durch ihn ermöglichte und in ihm verwirklichte Form von Selbsterkenntnis ja an das, was sie als Irrtum negiert. So bleibt das Gute, dessen sich der Einzelne auf Veranlassung des Sokrates als das seinem Wesen Gemäße erinnern können soll, positiv zuletzt unbestimmt.72 Die ironisch unaufhörlich sich entziehende 67 68 69 70 71 72
Protagoras, 356 d 4. Vgl. dazu SKS 3, 205 ff. / GW1 EO2, 227 ff. SKS 1, 225 / GW1 BI, 182. Ebd., 272 / 236 [Anm.]. Ebd. [Anm.]. Ich übergehe hier wiederum die Frage nach dem Verhältnis der sokratischen zur im engeren Sinne platonischen Lehre im Hinblick auf die Idee des Guten. Kierkegaard hat die Unterscheidung zwischen der ethisch-existentiellen Orientierung des sokratischen wie der metaphysisch-spekulativen des platonischen Denkens wohl bis zuletzt aufrechterhalten (vgl. z. B. SKS 7, 188 / GW1 AUN1,
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Jener überaus zählebige Missstand
„unendliche Negativität“73 des listigen Griechen bleibt unendlich gebunden an das, was sie ironisch negiert, an die Täuschung, als deren Enttäuschung sie sich permanent vollzieht. Deshalb entspricht der sokratischen Anschauung „in intellektueller Hinsicht“74 (scheinbar paradox, in Wahrheit aber mit ironischer Konsequenz) das Prinzip der Unwissenheit (,ich weiß, dass ich nichts weiß‘) als ein „wirklich philosophischer Standpunkt“75. Denn – so Kierkegaards affirmativ zitierte Auslegung eines zeitgenössischen Platon-Forschers – dies „Wissen, dass er nichts wisse, ist…nicht etwa, wie es gewöhnlich vorgestellt wird, das reine leere Nichts, sondern das Nichts des bestimmten Inhalts der bestehenden Welt. Das Wissen der Negativität alles endlichen Inhalts ist seine Weisheit, durch welche getrieben er in sich geht, und dies Erforschen seiner Innerlichkeit als das absolute Ziel ausspricht.“76
Unwissenheit in diesem Sinne, d. h. gerade nicht als Irrtum, sondern als dessen ironische Enthüllung, als Prinzip unendlicher Negation oder Unwissenheit in zweiter Potenz, ist das, worauf Anticlimacus zufolge Sokrates eigentlich „zielt [tenderer til]“77. Und weiter als bis zur Einsicht, dass vollkommene Selbsterkenntnis in der Form vollständig durchgeführter Unwissenheit oder als zu Ende geführtes Wissen um die eigene Unwissenheit, als endgültige Ent-täuschung gewissermaßen, sich darstellen würde, reicht dieses Prinzip nicht. Denn Sokrates, der weder über den spekulativ-metaphysischen Abweg (= Idee des Guten) noch den christlich-paradoxen Ausweg (= Offenbarung) verfügt, hat lediglich die „Idee als Grenze“78 : Bezüglich des „allem zu Grunde Liegenden, betreffs des Ewigen, des Göttlichen war er unwissend, das will heißen, er wußte, dass es war, wußte aber nicht, was es war, er hatte es in seinem Bewußtsein, und doch hatte er es nicht in seinem Bewußtsein, insofern das Einzige, das er darüber aussagen konnte, war, dass er darüber nichts wisse.“79
73 74 75 76 77 78 79
197), selbst wenn man in der einen oder anderen Richtung spürbare Modifikationen seines Sokratesbildes beobachten kann; vgl. dazu etwa Sløk 1954, 67ff; außerdem im Zusammenhang: Himmelstrup 1924. SKS 1, 253 / GW1 BI, 215 [Anm.]. SKS 11, 202 / GW1 KT, 88. SKS 1, 217 / GW1 BI, 174. Ebd., 221 / 179. SKS 11, 202 / GW1 KT, 88. SKS 1, 218 / GW1 BI, 175. Ebd., 217 f. / 175. Abgesehen von der Frage, ob im Symposion das platonische oder das sokratische Element vorherrschend ist (und ob sich Kierkegaard zu
IV. Fazit
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IV. Fazit Im Hinblick auf die Ausgangsfrage nach dem Verhältnis von Irrtum und Wille in Kierkegaards Sündenbegriff führt dieses semantische Intermezzo zu folgendem Argumentationszusammenhang: Wenn (1) die Anticlimacus-These, dass Sünde christlich verstanden im Willen gründet, deren Seinsweise nichtsdestoweniger (auch) als eine Form von Unwissenheit zu denken nötigt; (2) diese Unwissenheit näherhin als Irrtum verstanden werden muss, der eine spezifische Weise von Selbsttäuschung bzw. -Verfehlung mit sich bringt; (3) solcher Selbstverfehlung eine fortwährende, als Enttäuschung vollzogene Bewegung ethisch-religiöser Selbsterkenntnis korrespondiert; (4) christlich verstanden das Sündenbewusstsein an die Stelle solcher Selbsterkenntnis tritt80 ; (5) das Sündersein des Individuums sich u. a. in der Unfähigkeit dokumentiert, diese Form der Selbsterkenntnis ohne Offenbarung und aus eigener Kraft hervorzubringen, dann folgt daraus dreierlei: (6) Sünde ist wesentlich Selbstverfehlung. Das Individuum bringt sich selber in ein verzweifeltes Missverhältnis zu Gott – derart, dass es als es selbst nicht glücken kann. Zugespitzt formuliert: Die Sünde besteht in nichts anderem als darin (oder vorsichtiger: sie ist mindestens nicht ohne dies), nicht man selbst zu sein. Denn der „Mensch, welcher nicht vor Gott ist,… ist auch nicht er selbst“81.
Recht für das zweite entscheidet: vgl. SKS 1, 102 ff. / GW1 BI, 40 ff.), meine ich, dass man die dort vorgeführte Aufstiegsbewegung eines vom Eros zur Schau der Idee des Schönen Getriebenen (vgl. Symposion 210 a 1 ff.) ebenso gut als fortschreitende Negationsbewegung ,nach innen zu‘, in Richtung auf Selbsterkenntnis als Verinnerlichung darstellen könnte, als via negativa gewissermaßen. Demnach würde der permanente Irrtum in der Objektwahl dessen, worauf i.S. des Schönen der Zeugungstrieb des Liebenden sich richtet, diesen über sich hinaustreiben zu immer neuen, höheren Stufen vermeintlich endgültiger Erfüllung des erotischen Verlangens. Diese permanente Enttäuschungsbewegung findet sich m. E. analog in einer am Leitfaden gestufter Verzweiflungsformen orientierten via negativa, wie sie in Kierkegaards Stadienlehre zur Darstellung kommt – mindestens bis hin zur Stufe der Religiosität A. 80 Vgl. SKS 4, 255 / GW1 PB, 49. 81 SKS 10, 51 / GW1 CR, 41.
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Jener überaus zählebige Missstand
(7) Irrtum und radikale Selbsttäuschung sind die unvermeidbaren Formen, in denen der Mensch in der Sünde sich selbst verfehlt. Sünder sein heißt notwendig, so über sich selbst im Irrtum befangen zu sein, dass es unmöglich ist, aus eigener Kraft die Wahrheit über sich zu wissen (bzw. wissen wollen) zu können, sich „durchsichtig [gjennemsigtigt]“82 werden und in dieser Wahrheit sich selber wollen, anerkennen, mit sich übereinstimmen zu können. Das Selbst bleibt dadurch und solange Sünder, wie es sich in seinem Sünder-Sein nicht ansichtig werden, sich vor Gott als Sünder nicht wollen kann.83 (8) Wenn Sünde ontologisch, d. h. hier bezogen auf ihre nicht-kontingente Seinsweise Selbst-Täuschung ist, diese umgekehrt wesentlich Sünde, fällt deren Aufhebung mit dem Sündenbewusstsein, diese aber mit der Aufhebung des Sünderseins, d. h. mit der Versöhnung qua Rechtfertigung zusammen. Wenn Sündersein sich in der Unfähigkeit, Sünder zu werden, dokumentiert, ist die Selbstdurchsichtigkeit des Sündenbewusstseins mit der Vergebungsgewissheit koextensiv. Glaube ist dann nichts anderes als die Fähigkeit, seine Verzweiflung Sünde zu nennen. Gesetzt diese Thesen können als eine plausible Leithinsicht für die Entschlüsselung grundlegender Formen des menschlichen Selbst- und Gottesverhältnisses innerhalb der ,Krankheit zum Tode‘ gelten, dann müssten sich, dies nur als Ausblick, die Missverhältnisse der Verzweiflung ebenso als Ausdruck einer radikalen Selbsttäuschung interpretieren lassen wie umgekehrt die Transparenz der Selbstbeziehung als Basisprädikat des Gottesverhältnisses.84 Im ersteren Fall hieße das, wie im Vorangehenden gezeigt wurde: Gott ist ,abwesend‘ im Modus menschlichen Sich-selbst82 SKS 11, 130 / GW1 KT, 10. Dieser sittlich-religiöse Begriff der (Selbst-) Durchsichtigkeit spielt bereits im Rahmen der ethischen Lebensform eine entscheidende Rolle, vgl. z. B. SKS 3, 246 / GW1 EO2, 275: „Der Hauptunterschied, um den sich alles dreht, ist, dass das ethische Individuum sich selbst durchsichtig ist [er sig selv gjennemsigtigt] und nicht ,ins Blaue hinein‘ lebt, wie das ästhetische Individuum es tut. Mit diesem Unterschied ist alles gegeben.“ 83 Dementsprechend kann der bereits bruchstückhaft zitierte Satz aus den Brocken nunmehr vollständig angeführt werden: Dass „alle Sünde Unwissenheit“ (SKS 4, 254 / GW1 PB, 48 [Anm.]) ist, heißt demnach für Climacus: Sie „versteht sich nicht in der Wahrheit“ (ebd.; Hervorh. H. S.). 84 Vgl. dazu etwa Schäfer 1968, 238 (A 33): „Das Da-Sein Gottes geschieht als Selbstverständnis; sich Verstehen ist die Erfahrung Gottes. Denn der Einzelne erfährt sich als offenbar, als aufgeschlüsselt; er hat Teil an dem Blick, mit dem Gott ihn durchschaut.“
IV. Fazit
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undurchsichtig-Bleibens, wie es im Willen, trotzig man selbst bzw. aus Schwäche nicht man selbst zu sein, gründet. Was es im zweiten Fall bedeuten würde, verdiente, zumal als Kierkegaard-Interpretation, eine eigene Untersuchung. Diese hätte, als positives Korrelat zum Verhältnis von Sünde und Selbstverfehlung, das von Selbsttransparenz und Glaube zu entfalten. Doch dazu an anderer Stelle mehr.85
85 Ich bin dieser Frage en détail nachgegangen in H. Schulz 1994, 498 ff.
14. Second Immediacy. Reflections on Kierkegaard’s Concept of Faith1 There is a short-story by Raymond Carver, called “The Bridle”. In one passage two women are having a conversation. One of them says: “Once, when I was in high school, a counselor asked me to come to her office … ‘What dreams do you have?’ this woman asked me. ‘What do you see yourself doing in ten years? Twenty years?’ I was sixteen or seventeen … This counselor was about the age I am now. I thought she was old … I knew her life was half over. And I felt like I knew something she didn’t … A secret … I thought I knew things she couldn’t guess at. Now, if anybody asked me that question again, about my dreams and all, I’d tell them … I’d say, ‘Dreams, you know, are what you wake up from. That’s what I’d say.’” (Carver 1984, p. 200)
If dreaming is an analogy to what Kierkegaard calls immediacy, then sceptical reflection is like waking up. Waking up means unveiling the dream or one’s own dreaming as such: ‘It was only a dream, you know, although – or therefore – I believed that what I dreamt of was for real.’ Now, if we use the woman’s remark as an analogy thus conceived, it turns out indeed to be quite helpful for understanding the crucial shortcomings of immediate existence – or more exactly: first immediacy – in Kierkegaardian terms. Of course, this woman does not give us a definition of dreaming (that is: of immediacy) in a stricter sense. For a dream is obviously all, but not only, what you can wake up from, since it is also, for instance, a brain process of a certain kind. Likewise only, but not all that you can wake up from, is a dream; for you can also wake up from sleeping. Hence, the possibility of waking up is only necessary, but not sufficient for dreaming, whereas the latter is sufficient, but not necessary for the former. And yet, as will become evident in the course of my subsequent considerations, the woman’s remark is pretty close to the heart of the matter. However, to show this is not the only and not even the primary aim of my paper. Rather, it is supposed indirectly to shed some light on 1
This paper is dedicated to Harriett Machado (Pasadena, † 2007) who first called my attention to the art of Raymond Carver.
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Kierkegaard’s notion of Christian faith. Here I will argue that such faith, namely as a second immediacy, is something highly paradoxical. It is, to use Carver’s metaphor again, something that the dreamer (that is: the believer), although dreaming, cannot wake up from – simply, because he is dreaming wide awake.
I. 1. Kierkegaard’s journals and writings provide various circumscriptions of the term belief (danish: tro), in particular Christian and / or religious belief, or faith.2 Although often fragmentary and not equivalent to a definition in a stricter sense, they contribute to a more or less coherent picture of the phenomenon, by highlighting its essential aspects from different, yet principally compatible (both pseudonymous and nonpseudonymous) perspectives. Thus, according to Fear and Trembling, faith is a passion.3 More exactly, it is “the highest passion in a person”4, namely the passion for the absurd or for the fact “that for God all things [sc. even apparently absurd ones] are possible”5. De Silentio’s view is supplemented by Climacus’s notion of a genuinely Christian faith, as he defends it in the Philosophical Fragments. Here the term is explained as a “happy passion”6, a passion, in which the human understanding and the Christian paradox of the god-man “happily encounter each other in the moment”7. Both the act- and the object-related aspects of such a notion of faith are analyzed in fuller detail in the Concluding Unscientific Postscript. According to its pseudonymous author the term expresses the absurdity that the eternal God has come into existence in time, assented to or “held fast in the passion of inwardness”8. Finally, the anthropological and phenomenological implications of the fact that it is only within faith that the relationship between God and man (and also between man and himself!) is a ‘happy’ one, are meticulously spel2 3 4 5 6 7 8
Kierkegaard himself uses the Danish ‘tro’ for both faith (Christian and / or religious belief) and mundane belief: see, for instance, SKS 4, 281 and 285 / KW PF, 81 and 87. See SKS 4, 159 / KW FT, 67. Ibid., 209 / 122. Ibid, 141 / 46; compare Matthew 19, 26. SKS 4, 261 / KW PF, 59; my emphasis. Ibid.; as to the context see ibid., 261 – 264 / 59 – 63; 285 f. / 86 ff. SKS 7, 192 / KW CUP1, 210; as to the context, see ibid., 187 – 193 / 204 – 211.
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led out in The Sickness unto Death. Anticlimacus maintains that the term faith designates a particular mental state, more exactly the “state in which there is no despair”9. This faith-state manifests the unstable equilibrium of a twodimensional relation: In “relating itself to itself and in willing to be itself, the self rests transparently in the power that established it”10. Which, as the author hastens to add, “is the definition of faith”11. In addition to these various circumscriptions of faith – as belief in the “eminent [sc. Christian] sense”12 – Climacus is the only pseudonymous author who also introduces and defends a concept of mundane belief or belief “in its direct and ordinary meaning”13. Being the “organ for the historical”14 it is basically a form of certitude – a certitude, which in turn “continually annuls the incertitude that corresponds to the uncertainty of coming into existence”15. 2. Now, in what follows I will not directly draw on either one or a combination of the aforementioned accounts in order to reconstruct what I take to be the essentials of Kierkegaard’s view of faith and / or belief. Instead, I will use the famous journal-entry as a starting-point, which gave rise to the title of my paper – an entry, according to which faith is to be considered a second immediacy or an “immediacy after reflection”16. I proceed in this way, because in my opinion it is easier to unpack the meaning and function of the other accounts from this – in other words: more general, comprehensive and hermeneutically fundamental – one than vice versa. Now, in order to understand why and in which sense faith can be called a second immediacy, it will be necessary, first of all, to explain what is meant by immediacy as such. I will argue that whereas the expression ‘second immediacy’ obviously refers to faith, belief turns out to be a synonym for (or more exactly: an irreducible element of) what could be labelled first immediacy. And where9 10 11 12 13 14 15
SKS 11, 242 / KW SUD, 131. Ibid. Ibid. SKS 4, 285 / KW PF, 87. Ibid. Ibid., 280 / 81. Ibid., 281 / 81. Invoking Climacus’s distinction I will henceforth and for the sake of terminological clarity speak of faith, whenever I mean Christian and / or religious belief, and of belief alone, when its mundane form is under consideration. 16 NB4:159, SKS 20, 363 / JP 2, 1123. Here and in the following I quote the Hong’s translation (KJN 4, 363 has “immediacy that follows reflection”).
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as Kierkegaard’s notion of belief may be interpreted as a relative certitude which is based on a subliminal inference mediated by imagination and astonishment, faith is tantamount to an absolute certitude, based upon (though not itself actualized by) a conscious volitional act presupposing reflection and doubt. But let’s start with the concept of immediacy. In purely philosophical terms this concept is used in a variety of ways. According to its basic, namely epistemological sense it designates any “presence to the mind without intermediaries”17. This definition can be and has been spelled out quite differently, though, either as logical or as conceptual, as causal, psychological or as epistemic immediacy.18 Hegel’s ontological account, according to which the term refers to a fundamental property of being as such, namely the “abstract identity”19 or “simple relation [of s.th.] to itself”20, is the historical background for Kierkegaard’s own usage, which is primarily anthropologically and ethically connotated. Borrowing from the pseudonymous authors of The Concept of Anxiety and The Sickness unto Death we may say that, anthropologically speaking, immediacy refers to a form of existence, in which the actualization of a person’s affective, conative and cognitive powers is restricted to certain conditions on the first level of the synthesis that constitutes a human self, namely to those conditions which contribute to and are dominated by the attempt to preserve a fundamental unity between body and soul.21 Ethically speaking the immediate individual lacks a reflectively (and also: volitionally) mediated conception of his or her own self as such and as an ethical ideal to be actualized in existence – a conception, which again reflects itself in the relation to an entity, which may or may not have constituted the whole synthesis as such and in its complex structure.22 Thus the immediate individual is considered someone who interprets the meaning of his or her own existence inadequately, namely by exclusively invoking aesthetical categories (wish-fulfillment, fate, happiness or misfortune
17 18 19 20 21
Audi 1996, 361. See ibid., 361 f. Hegel 1986, vol. 8, 164; my trans. Ibid., vol. 16, 158; my trans. See, e. g.: SKS 4, 349 / KW CA, 43; SKS 11, 129, 147 f. and 158 / KW SUD, 13, 31 f. and 43; also SKS 7, 317 ff. / KW CUP1, 346 ff. and H. Schulz 1996a, 217. 22 See SKS 11, 129 f. / KW SUD, 13 f.
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etc.23), without mediating it by means of what Judge William and De Silentio call the ethical or the ‘the universal’24. 3. Now, why and in which way has an immediacy thus conceived to do with belief ? In order to answer this question, a closer look at Kierkegaard’s epistemology and his theory of consciousness will prove helpful. According to Climacus (the pseudonymous author of De omnibus dubitandum est) immediacy is a predicate which characterizes any type of consciousness that remains unaffected by a reflective encounter – much less: a collision – between facticity and ideality.25 Facticity and ideality are the most general or comprehensive terms to describe and evaluate both the different modes of consciously relating to a particular object and this object itself. Drawing on Plato’s respective triad, Climacus holds that, immediately conceived, I actualize my affective, conative and cognitive powers by loving the beautiful (or s.th. as beautiful), striving for the good (or s.th. as good) or recognizing the truth (or s.th. as true: see SKS 15, 56 / KW DO, 169, and Pap. IV B 10,5 / KW DO, Supplement, 257). In doing so immediately I am staying this side of a double reflection: On one hand I do not ask myself, whether, for instance, my attitude to the beautiful actually deserves to be called love. On the other hand I do not ask myself, whether the object of my attitude is in fact beautiful. Thus, the distinction between ideality and facticity does not refer either to the respective attitude or to its object alone; rather, it can and has to be applied to both dimensions – which, of course, is the basis for Climacus’s later distinction between a subjective and an objective thinker.26 Now, obviously all of the aforementioned attitudes are, in modern terms, not only intentional, but also, although not exclusively, beliefstates: I believe that my wife, whom I love as beautiful, is in fact beautiful – and that I actually love her. I believe that what I perceive or recognize as a star is in fact a star – and that I actually perceive or recognize it. I believe that what I strive for as good is good indeed – and that I actually strive for it. However: All of those states are immediate states of belief or certitude, which as such are not mediated – in other words: grounded in and justified by – reflection. Accordingly, two questions arise at this point. First a 23 24 25 26
See, e. g., SKS 11, 165 f. / KW SUD, 51; SKS 7, 394 f. / KW CUP1, 433 f. See SKS 3, 243 f. / KW EO2, 255 f.; SKS 4, 148 / KW FT, 54. See SKS 15, 55 f. / KW DO, 168 f. See SKS 7, 320 – 328 / KW CUP1, 349 – 360; also ibid., 182 / 199.
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genetical one: How do such beliefs come about? Secondly and epistemically: How and to which extent can they be justified? In the following I will only discuss the first question in detail, whereas the second, epistemical one will only be touched upon marginally and in passing, as it deserves a separate treatment. 4. In philosophical terms, when we speak about the formation or actualization of belief, we either speak about a mental occurrence or event in general or about a mental act, that is a particular subclass of mental events. By contrast, the actuality of belief is also manifest in and as a continuous mental state or, more exactly, as a subliminal disposition to rely on or feel the truth of a proposition.27 Under appropriate circumstances this disposition will give rise to certain verbal and / or nonverbal actions or to further mental events or states (feelings, beliefs, desires etc.). So far, we have exclusively talked about immediacy, inasmuch as it entails certain belief-states, and our task now is to determine what to make of Kierkegaard’s account of belief-acquisition. Does he, in other words, interpret it as a passive or involuntary mental event or as an active or voluntary mental act? The answer is: His view integrates both aspects. The so-called believer in A. Flew’s famous gardener-parable28 may serve as an example to explain and account for this claim.29 Wandering through the jungle the believer possesses, among many other belief-dispositions, one to the effect that, since no gardener can be expected to work there, jungles usually show no signs of cultivation. However, all of a sudden he and his fellow-explorer come upon a clearing, where, to their great surprise, they find many flowers and weeds. The so-called believer immediately reacts by declaring: “some gardener must tend this plot”30. According to Kierkegaard such an utterance is made possible by the actualization of at least three basic human capacities. First and most obviously the person in question must have acquired a number of new beliefs – at least two of them: On the one hand that a gardener has apparently cultivated this spot, on the other hand that sometimes you may even find cultivated places in the midst of a jungle. This belief-formation has been mediated by the spontaneous actualization of two further essential human capacities, namely 27 28 29 30
See Cohen 1995, § 1. See Flew / MacIntyre 1973, 96 f. A detailed account of the following can be found in: H. Schulz 1996a, 217 ff. Flew / MacIntyre 1973, 96.
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astonishment or wonder and imagination. By way of the former – Climacus calls it “the passionate sense for coming into existence”31 – the believer draws a conclusion ab esse ad posse. He thereby dissolves, so to speak, actuality into possibility – a possibility, the actualization of which appears highly improbable or even paradoxical at the same time: ‘This clearing in the jungle really looks cultivated to me, but how in the world is this possible?’ However, the same puzzling phenomenon, which as such triggers the believer’s astonishment, also and simultaneously induces him on a subliminal level of consciousness to form a hypothesis for its explanation. This hypothesis (namely ‘a gardener must have been at work here’) is in itself a form of reasoning by analogy and as such based on imagination. It comes about as an attempt to provide a prima facie plausible explanation of the phenomenon that seemed so puzzling in the first place, namely the garden-like appearance of the clearing. Strictly speaking, imagination has a double function: On one hand it transcends or ‘idealizes’ the facticity of what the believer initially perceived – to the effect that he perceives the clearing ipso facto as garden-like. In doing so it is, secondly, responsible for the fact that this idealized, garden-like appearance is always already connected with and perceived in the light of a hypothesis that would account for its being veridical instead of being a mere illusion. Not only, but also due to the fact that it is based on analogy and thus connected with other already established beliefs, this hypothesis, so to speak, forces itself upon its subject as prima facie plausible. Thereby it prepares, occasions and mediates the assent that a belief depends on in order to be at least relatively certain. 5. Now, imagination does not only transcend facticity by creatively idealizing it; it also and simultaneously “transcends the dichotomy between active and passive”32. This gives us a clue for answering the question, whether, according to Kierkegaard and his pseudonyms, belief-formation is voluntary or involuntary, a mental act or a mental event. Here we have to remember, first of all, that for Kierkegaard wonder or astonishment are phenomena which indicate a leap. 33 Ontologically speaking 31 SKS 4, 279 / KW PF, 80. Although Climacus speaks of beundring (admiration) here, both the context of the passage and the reference to Plato and Aristotle (see ibid., 280 / 80) clarify that he means forundring (wonder, astonishment); see also Hong’s explanation, in: KW PF, 310 (note 35). 32 Ferreira 1999, 231. 33 SKS 4, 279 f. / KW PF, 80 f.; NB: 73, SKS 20, 66 / KJN 4, 65.
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such leap corresponds to the puzzling fact of becoming – a fact, which is interpreted by Climacus as a qualitative transition from non-being to being or from possibility to actuality.34 Phenomenologically speaking the leap refers to what Kierkegaard calls the ‘pathetical’ or passionlike nature of astonishment.35 Just like pathos has an active and a passive connotation in Kierkegaard36, the genesis of astonishment as a pathetical transition is – and is experienced as – both irresistible and spontaneous, involuntary and voluntary, event and act. This particular double-nature of astonishment goes along with the striking fact that both the actualization of the relevant imaginative or idealizing powers and the way, in which they are actualized, are completely subject-relative. As Frater Taciturnus puts it: “Ideality I know by myself, and if I do not know it by myself, then I do not know it at all … To believe the ideality on the word of another is like laughing at a joke not because one has understood it but because someone else said that it was funny.” (SKS 6, 405 f. / KW SLW, 438).
Just as I cannot believe a proposition by simply believing that another one has believed it, I can neither be astonished about the garden-like appearance of a clearing in the midst of a jungle by simply trusting the word of someone else. Thus, although being dependent on something that we share with others (namely ideality in the sense of a common language: see SKS 15, 55 / KW DO, 168) we can only cultivate this common heritage independently and idiosynchratically, namely to a degree and in a way that is exclusively our own. And since the acquisition of beliefs by way of forming a hypothesis is in itself dependent on astonishment and imagination, we may conclude that belief-acquisition is, according to Kierkegaard, both active and passive, hence voluntary and involuntary, too.37
34 35 36 37
See SKS 4, 273 ff. / KW PF, 73 ff. See SKS 4, 280 / KW PF, 80; compare also SKS 4, 445 f. / KW CA, 146 (note). See Ferreira 1999, 222 – 225. Climacus’s claim that “belief is … an act of freedom, an expression of will” (SKS 4, 282 / KW PF, 83), does not contradict this reading. For it is only the final act of assent, which is in focus here – the act, in other words, which according to my interpretation does not exclude, but on the contrary entails the underlying dialectic of imagination.
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II. So far we have just been talking about belief and its acquisition or genesis. But what about faith – and its relation to belief ? This question seems particularly pressing now, since on one hand my initial intention was to elucidate the meaning and function of the term second immediacy and since on the other hand it is faith, not belief, which the former expression is supposed to refer to. 1. Now, it goes without saying that, according to Kierkegaard and his pseudonyms, there are a number of essential analogies between faith and belief. Both are, roughly speaking, pathos-dependent forms of certitude. As such they also function as ‘organs for the historical’.38 By virtue of a pathetical leap they both close the gap between ideality and facticity, a gap, which – at least initially – has been opened via astonishment or wonder. Their kinship goes even further, since Kierkegaard observes that wonder, as the bridge to belief, is also “[t]he natural point of departure for piety”39, that is for faith: “When the pagan German went into the huge forest, when the rays of the sun fell deceptively over a tree stem so that it looked like a huge human being, when the pale light of the moon as it were animated such a figure – then he believed it was the god.” (Ibid.)
However, this belief, by being itself rooted merely in imagination and wonder, is in effect no more but a hunch or a mere conjecture. Thus, due to the ‘idealizing’ nature of imagination, the danger of being deluded looms large – in religious just like in nonreligious matters. For although imagination cannot but transcend what is already given (namely in sense perception), it nevertheless transcends it. Thereby it magnifies or infinitizes, yet at the same time tends to distort what is perceived – not only in proportion to the degree of wonder that triggered it, but also and in particular in proportion to the interest we take in what we perceive – especially in terms of hope and fear. As for the latter Kierkegaard would surely agree with Laurence Sterne: “The mind sits terrified at the objects she has [sc. imaginatively] magnified herself, and blackened”40. And inasmuch as belief is mediated by astonishment and imagination, it is always on the verge of becoming credulity, super38 See SKS 4, 279 / KW PF, 81; also NB15:75, SKS 23, 51 / JP 1, 73. 39 JJ:218, SKS 18, 210 / KJN 2, 193. 40 Sterne 1861, 90.
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stititon or pure delusion, too. This danger lurks – as Kierkegaard, echoing Hume, reminds us – also and analogously in matters of religious belief or faith. This should not come as a surprise, though, since, as we have seen, wonder or astonishment is considered the natural point of departure for faith. 2. This latter point leads us back to the essential disanalogies between faith and belief, and here, first of all, to the role of reflection. Whereas it may be, and for the time being remain, an open question, whether the acquisition of belief also requires at least some reflection (a question, I will return to later), it is an undisputable fact that, according to Kierkegaard, there can be no unreflected faith, since he explicitly defines the latter as an immediacy after reflection.41 Furthermore, the particular kind of reflection being presupposed by faith is the reflection of doubt – and as far as I see there can be no doubt that, according to Kierkegaard, the formation of belief does not per se entail such an element. Now, Kierkegaard also observes that doubt does not necessarily arise within human consciousness.42 If in our initial example the so-called believer would not feel challenged by the sceptical objection of his fellow-explorer (or by his own suspicious mind), the doubt as to whether he is possibly deluded or not would not arise. And yet, there still remains a crucial difference between faith and belief or between second and first immediacy as regards the significance of doubt: Whereas the latter and its corresponding beliefs are constantly determined and threatened by the possibility of doubt – a doubt, which at the same time annihilates immediacy itself -, the former is by definition the very annihilation of this possibility. Thus, if first immediacy or belief amounts, as it were, to a dream that you can (reflectively) wake up from, second immediacy or faith has annihilated this ever impending possibility by being itself awake (that is: reflected) to a degree that is completely beyond the realm of doubt. As such and as absolute certitude it is based on what Kierkegaard calls “absolute wonder”43 – a wonder that “answers to the truly divine”44, in that it has completely been “purified”45 by means
41 42 43 44 45
See NB4:159, SKS 20, 363 / KJN 4, 363. See SKS 15, 55 / KW DO, 168. JJ:218, SKS 18, 210 / KJN 2, 193. Ibid. Ibid.
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of reflection and as such has transcended every conceivable form of superstition.46 3. Now, once the reflection of doubt has been actualized, it may basically take two different routes, namely either the subjective or the objective. For, as we have seen, doubt refers to the relation of facticity and ideality, a dichotomy, which in turn can and has to be applied both to the object of an affective, conative or cognitive attitude and to this very attitude itself. Now, as is well known, Climacus does not only argue for the superiority of subjective over objective reflection in general, but he also maintains that within subjectivity the quest for the conditions of striving for the good has an asymmetrical preponderance in comparison to the quest for the conditions of loving the beautiful or cognizing the truth. Why does he hold such a view? A possible answer goes like this (and I have to admit that I am probably going a little bit beyond Kierkegaard here): It seems perfectly reasonable to ask myself, whether what I take to be beautiful is in fact beautiful. But it does not make any sense to ask, whether in fact I take it to be so. Likewise it makes sense to doubt, whether what I perceive as a garden is in fact a garden. But it makes no sense to doubt that I perceive it that way.47 Of course, things are different, if we replace sense perception by what Climacus calls “immediate cognition”48 : For in that case it is not only perfectly reasonable to ask myself, whether what appears to me to be a garden is in fact a garden, but also, whether what seems to be the cognition of it, actually deserves that name.49 And yet, even this dialectic differs significantly from the one 46 See also Pap. VI B 98,70, where Kierkegaard distinguishes between an aesthetic and a higher religious illusion. 47 See H. Schulz 2001, 247 f. and 254 f. 48 SKS 4, 280 / KW PF, 81. 49 In an unpublished addition to a footnote in the Fragments (see Pap. V B 40,14 / KW PF, Supplement, 212 as an addition to SKS 4, 282 / KW PF, 83 [note]) Kierkegaard distinguishes between sensation (sandsning) or impression (indtryk) on the one hand, and [sc. immediate] cognition (erkjendelse) or idea (forestilling) on the other hand. This distinction is all but clear. Kierkegaard obviously draws both on Plato’s distinction between asthesis and dinoia (see Theaitetos 195 c-d) and on Poul M. Møller’s account of Aristotle. Møller writes: “Aristotle makes the right relations of the words the object of his inquiry, because the single idea [den enkelte Forestilling] is not true or false but only the relation of ideas in propositions [Forestillingernes Forbindelse i Sætninger]. The ideas are the results of impressions [Indtryk] that similar things have made upon man (shepherd, man, white); but the true and false first appear
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that pertains to my relation to the good – and exclusively to this relation. For the first two forms of reflection (about beauty and truth, about love and perception or immediate cognition) are, according to Kierkegaard, essentially disinterested, whereas the third is not only in fact, but necessarily interested reflection – interested, namely, in the subject of reflection itself.50 Thus, reflecting on one’s own striving for the good means necessarily being engaged in one’s own thoughts about the matter in a specific way – a way which does not have a direct parallel in the other two forms of reflection. For my judgment that what I perceive or cognize as a jungle is in fact a jungle, can be true, even if neither I nor anybody else has ever made that judgment. And my assertion that s.th. is beautiful may be true, even if I simultaneously claim that it is not myself who takes it to be so, but somebody else. By contrast, my judgment that what I pretend to strive for as good is in fact good cannot be true, unless I myself actually strive or at least pretend to strive for it.51 Thus in relation to the (reflective relation to the) good, the subject of this relation and its relation to itself (as relating to s.th. as good) is accentuated in a way, which has no direct parallel in the aesthetic or the purely epistemological reflection. And this ‘logic of self-involvement’ may also account for Climacus’s preference for the ethical dimension as the proper object of reflection in general. when men link such ideas with the concepts of being and non-being” (Møller 1839 – 43, vol. II, 470; loc. cit. KW PF, 339, note 49). It is evident that Kierkegaard’s term ‘immediate cognition’ corresponds to what Aristotle – according to Møller – calls ‘the single idea’ (den enkelte forestilling). However, since such an idea cannot be true or false, because it does not appear in the form of a propositional judgment, it seems highly misleading to call it ‘cognition’ (erkjendelse) at all – instead of simply sticking to the former term. This ambiguity notwithstanding, Kierkegaard’s main point seems clear: Whereas a proposition may not necessarily be an expression of belief, belief has necessarily propositional form. We do not believe in isolated concepts, but only in propositions – and that is also one of the reasons, why our beliefs (as opposed to our ideas) may be true or false. 50 See Pap. IV B 13,18 / KW DO, Supplement, 256. 51 In the Fragments Climacus distinguishes between three kinds of fact: the ‘simple historical’, the ‘eternal’ and the ‘absolute fact’ (see SKS 4, 296 f. / KW PF, 99). That I have to – and can – fulfill the demands of the ethical, is a paradigm-case for the second form, i. e. for an eternal fact. Such a fact has two essential properties: (a) “[E]very age is equally close to it” (ibid.). (b) Although being dependent on a Socratic occasion for its discovery, I can only discover it “by myself, because only when I discover it is it discovered, not before, even though the whole world knew it” (ibid., 223 / 14; as far as I see, the second element is, according to Kierkegaard, necessary, but not sufficient for the former).
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4. This notwithstanding, even the ethically interested reflection is seriously impaired by a fundamental deficiency that goes along precisely with its being a form of reflection. For, according to Kierkegaard, the secret of all reflection is: “there is nothing unconditional”52. On the contrary, everything becomes dialectical or ambivalent by means of persistently reflecting upon it. No judgment is false to a degree that there is not at least a grain of truth to be found in it, and nothing can be so true that you would not find anything false in it.53 Upon closer inspection even the highest good (or what I perceive to be so) will appear as a dreadful misfortune and vice versa.54 Even our best intentions may turn out to be tragic misunderstandings, even the most wicked deeds can contribute to realizing providential ends, etc. However, such a reflective equilibrium does not only foster scepticism, it also paralyzes action.55 By contrast, within immediacy everything appears as real, true, beautiful or good – and unambiguously so.56 Here indeed do we find the unconditional57 – but, alas, a purely accidental one. For that which in one moment seems to manifest the absolutely and definitely real, true, beautiful or good, is in the very next moment turned upside down to its own opposite, thanks to accidental circumstances and the arbitrary passion of the immediate consciousness. And although this attitude is not necessarily bound to fail, it is nevertheless always threatened by the impending possibility of failure. And this possibility could only be annihilated or at least suspended, if the individual were able to modify the notions of the ideal and the factual that it depends upon, or more exactly: It would have to adopt a new, namely non-aesthetic conception of good and evil instead of luck and misfortune.58 Such a view would also have to integrate, and yet simultaneously transcend, the reflective equilibrium described above – thus being a genuine second immediacy. 5. However, does there actually exist a good that can be envisaged in a way which escapes the fatal dilemma of immediacy and reflection – a good, in other words, which always and at any given moment can and has to be pursued unconditionally and as unconditional? Since 52 53 54 55 56 57 58
NB25:96, SKS 24, 510 / JP 3, 3715, 722. See ibid. See Pap. VIII 2 B 16,6; SKS 7, 405 / KW CUP1, 446. See NB9:66, SKS 21, 239 – 241 / KJN 5, 249 f. See ibid. and SKS 15, 55 / KW DO, 168. See NB25:96, SKS 24, 510 / JP 3, 3715. See SKS 7, 394 ff. / KW CUP1, 433 ff.; SKS 11, 170 / KW SUD, 55.
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faith is defined by Kierkegaard as an – ore more exactly: the only – immediacy after reflection, it should not come as a surprise that in his opinion faith itself is the one and only candidate for doing the job. Kierkegaard writes: “Have faith, don’t worry about the rest. Every other good is dialectical in such a way that there is always a ‘but’ that goes along with it, so that, from another point of view, it is perhaps not a good. Faith is the good that is dialectical in such a way that, even if the greatest calamity were to befall me, faith would allow me to see it as a good.” (NB4:28, SKS 20, 300 / KJN 4, 300)
Thus, Kierkegaard confronts us with a threefold claim: Faith is (a) a good, (b) the only undialectical or unconditional good, precisely in that (c) it enables the believer to place all his other judgments about good and evil into the right perspective.59 Faith – and only faith – can by no means be experienced as an evil, and this mainly for two reasons: first, because faith itself functions as the necessary and sufficient condition for the possibility of adequately determining the extension of both good and evil; secondly, because in the light of faith all other entities, which outside of and without it may be experienced as evil, can either be annihilated (see below) or at least be transformed into goods. To put it differently: Outside of and without a reflectively purified faith all other conceptions of good and evil prove to be illusory, whereas from the internal perspective of faith nothing is left but the good – at least with regard to (the existence of) the believer. Hence, only faith escapes the dialectic of reflection without being trapped in the arbitrariness of first immediacy. But how in the world, as we may dare to ask, is faith able to perform this feat? The answer is: because faith, precisely by constituting itself as the one and only unconditional good, simultaneously establishes the extension of an equally unconditional evil, namely sin or infinite guilt. Unlike every other entity that may appear as evil it excludes the possibility of being transformed into a good. It cannot cease by ceasing to be evil, but only by ceasing to be. And since from a Christian point of view it can only cease to be by being appropriated (namely via sin-consciousness); 59 Therefore it is not reflection alone, but a reflected faith which concludes: If “a person cannot know with certainty whether the misfortune is an evil …, then neither can he know with certainty whether the good fortune is a good. The relationship with God has only one evidence, the relationship with God itself; everything else is equivocal.” (SKS 7, 405 / KW CUP1, 446 [note]).
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and since, furthermore, we have seen that outside of faith sin is in fact the only evil that is not experienced and appropriated to this effect, we are entitled to draw a double conclusion: first that sin-sonsciousness is part and parcel of faith, secondly that the denial of sin is part and parcel of sin. If an evil can only cease by ceasing to be; and if it can only cease to be by being appropriated, then this evil can only be and be constituted by the denial of or the delusion about its own facticity and extension. Sin is by definition coextensive with all and only those evils, which on one hand cannot be real without their very denial and which on the other hand become unreal precisely by being appropriated as real. 6. Now, at this point it may still seem as if Kierkegaard defends a volitionalist view of faith.60 Passionately holding fast the assumption that the god, in relation to whom the believer sees himself always and infinitely in the wrong, is and acts out of love for his creation, although a dreadful variety of evil seems to belie this fact, the believer volitionally acts as if he actually believed the assumption that he so unswervingly acts upon instead of giving in to doubt and despair. Of course, this practical notion of faith is indeed part and parcel of Kierkegaard’s own understanding of the term. As such it refers to the realm of Religiousness A61, the principle of subjectivity as truth62 and to Climacus’s definition of faith which I quoted at the beginning of my paper63. And yet, this is not the whole and not even the primary truth. This truth is in itself highly paradoxical, as Kierkegaard and his pseudonyms indefatigably emphasize. The fact that as sinners human beings neither can nor want to know the truth about themselves (namely as sinners), can be derived from the basic Christian claim that in the ‘fullness of time’ (see Gal 4,4) God became man in his son Jesus Christ in order to reveal himself as unconditional love to a sinful world. The fact that he revealed himself implies, among other things, that in a certain sense he had to do so, for otherwise he could not have made himself understood. And yet, that God as the eternal can become a human being – or more exactly: that he can become (which implies that he can be subject to the conditions of temporality) – 60 Pojman 1986 gives a comprehensive historical survey together with a detailed systematic discussion of doxastic volitionalism and non-volitionalism in their respective variants. 61 See SKS 7, 505 – 510 / KW CUP1, 555 – 561. 62 See ibid., 186 / 203; as to the context, see ibid., 173 – 189 / 189 – 207. 63 See SKS 7, 192 / KW CUP1, 210; as to the context, see ibid., 187 – 193 / 204 – 211.
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is no less paradoxical than the corresponding claim that simply by coming into existence a human being can be completely altered64 – altered, namely, to the immediacy of sin which as such always already goes along with the attempt to obscure this fact. But if that is true, then this ‘voluntary obscurantism’, which as such turns out to be a generic feature of a sinful mankind, must be conceived of as being so radical that it cannot be overcome by simply willing it. Consequently, Climacus explicitly denies that faith – namely as a second immediacy in the sense of a strictly Christian Religiousness B – can come about by virtue of a volitional act.65 This does not exclude, but on the contrary includes, according to Kierkegaard, that the constant reflective and volitional striving for a self-annihilation before God, that is practical faith qua Religiousness A, serves as a necessary precondition for the possibility of the genuinely Christian faith to emerge. However, the way in which both kinds of faith go together or, more exactly, how the second, namely Christian immediacy emerges from the – ultimately futile and desparate – passion of a preliminary faith that, strictly speaking, consists in nothing but “the concern over not having faith”66, defies rational explanation.67
III. 1. Quite naturally these considerations lead us to a final comparison between belief and faith, first and second immediacy. Belief as an integral part of the former is tantamount to a relative or conditional certitude – conditional in that it can be shaken by doubt. As such it corresponds to an “historical fact”68 as its proper object69, the becoming of which, as 64 65 66 67
ibid., 530 / 583. See SKS 4, 264 / KW PF, 62. SKS 10, 251 / KW CD, 244; my emphasis. This may also be Kierkegaard’s reason to hold that faith (in addition to freedom, repetition etc.) belongs to a separate class of so-called transcendent or paradoxical categories (see Pap. VII 2 B 235, 139). On the other hand the same paradox and its christological and anthropological implications turn out to be the decisive point of departure for a rational justification of such faith. For, according to Climacus, it could presumably “occur to a human being to poetize himself in the likeness of the god or the god in the likeness of himself, but not to poetize that the god poetized himself in the likeness of a human being” (SKS 4, 241 f. / KW PF, 36). Since nobody could possibly hit upon such a thought, it must be revealed by God himself – and therefore necessarily true. 68 SKS 4, 296 / KW PF, 99.
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the experience of astonishment or (relative) wonder indicates, may be more or less improbable. By contrast, Christian faith or second immediacy is tantamount to an unshakeable or unconditional certitude and as such corresponds to a paradoxical or “absolute fact”70 as its proper object, the becoming of which, as the experience of “absolute wonder”71 indicates, is likewise absolutely improbable or patently paradoxical. And just as relative wonder, being an essential ingredient of the immediate consciousness, functions as the natural point of departure for faith (or belief in God), so the absolute wonder turns over into sin-consciousness as the first form of a second immediacy, which as such culminates in the belief in the god-man.72 And just as, finally, the genesis of belief comprises an active and a passive, a voluntary and an involuntary element, so also faith. However, whereas by virtue of imagination and will the believer is (and experiences him- or herself as) both relatively passive and active, the genesis of faith in the Christian sense presupposes the ontological leap of rebirth and atonement.73 Here the sinner has established a, humanly speaking, unbridgeable gap between his or her selfunderstanding as absolutely active and autonomous (as in Religiousness A) and the new self-understanding of faith as Religiousness B74, according to which all volitional powers of the sinful individual are completely corrupted, so that in turn faith is and is experienced as a pure gift which leaves the believer absolutely passive and receptive. 2. These genetical parameters of comparison between belief and faith can also and in particular be anthropologically fruitful. Anticlimacus holds that whereas imagination is “the first condition of what becomes of a person, … will is the second and in the ultimate sense the decisive condition”75 – decisive, namely, with regard to becoming a believer in 69 Or, alternatively, to the invisibility of a natural process: see NB:90, SKS 20, 75 / KJN 4, 74; NB15:25, SKS 23, 23 f. / JP 1, 7; also Pap. VII 2 B 235, 78 / KW BA, 40. 70 SKS 4, 297 / KW PF, 99. 71 JJ:218, SKS 18, 210 / KJN 2, 193. 72 See Pap. V B 6,15. Such a shift from absolute wonder to faith can also be reconstructed as an abductive inference in the Peircean sense (see H. Schulz 2001, 256 and 396): ‘I am reconciled with God’ [but how in the world is this possible? Answer:] / ‘God reconciles himself with the sinner’ / ’I am a sinner’. 73 See SKS 4, 227 f. / KW PF, 18 ff. 74 See Ferreira 1999, 227 and 229. 75 SKS 12, 186 / KW PC, 186; my emphasis.
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the Christian sense. Thus we may distinguish between three basic forms or media of existence: imagination, will and faith.76 The first is predominant on the immediate level of existence and the respective anthropological synthesis, whereas the second corresponds to the reflective (and in fact: desparate) relation of the self to itself. By contrast, faith is the manifestation of a ‘happy’, yet paradoxical synthesis of imagination and will, belief and doubt, immediacy and reflection, such that the self, by relating itself to itself and by willing to be itself, rests transparently in the power that established it.77 In conclusion we arrive at the following matrix: (1) imagination (2) relative wonder (3) immediacy
will doubt reflection
faith absolute wonder immediacy after reflection78
IV. 1. In the foregoing paragraphs I have tried to explain the notions of belief and faith more or less in Kierkegaardian terms. If we wanted to restate his position in modern terms, that is by interpreting belief as a state or a dispositional attitude, we might equally say that the element of certitude being so characteristic of belief is an integral part of an unreflected or subliminal state of reliance. By contrast, faith, at least according to Kierkegaard, cannot simply be a state. It is rather – and paradoxically enough – a constant becoming, a process of permanently unifying 76 As to the following, see the detailed account in: H. Schulz 1996b, 167 – 170. 77 See SKS 11, 130 / KW SUD, 14. 78 Please note that an immediacy after reflection is not to be confused with an immediacy within reflection. To be sure, Kierkegaard would not deny that this latter form exists. For, whenever we reflect upon ourselves this act of reflection is obviously in itself a manifestation of (a further) immediacy. However, this latter form which is inherent in the very act of reflection, can never be identical with the immediacy that it reflects upon. That is the reason why, for instance, Jean-Paul Sartre’s theory of self-consciousness emphasizes the fact that the ‘I’ or ego (as a being pour soi) always and inevitably transcends its own en soi, thereby simultaneously creating a new en soi, which – once again – proves to be, in Humean terms, ‘elusive’ to itself (see Hume 1980, 251ff; as to Sartre’s point see, for instance, Sartre 1980, 43ff, 62, 85). Correspondingly, Anticlimacus holds that the self – namely in despair – can never be or become ‘transparent’ to itself (see SKS 11, 130 and 175 / KW SUD, 14 and 60 f. [note]): In despair there always is and remains an unbridgeable gap between the immediacy before and within reflection.
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state and transition79, disposition and act, belief and doubt, immediacy and reflection. Speaking in a non-Kierkegaardian terminology (but hopefully in his spirit) we may as well put it this way: Whereas belief, as a disposition within first immediacy, is also part and parcel of a preliminary or conditional reliance on something conditional – however, as though it were unconditional –, faith is essentially trust, in the sense of a paradoxical unity between such a reliance and mistrust as its reflective and volitionally accepted counterpart. As such it is the manifestation of a genuine second immediacy, the truly astonishing ability, unconditionally and in every moment to rely on God’s love in Jesus Christ as the truly unconditional.80 2. The aim of this paper has only – and yet also: always – been realized, if it has succeeded in shedding some light on the inevitably paradoxical (and thus also: offensive) implications of a faith thus conceived. According to Kierkegaard, believing in God is apparently something like being reflectively aware in every moment that it is up to yourself to decide what to do or what to strive for as unconditionally good, while at the same time being aware that every option has a counterbalance that could just as well be the right option here and now; and yet, on the other hand, to act as if there were no doubt as to whether this belief and this intention is the right one instead of their respective alternatives (including a complete withdrawal from action), since a loving god has promised, directly to reveal to and always already decide for you, which way to go. Thus conceived faith resembles the process of learning to walk precisely by walking and vice versa: Unconditionally trusting your father that he will hold you and prevent you from falling, no matter what is going to happen, you are nevertheless permanently aware that he has always already let go to have you do it yourself. Or to use a different metaphor: Faith is like playing your part in a drama which turns out to be no more but a poem. And vice versa: like being a figure in a poem behaving as if it were acting dramatically. It is like sleepwalking with your eyes wide open and like watching your step, while you are sleep-walking. It enables you, as it were, to balance on a tightrope, as if it were solid ground, and simultaneously to touch the ground 79 In this respect faith exemplifies what Haufniensis claims about the good in general: it expresses “a unity of state and transition” (SKS 4, 415 / KW CA, 113). 80 As to this latter point see H. Schulz 2001, § 18.
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as if it were a tightrope. It is, alas, like dreaming while you are wide awake and like being awake in the midst of a dream.
C. Aneignung und Reflexion: Ist das Christentum wahr?
15. A Phenomenological Proof ? The Challenge of Arguing for God in Kierkegaard’s Pseudonymous Authorship Despite the extraordinary variety and richness of its pseudonymous and non-pseudonymous views, standpoints and perspectives, Kierkegaard’s authorship as a whole seems absolutely unanimous when it comes to assessing the meaning and viability of the so-called proofs for the existence of God. There can be no doubt that in Kierkegaard’s opinion all pertinent attempts are and must be not only deeply flawed, but also highly dubious in terms of their ethico-religious implications – a foolish1 enterprise at best, a “shameless assault”2 on God’s presence and majesty at worst. This notwithstanding, I will try in the following to show and to explain in some detail that a phenomenological reading of the pseudonymous authorship (in particular, The Sickness unto Death) may also – though arguably not at first sight – provide us with a fresh, original and philosophically fruitful perspective on the problem of God in Kierkegaard. Thus, I will argue on the one hand that on a surface level there is indeed an argument for God’s existence to be found in Anticlimacus’ book; however, it is neither conclusive in itself nor intended to be read as and / or believed to be conclusive by the author himself, since it turns out simply to be correct or formally valid, leaving the question of its being actually true undecided and up to the reader. On the other hand – and as a supplement to this overt and explicit, yet only formally valid argument – we do in fact find another, although indirect and genuinely phenomenological argument in Sickness. As such the argument is based on the assumption that it can possibly be established and justified only from the internal or ‘experiental’ perspective of the self, more exactly: the self in despair. There has already been a number of successful attempts to reconstruct basic Kierkegaardian ideas (e. g. his notion of 1 2
See SKS 4, 245 / KW PF, 39. SKS 7, 495 / KW CUP1, 545.
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freedom) in a phenomenological vein3, and in the present paper I simply want to supplement these attempts by shedding light on the problem of God’s existence. In what follows, I will initially outline Kierkegaard’s main counterarguments against the so-called proofs for the existence of God. Secondly, I will present a reconstruction of the phenomenological argument and its relation to the formal one. In this context I will also try to reconcile Kierkegaard’s (more exactly: Climacus’) strictly critical, in fact at times polemical attitude towards the proof-issue and my own case for an, albeit hidden, phenomenological type of proof – a proof, which as such and at first sight seems diametrically to run counter to Kierkegaard’s own explicit views and intentions. In conclusion I will abandon the limits of the purely pseudonymous perspective by incorporating two pertinent journal-entries. Here Kierkegard, speaking in his own voice, does not only repeat and confirm the pseudonymous views already explained, but he also argues – persuasively, in my opinion – that for better or worse we can never have it both ways: We cannot on the one hand give a truthful account of (the ideality of) the Christian faith and at the same time prove the existence of God, much less of the Christian God of love. Either of these goals is and must necessarily be realized at the expense of the other, since both are strictly speaking incompatible.
I. 1. Kierkegaard’s attempt to refute the purported proofs for the existence of God builds upon two main lines of argument. The first line is supposed to show, in a rather straightforward way, that existence as such and in general cannot be proved – and thus also and a fortiori the existence of God. The second line aims at showing that even if the first one would not obtain (namely in the sense that at least God’s existence could be proved), such proof, or more exactly: the mere attempt of such a proof, would be a meaningless, in fact even foolish enterprise and as such highly problematic on ethico-religious terms also. Let us take a closer look at each line of argument in turn. The (following) sub-arguments supporting the first line turn on certain premises about the nature, scope and limits of proofs as such and in 3
See, for instance: Disse 1991; Janke 1974; H. Schulz 1996b; in a certain sense (phenomenology as hermeneutical ontology) also Schäfer 1968.
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general.4 The meaning and function of these premises become clear, once we incorporate them into a corresponding argument. Climacus writes: “If … the god does not exist, then of course it is impossible to demonstrate it. But if he does exist, then it is foolishness to want to demonstrate it, since I, in the very moment the demonstration commences, would presuppose it, not as doubtful – which a presupposition cannot be, inasmuch as it is a presupposition – but as decided” (SKS 4, 245 / KW PF, 39).
It seems to me that a (in fact, rather counter-intuitive, see below) premise about the meaning, nature and scope of proofs in general is part and parcel of the argument presented here: (1) Any wish or intention to prove ‘that p’ is foolish, if it has to be presupposed as decided ‘that p’ by the subject undertaking the proof. Adding a second premise we may then reconstruct the first and more general part of the argument as follows: (2) If X exists no attempt at proving that X exists can be made, without the subject undertaking the proof having to presuppose as decided that X exists. (3) Therefore, if X exists, any wish or intention to prove that X exists is foolish. Since Climacus also holds that it is “generally a difficult matter to want to demonstrate that something exists”5, there seems to be in his opinion no principal difference between the attempt to prove the existence of (the) God or of any non-divine entity. If so, we may reconstruct the rest of his argument as follows: (4) There is no principal difference between proving the existence of ‘the god’ or of any non-divine entity. (5) Therefore, if ‘the god’ exists, any wish to prove that he exists is no less foolish than the wish to prove the existence of any non-divine entity. Due to the focus of my paper it is not my task here to criticize this or any of the subsequent argument(s) in full detail; however, I cannot help 4
5
As to the scope and limits of proving in general (in Kierkegaard), see also Hannay 1993, 138 f. For a brief, yet concise and informative account of Kierkegaard’s (and in particular: Climacus’) critique of all arguments for God, see Evans 1992 (plus Evans 2000 as an updated version). SKS 4, 245 / KW PF, 40; my emphasis. I will return to this generalized claim shortly.
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but note in passing that the argument presented so far appears highly dubious to me. My main concern is about (1) and (2). Climacus seems to hold that ‘presupposing s.th. as decided’ is simply tantamount to believing or to be “convinced”6 about the truth of the proposition in question (e. g.: ‘two plus two equal four’; ‘God exists’ etc.). Now, if this is correct, a double reading seems obvious, in fact hardly avoidable with regard to the arguments Climacus actually endorses: a weaker, psychological, and a stronger, epistemological one – yet, both are equally flawed in my opinion. According to the latter, Peter can prove only what he already believes to be true, and in that sense any proof will be circular. Or more exactly: Either the proof will fail or Peter will merely arrive at a conclusion, the truth of which has already been ‘presupposed by him as decided’ (that is: has been believed by him to be true) from the very beginning.7 And, of course, in that sense it is also true that one “cannot prove”8 the existence of anything, much less the existence of God. Now, even if we admit that there is a certain – namely pragmatical – circularity here, the argument invoking it is nevertheless doubly flawed: For one thing, it is simply wrong that in order to want and try to prove s.th. Peter has to believe what he wants and tries to prove beforehand. Rather, the mere acceptance of (that is, the – e. g. inferential – acting as if he believed) the respective proposition to be true is good enough and does the job perfectly.9 Therefore, if he succeeds in proving what he wanted to prove, this success will be and will be experienced by him as a welcome corroberation and confirmation of what he surmised, tentatively assumed or merely accepted in the first place. In this sense proving is by no means a futile or foolish, but a perfectly meaningful enterprise with a clear epistemological function. A second flaw is closely connected with the first: Climacus is certainly right that it is impossible to prove that ‘p’ (here: ‘God exists’), if ‘not p’ (here: ‘God does not exist’). Yet, this does not imply, as he seems to suggest, that Peter can and will have to presuppose as decided ‘that p’ only in the case of ‘p’. For even if ‘not p’, he may simply be ignorant about this and thus still try to prove ‘that p’, thereby presupposing 6 7 8 9
Evans 1992, 65. See also JJ:266, SKS 18, 225 / KJN 2, 206, where Kierkegaard maintains that all deductive conclusions “are essentially identity” (ibid.). JJ:202, SKS 18, 204 / KJN 2, 188; my emphasis. As to the similarities and differences between a believing and an accepting attitude (plus the important epistemological and psychological role, which the latter plays inside and outside of science), see Cohen 1995, esp. ch. 1.
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as decided ‘that p’, in exactly the same sense as described before. Hence the purported foolishness of the attempt to prove ‘that p’ (provided there is any such foolishness) in no way turns upon the fact that ‘p’ actually obtains. The psychological argument does not fare any better in my opinion. According to Climacus, if Peter does not already believe in God’s existence (or in any other proposition, for that matter), he will not be able to try to prove it; however, if he already believes it, the idea (or more exactly: the intention and / or wish) to prove it is apparently futile or even foolish, because in that case the whole project seems to lose its point. The very condition determining the possibility of an attempt to prove s.th. (namely: the belief in the truth of the proposition supposed to be proved) renders the wish or intention to do so pointless or foolish – NB: according to Climacus. I could “not try to prove God’s existence unless I were already convinced that God did exist”10 ; however, if I were already convinced of his existence, “why should I [want to] try to prove it”11? This seems to me to be a strangely confused argument, and this mainly for two reasons. First, it is misleading to suppose, as we have seen already, that the attempt to prove ‘that p’ entails the belief ‘that p’, so that only the person who is already convinced ‘that p’ may try to prove it. Why should an undecided agnostic, a sceptic or even a devout disbeliever not try to demonstrate God’s existence – if only with the intention in mind to arrive at the conclusion that the attempt has actually (or even necessarily) failed? Secondly, even if it were exclusively the believer who could and want to try to undertake the proof: would such an attempt be necessarily pointless or foolish? Not at all: The attempt may still have “value for me in confirming and strengthening my belief, showing me that the belief is reasonable. Even more significantly, Climacus fails to consider the idea that such a proof may have value for other people than myself.”12 2. So far, Climacus’ efforts to come to terms with the arguments for God, do not seem to be overly successful: Both his epistemological and his psychological arguments are found wanting. But we should 10 Evans 1992, 65. 11 Ibid. 12 Ibid.; And of course, the same would apply with regard to the attempt to prove that God does not exist – given that he in fact does not exist.
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not jump to rash conclusions here. For there are at least ‘five ways’ of rendering the whole demonstration-venture hopeless in Climacus, and the remaining three – namely the ethico-religious, the ontological and (what I would call) the manifestational – seem to me to be much more promising. The first one is closely connected with the psychological and / or epistemological argument(s) already explained; however, it can and does stand on its own feet, thus proving to be independent of the former and also of its shortcomings. For, according to Climacus (and I agree with him at this point), a proof for the existence of at least any personal entity would be highly problematic on religious and / or ethical terms, even if such a proof could be deemed successful. So here the issue is by no means, whether such proof is possible or not; the real issue is purely consequential: namely, whether the attempt to undertake such a proof could be deemed meaningful and justifiable on ethico-religious terms – that is, completely independent of the demonstration-issue as such and in principal. Climacus’ answer is in the negative. In the Postscript he writes: “A king’s existence [Tilværelse] or presence [Tilstedeværelse] ordinarily has its own expression of subjection and submissiveness. What if one in his most majestic presence wanted to demonstrate [bevise] that he exists? Does one demonstrate it, then? No, one makes a fool of him, because one demonstrates his presence by the expression of submissiveness … And thus one also demonstrates [beviser] the existence of God by worship – not by demonstrations.” (SKS 7, 495 f. / KW CUP1, 545 f.)
Note, first of all, that existence is understood here as involving presence (in fact ‘majestic presence’). In general we may say that according to Kierkegaard a personal being is existent – if it is existent – by also and simultaneously being present. Apart from other essential connotations associated with the term it is obvious, in any case, that the presence of a person has important intersubjective implications – implications, which among other things render certain ways of relating to him (or her) ethically appropriate, while at the same time excluding others as improper or inappropriate, e. g., as “an attempt to make him ludicrous”13. Secondly, we should not overlook that Climacus uses the term ‘demonstration’ (bevis) ambiguously here, and in one sense he subscribes to the view that a ‘demonstration’ of God’s existence is in fact 13 SKS 7, 495 / KW CUP1, 545.
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possible: if only by way of “worship”14. Finally, it is noteworthy that the viability of the argument defended by Climacus turns on the crucial premise that God actually exists – or at least: that we cannot exclude the possibility that he does.15 Sure enough, if he did not exist, it would not be possible to prove that he does.16 And yet, it would still make perfect sense at least to try to prove his non-existence. Furthermore, the ethico-religious argument would lose its whole point, if he did not exist – NB: and if we could actually know this to be the case. It goes without saying that Climacus is fully aware of this; and of course he also and correctly presupposes that – at least thus far – our ‘epistemic situation’ as finite human beings has it that we simply do not know, whether God exists or not. Hence his whole point is purely consequential again: Given that God actually exists; and given also that for the time being we cannot know for sure that he does not exist; finally, provided that his existence is coextensive with his (omni-)presence as a divine majesty, the ethico-religious argument obtains – it may as such be summed up as follows: (6) If some personal being X actually exists, and if no human being can definitely exclude that he does, then any human attempt to prove that he exists “is an attempt to make him ludicrous” (SKS 7, 495 / KW CUP1, 545). (7) Any attempt to make a personal being ludicrous excludes the possibility of properly relating to him. (8) God is a personal being. 14 Ibid., 496 / 546; Compare Kierkegaard’s critical note on Anselm in NB28:31, SKS 25, 239 / JP 1, 20: “Anselm prays in all inwardness that he might succeed in proving God’s existence. He thinks he has succeeded, and he flings himself down in adoration to thank God. Amazing. He does not notice that this prayer and this expression of thanksgiving are infinitely more proof of God’s existence than – the proof.” 15 See JJ:393, SKS 18, 271 f. / KJN 2, 251, where Kierkegaard is more explicit on this presupposition, while drawing on the same God-king-analogy as used by Climacus: “If the subjects in a country in which there was a king enthroned were to sit down to investigate whether it was indeed the best thing to have a king, he would surely be furious. And this is how people behave with respect to God—people forget that God exists [er til] and they consider whether it is the best thing, the most satisfactory thing, to have a God.” (My emphasis). 16 See above.
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(9) Therefore, if God actually exists, and if no human being can definitely exclude that he does, then any human attempt to prove that he exists exludes the possibility of properly relating to him. (10) Any attitude, conduct or behavior, which exludes the possibility of properly relating to a personal being, is inappropriate on ethico-religious terms. (11) Therefore any attempt to prove that God exists is inappropriate on ethico-religious terms. The second argument draws on Kierkegaard’s ontology, more exactly his distinction between factual and ideal being. Ideal being qualifies the essence or “essence-determinants [Vaesens-Bestemmelser]”17 of an entity, judgments like X ‘is a stone’ or ‘is perfect’. Factual being or existence – both of which are used synonymously in Kierkegaard and also in Climacus18 – refer to the (a) spatio-temporal being of X as (b) an individual and as such (c) a unity between ideality and contingency.19 Thus, when I say that X exists I am saying in effect that X is an individual and as such a spatio-temporally determined unity of ideality and contingency.20 Now, according to Climacus, proofs are possible only with regard to the former, that is with regard to the realm of ideal being, but not as a demonstration of existence: “I do not demonstrate
17 SKS 4, 246 / KW PF, 41, footnote. 18 See SKS 4, 246 / KW PF, 41 (footnote): “Factual being [Den faktiske Væren] is indifferent to the differentiation of all essence-determinants, and everything that exists [er til] participates without petty jealousy in being and participates just as much.” 19 As to this idea in context, see H. Schulz 1996a, 210 f. Kierkegaard admits that as a concept existence is also “an ideality” (NB14:150, SKS 22, 433 – 435, here: 433 / JP 1, 1057), and as such it has “concept-existence, ideal existence” (ibid., 435) only. However, existence is as such never “absorbed in the concept” (ibid.; my emphasis), and this due, in particular, to the individuality (and thus also: contingency: see Not13:42, SKS 19, 407 / KJN 3, 405) of the existing entity in question. See also Evans 1992, 66. 20 Which leads to the conclusion that, according to Climacus, we may speak of ideality without having to refer to existence – but not vice versa. Thus, for instance, we may refer to the ideality of a unicorn, knowing full well that such a thing does not or even cannot actually exist. On the other hand, we cannot speak about Peter’s existence without having to imply at least some notion of his ideality: as a person, as an individual and as such as having specific properties.
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that a stone exists but that something which exists is a stone.”21 The corresponding argument runs as follows: (12) Proofs are possible only, if what is supposed to be proved, belongs to the realm of ideal being alone. (13) Existence does not belong to the realm of ideal being alone. (14) Therefore existence cannot be proved. In addition to the Kantian idea that existence is not a real predicate22 the ontological argument, as I prefer to call it, is also reminiscent of the “Humean claim that only ‘relations of ideas’ are subject to demonstrative proof”23 – and thus conceived the argument seems to me to be sound. The final, in my own term ‘manifestational’ and in effect anti-teleological argument builds upon and is closely connected with the ontological argument just explained. It starts where the latter left off, so to speak. Due to the relation between ideal and factual being we can, according to Climacus, prove at best that some factual being X is a manifestation of an ideal being Y (for instance: X ‘is a stone’ or ‘is perfect’). However, we can never prove that X exists. If we arrive at the (overt) belief that X exists this belief has either (if tacitly) already been there or we arrive at it thanks to a volitional act of conscious and deliberate acceptance.24 In either case the existence of X has not and cannot be 21 SKS 4, 245 / KW PF, 40; Unfortunately, Climacus is semantically ambiguous here. A few lines prior to the quotation above he writes: “If … I interpret the expression ‘to demonstrate the existence … of the god’ to mean that I want to demonstrate that the unknown, which exists, is the god, then I do not express myself very felicitously, for then I demonstrate nothing, least of all an existence, but I develop the definition of a concept.” (ibid.; my emphasis). The former quotation has us believe that proofs are possible, if only within the realm of ideal being. The latter suggests a stronger and more radical reading, since it even denies this restricted possibility. My reconstruction of the argument builds upon the former, weaker claim. 22 An idea that Kierkegaard himself invokes in NB14:150, SKS 22, 433 – 435 / JP 1, 1057. 23 Evans 1992, 66. 24 In the latter case Kierkegaard speaks of conviction (overbevisning); alluding to the two root elements of the word in Danish (over = above; bevis = proof), he writes: A “person of conviction … deciding and willing, he has vaulted higher than the dialectic of proofs and is convinced [overbeviist].” (NB:102, SKS 20, 80 / KJN 4, 78) Thus conceived conviction (or more exactly the acquisition
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proved. This notwithstanding, one might hit upon the idea to argue the other way round, namely by starting with some ideal being Y and then try to deduce X from it, as the actually or even necessarily existing bearer of Y. Thus, within the human world, we might want to prove Napoleon’s existence by demonstrating it “from Napoleon’s works”25 – in which case these works represent the realm of ideality and as such are supposed to function as the ‘manifestational’ starting-point and premise of the proof. However, according to the author of the Fragments, we run into a serious dilemma here: For either “I call the works Napoleon’s works, then the demonstration is superflous, since I have already mentioned his name. If I ignore this, I can never demonstrate from the works that they are Napoleon’s but demonstrate (purely ideally) that such works are the works of a great general etc.” (SKS 4, 246 / KW PF, 41).
The dilemma is obvious: Either the purported proof is circular, or it is doomed to prove something other than what was supposed to be proved in the first place. Now, at least one way of escaping the dilemma26 is considered by Climacus himself, namely pointing to what he calls an “absolute relation”27 between an entity and its manifestations. Such a relation obtains, where- and whenever a manifestation is capable of unambiguously referring to and identifying its bearer – if, in other words, its extension is precisely one. Thus, if, for instance, we want to deduce Napoleon’s existence from some given act (or more exactly, from its empirically accessible consequences or manifestations), this would be possible, yet also possible only, if we knew beforehand that the act in question could have been done by Napoleon, and in fact by Napoleon alone. Yet, as we have seen already, there does not exist anything like an absolute relation in the sense described between Napoleon’s acts and himself, so that the purported ‘proof’ of his existence by way of pointing to those purportedly identifying acts is bound to fail. Not so in the case of God, for between him “and his works there is an absolute relaof conviction) corresponds to (Kierkegaard’s notion of) the leap [spring] as a “pathos-laden transition” (Not13:8.c, SKS 19, 386 / KJN 3, 384) from possibility to actuality. Applying this latter notion to the genesis of a (purported) proof for the existence of God he writes: “The results (resultare, to leap backwards) in the proofs for the existence of God occur with a leap.” (Papir 283:1, SKS 27, 276 / JP 3, 2349, see also SKS 4, 247 f. / KW PF, 42 f.). 25 SKS 4, 245 / KW PF, 40. 26 And Climacus does not tell us, whether in his opinion it is in fact the only way. 27 Ibid., 246 / 41.
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tion”28. In other words: God does (in fact he can only do), what only God can do.29 And yet, according to Climacus, a corresponding dilemma looms large: For what is the extension of or “what are the god’s works?”30 These works, namely, from which – as genuinely divine works – we want to demonstrate God’s existence, “do not immediately and directly exist”31. This is due, in particular, to the radical ambiguity, in which they appear to us within the bounds of human experience: The “wisdom in nature and the goodness or wisdom in Governance” – as essential properties of God – are never “right in front of our noses”32 ; that is, they are not and can never be unambiguously present in what we ‘immediately’ take to be and perceive as meaningful and teleologically structured or preordained, so that, by becoming aware of this, we may, on the contrary, “encounter the most terrible spiritual trials here”33. Summing up, we may say that we are confronted with two corresponding dilemmas: In the case of finite agents we are able to imagine or directly identify ideal manifestations of an entity such as the agent in question; however, these manifestations can never strictly and unambiguously fulfill their referential or identificatory function with regard to the agent himself, the existence of whom we want to prove by referring to them. By contrast, in the case of (the) God those manifestations would indeed be capable of doing the job – however, we cannot sort out the proper candidates, at least not ‘directly and immediately’. Hence, the corresponding argument directed against any ‘manifestational’ attempt to derive the existence of a (finite or divine) agent from his works may be summed up as follows: (15) Proving the existence of s.th. by referring to its manifestations is possible only, if (a) there is an absolute relation between the entity in question and its manifestations, and (b) the manifestations referred to can be identified as unambiguous and exclusive manifestations of the entity in question. (16) All finite beings violate (a). (17) God violates (b). 28 29 30 31 32 33
Ibid.; my emphasis. See ibid. Ibid., 246 / 42. Ibid. Ibid., 246 f. / 42. Ibid., 247 / 42.
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(18) Therefore it is impossible to prove the existence of either God or any finite being by referring to their manifestations, respectively.
II. 1. Despite the explicit refusal by one of Kierkegaard’s pseudonymous authors to seriously consider, much less to accept any (actual and / or possible) attempt to prove the existence of God; and, furthermore, despite the fact that Kierkegaard himself has repeatedly followed suit in this refusal34, there are Kierkegaard-scholars who nevertheless insist that at least in fact (if not intentionally) there is s.th. like a proof for the existence of God to be found in Kierkegaard’s, and here, in particular, in the pseudonymous authorship. One of them is Louis Pojman.35 Drawing mostly on some pertinent passages in Sickness unto Death, Concept of Anxiety and Fear and Trembling Pojman claims to have discovered traces of both a cosmological “argument from contingency”36 and a genuinely teleological argument37 in Kierkegaard. The first one is more important for our present purposes, therefore I will dwell on it for a moment. The backbone of Pojman’s argument is a famous passage in the opening section of Sickness. Here, after having introduced the tricky notion of a (human) self as a synthesis of dialectically opposed relata (finite / infinite, temporal / eternal, necessity / freedom38), relating to itself and as such simultaneously admitting of despair as a misrelation within a self thus structured, Kierkegaard’s pseudonym Anticlimacus provides Pojman with the crucial argumentational move: “The human self is … a derived, established relation, a relation that relates itself to itself and in relating itself to itself relates itself to another. This is why there can be two forms of despair in the strict sense. If a human self 34 See, for instance, NB28:31, SKS 25, 239 / JP 1, 20; JJ:201, SKS 18, 204 / KJN 2, 188; JJ:202, SKS 18, 204 / KJN 2, 188; JJ:223, SKS 18, 212 / KJN 2, 194; JJ:393, SKS 18, 271 f. / KJN 2, 251; NB21:16.a, SKS 24, 20 / JP 2, 1881; NB:102, SKS 20, 80 / KJN 4, 78; JJ:266, SKS 18, 225 / KJN 2, 206. 35 See Pojman 1984, esp. 14ff.; For a somewhat different and in fact critical account of what he takes to be Kierkegaard’s “existential / pragmatic argument for God” (Mehl 1992, 169), see Mehl 1992. 36 Pojman 1984, 15. 37 See ibid., 15. 38 See SKS 11, 129 / KW SUD, 13.
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had itself established itself, then there could be only one form: not to will to be oneself, to will to do away with oneself, but there could not be the form: in despair to will to be oneself. This second formulation is specifically the expression for the complete dependence of the relation (of the self), the expression for the inability of the self to arrive at or to be in equilibrium and rest by itself, but only, in relating itself to itself, by relating itself to that which has established the entire relation.” (SKS 11, 130 / KW SUD, 13 f.).
Since Anticlimacus himself, as arguing from a religious, in fact Christian perspective39, is quick to admit that it is “God, who constituted man a relation”40, Pojman’s conclusion seems prima facie justified: The fact that (particularly by desperately wanting to be oneself) one “cannot succeed in … attaining authentic selfhood” is, according to the author of Sickness, a straightforward piece of “evidence for a higher being, a God, who must have established our being in the first place”41. Pojman spells out the underlying argument as follows: “1. Man must either be constituted by another (superior to himself) or be self-constituted. 2. If he has been self-constituted, he will not be in despair over trying to attain selfhood. 3. But he is in despair over willing to be a self. 4. Therefore (by 2 and 3), man cannot have constituted himself. 5. Therefore (by 1 and 4), man must have been constituted by a superior power.” (Pojman 1984, p. 15) There are several formal and / or hermeneutical inaccuracies in Pojman’s paraphrase. I will only mention one of them: Anticlimacus’ argument does in no way depend upon claiming a universal and / or particular facticity of despair over willing to be a self (as suggested in Pojman’s premise 3); rather, assuming the mere real and / or logical possibility of such a despair suffices, fulfills its argumentational function perfectly and is as such also brought to bear by Anticlimacus (see line 4 and 5 of my quotation from Sickness above). A more accurate, formally abbreviated and more condensed version of the argument runs as follows: (19) Desperately wanting to be oneself is possible only, if God exists. (20) Desperately wanting to be oneself is possible. (21) Therefore God exists. 39 See NB11:209, SKS 22, 130 / JP 6, 6433. 40 SKS 11, 132 / KW SUD, 16; my emphasis. 41 Pojman 1984, 14.
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2. Now, at this point we are obviously faced with a serious hermeneutical problem: For whether or not we do in fact disagree with one or both of the premises (19) and (20), we cannot apparently help but admit that the argument in toto seems to be a truthful rendition of Anticlimacus’ actual standpoint. Yet, how does this mesh with our previous account and thus, in particular, with Kierkegaard’s and / or Climacus’ repeatedly inculcated warning not only not to accept any attempt to prove God’s existence, but, furthermore, to even resist the temptation to undertake such an attempt in the first place? There are, in my opinion, at least three strategies to solve the problem. The first and most obvious is the idea that what prima facie appears to be a truthful account of the position Anticlimacus advocates turns out to be a misreading upon closer scrutiny. This view, again, may take different directions. According to the strongest variant the quoted passage neither gives us any hint that Anticlimacus actually wanted us to read his text as a more or less overt expression of his intention and / or belief that his typology of despair might among other things also function as the basis for some kind of (anthropological) proof for the existence of God, nor that the latter is actually the case – whether Anticlimacus himself intended and / or believed it to be so or not. A weaker version might argue as follows: Perhaps Anticlimacus himself was not aware of the hidden potential of his analysis (and a fortiori he did not intend to make it explicit), but this does not rule out the possibility beforehand that we, his readers, do in fact understand him, the author, better than he understood himself – namely in discovering and making use of this hidden potential by spelling out its implications in terms of an argument for God. According to the second approach Pojman’s account is in fact truthful and thus at least in principal correct – however, upon closer inspection this does not compel us to admitting severe hermeneutical problems as a consequence; for the view Anticlimacus subscribes to is actually not (much less necessarily) at variance with the standpoint of Kierkegaard’s other pseudonyms, especially Climacus. For instance, one might hold that the latter simply did not know about the possibility of proving God’s existence anthropologically. Had he known about it, he would have probably agreed with Anticlimacus and thus restricted the scope of his own critical observations. Anticlimacus, on the other hand, by being confronted with the critical insights of the earlier pseudonym, might have actually felt enriched by these insights, for instance, by arriving at the conclusion that except for the anthropological approach any
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other attempt to prove God’s existence is not only doomed to fail, but also ethically problematic. More radical, if also contextually more persuasive is a third strategy. Like the second (and unlike the first) it is also based on the assumption that Pojman’s account is hermeneutically more or less adequate: there is, at least in fact, if not necessarily in terms of the author’s (reader-addressed) intention and / or belief, an anthropological argument to be found in Sickness, an argument, which lends itself to being interpreted as a formally valid demonstration of God’s existence. However, this conviction is supplemented by yet another, according to which such a view (whether it be attributable to Anticlimacus himself or not) is actually incompatible with the standpoint of other Kierkegaardian pseudonyms, Climacus in particular. Someone who favors this approach, will then presumably seek refuge in the additional explanation that the different pseudonyms represent different – and at times apparently also: incompatible – views and standpoints, so that, given the latter obtains in the present case, three questions remain: How can the differences be adequately accounted for? Where does Kierkegaard himself stand? Which of the opposing views is correct? Now, I am not going to answer any of these questions, because I do not need to, since I myself take sides with the second reading, which in my opinion makes most sene. Of course, not in the form presented above. For somebody defending this view would simply ignore the fact that the objections raised by Climacus against the attempt to prove the existence of God are in fact objections raised against any such attempt. In other words: Climacus makes a universal claim, so that from his standpoint any purported exception (like that of an anthropological proof, for instance) would make no sense at all. This seems to render a decision between the first and the third alternative unavoidable. However, both of them are equally flawed, if I am not mistaken: the first one, because, judging from the textual evidence, there does not seem to be any reason to deny that Pojman is essentially right in his reading of the text; the third one, because it seems to me that it construes an unnecessary tension between Climacus and Anticlimacus. Let me briefly dwell on the latter point, in order to explain and justify my inclination to defending (a corrected version of) the second strategy. The first and most important thing to note seems almost trivial: we must distinguish between the correctness or formal validity and the truth
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of an argument.42 As is well known, in order to be more than just formally valid, arguments or syllogisms have to meet the additional requirement that both of their respective premises (in our case: 19 and 20, see above) are true. Now, without any doubt the argument Anticlimacus endorses (or the argument, which may at least be extracted from his text, whether the author himself intended and / or took it to function as such or not) is correct, in the sense of being deductively or formally valid. However, this does not per se imply that it is true also – or, for that matter, that Anticlimacus himself believed it to be true and thus conclusive as an argument. Sure enough, as a Christian and as a Christian psychologist, Anticlimacus in all probability believed both premises to be true. He believed, in other words, that there is (the possibility of) a particular form of despair, which he labelled the despair of wanting to be oneself; furthermore, he took it for granted that God exists and that, by establishing the human self as a self-relating synthesis, also and necessarily conditions the possibility of despair in general, plus the despair of wanting to be oneself, in particular. This notwithstanding, the conclusion that he also considered it possible to demonstrate or at least to provide sufficient empirical evidence for the truth of one or both of these premises, would be rash, to say the least. And if I am not mistaken, he would just as little be prepared to defend the claim that one or both of these premises are self-evident. Now, why would Anticlimacus believe these propositions without holding them capable of being demonstrated? The answer is easy, once we keep in mind that he is writing as a devout Christian.43 Kierkegaard himself formulates the decisive point in a journal-entry: “That I exist [er til] was the ancient world’s eternal presupposition; that I am a sinner is the Christian consciousness’s new immediacy; the one can as little be demonstrated as the other.”44 In other words: (1) Existence can just as little be proved as (the facticity of) sin – even in a first person-perspective; rather, both have to be believed or chosen or held fast to by virtue of a conscious act of acceptance.45 (2) Just as existence is the 42 A simple example may suffice to prove my point: ‘1. All Indians wear plaits. 2. Karl Lagerfeld is an Indian. 3. Therefore Karl Lagerfeld wears a plait.’ Formally speaking this syllogism is impeccable; furthermore, its conclusion is both valid and true. Nevertheless it is flawed, since both (!) of its premises are wrong. 43 See NB11:209, SKS 22, 130 / JP 6, 6433. 44 JJ:201, SKS 18, 204 / KJN 2, 188. 45 As regards the latter we should not forget, however, that Kierkegaard – as a Protestant Christian – was of the opinion that this act of choice or acceptance
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starting-point and axiomatic presupposition of the secular mind, so it is, per analogiam, with sin on the part of the Christian. Now, even though sin – just like the despair of wanting to be oneself – is possible only, if God exists (since it is by definition guilt in relation to God), this does not permit us to jump to the conclusion that sin itself is possible, much less necessary or at least (universally) actual. Anticlimacus is well aware of this: For unlike despair, which functions, in his opinion, as a necessary (albeit ‘negativistic’, to borrow a term from Theunissen 1993) key to the understanding of the self and its underlying structure, sin can only be considered a sufficient, but not per se as a necessary condition of despair. Sure enough, the notion of sin makes the Christian explanation of despair appear coherent and at least possibly true; yet, as such it merely enables, but it does not compel us to agree with it. But if that is the case, then something similar holds for premise (20). For granted even that (19) obtains – in other words: the despair of wanting to be oneself presupposes or entails the existence of God in order to be possible –, it will not do to derive from it that the despair in question is itself possible. Such a conclusion would only be justified, if it were possible to prove the actuality and / or possibility of sin – a requirement that, according to both Kierkegaard and Anticlimacus, cannot be met objectively and / or be established by discursive reasoning. In short: If being able to desperately wanting to be oneself depends upon the reality of God; and if the reality of God cannot be proved, then, a fortiori, the former cannot be proved either. Now, if this reading does justice both to the text and to Anticlimacus’ underlying attitude toward his own purported argument for the existence of God within this text, we may actually have it both ways: One the one hand we may still admit that Pojman’s reconstruction of the argument on the basis of textual evidence from Sickness, is, at least in principal, correct. On the other hand, we are equally free to deny that discovering a formally valid argument for the existence of God in the text compels us to exclude the possibility of any agreement, at this point, between Anticlimacus and Climacus. Rather, on my reading, the devout Christian Anticlimacus would – or at least he could in principal – share is only and justifiedly deemed possible within the realm of a non- or pre-Christian form of religiousness. By contrast, both the act of faith and of sin-consciousness (as an integral element of the former) in a strictly Christian sense are not within the power of the human subject attaining it. See, for instance, SKS 4, 264 f. / KW PF, 62 f.; SKS 7, 530 ff. / KW CUP1, 583 ff.
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the substantial reservations against all alleged proofs for the existence of God, which are so eloquently put forward and defended by the subjective thinker Climacus from a non-Christian and purely philosophical standpoint.
III. 1. Anticlimacus and Climacus are in full agreement, as far as their refusal to accept any purported proof for the existence of God is concerned; yet, there are passages in the opening paragraph of Sickness, which may nonetheless be considered a formally valid argument for God – even if it was not taken or intended to be so or to be read in this way by the author of the book. For some readers this conclusion may sound somewhat too conciliatory or harmonious to be truly convincing. For despite (or even because of) the fact that Climacus and Anticlimacus can be read as being in mutual agreement about the meaning, use and viability of these alleged proofs, it can hardly be denied that the former would still be inclined to criticize the latter for not having been more outspoken in trying to prevent even the impression to arise that eventually there may be a strategy left at our disposal to prove God’s existence. Heeding this somewhat critical reminder I will in the following and concluding paragraph of my paper outline yet another, in fact a supplementary – or more precisely: a phenomenological – re-reading of the text. Being no more but supplementary this reading is, of course, not meant to suggest that I intend to withdraw or distance myself from my earlier interpretation, or that I am even aiming at a radical alternative supposed completely to do away with the former. If this were the case I would clearly torpedo my own hermeneutical project, according to which the second of the three possible readings of Anticlimacus scetched above – that is, roughly, Pojman’s reading – is, at least in principal, correct and thus to be preferred in direct comparison to reading one and three. I would torpedo or at least jeopardize it, since now it would seem like I wanted to unravel the ‘real intentions’ of Anticlimacus, thereby implying that in his book he merely ‘expressed himself infelicitously’ and thus obscured these intentions, at least to some degree. Such a claim would have me unwittingly return to reading number one. But I am careful not to make any such claim. What I want to argue instead
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is that, although Anticlimacus clearly believed in propositions (19) to (21) 46, his primary interest as an author lay elsewhere. To my understanding it did not lie in communicating and elaborating on the former beliefs and / or his own account of their mutual (logical, epistemical, ontological) relation; he was interested, rather, in establishing a full-fledged typology and phenomenology of the (desparate) self in its various relational dimensions, forms and stages. Now, it is well known that neither Kierkegaard himself nor his pseudonyms can be considered phenomenologists in any stricter, namely programmatical, conceptual and / or methodological sense. They do not provide us with a theory of intentionality and they do not discuss the principles of epoché or of eidetic reduction, in particular. This notwithstanding, one may say that they are phenomenologists in practice. That is, they actually, if non-explicitly follow and apply rules and principles of what Husserl and others later described as phenomenology. For one thing, they share the basic conviction that consciousness is structurally intentional and thus directed towards (s.th. as) an object: We do not just feel, perceive, know, desire and want simpliciter, but we feel, perceive, know, desire, want s.th., and this in a variety of modes and variations. More specifically and in terms of what was later referred to as eidetic reduction, the author of Sickness develops an ontology of the self qua phenomenology: a detailed description of (the different modes and stages of) being a self, and this precisely by pointing out the different ways of consciously or sub-consciously relating to s.th. as (one’s own) self. Thus conceived the question ‘what is a self ?’ is being transformed into a genuinely phenomenological one: What are the essential forms, stages and modes, in which a self – and in particular: a self in despair – is given to itself, as such, within conscious experience? How, in other words, does a (desparate) self present or become manifest to itself within self-consciousness or within the actual awareness of s.th. as a (desparate) self ? 47 In addition, Kierkegaard’s analyses repeatedly call 46 And also in the truth of the corresponding syllogism, of which they are a part – though, as we have seen, under the axiomatic and thus undemonstrateable presupposition of sin. 47 See also H. Schulz 1996b as an attempt to show how the ‘existence’ of freedom – in other words: its experience and actualization by virtue of aesthetically, ethically or religiously relating to s.th. as (an expression of) freedom – is in fact conceived of in the authorship as part and parcel of its own ‘essence’. Thus Kierkegaard favors what I would label a ‘categorical’ understanding of freedom, according to which the latter is possible (and actual) only as such. The different
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attention to the impact of the sub-conscious, subliminal or prereflexive level of consciousness within the life of the human mind and of the self, respectively. Finally and in terms of what, for the sake of the argument, may be called quasi-epoché, these analyses lead us to suspending and releasing us from the notorious question as to whether what is ‘experienced as’ is in fact real – or is in any case identical with what it is taken to be within this very experience. The self is real – and is what it is: a self (or at least a preliminary, imperfect and at times desperately distorted form and expression of it) –, inasmuch as s.th. is experienced and interpreted to that effect, if, in other words, it is considered, by the experiencing subject, an expression or manifestation of his or her own self, as such.48 2. Now, in which sense might a phenomenological relecture of Anticlimacus contribute to a deeper understanding of Kierkegaard’s attitude towards the project of trying to prove the existence of God? The answer is: because the concept of God itself is (also, though not exclusively) invoked in Sickness in a phenomenological manner. According to Anticlimacus, God is real, precisely if, to the extent and as soon as someone refers to s.th. or someone as God. And as we have seen, it is in his opinion part and parcel of the nature and actuality of the self to establish and permanently, though often reluctantly and via despair, to uphold and cultivate such a relation, if at first only on a subliminal or prereflexive level. This being said, we can now reformulate our original syllogism (19 – 21) in a weaker and epistemically less ambitious, yet phenomenologically more accurate form, which hopefully does not only do justice to Anticlimacus’ overall intentions, but also highlights them more poignantly: (22) Desperately wanting to be oneself is possible only, if a person being subject to this form of despair takes God to be real. forms and stages of freedom, thus conceived, primarily (though of course not exclusively) call for being tackled phenomenologically, and this is precisely, what Kierkegard and his pseudonyms often do. 48 As seen in this light one might also trace Kierkegaard’s understanding and practice of phenomenology back to Hegel’s notion of the term, according to which it refers to the description, analysis and dialectical critique of the various forms and stages within the (self-)experience of consciousness. See Taylor 1980 (and in a more recent version: Taylor 2007, 184 f. and 195 ff.) for an attempt to come to terms both with the apparent proximity and the radical distance between Kierkegaard and Hegel in this respect.
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(23) Desperately wanting to be oneself is possible.49 (24) Therefore a person desperately wanting to be him- or herself takes God to be real. Of course, on a purely genetical or descriptive level much more could and should be said about ‘taking God to be real’, but I only mention some details in passing, for instance: that the “thought of God emerges with a leap”50 ; that its emergence goes hand in hand with the emergence of reflexive self-consciousness; that what emerges is not to be confused with the idea of God’s existence simpliciter, but is the perception of a particular God, a God with certain properties, challenging among other things one’s own self-understanding; that the experience of such a God is initially dominated by (pretended) indifference, reluctance or even hatred, before under specific appropriate circumstances it may eventually be transformed into love or trust; that education and parental authority play an instrumental role in ‘axiomatically’ establishing, consolidating and stabilizing the idea of a loving God to emerge and to be held fast to.51 Etc. Instead of the genetical I would like to treat the epistemical aspect in some more detail. It seems justified to maintain, first of all (as Anticlimacus in fact does – and here I largely agree with him), that as soon as we imply an actual reference to (s.th. as) God within the conscious or sub-conscious experience of a human being, it would be phenomenologically misleading, in fact deeply flawed, to give a description of that experience, which actually ignores or at least methodically abstracts from the reference in question. Other than its ‘explanatory’ sibling any ‘descriptive reductionism’, which as such may be defined as the failure to identify an emotion, practice, or experience under the description by which the subject (at times unwittingly) identifies it, must be deemed phenomenologically illegitimate.52 Perhaps Peter erroneously believes that what he defiantly struggles with in his attempt, desperately
49 For simplicity’s sake I renounce a reformulation of this second premise in equally phenomenological fashion. As such it would read as follows: Desperately wanting to be oneself is experienced and / or tacitly implied as possible by the person desperately wanting to be him- or herself. 50 Papir 283:1, SKS 27, 276 / JP 3, 2349. 51 See NB:139, SKS 20, 96 / KJN 4, 96; JJ:266, SKS 18, 225 / KJN 2, 206 and NB19:62, SKS 23, 371 f. / JP 3, 3453. 52 I owe this distinction to Wayne Proudfoot (see Proudfoot 1985, 196 ff.).
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to be oneself, is in fact God; but he does not and cannot erroneously believe that he actually refers to the it: as God. It goes without saying that a prima facie justified quest for a phenomenology qua descriptive non-reductionism does not exclude the possibility – in fact the need, for the sake of sincerity and epistemological integrity – of an unbiased assessment of the reductionist issue in its explanatory dimension. And as we have seen, there can be no doubt as to Kierkegaard’s own preferences concerning the alleged conclusiveness and cogency of existing and / or imaginable attempts ‘to go further’ than what is available on a strictly phenomenological basis. Interestingly enough, though, there is, to the best of my knowledge, at least one single passage to be found in the authorship, where Kierkegaard himself seems to ‘jump’, as it were, from the genuinely descriptive or phenomenological to the epistemical level, thus apparently drawing an all too rash conclusion from a certain experience of (s.th. as) God to the latter’s existence. We should note beforehand, however, that the passage in question is a mere quotation, and although I do believe that Kierkegaard himself would actually subscribe to its basic point, this does not admit of any conclusions as to a possible wavering in his own standpoint within the proof-debate. The text itself, quoted in Greek – it is actually an excerpt from a dialogue between Demosthenes and Nicias in Aristophanes’ play The Knights –, is part of the “Diapsalmata” in Either / Or I and only half-ironically introduced by the author as “yet another demonstration of the existence of God that has hitherto been overlooked”53. In translation the ‘neglected argument’ (to borrow a term from Ch.S. Peirce) reads as follows: “DE. … What, do you really think [t]hat there are gods? NIC. I know it. DE. Know it! How? NIC. I’m such a wretched god-detested chap. DE. Well urged indeed.” (SKS 2, 45 f. / KW EO1, 37) If there is hatred or detestation, there must be someone who hates or detests – at least, so it seems. And yet, even though this may very well be true in principal, it remains an undisputable fact that we can never know for sure (in any case not in a third person-perspective), whether the former requirement is actually met in a given case or not, and therefore we must also abstain from any conclusion as to the 53 SKS 2, 45 / KW EO1, 36.
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latter claim – not to speak of the right to identify the allegedly hate-inflicted subject with God. A second aspect concerning the epistemical implications of Kierkegaard’s phenomenology can and needs to be tackled at this point. If Anticlimacus is right in assuming that (a) all human beings outside of Christian faith are in a state of despair54 and that (b) no despair is possible without (at least a grain of) wanting to be oneself 55, we may extend his argument presented so far as follows: (25) Desperately trying to be oneself is an essential element in all forms of despair. (26) All human beings outside of Christian faith are in a state of despair. (27) Therefore, all human beings outside of Christian faith take God to be real. (28) No Christian does not take God to be real. (29) Therefore, all human beings take God to be real. Of course, it would be tempting to extend the argument in its present form again, for instance as follows: (30) God cannot be taken to be real by all human beings unless he actually exists. (31) Therefore God exists. Such an extension might be tempting, since it would seem both logically compelling and epistemically justified now to draw a conclusion, which renders the so-called proof e consensu gentium resuscitated, as it were, and fully rehabilitated. But, hardly surprising, this will not do – 54 See SKS 11, 142 / KW SUD, 26: The “common view that despair is a rarity is entirely wrong; on the contrary, it is universal”. I guess Anticlimacus would justify his claim, primarily by drawing on the idea of (hereditary) sin; cf. the following footnote. 55 See SKS 11, 130 / KW SUD, 14: The despair to will to be oneself “is so far from designating merely a distinctive kind of despair that, on the contrary, all despair ultimately can be traced back to and be resolved in it”. I take this to be a theologically (instead of just phenomenologically) motivated claim on Anticlimacus’ part; as such it is apparently based upon the – NB: paradoxical – idea of sin as ultimately being rooted not in error, but in a conscious preference or choice of evil: see SKS 11, 201 – 208, esp. 205 / KW SUD, 87 – 96, esp. 93. Thus conceived, both claims (as to the first, see the previous footnote) function as quasi-axioms or ultimate premises admitting of no evidence other than the truth of certain dogmatical ideas – and of course Anticlimacus both knows and welcomes this.
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neither (as I suspect) on purely philosophical grounds, nor and in particular, in terms of a truthful Kierkegaard-exegesis.
IV. Is this Kierkegaard’s final, at least his ultimate word as to the epistemology of and the arguments for God? Not really. As far as I see, he considers, if somewhat experimentally, at least two further options to ‘demonstrate’ the truth of Christianity, or more exactly, certain Christian and / or religious truth-claims. The first is closer to the Climacus-discussion, thereby remaining this side of the genuinely phenomenological context. Here Kierkegaard probes a version of a ‘proof by authority’: “Actually, the best proof for the immortality of the soul, that there is a God, and the like, is the impression one has of this from his childhood, and therefore this proof … could be stated thus: It is absolutely certain, for my father told me.”56 In a neighboring passage s.th. similar is being considered with regard to the central Christian idea that God is love: “Here … everything really depends absolutely on a religious upbringing, on the apriority that is gained thereby, so that from the earliest age it is absolutely settled for a person that God is love. This proof that God is love, based on an inexplicable impression, an impression that has coalesced with one’s entire being from the earliest age: this is r[ea]lly the main thing.” (NB:139, SKS 20, 96 / KJN 4, 96)
Tying together both entries we may say that, according to Kierkegaard, a ‘proof’ for the existence and / or the nature of God qua love is possible – and in fact also convincing –, if only on the basis of an apriori57 and as such ‘inexplicable impression’ of those ideas, as they are imprinted, as it were, into the mind of a child, so that the whole issue is ‘settled’ from the very beginning.58 For this impression to arise a religious upringing of 56 NB5:114, SKS 20, 417 / KJN 4, 418. 57 Kierkegaard uses the term rather loosely or metaphorically here. Alternatively he states, in another journal-entry, that the highest degree of conviction (here: concerning the idea that God is love) is attained, whenever the latter is not conceived of as “a dogma which [as such] always requires proof but has become my axiom, which [as such] never needs proof” (NB19:62, SKS 23, 371 f. / JP 3, 3453; my emphasis). 58 The idea of an issue ‘being settled’ from the outset reminds us, hardly by accident, of Climacus’ urging that any attempt to prove the existence of (an actually existing) God proves foolish, since in order to begin one always already has to
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the child is mandatory, and here, in particular, the acceptance, on the part of the latter, of the unconditional and unquestionable authority of the father, testifying to the truth of the respective idea. It goes without saying that in order to take this approach seriously we (or Kierkegaard himself) would have to be prepared to accept a metabasis eis allo genos – an unwarranted leap from the genetical to the epistemological realm, namely by arguing: ‘X ist true, because and inasmuch as X is (or has come, via parental authority and education, to be) certain.’ Any such argument would only pass as conclusive, if by definition the proposition in question (‘God exists’; ‘God is love’) could not be certain without actually being true. However, Kierkegaard does not provide any, much less any sufficient reason as to (a) the truth of such claim, and (b) the possible certainty of (either of) the propositions in question. And yet, it can hardly be denied that he himself was fully aware of this, so that here again the term ‘proof’ must be taken with a grain of salt. With a second and final remark I want to call attention to a journal entry, in which Kierkegaard ponders the idea of a subjectively based proof – however, not a proof for the existence of God, but rather for the truth of Christianity in comparison to that of a purely philosophical world-view (and also, I guess, to that of other religions). The ‘proof’ is based on the observation that quite often the “most zealous enemies” of Christianity “have become its most zealous defenders”59. This purely genetical or descriptive observation is put into service by Kierkegaard for epistemical purposes, in that he claims that this “duplex relation” in Christianity, in other words the fact that the latter “goads just as powerfully as it attracts” is “indeed what indicates its absolute truth”60. By contrast, any ‘objective’ apology must, in his opinion, prove deeply flawed for pragmatical or ‘subjective’ reasons already: It makes things seem all too easy, thus apparently releasing its addressee from the burdensome task inherent to the life of faith, as the latter is based on ideas, which can only be held fast by permanently overcoming the (subjective and objective) offense invariably going along with them. Only a religion, which attracts by means of ‘frightening away’ and vice versa, presuppose the very existence one sets out to prove, and this “not as doubtful … but as decided” (SKS 4, 245 / KW PF, 39; see above). 59 JJ:381, SKS 18, 268 / KJN 2, 247; An observation, which not by accident reminds us of the ,neglected argument’ explained before. 60 Ibid. See also NB25:44, SKS 24, 466 / JP 4, 4897, 511: “[T]his is the proof that Christ is the God-man, for in willing to win all, unconditionally, he frightens everybody away”.
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might be called ‘absolutely’, namely both objectively and subjectively true – and that is precisely the achievement of Christianity (as being rooted in the idea of the God-man), and in fact of Christianity alone. Now, one might argue that even if we could demonstrate that a religion, in order to be ‘absolutely true’, would have to meet the double requirement just stated; and, moreover, if we were also capable of showing that it is Christianity alone, which actually and / or possibly meets this requirement, we would still be in charge of justifying the claim that Christianity (more exactly, the God-man as the fundamental idea that it rests upon) is itself possible. For, trivially enough, that A is possible only, if B, does not prove B to be possible. Despite appearances this objection need not worry us much – nor Kierkegaard, for that matter. The simple reason is that it cannot even function as a proper objection, since it unwittingly repeats a point made by Kierkegaard himself 61: Any straightforward, apologetically motivated recommendation of Christianity is impossible, since Christianity is built upon in the idea of the paradox, or more exactly, a number 61 That is why I take Peter Mehl’s (otherwise instructive) critique of Anticlimacus to be missing the point. Mehl argues that there is sort of a pragmatical argument for God to be found in Sickness: God exists, because and inasmuch as the infinite quest or ‘demand’, inherent to all forms of despair, for fully authentic selfhood and moral integrity can as such only be thought of as being met by God – and in fact the despairing person him- or herself perceives things to be so. In Mehl’s opinion, the argument is flawed, however: It tacitly presupposes what is supposed yet to be proved – God –, and this, because ‘despair’s demand’ or inherent disease, in its being “infiltrated by Christian theism” (Mehl 1992, 179), is all too quickly taken to be infinite, so that not only the corresponding cure must consist of nothing less but fully authentic selfhood and complete moral integrity, in order to meet the demand, but that, furthermore, the source, being able to provide the cure, must be conceived of as equally infinite, thus divine (see Mehl 1992, 169, 171, 173 f., 179 f.). By contrast, once we give up Kierkegaard’s religiously infected and as such unnecessarily strong “ideal of humanness” (179) – and Kierkegaard himself provides sufficient reason to do just that (see 180) – the argument for God derived from it loses its force, and rightly so, according to Mehl. In my opinion, however, Mehl fails to note that the claim that it is God and God alone who can actually satisfy the desire for fully authentic selfhood and thus heal the ‘sickness unto death’, cannot, as ultimately unwarranted (because of its tacitly being present already in the diagnosis of despair’s disease), be turned against Anticlimacus – simply because that is precisely what he himself, as a devout Christian, presupposes and affirms as a final axiomatic premise of his whole analysis, a premise, which as such (and also and especially because of its paradoxical implications) defies rational appropriation.
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of closely related paradoxes – one christological (the God-man), one hamartiological (sin) and one soteriological in nature (the forgiveness of sins).62 As such, these paradoxes defy any rational explanation and appropriation – for instance, by lending themselves to being demonstrated. Now, it is not my task here to assess the truth and / or justifiability of this claim. Suffice it to say that on strictly consequential grounds one can hardly help but admit that Kierkegaard is basically right: If the paradoxical premise obtains, any possibility of proving that Christianity can and has to be considered the ‘absolute truth’ (in the sense described above), would in fact be incompatible with the project of giving a true account of Christianity. More formally speaking, the possibility of proving Christianity to be a, in fact the sole manifestation of an ‘absolute truth’ would be sufficient for the impossibility of being any such manifestation. In turn, the impossibility of demonstrating Christianity to be absolutely true must itself be deemed necessary for the former’s absolute truth to be possible. So, once more we have to take the term ‘proof’ with a grain of salt: It is used by Kierkegaard in a purely consequential or ‘coherentistic’ way, and it should have become obvious by now that he (knew he) would contradict himself and have his arguments run counter to their own fundamental premises, if this were otherwise.
V. The present article has fulfilled its purpose, if it has succeeded in explaining and arguing persuasively for the following claims: (1) There is a fundamental unity, continuity and unanimity in Kierkegaard’s authorship as regards the actual and / or imaginable attempts to argue for the existence of God: None of these attempts is, in fact none of them can be successful, and this for various reasons; moreover, any such attempt proves highly problematic on ethico-religious grounds already. (2) In particular, Kierkegaard and / or Climacus try to come to terms with the so-called proofs by employing at least five arguments supposed to refute them: a psychological, an epistemological, an ontological, an ethico-religious and a manifestational one. Some of these ar62 See, for instance, SKS 4, 242 – 252, esp. 249 – 252 / KW PF, 37 – 48, esp. 44 – 48; SKS 7, 187 – 213, 526 – 529, 530 ff. / KW CUP1, 204 – 234, 578 – 581, 583 ff.; SKS 11, 205 f. / KW SUD, 92 f.
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guments seem to be sound, others are found wanting. (3) Despite appearances, Anticlimacus is no exception among the pseudonyms as regards the proof-issue: What appears, at first sight, as a full-fledged argument for the existence of God in Sickness unto Death, turns out, upon closer inspection, as merely a correct and formally valid syllogism, the truth of which remains undecided for the time being. Although Anticlimacus himself obviously believes in these premises (and thus also in the conclusion deduced from them), he knows full well and in fact welcomes without reservation that the argument in toto cannot be persuasive, since the truth of its premises depends on fundamental Christian ideas (sin, in particular), which in turn cannot be justified outside of faith and as such already presuppose the existence of God in order possibly to be true. (4) Anticlimacus at least implicitly accepts that readers may take the pertinent passages of Sickness to contain and also to be intended as an attempt to argue for the existence of God – and he does so in spite of Climacus’ explicit warning against the deplorable consequences of any such impression to arise. Whatever reason he may have for this acceptance, the main intention of his text lies elsewhere, in any case: It is a phenomenologically exhaustive typology and description of the different forms and stages of despair – a description, which in turn functions as a ‘negativistic’ index and illumination of the (structure, content and purpose of the) human self, Christianly conceived. This description may indeed take the form of a formally valid proof for the existence of God; however, Anticlimacus is quick to admit – and rightly so – that (a) the experience of s.th. as God can still be erring, even if such an experience is universal (the consensus gentium may rest on a mistake); (b) the theistic ideas or premises, on which the phenomenological argument is based (God and sin, in particular), provide sufficient, but they obviously do not and cannot provide necessary conditions for the understanding of despair to be possible; at least it cannot be demonstrated objectively that they do. (5) Additional and supplementary considerations concerning these and related issues are to be found throughout Kierkegaard’s journals; however, the journals do not (and in fact they do not intend to) provide radically different views about the matter. In particular, they undergird the hypothesis that Kierkegaard deemed it impossible, both to give a truthful account of (the ideality of) Christianity and to prove the existence of God (in particular, the Christian God of love): Either the latter is possible or the former – tertium non datur.
16. Christologie als Apologie. Zur vernünftigen Verteidigung des christlichen Glaubens bei Anselm und Kierkegaard Mein Referat verfolgt zwei Ziele: Zum einen möchte ich am Leitfaden der Frage nach den Möglichkeitsbedingungen und der Reichweite christlicher Apologetik zwei Autoren ins Gespräch bringen, die bzw. deren einschlägige Texte auf den ersten Blick nicht nur in geistesgeschichtlicher und konfessioneller, sondern auch in sachlicher und formaler Hinsicht gänzlich disparaten Kontexten anzugehören scheinen. Die Rede ist von Anselm v. Canterbury (1033 – 1109) und Sören Kierkegaard (1813 – 1855). Dabei geht es mir vor allem um die Herausarbeitung der überraschend affinen Argumentationsstruktur, die die zugrunde liegenden Vergleichsquellen1 bestimmt, sowie um die Detailrekonstruktion und Erläuterung des jeweiligen Argumentationsganges. Darüber hinaus möchte ich kurz auf die historischen und sachlichen Gründe eingehen, die nicht nur die Unterschiede in Ansatz und Ergebnis von Kierkegaards Argumentation bedingen, sondern auch dessen gewandeltes Verständnis von Möglichkeit, Recht und Grenze einer christlichen Apologie überhaupt. Die abschließende Beurteilung beider Konzepte knüpft mit einem Votum nach Punkten für Kierkegaard an diese Überlegungen an. Der Titel meines Textes weist im Übrigen darauf hin, dass die christologische Thematik hier nur insoweit Berücksichtigung findet, wie ihr – der Sache nach wie mit Bezug auf die beiden zu behandelnden Autoren – eine apologetische Funktion zukommt. Es geht m.a.W. um Christologie als Apologie, nicht aber und umgekehrt um den theologisch anspruchsvolleren Versuch des Nachweises, dass eine vernünftige Verteidigung des (christlichen) Glaubens christologisch fruchtbar gemacht zu werden vermag, verdient oder gar verlangt. 1
Gemeint sind Anselms Cur deus homo [1098] und Kierkegaards Philosophische Brocken [1844]. Der zuerst genannte Text wird (nach Buch- und Kapitelzahl: z. B. I / 1) zitiert unter Rückgriff auf: Anselm v. Canterbury, „Cur deus homo / Warum Gott Mensch geworden“, lat.-dt. Ausg., hg. von F.S. Schmitt, 3. Aufl., Darmstadt 1970.
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Christologie als Apologie
I. Ansatz und Argumentationsgang von Cur deus homo 1. Anselms Text2 bietet ein Stück Apologie im ursprünglichen Sinne des Wortes. Deren Sitz im Leben ist die Gerichtsverhandlung, bei der als solcher ein Verteidiger (Anselm) die Rechtsansprüche des Angeklagten (Kirche) gegenüber dem Anwalt der Klägerpartei (Boso, als Vertreter einer inner- wie außerchristlichen Skepsis: vgl. I / 1) vertritt, um vonseiten des Richters (Vernunft) einen Freispruch bezüglich des zur Verhandlung stehenden Anklagegrundes (Irrationalität des Inkarnationsdogmas) zu erwirken. Anselms Verteidigung wird dabei nicht von dem Ziel des Nachweises geleitet, dass der Angeklagte das ihm zur Last Gelegte gar nicht getan, die Kirche mithin kein Inkarnationsdogma gelehrt habe. Plausibel gemacht werden soll lediglich, dass jenes Dogma in Wahrheit als durchaus vernünftig, ja im Kontext seiner dogmatischen Voraussetzungen als zwingend gelten, dessen Behauptung der Kirche mithin nicht als intellektuelle Verfehlung zur Last gelegt werden kann. Insofern wird, mit J.L. Austin gesprochen, die Kirche von Anselm nicht gerechtfertigt, sondern entschuldigt.3 2. Formal gesehen verfährt Anselms Plädoyer – übrigens durchaus analog zur Methode des ontologischen Gottesbeweises im Proslogion – apagogisch, und d. h. in diesem Falle: remoto Christo (vgl. Vorrede und I / 10). Unter der kontrafaktischen Annahme, „als ob niemals etwas von ihm gewesen wäre“ (Vorrede), wird bewiesen, dass eine Rettung des Menschengeschlechtes (oder zumindest einer begrenzten Anzahl menschlicher Individuen) i.S. einer post- bzw. translapsarischen Anteilhabe an der ewigen Seligkeit nicht nur nicht, sondern auch nicht anders möglich gewesen sein würde als durch die Menschwerdung Gottes. Auf diese Weise wird der skeptische Einwand, Gott habe die Rettung des Menschen ebenso gut ganz unterlassen, zumindest aber anders als durch seine Inkarnation verwirklichen können, widerlegt, um stattdessen und auf indirektem Wege die kirchliche Auffassung als einzig denkbare Alter-
2 3
Unter den neueren Untersuchungen zur Anselmischen Versöhnungslehre sind zu nennen: Gäde 1989; Plasger, 1993; Steindl 1989. Vgl. zu dieser Distinktion: Austin 1965, 379 – 398, bes. 380 f.
I. Ansatz und Argumentationsgang von Cur deus homo
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native zu profilieren. In seiner knappsten Variante lautet das entscheidende Argument wie folgt (vgl. I / 25 und II / 18): (1) Gott musste immer und nur dann Mensch werden, wenn zumindest einige Menschen nicht nicht und nicht anders als durch seine Menschwerdung gerettet werden konnten. (2) Zumindest einige Menschen konnten nicht nicht und nicht anders als durch Gottes Menschwerdung gerettet werden. (3) Also musste Gott Mensch werden. 3. Dass Anselm remoto Christo verfährt, besagt allerdings nicht, dass er dies auch remoto Deo oder remoto peccatore tut. Sein apologetisches Projekt ist also – und zwar mit vollem Bewusstsein (vgl. I / 10) – von vornherein begrenzt. Dass Gott existiert, dass er den Menschen mit dem Ziel seiner Teilhabe an einer ewigen Seligkeit geschaffen und dieser Recht und Möglichkeit dieser Teilhabe durch die Sünde verspielt hat – diese und andere christlich-dogmatische Kernaussagen werden als zumindest hypothetisch gültige Vorannahmen ins Spiel gebracht (vgl. I / 10). Sie fungieren als ebenso unverzichtbare wie bis auf weiteres unbewiesene Prämissen, die den Schluss auf die Notwendigkeit der Inkarnation ebenso ermöglichen wie zwingend erscheinen lassen. Als solche muss der Skeptiker (oder Spötter: vgl. I / 3 u. I / 25) diese Prämissen nicht glauben, er muss sie lediglich akzeptieren und d. h. bereit sein, so zu handeln, als ob er sie für wahr hielte (hier: indem er sie zur hypothetisch gültigen Prämisse für eine möglicherweise aus ihnen ableitbare Schlussfolgerung macht). Es geht Anselm also nicht um den separaten Beweis einer Reihe von dogmatischen Sätzen A, B, C … R, sondern lediglich um deren implikationslogische Verknüpfung mit einer conclusio, die als deduktives Resultat eines rein hypothetischen Schlusses herausspringt: Wenn A, B, C … Q, dann auch und mit Notwendigkeit R (= die Menschwerdung Gottes). Wobei sich freilich von selbst versteht, dass Anselm selbst diesen hypothetischen Schluss wie folgt ergänzen würde: A, B, C … Q. Also R. Diejenige Argumentationskette, die die tragenden Prämissen der gesamten Überlegung inklusive ihrer entscheidenden Schlussfolgerung im Zusammenhang wiedergibt, sieht dann wie folgt aus: (1) Gott hat jedem Menschen mit seiner Erschaffung die Möglichkeit eingeräumt, an der ewigen Seligkeit Anteil zu gewinnen. [I / 10] (2) Nur der und jeder, der vor Gott als gerecht gilt, kann an der ewigen Seligkeit Anteil gewinnen. [I / 11 u. 24]
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Christologie als Apologie
(3) Vor Gott als gerecht gelten kann jeder und nur der Mensch, der Gott die schuldige Ehre erweist. [I / 11] (4) Jeder kraft unbedingten Gehorsams Sündlose oder aber jeder, dem das durch die Sünde des Ungehorsams gegen Gott Geschuldete von diesem nachgelassen wird, erweist Gott die schuldige Ehre. [I / 11 u. 13] (5) Kein Mensch ist faktisch sündlos. [I / 10] (6) Gott kann in Übereinstimmung mit seinem Wesen das durch die Sünde Geschuldete nicht durch bloße Nachgiebigkeit, d. h. ohne Bezahlung nachlassen. [I / 12] (7) Jedes durch die Sünde Geschuldete kann entweder durch Strafe (hier: ewige Verdammnis) oder durch Genugtuung bezahlt werden. [I / 15] (8) Gott kann in Übereinstimmung mit seinem Wesen das durch die Sünde Geschuldete nicht ausnahmslos durch Strafe bezahlen lassen. [I / 19] (9) Jeder Gott kann, keiner aber darf, jeder Mensch muss, keiner aber kann für die Sünde Genugtuung leisten. [I / 20 u. II / 6] (10) Nur ein Gottmensch darf und vermag all das, was kein Gott darf und kein Mensch vermag. [II / 7 u. 14] (11) Allein Jesus Christus fällt faktisch in die Klasse möglicher Gottmenschen. [I / 25] (12) Jeder gottmenschlichen Genugtuungsleistung gebührt als solcher göttliche Belohnung. [II / 19] (13) Keine Belohnung, die einer gottmenschlichen Genugtuungsleistung gebührt, kann einem anderen als demjenigen zugutekommen, für den jener Gottmensch sie leistet. [II / 19] (14) Nur die ewige Seligkeit fällt in die Klasse derjenigen göttlichen Belohnungen, die einer gottmenschlichen Genugtuungsleistung gebührt. [II / 19] (15) Gott musste immer und nur dann Mensch werden, wenn er nicht nur als willens (d. h. als in Einheit barmherzig und gerecht), sondern auch als fähig (d. h. als allmächtig) zu denken ist, zumindest einigen Menschen tatsächlich Anteil am Genuss jener Belohnung zu gewähren, die der Genugtuungsleistung des Gottmenschen gebührt. [I / 25 u. II / 6] (16) Gott ist nicht nur als willens, sondern auch als fähig denken, zumindest einigen Menschen tatsächlich Anteil am Genuss jener Belohnung zu gewähren, die der Genugtuungsleistung des Gottmenschen gebührt. [I / 25 u. II / 4]
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(17) Also musste Gott Mensch werden. [Vorrede u. II / 18] 4. Ich kann aus Platzgründen im Folgenden nur einige der angeführten Prämissen erläutern und auch dies nur ausschnittweise. Meine Schwerpunktbildung wird dabei von der Maxime geleitet, dass im Zweifelsfall einer Anleitung zum basalen Verstehen gegenüber einer Plausibilisierung des Behaupteten der Vorzug gebührt. 4.1 Die ersten beiden Prämissen des Argumentes sind weder genuin anselmisch noch werfen sie grundsätzliche Verständnisprobleme auf; sie bedürfen daher keiner separaten Erläuterung. Beginnen wir also mit (3): Vor Gott als gerecht gelten kann jeder und nur der Mensch, der Gott die schuldige Ehre erweist. [I / 11] Anselm denkt, was als Allgemeinplatz in der Interpr