Aneignung und Eigensinn: Interpikturalität in der Malerei Helene Funkes 9783839450574

Using the example of the painter Helene Funke, Anna Storm analyzes strategies of appropriation in painting and discusses

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Aneignung und Eigensinn: Interpikturalität in der Malerei Helene Funkes
 9783839450574

Table of contents :
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Inhalt
Einleitung
I. Interpikturalität, Modernität und Originalität
Interpikturalität – ein »operatives Konstrukt«
Modernität und Originalität
II. Die Marginalisierung von Frauen in der Kunst
Über das »Wesen« der Frau in philosophischen undkunstkritischen Texten um 1900
Feministische Kunstgeschichte und institutionelle Rahmenbedingungen
Der Impressionismus ist weiblich!
III. Assimilation und Aneignung
Künstlerinnenausbildung im Schatten. Die Damen-Akademie
München zwischen Tradition und Erneuerung
Teilhabe am Konventionellen. Funkes frühe Landschaften
Erste Hybride: »Haus im Park«
IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen
Das Motiv der Tänzerinnen
Der Raum als Fläche – Der Körper als Fragment
Picassos »Demoiselles« in neuen Gewändern
Fest im Blick: Die Ganzkörperfigur und ihr Porträtcharakter
Das Kostüm als textile Maske
Das Bild als hybrides Objekt
V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge
Die Loge als Motiv in der Moderne
Das Blickregime (in) der Loge
Funkes Loge als Idealort weiblicher Emanzipation
Loge und Balkon. Aneignung bei Édouard Manet
Die Pluralität des Hybriden
Abschluss: »Eine schreckliche Van-Goghiade«
Literatur- und Quellenverzeichnis
Online-Quellen
Abbildungsverzeichnis

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Anna Storm Aneignung und Eigensinn

Image  | Band 169

Anna Storm (Dr. phil.), geb. 1986, arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Von der Heydt-Museum Wuppertal. Sie hat Kunstgeschichte und Medienwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum studiert und ihre Dissertation an der Leuphana Universität Lüneburg verfasst. Ihre Forschungsschwerpunkte sind feministische Kunstgeschichte und Künstlerinnensozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

Anna Storm

Aneignung und Eigensinn Interpikturalität in der Malerei Helene Funkes

Zgl.: Lüneburg, Universität, Dissertation, 2019

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Trotz sorgfältiger Recherche war es nicht in allen Fällen möglich, die Rechteinhaber der Abbildungen ausfindig zu machen. Berechtigte Ansprüche werden selbstverständlich im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Helene Funke, In der Loge, 1907, LENTOS Kunstmuseum Linz, Foto: Reinhard Haider Lektorat: Marion Meyer Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5057-0 PDF-ISBN 978-3-8394-5057-4 https://doi.org/10.14361/9783839450574 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

Einleitung ........................................................................................7 I. Interpikturalität, Modernität und Originalität........................................21 Interpikturalität – ein »operatives Konstrukt« .....................................................26 Modernität und Originalität ..............................................................................37 II. Die Marginalisierung von Frauen in der Kunst ...................................... 53 Über das »Wesen« der Frau in philosophischen und kunstkritischen Texten um 1900 ...................................................................... 55 Feministische Kunstgeschichte und institutionelle Rahmenbedingungen .................. 67 Der Impressionismus ist weiblich!..................................................................... 74 III. Assimilation und Aneignung .......................................................... 93 Künstlerinnenausbildung im Schatten. Die Damen-Akademie..................................96 München zwischen Tradition und Erneuerung..................................................... 107 Teilhabe am Konventionellen. Funkes frühe Landschaften .................................... 114 Erste Hybride: »Haus im Park«........................................................................120 IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen ............................................ 133 Das Motiv der Tänzerinnen ............................................................................ 136 Der Raum als Fläche – Der Körper als Fragment................................................. 143 Picassos »Demoiselles« in neuen Gewändern.................................................... 153 Fest im Blick: Die Ganzkörperfigur und ihr Porträtcharakter .................................. 157 Das Kostüm als textile Maske ..........................................................................164 Das Bild als hybrides Objekt............................................................................ 170

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge ............................................ 173 Die Loge als Motiv in der Moderne .................................................................... 175 Das Blickregime (in) der Loge......................................................................... 183 Funkes Loge als Idealort weiblicher Emanzipation.............................................. 198 Loge und Balkon. Aneignung bei Édouard Manet ................................................ 206 Die Pluralität des Hybriden ............................................................................ 223 Abschluss: »Eine schreckliche Van-Goghiade« ......................................... 231 Literatur- und Quellenverzeichnis ......................................................... 241 Abbildungsverzeichnis ..................................................................... 263

Einleitung

Einen ersten Anstoß für eine feministische Kunstgeschichte bildet die 68erBewegung, in deren Folge sich zunächst in den USA, dann in Europa eine kunsthistorische Forschungsausrichtung entwickelt, die sich dezidiert Künstlerinnen zuwendet.1 Der männerdominierte Kunstbetrieb, die systematische Verdrängung weiblicher Kunstproduktion und ihre pauschalisierte Verurteilung als minderwertig bis dilettantisch werden aufgedeckt. In Ausstellungen (z.B. »Women Artists 1550-1950, 1976, kuratiert von Ann Sutherland Harris und Linda Nochlin), Forschungsarbeiten (z.B. Rozsika Parka/Griselda Pollock »Old Mistresses«, 1981) und Zeitschriften (z.B. FKW Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur) weitet sich der Diskurs aus, dem jedoch an den Universitäten bloß eine Nischenposition zugestanden wird.2 Feministische Kunstgeschichte dürfe sich aber nicht lediglich um eine Ergänzung von bislang unerforschten Künstlerinnen in der Geschichtsschreibung bemühen, erklärt Silke Wenk, sondern müsse untersuchen, wie die Zentrierung auf männliche Künstler immer wieder neu geschehe und wie diese gestört werden könne.3 Denn die Marginalisierung der Frauen, so Wenk weiter, sei auf strukturelle Gründe, die mit der Definition von Kunst und Künstler als männlich ver1

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Frübis, Hildegard: 1968 und die Folgen: Die Kunstgeschichte und die Frage der Geschlechter, in: Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft. Schwerpunkt: Kunstgeschichte nach 1968, Bd. 12/2010, Hg. Martin Papenbrock/Norbert Schneider, Göttingen 2010, S. 87. Vgl. Below, Irene: Einen Tomatenwurf der Kunsthistorikerinnen gab es nicht … Zur Entstehung feministischer Forschung in der Kunstwissenschaft, in: kritische berichte 3 (1990), S. 7-16. Hoffmann-Curtius, Kathrin: Frauen in der deutschen Kunstgeschichte, in: Frauen Kunst Wissenschaft, Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur 11 (1991), S. 6-13. Wenk, Silke: Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit, in: Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit im 20. Jahrhundert, Hg. Kathrin Hoffmann-Curtius, Marburg 1997, S. 12.

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Aneignung und Eigensinn

bunden seien,4 zurückzuführen – wie sich am Beispiel der Geschichte zahlreicher Künstlerinnen belegen lässt. Linda Nochlin weist bereits 1971 in ihrem vielbeschworenen Aufsatz »Why Have There Been No Great Women Artists?« auf die institutionellen Restriktionen und akademischen Ausschlussverfahren von Künstlerinnen hin.5 Die Malerin Helene Funke (1869-1957) darf nur bedingt der Reihe von Künstlerinnen hinzugefügt werden, die bislang von der Forschung gänzlich missachtet wurden. Funke wird heute in ihrer Wahlheimat Österreich als bedeutende Künstlerin geschätzt, ihre Werke sind in zahlreichen Sammlungen vertreten.6 Dennoch lässt sich ihr künstlerischer Weg als ein paradigmatisches Beispiel für eine Malerin anführen, die vom offiziellen Kunstbetrieb zunächst ausgeschlossen wird, keine Zulassung zu einer staatlichen Kunsthochschule erhält und als Frau in einem von Männern dominierten Kunstsystem stets den etablierten gesellschaftlichen Vorurteilen von weiblichem Dilettantismus und Unfähigkeit ausgesetzt ist. Trotz erstarkter Frauenrechtsbewegung, die sich auch auf den Kunstbetrieb ausweitet (beispielsweise in dem Drängen nach einer Öffnung der staatlichen Akademien für weibliche Studierende), und den Reformbewegungen beschreiben diese Punkte auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch die Lebensrealität einer Künstlerin. Selbst heute ist der Kunstbetrieb immer noch – trotz steigender Zahlen weiblicher Akteure – ein vornehmlich von Männern dominiertes Feld.7 Insofern hat das Thema der Künstlerinnenforschung auch gegenwärtig höchste Aktualität. Mit der vorliegenden Forschungsarbeit über Helene 4

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Zum männlichen Genie-Konzept siehe: Krieger, Verena: Der Blick der Postmoderne durch die Moderne auf sich selbst. Zur Originalitätskritik von Rosalind E. Krauss, in: Kunstgeschichte & Gegenwartskunst. Vom Nutzen & Nachteil der Zeitgenossenschaft, Hg. Dies., Köln/Weimar/Wien 2008; Krieger, Verena: Sieben Arten, an der Überwindung des Künstlersubjekts zu scheitern. Kritische Anmerkungen zum Mythos vom verschwundenen Autor, in: Was ist ein Künstler? Das Subjekt der modernen Kunst, Hg. Martin Hellmold/Sabine Kampmann/Ralph Lindner u.a., München 2003; Gelshorn, Julia: Der Produzent als Autor. Künstlerische Theorie als kunsthistorische Herausforderung, in: Kunstgeschichte & Gegenwartskunst, 2008. Nochlin, Linda: Why Have There Been No Great Women Artists? In: Woman in Sexist Society: Studies in Power and Powerlessness, Hg. Vivian Gornick, New York u.a. 1971. Hülsewig-Johnen, Jutta: Starke Frauen. Die Kunst ist weiblich, in: Einfühlung und Abstraktion. Die Moderne der Frauen, Ausstellungskat.: Kunsthalle Bielefeld, 2015/2016, Hg. Jutta Hülsewig-Johnen/Henrike Mund, Köln 2015, S. 13. Siehe z.B.: Reber, Simone: Kunstbetrieb: Gleichstellung in der Kunstwelt? ZEIT ONLINE, 11. Oktober 2012, zuletzt aufgerufen: 27.03.2018, oder Hoffmann-Curtius, 1991.

Einleitung

Funke soll nicht lediglich eine kunsthistorische Lücke geschlossen werden, sondern es soll herausgearbeitet werden, mit welchen Mitteln und Konzeptionen sich diese Künstlerin gegen ein diskriminierendes System zur Wehr setzt und damit eine emanzipatorische und widerständige Arbeit leistet. Das vielseitige Werk der Malerin, das etwa 400 bislang bekannte Werke umfasst,8 weist ein reiches Motiv- und Formenrepertoire auf, eine stilistische und formalästhetische Varianz, die sich zunächst der Münchener Landschaftsmalerei, dann der französischen Moderne annimmt. Dabei fallen immer wieder motivische, formale oder stilistische Übernahmen ins Auge, die ihre künstlerische Arbeitsweise als eine Praxis der Aneignung charakterisieren. Interessanterweise ist Aneignung zwar eine der gebräuchlichsten Lehrmethoden der Akademie und auch des privaten Kunstunterrichts, diese gilt es zu beherrschen, dann aber zu überwinden. Nur wer sich von der Kopie lossagt, kann Originalität entwickeln.9 Malerinnen wird hingegen von der damaligen Kunstkritik vorgehalten, die Kopie nicht zu überwinden, sich also lediglich nachahmend betätigen zu können, weil sie eben keine Genialität besitzen. Nachahmung sei folglich ein Zeichen von Unfähigkeit und mangelnder Originalität und wird so negativ bewertet. Karl Scheffler proklamiert zum Beispiel 1908: »Sie ist die Imitatorin par excellence, die Anempfinderin, die die männliche Kunstform sentimentalisiert und verkleinert […]«10 . Insofern ist die Position Funkes besonders vor dem Hintergrund ihrer künstlerischen Praxis von größter Signifikanz. Aneignung ist dabei kein neues Phänomen, sondern seit Jahrhunderten bekannt, das jedoch verstärkt in der Moderne auftritt.11 Dabei gibt es zahlreiche Begrifflichkeiten, die das Verhältnis zwischen Bildern und die Bezüge von Bild zu Bild beschreiben. In den 8

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Funke, Peter: Die Malerin Helene Funke 1869-1957. Leben und Werk, Wien/Köln/Weimar 2011, S. 11. Seit dem Erscheinen des Werkverzeichnisse sind zahlreiche weitere Werke, hauptsächlich bei Auktionen in Österreich, hinzugekommen, die Funke zugeschrieben werden. Siehe z.B.: Bätschmann, Oskar: Zeichnen und Zeichnung im 19. Jahrhundert, in: Zeichnen ist Sehen. Meisterwerke von Ingres bis Cézanne aus dem Museum der Bildenden Künste Budapest und aus Schweizer Sammlungen, Ausstellungskat.: Kunstmuseum Bern, 1996, Hg. Judit Geskó/Josef Helfenstein, Ostfildern 1996, S. 24. Scheffler, Karl: Die Frau und die Kunst. Eine Studie, Berlin 1908, S. 42. Siehe z.B.: Fried, Michael: Manet’s modernism, or the face of painting in the 1860s, Chicago u.a. 1996; Zimmer, Nina: Die Wiederholung als »Technik der Originalität« bei Soutine und Picasso, in: Soutine und die Moderne, Ausstellungskat.: Kunstmuseum Basel, 2008, Hg. Kunstmuseum Basel, Köln 2008. Julia Gelshorn zeigt in ihrer Arbeit zudem, dass auch zeitgenössische Künstler mit dem Verfahren der Aneignung operieren, sie-

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Aneignung und Eigensinn

1980er Jahren wird ein weiterer Begriff hinzugefügt: Der Begriff der Interpikturalität, der aus der Literaturwissenschaft entlehnt ist und das Modell der Intertextualität auf das Medium Bild überträgt.12 Mit diesem Begriff soll die Arbeitsweise Funkes beschrieben, zugleich ihre spezifische Form und ihre Motivation herausgearbeitet werden, nicht ohne den Begriff zuvor kritisch zu hinterfragen. Dabei wird deutlich, dass Aneignung oder interpikturales Arbeiten zu einer Spannung mit dem in der Ästhetik entwickelten Originalitätspostulat13 führt, das in Tradition des Geniekults überdies männlich besetzt ist.14 Aneignung und interpikturale Bildsysteme, das zeigt sich exemplarisch an den Werken Funkes, lassen sich als Moderne spezifische Verfahren beschreiben, gleichzeitig gilt es ihr Verhältnis zur Originalität zu diskutieren. Dies ist Thema von Kapitel I. Anknüpfend an das erste Kapitel, das eine theoretische wie systematische Basis für die Arbeit mit dem Begriff der Interpikturalität darstellt, rücken ferner die institutionellen Rahmenbedingungen für das Künstlerinnensein in den Fokus. So wird in Kapitel II anhand ausgewählter philosophischer und kunstkritischer Texte (z.B. von Arthur Schopenhauer, Otto Weininger und Karl Scheffler) eine stereotype Wesenscharakterisierung der Frau nachgezeichnet, die maßgebliche Grundlage für den systematischen wie institutionellen Ausschluss wie die anhaltende Marginalisierung der Künstlerinnen ist. Darüber hinaus soll das Beispiel des Impressionismus – dem stets eine spezifisch »weibliche« Ausdruckshaftigkeit nachgesagt wird – vor Augen

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he: Gelshorn, Julia: Aneignung und Wiederholung. Bilddiskurse im Werk von Gerhard Richter und Sigmar Polke, Paderborn 2012. Falkenhausen, Susanne von: Neue Fragen in altem Gewand? Die alte Tante Kunstgeschichte und die Interpiktorialität, in: Interpiktorialität. Theorie und Geschichte der Bild-Bild-Bezüge, Hg. Guido Isekenmeier, Bielefeld 2013, S. 109. Siehe auch: Gelshorn, Julia: Interikonizität, in: kritische berichte 35.3 (2007), S. 53-58. Zum Begriff der Originalität siehe z.B.: Krämer, Hans-Joachim: Zu Konzept und Diagnose der Originalität, München 1979; Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie [1970], in: Gesammelte Schriften, Bd. 7, Hg. Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M. 2003; Mensger, Ariane: Déjà-vu. Von Kopien und anderen Originalen, in: Déjà-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube, Ausstellungskat.: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, 2012, Hg. Ariane Mensger/Staatliche Kunsthalle Karlsruhe/Staatliche Kunstschule für Gestaltung Karlsruhe, Bielefeld/Berlin 2012; Häseler, Jens: Original/Originalität, in: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 4, Hg. Karlheinz Barck, Stuttgart/Weimar 2002; Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, Hg. Wilhelm Weischedel, Frankfurt a.M. [1790] 1974. Krieger, 2008, S. 155.

Einleitung

führen, dass die Kriterien solcher Bewertungen nicht auf objektiven, sondern auf tradierten und im Bereich der Kunstkritik kanonisierten Vorurteilen basieren. Unter Berücksichtigung der Frage, ob es denn tatsächlich eine spezifisch »weibliche« Ausdrucksform geben kann, werden diese generalisierten Vorurteile verhandelt. Ferner wird Aneignung am Beispiel der Malerin Funke als eine emanzipatorische Praxis betrachtet, als eine Form der Partizipation. Aneignung, wie bereits Isabelle Graw feststellt, kann auch bedeuten, sich Zugang zum Kunstbetrieb zu verschaffen.15 Darüber hinaus greift Funke, die sich zwar im Rahmen der »weiblichen« Bildwelten bewegt (Landschaften, Frauendarstellungen, Stillleben, Innenräume)16 , fast ausschließlich auf männliche Vorlagen zurück, die sie sich nicht nur zueigen macht, sondern auch markant verändert. Die Vorlagen werden stilistisch modernisiert, in neue Kontexte gestellt und mit anderen kombiniert, so dass komplexe hybride Bildsysteme entstehen, die zwar auf Vorlagen basieren, diese aber reflexiv in den Blick nehmen. Dass sich Funke dabei meist Werken aus männlicher Künstlerhand bedient, ist insofern bezeichnend, als dass Funke durch gezieltes Rückgreifen und Einbinden dieser Vorlagen die Dominanz der Männer im Kunstbetrieb aufzeigt und mit den Mitteln der Nachahmung die Geschlechterhierarchie in Kunst und Gesellschaft zugleich kritisch reflektiert. Die Grundlage für eine aneignende Bildpraxis bildet im Falle der Malerin Helene Funke zunächst ihre Ausbildung und die dort erlernten Bildmethoden – Kapitel III widmet sich eingehend dieser Thematik. Funke wird als zweites von fünf Kindern 1869 in Chemnitz geboren, der Vater ist Geschäftsmann, er übernimmt das Chemnitzer Strumpfgeschäft Jost, die Mutter entstammt einem hugenottischen Adelsgeschlecht.17 1899 schreibt sich Funke gegen den Willen ihrer Familie an der Damen-Akademie in München ein, eine 1884 eingerichtete Institution des Künstlerinnen-Vereins München.18 Die staatlichen Akademien sind zu diesem Zeitpunkt für Frauen verschlossen, in 15 16

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Graw, Isabelle: Die bessere Hälfte. Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts, Köln 2003, S. 34. Siehe z.B.: Pollock, Griselda: Die Räume der Weiblichkeit in der Moderne, in: BlickWechsel. Konstruktionen von Weiblichkeit in Kunst und Kunstgeschichte, Hg. Ines Lindner/Sigrid Schade/Silke Wenk u.a., Berlin 1989. Funke, 2011, S. 11f. Siehe z.B.: Deseyve, Yvette: Der Künstlerinnen-Verein München e.V. und seine DamenAkademie. Eine Studie zur Ausbildungssituation von Künstlerinnen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, München 2005; Ab nach München. Künstlerinnen um 1900,

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Aneignung und Eigensinn

München werden Frauen erst 1920/21 zum Hochschulstudium zugelassen.19 Die Damen-Akademie strebt, auch um sich von den vielen privaten Malschulen abzugrenzen, einen professionellen, Akademie-ähnlichen Unterricht an. Nachgewiesen ist, dass Funke an der Damen-Akademie den Landschaftsunterricht von Friedrich Fehr und die Kopf- und Zeichenklasse von Angelo Jank besucht und bis 1902 als Schülerin eingeschrieben ist.20 Besonders im Zeichenunterricht, eine der wesentlichsten Grundlagen der künstlerischen Ausbildung, wird nach Modell gearbeitet, das in genauer Betrachtung erfasst, im nächsten Schritt zeichnerisch wiedergegeben wird. Die möglichst genaue Angleichung an die Vorlage ist zielführend. Hier erlernt Funke also jene aneignende Methode, die später Grundlage ihrer künstlerischen Arbeitsweise wird. Dabei geht ihre Bildpraxis weit über die akademischen Techniken hinaus, ihre interpikturalen Bildsysteme beweisen eine Komplexität, die nicht nur durch die hybride Verbindung unterschiedlicher Vorlagen entsteht, sondern auch durch die Reflexion der Vorlagen und die Überführung dieser in neuartige und moderne bildhafte Sinnzusammenhänge. Trotz eines fundierten und professionellen Unterrichts, den die DamenAkademie bietet, bleibt doch das stete Bewusstsein über den Ausschluss von der offiziellen Akademie bestehen. Das bedeutet nicht lediglich die Verdrängung in einen Alternativraum, die Ausbildung an einer nicht akademischen Institution wird stets argumentativ genutzt, um Künstlerinnen aufgrund ihrer »schlechteren« Ausbildung zu benachteiligen. Der institutionelle Ausschluss durch die Akademien führt in eine systematische Ausgrenzung durch den Kunstbetrieb und ist somit ein tautologisches Diskriminierungsphänomen, das sich kontinuierlich selbst reproduziert. Funkes erste Auseinandersetzung mit dem Kunstbetrieb ist also geprägt von einem Gefühl des Andersseins und der Diskriminierung aufgrund dieser Andersartigkeit. Vielleicht gibt auch diese Erfahrung Anstoß für eine künstlerische Haltung, die als emanzipatorisch und widerständig zu beschreiben ist. Im Jahr 1906 geht Funke von München nach Paris – wenngleich sie bereits in München erste Erfolge und Ausstellungsbeteiligungen verzeichnen

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Ausstellungskat.: Münchner Stadtmuseum, 2013/2014, Hg. Antonia Voit, München 2014. Hopp, Meike: »Mehr produktiv als rezeptiv«? In: 200 Jahre Akademie der Bildenden Künste München, Hg. Nikolaus Gerhart/Walter Grasskamp/Florian Matzner, München 2008, S. 67. Funke, 2011, S. 15.

Einleitung

kann (z.B. Münchener Jahresausstellung 1904 und 1906, Berliner AkademieAusstellung 1906, Ausstellung im Kunstverein Hamburg 1907). Der Umzug in die französische Kunstmetropole muss als eine verstärkte Zuwendung zur modernen Kunst verstanden werden, die sich bereits in München andeutet. In Frankreich entfaltet Funke eine vollkommen neue und von der französischen modernen Kunst angeregte Bildsprache. Während ihre frühen Landschaften ein Festhalten an etablierten Motiven und Formen der Münchener Malerei suggerieren, wendet sie sich nun einer farbstarken und expressiven Malerei zu und findet in der Figurenmalerei einen thematischen Schwerpunkt. Das 2011 publizierte Werkverzeichnis von Peter Funke, dem Neffen der Künstlerin, fasst die Werke dieser Zeit in thematische Gruppen zusammen und benennt drei Regionen, in denen die Malerin in Frankreich gearbeitet hat: Paris, Südfrankreich und die Bretagne.21 In Südfrankreich und in der Bretagne entstehen vornehmlich Landschaften, die aufgrund ihrer Farbigkeit und formalen Gestaltung kaum Vergleichsmomente zu den frühen Münchener Landschaften anbieten. Viel eher erinnern ihre Küstenlandschaften, die kleinen Dörfer oder die Blicke zwischen hohe Bäume hindurch auf das Meer an die ausdrucksstarken Gemälde von Henri Matisse und André Derain, die 1905 im südfranzösischen Collioure entstehen. Die bretonischen Bilder zeigen neben Landschaften auch Figurenbildnisse, bretonische Trachtenmädchen rufen Werke von Vincent van Gogh auf, Prozessionszüge erinnern an Werke von Maurice Denis.22 Im ersten Jahr in Paris lebt Funke gemeinsam mit der Wiener Malerin Martha Hofrichter in jenem Haus, in dem auch das amerikanische Geschwisterpaar Leo und Gertrude Stein wohnt und seine wöchentlichen Salons abhält. Vermutlich lernt Funke dort Henri Matisse und weitere bedeutende Maler kennen.23 Funke befindet sich somit, wie auch Julie M. Johnson attestiert, im Zentrum der modernistischen Entwicklungen und bringt diese neuen Formen in ihr Werk ein.24 Sie stellt u.a. 1907 und 1910 im Salon des Indépendants 21 22

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Ebd., S. 108. Zum Beispiel das Werk »Bretonische Fischersfrau/Shawl der alten Frau«, das aufgrund des groben Duktus’ und des Bildthemas an van Gogh erinnert – man denke an seine Darstellungen der Bäuerinnen im hohen Alter. Auch zeitgenössische Kritiker erkennen hier eine Parallele zwischen Funke und van Gogh – auf dieses Thema wird an späterer Stelle zurückgekommen. Johnson, Julie M.: Rediscovering Helene Funke. The Invisible Foremother, in: Woman’s art Journal 29 (2008), S. 33. Ebd., S. 34.

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Aneignung und Eigensinn

und 1907 und 1908 im Salon d’Automne aus. In Frankreich entstehen neben Gemälden auch druckgrafische Erzeugnisse wie Radierungen, die landschaftliche Motive, aber auch Badeszenen zeigen. Des Weiteren gibt es eine Reihe von Aquarellmalereien, die einen dezidiert asiatischen Bezug aufweisen. Die skizzenartig ausgeführten Japan-Szenen beispielsweise zeigen nicht nur japanische Sujets, sondern weisen auch formale Gestaltungselemente des japanischen Holzschnittes auf. Die in Frankreich bereits im 19. Jahrhundert einsetzende Rezeption asiatischer hauptsächlich japanischer Kunst25 findet sich folglich auch im Werk Funkes wieder, die damit erneut eine motivische wie stilistische Vielfalt beweist sowie die Aneignung fremder Bildvorlagen. Zwei Werke, die der Zeit in Frankreich zugeordnet werden, sind im Besonderen hervorzuheben und stehen im Fokus der Kapitel IV und V. Sie verdeutlichen exemplarisch das interpikturale Arbeiten der Malerin und eignen sich deshalb besonders, diese Praxis am realen Bildbeispiel zu entfalten. Die Darstellung »Tänzerinnen« (Kapitel IV) zeigt eine Figurengruppe in Ballettkostüme gekleidet, die auf äußerst engem Bildraum zusammengefasst werden. Das Werk fügt sich formal wie motivisch paradigmatisch in die Pariser Zeit, stellt es doch das beliebte Thema des bürgerlichen Vergnügens aus. Das Thema des Tanzes scheint dabei den bekannten Darstellungen Edgar Degas’ entlehnt. Doch weist die Szene bei näherer Betrachtung gleichwohl eine narrative Brüchigkeit wie Widersprüchlichkeit auf, die sich auch einstellt, betrachtet man eine weitere von Funke verwendete Vorlage. Die Komposition ihrer »Tänzerinnen« gleicht der von Picassos »Les Desmoiselles d’Avignon« – eine Szene, die nicht nur thematisch, sondern auch formal eine große Differenz zu Degas’ Tanzwelt aufmacht.26 Funke kombiniert hier also Motivwelten und stilistische Formalia, die in höchstem Maße disparat sind. Die daraus konstruierte Darstellung ist in diesem Sinne als eine Hybride zu bezeichnen, die sich auch als solche behauptet, das hybride Vermischen unterschiedlicher Formen thematisiert und markant in Szene setzt. Mit dem in Kapitel V thematisierten Gemälde »In der Loge« widmet sich die Arbeit einem weiteren Hauptwerk Funkes aus den Pariser Jahren. Auch für 25

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Das Thema des Japonismus wird beispielsweise 2014/2015 im Museum Folkwang, Essen, in einer Ausstellung verhandelt, siehe: Museum Folkwang (Hg.): Monet, Gauguin, van Gogh … Inspiration Japan, Ausstellungskat.: Museum Folkwang, Göttingen 2014. Plakolm-Forsthuber: Die Malerin Helene Funke und ihr künstlerisches Werk, in: Helene Funke 1869-1957, Ausstellungskat.: Lentos Kunstmuseum Linz, 2007, Hg. Lentos Kunstmuseum Linz, Nürnberg 2007, S. 74; Loitfellner, Tamara: Zu den Frauenbildern Helene Funkes, in: Helene Funke 1869-1957, Ausstellungskat., 2007, S. 174.

Einleitung

diese Szene lässt sich eine prominente Bildvorlage finden: Pierre-Auguste Renoirs »La Loge«.27 Übernimmt Funke Renoirs Thema wie die Platzierung und Haltung seiner zwei Figuren, fügt sie ihrer Loge eine dritte Figur hinzu und ersetzt Renoirs Mann durch eine Frau. Ferner verändert sie die Anmutung der Szene radikal, sie modernisiert die formalen Mittel, die nun an expressionistische Malerei anknüpfen und gibt ihren Figuren ein neues Gewand. Mit den schlichten Kleidern, die man als Reformkleider identifizieren kann, bietet sie auch eine andere Interpretationsmöglichkeit an. Die drei weiblichen Figuren behaupten sich als unabhängige Subjekte, die ohne die Begleitung eines Mannes das Theater besuchen und dabei nicht mehr bloße Betrachtungsobjekte sind, sondern selber zu aktiven Beobachtern und selbstbewussten Akteuren werden. In diesem Sinne muss auch der Austausch der Figuren – das Ersetzen des Mannes durch eine Frau – als eine emanzipatorische Geste betrachtet werden. Erneut beweist Funke, dass ihre interpikturale Arbeitsweise nicht lediglich ein thematisches Anknüpfen an eine (oder mehrere) Vorlage(n) ist, sondern dass sie die verwendeten Vorlagen einer kritischen Reflexion unterzieht, die eine interpretatorische Sinnverschiebung evoziert, wobei hier das Verhältnis männlich/weiblich sowie Subjekt/Objekt von entscheidender Bedeutung ist. Die Thematik von Sehen und Gesehenwerden, ein zentraler Diskurs des Theaters und seiner Architektur, im Besonderen der Logen, stellt einen weiteren Themenkomplex der Untersuchung des Werks »In der Loge« dar und bietet darüber hinaus Anknüpfung zu den Werken Édouard Manets, im Speziellen zu »Le balcon«. Der Balkon ist architektonisch durchaus mit einer Loge vergleichbar, es ist ein Ausstellungsraum, der seine Insassen prominent präsentiert, diesen zugleich einen erhöhten Standpunkt und somit Übersicht und Weitsicht ermöglicht.28 Der Vergleich zwischen Funke und Manet zielt dabei nicht bloß auf die Thematik von Sehen und Gesehenwerden und dem Verhältnis von öffentlichem und privatem Raum, sondern auch auf den Umgang mit einer Vorlage – denn auch Manet rekurriert immer wieder auf fremde Bildquellen. So ist es an dieser Stelle möglich, zwei interpikturale Bildkon27 28

Plakolm-Forsthuber, Sabine: Fauvismus und Frauengruppenbild bei Helene Funke, in: Künstlerinnen in Österreich 1897-1938, Hg. Dies., Wien 1994, S. 129. Zum Thema des Balkons siehe z.B.: Neumeister, Sebastian: Der Balkon. Mit einem Exkurs in die bildende Kunst, in: Konkurrierende Diskurse. Zu Ehren von Winfried Engler, Hg. Brunhilde Wehinger, Stuttgart 1997.

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Aneignung und Eigensinn

zepte bzw. die aneignende Arbeitsweise zweier Maler miteinander zu vergleichen. Eine erneute Umsiedlung führt Funke 1911 nach Wien, wo sie bis zu ihrem Lebensende 1957 wohnhaft bleibt. Auch hier lassen sich weitere künstlerische Veränderung und eine Weiterentwicklung ihres Œuvres attestieren. Die Landschaften, zum Beispiel eine Reihe von hochformatigen WasserfallDarstellungen, sind grob gespachtelt, farbstark und erzeugen durch Pinselbzw. Spachtelduktus eine dynamische Rhythmisierung, die sehr expressiv, aber auch ornamental erscheint. Neben zahlreichen Stillleben, die ebenfalls expressionistische Gestaltungsmerkmale aufweisen und an französische Vorbilder wie Cézanne oder Matisse oder auch an van Gogh erinnern,29 entstehen in Wien zudem Werke mit religiösen Inhalten, wie das Gemälde »Tobias und der Engel« aus dem Jahr 1927 für das Funke mit dem Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet wird.30 Nach negativen Kritiken und Erfahrungen des Ausschlusses aufgrund ihres Frauseins gelingt Funke schlussendlich in Wien künstlerischer Erfolg und öffentliche Anerkennung.31 Aufgrund ihrer starken Prägung durch formale Gestaltungsmerkmale der französischen Moderne gilt Funke darüber hinaus in Wien als eine der radikalsten Vertreterinnen der Avantgarde-Malerei und als eine der stärksten Interpretinnen der modernistischen Prinzipien von Matisse und der Fauves.32 Auch Matthias Boeckel erklärt, dass es u.a. Funke gewesen sei, die am intensivsten die zu der Zeit zweifellos radikalsten Strömungen neuer französischer Malerei rezipierte. Diesen neuen Formen sei jedoch in Wien kein Forum geboten worden – nicht einmal in der Secession.33 Dennoch ist die Malerin ei29 30 31 32

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Zu den Stillleben und deren Parallelen zu Cézanne siehe: Plakolm-Forsthuber, 1994, S. 135. Funke, 2011, S. 20. Eine detaillierte Darstellung der Ausstellungsbeteiligungen der Malerin sowie eine Aufstellung der Provenienzen zu ihren Werken leistet Funke: ebd., S. 33ff. Johnson, 2008, S. 33. Auch Plakolm-Forsthuber zeigt die formale Verbindung von Funke zu Matisse und den Fauves auf, siehe: Plakolm-Forsthuber, 1994, S. 130. Ebenso findet sich dieser Aspekt bei: Fellner, Sabine/Nagler, Gabriele: Vier Österreicherinnen in Paris. Die fauvistische Malerei und Helene Funke, Helene Taussig, Emma Schlangenhausen und Bronica Koller, in: Weltkunst 20 (1995), S. 2761; sowie: Boeckl, Matthias: Durch das Andere zum Eigenen. Zur Rezeptionsgeschichte der Moderne Frankreichs in Österreich, in: Wien – Paris. Van Gogh, Cézanne und Österreichs Moderne 1880-1960, Ausstellungskat.: Belvedere Wien, 2007/2008, Hg. Agnes Husslein-Arco, Wien 2008, S. 26. Boeckl, 2008, S. 26.

Einleitung

ne aktive Protagonistin der Wiener Kunstszene und bringt die in Frankreich rezipierten Merkmale modernistischer Malerei mit ihren Werken in die Wiener Szene ein.34 Daran wird deutlich, dass Funke eine von der französischen Moderne geprägte Formensprache entwickelt hat, die in Wien zwar als solche identifiziert, aber gleichzeitig auch (aufgrund dessen) kritisiert wird. Ihre interpikturale Bildpraxis bleibt also erhalten, wandelt sich aber gegenüber der Zeit in Frankreich. Greift sie dort noch Vorlagen direkt auf, so dass konkrete Quellen bestimmt werden können – wie beispielsweise in »Tänzerinnen« oder »In der Loge« – scheint sie in Wien viel eher allgemeine Bildformeln der Franzosen aufzurufen. In den 1920er Jahren löst sie sich immer mehr von dieser erprobten Bildsprache und fügt sich ins Motiv- und Gestaltungsspektrum der Wiener Maler ein.   Der Gegenstand der vorliegenden Forschungsarbeit lässt sich als ein zweigeteilter bezeichnen: Im Zentrum steht die interpikturale Bildpraxis der Malerin Funke, die sich im Diskurs der Moderne zwar einfügt, zugleich aber aufgrund ihrer vielseitigen Kombinatorik, ihrer hybriden Verbindung unterschiedlicher Vorlagen, hervorsticht. Ferner zeichnen sich die Darstellungen Funkes durch eine reflexive Haltung aus, in der nicht nur die Vorlagen kritisch in den Blick genommen, aktualisiert und in neue Kontexte gerückt werden, sondern auch als ein kritischer Reflex auf den männerdominierten Kunstbetrieb zu deuten sind. Systematische und institutionelle Ausgrenzung und Diskriminierung bestimmen die Arbeitsrealität einer Malerin um 1900 und nachfolgend. Die Betrachtung der Malerin Funke und ihrer künstlerischen Arbeit leistet somit auch einen wichtigen Beitrag zu einer Künstlerinnensozialgeschichte35 , die nicht lediglich eine weitere bislang unbedachte Position eingliedern, sondern die besondere Qualität und Spezifik dieses Werks unterstreichen möchte. Somit ist das Bestreben dieser Arbeit die theoretische und kunsthistorische Erfassung und Analyse einer besonderen Arbeitsweise, um damit einen aktuellen Beitrag in der Debatte um den Begriff der Interpikturalität zu leisten. Ferner möchte diese Arbeit auch einen Beitrag zu einer 34 35

Johnson, 2008, S. 38. Wichtige grundlegende Erkenntnisse lieferte Renate Berger bereits 1982, siehe: Berger, Renate: Malerinnen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert. Kunstgeschichte als Sozialgeschichte, Köln 1982. Siehe des Weiteren: Muysers, Carola (Hg.): Die Bildende Künstlerin. Wertung und Wandel in deutschen Quellentexten, Amsterdam/Dresden 1999; Hausen, Karin/Wunder, Heide (Hg.): Frauengeschichte Geschlechtergeschichte, Frankfurt a.M./New York 1992.

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Aneignung und Eigensinn

feministischen Kunstgeschichte leisten, indem diese Künstlerin vor allem als eine selbstbewusste und widerständige Position vorgestellt werden soll, die gerade durch ihre aneignende Arbeitsweise eine nicht nur kritische, sondern auch eine emanzipatorische Haltung beweist. Im Bewusstsein der pauschalisierten Vorurteile weiblicher Kunstproduktion bedeutet das Rückgreifen auf männliche Vorbilder nicht primär eine Inspirationsmöglichkeit, sondern eine direkte Auseinandersetzung und kritische Hinterfragung ebendieser Vorlagen. Die Arbeit konzentriert sich dabei auf zwei Lebensphasen der Malerin: die Ausbildung an der Damen-Akademie und die ersten Erfolge in München, die erste Formen künstlerischer Aneignung beweisen, wobei Funke hier auf etablierte Motive und Formen zurückgreift und sich so im Kontext einer konventionellen, offiziell geförderten Kunst bewegt. Aneignung bedeutet hier im Sinne einer Assimilation Teilhabe am Kunstbetrieb und künstlerischen Erfolg. Daneben rückt die Zeit in Frankreich und der Blick auf zwei ausgewählte Bildbeispiele die künstlerische Entwicklung Funkes in den Vordergrund. Dabei fällt eine Intensivierung ihrer interpikturalen Arbeitsweise auf, die nun auf konkrete Vorlagen zurückgeht, mit diesen zugleich aber bricht, sie mit anderen kombiniert und reflektiert. Aneignung meint nun eine kritische Auseinandersetzung mit den Vorlagen. Dabei beweist Funke gerade durch die hybride Kombination mehrerer Bildvorlagen eine spezifisch moderne Arbeitsweise. Die ausgewählten Vorlagen werden in einen zeitgenössischen Kontext und in eine aktualisierte formale Gestalt gebracht, wobei die Malerin selbst eine hinsichtlich der Vorlage kritisch-reflexive und sogleich autonome Haltung bewahrt. Aneignung wird zum Ausdruck individuellen Eigensinns und künstlerischer Unabhängigkeit. Dass die Erforschung und Aufarbeitung weiblicher Positionen noch längst nicht abgeschlossen, wohl aber verstärkt ins Bewusstsein gerückt ist, demonstrieren aktuelle kunsthistorische Publikationen und Ausstellungen.36 36

Siehe z.B.: Münch, Birgit Ulrike/Tacke, Andreas/Herzog, Markwart u.a. (Hg.): Künstlerinnen. Neue Perspektiven auf ein Forschungsfeld der Vormoderne, Kunsthistorisches Forum Irsee, Bd. 4, Petersberg 2017; Haeckel, Jana J./Poelzl, Petra/Krejs, Christiane (Hg.): Performing the Border. Perspektiven des Widerstands, Wien 2017; Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938, Ausstellungskat.: Jüdisches Museum Wien, Hg. Sabine Fellner/Andrea Winklbauer, 2016/2017, Wien 2016. Auswahl Ausstellungen: Sturm-Frauen. Künstlerinnen der Avantgarde in Berlin 1910-1932, 2015/2016, Schirn Kunsthalle Frankfurt; Die Farbe der Frauen. 150 Jahre Verein der Berliner Künstlerinnen, 2016, Verein der Berliner Künstlerinnen; Making Space: Women Artists and

Einleitung

Helene Funke, die zwar zu Lebzeiten in Wien als erfolgreich zu bezeichnen ist, wurde erst 2009 mit einer ersten Retrospektive im Lentos Kunstmuseum Linz gewürdigt. Der zu diesem Anlass herausgegebene Ausstellungskatalog vereint biografische wie wissenschaftliche Aufsätze, die jedoch lediglich als erste Anstöße zu betrachten sind.37 In der 2013/2014 in der Berlinischen Galerie präsentierten Schau »Wien Berlin. Kunst zweier Metropolen« sind zwei Werke von Funke vertreten. Größere Beachtung findet die Malerin in der Kunsthalle Bielefeld, wo die Ausstellung »Einfühlung und Abstraktion. Die Moderne der Frauen« 2015/2016 gezeigt wird, sieben Werke Funkes – darunter »In der Loge« – sind zu sehen.38 Die Ausstellung belegt mit der Gegenüberstellung von historischen und zeitgenössischen Positionen, dass die Thematik auch heute noch eine enorme Aktualität besitzt und ihre Aufarbeitung fortgesetzt werden muss. Mit der ersten Einzelausstellung in Deutschland präsentierten die Kunstsammlungen Chemnitz 2018 eine Übersicht über Funkes Oeuvre (»Expressiv weiblich. Helene Funke«, November 2018 bis Januar 2019). Auch in der Ausstellung »Stadt der Frauen. Künstlerinnen in Wien von 1900 bis 1938« (Januar bis Mai 2019) im Belvedere in Wien wurden mehrere Werke Funkes gezeigt und in Bezug zu anderen Künstlerinnen gesetzt, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Wien tätig waren. Die vorliegende Forschungsarbeit versteht sich daher als aktueller Beitrag zur Aufarbeitung bislang übergangener Künstlerinnen-Positionen und versucht am Beispiel der Malerin Funke die Mechanismen und Methoden einer systematischen Ausgrenzung durch Kunstbetrieb und Forschung aufzuzeigen und darüber hinaus die malerische Entschlossenheit und Unabhängigkeit Funkes an ausgewählten Werkbeispielen zu skizzieren.39

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Postwar Abstraction, 2017, MoMA; Zwischen Zonen – Künstlerinnen aus dem arabischpersischen Raum, 2017, Marta Herford; Auf/Bruch. Vier Künstlerinnen im Exil, 2017, Museum der Moderne Salzburg, Stadt der Frauen. Künstlerinnen in Wien von 1900 bis 1938, 2019, Belvedere Wien. Helene Funke 1869-1957, Ausstellungskat., 2007. Hülsewig-Johnen, Jutta/Mund, Henrike (Hg.): Einfühlung und Abstraktion. Die Moderne der Frauen, Ausstellungskat.: Kunsthalle Bielefeld, 2015/2016, Köln 2015. Zu diesem Thema auch von Interesse, wenngleich Funke in dieser Ausstellung nicht präsent war: Die Ausstellung »Die andere Seite des Mondes«, Siehe: Meyer-Büser, Susanne (Hg.): Die andere Seite des Mondes. Künstlerinnen der Avantgarde, Ausstellungskat.: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2011/2012, Köln 2011. Großer Dank für Kritik, Anregungen und konstruktive Gespräche gilt den Kolleginnen und Kollegen meines Kolloquiums sowie für eine engagierte und fachkundige Betreuung Beate Söntgen, Gerald Schröder und Wolfgang Kemp.

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I. Interpikturalität, Modernität und Originalität

»Dass Bilder sich auf andere Bilder beziehen, sie replizieren, modifizieren oder transformieren, sie aufgreifen, umgestalten oder zweckentfremden können, bedarf kaum der Erwähnung«, schreibt Guido Isekenmeier.1 Es bedarf allerdings einer Erklärung bzw. einer theoretischen Einordnung. Denn Bezüge zwischen Bildern können zum einen ganz unterschiedlicher Art sein und somit formal differenzieren, zum anderen aus unterschiedlichen Motivationen heraus erzeugt werden. So wurde im Laufe kunstgeschichtlicher Forschung eine Reihe unterschiedlicher Begriffe für dieses tatsächlich sehr alte Phänomen verwendet: Von Kopie zu Paraphrase, Variation, Aneignung und Nachahmung, Zitat und Inversion, aemulatio und imitatio, zur Hommage oder Parodie bezeichnen all diese Termini die Bezugnahme von Bild zu Bild. Feine sinnkonstituierende Abstufungen, intentionale wie rezeptionsästhetische Differenzen legitimieren diese scheinbar undurchsichtige, begriffliche Vielfalt, in die sich seit etwa den 1980er Jahren ein weiterer Begriff einreiht: Interpikturalität. Dieser dient nicht dem Ersatz eines anderen Begriffs, sondern stellt sich als neuer, unabhängiger Begriff neben die bereits vorhandenen, um diese zu erweitern oder zu ergänzen. Im Folgenden soll dieser junge, aus der Literaturwissenschaft überführte Terminus vorgestellt, konzeptionell eingefasst und hinsichtlich seiner Anwendbarkeit sowie seinem qualitativen Mehrwert untersucht werden. Dabei zeigt sich ein begriffliches Potential, das geeignet scheint, auch die komplexe und ungewöhnliche künstlerische Praxis der Malerin Helene Funke zu beschreiben. Die folgende knappe Darstellung der bislang gebräuchlichen Begriffe zeigt die terminologischen Differenzierungen auf, um im Anschluss daran zu fragen, welchen Zugewinn ein weiterer Begriff – der der Interpikturalität – 1

Isekenmeier, Guido: In Richtung einer Theorie der Interpiktorialität, in: Interpiktorialität, 2013, S. 11.

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Aneignung und Eigensinn

in der Diskussion um die Benennung des kunsthistorischen Phänomens der Bild-Bezüge leisten kann. Ausgehend von dem »Kopieren von Kunstwerken zum Zwecke der Schulung« – imitatio – und dem »aneignenden Übertreffen eines Vorbildes« – aemulatio –,2 entwickelt sich das Arbeiten nach Vorlage zu einer Grundlage der künstlerischen Ausbildung und Schulung. Kopieren strebt dabei stets die größtmögliche Ähnlichkeit zum Original an.3 Ein Objekt zeichnen, respektive es kopieren, heißt, dieses mit Linien, Licht und Schatten nachzuahmen.4 Oskar Bätschmann hält fest, besonders im akademischen Curriculum habe das Kopieren einen festen Platz als nützliche und notwendige Übung.5 Als künstlerische Übung gilt das Kopieren historisch, wie Albert Boime darlegt, in zweierlei Hinsicht als erstrebenswert: Der Schüler sollte so zum einen seine Erfindungskraft schulen und zum anderen mit der technischen Praxis der Alten Meister vertraut werden.6 In Frankreich entwickelt sich das Kopierwesen gar zu einem vom Staat geförderten Geschäftszweig.7 So seien Kopien vielfach als Export in die Provinz gelangt, um dort auch geschmacksbildend zu wirken. Im Sinne eines Bildungsauftrags erhält die Kopie somit im 19. Jahrhundert eine positive Bewertung, wenngleich sie stets dem Original unterlegen und der Kult um das originelle Künstlergenie ungebrochen bestehen bleibt. In seiner »Grammaire des Arts du Dessin« hebt Charles Blanc schon 1867 die Bedeutung der Zeichnung als Lehrmethode hervor, denn der angehende Künstler finde durch das Kopieren klassischer Kunst zu einem eigenen ›style‹.8 So initiiert Blanc auch das 2 3 4 5 6 7

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Blunck, Lars: Wann ist ein Original? In: Kunst und Philosophie. Original und Fälschung, Hg. Julian Nida-Rümelin/Jakob Steinbrenner, Ostfildern 2011, S. 18f. Reicher, Maria E.: Vom wahren Wert des Echten und des Falschen, in: Kunst und Philosophie, 2011, S. 52. Bätschmann, 1996, S. 24. Ebd., S. 26. Boime, Albert: The Academy and French Painting in the Nineteenth Century, London 1971, S. 42. Eiling, Alexander: »Il faut copier et recopier les maîtres…«. Degas und die Kopie, in: Degas – Rodin. Wettlauf der Giganten zur Moderne, Ausstellungskat.: Von der HeydtMuseum, 2016/2017, Hg. Gerhard Finckh, Wuppertal 2016, S. 117. Eiling nennt die enzyklopädische Sammlung des Louvres als produktive Lehr- und Inspirationsstätte und erläutert auch das Verfahren der Kopierregister, die den Künstlern Zugang zum Louvre ermöglichten, um dort Vorbilder zu kopieren, siehe: ebd., S. 118. Im Original bei Blanc heißt es: »Mais en dehors de ces divers styles, qui sont des nuances dans la manière de sentir et qui ont été consacrés par les grands maîtres, il y a quelque chose de général et d’absolu qu’on appelle le style.«, siehe: Blanc, Charles: Grammaire des arts du dessin, architecture, sculpture, peinture; jardins, gravure en

I. Interpikturalität, Modernität und Originalität

Musée des Copies, in dem, wie Alexander Eiling erläutert, eine Sammlung der größten Kunstwerke als Kopien präsentiert werden sollte.9 Kopieren ist in diesem Sinne aber nur als Lehrmethode eines Schülers legitim, denn Bätschmann fügt auch hinzu, wer sich über das Schülerstadium hinaus als Kopist betätigte, anstatt eigene Kompositionen zu finden, habe nur wenig Ansehen erlangen können. Wie die Kopie strebt auch das Zitat die größtmögliche Nähe zum Original an, macht dies aber in der Regel kenntlich. Im Schriftbild wird das wörtliche Zitat so durch Anführungszeichen verdeutlicht – doch wie lässt sich diese Hervorhebung im Bild festmachen? Wenn Derrida postuliert, alles kann Text sein,10 also auch das Bild, so bleibt doch die Frage: welche Interpunktionszeichen kann das Bild setzen? Kann und muss das Bild Fremdübernahmen, Referenzen oder Aneignungen sichtbar machen und wie gestalten sich diese? Gerade – aber nicht nur – im Bereich der akademischen Ausbildung kommt es daneben beispielsweise durch das Lehrer-Schüler-Verhältnis immer wieder zur Bezugnahme oder Nachahmung eines Vorbildes. Julia Gelshorn beschreibt das Modell des Einflusses als ein Entstehen von Kunstwerken in einem »diffusen Dunstkreis anderer Werke« und als eine unbewusste Übernahme und Anleihe.11 Nachahmung hingegen sei eine aktive, eine bewusste Bezugnahme auf Werke anderer Künstler. Deutliche Abweichungen und Weiterentwicklungen von der Vorlage weisen Variation und Paraphrase auf. Bei der Variation bleibt zwar die Struktur des Originals erhalten, erklärt Nina Zimmer, Stil, Technik und Inhalt werden aber verändert.12 Die Paraphrase meine eine freie Abwandlung der Vorlage. Auch der Begriff der Aneignung, der im Kontext der gebräuchlichen Begrifflichkeiten aufgrund seiner langen philosophischen Bedeutungsgeschichte eine Besonderheit darstellt, impliziert eine Veränderung der aufgegriffenen Vorlage. Als philosophischen Grundbegriff stoischer Herkunft, der auch als ästhetischer Grundbegriff zu betrachten ist, beschreibt Michael Franz den

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pierres fines, gravures en médailles, gravure en taille-douce, eau-forte maniére noire, aqua-tinte, gravure en bois, camaïeu, gravure en couleurs, lithographie, Paris 1876, S. 20. Eiling, 2016, S. 118. Engelmann, Peter: Einführung. Postmoderne und Dekonstruktion. Zwei Stichwörter zur zeitgenössischen Philosophie, in: Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart, Hg. Ders., Stuttgart 1990, S. 20. Gelshorn, 2007, S. 55. So definiert Nina Zimmer die Variation, siehe: Zimmer, 2008, S. 153.

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Aneignung und Eigensinn

Terminus und dessen Begriffsgeschichte, die vom oikeiosis-Modell der Stoa über die pietistische Hermeneutik, Locke, Shaftesbury, Herder und Rousseau bis zu Hegel, Marx, Kierkegaard, Heidegger und Gadamer reicht.13 Wie Rahel Jaeggi betont, bedeutet Aneignung dabei nicht bloß eine passive Übernahme, sondern eine aktive Durchdringung und eigenständige Verarbeitung.14 Sich ›etwas zu eigen machen‹ sei folglich nicht bloß eine äußerliche Praxis, sondern eine Form der Identifikation, das sich Angeeignete werde in gewisser Weise Teil von dem Aneignenden selbst. Somit herrsche stets eine spezifische Spannung zwischen Eigenheit und Fremdheit bzw. zwischen dem Selbst und der Welt. Werner Fitzner behauptet in Anlehnung an Sklovskijs berühmten Aufsatz Die Kunst als Erfahrung (1916) sogar, künstlerische Verfremdung könne den Blick auf die Welt erneuern oder gar verändern und entgegen der gewöhnlichen Alltagserfahrungen das eigene Erleben so beflügeln.15 Im Gegensatz dazu wurde Aneignung als »einseitige Beziehung« und »Wiederverwendung kulturell bereits markierter Materialien in andersartigen Kontexten« kritisiert.16 Benjamin H.D. Buchloh konstatiert, dass sich alle kulturellen Praktiken stets Elemente aneignen, Aneignung also eine gängige kulturelle Praxis ist, wobei unterschiedliche Motivationen zu beobachten sind.17 Dabei konstruiere Aneignung allerdings stets das Scheinbild (simulacrum) einer doppelten Verneinung und verleugne dabei die Gültigkeit individueller und origineller Produktion und gleichermaßen auch die Relevanz eines spezifischen werkeigenen Kontextes.18 Donald Kuspit geht in seiner Kritik sogar so weit, den Appropriationismus als »neidvolle Ausbeutung« zu bezeichnen, bei dem die Ambition der Vorlage »bis zum Tropfen ausgesaugt werden sollte«19 . In Abgrenzung von künstlerischer (oder kultureller Aneignung) verweist Graw auf die sogenannte »wissenschaftliche« Aneignung, eine Form der An13

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Für eine detaillierte Ausführung siehe: Franz, Michael/Tramsen, Eckhard: Aneignung, in: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 1, Hg. Karlheinz Barck/Martin Fontius/Dieter Schlenstedt u.a., Stuttgart 2000, S. 153-193. Jaeggi, Rahel: Aneignung braucht Fremdheit, in: Texte zur Kunst 46 (2002), S. 61f. Fitzner, Werner: Einleitung, in: Kunst und Fremderfahrung. Verfremdung, Affekte, Entdeckungen, Hg. Ders., Bielefeld 2016, S. 7f. Franz/Tramsen, 2000, S. 154. Buchloh, Benjamin H.D.: Parody and Appropriation in Francis Picabia, Pop, and Sigmar Polke, in: Neo-Avantgarde and Cultural Industry. Essays on European and American Art from 1955 to 1975, Hg. Ders., London 2000, S. 343. Ebd., S. 349. Kuspit, Donald: Der Kult vom Avantgarde-Künstler, Klagenfurt [1993] 1995, S. 223.

I. Interpikturalität, Modernität und Originalität

eignung, die nicht uneingeschränkt auf Besitz abziele (man denke an Marx), sondern eine transparente Form, die das sich Angeeignete als Externes markiere.20 Ist diese wissenschaftliche Aneignung durch Urheberrecht regelbar, erklärt Graw weiter, sei dies bei der künstlerischen Arbeit nicht der Fall. Künstlerische Aneignung sei weniger in ein Regelwerk eingebunden, sondern Ausdruck künstlerischer Freiheit. »Es impliziert ein gestaltendes Subjekt, das nicht etwa ein als gegeben vorausgesetztes Material bearbeitet, sondern jeweils anzueignendes Material selbst auswählt und der künstlerischen Aneignung für wert befindet.«21 Wie diese kurze Skizzierung der Begrifflichkeiten verdeutlicht, sind die Bezüge zwischen Bildern in unterschiedlichster Weise definiert und benannt worden. Wichtig ist dabei zum einen das Verhältnis zur Vorlage: Wird diese möglichst eins zu eins wiedergegeben bzw. nachgeahmt – wie es die Kopie oder das Zitat meint – oder in freier, veränderbarer Form verarbeitet? Zum anderen ist der Zweck der Verarbeitung einer Vorlage, also die künstlerische Motivation, von Bedeutung. Geschieht dies mit Wunsch nach Schulung, Wettstreit oder gar Manipulation (dann handelt es sich um eine Fälschung) oder mit dem Ziel der Neuinterpretation und Weiterverarbeitung? Innerhalb dieser intentionalen Spannweite lauert auch die Frage nach der künstlerischen Qualität im Sinne einer eigenständigen Kreation. So steht die Verwendung von Vorlagen seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert im Spannungsverhältnis mit dem Originalitätspostulat der Moderne. Eklektische Verfahren, die durch das Aufgreifen verschiedener Vorlagen ebenfalls zum Begriffsinstrumentarium der Bild-Bezüge gehören, waren stets negativ besetzt. Dem Künstler-Eklektiker werde dabei, so Sonja Maria Krämer, fehlendes Innovationspotential und mangelnde ästhetische Finesse vorgeworfen, »da sich seine Eigenleistung neben der vorangehenden Entwurfsidee allein auf Auswahl und Kombination bereits vorgefertigter Bausteine beschränke.«22 Nicht nur das eklektische Verfahren, künstlerische Methoden der Übernahme oder Aneignung stehen schon lange – auch jenseits der akademischen Schulung – in der Kritik. Die negative Bewertung korreliert dabei mit der 20 21 22

Graw, 2003, S. 23f. Ebd., S. 24. Krämer, Sonja Maria: Eklektische Verfahren im Frühwerk von Edgar Degas, in: Eklektizismus und eklektische Verfahren in der Kunst, Hg. Doris H. Lehmann und Grischka Petri, Studien zur Kunstgeschichte, Bd. 195, Hildesheim/Zürich/New York 2012, S. 154.

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Aneignung und Eigensinn

Vorstellung eines Künstler-Genies, also jener Ende des 18. Jahrhunderts entwickelten Vorstellung eines kreativen, schöpferischen und originellen Genius; ein Ideal, das nicht nur zum wesentlichen Prinzip einer künstlerischen Qualität wird, sondern auch eine geschlechtliche Restriktion bedeutet. Denn das Paradigma der Originalität sei traditionell an das männliche Geschlecht gebunden, erläutert Verena Krieger, so werde Frauen die Fähigkeit zur originären Neuschöpfung abgesprochen.23 Damit ist die Grundlage eines systematischen Ausschlusses der Frau aus dem künstlerischen Betrieb markiert. Zwar wird den Frauen ein Platz im Kunstbetrieb nicht grundsätzlich verweigert, wohl aber wird ihnen stets eine in Bedeutung und Hervorbringung niedere Position und Wertigkeit zugedacht. Das Kunsthandwerk und -gewerbe wird so beispielsweise als ein weibliches Genre definiert, welches ohne schöpferisches Genie als reine Fleißarbeit auch von Frauen zu bewerkstelligen ist. Doch nicht nur hierarchische Unterscheidungen zwischen männlichen und weiblichen Genres sorgen für eine Vernachlässigung der Künstlerinnen, auch die männlich dominierte Kunstkritik sowie Philosophie und Literatur des 19. Jahrhunderts nehmen daran einen nicht zu verachtenden Beitrag. Das Arbeiten nach Vorlagen oder der Bezug zu Quellen – mit Ausnahme der Lehrmethode des Kopierens – gilt wie dargelegt zwar als Zeichen handwerklicher Fähigkeiten, nicht aber als Ausdruck künstlerischer Originalität oder Ausdruck eines Genies. Künstlerinnen sehen sich so häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, ihre Kunst ahme die des Mannes nach oder kopiere sie bloß. So lässt sich im 19. Jahrhundert eine diskursive Verbindung zwischen nachahmenden künstlerischen Praktiken und dem weiblichen Geschlecht beobachten.

Interpikturalität – ein »operatives Konstrukt«24 Stellt ein Bild zunächst das auf dem Bildträger aufgebrachte Motiv aus, gibt es stets auch Verweise, die über die Bildgrenzen, also über das auf dem Bild selbst Sichtbare, hinausgehen. In einer Art Zeigegestus können dies expandierende Narrationen, Kontextualisierungen oder auch Beziehungen zu anderen Bildern sein. Diese Bezüge oder Relationen zu anderen Bildern (oder anderen Erzeugnissen) werden seit Jahrhunderten beobachtet, in einem Versuch der Entschlüsselung dechiffriert und mit unterschiedlichen Termini ein23 24

Krieger, 2008, S. 155. Den Begriff verwendet von Falkenhausen, siehe: Falkenhausen, 2013, S. 120.

I. Interpikturalität, Modernität und Originalität

gefasst. Seit den 1980er Jahren versuchen Kunsthistoriker, den in der Literaturwissenschaft eingeführten Begriff der Intertextualität auf die Bildende Kunst zu übertragen und brauchbar zu machen.25 Ist das Modell der Intertextualität zu diesem Zeitpunkt selbst noch vergleichsweise jung, ergeben sich in der Verschiebung von Literatur- zu Kunstwissenschaft Schwierigkeiten theoretischer Art. Denn Text ist nicht Bild und Bild ist nicht Text. So gilt es zu fragen: Welche strukturellen und konstitutiven Übereinstimmungen gibt es zwischen Intertextualität und Interpikturalität26 ? Und welchen erkenntnistheoretischen Mehrwert stellt die Ableitung des aus der Literaturwissenschaft entlehnten Begriffs für die Kunstwissenschaft dar? Welche Spezifika lassen sich daran im Vergleich zu bereits gebräuchlichen Begriffen wie der Aneignung festlegen? Welches methodischen Konstruktionsrahmens bedarf es, um den Eigenheiten und Charakteristika der Bildenden Kunst gegenüber der Literatur Genüge zu tragen? Die bereits einleitend vorgestellte Vielzahl der Begrifflichkeiten, die sich zwar unterscheiden, allesamt aber dennoch Bild-Bezüge beschreiben, führt durchaus zu der berechtigten Frage: Braucht die Kunstwissenschaft tatsächlich einen weiteren Begriff, um das Phänomen ›Arbeiten mit/nach Vorlage‹ zu bezeichnen? Gelshorn bejaht diese Frage eindeutig und erklärt: War sich noch im 19. Jahrhundert mit ›Einfluss‹ und ›Nachahmung‹ ausreichend beholfen, verlangten doch spätestens die künstlerischen Erzeugnisse des 20. Jahrhunderts mit ihren vielfältigen Zitaten und Parodien, den Erscheinun-

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Ebd., S. 109. Auch bezüglich des Begriffs herrscht bisweilen Uneinigkeit, wie Isekenmeier erklärt, so zirkulieren neben Interpikturalität/Interpiktorialität überdies Formulierungen wie ›Interikonizität‹ und ›Interbildlichkeit‹, siehe: Isekenmeier, 2013, S. 7. Während Isekenmeier einer Internationalität des Begriffs halber »Interpiktorialität« verwendet, nach dem englischen ›pictorial‹, wurde in dieser Arbeit die Entscheidung getroffen, konsequent die aus dem Lateinischen entliehene Schreibweise »Interpikturalität« zu verwenden.

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Aneignung und Eigensinn

gen des Readymades27 und der Appropriation Art28 nach einer begrifflichen Aktualisierung.29 Gelshorn selbst legt mit ihrer 2012 erschienenen Publikation »Aneignung und Wiederholung« eine methodische Grundlage für aneignende Bildprozesse vor und führt diese am Beispiel Gerhard Richters und Sigmar Polkes durch.30 Das Prinzip der Wiederholung und Aneignung werde demnach in der Kunst des 20. Jahrhunderts immer wichtiger, was auch mit einer verstärkten Reflexion über die sich verändernden Bedingungen des Kunstschaffens und über das Verhältnis von Kunst und Nicht-Kunst zusammenhänge. Am Beispiel der Künstler Richter und Polke konstatiert Gelshorn schlüssig, dass innerhalb aneignender Bildverfahren das Ähnliche gegen das Nachahmungsprinzip angeführt werde und dabei das hierarchische Verhältnis von Urbild und Abbild, von Vorbild und Nachbild und somit auch von Original und Kopie hinterfragt werde.31 Was Gelshorn hier für die 1960er bis 1980er anführt, lässt sich allerdings nicht eins zu eins auf die Situation im ausgehenden 19. Jahrhundert und auf die in dieser Arbeit im Fokus stehende Arbeitsweise der Malerin Helene Funke überschreiben. Denn wie Gelshorn ausdrücklich beschreibt, geht ihren Erkenntnissen hinsichtlich Richter und Polke eine Umwertung/Aufwertung des Aneignungsprinzips voraus. Einen der ersten allgemeinen Definitionsversuche von Interpikturalität stellt Valeska von Rosen mit ihrem Eintrag im Metzler Lexikon für Kunstwissenschaft im Jahr 2003 an. Demnach bezeichne Interpikturalität »die Relationen zwischen Bildern sowie die Modi ihrer Transformation von Einem in ein Anderes.«32 Führt auch sie die Entwicklung aus der Literaturwissenschaft an und setzt den Begriff zugleich von der Intermedialität ab, nicht ohne die 27

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Der Begriff ›Readymade‹ geht zurück auf Marcel Duchamp, er schreibt dazu: »1913 hatte ich die glückliche Idee, ein Fahrradrad auf einem Küchenschemel zu befestigen und es beim Drehen zu beobachten. […] Es war etwa zu der Zeit, als mir das Wort ›Readymade‹ in den Sinn kam, um diese Art von Manifestation zu bezeichnen.«, siehe: Duchamp, Marcel: Hinsichtlich der »Readymades« [1961], in: Duchamp, Marcel: Die Schriften. Zu Lebzeiten veröffentliche Texte, Hg. Serge Stauffer, Zürich 1994, S. 242. Zur Geschichte und Spezifik der Appropriation Art siehe beispielsweise: Zuschlag, Christoph: »Die Kopie ist das Original«. Über Appropriation Art, in: Déjà-vu?, Ausstellungskat., 2012. Gelshorn, 2007, S. 55. Vgl. Gelshorn, 2012. Ebd., S. 12. Rosen, Valeska von: Interpikturalität, in: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft, 2. Aufl., Hg. Ulrich Pfisterer, Stuttgart/Weimar 2011, S. 208.

I. Interpikturalität, Modernität und Originalität

große Begriffspalette von Nachahmung über Variation zu Ironie zu bemühen, bleibt von Rosen doch in erster Linie der Begrenzung des Begriffs, nicht einem erweiterten Verständnis verhaftet, wie Hanne Loreck betont.33 So benutze von Rosen den Begriff im gleichen Sinne wie Ikonografie – ohne eine begriffliche Differenzierung zu treffen, wodurch der Begriff überflüssig wäre. Dass dies zu einer eindimensionalen Analyse führen kann, verdeutlicht auch Peter Geimer: »Der Aufweis kunsthistorischer Vorbilder scheint zum Selbstzweck geworden zu sein. Jedenfalls bleibt ungeklärt, welche Aussage mit der formalen Analogie getroffen werden soll […]«34 . Und Loreck stellt fest: »…das vielteilige Geflecht von Bezügen, das eine Interikonizität [respektive Interpikturalität, Anm. AS] zu artikulieren verspricht, endet im guten alten Wissensgeschäft der Kunstgeschichte, Motive in Werken der bildenden Kunst zu bestimmen – und zu deuten.«35 Interpikturalität muss also mehr bedeuten als lediglich die Anerkennung Bild-übergreifender Bezüge! Neben der Herleitung und Identifizierung der verwendeten Vorlagen – also neben einer ikonographischen und rezeptionsästhetischen Praxis – muss der Blick folglich auch auf die Motivation und Intention des Künstlers/der Künstlerin gelenkt werden. Erst in der Erweiterung um produktive und intentionale, künstlersozialgeschichtliche und geschlechterspezifische Aspekte, die in einem wechselseitigen Ineinandergreifen mit rezeptionsästhetischen Überlegungen ein Ganzes ergeben, kann Interpikturalität zu einem schlüssigen Instrumentarium werden. Des Weiteren fordert Loreck die Anerkennung einer grundsätzlichen Unabgeschlossenheit eines Bildes sowie der Relation zwischen inneren, visuellen Formationen und veräußerter Gestalt36 – was sich ganz im Sinne Umberto Ecos als »das offene Kunstwerk«37 benennen oder auch an Felix Thürlemanns Idee des hyperimages38 denken ließe. Somit 33 34

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Loreck, Hanne: Dem Vernehmen nach…Kritische Anmerkungen zu einer Theorie der Interpiktorialität, in: Interpiktorialität, 2013, S. 98. Geimer, Peter: Vergleichendes Sehen oder Gleichheit aus Versehen? Analogien und Differenz in kunsthistorischen Bildvergleichen, in: Vergleichendes Sehen, Hg. Lena Bader, München 2010, S. 64. Loreck, 2013, S. 97. Ebd., S. 104. Eco, Umberto: Das offene Kunstwerk, Frankfurt a.M. 1977. Mit hyperimage bezeichnet Thürlemann die Möglichkeit der ›Verlinkung‹ von Bildern, also die Zusammenstellung autonomer Bilder zu einem neuen Bildgefüge (›in praesentia‹), wie beispielsweise in einer Ausstellung. Darüber hinaus kann das hyperimage aber auch auf früher wahrgenommene Bilder verweisen (›in absentia‹), siehe: Thürlemann, Felix: Mehr als ein Bild. Für eine Kunstgeschichte des hyperimage, München

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Aneignung und Eigensinn

erfahren nicht nur die Relationen zu Vorlagen oder verwendeten Quellen Bedeutung, sondern es werden auch innerbildliche Bezüge hergestellt. Bei der Ableitung von Interpikturalität aus Intertextualität darf der theoretische Unterbau nicht außer Acht gelassen werden, der den literaturwissenschaftlichen Begriff begleitet. All jene theoretischen Diskurse und Positionen, die anhand der Intertextualität entfaltet werden, begleiten auch die Übertragung in die Kunstwissenschaft und müssen bezüglich ihrer Anwendbarkeit untersucht werden. Natürlich vollzieht sich diese Übertragung nicht ohne Schwierigkeiten, schließlich sind Bild und Text trotz aller strukturellen Gemeinsamkeiten immer noch unterschiedliche Medien mit unterschiedlichen Diskursen. Besonders aufgrund der Semiotik als allgemeine Zeichentheorie, die laut Stierle im Zentrum der Frage nach literarischen Relationen steht,39 ist die Übertragung problematisch. Anders argumentiert die Literaturwissenschaftlerin Mieke Bal, für die Bild und Text medial durchaus vergleichbar sind.40 Funktionieren demnach Bilder wie Texte gleichermaßen als Zeichen, fragt Susanne von Falkenhausen zurecht: Was wird als ein Zeichen im Bild definiert?41 Ist dies im Text eindeutig, bleibt diese Frage bezüglich des Bildes noch offen. Die Übertragung der Literatur- auf die Kunstwissenschaft bleibt also diffizil. Gelshorn bezweifelt deshalb, dass eine allgemeingültige Theorie für die wechselseitige Beziehung von Bildern zu bewältigen sei, auch da ein Begriffssystem stets von seiner Betrachtungsweise abhänge.42 Darüber hinaus erklärt sie, dass es nicht eine Theorie der Intertextualität gebe, sondern »zahlreiche, sich zum Teil widersprechende rezeptions- und produktionsästhetische, deskriptive und ontologische Modelle«43 . Somit kann es auch nicht

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2013, S. 7f. Auch sei an David Ganz und Felix Thürlemann erinnert, die über »das Bild im Plural« geschrieben haben und damit zum einen die stetig anzutreffende mediale Bilderflut, zum anderen den Kult von singulären Bildern meinen, siehe: Ganz, David/Thürlemann, Felix: Zur Einführung. Singular und Plural der Bilder, in: Das Bild im Plural: Mehrteilige Bildformen zwischen Mittelalter und Gegenwart (Bild+Bild), Hg. Dies., Berlin 2010, S. 7. So schreibt Stierle bezüglich Intertextualität: »Eine Relation, bei der Gegebenes auf Abwesendes verweist, ist in allgemeinster Hinsicht eine semiotische Relation.«, siehe: Stierle, Karlheinz: Werk und Intertextualität, in: Texte zur Literaturtheorie der Gegenwart, Hg. Dorothee Kimmich/Rolf Günter Renner/Bernd Stiegler, Stuttgart 1996, S. 355. Bal, Mieke: Quoting Caravaggio. Contemporary Art, Preposterous History, Chicago 1999, S. 10. Falkenhausen, 2013, S. 108. Gelshorn, 2012, S. 18. Gelshorn, 2007, S. 56.

I. Interpikturalität, Modernität und Originalität

die eine Theorie der Interpikturalität geben – wodurch zumindest die Schwierigkeit einer konsistenten und allgemeingültigen Definition erklärt wäre. Zwei grundlegende Positionen müssen innerhalb der Debatte um den von Julia Kristeva in den 1960er Jahren eingeführten Begriff der Intertextualität differenziert werden.44 Die erste Position, hauptsächlich vertreten durch die französische Gruppe Tel Quel, Julia Kristeva und Jacques Derrida, bezeichnet Bernd Stiegler als eine »allgemeine Texttheorie«, die sowohl literatur- als auch kulturkritische Ziele verfolge.45 Dabei werde die von der traditionellen Literaturwissenschaft behauptete Einheit eines Textes, aber auch die Instanzen ›Autor‹, ›Subjekt‹ und ›Werk‹ zugunsten eines textübergreifenden, allgemeinen Zusammenhangs – der Intertext – aufgelöst. Das bedeutet auch, dass es keine Unterscheidung mehr bezüglich Text im Sinne von Schrift und Bild gibt. Auch ein Bild kann Text sein (wie Derrida es versteht), eine Annahme die Kunsthistoriker mitunter befremdet und die teilweise zu einer starken Abneigung gegen die Semiotik führt.46 Die zweite Position, vertreten u.a. durch Gérard Genette, Michael Riffaterre, Karlheinz Stierle und Renate Lachmann, gehe, so Stiegler, von einem auf literarische Texte eingeschränkten Textbegriff aus, wobei ihr Interesse bewussten, intendierten und markierten Verweisen eines Textes auf andere Texte gelte, die systematisch erfasst, klassifiziert und analysiert werden sollten. Sind beide Modelle nur dann kompatibel, wenn auf die zugrunde liegende Texttheorie verzichtet werde, ist ihnen jedoch die Setzung eines aktiven Lesers gemein, der im Sinne der Rezeptionsästhetik nach Wolfgang Iser die ›Leerstellen‹ des Textes füllen sollte.47 Die theoretische Komplexität des Begriffs Intertextualität wird allein anhand dieser beiden Positionen deutlich, der man sich bei einer Übertragung in die Kunstwissenschaft bewusst sein sollte. Wenngleich diese Modelle nicht zwangsläufig synchron auf die kunstwissenschaftliche Praxis übertragen werden können, sondern lediglich als »Folie« dienen, die gemäß Gelshorn aber 44

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Stiegler, Bernd: Intertextualität. Einleitung, in: Texte zur Literaturtheorie der Gegenwart, 1996, S. 327. Kristeva entwickelte den Begriff ›Intertextualität‹ in ihrem Aufsatz »Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman« (1967), siehe: ebd. Ebd., S. 327. Engelmann konstatiert dazu, mit dem verallgemeinerten Textbegriff werde eine Allgemeinheit konstruiert; alles ließe sich nun als Text auffassen, siehe: Engelmann, 1990, S. 20. Oder wie Derrida es erklärt: »Das, was ich also Text nenne, ist alles, ist praktisch alles.«, siehe: Engelmann, Peter: Jacques Derridas Randgänge der Philosophie, in: Semiotica Austriaca, Hg. Jeff Bernard, Wien 1987, S. 107f. Stiegler, 1996, S. 329ff.

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Aneignung und Eigensinn

nicht eklektizistisch ausgeschlachtet werden sollte48 – eine sprachliche Wendung, die erneut die Negativ-Rezeption des Eklektizismus’ verdeutlicht –, scheint die Übertragung der ersten Position auf kunstwissenschaftliche Fragen durchaus realisierbar. Vorausgesetzt jedoch, dass man hier mit einem erweiterten Textbegriff operiert, wonach Bilder schon Teil des Textes oder gemäß Derridas ›alles ist Text‹, gleichbedeutend sind. Die Frage nach der Eigenspezifik der Bilder bleibt dabei allerdings offen. Auch die Frage der Autorschaft – eine in der Literaturwissenschaft häufig bemühte Frage, die sich innerhalb der Intertextualitätsdebatte zu einem Schlüsselmoment entwickelt – ist für die Kunstwissenschaft von höchster Bedeutung. Im Anschluss an Roland Barthes und Michel Foucault, die den Tod des Autors postulieren,49 blendet auch Kristeva den Autor in ihrer Lesart der Intertextualität aus, mit der Begründung, dass Werke keine abgrenzbaren Einheiten darstellen und stets kollektiv sind.50 Was bedeutet das für die Kunstwissenschaft, für das Bild? Für eine Interpikturalität, die die Motivation des Künstlers fokussiert, ist die Frage nach Autorschaft, also der Urheberschaft des Künstlers unerlässlich. Für das Verständnis einer Interpikturalität im rezeptionsästhetischen Sinne jedoch ist die Frage nach der Autorschaft, also die Frage nach der Motivation des Künstlers/der Künstlerin, weniger relevant als die Bedeutung des Rezipienten. Wie schon Barthes konstatierte: Der Tod des Autors führt zur Geburt des Lesers.51 Die Bedeutung eines Werks generiert sich folglich innerhalb der Rezeption – ganz im Sinne von Wolfgang Kemps Ausspruch: »Die Betrachter sind immer schon im Bild – vorgesehen […]«52 . Dabei wird der Autor aber nicht vollständig ausradiert, sondern geschickt von Kemp indirekt mit aufgerufen. Denn indem er den Betrachter als im Werk immanent behauptet, muss dieser bereits im Zuge der Produktion und somit vom Künstler/Autor impliziert werden. Der »implizite Betrachter«, wie Kemp ihn nennt, bedeute also immer 48 49

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Gelshorn, 2007, S. 57. Siehe dazu: Barthes, Roland: Der Tod des Autors, in: Ders.: Das Rauschen der Sprache (Kritische Essays IV), Frankfurt a.M. [1968] 2006, S. 57-63. Sowie: Foucault, Michel: Was ist ein Autor [Vortrag 1969], in: Ders.: Schriften zur Literatur, Frankfurt a.M. 2003, S. 234270. Stiegler, 1996, S. 329. Barthes, [1968] 2006, S. 63. Kemp, Wolfgang: Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, in: Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, Hg. Ders., Köln 1985a, S. 10.

I. Interpikturalität, Modernität und Originalität

auch, dass das Werk für jemanden gemacht sei.53 Das semiotische Dreieck aus ›Werk‹, ›Autor‹ und ›Rezipient‹ behält somit Gültigkeit. Nicht nur in der Literatur- auch in der Kunstwissenschaft ist die Frage nach dem Autor bzw. dessen Verschwinden von zentraler Bedeutung. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts, so legt es Michael Wetzel nahe, ist ein Wandel des Künstlerbegriffs hinsichtlich seiner Zuschreibungsmechanismen erkennbar.54 Nicht länger zähle das Werk, sondern der persönliche Einsatz, die Erscheinung der künstlerischen Subjektivität. So sei der ›Autor-Künstler‹, wie Wetzel ihn bezeichnet, die letzte Konsequenz des Emanzipationsprozesses des Künstlers vom Handwerker – ein Prozess, der auch mit der im 18. Jahrhundert entwickelten Genieästhetik und der damit verbundenen Idee des Künstlergenies einhergeht (das Folgekapitel widmet sich dieser Thematik dezidiert). Anstelle eines Urhebers ist der ›Autor-Künstler‹ in diesem Sinne »Organisator ›ästhetischer Prozesse‹«55 . Anknüpfend daran erklärt Gelshorn die Kunstgeschichte zum Sprachrohr der Künstler, die dem Künstlerwort, also dem Wort des ›Autor-Künstlers‹, interpretatorischen Vorrang einräume.56 Rosalind E. Krauss thematisiert, wie die Ausführungen im nächsten Kapitel zeigen werden, die Problematik des Originalitätsbegriffs vor dem Hintergrund des Verfahrens der Reproduktion.57 Die von Foucault und Barthes angestoßene Hinterfragung des Autorbegriffs bzw. der von Barthes postulierte ›Tod des Autors‹, wird hierbei von Krauss auf den Bereich der Bildenden Kunst übertragen. Krieger wiederum knüpft direkt an Krauss an und konstatiert, dass das Geniekonzept – und damit das subjektive Künstlergenie – bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts äußerst problematisch werde und schon zu Beginn von Widersprüchen gezeichnet sei.58 Krieger erklärt die Absolutsetzung des künstlerischen Genies auf der einen, die gesellschaftliche Isolation und das Gefühl von Unverständnis auf der anderen Seite. Die künstlerische Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts betrachtet sie vor diesem Hori53 54

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Ebd., S. 22. Wetzel, Michael: Der Autor-Künstler. Von der Wiederkehr eines ästhetizistischen Konzepts in der Kunstpraxis der Gegenwart, in: Was ist ein Künstler? Das Subjekt der modernen Kunst, Hg. Martin Hellmold/Sabine Kampmann/Ralph Lindner u.a., München 2003, S. 230f. Ebd., S. 238. Gelshorn, 2008, S. 194. Krauss, Rosalind E.: Die Originalität der Avantgarde [1981], in: Geschichte und Theorie der Fotografie. Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, Bd. 2, Hg. Herta Wolf, Amsterdam/Dresden 2000, S. 199ff. Krieger, 2003, S. 122.

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zont als einen Generalangriff auf die Genieästhetik, in dem das Geniemodell entmystifiziert und destruiert werden solle.59 Dies habe Krauss am Beispiel Rodins belegt.60 Paradoxerweise, das konstatiert schon Krauss, habe Rodin selber gezielt das Bild des Formgebers oder Schöpfers, auch im Sinne einer angestrebten Originalität, beispielsweise mit der Hilfe von Rilke, um sich herum gebaut. »Denn der Formengeber ist der Erzeuger von Originalen, der in seiner eigenen Originalität schwelgt«61 , schreibt Krauss und stellt somit die Willkür des Originalitätsbegriffs wie auch die eigens forcierte Mythosbildung aus, die das Beispiel Rodins zeigt. Die avantgardistische Geniekritik (beispielsweise von Krauss) wendet sich folglich gemäß Krieger grundsätzlich gegen die Vorstellung einer subjektzentrierten Kreativität und besonders gegen die Auffassung, »das individuelle Subjekt könne den schöpferischen Prozess kognitiv steuern und kontrollieren«62 . Wenngleich hier durchaus den von Krieger aufgestellten Überlegungen gefolgt wird, so soll doch im Hinblick auf das Konzept der Interpikturalität die Idee des ›Autor-Künstlers‹ weiter diskutiert werden. Um zur eingangs gestellten Frage der Übertragbarkeit der literaturwissenschaftlichen Modelle auf die Kunstwissenschaft zurückzukehren, rücken erneut die Überlegungen von Falkenhausens ins Zentrum. Auch sie beschäftigt sich eingehend mit der Existenz der zwei Positionen innerhalb der Debatte um Intertextualität (Kristeva/Stierle) und wagt den Versuch einer Übertragung indem sie auch für das Konzept der Interpikturalität zwei Modelle entwickelt: das ontologische und das diskurshistorische Modell, wobei von Falkenhausen selbst letzteres präferiert.63 Während das ontologische Modell die ›Eigenlogik‹ der Bilder behauptet,64 wodurch sowohl der Autor als auch der historische Kontext ausgeklammert werden, setzt das diskurshistorische Modell genau auf der anderen Seite an. Demnach ist die historische Einbettung des Bildes in seine Entstehungszeit von entscheidender Bedeutung und muss bei der Betrachtung und Deutung des Werks bedacht werden. Denn die 59 60 61 62

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Ebd., S. 123. Krieger, 2008, S. 144. Krauss, [1981] 2000, S. 200. Krieger, 2003, S. 123. Dabei benennt Krieger im Folgenden sieben Ansätze wie z.B. die Rückführung ins Handwerk oder die Kollektivierung, um die Rolle des individuellen Künstlergenies im künstlerischen Prozess zu unterwandern, die hier im Detail jedoch nicht weiter ausgeführt werden sollen. Falkenhausen, 2013, S. 109. Ebd., S. 109f.

I. Interpikturalität, Modernität und Originalität

Zuordnung der Bilder in ihren historischen Kontext erlaubt nicht nur Rückschlüsse auf die Gegenwart und Zeitgenossenschaft des Künstlers/der Künstlerin, sondern weisen auch direkte inhaltliche Bezüge auf. So bleibt eine isolierte Betrachtung eines Bildes lediglich eine Erfassung des Gegenstands, wohingegen wohlmöglich erst eine historische Einbettung die volle inhaltliche Komplexität des Bildthemas aufdeckt. Soziale, politische oder gesellschaftliche Faktoren spielen dabei eine ebenso wichtige Rolle wie der Autor und seine Erfahrungen. Zwar verschieben sich diese Aspekte mit der Zeit – ein hundert Jahre altes Werk wird heute anders betrachtet als zu seiner Entstehung – doch ohne diesen notwendigen Rückbezug bleibt die Deutung des Werks unzureichend. Das diskurshistorische Modell lanciert Autorschaft also geradezu, »sei sie an Künstlerinnen, Schulen oder Nationen gebunden.«65 Das hier angewendete Konzept der Interpikturalität spricht sich für einen Autor bzw. für Autorschaft aus, denn es ist der Autor oder in diesem Fall die Künstlerin Helene Funke, die eine Vorlage wählt, sich aneignet und verarbeitet. So wird Interpikturalität durch den Autor/die Künstlerin hervorgebracht, bedarf allerdings gleichsam eines Rezipienten, um erkannt zu werden. So vereint das Konzept der Interpikturalität die schöpferische Leistung des Autors/Künstlers mit dem kognitiven Anteil des Betrachters (man mag erneut an den Ansatz Kemps denken). Auch von Falkenhausen konstatiert: »Aber wir sind die Autoren konkreter Interpiktorialität, und diese Autorschaft bringt als Verantwortung die Nachvollziehbarkeit unserer Erkenntnisinteressen mit sich […]«66 . Die Autorin unterstreicht damit die große Bedeutung des Rezipienten – den sie mit ›wir‹ adressiert – und bringt in dem Konzept der Autorschaft Produzent und Rezipient in Verbindung. So erklärt sie Interpikturalität als eine »operative Konstruktion«67 , womit sowohl der Prozess der auktorialen Bedeutungsproduktion als auch der Prozess der rezeptiven Bedeutungsgenese, in der Praxis die Bildinterpretation, beschrieben ist. Als operative, also bewusste und strategisch gewählte, folglich zielgerichtete Methode der Bildproduktion beschreibt Interpikturalität nun genau das, was die Spezifik der Arbeiten Helene Funkes ausmacht, eine wechselseitige Relation von Produktion und Rezeption. Wie die Bildanalysen im Hauptteil der Arbeit zeigen werden, wählt Funke unterschiedliche Vorlagen aus, teilweise mehrere in Kombination, um die65 66 67

Ebd., S. 111. Ebd., S. 120. Ebd.

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Aneignung und Eigensinn

se in einem Prozess der Verarbeitung und Transformation sowohl motivisch bzw. thematisch als auch formal zu erneuern. Die verwendeten Vorlagen bleiben dabei zwar lesbar, werden aber über ihren Ursprung hinaus erweitert und modernisiert. Gerade die Kombination mehrerer Vorlagen, vergleichbar mit einer Collage, stellt dabei eine Besonderheit dar, denn sie verweist einerseits auf die Konstruiertheit der Bilder und macht es andererseits der Malerin so möglich, komplexe Inhalte oder formale Eigenarten in neue Kontexte zu rücken. Die angeeigneten Bildvorlagen werden so zu neuen und eigenständigen Kompositionen. Über Stil- und Epochengrenzen hinaus generiert Funke Bilder, deren Charakteristik sich durch das interpikturale Verfahren und damit einhergehend durch die Aktualisierungen der Vorlagen auszeichnen. In diesem Sinne fügen sich ihre Werke und ihre Arbeitsweise in die Moderne ein – wobei es Moderne bzw. Modernität im Folgenden zunächst zu definieren gilt. Die verwendeten Vorlagen schreiben sich ferner in das Bild ein, bleiben – einen kennerschaftlich geschulten Betrachter voraussetzend – sichtbar. Das Konzept der Interpikturalität fordert einen aktiven Betrachter, der in der Rezeption und in der Interpretation der Bilder eine kognitive Leistung vollzieht. Er schaut durch das Bild auf die Vorlagen, er liest die Verweise des Künstlers (im Sinne Ecos ist das Bild damit ein offenes). Das interpikturale Bild wird so zu einem pluralen Bild, zu einem hyperimage (wie es Thürlemann beschreibt), das über sich selbst hinaus auf all jene Bilder verweist, die ihm als Vorlage dienen. Das Zusammenspiel aus einem produzierenden Autor-Künstler und einem aktiv erkennenden Betrachter beschreibt die besondere Qualität eines Interpikturalitätskonzeptes, welches sich am Beispiel der Malerin Funke fruchtbar anwenden und entfalten lässt. Funke nutzt die interpikturale Methode nicht nur als eine Art zeitgenössischer Kommentar oder als Revision der verwendeten Vorlagen, sondern zu einem aemulativen Wettstreit mit den Meistern der Moderne, wobei weniger das Kräftemessen zwischen älterer und jüngerer Künstlergeneration gemeint ist, sondern jenes zwischen Mann und Frau als schöpferische Künstlergenies (wobei diese Kategorie traditionell männlich ist). Ein kritisch-reflexiver Ansatz, der sich zugleich als Form der Emanzipation, als Loslösung von tradierten gesellschaftlichen und künstlerischen Umständen im Sinne einer Autonomie erklären und der sich auch an einzelnen Bildmotiven wiederfinden lässt, wird so deutlich.

I. Interpikturalität, Modernität und Originalität

Modernität und Originalität Die Bezugnahme von Künstlern auf Werke anderer Künstler ist, wie von Rosen darlegt, ein signifikantes Verfahren, welches sich durch die Epochen hindurchzieht.68 Dies gelte laut der Autorin besonders für die Antike, aber ebenso für die Frühe Neuzeit, die auf der originär rhetorischen Dialektik von imitatio und aemulatio gründe, und dies gelte in besonderem Maße für die Moderne und Postmoderne, die unterschiedliche Spielformen der Bezugnahme entwickelt hätten. So scheint ein eingehender Blick auf die Moderne und die hier entwickelten künstlerischen Verfahren vor dem Horizont der Interpikturalität zielführend. Dazu muss zunächst definiert werden, was unter Moderne bzw. Modernität verstanden wird, um anschließend zu zeigen, welche besondere Bedeutung Interpikturalität gerade in der Moderne zukommt. Ein weiterer Begriff, der vor diesem Hintergrund relevant ist, ist jener der Originalität – ein Konzept, das hinsichtlich interpikturaler wie reproduzierender Verfahren problematisch wird. Als Beginn der Moderne wird meist die Zeit um 1800 genannt.69 Die Festlegung ihres Ausklangs hingegen scheint schwieriger. Jürgen Habermas spricht von der Moderne als ein »unvollendetes Projekt«70 und erklärt außerdem, dass die postmoderne kritische Reflexion der mit der Moderne verbundenen Ideale zunächst eine Verständigung darüber voraussetzte, was unter Moderne überhaupt zu verstehen sei.71 Die weitreichenden Veränderungen, die um 1800 zur Geburt der Moderne führen, erörtert Werner 68 69

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Rosen, 2011, S. 208. Zimmermann, Anja: Moderne, in: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft, 2011, S. 289; Klinger, Cornelia: Modern/Moderne/Modernismus, in: Ästhetische Grundbegriff. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 4, Hg. Karlheinz Barck, Stuttgart/Weimar 2002, S. 146. Frühester Beleg des Adjektivs ›modernus‹ findet sich in den »Epistolae pontificum« des Galasius, als admonitiones modernae werden die zur Zeit der Abfassung der »Epistolae« noch wirksamen Dekrete des Konzils von Chalkedon (451) von maßgeblicher antiquis regulis abgesetzt, siehe: Gumbrecht, Hans Ulrich: Modern, Modernität, Moderne, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 4, Hg. Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck, Stuttgart 1978, S. 97. Habermas, Jürgen: Die Moderne – ein unvollendetes Projekt [1980], in: Ders.: Kleine politische Schriften I-IV, Frankfurt a.M. 1981. Zimmermann, 2011, S. 289. Siehe dazu auch: Grasskamp, Walter: Ist die Moderne eine Epoche? Kunst als Modell, München 2002.

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Busch eingehend: »Das Ende der Jahrhunderte alten, tradierten und verbindlichen Bildsprache im 18. Jahrhundert führt zur Geburt dessen, was wir das moderne Bild nennen.«72 Weiter konstatiert er, dass »[…] die Kunst nur vor der Folie und im Bewußtsein der Zerstörung der alten Ordnung neue Ausdrucksbereiche erobern kann. Das Moderne daran ist, daß das Zerstörte oder der Zerstörungsakt im Bilde sichtbar aufgehoben ist.«73 Mit seiner Schrift »Le peintre de la vie moderne« gründet Charles Baudelaire, wie Hans Ulrich Gumbrecht erklärt, eine ästhetische Theorie von Modernität, die sich noch auf das Selbstverständnis der künstlerischen Avantgarde des 20. Jahrhundert anwenden lasse.74 Entscheidend sei dabei die Erkenntnis Baudelaires, dass jede Vergangenheit sich selbst als Gegenwart und ihre Kunst als modern erlebt haben müsse und somit ›modern‹ und ›Modernität‹ nicht die Besonderheit einer jüngsten Epoche, sondern all die verschiedenen, aber immer vergänglichen Ideen der Menschen verschiedener Epochen vom Schönen bezeichnen würden, resümiert Gumbrecht. Beide Prinzipien, das Moderne und das Ewige, ergänzen sich in Baudelaires Theorie in der »Doppelnatur des Schönen«75 . Baudelaire selbst formuliert es folgendermaßen: »Die Modernität ist das Vorübergehende, das Entschwindende, das Zufällige, ist die Hälfte der Kunst, deren andere Hälfte das Ewige und Unabänderliche ist.«76 Tadelt er somit die Rückgewandtheit der Künstler, ringt Baudelaire zugleich, so Klinger, mit der Vereinigung des Flüchtigen und des Ewigen.77 Ein zentraler Begriff der Moderne bzw. Modernität ist Autonomie. Damit ist einerseits die institutionelle Loslösung der Künstler von Auftraggebern wie Kirche oder Staat gemeint, Künstler arbeiten nun für ein bürgerliches Publikum, was neue Freiheiten in der Themenwahl und der künstlerischen Mittel erlaubt.78 Bätschmann entwickelt dafür den Begriff des »Ausstellungskünstlers«.79 Damit hängt auch das Verständnis des Künstlers als Subjekt zusammen. Schon Wolfgang Ruppert erklärt den Künstler als das moderne 72 73 74 75 76 77 78 79

Busch, Werner: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne, München 1993, S. 10. Ebd. Gumbrecht, 1978, S. 110. Ebd. Baudelaire, Charles: Der Maler des modernen Leben [1863], in: Ders.: Der Künstler und das moderne Leben. Essays, »Salons«, intime Tagebücher, Leipzig 1990, S. 301. Klinger, 2002, S. 137. Zimmermann, 2011, S. 289. Bätschmann, Oskar: Ausstellungskünstler. Kult und Karriere im modernen Kunstsystem, Köln 1997.

I. Interpikturalität, Modernität und Originalität

Subjekt überhaupt.80 Damit verweist Ruppert, wie auch Bätschmann u.a. auf die Überwindung des Handwerkerstandes, eine Entwicklung, die im 18. Jahrhundert eng verbunden ist mit der Etablierung des Geniekonzeptes (woran an späterer Stelle angeschlossen wird). Autonomie meint darüber hinaus laut Klinger auch die Insichgeschlossenheit der ästhetischen Erfahrung auf Ebene der Rezeption sowie die Zweckfreiheit des Werks.81 Es war Kant, der die Beurteilung von Kunst einer Zweckmäßigkeit entbindet. Der Philosoph erklärt: »[…] daß das Schöne, dessen Beurteilung eine bloß formale Zweckmäßigkeit ohne Zweck, zum Grunde hat, von der Vorstellung des Guten ganz unabhängig sei […]«82 . An die Kategorie der Autonomie knüpft auch Pierre Bourdieu mit seiner Theorie der Ausdifferenzierung der Felder an. Wenngleich seine Feldtheorie in erster Linie soziologisch motiviert ist, wendet er sie auch auf die Bildende Kunst an. Autonomie ist dabei allerdings nicht auf den Künstler (als Subjekt) ausgerichtet, sondern auf das gesamte Feld der Kunst. Bourdieu erklärt, dass das künstlerische Feld zwar von externen Zwängen und Ansprüchen unabhängig sei, jedoch trotzdem der waltenden Logik des ökonomischen oder politischen Profits unterliegen würde.83 So sei das künstlerische Feld fortwährend Schauplatz einer Auseinandersetzung zweier Hierarchisierungsprinzipien: dem heteronomen Prinzip, welches diejenigen begünstige, die das Feld ökonomisch und politisch beherrschen, und dem autonomen Prinzip, welches einzig dem Diktum L’art pour l’art unterliegt – man denke an den »Ausstellungskünstler« und die Loslösung von Auftraggebern. Dieses Kräfteverhältnis hänge von der Autonomie ab, über die das Feld der Kunst insgesamt verfüge.84 Es handelt sich folglich um eine relative Autonomie. Auch Theodor W. Adorno macht auf den Doppelcharakter der Kunst aufmerksam, den er als ästhetisch und als »faits sociaux« beschreibt.85 So ist Kunst gemäß Adorno beides: bestimmt von der empirischen Realität und damit dem gesellschaftlichen Wirkungszusammenhang und sich gleichermaßen von diesen abkop80

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Ruppert, Wolfgang: Der moderne Künstler. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1998, S. 233. Klinger, 2002, S. 151. Kant, [1790] 1974, S. 143. Bourdieu, Pierre: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, 6. Aufl,. Frankfurt a.M. 2016, S. 343f. Ebd., S. 344. Adorno, [1970] 2003, S. 374f.

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pelnd, was ästhetische Autonomie bedeutet. Wie sich im Verlauf noch zeigen wird, ist Funke als Künstlerin in dezidierter Weise mit dem gesellschaftlichen Wirkungszusammenhang verbunden, so erfährt ihre Kunst niemals die gleiche Anerkennung, wie die von männlichen Kollegen, allein aufgrund ihres Geschlechts. Denn der Kunstbetrieb und die -kritik unterliegen zum einen einer männlichen Dominanz und zum anderen tradierten Vorstellungen von einem männlichen Künstlersubjekt. Die Abkopplung Funkes von diesem System – und wie sie dies im einzelnen tut, bleibt zu beschreiben – ist insofern von größter Bedeutung, denn es lässt sich nicht nur als Autonomie beschreiben, sondern zugleich als Emanzipation. Die in der Moderne vollzogene Loslösung von traditionellen Bildinhalten und vor allem ihre explizite Überführung in einen zeitgenössischen Zusammenhang bezeichnet Zimmermann als typisch moderne Arbeitsstrategie der Künstler, »die damit die Autonomie sowohl eigener künstlerischer Entscheidungen als auch der Bildfunktion für sich in Anspruch nahmen.«86 Hieran lässt sich anknüpfen und den Begriff der Interpikturalität rückkoppeln. Funke bedient sich teilweise mehrerer Vorlagen, die sie kombiniert und in einen neuen Kontext bringt. Entscheidend ist dabei der zeitgenössische Zusammenhang, in den sie die Bildvorlagen rückt. Nicht nur formal oder stilistisch erneuert sie die Vorlagen, sie aktualisiert auch die Inhalte. Dies lässt sich beispielsweise an den Kleidern erkennen – die in der Vorlage dargestellte Damenmode des 19. Jahrhunderts wird in Funkes Werk »In der Loge« in zeitgenössische Reformkleider verwandelt (siehe Kapitel V). Damit entwickelt sie Bilder, die von einer fremden Quelle ausgehend, diese weiterverarbeiten und gleichermaßen in zeitgenössische Themen einbetten. Michael Fried erkennt in einem solchen Vorgehen, welches er am Beispiel Édouard Manets verdeutlicht, ein Phänomen der Moderne.87 Funke – wie auch Manet – agieren dabei hinsichtlich ihrer künstlerischen Entscheidungen autonom, die Vorlagen und ihre Kombinationen sind frei gewählt, die Bildinhalte aktualisiert, formalästhetische Entscheidungen fügen sich nicht mehr zwangsläufig tradierten Bildvorstellungen. Rekurrieren sie zwar auf Vorlagen, funktionieren ihre Bilder dennoch als autonome Werke losgelöst von den Vorlagen – d.h. sie 86 87

Zimmermann, 2011, S. 289. »Perhaps more than anything else – certainly far more than any desire for purity of medium based on exclusion or simplification – a desire for comprehensiveness, a pursuit of what in ›Manet’s Sources‹ I call ›painting altogether,‹ was the hallmark of Manet’s modernism.« Siehe: Fried, 1996, S. 175.

I. Interpikturalität, Modernität und Originalität

funktionieren singulär, ebenso wie in ihrem pluralen Kontext – und bewahren so auch die ›Insichgeschlossenheit der ästhetischen Erfahrung auf Ebene der Rezeption‹ (Klinger). Auch Habermas argumentiert: »Als modern gilt nun, was einer spontan sich erneuernden Aktualität des Zeitgeistes zu objektivem Ausdruck verhilft.«88 Entscheidend ist hier die Idee einer erneuernden Aktualität, ein Zeitbewusstsein, wie Habermas es nennt.89 Als ein Verfahren, welches (vergangene oder gegenwärtige) Vorbilder aufruft, diese in eine aktualisierte Form bringt, also eine Revision etwas bereits Vorhandenen darstellt, lässt sich die Interpikturalität Funkes als ein modernes Phänomen bezeichnen. Die Künstlerin ist dabei im Sinne der Moderne als autonomes, unabhängiges Subjekt mit einem Zeitbewusstsein sowohl für Vergangenheit und Gegenwart – was Aktualisierung impliziert – zu betrachten. Ihre Werke sind zeitgenössische Aktualisierungen aufgegriffener Vorlagen, die sie auch formal aktualisiert, indem sie sie von tradierten Bildvorstellungen löst und stilistisch in ihre Gegenwart holt (z.B. in expressionistischer Gestaltung). Ihre Bilder sind dabei allerdings nicht ›neu‹ im Sinne einer Ursprünglichkeit, sondern lassen sich als Kommentar oder Revision einer verwendeten Vorlage verstehen. Dies führt zwangsläufig zu einer Problematisierung von Interpikturalität hinsichtlich dem älteren, in der Ästhetik etablierten Konzept der Originalität. Bereits die technischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts wie die Fotografie, bringen einschneidende Veränderungen mit sich, die auch hinsichtlich des (noch) herrschenden Anspruchs auf Originalität zu Schwierigkeiten führen. Mit Blick auf das Phänomen der Interpikturalität soll das Konzept der Originalität im Folgenden aufgespannt und erörtert werden. Der Begriff der Originalität ist dabei eng verbunden mit dem Genie-Konzept – ein Konzept, das auch für die an späterer Stelle erörterten Schriften über das ›Wesen‹ der Frau von Bedeutung sein wird. Ferner wird im Folgenden die Opposition zwischen Original und Kopie dargelegt, genauso wie die Problematisierung dieser Setzung durch reproduzierende Bildverfahren. Schlussendlich führt dies zu der Frage: Lässt sich Interpikturalität und Originalität noch vereinen oder kann dies – gerade vor der Folie der Moderne – gar nicht mehr der Anspruch sein? 88 89

Habermas, [1980] 1981, S. 446. Ebd., S. 447.

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Adorno definiert Originalität 1970 als »das spezifische Wesen des bestimmten Werks«90 . Die Fähigkeit, etwas Neues, zuvor noch nie Dagewesenes, zu schaffen, so beschreibt Hans-Joachim Krämer Originalität.91 Im Wörterbuch der ästhetischen Grundbegriffe wird Originalität als ›Anspruch und Maß künstlerischer Innovation‹ erklärt.92 Die erste Forderung nach künstlerischer Originalität stammt jedoch aus Zeiten der Renaissance und wird vom italienischen Schriftsteller und Dichter Aretino (1492- 1556) gestellt.93 Wenngleich bereits in der Renaissance eine gesteigerte Wertschätzung von Persönlichkeit, Individualität und künstlerischer Handschrift zu attestieren ist, wodurch sich auch der Stellenwert von Kopie und Original ändert,94 erfährt der Begriff der Originalität doch erst durch die Aufwertung der schöpferischen Subjektivität im 17. Jahrhundert eine gesteigerte Bedeutung.95 Und bereits ein Jahrhundert später hat sich der Begriff zu einem herausragenden Bewertungskriterium für Kunst und zu einem »grundlegende[r]n ästhetischen Wertbegriff« entwickelt, proklamiert Jens Häseler.96 Daraus ergebe sich nicht nur die folgenreiche Einschränkung der Nachahmung von Werken und von der Natur, die subjektive Schöpferkraft des Menschen ersetze auch die Tradition. So geht der Drang nach Originalität auf ein Kunst- und Künstlerkonzept der Romantik zurück, erklärt Lars Blunck, nämlich jenes, welches den Künstler als Genie und das Kunstwerk als unikatäres, autonomes Meisterwerk feiere.97 Adorno spricht hier vom sogenannten »Originalgenie«98 . Die Herausbildung des ästhetischen Begriffs von Originalität, so folgert auch Häseler, sei primär die Ablösung der Nachahmungs- durch die Genie90 91 92 93

94 95 96 97 98

Adorno, 2003, S. 71. Krämer, H.-J., 1979, S. 1. Häseler, 2002, S. 638. Haug, Walter: Innovation und Originalität. Kategoriale und literarhistorische Vorüberlegungen, in: Innovation und Originalität, Hg. Walter Haug/Burghart Wachinger, Tübingen 1993, S. 9. Mensger, 2012, S. 34. Häseler, 2002, S. 643. Ebd. Blunck, 2011, S. 20. Adorno erklärt es wie folgt: »Wegen des Moments des nicht schon Dagewesenen war das Geniale mit dem Begriff der Originalität verkoppelt: ›Originalgenie‹. Allbekannt ist, daß die Kategorie der Originalität vor der Geniezeit keine Autorität ausübte.«, siehe: Adorno, [1970] 2003, S. 257. Edward Young, ein englischer Theoretiker der Geniekonzeption, führt den Begriff des ›Originalgenies‹ bereits im 18. Jahrhundert ein, siehe: Häseler, 2002, S. 644.

I. Interpikturalität, Modernität und Originalität

ästhetik.99 Führende britische Theoretiker des 18. Jahrhunderts (Alexander Gerard, Edward Young und William Duff) bemühen sich um eine Definition des künstlerischen Genies und bedienen sich dabei einer wissenschaftlichen Vorstellung, die sodann auf die Kunst übertragen wird.100 So lasse sich beispielsweise der Begriff der Schöpferkraft (invention) auf naturwissenschaftliche (discovery) wie literarische (creation) Erzeugnisse anwenden sowie gleichermaßen die Bereitschaft zu einem geistigen Wagnis. Dass ein Genie dabei nicht gezielt herbeigeführt werden kann, beschreibt Young 1759: »An Original may be said to be of vegetable nature, it rises spontaneously from the vital root of a Genius; it grows, it is not made.«101 Im Gegensatz zu den britischen Theoretikern zieht Kant eine strikte Trennung zwischen wissenschaftlichen und künstlerischen Hervorbringungen und besiegelt so »die Spaltung zwischen wissenschaftlicher Kreativität, deren Arbeit demonstrierbar, und künstlerischem Genie, dessen Arbeitsweise nicht erklärbar sei«, wie Häseler konstatiert.102 Dennoch bleibt eine wechselseitige Verbindung zwischen Genie und Originalität bestehen, die auch Kant betont: Originalität müsse die erste Eigenschaft des Genies sein.103 Genie wiederum »ist die angeborne Gemütslage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt.«104 Während Originalität an den Autor/Künstler gebunden ist, also laut Adorno vom Individuum abgeleitet werde,105 ist das Original an den Werkbegriff gebunden. Im Grimmschen Wörterbuch von 1889 wird ›Original‹ als ein »voroder urbild, im gegensatze zur abbildung (porträt) oder nachbildung« geführt.106 Gemäß des deutschen Dudens ist ein Original ein »vom Künstler, Verfasser o.Ä. selbst geschaffenes, unverändertes Werk, Exemplar o.Ä.«107 . Scheint es erst die Abgrenzung zur Kopie zu sein, die das Original vollständig zu erklären vermag, bleibt der postulierte Gegensatz zwischen Original

99 100 101 102 103 104 105 106

Ebd., S. 643. Ebd., S. 644f. Young, Edward: Conjectures on original composition, Leeds [1759] 1966, S. 12. Häseler, 2002, S. 645. Kant, [1790] 1974, S. 242. Ebd., S. 241f. Adorno, [1970] 2003, S. 258. Grimm, Jacob und Wilhelm: Original, in: Deutsches Wörterbuch, Bd. 13, Sp. 1347-1349, online verfügbar: Der Digitale Grimm: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/ wbgui_py?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GO02293#XGO02293, zuletzt aufgerufen: 10.04.2018. 107 www.duden.de/rechtschreibung/Original#Bedeutung1, zuletzt aufgerufen: 27.03.2018.

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und Kopie bis heute als Definition erhalten. Krauss, die Kopie durch Wiederholung ersetzt, spricht von einer Kopplung zwischen den beiden Begriffen und erklärt, sie seien in einer gewissen ästhetischen Ökonomie miteinander verbunden, wechselseitig voneinander abhängig und stützten einander, wenngleich der eine Begriff positiv (Originalität), der andere negativ belegt sei (Wiederholung).108 Mit dem Aufkommen künstlerischer Verfahren, wie z.B. der Interpikturalität, muss der Begriff der Originalität einer kritischen Revision unterzogen werden. Krauss konstatiert sogar, dass der moderne Originalitätsdiskurs durch den postmodernen Kopiediskurs abgelöst werde.109 Am Beispiel Auguste Rodins verdeutlicht sie, dass die aus dem 18. Jahrhundert stammende Konzeption von künstlerischer Originalität ein reiner Mythos sei und der moderne Originalitätsdiskurs gerade durch den Künstler, der diesen verkörpere, unterlaufen werde.110 Auch die Rastermalerei und ihres Zeichen die Wiederholung, die im 20. Jahrhundert durch Künstler wie z.B. Robert Ryman, Agnes Martin oder Ad Reinhardt geprägt wird, denunziere in ihrer unhierarchischen Abstraktion, Interessenlosigkeit und Zweckfreiheit das Originalitätsprinzip.111 So erklärt Krauss: »Wenn nun der Avantgarde-Begriff selbst als eine Funktion des Diskurses der Originalität angesehen werden kann, so macht die tatsächliche künstlerische Praxis der Avantgarde die ›Originalität‹ eher als eine Arbeitshypothese sichtbar, die auf dem Hintergrund der Wiederholung und Wiederkehr agiert.«112 Originalität gemäß Krauss ist zum einen an Innovation und Zweckgebundenheit, wie sie die Rastermalerei ihrer Meinung nach entbehrt, und zum anderen an die Eigenhändigkeit der Produktion gebunden, die im Falle Rodins nicht gegeben ist. Doch wie schon die frühe Organisation in künstlerischen Werkstätten belegt, kann Eigenhändigkeit kein adäquates Kriterium für Originalität sein. Gleichermaßen gilt zu 108 Krauss, Rosalind E.: Die Originalität der Avantgarde [original: The Originality of AvantGarde: A Postmodernist Repetition, 1981], in: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert. Künstlerschriften, Kunstkritik, Kunstphilosophie, Manifeste, Statements, Interviews, Bd. II (1940-1991), Hg. Charles Harrison/Paul Wood, Ostfildern 1998, S. 1319. 109 Krauss, Rosalind E.: The Originality of Avant-Garde: A Postmodernist Repetition, in: The Postmodernist Controversy, Hg. Ingeborg Hoesterey, Bloomington/Indianapolis 1991, S. 79. 110 Krieger, 2008, S. 144f. 111 Ebd., S. 146f. 112 Krauss, [1981] 2000, S. 205.

I. Interpikturalität, Modernität und Originalität

fragen, ob Originalität noch als geeignete Bewertungskategorie für avantgardistische Verfahren wie die Rastermalerei oder repetitive Prozesse greift und wie sich Originalität mit dem interpikturalen Verfahren, in dem das Bild, das auf einer Vorlage beruht, nicht mehr als Urbild im Sinne einer Ursprünglichkeit bestimmt werden kann, vereinbaren lässt? So stößt nicht erst das Einsetzen von künstlerischen Wiederholungsverfahren wie z.B. die Rastermalerei im 20. Jahrhundert die Problematisierung des Originalitätsbegriffs an, sondern muss vor dem Hintergrund des Interpikturalitätskonzeptes ins 19. Jahrhundert vordatiert werden. Es sei exemplarisch erneut auf Manet verwiesen, einer der bekanntesten Maler, der stetig Fremdvorlagen aufgreift.113 Ein halbes Jahrhundert später ist es unter anderem Helene Funke, die das interpikturale Arbeiten zu einer künstlerischen Arbeitsweise ausprägt und motivatorisch für bildpolitische wie sozialkritische Zwecke ausschöpft. Daneben führen auch die Reproduktionsverfahren – allen voran die Fotografie –, wie Walter Benjamin in seinem viel zitierten Aufsatz darlegt, zu einem Auflösen des Originalitätspostulats: »Noch bei der höchstvollendeten Reproduktion fällt eines aus: das Hier und Jetzt des Kunstwerks – sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet.«114 Denn das Hier und Jetzt des Originals mache, so Benjamin weiter, den Begriff seiner Echtheit aus. Was also mit der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verloren geht, »das ist seine Aura.«115 Bei Benjamin – und auch bei Krauss, die in vergleichbarer Weise hinsichtlich Rodin argumentiert – ist Originalität und das Auratische damit an das singuläre Objekt gebunden. Im Falle der Malerin Funke, die nicht mit reproduzierenden Verfahren arbeitet, sondern deren Werke durch die Verarbeitung einer Vorlage die Frage nach Originalität aufwerfen, geht es um die Eigenständigkeit der Bildidee und die Neuartigkeit der Gestaltung. Ihre Werke sind ohne Zweifel Originalobjekte, finden aber Anregung in fremden Vorbildern. Das heißt sie lassen sich nicht als Urbild bestimmen, als einziger und erster Ursprung und somit 113

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Neben Manet lassen sich viele weitere Künstler des 19. Jahrhunderts nennen, die auf Vorlagen verweisen, diese kopieren oder mit einem komplexen Referenz-System arbeiten. Man denke u.a. beispielsweise auch an Géricault, Delacroix, Degas, Cézanne, Seurat, van Gogh und Gauguin. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit [1936], in: Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit und weitere Dokumente, Kommentar Detlev Schöttker, Frankfurt a.M. 2007, S. 12. Ebd., S. 14.

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nicht im Sinne von Originalität behaupten, denn sie sind ferner (im engeren Sinne) keine singulären Erzeugnisse, sondern plural. Indem sie sich Vorbildern bedienen, erhalten sie eine Gültigkeit, die über die eigenen Bildgrenzen hinaus auf das Vorbild verweist, sie werden zu hyperimages – eine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem von Thürlemann geprägten Phänomen erfolgt an späterer Stelle am Beispiel eines konkreten Werks. Ihre Bilder weisen darüber hinaus durch die vorgenommene Aktualisierung der Vorlage eine Kommentarfunktion auf, sie revidieren, ergänzen oder erneuern, ohne dabei aber neu im Sinne eines Urbildes zu sein. Die Definition und Relation zwischen Kopie und Original erweist sich vor dem Hintergrund interpikturaler oder reproduzierender Verfahren als höchst komplex. Kopie und Original sind keine fixen Einheiten, sondern stets nur korrelativ zu begreifen, sie verdanken ihren Status jeweiligen Zuschreibungen, die wiederum selbst nicht konstant sein müssen, konstatiert auch Blunck.116 Diese Beobachtung untermauert er mithilfe der Kunstproduktion in historischen Werkstätten (z.B. Rubens oder Rembrandt), wodurch zu belegen ist, dass Eigenhändigkeit – man denke an den Einwand von Krauss – eben kein Kriterium eines Originals sei, anders als es die genieästhetische Künstlerkonzeption des 19. Jahrhunderts fordert.117 Daran anknüpfend ergibt sich für Blunck die gewichtige Frage, ob die Differenzierung zwischen Original und Kopie überhaupt zu einem »ästhetischen Mehrwert« führe?118 Die Antwort darauf steckt bereits im Titel seines Aufsatzes, der die Frage eröffnet: Wann ist ein Original? Wann – im Gegensatz zum Wo, welches eine feste Verortung suggeriert – impliziert eine Zeitlichkeit, also eine Veränderbarkeit, die in Abhängigkeit äußerer Bedingtheiten variieren kann. So attestiert Blunck differenzierte Rezeptionshaltungen, die den ästhetischen Status eines Werks und seine Kategorisierung in Original oder Kopie bestimmen.119 Auch wenn Original und Kopie im Falle einer gelungenen Kopie augenscheinlich nicht zu differenzieren sind – denn genau das meint Blunck mit dem ›ästhetischen Status‹ –, so sind sie doch trotzdem nie gleichwertig. Spricht Marcel Duchamp vom »Kult des Originals«120 , nennt Maria E. Reicher 116 117 118 119 120

Blunck, 2011, S. 10. Ebd., S. 13. Ebd., S. 22. Ebd., S. 9. Duchamp in einem Gespräch mit Otto Hahn 1966, in: Duchamp, Marcel: Marcel Duchamp. Interviews und Statements, gesammelt, übersetzt und annotiert von Serge Stauffer, Graphische Sammlung Staatsgalerie, Stuttgart 1992, S. 205.

I. Interpikturalität, Modernität und Originalität

vergleichbares den »Fetischwert«121 eines Originals, also jene Wertigkeit, die neben dem monetären Wert stets nur dem Original und dem damit verbundenen Versprechen von Einzigartigkeit vorbehalten ist. Dies steht natürlich im Zusammenhang mit der Verehrung des Künstlers als Genie. Das Kunstwerk wird, so Reicher, als Verkörperung des Künstlergenies verstanden122 – selbst wenn Duchamp kritisch anmerkt, dass es in diesem Sinne nicht mehr um das Kunstwerk selbst, als viel eher um den Besitz geht.123 Ferner ist dem Original stets seine Produktionsgeschichte eingeschrieben, die eine Kopie nicht abzuschreiben vermag. So erklärt auch Jens Kulenkampff: »Die geschichtlichen Umstände seiner Entstehung, also ganz bestimmte historische Tatsachen, konstituieren die Identität eines Gemäldes, weil kein anderes Gemälde diese Tatsachen mit ihm teilen kann.«124 Gilt das Kopieren zunächst wie schon eingangs erläutert, als produktive Lehrmethode, die durch die präzise Nachahmung (antiker) Vorbilder eine Schulung der künstlerischen Fähigkeiten evoziert,125 verschiebt sich der Status quo dieser ursprünglich positiv konnotierten Methode mit der Etablierung des Originalitätsprinzips im 18. Jahrhundert. Die Kopie – auch als Lehrmethode an der Akademie126 – gerät in Misskredit und entwickelt sich zu einem gegenläufigen Modell zur schöpferischen Kraft des echten und einzigen Originals. Mit Aufkommen der vielzähligen Reproduktionsmöglichkeiten 121 122 123

Reicher, 2011, S. 63. Ebd. Duchamp führt dies wie folgt aus: »In der Malerei ist man beim Kult des Originals verblieben. Das ist ein Hinnehmen der Idee der Distanz in der Zeit. Wie die Briefmarken, die nur einen Wert haben, weil sie 1860 gedruckt wurden und man sie 1966 anschaut, das verleiht ihnen Wert. In der Tatsache, ein Kunstwerk zu besitzen, liegt eine Heuchelei. Wer einen Van Gogh kauft, tut es, um sagen zu können: ›Ich habe einen Van Gogh.‹ Der Wert liegt in der Tatsache des Besitzens und nicht im tieferen Wert.«, siehe: Duchamp, [1966] 1992, S. 205. 124 Kulenkampff, Jens: Die ästhetische Bedeutung der Unterscheidung von Original und Fälschung, in: Kunst und Philosophie. Original und Fälschung, 2011, S. 47. 125 Schon in der römischen Kaiserzeit galt das Kopieren griechischer Vorlagen als gute Praxis; im Mittelalter wurde nach Musterbüchern gearbeitet, um gelungene Motive Generation für Generation weiterzugeben, siehe: Mensger, 2012, S. 33. Als grundlegende Ausbildungspraxis junger Künstler wurde das Kopieren im 17. Jahrhundert in den Akademien institutionalisiert und bis ins 20. Jahrhundert beibehalten, siehe: ebd., S. 39. 126 An der Akademie waren es gerade die Künstler selbst, die das Kopieren als Lehrmethode kritisierten, wie beispielsweise Philipp Otto Runge oder Johann Friedrich Overbeck, siehe: Mensger, 2012, S. 40.

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im 19. Jahrhundert jedoch ist eine verstärkte und fast systematische Rückwendung zur Kopie zu erkennen – die nun auch positiv bewertet wurde, wie Ariane Mensger bestätigt: »Das Kopieren der Alten galt in diesem Kontext nicht als rückgewandt, sondern als zukunftsweisend; die Kopie diente nicht der Festigung der Tradition, sondern als Katalysator für das Neue.«127 Häufig steht bei der Auseinandersetzung mit Vorlagen (oder Vorbildern) eine spezifische, künstlerische Motivation im Vordergrund: der Wettstreit mit den Vorgängern, das malerische Kräftemessen mit den Vorbildern und schließlich das Übertreffen dieser – ganz im Sinne der antiken aemulatioVorstellung. So erklärt Zimmer exemplarisch am Beispiel Pablo Picassos, mit seinen Ingres-Paraphrasen habe der Maler den Anspruch formuliert, sich mit der französischen Schule des 19. Jahrhunderts auf Augenhöhe zu bewegen.128 Nebenbei bemerkt, Ingres selbst fertigt bei diversen Hauptwerken gleich mehrere Versionen und nimmt so das Prinzip der Serie vorweg, wie Krieger darlegt.129 Und auch Michael Fried konstatiert bezüglich Manet, der zahlreiche Motive der Alten Meister aufgreift und in seinen Werken neu interpretiert, dass er dies aus der Motivation heraus tue, sich mit seinen Vorbildern zu identifizieren und so gleichermaßen einen künstlerischen Wettstreit forciere.130 Wird die Kopie im 19. Jahrhundert zu einer gebräuchlichen Methode, die auch jenseits der akademischen Ausbildung zur Verwendung kommt, muss dieses Verfahren wie folgt spezifiziert werden: nicht mit dem Zwecke einer originalgetreuen Nachahmung (respektive einer Fälschung) entstehen die einer Vorlage abgeleiteten Werke, sondern mit dem Ziel der Aktualisierung und ästhetischen Modernisierung. Auch gilt es, sich von den viel zitierten Vorgängern loszusagen. »Indem das Zerstören der Norm zur Maxime der Originalität wurde, galt es, sich vom historischen Erbe und seinem Kanon zu befreien und darin die eigene Kunst auch gegenüber Zeitgenossen zu profilieren.«, so Gelshorn.131 Die Originalität der Avantgarde ist aber nicht lediglich eine Zurückweisung oder Zerstörung der Vergangenheit, erklärt Krauss, »sie wird buchstäblich als ein Ursprung begriffen, ein Anfangen vom Nullpunkt, eine Geburt«.132 Themen, Sujets und Elemente werden aufgegriffen und in eine 127 128 129 130 131 132

Ebd., S. 43. Zimmer, 2008, S. 158. Krieger, 2008, S. 150. Fried, 1996, S. 25. Gelshorn, 2012, S. 62. Krauss, [1981] 2000, S. 205.

I. Interpikturalität, Modernität und Originalität

neue Szenerie oder in einen neuen Kontext eingebettet, so dass die Vorlage zwar erhalten, aber transformiert wird. So bleibt die Methode zwar in erster Linie als Aneignung erhalten, die Motivation und konzeptionelle Umsetzung aber ist different und entspricht im Wesen einer Neuschöpfung (siehe Krauss). Somit stehen die moderne Kopie und das Wesen der Originalität nicht mehr in direktem Widerspruch, sondern in einem wechselseitigen System gegenseitiger Befruchtung und Ergänzung. Im Sinne Richard Shiffs wird das Bildzitat dabei sogar zu einer ›Technik der Originalität‹. Er erklärt, dass das Kopieren, bezogen auf das Naturvorbild, im 19. Jahrhundert eine Umwertung erfahren habe und die Nachahmung so zu einem positiv besetzten Theorem werde.133 Denn, indem ein Künstler auf eine etablierte Darstellungstradition verweise, verdeutlicht Zimmer den Gedanken Shiffs, legitimiere er sich selbst als Autorität.134 Auch Martina Dlugaiczyk misst der Kopie einen originären Charakter zu, »da sie als Motiv/Produkt und Medium die Vorlage nicht nur spiegeln, sondern selbst zu Agenturen werden und in ihrer spezifischen Doppelfunktion das kulturelle Wissen nicht unerheblich prägen.«135 Das Verhältnis von Originalität und Wiederholung scheint in höchstem Maße paradox zu sein. Während Autoren wie Krauss von einer Denunzierung des Originalitätskonzeptes durch die Wiederholung ausgehen, sprechen andere wie Shiff der Wiederholung originellen Charakter zu. Krieger bringt diesen Widerspruch wie folgt auf den Punkt: »Einerseits konstituiert sich die Moderne mittels des Originalitätsmythos, andererseits bringt sie künstlerische Praktiken hervor, die genau das Gegenteil davon sind, nämlich reproduktiv.«136 Diese reproduktiven Praktiken aber – allen voran die Fotografie – besitzen laut Krieger einen quasi-industriellen Charakter, was sie von den bereits bekannten Verfahren der Wiederholung unterscheidet, und beziehen sich so nicht auf ein ideales Vorbild, »sondern erzeugen eine tendenziell unabgeschlossene Anzahl von Versionen ohne Vorbild.«137 Und daraus erarbeitet Krieger folgendes überzeugendes Argument, was gleichzeitig Krauss’ These der Originalität als Mythos widerlegt: Gerade weil sich diese reproduktiven Erzeugnisse nicht auf ein historisches Vorbild beziehen würden, »können sie im Sinne des modernen Originalitätsbegriffs 133 134 135 136 137

Zimmer, 2008, S. 154ff. Ebd., S. 154. Dlugaiczyk, Martina: More than like. Die Originalkopie im 19. Jahrhundert. Ein Fallbeispiel, in: Déjà-vu?, Ausstellungskat., 2012, S. 76. Ebd., S. 149. Ebd.

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alle als Originale gelten, als prinzipielle Neuschöpfungen und authentische Emanationen der Subjektivität des Künstlers.«138 Die Werkidee gelte demnach höher als die Werkrealisation, was bedeutet, das Prinzip der Wiederholung bilde keinen Widerspruch zum Originalitätsprinzip, sondern bestätige es sogar.139 Funke aber bezieht sich auf (historische) Vorbilder. Ihre Werke lassen sich als Verarbeitungen, Auseinandersetzungen und Aktualisierungen von Vorlagen verstehen, wobei die Vorlagen sichtbar bleiben. Ihre Werke sind somit von einer Referenzialität gezeichnet. Funke schafft Werke, die zwar faktisch einmalig sind, aber durch die Existenz eines Vorbildes, eben kein Urbild sein können. Viel eher sind sie Kommentare oder Erweiterungen der Urbilder, auf die sie sich beziehen. Bilden Original und Kopie zwar in der Moderne ein wechselseitiges System und lassen sich auch reproduktive Verfahren, wie Krieger attestiert, mit dem Konzept der Originalität vereinen, wird der Anspruch auf Originalität im Verfahren der Interpikturalität doch problematisiert – wenngleich Funke sicherlich ihren Anspruch auf Originalität erklärt hätte (so wie auch Manet). Denn in Funkes Gegenwart war es ja gerade die Originalität, die den Künstlerinnen abgesprochen wurde. Ziel dieser Arbeit ist es, Funkes Arbeitsweise im Kontext der Moderne zu verorten – wie es auch Fried am Beispiel Manets aufzeigt – und das Arbeiten mit/nach Vorlage so als ein reflexives, ein revidierendes und somit auch als ein modernes Verfahren zu etablieren. Die Eigenständigkeit, die Funke mit ihren Darstellungen beweist, ist als Form von Autonomie zu verstehen, ohne dabei das Konzept der Originalität zu beanspruchen. Funkes Werke aktualisieren die Vorlagen auf vielfältige Weise, nicht nur inhaltlich, sondern auch formal. Die Malerin bedient sich nicht lediglich einer Vorlage, sondern verbindet mehrere Vorlagen miteinander. Versteht man Interpikturalität (im Sinne eines »operativen« Interpikturalitätskonzeptes) als eine aktive und zielgerichtete, als eine strategische Verwendung fremder Vorlagen zum Zwecke der kritischen Neuinterpretation, ist dieses Phänomen eines, das sich mit den charakteristischen Merkmalen der Moderne vereinen lässt. Dabei ist die Künstlerin als Subjekt, als Autorin, die interpikturale Strukturen hervorbringt, genauso von Bedeutung wie der Rezipient, der die Bilder und mit ihnen die Vorlagen betrachtet. Die trotz der Verarbeitung von Vorlagen zu erkennende Eigenständigkeit der Werke ist dabei genauso von 138 139

Ebd. Ebd., S. 150.

I. Interpikturalität, Modernität und Originalität

Interesse, wie die vor dem Hintergrund der Überlegungen Bourdieus zu attestierende Autonomie der Werke, die sich als Loslösung von ökonomischen Interessen beschreiben lässt. Darüber hinaus gilt es, die Werke auch vor einer geschlechtsspezifischen Folie zu beleuchten, also einerseits die Arbeitsbedingungen der Malerin als Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem männlich dominierten Kunstbetrieb zu beachten. Und andererseits die Bilder selbst in einer diskurshistorischen Betrachtung als Zeitzeugen sprechen zu lassen.

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II. Die Marginalisierung von Frauen in der Kunst

Beweist bereits das im 18. Jahrhundert entwickelte Geniekonzept eine geschlechtsspezifische Diskriminierung der Frau, denn Originalität ist traditionell an das männliche Geschlecht gebunden, worauf nicht zuletzt die Definition des Künstlers als Mann basiert, sollen im Folgenden die institutionellen Rahmenbedingungen des Künstlerinnenseins um 1900 eingehend beleuchtet werden. Im Fokus steht dabei die Relation von Geschlecht und künstlerischer Praxis. Der systematische Ausschluss von Frauen aus dem Kunstsystem gründet sich auf zwei grundlegenden Paradigmen: Die Beschreibung des unterlegenen »weiblichen Wesens« durch medizinische und philosophische Schriften und die institutionellen Restriktionen wie die Nicht-Zulassung zum akademischen Studium. Argumentativ operieren beide Paradigmen mit einem wechselwirkenden Ineinandergreifen. Die weibliche Unfähigkeit zur originellen Kunstproduktion wird als Grund für die weibliche Unterbesetzung im Kunstbetrieb behauptet, während die weibliche Unterbesetzung im Kunstbetrieb wiederum das Argument der weiblichen Unfähigkeit untermauert. Anhand der als einschlägig geltenden Schriften von Schopenhauer und seinem österreichischen Schüler Weininger werden im Folgenden die tradierten Vorstellungen über das »Wesen« der Frau vorgestellt. Diese zwei spiegeln in paradigmatischer Weise die in Philosophie und Gesellschaft geläufige frauendiskriminierende Rhetorik, die sich in vergleichbarer Form auch bei Kant oder Nietzsche finden ließe. Weiningers Text ist darüberhinaus insofern für die vorliegende Arbeit entscheidend, als dass dieser besonders in der Wiener Moderne äußerst populär war, also ein Text, der auch Funke, die sich in Wien niedergelassen hat, bekannt gewesen sein dürfte. Die Positionen Schopenhauers und Weiningers basieren vornehmlich auf biologischen, also geschlechtsspezifischen Klischees und Vorurteilen. Der Blick auf Kunstkritiker wie beispielsweise Scheffler zeigt des Weiteren, wie diese Stereotype auf die Bildende Kunst und das Werturteil über Kunst von Frauen übertragen

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Aneignung und Eigensinn

werden. Zugestanden wird der Künstlerin dabei lediglich die Betätigung als Kopistin, die Nachahmung der Kunst der Männer, was der systematischen Absage an weibliche Schöpferkraft und Kreativität zugrunde liegt und sich zugleich als weitere irrwitzige Tautologie entpuppt: Weil Frauen naturgemäß die als männlich definierte Genialität fehlt, bedienen sie sich der Nachahmung; die Nachahmung belegt wiederum die fehlende weibliche Genialität. Faktisch ist das männliche Übergewicht in der Kunst und auch in der Kunstkritik aber durch institutionelle und diskursive Umstände zu erklären, worauf schon Nochlin 1971 hinweist. Nochlin ist Teil einer angloamerikanischen Kunstwissenschaft, die sich dezidiert feministischen Fragen widmet, die ausgehend von der »neuen« Frauenbewegung Ende der 1960er Jahre auch Einzug in die kunstwissenschaftliche Forschung nimmt. Fragen und Untersuchungen im Rahmen der feministischen Kunstgeschichte sollen skizziert werden. Des Weiteren gilt es, der Organisation und den Strukturen des Kunstbetriebs nachzugehen und diese hinsichtlich geschlechtsspezifischer Aspekte, die zu einem systeminternen Ausschluss von Frauen führen, zu befragen. Die Sozialgeschichte der Künstlerinnen sowie ihr Eintreten in den Kunstbetrieb sind dabei ebenfalls von Interesse. Schon im 19. Jahrhundert, maßgeblich im Zuge der Rezeption des Impressionismus, ist ein Phänomen geschlechtsspezifischen Werturteilens im Kunstbetrieb zu beobachten. Wie kaum einer anderen künstlerischen Gruppierung wird den Impressionisten eine Nähe zum Weiblichen zugeschrieben. Zwar sind auch Malerinnen Teil der Gruppe und sogar Mitbegründerinnen des Impressionismus’, wie Berthe Morisot und Mary Cassatt, so wird diese Assoziation – im Wesentlichen negativ ausgelegt – auch auf Kunst von Männern übertragen. Vorstellungen geschlechtsspezifischer Fähigkeiten und Unfähigkeiten, die von Philosophen und Kunstkritikern artikuliert werden, sind daran genauso ablesbar wie generalisierte, antifeministische Stereotype. Dennoch wird auch im 20. Jahrhundert die Frage nach einer spezifisch weiblichen Ausdrucksform gestellt, die sich unter dem Begriff der »weiblichen« Ästhetik zunächst im Feld der Literaturwissenschaft, dann auch in der Kunstwissenschaft ausbreitet. Der Frage, ob sich Geschlechtlichkeit anhand motivischer oder formaler Mittel ausdrücken lässt, ob es also eine »weibliche« oder »männliche« Kunst geben kann, soll auch in Bezug auf die Werke Funkes nachgegangen werden. Ferner gilt es zu betonen, dass Funke fast ausschließlich auf männliche Vorlagen zurückgreift. Im Bewusstsein der stereotypen Vorurteile erfüllt sie mit ihrer aneignenden Bildpraxis nun scheinbar genau das, was Künstlerin-

II. Die Marginalisierung von Frauen in der Kunst

nen pauschalisiert unterstellt wird: Sie erklärt die Aneignung zu einer ihr eigenen Bildmethode. Doch ihre Werke weisen sich nicht lediglich als Kopien männlicher Vorlagen aus, sondern zeigen eine dezidierte Auseinandersetzung mit diesen Vorlagen, die Funke in ihren Werken geschickt in neue Kontexte stellt. Vor diesem Hintergrund soll der Begriff der »emanzipatorischen Aneignung« angebracht werden und die Frage einläuten, ob Funkes Interpikturalität nicht als ein Effekt von Feminismus zu deuten wäre? Anhand der aufgespannten Aspekte soll an das vorherige Kapitel angeschlossen werden, das Interpikturalität theoretisch eingefasst und im Kontext der Moderne verortet sowie das Verhältnis zum Originalitätsbegriff problematisiert hat. In Zusammenführung beider Ansätze – einer theoretisch-systematischen Begriffserläuterung und Kontextualisierung von Interpikturalität sowie einer institutionellen, diskurshistorischen Betrachtung der Künstlerinnensozialgeschichte – soll die Komplexität der aneignenden Praxis herausgestellt werden.

Über das »Wesen« der Frau in philosophischen und kunstkritischen Texten um 1900 Um 1900 lassen sich zwei Phänomene in Westeuropa1 beobachten: Zum einen die stetig wachsende und immer stärker drängende Frauenrechtsbewegung und zum anderen die diskursive Ausarbeitung einer Wesenscharakterisierung der ›Frau‹ durch männliche Philosophen und Kunstkritik. Die kausale Wechselwirkung beider Beobachtungen wird bei einem gezielten Blick auf Inhalt und Programm beider deutlich. Fordert die Frauenrechtsbewegung die Stärkung der Rechte bzw. die Gleichberechtigung der Frau (auch im Bereich der Kunst), was auch eine aktive und gestaltende, gesellschaftliche Rolle bedeutet, veröffentlichen Philosophen wie Otto Weininger, Friedrich Nietzsche oder Arthur Schopenhauer Beschreibungen der Frau als passives, handlungseingeschränktes Wesen und teilen ihr so eine untergeordnete Rolle zu. Innerhalb dieser Darstellungen lassen sich stereotype Beschreibungsmuster erkennen, die nicht nur die Rolle der Frau in der Gesellschaft, respektive dem 1

Die Begrenzung auf Westeuropa ist gewählt worden, weil dies den Lebensraum der Malerin Helene Funke markiert, die – in Deutschland geboren – zunächst in Paris, dann in Wien gelebt hat. So ist die Bestimmung der sozialen wie politischen Umstände ihres Lebens und Wirkens im Sinne einer diskurshistorischen Betrachtung gegeben.

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häuslichen Kontext, sondern darüber hinaus die geistigen wie z.B. die kreativen Fähigkeiten der Frauen erläutern. Dabei wird auch dezidiert das Vermögen der Frau zum Kunstschaffen (Musik, Bildende Kunst, Poesie) diskutiert. Diesen Argumentationen folgend, greifen Kunstkritiker wie z.B. Karl Scheffler oder Arthur Roessler (und auch Künstler wie Piet Mondrian, Paul Klee, Hans Arp etc.2 ) das Thema ›Frau und Kunst‹ auf und attestieren einheitlich ein weibliches Unvermögen zur Kunst, was sich wiederum als Begründung für einen institutionellen Ausschluss der Frauen aus dem Kunstbetrieb anbietet. Im Folgenden werden zunächst die philosophischen Schriften zum Wesen der Frau beleuchtet, um im Anschluss daran die Darstellungen der Kunstkritiker unter besonderer Berücksichtigung des Aspektes ›Frau und Kunst‹ zu betrachten. Es handelt sich dabei ausschließlich um Schriften von männlichen Autoren. Die folgenden Texte zeugen somit von einer männlichen (einseitigen) Sicht und verdeutlichen eine von Männern geschriebene und betriebene kanonische Philosophie und Kunstkritik, die in ihrer Geschlechterspezifik den gesellschaftlichen Rollenmustern entspricht. So wird auch der Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen den Schriften und der unterlegenen Rolle der Künstlerin im Kunstbetrieb nachgegangen. Ferner soll mit Blick auf die wachsende Frauenrechtsbewegung ein sozialpolitischer Kontext eröffnet werden, der es schließlich erlaubt, Kunstbetrieb und gesellschaftliche Strukturen vor dem Hintergrund der erörterten Texte miteinander zu vergleichen. Die Schriften männlicher Autoren, die sich mit dem Wesen der Frauen auseinandersetzen, wobei hier einzig ausgewählte deutschsprachige Literatur in den Blick genommen wird, entstehen ungefähr zeitgleich, ausgehend von der Mitte des 19. Jahrhunderts mit Schopenhauer, der bereits 1851 in seinen »Parerga und Parlipomena« einen Text »Ueber die Weiber« schreibt, und erreichen um 1900 einen Höhepunkt (Karl Schefflers »Die Frau und die Kunst« 1908, Otto Weiningers »Geschlecht und Charakter« 1909 und Arthur Roesslers »Die Frauen und die Kunst« 1914). Gleichzeitig lässt sich in dieser 2

Auf die von Künstlern verfassten Theorien zum Wesen der Geschlechter, die verstärkt um 1910 entstehen, sei an dieser Stelle hingewiesen, ohne aber diesen explizit nachzugehen. Die Auswahl in dieser Arbeit beschränkt sich allein auf Texte von Philosophen und Kunstkritikern. Für eine Einführung in die Künstler-Theorien bezüglich geschlechtsspezifischer Aspekte siehe z.B.: Deicher, Susanne (Hg.): Die weibliche und die männliche Linie. Das imaginäre Geschlecht der modernen Kunst von Klimt bis Mondrian, Berlin 1993.

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Zeit auch ein erster Höhepunkt der Frauenrechtsbewegung in Europa festmachen, wodurch ein direkter Zusammenhang zwischen dem Drängen der Frauen auf Gleichberechtigung, Bildung und Wahlrecht und dem männlichen Festhalten an patriarchalen Strukturen nahe zu liegen scheint. Entstehungsbedingungen, Zielsetzungen und Entwicklungen der Frauenrechtsbewegungen in Frankreich, Deutschland und England sind vergleichbar, zum Teil gibt es um 1900 auch enge Kontakte zwischen französischen und englischen Frauenrechtlerinnen und eine internationale Zusammenarbeit, erklärt Michaela Karl.3 Mit Gründung der Pariser Kommune 1871 in Frankreich, dem Manchester Women’s Suffrage Commitee 1868 in England und dem Bund Deutscher Frauenvereine 1894 in Deutschland stehen organisierte Gruppierungen stellvertretend für die Bedürfnisse und Ziele der Frauen. Zwar sind die jeweiligen prioritären Ziele in den drei Ländern nicht vollkommen identisch, doch durchaus vergleichbar. Auch gründen sich in der Zeit erste Künstlerinnen-Vereine (z.B. Verein der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen zu Berlin, 1867; Union des femmes peintres et sculpteurs, 1881), mit ihnen werden Forderungen nach der Öffnung der Ausbildungsstätten, wie den Akademien, und einer gerechten Vergabe der Preise und Medaillen laut.4 Die Frauenrechtsbewegung und ihr Wunsch nach Gleichberechtigung findet auch im Kunstbetrieb Einzug. Weibliches Aufbegehren gegen traditionelle soziale und gesellschaftliche Strukturen gilt als ebenso gefährlich, wie die weibliche Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, die mit dem Wunsch nach Erwerbstätigkeit und Ausbildung drohte. Organisierter Feminismus wird im ausgehenden 19. Jahrhundert als ›entzweiend‹ (»divisive«) und ›schädlich‹ (»harmful«) empfunden, welche die Familie und die traditionellen sozialen Formen, von denen die Stabilität des Staates abhinge, zerstören könnte.5 »As home-maker, wife and ›mother-educator‹, she could fulfill her mission of saving civilisation from corruption 3 4

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Siehe dazu: Karl, Michaela: Die Geschichte der Frauenbewegung, 2. Aufl., Stuttgart 2016. Pfeiffer, Ingrid: Der Impressionismus ist weiblich. Zur Rezeption von Morisot, Cassatt, Gonzalès und Braquemond, in: Impressionistinnen, Ausstellungskat.: SchirnKunsthalle Frankfurt, 2008, Hg. Dies., Ostfildern 2008, S. 22. Im Original heißt es bei Tamar Garb: »Organised feminism was widely regarded in circles across the political spectrum as a divisive and harmful force, which would corrode the family and the traditional forms of social organisation on which the stability of the State was dependent.«, siehe: Garb, Tamar: Sisters of the Brush. Women’s Artistic Culture in Late Nineteenth-Century Paris, New Haven 1994, S. 45.

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and moral decay.«6 Die britischen Suffragetten, die mit ihrem Leitspruch »Taten, nicht Worte« bekannt und gefürchtet werden,7 stehen sicherlich für die heftigste und gewalttätigste Ausprägung der europäischen Frauenbewegung. In Deutschland und Frankreich sind die Aufstände weitaus gemäßigter, wenngleich auch in Frankreich Frauenrechtlerinnen verfolgt und teilweise gar deportiert werden.8 Weiterhin sei durch Heirat und Unterwerfung versucht worden, diese zerstörerische Kraft der Frauen zu kontrollieren, erklärt Karl. Dennoch, die weibliche Organisierung in Frauenrechtsgruppierungen, wie die Suffragetten, dient als geeignete Begründung für männliche Autoren, die weibliche Selbstbestimmung als irrational und bedrohlich – selbst für die allgemeine Sicherheit des Staates! – zu verurteilen. Den gewalttätigen Frauen musste Einhalt geboten werden. Mit scheinbar wissenschaftlichen Erklärungen versuchen die Autoren, die Frauenrechtsbewegung und damit jeglichen Wunsch der Frauen nach Gleichberechtigung, mit konservativen und zum Teil obsoleten Vorstellungen von Weiblichkeit zu negieren und als haltlos zu beschreiben. In Schopenhauers Schrift »Ueber die Weiber« (erschienen in »Parerga und Paralipomena«) 1851 heißt es: »Schon der Anblick der weiblichen Gestalt lehrt, daß das Weib weder zu großen geistigen, noch körperlichen Arbeiten bestimmt ist.« und weiter: »…sondern sein [das der weiblichen Gestalt, Anm. AS] Leben soll stiller, unbedeutsamer und gelinder dahinfließen, als das des Mannes […]«9 . Der Charakter der Frau zeichne sich ferner durch mangelnde Vernunft und Überlegung sowie durch List, instinktive Verschlagenheit und mit einem unvertilgbaren Hang zum Lügen aus.10 Auch bezüglich der künstlerischen (Un-)Fähigkeit der Frau äußert sich Schopenhauer: »Weder für Musik, noch Poesie, noch bildende Künste haben sie wirklich und wahrhaftig Sinn und Empfänglichkeit; sondern bloße Aefferei, zum Behuf ihrer Gefallsucht, ist es, wenn sie solche affektiren und vorgeben.«11 Und weiter heißt es, dass Frauen es nie »zu einer einzigen wirklich großen, ächten und originellen Leistung in den schönen Künsten haben bringen, überhaupt nie irgend 6 7 8 9 10 11

Ebd., S. 63. Karl, 2016, S. 71. Ebd., S. 55f. Schopenhauer, Arthur: Parerga und Paralipomena: Kleine philosophische Schriften von Arthur Schopenhauer, Bd. 2, Zürich [1851] 2006, S. 527. Ebd., S. 529f. Ebd., S. 532.

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ein Werk von bleibendem Werth haben in die Welt setzen können.«12 Somit spricht Schopenhauer Frauen ausschließlich aufgrund von angeblichen biologischen und charakterlichen Unzulänglichkeiten jede Form der künstlerischen Fähigkeit ab – bewegt sich dabei aber, wie die folgenden Auszüge zeigen, in einem diskursiven (männlich geprägten) Feld. Dies basiert, wie Nanette Salomon ausführt, auf den Schriften Vasaris und bestimmt bis heute die Kunstgeschichte.13 Populärer noch als Schopenhauers Text war das 1903 publizierte Werk »Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung« von Weininger, von dem es in den zehn Jahren nach Erscheinen insgesamt 14 Auflagen gab.14 Schreibt der österreichische Philosoph Frauen im Allgemeinen jegliches Talent15 und auch jede Form von Genialität16 ab, äußert er sich auch dezidiert zur künstlerischen Befähigung der Frau: »Wenn trotzdem so weniger Malerinnen für eine Geschichte der Kunst ernsthaft etwas bedeuten können, so dürfte es an den inneren Bedingungen gebrechen. Die weibliche Malerei und Kupferstecherei kann eben für die Frauen nur eine Art eleganterer, luxuriöser Handarbeit bedeuten. Dabei scheint ihnen das sinnliche, körperliche Element der Farbe eher erreichbar als das geistige, formale der Linie; und dies ist ohne Zweifel der Grund, daß zwar einige Malerinnen, aber noch keine Zeichnerin von Ansehen bekannt geworden ist. Die Fähigkeit, einem Chaos Form geben zu können, ist eben die Fä12 13

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Ebd. Nanette Salomon erklärt, der kunsthistorische Kanon basiere auf Vasaris »Le Vite De‹ più eccellenti Architetti, Pittori et Scultori Italiani« (1550), die angeblich erste moderne Darstellung der Geschichte der westeuropäischen Kunst; H.W. Jansons »Die Geschichte der Kunst« (1962) wird daraus abgeleitet, siehe: Salomon, Nanette: Der kunsthistorische Kanon – Unterlassungssünden, in: Kunstgeschichte und Gender. Eine Einführung, Hg. Anja Zimmermann, Berlin 2006, S. 37f. Weiter führt sie aus, Vasari nannte zwar einige Malerinnen, indem er aber gönnerhafte und erniedrigende Begriffe wählte, um ihre Kunst zu beschreiben, habe er den Ausschluss der Frauen ebenso gefördert, siehe: ebd., S. 40f. Siehe dazu auch: Christadler, Maike: Natur des Genies und Weiblichkeit der Natur. Zur Rekonstruktion moderner Mythen in Künstler-Viten der frühen Neuzeit, in: Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit im 20. Jahrhundert, 1997. Hofmann, Werner: Abschied vom Bürgertum. Essays und Reden, Frankfurt a.M. 1970, S. 7. Weininger, Otto: Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung, London [1909 bzw. 1903] 2016, S. 131. Ebd., S. 132.

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higkeit des Menschen, dem die allgemeinste Apperzeption das allgemeinste Gedächtnis verschafft, sie ist die Eigenschaft des männlichen Genies.«17 Das Zitat verdeutlicht nicht nur die hierarchische Kategorisierung von niederer, meist kunstgewerblicher Frauen- und höherer Männerkunst, sondern streift auch die Debatte um das Verhältnis von Zeichnung (bzw. Linie) und Farbe – wobei es letztlich auch um eine hierarchische Relation geht. Betonen schon Giorgio Vasari und Charles Le Brun die Bedeutung der Zeichnung und ihre Überlegenheit gegenüber der Farbe, aus dem sich der Streit zwischen Poussinisten und Rubenisten entwickelt, beharrt Blanc noch im 19. Jahrhundert auf dem Vorrang der Zeichnung vor der Farbe.18 Behauptet Weininger nun, Frauen seien der Linie nicht fähig bzw. es gäbe keine gute Zeichnerin, so bedeutet das – vorausgesetzt man folgt dem Verständnis Zeichnung vor Farbe –, dass Frauen niemals zur hohen Kunst in der Lage sein können. Folglich erklärt sich auch die kausale Verknüpfung zwischen der Zeichnung und dem männlichen und der Farbe und dem weiblichen Geschlecht. Blanc erklärt: »Le dessin est le sexe masculin de l’art; la couleur en est le sexe féminin.«19 Die Diskussion um (männliche) Zeichnung und (weibliche) Farbe gipfelt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Diskussion um den Impressionismus – ein zentraler Aspekt, auf den später dezidiert eingegangen wird. Die direkte Verzahnung zwischen Philosophen und Kunstkritikern wird bereits durch die beiden exemplarisch vorgestellten philosophischen Positionen deutlich, deren Wesensanalyse der Frau jeweils den Aspekt der künstlerischen oder kreativen Fähigkeiten beinhaltet und der durch die Kunstgeschichtsschreibung sowie die Kunstkritik weitergetragen wird.20 So trägt das 17 18

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Ebd., S. 153. Blanc, 1976, 21ff. Max Imdahl fasst die Entwicklung und den Verlauf der Debatte zusammen: Imdahl, Max: Farbe. Kunsttheoretische Reflexionen in Frankreich, erschienen in der Reihe »Bild und Text«, Hg. Gottfried Boehm/Karlheinz Stierle, München [1987] 2003. Siehe hier im Besonderen Kapitel 1, 2 und 5. Siehe auch: Kendall, Richard (Hg.): Cézanne & Poussin. A Symposium, Sheffield 1993. Blanc, 1876, S. 21. Die hier im Folgenden aufgeführten Positionen männlicher Autoren müssen lediglich als Spitze eines immensen Eisberges betrachtet werden, da es unzählige weitere vergleichbare Äußerungen von Autoren, Kritikern, auch Künstlern, Medizinern und weiteren gibt. Die hier vorgestellte, recht überschaubare Auswahl versteht sich daher als exemplarisch für weit verbreitete und immer wieder artikulierte Argumente, die sich im Kern ihrer Aussage stets sehr ähnlich sind. Whitney Chadwick listet eine ganze Reihe dieser Autoren auf, siehe: Chadwick, Whitney: Frauen, Kunst und Gesellschaft, Berlin/München 2013. Hofmann hält diesbezüglich fest: »Solche Bekundungen stehen in

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Fach selbst von Beginn an, wie Carola Muyers anschaulich darlegt, zu einem Ausschluss der Frauen bei. Wilhelm Lübke, neben Ernst Karl Guhl der erste Lehrstuhlinhaber des Faches Kunstgeschichte, drückt bereits 1862 aus, dass kunsttätige Frauen von Natur aus nur begrenzte Leistungen erbringen könnten.21 Erfolgreiche Künstlerinnen der Vergangenheit wie Vigée-Lebrun, Kauffmann oder Gentileschi seien nur aufgrund eines allgemein niedrigen Kunstniveaus denkbar gewesen. Nochlin weist als erste auf die systematischen Ausschlussmechanismen der Institutionen hin, die letztlich zu einer symptomatischen Abwesenheit der Malerinnen in der Kunstgeschichte führen – auch darauf wird an gegebener Stelle zurückgekommen. Der bekannte deutsche Kunstkritiker und Publizist Scheffler verfasste 1908 die Schrift »Die Frau und die Kunst. Eine Studie« und rekurriert darin immer wieder auf die Thesen der philosophischen Autoren. Der Zusatz »Eine Studie« (wie auch Weiningers Zusatz »Eine prinzipielle Untersuchung«) verspricht hier wohlgemerkt ein gewisses Maß an Wissenschaftlichkeit oder empirischer Forschung – leider zu Unrecht, denn wie auch Weininger gründet Scheffler seine Überlegungen einzig auf subjektiven Beobachtungen, nicht auf quantifizierbare Parameter. Bei seinen Zeitgenossen stößt Scheffler überdies nicht auf bedingungslosen Zuspruch.22 Scheffler attestiert in seiner Schrift, dass die Frau als schöpferische Gestalterin nicht mit dem Manne vergleichbar sei23 und dass man sie kaum eine »produzierende Künstlerin« nennen könne.24 Folgender Ausspruch macht sein Verständnis von Frauenkunst deutlich: »Da die Frau also original nicht sein kann, so bleibt ihr nur, sich der Männerkunst anzuschließen. Sie ist die Imitatorin par excellence, die Anempfinderin, die die männliche Kunstform sentimentalisiert und verkleinert, die, nach Goethes Wort, ›keiner Idee fähig ist‹ und ›das Wissen und die Erfahrung des Mannes als ein Fertiges nimmt und sich damit schmückt‹. Sie ist die gebo-

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einer langen Reihe männlicher Bekenntnisse zur männlich regierten Welt – Bekenntnisse, die von Schopenhauer über Wilhelm Heinrich Riehl und Nietzsche bis hinab zu Alfred Rosenberg reichen und die im übrigen tief in unserer christlichen Tradition verwurzelt sind.«, siehe: Hofmann, 1970, S. 7. Muysers, Carola: Institution und Geschlecht: Die Kunstgeschichte der Künstlerin als Theoriebildung, in: Kunstgeschichte und Gender, 2006, S. 182. Muysers, 1999, S. 22. Scheffler, 1908, S. 39. Ebd., S. 64.

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rene Dilettantin. Denn am wenigsten gelingt ihr die Schöpfung der Form, worin die eigentliche Schwierigkeit und der Wert des Kunstwerkes liegt.«25 Von besonderer Signifikanz ist hierbei der Aspekt der Imitation bzw. der Nachahmung, der auch schon durch Schopenhauer thematisiert wurde. Scheffler behauptet in dem Auszug, dass Frauen einer eigenen schöpferischen Idee nicht fähig sind, sie, wenn sie sich künstlerisch betätigen, also stets lediglich der Imitation des bereits vorhandenen, der Nachahmung der männlichen Vorbilder in der Lage sind. Ferner impliziert Scheffler die mutwillige, wenn nicht gar kriminelle Intention der Frauen – die wiederum ebenfalls an Schopenhauer erinnern mag –, sich mit den künstlerischen Leistungen des Mannes zu schmücken, also Ideen wissentlich zu stehlen und als die eigenen auszugeben (Plagiat). Die abschließende Phrase, Frauen gelinge am wenigsten die Schöpfung der Form, ist nicht nur Weiningers These zur Unfähigkeit der Frau zur Zeichnung entlehnt, sondern dient auch als Basis für Schefflers generalisierte Vorverurteilung, wonach jegliche Kunst von Frauen ohne Ausnahme stets nur als minderwertig bewertet werden kann. »Vor Bildern von Berthe Morizot, der Verwandten Manets, erstaunt man nur, wie sehr diese Frau sich die Methode ihres einzigen Anregers zu eigen machen konnte; die Bilder Alice Trübners erwecken vor allem Vergnügen, weil sich darin die Malkultur ihres Mannes spiegelt; und die Werke so talentvoller Malerinnen wie Dora Hits und Käthe Kollwitz lassen es schmerzlich fast empfinden, daß eine gewisse Grenze von der Frau niemals überschritten werden kann.«26 Dieser zweite Auszug aus Schefflers Schrift unterstreicht noch einmal den Aspekt der Imitation des Mannes durch die Frau. Die genannten Malerinnen ordnet Scheffler jeweils hinter einem Mann ein – einem Förderer, Vorbild oder Ehemann – und verweigert sich somit jeglicher Möglichkeit, dass diese Malerinnen aus eigenem Antrieb und selbstständig arbeiten. Selbst wenn er in ihren Werken Talent entdecken kann, führt er dieses auf die Vorbildfunktion eines Mannes zurück und setzt dem Können der Frauen damit eine unüberwindbare Grenze, die sich für Scheffler als logische Konsequenz 25 26

Ebd., S. 42. Ebd., S. 78.

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des weiblichen Geschlechts ergibt. Die benachteiligende Behandlung kunstschaffender Ehefrauen, die in dem Zitat anklingt, ließe sich an vielen weiteren Beispielen darlegen. Herausgegriffen sei an dieser Stelle exemplarisch Sonia Delaunay. Kerstin Kolter konstatiert: »Ihr wird bis heute nicht der Stellenwert eingeräumt, den z.B. ihr Mann in Kunstgeschichte und -betrieb einnimmt.«27 Nicht nur gäbe es weniger Ausstellungen, in denen Sonia Delaunay vertreten sei, auch sei sie in Ausstellungskatalogen weniger präsent als ihr Mann Robert Delaunay und es seien weniger kunsthistorische Texte und Monografien über sie erschienen. Darüber hinaus stehe sie in gemeinsamen Ausstellungen mit ihrem Mann stets in seinem Schatten. Kritisch resümierend fasst Kolter zusammen: »Er wird mit seiner Kunst als Überlegener, als Nachvorn-Strebender, kämpferisch und uneingeschränkt Agierender charakterisiert – sie ist bestenfalls die Nachahmerin, was auch ausdrücklich verbalisiert wird.«28 Zwar wird Frauen auch historisch ein grundsätzliches gestalterisches Talent nicht gänzlich abgesprochen, es sind jedoch ausschließlich die in der Hierarchie der Künste als weniger wertig betrachteten Künste, die der Frau zugestanden werden. Kolter bezeichnet diese als sogenannte »Frauengenres«, also Kunst, die zunehmend mit dem weiblichen Geschlecht identifiziert wurde, wie Blumenmalerei29 , Stickerei, Hand- und Hausarbeiten und natürlich das Kunsthandwerk und Kunstgewerbe.30 Gleichermaßen gehört es zum guten Ton des 18. und 19. Jahrhunderts, dass sich die Töchter einer gutbürgerlichen Familie Tätigkeiten wie dem Musizieren, Zeichnen oder Aquarellieren widmen, als eine Art angesehener Freizeitbeschäftigung.31 Diese ist aber nie dazu bestimmt, Beruf oder gar Berufung zu sein. So bezeichnet man ferner den Großteil der Frauen, die sich mit oder ohne berufliche Ambitionen künstlerisch betätigen, noch im 19. Jahrhundert als Dilettantin.32 Schon die hierar27 28 29

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Kolter, Kerstin: Frauen zwischen »angewandter« und »freier« Kunst. Sonia Delaunay in der Kritik, in: Blick-Wechsel, 1989, S. 204. Ebd., S. 206. War Blumenmalerei noch im Mittelalter ein geschätztes Handwerk, galt sie seit dem späten 18. Jahrhundert als ein gängiges Frauengenre, als belanglos und unbedeutend, siehe: Parker, Rozsika/Pollock, Griselda: Old Mistresses. Women, Art and Ideology, London 1992, S. 54ff. Kolter, 1989, S. 210. Pfeiffer, I., 2008, S. 15. Berger weist ferner darauf hin, dass der Begriff des Dilettantismus einen Bedeutungswandel im 19. Jahrhundert durchlaufen hat. Nicht länger gilt die ursprüngliche Bedeutung einer nicht professionellen, nur der eigenen Vorliebe dienenden Beschäftigung;

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chische Einteilung in niedere Frauenkunst und höhere Männerkunst wie auch der Begriff des Dilettantismus’ diktiert den unterlegenen, künstlerischen Status einer Frau und lässt keinen Zweifel an gesellschaftlich konstruierten Rollenbildern und Zuweisungen, die den Geschlechtern unterliegen, wie auch das folgende Beispiel belegt. Der österreichische Kunstkritiker Roessler greift den bei Scheffler erstarkten Aspekt der imitierenden Frau in dem Aufsatz »Die Frauen und die Kunst« 1914 erneut auf: »Gewiß, die Frau erlernt das Malen und Bildhauern, sie macht sich zu eigen, was immer man durch Klugheit, Fleiß und Geschicklichkeit sich zu eigen machen kann, sie verfeinert mancherlei von dem Übernommenen, sie übertrifft manchen Mann, aber sie übertrifft niemals ihr unmittelbares männliches Vorbild. Denn sie hat immer ein Vorbild, immer einen Mann, von dem sie entlehnt. Und was sie auch malen, modellieren, komponieren mag, es ist immer eine dem Manne nachgeahmte Geste!«33 Frauenkunst ist demnach nie eine eigenständige Schöpfung, nie ein kreativer Akt von Genialität, sondern stets die Nachahmung, die Kopie der Männerkunst aus Gründen der eigenen Unfähigkeit. Roessler weist außerdem auf die Unterscheidung zwischen weiblicher und männlicher Kunst hin (man denke an Kolters ›Frauengenres‹), indem er konstatierte: »[…] schätzt der Mann sie nur dann als Künstlerin wert, wenn es sich um die besonders weiblichen Künste des Gesangs, Tanzes, Schauspiels und Schmückens handelt, die den Frauen – wenn es so zu sagen erlaubt ist – gleichsam natürlich sind.«34 ›Schmücken‹ deutet hier einerseits auf das Schmücken des Heims, auch auf das Schmücken von Stoffen und Objekten im Rahmen einer kunsthandwerklichen Tätigkeit, andererseits auf das Schmücken der Frau selbst, durch besondere Kleider und Schmuck, die als Zierde und Unterstreichung ihrer Erscheinung dienen. Damit gerät die Frau selbst zu einem Objekt, das sich für die Augen des Mannes herrichten soll. Die Betonung des ›gleichsam natürlichen‹ Verhaltens einer Frau, erklärt jedes andere Verhalten als unnatürlich

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Frauen werden unterschiedslos als Dilettantin bezeichnet, ob ihre künstlerische Arbeit nun professionellen Bestrebungen unterlag oder nicht, siehe: Berger, 1982, S. 58. Roessler, Arthur: Die Frauen und die Kunst, in: Stickerei-Zeitung und Spitzen-Revue 1914, S. 181. Ebd., S. 178.

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und damit als falsch und legitimiert damit im gleichen Zuge einen ›Normalzustand‹. An den vorgebrachten Textstellen lässt sich erkennen, dass die von Philosophen hervorgebrachten Argumente gegen Kunst von Frauen, die Beschreibungen ihres angeblichen künstlerischen Unvermögens über die Jahrhundertwende und somit auch über eine Generation von Autoren hinweg von Kunstkritikern adaptiert und wieder und wieder reproduziert werden – ohne dabei diese Argumente erneut zu überprüfen bzw. diese kritisch zu reflektieren. Dabei ist gerade die Generalisierung innerhalb der Charakterisierung des weiblichen Geschlechts der zentrale Verbindungsknoten zwischen philosophischen und kunstkritischen Schriften, die wiederum zur schablonenhaften Beschreibung des weiblichen »Wesens« führt. Individuelle charakterliche Ausprägungen oder Fähigkeiten werden dabei schlicht übergangen, ›Frau‹ wird vereinheitlicht und in einer Verallgemeinerung beurteilt, Individualität und Subjektivität wird ihr dabei abgesprochen, wodurch wiederum gesellschaftliche Mitbestimmung im Kern erstickt wird. Ähnliche Generalisierungen sind bereits aus der Antike bekannt, wo schön stets auch gut bedeutete (Kalokagathia). Aus der Betrachtung der Körperhülle wurden wirkmächtige Schlussfolgerungen bezüglich Charakter und Moral gezogen. So begreift schon Platon körperliche Schönheit als sichtbaren Beweis für geistige Schönheit.35 »Wer schön ist, ist lieb, wer nicht schön ist, ist nicht lieb,« hält Eco basierend auf diesen griechischen Schönheitsidealen fest.36 Vergleichbare Bewertungen finden sich zum Beispiel auch im Bereich des künstlerischen Primitivismus’ im 19. Jahrhundert und in der Klassischen Moderne. Dieser orientiert sich beispielsweise an der Kunst der sogenannten »Naturvölker«, die zur damaligen Zeit als »primitiv« vereinfacht und in ihren Ausdrücken der europäischen Hochkultur mit ihrer kulturspezifischen Definition von Schönheit als unterlegen gilt. Vergleichbar ist dies auch mit den im 18. Jahrhundert populär werdenden Studien zur Physiognomie, die von Philosophen wie z.B. Johann Caspar Lavater (»Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe«, 1775-78) durchgeführt werden. Physiognomische Erscheinungen an Kopf oder Gesicht werden in diesen als Marker für charakter35 36

Etcoff, Nancy: Nur die Schönsten überleben. Die Ästhetik des Menschen, Kreuzlingen u.a. 2001, S. 50. Eco, Umberto.: Die Geschichte der Schönheit, München u.a. 2004, S. 37.

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liche Verhaltensmuster interpretiert,37 was letztlich in rassistischen Beurteilungen mündet (z.B. im Nationalsozialismus). Dieses Schubladendenken widerspricht allerdings dem Kerngedanken des im 18. Jahrhundert aufkommenden Geniekonzeptes, was als Grundlage der mit der Aufklärung ausgerufenen Definition eines Künstlers gilt. Denn dort wird ausdrücklich von einer individuellen Befähigung ausgegangen (siehe Kapitel 1), wie die Äußerung Youngs aus dem Jahre 1759 impliziert: »An Original may be said to be of vegetable nature, it rises spontaneously from the vital root of a Genius; it grows, it is not made.«38 Das Genie ist also nicht generell dem Manne vorbehalten, nicht jeder Mann ist gleichsam Genie, sondern das Genie erwächst ohne nachvollziehbares Muster bei einzelnen Individuen – denen übrigens bei Young kein spezifisches Geschlecht zugrunde gelegt wird. Offenbart das Werk einer Malerin künstlerische Auseinandersetzung oder Aneignung fremder Motive oder Stile – wie die interpikturalen Werke im Falle Funkes –, scheint dies also nur die Bestätigung dessen, was ohnehin als gegeben gilt: Ohne eigene Schaffenskraft ist die Frau lediglich zur Kopie der Kunst der Männer in der Lage – eine Deutung, an der Scheffler und Roessler keinen Zweifel lassen.39 Wird dem Mann so per se durch einen männlich dominierten Diskurs die Fähigkeit zum Kunstschaffen zugesprochen, wird sie der Frau aufgrund nicht belegbarer, biologischer Gründe generalisiert abgesprochen und so jegliche Kunst von Frauen diskreditiert. Die Kritik an interpikturaler Kunst potenziert sich so entscheidend um den Faktor des Geschlechts und die damit verbundene Absage an weibliche Originalität, Genialität und schöpferische Schaffenskraft. Wurde Künstlern das Aufgreifen fremder Vorlagen, wie der Fall Manet belegt, positiv zu einem 37

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Im 19. Jahrhundert beschreibt der Arzt Cesare Lombroso in Anlehnung an Lavater in seinem Werk »Der Verbrecher« (1876) den direkten Zusammenhang zwischen Physiognomie und kriminellem Verhalten. Auch Künstler greifen diese Thematik auf, wie beispielsweise Edgar Degas, der 1881 mehrere Werke ausstellt, die namhafte Pariser Verbrecher zeigen. So wird auch Degas’ »Kleine vierzehnjährige Tänzerin« (1880/81), die einzige Plastik, die Degas je zu Lebzeiten zeigte, als häßlich und als potenzielle Verbrecherin tituliert und fällt bei den Kritikern durch, siehe: Pinegeot, Anne: Rodin 1840-1917 und Degas (Bildhauer) 1834-1917. Umgang mit der Kunstkritik, in: Degas – Rodin, Ausstellungskat., 2016, S. 263-283. Young, [1759] 1966, S. 12. Diese Vorverurteilung einer mangelnden weiblichen künstlerischen Fähigkeit beschränkt sich nicht nur auf den Bereich der Bildenden Kunst; die gleiche Argumentationsmuster bezüglich weiblicher Kreativität finden sich auch in anderen Künsten, wie der Musik, der Literatur oder dem Theater.

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produktiven Wettstreit mit den Alten Meistern umgedeutet, wird die interpikturale Arbeit bei Künstlerinnen wie Helene Funke als ein grundsätzlicher künstlerischer Mangel empfunden, der nicht in Bezug zur tatsächlichen Befähigung stand, sondern einzig in Bezug auf angebliche biologische Unzulänglichkeiten angebracht wurde. Frauen, die anders als Männer nicht zum Genie40 geboren seien und dies auch nicht durch Fleiß und Arbeit erreichen, könnten so nie im gleichen Maße künstlerisch tätig werden. Weibliche Interpikturalität kann demnach (zumindest von männlichen Kunstkritikern und Philosophen des 19. Jahrhunderts) nur als Zeichen für einen künstlerischen Mangel, nicht als Ausdruck origineller Schöpfung verstanden werden. Heute kann und muss diese Bewertung revidiert werden, da geschlechtsspezifische Stereotype längst entlarvt und (weitestgehend) korrigiert wurden. So kann die Interpikturalität Funkes mit aktualisiertem Blick heute als eine emanzipatorische Geste gedeutet werden, die sich im vollen Bewusstsein der verbreiteten Auffassung einer minderwertigen künstlerischen Leistung von Frauen, die ihre Minderwertigkeit im Zuge der Aneignung nur erfüllt, einer Methode bemächtigt, die eben genau das forciert, was Autoren wie Scheffler Frauen vorhalten. Die Aneignung und interpikturale Verarbeitung fremder Bildmotive ist vor diesem Hintergrund nicht nur eine Methode der Bildfindung, sondern ein emanzipatorischer Habitus, der das Vorurteil der ›Anempfinderin‹ aufruft und zugleich bewusst übersteigert. Diese Haltung kann als ein künstlerischer Beitrag zur Frauenrechtsbewegung verstanden werden, der sich gleichermaßen für weibliche Selbstbestimmung, institutionelle Gleichberechtigung, weibliche Individualität und Subjektbestimmtheit einsetzt, dies aber einzig mit den Mitteln der Malerei ausdrückt.

Feministische Kunstgeschichte und institutionelle Rahmenbedingungen Markiert die Frauenrechtsbewegung im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert eine erste Welle der weiblichen Emanzipation und des Auf40

Bereits im Laufe des 20. Jahrhunderts kann man eine Veränderung innerhalb der Verwendung des Geniebegriffs erkennen, der nun auch Frauen zugestanden wird und bis zur Jahrtausendwende immer selbstverständlicher beide Geschlechter beschreibt, wie Kristevas Auseinandersetzung mit Hannah Arendt beweist, siehe: Kristeva, Julia: Das weibliche Genie. Hannah Arendt, Hamburg 2001.

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begehrens gegen bestehende Strukturen, die jedoch durch die beiden Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unterbrochen wird,41 erfolgt die zweite und umso stärkere Welle Ende der 1960er Jahre. Die »neue« Frauenbewegung ist Teil der Bürgerrechts- und Protestbewegung, versteht sich aber gemäß Ute Gerhard als »neu« und auch als »autonom«, weil sie sich bewusst von »der etablierten, traditionellen und zahm gewordenen Politik der Frauenverbände« absetze und neben Gleichberechtigung und Partizipation auch auf die Veränderung der Gesellschaft und auf eine andere Form der Politik und politischen Teilhabe abziele.42 Der Begriff des Feminismus wird hier gebräuchlich, der in Gegenüberstellung und Kritik an der etablierten Frauenpolitik verwendet wird.43 Die Geschlechterfrage rückt zugleich auch in den Diskurs kunsthistorischer Forschungen; feministische Fragestellungen bzw. eine feministische Kunstgeschichte entstehen in enger Verbindung zur einsetzenden »neuen« Frauenbewegung.44 Dabei drehen sich die zentralen Fragen darum, »wie in und über Bilder, in und über Kunstgeschichte und deren Institutionen Macht- und Herrschaftsverhältnisse hergestellt und stabilisiert werden, in denen all das, was als nicht-männlich gilt, untergeordnet und ausgegrenzt wird.«45 Mit dem ersten Kunsthistorikerinnen-Tag 1982 in Marburg ist ein erster Höhepunkt erreicht. Dieser »FrauenKunstGeschichte« kam es im Besonderen darauf an, so Kathrin Hoffmann-Curtius, »[…] das bisher von den Männern verschwiegene und Verdrängte offenzulegen, stereotype Frauenbilder und ihre pauschalierende Verurteilung oder Verklärung erst einmal aufzuzeigen und die künstlerische Tätigkeit der vielen vergessenen Frauen zu erforschen […]«46 . Dabei würde eine bloße Ergänzung von Künstlerinnen in der Geschichtsschreibung aber nicht ausreichen, erklärt Wenk, sondern es müsse untersucht werden, wie die Zentrierung auf männliche Künstler immer wieder neu geschehe und wie diese gestört werden könne.47 Denn die Marginalisierung der Frauen, so Wenk, sei auf strukturelle Gründe, 41

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Gerade die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sind mit Blick auf die Stellung der Frau als repressiv und restaurativ zu bezeichnen, siehe: Gerhard, Ute: Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789, 2. Aufl., München 2012, S. 107. Ebd., S. 110. Ebd. Frübis, 2010, S. 87. Lindner, Ines/Schade, Sigrid/Wenk, Silke u.a.: Vorwort, in: Blick-Wechsel, 1989, S. 11. Hoffmann-Curtius, 1991, S. 10. Wenk, 1997, S. 12.

II. Die Marginalisierung von Frauen in der Kunst

die mit der Definition von Kunst und Künstler als männlich verbunden seien, zurückzuführen – wie sich am Beispiel zahlreicher Künstlerinnen wie auch Helene Funke belegen lässt. Die Position Funkes ist dabei besonders interessant, weil sie durch gezieltes Rückgreifen und Einbinden männlicher Vorlagen die Dominanz der männlichen Künstler (der Künstler, der traditionell stets als männlich gedacht wird!) aufzeigt und mit den Mitteln der Nachahmung das soziale Rollenmodell in der Kunst kritisch reflektiert. Trotz drängender Bemühungen vornehmlich weiblicher Kunsthistorikerinnen, eine feministische Fragestellung im Fach zu etablieren, hält Hildegard Frübis fest, dass feministische Forschung in den 1970er und 80er Jahren fast ausschließlich außerhalb der Institution oder an den Rändern organisiert worden sei; der Kunsthistorikerinnentag ferner seit 2002 nicht mehr bestünde.48 So sei heute für genderspezifische Fragestellungen erneut der Nachweis einer Existenzberechtigung erforderlich. Und auch Hoffmann-Curtius attestiert mit Blick auf die 1990er Jahre, dass feministische Kunstgeschichte an den Universitäten (auch personell) kaum vertreten sei.49 Trotzdem erkennt Frübis eine fachliche Entwicklung, die zunächst maßgeblich auf Judith Butler und die Etablierung der Gender Studies zurückgehe und als weitere Verzweigung auch die transdisziplinären Queer Studies beinhalte. In der jüngsten kunsthistorischen Frauenforschung sei darüber hinaus eine Erweiterung der Themenstellungen und eine stetig wachsende theoretische Reflexion zu beobachten.50 Doch zurück zu den Anfängen. Gerade in der ersten Phase der feministischen Kunstwissenschaft ist eine Reihe amerikanischer Wissenschaftlerinnen von entscheidender Bedeutung wie Linda Nochlin, Griselda Pollock und Rozsika Parker. »The sex of the artist matters. It conditions the way art is seen and discussed. This is indisputable«51 , rufen Parker/Pollock in ihrem viel beachteten Band »Old Mistresses« (1981) aus. Von noch größerer Bekanntheit ist Nochlins bereits erwähnter Aufsatz »Why Have There Been No Great Women Artists?«, der bereits 1971 erscheint. Das Fehlen von Künstlerinnen, so Anja Zimmermann, war zuvor stets tautologisch begründet worden: Weil es keine 48 49

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Frübis, 2010, S. 87f. Hoffmann-Curtius stellt einen faktischen Vergleich zwischen den Jahren 1969/70 und 1991 an und betrachtet die Zahlen der weiblichen/männlichen Studenten, Promoventen, habilitierten Hochschullehrern und Assistenten; sie blickt auch ins Museum und in den Bereich der Denkmalpflege. Siehe: Hoffmann-Curtius, 1991, S. 6-13. Frübis, 2010, S. 90. Parker/Pollock, 1992, S. 50.

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qualitätsvollen Arbeiten von Künstlerinnen gäbe, tauchten sie in der Kunstgeschichte nicht auf, und weil die Kunstgeschichte keine Arbeiten von Künstlerinnen aufführe, sei dies ein Zeichen minderer Qualität.52 Nochlin zeigt nun, dass die Gründe für das Fehlen von Künstlerinnen in der Kunstgeschichte einzig auf institutioneller Ebene zu finden sind. Dabei verweist sie auf den Ausschluss der Frauen von der akademischen Ausbildung und im Besondern der Aktklasse. »In der Tat wurde es Frauen von institutioneller Seite her unmöglich gemacht, auf der gleichen Basis wie Männer besondere künstlerische Leistungen oder auch Erfolge zu erzielen, unabhängig davon, wie es um das sogenannte Talent oder Genie bestellt war.«53 Nochlin zeige so gemäß Ingrid Pfeiffer, dass »Größe« und »Genialität« Mythen seien, vor allem aber sozial und kulturell geprägte Begriffe und somit keine objektiven Maßstäbe.54 Im 19. Jahrhundert, das durchgängig von männlichen Kritikern, Juroren sowie Kunsthändlern und Sammlern dominiert wird,55 ist es aber eine verbreitete und unanfechtbare Vorstellung, dass ausschließlich Männer des Genies fähig sind, ›weibliches Genie‹ ist nicht mehr als eine utopische Fantasie.56 Tamar Garb erklärt: »Both these critics were prepared to use the concept of le génie féminin, but whereas for the man it connotated a known set of properties linked to accepted notions of behaviour which were biologically and socially determined, for the woman it was an unknown quality, a fantasy of a femininity fulfilled and free.«57 Nochlin war die erste, so Muyers, die die Künstlerinnenfrage aus dem biologischen Kontext befreit und deren ideologische Verflechtungen transparent gemacht habe.58 Sie fordere dabei ein ›anderes‹ Institutionendenken, das die ideologischen Determinanten hinter dem biologischen Diskurs offen legen würde. Auch wenn es in der Geschichte der Bildenden Künste in der Tat weniger Künstlerinnen als Künstler gegeben hat und gibt und dies durch Nochlins Ausführungen hinreichend institutionell begründet wird, haben trotz dieser 52 53

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Zimmermann, Anja: Einführung: Gender als Kategorie kunsthistorischer Forschung, in: Kunstgeschichte und Gender, 2006, S. 9. Nochlin, Linda: Warum hat es keine bedeutenden Künstlerinnen gegeben? [Why have there been no great female artists? 1971], in: Rahmenwechsel. Kunstgeschichte als feministische Kulturwissenschaft, Hg. Beate Söntgen, Berlin 1996, S. 56. Pfeiffer, I., 2008, S. 13. Ebd., S. 12. Garb, 1994, S. 105. Ebd. Muysers, 2006, S. 185.

II. Die Marginalisierung von Frauen in der Kunst

Restriktionen dennoch stets Künstlerinnen existiert.59 Künstlerinnen hatten allerdings einen anderen Stellenwert als Künstler: »Women artists are not outside history or culture but occupy and speak from a different position and place within.«60 Mit dem Aufkommen der Akademien im 17. und 18. Jahrhundert verändert sich auch, wie Parker und Pollock aufzeigen, der Status des Künstlers und der Künstlerin. Die akademische Ausbildung sorgt für eine zunehmende Professionalisierung, die zu einem Synonym für ›Berufswürdigkeit‹ wird,61 und durch den systematischen Ausschluss des weiblichen Geschlechts nur dem Mann vorbehalten ist.62 Mehr noch, weibliche Professionalisierung wurde laut Garb als eine Missachtung der zugedachten Frauenrolle verstanden, die eines ›dekorativen Objektes‹.63 So ist es auch als Symptom einer frauendiskriminierenden Männerkunstwelt zu verstehen, dass Frauen bis ins 20. Jahrhundert hinein stets mit ihrem Vornamen genannt werden, z.B. bei Ausstellungen oder in Besprechungen, wie Pfeiffer erklärt.64 Dadurch sei eine unvoreingenommene und neutrale Haltung des Kritikers kaum möglich – eine Praxis, die im Übrigen in Frankreich bis heute Bestand hat. Wenngleich das Berufsbild der Bildenden Künstlerin seinen Ausgang bereits in der Renaissance nimmt,65 beginnt eine organisierte Berufsgeschich59

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Parker/Pollock, 1992, S. 80. Siehe dazu auch Chadwick, die als prominente Beispiele u.a. Marietta Robusti, die Tochter Tintorettos, die niederländische Malerin Judith Leyster, die im 17. Jahrhundert lebte, die in der italienischen Renaissance wirkende Bildhauerin Properzia de‹ Rossi und viele weitere nennt, siehe: Chadwick, 2013. Die heute als bahnbrechend geltende Ausstellung »Women Artists: 1550-1950« von 1979, kuratiert von Ann Sutherland Harris und Linda Nochlin, sowie der gleichnamige Katalog präsentiert als eine der ersten Übersichts-Ausstellungen dieser Art eine Reihe herausragender Künstlerinnen – ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit zu stellen. Nochlin und Sutherland Harris fragen in diesem Zusammenhang u.a., warum erst Ende der Renaissance Malerinnen zu Ruhm kamen und warum keine Malerin den gleichen historischen Status wie bsp. Giotto erlangen konnte? Siehe: Nochlin, Linda/Sutherland Harris, Ann (Hg.): Women Artists: 1550-1950, Ausstellungskat.: Los Angeles County Museum of Art, 1976, New York 1976, S. 13. Parker/Pollock, 1992, S. 80f. Muysers, Carola: Warum gab es berühmte Künstlerinnen? Erfolge bildender Künstlerinnen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Profession ohne Tradition. 125 Jahre Verein der Berliner Künstlerinnen, Hg. Ders., Berlin 1992, S. 24. Parker/Pollock, 1992, S. 87. Garb, 1994, S. 110. Pfeiffer, I., 2008, S. 14. Wie Edith Krull erklärt, gab es in der Renaissance, besonders in Italien, weitaus mehr Künstlerinnen als bislang angenommen und selbst im Mittelalter müsse man von ei-

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te der Künstlerinnen zeitlich verzögert erst im 19. Jahrhundert mit den ersten Zusammenschlüssen auf berufsgenossenschaftlicher Ebene (in Deutschland z.B. der »Verein der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen zu Berlin«, gegründet 1867) und öffentlichen Ausbildungsmöglichkeiten.66 Trotz späterer und im 19. Jahrhundert noch stark eingeschränkter Ausbildungs- und damit Professionalisierungsmöglichkeiten der Frauen, attestiert Rachel Mader, dass Künstlerinnen durchaus ein mit den Künstlern vergleichbares Fachwissen aufweisen konnten.67 Die Einrichtung erster Künstlerinnen-Vereine sowie verbesserte Ausbildungsmöglichkeiten müssen so auch als erste Schritte zur Anerkennung der Künstlerinnen erachtet werden, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu beobachten sind.68 Gleichzeitig, so Edith Krull, setzt im 19. Jahrhundert eine Abwertung weiblicher Kunsttätigkeit ein,69 die – wie bereits gezeigt – auf überholten Vorstellungen von Weiblichkeit und einem systematischen Antifeminismus basiert. Nur wenige Kunstkritiker und Theoretiker beweisen eine unvoreingenommene Betrachtung weiblichen Kunstschaffens, wie beispielsweise Ludwig Pietsch im Jahr 1879: »Begabte Frauen zumal in Deutschland, England und Frankreich haben in den letzten dreißig Jahren den Beweis geführt, wie unwahr, wie nur einem althergebrachten Vorurtheil entstammend, jene Ansicht sei, nach welcher der weibliche Genius in seinem künstlerischen Schaffen unentrinnbar in die Grenzen des Dilettantismus gebannt wäre.«70 Diese Aussage belegt nicht nur ein mutiges Umdenken und eine Neubewertung altbewährter Vorstellungen von Weiblichkeit, die auf nichts anderem als Stereotypen basiert, sie zeigt auch eine reflexive Auseinandersetzung mit gängigen und zu diesem Zeitpunkt noch aktuellen Vorverurteilungen. Leider ist dies eine argumentative Ausnahme, deren Inhalt erst in den folgenden Jahrzehnten nach und nach Akzeptanz finden wird.

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nem weiblichen Kunstschaffen (z.B. in Nonnenklöstern und an Fürstenhöfen) ausgehen. Siehe: Krull, Edith: Kunst von Frauen. Das Berufsbild der Bildenden Künstlerinnen in vier Jahrhunderten, Frankfurt a.M. 1984, S. 10f. Muysers, 1992, S. 21. Mader, Rachel: Beruf Künstlerin. Strategien, Konstruktionen und Kategorien am Beispiel Paris 1870-1900, Berlin 2009, S. 36. Muysers, 1992, S. 22. Krull, 1984, S. 12. Pietsch, Ludwig: Deutsche Malerinnen der Gegenwart, in: Illustrierte Frauenzeitung, 1879, S. 396-398, zit.n. Muysers, 1992, S. 22.

II. Die Marginalisierung von Frauen in der Kunst

Die Frage: ›Warum hat es keine bedeutenden Künstlerinnen gegeben?‹ lässt sich also erweitern mit: Warum sind heute keine (oder so wenige) bedeutende Künstlerinnen bekannt? Whitney Chadwick stellt klar, dass die Beiträge von Frauen unter denen der Männer subsumiert worden seien, weil die Kunstgeschichte durch das grundsätzliche Absprechen eines weiblichen Künstlergenies ausschließlich dem Beleg des männlichen Genius verpflichtet sei.71 So galt zum Beispiel Blumenmalerei als Inbegriff weiblicher Kunst, denn diese verlangte eben keinerlei künstlerisches Genie, wie Parker und Pollock darlegen.72 Es zeigt sich also, dass schon die den Frauen zugeschriebenen Gattungen einer Rhetorik der männlichen Hegemonie entsprechen, wonach das Künstlergenie ein männliches Phänomen und auch männlich konstruiert ist. Die Definition vom männlichen Künstlergenie definiert also parallel dazu auch die dem Künstler unterlegenen Fähigkeiten der Künstlerin.73 So schreiben auch Parker/Pollock: »The concept of ›Woman‹ […] is not based upon biology or psychology, but is rather a structured social category – a set of roles prescribed for women, ideologically sustained and perpetuated by being presented as descriptions of women.«74 Chadwick erklärt außerdem, dass auch der Kunstmarkt der Zuschreibung ›namhafter‹ – also männlicher – Künstler verpflichtet sei.75 Künstlerischen Produkten von Frauen werde im Umkehrschluss stets eine geringere Qualität und somit auch ein geringerer Geldwert zugeschrieben. Kolter führt deshalb an, dass die Kunstgeschichtsschreibung und -kritik entscheidend beteiligt sei an der Bildung und Verbreitung »allgemeine[r] Bewertungsmuster und -strukturen, wie und was Frauen und Kunst von Frauen zu sein hat«.76 Die Vorverurteilung der Künstlerinnen durch männliche Kritiker beschreibt auch Jean-Luc Bordeaux wie folgt: »[…] that woman’s art had never been seen in its proper context, had generally been analyzed by prejudiced male critics and had always been approached in terms of its gender.«77 Führe das Absprechen weiblicher Schöpferkraft auch zu nachträglichen Fehlzuschreibungen – gelungene Werke von Künstlerinnen seien Künstlern 71 72 73 74 75 76 77

Chadwick, 2013, S. 20. Parker/Pollock, 1992, S. 54. Ebd., S. 83. Ebd., S. 112. Chadwick, 2013, S. 17. Kolter, 1989, S. 203. Bordeaux, Jean-Luc: A Historical Rescue of Women Painters, in: Art international 21 (1977), S. 46.

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zugesprochen worden – trügen diese falschen Zuschreibungen heute auch zu der Annahme bei, dass Frauen weniger produktiv seien als Männer.78 Die Abwertung und Missachtung weiblicher Kunst bzw. der Ausschluss der Künstlerinnen aus dem kunsthistorischen Diskurs ist folglich ein systeminternes Problem, welches auf kunstbetrieblichen Gegebenheiten, sozialen Mechanismen und männlich geprägten Rhetoriken beruht. Anders als Nochlin erklärt Mader, es sei aber nicht primär der institutionelle Ausschluss, der zu einer Herabsetzung der weiblichen Kunst geführt hat, sondern es seien die diskursiven Strukturen, innerhalb derer das professionelle Gebaren und Selbstverständnis von Künstlerinnen nicht anerkannt werde.79 Betrachtet man Nochlin und Mader nicht in Opposition, sondern bringt beide Positionen in Einklang, zeigt sich, dass es gerade das Zusammenwirken von Institutionen, dem Kunstbetrieb und dem kunsthistorischen Diskurs (der zum Teil als retrospektives Instrument agiert) ist, das eine kontinuierliche Marginalisierung der Künstlerinnen forciert.

Der Impressionismus ist weiblich! Wurden im ersten Teil des Kapitels Texte von Philosophen und Kunstkritikern vorgestellt, die ein einseitig negatives und generalisiertes Bild von der »weiblichen Unfähigkeit«, im Besonderen im Bereich der Kunst, zeichneten, sei hiermit darauf hingewiesen, dass es zeitgleich durchaus auch positiv zu bewertende Literatur gab, in der zumindest einige wenige Künstlerinnen in der Kunstgeschichtsschreibung aufgenommen und teilweise auch lobend besprochen wurden. Wenngleich dennoch die Mehrzahl der Malerinnen gar nicht oder nur nebenbei erwähnt wird, wie Pfeiffer erklärt,80 entstehen um 1900 doch erstmals Publikationen, die sich dezidiert auch ausgewählten Künstlerinnen widmen.81 Das Registrieren von Malerinnen ist in besonderem Maße in der Rezeption des Impressionismus Ende des 19. Jahrhunderts zu beobachten; heute seien zumindest die vier Namen Berthe Morisot, Mary Cassatt, Eva 78 79 80 81

Chadwick, 2013, S. 21. Mader, 2009, S. 36. Pfeiffer, I., 2008, S. 12. Pfeiffer nennt hier z.B. »Die bildenden Künstlerinnen der Neuzeit« von Anton Hirsch (1905) und »Women Painters of the World« von Walter Shaw Sparrow (1905), siehe: ebd., S. 13.

II. Die Marginalisierung von Frauen in der Kunst

Gonzalès und Marie Bracquemond in nahezu jedem Überblicksband zum Impressionismus verzeichnet, so dass sich die Rezeption, wie Pfeiffer schreibt, langsam den historischen Tatsachen annähern würde.82 Das soll allerdings nicht bedeuten, dass es bereits eine durchweg gleichberechtigte Betrachtung und Analyse beider Geschlechter im 19. Jahrhundert gebe! Helene Funke – und es gibt unzählige weitere Positionen – ist ein prädestiniertes Exempel für eine Malerin, die in der kunsthistorischen Forschung bislang wenig beachtet wurde. Am Beispiel der Malerin Berthe Morisot, sicherlich heute in Europa die bekannteste Impressionistin und darüber hinaus Gründungsmitglied der impressionistischen Gruppe,83 soll im Folgenden die zwiespältige Rezeption ihrer Werke und damit zugleich auch eine eigentümliche Verkehrung der ursprünglichen Kritik an Kunst von Frauen aufgezeigt werden. Natürlich sieht sich auch Morisot abfälligen Kritiken gegenüber, in denen ihr etwa die Nähe zu Manet bzw. zu Corot zum Vorwurf gemacht wird. Scheffler etwa erklärt: »Vor Bildern von Berthe Morizot, der Verwandten Manets, erstaunt man nur, wie sehr diese Frau sich die Methode ihres einzigen Anregers zu eigen machen konnte […]«84 . Etwas milder erklärt der französische Kunstkritiker Théodore Duret: »Die Malweise der Landschaft erinnert an Corot, und die Entwicklung ihrer persönlichen Empfindung und ihrer künstlerischen Phantasie ist wohl auch auf Corots Einfluß zurückzuführen […]«85 . Ein anderer Kritiker, so Garb, führt Morisots angeblichen Mangel an Durchführung gar auf eine primordiale weibliche Schwäche zurück.86 Immer wieder wird der Malerin zudem vorgehalten, ihre Bilder seien unfertig, Albert Wolff erklärt dies als ein Zeichen eines hektischen Geistes.87 Paul de Charry fragt in Le Pays: »Warum macht sie sich, bei ihrem Talent, nicht die Mühe, ihre Bilder fertigzumalen?« und gibt selbst die Antwort: »Morisot ist eine Frau und somit launisch. Wie Eva 82 83 84 85 86 87

Ebd., S. 12f. Ebd., S. 16. Pfeiffer erklärt außerdem, dass Morisot an insgesamt sieben der acht Impressionisten-Ausstellungen teilnahm, siehe: ebd. Scheffler, 1908, S. 78. Duret, Théodore: Die Impressionisten. Pissarro, Claude Monet, Sisley, Renoir, Berthe Morisot, Cézanne, Guillaumin, 5. Aufl., Berlin 1923, S. 201. Garb, Tamar: Berthe Morisot oder Der Impressionismus wird weiblich, in: Rahmenwechsel, 1996, S. 96. Tamar Garb zitiert Albert Wolff wie folgt: »Her feminine grace lives amid the excesses of a frenzied mind.«, Siehe: Wolff, Albert, in: Le Figaro, 3. April 1876, zit.n. Garb, Tamar: Berthe Morisot and the Feminizing of Impressionism, in: Perspectives on Morisot, Hg. Teri J. Edelstein/Kathleen Adler, New York 1990, S. 58.

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beißt sie in den Apfel hinein, gibt dann aber leider viel zu schnell auf. Das ist schade, denn sie beißt sehr gut.«88 Dieses Zitat verdeutlich sehr anschaulich den Zwiespalt, der innerhalb der Rezeption von Morisots Werk zu beobachten ist. Greifen die Kritiker einerseits weiterhin auf eine vertraute klischeebeladene (und frauendiskriminierende) Rhetorik zurück, wird das offensichtliche Talent der Malerin dennoch zuweilen erkannt. Wie Garb ausführt, gibt es durchaus Kritiker, die die Nähe zu Manet erwähnen, aber lobend herausstellen, »[…] daß sie seine Kunst mit Erfolg in eine Malerei transformierte, deren Anmut und Charme einer Dame ihrer Klasse und Herkunft entsprach. Sie übersetze seine Lehren in ›ihre ganz eigene Sprache‹.«89 Im »Moniteur des arts« wird 1896 über Morisot geschrieben: »[…] lernte seine [Manets] Ideen kennen, ohne sich freilich seinem Einfluß zu unterwerfen, und gab ihre Eindrücke in einer ganz eigenen Sprache wieder […]«90 . Weiblichkeit und Originalität schließt sich in dieser Kritik keineswegs aus; eine interpikturale Arbeitsweise oder die Orientierung an einer Vorlage bzw. einem Lehrer oder Vorbild führen nicht zwangsläufig zu einer unbedachten Kopie, sondern vermögen sich durchaus – wie Garb im Falle Morisots vorführt – als eigenständige Schöpfungen zu behaupten. Entscheidend ist dabei die Differenz zur Vorlage (›eigene Sprache‹), nur durch diese wird aus einer Kopie, ein autonomes neues Werk. Hier lässt sich nicht nur eine interessante Parallele zur Arbeit Funkes ziehen, sondern auch am Beispiel Morisots eine erste Abkehr von der tradierten, vornehmlich negativen Rezeption der Kunst von Frauen ermitteln. Die wohlwollende Kritik – wie sich im Folgenden zeigen wird – unterliegt aber genauso einer spezifischen Vorstellung von Weiblichkeit. Tatsächlich überwiegen in der Rezeption von Morisots Werk positive Kritiken. Interessant dabei ist, dass diese weniger auf einer künstlerischen oder technischen Qualität beruhen, sondern vielmehr auf ihrer Weiblichkeit. George Rivière schreibt zum Beispiel 1877, Morisots reizende Bilder seien raffiniert und vor allem so weiblich.91 Und George Moore hält fest, dass ihr Erfolg darin liege, dass sie ihre Kunst mit all ihrer Weiblichkeit ausstatte.92 Pfeiffer bemerkt anhand dieser Äußerungen, dass die Kritiken niemals formale Aspekte beinhalten, sich tatsächlich ausschließlich an Morisots Geschlecht und 88 89 90 91 92

Charry, Paul de, in: Le Pays, 10. April 1880, zit.n. Garb, 1996, S. 96. Ebd., S. 104. Moniteur des arts 1896, zit.n. Garb, 1996, S. 104. Rivière, Georges, in: L’Impressioniste, 10. April 1877, zit.n. Garb, 1996, S. 96. Moore, George: Sex in Art, in: Moderne Painting, London 1898, zit.n. Ebd., S. 100.

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ihrer daraus resultierenden weiblichen Malweise orientierten.93 Garb fasst die Rezeption der Malerin wie folgt zusammen: »Ihr Werk schien ihren Kritikern nicht verdorben durch Spuren von Intellektualität in der Zeichnung oder Komposition. Man pries sie also dafür, daß sie wesentliche Eigenschaften ihres Geschlechts nicht verleugnete.«94 Der bereits zitierte Duret grenzt Morisot deutlich von einer dilettantisch betriebenen Malerei ab: »Als reiches Mädchen, das in der Welt eine Rolle spielte, darf man sie nicht mit Damen in ähnlicher Lage nennen, die angeblich Künstlerinnen sind, aber ihre Kunst nur nebenbei und dilettantisch betreiben.«95 Mit dem Aufrufen des ›weiblichen Dilettantismus‹ wie auch mit der folgenden Äußerung bedient sich auch Duret der geläufigen Rhetorik über Kunst von Frauen: »[…] Die Künstlerin gibt ihren Bildern die letzte Vollendung, indem sie sie mit leichten Pinselstrichen übergeht, als ob sie Blumen darüber entblättert.«96 Zeigen diese Kritikermeinungen zwar eine positive Beurteilung des Weiblichen, bedeutet ›weiblich‹ in diesem Sinne aber zugleich eine Sonderrolle, das Andere im Gegensatz zum »Normalen«, zum Männlichen. Diese oppositionelle Relation zwischen ›männlich‹ und ›weiblich‹, über- und unterlegen, scheint unumstößlich. Sie begründet sich – wie bereits ausgeführt – auf dem Geniekonzept und dem Paradigma der Originalität, die männlich besetzt sind. So attestierten Kunstkritiker im 19. Jahrhundert Frauen zwar eine Begabung zur Naturnachahmung (Durets blumige Beschreibung der Malereien Morisots zielt letztlich genau darauf), aber keine Befähigung zu kompositorischen und schöpferischen Arbeiten, wie Meike Hopp erklärt.97 Anhand der Beispiele aus Philosophie und Kunstkritik wurde dies detailliert dargelegt. Hopp zieht aus ihren Überlegungen den Schluss, dass man sich mit solchen Begründungen (wie sie auch Schopenhauer, Weininger und Scheffler etc. vorbringen) unerwünschter Konkurrenz entledigte. War man es im 19. Jahrhundert gewöhnt, dass Frauen- und Männerbereiche getrennt und Kontakte oder Überlappungen kontrolliert wurden,98 war der künstlerische Betrieb ein tradiert männlicher. Kritik an Kunst von Frauen bedeutet folglich nicht nur einen geschlechtsspezifischen Ausschluss aufgrund der verbreiteten Ansicht, dass 93 94 95 96 97 98

Pfeiffer, I., 2008, S. 17. Garb, 1996, S. 101. Duret, 1923, S. 201. Ebd., S 208. Hopp, 2008, S. 71. Hausen, Karin: Frauenräume, in: Frauengeschichte Geschlechtergeschichte, 1992, S. 22.

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Frauen weniger fähig oder talentiert seien, sie verdeutlicht auch das Festhalten der Männer an festgelegten Bereichen bzw. die Angst davor, dass Frauen in Bereiche drängen könnten, die sie – die Männer – als ihre eigenen definiert hatten (z.B. Arbeitsmarkt, öffentliches Leben, Kunstbetrieb). Auch um dem entgegenzuwirken, proklamierten Kritiker die Gefahr einer drohenden Vermännlichung von Künstlerinnen, die durch die Betätigung in dem vornehmlich ›männlichen‹ Bereich der Bildenden Kunst entstehen könnte. So erklärt beispielsweise Scheffler, die Frau nehme ›männische Züge‹ an, wenn sie in der Kunst mit dem Mann in den Wettbewerb trete.99 Die gesellschaftliche Konstruktion des Mannes als ›der gute Hirte der Frau‹, als ›Hüter der Habe‹, wie Werner Hofmann es beschreibt,100 beruht auf der Vorstellung eines aktiv-dominierenden Mannes und einer passiv-dominierten Frau, eine Vorstellung, die durch eine Vermannung der Frau in Verwirrung zu geraten droht. Das Aufweisen »weiblicher« Merkmale in der Malerei Morisots stellt eine besondere Qualität dar, das Werk wird positiv bewertet. Auch weil sich Morisot, wie James H. Rubin betont, den Beschränkungen des Frau-Seins durchaus bewusst sei und stets innerhalb der für Frauen angemessenen Schicklichkeit bleibe.101 Sie habe es nicht herausgefordert, einen männlichen Stil aufzusetzen. Es ist also nicht per se Kunst von Frauen, die durch die Kritik fällt, sondern Kunst von jenen Frauen, die sich eines männlichen Habitus’ bedient, wie die Wahl »männlicher« Sujets oder »männlicher« Gattungen wie die Zeichnung oder die Bildhauerei. »Weibliche« Sujets oder ein »weiblicher« Duktus hingegen scheint den Kritikern nicht verwerflich, wohl aber stets weniger wertig. So erfreuen sich auch die Mutter-Kind-Darstellungen Mary Cassatts – also ein »weibliches« Motiv par excellence – größter Beliebtheit.102 Pfeiffer weist allerdings darauf hin, dass das Mutter-Kind-Thema nicht so explizit feminin ist, wie es erscheinen mag, sondern durchaus auch von Malern gern thematisiert werde.103 In Bezug auf die positive Rezeption Morisots fügt Chadwick des Weiteren an, der Erfolg von Morisot und Cassatt sei auch klassenspezifisch zu begründen, wodurch sie, anders als sozial weniger privilegierte Künstlerinnen, einen anderen Zugang zum Kunstbetrieb hatten. Marie 99 100 101 102

Scheffler, 1908, S. 91. Hofmann, 1970, S. 7. Rubin, James H.: Impressionism, London 1999, S. 222. Wie Mader weiter erklärt, reagierte Cassatt sogar auf die hohe Nachfrage mit einer steigenden Produktion von Mutter-Kind-Darstellungen, siehe: Mader, 2009, S. 116. 103 Pfeiffer, I., 2008, S. 17.

II. Die Marginalisierung von Frauen in der Kunst

Braquemond sei im Gegensatz dazu heute weit weniger bekannt, zum einen weil ihr Ehemann der Maler Felix Bracquemond ihre Karriere wohl bewusst behinderte, zum anderen aber, weil sie niederer Herkunft war.104 Pollock hingegen erklärt, dass zwar noch Sofonisba Anguissola aufgrund ihrer adeligen Herkunft eine verbesserte Rezeption in der Renaissance erfahren habe, Berthe Morisots Klassenzugehörigkeit wegen der aristokratischen und großbürgerlichen Verhältnisse im späten 19. Jahrhundert allerdings eher nachteilig gewesen sei.105 Festhalten lässt sich somit, dass im 19. Jahrhundert vielleicht der Zugang zum Kunstbetrieb durch eine entsprechende soziale Stellung vereinfacht wird – auch weil privater Malunterricht als einzige Option für Frauen ein gewisser finanzieller Aufwand darstellt –, nicht aber eine verbesserte Bewertung bedeutet. Berufstätigen Frauen haftet stets der Eindruck eines unangemessenen Verhaltens an. Die Kunsttätigkeit von Männern und Frauen, erklärt Pollock weiter, bedingt nicht länger ihre Herkunft, sondern die Kräftekonstellation rund um Ausbildungs- und Ausstellungsinstitutionen. Wie keiner anderen künstlerischen Strömung wird dem Impressionismus eine große Affinität zum Weiblichen zugesprochen, die sich nicht nur in den häufig dargestellten weiblichen Motiven (Szenen in der Natur, im Boudoir, im Theater oder Ballett), sondern auch in einem explizit femininen Stil zeigt.106 Gemeint sei damit u.a. die Hervorhebung von Lichteffekten, die häufige Verwendung von Weiß, ein offener Pinselstrich, Skizzenhaftigkeit, die Offenheit der Ausführung und die Impression des Augenblicks. Rubin weist außerdem darauf hin, dass Frauen selbst nicht nur häufiges Sujet der impressionistischen Malerei sind, sondern dass diese Darstellungen auch dazu tendieren, Frauen in gesellschaftlich angemessenen Rollen zu zeigen und somit Stereotype und Idealvorstellungen bedienen.107 So werden Morisot von Manet und Cassatt von Degas zwar mehrfach gemalt, allerdings nie als Malerinnen, sondern stets als Damen der Gesellschaft oder gar als Femme Fatale.108 104 Chadwick, 2013, S. 235. 105 Pollock, Griselda: Frauen, Kunst und Ideologie: Fragestellungen für feministische Kunsthistorikerinnen, in: Kunstgeschichte und Gender, 2006, S. 206. 106 Pfeiffer, I., 2008, S. 15. 107 Im Original bei Rubin heißt es: »Under the guise of objective representations of modernity, Impressionist imagery tended to legitimize roles into which women were socially cast. It thus participated in the construction and perpetuation of gender stereotypes and ideals.«, siehe: Rubin, 1999, S. 221. 108 Ebd., S. 249. Eine Darstellung Manets zeigt Gonzalès als Malerin vor einer Leinwand sitzend, doch sie ist zum einen, so Rubin, als Dame der Bourgeoisie und nicht als Malerin gekleidet, zum anderen handelt es sich bei dem von ihr gemalten Motiv um ein

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Neben jenen femininen Mitteln wird besonders die Betonung der Farbe in der impressionistischen Malerei mit Weiblichkeit verbunden, wie auch Rubin unterstreicht.109 Er führt dazu Blanc an, der in seiner bereits erwähnten »Grammaire des arts du dessin« (1867) die traditionelle Vorstellung, das Zeichnen sei männlich, die Farbe weiblich, vertreten habe.110 Blanc ordnet dabei der Zeichnung die größte, der Farbe nur eine nachgestellte Bedeutung ein – ein Modell, das in dieser Form auf das Geschlechterverhältnis von Mann und Frau in der Bildenden Kunst übertragbar ist. Auch Kant äußert sich zum Verhältnis zwischen Zeichnung und Farbe: »In der Malerei, Bildhauerkunst, ja allen bildenden Künsten, […] ist die Zeichnung das Wesentliche […]. Die Farben, welche den Abriß illuminieren, gehören zum Reiz, den Gegenstand an sich können sie zwar für die Empfindung belebt [beliebt, Anm. des Hg.], aber nicht anschauungswürdig und schön machen […]«111 . Wie Max Imdahl attestiert, beruht diese Einschätzung von Zeichnung und Farbe auf einer bis in die Renaissance zurückgehenden Wertunterscheidung, demnach die Zeichnung auf das Geistige, das Essentielle, die Farbe aber auf das Sinnliche, das Akzidentielle gerichtet sei.112 Doch nicht nur in dem Verhältnis von Farbe und Zeichnung spiegelt sich ein geschlechtsspezifisches Wertesystem, auch die Figur des Ornaments ist durch Adolf Loos geschlechtsspezifisch besetzt. Loos, der unerbittlich gegen die Inflation der Ornamentsprache ankämpfe, so Michael Müller, suche eine strenge Trennung zwischen Gebrauchs- und Kunstzweck, um den sozialen Auftrag der Architektur zu retten.113 Das Ornament markiert darüber hinaus für Loos ein sichtbares Symbol einer unterlegenen Weiblichkeit, wie folgendes Zitat verdeutlicht: »Die kleidung der frau unterscheidet sich äußerlich von der des mannes durch bevorzugung ornamentaler und farbiger wirkungen und durch den langen rock, der die beine vollständig bedeckt. Diese beiden momente zeigen uns, daß die frau in den letzten jahrhunderten stark in Blumenstillleben, also ein Motiv, das wiederum als weiblich und als weniger wertig betrachtet wurde, siehe: ebd. 109 Ebd., S. 221. 110 Blanc, 1876, S. 21. 111 Kant, [1790] 1974, S. 141. Des Weiteren zu nennen wäre Charles Le Brun, der die Farbe als einen nur akzidentiellen Wert dem dominierenden Rand der Zeichnung unterordnet, wie Imdahl erklärt. Siehe: Imdahl, [1987] 2003, S. 35. 112 Ebd., S. 31. 113 Müller, Michael: Die Verdrängung des Ornaments. Zum Verhältnis von Architektur und Lebenspraxis, Frankfurt a.M. 1977, S. 99.

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der entwicklung zurückgeblieben ist.«114 In seiner wohl berühmtesten Schrift zeichnet Loos zudem eine Verbindung zwischen Ornament und Verbrechen – so auch der Titel – indem er die den Verbrecher (und die Volksstämme wie die Papua) kennzeichnende Tätowierung als Ornamentierung des Körpers und somit als Emblem des Verbrechers betrachtet.115 Kennzeichnet das Ornament Verbrecher und Frau gleichermaßen, muss dies als eine Gleichsetzung beider verstanden werden; das Weibliche ist für Loos äquivalent zum Verbrechen. Damit knüpft Loos direkt an die maßgeblich durch Weininger verbreiteten Vorstellungen von Weiblichkeit an. In Verbindung mit diesem stereotypen Vorurteil wird deutlich, auf welcher theoretischen Grundlage impressionistische Malerei als weiblich interpretiert und denunziert wird. Selbst Weininger knüpft daran mit dem bereits zuvor zitierten Ausspruch an, Frauen sei das sinnliche, körperliche Element der Farbe eher erreichbar, als das geistige, formale der Linie.116 Garb findet für diese geschlechtsspezifische Verknüpfung den Begriff der ›Feminisierung des Impressionismus‹117 , die als eine Negativ-Formel auch die ablehnende Rezeption und sogar das Ende des Impressionismus teilweise erklärt. So postuliert der französische Kunstkritiker Camille Mauclair, der Impressionismus sei eine Kunstform, die von ihrer Sinnlichkeit gelebt habe und daran gestorben sei.118 Den Niedergang des Impressionismus führt er folglich einzig auf dessen angeblich weibliche Eigenschaften zurück, auf die »Sinnlichkeit, die Abhängigkeit von Sinnesreizen und oberflächlichen Erscheinungen, seine Materialität und Unberechenbarkeit«119 . Auch Rubin konstatiert, Kritiker haben den Impressionismus verworfen, gerade weil er in seiner Form auch für Malerinnen geeignet war.120 Wurde der Impressionismus als »vergleichsweise unzulängliches Modell« betrachtet, so Garb,121 wobei nicht mehr die mimetische Naturwiedergabe 114

Loos, Adolf: Damenmode, in: Adolf Loos – Sämtliche Schriften in zwei Bänden, Hg. Franz Glück, 1. Bd., Wien/München [1898] 1962, S. 161. 115 Loos, Adolf: Ornament und Verbrechen, in: Adolf Loos – Sämtliche Schriften, [1908] 1962, S. 276. 116 Weininger, [1909 bzw. 1903] 2016, S. 153. 117 Garb, 1996, S. 97. 118 Mauclair, Camille: Le Salon de 1896, in: La Nouvelle revue (01) 1896, zit.n. Garb, 1996, S. 94. 119 Garb, 1996, S. 95. 120 Rubin, 1999, S. 221. 121 Garb, 1996, S. 99.

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im Fokus steht, lässt sich die Erscheinung des Impressionismus gut mit den weiblichen Charakteristika in Einklang bringen: »›Frau‹ war jenes anmutige, empfindsame, bezaubernde Wesen von nervösem Naturell und oberflächlichem Weltverständnis, mit geschickten Händen, empfindsam für Sinnesreize und subjektiv in ihren Reaktionen, kurzum ein Geschöpf, das sich dieser Ausdrucksform mit der größten Berechtigung bediente. Berthe Morisot stellte die glückliche Verbindung dieser beiden Vorstellungen dar.«122 Wie keine andere Kunstströmung, gerade wegen seiner Ablehnung klassizistischer und akademischer Ideale, bietet sich der Impressionismus an, »die verkrusteten Strukturen des Kunst- und Ausstellungsbetriebs für Malerinnen aufzubrechen, ihnen als Außenseitern in einer Gruppe von Indépendants […] ein eigenes Forum zu bieten«123 und dennoch war der weibliche Stil und die weiblichen Mitglieder der Gruppe zugleich Grund für die anhaltende Kritik. Wobei der von den Kritikern beschriebene weibliche Stil eine reine Projektion und ein Vorurteil ist, wie Pfeiffer zu Recht anfügt,124 und die männlichen Mitglieder der Impressionisten wie z.B. Pissarro für seine hohe Sensibilität und sein großes Zartgefühl gelobt werden.125 Während Morisots Bildern, wie sich bereits zeigte, aufgrund ihrer angeblichen Weiblichkeit Anerkennung gezollt wurde, Weiblichkeit hier also als eine positive Bewertungskategorie zu gelten scheint, ist der vermeintlich weibliche Stil des Impressionismus stets ein Grund der Ablehnung. Darin zeigt sich die große Schwierigkeit, die sich aus einer geschlechtsspezifischen Kritik ergibt: Sie folgt keiner Einheitlichkeit und lässt sich somit nach Belieben mal positiv, mal negativ instrumentalisieren. Greifen Kritiker im 19. und frühen 20. Jahrhundert, wie sich zeigte, auf die Kategorien männlich/weiblich als Argumentationsgrundlage eines Werturteils zurück, ist dies jedoch weder konsequent anwendbar (und angewendet worden) noch objektiv greifbar, sondern spiegelt viel eher eine gesellschaftliche Rollenzuweisung von Mann/Frau und die damit verbundene soziale Konstruktion von Geschlechtlichkeit wieder. Dennoch ist die in der Forschung bereits häufig gestellte Frage für die hier angestellten Überlegungen lohnend, 122 123 124 125

Ebd. Pfeiffer, I., 2008, S. 15. Ebd., S. 17. Garb, 1996, S. 97.

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ob es jenseits klischeebesetzter Einschätzungen und generalisierter Vorstellungen von männlicher und weiblicher Kunst tatsächlich einen erkennbaren geschlechtsspezifischen, künstlerischen Ausdruck bzw. Unterschied gibt und wenn ja, wie sich dieser äußert. Ist die Frage nach einer »weiblichen« Ästhetik zu Beginn des 20. Jahrhunderts offensiv antifeministisch – wie auch die durch die Assoziation mit Weiblichkeit provozierte Negativ-Bewertung des Impressionismus Ende des 19. Jahrhunderts – wird die Thematik erneut im Kontext der Frauenbewegung der 1970er Jahre virulent.126 Im Zuge dessen, so erklärt Susanne Lummerding, sei die Suche nach »kulturgeschichtlichen Spuren verdrängter Weiblichkeit« bzw. nach Ausdrucksformen einer spezifisch »weiblichen« Ästhetik in Abgrenzung von patriarchalischen Mustern in den Fokus sowohl theoretischer als auch künstlerischer Auseinandersetzung von Frauen gerückt. Besonders im Kontext des französischen Poststrukturalismus (Luce Irigaray, Julia Kristeva, Hélène Cixous, Cathérine Clément) tritt die Frage nach einer »weiblichen« Form des Schreibens auf. Die deutsche Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen liefert mit ihrem Aufsatz »Über die Frage: Gibt es eine ›weibliche‹ Ästhetik?« aus dem Jahr 1976 eine wichtige Grundlage, wobei sie die Frage auf die Bildende Kunst, Literatur und auch Film ausweitet. Bovenschen beschäftigt sich darin damit, woher eine »weibliche« Kunst (Literatur, Film etc.) ihre Identität beziehe und ob »weiblich« ein Substanzkriterium, eine ontologische Größe sei.127 Außer Zweifel steht für die Autorin, dass Frauen und Männer unterschiedlich agieren, die Ausdrucksmöglichkeiten dabei aber nicht originär, selbstgewählt, sondern vorgeprägt seien. Trotzdem schreibt sich die Differenz ein: »[…] die so ganz andere Weise der Erfahrung, die so ganz anderen Erfahrungen selbst lassen andere Imaginationen und Ausdrucksformen erwarten.«128 Kristeva hingegen verneint die Frage nach einer spezifisch »weiblichen« Art des Schreibens entschieden und proklamiert: »[…] daß nichts weder in den früheren noch in den heutigen Veröffentlichungen von Frauen gestat126 127 128

Lummerding, Susanne: »Weibliche« Ästhetik? Möglichkeiten und Grenzen einer Subversion von Codes, Wien 1994, S. 11. Bovenschen, Silvia: Über die Frage: gibt es eine »weibliche« Ästhetik? In: Ästhetik und Kommunikation 25 (1976), S. 64. Ebd., S. 65.

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tet zu behaupten, daß eine spezifisch weibliche Schreibweise existiert.«129 In Auseinandersetzung mit Kristeva konstatiert Lachmann wiederum: »Da wo das Schreiben der Frauen den männlichen Kanon zu übertreffen versucht, geht es um eine bewußte Ausblendung der Geschlechtsspezifik, um das pure Optimum der Kompetenz. Da, wo weibliches Schreiben in den kontrollierten Freiräumen sich artikuliert, weist es bei analytischer Betrachtung Strukturähnlichkeiten mit bestimmten männlichen Schreibweisen auf, solchen, die ihrerseits durch das Ausscheren aus dem offiziellen Bereich entstanden sind.«130 Zum einen beschreibt Lachmann hier, dass Geschlecht kein Kriterium für Qualität ist oder sein darf (wohl aber stets war), dass Qualität nur in Ausblendung des Geschlechts bemessen werden kann. Kunst von Frauen erfährt häufig Ablehnung, eben weil sie von Frauen, nicht von Männern, ist, formale Kriterien kommen erst gar nicht zur Berücksichtigung. Daher muss auch das explizite Nennen des Vornamens (siehe Pfeiffer in Bezug auf den Impressionismus) und die damit vollzogene Offenlegung des Geschlechts als eine Art Vorab-Diffamierung, also ein Vorab-Ausschluss ohne tatsächliche Betrachtung des Talents erfasst werden.131 Ferner weist Lachmann hier auf die Nischenposition der Frauen hin, die durch die männliche Dominanz aus den meisten gesellschaftlichen (und kunstbetrieblichen) Bereichen ausgeschlossen werden und sich so Freiräume selber schaffen müssen, in denen sie aktiv werden können. Weiter erklärt Lachmann: »Mit anderen Worten, da, wo sich Eigentümlichkeiten des weiblichen Schreibens vor dem Hintergrund gefügter literarischer Systeme der offiziellen Kultur abzeichnen, etwa in Gattung, Stil, Sprache, Thematik (besonders im Bereich der Bildlichkeit), gibt es häufig ein männliches Pendant, so daß die Opposition männlich/weiblich als Opposition offiziell/inoffiziell lesbar oder aber als eine Opposition deutbar wird, die nicht mehr eine geschlechtsspezifische Differenz, sondern eine Differenz der Schreibweisen generell anzeigt.«132 129

Kristeva, Julia: Kein weibliches Schreiben? Fragen an Julia Kristeva. (Interview von Françoise van Rossum-Guyon), in: Freibeuter 2 (1979), S. 79. 130 Ebd. 131 Lee Krasner, die eigentlich Lena Krassner hieß, Ehefrau von Jackson Pollock, wählte bewusst das Kürzel ›Lee‹, um dem Vorurteil ›Frau‹ zu entgehen. 132 Lachmann, 1984, S. 182.

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Deutlich untermauert die Autorin die Opposition männlich/weiblich, die sie mit offiziell/inoffiziell gleichsetzt und so erneut männliche Dominanz als ›das Offizielle‹ nachweist. Ins ›Inoffizielle‹ verwiesen, wird das Weibliche erneut in den Randbereich ausgelagert. Für Frauen gilt es, den offiziellen männlichen Diskurs nicht zu reproduzieren (denn damit würden die bestehenden Strukturen nur gestärkt), sondern einen eigenen Diskurs (»weibliche« Ästhetik) entgegen zu setzen. Hélène Cixous benennt tatsächlich eine erkennbare Differenz zwischen »weiblichem« und »männlichem« Schreiben, das System allerdings, welches den Unterschied zwischen männlich und weiblich hervorbringe, basiert ihrer Meinung nach bereits auf einer männlichen Dominanz – siehe Lachmann bzw. Bovenschen.133 Maßgeblich hervorgebracht, so Ingeborg Weber, durch ›die Philosophie‹, die die Frau negativ, nämlich passiv konnotiert habe.134 Diese binäre Opposition (Frau = passiv, Mann = aktiv) will Cixous aufbrechen. Wie Weber darlegt, versteht Cixous das schreibende Subjekt nicht notwendig durch sein Geschlecht festgelegt, sondern durch die Fähigkeit, »die kulturell (= patriarchal) geforderte Verdrängung des Imaginären in sich zu locken und dadurch eine empathische Beziehung […] zum Anderen aufzubauen, eine feminine (bzw. maskuline) libido«135 . Im Prinzip beschreibt Cixous damit genau die These Butlers aus dem Jahr 1990, die das Geschlecht nicht als naturgegeben, sondern als kulturell/sozial konstruiert beschreibt (siehe Gender Studies) und damit anknüpft an Simone de Beauvoir.136 Weibliches Schreiben wäre folglich der Versuch eine Gegenlogik zum etablierten, offiziellen Diskurs (siehe Lachmann) zu formulieren. Mit dem Verweis auf die Empathie macht Cixous darüber hinaus deutlich, dass es nicht um eine absolute Opposition von männlich/weiblich gehen kann, sondern um den Versuch diese Differenz 133 134

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Cixous, Hélène: Weiblichkeit in der Schrift, Berlin 1980, S. 70. Weber, Ingeborg: Poststrukturalismus und écriture féminine: Von der Entzauberung der Aufklärung, in: Weiblichkeit und weibliches Schreiben, Hg. Dies., Darmstadt 1994, S. 26f. Ebd., S. 27. Butler trennt zwischen dem anatomischen Geschlecht (sex) und der Geschlechtsidentität (gender), wobei Geschlechtsidentität eine kulturelle Konstruktion ist, »[…] unabhängig davon, welche biologische Bestimmtheit dem Geschlecht weiterhin hartnäckig anhaften mag.«, siehe: Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a.M. 1991, S. 22. Simone de Beauvoir schreibt in ihrem 1949 erschienen Werk »Das andere Geschlecht«: »Nicht die Natur definiert die Frau; sie definiert sich selbst, indem sie die Natur in ihr Gefühlsleben einbezieht.«, siehe: Beauvoir, Simone de: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau, 9. Aufl., Reinbek bei Hamburg [1949] 2008, S. 62f.

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letztlich aufzulösen. Männer könnten so mit einer femininen Libido genauso feminin schreiben, wie Frauen maskulin. Geschlecht ist ein gesellschaftliches Konstrukt (Butler), das man sich subversiv, emphatisch aneignen kann. Der Begriff des Imaginären (der natürlich auf Jacques Lacan zurückzuführen ist) dient Cixous laut Weber dabei wie ein Kampfbegriff für die Befreiung des Weiblichen und die Veränderung der Gesellschaft, gleichzeitig will sie mit der Sprache des Imaginären die écriture féminine auf- und entdecken.137 Feminines Schreiben im Sinne Cixous’ meine »assoziatives« Schreiben bis hin zum surrealistischen automatischen Schreiben aus dem Unbewussten. »Feminine Texte sind offene, zur Lyrik hin entgrenzte Texte.«138 Beschreibt Cixous gemäß Weber weibliche Texte als »assoziativ« und »offen«, folgt sie damit im Grunde selber einer stereotypen Vorstellung von Weiblichkeit (siehe Beschreibungen einer weiblichen Malweise im Impressionismus). Hier deutet sich eine scheinbare Widersprüchlichkeit im Denken von Cixous an: Intendiert sie die Aufhebung der Geschlechter, argumentiert sie selbst doch mit geprägten Vorstellungen von Weiblichkeit und droht so, das Klischee, wie sich Weiblichkeit artikuliert, selbst zu reproduzieren. Lummerding benennt die eigentliche Schwierigkeit im Erkennen und Erklären einer »weiblichen« Ästhetik, ebenso wie Cixous, in der Struktur des herrschenden Denkens westlicher Kultur, innerhalb dessen Frauen als theoretische Subjekte aus den etablierten Diskursen ausgeschlossen würden, zugleich aber als historische Subjekte in diese eingebunden blieben.139 Der Widerspruch zwischen Funktionieren in einem System und gleichzeitiger Entfremdung aus diesem wird bereits von Kristiva beschrieben (als der »Effekt Frau«140 ). So überlegt Lummerding weiter, ob es nicht die Position der Frauen im herrschenden Diskurs oder Gesellschaftssystem selbst sei, die ihren Äußerungen eine andere Qualität verleihe als jenen männlichen Gesellschafts137 138 139 140

Weber, 1994, S. 21. Ebd., S. 33. Lummerding, 1994, S. 12. Kristeva beschreibt dies wie folgt: »Quer durch biologische und physiologische Besonderheiten läßt sich die Identität der Frau als Wirkung im Bereich des Symbolischen, als symbolischer Effekt entziffern. Diese Identität meint die Art und Weise, wie sich das Subjekt innerhalb des gesellschaftlichen Zusammenhangs, der Macht, der Sprache, vorfindet. In diesem Bereich kann das Frauenproblem analysiert werden: zum einen, wie ich es nenne, als ›Effekt Frau‹, zum anderen als ›Funktion der Mutter‹.«, siehe: Kristeva, Julia: Produktivität der Frau. Interview mit Eliane Boucquey, in: alternative. Zeitschrift für Literatur und Diskussion 19 (1976), S. 166f.

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mitgliedern. Dabei wäre die Position der Frauen stets die der »Ausgeschlossenen« und Weiblichkeit demnach keine eigene Qualität, sondern eine Negation. Der Ursprung einer solchen Zuweisung des weiblichen Geschlechts wurde eingangs anhand ausgewählter philosophischer Texte erörtert. Barbara Vinken untersucht nicht das Schreiben, sondern das »weibliche« Lesen. Dabei konstatiert sie: »Weiblichkeit ist nicht eine biologische oder kulturelle Identität, sondern das differentielle Moment, das Identität erst ermöglicht, in der zustande gekommenen Identität aber verdrängt wird.«141 Damit greift auch Vinken auf Butlers These zurück, versucht aber zu argumentieren, dass Geschlecht durch beiderlei – biologische Differenz und kulturelle/gesellschaftliche Konstruktion – entsteht. Durch die Verdrängung deutet sich zugleich das Konfliktpotential an. Identität in Abgrenzung einer anderen oder Identität als der oder die Andere. Das weibliche oder männliche Lesen lässt sich aber nicht durch biologische Beschreibungen festsetzen oder differenzieren, sondern nur durch gesellschaftlich erwachsene Konventionen. »[…] weil einige Männer ›wie Frauen‹, die meisten Frauen aber ›wie Männer‹ lesen, so ist doch wichtig, daß Frauen und Männer kein gleichartiges Verhältnis zur Differenz haben, die es zu lesen gibt.«142 Dadurch beschreibt sie den jeweils unterschiedlichen Ausgangspunkt, mit dem Frauen und Männer einen Text lesen, der wiederum (siehe Cixous) aus einer binären Opposition zwischen männlich und weiblich entsteht. Johanna Graefe konstatiert bereits 1938, als die Frage nach einer »weiblichen« Kunst vermehrt diskutiert wurde: »Wie es keine weibliche Wissenschaft gibt, sondern nur eine Wissenschaft, so wird es wohl auch keine weibliche Kunst geben, sondern nur eine Kunst.«143 Die Kunst sei nicht nur eine Versöhnung des Form- und Stofftriebes, der Würde und der Armut, des Geistigen und des Sinnlichen (im Sinne Schillers), sondern auch eine Versöhnung des Männlichen und Weiblichen. So versteht Graefe männlich und weiblich nicht länger als Opposition, sondern als eines. Mann und Frau sind beide gleichermaßen Mensch. Auch den Dualismus von aktiv und passiv, den die 141

Vinken, Barbara: Dekonstruktiver Feminismus – Eine Einleitung, in: Dekonstruktiver Feminismus. Literaturwissenschaft in Amerika, 3. Aufl., Hg. Dies., Frankfurt a.M. 2015, S. 19. 142 Ebd., S. 17. 143 Graefe, Johanna: Aussprache zu S.D. Gallwitz: »Gibt es eine weibliche Kunst?«, 1938, in: Die Bildende Künstlerin. Wertung und Wandel in deutschen Quellentexten, Hg. Carola Muysers, Amsterdam/Dresden 1999, S. 248.

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Konstellation Mann und Frau stets begleitete, hebt Graefe auf, indem sie erklärt: »[…] denn auch der Mann empfängt die Konzeption, und es ist gerade das in gewissem Sinne ›Passiv-Empfangende‹, das hier das Positiv-Entscheidende wird.«144 Beschreibt Graefe Männer in ihrer schöpferischen Tätigkeit als ebenso passiv (empfangend), wie es Frauen stets zugeschrieben wurde, attestiert sie zugleich, dass eben nicht biologische Merkmale über künstlerisches Vermögen entscheiden, sondern die Inspiration, die an kein Geschlecht gebunden ist. Von der Literaturwissenschaft ausgehend, überträgt Ellen Spickernagel einige der genannten Aspekte auf die feministische Kunstwissenschaft und diskutiert, ob die Geschlechtszugehörigkeit die persönliche Erfahrung so entscheidend bestimme, dass daraus eine »in Inhalt und Struktur spezifisch weibliche Ausdrucksweise« erwachse.145 Besonders mit den Überlegungen Lummerdings muss an dieser Stelle aber argumentiert werden, dass die Frage, wie sich Weiblichkeit als eigener Ausdruck in die künstlerische Praxis einschreibt, nicht die ausschlaggebende Frage ist, um dieser mit gendertheoretischen und gesellschaftskonstituierenden Aspekten verzahnten Thematik erschöpfend nachgehen zu können. Patriarchalische Gesellschaftsstrukturen und sozial konstituierte Rollenzuweisungen der beiden Geschlechter spiegeln sich im Kunstbetrieb ebenso wieder und definieren auch hier ›Frau‹ als das ›Andere‹, basierend auf Grundlage von Philosophen und Kunstkritikern, wie der diskurshistorische Blick auf das 19. Jahrhundert allzu deutlich bewiesen hat. Um dies noch einmal vor Augen zu führen, Kolter summiert die damals geläufigen Charakterisierungen für Kunst von Frauen wie folgt: »feinsinnig, gefällig, liebenswürdig, harmonisch, gefühlvoll, auch langweilig und kraftlos.«146 Die Adjektive verdeutlichen eine reine Klischee-Vorstellung von Weiblichkeit, verbunden mit stereotypen Setzungen, die aus männlich geprägten Strukturen erwachsen sind. Diese als gültige Beschreibungen für Kunst von Frauen oder für eine »weibliche« Ästhetik zu verwenden, ist mit heutigem Wissen äußert schwierig, wenngleich sie teilweise immer noch verwendet werden. Jutta Held warnt ausdrücklich vor einer metaphysischen Zuschreibung des Begriffs ›weiblicher Ästhetik‹. Sie fordert dazu auf, den Begriff lediglich 144 Ebd. 145 Spickernagel, Ellen: Geschichte und Geschlecht: Der feministische Ansatz, in: Kunstgeschichte. Eine Einführung, Hg. Hans Belting, Berlin 1988, S. 336. 146 Kolter, 1989, S. 203.

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bei »einer solchen, aus dem Blickpunkt der Frauen konzipierten Kunst« oder bei »ästhetischen Gestaltungen, die in emanzipatorischer Perspektive nutzbar gemacht werden können« zu benutzen.147 Darüber hinaus lehnt sie es ab, weibliche Kunst auf bestimmte Themen oder Formen festzulegen; Frauen sollten wie Männer das »ganze Spektrum künstlerischer Möglichkeiten« nutzen.148 Bovenschen schließt ihre Überlegungen zu einer »weiblichen« Ästhetik mit folgendem Ausspruch, der zu diskutieren bleibt: »Gibt es eine weibliche Ästhetik? Ganz gewiß, wenn die Frage das ästhetische Sensorium und die Formen des sinnlichen Erkennens betrifft; sicher nicht, wenn darunter eine aparte Variante der Kunstproduktion oder eine ausgeklügelte Kunsttheorie verstanden wird.«149 Greift sie damit ebenjene Argumente auf, die bereits im 19. Jahrhundert die Frage nach einem »weiblichen« Ausdruck bestimmten, beweist die interpikturale Arbeitsweise Helene Funkes, dass es sehr wohl eine ›Variante der Kunstproduktion‹ gibt, die einen geschlechtsspezifischen Bezug aufweist. Zwar wäre es falsch, diese interpikturale Produktionsweise als typisch »weiblich« zu bezeichnen, wohl aber nutzt die Malerin Formen der Aneignung, um Vorurteile hinsichtlich der Kunst von Frauen zu hinterfragen und aufzudecken. Mit dem Verwenden männlicher Vorlagen beweist sie somit nicht ihr angebliches Unvermögen, weil sie eine Frau ist, sondern zeigt eine schlaue und reflektierte Möglichkeit, diese Klischees aufzulösen.   Neben dem zuletzt ausführlich bedachten Begriff der »weiblichen« Ästhetik soll ein weiterer Begriff nicht unerwähnt bleiben, der im Grunde als eine Fortführung der Debatte um einen geschlechtsspezifischen Ausdruck gewachsen ist, und an dieser Stelle noch einmal zurück zum Ausgangsthema leiten soll. Mader führt vor dem Hintergrund und zugleich in Ablehnung an eine »weibliche« Ästhetik den Begriff der »emanzipatorischen Aneignung« ein, womit sie der Frage Raum gibt, wie und ob sich Aneignung bzw. künstlerische Anlehnung geschlechtsspezifisch fassen lässt. Dabei attestiert sie aber nicht etwa, dass Aneignung eine spezifisch weibliche Praktik ist – was sich allein mit der Vielzahl männlicher Künstler wie z.B. Manet widerlegen ließe, 147

Held, Jutta: Einleitung und Vorwort, in: Kunst und Kultur von Frauen. Weiblicher Alltag, weibliche Ästhetik in Geschichte und Gegenwart, Hg. Dies., Rehburg-Loccum 1985, S. 6. 148 Ebd. 149 Bovenschen, 1976, S. 74.

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die sich ebenfalls Motiven anderer annehmen. Am Beispiel der Malerin Thérèse Schwartze stellt Mader stattdessen zur Diskussion, ob die Anlehnung an männliche Vorbilder nicht ein gezielter Kommentar zur männlichen Vorstellung geschlechtsspezifischer, künstlerischer Begabung sei und somit zugleich »gegen eine genuin ›weibliche Ästhetik‹« votiere.150 Lassen sich die Sujets Funkes als »weiblich« bezeichnen, nur deshalb weil sie einem Themenkosmos entspringen, der von vielen Malerinnen gewählt wurde (Landschaften, Blumendarstellungen, Frauengruppen – männliche Figuren sind hingegen kein Thema in Funkes Werk), ist auch dies strukturell zu erklären, darf aber nicht mit einer »weiblichen« Ästhetik verwechselt werden. Genauso wie Frauen der Zugang zu Institutionen wie den Akademien verschlossen bleiben, bleiben ihnen auch gewisse gesellschaftliche Bereiche verschlossen.151 Die vornehmlich von Malerinnen dargestellten Sujets spiegeln also weniger eine geschlechtsspezifische Ausdruckshaftigkeit, sondern untermauern einmal mehr die soziale Randposition der Frauen, die eine allumfassende Partizipation unmöglich macht. Entstammen die von Funke ausgewählten Themen also einer weiblichen Darstellungstradition, die im Einklang mit der gesellschaftlichen Position der Frau und mit Funke selbst steht, ist es die Verarbeitung und Einbindung der Themen, die ihre Darstellungen eigentümlich und besonders machen. Im vollen Bewusstsein darüber, was für Frauen als angemessen und bildwürdig erscheint, wählt Funke Bildvorlagen, die dieser Vorstellung entsprechen, variiert sie aber hinsichtlich Kontext oder Figurenpersonal und schafft so in einem Prozess der Verarbeitung der Vorlage eine Sinnverschiebung, die exemplarisch im Falle der Darstellung »In der Loge« als »emanzipative Aneignung« bezeichnet werden kann (Kapitel V).   Die lange Tradition der sozialen Diskrimierung der Frau spiegelt sich auch im Kunstbetrieb, einem von Männern dominierten System. Philosophische Schriften charakterisieren das »Wesen« der Frauen in Opposition zum Mann als unterlegen und passiv, ein Dominanzsystem des Mannes, durch den Mann ausgeprägt. Die gesellschaftliche Stellung der Frau, die sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein lediglich auf den häuslichen bzw. privaten Bereich beschränkt, spiegelt dieses Machtverhältnis bzw. bringt es selbst hervor. Bedient sich die – vornehmlich männliche – Kunstkritik der gleichen Argumen150 Mader, 2009, S. 105. 151 Siehe dazu: Pollock, 1989.

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tationsmuster wie die philosophischen Texte, wird dieses System männlicher Dominanz ebenso auf den Kunstbetrieb übertragen, was zu einem systematischen Ausschluss von Frauen führt. Kunst von Frauen, wenn sie denn im kunsthistorischen Diskurs auftaucht, wird dabei als weniger wertig erachtet und maßgeblich in den kunstgewerblichen Bereich abgeschoben. Gattungsspezifische Hierarchien decken sich mit dem herrschenden Geschlechterverhältnis. Kunst von Frauen gilt als sanftmütig, weich, harmonisch, gefühlvoll und wenig innovativ, sogar langweilig. Mit dem (auch geschlechtsspezifisch belegten) Verhältnis von Farbe (weiblich) und Zeichnung (männlich), wobei der Zeichnung traditionell Vorrang vor der Farbe gewährt wird – jedenfalls bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein –, bestätigt sich das Vorurteil einer schwächeren »weiblichen« Kunst. Der Impressionismus, dessen Formeln einer als »weiblich« erachteten Ausdrucksweise sehr nahe kommt, geriet nicht zuletzt aufgrund der Assoziation zum Weiblichen in Misskredit. Selbst herausragende Malerinnen wie Berthe Morisot, die zwar vergleichsweise erfolgreich ist, können sich einer Bewertung ihrer Malerei, die vornehmlich auf geschlechtsspezifischen, nicht auf formalen Kriterien gründet, nicht erwehren. Ist Weiblichkeit Grund genug, aus dem kunstbetrieblichen und kunsthistorischen Diskurs ausgeschlossen zu werden, fragen nicht zuletzt feministische Theoretikerinnen seit den 1970er Jahren, wie sich ein weiblicher Ausdruck im Bereich der Bildenden Kunst oder in der Literatur beschreiben lässt bzw. ob es diesen tatsächlich gibt. Werden im 19. Jahrhundert Malerinnen stets mit ihrem Vornamen aufgeführt (in Ausstellungslisten oder Katalogen), verstärkt dies eine voreingenommene Beurteilung, die sich nicht an künstlerischem Talent, sondern einzig am Geschlecht konstituiert. Doch betrachtet man künstlerische Erzeugnisse vollkommen losgelöst vom Autor, ist das Geschlecht tatsächlich formal ablesbar? Auch hier muss differenziert werden zwischen Motivwelt, die meist der Alltagswelt des Malers/der Malerin entspringt, und gestalterischen Mitteln. Anschließen lässt sich hier auch die rezeptionsästhetische Frage: Betrachten und interpretieren Frauen Kunstwerke anders als Männer? Sorgen gesellschaftliche Muster wie bereits beschrieben für eine dezidierte Ausgrenzung der Frauen aus den öffentlichen Bereichen, zeigt sich dies unwillkürlich auch in den von ihnen gewählten Sujets. Eine Generalisierung wäre an dieser Stelle äußerst gefährlich und schlicht falsch. Denn ist es nicht das System selbst, das gesellschaftliche und soziale wie auch das kunstbetriebliche System, das die Frau als das Andere, als ein Gegenbild zum Mann konstituiert und so ebenjene Muster selbst generiert, die dann

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als ›typisch weiblich‹ gedeutet werden? Bestätigt und unterstreicht die Frage nach einer »weiblichen« Ästhetik nicht genau die Tatsache einer gesellschaftlichen Konstruktion von »Frau«, von »Künstlerin«? Künstlerinnen wie u.a. Judy Chicago, Cindy Sherman oder in Deutschland Ulrike Rosenbach und Rosemarie Trockel versuchen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch im Anschluss an eine feministische Kunstgeschichtsschreibung, einerseits den systematischen Ausschluss der Frauen aus der männlichen Kunstgeschichte und andererseits die gesellschaftliche Konstruktion der Geschlechter sichtbar zu machen. Doch bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts beweist die Position der Malerin Helene Funke eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem Rollenbild der Frau und mit den Geschlechterverhältnissen. Bewegt sich Funke motivisch im engen Rahmen der »weiblich« konnotierten Bildwelten (Landschaften, Frauenporträts, Tanz und Theater), beweist sie durch die Wahl männlicher Vorlagen und der interpretatorischen Veränderung dieser Vorlagen eine gezielte Beschäftigung mit den Relationen von Frau und Mann, Künstlerinnen und Künstler. Männliche Figuren werden in ihren Bildern durch weibliche ersetzt, weibliche Figuren werden von ihrer objekthaften Verdinglichung befreit und zu aktiven Protagonistinnen, männlich besetzte Orte werden von Frauen besiedelt. Bearbeitet Funke damit immer wieder das Thema Mann/Frau, lassen sich ihre Werke darüber hinaus als eine Form der Emanzipation betrachten, eine Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter, vielleicht gar nach Gleichberechtigung der Künstlerinnen neben den Künstlern. Ferner erweist sich der Begriff der ›emanzipatorischen Aneignung‹ nach Mader als produktiv für die Arbeitsweise der Malerin, denn er verbindet zwei zentrale Aspekte, die das Werk Funkes charakterisieren: die Aneignung fremder Vorlagen und das interpretatorische Umdeuten dieser vor dem Hintergrund geschlechtsspezifischer Fragestellungen. Die Interpikturalität Funkes wird vor diesem Hintergrund als eine kritische Arbeitsmethode gedeutet, die den Umgang mit dem Bild und seinen Vorlagen, aber auch die Frage nach den Geschlechterverhältnissen und Emanzipation auf der anderen Seite zulässt, reflektiert und kritisch beleuchtet.

III. Assimilation und Aneignung

Das vorliegende Kapitel widmet sich in einer diskurshistorischen Analyse der Zeit Helene Funkes in München. Dabei werden die institutionellen Besonderheiten der Künstlerinnenausbildung erläutert und am Beispiel der Malerin entfaltet, wodurch auch die sozial-historischen Bedingungen und Begrenzungen des Künstlerinnen-Seins aufgezeigt werden. Auch wird ein eingehender Blick auf die Kunstmetropole München und die in ihr zu beobachtende künstlerische Entwicklung im ausgehenden 19. Jahrhundert geworfen. Im Anschluss daran stehen die in München angefertigten Landschaften Funkes im Fokus, die als erste Werkgruppe nicht nur ihre weitere künstlerische Entwicklung prägen, sondern auch eine Kontextualisierung innerhalb der zeitgenössischen Münchener Malerei erlauben. Welche Motive, welche Formen greift Funke auf? Inwieweit kann man von einer Prägung durch einerseits die Ausbildung und andererseits die Münchener Malerschaft, die zum Beispiel in Ausstellungen präsent war, ausgehen? Und lässt sich diese Kontextualisierung der frühen Landschaften innerhalb der Münchener Szene bereits als eine erste Form der Aneignung beschreiben? Helene Funke beschließt im Alter von knapp 30 Jahren sich gänzlich der Malerei zu widmen. An einer staatlichen Kunstakademie als Frau nicht zugelassen, zieht sie 1899 nach München, um an der sogenannten DamenAkademie, einer 1884 eingerichteten Institution des Künstlerinnen-Vereins München e.V., zu studieren. Dass Funke bereits zuvor eine künstlerische Ausbildung erhalten haben könnte, darauf verweisen zwar die hohe Qualität ihrer Werke und die in ihnen erkennbaren Fähigkeiten, es gibt jedoch keine Quellen, die dies belegen.1 Somit muss das Studium an der Münchener Damen-Akademie als vermeintlich erste professionelle und letztlich auch 1

Peter Funke schreibt dazu: »Allerdings weisen ihre frühesten Bilder darauf hin, dass sie eine Ausbildung erhalten haben muss.«, in: Funke, 2011, S. 13.

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Aneignung und Eigensinn

einzige Ausbildung gelten. München avanciert Mitte des 19. Jahrhunderts Dank des Wirkens König Ludwigs I. zu einer internationalen Metropole der Kunst, die sich gar neben Paris behaupten kann.2 Und obwohl sich zur Jahrhundertwende mehr und mehr Berlin als deutsche Kunsthochburg durchsetzt, haftet München noch immer etwas von diesem einst so hoch geschätzten Ruf an. Dies mag wohl einer der Gründe gewesen sein, warum es Funke nach München und nicht nach Karlsruhe oder Berlin zieht – Städte, die ebenfalls bereits zu dieser Zeit künstlerische Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen anbieten (die Zeichen- und Malschule des Vereins der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen in Berlin wurde bereits 1867, die Malerinnenschule in Karlsruhe im Jahr 1885 gegründet).3 An der Münchener Damen-Akademie besucht Funke zunächst die Landschaftsklasse von Friedrich Fehr und später die Kopf-Zeichenklasse von Angelo Jank. Beide sind zu dieser Zeit bekannte Künstler, die auch außerhalb Münchens geschätzt werden. Besonders Fehr und sein Landschaftsunterricht dürften große Wirkung auf die Malerin ausgeübt haben, schließlich entwickelt sich die Landschaft zu Funkes bevorzugtem Sujet dieser frühen Jahre.4 Vor diesem Hintergrund lohnt nicht nur ein Blick auf die Werke des Lehrers, sondern auch ein genauer Blick auf die offiziellen Ausstellungen in München. Diese spiegeln nämlich die zu dieser Zeit beliebten Sujets und gebräuchlichen formellen Gestaltungselemente. Vor allem aber zeigen sie eine konventionelle, offiziell geförderte Kunst, denn die Ausstellungen unterstanden dem Prinzregenten, die darin präsentierte Kunst unterliegt also dem offiziellen Kunstgeschmack. Anhand dieser historischen Folie gilt es zu prüfen, ob und in welcher Weise diese vermeintlichen Vorbilder auf Funke gewirkt, sie angeregt oder gar motivisch inspiriert haben könnten. Lassen sich ihre Landschaften im Kontext der zeitgenössischen (und an der Damen-Akademie gelehrten) Darstellungskonvention verorten? Und lässt sich an ihnen bereits eine erste Tendenz zu einem interpikturalen Arbeiten, also einem Arbeiten nach oder das Verarbeiten von einer Vorlage, erkennen? Die Zeit in München darf nicht nur als Ausbildungszeit Funkes betrachtet werden, sondern markiert zudem eine Phase der ersten Entwicklung fernab 2 3 4

Ruppert, 1998, S. 207. Berger, 1982, S. 91. Die Landschaft ist seit Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts bevorzugtes Bildthema vieler Künstler und künstlerischer Bewegungen, so dass Funkes Auseinandersetzung mit der Landschaft als konventionelles Motiv und als Wiedergabe eines zu dieser Zeit gültigen Geschmacks zu bewerten ist.

III. Assimilation und Aneignung

des elterlichen Umfeldes. Wegweisend ist dabei zunächst die Ausbildung an der Damen-Akademie, die aber stets als Zweitwahl zu betrachten ist, symbolisiert sie doch immer auch das Ausgeschlossensein von der offiziellen akademischen Förderung. Als junge Malerin erlebt Funke also in München eine Situation des Anders-Seins. Die Ausgrenzung der Künstlerinnen beschränkt sich dabei nicht nur auf die Ausbildung, sondern ist Merkmal des Kunstbetriebs generell. Die in Ausstellungen gezeigte Kunst ist mehrheitlich männlich, Künstlerinnen stehen auch hier im Schatten der Künstler und nehmen eine Randposition ein. Trotzdem gelingen Funke in München erste berufliche Erfolge. Sie stellt nicht nur in München bei den offiziellen Jahresausstellungen aus, sondern auch in Berlin und Hamburg. Somit liegt die Vermutung nahe, dass sie mit ihren Werken überzeugen kann. Vielleicht, weil sie eine Bildsprache ausgeprägt hat, die sich innerhalb des geläufigen Kunstgeschmacks einfügt, sich anpasst, oder pointierter formuliert, sich eine Bildsprache und Motivwelt zu eigen macht, die Erfolg verspricht. Die herausragende Stellung Münchens als Kunstmetropole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert bedeutet auch, dass neben deutscher zugleich internationale Kunst in der Stadt sichtbar ist. 1869 wird die Internationale Kunstausstellung5 mit namhafter Beteiligung englischer, holländischer, italienischer und vor allem französischer Künstler, besonders der Schule von Barbizon, eröffnet, die in den folgenden Jahren bis 1931 regelmäßig Wiederholung findet. Es ist somit anzunehmen, dass Funke durch das rege Ausstellungswesen Münchens nicht nur die zu dieser Zeit bedeutsamen deutschen und Münchener Künstler kennenlernt, sondern auch die europäischen. Die Schule von Barbizon nimmt dabei einen herausragenden Stellenwert ein, denn hier könnte ein besonders interessantes Rezeptionsphänomen vorliegen: nicht nur, dass Funke durch Ausstellungen oder Ausstellungsdokumentationen die Werke der Barbizonisten direkt rezipieren konnte; das Wirken der französischen Landschaftsschule auf die Münchener Malerschaft wie beispielsweise auf Eduard Schleich d. Ä., Carl Spitzweg und Max Liebermann ist belegt.6 Über die Rezeption dieser zweiten Generation von »Münchener Barbizonisten«, die Elemente der französischen Kunst in ihr Werk integrieren, 5

6

Zur Internationalen Kunstausstellung siehe: Hansky, Sabine: Die internationale Kunstausstellung von 1869 in München. Die französische Malerei in der zeitgenössischen Pressekritik, München 1994. Wichmann, Siegfried: Münchner Maler des 19. Jahrhunderts und die Schule von Barbizon, München 1996, S. 7.

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wäre Funke auch eine indirekte (und unbewusste) Rezeption der Franzosen möglich, wodurch sich eine über zwei Generationen verlaufende Rezeptionskette ergibt. Funkes Darstellung »Haus im Park«, die abschließend vorgestellt wird, zeigt im Vergleich zu der Werkgruppe der anderen Landschaften eine deutliche formale Veränderung, die mit einer zunehmenden Modernität hinsichtlich formalästhetischer Mittel einhergeht. Lässt sich dieses Bildbeispiel als Indiz dafür deuten, dass Funke am Ende ihrer Zeit in München den Blick zunehmend nach Frankreich richtet, kurz bevor sie selbst 1906 nach Frankreich zieht? Oder belegt das Beispiel nicht auch eine Veränderung in München, die zunehmend angeregt von französischen Vorbildern eine stetige Ablösung vom konventionellen höfischen Kunstgeschmack vollzieht? Vor diesen Untersuchungsansätzen werden nicht nur die Ausbildungssituation und die Lehrjahre Funkes in München als Teil ihrer Künstlerinnensozialgeschichte aufgearbeitet, sondern es wird gezeigt, wie und woraus sich die besondere Arbeitsweise Funkes entwickelt hat. Dabei wird der Fokus immer wieder auf diskurshistorische Aspekte gelenkt – die Entwicklung der Landschaftsmalerei in München, gesellschaftliche und soziale Veränderungen –, die schlussendlich helfen sollen, ein möglichst vollständiges Bild dieser entscheidenden Jahre in München zu zeichnen. Denn diese Jahre prägen die weitere Entwicklung Funkes, sie fördern die Ausformulierung ihrer spezifischen Arbeitsweise der Aneignung und auch ihre besondere sozialkritische wie emanzipatorische Haltung, die sich auf vielfältige Weise in ihr Werk einschreibt.

Künstlerinnenausbildung im Schatten. Die Damen-Akademie Die Geschichte der Künstlerinnen wird häufig als eine Geschichte der Abwesenheit oder Verdrängung, als eine Parallel- oder Gegengeschichte zur (männlichen) Kunstgeschichte beschrieben. Dabei konstatierte schon Griselda Pollock 1981 und Carola Muysers 1999 erneut, dass die ›Künstlerinnengeschichte‹ nicht als ›Sondergeschichte‹, also als ein separates Kapitel zu verstehen sei, sondern als ein eigener, integraler Bestandteil der Kunstgeschichte.7 Im Folgenden wird die Ausbildungssituation der Künstlerinnen betrachtet, nicht aber um eine weitere Sondergeschichte 7

Muysers, Carola: Einleitung, in: Die Bildende Künstlerin, Amsterdam/Dresden 1999, S. 15.

III. Assimilation und Aneignung

zu erzählen, sondern um auf die besonderen sozialen und institutionellen Rahmenbedingungen der Künstlerinnen hinzuweisen, die stets zu einer Sonderrolle der Frau im Kunstbetrieb geführt haben. Ein wesentlicher Grund dafür sind die unterschiedlichen Vorraussetzungen für kunstschaffende Männer und Frauen, wobei die unterschiedlichen Ausbildungsmöglichkeiten bzw. -unmöglichkeiten sicherlich die markanteste Differenz darstellen. Des Weiteren muss man das Kunstsystem, wie das vorangestellte Kapitel zeigte, als ein männlich dominiertes System bezeichnen, und der philosophische Dualismus vom männlich geistigen und weiblich sinnlichen Prinzip, wie es Muysers nennt,8 sorgt für ungleiche Bedingungen und Bewertungskriterien der beiden Geschlechter. Unterschiedlichen Vorraussetzungen begegnen die Künstlerinnen mit der Suche nach Alternativen. Sie suchen nach anderen Ausbildungswegen und entwickeln spezifische Berufsstrategien.9 Auch wenn die Ausbildung im Grunde alternativlos ist – die Akademien bleiben strikt verschlossen, so dass private Schulen und Damen-Schulen keine Alternativen, sondern einzige Form der Ausbildung sind. Doch um die Jahrhundertwende tritt eine moderne und selbstbewusstere Künstlerinnengeneration in Erscheinung, die sich laut Jutta Hülsewig-Johnen vom Überkommenen emanzipiert: vom männlich dominierten Kunstbetrieb, vom weiblichen Dilettantismus und vom traditionellen Kunstverständnis.10 Entscheidend dabei ist die Ausbildung, die zwar immer noch nicht als »akademisch«, wohl aber als zunehmend professionell zu bezeichnen ist. Helene Funke nennt das Jahr 1900 den »Beginn ihrer selbstständigen Tätigkeit als akademische Malerin«, wie Peter Funke zitiert.11 Aus dem Melderegister der Stadt lässt sich entnehmen, dass sie bereits 1899 nach München kommt; in den Jahresberichten des Künstlerinnen-Vereins, dem die DamenAkademie angeschlossen ist, wird sie ab 1899 als außerordentliches Mitglied, also als Schülerin, geführt.12 Dass das Verlassen des familiären Umfeldes einen zu dieser Zeit ungewöhnlichen und vor allem unkonventionellen Schritt für eine Frau bedeutet, steht außer Frage. Noch zur Zeit der Jahrhundertwende war es üblich, dass Frauen lediglich in Definition des Mannes, also 8 9 10 11 12

Ebd., S. 21. Ebd., S. 15. Hülsewig-Johnen, 2015, S. 13. Funke, 2011, S. 13. Ebd., S. 15.

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als Gattin oder Muse von, betrachtet wurden, konstatiert Isabella Fehle.13 Der Entschluss zu einem vom Vater oder Ehemann unabhängigen Leben, die Wahl eines Berufs, war nicht nur äußerst selten, sondern wurde auch wenig toleriert, denn er galt als Abweichen von der gesellschaftlich formulierten Norm. Peter Funke attestiert seiner Tante aufgrund dieses Entschlusses nicht nur ein starkes Durchsetzungsvermögen, sondern auch die »Überzeugung von den eigenen Fähigkeiten«14 . Die Damen-Akademie in München bietet als eine der ersten Schulen in Deutschland einen akademieähnlichen, professionellen Unterricht für Frauen. Denn während zu Beginn des 19. Jahrhunderts Frauen durchaus noch an staatlichen Lehreinrichtungen aufgenommen werden – Marie Ellenrieder immatrikuliert sich 1813 als erste Frau in Deutschland an einer Kunsthochschule, an der Akademie in München15 –, stellen die sich zunehmend verschließenden Akademien laut Muysers die weitreichendste Benachteiligung der Frauen im Kunstbetrieb dar.16 Zwischen 1852 und 1920/21 ist die Akademie in München ohne Ausnahme für Frauen verschlossen.17 Offizielle Gründe für die Ablehnung weiblicher Studierende sind häufig praktischer bzw. ökonomischer Art, wie mangelnder Platz, um extra Räume für den getrennten Unterricht von Männern und Frauen oder separate Toilettenräume einrichten zu können.18 Die Angst vor einem Sittenverfall ist dabei aber gemäß Hopp nur ein vorgeschobener Grund, viel eher geht es darum, Frauen eine künstlerische Karriere unmöglich zu machen, denn ohne fundierte Kenntnisse von Anatomie und Akt gilt die Künstlerinnenausbildung als unvollständig, und eine Betätigung auf dem Gebiet der höchsten akademischen Kunstgattungen (wie der Historienmalerei) ist von vornherein ausgeschlossen.19 Im Grunde muss man der Hochschulpolitik damit eine bewusste Sabotage der Frauen unterstellen. 13 14 15 16 17 18 19

Fehle, Isabella: Frauen im Blickpunkt, in: Ab nach München. Ausstellungskat., 2014, S. 6. Funke, 2011, S. 15. Hopp, 2008, S. 66. Hopp erklärt außerdem, dass in den Jahren nach Marie Ellenrieder in München weitere 47 Frauen zugelassen worden sind, siehe: ebd. Muysers, 1999, S. 14. Hopp, 2008, S. 67. Voit, Antonia: Bildung für Frauen, in: Ab nach München, Ausstellungskat., 2014a, S. 9. Hopp, Meike: Künstlerinnenausbildung »in einem tauben reaktionären Milieu« – Frauen an der Akademie der Bildenden Künste München zwischen Anpassung und Widerstand (1920-1949), in: 100 Jahre VBKÖ Festschrift, Hg. Rudolfine Lackner, Wien 2011, S. 223f.

III. Assimilation und Aneignung

Bis 1868 gibt es für Frauen lediglich die Möglichkeit des Privatunterrichts oder den inoffiziellen Kursbesuch in Kunstschulen, Kunstgewerbeschulen und Akademien.20 In den meisten privaten Einrichtungen erhalten die Schülerinnen aber einen unsystematischen Ausbildungsgang, sie haben zudem geringere Möglichkeiten zur konzentrierten Übung wichtiger Grundlagentechniken sowie Mangel an theoretischen Fächern und vor allem keinen oder nur spärlichen Aktunterricht.21 Gerade dieser gilt jedoch als zentrales Studienfach22 , und der fehlende Nachweis der Unterrichtung dieses Faches wird immer wieder als Begründung für eine unzulängliche, nicht-professionelle Ausbildung bemüht. Auch fehlt den Frauen in privaten Einrichtungen oftmals der »moderne« Freilichtunterricht.23 Die fehlende akademische Ausbildung bedeutet auch, dass Künstlerinnen die wesentlichen Voraussetzungen für künstlerische Aneignung vorenthalten wurden, konstatiert Graw.24 Gerade das Prinzip der Aneignung, für männliche Künstler eine Selbstverständlichkeit, sei aber von existenzieller Tragweite, denn es bedeute für Künstlerinnen die Möglichkeit, sich etwas zu nehmen und dadurch teilzunehmen. »Das Prinzip Aneignung kann mit einigem Recht als einzige Möglichkeit angesehen werden, sich zu einem dominanten Rahmen innerhalb einer auf Besitz gerichteten Gesellschaft zu verhalten.«25 Dabei sei gerade der Aktunterricht, eine der grundlegendsten Einübungen in künstlerischer Aneignung, entscheidend. Aneignung als künstlerische Praxis ist vor dem Hintergrund der Ausführungen Graws ein wesentlicher Bestandteil der akademischen Ausbildung und Möglichkeit der Partizipation auch über die Ausbildung hinaus, der Frauen zunächst nicht zugänglich ist. Erst in privaten Einrichtungen und Künstlerinnen-Schulen wird die Methode der Aneignung für Frauen systematisch unterrichtet. Besonders für die künstlerische Entwicklung Funkes ist diese Tatsache von großer Signifikanz. In den privaten Einrichtungen und Schulen, in der Zeit, als die Akademien für Frauen gänzlich verschlossen sind, besteht laut Muysers tatsächlich die Gefahr der Durchmischung dilettantischer und professioneller Bildung.26 Dieses Vermengen von dilettantischer und professioneller Ausbildung stünde 20 21 22 23 24 25 26

Muysers, 1999, S. 30. Ebd., S. 32. Nochlin, [1971] 1996, S. 41. Hopp, 2011, S. 220. Graw, 2003, S. 33. Ebd., S. 35. Muysers, 1999, S. 30.

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allerdings bis heute – zu Unrecht – für die gesamte Entwicklungsgeschichte der Bildenden Künstlerin. In der öffentlichen Wahrnehmung konnte sich die Ausbildung an einer solchen Schule niemals als gleichwertig neben der akademischen Ausbildung behaupten. Dabei seien schon die ersten Damenkunstschulen besonders bedacht darauf gewesen, eine deutliche Trennung zwischen Dilettantinnen und professionellen Schülerinnen zu gewährleisten, erklärt Muysers weiter, um dem Vorurteil einer unzureichenden Ausbildung entgegenzuwirken. Mit dem Aufkommen der Malschulen und ersten Damenakademien nehmen sich auch die Kommunen der Ausbildungslage der Frauen an; die Frage nach der Berufskünstlerin und ihrer Ausbildung rückt mit deren zunehmender Präsenz endlich ins Bewusstsein.27 Auch die staatlichen Hochschulen und Akademien öffnen sich Ende des 19. Jahrhunderts langsam für weibliche Studierende – München bleibt die Ausnahme.28 Fürsprache zugunsten einer gleichberechtigten Ausbildung gibt es darüber hinaus durch einige Kunsthistoriker und Künstler, die Frauen folglich nicht zwangsläufig als Konkurrenz oder als weniger befähigt betrachten, sondern ihnen ein vergleichbares Kunstvermögen zusprechen.29 Was zu Beginn des 19. Jahrhundert noch unvorstellbar ist, charakterisiert nicht nur das wachsende Verlangen der Künstlerinnen nach Gleichberechtigung, sondern auch ein erstarktes Selbstbewusstsein: Die Künstlerinnen drängen verstärkt in die Öffentlichkeit. Wie Muysers erklärt, war der Kunstbetrieb stets auf ein öffentliches Auftreten und öffentliche Präsenz ausgelegt, was zunächst ein Nachteil für Frauen war.30 Dies verschiebt sich nun. Künstlerinnen zeigen ihre Werke nicht länger nur in geschlossenen Vereinigungen, sondern in unabhängigen Ausstel27 28

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Ebd., S. 30f. Mit Ausnahme von den Akademien in Frankfurt und Kassel haben Frauen im 19. Jahrhundert keinen Zugang zu Staatlichen Akademien. Die Akademien in Königsberg und Weimar nehmen ab 1902 erstmalig weibliche Studierende auf, wenn auch nur mit Vorbehalt und führen sie in sogenannten »Damenklassen«, die zumindest in Königsberg bald wieder geschlossen werden. Die Akademie in Stuttgart räumt 1906 zwölf Plätze für Studentinnen ein, siehe: Berger, 1982, S. 92ff. Die Akademie der Bildenden Künste München hat zwar 1814 Marie Ellenrieder aufgenommen und bis 1839 insgesamt etwa 50 weitere Frauen zum Studium zugelassen, doch zwischen 1839 und 1920/21 wurden keine Frauen mehr zugelassen, siehe: Voit, 2014a, S. 9. Zu nennen sind z.B. Rudolf Eitelberger von Edelberg, der die staatliche Förderung österreichischer Kunstschülerinnen forderte, oder Georg Voss, siehe: Muysers, 1999, S. 31. Ebd., S. 14.

III. Assimilation und Aneignung

lungen.31 Die Münchener Akademie der Bildenden Künste verweigert trotzdem immer noch vehement die Aufnahme von Frauen und verweist auf die Damen-Akademie als »Alternative«32 . Wobei die Damen-Akademie keine Alternative ist, denn Alternative bedeutet Wahl, sondern einzige künstlerische Ausbildungsmöglichkeit für Frauen in München. In den folgenden Jahren entbrennt ein regelrechter Zulassungsstreit in München; 1918 treten Schülerinnen der Damen-Akademie an das Kultusministerium und fordern die Öffnung der Münchener Akademie, die als eine der letzten Kunsthochschulen in Deutschland die Aufnahme von Studentinnen verweigert.33 Erst zwei Jahre später verfügt das Kulturministerium im August 1920 die Zulassung der Frauen ab dem Wintersemester 1920/21.34 Diese werden dann, so Hopp, nahtlos in das bestehende, männerdominierte Unterrichtssystem eingegliedert, bleiben dabei aber unerwünscht, und tradierte Klischees über mangelnde künstlerische Befähigung von Frauen werden weiterhin aufrecht erhalten. So äußert sich die Malerin Henny Protzen-Kundmüller über ihre Erfahrungen an der Akademie, nachdem Frauen endlich zugelassen wurden, wie folgt: »[…] so wollte eigentlich uns ›Malweiber‹ so recht niemand haben, insbesondere die Mitschüler nicht.«35   Der Gründung der Damen-Akademie in München geht die Gründung des Künstlerinnen-Vereins e.V. im Jahr 1882 voraus. Dieser wird gemäß Yvette Deseyve mit dem Ziel der »gegenseitigen künstlerischen Anregung und Unterstützung« errichtet.36 Schon zwei Jahre nach der Gründung des Künstlerinnen-Vereins werden im Oktober 1884 die ersten drei Ateliers für 31 32 33

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Ebd., S. 19. Hopp, 2008, S. 69. In dem Schreiben heißt es wie folgt: »Es ist eine grosse Ungerechtigkeit, dass den Frauen die Akademie noch verschlossen ist in einer Zeit, die ihnen das Wahlrecht gibt, die ihnen alle Universitäten, technische Hochschulen und staatliche Kunstgewerbeschulen schon lange öffnete. Sie stossen auf den Widerstand veralteter Professoren, die mit der neuen Zeit nicht Schritt halten und eine Verstaatlichung der Schule des Künstlerinnenvereins vorschlagen.«, BayHSTA, MK 14102, darin: Die Studierenden der Damenakademie des Künstlerinnenvereins Münchens an das Kultusministerium, 28.12.1918, zit.n.: Hopp, 2011, S. 223. Hopp, 2008, S. 69. Protzen-Kundmüller, Henny: Interview 1936, in: Die Frau, Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten (10) 1936, zit.n. ebd., S. 70. Deseyve, 2005, S. 35.

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den Schulbetrieb eingerichtet.37 Grund für diesen Schritt sei nach Angaben des Vereins die mangelhafte Ausbildungssituation für Künstlerinnen in München, wonach es außer in der weiblichen Abteilung der Königlichen Kunstgewerbeschule und in Privatateliers keinerlei Möglichkeiten zur Ausbildung für Frauen gegeben habe – die Ausbildung an Kunstgewerbeschulen oder in privaten Ateliers sei allerdings eher als dilettantisch und als wenig professionell angesehen worden (worauf auch Muysers hinweist). Dem entgegen zielt der Münchener Künstlerinnen-Verein, der finanziell durch das stetige Anwachsen der Vereinsmitglieder begünstigt wird, darauf, mit einer eigenen Kunstschule Künstlerinnen die Möglichkeit eines Studiums zu annehmbaren Preisen zu geben.38 Dennoch ist der Unterricht an der DamenAkademie, wie auch an anderen privaten Schulen, sehr viel teurer als an einer staatlichen Kunsthochschule; noch im Jahr 1913 zahlen die Schülerinnen der Damen-Akademie 400 Mark pro Studienjahr, während die Schüler an der Akademie lediglich 70 Mark zu zahlen haben39 – der Beitrag für Frauen ist also mehr als fünf mal so hoch. Schon in der Namensgebung wird deutlich, dass die vereinseigene Kunstschule den Anspruch einer »Professionalisierungsinstitution« anstrebt, so Deseyve, die Damen-Akademie forciert demnach eine akademiegleiche Ausbildung, die sich von üblichen, meist privaten Einrichtungen und Kunstschulen unterscheidet.40 Um dies gewährleisten zu können, wird im Laufe der Zeit ein breites Angebot an unterschiedlichen Fächern analog zum Angebot der Akademie etabliert, wie beispielsweise das kontrovers diskutierte Aktzeichnen, Perspektivlehre, das Studium nach der Natur, Maltechnik, Kunstgeschichte und Anatomie. Als weitere Sicherstellung einer professionellen Ausbildung werden neben diesem großen und vielseitigen Angebot an Unterrichtsfächern außerdem bekannte und etablierte Künstler der Zeit als Lehrkörper eingesetzt.41 Die Damen-Akademie bietet so laut Antonia Voit ein anerkennenswertes Niveau und einen deutlich umfassenderen und systematischeren Unterricht als andere Frauenkunstschulen, wenngleich sie bezüglich der Fächerauswahl und der Stundenzahl des Unterrichts dennoch 37 38 39 40 41

Ebd., S. 68ff. Ebd., S. 68. Hopp, 2008, S. 69. Deseyve, 2005, S. 74ff. Unter diesen befand sich beispielsweise Ludwig Herterich, Maximilian Dasio und Hans Behrens, aber auch einige Künstlerinnen wie Tina Blau-Lang und Carola von BaerMathes, siehe: ebd., S. 79ff.

III. Assimilation und Aneignung

hinter der Akademie zurücksteht.42 Nichtsdestotrotz, während viele private Einrichtungen weniger nach akademischer Professionalität streben als viel mehr Beschäftigungen für junge noch unverheiratet Frauen anbieten, strebt die Münchener Damen-Akademie nach Profession und orientiert sich eng am Vorbild der Königlichen Kunstgewerbeschule.43 So hat die Damen-Akademie bereits um 1900 einen gefestigten, über München hinausreichenden Ruf,44 der womöglich auch Funke anzieht. Vergleichbare Schulen gibt es neben München zu jener Zeit lediglich in Berlin (Zeichen- und Malschule des Vereins der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen in Berlin, 1867 gegründet) und in Karlsruhe (Malerinnenschule in Karlsruhe, gegründet 1885).45 Helene Funke ist den Untersuchungen Deseyves zur Folge von 1899 bis 1902 Mitglied des Münchener Künstlerinnen-Vereins und Schülerin der Damen-Akademie.46 Welche Fächer Funke belegt und unter welchen Lehrern sie studiert hat, ist bis auf wenige Ausnahmen nicht bekannt. Eine Fotografie aus dem Jahre 1901/02 zeigt sie allerdings in der Kopf-Zeichenklasse von Angelo Jank, die sie wohl gemeinsam mit u.a. Gabriele Münter47 besuchte. Als Grundlage einer künstlerischen Ausbildung ist der Zeichenunterricht seit Gründung der Akademien von größter Bedeutung.48 Der systematische Zeichenunterricht bedeutet das Erlernen einer aneignenden Praxis; das Modell wird erfasst und auf den Malgrund übertragen, es wird sich zu eigen gemacht. Porträtskizzen Funkes aus der Zeit in München (vielleicht in der Klasse Janks entstanden) zeigen ihre wiederholte Auseinandersetzung mit der zeichnerischen Methode und mit dem Bildtypus des Porträts, das im Verlauf ihrer weiteren Entwicklung ein Kernmotiv wird. 42 43 44 45 46 47

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Voit, Antonia: Die Damen-Akademie ebnet den Weg in die Professionalität, in: Ab nach München, Ausstellungskat., 2014b, S. 30. Ebd., S. 27. Kleine, Gisela: Gabriele Münter und Wassily Kandinsky. Biographie eines Paares, Frankfurt a.M./Leipzig 1994, S. 88. Berger, 1982, S. 91. Deseyve, 2005, S. 154. Gabriele Münter besuchte die Schule des Künstlerinnen-Vereins ab 1901 und studierte in den Klassen von Maximilian Dasio und Angelo Jank. 1902 begann sie das Studium an der Phalanx-Schule und besuchte Kandinskys Klasse, siehe: Galerie Neher Essen (Hg.): Gabriele Münter und ihre Zeit. Malerei der Klassischen Moderne in Deutschland, Ausstellungskat.: Galerie Neher, 1990, Essen 1990, S. 10. Kemp, Wolfgang: »…einen wahrhaft bildenden Zeichenunterricht überall einzuführen«. Zeichnen und Zeichenunterricht der Laien 1500-1870. Ein Handbuch, Frankfurt a.M. 1979, S. 121.

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Gabriele Münter verlässt die Damen-Akademie 1902, weil sie mit dem Angebot unzufrieden ist; es stört sie die »nachsichtige Milde«, die »weibliche Thematik« der Aufgaben und der »damenhafte Zug« in der Gestaltung.49 Auch Funke beendet im gleichen Jahr ihre Ausbildung. Trotz Münters kritischer Einschätzung darf aufgrund des Fächerangebots, der Organisation und der ordentlichen Professoren, die den Unterricht an der Damen-Akademie leiten, von einer Akademie-ähnlichen Ausbildung ausgegangen werden, die als wesentliche Grundlage den Werdegang Funkes prägt. Sie erlernt an der DamenAkademie mindestens die Gattungen Landschaft und Porträt, die Techniken der Zeichnung und Malerei sowie das aneignende Prinzip im Umgang mit einem Modell oder einer Vorlage. Neben dem Zeichenunterricht nimmt sie in ihrem ersten Studienjahr 1899 Landschaftsunterricht bei dem Maler Friedrich Fehr,50 der die Damen-Akademie allerdings im gleichen Jahr verlässt und einem Ruf nach Karlsruhe folgt; dort übernimmt er bis 1923 die Professur für Malerei an der staatlichen Akademie.51 Neben der professionellen Ausbildung, für die die Damen-Akademie zur dieser Zeit steht,52 ist sicherlich auch die Stadt München selbst Anreiz für Funke Chemnitz in Richtung Süden zu verlassen. München gilt Ende des 19. Jahrhunderts als führende Kunstmetropole Deutschlands, neben Paris sogar als bedeutendste Kunststadt Europas53 – auch wenn sich dies nach der Jahrhundertwende zunehmend wandelt und München mehr und mehr Ansehen verliert, während sich stattdessen Berlin einer immer besseren Reputation erfreut. Doch die kulturellen und künstlerischen Errungenschaften und das darauf begründete internationale Ansehen Münchens ist im 19. Jahrhundert ungebrochen. Kein Wunder also, dass Helene Funke nicht nach Karlsruhe oder Stuttgart oder gar nach Berlin geht, wo sie vielleicht die Möglichkeit gehabt hätte, an einer Staatlichen Akademie zu studieren – womöglich aber stets Ausgrenzung von den männlichen Studienkollegen erfahren hätte. München ist zudem um 1900 ein Zentrum der Frauenbewegung, hier leben und 49 50 51 52

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Kleine, 1994, S. 117. Funke, 2011, S. 15. Otremba, Heinz: Friedrich Fehr. Ein Maler und Grafiker aus Werneck, Historischer Verein Markt Werneck e.V., 2006, o.S. Zum Zeitpunkt Funkes Aufnahme an der Damen-Akademie befand sich auch diese noch im Aufschwung und konnte eine gute Reputation sowie eine wachsende Zahl der Schülerinnen verzeichnen, siehe: Deseyve, 2005, S. 68ff. Büttner, Frank: Die Akademie und das Renommee Münchens als Kunststadt, in: Zeitblicke 5, Nr. 2 (2006), o.S.

III. Assimilation und Aneignung

arbeiten vielen Aktivistinnen und treten für die Rechte der Frauen ein.54 Bereits 1894 wird der »Verein für Fraueninteressen« gegründet, der als »Keimzelle der bürgerlichen Frauenbewegung in München und Bayern« gilt.55 Der Verein fordert eine gleichberechtigte Schulbildung von Frauen sowie die Zulassung zum wissenschaftlichen Studium. 1899 findet der erste Bayerische Frauentag in München statt. Die sich im 19. Jahrhundert entwickelnde gute Reputation der Stadt München auch als Kunstmetropole geht maßgeblich zurück auf die »ambitionierte Stadtbau- und Kunstpolitik König Ludwigs I. mit den monumentalen Architekturprojekten der Ludwigstraße und des Königplatzes«, erklärt Ruppert.56 Die große Bedeutung der Kunstpolitik Ludwigs I. für die Entwicklung der Kunststadt München wird auch von Frank Büttner betont, denn in dieser Regentschaft wird Kunst erstmals der Öffentlichkeit präsentiert und dient nicht mehr nur der höfischen Pracht.57 Ruppert verweist außerdem auf das Stadtviertel Schwabing, das die Präsenz von Kunst und Künstlern verstärkt.58 Wassily Kandinsky, der 1897 nach München an die Königliche Akademie kommt, äußerst sich geradezu schwärmend über Schwabing und die »kulturelle[n] Aura« dieses Viertels, welches ihm als Ort des »Geistigen« schlechthin erscheint.59 Auch andere namhafte Künstler zieht es nach München, wie zum Beispiel Giorgio de Chirico, Paul Klee oder Lovis Corinth. Mauro Corradini nennt München somit zu Recht »Treffpunkt der maßgebenden Vertreter der zeitgenössischen Kunst« sowie »Schmiede der Moderne«60 . Nicht zuletzt geht der gute Ruf Münchens als bedeutendste Kunstmetropole Deutschlands auch 54 55 56 57

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Pfeiffer, Zara S.: Wir haben es gewagt, in: Ab nach München, Ausstellungskat., 2014, S. 17. Ebd., S. 18. Ruppert, 1998, S. 207. Nicht zu vergessen ist hierbei natürlich der Umstand, dass dies aus einem ganz bestimmten Grund geschah, Ludwig I. verfolgte ein politisches Ziel und setzte Kunst als Instrument der »instruction publique« ein. Das Instrumentalisieren der Kunst wurde erstmals während der Französischen Revolution und unter Napoleon eingesetzt, siehe: Büttner, 2006, o.S. Ruppert, 1998, S. 206. Kandinsky, Wassily: Essays über Kunst und Künstler, 3. Aufl., Hg. Max Bill, Bern 1973, S. 133f. Corradini, Mauro: Die Erforschung des Unbewussten. Sezessionen in Europa, in: Wege in die Moderne. Jugendstil in München 1896 bis 1914, Hg. Hans Ottomeyer, München/Berlin 1997, S. 15.

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auf die 1808 gegründete Akademie der Bildenden Künste zurück – schon Picasso soll 1897 empfohlen haben, in München zu studieren – allerdings nur einem potentiellen Sohn.61 Die strenge und vehemente Verschließung der Akademie gegenüber Frauen zeugt von einem konservativen und wenig aufgeschlossenen Verständnis von Ausbildung und Künstlertum und von einem Festhalten an alteingesessen Normen und Mustern. Gerade deshalb ist es äußerst interessant, dass München zugleich auch Ort für Veränderungen und Erneuerungen ist. Die 1892 gegründete Münchener Secession (zeitgleich zur Berliner Secession, aber fünf Jahre vor der Wiener Secession) strebt u.a. eine Abkehr von der historisierenden Kunst an, die an der Akademie betrieben wurde.62 Helene Funke kommt 1899 an einen Ort, der ihr die Möglichkeit einer professionellen künstlerischen Ausbildung bietet. München stellt zudem einen eng vernetzten Kunstbetrieb mit zahlreichen Museen, Galerien, internationalen Ausstellungen und einer großen Malerschaft dar. Hier trifft sie auf eine künstlerische Gemeinschaft, die sie anregt, inspiriert und ihren weiteren Werdegang bestimmen soll. Wenngleich stets anzunehmen ist, dass männliche Kollegen ihr, wie den Malerinnen generell, sehr ablehnend begegnen. Die Ausbildung an der Damen-Akademie – hier unterscheidet sie sich nicht von der akademischen Ausbildung einer offiziellen Einrichtung – leitet seine Schülerinnen und somit auch Funke unter konventionellen Methoden dazu an, nach Vorbildern zu arbeiten. Diese seit Jahrhunderten praktizierte akademische Lehrmethode stellt nicht nur die Grundlage einer jeden Künstlerausbildung dar,63 im Falle der Malerin Funke scheint sie zudem die Grundlage ihrer interpikturalen Arbeitsweise zu bilden. In diesen entscheidenden ersten Jahren lernt Funke unter professioneller Anleitung die Bedeutung einer Vorlage kennen und sich diese zu eigen zu machen. Es bleibt daher anzunehmen, dass Funke erst durch die professionelle Ausbildung an der Münchener Damen-Akademie die aneignende Methode erfährt und diese dann im Verlauf ihrer künstlerischen Entwicklung zu einer ihr eigenen künstlerischen Arbeitsweise fortführt. 61 62 63

1897 äußerte Picasso, wenn er einen Sohn hätte, der Maler werden wollte, würde er diesem das Studium in München nahelegen, siehe: Voit, 2014a, S. 8. Corradini, 1997, S. 12. Winckelmann, J.J.: Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst, Hg. Max Kunze, Stuttgart [1799] 2013, S. 33.

III. Assimilation und Aneignung

Darüber hinaus muss die Zeit in München auch hinsichtlich Funkes persönlicher Entwicklung als signifikante und bestimmende Phase betrachtet werden. Im stetigen Bewusstsein, keinen Zugang zur offiziellen Akademieausbildung zu erhalten, ist die Damen-Akademie nur eine Zweitwahl, wenn auch eine – wie die Berichte zeigen – gute Zweitwahl. Die Ausbildung dort ist aber immer nur Ersatz für die akademische Ausbildung, der sie versucht bestmöglich nachzukommen. Wenngleich dies in München aufgrund einer breiten Fächerauswahl und einer professionellen Lehrerschaft zwar gut gelingen mag, steht die Ausbildung an einer Künstlerinnen-Schule doch der akademischen Ausbildung stets in Anerkennung und offizieller Wertigkeit nach. Sie führt ihren Schülerinnen wie Funke dabei vor Augen, dass es eine geschlechtsspezifische Zweiklassengesellschaft auch im Kunstsystem gibt. Gleichzeitig beweist die zunehmend wachsende Frauenbewegung einen starken Widerstand, der letztlich zur Öffnung der Akademie führt. Diese außergewöhnlichen Bedingungen müssen stets berücksichtigt werden, sie formen Funkes gesellschaftliches und soziales Verhalten, sie befördern ein Gefühl des Andersseins und ein gleichzeitiges Bedürfnis nach Widerstand. Somit ist die Ausbildung in München nicht nur Ausgangspunkt für ihre künstlerische Entwicklung, die Sozialisierung in einer Stadt, die zwischen Ausgrenzung von Frauen und weiblichem Gegendruck so stark polarisiert, ist auch Folie für eine reflexive und kritische Haltung, die Funke in Folge einnimmt.

München zwischen Tradition und Erneuerung Zur Jahrhundertwende ist München eine Stadt, die zwischen zwei Gegensätzen polarisiert, zugespitzt formuliert, zwischen Alt und Neu. Offizielle Institutionen, die dem Prinzregenten unterstellt sind, wie die Hochschulen und die Königliche Akademie, forcieren eine tradierte, klassizistische Kunst. Doch mit der Internationalen Kunstausstellung beweist München schon Mitte des 19. Jahrhunderts eine Öffnung gegenüber ausländischer und neuer Kunst – der Blick der Künstler richtet sich gen Frankreich. Weiterhin formieren sich soziale und künstlerische Bewegungen, die auf Veränderungen und Erneuerung drängen. Ausländische Künstler kommen nach München, das Künstlerviertel Schwabing wird zu einem Zentrum der Münchener Bohème. Ein Blick auf die künstlerische Entwicklung Münchens vom 19. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert mit besonderem Fokus auf die Landschaftsmalerei soll im Folgenden das Feld abstecken, in dem sich Funke in ihren ersten Künstlerjah-

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ren bewegt. So entsteht neben der bereits untersuchten Ausbildungssituation eine weitere historische Kontextualisierung, die als Fundament für Funkes frühe Werkphase dient und eine Einordnung ihrer Landschaften erleichtert. Forciert durch die Akademie und im Speziellen durch Peter von Cornelius, der das Direktorium der Kunsthochschule ab 1826 übernimmt,64 dominiert zu Beginn des 19. Jahrhunderts zunächst eine historisierende Malerei – Historien- und Porträtmalerei –, die kaum Raum für landschaftliche Darstellungen lässt. Cornelius veranlasst 1826 sogar die Schließung der Landschaftsklasse.65 Erst nachdem er 1841 München den Rücken kehrt,66 folgt eine Umstrukturierung und Neuorientierung der Akademie, die auch die Wiederaufnahme der Landschaftsmalerei bedeutet.67 Anders verhält es sich in den privaten Malerateliers wie auch in privaten Malschulen68 , in denen die Landschaft schon lange beliebtes Sujet ist – vielleicht gerade aufgrund ihrer Abwesenheit in der Akademie. Einer der prägendsten Münchener Landschaftsmaler, der bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wirkt und als Wegbereiter der sich später entwickelnden, sogenannten »Stimmungslandschaft« gilt, ist Georg von Dillis.69 Dillis, der 1814 seines Amtes als Akademieprofessor für Landschaftsmalerei wegen seines der Akademie konträr entgegen stehenden Kunstverständnisses enthoben wird, prägt eine neue Landschaftsrichtung, die sich mehr und mehr von der Akademie abwendet und freie Studien vor der Natur präferiert.70 In diesem Umfeld entstehen die ersten Künstlerkolonien, wie beispielsweise die 1824 gegründete Künstlerkolonie auf Frauenchiemsee. Dillis’ Landschaften bestechen durch ihre besondere Farb- und Lichtbehandlung sowie eine, wie Heidi C. Ebertshäuser beschreibt, »unprätentiöse Motivwahl« und den in die Weite gehenden Blick; somit stellt Dillis 64 65 66 67 68

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Koch, David: Peter Cornelius. Ein deutscher Maler, Stuttgart 1905, S. 87. Mai, Ekkehard: Die deutschen Kunstakademien im 19. Jahrhundert. Künstlerausbildung zwischen Tradition und Avantgarde, Köln/Weimar/Wien 2010, S. 133. Koch D., 1905, S. 87. Hansky, 1994, S. 20. Hier sind exemplarisch die Privatschulen von Joseph Bernhard und Johann Berdellé zu nennen, die, wie Robert Neuhaus erklärt, viel zu der Ausbreitung französischer Ideen in München beigetragen haben, siehe: Neuhaus, Robert: Bildnismalerei des LeiblKreises. Untersuchungen zur Geschichte und Technik der Malerei der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Marburg 1953, S. 17. Ebertshäuser, Heidi C.: Malerei im 19. Jahrhundert. Münchner Schule: Gesamtdarstellung und Künstlerlexikon, München 1979, S. 8. Ebd., S. 26ff.

III. Assimilation und Aneignung

»die ungebrochenste Überleitung von der bayerischen Maltradition zur zukünftigen Stimmungslandschaft« dar.71 Von großer Bedeutung für die weitere Entwicklung der Münchener Landschaftsmalerei ist auch die Internationale Kunstausstellung von 186972 im königlichen Glaspalast, die nicht nur ein Umdenken bezüglich der Landschaftsmalerei und eine Verbesserung ihrer Reputation anstößt, sondern auch die Basis für die gute Beziehung zwischen den Künstlern in München und Paris darstellt.73 Die Ausstellung von 1869 präsentiert neben Gemälden der Alten Meister über 3000 zeitgenössische Werke deutscher, österreichischer, französischer, belgischer und holländischer, italienischer, englischer wie russischer und skandinavischer Künstler.74 Auch hinsichtlich der Entwicklung des Ausstellungswesens sorgt die Internationale Kunstausstellung für einen Anstoß in München. Die Ausstellung ist ein finanzieller Erfolg und hat unter anderem den Effekt, »dass Ausstellungen in ihrer Bedeutung richtungsweisend für Gunst und Geschmack des Publikums wurden«, so Ekkehard Mai.75 Dies spiegelt sich zum Beispiel in den Münchener Jahresausstellungen wieder, die ab 1869 bis 1931 regelmäßig im Glaspalast stattfinden. Es muss jedoch zwischen dem breiten Publikumsgeschmack und dem der Künstler differenziert werden. Die offiziellen Ausstellungen unterliegen in der Zeit wie die Akademie dem Prinzregenten und präsentieren so auch einen spezifisch höfischen Geschmack, der mit dem breiten Publikumsgeschmack korreliert. Die Internationale Kunstausstellung von 1869 ist so zwar für die Künstler eine Sensation, das gemeine Publikum reagiert hingegen wenig positiv. In den Kritiken liest man vom »Verfall der Kunst«, einem »sittlich-moralischen Niedergang« und einer »Gedankenlosigkeit« der Franzosen.76 Die französischen Maler nehmen eine exponierte Position in der Internationalen Kunstausstellung von 1869 ein. Sie sind nicht nur mit auffallend 71 72

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Ebd., S. 33. Die Ausstellung von 1869 ist nicht die erste Internationale Kunstausstellung in München, bereits 1863 gab es eine solche Ausstellung, die jedoch wesentlich kleiner ausfiel. Die Ausstellung von 1869 ist im Gegensatz dazu ein regelrechtes Großevent, siehe: Hansky, 1994, S. 25. Ebd., S. 38. Ebd., S. 33. Mai, 2010, S. 295. Hansky, 1994, S. 81.

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vielen Werken vertreten,77 gerade die Landschaften der Schule von Barbizon sorgen für Aufsehen und hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck auf die Münchener Landschaftsmaler.78 So konstatiert Hermann Uhde-Bernays, dass die Münchener Maler im Anschluss an die Barbizonisten die Landschaftsmalerei vom Atelier ins Freie verlegen.79 Ein Impuls, der zuvor zwar schon bei Dillis zu beobachten ist, jedoch sehr unüblich war. Auch Siegfried Wichmann beschreibt die »fruchtbare Begegnung« der Münchener Maler mit den Franzosen, die zu einer neuen Anschauung innerhalb der Landschaftsmalerei und einer Zuwendung zum Naturrealismus führt.80 Die Münchener Maler, die er in diesem Zusammenhang aufzählt, sind allen voran Eduard Schleich d. Ä., den auch Uhde-Bernays den »Vater der neuen Münchener Landschaftsmalerei«81 nennt, sowie Hermann Baisch, Wilhelm von Diez, Carl Spitzweg, Franz von Lenbach, Adolf Lier, Anton Teichlein, Josef Wenglein u.a.82 Schleich steht darüber hinaus dem Ausstellungskomitee und der Preisjury der Internationalen Ausstellung vor und hatte gemäß Sabine Hansky einen großen Anteil an Organisation und Gelingen der Ausstellung. Darüber hinaus nimmt er eine vermittelnde Rolle zwischen den Malern aus München und Paris ein.83 So erklärt sich auch die starke Platzierung der Franzosen, die die Räume in den beiden großen Mittelsälen erhalten, was als Zeichen der Wertschätzung durch das Komitee zu deuten sei.84 Von insgesamt 48 Auszeichnungen werden zehn an französische Maler verliehen, unter anderem an Courbet für sein Werk »Die Steinklopfer”(1849) sowie an Corot, Delaunay und Jacque.85 Besonders der große Erfolg Courbets war neben den aufsehenerregenden Landschaften der Schule von Barbizon wegweisend für die Entwicklung der Münchener 77 78

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Von den 1631 gezeigten Gemälden stammten etwa 500 aus München und knapp 350 aus Frankreich, siehe: ebd., S. 33. Aus dem Kreise der Schule von Barbizon wurden Werke von Rousseau, Dupré, Corot, Daubigny, Millet, Troyon und Diaz de la Peña gezeigt, außerdem sieben Werke von Courbet, zwei Arbeiten von Manet sowie Werke von Decamps, Ingres, Delacroix, Meissonier und Delaunay, siehe: ebd., S. 117ff. Uhde-Bernays, Hermann: Die Münchner Malerei im 19. Jahrhundert, 2. Teil: 1850-1900, Hg. Eberhard Ruhmer, München 1983, S. 149. Wichmann, 1996, S. 5. Uhde-Bernays, 1983, S. 34. Wichmann, 1996, S. 5. Hansky, 1994, S. 27ff. Ebd., S. 44. Ebd., S. 48.

III. Assimilation und Aneignung

Malerei, die sich nun zunehmend dem Realismus verschreibt, wie man es beispielsweise bei dem Kreis rund um Wilhelm Leibl beobachten kann. Wilhelm Leibl lernt Courbet, der 1869 zur Entgegennahme der Auszeichnung nach München reist, persönlich kennen; Courbet äußerst sich zudem sehr positiv über Leibls Arbeiten.86 Zwischen beiden entsteht eine freundschaftliche Verbindung; Leibl reist 1870 nach Paris, wo er auch Manet kennen lernt. Wie Uhde-Bernays erklärt, ist es jener Kontakt mit Courbet, der Leibl zu der Ausbildung seiner besonderen Technik, seiner Koloristik und zu der Erprobung des Realismus führt.87 Ähnliches schildert auch Julius Meier-Graefe, der schreibt: »Leibl wollte das Bildnis wie Courbet malen. Er stellte sich hin wie Courbet, nahm sogar Courbets Farben«.88 Nicht nur Leibl, auch andere Münchener Maler entdecken in den Franzosen, im Speziellen in den Malern der Schule von Barbizon, malerische Vorbilder und geistige Weggefährten.89 Eduard Schleich, Anton Teichlein und Adolf Lier reisen selbst nach Barbizon, um sich eine »breitere Technik« anzueignen, wie Richard Hamann attestiert, und malten im Wald von Fontainebleau.90 Wie sich die Bekanntschaft mit der Schule von Barbizon konkret in die Münchener Landschaften einschreibt, beschreibt Wichmann. So erklärt dieser exemplarisch, das Landschaftsbild der Münchener sei nun seitlich geöffnet, Freilicht und Beleuchtungslicht dringe von allen Seiten ein, Licht sei selbst in den Schatten vorhanden, die Schatten seien keine Dunkelwerte mehr, sondern würden zu Farbwerten und der Blick hinter die Dinge werde wichtig.91 Angeregt durch die Schule von Barbizon würden die Münchener Maler beginnen, den Naturrealismus ohne heroische Übersteigerung als einen »entgeisterten Stoff« anzusehen. Und weiter heißt es: »Die Landschafter hatten innerhalb der Münchner Malerschule eine bedeutsame Aufgabe: Ein neues Sehen entsteht, indem die Bilder das Skizzenhafte kultivieren, so daß die überforderte Denkfähigkeit des Historismus zurückgestellt wird. Der aktive Blick, das Erkennenwollen der Dinge in der beweg86 87 88 89 90 91

Uhde-Bernays, 1983, S. 133. Ebd., S. 132. Meier-Graefe, Julius: Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst, Bd. 1, Hg. Hans Belting, München/Zürich [1904] 1987, S. 314. Wichmann, 1996, S. 7. Hamann, Richard: Die deutsche Malerei im 19. Jahrhundert, Leipzig/Berlin 1914, S. 119. Wichmann, 1996, S. 5.

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ten Atmosphäre ist ein Hauptanliegen geworden, das die Sicht aktiviert und den Pinselduktus betont.«92 Sigrid Bertuleit beschreibt die »Bildfindungen authentisch empfundener Naturerlebnisse«, in »Varianten von Barbizonmotiven« und im beliebten braungrünen Kolorit der Barbizonisten als Inspiration für die Münchener Maler.93 Besonders hebt sie hierbei Eduard Schleich und Adolf Lier hervor. So beobachtet Bertuleit konkrete Übernahmen hinsichtlich der Farbgebung, in der Wahl des Themas und des Ortes und in der Überzeugung von der naturwahren Aussagekraft von Landschaft im Werke Schleichs und in seiner Nachfolge im Werke Liers.94 Diese sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter anderem durch den Kontakt zu den Barbizonmalern aber auch durch Wegbereiter wie Dillis und Kobell entwickelnde Landschaftsmalerei wird häufig als »Münchener Stimmungslandschaft« oder »intime Landschaft« bezeichnet. Ebertshäuser erklärt die Verwendung des Begriffs »intime Landschaft« anhand von Merkmalen wie der Freilichtmalerei, einer realen Wiedergabe einer stimmungsvollen ruhigen Natur und der Direktheit des Naturempfindens.95 Die intime Landschaft kehre das Verhältnis um: Nicht die Menschenstimmung beeinflusse die Naturstimmung, sondern die Naturstimmung die Menschenstimmung. Es handelt sich folglich um die »Darstellung der in der Landschaft gegebenen Stimmung des Naturlebens […]«96 . Mit der Hinwendung zur Natur und einer naturgetreuen Wiedergabe im Sinne der Realisten geht auch eine Abkehr von der Akademie und dem in ihr vertretenen Kunstverständnis einher. Wichmann erklärt sogar, dass es ein wesentliches Ziel der Münchener Maler gewesen ist, »die Entwicklung des Historismus wieder abzubauen«97 . Auch Jürgen Waibel legt dar, dass in München Ende des 19. Jahrhunderts die Befreiung vom Historismus sowie 92 93

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Ebd., S. 6. Bertuleit, Sigrid: Paris – München. Frankreich und Deutschland auf Tuchfühlung durch »Kunst und Kunstindustrie«, in: Natur als Garten – Barbizons Folgen. Frankreichs Maler des Waldes von Fontainebleau und die Münchner Landschaftsmalerei, Ausstellungskat.: Museum Georg Schäfer Schweinfurt, 2004/2005, Hg. Dies., Schweinfurt 2004, S. 20. Ebd., S. 22. Ebertshäuser, 1979, S. 133ff. Ebd., S. 136. Wichmann, 1983, S. 7.

III. Assimilation und Aneignung

ein kultureller Neuanfang angestrebt werde.98 In diesem Zusammenhang ist auch auf die Entwicklung des Jugendstils verwiesen, dem ein rigoroser Bruch mit der Vergangenheit und die Ablehnung historischer Stile zugrunde liegt, wobei einziges Vorbild die Natur und die in der Natur gestalteten Lebensformen sein sollte.99 Daneben ist die Münchener Secession100 ein Ort für Erneuerung. Die Secession war darüber hinaus für die Beziehung zwischen Frankreich und München signifikant, denn wie Bettina Best darlegt, unterstützte die Secession jene Entwicklungen, die mit der Landschaftsmalerei der Barbizonisten angestoßen wurde.101 Letztlich führen diese soeben knapp umrissenen Positionen zu einer zunehmenden Zurückdrängung der offiziellen akademischen Kunst. Die schwindende Wirkmacht der Akademie, die Lockerung von tradierten Konventionen und die Modernisierung der Kunst, nicht zuletzt im Austausch mit der französischen Moderne, ist auch für die Positionierung der Künstlerinnen und ihrer öffentlichen Präsenz, ihrem Drängen nach Teilhabe und Gleichberechtigung zuträglich. Sie ebnen neben jenen gesellschaftlichen Entwicklungen wie der Frauenrechtsbewegung den Weg für einen aufgeschlosseneren Kunstbetrieb – auch wenn eine tatsächliche Öffnung noch einige Zeit auf sich warten lassen soll. Diese historische Skizze der künstlerischen Situation in München sowie die Entwicklungsgeschichte der Münchener Landschaftsmalerei und der »Stimmungslandschaft« wie auch die Abkehr von einem akademischen bzw. 98

Waibel, Jürgen: Situation der Stadt München um die Jahrhundertwende, in: Wege in die Moderne. Jugendstil in München 1896 bis 1914, Ausstellungskat.: Staatliche Museen Kassel, 1997, Hg. Hans Ottomeyer, München/Berlin 1997, S. 18. Der Jugendstil besitzt kein geschlossenes Erscheinungsbild und keine klar definierbaren Charakteristika, vereint aber gemäß Ottomeyer eine grundsätzliche Formlösung. Zu eigen seien ihm eine entgegen dem Impressionismus flächige Darstellung, die Neutralität des Lichts und eine dekorative teilweise bis ins Ornament gehende Betonung von Form, Farbe und Rhythmus, so eine knappe einführende Beschreibung, siehe: Ottomeyer, Hans: Wege in die Moderne. Der Münchner Jugendstil 1896 bis 1914, in: Wege in die Moderne, Ausstellungskat., 1997, S. 11. 99 Ebd., S. 9. 100 In Europa entwickeln sich Ende des 19. Jahrhunderts drei Secessionen, die Münchener Secession ist 1892 die erste, gefolgt von der Wiener Secession 1897 und der Berliner Secession 1898. Obwohl die deutsche Secessionsbewegung sich laut Corradini einer akademischen Kunst entgegenstellt, erwächst sie in München aus der Akademie heraus, genauer gesagt aus der Diez-Schule, siehe: Mai, 2010, S. 298. 101 Best, Bettina: Die Geschichte der Münchener Secession bis 1938. Eine Chronologie, in: Münchener Secession. Geschichte und Gegenwart, Hg. Jochen Meister, München u.a. 2007, S. 9.

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traditionellen Kunst- und Naturverständnis und die damit korrelierende Zuwendung zur Moderne bilden die Grundlage für weitere künstlerische Generationen. Als Helene Funke 1899 nach München kommt, sind zwar die Künstler des Jugendstils bereits größtenteils abgewandert, doch die Münchener Secessionisten sind noch aktiv, und auch die Internationale Kunstausstellung findet immer noch regelmäßig statt und präsentiert internationale neben nationalen Positionen. Auf Maler wie Dillis, Schleich oder dem Leibl-Kreis nachfolgend ist zudem eine daran anschließende zweite Generation der Landschaftsmaler in München aktiv und durch Ausstellungen präsent, wie beispielsweise Karl Küstner oder Hans von Hayek. Spuren der Rezeption französischer Kunst haben sich diesen eingeschrieben. So bewegt sich Funke in einem künstlerischen Milieu, das zwischen traditionellen akademischen Vorgaben und modernen Erneuerungen changiert. Die strikte Ablehnung der Aufnahme von Frauen an der Akademie und auch die offiziellen Kunstausstellungen wie die Jahresausstellungen demonstrieren auf der einen Seite ein strenges Festhalten an tradierten Konventionen, während neue Bewegungen wie der Jugendstil, die Secession und die Frauenbewegung auf Veränderungen und Modernisierungen drängen. Modernistische Kunst wie zum Beispiel der Expressionismus (die Neue Künstlervereinigung München, dann der Blaue Reiter) stoßen zwar beim breiten Publikum auf Ablehnung, die Künstler nehmen diese neuen Anregungen aber größtenteils auf. Dass auch Funke der französischen Moderne folgt, diese gar als Vorbild wählt, beweisen die formalen Veränderungen ihrer Werke, die erst nach der Ausbildung an der Damen-Akademie entstehen. Letztlich demonstriert auch ihr Umzug nach Paris 1906 die Zuwendung zur französischen Malerei und kann als ein künstlerisches Aufbrechen in eine neue Zeit interpretiert werden.

Teilhabe am Konventionellen. Funkes frühe Landschaften Helene Funke bleibt insgesamt sieben Jahre in München und verlässt die Stadt erst 1906, als sie nach Paris umsiedelt. Die Bilder, die in München entstehen, sind neben einigen skizzenhaften Porträts sowie wenigen Interieurdarstellungen vornehmlich Landschaften. Das Verzeichnis von Peter Funke führt die bis zum Erscheinen des Katalogs im Jahr 2011 bekannten Werke auf, seitdem sind jedoch einige weitere hinzugekommen, auch Landschaften aus der Münchener Phase, die zum größten Teil bei Auktionen in Österreich verkauft

III. Assimilation und Aneignung

wurden. Die bekannten Landschaften zeigen dörfliche Szenen oder unberührte Naturdarstellungen, wobei stets ein pastoser, lockerer Pinselduktus, eine harmonische Farbsetzung und eine konventionelle Komposition auffallen. Die Landschaften weisen eine hohe motivische Ähnlichkeit zu jenen der bekannten Münchener Maler dieser Zeit auf. Peter Funke erkennt zudem in den Landschaften aus den Jahren 1903/04 eine formale Parallele zu den Werken ihres Lehrers Friedrich Fehr.102 Dieser These kann insoweit gefolgt werden, als dass Funke wie Fehr ähnliche ländliche Sujets rund um München wählen und auch die Farbigkeit – ein Repertoire aus Grün- und Brauntönen – sowie die markanten und bildfüllenden Wolkenformationen vergleichbar sind.103 Das Studium bei Fehr kann folglich als ein thematischer Anstoß interpretiert werden, dem Funke auch nach Beendigung ihres Studiums weiter folgt. In München muss Funke zudem sehr aktiv gewesen sein. Werke von ihr sind in jenen Jahren mehrfach in offiziellen Ausstellungen in München und auch außerhalb Münchens, in Hamburg und Berlin, vertreten. Diese rege Ausstellungstätigkeit mag verwundern, ist Funke doch eine junge, zunächst unbekannte Künstlerin. Die Beteiligungen zeugen jedoch von einer wachsenden Präsenz der jungen Malerin. Bei der Münchener Jahresausstellung im Königlichen Glaspalast 1904 stellt Funke drei Landschaften aus: »Pappeln am Bach«, »Landschaft« und eine weitere »Landschaft«, im Katalog ohne spezifische Angaben oder Abbildungen geführt.104 Alle drei Werke sind der Abteilung »Öl- und Temperagemälde« zugeordnet. Zeitgleich präsentiert sie 1904 das Werk »Am Pappelbach« in der Großen Berliner Akademie-Ausstellung, 1906 und zweimal im Jahr 1907 nimmt sie an Ausstellungen im Kunstverein Hamburg teil.105 1906 ist sie erneut Teilnehmerin der Münchener Jahresausstellung im Königlichen Glaspalast und zeigt die zwei Werke »Wörthersee« und »Abendwolken« (von all diesen ausgestellten Werken sind keine Abbildungen vorhanden).106 102 Funke, 2011, S. 15. 103 Man vergleiche hier beispielsweise Funkes »Landschaft mit Pappeln« mit Fehrs »Steinbruch bei Polling I«. Auch Funkes »Wiesen am Pilsensee« weisen formale und motivische Ähnlichkeiten auf. 104 Offizieller Katalog der Münchener Jahresausstellung 1904 im kgl. Glaspalast, München 1904, bereitgestellt durch Bayerische Staatsbibliothek, Münchener DigitalisierungsZentrum, Digitale Bibliothek, S. 40. 105 Funke, 2011, S. 58. 106 Offizieller Katalog der Münchener Jahresausstellung 1904 im kgl. Glaspalast, S. 34.

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Die Jahresausstellungen in München 1904 und 1906 lohnen auch deshalb einen genauen Blick, weil sie einen guten Eindruck über die aktuelle Kunstszene in München ermöglichen. Beide Ausstellungen präsentieren ein enormes Werkkonvolut von 2183 Arbeiten (1904) und 1616 Arbeiten (1906), vertreten sind dabei Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen, druckgrafische Erzeugnisse sowie Skulpturen. Die Jahresausstellungen stehen unter der Schirmherrschaft des Prinzregenten Luitpold von Bayern und der Münchener Künstlergenossenschaft.107 Somit spiegeln die Ausstellungen und die dort gezeigten Werke den offiziellen Kunstgeschmack Münchens und das künstlerische Verständnis der Akademie der Bildenden Künste wieder. Schon Mai konstatiert, dass mit der Internationalen Kunstausstellung die Ausstellungen wegweisend für Gunst und Geschmack des Publikums werden.108 Die Jahresausstellungen präsentieren neben Münchener Künstlern auch Künstler aus anderen deutschen Städten sowie aus den Niederlanden und Österreich. Die von Funke dort präsentierten drei bzw. zwei Werke dürfen so einer konventionellen, akademischen Malerei zugeordnet werden, die dem allgemeinen Publikumsgeschmack entsprechen. 1904 ist Funke zudem die einzige Frau, die in der Abteilung Öl- und Temperagemälde mit Arbeiten vertreten ist – und dass nur ein Jahr nachdem sie ihre Ausbildung abschließt. Ein Blick durch die Abbildungslisten der Ausstellungen mit besonderem Interesse für die ausgestellten Landschaften erlaubt den Vergleich zwischen Funke und den anderen ausgestellten Künstlern bzw. die Einordnung Funkes in die damalige Kunstszene. Festzuhalten ist dabei, dass Funkes Landschaften aus München sich harmonisch in die Gruppe der ausgestellten Landschaftsdarstellungen einfügen und motivisch wie formal deutliche Parallelen aufweisen. So zum Beispiel zeigen viele der ausgestellten Werke raumfüllende Wolkenformationen vor weiter Landschaft mit am Horizont hoch aufragenden Bäumen, teilweise eingesetzte Seen, Teiche oder Bachverläufe im Vordergrund (z.B. Karl Wendels »Sommerlust«, M. Albert Königs »Nach dem Regen«, beide 1904 ausgestellt oder Gilbert von Canals »Der Kanal von Sluis«, 1906 ausgestellt). Ganz ähnliche Motive finden sich bei Funke, wie die folgenden drei Bildbeispiele verdeutlichen. Die Beispiele beweisen auch, dass die Auswahl typischer Münchener Motive bei Funke kein Einzelphänomen ist, sondern sich konsequent der Gruppe früher Landschaften zuordnen lässt. 107 Siehe Kataloge der Münchener Jahresausstellung 1904 und 1906 im kgl. Glaspalast, München 1904/München 1906. 108 Mai, 2010, S. 295.

III. Assimilation und Aneignung

Funkes Darstellung »Flussufer mit Bäumen/Bachlandschaft mit Wald im Hintergrund« (1902) zeigt eine verlassene Landschaft mit einem Bachlauf im Vordergrund, der die gesamte Breite des unteren Bildraums einnimmt, sich im Bildmittelgrund verjüngt und in den rechten Bildhintergrund führt (Abb. 1). Ein karger Baum beugt sich über die spiegelnde Wasserfläche. Der Horizont über dem Gewässer ist mit einer Gruppe von Laubbäumen besetzt, die bis an den oberen Bildrand reichen. Das in der Jahresausstellung 1904 von Josef Willroider ausgestellte Werk »Am Kaltenbach« (Abb. 2) weist eine starke motivische Ähnlichkeit zu dem soeben beschriebenen Gemälde Funkes auf. Wie Funke zeigt auch Willroider eine Landschaft mit einem Bach im Vordergrund, dessen Verlauf ebenso in den rechten Bildhintergrund führt. Weiterhin sind die Setzung von Bäumen und Horizont sowie die Weite des Himmels vergleichbar. Während aber Willroiders Duktus fein und geglättet erscheint, setzt Funke die Farben locker, aber pastos, mit tupfigem, zum Teil breitem Pinsel auf und strukturiert ihre Darstellung so auch auf einer formalen Ebene. Wo Willroiders Landschaft ruhig und kontemplativ erscheint, mutet Funkes Arbeit lebendiger und bewegter an. So ist zwar das Sujet vergleichbar, Maltechnik und Pinselduktus aber sind different und erinnern vielmehr an eine modernistische Malweise, die in Frankreich und in Rezeption der Franzosen auch bei einigen Münchener Malern zu beobachten ist. Des Weiteren zeigt auch Hans von Hayeks »Flussufer«, das 1902 bei der Internationalen Kunstausstellung »Secession« in München gezeigt wird, ein vergleichbares Bildthema (Abb. 3). Auch hier führt ein den Vordergrund gänzlich einnehmendes Gewässer den Blick durch die Landschaft bis zum Horizont, der bei Hayek neben Bäumen auch von Häusern eingenommen wird. Fluchtpunkt und Horizont sind in etwa auf gleicher Höhe angelegt wie bei der Malerin. Und ebenso wie Funkes Darstellung ist auch Hayeks »Flussufer« eine zu beiden Seiten geöffnete Landschaft, die sich so imaginär fortsetzen lässt. Das Beispiel zeigt, dass Funke sich eines motivischen Repertoires bedient, das in dieser Zeit auch von anderen Münchener Malern bemüht wurde. Die Wahl ihrer Bildthemen fällt also zugunsten konventioneller und vermutlich beliebter Motive aus, die in dieser Zeit in München Konjunktur hatten – vielleicht auch, um damit Zugang zu den offiziellen Ausstellungen zu erhalten. Ein weiteres Beispiel belegt diese Vermutung. Das ebenfalls in der Jahresausstellung 1904 ausgestellte Werk »Sommertag« (Abb. 4) von Karl Küstner lässt sich motivisch mit Funkes »Landschaft mit Pappeln« (Abb. 5) verglei-

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Aneignung und Eigensinn

chen, das vermutlich in der gleichen Ausstellung zu sehen war.109 Beide Landschaften setzen hochgewachsene Pappeln in Szene, die jeweils vom Horizont, der in etwa auf dem ersten Bilddrittel liegt, zum oberen Bildrand reichen. Küstner wie Funke wählen im Vordergrund ein stilles Gewässer, das den Blick ins Bild führt. Die hoch gewachsenen Pappeln verhaften den Blick jedoch zunächst auf dem Bildmittelgrund und verstellen so zunächst die Durchsicht in den Hintergrund. Hinter den Pappeln setzt Funke eine dörfliche Szene ein, eine Kirche und mehrere Hausdächer sind zu erkennen. Im Gegensatz zu Funke setzt Küstner die Pappel nur in der rechten Bildhälfte ein, so dass der Blick links dem Fluss folgend in die Bildtiefe durchdringen kann. In beiden Darstellungen nehmen große wattige Wolkenzüge den Großteil des Himmels ein. Das Motiv des Flusses und die hoch gewachsenen Pappelbäume stellen die deutlichste Gemeinsamkeit dar, während Funkes Gemälde im Gegensatz zu Küstner den Tiefenraum eher verstellt als illusioniert und somit die Oberfläche des Bildes bzw. die gesamte Bildfläche gleichermaßen betont. Auch diese Mittel lassen sich der modernen französischen Malerei zuordnen. Die große Nähe zwischen der Malerin und der Münchener Szene zeigt sich darüber hinaus auch an einem dritten Beispiel. Das bereits erwähnte Gemälde »Nach dem Regen« (Abb. 6) von Albert M. König, das ebenfalls 1904 in der Münchener Jahresausstellung gezeigt wurde, weist bezüglich Motiv und Bildaufbau Ähnlichkeiten zu Funkes »Gewitterstimmung« (Abb. 7) auf, das ein Jahr nach der Ausstellung 1905 entsteht. Funkes Darstellung zeigt ein einzelnes Gebäude mit dunkelbraunem Dach, das bis weit über die Gebäudemauern gezogen ist, auf einer saftig grünen Wiese platziert. Inmitten einer Baumgruppe, die ebenfalls hoch zur Bildkante aufragt, ist es im ersten Moment der Betrachtung kaum wahrnehmbar, auch weil es mit wenigen Details auskommt. Darüber spannt sich ein wolkenverhangener Himmel auf, der aus dunklen Blau- und Grautönen besteht, und ein bevorstehendes Gewitter erahnen lässt. Akzente aus weißer, teilweise ins Gelb changierender Farbe bilden 109 Im Werkverzeichnis von Peter Funke ist eine Aquarellzeichnung der Darstellung aufgeführt, im Wiener Dorotheum wird das Gemälde (Öl auf Leinwand) 2013 versteigert. Es entspricht der Zeichnung. Der Ausstellungskatalog der Jahresausstellung 1904 weist die Beteiligung Funkes mit einem Gemälde mit Titel »Landschaft mit Pappeln« aus. Auch wenn die Vermutung nahe liegt, dass es sich dabei um jenes 1904 ausgestellte Gemälde handelt, konnte dies bisher nicht eindeutig festgestellt werden. Auch wäre es möglich, dass es sich bei der 1904 in München ausgestellten »Landschaft mit Pappeln« und der im gleichen Jahr in Berlin gezeigten Darstellung »Am Pappelbach« um dasselbe Gemälde handelt.

III. Assimilation und Aneignung

einen Kontrast zu den dunklen Farbwerten der Baumkronen, des Hausdaches und der Gewitterfront, die sich von links ins Bild schiebt. Der Eindruck der Landschaft wird maßgeblich von der dargestellten Windbewegung bestimmt, die für eine Dynamisierung der Szene sorgt.110 Wie in Funkes »Gewitterstimmung« setzt König in seiner Darstellung eine den Bildraum einnehmende Baumgruppe in Szene, die von einem kräftigen Windstoß bewegt wird. Dahinter befindet sich ein Gewässer. Auch der Horizont ist in etwa auf gleicher Höhe angelegt, der Himmel wird von Wolken besetzt. Die Vergleiche zeigen, dass sich Funkes Landschaften in das Themenspektrum der Münchener Maler jener Zeit homogen einfügen. Die Münchener Sujets zeugen von einem verstärkten, allgemeinen Interesse an der Natur, die menschenleere, meist raue Landschaft ist in dieser Zeit ein in München (immer noch) populäres Bildthema (man denke an die Münchener »Stimmungslandschaft«), dem sich auch Funke zuwendet. Die junge Malerin wählt in ihrer ersten Werkphase, die vermutlich durch ihren Lehrer Friedrich Fehr angestoßen wird, verbreitete landschaftliche Motive und konventionelle Bildkompositionen und folgt so dem allgemeinen und offiziell geförderten Kunstgeschmack der Zeit, der sich in der starken Präsenz dieser Themen in den offiziellen Jahresausstellungen widerspiegelt. Vereinzelte formale Elemente wie Farbauftrag, Pinselduktus, das Changieren zwischen illusionistischer Tiefe und einem Verhaften auf der Oberfläche des Bildes weisen darüber hinaus auf eine zunehmende Modernität im Sinne einer stetigen Ablösung von tradierten Bildformen, wie sie beispielsweise Busch darlegt, hin.111 Die Anpassung ihrer Darstellungen an das Motivrepertoire der Münchener Maler lässt sich vermutlich auch mit dem Wunsch nach Erfolg und öffentlicher Sichtbarkeit erklären, die mit unkonventionellen, weniger populären Bildsujets weniger wahrscheinlich gewesen wäre. Hier liegt also eine erste Praxis der künstlerischen Aneignung vor. Denn wie schon Graw konstatiert, bedeutet Aneignung auch die Möglichkeit der Teilhabe.112 Ferner – das erklärt schon Blanc – ist das Kopieren eine Methode zu einem eigenen ›style‹ zu finden.113 In Anschluss an ihre Ausbildung lässt sich diese frühe Form der 110

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Das Gewitter scheint aus eben diesen Gründen ein bevorzugtes Motiv für Funke und auch für andere Maler, wie z.B. Eduard Schleich, zu sein. Gestalterische Aspekte wie Farbkontraste, Pinselduktus und kompositorische Dynamisierung lassen sich daran besonders gut erarbeiten. Busch, 1993, S. 10. Graw, 2003, S. 34. Blanc, 1876, S. 20.

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Aneignung so auch als ein Weg deuten, zu eigenen Ausdrucksmöglichkeiten zu finden. Während Künstlerinnen in München von der akademischen Ausbildung konsequent ausgeschlossen werden, sich ihrem Anders-Sein also stets bewusst sind, bietet die Aneignung die Möglichkeit des Gleich-Seins. Im Falle Funkes könnte die Aneignung der Münchener Motive folglich als Versuch gedeutet werden, im Münchener Kunstbetrieb aufgenommen zu werden, Teil davon zu werden. Durch die mehrfachen Ausstellungsbeteiligungen gelingt es ihr. Funke handelt hier also strategisch, sie forciert künstlerischen Erfolg durch Anpassung und Aneignung. So erklärt auch Graw, dass Aneignung Anerkennung verheißt – auch wenn dies natürlich keine Garantie darstellt: »Künstler/innen, die Zugehörigkeit zu einer kanonisierten Kunstrichtung reklamieren, indem sie deren Werke assimilieren, haben somit zumindest Aussicht auf Anerkennung.«114 Durch die Aneignung der Themen und die Anpassung an den Kunstgeschmack des Publikums wird sie nicht nur Teil der Kunstszene und erlebt erste offizielle Erfolge durch Ausstellungsbeteiligungen. Aneignung wird darüber hinaus zu einer Methode, die ihre Bildfindung maßgeblich bestimmt und letztlich zu der künstlerischen Praxis führt, die Funkes weitere künstlerische Entwicklung leitet. Die Aneignung der Münchener Motive stellt somit den Beginn einer interpikturalen Malweise dar. Diese erste Form der Aneignung folgt jedoch noch nicht dem Drang nach Eigenständigkeit, vielmehr bedient sich Funke bei der Aneignung der Münchener Malerei dem Allgemeinen. Sie sucht nicht das Eigene, sondern das Gleiche. Erst in Frankreich wird aus der Aneignung auch etwas Eigenständiges; dort benutzt Funke das Allgemeine dann, um etwas Eigenes zu formen.

Erste Hybride: »Haus im Park« Am Ende dieses Kapitels folgt die Betrachtung einer weiteren Landschaft Funkes, die bisher ebenfalls der Münchener Zeit zugeordnet wird, die Darstellung »Haus im Park« (Abb. 8). Obwohl diese mit der Datierung von 1899 als die erste Landschaft Funkes, gar als die erste datierte Darstellung der Malerin überhaupt gilt, steht diese nicht am Beginn der Untersuchung, sondern am Ende. Der Grund dafür ist ebenso simpel wie bezeichnend. Denn eine genaue Analyse des Werks zeigt nicht nur große Differenzen zu 114

Graw, 2003, S. 35.

III. Assimilation und Aneignung

der bereits vorgestellten Landschaftsgruppe, sondern lässt auch Zweifel an der Datierung zu. Wie keine andere ihrer frühen Landschaften weist diese signifikante Gestaltungselemente auf, die weniger der Münchener Malerei jener Jahre zuzuordnen sind, als viel eher von einer formalen Modernität – beispielsweise im Sinne einer Verflachung des Bildraums – zeugen. Im diesem Sinne lässt sich die Darstellung als eine erste Form der Hybride bezeichnen, als eine Verbindung von Münchener Landschaft und moderner Form. Hinter hoch bis an den oberen Bildrand gewachsenen, dünnen dunkelbraunen Baumstämmen und einem ebenso dunklen, hölzernen Zaun gibt die Darstellung »Haus im Park« den Blick auf ein im Zentrum gelegenes mehrgeschossiges Haus, ein Herrenhaus oder eine Villa, frei. Links daneben ist ein zweites kleineres Gebäude platziert. Die hier eingesetzten Farben bewegen sich zwischen sandigen Erd- und hellen Rottönen, der Giebel des Daches ist dunkel abgesetzt, ebenso wie Fenster und Türen, die nur schemenhaft zu erkennen sind. Der Vordergrund der Darstellung wird von grob gesetzten Büschen und Sträuchern eingenommen, die vor dem Holzzaun platziert sind. Im Gegensatz zu der scheinbar dünn und gleichmäßig aufgetragenen Farbe des Hauses ist hier ein deutlich dickerer Pinselduktus zu erkennen. Die verschiedenen Grün- und Blautöne sind grob in kurzen, rasch gesetzten Pinselstrichen gehalten. Der horizontal verlaufende Zaun dient nicht nur der Trennung zwischen dem Grundstück und der umgebenden Landschaft, er stellt auch eine Barriere zwischen Vorder- und Mittel- bzw. Hintergrund dar, die durch die hochgewachsenen Bäume, die direkt hinter dem Zaun platziert sind, verstärkt wird. Somit wird das visuelle Eintauchen des Betrachters in den Mittel- und Hintergrund der Szene an dieser Stelle gestört und aufgehalten. Die lineare Reihung der Bäume erzeugt zudem eine stringente vertikale Gliederung. Am oberen Bildrand verdichtet sich das Blattwerk der Bäume und spannt sich wie ein grüner Baldachin über die Szenerie, der nur durch kleine Öffnungen, die den hellblauen Himmel durchscheinen lassen, aufgebrochen wird. Somit entsteht nicht nur eine Rahmung des Motivs durch die grüne Farbigkeit, die sowohl am oberen wie am unteren Bildrand eingesetzt wurde, auch wird so die Oberfläche, also die gesamte Bildfläche, betont, da diese auf der Fläche überall gleichermaßen mit Farbe bearbeitet ist. Gleichzeitig wird ein Eindringen in die Tiefe des Raums verhindert, die Darstellung wirkt so wenig tiefenillusionistisch als viel eher flach und zweidimensional. So lässt sich im eigentliche Sinne auch nicht von drei unterscheidbaren Bildgründen ausgehen, denn der flächige Aufbau eint diese viel eher, als dass er sie dif-

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ferent ausstellt. Damit gestaltet Funke eine Darstellung, die nicht mehr dem tradierten Bildaufbau unterliegt, sondern viel mehr als modern zu bezeichnen ist.115 So markiert beispielsweise Clement Greenberg die Betonung der Flächigkeit des Bildträgers als ein entscheidendes Merkmal einer modernistischen Kunst.116 Schon die kurze Beschreibung macht gerade auch im Hinblick auf die bereits vorgestellten Landschaften deutlich, dass diese Darstellung eine Sonderposition im Konvolut der frühen Werkgruppe einnimmt. Bleibt das Bildthema zwar die menschenleere Natur, wenngleich das Haus auf die Präsenz von Menschen verweist, weicht dieses jedoch hinter der Natur zurück. Die kompositorische und formale Lösung steht hier in deutlicher Differenz zu der übrigen Landschaftsgruppe. Besonders die Betonung der Bildoberfläche und die Negierung einer tiefenillusionistischen Räumlichkeit sind hervorzuheben. Das bereits angesprochene Beispiel »Landschaft mit Pappeln« weist zwar wie erörtert ebenfalls eine Tendenz zu einem verflachten Bildraum auf, ist in ihrer Konsequenz jedoch nicht vergleichbar, da die drei Bildgründe dennoch ausgeführt sind. Ein den Betrachterblick lenkender Bildaufbau durch beispielsweise einen Flussverlauf oder gestaffelte Bildgründe, wie es in den Arbeiten »Flussufer mit Bäumen/Bachlandschaft mit Wald im Hintergrund« oder »Gewitterstimmung« zu finden ist, liegt hier nicht vor. Stattdessen gibt es ein farbliches Bildzentrum – das Haus – und eine Gestaltung aus Büschen und Bäumen, die sich um dieses herum fast schon ornamental ranken, ohne dabei einen in Bildgründen gegliederten Aufbau zuzulassen. Das Auge des Betrachters wird von der unteren zur oberen Bildkante geführt, ohne dass dabei unten und oben auch ein perspektivisches Vorne und Hinten bedeuten. Daraus ergibt sich die Frage, wie Funke zu einer derart veränderten Bildkomposition und Motivik findet und wie sich diese Arbeit im Kontext der anderen frühen Landschaften einfügt. Wie die vorangestellte Untersuchung ergeben hat, lassen sich Funkes frühe Landschaften im Kontext der Münchener Landschaftsmalerei verorten. Ihre Bildthemen fügen sich in den durch Ausstellungen präsenten und offiziell geförderten, populären Kunstgeschmack, so dass von einer Anpassung bzw. einer Aneignung der damals konventionellen Darstellungsformen und Sujets 115 116

Busch, 1993, S. 10ff. Greenberg, Clement: Modernistische Malerei, in: Ders.: Die Essenz der Moderne. Ausgewählte Essays und Kritiken, Hg. Karlheinz Lüdeking, Hamburg [1960] 2009, S. 268.

III. Assimilation und Aneignung

auszugehen ist. Bei der Darstellung »Haus im Park« ist dies anders: Die Szene zeigt eine so große formalästhetische Differenz, dass sie sich nur schwer der frühen Landschaftsgruppe zuordnen lässt. Ist diese Darstellung dennoch in München entstanden? Handelt es sich tatsächlich um die erste Landschaft dieser Gruppe oder gibt es einen Datierungsfehler? Beispielsweise könnte die Malerin das Werk erst retrospektiv datiert und dabei einen Fehler gemacht haben. Und wie lässt sich die auffällige Differenz bezüglich der formalen Gestaltung erklären? Naheliegend ist die Kontextualisierung der Darstellung »Haus im Park« auch aufgrund ihrer formalen Gestaltung innerhalb der modernen Malerei wie beispielsweise der französischen Kunst. Diese ist – wie bereits geschildert – in München besonders durch die Internationalen Kunstausstellungen und den Kontakt zwischen einzelnen Malern wie Leibl und Courbet populär und auch sichtbar. Peter Funke behauptet, das Werk »Haus im Park« weise Parallelen zu den französischen Impressionisten, vor allem zu Werken von Paul Cézanne, auf.117 Cézannes Gemälde »Haus mit rotem Dach. Das Anwesen Jas de Bouffan« (Abb. 9), um 1887, zeigt ein sehr ähnliches Motiv wie Funkes »Haus im Park«: ein mehrgeschossiges Haus im Zentrum, mitten in einer dicht bewachsenen Landschaft; die Farben changieren zwischen hellen Erdund satten Grüntönen. Besonders die Gestaltung des Hauses erinnert an Funkes Darstellung, wenngleich Cézanne sein Haus frontal einsetzt, während Funke einen seitlichen Blick auf das Gebäude anlegt. Ein breiter Weg führt in Cézannes Szene zum Haus und gliedert so zugleich den Bildraum; der Betrachter wird in die Szene eingeführt, der Blick auf das Haus gelenkt, doch auch hier wird kein hinter dem Haus gelegener Tiefenraum forciert. Die Verstellung des Tiefenraums ist ein Phänomen, welches charakteristisch für Cézannes Werk, vornehmlich für sein Spätwerk, ist.118 Meier-Graefe schreibt dazu: »[…] und schafft hier einen wesentlichen Widerstand für das der Tiefe zugleitende Auge; erfindet schließlich am Ende des Weges das geränderte rote Dach, das tiefliegende Auge des Bildes.«119 Greenberg konstatiert, dass bei Cézanne die 117 118

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Funke, Peter: Die Rätsel im Leben und Werk der Malerin Helene Funke, in: Helene Funke 1869-1957, Ausstellungskat., 2007, S. 25. Baumann, Felix A./Feilchenfeldt, Walter/Gaßner, Hubertus (Hg.): Cézanne – Aufbruch in die Moderne, Ausstellungskat.: Museum Folkwang, 2004/2005, Ostfildern 2005, S. 116. Meier-Graefe, Julius: Entwicklungsgeschichte der Modernen Kunst, Bd. 2, Hg. Hans Belting, München/Zürich [1904] 1987, S. 602.

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Fläche bei der Konstruktion der Tiefenillusion deutlicher mitgedacht sei; die Fläche setze sich nicht über die Illusion hinweg, kontrolliere sie aber.120 Cézanne und Funke verzichten gleichermaßen auf die Horizontlinie, auch das ein Mittel der perspektivischen Verflachung. Während Funke die Bäume aber über die gesamte Breite der Bildfläche einsetzt, platziert Cézanne nur in der linken Bildhälfte eine hochgewachsene Baumgruppe, die hier die Funktion einer seitlichen Rahmung einnimmt. Die Berliner Galerie Cassirer zeigt im November 1900 eine Gruppenausstellung, in der neben Werken von Walter Leistikow und Lovis Corinth auch 13 Werke Cézannes gezeigt werden.121 1903 nimmt er mit sieben Werken an der Impressionisten-Ausstellung in der Wiener Secession teil. Meier-Graefes »Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst«, aus der bereits zitiert wurde, erscheint 1904, darin widmet er Cézanne ein ausführliches Kapitel.122 Eine Ausstellungsbeteiligung des französischen Malers in München zur Zeit Funkes ist nicht bekannt, dennoch kann man von einer breiten Sichtbarkeit seiner Werke, auch durch die Besprechungen und Rezensionen, ausgehen. Neben dieser recht auffälligen Parallele zu Cézanne mag man bei der Betrachtung der Darstellung »Haus im Park« auch an Werke von Paul Gauguin, Vincent van Gogh oder Maurice Denis denken, die im Kontext ihrer Japan-Rezeption entstanden sind.123 So lässt sich beispielsweise Gauguins »Die blauen Bäume« aus dem Jahr 1888 vergleichend anführen. Es zeigt, in kräftigen teilweise stark kontrastierenden Farben (Orange und Blau, Rot und Grün), einen Weg mit zwei Figuren, vor einer Landschaft, in deren Hintergrund sich ein Haus befindet. Weist besonders das Kolorit deutliche Differenzen auf, stellen die markant im Vordergrund gesetzten Bäume die wohl 120 Greenberg, Clement: Cézanne und die Einheit der modernen Kunst, in: Ders., Die Essenz der Moderne, [1951] 2009, S. 184f. 121 Die Ausstellung in der Galerie Cassirer wurde sowohl in der Kunstchronik wie auch in Die Kunst rezensiert. Ein Katalog ist ebenfalls erschienen, siehe: Feilchenfeldt, Walter: Zur Rezeptionsgeschichte Cézannes in Deutschland, in: Cézanne Gemälde. Mit einem Beitrag zur Rezeptionsgeschichte von Walter Feilchenfeldt, Hg. Götz Adriani, Köln 1993. 122 Ebd., S. 296ff. 123 Zur Thematik der Japan-Rezeption im Werk von van Gogh und Gauguin siehe z.B.: Tsukasa, Kodera: Van Gogh’s utopian Japonisme, in: Catalogue of the Van Gogh Museum’s Collection of Japanese Prints, Amsterdam 1991; Childs, Elizabeth C.: Seeking the Studio of the South: Van Gogh, Gauguin and Avant-garde Identity, in: Vincent van Gogh and the Painters of the Petit Boulevard, Ausstellungskat.: Saint Louis Art Museum (SLAM), 2001, Hg. Cornelia Homburg, Saint Louis 2001; Irvine, Gregory: Japonisme and the Rise of the Modern Art Movement. The Arts of the Meiji Period, London 2013.

III. Assimilation und Aneignung

offensichtlichste gestalterische Gemeinsamkeit dar, die sich sowohl bei Funke als auch bei Gauguin senkrecht über die gesamte Bildfläche ziehen. Belinda Thomson erkennt in diesem Motiv der ornamentalen Baumreihe einen direkten Bezug zu Hokusais oder Hiroshiges Landschaftsansichten.124 Ferner bietet die Flächigkeit der jeweiligen Darstellung sowie ihre formale Vereinfachung Vergleichsmomente an. Interessanterweise hat sich auch Funke mit japanischer Kunst auseinandergesetzt und einige fernöstlich inspirierte Skizzen angefertigt, die der Gestaltung der japanischen Holzschnitte sehr nahe kommen. Das Phänomen der schlanken, den Bildraum überwachsenden Bäume lässt sich auch in Einklang mit Beispielen der deutschen Malerei bringen, in der vergleichbare Gestaltungselemente zu finden sind. So findet sich das Motiv auch in einigen Werken ausgewählter Münchener Maler, wie zum Beispiel Dillis (»Die Isar mit Brunnhaus am Gasteig«, etwa 1817) oder Küstner (»Buchenwald«) Vergleichsmomente. In Bezug auf das Motiv der schlanken Bäume sowie in Bezug auf die Komposition, bieten sich darüber hinaus Werke Walter Leistikows, die größtenteils in den Wäldern nahe Berlins entstanden sind, zum Vergleich an.125 In der bekannten Darstellung »Abendstimmung am Schlachtensee« (1895) arbeitet Leistikow mit einer streng linearen Reihung des Baumbewuchses, der die gesamte Bildfläche überstreckt und aus der eine rhythmisierte, zugleich stabil und ruhig wirkende Gliederung der Bildfläche hervorgeht (Abb. 10).126 Das Phänomen der linear aufgestellten Bäume bezeichnet Ingeborg Becker als eine »Vergitterung«, die eingesetzt werde, um eine Barriere oder Distanz zu erzeugen.127 Ähnliches lässt sich bei Funkes Komposition konstatieren. Auch hier fungieren die hochgewachsenen Bäume als Barriere und bringen den Betrachter dazu, einen Moment lang inne zu halten, bevor dieser in die Szene eintauchen kann. 124 Thomson, Belinda: Japonisme im Werk von van Gogh, Gauguin, Bernard und Anquetin, in: Monet, Gauguin, van Gogh … Inspiration Japan, Ausstellungskat., 2014, S. 76. 125 Für diese Anregung danke ich Wolfgang Kemp. 126 Auch die Arbeiten »Einsamer Waldteich« (um 1894), »Grunewaldsee« (um 1898), »Waldsee im Winter«, »Aus dem Grunewald« (1907) und »Waldstück mit Sandgrube« (um 1905) entsprechen dieser Bildkomposition. 127 Becker, Ingeborg: Flüsternde Schatten. Die symbolischen Gemälde Walter Leistikows, in: Stimmungslandschaften. Gemälde von Walter Leistikow (1865-1908), Ausstellungskat.: Bröhan-Museum, Berlin, 2008/2009, Hg. Ingeborg Becker, München/Berlin 2008, S. 89.

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Durch den gewählten Bildaufbau wirken die Landschaften Leistikows zudem ausschnitthaft, sie sind seitlich geöffnet – auch dieses Moment findet sich in Funkes »Haus im Park« wieder. Das Motiv der ausschnitthaften, ungerahmten Landschaft ist ein weit verbreitetes Motiv um 1900, attestiert Becker, das sich auch bei Gustav Klimt oder Edvard Munch manifestiert.128 Neben der Kunst des hohen Nordens, für die Leistikow nachweislich eine Affinität besitzt, studiert er auch die Malerei der Schule von Barbizon und reist in den Wald von Fontainebleau.129 Ähnlich wie die Barbizonisten zieht auch Leistikow hinaus in die freie Natur und sucht, wie Margit Bröhan berichtet, das »unmittelbare Naturerlebnis«.130 Seine Landschaften seien dabei stets konkret bestimmbare Orte, sorgfältig und mit Bedacht ausgewählt. Die Studienausflüge führen Leistikow auch nach Süddeutschland; in München trifft er auf Corinth und Liebermann.131 Während Funkes Aufenthalt in München werden Werke von Leistikow bei den Internationalen Kunstausstellungen 1899, 1900 und 1902 sowie bei der X. Ausstellung der Münchener Sezession 1904 ausgestellt.132 Somit gibt es für Funke diverse Möglichkeiten seine Werke zu rezipieren und seinen Bildaufbau wie seine Motive zu studieren. Ein weiterer Maler, der sich bezüglich des Bildaufbaus und der beschriebenen hoch gewachsenen Bäume heranziehen lässt, ist Wilhelm Trübner. Dieser kommt 1869 nach München, um an der Staatlichen Akademie bei Wilhelm von Diez zu studieren, geht dann nach Frankfurt und später nach Karlsruhe.133 Trübner steht dem Leibl-Kreis nahe134 , die Beziehung zwischen Leibl und den Franzosen wurde bereits erörtert. Das 1904 entstandene Werk Trübners »Schloss Hemsbach hinter Bäumen« (Abb. 11) weist motivisch wie kompositorisch einige Ähnlichkeiten zu Funkes »Haus im Park« auf. Auch hier 128 129

Ebd., S. 87. Lacher, Reimar F.: Leistikows Motivwelt, in: Stimmungslandschaften, Ausstellungskat., 2008, S. 75. 130 Bröhan, Margit: Walter Leistikow (1865-1908). Maler der Berliner Landschaft, Berlin 1989, S. 56. 131 Corinth, Lovis: Das Leben Walter Leistikows, Berlin 1910, S. 31ff. 132 Siehe Kataloge der Ausstellungen, bereitgestellt durch die Bayerische Staatsbibliothek. Bei den ausgestellten Werken handelte es sich 1899 um »Norwegisches Hochgebirge«, »Landschaft«, »Abend«; 1900 um »Im Grunewald« und »Hafen«; 1902 um »Aus der Kolonie Grunewald« und »Skären« und 1904 um »Villa in Grunewald«, »Landschaft« und »Gebirgslandschaft«. 133 Bahns, Jörn: Leben und Werke Wilhelm Trübners. Chronologische Übersicht, in: Wilhelm Trübner 1851-1917, Heidelberg 1995, S. 73ff. 134 Uhde-Bernays, 1983, S. 134.

III. Assimilation und Aneignung

gliedern hoch gewachsene Bäume die vordere Bildzone und versperren zunächst den Blick in den Tiefengrund. Erhascht man einen Blick durch das dichte Geäst, wird ein mehrgeschossiges Gebäude, in heller Farbe gestaltet, sichtbar. Wie schon bei Funke beobachtet, präsentiert sich auch Trübners Landschaft mit einer deutlichen Betonung der Bildoberfläche sowie einer Verstellung des Tiefenraums. Die Bäume rücken in Trübners Szene bis vorn an die Bildkante, was zur Konsequenz hat, dass eine starke Nähe entsteht und der Ausschnittcharakter noch stärker betont wird. Gleichzeitig ist die Komposition so sehr flach. Die vielen Blätter der Bäume und Sträucher sorgen für einen dynamischen und bewegten Eindruck, der Betrachterblick springt von Punkt zu Punkt ohne feste Blicklenkung. Ein Phänomen, das Yve-Alain Bois mit Bezug auf die Malerei von Henri Matisse als ›blinding‹ bezeichnet.135 Hinsichtlich Farbe und Lichtgestaltung zwar unterschiedlich, weisen die beiden Werke starke Parallelen auf, die sich besonders in Motivik und Bildaufbau beschreiben lassen. Trübners »Schloss Hemsbach hinter Bäumen« wird 1905 in der Frühlingsausstellung am Königsplatz in München ausgestellt.136 Die Darstellung »Haus im Park« scheint nicht nur aufgrund von Motivik und Bildaufbau eine Sonderposition innerhalb der frühen Landschaften Funkes einzunehmen. Auch scheint sich die Malerin hier einer modernistischen Malerei zuzuwenden, die in formaler Opposition zu jenen Landschaften steht, die in München populär waren. Während bei den frühen Landschaften Funkes eine motivische und formale Anpassung an die Münchener Malerei zu attestieren ist, wendet sich Funke bei der Szene »Haus im Park« einer progressiven, unkonventionellen Bildgestaltung zu. Es ist daher wenig überzeugend, dass diese Darstellung bereits 1899 entstanden sein soll, viel eher markiert sie die Zuwendung Funkes zur Moderne und müsste daher ans Ende ihres Aufenthaltes in München (wenn nicht gar in die frühe Zeit in Paris) gerückt werden.137 Die Präsenz französischer Malerei in München u.a. durch die seit Jahrzehnten stattfindende Internationale Kunstausstellung, und die 135 136 137

Bois, Yve-Alain: On Matisse: The Blinding, in: October 68 (1994), S. 61-121. Bahns, 1995, S. 77. Auch Peter Funke zweifelt an der Datierung und erklärt: »Nichts, was wir bisher über das Leben und Werk der Malerin wissen, weist darauf hin, dass dieses Bild [»Haus im Park«, Anm. AS] tatsächlich 1899 entstanden ist. Im Gegenteil, es fügt sich ohne Bruch in die Vielzahl der Bilder ein, die nachweislich in Frankreich entstanden sind. Somit muss, bis die Datierung des Bildes verifiziert werden kann, davon ausgegangen werden, dass dieses Bild, das so sehr aus dem Rahmen der bisher bekannten, frühen Bilder fällt, nachträglich signiert und datiert wurde.«, siehe: Funke, 2007, S. 26.

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nachweisliche Auseinandersetzung der Münchener Landschaftsmaler mit der französischen Malerei wurde bereits thematisiert. So finden sich auch in den Landschaften Funkes, die zwischen 1904 und 1906 entstehen, Momente der formalen Auflockerung, die womöglich in Zusammenhang mit der Sichtbarkeit modernistischer (französischer) Kunst stehen. Das Gemälde »Landschaft mit Pappeln« (1904) zeigt mit seinen hoch gewachsenen Bäumen bereits eine zaghafte Verflachung des Bildraums zugunsten einer reduzierten Tiefenräumlichkeit. Möglicherweise lässt sich diese Darstellung als Vorarbeit zu »Haus im Park« betrachten, was wiederum die These stützt, dass die Szene erst später, also nach 1904, entstanden ist. Deutlich wird daran auch, dass Funkes Werke einer künstlerischen Weiterentwicklung unterliegen; Gestaltungselemente werden erprobt und wandeln sich von ersten Versuchen zu konsequenten Bildlösungen. Das Werk »Haus im Park« stellt eine deutliche Differenz zu den anderen frühen Landschaften dar, die im Besonderen auf der formalästhetischen Gestaltung der Szene beruht. Der Bildaufbau, die Formulierung eines Bildbzw. Tiefenraums, die Behandlung der Bildgründe sowie die Führung des Betrachterblicks unterscheiden sich radikal von den übrigen Münchener Landschaften. »Haus im Park« fügt sich nicht dem zu dieser Zeit populären und offiziellen Kunstgeschmack des Münchener Publikums, sondern beweist eine unkonventionelle Gestaltung, die sich gemäß Greenberg als modernistisch beschreiben lässt, wobei besonders auf die Oberflächenbetontheit zu verweisen wäre.138 Es lassen sich, wie ausgeführt, sowohl Anklänge zur französischen Moderne als auch zu deutschen Malern wie Leistikow oder Trübner erkennen. Funkes Aneignung weitet sich folglich aus. Während die anderen frühen Landschaften eine Anpassung an das in München etablierte Verständnis von Landschaftsmalerei sind, das in den offiziellen Ausstellungen vertreten ist und damit den Geschmack von Publikum und Hof befriedigt, richtet sie ihren Blick nun über die Grenzen Münchens hinaus. Man kann diese Loslösung von der Münchener Landschaftsmalerei auch als ein Ausdruck von Autonomie und Zweckfreiheit der Kunst interpretieren. Funke malt nicht mehr zugunsten des (Münchener) Publikumsgeschmacks, sondern gestaltet unabhängig. Auch das ist ein Zeichen von Modernität, wie in Kapitel I dargelegt wurde. Ferner verbindet sie unterschiedliche Anregungen (französische, Anregungen aus München und Norddeutschland) und bringt sie in einer Art kombinierter Bildformel in einem Werk zusammen. Diese Verbindung unterschiedlicher 138

Greenberg, [1960] 2009, S. 268.

III. Assimilation und Aneignung

Formen lässt sich in diesem Sinne als eine erste Hybride, also als die Verbindung von Elementen unterschiedlichen Ursprungs, beschreiben.139 Das Gemälde »Haus im Park« lässt also bereits erahnen, wie Funke mit Normen und Konventionen des Bildaufbaus bricht – ganz im Sinne eines Hybriden, das als anormal oder außergewöhnlich empfunden wird. Die hybride Formfindung, das Verbinden unterschiedlichen Materials, ist es, das letztlich die Besonderheit und auch die Originalität Funkes interpikturaler Arbeitsweise ausmacht – wie die vorliegende Arbeit im weiteren Verlauf zeigen wird.   Aus den Untersuchungen der frühen, in München entstandenen Landschaften der Malerin Helene Funke ergeben sich wesentliche Erkenntnisse, die hinsichtlich der weiteren Betrachtungen ihres Œuvres und ihrer künstlerischen Entwicklung von großer Bedeutung sind. Die Ausbildung an der Münchener Damen-Akademie bildet dabei eine wesentliche Grundlage, die die technischen und methodischen Fähigkeiten der Malerin schult. Zeichenund Landschaftsunterricht, aber auch das Arbeiten nach Modellen ist bezeichnend und prägt eine erste Form der künstlerischen Aneignung. Der Besuch der Damen-Akademie ist zugleich aber auch Brandmal gesellschaftlichen Ausschlusses. Frauen wird – trotz enormer Proteste und Engagement der in München starken Frauenbewegung – das Studium an der staatlichen Kunsthochschule in München bis 1920/21 verwehrt, wodurch sich der männerdominierte Kunstbetrieb stetig reproduzieren kann. Trotz professioneller, akademie-ähnlicher Ausbildung, die die Damen-Akademie verspricht, haftet Künstlerinnen so weiterhin der Ruf einer vermeintlich schlechter ausgebildeten Minderheit, der Ruf von Dilettantismus an. Funke gelingt es dennoch nach Beendigung ihrer Ausbildung an offiziellen Ausstellungen in München, Hamburg und Berlin teilzunehmen. Mit landschaftlichen Szenen, die sich motivisch und formal der etablierten Münchener Malerei angleichen, findet sie eine Bildsprache, die Erfolg in Aussicht 139

Der Begriff der Hybride, der ursprünglich aus den Naturwissenschaften stammt, meint »häufig eine ›widernatürlich Verbindung‹ von zwei Elementen unterschiedlichen Ursprungs, die als anormal oder außergewöhnlich empfunden wird.«, siehe: Hybride, in: Thesaurus der exakten Wissenschaften, Hg. Michel Serres/Nayla Farouki, Frankfurt a.M. 2001, S. 398. Der Begriff des Hybriden wird außerdem immer häufiger im sozialkulturellen Bereich verwendet, siehe z.B.: Reckwitz, Andreas: Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Weilerswist 2010.

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Aneignung und Eigensinn

stellt. Die Anpassung an den populären Kunstgeschmack der Zeit ist eine erste Form der künstlerischen Aneignung, die in diesem Sinne als Form der Partizipation zu betrachten ist. Das Eigene steht dabei zugunsten der Teilhabe am allgemein Etablierten zurück. Während die vom Prinzregenten Luitpold geförderte sowie an der Staatlichen Akademie gelehrte Kunst an konventionellen, tradierten Mitteln und Themen festhält, geht von der Künstlerschaft ein Anstoß zur Erneuerung aus. Die Zuwendung zur modernen französischen Kunst, die u.a. durch die Internationalen Kunstausstellungen Sichtbarkeit in München erlangt und zahlreiche Maler anregt, bewirkt eine erkennbare künstlerische Veränderung, der gleichermaßen eine Abkehr von der akademischen Kunst inhärent ist. Die Jugendstil-Bewegung sowie die Secession tragen zu einer Verstärkung der Opposition bei. München ist folglich ein Ort, der zwischen striktem Festhalten an etablierten und akademischen Konventionen und progressivem Erneuerungswillen oszilliert. In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch Funke. Bezeugt die Werkgruppe der Landschaften zunächst eine Anpassung an das tradierte offizielle Kunstverständnis, ist eine formale Wandlung nach 1904 erkennbar. Funke öffnet ihren Bildaufbau, lockert die Farbsetzung und den malerischen Duktus auf, sodass eine Auseinandersetzung mit modernistischer Kunst naheliegt. Ob es sich dabei um die französische Moderne oder um Münchener Maler, die sich der Moderne anschließen, handelt, bleibt offen. Ihr Umzug im Jahr 1906 nach Paris beweist jedoch, dass Funke ihren Blick zunehmend gen Frankreich richtet und in der Auseinandersetzung mit der französischen Kunst das Potential für eine weitere künstlerische Entwicklungen sieht. Vielleicht hegt sie auch die Hoffnung, in Paris auf einen aufgeschlosseneren Kunstbetrieb zu stoßen. Die Landschaft »Haus im Park«, die zwar mit 1899 datiert, jedoch vermutlich später entstanden ist, weist signifikante formale Elemente eines modernistischen Bildaufbaus auf. Das Thema der menschenleeren Natur bleibt zwar erhalten, die Komposition des Bildes, Räumlichkeit und Tiefenillusion sowie malerischer Duktus offenbaren aber eine formale Differenz zu den übrigen Landschaften, so dass die Darstellung eine Sonderposition innerhalb des Werkzyklus’ einnimmt. Mit einem Vergleich eines Werks von Cézanne wird die Möglichkeit der Rezeption der französischen Moderne entfaltet, der Vergleich baut besonders auf kompositionellen und räumlichen Entscheidungen auf. Das Motiv der hochgewachsenen Bäume, die in ähnlicher Weise eine Verflachung der Bildoberfläche erzeugen, lässt darüber hinaus den Vergleich mit Werken Walter Leistikows und Wilhelm Trübners zu. Beide Künstler formu-

III. Assimilation und Aneignung

lieren eine moderne formale Gestaltung, die Parallelen zu Funkes Bildsprache aufweist. Funke zeigt mit dieser Szene ein im Vergleich zu den anderen Münchener Landschaften neues und unkonventionelles Bildverständnis, das sich weniger der etablierten Münchener Malerei fügt, als viel eher modernistische Züge annimmt. Ob das Werk tatsächlich noch in München, vielleicht am Ende ihres Aufenthalts dort, oder erst in Paris entsteht, ist vor dem Hintergrund formaler Entscheidungen irrelevant. Relevant aber ist, dass die Darstellung eine künstlerische Entwicklung skizziert, die Zuwendung zu einer modernen Formensprache und zugleich die Loslösung von tradierten Bildformen und von der in München populären Landschaftsmalerei. Das Werk stellt so eine Verbindung zweier künstlerischer Abschnitte dar: die Lehrjahre in München und die künstlerische Weiterentwicklung in Frankreich. Als eine erste Form der Hybride, eine Verbindung unterschiedlicher Formen, ist das Bild vor diesem Hintergrund zu verstehen und gibt so bereits den weiteren Weg der Malerin vor. Das Allgemeine weicht zugunsten des Eigenen, das Gewöhnliche tritt hinter dem Außergewöhnlichen, dem Unkonventionellen zurück. Aneignung forciert nicht mehr primär Teilhabe, sondern markiert Eigensinn und Autonomie.

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IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen

Nach siebenjährigem Aufenthalt in der deutschen Kunstmetropole München zieht Helene Funke 1906 nach Paris – in die Kunsthauptstadt Europas. Im ersten Jahr ihres Aufenthalts lebt sie gemeinsam mit der Wiener Malerin Martha Hofrichter unter der Adresse 27, Rue de Fleurus, nahe des Jardin du Luxembourg.1 In dem Haus lebt auch das amerikanischen Geschwister- und Sammlerpaar Gertrude und Leo Stein, die seit 1902/1903 in Paris sind.2 Wahrscheinlich einem Zufall geschuldet, könnte dies jedoch von entscheidender Bedeutung gewesen sein. Seit 1905 veranstalten die Steins jeden Samstag einen Salon, in dessen Rahmen sie ihre umfangreiche Sammlung moderner Kunst einem interessierten Kreis öffnen. Die Stein-Sammlung umfasst zu diesem Zeitpunkt bereits herausragende Werke von Cézanne, Matisse, Picasso, Toulouse-Lautrec und weiteren.3 Auch wenn keine schriftlichen Zeugnisse 1

2 3

Helene Funke und Martha Hofrichter lernen sich, so vermutet Peter Funke, in München kennen. Beide geben 1906 beim Eintritt in die Societé Artistes Indépendants die gleiche Adresse an, 27, rue de Fleurus. Laut Peter Funke leben sie dort ein Jahr, siehe: Funke, 2011, S. 15. Im Katalog des Herbstsalons von 1908 wird Funke mit anderer Adresse angegeben: 5, rue Campagne-Première. Wie Sigrid Bucher schlussfolgert, besucht Funke aber trotzdem weiterhin die Salons der Steins, siehe: Bucher, Sigrid: Die Malerin Helene Funke, Wien 2007, S. 20. Leo Stein kommt bereits im Herbst 1902 nach Paris, Gertrude folgt ihm im Frühjahr 1903, siehe: Sabin, Stefana: Gertrude Stein, Hamburg 1996, S. 31. Stendhal, Renate (Hg.): Gertrude Stein. Ein Leben in Bildern und Texten, Zürich 1989, S. 46. Zu dieser Zeit sind die Steins im Besitz folgender Werke: Cézannes »Porträt von Mme. Cézanne«, Matisses »Frau mit Hut« sowie »Le Bonheur de Vivre«, Picassos »Junges Mädchen mit Blumenkorb«, »Stehender weiblicher Akt« und »Porträt Gertrude Stein«, eine Mappe japanischer Holzschnitte, Vallottons »Liegender Akt auf gelben Kissen« sowie nicht näher identifiziert zwei Werke Gauguins, Manguins, ein Werk von Toulouse-Lautrec, ein Werk von Denis, ein kleiner Daumier, einige Aquarelle von Cézanne, ein kleiner Delacroix, ein Werk von Greco sowie in Picasso aus der HarlekinPeriode, siehe: ebd., S. 63f.

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Aneignung und Eigensinn

eine Verbindung zwischen Funke und den Steins belegen, so liegt die Vermutung doch sehr nahe, dass Funke die Sammlung der Steins – und damit entscheidende Positionen avantgardistischer Kunst – durch eben diese Salons kennen lernt und Kontakt zur Kunstszene knüpfen kann. Die Bekanntschaft zwischen Funke und Henri Matisse ist belegt. Funkes Beteiligung an der Ausstellung des Salon des Indépendants 1907, wo sie sechs ihrer Werke präsentiert, deutet zudem darauf hin, dass sie schnell Zugang zur Kunstszene findet. 1907 und 1908 stellt sie außerdem Werke (hauptsächlich bretonische Landschaften) im Salon d’Automne aus, in dessen Jury auch Matisse sitzt; 1909 und 1910 nimmt sie darüber hinaus an Ausstellungen in Deutschland teil (Eröffnungsausstellung des König-Albert-Museums in Chemnitz, Dritte Graphische Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes in Hamburg). 1910 stellt sie erneut im Salon des Indépendants aus.4 Daran lässt sich nicht nur ableiten, dass Funke auch in Paris erfolgreich ist, sondern weiterhin gute Kontakte in die Heimat pflegt. In Frankreich entwickelt sich nicht nur Funkes künstlerischer Ausdruck weiter und ihr Motivspektrum vergrößert sich, Formen von Aneignung finden sich nun auf vielfältige Weise in ihren Werken. Die Arbeit nach Vorlagen nimmt einen bedeutenden Stellenwert in ihrer Bildfindung ein; emanzipiert sich aber zugleich von einem Streben nach etablierten Formen zu einem Ausdruck eigener Schöpfung. Im Zentrum des folgenden Kapitels steht die Darstellung »Tänzerinnen« (Abb. 12), die – wenngleich undatiert – im Werkverzeichnis Funkes Pariser Phase zwischen 1906 und 1911 zugeordnet wird.5 Im direkten Vergleich zu den in München entstandenen Landschaften fällt eine radikale Veränderung auf: Während das Sujet der Landschaft zunächst auch in Frankreich noch aktuell bleibt – einige Landschaften lassen auf Aufenthalte an der französischen Küste schließen –, zeigt die vorliegende Darstellung ein Mehrfiguren-Porträt. Vier Tänzerinnen drängen sich auf engem Raum vor einem unbestimmbaren Hintergrund zusammen. Die Szene wird von einer groben Farbplastizität und einer formalen Vereinfachung bestimmt, die Figuren zeugen von einer unmittelbaren Nähe und Direktheit. Bewegt sich Funke noch in München in einer dem etablierten Kunstgeschmack konformen Bildsprache, bezeugt das Werk »Tänzerinnen« die Auseinandersetzung mit der modernen französischen Kunst und lässt eine Veränderung ihrer Haltung hinsichtlich Motiv und Gestaltungsmitteln zu. So wird das Gemälde im Folgenden zunächst 4 5

Funke, 2011, S. 15f. Ebd., S. 125.

IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen

hinsichtlich einer Reihe formalästhetischer Aspekte untersucht, auch um eine künstlerische Entwicklung zu belegen, wobei das Bildthema, das Motiv des Tanzes (auch als Symbol der modernen Unterhaltungskultur), die räumliche und kompositorische Organisation sowie die Modellierung der Körper im Vordergrund stehen. Das Sujet erlaubt zudem die Anknüpfung an populäre Tanzdarstellungen, wobei sich im Besonderen die Szenen Edgar Degas’ als konstruktiv erweisen. Bezüglich Raumorganisation und Körperbehandlung fallen Parallelen ins Auge. So lässt sich Degas als mögliche Inspiration oder Bezugsquelle anführen. Des Weiteren offenbart die Darstellung bei eingehender Betrachtung eine kompositionelle Übereinstimmung zu Pablo Picassos »Demoiselles d’Avignon« aus dem Jahr 1907 (Abb. 13), eine Darstellung, die zwar erst 1916 öffentlich ausgestellt wird,6 den Steins und somit wahrscheinlich auch Funke doch bereits nach Entstehung zugänglich ist.7 Bezüglich der räumlichen Organisation, insbesondere auch des Umgangs mit Ornamentik als Moment der räumlichen Verflachung, erweist sich zudem ein Vergleich mit Werken von Henri Matisse als konstitutiv. So wird schnell deutlich, dass Aneignung als Methode der Bildfindung auch weiterhin die künstlerische Praxis der Malerin prägt. Durch die Analyse dieser unterschiedlichen von Funke aufgegriffenen Vorlagen stellt sich die Darstellung »Tänzerinnen« als komplexes System aus miteinander verwobenen motivischen und formalen Bezügen dar, das sich in Anschluss an das zurückliegende Kapitel als eine weitere (und radikalere) Form der Hybridisierung bezeichnen lässt. Dabei interessiert nicht nur, wie Funke mit den Vorlagen umgeht, sich diese aneignet und zugleich künstlerische Distanz wahrt, sondern auch wie sie die Vorlagen in ihrer Umsetzung in Beziehung zueinander setzt. Denn die Künstlerin greift auf diverse differente Quellen zurück, markiert Unterschiede ebenso wie deren Gemeinsamkeiten und fügt diese in neuer Interpretation zusammen. Dabei lassen sich formale Erkenntnisse auch auf einer inhaltlichen Ebene verhandeln. Besondere Bedeutung kommt dabei – wie im Verlauf ausführlich gezeigt wird – den Textilien zu, nämlich den flächig wie auch pastos ausgearbeiteten Tutus der Ballerinen. Diese fungieren weniger als Bekleidung, sondern vielmehr als Element der Raumorganisation sowie als Motiv des Verdeckens, 6

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Warncke, Carsten-Peter: Picassos »Les Demoiselles d’Avignon« – Konstruktion einer Legende, in: Streit um Bilder. Von Byzanz bis Duchamp, Hg. Karl Möseneder, Berlin 1997, S. 202. Loitfellner, 2007, S. 174.

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der Überlagerung und Verschleierung. Die Betonung der Bildoberfläche, die zugleich ein Eindringen in das Dahinter bzw. Darunter erschwert, ist somit nicht nur bildräumliches Konzept der Darstellung, sondern auch übergreifendes Bildprinzip. Die Darstellung entpuppt sich als Spiel von Nähe und Distanz, Zeigen und Nicht-Zeigen, Schein und Wirklichkeit. Die Bildoberfläche kommt in diesem Sinne einer Fassade gleich, sie stellt aus, bleibt aber immer oberflächlich. Auch die Betrachtung der Figuren obliegt der Gefahr eines Trugbildes, denn die Frage nach ihrer Profession führt in eine komplexe Doppelrolle, die besonders vor dem Hintergrund der Vorlage Picassos virulent ist. Vor diesem Hintergrund dient die Betrachtung der Darstellung auch der Verhandlung des der Forschungsarbeit übergeordneten Fragehorizontes, der Funkes künstlerische Arbeitsweise der Aneignung und interpikturalen Umsetzung fremder Bildvorlagen im Diskurs der Moderne aufspannt und methodisch befragt. Besonders das Kombinieren heterogener Bezüge, das Bild als Hybride, ist dabei von höchstem Interesse, unterstreicht es doch zum einen den Charakter eines im höchsten Maße konstruierten Bildgefüges und stellt zugleich bestehende kunsthistorische Kategorien konsequent in Frage.

Das Motiv der Tänzerinnen Vier weibliche Figuren, anhand ihrer Kleidung als Ballerinen identifizierbar, drängen sich scheinbar gelangweilt auf engem Raum in Funkes Darstellung »Tänzerinnen«. Dabei werden sie nicht während eines Auftritts auf der Bühne gezeigt, auch nicht während Probearbeiten oder in der Garderobe, sondern in einem Moment des Wartens oder des Ausruhens. Die Figur in der Mitte nimmt die größte Fläche im Bild ein. Genau auf der Mittelachse positioniert, blickt sie, wie auch die Figuren links und rechts unten, den Betrachter direkt an, wobei sie als Einzige en face abgebildet ist. Im Gegensatz zu den drei anderen ist ihr Körper der einzige, der nicht durch den Bildrand beschnitten, sondern in seiner Gänze ausgestellt ist – wenngleich sie aus dem engen Bildausschnitt sogleich herausragen würde, stünde sie von ihrem Stuhl auf. Im Kontrast dazu werden die beiden rechten Figuren regelrecht auf die kleinstmögliche Fläche gedrängt, der Körper der in der unteren Bildecke Hockenden gar auf ein Minimum seiner Größe begrenzt. Auf dem Boden sitzend, das von ihr aus gesehen linke Bein vor dem Körper aufgestellt, den linken Arm aufgestützt, dreht sie den Kopf über die linke Schulter, um den Blick

IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen

auf ihr Gegenüber – auf den Betrachter – zu richten. Dabei wird ihr Körper genau in der Mitte durch den Bildrand zerteilt, so dass lediglich die linke Körperhälfte im Bildraum Platz findet. Die Figur darüber erscheint optisch verkürzt, als stünde sie weiter hinten – wenn gleich der dargestellte Bildraum kaum ein »Dahinter« anbietet. Den Körper zur Seite scheinbar ins Bild gereckt, den linken Arm angewinkelt, den rechten lang gestreckt, markiert sie mit diesem die einzige waagerechte Linie innerhalb der Bildkomposition. Sie blickt nicht wie die drei anderen zum Betrachter, sondern scheint wie in Gedanken versunken, den Blick in unbestimmte Ferne schweifend. Sind die soeben beschriebenen drei Figuren der rechten Bildhälfte kompositorisch nach links ausgerichtet, markiert die Tänzerin am linken Bildrand einen Gegensatz, ist ihr Körper doch genau dem entgegen nach rechts ausgerichtet. Mit dem Rücken in Richtung des Betrachters dreht sich diese nach rechts, den anderen Figuren entgegen. Dabei scheint auch sie, wie die mittlere Figur, auf einem Stuhl oder Ähnlichem zu sitzen, wenngleich dieser durch das pastos ausgearbeitete und breit aufgestellte Tutu verdeckt wird. Erahnen lassen sich lediglich die Stuhlbeine, die sich in ihrer senkrechten Gradlinigkeit zwischen dem diagonalen Gewirr aus Tänzerinnen-Beinen hervortun. Durch die gleiche Ballettkleidung werden die vier Figuren als zusammengehörige Gruppe präsentiert. Jede trägt ein kurzes weißes Tutu sowie weiße Strümpfe und ein farbiges Taillenband, die mittlere Figur trägt auch ein Halsband. Die Modellierung der Körper erfolgt bei jeder in gleicher Form: Die pastos aufgetragene weiße Farbe bildet Strumpf, Schuh und Tutu gleichermaßen aus, lässt keinen materiellen Unterschied zwischen eben diesen zu und formuliert viel eher Fläche als körperliche Plastizität. Einzelne Glieder lassen sich nicht als individuelle Glieder definieren, die Körper erscheinen wie austauschbare Puppenkörper, auf die ein jeweils anders gestalteter Kopf gesteckt wurde. Die Gesichter, wenn ihre unterschiedlichen physiognomischen Gestaltungen auch eine individuelle Charakterisierung suggerieren mag, erscheinen maskenhaft, die Mienen aufgesetzt. Der die Figuren umgebende Raum ist in Gestalt und Funktion nur wenig definiert. Die untere Bildhälfte wird, soweit erkennbar, von einer schwarzen Fläche, besetzt mit einem aus Dunkelrot, Violett und Grün formierten floralen Blütenornament eingenommen, das sich als eine Art Teppichboden beschreiben lässt. Am oberen Bildrand kann der Raum in zwei Zonen geteilt werden: Das linke Drittel ist mit brauner und gelber Farbe ausgeführt, die rechten zwei Drittel mit hellen und dunklen Blautönen in kreisförmiger Struktur. Die spachtelartige Verarbeitung der Farbe tritt deutlich zum Vorschein, markiert

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eine farbige Fläche, die sich jedoch kaum als Raum fassen lässt, da diesem jeglicher Verweis auf Tiefe verwehrt bleibt. In Korrespondenz zu den Formen der Tutus verklammert dieser gar die Bildgründe und drängt nach vorn. Das Thema des Tanzes bzw. die Darstellung von Tänzerinnen stellt eine Ausnahmeerscheinung innerhalb Funkes Œuvre dar, ist doch das besprochene Werk das einzige, das sich eines solchen Gegenstands bedient. Dass es sich dabei jedoch um ein besonders in der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts beliebtes Sujet handelt, zeigen die zahlreichen künstlerischen Auseinandersetzungen.8 Besonders an die Werke Edgar Degas’ mag der Betrachter sich sofort erinnert fühlen, blickt er auf die Darstellung Funkes. Denn sowohl auf motivischer Ebene – zeigt sie doch eine Szene abseits der Bühne – wie auch auf formalästhetischer Ebene scheint sie Degas nachempfunden. Doch die Suche nach einem expliziten Werk, welches der Malerin als direkte Vorlage gedient haben könnte, bleibt erfolglos. Nicht eine einzige Darstellung aus dem Tänzerinnen-Repertoire Degas’ stimmt mit der Funkes tatsächlich überein. Trotzdem lassen sich, wie anhand eines konkreten Bildvergleiches im Folgenden gezeigt werden soll, inhaltliche und bildstrategischen Gemeinsamkeiten finden, so dass vermutet werden kann, dass Degas’ Werke als thematische Inspiration gedient haben mögen. Degas’ zwischen 1898 und 1899 entstandenes Werk »Blue Dancers« (Abb. 14) präsentiert vier Ballerinen, die auf engem Raum neben- und hintereinander gestaffelt erscheinen. Der Bildausschnitt ist eng gefasst, so dass einerseits der Betrachter nah an die Figuren herangerückt wird, andererseits kaum etwas vom Umraum zu erkennen ist. Der Kontext der Szene ist daher nur schwer zu ermitteln, wahrscheinlich handelt es sich aber um eine Probe oder um das Aufwärmen vor einem Auftritt. Degas richtet sein Interesse weniger auf das Geschehen auf der Bühne, als vielmehr auf die nicht sichtbare Welt hinter ihr. Er rückt die Arbeiten vor oder nach dem Auftritt, die Probearbeiten oder die Momente in der Garderobe in den Fokus.9 Der enge Bildausschnitt verrät auch bei dieser Darstellung den Fokus des Malers: Es geht ihm weniger um die durch Perfektion ausgezeichnete Darstellung 8

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Hier denke man neben Edgar Degas beispielsweise an Henri Toulouse-Lautrec, Georges Seurat, Auguste Rodin oder Henri Matisse. Bei Degas stellt das Ballett neben dem Pferderennen die bedeutsamste und umfangreichste Motivgruppe seines Œuvres dar, siehe: Hofmann, Werner: Degas und sein Jahrhundert, München 2007, S. 170. Siehe beispielsweise: ebd. oder aber: DeVonyar, Jill/Kendell, Richard (Hg.): Degas and the Dance, Ausstellungskat.: The Detroit Institute of Arts, 2002/2003, New York 2002, S. 63.

IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen

der Ballerina – ist doch nur ein Teil des Körpers, nicht der ganze zu sehen –, sondern darum, möglichst nah an die Subjekte heranzurücken und so Momente sichtbar zu machen, die auf der Bühne gewöhnlich unsichtbar bleiben.10 Durch den Bildrand beschnitten, finden nur die Oberkörper Platz im gewählten Ausschnitt. Nicht nur durch die gleiche Ballettbekleidung, sondern auch durch ihre Platzierung im Bildraum werden die Tänzerinnen miteinander in Bezug gesetzt. So ergibt sich in der Betrachtung der vier Figuren eine oval geführte Leserichtung, die stets von der einen zur anderen führt und sie folglich als geschlossene Gruppe markiert. Es sind Mitglieder des gleichen Ballettensembles. Auch Funke formiert ihre vier Tänzerinnen als einheitliche Gruppe, die in gleicher Kleidung, bis auf die unterschiedlich farbigen Bänder, auftreten. Kompositorisches Zentrum innerhalb der Darstellung bildet die Figur auf der Mittelachse, die drei anderen sind um sie herum und auf sie zulaufend ausgerichtet und ihr zugewandt. Die Figur am oberen rechten Bildrand beispielsweise führt einen Arm angewinkelt zum Kopf, den anderen streckt sie lang gerade in Richtung der mittleren Figur und scheint nach etwas zu greifen, das ihr Halt gibt und sie davor bewahrt, aus dem engen Bildraum zu rutschen. Dieser »Anker« ist jedoch nicht sichtbar, sondern wird durch die mittlere Figur verdeckt. Degas zeigt ein ganz ähnliches Motiv in seinem Werk. Hier ist es die linke Randfigur, die einen Arm anwinkelt, den anderen lang ausstreckt und nach etwas greift. Im Gegensatz zu Funkes Tänzerinnen ist das Objekt, nach dem gegriffen wird, aber sichtbar. Aus Gelb-, Orange-, Grün- und Brauntönen mit einem deutlich sichtbaren Pinselduktus gearbeitet, scheint sie nach einer Art Bühnenelement zu greifen, das diagonal durch den Hintergrund verläuft. Degas zeigt die vier Figuren inmitten einer Bewegung; in der Betrachtung der Vier als Gruppe ergibt sich gar eine Bewegungsfolge.11 Im Gegensatz dazu 10

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Lipton konstatiert: »For what he did consistently was to take intrinsically private moments and make them public.«, siehe: Lipton, Eunice: Looking into Degas. Uneasy Images of Women and Modern Life, Berkeley/Los Angeles/London 1986, S. 94. Hofmann schreibt dazu: »Mag ein solcher Blick hinter die Kulissen die Illusion des Bühnenzaubers profanieren, ist es nicht der Blick eines indiskreten Voyeurs. Im Gegenteil: Degas verhilft der fertigen choreographischen Schöpfung zu einem Hintergrund, der in Erinnerung bringt, dass in den Tanzautomaten Menschen stecken.«, siehe: Hofmann, 2007, S. 177. Zuweilen zeigt Degas auch nur eine Figur, aber in verschiedenen aufeinander aufbauenden Posen und erzeugt so den Eindruck einer Bewegungsabfolge, siehe: DeVonyar,

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erscheinen die vier Figuren in Funkes Darstellung vollkommen starr, eingefasst in einer Pose, die weniger eine Bewegung, als viel eher die Stillstellung dieser bedeutet.12 Doch auch hier lassen sich die Figuren über ihre (stillgestellten) Bewegungen miteinander in Beziehung setzen. So scheint die Figur links außen die Beinhaltung der mittleren Figur genau zu spiegeln, wenn auch die Richtung, in die die Pose deutet, die entgegengesetzte ist. Auch die beiden auf der Fußspitze aufgestellten Füße spiegeln einander in ihrer Haltung, was umso mehr in Szene gesetzt wird, als dass sie direkt nebeneinander positioniert sind.13 Ähnliches ist bei Degas’ Darstellung bezüglich der beiden Figuren rechts im Bild zu beobachten: blickt die obere nach links, blickt die direkt darunter positionierte in gleicher Weise nach rechts; führt die obere die rechte Hand angewinkelt an ihre rechte Schulter, führt die andere scheinbar exakt gespiegelt ihre linke Hand an ihre linke Schulter.14 Während Degas seine vier Tänzerinnen in klassischen Ballettposen zeigt, mögen die Posen von Funkes Tänzerinnen zwar entfernt an Ballettposen erinnern, tatsächlich sind es aber keine.15 Geradezu ungrazil hockt die blonde Figur unten rechts in der Bildecke; die Figur am linken Bildrand dreht ungelenk ihren Rücken zum Betrachter – unklar ist hier auch, wie sie sich in einer solchen Pose auf dem Stuhl halten kann. Die Körper wirken schwer und widersprechen damit allzu sehr der im klassischen Ballett formulierten Vorstellung eines schwebenden Wesens, das kaum den Tanzboden berührt und

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Jill: »Dancers« by Edgar Degas, in: Record/Princeton University 66 (2007), S. 34. Daraus resultiert eine mehransichtige Analyse des Körpers, siehe: Thomson, Richard: Degas. Sequenzen und Wiederholungen (1880-1910), in: Degas. Intimität der Pose, Ausstellungskat.: Hubertus-Wald-Forum in der Hamburger Kunsthalle, 2009, Hg. Hubertus Gaßner, München 2009, S. 67. Gabriele Brandstetter beschreibt die Pose als eine »Still-Stellung der Bewegung« oder als ein »Schweigen der Bewegung«, bezieht sich dabei aber nicht konkret auf die Darstellungen Degas’, sondern auf die Pose als solche, siehe: Brandstetter, Gabriele: Pose – Posa – Posing. Between Image and Movement, in: fashion body cult, Hg. Elke Bippus/Dorothea Mink, Stuttgart 2007, S. 253. Das Motiv des aufgesetzten Fußes einer Ballerina findet sich interessanterweise in ganz ähnlicher Art in Degas’ Darstellung »Blaue Tänzerinnen« (um 1893). Zu den wiederholten und gespiegelten Bewegungen der Tänzerinnen von Degas siehe: Thomson, R., 2009, S. 73. Das dies keine klassischen Ballettposen sind, zeigt sich allein daran, dass drei der vier dargestellten Figuren sitzen. Vergleicht man beispielsweise Funkes Werk mit Degas’ »Bühnenprobe« (um 1874) wird die Differenz zwischen den jeweils abgebildeten Posen deutlich. Funkes Figuren wirken schwer und sind am Boden verhaftet, wohingegen Degas’ Figur leichtfüßig und grazil über den Tanzboden zu schweben scheinen.

IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen

die Schwerkraft so zu überwinden sucht.16 Wieder ist es die Hockende, die hier ins Auge fällt, nimmt sie doch im Gegensatz zu den anderen, die auf einem Stuhl sitzen und nur mit den Fußspitzen den Boden berühren, die größte Fläche auf dem Boden ein. Anmut und Körperbeherrschung sind lediglich bei der mittleren Figur zu erkennen, so ist beispielsweise ihr Fuß im Spitzenschuh lang gestreckt und fast senkrecht aufgestellt.17 Gespiegelt wird diese Haltung wie bereits beschrieben von der Figur am linken Bildrand. Doch auch die Pose der mittleren Figur ist nicht dem klassischen Ballett entlehnt. Viel eher erinnern die Haltung ihrer Arme und der en face ausgestellte Kopf an das Porträt der Madame Moitessier von Jean-Auguste-Dominique Ingres – ein Aspekt, der an späterer Stelle dezidiert erläutert wird. Somit lässt sich resümieren, dass die Posen zwar entfernt auf das klassische Ballett und die damit verbundenen Vorstellungen der Tänzerin verweisen, diese aber zugleich konterkarieren und somit einen Bruch darstellen. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Kostümen. Zwar rekurrieren sie auf die klassische Ballettmode, bestehend aus Spitzenschuh, Tutu und Strümpfen, sie differenzieren sich aber zugleich deutlich von den romantischen Sylphidenkostümen18 , die aus luftig-leichten Röcken bestehen, die Beine gerade soweit verdeckend, dass sie der gesellschaftlichen Forderung nach Keuschheit entsprechen, aber zugleich auch die »Verlockungen des weiblichen Körpers« durchscheinen lassen.19 Bei Degas ist diese Art von Kostümen zu erahnen. Im Gegensatz dazu sind die Tutus in Funkes Darstellung wesentlich kürzer, wirken steifer, in ihrer Materialität fester und lassen sich somit nicht als klassische Ballettkostüme beschreiben.20 Auch tragen die vier Tänzerinnen das 16 17 18

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Klein, Gabriele: FrauenKörperTanz. Eine Zivilisationsgeschichte des Tanzes, Weinheim/Berlin 1992, S. 125f. Der Spitzenschuh begrenzt die Bewegungsmöglichkeiten und bindet den Fuß ein, er erlaubt nur geringen Bodenkontakt und tippelnde Bewegungen, siehe: ebd., S. 126. Seit der Einführung durch Marie Taglioni (1804-1884) gehört das Sylphidenkostüm und der Spitzenschuh zur Tanzmode des Balletts, erklärt Klein. Im Verlauf der Jahre sei jedoch der Rocksaum des Sylphidenkostüms allmählich immer mehr gekürzt und das Dekolleté wurde weiter ausgeschnitten, siehe: ebd. Ebd. Wie Klein berichtet, waren die Röcke zum Teil mit einer Drahtkonstruktion unterlegt und hießen dann deshalb auch ›tutu‹, siehe: ebd., S. 127. Das würde zwar die Festigkeit zum Teil erklären, vergleicht man aber die Darstellung Funkes mit Fotografien von Tänzerinnen aus dieser Zeit, erscheinen die Tutus trotz Drahtunterlegung nicht so steif wie in Funkes Darstellung. Es liegt also nahe, dass sie aus anderen Gründen, z.B. aus kompositorischen, diese Gestaltungsweise gewählt hat.

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Haar entgegen üblicher Konvention im Ballett geöffnet. Wie schon bezüglich der Posen beobachtet, verweisen auch die Kostüme auf das klassische Ballett, wenngleich sie diesen Verweis nur anstoßen, nicht aber einlösen und sogar mit diesem brechen. Die Funktion des Tutus ist hier, wie noch gezeigt werden soll, primär eine andere, es fungiert als Element des Verdeckens und wird für die bildräumliche Gestaltung genutzt. Eine weitere motivische Gemeinsamkeit zwischen Degas’ »Blue Dancers« und Funkes Darstellung findet sich bezüglich der diffusen Hintergrundgestaltung, die in beiden Fällen nur wenig gegenständlich definiert und darüber hinaus kaum in die Tiefe deutend, sondern flächig ausgearbeitet wurde. Im Gegensatz zu Degas, der seinen Tänzerinnen kaum individuelle physiognomische Merkmale verleiht21 , zeigt Funke vier unterschiedlich gestaltete und klar voneinander differenzierte Figuren. Nicht nur wird jede durch eine andere Haarfarbe, sondern auch durch die physiognomische Gestaltung differenziert, so dass Funke mit ihren vier Tänzerinnen scheinbar auch vier verschiedene Temperamente angelegt hat: Die mittlere Figur wirkt kühl und stoisch, die linke blickt lasziv, scheint ihrer Herkunft betreffend exotisch (das dunkle Haar sowie die dunklen Auge und die vollen Lippen lassen darauf schließen) und zugleich körperlich stark, sie zeigt ihre Muskeln. Die rechte obere Figur scheint selbstvergessen in sich versunken und blickt als Einzige nicht gen Betrachter; die Figur rechts unten schaut traurig, fast melancholisch. Doch trotz dieser augenscheinlich individuellen Charakterisierung bleiben alle vier Gesichter maskenhaft, die Mimik aufgesetzt, wie stereotype Beschreibungen verschiedener Typen. Im Gegensatz zu Degas, der fast ausschließlich in sich und in ihren Bewegungen versunkene Tänzerinnen darstellt, wie auch das Beispiel »Blue Dancers« zeigt, blicken drei der vier Figuren Funkes aus dem Bild heraus, direkt zum Betrachter, der somit nicht nur als ein Gegenüber wahrgenommen wird, sondern auch eine direkte Adressierung erfährt. Die drei Tänzerinnen scheinen den Betrachter förmlich aufzufordern, sie anzusehen oder mit ihnen in eine Interaktion zu treten. Besonders bei den beiden Figuren rechts und links 21

Patrick Bade schreibt dazu: »Die großbürgerlichen Frauen, die Degas porträtierte, stattete er mit der Persönlichkeit ihrer Gesichter aus, anders als seine Tänzerinnen, Prostituierten, Wäscherinnen, Hutmacherinnen und Badenden, die üblicherweise Stereotypen oder buchstäblich gesichtslos sind.«, siehe: Bade, Patrick: Bühne Bordell Boudoir, in: Degas. Intimität der Pose, Ausstellungskat.: Hubertus-Wald-Forum in der Hamburger Kunsthalle, 2009, Hg. Hubertus Gaßner, München 2009, S. 41.

IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen

außen wird das Moment des aus-dem-Bild-Blickens deutlich, drehen sie doch extra den Kopf in die der Körperhaltung entgegengesetzte Richtung, um den Betrachter anzuschauen. So bleibt festzuhalten, dass Degas als thematische Inspiration durchaus Anstoß gegeben haben mag – die entsprechenden Parallelen wurden aufgezeigt – Funke kreiert jedoch eine eigenständige Szene. Auf den ersten Blick stellt sich diese noch als Porträt eines Ballettensembles dar, doch schnell wird deutlich, dass Funke hier mit konventionellen Darstellungsmustern des Tanzes bricht, das Thema Ballett also nur ein oberflächliches ist, eine platte Fassade.

Der Raum als Fläche – Der Körper als Fragment Wurde zuvor das Motiv der Tänzerinnen und die von ihnen eingenommenen Posen im Vergleich mit einer Darstellung Degas’ beleuchtet, soll im Folgenden die räumliche Organisation in Funkes Werk bedacht werden. Dabei interessiert nicht nur der Raum, der den Figuren zur Verfügung steht, sondern auch der sie einfassende Umraum sowie die Organisation der Bildgründe bzw. die Bildtiefe. Der von Funke gewählte Bildausschnitt ist eng gefasst, der Betrachter wird nicht nur als direktes Gegenüber durch die Blicke der Figuren adressiert, sondern auch nah an die Szene herangerückt. Es entsteht der Eindruck der Unmittelbarkeit. Der enge Bildausschnitt führt weiterhin zu einer mehrfachen Beschneidung der Figuren und einer Fragmentierung ihrer Körper durch den Bildrand.22 Besonders deutlich wird dies bei der hockenden Figur in der unteren rechten Bildecke. Der Bildrand zerteilt ihren Körper genau in der Mitte, so dass neben dem Kopf jeweils nur das linke Bein und der linke Arm im Bildraum Platz finden. Unterstrichen wird das Moment der Fragmentierung hier zudem durch die Sitzhaltung der Figur. Dadurch, dass sie direkt auf dem Boden hockt, ihr Rumpf und Becken aber nicht im Bildraum zu sehen sind, erscheinen sowohl ihr Arm als auch ihr Bein wie einzelne Körperglieder, die ohne eine Verbindung ins Bild ragen. Hinzu kommt, dass der erkennbare Brustansatz direkt unter dem Arm nicht korrekt gesetzt wurde, 22

Sigrid Schade deutet das Fragmentarische in der Kunst des 20. Jahrhunderts als eine Dekonstruktion bürgerlicher Totalitätskonzepte und als ein der Vorstellung des »Ganzen Körpers« entgegenlaufendes Konzept, siehe: Schade, Sigrid: Der Mythos des »Ganzen Körpers«, in: Kunstgeschichte und Gender, 2006, S. 159-180.

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sondern zu weit unter den Arm rückt. Korrekt gesetzt würde dieser kaum noch im Bildraum zu erkennen sein. Dadurch und auch durch das hellblaue Taillenband werden aber zumindest im Ansatz eine Körperlichkeit und auch eine Verbindung der einzelnen Glieder angedeutet, die jedoch faktisch nicht einlösbar ist. Ein ähnliches Phänomen ist bei ausgewählten Werken von Henri Matisse zu beobachten.23 So zeigt beispielsweise die Darstellung »Nasturtiums with the Painting ›Dance‹ I« (1912) Figuren, die ebenfalls durch den Bildrand angeschnitten werden, deren Körper teilweise vollkommen aus dem Bild entrückt wurden, so dass lediglich ein Körperglied, wie ein Arm, ins Bild hineinragt (Abb. 15).24 Das führt einerseits dazu, dass die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die Bildränder gelenkt wird, andererseits wird somit die Fläche als eine Ganzheit wahrgenommen.25 Auch in Funkes Darstellung erfahren die beiden seitlichen Bildränder eine Betonung. Dies geschieht zum einen wie bei Matisse durch die Randüberschneidungen, zum anderen werden beide Randzonen mit Figuren besetzt. Am rechten Bildrand werden zwei Figuren sogar übereinander gestaffelt, so dass sie den Rand vollständig besetzen.26 Links nimmt die Figur eine größere Fläche und so gleichermaßen den Rand ein. Im Zusammenschluss entsteht die Wirkung einer innerbildlichen und kompositionellen Rahmung. Diese wiederum fokussiert den Blick des Betrachters auf das Zentrum der Darstellung, lädt ihn dabei aber nicht, wie es bei Matisse der Fall ist, dazu ein, auch über die Bildgrenzen hinaus das Bild weiter zu denken. 23

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Wie Bernd Growe ausführt, findet sich auch bei Degas das Moment des Fragments. In Bezug auf die Darstellung »L’Absinth« (1876/77) schreibt Growe: »So scheint das Bild Ausschnitt eines umfassenderen Ganzen zu sein, Fragment eines bestimmten Kontextes.«, siehe: Growe, Bernd: Zur Bildkonzeption Edgar Degas’, Frankfurt a.M. 1981, S. 91. Auch bei Degas’ Tänzerinnen findet Growe das Fragmentarische wieder, hierzu führt er exemplarisch die Darstellung »Danseuses au Foyer« (um 1879) an, siehe: ebd., S. 99. Gottfried Boehm bezeichnet dieses Vorgehen von Matisse als eine Strategie der Fragmentierung und stellt sie in Zusammenhang mit dem Japonismus, siehe: Boehm, Gottfried: Ausdruck und Dekoration. Henri Matisse auf dem Weg zu sich selbst, in: Henri Matisse. Figur, Farbe, Raum, Ausstellungskat.: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2005/2006, Hg. Gottfried Boehm/Pia Müller-Tamm, Ostfildern 2006, S. 279. Ebd. Auch das Phänomen der Figurenstaffelung findet sich bei Degas wieder. In der Darstellung »Six amis à Dieppe« (1885) staffelt Degas gleich fünf Figuren übereinander am rechten Bildrand. Growe nennt diese Figurenanordnung »Türmung«, siehe: Growe, 1981, S. 96.

IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen

Während Matisse mit Mitteln der Ausbreitung und Zirkulation bestrebt ist,27 eine dezentrale und flächige Komposition zu evozieren, zentriert Funke ihre Darstellung konsequent, indem sie Figuren und Formen streng auf die Mittelachse und die darauf platzierte Figur ausrichtet. Die Szene wirkt so trotz frappierender Anschnitte in sich geschlossen. Bezüglich der Randgestaltung und der Randüberschneidungen arbeitet Funke also ähnlich wie Matisse, die zentralisierte Fokussierung ihrer Darstellung zeigt aber zugleich eine deutliche Differenz. Nicht nur der Bildrand beschneidet die Körper der Figuren, auch überschneiden sich die Figuren gegenseitig. Die größte Fläche innerhalb des Bildraums nimmt, wie bereits beschrieben, die mittlere Figur ein. Ihr Körper ist der einzige, der nicht durch die anderen Figuren überlagert oder durch den Bildrand beschnitten wird. Sowohl ihr ausgestreckter Fuß, der zur rechten unteren Bildecke deutet, als auch die Schleife im Haar schließen exakt mit dem Bildrand ab. Ihre zum Rocksaum greifende Hand berührt nicht den Arm der Hockenden, sondern lässt einen schmalen Streifen zwischen beiden offen. Lediglich einer der Füße wird durch den der Hockenden kreuzend überlagert. Ihr wird, im Gegensatz zu den anderen Figuren, ausreichend Raum überlassen. Unweigerlich verweist sie damit die anderen sie umgebenden Figuren in die Randzonen und in die Ecken des Bildraums. Dennoch erfährt auch ihr Körper eine Zerteilung: sauber zerschneiden die türkis-grünen Bänder an Hals und Taille ihren Rumpf, fassen ihn ein und drücken ihn zusammen. Auch die einzig waagerechte Linie der Komposition, der ausgestreckte Arm der hinteren Figur, betont diese Zergliederung. Die Beine, die unter dem Tutu herausragen, weisen eine Drehung auf, wodurch sie sich nur schwerlich an den Rumpf ansetzen lassen – zumal das Tutu jegliches Darunter verdeckt. Der Figur steht zwar genug Raum zur Verfügung, doch nur in der von ihr eingenommen Sitzhaltung, wobei die Beine wie eingeklappt erscheinen, um so noch in den Bildraum zu passen. Die Enge des Bildraums führt neben den Überschneidungen und Überlagerungen der Figuren außerdem zu einer zunächst unübersichtlichen Ansammlung verschiedener Körperglieder, die durch die gleichen Textilien nicht unmittelbar mit der entsprechenden Figur zusammen gedacht werden können. Besonders im unteren Teil des Bildes ist dies der Fall: fünf in gleicher 27

Diese Begriffe verwendet Yve-Alain Bois für das kompositorische Konzept Matisses, siehe: Bois, 1994, S. 62.

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Aneignung und Eigensinn

Weise gestaltete Beine werden hier vor dunklem Grund präsentiert. Die Zuordnung dieser Glieder wird auch durch die Undurchsichtigkeit der Tutus erschwert. Mit weißer Farbe pastos gearbeitet, abgesetzt mit zarten Blauund Grüntönen, formt Funke durch den Einsatz eines dicken Pinsels oder eines Spachtels aus der Materialität der Farbe heraus die Form der festen und standhaften Tutus, die sowohl, wie bereits ausgearbeitet, den luftig-leichten Röcken des romantischen Balletts, als auch der üblichen vestimentären Funktion von Mode widerstreben.28 Dennoch kommt den Textilien in der Darstellung eine exponierte Bedeutung zu. Die Kleider verbinden die Figuren, gestalten sie uniform. In diesem Sinne dienen sie nicht primär der sozialen und historischen Beschreibung der Figuren (Michael Diers nennt dies den »historischen Index« oder auch das »ästhetische oder ikonografisches Indiz« von Mode29 ), sondern sind ihrer Profession und dem Bildsujet wie formalen Gestaltungselementen der Darstellung verhaftet. Durch die Uniformität spiegeln sie keine Individualität oder einen persönlichen Ausdruck, sondern Einheitlichkeit – wobei lediglich die farbigen Bänder variieren. Unterschiedliche textile Momente, wie die Kostüme der Tänzerinnen, der Teppich oder der Vorhang-artige Hintergrund, werden in der Darstellung miteinander verschliffen, dabei wird aber nicht ihre stoffliche Differenz – sie sind alle gleichermaßen stumpf und opak –, sondern ihre gleiche flächige Funktion ausgestellt. Die Kostüme kleiden die Figuren zwar in dem Sinne, dass sie ihre Körper bedecken, sie fügen sich aber der Darstellung viel mehr als kompositorische Elemente ein. Fest und starr nehmen sie eine eigenständige Materialität an, die über das Moment des Textilen weit hinausgeht. Einerseits wird jegliches Darunter, wie die Stuhllehne oder auch die Beinhaltung der beiden rechten Figuren, durch die ungeheure Plastizität des vermeintlichen Stoffes verdeckt und verschleiert, andererseits markieren die weißen Röcke eine räumliche Barriere, die in ihrer Flächigkeit nicht nur die Bildoberfläche betont, sondern auch ein Eindringen in das Dahinter, in die Tiefe, verweigert.30 So entsteht 28

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Zitzlsperger, Philipp: Kleidung im Bild – zur Ikonologie dargestellter Gewandung. Vorwort des Herausgebers, in: Kleidung im Bild. Zur Ikonologie dargestellter Gewandung, Hg. Ders., Emsdetten [u.a.] 2010, S. 7. Diers, Michael: Mode im Bild, Modus des Bildes. Dargestellte Kleidung und die Selbstreflexion der Kunst, in: Kleidung im Bild, 2010, S. 195. Auch dieses formalästhetische Moment lässt sich bei Degas wiederfinden. Growe zieht dafür das Werk »A la Bourse« (1878/79) heran, bei dem das enge Nebeneinander der männlichen Figuren nicht nur zur gegenseitigen Überschneidung führt, sondern auch einen flächigen Eindruck forciert, siehe: Growe, 1981, S. 94. Zudem erschwert in dieser

IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen

ein spannungsreiches Spiel aus Nähe – erzeugt durch den Ausschnitt und die direkte Adressierung durch den Blick der Figuren – und Distanz, welches den Betrachter in ein ständiges Oszillieren zwischen Partizipation und Ausschluss versetzt. Erneut wird allein der mittleren Figur Ganzheit gewährt und somit ihre exponierte Position herausgestellt. Das von ihr getragene Tutu ist das einzige, das vollständig und in seiner gesamten Spannbreite ausgestellt wird. Seine kreisrunde Form nimmt zudem die größte einheitliche Fläche innerhalb der Szene ein. Dabei fügt es sich jedoch nicht der Körperhaltung der Figur, sondern ist steif aufgestellt und im Rückenbereich hochgeklappt; nur so kann es einen Kreis um die Figur herum bilden. Ellenbogen und Oberarm der Tänzerin fügen sich exakt diesem kreisrunden Stofffächer und führen die Form weiter, die hinter der Tänzerin in blauer Farbe ebenso gespachtelt ihre Wiederholung findet. Auch die Arme werden jeweils nach rechts und links gerichtet, wodurch eine Öffnung des Oberkörpers erzeugt wird, die jedoch zugleich durch das Tutu wieder verschlossen wird. Denn dieses ist zwar in seiner runden Form der Armhaltung dienlich, verdeckt aber den Körper durch seine stoffliche Beschaffenheit. Gleichzeitig wird das Tutu als eine stabile Einheit, die den Körper umgibt, ausgestellt; es fasst den Körper ein und verleiht ihm Halt. Der Funktion im Ballett entsprechend, markiert das Tutu auch hier den Bewegungsradius der Dargestellten; es verschafft dieser den benötigten Raum, fungiert wie ein Abstandhalter zwischen ihr und den umgebenden Figuren.31 Einzig das blonde Haar der Hockenden überschneidet das Tutu an einer Stelle. Changiert das Tutu in seiner Funktion ursprünglich zwischen Nähe und Ferne, indem es einerseits den künstlerischen Radius markiert und somit Nähe verhindert, zeigt der zarte Stoff aber andererseits gerade so viel Bein, dass doch ein Moment der Nahbarkeit entsteht.32 In Funkes Darstellung wird dies jedoch negiert. Zwar sind die Tutus wesentlich kürzer als im romantischen

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Darstellung Degas’ wie bei Funkes Tänzerinnen die flächige Behandlung der Figuren das optische Eindringen in den Tiefenraum, funktionieren die Figuren doch wie eine personalisierte Barriere. Das Tutu steht laut Klein in folgender Funktion: »Ursprünglich erdacht zur Unterstützung des optischen Eindrucks bei den Rotationen der Pirouetten, erfüllte es noch einen weiteren Zweck: Es betonte Keuschheit und Reinheit und schaffte einen künstlerischen Radius, der Nähe verhinderte, sie aber durchscheinen ließ.«, siehe: Klein, 1992, S. 126. Wie Klein erklärt, enthülle das Sylphidenkostüm den Körper, ohne ihn aber zu entblößen, siehe: ebd.

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Ballett und gewähren so einen Blick auf die Beine der Tänzerinnen, gleichzeitig ist aber sowohl das Tutu als auch die Strumpfhose von einer solchen festen und undurchsichtigen Materialität, dass das Darunter kaum oder gar nicht sichtbar ist. Nähe wird in dieser Darstellung viel eher über den direkten Blick der Figuren zum Betrachter und über den Bildausschnitt, der den Betrachter recht nah an die Szene heranrückt, erzeugt. Trotz der dichten stofflichen Struktur der Tutus, welche sich verdeckend vor das Darunter legt, tragen sie auch maßgeblich zur Gestaltung der Körperlichkeit der Tänzerinnen bei. Es ist das jeweils in unterschiedlichen Farben gestaltete Taillenband, welches den Körper einerseits einfasst und ihn als solchen markiert, den Körper aber gleichzeitig auch begrenzt und zusammenschnürt. In dieser Funktion mag das enge Band an ein Korsett erinnern, das eine schmale Taille betonend den weiblichen Körper in eine Form presst und als solches als ein Symbol körperlicher Kontrolle und Selbstdisziplin gedeutet werden mag.33 In gewisser Weise fungiert das Tutu ähnlich, soll es doch das Becken der Ballerina verdecken, so dass diese dem Ideal eines entsexualisierten und keuschen Mädchens (im Sinne einer Verkindlichung) entspricht.34 Gabriele Klein erklärt: »Die Ballerina mußte ihre Wirklichkeit als Frau opfern, um dem überzeitlichen Ideal zu entsprechen: als sylphidenhafte Erscheinung tanzte sie die Aufhebung ihres Geschlechts […]«35 . Das Tutu steht hier also in einer Doppelfunktion: einerseits fungiert es als räumliches und auch kompositorisches Mittel, um den Raum in seiner Fläche zu markieren; andererseits steht es aber auch symbolisch wie faktisch für die Begrenzung und Einfassung des weiblichen Körpers in eine bestimmte Form bzw. stereotype Rolle. Die Betonung der Bildoberfläche als Fläche wird aber nicht nur über die Gestaltung der Tutus evoziert, dem zuträglich sind auch die weißen Strümpfe wie die Oberteile der Tänzerinnen, aber auch das teilweise mit Weiß bei33 34

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Thesander, Marianne: The Feminine Ideal, London 1997, S. 85. Die Weiblichkeit der Ballerina sei zugunsten eines zum Ideal transformierten, sauberen Körpers zurückgetreten, erklärt Klein, der Körper der Ballerina werde, nach dem Muster des christlichen Frauenbildes der Maria, entsexualisiert und entköperlicht, die der Ballerina zugewiesenen Charakteristika seien Unschuld, Scham, Keuschheit und Reinheit, siehe: Klein, 1992, S. 121f. Die Ent-Weiblichung der Ballerina ist somit auch als Verkindlichung zu verstehen, erkennbar z.B. daran, dass das Ballettkostüm die Rundungen der Brust, als Emblem der Mütterlichkeit, kaschiert, siehe: Runte, Annette: Tanz der Geschlechter? Zur De/Konstruktion von Androgynie im Ballett, in: Tanz, Politik, Identität, Hg. Sabine Kaross/Leonore Welzin, Münster 2001, S. 167. Klein, 1992, S. 120.

IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen

gemischte Inkarnat der Figuren. Durch die weiße Farbigkeit der Kleider, die auch auf der Oberfläche der Arme und Schultern der Figuren ausgearbeitet ist, erscheinen die Körper der Figuren homogen. So gestaltet erscheinen die eng nebeneinander platzierten Figuren wie ein dichtes weißes Geflecht aus flächigen Tutus und abstehenden Gliedern, das den Betrachterblick auf die Oberfläche des Bildes lenkt und ein Durchdringen ebendieses Geflechts erschwert. So gestalten sich auch die Kostüme als ein Element von Modernität, losgelöst von einer sozialen, politischen oder historischen Bedeutung, sind sie lediglich Material, lediglich Fläche. Modernität lässt sich hier also nicht im Sinne modischer Kleider, sondern hinsichtlich einer modernen Bildgestaltung verstehen, die durch die opake, oberflächen-bezogene Stofflichkeit evoziert wird. Wird Oberfläche, wie Elena Esposito erklärt, meist als Ausdruck einer darunter liegenden Tiefe verstanden, wird Oberfläche zuweilen auch autonom und entkoppelt von der darunter liegenden Substanz eingesetzt.36 Dies ist hier der Fall. Die Betonung der unvermeidlichen Flächigkeit des Bildträgers erklärte schon Greenberg zum fundamentalen Merkmal modernistischer Kunst.37 Esposito konstatiert ferner eine Nähe zwischen dem Weiblichen und der Oberfläche in der tendenziell negativen Konnotation des Stereotyps.38 So nimmt die Darstellung mit ihren kostümierten Figuren nicht nur selbstreflexiv die moderne Malerei in den Blick, sondern spielt auch auf das Klischee-besetzte Bild von Weiblichkeit an. Der Aspekt der Oberflächengestaltung drängt erneut zum Vergleich mit Matisse, besonders mit seinen Odaliskenbildern39 , die oftmals durch das Dekor verschlossen erscheinen und in denen der Bildraum nicht als dreidimen36

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Esposito, Elena: Die Imitation der Originalität in der Mode, in: Reflecting Fashion. Kunst und Mode seit der Moderne, Ausstellungskat.: mumok, 2012, Hg. Susanne Neuburger mit Barbara Rüdiger, Köln 2012, S. 54. Greenberg, [1960] 2009, S. 268. Esposito, 2012, S. 52. Die Odaliskenbilder von Matisse entstehen in den 1920er Jahren. Geht man davon aus, dass Funkes »Tänzerinnen« während ihres Paris-Aufenthalts wahrscheinlich zwischen 1907 und 1910 entsteht, können die Odalisken nicht als Anregung fungiert haben; wohl aber sind schon in Matisses früheren Werken ganz ähnliche Gestaltungselemente zu erkennen, so dass sich der Vergleich trotzdem anbietet. Zudem wäre der Gedanke interessant, dass sowohl Funke als auch Matisse zu ähnlichen Gestaltungskonzepten gelangen, was wiederum die Frage, nach anderen Bezugsquellen, die beide rezipiert haben, aufwirft.

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sionaler Raum funktioniert.40 Doch auch frühere Darstellungen bieten sich an, wie zum Beispiel »Joueurs de boules« aus dem Jahr 1908, das ähnlich wie Funkes Darstellung eine Figurengruppe präsentiert, die in ihrem Zusammenschluss den Blick des Betrachters auf die Bildoberfläche zieht. Funke geht in ihrer Darstellung aber noch weiter. Wo bei Matisse Flächen zwischen den Figuren frei bleiben, durch die hindurch der Betrachter auf den Hintergrund blicken kann, rückt Funke die Figuren möglichst eng aneinander und streicht jegliche Lücken zwischen ihnen heraus, wodurch das Durchdringen dieses Figurengeflechts kaum noch möglich ist. Der Hinter-Grund bleibt somit ein tatsächliches Da-Hinter, wenngleich dieses Dahinter flach und nicht tiefenillusionistisch gestaltet ist. Zwar genauso pastos und spachtelartig im Farbauftrag ausgearbeitet, bleibt der Hintergrund des Bildes aber ungegenständlich; es formieren sich lediglich zwei unterschiedlich farbige Zonen. Auch dieser Teil des Bildes formuliert eine Fläche, die zwar als ein Dahinter wahrzunehmen ist, dieses Dahinter aber nicht weiter ausführt. So scheint der Hintergrund viel eher in der Funktion den Bildraum auch in seiner Tiefe möglichst schmal zu begrenzen, so dass das Gefühl der auf engem Raum eingepferchten Figuren erneut unterstrichen und zugleich der Eindruck einer betont flächigen Bildkonstruktion bestärkt wird. In Korrespondenz zueinander erscheinen Hintergrund und die untere Bildfläche wie eine horizontale Rahmung der Figuren und zwängen diese, sich gleichermaßen in den Vordergrund drängend, auf engstem Raum zusammen. Allerdings unterscheidet sich der vordere Bildteil vom Hintergrund insofern, als dass sich dieser gegenständlich fassen und aufgrund seiner floralen Musterung als Teppichboden identifizieren lässt. Auf schwarzem Grund erscheinen in roter, violetter und grüner Farbe ausgeführte Blüten, die bis auf eine Ausnahme in der linken Bildecke allesamt als angeschnittene Fragmente auftauchen und so die gleiche Behandlung erfahren, wie die Körper der Tänzerinnen. Die Wiederholung des Blütenmotivs, wenn auch als Fragment, erzeugt zudem eine ornamental-rhythmisierende Strukturierung dieser Zone, die gerade durch die geöffnete Blüte am linken Bildrand auf ihre Flächigkeit reduziert wird. Wiederum lässt sich dieses Phänomen an Matisse rückbinden, in dessen Darstellungen Teppiche oder dekorative Stoffe des 40

Müller-Tamm, Pia : Henri Matisse. Figur Farbe Raum, in : Henri Matisse, Ausstellungskat., 2006, S. 34.

IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen

Öfteren Bildraum bestimmende Funktionen übernehmen.41 Besonders der Einsatz des Teppichs ist hier interessant, verbannt dieser doch, wie Pierre Schneider attestiert, die Perspektive und unterwirft die Figuren der Bildebene, also der Fläche.42 In vergleichbarer Weise setzt auch Funke den Teppich ein. Aber im Gegensatz zu Matisse, dessen Stoffe sich in ihrer Flächigkeit teilweise über den gesamten Bildraum ausdehnen und so eine einheitliche Bildfläche markieren,43 begrenzt Funke in ihrer Darstellung den Teppichboden auf eine kleine Fläche, die keine Ausdehnung erfährt, sondern im Gegenteil durch die Figuren eingedämmt und überlagert wird. Zudem setzt die Malerin einen diagonal nach hinten rechts führenden farbigen Balken inmitten ihres Blütenteppichs ein, der so etwas wie eine Tiefenillusion anzudeuten vermag. Unmittelbar nebeneinander werden so zwei völlig unterschiedliche räumliche Eindrücke vermittelt, die sich gegenseitig verstärken, wie auch brechen. Wenn auch auf kleinem Raum, evoziert also auch Funke eine kalkulierte Spannung zwischen Tiefe und Fläche, zwischen Bildraum und Ebene der Malerei, wie Gottfried Boehm es bezüglich Matisse formuliert, und konstruiert so ganz wie Matisse ein innerbildliches Irritationsmoment.44 Stehen Muster mit ihrer Wiederholung aber bei Matisse in der Funktion, »das Bildfeld mit konkurrierenden Punkten der Aufmerksamkeit auszustatten, es zu dezentrieren«45 , dient der beschriebene Balken auf Funkes Teppich erneut der Zentrierung, deutet er doch genau auf die Bildmitte und die dort befindliche Figur. 41 42 43

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Flam, Jack: Einleitung, in: Henri Matisse. Über Kunst, 5. Aufl., Hg. Ders., Zürich [1982] 2005, S. 44. Schneider, Pierre: Räume bei Matisse, in: Raum. Orte der Kunst, Ausstellungskat.: Akademie der Künste Berlin, 2007, Hg. Matthias Flügge, Nürnberg 2007, S. 36. Man denke beispielsweise an die Darstellung »Harmonie rouge« (1908). Das florale Ornament besetzt hier Tischdecke wie Wandfläche gleichermaßen und bewirkt »das Changieren von bildbestimmenden Flächen – zwischen Ebene und räumlicher Tiefe […]«, das Matisse zu einer wiederkehrenden Strategie ausbildet, wie Boehm formuliert, siehe: Boehm, 2006, S. 281. Auch Jack Flam schreibt diesbezüglich von einer »Abflachung des Raums«, bewirkt durch den Einsatz der Farbe, die sich nicht nur in »Harmonie rouge«, sondern in einer Vielzahl von Werken finden lässt, die um 1909/1910 entstanden sind, siehe: Flam, 2005 (1982), S. 30. Boehm, Gottfried : Henri Matisse, in : Canto d’Amore. Klassizistische Moderne in Musik und bildender Kunst 1914-1935, Ausstellungskat.: Kunstmuseum Basel, 1996, Hg. Gottfried Boehm/Ulrich Mosch/Katharina Schmidt, Bern 1996, S. 412. Ebd., S. 414.

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Aneignung und Eigensinn

Nicht nur aufgrund der räumlichen Gestaltung auch hinsichtlich des Motivs ist der Teppichboden von großer Bedeutung. Form und Gestaltung der Blüten erinnern an Lilien.46 Die Lilienblüte, die in der christlichen Ikonographie als Sinnbild für Jungfräulichkeit, Keuschheit und Seelenreinheit steht,47 wird hier farbig auf schwarzem Grund präsentiert. Das Reinheit symbolisierende Weiß ist durch kräftige Farben ersetzt, findet sich wohl aber in der Kleidung der Tänzerinnen wieder. Das Lilien-Muster verbindet zweierlei Aspekte miteinander: Einerseits bezieht sich Funke hier auf die christliche Darstellungstradition der Lilie als Sinnbild für Jungfräulichkeit und Keuschheit, andererseits verweist sie damit erneut auf die Werke von Matisse, in denen das Ornament nicht nur in eine dekorative Funktion, sondern auch in eine kompositorische und raumkonstituierende Funktion gestellt wird. Der Bildraum in Funkes Darstellung wird so zu einem Spielraum für verschiedene raumorganisatorische Mittel. Die Malerin kreiert einen engen Raum, dessen Enge nicht nur zwischen den Bildkanten besteht, sondern auch bezüglich der Bildgründe. Die darin platzierten Figuren werden begrenzt und beschnitten, ihre Körper werden zu einem Ornament auf der Fläche eines unbestimmbaren Raums. Die eingesetzten Mittel dienen einer Verflachung des Raums, die nicht nur dem Gefühl der Enge zuträglich ist, sondern auch die Bildoberfläche als kaum zu durchdringende Fläche forciert. 46

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Die geöffnete Lilienblüte, die stilisiert laut Anton Hagemann meist dreiblättrig dargestellt wird, erscheint hier mit einem angedeuteten vierten Blatt. Die Blütenblätter werden von einem zarten Rosa am Rand, mittig von Violett und Magenta gezeichnet. In der Blütenmitte wurde Orange und Braun verwendet. Eine exakte botanische Bestimmung der hier abgebildeten Lilienart ist aufgrund der abstrahierten Darstellung nicht möglich, siehe: Hagemann, Anton: Zur Deutung der Lilie, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 19 (1956), München/Berlin u.a. 1956, S. 198-200. Neben der Rose ist die Lilie gemäß Margarete Pfister-Burkhalter die am meisten bevorzugte Blume der christlichen Kunst, die bereits aus Ägypten, Vorderasien und Kreta bekannt ist, siehe: Pfister-Burkhalter, Margarete: Lilie, in: Lexikon christlicher Ikonographie III, Hg. Engelbert Kirschbaum, Freiburg u.a. 1971, S. 100f. Einerseits als Symbol der Reinheit und der Jungfräulichkeit, war die Lilie im Altertum aber auch ein Zeichen der vollkommenden Liebe und der Fruchtbarkeit, siehe: Berndl, Herbert: Die Lilie in der christlichen Ikonographie, in: Lilie – Lotus – Lotuslilies. Kunst- und kulturhistorische Assoziationen zu zwei Blütenpflanzen, Ausstellungskat.: Residenzgalerie Salzburg, 2005, Hg. Roswitha Juffinger, Salzburg 2005, S. 94.

IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen

Picassos »Demoiselles« in neuen Gewändern Das Zentrum der Darstellung »Tänzerinnen« wird durch die sitzende, frontal ausgerichtete Tänzerin eingenommen, die genau auf der Mittelachse positioniert ist. Während der Kopf vollkommen senkrecht ausgerichtet ist, setzt sich der Körper aus zwei aneinander gelegten Dreiecken zusammen: Der lang gestreckte Arm bildet die eine Längsseite des ersten Dreiecks, der nach links geführte Oberschenkel die andere. Gleichzeitig formt diese Gerade auch die erste Längsseite des zweiten Dreiecks, welches wiederum durch den Unterschenkel mit aufgesetzter Fußspitze ergänzt wird. Auch in den Posen der anderen Tänzerinnen findet sich diese Form wieder, so werden die vier Köpfe jeweils durch ein aus einem angewinkelten Arm gebildetes Dreieck eingefasst. Erneut aufgegriffen wird dieses Motiv durch die angewinkelten und aufgestellten Beine. Die einzelnen Glieder der auf engem Raum platzierten Figuren bilden zudem eine Vielzahl diagonaler Linien, die nicht nur einen dynamischen und unruhigen Bildaufbau suggerieren, ein Gewirr aus Gliedern, sondern auch im Kontrast zu den runden Tutus, im Besonderen zu dem vollständig ausgeklappten Tutu der zentralen Tänzerin, stehen. Die einzigen geraden Linien sind die beiden Köpfe der zentralen und der linken Figur sowie der ausgestreckte Arm der Figur am oberen rechten Bildrand. Diese Linien schaffen jedoch kaum einen kompositorischen Ausgleich; die waagerechte Linie des Arms dient weniger der Statik als der Zergliederung der zentralen Figur. Spitz und scharfkantig, zum Dreieck geformt, gestalten sich auch die Glieder der Figuren in Pablo Picassos Darstellung »Les Demoiselles d’Avignon« aus dem Jahr 1907. Picassos Werk lässt sich sowohl bezüglich der räumlichen als auch der kompositorischen Organisation vergleichend heranziehen.48 Wenn auch Funkes Darstellung nicht datiert, wohl aber der Pariser Phase zugeordnet wird, liegt die Vermutung nahe, dass sie das Werk Picassos 48

Die kompositorischen Analogien zwischen Funkes und Picassos Darstellung wurden auch von anderen Kunsthistorikern beschrieben, wie beispielsweise PlakolmForsthuber, siehe: Plakolm-Forsthuber, 2007, S. 74. Loitfellner schreibt sogar, dass sich Funke bezüglich Gesamtkomposition, Haltung der Figuren und in einzelnen gestalterischen und inhaltlichen Momenten ganz deutlich auf Picassos Werk bezieht, siehe: Loitfellner, 2007, S. 174. Auch Johnson bringt Picassos Werk mit Funkes in Verbindung und weist dabei besonders auf die Armgesten und Posen der Figuren, siehe: Johnson, 2008, S. 35.

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durch ihre Verbindung zu Gertrude Stein gesehen und sich an diesem orientiert hat.49 Die fünf Figuren Picassos erscheinen ebenso zusammengepfercht wie die Tänzerinnen Funkes, auch der direkte Blick, der dem Betrachter entgegengerichtet ist, stimmt überein. Am unteren rechten Bildrand hockt mit aufgestellten Beinen dem Betrachter den Rücken zugewandt eine Figur, den Kopf über die linke Schulter gedreht, der wie eine Maske falsch herum auf den Leib gesteckt scheint.50 In gleicher Pose, jedoch durch den Bildrand genau in der Körpermitte zerteilt und durch das verdeckende Tutu weniger provokant ausgestellt, hockt ebenfalls in Funkes Szene eine Figur an dieser Stelle. Ebenso undefiniert wie bei Picasso bleibt auch bei Funke der Hintergrund, den Picasso lediglich mit einem Vorhang ausstattet, um so das Moment des Zur-Schau-Stellens zu betonen. Tamara Loitfellner erkennt in Funkes Werk die gleiche farbliche Dreiteilung des Hintergrundes sowie einen Vorhang.51 Während die Farbgestaltung durchaus Vergleichsmomente zu Picassos Arbeit anbietet (die braune Fläche links korrespondiert mit dem zurückgehaltenen Vorhang, der rechte Bildteil ist mit blauer Farbe abgesetzt) zeigen die blauen Flächen jedoch eher die Wiederholung des kreisrunden Tutus der mittleren Figur und weniger einen Vorhang. Auch korrespondiert die braune Fläche farblich mit dem Haar der Hockenden und zieht so eine kompositorische Linie zwischen beiden Bildecken. Die Gesamtkomposition und die Haltung der einzelnen Figuren betreffend ist Loitfellner allerdings insofern zuzustimmen, als dass es sich um eine sehr beengte Szenerie handelt, in die die Figuren eingefasst und durch diese begrenzt – im Falle Funkes gar beschnitten – werden. Auch findet sich in der Armhaltung der mittleren Tänzerin eine Übereinstimmung zu Picassos zentraler Figur. So winkelt sie den Arm ebenso an und führt die Hand zum Kopf, wenn auch 49

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Wie Loitfellner attestiert, besichtigte Gertrude Stein »Les Demoiselles d’Avignon« bereits im Oktober 1907 zum ersten Mal, also nur vier Monate nach Entstehung, in Picassos Atelier, siehe: Loitfellner, 2007, S. 174. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Funke durch ihre örtliche Verbindung zu Stein entweder eine Abbildung des Werks oder das Werk selbst zur Gesicht bekam. Lisa Florman beschreibt Picassos Figur als eine Figur der Ambivalenz: »…facing both into the picture and, no less evidently, out«, siehe: Florman, Lisa: Insistent, Resistant Cézanne: On Picasso’s Three Women and Les Demoiselles d’Avignon, in: Source 31/32 (2012), S. 24. Loitfellner, 2007, S. 174.

IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen

Picassos Figur den Arm wesentlich weiter nach oben ausstreckt und so ihren Körper scheinbar über das Haupt hinaus verlängert.52 Wie bei Picasso gibt es in Funkes Darstellung keinerlei direkte Interaktionen zwischen den Figuren, zwar überschneiden und überlagern sie sich, es scheint aber, als meiden sie gar jegliche Berührung untereinander, fasst doch die mittlere Figur zum Saum ihres Tutus, aber gerade nur so weit, dass sie nicht den Arm der hockenden Figur berührt. So wird die Aufmerksamkeit der Figuren vollkommen auf den Betrachter gerichtet,53 gleichzeitig untergräbt dies aber die Präsentation der Figuren als Gruppe. Trotz der gleichen Bekleidung, der Enge des Bildraums und der Überschneidungen der Körper gelingt es Funke, den Eindruck der Isolation zu evozieren.54 Dass jede der Tänzerinnen nur für sich agiert, ohne dabei in Absprache oder Einverständnis mit den anderen zu treten, zeigt sich auch an den eingenommenen Posen, die keine gestalterischen Gemeinsamkeiten aufweisen, sie bewegen sich asynchron. Das führt zu einer inhaltlichen Loslösung der Figuren untereinander, wenngleich sie kompositorisch jedoch allesamt auf das Zentrum des Bildes, also auf die zentrale Figur, ausgerichtet sind. Eine signifikante Differenz zwischen beiden Werken stellt die Darstellungsweise und die individuelle Gestaltung der Figuren dar. Picassos Figuren sind stilisiert und abstrahiert, individuelle Merkmale kaum beschreibbar,55 die Ellenbogen und Knie spitz, die Formen grob und kantig. Funkes Tänzerinnen erscheinen dagegen weicher, was wesentlich auf die Tutus, aber auch auf die Farbe zurückzuführen ist, wenngleich auch Funke, wie bereits beschrieben, auf dreieckige Formen zurückgreift. Weisen die Figuren eine leichte Abs52

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Interessant ist, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass Funke sich kompositorisch Picassos Darstellung bedient, dass auch Picasso auf fremde Motive und Kompositionen zurückgreift, wie beispielsweise auf ein Werk Cézannes (»Les Grandes Baigneuses«), siehe: Florman, 2012, S. 21. Auch Picassos Demoiselles sind auf den Betrachter ausgerichtet, so konstatiert Leo Steinberg: »[…] neighboring figures share neither a common space nor a common action, do not communicate or interact, but relate singly, directly, to the spectator.«, siehe: Steinberg, Leo: The Philosophical Brothel, in: October 44 ([1972] 1988), S. 13. Interessanterweise ist das Phänomen der isolierten Figuren innerhalb einer Gruppe auch bei Degas zu finden. Bezüglich der Darstellungen »L’Absinth« (1876) und »A la Bourse« (1878/79) schreibt Growe von einem »Auseinander in einer Gruppe«, siehe: Growe, 1981, S. 94. John Nash deutet die mittlere Figur und die links neben ihr gar als Zwillinge, siehe: Nash, John: Pygmalion and Medusa. An Essay on Picasso’s Les Demoiselles d’Avignon, in: Umění 52 (2004), S. 61.

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traktion auf, ist die Darstellungsweise doch deutlich naturalistischer, und es lässt sich eine individuell ausgearbeitete Gestaltung der Gesichter erkennen. Trotzdem wirken – und darin besteht wiederum eine entscheidende Gemeinsamkeit zu Picasso56 – die Gesichter maskenhaft, die Mimik aufgesetzt, die Blicke hohl und leer. Der Vergleich zwischen Funkes »Tänzerinnen« und Picassos »Les Demoiselles d’Avignon« ist auf kompositorischer Ebene durchaus lohnenswert; wenngleich die Ähnlichkeiten nicht auf den ersten Blick erkennbar sind, da Bildthema und formale Gestaltungselemente sowie Farbigkeit deutlich differieren. Gerade die in der rechten Bildecke hockende Figur, aber auch die Platzierung und Körperhaltung der anderen Dargestellten weisen signifikante Parallelen zu Picassos Szenerie auf, so dass von einem direkten Zusammenhang ausgegangen werden kann. Während sich Funke thematisch also scheinbar von Degas’ Ballettdarstellungen inspirieren lässt, greift sie bezüglich Komposition und Figurenarrangement auf Picasso zurück und bringt so zwei gänzlich unterschiedliche Vorlagen in Verbindung. Diese Vorlagen unterscheiden sich nicht nur motivisch, sondern erweisen sich vor allem gestalterisch als disparat. Degas’ Darstellung lässt sich im Kontext des Impressionismus verorten, während Picassos Werk zwischen expressionistischer und kubistischer Gestaltung changiert. Funkes interpikturale Arbeitsweise wird besonders durch die Kombination differenter Vorlagen zu einer außergewöhnlichen Bildmethode, die über scheinbare Gegensätzlichkeiten sowie Stil- und Gattungsgrenzen hinweggeht bzw. diese Grenzen zur Diskussion stellt. Auf der Suche nach neuen Bildlösungen bedient sie sich Vorlagen. Doch diese nimmt sie nicht bloß auf, sondern reformuliert sie in einer Collage-artigen Verbindung unterschiedlicher Konzepte. Funke aktualisiert das von Degas aufgegriffene Tanzmotiv, sie aktualisiert die formale Gestaltung und passt sie ihrer Gegenwart an. Auch inhaltlich reflektiert sie das 56

Die maskenhafte Gesichtsgestaltung der Demoiselles hat zu einer langen Diskussion in der Forschung geführt. Lange herrschte die Annahme, Picasso habe afrikanische Masken als Vorlagen verwendet, siehe beispielsweise: Steinberg, 1988, S. 53. Auch John Golding beschreibt die »negro sculpture« als Einfluss für Picassos Darstellung, siehe: Golding, John: The ›Demoiselles d’Avignon‹, in: Burlington Magazin 100 (1958), S. 162. Die Annahme Goldings wurde jedoch durch Carsten-Peter Warncke widerlegt: »Der Entwicklungsgang beweist, daß die angebliche Beziehung dieser Gesichtsbildung, wie sie dann in der Übermalung für das Endstadium des »Demoiselles«-Gemäldes angewandt wurde, zu schwarzafrikanischen Masken gegenstandslos ist. Die Ähnlichkeiten sind ganz oberflächlich und nicht einmal ausgeprägt, der Systemsinn von Picassos Formgenese hingegen logisch und evident.«, siehe: Warncke, 1997, S. 212.

IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen

Sujet, indem sie es mit Picassos Vorlage kombiniert und so eine kritische Dimension eröffnet (Tänzerinnen und Prostituierte werden gegenübergestellt), die sich auch als zeitgenössischer Kommentar zu sozialen oder gesellschaftlichen Themen lesen lässt. So lässt sich Funkes Darstellung nicht nur formal als modern bezeichnen, auch ihr interpikturales Bildverfahren kann durch die Überführung eines Gegenstands (Degas’ Tanzmotiv) in einen zeitgenössischen Zusammenhang als modernes Verfahren erklärt werden. Ferner lässt sich hier erneut auf den Begriff des Hybriden verweisen, die sich durch die Kombination mehrerer Vorlagen anbietet. Bevor eine eingehende Erörterung dieses Begriffs zu einer Konklusion der bisherigen Erträge führen soll, widmet sich der nun folgende Abschnitt jedoch zunächst dem Porträtcharakter der Darstellung.

Fest im Blick: Die Ganzkörperfigur und ihr Porträtcharakter Innerhalb des Gruppenbildes sticht die sitzende Tänzerin in der Mitte, die einzige unbeschnittene Ganzkörperfigur, deutlich hervor. Wie bereits heraus gestellt, steht sie sowohl im Fokus der kompositorischen als auch der bildräumlichen Organisation und wird als zentrale Figur signifikant ausgestellt. Den Körper in seiner Haltung nach links gedreht, ist das Gesicht der Figur frontal zum Betrachter gewandt. Eingefasst wird es durch das braune Haar, welches trotz Zusammenfassung mit Hilfe einer großen schwarzen Schleife, in großen Wellen in die Stirn und auf die Schultern fällt. Wie ein zweiter Rahmen dieser Rahmung erscheint die türkisblaue Hintergrundgestaltung, die kreisförmig den Kopf umfasst und entfernt an eine Aureole erinnern mag. Das etwas dunklere Band um den Hals (und die Taille) greift nicht nur die Farbigkeit auf, sondern führt auch die Rahmung des Gesichts weiter fort. Die großen braunen Augen, mandelförmig, mit leicht niedergeschlagenen Lidern, verleihen der Figur einen standhaften, selbstbewussten Blick. Das Inkarnat des Gesichts wie auch der Arme und Hände, setzt sich aus verschiedenen, fleckenartig aufgetragenen Partien in hellen Rot-, Sand- und Brauntönen zusammen. Die Kontur in dunkler Farbe trennt Haut, stellenweise fast weiß, und Ballettkostüm, welche kaum eine materielle oder stoffliche Unterscheidung zulassen und somit die Eigenwertigkeit der Farbe ausstellen. Befindet sich diese Figur deutlich im Fokus der Darstellung und schließt dabei gleichwohl die anderen drei ein Stück weit aus, ist die zentrale Figur in Tradition eines Porträts gestaltet. Hervorgehoben wird dieser Porträtcharak-

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ter einerseits durch die bildliche Präsenz der Figur, andererseits durch den festen Blick, mit dem sie den Betrachter direkt visiert und ihn so als Gegenüber wahrnimmt. Das direkte Herausschauen einer Figur aus dem Bildraum und die Wahrnehmung eines möglichen Betrachters in dessen Raum vor dem Bild, ist nicht nur ein Porträt-typisches, sondern ein neuzeitliches Phänomen, das gerade in der Moderne häufig zu beobachten ist.57 Nicht nur Manet bedient sich dieses selbstbewussten Blicks, wie beispielsweise seine »Olympia« (1863), »Le Déjeuner sur l’herbe« (1863) oder »Un bar aux Folies Bergère« (1881-1882) zeigen, auch Ingres’ »Madame Moitessier« (1856) präsentiert eine weibliche Figur, die mit direktem Blick aus dem Bild herausschaut (Abb. 16).58 Auf weiße Laken gebettet, liegt Manets unbekleidete »Olympia« (Abb. 17), an deren Seite sich eine schwarze Katze und eine afroamerikanische Bedienstete, die ein großes Blumenbouquet hält, befinden.59 Ihren Körper, das Inkarnat elfenbeinfarben, längs dem Querformat entsprechend dargeboten, dreht sie den Kopf leicht nach rechts und blickt direkt zum Betrachter. Dabei verzieht sie keine Miene. Ihr Blick zeigt, wie Michael Lüthy beschreibt, weder Scham noch etwas Wollüstiges – was ihrer Rolle als Prostituierte wohl ent57

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Der direkte Blick markiert ein Verhältnis zwischen Figur im Bild und Betrachter vor dem Bild; ein gegenseitiges Wahrnehmen, wodurch der Betrachter nicht mehr unbemerkt eine Szene beobachtet, sondern seine Anwesenheit bemerkt und forciert wird. Somit wendet sich dieser Blickkontakt gegen das voyeuristische Beobachten, wenngleich auch der Eindruck der Intimität vermindert wird. Denn wie Barbara Wittmann konstatiert: »Die Physiognomie der Geistesabwesenheit ist eine der äußersten Intimitäten.«, siehe: Wittmann, Barbara: Gesichter geben. Édouard Manet und die Poetik des Portraits, München 2004, S. 45. Zum Blick schreibt auch Jean-Luc Nancy: »Das Porträt ist vor allem Blick: es schaut, es macht nur dies, es sammelt sich im Blick, es überlässt sich ihm und verliert sich darin. Die ›Autonomie‹ des Porträts konzentriert und verdichtet das Bild, ja das ganze Gesicht im Blick: er ist Ziel und Ort dieser Autonomie.«, siehe: Nancy, Jean-Luc: Porträt und Blick, Stuttgart 2007,S. 45. Porträts, die eine den Betrachter direkt anblickende Figur zeigen, lassen sich natürlich auch schon zu Beginn der Renaissance finden, man denke zum Beispiel an Leonardo da Vincis »Mona Lisa« (1503-1506). In dem Zusammenhang mit der TänzerinnenDarstellung Funkes soll jedoch der Fokus auf die Kunst der Moderne gelegt werden. Siehe dazu: Beyer, Andreas: Das Porträt in der Malerei, München 2002. Nachweislich bezog sich Manet mit seiner Darstellung auf Tizians »Venere d’Urbino« (1538, Galleria degli Uffizi, Florenz), siehe: Lüthy, Michael: Bild und Blick in Manets Malerei, Berlin 2003, S. 95. Dies ist besonders vor dem vorliegenden Fragehorizont der unterschiedlichen Rezeptionsquellen Funkes interessant, denn es zeigt einmal mehr, dass Funkes Vorgehen eine in der Moderne gängige Praxis war.

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sprechen würde.60 Ist zwar die räumliche Einfassung und auch die Körperhaltung eine andere, lässt sich über diesen unvermittelten Blick dennoch eine Parallele zwischen dieser und Funkes Figur ziehen. Auch tragen beide, wenngleich dies nur ein Detail sein mag, ein enges Band um den Hals. Das der »Olympia« ist etwas dünner und mit einer Schleife und einem tropfenförmigen Anhänger vorn gebunden, es erfüllt aber dennoch den gleichen Zweck wie das Halsband der Tänzerin: Es rahmt das Gesicht und markiert zugleich eine farbliche Verbindung zum Hintergrund.61 Auch die ebenfalls unbekleidete weibliche Figur in Manets »Le Déjeuner sur l’herbe« dreht ihren Kopf zum Betrachter und blickt diesen direkt an, während ihr Körper sitzend mit aufgestellten Beinen nach rechts ausgerichtet ist. Im Gegensatz dazu scheinen die anderen drei Figuren die Anwesenheit eines Betrachters nicht zu bemerken. In der Darstellung »Un bar aux Folies Bergère« präsentiert Manet ein junges Mädchen, das, die Hände aufgestützt, hinter dem Tresen einer Bar steht. Genau in der Bildmitte positioniert, blickt es den Betrachter mit frontal ausgerichtetem Gesicht an. Es scheint fast so, als warte die junge Frau auf die Bestellung, die der Betrachter just in diesem Moment bei ihr aufgibt. Über die Kategorie des Blicks lassen sich die drei herausgegriffenen Darstellungen Manets in Bezug zu Funkes Tänzerin bringen. Besonders die »Olympia«, über deren Blick die Manet-Forschung immer wieder die Bedeutung des Werks argumentiert,62 bietet hier Anknüpfung. So drückt sich in diesem Beispiel sowohl Sehen als auch Gesehenwerden aus, es entsteht eine Blickbeziehung zwischen Betrachter und Betrachtungsobjekt, das wiederum selbst zum Betrachtersubjekt wird.63 Auf gleiche Weise funktioniert der Blick der Tänzerin in Funkes Arbeit. Auch hier wird das Sehen der Dargestellten wie auch ihr Bewusstsein dafür, dass sie angesehen wird, zum zentralen 60 61

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Ebd., S. 93. David Kunzle führt auf, dass das Tragen eines Bandes um den Hals in ähnlicher Weise eine Restriktion des (weiblichen) Körpers bedeutet, wie das Korsett: »Although the neck has never been and can never be distorted to the same degree as the waist, it is nevertheless an area in which the slighest external restriction can have a quite radical effect on freedom of movement about the head and shoulders, as also upon facility in breathing.«, siehe: Kunzle, David: Fashion and Fetishism. A Social History of the Corset, Tight-Lacing and Other Forms of Body-Sculpture in the West, Totowa/New Jersey 1982, S. 23f. Wie Lüthy herausstellt, wird der distanzierte Blick der Olympia in der Literatur stets als das bildsemantisch entscheidende Element aufgefasst, siehe: Lüthy, 2003, S. 93. Ebd., S. 94.

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Thema erhoben. So scheint sich die Tänzerin, wie auch die »Olympia«, der Betrachtung nur allzu bewusst und extra für ihr Gegenüber zu posieren. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn die anderen Figuren aus Funkes Szene hinzugezogen werden. Sie drehen sich bewusst, entgegen ihrer eingenommenen Körperhaltung, zum Betrachter und blicken ihn ebenfalls direkt an (eine Ausnahme bildet die Figur in der oberen rechten Bildecke). Die Hinwendung zum Betrachter bedeutet für die Gruppe gleichzeitig, dass jegliche Interaktion untereinander vermieden wird, was wiederum eine Analogie zu der Darstellung der »Olympia« zulässt.64 Auch der Augpunkt der Tänzerin liegt wie bei Manets »Olympia« eindeutig über dem des Betrachters, so dass der Eindruck entsteht, sie blicke auf diesen hinunter. Das gewohnte Blickverhältnis, das eine Hierarchie der Blicke in dem Sinne anlegt, dass der Betrachter auf das Bildobjekt hinabblickt, wird somit verkehrt: Die Figur ist nicht nur gleichberechtigtes Gegenüber, sondern scheint sogar etwas höher als der potentielle Betrachter positioniert zu sein.65 Verstärkt wird dies noch durch die sie rahmenden Figuren rechts und links, deren Augen auf exakt gleicher Höhe wie die ihren liegen und so eine waagerechte Linie bilden, die nicht nur kompositorisch als Bildraum verschließendes Element funktioniert, sondern vor allem das Moment des übergeordneten Sehens erneut betont. Der Blick der zentralen Figur wird verdreifacht. Das Gemälde »Madame Moitessier« von Ingres wiederum weist auch über die Kategorie des Blicks hinaus eine Reihe gestalterischer Parallelen zu Funkes Tänzerin auf. Wenngleich der Darstellungsmodus betreffend Farbgestaltung und Farbauftrag stark differiert, kompositorisch bietet sich durchaus der Vergleich an. So sind beide sitzend dargestellt, der vom Betrachter aus gesehen rechte Arm ist lang gestreckt, die Hand greift nach etwas – bei Funke ist es der Saum des Tutus, bei Ingres der Fächer. Der linke Arm ist angewinkelt zum Kopf geführt und scheint diesen zu stützen.66 64

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So deutet Lüthy die Hinauswendung der beiden Figuren in Manets »Olympia« als ein Unterlaufen der inneren Einheit der Handlung, siehe: ebd., S. 108. Laut Nancy wiederum ist dies ein typisches Merkmal von Mehrfachporträts, die meist den Blickwechsel unter den Figuren vermeiden; sie bleiben ohne Beziehung zueinander, siehe: Nancy, 2007, S. 15. So sei der Blick der »Olympia« ein souveräner, der keiner übergeordneten Instanz unterworfen werde, siehe: Lüthy, 2003, S. 110. Auch für Ingres’ Darstellung gibt es laut Rosenblum ein Vorbild: die Personifikation der Arkadia in dem Werk »Herkules und Telephus« (Museo Nazionale, Neapel). In den 1920er und 30er wiederum bedient sich Picasso sowohl der Pose als auch des

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Lediglich die Haltung der Hand ist unterschiedlich.67 Beide Figuren werden mit einem selbstbewussten Blick, der direkt auf den Betrachter gerichtet ist, dargestellt, wenngleich Madame Moitessier den Kopf leicht zur Seite dreht. Eine interessante Gemeinsamkeit bildet auch die Gestaltung des Kleides.68 Wie herausgearbeitet wurde, steht das weiße Tutu in Funkes Darstellung einerseits in der Funktion des Verdeckens, andererseits suggeriert es eine räumliche Barriere, die den Blick daran hindert, in die Tiefe zu gleiten und gleichzeitig in seiner Flächigkeit die Bildoberfläche betont. Madame Moitessier trägt ein floral gemustertes Kleid, der Rock, bauschig und breit ausgelegt, verdeckt, wie auch bei Funke, die Beine und ihre Haltung, suggeriert in seiner stofflichen Masse aber ein stabiles Fundament.69 Die sich wiederholende Musterung betont den Rock in seiner Fläche, die helle Farbe steht im Kontrast zu dem dunkel gestalteten Hintergrund. Doch im Gegensatz zu Funke dient der Rock hier nicht als Barriere, sondern führt den Blick von der unteren Bildkante in den dahinter liegenden Mittel- und Hintergrund.70

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Spiegelmotivs der Madame Moitessier, siehe: Rosenblum, Robert (Hg.): Jean-AugusteDominique Ingres, London 1990, S. 122. Rosenblum deutet die Haltung der Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger als eine Geste der Weisheit und Konzentration, siehe: ebd. Rosenblum beschreibt das aus Seide gefertigte Kleid der Madame Moitessier wie auch das aus Damast gefertigte Sofa als ein Symbol von Luxus, dem sich auch das Armband aus Amethysten, die orientalische Vase auf der Rokoko-Kommode und der Goldrahmen des Spiegeln anschließen, siehe: ebd. In klassischer Manier wird die Figur so in Form eines Dreiecks präsentiert, wobei der Kopf die Spitze des Dreiecks, die Schultern und Arme die Längsseiten bilden. Steht das Dreieck auf der Basis, suggeriert es Stabilität, die sich in Rückbindung an das Modell interpretatorisch deuten ließe, was aber an dieser Stelle nicht weiter von Interesse sein soll. Zwei weitere Parallelen fallen ins Auge, die hier allerdings nur am Rande Erwähnung finden sollen: Wie Madame Moitessier trägt auch Funkes Tänzerin eine dünne Kette, dessen Anhänger nicht zu sehen, sondern unter dem Kleid verborgen liegt. Darüber hinaus spiegelt sich das Porträt Madame Moitessiers in dem hinter ihr platzierten Spiegel, wodurch ein Dialog zwischen der wirklichen Welt und der erträumten suggeriert wird, siehe: Rosenblum, 1990, S. 122. Auch bezüglich Funkes Tänzerin wurde bereits ein Spiegelmoment bemerkt, wenn auch dieses hier nicht faktisch in Form eines tatsächlichen Spiegels, sondern durch die am linken Bildrand sitzende Figur entsteht, die die Beinhaltung der mittleren Figur spiegelt.

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Ingres’ Bildnis ist ein Porträt.71 Im klassischen Sinne der RenaissanceMalerei intendiert das Porträt, den Charakter einer Person einzufangen – wenngleich es dabei weniger um eine exakte Beschreibung des Äußeren, sondern viel mehr um das Dahinterblicken ins Innere geht.72 Zentrales Motiv ist dabei das Gesicht als »Medium des Innen-lebens«73 . Das Porträt von Ingres zeigt die bekannte und auch im Titel benannte Madame Moitessier, die entsprechend ihres Standes mit opulenter Bildausstattung dargestellt ist. Auch über die Darstellung hinaus offeriert Ingres Hinweise, die zur Charakterisierung der Figur dienen. Ob auch Funke bei ihrer Darstellung nach einem real existierenden Vorbild gearbeitet oder sich für die Modellierung des Körpers und der Posen zumindest ein Modell zur Hilfe genommen hat, lässt sich nicht mehr bestimmen. Trotzdem weist die Darstellung der zentralen Tänzerin, wie heraus gestellt wurde, in gewisser Weise Porträtqualität auf, die besonders über den Blick dargebracht wird. Auch die Fokussierung auf das Gesicht, das vom Hintergrund eingefasst und hervorgehoben wird, ist eine Qualität, die der Gattung des Porträts zugute kommt.74 Anders aber als es Jean-Luc Nancy fordert, steht der Körper nicht bloß in der Funktion, das Gesicht zu tragen und so hinter diesem zurückzutreten,75 sondern besitzt, wie bereits gezeigt wurde, eine eigene Qualität. In der Fragmentierung kommen den Körpern hier kompositorische Funktionen zu, die der flachen Verschließung des Bildraums und der Blicklenkung des Betrachters dienen. Wie noch gezeigt werden soll, gestaltet sich die Frage nach der Identität und Profession der Figur, die sich hinter der Oberfläche der Gestaltung verbergen, mehr als schwierig. Das Hervorbringen 71

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Die Bezeichnung ›Porträt‹ wird hergeleitet aus ›protrahere‹, was »hervorbringen«, »ans Licht bringen« meint, siehe: Boehm, Gottfried: Bildnis und Individuum. Über den Ursprung der Porträtmalerei in der italienischen Renaissance, München 1985, S. 45. Boehm fasst dies wie folgt: »Das spätere Porträt der Renaissance folgt keinem bildlichen Äquivalenzdenken mehr, wie wir es zuletzt feststellen konnten. Seine Dienststellung gegenüber dem Darzustellenden war anderer Art. Es schuf eine anschauliche Entsprechung, bezogen auf eine individualisierte Deutung des Menschen. Sie setzt Freiheit gegenüber der reinen Vertreterfunktion voraus, zugleich eine höchste Fähigkeit, das Okkasionelle zu erfassen.«, siehe: ebd., S. 47. Wittmann, 2004, S. 44. Jean-Luc Nancy konstatiert, dass das Bild um das Gesicht herum aufgebaut ist und zwar so, »[…] dass dieses Gesicht für sich selbst das Ziel der Darstellung ist und jede andere Beziehung oder Szene ausgeschlossen wird.«, siehe: Nancy, 2007, S. 11. Ebd., S. 13.

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aber der Identität, oder wie Nancy konstatiert, der Seele, der Innerlichkeit, ist Ziel des Porträts.76 Wenngleich die Darstellung der zentralen Tänzerin auf den ersten Blick wie ein Porträt erscheint, löst sie dies jedoch nur schwerlich ein. Es handelt sich lediglich um eine oberflächige Beschreibung eines Porträts, ein Porträt eines Porträts. Die Gestalt der Figur mag zwar beschrieben sein, doch auch dies bleibt der reinen Oberfläche verhaftet, ins Innere dieser Figur blicken lässt Funke den Betrachter nicht. Fast wie ein Abwehrmechanismus funktioniert der verdreifachte Blick der Figuren, ein Eindringen in das Dahinter wird nicht zugelassen, der Blick des Betrachters wird in diesem Sinne nicht erwidert, sondern prallt an den starren Gesichtern zurück. Zu dominant schiebt sich auch der Körper und das alles überdeckende Tutu in den Vordergrund, verweist den Betrachter auf die Bildfläche, das Eindringen in die Tiefe ist nicht nur kompositorisch, sondern auch metaphorisch, nicht möglich. Momente der Aneignung lassen sich auch hinsichtlich des Porträtcharakters und der Blickthematik finden. Funkes zentrale Figur wirkt mit ihrem selbstbewussten Blick und der koketten Adressierung des Betrachters wie ein Zitat von Manets »Olympia« oder Ingres’ »Madame Moitessier«. Ferner kombiniert die Malerin den Typus des Gruppenbildnisses mit dem des klassischen Porträts. Dass dies aber kein Porträt im eigentlichen Sinne ist, sondern eher ein innerbildicher Verweis auf eben diese Gattung, hat die Analyse gezeigt. Einmal mehr wird deutlich, dass die von Funke aufgegriffenen Elemente nur in einer oberflächlichen Durchführung bestehen, bei genauer Betrachtung aber nicht standhalten, sondern konterkariert werden. Markiert dies zum einen eine Brüchigkeit, die der Darstellung sowohl formal als auch inhaltlich inhärent ist und die sich durch die Fragmentierung der Körper bereits angedeutet hatte, wird hier auch die Konstruiertheit der Szene deutlich. Mit der zentralen Figur erlaubt Funke dem Betrachter ferner ein direktes Gegenüber in der Darstellung und schafft so einen Moment der Adressierung. Die Bedeutung des Betrachters als Rezipient, der aktiv an der Genese der Bildbedeutung beteiligt ist, wird hier genauso augenscheinlich, wie die Rolle Funkes als konstituierende Autor-Künstlerin – um noch einmal Anschluss an die eingangs thematisierte Autorschaftsdiskussion zu nehmen. Die Relation und das Zusammenwirken von Malerin und Betrachter lässt sich folglich auch in dem zentralen Motiv Sehen und Gesehenwerden wiederfinden. 76

Ebd., S. 12.

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Das Kostüm als textile Maske Das Thema von Oberflächlichkeit wurde bereits auf mehreren Ebenen verhandelt, und wie herausgestellt wurde, ist die Darstellung »Tänzerinnen« in vielfacher Weise der Oberfläche verhaftet. Wörtlich verstanden bedeutet das zum Beispiel, dass Komposition und Raum eine Verflachung aufweisen, die eine Tiefenillusionistik nivelliert; der Raum ist eng und beschränkt. Sinnbildlich verstanden bedeutet das, dass auch das Thema Tanz nur ein oberflächliches ist; die Analyse der Posen zeigte, dass diese keine tatsächlichen Ballettposen sind, wohl aber posieren die Figuren für ein Gegenüber. Dabei werden die Figuren nur deshalb als Ballerinen identifiziert, weil sie die typischen Kleider tragen (wobei auch hier Abweichungen zur üblichen Tanzmode bestehen). So scheinen die Tutus tatsächlich nur Kostüme zu sein, eine textile Oberfläche, die etwas ausstellt, dies aber nicht tatsächlich bedeutet. Die Figuren tragen zwar Ballettbekleidung, sind aber keine Ballerinen. Vielmehr sind es als eben diese verkleidete Figuren, die in die Kostüme von Ballerinen geschlüpft sind, sich diese wie eine zweite Haut übergestreift haben. Dabei weisen die Figuren neben der Rolle der Tänzerinnen zugleich eine zweite Rollenzugehörigkeit auf, die deutlich wird, wenn die zweite zentrale Vorlage Funkes mitbedacht wird. Wie bereits ausgeführt greift Funke kompositorisch auf die Vorlage von Picassos »Les Desmoiselles d’Avignon« zurück, eine Szene, die zwar auch eine (vermeintlich) weibliche Figurengruppe zeigt, bei der es sich dabei jedoch um Prostituierte handelt.77 Das Moment des Verbergens ist eines der zentralen Bildthemen. Das Tutu als undurchsichtige Oberfläche sorgt nicht nur für eine Betonung der Flächigkeit, sondern auch für ein Moment des Verdeckens. Kleider können, wie auch Ingeborg Harms festhält, als Tarnkappe dienen, als Camouflage, »die eine Falte in den Raum legt, dort, wo die Trägerin verschwindet.«78 Der Körper, die Personalität darunter wird nicht nur verborgen, sondern ausradiert, zum bloßen Träger einer Identität, wie eine Kleiderpuppe. So ist auch die angelegte Doppelrolle der Figuren nicht auf den ersten Blick erkennbar, sondern unter den Kostümen zunächst verborgen. Denn es ist die Komposition, die Haltung 77 78

Avignon verweist auf eine Straße in Barcelona, die sich im Quartier der Prostituierten befindet, siehe: Golding, 1958, S. 156. Harms, Ingeborg: Die Mode als Futter der Kunst. Vorwort, in: mode/kunst – fashion/art, erschienen in der Reihe: figurationen. gender literatur kultur, Heft 2, Hg. Dies., Köln 2000, S. 7.

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der Figuren, unter den Kleidern verdeckt, die sie mit den Demoiselles Picassos gemeinsam haben. So changieren die Figuren stetig zwischen zwei Rollen, eine ist deutlich sichtbar, die der Ballerina, und eine wird zunächst verschleiert, die der Prostituierten. Das Moment des Verborgenen fügt sich dabei sehr schön, denn in der Regel bewegen sich Prostituierte im Schutze der Nacht, treten erst bei Dunkelheit auf, in Etablissements, die nachts sichtbar, tagsüber im Schein des Tages verschwinden. Indem Funke zwei Vorlagen (Degas und Picasso) miteinander kombiniert, verbindet sie auch zwei Identitäten, stellt sie nebeneinander bzw. kombiniert sie in einer Figur. Weist die textile Oberfläche die Figuren also als Tänzerinnen aus, deuten ihre Haltungen und Posen – die Komposition ihrer Körper – auf die Profession der Prostituierten hin. So ließen sich auch die »falschen« Ballettposen erklären, die nun als Indiz vertauschter Rollen Signifikanz erhalten. Die Tanzkostüme, allen voran die Tutus, erfüllen folglich nicht bloß kompositorisch und raumorganisatorisch eine verdeckende Funktion, sondern proklamieren auch auf einer inhaltlichen Ebene ein Moment des Versteckens. Das Tutu wird zur identitätsverschleiernden Ver-Kleidung.79 Der Körper ist somit eine bespielbare Fläche, eine »offene Projektionsfläche für historisch wechselnde Einschreibungen«, wie Pia Müller-Tamm und Sykora konstatieren,80 die als Träger eines Kostüms, wie eine Kleider-Puppe in ihrer Funktion austauschbar ist. Interessant ist an dieser Stelle, dass der Frauenkörper als ein idealisierter, Ende des 19. Jahrhunderts auch durch die künstlichen Schaufensterpuppen allgegenwärtig wird.81 Wie Beate Söntgen darlegt, bediente sich bereits Pygmalion dem Mittel der Täuschung, um einen Puppenkörper in einen Geschlechtskörper zu verwandeln.82 Die Täuschung, so 79

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Maike Christadler schreibt zur Thematik der Verkleidung: »Ver/kleiden und Ent/hüllen sind Strategien des Spiels, das Eindeutigkeiten ad absurdum führt und Ambivalenzen repräsentiert oder produziert.«, siehe: Christadler, Maike: Einleitung. Ver/kleiden – Ent/hüllen. Überlegungen zu Kunst, Körper und Raum, in: Frauen Kunst Wissenschaft. Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur, Halbjahresheft zum Thema: Ver/kleiden – Ent/hüllen 40 (2005), S. 4. Müller-Tamm, Pia/Sykora, Katharina: Puppen Körper Automaten. Phantasmen der Moderne, in: Puppen Körper Automaten. Phantasmen der Moderne, Hg. Dies., Köln 1999, S. 66. Interessant ist an dieser Stelle, aber das sei nur am Rande notiert, dass der idealisierte Frauenkörper Ende des 19. Jahrhunderts durch die künstlichen Schaufensterpuppen allgegenwärtig wird, siehe: Thesander, 1997, S. 81. Söntgen, Beate: Täuschungsmanöver. Kunstpuppe – Weiblichkeit – Malerei, in: Puppen Körper Automaten, 1999, S. 127.

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Söntgen weiter, ist in dieser Erzählung Ausweis höchster künstlerischer Fähigkeit, als Gabe der Verlebendigung. Die vermeintliche Tänzerin wird so zu einer Folie, die einerseits Verlebendigung einer Realgestalt und andererseits Konstruktion einer Idealgestalt bedeutet. Die Gesichter der Figuren bleiben dabei hohl und inhaltsleer, es sind die Masken, die zwar individuell gestaltet, in der Herausarbeitung vier unterschiedlicher Typen aber ebenso Konstruktion sind. Gleichzeitig verweisen sie auf Picassos Demoiselles, deren Gesichter ebenso maskenhaft sind. Der Begriff der Maskerade bietet sich insofern an, als dass bei dieser die Sichtbarmachung des ›Darunter‹ stets mitgedacht wird.83 Gleichzeitig muss das Versteckspiel der Figuren als ein Akt der Täuschung – auch das Ballett selbst wurde als »Akt der Selbsttäuschung« bezeichnet84 – angesehen werden, verbergen sie doch ihre wahre Identität und gesellschaftliche Zugehörigkeit unter dem Kostüm der Tänzerinnen. In diesem Zusammenhang ist auch auf den Karneval, das Kostüm- und Maskenfest, verwiesen, denn auch hier werden – wenngleich nur für eine bestimmte Zeit – bestehende Ordnungen und Beschränkungen außer Kraft gesetzt.85 Michail M. Bachtin erklärt: »Sehr bezeichnend für das karnevalistische Denken sind Gestaltenpaare, die nach dem Kontrastprinzip (hoch und niedrig, dick und dünn) oder nach dem Prinzip der Identität ausgewählt werden«86 . Demnach wäre es Prostituierten im Karneval durchaus möglich, zu reinen, unschuldigen Tänzerinnen zu werden; ihre erotische Profession gegen eine, wie sich gezeigt hat, im Widerspruch dazu stehende, nämlich die der reinen Tänzerin, einzutauschen. Im Zeichen dieses Gegensatzes fährt Bachtin fort: »Der Karneval vereinigt, vermengt und vermählt das Geheiligte mit dem Profanen, das Hohe mit dem Niedrigen, das Große mit dem Winzigen, 83

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»Deutlicher als bei der einfachen Verkleidung, die verbirgt und vorspielt, ist in der Maskerade die Sichtbarmachung des ›Darunter‹ mitgedacht; sie ist ein sichtbares Spiel mit den Zeichen, die gewöhnlich Geschlecht, Identität oder Status signalisieren.«, siehe: Christadler, Maike: Die Häute der ›Anderen‹. Indianerkostüme am Württembergischen Hof, in: Frauen Kunst Wissenschaft. Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur, Halbjahresheft zum Thema: Ver/kleiden – Ent/hüllen 40 (2005), S. 18. »Seinen magischen Beschwörungen zum Trotz beruhte das romantische Ballett auf einem Akt der Selbsttäuschung. Seine Stoffe sind Zerrspiegel der bürgerlichen Moral unter der Maske des schönen Scheins.«, siehe: Weickmann, Dorion: Der dressierte Leib. Kulturgeschichte des Balletts (1580-1870), Frankfurt/New York 2002, S. 49. Bachtin, Michail M.: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur, München 1969, S. 48. Ebd., S. 53.

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das Weise mit dem Törichten«87 . Die Verbindung gegensätzlicher Formen ist folglich ein Merkmal des Karnevals. So verkörpern Funkes »Tänzerinnen« den Zusammenschluss zweier unterschiedlicher Weiblichkeitskonzepte, die jedoch gerade zur Entstehungszeit des Gemäldes in der Ballerina ihre Vermengung auch real finden, denn die Prostitution – faktisch oder sinnbildlich – gehört zur Arbeitsrealität der Ballerina.88 Wie Eunice Lipton ausführt, stammten die meisten Balletttänzerinnen aus ärmlichen Verhältnissen und waren auf zusätzliche Einnahmequellen angewiesen.89 Die der Ballerina stets innewohnende Diskrepanz beschreibt auch Marion Koch: »Der Ballerinentanz benötigt konstitutiv zwei Gesichter: preisgegeben wird nur das der Makellosen, impliziert tanzt das der Hure mit«90 . Ursprünglich konträr, stehen sich damit die reine, jungfräuliche und entsexualisierte Ballerina, das Kind, und die sexuell offensive Prostituierte gegenüber. Im Gemälde jedoch erfahren diese zwei Professionen eine Gleichsetzung, die sie nicht nur zu zwei vergleichbaren Rollenmodellen, sondern gar austauschbar macht. Eine signifikante Parallele beider stellt die Betonung und Zur-Schau-Stellung des Körpers, aber auch die Konstruiertheit eines kulturell und gesellschaftlich geprägten Rollenbildes dar. Während die Ballerina ihre Sexualität jedoch zu unterdrücken angehalten ist, stellt die Prostituierte diese offen zur Schau und macht diese zu einer käuflichen Ware. Das Bild oszilliert genau zwischen diesen beiden Polen: Während die dichten Tutus die darunter liegenden Körper verdecken, wirken die direkten Blicke, lasziv und fordernd, sowie auch die Gesten und Posen wie eine Einladung zur Betrachtung. Die zwei Rollen gehen fließend ineinander über, sie verschmelzen und vermengen sich. Dabei werden die Grenzen verwischt; die Identität der Figuren ist eine gespaltene, ihre Rolle bipolar. Ein Gefühl der Fremdheit ist die 87 88

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Ebd., S. 49. Lipton zitiert eine ehemalige Tänzerin: »As soon as she [a dancer, Anm. EL] enters the Opéra her destiny as a whore is sealed; there she will be a high class whore.«, siehe: Lipton, 1986, S. 79. Lipton beschreibt außerdem, dass die meisten Tänzerinnen bereits im Kindesalter in der Oper arbeiten, zudem aus armen Familien stammen würden und so auf ein zusätzliches Gehalt angewiesen seien. Die jungen Tänzerinnen, zwischen sieben und zehn Jahre alt, würden in der Regel zwischen 10 und 15 Stunden pro Tag arbeiten und bekämen dabei einen Lohn von durchschnittlich 2 Francs, wenn sie an einer Aufführung teilnehmen, siehe: ebd., S. 90. Koch, Marion: Salomes Schleier. Eine andere Kulturgeschichte des Tanzes, Hamburg 1995, S. 251.

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Folge, ein Gefühl, das sich auch auf den Betrachter der Szene überträgt, da dieser die unterschiedlichen Leseangebote kaum zu einer schlüssigen Narration zusammensetzen kann. Doch wie Kristeva erläutert, befindet sich auf befremdliche Weise das Fremde stets in uns selbst: »Er [der Fremde] ist die verborgene Seite unserer Realität, der Raum, der unsere Bleibe zunichte macht […]«91 . Bei Funke ist aber nicht das Fremde das in den Figuren verborgen Liegende, sondern im Gegenteil: das Fremde ist zur sichtbaren Außenhülle avanciert, während das Vertraute, kaum noch bestimmbar, ins innere Exil geschickt wurde. Der Betrachter wird dabei getäuscht, er blickt auf eine Maske, die er zunächst als das Wahre bestimmen mag, das Fremde rückt so, ganz im Sinne Kristevas, zurück ins Innere und bleibt verborgen. Verborgen so lang, bis der Betrachter die Maskerade durchschaut. Durchschaut er diese, ist es ihm nicht mehr möglich, oder nur schwerlich, sich mit den Figuren zu identifizieren, das Moment des Befremdens überträgt sich so von den Figuren auf den Betrachter, die Lesbarkeit der Darstellung wird erneut gestört. Das Einfassen in ein festes Bildgefüge dient folglich als eine Form des Gegenwirkens, eine Möglichkeit, den Figuren innerhalb dieser Identitätskrise Stabilität zu geben. Die engen Bildgrenzen funktionieren als notwendiger Halt, wenngleich die Enge auch ein Symbol der inneren Enge, des inneren Exils bedeuten mag. Ferner sorgt der Anschnitt durch die Bildränder zu einer wie bereits ausgeführten Beschneidung und Zerteilung der Körper. Das Fragmentieren des Körpers verhindert so den ganzheitlichen Körper, ein Moment, das der Identitätskrise erneut zuträglich ist. Die Figuren passen außerdem nur in sitzender Haltung in den schmalen Bildraum, stünden sie auf oder streckten sie sich, würden sie diesen überschreiten. So wird das Moment des inneren Exils, das Eingefangen sein in einer Rolle, die nicht die eigene ist, auch auf kompositorischer Ebene ausgestellt. Steht das klassische Ballettkostüm für die zwanghafte Einengung und Einschnürung der Frau, die erst durch die Tanzreform zur Jahrhundertwende, einhergehend mit einer Kleiderreform, aus diesen befreit werden kann,92 symbolisiert das Kostüm hier genau dies: das Gefangen-Sein in einer Rolle, 91 92

Kristeva, Julia: Fremde sind wir uns selbst, Frankfurt a.M. 1990, S. 11. »Die Konstruktion des Subjekts, als des ›neuen Menschen‹, durch die kultur-emanzipatorische Wirkung des freien Tanzes läuft parallel zu zeitgenössischen Theorien und Praktiken des Abbaus, ja der Destruktion von Faktoren, die bislang für die Vorstellung vom Individuum und seiner Selbstdarstellung gültig schienen: beispielsweise in der Abschaffung bestimmter ›Stützvorrichtungen‹, die das Körperbild des späten 19. Jahr-

IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen

an die bestimmte, gesellschaftlich konstruierte Verhaltensvorstellungen geknüpft sind – sei es die Rolle der Ballerina oder die der Prostituierten oder eben die Zusammenfassung beider in einer Person. Die Wahl des klassisch anmutenden Ballettkostüms mit Tutu (das zwar wesentlich kürzer ausfällt als üblich) sowie mit Taillen- und Halsband, verweist auf eine gesellschaftliche Kontrolle des Körpers, der eingeschnurrt und beengt wird – wiederum kompositorisch verstärkt durch den begrenzten Bildraum. Die beiden farblich hervorgehobenen Bänder markieren dabei nicht nur formal eine Zergliederung des Körpers, sie bedeuten auch die Freiheitsbeschränkung des Kopfes sowie eine Beeinträchtigung des Atmens.93 Ohne eindeutige soziale Zugehörigkeit, gefangen zwischen zwei Identitäten, bleibt Funkes Figuren ein individuelles Eigenleben verwehrt. In absoluter Künstlichkeit ausgestellt, widersprechen sie genau der Vorstellung, die seit dem 18. Jahrhundert an die Frau geknüpft wurde: die der Natürlichkeit.94 Doch dass gerade der »natürliche« Körper ein konstruierter ist, stellt auch Söntgen heraus.95 Wirkt das Künstliche der Puppe paradoxerweise natürlich, wirken die »Tänzerinnen« in ihrer Weiblichkeit umso konstruierter. Allzu deutlich tritt der Aspekt des Gemacht-Seins hervor, nicht nur auf kompositorischer und gestalterischer Weise, durch die strenge Deklination des Bildarrangements, sondern auch durch die Doppelidentität der »Tänzerinnen«. Wenngleich ein ständiges Changieren zwischen Oberfläche und dem Darunter erzeugt wird, ist es doch gerade die Oberfläche, die hier bedeutsam wird. Das Sichtbare ist lediglich eine Fassade – die flächig gestalteten Tutus legen dies auch auf formaler Ebene an. Die verschiedenen Referenzen, in einem geschickten System aus motivischen und kompositorischen Verweisen arrangiert, funktionieren stets nur oberflächig, ein tieferer Blick, der bewusst

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hunderts definierten.«, siehe: Brandstetter, Gabriele: Tanz-Lektüren. Körperbilder und Raumfiguren der Avantgarde, Freiburg i.Br. 2013, S. 124f. »Although the neck has never been and can never be distorted to the same degree as the waist, it is nevertheless an area in which the slighest external restriction can have a quite radical effect on freedom of movement about the head and shoulders, as also upon facility in breathing.«, siehe: Kunzle, 1982, S. 23f. Müller-Tamm/Sykora, 1999, S. 66. »Die Unentscheidbarkeit des Natürlichen und Künstlichen im Weiblichen verlebendigt die weibliche Puppe, die gerade als künstliche Frau natürlich wirkt.«, siehe: Söntgen, 1999, S. 130.

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erschwert wird, offenbart ihre Brüchigkeit. Ebenso verhält es sich mit den Figuren. Das Motiv des Verbergens überträgt sich von der stofflichen Qualität der opaken Tutus auf die Frage nach der Identität der Figuren. Werden sie einerseits wörtlich auf die Oberfläche reduziert, changiert die Doppelrolle Ballerina/Prostituierte stetig zwischen Darüber und Darunter und weist so auf einer sozial-historischen Ebene auf die Arbeitsrealität der Tänzerinnen. Gleichzeitig lässt sich dies auch symbolisch lesen, ist doch in der konstruierten Rolle der Tänzerin dieser innere Widerspruch bereits angelegt. Ferner werden so auch die unterschiedlichen Rollen, die der Frau zugedacht werden, aufgerufen: konstruierte Rollenideale, die imaginierte Vorstellungen von Weiblichkeit bedienen, dabei aber eine homogene Identität unmöglich machen.

Das Bild als hybrides Objekt Die Darstellung »Tänzerinnen« bedeutet im Vergleich zu den frühen Landschaften, die in München entstanden sind, eine enorme künstlerische Weiterentwicklung. Funke wählt hier zum einen ein modernes Sujet, das paradigmatisch für die Pariser Zeit steht, eine Szene aus der bürgerlichen Unterhaltungskultur, und zum anderen gestaltet sie dieses mit modernen formalen Mitteln, die weit über die in München ausprobierten ersten modernistischen Formen hinausgehen. Dazu wählt sie nicht nur einen groben gespachtelten Malduktus sowie die Vereinfachungen von Form und Figur, sie formuliert auch einen Bildraum, der flächig und zweidimensional ist. Gelingt ihr dies bereits mit der Darstellung »Haus im Park«, wo sie die Bäume als dichtes Geäst in Ornament-artiger Gestalt zur Betonung der Bildfläche einsetzt, greift sie bei den »Tänzerinnen« auf formale, nicht auf figurative Mittel zurück. Besonders bei der Behandlung des Bildhintergrundes wird dies sichtbar. Die Bedeutung der Oberfläche – der Bildoberfläche als Träger von Form und Fläche – sowie die Bedeutung der Oberflächlichkeit – das Moment des Verdeckens – wurden detailliert herausgestellt. Besondere Virulenz kommt dem Werk darüber hinaus durch die Verwendung von unterschiedlichen Vorlagen zu, die eine interpikturale Arbeitsweise der Malerin nahelegen. Für die Darstellung »Tänzerinnen« lassen sich konkrete wiedererkennbare Vorlagen im Repertoire der französischen Malerei finden. Dem Thema der Tanzwelt nachspürend, scheint die Szene von den Darstellungen Edgar Degas’ motiviert, der besonders bezüglich Motiv und Organisation der Figuren im Bildraum

IV. Oberflächlichkeit: Hybride Tänzerinnen

Vergleichsmomente anbietet. Daneben wählt Funke scheinbar ein Werk von Picasso als Vorlage für ihre Komposition. Sie bringt damit zwei Vorlagen in einem Bild in Kombination, die zwar beide der französischen Moderne zugeordnet werden, sich jedoch motivisch wie formal deutlich unterscheiden. Daneben finden sich weitere Parallelen hinsichtlich der räumlichen Gestaltung, besonders der Betonung der Bildränder und der angeschnittenen Figuren, zu Werken von Matisse. Der Porträtcharakter der zentralen Figur erinnert ferner an Manets »Olympia« oder Ingres’ »Madame Moitessier«. Während Degas in seinen Ballettszenen eine luftig zarte Gestaltung wählt und damit dem Impressionismus näher steht, arbeitet Picasso mit markanten, geometrischen Formen, spitzen Winkeln und einer starken formalen Reduktion und stößt so bereits erste kubistische Momente an.96 Funke zeigt in ihrer Umsetzung Merkmale, wie die betonten Konturlinien, den pastosen und spachtelartigen Farbauftrag und die Betonung der Fläche, die mit expressionistischen Gestaltungsprinzipien korrelieren. Formal lässt sie sich aber weder eindeutig Degas noch Picasso zuordnen. Sie findet im Gegenteil einen eigenständigen Ausdruck, der sich wohl aber analog zur modernistischen Pariser Kunst verhält. Motivisch rückt sie eng an das Vorbild Degas’ und an das Thema Ballett, der eingehende Blick offenbart jedoch, dass auch Picassos Bordellszene eine thematische Setzung erhält. Die Kombination zweier Vorlagen unterschiedlichen Ursprungs kann in diesem Sinne als eine Form der Hybride interpretiert werden. Wie bereits das Werk »Haus im Park« im vorherigen Kapitel zeigte, legt die Malerin auch hier eine hybridisierende Kombination unterschiedlicher Bezugsquellen an, wobei die Gegensätzlichkeit der verwendeten Vorlagen von entscheidender Bedeutung ist, sodass »Tänzerinnen« als radikalere Umsetzung eine Fortführung der Münchener Jahre bedeutet. Scheint sich Funke bei »Haus im Park« zwar auch mit unterschiedlichen doch aber thematisch ähnlichen Vorlagen auseinanderzusetzen, sind die bei den »Tänzerinnen« verwendeten Vorlagen sowohl motivisch wie thematisch wie formal different. So lässt sich die Verbindung unterschiedlicher Elemente per Definition des Hybriden als anormal oder außergewöhnlich beschreiben.97 Das Moment der Hybride weitet sich auch auf einer inhaltlichen Ebene aus: Die Figuren, changierend zwischen Ballerinen und Prostituierten – wenn 96

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Daniel-Henry Kahnweiler beschreibt die »Demoiselles d’Avignon« sogar als Picassos erste kubistische Darstellung, siehe: Kahnweiler, Daniel-Henry: Der Weg zum Kubismus, München 1920, S. 18. Hybride, in: Thesaurus der exakten Wissenschaften, 2001, S. 398

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man beide Vorlagen gleichermaßen ernst nimmt – stellen selbst hybride Wesen dar. Sie sind der Inbegriff einer Kreuzung zweier Stereotype. Während die Ballerina eine reine, unschuldige Verkindlichung verkörpert, markiert die Prostituierte das strenge Gegenteil. Im Widerstreit dieser beiden Rollen geraten die Figuren somit in eine identitäre Sinnkrise, in einen Zustand des Fremdseins. Die textile Oberfläche ist dabei nicht mehr als eine Projektionsfläche, eine plane, bespielbare Leinwand; der Körper eine Puppe, ein fremdbestimmtes Objekt. So löst sich das Motiv der Oberflächlichkeit auch bezüglich der Figurencharakterisierung ein. Das Hybride markiert bei »Tänzerinnen« also nicht bloß die Verbindung zweier (oder mehrerer) Motivquellen, es ist nicht nur die Verbindung der Vorlage Degas und Picasso. Das Hybride ist künstlerische Methode wie Bildthema gleichermaßen. Die Darstellung stellt somit im höchsten Maße seine Konstruiertheit aus. Dabei ist gerade die Brüchigkeit der Konstruktion signifikant. Als Schnittstelle zwischen den Vorlagen sind es die Bruchkanten, die sichtbar werden. Das ausgestellte Moment der Konstruktion spielt dabei nicht bloß auf die Bildproduktion an, das Zusammensetzen mehrerer heterogener Teile zu einem hybriden Gefüge, sondern auch auf die Konstruktion sozialer Rollenmuster. Die Ballerina und die Prostituierte stehen sich als gegensätzliche Pole gegenüber und fügen sich in der Darstellung doch überraschend homogen in einer Figur zusammen. Verhält sich die Darstellung ganz im Sinne einer Montage, entwickelt sich so aus vormals gegensätzlichen Referenzen ein neues Bildgefüge, eine Hybride, die nicht nur eine eigenwillige Form der Bildfindung beweist, eine interpikturale Arbeitsweise, sondern auch eine die Kunstgeschichte sowie die Gesellschaft reflexiv in den Blick nehmende Bildkonzeption bedeutet. So kreiert Funke ein Werk, das sich zwar Vorlagen bedient, diese aber in einen neuartigen, außergewöhnlichen Zusammenschluss bringt, eine interpikturale Hybride, um dabei umso deutlicher das Eigene, das Autonome, im Gegensatz zum Allgemeinen, auszustellen. Das Hybride ermöglicht die Emanzipation von der Assimilation oder Aneignung, die noch in München zu beobachten ist, zur Formulierung des Eigenen.

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

Die im Folgenden im Fokus stehende Darstellung »In der Loge« (Abb. 18) von Helene Funke stellt ein weiteres Beispiel einer interpikturalen Arbeit dar, das durch die kombinatorische Verwendung unterschiedlicher, zum Teil disparater Motivvorlagen ein komplexes, hybrides Bildsystem formt. Mit dem Motiv der Loge bewegt sich Funke dabei, im Anschluss an ihre »Tänzerinnen«, ein weiteres Mal im Feld der Unterhaltungskultur. Wie schon die zuvor betrachtete Darstellung zeichnet sich auch diese durch das Aufgreifen einer prominenten Fremdvorlage aus. Funke rekurriert dezidiert auf Pierre-Auguste Renoirs »La Loge« (Abb. 19), übernimmt Thema und Komposition der Szene, greift jedoch zugleich zu einer starken Veränderung bezüglich der figürlichen Besetzung. Von Interesse sind somit nicht lediglich die Verarbeitung der Vorlage, sondern im Besonderen die Veränderung dieser und die damit einhergehende Sinnverschiebung. Veränderungen erfolgen auf formaler und stilistischer sowie auf inhaltlicher Ebene. Die Analyse wird dabei zeigen, dass Funke das Thema des Theaters, wie bereits zuvor das Thema Tanz, nutzt, um soziale und gesellschaftliche Fragen und Missstände aufzuzeigen und dabei im Besonderen das Verhältnis der Geschlechter zu reflektieren. Ein Aspekt, der im Theater von entscheidender Bedeutung und zugleich primäres Bildthema sowohl der Motivvorlage als auch Funkes Interpretation ist, ist der des Blicks. Sehen und Gesehenwerden von einerseits innerbildlichen Figuren in der Darstellung, andererseits vom Betrachter vor dem Bild und die wechselseitige Verknüpfung und Interaktion beider sind von zentraler Bedeutung innerhalb der Szene. Die Architektur des Theatersaals forciert nicht nur eine Blickachse zur Bühne, sie inszeniert auch gleichermaßen das ausgewählte Publikum in den Logen. Vergleichbar mit einem Schaufenster fungieren die Logen, die besten Plätze im Saal, somit als Ausstellungsraum ihrer Insassen, die in der Regel von hohem gesellschaftlichem Stand sind. Das Interesse Funkes gilt dabei aber nicht lediglich den gesellschaftlichen Struk-

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Aneignung und Eigensinn

turen, die das Theater durch seine Saalarchitektur versinnbildlicht, sondern auch der Zurschaustellung der Frau und ihrer Rolle als Betrachtungsobjekt, Aspekte, die bereits bei der Vorlage Renoirs signifikant sind. Ferner korreliert das Thema des Blickregimes vor dem Hintergrund sozialer und gesellschaftlicher Strukturen, die im Theater gespiegelt werden, auch mit dem Aspekt der Macht. Die Königsloge als Beispiel ist historisch nicht nur Ort der Repräsentation, sondern auch Ort der Machtbekundung. Der König hat eine allumfassende Einsicht, er sieht alles und jeden. Auch dieser inhaltliche Komplex findet Eingang in die Analyse der Darstellung. Das im Theater vormals streng geregelte Blickgefüge, das alle Aufmerksamkeit auf die Bühne lenkt, wird in Funkes Gemälde aus den Angeln gehoben. Bühne und Loge tauschen ihren Platz; das Publikum wird zum Schauspieler, der Betrachter zum Publikum. Über die imaginäre ›vierte Wand‹ des Bildraums hinaus wird dieser zu einem teilnehmenden Gegenüber, dessen Gegenwart nicht unbemerkt, sondern forciert wird. Davon ausgehend wird die Rolle des Betrachters auch hinsichtlich der Rezeptionsmöglichkeiten und -bedingungen befragt, was letztlich auf die Fragen zielt: Wie verhält sich die verwendete Vorlage bei der Betrachtung der Darstellung? Ist sie wiedererkennbar? Ist ihre Erkennung notwendige Voraussetzung zur Rezeption der Darstellung? Und was bedeutet dies für das Verhältnis der beiden Bilder zueinander, wenn man durch eines auf das andere blickt? Zentrale Aspekte bilden dabei das ›Bildgedächtnis‹ (Omlin/Wismer), die ›Pluralität des Bildes‹ (Ganz/Thürlemann) und das hyperimage (Thürlemann). So soll am Beispiel Funkes gezeigt werden, dass die Verwendung von Vorlagen weiterführende Sinnpotenziale eröffnet, die der Deutung des Einzelbildes einen entscheidenden Mehrwert verleihen. Anknüpfend an das Thema von Sehen und Gesehenwerden wird die Darstellung anschließend dem Vergleich mit der Szene »Le balcon« von Édouard Manet unterzogen. Manets Gemälde weist nicht lediglich aufgrund des Motivs des Balkons – ein architektonischer Spiegelraum der Loge – Gemeinsamkeiten auf, sondern auch hinsichtlich der Thematik von Repräsentation und dem Spannungsfeld zwischen öffentlichem und privatem Raum. Ferner bedient sich auch Manet einer Vorlage, Francisco de Goyas »Majas on a Balcony«, die er dabei wie Funke in einen neuen formalen wie thematischen Kontext stellt und so eine Motivation aufweist, die über die bloße Wahl einer Inspiration oder Bildvorlage hinausgeht. So ist es möglich, zwei interpikturale Bildkonzepte bzw. die aneignende Arbeitsweise zweier Maler miteinander zu vergleichen und die jeweilige Spezifik herauszustellen.

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

Genauso wie Manet unterzieht Funke ihre Szene einer kontextuellen Verschiebung und einer malerischen Modernisierung. Dabei greift sie im Speziellen die Rolle der Frau als zentrales Thema heraus. So aktualisiert sie die Darstellung nicht nur formalästhetisch und nähert sie expressionistischen Gestaltungsformen an, sondern modernisiert auch die Rolle der weiblichen Figuren. Diese besuchen nicht nur ohne männliche Begleitung das Theater, sie tragen auch – in starker Differenz zur Vorlage Renoirs – einfache Kleider ohne Korsett. Dabei handelt es sich um Reformkleider. Dies muss als eine modernistische wie auch eine emanzipatorische Geste verstanden werden, die einen neuen Blick auf den weiblichen Körper und den Habitus der Frau ermöglicht. Ferner werden die Dargestellten im Gegensatz zu Renoirs Vorlage von ihrer repräsentativen Verpflichtung befreit und gestalten sich nun als aktive Protagonistinnen.

Die Loge als Motiv in der Moderne »In der Loge« (1904/071 ) sitzen drei weibliche Figuren. Die Bande der Loge am unteren Bildrand, versehen mit einem unleserlichen Schriftsatz, sowie ein türkis-violett-gemusterter Vorhang mit Fransen rechts und links, rahmen die Figuren. Physiognomisch zeichnen sich diese zwar durch eine gewisse Ähnlichkeit aus, doch Blicke wie Körper wenden sich in jeweils unterschiedliche Richtungen, so dass eine übereinstimmende und uneinheitliche Ausgerichtetheit der Figuren – wie sie eine Loge im Hinblick auf das Bühnengeschehen in der Regel forciert – nicht angelegt ist. Während die Figur im floral gemusterten Kleid dem Betrachter frontal zugewandt ist, dreht die rechts daneben befindliche diesem den Rücken zu und blickt über ihre linke Schulter nach unten. Die dritte Figur ist dahinter platziert, ihrem Körper kommt somit eine deutlich kleinere Bildfläche zu, an Präsenz verliert sie jedoch nicht. Durch ein schwarzes Theaterglas blickt sie diagonal nach oben aus dem Bildraum heraus; auch das Glas überschneidet den Bildrand ein kleines Stück. 1

Wie Peter Funke konstatiert, bestehen bezüglich des Entstehungsjahrs berechtigte Zweifel, siehe: Funke, 2011, S. 184. Zudem gibt es zwei weitere Versionen der Logendarstellung, eine datiert im Jahre 1915, die nachweislich 1917 in Stockholm ausgestellt wurde, und eine, die heute lediglich als schwarz-weiß-Fotografie, nicht mehr im Original, erhalten ist, diese ist undatiert. Siehe: ebd., S. 71f. Die drei Versionen der Darstellung sprechen für eine intensive und zugleich systematische Bearbeitung dieses Themas.

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Aneignung und Eigensinn

Des Weiteren hält sie in der anderen Hand, die in ihrem Schoß liegt, einen blauen Fächer, der senkrecht nach oben aufgerichtet ist. Dieses Motiv findet seine gespiegelte Wiederholung durch den roten Fächer, den die frontal ausgerichtete Figur senkrecht nach unten hält. In der anderen Hand hält diese einen Strauß gelber Rosen. Mit diesen knappen Worten sind Motiv und formale Struktur der Darstellung grob umrissen. Im Folgenden stehen die von Funke verwendeten Vorlagen im Fokus, die – ganz im Sinne der bereits im Kapitel zuvor beobachteten spezifischen Arbeitsweise der Malerin – zwar zentrale Anknüpfungspunkte sind, in der Verarbeitung aber eine formale wie inhaltliche Transformation erfahren. Die von Funke gewählte Theaterloge ist nicht nur beliebtes und häufig dargestelltes Sujet der Bildenden Kunst im 19. Jahrhundert2 , sondern hat in diesem Fall auch ein reales Vorbild: das gleichnamige Werk Pierre-Auguste Renoirs aus dem Jahre 1874.3 Wie auch in Funkes Umsetzung zeigt Renoirs Szene den durch die Bande vorn und den Vorhang seitlich eingefassten Blick in eine Theaterloge. Besetzt wird diese von zwei Figuren, einer auch durch die Lichtregie deutlich im Fokus stehenden Frau und einem dahinter im Schatten platzierten Mann, der durch ein Theaterglas schräg nach oben blickt.4 Wenngleich es in Funkes Darstellung eine Frau ist, die durch das Theaterglas blickt, stimmt diese aber in Kopf- und Körperhaltung exakt mit der männlichen Vorlage überein. Selbst der helle Handschuh, den sie trägt, weist am Handballen eine ovale Öffnung auf. Dabei handelt es sich methodisch nicht um ein Zi2

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Neben Renoir stellen unter anderen auch Maler wie Toulouse-Lautrec, Cassatt oder Degas die Theaterloge dar. Zu dieser Zeit ist die Loge zwar bereits etabliertes Symbolbild des Bürgertums, als Motiv in der Bildenden Kunst jedoch neu, so Nancy Ireson. So sei auch Renoirs »La Loge« (1874) die erste Darstellung dieses Motivs des Malers, siehe: Ireson, Nancy: The Lure of the Loge, in: Renoir at the Theatre: Looking at La Loge, Ausstellungskat.: The Courtauld Gallery, 2008, Hg. Ernst Vegelin van Claerbergen/Barnaby Wright, London 2008, S. 11. Sowie: House, John: Pierre-Auguste Renoir. La Loge, in: Renoir at the Theatre, Ausstellungskat., 2008a, S. 72. Diesen Zusammenhang attestiert auch Plakolm-Forsthuber und deutet dies als eine direkte Auseinandersetzung Funkes mit der Darstellung Renoirs, siehe: PlakolmForsthuber, 1994, S. 129. Laut House handelt es sich bei diesem Figurenpaar um eine motivische Wiederholung der satirischen Darstellung »Une Lionne dans sa loge« (1845-46) von Paul Gavarni, siehe: House, 2008a, S. 30.

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

tat oder eine Kopie, sondern um eine Variation: Während die Struktur des Originals beibehalten wird, verändert die Malerin Stil, Technik und Inhalt.5 Weitere Übereinstimmungen lassen sich bezüglich der weiblichen Figur im gemusterten Kleid finden, die ihre Haltung dem Vorbild Renoirs verdankt. In Renoirs Szene ist diese ebenfalls frontal, dem Betrachter zugewandt, dargestellt und blickt diesem unvermittelt entgegen.6 Auch die Details greift Funke auf, variiert sie jedoch in ihrer Erscheinung, wie beispielsweise den Fächer, der im Falle Renoirs locker im Schoß der Dame ruht, in Funkes Darstellung hält ihn die Figur starr nach unten gerichtet in der Hand. Auch die Haltung des angewinkelten Arms wiederholt Funke, fügt jedoch eine Stuhllehne hinzu, die als Auflagefläche dient. Wie Aileen Ribeiro anregt, geht die Pose der von Renoir inszenierten Dame wiederum auf eine Darstellung Ingres’ zurück.7 Die roten Rosen, die in Renoirs Werk noch als Haarschmuck und am Dekolleté arrangiert sind, sind bei Funke gelb und liegen in der Hand der Figur am Rand der Bande; sie ersetzen so das kleine goldene Theaterglas, welches Renoirs Dame hält.8 Durch die Anzahl von drei gelben Rosen, lassen sich diese als eine sinnbildliche Verdeutlichung oder gar eine symbolische Personifikation der Figurengruppe lesen. Renoirs Dame trägt darüber hinaus weitere kostspielige Accessoires: eine mehrreihige Perlenkette, Diamant-Ohrringe und ein goldenes Armband.9 Das schwarz-weiß gestreifte Kleid, zu dem sie einen Hermelin-Umhang trägt, besitzt nicht nur die Form eines sogenannten Prinzessinnen-Kleides, sondern entspricht auch der aktuellen Mode der 5

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So definiert Nina Zimmer die Variation. Im Vergleich dazu intendierten Zitat und Kopie die Wiedergabe des Originals möglichst eins zu eins; die Paraphrase stellt eine freie Abwandlung der Vorlage dar, siehe: Zimmer, 2008, S. 153. House merkt an, dass ihre Augen nicht ganz auf den Betrachter fokussiert zu sein scheinen, siehe: House, 2008a, S. 30. Funke verstärkt dieses Motiv, indem die von ihr dargestellte Frau tatsächlich minimal am Betrachter vorbei zu blicken scheint. Gemeinsamkeiten zwischen Ingres’ »Marie Marcoz« (später »Vicomtesse de Senonnes«, 1814-16) und Renoirs Dame in der Loge erkennt Ribeiro in der Körperhaltung, wie dem angewinkelten, abgestütztem Arm und der Hand, die auf dem Handschuh ruht, sowie anhand der luxuriösen Kleidung, aber auch bezüglich des sozialen Hintergrunds. So seien beide »[…] déclassées, outside society to some extent…«, siehe: Ribeiro, Aileen: The Art of Dress. Fashion in Renoir’s La Loge, in: Renoir at the Theatre, Ausstellungskat., 2008, S. 59. Die gelben Rosen bedeuten in der viktorianischen Bildsprache schwindende Liebe und Eifersucht, siehe: Funke, 2007, S. 27. Ribeiro, 2008, S. 49.

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1870er Jahre.10 Inszeniert Renoir die Dame im königlich anmutenden Pelz,11 reich geschmückt und zugleich selbst als ein schönes Schmuckstück für den männlichen Begleiter,12 verzichtet Funke auf den kleidenden Schmuck bzw. arrangiert Fächer und Blumen lediglich als Beigaben, die Figuren selber bleiben schmucklos. Sie sind keine schmückenden Antagonisten, sondern agierende Protagonisten. Dass es sich bei dem Modell, welches Renoir engagiert hat, um ein einfaches Mädchen aus Paris handelt, Nini Lopez, wurde unter Zeitgenossen heftig diskutiert. So entspräche Nini physiognomisch nicht den herrschenden Normen der feinen weiblichen Eleganz.13 Auch sei ihr Kleid, zwar schick und modisch, nicht der Abendgarderobe angemessen, sondern stelle eine Kombination aus Tages- und Abendgarderobe dar.14 Darüber hinaus sei das Gesicht zu stark geschminkt.15 Indem Renoir aber, in vollem Bewusstsein der modischen und sozialen Konventionen seiner Zeit, Nini als Modell wählt, öffnet er sein Gemälde, wie John House attestiert, für unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten.16 Weder Alter noch Stand der Figur stellt er aus.17 Dafür bietet er unterschiedliche, zum Teil widersprüchliche Lesarten an, die eine Doppelcodierung des Werks offenbaren. An gegebener Stelle wird dies erneut aufgegriffen. Differenzen zwischen den Darstellungen Renoirs und Funkes ergeben sich nicht nur hinsichtlich der malerischen und formalen Ausgestaltung der Szene, sondern verstärkt hinsichtlich der Figurenkonstellation. Die wohl gravierendste Abweichung stellt dabei die Figur mit dem Theaterglas dar, denn ist sie in Renoirs Vorlage ein Mann, wird sie in Funkes Umsetzung eine Frau. Ferner fügt die Malerin eine weitere weibliche Figur hinzu, so 10 11 12

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Ebd., S. 47. Bailey, Colin B.: Renoir’s ›La Loge‹, in: The Burlington magazine 150 (2008), S. 341. Wie Paul Bonaventura erklärt, handelt es sich bei Renoirs Werk um die Darstellung der oberflächigen Aspekte der visuellen Erfahrung, in diesem Sinne versteht sich auch die Darstellung der Frau als Träger von exponiertem Schmuck oder als schmückendes Beiwerk als eine rein oberflächige Betrachtung, die die – wie Bonaventura erklärt – visuelle Erfahrung zugleich als eine rein oberflächige erklärt, siehe: Bonaventura, Paul: View from the box, in: Apollo 168 (2008), S. 139. House, John: Modernity in Microcosm. Renoir’s Loges in Context, in: Renoir at the Theatre, Ausstellungskat., 2008b, S. 33. Ribeiro, 2008, S. 52. Ebd., S. 61. House, 2008a, S. 33. Ebd., S. 31.

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

dass nun ein Trio von weiblichen Figuren in der Loge Platz genommen hat. Renoir arbeitet darüber hinaus mit einem Farbkontrast aus hellen und dunklen Farben, der sich durch die schwarz-weißen Kleider der Figuren formiert. Funkes Farbpalette besteht aus einem Spektrum an Blau-, Grünund Türkistönen, die, ihrer Natur entsprechend kalt wirkend, im Kontrast zu den warmen Tönen der gelben Rosen und den Rot-Brauntönen der Haare stehen. Trägt Renoir die Farbe geschmeidig weich und mit luftigimpressionistischem Pinselstrich auf, arbeitet Funke pastos und plastisch, fast in expressionistischer Manier, die Materialität der Farbe heraus, wozu sie teilweise ein Palettenmesser verwendet (besonders deutlich erkennbar am Vorhang) oder die Farbe direkt aus und auch mit der Tube aufträgt.18 Sabine Plakolm-Forsthuber erkennt darin einen direkten Kontakt zu Matisse und den Fauves19 , eine Verbindung, die aufgrund der formalästhetischen Gestaltung der Darstellung und der Tatsache, dass Funke während der Entstehungszeit der Arbeit in Paris lebt und im Kreise der Fauves ausstellte20 , naheliegend ist. Neben der malerischen Ausführung variiert die Darstellung auch motivisch insofern, als dass die Garderobe der Figuren Funkes weniger dem Anlass des Theaters als viel eher dem alltäglichen Gebrauch angemessen erscheinen. Die Figuren tragen einfache Kleider, auf Schmuck wird verzichtet, einzig Handschuhe und Fächer, das Theaterglas und die Blumen werden als zu dem Anlass passende Attribute beigefügt. Es scheint, als porträtiere sie das einfache bürgerliche Theaterpublikum, nicht wie Renoir wohlhabende oder gar – wie der Hermelinpelz andeutet – adelige Logengäste. Des Weiteren stellt Plakolm-Forsthuber eine Verbindung zwischen Funkes Logen-Darstellung und jenen Mary Cassatts her.21 Die Arbeit »In the Loge« (um 1879) zeigt den Blick in eine Loge, in der eine weibliche Figur durch ein Theaterglas die Vorstellung verfolgt (Abb. 20). Hier gibt Cassatt allerdings den Blick auf die umliegenden Logen frei und begrenzt ihn nicht, wie Funke und Renoir, auf eine einzelne Loge. Hinter den aufgeschlagenen Fächern wirken die zwei jungen Mädchen der 1882 entstandenen Darstellung »The Loge« scheu und konzentriert, während sie die Vorstellung betrachten (Abb. 21).22 18 19 20 21 22

Fischer, Elisabeth/de Keijzer, Matthijs/Erlach, Rudolf: Helene Funke – Studie zur Maltechnik, in: Helene Funke 1869-1957, Ausstellungskat., 2007, S. 217. Plakolm-Forsthuber, 1994, S. 130. Funke, 2011, S. 16. Plakolm-Forsthuber, 1994, S. 129. Griselda Pollock schreibt zu diesem Werk: »Es entsteht ein beredter Ausdruck unterdrückter Erregung und extremer Beherrschung, der Unsicherheit, an diesem öffent-

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In keiner der herangezogenen Darstellungen, wie auch in Funkes nicht, wird dem Betrachter der Blick auf die Bühne gewährt, bestechend ist jeweils der Blick auf das Publikum bzw. der Blick des Publikums, also die Thematisierung des Blickens. Kompositorisch rekurriert Funke in Veränderung des Geschlechts auf die Darstellung Renoirs, inhaltlich entlehnt sie ihre Szene Cassatts Arbeiten, denn auch diese zeigen weibliche Figuren, die als Protagonistinnen der Szene eingeführt werden. Eine weitere ikonographische Anknüpfungsmöglichkeit ergibt sich durch die physiognomische Gestaltung der drei weiblichen Figuren. Diese bestechen durch eine unübersehbare Ähnlichkeit, die einerseits durch die gleiche rot-braune-Haarfarbe mit gleicher Frisur bei den beiden äußeren Figuren, andererseits durch die Gestaltung der Gesichter entsteht. Durch große, mandelförmige grünbraune Augen, blasse Haut, rötlich gefärbte Lippen und ein spitz zulaufendes Kinn werden alle drei beschrieben. Peter Funke vermutet, dass es sich bei den dreien um Schwestern handele,23 wodurch eine potenzielle Verbindung zu dem mythologischen Thema der drei Grazien, den drei Schwestern Euphrosyne, Thalia und Aglaia, durchaus plausibel erscheint. Neben der Verkörperung von Schönheit und Anmut sind die drei Grazien oder Chariten auch zu einem reinen Begriff der Ethik geworden, der sich, wie Veronika Mertens erklärt, auf das zwischenmenschliche Handeln bezieht.24 In diesem Sinne gelten sie als Allegorie der Wohltaten und als Bild freundschaftlicher Verbundenheit.25 Entgegen der geläufigen Darstellungsweise – man denke beispielsweise an die bekannten Darstellungen Raffaels oder auch Rubens – zeigt Funke aber keine unbekleideten Ganzkörperfiguren, sondern bekleidete Halbkörperfiguren. Auch entzieht sie diese dem mythologischen Kontext und verschiebt die Szene ins Theater, ein wiederum sozialgeschichtlich konnotierter Ort, dessen Bühne jedoch Ort für mythologische oder allegorische Themen ist. Die

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lichen Ort herausgeputzt und ausgestellt zu sein.« Und weiter: »Sie werden nicht zu einem ›hübschen Bild‹ gemacht wie die Frau in Renoirs »Die Loge«, wo das Schauspiel, in der die Szene steht, und das Schauspiel, zu dem die Frau gemacht wird, für den angenommenen männlichen Betrachter in eins verschmelzen.«, siehe: Pollock, 1989, S. 324. Funke, 2007, S. 28. Mertens, Veronika: Die drei Grazien. Studien zu einem Bildmotiv in der Kunst der Neuzeit, Wiesbaden 1994, S. 36. Ebd., S. 133.

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

gewöhnlicherweise dargestellte Berührung oder Umarmung der drei Grazien übersetzt Funke mit kompositionellen Mitteln. Die Figuren überschneiden sich nicht nur stellenweise, sie werden auch durch die ovale Formierung sowie durch die gemeinsame Farbpalette aus Blau- und Grüntönen als eine zusammengehörige Figurengruppe inszeniert. Besonders prägnant verdeutlichen die zwei gedrehten Fächer, die zugleich das kompositionelle Oval aufgreifen, das Motiv der Zusammengehörigkeit. Trotz farblicher Differenz sind es doch zwei Fächer der gleichen Art, die in ihrer Positionierung synchronisiert sind und somit zusammengehören. Der eine Fächer funktioniert nicht ohne den anderen Fächer; erst beide im Zusammenspiel ergeben ein vollständiges Oval. Übertragen auf die Figuren sind die Fächer ein Symbol der inneren Verbundenheit der drei Dargestellten. Wenngleich Peter Funke diese Zusammengehörigkeit ebenfalls herausstellt, weist er zugleich auf eine innerbildliche Kontaktlosigkeit der Figuren hin.26 Sind die Drei jeweils in unterschiedlichen Richtungen positioniert, offensichtlich ohne miteinander zu kommunizieren, ist die Formulierung einer Kontaktlosigkeit an dieser Stelle jedoch zu drastisch geraten. Kontakt besteht nicht nur durch Überscheidungen (besonders prägnant an den zwei Köpfen zu erkennen) und feine Übergänge der jeweiligen Konturlinien, sondern auch durch kompositionelle und räumliche Entscheidungen. Drängt zwar eine Stuhllehne mittig in die Gruppe, scheint diese jedoch plastisch ohne Tiefe, so dass der dargestellte Raum äußerst eng erscheint; als säßen alle drei auf einem Fleck. So spiegelt die Gruppe zwar eine Kommunikationslosigkeit untereinander (nicht zum Betrachter), zugleich symbolisiert sie aber eine stille Übereinkunft und innere Vertrautheit und folgt so dem Vorbild der drei Grazien. Durch das Motiv der Schwestern, aber auch durch das Motiv der eingeschränkten Kommunikation, bietet sich ferner der Anschluss an Anton Tschechows Drama »Drei Schwestern«, 1903 in Moskau uraufgeführt.27 Das Titelblatt der Erstausgabe aus dem Jahr 1901 zeigt die drei Schwestern interessanterweise mit ebenjenen Frisuren, die Funke für die Beschreibung ihrer LogeInsassinnen wählte (Abb. 22). Übereinstimmungen zwischen dem Gemälde 26 27

Funke, 2007, S. 28. Ob Helene Funke das Stück selber gesehen hat, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Tatsache ist jedoch, dass Tschechow zu den bis heute meist gespielten Dramatikern weltweit zählt, seine Werke somit eine enorme Verbreitung aufweisen, siehe: Kluge, Rolf-Dieter: Anton P. Čechov. Eine Einführung in Leben und Werk, Darmstadt 1995, S. 118.

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und dem Drama lassen sich aber auch auf inhaltlicher Ebene finden. So konstatiert Rolf-Dieter Kluge, das Drama sei »ein Höchstmaß an gestörter Kommunikation und verhinderter Beziehungen […]«28 . Signifikant darüber hinaus ist die Charakterisierung der drei Schwestern als individuelle Persönlichkeiten, die sich gemäß Erika Fischer-Lichte unverwechselbar in Temperament, Talent, Gewohnheiten, Verhalten, Ausdrucks- und Sprachweise unterscheiden.29 Beschreibt Funke die drei Figuren zwar durch eine starke physiognomische Ähnlichkeit, wodurch der Gedanke der Schwestern naheliegt, achtet sie doch zugleich mit Bedacht auf eine jeweils individuelle Gestaltung der Figuren. Diese ist nicht nur anhand der unterschiedlich farbigen Kleider zu erkennen, sondern auch anhand der Ausrichtung in jeweils unterschiedliche Richtungen, wodurch eine differente Körperhaltung und Positionierung einhergeht. Fischer-Lichtes prägnante Schlussfolgerung findet in diesem Sinne Anknüpfung an die Darstellung Funkes: »Insofern stellen die drei Schwestern eine geradezu idealtypische Verkörperung der Vorstellung von Persönlichkeit dar, wie sie sich im 19. Jahrhundert entwickelt hat«.30 Darüber hinaus macht Fischer-Lichte in Bezug auf das Stück stark, dass trotz gesellschaftlicher und familiärer Voraussetzungen, die letzte Verantwortung für die Gestaltung des eigenen Lebens doch dem Individuum zukomme.31 Die überaus starke Ähnlichkeit der drei dargestellten Figuren findet neben dem Motiv der Schwestern auch eine andere mögliche Erklärung. Funke könnte aufgrund pragmatischer und finanzieller Gründe ein und dasselbe Modell für jede der drei Figuren verwendet haben.32 Es könnte sich aber auch um ein Selbstporträt der Malerin handeln, physiognomische Übereinstimmungen lassen sich zwischen den Figuren und dem wahrscheinlich später produzierten Selbstporträt (ohne Datierung) herstellen. Die Arbeit nach eigenem Abbild macht die Finanzierung eines Modells überflüssig und war durchaus üblich. Auch Paula Modersohn-Beckers Werk »Komposition von drei weiblichen Figuren, in der Mitte ein Selbstbildnis« (1906/07) ist nach dem eigenen Abbild entstanden und wird interessanterweise ebenfalls von 28 29

30 31 32

Ebd., S. 126. Fischer-Lichte, Erika: Geschichte des Dramas. Epochen der Identität auf dem Theater von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 2: Von der Romantik bis zur Gegenwart, 2. Aufl., Tübingen/Basel 1999, S. 112. Ebd. Ebd., S. 121. Diese Vermutung regen die drei Autoren an, siehe: Fischer/de Keijzer/Erlach, 2007, S. 212.

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Funke in ihrer Darstellung »Drei Frauen« (1915) adaptiert (Abb. 23 und 24).33 Es handelt sich dabei um die einzig bisher bekannte Adaption eines Werks einer anderen Malerin. Interessant ist hier auch wie Funke das Motiv der kleinen Schale von Modersohn-Becker aufgreift, aber in die Hände der linken Figur überträgt. Die Konstellation aus drei physiognomisch ähnlichen Figuren wiederholt die Künstlerin folglich in gleich zwei bedeutenden Werken dieser Zeit – wenngleich die thematische Einbettung jeweils eine andere ist. Der autobiografische Kontext der Darstellung »In der Loge« ist besonders vor dem Hintergrund einer emanzipatorischen und politischen Dimension des Werks von höchster Signifikanz. Die Entscheidung für eine Künstlerkarriere bedeutet für Funke wie für jede andere Künstlerin dieser Zeit die Entscheidung gegen finanzielle Sicherheit und familiäre Unterstützung. Allen bürgerlich-sozialen Konventionen zum Trotz wählt Funke ein Lebensmodell, das einzig der Selbstbestimmtheit und persönlichen Freiheit verpflichtet ist. Weder gesellschaftliche noch familiäre Voraussetzung, sondern lediglich die individuelle Verantwortung dienen der Gestaltung des Lebens – ganz wie in Tschechows »Drei Schwestern«. Dieser Abkehr Ausdruck verleihend, inszeniert Funke eine Szene, die – wie sich im Verlauf zeigen wird – als ein Bekenntnis zu einer modernistischen Lebensweise und zu einem modernen Geschlechterverhältnis zu lesen ist.

Das Blickregime34 (in) der Loge Die von Funke dargestellte Szene lädt neben Fragen sozialer und gesellschaftlicher Art geradezu dazu ein, über die Rolle des Betrachters und seine Beziehung zu den Dargestellten nachzudenken. So werden hier explizit der Blick und das Blicken, Sehen und Gesehenwerden sowie die damit einhergehenden Blickbeziehungen zum Bild-bestimmenden Thema erhoben. Dies soll im Folgenden nicht nur anhand der Blickbeziehung zwischen Betrachter und Betrachtetem, sondern auch anhand der Blickregie im Theater, also der Blickregie zwischen Publikum und Bühne, erörtert werden. 33 34

Plakolm-Forsthuber, 1994, S. 130f. Die Debatte um die voyeuristische Blick- und Bildstruktur geht zurück auf Laura Mulvey, die anhand des Hollywoodfilms das schauende Subjekt als männlich, das betrachtete Objekt als weiblich erklärte, siehe: Mulvey: Laura: Visual Pleasure and Narrative Cinema, in: Movie and Methods, Hg. Bill Nichols, Berkeley/Los Angeles 1985.

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Wie bereits beschrieben, blickt jede der drei dargestellten Figuren in Funkes Szene in eine andere Richtung. Einen gemeinsamen Blickpunkt, wie es eine Aufführung sein könnte, gibt es somit – wie auch in den Darstellungen Renoirs und Cassatts – nicht. War die Saalarchitektur des römischen Theaters noch unter akustischen Gesichtspunkten gestaltet, steht ab dem 18. Jahrhundert die Lenkung des Publikumsblicks, also der visuelle Aspekt, an erster Stelle. So schreibt Hans-Christian von Herrmann: »Als poetische Perspektivierungsleistung eines Dichters fand die Tragödienhandlung ihre Entsprechung in einer Theaterarchitektur, die die Augen der Zuschauer in eine gemeinsame Richtung lenkte«.35 Eine gemeinsame Blickrichtung der dargestellten Figuren zeigen aber weder Funke noch Renoir oder Cassatt. Ebenso wenig erlauben die Szenen dem Betrachter den Blick auf die Aufführung oder aber auf den Gegenstand der Betrachtung der Figuren. Nicht das Motiv ihrer Betrachtung wird ausgestellt, sondern die Betrachtung als solche. Zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem changierend, spielt die Darstellung mit dem Begehren des Betrachters, auch das sehen zu wollen, was die Figuren sehen. So wird zum einen das Imaginationsvermögen des Betrachters gefordert, zum anderen wird die Einschränkung des Betrachterblicks zu einer erotischen Kategorie. Das Theaterglas ist in diesem Zusammenhang nicht nur ein Attribut der Loge bzw. des Theaters, sondern auch eine Metapher für eben jene Thematisierung des Blicks.36 So rückt es nicht nur Fernes in greifbare Nähe, sondern verschärft auch die Sicht. Der in Funkes Arbeit dargestellte nach oben gerichtete Blick durch das Theaterglas eröffnet jedoch die Frage, wohin die Figur eigentlich schaut? Was befindet sich im Visier ihres Glases? Würde sie in Richtung der Bühne blicken, müsste sie es zumindest nach unten richten. Schweift sie ziellos durch den Saal? Oder beobachtet sie unbemerkt das Publikum in den Logen oberhalb der eigenen? Adam Czirak erklärt, dass der Theatersaal – im Gegensatz zum Bild oder zur filmischen Sequenz – Freiraum für Blickfixierungen bietet, dass also der ganze Theatersaal und jeder anwe35 36

Herrmann, Hans-Christian von: Das Archiv der Bühne. Eine Archäologie des Theaters und seiner Wissenschaft, München 2005, S. 35f. Bonaventura beschreibt das Opernglas in Renoirs Darstellung auch als Zeichen einer voyeuristischen Neigung, ein Aspekt der an späterer Stelle dieses Kapitels noch von Bedeutung sein wird und daher an dieser Stelle nur am Rande vermerkt sein soll. Siehe: Bonaventura, 2008, S. 139.

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sende Körper darin zu einem potenziellen Objekt des Sehens werden kann.37 Demnach gibt es mehrere mögliche Fixpunkte, die das Umherschweifen der Blicke erklären würde. Auch könnte es sich, wie Plakolm-Forsthuber anregt, um eine Pause während der Aufführung handeln, lässt sich doch eine entspannte Haltung sowie eine »Streuung der visuellen Interessen« der Figuren erkennen.38 Die Tatsache, dass das Umsehen im Zuschauersaal während einer Aufführung verboten war,39 spricht ebenfalls für diese Interpretation. Natürlich kann es sich auch um einen Moment vor der Aufführung handeln, einen Moment also, der das Warten auf den Beginn der Vorstellung beschreibt. Ein weiteres Indiz ist die dargestellte Helligkeit im Saal. Zwar waren der Theatersaal und besonders die Logen ursprünglich auch während der Aufführung mit Kerzen beleuchtet, denn »im Dunkeln hätten die Zuschauer ihre sozialen Rollen nicht vorzeigen können«40 , doch seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird der Saal verdunkelt, so dass die Konzentration auf die Bühne und nicht mehr auf die Präsentation der Gesellschaft im Saal gerichtet ist.41 Nicht nur die Figur mit dem Theaterglas, auch die Figur in dem geblümten Kleid blickt offenbar nicht zur Bühne – es sei denn, diese befinde sich frontal vor der dargestellten Loge –, sondern aus der Szene heraus in Richtung des Betrachters. Dieser befindet sich somit, wie schon bei Renoir, ungefähr auf Augenhöhe mit den dargestellten Figuren. Dass der Betrachter sich in etwa auf gleicher Höhe wie die von Renoir dargestellten Figuren befindet, impliziert für House, dass sich dieser ebenfalls in einer Loge, wahrscheinlich auf der gegenüberliegenden Seite des Saals, befindet. Damit der Betrachter die Figuren aber trotz dieser somit angelegten Distanz in gut erkennbarer Größe vor Augen hat, müsste er, vermutet House, ebenfalls ein Theaterglas benutzen.42 Der so situierte Betrachter würde somit wie die dargestellten Figuren die Platzierung in der Loge nutzen, um die anderen Theaterbesucher zu beobachten, nur dass diese Beobachtung nicht unbemerkt bleibt, sondern von der Figur entdeckt wird. 37 38 39 40 41 42

Czirak, Adam: Partizipation der Blicke. Szenerien des Sehens und Gesehenwerdens in Theater und Performance, Bielefeld 2012, S. 150. Plakolm-Forsthuber, 1994, S. 128f. Dreßler, Roland: Von der Schaubühne zur Sittenschule. Das Theaterpublikum vor der vierten Wand, Berlin 1993, S. 7. Ebd., S. 148. Ebd., S. 149. House, 2008a, S. 30.

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Regt die Darstellung durch den gewählten Ausschnitt, durch die Bildrandüberschneidungen sowie durch den vermeintlichen Blickkontakt zu einer Figur ein Gefühl der Nähe an, wird dieses jedoch nicht konsequent durchgeführt bzw. es wird angedeutet und zugleich gezielt gestört. Denn die Figur blickt zwar wie bei Renoir in Richtung des Betrachters, ihr Augenpaar schweift aber minimal nach rechts ab, sodass ein eindeutiger Blickkontakt nicht hergestellt wird und anstelle dessen ein gewisses Irritationsmoment entsteht. Ist der Betrachter entdeckt worden? Oder kann er seine Beobachtung unbemerkt und somit ganz im Sinne eines Voyeurs43 fortsetzen? Während Funke Nähe nur partiell andeutet, suggerieren viele Arbeiten Mary Cassatts ganz gezielt einen Moment der Nähe, einen Handgriff, den Pollock als typisch weiblich beschreibt: »Im Gegensatz zum Ausdruck der Distanz, wie sie für den Flaneur/Voyeur typisch ist, bestimmen sich die Gemälde von Frauen durch Nähe«44 . Auch hätten feministische Arbeiten zur psychoanalytischen Theorie Nähe und Weiblichkeit miteinander verknüpft, so Pollock weiter.45 Wenngleich diese These durchaus Gefahr läuft, eine vorschnelle Stereotypisierung zu sein, trifft sie zumindest auf die Logenbilder Cassatts und auch zum Teil auf das vorliegende Werk Funkes zu. Doch Funke, im Gegensatz zu Cassatt, setzt Nähe nicht durchweg als kompositorisches Element ein, sondern stößt es an und bricht es zugleich in einer kalkulierten Geste wieder auf. Wie der Blick durch das Theaterglas, den der Betrachter gemäß House einnimmt, markiert sich Nähe hier nur auf den ersten Blick, der zweite aber zeigt, dass der Betrachter auf sichere Distanz (in der gegenüberliegenden Loge) gehalten wird und den Figuren, eingerahmt und zugleich geschützt durch Loge, Vorhänge und Bande, nicht zu nahe kommen kann. 43

44 45

Marcel Barion erklärt im Anschluss an Kemp und dessen Ansatz der Rezeptionsästhetik, dass es einen Voyeur im Sinne eines »ungebetenen Dritten« nicht gebe, sondern dass jedes Werk den Betrachter unweigerlich willkommen heiße, selbst wenn es einen abgeschlossenen Bildraum zeige, siehe: Barion, Marcel: Der ›ertappte‹ Zuschauer – Zum Voyeur in der bildenden Kunst, in: Der Zuschauer. Analysen einer Konstruktion im theaterpädagogischen Kontext, Hg. André Barz/Gabriela Paule, Münster 2013, S. 47. Kemp formuliert es wie folgt: »So zu tun, als sei der Betrachter nicht da, ist eine Fiktion, ein Konzept, eine besondere Form der Perspektive und der Präsentation. Und das heißt weiter: Niemals ist der Betrachter ein Voyeur, auch im Angesicht einer intimen Szene nicht.«, siehe: Kemp, Wolfgang: Der Anteil des Betrachters. Rezeptionsästhetische Studien zur Malerei des 19. Jahrhunderts, München 1983, S. 11. Pollock, 1989, S. 315. Ebd., S. 316.

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Trotz alledem wird die Figur, weicht ihr Blick auch minimal von der hypothetischen Blickachse zum Betrachter ab,46 als adressierbares (nicht unbedingt aber nahbares!) Gegenüber mit geöffneter Körperhaltung charakterisiert, wodurch nicht nur eine potenzielle Relation zwischen Figur und Betrachter entsteht, es verkehrt sich auch die Beziehung zwischen Betrachter und Betrachtetem: Der Betrachter vor dem Bild wird zum Gegenstand der Betrachtung der Figur im Bild. Gleichzeitig, indem der Betrachter zum Objekt der Betrachtung wird, wird ihm ein Platz auf der Bühne zugewiesen. Denn die Bühne, die ja faktisch in der Darstellung nicht zu sehen ist, hat keinen festen Platz, sondern könnte theoretisch überall dort sein, wohin die Blicke der Figuren gerichtet sind, also auch frontal davor. Somit würde der Betrachter selbst auf der Bühne Platz nehmen. Andererseits, ausgehend vom Betrachter vor dem Bild, könnte auch die Loge und damit ihre Insassen zur Bühne werden, sind doch die drei Figuren Objekt der Betrachtung. Anknüpfend an den Gedanken von House, der Betrachter befindet sich selbst in einer Loge mit Theaterglas, würden sich folglich nicht nur zwei Logen, sondern auch zwei potentielle Bühnen gegenüberstehen, wodurch die ursprüngliche Theaterarchitektur, die noch zwischen Bühne und Publikumsraum unterscheidet, aus den Angeln gehoben würde. Folglich werden hier nicht nur Blickbeziehungen verkehrt, sondern auch die (architektonische) Beziehung zwischen Loge und Bühne. Indem Renoirs weibliche Figur durch den direkten Blickkontakt eine potentielle Kommunikationsachse zwischen dargestellter Figur und betrachtendem Gegenüber anbietet, überschreitet sie auch (zumindest mit ihrem Blick) die imaginäre Grenze des Bildraums – ebenjene Grenze, die dargestellte Szene und Betrachterraum in der Regel trennt. Diese sogenannte ›vierte Wand‹ gilt es aber nach Denis Diderot nicht zu überschreiten. »[…] das Bild soll wirken, aber wenn es wirken soll, dann muß es durch die Stringenz seiner inneren Handlung wirken und dann müssen alle Kräfte der Figuren und der künstlerischen Mittel in diesen Vorgang investiert werden, jeder Außenbezug würde die Handlungseinheit schwächen«, beschreibt Kemp Diderots Überlegungen.47 Darsteller – Diderot setzt Theater und Gemälde gleich – sollen folg46

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Schon Lacan erklärte: »Ich kann mich von jemandem angeblickt fühlen, von dem ich nicht einmal die Augen und nicht einmal die Erscheinung sehe. Es genügt, daß etwas mir anzeigt, daß der andere da sein kann.«, siehe: Lacan, Jacques: Freuds technische Schriften. Das Seminar, Buch I (1953-1954), 2. Aufl., Weinheim u.a. 1990, S. 272. Kemp, 1983, S. 11.

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lich ohne Kenntnis des Publikums agieren.48 Barthes schließt an Diderot an: »Das Bild (in der Malerei, im Theater, in der Literatur) ist ein unumkehrbarer, unzersetzbarer, reiner Ausschnitt mit sauberen Rändern, der seine ganze unbekannte Umgebung ins Nichts verweist und all das ins Wesen, ins Licht, ins Blickfeld rückt, was er in sein Feld aufnimmt […]«49 . Wichtig ist hier zudem die Betonung des Ausschnitts, den auch Diderot pointiert, indem er erklärt, das ideale Theaterstück sei eine ununterbrochene Abfolge von Tableaus, also eine Abfolge von Ausschnitten.50 ›Ausschnitt‹ meint das Herausnehmen, das Ausschneiden, eines einzelnen Moments aus einer Handlungsfolge, wodurch der Ausschnitt immer auch ein selektiver Akt ist. Bezüglich eines gemalten Bildes ist ›Ausschnitt‹ außerdem wortwörtlich zu verstehen, nämlich als Beschneidung der Bildfläche an den vier Bildrändern. Beim Film ist der Schnitt wesentlicher Bestandteil, er teilt die unterschiedlichen Einstellungen in szenische Einheiten, findet aber auch wortwörtlich bei der Bearbeitung der Filmrollen seine Anwendung. Im ursprünglichen Verständnis soll der Filmschnitt für den Zuschauer unsichtbar sein, sodass die Bilder als kontinuierliche Abfolgen wahrgenommen werden.51 Das gemalte Bild hingegen kann den Schnitt nicht verstecken, im Gegenteil: Es ist der ausgewählte und somit auch stillgestellte Ausschnitt, der das Bild auszeichnet; das Bild ist, wie Leon Battista Alberti konstatiert, ein Fenster zur Welt,52 dem gleichsam, wie dem Fenster, eine rahmende Begren48 49 50 51

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Leonhardt, Nic: Piktoral-Dramaturgie: Visuelle Kultur und Theater im 19. Jahrhundert (1869-1899), Bielefeld 2007, S. 149. Barthes, Roland: Diderot, Brecht, Eisenstein [1973], in: Ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III, Frankfurt a.M. 1990, S. 95. Heeg, Günther: Jenseits der Tableaus – Das geteilte Bild der Gemeinschaft, in: Performance und Bild, Performance als Bild, Hg. Christian Janecke, Berlin 2004, S. 341. Der klassische Hollywood-Filmschnitt der 1930er und 40er Jahre wird laut James Monaco durch unauffällige Eleganz, Flüssigkeit und Komprimiertheit charakterisiert. Ein besonderer Trick war dabei der sogenannte »unsichtbare Schnitt«, der ein Kontinuum zwischen den Einstellungen herstellen und tote Zeit komprimieren sollte, siehe: Monaco, James: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Filmes und der Medien. Mit einer Einführung in Multimedia, 10. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2008, S. 218ff. Alberti beschreibt es wie folgt: »Vorerst beschreibe ich auf die Bildfläche ein rechtwinkeliges Viereck von beliebiger Größe, welches ich mir wie ein geöffnetes Fenster vorstelle, wodurch ich erblicke, was hier gemalt werden soll.«, siehe: Alberti, Leon Battista: Kleinere kunsttheoretische Schriften, Hg. Hubert Janitschek, Osnabrück 1970, S. 78.

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zung der Sicht zu eigen ist.53 Von Herrmann verbindet die Fenster-Metapher Albertis mit dem Szenischen des Theaters, indem er schreibt: »Während er [der Betrachter] im sicheren Innern eines Hauses steht, wird die ungesicherte Weite des Außen überschaubar, und das eben heißt: zur Szene«54 . Auch die Arbeit Funkes besticht durch den Charakter der Ausschnitthaftigkeit, der die Szenenartigkeit der Darstellung noch betont. Neben einer innerbildlichen Rahmung, die durch Bande und Vorhang evoziert wird, geben die äußeren Bildgrenzen eine eng gesetzte Rahmung vor, die teilweise gar die Figuren über- bzw. anschneidet. Wiederum als Verbildlichung der populären Fenster-Metapher Albertis, kann das Theaterglas gedeutet werden, welches in seiner Form nicht nur einen bestimmten Ausschnitt vorgibt, sondern auch als gerahmtes Fenster funktioniert. Der Blick durch dieses Miniatur-Fenster erlaubt dabei die Überwindung einer gewissen Distanz, die mit bloßem Auge nicht zu überwinden wäre, und damit einhergehend auch das unbeobachtete Beobachten (dem Betrachter vor dem Bild ist es wiederum möglich, die Figur zu beobachten), welches nicht nur durch die Distanz möglich wird, sondern auch durch das Glas selbst, welches verdeckend vor dem Gesicht liegt. Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die Frage nach dem Körper als von entscheidender Bedeutung. Ist dieser fest an seinem Standort verwurzelt – im Falle der Darstellungen in der Loge – ermöglicht das Theaterglas eine imaginäre Ortsverschiebung dorthin, wohin der Blick geht. Das Theaterglas ist in diesem Sinne eine prothetische Verlängerung des Körpers, eine instrumentale Verlängerung des Blicks.55 Gleichzei53

54 55

Auch das Kino wird mit der Fenster-Metapher belegt, so schreiben Elsaesser und Hagener: »Erstens bietet das Kino sowohl als Fenster wie als Rahmen einen besonderen, auf das Auge zentrierten Zugang zu einem (fiktionalen) Geschehen an – ein (in der Regel) rechteckiger Durchblick, der der visuellen Neugierde des Zuschauers entgegenzukommen scheint.«, siehe: Elsaesser, Thomas/Hagener, Malte: Filmtheorie zur Einführung, Hamburg 2007, S. 24. Herrmann, 2005, S. 44. Es ist bekanntlich Marshall McLuhan, der die Medien als Erweiterungen des menschlichen Körpers beschreibt, siehe: McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle. Understanding Media, Düsseldorf/Wien 1968, S. 13. Eco bezeichnet explizit das Fernglas als Prothese: »Wir trauen den Spiegeln so, wie wir Brillen und den Ferngläsern trauen, denn wie Brillen und Ferngläser sind sie Prothesen. Eine Prothese im engeren Sinn ist ein Apparat, der ein fehlendes Organ ersetzt (künstliches Glied, Gebiß); aber im weiteren Sinne ist sie auch jeder Apparat, der den Aktionsradius eines Organs vergrößert.«, siehe: Eco, Umberto: Über Spiegel und andere Phänomene, 7. Aufl., München 2002, S. 35.

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tig, und dies muss als Paradox begriffen werden, wird das blickende Auge zu einem körperlosen Auge, bleibt doch der Körper wie beschrieben stets fest an seinen Standort gebunden.56 Der Blick durch das Theaterglas, also ein entkörperlichtes Sehen, ermöglicht zwar die Illusion einer körperlichen Nähe, diese bleibt aber bloß visuell. Somit vollzieht das Theaterglas zwar eine Trennung zwischen Körper und Blick und auch zwischen zwei Orten, imaginiert aber zugleich die Verbindung beider. Das Theaterglas funktioniert in diesem Sinne also wie die vierte Wand, die sich zwar wie eine Trennwand zwischen zwei Szenen schiebt, gleichsam aber durchsehbar ist und diese somit verbindet. Ist das Theaterglas nur eine symbolische oder imaginierte vierte Wand innerhalb der dargestellten Szene, ist die von Diderot beschriebene vierte Wand zwischen Betrachter und Werk das Werk selbst, nämlich die Bildfläche. Trifft der Blick des Betrachters auf die Bildfläche, also auf die vierte Wand, so wird dieser dort, wie Günther Heeg beschreibt, zur Zerstreuung gebracht.57 In Anschluss an Diderot formuliert Michael Fried die »Fiktion der Nichtexistenz des Betrachters« und verlangt, Figuren dürften sich nicht nach außen wenden, sondern sollten ganz in der Interaktion der Handlung oder in ihrem eigenen Tun aufgehen.58 Es gelte das »Primat der Versunkenheit« (absorption) sowie das Verbot einer nach außen gewendeten »Theatralik« (theatricality). Fried macht aber zugleich deutlich, dass es sich bei der von Diderot angestrebten Nichtexistenz des Betrachters um reine Fiktion handelt, der Betrachter als solcher erfährt vom Bild zwar keine Beachtung, befindet sich aber trotzdem vor der Leinwand und schaut diese an.59 Bild und Betrachter schlie56

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Mit dem Verhältnis von Körper und Auge bzw. Körper und Sehen beschäftigt sich Maurice Merleau-Ponty in seinem Werk »Das Auge und der Geist«. So schreibt er: »Mein beweglicher Körper hat seine Stelle in der sichtbaren Welt, ist ein Teil von ihr, und deshalb kann ich ihn auf das Sichtbare hin richten. Umgekehrt jedoch hängt auch das Sehen von der Bewegung ab.«, siehe: Merleau-Ponty, Maurice: Das Auge und der Geist. Philosophische Essays, Hg. Hans Werner Arndt, Hamburg 1984, S. 15. Heeg, 2004, S. 342. Kemp, Wolfgang: Vorwort zu Michael Fried »Malerei und Betrachter. Jacques Louis Davids Binder Belisarius«, in: Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, Hg. Ders., Köln 1985b, S. 154. Fried beschreibt es wie folgt: »[…] specifically, that he find a way to neutralize or negate the beholder’s presence, to establish the fiction that no one is standing before the canvas.«, siehe: Fried, Michael: Absorption and Theatricality. Painting and Beholder in the Age of Diderot, Chicago/London 1980, S. 108.

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ßen sich folglich nicht aus, sondern stehen in einem zirkularen Verhältnis zueinander.60 Das Konzept der vierten Wand verschließt sich zwar gegen den Betrachter, sieht diesen aber dennoch vor, wie auch Fried verdeutlicht. So ist auch dieses Konzept angelegt auf die äußerste Wirkung,61 der Betrachter soll umso intensiver in das Darstellungsgeschehen hineingezogen werden, gänzlich in diesem versinken. Kemp geht in seinem Modell der Rezeptionsästhetik nun von einem impliziten Betrachter aus, der vor dem Bild Anteil an der Bildgenese nimmt (im Sinne Ecos Idee eines offenen Kunstwerks) und auch bereits in diesem angelegt ist: »Die Betrachter sind immer schon im Bild – vorgesehen, im wörtlichen Verstand«62 . Über die »Faustregel einer sich antinormativ gebenden Kunstlehre«, die davon ausgehe, die Wirkung einer Kunst auf den Betrachter sei um so größer, je weniger sie sich um diesen kümmere – man denke an Diderot–,63 geht Kemp somit hinweg und knüpft an Hegel an, der postuliert: »Wie sehr es nun aber auch eine in sich übereinstimmende und abgerundete Welt bilden mag, so ist das Kunstwerk selbst doch als wirkliches, vereinzeltes Objekt nicht für sich, sondern für uns, für ein Publikum, welches das Kunstwerk anschaut und es genießt«64 . Indem Kemp aus dem ›sondern‹, welches im Hegel’schen Verständnis eine ausschließende Funktion besitzt, ein verbindendes ›und‹ macht, verändert er den Satz zwar nur minimal, aber entscheidend: »Das Kunstwerk ist als wirkliches, vereinzeltes Objekt für sich und für uns, für ein Publikum, welches das Kunstwerk anschaut und genießt«65 . So sei die Prämisse, dass in der Beziehung zwischen Werk und Betrachter das Werk der wirkungsmächtige Teil sei, ebenso falsch, wie die Annahme, dass dem Rezipienten alle Autorität zuzumessen sei.66 Wie schon bei Fried, gestaltet sich das Werk-Betrachter-Verhältnis auch für Kemp als ein dialogisches, in dem beide Parteien in gleichem Maße beteiligt sind. Die Kommunikation zwischen beiden ist aber keine direkte, der jeweils Andere kann stets nur gedacht werden.67 60 61 62 63 64 65 66 67

Ebd., S. 109. Kemp, 1985b, S. 155. Kemp, 1985a, S. 10. Ebd., S. 14. Hegel, Georg Friedrich: Ästhetik, Bd. 1, 2. Aufl., Hg. Friedrich Bassenge, Frankfurt a.M. 1966, S. 259. Kemp, 1983, S. 17. Ebd., S. 31. Kemp, 1985a, S. 23.

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Das Theater, so beschreibt es Barthes, folgt einer geometrischen Struktur, d.h. die Anordnung zwischen Darstellung und Publikum ist geometrisch organisiert.68 Zudem ist das Theater »jene Praxis, die einkalkuliert, wo die Dinge gesehen werden […]«69 . Das Publikum sehe somit nur, was es sehen soll. Die Bühne sei dabei eine begrenzende Linie, die seine Entfaltung gleichsam begrenze. In diesem Sinne sind Theater und Bild strukturell vergleichbare Medien und auch das Kino ließe sich hier, wie es bereits Barthes überlegt,70 anschließen. Allen drei Medien liegt eine ähnliche apparative Struktur zugrunde, die eine festgelegte Relation zwischen Darstellung und Betrachtung forciert, nämlich eine konstruierte und vor allem einseitige Sichtachse. Die Betrachtung ist auf die Bühne, auf die Leinwand (cineastisch oder bildnerisch) ausgerichtet, die Darstellung selbst agiert in sich geschlossen, ohne Reflex nach außen (zum Betrachter/Publikum). Jean-Louis Baudry fasst dieses »konzeptuelle[s] System der Wahrnehmung von Darstellung« für das Kino unter dem Begriff der Apparatustheorie zusammen.71 Nimmt nun aber die Figur, wie im Falle Renoirs, Blickkontakt zum Betrachter auf, wird diese formulierte Struktur verworfen. Die Leinwand wird zur Schwelle. Mit den Worten Thomas Elsaessers und Malte Hageners gesprochen, verbindet und trennt die Schwelle zugleich, denn sie bedeutet räumliche Nachbarschaft.72 Der Raum der Darstellung trifft auf den Raum der Betrachtung. Getrennt und zugleich verbunden werden diese durch die vierte Wand, die nun wie eine durchsichtige Grenze erscheint. Wieder mit Elsaesser und Hagener argumentiert, ist es jene Grenze, die als Vorraussetzung für die Beobachtung dient.73 68 69 70

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Barthes, [1973] 1990, S. 94. Ebd. Mit der Wahl des Titels »Diderot, Brecht, Eisenstein« spannt Barthes den Bogen zwischen Diderots sowie Brechts Theater-Konzept und den filmischen Theorien Eisensteins. Elsaesser/Hagener, 2007, S. 87. Baudry entwickelt seine Apparatustheorie in Anschluss an Christian Metz, unter Bezugnahme von Freuds Vorstellung vom Traum als Wunschverarbeitungsmechanismus, Lacans Spiegelstadium sowie Platons Höhlengleichnis. Im Zentrum seiner Theorie steht laut Elsaesser/Hagener die Idee, »dass das kinematographische Dispositiv einen künstlichen Regressionszustand determiniert«, siehe: ebd. Gemäß Baudry sorge die spezielle Anordnung der Projektoren im Kinosaal sowie die umhüllende Art der filmischen Narration dafür, dass der Zuschauer in eine Art Trancezustand versetzt werde und kaum noch zwischen der Projektion und seiner eigenen Situation unterscheiden könne, siehe: ebd., S. 88. Ebd., S. 51. Ebd., S. 52.

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

Innerhalb des geometrisch strukturierten Theatersaals nehmen die Logen einen besonderen und hervor- bzw. emporgehobenen Platz ein. Ringsherum umgeben sie die Plätze der Galerie und des Parterre und sind – im Gegensatz zum Parterre, das sich in etwa auf Bühnenhöhe befindet74 – in die Höhe konstruiert. Während Plätze in dem Parterre also einen geraden Blick auf die Bühne ermöglichen,75 ist der Blick aus den Logen oftmals schräg, gewährt dafür aber einen übersichtlichen Blick auf das Geschehen – je nach Höhe der Loge mit der Vogelperspektive vergleichbar. Wenngleich die Sicht aus den Logen schlechter ist, wird diese aber sozial bevorzugt.76 Die Logen waren historisch Personen von hohem Rang vorbehalten und boten Platz für etwa vier bis sechs Personen, auch eine eigene Bewirtung war inbegriffen.77 Noch im 17. Jahrhundert ist das Schauspiel ganz auf den »Platz des Königs« ausgerichtet,78 dieser besetzte die der Bühne gegenüberliegende Loge und hatte somit seinem Stand gemäß eine exponierte Position. Fast gottgleich erscheint diese Platzierung,79 die eine distanzierte, zugleich erhöhte und somit alles-übersehende Position erlaubt. Die Publikumsmehrheit allerdings – das gebildete, doch nicht aristokratische elitäre Publikum – nimmt auf den Plätzen im Parterre Platz; Personen von niederem Stand drängen sich in die Galerie ganz hinten im Saal.80 Die Theaterarchitektur konstruiert somit nicht nur festgelegte Blickachsen, sondern zeigte zugleich gesellschaftliche und soziale Hierarchien. Während die Besucher des Parterre in der Menge anonym bleiben, sind die Logen wie Roland Dreßler konstatiert, gewissermaßen kleine Schaufenster, in denen sich die aristokratischen Besucher präsentieren können. »Die Logen-Zuschauer sahen sich auf der ›Bühne‹ gesellschaftlicher Aufmerksamkeit agieren«81 . Sofern die Insassen dies erwünschten, ließe sich die Sicht in die Loge allerdings durch eine Gardine versperren. So ist die Loge gemäß Paul Bonaventura ein Ort, an dem die eigene Präsenz verborgen werden kann, während gleichzeitig die (unbemerkte) Beobachtung anderer möglich ist.82 74 75 76 77 78 79 80 81 82

Der Begriff Parterre geht zurück auf das italienische »par terre« und bedeutet »zu ebener Erde«, siehe: Dreßler, 1993, S. 102. Ebd. Ebd., S. 106. Ebd., S. 107. Hermann, 2005, S. 55. Czirak, 2012, S. 147. Dreßler, 1993, S. 103. Ebd., S. 109. Bonaventura, 2008, S. 139.

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Aneignung und Eigensinn

So konstatiert auch Beatriz Colomina, der Komfort der Loge beziehe sich auf zwei Aspekte, auf Intimität und Kontrolle.83 Somit handele es sich um einen Komfort, der von zwei gegensätzlichen Bedingungen erzeugt werde, er biete Schutz, ziehe aber auch Aufmerksamkeit auf sich.84 »Der ›Voyeur‹ in der Theaterloge ist zum Objekt des Blicks eines anderen geworden; Er wird beim Akt des Schauens ertappt, wird im Augenblick der Kontrolle selbst gefangen«, so Colomina.85 Somit ist die Loge auch mit einem Fenster vergleichbar, das gleich zweierlei rahmt: die Aussicht aus der Loge und den Blickenden in der Loge. Ist die Loge als Fenster zu betrachten, lässt sie sich als Bildmotiv im Anschluss an Alberti metaphorisch verdoppeln und ineinander verschränken. Die Loge im Bild verhält sich wie ein Fenster im Bild und somit wie ein Fenster im Fenster. Anhand des alternativen Bildtitels »L’Avant-scène«, unter dem Renoirs Werk bei der ersten Impressionisten-Ausstellung 1874 geführt wird, lässt sich die dargestellte Loge, wie Colin B. Bailey erklärt, im Theatersaal exakt verorten.86 So handele es sich bei dieser um die sogenannte Orchester-Loge, die Loge, die der Bühne am nächsten und unmittelbar vor dem Vorhang platziert liege. Die Sicht darin sei folglich die schlechteste, dafür aber seien die Insassen wiederum am besten sichtbar. Trotz dieser offensichtlichen Nachteile galt diese Loge als die begehrteste unter den Logen.87 Renoir stellt also im Gegensatz zu Funke nicht primär das Beobachten aus, sondern viel eher das Betrachtetwerden und verweist somit auf die klassische Aufführungssituation. Denn diese folgt, so Czirak, dem Prinzip von Sehen und Gesehenwerden: »Man sieht und wird gesehen«88 . Dabei ist das Gesehenwerden als ein bewusstes und inszeniertes Gesehenwerden zu verstehen, und gerade die Logen dienen häufig dazu, sich und seinen sozialen Stand zu präsentieren, d.h. diesen sichtbar auszustellen. Dieses bewusste sichzur-Schau-Stellen thematisiert Renoir in seiner Darstellung. Die weibliche Figur ist sich ihrer Sichtbarkeit vollkommen bewusst und richtet sich und ihren Körper dementsprechend aus. Mehr noch: Die reich geschmückte und kostspielig gekleidete Dame stellt sich regelrecht zur Schau. Sie nutzt die 83 84 85 86 87 88

Colomina, Beatriz: Die gespaltene Wand: häuslicher Voyeurismus, in: Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, Hg. Christian Kravagna, Berlin 1997, S. 203. Ebd., S. 205. Ebd. Bailey, 2008, S. 341. Ebd. Czirak, 2012, S. 171.

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

Loge als Bühne, wodurch das Verhältnis Zuschauer-Schauspieler unterlaufen bzw. hinterfragt wird. Bei Funke wird dieses Sich-zur-Schau-Stellen deutlich zurückgenommen, nicht nur dadurch, dass die Figuren weniger reich geschmückt und gekleidet sind, sondern auch dadurch, dass der Blick der zum Betrachter ausgerichteten Figur nicht eindeutig als direkter Blickkontakt gelesen werden kann. Viel eher spielt Funke mit der Andeutung einer potentiell möglichen Kommunikation. Dies wird auch motivisch ins Bild gesetzt: Während sich die eine Figur deutlich dem Betrachter zuwendet, wendet sich die Figur daneben von diesem ab und kehrt dem Betrachter stattdessen den Rücken zu – sie verschließt sich geradezu. Der Arm liegt seitlich genau vor der linken Körperseite, so dass der Blick auf diesen nicht freigegeben wird. Symbolisch unterstrichen werden diese zwei konträren Haltungen noch durch die zwei Fächer, die ebenfalls als Gegensatzpaar zu verstehen sind. Ist der blaue nach oben gerichtet, zeigt der rote nach unten; ist der blaue geöffnet, ist der rote geschlossen (sowie auch die Hand, die diesen hält). Kompositorisch bilden die beiden Fächer, unterstützt durch die Haltung der Arme und Hände der Figuren, ein in sich geschlossenes Oval, welches wiederum vergrößert die Komposition der drei Figuren beschreibt. Auch diese bilden ein in sich geschlossenes Oval, welches durch die Bande und den gemusterten Vorhang eingefasst wird. Während also der Blick der drei dargestellten Figuren in drei unterschiedliche Richtungen ausgerichtet ist und so eine einheitliche Blicksetzung nicht vorliegt, was auch als Desinteresse am Betrachter gedeutet werden kann, wird der Blick des Betrachters deutlich gerichtet: Durch die ovale Komposition der Szene wird der Betrachterblick eingefangen und in gelenkter Richtung auf die Szene gebracht. Die Komposition gibt dem Betrachter den Betrachtungsweg vor: Eingefangen von der frontal ausgerichteten Figur, die den Betrachterblick durch das auffällige Muster ihres Kleides sowie ihre Positionierung als ansprechbares Gegenüber als erstes auf sich zieht, wandert der Blick dem Oval folgend weiter zu der Figur mit dem Theaterglas. Über ihren angewinkelten Ellenbogen wird der Blick nun weiter zur dritten Figur geführt, die mit ihrem (vom Bildrand angeschnittenen) Rücken die Szene seitlich schließt und über die Bande zurück zur ersten Figur leitet. Die vollkommene Blicklenkung und auch Richtungsvorgabe des Betrachterblicks steht hier folglich im Kontrast zu der zerstreuten Ungerichtetheit und potentiellen Allumsichtigkeit der dargestellten Figuren. Indem die Figuren in (fast) jede Richtung blicken (oder blicken könnten), erfüllen sie die Vision des totalitären Sehens,

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Aneignung und Eigensinn

die Czirak schon bezüglich der Guckkastenbühne aufstellte: »Die Vorstellung einer Perspektive des Alles-Sehens korrespondiert mit der dominanten Logik des Zeigens im neuzeitlichen Theater, das mit der architektonischen Realisierung der Guckkastenbühne eine vergleichbare illusionäre Vision totalitären Sehens suggeriert(e)«89 . Die Architektur der Guckkastenbühne diene, so Czirak, dazu, dem Zuschauer alles, »was gezeigt werden kann, visuell darzubieten«90 . Durch die architektonische Anordnung des Publikumssaals, die es den Loge-Besuchern ermöglicht, alles und jeden im Raum zu überblicken, lässt sich eine Verbindung zu Foucaults Panopticon ziehen. Durch einen erhöhten, allumsichtigen Standpunkt ist es den Wächtern in einer panoptischen Anlage möglich, die in isolierten, strahlenförmig angeordneten Einheiten gehaltenen Gefangenen jederzeit zu beobachten, ohne dass diese wiederum ihre Beobachter sehen können.91 Einen ähnlichen Standpunkt nehmen auch die LogeInsassen ein, wenngleich diese – im Gegensatz zur Anlage des Panopticons, wo die Aufseher stets unsichtbar bleiben – auch für alle anderen Theaterbesucher sichtbar sind. Konzeptionell scheint es somit im Theater eine Umkehrung bzw. Gleichzeitigkeit des eigentlichen panoptischen Schemas zu geben, befinden sich doch die Loge-Insassen, wie die Gefangenen, in kleinen isolierten und von überall einsehbaren Kabinetten, können aber gleichzeitig, wie die Aufseher, alles sehen. Passend dazu konstatiert Foucault: »Jeder Käfig ist ein kleines Theater, in dem jeder Akteur allein ist, vollkommen individualisiert und ständig sichtbar«92 . Die einzelnen Zellen sind – wie ursprünglich die Logen und der Publikumssaal im Theater – beleuchtet, so dass, wie Foucault schreibt, der Blick des Aufsehers alles erfassen kann. Die Sichtbarkeit jedoch »ist eine Falle«93 . Trotz dieser scheinbaren Umkehrung, stellen die Lo89 90 91

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Ebd., S. 147. Ebd., S. 156. Das Panopticon gestaltet sich nach Foucault wie folgt: »… an der Peripherie ein ringförmiges Gebäude; in der Mitte ein Turm, der von breiten Fenstern durchbrochen ist, welche sich nach der Innenseite des Ringes öffnen; das Ringgebäude ist in Zellen unterteilt, von denen jede durch die gesamte Tiefe des Gebäudes reicht […].« Und weiter: »Jeder ist an seinem Platz sicher in eine Zelle eingesperrt, wo er dem Blick des Aufsehers ausgesetzt ist; aber die seitlichen Mauern hindern ihn daran, mit seinen Gefährten in Kontakt zu treten. Er wird gesehen, ohne selber zu sehen […].«, siehe: Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a.M. [1975] 1977, S. 257. Ebd. Ebd.

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

gen, vor allem die Loge des Königs, aber Räume der sozialen Überlegenheit und gesellschaftlichen Repräsentation dar. Die Insassen der Logen wollen angesehen werden, sind sich der repräsentativen Funktion der Logen bewusst und stellen sich kalkuliert zur Schau. Im Foucault’schen Sinne stellt absolute Sichtbarkeit absolute Macht dar.94 Für die Gefangenen, die nicht wissen, ob und wann sie beobachtet werden, ergibt sich daraus ein Disziplinierungsverhalten;95 sie verhalten sich stets so, als würden sie beobachtet, unabhängig davon, ob dies tatsächlich der Fall ist. Die Macht ist somit entindividualisiert und »körperlos«96 . Übertragen auf die Situation im Theater, bedeutet auch der Platz in den Logen absolute Macht. Allerdings fallen die Aspekte Sehen und Gesehenwerden, die Foucault strikt unterscheidet,97 in der Loge zusammen. Während das Alles-Sehen absolute Macht bedeutet, bedeutet das Gesehenwerden gleichzeitig eine Disziplinierung, die sich im Verhalten, aber auch in der Kleidung, niederschlägt. Die Möglichkeit des totalitären Alles-Sehens ist im Theater nur in den Logen möglich, denn nur diese bieten, durch ihren erhöhten Standpunkt, die Übersichtlichkeit und somit das Alles-Sehen. Während der Blick aus der Loge und somit der Blick der von Renoir und Funke dargestellten Figuren also ein totalitäres Alles-Sehen erlaubt, ist der Blick des Betrachters hingegen, der sich, folgt man House, in der gegenüberliegenden Loge befindet, ein sehr eingeschränkter. Die Bildränder beschneiden die dargestellte Szene zum Teil so weit, dass die Figuren angeschnitten werden, die ausgewählte Darstellung zeigt nur einen sehr kleinen, engen Bildraum. Im Gegensatz zu den Figuren, die in unterschiedliche Richtungen blicken und mit Hilfe des Theaterglases auch eine gewisse Entfernung überblicken können, also potentiell den gesamten Theatersaal betrachten können, ist das Blickfeld des Betrachters durch die Darstellung stark begrenzt und in einen engen Rahmen gebracht. 94

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»Daraus ergibt sich die Hauptwirkung des Panopticon: die Schaffung eines bewußten und permanenten Sichtbarkeitszustandes beim Gefangenen, der das automatische Funktionieren der Macht sicherstellt.«, siehe: ebd., S. 258. Ebd., S. 268. Ebd., S. 259f. »Das Panopticon ist eine Machine zur Scheidung des Paares Sehen/Gesehenwerden: im Außenring wird man vollständig gesehen, ohne jemals zu sehen; im Zentralraum sieht man alles, ohne je gesehen zu werden.«, siehe: ebd., S. 259.

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Funkes Loge als Idealort weiblicher Emanzipation Wie bereits herausgearbeitet wurde, gibt es eine deutliche Differenz zwischen der Logen-Darstellung Funkes und jener Renoirs, die nicht nur durch die Thematisierung des Sehens bzw. des Gesehenwerdens besteht, sondern auch durch die figurale Besetzung der Loge. Das Theater und die Logen sind Orte, die gesellschaftliche, aber auch soziale Strukturen widerspiegeln. Hier werden – zumindest im 19. Jahrhundert – hierarchische Ordnungen nachgebildet und forciert. Im Folgenden soll das Theater als Ort gesellschaftlicher Konstruktion untersucht werden, im Besonderen stehen die Besucher des Theaters selbst im Vordergrund. Diese werden verkörpert in den Werken Renoirs und Funkes, die zwar in gleicher Komposition dargestellt sind, aber eine disparate Haltung aufweisen. Das Theater war ursprünglich, vor den Theaterreformen im 19. Jahrhundert, ein Spiegelbild gesellschaftlicher und sozialer Verhältnisse. Diese werden nicht nur visuell durch die Theaterarchitektur verdeutlicht, also durch die hierarchische Einteilung des Publikumsraums in getrennte Zonen – Loge, Parterre und Galerie –, sondern ermöglichen oder versperren gar den Zugang. Als Regulativ dafür dienen die Eintrittspreise. Im Jahr 1789 etwa kostet ein Ticket des ersten Ranges (Parterre) zwei Taler, ein Ticket des zweiten Ranges (Galerie) einen Taler und die Loge kostet pauschal 32 Taler für 20 Personen.98 In Relation bedeuten diese Preise beispielsweise für eine Köchin den Lohn von zwei Arbeitswochen, also einen Taler, wohlgemerkt für den schlechtesten Platz.99 Somit wird deutlich, dass es sich hier nicht um das angestrebte Zielpublikum des Theaters handelt. Viel eher sichern die hohen Preise die Exklusivität des Publikums und sorgen dafür, dass die ›bessere Gesellschaft‹, wie Dreßler es formuliert, unter sich bleibt.100 In Renoirs Loge befinden sich zwei scheinbar standesgemäße Personen der höheren Gesellschaft. Die männliche Figur trägt die dem Rahmen angemessene Abendgarderobe, bestehend aus schwarzem Jackett und Hose, einer tief und weit geschnittenen Weste, die den Blick auf das weiße Hemd mit versteifter Front freigibt, sowie eine gestärkte, weiße Krawatte.101 Dieses Ensemble wird, so erklärt es Ribeiro, traditionell in der ersten Nacht einer Auf98 99 100 101

Dreßler, 1993, S. 23. Ebd. Ebd. Ribeiro, 2008, S. 46.

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

führung, der Premiere, getragen.102 Das in Prinzessinnen-Form geschnittene und mit kostbarem Schmuck versehene Kleid der weiblichen Figur ist diesem Anlass nicht in gleicher Weise entsprechend, sondern changiert stilistisch zwischen Tages- und Abendgarderobe.103 Darüber hinaus entblößt die Dame nicht nur ihre linke Hand – eine inakzeptable Geste im Theater104 – sondern zeigt auch ein auffälliges Dekolleté. Dieses wird einerseits durch ihre leicht nach vorn gebeugte Haltung, andererseits durch raffiniert davor applizierte roten Rosen in Szene gesetzt. Wahrscheinlich trägt Renoirs Theaterbesucherin, so vermutet Ribeiro, ein sogenanntes »steam-moulded corset« (auf deutsch etwa: ein durch Wasserdampf an den Körper angepasstes Korsett), welches die Brust nach vorn schiebt und den Rumpf betont, um so ein besonders »verführerisches« Dekolleté zu zeigen.105 Rubin beschreibt sie als ein Vergnügen für den Mann, sie füge sich sittsam dem Spektakel der Oberfläche.106 Die Dekolletage, wie Eduard Fuchs festhält, dient in erster Linie der erotischen Stimulanz der Männer.107 Des Weiteren bezeichnet er die stark dekolletierte Abendmode (z.B. auch die »Draufguckbluse«) als ein »geschickt arrangiertes Schaufenster«, das die Blicke der Männer wie ein Magnet auf sich ziehen würde.108 Ein Sinnbild, das umso treffender die erotischen Reize der weiblichen Figur Renoirs beschreibt, als dass bereits die Loge einen Schaufenster-artigen Repräsentationsort darstellt. Zwischen kostspieligen Attributen, wie dem Schmuck oder dem Hermelinpelz, die dem Anlass angemessen, ja gar königlich anmuten, und der weniger passenden, fast anrüchigen Entblößung der Haut an Hand und Brust, ergibt sich eine ambiguitive Differenz. Hinzu kommt die Bemalung des Gesichts sowie die Frisur, die ebenfalls nicht angemessen erscheinen. Diese mangelnde oder widersprüchliche Angemessenheit wurde auch von Zeitgenossen bemerkt, die die weibliche Figur als zweideutig und potentiell störend empfanden.109 Ob sich Nini Lopez, die für Renoir als Modell diente, 102 Ebd. 103 Ribeiro schreibt dazu: »[…] half-way between day-dress and full dress«, siehe: ebd., S. 52. 104 Ebd., S. 49. Die entblößte Hand, die auf dem Handschuh ruht, geht Ribeiro zufolge auf das Vorbild Ingres zurück, siehe: ebd., S. 59. 105 Ebd., S. 48. 106 Rubin, 1999, S. 233. 107 Fuchs, Eduard: Illustrierte Sittengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Band 3: Das bürgerliche Zeitalter, Berlin 1912, S. 218. 108 Ebd., S. 219. 109 Bonaventura, 2008, S. 139.

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selber den Besuch einer Loge im Theater leisten konnte, sei dahingestellt. Allerdings weisen die eingesetzten Doppeldeutigkeiten genau auf diese Frage hin, nämlich auf die der Standesmäßigkeit. Renoir ist sich der Konventionen und der Etikette, die das Theater verlangte, durchaus bewusst – davon zeugt die Abendgarderobe des Mannes. Dass er Abstammung und Stand der weiblichen Figur aber in Zweifel zieht, ja geradezu ausstellt, wie sich das einfache Mädchen Nini ›verkleidet‹, um dem strengen Rahmen des Theaters zu entsprechen, zeugt von einer leisen Infragestellung dieser kulturellen Institution und ihren sozialen Gepflogenheiten. Diesen Aspekt aufgreifend und zugleich verstärkend, stellt Funke in ihrer Darstellung drei Frauen dar, die noch weniger dem sozialen Spielort des Theaters angemessen erscheinen, sind sie doch sehr viel einfacher und schlichter aufgemacht. Die einfarbigen Kleider scheinen aus dickem, festem Stoff zu sein. Nicht die individuelle Materialität unterschiedlicher Stoffe wie Seide, Pelz oder Tüll, die Renoir fein unterscheidet, wird hier ausgestellt, sondern viel eher die Materialität der Farbe, mit der Funke die Kleider formt – man denke hier erneut an die »Tänzerinnen«-Darstellung, die Ähnliches offenbarte. Deutlich erkennbare Spuren eines Spachtels oder eines Palettenmessers verleihen den Kleidern eine gewisse, regelrecht rhythmisierte Oberflächenstruktur. Auf Schmuck wird vollkommen verzichtet, die Figuren sind lediglich mit Fächern, Blumen und einem Theaterglas ausgestattet. Dem Anlass des Theaterbesuchs gebührend tragen sie cremefarbene Handschuhe, die Haare sind zu ordentlichen Frisuren hochgesteckt, wobei sich jene der jeweils außen sitzenden Figuren sehr stark ähneln, wie auch Haarfarbe und Physiognomie der Gesichter. Tragen die Damen Schminke, so ist diese sehr dezent und wenig aufdringlich. Während Renoir sowohl dem Pariser Modediktat wie den Gepflogenheiten des Theaters folgt (wenn auch das Kleid der weiblichen Figur nicht ohne Einwand Angemessenheit verspricht), wählt Funke eine deutlich reduziertere textile Ausstattung. Anstelle eines an der Taille eng geschnürten Korsetts und darüber liegenden mehrteiligen Stofflagen, verziert mit Tüll und Spitze, zeigt sie schlicht geschnittene Kleider aus nur einem Stoff ohne zusätzliche Dekoration. Die zwischen beiden Darstellungen bestehende zeitliche Differenz zeigt sich somit nicht nur anhand formalästhetischer und malerischer Entscheidungen, sondern ebenso deutlich anhand der dargestellten Kleidung, die sich wie ein Seismograph der Zeit verhält. Die im Zuge der Reformbewegungen zur Jahrhundertwende auftretende Kleiderreform, die in besonderem Maße die Damenmode betrifft, tritt in Funkes Arbeit wirkungsmächtig

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

in Erscheinung. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts weisen vornehmlich Ärzte darauf hin, dass die übliche Damenmode, im Speziellen das Korsett und das Tournüregestell, »aus praktischen und gesundheitlichen Gründen unzweckmäßig, schädlich und verbesserungswürdig ist«110 . Die Erneuerung der Frauenkleidung geschieht nach ästhetischen Vorstellungen, hinsichtlich Mobilität, industrieller Warenproduktion und Hygiene sowie nach medizinischen Gesichtspunkten.111 Das Reformkleid sollte den Körper nicht länger formen, sondern ihn umfließen.112 In diesem Sinne sind die von Funke dargestellten einfachen Kleider, ihres Zeichens Reformkleider, als offensives Bekenntnis zu einer modernistischen Reformbekleidung zu deuten. Dieses wird umso prägnanter, bedenkt man die tatsächlich recht geringe Verbreitung des Reformkleides, welches nämlich de facto eher in seinen Manifesten Anwendung fand und weniger in der realen Umsetzung.113 Weniger im alltäglichen Gebrauch als im künstlerischen Kontext fand das Reformkleid Einzug. So entwerfen Künstler wie Henry van de Velde oder Gustav Klimt Reformkleider, die sie weniger als Mode, sondern als Kunstwerk auffassen.114 Ferdinand Hodler stellt ab der Jahrhundertwende seine weiblichen Figuren ebenfalls in langen, fließenden Kleidern dar, die stark an Reformkleider erinnern.115 Zudem bevorzugt Hodler die blaue Farbigkeit zur Gestaltung seiner Frauenkleider116 – auch eine der von Funke dargestellten Figuren trägt ein blaues Kleid; das gemusterte Kleid enthält ebenfalls Blautöne. Die Malerin selber zeigt sich auf einem der wenigen erhaltenen Fotografien in der Kopf-Zeichen-Klasse von Angelo Jank an der Münchener Damen-Akademie in einem Reformkleid, wenngleich 110

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Stamm, Brigitte: Auf dem Weg zum Reformkleid. Die Kritik des Korsetts und der diktierten Mode, in: Kunst und Alltag um 1900, Hg. Eckhard Siepmann, Lahn-Gießen 1978, S. 158. Um die Jahrhundertwende lassen sich etwa 20 Krankheiten der Korsetteinwirkung zuschreiben u.a. die Wanderniere, Gallenkrebs und Atemnot, siehe: ebd., S. 148. Ober, Patricia: Der Frauen neue Kleider. Das Reformkleid und die Konstruktion des modernen Frauenkörpers, Berlin 2005, S. 10. Ebd., S. 26. Bertschik, Julia: Mode und Moderne. Kleidung als Spiegel des Zeitgeistes in der deutschsprachigen Literatur (1770-1945), Köln u.a. 2005, S. 97. Die Reformkleidbestrebungen gelten als ein kurzlebiges Phänomen am Rande; nur wenige Frauen trugen tatsächlich das Reformkleid, siehe: Ober, 2005, S. 14. Bertschik, 2005, S. 91. Christen, Gabriela: »L’art c’est le geste de la beauté«. Blick in die Unendlichkeit und Floraison. Das Wandbild Ferdinand Hodlers für das Kunsthaus Zürich und das Wandbildprojekt für die Zürcher Universität 2002, S. 204. Ebd., S. 202.

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unklar ist, ob sie dies lediglich im Rahmen des Unterrichts, oder auch im alltäglichen Leben trug. Und auch Gertrude Stein, in deren Pariser Haus Funke ein Jahr lang lebt, trägt im Sommer ausschließlich leinene Kimonos.117 Damit einhergehend verweist Funkes Werk »In der Loge« durch die Modernisierung der Kleidung auch auf den emanzipatorischen Akt der Befreiung des weiblichen Körpers, der durch die Reformbewegung angestoßen wird. Bietet sich die Dame in Renoirs Szene mit tief dekolletiertem Kleid, die Brust betonend, wie eine käufliche Ware ihrem Betrachter an, zeigen sich die drei Figuren in Funkes Adaption hoch geschlossen und bedeckt. Sitzt Renoirs Dame starr und kerzengerade nach vorn gewandt, wobei ihr Oberkörper auf unnatürliche Weise unbeweglich wirkt – was wohl dem Korsett geschuldet ist –, demonstrieren Funkes Figuren eine körperliche Mobilität, die sich durch Drehungen des Kopfes wie Bewegungen der Arme und Schultern offenbart. Somit wendet Funke sich gegen die durch das Korsett bezeugte »unselbstständige Position der Frau in Abhängigkeit von einer höheren Instanz«118 und zeigt weibliche Autonomie und Selbstbestimmtheit, anstelle von stillgestellter Passivität. Ist die unpraktisch gestaltete weibliche Garderobe, die Renoirs Dame trägt, nicht nur Blickfang, sondern auch Repräsentation von Reichtum und Wohlstand, die die gesellschaftliche Stellung des Mannes unterstreicht, sind die drei Figuren in Funkes Loge in ihren einfachen Kleidern davon losgelöst und ohne männliche Begleitung. Sie verweisen so nicht auf einen Mann, sondern lediglich auf sich selbst. Die Wahl des Reformkleides ist folglich nicht nur ein Symbol für die physische Befreiung der Frau aus dem Korsett, sondern auch für die psychische Befreiung der Frau aus einer männlichen Dominanz. Weist die Beweglichkeit der Figuren auf eine körperliche Mobilität hin, die durch das Reformkleid erlaubt wird, lässt sich zugleich eine Rückbindung zwischen dem beweglichen Körper und dem beweglichen Auge attestieren. Ist der Körper frei und beweglich, ist auch der Blick frei und beweglich und kann, wie die Darstellung zeigt, in jede Richtung schweifen. Die in drei unterschiedliche Richtungen ausgerichteten Körper und Blicke zeigen so eine symbolische Freiheit, die zum einen mit der architektonisch-exponierten Position der Loge in Zusammenhang steht, zum anderen auf ein psychologisches Moment verweist: Die drei Damen sind nicht nur vom Korsett befreit, 117 118

Stendhal, 1989, S. 52. Auch von Funke gibt es eine Fotografie, die sie mit dem Selbstauslöser aufgenommen hat, die sie im Kimono zeigt. Bertschik, 2005, S. 94.

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sie haben sich auch dem männlichen Einfluss entzogen, denn sie erscheinen ohne männliche Begleitung, ohne männliches Reglement. Eine Vorstudie Funkes zeigt die figürliche Übernahme der Renoir’schen Vorlage und beweist, dass Funke erst in der Entwicklung am Bild zu der Entscheidung findet, den Mann gegen eine Frau auszutauschen (Abb. 25). Umriss die Künstlerin zunächst noch eine männliche Figur, präsentiert das Gemälde eine ausschließlich weiblich besetzte Loge; eine ungewöhnliche Theaterszene. Denn noch im 19. Jahrhundert werden Frauen, so Pollock, nur selten in der Öffentlichkeit dargestellt und dort nur in einer beschränkten Weise.119 Der ihnen zugedachte Raum sei vielmehr der häusliche oder private oder aber »Orte respektierlicher Unterhaltung wie das Theater oder die Oper, Räume bürgerlicher Muße und des rituellen sich Zeigens«120 . Der Theaterbesuch geschieht zudem gewöhnlich nur in männlicher Begleitung, meist erst nach der Heirat.121 Auch ist es Aufgabe des Mannes, das Ticket zu kaufen und sich um Erfrischungen zu kümmern, erklärt Nancy Ireson.122 Die Dominanz des Mannes gegenüber der Frau spiegelt sich somit auch im Theater wider, vornehmlich in der ihr zugedachten passiven Begleitrolle. Von unverheirateten Frauen, die das Theater ohne männliche Begleitung besuchen, erwartet man zudem einen noch strengeren Verhaltenskodex: Die Kleider sollten bescheiden sein, nur wenig Schmuck angelegt und das Dekolleté durfte nicht gezeigt werden.123 Gemäß dieser Konvention wäre die Deutung, dass es sich in Funkes Darstellung um drei unverheiratete Damen handelt, durchaus denkbar. Die Wahl 119 Pollock, 1989, S. 313f. 120 Ebd., S. 314. Weiter schreibt die Autorin: »›Frau‹ wurde verdrängt aus dem öffentlichen Bereich, der Straße und der Stadt, und definiert durch die Einschließung in ein ideologisches Territorium, das ›Privatsphäre‹ hieß: Haus, Garten, Landleben. Öffentlichkeit ist die Sphäre von produktiver Arbeit, Regierung und Verwaltung, Erziehung, Recht, Tausch und GELD. Das Private ist antithetisch dazu produziert, eine Welt aus Heim, Ehefrau, Kindern und Bediensteten – den Männern untergeordnet. Die Frau wurde durch diesen anderen, scheinbar nicht sozialen Raum bestimmt, aus dem Geld und Macht verbannt waren.«, siehe: ebd., S. 320. 121 Ribeiro, 2008, S. 57. Im 18. Jahrhundert war das Theater zudem ein Ort der Prostitution. Wie Dreßler beschreibt, warben Prostituierte im Parterre-Publikum ihre Kunden, so dass der Aufenthalt dort für bürgerliche Frauen nicht statthaft war. Nach 1800 wurde ein Verbot der Prostitution im Theater auferlegt, siehe: Dreßler, 1993, S. 106. 122 Ireson, 2008, S. 20. 123 Ribeiro, 2008, S. 57.

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der schlichten Kleider würde dies unterstreichen. Ausgehend von der Vermutung jedoch, es handelt sich um Reformkleider, lässt sich auch eine andere Möglichkeit in Betracht ziehen: Demonstriert die Darstellung einerseits ein offensives Bekenntnis zu einer modernistischen Kleidung, demonstrieren die weiblichen Figuren durch ihre körperliche wie visuelle Mobilität andererseits eine selbstbestimmte Handlungsfreiheit, die in politischer wie emanzipatorischer Hinsicht die Befreiung aus dem männlichen Diktat bedeutet. Die schmucklosen schlichten Kleider ohne ausgestelltes Dekolleté symbolisieren in diesem Sinne keine der gesellschaftlichen Etikette entsprechende Bescheidenheit, sondern eine bewusste Verweigerung des darbieterischen Habitus einer Frau, um auf dem Heiratsmarkt auf sich aufmerksam zu machen. In diesem Sinne müssen Funkes Theaterbesucherinnen als ihrer Zeit gemäß unkonventionell und avantgardistisch betrachtet werden – charakteristische Merkmale, die wohl gleichermaßen auf ihre Malerin zutreffen und so wie in einem Spiegelbild erscheinen. Auch Funke, nie verheiratet, bewegt sich außerhalb gesellschaftlicher Normen, wählt ein Leben als berufstätige Frau, als Künstlerin, ohne familiäre Anerkennung, sozialen Komfort und ohne große finanzielle Mittel. Wie bereits angedacht, lässt sich die physiognomische Ähnlichkeit zwischen Funke und den drei Dargestellten hier deutend als autobiografischen Bezug anführen. Die Malerin stellt Frauen dar, die ihrer selbst, als Spiegelbild auf der einen, als Sinnbild auf der anderen Seite, entsprechen. So fügt sich auch die These Pollocks an dieser Stelle gewinnbringend an, dass die von Frauen dargestellten Figuren meist der eigenen Person entsprechen, sowohl hinsichtlich Geschlecht als auch sozialer Klasse.124 Die schlichte (Reform-)Kleidung der Figuren ist darüber hinaus auch bezüglich einer sozialen Klassenzugehörigkeit lesbar. Handelt es sich um unverheiratete Damen, vielleicht um berufstätige Frauen, so sind diese stets vom Abrutschen in die Unterschicht bedroht, eben weil sie nicht durch ein männliches Einkommen geschützt werden – so wie Funke selbst. Ob sich diese Frauen den Besuch des Theaters oder gar den Platz in einer Loge überhaupt leisten konnten, bleibt zu fragen. So ist ihre Darstellung auch als eine Geste sozialen Engagements zu verstehen, die mit bestehenden Normen und der hierarchischen Ordnung des Theaters bewusst bricht und ein rein hypothetisches Publikum konstruiert, das durch seine eigentliche Nicht-Existenz eine Kritik an der Welt des Theaters und/oder an der sozialen Hierarchie des Thea124 Pollock, 1989, S. 316.

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terraums erlaubt. Ein Aspekt, der durch die Wahl des einfachen Modells Nini Lopez bereits in Renoirs Darstellung leise angedeutet wurde. Um noch einmal auf das Geschlecht der Logen-Besucher in Funkes Darstellung zurückzukommen: Hier wird nicht nur die männliche Figur durch eine weibliche ersetzt, auch nimmt diese eine aktive Rolle ein. Unterscheidet Renoir noch deutlich zwischen den zwei geschlechtsspezifisch festgelegten Rollen von Mann und Frau, indem die Frau der fremden Betrachtung als passives Schauobjekt ausgesetzt ist, der Mann hingegen durch das Theaterglas aktiv das Sehen ausstellt, ist dies bei Funke ins Gegenteil verkehrt. Es ist nun eine Frau, die durch das Theaterglas blickt und so, wie Plakolm-Forsthuber erklärt, die »visuelle Initiative« ergreift.125 Indem sie zu einer aktiven Beobachterin wird, übernimmt sie zugleich die vormals männliche Rolle. Was Pollock bezüglich der weiblichen Figur aus Mary Cassatts Darstellung »In der Oper« (1879) konstatiert, die ebenfalls durch ein Theaterglas blickt, trifft nun auch auf Funkes Figur zu: »Im Bild sind so zwei Blicke nebeneinandergestellt, von denen der aktive der Frau die Priorität hat. Damit ist ihre Macht bezeichnet. Indem sie den Blick des Betrachters nicht erwidert, bricht sie die Konvention, die dem Betrachter das Recht gibt zu betrachten und abzuschätzen«126 . Pollock bringt hier zwei Aspekte in Zusammenhang, die seit jeher verbunden und bereits an anderer Stelle thematisiert wurden: Blick und Macht. Dass dies besonders im Theater von Bedeutung ist, beweist schon die Theaterarchitektur, die Blickrichtungen vorgibt und nur an einem Platz das totalitäre Alles-Sehen erlaubt: in der Loge des Königs oder des Fürsten. Das totalitäre Alles-Sehen ist somit dem männlichen Herrscher vorbehalten. Funke, wie auch Cassatt, verkehren dies nun aber, indem sie eine weibliche Figur durch das Theaterglas blicken lassen – ein Instrument, welches die absolute Sichtbarkeit selbst in der Ferne erlaubt und somit symbolisch als ein Instrument der königlichen All-Umsichtigkeit zu betrachten ist. »Das dominierende und selbstbeherrschte Beobachten der Frau stellt die Männlichkeit der konventionellen Beobachterposition beunruhigend bloß«, so Pollock.127 Die Darstellung nicht standesgemäßer (weiblicher) Insassen der Loge bietet weiterhin Anknüpfungspunkte an die Entwicklungen innerhalb der Theaterreformen des 19. Jahrhunderts. So etabliert sich das Theater im Laufe des Jahrhunderts als eine Institution der Allgemeinheit, »indem es alle Bürger 125 126 127

Plakolm-Forsthuber, 1994, S. 129. Pollock, 1989, S. 324. Ebd., S. 325.

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einer Stadt, Obrigkeit wie Untertanen, vereinigte […]«128 . Was sonst nur in der Kirche geschieht, geschieht auch im Theater: Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft werden in einem Raum vereint, wenngleich dieser immer noch in unterschiedliche Bereiche unterteilt und eine soziale Hierarchie so stets sichtbar bleibt.129 Der Ur-Sinn des Theaters, so schreibt von Herrmann, sei immerhin ein soziales Spiel, »ein Spiel Aller für Alle. Ein Spiel, in dem Alle Teilnehmer sind, – Teilnehmer und Zuschauer«130 . Dreßler aber stellt fest, wenngleich das Theater sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts als Ort des sozialen Ausgleichs, ja der sozialen Gleichheit entwickele und ein neues Gemeinschaftsgefühl entstehen lasse (Kunst für alle), blieben die unteren sozialen Schichten doch weiterhin ausgeschlossen, während Bildung und Besitz als Zulassungskriterien bestehen blieben.131 Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Entstehung der Volksbühne entstehen Theatergebäude ohne Logen.132 So schreibt auch Stefanie Muhr: »Die obsolet gewordene feudale Struktur wurde durch einen halbkreisförmigen Zuschauerraum abgelöst, der den Besuchern von allen Plätzen einen bestmöglichen Blick zur Bühne gewährte«133 . Diese demokratische Form des Theaters, die sich zur Entstehungszeit des Bildes erst zu entwickeln beginnt, wird in Funkes Umsetzung bereits zum Wesensmerkmal des dargestellten Theaters. Auch wenn die Figuren noch in der Loge Platz nehmen, sind doch weder Stand noch Geschlecht Zugangskriterium. Dem Blick als Metapher für ein hierarchisches System wird darüber hinaus keine bestimmte Richtung vorgegeben, er darf vielmehr in jegliche Richtung schweifen.

Loge und Balkon. Aneignung bei Édouard Manet Das Rückgreifen auf eine Vorlage, hauptsächlich die der Alten Meister, kennzeichnet viele Werke Manets und stellt somit ein verbindendes Moment zu den Arbeiten Funkes dar. Von signifikanter Bedeutung innerhalb dieser sowohl von Manet als auch von Funke praktizierten interpikturalen Arbeitswei128 129 130 131 132 133

Dreßler, 1993, S. 39. Ebd., S. 38. Herrmann, 2005, S. 246. Dreßler, 1993, S. 39f. Ebd., S. 113. Muhr, Stefanie: Der Effekt des Realen. Die historische Genremalerei des 19. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 2006, S. 95.

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se ist zum einen die aktualisierende Neuinterpretation einer Vorlage. Diese erfährt eine malerische Modernisierung sowie eine neue inhaltliche Kontextualisierung. Zum anderen zeichnet sich die Arbeitsweise Manets wie auch die Funkes zum Teil durch die Kombination mehrerer verschiedener Vorlagen aus, die innerhalb einer Darstellung in eine neue Zusammenstellung gebracht werden. Anhand des Werks »Le balcon« (Abb. 26), entstanden 1868-69, wird die besondere Eigenart der Kunst Manets vorgestellt und seine interpikturale Arbeitsweise erläutert. Dies geschieht unter besonderer Berücksichtigung der folgenden zentralen Aspekte: der Umgang mit der Vorlage, das Thema des Blickregimes, das Verhältnis von öffentlichem und privatem Raum sowie die architektonische Einfassung des Balkons, der sich in gewisser Weise sehr ähnlich wie eine Loge manifestiert. Im französischen Sprachgebrauch wird mit dem Begriff »balcon« sowohl der Balkon als auch die Loge beschrieben.134 »What are we to make of the numerous references in his paintings of those years to the work of the great painters of the past?«135 , fragt Michael Fried, der mit seinem Buch »Manet’s Modernism« einen Schlüsseltext in der Manet-Forschung liefert und dessen methodisches Vorgehen u.a. als Folie für die folgenden Ausführungen herangezogen wird. Mit dem vorangestellten Zitat rückt Fried zwei bedeutende Aspekte bezüglich Manets Malerei in den Fokus: zum einen die anhaltende und für den Maler als charakteristisch geltende Praxis der Verwendung von zahlreichen Referenzen. Zum anderen erklärt Fried die Alten Meister zur bevorzugten Vorlage Manets. Studiert hatte der Maler diese auf seinen Reisen oder aber – wie Françoise Cachin es so schön ausdrückt – in seinem ›zweiten Atelier‹, dem Louvre, in dem er unzählige Maler wie Tizian, Velázquez, Tintoretto und Rubens kopierte.136 Werfen einige Historiker Manet vor – wie es auch Funke später vorgehalten wurde –, er verwende Vorlagen nur deshalb, weil er nicht in der Lage sei, eigene Inhalte zu entwickeln oder selbst zu komponieren,137 interpretiert Fried diesen Rückgriff in einer konzeptuellen Weise. In Anlehnung an Nils Gösta Sandblad, der bereits 1954 über Manet schreibt,138 deutet Fried Manets Auseinandersetzung mit den Alten Meistern als eine Möglichkeit der Identifikation, gleichzeitig aber auch als eine Form des Wettstreits, um sich mit den Fähigkeiten 134 135 136 137 138

Neumeister, 1997, S. 176. Fried, 1996, S. 23. Cachin, Françoise: Manet, Köln 1991, S. 13. Fried, 1996, S. 24. Sandblad, Nils Gösta: Manet: Three Studies in Artistic Conception, 1954.

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der Vorbilder zu messen und diese gar zu übertreffen.139 Dabei beschreibt Fried die Verwendung von Vorlagen als ein ernsthaftes, rationales und progressives Unterfangen, wobei jeder Schritt Manets in Verbindung mit jedem anderen gesehen werden müsse. Diese Charakterisierung impliziert durch die Betonung des konzeptuellen Charakters eine klar zu definierende Intention Manets, eine kontinuierlich entwickelte Arbeitsweise mit einer expliziten Zielsetzung, die gemäß den Überlegungen Frieds auf eine Art Paragone mit den Alten Meistern hinwirkt. Dieses intendierte Ziel, das der interpikturalen Methode Manets – also der Aneignung und Verarbeitung fremder Vorlagen – zugrunde liegt, bildet eine methodische Parallele zu Helene Funke, deren Interpikturalität ebenfalls auf einer methodischen Arbeitsweise basiert, aber eine andere Zielsetzung verfolgt. Funke arbeitet nicht in Anlehnung an die Alten Meister, sondern bezieht ihre Quellen mehrheitlich aus der modernen Malerei des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, wobei besonders die Tatsache signifikant ist, dass sie fast ausschließlich männliche Künstler als Vorlagen wählt. Dies lässt sich natürlich auch über Manet behaupten, der ebenfalls Vorlagen aus männlicher Künstlerhand aufruft. Bei Funke wiegt die Geschlechtsspezifik jedoch umso schwerer, als dass sie diese Thematik dezidiert in den Fokus rückt. So greift sie zwar männliche Vorlagen auf, verwandelt diese aber in typisch »weibliche« Szenerien, indem sie ausschließlich weibliche Figuren einsetzt – im Falle der Logen-Darstellung den Mann sogar durch eine Frau ersetzt, eine radikale Setzung! Des Weiteren wählt sie Bildwelten, die traditionell mit Weiblichkeit assoziiert werden, hauptsächlich die den Frauen zugeschriebenen Innenräume wie z.B. das Theater.140 Wie bereits anhand der Werke Funkes beobachtet und als hybride Vermischung unterschiedlicher Vorlagen bezeichnet, greift auch Manet auf mehrere Quellen zurück und verbindet diese in einem Werk. Fried beschreibt dies als eine Koexistenz von vielfältigen Referenzen und nennt mehrere Beispiele.141 So weist »Le Déjeuner sur l’herbe« (1863) um nur eines von vielen Beispielen herauszugreifen, zwei verwendete Quellen auf: Marcantonio Raimondis Kupferstich nach Raffaels verschollenem »Das Urteil des Paris (nach 139

Fried zur Folge zeigt die Darstellung »La Pêche« Manet mit seiner zukünftigen Frau; der Autor deutet dies als eine Anspielung auf Rubens und Hélène Fourment, siehe: Fried, 1996, S. 25. 140 Zur Thematik der weiblich besetzten Räume siehe: Pollock, 1989. 141 Fried, 1996, S. 29.

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Raffael)« (der Kupferstich wird auf 1515/16 datiert) sowie das Werk »Concert champêtre« (1510-1511) von Tizian, das auch Giorgione zugeschrieben wird.142 Letzteres hing in guter Kopie von Henri Fantin-Latour in Manets Atelier, wie Hajo Düchting erklärt.143 Wie die Betrachtung des Gemäldes »Tänzerinnen« von Funke ergab (siehe Kapitel IV), rekurriert auch die Malerin auf mehrere Quellen, die sie geschickt miteinander verwebt und in einen neuen Zusammenhang stellt. Dabei bleiben die Einzelquellen – wie auch im Falle Manets – durchaus sichtbar, ergeben aber in Kombination mit anderen ein neuartiges Bildgefüge. Lüthy thematisiert Manets scheinbar widersprüchliches künstlerisches Verhalten, er erklärt, der Maler strebe einerseits nach absoluter Modernität und suche andererseits zugleich die Rückversicherung bei den Alten Meistern.144 So seien seine Bilder ein Scharnier zwischen Tradition und Moderne.145 Margaret A. Rose beschreibt interpikturale Kunst als ein Mittel der Verflechtung von Vergangenheit und Gegenwart, das veraltete Traditionen diachronisch und auf verschiedenartige selbstreflektierende Weisen aktualisieren könne.146 Greenberg bezeichnet Manet als den ersten Maler des Modernismus, den er als »eine Intensivierung, um nicht zu sagen Verschärfung dieser selbstkritischen Tendenz, die mit dem Philosophen Immanuel Kant begonnen hat« beschreibt.147 Manets Bilder seien deshalb modernistisch, weil sie offen heraus erklären würden, dass sie auf einer planen Fläche gemalt worden seien.148 Diese Betonung der Flächigkeit des Bildträgers (im Original »flatness«) sei für die Selbstdefinition der modernistischen Malerei das fundamentalste Merkmal, denn nur die Flächigkeit sei ausschließlich der Malerei zuzurechnen, sie teile sie mit keiner anderen Kunst. Im Gegensatz dazu würden die Alten Meister eine Illusion der räumlichen Tiefe erzeugen, um in diesen Raum hineingehen zu können, während modernistische Malerei nur mit den Augen betreten werden könne.149 Modernismus 142 Ebd., S. 26. 143 Düchting, Hajo: Manet. Pariser Leben, München 1995, S. 36. 144 Lüthy, Michael: Die Wendung des Blicks, in: Manet – Sehen. Der Blick der Moderne, Ausstellungskat.: Kunsthalle Hamburg, 2016, Hg. Hubertus Gaßner/Viola HildebrandSchat, Petersberg 2016, S. 13. 145 Ebd., S. 18. 146 Rose, Margaret A.: Parodie, Intertextualität, Interbildlichkeit, Bielefeld 2008, S. 123. 147 Greenberg, [1960] 2009, S. 265. 148 Ebd., S. 268. 149 Ebd., S. 273.

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bedeutet für Greenberg deshalb eine allmähliche Auflösung einer Tradition bei gleichzeitiger Weiterentwicklung.150 Die Modernität Manets zeigt sich jedoch nicht ausschließlich in formaler Hinsicht, es ist vielmehr die Verbindung von beidem, von einem modernen Gegenstand – wie der Eisenbahn oder dem Freizeitvergnügen der Bourgeoisie – und einer innovativen Bildgestaltung, wie Maryanne Stevens attestiert.151 Das Bildbeispiel »Le balcon« zeigt auf eindrückliche Weise die Eigenart Manets, es belegt seine Auseinandersetzung mit einer Vorlage – in diesem Fall einer spanischen –, zeugt aber zugleich von einer malerischen Aktualität, die im Sinne Greenbergs als modernistisch zu bezeichnen ist. Neben diesen malerischen Effekten schafft Manet zudem einen inhaltlichen Übertrag ins Jahr 1868 und schafft auf sozialpolitischer Ebene einen aktuellen Kontext. Mit diesen Mitteln zeigt sich Manet nicht nur als äußerst spannender Maler, sondern lässt auch einen Vergleich zur Arbeitsweise Helene Funkes zu, wie sich im Abschluss dieses Kapitels zeigen wird.   Manet bedient sich für seine Balkondarstellung einer prominenten Vorlage: Goyas »Majas on a Balcony« aus den Jahren 1810 bis 1815 (Abb. 27).152 Goya greift seinerseits wohl ebenfalls auf eine Vorlage zurück, wie etwa Bartholomé Esteban Murillos »Two Women at a Window« (1655-60).153 Interessanterweise gibt es von keinem anderen Werk Goyas so viele Kopien und Variationen wie von der Balkonszene, von der Goya selbst drei Ausführungen angefertigt hat.154 Als mögliche Gründe für dieses überdurchschnittliche Interesse an dem Motiv nennt Nigel Glendinning Goyas wagemutige, unkonventionelle und anti-akademische Umsetzung sowie das ausgestellte spanische Moment 150 Ebd., S. 276. 151 Stevens, Maryanne (Hg.): Manet: Portraying Life. Themes and Variations, in: Manet: Portraying Life, Ausstellungskat.: Royal Academy, 2013, London 2012, S. 25. 152 Manet hatte, wie Cachin ausführt, mehrere Gelegenheiten, Goyas Werk zu betrachten: in der Galerie Espagnole im Louvre, wo es 1848 ausgestellt wurde; 1865 in Seville im Palacio San Telmo während seiner Spanien-Reise. Darüber hinaus wurde es in Charles Émile Yriates Buch »Goya«, das 1867 publiziert wurde, reproduziert, siehe: Cachin, Françoise: The Balcony, in: Manet. 1832-1883, Ausstellungskat.: The Metropolitan Museum of Art, 1983, New York 1984, S. 304. 153 Tomlinson, Janis A.: Majas on a Balcony, 1814-1819?, In: Goya – Images of Women, Ausstellungskat.: National Gallery of Art, 2002, Hg. Dies., Washington 2002, S. 246. 154 Glendinning, Nigel: Variations on a Theme by Goya: Majas on the Balcony, in: Apollo 103 (1976), S. 40. Die drei Ausführungen entstehen zwischen 1808 und 1814, siehe: ebd., S. 43.

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der Szene.155 Darüber hinaus verkörpere die provokative Weiblichkeit, zum Beispiel die verführerischen Kleider, eine ungewöhnliche Modernität. Manets »Le balcon« in Rückgriff auf Goya zeugt erneut von seinem großen Interesse an Spanien und der spanischen Malerei,156 wenngleich »Le balcon« eines der letzten Beispiele für Manets Hispanismus ist.157 Die Idee für die Darstellung hat Manet bereits im Sommer 1868, wo er, wie Françoise Cachin erklärt, in Boulogne-sur-Mer einige Menschen auf einem Balkon beobachtet.158 Kompositorisch greift Manet Goyas strenge Einfassung der Szenerie auf. Eine horizontal verlaufende Balkonbrüstung begrenzt die Szene frontal und bildet so ein distanzierendes Moment zum Betrachter, der vor der Darstellung verortet bleibt und den Balkon lediglich visuell betreten kann. Während Goya zwei weibliche Figuren direkt an der Balkonbrüstung platziert und deutlich deren Zuwendung zur Außenwelt betont, sitzt in Manets Umsetzung lediglich eine weibliche Figur (Berthe Morisot) direkt an der Brüstung, während eine zweite (Fanny Claus) den Balkon gerade zu betreten scheint.159 Eine männliche Figur (Antoine Guillemet) befindet sich mittig hinter den beiden weiblichen Protagonistinnen und bildet kompositorisch so die Spitze eines strengen Dreiecks. Fensterläden rahmen Manets Arbeit darüber hinaus auch 155

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Ebd., S. 40. Glendinning erklärt darüber hinaus, dass das größte Interesse an Goyas Darstellung in der Mitte bzw. in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestand, siehe: ebd., S. 42. Als prominente Beispiele für die Bezugnahme auf Goyas »Majas on a Balcony« nennt er unter anderem Dióscoro Teófilo Pueblas »Maja on a Balcony« (1871), José Lloveras »Waiting for the Procession« (1880-96), James McNeill Whistlers »Variations in Flesh-Colour and Green: The Balcony« (1867-68), Berthe Morisots »On the Balcony« (1872) und natürlich Édouard Manets »Balcony« (1868-69). Viola Hildebrand-Schat erklärt Manets großes Interesse an der spanischen Malerei, die im Rahmen einer allgemeinen Spanieneuphorie in Frankreich ab ca. 1820 zu betrachten ist. Manet reiste 1865 nach Madrid und besuchte dort den Prado, außerdem konnte er bis 1853 die umfangreiche Sammlung von Louis-Philippe im Louvre sehen, siehe: Hildebrand-Schat, Viola: Manet und Spanien, in: Manet – Sehen, Ausstellungskat., 2016, S. 122ff. Neumeister, 1997, S. 186. Das 1865 entstandene Werk »Angélina« stellt laut Cachin die erste Auseinandersetzung mit diesem Bildthema dar. Als weitere Vorstudie müsse das »Porträt der Mademoiselle Claus« aus dem Jahr 1868 betrachtet werden, siehe: Cachin, 1984, S. 302. Die drei auf dem Gemälde zu erkennenden Figuren sind bereits früh identifiziert worden: Für die sitzende weibliche Figur stand Berthe Morisot Modell, die stehende weibliche Figur wurde von Fanny Claus verkörpert, und für den hinter den beiden Frauen stehenden Mann posierte der Landschaftsmaler Antoine Guillemet, siehe: Bätschmann, Oskar: Edouard Manet, München 2015, S. 71.

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vertikal, wohingegen Goyas Szene seitlich unbegrenzt und damit offener und ausschnitthafter erscheint. So drängt sich die Frage auf, ob es sich hier tatsächlich um einen Balkon handelt, da die charakteristischen Elemente eines solchen – der Anschluss an einen Innenraum sowie eine Tür als Verbindung zwischen Innen und Außen – fehlen.160 Oder ist die Goya’sche Szene in einer Art offenem Verbindungsflur zwischen zwei Wohnungen situiert? Die weiblichen Figuren der Szene werden von zwei männlichen Figuren umgeben, zwei Wächterfiguren mit finsterer Miene, die Majos.161 Diese befinden sich zwar hinter den zwei Majas, jedoch ebenfalls auf dem Balkon162 , auf einen angrenzenden Innenraum verzichtet Goya. Die zwei Majas tragen hochwertige und aufwendig verzierte Seidenkleider mit Goldbesatz sowie typisch spanische Schleiertücher, sogenannte Mantillas.163 Aus der Kombination von Mantilla und Kleid entsteht ein markanter Farbkontrast aus Schwarz und Weiß, der sich auch in der farblichen Gesamtgestaltung des Werks wiederfindet. Christoph Behrens verortet die Majas nicht nur in der unteren Bevölkerungsschicht – was er an den campagnolen Kleidern abliest –, sondern erklärt die Majas zugleich zum Inbegriff Spaniens. 164 So sei die Figur der Maja im 19. Jahrhundert zu einem Imitationsideal für die spanische Aristokratie geworden, um sich vor allem auch durch die Mode von den französischen Besatzern abzugrenzen. Gleichzeitig war die Figur der Maja ein Symbol für die Wiederbelebung des spanischen Nationalismus.165 Die Majos, so Behrens weiter, erinnern an napoleonische Soldaten und bilden so eine markante Gegenposition, die der Darstellung einen politischen Unterton verleiht. Formal stärkt Goya den Kontrast durch die horizontale Gliederung der Szene, wobei 160 Neumeister, 1997, S. 176f. 161 Licht, Fred: Goya. Die Geburt der Moderne, München 2001, S. 116. 162 Trotz Zweifeln an der von Goya dargestellten Örtlichkeit wird im Folgenden weiterhin auf den Begriff des Balkons zurückgegriffen, da es keine schlüssige Alternativerklärung gibt. 163 Glendinning, 1976, S. 43. 164 Behrens, Christoph: Sehen und Gesehenwerden: Leopardis balcone zwischen Goya und Manet, in: Bilder-Texte-Bewegungen. Interdisziplinäre Perspektiven auf Visualität, Hg. Berit Callsen/Sandra Hettmann/Yolanda Melgar Pernías, Würzburg 2016, S. 29ff. Schon der französische Schriftsteller Charles Yriarte bemerkte, dass Goya allzu deutlich das Spanische in Form von Kleidern und Habitus in seinem Gemälde ausstelle, siehe: Glendinning, 1976, S. 40. 165 Serraller, Francisco Calvo: Goya’s Women in Perspective, in: Goya: Images of Women, Ausstellungskat.: National Gallery of Art Washington, 2002, Hg. Janis A. Tomlinson, Washington 2002, S. 39.

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die Majas den vorderen präsenten Teil, die Majos den dahinter im Schatten liegenden Teil des Balkons bespielen. Dabei tragen die Majos dunkle Umhänge, die sie im Fall der rechten Figur gar als visuellen Schutz verwenden, während sich die Majas mit ihren silbrig-weißen glänzenden Kleidern deutlich davon abheben. Eine Verbindung erhalten beide Paare, wie Behrens konstatiert, durch die Blicke der Majos, die auf die Majas gerichtet sind.166 Die visuelle Bewachung der Majas durch die Majos lässt sich so als Metapher für die faktische Besetzung Spaniens durch Frankreich lesen. Bleibt der Hintergrund in Goyas Darstellung unbestimmt, einzig durch einen auf die Majas hinab scheinenden Lichtkegel strukturiert, der auch die dunkle Wand hinter den Majos bespielt, fügt Manet durch ein angrenzendes Interieur eine weitere narrative Ebene hinzu. Manet verleiht seinem Balkon so nicht nur eine scheinbare Tiefe, die aufgrund ihrer Dunkelheit und formalen Gestaltung jedoch wenig Tiefenillusion zu entfalten vermag, sondern betont so auch die architektonische Funktion des Balkons als ein transitorischer Ort, ein Schwellenraum zwischen Innen und Außen, Privatheit und Öffentlichkeit.167 Die Charakteristik eines Schwellenraums wird noch durch die Figur des Antoine Guillemet unterstrichen, befindet sie sich doch scheinbar auf der Schwelle zwischen Balkon und Innenraum und lässt sich so als Schwellenfigur bezeichnen. In der Dunkelheit links neben Antoine Guillemet erscheint noch eine weitere Figur, ein Junge, der ein Kaffeeservice trägt und sein Gesicht in Richtung der geöffneten Balkontüren wendet. Identifiziert wird er als Léon Koëlla-Leenhoff, der Sohn von Manets Ehefrau Suzanne Leenhoff.168 Hinter und mit Léon verschließt sich der Raum. Ein dunkles Holzregal mit Geschirr und gerahmten Bildern schluckt nicht nur jegliches Gefühl von Tiefe, sondern unterstützt die flächige Konstruktion des Bildaufbaus, die im Sinne Greenbergs als »flatness« zu bezeichnen ist. Wenngleich Goyas Gemälde keinen expliziten Hintergrund aufweist, gelingt es Goya doch durch das Lichtspiel eine gewisse Tiefenillusion zu suggerieren, so dass seine Szenerie tatsächlich plastischer wirkt als die von Manet. Viele andere Werke Goyas zeugen allerdings, wie Marianne Koos herausstellt, von einer dezidierten Arbeit mit der Oberfläche – wie auch der Balkon beweist, schließlich bleibt 166 Behrens, 2016, S. 31. 167 Zur Besonderheit des Balkons schreibt Sebastian Neumeister, der Balkon sei ein »Zwischen-Raum« zwischen Innen und Außen, zwischen Zimmer und offener Landschaft, der zu dieser hin keinen vollständigen Abschluss habe, nur eine Balkonwand oder -balustrade, siehe: Neumeister, 1997, S. 176. 168 Glendinning, 1976, S. 44.

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die Aufmerksamkeit zunächst auf den Majas und ihren schimmernden Kleidern verhaftet. Goya stelle so immer wieder die traditionellen Kategorien der mimetischen Malerei in Frage, seine Bilder brächten dabei die illusionierten Bildräume zum Korrodieren.169 Hier lässt sich also ein Bogen spannen zwischen Goyas Oberflächenbetontheit und Manets ausgestellter Flächigkeit, die das Darstellen selbst darzustellen versucht.   Ein wesentlicher Aspekt beider Werke – der Vorlage Goyas und der Umsetzung Manets – ist der des Blicks. Das Arrangement der Blicke steht in engem Zusammenhang mit der Komposition der jeweiligen Darstellungen. Goya rückt die beiden Majas nahe zusammen, suggeriert durch die Zuwendung der Köpfe beider eine enge Vertrautheit der Figuren. Diese agieren kompositorisch wie zwei Hälften eines Ovals, zusammen ergeben sie eine harmonische Form, die Einheit verkörpert. Während beide Majos auf die Majas schauen und so eine Verbindung markiert wird, blicken die Majas nicht auf einen gemeinsamen Punkt, sondern fixieren jeweils Unterschiedliches. Blickt die rechte Maja diagonal nach unten – vermutlich auf das Geschehen der Straße – blickt die linke zum Betrachter und richtet dabei die rechte Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger zu ihrer Nachbarin. Diesen Zeigegestus deutet Behrens als ein Anpreisen,170 wobei weniger die Passanten der Straße als vielmehr der Betrachter vor dem Bild adressiert wird. Durch ihre Platzierung unmittelbar an der Balkonbrüstung sind beide Figuren gleichermaßen sichtbar. Ihre Herrichtung in teuren Kleidern sowie die Bewachung durch die Majos verleihen den beiden weiblichen Figuren den Charakter zweier Ausstellungsstücke, deren Funktion es ist, die Blicke der Fußgänger (und des Betrachters) auf sich zu ziehen. Der Balkon kommt dabei einem Schaufenster gleich, eine Örtlichkeit, die in dieser Zeit bereits existiert. Bezeichnenderweise wird auch die Theaterloge dem Vergleich mit einem Schaufenster unterzogen.171 Dabei ist es die von Funke für ihr Werk verwendete Vorlage »La Loge« von Renoir, in der die ausgestellte Dame ähnlich wie in einer Auslage präsentiert wird. Wie eine Ware – man beachte auch das üppige Dekolleté – werden die beiden Frauen auf Goyas Balkon (und auch in Renoirs Loge) platziert, dabei scheint ihnen dies jedoch nicht im mindesten 169 Koos, Marianne: Sur/face. Manet malt Mlle. E.G.*, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 78 (2005), S. 247. 170 Behrens, 2016, S. 31. 171 Siehe dazu das Unterkapitel Das Blickregime (in) der Loge.

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unangenehm, im Gegenteil, die lächelnden Gesichter, der interessierte Blick auf das Straßengeschehen zeugen von einer vergnügten Stimmung. Wäre es an dieser Stelle leicht, die Majas als Prostituierte zu charakterisieren, wie es auch Glendinning andeutet,172 widerlegt Fred Licht dies und erklärt: »Goya war stets von den selbstsicheren Frauen fasziniert, wie zum Beispiel jenen typisch madrilenischen Frauen, die ›Majas‹ genannt wurden und natürlich nicht mit Prostituierten zu verwechseln sind«173 . Interessanterweise blenden beide – Funke und Manet – die warenartige Schaustellung der weiblichen Figuren in ihren Umsetzungen radikal aus, verleihen ihren Darstellungen jedoch jeweils einen anderen sozialen Kontext, wie sich im Falle Manets noch zeigen wird. Wie auch in Manets »Le balcon« und ebenso in Funkes »In der Loge« sind die Figuren Goyas gleichermaßen aktiv wie passiv. Der aufmerksame Blick zum Betrachter und auch ihr Zeigegestus markiert die linke Maja als aktive Akteurin, während die rechte durch den hinab gewandten Blick eher als Betrachtungsobjekt – wenngleich sie auch selber aktiv blickt – erscheint. Behrens deutet den aktiven, zum Betrachter gerichteten Blick der linken Figur als einen Ausbruch aus der tradierten Thematik der Frau am Balkon und darüber hinaus als einen politischen Akt des Blickwechsels, wodurch der Balkon als ein Ort der Machtumkehrung inszeniert wird.174 Sebastian Neumeister verweist in seinem Aufsatz ebenfalls auf die »männliche« und »weibliche« Nutzung des Balkons, die passive Rolle der Frau und die aktive des Mannes, die Neumeister z.B. mit dem königlichen Balkon, also einem Ort, an dem sich (männliche) Regenten ans Volk wenden, untermauert.175 Wenngleich auch Goyas Majas den Charakter eines passiven Schauobjektes nicht ganz abstreifen können, so sind doch die Majos lediglich als blasse Staffagefiguren inszeniert, die zwar in ihrer Anwesenheit deutlichen Symbolcharakter haben, in ihrer Darstellung jedoch lediglich eine Schattenexistenz fristen und trotz ihrer Bewachungsfunktion passiv und wenig handlungsorientiert wirken. Die Gegenüberstellung von Frauen und Männern als oppositionelle Typen ist charakteristisch für Goyas Darstellungen.176 172 173 174 175 176

Glendinning, 1976, S. 42. Licht, 2001, S. 116. Behrens, 2016, S. 32. Neumeister, 1997, S. 180. Tomlinson, Janis A.: Goya: Images of Women, in: Goya: Images of Women, Ausstellungskat., 2002, S. 19.

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Der Aspekt des Sehens – charakteristisch für Manets Œuvre177 – ist auch in »Le balcon« ein signifikantes Motiv. Jede der Figuren blickt, wie auch in Funkes Darstellung, in eine andere Richtung: Fanny Claus blickt unmittelbar zum Betrachter, doch ihr Gesicht erscheint verschwommen, wie Behrens beobachtet,178 Berthe Morisots Blickrichtung führt nach unten links, möglicherweise beobachtet sie das Treiben auf der Straße. Guillemet blickt und wendet sich starr nach rechts. Durch diese differenten Blickpunkte, denen kein gemeinsamer Beobachtungspunkt zugrunde liegt, sind die Figuren auf einer narrativen Ebene streng isoliert. Lüthy konstatiert, der Blick vereinzele die Figuren und mache sie auf besondere Weise einsam.179 Es scheint, als wären die drei Figuren Fremde, die lediglich einem Zufall geschuldet am selben Ort verweilen. Zwar sind sie kompositorisch in Form eines Dreiecks zusammen gehörig, bleiben aber ohne jeglichen narrativen Kontakt untereinander. So als gebe es keine Handlung, keine Erzählung, konstatiert Bätschmann.180 Ohne gemeinsames Betrachtungsziel, befindet auch Düchting die Beziehung der Figuren als vollkommen unklar.181 Ist eine gemeinsame Zielgerichtetheit der Figuren zwar nicht erkennbar, muss an dieser Stelle der Behauptung Bätschmanns aber widersprochen werden. Mangelnde Interaktion zwischen den Figuren ist nicht gleichzusetzen mit mangelnder Narration. Befinden sich Guillemet wie Léon im Hintergrund inmitten einer Vorwärtsbewegung, streift sich die stehende Fanny Claus just in diesem Moment ihre Handschuhe über die Hände, als würde sie gleich aufbrechen, sind allein dies narrative Elemente. Lüthy erklärt, dass tatsächlich oft das Einzige, was in den Bildern Manets geschehe, also ihre eigentliche Handlung, der Blick sei.182 Als Blicke seien sie auf Kommunikation angelegt, die aber aufgrund der Unklarheit des Gegenübers unvollständig bleiben würde. Der Betrachter versucht mit seinem Blick den Blicken der Bild-Protagonisten zu folgen, nachzuvollziehen was sie sehen, doch es mag nicht gelingen, da das Objekt, das die Blicke der Figuren auf sich zieht, für den Betrachter unsichtbar bleibt. So haftet der Szene ein unbefriedigender Eindruck des nicht-Verstehens, des nicht-Verstehen-könnens an; die Darstellung verweigert sich einer geschlossenen und in sich logischen Bildsemantik. 177 178 179 180 181 182

Lüthy, 2016, S. 13. Behrens, 2016, S. 35. Lüthy, 2016, S. 14. Bätschmann, 2015, S. 72. Düchting, 1995, S. 60. Lüthy, 2016, S. 14.

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

Die unterschiedlichen Blickrichtungen der Figuren deutet Behrens als eine epistemologische Zerstreuung, die an die Imagination des Betrachters appellieren solle, dem Bild ein (mentales) Bild zu schenken.183 Fanny Claus kommt dabei eine besondere Bedeutung zu: Fanny werde einerseits, so Behrens, durch ihre Kopfbedeckung, den Bibi, als Schmuckelement als ›weibliches‹ Objekt des Gesehenwerdens präsentiert. Ihr starrer Blick jedoch definiere sie zugleich als aktives, sehendes Subjekt. Die Figur der Fanny entfalte sich so an der Grenze dieser beiden aus renaissancistischer und modernistischer Sicht unvereinbaren Blickrichtungen. Der Balkon wäre demnach ein Ort der »Bruch- und Nah(t)stelle«, ein Raum, der Intimität und Öffentlichkeit, Zeitlosigkeit und Momentaufnahme verbinde.184 Durch das Herauswenden der Blicke – es ist Fanny Claus, die zum Betrachter blickt – verkehren sich laut Lüthy zudem die Raumenergien: Das Gemälde eröffne kaum Tiefe (was bereits bezüglich der formalen Gestaltung festgestellt wurde), sondern projiziere den Raum nach vorn in Richtung des Betrachters, so dass der Raum zwischen Bild und Betrachter zum eigentlichen Schauplatz der Darstellung werde.185 Die Leinwand werde dabei zwar von beiden Seiten überschritten, bleibe aber trotzdem eine unüberwindbare ontologische Grenze, die Realität und Fiktion trenne. Die innere und äußere Zusammenhanglosigkeit der Balkonszene zersetze, so Lüthy weiter, den eigentlichen Charakter des Bildes, nämlich den des Porträts, und lasse den Balkon zu einem Experimentalbild eines neuartigen, die Salon-Besucher befremdendes Bild-Betrachter-Verhältnis werden, an dem die dargestellten Figuren wie bloße Statisten mitzuwirken scheinen.186 So würde der Aspekt des Sehens, der im Balkon-Bild allzu deutlich sichtbar wird, Manet zu einem der entschiedensten Verfechter malerischer Autonomie machen. Auch André Dombrowski stellt die systematischen Brüche mit den Darstellungskonventionen heraus, die Manets Balkon aufweist, er benennt diese als die fehlende Narration, die Abwesenheit jeglichen Zusammenhangs zwischen den Figuren und den anderen Elementen und die Unbestimmtheit der Gesten und Rollen der Figuren.187 Damit unterwandere Manet die malerischen Kriterien der Akademie. 183 184 185 186 187

Behrens, 2016, S. 35. Ebd., S. 36. Lüthy, 2016, S. 14. Ebd., S. 17. Dombrowski, André: Leben auf Manets Balkon, in: Manet – Sehen, Ausstellungskat., 2016, S. 136.

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Aneignung und Eigensinn

Barbara Wittmann stellt in ihrem Beitrag für die Manet-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle 2016 die Bedeutung der Figur der Berthe Morisot heraus. Sie hält fest, dass Manet mit dem Balkon-Bild den Blick eines MalerFlaneurs inszeniere, der im alltäglichen Straßenleben ein Tableau vivant finde und dabei sein neues Modell entdecke.188 Die scheinbar zufällige und spontane Szene weist in ihrer strengen Komposition aber nur allzu deutlich darauf hin, dass es sich um eine kalkulierte Bildkonstruktion handelt. Dabei werde, so fährt Wittmann fort, das Interesse auf Morisots Gesicht gezogen, das ein »Schärfezentrum zwischen den verwischten und weniger artikulierten Physiognomien von Fanny Claus und Antoine Guillemet bildet«189 . Weiterhin erklärt sie, dass das Gemälde insgesamt auf eine »Beschleunigung der Rezeption« angelegt sei; der Balkon komme dem Betrachter förmlich entgegen. Damit knüpft Wittmann an Lüthys Argumentation an, dass die Darstellung kaum illusionistische Tiefe eröffne, sich dafür aber in den Raum des Betrachters ausweite.   Um das in der Darstellung Manets thematisierte Verhältnis von öffentlichem und privatem Raum zu beleuchten, sei zunächst noch einmal ein Blick auf die Vorlage von Goya geworfen. Der spanische Maler zeigt in seiner Szene eine Balkon-artige Örtlichkeit, die sich deutlich der Schaustellung bzw. Präsentation der Figuren verschreibt. Die Gitterbalustrade markiert dabei eine faktische, nicht aber visuelle Begrenzung, die den Raum der Figuren von dem des Betrachters abgrenzt. Wenngleich das Motiv der Schaustellung den Eindruck erzeugt, dass es sich hier um einen öffentlichen Raum handelt, ist es die Balustrade, die diesen Eindruck nivelliert. Der Balkon ist visuell sichtbar, aber nicht öffentlich betretbar, wenngleich er wiederum auch nicht privat erscheint – dafür fehlt ein angrenzender Innenraum. Indem Manet nun anders als Goya ein Interieur an seinen Balkon ansetzt – wie Skizzen beweisen, erst spät innerhalb der Entwicklung der Darstellung190 –, unterstreicht er die architektonische Besonderheit des Balkons als Schwellenraum zwischen Innen und Außen, privat und öffentlich. Wo Goyas Figuren noch den Balkon nutzten, um sich zu präsentieren, scheint der Manet’sche Balkon noch viel deutlicher ein Ort der Beobachtung zu sein. Der 188 Wittmann, Barbara: Malerei auf den ersten Blick. Édouard Manets Bildnisse der Berthe Morisot, in: Manet – Sehen, Ausstellungskat., 2016, S. 94. 189 Ebd. 190 Dombrowski, 2016a, S. 136.

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

erhöhte Standpunkt eines Balkons sorgt für eine gute Sicht, sowohl für die Balkonbewohner, die das Straßengeschehen beobachten, als auch für die Passanten. Zugleich ist der Balkon ein Ort im Spiegel der Gesellschaftspolitik. Manets Darstellung entsteht zur Zeit des Zweiten Kaiserreichs, eine Zeit, die Dombrowski als eine Zeit der Spannungen zwischen Forderungen nach demokratischer Freiheit und imperialer Unterdrückung charakterisiert.191 Manets Bilder würden nicht nur Stellen und Rituale des modernen Lebens zeigen, seine Malerei Ende der 1860er Jahre sei auch an soziokulturelle Aspekte geknüpft, wie die starke Kontrolle des Kaiserreichs über öffentliche Äußerungen. Im gleichen Jahr in dem Manets Balkon entsteht, 1868, wird in Frankreich auch ein neuer Gesetzestext mit einem neuen Presseartikel (Artikel 11) verabschiedet. Darin wird jede Darstellung des Privaten in der Presse als eine Straftat bezeichnet.192 Kritiker erkennen laut Dombrowski eine Verbindung zwischen Manets Balkon-Darstellung und diesem Presseartikel, so erscheint 1869 eine Karikatur von Charles Amédée de Noé (Cham) in Le mois comique, Le monde illustré mit dem Untertitel: »Bitte schließen Sie das Fenster! Was ich Ihnen zu sagen habe, M. Manet, ist zu Ihrem eigenen Besten.«193 Manet, der als Maler der Öffentlichkeit gilt,194 entscheidet sich hier nicht ohne Grund für eine Darstellung des Privaten. Sein Gemälde charakterisiere die Dialektik zwischen individuellen Freiheiten und kollektiven Beschränkungen, so Dombrowski weiter.195 In Rückgriff auf Goyas Vorlage modernisiert Manet also nicht nur die formalästhetischen Mittel der Malerei, er schafft auch einen neuen gesellschaftspolitischen Kontext und verleiht seiner Darstellung so – ähnlich wie Goya – eine politische Aktualität. Manet war, wie auch Gerhard Finckh darlegt, ein politischer Künstler, der regen Anteil an politischen Ereignissen nahm.196 Seine Balkon-Darstellung kann man somit vor diesem Hintergrund als einen politischen Kommentar verstehen. Die Vorlage Goyas dient dabei als Rückversicherung (im Sinne Lüthys), die Dombrowski, André: Living on Manet’s Balcony, or the Right to Privacy, in: Is Paris Still the Capital of the Nineteenth Century? Essays on Art and Modernity, 1850-1900, Hg. Hollis Clayson/André Dombrowski, London and New York 2016b, S. 237. 192 Dombrowski zitiert Auszüge aus diesem Artikel wie folgt: »Jede Veröffentlichung in einer Zeitschrift von einem Geschehen, das mit dem Privatleben zu tun hat, ist eine Straftat, die mit 500 Franc geahndet wird.«, siehe: Dombrowski, 2016a, S. 138. 193 Dombrowski, 2016b, S. 247ff. 194 Ebd., S. 239. 195 Ebd., S. 251. 196 Finckh, Gerhard: Vorwort, in: Edouard Manet, Ausstellungskat.: Von der HeydtMuseum, 2017/2018, Hg. Gerhard Finckh, Wuppertal 2017, S. 15.

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Manet als Maler mit Traditionsbewusstsein auszeichnet, und zugleich als Verschärfung, denn auch Goyas Werk lässt sich als gesellschaftspolitisches Spiegelbild lesen. Doch Manet verweist nicht nur auf aktuelles Zeitgeschehen, wie Dombrowski konstatiert, der Maler kommentiert dieses auch indirekt. Die Unbestimmtheit seiner Darstellung, die fehlende Narration und Isolation seiner Figuren, interpretiert Dombrowski als einen inszenierten Zusammenbruch von Bedeutung, der in direktem Bezug zu der staatlichen Meinungskontrolle steht.197 »Wenn Privatheit tatsächlich eines der Grundrechte des modernen Bürgers ist, dann könnte die Malerei des modernen Lebens in der Tat dazu verwendet werden, die neuen Beschränkungen des visuellen Zugangs darzustellen und die Ethik des Blicks zu sondieren,« attestiert Dombrowski.198 Manets Rückgriff auf Goyas Vorlage ist also weit mehr als nur eine Orientierung an künstlerischen Vorbildern oder eine malerische Rückversicherung, wie es Lüthy beschreibt.199 Schon Goyas Darstellung war geprägt durch einen indirekten politischen Kommentar, Manet versetzt die Szene nun von Spanien nach Frankreich und bringt sie in einen aktuellen Kontext, nicht ohne den Balkon ebenfalls als Ort des gesellschaftlichen Kommentars zu nutzen.   Im direkten Vergleich zwischen Manets »Le balcon« und Funkes »In der Loge« ergeben sich auf formaler Ebene gleich mehrere signifikante Übereinstimmungen: Beide Darstellungen präsentieren drei Figuren auf engem Raum (in Funkes Loge noch enger als in Manets Balkon), jedoch ohne Kontakt untereinander, fast unbeteiligt, die zusammengerückt sind. Fügen sie sich zwar in einer kompositorischen Geschlossenheit als Gruppe (als Oval im Falle Funkes, als Dreiecksform im Falle Manets), sind die in unterschiedliche Richtungen gewendeten Körper und Blicke jedoch Merkmale der Isolation. Auch handelt es sich bei beiden Szenen um dargestellte Räume, die eine architektonische Sonderform markieren, in ihrer Form aber durchaus vergleichbar sind. Die Loge wie der Balkon sind Orte, die einer optimierten Beobachtung zuträglich sind, sie offerieren einen erhobenen Standpunkt, der dem Überblicken dient. Zugleich stellen sie ihre Insassen sichtbar aus. Balkon und Loge sind Orte, an dem Sehen und Gesehenwerden untrennbar miteinander verbunden sind. Beide Räume fungieren auch als königliche Repräsentations197 Dombrowski, 2016b, S. 237. 198 Dombrowski, 2016a, S. 138. 199 Lüthy, 2016, S, 18.

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

stätten. Die besondere Bedeutung der Loge im Theater sowie die spezielle Bedeutung der Loge in Funkes Werk wurden bereits herausgestellt. Dass auch Manets Balkon eine Querverbindung auf das Theater zulässt, untermauert der Kommentar von Bätschmann, der erklärt, dass die inszenierte Schaustellung auf dem Balkon die drei Figuren zugleich als Zuschauer kennzeichnet.200 So seien sie passiv wie aktiv gleichermaßen, passiv als Ausgestellte und aktiv als Publikum. In ganz ähnlichen Rollen, nämlich in einer Art Doppelrolle, befinden sich auch die Figuren in Funkes Werk »In der Loge«: Werden sie zum einen deutlich als Zuschauer des Theatergeschehens charakterisiert, verdeutlicht beispielsweise durch das Theaterglas, sind sie gleichzeitig Objekt der Betrachtung eines imaginären Zuschauers, des Betrachters vor dem Bild. Ist Manets »Le balcon« dem Kontext des Theaters zwar entbunden, finden Loge und Balkon doch eine Verbindung durch die architektonisch geschaffene Bedingtheit von Sehen und Gesehenwerden. Zudem überträgt Manet ebenjene Elemente in seine Darstellung, die typischerweise das Theater charakterisieren. In eleganter Abendgarderobe, Berthe Morisot hält gar einen für den Theaterbesuch typischen Fächer in den Händen, könnten diese drei ebenso zweifelsfrei eine Loge bewohnen. Indem der Maler die Szenerie aber auf einem Balkon situiert, suggeriert er die potenzielle Austauschbarkeit dieser beiden Räume, die in ihrer Architektur wie Funktion somit vergleichbar sind. Ist der Balkon also gleichzusetzen mit einer Loge, muss die Straße zwangsläufig zur Bühne werden. Sind sich Manets Balkon- und Funkes Logen-Darstellung hinsichtlich der Inszenierung von Sehen und Gesehenwerden unerwartet ähnlich, unterstreicht dies zum einen die Vielschichtigkeit und zum anderen die zentrale Bedeutung des Motivs in der Kunst des 19. Jahrhunderts und seiner Folge und seinen Ausdruck von Modernität. Sehen und Gesehenwerden als Motiv der Freizeitkultur im 19. Jahrhundert wird zum populären Gegenstand künstlerischer Umsetzung. Beschreibt Benjamin den Flaneur, der durch die Pariser Straßen streift,201 sind die Figuren in Manets »Le balcon« zwar fest an den begrenzten Ort des Balkons gebunden, streifen aber ebenso durch die Straße, allerdings körperlos, einzig mit den Augen. So ließe sich dies als ein Flanieren des Blicks oder optisches Flanieren beschreiben. Das Sehen des 200 Bätschmann, 2015, S. 72f. 201 Benjamin, Walter: Das Passagen-Werk, Hg. Rolf Tiedemann, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1982, S. 524ff.

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Betrachters, seine Aufmerksamkeit, die auf die Darstellung gerichtet ist,202 wird umgelenkt: Nicht nur richtet sich die Aufmerksamkeit auf Sichtbares, sondern vor allem auf Unsichtbares. Das Sehen der Figuren entscheidet über das Mitsehen des Betrachters, der so zwar aktiver Beobachter der Bildszene, aber nur passiver Mitbeobachter einer weiteren, außerhalb seiner Sichtbarkeit liegenden Szene wird. Die Aufmerksamkeit des Betrachters wird durch die Aufmerksamkeit der Figuren gelenkt. Es reicht nicht mehr aus, die Figuren zu betrachten, der Betrachter will sehen, was sie sehen. Manets Rückgriff auf etablierte Vorlagen lässt sich im Sinne Lüthys als eine Rückversicherung deuten, die zunächst scheinbar im Widerspruch zur Modernität des Malers steht. Durch die Vorlagen Alter Meister stehen sich traditionelle Bildsujets und modernistische Malerei gegenüber. Doch die Analyse von »Le balcon« zeigt, dass Manet die Vorlage nicht bloß als eine Verankerung in die Vergangenheit und somit vielleicht als Legitimierung oder Aufwertung verwendet, sondern die Vorlage ihrem ursprünglichen Kontext entzieht und in die Pariser Gegenwart überführt. Die in der Moderne vollzogene Loslösung von traditionellen Bildinhalten und vor allem ihre explizite Überführung in einen zeitgenössischen Zusammenhang, erklärt Zimmermann, wie in Kapitel I dargelegt, als typisch moderne Arbeitsstrategie.203 So lässt sich auch Manets Auseinandersetzung mit einer Vorlage als modern bezeichnen und damit attestieren, dass sein Zurückgreifen auf historische Quellen eben nicht im Widerspruch, sondern gerade im Sinne von Modernität zu deuten ist. So formt der Maler aus einer typisch spanischen Szene eine moderne französische Umsetzung, die inhaltlich wie malerisch aktualisiert ist. Dennoch bleibt die Vorlage präsent, auch weil Manet seiner Darstellung eine Sinnebene verleiht, die sich in vergleichbarer Weise wie die Goya’sche Vorlage einem aktuellen gesellschaftspolitischem Thema widmet. Verweist Goya in seiner Szene auf die französische Besatzung, greift Manet das in dieser Zeit in Frankreich viel diskutierte Thema der Privatsphäre auf. Über die dargestellten Bildelemente hinaus, erhalten so beide Gemälde eine erweiterte, metaphorische Bedeutungsebene. 202 Zur Aufmerksamkeit von/vor Bildern siehe z.B.: Stoellger, Philipp: Die Aufmerksamkeit des Bildes. Intentionalität und Nichtintentionalität der Bildwahrnehmung – als Aspekte der Arbeit an einer ›Bildakttheorie‹, in: Bilder – Sehen – Denken. Zum Verhältnis von begrifflich-philosophischen und empirisch-psychologischen Ansätzen in der bildwissenschaftlichen Forschung, Hg. Klaus Sachs-Hombach/Rainer Totzke, Köln 2011. 203 Zimmermann, 2011, S. 289.

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

Auch Funkes Darstellung »In der Loge« weist vergleichbare Merkmale auf. Die verwendete Vorlage bleibt sichtbar, wurde aber einer eingehenden Modernisierung unterzogen. Malerischer Duktus sowie die Wahl einfacher Reformkleider verschieben die Szene ins beginnende 20. Jahrhundert und eröffnen so einen neuen inhaltlichen Kontext. Das Ersetzen des Mannes durch eine Frau lässt sich zudem sozialgeschichtlich deuten. So schafft Funke einen durchaus mit Manet vergleichbaren Spagat zwischen Vorlage/Historie und Neuerung/Gegenwart. Sie knüpft an das von Renoir gewählte Thema an – das der Objektivierung der Frau –, kehrt es jedoch um und macht so aus den dargestellten weiblichen Figuren selbstbestimmte, befreite Subjekte. Funke und Manet zeichnen sich durch eine interpikturale Arbeitsweise aus, die jeweils einer spezifischen (gesellschaftspolitischen) Motivation unterliegt und durch die Funktion der Aktualisierung auch als moderne Arbeitsmethode zu bezeichnen ist.

Die Pluralität des Hybriden Nachdem die in Funkes Werk »In der Loge« dargestellten Figuren und ihre (Blick-)Beziehungen zum Betrachter bereits thematisiert wurden, soll der Fokus nun auf den vor dem Bild situierten, imaginären Betrachter sowie auf seinen Umgang mit dem Bild und dessen Vorlage gelegt werden. Ob der Betrachter bewusst von Funke mitgedacht und als teilnehmendes Gegenüber angelegt ist oder ob dieser unvorhergesehen auf die Darstellung trifft, die Frage soll nun lauten: Tritt die von Funke verwendete Vorlage auch dem (zeitgenössischen) Betrachter ins Auge? Ist die verwendete Vorlage bloß eine verborgene Spur im Werk, die für die Betrachtung und Interpretation der Szene weniger notwendig als für die Konzeption der Szene ist oder ist das (Wieder-) Erkennen der Vorlage wichtiges Rezeptionskriterium, das dem Werk eine elementare Sinnebene hinzufügt? Mit dieser Frage befindet man sich inmitten eines aktuellen, rezeptionsästhetischen Forschungsdiskurses, welcher den Betrachter und seine Wahrnehmungsleistung vor dem Bild fokussiert. Sibylle Omlin und Beat Wismer sprechen dabei von einem »Gedächtnis der Malerei«, wobei einerseits das Gedächtnis des Betrachters gemeint ist, der sich an die Vielzahl der bereits betrachteten Bilder erinnert, sowie das Gedächtnis als Metapher der Malerei selber, nämlich »eine Ansammlung von Bahnungen, die aufgrund von Erinnerung zustande kamen und ihrerseits wieder der Konstruktion von Erinnerung

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dienen«204 . Eng geknüpft an das Gedächtnis ist der Gedanke der Wiederholung, so konstatieren die Autoren: »Ohne die Wiederholung wird nichts dauerhaft gespeichert oder erinnert«205 . Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Arbeiten Funkes, die sich durch ein stetiges Aufgreifen und Reformulieren fremder Bildmotive und -elemente auszeichnen, so handelt es sich dabei nicht bloß um ein Verweben disparater Bildstoffe zu einer hybriden Form, sondern um das Schaffen eines Bildgedächtnisses. Jedes so entstandene Bild setzt sich wie eine Collage zusammen und stellt zugleich die verwendeten Vorlagen wie in einem Erinnerungsbild aus – vorausgesetzt, der Betrachter vermag diese zu erkennen. Ganz im Sinne Omlins und Wismers ist das Bild so immer auch eine »Vergegenwärtigung von etwas anderem, von etwas Abwesendem«206 . Auch der von Thürlemann geprägte Begriff des hyperimages lässt sich an dieser Stelle anbringen. Bezeichnet Thürlemann mit dem hyperimage zwar primär die räumliche Zusammenstellung unterschiedlicher Bilder wie zum Beispiel im Rahmen einer Ausstellung, also »das Zusammenspiel einer Mehrzahl von Bildern in praesentia«, verweist er zugleich auf eine »wechselnde Anzahl von Bildern in absentia«, also auf bereits wahrgenommene Bilder, die aber nicht vor Augen stehen.207 So spielt wie bereits bei Omlin/Wismer auch hier das Gedächtnis eine entscheidende Rolle, wobei Thürlemann auf Unterschiede der Gedächtnisleistung hinweist, d.h. nicht jedes Bild wird in gleichem Maße erinnert. Darüber hinaus treten, so Thürlemann, zeitliche Überlagerungen auf; auf ein Bild werde durch ein anderes hindurch geschaut. Wieder rückgebunden an die Arbeit Funkes, kann das von Thürlemann verwendete Präfix hyper als ein wortwörtliches ›über das Bild hinaus‹ verstanden werden, also eine Erinnerungsleistung, die über das zur Betrachtung stehende Bild hinausgeht und all jene Bilder berührt, auf die die Malerin rekurriert. So fügen sich die verwendeten Vorlagen nicht nur in praesentia in einer Art Collage zusammen, sondern überlagern sich in der Erinnerung auch imaginär, wobei das Bild als eine Art anstoßende Gedächtnishilfe fungiert. Gleichzeitig implementiert dies eine zeitliche Dimension, denn die so erinnerten Bilder entstammen unterschiedlichen Entstehungsjahren und wurden zu unterschiedlichen Zeiten, in unterschiedlichen Kontexten rezipiert. ›Das Bild im Plural‹ 204 Omlin, Sibylle/Wismer, Beat: Gedächtnis der Malerei – Vorwort, in: Das Gedächtnis der Malerei. Ein Lesebuch zur Malerei im 20. Jahrhundert, Hg. Dies., Köln 2000, S. 10. 205 Ebd., S. 9. 206 Ebd., S. 10. 207 Thürlemann, 2013, S. 8.

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

ist im Falle Funkes also eine imaginäre Nebeneinanderstellung unterschiedlicher Bilder, die nicht de facto nebeneinander stehen, sondern durch das besondere Arbeitsverfahren der Malerin in einem Bild ihre Zusammenschau erfahren.208 Es gibt eine entscheidende Differenz zwischen einer räumlichen Anordnung unterschiedlicher Bilder (in praesentia) und einer Überlagerung mehrerer Bilder in einem (in absentia). Das räumliche Nebeneinander bietet die Möglichkeit des direkten und eingehenden Vergleiches, während die Überlagerung eher ein Nachscheinen der abwesenden Bilder meint, eine Erinnerung anregt, die nicht präzise kalkulierbar ist, auch weil sie wechselseitig, nicht linear in beide Richtungen verlaufen kann. Der direkte Vergleich ist hierbei nicht möglich. Der imaginäre Vergleich wiederum läuft Gefahr einer falschen oder fehlerhaften Zuordnung, das Bildgedächtnis des Betrachters ist nicht zwangsläufig deckungsgleich mit dem des Künstlers oder der Künstlerin. So konstatieren Ganz und Thürlemann, dass die Verbindung mehrerer Bilder genuine Sinnpotentiale besitze, die nicht deckungsgleich mit denen seien, über die das Bild im Singular verfüge.209 Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass eine vollkommene Ausschöpfung dieser Sinnpotentiale erstens wahrscheinlich nicht möglich und zweitens nur dann annäherungsweise möglich ist, wenn der Betrachter auch jene Bilder wahrnimmt, auf die das Einzelbild verweist. Ist dies bei einer räumlichen Anordnung gegeben, fehlt diese Möglichkeit bei der Überlagerung und der Betrachter ist auf seine eigene Erinnerungsleistung angewiesen, der zudem eine gewisse Erkennungsleistung und Kennerschaft vorausgehen muss. Handelt es sich bei dem Bild »In der Loge« (wie auch bei den anderen Werken Funkes, die ein ähnliches Phänomen aufweisen) zwar um ein singuläres Bild, überlagern sich in diesem zugleich die von Funke aufgerufenen Vorlagen. Durch diese Überlagerung wird ein potenzierter Bedeutungshorizont eröffnet, der über den Sinngehalt des Einzelwerks hinausgeht – dieses Phänomen wurde auch beim Beispiel Manets beobachtet. Festgehalten werden muss aber genauso, dass sich dieser Sinngehalt erst dann entfaltet, wenn der Betrachter die verwendeten Vorlagen erkennt (Kennerschaft und einen gewissen Bildungsgrad vorausgesetzt), sich ihrer Gestalt erinnert und sie so 208 Mit der Formulierung ›Das Bild im Plural‹ meinen die Herausgeber des gleichnamigen Sammelbandes zum einen die stetig anzutreffende mediale Bilderflut, zum anderen den Kult von singulären Bildern, siehe: Ganz/Thürlemann, 2010, S. 7. 209 Ebd., 2010, S. 8.

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der Betrachtung imaginär hinzu ordnet. Die Rezeptionsleistung des Betrachters geht somit nicht nur über die reine Betrachtung weit hinaus, der Anteil des Betrachters wird ferner vom Künstler oder von der Künstlerin bei der Produktion einkalkuliert – womit der Bogen zurück zur Rezeptionsästhetik gespannt werden kann. Die Konzepte des hyperimages und der Interpikturalität korrelieren folglich mit rezeptionsästhetischen Überlegungen. Der Vergleich nimmt bei der Betrachtung von Einzelbildern (im Falle interpikturaler Erzeugnisse besonders) eine entscheidende Rolle ein und dominiert die kunsthistorische Deutungsarbeit, erklärt Geimer.210 Über die kunsthistorische Praxis hinaus ist das vergleichende Sehen längst zu einer »allgemeinen Kulturpraxis« geworden.211 Schon Heinrich Wölfflin habe die vergleichende Betrachtung genutzt, um stilistische Unterschiede herauszuarbeiten. Und auch Thürlemann vermerkt, die Wahrnehmung von Bildzusammenstellungen setze beim Rezipienten die Fähigkeit zur Kategoriebildung voraus, die darin bestünde, das Gemeinsame und das jeweils Eigene der Bilder zu fassen.212 Im Anschluss daran formuliert Geimer die prägnante These: »Niemand kann ein Bild anschauen, ohne dass sich unverzüglich andere Bilder einstellten – sei es beim Blick auf benachbarte Exponate an der Museumswand oder Nachbarbilder im Layout einer Buchseite; sei es, dass sich im Anblick des einen, vor Augen stehenden Bildes zahllose andere, zuvor gesehene in Erinnerung rufen. Insofern gibt es kein Bild, das im strengen Sinne autonom wäre: Andere Bilder blenden sich unabwendbar ein, und offenbar ist es gar nicht möglich, zu sehen, ohne zu vergleichen.«213 Zugleich aber warnt Geimer vor Ähnlichkeiten zwischen zwei Bildmotiven, die tatsächlich keine historische oder systematische Verbindung aufweisen, ein Phänomen, das er in Abgrenzung an das vergleichende Sehen »Gleichheit aus Versehen« nennt.214 Nicht alles, so die Schlussfolgerung, was sich formal oder stilistisch ähnelt, muss automatisch schon sinnvoll vergleichbar sein.215 Wie verhält es sich nun aber mit den Arbeiten Funkes? 210 Geimer, 2010, S. 44. 211 Ebd., S. 48. 212 Thürlemann, Felix: Bild gegen Bild, in: Zwischen Literatur und Anthropologie. Diskurse, Medien, Performanzen, Hg. Aleida Assmann/Ulrich Gaier/Gisela Trommsdorff, Tübingen 2005, S. 167. 213 Geimer, 2010, S. 46. 214 Ebd., S. 50. 215 Ebd., S. 51.

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

Der Gefahr einer »Gleichheit aus Versehen« kann unbesorgt entgegen getreten werden, insofern, als dass die von Funke angefertigte Vorstudie zu der Logen-Darstellung jeglichen Zweifel an der Verwendung der Bildvorlage Renoirs auszuschließen vermag. Durch diese Studie, die eine dem Vorbild nachempfundene Figurengruppe mit männlicher Figur, die durch ein Theaterglas blickt, zeigt, wird die direkte Auseinandersetzung der Malerin mit dem Werk Renoirs deutlich. Der Vergleich beider Darstellungen, der bereits zu Beginn dieses Kapitels angestellt wurde, ergab neben einer Anzahl formaler Gemeinsamkeiten auch diverse signifikante Differenzen, die für die weitere Betrachtung von entscheidender Bedeutung waren. Problematisiert Geimer das vergleichende Sehen als eine kunsthistorische Verselbstständigung, die das Spezifische schlucke,216 bringt der Bildvergleich im Falle Funkes das Spezifische doch erst hervor. Denn es ist gerade die Abgrenzung zur Vorlage, ihre Transformation und Weiterverarbeitung in eine neuartige Darstellung, die zudem noch weitere Anschlussmöglichkeiten neben Renoir eröffnet und so den Interpretationshorizont entscheidend erweitert, die das Spezifische der Arbeit darstellt.   Die Verwendung einer Bildvorlage stellt in mehrfacher Hinsicht eine Besonderheit dar, die sich sowohl auf die Produktion als auch auf die Rezeption des Werks auswirkt. Ist im Vorgang der Produktion der Vergleich zwingende Methode, ist er auch für die Rezeption zielführend – wobei die Produzentin selbst zu ihrer ersten Rezipientin wird. Erst der Vergleich mit der Vorlage Renoirs zeigt neben aller Gemeinsamkeit grundlegende Differenzen, die als Sinnverschiebungen zu deuten sind und so entscheidenden Beitrag zur Interpretation der Darstellung leisten. Zeigt Renoir, der gesellschaftlich anerkannten Theaterkultur folgend, standesgemäße Logen-Besucher, nicht ohne bereits durch die Wahl des weiblichen Modells eine Diskussion über das gesellschaftliche Klassensystem anzudeuten, greift Funke eben genau diesen Ansatz auf und führt ihn in radikaler Form weiter. Sie ersetzt Renoirs männliche durch eine weibliche Figur und erklärt die Loge so nicht nur zu einem Raum der Weiblichkeit, sondern auch zu einem Raum der Emanzipation, die drei Frauen kommen ohne männliche Begleitung aus. Durch die Wahl der Reformkleider stellt sie ferner einen gezielt modernistischen Habitus aus, der sich neben der Kleidung im Sozialverhalten der Figuren zeigt. Denn diese haben sich nicht nur des körperformenden Korsetts entledigt, sie entziehen sich 216

Ebd., S. 65.

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ebenfalls einer männlichen Unterordnung und durchbrechen somit das damit verbundene Ordnungssystem aus männlicher Dominanz und weiblicher Dominiertheit. Die drei Figuren agieren selbstständig und selbstbestimmt, was sich auch in ihren Blicken widerspiegelt, die sie als aktive Protagonistinnen auszeichnen. In diesem Sinne sind die Reformkleider nicht bloß Kleider, sie symbolisieren – und dies macht der Vergleich mit Renoir besonders deutlich – eine neue und selbstbestimmte Frauengeneration. Die Loge wird so zu einem Idealort weiblicher Emanzipation. Mit den Mitteln der Malerei kann folglich ein eigener Lebensraum, ein Bildkosmos, erschaffen werden, der einem imaginierten oder erwünschten Ideal unterliegt. Diese Deutungsangebote sind sicherlich schon in der Einzelbetrachtung der Darstellung Funkes erkennbar, sie potenzieren ihre Aussagekraft aber um ein Vielfaches, betrachtet man die Arbeit im Vergleich mit der Vorlage. Denn dann wird deutlich, dass Funke der von Renoir bereits ausgelegten, aber geschickt versteckten Spur folgt und diese nun konsequent und sichtbar ausführt, gleichsam aber ihre Umsetzung inhaltlich wie formalästhetisch noch aktualisiert – man denke auch zurück an Manet. Die impressionistische Vorlage überführt sie in eine farbstarke, expressiv anmutende Form. Formuliert Jules Laforgue für den Impressionismus noch unter expliziter Nennung von Renoir den Leitgedanken, der impressionistische Maler suche das Auge als unreflektiertes Organ, einzig zum Sehen nicht zum Denken bestimmt,217 fordert Funkes Darstellung genau das Gegenteil: einen denkenden Rezipienten, der einen Vergleich über das zur Betrachtung stehende Werk hinaus vollzieht und so das Werk sinnvoll ergänzt. So aktualisiert Funke nicht nur formalästhetisch, sondern auch rezeptionsästhetisch, denn sie adressiert einen in höchstem Maße aktiven und kennerschaftlich geschulten Betrachter. Inhaltlich fügt Funke ihrer Darstellung den von Renoir bereits angestoßenen Aspekt der Geschlechterrollen hinzu und stellt dabei die Frage nach der gesellschaftlichen Konstruktion von Geschlechtlichkeit, stereotyper Rollenverteilung und weiblicher Emanzipation auch auf anderer Ebene. Unabhängig von Stand und Geschlecht beschreibt Funke das Theater als einen Ort, der für jeden zugänglich ist – ein demokratischer Idealort. Ihr Werk ist in jeglicher Hinsicht – inhaltlich, formal wie stilistisch und rezeptionsästhetisch – ein modernisti217

Jules Laforgue in seiner Abhandlung »L’Origine physiologique de l’Impressionisme«, abgedruckt in: Laforgue, Jules: Textes de critique d’art, Lille 1988, S. 168, siehe dazu auch: Cassou, Jean (Hg.): Die Impressionisten und ihre Zeit, München 1954, S. 6.

V. Sehen und Gesehenwerden in der Loge

sches Bekenntnis, das umso deutlicher hervorsticht, betrachtet man es im Zusammenhang mit den verwendeten Vorlagen. Indem der Mann durch eine Frau ersetzt wird, der Bildraum so ein weiblicher wird und der Aspekt des weiblichen Dekors (die Frau als Schmuck), der bei Renoir eine entscheidende Rolle spielt, übertragen wird auf ein bildinternes, ornamentales Dekor der Darstellung, überwindet Funke die vorgegebene Vorlage. Der Begriff der »emanzipatorischen Aneignung« lässt sich hier sinnstiftend anbringen. Trotz kompositorischer Anlehnung an die Vorlage entsteht eine eigenständige Darstellung, die sich zwar rückbinden lässt an die Vorlage, zugleich aber diese durch die zeitgenössische Aktualisierung der Form und des Inhalts nicht nur kommentiert, sondern auch überwindet. Trotz der scheinbaren Erfüllung des angeblichen weiblichen Mangels (›Frauen können den Mann nur kopieren‹) stellt die Arbeit so eine autonome und zudem sozial und gesellschaftskritisch motivierte Leistung dar, die sich ferner als typisch moderne Arbeitsweise erklären lässt. Patriarchale Strukturen und hegemoniale Muster, die Gesellschaft wie Kunstbetrieb gleichermaßen besetzen, werden so nicht lediglich aufgedeckt, sondern reflexiv in Frage gestellt. Vorlagen männlicher Künstler werden so in Funkes Malerei zu einem Tableau für emanzipatorische Reinterpretationen und Neuorganisationen, innerhalb dessen soziale wie gesellschaftliche Missverhältnisse thematisiert und zugleich korrigiert werden können. Wenn Weiblichkeit im Falle von Funke eine künstlerische Ausdrucksmöglichkeit beschreibt, dann beschreibt diese einen Ausdruck gegen die Konvention, gegen ein gewachsenes gesellschaftliches System der männlichen Dominanz. Dann beschreibt diese Autonomie und Eigensinn. Aneignung bedeutet somit bei Funke eine gleichzeitige Distanzierung zur verwendeten Vorlage, wodurch das Spezifische des Werks erst im direkten Vergleich zur Vorlage voll ausgebreitet wird. Die Malerin trifft eine selektive Auswahl, sie überträgt einzelne Motivelemente, knüpft an ausgewählte inhaltliche Aspekte an und fügt diesen neue Fragestellungen hinzu. Indem sie Renoirs Darstellung in ihrer eigenen um wesentliche Inhalte erweitert und die formale Erscheinung stilistisch aktualisiert, zeigt sie einen künstlerischen Habitus, dem es gelingt, trotz Aneignung kritische Distanz zur Vorlage zu schaffen und so das eigene Werk als autonomes Werk zu behaupten.

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Abschluss: »Eine schreckliche Van-Goghiade«

Anhand einer Kritik aus dem Jahr 1911 soll im Folgenden die zeitgenössische Rezeption Funkes exemplarisch beleuchtet werden. Dieses kurze Beispiel verdeutlicht nicht nur all jene bereits aufgeführten pauschalen Bewertungen von weiblicher Kunstproduktion, sondern soll ferner in ein abschließendes Resümee über Besonderheit, Form und Motivation von Funkes interpikturaler Arbeitsweise überleiten. Im Jahr 1910 tritt Funke, noch in Paris lebend, der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs (VBKÖ) bei und stellt in der Jahresausstellung in Wien zwei Werke, im Folgejahr sogar 19 Werke aus.1 Der österreichische Kunstkritiker und Maler Adalbert Franz Seligmann berichtet 1911 im Feuilleton der Neuen Freien Presse über diese zweite Ausstellung. Tadelt er die Schau im Allgemeinen hinsichtlich ihrer modernen, expressionistischen Ausrichtung, die für ihn eine Missachtung traditioneller darstellender Malerei bedeutet,2 greift er Funke aus der Vielzahl der ausstellenden Künstlerinnen mit den folgenden Worten heraus: »Niemand würde zum Beispiel aus der schrecklichen Van-Goghiade von Helene Funke (Saal 8, Nr. 167) erkennen, daß diese Malerin im Stande ist, einen Ast mit so anerkennenswertem Verständnis zu skizzieren, wie das aus Nr. 138 (Saal 6) ersichtlich wird.«3 Neben der ausdrücklichen Anerkennung ihres Könnens wiegt der Vorwurf einer »schrecklichen Van-Goghiade« um einiges stärker, denn er impliziert die Nachahmung bzw. die Kopie des Stils oder der Motive Vincent van Goghs, den Seligmann 1 2

3

Funke, 2011, S. 16. So schreibt Seligmann: »[…] kann ich nun einmal nicht darüber wegkommen, daß, um eine bestimmte ornamentale Wirkung zu erzielen, gewisse Hauptanforderungen der darstellenden Kunst vernachlässigt und die durch die Arbeit vieler Generationen mühsam und stufenweise erreichten Resultate achtlos zur Seite geworfen erscheinen.«, siehe: Seligmann, Adalbert Franz: Hagenbund, in: Neue Freie Presse 27.9.1911, S. 1. Ebd., S. 2.

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Aneignung und Eigensinn

wohl gleichermaßen ablehnt. Aus dem Werkverzeichnis Peter Funkes wird ersichtlich, dass es sich bei der von Seligmann beschriebenen Darstellung um »Der Schal« handeln muss.4 Heute lediglich als Schwarz-Weiß Abbildung überliefert, führt Peter Funke sie nun unter dem Titel »Bretonische Fischersfrau/Shawl der alten Frau« auf (Abb. 28).5 Nicht nur das Thema des Bretonischen bzw. des Bäuerlichen stellt eine Parallele zwischen Funkes Darstellung und Werken van Goghs dar, sondern auch die selbst in der schwarz-weiß Abbildung erkennbare formale Bearbeitung der Szene, wie zum Beispiel das mit groben Pinselstrichen aufgetragene Farbmaterial. Das Zitat unterstreicht somit nicht nur einmal mehr die interpikturale Arbeitsweise Funkes und belegt darüber hinaus die Wahrnehmung dieser durch die Zeitgenossen, sondern verdeutlicht auch die anhaltende negative Bewertung interpikturaler Malerei, die in dieser Zeit noch als mangelnde künstlerische Originalität und im Sinne der einschlägigen Rhetorik als Zeichen der mangelnden Fähigkeiten von Künstlerinnen betrachtet wird. Seligmann lobt zwar Funkes zeichnerisches Talent, schafft es aber gleichzeitig nicht, aus jenen in Gesellschaft und Kunstsystem tiefverwurzelten Vorurteilen auszubrechen und verbleibt so trotz offensichtlicher Anerkennung in einer tradierten diskriminierenden Rhetorik. Die in Kapitel II angeführten Beschreibungen von Philosophen und Kritikern zeigen eine geschlechtsspezifische Diskriminierung der Frau, der aufgrund biologischer Charakteristika künstlerische Fähigkeiten in einer pauschalisierten, stereotypen Vorverurteilung abgesprochen werden. Erst im Zuge der sich formierenden feministischen Kunstgeschichte in den 1970er und 1980er Jahren wird die Geschichte der Künstlerinnen beleuchtet, bisher unbedachte weibliche Positionen werden der Kunstgeschichte hinzugefügt und es wird gefragt, welche Mechanismen, wie die pauschalisierten Generalisierungen, zu dieser Ausgrenzung geführt haben. Nochlin weist zudem auf die institutionellen Mechanismen des Kunstbetriebs hin, die sie als die tatsächlichen Gründe für eine unterlegene weibliche Kunstproduktion benennt. Diese institutionellen Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel der Ausschluss aus den offiziellen Ausstellungen und die Ablehnung von staatlichen Akademien, die ein männlich dominiertes Kunstsystem hervorbringen und reproduzieren, wurden exemplarisch am Werdegang Funkes nachgezeichnet (Kapitel 4 5

Mit Nr. 138 ist gemäß Peter Funkes Untersuchungen die Zeichnung »Weiblicher Akt« gemeint. Eine Abbildung ist nicht überliefert. Siehe: Funke, 2011, S. 60. Ebd., S. 145.

Abschluss: »Eine schreckliche Van-Goghiade«

III). Das Studium an der Münchener Damen-Akademie, die Funke drei Jahre besucht, ist zwar durch professionelle Organisation und Lehre gekennzeichnet, markiert aber dennoch die Position der dort studierenden Schülerinnen, der Frau, als die der »Ausgeschlossenen«, wobei Weiblichkeit somit nicht als eigene Qualität, sondern als Negation verstanden wird. Die Kritik an der Kunst van Goghs ist hier gleichermaßen aufschlussreich. Wie Stefan Koldehoff ausführt, setzt nach der Jahrhundertwende der finanzielle Erfolg van Goghs ein, zwischen 1890 und 1914 finden weltweit etwa 230 Ausstellungen mit Werken des Künstlers statt.6 Dabei sei der größte und nachhaltigste Erfolg in Deutschland zu beobachten, maßgeblich gefördert durch den Kunsthändler Paul Cassirer sowie weitere Galerien, die sich für junge und avantgardistische Kunst eingesetzt hätten (z.B. Flechtheim oder Thannhauser). Die noch im 19. Jahrhundert bestimmende Negativ-Rezeption van Goghs wandelt sich auch im Zuge eines »regelrechten Franzosen-Booms« – u.a. angestoßen durch die Publikation von Meier-Graefe – und führt zu einer anerkennenden Neubewertung.7 Konservative Künstler und Galeristen, die offiziellen Vertreter der Akademien und der deutsche Kaiser Wilhelm II. lehnen die Kunst des niederländischen Malers wie auch den Impressionismus weiterhin entschieden ab. Kunst steht hier immer noch in der Verpflichtung, erzieherischen Zwecken zu dienen und zu erhabenen Idealen zu führen.8 Seligmann, der scheinbar unbeeindruckt vom wachsenden Erfolg der Kunst van Goghs diesen weiterhin negativ bewertet, ist demnach einem offiziellen, konservativen Lager zuzuordnen, das konträr zum sich wandelnden kulturellen Klima an konservativen künstlerischen Vorstellungen festhält. Kunst soll dem Naturvorbild mimetisch folgen – eine klassisch akademische Betrachtungsweise, die auch in dem angeführten Zitat Seligmanns anklingt (»einen Ast mit so anerkennenswertem Verständnis zu skizzieren«). Gleichermaßen betont Seligmann dabei die große Bedeutung der Skizze bzw. der Zeichnung, die wie bereits diskutiert, traditionell Vorrang vor farbgestalterischen und malerischen Mitteln hat und als »männliche«, die Farbe als »weibliche« Qualität gilt. Obwohl Seligmann Funkes zeichnerisches Können ausdrücklich lobt, damit also aus dem Argumentationsmuster ausbricht und ihr eine der wichtigsten künstlerischen Fähigkeiten zuspricht, wiegt die angebliche Nachahmung van Goghs viel stärker. Damit negiert der 6 7 8

Koldehoff, Stefan: Van Gogh. Mythos und Wirklichkeit, Köln 2003, S. 53. Ebd., S. 56. Ebd., S. 61.

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Kritiker die positive Beurteilung und ordnet sie der bekannten, stereotypen Negativbewertung unter. Wie in Deutschland gibt es auch in Österreich ein wachsendes Publikum für die Kunst van Goghs und jene der französischen Künstler des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Dabei sind es vornehmlich die Künstler selbst, besonders im Kreise der Secession und der Internationalen Kunstschau, die sich fasziniert von van Gogh und den Franzosen zeigen; neben jungen Künstlern sind etablierte Künstler wie Gustav Klimt, der in seinen späten Landschaften deutliche Reflexe der Technik van Goghs aufweise, zu nennen.9 Matthias Boeckl verweist ebenfalls auf die starke Anregung, die die österreichischen Künstler durch die Rezeption französischer Malerei erhalten haben. Bereits im 19. Jahrhundert hätten einige Wiener Maler »systematisch das französische Vorbild studiert[en] und in ihre eigene Malerei integriert[en]« (z.B. August von Pettenkofen oder Otto von Thorens).10 Ferner führt Boeckl auch Helene Funke auf, die er neben Bronica Koller11 (später Bronica Koller-Pinell) oder Ludwig Ferdinand Graf als erste Künstlergeneration bezeichnet, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Rezeption französischer Vorbilder eine »völlig neuartige Qualität und inhaltliche Stoßrichtung« erhielten.12 Weiter erklärt er, Helene Funke habe ähnliche Vorbilder wie Koller rezipiert, durch ihren Aufenthalt in Paris habe sie die Franzosen jedoch aus nächster Nähe erleben können. In Werken Funkes wie »In der Loge« (Kapitel V) zeige sich dabei deutlich das Kolorit von Matisse und anderen Fauvisten. Markant stellt Boeckl heraus, dass es mit Funke und Koller gerade zwei Frauen waren, die »am intensivsten die zu dieser Zeit zweifellos radikalsten Strömungen neuer französischer Malerei rezipierten«13 . Ihnen sei 9 10 11

12 13

Husslein-Arco, Agnes (Hg.): Wien – Paris, Ausstellungskat., 2008, S. 117. Boeckl, 2008, S. 23. Frühe Werke von Bronica Koller-Pinell zeigen deutliche Elemente des Jugendstils, wie z.B. »Das letzte Gericht« (um 1903) oder »Sitzende (Marietta)« (1907). Im Folgenden erkennt man eine malerische Entwicklung, die einen gröberen und pastoseren Pinselduktus und eine formale Reduzierung mit sich bringt. Die Arbeit »Die Ernte« (1908) weist motivisch und formal eine stärke Ähnlichkeit zu van Gogh auf. In den Porträts »Porträt Silvia Koller« (1914) und »Porträt Anna Mahler« sowie in einigen Stillleben erkennt man zudem formalästhetische Setzungen, die an Werke Helene Funkes erinnern. Zu Bronica Koller-Pinell siehe u.a.: Jüdisches Museum der Stadt Wien (Hg.): Bronica Koller-Pinell. Eine Malerin im Glanz der Wiener Jahrhundertwende, Ausstellungskat.: Jüdisches Museum Wien, 1993, Wien 1993. Boeckl, 2008, S. 25f. Ebd., S. 26.

Abschluss: »Eine schreckliche Van-Goghiade«

jedoch in Wien kein Forum geboten worden, auch nicht durch die Secession, so dass diese erste Welle der Rezeption französischer Avantgarde keine nachhaltige Wirkung habe entfalten können. Im Gegensatz zu Seligmann bewertet Boeckl die durch Aneignung und Auseinandersetzung mit Vorbildern geprägte Malerei Funkes durchweg positiv; er erkennt darin keine Bestätigung eines alten Vorurteils, sondern im Gegenteil eine avantgardistische Haltung, die Funke zu einer Vorreiterin der Wiener Moderne macht. Die Positivbewertung Boeckls verdankt sich nicht zuletzt dem zeitlichen Abstand von etwa 100 Jahren, mit dem er die Malerei Funkes reflektiert, und einer vorausgegangenen feministischen Kunstgeschichte, die explizit die Erforschung der Ausgrenzung von Künstlerinnen in den Fokus rückt. Die negative Kritik Seligmanns zeigt hingegen nicht nur den gebräuchlichen Umgang mit Kunst von Frauen, sondern belegt auch die grundlegende Absage an französische Malerei von konservativer und offizieller Seite. Des Weiteren bedeutet Seligmanns Äußerung aber auch, dass die Verwendung von Bildvorlagen bzw. die Integration vornehmlich französischer Kunst im Werk Funkes nicht erst aus heutiger Sicht offensichtlich, sondern durchaus auch für ihre Zeitgenossen sichtbar ist. Der Aufenthalt in Frankreich (1906-1911) markiert eine radikale Veränderung im Werke Funkes, auch weil sich ihr künstlerischer Radius erweitert. Sie lernt avantgardistische Künstler wie Matisse kennen, stellt im Kreise dieser aus und modernisiert ihre Bildsprache, erweitert ihr Motivrepertoire. Themen und formale Gestaltungsmittel weisen nun einen dezidierten Bezug zur französischen Moderne auf. Die Auseinandersetzung mit van Gogh zeigt sich dabei anhand mehrerer Werke, französische Landschaften und Stillleben kommen dabei dem Niederländer sowohl hinsichtlich der Sujets als auch der formalen Mittel, wie ein pastos-grober Farbauftrag und intensive Farbwerte, am nächsten.14 Die Übersiedlung nach Wien 1911 stellt dabei keine Zäsur dar – wie die Rezeption ihrer Werke belegt –, sondern zeigt ein Anknüpfen und Weiterführen der studierten französischen Formen im Kreise einer künstlerischen Szene, die sich gleichermaßen der Auseinandersetzung mit den Franzosen verschrieben hat. 14

Zu nennen sind hier u.a. die Werke »Am Meer in Frankreich« (o.J.), eine Reihe von bretonischen Werken wie z.B. »Bretonische Bäuerinnen« (1918-19) und »Bretonische Fischersfrau/Shawl der alten Frau« (o.J.) und die Stillleben wie »Stillleben mit zwei Fischen« (1920). Interessant ist dabei auch, dass viele dieser Werke retrospektiv entstehen, also nicht in Frankreich selbst, sondern mit einigem zeitlichen Abstand in Wien.

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Bereits in München kurz nach Beendigung des Studiums an der DamenAkademie (1899-1902) kann man in den Werken Funkes eine Auseinandersetzung mit der sie umgebenden Kunst erkennen. Ihre frühen Landschaften weisen nicht nur thematisch, sondern auch formal starke Parallelen zu der allgemein anerkannten Münchener Landschaftsmalerei auf. So lässt sich ihre Zuwendung zur etablierten Kunst in München als erste Form der künstlerischen Aneignung deuten, die nicht zuletzt den Wunsch der Teilhabe am offiziellen Kunstdiskurs markiert. Funke nimmt in München an mehreren staatlich geförderten Ausstellungen teil. Aneignung bedeutet in dieser ersten künstlerischen Phase die Anpassung an den etablierten Publikumsgeschmack, also eine Auseinandersetzung mit dem allgemein Etablierten, ihre frühen Landschaften fügen sich homogen in die Bildsprache der populären Münchener Malerei. Eine künstlerische Spezifik ist noch nicht bestimmbar. Sie sucht nicht das Eigene, sondern das Gleiche. Aneignung lässt sich somit hier als Form der Assimilation bezeichnen. In Frankreich hingegen findet die Auseinandersetzung mit der sie umgebenden Kunst auf andere Weise statt. Im Gegensatz zur etablierten Kunst, der sich Funke in München angleicht, integriert sie sich in Frankreich in den Kreis avantgardistischer Künstler. Dabei greift sie die Motive und Bildsprache der Franzosen nicht in Form einer assimilierende Aneignung auf, sondern erarbeitet in der Auseinandersetzung mit den Vorlagen eigenständige Bildideen. Diese fügen sich zwar in den künstlerischen Diskurs ein, behaupten sich aber trotz Vorlagen als autonome Bildsysteme – auch weil Funke nun mehrere Vorlagen kombiniert und sich so noch deutlicher von der Einzelvorlage absetzt. Unterschiedliche, zum Teil disparate Quellen werden dabei zu neuen Werken zusammengefügt, erfahren eine zeitgenössische Aktualisierung, formalästhetisch wie inhaltlich, so dass ihre Werke sich nicht nur durch eine Form der Hybridität, sondern auch durch eine Modernität auszeichnen. So kreiert Funke Werke wie »Tänzerinnen« oder »In der Loge«, die sich zwar konkreter Vorlagen bedienen, diese aber in einen neuartigen, außergewöhnlichen Zusammenschluss bringen und einer formalen Eigenständigkeit unterliegen. Funke transferiert die Vorlagen nicht nur in ihre Gegenwart, sie findet auch eine erkennbare stilistische Handschrift, so dass sich ihre Werke nicht nur aufgrund der interpikturalen Arbeitsweise methodisch ähneln, sondern auch formal. Schon Blanc konstatiert, dass Künstler durch das Kopieren – Blanc meint damit das Kopieren klassischer Kunst – zu einem eigenen ›style‹ fin-

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den.15 Bei Funke lässt sich dies beobachten. Als interpikturale Hybride stellen ihre Bilder umso deutlicher ihre Autonomie aus. Interpikturalität ermöglicht folglich im Falle Funkes die Emanzipation von der Assimilation oder Aneignung, die noch in München zu beobachten ist, zur Formulierung des Eigenen. Eine aneignende Praxis, die noch im 18. Jahrhundert in Verruf steht, lediglich Kopie zu sein und damit künstlerische Unfähigkeit zu beweisen scheint, schließt somit eigenständiges Arbeiten nicht länger zwangsläufig aus, wird aber dennoch hinsichtlich des Originalitätskonzeptes und dessen Anspruch auf Ursprünglichkeit problematisch. Vor dem Hintergrund der besonderen Arbeitsweise Funkes lässt sich Interpikturalität daher treffender als ein spezifisch modernes Verfahren bezeichnen, ohne dabei dezidiert Originalität zu reklamieren. Durch das Verarbeiten von Vorlagen sind ihre Bilder nicht ›neu‹ im Sinne eines Urbildes, sondern lassen sich als Auseinandersetzung mit vorhandenem Bildmaterial (respektive einer Vorlage) verstehen, als eine Aktualisierung, ein Kommentar oder gar als Revision einer verwendeten Vorlage. Interpikturale Werke sind somit von einer Pluralität und einer Referenzialität gezeichnet, wenngleich sie auch als Einzelbild ohne Vergleich zu den Vorlagen rezipiert werden können. Als eine moderne Arbeitsweise kann Interpikturalität dann beschrieben werden, wenn sie eine explizite Überführung in einen zeitgenössischen Zusammenhang leistet.16 In vergleichbarer Weise charakterisiert schon Fried Manets Modernität. Zimmermann fügt hinzu, dass Künstler, die so verfahren, damit die Autonomie sowohl eigener künstlerischer Entscheidungen als auch Autonomie der Bildfunktion für sich in Anspruch nehmen.17 Damit rückt sie auch den in der Moderne als zentral geltenden Begriff der Autonomie ins Feld. Funke beweist Autonomie nicht nur hinsichtlich ökonomischer Interessen (indem sie sich beispielsweise von tradierten Bildformen und damit vom Publikumsgeschmack löst), sondern auch hinsichtlich der herrschenden Vorstellung vom »Wesen« der Frau. Die verbreiteten Kritikermeinungen, die Künstlerinnen mangelnden Einfallsreichtum und mangelnde Fähigkeiten vorwerfen, begegnet sie mit Widerstand und Eigensinn. Wohl wissend der gängigen Rhetorik, Künstlerinnen kopierten lediglich die Kunst der Männer, arbeitet Funke konsequent nach (männlichen) Vorlagen, benutzt diese aber, um sie im Sinne einer emanzipatorischen oder sozial-gesellschaftlichen Kritik zu aktualisieren, sie in einen gegenwärtigen Kontext 15 16 17

Blanc, 1876, S. 20. Zimmermann, 2011, S. 289. Ebd.

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einzubetten und daran wiederum ihre künstlerische Eigenständigkeit zu zeigen. Die künstlerische Arbeitsweise Funkes muss als eine äußerst komplexe Praxis der hybriden Verwebung mehrerer Vorlagen, der kritischen Reflexion dieser Vorlagen und der interpretatorischen Verschiebung der Vorlagen in neue Sinnzusammenhänge verstanden werden. Als ›operative Konstruktion‹ (von Falkenhausen), die sowohl die auktoriale Bedeutungsproduktion als auch den Prozess der rezeptiven Bedeutungsgenese, in der Praxis der Bildinterpretation impliziert, wird diese Arbeitsweise als interpiktural bezeichnet. Der Begriff der Interpikturalität geht damit weit über eine eindimensionale, ikonographische Analysemethode, die nach Quellen sucht, hinaus, sondern fragt ferner nach der Form und der Motivation der Verwendung von Vorlagen. Der Künstler wird dabei im Sinne eines Autor-Künstlers als bedeutungsgenerierender Produzent gesetzt. Ferner wird das interpikturale Konzept als ein diskurshistorisches Modell verstanden, d.h. die Einbettung des Bildes in seine Entstehungszeit ist unerlässlich, soziale, politische und gesellschaftliche Faktoren werden mitgedacht; auch diese Setzung forciert die Autorschaft. Erst die zeitliche Einordnung der Werke Funkes eröffnet die nötigen Zusammenhänge, welche die Werke lesbar machen. Das heißt nicht, dass die Werke ohne diese Kontextualisierung nicht lesbar sind, sondern es heißt, dass dieser Kontextbezug eine zusätzliche Rezeptionsleistung darstellt. Nicht notwendigerweise decken sich die Bedeutungsebenen, die sich in der Rezeption aus historischer Distanz erschließen lassen, mit den Intentionen der Autorin. Vielmehr geht es in einem Akt hermeneutischer Interpretation darum, die verschiedenen Sinnpotenziale mit zu bedenken und sich somit anzunähern. Mit den beiden Werkbeispielen »Tänzerinnen« und »In der Loge« beweist Funke ferner eine dezidierte Auseinandersetzung mit den Geschlechterrollen und der Vorstellung von Weiblichkeit. Stellen die »Tänzerinnen« die Hybridität der verwendeten Vorlagen (Degas und Picasso) plakativ aus, zeigt sich daran auch die Konstruiertheit weiblicher Rollenmuster (Kapitel IV). Die Darstellung der Figuren changiert zwischen der Darstellung keuscher Ballerinen und lasziver Prostituierter – eine Doppelrolle, die nicht zuletzt auf die Vorlagen zurückzuführen ist. In einen anderen Kontext bettet Funke die drei Figuren der Darstellung »In der Loge« ein (Kapitel V). Deutlich rekurriert sie auf die Vorlage Renoirs, beweist aber in einer radikalen Setzung eine innovative Neuinterpretation der Szene: Zeigt Renoir ein Paar in der Theaterloge, ersetzt Funke den Mann durch eine Frau und fügt eine dritte hinzu. Des Weiteren verschiebt sie die Szene inhaltlich wie formal in die avantgardisti-

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sche Moderne, verleiht der Darstellung einen expressiven Duktus und kleidet die drei weiblichen Figuren in moderne Reformkleider. So symbolisieren die Figuren die Entziehung aus der männlichen Unterordnung und durchbrechen somit das damit verbundene Ordnungssystem aus männlicher Dominanz und weiblicher Dominiertheit. Die drei Figuren agieren selbstständig und selbstbestimmt, sie werden als aktive Protagonistinnen charakterisiert. Die Loge wird so zu einem modernistischen Bekenntnis sowie zu einem Idealort weiblicher Emanzipation und beweist damit, dass Malerei einen eigenen Lebensraum zu erschaffen vermag, einen Bildkosmos, der auf erhofften oder imaginierten Vorstellungen und Idealen gründet. Die Interpikturalität Funkes ist durch die hybride Verbindung unterschiedlicher Vorlagen, die formale Erneuerung und Modernisierung dieser sowie die Verhandlung gesellschaftsrelevanter und sozialpolitisch motivierter Themen nicht nur als äußerst kluge und reflexive Form der Bildfindung zu bezeichnen, sondern auch als im höchsten Maße modernistisch und progressiv. Ihre Bilder erweisen sich als kritische Hinterfragung bestehender Ordnungen – in Gesellschaft und Kunstbetrieb –, die Analyse der Darstellungen zeigte dabei deutlich den immer wieder zu beobachteten Bezug zu geschlechtsspezifischen und sozialen Aspekten. Wohl wissend der etablierten Rhetorik der damaligen Kunstkritik, die Frauen pauschalisiert künstlerische Fähigkeiten abspricht und sie als Kopistinnen diffamiert, muss Funkes anhaltende interpikturale Praxis darüber hinaus als eine bewusste Setzung betrachtet werden. Die Anlehnung an männliche Vorlagen lässt sich als ein gezielter Kommentar zur männlichen Vorstellung geschlechtsspezifischer künstlerischer Begabung lesen, der sich somit gegen eine »weibliche Ästhetik« zur Wehr setzt.18 Interpikturalität ist eben keine spezifisch weibliche Praxis – wie zahlreiche Beispiele wie Manet oder Max Pechstein zeigen.19 Markieren bereits die Bildthemen Funkes dezidierte Verhandlungen geschlechtsspezifischer Themen, stellt sich ihre Interpikturalität als eine emanzipatorische Praxis und damit als ein Effekt von Feminismus dar. Helene Funke ist ein prädestiniertes Beispiel für eine selbstbewusste Malerin in einer Zeit der sozialen Ungleichheit und weiblichen Diskriminierung, die mit Hilfe einer komplexen interpikturalen Arbeitsweise nicht nur eine 18 19

Mader nennt dies »emanzipatorische Aneignung«, siehe: Mader, 2009, S. 105. Siehe zu Max Pechstein z.B.: Moeller, Magdalena M./Kaiser, Franz Wilhelm/Baumstark, Kathrin (Hg.): Max Pechstein. Künstler der Moderne, Ausstellungskat.: Bucerius Forum, Hamburg, 2017, München 2017.

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besondere Form der Bildproduktion findet, sondern zugleich mit dieser die Kunstgeschichte, ihre Mechanismen der geschlechtsspezifischen Ausschließung sowie gesellschaftliche Strukturen kritisch reflektiert und zur Diskussion stellt. Interpikturalität ist damit im Falle Funkes eine moderne wie eine emanzipatorische Praxis, die von künstlerischem Eigensinn sowie gesellschaftlicher Widerständigkeit zeugt.

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Abbildungsverzeichnis

 

Abb. 1: Helene Funke, Flussufer mit Bäumen/Bachlandschaft mit Wald im Hintergrund, 1902, Öl auf Leinwand auf Karton, 28 x 35 cm, Privatbesitz Österreich

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Aneignung und Eigensinn

 

Abb. 2: Josef Willroider, Am Kaltenbach, o.A., Offizieller Katalog der Münchner Jahresausstellung 1904 im kgl. Glaspalast, München 1904, Münchner Stadtbibliothek/Monacensia, Mon 3312/1904

 

Abb. 3: Hans von Hayek, Flussufer, o.A., Offizieller Katalog der Internationalen Kunst-Ausstellung des Vereins bildender Künstler Münchens (e.V.) »Secession« 1902

Abbildungsverzeichnis

 

Abb. 4: Karl Küstner, Sommertag, o.A., Offizieller Katalog der Münchner Jahresausstellung 1904 im kgl. Glaspalast, München 1904, Münchner Stadtbibliothek/Monacensia, Mon 3312/1904

 

Abb. 5: Helene Funke, Landschaft mit Pappeln, o.J., schwarze Kreide, Aquarell, Gouache auf Papier, 31,5 x 46,4 cm, Privatbesitz Österreich

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Aneignung und Eigensinn

 

Abb. 6: Albert M. König, Nach dem Regen, o.A., Offizieller Katalog der Münchner Jahresausstellung 1904 im kgl. Glaspalast, München 1904, Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, Mon 3312/1904

 

Abb. 7: Helene Funke, Gewitterstimmung, 1905, Öl auf Leinwand, 78 x 120 cm, Privatbesitz, Foto: Martin Hutcheson

Abbildungsverzeichnis

 

Abb. 8: Helene Funke, Haus im Park, 1899 (nicht verifiziert), Öl auf Leinwand, 54 x 54,3 cm, Privatbesitz Österreich

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Aneignung und Eigensinn

 

Abb. 9: Paul Cézanne, Haus mit rotem Dach/Das Anwesen Jas de Bouffan, um 1887, Öl auf Leinwand, 73,5 x 92,5 cm © akg-images/Erich Lessing

Abbildungsverzeichnis

 

Abb. 10: Walter Leistikow, Abendstimmung am Schlachtensee, um 1895, Öl auf Leinwand, 73 x 93 cm © Stiftung Stadtmuseum Berlin, Reproduktion: Hans-Joachim Bartsch, Berlin

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Aneignung und Eigensinn

 

Abb. 11: Wilhelm Trübner, Schloss Hemsbach hinter Bäumen, 1904, Öl auf Leinwand, 92 x 78 cm © akg-images

Abbildungsverzeichnis

 

Abb. 12: Helene Funke, Tänzerinnen, o.J., Öl auf Leinwand, 100,5 x 85,3 cm, Sammlung Willi Hoffinger, Wien

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Aneignung und Eigensinn

 

Abb. 13: Pablo Picasso, Les Demoiselles d’Avignon, 1907, Öl auf Leinwand, 243,9 x 233,7 cm © 2019. Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence und Succession Picasso/VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Abbildungsverzeichnis

 

Abb. 14: Edgar Degas, Blue Dancers, 1898-99, Pastell auf Karton, 65 x 65 cm © The Pushkin State Museum of Fine Arts

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Aneignung und Eigensinn

 

Abb. 15: Henri Matisse, Nasturtiums with the Painting „Dance“ I, 1912, Öl auf Leinwand, 191,8 x 115,3 cm © bpk | The Metropolitan Museum of Art und Succession H. Matisse/ VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Abbildungsverzeichnis

 

Abb. 16: Jean-Auguste-Dominique Ingres, Madame Moitessier, 1856, Öl auf Leinwand, 120 x 92 cm, National Gallery, London

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Aneignung und Eigensinn

 

Abb. 17: Édouard Manet, Olympia, 1863, Öl auf Leinwand, 130 x 190 cm, Musée d’Orsay, Paris © bpk | RMN - Grand Palais | Patrice Schmidt

Abbildungsverzeichnis

 

Abb. 18: Helene Funke, In der Loge, 1907, Öl auf Leinwand, 99 x 90 cm, LENTOS Kunstmuseum, Foto: Reinhard Haider

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Aneignung und Eigensinn

 

Abb. 19: Pierre-Auguste Renoir, La Loge, 1874, Öl auf Leinwand, 80 x 63,5 cm © The Samuel Courtauld Trust, The Courtauld Gallery, London

Abbildungsverzeichnis

 

Abb. 20: Mary Stevenson Cassatt, In the Loge, 1878, Öl auf Leinwand, 81,28 x 66,04 cm, The Hayden Collection – Charles Henry Hayden Fund, Photograph © [April 2020] Museum of Fine Arts, Boston

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Aneignung und Eigensinn

 

Abb. 21: Mary Stevenson Cassatt, The Loge, 1878-1880, Öl auf Leinwand, 79,8 x 63,8 cm, Chester Dale Collection, National Gallery of Art, Washington, D.C.

Abbildungsverzeichnis

 

Abb. 22: Anton Tschechow, Drei Schwestern, Titelblatt der Erstausgabe, veröffentlicht 1901 von Adolf Marks, St. Petersburg

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Aneignung und Eigensinn

 

Abb. 23: Paula Modersohn-Becker, Komposition von drei weiblichen Figuren, in der Mitte ein Selbstbildnis, 1906/07, Pappe, 110 x 75 cm, Kriegsverlust (ehemals Sammlung Von der Heydt, Elberfeld), Foto: © Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, Bremen

Abbildungsverzeichnis

 

Abb. 24: Helene Funke, Drei Frauen, 1915, Öl auf Leinwand, 98 x 81 cm, LENTOS Kunstmuseum, Foto: Reinhard Haider

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Aneignung und Eigensinn

 

Abb. 25: Helene Funke, In der Loge (Vorstudie), ca. 1907, Aquarell auf Karton, 30 x 30 cm, LENTOS Kunstmuseum, Foto: Reinhard Haider

Abbildungsverzeichnis

 

Abb. 26: Édouard Manet, Le balcon, 1868-1869, Öl auf Leinwand, 170 x 124,5 cm, Musée d’Orsay, Paris © bpk | RMN - Grand Palais | Hervé Lewandowski

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Aneignung und Eigensinn

 

Abb. 27: Francisco de Goya y Lucientes, Majas on a Balcony, ca. 18001810, Öl auf Leinwand, 194,9 x 125,7 cm, The Metropolitan Museum of Art, New York © H. O. Havemeyer Collection, Bequest of Mrs. H. O. Havemeyer, 1929

Abbildungsverzeichnis

 

Abb. 28: Helene Funke, Bretonische Fischersfrau/Shawl der alten Frau, o.J., Öl auf Leinwand, 72 x 59 cm, gilt als verschollen

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